Zwölfter Auftritt.
Graf Blumenkranz. Der Hauptmann. Die Vorigen.
BLUMENKRANZ.
1 Ja Madam! das ist der unglückselige Graf von Blumenkranz, der bald auf die traurigste Art von der Welt sein Leben eingebüßt hätte.
BARONINN.
Sie erschrecken mich. Um des Himmelswillen, wie ist das zugegangen?
BLUMENKRANZ.
O haben Sie die Gnade, lassen Sie mir einen fauteuil bringen!
BARONNIN.
Gleich – oder setzen Sie sich zu mir auf mein Kanapee!
BLUMENKRANZ.
Auch das. Er setzt sich neben der Baroninn. Sie sind also die Frau vom Hause?
BARONINN.
Die sich erfreut solche Gäste bey ihr zu sehen: nur betaure ich ...
BLUMENKRANZ.
Und dieß wird wohl der Herr Baron seyn?
BARON.
Nicht anders, mein Herr Graf.
BLUMENKRANZ.
Ich hätte tausend Louisd'or gewettet daß ers ist; ob er mir gleich von Physiognomie [27] gar nicht bekannt war. O ich bitte Sie, lassen Sie mir ihren Chirurgus holen; der meinige hat sich die Nase eingeschlagen, und ist unterwegs in einem Dorfe geblieben.
BARON.
Allons mein Schatz! mach' Anstalt –
BARONINN
für sich.
Hundert Element! darauf hab ich nicht gedacht. – Wir müssen nur geschwind in die Stadt schicken.
BLUMENKRANZ.
Wie Madam? sollten Sie keinen Chirurgus im Schlosse haben?
MAJOR.
Erlauben Sie! ich werde geschwind in meine Station nach dem Feldscherer schicken: in einer Viertelstunde ist er hier. Geht hinaus, kömmt aber bald wieder zurück.
BARON.
Ja, Herr Major! das wird das beste seyn.
BLUMENKRANZ.
Der Herr Major ist also in der Nachbarschaft bequartirt?
BARONINN.
Auch der Herr Hauptmann. – O setzen Sie sich doch. Alles setzt sich.
BLUMENKRANZ.
Es ist angenehm, auf dem Lande Nachbarschaft zu haben. Der Herr Hauptmann ist mir ganz bekannt.
HAUPTMANN.
Ich habe bisweilen die Ehre gehabt. Sie beym Minister anzutreffen; auch bey Hofe.
BLUMENKRANZ.
Ja ja! ich erinnere mich schon.Zur Baroninn. O lassen Sie mir einen Spiegel bringen! mein Gesicht muß erschrecklich zugerichtet seyn. Lisette geht ab. Ist das nicht ihr Fräulein Tochter, die Braut?
BARONINN.
Und ihre Dienerinn. Leonore macht eine Verbeugung.
BLUMENKRANZ.
Mademoiselle Braut! ihr Herr Bräutigam hat mir beynah den Hals gebrochen.
BARONINN.
Wie? Graf von Reitbahn war also Ursach an diesem erschrecklichen Zufalle?
[28]BLUMENKRANZ.
Kein andrer Mensch. Er hat mich gefahren, und umgeworfen.
BARON.
O das sieht ihm ganz ähnlich. Er soll mich sein Tage nicht fahren!
BARONINN.
Und wo ist denn nun Graf Reitbahn?
BLUMENKRANZ.
Er ist hier; konnte sich aber nicht enthalten, sogleich den herrschaftlichen Stall zu besuchen.
BARON.
Er wird nicht viel Rares finden; ich wende nicht viel auf Pferde.
BARONINN.
Der Graf hat doch eine ungemeine Passion für Pferde. Eine noble Passion!
BLUMENKRANZ.
So noble, daß sie heut einen der ersten Grafen der Monarchie um Arm und Bein hätte bringen sollen.
BARONINN.
Aber er selbst ist doch unbeschädigt geblieben?
BLUMENKRANZ.
Er konnte nicht beschädigt werden, denn er saß nicht im Pirutsch.
BARON.
Wie denn? ging er zu Fuße?
Man gibt dem Grafen den Spiegel.
BLUMENKRANZ.
