[12] [15]I. Geschichte des ewigen Juden.

Erstes Kapitel

Erstes Kapitel.

Als der Herr Jesus – dessen Name hochgelobt sei! – durch die Straßen von Jerusalem sein schweres Kreuz trug nach Golgatha, da ward er matt und müde ob der schweren Last; und, um eine Weile zu ruhen, wollte er sich auf eine Bank setzen vor dem Hause Ahasveri, eines Juden aus dem Stamme Nephthali. Dieser aber wehrte es ihm, sagend, ein Gottesläugner und Sabbathsschänder und Verführer des Volkes solle keine Gemeinschaft haben mit ihm noch mit Allem, was sein sei. Da blickte ihn der Herr an mit dem zürnenden Blicke des Richters, und sagte: Ahasvere, weil du denn des Menschen Sohn keine Rast vergönnst, so sei auch dir fortan keine Ruhe vergönnt, und du sollst wandeln und wandern, bis daß ich wieder kommen werde. Mit diesen Worten ging der Herr weiter; und die Schergen, die ihn führten, zwangen einen gewissen Simeon aus Cyrene, daß er ihm das Kreuz tragen helfe. Ahasverus aber folgte dem Zuge von ferne nach, und es däuchte ihm, als höre er eine Stimme sagen: Und wenn dieser Mensch auch ein Gottesläugner gewesen wäre, und ein Sabbathsschänder und ein Volksverführer, so leidet er da jetzt die Strafe für seine Schuld, und du hättest ihm nicht den Liebesdienst verweigern sollen. Er aber dachte bei sich: Wie hätte er verdient, daß ich Mitleid mit ihm haben sollte. Hat er ja doch den Fluch über mich ausgesprochen. – Und er folgte dem Zuge weiter, und stand unfern dem Hügel Golgatha, wo der Herr ans Kreuz geschlagen und am Kreuze erhöht wurde. Und er sah, wie die Mutter des Gekreuzigten und andere fromme Frauen und viele gerechte [15] Männer um den Sterbenden trauerten und weinten, und eine Stimme sagte, daß er's hören mochte: Wahrhaftig, dieser Mann ist gerecht. Er aber dachte bei sich: War dieser Mensch gerecht vor Gott, und ein Wohlthäter des Volkes, warum hat er die Rache nicht Gott überlassen und mich mit Fluch belegt und Strafe? – Und um die neunte Stunde neigte der Herr Jesus das Haupt, und verschied. Und die Sonne und der Mond wurden verfinstert, die Erde erbebte, die Todten stiegen aus ihren Gräbern und der Vorhang des Tempels riß entzwei von oben bis nach unten. Da erbleichte Ahasverus, und ein Schreck durchzuckte seine Glieder, daß er erzitterte, und ein furchtbarer Gedanke stieg auf in seinem Innern, und er glaubte und rief: Wahrhaftig, mich hat Gottes Fluch getroffen. Und verzweifelnd an der Gnade rannte er von dannen und ward nicht mehr gesehen in der Nähe der Gottesstadt.

Zweites Kapitel

Zweites Kapitel.

