Erster Band.

[7]

»Vorreden spart Nachreden

sagt ein gutes deutsches Sprüchwort, und es sollen daher den Dorfgeschichten ein paar einleitende Worte vorausgehen. Fern von ihrem Schauplatze sind diese Darstellungen aufgenommen und ausgeführt worden; der Leser möge beurtheilen, ob Standpunkt und Ton der richtige. Einerseits nicht mitten aus dem Bauernleben heraus, andrerseits nicht vom städtischen Gesichtspunkte befangen diese Lebensbilder vor Augen zu stellen, war mein Bestreben; so auch glaubte ich, sollten sowohl Städter als Landbürger sich ihnen mit Interesse zuwenden können. Die Eigenthümlichkeiten des Dialekts und der Redeweisen sind daher nur in so weit beibehalten, als das wesentliche Gepräge derselben damit dargethan wird. Ich habe mich fast immer als mündlich erzählend gedacht; die Ereignisse [8] stehen als geschichtliche Thatsachen da. Daher mußte es kommen, daß hin und wieder manche Lebensregel und allgemeine Bemerkung eingestreut wurde.

Ich habe absichtlich nicht in eine geschichtliche Vergangenheit zurückgegriffen, obgleich eine solche freieren Spielraum zu phantastischen Gebilden und zur Anlehnung an große Ereignisse geboten hätte; alle Seiten des jetzigen Bauernlebens sollten hier möglichst Gestalt gewinnen. Zunächst verfolge ich damit nicht die Tendenz, in irgend einem Bereiche Mißbräuche, Irrthümer und dergleichen abzustellen; ergibt sich eine solche Nothwendigkeit aus den vorliegenden Erzählungen, so wird mir das eine freudige Genugthuung sein. Daß Mißstände des katholischen Clerus berührt wurden, liegt einzig in der Oertlichkeit. Ich verwahre mich ausdrücklich dagegen, als ob solche nur im katholischen Clerus stattfänden; in protestantischen Gegenden finden sich andere in anderen Erscheinungen. Das religiöse Leben, hier zunächst als kirchliches, bildet ein Grundelement im deutschen Volksthume; es ist das historische Bewußtsein des Unendlichen, in seiner Ganzheit feststehend, den Charakter erfüllend. Macht sich hier auch bereits das individuelle Bewußtsein geltend, erheben sich Einzelne über die gegebenen Formen, so geben diese doch noch [8] im Allgemeinen den Charakteren das wesentliche Gepräge. Frivol ist es daher, im Bauernleben den religiösen Grundzug zu ignoriren, und poetisch unwahr obendrein.

In den Ländern der Centralisation, der geschichtlichen Einheit und Einerleiheit, kann der Dichter weit eher Nationaltypen aufstellen. Engländer, Franzosen, sind unter denselben Gesetzen, ähnlichen Lebensbedingungen und geschichtlichen Eindrücken aufgewachsen; ihr Charakter hat nicht bloß in der Richtung auf das Allgemeine, sondern auch in Einzelheiten, in Gewohnheiten, Ansichten etc. etwas Gemeinsames. Wir aber, durch die Geschichte getrennt, stellen weit mehr die Ausbildung des Provinciallebens dar. Die aus dem Volksthume genommene Poesie wird sich daher ähnlich der neueren Richtung geschichtlicher Forschung auf das Provinzielle, immer mehr lokalisiren müssen. Wie wir die Einzelheit politisch auszubilden haben, so haben wir auch poetisch diese Aufgabe; das Bewußtsein der Vereinigung und Einheit muß hindurchgehen, und so auch hier ein in sich gegliedertes Leben sich herausstellen. Durch die Länderarrondirungen ist das Provinziale freilich vielfach zerschnitten, aber noch steht der Kern desselben fest.

[9] Ich habe ohne Scheu ein bestimmtes Dorf, meinen Geburtsort, genannt. Nach Nachrichten von dort, ist die früher veröffentlichte Erzählung: ›die Kriegspfeife‹ in das Anzeigeblatt ›der Schwarzwälder-Bote‹ aufgenommen worden; die Bauern sind nun über mich höchlichst ergrimmt und sagen: das sei Alles erlogen, und ich hätte sie lächerlich machen wollen. Man sieht, daß man in höheren wie in niederen Kreisen gern einen fingirten Schauplatz für Darstellungen aus der Gegenwart verlangt. Ich halte es aber für Pflicht, daß wir, je mehr wir dem Leben nahe treten wollen, auch ohne Zagen ein Wirkliches zum Schauplatz der Darstellungen wählen, und mit Namen nennen. Durch den historischen Roman suchte man den realen Boden zu gewinnen, und hier durfte der Dichter ohne Scheu einen bestimmten Ort nennen. Dies Letztere ist aber auch nicht minder bei Darstellungen aus der Zeit anzuwenden; dadurch wird das Zeitbild zum historischen.

Die neuere Volksdichtung kann damit zugleich mit Bewußtsein aufgreifen und fortsetzen, was ehedem die Sage in rein naiver Weise that, indem sie bestimmte Orte mit ihren Gebilden umwob.

Ich habe es versucht, ein ganzes Dorf gewissermaßen vom ersten bis zum letzten Hause zu schildern;[10] die vorkommenden Sitten und Gebräuche sind dem wirklichen Leben entnommen, so wie auch die Lieder aus keiner gedruckten Sammlung, sondern, so viel mir bekannt, bisher noch ungedruckt sind.

Neunzehn Jahre sind es, seitdem ich dich verlassen, du stiller Heimathsort, um Bahnen zu wandeln, die weit über deine umfriedete Gemarkung hinausführen; der stille Zug der kindlichen Liebe hat meinen Geist wieder zu dir zurückgelenkt und mit namenlosen Bewegungen hieß ich die fast verklungenen Töne wieder erstehen. Vor meinem Fenster wallt der mächtige Rhein, diese Pulsader Deutschlands; ein glänzender Lichtstreif zieht sich, wie ein silbernes Band, von jenseits herüber, die Wellen zittern und glitzern im Mondlicht. Die Wellen des Neckars, die dort oben an meinem Heimathsort vorbeirauschen – der große deutsche Strom hat sie freudig aufgenommen und trägt sie hinab in das Meer. – So mögen auch diese Gebilde, die ich hinaus sende ins Vaterland, aufgehen in dem Strom deutschen Lebens als eine bescheidene Welle, den heimischen Bergen entsprungen.

Mainz, im Winter 1842.« [11]

[1] I.
Der Tolpatsch.

[1][3]

Ich sehe dich vor mir, guter Tolpatsch, in deiner leibhaftigen Gestalt, mit deinen kurzgeschorenen blonden Haaren, die nur im Nacken eine lange Schichte übrig hatten; du siehst mich an mit deinem breiten Gesichte, mit deinen großen blauen Glotzaugen und dem allweg halboffenen Munde. Damals, als du mir in der Hohlgasse, wo jetzt die neuen Häuser stehen, einen Lindenzweig abschnittst, um mir eine Pfeife daraus zu machen – damals dachten wir nicht daran, daß ich einst der Welt etwas von dir vorpfeifen würde, wenn wir so weit weit auseinander sein werden. Ich erinnere mich noch wohl deiner ganzen Kleidung: freilich ist sie leicht zu behalten, denn Hemd, rother Hosenträger, und für alle Gefahren schwarzgefärbte leinene Hosen war ja Alles. Am Sonntag, ja da war es anders, da hattest du deine Pudelkappe 1, dein blaues Wamms mit den breiten Knöpfen, die scharlachrothe Weste, die kurzen gelben Lederhosen, die weißen Strümpfe und die klapsenden Schuhe so gut wie ein Anderer, [3] ja sogar meist noch eine frisch gepflückte Blutnelke hinterm Ohr stecken. Aber es war dir nie recht wohl in dieser Pracht. Drum bleib' ich bei dir in deinem Alltagskleide.

Jetzt aber, nimm mir's nicht übel, lieber Tolpatsch, und mach dich wieder fort. Ich kann dir deine Geschichte nicht so in's Gesicht hinein erzählen; sei ruhig, ich werde dir nichts Böses nachsagen, wenn ich auch per »Er« von dir spreche.

Der Tolpatsch trägt ein ganzes Geschlechtsregister in seinem Namen, denn er heißt eigentlich »des Bartels Basche's 2 Bua«, und sein Taufname ist Aloys. Wir thun ihm den Gefallen und bleiben bei seinem rechten Namen. Das freut ihn, da außer seiner Mutter Marei und uns wenigen Kindern ihn fast niemand so nannte; jeder hatte die Frechheit, Tolpatsch zu sagen. Darum ging auch unser Aloys, obgleich er schon siebzehn Jahre alt war, am liebsten mit uns Kindern um. An versteckten Orten spielte er Häufchens mit uns, oder rannte mit uns im Felde umher, und wenn der Tolpatsch, oder besser, der Aloys bei uns war, waren wir geborgen gegen jeden Angriff der Kinder von der Leimgrube; denn die ganze Dorfjugend war fast immer in zwei feindliche Parteien getheilt, die sich auf allen Wegen und Stegen scharf befehdeten.

[4] Die Altersgenossen unseres Aloys begannen aber schon eine Rolle im Dorfe zu spielen. Sie roteten sich allabendlich zusammen und zogen, gleich den großen Burschen, singend und pfeifend durch das Dorf, oder standen schäkernd vor dem Wirthshause zum Adler an der großen Holzbeige und neckten die vorübergehenden Mädchen. Das vornehmste Kennzeichen eines großgewordenen Burschen ist aber die Tabakspfeife. Da standen sie dann mit ihren silberbeschlagenen und mit silbernen Kettchen behangenen Ulmer Maserköpfen, sie hatten sie kalt im Munde; manchmal aber wagte es einer, bei des Bäckers Magd in der Küche eine glühende Kohle zu holen, und dann machten sie fröhliche Gesichter zu ihrem Rauchen, wenn ihnen auch noch so übel davon wurde.

Auch unser Aloys hatte schon zu rauchen angefangen, aber nur ganz im verborgenen. Eines Sonntagsabends wagte er es, die Pfeifenspitze aus seiner Brusttasche herausgucken zu lassen und sich so zu seinen Altersgenossen zu gesellen. Einer von ihnen zog ihm mit Hallo die Pfeife aus der Tasche, Aloys forderte sie zurück, sie wanderte aber unter Jubel und Lachen von Hand zu Hand, und als sie Aloys mit immer größerem Ungestüm forderte, da war sie verschwunden, keiner wollte sie mehr haben. Aloys zerrte nun an allen herum und forderte mit Weinen seine Pfeife, aber Alles lachte; da packte er die Mütze [5] des ersten, der ihm die Pfeife genommen, und rannte damit davon in des Schmied Jakoben Haus. Der Mützenlose brachte nun die Pfeife, die in der Holzbeige versteckt war, zu Aloys hinauf.

Das Haus des Schmied Jakob Bomüller, das war der »Ausgang« des Aloys. Hier war er nämlich immer, wenn er nicht zu Haus war, und er blieb nie zu Haus, sobald er seine Arbeit darin fertig hatte. Die Frau des Schmied Jakob war seine Base, und außer seiner Mutter und uns wenigen Kindern nannte ihn auch noch die Frau Aplon (Apollonia) und ihre älteste Tochter Marannele bei seinem rechten Namen: Aloys. Des Morgens stand der Aloys früh auf, und wenn er seine zwei Kühe und seine Kalbe gefüttert und getränkt hatte, ging er nach des Jakoben Haus, klopfte, bis ihm das Marannele aufmachte, und nach einem einfachen »guten Tag« ging er durch den Stall in die Scheune. Die Thiere kannten ihn, sie brummten jedesmal freundlich und wendeten die Köpfe nach ihm; er aber ließ sich dadurch nicht lange aufhalten, sondern ging in die Scheune und steckte den beiden Ochsen und den beiden Kühen (Futter) auf. Besonders freundlich stand Aloys mit der Bläßkuh. Er hatte sie vom Kalb an auferzogen, und wenn er so bei ihr stand und ihrem Fressen mit Behagen zusah, dann leckte sie ihm oft die Hände, was seinem Morgenanputz zu gute kam. [6] Wenn er dann die Thüre des Stalles öffnete und die Sauberkeit darin wiederherstellte, pflog er manches trauliche Wort mit den Thieren, indem er sie bald rechts bald links stellte. Kein Dünger im ganzen Dorfe war so schön breit und so schön viereckig geschichtet, wie der an des Schmied Jakoben Haus, denn das bildet eine Hauptzierde eines echten Bauernhauses. Dann wusch und striegelte Aloys die Ochsen und die Kühe, daß man sich darin spiegeln konnte. Drauf lief er hinaus an den Brunnen vor dem Hause und pumpte den Trog voll; er ließ dann die Thiere hinausspringen, und während sie draußen soffen, machte er ihnen frische Streue. Wenn nun das Marannele in den Stall kam, um die Kühe zu melken, war Alles sauber und aufgeräumt. Oft, wenn eine Kuh »streitig« war, d.h. ausschlug und sich nicht melken lassen wollte, stellte sich Aloys zu ihr und hielt seine Hand auf das Rückgrat der Kuh gelegt, damit das Marannele besser melken konnte; meist aber machte er sich sonst noch Etwas zu schaffen. Und wenn das Marannele sagte: »Aloys, du bischt e braver Bua,« da schaute er nicht auf nach ihr, sondern kehrte mit dem Stallbesen so heftig, als wollte er die Pflastersteine aus dem Boden kehren. Drauf schnitt er in der Scheune Futter für den ganzen Tag, und wenn er die niedere Arbeit vollendet hatte, stieg er die [7] Treppe hinauf, holte Wasser für die Küche, hackte Kleinholz und ging endlich in die Stube. Das Marannele brachte die Suppenschüssel, stellte sie auf den Tisch, faltete die Hände, ein jeder that desgleichen, und nun betete sie vor. Nachdem man darauf das Zeichen des Kreuzes gemacht, setzte man sich mit einem »G'segn' es Gott« zu Tische. Alles aß aus einer Schüssel, und Aloys holte sich oft einen Löffel voll von dem Platze, wo das Marannele sich schöpfte. Still und ernst, wie bei einer heiligen Handlung, saß man bei Tische; nur äußerst selten wurde ein Wort gesprochen. Als abgegessen und abermals gebetet war, trollte sich Aloys nach Hause.

So lebte unser Aloys bis in sein neunzehntes Jahr, und als ihm zum Neujahr das Marannele ein Hemd schenkte, zu dem es den Hanf selber gebrochen, das es selber gesponnen, gebleicht und genäht hatte, da war er ganz selig; es that ihm wehe, daß er nicht »hemdärmelig« über die Straße gehen konnte, es hätte ihn trotz der grimmen Kälte gewiß nicht gefroren, aber die Leute hätten ihn ausgelacht, und Aloys wurde immer empfindlicher gegen den Spott der Leute.

Daran war besonders des alten Schultheißen Knecht schuld, der seit der Ernte in das Dorf gekommen war. Es war ein schöner, schlanker Bursch, mit einem trotzigen Gesichte, das durch den röthlichen[8] Schnurrbart noch eine besondere Auszeichnung hatte. Jörgli, so hieß der Knecht, war Kavallerist, und trug fast immer seine Soldatenmütze. Wenn er Sonntags in seiner geraden, kecken Haltung, die Füße auswärts setzend und die Sporen klingen lassend, die Soldatenmütze auf dem Kopfe, mit den lederbesetzten Reithosen angethan, das Dorf hinaufging, da sagte sein ganzes Wesen: »ich weiß, daß sich alle Mädle in mich vergucken;« oder wenn er seine Pferde zur Tränke an des Jakoben Brunnen ritt, da wollte dem guten Aloys fast das Herz springen, weil er sah, wie das Marannele jedesmal zum Fenster hinauslugte. Er wünschte, daß es gar keine Milch und Butter auf der Welt gäbe, damit er auch Pferdsbauer wäre.

So unerfahren auch unser Aloys war, so waren ihm doch die Unterschiede der drei Stände wohl bekannt. Da standen zu unterst die Kühbauern, die von ihren Zugthieren auch noch Milch und Kälber ziehen müssen; dann kamen die Ochsenbauern, deren Zugthiere man doch noch mästen und schlachten kann, zu oberst aber standen die Pferdsbauern, deren Zugthiere weder Milch noch Fleisch geben, und die doch das beste Futter fressen und oft am meisten gelten.

Ich glaube nicht, daß Aloys hiebei an den Nähr-, Lehr- und Wehrstand dachte.

Heute am Neujahrstag zeigte sich ein Vorsprung,[9] den der Jörgli als Pferdsbauer hatte. Er führte nach der Morgenkirche des Schultheißen Tochter und ihr »Gespiel«, das Marannele, im Schlitten nach Empfingen spazieren, und so sehr auch unserm Aloys darüber das Herz im Leibe zitterte, so folgte er doch dem Wunsche des Jörgli und half ihm die Pferde einstweilen im Schlitten einprobieren. Er fuhr mit ihm im Dorfe umher und dachte nicht daran, welch eine schlechte Figur er neben dem stattlichen Soldaten ausmachte. Als die Mädchen eingestiegen waren, führte Aloys die Pferde noch einige Schritte, bis sie recht angezogen hatten, rannte so neben den Pferden her und ließ sie dann los. Und als darauf der Jörgli unter Peitschenknallen und Rollengeklingel und dem Zuschauen der halben Gemeinde mit den beiden Mädchen dahinfuhr, da schaute ihnen Aloys noch lange nach, als man sie längst nicht mehr sehen konnte; er schalt dann den dummen Schnee, der ihm das Wasser aus den Augen trieb, und ging traurig nach Hause. Es war ihm, als ob das ganze Dorf ausgestorben wäre, da das Marannele den ganzen Tag darin nicht zu finden sein sollte.

Ueberhaupt war Aloys schon seit dem Beginne dieses Winters oft sehr betrübt. Im Hause seiner Mutter kamen die Mädchen oft in die Karz, oder wie man es hier nennt, »zu Licht«. Die Mädchen wählen zu diesen abendlichen Zusammenkünften immer [10] am liebsten eine jung verheirathete Gespielin oder eine freundliche Witwe; die älteren Hausherren stören das harmlose Treiben doch zu sehr. So kamen die Mädchen auch oft zur Mutter Marei, und die Bauernburschen kamen wie immer uneingeladen dazu. Früher hatte sich Aloys gar nicht daran gekehrt, wenn man sich nicht um ihn kümmerte, er saß in einer Ecke und – that gar nichts; jetzt sagte er sich immer in Gedanken: »Aloys! beim Teufel, du bist doch jetzt neunzehn Jahre vorbei, du mußt dich jetzt auch vornhin stellen,« und dann sagte er wieder: »wenn nur der Teufel den Jörgli lothweise holen thät'.« Der Jörgli war das Endziel seines Unmuthes, denn er hatte bald, unerachtet er ein Knecht war (wie das überhaupt hier wenig Unterschied macht), die Oberhand über alle Burschen des ganzen Dorfes gewonnen, und sie mußten alle nach seiner Pfeife tanzen; und wie prächtig konnte er ihnen pfeifen und singen und jodeln und Geschichten erzählen wie ein Hexenmeister. Er lehrte die Burschen und Mädchen neue Lieder und besonders das Reiterlied: »Morgenroth u.s.w.«

Als er zum erstenmal den Vers sang:


»Thust du stolz mit deinen Wangen,

Die wie Milch und Purpur prangen,«


da stand der Aloys plötzlich hoch auf, er schien größer [11] wie sonst, er ballte die beiden Fäuste und biß die Zähne vor innerer Freude knarrend auf einander. Es war, als ob er das Marannele mit seinen Blicken an sich zöge, als ob er sie erst jetzt recht sähe, denn gerade so wie es im Liede stand, sah sie ja aus.

Die Mädchen saßen im Kreise, ein jedes hatte seine Kunkel 3 mit dem goldschaumbedeckten Knaufe vor sich stehen, an der der Hanf mit einem farbigen Bande befestigt war; sie netzten den Faden aus ihrem Munde und spannen mit der Spindel, die sich lustig auf dem Boden drehte. Es war dem Aloys immer wohl, wenn er »etwas zum Annetzen«, eine Schüssel voll Aepfel oder Birnen für die Mädchen auf den Tisch stellen konnte, und er stellte die Schüssel immer nahe zu Marannele, damit sie auch tapfer zugreifen konnte.

Anfangs Winter that Aloys den ersten muthigen Schritt seiner Großjährigkeit. Das Marannele hatte eine neue mit Zinn eingelegte schöne Kunkel bekommen. Als es nun zum erstenmale damit in die Spinnstube kam und sich zum Spinnen gesetzt hatte, trat Aloys vor, erfaßte die Kunkel oben und sagte den alten Spruch:


»Jungferle, derf i eu' bitte:

Lent 4 mi euere Engerle 5 schüttle,

[12]

Die kleine wie die große

Auf dere Jungfere Schooße.

Jungfer, warum seind ihr so stolz?

Eure Kunkel ischt doch nau von Holz,

Wenn sie wär' mit Silber b'schlage,

No wett 6 i eu' was anderes sage.«


Mit einer ungewohnten Festigkeit, wenn auch mitunter mit Zittern, hatte Aloys den Spruch vorgebracht. Das Marannele schlug zuerst die Blicke in den Schoß aus Scham und aus Angst, der Aloys möchte in seiner Rede stecken bleiben; jetzt aber sah es ihn mit glitzernden Augen an. Nach alter Sitte ließ es darauf Spindel und Wirtel auf den Boden fallen, der Aloys hob beide Gegenstände auf und das Marannele mußte ihm für die Spindel ein Knöpfle 7 und für den Wirtel 8 ein Fastnachtsküchle versprechen. Das Beste aber kam zuletzt. Aloys gab die Kunkel frei, und als Ablosung gab ihm das Marannele einen rechtschaffenen Kuß. Der Aloys schmatzte so laut, daß man ihn in der ganzen Stube hörte und die andern Burschen ihn darum beneideten; er aber setzte sich wieder in eine Ecke, rieb [13] sich die Hände und war mit sich und der Welt zufrieden. Das dauerte aber nicht lange, denn der Jörgli war sein Störefried.

Eines Abends bat der Jörgli das Marannele – das die erste Vorsängerin in der Kirche war – das Lied vom »schwarzbraunen Mädichen« zu singen. Es begann ohne langes Zaudern, und der Jörgli setzte die zweite Stimme mit so kräftigem Wohllaute ein, daß alle Anderen, die anfangs mitgesungen hatten, nach einander stille wurden und den beiden zuhörten, die so schön sangen. Marannele, das sich von den Gefährtinnen verlassen sah, sang anfangs mit zitternder Stimme und stieß die andern neben an, doch mit weiter zu singen; als ihm aber Niemand folgte, sang es keck weiter, als könne es gar nicht aufhören, und es war, als ob die Stimme Jörgli's es frei und fest emporhielte wie gewaltige Arme. Sie sangen:


Es sind zwei Sternlein am blauen Himmel,

Glänzen heller als der Mond!

Einer scheint auf's schwarzbrauns Mädichen,

Einer scheint auf grünen Grund.


Jetzt lad' ich meine zwei Pistolen,

Thur vor Freuden einen Schuß,

Meinem Schätzelein zum Gefallen,

Weil es mich geliebet hat,

Vor allen meinen Feinden zum Verdruß.


[14]

Geh' ich 'naus auf fremde Straßen,

Schönster Schatz, vergiß nicht mein;

Und wann du trinkst ein Gläslein Weine

Zur Gesundheit mein' und deine,

Weil ich von dir scheiden muß.


Morgens fruh müssen wir marschiren

Wohl zum obern Thörle 'naus;

O du wunderschöns schwarzbrauns Mädichen,

Wohl zum obern Thörle 'naus.


Kauf ich ein Bändelein an meinen Degen

Und ein Sträußelein auf meinen Hut,

Und ein Tüchelein in meine Taschen,

Meine Aeugelein abzuwaschen

Weil ich von dir scheiden muß.


Gib ich meinem Pferd die Sporen,

Reit ich zu dem Thor hinaus,

Gib ich Acht auf's schwarzbrauns Mädichen,

Weil ich von ihm scheiden muß.


Als ein jedes der Mädchen seine vier bis fünf Spindeln voll gesponnen hatte, wurde der Tisch in die Ecke gerückt, und auf dem freien Raume von kaum drei bis vier Schritten, den man dadurch gewonnen, begann nun eines nach dem andern zu tanzen; die Sitzenden sangen den Anderen dazu. Als der Jörgli mit dem Marannele tanzte, sang er selber einen Ländler und tanzte dabei wie eine Spindel; ja, er brauchte fast nicht viel mehr wie [15] eine Spindel, denn er behauptete: darin zeige sich ein echter Tänzer, daß man sich auf einem Teller gewandt und flink drehen könne. Als er nun endlich mit dem Marannele einhielt und es dabei nochmals so heftig schwenkte, daß der faltige Rock hoch aufwallte, da ließ ihn das Marannele schnell stehen, wie wenn es sich vor ihm flüchtete, es sprang in die Ecke, wo der Aloys trübselig zuschaute und seine Hand fassend, sagte es:

»Komm, Aloys, du mußt auch tanzen.«

»Laß mich, du weißt ja, daß ich nicht tanzen kann. Du willst mich nur foppen.«

»Du Tol –« sagte Marannele, es wollte: du Tolpatsch sagen, aber es hielt schnell inne, denn es sah sein Gesicht, auf dem die Wehmuth ausgegossen war, daß ihm das Weinen näher stand als das Lachen, es sagte daher freundlicher: »nein, g'wiß nicht, ich will dich nicht foppen; komm, und wenn du auch nicht tanzen kannst, so mußt du's lernen, und ich tanz' so gern mit dir als wie mit einem.«

Sie tanzte nun mit ihm herum, aber Aloys schlenkerte seine Füße, wie wenn er Holzschuhe anhätte, so daß die andern vor Lachen nicht mehr singen konnten.

»Ich lern' dir's ganz allein, Aloys,« sagte das Mar annele, ihn beruhigend.

Die Mädchen zündeten nun ihre Laternen an [16] und wanderten nach Haus. Aloys ließ es sich nicht nehmen, sie noch zu begleiten; er hätte um Alles in der Welt das Marannele nicht allein mit den andern gehen lassen, wenn der Jörgli dabei war.

In der stillen, schneeweichen Nacht schallte das Schäkern und Spaßen der Mädchen und Burschen weit hin durch das Dorf. Das Marannele aber war still und wich dem Jörgli sichtbar aus.

Als die Burschen die Mädchen alle nach Hause begleitet hatten, sagte der Jörgli zu Aloys: »Tolpatsch, du hättest heut' Nacht beim Marannele bleiben sollen.«

»Hallunk,« sagte Aloys schnell und lief davon. Die Anderen aber lachten ihm nach. Der Jörgli jodelte noch allein durch die Gassen bis nach Hause, daß es einem jeden, außer den Schlafenden und Kranken, das Herz im Leibe erfreuen mußte.

Des andern Morgens, als Marannele die Kühe melkte, sagte Aloys zu ihm:

»Guck, ich könnt' den Jörgli grad vergiften, und du mußt ihn auch in Grundsboden 'nein verfluchen, wenn du brav sein willst.«

Das Marannele gab ihm recht, suchte ihn aber auch zu überzeugen, daß er sich Mühe geben müsse, auch so ein flinker Bursche zu werden wie der Jörgli. Da stieg in Aloys ein großer Gedanke auf, er lachte vor sich hin, er warf den steifen alten Stallbesen [17] fort und steckte einen neuen biegsamen an den Stiel, dann sagte er laut: »Ja, ja, du wirst Maul und Augen aufsperren, gib nur Acht.« Er mußte nun sogar dem Marannele versprechen, »gut Freund« mit dem Jörgli zu bleiben, und er versprach es endlich nach langem Widerstreben, aber er mußte ja immer thun, was sie wollte.

Darum hatte Aloys heute dem Jörgli mit dem Schlitten geholfen, darum trieb ihm der Schnee das Wasser aus den Augen, als er den Wegrollenden nachsah.

Abends, so »zwischen Licht«, trieb der Aloys seine Kühe zur Tränke an des Jakoben Brunnen. Ein Rädchen junger Bursche, darunter auch der Jörgli und sein alter Freund, ein Jude, des langen Herzles Kobbel 9 genannt, der mit dem Jörgli im gleichen Regimente diente, hatte sich dort zusammengesellt; das Marannele lugte zum Fenster heraus. – Der Aloys machte den Gang des Jörgli nach. Er ging ganz steif, wie wenn er einen Ladstock geschluckt hätte, und hielt die Arme strack am Leibe herunter, wie wenn sie von Holz wären.

»Tolpatsch,« sagte der Kobbel, »was krieg' ich Schmusgeld 10, wenn ich mach', daß dich das Marannele heirathet?«

[18] »Eine tüchtige Trachtel auf dein Maul,« sagte der Aloys und trieb seine Kühe heim. Das Marannele schob das Fenster zu, und die Burschen lachten aus vollem Halse, die Stimme Jörgli's tönte aus allen vor.

Aloys wischte sich mit dem Aermel den Schweiß von der Stirne, so viel Anstrengung hatte ihn die Aeußerung seines Unmuthes gekostet. – Auf dem Futtertrog in seinem Stalle saß er dann noch lange, und sein Plan reifte unwiderruflich in ihm. –

Aloys war in das zwanzigste Jahr getreten und kam zur Rekrutirung. Am Tage, als er mit den andern Burschen nach der Oberamtsstadt Horb gehen sollte, kam er in seinem Sonntagsstaate nochmals in Marannele's Haus und fragte, ob er nichts aus der Stadt mitbringen solle. Als er fortging, folgte ihm das Marannele nach, und auf der Hausflur wendete es sich ein wenig ab, zog ein blaues Papierchen aus der Brust, wickelte einen Kreuzer heraus und gab diesen dem Aloys. »Da, nimm ihn,« sagte es: »das ist ein Glückskreuzer, sieh, es sind drei Kreuz' darauf; weißt du, wenn als nachts so Sternfunken vom Himmel fallen, da fallt Allemal ein silbern Schüssele auf den Boden, und aus den Schüsselen hat man die Kreuzer gemacht, und wenn man so einen Kreuzer im Sack hat, hat man Glück; nimm ihn zu dir, und du spielst dich frei.«

[19] Aloys nahm den Kreuzer. Als er aber über die Neckarbrücke ging, langte er in seine Tasche, drückte die Augen zu und warf den Kreuzer hinab in den Neckar: »Ich will nicht frei sein, ich will Soldat sein; wart' nur, Jörgli!« so sagte er vor sich hin; seine Faust ballte sich, und er warf sich keck in die Brust.

Im Wirthshause zum Engel wartete der Schultheiß auf seine Ortskinder, und als sie alle beisammen waren, ging er mit ihnen nach dem Oberamt. Der Schultheiß war ein ebenso dummer als anmaßender Bauer. Er war früher Unteroffizier gewesen und bildete sich große Stücke auf seine »Charge« ein; er behandelte gern alle Bauern, ältere und jüngere, wie Rekruten. Auf dem Wege sagte er zu Aloys: »Tolpatsch, du ziehst gewiß das größte Loos, und wenn du auch Numero 1 ziehst, du brauchst nicht bang sein, dich kann man nicht zum Soldaten brauchen.«

»Wer weiß,« sagte Aloys keck, »ich kann noch so gut Unteroffizier werden, wie Einer; ich kann so gut lesen und schreiben und rechnen, wie Einer, und die alten Unteroffiziere haben auch nicht allen Verstand gefressen.«

Der Schultheiß sah ihn grimmig an.

Als Aloys vor das Rad hinging, war seine Haltung fast herausfordernd keck. Mehrere Loose kamen ihm in die Hand, als er in das Rad griff; er drückte [20] die Augen fest zu, gleich als wolle er nicht sehen, was er nehme, und zog eines heraus; zitternd reichte er es hin, denn er fürchtete, daß es eine hohe Nummer sein könne. Als er aber den Ausrufer »Numero 17« rufen hörte, da johlte er so laut auf, daß man ihn zur Ruhe verweisen mußte.

Die Burschen kauften sich nun Sträuße aus gemachten Blumen mit rothen Bändern daran, und nachdem sie noch einen tüchtigen Trunk genommen, zogen sie heimwärts. Unser Aloys johlte und sang am lautesten.

Oben an der Steige harrten die Mütter und viele Mädchen der Ankömmlinge, auch Marannele war darunter. Aloys, mehr vom Lärmen als vom Weine trunken, ging etwas unsicher Arm in Arm mit den Anderen. Diese Zutraulichkeit war noch nie vorgekommen, aber heute waren sie alle gleich. Als die Mutter die Nummer 17 an der Mütze ihres Aloys stecken sah, da weinte sie und rief ein Mal über das andermal: »daß Gott erbarm! daß Gott erbarm!« Das Marannele fragte den Aloys bei Seite: »Wo hast du denn meinen Kreuzer?« – »Ich hab' ihn verloren,« sagte Aloys, aber trotz seiner halben Unbewußtheit schnitt ihm diese Lüge doch tief in die Seele.

Die Burschen zogen nun singend in das Dorf, und die Mütter und Mädchen der muthmaßlich [21] »Gezogenen« gingen weinend hinterdrein und trockneten sich mit den Schürzen die Thränen. – –

Es waren noch sechs Wochen bis zur Visitation, und darauf kam ja eigentlich Alles an. Mutter Marei nahm einen großen Ballen Butter und einen Korb voll Eier und ging zu der Frau Doktorin; die Butter schmierte sich trotz des kalten Winters doch recht gut, Mutter Marei erhielt die Versicherung, daß ihr Aloys frei werden solle; »denn,« sagte der gewissenhafte Arzt: »der Aloys ist ja ohnehin untauglich, er sieht ja nicht gut in die Ferne, und darum ist er ja manchmal so tappig.«

Der Aloys aber kümmerte sich gar nicht um all diese Geschichten, er war ganz verändert, schwenkte sich und pfiff immer, wenn er das Dorf hinaufging.

Der Tag der Visitation kam, die Burschen gingen dießmal etwas stiller nach der Stadt.

Als Aloys in das Visitationszimmer gerufen wurde und er sich entkleiden mußte, da sagte er keck: »Knusperet mich nur aus, ihr werdet kein Unthätele an mir finden; ich hab' keinen Fehler, ich kann Soldat sein.« Er mußte sich unter das Maß stellen, und da er es vollauf hatte, wurde er als Soldat eingetragen; der Arzt vergaß Kurzsichtigkeit, Butter und Eier bei der kecken Rede des Aloys.

Jetzt, als es Ernst geworden und er unwiderruflich Soldat war, jetzt wurde es dem Aloys so [22] bang, daß er hätte weinen mögen. Als er aber vom Oberamte herabkam und seine Mutter sich weinend von den steinernen Stufen erhob, da richtete sich sein Stolz wieder auf, und er sagte: »Mutter, das ist nicht recht, Ihr müsset nicht greinen; bis in einem Jahr bin ich wieder da, und unser Xaver kann schon dieweil das Sach' im Feld schaffen.«

Nach der erlangten Gewißheit ihres Soldatenstandes brachten die Burschen mit Trinken, Singen und Johlen ein, was sie zuvor zu wenig gethan zu haben glaubten.

Als der Aloys heim kam, gab ihm das Marannele weinend einen Rosmarinstrauß mit rothen Bändern daran und nähte ihm denselben auf seine Mütze. Aloys aber zog seine Pfeife heraus, rauchte flott durch das ganze Dorf hinauf und zechte mit seinen Kameraden bis tief in die Nacht.

Noch ein dritter schmerzlicher Tag war zu überwinden, es war der Tag, wo die Rekruten nach Stuttgart einrücken mußten. Aloys ging früh in des Jakoben Haus, das Marannele war im Stall, es mußte jetzt selber alle Arbeit verrichten; Aloys sagte: »Marannele, gib mir dein' Hand;« sie gab sie ihm, und er sagte wieder: »versprich mir, daß du nicht heirathest, bis ich wieder komm'.« – »Gewiß nicht,« betheuerte sie, und er sagte: »So, jetzt bin ich fertig, aber halt – komm, gib mir auch einen [23] Kuß.« Marannele küßte ihn, und die Kühe und Ochsen sahen verwundert zu, als wüßten sie, was vorging.

Aloys klopfte nun noch jeder Kuh und jedem Ochsen auf den Bug und nahm so auch Abschied von ihnen; sie brummten vor sich hin.

Der Jörgli hatte seine Pferde an den Wagen gespannt, um die Rekruten einige Stunden weit zu führen, und so fuhren sie nun singend durch das Dorf; des Bäckers Konrad, der die Klarinette blies, saß mit auf dem Leiterwagen und begleitete die Liederweisen. Man fuhr im Schritt. Von allen Seiten drängten sich noch die Freunde herbei und reichten eine Hand oder auch einen Abschiedstrunk.

Das Marannele schaute zum Fenster heraus und grüßte noch freundlich. Man näherte sich dem Ende des Dorfes, und nun wurde nochmals »das Gesätz« gesungen:


'Naus, 'naus, 'naus und 'naus,

Zum Nordstetter Thörle 'naus etc.


Als man aber das Dorf verlassen hatte, wurde der Aloys plötzlich mäuschenstille. Er schaute mit nassen Augen überall umher; hier neben auf der Heide, »Hochbux« genannt, hatte das Marannele das Tuch gebleicht, von dem er das Hemd anhatte; es war ihm, als ob alle Fäden brennten, so heiß [24] war es ihm. Er sagte allen Bäumen an der Straße und allen Feldern wehmüthig Ade. Drüben im Schießmauernfeld, dort liegt sein bester Acker; er hat ihn so oft »umgezackert«, daß er jedes Steinchen kennt. Dort neben hat er noch vorigen Sommer mit dem Marannele Gerste geschnitten, weiter unten im »Hennebühl« liegt sein Kleeacker, er hat ihn gesäet, er sollte ihn nicht wachsen sehen. So schaute Aloys lange umher, und als man die Steige hinabfuhr, blickte er vor sich hin und sprach kein Sterbenswörtchen. Als man über die Brücke fuhr, starrte er hinab in den Fluß; wer weiß, ob er jetzt noch so keck seinen Glückskreuzer hinabgeworfen hätte? –

Durch die Stadt ging zwar das Singen und Johlen wieder von neuem an, aber erst als man jenseits auf der Spitze der Bildechinger Steige angekommen war, da athmete Aloys wieder frei auf: vor ihm stand ja sein liebes Nordstetten, man meinte, man könnte hinüberrufen, so gleichauf lag es mit dem Berge, obgleich es fast eine Stunde fern war. Er sah das gelb angestrichene Haus des Schmieds Jörgli mit den grünen Läden, und zwei Häuser davon wohnte das Marannele. Er schwenkte seine Mühe und begann nochmals.


'Naus, 'naus, 'naus und 'naus etc.


Der Jörgli führte die Rekruten bis Herrenberg, [25] von dort an gingen sie zu Fuß. Beim Abschied fragte Jörgli den Aloys: »Soll ich nichts ausrichten ans Marannele? –«

Aloys schoß alles Blut in den Kopf. Der Jörgli war ihm gerade der unrechteste Botenmann, und doch hatte er eben den Mund geöffnet, um einen Gruß zu sagen. Unwillkürlich aber brach er in die Worte aus: »Du brauchst gar nichts mit ihm zu schwätzen, es kann dich auch für den Tod nicht ausstehen.«

Der Jörgli fuhr lachend davon.

Unterwegs hatten die Rekruten noch ein bemerkenswerthes Abenteuer: sie zwangen nämlich im Böblinger Walde einen Holzbauern, sie den zwei Stunden langen Weg zu fahren; Aloys war der Aergste dabei; er hatte den Jörgli so oft von verwegenen Soldatenstreichen erzählen hören, und er wollte auch so sein. Er war aber auch der erste, der am Ende des Waldes seinen ledernen Beutel öffnete und dem wieder umkehrenden Bauern Etwas gab.

Vor dem Tübinger Thore wurden die Ankömmlinge von einem Feldwebel in Empfang genommen. Mehrere Nordstetter Soldaten waren ihren Landsleuten entgegengegangen; der Aloys biß die Zähne übereinander, als sie alle: »Grüß Gott, Tolpatsch!« sagten. Das Johlen und Singen hatte nun ein Ende, still wie eine Herde Schafe wurden die [26] Rekruten in die Legionskaserne geführt. Aloys sagte seinen Landsleuten, daß er als Freiwilliger zur Kavallerie gehen wolle, denn er wollte es dem Jörgli nachmachen. Als er aber hörte, daß er dann wieder nach Hause müsse, da das Exerzieren der Kavallerie erst im Herbste beginne, da dachte er: »Nein, das geht nicht, ich muß als ein ganz anderer Kerl heimkommen, dann soll mir noch einer Tolpatsch sagen, ich will euch schon tolpatschen.«

Aloys wurde nun in das fünfte Infanterieregiment eingereiht, er war gegen alle Erwartung anstellig und gelehrig. Leider hatte er auch hier ein Mißgeschick, denn er bekam einen Zigeuner als seinen »Schlaf« 11. Der Zigeuner hatte einen absonderlichen Widerwillen vor dem Wasser. Aloys mußte ihn auf Befehl des Rottenmeisters jeden Morgen an den Brunnen hinabführen und ihn tüchtig waschen. Anfangs machte das dem Aloys Spaß, nach und nach wurde es ihm aber sehr zur Last; er hätte lieber sechs Ochsen die Schwänze, als dem Zigeuner das Gesicht gewaschen.

In der Kompanie unseres Aloys war auch ein verlorener Maler. Er spürte bei Aloys manchen Mutterpfennig, und nun begann er ihn zu malen, in ganzer Uniform mit Ober- und Untergewehr und [27] der Fahne neben ihm. Das war aber auch Alles, was man erkennen konnte, denn das Gesicht war eben ein Gesicht und weiter nichts. Darunter stand jedoch mit schönen lateinischen Buchstaben: Aloys Schorer, Soldat im fünften Infanterieregiment.

Aloys ließ das Bild unter Glas und Rahmen bringen und schickte es mit dem Boten seiner Mutter. In dem Briefe, der dabei war, schrieb er: »Mutter! hänget das Bild in der Stube auf, zeiget es auch dem Marannele, hänget es über dem Tisch auf, aber nicht zu nah am Turteltaubenkäfig, und wenn das Marannele das Bild haben will, so schenket es ihm, und mein Kamerad, der es gemacht hat, sagt, Ihr solltet mir auch ein Bällele Butter und ein paar Ellen reisten Tuch 12 für meinem Feldwebel seine Frau, wir heißen sie nur die Feldwebelina, schicken. Ich hab' auch von meinem Kameraden tanzen gelernt, ich geh' Sonntags zum erstenmal nach Heslach zum Tanz. Brauchst nicht maulen, Marannele, ich will mich nur probieren. Und das Marannele soll auch schreiben. Hat der Jakob seine Ochsen noch, und hat die Bläßkuh noch nicht gekalbt? Es ist doch kein recht Geschäft, das Soldatenleben, man wird hundsrackermüd' und hat doch nichts geschafft.«

Die Butter kam, und diesmal half sie besser; der Zigeuner wurde einem Andern zugewiesen. Bei [28] der Butter aber war auch ein Brief, den der Schullehrer geschrieben, darin hieß es:

»Unser Matthes hat aus Amerika fünfzig Gulden geschickt. Er hat auch geschrieben, wenn du nicht Soldat wärst, könntest du jetzt zu ihm, er wollte dir dreißig Morgen Acker schenken. Halt dich nur brav und laß dich nicht verführen, der Mensch ist gar leicht verführt. Das Marannele trutzt so halb und halb mit mir, ich weiß nicht warum: als es dein Bild gesehen hat, hat es gesagt, das wärst du gar nicht.« – Bei diesen Worten schmunzelte der Aloys, denn er dachte: »So ist's recht, ja, ich bin auch jetzt ein ganz anderer Kerl; hab' ich dir's nicht gesagt, Marannele? gelt Du?«

Monate waren vorüber. Der Aloys wußte, daß nächsten Sonntag Kirchweih in Nordstetten sei; er erhielt durch seinen Feldwebel auf vier Tag Urlaub, er durfte in ganzer Uniform, mit Säbel und Tschako, nach Haus.

O du Glücklicher! wie selig warst du, als du Samstagmorgen dein Putzzeug in den Tschako legtest und mit einem »B'hüt's Gott« bei deinem Feldwebel Abschied nahmst!

So selig aber auch unser Aloys war, so sprach er doch mit der Wache am Kasernenthor und mit der Wache am Tübinger Thor; er mußte es allen sagen, daß er heim ging, sie sollten sich mit ihm [29] freuen, und ihn dauerten die Kameraden, die so mir nichts dir nichts auf einem kleinen Fleck zwei Stunden lang herumwandeln mußten, während er in dieser Zeit schon seiner Heimath um Vieles, Vieles näher war.

Erst vor Böblingen machte er Halt und trank auf der Waldburg einen Schoppen. Er konnte aber nicht ruhig auf dem Stuhle sitzen, sondern ging alsbald wieder fürbaß.

In Nufringen begegnete ihm der Kobbel wieder, der ihn einst so geneckt hatte; sie reichten sich freundlich die Hand. Aloys hörte viel von der Heimath, aber kein Wort von Marannele, und er scheute sich, danach zu fragen.

In Bohndorf endlich zwang er sich zur Rast; er hätte sich sonst noch den »Herzbengel« eingerennt, wenn er so fortgelaufen wäre. Er streckte sich auf eine Bank hin und überdachte, wie Alles aufgucken werde, wenn er heim komme; dann stellte er sich wieder vor den Spiegel, setzte den Tschako etwas nach dem linken Ohre, drehte die Locke auf der rechten Seite und nickte sich Beifall zu.

Es war Abend geworden, als er wieder auf der Anhöhe von Bildechingen stand, ihm gegenüber seine liebe Heimath; er johlte nicht mehr, er stand ruhig und fest und machte seinem Geburtsorte den militärischen Gruß, indem er die Hand an den Tschako legte.

[30] Immer langsamer ging Aloys, er wollte absichtlich bei Nacht nach Hause kommen, um dann des andern Morgens alle zu überraschen. Sein Haus war eines der ersten im Dorfe, es war Licht in der Stube, er klopfte an das Fenster und sagte: »Ist der Aloys nicht da?«

»Jesus Maria Joseph, ein Gendarm!« rief die Mutter.

»Nein, ich bin's, Mutter,« sagte Aloys, und nachdem er wegen der niedrigen Thüre den Tschako abgenommen, ging er hinein und reichte der Mutter die Hand.

Bald nach den ersten Begrüßungen äußerte die Mutter ihre Bekümmerniß, daß nichts mehr zu essen da sei, sie ging aber hinaus in die Küche und schlug ihm ein paar Eier ein. Aloys stand bei ihr am Herde und nun erzählte er Alles. Er fragte nach Marannele, und warum sein Bild noch draußen hänge. Die Mutter erwiderte: »Ich bitt' dich, ich bitt' dich, schlag dir das Marannele aus dem Sinn, das ist ein keinnütziges Ding.«

»Mutter, redet mir nimmer davon, ich weiß, was ich weiß,« sagte der Aloys; sein vom Feuer aus dem Herde roth über'schienenes Antlitz hatte einen gewaltigen trotzigen Ausdruck. Die Mutter schwieg, und in die Stube zurückgekehrt, sah sie mit Herzensfreude, was ihr Aloys für ein prächtiger [31] Bursch geworden war. Jeden Bissen, den er schluckte, schmeckte sie ihm in ihrem leeren Munde nach; den Tschako aufhebend, jammerte sie über seine grausame Schwere.

Des andern Morgens stand der Aloys früh auf, fummelte seinen Tschako, putzte das Behäng am Säbel und die Knöpfe, mehr als wenn er zur Ordonnanz gemußt hätte. Als es zum erstenmal zur Kirche läutete, stand er fix und fertig da; als es zum zweitenmal zusammenläutete, ging er das Dorf hinein.

Auf dem Wege hörte er zwei Buben mit einander reden.

»Ist das nicht der Tolpatsch?« sagte der eine.

»Nein, er ist's nicht.«

»Ja, er ist's,« sagte der Erste wieder.

Aloys schaute die Buben grimmig an, und sie rannten mit ihren Gesangbüchern davon. Aloys schritt, von allen Kirchgängern freundlich begrüßt, der Kirche zu. Er kam vor dem Hause Marannele's vorbei, niemand schaute heraus, er ging den Berg hinan, oft zurückschauend, und trat, als es eben zum drittenmal läutete, in die Kirche. Er zog seine weißledernen Handschuhe aus und besprengte sich mit Weihwasser. Er blickte überall in der Kirche umher, er sah nirgends das Marannele, er blieb an der Thüre stehen, auch unter den Ankömmlingen [32] war es nicht. Der Gesang begann, die Stimme Marannele's war nicht darunter; er hätte sie ja aus Tausenden heraus erkannt. Was nützte ihn nun das Staunen aller? Sie sah ihn ja nicht, für sie allein war er den weiten Weg gerannt und stand er da, so fest und stramm wie gegossen. Als aber nach der Predigt der Pfarrer die Marianne Bomüller von hier und den Georg Melzer von Wiesenstetten als Brautpaar verkündete, da stand der Aloys nicht mehr da wie gegossen, da zitterten seine Kniee und seine Zähne klapperten. Aloys war der erste aus der Kirche. Er rannte über Hals und Kopf nach Haus, warf Säbel und Tschako auf den Stubenboden und versteckte sich im Heu und weinte. Ein Mal über das Andere kam ihm der Gedanke, sich zu erhängen, aber er konnte nicht aufstehen vor Wehmuth und Weinen; alle seine Glieder waren ihm wie zerschlagen, und dann dachte er auch wieder an seine Mutter, und dann weinte er wieder und schluchzte wieder.

Die Mutter kam endlich und fand ihn im Heu, sie tröstete ihn und weinte mit. Er erfuhr nun, daß der Jörgli das Marannele verführt hatte, und daß es hohe Zeit sei, daß sie zusammengegeben würden. Er weinte von neuem, dann aber folgte er seiner Mutter wie ein Lamm in die Stube. Als er hier seines Bildes ansichtig wurde, riß er es von der Wand und schmetterte es auf den Boden. Lange [33] saß Aloys dann hinter dem Tische und hielt sich das Gesicht mit beiden Händen bedeckt, endlich stand er aus, pfiff ein lustiges Lied und ließ sich zu essen geben; er konnte aber nicht essen, er zog sich an und ging in das Dorf. Die Nachmittagskirche war vorüber, aus dem Adler tönte die Musik zu ihm herab. Die Augen niederschlagend, gleich als müßte er sich schämen, ging er an des Jakoben Haus vorbei; als er aber vorüber war, hob er seinen Blick stolz empor. Nachdem er beim Schultheiß seinen Urlaubspaß abgegeben, ging er nach dem Tanzboden. Er schaute überall umher, ob Marannele nicht da sei, und doch wäre ihm nichts unlieber gewesen als das. Der Jörgli aber war da; er trat auf Aloys zu, reichte ihm die Hand und sagte: »Grüß Gott, Kamerad!« Der Aloys sah ihn an, als ob er ihn mit seinen Blicken vergiften wollte; dann drehte er sich um, ohne ihm eine Hand oder Antwort zu geben. Er dachte jetzt, daß es eigentlich gescheiter gewesen wäre, wenn er gesagt hätte: »Was Kamerad! der Teufel ist dein Kamerad, aber ich nicht.« Es war indes zu spät zu dieser Antwort.

Von den Tischen brachten es nun alle Buben und Mädchen unserm Aloys zu, er mußte aus jedem Glas trinken, aber es schmeckte ihm Alles wie Galle so bitter. Er setzte sich dann auch an den Tisch und ließ sich eine »Bouteille vom Besten« geben, [34] und obgleich es ihm nicht schmeckte, trank er doch ein Glas nach dem andern. Die Mechtilde, die Tochter seines Vetters, des Mathes vom Berg, stand nicht weit von ihm; er brachte es ihr zu. Das Mädchen that ihm herzlich Bescheid und blieb bei ihm stehen, denn es kümmerte sich niemand um sie, sie hatte keinen Schatz und darum heute noch keinen Reihen getanzt, da jeder fast fort und fort mit seinem Schatze tanzte oder mit der Gespielin des Schatzes und dem Schatz eines andern wechselte. Aloys fragte:

»Mechtilde, möchtest du nicht auch tanzen?«

»Ja, komm', wir wollen einmal.« Sie faßte Aloys bei der Hand, er stand auf, zog seine Handschuhe an, schaute sich nochmals um, als suche er Etwas, und tanzte dann so flink, daß alle staunten. Aus Höflichkeit bot Aloys nach dem Tanze der Mechtilde Platz neben sich an; er lud sich damit eine Last auf, denn sie blieb nun den ganzen Abend bei ihm sitzen. Er kümmerte sich indes wenig um ihre Unterhaltung, er schob ihr nur bisweilen das Glas hin, daß sie trinken solle. Die Zornesblicke des Aloys waren fast immer auf den Jörgli geheftet, der sich nicht weit von ihm gesetzt hatte. Als man denselben fragte, wo das Marannele sei, sagte er, es sei »unbaß«, und lachte dabei. Aloys biß so mächtig auf seine Pfeife, daß ihm ein Gelenk der [35] Spitze im Munde blieb, er spie es mit Pfui! aus; der Jörgli sah ihn wütend an, denn er glaubte, das Pfui gelte ihm. Als aber Aloys ruhig blieb, zuckte Jörgli nur verächtlich mit den Achseln und begann allerlei Schelmenlieder zu singen. Sie hatten meist einerlei Weisung und fast alle nur ein Gesätz, wie:


Und a lustiger Bua

Verreißt allbot 13 e Paar Schua;

Und a trauriger Narr

Der hot lang am e Paar.


Es war schon bald nach Mitternacht, als Aloys wiederum seinen Säbel von der Wand nahm und nach Hause gehen wollte. Da sang der Jörgli mit seinen Kameraden das Fopplied, sie schlugen dabei mit den Fäusten auf den Tisch:


Hoan 14, hoan, hoan gang i net,

Wer will schaun hoame gaun 15,

Der muaß koan Geld mei haun 16;

Hoan! hoan! hoan gang i net.


Aloys kehrte nochmals mit einigen seiner Kameraden um und ließ sich noch zwei Flaschen Wein geben. Sie sangen nun andere Lieder drein, während Jörgli mit seinen Kameraden sang; Jörgli stand [36] auf und rief: »Halt's Maul, Tolpatsch.« Da ergriff dieser eine volle Flasche und warf sie dem Jörgli in's Gesicht, darauf sprang er über den Tisch und packte ihn an der Gurgel, die Tische fielen um, die Gläser klirrten auf dem Boden, die Musik hielt ein, eine Weile war Alles still, es war, als wollten sich die beiden Kämpfenden still erwürgen; dann aber entstand wieder allgemeines Hallo, Pfeifen, Schreien und Toben untereinander. Die Freunde wehrten ab, indes nach einer alten Bauerntaktik hielten sie beim Abwehren nur den Gegner ihres Freundes fest, damit dieser um so tüchtiger drauf klopfen konnte. Die Mechtilde aber riß den Jörgli so wacker am Kopf, daß sie ihm ein ganz Büschel Haar ausraufte. Stuhlbeine wurden nun abgeknickt, die Parteien, die sich um die beiden Kämpfenden gebildet hatten, zerbläuten einander nach Herzenslust. Aloys und Jörgli aber hielten sich, wie wenn sie sich in einander verbissen hätten. Endlich nach langem Ringen hob sich Aloys in die Höhe und warf den Jörgli auf den Boden, daß man meinte, er hätte das Genick gebrochen, dann kniete er auf ihn nieder, und es war, als ob er ihn erdrosseln wollte. Der Dorfschütz trat ein und machte dem Lärmen ein Ende. Die Musik mußte nun für heute aufhören, die beiden Hauptkämpfer mußten in das Gefängniß des Rathhauses wandern. –

[37] Mit einem zerrauften, blaumäligen Gesichte, bleich und abgehärmt, verließ Aloys des andern Tages das Dorf. Sein Urlaub war erst morgen zu Ende, aber was sollte er noch zu Hause? Er ging so gern wieder fort in's Soldatenleben, er wäre am liebsten in den Krieg gezogen. Der Schultheiß hatte ihm die Rauferei in den Paß geschrieben, Aloys ging einer harten Strafe entgegen. Er schaute sich nicht mehr um, er ging fort, ohne es zu wissen, und wünschte nie mehr wiederzukehren. Als er in Horb den Wegweiser nach Freudenstadt sah, von wo aus man nach Straßburg geht, hielt er eine Weile still, er gedachte nach Frankreich zu desertieren. Da grüßte ihn unversehens Mechtilde und fragte: »Ei, Aloys, gehst du schon wieder nach Stuttgart?«

»Ja,« antwortete dieser und schlug den Weg dahin ein. Die Mechtilde war wie ein Wegweiser vom Himmel erschienen. Mit einem freundlichen »B'hüt Gott« schied er von ihr.

Auf dem Wege summte ihm immer das Lied im Kopfe, das der Jörgli einst zuerst gesungen hatte; jetzt konnte es der Aloys auch singen, und jetzt paßte es erst ganz auf das Marannele. Er summte immer, ohne daß er es wußte, vor sich hin:


Ach wie bald, ach wie bald

Schwindet Schönheit und Gestalt.

[38]

Thust du stolz mit deinen Wangen,

Die wie Milch und Purpur prangen,

Ach, die Rosen welken all'.


In Stuttgart angelangt, sprach er nicht mehr mit der Wache am Tübinger Thor und der an der Kaserne, er schaute wie ein Verbrecher kaum auf. Acht Tage mußte er im »dritten Grad«, in einem finstern Gefängnisse, seine Rauferei abbüßen. Oft war er so ungeduldig und wild, daß er sich an der Wand den Kopf entzweirennen wollte, dann aber lag er wieder fast Tag und Nacht im halben Schlaf.

Als er aus dem Gefängnisse kam und auf sechs Wochen in die Strafklasse eingereiht wurde, die sich keine Stunde von der Kaserne entfernen darf, sondern immer zum Appell bereit sein muß, da verfluchte er seinen Vorsatz, daß er zum Militär gegangen war und sich so noch auf sechs Jahre an die Heimath gebunden hatte. Er wäre gern fort, fort, so weit als es ging.

Da kam eines Tages Mutter Marei mit einem Briefe von ihrem Mathes aus Amerika. Er hatte vierhundert Gulden geschickt, damit sich der Aloys einen Acker kaufe, oder, wenn er zu ihm wolle, sich mit dem Gelde vom Militär losmache.

Der Aloys, der Mathes vom Berg mit seiner Frau und seinen acht Kindern, darunter auch die [39] Mechtilde, wanderten noch diesen Herbst gemeinschaftlich nach Amerika aus.

Als Aloys auf der See war, da summte er oft die Strophe des allbekannten Liedes vor sich hin, er verstand sie erst jetzt recht:


»Das, das, das und das,

Das Schifflein hat den Lauf;

Der, der, der und der,

Der Schiffmann steht schon d'rauf,

Spür' ich einen rechten Sturmwind weh'n,

Als wollt' das Schiff zu Grunde geh'n,

Da stehen meine Gedanken

Zu wanken.«


In seinem letzten Briefe, vom Ohio, schreibt der Aloys an seine Mutter:

» ... Es drückt mir oft schier das Herz ab, daß ich all das viele Gut so allein genießen soll. Ich wünsch' mir oft ganz Nordstetten herbei: den alten Zahn, das blinde Konradle, das Schackerle von der Steingrub, den Soges, den Sauerbrunnenbasche und das Maurizele vom Hungerbrunnen, die sollten sich alle bei mir satt essen, bis sie nimmer weiter können. Was hab' ich davon, wenn ich so allein da bin? Da könntet ihr dann auch sehen, wie der Tolpatsch jetzt seine vier Ross' im Stall und zehn Fohlen im Felde hat. Wenn's dem Marannele nicht gut geht, schreibet mir's auch, ich will ihm [40] was schicken; es darf aber nichts davon erfahren, von wem es ist, es dauert mich in's Herz hinein. Der Mathes vom Berg wohnt eine Stund' von mir. Die Mechtilde ist eine tüchtige Schafferin, aber sie ist doch kein Marannele. Wenn es ihm nur auch gut geht. Hat es schon Kinder? Auf der Ueberfahrt ist auch ein gestudierter Landsmann, der Doktor Stäberle von Ulm, bei uns gewesen, der hat mir an einer Weltkugel gezeigt, daß, wenn in Amerika Tag, es in Nordstetten Nacht ist, und so umgekehrt; ich hab' nicht mehr daran gedacht, aber jetzt, wenn ich als im Feld bin und so denk: was machen sie denn jetzt in Nordstetten? da fällt mir's ein: Potz Blitz, die schlafen ja jetzt, und des Schackerle's Hannes, der Nachtwächter, ruft sein: ›B'hüt uns Gott und Maria.‹ Am Sonntag ist mir's am ärgsten, daß in Nordstetten jetzt Samstag zu Nacht ist. Das sollt' nicht sein, es sollt' Alles einen Tag haben. Am letzten Sonntag haben wir aber doch beim Mathes auf dem Berg getanzt, da war ja Kirchweih in Nordstetten. Ich vergess' das nie, und wenn ich hundert Jahr alt werde. Ich möcht' nur auch einmal wieder eine Stund' in Nordstetten sein, da wollt' ich auch dem Schultheiß zeigen, was ein freier Bürger von Amerika ist.«

Fußnoten

1 Pelzverbrämte rothe Mütze ohne Schild, mit einer Troddel von Golddraht in der Mitte.

2 Bartholomäus Sebastian.

3 Spinnrocken.

4 Lasset.

5 d.i. die Holzfaser aus dem Hanf.

6 Nachher wollt.

7 Schwäbische Mehlspeise.

8 Ein Ring von beinhartem Holz oder Stein, den man an das Ende der Spindel steckt, damit man sie so beschwerth besser drehen kann.

9 Jakob.

10 Maklerlohn.

11 Schlafkamerade, da stets zwei Soldaten auf einer Pritsche schlafen.

12 Hänfenes Linnen.

13 Oftmals.

14 Heim.

15 Gehen.

16 Mehr haben.

II.
Die Kriegspfeife.

[43][45]

Das ist eine ganz absonderliche Geschichte, die aber doch mit der neueren Weltgeschichte oder, was fast einerlei ist, mit der Geschichte Napoleons ganz genau zusammenhängt. Damals war eine außerordentliche Zeit. Jeder Bauer konnte aus der Königsloge seines eigenen Hauses die ganze Weltgeschichte vorbeidefilieren und agieren sehen, Könige und Kaiser spielten darin mit und erschienen bald so, bald so angezogen; und dieses ganze großartige Schauspiel kostete oft den Bauer weiter nichts als Haus und Hof und etwa noch sein Leben. So arg ging's aber meinem Nachbar Hansjörg nicht; doch – ich will die Geschichte von vorn erzählen.

Es war im Jahr 1796. Wir in unserer mäuschenstillen Zeit, wir Kinder des unbefriedigten Friedens, können uns kaum einen Begriff von der damaligen Unruhe machen; es war, als ob die Leute gar nirgends mehr fest zu Hause wären, als ob das ganze Menschengeschlecht sich auf die Beine gemacht hätte, um einer den andern da und dorthin zu treiben. Ueber den Schwarzwald zogen bald die Oesterreicher [45] mit ihren weißen Wämmsern, bald die Franzosen mit ihren lustigen Gesichtern, dann wieder die Russen mit ihren langen Bärten, und zwischen drein steckten die Bayern, Würtemberger, Hessen, in allerlei Gestalt. Der Schwarzwald war das allzeit offene Thor für die Franzosen, und jetzt eben ist man endlich daran, einen Riegel vorzuschieben.

Es war also oftmals ein Marschiren, Retiriren und Vordringen, ein Schießen und Donnern, daß man nicht wußte, wo einem der Kopf stand; wirklich blieb er manchmal auch nicht stehen, sondern purzelte unversehens um. Nicht weit von Baisingen ist mitten auf dem ebenen Felde eine Anhöhe so hoch wie ein Haus, und drunter sollen lauter todte Soldaten liegen, Franzosen und Deutsche bei einander.

Mein Nachbar Hansjörg war aber davor behütet, Soldat werden zu müssen, obschon er eben in das neunzehnte Jahr trat und ein schmucker und handfester Bursch war, der sich überall sehen lassen durfte. Das kam nämlich davon. Am Tage vor des Maurers Wendel Hochzeit, der eine Frau von Empfingen hat, ritt der Hansjörg mit den andern hinter dem Wagen drein, auf dem die Braut mit dem Hausrath auf dem blauangestrichenen Kasten neben der Kunkel und der nagelneuen Wiege saß. Der Hansjörg schoß immer am teufelmäßigsten, er that immer eine doppelte Ladung in die Pistole. Als nun der Zug bei [46] der Leimengrube ankam, wo rechts der Weiher und links die Ziegelhütte ist, aus der das Kätherle heraussah, da schoß der Hansjörg wieder, aber fast noch ehe man den Knall hörte, hörte man den Hansjörg gottserbärmlich schreien. Die Pistole entfiel seiner Hand, er selbst wäre vom Pferde gefallen, wenn ihn sein Kamerad, der Fideli, nicht gehalten hätte. Jetzt sah man, was geschehen war: der Hansjörg hatte sich am mittleren Gelenk den Zeigefinger der rechten Hand abgeschossen; er wurde nun vom Pferde heruntergehoben. Alles sprang mitleidig herzu, und auch das Kätherle aus der Ziegelhütte kam herbei und wurde fast ohnmächtig, als es sah, wie der Finger des Hansjörg nur noch an der Haut hing; der Hansjörg aber biß vor Schmerz die Zähne übereinander und blickte starr auf das Kätherle. Er wurde nun in das Haus des Zieglers gebracht. Der alte Jockel vom Scheubuß, der das Blut stillen konnte, wurde schnell herbeigerufen; ein Anderer lief nach der Stadt zu dem Erath, einem vielgeliebten Wundarzt. – Als der alte Jockel in's Zimmer trat, war Alles plötzlich still und wich vor ihm zurück, so daß alle Anwesenden zu beiden Seiten eine Gasse bildeten, durch welche er zu dem Verwundeten schritt, der hinter dem Tische auf der Bank lag. Nur das Kätherle trat vor und rief: »Um Gottes willen, Jockel, helfet dem Hansjörg.« Dieser schlug die Augen auf [47] und wendete den Kopf nach der Redenden, und als nun der Jockel vor ihm stand und leise murmelnd die Hand berührte, da hörte das Blut schon auf zu rinnen.

Das war aber diesmal nicht durch die Sympathie Jockels geschehen, sondern durch eine andere Sympathie, nämlich durch die zwischen dem Kätherle und dem Hansjörg. Denn als dieser die Worte Kätherle's hörte, fühlte er, wie ihm alles Blut nach dem Herren drang, und dadurch hörte das Bluten des Fingers auf.

Der Erath kam, und dem Hansjörg wurde nun der Finger abgenommen. Er hielt sich bei dem grausamen Schmerze wie ein Held. Als er schon einige Stunden darauf im Wundfieber lag, war es ihm, als ob ein Engel zu ihm heranschwebte und ihm Kühlung zuwehte. Er wußte es nicht, daß das Kätherle ihm die Fliegen abwehrte und dabei oft ganz nahe an seinem Gesichte auf- und abfuhr; es kann eine solche Nähe – wenn auch nicht eigentliche Berührung – einer liebenden Hand eine magische Wirkung in dem andern hervorrufen, und diese kann sich wohl in unserm Hansjörg als eine solche Traumgestalt gebildet haben. Dann erschien dem Hansjörg im Traume wieder eine ganz verhüllte Gestalt; er konnte sich nachher nicht mehr recht erinnern, wie sie aussah, und – so sonderbar sind [48] die Träume – die Gestalt hatte einen losen Finger im Munde und schmauchte damit Tabak, als ob es eine Pfeife wäre, so daß die blauen Wölkchen sich aus duftigen Ringen ausbreiteten.

Kätherle bemerkte, daß die geschlossenen Lippen Hansjörgs sich im Schlafe mehrfach auf und nieder bewegten. Als er erwachte, war das erste, was er verlangte: seine Pfeife. Hansjörg hatte die schönste Pfeife im ganzen Dorfe, und wir müssen sie näher be trachten, denn sie ist ein Hauptstück in unserer Geschichte. Es war ein Ulmer Maserkopf, dessen braune Marmorierungen die wunderlichsten Figuren bildeten, so daß man sich allerlei hineindenken konnte. Der silberne Deckel war wie ein Helm geformt und so blank, daß man sich drin spiegeln konnte und noch den Vortheil hatte, daß man sein Gesicht doppelt, und zwar zu unterst und zu oberst, darin sah. Auch an der untern Kante sowie am Stiefel war der Pfeifenkopf mit Silber beschlagen. Ein doppeltes silbernes Kettchen mit einem Sprungringe diente statt der Schnur und hielt das kurze Rohr mit der langen, vielgelenken, krummen Mundspitze.

War diese Pfeife nicht schön, und hatte Hansjörg nicht recht, daß er sie liebte, wie ein Held des Alterthums seinen Schild?

Das erste, was Hansjörg bei dem Verluste seines Fingers ärgerte, war das, daß er sich nun [49] schwer mehr werde eine Pfeife stopfen können. Das Kätherle lachte und schalt ihn aus über seine Liebhaberei, aber es stopfte ihm doch eine Pfeife, holte eine Kohle und that sogar selbst ein paar Züge; es schüttelte sich aber und machte ein Gesicht, als ob es sich furchtbar davor ekle. Dem Hansjörg hatte aber noch nie eine Pfeife so gut geschmeckt als die, welche das Kätherle vorher im Munde gehabt hatte.

Trotzdem es heißer Sommer war, durfte der Hansjörg mit seiner Wunde nicht nach Hause gebracht werden; er mußte also bei dem Ziegler bleiben. Das war unserm Patienten sehr recht. Obwohl seine Eltern kamen, um ihn zu verpflegen, wußte er doch, daß schon Zeiten kommen würden, wo er mit dem Kätherle allein sein werde.

Andern Tages war des Maurers Wendel Hochzeit, und als es zur Kirche läutete, pfiff der Hansjörg den unabänderlich wiederkehrenden Hochzeitsmarsch, der jetzt drinnen im Dorfe gespielt wurde, auf seinem Bette nach.

Nach der Kirche zog die Musik im Dorfe umher und spielte vor den Häusern, in denen die schönsten Mädchen waren, oder solche, die Schätze hatten. Die Burschen und Mädchen schlossen sich dann dem Zuge an, der, je weiter er kam, sich immer mehr vergrößerte; sie kamen auch vor des Zieglers Haus. Der Fideli kam, als »Gespiele« Hansjörgs, mit [50] seinem Schatz herauf, um statt des Verwundeten das Kätherle mit zum Tanze zu nehmen; dieses aber dankte, schützte Arbeit vor und blieb daheim. Der Hansjörg war hierüber hoch erfreut, und als sie allein waren, sagte er:

»Kätherle, gräm' dich nicht, es gibt bald wieder eine Hochzeit, und da wollen wir zwei rechtschaffen mit einander tanzen.«

»Eine Hochzeit?« fragte das Kätherle betrübt, »ich wüßt' nicht, von wem.«

»Komm 'mal her,« sagte Hansjörg lächelnd; das Kätherle trat näher, und er fuhr fort: »Ich will dir's nur gestehen, ich hab' mir den Finger mit Fleiß abgeschossen, damit ich kein Soldat zu werden brauch'.«

Das Kätherle fuhr zurück, schrie laut auf und bedeckte sich mit der Schürze das Angesicht.

»Warum schreist du?« fragte Hansjörg, »ist dir's denn nicht recht? Es muß dir recht sein, denn du bist daran schuld.«

»Jesus Maria Joseph! nein, gewiß nicht, ich bin daran unschuldig. O du lieber Heiland, was hast du für eine Sünd' gethan, Hansjörg! Du hättest dich ja auch todt schießen können; nein, du bist ein wilder Mensch, mit dir möcht' ich nicht hausen, ich hab' Angst vor dir.«

Kätherle wollte ihm entfliehen, aber Hansjörg [51] hielt es noch mit der linken Hand fest. Es stand da, riß unwillig, wendete ihm den Rücken zu und kaute an einem Ende der Schürze; der Hansjörg hätte Alles in der Welt drum gegeben, wenn es ihn nur einmal angesehen hätte, aber all sein Bitten und Flehen war umsonst. Er ließ nun los und wartete eine Weile, ob es sich nicht umkehre; als es aber immer stumm und abgekehrt blieb, da sagte er mit zitternder Stimme: »Willst du nicht so gut sein und meinen Vater holen? Ich will heim.«

»Nein, das darfst du nicht, du könntest ja den Hundskrampf kriegen, hat der Erath gesagt!« erwiderte das Kätherle, noch immer abgekehrt.

»Wenn du Niemand holst, so geh' ich allein,« sagte Hansjörg.

Das Kätherle drehte sich um und sah ihn an mit thränenden Augen, aus denen alle Bitten und alle Mächte der liebenden Besorgniß hell leuchteten. Hansjörg faßte des Kätherle's Hand, sie war fieberheiß, und er schaute lange in das Antlitz seines Mädchens. Es war nicht so, was man eigentlich schön nennt, es war derb und kräftig; das Antlitz sowie der ganze Kopf hatte eine fast kugelrunde Bildung, die Stirn war hochgewölbt, beinahe wie ein Halbkreis, die Augen lagen tief in der Biegung, die kleine Stumpfnase, die etwas Neckisches und Uebermüthiges aussprach, die runden vollen Wangen, Alles verrieth [52] gesundes, frisches Leben. Hansjörg betrachtete die Hocherglühende, wie wenn sie die Allerschönste gewesen wäre.

So hielten sie sich lange und sprachen kein Wort; endlich sagte Kätherle: »Soll ich dir ein' Pfeif' stopfen?«

»Ja,« sagte Hansjörg und ließ sie los.

In dem Anerbieten Kätherle's lag der beste Ausspruch der Versöhnung; das fühlten beide, sie redeten darum kein Wort mehr von ihrem Streit.

Gegen Abend kamen viele Burschen und Mädchen mit hochglühenden Wangen und freudestrahlenden Augen, um das Kätherle zum Tanz abzuholen; das aber wollte durchaus nicht mitgehen. Der Hansjörg lächelte vor sich hin. Als er aber das Kätherle bat, ihm doch den Gefallen zu thun und mitzugehen, hüpfte es freudig fort und kam bald darauf schön geputzt wieder.

Nun war aber ein neuer Uebelstand. Trotz aller Gutmüthigkeit wollte doch keines vom Tanze weg und beim Hansjörg bleiben; da kam zu gutem Glück der alte Jockel, und für einen guten Schoppen, den man ihm vom Wirthshause schicken wollte, versprach er, wenn's nöthig wäre, die ganze Nacht da zu bleiben.

Der Hansjörg hatte sich von dem Erath seinen Finger in einem mit Spiritus gefüllten Glase aufbewahren [53] lassen, er wollte dieß dem Kätherle schenken; aber trotz seiner sonstigen Derbheit fürchtete sich das Mädchen davor, wie vor einem Gespenste, es wagte kaum das Glas anzurühren. Als nun der Hansjörg zum erstenmal das Haus verlassen durfte, gingen sie mit einander in den Garten vor dem Hause und begruben den Finger. Hansjörg stand sinnend dabei, als das Kätherle das Loch wieder zuschaufelte. Die Sünde gegen das Vaterland, die er durch seine Selbstverstümmelung begangen hatte, kam ihm nicht in den Sinn; dagegen erwachte in ihm der Gedanke, daß hier ein Teil der ihm von Gott verliehenen Lebenskraft eingescharrt werde, für die er Rechenschaft ablegen müsse. Er stand sozusagen lebendigen Leibes bei seinem eigenen Begräbnis, und der Vorsatz stieg in ihm auf, alle ihm noch gebliebenen Kräfte nach Pflicht und Gewissen treulich zu üben und anzuwenden. Ein Todesgedanke überschauerte ihn, und mit Wehmuth und Freude schaute er auf, sah sich lebend und neben sich sein geliebtes Mädchen. Solche Gedanken bewegten sich halb klar in seiner Seele, und er sagte: »Kätherle, ich seh's wohl ein, ich hab' mich schwer versündigt, und ich muß beichten; ich muß es bald vom Herzen haben, ich will gern jede Buße thun.«

Kätherle umarmte und küßte ihn, und er genoß im voraus die seligste Absolution, wie sie eigentlich [54] das wahrhaft reuige Gemüth, mit festem Vorsatze ausgerüstet, schon allein für sich empfinden muß.

Sonntags darauf ging Hansjörg zur Beichte. Man hat nie erfahren, welche Buße ihm auferlegt wurde.

Man sollte meinen, ein Mensch müsse einen besondern, geheimen Zug nach der Stelle hin haben, wo ein Stück seines lebendigen Daseins ruht. Wie uns das Vaterland doppelt heilig ist, weil die Gebeine unserer Lieben darin ruhen; wie uns die ganze Erde erst recht heilig wird, wenn wir bedenken, wie sich die Körper unserer Freunde und Mitmenschen mit ihrem Staube vermischen: so muß ein Mensch, von dessen eigenem unzertrennlichem Körper ein lebendiger Teil schon Erde geworden, sich von der unendlichen Macht der irdischen Heiligkeit angezogen fühlen und sich oft nach einem Teil seiner Ruhestätte hinwenden.

Solche Gedanken, wenn auch eine dunkle Ahnung davon in unserm Freunde aufstieg, konnten jedoch wie natürlich bei einem Menschen, wie unser Hansjörg war, nicht lange haften. Er ging tagtäglich nach des Zieglers Haus, nicht weil ein Todtes, sondern weil das Leben, d.h. die Liebe zu Kätherle, ihn hinzog. Manchmal aber ging er auch recht betrübt von dort weg, denn das Kätherle schien es darauf angelegt zu haben, ihn zu ärgern und zu meistern. [55] Das Erste, was das Kätherle immer und immer von ihm verlangte, war: daß er das Rauchen aufgeben solle. Er durfte es nie küssen, wenn er geraucht hatte, und ehe er zu ihm ging, mußte er fast immer seine liebe Pfeife verstecken; in des Zieglers Stube aber durfte er nie und nimmer rauchen, und so gern er auch dort war, machte er sich doch immer nach einer Weile wieder fort. Kätherle hatte wohl recht, wenn es ihn oft damit neckte.

Hansjörg ärgerte sich gewaltig über den Eigensinn Kätherle's, und er steifte sich immer mehr auf seine Liebhaberei. Er meinte, es sei unmännlich, sich von einem Weibe etwas vorschreiben zu lassen; das Weib müsse nachgeben, dachte er; und dann muß man auch bekennen: es war ihm rein unmöglich, seine Gewohnheit aufzugeben. Er probierte es einmal während der Heuernte zwei Tage lang, aber es war ihm immer, als ob er faste: es fehlte ihm überall Etwas, und er holte sich seine Pfeife wieder, und indem er sie vergnüglich zwischen den Zähnen festhielt und dabei Feuer schlug, sagte er vor sich hin: »Eh' mag das Kätherle und mit ihm alle Weibsleut' zum Teufel gehen, eh' ich das Rauchen aufgeb'!« Er schlug sich dabei auf die Finger, und die heftig schmerzende Hand schüttelnd, dachte er: das ist Sündenschuld, denn dein Schwur ist eigentlich doch nicht wahr.

[56] Endlich kam der Herbst herbei. Hansjörg wurde richtig für untauglich zum Militärdienst erklärt. Noch einige andere Bauernburschen hatten ihm seine List nachgeahmt, sie hatten sich nämlich die Schaufelzähne ausgerissen, damit sie keine Patronen beißen konnten; aber die Militärkommission sah dieß als absichtliche Verstümmelung an, während die des Hansjörg, ihrer Gefährlichkeit wegen, als Unglück betrachtet wurde. Die Zahnlückigen wurden zum Fuhrwesen genommen und mußten nun doch mit in den Krieg ziehen. Mit einer verstümmelten Zahnreihe mußten sie die oft mageren Bissen der Kriegskost beißen, und am Ende mußten sie gar in's Gras beißen, wozu sie eigentlich gar keine Zähne mehr brauchten.

In den ersten Tagen des Oktobers hielt der französische General Moreau seinen berühmten Rückzug über den Schwarzwald. Eine Abtheilung des Zuges kam auch durch Nordstetten. Man hörte mehrere Tage vorher davon. Es war eine Furcht und Angst im Dorfe, daß man sich nicht zu helfen und zu raten wußte. In allen Kellern wurde gegraben und geschaufelt und Alles, was man von Geld und Kostbarkeiten hatte, hineingelegt. Die Mädchen brachten ihre Granatenschnüre mit der daranhängenden silbernen Münze (dem sogenannten Anhenker), sie zogen ihre silbernen Ringe vom Finger [57] und legten sie in die Grube. Alles ging schmucklos umher wie bei einer großen Trauer. Das Vieh wurde bei Egelsthal in eine unwegsame Schlucht getrieben. Die Mädchen und Burschen sahen sich betrübt an, wenn man von dem herannahenden Feinde sprach; mancher Bursch faßte dann nach seinem Messergriffe, der aus der Hosentasche hervorsah.

Am übelsten waren aber die Juden dran. Wenn man dem Bauer auch Alles nimmt, seinen Acker und seinen Pflug kann man ihm doch nicht forttragen; die Juden aber hatten all ihr Vermögen in beweglicher Habe, in Geld und Waren; sie zitterten daher doppelt und dreifach. Der jüdische Kirchenvorsteher, ein gescheiter und gewandter Mann, fand einen pfiffigen Ausweg. Er ließ ein großes Faß mit rothem Wein, der tüchtig mit Branntwein vergeistigt war, vor seinem Hause aufstellen und auf einen Tisch gefüllte Flaschen setzen, um damit die ungebetenen Gäste zu bewirthen und abzuhalten. Die List gelang, weil die Franzosen ohnedieß Eile hatten, weiter zu kommen.

Der Tag des Durchmarsches kam und ging besser vorüber, als man je gehofft hatte. Die Leute im Dorfe standen haufenweise bei einander und betrachteten die Vorüberziehenden. Zuerst kam die Reiterei, dann kam ein gewaltiger Trupp Infanterie.

Hansjörg war mit seinen Kameraden Fideli und[58] Xaver hinausgegangen nach der Ziegelhütte; er wollte für alle Fälle dort sein, damit dem Kätherle nichts geschehe. Er ging mit seinen Kameraden in den Garten vor dem Hause, und über den Zaun gelehnt, schmauchte er behaglich seine Pfeife. Das Kätherle schaute zum Fenster heraus und sagte: »Wenn du nicht rauchen willst, Hansjörg, kannst du mit deinen Kameraden 'raufkommen.«

»Wir sind schon gut da,« erwiderte der Hansjörg, drei Qualme schnell nacheinander ausstoßend und die Pfeife fester fassend.

Nun kam die Reiterei. Alle ritten ungeordnet einher, sie schienen kaum zusammenzugehören, ein jeder kümmerte sich fast nur um sich, und doch sah man's wieder, daß sie zusammen hielten. Einige warfen keck lachend und winkend dem Kätherle am Fenster Kußhändchen zu, der Hansjörg fuhr rasch mit der Hand nach seinem Seitenmesser. Das Kätherle schob das Fenster zu und schaute nur noch verstohlen hinter den Scheiben hervor. Nach der Infanterie kamen Fouragewagen und die Wagen mit den Verwundeten. Das war ein erbärmlicher Anblick. Einer der Verwundeten streckte eine Hand heraus, an der auch nur vier Finger waren; das fuhr dem Hansjörg durch Mark und Bein, es war ihm plötzlich, als ob er selber da droben läge. Der Verwundete hatte nichts als ein Tuch um den Kopf gebunden, [59] und es schien ihn zu frieren. Der Hansjörg sprang schnell über den Zaun, nahm die Pudelkappe vom Kopfe und setzte sie dem Armen auf; dann gab er ihm noch sein Geld mitsamt dem ledernen Beutel. Der Verwundete machte mehrere Zeichen mit dem Munde und deutete damit an, daß er gern rauchen möchte; er sah dabei den Hansjörg bittend und bettelnd an und deutete immer auf seine Pfeife, der Hansjörg aber schüttelte Nein. Das Kätherle brachte Brod und Hemden herbei und legte sie auf den Wagen der Verwundeten. Die kranken Krieger sahen vergnügt auf das frische Mädchen, und einige machten ein militärisches Begrüßungszeichen und welschten untereinander. Sie fuhren dann, immer freundlich winkend, davon. Da dachte niemand mehr, ob dieß Feinde oder Freunde wären; es waren unglückliche, hilfsbedürftige Menschen, und jeder mußte ihnen helfen.