Er fuhr mich en Postillon, und warf um, ohne etwas zu riskiren. Indem er sich im Spiegel besieht. Himmel! geschunden, depoudrirt, elend zugerichtet – ich werde meine Physiognomie kaum in acht Tagen retabliren. – Hier, müssen Sie wissen, ist einen Dukaten groß, die Haut völlig weg.
BARONINN.
Das ist erschrecklich.
BLUMENKRANZ.
Die ganze Stadt wird von diesem Zufalle sprechen, und es wird viel seyn, wenn man ihn nicht auch in Paris erfährt.
BARONINN.
Ich bin vor Ängsten außer mir.
BLUMENKRANZ.
Sie verlieren nichts dabey, Madam! Sie sind nicht Schuld daran: – Sie gewinnen [29] noch in so weit, als die Welt gelegentlich auch von Ihnen sprechen wird. Der Baron, der Major und das Fräulein sehen einander an. Doch sagen Sie mir: was für ein horribler Geruch? Haben Sie denn gern die stinkenden Hasen in ihrem Zimmer?
BARON.
Herr Graf! die Hasen können unmöglich stinken. Ich fing sie allererst diesen Morgen mit meinen ungarischen Hunden. Sie sind gewiß kein Jäger?
BLUMENKRANZ.
Ein Jäger? fi fi! – man hat andere Sachen zu thun.
BARON.
Fi fi? Sie werden doch erlauben, daß die Jagd eine noble Passion ist?
BLUMENKRANZ.
Gewesen! aber – verzeihen Sie mir Baron, in diesem Siecle hat man galantere Passionen.
BARON
verdrüßlich.
Ja! die Petitmaitrise vielleicht – Herr Major! kommen Sie!
BARONINN.
Wo willst du denn hin, mein Schatz?
BARON.
Den Graf Reitbahn aufzusuchen. Geht mit dem Major ab.
BLUMENKRANZ.
Er geht wirklich fort. – Der Herr Baron war wohl niemals zu Paris?
BARONINN.
Nein! aber zu Salzburg, wo er einen Bruder hat, war er einigemal. Sie gibt Lisetten ein Zeichen, und man trägt Hasen weg.
BLUMENKRANZ
höhnisch.
Zu Salzburg?
BARONINN.
Einigemal. Man sagt, der dortige Hof sey sehr brillant.
BLUMENKRANZ
spöttisch.
Ja – er brillirt ungemein. Seitwärts. quelles gens!
BARONINN.
Was fehlt Ihnen, Herr Graf? empfinden sie Schmerzen.
BLUMENKRANZ.
Immer mehr und mehr.
[30]BARONINN.
Wahrhaftig, ich bin Wehmuth außer mir. Wollen Sie schauerischen Balsam nehmen? ich hab ihn so echt als möglich.
BLUMENKRANZ.
Bemühen Sie sich nicht, ich nehme mein Tage nichts Chymisches. Aber mit ihrer Erlaubniß werd ich mich etwas commoder machen. Er legt einen Fuß auf den Tisch. Lenore und der Hauptmann sehen einander an.
BARONINN.
So, Herr Graf! Thun Sie, als ob Sie zu Hause wären!
BLUMENKRANZ.
Das Fräulein Braut ist rechtcharmante – und angezogen – pour se mettre à genoux. – Was haben Sie für eine Kammerjungfer?
BARONINN.
Die Sie dort sehen. Sie hat zwey Jahre bey Hofe gedient.
BLUMENKRANZ.
Aber Sie Madam, sind eben sosuperieurement bien: recht à quatre epingles –
BARONINN.
Ich gebe alle selber an – auch meiner Tochter.
BLUMENKRANZ
spöttisch.
Sie zeigen ungemein viel Geschmack und Kenntniß der Welt.
BARONINN.
O Herr Graf, wenn man gleich auf dem Lande lebt, weiß man doch, wie es in der Hauptstadt zugeht.
BLUMENKRANZ.
Mademoiselle! Sie machen eine sehr vortheilhafte Parthie – reich und vornehm. Sie müssen wissen, daß der Graf von Reitbahn nahe mit mir alirt ist. Das ist alles, was man sagen kann, um die Vorzüge seiner Familie zu beweisen.
HAUPTMANN
zu Lenoren.
Der Mensch ist ein unerträglicher Geck.
BARONINN.