Als man zählte das fünfzigste Jahr nach unserm Heil, da kroch ein fremder, wilder Mensch hervor aus einer Höhle des Libanon. – Ein Jünger des Herrn, der des Weges vorbei zog, sah ihn. – Lange Haare deckten das Gesicht und die Brust; zerlumpte Kleider hingen an seinem Leibe: Haupt und Füße waren unbedeckt; und wie er aus der Höhle getreten war, ballte er seine Fäuste und schlug sie gewaltig auf seine Brust, daß es klang, wie von einem geschlagenen Erz; und der Mensch ächzte und stöhnte und rief: »O! nicht sterben können, nicht sterben können!« Dann sah er mit verstörtem Blick auf die Gegend umher, die schön geschmückt war wie eine Braut, im Frühlingsschmucke, und überall war fröhliches Leben und lauter Jubel, wie an einem Hochzeitfest. Der arme Mensch aber freute sich nicht, sondern ächzte und stöhnte wieder und rief: »Nicht sterben können! O, und nicht leben wollen!« – Dann wankte er wieder weiter und stand nun vor dem Jünger des Herrn. [16] Der redete ihn an mit dem Gruße des Christen: Gelobt sei Jesus Christus! Da sah ihn der Fremde mit starrem Auge an, und, indem er die Faust drohend erhob, rief er: »Verflucht!« daß der Berg widerhallte von dem schrecklichen Worte. Der Jünger wandte sich von ihm ab, voll des Entsetzens, und der Fremde brach in ein gräßliches Hohngelächter aus, als lachte die Hölle aus ihm. – Es war Ahasverus, der ewige Jude. Seit jener Zeit, als er, wie Kain vor dem Angesichte Gottes, von der heiligen Schädelstätte weggeflohen, hatte er sich in den Schluchten und Höhlen des Libanon aufgehalten; er aß und trank nicht, und lebte doch fort; er quälte und marterte sich, und stieß das Haupt an den Felsen, und stürzte sich in den Abgrund, und konnte doch nicht sterben; er wollte wenigstens das Angedenken an das frühere Leben auslöschen, und floh die Welt und die Menschen, aber seine Schuld schwebte doch immer vor seinem Gedächtniß, und er fühlte, daß er lebe, leben müsse zu seiner Qual und Strafe. Und die vielen Jahre und die langen Tage waren ihm so dahin geflossen in banger Verzweiflung; und er sah immer noch vor sich kein Ende, eine Erlösung. So stand der Unglückselige in der weiten Gotteswelt allein, und er sah die Frommen fliehen vor ihm, wie vor einem Verpesteten, wie vor Kain, den Gott gezeichnet. Da lachte er voll Hohn und Spott, und er rief: »Nicht sterben können? Wohlan, so will ich dennleben, – dem Nazarener zum Trotz!« Und er lief von dannen, wie ein gescheuchtes Wild, das vom Pfeil des Jägers getroffen ist.

Drittes Kapitel

Drittes Kapitel.

In Rom, der Stadt, die damals den ganzen Erdkreis beherrschte, war so eben eine unzählbare Menge Volkes versammelt, um den blutigen Spielen zuzusehen, welche der Kaiser gab zur Feier seiner Erhebung auf den Thron. Unter den hundert und tausend Fechtern, welche auf den [17] Wahlplatz traten, und mit einander kämpften auf Leben und Tod, war einer, der die Augen Aller auf sich zog. Obgleich er nur von mittelmäßigem Wuchse war, und in der Fechtkunst, wie man wol sah, nicht erfahren, so überwand er doch alle seine Gegner; und alle ihre Faustschläge und ihre Dolchstöße prallten ab von seinem Körper, als wäre er von gediegenem Erz. So wurde er denn zuletzt im Triumph in den Palast des Kaisers geführt, und dort mit allem versehen in Kleidung und Nahrung, was nur Kostbares gedacht werden kann. Aber Ahasverus – denn dies war der unbezwingliche Fechter – konnte keine Freude empfinden an allen diesen Herrlichkeiten. Denn wie einer, der ein Fehl an seinem Auge hat, den schwarzen Fleck überall sieht, auch an dem schönsten Gegenstand, wo er nur hinschauen mag, so sah auch er immer seine Schuld vor sich, und er konnte sich seines Lebens nicht freuen. Und als drei Tage vergangen waren, so trieb es ihn fort aus Rom, er mochte wollen oder nicht. So durchwanderte er nun viele Jahre lang Italien von Ort zu Ort; er sah Städte und Menschen, aber ihr Getümmel und Getreibe wollten ihm nicht behagen; er suchte Freuden überall, aber es däuchte ihm, daß sich ihr Antlitz, wenn er's näher besah, in scheußliche Gestalt verwandelte; er soff die Wollust ein wie Wasser, aber das Andenken an seine Schuld und an seine Strafe mischte sich wie Galle in jeden Genuß, und er war unglücklich mitten im Glücke. – Da kam eines Tages das Gerücht zu seinen Ohren, daß Jerusalem von den Römern belagert werden solle; und an die heilige Stadt gedenkend und an die Gräber seiner Väter, beschloß er dahin zu gehen, und für das Gesetz zu streiten und zu sterben. »Zu sterben?« rief's in seinem Innern. Er aber nährte die Hoffnung, daß Juda obsiegen werde über Heiden und Christen, und daß mit der Vernichtung des Namens dessen, den er nicht auszusprechen wagte, auch der Zauber schwinden werde, womit er umstrickt war.

Viertes Kapitel

[18] Viertes Kapitel.