Ein großer Trupp weiter beschloß den Zug. Das Kätherle stand wieder am Fenster, Hansjörg mit seinen Kameraden wieder auf ihrem Posten; da sagte der Fideli: »Guck, da kommen Marodörs.«

Zwei zerlumpte Kerle in halber Uniform, ohne Sattel und Bügel, sprengten heran. Eine Strecke, ehe sie bei Hansjörg waren, hielten sie ein und sprachen etwas mit einander; man hörte den einen lachen. Sie ritten dann langsam und der eine ganz nahe an dem Zaune hin, und ratsch! riß er dem [60] Hansjörg die Pfeife aus dem Munde, und dann im gestreckten Galopp auf und davon. Der Marodeur steckte sich die noch brennende Pfeife in den Mund und dampfte lustig, wie zum Hohne.

Der Hansjörg hielt sich den Mund, es war ihm, als ob ihm alle Zähne aus dem Kiefer herausgerissen wären; das Kätherle aber lachte aus vollem Halse und rief: »So, jetzt hol' dir dein' Pfeif'.«

»Ja, ich hol' sie,« sagte Hansjörg und knackte vor Wuth eine Latte am Zaun zusammen, »kommet, Fideli, Xaver, wir thun unsere Gäul' 'raus und reiten nach, und wenn wir darüber zu Grund gehen, den Halunken laß ich mein' Pfeif' nicht.«

Die beiden Kameraden gingen davon und holten schnell die Pferde aus dem Stall; das Kätherle aber kam herabgesprungen, rief den Hansjörg in den Hausgang, unwillig ging er zu ihm, denn er war bös, daß es ihn so ausgelacht hatte; das Kätherle aber faßte zitternd seine Hand und sagte: »Um Gottes willen, Hansjörg, laß die Pfeif'. Guck, ich will dir auch Alles zu Gefallen thun, folg mir nur jetzt. Willst du dich denn wegen so eines nichtsnutzigen Dinges umbringen lassen? Ich bitt' dich, bleib' da.«

»Ich mag nicht. Mir ist's recht, wenn mir einer eine Kugel durch den Kopf schießt. Was soll ich da thun? Du kannst doch nur nichts als foppen.«

[61] »Nein, nein!« rief das Kätherle und fiel ihm um den Hals, »ich laß dich nicht gehen, du mußt da bleiben.«

Den Hansjörg durchzuckte es wunderbar, aber er fragte keck: »willst du denn mein Weib sein?«

»Ja, ja, ich will ja!«

Die beiden umarmten sich selig, dann rief Hansjörg: »Mein Lebtag kommt mir kein' Pfeif' mehr in den Mund. Guck, mich soll ein Heiligkreuz –«

»Nein, schwör' nicht, du mußt's auch so halten können, das ist viel besser. Gelt, du bleibst jetzt aber auch da? Laß die Pfeif' beim Franzos und beim Teufel.«

Unterdessen kamen die Kameraden zu Pferd, sie hatten sich mit Heugabeln bewaffnet und riefen: »Tapfer, Hansjörg, komm!«

»Ich geh' nicht mit,« sagte der Hansjörg, das Kätherle im Arm haltend.

»Was kriegen wir denn, wenn wir dein' Pfeif' wiederbringen?« fragte Fideli.

»Sie ist Euer.«

Die Beiden ritten wie im Sturme davon den Weg nach Empfingen, Hansjörg und Kätherle schauten ihnen nach. Dort, an der kleinen Anhöhe, wo die Lehmgrube für die Ziegelhütte ist, hatten sie die Marodörs fast eingeholt; als diese sich aber verfolgt sahen, machten sie keck kehrtum, schwenkten ihre[62] Säbel, und der eine zielte noch mit einer Pistole. Als der Fideli und der Xaver das sahen, machten sie ebenfalls hurtig Kehrtum und waren schneller wieder da, als sie dort gewesen waren. –

Von diesem Tage an that der Hansjörg keinen Zug mehr aus einer Pfeife. Vier Wochen später wurde er von der Kanzel herab mit dem Kätherle verkündet. –

Eines Tages ging Hansjörg nach der Ziegelbütte; er war hinter dem Hause hergekommen, niemand hatte ihn gesehen; da hörte er drinnen das Kätherle mit jemand sprechen: »Also du kennst sie ganz genau?« fragte das Kätherle.

»Warum soll ich sie nicht kennen?« erwiderte der Angeredete. Hansjörg erkannte an der Stimme das rothe Maierle, einen Handelsjuden. »Ich hab' ihn ja oft genug mit ihr gesehen. Er hat sie so gern gehabt, wie er dich hat, und wenn es gegangen wär', ich glaub', er hätt' sie geheirathet.«

»Weißt du,« sagte Kätherle, »ich will nur sehen, wie er die Augen sperrangelweit aufreißen wird, wenn er sie an seiner Hochzeit wiedersieht. Ich kann mich also ganz gewiß darauf verlassen?«

»So gewiß soll ich hunderttausend Gulden reich werden, sie muß da sein.«

»Aber der Hansjörg darf nichts von ihr erfahren.«

[63] »Stumm wie ein Fisch!« erwiderte das rothe Maierle und ging davon.

Hansjörg kam schüchtern zu Kätherle, er schämte sich zu gestehen, daß er gehorcht habe; als sie aber traulich bei einander saßen, sagte er: »Ich will dir's nur sagen, laß dir nichts vorschwätzen, es ist nicht wahr. Man hat mir einmal nachgesagt, ich hätt' Bekanntschaft mit der Adlerwirthsmagd, die jetzt in Rottweil dient: glaub du mir, es ist nicht wahr, ich bin ja damals noch in die Christenlehr' gegangen, es war nichts als Kinderei.«

Das Kätherle that, als ob es ein gar großes Gewicht auf diesen Umstand lege, und der Hansjörg hatte viel zu thun, sich zu rechtfertigen. Er gab sich noch am Abend alle Mühe, das rothe Maierle auszuhorchen, aber das war »stumm wie ein Fisch«.

Hansjörg hatte noch viele Rügen auszustehen und gewissermaßen durch das ganze Dorf Spießruten zu laufen. Das war nämlich so. Am Sonntage vor der Hochzeit gingen nach alter Sitte der Hansjörg und sein »Gespiel«, der Fideli, jeder mit einem rothen Bande um den Arm und einer rothen Schleife an dem dreieckigen Hute, von Haus zu Haus im ganzen Dorfe, und der »Hochzeiter« sagte folgenden Spruch: »Ihr sollet höflich eing'lade sein zur Hauzich am Zinstig (Hochzeit am Dienstag) im Adler. Wemmers[64] (wenn wir's) wieder verdäue (vergelten) könnet, welle mer's au thoan (wollen wir's auch thun). Kommet au g'wiß. Vergesset's et. Kommet au g'wiß.« Darauf öffnete in jedem Hause die Frau die Schublade am Tisch, that Brod und Messer heraus und reichte es mit den Worten: »Schneidet au Brod.« Der Hochzeiter mußte nun ein Schnitzel Brod abschneiden und dasselbe mitnehmen. Hansjörg machte das Brodschneiden mit seinen vier Fingern etwas ungeschickt, und es that ihm wehe, wenn man in vielen Häusern mit gutmüthigem Spott zu ihm sagte: »Du dürftest eigentlich nicht heirathen, Hansjörg, denn du kannst mit deinem Stumpffinger doch nicht gut Brod schneiden.«

Der Hansjörg war hochfroh, als diese Einladungen vorüber waren.

Mit Singen und Jubeln wurde die Hochzeit gefeiert, nur durfte dabei nicht geschossen werden, denn seit dem Unglücke oder dem Muthwillen Hansjörgs war das strenge verboten.

Am Hochzeitstische ging Alles lustig her. Gleich nach Tisch ging Kätherle hinaus in die Küche, es kam aber schnell wieder und hatte die uns wohlbekannte Pfeife im Munde – man konnte wirklich nicht unterscheiden, ob es die alte oder eine aufs Pünktchen hin ähnliche sei – das Kätherle that nun mit verzerrten Mienen wieder einige Züge aus der Pfeife und reichte sie dann dem Hansjörg mit den Worten:

[65] »Da, nimm, du hast dich wacker gehalten, du kannst dir schon was versagen; meinetwegen magst du wohl rauchen, ich hab' kein bisle dagegen.«

Hansjörg wurde feuerroth, er schüttelte aber Nein und sagte: »Was ich einmal gesagt hab', da beißt kein' Maus keinen Faden davon; mein Lebtag thu' ich keinen Zug mehr.« Er stand auf und sagte wieder: »Gelt, Kätherle, aber dich darf ich doch küssen, wenn du geraucht hast?«

Die beiden Glücklichen lagen sich selig in den Armen. Darauf gestand Hansjörg, daß er gehorcht, als sich das Kätherle mit dem rothen Maierle besprach, und daß er gemeint habe, es sei von der Adlerwirthsmagd die Rede.

Man lachte herzlich über den Spaß.

Die Pfeife wurde als ewiges Andenken über dem Himmelbette des jungen Ehepaares aufgehängt, und Hansjörg deutet oft darauf hin, wenn er beweisen will, daß man sich mit festem Vorsatz und aus Liebe alles abgewöhnen könne.


Zwei Worte rücken uns plötzlich weit hinaus: Hansjörg und Kätherle sind betagte Großeltern, im Kreise der Ihrigen glücklich, frisch und munter. Die Pfeife gilt als ein ehrwürdiges Familienstück bei den fünf Söhnen Hansjörgs; keiner von ihnen und von ihren Kindern hat sich bis heute das Rauchen angewöhnt.

[66]

III.
Des Schloßbauers Vefele.

[67][69]

1.

Wenige werden errathen, wie der obenstehende Name eigentlich im Kalender heißt, und doch ist er allgemein bekannt, und erinnert das Schicksal deren, die ihn trug, leider nur zu sehr an das ihrer Patronin Genovefa.

Das vornehmste Haus des ganzen Dorfes, das eine so breite Front nach der Straße zu macht, daß alle Handwerksburschen, die durch das Dorf wandern, hineingehen und um einen Zehrpfennig bitten, das gehörte einst dem Vater des Vefele; die beiden rechts und links stehenden Häuser, das waren seine Scheunen. Der Vater ist todt, die Mutter ist todt, die Kinder sind todt. In dem großen Hause ist eine Leinweberei. Die Scheunen sind zu Häusern verbaut, und das Vefele ist spurlos verschwunden.

Nur das Eine steht noch fest und wird es wohl immer bleiben, im ganzen Dorfe heißt das große Haus noch immer »des Schloßbauern Haus«; denn der alte Zahn, der Vater Vefele's, wurde der Schloßbauer genannt. Er war nicht aus dem Dorfe gebürtig, sondern aus dem zwei Stunden entfernten [69] Baisingen herübergezogen. Baisingen gehört zu dem kornreichen sogenannten »Strohgäu«, und die Baisinger werden spottweise »die Strohgänger« genannt, weil im ganzen Dorfe fast alle Gassen mit Stroh bestreut sind. Dieß dient sowohl dazu, um der Mühe der Straßenreinigung überhoben zu sein, als auch, um auf diese Weise mit dem zertretenen Stroh neuen Dünger zu gewinnen; denn die Baisinger haben so viele Aecker, daß sie dessen nicht genug habhaft werden können. Dreißig Jahre wohnte der Schloßbauer im Dorfe, aber so oft er einen Streit hatte, wurde er der Baisinger Strohgänger und seine Frau die krumme Baisingerin geschimpft. Die Frau Zahn war aber keineswegs krumm, sie war noch in ihrem Alter eine schöne, schlanke Frau mit gerader Haltung; nur war ihr linker Fuß etwas zu kurz, und daher kam's, daß sie beim Gehen hinkte. Dieser Körperfehler war aber auch mit die Ursache ihres ungewöhnlichen Reichthums. Ihr Vater, Staufer mit Namen, sagte einmal öffentlich im Wirthshause, daß der kurze Fuß seiner Tochter nichts schade, er stelle als Heirathsgut ein gestrichenes Simri Kronenthaler darunter, und da wolle er sehen, ob das nicht grade mache.

Der alte Staufer hielt Wort, und als der Zahn dessen Tochter heirathete, ließ er ihn ein Simri mit Kronenthalern füllen und so viel hineinthun, als hineinging; drauf strich er mit dem Streichbengel [70] darüber und sagte. »So, was drin ist, ist dein!« Seine Tochter mußte zum Spaß ihren linken Fuß darauf stellen, und das mit dem Gelde gefüllte Kornmaß prangte als schöne Schüssel auf dem Hochzeitstische.

Der Zahn kaufte sich bald darauf mit dem Gelde das gräflich Schleitheimische Schloßgut, baute das schöne große Haus, und darum hieß er der Schloßbauer. Von neun Kindern, die ihm geboren wurden, blieben fünf am Leben, drei Söhne und zwei Töchter. Das jüngste Kind war Vefele. Es war so schön und zart gebaut, daß man es, halb spöttisch, halb anerkennend, das »Fräle« hieß. Halb aus Mitleid, halb aus Schadenfreude bemerkte fast jeder, wenn von ihm die Rede war, es sei eben doch eine »Gezeichnete«, denn es hatte den kurzen Fuß von der Mutter geerbt. Mit dem Ausdruck »Gezeichnet« verbindet sich ein schlimmer Nebenbegriff; man nennt die Rothen, Buckligen, Einäugigen, Hinkenden so und will damit sagen, daß Gott sie damit gezeichnet habe, weil sie gewöhnlich gefährliche und ungutmüthige Menschen seien. Weil man nun solche Unglückliche spöttisch und argwöhnisch behandelt, werden sie meist schalkhaft, bitter und hinterlistig; das anfänglich ungerechte Vorurtheil ruft die Folgen hervor, die man dann als Bestätigung für das Vorurtheil annimmt.

Das Vefele that zwar Niemand etwas zu Leide, [71] ja es war gut und freundlich gegen alle Menschen; aber der Haß des ganzen Dorfes gegen den Schloßbauer wurde auch auf alle seine Kinder ausgedehnt.

Der Schloßbauer prozessierte schon seit achtzehn Jahren mit der ganzen Gemeinde. Er machte auf die patronatsherrlichen Rechte Anspruch, er bezog den Rauchhafer, Hühnerhafer, Weghafer, und wie alle die grundherrlichen Abgaben heißen; auch hatte er fünfzig Stimmen bei der Schultheißenwahl. Nur mit dem tiefsten Aerger, mit Schelten und Schimpfen entrichteten die Bauern diese ihre gewohnten Abgaben.

So sind die Menschen! Einem Grafen, Baron oder Freiherrn hätten sie ohne Widerrede alles entrichtet; aber jetzt verfluchten sie jedes Körnchen, das sie an einen ihresgleichen abgeben mußten. Sie wußten sich nicht anders zu rächen, als daß sie dem Schloßbauer Nachts seine Kornfelder niedermähten, wenn das Korn noch grün war. Das gereichte ihnen aber doppelt zum Nachtheil, denn der Schloßbauer brachte es durch Klagen beim Syndikatsamte dahin, daß der zugefügte Schaden – da die Thäter nicht entdeckt wurden – auf den Gemeindeschaden gestellt und ihm aus der Gemeindekasse vergütet wurde; auch hielt er sich fortan einen eigenen Flurschützen, den das Dorf zur Hälfte besolden mußte.

Die Reibereien zwischen den Dorfbauern und dem Schloßbauer dauerten aber noch immer fort.

[72] Da ließ sich ein neuer Advokat in dem Städtchen Sulz nieder, und nun begann der Proceß der Gemeinde mit dem Schloßbauer, bei dem so viel Papier verschrieben wurde, daß man einen ganzen Morgen Acker damit zudecken konnte.

Das Dorf gehörte damals noch, wie ein großer Teil des Schwarzwaldes, zu Vorderösterreich, der Landvogt hatte seinen Sitz in Rottenburg, das Appellationsgericht in Freiburg im Breisgau; ein größerer Proceß konnte aber noch weiter getrieben werden. Bei der entfernten und verwickelten obern Gerichtsbarkeit war es daher ein Leichtes, den Proceß bis zum jüngsten Gericht in gehöriger Verwirrung zu erhalten.

Der Streit zwischen dem Schloßbauer und seinen Ortsbewohnern gestaltete sich mit der Zeit zur Feindseligkeit zwischen den Baisingern und Nordstettern. Die Baisinger foppten und neckten die Nordstetter auf Märkten oder in der Stadt, wo sie mit denselben zusammen kamen; nannten sie spottweise ihre Unterthanen und Grundholden, weil ein Baisinger Bauer über sie herrschte. Die Nordstetter, unter dem Namen der Spitzmäuligen oder der Spöttler bekannt, blieben keine Antwort schuldig. Ein Wort gab das Andere, man lachte, man scherzte, immer noch als »gut Freund«, aber die Anzüglichkeiten wurden immer derber, und ehe man sich's versah, [73] war der Krieg auf irgend einer Seite ausgebrochen, und es setzte die ergiebigsten Prügel. Das war zum erstenmal auf dem Ergenzinger Markt, als dieß geschah, und nun konnten Nordstetter und Baisinger nie mehr beisammen sein, ohne sich zu prügeln. Stundenweit gingen namentlich die jungen Burschen beider Orte zu einem Tanze oder zu einer Hochzeit, tranken und tanzten zuerst ruhig mit einander, und am Ende brach das Hauptfest, eine tüchtige Prügelei, los.

Der Schloßbauer lebte aber mitten im Dorfe wie auf einer Einöde. Kein Mensch bot ihm die Zeit, kein Mensch besuchte ihn. Wenn er in's Wirthshaus kam, war Alles plötzlich still. Es war ihm immer, als ob sie gerade von ihm gesprochen hätten. Er legte seinen mit gutem Tabak gefüllten Beutel neben sich auf den Tisch, aber eher hätte einer seinen Mund auf einen Stein aufgeschlagen, ehe er den Schloßbauer um eine Pfeife Tabak gebeten hätte. Anfangs gab er sich Mühe, um die wie verabredete Feindseligkeit aller durch Freundlichkeit und Güte zu zerstreuen, denn er war von Natur ein guter und nur etwas strenger Mann; als er aber sah, daß es nichts fruchtete, verachtete er alle insgesamt, scherte sich wenig mehr um sie und setzte nun erst recht seinen Kopf darauf, sein Recht zu behaupten. Er schloß sich nun selber von Allen ab,[74] nahm Taglöhner ans Ahldorf zu seinen Feldarbeiten, und um auch nicht einmal Gott mit seinen Dorfgenossen zu dienen, ging er Sonntagsmorgens jedesmal nach Horb in die Kirche. Er sah stattlich aus, wenn er so dahin schritt. Er schien kleiner, als er war, denn er war gedrungen und breitschulterig; er hatte seinen dreieckigen Hut etwas muthig nach der linken Seite zu gesetzt und den breiten Teil nach vorn gekehrt. Durch den Schatten, der dadurch auf sein Antlitz fiel, ward dieses noch finsterer und ernster, als es eigentlich war. Wenn er dann so fest einherschritt, klingelten die breiten, ganz nahe aneinander gereihten silbernen Knöpfe an seinem blauen Rocke ohne Kragen und die runden, silbernen Knöpfe an seiner rothen Weste hell wie ein Glockenspiel auf einander.

Die Mutter und ihre Kinder, namentlich aber ihre beiden Töchter Agathle und Vefele, litten am meisten bei dieser Trennung von der Gemeinde. Sie saßen oft bei einander und klagten über ihr Loos und weinten, während der Vater in der Stadt mit seinem Advokaten beim Schoppen saß und erst spät heimkehrte. So weit war der Haß gegangen, daß selbst die Armen, aus Furcht vor den andern, keine Gabe aus des Schloßbauern Hause nehmen durften. In doppelter Heimlichkeit, sowohl vor dem Vater als vor den andern Dorfbewohnern, übten [75] die Mutter und ihre Töchter ihre fromme Wohlthätigkeit; gleich als ob es Diebstahl wäre, trugen sie Kartoffeln, Korn und Mehl in den Schloßgarten, wo die Armen ihrer warteten.

Die Mutter hielt Alles das nicht mehr aus; sie ging zu ihrem Vater und klagte ihm ihre Noth. Der alte Staufer war ein besonnener, ruhiger Mann und wollte sichern Weges gehen. Er schickte daher zuerst seinen Hofjuden Marem nach Nordstetten, damit er insgeheim auskundschafte, wer denn eigentlich die Rädelsführer bei dem Prozesse seien, und ob sich nicht ein Vergleich machen ließe. Der Marem war aber gescheiter als der alte Staufer, trotzdem dieser schon fünfzehn Jahre Schultheiß war. Er ließ durch einen Bekannten in Nordstetten das Gerücht aussprengen, der Schloßbauer habe es dahin gebracht, daß eine kaiserliche Kommission auf Unrechtskosten nach Nordstetten kommen, die Sache untersuchen und dort bleiben werde, bis sie entschieden sei. Dann kam er selber und ging unmittelbar zu den Hauptleuten, sagte ihnen, daß er gegen eine bestimmte Vergütung einen Vergleich zu Stande bringen wolle, obgleich es sehr hart halten werde; er sicherte sich so auf beiden Seiten einen Vortheil.

Was helfen aber alle noch so feinen Finten bei Menschen, die bärenmäßig dreinschlagen und alle Berechnungen und Kunststücke zu Schanden machen?

[76] Der alte Staufer kam, mit ihm Marem. Sie gingen in Begleitung des Schloßbauern nach dem Wirthshause, wo sich die Wortführer versammelt hatten.

»Guten Tag, Herr Schultheiß,« sagten die Versammelten zu dem Ankommenden; sie thaten, als ob sonst Niemand als der Gegrüßte eingetreten wäre. Der alte Staufer fuhr zusammen, ließ aber doch alsbald zwei Flaschen Wein bringen, schenkte ein, und sein Glas ergreifend, stieß er an die anderen Gläser an und trank den Versammelten zu. Da sagte der Schlosser Ludwig: »Wir nehmen's für genossen an, wir trinken aber nicht. Allen Respekt vor Euch, Herr Schultheiß, aber bei uns ist der Brauch, daß man erst nach dem Handel den Weinkauf trinkt. Wie's die reichen Herrenbauern in Baisingen machen, das wissen wir nicht.«

Der Schultheiß setzte, ohne zu trinken, sein Glas wieder ab und seufzte tief. Er begann darauf mit ziemlicher Ruhe die Verhandlung und setzte auseinander, daß man sein sauer erworbenes Gut nicht an »die Blutsauger, die Advokaten«, wegwerfen solle, daß jeder Proceß mit aus der Schüssel esse und das Fett oben 'runter schöpfe, und schloß damit, daß ein Schritt hüben und ein Schritt drüben zum Frieden führe.

Es wurde nun von beiden Seiten eine weit aus [77] einander liegende Vergleichssumme angesetzt. Der Marem gab sich alle Mühe, sie einander näher zu bringen. Er nahm bald diesen, bald jenen beiseite, flüsterte ihm etwas in's Ohr; er nahm endlich sogar, trotz beiderseitiger Einrede, eine Vergleichssumme aus seine eigene Verantwortung; er zerrte an allen umher und suchte die Hände der beiden Parteien mit Gewalt in einander zu legen.

Da sagte endlich der Schloßbauer: »Nein, eh' ich so einen Bettel nehm', schenk' ich's euch lieber ganz, ihr Hungerleider.«

»Was Du!« sagte darauf der Schlosser Ludwig, »mit dir schwätzt man ja gar nicht, du Strohgänger.«

»Gebt nur acht,« erwiderte der Schloßbauer, »ihr werdet keine Strohgänger. Ich will euch schon betten, daß ihr kein Stroh mehr unterm Kopf habt zum Draufliegen. Und wenn ich und Weib und Kind drüber zu Grund gehen soll, und wenn mir kein Handbreit Ackers übrig bleibt, keinen rothen Heller lass' ich euch jetzt mehr nach; ich muß mein Recht haben, und wenn ich an den Kaiser selber gehen muß. Wartet nur!« Er stand zähneknirschend auf; der Vergleich war durch keinerlei Bemühungen mehr zu Stande zu bringen. Der Schloßbauer fing sogar zuletzt noch mit seinem Schwäher Händel an und ging fort, indem er die Thüre laut hinter sich zuschlug.

Zu Hause weinte die Mutter mit ihren Töchtern [78] so laut, als ob jemand gestorben wäre, so daß alle Vorübergehenden eine Weile vor dem Hause stehen blieben; aber alle Bitten der Mutter und der Kinder halfen nichts, der Schloßbauer blieb bei seinem Vorsatze. Der alte Staufer reiste wieder nach Hause, ohne nochmals zu seiner Tochter zu kommen, er ließ ihr nur durch den Marem Ade sagen.

Der alte Zustand dauerte fort, der Schloßbauer und seine Frau lebten oft in Unfrieden, aber das Vefele wußte immer Alles gut zu machen. Der Vater hatte eine gewisse heilige Ehrfurcht vor dem Kinde, denn »das Kind« hieß Vefele im ganzen Hause. Es hatte ein so engelmildes Antlitz und eine so bezaubernde Stimme, es durfte nur des Vaters Hand nehmen, ihn mit den treuen, blauen Augen anschauen und sagen: »Aber, lieber Aetti«, und er war still und gut; der starke, trotzige Mann ließ sich von seinem Kinde besänftigen, wie wenn es ein höheres Wesen wäre; nie redete er ein hartes Wort, wenn das Vefele zugegen war, er that ihm Alles, was es wollte, zu Gefallen, nur nicht die Versöhnung mit seinen Feinden.

In dieser letzteren Beziehung war der Schloßbauer, trotzdem er nach außen so fest und bestimmt auftrat, doch innerlich in einem gewaltigen Zwiespalte. Er hätte gern seinen Feinden gutwillig die Hand gereicht, aber er schämte sich, so schwach zu sein, wie [79] er es nannte, und er glaubte auch, er habe es schon zu weit kommen lassen, seine Ehre hänge davon ab, es durchzusetzen. Dann, wenn er an die Ehre dachte, erhob sich wieder sein Stolz, und er hielt sich für etwas Besseres als alle die andern Bauern. In diesem Gedanken bestärkten ihn die schmarotzenden Schreiber in dem nahen Städtchen und der Kronenwirth; sie redeten ihm viel vor von seinem ungewöhnlichen Verstande und von seinem Baronenvermögen; er glaubte es zwar nicht, es that ihm aber doch wohl, es zu hören. Nach und nach, als er merkte, daß die Stadtleute wirklich nicht gescheiter waren als er, hielt er sich in der That für besser als alle andern Bauern. Es war ihm zwar nie recht wohl in der Gesellschaft dieser Leute, die sich gern einen guten Schoppen von ihm bezahlen ließen; aber, dachte er wieder, man muß doch Gesellschaft haben, und es ist doch besser als Bauerngeschwätz. Ohne daß er sich's recht gestand, ging er gern in diese Gesellschaft, weil sie auf alle Art seiner Eitelkeit schmeichelte.

So geht's. Der Schloßbauer lebte in Unfrieden mit sich, mit seinem Weibe, mit seinen Mitbürgern, mit allen, bloß weil er sich nicht demüthigen wollte, weil er nichts von den alten Herrenrechten, oder besser Unrechten, nachlassen wollte, während er doch sonst noch vollauf zu leben hatte; sein Herz und [80] seine Gedanken kamen immer mehr in Verwirrung, und er richtete sich und die Seinigen zu Grunde, während es ihnen doch hätte so wohl sein können.

Nach und nach kamen in den Winterabenden einige alte Bauern, die zu Hause keinen warmen Ofen hatten, oder die ihren scheltenden Weibern davon gegangen waren, zu dem Schloßbauer; er aber war mürrisch und barsch gegen sie, es verdroß ihn, daß nur diese und nicht auch die Angeseheneren kamen. Die Besuchenden blieben wieder weg.

Die Mutter war mit beiden Töchtern oft mehrere Tage bei ihrem Vater in Baisingen, der Schloßbauer aber schmollte mit seinem Schwäher. Er sah ihn nicht mehr, bis er auf der Bahre lag.

Das Leben im Dorfe ward immer unangenehmer. Es ist ein traurig Ding, wenn man in's Feld geht und niemand bietet einem die Zeit. Der Schloßbauer unterhielt sich dann immer mit seinem großen Hunde, dem Sultan: das ist und bleibt doch immer eine traurige Unterhaltung für einen Menschen.

Die schweren Zeiten, die durch Napoleon über Europa kamen, verschonten auch nicht das einsamste Bauernhaus im Schwarzwald. Straßburg war nicht weit, und Leute, die besonders gute Ohren hatten, wollten auf der Hochbux die in Straßburg abgefeuerten Siegesschüsse gehört haben; das sollte kommende große Noth anzeigen. Freilich war damals leicht [81] prophezeien, daß Alles drunter und drüber gehen werde.

Zum Feldzug nach Rußland wurde mit aller Macht gerüstet. Auch der Philipp und der Kaspar, die beiden ältesten Söhne des Schloßbauern, mußten mit in den Krieg; ihr Vater wäre lieber selber mitgezogen, denn ihm war Alles verleidet, er sah seine beiden Söhne mit einem Stumpfsinn und einer Gleichgültigkeit scheiden, wie wenn einer sagt: Mir ist alles eins, komm' was da wolle.

Der Philipp und der Kaspar sind wahrscheinlich im russischen Schnee begraben, man hat nie mehr etwas von ihnen gehört; nur das eine hat der General Hügel oft erzählt: Auf dem Rückzuge von Moskau aus sah er einen Soldaten, der etwas abseits ging und dem die Kälte oder die Noth und das Heimweh, oder vielleicht Alles zusammen, die Thränen stromweise über die Backen herunterrinnen machte. Der General ritt auf ihn zu und fragte ihn freundlich: »Woher?«

»I bin des Schloßbauern Bua vom Schwarzwald do obe ra!« erwiderte der Soldat, nach der Seite zu deutend, als ob seines Vaters Haus nur einen Büchsenschuß weit dort um die Ecke läge. Der General mußte über die Antwort des Soldaten, der in Gedanken so nahe zu Hause war, so herzlich lachen, daß auch ihm Thränen über die Backen [82] liefen, die aber in seinem langen Schnurrbarte als Eistropfen hängen blieben.

Das ist Alles, was die Geschichte über das Leben und Ende der beiden Sohne des Schloßbauern berichtet.

Unterdessen war zu Hause Freud und Leid gemischt. Wenn ein Unglück oder ein trauriger Zustand lange dauert, richtet man sich zwischen Thür und Angel wohnlich ein; ein Mensch, wenn er gesund ist, kann nicht lange dem Schmerze nachhängen, die alte Lust des Lebens steigt bald wieder in ihm auf. So wurden zu Hause Kirchweihen und Hochzeiten gefeiert, während draußen in fernen Landen Hunderte der nächsten Angehörigen vom Tode in sein kaltes Bett gelegt wurden.

Agathle, die älteste Tochter des Schloßbauern, war die Braut des Rößlewirths in Eutingen geworden; der Schloßbauer, der mit dem ganzen Dorfe verfeindet war, mußte seine Kinder außerhalb des Orts verheirathen.

Vefele sah am Hochzeitstage der Schwester gar prächtig aus. Die Schwestern hatten im Dorfe keinen weitern Umgang, und so war Vefele die einzige »Gespiele« der Braut und ganz so wie sie gekleidet. Es hatte die »Schappel« – eine Krone von flimmernden Silberflittern – auf dem Haupte, in die beiden den Rücken hinabhängenden Zöpfe [83] waren handbreite, ziegelrothe Seidenbänder eingeflochten, die fast bis auf den Boden hinabreichten; das ist die besondere Zierde einer Jungfrau, denn nur eine solche darf rothe Bänder im Haare tragen; ein Mädchen, »das sich verfehlt hat«, muß weiße leinene Bänder tragen. Um den Hals hatte Vefele die vielreihige Granatenschnur, deren dunkle Farbe die auffallende Zartheit der Haut noch mehr hervorhob; über dem weißen Spitzenkoller ragte ein frischer Blumenstrauß aus dem scharlachrothen Mieder hervor, das zu beiden Seiten von silbernen Agraffen, durch die sich Silberkettchen schlangen, gehalten war; der um und um weitfaltige blaue »Wiflingrock«, der bis an die Kniee reichte, war zur Hälfte von der weißen Schürze bedeckt; überall, an den Schultern wie an den Enden der kurzen Hemdärmel, flatterten rothe Bänder. Die »Stöckleschuhe« mit den hohen hölzernen Absätzen in der Mitte, gaben dem ohnedieß schwankenden Gange Vefele's noch etwas Unsicheres. Dennoch, als es unter dem Klange der Musik und dem Abfeuern der Pistolen neben seiner Schwester zur Kirche ging, erschien Vefele so liebreizend, daß jeder es gerne als die Braut angesehen hätte. –

Wer weiß, wo die beiden Söhne des Schloßbauern waren, während dieser mit den Seinen fröhlich beim Hochzeitsschmause saß! Niemand gedachte [84] ihrer. Nur Vefele schaute einmal lange unverrückt drein; es war, als ob sie nichts von alledem sehe, was um sie her vorging; als ob ihr Blick durch die Wände dringe und suchend hinausschweife ins Unendliche – sie gedachte ihrer fernen Brüder.

Kaum zwei Monate später feierte auch Melchior, der dritte Sohn des Schloßbauern, seine Hochzeit. Er hatte auf des Agathles Hochzeit seine Braut, die einzige Tochter des Engelwirths von Ergenzingen, kennen gelernt und sich mit ihr versprochen. Obgleich Melchior noch sehr jung und kaum ein Jahr älter war als Vefele, beschleunigte man doch die Hochzeit, denn man fürchtete, er müsse sonst auch mit in den Krieg. Melchior zog nun auch fort aus dem Dorfe, und Vefele blieb allein im Hause. Die Mutter kränkelte, ein stiller Gram zehrte an ihrem Leben. Sie wollte ihren Mann immer dazu bringen, daß er Alles verkaufe und aus dem Dorfe weg zu einem seiner Kinder zöge; der Schloßbauer aber gab ihr so heftige Antworten, daß sie nicht mehr davon reden durfte. Da hatte das Vefele traurige Zeiten, denn es hatte immer zu vertuschen und zu begütigen. Die Kränklichkeit machte die Mutter noch immer gereizter und unnachgiebiger, und sie sagte oft: wenn ihr Vater noch lebte, würde sie ihrem Manne auf und davon gehen. – Diese Leute sahen doch schon bald das zweite Geschlecht aus ihrer Ehe[85] hervorgehen, und noch konnten sie sich nicht in einander finden; ja, je älter sie wurden, um so mehr schien sich eine Uebelnehmerei, eine heftige Bitterkeit zwischen ihnen kundzugeben. Das Vefele wußte zwar immer wieder den Frieden herzustellen; es war dann vergnügt und munter, aber im stillen weinte es oft bitterlich über das traurige Schicksal seiner Eltern und über sein eigenes, und dann gelobte es sich heilig, nie zu heirathen. Es kannte ja ohnedieß niemand, dem es sein Leben hätte widmen mögen, und dann sah es wohl ein, wie nöthig es im elterlichen Hause sei, wenn nicht das Feuer zum Dache herausschlagen solle. Geschrieben steht: Gott ahndet die Sünde der Väter an den Kindern; das gilt am meisten von einer bösen Ehe. In dem Herzen ohne Kindesliebe nimmt gar leicht Trübseligkeit oder Verirrung anderer Art Platz.

Der Tod brachte die Mutter Vefele's bald zu ihrem Vater, und jetzt, nachdem seine Frau todt war, fühlte der Schloßbauer erst, wie viel ihm fehlte, wie lieb er doch im Grunde seines Herzens seine Frau gehabt hatte. Er grämte sich, daß er sie nicht nachgiebiger behandelt und daß er ihre Kränklichkeit so oft für Verstellung angesehen hatte; jedes harte Wort, das er ihr gegeben, schnitt ihm tief durch die Seele; er hätte gern sein Leben drum gegeben, wenn er es wieder hätte zurückrufen können. So geht's. Statt [86] im Leben freundlich und friedfertig einander zu tragen und zu erfreuen, grämen sich die meisten Menschen, wenn es zu spät ist, wenn der Tod die traulichen Lebensgefährten von der Seite gerissen hat; darum soll man sich lieben, solange man noch lebt, denn jede Stunde, die man in Unliebe verbringt, hat man sich und dem andern unwiederbringlich vom Leben geraubt.

Der Schloßbauer ging des Sonntags nicht mehr nach der Stadt, sondern in die Kirche des Dorfes, denn neben der Kirche lag ja seine Frau begraben; er machte jedesmal den Umweg und ging über den Gottesacker. Es war, als ob er das Grab seiner Frau durch diesen sonntäglichen Besuch versöhnen wollte.

Im Hause war Alles still, man hörte kein lautes Wort mehr, und das Vefele waltete sanft wie ein Friedensengel. Der Friede war da, aber die Freude fehlte doch: es war immer im Hause, wie wenn man jemand schmerzlich vermißte oder erwartete.

Nach und nach fühlte sich der Schloßbauer durch das freundliche Walten Vefele's so wohl, daß er wieder neu auflebte; er that gar nichts ohne die Zustimmung »des Kindes«, er ließ es sogar meist allein über Alles verfügen, und wenn jemand etwas von ihm haben wollte, sagte er immer ruhig: »Da müsset Ihr eben mein Vefele fragen.«

[87] So lebten sie viele Jahre; Vefele hatte die erste Hälfte der zwanziger Jahre überschritten. Viele Freier stellten sich ein und hielten um seine Hand an, aber es sagte immer, daß es nicht heirathen wollte; der Vater gab ihm recht. Dann sagte er wieder: »Vefele, du bist zu fein für einen Bauersmann, und wenn ich meinen Proceß gewinn', ziehen wir in die Stadt, und ich geb' dir auch ein Simri voll Kronenthaler zum Heirathsgut, und dann kannst du unter den Herren-Leuten wählen.« Das Vefele lachte zwar, aber innerlich gab es seinem Vater doch darin recht, daß, wenn es auch heirathe, es doch nie und nimmer einen Bauern heirathen wolle. Es hatte ihre Leidenschaftlichkeit und Unversöhnlichkeit zu lange mit erduldet und hatte nun ein tiefes Vorurtheil gegen sie; es wähnte, in der Stadt, wo die Leute gesitteter und feiner wären, müßten sie auch besser und braver sein. Die vielen Kränkungen hatte es nur dadurch ertragen, daß es die Leute für zu roh und sich selber für etwas Besseres hielt, und indem es so immer mehr über das Bauernleben nachdachte, hielt es sich selber nicht nur für besser als die andern, sondern auch für höher stehend und vornehmer. Das war sein großes Unglück.

[88]

2.

Man irrt sich gar gewaltig, wenn man glaubt, auf dem Lande da könne man ganz ungestört allein für sich leben. Das kann man nur in einer großen Stadt, wo die Menschen sich nicht umeinander kümmern, wo Einer an dem Andern täglich vorübergeht, ohne zu wissen, wer er ist, was er thut und treibt, wo man ohne Gruß, ja fast ohne Blick vor einem Menschen vorbeirennt, als ob er ein Stein, und nicht, als ob er ein Mensch wäre. Aus dem Lande, in einem Dorfe aber, wo die kleine Anzahl der Einwohner sich kennt, muß man gewissermaßen von seinem Thun und Treiben einem jeden Rechenschaft geben, man kann sich nicht selbstgenügsam abschließen. – Im Schwarzwalde ändert sich der Gruß je nach dem öffentlichen Thun: gehst du den Berg hinab, so sagt dir der Begegnende: »Weant (wollt) Ihr au do 'na?« Den Berg hinauf: »Weant Ihr au do 'nuf?« Ladest du etwas auf den Wagen, so heißt es: »Ueberladet et«; oder: »Ueberschaffet Eu et.« Sitzest du ausruhend vor deinem Hause oder auf einem Feldraine: »Weant Ihr au g'ruawe (ruhen)?« oder: »Hent (habt) Ihr Feierobed?« Plauderst du mit andern, so sagt der Vorübergehende: »Hent ihr guate Roth?« u.s.w.

In dieser ausgesprochenen Theilnahme an dem Thun und Lassen des Andern liegt eine gewisse sinnige [89] Gemeinschaft des Lebens, die sich über Alles ausbreitet; aber auch hier fehlen die Schattenseiten nicht. Will einer aus besonderen Gründen sein Leben so einrichten, daß es gegen die allgemeinen Sitten und Gewohnheiten verstößt, so ist er dem Widerstreben und dem Spotte aller ausgesetzt; namentlich ist ein alter Junggeselle oder eine alte Jungfer die Zielscheibe des Straßenwitzes, gleichviel, ob sie aus Armuth oder aus irgend einem andern Grunde im ledigen Stande verharren.

Je mehr sich nun Vefele der trübseligen Altjungferzeit näherte, um so mehr erlaubte man sich, das »Schloßfräle« zu necken und zu verhöhnen. Einmal, an einem Sonntage, ging Vefele durch das Dorf. Vor dem Rathhause stand ein »Rädchen« junger Bursche; der Tralle, ein halbstummer Dorftölpel, stand nicht weit davon. Als sie nun das Vefele bemerkten, da rief einer: »Tralle, da kommt dein' Hochzeiterin.« Der Tralle grinste fröhlich. Sie ermuthigten, hetzten und stießen ihn nun, er solle seine Braut am Arme nehmen; das Vefele hörte es und glaubte, es müsse vor Scham und Aerger in den Boden sinken. Schon stolperte der Tralle zu ihm her und faßte es mit grinsenden, verzerrten Mienen am Arme; Vefele erhob seinen Blick so jammernd und vorwurfsvoll nach den Burschen, daß wirklich einer derselben versucht war, ihm beizustehen. Man hörte nicht, was er sprach, denn die [90] Burschen lachten überlaut. Da kam dem Vefele unversehens Hülfe. Der Hund, das Mohrle, der ihm gefolgt war, sprang plötzlich auf den Rücken des Tralle, faßte ihn am Kragen und riß ihn zu Boden. Vefele hatte nur zu thun, den Hund wieder von seiner Beute loszumachen, dann ging es schnell seines Weges fort. Das Mohrle war fortan eine gefürchtete Macht im Dorfe. Dieser Vorfall betrübte das Vefele sehr, und die Abneigung gegen das Bauernwesen bestärkte sich immer mehr in ihm.

Vefele war auf einige Wochen zum Besuche bei Melchior in Ergenzingen; auch hier war es oft betrübt, denn der Melchior hatte eine hartherzige, geizige Frau, bei der er kaum satt zu essen bekam.

Der Schultheiß von Ergenzingen, ein Wittwer mit drei Kindern, kam oft zum Melchior, und eines Tages freite er um Vefele. Vefele war fast entschlossen, dem Antrag zu willfahren; es hatte zwar keine Neigung zu dem Schultheißen, aber das einsame Leben war ihm verleidet, und dann erfreute es sich an dem Gedanken, den mutterlosen Kindern eine freundlich liebende Mutter zu sein. Da kam der Schloßbauer und stellte seinem Kinde vor, daß der Schultheiß ein Grobian sei, der seine erste Frau hart gehalten habe, und dann sagte er wieder, daß für Vefele nur ein feiner Mann passe. Der Schultheiß erhielt eine abschlägige Antwort. Sein Antrag [91] war aber im Flecken bekannt geworden; die jungen Burschen, die dem strengen Mann gern einen Streich spielten, streuten ihm des Nachts Spreu von seinem Hause bis zu dem Hause Melchiors. Der Schultheiß faßte fortan einen besonderen Haß gegen Melchior und Vefele, dieses aber zog mit seinem Vater wieder nach Haus in die Einsamkeit.

Hätte nur Vefele seiner eigenen Eingebung gefolgt und den Schultheißen geheirathet! Aber es war bestimmt, es sollte sein trauriges Schicksal erfüllen.

Das Leben des Schloßbauern schien früher enden zu wollen als sein Proceß. Der einst so starke Mann kränkelte und siechte; der lange verhaltene Gram und Aerger hatten wie ein Wurm seinen Lebenskern angefressen. Oft halbe Tage saß er in seinem großen Lehnstuhle und redete kein Wort, nur bisweilen murmelte er ein paar unverständliche Laute mit seinem Hunde Mohrle, der, den Kopf auf seines Herrn Schooß gelegt, mit treuen Augen nach ihm aufschaute.

Vefele konnte nicht immer um den Vater sein, und jetzt in seiner Krankheit fühlte er doppelt und dreifach, wie vereinsamt und abgeschnitten er von aller Welt war. Gerade wie es vielen Menschen ergeht, die, solange sie gesund und glücklich sind, oft von Gott verlassen so in den Tag hineinleben, wenn aber Krankheit und Unglück über sie kommen, um so schmerzlicher nach Gott, ja sogar oft nach [92] dem falschen Gott des Aberglaubens ringen; so erging es in anderer Weise dem Schloßbauer. Er hatte, solange er gesund war, von den Menschen verlassen gelebt und sich wenig darum bekümmert; jetzt wäre es ihm überaus lieb gewesen, wenn irgend einer, wer es auch sei, mit ihm seine warme Stube getheilt hätte, und wenn sie sich gegenseitig nur hätten eine Prise Tabak bieten können. Der Schloßbauer legte sich in das Fenster und schaute hinaus, er hustete, wenn einer vorüberging; aber niemand grüßte, niemand kam. Er machte dann immer wieder mißmuthig das Fenster zu.

Es war zwei Tage vor Neujahr, Vefele war mit der Magd am Rathhausbrunnen, um Wasser zu holen; es zwang sich absichtlich zu dieser groben Arbeit, weil es gehört hatte, daß die Leute im Dorfe sagten, es schäme sich einer solchen. Eben hatte es seinen Kübel voll gepumpt, da sagte die Magd: »Guck', der do mit den doppelten Augen, des ist g'wiß der neue Feldscherer.« Ein modisch gekleideter Herr kam das Dorf herab, er trug eine Brille auf der Nase. Just als er an den beiden Mädchen vorüberging, nahm Vefele das Wasser auf den Kopf, aber durch einen unglücklichen Tritt glitt es auf dem Glatteise aus, fiel auf den Boden und ward ganz durchnäßt. Als Vefele sich wieder aufrichtete, stand der fremde Herr bei ihm, er reichte ihm die Hand [93] und hob es auf, dann fragte er theilnehmend, ob es sich keinen Schaden gethan, es wäre gar gefährlich gefallen. Es lag so was Gutes in dem Ton seiner Worte, daß dem Vefele plötzlich gar wunderlich zu Muthe wurde; es dankte herzlich und sagte, daß es sich nichts gethan; es ging weiter, der Fremde ging neben ihm. »Ei, Sie hinken ja!« sagte der Fremde wieder, »haben Sie sich den Fuß verrenkt?«

»Nein, ich hab' einen kurzen Fuß,« sagte Vefele, und trotzdem, daß es an allen Gliedern fror, schoß ihm doch das Blut siedendheiß in's Gesicht. Es bedeckte sich mit der Schürze das Gesicht und that, als ob es sich abtrocknen wollte, und doch war die Schürze ganz durchnäßt. Der Fremde bemerkte nun, daß es kaum merklich hinke; Vefele lächelte halb ungläubig, halb geschmeichelt darüber. Es war Vefele ganz eigen zu Muthe, daß der Fremde immer so neben ihm herging durch das ganze Dorf bis zu seinem Hause; aber auch dort trat er mit einigen Entschuldigungsworten ein, ohne eine Antwort darauf abzuwarten. Das Mohrle aber sprang plötzlich auf den Fremden los und hätte ihn gewiß niedergerissen, wenn nicht der herbeigekommene Schloßbauer und das Vefele mit aller Macht abgewehrt hätten. Der Fremde verordnete nun für Vefele mancherlei Vorkehrungen gegen Erkältung, es mußte sich in's Bett legen und Thee trinken.

Mittlerweile saß nun der Fremde, oder wie er [94] eigentlich hieß, Eduard Brönner, bei dem Schloßbauer und plauderte behaglich mit ihm; kaum eine Stunde war vorüber, so hatte er die ganze Geschichte des Schloßbauern erfahren. Dieser gewann den Herrn Chirurgus Brönner schnell lieb, sprach aber soviel von der Brille und fragte mehrmals, ob er diese immer nöthig habe, daß Brönner wohl merkte, dieses Gelehrteninstrument war ihm unangenehm. Er nahm daher die Brille ab, und der Schloßbauer nickte ihm dafür freundlich zu, indem er sogleich bemerkte, daß er viel offener mit einem sprechen könne, der sein Augenlicht nicht in einer Laterne stecken habe. Nun klagte er auch sein körperliches Leid; Brönner machte eine gar wichtige Miene und sagte: er wäre bis jetzt durchaus falsch behandelt worden, und verschrieb ein unfehlbares Mittel.

Brönner kam von dieser Zeit an fast jeden Tag in des Schloßbauern Haus. Jedes freute sich, wenn er kam, nur das Mohrle behielt seine Abneigung; es gab keinen Worten mehr Gehör, sondern mußte jedesmal angebunden werden, wenn Brönner da war. Eines Tages, als Brönner wegging, warf er unversehens dem Hund ein Stück Brod hin, aber der Hund ließ das Brod liegen und sprang nach dem Geber, als ob er ihn zerreißen wollte, und das Sprichwort: »kein Hund nimmt ein Stück Brod von ihm,« bewährte sich an Brönner buchstäblich.

[95] Vefele aber nahm um so mehr die Schmeicheleien und schönen Reden Brönners an. Es zankte gar gewaltig mit der Magd, welche behauptete, der Brönner habe nur einen Rock, denn er käme Sonntags und Werktags in demselben; es schalt das Mädchen dumm und erklärte, daß das bei den Herren-Leuten so wäre. Vefele saß oft dabei, wenn Brönner mit dem Vater über allerlei sprach, und es freute sich jedesmal, wenn dem Vater die Ansichten Brönners gefielen und er sie gescheit nannte, wie wenn es selber das gesagt hätte. Der Schloßbauer fühlte sich auf das von Brönner verordnete Mittel zufällig etwas besser, und nun sprach dieser oft davon, daß er eigentlich ein besserer Doktor sei, als der Physikus, daß aber das Gesetz ihm die Ausübung verbiete. Er schalt dann auf die Herren, die da meinen, nur einer, der viel Bücher im Kopfe habe, wäre gescheit; die »Praxi« (wie er es nannte) mache den Meister; ein Bauer, der die Welt kennt, verstände oft mehr von der Regierung, als alle Minister und Landvögte, und so sei es auch meistens bei der Medizin, die »Praxi« mache den Meister. Indem er nun so, zufällig oder absichtlich, Wahres und Falsches untereinander mischte, gewann er die Neigung des Schloßbauern, der sich in seinen Lieblingsansichten immer mehr bestärkt sah. – Auch des Prozesses nahm sich Brönner an; er [96] bekräftigte den Schloßbauer in seinem Vorsatze, nun endlich auch wie seine Gegenpartei zur Bestechung seine Zuflucht zu nehmen. Brönner hatte den gescheiten Gedanken, daß man seine Gegenpartei übertreffen und Gold geben solle.

Damals in der »guten alten Zeit« konnte kein Rechtshandel ohne »Schmierale« fertig werden, und die Beamten nahmen dieß ohne Scheu an.

Als Brönner eines Abends aus des Schloßbauern Haus wegging, gab ihm Vefele das Geleite bis unter die Thür; da standen sie noch eine Weile bei einander. Brönner faßte die Hand Vefele's und sagte: »Parole d'honneur, Vefele, Sie sind ein liebes Mädchen und gar nicht wie ein Bauernmädchen. Sie sind auch viel zu fein für ein Bauernmädchen, parole d'honneur, und haben so viel Verstand, wie irgend eine in der Stadt.«

Vefele sagte zwar, er wolle es nur foppen, aber innerlich gab es ihm doch recht. Er küßte dann die Hand Vefele's und nahm Abschied, indem er höflich seinen Hut vor ihm abzog. Vefele stand noch lange unter der Thür und blickte gedankenvoll drein, ein heiteres Lächeln schwebte auf seinem Antlitze; die höfliche und doch so gutherzige Art Brönners hatte ihm gar wohl gefallen. Dann ging es singend die Treppe hinauf, und als es die große Suppenschüssel fallen ließ, lachte es überlaut. Es kam ihm [97] heute Abend Alles so lustig vor, daß es keine trübe Miene machen konnte, es ging noch spät in den Keller und holte den Knechten heimlich eine Flasche Obstwein; sie sollten auch einmal mitten in der Woche vergnügt sein.

Das Verhältniß zwischen Brönner und Vefele ging nun in Riesenschritten vorwärts.

Ein neues, durch das lange Harren fast unerwartetes Ereigniß brachte frische Lust und Freude in des Schloßbauern Haus; die Nachricht war angekommen: er hatte endlich seinen Proceß gewonnen. Die Gegenpartei war in Rottenburg gewesen, und der Landvogt hatte ihnen offen und doch verblümt gesagt: »Des Schloßbauers Füchsle haben eure Schimmele überritten.« Trotzdem der Schloßbauer nicht ausgehen konnte, zog er doch sein Sonntagskleid an und saß vergnügt in seinem Stuhle und schüttete dem Mohrle einen ganzen Hafen Milch in seine Morgensuppe. Er schickte sogleich Boten nach Melchior und Agathle, sie sollten kommen und sich mit ihm freuen; man sagte ihm nicht, daß Agathle todkrank darniederliege. Auch nach Brönner wurde geschickt, und dieser war der einzige, der zum Schmause kam. Der Schloßbauer saß bis tief in die Nacht hinein und trank und lachte und scherzte, manchmal wurde er auch trüb; er wünschte sich nur, daß seine »Alte« das auch noch mit erlebt hätte, und [98] er trank ein volles Glas zu ihrem Andenken. Man mußte den Ueberfröhlichen, der schon auf dem Stuhle halb eingeschlafen war, endlich zu Bette bringen.

Es war schon spät, als auch Brönner sich zum Fortgehen anschickte; Vefele leuchtete ihm hinab, sie waren beide hocherregt und küßten sich heftig. Auf sein Bitten und Betteln sagte nun Vefele ganz laut: »gut Nacht«; Brönner that desgleichen, er nahm den Hausschlüssel, schloß die Thür auf, schlug sie heftig zu und verschloß wieder. Aber er war nicht hinausgegangen, sondern er schlich sich hinauf in das Kämmerlein Vefele's. Niemand im Hause merkte etwas davon, nur das Mohrle, das im Hofe angebunden war, bellte unaufhörlich die ganze Nacht, wie wenn ein Dieb in's Haus gedrungen wäre.

In derselben Nacht theilte sich der Engel des Lebens und der Engel des Todes in die Herrschaft des einen Hauses; am andern Morgen fand man den Schloßbauer, vom Schlage gerührt, todt in seinem Bette.

Niemand ahnte, warum das Vefele bei der Leiche des Vaters wie wahnsinnig raste und sich gar nicht wollte beruhigen lassen; es war sonst immer so verständig und besonnen, und jetzt wollte es gar keine Vernunft annehmen.

Das Schloßgut wurde nun wieder von einem Baron angekauft, und die Bauern bezahlten nach wie vor ohne Widerrede die alten Herrenabgaben.

[99]

3.

Vefele zog nun zu seinem Bruder Melchior nach Ergenzingen; nichts war ihm aus dem Dorfe gefolgt als das Mohrle. Die Schwester Agathle starb bald nach dem Tode des Vaters, und die Leute munkelten, Vefele werde nun ihren Schwager heirathen; das konnte aber nie und nimmer geschehen. Brönner kam jede Woche mehrmals nach Ergenzingen; er mußte irgendwo Geld aufgetrieben haben, denn er war überaus prächtig gekleidet, auch benahm er sich gegen Vefele und die andern ganz sicher, ja fast vornehm. Er gab zu verstehen, daß man ihn künftighin »Herr Doktor« heißen solle. Vefele mußte nicht, was das sein sollte, es ließ sich aber Alles gefallen, denn es hatte ihm seinen Stand eröffnet. –

Im Hause Melchiors war ein Knecht, Wendel mit Namen, ein baumstarker und arbeitsamer Bursch; der theilte gleiche Freundschaft und Feindschaft mit dem Mohrle; er liebte den Hund, weil er gleich ihm den Brönner haßte, und er liebte ihn doppelt, weil er ebenfalls dem Vefele so gut war. Brönner hatte einmal per »Er« mit dem Wendel gesprochen, und dieser, der schon lang gern einen Grund gehabt hätte, um Brönner zu hassen, faßte von da an [100] eine Todfeindschaft auf den »Bartkratzer«. Dennoch aber ließ er sich mehr als zwanzigmal und oft spät in der Nacht zu ihm nach der Stadt schicken, wenn Vefele sagte: »Wendel, willst du nicht so gut sein?« Da wanderte er dann hin, und das Mohrle sprang mit, und sie brachten einen Brief von Vefele an den »Doktor«. Oft auch, wenn der Wendel den ganzen Tag geackert hatte und müder war als seine Gäule, brauchte das Vefele nur ein gut Wort zu sagen, und er spannte nochmals ein und führte den Brönner durch Nacht und Wetter heim.

Eines Samstags Abends sagte Vefele im Hofe zum Wendel: »Morgen früh mußt du so gut sein und ganz früh nach Horb fahren und den Brönner holen.«

»Ist's denn wahr?« fragte Wendel, »daß Ihr Euch mit einander versprechen wollt?«

»Ja.«

»Wenn ich Euch raten soll, so thut's nicht, es gibt noch rechtschaffene Bauersleut' genug.«

Vefele erwiderte: »Du kannst's eben dem Brönner nicht vergeben, daß er einmal Er zu dir gesagt hat.« Es wollte noch mehr hinzusetzen, aber es bedachte sich, denn es wollte den Wendel nicht beleidigen. Innerlich aber sagte es sich: »es ist doch gräßlich, wie dumm und hartnäckig so ein Bauer ist,« und es freute sich, darüber hinausgekommen zu sein. – [101] Trotz seiner Widerrede war Wendel doch schon lange ehe es tagte mit dem Wägelchen auf der Straße, um den Brönner abzuholen.

Vefele und Brönner verlobten sich nun öffentlich mit einander, und die Leute sprachen allerlei davon, ja sie sagten sogar heimlich, Brönner habe dem Schloßbauer, weil er die Heirath mit seiner Tochter nicht habe zugeben wollen, einen Trank gegeben, woran er gestorben sei. So schießen die Leute in ihren überklugen Vermuthungen meist über das Ziel hinaus.

Die erste Veränderung, der sich nun Vefele unterwerfen mußte, war eine sehr traurige. Der Brönner schickte ihm eines Tages eine Näherin aus der Stadt und ließ ihm Kleider anmessen. Vefele kam sich vor wie ein Rekrut, der nicht mehr Herr über sich ist und sich in jede beliebige Uniform stecken lassen muß, weil ihn das Loos so getroffen; es ließ Alles ohne Widerrede aus sich machen. Als es nun am Sonntage darauf die neuen Kleider anziehen mußte, stand es weinend bei der Näherin in der Kammer, es nahm von jedem einzelnen Stückchen wehmüthig Abschied, es war ihm, als ob es seinem ganzen bisherigen Leben damit entsagte. Mit besonderer Wehmuth betrachtete es den seinen Wiflingrock; seine Mutter hatte ihn ihm gegeben, als es gefirmt wurde, es war darin zum ersten Male zur [102] Beichte und zu Gottes Tisch gegangen, und die Mutter hatte ihm gesagt, es solle einst damit zum Traualtare gehen. Auch das ist eine Unannehmlichkeit der Stadtkleider und bezeichnet schon das Herrenwesen, daß man sie nicht allein anziehen kann und jemand zum Zuhafteln braucht. Vefele schauderte immer zusammen, wenn die Näherin so an ihm herumbosselte. Die Haare waren in einen Zopf geflochten und mit einem Kamme aufgesteckt, und als nun das Vefele endlich fix und fertig dastand und sich im Spiegel betrachtete, mußte es über sich lachen, und es verbeugte sich höflich vor sich selber.

Brönner war hocherfreut, als das Vefele schüchtern in die Stube trat; er bemerkte, daß es zehnmal hübscher aussehe. Als aber Vefele sagte: daß die Stadtkleider doch nichts seien, und daß ein einziges Bauernkleid mehr werth sei und auch mehr koste als sechs solcher Stadtfahnen, da machte der Brönner ein böses Gesicht und sagte, das wäre »dummes Bauerngeschwätz«. Das Vefele preßte die Lippen zusammen, und die Thränen standen ihm in den Augen; es ging hinaus und weinte.

Das Vefele ging fast gar nicht aus dem Hause, denn es schämte sich, so »vermaskiert« zu sein; es meinte, Jedermann müsse es drum ansehen. Nur ein einziges Mädchen im Dorfe, das bei der alten Ursula aufgezogen ward, hatte auch Stadtkleider an, [103] und man wußte nicht recht, woher es war. Das Vefele hatte schwere Zeiten in dem Hause Melchiors, dessen Frau ein böser Drache war und immer todte Kinder gebar, so daß die Leute sagten, ihr Gift töte die Kinder im Leibe. – Oft saßen Melchior und Vefele in der Scheune, und sie thaten, als ob sie sich zum Spaß Rüben schälten; in der That aber aßen sie sie mit gutem Appetit. Vefele gab sich alle Mühe, den Bruder zu steter Nachgiebigkeit zu ermahnen. Es hatte erfahren, was Unfriede in einem Hause war, und es drang nun darauf, daß bei allen Entbehrungen Friede sein sollte; der gute Melchior willigte gern in Alles.

Doppelt und dreifach drang aber Vefele bei Brönner auf baldige Verheirathung. Da trat dieser mit einem neuen Plane hervor; er wolle nach Amerika auswandern, er könne so gut doktern wie der Amtsphysikus, hier zu Lande aber dürfe er das nicht, und darum wolle und müsse er fort. Das Vefele rang die Hände, warf sich auf die Kniee und bat, daß er von diesem Plane abstehe, sie hätten ja Vermögen genug, um auch ohne Doktorei zu leben. Der Brönner aber blieb unerschütterlich und nannte das Vefele ein »dummes Dorfkind, das nicht wisse, daß hinterm Berge auch noch Leute wohnen«. Da sank das Vefele in sich zusammen, es lag mit dem Gesichte auf dem Boden, und ein furchtbarer Gedanke ging ihm durch[104] die Seele, der Gedanke, daß es mißachtet und auf ewig unglücklich sein werde. Brönner mochte das ahnen, er kam zu ihm, hob es freundlich auf, küßte es und redete gar fein und höflich, so daß das Vefele Alles vergaß und in Alles willigte: es wollte mit ihm nach Amerika auswandern, es wäre ihm in die Hölle gefolgt, so hatte er sein Herz und seine Sinne bestrickt.

Brönner hatte schon Alles vorbereitet, das Vermögen Vefele's wurde zu Geld gemacht und, um zur Reise bequemer zu sein, in lauter Gold eingewechselt. Vefele hob es bei seiner Aussteuer auf.

Vefele und Brönner sollten in der Kirche verkündet werden; aber die Papiere Brönners, der aus dem Hohenlohischen gebürtig war, blieben immer aus. Da kam dieser eines Tages – Vefele stand in der Küche am Waschzuber – und er sagte: »Vefele, weißt du was, ich muß heim und die Papiere selber holen, unten ist ein guter Freund mit einer Chaise, ich habe gerade Gelegenheit, nach Tübingen zu fahren; dann lass' ich auch für uns den Paß von dem Gesandten unterschreiben, und dann gehen wir noch den Herbst fort.«

»Lieber heut als morgen,« sagte das Vefele.

»Apropos,« sagte Brönner wieder, »ich habe jetzt gerade kein Geld, kannst du mir nicht was geben?«

»Da hast den Schlüssel,« sagte Vefele, »hol' dir droben; du weißt ja, wo's liegt, links bei den neuen[105] Hemden, die mit dem blauen Bändele zusammengebunden sind.«

Brönner ging hinauf und kam nach einer Weile wieder, Vefele trocknete an der Schürze die Hand und reichte ihm dieselbe, Brönners Hand zitterte. Vefele wollte ihm ein Stück Weges »ausfolgen«; er bat es, da zu bleiben, und er rannte schnell die Treppe hinab. Es war Vefele traurig zu Muthe, daß Brönner sich nicht einmal bis unter die Hausthür begleiten ließ, es glaubte, er schäme sich seiner vor seinem Freunde; es dachte darüber nach, wie das einst werden solle, und bittere Thränen tröpfelten in den Waschzuber. Dennoch ging es hinauf in seine Dachkammer und schaute zum Fenster hinaus, um die Kutsche noch mit den Blicken begleiten zu können. Wie erstaunte es aber, als es sah, daß die Kutsche nicht nach Tübingen, sondern den Weg nach Herrenberg fuhr. Es hatte schon den Mund geöffnet, es war ihm, als müßte oder könnte es ihnen zurufen, sie seien auf falschem Weg; da besann es sich, daß es sich wohl verhört, oder der Brönner sich versprochen haben möge.

Acht, vierzehn Tage waren vorüber, weder Brönner noch Nachricht von ihm kam. Vefele war oft betrübt in dem Gedanken, daß es sein ganzes Leben lang einem Manne hingegeben sein solle, der keinen rechten Respekt vor ihm hatte; es war nicht [106] stolz, aber es dachte doch daran, wie jeder, und sogar der Schultheiß im Orte, sich hochgeehrt gefühlt hätte durch seine Hand. Oft aber dachte es wieder mit dem innigsten Entzücken an Brönner, und es bat ihn in Gedanken um Verzeihung für alle die herben Vorwürfe, die es ihm in seiner Seele gemacht hatte. Es stellte sich ihn ganz vor, wie er war, und da erschien er so herrlich und lieb, und es sah gar keinen Fehler mehr an ihm; denn so ist es immer: wenn wir von Menschen entfernt sind, die wir gern haben, sehen wir gar keinen Fehler und nur Tugenden an ihnen. – Hätte der Brönner nur eine Tugend gehabt!

Melchior fragte Vefele über das lange Ausbleiben Brönners, und es that, als wüßte es den Grund und wäre darüber beruhigt.

Eines Tages saß Vefele in trüben Gedanken in seiner Kammer; es hatte lange zum. Dachfenster hinausgeschaut, ob Brönner nicht komme, aber es sah nichts. Es wollte sich eine Freude machen und öffnete den Schrank, um die schöne Aussteuer zu betrachten, aber, o Himmel! da war Alles so zerzaust, als ob Hexen darüber gewesen wären; es griff unwillkürlich nach dem Gelde, aber – das war fort. Es schrie laut auf und plötzlich, wie feurige Pfeile so schnell, flogen ihm die Gedanken durch die Seele: der falsche Weg, den Brönner gefahren.. das [107] Zittern seiner Hand.. daß es ihm nicht ausfolgen durfte.. sein langes Ausbleiben – – Mit raschen Schritten sprang Vefele an das Dachfenster und wollte sich hinausstürzen; da faßte es eine Hand von hinten, es war Melchior, der auf den Schmerzensschrei herbeigeeilt war. Vefele warf sich auf die Kniee und erzählte händeringend seinem Bruder Alles. Melchior raste und wütete, er wollte fort, alle Gerichte zu Hülfe rufen. Da fiel Vefele auf das Angesicht und erzählte ihm seine Schande; Melchior sank zu ihm nieder auf den Boden und weinte mit. Lange saßen die beiden Geschwister so auf dem Boden hart aneinander gelehnt, laut schluchzend, ohne ein Wort zu reden, ja beide scheuten sich fast, einander anzusehen. –

Wer die Menschen kennt und die Eigentümlichkeiten der Bauern insbesondere, der wird es wohl zu schätzen wissen, daß Melchior seiner Schwester Vefele nie den geringsten Vorwurf über ihren Fall machte; ja, er suchte, so viel er konnte, ihren niedergedrückten Lebensgeist wieder aufzurichten. Die meisten Menschen machen sich für ihre Theilnahme bei einem Mißgeschick oder einem Fehltritt gleich dadurch bezahlt, daß sie ihrem freundschaftlichen Aerger und ihren weisen Ermahnungen Luft machen. Das mag bei Kindern oder überhaupt bei solchen Menschen am Platze sein, die nicht wissen, was ihnen geschehen[108] oder was sie gethan; bei Menschen aber, die den Pfeil wohl fühlen, der in ihre Brust gedrungen, ist es unvernünftig, wenn nicht grausam, den Pfeil noch um und um zu wühlen, statt ihn sogleich behutsam und zart herauszuziehen.

Melchior berathschlagte nun mit Vefele, was zu thun sei, und sie kamen überein, daß man vorerst keinen Lärm machen und Alles im geheimen zu Ende führen müsse. Mit einer Entschiedenheit, als wäre er ein ganz anderer Mensch geworden, forderte Melchior seiner Frau Geld ab, und wenige Stunden darauf reiste er in seinem Wägelchen dem Brönner nach. Vefele wollte mit, es wollte fast verzweifeln, daß es zu Hause bleiben und nichts thun solle, als harren und weinen, aber Melchior redete ihm die Mitreise auf's Liebevollste aus.

Tage und Wochen schmerzlichen Hinbrütens vergingen. Wer das Vefele früher gekannt hatte, wäre jetzt furchtbar erschrocken über die Veränderung seines ganzen Wesens. Es ließ sich aber vor niemand sehen, es lebte ein Leben ohne Willen, das kein eigentliches Leben war, es aß und trank, schlief und stand auf, aber es wußte und wollte von alledem nichts, es blickte immer drein wie eine Wahnsinnige. Auch weinen konnte es nicht mehr. All sein Denken, seine tiefste Seele war wie scheintodt, wie lebendig begraben; es hörte die Welt draußen hanthieren, es[109] verstand sie wohl, aber sich selber konnte es nicht verständigen.

Als Melchior zurückkam, ohne eine Spur von Brönner entdeckt zu haben, hörte Vefele Alles mit einem herzzerreißenden Stumpfsinn an, es schien auf Alles gefaßt. Still, fast ohne ein Wort zu reden, lebte es dahin. Nur als es vernahm, daß Brönner mit Steckbriefen verfolgt wurde, jammerte es laut auf; es war ihm, als ob Millionen Zungen durch die Welt hin seinen Schmerz und seine Schande verkündeten, und doch – so weit geht die Liebe – weinte es fast mehr um Brönner, als um sich selber.

Bei alle dem hatte das traurige Schicksal Vefele's noch nicht seine höchste Höhe erreicht. Als seine Schwägerin seinen Stand inne ward, steigerte sich ihre Hartherzigkeit zum empörendsten Grade, sie verfolgte und mißhandelte Vefele auf jede Weise. Das aber duldete still, es sah sich auserkoren, das größte Kreuz über sich zu nehmen, und es gehorchte ohne Murren; das Doppelleben in ihm schien es mit einer geistigen und körperlichen Kraft auszurüsten, die über jedes Ungemach unversehrt hinwegschritt. Als aber Vefele hörte, wie die Schwägerin dem Melchior Vorwürfe machte, und wie sie den Tag verwünschte, an dem sie in eine Familie eingetreten war, die einen solchen Schandfleck habe, da blutete das Herz der Unglücklichen tief. Sie, die Engelsmilde, sollte die[110] Schande ihrer Familie sein! Alles ertrug sie, nur das, daß sie an dem Unglück und der Schande ihres Bruders schuld sein solle, das war zu viel!

Es ist jammervoll, daß fast lauter böse, in die Tracht schwarzer Leidenschaften gehüllte Menschen am Lebenswege Vefele's sich wie eine festgeschlossene Reihe aufgestellt hatten. Das verhinderte es auch, die guten, in den Lichtglanz des Edelsinns gehüllten Menschen zu erkennen, die sich nicht so leicht hindurchdrängen, weil es ihre stille Tugend so mit sich bringt, und weil sie auch erwarten dürfen, daß man sie doch herausfinde.

Vefele saß eines Tages weinend in der Küche auf dem Herde, da trat der Wendel ein und sagte:

»Müsset nicht greinen, ich hab's Euch ja damals gesagt, es gibt noch rechtschaffene Bauersleut' genug, wenn sie auch keinen Katzenbuckel machen können.«

Vefele sah mit thränenden Augen auf, über diese Rede befremdet; es antwortete aber nichts, und Wendel fuhr nach einer Weile fort:

»Ja, gucket mich nur an; was ich sag', ist so wahr, wie wenn's der Pfarrer von der Kanzel sagt.« Er näherte sich Vefele und faßte dessen Hand, indem er weiter sagte: »Drum kurz und gut, ich weiß, wie's mit Euch steht, aber Ihr seid doch braver als hundert Andere, und wenn Ihr Ja saget, ist über vierzehn Tag' unsere Hochzeit, und Euer Kind ist mein Kind.«

[111] Vefele entzog ihm rasch die Hand und bedeckte sich damit die Augen, dann stand es auf und sagte glühenden Antlitzes: »Weißt du denn auch, daß ich bettelarm bin? Gelt, das hast du nicht gewußt?«

Wendel stand eine Weile still, Zorn und Mitleid kämpften in seinem Herzen wie auf seinem Angesichte, er schämte sich für das Vefele und für sich selber über diese Rede; endlich sagte er: »Ja, ich weiß Alles; wenn du noch reich wärst, hätt' ich mein Lebtag nichts gesagt; meine Mutter hat ein klein's Gütle, und ich hab' mir auch ein Geldle gespart, und wir können ja schaffen und uns in Ehren durchbringen.«

Vefele faltete die Hände, hob die Blicke himmelwärts und sagte dann: »Verzeih' mir's, Wendel, aber ich hab's nicht so schlecht gemeint, ich bin nicht so schlecht, aber die ganze Welt kommt mir so vor; verzeih' mir's Wendel.«

»Nun sagst du Ja?« fragte dieser.

Vefele schüttelte den Kopf verneinend, und Wendel stampfte mit dem Fuße auf den Boden: »Warum denn nicht?« fragte er.

»Ich kann nicht viel reden,« sagte Vefele schwer athmend, »aber verzeih' mir's, ich kann nicht; Gott wird dir dein Herz gewiß noch belohnen, aber gelt, jetzt reden wir weiter kein Wort mehr davon?«

Der Wendel ging weg und sagte noch in derselben Stunde dem Melchior auf Martini den Dienst auf.

[112] Endlich kam das äußerste Unglück über Vefele. Der Schultheiß des Orts hatte ihren Stand erfahren, und der hartherzige Mann ließ nun seinen alten verhaltenen Grimm aus; er ließ Vefele durch den Dorfschützen sagen, es müsse das Dorf verlassen und nach seinem Geburtsort zurückkehren, da sonst das Kind, wenn es hier geboren würde, Heimathsrechte ansprechen könnte.

Vefele duldete es nicht, daß man Schritte gegen diese Grausamkeit that, und in einer stürmischen Herbstnacht bestieg es mit Wendel das Wägelchen und fuhr nach Seedorf. Wendel suchte es auf dem Wege zu trösten, so gut er konnte; er sagte, daß er sich jeden Tag darüber gräme, daß er nicht, wie er oft vorgehabt habe, den Brönner einmal die Bildechinger Steige hinabgeworfen habe, damit er Hals und Bein breche. Vefele schien fast froh, als es in Seedorf kein Unterkommen fand. Wendel bat und beschwor es, mit ihm zu seiner Mutter nach Bondorf zu gehen; aber es gab auf alle seine Bitten kein Gehör, schickte ihn des andern Morgens nach Hause und wanderte zu Fuß fort, wie es sagte, nach Tübingen. Das Mohrle war auch mit gewesen, es wollte sich von Vefele nicht trennen lassen, und der Wendel mußte den Hund mit einem Seile unter dem Wägelchen anbinden.

Der Wind jagte den Regen, der Boden war so[113] schlüpfrig, daß man bei jedem Schritte ausglitt, als Vefele den Weg nach Rottenburg einschlug. Es war städtisch gekleidet und hatte ein hellrothes Halstuch um, unter dem Arme trug es ein kleines Bündel. Ein altes Lied, das es fast ganz vergessen hatte, tauchte plötzlich in seiner Erinnerung auf; es war das Lied von der betrogenen Grafentochter. Ohne den Mund zu öffnen, wiederholte es oft innerlich den Vers:


Weinst du um dein Vatergut,

Oder weinst du um dein' stolzen Muth?

Oder weinst du um dein junges Blut?

Oder weinst du um deine Ehr'?

Ja Ehr'?

Die find'st du nimmermehr.


Kaum einige hundert Schritte war Vefele von Seedorf entfernt, als plötzlich etwas an ihm hinaufsprang. Es fuhr erschreckt zusammen, aber sein Antlitz war schnell wieder freundlich, es war Mohrle; der Hund trug einen Seilstumpf, den er abgebissen hatte, am Halse, er gebärdete sich ganz wie selig und wollte sich gar nicht beruhigen lassen.

Der Sturm war so heftig, daß es war, wie wenn man ganz hart an dem Ohre zwei Steine aufeinander schlüge, und als ob um und um unfaßbare rauschende Gewänder einen umstrickten und zu ersticken [114] suchten. Vefele ging mühsam weiter, und plötzlich – ohne daß es wußte, warum oder wie – kam ihm der Gedanke, daß Brönner jetzt auf dem Meere sei. Es hatte in seinem Leben nur einmal eine bildliche Darstellung des Sturmes im Evangelium gesehen; aber jetzt sah es ihn leibhaftig vor sich, es selbst war mitten drin: es sah die häuserhohen dunkeln Wellen, sah das Schiff, wie es auf und nieder geschnellt wurde, und oben stand der Brönner und streckte jammernd die Arme empor. Da! wehe! Vefele streckte ebenfalls die Arme empor, sein Mund öffnete sich, aber der Schrei erstarb ihm auf der Zunge, es sah den Brönner hinabstürzen in das Meer, und eine Welle begrub ihn. Vefele ließ die Arme sinken, sein Haupt neigte sich, seine Hände falteten sich, und es betete für die arme Seele des Verlorenen. So stand es eine Weile, in seinem Innersten sah es: Brönner war in dieser Minute gestorben. Dann richtete es seufzend das Haupt wieder empor, es hob das Bündel auf, das ihm entfallen war, und schritt durch Sturm und Regen wieder fürbaß.

Auf der Anhöhe, wo der Weg umbiegt und das Städtchen Rottenburg vor den Blicken liegt, steht eine Kapelle. Vefele trat hinein und betete lange und inbrünstig vor der Mutter Gottes. Als es wieder aus der Kapelle trat, sah es die weite Ebene vor sich fast wie einen See; der Neckar war übergetreten. [115] Vefele ging außen an der Stadt herum, Hirschau zu. Hier traf es plötzlich einen alten Bekannten, den auch uns noch wohl erinnerlichen Marem; er trug einen Quersack auf dem Rücken und führte eine Kuh am Seile, er ging ebenfalls nach Hirschau. Wer sollte es glauben, daß Marem ein Mitgefühl mit dem Schicksale Vefele's hatte, das ihm Thränen auspreßte? Und doch war es so. Nehmt einen Dorfjuden und einen Bauern von gleicher Bildungsstufe, ihr werdet jenen verschmitzter, auf seinen Vortheil bedachter und scheinbar kälter finden; aber bei jedem rein menschlichen Elend werdet ihr meist eine Wärme und Zartheit des Mitgefühls in ihm entdecken, die ihn weit über sein sonstiges Sein hinaushebt. Sein Schicksal hat ihn für manche andere Weltbeziehung abgestumpft, aber ihn auch zum theilnehmenden Bruder jedes rein menschlichen Schmerzes gemacht.

Marem bot Alles auf, um Vefele von seinem Wege zurückzubringen, er bot ihm sein eigenes Haus als Unterkommen an, ja, er wollte ihm sogar Geld aufdringen. Vefele lehnte Alles ab. In Hirschau kehrten die beiden ein. Marem ließ dem Vefele eine gute Suppe kochen, aber es stand gleich, nachdem es den ersten Löffel voll genommen, wieder auf, um weiter zu gehen. Marem wollte den Hund bei sich behalten, aber Vefele ließ das treue Thier nicht, es schied mit einem: »Vergelt's Euch Gott!« –

[116] Eine Stunde später ging Marem, nachdem er seine Kuh verkauft hatte, ebenfalls nach Tübingen. Nicht weit von Hirschau sprang ihm das Mohrle entgegen, es trug ein rothes Halstuch im Maul. Marem wurde blaß vor Schrecken, das Mohrle sprang ihm nun voraus und er nach. Sie kamen an eine Stelle, wo das Wasser über die Straße getreten war; der Hund sprang hinein, er schwamm immer weiter, immer weiter, bis er endlich aus den Augen verschwand. – –


* * *


Das vornehmste Haus des ganzen Dorfes, das gehörte einst dem Vater des Vefele; der Vater ist todt, die Mutter ist todt, die fünf Kinder sind todt, und das Vefele ist spurlos verschwunden.

[117][119]

IV.
Tonele mit der gebissenen Wange.

[119][121]

Auf dem Feldraine, da, wo der Weg sich scheidet und der eine nach Mühringen, der Andere nach Ahldorf führt, im sogenannten »Kirschenbusch«, dort saßen an einem Sonntag Nachmittage drei Mädchen unter einem blühenden Kirschenbaume. Rings umher war Alles stille, kein Pflug regte sich, kein Wagen rasselte. So weit das Auge schauen konnte, überall sonntägige Ruhe. Von der Anhöhe gegenüber, vom Daberwasen, wo noch die Kirche eines alten Klosters steht, tönte die Glocke, die wie mit lautem Gruße die Betenden heim geleitete. In dem kleinen Thälchen, »im Grunde« genannt, blühte der gelbe Raps zwischen den grünen Kornfeldern, und rechts auf der Anhöhe sah man von dem jüdischen Gottesacker nur die vier Trauerweiden, die an den vier Ecken des großen Hügels stehen, unter welchem die Großmutter, die Mutter und ihre fünf Kinder ruhen, die alle in einem Hause verbrannt sind. – Weiter unten stand mitten unter den blühenden Bäumen ein hohes, ziegelroth und weiß angestrichenes hölzernes Kruzifix. Sonst war rings umher lauter still treibendes Leben. [121] Der einzige Laubwald in der ganzen Gegend, das sogenannte »Buchwäldle«, stand in voller Blätterpracht, und auf der andern Seite des Weges zog sich der Fichtenwald mit seinen stolzen und geraden Stämmen in lichter unbewegter Ruhe dahin. Kein Lüftchen wehte. Hoch zu den Wolken hinan schmetterte die Lerche ihren Gesang, und tief in den Furchen versteckt schlug die Wachtel. Es war, als ob die Aecker nur für sich selber blühten, denn nirgends war ein Mensch zu sehen, der mit Hacke und Schaufel andeutete, daß die Erde ihm unterthan sei. Hie und da kam ein Bauer quer über's Feld, bisweilen einer, bisweilen aber auch mehrere, die sich unter traulichem Gespräche nach dem Gedeihen ihrer Saat umschauten; in ihrem Sonntagsstaate kamen sie und sahen vergnügt das stille Walten und Wirken in der Natur in ihrer Sonntagspracht.

Die drei Mädchen saßen ruhig da, die Hände auf ihre weißen Schürzen gelegt, und stimmten ihre Lieder an. Bärbele sang die erste Stimme, das Tonele (Antonie) und das Brigittle begleiteten es mit natürlichem Takte. Andächtig und wehmüthig schallten die langgezogenen Töne über die Flur dahin, und so oft die Mädchen sangen, pfiff ein Distelfink, der in den Zweigen des Kirschbaumes saß, mit doppelter Lust, und so oft die Mädchen nach Beendigung einer Strophe innehielten oder leise mit einander [122] plauderten, verstummte der Distelfink fast plötzlich. Die Mädchen sangen:


»Schön's Schätzle, um was i di bitte thur,

Bleib nur noch e Jährle bei mir.

Und Alles, was du verzehre thust,

Das will ich bezahle vor dir.«


»Und wenn du gleich Alles bezahle thust,

Geschieden muß es jetzt sein.

Wir reisen in fremdeste Länder hinein,

Schön's Schätzle, vergiß du nit mein.«


Und als ich in fremde Land hinein kam,

Schön's Schätzle steht unter der Thür,

Es thät mich so freundlich nit grüßen:

»Schön's Schätzle, was machst du allhier?«


Es ist kein Apfel am Baum so roth,

Schwarz Kerne sind es darin.

Es ist kein Mädle im ganz Oestreich,

So führt es ein falschen Sinn.


Paff! fiel ein Schuß, die Mädchen schreckten zusammen, der Distelfink flog vom Kirschbaum fort. Da sahen die Mädchen den Jäger von Mühringen in ein Rapsfeld springen, sein Hund ihm voraus. Der Jäger hob die Gabelweihe in die Höhe, raufte eine Feder aus, steckte sie auf den Hut, schob den Vogel in die Jagdtasche und hing sich seine Flinte [123] wieder um; es war ein schöner Mann, wie er so aus dem grünen Felde daher kam.

