322. Waghäusel's Ursprung.

1.

Vor mehreren Jahrhunderten geschah es, daß zwei Ritter im Lußhardwalde sich ein Treffen lieferten. Schon wich die Mannschaft des einen; er selbst lag erschöpft unter einem Baum und rief die seligste Jungfrau um Beistand an. Da hörte er eine wunderbare Stimme, welche aus der Krone des Baumes ihm zurief: »Wage, wage!« Hierdurch mächtig gestärkt, kehrte er in das Treffen zurück und erlangte einen vollständigen Sieg. Zum Danke ließ er nachmals da, wo der Baum stand, eine Muttergotteskapelle bauen, die den Namen Waghäusel erhielt und bald das Ziel vieler Pilgerfahrten wurde.

2.

An einer Eiche des Lußhards scharrte vor Zeiten ein Schaf ein kleines steinernes Standbild aus der Erde, welches die Muttergottes mit dem Jesuskind auf dem linken Arme vorstellte. Voll Freude nahm der Schäfer das Bild mit nach Hause, fand es aber des andern Morgens wieder bei dem Baume. Hierin Gottes Fingerzeig erkennend, schnitt er in die Eiche eine Blende und stellte das Bild hinein, welches bald, durch die Opfer der Pilger, mit einem hölzernen Vordache geschützt ward.

Als einst ein Fuhrmann sich fürchtete, durch den dortigen, angeschwollenen Bach zu setzen, rief das Bild, bei dem er vorher gebetet hatte, ihm zu: »Wag' es!« [297] Da trieb er seine Pferde vorwärts und kam mit dem Fuhrwerk glücklich durch das Wasser. – Von dieser Begebenheit heißt der Ort »Waghäusel«, in dessen vielbesuchter Wallfahrtskirche jetzt das Bild auf dem abgeköpften Eichstamm in dem Muttergottesaltare steht.

3.

Einst hörte ein Schäfer, der am Lußhardwalde seine Heerde weidete, in demselben einen wunderschönen Gesang. Er ging ihm nach und kam an einen Sumpf, in dessen Mitte ein abgeköpfter Stamm und darauf ein schönes Muttergottesbild stand, welches so herrlich sang. Vergebens suchte er es mit seinem Stab zu erlangen; auf einmal rief das Bild ihm zu: »Wag es!« worauf er, ermuthigt, durch den Sumpf wadete und dasselbe herabholte. Mit Freude trug er es in sein Häuslein; aber am folgenden Morgen war es nicht mehr da, sondern am vorigen Platze. Abermals nahm er es mit nach Hause, allein in der nächsten Frühe fand er es wieder auf dem Stamme, und ebenso, nach nochmaligem Heimtragen, am dritten Morgen; worauf er es dort stehen ließ. In der Folge kamen, bei ihrem Umherwandern, Kapuziner dahin und bauten über den Stamm eine Kapelle und daneben für sich eine Wohnung. Diese Ansiedlung erhielt den Namen Waghäusel und wurde wegen des Bildes bald von vielen Wallfahrern besucht. 1

Fußnoten

1 Diese drei Sagen weichen sehr ab von der Entstehungsgeschichte der Waghäusler Wallfahrt, welche beschrieben ist in dem Werkchen: Anmuthiges Waghäusler Büchlein etc. Bruchsal bei A.G. Gottschall, 1732.


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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2011). Baader, Bernhard. 322. Waghäusel's Ursprung. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1714-4