In Jerusalem, der heiligen Stadt, war Elend, Jammer und Noth, wie's nie erhört worden war, und nie wird erhört werden. Denn sie war verworfen von dem Herrn, seit sie des Gerechten Blut vergossen. Die Heiden umlagerten sie bereits schon zwei Jahre lang, und drängten sie immer mehr, und warfen ihre Mauern darnieder, und tödteten ihr Volk, das auserwählte, das der Herrn verworfen. Und es war Wehgeschrei und lautes Jammern in den Häusern und auf den Gassen; und der Hunger wüthete so sehr in ihren Eingeweiden, daß die Mutter ihr eigenes Kind schlachtete und es aufzehrte... Ahasverus sah den Jammer, aber er rührte sein Herz nicht. Er sah Tausende zu seiner Linken hinsinken, und Tausende zu seiner Rechten, aber er schritt über die Erschlagenen hin, und zwischen die Schwerter der Feinde, wie ein Gespenst, das weder dem Leben noch dem Tode angehört. Er suchte den Tod, und fand ihn nicht; er suchte sich vom Leben zu befreien, und er konnte es nicht von sich schleudern; denn wie eine Schlange umwand es ihn, und er fühlte es nur an dem Schmerz seiner giftigen Bisse. Als nun die Zeit der Rache vollendet war, und die Heiden bis in das Innerste der Stadt gedrungen und an das Allerheiligste, den Tempel, Feuer angelegt, das ihn verzehrte; und als nun Ahasverus auf den Trümmern der eingeäscherten Stadt stand und zwischen Leichenhügeln seiner erschlagenen Brüder, da raufte er sich die Haare aus und er jammerte und fluchte, daß er allein nur übrig bleiben mußte in der allgemeinen Verwüstung, und daß er nicht sterben könne... Und wie die heidnischen Kriegsknechte ihn nun ergriffen und banden, ließ er sich ohne Widerstand abführen; und so ward er denn nebst einigen Tausenden, die vom Gemetzel verschont geblieben, gefangen nach Rom geschleppt.

Fünftes Kapitel

[19] Fünftes Kapitel.

Ahasverus lebte nun mehrere Jahre lang als Sklave in Rom, und mußte sich zu den schwersten Arbeiten und zu den niedrigsten Verrichtungen gebrauchen lassen. Er aber that und duldete alles, als wenn es ihn nicht anginge; wie vordem die Freude, so machte jetzt das Leid keinen Eindruck auf ihn; denn er kannte schon kein anderes Unglück mehr, als das Leben, und sehnte sich nach keinem andern Glück, als nach dem Tod. Er trotzte dem Schicksal, das ihn verfolgte, und nichts in der Welt berührte ihn mehr, als der Gedanke an seine Schuld und Strafe. Er war wie ein Mensch, der an der Starrsucht krank liegt; der sieht und hört, als sähe und hörte er nicht, und empfindet keinen andern Schmerz, als den Schmerz des Daseins und dieses furchtbaren Zustandes eines Scheinlebens und Scheintodes. Um jene Zeit brach in Rom eine grausame Verfolgung der Christen aus, und Richter und Henker ersannen alle nur erdenklichen Martern, um die Gläubigen von Christo abwendig zu machen, und sie zu zwingen, daß sie den Götzen opferten. Ahasverus sah mit boshafter Freude, wie die Anhänger Dessen, der ihn verflucht, von den Heiden verfolgt und gemartert wurden, und um seine Rache an ihnen auszulassen, bot er sich selbst an zum Henkerdienste. Und manches unschuldige Opfer wurde von seinen Händen erwürgt mit gedoppelter Qual. Er aber konnte sich der Rache nicht erfreuen; denn das Beil, womit er schlug, durchschnitt seine eigene Seele, und das Gift, das er reichte, wüthete in seinem eigenen Herzen, und das Feuer, das er schürte, brannte in seinen eigenen Eingeweiden; und er sah sie ja sterben, die Märtyrer, freudig sterben, und er mußte leben, qualvoll leben!... Eines Tages, als nach der Hinrichtung eines heiligen Greises, der, Gott lobend und dankend, seinen Geist aufgegeben, aus der Menge der Zuschauer sich mehrere Christen hervordrängten, [20] und immer mehrere, rufend: Auch sie seien Christen, und wollten für Christo sterben; und als der weite Platz erscholl von dem einen Zeugniß des gekreuzigten Gottes, und die Zeugen auf der Stätte umher lagen, Leichen an Leichen, eine große, heilige Saat, da wurde Ahasverus von dem Geiste ergriffen, und er warf das Henkerbeil hinweg, und stellte sich unter die Christen, die noch des Todes harrten, und rief bebend: Auch ich glaube an Christum. Da packten ihn die Schergen, und, ergrimmt über das böse Beispiel, das er vor allem Volke gegeben, sparten sie ihn zu den letzten und grausamsten Martern auf. Er aber, in der freudigen Hoffnung, daß er nun den Tod erleiden werde, den er vor allem wünschte, empfand keine Schmerzen; und das glühende Erz, das sie ihm in den Mund gossen, floß ihm hinab, wie kühlender Trank, und die Wunden, die sie ihm am Leibe schlugen, däuchten ihm Rosen, als aus denen ihm der Tod erblühen würde. Und so ließen ihn die Henker für todt auf der Stätte liegen. Er aber war nicht todt, sondern er schlummerte nur, zum ersten Male seit jenem schrecklichen Tage, ruhig, ohne böse Träume, in seliger Vergessenheit seiner selbst...