Das Tonele sagte: »er hätt' doch das Thier am Sonntag leben lassen können.«

»Ja,« sagte Bärbele, »die Jäger sind alle keine rechten Christenmenschen: sie können nichts als die armen Bauern wegen Holzfrevel in den Turm und die unschuldigen Thiere ums Leben bringen. Der grün' Teufelsknecht hat noch vergangen 1 des Bläsis Käther auf vier Wochen in's Spinnhaus gebracht. Ich möcht' keinen Jäger heiren 2 und wenn er mir weiß nicht was versprechen thät'.«

»Die alt Ursel hat mir einmal erzählt,« sagte Brigittle, die jüngste von den dreien, »daß ein Jäger jeden Tag ein lebiges Wesen todt machen muß.«

»Das kann er genug haben,« lachte Bärbele und wies hin an das Ungeziefer.

Unterdessen kam der Jäger näher. Wie auf eine Verabredung begannen alle drei Mädchen zu singen; sie wollten thun, als ob sie den Jäger nicht bemerkten, und doch sangen sie in ihrer Befangenheit nur mit halber Stimme und summten nur so vor sich hin den letzten Vers des Liedes:


Ein falschen Sinn, ein hohen Muth,

Drei Federn trag' ich auf meinem Hut;

[124]

Und weil ich mein Schätzle verloren hab',

So reis' ich gleich wiederum ab.


»Guten Tag, ihr Jungfern, warum so leis?« fragte der Jäger stehen bleibend.

Die drei Mädchen fingen an, zu kichern, und hielten sich ihre Schürzen vor den Mund; Bärbele aber gewann am schnellsten das Wort wieder und sagte: »Schön Dank, Herr Jäger, wir singen halt nur für uns, und wir hören's schon, wenn wir auch noch so leis singen, wir singen nicht für Andere.«

»Brr!« sagte der Jäger, »das Mäule schneid't ja wie geschliffen.«

»Geschliffen oder ungeschliffen, das ist gehupft wie gesprungen; wem's nicht gefällt, der kann's ja besser machen, wenn er's kann,« erwiderte das Bärbele; das Tonele stieß sie an und sagte halblaut: »Du bist aber auch grob wie Bohnenstroh.«

»Ich kann schon einen Spaß vertragen,« sagte der Jäger, zum bösen Spiele gute Miene machend.

Die Mädchen waren bei alledem doch verlegen, und sie wählten wohl gerade das unrechteste Mittel, der Verlegenheit auszuweichen; sie standen auf und faßten einander unter dem Arme, um nach Hause zu gehen.

»Darf ich den Jungfern Gesellschaft leisten?« sagte der Jäger wieder.

[125] »Das ist Landstraße, und die Straß' ist breit,« sagte Bärbele.

Der Jäger dachte daran, sich von dem groben Mädchen fortzumachen, aber er besann sich schnell, wie lächerlich es wäre, sich verblüffen zu lassen. Er fühlte es wohl, er sollte auch in dem gleichen Tone antworten, aber er konnte nicht: das Tonele, an dessen Seite er ging, hatte ihm so in die Augen gestochen, daß er gar keinen tüchtigen Spaß machen konnte, und er war doch sonst gar nicht so blöde; er ließ daher dem Mädchen seine Freude und ging mit, ohne ein Wort zu reden.

Um doch einiges wieder gut zu machen, fragte das Tonele: »Wohin wollet Ihr denn am Sonntag?«

»Ge' Horb,« sagte der Jäger, »und wenn mich die Jungfern begleiten thäten, es käm' mir auf den besten Schoppen nicht an.«

»Wir bleiben daheim,« sagte das Tonele und wurde über und über roth.

»Wir löschen lieber den Durst mit Gänswein, den kriegen wir auch geschenkt,« sagte das Bärbele.

Man war dem Dorfe näher gekommen, da sagte das Bärbele abermals, auf einen Fußweg deutend: »Herr Jäger, da könntet Ihr hinten 'rum kommen, da geht der nächste Weg nach Horb.«

Dem Jäger wurde es endlich zu viel, und er hatte ein höchst derbes Wortspiel im Munde; aber er unterdrückte [126] es und sagte nur: »Ich seh' gern ehrlichen Leuten und einem ehrlichen Dorf in's Gesicht.« Er konnte sich aber nicht enthalten, dem Bärbele dabei den Rücken zuzukehren.

So geht's. Weil der Jäger keinen Spaß machen konnte, wurde er grob, und so geht's oft.

Als die vier in das Dorf hineingingen, fragte der Jäger das Tonele, wie es heiße: aber noch ehe es antworten konnte, sagte Bärbele: »Wie man's getauft hat.«

Und als nun der Jäger zum Bärbele sagte: »Ihr seid ja wundergescheit, wie alt seid Ihr denn?« erhielt er die gewöhnliche Antwort: »So alt wie mein kleiner Finger.«

Das Tonele aber sagte halb leise: »Ich heiß' Tonele. Warum fraget Ihr denn?«

»Weil mir's lieb ist, es zu wissen.«

Man ging den Berg hinan, an dem sich die beiden Häuserreihen hinaufziehen; oben an des Sauerbrunnenbasche's Haus steckten die drei Mädchen stillstehend die Köpfe zusammen, und husch! stoben sie wie verscheuchte Tauben auseinander und ließen den Jäger allein stehen; dieser pfiff seinem Hunde, der den Mädchen nachgesprungen war, steckte die linke Hand in den Gewehrriemen und ging ebenfalls davon.

An der Steingrube erholten und sammelten sich die Mädchen wieder.

[127] »Du bist aber auch gar zu grob,« sagte Tonele zu Bärbele.

»Jo weger 3,« beteuerte Brigittle.

»Er hat dir ja nichts than,« fuhr Tonele fort, »und du bist auf ihn losgefahren wie ein Kettenhund.«

»Ich hab' ihm auch nichts than,« sagte Bärbele, »ich hab ihn nur gefoppt, warum hat der Tralle mir nicht rausgeben? Und wahr bleibt wahr, ich mag ihn nicht; wie kommt der Grünrock dazu? Meint er, weil er beim Baron Mühringen Jäger sei, dürft' er nur so mit uns laufen durch das ganze Dorf durch, daß alle Leute meinen, wir wollen was von ihm? Und was müßt' der Sepper 4 und der Kasper davon denken? Nein, nein, ich bin kein so Tättele 5 wie du, ich laß mir nichts gefallen, von keinem Grafen und von keinem Baronen.«

Das Gespräch wurde unterbrochen, denn der Sepper und der Kasper kamen; sie hatten ihre Schätze im Kirschenbusch gesucht und nicht gefunden. Bärbele erzählte nun die ganze Geschichte, es konnte niemand außer ihm zu Worte kommen, und da ihm noch viel spitzere Redensarten einfielen, nahm es das nicht so genau und erzählte auch diese. Denn das findet sich[128] überall und bei gar vielen Menschen, daß, wenn sie etwas von sich erzählen, sie es noch schöner herausputzen: sie berichten dann, daß sie dieß und das gesagt und gethan, wo sie zur Zeit den Muth nicht gehabt hatten, oder was ihnen erst später einfiel.

Der Sepper gab dem Bärbele vollkommen recht und sagte: »das Herrenpack muß man gleich von vornherein abdachteln!«

Der Jäger, der doch nichts weniger als ein »Herr« war, wurde immer mehr zu einem solchen gestempelt, damit man desto besser auf ihn losziehen konnte.

Sepper nahm seinen Schatz, das Tonele, an den einen Arm, an den andern hing sich das Brigittle; der Kasper und das Bärbele gingen neben ihnen, und so wanderten sie durch die Hohlgasse nach der Hochbux spazieren.

Der Sepper und das Tonele waren ein herrliches Paar, beide fast gleich groß und schlank, und beide doppelt schön, wenn sie mit einander gingen; jedes für sich allein war schon schön, aber bei einander waren sie es erst recht, unter Tausenden heraus hätte man sagen müssen: diese zwei gehören zusammen. Der Sepper ging halb bäurisch, halb soldatisch gekleidet; das kurze schlotterige Bauernwams hob das schöne Ebenmaß der Glieder unter den eng zugeschnallten Beinkleidern noch schärfer hervor. Der[129] Sepper sah aus wie ein Offizier, der sich's »kommod gemacht« hat, so schlank und straff und doch wieder so frei und ungezwungen war sein ganzes Wesen.

Auf der Hochbux angelangt, sahen sie nicht weit davon den Jäger heim Nordstetter Waldschützen stehen. Der Sepper bemerkte sogar, daß der Jäger nach ihnen hindeutete, und er räusperte sich, als ob er dem »Herrn« sogleich eine tüchtige Antwort zu geben hätte, obgleich sie noch mehr als zweihundert Schritte voneinander entfernt waren. Dann faßte er das Tonele um den Hals und gab ihm einen herzhaften Kuß, gleichsam auch als weithin erkennbare Sprache. Darauf schritt er lustig pfeifend dahin und schwenkte sich gar keck und muthig.

Hätte er gehört, was der Jäger mit dem Waldschützen sprach, er wäre noch schärfer aufgetreten, denn der Jäger sagte: »Gucket, da kommt es grad. Es ist ein Mädle wie von Wachs, grad wie die Mutter Gottes in der Kirche; solang ich mir denken mag, hab' ich noch keines so gesehen.«

»Ja, ja, wie ich unbesehen gesagt hab',« erwiderte der Waldschütz, »das ist des Pudelkopfs Tonele; man heißt ihren Vater den Pudelkopf, weil er ein Haar hat wie ein Schaf, das Tonele hat auch so weißes gerolltes Haar; man heißt's auch im ganzen Dorf das Borsdorfer Aepfele, weil es so rothe Bäckle [130] hat. Der alte Pfarrer, der war nicht versteckt 6, der hat's zur Köchin haben wollen; aber prost Mahlzeit, der Pudelkopf hat mit einem schönen Dank das Maul gewischt. Das Tonele kriegt einmal seine fünf Jauchert Ackers in einer Zelg 7, und das kleckt noch nicht.«

Der Jäger gab dem Waldschützen die Hand, und noch ehe ihn die Spazierenden erreichen konnten, ging er rasch die Steige hinab.

Auf einem Feldraine sitzend verbrachten unsere Bekannten unter Singen und Küssen den Nachmittag. Am übelsten war das Brigittle dran, sein Schatz war in Heilbronn bei den Soldaten; wer weiß, wo er jetzt war, während sein Mädchen glühenden Antlitzes abseits von den Anderen, mit einer Blume spielend, seiner gedachte? Als es Abend zu werden begann, machte Brigittle die andern Mädchen wieder zurecht; seine eigene Halskrause war in der besten Ordnung geblieben, während die Haare und Halskrausen der andere »verstrobelt und verzobelt« waren, wie es gutmüthig scheltend sagte.

Man ging wiederum auf der Straße spazieren. Alle Mädchen und Burschen sammelten sich dort, und nun schieden sich die Geschlechter.

[131] Im Westen, wie man bei uns sagt, »über dem Rheine«, ging die Sonne blutigroth unter und prophezeite für morgen einen guten Tag.

Die Burschen gingen in langen Reihen, aber ein jeder für sich, singend oder im Chore vierstimmig pfeifend das Dorf hinein. Etwa dreißig Schritt hinter ihnen gingen die Mädchen Arm in Arm, ebenfalls in langen Reihen, die die ganze Breite der Straße einnahmen. Sie sangen unaufhörlich. Immer wieder fing ein Mädchen ein neues Lied an, und die andern stimmten ohne langes Besinnen und Hin- und Herreden ein.

Das Tonele ging an der linken Flanke und an seinem rechten Arme hing des Blätschle's Marann', die Flambomarann' genannt. Das war ein unglückliches Mädchen, denn die ganze linke Hälfte seines Gesichts, von der Stirn bis zum Kinn, war blau, wie von geronnenem Blute unterlaufen. Bei dem großen Brande vor achtzehn Jahren, wobei die sieben Menschen verbrannten, war die Mutter Maranns, die damals schwanger war, schnell herzugeeilt, und da sie die Flamme sah, fuhr sie sich erschreckt mit der Hand über das Gesicht. Als nun das Kind zur Welt kam, hatte es auf der einen Seite ein blitzblaues Gesicht. Das Tonele hatte immer einen unüberwindlichen »Grausel« vor der Marann', aber es hatte nicht Muth genug, vor ihr zurückzuweichen, [132] als sie seinen Arm faßte. So ging es nun neben ihr, innerlich zitternd, aber es sang um so lauter, um dadurch gerade über sich Meister zu werden.

Bei des Schloßbauern Hans holte der Jäger, von Horb kommend, die Mädchen ein. Als er das Tonele ansichtig wurde, ward er feuerroth, er hob sein Gewehr etwas von der Schulter, hing es aber sogleich wieder über und sagte, zu Tonele gewendet: »Guten Abend, ihr Jungfern.«

»Schön Dank,« erwiederten einige, und der Jäger fuhr leiser zu Tonele fort:

»Ist's jetzt eher erlaubt, daß man mitgeht?«

»Nein, das schickt sich nicht, daß Ihr mit uns durch das Dorf gehet, thut mir den Gefallen und gehet voraus zu den Buben,« erwiderte das Tonele ebenfalls ganz leise.

Der Jäger war hierüber hoch erfreut und ging höflich grüßend voraus.

Beim Adler machte Alles Halt. Die Abendglocke läutete, die Burschen zogen ihre Mützen ab und sprachen ein leises Vaterunser; auch die Mädchen sprachen dasselbe leise, darauf machte ein jedes das Zeichen des Kreuzes.

Kaum war aber dieß vorbei, so ging das Scherzen und Schäkern wieder los. Der Jäger sagte: »Gute Nacht beisammen,« und ging seines Weges.

Die Mädchen foppten das Tonele mit dem Jäger,[133] und daß es etwas leise mit ihm gemunkelt habe. Der Sepper, der das hörte, stand plötzlich starr und hielt die Pfeife, die er eben zum Munde führen wollte, krampfhaft vor sich hin, seine linke Faust ballte sich, er sprach kein Wort, aber aus seinem Auge, das stier auf Tonele gerichtet war, blitzten furchtbare Gedanken. Dann aber wiegte er sich wieder stolz auf seinen Knieen und warf nur einmal den Kopf rückwärts.

Als sich Alles zerstreute, begleitete der Sepper das Tonele. Er ging eine Weile still neben ihm her, dann sagte er:

»Was hast du mit dem Jäger?«

»Nichts.«

»Was hast du mit ihm gered't?«

»Was man eben so red't.«

»Ich will aber, du sollst kein Wörtle zu ihm sagen.«

»Und ich lass' mir von dir nicht befehlen, mit wem ich reden soll.«

»Du bist eben ein hoffärtiges, falsches Ding.«

»Wenn du's glaubst, ist mir's auch recht.«

Die beiden gingen noch eine Strecke mit einander und redeten kein Wort. Sie kamen vor dem Hause Toneles an, es sagte gute Nacht, aber der Sepper gab ihm keine Antwort, und das Tonele ging in's Haus. Den ganzen Abend blieb noch der Sepper [134] vor dem Hause stehen, er pfiff und sang allerlei Weisen, er glaubte, das Tonele müsse noch zu ihm herauskommen; aber es kam nicht, und er ging in heftigem Zorne davon.

Während der ganzen Woche sprach der Sepper kein Wort mit dem Tonele, ja, er wich ihm sogar aus, wo er ihm begegnete.

Am Samstag Nachmittag holte der Sepper mit seinen Gäulen im Würmlesthäle Klee für den Sonntag. Auf der Heimfahrt sah er das Bärbele mit einem schweren Kleebündel auf dem Kopfe aus dem Veigelesthäle kommen; er hielt an, rief dem Bärbele, es mußte seinen Klee auf den Wagen legen und sich dann zu ihm hinaufsetzen. Hier oben kam es nun zu einer grundmäßigen Erklärung. Das Bärbele machte dem Sepper wegen seiner dummen Eifersucht so tüchtig den Marsch, daß er noch an demselben Abend beim Rathhausbrunnen wartete, bis das Tonele kam, um Wasser zu holen; er sprang schnell herzu, hob ihm den Kübel auf den Kopf, dann ging er neben ihm her und sagte:

»Wie hast du denn die Woch' gelebt? Ich hab' sündlich viel zu schaffen.«

»Und machst dir noch mehr zu schaffen, für nichts und wieder nichts. Du bist ein recht unbändiger Mensch. Siehst du jetzt ein, daß du unrecht gehabt hast?«

[135] »Mit dem Jäger darfst du halt kein Wort mehr reden.«

»So oft ich will, red' ich,« sagte Tonele. »Ich bin kein Kind, ich weiß schon, was ich zu thun hab'.«

»Aber wenn du doch nicht mußt, brauchst du doch nicht mit ihm zu reden?«

»Nein, das brauch' ich nicht, aber ich laß mich nicht so kurz am Leitseil halten.«

Der Friede war wieder hergestellt, keine Störung trat ein, denn auch der Jäger kam lange nicht mehr nach Nordstetten.

Tonele saß am Sonntag oft mit den Gespielinnen oder auch mit dem Sepper im Kirschenbusch und sang und scherzte. Die Waldkirschen (denn andre gibt es bei uns nicht) waren längst reif, der Raps wurde eingeheimst, Roggen und Gerste geschnitten, in dem stillen, friedlichen Leben unserer Bekannten war Alles beim alten geblieben; die Liebe Toneles und Seppers hatte, wenn es möglich war, noch an Heftigkeit zugenommen. Nur noch diesen Herbst hatte der Sepper das letzte Manöver beim Militär mitzumachen, dann bekam er seinen Abschied und dann – gab es Hochzeit.

Seit jenem Sonntag im Frühjahr hatte das Tonele den Jäger mit keinem Auge mehr gesehen. Erst als es mit dem Sepper gemeinschaftlich in der [136] Molde 8 Hafer schnitt, ging der Jäger vorüber und sagte: »schneidet's gut?« Das Tonele schreckte unwillkürlich zusammen, es antwortete nicht, sondern bückte sich und schnitt emsig, der Sepper aber sagte: »Großen Dank,« und auf eine Garbe knieend, drehte er dieselbe recht fest zu, als ob er dem Jäger damit den Hals zudrehe. Der Jäger ging fürbaß.

Es war gut, daß der Sepper erst drei Tage nach des Bärbele's Hochzeit mit dem Kasper zum Manöver einrücken mußte. Er nahm sich deshalb vor, sich dabei noch recht wohl sein zu lassen, und er hielt getreulich Wort.

Fast in allen Häusern, wo der Sepper mit dem Kaspar die Einladungen zur Hochzeit machte, sagten die Leute: »Nun, Sepper, jetzt kommt's bald an dich,« und er schmunzelte bejahend.

Am Hochzeitstage war es dem Sepper so wohl wie einem Vogel im Hanfsamen. Er genoß die Vorfreude seines künftigen baldigen Glückes. Als es zum Tanze ging, stieg er zu den Musikanten auf die Erhöhung und bestellte sie samt noch zwei Trompetern mehr zu seiner Hochzeit; er wollte als Gardist recht viel Trompeten haben.

Abends machte aber eine neue Erscheinung dem Sepper einen Strich durch die Rechnung; der Jäger[137] kam nämlich auch zum Tanze, und die erste, die er »engagierte«, war Tonele.

»Ist schon angeschirrt,« antwortete Sepper statt des Tonele.

»Die Jungfer wird wohl selber reden können,« erwiderte der Jäger.

»Den nächsten Hopser wollen wir mit einander tanzen,« sagte das Tonele und nahm den Sepper bei der Hand. Es wendete sich aber nochmals nach dem Jäger um, ehe es zu tanzen begann. Als nun das Tonele mit dem Jäger den Hopser tanzte, setzte sich der Sepper an den Tisch und nahm sich vor, heute Abend keinen Fuß mehr zu rühren, und daß das Tonele auch nicht mehr tanzen dürfe. Da kam Bärbele, von seiner »Gespiele« geschickt, und forderte den Mürrischen auf. Der Hochzeiterin darf nie jemand einen Tanz ausschlagen, und so folgte der Sepper dem ihn nachziehenden Bärbele, das ihm alsdann beim Aushalten tüchtig die Leviten las: »Ich weiß gar nicht,« sagte es, »du kommst mir ganz närrisch vor mit dem Jäger. Du bist dran schuld, wenn ihn das Tonele gern kriegt. Es thät schon lange mit keinem Gedanken mehr nach ihm umgucken; wenn du es aber so fort und fort mit ihm quälst, da muß es ja immer wieder an ihn denken, und da denkt es darüber nach, ob es wirklich wahr ist, daß der Jäger es gern hat, und da kann es ihn eben auch[138] gern kriegen, denn guck, er kann doch noch besser tanzen als du, so links 'rum kannst du doch nicht hopsen.«

Der Sepper lachte, aber innerlich mußte er dem schalkhaft gescheiten Weibchen recht gehen, und als er dann mit seinem Schatze am Tische saß, brachte er es dem Jäger zu (ihm Bescheid zu thun), er winkte daher dem Tonele und sagte: »stoß mit ihm an.« Der Jäger trank, eine höfliche Verbeugung machend, auf die Gesundheit Toneles, dem Sepper nickte er kaum zu. Dieser aber nahm sich vor, heute nicht mehr böse zu sein, er freute sich vielmehr über sein kluges Benehmen gegen den Jäger und hielt dann das Tonele selig im Arme. Da wurde er zu dem Hauptspaße einer Hochzeit abgerufen.

Die gesamte ledige Mannschaft hatte nämlich nach alter Sitte die Hochzeiterin gestohlen. Sie hielten das Bärbele in einen großen Kreis geschlossen, und Kasper, der Hochzeiter, mußte es nun unter vielen possierlichen Hin- und Herreden von den Unholden loskaufen. Sechs Flaschen Wein befreiten die Gefangene, und die Beiden, die sich wiedergefunden, marschirten nach Hause. Die Musikanten stiegen von der Anhöhe an die offenen Fenster und spielten ihnen den üblichen Marsch auf, und manches Hoch! schallte noch hinterdrein.

Das Tonele stand träumerisch am Fenster, als [139] das Bärbele schon längst fort war und Alles wieder tanzte.

Es war schon spät in der Nacht, oder eigentlich früh am Morgen, als der Sepper das Tonele nach Hause begleitete. Sie waren noch lange allein, und das Tonele schmiegte sich mit wilder Gluth an seine Wangen und faßte ihn mit gewaltigen Armen fest. Auch der Sepper war hoch erregt, aber er konnte es doch nicht unterdrücken, noch einmal von dem Jäger zu sprechen. Das Tonele sagte: »Laß jetzt den Jäger, guck, es gibt jetzt gar nichts auf der Welt als du.« – Der Sepper hob das Tonele hoch in die Lüfte, dann umfaßte er es wieder, und den Mund auf seine Wangen pressend, sagte er: »guck, ich möcht' dir grad 'neinbeißen.«

»Beiß,« sagte Tonele.

Wehe! der Sepper hatte wirklich gebissen; das Blut rann Tonele von der Wange und floß hinab bis an den Hals. Erschreckt fuhr es mit der Hand nach seiner Wange, es fühlte die offenen Spuren der Zähne, da stieß es den Sepper von sich, daß er rücklings hinstürzte, dann schrie und heulte es laut auf, daß Alles im Hause erwachte. Der Sepper richtete sich auf, um es zu trösten, aber jämmerlich wehklagend stieß es ihn abermals von sich. Da man Geräusch im Hause vernahm, schlich sich der Sepper fort, denn er dachte: die Sache ist nicht so arg; [140] auch wollte er sich und Tonele jede Verlegenheit ersparen, und er hoffte, es würde schnell eine Ausrede vorbringen, wenn die Leute herbeikämen.

Der Vater und die Mutter kamen mit Licht und schlugen die Hände zusammen, als sie ihr bluttriefendes Kind sahen. Schnell wurde die alte Ursel, die viel Hausmittelchen kannte, herbeigeholt. Die alte Frau sagte ganz offen: »das kann den Krebs geben, oder der das gethan hat, muß die Wunde mit seiner Zunge reinigen.« – Das Tonele schwur hoch und heilig, lieber zu sterben, als daß der Sepper es nur noch einmal berühren dürfte.

Es wurden nun allerlei Heilmittel angewendet, und das Tonele stöhnte wie eine Sterbende.

Andern Tages war die Geschichte im ganzen Dorfe bekannt, und man sagte, der Sepper habe dem Tonele ein ganzes Stück Fleisch aus dem Backen herausgebissen. Alles kam, um das Tonele zu trösten, aber auch um seine Neugierde zu befriedigen. Auch der Sepper kam, aber das Tonele schrie wie eine Besessene, er solle augenblicklich aus dem Hause und nie mehr kommen. Kein Bitten, kein Klagen, nichts half; das Tonele that wie wahnsinnig, und der Sepper mußte fort. Er ging zum Bärbele und bat es, doch für ihn ein gutes Wort einzulegen. Das Bärbele war gerade damit beschäftigt, die Hochzeitsgeschenke zu ordnen; Küchengeschirr und [141] allerlei Hausrath lag zerstreut um sie her. Es schimpfte nun zwar den Sepper tüchtig aus, ließ aber doch augenblicklich Alles stehen und liegen und ging zum Tonele. Dieses schrie laut auf am Halse seiner Gespielin: »Ich bin verschänd't für mein Lebtag.« Auf vieles Zureden stand es endlich doch auf aus dem Bette, und als es zum erstenmal vor den Spiegel trat und die gräßliche Verwüstung sah, rief es: »Jesus Maria Joseph! Ich bin ja grad wie die Flambomarann'. Lieber Gott, ich hab' mich g'wiß an ihr versündigt; ich bin gestraft genug.«

Unter keiner Bedingung wollte das Tonele mehr den Sepper sehen, und dieser ging endlich zwei Tage darauf, ein kleines weißleinenes Ränzchen auf dem Rücken, nach Stuttgart.

Erst nach vierzehn Tagen ging Tonele aus dem Hause, aber immer mit verbundenem Gesichte. Merkwürdig! fast der erste, der ihm begegnete, als es mit der Hacke auf der Schulter zum Kartoffelgraben in's Feld ging, war der Jäger.

»Wie geht's, schönes Tonele?« fragte er gutmüthig die Verbundene.

Das Tonele wollte vor Scham in den Boden sinken, es war ihm so eigen, daß er es bei seinem Namen nannte und noch dazu »schönes« sagte; es fühlte jetzt doppelt, wie gräßlich entstellt es war. [142] Als es daher schweigend seufzte, sagte der Jäger: »Ich hab' schon gehört, was Euch geschehen ist, darf man's nicht sehen?« – Das Tonele schob schüchtern das Tuch weg, und der Jäger schlug unwillkürlich die Hände zusammen; dann aber sagte er: »Das ist unverzeihlich, unmenschlich, so mit einem herrlichen Mädchen umzugehen, wie Ihr seid. Das ist einmal wieder eine rechte Bauernroheit, verzeihet mir's, ich mein' Euch gewiß nicht mit, aber die Menschen sind oft halb Vieh. Lasset's Euch aber nicht zu sehr grämen.«

Das Tonele hörte aus Allem diesen nur die Theilnahme des Jägers heraus und sagte: »Nicht wahr, ich bin recht verschänd't?«

»Bei mir thät' das nichts,« sagte der Jäger, »und wenn Ihr nur einen Backen hättet, Ihr thätet mir doch besser gefallen, als alle Mädle von Nordstetten bis Paris.«

»Das ist nicht recht, einen so zu foppen,« sagte das Tonele wehmüthig lächelnd.

»Nein, ich fopp' nicht,« sagte der Jäger, die Hand des Mädchens fassend, und fuhr fort: »gucket, ich thät' Euch gleich heirathen, so wahr mir Gott das Leben gibt.«

»Das ist sündhaft gesprochen,« sagte Tonele.

»Ich seh' keine Sünd' dran, wenn wir uns heirathen thäten,« sagte der Jäger.

[143] »Wenn wir gut Freund bleiben wollen, so redet davon kein Wörtle mehr,« sagte Tonele und ging quer über's Feld.

Der Jäger war schon zufrieden, daß er »gut Freund« mit dem Tonele sein durfte, und er machte sich das wohl zu nutze; denn er kam jetzt fast jede Woche ein paarmal nach Nordstetten. Er unterhandelte zuerst mit dem Pudelkopf, Toneles Vater, wegen der Holzfuhren, die es jetzt im Herbste gab; dadurch bekam er immer mehr Gelegenheit, mit dem Tonele zu sprechen. Er sagte nichts mehr vom Heirathen, aber man hätte ein Narr sein müssen, wenn man's nicht gemerkt hätte, daß er darauf herum redete.

Einen schweren Stand hatte der Jäger bei dem Bärbele, ohne das beim Tonele nichts auszurichten war. Zuerst versuchte er es mit Güte und Spaß, aber das Bärbele verstand gar keinen Spaß mehr; es redete immer und immer vom Sepper, so oft der Jäger da war.

Da begab sich für den Jäger ein Ereigniß, wie er sich's nicht besser wünschen konnte. Das Tonele hatte eine reiche Base in Mühringen, deren Hochzeit in wenigen Tagen sein sollte, und das Tonele kam für den drei Tage lang dauernden Tanz nach Mühringen. Die Schwester des Jägers schloß schnell Freundschaft mit Tonele, und die beiden Mädchen [144] spazirten mit einander über Wies' und Feld und hielten sich beim Tanze zusammen. Das Tonele erschien hier zum erstenmal mit unverbundenem Gesichte, und man kann fast sagen, es war schöner seit dem Bisse.

Manche wilde und abergläubische Völker verstümmeln etwas vollkommen Schönes, damit der böse Blick keine Macht über dasselbe habe und der Teufel, der nichts Vollkommenes duldet, darüber beruhigt sei. Der Biß in der Wange Toneles war nur so viel, daß der Neidteufel, der nie etwas ganz und durchaus loben mag, sein Aber dabei anbringen konnte.

Der Jäger hielt sich heim Tanze immer zum Tonele, und am Abend machte er ihm noch eine Freude, wie sie noch kein Bauernmädchen von ganz Nordstetten gehabt hatte.

Der alte Baron, ein wohllebig dicker Mann, so geizig er auch war und so streng er auch einem Bauer, der ein Bündel dürres Holz im Walde holte, nachjagte, war doch sehr splendid für ein kleines Theater, das er sich auf dem Schlosse hielt und wozu er die Honoratioren der Gegend einlud. Der Jäger erhielt die Erlaubnis, das Tonele mit ins Theater zu bringen.

Das Tonele zitterte, daß ihm die Zähne klapperten, als es mit dem Jäger den Berg hinanging, [145] auf dem das Schloß in alterthümlicher Weise mit Zugbrücke, Wall und Graben steht. Still, ganz in sich zusammengeschauert, auf den Zehen gehend, trat es in den Saal, wo die Herrschaften schon waren; es erhielt einen Platz nicht weit hinter der Musik. Die Obervogtin richtete ihre Lorgnette lange nach ihm, und das Tonele saß da, schlug die Augen nieder und wagte kaum zu athmen; die Narbe an der Wange brannte, es war, als ob der Blick der Obervogtin die Wunde wieder aufgerissen hätte. Da rauschte nach der Musik der Vorhang auf, Tonele hörte mit angehaltenem Athem zu. Es weinte bittere Thränen über das Schicksal des armen, herzensguten Lorenz Kindlein (dieses Stück wurde gespielt), es hätte gewiß nicht so lange gewartet, wenn es die Tochter gewesen wäre, und erst als der Vorhang wieder fiel, entlud sich ein gewaltiger Seufzer seiner Brust.

Auf dem Rückwege faßte der Jäger das Tonele um den Hals, und es schmiegte sich traulich an ihn, es war ganz aufgelöst von der mächtigen Aufregung; es war ihm, als ob der Jäger ihm Alles das geschenkt hätte, als ob er das Alles selber gemacht hätte, und doch wäre es wieder gar zu gerne noch einmal zu dem guten alten Manne und seiner lieben Tochter gegangen, die jetzt so glückselig bei einander waren.

[146] Aber auch der Jäger war glückselig, denn er erhielt das Versprechen, daß das Tonele am Sonntag nach der Mittagskirche im Buchwäldle mit ihm zusammenkommen wolle.

Und so war der Jäger bei seinem Manöver viel glücklicher als der Sepper zu Rosse bei dem Manöver auf der Ebene von Ludwigsburg, und noch ehe er den Abschied vom Militär erhielt, hatte ihm das Tonele den Abschied gegeben.

Bei seiner Heimkunft war der erste Ausgang des Seppers zu dem Tonele. Er traf es an der Kunkel in der Stube bei seinen Eltern, aber es redete kein Wort mit ihm und blickte ihn nur manchmal stier an. Er zeigte seinen ehrenvollen Abschied und breitete ihn, nachdem er alle Stäubchen weggeblasen, auf dem Tische aus; aber das Tonele kam nicht einmal her, um hineinzublicken. Er wickelte den Abschied wieder in doppeltes Papier und ging, das Dokument behutsam in der Hand haltend, fort zu dem Bärbele. Hier hörte er nun Alles, und daß die beiden Gespielen sich wegen des Jägers verfeindet hätten. Der Sepper zerknitterte den Abschied mit beiden Händen zu einem Ballen zusammen und ging dann fort.

Es war in der Dämmerung, da saß der Sepper unter demselben Baume im Kirschenbusch, wo wir das Tonele zuerst gesehen haben. Der Baum war entblättert, der Wind pfiff über die Stoppelfelder [147] und der Fichtenwald rauschte und brauste wie ein Strom; vom Daberwasen her tönte das Nachtglöcklein, und ein verspäteter Rabe flog krächzend dem Walde zu. Der Sepper aber sah und hörte nichts. Er saß da, die Ellbogen auf die Kniee gestemmt, und hielt sich mit den Händen die Augen zu. So saß er lange. Da hörte er das Bellen eines Hundes und herannahende Schritte, er sprang rasch auf. Der Jäger kam aus dem Dorfe. Sepper sah das Glitzern des Gewehres, er sah auch eine weiße Schürze und vermuthete mit Recht, daß das Tonele den Jäger begleitet hatte. Sie blieben eine Weile stehen, dann kehrte das Tonele um.

Als ihm der Jäger nahe war, sagte der Sepper in trotzigem Tone: »Guten Abend!«

»Schön Dank,« erwiderte der Jäger.

»Ich hab' mit Euch ein Hühnle zu rupfen,« sagte der Erste wieder.

»Ah, der Sepper,« sagte der Jäger, »seit wann seid Ihr wieder da?«

»Für dich zu früh, Du – wir wollen nicht lange machen, da, wir wollen Hälmle ziehen, wer von uns beiden vom Tonele lassen muß; und wenn ich's verlier', so muß ich das Gewehr für mich haben.«

»Ich zieh' kein Hälmle.«

»Dann zieh' ich dir dein' Seel' aus deinem Leib, du grüner Spitzbub',« schrie der Sepper, das [148] Gewehr des Jägers mit der einen Hand, mit der andern seine Gurgel packend.

»Waldmann faß!« schrie der Jäger noch mit halber Stimme, der Sepper gab dem Hunde einen tüchtigen Tritt, dadurch wurde indes der Jäger etwas freier. Mit aller Macht rissen sich nun die beiden um das Gewehr und hielten sich an der Gurgel, da – plötzlich ging das Gewehr los, und der Jäger stürzte rücklings in den Graben. Er stöhnte nur noch einmal, und der Sepper beugte sich über ihn, um zu hören, ob er noch athme.

Das Tonele kam herbeigesprungen, der Schuß in finsterer Nacht hatte es herbeigelockt, es ahnte nichts Gutes.

»Da! da!« rief der Sepper, »da liegt dein Jäger, jetzt heirath' ihn.«

Das Tonele stand erstarrt und konnte sich nicht regen, endlich sagte es: »Sepper, Sepper, du hast dich und mich unglücklich gemacht.«

»Was geh' ich dich an? Ich will von der ganzen Welt nichts mehr,« rief der Sepper und floh nach dem Fichtenwalde zu. – Man hat nie mehr etwas von ihm gehört.


Auf dem Wege nach Mühringen im Kirschenbusch steht an dem Feldraine ein steinernes Kreuz zum [149] ewigem Andenken, daß hier der Jäger von Mühringen erschlagen wurde.

Das Tonele ist aber erst nach vielen Jahren einsamen Kummers vom Leben erlöst worden.

Fußnoten

1 Vor kurzem.

2 Heirathen.

3 Wahrlich.

4 Joseph.

5 Schüchternes Mädchen.

6 Dumm.

7 Fünf Morgen Ackers in jeder Gemarkung gilt als der Besitzstand eines wohlhabenden Bauern.

8 Name einer Gemarkung.

V.
Befehlerles.

[151][153]

1.

Am ersten Maimorgen prangte an des Wagner Michel's Haus ein stattlicher Maibaum; es war eine schöne schlanke Tanne, welcher man die Aeste abgehauen und nur die Krone gelassen hatte. Weit über alle Häuser hin ragte sie, und stände der Kirchthurm nicht auf dem Berge, die Tanne hätte darüber hinausgeschaut. Sonst war kein Maibaum im ganzen Dorfe, und alle Mädchen heneideten das Aivle 1, des Wagner Michel's älteste Tochter, weil es allein einen Maien hatte.

Die Kinder kamen das Dorf herauf, in ihrer Mitte bewegte sich eine grüne Hütte. Eine zuckerhutförmige, aus Reifen gebundene und mit Laub bedeckte Hütte war über einen Knaben gestülpt, der sich nun von Hausthür zu Hausthür bewegte und eine Weile dort Halt machte; neben ihm gingen zwei andere Knaben, einen mit Spreu und Eiern gefüllten Korb an den Henkeln tragend, ein großer Schwarm von Knaben, grüne Zweige in den Händen haltend, zog hinterdrein. Sie sangen vor jedem Hause:


[153]

Ho! ho! ho!

Der Maiemann ischt do,

Geant auns schnell d'Eier 'raus,

Sust kommt der Marder in's Heanerhaus,

Geant auns Eier, wie mer's wella,

Sust streue mer Spreuer auf dia Schwelle,

Ho! ho! ho! u.s.w.


Wo sie nun keine Eier erhielten, vollführten sie ihre Drohung und streuten mit Jubel und Lachen eine Handvoll Spreu auf die Schwelle. Fast überall aber wurde ihnen willfahrt, und sie gingen von Haus zu Haus; nur an des Schloßbauern Haus gingen sie, ohne anzuhalten, vorbei. Die Aufmerksamkeit des Dorfes war aber diesmal nicht auf den Maienmann gerichtet, denn Alles stand vor des Wagner Michel's Haus und betrachtete den Maibaum. Zur Herbeischaffung eines solchen mußten wenigstens sechs Mann und zwei Pferde geholfen haben. Es war fast wunderbar, wie das so »hehlings« geschehen konnte; denn das Maisetzen war streng verboten und wurde als großer Waldfrevel mit drei Monaten Ludwigsburg, d.i. Arbeitshaus, bestraft. Darum hatte es keiner der Burschen gewagt, nach alter Sitte seinem Schatz diesen gewaltigen Strauß vor's Haus zu stecken; nur des Wendels Matthes, der »zu dem Aivle geht«, hatte dieß trotz des Verbots ausgeführt. Man konnte nicht herausbringen, wer ihm dabei [154] geholfen hatte; man sagte, daß ihm Burschen aus dem eine Viertelstunde entfernten Dettensee, das zum »sigmaringer Ländle« gehört, beigestanden hätten.

Viele Bauern, die mit Egge und Pflug ins Feld gehen wollten, andere mit der Hacke auf der Schulter, machten Halt und betrachteten eine Zeitlang den Maibaum. Auch des Wendels Matthes war unter den Versammelten, und er lachte immer in sich hinein und winkte dem Aivle, das vergnügt zum Fenster heraussah, mit den Augen zu; diese Augen sagten gar viel. Auf die oft schelmisch wiederholte Frage, wer wohl den Maibaum gesetzt, antwortete das Aivle stets nur mit einem schelmischen Achselzucken.

Eben waren die Maikinder am Hause des Wagners Michel angelangt und begannen ihren Spruch, als der Dorfschütz mit dem Bannert 2 herzutrat und laut rief: »Seid still, ihr Krotten!« Die Kinder schwiegen plötzlich; darauf ging der Gestrenge gerade auf den Matthes zu, faßte ihn am Arme und sagte: »Komm mit zum Schultes!«

Der Matthes schleuderte die breite Hand der Polizei von sich weg und fragte: »Warum?«

»Das wirst du schon erfahren; jetzt komm mit, oder es geht dir schlecht.«

Der Mathes schaute sich rechts und links um, als wisse er nicht, was er thun solle, oder als müsse [155] ihm von irgend einer Seite her Hülfe und Rath werden. Da bewegte sich plötzlich die Maihütte gerade auf den Schütz zu und stieß ihm in's Gesicht. Der Bub verließ sich wohl darauf, daß er als Mai eine geheiligte Person und unverletzlich sei; der Schütz aber kannte keine andere unverletzliche Person, als sich selber, und zerfetzte mit einem Risse dem Knaben sein ganzes Laubhaus. Der Christle, der jüngste Bruder des Mathes, sprang daraus hervor, und der Maienmann hatte nun ein Ende.

Unterdessen war das Aivle vom Hause herabgekommen, es erfaßte den Mathes beim Arme, als wollte es ihn retten. Dieser aber rückte auch seine Hand ebenso harsch von sich ab, und der Dorfschütz sagte zum Aivle: »Du wirst noch warten können, bis man dich holt.«

»Ich geh' schon mit,« sagte Mathes, dem Aivle einen vielsagenden Blick zuwerfend. Dieses aber sah nichts mehr, denn die hellen Thränen standen ihm im Auge, und die Schürze vor das Gesicht haltend, ging es schnell zurück in's Haus.

Die Bauern gingen nun auf's Feld, der Mathes mit den beiden Schützen hinein in das Dorf, die Kinder mit Hallo hinterdrein. Als der Schütz den Nachruf nicht mehr hören konnte, riefen einige verwegene Knaben: »Soges! Soges!« Dieß war der Schimpfname des Schützen und brachte ihn jedesmal [156] gewaltig auf. Er hatte nämlich noch in den letzten Jahren der österreichischen Herrschaft sein jetziges Amt versehen; in seiner Dienstbeflissenheit glaubte er auch den österreichischen Dialekt sprechen zu müssen und sagte einmal: »i sog es.« Seitdem schimpfte man ihn den »Soges«.

Hinter der geheimnisvollen braunen Hausthüre des Schultheißen verschwanden Soges, Mathes und Bannert. Der Schultheiß schalt den Angeklagten wegen seines Verbrechens sogleich tüchtig aus.

Mathes stand ruhig da, er spielte nur leise mit dem Fuße nach einer Melodie, die er innerlich sang; endlich sagte er: »Seid Ihr bald fertig, Herr Schultheiß? Das geht mich Alles nichts an, ich habe keinen Maien gesetzt; jetzt machet nur weiter, ich kann schon noch eine Weil' zuhören.« Der Schultheiß fuhr auf; er wollte gerade auf Mathes los, aber der Soges sagte ihm etwas ganz leise, und seine geballte Faust senkte sich. Er befahl nun dem Soges, den Verbrecher wegen groben Läugnens 24 Stunden einzusperren.

»Ich bin ein Kind aus dem Ort, man weiß, wo ich zu finden bin, ich verlauf' wegen so einem Bettel nicht; man kann mich nicht einstecken,« sagte Mathes mit Recht.

»Man kann nicht?« rief der Schultheiß zornglühend, »das wollen wir doch sehen, du –«

[157] »Oha! es ist genug geschimpft, ich geh' schon,« sagte Mathes, »aber mit einem Bürgersohn sollt' man nicht so verfahren. Wenn mein Vetter, der Buchmaier, daheim wär', dürft' das nicht geschehen.«

Noch auf dem Wege zum Gefängnisse begegnete Mathes dem Aivle, aber er versuchte es nicht einmal, mit ihm zu sprechen. Aivle konnte sich das nicht erklären, es schaute Mathes lange nach, und von der Schande und dem Kummer niedergedrückt, ging es gesenkten Blickes in des Schultheißen Haus. Die Frau Schultheißin war die Firmgode Aivles, dieses wollte nun nicht eher vom Platze gehen, bis der Mathes frei wäre. Aber diesmal half die so einflußreiche Verwendung nichts; der Schultheiß hatte mit nächstem das Ruggericht zu erwarten, und er wollte sich durch unnachsichtige Strenge beim Oberamtmann beliebt machen.

Im Verein mit dem Soges, seinem getreuen und weisen Minister, setzte der Schultheiß einen Bericht auf, und am andern Morgen in aller Frühe ward Mathes nach Horb transportiert. Es war gut, daß der Weg nach der andern Seite des Dorfes zuging und das Aivle den Mathes nicht sah, denn es war ein erbärmlicher Anblick, wie der sonst so muthige und säuberliche Bursche jetzt so geknickt und verwahrlost erschien; eine einzige Nacht im Gefängnisse hatte ihn so zugerichtet. Von allen Hecken, an denen [158] Mathes vorüberkam, riß er sich im Zorne einen Zweig ab, warf ihn aber bald wieder weg, nur als er durch den Tannenwald auf der Steige geführt wurde, riß er sich ein Tannenreis ab und hielt es zwischen den Zähnen fest. Auf dem ganzen Wege sprach er kein Wort; es war, als ob dieses Tannenreis ihm das sichtbare Sinnbild seines Schweigens über den Maibaum wäre, als ob dieses Reislein seine Zunge wie mit einem Zauber festbinden sollte. Vor dem Oberamte nahm er schnell das Tannenreis heraus, und fast ohne es zu wissen, steckte er das Sinnbild seiner Anklage in die Tasche.

Wer nie in den Händen des Gerichts war, weiß nicht, welch ein schreckliches Loos es ist, so auf einmal nicht mehr Herr über sich zu sein; es ist, als ob einem der eigene Körper genommen wäre. Von Hand zu Hand geschubt, muß man freiwillig seine Füße aufheben, um doch nur dahin zu gehen, wohin andere wollen. Das fühlte Mathes, denn er war in seinem ganzen Leben jetzt zum erstenmal vor Gericht. Es war ihm so schwer und so bang zu Muthe, als ob er ein recht großer Verbrecher wäre, als ob er einen Menschen ums Leben gebracht hätte; er meinte, die Kniee müßten ihm zusammenbrechen, als er die vielen Treppen den Berg hinaufgeführt wurde. Er ward nun in den Turm gesperrt, der so zudringlich hoch auf dem Berge steht, wie eine [159] Zwingburg, wie ein großer steinerner Zeigefinger, der der ganzen Umgegend zuwinkt: »Hütet euch!«

Die Zeit wurde dem Mathes sterbenslang. Er war, solange er denken konnte, nie eine Stunde allein ohne Arbeit gewesen; was sollt' er nun thun? Er lugte eine Weile durch das doppelt vergitterte Fenster in der sechs Schuh dicken Mauer hinaus, aber er sah nichts als ein Stückchen blauen Himmel. Auf der Pritsche liegend, spielte er lange mit dem Tannenreis, das er in seiner Tasche fand, das war noch ein Ueberrest aus der grünenden Welt draußen. Er steckte es zwischen eine Brettspalte und dachte es sich als den großen Maibaum, der an des Aivles Haus stand; es kam ihm vor, als ob es schon hundert Jahre wäre, seit er diesen gesehen hatte. Seufzend fuhr er auf, er schaute wirr umher und stampfte mit den Füßen; er fing nun an, pfeifend die Nadeln an dem Tannenreis zu zählen. Mitten drin aber hörte er auf und betrachtete das Reis genauer; er sah jetzt zum erstenmal, wie schön so ein Reis ist; unten waren die Nadeln dunkelgrün und hart, nach der Spitze zu aber waren sie noch so sanft und hellfarbig, so weich wie der Flaum eines Vogels, der noch nicht flügge ist, und ganz oben war der kleine Keim mit seinen zierlich übereinander gelegten Schuppen – das sollte ein Tannzapfen werden. Besser als Lavendel und Rosmarin roch der frische [160] Harzduft des Zweiges. Mathes fuhr sich mit demselben leise und sanft über das ganze Gesicht und über die geschlossenen Augen; den Zweig in der Hand haltend, schlief er endlich ein. Im Traume war es ihm, als ob er auf einer schwankenden Tanne festgebannt wäre, so daß er kein Glied rühren könnte; er hörte die Stimme Aivles, das den bösen Geist bat, daß es zu ihm hinaus dürfe, um ihn zu erlösen. Er erwachte und hörte wirklich die Stimme Aivles und die seines Bruders Christle. Sie hatten ihm das Mittagessen gebracht und baten den Gefängniswärter, ihn in seinem Beisein besuchen zu dürfen, aber es wurde nicht gestattet.

Erst gegen Abend wurde Mathes in das Verhör gebracht. Der Oberamtmann redete ihn sogleich mit Du an und schimpfte ihn auf Hochdeutsch ebenso, wie gestern der Schultheiß auf Bauerndeutsch. Solange die Gerichtsverhandlungen nicht öffentlich sind, wie sie es zu alten Zeiten in Deutschland überall waren, solange wird ein Beamter immer mit einem Angeklagten machen können, was er will; darf er ihn auch nicht mehr auf die Folter spannen oder prügeln lassen, es gibt noch viele andere, oft härtere Mißhandlungen.

Sporenklirrend im Zimmer auf und nieder schreitend, ein kleines Papierchen stets rasch zwischen den Fingern drehend, stellte der Oberamtmann seine Fragen:

[161] »Wo hast du den Baum gestohlen?«

»Ich weiß von nichts, Herr Oberamtmann.«

»Vermaledeiter Spitzbub, du lügst,« sagte der Amtmann rasch, indem er auf Mathes zutrat und den Zipfel seines »Brusttuches« 3 faßte.

Mathes zuckte rückwärts zusammen, seine Hand ballte sich unwillkürlich.

»Ich bin kein Spitzbub,« sagte er endlich, »und Ihr müsset das, was Ihr da gesagt habt, in's Protocoll 'neinschreiben; ich will sehen, ob ich ein Spitzbub bin. Mein Vetter, der Buchmaier, kommt schon wieder heim.«

Auf diese Rede kehrte sich der Amtmann um und kniff die Lippen über einander.

Wäre die Sache des Mathes nur eine bessere gewesen, es hätte dem Amtmann schlecht ergehen können; wohlweislich aber ließ dieser seine Rede nicht in's Protocoll setzen. Er klingelte und ließ den Soges hereinkommen.

»Was habt Ihr für Beweise, daß der da den Maien gesetzt hat?«

»Jed' Kind im Dorf, die Ziegel auf dem Dach wissen's, daß der Mathes zu dem Aivle geht; nichts für ungut, aber ich mein', das Kürzeste wär', man läßt das Aivle kommen, da wird er's nimmer läugnen, [162] er kann keinen auf die Gabel 4 nehmen, daß es nicht wahr ist.«

Als der Mathes das hörte, sperrte er die Augen weit auf und seine Lippen zuckten, aber er schwieg. Der Amtmann war eine Zeitlang stutzig, er erkannte das Ungehörige eines solchen Beweismittels wohl; aber er wollte »ein Exempel statuieren«, wie er sich in der Gerichtssprache ausdrückte.

Nachdem Mathes, der Soges und die herkömmlichen zwei Gerichtsschöppen – oder wie man sie bei uns heißt, Gerichtsbeischläfer – das Protocoll unterschrieben hatten, war das Verhör geschlossen. Mathes hatte den Muth nicht, seine frühere Forderung in Betreff der Schimpfreden des Oberamtmanns zu wiederholen, er wurde abermals in das Gefängniß abgeführt.

Es war schon spät gegen Abend, da saß Aivle oben an der Steige und schaute hinüber nach dem Turme auf dem Berge jenseits; es meinte, der Mathes müsse doch endlich kommen. Es saß hinter einer Hecke, um von den Leuten nicht gesehen und befragt zu werden. Da sah es den Soges die Bergwiese heraufkommen; es ging nach der Straße, der Soges winkte ihm zu, es sprang ihm schnell entgegen.

[163] »Thur stet 5, Aivle,« rief der Soges, »ich hab' dir nur sagen wollen, du sparst mir einen Gang, du mußt morgen früh um acht Uhr vor Oberamt.«

Das Aivle stand leichenblaß da und schaute wie verwirrt drein, dann rannte es schnell den Berg hinab und hielt erst unten am Neckar inne; es blickte sich verwundert um, es war ihm gewesen, als würde es jetzt gleich eingesperrt, und als müsse es auf und davon laufen. Still weinend und gesenkten Hauptes kehrte es heim.

Fast die ganze Nacht that Aivle kein Auge zu, denn morgen sollte es ja zum erstenmal vor Gericht; allerlei Schreckbilder von schwarzbehangenen Gemächern standen vor seiner Seele, und hätte sich nicht sein Gespiel, des Schneiderles Agath, erboten, bei ihm zu schlafen, es wäre gestorben vor Angst.

Als kaum der Morgen graute, ging Aivle nach dem Schranke, holte sein Sonntagshäs 6, und die Agath mußte es ankleiden; es konnte vor Zittern kein Bändel knüpfen. Wehmüthig betrachtete es sich in seinem zerbrochenen Spiegel; es war ihm, als müßte es in seinen Sonntagskleidern zu einem Leichenbegängnisse.

Der Wagner Michel begleitete seine Tochter, er konnte das Kind ja nicht allein gehen lassen. In [164] der Oberamtei zog er seinen Hut ab, strich sich die kurzgeschorenen Haare glatt und machte schon jetzt ein demüthig freundliches Gesicht, als er mit den Füßen scharrend vor der Stubenthür stand. Er stellte seinen Schlehdornstock an die Wand, und den dreieckigen Hut mit der linken Hand vor die Brust haltend, den Kopf demüthig vorgebeugt, klopfte er an. Die Thür öffnete sich. »Was will Er?« fragte eine rauhe Stimme.

»Ich bin der Wagner Michel, und das da ist mein' Tochter, das Aivle, und das fürcht' sich so, da hab' ich fragen wollen, ob ich nicht mit 'nein darf vor Gericht.«

»Nein,« war die rauhe Antwort, und die Thür wurde ihm vor der Nase zugeschlagen, daß der Wagner Michel zurücktaumelte. Er konnte seine weitere Begründung, daß eigentlich er und nicht seine Tochter vor Gericht gehöre, da der Maien vor seinem Hause stand, nicht mehr anbringen.

Die beiden Hände auf den Schlehdorn gelegt und das Kinn auf die Hände gestemmt, so saß der Wagner Michel neben seiner Tochter auf der Hausflur und heftete seinen Blick auf die Steine des Fußbodens, die so kalt und theilnahmlos waren wie das Antlitz des Beamten. Dann brummte er vor sich hin: »Wenn der Buchmaier da wär', müßt' er andere Saiten aufziehen.« Das Aivle konnte kein Wort [165] reden, es hatte die Hände gefaltet und hustete nur manchmal ganz leise in sein schön gebügeltes Sacktuch hinein.

Endlich wurde es in die Gerichtsstube gerufen; es stand rasch auf, Vater und Tochter sahen sich stumm an, und das Aivle verschwand hinter der Thüre. Es blieb an der Thüre stehen; der Oberamtmann war nicht da, aber dort saß der Schreiber und spielte mit der Feder in der Hand, neben ihm die beiden Gerichtsschöppen, sie pisperten leise mit einander. Aivle zitterte und bebte an allen Gliedern; die Stille dauerte fast zehn Minuten, für Aivle eine halbe Ewigkeit. Endlich hörte man Sporenklingen, der Oberamtmann kam. Aivle schien ihm sehr zu gefallen, denn er faßte es am Kinn, streichelte ihm die heißen, rothen Wangen und sagte dann: »Setz' dich nur.« Aivle gehorchte, sich zaghaft auf den Rand des Sessels niederlassend.

Nachdem es mit niedergeschlagenen Augen auf die Fragen: Name, Stand, Alter u.s.w. angegeben, fragte der Oberamtmann: »Nun, wer hat dir den Maibaum gesetzt?«

»I kahn's et wisse, Herr Oberamtmann.«

»Hast du nicht das Seil zum Anbinden an dem Dachfenster hergegeben?«

»Noan, Herr Oberamtmann.«

»Weißt du auch nicht, wer dein Schatz ist?«

[166] Aivle fing laut an zu weinen. Es war ihm schrecklich, daß es hier läugnen sollte, und doch konnte es auch nicht eingestehen. Der Amtmann half ihm, denn er sagte:

»Nun, was ist denn da zu läugnen? Der Mathes ist dein Schatz, ihr wollt euch ja bald heirathen.«

Aivle dachte daran, daß sie über vier Wochen sich beim Amte die Heirathserlaubniß holen wollten; es glaubte, wenn es jetzt leugne, bekäme es die »Papiere« und die »Annahme« nicht; auch durfte es nicht Nein sagen, das war gegen sein Gewissen. Sein Herz klopfte rasch, ein gewisses Gefühl des Stolzes erhob sich in ihm, ein Bewußtsein, das über alle Gefahren hinausragte, belebte sein ganzes Wesen, es dachte plötzlich nicht mehr an die Papiere, nicht mehr an den Oberamtmann, nicht mehr, wo es war, es dachte nur an Mathes; die letzte Thräne fiel von seinen Wimpern, sein Auge leuchtete hell, es erhob sich rasch, schaute wie siegverklärt umher und sagte: »Jo, koan andere uf der Welt nähm i.«

»Der Mathes hat dir also den Maien gesetzt?«

»'s kann wol sein, aber me derf jo et dabei sein, und i bin diesell Nacht –« es konnte wiederum vor Weinen nicht weiter reden.

Es war gut, daß Aivle die Augen zuhielt und das Lächeln der Gerichtsmänner nicht sah.

[167] »Gesteh's nur, kein Andrer hat dir den Maien gesetzt?«

»Was kahn i wisse?«

Durch allerlei Querfragen und durch die freundliche Versicherung, daß die Strafe nur gering sei, brachte der Oberamtmann endlich das Geständniß Aivles heraus. Nun wurde ihm das Protocoll vorgelesen, worin die Aussagen in hochdeutsche Sprache über'setzt und in zusammenhängende Rede gebracht waren; von all dem Weinen und den Qualen des Mädchens stand kein Wort darin. Aivle erstaunte über Alles das, was es da gesagt hatte; aber es unterschrieb doch und war seelenfroh, als es wieder fort durfte. Als die Thüre hinter ihm wieder zu war und die Klinke in's Schloß fiel, stand es plötzlich wie festgebannt da und faltete die Hände; ein schwerer Seufzer entlud sich seiner Brust, es meinte, der Boden müsse unter ihm zusammensinken, denn es überdachte jetzt erst recht, was es seinem Mathes gethan haben konnte. Sich an das Treppengeländer haltend, ging es furchtsam die steinernen Stufen hinab und suchte seinen Vater, der im Lamm einen Schoppen zur Herzstärkung trank; ohne ein Wort zu reden und ohne einen Tropfen über die Lippen zu bringen, saß Aivle neben ihm.

Unterdeß kam auch der Mathes abermals zum Verhör, und als er das Geständniß Aivles hörte, [168] stampfte er mit dem Fuß auf den Boden und knirschte die Zähne. Diese Aeußerungen wurden sogleich als Grundlagen des Geständnisses genommen, und müde gehetzt gab sich Mathes gefangen; aber er gebärdete sich noch wie ein Wild, das im Netze steckt, sich nach allen Seiten hin und her windet, um sich loszumachen, aber immer tiefer sich hineinwirrt.

Auf die Frage, wo er den Baum geholt, sagte Mathes zuerst, daß er ihn aus dem Dettenseer Walde (aus dem Sigmaringischen) genommen. Als man hierauf eine neue Untersuchung einleiten und an das Amt Haigerloch berichten wollte, gestand er endlich, daß er den Baum aus seinem eigenen Walde, im »Weiherle« gelegen, genommen und daß es ein solcher sei, der nächster Tage von dem Förster ausgezeichnet worden wäre.

In Betracht dieser mildernden Umstände wurde Mathes um zehn Reichsthaler gestraft, weil er vor der Auszeichnung einen Baum aus seinem eigenen Walde geholt hatte.

Oben an der Steige, dort, wo der Mathes Tages zuvor einen Zweig abgerissen, traf er mit dem Aivle und ihrem Vater zusammen, die den Wiesenweg heraufkamen. Mathes wollte ohne Gruß weiter gehen. Da sprang das Aivle auf ihn zu, faßte seine Hand und rief schwer athmend: »Mathes, trutz et, guck, do hoscht du mein Anhenker und au meine Granate, [169] wenn du Strof zahle muscht. Dank aunserm Heiland, daß du nimmeh eing'sperrt bischt.«

Nach einigem Hin- und Herreden gab Mathes nach, Hand in Hand ging er dann mit seinem Aivle das Dorf hinein und wurde von allen freundlich bewillkommt.

Das ist die Geschichte von dem Maibaum an des Wagner Michel's Haus; am Hochzeitstage der beiden Liebenden ward er mit rothen Bändern geschmückt. Der Himmel schien mehr Wohlgefallen an dem Baum zu haben als die löbliche Polizei, denn auf eine fast wunderbare Weise grünte der Baum und schlug neue Wurzeln; noch heutigestags prangt er als ewiges Liebeszeichen an dem Hause der Glücklichen.

Fußnoten

1 Eva.

2 Bannwart, Waldschütz.

3 Brusttuch, so viel als Jacke.

4 Einen auf die Gabel nehmen, so viel als einen Eid schwören; von dem Bilde der erhobenen drei Finger genommen.

5 Geh langsam.

6 Häs, Kleider.

2.

Mit dieser Geschichte hängt aber noch eine andere von allgemeiner Bedeutung zusammen. – Das Maiensetzen, sowie noch andere nach dieser Zeit vorgekommene Waldfrevel veranlaßten den Oberamtmann, eine Verordnung zu erlassen, die ihm schon lange in der Feder schwebte. – Seit alten Zeiten ist es nämlich ein Recht und eine Sitte der Schwarzwälder Bauern, bei einem Gange über Feld, d.h. von einem Orte zum andern, eine kleine Handaxt am linken Arme zu tragen; nur die »Mannen«, d.h. [170] die verheiratheten Männer, tragen dieses Wahrzeichen, die »Buben«, die ledigen Bursche, aber nicht. Es mag wohl sein, daß dies, wie die Sage geht, noch ein Ueberrest von der allgemeinen Wehrhaftigkeit ist.

Am ersten Pfingsttage war in allen Dörfern des Oberamtes am schwarzen Brette des Rathhauses folgende Verordnung zu lesen:


»Da man in Erfahrung gebracht, daß viele Waldfrevel von dem unbefugten Tragen der Aexte herrühren, so wird anmit zur öffentlichen Kunde gebracht: Von heute an soll jeder, der sich auf der Straße oder im Walde mit einer Axt umhertreibt, dem ihn betreffenden Landjäger, Flur- oder Waldschützen genaue Auskunft geben, wozu und warum er die Axt bei sich hat; sofern er hierüber nicht genügenden Ausweiß geben kann, verfällt er beim erstmaligen Betreffen in die Strafe von 1 Reichsthaler, bei Wiederholung in die von 3 Reichsthalern und beim abermaligen Zuwiderhandeln in eine Gefängnisstrafe von acht Tagen bis vier Wochen.

Der Oberamtmann

Rellings


Viele Bauern standen nach der Nachmittagskirche am Rathhause; der Mathes, der nun auch zu den Mannen gehörte, las die Verordnung laut vor. Alle schüttelten die Köpfe und murmelten Verwünschungen und Flüche vor sich hin; der alte Schultheiß aber [171] sagte laut: »Des wär' vor alters et g'schea, des sind aunsere G'rechtsame.«

Da sah man den Buchmaier mit der Axt am Arme vom obern Dorfe herabkommen; Alles schaute nach ihm hin, wie er so daherschritt. Es war ein behäbiger, kräftiger Mann in seinen besten Jahren, nicht groß, aber breitschulterig und dick. Aus den kurzen ledernen Beinkleidern hatte sich das Hemd etwas aufgestaucht; aus der offenen rothen Weste sah das breite Querband der an Nesteln 1 aufgehakten Hosenträger hervor, das buntgewoben und in der Ferne wie ein Pistolengurt aussah; der dreieckige Hut saß auf einem fast unverhältnismäßig kleinen Kopfe, dessen milde Gesichtszüge besonders um Mund und Kinn etwas weiblich Zartes ausdrückten; die weitgeschlitzten, hellglänzenden blauen Augen mit den emporstehenden dunkeln Augenbrauen verkündeten Klarheit und männlichen Trotz.

Mathes sprang dem Buchmaier entgegen, meldete ihm die Verordnung und sagte: »Vetter, ihr seid alle keine rechten Gemeinderäthe, wenn ihr euch das gefallen lasset.«

Der Buchmaier wandelte in seinem gemessenen Gange fort, ohne auch nur einen Schritt zu beschleunigen; er ging geradeswegs auf das Brett zu. Alles[172] wich zurück, damit er bequem lesen könne, er rückte seinen Hut etwas in die Höhe, erwartungsvolle Stille herrschte ringsum. Als der Buchmaier leise zu Ende gelesen hatte, schlug er sich mit der flachen Hand auf die Rundung seines Hutes, ihn fester setzend; das deutete etwas Unternehmendes an. Darauf nahm er ruhig seine Axt vom linken Arm und mit einem »Da!« hieb er sie in das schwarze Brett mitten durch die Verordnung; dann wendete er sich zu den Umstehenden und sagte: »Wir sind Bürger und Gemeinderäthe; ohne Amtsversammlung, ohne Beistimmung von allen Gemeinderäthen kann man keine solche Verordnung erlassen; ich will einmal sehen, ob die Schreiber Alles sind, und ob wir denn gar nichts mehr gelten, und wenn es bis an den König geht, wir dürfen das nicht leiden. Wer mit mir einig ist, der nehme meine Axt da heraus und hau' sie noch einmal in's Brett.«

Der Mathes war der Erste, der zugriff; der Buchmaier aber hielt ihm den Arm und sagte: »Laß die älteren Leute zuerst dran.«

Dieses Wort wirkte auf die Verzagten und Zweifelnden, die über die Handlungsweise des Buchmaiers betroffen waren und nicht wußten, was sie thun sollten. Der alte Schultheiß führte zuerst seinen Hieb mit zitternder Hand, dann griffen alle tapfer zu; von allen Umstehenden schloß sich keiner aus, und [173] besonders der Name des Oberamtmanns wurde kreuz und quer zerhackt. – Nach und nach kam das ganze Dorf herbei; alle wurden zur gleichen sinnbildlichen Handlung ermuntert, und unter Lachen und Jubeln that jeder seinen Hieb.

Der Schultheiß, von dem, was geschehen war, benachrichtigt, wollte Landjäger von Horb kommen lassen; sein weiser Minister aber riet ihm von diesem Aufgebote ab, da das doch nichts helfe; auch dachte der kluge Soges bei sich. »Gut, laß sie nur alle freveln, das gibt eine ganze Ernte Vorladungen, und für jede Vorladung einen Batzen; hauet nur wacker zu, es geht euch in's Fleisch, und das ist mein Batzenfleisch.« Mit fröhlicher Miene berechnete Soges bei einem Schoppen im Adler seinen Gewinn aus den Dorfhändeln.

So blieb endlich außer dem Soges und dem Schultheißen keiner im ganzen Dorf an dem Excesse unschuldig.

Am Dienstage gingen auf Veranlassung des alten Schultheißen die Gemeinderäthe selber vor Amt und machten die Anzeige von dem, was sie gethan hatten. Der Oberamtmann wütete und fluchte in der Stube umher. Er hieß nicht umsonst Rellings, er sah wirklich aus wie ein geschorner Kater 2, dem man eine Brille aufsetzt und Sporen an die Füße heftet. Er wollte [174] die Verbrecher sogleich einstecken lassen; der Buchmaier aber trat scharf vor ihn und sagte: »Ist das Eure ganze Kunst? Einsperren? Da hat's noch gute Weil'. Wir sind da, um Gegensprach' einzulegen, wir bekennen frei, was wir gethan haben, und da kann von keinem vorläufigen Einsperren die Rede sein: ich bin kein Landläufer, Ihr wisset, wo ich wohn', ich bin der Buchmaier, das da ist der Bäck, das da der Schmiedhannes, und das da des Michel's Basche, wir sind auf unserm eigenen Grund und Boden zu finden. Ohne Urtel kann man uns nicht einsperren, und dann gibt's noch einen Ausweg weiter 'naus, Reutlingen zu oder Stuttgart, wenn's sein muß.«

Der Oberamtmann lenkte wieder ein und lud die Männer auf morgen um neun Uhr zum Verhöre vor.

Dieses Letzte war wenigstens insofern gut, daß der Soges dadurch um seine wohlgezählten Batzen geprellt wurde. – So betrügen sich oft die großen und kleinen Herren in ihren Berechnungen.

Es sah fast kriegerisch aus, als des andern Tages mehr als hundert Bauern, die Handäxte am Arme, durch das Dorf hinauswanderten. Sie hielten oft vor einem Hause und riefen einen Verspäteten an, der sich in der Eile noch auf der Straße seinen Rock anzog, manche Scherze und Witzreden wurden nicht weiter gesponnen, wenn man den Buchmaier [175] ansah, der die Augenbrauen tief hereinzog. Kein Tropfen wurde getrunken, ehe man vor Amt ging: »Erst Rothes und nachher Brotes« 3, war der Wahlspruch der Bauern.

Der Oberamtmann sah im Schlafrock mit der langen Pfeife im Munde zum Fenster heraus. Als er nun den bewaffneten Zug so daher kommen sah, machte er schnell das Fenster zu und sprang nach der Klingel, weil er aber stets Sporen an den Stiefeln hatte, verfing er sich in dem Vorhange und stürzte der ganzen Körperlänge nach auf den Boden; die lange Pfeife lag wie seine Waffe neben ihm. Er erhob sich indes schnell wieder, klingelte nach dem Amtsdiener, schickte ihn zum Stationskommandanten, zum Wachtmeister der Landjäger, und befahl, daß sie alle mit scharfgeladenen Gewehren herkommen sollten. Leider aber waren nur noch vier Mann im Orte. Er befahl nun, daß sie sich unten in der Amtsdienerstube halten und jeden Augenblick bereit sein sollten. In der Amtsstube befahl er sodann, daß von den Bauern einer nach dem andern hereinkommen und daß sogleich immer wieder geschlossen werden solle.

Als nun der Buchmaier zuerst hereingerufen wurde, sagte er, die Thür in der Hand haltend: »Guten Morgen, Herr Oberamtmann,« und sich [176] sogleich umkehrend, sagte er zu den Draußenstehenden: »Kommet 'rein, ihr Mannen, wir haben gemeinschaftliche Sach', ich red' nicht für mich allein.« Ehe sich's der Oberamtmann versah, war die ganze Stube mit den Bauern gefüllt, die ihre Aexte im linken Arme trugen. Der Buchmaier trat vor, auf den Schreiber zu, und seine Hand ausstreckend, sagte er: »Schreibet's auf, Wort für Wort, was ich sag'; sie sollen's bei der Kreisregierung auch wissen.« Er fuhr sich sodann zweimal mit der rechten Hand durch den Hemdkragen, stemmte seine Faust auf den grünen Tisch und begann:

»Allen Respekt vor Euch, Herr Oberamtmann, der König hat Euch geschickt, und wir müssen Euch gehorchen, wie das Gesetz will; der König ist ein braver, rechtschaffener Mann, er will gewiß nicht, daß man die Bauern wie das Vieh hudeln oder wie die Kinder mit Döble 4 einschulen soll. Die kleinen Herrle, die von oben bis 'runter stehen, die haben Freud' an dem Befehlerles-Spielen; zuletzt schreiben sie's noch nach Noten vor, wie die Henn' gackern muß, wenn sie ein Ei legt. Ich will Euch einmal das Deckele vom Häfele 5 thun, ich will Euch den klaren Wein einschenken. Ich weiß wohl, es nützt jetzt nichts; gesagt muß es aber sein, ich muß den [177] Putzen einmal 'rausthun, es würgt mich schon lang. Die Gemeind' soll jetzt gar nichts mehr gelten, Alles soll in den Beamtenstuben abgethan werden. Ei so pflüget und säet und erntet auch in den Beamtenstuben. So ein verzwängtes Schreiberle kujoniert ein ganzes Rathhaus voll Bauern, und eh' man sich's verlugt, wird ein Schreiberschultheiß nach dem andern auf das Dorf gesetzt; da ist hernach Alles in der besten Schreiberordnung. Wahr ist wahr, Ordnung muß sein, aber zuerst muß man sehen, ob's nicht ohne Schreiber besser geht; und dann, wir sind grad' auch nicht auf den Kopf gefallen, und ist's auch nicht im Amtsstil, wir können's doch auch. Es muß g'studierte Leut' geben, die über Alles eine Aufsicht haben; aber zuerst müssen die Bürger selber ihr Sach' in Ordnung bringen.«

»Zur Sache, zur Sache!« drängte der Amtmann.

»Das gehört' zur Sach'. Mit eurem Schreiberwesen wisset ihr nichts mehr zu befehlen und ihr kommt ans Verhüten, Vorsorgen und Verhindern, ja Verhindern, ich hätt' schier gesagt – Zuletzt stellet ihr noch an jeden Baum einen Polizeidiener, damit er keine Händel kriegt mit dem Wind und nicht zu viel trinkt, wenn's regnet. Wenn das mit dem Befehlerles so fort geht, möcht' man ja auf der Kuh fortreiten 6. Alles, alles wollt ihr uns nehmen; [178] jetzt ist eins da, um das lassen wir uns nicht bringen.« Erhob die Art hoch auf und fuhr dabei zähneknirschend fort: »Und wenn ich mit der Axt da die Thüren bis zum König aufbrechen muß, ich geb' sie nicht aus der Hand. Von alten Zeiten her ist es unser Recht, daß wir Aexte tragen, und wenn man sie uns nehmen will, so muß es die Amtsversammlung oder der Landtag thun, und da haben wir auch ein Wort mitzureden. Aber warum wollet ihr sie uns nehmen? Damit kein Waldfrevel geschieht? Dafür sind Waldschützen und Strafen und Gesetze da, und die gelten gleich für Edelmann und Bettelmann. Wie viel Zähn' braucht ein armer Bauer, um Grundbirnen 7 zu essen? Reißt ihm die andern 'raus, damit er nicht in Versuchung kommt, Fleisch zu stehlen. Und warum lasset ihr denn die Hund 'rumlaufen mit ihren Fangzähnen? Wenn ein Bub' acht, neun Jahre alt ist, hat er sein Messer im Sack, und wenn er sich in den Finger schneid't, ist er eben selber daran schuld; thut er einem andern 'was damit, klopft man ihm auf die Finger. Wer sagt denn euch, daß wir noch ärger als kleine Kinder sind, und ihr unsere Lehrer und Vormünder? Ihr Herren thut grad', als wäret ihr dran schuld, daß ich jetzt nicht zum Fenster 'nausspring'; in der Hauptsach' vom Leben muß ja doch jeder für sich [179] und jede Gemeinde für sich sorgen und nicht ihr Herren. Was sag' ich da? Herren! Unsere Diener seid ihr, und wir sind die Herren. Ihr meinet immer, wir sind euretwegen da, damit ihr was zu befehlen habt; wir bezahlen euch, damit Ordnung im Land ist, und nicht, um uns cujonieren zu lassen. Staatsdiener seid ihr, und der Staat, das sind wir, die Bürger. Wenn uns kein Recht wird, so gehen wir nicht zum Brünnele, sondern zum Brunnen, und eh' leg' ich meinen Kopf auf den Block und laß mir ihn mit der Axt da vom Henker abhauen, eh' ich mir sie von einem Beamten ohne meinen Willen nehmen lass'. So ist's, ich bin fertig.«

Andächtige Stille herrschte ringsum, ein Jeder sah den Andern an, blinzelte mit den Augen, die gleichsam sagten: »Der hat sein Sach', jetzt kann er's sieden oder braten.« Der Basche aber sagte ganz leise zum Bäck: »Da paßt das Sprüchwort recht: dem ist's gut von der Haue gefallen.« – »Ja, der hat das Maul nicht in der Tasch'!« erwiederte der Bäck.

Der Oberamtmann ließ den Eindruck dieser Rede nicht lange andauern; ein Papierchen zwischen den Fingern drehend, begann er mit ruhigem Tone die Schwere des geschehenen Verbrechens darzustellen. Mancher scharfe Seitenhieb auf den Buchmaier fiel; dieser aber schüttelte immer nur leise den Kopf, als[180] ob er Fliegen abwehre. Zuletzt sprach der Oberamtmann von Proceßkrämern und Aufrührern, von eingebildeten Herrenbauern, die einmal mit einem Advokaten einen Schoppen getrunken, die läuten hörten und nicht wüßten wo? Von dieser allgemeinen Abschweifung ging er sodann wieder auf das Vorliegende über; er nannte einzelne Anwesende bei Namen, lobte sie als ruhige, verständige Bürger, die zu einer solchen That unfähig seien. Er sprach seine tiefe Ueberzeugung aus, daß sie sich von dem Buchmaier hatten verleiten lassen; er beschwor sie bei ihrem Gewissen, bei ihrem Gehorsam gegen König und Gesetz, bei ihrer Liebe zu Frau und Kindern, die schwere Schuld nicht auf sich zu laden, offen und frei die Verführung zu bekennen, und ihre Strafe werde mild sein.

Wiederum herrschte Stille; Einige sahen einander an und blickten dann verlegen zur Erde. Der Buchmaier erhob sein Antlitz hoch und kühn, er schaute Allen frei in's Angesicht, seine Brust hob sich, erwartungsvoll hielt er den Athem an. Der Mathes hatte schon den Mund geöffnet, um zu sprechen; da hielt ihm der Schmiedhannes den Mund zu, denn eben erhob sich der alte Schultheiß, der von allen Anwesenden allein auf einem Stuhle gesessen hatte. Mit schweren Tritten, die Füße kaum erhebend, ging er vor an den grünen Tisch, Anfangs keuchend und oft Athem holend, dann aber in fließender Rede [181] sagte er: »Groß Dank für die gute Nachred', die Ihr mir und an dern gehalten habt, Herr Oberamtmann, aber was der Buchmaier gesagt hat, unterschreibe ich aufs Tüpfele 8 hin. Wenn's noch einen Beweiß braucht', daß uns die Herren wie kleine Kinder, wie Unmündige ansehen, so hättet Ihr ihn geliefert, Herr Oberamtmann; nein, ich bin 76 Jahre alt und bin zwanzig Jahre Schultheiß gewesen. Wir sind keine Kinder, die sich zu so etwas wie zu einem Bubenstreich verführen lassen, die Axt bleibt bei mir, bis man mir sechs Bretter mitgibt. Wer als ein Kind dasteht, der soll's nur bekennen: Ich bin ein Mann, der weiß, was er thut; wenn's zur Straf' kommt, bin ich auch dabei.«

»Wir auch!« riefen alle Bauern wie aus einem Mund; die Stimme des Mathes tönte vor.

Das Antlitz des Buchmaiers war wie mit Licht übergossen; er faßte noch mit der rechten Hand seine Axt und drückte sie innig an's Herz.

Nachdem die herkömmlichen Förmlichkeiten beendet, das Protocoll unterschrieben und der Buchmaier sich eine Abschrift davon erbeten hatte, verließen die Bauern still die Oberamtei.

Noch mehrere andere Gemeinden thaten Einsprache gegen die neue Verordnung; die Sache kam bis vor die Kreisregierung. Diejenigen, welche auf eine so [182] ungebührliche Weise mit den Aexten selber Einsprache gethan hatten, wurden um eine namhafte Summe bestraft. Indes wurde nach einiger Zeit der Oberamtmann Rellings versetzt, die Verordnung aber nicht mehr erneuert.

Nach wie vor tragen die Mannen ihre Axt am linken Arme.


Ich erzähle wohl ein andermal noch Weiteres vom Buchmaier.

Fußnoten

1 Wegen dieser Nesteln statt der Knöpfe gehören die Schwarzwälder zu den Nestelschwaben.

2 Man nennt im Schwarzwalde einen Kater Relling.

3 Erst Rathen, nachher Braten.

4 Tatzen, Schläge auf die Hand.

5 Topf.

6 Sprüchwörtlich, so viel als: das äußerste Fluchtmittel ergreifen.

7 Kartoffeln.

8 Pünktchen.

VI.
Die feindlichen Brüder.

[185][187]

In der spärlich bewohnten kalten Gasse, »der Kniebis« genannt, steht ein kleines Häuschen, das außer einem Stall und einem Schuppen nur drei zum Teil mit Papier zugeklebte Fenster hat; oben am Dachfenster hängt ein Laden nur an einer Angel und droht jeden Augenblick herunter zu fallen. Neben dem Hause ist ein kleines Gärtchen, das noch durch einen der Länge nach hindurchlaufenden Zaun von dürren Dornen in zwei Hälften geschieden ist. In dem Hause wohnten zwei Brüder schon seit vierzehn Jahren in unabänderlicher Feindschaft. Wie im Garten, so war auch im Hause alles getheilt, von der Dachkammer bis hinab in den kleinen Keller; die Fallthüre war offen, aber drunten hatte jeder seinen durch Latten abgetheilten verschlossenen Raum. Auch sonst waren an allen Thüren noch Hängeschlösser befestigt, als ob man stündlich den Ueberfall von Dieben fürchtete; der Stall gehörte dem einen, der Schuppen dem andern Bruder. Kein Wort wurde im Hause vernommen, wenn nicht einer bisweilen laut vor sich hin fluchte.

[187] Michel und Koanradle, so hießen die beiden Brüder, waren beide schon sehr bei Jahren und beide unbeweibt. Dem Koanradle war seine Frau schon früh gestorben, und er lebte nun so für sich allein; der Michel war nie verheirathet gewesen.

Eine blau angestrichene, lange, sogenannte Bankkiste war die erste Ursache des Bruderhasses.

Nach dem Tode der Mutter sollte Alles getheilt werden; die im Dorfe verheirathete Schwester hatte schon ihr Pflichttheil bekommen. Der Koanradle behauptete, er habe die Kiste aus seinem eigenen Gelde gekauft, das er sich als Wegknecht durch Steinschlagen auf der Straße verdient, er habe sie nur der Mutter geliehen, und sie sei sein eigen; der Michel aber behauptete, der Koanradle habe der Mutter Brod gegessen und habe somit kein eigenes Vermögen. Nach einem persönlich heftigen Streite kam die Sache vor den Schultheiß und sodann vor das Gericht; es wurde entschieden, daß, da die Brüder nicht übereinkommen können, Alles im Hause samt der Kiste verkauft und der Erlös getheilt werden solle. Ja, das Haus selber wurde versteigert; da sich aber kein Käufer dafür fand, mußten es in Gottes Namen die Brüder behalten.

Die Brüder mußten nun ihre eigenen Sachen, ihr Bett und anderes öffentlich wieder kaufen. Das machte dem Koanradle manchen Kummer, denn er [188] hatte etwas mehr Empfindung als gewöhnlich. – Es gibt in jedem Hause mancherlei Dinge, die keinem Fremden für Geld zu haben sind; sie sind viel mehr werth, als man eigentlich dafür bezahlen kann, denn es haften Gedanken und Lebenserinnerungen daran, die für keinen andern in der Welt Werth haben.

Solche Sachen müssen sich still von Geschlecht zu Geschlecht forterben; dadurch bleibt ihr steter innerer Werth unangetastet. Muß man sie aber erst wieder aus den Händen anderer reißen und um Geld mit Fremden darum ringen, so ist ein großer Teil ihrer ursprünglichen Weihe dahin; sie sind in ihrem Geldeswerthe errungen und nicht still, man möchte sagen, wie ein Heiligtum, ererbt. Solcherlei Gedanken waren es, worüber der Koanradle oft den Kopf schüttelte, wenn ihm ein altes Hausgeräthe zugeschlagen wurde; und als das in schwarzen Samt eingebundene Gesangbuch der Mutter mit den silbernen Spangen und den silbernen Buckeln zum Verkaufe kam und ein Trödler das Silber in der Hand wog, um das Gewicht zu schätzen, schoß ihm alles Blut in den Kopf. Er steigerte das Gesangbuch um hohen Preis.

Endlich kam die Kiste an die Reihe. Der Michel räusperte sich laut und betrachtete mit einem herausfordernden Blicke seinen Bruder; er setzte sogleich eine namhafte Summe darauf. Der Koanradle bot[189] schnell einen Gulden mehr, ohne dabei aufzuschauen, und zählte die Knöpfe an seinem Wams. Der Michel aber bot, sich keck umschauend, höher: kein Fremder steigerte mit, und von den Brüdern wollte zum Hohne keiner dem andern die Streitsache lassen. Ein jeder dachte auch bei sich: du brauchst ja nur die Hälfte zu bezahlen, und so gingen sie immer höher und höher, und endlich wurde die Kiste für mehr als das Fünffache ihres Werthes, für achtundzwanzig Gulden, dem Koanradle zugeschlagen.

Jetzt erst schaute er auf, und sein Gesicht war ganz verändert; Hohn und Spott sprachen aus den aufgerissenen Augen, dem offenen Munde und dem ganzen vorgebeugten Antlitze. »Wenn du stirbst, so schenk' ich dir die Kist', daß man dich drein n'einlegt,« sagte er zitternd vor Wuth zum Michel, und das waren die letzten Worte, die er seit vierzehn Jahren zu ihm gesprochen hat.

