117. Der Jäger und die Hexe.

Ein Jäger, der Zauberei verstand, ging eines Tages mit drei Genossen vor die Stadt, um Wildgänse zu[109] schießen. Sie sahen sechs Stück, schossen mehrmals darnach, fehlten aber immer, obgleich sich die Gänse, wie neckend, stets in ihrer Nähe hielten. Da rief der Jäger gereizt: »Jetzt will ich gewiß eine treffen!« lud etwas in sein Gewehr, schoß und traf eine Gans, welche herab ins Gebüsch fiel. Als er hinkam, fand er, statt der Gans, eine nackte Frau unverwundet darin sitzen, in der er die sogenannte Haarschneiderin aus der Stadt erkannte. Er warf ihr sein Schnupftuch zur Bedeckung zu; sie aber bat ihn, sie ja nicht zu verrathen und ihr aus ihrem Hause Kleider herbringen zu lassen. Beides sagte er zu und erfüllte es richtig. Am nächsten Morgen waren seine vielen Tauben, an denen er große Freude hatte, alle kreuzlahm. Sogleich that er eine in seinen Büchsensack und ging damit, in Begleitung eines Hochschülers, auf einen freien Platz tief im Walde. Hier machte er einen Kreis und in dessen Mitte ein Feuer, steckte die Taube, welche noch lebte, an einen Spieß und sagte seinem Begleiter, er möge sie über dem Feuer wenden, bis er wieder komme, auch sich durch nichts in seiner Arbeit stören lassen. Nachdem er sich im nahen Dickicht versteckt hatte, fing der Schüler an, den Spieß zu wenden. Alsbald kam die Frau hastig herbei, lief um den Kreis herum und bat den Schüler dringend und immer dringender, das arme Thier vom Feuer zu thun und nicht so zu martern. Dieser aber kehrte sich nicht an ihr Bitten, sondern fuhr fort, die Taube zu braten, wodurch das Weib ebenso gebraten wurde, welches endlich heulend davon rannte. Hierauf trat der Jäger aus seinem Versteck und ließ die Taube vom Feuer nehmen, damit nicht, wie er sagte, die Frau daraufgehe. Den andern Morgen konnte er nicht aufstehen und fühlte sich [110] im Kreuze gelähmt. Unverweilt schickte er seine ältere Tochter zu der Haarschneiderin, die, wie er sagte, allein ihm zu helfen vermöge, und ließ sie bitten, herzukommen. Diese lag ganz verbunden im Bett und erwiederte, sie sei selbst krank und könne nicht ausgehen. Kaum war dies dem Jäger ausgerichtet, so kam dessen jüngere Tochter zu ihr und sagte, ihr Vater lasse sie bitten zu kommen und ihm zu helfen, um Gotteswillen, um Gotteswillen, um Gotteswillen. Auf dieses mußte die Hexe nachgeben, daher sie unwillig sprach: »Es ist nicht nöthig, daß ich hingehe; dein Vater soll sich von zwei Männern in die Scheuer tragen und dreimal durch die Leiter schieben lassen, so wird ihm geholfen sein.« Der Jäger befolgte dies genau, und kaum war er das dritte Mal durch die Leiter geschoben, so war alle Lähmung verschwunden. Von nun an ließ er die Hexe, und sie ihn, unangefochten.

Als dieser Jäger dem Tode nahe war, sagte er seiner Frau: sie solle nach seinem Absterben alle seine Zauberbücher auf freiem Felde verbrennen, damit durch dieselben keine Seele mehr zu Grunde gehe, wie jetzt die seinige; unterlasse sie es, so drehe er ihr den Hals um. Sie versprach hoch und theuer, seinen Willen zu erfüllen, ließ sich aber später durch das viele Geld, welches ihr für die Bücher geboten ward, zu deren Verkaufe verleiten. Da wurde sie am folgenden Morgen im Bette todt, ganz schwarz, mit umgedrehtem Hals gefunden.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Baader, Bernhard. Sagen. Volkssagen aus dem Lande Baden und den angrenzenden Gegenden. 117. Der Jäger und die Hexe. 117. Der Jäger und die Hexe. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-167A-6