Sechstes Kapitel

Sechstes Kapitel.

In der folgenden Nacht kamen die Gläubigen, um in aller Stille die Leichname der Heiligen hinweg zu tragen und zu begraben. Und ein frommer Mann nahm auch Ahasverum auf seine Schulter, und trug ihn von dannen in eine der unterirdischen Grüfte von Rom, wo die Gläubigen ihre Todten begruben, und bei den Gräbern der Märtyrer ihren Gottesdienst hielten. Und das versammelte Volk stimmte heilige Gesänge an, und sie lobten Gott und den er zum Heile der Welt gesandt, Jesum Christum, und sie priesen selig Alle, die für seinen Namen gestorben und die Krone der Zeugschaft erhalten haben. Unter den Gebeten und Lobgesängen erwachte Ahasverus; er richtete [21] sich auf unter den Todten, die umher lagen, und er rief mit herzzerschneidendem Jammer: »Ja wol selig die, welche gestorben sind in dem Herrn. Aber ach, mich Unglücklichen verfolgt das Leben, denn es ist sein Fluch!« Die Gläubigen erbebten vor seiner Stimme, und jener fromme Mann, der ihn dahin getragen – es war der Priester der Gemeine, und sein Angesicht leuchtete, wie das Angesicht eines Engels – der trat zu ihm und tröstete ihn, und fragte ihn, als ob er ihn kennete: »Ahasvere, glaubst du an Christum?« Ahasverus verbarg sein Antlitz, und antwortete mit dumpfer Stimme: »Ich glaube und – zittere.« Der fromme Priester aber ließ nicht ab, ihn zu trösten, und er sagte: »Ahasvere, hast du eine schwere Sünde begangen an dem Herrn, so verzweifle nicht an seiner Gnade. Er hat verziehen der Sünderin Magdalena, und dem Jünger, der ihn verläugnet. Und als er auf Golgatha am Kreuze sterbend hing, betete er noch für seine Peiniger, sagend: Herr, verzeih ihnen, denn sie wissen nicht, was sie thun. Und zu dem Mörder, der neben ihm am Kreuze hing, und der vertrauend an ihn glaubte, sagte er: Heute wirst du noch mit mir im Paradiese sein!« Ahasverus aber sagte: »So hat er denn Allen verziehen, nur mir nicht; auf mir allein noch ruht sein Fluch, seine Strafe; drum so muß ja meine Schuld größer sein, als die Schuld Aller, und für mich ist kein Erbarmen, kein Tod, bis daß er kommen wird.« Bei diesen Worten verließ er die Versammlung der Gläubigen, und verschwand aus Rom und floh alle Gegenden, wo das Kreuz gepredigt wurde.

Siebentes Kapitel

Siebentes Kapitel.