Im ganzen Dorfe wurde die Kistengeschichte zu allerlei Spaß und Lustbarkeit benutzt, und wo einer den Koanradle sah, bemerkte er, wie schändlich der Michel gehandelt habe, und der Koanradle redete sich immer mehr in Wuth gegen seinen Bruder hinein.

Auch sonst waren die beiden Brüder ganz verschiedener Sinnesart und gingen auch ihre verschiedenen Wege.

Der Koanradle hielt sich eine Kuh, die er mit [190] der Kuh seines Nachbarn Christian zur Feldarbeit zusammenspannte. In der übrigen Zeit schlug er für fünfzehn Kreuzer des Tages Steine auf der Straße. Auch war der Koanradle sehr beisichtig; er trat unsicher auf, und wenn er sich Feuer schlug, brachte er den Zunder immer nahe zur Nase, um dadurch gewiß zu sein, daß er brenne. Er hieß im ganzen Dorfe der »blind' Koanradle«; das le wurde ihm gegeben, weil er eine kurze, untersetzte Gestalt hatte.

Der Michel hingegen war gerade das Gegenspiel. Er war lang und hager und schritt ganz sicher einher; er trug sich vollkommen bäuerisch, nicht weil er ein besonderer Bauer war, denn er war eigentlich gar keiner, sondern weil ihm das zu seinem Handel sehr förderlich war. Er handelte nämlich mit alten Pferden, und die Leute haben weit mehr Zutrauen zu einem Pferde, das sie von einem bäuerisch gekleideten Manne kaufen. Der Michel war ein verdorbener Hufschmied; er verpachtete und verkaufte zum Teil seine Aecker, legte sich ganz auf den Pferdehandel und führte dabei ein Herrenleben. Er war eine wichtige Person in der ganzen Gegend. Er kannte auf sechs, acht Stunden im Umkreis, im Württembergischen, im ganzen Sigmaringer und Hechinger »Ländle« und bis in's Badische hinein den Zustand und das Kontingent der Ställe so gut [191] wie ein großer Staatsmann die statistischen Berichte fremder Staaten und die Stellung der Kabinette; und wie dieser in den Zeitungen, so sondierte Michel die Stimmung des Volkes in den Wirthshäusern. Er hatte auch in jedem Orte einen Thunichtgut als Residenten, mit denen er manche geheime Konferenzen hielt und die im Nothfalle eine Stafette zum Michel sandten, nämlich sich selber, für die sie weiter nichts verlangten, als ein gutes Trinkgeld im buchstäblichen Sinne des Wortes. Dann aber hatte auch Michel geheime Agenten, die die Leute zu Revolutionen in ihren Ställen verleiteten, und so kam es, daß in seinem Schuppen, der als Stall diente, fast immer ein Marode-Gaul war, den er für einen neuen Feldzug, für die Oeffentlichkeit, d.h. für den Verkauf auf dem Markt zustutzte. Er färbte die Haare über den Augen, er feilte die Zähne, und wenn das arme Thier auch nichts mehr als Kleien fressen konnte und bei anderem Futter verhungern mußte, ihn kümmerte das wenig, denn er schlug es auf dem nächsten Markte unfehlbar wieder los.

Dabei hatte er seine besonderen Kunststückchen; er stellte z.B. einen Helfershelfer auf, der zum Scheine einen Tausch mit ihm machen wollte; sie lärmten dabei ganz ungeheuer, dann rief aber der Michel ganz laut: »Ich kann nicht tauschen, ich hab' kein Futter und keinen Platz, und wenn ich den Gaul [192] für eine Karolin weggeben muß, fort muß er!« Oder er machte es noch gescheiter: er stellte für ein paar Kreuzer ein dummes Bäuerchen hin, gab ihm den Gaul, ließ sich ihn vorreiten und sagte: »Wenn ein rechter Bauer das Thier hätt', da könnt' man einen schönen Gaul hinfüttern; das Gestell ist überaus, die Knochen sind englisch, dem fehlt nichts als Fleisch, und da ist er seine zwanzig Karolin werth.« Dann brachte er einen Käufer, bedingte sich noch ein Unterhändlergeld und er hielt beim Verkaufe seines eigenen Pferdes noch einen Nebenverdienst. Am meisten war der Michel den gerichtlichen Urkunden feind, in denen man gegen die Hauptfehler gewährleisten mußte; er ließ, wenn es drauf und dran kam, lieber noch ein paar Gulden nach, ehe er solche Verbindlichkeiten einging. Dabei hatte er aber doch manchen Proceß, der den Gaul samt dem Profit auffraß; aber es liegt in dieser Art Leben, von freiem, arbeitslosem Herumstreifen etwas so Verführerisches, und der Michel rechnete immer auch wieder eins in's andere, daß er vom Pferdehandel nicht lassen konnte. Sein Grundsatz war: »Ich geh' nicht vom Markt, gepatscht muß sein.« Damit meinte er, ein Handel muß abgeschlossen sein, wobei man die Hände schallend zusammenschlägt. Die Handelsjuden auf den Märkten waren ihm auch vielfach behilflich, und er spielte wieder mit ihnen unter Einer Decke.

[193] Wenn der Michel so zu Markte ritt oder vom Markte heimfuhr und der Koanradle an der Straße Steine schlug, da sah er seinen Bruder halb mitleidig, halb höhnisch an, denn er dachte: »O du armer Schelm! Schlägst Stein' von morgens bis Abends um fünfzehn Kreuzer, und ich verdiene, wenn's nur ein bißle gut geht, fünfzehn Gulden.«

Der Koanradle, der das mit seinen blöden Augen doch bemerkte, schlug dann auf die Steine, daß die Splitter weit umherspritzten.

Wir wollen aber sehen, wer es weiter bringt, der Michel oder der Koanradle.

Der Michel war einer der beliebtesten Unterhaltungsmenschen im ganzen Dorfe, denn er konnte Tag und Nacht immerfort erzählen, so viel Schliche und Streiche wußte er, und er kannte auch Gott und die Welt. Freilich Gott kannte er wenig, obgleich er manchmal in die Kirche ging, denn davon kann sich auf dem Lande keiner ganz ausschließen; aber er ging eben in die Kirche wie gar viele, ohne etwas dabei zu denken und sein Leben danach einzurichten.

Der Koanradle hatte auch seine Untugenden, und dazu gehörte besonders sein Haß gegen seinen Bruder und die Art, wie er denselben äußerte. Wenn man ihn fragte: »Wie geht's deinem Michel?« antwortete er immer: »Dem geht's noch so;« dabei machte er [194] unter dem Kinn mit beiden Händen, als ob er einen Knothen schlinge, dann fuhr er nach beiden Seiten aus und streckte die Zunge heraus. Er wollte, wie leicht erkenntlich, damit sagen: der wird noch gehenkt.

Natürlich sparten die Leute diese Frage nicht sehr, und es war immer ein besonderes Hallo, wenn man den Koanradle zu seiner feststehenden Antwort brachte.

Auch sonst schürten die Leute den Haß der Brüder, nicht gerade immer aus Bosheit, sondern weil es ihnen Spaß machte. Der Michel aber zuckte nur verächtlich die Achseln, wenn man von dem »armen Schelm« sprach.

Nie blieben die Brüder in einer Stube; wenn sie sich in dem Wirthshause oder bei ihrer Schwester trafen, ging immer einer von ihnen fort.

Niemand dachte mehr daran, sie zu versöhnen, und wenn zwei Leute in Feindschaft mit einander waren, hieß es sprichwörtlich: »Die leben wie der Michel und der Koanradle.«

Zu Hause redeten die beiden kein Wort, wenn sie sich begegneten, ja sie sahen sich nicht einmal an. Dennoch, wenn einer merkte, daß der andere unwohl im Bette lag, ging er den weiten Weg zu der Schwester, die in der Froschgasse wohnte, und sagte: »Gang 'nuf, i glaub', es ischt ihm et reacht«; und dann arbeitete ein jeder von den Brüdern gewiß [195] leise und ohne Geräusch, um den andern nicht zu stören.

Außer dem Hause aber und unter den Leuten lebten sie in gleichmäßiger Feindschaft, und niemand dachte daran, daß noch ein Funke Liebe in ihnen sei.

Das dauerte nun in das vierzehnte Jahr. Dem Michel war unter dem vielen Hin- und Herhandeln das Geld von seinen verkauften zwei Aeckern durch die Finger gefallen, er wußte nicht, wie; der Koanradle aber hatte sich von einem Auswanderer noch einen neuen Acker gekauft und fast ganz bezahlt. Der Michel gab sich nun meist damit ab, anderen Leuten beim Handel behilflich zu sein, und er dachte daran, durch den Verkauf eines neuen Ackers sich wieder flott und selbsthandelnd zu machen.

»Und es kam ein neuer König in Aegypten,« diesen Vers im zweiten Buch Moses, Kap. 1, V. 8, konnten die Leute im Dorf auf eine eigene Weise auf sich anwenden. Der alte Pfarrer war gestorben; er war ein guter Mann, aber er ließ Alles gehen, wie es ging. Der neue Pfarrer, der in das Dorf gekommen war, war ein eifriger junger Mann; er wollte Alles in Ordnung bringen, und er brachte auch Vieles zu Stande, bis er endlich in ein offenbares Verhältniß zu dem Schäpflewirths Lisle kam, worauf er sich eben auch nicht mehr in die Privatangelegenheiten der Leute mischte, denn man konnte [196] sagen: kehr' du vor deiner Thür! Jetzt aber war noch Alles im frischen Schwunge.

Es war an einem Sonntage nach der Mittagskirche, da saßen die Leute bei einander auf dem Bauholz für das neue Feuerspritzenhaus neben dem Rathhausbrunnen; auch der Michel war darunter, er saß gebückt da und kaute spielend an einem Strohhalm. Da ging der Peter, der fünfjährige Bub des Schackerle's Hannes, vorbei. Einer rief das Kind herbei und sagte, in die Tasche greifend: »Guck, Peter, du kriegst ein Häufle 1 Nuß, wenn du dem Koanradle nachmachst; wie macht der Koanradle?« Der Bub schüttelte Nein und wollte gehen, denn er war gescheit und fürchtete den anwesenden Michel, aber er wurde festgehalten und fast gezwungen, und endlich machte er das Knothenschlingen, das Ausziehen und das Zungenausstrecken; es war ein Gelächter, daß man's durch das halbe Dorf hörte. Als nun der Bub die Nüsse wollte, zeigte sich's, daß der Versprecher keine hatte, und neues Gelächter entstand, als der Knabe mit den Füßen nach dem Betrüger ausschlug.

Der neue Pfarrer war indes den kleinen Hügel am Rathhause herahgekommen; er war stehen geblieben und hatte dem ganzen Handel zugesehen. Als nun der Knabe für seine dringende Forderung [197] noch geprügelt werden sollte, da trat der Pfarrer schnell herzu und riß das Kind weg; alle Bauern standen schnell auf und rissen die Mützen vom Kopfe. Der Pfarrer nahm den Heiligenpfleger, der mit darunter gewesen war, mit durch das Dorf und ließ sich Alles von ihm erzählen. Er erfuhr nun die Feindschaft der Brüder und Alles, was wir bisher erfahren.

Am Samstag darauf wurde der Koanradle, als er mitten im Dorfe Steine schlug, auf morgen früh nach der Kirche zum Pfarrer vorgeladen. Er glotzte verwundert drein, die Pfeife ging ihm aus, und fast zwei Sekunden lang blieb der Stein unter seinem mit einem Brette besohlten Fuße unzerspalten, er konnte sich gar nicht denken, was es im Pfarrhause gebe; er wäre lieber gern gleich hingegangen.

Den Michel traf die Vorladung, als er gerade einem alten Gaul »seine Sonntagsstiefel schmierte«, so hieß er nämlich das Aufputzen der Hufe; er pfiff dann die Melodie eines unzüchtigen Liedes, hörte aber doch mitten drin auf, denn er wußte wohl, was es morgen geben würde. Er war froh, daß er sich auch noch auf eine tüchtig gesalzene Gegenpredigt vorbereiten konnte; ein paar Brocken davon murmelte er schon jetzt leise vor sich hin.

Am Sonntag Morgen hielt der Pfarrer eine Predigt über den Text Psalm 133, Vers 1: »Siehe, [198] wie gut und wie lieblich ist's, wenn Brüder beisammen sitzen.« Er zeigte, wie alles Glück und alle Freude auf Erden nur halb oder gar nichtig ist, wenn wir es nicht mit denen genießen und theilen, die unter demselben Mutterherzen wie wir geruht; er zeigte, wie die Eltern diesseits nicht glücklich und jenseits nicht selig werden können, deren Kinder Haß, Neid und Bosheit trennt; er wies auf das Beispiel von Kain und Abel hin und zeigte, wie der Brudermord die erste giftige Frucht des Sündenfalls war. Alles dieß und wohl noch viel mehr sprach der Pfarrer mit klangvoller donnernder Stimme, so daß die Bauern von ihr sagten: »sie druckt die Wänd' aus einander«. Aber freilich ist es oft fast noch leichter, die Wände auseinander zu drücken, als die verhärtete, verschlossene Brust der Menschen zu öffnen. Die Bärbel weinte bittere Thränen über die Hartherzigkeit ihrer Brüder, und obgleich der Pfarrer zehnmal wiederholte, er meine nicht diesen oder jenen, sondern jeder möge die Hand aufs Herz legen und fragen, ob er die echte Liebe gegen die Seinigen hege, so dachte doch eben jeder nur: »Das geht auf den Michel und den Koanradle, das ist bloß auf die gemünzt.«

Diese beiden standen nicht weit voneinander, der Michel kaute an seiner Mütze, die er zwischen den Zähnen hielt, der Koanradle aber hörte mit [199] offenem Munde zu, und als sich einmal die Blicke beider begegneten, fiel dem Michel die Mütze aus der Hand, und er bückte sich schnell.

Das Lied machte einen sanften, beruhigenden Schluß; aber noch ehe die letzten Töne verklungen waren, war der Michel aus der Kirche und stand vor der Thüre des Pfarrhauses. Sie war noch geschlossen; er ging in den Garten. Lange stand er hier an den Bienenstöcken und sah dem emsigen Treiben der Thierchen zu:


»Die wissen's nit, daß Sunntig isch,«


und er dachte: »Du hast auch keinen Sonntag bei deinem Handel, denn du hast auch keinen rechten Werktag,« und er dachte wieder: »Wie viel hundert Geschwister in so einem Bienenstock bei einander wohnen, und alle arbeiten, wie die Alten;« aber er blieb nicht lange bei derlei Gedanken, sondern nahm sich vor, sich von dem Pfarrer keine Trense aufsetzen zu lassen, und als er nach dem Gottesacker drüben sah, dachte er an die letzten Worte Koanradles, und seine Fäuste ballten sich.

Im Pfarrhause traf der Michel den Pfarrer und den Koanradle schon in eifrigem Gespräche beisammen; der Pfarrer stand auf; er schien den Ankömmling nicht mehr erwartet zu haben. Er bot Michel einen Stuhl an; auf seinen Bruder deutend, erwiderte aber Michel:

[200] »Herr Pfarrer, allen Respekt vor Euch, aber ich setz' mich nicht nieder, wo der da ist; Herr Pfarrer, Ihr seid erst kurz im Dorf, Ihr wisset nicht, was der für ein Lugenbeutel ist, das ist ein scheinheiliger Duckmäuser, der hat's aber faustdick hinter den Ohren. Alle Kinder machen ihm nach,« fuhr er zähneknirschend fort, »wie geht's deinem Michel?« er machte nun ebenfalls die uns sattsam bekannten Manieren, dann sagte er wieder, zitternd vor Wuth: »Herr Pfarrer, der da ist an meinem Unglück schuldig, er hat mir den Frieden im Haus verscheucht, und ich hab' mich dem Teufel mit seinem Roßhandel ergeben. Du hast mir's prophezeit, du,« sagte er, auf seinen Bruder losfahrend; »ich häng' mich noch an einem Roßhalfter auf, aber zuerst mußt du d'ran.«

Der Pfarrer ließ die beiden Brüder austoben; er gebrauchte seine Würde nur in so weit, um von Tätlichkeiten zurückzuhalten. Er wußte wohl, daß, wenn der lang verhaltene Ingrimm ausgeschüttet, auch die Liebe zum Vorschein kommen müsse, aber er täuschte sich noch halb.

Endlich saßen die beiden Brüder wortlos und nur noch laut athmend da, keiner regte sich. Da sprach der Pfarrer zuerst mit sanften Worten, er öffnete alle verborgenen Falten des Herzens; es half nichts! die beiden sahen zur Erde. – Der Pfarrer [201] schilderte ihnen die Qualen ihrer Eltern im Jenseits, der Koanradle seufzte, aber er sah nicht auf; da faßte der Pfarrer alle seine Kraft zusammen, seine Stimme dröhnte wie die eines strafenden Propheten, er schilderte ihnen, wie sie nach ihrem Tode vor den Richterstuhl des Herrn kommen, und der Herr ruft: »Wehe! Wehe! Wehe! ihr habt verstockten Herzens in Haß gelebt, ihr habt die Bruderhand einander entzogen, gehet hin aneinander geschmiedet, verschmachtet ewig in der Hölle.«

Alles war stille, der Koanradle wischte sich mit seinem Aermel die Thränen ab, dann stand er auf und sagte: »Michel!«

Der Angeredete hatte seit so vielen Jahren diesen Ton nicht gehört, daß er plötzlich aufschaute, und der Koanradle trat näher und sagte: »Michel, verzeih!« – Die Hände der Brüder lagen fest in einander, die Hand des Pfarrers wie segnend darauf.

Alles im Dorfe schaute auf und freute sich, als man den Michel und den Koanradle Hand in Hand den kleinen Hügel am Rathhause herunterkommen sah.

Bis nach Hause ließen sie ihre Hand nicht los, es war, als ob sie die lange Entbehrung einbringen müßten. Zu Hause aber rissen sie schnell die Hängeschlösser ab; dann gingen sie in den Garten und stürzten den Zaun um; so viel Kohl auch dabei zu [202] Grunde ging, dieß Zeichen der Zwietracht mußte fort.

Dann gingen sie zu ihrer Schwester und aßen an einem Tisch nebeneinander.

Nachmittags saßen die beiden Brüder in der Kirche, und ein jeder hielt eine Seite von dem Gesangbuche der Mutter in der Hand.

Ihr ganzes Leben ward fortan wiederum ein einiges.

Fußnoten

1 Vier.

VII.
Ivo, der Hajrle.

[205][207]

1. Die Primiz

1.
Die Primiz.

An einem Samstag Nachmittage wurde auf der Hochbux emsig gezimmert und gehämmert. Der Zimmermeister Valentin schlug mit seinen beiden Söhnen ein Gerüste auf, das nichts weniger war, als ein Altar und eine Kanzel. Des Schneider Christle's Gregor sollte hier morgen seine Primiz 1 halten, so nennt man nämlich die Feier des ersten Meßopfers und die erste Predigt eines neugeweihten Geistlichen.

Ivo, der kleinste Sohn Valentins, ein blonder Knabe von sechs Jahren, half seinem Vater mit wichtiger Miene bei der Arbeit. Barhaupt und barfuß kletterte er behend wie ein Eichhorn auf dem Gebälke umher, bei jeder Hebung eines Balkens schrie er gleichfalls: Holz her! stemmte sich an und schnaufte, als ob er das meiste dazu vollbringe. Valentin gab dem kleinen Ivo auch sonst immer »etwas zu schaffen«; er mußte den Bindfaden auf die Spule wickeln, das [207] (Handwerks-) »Geschirr« zusammentragen, oder die Späne auf einen Haufen sammeln. Mit einem Ernst und mit emsigen Gebärden, als ob er das größte Werk vollführe, befolgte Ivo seinen Auftrag, und als er einmal als Beschwerungslast auf die Spitze eines schwanken Balkens sitzen mußte, zitterten ihm die Bewegungen der Säge so durch alle Glieder, daß er beständig laut auflachen mußte und fast herunterfiel; er hielt sich aber fest und bemühte sich, sein gewichtiges Amt still zu vollziehen.

Das Gerüste war endlich fertig. Der Sattler Ludwig war bereit, die Teppiche anzunageln. Ivo wollte ihm gleichfalls dabei helfen, aber der barsche Mann jagte ihn fort, und Ivo setzte sich still auf die zusammengelesenen Späne und schaute hinaus nach den jenseitigen Bergen, über denen die Sonne glühendroth unterging. Da hörte er den Pfiff seines Vaters, er sprang auf und eilte zu ihm.

»Vater,« sagte Ivo, »wenn ich nur einmal in Hochdorf wär'.«

»Warum?«

»Gucket, das ist ganz nah beim Himmel, und da möcht' ich einmal 'naufsteigen.«

»Du dummes Kind, das ist nur so, wie wenn dort der Himmel aufstehen thät; hinter Hochdorf ist noch weit bis Stuttgart, und von da ist es auch noch weit bis in den Himmel.«

[208] »Wie weit?«

»Man kann eben nicht hinkommen, bis man todt ist.«

Seinen kleinen Sohn an der rechten Hand führend und am linken Arm das Handwerkszeug tragend, ging Valentin durch das Dorf. Ueberall wurde gescheuert und gewaschen, die Stühle und Tische standen vor den Häusern; denn jedes erwartete zu der heiligen Handlung auf morgen einen Besuch aus einem nahen oder entfernten Dorfe.

Als Valentin an des Schneider Christle's Haus vorüber ging, langte er an seine Mütze, bereit, sie abzuziehen, wenn jemand heraussähe; aber es sah niemand heraus, das ganze Haus war so still wie ein Kloster. Einige Bauernweiber gingen mit Schüsseln unter den Schürzen in das Haus, andere kamen mit leeren Schüsseln unterm Arme heraus; sie begrüßten sich still; sie hatten die Hochzeitsgeschenke für den jungen Pfarrer in's Haus gebracht, der ja morgen öffentlich getraut wurde mit seiner heiligen Braut, der Kirche.

Die Abendglocke läutete, Valentin ließ die Hand seines Sohnes los, der schnell seine Händchen faltete; auch Valentin legte über dem schweren Handwerkszeuge die Hände übereinander und betete ein Ave. – –

Andern Morgens schaute ein heller Tag auf das[209] Dorf herab. Ivo wurde schon früh von seiner Mutter schön angekleidet mit einem neuen Janker von gestreiftem Manchester und, wie ihm schien, silbernen Knöpfen und frisch gewaschenen, kurzen ledernen Beinkleidern; er sollte das Kruzifix tragen. Gretle, die älteste Schwester Ivo's, nahm diesen bei der Hand und führte ihn auf die Gasse, damit es »Platz im Hause gebe«. Sie schärfte ihm ein, daß er ja nicht mehr zurückkehren solle; dann eilte sie geschäftig in's Haus zurück. Ivo ging das Dorf hinein, überall standen die Männer und Burschen in Rädchen auf der Straße; sie waren nur in halbem Putze, ohne Jacke oder Rock, die weißen Hemdärmel zur Schau tragend. Hier und dort sprangen Frauen und Mädchen, ebenfalls ohne Mieder, mit halb aufgelösten Haaren und das flatternde rothe Wickelband in der Hand tragend, von einem Hause in's andere. Es erschien Ivo als eine grausame Tyrannei seiner Schwester, daß er so aus dem Hause verstoßen war. Er wäre auch gar zu gerne wie die großen Leute zuerst im Halbstaate und dann unter dem Geläute der Glocken in voller Pracht erschienen; aber er wagte es nicht, wieder zurückzukehren, noch irgendwo sich niederzulassen, aus Furcht, seine Kleider zu verderben. Behutsam ging er so durch das Dorf. Wagen an Wagen brachte fremde Bauern und Bäuerinnen, aus den Häusern wurden ihnen [210] Stühle zum Absteigen entgegengetragen und sie freundlich bewillkommt. Alle Leute sahen heute so in sich vergnügt, so erhaben aus, wie eine Einwohnerschaft, die einen sieggekrönten Helden aus ihrer Mitte im Triumphe empfängt. Von der Kirche bis zur Hochbux war die Straße mit Gras und Blumen bestreut, die einen würzigen Duft emporsteigen ließen. Der Schultheiß kam aus des Schneider Christle's Haus und setzte erst auf der Straße seinen Hut wieder auf. Der Soges hatte ein frisch lackiertes Bandelier an seinem Säbel.

Bald darauf kam auch die Frau Schultheißin, ihr sechsjähriges Töchterchen, Bäbele, an der Hand führend. Bäbele war geschmückt, just wie eine Braut. Es hatte die Schappel samt dem Kränzchen auf dem Kopfe und war überaus prächtig gekleidet; in der That stellte Bäbele, als reine Jungfrau, die Braut des jungen Geistlichen vor.

Es läutete zum erstenmal, und wie durch einen Zauberruf zerstreuten sich plötzlich die Gruppen der hemdärmeligen Leute, sie gingen in die Häuser, um sich würdig anzukleiden, Ivo ging nach der Kirche.

Unter dem Geläute aller Glocken bewegte sich endlich der Zug aus der Kirche hervor. Die Fahnen flatterten, die Stadtmusik, die von Horb herbeigekommen war, schallte drein, und dazwischen hörte man wieder die Gebete der Männer und Frauen. [211] Ivo ging voraus neben dem Lehrer mit dem Kruzifix. Auf der Hochbux war der Altar schön geschmückt, die Kelche und Lampen, die Flitterkleider der Heiligen glitzerten im Sonnenlichte, und unabsehbar über die ganze Heide und über die Felder war die Menge der Andächtigen ausgebreitet. Ivo wagte es kaum, den Hajrle 2 anzuschauen, der in golddurchwirktem Gewande, entblößten, nur mit dem goldenen Kranze geschmückten Hauptes und bleichen, frommen Antlitzes, unter dem Schalle der Musik sich stets tief verbeugend, die kleinen weißen Hände auf der Brust übereinander legend, die Stufen des Altars hinaufstieg. Ihm voraus war des Schultheißen Bäbele gegangen, das als seine Braut eine mit Rosmarin umwundene, brennende Kerze in der Hand trug. Es stellte sich zur Seite des Altars auf. Das Hochamt begann, und als die Klingel läutete, stürzte Alles auf das Antlitz nieder, kein Laut war weit umher vernehmbar; nur ein Flug Tauben flog gerade über den Altar weg, und man hörte das Flattern und Zwitschern dieser Thiere, das man stets bei ihrem Fluge vernimmt. Um Alles in der Welt hätte Ivo nicht aufgeschaut, denn er wußte wohl, daß jetzt der heilige Geist herniedersteigt, um die geheimnisvolle Wandlung des Weines in Blut und des Brodes in Fleisch vorzunehmen, und daß kein [212] sterbliches Auge sich zu ihm erheben darf, ohne zu erblinden.

Der Kaplan von Horb bestieg nun die Kanzel und redete den Primizianten feierlich an.

Hierauf bestieg der Hajrle die Kanzel. Ivo saß nicht weit davon auf einem Schemel; den rechten Arm auf das Knie gestemmt und das Kinn auf die Hand gelehnt, horchte er eifrig zu. Er verstand wenig von Allem, aber sein Blick hing an den Lippen und den Mienen des Predigers, die so treuherzig sprachen, und sein Sinn war kindlich und liebend bei Gott und dem guten Hajrle.

Als darauf unter abermaligem Geläute der Glocken und den Siegestönen der rauschenden Musik der Zug sich wieder heim nach der Kirche bewegte, da faßte Ivo das Kruzifix mit beiden Händen fest; es war, als ob er mit erneuter Kraft seinen Herrgott vor sich hertragen wollte.

Unter der Menge, die sich nun zerstreute, sprach Alles mit Entzücken von dem Hajrle, und wie glücklich die Eltern eines solchen Sohnes zu preisen wären. Der Schneider Christle und seine Frau gingen, von seliger Lust getragen, die überdachte Treppe an dem Kirchberg herab. Man achtete doch sonst wenig auf diese Leute, heute aber drängte sich Alles mit ausnehmender Verehrung zu ihnen, um ihnen Glück zu wünschen. Die Mutter des jungen Pfarrers [213] dankte mit thränenverklärten Blicken, sie konnte vor seligem Weinen nicht reden. – Ivo hörte von seiner Base aus Rexingen, die zu der heiligen Handlung herübergekommen war, daß die Eltern Gregor's diesen nun mit Sie anreden müßten.

»Ist das wahr, Mutter?« fragte er.

»G'wiß, der ist jetzt mehr, als andere Menschen,« lautete die Antwort.

Bei allem Entzücken blieb auch der wirkliche Vortheil des Schneider Christle's nicht unbesprochen. Man sagte, der habe nun ausgesorgt für sein ganzes Leben; das Kordele, des Gregor's Schwester, werde »Hause re« 3, und der Gregor sei ein Glück für die ganze Familie und eine Ehre für das ganze Dorf.

Zwischen seinen Eltern, von beiden an der Hand geführt, ging Ivo nach Haus.

»Vater,« sagte er, »der Gregor sollt' hier Pfarrer sein.«

»Das geht nicht, man macht nie einen zum Pfarrer, wo er geboren ist.«

»Warum?«

»Mit deinem ewigen dummen Warum! Weil's eben so ist,« entgegnete Valentin. Die Mutter aber sagte: »Er hätt' sonst zu viel Anhang im Dorf und wär' nicht unparteiisch.«

Entweder wußte sie es nicht oder konnte sie dem[214] Kinde nicht erklären, daß bei einem Ortsangehörigen die Heiligkeit des Amtes und die Ehrfurcht vor der Person des Priesters beeinträchtigt würde, da man seinen menschlichen Ursprung und sein Wachstum kennt.

Valentin aber sagte nach einer Weile:

»Das best' Leben hat doch so ein Pfarrer. Er kriegt keine Schwiele in die Hand vom Pflügen und kein Rückenweh vom Schneiden, und die Pfarrscheuer ist doch voll Frucht; er legt sich aufs Kanapee hin und denkt sich sein' Predigt aus und macht seine ganze Familie glücklich. Ivo, wenn du brav bist, kannst du auch Hajrle werden. Möchtest du gern?«

»Ja,« sagte Ivo mit voller Stimme und schaute mit weit aufgerissenen Augen nach seinem Vater auf, »aber Ihr dürfet nicht Sie zu mir sagen,« setzte er dann hinzu.

»Das hat noch gute Weil',« erwiederte Valentin lächelnd.

Nach dem Mittagessen stellte sich Ivo hinter dem Tisch auf die Bank, dort in die Ecke unter dem Kruzifix, wo der Vater gesessen. Zuerst bewegten sich seine Lippen leise, dann hielt er mit lauter Stimme eine Predigt. Mit der ernstesten Miene sprach er das kunterbunteste Zeug, er wollte gar nicht aufhören, bis ihm Valentin freundlich mit der Hand über den Kopf fuhr und sagte: »So, jetzt ist's genug.«

[215] Die Mutter aber nahm den Ivo herab auf ihren Schooß, herzte und küßte ihn und sagte fast weinend: »O liebe Mutter Gottes! ich möcht' nicht länger leben, als daß mich unser Herrgott den Tag sehen ließ', an dem du dein' Primiz hältst;« dann setzte sie kopfschüttelnd und leise hinzu: »Verzeih mir Gott meine Sünden, ich denk' schon wieder zu viel an mich.« Sie stellte ihren Sohn nieder und hielt ihre Hand auf seinem Kopfe.

»Gelt,« sagte Ivo, »und unser Gretle wird mein' Hauserin, und ich laß ihm auch Stadtkleider machen, wie die Pfarrköchin hat?«

Die gute Base Magdalena von Rexingen schenkte dem Ivo einen Kreuzer für seine Predigt. Schnell sprang er dann zu dem Knechte, der vor dem Hause unter dem Nußbaum saß, und erzählte ihm, daß er Hajrle werde. Nazi schüttelte nur mit dem Kopfe und drückte den überquellenden, brennenden Tabak in seiner Pfeife nieder.

Die Mittagskirche war nicht so feierlich und so besucht wie sonst, die Andacht hatte sich heute morgen erschöpft.

Gegen Abend ging der junge Pfarrer mit dem Kaplan von Horb und mehreren andern Geistlichen durch das Dorf. Alle Leute, die vor den Häusern saßen, standen auf und grüßten freundlich; die ältern Frauen lächelten dem jungen Pfarrer zu, wie [216] wenn sie sagen wollten: »Wir kennen dich und haben dich gern; denkt dir' s noch, wie ich dir eine Birn' geschenkt hab'? Und ich hab's ja schon lang gesagt, der Gregor wird ein großer Mann.« Die jungen Burschen zogen die Pfeifen aus dem Munde und die Mützen ab, und die Mädchen flüchteten sich unter ein Haus und stießen einander und blickten verstohlen heraus. Die Kinder aber kamen herbei, gaben dem Gregor die Hand und küßten die seinige.

Auch Ivo kam herbei. Der junge Geistliche mochte vielleicht das Zittern des Knaben und seinen andächtig frommen Kuß herausfühlen, er hielt seine Hand noch länger, strich ihm mit der andern Hand über die Wange und sagte:

»Wie heißt du, liebes Kind?«

»Ivo.«

»Und dein Vater?«

»Der Zimmermann Valentin.«

»Sag einen schönen Gruß von mir an deinen Vater und deine Mutter und sei recht fromm und brav.«

Ivo stand noch lange wie festgezaubert da, als die Männer schon längst fort waren, es war ihm, als ob ihm ein Heiliger erschienen wäre und mit ihm geredet hätte. Er blickte lange staunend zur Erde, dann eilte er in großen Sätzen jubelnd nach Hause und erzählte Alles.

Die ganze Familie saß auf dem Bauholze unter [217] dem Nußbaume, der Nazi nicht weit davon auf einem Steine an der Hausthür. Ivo ging zu ihm und berichtete auch ihm seine Begegnung, der Knecht aber war heute mürrisch, und Ivo setzte sich zu Füßen seines Vaters nieder.

Es war Nacht geworden, man sprach wenig, nur der Schreiner Koch sagte noch:

»Ich will sehen, wo Ihr Geld krieget unter fünf Prozent.« Niemand antwortete.

Ivo blickte einmal zu seinem Vater auf, aus seinem Auge leuchtete eine stille Verklärung, niemand konnte ahnen, was die junge Seele bewegte.

»Vater,« sagte Ivo, »schlaft denn des Schneider Christle's Hajrle auch wie andere Menschen?«

»Ja, aber nicht so lang wie du; wenn man Hajrle werden will, muß man früh aufstehen und beten und lernen. Gang jetzt, marsch in's Bett.«

Die Mutter begleitete Ivo in's Haus, und in sein Nachtgebet, das er ihr vorsagte, schloß er freiwillig neben den namhaft gemachten Verwandten auch den Hajrle ein.

Die Primiz hatte die unmittelbarsten Folgen. Gleich andern Tages ging der Hansjörg, den wir noch von der Kriegspfeife her kennen, mit seinem Sohne, Peter, nach Horb zum Kaplan; auch der reiche Johannesle von der Bruck, der den Beinamen der Schmutzige hatte, brachte seinen Constantin, einen [218] aufgeweckten, gescheiten Buben, zum Kaplan. Die beiden Knaben sollten fortan die lateinische Schule besuchen, Ivo war hierfür noch zu jung. –

Wir treffen die beiden andern Knaben wohl später wieder, jetzt bleiben wir beim Ivo und wollen sein ganzes Jugendleben möglichst genau beobachten.

Fußnoten

1 Primitiae, latein. Anfang.

2 Herrlein, Pfarrer.

3 Hauserin, Haushälterin.

2. Der Lehrer

2.
Der Lehrer.

Der Lehrer im Dorfe war ein heller Kopf, dabei aber heftig; seine Neigung und sein Haupttalent war die Musik. Er hatte wenig Einfluß auf Ivo, wie dieß ein einzelner Mann bei hundertzwanzig Kindern auch sonst nicht wohl haben konnte. Der beste Lehrer Ivo's, wer sollte es denken! war der Nazi, der nicht schreiben und kaum lesen konnte.

Man nennt bei uns die Dienstboten »Ehhalten«, was ihre Bedeutung gar schön bezeichnet, und wie man sie schon in der Stadt das Unterschicksal des Familienlebens nennen kann, so sind sie das noch weit mehr im Dorfe, wo das ganze Leben des Hauses ein in Arbeit und Genuß gemeinsames ist. Weil nun in einer guten Haushaltung die Eltern und das Gesinde friedlich zusammenleben, kann man um so gefahrloser die Kinder den Einflüssen des Gesindes überlassen, da man sie genau kennt.

[219] Bei dem Nazi aber war gewiß nichts zu gefährden. Auf der Krippe und im Heuschober errichtete Nazi seinen Lehrstuhl, antwortete auf die eifrigen Fragen seines Zöglings oder erzählte ihm wunderbare Geschichten.

Nazi war am liebsten mit den Thieren zusammen, und wenn er auch mit ihnen reden konnte, und wenn besonders das Falb Menschenverstand hatte, man konnte doch keine rechte Antwort bekommen, so viel man auch redete; der Ivo aber konnte doch wenigstens einmal die Hände zusammenschlagen und »Ei Herr Jerem« rufen. So hatte Nazi den Knaben gern bei sich. Wie ein Füllen neben dem im Wagen eingespannten Pferde los und ledig einherrennt und allerlei Sprünge macht, so sprang Ivo immer neben dem Nazi einher, wo er auch hingehen mochte.

Wenn dann wieder die beiden auf dem Stroh saßen und Nazi die Geschichte vom Mockle 1-Peter, vom Wacholdermännchen, oder von dem verwunschenen Fräulein von Isenburg erzählte, da bildeten die dumpfen Töne der fressenden Thiere eine schauerliche Begleitung zu der Rede Nazi's. Besonders die Geschichte vom Mockle-Peter, der den jungen Tannen, die noch bluteten, muthwillig die Kronen abriß und der als Baummörder in der Egelsthaler Halde geistet 2, [220] so wie die Geschichte vom Wacholdermännchen, das ein graues und ein schwarzes Aug' hat, die jedes Jahr mit ihrer Farbe abwechseln, diese Geschichten mußte Nazi oft erzählen; denn die Kinder sind noch nicht so verwöhnt, daß sie immer was Neues haben wollen.

Bei diesen Wiederholungen hatte indes Nazi einen schweren Stand, denn sobald er etwas nicht mehr genau wußte oder anders erzählen wollte, fiel Ivo ein: »ei das ist ja nicht so.« Dann hob ihn Nazi auf den Schooß und sagte: »du hast recht, ich kann mich nicht mehr so recht darauf besinnen. Narrle, es gehen mir noch viele andere Sachen im Kopf herum,« und dann erzählte Ivo mit großem Eifer den weitern Verlauf, so daß Nazi von der Gelehrigkeit seines Schülers entzückt war.

Oft aber sprachen auch die beiden über allerlei Lebensverhältnisse, von denen die Stadtkinder erst spät Einsicht und Kunde erhalten: von Reichtum und Armuth, Treue und Falschheit, Handel und dergleichen; denn das Leben im Dorfe ist stets ein offenkundiges, das Innere des Hauses ist Allen bekannt, groß und klein.

Einst ging Ivo mit seinem Vater vom Zimmerplatze nach Hause.

»Vater,« sagte er, »warum hat denn unser Heiland die Bäum' nicht viereckig gemacht, da braucht' man's ja auch nicht zu behauen?«

[221] »Warum? dummer Jung', da bräucht' man ja auch keine Zimmerleut' und hätt' auch keine Spän'.«

Ivo war still, und der Vater dachte darüber nach, daß der Bub doch eigentlich gar »gut gekopft« sei, und daß es unrecht sei, ihn so barsch anzufahren; er sagte daher nach einer Weile:

»Ivo, so Sachen fragt man in der Schul' den Lehrer oder den Herrn Pfarrer. Merk' dir das.«

Das war brav von Valentin. Nur wenige Eltern sind so gewissenhaft und so klug, diesen allein richtigen Ausweg aus ihrer etwaigen Unwissenheit zu ergreifen.

Ivo fragte aber nicht den Schullehrer und nicht den Pfarrer. Er ging zu Nazi und sagte: »Weißt du auch schon, warum unser Heiland die Bäum' nicht viereckig, gerade recht zum Bauholz gemacht hat?«

»Weil man die Bäum' zu noch viel mehr Sachen als zum Bauen braucht.«

Ivo stand verwundert da, das war noch eine andere Antwort.

Dadurch, daß Ivo sich so innig an Nazi anschloß, hatte er unter seinen Altersgenossen keinen Kameraden; dafür betrachtete ihn aber auch Nazi wie seinen Vertrauten, und wenn er ihn liebkoste, sagte er: »Du gute alte Seele!« In besonders gemüthlichen Stunden erzählte er ihm dann auch viel von seinem Hellauf, dem Hunde, den er früher als [222] Schäfer gehabt hatte, und der »gescheiter war als zehn Doktor«. »Ich sag' dir's,« beteuerte Nazi, »der Hellauf hat meine verborgensten Gedanken errathen; wenn er mich nume angesehen hat, hat er gleich gewußt, was ich will. Hast du schon einmal so einen Hund genau betrachtet? Die haben oft ein Gesicht, auf dem der Kummer ausgeschüttet liegt, grad' wie wenn es sagen thät: ich möcht' flennen, weil ich nicht mit dir schwätzen kann. Wenn ich meinen Hellauf so angesehen hab', da hat er gebellt und geheult und hat dabei die Augen zugedrückt, daß es mir durch die Seel' gangen ist. Wenn ich ihm nume ein bös Wörtle geben hab', hat er den ganzen Tag keinen Bissen gefressen, es war ein Thier, es war zu gut für diese Welt.«

»Kommen die Hund' auch in Himmel?« fragte Ivo.

»Ich weiß nicht, es steht nichts davon geschrieben,« erwiderte Nazi.

Besondere Freude machte es dann Nazi, daß auch Ivo eine so innige Liebe zu den Thieren hatte; denn ganz alte einsame Leute oder Kinder, die beide mit ihrer Liebe nicht recht wissen, wohin, wenden ihre Neigung den Thieren zu. Diese machen keine Ansprüche, man hat wenig Pflichten für sie, und besonders erfährt man von ihnen nie Widerspruch, welchen sowohl die alten als auch die jungen Kinder nicht leiden mögen.

[223] »So eine Sau ist doch ein arm's Thierle,« sagte Ivo einmal, »die ist doch nur auf der Welt, um gemetzget zu werden; die andern Thiere kann man doch auch noch lebig gebrauchen.« Nazi nickte vergnügt mit dem Kopfe. Nach einer Weile sagte er: »Es kann wohl sein, daß dessenthalben auch so eine Sau am ärgsten schreit und heult, wenn man's metzget.«

Durch mancherlei Fragen, Bemerkungen und Reden galt Ivo im ganzen Dorf als ein »unterhaltsamer, aufgeweckter Bub«. Niemand ahnte seinen Wecker. Der Schullehrer aber war unzufrieden mit ihm, weil er nie, wie es die Schulordnung verlangt, ruhig nach Hause ging, sondern stets tollte und schrie wie besessen. Die armen Kinder! sie müssen stundenlang in sich zusammengepreßt sitzen; wenn es dann endlich fortgeht, können sie nicht anders, sie müssen sich aufrütteln und frei in die Luft hinein jubeln. Darum ist es oft um elf Uhr, als ob das wilde Heer käme.

Niemand zweifelte, daß der Ivo einst ein tüchtiger Pfarrer würde, er war sonst fromm und gesittet. Der Valentin berühmte sich einst im Adler, sein Ivo werde des Hansjörgs Peter und des Johannesle's Constantin noch weit überholen.

Dazu hatte es indes noch Zeit.

Fußnoten

1 Tannzapfen.

2 Als Geist umgeht.

3. Kinderliebe

3.
Kinderliebe.

Neben Valentin wohnte des Schackerle's Michel, ein armer Mann, der bloß an Kindern reich war, von denen das jüngste Emmerenz hieß; die Zimmermännin war dessen Patin, und die Emmerenz war nun fast den ganzen Tag bei ihr im Hause, sie aß und trank dort und schlief nur bei ihren Eltern. Emmerenz war fast gerade so alt als Ivo, und die beiden Kinder waren unzertrennlich. Obgleich Ivo deshalb von seinen ungalanten Schulkameraden »Mädleschmecker« geschimpft wurde, ließ er doch nicht von der Emmerenz. Sie hatten sogar gemeinschaftlich einen Maunkel; so nennt man nämlich einen Schatz gesammelten Obstes, den man unter dem größten Geheimniß im Heu versteckt und der dem Speicher eines Kornhamsters nicht unähnlich sieht. Da saßen denn die Kinder mit heimlich stillem Entzücken bei ihrem Schatze. Ivo zeigte sich schon darin als Mann, daß er bis hundert zählen konnte. Er zählte die Aepfel, Birnen und Zwetschen. Emmerenz hörte ihm andächtig zu und sprach leise die Zahlen nach. Die anbrüchigen Stücke und die von ungerader Zahl wurden zu gleichen Teilen verzehrt. Oft aber gab es auch Händel, und das Vereinsgut wurde dann alsbald getheilt.

[225] Diese Trennung dauerte aber nie länger als einen Tag, denn die beiden hätten ja sonst nicht mehr mit einander von ihrem Reichtum sprechen können.

Große Veränderungen aber gingen bald mit den beiden Kindern vor; Ivo bekam vom Nazi eine Peitsche, und Emmerenz lernte stricken.

In der Stadt bekommen die Kinder eine Trommel oder einen kleinen Kaufladen, sie spielen dann Soldaterles oder Handelns, bis es Ernst mit dem Leben wird; auf dem Dorfe beginnt mit der Peitsche das Bauernspiel.

Ivo stand nun oft auf dem leeren Wagen vor dem Hause, knallte nach der leeren Deichsel hinab und schrie: Hio, Hist und Hott. Sobald er aus der Schule kam, wurden Schiefertafel und Lineal auf den Tritt hinter den Ofen gestellt und mit knallender Peitsche die Hühner und Gänse auf der Straße herumgejagt. So tollte er eines Mittags umher, da sah er die Emmerenz, die mit ihrem Strickzeuge unter dem Nußbaume saß. Nicht weit davon lag ihr kleines schwarzes Kätzchen, Miezchen genannt, in der Sonne und pustete und putzte sich emsig. Das runde, blondhaarige Mädchen knüpfte mit einem Eifer die Maschen, daß es nicht aufzuschauen wagte; ein so ungewöhnlicher Ernst schwebte um die zusammengepreßten Lippen, als gälte es, dem [226] bergeshohen Schneemann, dem Winter, eine wollene Jacke zu stricken.

Ivo stand eine Weile ruhig neben Emmerenz und schaute ihr zu, dann sagte er: »strickst du Strümpf' für dein' Katz'?« Emmerenz gab keine Antwort und strickte ohne Unterlaß fort. Da kitzelte Ivo der Muthwille, er zog rasch die Nadeln aus dem Strickzeug und sprang davon.

Emmerenz stand schnell auf und warf ihm einen Stein nach; da sie ihn aber, nach Art der Mädchen, nicht über die Schulter erhob, sondern nur gerade vor sich hinschleuderte, fiel er kaum drei Schritte vor ihr nieder. Nachdem sie die Nadeln zusammengelesen, ging sie weinend nach Haus.

Nachmittags machte Ivo seine Grausamkeit schnell vergessen, er brachte der Emmerenz ein Stück blaues Glas von einer zerbrochenen Flasche. Eins nach dem andern betrachtete nun die Sonne durch das Glas und rief: »Ujadele, wie schön!« Ivo wickelte das Kleinod in ein Papierchen und schenkte es der Emmerenz.

Einst kam ein Mann in das Dorf, der, wie weiland der kühne Rattenfänger, alle Kinder hinter sich dreinzog; das war nämlich der »Holgen 1-Mann«, der für zerbrochenes Glaswerk den Kindern gemalte Bilder verhandelte. Ivo lief im ganzen Hause [227] umher, bis er sich die blinkende Münze erobert, und dann brachte er den Preis der Emmerenz.

Aber nicht nur beim Sonnenschein, auch beim Regen treffen wir die Kinder bei einander.

Der alte Valentin sah stillvergnügt zum Fenster hinaus, denn man kann gar leicht, ohne etwas Bestimmtes zu denken und zu haben, doch stillvergnügt einem Regen zusehen, da wird Körper und Seele wie mit einem erquicklich leichten, feinen Nebel angehaucht, und wie man träumerisch dem Wellenspiele eines Stromes zusieht, so sieht man nun von den Dächern überall die Tropfen rinnen; Alles, was uns umgibt, die stillfließende Luft selber, hat Stimme und Gestalt gewonnen.

Ivo und Emmerenz hatten sich unter die offene Scheune geflüchtet, auch der kleine Jakobele, des Schultheißen dreijähriger Knabe, war dabei. Die Hühner hatten auch gleiche Zuflucht gesucht, sie standen neben den Kindern, ließen ihre Schwänze hängen und schüttelten sich oft. Das schwarze Kätzchen kam gleichfalls ganz hart am Hause hergeschlichen, es ging so leise und trat so behutsam auf und schüttelte nach jedem Auftreten die Pfote, daß man sein Herbeikommen gar nicht merkte, bis die Hühner aufgackerten; es verschwand aber schnell in dem offenen Stallfensterchen.

Anfangs rieselte es so zart, daß man nur an [228] der Dunkelheit des offenen Dachfensters gegenüber merkte, daß Tropfen herunterfielen; bald aber plätscherte es gewaltig und Ivo sagte: »Ah! das thut meinen Nägele 2 im Garten gut.« – »Garten gut,« wiederholte der kleine Jakobele. Dann sagte Ivo wieder: »Ah, das gibt einen großen Bach.« – »Großen Bach,« wiederholte Jakobele abermals, Ivo sah ihn grimmig an, dann sang er, auf Emmerenz schlagend:


Es regnet regnet Tropfe,

Die Mädle muß mer klopfe,

Die Bube muß mer Kutsche fahre,

Die Mädle muß mer in Neckar trage.


Emmerenz machte sich los und sang, auf Ivo schlagend:

Es regnet regnet Tropfe,

Die Bube muß mer klopfe,

Die Mädle legt mer in ein golden Bett,

Die Bube in ein' Dornenheck.


Bauern fuhren mit leeren Säcken auf dem Kopfe schreiend vorbei, um dem schweren Wetter zu entfliehen; die Kinder lachten sie aus und schrieen ebenfalls Hio! Emmerenz stand da, den Kopf auf die linke Seite geneigt und die Händchen unter der Schürze übereinander gehalten; als es aber gerade [229] am ärgsten regnete, stieß Ivo sie hinaus unter die Dachtraufe. Der Jakobele sprang von selbst hinaus, gleichsam den Regen herausfordernd; er duckte aber doch blinzelnd seinen Kopf unter, als wollte er nicht zu schwer von dem Regen getroffen werden. Mit der Schürze über dem Kopfe gab sich nun Emmerenz alle Mühe, wieder unter Dach zu kommen, aber Ivo hielt strenge Wacht, und erst als sie weinte, ließ er sie herein.

Der Regen hörte endlich auf, die Sonne schien hell, und mit unnennbarer Lust sprangen die Kinder umher; es war als ob die erfrischte Luft auch diese jungen Menschenpflänzchen neu belebte. Braune Ströme hatten sich neben der Straße gebildet, die Kinder ließen Späne als Flöße darauf schwimmen und wateten mit Lust in dem Wasser, nach Eisen darin suchend. Ivo, der immer weitere Pläne hatte, wollte ein Mühlrad bauen, aber lange ehe das Rad fertig war, war das Wasser verflossen.

Wie oft geht das so, daß wir Gewerke herrichten für den Strom unserer Lebenstage, und ehe das Gewerk nur halb fertig, ist Alles versiegt und trocken.

So neckisch auch Ivo manchmal gegen Emmerenz war, so ließ er ihr doch von niemand ein Leid anthun. Einst ging er aus der Schule nach Haus, da sah er, wie die Emmerenz von zwei Unholden, [230] zwei alten, grauen Gänsen, verfolgt wurde. Schreiend und wehklagend floh das Mädchen mit rückwärts gekehrtem Kopfe. Schon hatte eins der Unholde ihr Kleid erfaßt und zerrte daran, da sprang Ivo, gerüstet, wie er war, mit seinem Schilde, der Schiefertafel, und seinem Schwerthe, dem Lineal, auf die Verfolger los und trieb sie nach schwerem, aber muthigem Kampfe in die Flucht. Mit heldenmüthigem Selbstgefühl hob er dann Emmerenz, die auf den Boden gefallen war, auf und schritt triumphierend in seinem Waffenschmucke neben ihr her.

Nazi hatte ihm von Rittern erzählt, die wehrlose Fräulein von Drachen erretteten; er erschien sich jetzt als ein solcher Ritter und war gar zufrieden und vergnügt.

Fußnoten

1 Heiligenbild.

2 Nelken.

4. Muckele und Wusele

4.
Muckele und Wusele.

Das Haus Valentins wurde um ein Glied vermehrt, auf das die Blicke aller gerichtet waren; Valentin brachte nämlich vom Oberndorfer Markt eine schöne Kuhkalbin mit. Ehe das Thier in's Haus gebracht wurde, musterten und schätzten es die Nachbarn und alle Vorübergehenden. Die Mutter, Ivo und Nazi gingen dem Ankömmling bis vor die Thüre entgegen. Hier erhielt Ivo ein hölzernes Pferd, [231] dann übergab Valentin, vergnügt um sich schauend, das Seil an Nazi, herausfordernd betrachtete er die Nachbarn und wiederum das »ausbundige« Thier, das er mit einem Schlage in den Stall entließ. Das Thier war schön und stattlich, mit einem Worte, so was man eine »rechtschaffene, stolze Kuh« nennt.

Als die offene Stelle im Stalle wieder besetzt war, eilte Ivo, sein hölzernes Pferd auf der Brust tragend, mit Nazi in den Schuppen; sie brachten »kurz Futter« für die Fremde, aber das Thier öffnete den Mund nicht und brummte nur so vor sich hin. Ivo strich ihm sanft mit der Hand über die zarten Haare, es wendete den Kopf nach dem Knaben und schaute ihn lange an.

Ivo tummelte dann sein hölzernes Pferd, das that gar nicht fremd, es war überall zu Hause und trug den Kopf mit der Hahnenfeder immer stolz.

Nachts erwachte Ivo plötzlich von seinem Schlafe; er hörte ein Jammern, das ihm durch die Seele schütterte. Die Klagen der Allgäuer Kalbin erschollen immer tiefer und tiefer aus dem Innersten heraus, und es war, als ob sie ihr ganzes Leben damit ausklagen müßte.

Ivo hörte lange zu, wie das Schreien durch die Stille der Nacht so wehvoll und schauerlich klang. So oft das Thier eine Pause machte, horchte er mit angehaltenem Athem; er glaubte, jetzt und jetzt müsse [232] doch das Klagen aufhören, aber es kam immer wieder. Ivo weckte endlich seinen Vater.

»Was gibt's?«

»Die fremd' Kalbin schreit.«

»Laß sie schreien, schlaf, du dummer Bub, die Kalbin hat eben Jammer 1, und da ist's nicht anders.«

Ivo verdeckte sich die Ohren mit dem Kissen und schlief wieder ein.

Fast drei Tage lang fraß die Kalbin keinen Bissen, endlich aber gewöhnte sie sich an das andere Vieh im Stalle und war still und fraß wie die andern. Zu neuem Jammer gingen ihr aber die Klauen an den Vorderfüßen ab; sie waren nur gewohnt, auf weicher Weide, nicht aber einen so weiten Weg auf harter Straße zu gehen.

Ivo half nun oft dem Nazi der Kalbin die Füße verbinden, seine Demuth und sein Mitleid, das er der Fremden bezeigte, war gar groß; sie erwiderte aber auch, so weit sie vermochte, seine Theilnahme, und Nazi, der sich gar wohl auf die Thiere verstand, sagte: »Der Hirtenbub von der Allgäuerin hat dir ähnlich gesehen, Ivo, das merk' ich wohl.«

So viel Freude nun Ivo an der Allgäuerin gewonnen, ebensoviel Schmerz erlebte er an seinem hölzernen Pferde. Dieses war durch den Lauf der [233] Zeit unsauber geworden. Ganz in aller Stille lief er daher eines Morgens nach der Schwemme, wusch und putzte es tüchtig, aber laut wehklagend kehrte er heim, denn alle Farben waren abgelaufen.

So erfuhr Ivo schon frühe, wie wenig dem gemachten Spielzeuge zu trauen ist. Das Schicksal gab ihm aber reichlichen Ersatz für seinen Verlust.

Es war wiederum einmal spät in der Nacht, da war Alles im Hause wegen der Kalbin auf den Beinen; sie gebar ein Junges.

Ivo durfte nicht in den Stall, er hörte von ferne ein jämmerlich dumpfes Wehklagen, denn auch die Hausthiere hat der Fluch getroffen, daß sie »mit Schmerzen gebären«.

Als es kaum Tag war, eilte Ivo in den Stall. Er sah das schöne Kälbchen zu den Füßen der Mutter, es war ein Stromel 2, die Mutter küßte und leckte es mit ihrer Zunge; niemand durfte sich ihm nahen, denn die Kuh war dann wie wütend, nur als Ivo hinzu kam und das Kälbchen schüchtern berührte, war die Allgäuerin ruhig; ihr Erstgebornes war ein Sohn, und Ivo ließ bei seinem Vater nicht nach, bis er ihm das Versprechen gab, daß man das Kälbchen »anbinden«, das heißt: großziehen wolle.

Von nun an war Ivo jedesmal in der Küche dabei, wenn der Wöchnerin warme Tränke bereitet [234] wurde, und niemand als er durfte ihr den Kübel hinhalten.

Fast nie bleibt eine Freude ungestört, das erfuhr auch Ivo.

Eines Tages kehrte er aus der Schule heim, da sah er einen großen Hund auf der Hausschwelle stehen. Sorgsam ging er an ihm vorbei nach dem Stalle. Dort erblickte er einen Mann mit einem blauen Ueberhemde, ein roth und gelb gewürfeltes Halstuch hing lose geknüpft an seinem Halse, und in der Hand hielt er den von Messingdraht umwundenen Griff eines Schlehdornstockes.

Ivo sah wohl, daß das ein Metzger war. Der Vater stand bei ihm und sagte:

»Um acht Gulden geb' ich's, es ist aber schad, wenn es gemetzget wird, es hat so mächtige Stotzen 3

»Sieben Gulden geb' ich!«

Der Vater schüttelte den Kopf.

»Nun meinetwegen noch ein Kopfstück 4

Ivo hatte dieß kaum vernommen, da wurde ihm Alles klar. Er stellte sein Schulzeug schnell an die Wand, sprang in den Stall, fiel dem Kälbchen um den Hals, und es mit seinen Armen fest umklammernd, rief er: »Nein, guts Muckele, sie dürfen dir nicht in deinen lieben Hals 'nein stechen,« er weinte [235] laut und konnte kaum noch die Worte hervorbringen: »Vater, Vater! Ihr habt mir's ja versprochen.«

Das Kälbchen schrie laut, gleich als ahnte es, was vorging, und die Kuh wendete den Kopf und brummte, ohne das Maul zu öffnen.

Valentin nahm in Verlegenheit seine Mütze ab, schaute hinein und setzte sie wieder auf. Mit einem lächelnden Blicke auf Ivo sagte er endlich: »Nun, es soll so bleiben, ich mag's dem Kinde nicht zuleide thun. Ivo, du kannst es aufziehen, aber du mußt ihm auch Futter schaffen.« Der Metzger ging fort, sein Hund bellte ihm voraus, gleich als wollte er den innern Zorn seines Herrn laut werden lassen. Er fuhr dann unter die Hühner und Gänse Valentins und jagte sie auseinander, gerade wie ein Bedienter an den Untergebenen von seines Herrn Feinden seinen Muthwillen ausläßt.

Ivo war nun glücklich mit dem Kälbchen, er hatte es vom Tode gerettet; aber es schnitt ihm doch tief durch die junge Seele, daß sein Vater ihm sein Ver sprechen hatte brechen wollen. Er vergaß dieß indes bald wieder, und mit großer Freude führte er in seinen Freistunden das Muckele hinaus an einen Rain und ließ es weiden.

Eines Nachmittags stand Ivo neben seinem Muckele an dem Wiesenrain in der Hohlgasse, er hielt das Seil und ließ das Kälbchen fressen. Mit heller [236] Stimme sang er ein Lied, das ihn der Nazi gelehrt. Die Töne klangen wie von Sehnsucht und Heimweh durchzittert. Er sang:


Dort oben, dort oben

An der himmlischen Thür,

Und da steht eine arme Seele,

Schaut traurig herfür.


Arme Seele mein, arme Seele mein,

Komm zu mir herein;

Und da werden deine Kleider

Ja alle so rein.


So rein und so weiß,

So weiß als wie der Schnee,

Und so wollen wir mit einander

In das Himmelreich eingehn.


In das Himmelreich, in das Himmelreich,

In das himmlische Paradies,

Wo Gott Vater, wo Gott Sohne,

Wo Gott heiliger Geist ist.


Kaum hatte das Lied geendet, da sah er die Emmerenz von der Leimengrube herkommen. Sie trieb mit einem dürren Tannenzweige junge Entchen vor sich her, bei Ivo hielt sie an und ließ die Entchen sich im Graben tummeln.

»Ich komm' von der Leimengrub,« erzählte sie, »ich hab' viel Prast gehabt, bis ich meine sechs [237] Wusele 5, guck da, vier graue und zwei weiße, aus dem Wasser 'rausgelockt hab'. Jetzt sind sie acht Tag' alt. Denk einmal, mein' Mutter hat die Eier einer Henn' untergelegt, und jetzt will sie die Henn' nicht annehmen, sie läßt sie laufen und kümmert sich gar nicht um sie.«

»Das sind jetzt Waisenkinder, und da mußt du ihr' Mutter sein,« sagte Ivo.

»Ach, und wie barmherzig können die einen ansehen, weißt du, nur so von der Seite.« Emmerenz ahmte die Thierchen nach; den Kopf auf die Seite legend und von unten aufschauend, blickte sie Ivo gar lieblich an, der wiederum sagte:.

»Guck, die Thierle können doch kein' Augenblick ruhig sein, das pfludert und pfladert in einem fort; ich thät' den Schwindel kriegen, wenn ich so wär'.«

»Ich komm' nicht draus,« sagte Emmerenz mit sinnendem Blicke, »woher denn die Geitle wissen, daß sie in's Wasser können; wenn sie noch ein' Geit ausgebrütet hätt', die thät's ihnen weisen, aber die Henn' hat sie ja laufen lassen, und wie sie nur haben fortkratteln können, patschen sie wick wack, von einem Fuß auf den andern, 'naus in die Leimengrub.«

[238] Hier standen die Gedanken zweier jungen Seelen vor der geheimen Thüre der Natur. Eine Weile herrschte Stille, dann aber sagte Ivo:

»Die Geitle halten alle zusammen und gehen nicht voneinander; mein' Mutter hat gesagt, so müssen's auch die Menschen machen, Geschwister gehören zusammen, und wenn die Gluck ruft, kommen alle Bibbele 6 gesprungen.«

»Ja, die garstigen Bibbele, die großen Dinger schämen sich nicht und fressen meinen Geitle alles weg, wenn ich ihnen was bring'. Wenn's nur auch einmal wieder rechtschaffen regnen thät, daß meine Geitle auch wachsen thäten. Nachts, da thu ich sie Allemal in einen Tratten 7, man darf sie nicht recht anrühren, so weich sind sie, und da huschen sie in ihrem Bettle zusammen, wie ich zu meiner Ahne 8; und mein' Ahne hat gesagt, wenn sie einmal groß sind, da rupft sie sie und macht mir ein Kissen daraus.«

So plauderte Emmerenz. Ivo fing aber plötzlich an zu singen:


Da droben auf'm Bergle,

Do steht e weißer Schimmel,

Und die brave Büeble

Kommet alle in Himmel.


[239] Emmerenz sang dagegen:

Und die brave Büeble

Kommet et allein drein,

Und die brave Mädle

Müsset au dabei sein.


Ivo sang wieder:

Da droben auf'm Bergle,

Do steht e schwarzer Mann,

Er hot mi wolle fresse,

Hot's Maul aufgethan.


Bald begann nun eins, bald das andere der Kinder, und sie sangen:

Schätzle, schau schau!

Jetzt kommt der Wauwau,

Hot e Ränzle auf'm Buckel

Und e Pfeifle im Maul.


* * *

Hörst et, wie's Vögele singt,
Hörst et, wie's pfeift?
In dem Wald, aus dem Wald:
Schätzle, wo bleibst?
* * *

Fahr mer et über mein Aeckerle,
Fahr mer et über mein Wies',
Oder i prügel di wägerle 9,
Oder i prügel di g'wiß.
* * *

[240]
O Appele von Kappele,
Was machen deine Gäns'?
Sie pfluderet, sie pfladeret
Mit ihre kurze Schwänz'.

So sangen die Kinder noch mancherlei, eins schien das andere an Liederreichtum überbieten zu wollen. Endlich sagte Ivo: »Treib du jetzt deine Geitle heim, i gang au bald.« Ein gewisses Schamgefühl hielt ihn ab, mit Emmerenz zugleich durch das Dorf heimzukehren; er war sich bloß der Scheu vor seinen neckenden Kameraden bewußt.

Nachdem Emmerenz eine Weile fort war, machte sich Ivo mit seinem Muckele auf den Heimweg.

Ivo, der, mit einer besonders feinen Empfindung begabt, auf Alles sein Gefühl übertrug, sah mit Schmerz, daß die Allgäuerin, seitdem ihr Junges abgewöhnt war, sich gar nicht mehr um dasselbe bekümmerte. Er hatte noch nicht gewußt, daß die Thiere nur so lange mit liebender Sorgfalt an ihren Jungen hängen, als diese in unmittelbarer Abhängigkeit und in natürlichem Zusammenhange mit ihnen stehen. Nur so lange die jungen Vögel noch nicht recht fliegen und ihre Nahrung holen können, nur so lange ein Junges an der Mutter saugt, dauert das elterliche Verhältnis. Aus dem natürlichen Zusammenhange herausgerissen, oder ihm entwachsen, kennen die Eltern, und besonders die Hausthiere, [241] die Jungen nicht mehr. Der Mensch allein, der zu seinem Kinde nicht bloß in leiblichem, sondern auch in geistigem Zusammenhange steht, nur der Mensch allein erhält ewige Liebe für seine Sprößlinge.

Fußnoten

1 Heimweh.

2 Schwarzgestriemt.

3 Füße.

4 15 Kreuzer.

5 Eigentlich nennt man bloß junge Gänse so, junge Entchen aber heißen Geitle, Emmerenz gebrauchte aber abwechselnd beide Ausdrücke.

6 Hühner.

7 Korb.

8 Großmutter.

9 Wahrlich.

5. Feldleben

5.
Feldleben.

Nicht nur zu Hause bei Mensch und Vieh, sondern auch draußen bei der stillwachsenden Saat und unter den rauschenden Bäumen hatte Ivo ein reich angeregtes Leben; die ganze Welt mit ihren Herrlichkeiten und stillen Freuden zog in die offenen Paradiesespforten dieser jungen Seele ein.

Wenn wir durch das ganze Leben so fortfahren könnten, an Wachstum und Fülle zuzunehmen wie in der Kindheit, ein himmlisch gesegnetes Dasein wäre unser Loos; aber das All dringt plötzlich in uns ein, und wir haben unser ganzes Leben lang nur damit zu thun, es zu zerlegen, zu enträtseln und zu erklären.

Während der großen Vacanz, zur Zeit der Ernte und der Heberet 1, war Ivo fast immer mit Nazi im Felde. Da draußen lebte er erst recht und doppelt auf, und wenn er den Blick aufwärts richtete, so war das Blau seiner Augen wie ein Tropfen aus [242] der Himmelsbläue droben, die sich so still und klar über die Erde und die emsigen Menschen ausbreitete, und es war, als ob dieses leibhaftige Stückchen in einen Menschen versenkten Himmels wieder aufstrebe zu seinem unendlichen Urquell.

So etwas wenigstens dachte einst Nazi, als er den aufschauenden Ivo am Kinn faßte und ihn inbrünstig auf die Augen küßte. Gleich darauf aber schämte er sich dieser Zärtlichkeit und neckte und schlug im Scherze den Ivo.

Wenn die Kühe angespannt wurden, war Ivo immer zur Hand, er legte der Allgäuerin, die nun auch zum Felddienste angehalten wurde, das Polster zwischen die Hörner; es freute ihn, daß das hölzerne Joch doch nicht gerade so hart auf dem Kopf der Thiere liege. Dann stand er im Felde bei den Thieren und wehrte ihnen mit einem Baumzweige die Bremsen ab. Zu dieser Sorgfalt für die wehrlos Angefochten hielt ihn Nazi mit weisen Ermahnungen an.

Ivo und Emmerenz stellten sich auch oft, schon lange ehe die Kühe oder der Falb angespannt wurde, auf den Wagen und tanzten auf dem Brette; dann fuhren sie selig hinaus in's Feld; tummelten sich auf der Wiese, sammelten das Heu auf Schochen 2 und stießen einander muthwillig hinein.

[243] So oft der Nazi in's Feld fuhr, stand Ivo bei ihm auf dem Wagen, oder er saß auch allein oben, die Hände in den Schooß gelegt; und wie sein Leib erzitterte von dem Rütteln des Wagens, so hüpfte ihm das Herz im Leibe. Er sah träumerisch hinaus in die Gefilde. Wer mag ermessen, welches lautlose Naturleben die Brust eines solchen Kindes bewegt?

Auch fromme Wohlthätigkeit übte Ivo schon frühe.

Emmerenz mußte als Kind armer Eltern die abgefallenen Aehren auf dem Felde zusammenlesen. Ivo ließ sich nun von seiner Mutter ein Säckchen nähen, hing es an einem Bändel um den Hals und sammelte für Emmerenz die Aehren. Die Mutter warnte ihn nur, während sie ihm das Säckchen umhing, er solle acht geben, daß der Vater ihn nicht sehe, denn er würde zanken, da es sich für ein Kind vermögender Eltern nicht schicke, Aehren zu lesen. Ivo sah verwundert nach seiner Mutter, eine tiefe Betrübniß blickte aus seinem Antlitze, aber sie haftete nicht lange.

Mit himmlischer Freude, wie er sie fast noch nie empfunden, ging er barfuß über die scharfen Stoppeln und sammelte für Emmerenz einen ganzen Sack voll Gerste. Er war dann dabei, als Emmerenz mit einem Teile davon die jungen Entchen fütterte, er ahmte die Thierchen nach, wie sie so hastig hin und her springend die Körner aufschnabelten.

[244] Einst ging Ivo mit Nazi in's Feld. Der Falb, ein wohlbeleibtes Pferd mit tief eingeschnittenem Kreuze und weißer Mähne, die bis auf die Brust hinabreichte, war an die Egge gespannt. An des Schloßbauern Haus trieb der Wirbelwind eine Staubsäule in die Höhe.

»Meine Mutter hat gesagt,« erzählte Ivo, »daß in so einem Wirbelwind böse Geister einander würgen, und wenn man dazwischen kommt, erwürgen sie einen.«

»Wir kriegen heute noch bös Wetter,« erwiderte Nazi, »bleib du daheim.«

»Nein, laß mich mit,« erwiderte Ivo, die rauhe Hand Nazi's fassend.

Nazi hatte recht prophezeit. Sie waren kaum eine Stunde im Felde, als sie von einem furchtbaren Hagelwetter überfallen wurden. Schnell wurde das Pferd von der Egge gespannt, Nazi schwang sich mit Ivo hinauf, und im Galopp ging es der Heimath zu. Es war so dunkel geworden, als ob die Nacht hereinbräche. Ivo schmiegte sich furchtsam an Nazi: »Gelt,« sagte er, »das Wetter haben die bösen Geister vom Wirbelwind gebracht?«

»Es gibt keine böse Geister, es gibt nur böse Menschen,« erwiderte Nazi.

Sonderbar! Ivo fing vor Furcht an, laut zu lachen, so daß es dem Nazi angst und bange wurde. [245] Schrecken und Freude sind so nahe verwandt, daß Ivo in dem Zittern seiner Seele sozusagen ein kitzelndes Wohlgefühl empfand.

Leichenblaß und zähneklappernd kam Ivo nach Haus, seine Mutter brachte ihn schnell in's Bette, besonders auch um ihn vor dem Vater zu verbergen, der es schon lange nicht leiden wollte, daß das zarte, zum Pfarrer bestimmte Kind mit in's Feld ging.

Ivo war kaum einige Minuten im Bette, da kam der Nazi mit einem Apothekerglas, gab ihm einige Tropfen daraus zu trinken, worauf er in einen sanften Schlaf verfiel und schon nach einer Stunde so gesund war wie zuvor. – –

Die unvergleichlichste Freude genoß einst Ivo, als er einen ganzen Tag lang, ohne zwischendrein nach Hause zu kommen, mit in's Feld durfte. Morgens in aller Frühe, schon vor der Frühmesse, ging er mit Nazi und dem Falben, der an den Pflug gespannt war, hinaus in's Feld, nach dem größten und entferntesten Acker Valentins, der an der Isenburger Gemarkung im Würmlesthäle liegt.

Es war ein schöner heller Augustmorgen, es hatte in der Nacht gewittert, ein frischer Lebensathem wehte von den Bäumen und Feldern. Die Kleeblumen, das einzig Blühende im Felde, schauten wie mit glitzernden Augen auf zur Sonne, die man [246] noch nicht sehen konnte, obgleich es längst heller Tag war; sie war jenseits hinter dem Hohenzollern aufgegangen.

Der Pflug griff wacker ein, ein erquickender Brodem stieg aus der braunen, regengesättigten Erde auf. Der Falb schien sich fast gar nicht anzustrengen, und Nazi lenkte den Pflug so leicht wie ein Fährmann das Ruder eines mit dem Strome schwimmenden Kahnes. Weit ringsum war Alles so hell, und bald da, bald dort sah man Menschen und Vieh fröhlich arbeiten.

Als es in Horb zur Frühmesse läutete, hielt Ivo an. Das Pferd stand still, der Pflug ruhte in der Furche, Ivo und Nazi falteten die Hände; es war fast, als ob der Falb auch mit bete, denn er schwenkte den Kopf mehrmals auf und nieder. Darauf zogen sie noch die Furche bis ans Ende, setzten sich an den Rain und verzehrten ein Stück Brod.

»Wenn wir nun heut einen Schatz finden thäten,« sagte Ivo, »weißt du, wie selber Bauer, von dem der Emmerenz ihr Mutter erzählt hat, dem ein ganzer Hafen voll goldener Karlin beim Pflügen unterm Fuß gelegen ist; da thät ich der Emmerenz ein neu Kleid kaufen und ihrem Vater die Schuld von seinem Häusle bezahlen, und was thätst du?«

»Nichts,« sagte Nazi, »ich brauch' kein Geld.«

[247] Nun ging es wieder tapfer zur Arbeit, die heute so leicht war, daß Nazi zu singen begann, aber nichts vom Pflügen und nichts vom Säen und überhaupt nichts von der Feldarbeit. Er sang:


Wir sind der Geschwister drei,

Die Lise, die Käthi, die Mei,

Die jüngste, die ließ den Knaben herein.


Sie stellt' ihn wohl hinter die Thür,

Bis Vater und Mutter im Bette war –

Da zog sie ihn wieder herfür.


Sie führt' ihn wohl oben in's Haus,

Sie führt' ihn wohl in ein Zimmer hinein

Und warf ihn zum Fenster hinaus.


Er fiel wohl auf einen Stein,

Er brach sich das Herz im Leibe entzwei,

Dazu auch ein Achselbein.


Er raffte sich wiederum heim;

Ach, Mutter! ich bin es gefallen

Auf einen harten Stein.


Mein Sohne, und das geschieht dir recht,

Wärst du es bei Tage nach Hause,

Wie ein anderer Bauernknecht.


Er legt sich wohl oben auf's Bett,

Und als das Glöcklein zwölfe schlägt,

Da hat ihn der Tod gestreckt.


[248] Jetzt schlug Nazi ein Schnippchen, setzte den Hut fester und sang, wohl in Erinnerung an die Vergangenheit:


Ei, liedricher Knecht!

Und zum Saufen bist recht,

Und zum Tanzen bist g'macht,

Und kein Geld hast im Sack.


Wenn i au kei Geld han,

Was geht's andere Leut an?

D'Frau Wirthin schenkt ein,

Wenn i austrunken han.


Und wenn i's net zahl,

So schreibt se's an d'Thür,

Daß e jeder kann sehen,

Daß i liederich bin.


Jo, liederich bin i,

Kein Mensch und der mag mi,

Han kein Haus und kein Feld

Und kein Theil an der Welt.


Plötzlich hielt: Nazi inne und schrie dem Pferde zu: »Hio!« Man konnte nicht wissen, ob er vergessen, daß Ivo bei ihm war, oder ob er seiner nicht achtete. So viel aber ist gewiß, daß derartige Lieder auf ein Dorfkind nicht, wie man glauben sollte, einen verderblichen Einfluß ausüben.

[249] In frühester Jugend hörte Ivo besonders in Liedern allerlei Dinge bei ihren unverhüllten Benennungen, aber die Feinheit seines Gemüths ward dadurch keineswegs befleckt, vielmehr machte gerade das Offene und Unverhüllte derselben sie spurlos abgleiten. In Nazi schienen heute allerlei Erinnerungen aufzusteigen, und nach einer längeren Pause sang er halb laut:


Ich leb schon vierzig Jahre,

Hab auch schon graue Haare,

Und wenn ich halt kein Weib bekomm,

Ist Feuer auf dem Dach;

Und wenn ich halt kein Weib bekomm,

Da spring ich in den Bach.


Gleich darauf sang er wieder:

Ach Schatz, wo fehlt es dir?

Daß du nicht red'st mit mir?

Hast du einen anderweiten,

Der dir thut die Zeit vertreiben,

Der dir ja lieber ist?


Und wenn er dir ja lieber ist,

So reis' ich weg von dir,

Reis' ich auf fremde Straßen,

Thu mein' Schatz einem Andern lassen

Und schreib ihm einen Brief;


[250]

Laß dich grüßen,

Du mußt wissen,

Daß ich ein Reiter bin.

Thu ich reisen fremde Straßen,

Thu mein'n Schatz ein'm andern lassen,

O wie hart ist das,


O wie leicht ist das,

Wenn man kein'n Schatz nicht hat,

Kann man schlafen ohne Sorgen

Von dem Abend bis zum Morgen,

O wie leicht ist das.


Es hätt' auch wohl schöne Städt',

Die ich gewandret hätt',

In dem spanischen Niederland,

Und wo ich auch wandern thät,

Ich niemals mein Schätzichen fand.


Wer hat das Liedlein gemacht und erdacht?

Es hat's gemacht, es hat's erdacht

Ein schöner junger Knab',

Seiner Herzlieben zu guter Nacht.


Wie Sehnsuchtsblicke, die in endloser Ferne schweifen, so zogen die Töne dahin, weit über das Feld, und sie verklangen, und wer weiß, wem sie gegolten.

Sollte der alte Knecht noch eine so tiefe Liebe in der Seele nähren?

[251] Es läutete eilf Uhr, und nun wurde wiederum angehalten und gebetet; das Pferd wurde vom Pfluge gespannt und ihm ein Bündel Klee vorgeworfen. Ivo und Nazi setzten sich auf den Rain neben dem Kleeacker und harrten auf Gretle, die das Essen bringen sollte; es ließ auch nicht lange auf sich warten. Aus einer Schüssel aßen nun die beiden, und es schmeckte ihnen wohl, denn sie hatten tüchtig gearbeitet; sie aßen so rein aus, daß das Gretle sagte:

»Es gibt morgen gut Wetter, ihr machet sauber G'schirr.«

»Ja,« sagte Nazi, die Schüssel umkehrend, »da versauft kein' Wanz' mehr drin.«

Nach dem Essen legten sich die beiden ein wenig nieder, denn:


Es ist kein'm Thierle zu vergessen,

Es ruht ein Stündle nach dem Essen.


Ivo lag an dem Raine ausgestreckt, und auf das tausendstimmige Zirpen im Kleeacker hinhorchend, sagte er, indem er die Augen schloß:

»Es ist just, wie wenn der ganz' Kleeacker leben und die Blumen singen thäten ... und droben die Lerch' ... und die Grasmück« – er beendete seine Rede nicht, denn er war eingeschlafen. Nazi betrachtete ihn lange mit Wohlgefallen, dann holte er [252] einige Stäbe herbei, steckte sie behutsam in den Boden und breitete das Grastuch, in welches der Klee eingebunden war, darüber aus, so daß der Knabe im Schatten schlief; leise stand er dann auf, spannte das Pferd wieder an und fuhr lautlos in seiner Arbeit fort.

Man wußte nicht, ob er die Lieder von seinem Munde zurückdrängte, oder ob ein tiefer Ernst ihn so stille machte. Der Falb war sehr folgsam, er zog von selbst die Furchen ganz schnurgerade, und es bedurfte nur eines leisen Rucks am Zügel und keines lauten Worts, um ihn stets in gleichmäßiger Richtung zu erhalten.

Die Sonne war schon im Hinabsteigen, als Ivo erwachte. Er riß das über ihm aufgebaute Zelt schnell ein und sah sich verwundert um, er wußte eine Zeitlang nicht, wo er war; als er den Nazi erblickte, sprang er mit Freudenjubel auf ihn zu. Er half nun die Arbeit vollenden, und es that ihm fast wehe, daß der Nazi auch ohne ihn hatte pflügen können, denn er that sich was darauf zu gut, bei der Arbeit helfen zu müssen.

Es war Abend geworden, als man den Pflug abspannte, um mit dem ledigen Pferde heimzukehren. Nazi hob den Ivo auf das Pferd und folgte hinterdrein den Berg hinan; plötzlich erinnerte er sich, daß er sein Messer beim Pfluge hatte liegen lassen, er [253] kehrte um, und nun stand er unten und schaute hinauf nach der scheidenden Sonne, die zwischen den zwei von schwarzen Tannen bekränzten Bergen unterging. Wie ein aus lauter Licht und fließendem Gold erbauter Chor einer Kirche sah Himmel und Erde aus, es war, als ob die ganze Ewigkeit ihre Heiligthümer aufgeschlossen hätte; lange Glutstreifen flatterten ringsum vom brennendsten Flammenpurpur bis zum weichsten, kaum gehauchten Roth, die kleinen Wölkchen glichen lichten Engelsköpfen, und mitten drin stand eine große Wolke in feierlicher Stille, gleich einem großen Altar; das Fußgestell war blau, und drüber brannte eine Flammendecke; es war, als müßte man sich plötzlich da hinaufschwingen und verzehren, verglühen, und es war wiederum, als müßte jetzt plötzlich diese Wolke sich zertheilen und heraustreten der Herr in seiner Glorie und verkünden das tausendjährige Reich des Heils und des Friedens.

Droben am Bergesrande ritt Ivo auf dem Pferde, und es war, als ob das Thier, das, an die Erde gebannt heute ihre Furchen aufwühlte, jetzt plötzlich hinweggehoben von der Scholle in der Luft schwebe und mit dem Kinde hinausgezogen werde in den Himmel; man sah die Füße nur sich sanft in der Luft heben, Ivo streckte die Arme aus, als winke ihm ein Engel. Zwei Tauben flogen hoch in [254] den Lüften der Heimath zu, sie flogen hoch, sie flogen weit – was ist hier weit, und was ist hoch? – ihre Flügel regten sich nicht, sie schwebten dahin, wie von einer unendlichen Macht gezogen, und verschwanden in den Gluthen.

Wer verkündet all die Himmelspracht, wo das Herz, durchglüht vom heiligen Geiste des Alls, sich ausdehnt bis dahin, wo keine Schranke mehr, wo man aufgegangen, in's Unendliche, doch beseligt, befriedigt, in sich, in Gott, die klopfende Brust hält.

So stand Nazi da, alle Erdenpein und alle Begierde war von ihm genommen. In die Seele dieses armen, einfältigen Knechtes fiel ein Strahl aus der unerschöpflichen Glorie Gottes, und er stand höher als alle die Großen auf den Thronen des Geistes und der Macht – die Majestät Gottes hatte sich auf ihn herniedergesenkt.

Unvergeßlich blieb dieser Tag für Nazi und Ivo.

Fußnoten

1 Des Pflügens.

2 Haufen, nur beim Heu gebräuchlich.

6. Die lateinische Schule

6.
Die lateinische Schule.

Eine Lebensveränderung trennte Ivo bald von seinem Jugendfreunde.