Ich weiß es, daß die Grafen von Blumenkranz sehr alt und vornehm sind.
[31]BLUMENKRANZ.
Man braucht nur zu bedenken, daß bey dem großen Turnier zu Worms, unter Friedrich dem dritten, schon Blumenkränze waren.
HAUPTMANN.
Davon kann ich Zeugniß geben. Ich habe vor wenig Tagen im historischen Bildersaal gelesen, daß bey eben diesem Turnier ein Blumenkranz zweymal aus dem Sattel geworfen ward.
BLUMENKRANZ.
Sie haben recht. Sie werden auch gelesen haben, daß damals die Ritter, die aus dem Sattel geworfen wurden, den Preis davon trugen.
HAUPTMANN.
Schade für diese alte Gewohnheit: Sie hätten sich heut auch Ehre erworben, da Sie aus dem Pirutsch fielen. Das Fallen scheint ihrer Familie ganz eigen zu seyn.
BLUMENKRANZ.
Ja wirklich! auch zu Paris fiel ich bey einem sehr prächtigen Karussel vom Pferde, da ich den Kopf mit dem Degen nehmen wollte. Der König konnte nicht aufhören zu lachen, und die ganze Welt war begierig zu erfahren, wer ich wäre. Von dieser Stund an ward mein Nahme in ganz Frankreich bekannt.
HAUPTMANN
seitwärts.
Eine schöne Epoche!
BARONINN.
Aber Herr Graf! Paris muß doch ein unvergleichlicher Ort seyn.
BLUMENKRANZ.
O Himmel! erinnern Sie mich nicht daran! – Das ist der einzige Ort in der Welt.
BARONINN.
Das hab' ich schon öfters gehört: Paris und London?
BLUMENKRANZ.
Ha London – vilainie, vilainie!
BARONINN.
Wie so?
BLUMENKRANZ.
Ein grobes, unwissendes Volk, das da glaubt, ein Mensch sey so gut wie der andere; und das aus unser Einem, wenn er auch noch so viel Geld verzehrt, weniger macht, als wir hier aus – aus einem französischen Koche.
[32]BARONINN.
Pfui! ich hätte nie geglaubt, daß man in London so dumm seyn könnte.
BLUMENKRANZ.
Trotz in Holland und in der Schweiz.
BARONINN.
Sind die Schweizer auch so?
BLUMENKRANZ.
Die sind die ärgsten. Ich will Ihnen nur Einen Trait erzählen. In Bern fuhr ich über den Platz, als eben der Magistrat en Corps aus der Kirche nach dem Rathhause ging – und ich war in einer recht gar schönen Equipage. Die Passage war ein wenig eng, wo mir diese feinen Herren begegneten; und ein vierschröttiger Rathsherr, anstatt mir Platz zu machen, befahl meinem Kutscher anzuhalten. Ich schrie aus der Kutsche, ich müßte nothwendig passiren: – Nur Geduld! war die Antwort. Mir verging aber die Geduld, wie Sie leicht denken können; und ich sagte mit allem Ernste: ich fey der Graf von Blumenkranz. Was denken Sie, was man mir geantwortet? – Herrchen! weder als Graf, noch als Blumenkranz bist du berechtigt, den Magistrat von Bern auf der Straße anzuhalten. Du sollst aber doch passiren, wenn du uns sagst, warum du ein Graf bist. Diese Frage sürprenirte mich; ich wußte nicht gleich, was ich antworten sollte; und mußte, so wahr ich ein Cavalier bin, warten, bis der ganze Magistrat vorüber war.
BARONINN.
Wahrhaftig! diese impertinente Frage hätte mich selber embarassirt.
BLUMENKRANZ.
Natürlich! wer Teufel kann das Warum von allen Dingen wissen?
HAUPTMANN.
Wissen Sie, was ich geantwortet hätte?
BLUMENKRANZ.
Nun?
HAUPTMANN.
Ich sey ein Graf, weil es mein Vater war.
[33]BARONINN.
In der That! das hätten Sie antworten sollen.
BLUMENKRANZ.
Wer weiß, ob diese unhöflichen Leute nicht neue Zweifel in dieser Antwort gefunden hätten. Es ist nichts mit ihnen zu thun. Glauben Sie mir Madam, es ist kein Ort in der Welt, wie Paris.