Wollte ich dir, christlicher Leser, alles erzählen, was sich ferner in den folgenden Jahren und Jahrhunderten mit dem ewigen Juden zugetragen und dir auch nur alle die Länder nennen, die er durchzogen, ohne irgendwo Ruhe zu finden: ich müßte ein Buch schreiben, wozu ein ganzes [22] Menschenleben nicht zureichen würde. Ich will dir daher hievon nur so viel sagen, daß es kein Land in der Welt gibt, in das er nicht gekommen – denn es war ihm zuwider, einen und denselben Weg zu machen – und daß keine Widerwärtigkeiten zu gedenken, denen er nicht ausgesetzt worden, oder sich selbst ausgesetzt hat, aus Haß gegen sich und sein Leben. Einmal durchzog er die unwirthbaren Wälder und Sümpfe des alten Deutschlands, und drang hinauf bis in die Länder, wo ewiger Schnee die Erde deckt, und eine lange, lange Nacht alljährlich die Menschen umfängt; und die Decke von Eis däuchte ihm ein kühlendes Pfühl für sein brennendes Herz, und die Nacht stimmte zur Finsterniß, von der sein Geist umhüllt war. Ein anderes Mal wanderte er über die langen Steppen von Asien, und hinunter gen Arabien, und die Wüsten von Afrika hindurch; und sein Gehirn wurde schier versengt von dem heißen Sonnenstrahl, und die Zunge klebte am Gaumen vorbren nendem Durst, und kein Schatten, keine Quelle, keine Nahrung erquickte den Wanderer. Und er konnte doch nicht sterben. Er mengte sich in halbem Wahnsinn in die blutigen Kriege wilder Horden, und warf sich mitten unter die feindlichen Schaaren, und verbreitete Tod und Verderben, hoffend, daß der gereizte Feind ihn tödten würde. Die feindliche Waffe verletzte ihn nicht. Er suchte die unglückseligen Oerter auf, wo die Pest wüthete, und gesellte sich zu den Kranken, und leckte an ihren Beulen, und sog den Tod in sich. Der Tod schadete ihm nicht. Er stürzte sich in das Meer, in die brausende Brandung, in die tiefsten Wirbel; das Wasser warf ihn wieder aus. Er konnte nicht sterben. – Jedoch gab es nur hie und da Zeiten, wo er sich so unsinniger Dinge vermaß, dann nämlich, wenn der alte Stolz und Trotz wieder in seinem Herzen aufstiegen, als hätte der Herrn unbarmherzig und grausam an ihm gehandelt durch die Strafe, die er über ihn verhängt. In der übrigen Zeit aber, seit jenem Tage an, wo er die Marter [23] erlitten von wegen des Bekenntnisses, und in der Gemeinde der Christen erwachte vor dem frommen Mann, deß Angesicht geleuchtet, wie das eines Engels, seitdem war er meistens ruhig bei all seiner Unruhe, und still bei all seinen Leiden. Denn er dachte an die schwere Schuld, die er verschuldet an dem Herrn, als er ihm verweigert, auszuruhen auf seinem schweren Gange zu seinem Tode, und er fühlte wohl, daß ihm Recht widerfahre, wenn er deßhalb nirgends Ruhe finden würde sein ganzes Leben lang. So zog denn allmählich Demuth in sein Herz ein, und mit Demuth jene Ergebung, die den vergeblichen und unrühmlichen Kampf aufgibt gegen eine höhere, gerechte Macht.

Achtes Kapitel

Achtes Kapitel.

Es waren ungefähr vierhundert Jahre nach Christi Geburt verflossen – beinahe in der ganzen damals bekannten Welt war schon das Zeichen des schmählichen Kreuzes als Triumphzeichen des Heiles aufgerichtet – da kehrte Ahasverus, der ewige Jude, wieder zurück aus fernen Welttheilen über Jerusalem gen Rom zu. Hundert Geschlechter der Menschen waren indessen dahin gegangen; viele Städte, der Stolz und die Pracht ihrer Zeit, waren verschwunden, und nur Trümmer davon waren noch sichtbar, als Zeichen ihrer ehemaligen Größe; ganze Nationen von anderer Herkunft bewohnten nun jene Länder, worin die alten Heiden hausten, und er stand allein da unter ihnen, der einzige Mensch aus einer urgrauen Zeit; aber die Zeit hatte nichts vermocht über ihn, denn er war noch in der Kraft des Mannesalters, wie damals, wo der schreckliche Fluch über ihn ergangen. Wie er nun so das Land durchwanderte und die Inseln des Mittelmeeres, und alles verändert sah, nur sich selbst nicht; und als er die Christo geweihten Tempel vorbei zog, und die Gräber der Christen, die nun ausruhten von den Mühen des Lebens, der Früchte ihres Glaubens theilhaftig; und wie er sah und hörte, daß der Name[24] Dessen, den er von seiner Schwelle weggestoßen, von allen hochgepriesen wurde als der Heiland der Welt, da ergriff ihn eine unendliche Wehmuth, und er versank schier in Verzweiflung wegen seiner Schuld, ob sie ihm je vergeben werden könne. Und er rief aus: »Ist denn keine Sühne für mich, Herr des Lebens und des Todes? Soll ich noch länger umher wandeln, wie Kain, als ein von Gottes Fluch getroffener Sünder? Er, der erste Mörder, ist doch gestorben; und ich soll fortleben zu meiner Qual und zum Aergerniß Anderer? Ich will die Welt befreien von meiner verhaßten Gegenwart, und Gott genade mir, wenn ich mich in die Arme seiner Barmherzigkeit werfe.« So sprach er, und er stieg den Aetna hinan, der so eben aus seinem weiten und tiefen Schlunde Feuer auswarf, das wie Blitze Gottes durch das Rauchgewölke leuchtete, während der Donner furchtbar aus seiner Tiefe herauf scholl. Und er stand am Schlund, und sah hinab, und Grausen packte ihn. Aber er faßte Muth, und rief: »Wenn noch ein Himmel für mich ist, so ist er nur in der Hölle!« und stürzte sich hinab.