Die Zeit war gekommen, in der Ivo seinen ersten Schritt aus dem elterlichen Hause und zu [255] seinem Berufe thun mußte. Auch äußerlich ging zu diesem Zwecke eine Aenderung mit ihm vor; statt der kurzen Jacke hatte man ihm einen langen, blauen Rock machen lassen, und da man wohl voraussehen konnte, daß er ihn verwachsen würde, war er nach allen Richtungen überflüssig weit.

Als nun Ivo so standesmäßig gekleidet mit seiner Mutter nach Horb ging, schlotterte der sonst so behende Knabe in den großen Stiefeln mühselig einher; er hob stets seine Hände empor, um auch seinen abstehenden Rock mitzunehmen.

Valentin nahm sich wenig mehr um die Bestimmung seines Sohnes an. Er hatte den Pfarrersgedanken genugsam ausgekostet, es war ihm jetzt fast gleich, ob sein Sohn Pfarrer oder Bauer würde; überhaupt war ihm, wo es drauf und dran kam, etwas Außergewöhnliches zu thun, jede Mühe zu viel.

Die Mutter Christine aber war eine fromme und entschlossene Frau, sie ließ einen einmal erfaßten Gedanken nicht mehr so leicht wieder los.

Der Kaplan wohnte neben der Stadtkirche. Mutter und Sohn gingen nun zuerst in die Kirche, knieten vor dem Altare nieder und beteten inbrünstig drei Vaterunser. Mit ähnlichen Gefühlen, wie einst Hanna ihren Sohn Samuel dem Hohenpriester im Tempel zu Jerusalem brachte, war die Seele der [256] Mutter Christine erfüllt. Sie hatte zwar das Alte Testament nie gelesen und kannte die Geschichte von Hanna und Samuel nicht, aber in ihrem Geiste lebten jene alten Empfindungen rein und neu wieder auf. Mit einem von Wehmuth und Liebe strahlenden Blicke schaute sie auf zur heiligen Mutter Gottes, die so hochbegnadigt war, den unter dem Herzen zu tragen, der da ist das Heil der Welt, und sie bat sie, ihren Sohn zu beschützen und anzunehmen als Diener der heiligen Kirche. Die Hände fest auf ihren Busen drückend, betrachtete Christine ihren Sohn, als sie mit ihm die Kirche verließ.

In der Kaplanei stellte sie ihr Körbchen in die Küche und gab der Köchin Eier und Butter; darauf wurde sie gemeldet, und mit kleinen Schritten, nach jedem Tritte sich verbeugend, ging sie in die geöffnete Stube des Kaplans. Dieser war ein gutmüthiger Mann, der, seine fleischigen Hände stets in- und auseinander wickelnd, mit salbungsvollen Mienen und Gebärden die Ankömmlinge traktierte. Die Mutter horchte so aufmerksam zu wie bei einer Predigt, und als nun Ivo ermahnt wurde, recht fleißig zu sein, weinte er laut auf, er wußte nicht, warum, aber sein Herz war so voll, er konnte nicht anders; der gute Mann tröstete und streichelte ihn, und still beruhigt verließen die beiden das Haus.

Nun ging es zu einer alten Witfrau, die neben [257] dem Staffelbäck wohnte; im Vorbeigehen hatte Ivo eine Fastenbrezel erhalten, und am Ofen sitzend, den Leckerbissen verzehrend, hörte Ivo die Unterhandlung mit der Frau Hanklerin. Benannte Frau war eine Butter- und Eierhändlerin, die in alter Geschäftsverbindung mit der Frau Christine stand. Es wurde nun ausgemacht, daß sich Ivo künftig hier im Hause über Mittag aufhalten, daß ihm die Frau Hanklerin etwas kochen und dafür ein Gewisses an Eiern, Butter und Mehl erhalten solle.

Zu Hause angekommen, warf Ivo schnell den weiten Rock ab, schlenkerte die Stiefel von den Füßen und eilte in den Stall zum Nazi; dieser fuhr sich mit der Hand über die Augen, als er hörte, daß Ivo nun Student sei.

Andern Tages war es unserm jungen Freunde schwer zu Muthe, als er zum erstenmal in die lateinische Schule sollte. Er wurde früh aufgeweckt, mußte sich schön anziehen, und damit ihm der Abschied nicht zu schwer sei, begleitete ihn die Mutter bis vor das Dorf auf die Hochbux. Dort gab sie ihm noch ein Stückchen in Papier gewickeltes gebraten Fleisch und sagte ihm, das solle er heute mittag verzehren; dann gab sie ihm noch zwei Kreuzer, für alle Gefahren, damit er sich etwas kaufen könne.

Die Leser kennen längst den Weg nach Horb, da sie ihn schon oft gegangen; aber neben dem kaum[258] halbstündigen Schlangenweg, der sich am steilen Berge hinanzieht, gibt es noch einen näheren Fußsteig von der Hochbux aus links durch den Wald; diesen schlug Ivo ein, und in wenigen Minuten sprang er – denn man kann hier nicht gehen, sondern bloß springen – bis hinab zur Horber Ziegelhütte. Sein Herz pochte schnell, und seine Thränen flossen reichlich, denn er empfand es wohl, daß er ein neues Leben beginne.

An der Ziegelhütte machte er Halt, trocknete seine Thränen und schaute nach dem Braten; er roch daran und genoß einen angenehmen Duft. Er wickelte das Papier auseinander, das Fleisch lachte ihn an, es war zum Küssen, er spielte Versucherles, und kurz – nach einer Weile hatte er nichts mehr als das leere Papier. Gestärkt und ganz wohlgemuth ging er nach der lateinischen Schule.

Hier musterten die Knaben den neuen Ankömmling ganz unverhohlen; sie machten sich besonders über seine weiten Kleider lustig.

»Wie heißt du?« fragte einer.

»Ivo Bock.«


»Das ist der Ivo Bock

Mit dem Familienrock,«


sagte ein Knabe mit einem schön gestickten Hemdkragen. In Ivo's Antlitz verrieth sich jenes Zucken,[259] das dem Weinen vorausgeht. Als nun aber mehrere auf ihn zukamen und ihn zerren wollten, schlug er mit wütender Kraft mit beiden Fäusten um sich. Der Reimschmied aber mit dem gestickten Kragen kam auf ihn zu und sagte: »sei zufrieden, es darf dir niemand was thun, ich helf' dir.«

»Ist das dein Ernst, oder willst du mich noch mehr foppen?« fragte Ivo mit bewegter Stimme, indem er noch immer seine Fäuste ballte.

»Mein voller Ernst, da hast du meine Hand drauf.«

»Meinetwegen,« sagte Ivo, und seine Faust löste sich zu friedlichem Händedruck auf.

Es ist wohl möglich, daß das Stadtkind unsern Ivo anfangs noch weiter zu necken oder ihn mit hoher Gönnerschaft zu schützen gedachte; die sichere Haltung Ivo's mochte aber Allem diesem eine andere Wendung gehen.

Die Ankunft des Kaplans brachte plötzlich Stille unter die Versammelten. Der Unterricht war der gewöhnliche, wenn man mensa zu deklinieren beginnt. Als die Schule zu Ende war, begleitete der Knabe mit dem gestickten Kragen nebst seinem jüngeren Bruder unsern Ivo bis zur Frau Hanklerin; es waren des Oberamtmanns Söhne, deren Gesellschaft er hatte. Wir können nun schon beruhigter seinem Schicksale in der Stadt entgegensehen.

[260] Bei der Frau Hanklerin waren alle Thüren verschlossen. Ivo setzte sich auf die Hausschwelle, ihrer harrend. Trübe Gedanken stiegen in seiner Seele auf, sie waren zunächst nur alltäglichen Ursprungs, ihn hungerte. Er gedachte, wie sie jetzt zu Hause sich alle um den Tisch setzen und er allein hier hungernd und verlassen draußen in der Welt stehe, kein Mensch sich um ihn kümmere; da liefen die Leute alle so rasch vorbei, und keiner schaute nach ihm um, alle gingen zu dampfenden Schüsseln, die ihrer harrten, nur er saß da, als ob er vom Himmel gefallen wäre und keine Heimath hätte.

»Jedem Stückle Vieh,« sagte er, »steckt man zur Zeit sein Futter auf, nur um mich bekümmert sich niemand; zwar hab' ich zwei Kreuzer im Sack, aber ich darf das Geld doch nicht jetzt schon angreifen.«

Immer schrecklicher ward es ihm, so da draußen in der fremden Welt zu sein, ein unnennbares Heimweh preßte seine Brust; rasch richtete er sich auf, und in großen Sätzen sprang er auf und davon, der Heimath zu. Als er um die Ecke bog, begegnete ihm die Frau Hanklerin. Sie entschuldigte sich viel tausendmal, sie habe ihn vergessen und sei aufgehalten worden. »Komm mit,« war der tröstliche Schluß ihrer Rede, »ich koch' dir ein Rübelessüpple und schmelz' dir's recht gut, deiner Mutter zulieb; dein' Mutter ist eine brave Frau, und wenn du einmal [261] Hajrle bist und ich gestorben bin, mußt du auch eine Mess' für mich lesen, gelt, das thust du?«

Ivo war ganz glückselig, daß jemand von seiner Mutter sprach; es war ihm, als wäre er tausend Stunden weit und schon zehn Jahre von Haus weg: das Latein, der Braten, der Familienrock, die Händel, der neue Kamerad, die Flucht – er hatte heute schon so viel erlebt, mehr als sonst in einem halben Jahre. Er ließ sich nun das Essen gut schmecken, aber es war ihm doch nicht wohl bei der fremden Frau; ein stilles Gefühl dämmerte in ihm, daß er dem Boden seines Daseins, dem elterlichen Hause, entrückt war. Ein junger Waldbaum, der schützenden Genossenschaft, dem still ruhenden festen Erdreiche entzogen, auf rasselnden Wagen dahingerollt, um auf ferner Anhöhe einsam einzuwurzeln – wenn er reden könnte, er müßte herzdurchbohrende Jammertöne ausstoßen. Ivo fühlte ein schweres Drücken auf seiner Herzgrube.

Der Nachmittagsunterricht ging leichter, da kam Deutsch vor, da konnte Ivo auch ein Wort mitsprechen. Auf dem Heimwege gesellte er sich zu seinen zwei Ortskindern, zu des Johannesle's Constantin und zu des Hansjörgs Peter; Constantin sagte, der jüngste der Studenten müsse den älteren immer die Bücher tragen, und Ivo ließ sich die schwere Bürde ohne Widerrede aufladen.

[262] Oben an der Steige aber sahen sie die Mutter Christine, die ihrem Sohne entgegengegangen war; die Bücher wurden ihm abgenommen. Ivo sprang jubelnd seiner Mutter entgegen, aber mitten drin hielt er ein, er schämte sich vor den großen Burschen, seiner Mutter um den Hals zu fallen, und duldete selbst ihre Liebkosungen nur ungern.

Die Mützen auf die Seite gerückt, mit ihren Büchern unterm Arme stolzierend, gingen die beiden größeren Studenten durch das Dorf.

Ivo hatte nun seiner Mutter und zu Hause dem Nazi gar viel zu erzählen, als ob er über dem Meere gewesen wäre. Er kam sich auch als was Rechtes vor, da man für ihn besonders gekocht hatte und ihm besonders auftrug. Selbst das Gretle, das ihm fast nie ein gutes Wort gab, war jetzt freundlicher gegen ihn; er kam ja aus der Fremde.

So wanderte nun Ivo von Tag zu Tag in die lateinische Schule.

Um dieselbe Zeit war auch mit dem Muckele eine große Veränderung vorgegangen, es stand nicht mehr so fröhlich im Stalle, denn es war zum Zugthiere gezähmt worden. Ivo glaubte, das Thier leide durch seine Entfernung vom Hause, und er war sehr betrübt.

In der lateinischen Schule aber ging Alles vortrefflich.

[263] Wie Ivo schnell in den zu weit angemessenen Rock hineinwuchs, so erfüllte er auch bald alle seine neuen Verhältnisse und fühlte sich behaglich darin.

Die innige Beziehung zu Nazi litt sehr, denn sie konnten nicht mehr so Alles mit einander theilen; die genauen Berichte hörten auch nach und nach auf, es gab immer seltener etwas Wichtiges zu erzählen, und Ivo setzte sich, wenn er nach Hause kam, meist still hinter seine Bücher. Dagegen trat die Frau Hanklerin in ein freundschaftliches Verhältnis. Sie sagte immer: »Man könne sich mit Ivo ausschwatzen wie mit einem Alten.« Sie erzählte ihm viel von ihrem verstorbenen Mann, und Ivo half ihr sorgen und raten, wenn der vierteljährige Hauszins zu bezahlen war.

Mit des Oberamtmanns Kindern stand Ivo in beneideter Freundschaft.

Und Emmerenz? Sie war jetzt neun Jahre alt, ging in die Schule und diente in den Freistunden als Kindsmagd bei dem Schullehrer.

In einem Lebensalter, in welchem sonst die Kinder nur mit der Puppe spielen, hatte Emmerenz eine lebendige anspruchsvolle Puppe zu versorgen; aber sie that es meist mit kindlicher Lust und Spielerei. Nur wenn Valentin nicht zu Hause war, durfte sie mit ihrem Kind bei ihm »ause laufen,« d.h. Besuchmachen, sonst war sie »unwerth.« 1 Der [264] Zimmermann konnte das Kindergeschrei nicht leiden. Er ward überhaupt immer krittlicher und unzufriedener. Ivo sah nun zwar die Emmerenz hin und wieder, aber die beiden Kinder hatten eine gewisse Scheu voreinander, besonders Ivo bedachte ernstlich, daß es sich für ihn, als künftigen Geistlichen, nicht schicke, so vertraut mit einem Mädchen zu sein. Er ging oft mit seinen Büchern an Emmerenz vorbei, ohne sie zu grüßen.

Auch sonst sah sich Ivo vielfach von seinen alten Lieblingssachen hinweggedrängt. Wenn er zu Hause war und nach alter Gewohnheit in den Stall ging, um dem Nazi zu helfen, den Stier, die Allgäuerin und den Falb zu füttern, da jagte ihn oft sein Vater hinaus mit den Worten: »Fort, du hast nichts im Stall zu schaffen, gang du zu deinen Büchern und lern was Rechts, du mußt Hajrle werden. Meinst du, man gibt das Heidengeld umsonst aus? Marschir' dich.«

Mit schwerem Herzen sah Ivo, wie die anderen Knaben die Pferde zur Schwemme ritten, oder stolz auf dem Sattelgaul an einem garbenvollen Wagen saßen. Mancher schwere Seufzer entstieg seiner Brust, während er die Heldenthaten des Miltiades über'setzte; ihm wäre es draußen im Schießmauernfeld beim »Zakkern« viel wohler gewesen, als hier auf dem Schlachtfelde bei Marathon. Er sprang oft vom Stuhle auf und [265] schlug um sich, gleich als erfüllte er damit sein innerstes Streben.

Auch das entfremdete Ivo vom elterlichen Hause, daß er hier mitten unter den Seinigen seinen Geist mit Dingen erfüllte, um die sich sonst niemand bekümmerte; er konnte mit keinem davon sprechen, auch mit dem Nazi nicht. So war er mitten in seinem Hause ein fremder Mensch, mit ganz andern Gedanken als die übrigen.

Der Nazi aber dachte darüber nach, wie er dem oft so betrübten Knaben eine rechte Freude machen könne. Ivo hatte ihm oft mit Entzücken erzählt, welch einen schönen Taubenschlag des Oberamtmanns Buben hätten, und nun zimmerte Nazi in seinen Freistunden den verfallenen Taubenschlag zurecht, kaufte für sein eigen Geld fünf Paar Tauben und Wicken zum Futter. Ivo fiel dem Knechte um den Hals, als er ihn eines Morgens, ohne ein Wort zu reden, auf die »Bühne 2« führte und ihm alles Vorbereitete schenkte.

Man mußte nun Ivo sehen, wie er des Sonntagmorgens hemdärmelig unter dem Nußbaume stand, die Arme auf der Brust übereinander geschlagen, mit seliger Spannung hinaufschauend nach den lieben Thierchen auf dem Dache, die ihre Morgengespräche hielten, ihre Verbeugungen machten und [266] endlich lustig aufflatterten hinaus in's Feld. Von den Besitztümern, die er fassen konnte, die mit ihm auf der Erde wandelten, war er nun an solche gekommen, die er nur noch mit liebenden Blicken begleiten durfte; nur durch den unsichtbaren Gedanken besaß er sie, fassen und liebkosen durfte er sie nicht, sie flatterten dahin frei in die Luft, und nur mit den Banden des seligsten Vertrauens hielt er sie fest.

Kann man dieß nicht als ein Sinnbild der Lebenswendung ansehen, die das Schicksal Ivo's genommen?

Da stand er dann in dem sonnenhellen Morgen unter dem Nußbaume, den Blick liebend nach oben gewandt. Er pfiff den Thierchen auf dem Dache, sie kamen zu ihm hernieder, tänzelten vor seinen Füßen und pickten das Futter auf, das er ihnen hinwarf, aber er durfte sich nicht rühren, um seine Freude auszudrücken, still mußte er sie in seiner Seele hegen, wenn er nicht alle plötzlich aufscheuchen wollte, und so summte er au den Baum gelehnt oft das Lied, das ihn Nazi gelehrt:


Alles, was auf Erden schwebet,

Gleichet keiner Taube nicht.

Tauben das sind schöne Thier,

Tauben die gefallen mir,

Tauben die gefallen mir.


[267]

Morgens fruh um halber achte

Steig ich vor mein Bett heraus,

Schau was meine Tauben machen,

Ob sie schlafen oder wachen,

Ob sie noch bei Leben sein.


Morgens fruh um halber neune,

Fliegen sie nach Nahrung aus,

Da wird mir's ganz angst und wehe,

Weil ich keine Tauben sehe,

Keine in dem Schlag mehr seh.


Abends spat dann kommen sie wieder,

Fremde haben sie mitgebracht;

Sperr ich sie fein sauber ein,

Daß sie möchten sicher sein

Vor dem Marder in der Nacht.


Wenn Ivo dann in die Kirche kam, war seine Seele so voll Liebe und kindlichen Zutrauens, daß er fast immer: »guten Morgen, Gott!« sagte. Mit einem heimischen Wohlgefühle ging er dann in die Sakristei, kleidete sich als Ministrant an und verrichtete beim Hochamte seine Obliegenheiten.

Eine tiefinnige Gottesfurcht, getragen von einer glutvollen Liebe zur Mutter Gottes und besonders zu dem lieben herzigen Christkindchen, wohnte in der Seele Ivo's. Mit besonderer Freude dachte er daran, daß auch der Heiland eines Zimmermanns Sohn gewesen und sich auf den Balken seines Vaters sonnte.

[268] Von allen heiligen Tagen war Ivo der Palmsonntag der liebste; er machte fast noch mehr Eindruck auf ihn als der Karfreitag. Schon Wochen vorher stellte man Weiden, Pappeln und andere Zweige in's Wasser, damit sie grünen; mit den in Büschel gebundenen frühgrünen Reisern umstanden dann die Kinder den Altar zum Andenken an den palmenbegrüßten Einzug Christi in Jerusalem. Die Sträuße wurden mit Weihwasser besprengt und dann im Stalle aufgehängt, damit den Thieren kein Schaden geschehen konnte. Zu Hause war den ganzen Tag alles so ernst und feierlich, man hörte kein lautes Wort, selbst vom Vater nicht; ein jedes behandelte das andere freundlich und liebreich, so daß Ivo ganz glückselig war.

Schon frühe machte sich indes auch in religiösen Dingen ein gewisser Geist des Nachdenkens bei ihm geltend. Der Kaplan erklärte einst, daß der heilige Petrus deshalb den Schlüssel trage, weil er den Seligen die Himmelsthüre öffne.

»Ei, wie denn?« fragte Ivo, »wo sitzt denn der?«

»Am Himmelsthor.«

»Ei, da kommt ja der gar nicht in den Himmel, wenn der da sitzen muß, um den andern aufzumachen?«

Der Kaplan sah Ivo betroffen an und schwieg eine Weile, dann aber sagte er mit vergnüglichem Lächeln: »der findet eben seine himmlische Seligkeit [269] darin, Anderen die Thore des ewigen Heils aufzumachen. Das ist die höchste Tugend, sich an der Glückseligkeit Anderer zu freuen und für sie zu arbeiten; das ist der hohe Beruf des heiligen Vaters zu Rom, der den Schlüssel Petri auf Erden hat, sowie aller derer, die von ihm und seinen Bischöfen geweiht sind.«

Ivo war das schon recht, doch begriff er es nicht ganz, und es that ihm bei alledem leid, daß der gute Petrus so immer an der Thüre sitzen muß.

Eine schwere Sorge lud der Kaplan dem Ivo auf, als er einst den Kindern einschärfte, man müsse sich jeden Tag fragen: was hast du heute gelernt oder Gutes gethan?

Ivo nahm das buchstäblich genau und war oft sehr übel daran, wenn er nichts Rechtes auffinden konnte. Er wälzte sich dann verzweiflungsvoll in seinem Bette umher.

Es geht mit dem Wachstum des Geistes, wie mit jedem natürlichen Wachstume: ein Thier, eine Pflanze wächst, ohne daß man es eigentlich im wahren Sinn des Wortes sieht. Man sieht stets nur das Gewachsene, nie das Wachsen.

Wir werden sehen, daß Ivo an Geist zunahm, obgleich er sich keine genaue Rechenschaft davon geben konnte.

Dagegen hatte der Kaplan eine weise und nachahmungswerthe [270] Einrichtung in seiner Schule. Er setzte die Knaben nicht nach ihrer Fähigkeit und Geschicklichkeit, sondern nach ihrem Fleiße und ihrer Pünktlichkeit; erst nach diesen sollten jene den Ausschlag geben, »denn,« sagte er, »Fleiß und Ordnung kann sich jeder angewöhnen; das Angeeignete ist die höhere Tugend, Fähigkeit und Geschick aber sind nur überkommene Naturgaben.« So zwang er die Befähigten zur Emsigkeit und verlieh den Minderbegabten Muth und Zuversicht.

Ivo, der mit entschiedener Begabung eine große Gewissenhaftigkeit vereinigte, war bald einer der ersten, und der Oberamtmann sah es gern, daß seine Knaben ihn in's Haus zogen.

Wir kennen den Oberamtmann Rellings noch von dem Befehlerles her. Ivo hatte zu Hause auch oft von seiner Härte erzählen gehört; wie erstaunte er nun, daß er einen freundlichen, gütigen Mann in ihm fand, der mit seinen Kindern spielte und ihnen allerlei Freude bereitete.

So ist es eben. Man wird Hunderte von Menschen treffen, die in Bezug auf das Allgemeine die freisinnigsten Ansichten verfolgen, daß alle Menschen gleich seien u.s.w.; zu Hause aber quälen sie ihr Gesinde, ja sogar Frau und Kinder, wie echte eigenwillige Tyrannen; dagegen wird man andere, besonders Beamte finden, die jeden Menschen, der kein [271] Beamter ist, wie einen Sklaven und Landläufer ansehen und danach behandeln; in ihren vier Wänden sind sie aber die besten Hausväter.

So wohl sich nun Ivo in der Stadt fühlte, so empfand er doch jeden Sonntagabend, wenn es zu Nacht läutete, einen stillen Schmerz; diese Töne verkündeten ihm: morgen ist's Montag, und da geht's wieder fort aus dem elterlichen Hause, von der Mutter, vom Nazi und den Tauben. Nach und nach lernte er auch auf seinem täglichen Gange die darin liegenden Freuden ziehen. Er ging stets allein, denn er wich gern dem Constantin aus, der ihn auf alle Weise neckte.

Im Sommer ging er stets singend seinen Weg; im Herbste hatte er immer die besondere Freude, daß seine Mutter und Schwester einige Tage in des Staffelnbäcks Mühle mahlten; er ging dann mittags nicht zur Frau Hanklerin, sondern aß mit den Seinigen in der dröhnenden Mühlstube zu Mittag. Der Winter bot ihm die meisten Freuden. Nazi, der allerlei Handwerk verstand, hatte mit einem alten eisernen Reifen den Bergschlitten beschlagen. Auf der Hochbux setzte sich dann Ivo auf sein leichtes Fahrzeug, und wie ein Pfeil fuhr er die Straße hinab bis vor die Neckarbrücke. Zähneklappernd sagte er oft im Fahren seinen Spruch oder seine Regel aus der Syntax vor sich hin. Freilich mußte dann Ivo auch [272] des Abends seinen Schlitten wieder an einem Seile den Berg hinaufziehen, aber er that das gern, und meist fand sich auch ein Wagen, an den er sein kleines Fuhrwerk anhängen durfte; nur äußerst selten widerstand ein zäher Fuhrmann seinem freundlichen Bitten.

Ivo versah auch Botendienste für das halbe Dorf: für den einen trug er Garn in die Farbe, für den andern einen Brief auf die Post, für einen dritten fragte er nach, ob kein Brief für ihn da sei. Beim Nachhausegehen hatte er oft einige Stränge Seide, Brustthee, Blutegel in einem Glase, auch Hoffmannstropfen und allerlei, was ihm die Leute aufgetragen, in seinem Schulranzen. Daher war er im ganzen Dorfe sehr beliebt, während Peter und Constantin solche Botendienste stolz abwiesen.

Großes Aufsehen erregte es im ganzen Dorfe, als des Sonntagsnachmittags im Herbste die beiden Söhne des Oberamtmanns mit ihren rothen Mützen den Ivo besuchten.

Die Mutter Christine sah zum Fenster hinaus und hörte, wie die Knaben den blinden Koanradle nach Ivo's Haus fragten; und obgleich Alles im Zimmer wohlaufgeräumt war, geriet sie doch in große Angst. In ihrer Hast legte sie den Schemel auf das Bett und stellte ein Paar Stiefel, die im Winkel standen, gerade vorn unter den Tisch. Sie [273] hörte den Besuch die Treppe heraufpoltern und machte gar verlegen, aber doch mit sichtbarer Freude den »jungen Herren« die Thüre auf und hieß sie willkommen; dann rief sie der Emmerenz zum Fenster hinaus, sie solle den Ivo aufsuchen und auch den Vater, sie sollten schnell heimkommen, es sei Besuch da.

Abermals wischte sie mit ihrer weißen Sonntagsschürze beide Stühle ab und nöthigte die Knaben zum Sitzen. Sie entschuldigte sich, daß Alles so unordentlich aussehe; »so ist es halt bei Bauersleuten,« schloß sie und heftete beschämt den Blick auf den Boden, der doch so rein gewaschen war, daß die Rippen aus den Brettern heraussahen.

Der blinde Koanradle machte eben die Thüre auf, um zu sehen, was es gäbe, und dafür, daß er den Knaben das Haus gezeigt, an der Aufwartung, etwa an einem guten »Schäle« Kaffee Theil zu nehmen; die Mutter Christine schob ihn aber, ohne viele Umstände zu machen, wieder zur Thüre hinaus und sagte: »komm ein andermal.«

Gute Frau! Du warst sonst so groß in deiner religiösen Kraft, und vor diesen Setzlingen der Herren der Erde bist du so klein und demüthig. Freilich bist du in der Furcht des Herrn und fast noch mehr in der Furcht der »Herren« auferzogen und alt geworden.

[274] Der älteste der Oberamtmanns-Söhne hatte sich unterdessen mit vieler Zuversicht in der Stube umgesehen; auf die Stubenthür deutend, fragte er nun: »Warum ist denn das Hufeisen da angenagelt?«

Ernst die Hände zusammenlegend und den Kopf niederbeugend, sagte die Mutter: »Das wisset ihr nicht? Das ist von deswegen: Wenn man mittags zwischen elf und zwölf ein Hufeisen findet, es unbeschrieen einsteckt und an die Thür nagelt, kann kein böser Geist, kein Teufel und kein' Hex herein.« –

Die Knaben schauten verwundert drein.

Ivo kam und bald nach ihm der Vater, er zog die Mütze ab und hieß die »jungen Herren« willkommen; dann sagte er, sich die Hände reibend: »Wie? Weib, hast denn gar nichts im Haus? hol' auch 'was zum Aufwarten.«

Die Mutter hatte nur darauf geharrt, bis sie abkommen konnte; sie ging nun, das Schönste und Beste zusammen zu suchen. Die Emmerenz war so gescheit gewesen und hatte sich in der Küche eingestellt, da man vielleicht noch ihrer bedürfe, denn das Gretle war mit seinem Schatz spazieren; auch hatte wohl Emmerenz noch den geheimen Grund, die vornehmen Kameraden des Ivo noch einmal zu sehen, denn auch ihr that es wohl, daß er so hoch in Ehren stand.

Noch viele Nachbarfrauen hatten sich, von dem [275] Besuche angelockt, in der Küche eingefunden, die Mutter verließ sie mit freundlichen Entschuldigungen und trug eine große Schüssel voll rothbackiger Aepfel, »Breitlinge« genannt, in die Stube. Die Emmerenz trug auf einem blanken Zinnteller zwei Gläschen voll Kirschenwasser.

Die Knaben mußten essen und sogar von dem Branntwein trinken, dann stopfte ihnen die Mutter noch alle Taschen voll Obst. Zuletzt gab sie dem Kleinen noch besonders einen schönen Apfel zum »Gruß an die Frau Mutter, und sie solle ihn auf den Kommod stellen.«

Die Knaben gingen endlich fort. Valentin nickte freundlich, als sie ihn baten, daß der Ivo mit dürfe; die Mutter rückte ihm noch den Hemdkragen zurecht und putzte ihm noch alle Fiserchen von seinem blauen Rocke weg. Ivo hörte zu seiner Freude, daß er bald einen neuen bekäme.

Mit den Frauen, die hinter der halb vorgezogenen Küchenthür gewartet hatten, ging nun Christine auf die Straße und sah vergnügt den dreien nach, die Valentin noch bis zum Adler begleitete. Die Schultheißin sah zum Fenster heraus, und Christine rief ihr hinauf: »Das sind des Oberamtmanns Buben. Sie holen meinen Ivo 'naus zu ihrem Vater in das Schäpfle 3, [276] er sieht's gern, daß sie Kameradschaft mit ihm haben, er ist gar gescheit und beliebt.«

Es darf auch nicht verschwiegen werden, daß sogar Ivo mit einem gewissen Stolze Hand in Hand mit den Knaben durch das Dorf ging. Er freute sich, daß alle Leute zu den Fenstern heraussahen, und er sagte allen mit großer Selbstzufriedenheit: »Guten Tag.«

Wer wird ihm das verdenken in einem Lande, wo des Kindes Vorstellung schon von der Allmacht der Beamten fabelt, wo ihr Dasein und ihre Wirksamkeit in ein majestätisches Dunkel gehüllt ist, wo groß und klein jeden Landereiter und Schreiber demüthig grüßt, weil man weiß, wie man in ihre Hand gegeben ist, wenn die Thüre des geheimen Gerichtes hinter einem in die Klinke fallt?

Der Schäpfleswirth grüßte Ivo ebenfalls sehr freundlich und rieb dabei nach seiner Gewohnheit die Hände, als ob es ihn friere. Ivo durfte nun in das »Herrenstüble« an den durch einen Bretterverschlag abgesonderten Tisch, wo der Kameralverwalter und der Oberamtmann saßen.

Zwei Kaufleute aus Horb standen etwas zaghaft unter dem Eingange in die Herrenkammer. Endlich sagte der eine: »Nun, Herr Stadtrat, was wollen wir denn trinken?«

»Was Sie wollen, Herr Stadtrat,« erwiderte der Angeredete.

[277] Jetzt war's heraus, die beiden Männer waren gestern zu dieser Würde gewählt worden; sie gehörten nun auch an den Herrentisch und nahmen mit tiefen Bücklingen Platz. Der Oberamtmann sah seinen Kollegen an und lächelte höhnisch.

Ivo war seelenvergnügt in dieser Gesellschaft, aber er sollte bald eine Züchtigung für seine Eitelkeit erfahren. Die Kinder erzählten, was sie von Ivo's Mutter über die Wirksamkeit des Hufeisens gehört hatten. Der Oberamtmann, der sich gern in religiösen Dingen als freidenkend zeigte, weil das nicht gegen ein ausdrückliches Verbot im Gesetze war, sondern sogar zur Bildung gehörte, sagte: »Was dummes Zeug! Das ist ein hirnloser Aberglaube. Laßt euch von einem einfältigen Bauernweib nichts aufbinden; ich hab's euch schon oft gesagt, es gibt keinen Teufel und keine Heiligen, oder Heilige, die will ich noch hingehen lassen.«

Ivo zitterte auf seinem Stuhle. Es schnitt ihm tief durch die Seele, wie man hier von seiner Mutter sprach, und noch dazu so gottlos. Er wünschte sich, daß nie solche Kameraden zu ihm gekommen wären. Gegen den Oberamtmann aber faßte er einen gründlichen Haß, er sah ihn grimmig an. Dieser schien nichts davon zu verspüren, er war sehr herablassend und freundlich gegen die zwei neuen [278] Stadträthe, welche, ganz entzückt von so viel Güte, den Mund nicht zubringen konnten.

Unserm Ivo ward es aber erst wieder leicht, als alle die »Herrenleute« weggingen; und so bös war er, daß er sich damit freute, dem Oberamtmann keine gute Nacht gewünscht zu haben.

Fußnoten

1 Unwillkommen.

2 Speicher.

3 Name eines Wirthshauses. Schapf nennt man ein Gefäß, mit dem man Wasser schäpft.

7. Das Kloster

7.
Das Kloster.

Jahre gingen vorüber, man merkte es kaum. Constantin und Peter hatten im Herbste ihre Prüfung bestanden und waren nun bestimmt, in das Kloster zu Rottweil einzutreten; ein Ereigniß aber, von dem man noch lange redete, hielt den Peter im Dorfe fest.

Das zweite Gras war im Schloßgarten abgemäht, die Zeitlose, bei uns Dirnenblume genannt, weil sie so schamlos ohne alle Blätterverhüllung erscheint, stand einsam unter dem bereiften Grase; die Kühe weideten jetzt hier frei, und die Kinder tummelten sich überall und machten auf vereinzelte, an den Bäumen hängen gebliebene Aepfel und Birnen Jagd, gegen die sie mit Stöcken und Steinen auszogen.

Peter saß auf dem Wadelbirnenbaum an der Schloßmauer, nicht weit von dem Eckthurme; eine[279] goldgelbe Birne war das Ziel seines hohen Strebens, der muthwillige Constantin aber wollte ihm die Beute wegschnappen und warf mit einem Steine danach. Da schrie Peter: »mein Aug, mein Aug!« und stürzte samt dem Aste, auf dem er gesessen, vom Baume; das Blut quoll ihm aus dem Auge, Constantin stand neben ihm, weinte und schrie aus vollem Halse um Hülfe.

Das Mauritzele, das die Kühe hütete, kam herbei. Es sah den blutenden Knaben, nahm ihn schnell auf die Schulter und trug ihn nach Haus; Constantin ging hintendrein, alle andern Kinder gesellten sich dazu. Der Zug vergrößerte sich stets, bis man vor Hansjörgs Haus kam; dieser richtete eben einen Wagen her, und als er sein Kind so blutend fand und ohnmächtig sah, schlug er die Hände über dem Kopfe zusammen. Peter schlug das eine Auge auf, das andere aber blutete immer stärker.

»Wer hat dir das gethan?« fragte Hansjörg mit geballter Faust, bald sein jammerndes Kind, bald den zitternden Constantin betrachtend.

»Ich bin vom Baum gefallen,« sagte Peter, auch das gesunde Auge zudrückend, »ach Gott, ach Gott, mein Aug' lauft aus.«

Kaum hatte Constantin das gehört, sprang er schnell fort nach Horb zu dem jungen Erath, der jetzt das Amt seines verstorbenen Vaters bekleidete. [280] Mit namenloser Angst lief Constantin vor dem Hause des Wundarztes hin und her, der über Feld gegangen war; er hielt sich immer mit der Hand ein Auge zu, um sich das Unglück Peters recht zu vergegenwärtigen. Weinend und stöhnend biß er sich die Lippen blutig, er wollte als ein Missethäter in die weite Welt entfliehen, und doch wollte er ausharren, um zu retten, was zu retten war; schnell entlehnte er ein gesatteltes Pferd, und endlich kam der Ersehnte, er ritt rasch davon, aber Constantin lief noch schneller ohne auszuschnaufen den Berg hinan. Der Wundarzt erklärte das Auge für unrettbar verloren. Constantin schloß seine beiden Augen; es war ihm, als ob plötzlich Nacht und Blindheit über ihn hereinbreche; Hansjörg aber sah mit thränenschweren Blicken vor sich hin und hielt krampfhaft den Stumpffinger an seiner rechten Hand. Er sah es als eine schwere Strafe Gottes an, der dafür, weil er einst muthwillig sich selber verletzt, jetzt seinem Kinde das Auge nahm. Mild und liebreich behandelte er den unschuldigen Peter, der für ihn so Hartes erdulden mußte. Die Mutter aber, das uns wohlbekannte Kätherle, war nicht so demuthvoll, sie sagte ganz offen, daß das gewiß der vermaledeite Constantin gethan habe; sie jagte ihn aus dem Hause und schwur, daß sie ihm das Genick breche, wenn er noch einmal über die Schwelle käme.

[281] Peter beharrte bei seiner Aussage, und Constantin verlebte die qualvollsten Tage; er rannte immer im Feld umher, wie von einem bösen Geiste getrieben, und wo er einen Stein sah, da erzitterte sein Herz. »Kain! Kain!« rief er oft und wünschte, daß er auch in die Wüste entfliehen könnte, aber er kehrte immer wieder nach Hause zurück.

Nach drei Tagen endlich wagte er es, seinen Kameraden zu besuchen. Er duckte sich und war bereit, die härtesten Schläge auszuhalten; aber der Zorn der Mutter hatte sich gelegt, es geschah ihm nichts.

Ivo saß am Bette des Kranken, dessen Hand haltend. Constantin schob den Ivo beiseite und faßte die Hand Peters, ohne ein Wort zu reden, sein Athem zitterte, endlich sagte er:

»Geh du fort, Ivo, ich bleib' da, wir haben mit einander zu reden.«

»Nein, laß ihn da, der Ivo darf Alles wissen,« sagte der Halbgeblendete.

»Peter,« sagte Constantin, »in der untersten Höll' kann man nicht mehr ausstehen, als ich ausgestanden hab'. Ich hab' unsern Herrgott oft darum gebeten, er soll mir mein Aug' nehmen und das deinige erhalten; ich hab' mir, wo ich allein gewesen bin, immer ein Aug' zugehalten, ich will nicht mehr haben als du; gelt, lieber, guter, herziger Peter, du verzeihst mir?«

[282] Constantin weinte bitterlich, und der Kranke beschwor ihn, doch ja stille zu sein, sonst würden es seine Eltern merken; auch Ivo tröstete den Unglücklichen; schnell aber erhob sich in diesem seine alte Natur, und er sagte:

»Ich wollt', es thät mir einer ein Aug' ausstechen, dann bräucht' ich auch kein Pfarrer zu werden, hinter die Bücher hocken und ein Katzengesicht machen, wenn die andern Leute fröhlich sind; sei froh, daß du nur ein Aug' hast, du brauchst nicht Pfarrer zu wer den. Aber wart nur, der letzt' hat noch nicht gepfiffen.«

Ivo faltete die Hände und sah den wilden Knaben kummervoll an.

In der That konnte nun auch Peter nicht mehr Geistlicher werden, denn geschrieben steht 3. B.M.C. 22, V. 20: »Wenn du dem Herrn ein Ganzopfer darbringst, so soll es vollständig sein, es darf keinen Fehler haben.«

Ein Geistlicher darf keinen Leibesfehler haben.

Noch in der letzten Stunde, als schon der Wagen vor dem Hause stand und Constantin von Peter Abschied nahm, sagte er: »Ich wollt', daß der Wagen umstürzen und ich einen Fuß brechen thät'. B'hüt dich Gott, Peter, und gräm dich nicht zu arg über dein verlorenes Aug'.«

Auf Ivo hatten die Worte Constantins, die sein [283] innerstes Widerstreben gegen den geistlichen Stand bekundeten, einen tiefen Eindruck gemacht. Oft, wenn er so einsam seines Weges nach der Schule ging, sagte er leise vor sich hin: »sei froh, daß du nur ein Aug' hast, du brauchst nicht Pfarrer zu werden,« und er hielt wechselsweise ein Auge zu, um sich zu versichern, daß er nicht in dem Fall sei; den Constantin konnte er gar nicht begreifen, und doch betete er eine Zeitlang für ihn in der Kirche.

Indes war auch die Zeit herangenaht, da Ivo nach erstandener Prüfung in das Kloster zu Ehingen abreisen sollte.

Im elterlichen Hause wurde die Aussteuer herbeigeschafft, als ob er verheirathet würde. Eine Weile freute sich Ivo mit den neuen Kleidern, aber bald überwog das Gefühl des Abschiedes, und eine zitternde Bangigkeit breitete sich über sein ganzes Wesen aus; doch war er froh, daß seine Mutter mit Nazi und dem Falben ihn noch begleiten wollten. Nachdem er von dem Kaplan, von den Kameraden in Horb und von der Frau Hanklerin Abschied genommen, begann er schon drei Tage vor der Abreise seinen Rundgang durch das Dorf. Alles wünschte ihm von Herzen Glück, denn jedes wollte ihm wohl und pries die Eltern eines so schönen und trefflichen Knaben glücklich. Hier und dort erhielt er auch ein Geschenk, ein Sacktuch, ein Paar Hosenträger, [284] einen Beutel und sogar etwas Geld; letzteres scheute sich zwar Ivo anzunehmen, denn als Kind reicher Eltern schien es ihm fast beleidigend, aber er dachte wieder: die Geistlichen müssen Geschenke annehmen, und freute sich kindisch mit den neuen Sechskreuzerstücken. Der Rundgang durch das Dorf war schneller beendigt, als Ivo gedacht hatte. Er ließ sich nun vor den Häusern, in denen er bereits Abschied genommen, nicht mehr sehen; denn es liegt eine unangenehme Empfindung darin, Leuten, denen man bereits feierlich und auf lange Lebewohl gesagt, wieder so bald danach unter die Augen zu treten, es ist, als ob ein tiefes Gefühl dadurch verwischt würde, und als ob man eine übernommene Schuld noch nicht getilgt habe. Ivo blieb daher fast wie ein Gefangener zu Hause, verweilte bei seinen Tauben, nahm von ihnen und all den stillen Plätzchen feierlichen Abschied.

Am Abend vor der Abreise ging er in das Haus der Emmerenz, um Ade zu sagen. Emmerenz brachte ihm etwas in ein Papier gewickelt und sagte: »Da, nimm's, es ist eins von meinen Geitle.« Obgleich Ivo keinen Widerspruch machte, sagte sie doch: »Nein, du mußt's nehmen. Weißt du noch, wie ich's von der Hohlgasse 'reingetrieben hab'? Da sind sie klein und wunzig gewesen, und du hast ja auch Futter für's gesammelt; nein, nimm's nur, das könnet ihr morgen auf dem Weg verzehren.«

[285] In der einen Hand hielt Ivo die gebratene Ente, die andere reichte er Emmerenz und ihren Eltern zum Abschiede. Mit schwerem Herzen ging er dann nach Hause. Hier war Alles in großer Geschäftigkeit, man wollte heute nacht um ein Uhr fort, damit man noch »zeitlich« nach Ehingen käme. Auf der Ofenbank saß ein Waisenknabe aus Ahldorf, der ebenfalls in das Kloster eintreten sollte; neben ihm lag in einem blauen Kissenüberzuge sein Bündel. Ivo vergaß seinen eigenen Schmerz über dem Mitleid mit dem Waisenknaben, den niemand begleitete, der, allein und verlassen, auf gute Leute bauen mußte. Da er keinen andern Trost bei der Hand hatte, hielt er ihm die Ente unter die Nase und sagte: »Guck, das essen wir morgen mit einander. Gelt, du ißt doch auch gerne ein gut's Schlegele oder ein Stückle von der Brust?« Er sah hierbei ganz fröhlich aus, und um dem Fremden die volle Gewißheit seines Antheils zu geben, sagte er: »Da hast's, kannst's in deinen Bündel thun.« Die Mutter wehrte dieß ab, weil sonst die Kleider beschmutzt würden.

Man ging früh in's Bette. Der Waisenknabe, Bartholomä genannt, schlief in Nazi's Bett, da dieser aufbleiben mußte, um den Gaul zu füttern und dafür zu sorgen, daß man nicht verschlafe.

Als Ivo schon zu Bette lag, kam die Mutter [286] nochmals, leisen Schrittes. Sie hielt die Hand vor das Licht an der Oellampe, die sie trug, um den etwa Schlafenden nicht zu stören; Ivo aber wachte noch, und die Mutter sagte, indem sie behutsam die Decke unter seinem Kinn festlegte, und dann mit der Hand über seinen Kopf fuhr: »Bet auch recht, dann schlafst du gut. Gut Nacht.«

Ivo weinte bitterlich, als seine Mutter fort war. Wie eine Lichtgestalt war sie verschwunden, und er lag wieder in dichter Finsternis. Es war ihm, als wäre er schon fern in ödem, fremdem Haus; dann dachte er wieder, daß morgen seine Mutter nicht mehr zu ihm käme, und er schluchzte in die Kissen hinein. Er dachte an Emmerenz und an alle Leute im Dorfe, er hatte sie alle so lieb, er konnte sich gar nicht vorstellen, wie sie es denn machen würden, wenn er nicht zu Hause wäre, ob denn noch Alles gerade so fortginge wie gestern; er meinte, alle Leute müßten ihn so entbehren, wie er sich nach ihnen sehnte; in das Leben aller müßte sein Weggehen so tief eingreifen, wie in das seinige; er weinte um sich und um die andern, und seine Thränen flossen unaufhaltsam. Endlich raffte er sich auf, faltete die Hände und betete laut, mit einer Inbrunst, als ob er Gott und alle Heiligen leibhaftig an sein Herz drücke; dann schlief er sanft ein.

Blinzelnd schlug Ivo um sich, als Nazi mit dem[287] Lichte kam, er wollte nichts vom Aufstehen wissen, Nazi aber sagte mit betrübter Miene: »Ich kann dir nicht helfen, steh auf, du mußt jetzt lernen aufstehen, wie's die Leut' befehlen.«

Noch in der Stube taumelte Ivo wie schlaftrunken umher. Erst der erweckende Kaffee brachte ihn zur vollen Besinnung.

Alles im Hause war auf den Beinen, Ivo nahm von seinen Geschwistern weinend Abschied. Der Bartel saß bei Nazi auf dem vordern, mit dem Hafersack gepolsterten Brette, die Mutter war schon auf den Wagen gestiegen, Joseph, der älteste Bruder, hielt den Falben am Zügel. Da hob Valentin seinen Sohn in die Höhe und küßte ihn, es war das erstemal in seinem Leben, daß er ihm dieses Liebeszeichen gab, Ivo umschlang ihn laut wehklagend, Valentin war sichtbar gerührt, aber er war noch Mann genug und hob Ivo auf das Wägelchen, reichte ihm die Hand und sagte mit stockender Stimme: »B'hüt di Gott, Ivo, sei brav.«

Die Mutter hüllte Ivo zu sich in den Mantel ihres Mannes, der Falb zog an, und fort ging es durch das Dorf, das still und dunkel war; nur hier und dort brannte ein traurig Licht bei einem Kranken und schwebten trübe Schatten der Wartenden an den Fenstern vorüber. Kein Lebewohl sagten die trauten Menschen, die hinter all den stillen Mauern [288] wohnten; nur der Nachtwächter hielt an der Leimengrube mitten in seinem Rufe inne und sagte: »Glück auf den Weg.«

Fast eine Stunde lang fuhren die vier so fort, man hörte nichts als den Hufschlag des Pferdes und das Rasseln des Wagens. Ivo lag an dem Herzen seiner Mutter und hielt sie fest umschlungen.

Jetzt wickelte er sich plötzlich aus der warmen Verhüllung und sagte: »Bartel, hast du auch einen Mantel?«

»Ja, der Nazi hat mir die Roßdeck' geben.«

Ivo legte sich wieder still an das warme Herz seiner Mutter, und von Trauer und Müdigkeit überwältigt, schlief er ein.

Seliges Loos der Kindheit, deren Wehe noch die stille Nacht des Schlummers in Vergessenheit einwiegt!

Der Weg ging fast immer durch den Wald, zuerst bis Mühringen, dann durch das liebliche Eyachthälchen und den Badeort Imnau. Ivo sah von alle dem nichts. Erst als man die Haigerlocher Steige hinanfuhr, erwachte er und schreckte zusammen, als er da unten die Stadt von den senkrecht steilen Bergen umdrängt sah; es kam ihm Alles wie ein Wunder vor.

Es tagte, und die Kälte wurde eine Weile empfindlicher; denn es ist, wie wenn beim Aufgang der Sonne die kalte Nacht sich von der Erde erhöbe [289] und mit verstärkter letzter Kraft die irdischen Geschöpfe anhauche. In Hechingen im Rößle kehrte man ein. Ein junges Mädchen stand unter der Thüre des Wirthshauses.

Ivo mochte an Emmerenz denken, denn er sagte: »Mutter, essen wir jetzt das Geitle?«

»Nein, in Gamertingen machen wir Mittag, und da lassen wir uns auch ein Süpple dazu kochen.«

Der sonnenhelle Tag im schönen Killerthale, die wechselnden Gegenstände, das fremde Leben der rauhen Alb heiterten Ivo auf, und als er eine große Rinderherde auf der Weide sah, sagte er zu Nazi: »Versorg' nur auch meinen Stromel gut!«

»Da ist nicht mehr viel zu versorgen, dein Vater hat ihn an den Buchmaier verkauft, der wird ihn dieser Tage holen und in's Joch eingewöhnen.«

Ivo kannte den Fortgang im Schicksale der Thiere zu gut, um hierüber eine Betrübniß zu empfinden; er sagte daher nur: »Beim Buchmaier hat er's gut, der ist rechtschaffen gegen Mensch und Vieh, der wird ihm nicht zu viel zumuthen. Er spannt ja auch die Ochsen nicht in's Doppeljoch, da hat jeder sein besonderes, das plagt sie nicht so arg, da können sie sich doch regen.«

Die Sonne neigte sich schon zum Untergehen, als man in das Donauthal kam. Nazi schien besonders aufgeräumt. Er erzählte mit zurückgewendetem Kopfe [290] allerlei drollige Streiche von dem nahe gelegenen Munderkingen, dem man das Gleiche nacherzählt, was man sonst den Schildbürgern aufbürdet; Ivo lachte aus voller Seele und sagte einmal: »Ich wollt', wir könnten ein ganz Jahr lang so mit einander in der Welt herumfahren.«

Das hatte aber jetzt ein Ende, denn man war vor Ehingen angelangt.

Ivo fuhr zusammen und faßte die Hand seiner Mutter fest.

Man stellte in der Traube, nicht weit von dem Kloster, ein.

Kaum hatten sich unsere Reisenden an einen Tisch gesetzt, als es zur Vesper läutete; die Mutter stand auf, winkte den beiden Knaben und ging mit ihnen zur Kirche.

Es liegt eine tiefe Macht in der allverbreiteten Sichtbarkeit der katholischen Kirche: wohin du wanderst und wo du dich niederlässest, überall stehen hohe Tempel offen für deinen Glauben, deine Hoffnung, deinen Gott, überall kniet die Gemeinde, andächtig nach denselben Heiligtümern ausschauend, dieselben Worte im Munde, dieselben Zeichen führend, überall bist du unter Brüdern und Kindern des einen heiligen, sichtbaren Vaters zu Rom.

Der katholische Glaube in seiner strengen ungetheilten Einheit und Allverbreitung zeigt dir überall[291] Säulen und Hallen, getragen vom Namen deines Herrn, und im Hause deines Gottes findest du überall dein Heimathhaus und den gleichen Eingang zu deiner ewigen Urständ.

So lag die Mutter Christine mit den beiden Knaben im andächtigen Gebete vor dem Altar. Sie wußten nicht mehr, daß ihre Heimath weit weg sei, die Hand des Herrn hatte den von fern her Kommenden eine selige Heimath auferbaut.

Fest und innig, gottvertrauend, nahm die Mutter ihren Sohn an die eine, den Waisenknaben an die andere Hand und ging mit ihnen zum Kloster.

Hier war überall ein buntes Hin- und Herrennen, Trachten aus allen katholischen Gegenden des Landes waren hier zu schauen.

Nachdem der Famulus am Eingange des Klosters die Zeugnisse eingesehen und wieder zurückgegeben, wurden die drei zum Direktor geführt. Dieser war ein alter, grämlich aussehender Mann, er sagte auf alle Reden der Mutter Christine nur: »Gut, gut, schon recht.« Er hatte heute schon gar viel anhören müssen, daß man es ihm nicht verübeln konnte, wenn er wortkarg war.

Ivo zupfte seine Mutter am Rocke, und sie bat nun, daß der »Herr Hochwürden« erlauben möchten, daß ihr Sohn noch heute nacht mit ihr im Wirthshause schlafe.

[292] Nach einer Weile sagte der Mann: »Meinetwegen, aber morgen früh vor der Kirche muß er da sein.«

Bartel nahm einen sehr wortreichen Abschied von der Frau Christine. Der arme Knabe war es gewöhnt, oft guten Leuten zu danken, und er konnte es so meistermäßig wie eine Litanei. Er folgte willig dem Famulus in sein Zimmer.

Ivo sprang und hüpfte fröhlich, da er nun noch bei seiner Mutter bleiben durfte, und er plauderte mit ihr noch lange in die Nacht hinein.

Ein klarer Sonntag im eigentlichen Sinne des Wortes leuchtete des andern Morgens. Schon eine Stunde vor der Kirche ging Ivo an der Hand seiner Mutter nach dem Kloster, der Nazi ging hinterdrein mit dem Gepäcke und dem Bündel für Bartholomä.

Die Mutter half Ivo nun seine Sachen in den bereit stehenden Schrank einräumen und zählte ihm Alles vor; oft blickte sie aber traurig umher, da sie sah, daß zwölf Knaben hier in einer Stube hausen mußten.

Es läutete auf der Klosterkirche. Mutter und Sohn trennten sich, denn dieser mußte sich zu seinen Kameraden gesellen.

Nach der Kirche ging die Mutter zur Frau Speisemeisterin, das war noch eine Frau, mit der konnte [293] man doch eher reden. Sie bat sie, ihrem Ivo doch mitunter etwas zwischen der Zeit zu geben, der Bub vergesse sonst daran, sie wolle ja gern Alles doppelt vergelten.

Ivo durfte noch eine Weile vor dem Essen zu seiner Mutter in's Wirthshaus. Auch der Frau Traubenwirthin legte die sorgsame Mutter ihren Sohn ans Herz, sie solle ihm immer geben, was er wolle, Alles pünktlich aufschreiben, und es werde richtig bezahlt werden. Die geschäftige Wirthin versprach Alles, obgleich sie wohl wußte, daß sie nichts für ihn thun konnte.

Bei Tische aß Ivo mit gutem Appetit, er wußte ja, daß seine Mutter bei ihm war; nach dem Essen aber ging er betrübt zur Traube zurück, denn jetzt kam der schwerste Abschied. Er ging in den Stall zu Nazi, der eben den Falb aufschirrte.

»Gelt, Nazi,« sagte er, »du bleibst mir auch ein guter Freund?«

»Kannst darauf schwören, wie aufs Evangelium,« erwiderte dieser, dem Pferde das Kummet über den Kopf schiebend; er kehrte sich nicht um, denn er wollte seine Rührung verbergen.

»Und du grüßest mir auch alle Leut', die nach mir fragen?«

»Ja, ja, g'wiß, gräm dich nur nicht so, daß du jetzt nimmer daheim bist; das ist noch ein fröhlich [294] Abschiednehmen, wenn man so zurückdenken kann, daß daheim Leut' sind, die einen von Herzen gern haben und denen man nichts Leids gethan hat.« – Die Stimme Nazi's stockte, die Kehle war ihm wie vertrocknet, und es drückte ihn im Halse; Ivo merkte von alle dem nichts, denn er fragte:

»Und die Tauben, gelt, die gibst nicht weg, bis ich wieder komm'?«

»Kein Federle kommt weg. Geh jetzt aber 'nein zu deiner Mutter, wir müssen fort, sonst ist morgen der Tag auch hin. Sei nur fröhlich und laß dich's nicht zu arg keien 1, das Ehingen ist ja auch nicht aus der Welt. Huuf Falb.« Er führte das Pferd an das Wägelchen, und Ivo ging zu seiner Mutter.

Als er sie so jämmerlich weinen sah, unterdrückte er seinen Schmerz und sagte:

»Müsset nicht so jammern, das Ehingen ist ja nicht aus der Welt, und bis Ostern komm' ich wieder, da wollen wir aber lustig sein, hui!«

Schmerzlich preßte die Mutter ihre Lippen zwischen die Zähne, dann beugte sie sich zu Ivo nieder, umfaßte ihn und küßte ihn und »bleib fromm und gut,« das waren die letzten Worte, die sie hervorschluchzte; dann stieg sie auf den Wagen, der Falb zog an, das Thier schaute sich nochmals um, als wollte es auch von Ivo Abschied nehmen, der Nazi [295] winkte noch einmal mit dem Kopfe, und fort rasselten sie.

Ivo stand da, die Hände in einander gelegt, gesenkten Hauptes. Als er den thränenschweren Blick emporrichtete und nichts von seinen Lieben mehr sah, da trieb es ihn mit zauberischer Gewalt, er rannte dem Wägelchen nach vor die Stadt, und da sah er es von ferne auf der weißen Straße dahineilen. Er blieb stehen und kehrte dann in die Stadt zurück: da waren alle Menschen so froh und zu Hause, nur er war fremd und traurig. Draußen aber auf dem Wägelchen nahm die Mutter ihr »Nuster 2« in die Hand und betete: »Liebe heilige Mutter Gottes! Du weißt, was Mutterliebe ist, du hast es in Schmerzen und Freuden empfunden. Beschütze mein Kind, es ist mein Herzblättchen. Und wenn ich eine Sünde damit thue, daß ich ihn so lieb hab', laß die Schuld mich entgelten und nicht ihn!«

Als Ivo in das Kloster zurückkam, mußte er sogleich wieder in die Mittagskirche; aber er konnte diesmal keine Andacht finden, er war zu abgemattet, sein Herz zitterte zu sehr. Er war zum erstenmale in der Kirche, ohne zu wissen, daß er darinnen sei; gedankenlos sang, gedankenlos hörte er.

Schon in diesem einzigen Umstande liegt ein Ergebniß der nunmehr eintretenden Lebensweise; die [296] eigene Willensbestimmung trat zurück, Befehl und Gesetz herrschte.

So ward nun das Leben unseres Ivo ein gesetzmäßiges strenges Einerlei, und wenn wir den Verlaufeines Tages kennen, kennen wir die andern alle.

Die Knaben schliefen in großen Sälen unter Aufsicht eines Repetenten.

Morgens halb sechs Uhr wurde geläutet; der Famulus kam, zündete die an der Decke hängende Laterne an, und nun mußte Alles in die Kirche zum Gebet; dann ging es zum gemeinsamen Frühstück, worauf die Privatarbeit begann, bis um acht Uhr, da der Unterricht seinen Anfang nahm; von diesem ging es zum gemeinsamen Tische, nach welchem man eine Stunde »Recreation« hatte, d.h. unter Aufsicht spazieren ging. Nach dem hierauf mehrstündig fortgesetzten Unterrichte durften die Knaben eine Weile im Hofe spielen, aber auch hier fehlte das offene Auge des Aufsehers nicht. Wie schon der beschränkte Raum die Unfreiheit anzeigte, so war diese auch inmitten des »freien« Spiels; nirgends eine selbstgeschaffene, ungebundene Freude, und vor Allem nie ein still in sich gehegtes Alleinsein.

Zu Hause war Ivo wie das Kleinod der Familie gehalten worden: wenn er in der Stube bei seinen Büchern saß, sorgte die Mutter behutsam, daß sich [297] kein Lärm und kein Geräusch in seiner Nähe finde, fast niemand durfte die Stube betreten, und es war, als ob drinnen ein Heiliger geheimnisvolle Wunder vollführe; hier aber, wenn es nach dem Nachtessen nochmals zur Privatarbeit ging, regte sich bald da, bald dort einer und pisperte, wenn auch nur leise; Ivo konnte sich nicht enthalten, darauf hinzuhorchen, und er arbeitete lässig.

Wer es weiß, welch unergründliche Macht oft die Seele durchdringt, die einsam mit sich in ihren eigenen Gedanken sich spiegelt, oder fremde Gedanken in sich aufnimmt; wer jenen lautlosen Geistesverkehr kennt, der sich still ausbreitet, wie die Blume sich geräuschlos entfaltet, der wird den Schmerz Ivo's mit empfinden, daß er nun gar nicht mehr allein war. Er gehörte nicht mehr sich selber, er gehörte unaufhörlich einer Genossenschaft an.

Um neun Uhr läutete es wieder zum allgemeinen Gebet, worauf Alles sich zur Ruhe begeben mußte.

Erst jetzt wurde Ivo sich selber wiedergegeben, und er flüchtete sich in Gedanken zu den Seinigen, bis der Schlaf alles zudeckte.

So kam sich Ivo in den ersten Tagen wie verkauft vor, denn nirgends war mehr freier Wille, alles Verordnung und Gebot; eine grausame Erfahrung stand vor seiner Seele: die Unerbittlichkeit des Gesetzes.

[298] Es ist eine folgerechte Anordnung jeglichen äußerlich fest bestimmten Kirchentums, daß es schon frühe seinen Zöglingen die Fruchtbarkeit des freien Willens ausschneidet und all ihr Thun und Denken in die unbeugsamen Gesetze einjocht.

Die höchste Aufgabe der Bildung ist aber die Erziehung zur Pflicht, zur Erfüllung des Gesetzes, das wir in der Erkenntniß finden.

Voll Trübsal ging Ivo umher, und es bedurfte nur eines harten Wortes, um die Tränen aus seinen Augen hervorzulocken. Das merkten sich einige lose Kameraden, und sie neckten ihn auf allerlei Weise. Es waren mitunter rohe, häßliche Gesellen, die, aus einem niedrigen Hauswesen gekommen, sich bei der guten Kost und der Fürsorge für Alles behaglich fühlten. Sie merkten, daß Ivo ekel sei, und sprachen bei Tische allerlei ekelerregende Dinge, so daß Ivo oft ohne einen Bissen zu essen aufstand.

Die Vorsorge der Mutter bei der Speisemeisterin kam ihm jetzt sehr zu statten.

Das Vielregieren erzeugt überall ein Umgehen des Gesetzes, das die Wächter ohne strenge Ahndung geschehen lassen müssen, und so hatten mehrere Knaben außer dem, was sich wie durch eine geheime Ueberlieferung forterbte, bald allerlei Schliche und Winkelzüge zu größerer Freiheit ersonnen; Ivo aber nahm keinen Teil daran, ebensowenig wie an den geheimen [299] Possen, die man mitunter den Lehrern und Aufsehern spielte – er war still und allein.

Der erste Brief an seine Eltern mag uns seine Lage zeigen; er lautet:


»Liebe Eltern und Geschwister!


Ich wollte nicht eher schreiben, als bis ich mich hier eingewöhnt hatte. Ach! ich habe in diesen drei Wochen so viel erlebt, daß ich wähnte, ich würde sterben. Wahrlich! wenn ich mich nicht geschämt hätte, wäre ich wahrhaftig wieder heimgelaufen. Ich dachte oft daran: es ging mir, wie unserer Allgäuerin, die fraß auch nichts, bis sie sich an das andere Vieh gewöhnt hatte. Wir haben hier gutes Essen, jeden Tag außer Freitag Fleisch, und am Sonntag auch Wein. Die Frau Speisemeisterin that mir viel Gutes; zu der Tranbenwirthin darf ich nicht hingehen, da der Besuch von Wirthshäusern uns unerlaubt ist. Ach! wir sind überhaupt sehr streng gehalten – – Wir dürfen nicht einmal allein spazieren gehen, mittags eine halbe Stunde. O! wenn ich nur auch als Flügel hätte, daß ich zu Euch hinfliegen könnte. Am liebsten ist mir's, wenn wir auf den Weg spazieren gehen, wo wir herein gefahren sind, da denke ich an die grüne Zukunft – – wo ich auch diesen Weg in die Vacanz gehe. Es ist hier auch 3 sehr kalt. Schicke mir doch ein wollenes [300] Unterwams, liebe Mutter, vorn auf der Brust grün ausgeschlagen. Es friert mich hier viel mehr, als da ich nach Horb ging; da konnte ich machen, was ich wollte, hier bin ich gar nicht mein eigen. Ach! mir ist der Kopf oft so schwer vom Weinen, daß ich wähne, ich würde krank werden. Liebe Mutter, betrübe Dich aber nicht zu sehr, es wird schon besser gehen, und ich befinde mich auch sonst recht wohl; ich muß aber doch mein Herz vor Dir ausschütten. Ich will gewiß recht fleißig sein, da wird mit Gottes Hülfe Alles gut gehen; ich vertraue auf ihn, auf unsern Heiland, auf die heilige Mutter Gottes und auf alle Heiligen, es hielten es ja auch schon andere vor mir aus. Seid also recht vergnügt, habt einander recht lieb! Denn wenn man fort ist, da fühlt man's, wie lieb man sich haben soll, während man bei einander ist; ich wäre jetzt gewiß nie streitig oder unzufrieden, und das liebe Gretle würde mich nicht mehr zanken. Lebet wohl, grüßet mir alle gute Freunde, ich bin Euer lieber Sohn

Ivo Bock.


Postscriptum. Liebe Mutter! Es kam auch ein neuer Repetent an, nämlich des Schneider Christle's Gregor, er hat aber nicht seine Schwester, sondern eine fremde Person bei sich. Macht, daß der Schneider Christle an ihn schreibe, er solle sich um mich annehmen.


[301] Lieber Nazi, ich grüße Dich von Herzen, ich denke auch recht oft an Dich. Man sieht hier fast lauter blaues Allgäuer Vieh, und wenn ich einen Bauer auf dem Feld arbeiten sehe, möchte ich immer gerade hin springen und ihm helfen. Der Speisemeister hat auch Tauben, aber er thut sie alle ab auf den Winter! – Der Bartel wohnt nicht mit mir auf einer Stube, er ist sehr zufrieden, er hat es nie besser gehabt; er hat auch keine so liebe, gute Mutter und auch keinen so Vater, wie ich. Wenn ich nur einen rechtschaffenen Kameraden hier hätte –

Man darf hier auch Besuche Abends in Familien machen, es gehen viele dahin, aber ich kenne niemand hier. Ach Gott! wenn ich in Nordstetten wäre – –

Verzeihet mein schlechtes Schreiben. Ach Gott! wenn ich bei Euch wäre! Es liegt mir noch vieles auf dem Herzen, ich will aber jetzt schließen, es läutet zum Schlafengehen. Denket auch recht oft an mich!«

Dieser Brief machte einen gewaltigen Eindruck im elterlichen Hause, die Mutter steckte ihn in ihre Tasche und las ihn so oft, bis er in Stücke zerfiel; immer aber, wenn sie an Worte kam, wie: »ich dachte, ich that, ich konnte,« schaute sie ein wenig vom Blatte auf, ihr Kind war ihr hierin so fremd, dann aber besann sie sich wieder, daß der Brief eben [302] von einem »G'studierten« sei, und daß der Pfarrer in der Predigt ja auch so spreche. Ein besonderes Kreuz waren dann noch die vielen Gedankenstriche, die konnten so gar vieles enthalten.

Der Nazi erbot sich alsbald, eine ganze Nacht hindurch nach Ehingen zu laufen, und dem Ivo die gewünschten Sachen und Nachricht zu bringen.

Das Walpurgle, die schöne Näherin, wurde nun in's Haus genommen, die Mutter gab ihr das Beste zu essen und zu trinken; es war ihr, als ob das dem Wämschen zu gut käme, und dann sagte sie oft: »spar nur nichts, es ist für meinen Ivo.«

Weihnachten war nicht fern, und so wurde für Ivo Hutzelbrod gebacken, das mit Kirschwasser geknetet und mit Hutzeln 4 und Nüssen angefüllt war; dieses, nebst vielem Obst, einigem Geld und andern Sachen wurde in einen Sack gepackt, und spät am Abend ging Nazi damit durch das Dorf hinaus.

Ivo wollte seinen Augen kaum trauen, als er auf dem Mittagsspaziergange den Nazi mit einem Zwerchsacke daher kommen sah; als aber Nazi winkte, sprang er ihm entgegen und fiel ihm um den Hals. Viele Knaben kam herbei und standen verwundert umher.

»Bock,« fragte einer, »ist das dein Bruder?«

Ivo nickte, er wollte nicht sagen, daß der Nazi nur Knecht sei.

[303] »Da muß dein Vater ein steinalter Bock sein,« sagte ein anderer Knabe. Alle lachten. Der Clemens Bauer aber, ein Knabe aus dem Hohenlohischen, sagte: »Pfui, schämt euch, ihr Neidhammel; ihr solltet euch mit freuen, daß er so eine Freud' hat.« Er lief nun schnell zu dem Repetenten, der als Aufseher mitging, und Ivo erhielt durch ihn die Erlaubnis, allein mit Nazi heimzukehren.

Ein seliges Entzücken leuchtete aus dem Antlitze unseres Ivo, das war ein rechtschaffener Bub; der Gedanke dämmerte durch seine Seele, daß er durch seinen Nazi auch zu einem Freunde kommen werde.

An der Hand des alten Freundes ging er nun zurück, seines Redens und seiner Freude war kein Ende. Als nun gar noch die Sachen ausgepackt wurden, jauchzte er hoch auf. Er legte sogleich etwas zurück für den guten Clemens, aber auch einem jeden seiner Stubenkameraden theilte er bei ihrer Rückkehr etwas mit.

Nazi hatte auch einen Brief an des Schneider Christle's Gregor mitgebracht, Ivo trug ihn sogleich hin, und Gregor bat ihn, öfter zu kommen und ihm alle seine Anliegen mitzutheilen.

Abends durfte Ivo zu Nazi in's Wirthshaus, sie konnten gar nicht fertig werden mit Reden und Fragen. Als es zum Gebet läutete, ging Nazi noch mit bis an das Kloster.

[304] Wie von einer freundlichen Hand getragen, fast schwebend ging Ivo die Klostertreppe hinauf, er fühlte sich jetzt weit mehr hier zu Hause, da sein ganzes Nordstetten zu ihm hergekommen war, indem es ihm seinen liebsten Gesandten geschickt hatte; auch hatte er jetzt einen Gönner und einen Freund, Alles das durch den lieben, guten Nazi.

Von nun an war das Leben unsers Ivo durch Fleiß, Heiterkeit und Freundschaft gehoben. Seine Mutter ließ, wie man sagt, keinen Vogel vorbeifliegen, ohne ihm etwas an ihren Sohn mitzugeben. Und wie es diesem in seinem Schranke fast nie an etwas Besonderem fehlte, so hatte er auch stets in seinem Herzensschreine irgend eine heimliche Freude. Alles um ihn her gewann ein schöneres Leben, wozu vornehmlich auch die Ermunterung des Clemens beitrug. Dennoch schlossen sich die beiden nicht so rasch aneinander an, wie man hätte vermuthen sollen; es bedurfte hierzu eines außerordentlichen Ereignisses. Die andern Knaben aber, als sie sahen, daß Ivo bei dem Repetenten Haible, so hieß Gregor, viel galt, ließen ihn fortan ungekränkt und bewarben sich sogar um seine Gunst.

Eine besondere Freude gewann auch Ivo durch Erlernung der Musik.

Man richtete ein möglichst vollständiges Orchester für die Kirchenfeierlichkeiten ein, Ivo wählte das[305] Waldhorn und gelangte bald zu einer ziemlichen Fertigkeit.

Der Direktor wollte einst den Knaben, die ein bloßes Kasernenleben führten, wieder etwas Familienhäuslichkeit zu kosten geben. Er lud daher in der Religionsstunde die zwölf Ersten, zu denen auch Ivo gehörte, auf einen Abend zu sich ein. Diese Eröffnung wurde als Befehl angesehen, und nach der Reihenfolge ihrer Plätze in der Klasse traten die Knaben, ein jeder sich vielmal verbeugend, Abends ein.

Der Direktor lebte mit seiner alten Schwester zusammen. Es wurde nun Thee bereitet, und die Scholaren griffen schüchtern zu.

Dem guten alten Manne selber war das Familienleben schon längst abhanden gekommen. Statt daher die Knaben nach ihrer Heimath und dergleichen zu fragen, sprach er mit ihnen von den Büchern und dem Studium. Nur einmal, als er einen lustigen Spaß aus seiner Jugend erzählte, wie nämlich zwei Blätter in seiner Bibel zusammengeklebt waren und er sich nicht zu helfen wußte, lief ein halblautes Kichern durch die Reihe der Knaben. Der Direktor aber knüpfte sogleich die Lehre daran, daß, wenn man etwas in der Bibel nicht recht verstehe, einem noch irgendwo ein Blatt zugeklebt sei.

Als es neun Uhr läutete, sagte er: »So, jetzt zum Nachtgebet.« Alles stand auf und betete, dann [306] sagte er: »Gute Nacht,« und die Knaben trollten sich fort. Sie hatten wenig Familienleben bei dem Direktor gehabt.

So verging für Ivo der Winter. Oft war er auch sehr betrübt, wenn er die Knaben aus der Stadt Schlitten fahren oder Schneeballen werfen sah. Als aber draußen der Schnee schmolz und die ersten Triebe sich in der Natur regten, da zitterte sein Herz mit den Pulsen, die draußen die Erde belebten; es drängte auch ihn hinaus in die freie, sonnige Heimath.

Fußnoten

1 Keien, so viel als verdrießen.

2 Von Pater noster, so viel als Rosenkranz.

3 Hier war »frigor ad« durchstrichen.

4 Gedörrte Birnen und Apfelschnitten.

8. Die Vacanz

8.
Die Vacanz.

Schon mehrere Wochen vor der Ostervacanz hatte kein Knabe mehr seine Gedanken recht bei dem Lernen; Alles hüpfte und sprang, wenn es ans Nachhausegehen dachte.

Ivo und Clemens gingen auf Spaziergängen oft Hand in Hand und erzählten einander viel von der Heimath.

Clemens war der Sohn eines Schreibers. Er hatte keine heimische Kindheit gehabt, da sein Vater schon zum drittenmal in eine fremde Stadt versetzt worden war.

Am Abend vor der Vacanz war großes Packen [307] auf allen Stuben, wie vor einem Manöver; am Morgen aber mußten noch alle Knaben in die Kirche, und so laut sie auch sangen, so war ihr Denken und ihre Sehnsucht doch mehr nach ihrer irdischen Heimath gerichtet, als nach ihrer himmlischen.

Ivo nahm herzlichen Abschied von Clemens, und nach der Fuhrmannsregel hielt er zuerst kurzen Schritt, obgleich es ihn zur höchsten Eile drängte. Bartel begleitete ihn, er ging zu einer Base. Er war ein lästiger Gefährte, denn wo unser Herrgott einen Arm herausstreckte, wollte er einkehren. Ivo willfahrte ihm erst in Untermarchthal, wo sich ihr Weg schied. Glücklicherweise traf hier Ivo jüdische Pferdehändler aus Nordstetten. Sie hatten eine große Freude mit ihm, die er von ganzem Herzen erwiderte, sie waren eben zur Abreise bereit, und Ivo konnte mehrere Stunden mit ihnen fahren. Er fragte nun nach Allem, was im Dorfe vorgegangen war, und er hörte von Geburt, Heirath und Tod. Ivo dachte, daß diese drei die Parzen des Lebens seien, und citierte still vor sich hin den Schulvers: Clotho colum retinet, Lachesis net, et Atropos occat 1.

Als es bergan ging, zogen die reisenden Handelsleute ihre Gebetriemen aus einem Beutelchen und legten sie um Stirn und Arm: aus kleinen Büchern [308] sprachen sie sodann ihr langes Morgengebet. Ivo verglich die Athemwolken, die ihrem schnell bewegten Munde entströmten, mit dem Rauchopfer in der Bibel, denn er achtete jedes Glaubensbekenntnis, und besonders das jüdische als das uralt ehrwürdige. Er blickte auch in das offene Gebetbuch seines Nebenmannes und freute sich, daß er auch Ebräisch lesen konnte. Der Betende nickte ihm still, aber freundlich zu.

Ivo bewunderte die Fertigkeit, mit der diese Leute das Ebräische so schnell weglasen, schneller als der Direktor selber.

Als Ivo herzlich dankend vom Wägelchen abstieg, um seinen Weg zu Fuße weiter zu gehen, mußte er seinen Landsleuten versprechen, heute nicht mehr ganz nach Hause zu gehen, damit er nicht krank werde. Still seine Schritte fördernd, lobte Ivo innerlich sein liebes Nordstetten, in dem alle Menschen so gut waren, Christ und Jud, Alles gleich.

So sehr auch die Gedanken Ivo's immer zu Hause waren, so merkte er doch auf Alles und machte sogar manche allgemeine Betrachtung. Mehrmals, als er von ferne die Turmspitze eines Dorfes erblickte, dachte er: »Es ist doch schön, daß man von jedem Dorfe die Kirche zuerst sieht; da weiß man gleich, da sind Christenmenschen bei einander, und ihr schönstes und bestes Haus gehört Gott.«

[309] Ein andermal bemerkte er: »Wie prächtig ist's, daß die Obstbäume so rings um jedes Dorf stehen; sie sind die besten Freunde von den Menschen. Zuerst kommt der Mensch, dann das Vieh, dann die Obstbäume; die brauchen den Menschen auch noch, er muß sie äugeln, pfropfen und raupen. Es ist doch wunderbar! Da rings herum ist alles Gras und klein Gewächs, und da auf einmal geht ein großer Stamm weit in die Luft hinein, und da hangt Alles voll Bluest 2.


O wunderschön ist Gottes Erde

Und werth, darauf vergnügt zu sein,

Drum will ich, bis ich Asche werde,

Mich dieser schönen Erde freu'n.«


Ivo stand still, die heilige Offenbarung von der Größe und Allmacht Gottes hatte sich vor ihm aufgethan.

Wenn nun auch die Seele unsers Ivo so in sich begnügt war, so schloß er sich doch manchem Reisenden an, der mit ihm des Weges ging; die Leute gewannen alle schnell Zutrauen zu ihm, sein freundliches Gemüth lag auf seinem Antlitze, und er war ganz glückselig, daß überall lauter gute, freundliche Menschen waren.

Es war Nacht, als unser Reisender in Hechingen anlangte und so nur noch fünf Stunden von Hause entfernt war. Er fühlte sich zwar nicht sehr müde, ja, er hätte noch die ganze Nacht durchlaufen können,[310] aber er dachte an sein Versprechen; sodann wollte er auch bei hellem Tage nach Hause kommen. »Dunkel war's, als ich wegging,« sagte er, als er in der Herberge hinter dem Tische saß, »hell ist's, wenn ich wiederkomme.« Er war sogar so eitel, daß er wünschte, sein elterliches Haus läge am andern Ende des Dorfes, damit er mit seinem grünen Studentenränzchen durch das ganze Dorf gehen und Aufsehen erregen könnte.

Die Sonne leuchtete längst in vollem Glanze, als Ivo erwachte. Das war ein fröhlicheres Erwachen, als bei der Klosterlaterne. Es war ein schöner Tag, ein echter Jubeltag für die Vögel in der Luft und die Blüten auf den Bäumen.

Ivo wünschte sich nur auch Flügel zu haben, und er ließ wenigstens seine Kappe in die Luft fliegen. Rasch schritt er des Weges dahin, plötzlich aber hielt er inne, setzte sich an einen Rain, und die Worte aus 2. Buch Moses C. 3, V. 5 sprechend: »Ziehe deine Schuhe aus von deinen Füßen, denn der Ort, auf dem du stehest, ist heiliger Boden,« entkleidete er seine Füße. Hurtig, wie ein unbeschlagenes Füllen, sprang er dahin, es ging ja erst recht der Heimath zu; bald aber merkte er, daß er im Kloster das Barfußgehen verlernt hatte. Die Lippen vor Schmerz zusammenpressend und seine Füße wieder bekleidend, dachte er an den schönen Vers 12 im [311] Psalm 91: »Der Herr wird seine Engel vor dir hersenden, damit dein Fuß an keinen Stein stoße.«

In Haigerloch kaufte Ivo zwei rösche 3 Fastenbrezeln, die eine für seine Mutter, die andere für – Emmerenz. »Sie hat dir ja auch das Geitle geschenkt,« entschuldigte er sich bei seinem geistlichen Gewissen. Er machte gern den Umweg und ging der Landstraße nach, denn er fürchtete, in seiner Herzensfreude zu verirren, er wollte ganz sicher sein: auch hatte er so eine größere Strecke durch das Dorf zu gehen, als wenn er von Mühringen kam.

Je näher es nun der Heimath zuging, um so lichter wurde es für Ivo, um so mehr hob er im stillen Jubel die Arme empor. Manchmal aber fürchtete er auch, es wäre gar nicht möglich, daß er heim käme, die Freude wäre zu groß, er müsse vor irgend einem Unglück oder dem Uebermaße des Entzückens auf dem Wege erliegen; dann setzte er sich oft nieder, um neue Kraft zu sammeln.

Die Leute hatten unrecht, daß sie von Haigerloch aus nur zwei Stunden rechneten, »den Weg hat der Fuchs gemessen, und hat den Schwanz dazu gegeben; das sind ja mehr als acht Stunden,« dachte Ivo.

O Heimath! du heiliger, trauter Ort! Da klopfen die Pulse, da zittert das Herz; da ist der Boden, da sind die Wurzeln des Daseins, zauberischer Athem [312] haucht ringsum, durch die Gassen hin zieht die entschwundene Kindheit, und Augen, längst geschlossen, schauen freundlich zu dir nieder. Sei gesegnet, sei gesegnet, du stille Heimath!

Nicht weit vom Buchhofe sah Ivo seinen Stromel an einem Pfluge ackern. Er sprang schnell hinzu, fragte den Knecht, ob der Stromel gut sei, und freute sich seines Lobes; das Thier aber schien ihn nicht mehr zu kennen, es beugte seinen Kopf unter dem Joch erdenwärts. Gern hätte ihm Ivo etwas gegeben, und er war nahe daran, ihm eine Brezel vor das Maul zu halten, aber er schämte sich und ging fürbaß.

An der Ziegelhütte begegnete ihm des Hansjörgs Peter, der Einäugige, der reichte ihm traurig die Hand und sagte: »Der Constantin ist schon gestern kommen.«

Von allen Leuten bewillkommt, ging Ivo weiter. Alles heimelte ihn an, was da lebte und was in stiller Ruhe stand, jeder Zaun, jede Holzbeige schaute ihn traulich an und erzählte ihm vergangene Geschichten; als er seinem elterlichen Hauses ansichtig wurde, zitterte es vor ihm, denn die Freudenthränen standen ihm im Auge.

Die Emmerenz saß mit des Schullehrers Kind unter dem Nußbaume. Als sie den Kommenden erblickte, ging sie ihm nicht entgegen, sondern sprang in das Haus und rief laut: »Der Ivo kommt, der Ivo kommt!«

[313] Die Mutter stand am Waschzuber, sie eilte schnell die Treppe hinab, trocknete ihre Hände an der Schürze und umarmte ihren lieben Sohn. Auch der Vater, das Gretle, die Brüder, alle kamen fröhlich herbei, und die Mutter hielt ihren Arm um den Nacken ihres Sohnes und trug ihn fast in's Haus.

Nun kam auch die Emmerenz herbei und sagte: »Ich hab's gewußt, daß du heut kommst, der Constantin ist ja schon gestern kommen; geltet, Bas, ich hab' ihn doch zuerst gesehen?« setzte sie vergnügt, zu der Mutter gewandt, hinzu.

Nun kam auch endlich der Nazi, und nach herzlichem »Grüß Gott« zog er Ivo die Schuhe aus und brachte ihm ein Paar Pantoffeln.

Unserm Fremden kam die elterliche Stube so nieder vor, er war an die hohen Klosterzimmer gewöhnt, sich gewaltig reckend, wollte er mit seinen Armen nach der Decke hinaufgreifen, das war doch noch zu viel, obgleich er erstaunlich gewachsen war.

Die Mutter bereitete nun schnell für Ivo eine Suppe und einen Pfarrersbraten; so nennt man nämlich einen Pfannkuchen, weil dieß die gewöhnliche Kost ist, die man den Gästen in den Pfarrhäusern schnell vorsetzt.

Ivo gab seiner Mutter die Brezel und ging dann zu Nazi in den Stall. Die Thiere erkannten ihn wieder, besonders die Allgäuerin drehte ihm die Stirne [314] zu und ließ sich gar gern von ihm zwischen den Hörnern krauen.