Neuntes Kapitel

Neuntes Kapitel.

Aber der feuerspeiende Berg behielt ihn nicht, sondern warf ihn wieder aus mit seinen Flammenwirbeln. Und Ahasverus lag am Fuße des Berges, besinnungslos, am ganzen Körper voller Brandmale und röchelnd und stöhnend, wie einer, in dessen Eingeweiden der Tod wüthet. So traf ihn ein frommer Einsiedler, der am Fuße des Aetna seine Klause hatte; der trug ihn in seine Wohnung, und pflegte ihn und heilte seine Wunden, bis dem Unglücklichen mit der Genesung die Besinnung wieder kam. »O!« – rief Ahasverus, als er aus seinem langen Schlafe wieder erwachte – »warum rufest du mich wieder ins Leben zurück, in dieses mir so verhaßte Leben? Wenn mich der Berg wieder ausgeworfen hat aus seinen brennenden [25] Eingeweiden, warum hast du meinen Körper nicht der Fäulniß überlassen, und dem Fraße wilder Thiere? So haben sich denn nicht nur alle Elemente gegen mich verschworen, sondern auch die Menschen, um mich zur Qual des Lebens aufzusparen für immer. Ach, leben! – leben müssen! – zur Strafe leben müssen! – O ihr Glücklichen, die ihr euch Sterbliche nennt, sterblich seid! Ihr wißt nicht, was das heißt: leben müssen im Bewußtsein seiner Schuld! Was euch Segen zu sein scheint, das ist mir Fluch!« – So klagte der Unglückliche. Der fromme Einsiedler sprach ihm Trost zu und redete mit ihm, als mit einem, dessen Person und Schicksale ihm genau bekannt waren. »Ahasvere,« sagte er, »war des Herrn Strafe schwer, so war deine Schuld noch schwerer; und ist aber auch deine Schuld groß, so ist des Herrn Gnade noch größer! Darum habe Geduld, und trage mit Ergebung die Bürde des Lebens, bis der Herr kommen und sie dir abnehmen wird.« Dann redete er zu ihm weiter von der Huld und Gnade des Herrn, und daß er, »der Welt Heiland, vom Himmel hernieder gestiegen sei, um alle Menschen selig zu machen, deren Sünde er auf sich genommen, und für sie gestorben am Stamme des heiligen Kreuzes.« Ahasverus hörte dem frommen Einsiedler mit Aufmerksamkeit zu; und wie jener ihm die schönen Gleichnisse von dem verlornen Schafe und von dem verlornen Sohne erzählte, und das liebevolle Wort des Erlösers hinzusetzte, daß mehr Freude sei im Himmel über einen bußfertigen Sünder, als über neun und neunzig Gerechte, da weinte Ahasverus die erste Thräne der Reue, der Freude und des Dankes; denn seine Augen waren vertrocknet seit jenem unseligen Tage seiner Schuld und seiner Strafe. – Nachdem er wieder gesund geworden, verließ er den frommen Einsiedler, und begab sich auf dessen Rath in die Wüste von Thebais in Ober-Aegypten.

Zehntes Kapitel

[26] Zehntes Kapitel.