»Hast mir denn gar nichts krohmt 4?« fragte Nazi lächelnd. Ivo langte in die Tasche und gab ihm still die noch übrige Brezel. Er ward hierdurch auch von dem Zweifel befreit, ob er nicht unrecht thäte, wenn er der Emmerenz etwas mitbringe; als er aber wieder in die Küche zurückkam, hörte er, wie die Emmerenz sagte:

»Nu, Bas, was krieg' i denn für e Bäckebrod 5

»Nimm die Brezel, die er mitgebracht hat, du wirst nichts dagegen haben, Ivo, ich nehm's für genossen an, aber ich kann's nimmer gut beißen.«

Gern willigte Ivo ein, die Emmerenz hatte nun doch was von ihm; es verdroß ihn aber sehr, daß sie als bald dem schreienden Kinde die Hälfte davon abgeben mußte. Ueberhaupt nahm er viel Aergernis an dem Kinde, das schon so groß war und das Emmerenz noch immer herumschleppen mußte, so daß es oft aussah, als müßte sie das Uebergewicht erhalten und umstürzen. Er sagte daher mit bedeutungsvollem Ernst:

»Du thust eine Sünd', Emmerenz, an dir und an dem Kleinen, wenn du's auf den Arm nimmst; [315] das Kind hat starke Füß', es kann laufen und muß es lernen, und du schleppst dich krumm.«

Emmerenz setzte sogleich das Kind nieder und nahm es, trotz des Schreiens, nicht mehr auf den Arm; der Ivo war ja jetzt ein junger Pfarrer, und er hatte ja gesagt, es sei eine Sünd'.

Diese Zurechtweisung im Dienstverhältniß war fast die einzige Theilnahme, die Ivo während der ganzen Vacanz an Emmerenz bezeigte; er glaubte, sie vor seinem Gewissen wohl verantworten zu können, mehr aber nicht. Das Mädchen sah ihn oft fragend an, wenn er sich so gar nicht um sie kümmerte. Nur einmal in einer guten Stunde fragte er noch:

»Wo hast denn dein' Katz'?«

»Denk nur, der Pfannenflicker, der Hundskaspar, der hat sie gestohlen, hat ihr die schöne schwarze Haut abgezogen und das gut Miezchen gefressen.«

Nachmittags genoß Ivo die volle Ehre des Willkommens bei einem großen Teile im Dorfe. Er hielt sich bei allen Leuten gern auf, es that ihm wohl, daß er nun ein so weit gereister Mensch war, daß alle auf ihn zukamen, ihm die Hand gaben und sein gutes Aussehen bewunderten. Aber nicht bloß Eitelkeit verklärte sein Antlitz, noch ein höheres Gefühl strahlte darauf: er empfand den höchsten Genuß darin, daß die Leute alle so eine recht innige Freude [316] mit ihm hatten. Das innerste Streben seines Herzens fand eine wohlige Befriedigung.

Wie »heimelich« war es dann Ivo Abends wieder, als er zu Hause im Bette lag, als seine Mutter zu ihm kam und ihn sorgfältig zudeckte.

Weiße Weihnachten, grüne Ostern; das war dieses Jahr eingetroffen. Andern Tages war Ostersonntag, Alles schien doppelt hell und grün. Ivo stand wieder wie vordem unter dem Nußbaume, an dem die bräunlich zarten Blätter noch scheu in sich zusammengehüllt waren; er betrachtete wieder mit alter Lust seine Tauben, aber er sang nicht mehr, das schickte sich nicht für ihn.

Nach der Mittagskirche machte sich Ivo auf den Weg, um nach Horb zu gehen. Draußen im Scheubuß, an des Paules Garten, saßen mehrere Frauen auf dem Brückenmäuerchen bei der Trauerweide, deren Aeste in allerlei Bogen verwachsen sind. Sie standen alle ehrerbietig auf, als Ivo freundlich grüßte, eine aber trat auf ihn zu, und nachdem sie ihre Hand mehrmals an der Schürze abgerieben hatte, reichte sie ihm dieselbe; wir kennen sie noch wohl, obgleich sie sehr gealtert hat: es ist die Mutter Marei.

»Grüß Gott, Ivo,« sagte sie, »du bist recht gewachsen; ich ihrze dich nicht, bis du einmal im Seminar zu Rottenburg bist.«

»Ihr dürfet allfort du sagen, Bas.«

[317] »Nein, nein, das geht nicht.«

Die andern Frauen kamen auch herbei und betrachteten den jungen Hajrle, aber keine redete ein Wort, so scheu waren sie vor ihm.

»Wie geht's dem Mathes und dem Aloys in Amerika?« fragte Ivo.

»Guck, das ist brav, daß du an sie denkst. Mein Aloys hat mir erst wieder geschrieben. Du weißt, er ist schon lang geheirath't mit der Mechtild', du kennst sie wohl, da des Mathesen vom Berg; sie haben auch schon zwei Kinder, ich möcht' sie nur ein gotzig's 6 mal sehen. Man ist doch wie halb gestorben, wenn man so verdammt weit voneinander ist. Ich muß meinem Mathes und meinem Aloys seine Kinder sehen, und die Söhnerin 7, die Amerikanerin, die kenn' ich ja noch gar nicht. Meine Buben schreiben mir allfort, ich soll kommen und kommen; ja wenn's nur nicht so grausam weit wär' nach dem Amerika; sie wollen mich in Havre de grace abholen, und wenn's Gottes Wille ist, geh' ich nach Pfingsten mit Auswanderern von Rexingen fort. Wenn mich unser Herrgott zu sich nehmen will, weiß er mich schon zu finden, wo ich bin. Gelt, hab' ich recht?«

Ivo nickte bejahend, und Marei, ein sorgfältig eingewickeltes Papier aus der Tasche holend, sagte:[318] »Guck, das ist der neu' Brief, du thätst einen Gotteslohn, komm mit 'rein, lies mir ihn noch einmal vor; ich kann nicht Geschriebenes lesen. Unser Schullehrer, dem ist's überleid, und der Judenschullehrer hat mir ihn auch schon dreimal vorgelesen: es ist aber ein Wort darin, das können sie all' beide nicht 'rausbuchstabieren; du bist g'studiert, du kannst's gewiß.«

Ivo ging mit Marei in ihr Hans, die andern Frauen folgten erst schüchtern, dann aber herzhaft nach und setzten sich still horchend.

Ivo las, und es wird wohl manchem alten Freunde des Tolpatsch lieb sein, mit zuzuhören:


»Nordstetten in Amerika am Ohioflusse,

den 18. Oktober 18–


Liebe Mutter. Da Ihr nicht wisset, wie mir's geht, so will ich's Euch schreiben. Ich hab's Euch von Anfang als gar nicht geschrieben, wie hart mir's gegangen ist; das ist jetzund mit Gottes Hulf vorbei. Ich hab' als gedenkt, was braucht sich dein Mütterle auch noch zu grämen, sie kann dir doch nicht helfen? und da hab ich Alles in mich 'nein verschluckt und hab' gepfiffen und dabei recht geschafft.«

Hier hielt Ivo einen Augenblick inne, er schien sich das zur Lehre zu nehmen; dann fuhr er fort:

Nun, jetzt ist Alles im Stand, es ist kein' [319] Kleinigkeit, wenn man sich so ein Haus bauen und alle Aecker zum erstenmale umzackern muß und neane 8 kein Hulf und kein Rath von keinem Menschen: jetzt sieht's aber bei mir aus, schöner als beim Buchmaier. Es hat Armschmalz gekostet, wir sind aber doch gesund, und das ist das Best'. Viele von unseren Landsleuten sind hier und haben's ärger als drüben und müssen an der Straß' schanzen. Es gibt hier gar viele Verführer, wenn man ans Land kommt, die einem, weiß nicht was, vorschwätzen, bis man keinen rothen Heller mehr im Sack hat, und darnach: hast mich gesehen, fort sind sie. Es gibt recht scheinheilige Menschen, hüben und drüben; die Ueberfahrt putzt nur den Magen aus, aber die Seel' nicht. Wir haben aber von dem Dampsschiffmann in Mainz ein' gute Anweisung gehabt an eine Gesellschaft von braven Männern, von lauter Deutschen, die einem umsonst Weg und Steg zeigen und Alles aufs best' raten; von uns ist keiner verunglückt. Saget doch das allen denen, wo noch 'rüber wollen, sie sollen keinem trauen, als dem Mann und der Anweisung. Von Anfang, wie ich als ein bißle von meinem Führer weggangen bin, allein in Neuyork 'rum, bis der Mathes kommen ist, da ist mir's oft grad gewesen, wie wenn ich unter lauter Vieh wär. Verzeih mir's Gott, das waren [320] ja auch Menschen, sie haben aber so mit einander gewelscht, wie der Franzosensimpel, der Sepple von der Froschgaß, der schwätzt auch Holderdipolderle. Es ist aber englisch gewesen, was sie mit einander schwätzen; ich kann jetzt auch ein bißle, es ist oft gerad wie deutsch, man muß nur ein Maul dazu machen, wie wenn man an einem unzeitigen Apfel die Zähn' verschlagen hätt'. Es sind noch viel mit uns gewesen, aber der ein' ist da-, der ander' dorthin. Das ist nichts, wir Deutschen sollten auch so zusammenhalten. Ich hab sonst immer als nur die Württemberger für meine Landsleut' gehalten, aber hier heißt man uns alle Deutsche, und wenn jetzt einer aus dem Sachsenland kommt, da ist es mir grad, wie wenn er vom Unterland wär. Geltet, ich schreib' da Sachen, die Ihr nicht möget? aber mir gehen die Gedanken so oft im Kopf 'rum, daß sie, eh ich mich verguck', 'rausplotzen.

»Nun muß ich Euch was anders sagen. Habt Ihr nicht schon aufgemerkt, daß ich da oben Nordstetten hingeschrieben hab? Ja, so ist's, und so bleibt's. Ich hab' einen Stock nicht weit von meinem Haus hingesteckt, mit einer Tafel, und darauf hab' ich mit großen Buchstaben hingeschrieben: Nordstetten. Es wird schon kommen, daß noch mehr Leut' sich hier anbauen, und da bleibt der Nam'; dann bauen wir ein' Kirch, grad wie die daheim, ich hab' schon das [321] Bergle dazu da, grad 'rüber von meiner Scheuer, wir heißen's schon jetzt das Kirchbergle. Da lassen wir hernach einen Pfarrer von drüben kommen, und meine Aecker, die haben alle Namen von daheim. Ich und mein' Mechtild, wir schwätzen oft Abends davon, wie das einmal aussehen wird. Wenn wir's auch nicht mehr verleben, nachher verleben's unsere Kinder und Kindeskinder, und ich hin nachher halt doch die Ursach davon. Wenn nur einer von denen Nordstetter G'studenten dann 'rüber käm' als Pfarrer, er hätt's hier gut, aber im Feld schaffen müßt' er auch. Wir wählen uns hier selber den Pfarrer, wir nehmen den, der uns am besten gefällt, wir lassen uns keinen vom Konsistore aufbinden. Da spielen die Pfarrer auch nicht die Herren gegen uns, hier ist Alles gleich, sie sind halt grad wie wir auch, nur daß sie eben g'studiert haben und geweiht sind; wir haben drei Stund' von hier einen, der ist von Rangendingen gebürtig. An meinem Haus haben sich auch gleich Schwalben angebaut, ich hab' vergangenen Herbst einer ein Zettele angehängt und hab' darauf geschrieben: ›Grüß Gott an alle drüben,‹ und meinen Namen darunter. Ich dummer Kerl hab' gemeint, sie käm' nach Nordstetten, und da ist sie wieder kommen, da ist auf einem Zettel gestanden Χαιρε, ich hab' noch niemand fragen können, was das heißt, es ist [322] grad wie wenn's Kaibe 9 hieß, das wär' doch schändlich.« –

»Weißt du vielleicht, Ivo, wie's heißt?« fragte Marei.

»Jawohl: Chaire, es ist griechisch und bedeutet: sei gegrüßt.«

Die Frauen schlugen die Hände zusammen vor Erstaunen über die große Gelehrsamkeit Ivo's.

»Wo hat denn die Schwalb' überwintert?« fragte Marei wieder.

»Wahrscheinlich bei den Feuerländern,« erwiderte Ivo und las nach einer Pause weiter:

»Ich hab' daheim gar nicht gewußt, daß die Lerchen so schön singen. Denket nur einmal, hier zu Land gibt's gar keine und auch keine Nachtigallen; aber viel andere schöne Vögel, auch hat's schöne Fichten und Eichbäum' und noch andere prächtige Bäum', die geben ein Staatsholz.

Liebe Mutter! Ich hab' das schon vor acht Tag geschrieben, und wie ich's so überlug, sag' ich: ei, du schreibst Larifari! Aber mir ist's alleweil, als wie wenn ich bei Euch sitzen thät vor des Schmied Jakoben Haus am Brunnen; und da gehen die Leut vorbei und sagen: ›hent ihr gute Roth?‹ und da ist mir das Herz so voll, und ich weiß nicht, was ich zuerst sagen soll. Wir sind gottlob alle recht [323] gesund, das Essen und Trinken schmeckt uns wohl und schlägt gut an. Wir haben alle unsere Kleider weiter machen müssen. Es ist gut, daß die Mechthild das Nähen gelernt hat.

Wenn ich als einen guten Bissen ess', denk' ich: wenn nur auch dein Mütterle da wär, da thät ich das Best' neben 'nauslegen und thät sagen: da, Mütterle, da müsset Ihr 'reinlangen, da liegt ein herzig's Bröckele, und es thät Euch gewiß weidlich bei mir schmecken.

Unser Basche, der geratet prächtig, es hat ihm noch kein Brösele gefehlt. Ach Gott! wenn das kleine Mareile noch leben thät, das wär bis nächste Michaeli ein Jahr alt, das ist ein gar lieb Engele gewesen; es war doch erst drei Wochen alt, aber wenn man's gerufen hat, da hat's einen so gescheit angesehen und hat einem nach den Augen gegriffen. Auf Allerseelen lassen wir ihm ein eisern Kreuz setzen. Ach, du lieber Heiland! Das Kind ist jetzt im Himmel, und der Himmel ist doch erst das recht' Amerika.

Ich muß Euch noch mehr von meinem Hauswesen schreiben, ich darf nicht so viel an das Kind denken, es geht mir so zu Herzen: ich sag', wie der Pfarrer gesagt hat: der Herr hat's gegeben, der Herr hat's genommen, der Name des Herrn sei gelobt.

[324] Wenn uns nur Gott jetzt Alles gesund bei einander erhält. Unser Herrgott hat mich auch noch immer mit dem Vieh glücklich erhalten, es ist uns noch keines gefallen, alles kerngesund, und das ist mir eine besondere Freud', daß das Vieh hier alleweil genug zu fressen hat. Ich werd's mein Lebtag nicht vergessen, was die Futterklemme ein Kreuz und ein Elend gewesen ist; grad selben Sommer, eh' ich zum Militär gekommen bin, wo's fast kein Hälmle Futter gegeben hat. Wisset Ihr noch, wie's einem da ums Herz gewesen ist, wenn man morgens aufgestanden ist und hat dem Vieh nur viertelssatt zu fressen geben können und hat zusehen können, wie ihm das Fleisch abgefallen ist? Ich hätt' oft vor Waitag 10 verlaufen mögen. So ein Thierle ist anbunden und kann nicht schwätzen und deuten und muß sich Alles gefallen lassen. Hier geht das Vieh fast das ganze Jahr auf die Weid und hat alleweil vollauf, und es ist noch nicht vorkommen, daß ich hab' eines stechen müssen, weil es zu viel gefressen hat. Drüben, weil sie das ganze Jahr im Stall stehen, fressen sie, bis ihnen der Bauch aufspringt, wenn sie einmal an einen Kleeacker kommen; und wie's beim Vieh geht, so geht's auch bei den Menschen: die müssen drüben auch im Stall stehen, vom Schultheiß und dene Amtleut' anbunden, bis sie ellenlange [325] Klauen kriegen, daß sie nimmer laufen können, und wenn sie einmal ausreißen oder man's 'nausläßt, werden sie toll und voll. Das hat einer in der Volksversammlung ganz schön so ausgelegt. Mutter! das ist was Schön's, so ein' Volksversammlung, das ist grad, wie wenn man in der Kirche wär; aber nein, es ist doch nicht so, denn da red't ein jeder, wer nur kann und mag, da gilt Alles gleich. Gucket, ich will's Euch verzählen, wie das ist, aber ich kann's doch nicht recht. Ich muß Euch nur noch sagen, daß unser Mathes ein Hauptsprecher ist, dem geht's vom Maul weg wie dem besten Pfarrer; sie haben ihn auch schon in die Abtheilung gewählt, er gilt viel, und der Nam' Mathias Schorer, das ist ein Wort, vor dem Alle Respekt haben. Ich hab' aber auch schon einmal vor alle Leut gesprochen. Ich weiß gar nicht, von Anfang hat mir ein bißle das Herz puppert, nachher ist mir's aber grad gewesen, wie wenn ich zu Euch reden thät, so frank von der Leber weg. Sie haben sich da drum gestritten, es ist ein Deutscher, ein Württemberger, oder wie man's hier heißt, ein Schwab ankommen, er ist Offizier gewesen, und der König hat ihn begnadigt, er hat ein' Verschwörung angestiftet gehabt unterm Militär und hat nachher alle seine Kameraden verrathen, hier hat er sich für einen Freiheitsmann ausgegeben, da ist aber ein Brief von drüben 'rüber [326] kommen, daß er dem Teufel vom Karren gefallen und für den Galgen zu schlecht sei. Da haben sie lang gestritten, ob er bei uns hier Offizier werden kann, da hab' ich endlich gesagt: Zu der Haue kann man einen Stiel finden. Er soll einen Brief beibringen von seinen Kameraden, daß er den Braven an ihnen gemacht hat; ich kann's nicht glauben, daß ein Württemberger so schlecht ist, daß er zuerst den König und nachher noch einmal seine Kameraden verrat't. Und das ist auch beschlossen worden, wie ich's gesagt hab'. Wie ich aber den Mann mit seinem Gesicht wieder angesehen hab', da hab' ich denkt: das Letzt' hätt'st können bleiben lassen, der sieht ja aus, wie wenn er die Gais gestohlen hätt'.

Ich bin auch Offizier bei der Nazenalmiliz, so was man bei uns Leutnant heißt; weil ich beim Militär gewesen bin und die Sach' gut versteh', haben sie mich dazu gewählt. Wir wählen uns hier selber die Offizier', hier ist Alles frei. Der Schultheiß von Nordstetten ist doch nur Feldwebel gewesen. Wenn ich heim kommen thät, nein, ich thät mich doch nicht als Offizier anziehen; ich bin ein freier Bürger, und das ist mehr als Offizier und General, ich tausch' mit keinem König. Mutter, es ist ein prächtig Land, das Amerika; schaffen muß man, und das recht tüchtig, aber darnach weiß man auch warum, die Zehnten und Steuern nehmen nicht den Rahm [327] oben 'runter. Ich leb' hier auf meinem Hof, da hat mir kein Kaiser und kein König was zu befehlen, und vom Presser weiß man hier gar nichts. Du lieber Gott! wenn ich dran denk', wie der mit einem langen Zettel in der Hand, mitsamt dem Schütz durchs Dorf gegangen ist, und die Leut' in den Häusern haben geheult und geschrieen und die Thüren zugeschlagen, und da hat der Presser einen zinnernen Teller, einen Kupferhafen, eine Pfann' und eine Schabeslamp von einem armen Juden zum Schultheiß tragen. Es ist ein Kreuz, daß das Elend bei uns so ist; ich mein', das könnt' und müßt' anders sein. Ich möcht' aber doch keinen dazu aufstiften, 'rüber zu kommen. Es ist kein' Kleinigkeit, so weit weg von daheim zu sein, wenn man's auch noch so gut hat. Allbot überkommt mich ein Jammer, daß ich mich vor mir selber schäm', da möcht' ich grad Alles aufpacken und fort nach Deutschland. Einmal muß ich's noch sehen, so lang mir ein Aug' offen steht. Ich kann's nicht sagen, wie mir's ist, aber ich verzwazel 11 oft schier und möcht oft grad heulen wie ein Schloßhund. Ich weiß wohl, das schickt sich nicht für einen Mann, aber ich kann nicht anders, und vor Euch brauch' ich mich ja nicht zu schämen. Ich glaub' als, es ist eigentlich nur der Jammer nach euch. Schon mehr als tausendmal hab ich so vor mich hin gesagt: [328] wenn nur auch mein Mütterle da wär, mein gut, gut Mütterle! wenn sie nur einmal dort auf der Bank gesessen hätt'; da thätet Ihr Euch freuen mit denen großen Milchhäfen und o du lieber Heiland! mit meinem Basche und mit dem, wo jetzt auf dem Weg ist. Wenn ich Euch was leids than hab', verzeihet mir's, es hat Euch g'wiß kein Mensch auf der Welt lieber als ich.

Ich hab' ein bisle ausschnaufen müssen und schreib' jetzt weiter. Es ist doch ein' schöne Sach, daß wir ordentlich schreiben und lesen gelernt haben, ich dank's Euch tausendmal, daß Ihr uns recht dazu angehalten. Ihr müsset aber nicht denken, daß ich traurig bin. Freilich bin ich nimmer allweil so lustig wie vor Zeiten, ich bin halt auch älter und hab' viel erfahren; aber manchmal bin ich doch so froh und hab' Alles so gern auf der ganzen Welt, daß ich pfeifen, singen und tanzen kann. Manchmal thut mir's als noch ein bißle weh, wenn ich an etwas denk', aber ich mach Brr! und schüttl' mich wie ein Gaul, und fort muß es. Ich und mein' Mechtild wir leben wie zwei Kinder, und unser Basche, der hat Knochen, so fest und stark wie ein jung's Kalb, und Fleisch wie ein Nußkern.

Am Sonntag, wenn wir zur Kirch' fahren, da nehmen wir uns Salz mit heim, und was man sonst noch braucht, und mein' Mechtild hat gesagt, wir holen [329] uns auch himmlisch Salz, aus der Mess' und der Predigt, und damit salzen wir unser Seel. Die Mechtild macht oft gar schöne Rätsel und G'späß. Wir haben uns auch ein Ritterbuch kauft, von dem Rinaldo Rinaldini, das ist ein' gar grauselige Räubergeschicht', und die haben wir schon mehr als zehnmal gelesen, und wie ich vorlängst verschlafen bin, ist die Mechtild kommen und hat das Lied gesungen und hat mich geweckt. Weil ich grad von Lieder red', hätt' ich eine Bitt', Ihr müsset mich aber nicht auslachen.

Gucket, wenn man so in der weiten Welt draußen ist und allein für sich singen soll, da merkt man erst, wie man von so viel Lieder bloß den Anfang kennt, und das andere hat man eben bloß so denen Anderen im Tralatel nachg'sungen, und da möcht' man sich schier den Kopf 'runterreißen, weil einem das Ding nicht einfallen will, aber man kriegt's halt nicht 'raus. Es geht einem mit vielen Dingen so, man meint, man könn's, bis es einmal heißt: jetzt Alterle, jetzt mach's allein.

Nun hätt' ich die Bitt', aber dürfet mich nicht auslachen: lasset euch alle Nordstetter Lieder vom alten Schullehrer aufschreiben, ich will's ihm gern gut bezahlen. Geltet, Ihr vergesset's aber nicht und schicket mir's oder bringet's mit, wenn Ihr kommet.

Ich muß euch auch noch was erzählen. Denket [330] nur einmal, Mutter! Ich sitz' am Dienstag vor drei Wochen an meinem Wagen und mach' die Deichsel zurecht – man kann hier nicht all' Ritt zum Wagner springen, da muß man Alles selber machen – wie ich nun so da sitz', da hör' ich auf einmal: ›Bist fleißig, Aloys?‹ Ich guck' auf, wer steht da? des langen Herzles Kobbel 12. der bei der Gard' gewesen ist. Wir sind sonst nicht die besten Freund' gewesen, aber ich hab' nicht daran denkt und bin ihm um den Hals gefallen und hab' ihn schier verdruckt. Ich glaub', wenn der Jörgli käm', ich thät ihm auch die Hand geben; er käm' ja von Nordstetten.

Ich hab' Alles im Haus zusammengerufen und hab' einem welschen Hahn den Kragen abgeschnitten. Der Kobbel hat mit mir gessen, wie ein anderer Mensch auch. Die Gesetz' von denen Essensspeisen, die sind für die alt Welt und nicht mehr für die neu.

Der Kobbel ist acht Tag' bei mir blieben und hat mir helfen schaffen im Feld, er kann's so gut wie ein Christ; das hat mir rechtschaffen gefallen, daß er einsieht: für einen Soldaten, der Ehr' im Leib hat, schickt sich's nicht mehr, mit dem Zwerchsack 'rumzulaufen; er will sich hier herum Aecker kaufen, ich bin ihm dazu behilflich, ich muß auch meine lieben Juden von Nordstetten hier haben, sonst ist [331] es gar kein recht's Nordstetten. Darnach wird er auch zur Nazenalmiliz gehen. Er kann mit der Zeit auch Offizier werden. Hier fragt man keinen nach seinem Glauben; wenn der Mensch nur brav und gesund ist. Abends sind wir alls zusammengesessen, ich, mein' Mechtild, mein Schwäher und mein' Schwieger und ihre Buben und Mädle und der Kobbel, und da haben wir Lieder von daheim gesungen, es ist mir grad g'wesen, wie damals, wo das Marannele mit seiner neuen Kunkel kommen ist. Ihr müsset aber nicht meinen, daß ich oft an das Marannele denk'. Ich hab' mein' Mechtild rechtschaffen gern und sie mich auch. Ich wünsch', daß alle Leut' einander so gern hätten und so gut hausen thäten.

Nun von wegen eurem Kommen. Ich mag nicht zu arg bitten, der Mathes wird Euch Alles da drüber schreiben: aber wenn's möglich wär' – nein, ich will ja nicht bitten. Der Kobbel sagt mir, daß unser Xaver zu des Zimmermann Valentins Gretle geht; das wird sich auch nicht vor der Ueberfahrt fürchten und wird mit ihm gehen. Es ist jetzt eins, Nordstetten hüben oder Nordstetten drüben.

Schreibet auch bald Antwort. Schicket den Brief nur wieder an den Mathes, der kommt öfter nach der Stadt.

Nun wünsch' ich von Herzen wohl zu leben. Denket auch als einmal an mich. Mein' Mechtild [332] und mein Basche und meine Schwiegereltern grüßen Euch von Herzen. Mein' Schwieger hat meinen Basche gelernt, wenn man ihn fragt: wo ist denn deine andere Ahne? hernach sagt er: drüben auf dem Schwarzwald. Ich verbleibe Euer getreuer Sohn

Aloys Schorer.


Das ist die Hand von meinem Basche, ich hab' sie abzeichnet, liebe Mutter, grad wie er sie aufs Papier gelegt hat, weil noch Platz da gewesen ist.«


[333] Ivo sollte nun auch noch den Brief vom Mathes lesen, aber er versprach dieß auf ein andermal, und von der dankenden Mutter, die ihre Thränen trocknete, bis an die Thüre geleitet, machte er sich auf seinen Weg.

Draußen vor dem Dorfe sah er seine Schwester Gretle mit dem Xaver nach der Wiese gehen. Er wußte jetzt, warum seine Schwester immer so streitsüchtig und mißmuthig war: der Vater wollte ihre Bekanntschaft mit dem »Amerikaner«, wie er Xaver betitelte, nicht dulden.

Mit einem Hops hoch in die Luft springend, schüttelte Ivo die ganze Last der Standeswürde von sich ab. Er sprang und sang wie ehedem, immer über die Steinhaufen am Rande der Straße hinweg hüpfend.

Der Brief des Aloys hatte einen gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht. Er sah hier ein durch tüchtige Arbeit und Selbständigkeit beglücktes, ein rechtschaffenes Leben in der eigentlichen Bedeutung des Wortes; zum erstenmal wurde es ihm recht klar, wie bei dem Studieren die Körperkraft so brach liegt und darum so oft eine prickelnde Unruhe in allen Gliedern sitzt, wie die Müdigkeit da kein so angenehmes Gefühl bietet, als nach körperlicher Anstrengung. Er dachte daran, daß er Pfarrer und zugleich Bauer in Amerika sein wolle, und er dachte weiter, wie [334] er seine Schwester besuche, von Hof zu Hof wandere, die Kinder lehre und in allen Häusern ein gottseliges Aufschauen nach oben erwecke.

So kam er unter mancherlei Gedanken nach Horb. Die Stadt erschien ihm bei weitem nicht mehr so schön als früher, die Häuser nicht mehr so groß; er hatte jetzt schönere gesehen.

Der Kaplan war hocherfreut über seinen Zögling, und die Frau Hanklerin, die krank im Bette lag, sagte: »Das macht mich wieder ganz gesund, daß du wieder da bist.« Die Oberamtmannssöhne waren nicht mehr in der Stadt, denn wir erinnern uns, daß ihr Vater von der Aextegeschichte her versetzt worden ist.

Es war schon Nacht geworden, als Ivo von Horb heimkehrte. Im Dorfe traf er den Constantin, der, den einäugigen Peter an der Hand führend, mit den halbgewachsenen Burschen singend durch die Straße zog: er lehrte sie neue Lieder und erzählte unter großem Gelächter allerlei Schliche und Schabernack, die er seinen Lehrern im Kloster angethan hatte. Ivo ging eine Weile still mit, vor seinem Hause aber sagte er: »gute Nacht« und ging hinein.

Während der ganzen Vacanz war Ivo viel allein. Er spazierte entweder einsam durch das Feld, oder übte sich zu Hause auf dem Waldhorn, das er sich von des Bäcken Konrad entlehnt hatte. Die Mutter [335] Christine aber drängte ihn immer, er solle auch aus dem Haus gehen und nicht so immer daheim hinhocken. Bisweilen ging er nun auch mit dem neuen Schullehrer über Feld. An Constantin schloß er sich nur dann an, wenn er ihm nicht ausweichen konnte.

Ein großer Schmerz durchwühlte das junge Herz unsers Ivo, er sah die nur halbverdeckte Zwietracht zwischen seinen Eltern; früher hatte er nichts davon bemerkt, er war stets inmitten aller dieser Verhältnisse aufgewachsen, er kannte ihre Mängel nicht, im Kloster hatte er sich sodann das Leben zu Hause als ein paradiesisches, im ewigen Frieden hinfließendes vor die Seele gezaubert, alles Herbe und Schroffe, wenn je etwas davon in seiner Seele gehaftet hatte, war vergessen. So, mit neuem Bewußtsein, mit einem gewissen Bilde der Vollkommenheit in sein elterliches Haus zurückgekehrt, erschien ihm vieles darin verzerrt und zerrissen, vielleicht ärger, als es war. Er kam aus einem Hause, wo sich Alles nach steten äußerlich festgestellten Gesetzen bewegt: da ging Alles ohne Ueberlegung und Widerrede nach der Regel wie ein Uhrwerk, und wenn ihn auch der Klosterzwang sehr drückte, so verstand er es doch nicht, wie in einem freien Familienverbande, wo jedes nach eigener Bestimmung für das Ganze handelt, manches Disputieren und manche laute Zurechtsetzung [336] stattfinden muß. War ihm daher das ganze laute Treiben des Hauses, ja sogar das stark betonte Sprechen fremd und sah er die Leute verwundert an, so schüttelte er über die Art und Weise seines Vaters oft den Kopf. Wenn die Mutter zu den Planen Valentins von neuen Häuserbauten »auf den Verkauf« schwieg, schrie er: »Da haben wir's wieder, du gibst halt nie etwas auf das, was ich sag'; ob ein Hund bellt, oder ob ich schwätz', das ist dir all' eins.« Widersprach sie ihm, dann sagte er schmerzlich: »Das ist der alt' Tanz, was ich halt vorhab', ist bei dir nicht recht.« Behandelte ihn dann die Mutter sanft, wie einen Gemüthskranken, und er merkte das, so fluchte er. War sie dagegen standhaft und fest und ließ sich nichts von ihm gefallen, so sagte er: »Das ist Gott bekannt, du lebst eben nicht für mich, du lebst für deine Kinder; gelt, es wär' dir recht, wenn ich sterben thät?« und dann setzte er sich hin, aß nicht und trank nicht und redete kein Wort, oder er ging in's Wirthshaus; er ließ sich aber dort nichts zu essen geben; denn er wußte, daß das seine Frau kränke, weil die Leute darüber reden würden, er ging dann lieber hungrig zu Bette.

Mit unbeschreiblichem Schmerze blickte Christine bei derlei Vorkommnissen auf ihren Ivo. Sie sah alle die Qualen, die ihre Marterzüge auf seinem Antlitze ausbreiteten, und sie gab sich noch mehr Mühe, [337] Alles zu verhehlen und zu vertuschen; die anderen Kinder waren solche Vorfälle mehr gewohnt, es ging ihnen nicht mehr nahe.

Christine sah wohl ein, daß sie sich mit ihrem jüngsten Sohn besprechen müsse; sie setzte sich daher eines Abends vor sein Bett und sagte: »Guck, dein Vater ist der rechtschaffenste Mann, den man finden kann, aber er hat eine unglückliche Natur, er ist mit sich selber unzufrieden, weil er halt manches verunschickt 13 und nicht Alles nach seinem Kopf geht; und da möcht' er dann grad, daß andere allfort mit ihm zufrieden sein sollten. Wenn er sieht, daß das nicht ist, und das kann ja nicht sein, da regt sich sein guter Geist noch mehr in ihm, und ich bin's doch meinen Kindern schuldig, ich darf's nicht zugeben, daß Alles hinter sich geht. Ich für mein Teil wollt' gern mein Leben lang trocken Brod essen, aber für meine Kinder darf ich's nicht zugeben, daß wir in fünf Jahren an den Bettelstab kommen und sie unter fremden Leuten herumgestoßen werden. Guck, er hat keinen Menschen auf der Welt lieber als mich, er gäb' gleich den letzten Tropfen Blut für mich hin, ich für ihn auch; aber er will eine Hypothek aufs Haus und die Güter aufnehmen und will mit dem Schreiner Koch Häuser auf den Verkauf bauen, und ich soll mit unterschreiben, und das thu' ich nicht, da bringen mich keine zehn Gäul' [338] dazu, das ist meinen Kindern ihr Sach', ich muß als Mutter an ihnen handeln. Wir sind schon die reichen Leute nimmer, und die Armen dürfen ja auch nicht drunter leiden, daß es nimmer so bei uns ist, die müssen ihr Schenkasche haben, und wenn ich mir's am Maul absparen muß. Ja, lieber Ivo, laß dir das von deiner Mutter gesagt sein: wie dir's auch geht, vergiß nur nie der Armen; das Korn auf der Bühne wächst noch, wenn man davon hergibt, und unser Herrgott gesegnet das Brod in der Schublade, daß es besser sättigt. Gelt, guter Ivo, du hast deinen Vater auch recht gern? Er ist der best' Mensch von der Welt. Gelt, du hältst ihn in Ehren? Du bist sein Stolz, wenn er dir's auch nicht sagt, er kann das nicht. Wenn er vom Adler heimkommt, wo dich alle Leut' so überaus loben, weil des Schneider Christle's Gregor so gut von dir schreibt, da kann man ihn um einen Finger wickeln. Nimm dir's nur recht vor, daß du dich gar nicht irr machen lassen willst, und sei nicht betrübt. Was man sich recht vornimmt, das kann man auch, glaub mir's.«

Ivo nickte bejahend und küßte die Hand seiner Mutter, aber eine tiefe Schwermuth belastete seine Seele: das Paradieß seines elterlichen Hauses war vor ihm eingesunken, nur seine Mutter schwebte noch wie ein Lichtengel darüber, und einmal sagte er sich ganz leise: »sie heißt nicht umsonst Christine, [339] sie ist grad wie der Heiland, sie nimmt mit Lächeln das schwerste Kreuz auf sich, will gar nichts für sich und Alles für Andere.«

So kam es, daß Ivo dem Ende der Vacanz mit weniger Schmerz entgegensah, als er bei der Heimkunft gedacht hatte.

Fußnoten

1 Klotho hält den Rocken, Lachesis spinnt, und Atropos schneidet ab.

2 Blüthen.

3 Rösch, so viel als hartgebacken.

4 Ein Mitbring von der Reise heißt »Krohm«, Kram.

5 Botenlohn für Verkündigung einer guten Botschaft.

6 Einziges, von Gott, dem Einzigen.

7 Schwiegertochter.

8 Nirgend.

9 Kaib, so viel als Lump, Schuft.

10 Wehe.

11 Verzwazeln, so viel als verzweifeln, spöttisch gebraucht.

12 Jakob.

13 Vernachlässigt, falsch macht.

9. Die Freunde

9.
Die Freunde.

In der ersten Zeit, als Ivo in's Kloster zurückgekehrt war, überfiel ihn wieder das alte Heimweh. Er machte sich Vorwürfe, daß er die Vacanz nicht recht genossen habe, daß er sich von Dingen verstimmen lassen, die nicht einmal so arg waren, wie sie schienen; aber er hatte sich vorgenommen, es dem Aloys nachzuthun und seine Mutter mit kläglichen Briefen nicht noch mehr zu betrüben.

Dadurch, daß Ivo früher in Gedanken immer zu Haus war, hatte er sich gar nicht in seine neuen Verhältnisse und in das Zusammensein mit den Kameraden eingelebt, das sollte jetzt anders werden.

»Man kann Alles, wenn man nur recht will, hat meine Mutter gesagt; das soll mein Wahlspruch sein.«

Ivo und Clemens hatten sich herzlich bewillkommt, die andern Kameraden waren dabei, ein jeder hatte[340] viel zu erzählen. Mittags auf dem Spaziergange blieben Ivo und Clemens wie auf eine geheime Verabredung zurück, und hinter einer blühenden Schlehdornhecke, wo es niemand sah, fielen sie, ohne ein Wort zu reden, sich um den Hals und küßten und herzten sich inniglich. Die Lerchen jubelten hoch in den Lüften, und die Schlehblüten regten sich von einem sanften Winde. Freudeverklärten Antlitzes, ein jeder seinen Arm um den Nacken des andern geschlungen, so kehrten sie wieder auf die Straße zu den vorausgegangenen Kameraden zurück. Ivo sagte nur, aus einer langen innerlichen Rede heraus, laut die Worte: »still und heilig!« und schaute dabei in das hellleuchtende Auge seines Clemens, sie reichten sich schweigend die Rechte und hielten sie fest, dann schlug Clemens den Ivo und sprang von ihm fort zu den andern. Ivo verstand wohl, daß sie ihren geheimen Liebesbund ja recht sicher vor den andern verbergen sollten. Sie gingen dann mit den andern, aber bald faßten sie sich wieder und schlugen sich neckend, nun suchte der eine dem andern zu entrinnen, dieser ihn wieder einzuholen, so waren sie abermals eine Weile allein, und in scheinbarem Ringen drückten sie einander innig an's Herz und »lieber Ivo«, »lieber Clemens« hieß es immer.

So erfinderisch war schon diese junge, plötzlich wie eine Knospe aufgebrochene Freundschaft.

[341] In den Herzen der beiden Knaben war von nun an ein neues, wonneseliges Leben. Ivo hatte noch nie einen »Herzbruder« aus seinem Alter gehabt, Clemens hatte sich bei den vielen Wanderungen seiner Familie nur an seine ältere Schwester angeschlossen.

Jetzt, wenn Ivo erwachte, schaute er freudig um sich und sagte: »Guten Morgen, Clemens,« obgleich dieser in einem andern Zimmer lag. Er war in der Fremde nicht mehr fremd, das Kloster war kein Ort des Zwanges und des unerbittlichen Gesetzes mehr, er that Alles willig, denn sein Clemens war ja bei ihm. Nun brauchte er sich nicht mehr vorzunehmen, fröhliche Briefe nach Hause zu schreiben, sein ganzes Leben war nur noch ein hochgestimmter Freudenklang, und die Mutter Christine schüttelte oft den Kopf, wenn sie seine hohen Redensarten las. Clemens, der zu Hause eine große Menge Ritterbücher und Märchen gelesen hatte, eröffnete unserm Freunde einen ganzen Zaubergarten voll Wunder; er machte sich und Ivo zu zwei verwünschten Prinzen, den Direktor zu dem Riesen Goggolo, und eine Zeitlang redeten sich die beiden Freunde immer in den gegebenen Rollen an.

Die Welt der Wunder und der Märchen, die das Rätsel des Daseins durch neue, selbstgeschaffene Abenteuerlichkeiten zu überbieten und so gewissermaßen [342] die alltägliche Welt zu erklären strebt, der ganze selbstvergessene Taumel einer kindlich spielenden Phantasie, war Ivo bisher fern geblieben; das, was ihm Nazi erzählt hatte, lehnte sich noch zu sehr an das rohe Feld- und Waldleben, wußte nichts von unterirdischen Schlössern aus lauter Gold und Edelsteinen; die Wundergeschichten der Religion hatte Ivo mit kindlich gläubigem Gemüthe hingenommen, sie waren schlicht und ernst – nun aber eröffnete ihm sein Freund die goldenen Thore der Phantasie, und sie lustwandelten behaglich in den Zaubergärten und in den Palästen unter dem Meere.

Die Schlehdornhecke ward von unsern Freunden als der heilige Freundschaftsbaum betrachtet, nie gingen sie vorüber, ohne einander anzusehen und dann nach der Hecke zu schauen. Ivo, den wir schon als bibelfest kennen, sagte einmal: »Uns ist es grad gegangen wie dem Moses, dem ist Jehovah im Dornbusch erschienen, der hat gebrannt: und ist doch nicht verbrannt. Jehovah, weißt du auch noch, was Jehovah heißt – Ich bin, der ich sein werde, das ist das Futurum von Hava. Gelt! auch im Futurum werden wir Freunde sein, wie wir sind?«

»Ich will dir einmal was erzählen,« erwiderte Clemens. »Es ist einmal eine Prinzessin auf einer Insel gewesen, die hat aber nicht, wie die alt' Bas in der Bibel, Lea geheißen, sondern Schleha, [343] die hat auch keine rothen Augen gehabt wie jene, sondern ganz schöne dunkel dunkelblaue; die hat aber gar keinen Dorn leiden können, das kleinst' Dörnle war ihr ein Dorn im Auge, und wenn sie eins gesehen hat, da hat sie gleich gottsjämmerlich geschrieen: ›O weh, das sticht mich, ich spür's schon in meinen schönen dunkel dunkelblauen Augen‹; und da hat man auf der ganzen Insel alles, was Dornen gehabt hat, plutt abschneiden und bis aufs kleinste Würzele 'naus ausgraben müssen, und wie die Prinzessin gestorben ist, da hat man sie begraben, und zur Straf', weil sie hat keine Dornen leiden können, sind aus ihren zwei Augen 'raus zwei Dornhecken gewachsen, die tragen aber auch ganz schöne dunkel dunkelblaue Augen, wie die Prinzessin gehabt hat, und man heißt's auch Schleha.«

So beendigte Clemens mit triumphierendem Lächeln seine Erzählung.

Ivo betrachtete ihn mit heiterer Miene. Ach, es war gar zu schön, was Clemens erzählte. Wie eine glänzende Perlschnur reihten sich seine lieben Worte aneinander; Alles, was doch der Clemens that und sagte, war so schön, wie sonst gar nichts auf der weiten Welt.

Auf Veranlassung Ivo's hatten sich's die Freunde gelobt, recht große Männer zu werden, und sie eiferten sich nun gegenseitig zu dem ausdauerndsten[344] Fleiße an. Alles wurde ihnen leicht, da ein jedes dem andern zu lieb handelte. Ivo ward sogar von dieser Zeit an über ein Jahr lang Primus, mit Clemens aber ging oft seine Phantasie durch. Alles, was er sah, regte ihn an, er vergaß dann das nächste; von den Lehrern gefragt, erwachte er oft wie aus einem Traume und gab zerstreute Antworten.

Der geheime Bund konnte indes den andern Mitschülern nicht lange verborgen bleiben; denn wie Liebende sich oft lange für unbemerkt halten, während sie sich die offenkundigsten Zeichen der Zuneigung gehen, so erging es auch unsern Freunden. Die hohe Stellung Ivo's machte, daß die hieraus entstehenden Spöttereien und Neckereien nicht lange dauerten, ja es drängten sich alsbald noch mehrere in den Freundschaftsbund; aber die Pforten waren streng geschlossen, besonders Clemens wachte sorgsam, und die Fremden zogen sich bald zurück. Nur als Bartel sich mit großer Unterthänigkeit zu den beiden gesellte und offen um ihre Freundschaft bat, da nahm ihn Ivo auf. Er durfte sich nun auf den Spaziergängen zu ihnen halten, auch in Hof und Garten bei ihnen sein. Der Bartel war, wenn er vollauf gegessen hatte, ein gar eifriger und wißbegieriger Knabe, er that gern Alles, um nur auch recht geschickt zu werden und auch obenan zu sitzen; [345] so lieb er daher Ivo und Clemens hatte, so war ihre hohe Stellung doch auch mit ein Grund seiner Annäherung; in das innerste Heiligtum ihrer Freundschaft, das hatte sich Clemens vorausbedungen, wurde jedoch Bartel nicht zugelassen.

Von ihren phantastischen Spielereien gelangten unsere Freunde auf ein anderes Gebiet, das sich mehr der Wirklichkeit näherte; in dem hohen Schwunge ihres Strebens suchten sie sich nämlich erhabene Vorbilder, Ideale.

Man hatte einst einen größern Spaziergang Blaubeuren zu unternommen; dort, auf einem hohen Berge, auf einem Felsenvorsprung, wo man das liebliche Thal der Blau überschaut und fernher das Ulmer Münster und die Donau erblickt, dort, hatte Clemens angeordnet, sollten sie sich ihren Fund offenbaren.

Auf dem Vorsprunge des Berges saßen nun die drei Knaben und schauten hinaus in die endlose Ferne.

»Wer ist dein Ideal, Ivo?« fragte Clemens

»Sixtus. Meine gute Mutter, die sagt immer: man kann Alles erreichen, wenn man rechtschaffen will, das hat Sixtus auch gezeigt.«

»Du willst also auch Papst werden?«

»Wenn's geht, warum nicht? Ich will jetzt einmal.«

[346] »Und ich,« sagte Clemens, »ich habe mir einen viel Unheiligern gewählt, mein Ideal ist Alexander der Große.« Er erklärte nicht, inwiefern er ihm nacheifern wolle, denn Bartel fragte in weinerlichem Tone:

»Wen soll ich mir denn zum Ideal nehmen?«

»Frag' den Direktor,« erwiderte Clemens ernsthaft, Ivo Schweigen zuwinkend.

Bartel merkte sich die Rede des Clemens, und als man heimgekehrt war, ging er zum Direktor, klopfte an, und auf das »Herein« trat er in die Stube und sagte zitternd und stockend:

»Herr Direktor, verzeihen Euer Hochwürden, ich hab' Sie bitten wollen, ich möcht' mir gern ein Ideal wählen, ich weiß nicht, wen soll ich mir denn nehmen?«

Der Direktor stand eine Weile still, dann sagte er, den Finger nach oben erhebend: »Gott.«

»Ich dank' vielmal, Herr Direktor,« sagte Bartel, sich verbeugend und die Stube verlassend. Er sprang schnell zu seinen Freunden und rief frohlockend: »ich hab' eins, ich hab' jetzt auch ein Ideal.«

»Wen denn?«

»Gott,« sagte Bartel, ebenfalls den Finger nach oben erhebend.

»Wer hat dir denn das verrathen?« fragte Clemens neckisch und zupfte dabei den Ivo.

[347] »Der Direktor.«

Ivo kehrte sich aber nicht an die stille Ermahnung seines Freundes, sondern setzte dem Bartel auseinander, wie man sich nur figürlich Gott zum Ideal nehmen könne, da man ja nie allmächtig oder allwissend werde; freilich bleibe Gott das höchste Endziel, aber dazwischen seien die Heiligen da, die stünden uns näher, bei denen könnten wir leichter mit unserm Gebet ankommen, und wenn's geht, könnten wir auch werden wie sie.

»Heiliger Ivo, ich will nichts von dir,« sagte Clemens und ging zornig davon; ihn ärgerte, daß Ivo jeden Spaß verdarb, und er redete den ganzen Abend und den andern Morgen kein Wort mit ihm.

Auch sonst war der Bartel vielfach Veranlassung zu Zerwürfnissen zwischen den Freunden. Clemens hatte sich in den Kopf gesetzt, die ganze volle Freundschaft seines Ivo sei ihm durch den Eindringling geschmälert. Er nahm nun allerlei Gelegenheiten wahr, um seiner Eifersucht Nahrung zu geben. Einst sprach er deshalb mit Ivo acht Tage lang kein Wort, nur seine Blicke verfolgten ihn überall, wie mit einer wahnsinnigen Leidenschaft; am letzten Abende warf er Ivo ein Zettelchen auf sein Buch, worauf die Worte standen: »Heute nacht, Schlag zwölf Uhr, kommst du auf den Kirchthurm, oder wir sind auf ewig geschieden.«

[348] Von den grausamsten Qualen gemartert, wälzte sich Ivo auf dem Lager, er fürchtete, die Frist zu verschlafen, und zählte jede langsame Viertelstunde. Als der erste Schlag von Zwölf ertönte, huschte er aus seinem Zimmer; aus dem andern, worin Clemens war, kam dieser ebenfalls. Schweigend gingen sie mit einander den Turm hinan, der letzte Ton hatte ausgeklungen, da begann Clemens:

»Gib mir deine Hand darauf, daß du von dem Bartel ganz lassen willst, wo nicht, so stürz' ich mich da grad hinab.«

Ivo stand schaudernd und faßte die Hand seines Freundes.

»Kein Wort! Ja oder Nein!« knirschte Clemens.

»Nun ja, ja! Der arme Kerl dauert mich, aber du bist ganz verwildert in den acht Tagen.«

Clemens umarmte und küßte Ivo, dann stieg er schweigend die Treppe hinab und verschwand in seinem Zimmer.

Andern Tages war Clemens wie zuvor, heiter und innig. Ivo durfte beim Tageslicht nie von jenem nächtlichen Begebniß sprechen, der Bartel tröstete sich auch bald über seine Verabschiedung.

Während der unruhige Geist des Clemens in allerlei Seltsamkeiten abenteuerte, fühlte Ivo eine andere Unruhe. Das Wachstum seinem Körpers war fast noch rascher vorgeschritten als das seines [349] Geistes, er war lang und breitschulterig; aber wenn er so an dem Pulte vor den Büchern saß, da raste Alles Blut wild in ihm, und er stand oft auf, sich gewaltsam bäumend und reckend. Er hätte gern irgend eine gewaltige Last frei in die Höhe gehoben, aber es bot sich ihm nichts als eine schwere Periode irgend eines klassischen Autors. An dem Turnen, das nur sehr mangelhaft betrieben wurde, hatte Ivo keine rechte Freude; er wollte etwas thun, eine wirkliche Arbeit vollbringen. Wenn er dann mit seinem Freunde draußen spazieren ging, klagte er oft, daß er nicht pflügen und nicht schneiden dürfe. Er war von Kindheit auf an Körperthätigkeit gewöhnt, später hatte der Gang nach der lateinischen Schule die Bewegung in der Arbeit ersetzt; nun aber war es ihm wie einem Riesen, dem man statt der Keule eine Nähnadel in die Hand gegeben.

Einst sagte er zu Clemens: »Guck, das ist mir so arg, daß ich mit der Bibel nicht recht einig bin; da ist die höchste Straf' für die Erbsünd': ›daß der Mensch im Schweiß seines Angesichts sein Brod essen soll‹. Daß man recht schaffen muß, das ist ja grad das größte Vergnügen.«

»O du!« erwiderte Clemens, »was geht dich das Alte Testament an? das ist für die Juden, und für die paßt's, denen ist Schaffen das ärgste Kreuz.«

Es ist wunderbar, wie Clemens diesen bekannten[350] Kniff der Theologen, wenn sie sich mit dem Alten Testament nicht mehr helfen können, aus sich selber fand. Clemens blieb aber nicht bei derlei Erörterungen, er vertraute vielmehr auch seinerseits seinem Freunde, wie es ihn dränge, mit Gefahren zu kämpfen, fremde Länder und Gebiete zu durchstreifen. Die beiden Freunde redeten sogar viel von einer Flucht aus dem Kloster. Sie malten sich's gar schön aus, wie sie auf einer unbewohnten Insel ankämen, wo sie mit den wilden Thieren kämpften und den Boden zum erstenmal umpflügten. Es blieh indes bei dieser Gedankenflucht; die Gesetze des Klosters und die Familienbande hielten sie in der Heimath fest.

Die Innigkeit der beiden Freunde nahm fast mit jedem Tage zu, und so verschieden auch ihre Charaktere waren, sie fanden sich doch einig in der Liebe.

Ivo ließ es ohne Trübsal geschehen, daß er seinen ersten Platz verlor und sogar so weit hinunterrückte, daß der Bartel über ihn kam; diese äußerliche Hintansetzung freute ihn fast, sie bekundete seine Unlust an dem Studium. Das Bewußtsein, daß er mehr war, als es schien, that ihm wohl, es gab ihm eine gewisse Selbständigkeit, eine gewisse Abgeschlossenheit der Außenwelt gegenüber. Mit den untersten Dienern des Klosters, mit den Holzhackern, schloß Ivo einen geheimen Bund. Mit einem [351] Eifer, als gälte es, die ganze Erdkugel zu zerspalten, führte er im geheimen die Axt, bis endlich ein Professor diese Ausschweifungen gewahr wurde und Ivo dafür im Karzer büßen mußte.

So war Ivo von dem ersten und fleißigsten der Schüler zu einem der letzten und widerspenstigsten herabgesunken.

Wenn die Vacanz kam, trennten sich die beiden Freunde mit fieberhafter Wehmuth; sie trösteten sich mit dem Wiedersehen und wünschten doch, nie mehr in das Kloster zurückzukehren. Auf dem Wege erschien dann Ivo die Welt nicht mehr so schön, die Leute nicht mehr so gut; denn die Welt in ihm hatte eine andere Gestalt angenommen.

Zu Hause zog sich Ivo nicht mehr so streng von Constantin zurück, das Leben in seinem elterlichen Hause erschien ihm nicht mehr so gedrückt; er sah, daß fast kein Mensch auf Erden, für sich allein betrachtet, ganz glücklich ist, daß also eine Gemeinschaft des Lebens, in der Ehe, in der Familie, auch manches Unvollkommene und Unglückliche haben muß.

Die Welt der Ideale war ihm eingesunken. Nur manchmal erhob er sich noch in innigem Gebete über alle Mißlichkeiten und Herbheiten des Daseins, aber auch selbst in die himmlischen Heiligtümer verfolgte ihn bisweilen der Gedanke der Unvollkommenheit und Mangelhaftigkeit. Er war sehr unglücklich. [352] Die Leute hielten sein verstörtes Aussehen für eine Folge des Studiums. Es schnitt ihm tief durch die Seele, wenn ihn seine Mutter bat, sich nicht so übermäßig beim Studieren anzustrengen; er konnte der guten Frau nicht klar machen, was ihn bedrückte; war es ja ihm selber nicht klar.

So, in der Fülle der Lebenskraft stehend, fühlte er sich doch lebensmatt und kampfesmüde; er hatte das Rätsel des Daseins noch nicht überwunden und glaubte, daß nur der Tod es löse.

In der vorletzten Vacanz, vor dem Abgange nach Tübingen, erfuhr Ivo einen herben Verlust; er traf seinen Nazi nicht mehr im Hause. Das Gretle hatte sich mit Xaver verheirathet, der Widerspruch des Vaters war endlich besiegt worden, und sie war mit nach Amerika gezogen; jetzt fehlte es an weiblicher Hülfe im Hause, die Söhne Valentins konnten das Feldgeschäft schon allein besorgen, und so wurde der Nazi verabschiedet; er war fortgegangen, ohne zu sagen, wohin. Der Taubenschlag war leer, und die Thiere im Stalle schienen mit Ivo um den fernen Freund zu trauern.

Freilich war Emmerenz dafür als Magd in's Haus gekommen. Sie war ein starkes, munteres Mädchen geworden, etwas kurz und untersetzt, so was man »mockig« nennt, man konnte sie wohl zu den Hübscheren im Dorfe zählen; aber Ivo widmete [353] ihr längst keine Aufmerksamkeit mehr, die Liebe zu seinem Clemens hatte sein ganzes Herz erfüllt. Es waren Vacanzen vorübergegangen, in denen er Emmerenz nicht einmal angesprochen. Jetzt betrachtete er sie bisweilen verstohlen, schnell aber wendete er dann, wenn er dessen inne wurde, den Blick. Nur einmal, als er sie im Stalle so freundlich walten sah, sagte er: »Das ist brav, Emmerenz, daß du das Vieh gut versorgst; gib nur auf den Falb und die Allgäuerin recht Acht.«

»Ich weiß wohl,« erwiderte die Angeredete, »das sind deine alten Lieblinge; guck, das gefällt mir jetzt, daß du sie so gern hast,« und gleichsam um einen alten Klang aus seiner Kindheit in ihm zu wecken, sang sie, während sie der Allgäuerin Futter aufsteckte:


Da droben auf'm Bergle,

Da steht e weißer Schimmel,

Und die brave Büebele

Kommet alle in Himmel.


Und die brave Büeble

Kommet et allein drein,

Und die brave Mädle

Müsset au dabei sein.


Ivo ging still davon, hinaus in das Veigelesthäle, wo er einst einen ganzen Tag mit dem Nazi [354] »gezackert« hatte; er meinte fast, er müsse hier eine Kunde von ihm finden. Er beneidete seine Brüder, die hier arbeiteten, die am elterlichen Tische mit den Ihrigen Freud' und Leid theilten, die niemand als ihren natürlichen Obern zu gehorsamen hatten.

Mit erneuter Innigkeit schloß sich Ivo nach der Rückkehr in's Kloster an seinen Clemens an; er mußte ihm jetzt auch den verlorenen Nazi ersetzen.

Der letzte Sommer, der nun in Ehingen zu verleben war, bracht auch mannigfache Abwechselung. Clemens war aus einer großentheils prothestantischen Stadt; er kannte daher mehrere von den Klösterlingen in Blaubeuren, die etwas mehr Freiheit hatten; sie kamen nun bisweilen nach Ehingen, gingen zum Direktor; einer sagte, daß er ein Landsmann von Clemens, der andere, daß er desgleichen von Ivo sei, und so andere von andern. Die Landsleute erhielten nun einen Mittag frei, und im nahen Dorfe, unter fröhlichen Liedern, das volle Glas in der Hand, trank Ivo manchen Schmollis mit den prothestantischen Klösterlingen. Sie waren beiderseits nicht frei, wenn auch die Blaubeurer einzelne Freiheiten mehr hatten.

Die Studentenzeit stand wie ein lichtglänzender, von Süßigkeiten behangener Weihnachtsbaum vor der Seele aller dieser Jünglinge, und sie rüttelten gewaltsam an den Pforten vor der künftigen Bescheerung;[355] sie genossen im voraus die Freude des Burschenlebens, die ihnen doch nicht vollauf werden sollte.

So kam endlich der Herbst. Am Abend vor dem Abschiede gingen Ivo und Clemens nach der Freundschaftshecke, ein jeder brach sich einen Zweig und steckte ihn auf die Mütze, dann reichten sie sich die Hände und schwuren sich nochmals ewige Freundschaft. Ivo versprach noch, seinen Clemens während der Vacanz in Crailsheim zu besuchen.

Das Verlassen eines Ortes, so wenig glücklich man auch in demselben gelebt hat, erregt doch stets eine Wehmuth; das Vergangene wird zu einer abgeworfenen Hülle, man kehrt nie mehr als derselbe zu ihr zurück: diese Häuser, diese Gärten und Straßen sind die Geburtsstätten eines ganzen Schicksals. Hier hatten sich die Freunde gefunden, hier hatte sich ihr Geist zu ungeahnter Höhe entfaltet, und mit tiefem Schmerze trennten sich die Freunde von dem Kloster und der Stadt. Sie gelobten, einst, in altersgrauen Tagen, wieder mit einander dahin zu wallfahrten, um die stillen Spielplätze ihrer jugendlichen Gedanken als Männer aufzusuchen.

10. Neues Zusammentreffen

10.
Neues Zusammentreffen.

Nachdem Ivo nur wenige Tage zu Hause geblieben war, machte er sich auf den Weg zu seinem [356] Freunde, dessen Wohnort am andern Ende Württembergs, nach Franken hin, lag. Als er nun zum erstenmale auf der jenseitigen Anhöhe stand, gedachte er jenes Abends vor der Primiz Gregor's, da er geglaubt hatte, hier könne man in den Himmel hineinsteigen. Jetzt wußte er, daß es keine irdische Stelle gibt, von wannen sich der Eingang in den Himmel öffnet; ja, dieser selbst stand ihm nicht mehr vor dem Auge, und er fragte nach dem Wo? Er suchte das Himmelreich auf Erden und wußte es nicht zu fassen.

Mit stillen Betrachtungen durchwanderte er die Städte und Dörfer, mit fragendem Blicke betrachtete er das Treiben der Menschen; das Rätsel des Daseins verwirrte sich stets mehr vor seinen Augen. Der traubenreiche Herbst jubelte durch das Unterland, Lieder schallten, Pistolen knallten von den Geländen, aber Ivo fragte: sammelt ihr den Wein, der sich in Blut verwandelt?

Es war am dritten Abend, Ivo wanderte der guten Stadt Schwäbisch Hall zu, die Sonne ging feierlich unter, es war wie an jenem Abende, da er mit Nazi im Veigelesthäle gewesen. Er stand still und gedachte mit Wehmuth des armen Freundes, den er auf immer verloren; da sah er einen Schäfer, der, mit dem Rücken gegen die Straße gewendet, auf seinen Stab gelehnt, hineinschaute in die Abendgluthen; er sang das Lied:


[357]

Da droben, da droben

An der himmlischen Thür,

Und da steht eine arme Seele,

Schaut traurig herfür.


Ivo durchzuckte es wie eine Ahnung, er sprang schnell feldein, er wollte den Schäfer fragen, wie weit er noch nach Hall habe; da bellte der Hund, der Schäfer rief, sich umwendend: »Still, Bleß!« und mit dem Rufe: »Bist Du's?« lag Ivo seinem Nazi am Halse.

Nun war des Fragens kein Ende. Die Nacht war hereingebrochen, und Ivo sagte:

»Ach Gott, ich muß jetzt schon fort; ich muß sehen, daß ich eine Herberge krieg'.«

»Warum?« erwiderte Nazi, auf die rothe Schäferhütte deutend, »gefällt dir der Gasthof zum rothen Haus nicht? Bleib du nur bei mir, ich duck' mich in ein' Eck', du sollst gut schlafen; oder ich mach' mir nichts daraus und bleib' ganz auf, heut nacht um zwei Uhr kommt ein Hauptstern.«

Ivo willigte gern ein, mit Nazi in der Hütte zu schlafen.

»Hast Hunger?« fragte Nazi. »Da unterm Dach ist mein Keller.« Er holte Brod und Milch herbei, machte ein kleines Feuer und wärmte für Ivo die Milch; dann hob er die hölzerne Gabel weg, auf der der Hintertheil der Hütte während des Tages [358] aufgerichtet war, und sagte: »Sodele 1, da kennen wir gut schlafen, das Gesicht muß gegen Sonnenaufgang liegen.«

Wie das so oft geschieht, daß, wenn man so viel zu sagen hat, man gerade das Unbedeutendste zuerst vorbringt, so fragte auch Ivo: »Was bedeuten denn die wunderlichen Figuren von Messingnägeln auf dem Riemen da?«

»Das sind die drei Haupthimmelszeichen, die schützen das Vieh gegen böse Geister; weiter kann ich dir nichts sagen.«

Wieder wie in den Tagen seiner Kindheit saß Ivo neben Nazi auf dem Feldraine und verzehrte ein einfaches Mahl; aber es war Nacht, sie waren in fremder Gegend, und vieles hatten sie seitdem erlebt.

»Was macht denn die Emmerenz?« fragte Nazi.

»Die ist jetzt Magd bei uns.«

»Wenn du nicht Pfarrer würdest, bigott 2, die hättest du heirathen müssen.«

»Das hätt' ich auch,« sagte Ivo mit fester Stimme; die Nacht verdeckte die Röte, die in seinem Antlitze aufstieg.

Nun fragte Ivo nach den Lebensschicksalen Nazi's, und dieser begann:

»Du bist jetzt in dem Alter, daß ich dir alles [359] erzählen kann, wer weiß, ob wir uns je wieder sehen, und du sollst Alles von mir wissen, du bist mein Herzbruder. Ich bin nicht aus deiner Gegend gebürtig, ich bin von der andern Seite vom Schwarzwald, gegen den Rhein zu. Wenn man von Freiburg aus durchs Himmelreich und das Höllenthal geht und die Höllsteig oben ist, da sieht man rechts ein Thal, wo die Treisam fließt und viel viel Hammerwerke, Sägmühlen und Mahlmühlen sind, und wenn man auf der andern Seite den Berg 'naufgeht, man heißt's das Windeck, da sieht man ein groß ›Buurehus‹, das ist des Beßtebuuren, und das war mein Vater. Du kannst dir denken, was das für ein Gut ist: es hält seine sechzig, auch siebzig Stückle Vieh, und man braucht kein Hämpfele 3 Heu kaufen. Dort ist es nicht wie da hier 'rum und bei euch, da wohnt ein jeder Buur für sich, mitten auf seinem Grund und Boden. Das Haus ist ganz von Holz, nur die Grundmauern sind von Stein, die Fenster sind alle hart nebeneinander gegen die Morgenseite hin, ums ganze Haus herum geht eine Altane, und das Dach geht weit vor und ist von Stroh, das vor Alter grau geworden ist, da ist's wärmer wie im schönsten Schloß. Ach Gott, wenn du einmal kannst, mußt du einmal hingehen, wo dein Nazi aufgewachsen ist; thu's mir zulieb. Unsere Aecker, die gehen weit [360] auf den Feldberg 'nauf und 'nab bis zur Treisam, und zweihundert Morgen Waldung, man kann ganz leicht für zehntausend Gulden Holz schlagen. Es ist ein' Pracht. Wo man hinguckt, ist Alles eigen und Alles in gutem Stand.

Wir waren drei Kinder, wie das gewöhnlich ist, ich war der Aelteste, und nach mir noch ein Bruder und eine Schwester, und das muß ich dir noch sagen, daß beim Absterben vom Vater, oder wenn er sein Sach abgibt, der Hof nicht getheilt wird; der älteste Sohn kriegt Alles, und der Vater macht den Anschlag, was er seinen Geschwistern an Geld 'rausbezahlen muß. Wenn aber eins von den Kindern klagt, nachher theilt die Regierung den Hof. Das ist aber nur ein paarmal vorkommen und ist nie gut ausgangen. Nun hat vierhundert Schritt von uns, auf einem ganz kleinen Schnipfele Feld, eine Witfrau ihr einzecht stehend Häusle gehabt, und darin hat sie gelebt mit ihrer einzechten Tochter. Sie waren im dritten Glied Nachkommen von einem jüngeren Kind und waren blutarm, aber lieb und gut wie die Engel, so sind sie mir wenigstens vorkommen. Die Mutter, weißt du, das war eine von den langen Weibern, die immer so freundlich thun können; das Lisle, nein, in dem war keine falsche Ader, das muß ich noch heut sagen. Die Mutter und Tochter haben sich davon ernährt, daß sie Strohhüt' genäht haben, [361] denn drüben über'm Berg, im Glotterthal und weiter hinein, da tragen die Weibsleut' runde, hellgelbe Strohhüt', grad so wie in der Stadt die Herren, und die Mannen tragen schwarze Strohhüt'. Ein Hut vom Windecker Lisle hat immer drei Groschen 4 mehr gegolten; und wenn eine noch so Wüste 5 einen Hut von ihm aufgehabt hat, war sie schön. Das Lisle hat Händ' gehabt so zart und so weiß wie eine Heilige; es hätt' aber doch auch recht im Feld schaffen können. Wenn es so am Fenster gesessen ist und hat genäht, bin ich oft draußen hingestanden und hab' ihm zuguckt; wenn es sich einmal in den Finger gestochen hat, ist mir's durch Mark und Bein gangen. Mein Vater hat's bald gemerkt, wie's mit mir und dem Lisle steht, und er hat's nicht leiden wollen, aber ich hätt' eher vom Leben gelassen, als von ihm; und da hat mich mein Vater vom Hof weg auf die Sägmühle gethan, die gehört eigentlich nicht zu unserm Erblehen, die hat mein Vater nur so angekauft, und da hab' ich die ganze Woch' keinen Menschen gesehen, als das Kind, das mir das Essen gebracht, und die Leut', die die Stämme her- und die Bretter fortgeführt haben. Nachts bin ich aber als auf und davon, um nume 6 [362] noch ein Wörtle mit dem Lisle zu reden. Da ist plötzlich mein Vater gestorben und hat das Gut meinem Bruder vermacht, und für mich zehntausend Gulden und auch so viel für meine Schwester; das ist ein Bettel, das ist das Holz von einem Jahr. Meine Schwester hat sich nach der Neustadt an einen Uhrmacher verheirathet; ich war ganz rabiat und hab' gesagt, ich geh' nicht aus dem Haus, ich lass' es auf einen Proceß ankommen. Da geh' ich einmal Abends 'nüber zum Lisle, und wie ich zum Fenster 'neinguck', wer meinst, daß darin sitzt und das Lisle küßt und herzt? Mein Bruder, und die alt' Hex' steht dabei und lacht, daß ihr Gesicht doppelt so lang gewesen ist. Ich 'nein in's Haus, das Messer ziehen, meinem Bruder in den Leib stechen – das war all eins.«

Hier seufzte Nazi tief, schwieg eine geraume Zeit, dann fuhr er fort: »Mein Bruder ist auf dem Boden gelegen und hat sich nicht geregt, das Lisle ist seiner Mutter um den Hals gefallen und hat geschrieen: ›Mutter, an dem Tod seid Ihr schuld. Geh' fort, Nazi, ich kann dich nicht mehr sehen.‹

Ich bin davon, wie wenn mich der Teufel am Bändel hätt' und hinten nachschleifen thät, und einmal über's andere bin ich wieder stehen blieben und hab' mich an einen Baum aufhängen wollen. [363] Da trifft mich der Schmiedjörg, und ich geh' mit ihm und versteck' mich bei ihm bis den andern Tag. Tausendmal hab' ich gebetet, daß Gott mein Leben von mir nehmen und mir die schwere Schuld des Brudermords nicht aufladen soll. Ich hab' die Hand aufs Herz gelegt und hab' heilig geschworen, von da an ein bußfertiges Leben zu führen, und unser Herrgott hat mich erhört. Am andern Morgen, ganz früh, kommt der Schmiedjörg zu mir in die Scheuer, wo ich im Heu gelegen hab', und hat gesagt: ›Dein Bruder lebt, und er kann davon kommen.‹

Da bin ich fort über Berg und Thal, hab' meinem Bruder alles gelassen und hab' mich zum Buchmaier als Schäfer verdingt; ich hab' nimmer unter Menschen sein mögen, ich war froh, so allein auf dem Feld. Mein Hellauf, der war mein einziger Freund; du erinnerst dich wohl, ich hab' dir ja oft von ihm erzählt – ich bin schändlich drum gekommen.«

Hier hielt Nazi wiederum ein, sein neuer Hund schmiegte sich an ihn und sah traurig zu ihm auf, gleich als gräme es ihn, den alten Verlust nicht ersetzen zu können.

»Wie ich so allein auf dem Feld gewesen bin,« fuhr Nazi fort, »hab' ich mir viel Kräuter gemerkt, hab' sie gesammelt und Tränke daraus gemacht. Einmal [364] im Winter kriegt ein Nebenknecht von mir das Fieber, daß es ihn schier zum Bett herausgeworfen hat; ich helf' ihm schnell, und von der Zeit an sind alle Leut' aus der Umgegend zu mir kommen, wenn einem etwas gefehlt hat, und ich hab' ihnen so ein Tränkle geben müssen. Weißt du noch, wie du einmal so krank vom Feld heimkommen bist? da hab' ich dir auch geholfen, das war seitdem das erstemal, daß ich jemand was gegeben. Damals hat das der Doktor erfahren und hat mich bei Amt angezeigt. Es ist mir bei hoher Straf' das Quacksalbern verboten worden. Ich hab' nun keinem Bitten und keinem Betteln mehr nachgegeben.

Da ist ein' Geschicht' passiert, du kannst dich nicht erinnern, du warst noch zu klein: der Dick', draußen in den Hinterhäusern, hat zwei Söhn' gehabt, der eine war ein Mensch wie ein Graf, er war bei der Gard' in Stuttgart und war auf Urlaub; sein bester Freund war sein kleiner Bruder, so ein halbgewachsener, wilder Bub, der hat Jochem geheißen. Der Gardist ist zu dem schönen Walpurgle, zu der Näherin, gegangen, du kennst sie wohl, die mit dem feinen Gesicht, die allfort so in Pantöffele 'rumlauft; die hat aber auch noch einen andern Liebhaber gehabt von Betra. Des Dicken Buben, die beiden Brüder, die haben dem einmal aufgepaßt, um ihn tüchtig durchzukarbatschen, der Betramer wehrt [365] sich aber tapfer; da zieht der kleine Jochem das Messer und sticht nach ihm und sticht seinem Bruder gerad in den Leib.

Ich lieg' in meinem Schäferhäuschen und hör' auf einmal schreien und rufen und heulen, ich steh' auf, und da sind viel Männer und auch der Jochem, und sie erzählen mir Alles und bitten mich, ich soll dem Erstochenen 'was geben; da ist mir selbe Nacht von daheim in den Sinn kommen, das Walpurgle und das Lisle sind auch einander gleich gewesen, kurzum, ich hab' meine Schaf' dem Schackerle übergeben und bin mit. Wie der Gardist fast ganz todt dagelegen ist und ich hab' ihn angesehen, hat mir's als einen Herzschütterer nach dem andern geben. Ich hab' geweint wie ein Kind, und die Leut' haben mein Mitleid gelobt; sie haben nicht gewußt, wie mir's ist, und ich hab's ihnen nicht sagen können. Ich hab' dem Gardist ein Tränkle eingegossen, daß er den Brand nicht kriegen soll, und da sind hernach die Doktor gekommen, und er ist doch gestorben. Kurz und gut, sie haben mich in's Gefängniß gesperrt und ein Jahr in's Zuchthaus. Der Jochem ist auch in's Zuchthaus gekommen; der war schlecht, er hat lang Alles geleugnet und die Schuld auf den Betramer geschoben, bis sich's bewiesen hat, daß er's gethan hat. Bruderherz!« sagte Nazi, die Hand Ivo's fassend, »was ich im Zuchthaus ausgestanden [366] hab', das ist nicht zu vermelden; in der Höll' kann man bei keinem schlechteren Gesindel sein, ich hab' aber Alles gern ertragen und hab's als Sündenschuld für mein vergangen Leben angesehen.

Einmal hab' ich auch dem Pfarrer gebeichtet und hab' ihm Alles erzählt. Er hat gesagt: ich hätt' neues Unrecht gethan, ich hätt' mein Vermögen der Kirch' vermachen müssen; seitdem ließ' ich mich eher verreißen, eh' ich an einen Beichtstuhl geh'! Wie ich 'nauskommen bin, war mein erstes, daß ich den Hellauf wieder aufgesucht hab', der Dick' hat ihn zu sich genommen; aber sie haben gesagt, der Hund sei, wie ich fort gewesen bin, toll geworden, und da haben sie ihn auf den Kopf geschlagen. Des Dicken hätten mich gern bei sich behalten, aber ihr Haus war ganz verruiniert: die Mutter ist ein Jahr lang nicht ans Tageslicht gegangen, nur nachts nimmt sie ein Laternle und geht auf das Grab von ihrem Hannesle und betet dort. Du wirst dich noch wohl erinnern, sie geht ihr Lebtag schwarz gekleidet. Wie ich nun so das Dorf hinausgeh', allein und nicht einmal mein Hund mehr bei mir, da verkommt 7 mir dein' Mutter; sie hat wohl gewußt, daß ich nicht schlecht bin, wenn ich auch ein Sträfling war, und da bin ich halt zu deinem Vater in den Dienst kommen. Ich hab' nimmer mögen Schäfer sein, ich [367] hab' wieder unter Menschen leben müssen. Wie mir's nachher gegangen ist, weißt du. Ich hab' jetzt wieder einen guten Dienst da auf dem Deurershof; aber es ist mir doch als, als müßt' ich zu meinem Bruder und wär' mein' Demuth erst die recht', wenn ich bei ihm dien'.«

Nazi hielt inne und drückte sich mit der Hand die Augen zu; da sagte Ivo: »Du hättest eigentlich sollen in ein Kloster gehen und Mönch werden, das paßt für dich.«

»Pfaff?« sagte Nazi mit ungewöhnlich scharfem Tone, »da ließ' ich mir lieber die Händ' abhacken; vom Frommsein leben, das ist nichts nutz. Nimm mir's nicht übel, verzeih mein einfältig Geschwätz, ich bin ein dummer Kerl; du wirst Pfarrer, und du thust recht daran, du hast ein rein Gemüth, aber komm,« sagte er dann, nach den Sternen aufschauend, »es ist schon bald elf Uhr, wir wollen schlafen.«

Mit tief bewegter Seele schlüpfte Ivo mit Nazi in den Karren.

»Sag mir einmal, du bist doch g'studiert,« begann Nazi, »wie kommt's, daß die Lieb' das meiste Unglück über die Menschen bringt? wär's nicht besser, sie wär' gar nicht da?«

Ivo war verlegen, er hatte darüber noch nicht nachgedacht; mit schläfriger Stimme antwortete er indes: »Das kommt vom Sündenfall, von der [368] Erbsünde ... ich will aber darüber nachdenken. Gute Nacht.«

Die müde Seele und der ermattete Körper Ivo's wurden von den weichen Armen des Schlafes empfangen. Als er andern Morgens erwachte, war ihm Alles wie ein Traum, er fand den Nazi nicht mehr an seiner Seite, und als er den Kopf zum Häuschen herausstreckte, stand der Schäfer schon pfeifend bei seinen Thieren.

Nach einem einfachen Morgenimbiß trennten sich die beiden Freunde, und noch als Ivo fort war, rief ihm Nazi abermals nach: »Wenn du einmal nach Freiburg gehst, komm zum Beßtebuur, da bin ich.« – –

Mit Clemens verlebte Ivo fröhliche Tage, nur einmal schüttelte er den Kopf über seinen Jugendgenossen; er erzählte ihm nämlich sein Zusammentreffen mit Nazi und dessen Geschichte, da sagte Clemens: »Donner und Doria! das ist ein prächtiges Abenteuer, du bist ein Glückskind, ich beneide dich fast darum; die Geschichte von dem Knecht ist ganz schön schauerlich, nur fehlt noch ein Geist oder ein Gespenst darin.«

Ivo verstand den Clemens nicht, er begriff es nicht, wie man die herben Schicksale des Menschen als Phantasiegebilde eines müßigen Weltgeistes betrachten könne.

Fußnoten

1 Verkleinerungsform von »so«.

2 Bei Gott.

3 Hampfel – handvoll.

4 Man zählt im obern Schwarzwald noch nach Groschen.

5 Wüst, häßlich.

6 Nume, so viel als nur, im obern Schwarzwald, gegen den Rheinabhang hin gebräuchlich.

7 Begegnet.

11. Das Konvikt

11.
Das Convict.

Allein, ohne Geleite von Familienangehörigen, zog Ivo nach seinem neuen Bestimmungsort; er war den Familienbeziehungen entwachsen, und selbständig ging er nun seinen Weg. Freundlich und hell lachte ihn die gute Stadt Tübingen an. Er träumte von den Wonnen, die sich ihm hier aufthun sollten, obschon er wohl wußte, daß noch immer Klosterzwang, wenngleich ein etwas milderer, seiner harrte.

Das Leben der freien Wissenschaft war nun unserm Ivo erschlossen. Er besuchte mehrere philosophische Vorlesungen außerhalb des Klosters; im tiefsten Grunde seiner Seele aber hatte Alles eine theologische oder eigentlich eine katholische Beziehung. Die schläfrigen Vorträge alter Lehrer – die dürre Begriffsformeln aufpflanzten, an denen nirgends frisches Leben grünte – waren nicht geeignet, Ivo auf die Höhe der freien Wissenschaft zu heben, von wo aus die Theologie in ihrer abgeschiedenen und begrenzten Stellung sich erweist.

Fest schloß sich Ivo an seinen Clemens an, mit dem er nun doch eine Stunde im Freien ohne Aufsicht sich ergehen durfte. Auch andere Bekannte [370] traf er hier; vorerst die Söhne des Oberamtmanns. Sie thaten jetzt sehr vornehm, ihr Vater war zum Regierungsrat befördert und hatte den Verdienstorden erhalten, er schrieb sich jetzt »von Rellings«; obgleich nun die Söhne dadurch noch nicht geadelt waren, hielten sie sich doch an den Adel und besonders an den anwesenden Sohn eines mediatisierten Fürsten.

Ivo begegnete ihnen eines Tages, als sie mit ihrer vornehmen Gesellschaft ausritten, er sprang auf sie zu und reichte ihnen die Hand; sie hatten aber Peitsche und Zügel zu halten, und er erhielt nur einen Finger. Mit herablassendem Zunicken sagte der Aelteste:

»Ah, jetzt auch hier? das ist schön,« und ihren Pferden die Sporen gebend, ritten sie davon.

Ivo gedachte jenes Tages, da er einst stolzierend mit ihnen durch das Dorf gegangen war, er sah diese Behandlung als gerechte Strafe für seinen damaligen Hochmuth an. Die Rellingse hatten jetzt Höhere gefunden, und sie thaten in deren Begleitung ebenso herablassend gegen ihn, wie er einst in ihrem Geleite den grüßenden Bauern gedankt hatte.

So erlebte Ivo das seltene Unglück, daß Standesunterschiede der Eltern auch in das Zwischenreich des Studentenlebens hineinragten; denn dieses ist gerade noch der einzige Punkt, auf welchem [371] die gewöhnlichen Lebenstrennungen nicht vorhanden sind, wo die jungen Geister sich auf dem ungespaltenen Boden der Gleichheit bewegen.

Ein anderer Bekannter, den Ivo im Kloster traf, schloß sich mit besonderer Vorliebe an ihn an; dieß war Constantin. Er wußte alle Schliche und Auswege, wie man die Stunden schwänzen und dafür im Wirthshaus sitzen, wie man sich Abends frei machen und einem flotten Burschenkommers beiwohnen konnte; er gab sich viele Mühe, den »crassen Fuchs«, seinen Landsmann Ivo, ebenfalls zu einem »forschen Studio« herzurichten. So wenig ihm dieß indes bei Ivo gelang, um so gelehriger war Clemens; sein abenteuerlicher Sinn fand in dem Studentenleben eine entsprechende Nahrung. Nachts, an zusammengeknüpften Tüchern aus dem Konvikte entfliehen, in den Kneipen singen und jubilieren, dann durch die Straßen randalieren und wieder mit doppelter Gefahr in das Kloster zurückkehren, das war eine Freude nach seinem Herzen. Die Lust des brausenden Jugendmuthes reizte Clemens fast noch mehr, als die Freude, das Gesetz verhöhnen zu können.

Obgleich nun Ivo wiederholt seinen Clemens ermahnte, mehr an die Zukunft zu denken, ließ er sich doch selber einst dazu verleiten, in dunkler Nacht dem Klostergefängniß zu entrinnen. Sie waren nach Constantins Ausdrucke »kreuzfidel«, setzten in der [372] Kneipe bunte Mützen auf, und Ivo war der Lustigste von allen; aber gerade diesmal wurden sie bei der Heim kehr ertappt, und Ivo mußte mehrere Tage im Karzer sein Vergehen abbüßen.

Constantin war hocherfreut, daß sein Landsmann nun die Studentenweihe erhalten habe, er sagte oft: »Ich werde kein Pfarrer, die Scher' wird nicht geschliffen, die mir die Haare abschneidet; ich muß nur vorher 'was abwarten.« – Dann sagte er ein andermal: »Wenn ein recht Leben unter euch wär', thäten wir uns alle verbinden, daß wir samt und sonders aus dem Kloster austreten, nachher soll einmal unser Herrgott allein die Welt regieren; er soll sehen, wie er fertig wird.«

»Was möchtest du denn werden?« fragte Ivo, dem diese gottlosen Reden das Blut in die Wangen trieben.

»Ein Nordstetter Bauer, und weiter nichts.«

»Aufrichtig gestanden, das möcht' ich auch, aber das ist einmal meine Bestimmung nicht.«

»Ich will mich noch bestimmen, gib nur acht,« sagte Constantin.

Viele Convictoren bekamen auch von ihren Eltern Besuch, es waren meist Bauern, in ihre übliche Landestracht oft ärmlich gekleidet. Es that Ivo sehr wehe, daß die »Herren Studenten« sich ihrer Eltern schämten und ungern mit ihnen ausgingen; [373] als ihn daher einst seine Mutter besuchte, ging er stets Hand in Hand mit ihr durch die Stadt und verließ sie den ganzen Tag nicht.

Es war im Februar, da kam Constantin zu Ivo auf die Stube, die den altherkömmlichen Beinamen »Zion« hatte; er zog einen Strauß von gemachten Blumen mit rothen Bändern daran aus der Tasche und sagte: »Guck, das hat mir das Hannele von der Hauffei geschickt, ich bin Rekrut, ich bin dieß Jahr beim Zug und hab' mich frei gespielt; juchhe! jetzt komm' ich aus dem Kloster.«

»Wie so?«

»O du Böcklein weiß wie Schnee, ging einstens auf die Weide! Ich will dir sagen, wie das geht, aber auf dein Cerevis, daß du's bei dir behältst. Wenn ich freiwillig aus dem Kloster treten thät', müßt' ich den Genuß, den ich darin gehabt, 'rausbezahlen und müßt' Soldat werden; vom letztern bin ich jetzt frei, und wenn ich mach', daß sie mich aus der Wallachei da 'nausmaßregeln, nachher brauch' ich nichts zu bezahlen; dem Direktor, dem spendier' ich noch ein besonderes Trinkgeld.«

Constantin steckte den rothbebänderten Strauß auf seine Mütze und ging damit keck über den Klosterhof; er kam den ganzen Tag nicht mehr zurück und zog mit den andern Studenten, die ebenfalls dieses Jahr im Zuge waren, Arm in Arm [374] über den Markt, und durch die ganze Stadt sang und trank und randalierte er. Erst spät Abends kehrte er heim und wurde sogleich auf den sogenannten »Herrentritt« zum Direktor beschieden.

Der Direktor war allein, Constantin blieb an der Thüre, sich mit beiden Händen rückwärts an derselben festhaltend; da trat der Direktor mit grimmiger Rede auf ihn zu, Constantin lachte, stolperte vorwärts und trat dem Direktor so hart auf die Füße, daß er laut aufschrie und noch härtere Reden vorbrachte; aber Constantin rückte abermals vor und machte den Herrentritt zur buchstäblichen Wahrheit. Der arme Direktor nahm den einzigen Stuhl, der im Zimmer war, und hielt ihn vor sich, aber Constantin drang stets schärfer auf ihn, jagte ihn von einer Seite zur andern und schrie wie die englischen Reiter, wenn sie ein Pferd im Kreise treiben: »Ha! hupp!« und schnalzte mit der Zunge. Endlich gelang es dem grausam Verfolgten, die Klingel zu erreichen; der Famulus kam, und Constantin wurde in das finsterste Karzer gesperrt.

Vier Wochen lang mußte er hier seinen schnöden Muthwillen abbüßen, und als ihn Ivo einmal besuchte, gab er ihm recht, daß es sündhaft war, den Unmuth gegen das Gesetz an dem unschuldigen Vollstrecker desselben auszulassen. Ivo setzte hinzu:

[375] »Es ist doppelt sündlich. Die Alten sind freilich die Kerkermeister, die uns bewachen, aber sie müssen ja auch grad wie wir im Gefängniß wohnen und haben's nicht viel besser; der Schlüssel, der ihnen selber aufschließen könnt', ist gar nicht einmal hier.«

»Ja,« lachte Constantin, »weißt, wie es als im Abzählen beim Spielen geheißen hat?


Das Engelland ist zugeschlossen,

Und der Schlüssel abgebrochen ...


Da hab' ich halt eine Riegelwand eingestoßen.«

Constantin wurde mit Schimpf aus dem Kloster entlassen.

Als Ivo in der OsterVacanz nach Hause kam, reichte ihm Constantin seine Hand, an der drei Finger verbunden waren; er hatte sich nämlich bei einer Rauferei zwischen den Nordstettern und Baisingern, von der Schloßbauernfeindschaft her, gewaltig ausgezeichnet, wobei ihm eine Flasche aus der Hand in Splitter zerschlagen wurde. Ueherhaupt gehörte bereits der Studentle – so hieß fortan Constantin – zu den meisterlosesten 1 Burschen im Dorfe. Er hatte sich bäuerisch gekleidet und gefiel sich darin, recht toll zu sein und jedes höhere Bildungselement, das noch an ihm haftete, abzustreifen. Mit [376] seinen beiden Kameraden, des Hansjörgs Peter und des Metzgerles Florian, dem Sohne eines verkommenen Schlächters, führte er allerlei lose Streiche aus; die drei hielten fest zusammen und ließen keinen andern in ihre Kameradschaft. Höchst eigentümlich war das Verhältniß Constantins zu Peter: liebender wacht ein Mutterauge nicht über das Wohl ihres kranken Kindes, nachgiebiger ist ein sanftes Weib nicht gegen ihren verstörten Gatten, als Constantin gegen Peter war; ja, er unterdrückte sogar die Neigung zu des Jörgs Magdalene, weil er merkte, daß Peter sich um ihre Liebe bewarb, er verhalf ihm hierzu, so viel er konnte. Wenn Constantin ganz wild war, so daß kein Mensch mit ihm auskommen konnte und er Alles kurz und klein schlagen wollte, durfte Peter nur sagen: »thu's mir zulieb, Constantin, und gib Frieden,« und er war zahm und folgsam wie ein Lamm.

Ivo hatte viele Mühe, sich von Constantin loszumachen, aber es gelang ihm doch. Er war still und ernst, selbst bei den lustigsten Reden und Späßen Constantins verzog er keine Miene, und dieser ließ den »Betbruder« endlich gewähren.

Als Ivo wieder in das Kloster zurückgekehrt war, traf er seinen Freund Clemens in einer großen Umwandlung.

Clemens war als junger, lebenskecker Student [377] in nähere Beziehung zu der Tochter seines Amtmanns gekommen, sein ganzes Wesen loderte nun in Einer Flamme für sie. Er wollte aus dem Kloster austreten und die Rechte studiren, er verhöhnte das geistliche Amt mit den bittersten Reden, er verhöhnte sich selber und sein Geschick, das ihn arm und hilflos an einen verhaßten Beruf gekettet; mit dem ganzen Ungestüm seines Geistes rüttelte er stets an den Fesseln, die ihn einzwängten. Er sah überall nichts als Sklaverei; bleichen Antlitzes und oft zähneknirschend ging er einher. Ivo bot die ganze Macht seiner Liebe auf, um seinen Freund zu retten; aber bald erkannte er, daß hier eine höhere Macht walte, und er trauerte mit seinem armen Freunde, obgleich er seinen wilden Ungestüm nicht recht fassen konnte.

Clemens saß in den Hörsälen, und während die Anderen mit eifriger Hast die flüchtigen Worte des Lehrers nachschrieben, malte er nur bisweilen den Namen Cornelie und verkritzelte ihn dann wieder zur Unkenntlichkeit.

Der Funke der Unzufriedenheit, der in Ivo geruht hatte, drohte zur Flamme zu werden, aber noch hielten ihn die festen Mauern des Gehorsams, die gewohnte Unterordnung unter das Schicksal, in stiller Gluth.

Eine Verschiedenheit im Wesen der beiden Freunde zeigte sich auch darin, daß Clemens in seinem [378] Mißmuthe stets durch Zerstreuungen, lärmende Gesellschaften und dergleichen Selbstvergessenheit suchte, während Ivo in seinen Verstimmungen sich immer mehr in sich versenkte, gehalten und leise seinen Schmerz aufzuklären und in Selbsterkenntniß zu lösen trachtete.

Dieß gelang ihm aber nur schwer, und eine tiefe Verstimmung bedrückte seine Seele; auch er liebte das Leben weniger als sonst, es war ihm eine Bürde, er sagte oft, daß er gerne sterben oder ewig schlafen möchte.

»Das beste auf der Welt,« sagte er einmal Nachts zu seinem neben ihm liegenden Clemens, »ist doch ein Bett. Ein Vogel im Käfig, der ist übel d'ran, wenn er auch schläft, er ruht dabei doch nicht recht aus; er sitzt auf dem Stängele und muß sich noch immer mit seinen Krallen festhalten; das ist noch immer eine Thätigkeit, das ist keine vollkommene Ruhe. So auch der Mensch, wenn er sitzt, ruht nicht recht aus, er muß sich dabei noch immer halten; erst wenn man sich niederlegt, alle Glieder sich auflösen läßt und gar keine Muskel mehr anspannt, erst das ist die wahre Ruhe. Darum ist es dem Vogel im Nest und dem Menschen im Bett so wohl. Plato hat den Menschen einen federlosen Zweifüßler geheißen. Was schadet's? er steckt sich in fremde Federn. Der Nazi hat mir einmal gesagt: wenn man einen [379] Raubvogel zahm machen will, hängt man ihn in eine Mühle, damit er nicht schlafen kann, und da wird er so geschlacht wie eine Taube; das ist gerade wie von dem Tyrannen, wo wir einmal in Ehingen gelesen haben, der seine Gefangenen alle Stund' hat wecken lassen. Wenn's ans Plagen geht, da sind die Menschen gar erfinderisch; mit dem Erfreuen sind sie nicht so bei der Hand. Das größte Wunder sind mir immer noch die Säulenheiligen, die allfort gestanden haben. Das ist die größte Selbstüberwindung. Denk nur einmal, wenn man so sein Leben lang immer dastehen müßt', daß einem die Füße ganz pelzig werden. Ahdele 2! ich dank' unserm Herrgott für das Bett; ein gut's Rühle geht über ein gut's Brühle, sagt man bei uns daheim.«

So philosophierte Ivo, Clemens aber gab ihm keine Antwort und seufzte nur einmal leise »Cornelie«. Ivo schlief ruhig ein.

Der Weltgeist, der Geist der Natur, wenn er allnächtlich auf die Klöster herabsah, verhüllte klagend sein Antlitz.

Clemens hielt sich gewaltsam wach, und als es elf Uhr geschlagen, schlich er leise in den Klosterhof. Es war eine linde Sommernacht, es hatte gewittert, zerrissene Wolken ließen das Licht des Vollmondes bald hell erglänzen, bald überdeckten sie es mit ihrem[380] Schatten, Clemens kniete nieder, und die Hände ringend rief er zitternd: »Teufel! Beelzebub! du Herrscher der Hölle, erscheine mir, gib mir von deinen Schätzen, und meine Seele sei dein, erscheine, erscheine!«

Clemens horchte mit angehaltenem Athem, alles war still, nichts regte sich, nur von ferne vernahm man das Bellen eines Hundes. In sich zusammengekauert, lag Clemens lange so, und als noch immer nichts erschien, kehrte er fröstelnd in sein Bett zurück.

Andern Tages saß Clemens blaß und abgehärmt an seinem Pulte, das Buch war vor ihm aufgeschlagen, aber er las nicht. Wie Schlangenwindungen krochen die schwarzen Zeichen vor seinem Auge in einander; da brachte ihm der Briefträger einen Brief. Er hatte ihn kaum überlesen, als er ohnmächtig vom Stuhl herabsank, seiner krampfhaft geballten Hand entfiel ein lithographiertes Billet, darauf stand: »Cornelie Müller und Hermann Adam, Verlobte.« Alles eilte schnell herbei, Clemens wurde zu Bette gebracht. Ivo harrte zitternd und weinend, bis der Athem seines Freundes wieder zurückkehrte; nun aber verfiel Clemens in ein heftiges Fieber, seine Zähne klapperten, und er zuckte stets zusammen, daß man ihn halten mußte. Drei Tage lang lag der Unglückliche im Delirium, er sprach bisweilen von dem Teufel und bellte wie ein Hund; nur einmal sagte [381] er, sanft die Augen zulegend: »Gute Nacht, Cornelie.« Ivo durchlas den an Clemens gerichteten Brief, er hatte dieses Recht stets gehabt, und nun fand er einigermaßen den Zusammenhang. Der Brief enthielt die Nachricht, daß ein reicher Oheim von Clemens' Mutter gestorben sei und sie zur Gesamterbin eingesetzt habe; die freudigsten Hoffnungen für die Zukunft waren hieran geknüpft. Ivo wich nicht von dem Bette seines Freundes, und wenn er fort mußte, löste ihn meist Bartel ab.

Das Krankenlager des Clemens war ein tief schmerzliches. Meist düsterte er so hin mit offenen Augen, aber, wie es schien, ohne etwas zu sehen. Ivo mußte die Hand auf seine brennend heiße Stirne legen, und dann sagte er manchmal, die Augen schließend: »Ah!« Es war wie wenn bei der Berührung der geweihten Freundeshand böse Martergeister aus der engen Behausung des Gehirnes auszögen. Hin und wieder brauste auch Clemens in gewaltigem Ingrimm auf und verfluchte die ganze Welt und ihre Lieblosigkeit; wenn ihn dann Ivo zu begütigen suchte, kehrte sich der Zorn des Gereizten gerade gegen ihn, mit krampfhaft zitternden Händen um sich schlagend, rief er: »O du herzloser Wicht, gelt, mich kannst du quälen?«

Mit frommer Duldung, Thränen in den Augen, nahm Ivo diese rauhe Behandlung hin; ja, er empfand[382] bisweilen sogar eine gewisse innere Freude und Genugtuung darin, für seinen Freund auch dieses über sich nehmen zu dürfen.

Als Clemens am vierten Tage erwachte, war es ihm, als ob sich vor ihm in der Unendlichkeit, aber doch wieder ganz nahe, so daß er es greifen konnte, in der blauen Luft eine Nische aufthäte, die von lauter Licht erfüllt war; um ihn und aus ihm rief es: »Clemens!« Er hatte sich wieder gefunden. Noch oft erzählte er, daß es ihm in diesem Augenblicke war, als ob Gott in seiner Strahlenglorie ihn erhellte und ihn zurückführte zu ihm und zu sich selber. Als er nun endlich wieder zu ruhiger Besinnung gelangt war, sagte er, die Hände hoch erhebend: »Mich hungert nach Gottes Tisch.« Er verlangte nach dem Beichtiger und sagte diesem Alles: daß er den Teufel beschworen, daß dieser ihm geholfen und ihn zu Grunde gerichtet habe. Er bat zerknirscht um eine schwere Buße und Absolution. Der Beichtiger auferlegte ihm eine leichte Buße und bedeutete ihn eindringlich, daß ihm das Vergangene dazu dienen müsse, alle weltlichen Gelüste von sich abzulösen, wie Gott ihn wunderbar gerettet, und wie er fortan nur ihm angehören müsse.

Wer in das Antlitz des Clemens hätte schauen können, als er mit gläubig geschlossenen Augen dalag, und der Beichtiger, den Segen über ihn aussprechend,[383] als Sinnbild der Versöhnung das Zeichen des Kreuzes auf dem Angesichte des Kranken vollführte, wer die Spannung der Muskeln und das Pulsieren der Wangen hätte beobachten können, der hätte es Clemens nachfühlen mögen, welch eine heilige Wandlung mit ihm vorging; es war ihm wirklich und wahrhaft, als ob die Hand Gottes ihn berührte, leicht und lind all die Schwere aus ihm hervorleitete und neuer Lebenshauch ihn durchströmte.

Der wiedererstandene Clemens war ein ganz anderer. Er schlich leise umher, sich oft umschauend, als fürchte er etwas, dann stand er wieder plötzlich stille. Ivo vermochte es nicht, ihn aufzurichten, denn selbst ihm hatte Clemens den ganzen Verlauf seiner Sündhaftigkeit nicht zu bekennen gewagt. –

Wiederum nach der Vacanz war Clemens ganz verwandelt. Er sah wohl blühend aus wie zuvor, aber aus seinem Auge leuchteten geheimnisvolle Flammen.

Einst zog er im Burgholz, in dem nahen Walde, seinen Freund an die Brust und sagte: »Ivo, danke Gott mit mir, er hat mir die Gnade wiedergegeben. Unsere Schuld ist's, wenn der Herr nicht Wunder an uns thut, weil wir uns nicht reinigen zu Gefäßen seines unerforschlichen Willens. Ich habe gelobt, Missionär zu werden und den Wilden das [384] Heil der Welt zu verkünden. Ich habe sie wiedergesehen, die meine Seele dem Herrn gestohlen hatte, aber mitten in ihrem Anblicke verschwand die Welt vor meinen Augen, der Allbarmherzige legte seine Hand auf mich und rettete mich. Er zog mich hinauf auf den Berg. Dort saß ich, bis die Sonne verglühte und die Nacht hereinbrach. Alles umher war still und todt. Da hör' ich plötzlich jenseits im Walde die Stimme eines Singenden; das waren nicht irdische Töne:


›Wol nach dem heißen Afrika.‹


Ich kniete nieder, und der Herr vernahm mein Gelöbniß. Das Herz war mir aus dem Leibe genommen, ich hielt es in der Hand. Ich küßte den Fels unter mir und den Baum neben mir, und ich habe den Geist Gottes aus ihnen in mich eingesogen; ich hörte die Bäume schauern und die Felsen in verhaltenem Harme klagen, sie weinen und trauern und harren des Tages, da das Kreuz geworden ist der Lebensbaum, aufgerichtet zwischen Himmel und Erde, da der HERR HERR wieder erscheint und die Welt erlöst ist, da werden die Felsen freudig hüpfen und die Ströme freudig jauchzen.«

Clemens kniete nieder und fuhr dann fort: »Herr! Herr! begnade mich! lege deine Worte auf meine Zunge, würdige mich der seraphischen Liebe, gieße[385] deine Gnade aus über meinen Herzbruder, zerbrich ihn, daß er mitfühle die Schwerther, die durch deine Brust gegangen und die das Herz der Welt zerschneiden. Ich danke dir, o Herr! daß du mich mit der heiligen Armuth vermählt; ja, ich will mich ganz weihen der glückseligen Thorheit und will mich schmähen und martern lassen, bis die Hütte meines Leibes wieder abgebrochen wird, bis ich die Verwesung dieses Lebens vollendet habe. Herr! Du hast mich reich gemacht, damit ich werde der Armen einer. Selig sind die Armen, selig sind die Kranken!«

Clemens küßte die Füße seines Freundes, lag dann noch eine Weile, das Haupt auf den Boden gedrückt, dann stand er auf, und die beiden gingen still heimwärts.

In der Seele Ivo's bebte namenlose Furcht; wohl fühlte er die Macht des Opfermuthes, die über Clemens gekommen war, aber er sah auch ihre schrecklichen Verirrungen – er fühlte ein Schwerth durch sein Herz fahren.

Willig folgte er seinem Freunde in die Nachtgebiete menschlichen Lebens und Wissens; es war ihm, als müsse er ihn stets begleiten, um zur Hülfe bereit zu sein.

Das Leben der Heiligen war es, was sie vor Allem durchforschten. Ivo sagte einmal: »Ich freue mich der Erkenntnis, daß die Offenbarung fort und [386] fort durch die Menschheit geht; Heilige erstehen, denen sich der Herr geoffenbart und ihnen die Wunderkraft verliehen, und wer sich recht heiligt, dem kann es durch die Gnade werden. Jetzt hat wiederum jede Stadt und jedes Land seinen wahren Heiligen, wie einst die Griechen die falschen Götter. Gott ist überall leibhaftig nahe.«

Clemens küßte, ohne zu antworten, die Stirn Ivo's. Nach einer Weile aber sprach er mit feuriger Zunge von den Helden, die mit leerer Hand die Welt erobert und bewältigt.

Das Leben des heiligen Franz von Assisi nahmen sie mit besonderer Innigkeit in sich auf, seine Bekehrung vom brausenden Weltleben und die Art, wie er zuerst einen Aussätzigen durch seinen Kuß geheilt, zog Clemens besonders an. Ivo aber erquickte sich an der kindlichen Einheit des Heiligen mit der Natur und seiner Wundermacht über sie: wie er einst den Vögeln gepredigt, daß sie das Lob Gottes singen sollen, wie sie stille horchten, bis er das Zeichen des Kreuzes über sie gemacht und sie gesegnet, und sie dann ein schmetternd Lied erschallen ließen; wie er mit einer Nachtigall einen Wett- und Wechselgesang zum Lobe Gottes bis zum Abend fortsang, wie er dann ermüdet war, so daß der Vogel auf seine Hand geflogen kam, damit er ihn segne. Bei der Erzählung von dem Lamme, das der Heilige von der [387] Schlachtbank gerettet und das jedesmal im Chore beim Gesange niederkniete, dachte Ivo mit Freude an sein Muckele.

Als sie lasen, daß der Heilige so hoch begnadigt war, die Wundenmale Christi, die durchstochenen Hände und Füße und die Lanzenwunde im Herzen an seinem eigenen Leibe auf wunderbare Weise zu empfangen, fing Clemens laut zu weinen an.

Er wiederholte seinen Vorsatz, Franziskanermönch zu werden, und forderte auch Ivo zu gleichem auf, damit sie nach der Ordensregel zu zwei durch alle Welt wandeln, Qualen aufsuchen, arm und hilflos nur von Almosen leben.

Mit unersättlicher Gier versenkte sich dann auch Clemens in die Tiefen der Mystik und riß seinen Freund mit sich fort.

Fußnoten

1 Meisterlos, so viel als unbändig, den Niemand bemeistern kann.

2 Verkleinerungsform von Ah.

12. Der Studentle

12.
Der Studentle.

In der Vacanz wurde Ivo wiederum mächtig in das Leben hineingezogen. Da konnte man das Treiben und Wirken der Außenwelt nicht so leicht von sich weisen und sich in eine Welt willkürlicher Gedanken versenken. Solche Ueberhebungen sind meist nur möglich, so lange man außerhalb der Familie, also außerhalb des wirklichen Lebens steht; so wie er [388] ins Dorf zurückgekehrt war, schlangen sich wiederum die Familienbande um ihn, und die vielfach in einander verwebten Lebensgeschicke der Dorfbewohner drangen auf ihn ein. Er kannte ja das innere Gebaren in all diesen Häusern, hinter all diesen Mauern; er fand sich wie nach einem Erwachen wieder.

Eines Abends traf Ivo den Constantin vor seinem Hause, er kaute an einem Strohhalm und sah verdrießlich drein.

»Wo fehlt's« fragte Ivo.

»Was? du kannst mir doch nicht helfen.«

»Nun, so sag's doch.«

»Du hast keinen Sinn für die Welt, du kannst dir nicht denken, was das ist: jetzt ist bald Pfingsten, und da ist der Hammeltanz und – ich hab' keinen Schatz; ich könnte einen haben, aber ich hab' mich zu patzig benommen, und doch mag ich halt keinen andern, und es thät mich gottsträflich verzürnen, wenn sie mit einem andern ging'. Das gibt einen Hammeltanz, daß Gott erbarm'.«

»Wer ist denn die Stolze?«

»Du kennst's wohl, die Emmerenz.«

Ivo erschrak unwillkürlich, er fragte aber doch schnell:

»Hast du schon lange Bekanntschaft mit ihr?«

»Sie will ja nichts von mir, das ist eben die Sach', die thut so heilig und zimperlich wie die keusche Diana.«

[389] »Meinst du's denn auch ehrlich mit ihr und willst du sie heirathen?«

»Was? ehrlich? G'wiß, was denn anders? aber vom Heirathen ist jetzt noch keine Red', kennst du noch das alte Burschenlied:


Lieben, lieben will ich dich,

Ich will dich lieben,

Aber heirathen nicht.«


»Da muß ich der Emmerenz recht geben.«

»Was? sans touche, das kapierst du nicht recht; so ein Mädle muß content sein, wenn es einen Schatz kriegt, wie ich bin. Des Schulzen Bäbele thät mit allen zehn Fingern nach mir langen, wenn ich nur bst! machen thät; aber die könnt' jetzt auch nicht mehr die keusche Kirche vorstellen, wie bei des Georgs Primiz; ich mag sie nicht.«

Während Ivo und Constantin so mit einander sprachen, kamen auch der Peter und der Florian hinzu.

»Ah!« sagte der letztere, »läßt sich der Herr Student auch einmal sehen? Ich hab' gemeint, unsereins wär' ihm zu gering, daß er ihm nur ein Wörtle gunnen thät.«

»Ja,« ergänzte Peter, »alle Buben im Ort sagen: so wär' noch keiner gewesen wie du, Ivo; du thust ja, als ob du von Stuttgart wärst und nicht von Nordstetten.«

[390] »Um Gotteswillen,« sagte der von allen Seiten angegriffene Ivo; »es ist mir nie eingefallen, stolz zu sein; kommet, wir gehen mit einander in's Wirthshaus.«

»Das ist recht,« sagte Florian, »wir feiern heut' Abend meinen Abschied, morgen geh' ich in die Fremd'.«

Die Leute im Dorfe wunderten sich, als sie den Ivo mit dem Kleeblatt dahingehen sahen; das war ein seltener vierblätteriger Klee.

»Haben wir auch einmal die Ehr?« sagte die Adlerwirthin, als Ivo mit den andern in die Wirthsstube trat. »Ich will gleich ein Licht in's Verschlägle stellen. Mit was kann man aufwarten? Soll ich ein Schöpple guten Ueberrheiner bringen?«

»Wir bleiben für jetzt noch bei Württemberg,« sagte Constantin, »und der Ivo trinkt mit uns, er ist ein Nordstetter Bub, grad wie wir auch.«

»Wie du nicht, das wär' schad',« entgegnete die Wirthin.

»Ich will dir einmal 'was aufzuraten geben, du Schneppepperle: worin sind die Weiber und die Gäns' einander ganz gleich?« sagte Constantin.

»Daß so Ganstreiber wie du sie regieren wollen,« erwiderte die Wirthin.

»Bärbele, sei froh: wenn man am Dummsein schwer tragen thät, du könntest schon lange nimmer[391] laufen. Ich will dir's sagen, worin sie gleich sind: an den Gans' und an den Weibern ist Alles gut bis auf den Schnabel. Jetzt gang und hol ein Maß Sechser.«

»Du bist kein' Batzen werth,« sagte Bärbele lächelnd, indem es fortging, um das Befohlene zu bringen.

Wir haben es wohl wieder erkannt, es ist das Bärbele, dessen wir uns noch vom Jäger von Mühringen her erinnern. Der Kaspar hatte den Adler gekauft, und Bärbele war eine tüchtige Wirthin; es konnte jedermann gut unterhalten und blieb, wie wohl bekannt, niemand eine Antwort schuldig, so daß sogar die Horber »Herren« nicht mehr bloß in das Schäpfle gingen, sondern auch den Adler mit ihrem Besuche beehrten.

Nachdem eingeschenkt und angestoßen war, begann Florian das Lied: »Es geht ein Pudelmann 1 um unsern Tisch herum, 'rum 'rum.« Dann wurde »Sasa geschmauset« gesungen, und die Worte »edite, bibite« waren in »hebet sie, leget sie« übertragen; diese Einbringung fremder Kultur war das Werk Constantins. Die Bursche thaten sich nicht wenig zu gut auf ihre neuen Lieder. Ivo sang mit lächelnder Miene mit, denn er wollte nicht herrisch erscheinen.

[392] Die drei Kameraden waren trefflich eingeübt. Peter sang die erste Stimme, und obgleich er einen klangvollen Tenor hatte, überbot er ihn doch durch übermäßiges Schreien, denn die singenden Bauern und die predigenden Pfarrer halten meist die in's Unnatürliche getriebene Stimme für schöner und weihevoller. Constantin bewegte sich beim Singen auf und nieder, er ballte die beiden Fäuste und schlug damit in kurzen Sätzen in die Luft; Florian aber lag ruhig mit beiden Armen auf den Tisch gestemmt und drückte wie zu innerer Andacht die Augen zu.

Die Maß war bald getrunken, da rief der Studentle: »Bärbele, noch einmal so, auf Einem Fuß lauft man nicht,« und dann sang er:


Wein her! Wein her!

Oder i fall' um und um.

Umfallen thur i net,

Lutherisch wur i net,

Wein her! Wein her!

Oder i fall' um.


Gleich darauf aber sang er wieder:

Und die ni gar et mag,

Die sieh ni alle Tag,

Und die ni gerne hätt',

Die ist so weit aweg;

[393]

Kein' Schöne krieg i net,

Kein' Wüste mag i net,

Und ledig bleib' i net:

Was fang i an?


»Ist's wahr, Constantin?« fragte Bärbele, »kannst du so gut polnisch betteln gehen? Hat dich die Emmerenz mit einem Helf dir Gott 2 um ein Haus weitergeschickt?«

»Ich parir' drei Maas vom Besten, sie geht mit mir zum Hammeltanz und mit keinem Andern.«

Florian sang:


»Wegen ein'm Schätzle trauern,

Das wär mir e Schand,

Und i kehr mi glei um,

Geb er Andre die Hand.«


Peter erwiderte:

Wenn i schaun kein Schatz haun,

I leb ohne Sorge;

Es wurd alle Tag Obed

Und wieder morge.


Constantin sang:

Wenn's schneit, so schneit's weiß,

Und wenn's g'friert, so g'friert's Eis;

Und was die Leut' keit,

Des thur i mit Fleiß.


[394] Florian dagegen:

Heut ist es grad acht Tag',

Hot mir mein Schatz aufg'sagt;

Es hat so bitter g'weint

Und i haun g'lacht.


Und:

Drei Wochen vor Ostern,

Do goht der Schnee weg,

Do heiret mein Schätzle,

No haun i en Dreck.


»Nicht so, man muß den Stiel umkehren; so muß es heißen,« sagte Constantin und sang:

Drei Wochen vor Ostern,

Da geht a weg Schnee,

Da heiret mein' Wüste,

Do haun i e schön'.


Ein schallendes Gelächter und allseitiger Lobpreis aus allen Ecken der Stube lohnte das neue Gesätz.
Der Peter sang:

Schätzle, du närrt's,

Du liegst mir im Herz

Und du kommst mir et draus,

Bis das Leben ist aus.


[395] Und:

Wenn i nu wüßt',

Wo mei Schätzele wär',

Und da wär' mein Herz

Nit halb a so schwer.


Florian sang wieder:

Und wenn man will recht fröhlich sein

Und leben ohne Kummer,

Muß mer heiren wie die Vögelein:

Nur auf ein einzigen Sommer.


Constantin sang:

Zu dir bin i gange,

Zu dir hat's mi g'freut.

Zu dir gang i nimmeh,

Der Weg ist mir z'weit.


Es wär mir et z'weit,

Und er wär' mir schon recht,

Und du kannst dir's wohl denken,

Du bist mir viel z'schlecht.


Ivo saß mit unruhigem Sinnen hinter dem Tische. Er dachte darüber nach, wie oft er um diese Stunde bei der einsamen Lampe die Geheimnisse der Weltschöpfung und Erlösung zu enträtseln trachtete, wie da all das Treiben der Menschen, all die Wünsche des Einzellebens fernab von ihm lagen, [396] und nun stellte er all diesem das Leben seiner Altersgenossen entgegen. Der Mittelpunkt ihres Denkens und Treibens war die Liebe, in derbem Spott wie in zarten Sehnsuchtshauchen klang das einzige Gefühl doch überall durch – das ganze Dasein fiel ihm wiederum wie von scharfem Stahl zerschnitten in zwei Hälften auseinander, in Geistlich und Weltlich. Bärbele hatte ihn genau beobachtet, es hatte das mißbehagliche Zucken in seinem Antlitze wohl entdeckt, es ging daher auf die Singenden zu und sagte:

»Ei wie? schämet ihr euch nicht? könnet ihr denn nicht auch ein ordentlich Lied singen?«

Constantin erwiderte:


Ei, g'fällt's Euch halt et?

So gefällt es halt mir;

Ei könnet Ihr's besser,

So singet jetzt Ihr.


»Ja, wir wollen, wenn du mitsingst,« sagte Florian.
»Meinetwegen.«
»Nun, was denn?« fragte Peter.
»Ehrlich und fromm.«
»Ist mein Reichtum – nein, das mag ich nicht,« sagte Constantin.
»Nun, das: Morgens früh beim kühlen Tauen.«
[397] »Ja.«
Bärbele begann herzhaft, und die Anderen sangen mit:

Morgens früh beim kühlen Thauen,

Wenn das Gras am längsten ist,

Werd' ich mein schön Schätzlein schauen,

Eh' und bevor es Niemand sieht.


Fuchs und Hasen soll man schießen,

Eh' sie laufen in den Wald;

Junge Mädchen soll man lieben,

Eh' und bevor sie werden alt.


Bis daß der Mühlstein trägt die Reben,

Und herausfließt rother Wein;

So lang der Tod mir schenkt das Leben,

So lang sollst du mein eigen sein.


Ivo dankte dem Bärbele herzlich für das schöne Lied, Constantin aber setzte sogleich drauf:

Aus ist's mit mir,

Und mein Haus hat kein' Thür,

Und mein' Thür hat kein Schloß,

Und vom Schatz bin i los.


Aus ist's mit mir

In dem ganzen Revier,

Und wann die Donau austrocknet,

So heirathen wir.


[398]

Und sie trocknet net aus

Und ist alleweil naß,

Jetzt muß ich gehn schauen

Um ein' anderen Schatz.


»Wollen wir jetzt das: Es ging ein Knab' spazieren?« fragte Bärbele.
»Laß du ihn nur daheim,« entgegnete Constantin.
»O du! wärst du daheim blieben, hätt' man dich nicht heimgeschickt wie das Hundle von Bretten.«
»Fang eins an,« sagte Florian, und sie sangen nun

Froh will ich sein!

Wann's nur dir wohl geht,

Wann schon mein jung frisch Leben

In Trauerheit steht.


Alle Wässerlein auf Erden,

Die haben ihren Lauf,

Kein Mensch ist schier auf Erden,

Der mir mein Herz macht auf.


Die Sonne und der Mond,

Das ganze Firmament,

Soll alles für mich trauern

Bis an mein selig End'.


Ivo saß unruhig auf seinem Stuhle, in diesem Liede war sein Schicksal ausgesprochen.

[399] »Bleib nur da,« sagte Constantin, der die Unruhe Ivo's bemerkte.

»Bärbele, bei dir geht's nicht wie bei dem Wirth zu Emmaus, du gibst zuerst den guten und dann den schlechten, du hast da lutherisch und katholisch untereinander gebracht, der Wein ist eine gemischte Ehe.«

»Wenn die Mäus' satt sind, nachher schmeckt das Mehl bitter,« erwiderte die Wirthin.

»Wisset ihr was?« rief Constantin, »jetzt trinken wir warmen Wein.«

»Du hast g'nug für heut,« sagte Bärbele.

»Was wir nicht trinken, schütten wir in die Schuh'. Heut' wollen wir einmal einen Kommers halten, du bist doch auch dabei, und du, und du?«

Alles nickte bejahend, und Florian sang:


Bruder, trink einmal,

Wir seind ja noch jung,

Im Alter ist es immer

Für Sorgen Zeit genung.

Denn der gute Wein

Ist für gute Leute,

Bruder, laß uns heute

Froh und fröhlich sein.


Als der warme Wein kam, sang Constantin, mit den Füßen stampfend und mit den Fäusten auf den Tisch schlagend:


[400]

I und mein altes Weib

Können schön tanzen.

Sie nimmt den Bettelsack,

I nehm' den Ranzen.

Schenk mir einmal bayrisch ein,

Bayrisch wollen wir lustig sein:

Bayrisch, bayrisch, bayrisch wollen wir sein.


Sie ging wohl in die Stadt,

I bleib' da draußen;

Was sie erbettelt hat,

Thur ich versaufen.

Schenk mir einmal bayrisch ein u.s.w.


Es war schon spät, ein Knabe hatte Ivo den Hausschlüssel gebracht, der Schütz war gekommen, um »abzubieten«, aber Constantin beschwichtigte ihn durch ein Glas Wein; gleiches gelang auch bei dem bald eintretenden Nachtwächter. Constantin begann die Professoren nachzuahmen und von seinen Studentenstreichen zu erzählen. Sich entschuldigend stand Ivo auf, um nach Hause zu gehen, die andern wollten ihn halten, Constantin aber machte ihm Platz, besonders weil er sich scheute, im Beisein Ivo's fremde Heldenthaten sich selber anzueignen; er sagte daher nur noch:

»Trink aus, du könntest sonst über den Stumpen fallen.«

[401] Ivo leerte noch das Glas glühenden Weines und sagte gute Nacht.

»Nimm die Stubenthür zu dir in's Bett,« rief ihm noch Constantin nach; Ivo hörte es nicht mehr.

Eine linde Vollmondsnacht legte sich über die Erde, es war, als ob das sanfte Licht überall hin Stille und Ruhe ausbreitete. Ivo hielt oft an und legte die Hand auf die hochklopfende Brust, er zog die Mütze ab, um sein Haupt um und um von den sanften Lüften anfächeln zu lassen. Als er sich zu Hause entkleiden wollte, fühlte er doppelt, wie all sein Blut in ihm wogte, wie die schnellen Takte seiner Pulse sich jagten; er verließ daher nochmals das Haus, um draußen in dem Frieden der Nacht Ruhe zu finden. Auf der Landstraße und durch die Felder schritt er hin, er war so froh und selig, er fragte nicht warum, er hätte ewig so fortwandeln mögen, so mit freudig hüpfender Brust: der Geist des Lebens war wiederum in ihm auferstanden und trug ihn schwebend auf der schönen, friedlichen Erde. Als er endlich wieder heimgekehrt war, sah er die Thüre an der Ehren 3-Kammer halb offen. Ohne daß er es wußte oder wollte, ging er hinein und stand wie festgezaubert: da lag Emmerenz. Der Mond beschien ihr Antlitz, ihr Haupt lag unter ihrem rechten Arme und die linke Hand ruhte an [402] dem Gelände. Die Brust Ivo's hob sich, sein ganzes Wesen erzitterte, er wußte nicht, wie ihm geschah, aber er beugte sich über Emmerenz und küßte sie so leise und zart wie der Mondstrahl auf ihre Wangen; Emmerenz schien es doch zu fühlen, denn, sich auf die andere Seite legend, sagte sie nur halblaut: »Ein' Katz, Katz, Katz.« Ivo stand noch eine Weile still, mit emporgestrebten Armen lauschend, ob sie nicht erwacht sei; als sie aber ungestört fortschlief, ward Ivo von der Heiligkeit dieser Ruhe bewältigt, er schlug sich zähneknirschend mit geballter Faust vor die Stirne und verließ das Gemach. In seinem Zimmer warf er sich dann auf den Boden, und seine Seele im tiefsten Grunde marternd rief er: »Herr Gott! vergib, laß mich sterben, denn ich habe gesündigt. Ich bin ein Verworfener, Nichtswürdiger. Herr Gott! strecke deine Hand aus und zermalme mich.« – –

Von Kälte geschüttelt, erwachte Ivo, es war Tag, er legte sich zu Bett. Die Mutter brachte ihm den Kaffee vor das Bett, sie fand ihn sehr übel aussehend, sie wollte es nicht zugeben, daß er aufstehe; Ivo aber ließ sich nicht davon abhalten, denn er wollte und mußte zur Kirche gehen.

Als Ivo vor dem Stalle vorüberging, hörte er die Emmerenz drin singen:


[403]

I haun koan Haus

Und haun koan Hof,

I haun koan Feld

Und haun koan Geld,

Und so e Mädle,

Wie ni bin,

Hot koan Freud' auf der Welt.


»Warum so traurig?« konnte sich Ivo nicht enthalten zu fragen, »hast du schlecht geschlafen?«

»Vom schlecht Schlafen weiß ich nichts, ich bin müd, wenn ich in's Bett komm', und da fallen mir die Augen zu; das Lied ist mir halt grad so eingefallen.«

»Brauchst nichts zu verhehlen, gelt, du hättest eben doch gern den Constantin zum Schatz?«

»Den? lieber den Franzosensimpel oder den blinden Koanradle; ich hab' kein Gelust, das halb Dutzend bei ihm voll zu machen. Ich brauch' kein' Schatz, ich bleib' ledig.«

»So sprechen alle Mädchen.«

»Du wirst schon sehen, daß mir's ernst ist.«

»Wenn du einen braven Mann kriegen kannst, mußt du nicht zu heikel sein.«

»Was könnt' ich kriegen? so einen alten Wittwer, der schon ein paar Weiber unter die Erd' geliefert hat. Nein, wenn ich einmal nimmer bei euch bleiben kann, bin ich kurz resolviert; ich hab' dem Gretle [404] versprochen, ich komm' zu ihm nach Amerika. Es macht mir aber rechtschaffen Freud', daß du dich auch noch um mich kümmerst; so ist's ja nicht, daß, wenn man Geistlich wird, man gar nicht nach seinen alten Freunden umgucken darf?«

»Ich wünsche von Herzen, daß ich dir zu deinem Glücke verhelfen könnte.«

Emmerenz sah ihn freudestrahlend an, dann sagte sie: »Das hab' ich mir immer denkt, du bist allfort gut gewesen, ich hab's nie glaubt, daß du stolz seist. Frag nur dein' Mutter, wir reden oft von dir. Spürst als nichts in deinem rechten Ohr?«

Die beiden plauderten noch eine Weile so mit einander. Emmerenz erzählte, daß sie der Mutter die Briefe vorlese und daß sie sie fast ganz auswendig wisse. Ivo hielt es für seine Pflicht, sie darauf aufmerksam zu machen, daß er auch ihrer nicht vergessen habe und daß sie nur stets recht brav sein solle; er sagte dieß Alles mit großer Selbstbeherrschung, denn das treuherzige Wesen des Mädchens hatte einen gewaltigen Eindruck auf ihn gemacht.

Es läutete, und an einigen mit ihren Gebetbüchern heimkehrenden alten Frauen merkte Ivo, daß er die Frühmesse versäumt hatte.

»Wo schaffst du denn heute im Feld?« fragte er noch.

»Draußen im Weiherle.«

[405] Mit einem »B'hüt di Gott« ging Ivo auch hinaus in's Feld, aber gerade nach der entgegengesetzten Seite; es zog ihn oft dahin, wo er wußte, daß Emmerenz war, dann ging er aber um so schneller, um der Versuchung seines Herzens Trotz zu bieten. Endlich kehrte er nach Haus und nahm ein Buch vor, um zu studieren; aber er konnte seine Gedanken nicht zusammenbringen. Er nahm Papier und begann einen Brief an seinen Clemens, er wollte ihm sein ganzes Inneres aufdecken, bald aber zerriß er den angefangenen Brief wieder und tröstete sich damit, daß er seinen Freund ja bald wieder sehe.

Gegen alle frühere Gewohnheit war nun Ivo selten zu Hause. Er brachte oft halbe Tage in des Jakoben Schmiede zu. Die Schmieden sind Aufenthaltsplätze für allerlei Nichtsthuer, für alte Leute und Faulenzer; da kommen fremde Fuhrleute, da kommen Einheimische, die die Pferde beschlagen lassen oder schadhaftes Feldgeräthe bringen; wie der Blasbalg immer neu das Feuer anschürt, so strömt auch stets neue Unterhaltung herzu. Ivo dachte viel darüber nach, wie es geworden wäre, wenn der Wunsch seiner Kindheit in Erfüllung gegangen und er das Schmiedehandwerk erlernt hätte. Er nahm sich vor, einst, wenn er Pfarrer sei, diese Orte oft zu besuchen und hier gelegentlich[406] manches gute Wort anzubringen. Und wenn er daran dachte, daß er vielleicht nie zum geistlichen Amte gelange, sagte er sich innerlich: »Immerhin, aber nur nicht so werden wie der Studentle.«

Fußnoten

1 Burschcomment.

2 Abweisung eines Bettlers.

3 Ehren – Hausflur.

13. Der Zwiespalt

13.
Der Zwiespalt.

Als Ivo wieder in das Kloster zurückgekehrt war, ließ er mehrere Tage vorübergehen, ehe er die Bewegung seines Innern seinem bleich gewordenen Freunde Clemens mittheilte; er schauderte mit Recht vor dieser Eröffnung.

Als sie wiederum im Burgholz waren, faßte Clemens die Hand Ivo's und sagte: »Ich habe es im Traume gesehen, wie Satan sein Netz über dich ausspannte.«

Ivo gestand seine Liebe zu Emmerenz.

»Wehe!« rief Clemens, »wehe! auch über dich ist der Versucher gekommen! Aergert dich dein Auge, so reiß es aus, du mußt die Höllenflamme in dir zertreten und sterbe auch dein Leben mit.«

Ivo mußte nun alsbald zur Beichte gehen. Auch von ihm erfuhr man nie, welche Buße ihm auferlegt wurde, nur willigte er gern in den Vorschlag des Clemens, daß sie fortan auf der Erde schliefen und sich auch sonst auf allerlei Weise kasteiten.

[407] Clemens schlief fast immer auf der Erde, sitzend mit ausgebreiteten Armen, in der Form des Kreuzes.

Mit aller Macht seines Willens wendete Ivo seine Seele von den Weltgedanken ab, und es gelang ihm wiederum, sich ganz in die Gottesgelahrtheit zu versenken. Bald aber verfolgte ihn auch in diese heiligen Gebiete ein fremder Dämon. Er wagte es nicht, dieß Clemens mitzutheilen; denn dieser hätte von neuem kläglich Zeter gerufen.

So war der Zerfall der beiden Freunde schon vorbereitet, der endlich ganz unerwartet zum Durchbruche kam.

Clemens sprach einst von der Gottheit Christi, der den martervollen Kreuzestod über sich genommen, und wie ihn das erst als Gott und Heiland der Welt offenbare.

»Ich sehe an dem Kreuzestod nichts so Uebermenschliches,« sagte Ivo ganz ruhig. »Es ist heilig, aber nicht übermenschlich, als Unschuldiger für ein erhabenes Streben zu sterben. Nicht der gekreuzigte Christus, sondern der lebende und lehrende, der so allliebend war, wie noch keiner vor ihm, der ist mein Heiland; er wäre mir derselbe, wenn er die Treue seiner göttlichen Sendung auch nicht mit dem Martertode besiegelt, wenn die verblendeten Juden ihn anerkannt und ihn leben gelassen hätten. Nicht der gekreuzigte, sondern der lebendige Christus, sein [408] göttliches Leben und seine göttliche Lehre ist mein Heiland, mein Erlöser.«

Clemens stand da und zitterte am ganzen Körper, seine Lippen quollen auf, sein Auge rollte wild, und mit gewaltiger Faust schlug er Ivo in's Gesicht, daß diesem die Funken aus den Augen sprühten und die Wange brannte.

Ivo stand ruhig da, Clemens aber fiel vor ihm nieder, faßte seine Hand und schrie:

»Wirf dich mit mir in den Staub, Elender! Wahrlich, die schwerste Züchtigung, die für deine Gottlosigkeit dir werden konnte, hat der Herr durch meine Hand an dir vollführt; ich wollte es nicht, aber der Herr hat meinen Arm gegen dich geschleudert. Du bist mein Herzbruder, und durch mich mußtest du gezüchtigt werden, daß du es fühlest, wie zweischneidige Schwerther durch dein Gebein fahren. – Wirst du mich von dir stoßen, so ist das die härteste Strafe, die der Herr über dich verhängte; er will dir deinen besten Freund nehmen. Thue, wie dir dein Geist befiehlt, verstoße mich, dann bist du zwiefach elend. In tiefe Nacht muß dich der Herr tauchen, damit du zum Licht kommst, mit Wermuth muß er dich tränken, mit Galle dich sättigen, bis der Lügengeist aus dir ausfahre und der Sündenschlamm von dir abfällt. Herr! laß dir dieß Opfer wohlgefallen, ich opfere dir ein Stück meines Herzens, [409] meinen Freund. Du bist mein Freund, o Herr! Vergib mir, daß meine Seele noch an ihm hing, der da ist ein Fraß der Würmer. Begnadige mich, o Herr! reiche mir den vollen Becher des Schmerzes, führ mich den Dornenweg, zu dir, zu dir!«

Wehmüthig stand Ivo da und blickte auf seinen Freund, dessen überquellende Heftigkeit er wohl kannte; er wollte ihn aufrichten, Clemens aber wehrte es ab, und Ivo erkannte bald den vollen Gedankenlauf dieser Verzückung. Mit unbeschreiblichem Schmerze sah er dann hier in seinem lebendigen Freunde dessen Leiche vor sich, und wiederum war es ihm, als stünde sein eigener Geist vor dem eigenen entseelten Körper und sähe ihn zum letztenmal zusammenzucken; ihm schwindelte. Er versuchte es nochmals, Clemens aufzuheben, dieser aber richtete sich straff auf und fragte Ivo gebieterisch:

»Willst du Buße thun? Willst du mit den Thränen der Reue den Rost deiner Seele abwaschen?«

»Nein.«

»So fahre zur Hölle!« rief Clemens, Ivo abermals packend; dieser aber wehrte kräftig ab, und der Wilde sagte bittend: »Schlage mich, tritt mich, ich will Alles gern über mich nehmen, aber retten muß ich dich, das will der Herr.«

Ivo kehrte sich ab und verließ lautlos seinen Freund.

Still und gedankenvoll ging Ivo lange Tage [410] umher: die volltönendste Saite seiner Seele war in schrillem Mißklange zerrissen, er hatte eine schöne Liebe begraben, seine Trauer war tief und namenlos. – Jetzt auch, da er ein Extrem der Glaubensschwärmerei vor sich gesehen hatte, regten sich viele halbschlummernde Zweifel und Bedenken lebhafter, er war »zwiefach elend«, wie Clemens verheißen, aber er konnte sich nicht retten.

Der Horber Kaplan war als Professor nach Tübingen gekommen, er hatte noch immer eine gewisse Vorliebe für Ivo; dieser schloß sich ihm inniger an und eröffnete ihm die Marter seiner Seele.

Sonderbar! gerade über die Jungfrau Maria wagte Ivo die meisten Bedenken. Er fragte zuerst, ob sie »eine Heilige, auch allgegenwärtig sei«, da man doch überall zu ihr bete. Der Professor sah ihn etwas betroffen an, dann sagte er: »Der Begriff der Gegenwart ist ein bloß menschlicher, den körperlichen Dingen entnommen, eigentlich nur für sie geltend; indem wir das Wörtchen ›all‹ zu ›gegenwärtig‹ hinzusetzen, wollen wir nun die Gesamtheit des Daseins zusammenfassen, wir glauben nun dadurch einen neuen Begriff zu gewinnen, in der That aber haben wir keinen. Wie wir überhaupt nichts Ueberirdisches als solches in Begriffe fassen können, ist also das Dasein eines Geistes durch den Begriff der Gegenwart gar nicht meßbar. Wir fassen [411] überhaupt alles Ueberirdische nicht durch den Begriff, sondern durch den Glauben.«

Ivo befriedigte sich vollkommen mit dieser Antwort; schüchtern wagte er noch die Frage, wie man von der Jungfrau Maria sprechen könne, da doch in der Bibel Brüder Christi erwähnt würden.

Der Professor erwiderte: »Das griechische Wort ἀδελφός 1 ist nicht wörtlich zu nehmen, das ist ein orientalischer Ausdruck, aus dem Hebräischen genommen, und heißt so viel als Verwandter, Freund.«

»So wäre also der Ausdruck ὑιὸς ϑεοῦ 2 auch nicht wörtlich zu nehmen, und wäre auch bloß orientalischer Ausdruck?«

»Keineswegs, hierfür sprechen ausdrücklich die messianischen Stellen des Alten Testaments, die Evangelien und die Satzungen der Kirche, und dann,« setzte er hinzu, indem er die Mienen Ivo's scharf beobachtete, »ist die ganze Menschwerdung Gottes nur dazu, um dem menschlichen Begriff einen Halt zu geben, da, wie ich vorhin gesagt, wir das Ueberirdische nicht begreifen können. Das Wesen derselben ist und bleibt eben ein Mysterium, das wir nur glauben können, und der Glaube wird in dir wohnen, wofern du dich nur recht befleißest, deine Seele rein und kindlich zu erhalten.«

[412] »Ja, das ist nicht so leicht,« sagte Ivo zaghaft.

»Ich will dir einen bewährten Rath geben,« sagte der Professor, die Hand auf die Schulter Ivo's legend: »so oft ein Gedanke in dir aufsteigt, der dich vom Glauben entfernt, such ihn augenblicklich zu bannen durch Gebet und Studium, laß ihn nie länger in dir walten. Es geht uns mit unserm Gotte, wie mit einem Freunde; haben wir uns länger innerlich von ihm entfernt, so finden wir leicht den rechten Weg zu seinem Herzen nicht mehr.«

Diese Lehre und dieses Gleichniß trafen Ivo gewaltig, aber es war zu spät.

Man sollte vermuthen, solcherlei Forschungen hätten Ivo über die Kirche hinaus bis an die äußersten Grenzen des Denkens treiben müssen, aber er war und blieb ein gläubiges Gemüth; er war vom Vorhandensein der Wunder lebendig überzeugt, und nur eine Seele, die noch auf dem Zauberboden der Wunder steht, weilt noch auf dem Gebiete des wahrhaften Kirchenglaubens: der Glaube ist die Hingabe an ein Unerklärbares oder Unerklärtes, an ein Wunder.

Das Widerstreben Ivo's gegen das geistliche Studium hatte noch ganz andere Grundlagen, die ihm jetzt immer deutlicher wurden; die alte Lust nach einem thätigen Leben regte sich in ihm.

Eine frühere Gedankenreihe, die schon im Kloster[413] zu Ehingen begonnen, aber wieder abgebrochen ward, setzte sich in Ivo fort. »Nicht die schweißvolle Arbeit der Hände,« sagte er zu sich, »ist die Strafe für die erste Sünde, sondern, weil die Menschen vom Baume der Erkenntniß einmal gegessen, müssen sie nun ewig danach streben, ohne sich ganz daran ersättigen zu können; im Schweiße ihres Angesichts suchen sie das Brod ihres Geistes, die flatternden dürren Papiere sind die Blätter am Baume der Erkenntnis, zwischen welchen die Frucht versteckt sein soll. Glückselig, wem der heilige Christbaum mit seinen von höherer Hand angezündeten Lichtern der volle Baum der Erkenntniß geworden. Arbeit! Arbeit! Nur das Thier lebt und arbeitet nicht, es gehet aus, um seine Nahrung zu suchen, und bereitet sie nicht; der Mensch aber greift ein in die ewig schaffende Kraft der Erde, frei mitwirkend in der Thätigkeit des Alls erringt er den Segen der That, kommt Ruhe und Friede über ihn. Ihr verblendeten Römer! Euer Wahlspruch war: Leben heißt Krieg führen, und ihr ginget hin, eure Brüder zu unterjochen, um im stolzen Triumphe in die Roma einzuziehen. Nein! Leben heißt arbeiten. Wohl ist das auch ein Kampf mit den stillen Mächten der Natur, aber ein Kampf des freien Lebens, der Liebe, der die Welt neugestaltet: des Steines Härte weicht des Meißels Kraft und füget sich zum schönen Gebäude; und vor Allem sei du mir gepriesen, Ackerbau! In [414] der Erde Furchenwunden streuest du siebenfältig Leben. Da hebt sich das Herz, da wächst der Geist. Und wie wir die Erde bebauen, sie uns unterthan machen, so lernen wir auch unsere Erdennatur, die wir mit uns herumtragen, beherrschen und lenken; und wie wir des Segens und des Sonnenscheins von oben harren, der unser Werk aufgehen und reifen macht, so ist es dein Wille, o Herr! die Gnade über uns auszugießen, damit die Saat unseres Geistes gedeihe und unsern Leib heilige. Gib mir, o Herr! einen kleinen Fleck Erde, und ich will ihn siebenfältig umarbeiten, auf daß die verborgenen Säfte aufschießen in Halme, die sich vor dem Hauch deines Mundes anbetend neigen. Ich will meine schwieligen Hände lobpreisend zu dir erheben, bis du mich hinaufziehst in das Reich deiner Glorie.«

»Ich möcht' wohl Pfarrer sein,« sagte er ein andermal vor sich hin, »aber nur des Sonntags: so die ganz' Woch' mit nichts als mit unserm Herrgott und von dem leben, was man von ihm weiß, in der Kirche so daheim sein wie in seiner Stub', da hat man gar keine Kirche und keinen Sonntag mehr. Ach, lieber Himmel! wie schön war mir's, wenn ich des Morgens in die Kirche gekommen hin und hab' ›guten Morgen, Gott‹ gesagt; die Sonne hat ganz anders geschienen, die Häuser haben anders ausgesehen, und die Welt war ganz anders wie an [415] einem Werktag.« Ivo mochte an Emmerenz gedacht haben, denn er sagte weiter: »Das lutherische Pfarrleben gefällt mir auch nicht. Vom Predigen eine Frau und einen Haufen Kinder ernähren, nein! nein!« Dann kamen wieder leise die theologischen Bedenken, und er sagte einmal: »Die Theologie verdirbt die Religion. Was braucht's da viel? Liebe Gott und liebe deinen Nächsten. Punktum.«

So erzitterte und erbebte das ganze Wesen Ivo's. Der Gedanke an Emmerenz jagte ihm oft Fiebergluthen in das Antlitz, und dann überrieselte ihn wieder Eiseskälte, wenn er an sein Schicksal dachte.

Ivo dachte nun viel darüber nach, wie er den Eltern seinen unabänderlichen Entschluß, aus dem Kloster zu treten, mittheilen wolle; es war schwer, ihnen klar zu machen, daß er keinen rechten Beruf zum Geistlichen und auch den vollen Glauben nicht in sich fühle. Da kam plötzlich ein Bote aus Nordstetten mit einem Briefe vom Schultheiß an den Direktor, der den Wunsch enthielt, Ivo einige Tage nach Hause zu entlassen, da seine Mutter eine schwere chirurgische Operation nur in seinem Beisein bestehen wolle.

Von Angst gejagt, eilte Ivo mit dem Boten nach Hause. Er erfuhr, daß seine Mutter schon vor längerer Zeit beim Fallen von der Treppe einen Arm gebrochen, daß sie aber nicht darauf geachtet, [416] und nun, als es schlimmer geworden sei, der Arm noch einmal gebrochen und wieder eingerichtet werden müsse, sonst müsse sie sterben; nur ihrer Kinder wegen, für die sie sich erhalten müsse, wolle sie sich der schmerzlichen Operation unterziehen.

Es durchschnitt Ivo die Seele, daß der Bote immer von seiner Mutter sprach, wie wenn sie schon gestorben wäre, oder sicherlich »nicht mehr davonkäme«. »Sie war die rechtschaffenste Frau, so weit man kocht,« war der stete Schluß seiner Reden.

Das Wiedersehen von Mutter und Sohn war herzergreifend, und die Mutter sagte. »So, jetzt kann ich Alles besser aushalten, wenn du da bist.«

Andern Tages kam der Chirurgus, er wollte, daß man der Frau die Augen verbinde, sie aber sagte: »Nein, rücket das Bett in die Mitte des Zimmers, so daß ich den Heiland sehen kann, und ihr werdet's erfahren, ich werd' nicht zucken und keinen Laut geben.« – Nach vielem Einreden und Widerstreben wurde ihr willfahrt. In der einen Hand, an ihrem kranken Arme, hielt sie den Rosenkranz, mit der andern hielt sie die Hand ihres Sohnes fest, ihr Auge war starr nach dem Kruzifix gerichtet, und sie sagte: »Lieber Heiland! Du hast die höchsten Schmerzen mit göttlichem Lächeln ertragen, lieber Heiland, gib mir Kraft, halte mich fest, wenn ich zittern will, und wenn die Schwerther mir durch die Seele [417] fahren, will ich dein gedenken, o heilige Mutter Gottes! und stille dulden. Bete mit mir, lieber Ivo.«

Ohne einen Laut von sich zu geben, ließ sie die Operation vollziehen, und als der Knochen unter gewaltigem Drucke knackte, als Alles ringsum weinte und stöhnte, als der Vater halb ohnmächtig in die Kammer geführt und hinter der verschlossenen Thüre sein halb unterdrücktes Schluchzen laut wurde, da war die Mutter Christine still und regungslos, nur ihre Lippen bewegten sich, ihr Auge war fest auf den Heiland gerichtet, und ein heiliger Glanz leuchtete daraus hervor.

Als nun Alles vollbracht war, und selbst der Chirurgus nicht umhin konnte, die Heldenkraft der Kranken zu preisen, da sank Christine in die Kissen zurück, ihr Auge schloß sich, aber eine lichte Glorie schwebte auf ihrem Antlitze. Alle Anwesenden standen in stummer Bewunderung. Der Vater war wieder eingetreten. Er beugte sich über seine Frau; als er ihren Athem fühlte, blickte er mit einem schweren Seufzer und dem Rufe: »Gelobt sei Gott!« nach oben. Ivo kniete an dem Bette nieder, er blickte zu seiner Mutter auf und betete die Verklärte an. Alles faltete still die Hände, niemand wagte einen Laut, und es war, wie wenn der lebendige Geist Gottes durch alle Herzen zöge.

[418] Als die Mutter Christine erwachte und »Valentin!« rief, eilte dieser auf sie zu, faßte ihre Hand, drückte sie an sein Herz und weinte.

»Gelt,« sagte er endlich, »du verzeihst mir? du sollst g'wiß kein unschön Wörtle mehr von mir kriegen. Ich bin dich nicht werth, das seh' ich erst jetzt doppelt ein; und wenn unser Herrgott dich mir genommen hätt', ich wär' toll geworden.«

»Sei nur ruhig, Valentin, ich hab' dir nichts zu verzeihen; ich weiß wohl, du bist gut, wenn du auch manchmal nicht so bist, wie du bist. Gräm' dich nur jetzt nicht, Valentin, es geht wieder Alles gut. Unser Herrgott hat uns nur versuchen wollen.« – –

Die Mutter Christine genas wunderbar schnell. Valentin hielt getreulich Wort. Er wachte um seine Frau wie um ein höheres Leben, der leiseste Wink ihres Auges war ihm ein fröhliches Gebot; man mußte ihn zwingen, sich nur etwas Nachtruhe zu gönnen.

Emmerenz und Ivo wechselten ab, um bei der Mutter zu wachen, und diese sagte manchmal: »Ihr seid liebe, brave Kinder, unser Herrgott wird's euch g'wiß gut gehen lassen.«

Oft auch, wenn die Mutter schlief und das Eine kam, um das Andere abzulösen, redeten sie noch lange mit einander. Ivo offenbarte der Emmerenz [419] den tiefsten Wunsch seiner Seele nach einer anstrengenden Arbeit, und sie sagte: »Ja, ich kann mir's denken, ich könnt' nicht leben, wenn ich nicht recht tüchtig zu schaffen hätt'; ich will mich nichts berühmen, aber im Schaffen nehm' ich's mit einer jeden im Dorf auf.«

»Und wenn du erst ein eigen Hauswesen hättest, gelt, da thätest du erst rechtschaffen arbeiten?«

»Ja,« sagte Emmerenz und streifte ihre kurzen Hemdärmel noch besser hinauf und straffte ihre kräftigen Arme, gleich als müsse sie jetzt augenblicklich zugreifen. »Ja, wenn das wär'! aber es ist mir auch so kein' Arbeit zu viel.«

»Nun,« sagte Ivo, »denkst du denn auch als etwas bei der Arbeit?«

»Ja, g'wiß.«

»Was denn?«

»Was einem eben so in den Sinn kommt, ich hab' mich noch nie darum besonnen.«

»Nun sag mir's zum Beispiel.«

»Ja, da weiß ich nichts.«

Das sonst so zuversichtliche Mädchen wußte sich vor Verlegenheit gar nicht zu helfen.

»Schämst du dich, mir's zu sagen?«

»Kein Brösele, aber ich weiß halt nichts.«

»Nun, was hast du heut morgen beim Dinkelschneiden 3 [420] gedacht? was für Gedanken sind dir durch den Kopf gegangen?«

»Ja, da muß ich mich besinnen, du darfst mich aber nicht auslachen.«

»Nein.«

»Zuerst hab' ich, glaub' ich, an gar nichts gedenkt. Du könntest mich drauf rädern, es fällt mir nichts ein. Ja doch, ich hab' dacht, wie lang wir da zu schneiden haben. Hernach bin ich auf ein Wachtelnest gestoßen, da sind ganz junge Vögele drin gewesen; jetzt hab' ich's auf die Seite than, daß es die Buben nicht kriegen. Jetzt hätt' ich gar zu gern die Alten gesehen, wie die sich wundern, wenn auf einmal ihr Haus an einem andern Fleck steht. Jetzt ist mir das Lied vom Nazi eingefallen, du kannst's ja auch so schön singen, das von der armen Seel'. Jetzt hab' ich so dacht: wo mag auch der Nazi sein? Jetzt, ja, jetzt hab' ich dacht: es ist gut, daß bald Mittag ist, denn ich hab' einen wetterlichen Hunger gehabt. So, das ist Alles. Gelt, das ist nicht viel?« Scheu zupfte das Mädchen an seinen Kleidern und wollte den Blick gar nicht erheben. Ivo fragte nun wieder:

»Denkst du denn nicht auch als daran, wie wunderbar es ist, daß Gott das Samenkorn, das der Mensch säet, siebenfältig aufschießen läßt, daß die Saat unter dem Schnee schläft, bis die Frühlingssonne [421] sie weckt – wie viel Millionen Menschen sich schon von dem Safte der Erde genährt und ihn doch nie erschöpfen?«

»Jawohl, das hab' ich auch schon denkt, aber von ihm selber wär' ich nicht drauf kommen; der Pfarrer hat das auch oft in der Predigt und in der Christenlehr' gesagt. Guck, wenn man selbst so viel mit dem Sach' zu schaffen hat, da kommt man auf keine solche Gedanken, da denkt man halt: ist's bald zeitig, und gibt's viel aus? Die Pfarrer, die nicht im Felde schaffen, die keinen Dung 'nausführen und nicht dreschen, die kommen eher auf solche Gedanken.«

»Du mußt sie auch öfter aufsuchen, dann findest du sie von selber, thu das, Emmerenz.«

»Jawohl, das will ich, du hast recht, es ist immer gut, wenn man einen ermahnt. Wenn du mich wieder fragst, wirst sehen, kann ich dir mehr sagen; ich bin nicht so dumm.«

»Und recht lieb,« sagte Ivo. Er wollte ihre Hand fassen, hielt aber schnell wieder an sich; dessen aber konnte er sich nicht erwehren, daß er das kernhafte Wesen des Mädchens immer mehr liebte. – –

Mit tief erschütterter Seele kehrte Ivo wieder in das Kloster zurück. Er bewunderte die Heldenkraft seiner Mutter und gelobte sich, ihr nachzustreben; aber noch anderes bewegte seine Brust: das Paradies [422] seines elterlichen Hauses war aus Schmerz und Qual vor seinen Augen wiedererstanden. Er erkannte, welch eine unversiegbare Seligkeit es ist, wenn zwei liebende Herzen fest aneinander halten und im ewigen Wechsel des Lebens sich traut aneinander schmiegen. Der mächtig zurückgehaltene ewige Schmerz trat hervor. Er dachte an Emmerenz – und im dunkeln Tannenwalde saß er und weinte. Drunten im Thale schrillten die grellen Töne einer Sägemühle; Ivo wünschte, daß dies die Bretter zu seinem Sarge sein möchten, die man dort bereite. – –

In der nächsten Vacanz war Ivo wiederum fast immer zu Hause; hier war jetzt ein seliges Leben, Valentin war wie ausgewechselt, kein lautes Wort wurde vernommen, ein jedes behandelte das andere liebreich und zart, es war wie ein steter Palmsonntag aus der Kinderzeit. Aber all diese Ruhe erregte auch in Ivo eine Unruhe, all diese Freude erweckte ihm auch Schmerz und Unfrieden; er erkannte deutlich seine einsam verkümmerte Zukunft, ihm war kein so seliges Leben beschieden.

Zwei gewichtige Ereignisse erhöhten noch das Leben dieser Vacanz; der Johannesle hatte für seinen Constantin ein Haus bauen lassen, Valentin hatte es mit seinen Söhnen aufgerichtet, und Joseph, der in diesen Tagen Meister wurde, hielt den Bauspruch.

[423] Das ganze Dorf war vor dem Hause versammelt, Meister und Gesellen standen hoch oben und steckten die junge Tanne, mit Bändern aller Art geschmückt, auf die Spitze des Giebels. Alles war gespannt auf den ersten Spruch Joseph's. Nach einem einfachen Gruße sagte er:


Allhier bin ich aufgestiegen und geschritten,

Hätt' ich ein Pferd gehabt, so wär' ich heraufgeritten;

Weil ich aber hab' kein Pferd,

So ist es nicht viel sagenswerth.

Das höchste Haupt, der Kaiser gut,

Den Gott erhalt' in seiner Hut,

Ja, alle Fürsten, Grafen und Herren

Das ehrbar' Zimmerhandwerk nicht können entbehren.

Ein Zimmergeselle bin ich genannt,

Ich reise [wie] Fürsten und Herren durchs Land,

Dasselbe mit Fleiß zu besehen,

Daß ich einmal möchte bestehen.

Wann ich hätte aller Jungfrauen Gunst

Und aller Meister ihre Kunst

Und aller Künstler ihren Witz,

So wollt' ich ein Haus bauen auf eine Nadelspitz';

Weil ich aber dasselbe nicht thun kann,

So muß ich bauen nach einem guten Plan.

Wer da will bauen auf Gassen und Straßen,

Der muß einen jeden können reden lassen.

Ich lieb', was fein ist,

Wann's gleich nicht mein ist;

[424]

Wann mir's gleich nicht werden kann,

Hab' ich doch Lust und Freud' daran.

Drauf trinket ein Gläselein Wein,

Kamerad, schenk mir drauf eins ein.

Bauherr! ich bring's Euch aus Lieb' und Freud',

Nicht aus Haß oder großem Neid,

Sondern aus Lieb' und Freundlichkeit.

Auf unsers Kaisers feine Tapferkeit!

Auf seines Feindes Verderblichkeit,

Auf hiesiger Herren Gesundheit

Und aller guten Freunde insgemein,

Die hier unten versammelt sein.

Jetzt trink' ich über euch allen,

Gebt acht! das Glück wird hinunterfallen,

Hinunter ist gar gefährlich

Und euch herauf beschwerlich.

Ich will mich jetzt eins bedenken

Und das Glas hinunterschwenken.


Joseph trank, das Glas fiel hinab, und ein hundertstimmiges Hoch erschallte. Dann sprach er wieder:

Durch Gottes Hülfe und seine Macht

Haben wir diesen Bau zu Stande bracht,

Drum thun wir dem lieben Gott danken,

Daß er keinen hat lassen wanken;

Daß keiner ist in Unglück kommen,

Und daß keiner kein' Schaden genommen;

Auch thun wir den lieben Gott noch bitten:

Er wolle uns ferner in Gnaden behüten;

[425]

Nun befehl' ich diesen Bau in Gottes Hand,

Dazu auch das ganze Vaterland.

Auch wünsch' ich daneben unserm Bauherrn im neuen Haus

Gut Nahrung von denen, die gehen ein und aus;

Und so wünsch' ich allen insgesamt

Glück, Segen und Heil zu allem Stand.

Ich hätt' mich bald hoch vermessen

Und der viel ehr- und tugendsamen Jungfrauen vergessen,

Die uns diesen Kranz haben formiert

Und mit schöner Lieberei geziert;

Ich dank' für alle diese Liebereien gut,

Die werden uns hübsch stehen aufm Hut.


Mit dem Rosmarinstrauße auf dem Hut und dem unverschnittenen Felle angethan, kam Joseph herab und wurde von allen beglückwünscht und gepriesen, selig aber faßte seine Braut, des Hansjörgs Mareile, seine beiden Hände, sah ihm freudeverklärt in das Antlitz und blickte dann siegesfroh nach den Umstehenden.

Ivo stand daneben, und Joseph sagte: »Gelt, Ivo, ich kann auch predigen, wenn's sein muß? Das ist mein' Primiz.«

Ivo seufzte tief, da er an die Primiz erinnert wurde.

Als alles sich entfernte, ein Teil heimwärts, ein anderer zum Schmause ging, ließ sich Ivo durch kein Zureden Constantins zu letzterm bewegen; er [426] stand noch eine Weile allein vor dem luftigen Gebälke und dachte darüber nach, wie glücklich der Constantin bald sein werde, der nun schon ein Haus sein eigen nannte. »So ein Pfarrhaus,« sagte er dann vor sich hin, »ist wie ein Schilderhaus, das gehört niemand, keiner hinterläßt eine echte Spur seines Daseins, da zieht eine andere einsame Wache auf, bis wieder eine kommt und ablöst; doch ich will nicht selbstisch sein, wird mir auch das Glück des Familienlebens nicht, ich will für andere arbeiten und an den Spruch denken:


Ich lieb', was fein ist,

Wann's gleich nicht mein ist;

Wann mir's gleich nicht werden kann,

Hab' ich doch Lust und Freud' daran.


Acht Tage später war nun auch die Hochzeit Joseph's. Da ging es lustig her, die Mutter Christine saß obenan neben ihrem Sohne Ivo, dieser war und blieb der Stolz der Familie. Ivo tanzte dann einmal mit seiner Schwägerin, hierauf aber auch mit Emmerenz; sie war ganz selig und sagte: ›So, Jetzt haben wir doch auch einmal mit einander getanzt; wer weiß, ob wir noch im Leben dazu kommen.‹«

Nun brachte der zweitälteste Bruder Ivo's ihm seinen Schatz und sagte: »Tanzet mit einander.«

[427] Ivo willfahrte gern. Als er geendet, kam die Mutter Christine auf ihn zu und sagte: »Du tanzst ja prächtig, wo hast's denn gelernt?«

»Das kann ich noch von meiner Jugend her; wisset Ihr, die Spinnerin hat mich's als zwischen Licht gelehrt.«

»Wollen wir's auch einmal probieren?«

»Ja, Mutter.«

Alles hielt aus, während Ivo mit seiner Mutter tanzte.

Jetzt erhob sich Valentin, schnalzte mit den Fingern und rief:

»Spielleut'! einen Vortanz für mich, es gibt eine Bouteill'. Komm, Alte.« Er nahm seine Frau am Arm, hüpfte und sprang, dann tanzte er den alten Nationaltanz: er schnalzte mit der Zunge, schlug sich auf Brust und Schenkel, wiegte sich bald auf den Zehen, bald auf den Fersen und führte allerlei Figuren auf; bald faßte er seine Tänzerin, bald ließ er sie wieder los und trippelte mit geneigtem Kopfe und ausgestreckten Armen ganz verliebt um sie herum. Christine sah mit züchtiger Andacht, aber doch freudevoll zur Erde, drehte sich oft und oft, fast ohne sich von der Stelle zu bewegen. Sie hielt ein Ende ihrer Schürze anmuthig in der Hand und schlüpfte bald unter dem rechten, bald unter dem linken Arme ihres Mannes durch, bald drehten und wendeten sich Beide[428] unter den erhobenen Armen hinweg. Mit einem Hops, von dem der ganze Boden zitterte, beschloß Valentin den Tanz.

So war diese Vacanz voll Freude im Hause und außer demselben.

Fußnoten

1 Bruder.

2 Gottessohn.

3 Dinkel, Roggen.

14. Der Zerfall

14.
Der Zerfall.

Von allen diesen Freuden weg mußte Ivo aber- und abermals in das Kloster. Er traf Clemens nicht mehr. Dieser hatte die Erlaubniß erhalten, ein Jahr früher auszutreten, um sich in ein königlich bayrisches Kloster zu begeben.

Einen neuen Schmerz erfuhr Ivo in dem Schicksal Bartels, den wir mit ihm seit einiger Zeit aus den Augen verloren haben. Der gutmüthige Jüngling hatte sich seit lange im voraus einem geheimen Laster ergeben, das seine ganze Körperkraft unterwühlte; er kaute immer an den Nägeln und dann rieb er sich wieder die Hände, als ob es ihn friere, sein Gang war schwankend und unstät, die Farbe seines Gesichts war weißlichgrün, eingefallene Wangen, eine rothe Nase und der stets weit aufgerissene Mund machten den lang aufgeschossenen, lendenschwachen Jüngling zu einer Schreckgestalt. Er war dem Blödsinn nahe und wurde nun im Lazarett untergebracht. [429] Man wollte noch den Versuch zu seiner Herstellung machen und ihn andernfalls aus dem Kloster entlassen. Ivo schauderte, als er ihn besuchte, denn die einzelnen kräftigen Erhebungen Bartels waren nur dazu, um sein eigenes Thun mit den heftigsten Gewissensbissen anzuklagen.

Immer mächtiger drängte Alles auf Ivo herein, die Luft um ihn her schien ihm verpestet. Er schrieb endlich einen Brief an seine Eltern, worin er ihnen seinen unabänderlichen Entschluß eröffnete, aus dem Kloster auszutreten, denn er könne nicht Geistlicher werden; weiter ließ er sich auf keine Erörterung der Gründe ein, denn er wußte wohl, daß diese doch nichts verschlagen würden, auch hätte man ihn gottlos gescholten, wenn er sie darlegte, und das hätte doppelten Schmerz gebracht. Mit fester Hand schrieb er den Brief, mit zitternder aber warf er ihn im Abenddunkel in die Brieflade. Als er das Papier den Schieber hinabgleiten hörte, war es ihm, als ob sein vergangenes Leben damit in's Grab hinabsinke, und jedes Leben, sei es auch noch so schmerzlich und verloren, krümmt sich im Tode; entschlossen richtete er sich dann wieder auf, der Zukunft entgegen schauend.

Einige Tage später erhielt Ivo Besuch von seinen Eltern. Sie nahmen ihn mit in das Wirthshaus zum Lamm. Dort ließ sich Valentin ein Zimmer [430] anweisen, und als sie alle darin waren, verriegelte er die Thüre.

»Was geht mit dir vor?« fragte er Ivo streng.

»Ich kann nicht Geistlich werden, lieber Vater; sehet mich nicht so grimmig an, Ihr seid doch auch einmal jung gewesen.«

»So? da steckt der Putzen? Du vermaledeiter Bub', warum hast du denn das nicht vor acht Jahren gesagt?«

»Ich hab's damals nicht so verstanden und hätt' auch die Kurasche nicht gehabt.«

»Wart, ich will dich kuraschen. Mit dir mach' ich kurzen Handel, du wirst Pfarrer und damit basta!«

»Eh spring' ich in's Wasser.«

»Ist nicht nöthig, du kommst nicht lebendig aus der Stub', wenn du mir nicht in die Hand hinein versprichst, Geistlich zu werden.«

»Das thu' ich nicht.«

»Was? das thust du nicht?« schrie Valentin, Ivo an der Gurgel packend.

»Vater!« schrie Ivo, »um Gottes willen, Vater! lasset mich los, machet nicht, daß ich mich wehren muß, ich bin kein Kind mehr.«

Christine hing sich an ihren Mann: »Valentin!« klagte sie, »ich schrei' Feuerjo zum Fenster 'naus, wenn du nicht gleich losläßt.« Valentin ließ ab, [431] und Christine fuhr fort: »Ist das die Sanftmuth, die du mir versprochen hast? Ivo, verzeih ihm, er ist nicht so bös, er ist ja dein Vater, Gott hat ihm die Macht über dich gegeben. Valentin, wenn du noch ein laut Wörtle redst, hast du mich gesehen, ich lauf' auf und davon. Ivo, thu's mir zulieb und gib ihm die Hand.«

Ivo stand da und preßte die Lippen zusammen und weinte große Tropfen. »Vater,« schluchzte er, »ich hab' mich ja nicht selber zum Geistlichen bestimmt, und Ihr seid auch unschuldig, Ihr habt nicht wissen können, daß ich nicht dazu taug'; wir wollen einander keine Vorwürf' machen.«

Er ging auf Valentin zu und wollte seine Hand fassen, dieser aber sagte: »Schon recht. Was will denn der hoffärtig Herr werden?«

»Lasset mich noch ein halb Jahr die Thierarzneischul' besuchen, und dann will ich mich als Thierarzt und Bauer schon irgendwo niederlassen.«

»Hast's gut vor, und ich soll dem Kloster 'rausbezahlen? für jed' Jahr zweihundert Gulden? Da kann man mir mein Haus ausschellen. Das wird schön klingen, und da wird's heißen: ja, der Ivo wird ein Katzendoktor, da kann man das Häusle schon dafür springen lassen – und von was willst du denn studieren? Willst du auf den alten Kaiser 'nein leben, oder meinst gar, ich geb' dir Geld? Du kannst einen Proceß mit [432] mir anfangen, kannst dein Mütterliches verlangen; ich will dir aber hernach schon eine Rechnung machen, was du mich kostest.«

»Ich werde es beim Ministerium dahin bringen, daß man die Vergütung an das Kloster auf mein einstiges Vermögen überträgt.« –

»Wir haben mit einander ausgeredet, brauchst mir nichts mehr zu sagen,« unterbrach ihn Valentin. »Wenn du nicht folgst, denk nur nicht, daß du noch einen Vater auf der Welt hast. Du bist mein Stolz gewesen, jetzt darf ich keinem Menschen mehr unter die Augen treten; ich muß froh sein, wenn die Leut' so gut sind und nicht von dir reden.« Dem harten Manne quollen Thränen aus den Augen; das Gesicht in beide Hände drückend, fuhr er fort: »Wenn mich nur ein siedig Donnerwetter in Boden 'nein verschlagen hätt', eh ich den Tag erlebt,« – er legte den Kopf auf das Fenstergesims, stampfte gewaltig gegen die Wand und kehrte sich nicht mehr um.

Da sieht man's wieder, wie's die Menschen machen: seinen Haß und seinen Zorn ganz offen an seinem Sohne auszulassen, trug Valentin keine Scheu; seine Liebe und Zufriedenheit aber zu offenbaren, schämte er sich stets und verschloß sie in sich. Machen's nicht die meisten gebildeten und ungebildeten Menschen so?

[433] Die Mutter Christine hatte bis jetzt immer nur mit beiden erhobenen Händen Stille und Beruhigung herabbeschworen, nun sagte sie mit festerer Stimme, als man ihrem Antlitze nach hätte vermuthen sollen: »Ivo, lieber Ivo, du bist doch allfort brav und gottesfürchtig gewesen, es ist ja kein bös Aederle in dir. Ich will nichts davon sagen, daß ich mir denkt hab', wie mir das eine Staffel im Himmel ist, wenn du Geistlich wirst, davon ist jetzt kein' Red', es ist mir um deinetwegen; um Jesu Christi Blut willen geh in dich, sei gut, bet rechtschaffen, und unser Herrgott wird dir helfen und dein Herz von Allem, was nicht 'nein gehört, reinigen. Ach! du hast ja immer einen frommen Sinn gehabt. Guck, ich kann nicht viel reden, es stoßt mir schier das Herz ab; sei wieder so fromm und gut, wie du gewesen bist, sei wieder der lieb' Ivo,« – sie fiel an seinen Hals und weinte. Ivo umarmte sie und sagte:

»Mutter lieb, Mutter lieb, ich kann nicht Geistlich werden; glaubet Ihr denn, ich hätt' Euch den Kummer gemacht, wenn ich anders könnt'? Ich kann nicht.«

»Sag nicht: ich kann nicht. Das ist nicht fromm; will du nur recht, nimm dich recht fest zusammen und schüttel' all das böse Gelüst von dir, es muß gehen. Der Allbarmherzige wird dir helfen, und du [434] bist wieder unser Glanz und unser' Freud', und bist ein fromm Kind vor Gott und den Menschen.«

»Ich bin nicht schlecht, liebe Mutter, aber ich kann nicht Geistlich werden. Zerreißet mir das Herz nicht so. Ach! ich möcht' Euch ja so gern folgen, aber ich kann nicht.«

»Laß ihn zum Teufel gehen, den Halunk'!« sagte der Vater, Christinen von ihrem Sohne wegreißend, »kannst du denn dein' Mutter so bitten und betteln sehen?«

»Zerreißet mich!« rief Ivo, »aber Geistlich kann ich nicht werden.«

»'naus, fort, 'naus, oder ich vergreif' mich an deinem Leben!« rief Valentin, der Schaum stand ihm vor dem Munde, er riegelte die Thüre auf und schob Ivo hinaus.