Die Wüste von Thebais war zur damaligen Zeit bewohnt von vielen Tausenden frommer Eremiten, welche hier, in gänzlicher Entfernung von der Welt und ihren Freuden, Gott dienten im Gebet und in Betrachtung. Dahin kam Ahasverus, und da sein Inneres reiner und stiller geworden war, so fand er sogleich Behagen in dieser äußern Umgebung. Denn er sah, wie diese gottesfürchtigen Männer auf der Welt lebten, ohne in der Welt zu leben; daß sie das Leben selbst nur als eine schwere Bürde ansahen, die ihnen Gott zu tragen auferlegt, bis daß Er komme – als eine immerwährende Vorbereitung zum Tode, ja als den Tod selbst, um des höhern, des ewigen Lebens sich würdig zu machen; und daß sie endlich dessen ungeachtet mit Geduld in diesem Elend ausharrten, und voll Hoffnung lebten auf die Zukunft des Herrn. Das Beispiel dieser frommen Männer, ihre stille Lebensweise und ihre einfältige Denkungsart wirkten wohlthätig auf ihn ein, und er wurde von Jahr zu Jahr ergebener in sein Schicksal. Er diente den Brüdern, die weit und breit zerstreut lebten in abgesonderten Hütten, besonders den Altvätern, die der Aufsicht pflegten über die jüngern Brüder, und befliß sich in allen Dingen der treuesten Ausrichtung. Doch ließ er sich nie mit Je mand in eine Unterredung ein; auch ihre Versammlungen vermied er, und nahm keinen Theil an ihrem Gottesdienste. Er verhehlte den Obern nicht, die ihn deshalb zur Rede stellten, daß er ein Jude sei, und daß er keine Gemeinschaft haben könne mit den Christen. Denn, obwol Ahasverus allmählich durch die Gnade Gottes, die ihn bei so vielfältigen wunderbaren Ereignissen ergriffen und getrieben hatte, von seinem trotzigen Stolze geheilt und zur Erkenntniß seiner selbst, zur Demuth geführt worden war, so fehlte es ihm doch noch am Glauben – an dem lebendigen Glauben an Jesum Christum, in dem allein das wahre Heil, der wahre Friede zu finden ist.

Eilftes Kapitel

[27] Eilftes Kapitel.

So waren wieder ein paar Jahrhunderte verflossen, und sie däuchten Ahasvero, wenn er auf sie zurückblickte, wie ein paar Jahre; denn für den Menschen ist nur die Zukunft eine Zeit, die Gegenwart vergeht ihm, ohne daß er sie bemerkt, und die Vergangenheit ist ihm verflossen, als habe er sie nicht gelebt... Da erscholl bis in die Wüste von Thebais das Gerücht: es sei in dem fernen Arabien ein neuer Prophet auferstanden, der sich über Christum erhebe, und das Christenthum als Abgötterei verdamme und ausrotte. Seine Losung sei: »Allah ist Gott, und kein anderer Prophet, als Muhammed.« Wie das Ahasverus vernahm, da erwachte plötzlich in seinem Innern wieder der Gedanke, der lange in ihm geschlafen, daß Jesus nicht Gott sei, sondern nur ein Gottgesandter, ein Prophet; und daß sein Reich jetzt zu Ende gehen werde bei der Erscheinung eines neuen Propheten und Wunderthäters. In diesem Wahn und in der Hoffnung, daß die Zeit auch seiner Erlösung gekommen sei, verließ er noch an demselbigen Tage die Wüste, um den neuen Propheten aufzusuchen, um sich unter sein Volk zu stellen. Die Heiden, welche von ihrem Afterpropheten Muhammedaner hießen, hatten aber bereits Arabia in ganzen Heerschaaren verlassen, und zogen gen Palästina und Syrien hinauf, um dort die neue Lehre mit Feuer und Schwert zu verbreiten. Ahasverus begegnete den wilden Horden unfern Jerusalem, und er zog mit ihnen in die Stadt ein, unter dem Rufe: Allah ist Gott, und kein anderer Prophet, als Muhammed. Und während die Heiden die christlichen Tempel plünderten, und auf ihnen statt des Kreuzes den Halbmond aufsteckten, ging Ahasverus in der wilden Freudigkeit seines Herzens hinaus zum heiligen Grabe, wo einst des Erlösers Leichnam geruht, und wo der Herr von den Todten auferstanden [28] ist. Und vermeinend, er werde sich um den neuen Propheten dadurch ein großes Verdienst erwerben, daß er mit eigener Hand die heilige Stätte verwüste, ergriff er im Wahnsinn des Aberglaubens eine brennende Fackel, und lief in den Tempel, um ihn anzuzünden. Sieh! da stand der Herr vor ihm, wie er glorreich aus dem Grabe erstanden; und wie damals die Wächter des heiligen Grabes plötzlicher Schrecken ergriff, so packte auch jetzt den Frevler ein heiliger Schauer und er fiel anbetend auf die Erde nieder und rief: »Mein Herr und mein Gott!« – So fanden ihn auf dem Boden liegend die Mönche, die das heilige Grab bewachten; und da sie erkannten, daß er an Christum glaube, den lebendigen Gott, so gaben sie ihm die Taufe noch zu derselbigen Stunde und an demselbigen Orte. Des andern Tags aber zog er mit ihnen fort in das Gebirge des Libanon, wohin sie sich vor den Heiden flüchteten.

Zwölftes Kapitel

Zwölftes Kapitel.

Von dieser Zeit an, als er des Heils gewürdigt worden, fühlte Ahasverus sein Innerstes ganz verwandelt. Durch seinen Glauben war ihm Gnade widerfahren, und die Vergebung seiner Sünde geworden; und obwol die Folge jener Sünde, die Strafe, nicht aufgehoben werden konnte, weil das Wort erfüllt werden mußte, so hat er doch von Stund an selige Ruhe und heiligen Frieden empfunden, wie ein Kind, das an der Folge einer schweren Krankheit leidet und langsam zum Tode reif wird, das aber im Schooße der mütterlichen Barmherzigkeit ruht, und daher willig und geduldig das unheilbare Weh erträgt unter der Pflege eines liebenden Herzens. So lebte Ahasverus in seliger Abgeschiedenheit von der Welt unter den frommen Mönchen in den Höhlen und auf den Felsen von Libanon, bis es ihnen durch die wunderbare Fügung Gottes vergönnt ward, wieder zurück zu kehren ins heilige [29] Land, und am Grabe des Erlösers sich wieder anzusiedeln. Denn, um die Schmach des Kreuzes zu rächen, und die geweihte Erde, allwo Christus selbst gewandelt, zu reinigen von dem Unrath der Heiden, beschlossen die Völker des Abendlandes einen Kreuzzug gegen die Ungläubigen, und sie verjagten die Anhänger der Lehre Muhammeds, und pflanzten wieder statt des gotteslästerischen Halbmondes das heilige Kreuz auf. Ahasverus war unter den heldenmüthigen Kriegern, welche die heilige Stadt Jerusalem eroberten, und es war ihm unter der Fahne Christi ganz anders zu Muthe, als damals, als er dieselbe Stadt vertheidigte gegen die alten Heiden mit dem Volke, das Gott verworfen. Er diente auch in allen folgenden Kriegen, die ein paar Jahrhunderte lang gegen den Erdfeind in diesen Landen geführt wurden; und als zuletzt doch, aus unbegreiflichen Rathschlüssen Gottes, die Heiden die Oberhand behielten, doch aber so, daß das heilige Grab den Christen erhalten wurde, so ergab er sich ganz dem frommen Dienste des Herrn und seiner Gläubigen. Von der Zeit an ist er der beständige Geleitsmann derer, welche von fernen Gegenden herkommen, um das heilige Land zu besuchen, und ihre Andacht zu verrichten bei dem heiligen Grabe; und er dient ihnen als treuer Dolmetsch alles dessen, was Jesus Christus auf Erden gethan, gelehrt und gelitten hat, und führt sie umher an alle die heiligen Oerter, wo der Heiland eine Spur hinterlassen hat seiner wunderthätigen Gnade und Barmherzigkeit. Auch seine eigene Geschichte verschweigt er nicht, obwol er sich nur sehr wenigen und sehr frommen Seelen entdeckt; und welche von heiliger Wißbegierde getrieben, ihn um die Schicksale befragen, die seit so vielen Jahrhunderten über ihn ergangen und vor ihm vorübergegangen am Menschengeschlechte, denen erzählt er sie mit anmuthiger Ausführlichkeit und überfließender Salbung, so daß keiner von ihm hinweggeht ohne wahre Stärkung im Glauben, in der Liebe und Hoffnung... [30] Ahasverus aber sieht, wie ein Jahrhundert nach dem andern vorüberzieht wie ein Jahr, und die Menschengeschlechter wie Geschöpfe eines Tages; und er harret in frommer Geduld und treuer Hingebung, voll des Glaubens und unter den Werken der Liebe, auf die Zukunft des Herrn – auf den heiligen, großen, ewigen Sabbath, der anbricht nach den sechs Tagen, die wir Jahrtausende nennen.

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TextGrid Repository (2011). Aurbacher, Ludwig. Märchen und Sagen. Ein Volksbüchlein. Erster Theil. 1. Geschichte des ewigen Juden. 1. Geschichte des ewigen Juden. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-1441-5