»Es ist vorbei,« sagte Ivo tief aufathmend und schwankte die Treppe hinab. Von droben vernahm man ein Poltern, die Thüre wurde aufgerissen, und die Mutter kam herab; Hand in Hand ging sie mit ihrem Sohne bis vor das Kloster, sie redete kein Wort; nur als sie jetzt Abschied nahm, sagte sie:

»Gib mir dein' Hand drauf, daß du's noch überlegen willst, und daß du dir kein Leid an deinem Leben anthust.«

Ivo versprach's und ging still in seine Klause, [435] der Boden wankte unter ihm, aber in dem tiefsten Kern seiner Seele stand der Gedanke fest und aufrecht, sich durch keinerlei kindliche Bewegungen zu einem Lebensberufe hindrängen zu lassen. »Ich habe Pflichten gegen mich selber und muß selber für mich einstehen,« sagte er zu sich. »In den Tod könnte ich gehen, um meiner Mutter zu willfahren, aber ein Leben, zu dem der innerste Beruf allein berechtigt, kann und darf ich ohne diesen nicht über mich nehmen.«

In der Nacht aber erwachte Ivo plötzlich, es war ihm, als ob er durch einen Schrei seiner Mutter aufgeweckt worden wäre; er richtete sich in seinem Bette auf, und jetzt gedachte er, welch einen hohen, heiligen Beruf er zu verlassen gedenke, die ganze Herrlichkeit des geistlichen Amtes stand vor seiner Seele: ein liebender, tröstender, hilfreicher Freund der Armen und Bedrängten, ein Vater der Waisen und Verlassenen, ein Spender des Lichts und des Heils in allen Seelen. Er sah über all die theologischen Satzungen weg, ja, er gedachte, mitzukämpfen den heiligen Kampf der Befreiung von Aberwitz und Menschensatzung und den kommenden Geschlechtern das reine Licht des Himmels zu sichern; er kämpfte alle Erdenlust und alle Selbstsucht in sich nieder, er wollte leben für andere und für die andere Welt – kein Tag sollte vorübergehen, [436] an dem er nicht eine Seele erquickt, ein Herz erfreut.

»Wo ein armes Erdenkind in schwerem Harme weint, da will ich sein Wehe in mein Herz aufnehmen und es darin auskämpfen lassen. Ich will die Thränen der Trauernden trocknen, und du, o Herr! trockne die Thränen von meinem Antlitze, wenn mein Geist erlahmt und ich nächtlich weine über mein armes, verlassenes Leben!«

So sprach Ivo vor sich hin, und ihm war so leicht und frei; es war ihm, als ob er, aller irdischen Schwere entbunden, sich jetzt hinaufschwingen müsse zum Urquell der Seligkeit. Und dann fühlte er sich wieder so siegesmuthig, so kraftdurchströmt, als müsse er sich plötzlich in das heißeste Gewühl der Schlachten stürzen; entzückt dachte er an den Jubel, den seine Rückkehr zu seinem Berufe im elterlichen Hause erwecke – aus seligem Entzücken wurde er wieder hinübergetragen in das Reich des Traumes.

Andern morgens schrieb Ivo einen Brief nach Hause, worin er mit tiefem Ernste und siegesfroher Zerknirschung die Rückkehr zu seinem Berufe verkündete und die Hoheit seines Wirkens pries. Was er aus Nachgiebigkeit gegen seine Eltern nicht thun konnte, das hatte er jetzt aus freier Selbstbestimmung vollführt. Als er wiederum an dem Briefschalter [437] stand und das Schreiben durch den Schieber hinabglitt, da deuchte ihm dies wie der scharfe Schnitt eines Richtschwerthes, er hatte sich selbst das Urtheil geschrieben und vollzogen; kopfschüttelnd ging er nach dem Kloster zurück, die Kraft seines Wesens war gebrochen und klaffte im Zwiespalt auseinander. Mit allem Aufgebot seiner Willenskraft gab er sich nun wiederum dem Studium hin, es gelang ihm, für einige Zeit Friede und Beruhigung darin zu finden.

Zu Hause erregte der Brief das höchste Entzücken. Kaum aber war die erste Freude der Botschaft vorüber, da lächelte die Mutter oft schmerzlich vor sich hin; sie ging gedankenvoll im Hause umher und redete wenig. Oft ließ sie sich Abends, wenn ihr die Augen übergingen, den Brief von Emmerenz vorlesen, und wenn sie an die Stelle kam: »Ich will mein Leben Gott opfern, der mir es gegeben, ich will Euch, meine liebe Mutter, die höchste Freude Eures Lebens gewähren,« da seufzte Christine schwer.

Einst, am Samstagabend, saßen Christine und Emmerenz bei einander und schälten Kartoffeln auf morgen; Emmerenz hatte den Brief wieder vorgelesen, und sie sagte nun:

»Bas, es ist mir immer, als ob Ihr Euch nicht grundmäßig freuen könntet, daß der Ivo Geistlich wird; saget's nur frei von der Leber weg, ich merk's wohl, vor mir brauchet Ihr ja kein Hehling haben.«

[438] »Du hast Recht, guck, ich will dir's nur sagen, vor ihm (sie meinte hiermit ihren Mann) dürft' ich davon nicht schnaufen, da wär' gleich Feuer und Flamm' auf dem Dach. Guck, mir ist es halt immer, wie wenn ich eine schwere Sünd' begangen hätt'; guck, ich hab' ihm sein Herz so schwer gemacht, und er ist gar ein gut Kind, es ist kein bös Blutströpfle in ihm, und da wird er mir zulieb Geistlich, und sein Herz hängt doch an der Welt, und das ist eine schwere Sünd'.«

»Das ist ja ganz erschrecklich, da hätt' ich kein' ruhige Stund', da müßt' mir geholfen sein.«

»Ja, aber wie? Guck, ich möcht' ihm das gern zu wissen thun, und hinter ihm (sie meinte hiermit wieder ihren Mann) mag ich mich doch dem Schullehrer nicht anvertrauen, und ich kann doch selber nicht mehr schreiben.«

»Da ist leicht geholfen, da schreib' halt ich, ich kann's ganz gut, und Ihr saget mir Alles vor.«

»Ja, das ist ja wahr, daran hab' ich gar nicht dacht. Du bist ein lieb' Kind, komm, wir wollen gleich.«

Nun war aber großer Jammer, denn nirgends war eine geschnittene Feder zu finden; so geringfügig dieß auch erscheinen mag, so war es doch ein großer Mangel. Emmerenz wollte zum Schullehrer gehen und sich eine schneiden lassen, sie wollte [439] der fragenden Frau Schulmeisterin schon was vorlügen, aber Christine duldete es nicht. »Wir dürfen nicht mit einer Sünd' anfangen,« sagte sie. Die gleiche Antwort gab sie auch, als Emmerenz sagte, sie wisse, wo der Schullehrer seine Federn liegen habe, sie wolle eine stehlen und dafür ein Dutzend ungeschnittene Eckfedern hinlegen. Endlich rief Emmerenz, sich erhebend: »Ich kriege eine. Meiner Schwester ihr Bub', der Karle, geht ja in die Schul', der muß mir eine geben.« Sie sprang fort und kehrte jubelnd, eine Feder in der Hand, zurück.

Nun setzte sie sich an den Tisch, zog mit einer Kluf 1 den Docht an der Lampe besser heraus, legte Alles zurecht und sagte:

»So, jetzt machet mir die Diktate.«

Die Mutter saß hinter dem Tisch in der Ecke unter dem Kruzifix und versuchte es, noch eine Kartoffel zu schälen, sie sagte:

»Schreib: ›Lieber Ivo‹. Hast das?«

»Ja.«

»›Ich denk' alleweil an Dich; es vergeht kein' Stund' im Tag, und nachts, wenn ich im Bett: lieg' und wach', sind meine Gedanken bei Dir, herzlieber Ivo.‹«

»Nicht so schnell, sonst komm' ich nicht nach,« jammerte Emmerenz; sie hob ihr hocherrötend Antlitz, [440] blickte in das Licht und kaute eine Weile an der Feder; gerade so hätte sie ja auch für sich selber an den Ivo geschrieben; ihr Angesicht fast ganz auf das Papier legend, schrieb sie dann und sagte endlich: »herzlieber Ivo – weiter.«

»Nein, lies mir zuerst vor, was du geschrieben hast.«

Emmerenz las.

»So ist's recht, jetzt schreib weiter: ›Es ist mir nicht recht wohl dabei, daß Du Dich wieder so schnell andere resolviert hast.‹ – Halt, das schreib noch nicht ... so darf man nicht anfangen.«

Emmerenz stützte das Kinn auf die Hand und blickte harrend drein; die Mutter aber sagte:

»Du hast jetzt schon gehört, wie mir's ums Herz ist, schreib du jetzt Alles, so macht's der Schullehrer auch.«

»Ich will Euch was sagen,« begann Emmerenz, sich erhebend, »so ein Brief kann in unrechte Händ' kommen, er kann verloren gehen, und wir können's ja doch nicht so recht aufsetzen; das best' wird sein, ich geh' zum Ivo und sag' ihm Alles. Morgen ist Sonntag, da versäum' ich nichts, Kurzfutter hab' ich geschnitten, ich will dem Vieh noch schnell über Nacht geben, und den einzigen Tag kann's mein' Schwester schon versorgen; die Grundbirnen sind geschält, ich richt's hin, daß Ihr bloß das Fleisch ans Feuer zu stellen braucht. Dem Thal nach sind es ja nur [441] sieben Stund' bis Tübingen, und ich will laufen wie ein Feuerreiter; so ein Sonntag ist lang und morgen Abend bin ich wieder zeitlich da.«

»So ganz allein willst fort? und in der Nacht?«

»Allein? unser Herrgott ist überall, und der hält seine Hand über ein armes Mädchen.« Fast unwillig setzte Emmerenz hinzu: »in der Nacht muß ich ja fort, sonst käm' ich ja morgen nicht wieder heim und Er thät balgen.« 2

»Ich kann nicht nein sagen, es ist mir, als müßt' das so sein; geh in Gottes Namen. Da, nimm mein Nuster mit, da ist ein Stückle Zedernholz vom Berg Libanon drin, das stammt von meiner Urahne, das wird dich beschützen.« Sie nahm den Rosenkranz, der an der Pfoste der Stubenthüre über dem Weihkesselchen hing, reichte ihn Emmerenz und fuhr fort:

»Ueberlauf' dich nicht; wenn du müd bist, komm erst übermorgen, es ist noch Zeit. Ich hab' auch noch einen Sechsbätzner, den will ich dir geben, und da nimm das Brod mit, Brod aus der Schublade bringt Segen. Aber was sag' ich denn den Leuten, wenn sie nach dir fragen? Ich darf doch nicht lügen?«

»Ihr saget halt, ich hätt' was Nothwendiges zu schaffen; die Leut' brauchen ja nicht Alles zu wissen.[442] Ich will nur machen, daß ich fort bin, eh Er heimkommt.«

Mit wunderbarer Behendigkeit sprang Emmerenz treppauf und treppab und besorgte Alles, wie sie gesagt, dann ging sie in ihre Kammer, um sich sonntagsmäßig anzukleiden. Die Mutter half ihr, und als das Mädchen sein schönstes Koller aus der Kiste hervorzog, fiel Etwas, das in ein Papier gewickelt war, klingend auf den Boden.

»Was ist das?« fragte die Mutter.

»Das ist ein Stückle Glas, das hat mir der Ivo einmal geschenkt, wie wir noch ganz kleine Kinder gewesen sind,« sagte das Mädchen, mit Hast das Kleinod wieder verbergend.

Als Emmerenz endlich angekleidet war, sagte die Mutter, ihr Schürzenband auf- und wieder zuknüpfend: »Ich weiß nicht, du solltest eben doch da bleiben.«

»Da bleiben? Mich halten keine zehn Gäul' mehr. Bosget nur nicht, Ihr habt mir's einmal versprochen, daß ich gehen soll; das wär' das erstemal, daß Ihr Euer Wort nicht halten thätet.«

Nachdem Emmerenz nochmals in die Stube gegangen und sich aus dem Weihkesselchen an der Thüre im Zeichen des Kreuzes besprengt hatte, machte sie sich auf den Weg.

Noch unter der Hausthüre suchte Christine die [443] Emmerenz zurückzuhalten, diese aber schritt schnell mit einem »B'hüt Euch Gott!« davon. Christine sah ihr mit frommen Segenswünschen nach, wie sie durch den Garten in das Feld ging.

Emmerenz wählte diesen Weg, damit niemand im Dorfe ihr begegnete. Als sie nun durch das Schießmauernfeld so dahinschritt, war der Mond von einer großen Wolke bedeckt: sie betrat den dunklen Bergwald, um nach dem Neckar hinabzugehen, ihr schauderte ein wenig, ringsum war Alles so still und so »finster wie in einer Kuh«. Sie schaute sich um, es war ihr, als schritte etwas hinter ihr drein, aber es war nur ihr eigener Schritt, den sie vernommen; muthig hüpfte sie, ohne zu straucheln, über die Wurzeln weg, die sich über den schmalen Waldweg schlängeln. Emmerenz war gut geschult, sie glaubte nicht mehr an Geister und Gespenster, aber an den Mocklepeter glaubte sie steif und fest, hatten ihn ja schon so viele Leute hockeln müssen. Sie hob oft ihre Schultern, um sich zu vergewissern, daß der Geist nicht auf ihr sitze. Auch an das Nickesle glaubte sie, das sich oft den Leuten wie eine wilde Katze oder wie ein Holzblock vor die Füße rollt, so daß, wenn man sich daraufsetzen will, man in feuchten Schlamm versinkt. Sie hielt den Rosenkranz fest um ihre Hand gewunden.

An der Lichtung des Waldes, wo die schöne Buche[444] steht, an deren glattem Stamm ein Muttergottesbild befestigt ist, dort kniete Emmerenz nieder, faßte den Rosenkranz zwischen ihre gefalteten Hände und betete inbrünstig. Der Mond trat, wie man sagt, mit vollen Backen aus den Wolken hervor und überglänzte wie mit Wohlgefallen die Betende, die sich dann gestärkt erhob und ihres Weges fortschritt.

Längs des Neckars zog sich nun die Straße hin, zu beiden Seiten standen die schwarzen Tannenwälder bis zum Bergesgipfel hinan, das Thal war meist so eng, daß es nur für schmale Wiesen, für den Fluß und die Straße Raum bot. Alles lag in stiller Ruhe, nur bisweilen zirpte ein Vogel wie aus dem Schlafe, als wollte er sagen: »Ahdele, da ist's recht gut im Nest.« Die Hunde schlugen an, wenn Emmerenz an den einsamen Gehöften vorüber schritt; immer wiederkehrende Mühlen klapperten und pochten emsig, aber das Herz des Mädchens pochte noch viel schneller.

Emmerenz war noch nie weiter als zwei Stunden von ihrem Geburtsorte fortgekommen, viele Gedanken bewegten nun ihre Seele. Zuerst lobte sie ihre liebe Heimath, »da ist's doch anders, das liegt auf dem Berg und hat Felder mit Boden wie Speck«. Emmerenz wünschte nur, daß der Neckar über den Berg fließen möchte, damit der Wassermangel nicht so groß sei.

[445] Die Sterne glitzerten hell, Emmerenz blickte hinauf und sagte: »Es ist doch goldig, wie viel Millionen Stern' da oben sind, das ist grad, wie wenn an einer rußigen Pfann' so viel tausend Lichtle funkeln, aber viel, vielmal schöner und heiliger, und da droben sitzt unser Herrgott und hält Wacht. Man verschlaft doch das ganze Jahr recht viel Schönes, und wenn man nicht recht um sich guckt, merkt man's auch nicht, wenn man die Augen offen hat. Er hat recht gehabt, ich merk' jetzt viel besser auf Alles auf, und es macht mir auch viel Freud'.« Da fiel eine Sternschnuppe, Emmerenz hob die Hände empor und rief: »Ivo!« Sie stand still und blickte schamhaft zur Erde, sie hatte den tiefsten Wunsch ihres Herzens offenbart, denn es ist wohlbekannt: was man beim Fallen einer Sternschnuppe wünscht, geht in Erfüllung.

Rasch ihres Weges fortgehend, dachte Emmerenz wieder: »Ach Gott! Wenn ich nur so eine Mühl' hätt', da wollt' ich schaffen wie ein Gaul. Ach, lieber Heiland! es muß doch prächtig sein, wann man so ein Gütle anguckt und sagen kann: das ist mein. Ich möcht' nur wissen, wen er heirathen thät', wenn er kein Geistlich wird? Unser Herrgott ist mein Zeug', ich lauf grad so gern für ihn, wenn er auch eine andere nähm'; grad so gern? nein, das doch nicht, aber doch rechtschaffen gern. Er hat recht, [446] daß er kein Geistlich wird: so niemand auf der Welt haben und niemandes sein, das ist doch ein schwer Kreuz. Wenn unser Herrgott gewollt hätt', daß man kein Weib nehmen sollt', hätt' er lauter Mannsleut' gemacht und ließ er die Menschen auf den Bäumen wachsen. Ei, das sind doch recht gottlose Gedanken« – schloß Emmerenz ihr Selbstgespräch und lief schneller, als wollte sie ihren eigenen Gedanken entfliehen. Sie richtete mit Gewalt ihr Sinnen auf die Außenwelt und, auf das Rauschen des Flusses horchend, gleich ihm unaufhaltsam fortschreitend, dachte sie: »Es ist doch gar ein wunderiges Ding, so ein Wässerle, das lauft und lauft immerfort. Gelt, du möchtest nur so für passlethan dein's Wegs fort und nichts schaffen? Aber Mulle blas Gerste, das geht nicht, guck, du mußt halt auch die Floß tragen und da mußt du die Mühlen treiben: schaffen muß Alles auf der Welt, und das ist auch recht. Das ist ja auch sein (sie meinte Ivo) Kreuz, er möcht' auch schaffen und nicht bloß predigen und Meß verrichten und in denen Büchern lesen, da hat man ja noch nichts geschafft. Ich will ihm schon Alles sagen, aber von mir darf er nichts merken.«

Es tagte, und nun erst wurde es Emmerenz recht leicht. Sie strich sich ihre Kleider glatt, ging hinab an den Fluß, wusch sich die Augen hell und glättete [447] ihr Haar; träumerisch stand sie eine Weile da und schaute nach ihrem Bilde, das der Fluß widerspiegelte, ihre Augen waren starr auf die Wellen gerichtet, aber sie sah nichts, sie hatte, was man so sagt, »den Glotzer«; da ist es, als ob ein Gedanke den leiblichen Blick von der nächsten Umgebung entführt, um ihn auf einen Gegenstand zu lenken, der vor der Seele schwebt, damit man ihn lebendiger erschaue. Weiterschreitend schaute sich Emmerenz oft verwundert in der Gegend um, es war ihr ganz eigen zu Muthe, so allein beim ersten Sonnenstrahl auf fremdem Boden zu stehen, wo niemand sie kennt, niemand etwas von ihr weiß; trotzdem sie den Gang wohl spürte, war es ihr doch, wie wenn sie urplötzlich dahergezaubert wäre.

Es war ein schöner, heller Augustmorgen, die Lerchen jubelten froh in den Lüften, im Walde zwitscherten die Amseln; alles das machte keinen Eindruck auf Emmerenz, sie war das gewohnt, und im Weitergehen sang sie:


Die hohen hohen Berge,

Das tiefe tiefe Thal!

Jetzt seh' ich mein schön Schätzle

Zum allerletztenmal.


In Rottenburg machte sie eine Weile Rast, dann ging sie wieder neu gestärkt weiter. Erst als sie [448] Tübingen sah, fiel es ihr schwer aufs Herz, wie sie es anfangen sollte, den Ivo im Kloster zu sehen. Sie erinnerte sich indes, daß des Christians Lisbeth beim Prokurator dient; die Magd eines Prokurators, dachte sie, wird schon leicht Rath wissen, lauft ja Alles zu ihrem Herrn, wenn es nicht mehr weiß, wo aus noch ein. Nach vielem Umherfragen fand Emmerenz die Lisbeth, diese wußte aber keinen Rath und trug den schwierigen Fall dem Knechte vor. Der Knecht, schnell überrechnend, daß ein Mädchen, das einen katholischen Geistlichen heimlich sprechen wolle, nicht heikel sein möge, sagte: »Komm Sie mit, ich will's Ihr zeigen.« Er versuchte es, seinen Arm um den Hals der Emmerenz zu schlingen, Emmerenz schlug ihm aber auf die Brust, daß es laut dröhnte. Etwas von »holzigen Schwarzwäldern« brummend, ging der Knecht von dannen.

»Weißt du was?« sagte nun Lisbeth, die gescheite Advokatenmagd, »bleib ein' Stund da, bis es zusammenläutet und man in die Kirch' geht, in der Kirch' setzst du dich links vorn hin, und da siehst du den Ivo oben auf dem Empor, dann gibst ihm ein Zeichen, daß er nach der Kirch zu dir 'rauskommen soll.«

»In der Kirch'?« sagte Emmerenz, laut die Hände zusammenschlagend, »Jesus Maria Joseph! Du bist aber recht verdorben in der Stadt. Lieber thät' ich unverrichteter Sach wieder heimgehen.«

[449] »Nu, so hilf dir anders, du Scheinheilige.«

»Das will ich auch,« sagte Emmerenz fortgehend. Sie begab sich nun geradeswegs in das Kloster, ließ sich beim Direktor melden und sagte aufrichtig, sie habe was mit dem Ivo zu sprechen.

»Bist du seine Schwester?« fragte der Direktor.

»Nein, ich bin nur die Magd im Haus.«

Der Direktor sah Emmerenz starr in das Gesicht, sie blickte ihn treuherzig an, keine Miene zuckte; der Direktor befahl dem Famulus, sie zu Ivo zu führen.

In einer Fenstervertiefung auf der langen gewölbten Hausflur wartete Emmerenz, bis Ivo herauskam; er schreckte ersichtlich zusammen, als er sie erblickte.

»Grüß Gott, Emmerenz, was machst du hier – es ist doch Alles wohl daheim?« fragte Ivo, nichts Gutes ahnend.

»Alles wohlauf, ich bin von der Mutter geschickt, viel tausend herzliche Grüß', und ich soll sagen, der Ivo braucht nicht Geistlich zu werden, wenn er's nicht von Herzen gern thut. Die Mutter kann nicht ruhen und rasten, sie meint, sie häb' ihm das Gemüth zu schwer gemacht, und er thät's ihr zulieb, und das bräucht' er nicht, und er wär' doch ihr lieber Sohn, wenn er auch nicht Geistlich wird und ... ja, das ist Alles.«

[450] »Sei nur nicht so erschrocken, sprich herzhaft mit mir, gib mir deine Hand,« sagte Ivo, als eben einer seiner neugierigen Kameraden vorbeigehuscht war, »ich bin dir ja nicht so fremd, wir sind ja alte gute Freund', gelt?«

Nun erzählte Emmerenz mit wunderbarer Geläufigkeit, wie sie den Brief habe schreiben wollen und wie sie die Nacht durch zu ihm hergewandert sei; sie blickte manchmal zur Erde und drehte den Kopf, als suche sie etwas. Die Augen Ivo's ruhten mit tiefer Innigkeit auf ihr, und wenn ihre Blicke sich begegneten, erglühten die Wangen beider, aber ein jedes scheute sich vor dem andern, sie sagten sich nichts von dem, was ihre Seele bewegte. Als Emmerenz ihre Erzählung geendet, sagte Ivo: »Ich dank' dir von Grund des Herzens, es kann wohl einmal die Zeit kommen, wo ich dir deine Gutthat vergelten kann.«

»Das ist ja nicht der Red' werth. Wenn's zu deinem Besten wär', und du thätst sagen: lauf jetzt für mich nach Stuttgart zum König, ich thät mich nicht lang besinnen und ging' eben grad, es ist mir jetzt so ... so wie ...«

»Nun, wie denn?« fragte Ivo das stockende Mädchen.

»Wie ... wie wenn mir jetzt grad halt Alles gut ausgehen müßt'.«

[451] Ohne ein Wort zu reden, standen die beiden eine Weile einander gegenüber, im Innersten aber wechselten sie die traulichsten Reden; endlich sagte Ivo, sich mit einem schweren Seufzer erhebend:

»Sag meiner Mutter, ich müss' mir das Alles noch überlegen, sie soll ruhig sein, schlecht werde ich nicht; sorg recht für sie und laß sie mit ihrem kranken Arm nicht zu viel schaffen. Nächst meiner Mutter bist du ... und der Nazi mir die liebsten Menschen auf der Welt.« Sowohl Ivo als Emmerenz blickten zur Erde bei diesen Worten, jener aber fuhr fort: »Hast nichts von Nazi gehört?«

»Nein.«

Ohne daß es die beiden merkten, war die ihnen zugemessene Zeit vorübergegangen, es läutete. »Du gehst doch auch in die Kirch'?« fragte Ivo.

»Ja, aber hernach muß ich tapfer machen, daß ich wieder heim komm'.«

»Wenn ich's machen kann, seh' ich dich noch einmal nach der Kirch', drunten in der Neckarhalde, wo man nach Hirschau geht, wenn's aber nicht sein kann, so sag' ich dir Ade. B'hüt dich Gott, lauf nicht zu arg und ... und ... bleib rechtschaffen.«

Sie trennten sich. Trotzdem Emmerenz vor einer Stunde so scharf über die Lisbeth losgezogen hatte, setzte sie sich in der Kirche doch links und freute sich, daß ihr der Ivo so mit den Augen zuwinkte.

[452] Fast eine Stunde wartete Emmerenz nach der Kirche in der Neckarhalde, aber niemand kam. Sie ging nun ihres Weges, indem sie noch oft zurückschaute; endlich gelobte sie sich, dieß nicht mehr zu thun. »Es ist besser so,« sagte sie, »ich mein' zwar immer, ich hätt' ihm die Sach' nicht recht gesagt, aber es ist doch besser so.« Sie schaute sich nicht mehr um, setzte sich aber, ihr Brod verzehrend, auf eine Anhöhe, von wo sie den ganzen Weg bis zur Stadt über'sehen konnte. Die Brosamen von ihrem Kleide abschüttelnd, stand sie endlich rasch auf und verfolgte ihren Weg.

Wir können sie nicht begleiten und können nur soviel berichten, daß sie wohlbehalten und munter nach Hause gelangte. Wir bleiben beim Ivo, der in schweren Gedanken umherwandelte. Er hatte sich wieder in seinem angewiesenen Berufe zurechtgefunden, nun aber hatten die Ermahnungen der Mutter den festen Grund seines Willens wieder ganz aufgelockert und ihn an sich selber unsicher gemacht. Die Erscheinung des Mädchens, dem sich sein Herz zuwendete, hatte einen schweren Kampf in ihm erregt. Er hätte wohl noch nach der Kirche in die Neckarhalde kommen können, aber er fürchtete sich vor sich selber, vor andern und blieb weg.

Der reine, frische Willensbeschluß, den Ivo früher gegen seine Eltern durchführt hatte, war durch [453] seine nachmalige freie Umkehr jetzt anbrüchig und morsch; er hatte kein rechtes Vertrauen zu seiner eigensten Kraft mehr. – Es ist immer schwer, wenn man sich etwas fest vorgesetzt und wieder davon abgelassen, abermals dazu zurückzukehren; es fehlt dann das frische Mark, die rechte Erquickung, es ist wie das Nachgras, das wird wohl feiner und zarter, gibt aber keine feste Nahrung mehr.

Fußnoten

1 Kluf – Stecknadel.

2 Balgen, so viel als scharf zanken.

15. Erlösung

15.
Erlösung.

Ein schauervolles Ereigniß ließ Ivo aus Schmerz und Qual wieder neu erstehen.

Bartel war an seinem Namenstage, am Tage des heiligen Bartholomäus, den Wächtern im Lazarette entronnen, von Gewissensbissen gefoltert, stürzte er sich zum Fenster hinaus und zerschmetterte sich das Hirn. Um zum Frommen des Klosters diese That zu verhehlen, sowie auch aus Rücksicht auf die Geisteskrankheit Bartels, ließ man ihm ein ehrliches Begräbniß angedeihen. Die Klösterlinge zogen nun alle mit Floren behangen unter der klagenden Trauermusik hinter der Leiche drein. Ivo blies das Horn, seine Töne flatterten wie jach zerrissene Bänder in den Lüften. Auf dem Kirchhof trat Ivo vor und hielt seinem verlorenen Kameraden eine herzergreifende [454] Denkrede. Anfangs stockte er ein wenig, alle seine Pulse zitterten; zum erstenmal hatte ihm der wirkliche Tod eine Leiche vor die Füße gerollt und ihm zugerufen: »lerne das Leben begreifen und den Tod!« Wie er einst Clemens vor seinen Füßen als todt erblickt hatte, so lag jetzt in Wahrheit die entseelte Hülle eines Jugendgenossen vor ihm, mit dem er so lange gelebt. Er pries zuerst das Leben, das freie, selige Athmen, und wollte den Tod weit weg bannen aus der Mitte der Menschen, dann aber ward seine Rede feuriger, wie ein lebendiger Springquell strömten die Worte dahin, mit schmerzloser Innigkeit pries er das Loos des Entschlummerten, der, ein verlorenes Waisenkind, endlich heimgekehrt sei zu seinem Vater im Himmel. Die Weihe kam über Ivo, noch bevor ihn die Hand eines Priesters berührt. Er schwang sich hinauf zum Thron des Allvaters, kniete nieder und bat um Gnade für seinen Freund; in kurzen abgestoßenen Sätzen bat er dann um Gnade für sich, um sein eigenes seliges Ende, um das aller Menschen und sprach endlich das Amen.

Mit jubelndem Marsche zogen die Klösterlinge wiederum heim; sie, das stehende Heer des Himmels, sollten gleich dem stehenden Heer der Erde auch nie lange dem Schmerze sich hingeben, sondern alsbald wieder lebensmuthig die Schritte fördern, obgleich die Todesbetrachtung zu ihren vornehmsten Exerzitien[455] gehörte. Auch Ivo fühlte wieder neue Lebenslust in sich auferstehen; die beiden, die ihm am nächsten gestanden, hatte das Geschick von ihm gerissen, den einen durch geistigen, den andern durch leiblichen Selbstmord – er fühlte sich allein und stark.

Als nun die anderen Kameraden, die das Leben, ihr Geschick und den Tod leichter nahmen, allesammt in ein Wirthshaus gingen, um nach altem Brauch dem Verstorbenen hundert und einen Schoppen Bieres, jeden Schoppen in einem Zug, in's Grab zu trinken, da ging Ivo einsam, sein Waldhorn unter dem Arm, hinaus über die Brücke, immer weiter. Die Sonne begann zu sinken, noch zitterten ihre letzten hellen Strahlen auf der Erde, aber schon stand der Mond hoch oben am wolkenlosen Himmel, als wollte er den Erdenkindern sagen: zaget nicht, ich wache über euch und leuchte euren nächtlich stillen Bahnen, bis eine neue Sonne glänzend heraufsteigt. Ivo sagte sich innerlich: »So zagen und jammern die Menschen, wenn eine neue Lehre untergeht oder eine Lebensleuchte versinkt; nicht immer ist alsbald ein neues Licht in ihnen aufgestiegen, und doch naht es ihnen unvermerkt, sie aber fürchten die ewige Nacht, weil sie es noch nicht erblicken, weil sie nicht vertrauen dem ewigen Licht.« Es wurde Nacht, Ivo stand still, aber mit dem Rufe: »Fort, fort, nie mehr zurück!« ging er stets rascher. Er schlug nun einen [456] andern Weg ein, er wollte seine Heimath vermeiden. Wohl dachte er des Schmerzes seiner Mutter, aber er wollte ihr von Straßburg aus schreiben, dorthin wendete er sich. Er gedachte sich einstweilen mit der Musik zu ernähren, oder als Bauernknecht zu dienen, bis er so viel Geld habe, um nach Amerika auszuwandern. Es war ihm, als ob er nie hinter den Büchern gesessen, er wußte nichts mehr von all den theologischen Satzungen und Systemen, er kam sich wie neugeboren vor, und nichts als die Erinnerungen seiner frühesten Jugend spielten vor seiner Seele. So lief er die ganze Nacht durch, ohne zu rasten, und als er sich beim ersten Morgenstrahl in einem fremden Thale fand, da stand er stille und betete inbrünstig zu Gott um Hülfe. Er kniete nicht nieder, aber seine Seele lag anbetend vor dem Herrn. Im Weitergehen summte er ein Lied vor sich hin, das er in seiner Kindheit oft gehört:


Nun ade, herzlieber Vater,

Nun ade, jetzt lebet wohl!

Wollt ihr mich noch einmal sehen,

Steigt hinauf auf Bergeshöhen,

Schaut hinab in's tiefe Thal,

Seht ihr mich zum letztenmal.


Nun ade, herzliebe Mutter,

Nun ade, jetzt lebet wohl!

[457]

Habt ihr mich in Schmerz geboren

Für die Kirche 1 auferzogen,

Seht Ihr mich zum letztenmal,

Nun ade, jetzt lebet wohl.


Auf einem Steine sitzend, überlegte dann Ivo sein Schicksal. Er war doch unbesonnen fortgegangen, er hatte nichts Klingendes bei sich, als die Klänge seines Waldhorns; er gedachte, wie er nun gute Leute ansprechen müsse, um fortzukommen. Auch bei dem reinsten Herzen ist es doch immer etwas tief Einschneidendes, betteln zu müssen; Ivo errötete im voraus bei dem Gedanken. Wir dürfen auch nicht vergessen, daß er als wohlhabender Leute Kind an die Fülle zu Hause dachte, und aus seiner tiefsten Seele löste sich der abgerissene Klang eines alten Liedes; mit schmerzlichem Lächeln sang er:


Han kein Haus und han kein Geld

Und kein Theil an der Welt.


Da sah er eine Schar Ochsen des Weges daherkommen, voraus ging ein Paar Stromel. Ivo gesellte sich zu den Ochsentreibern und fragte, wohin sie wollten; er erfuhr, daß sie die fetten Thiere einem Metzger in Straßburg brächten, auch erfuhr er, daß [458] sie gerade auf dem Wege nach Freiburg seien. Ivo war um viele Stunden umgegangen, war aber doch noch auf dem rechten Wege. Er bat nun die Männer, sie begleiten zu dürfen, er wolle ihnen helfen, und sie sollten die Zehrung für ihn bezahlen; die Männer sahen den sonderbaren Menschen in den schwarzen Kleidern mit dem Horn unterm Arm von oben herunter an, sie munkelten etwas mit einander.

»In der Fremdenlegion, mit dem nach Algier gehen, ist's nichts,« sagte der Eine.

»Es ist besser,« sagte der Andere, »man sitzt seine paar Jahr' Straf' daheim ab, es kostet den Kopf nicht.« Er lächelte so zuversichtlich, daß Ivo wohl merkte, er habe diese Erfahrung selbst gemacht. Ivo erkannte nun, daß er für einen Verbrecher gehalten wurde, er wagte indes nicht, diese Meinung zu entfernen, er wollte das Mitleid der Leute für sich wach erhalten; sie sagten ihm aber, sie könnten ihm nichts versprechen, in Neustadt träfen sie ihren Herrn, er solle mit dem reden.

Still ging nun Ivo hinter den Thieren drein, der Zuchthauserfahrene trat ihm gnädig sein Zepter ab, und Ivo regierte mild und sicher mit demselben die Unterthanen.

»Woher ist das Paar Stromel?« fragte Ivo.

»Nicht wahr?« sagte der Algierfeind, »denen sieht man's an, daß sie aus einem guten Stall [459] kommen, die sind auf dem Schramberger Markt vom Buchmaier gekauft worden.«

Ivo sprang zu den Thieren und erkannte seinen Stromel alsbald an den aufgesträubten Haaren mitten auf der Stirne, es war ihm, als habe er gleiches Schicksal mit dem Thiere und ginge er gleich ihm dem Tode entgegen, aber er konnte und wollte nicht mehr zurück.

Wie erstaunte aber Ivo, als, zu Neustadt angelangt, die Treiber ihren Herrn begrüßten, der zum Fenster des Wirthshauses herausschaute, und Ivo den Florian in ihm erkannte. Er wollte seinen Augen kaum trauen, bis Florian auf ihn zukam und mit unbändigem Gelächter den sonderbaren Ochsentreiber bewillkommte.

Ivo erzählte nun Alles, und Florian schrie, auf den Tisch schlagend: »Noch eine Bouteill'! Brav, das ist recht, ich helf' dir durch, du hast meine Parole. Narr, ohne Paß kommst du nicht auf Straßburg, da,« er schlüpfte behend aus seinem blauen Ueberhemde, »zieh das an, da wird dich jeder für einen Straßburger Metzger halten, und,« setzte der Schelm hinzu, seine schwere Geldkatze aufhebend, »die tragst du auf der Achsel, die macht dich ferm zu Einem von uns.«

Ivo ließ sich Alles gern gefallen und zog, nachdem er sich sattsam gestärkt hatte, wohlgemuth mit [460] Florian weiter. Florian war seinerseits froh, viel von seinem angesehenen Leben erzählen und den Nordstettern einen Schabernack spielen zu können; dabei half er aber auch dem Ivo von Herzen gern.

Es war ein heißer Tag, oben an der Höllsteig wurde Mittag gemacht. Florian setzte dem Ivo mit Trinken sehr zu, so daß dieser sich eine Weile von ihm loszumachen suchte. Er ging in die Schmiede neben dem Wirthshause und unterhielt sich mit dem Meister, es heimelte ihn hier wiederum so an, wie ehedem zu Hause. Plötzlich gedachte Ivo, daß hier der Ort und dieß der Mann sei, bei dem sich einst Nazi verborgen; eben wollte er nach ihm fragen, als der Schmied zu seinem Jungen sagte:

»Da, trag die zwei Pflugeisen 'nüber zum Beßtebuur.«

»Wie weit ist das?« fragte Ivo.

»Eine gute Viertelstund'.«

»Ich geh' mit,« sagte Ivo, sprang in das Wirthshaus, sagte Florian, daß er bald wiederkäme, und er würde ihn schon wieder einholen; dann legte er das Ueberhemd ab und nahm sein Waldhorn unter den Arm.

In Begleitung des Jungen ging er nun über die Wiese den Waldsteig hinab. Drunten rauschte der Bach und klapperten die Mühlen; Ivo war's, als müßte hinter jedem Baum sein Nazi hervortreten, er fragte den Jungen:

[461] »Ist der Beßtebuur ein braver Mann?«

»Ja, bräver weder sein Bruder, wo gestorben ist.«

»Wie heißt denn der jetzige Beßtebuur mit seinem Taufnamen?«

»Das weiß ich nicht, er heißt halt der Beßtebuur; er ist in vielen Ländern gewesen als Knecht und als Doktor.«

Ivo jauchzte hoch auf, hierher hatte ihn der Finger Gottes geführt.

»Seit wann ist denn der Beßtebuur da?« fragte er wieder.

»Seit zwei Jahren. Er hat ein Jahr lang als Knecht bei seinem Bruder gedient, und da ist der gestorben, man sagt, er häb's ihm anthun, er ist ein halber Hexenmeister; er hat ihn auch schon vor vielen Jahren einmal umbringen wollen, und weil keine Kinder dagewesen sind, ist der Hof an ihn gefallen, er ist aber sonst ein braver Mann.«

Mit tiefer Trauer erfuhr Ivo, daß nun sein guter Nazi doch als Brudermörder gelten sollte, weil er einst die Sünde zu begehen getrachtet hatte, aber Ivo tröstete sich bald wieder mit Recht, daß dies nur ein Geschwätz neidischer und boshafter Leute sein könne.

Sie kamen an der Sägmühle vorbei, in welcher Nazi einen großen Teil seiner Jugend verlebt. Ivo freute sich besonders, daß auch hier, von der Bergwand [462] geschützt, ein schöner Nußbaum stand, gerade wie zu Hause vor der Wohnung seiner Eltern.

Nun ging es rasch den andern Berg hinan. Ivo wußte zwar wohl, was eine nachbarliche Bauernviertelstunde zu bedeuten habe, aber daß es mehr als eine Stunde sei, hatte er doch nicht gedacht. Da er sehr eilte, nahm er dem Jungen die schweren Eisen ab, damit er gleichen Schritt mit ihm halte. Der Harzgeruch der sonnenbeschienenen Tannen erweckte in Ivo die Jugenderinnerungen immer lebendiger: er sah sich auf der Krippe neben seinem Nazi sitzen, er war draußen im Veigelesthäle – singend und jubelnd tanzten und sprangen alle die Bilder der Kindheit vor ihm her. Auf der Windeck angelangt, sah Ivo das ihm wohlbekannte kleine Haus, ein bleiches Frauenbild sah aus dem Fenster, es war das Windecker Lisle, das hier wieder einsam wohnte.

Ivo dachte darüber nach, wie auffallend es sei, daß die Kirche es wagte, ein ausdrückliches Gebot der Bibel in ein Verbot umzuwandeln. Nach dem Alten Testamente mußte der Bruder die kinderlose Witwe seines Bruders heirathen, das kanonische Recht aber verbot dieß geradezu, Nazi und Lisle durften sich nie ehelichen. Ivo fuhr sich mit der Hand über die Stirne, als wollte er die letzte theologische Erinnerung aus seinem Kopfe verbannen.

Man näherte sich dem Hofe des Beßtebuuren, [463] die Wege waren gut und sauber. Endlich wurde man des stattlichen Hauses ansichtig, als man fast vor ihm stand. Ivo sah den Nazi, der Heu rechte, mehrere Mägde und Knechte um ihn her; aber Ivo eilte nicht auf ihn zu, sondern setzte das Horn an den Mund und blies die Weise des Liedes:


Da droben, da droben

An der himmlischen Thür,

Und da steht eine arme Seele,

Schaut traurig herfür.


Dann rief er: Nazi! und die Beiden, sich erkennend, lagen einander selig in den Armen.

* * *


Wie nach banger, pfadloser Irre können wir jetzt auf gebahntem Wege dem Ende unserer Erzählung zueilen. Ivo blieb bei Nazi, der ihn wie einen Bruder behandelte. Als einer der reichsten Bauern konnte er in Allem für ihn sorgen. Er reiste für ihn als Brautwerber in die Heimath und holte die Emmerenz, die sich vor Freude gar nicht zu fassen wußte.

Alle Leute im Dorfe und sogar die Eltern söhnten sich mit der Lebenswendung Ivo's aus, denn wenn es einem Menschen gut ergeht, beruhigen sich die Leute gern bei einer Aenderung, die ihnen sonst verdammlich erschiene.

[464] Nazi schenkte dem Ivo die Sägmühle; mit freudiger Lust arbeitet er nun dort unverdrossen im Verein mit seiner Emmerenz. Oft sitzt er Abends unter seinem Nußbaum und bläst auf seinem Waldhorn, daß es fernhin erschallt. Weit umher vor den einzelnen Gehöften stehen in stillen Mondnächten die Burschen und Mädchen und lauschen den fernen Klängen. Emmerenz sagte das einst Ivo und dieser erwiderte: »Guck, an der Musik haben wir ein Gleichniß vom rechten Menschenleben. Ich mach' jetzt die Musik doch eigentlich nur für uns; aber wenn ich weiß, daß die Töne weit hinausfliegen und noch anderer Menschen Herz erfreuen, da ist mir's noch viel lieber, ich bin noch viel fröhlicher und besser. Wenn nur Jeder für sich selber sein Sach' recht macht, so hilft er auch Anderen und macht ihnen Freud'. Ich bin nicht uneigennützig genug gewesen, bloß für andere Leut' Musik zu machen; ich tanz' auch gern selber mit.«

»Ja,« sagte Emmerenz, »du bist doch studiert, und ich versteh' dich doch. Wenn als die Buben beim Mocklesammeln in der Neckarhalde so lustig gesungen und gejodelt haben, da hab' ich als denkt: guck, die singen für sich und mich freut's doch auch und einen Jeden, der die Ohren bei ihm hat, und die Vögel singen auch für sich, und es gefällt den Menschen doch wohl, und wenn ein Jedes in der [465] Kirch' recht für sich allein singt, nachher paßt Alles gut zusammen und ist Alles schön.« Ivo umarmte innig seine Emmerenz.

»Wenn's nur nie Winter werden thät; es ist doch gar einödig da,« sagte Emmerenz.

»Da wohnet ihr eben bei mir,« sprach eine Stimme. Es war die des guten Nazi.

Fußnoten

1 Ivo setzte hier wirklich für die Kirche, statt für den Kaiser.

Zweiter Band.

[1] I.
Florian und Creszenz.

[1][3]

1. Mädchen am Brunnen

1.
Mädchen am Brunnen.

Am Samstag Abend hörte man im Hause des rothen Schneiderle von Stube zu Stube singen und trällern, Thüren wurden auf- und zugeschlagen, Fenster aufgesperrt, Stühle und Bänke gerückt, man hörte den Kehrbesen walten; aber aus Allem hervor tönte der Gesang einer klangvollen Mädchenstimme, Trepp auf und Trepp ab. Kaum war ein Lied geendigt, begann ein anderes, lustig und traurig, Alles durch einander. Endlich kam die Sängerin zum Vorschein: es war ein stämmiges, aber im schönsten Ebenmaß gebautes Mädchen. Das grauwollene gestrickte Wämschen ließ enganliegend die runden, vollen Formen, die sanften Wölbungen des Busens bestimmt und zart hervortreten, die Schürze war halb zurückgesteckt und bildete einen spitzen Winkel. Mit dem Melkkübel in der Hand ging es in den Stall. Jetzt konnte man eines der Lieder genau vernehmen, es lautete:


[3]

Steig i auf de Kirschebaum,

De Kirsche z'wege net,

Haun g'moant i wott mein Schätzle seh'n,

I gsieh 'nes aber et.


's isch no nit lang daß's geregnet hat,

Die Bäume tröpflet no,

I haun emol e Schätzle g'hätt,

I wott i hätt es no.


Jetzt ist es aber g'wandret,

Dem Unterländle zua,

Jetzt haun i wieder en andre –

's ist au e braver Bua.


Den Wasserkübel unter dem Arme kam das Mädchen wieder zum Vorschein, es verschloß das Haus und legte den Schlüssel unter die daneben stehende Reisbeige. Der Rathhausbrunnen war ausgeschöpft und verschlossen, auch der obere Brunnen war verschlossen und wurde nur vom Soges Morgens und Abends geöffnet, um daraus je nach der Kopfzahl der Familien das Wasser zu vertheilen. Dieser Wassermangel ist ein großer Nebelstand, besonders im hohen Sommer.

Unterwegs rief des Anschels Beßle:

»Creszenz, wart', ich geh mit.«

»Komm, mach tapfer. Bis wann kommt denn dein Chusen 1 wieder? entgegnete Creszenz.«

[4] »Bis auf unsere Pfingsten, heut über vierzehn Tag'.«

»Bis wann machet ihr denn Chasne?« 2

»Bis nach Sückes; 3 du mußt bei meinem Leben auch den ganzen Tag beim Tanz sein, da wollen wir uns auch noch einmal recht lustig machen, wir sind doch immer gut Freund gewesen.«

»Beßle, du hättest sollen hier bleiben, du hättest sollen den Seligmann heirathen, was man daheim hat, weiß man; so weit in's Elsaß hinein – wie weiter wie g'heiter, sagt man als, wer weiß wie es dort ist.«

»Wie kannst du nur so reden?« erwiderte Beßle, »hab' ich denn mit meinen 400 Gulden das Auslesen? und drüben sind das fast 1000 Frank, das ist schon eher ein Wort. Und du? bleibst denn du im Dorf? Wenn dein Geometer einmal eine Anstellung kriegt, mußt du nicht auch fort? Ei hab' ich dir denn auch schon gesagt, mein Chusen ist vorlängst von Straßburg aus mit dem Florian auf den Schramberger Markt gegangen. Der Florian hat, was weiß ich wie viel? gewiß dreihundert Karlin in seinem Beigürtel gehabt, um Ochsen einzukaufen. Er führt sich wie ein Prinz, und sein Herr vertraut ihm sein ganz Vermögen an; man sagt, er gibt ihm seine Tochter.«

[5] »Ich wünsch' ihm Glück und Segen dazu.«

»Nu, nu, stell' dich nur nicht so, du hast doch den kleinen Finger vom Florian lieber gehabt, als den ganzen Geometer.«

»Und wenn auch, er hat nichts und ich hab' nichts, und zweimal nichts gibt gar nichts, sagt der alt' Schmiedjörgli.«

Die beiden Mädchen waren zum Brunnen gelangt, viele standen schon hier und harrten der hohen Obrigkeit.

»Weißt auch schon, Creszenz?« rief des Christians Dorle, »vor einer Stund' ist der Florian wieder kommen; jetzt hast's gut, jetzt kannst zweispännig fahren.«

»Du hast's nöthig aufzubegehren,« erwiderte Creszenz, »du brenndürrer Bohnenstecken du; du darfst dein Kammerlädle noch so weit aufsperren, es kommt doch Keiner.«

»So ist's recht,« sagte eine keck aussehende Person, die Leichkäther genannt, weil sie alle Todten in: Dorfe einkleidet; sie fuhr sich vergnügt mit der Hand über den Mund und sagte dann weiter: »wechselt's ihr nur, Creszenz, man weiß wohl, in eurem Haus wird alles gleich baar ausbezahlt.« Sie machte eine leicht verständliche Handbewegung.

»Gelt, dir pfupfert's, weil man dir nichts borgt?« erwiderte die Bedrängte; »du hast's gut angefangen, Dorle, der da die Zung' zu heben.«

[6] »Was brauchst denn aber auch gleich mit dem Dorle so zu balgen?« sagte des Melchiors Lenorle, »es hat's ja nicht so bös gemeint, man darf ja auch einen Spaß machen.«

»Ist denn der Florian im Ernst kommen?« fragte Creszenz leise.

»G'wiß!« rief die Leichkäther laut; »gib nur Acht, du Hanfkrott, du wirst deinen Kopf nimmer so hoch tragen wie ein Schlittengaul; der Florian wird deinem Geometer schon das Land vermessen.«

Der Soges erschien, ein zweiter Moses, der den Töchtern Jethro's den Brunnen öffnete; er schien aber um keine zu freien, denn er war nicht besonders freundlich.

»Gib der Creszenz den Rahm vom Wasser, die muß heut' noch ihrem Geometer seinen steifen Kragen waschen,« schrie die Käther.

»Laß sie schwätzen,« sagte das Lenorle, »man kann ihr nicht weher thun als wenn man sie allein belfern läßt; sie macht's grad wie die Hund', die bellen Einen an, und wenn man seines Weges fortgeht und nichts mit ihnen macht, kehren sie wieder heim und bellen einen Andern an, der vorbei geht. Narr, die möcht' gern ein jedes so schlecht machen, wie sie ist; aber vor dem Florian mußt dich jetzt in Acht nehmen, sonst gibt's böse Sachen.«

»Ja,« sagte ein anderes Mädchen, »er hat viel [7] Geld heimbracht und hat seinem Vater gleich eine goldene Karlin geben. Das Geld wird sich umguckt haben, wie es da in der Stube gewesen ist. Der Alt' ist ja so arm, daß die Mäus' von ihm verlaufen sind.«

»Der Florian kann sich fünfmal aus- und ankleiden, so viel schöne Kleider hat er bei sich,« sagte ein drittes Mädchen.

»Und er spricht fast lauter französisch.«

»Und er hat eine Uhr mit einem Behäng, wo sein ganz Handwerkzeug von Silber dran ist.«

»Und ein schwarz Schnauzbärtle hat er zum Küssen.«

Ein Lärm unterbrach die schnellen Berichte.

»Was stoßst mich so?« sagte Käther zu des Kilians Annele, »Narr, ich bin kein reicher Bursch.«

»Sei still du, du bist ja schon zweimal im Spinnhaus gewesen und das drittemal steht dir schon auf der Stirn.«

»Wart, ich will dir's auf die Stirn schreiben,« schrie die Käther, und stieß mit ihrem Kübel nach dem Annele; dieses aber hatte den Schlag abgewehrt und gab dafür einen andern zurück. Nun ging's an ein gewaltiges Ringen, die Kübel wurden auf die Erde geworfen, die beiden Kämpfenden faßten sich mit den Händen. Eine Weile sahen die Anderen müßig zu, dann aber wehrte Alles ab, und besonders [8] der Soges schlug hüben und drüben drein. Wie zwei Streithähne, die von einander gejagt wurden, blickten sich die Feinde noch grimmig an, indem sie ihre Kübel zur Hand nahmen. Das Annele strich sich weinend die Haare aus dem Gesicht, es klagte, daß niemand vor der Käther Ruhe habe und daß die ganze Bürgerschaft dafür sorgen sollte, daß sie auf ewig in's Spinnhaus käme.

Die Reihe war endlich an Creszenz gekommen. Sie trug nun den schweren Kübel auf dem Kopfe, aber noch schwerer war's ihr im Herzen. Große Thränen kugelten über ihre Wangen, aber sie that als ob der Kübel tropfe, und fuhr immer mit der rechten Hand und mit der Schürze über dessen untern Rand; sie ahnte wohl, welche Verwirrung die nächsten Tage bringen konnten: hatte ja diese schon in ihrem Herzen begonnen.

Zu Hause vollzog sie die Arbeit, ohne mehr einen Ton zu singen.

Man wird sich vielleicht wundern, daß auf einmal ein so vornehmer Mann und eine so betitelte Person, wie ein Geometer ist, im Dorfe eine so entschiedene Rolle spielt; man erinnere sich aber, daß diese Geschichte zur Zeit der Landesvermessung vor sich geht: wie dadurch das ganze Land endlich genau abgezirkelt zu Papier gebracht und auch nicht das verborgenste Winkelchen in Wald und Feld vergessen [9] wurde, so ward auch aller Orten in das Leben des Volks ein neues Element geworfen.

Da kamen auf eine Zeit lang Städter in das Dorf; sie waren nicht Schullehrer und nicht Pfarrer, es waren meist lebenslustige junge Leute, und welche Bedeutung sie in der Mädchenwelt gewonnen, haben wir bereits ersehen.

Die Vollzieher des in staatswirthschaftlicher Hinsicht gewiß sehr zweckmäßigen Unternehmens hießen Geometer. Auf dem Dorfe hießen die Feldmesser eben Feldmesser, zur Erhöhung der Amtswürde sowohl als auch zur Verbreitung griechischer Bildung unter den Bauern hießen die neuen Herren: Geometer. Die Gespielin der Creszenz hatte einen Obergeometer (oder wie er eigentlich folgerecht heißen sollte, Hypergeometer) geheirathet und wohnte in Biberach. Dadurch hatte Creszenz Bekanntschaft mit dem Collegen bekommen und die Eltern förderten sie auf alle Weise, denn das war eine herrliche Versorgung. Der rothe Schneiderle sah schon im Geiste seine Tochter als Frau Obergeometerin.

Fußnoten

1 Ebräisch – Bräutigam.

2 Hochzeit.

3 Laubhüttenfest.

2. Dreiviertel auf Mordjo

2.
Dreiviertel auf Mordjo.

Es war Nacht geworden, Creszenz stand in der Küche am Feuer, da kam der Studentle laut daher geschritten und sagte:

[10] »Guten Abend Creszenz. Ich will mir ein Päckle Sternentubak holen; habt ihr noch davon?«

»Ja, geh' 'nein, mein' Mutter wird dir geben.«

»Ich verhex' dir dein' Supp' nicht, wenn ich ein bisle bei dir bleib',« sagte er laut, ganz leise aber fetzte er hinzu: »der Florian ist da, komm' nachher ein bisle 'naus, du wirst uns schon hören.«

Ohne die Antwort abzuwarten ging er hinein in die Stube; als er wieder herauskam, war Creszenz nicht mehr in der Küche.

Später hörte man vor dem Hause des rothen Schneiderle singen und pfeifen und lachen; es waren die Kameraden, deren seit drei Jahren fehlende Hauptstimme, nämlich die des Florian, jetzt um so eindringlicher erscholl; sie blieben lange, es wollte aber nichts fruchten, da schrie der Peter zum Fenster hinauf:

»Creszenz, da lauft ein' Gans 'rum, ist die nicht dein?«

Der Studentle stand hinter der Reisbeige und quackte wie eine Gans.

Das Fenster öffnete sich, aber nicht Creszenz, sondern die Schneiderin sah heraus und sagte:

»Treibet eure Späß' vor einem andern Haus.«

Mit schallendem Gelächter ging der Studentle wieder auf die Straße.

Drinnen in dem Hause aber saß die Creszenz bei[11] dem Geometer und gab auf alle seine freundlichen Reden nur halbe Antworten; endlich sagte sie, sie sei unwohl und ging zu Bett.

Als die Burschen auf der Straße lange vergebens geharrt hatten, gingen sie nach dem Wirthshause. Auf dem Wege begegnete ihnen Sepple der Franzosensimpel. Der Studentle faßte ihn an der Brust und rief:

»Qui vive? la bourse ou la vie!«

Der Angegriffene antwortete unerschrocken:

»Paridadoin mullien,« was in der Sprache des Sepple so viel hieß als: »was willst du?«

»Das gibt einen Hauptspaß,« jubelte der Studentle, »wir nehmen den Sepple mit, der muß den Geometer spielen. Komm, wir zahlen dir eine Halbe (Maas) Bier.«

»Moin paroula goin,« antwortete der Sepple, was so viel hieß als: ich will's thun; was für Laute er zusammenfügte, war überhaupt nur das Zufällige, er antwortete dabei auf Alles mit Winken oder auch mit grinsendem Lachen.

Der Sepple war eigentlich kein ganzer Simpel, sondern nur ein halber, aber dieses Halbe wurde von allen lustigen Leuten im Dorfe zum Ganzen ausgebildet.

Wenn Einer auf dem Dorfe ein Häkchen hat, so kann man sicher sein, daß es zum Sparren ausgeschmiedet wird; so ging's auch beim Sepple. Er [12] ließ sich das gern gefallen, denn es warf immer einen guten Trunk ab.

Man wußte nicht recht, woher beim Sepple der Gedanke gekommen war, daß er alle lebenden Sprachen verstünde. Einige behaupteten: weil er so lange Kindsmagd gewesen und mit den kleinen Kindern in der Allerweltsprache geplaudert habe, habe er etwas davon übrig behalten; die Wahrheit zu gestehen, kümmerte sich Niemand um den Grund dieser Sonderbarkeit, genug, man mochte den Sepple anreden wie man wollte, in einer wirklichen oder gemachten Sprache, er gab immer frischweg Antwort. Dabei verrichtete er aber das Feldgeschäft so gut wie ein Anderer; verstand er auch nicht die Sprache der Thiere, so verstanden die Thiere seine Sprache und folgten ihm willig. In der Kirche war Sepple der Einzige, der zu den lateinischen Worten der Messe nickte, als ob ihm das Alles ganz sonnenklar wäre.

Dieses vierte Mitglied hatte unsere sonst so streng geschlossene Dreibubengesellschaft für heute Abend aufgenommen.

»Bon soir,« sagte Florian, als er mit den Anderen in die Wirthsstube trat, Alles grüßte ihn freundlich, beschaute ihn um und um und Einer nickte dem Andern zu mit einem Blicke, der vollauf sagte: »es ist doch ein Staatsmensch, der Florian; ja, wer nicht 'naus kommt, kommt nicht heim.«

[13] Einer, der auf der Ofenbank faß, sagte zu seinem Nachbar: »ja das ist ein ander Heimkommen, als wie der Schlunkel, der ist jetzt schon zweimal eingestanden – im Zuchthaus und heut' Abend ist er heimkommen; wenn wir ihn nur schon wieder los wären.«

Florian ließ nun eine gute Flasche Wein für sich und seine Kameraden bringen; dem Sepple, der sich an einen andern Tisch gesetzt hatte, ließ er eine Halbe Bier geben.

Als Bärbele das Getränk brachte, sagte er etwas leise, aber doch so, daß es Alle hören konnten: »comme elle est jolie, bien jolie.«

»Oui,« erwiderte der Studentle. Alle Leute in der Stube stießen einander an und pisperten, wie die Zwei so gut französisch parliren konnten.

Florian brachte es nun allen Leuten zu, denn diese saßen meist trocken im Wirthshause; der gute Trunk that ihnen wohl, und diese freundliche Empfindung ging auch auf den Florian über. Er schien sein Französisch ziemlich ausgespielt zu haben, denn: »putz das chandelle« ist doch nur halb.

Der Spaß war den lustigen Kameraden verdorben, der Geometer, der im Adler wohnte, war nicht zu Hause.

»Bleibst du wieder bei uns, Florian?« fragte Bärbel.

[14] »Nous verrons, wir wollen sehen.«

»Verzähl' uns auch 'was,« sagte Kaspar, der als Wirth auch seine Gäste zu unterhalten suchte. »Bist du denn auch z'Paris g'wesen?«

»Freilich,« erwiederte Florian in einem Tone, aus dem ein scharfer Aufmerker wohl die Unwahrheit heraushören konnte, »aber es hat mir nicht gefallen. Am schönsten ist's in Nanzig, da sind Wirthshäuser, die sind ringsum mit Spiegeln ausgetäfelt, die Tisch' sind alle von Marmelstein und man ißt und trinkt aus lauter Silber; da solltest du einmal sein, du thätest Maul und Augen aufreißen.«

Diese Zeichen der höchsten Aufmerksamkeit waren jetzt an Florian, denn der Geometer trat mit seinen beiden Kollegen in die Stube. Sie gingen nach dem Verschlägle, wo der Tisch für sie gedeckt war.

Florian ergriff sein Glas, stieß mit seinen beiden Freunden an und sagte: »à votre santé!«

Der Kaspar, der so aufmerksam zugehört hatte, war schnell den Eintretenden entgegen gegangen und trug ihnen nun ein Licht voraus. Florian zwirbelte seinen Schnurbart und fragte dabei den Constantin leise:

»Welcher ist's?«

»Der schäg, mit denen langen Haar', wo zuerst 'reinkommen ist.«

Eine Weile herrschte Stille in der ganzen Stube,[15] man hörte nichts als das Klappern der Messer und Gabeln hinter dem Verschlägle.

Constantin begann aber alsbald zu singen:


Der Herr Geometer

Der hat krumme Bein!

Sie sind halt net gräder,

Gezirkelt muß sein.


Ein schallendes Gelächter erfüllte plötzlich die Stube, dann aber trat wieder eine Stille ein, auch drinnen im Verschlägle hörte man keinen Laut.

Florian stand auf und sagte zum Sepple: »comment vous portez vous, monsieur le géomètre?«

»Quadutta loing,« erwiderte der Sepple, der unter erneuertem Gelächter in Einem fort kauderwelschte.

»Ich gratulir' zu deinem neuen Amt,« sagte Constantin, indem er den Pinsel vom Schwenkkübel herbeibrachte, »da vermiß mir einmal den Tisch; man braucht keinen Verstand dazu, sonst könnten's gewisse Leute nicht.«

Unter immer erneutem Gelächter vollzog der Sepple die Tischvermessung, das Bärbele aber kam her bei und sagte:

»Lasset die Possen, machet eure Späss' an einem andern Ort; sei ruhig Sepple oder marschir' dich.«

[16] Der Sepple schlug auf den Tisch und welschte ganz grimmig. Unter der Thüre des Verschlages erschien der Steinhäuser, der zu der Creszenz ging, seine zwei Kameraden hielten ihn, denn er wollte gerade auf den Burschen los; auch Kaspar suchte ihn zu beruhigen, und als es ihm einigermaßen gelungen war, trat er auf die Drei zu und sagte mit größerer Entschlossenheit, als man vermuthen mochte:

»Ich will euch 'was sagen: in meinem Haus dürfen so Sachen nicht ausgeführt werden, trinket ruhig, was ihr habt, oder ich weis' euch, daß vor der Thür' Draußen ist. Ich lass' keine Gäst' beleidigen, jetzt habt ihr's gehört, in meinen vier Wänden bin Ich Meister. Es ist mir Jeder lieb und werth, aber Ordnung muß sein.«

»Juste, schon recht,« sagte Florian, »ich werd' die Leut' schon an einem andern Ort treffen. Hörst du's da drüben, du krummer Bub, wenn du noch einen Tritt zur Creszenz thust, schlag ich dir deine krummen Spazirhölzer lahm, nachher kannst dein' Meßstang' als Krück' nehmen.«

»Er elender Gesell!« schimpfte Steinhäuser, vor den sich Kaspar als Schild gestellt hatte; Florian wollte auf ihn los und fluchte: »Kotzbluestkreuzmalefiz foudre de Dieu!« Der Kaspar schleuderte ihn zu rück; Constantin war klug genug und wehrte ab.

[17] So verließen nun die Drei das Haus, der Sepple folgte ihnen bald nach.

Auf der Straße schwuren die drei Kameraden, nie mehr in den Adler zu gehen. Der Florian wollte alsbald noch einmal hinein, er sei dem Adlerwirth noch 'was schuldig geblieben, er müsse ihm 'raus bezahlen.

»Kreuz Sack am Bändel, 1 da bleibst,« sagte Constantin, »bei dir ist noch allfort gleich Dreiviertel auf Mordjo. Gib jetzt Frieden, wir wollen den Geometer schon hinlegen, daß er nimmer an die Auferstehung der Beine glauben soll.«

Man beruhigte sich, und zum Spaße, da heute nichts mehr anzufangen war, bellte der Studentle noch wie ein geschlagener Hund durch das ganze Dorf und machte dadurch, wie er es nannte, alle Hunde in den Häusern rebellisch.

Fußnoten

1 Beschönigender Ausruf für Sakrament.

3. Ein Alltagsleben am Sonntag

3.
Ein Alltagsleben am Sonntag.

Andern Tages kleidete sich Creszenz nicht sonntäglich an, um nach der Kirche zu gehen, sie klagte über Unwohlsein und blieb zu Hause.

Als der Schneiderle aus der Kirche zurück kam und den Aufzug seiner Tochter sah, sagte er:

[18] »Was ist das? Still sag' ich, einmal und millionenmal,« fuhr er fort, ehe noch Creszenz antworten wollte. »Gelt, dir ist nicht recht just, weil der Florian wieder da ist, und da willst du nicht auf die Straß'? Ich hab' schon gehört, was er Nächt 1 mit dem Geometer gehabt hat; jetzt mußt du heut zum Trotz mit dem Geometer in's Horber Bad. Das sag' ich, Ein Wort wie Tausend.«

»Ich bin krank.«

»Nutzt nichts, geh' 'nauf und zieh' dich an, oder ich mess' dir mit der Ell' da die Kleider an.«

»Laß ihn schwätzen,« sagte die Schneiderin, die unterdessen eingetreten war, »das ist grad den Mäus' pfiffen, was er sagt. Creszenz, wenn dir nicht gut ist, bleib du daheim. Von dem, was er erhauset, hättet ihr kein Fädle auf dem Leib; der Freßsack kann nichts als alle Tag' dreimal die Füß unter'n Tisch' stellen und sich füttern lassen wie eine Einquartirung.«

Der Schneiderle wollte auf Creszenz los, seine Frau aber stellte sich vor ihn hin, ballte die Fäuste, und der gestrenge Mann kroch scheu in eine Ecke.

Diese Leute kamen eben aus der Kirche, wo sie die Worte: Liebe, Friede und Seligkeit gesungen und gebetet hatten; noch hatten sie das Gesangbuch nicht[19] aus der Hand gelegt und schon war die häßlichste Zwietracht zwischen ihnen entbrannt.

Ueberhaupt sind wir da in ein sonderbares Haus eingetreten. Die Mutter war früher Pfarrköchin gewesen und hatte den Schneiderle etwas schnell geheirathet, Creszenz war ihr ältestes Kind; außerdem hatte sie noch einen Sohn und eine Tochter. Die Schneiderin ging noch immer städtisch gekleidet und trug bloß die schwarze Bauernhaube; denn bei allem Verschwinden der Bauerntrachten wird es doch schwer dahin kommen, daß die kostspielige Florhaube in Aufnahme kommt.

In der ersten Zeit, als die beiden Leute mit einander verheirathet waren, lebten sie gut; denn wo Alles vollauf im Hause ist, müssen es gar unverträgliche Menschen sein, wenn sie mit einander keifen sollten.

Das nennt man dann, in gebildeten wie in ungebildeten Ständen, die glücklichen, die friedlichen Ehen.

Der Schneider arbeitete in seinem Handwerke und die Frau errichtete ein Kramlädchen, worin Spezereien und andere Waaren verkauft wurden.

Was ist aber der Mode mehr unterworfen, als die Herrscher der Mode, die Schneider? Der Balthes arbeitete nur für die Herren und für die Juden, die sich auch städtisch tragen; Bauernkleider zu machen, [20] war ihm ein Gräuel, denn er war »in Berlin drein gewest.«

Neue, junge Concurrenten hatten sich in dem Dorfe und der Umgegend niedergelassen; Balthes konnte nun oft ganze Tage umherlaufen, ohne Arbeit zu finden.

Da verfiel er auf einen spekulativen Gedanken, in dessen zeitweiliger Ausführung wir ihn noch begriffen finden. Im Verein mit dem Anschel Meier, dem Vater des Beßle, reiste er nach Stuttgart, kaufte dort alte Kleider und richtete sie neu her. Besonders aber war er auf die abgetragenen rothen Frackröcke der Hofbedienten aus, wozu ihm Anschel verhalf, der aus den Lieferantenzeiten her hohe Bekanntschaften hatte. Die Livreeröcke wurden dann zerschnitten und rothe Bauernwesten daraus gefertigt, die im Schwarzwalde noch überall getragen werden. Auch Uniformen der Officiere wurden gekauft, und ans dem rothen Unterfutter des Wehrstandes Kleider für den Nährstand gemacht.

Man sagt aber, der Anschel habe fast allen Profit an sich zu ziehen und sich noch ein, Nebenverdienstchen bei den hohen Verkäufern zu machen gewußt.

Von der Zeit an, als Balthes aus der Mode gekommen und Ebbe im Hause eingetreten war, gaben die beiden Eheleute kein gutes Wort mehr. Dem [21] Balthes ward, wie man sagt, der Löffel aus der Hand genommen, ehe er genug gegessen hatte. Er war über nichts mehr Meister, er durfte am Sonntag nicht einmal ein Stück Speck zerschneiden und hieß doch der Schneidermeister. Wo er stand oder saß, war er seiner Frau zu viel, sie hatte vollkommen das Heft in Händen, denn sie verreiste jeden Herbst, und nach ihrer Zurückkunft war immer wieder Alles flott im Hause.

Die Kinder hielten natürlich zur Mutter, denn Balthes war auch mehr in fremden Häusern, als in dem seinigen. Er kam fast nur zum Essen und Schlafen. Jenes ward ihm mit tüchtigen Reden gut gesalzen, und dieses durch einen wohlgesetzten Abendsegen versüßt.

Creszenz blickte nun ihren Vater verächtlich an. Da trat der Geometer ein, Vater und Mutter machten freundliche Gesichter und thaten, als ob sie die Liebe selber wären; nur Creszenz sah betrübt aus, ihre Lippen zitterten.

»Gang, mach', Creszenz, zieh dich hurtig an,« sagte die Mutter. »Herr Geometer, wollen Sie's heut Mittag mit uns halten? das thät mich recht freuen. Es ist eben ein gewöhnlich Essen: Sauerkraut, Knöpfle und ein Speck, es wird Ihnen aber doch schmecken, die Creszenz hat gekocht.« Ein schätterndes Kichern begleitete fast jedes ihrer Worte, [22] wobei sie sich immer ein Bischen an der Nasenspitze zupfte.

Mit aller Kraft seiner Rede, fast mit Zwang bestimmte Balthes den Geometer zur Einwilligung. Er nahm ihm den Hut ab und gab ihm solchen nicht mehr, denn er wußte wohl, daß, wenn der Geometer da war, es nicht nur bei Tisch ohne Zank abging, sondern auch wahrscheinlich eine Halbe Bier geholt würde. In der That wurde auch Cordele, die kleine Tochter, in den Adler geschickt und kam mit einer Flasche unter der Schürze zurück; denn auf dem Lande, wo Alles offenkundig ist und man den Leuten so zu sagen in den Mund guckt, sucht man auch Alles zu verbergen.

Creszenz trug schön geputzt aber mit verweinten Augen das Essen auf, sie klagte über den Rauch in der Küche. So war Alles Lüge bei Tische. Kaum hatte der Geometer halb aufgegessen, legte ihm die Mutter schnell wieder ein gutes Stück auf den Teller. Er dankte sehr für diese Freundlichkeit, denn er merkte nicht, daß die Frau, den verlangenden Augen ihres Mannes folgend, demselben schnell den ersehnten Bissen vor der Nase wegraubte; auch schenkte sie dem Geometer oft ein, weil sie mit Recht fürchtete, ihr Mann würde sonst nicht blöde zugreifen. Nur die Frau und der Geometer führten das Wort bei Tische. Als dieser von der Händelsüchtigkeit des Florian [23] er zählte, erröthete Creszenz, sie holte aber schnell den Katzenteller unter der Ofenbank vor.

Als abgegessen war, sagte Balthes: »Nun, Frau, mach' auch einen Kaffee.«

»Ich für meine Person muß danken,« sagte der Geometer.

Die Schneiderin nahm das gern an, denn sie gönnte ihrem Manne keinen Antheil an dem Leckerbissen; sie küchelte dann später einen für sich allein und bröselte etwas dazu.

Nach der Mittagskirche ging nun Creszenz mit dem Geometer spaziren; sie wußte es zu veranstalten, daß sie nicht durch das Dorf, sondern durch die Gärten gingen. Als sie gegen des Jörgli's Kegelbahn kamen, schreckte Creszenz plötzlich zusammen, denn sie sah Florian, wie er hemdärmelig mit dem Rücken nach dem Wege gekehrt dort stand. Sie hörte, wie er, ein Stück Geld auf den Boden werfend rief: »Es gilt sechs Batzen, ich treff' fünf.« Unter dem Vorwande, daß sie etwas vergessen habe, kehrte Creszenz schnell um, der Geometer folgte ihr kopfschüttelnd. Zu Hause überraschten sie die Mutter unangenehm beim Kaffee. Sie gingen nun durch das Dorf.

Florian begnügte sich für diesen Sonntag damit, Aufsehen im Dorfe zu erregen; das gelang ihm in vollem Maße. Alle Leute redeten nur von ihm, von [24] seiner schwarzen Sammtjacke mit den silbernen Knöpfen, von seiner roth- und schwarzgestreiften Freischützenweste und von allen Herrlichkeiten der Art, denn die Leute im Dorfe wie in der Stadt haben meistens nichts zu sprechen und sind froh, wenn sich ihnen ein Gegenstand darbietet.

Der alte Metzgerle, der Vater des Florian, sammelte den Ruhm seines Sohnes von Mund zu Mund und that das Seine, ihn noch zu steigern.

Er konnte immer noch als ein schöner Mann gelten, wie er daher schritt, groß mit geröthetem Antlitze und lustigen grauen Augen. Er ging hemdärmelig und hatte das Sacktuch in das Armloch der Weste gesteckt, was ihm etwas Eigenthümliches gab. So oft er nun Jemand begegnete, zog er seine Dose heraus und ließ eine Prise ächten Doppelmops nehmen, indem er stets dabei bemerkte: »Den hat mir mein Florian bracht, gelt es ist ein Staatskerle? So ist Keiner auf zwanzig Stund Wegs. Sein Meister thät ihm auch gleich seine einzige Tochter geben, der Heidenbub' mag aber nicht. Sein Meister löst mehr für Klauen, als drei Horber Metzger für Fleisch, er metzget alle Tage seine acht Kälber und auch zwei oder drei Ochsen. Was meinst?« setzte er dann gewöhnlich hinzu, indem er seine Blätschle's- 2 Kappe [25] dabei abnahm und wieder aufsetzte, »wie wär's, wenn ich nach Straßburg ging' und das Mädle heirathen thät? Wenn es einmal partu einen Großmann will, ist's eins, der jung' oder der alt', ich nehm's noch mit Jedem auf.«

Bei dem alten Schmiedjörgli, einem kinderlosen Greise von mehr als achtzig Jahren, der immer vor seinem Hause an der Straße saß und sich von den Leuten Alles erzählen ließ, hielt sich der alte Metzgerle besonders lange auf. Der alte Schmiedjörgli und die alte Maurita auf der Bruck, das waren die zwei Leute, durch die man etwas im ganzen Dorfe bekannt machen konnte. Der Schmiedjörgli erzählte Gutes und Schlimmes weiter, um Andere damit zu necken und um zu zeigen, daß er Alles wisse, die Maurita aber erzählte das Freudige, damit sich Andere mit freuen, und das Traurige, damit Andere mit trauern. Der Schmiedjörgli war der beste Abnehmer für die Prahlereien des Metzgerle.

So ging der Sonntag vorüber, und als Creszenz – es war schon längst Nacht geworden – mit dem Geometer heimkehrte, dankte sie Gott, daß die gefürchteten Händel nicht eingetroffen waren.

Fußnoten

1 Gestern Abend.

2 Ein rundes ledernes Käppchen, ohne Schild, wie ein Krautblatt geformt, daher Blätschle, so viel als Blättchen.

4. Wie Florian und Creszenz sich wieder sehen

4.
Wie Florian und Creszenz sich zum ersten- und zum andernmal wieder sehen.

Schon eine Stunde vor Tag stand Creszenz andern Morgens auf, fütterte ihr Vieh und verrichtete still die Hausarbeit. Sie blickte einmal schmerzlich auf, als sie inne ward, daß sie nicht mehr sang; sie ging hinaus in's Feld.

Mit einem Bündel Frühklee auf dem Kopfe kam Creszenz von der Halde herauf, sie sah herrlich aus, die geschmeidigen Formen ihres Körpers hoben sich straff hervor. Mit der rechten Hand hielt sie den Kleebündel, mit der linken den Rechen der, über die Schulter gelegt, auch als Stütze der Last diente. Sie ging still und ruhig; die rothen Blumen schauten in ihr rothes Antlitz. Nicht weit von des Jakoben Kreuz hörte sie plötzlich die Stimme Florians, der »Grüß Gott Creszenz« sagte; sie stand wie festgebannt.

»Komm'!« fuhr Florian fort, »ich will dir ablupfen.«

»Ich bitt' dich, Florian, ich darf mich jetzt da nicht aufhalten, da sehen uns alle Leut'. Guck, du siehst, ich kann mich jetzt nicht wehren, ich kann dir nicht davon spingen: aber wenn du nicht willst, daß [27] ich mein Lebtag kein Sterbenswörtle mehr mit dir red', so geh' jetzt fort. Heut Abend nach dem Nachtläuten komm' zu des Melchiors Lenorle, da will ich dir Alles sagen.«

»Gib mir nur auch eine Hand.«

Creszenz schlug den Arm über den Rechen und reichte die linke Hand, indem sie tief athmend sagte:

»B'hüt di Gott bis heut Abend.«

Jetzt erst im Weitergehen empfand Creszenz, wie schwer die Last auf ihrem Kopfe war; sie stöhnte im Weitergehen als ob sich der Mocklepeter am hellen Tage als erdrückender Geist an sie geklammert hätte. An dem Kreuze legte sie die Last auf die hohe Bank, die zum Auf- und Abladen schwerer Traglasten hier aufgerichtet ist.

Bei dem Sinnbilde des Glaubens steht dieser stumme Diener allzeit hülfreich bereit. Zu Füßen dessen, der die schwerste Last auf sich genommen – die Menschen frei und liebend zu machen – legen die Menschen eine Weile ihre Tagesbürde nieder, um dann ausgeruht weiter zu schreiten.

Creszenz blickte lange nach dem Crucifix, sie wußte aber nicht, daß sie es that, denn in ihr bebte nur die Furcht vor dem Florian, nach dem sie sich nicht umschauen wollte; endlich aber that sie es doch, und ihr Antlitz erheiterte sich sichtbar, als sie den flinken Burschen so durch das Feld dahinwandeln sah.

[28] Den ganzen Tag über war Creszenz ernst und wortkarg. Noch ehe es Nacht war, nahm sie ein Koller, um es, wie sie sagte, dem Walpurgle zum Waschen zu bringen; sie ging aber nicht zu dem Walpurgle, sondern zu dem Lenorle; dieses kam ihr entgegen und sagte:

»Geh' nur durch die Scheuer, hinten im Garten ist er.«

»Geh' mit,« bat Creszenz.

»Ich komm' schon, geh' nur derweil.«

Als Creszenz unhörbar durch die Scheune in den Garten trat, sah sie den Florian, wie er auf einem Blocke gebückt da faß und mit einem stiletartigen Messer etwas in das Holz grub; seine langen, schön gescheitelten braunen Haare hingen weit über seine Stirn.

»Florian, was treibst?« fragte Creszenz.

Der Angeredete warf das Messer weg, schüttelte sich die Haare zurecht und faßte Creszenz, küßte und herzte sie; sie widerstand nicht. Endlich aber sagte sie:

»Nun, jetzt ist genug; du bist halt grad noch wie du gewesen bist.«

»Ja, aber du nicht.«

»Kein Brösele anders. Gelt, du bosgest, weil ich mit dem Geometer geh'? Wir hätten uns ja doch nie heirathen können. In Dienst lassen mich meine [29] Leut' nicht, und bei ihnen bleiben mag ich auch nicht, bis ich graue Haar krieg'.«

»Wenn das so ist, wenn du den Geometer magst, hab' ich nichts mehr mit dir zu reden; das hättest du mir heut' Morgen sagen können. Ich weiß eine Zeit, da hätt' der König kommen können, dem das ganze Land gehört und der's nicht blos vermessen hilft, und du hättest gesagt: Groß Dank, mein Florian ist mir lieber, und wenn er nichts hat, als was er auf dem Leib trägt.«

»Ei, wie schwätzst du jetzt? was nutzt das? wir können uns ja nicht heirathen.«

»Ja, ja, da hört man's, das ist das erzig 1 roth' Schneiderle. Wenn ich dich nur mein Lebtag mit keinem Aug' mehr gesehen hätt', wenn ich nur all' beid' Füß brochen hätt', eh ich wieder heim kommen wär!«

»Ei, mach' jetzt keine so Sachen, gelt, du lugst mich doch auch als noch freundlich an und lachst ein bisle mit mir, wenn du mir verkommst?« 2

Mit einem Blicke voll heiterer Liebeslust sah Creszenz Florian an, sie lächelte, aber das Weinen stand ihr näher als das Lachen. Florian hob sein Messer auf, steckte es ein und wollte fortgehen; da faßte Creszenz seine Hand und sagte:

[30] »Trutz mir nicht, Florian, gang, mach', red' auch. Lug' ich hab' ja doch den Geometer noch nicht geheirathet, aber laufen lassen kann ich ihn jetzt nicht; meine Leut' thäten mich im Schlaf erwürgen, wenn ich von ihm ließ'. Es dauert aber noch wenigstens zwei, drei Jahr', bis was draus wird, wer weiß wie's noch geht, kann sein ich sterb' vorher – das wär' mir das Liebst'.«

Die Stimme der Creszenz stockte.

Plötzlich erwachte in Florian ein ganz anderes Leben, die unerklärbare Schlaffheit verschwand; er stand da wie neu erwacht, und freudetrunken blickten sich die Beiden an.

»Lug,« sagte er, »wie ich da gesessen bin und auf dich gewartet hab', ist mir's grad gewesen, wie wenn mir einer alle Glieder zerschlagen hätt'. Ich hab' so darüber nachdenkt, wie elend wir daran sind, und einmal über's andere ist mir's gewesen, wie wenn ich mir mein Messer in's Herz stoßen müßt. Wenn mir Einer unter die Hand kommen wär', ich weiß nicht – und fort mag ich auch nicht, und hier bleiben muß ich, und dich muß ich haben.«

»Ja, das wär' schon recht, wir können doch aber nicht auf den alten Kaiser 'nein leben; ich wüßt' wohl Einen, der uns helfen könnt', er müßt' es mir thun.«

»Red' mir nichts von ihm, er darf dich nichts [31] angehen, ich will's nicht, und er geht dich nichts an; du bist deines Vaters Kind und wer anders sagt, den stech' ich wie ein achttägig Kalb. Guck, mein Vater hat mich schon halb ausgebeutelt, ich hab' aber wohl noch ein Geld; ich bleib' jetzt vor der Hand hier und arbeit' auf meines Vaters Meisterrecht. Ich will einmal denen Nordstettern zeigen, was der Florian kann, sie sollen Respekt vor mir haben.«

»Du bist ein Schöner,« sagte Creszenz, »hast mir denn gar nichts mitbracht?«

»Ja doch, da.«

Florian langte in die Tasche und gab Creszenz einen breiten silbernen Ring und ein gemaltes stammendes Herz, darin ein Spruch stand.

Nach dem ersten Jubel des Entzückens wollte Creszenz den Reim lesen, Florian aber sagte: »das kannst du, wenn ich auch nicht dabei bin, jetzt wollen wir schwätzen.«

»Ja, erzähl' mir einmal. Ist es wahr, hast du Bekanntschaft mit deines Meisters Tochter in Straßburg?«

»Kein Gedanke, ich thät ja sonst nicht hier bleiben, und hier bleib' ich. Alle Nordstetter müssen sagen: der Florian ist ein Kerle, wie's Keinen mehr gibt.«

Noch lange blieben die Beiden zusammen. Als Creszenz wieder nach Hause kam, traf sie den [32] Geometer und mußte freundlich und liebreich gegen ihn sein. Mit schwerem Herzen las sie noch spät in ihrem Kämmerlein den Spruch auf den: gemalten Herzen:


Besser Stein zur Mauer graben,

Als lieben und doch nicht haben.


Weinend legte sie das Blättchen in ihr Gesangbuch.

Da haben wir nun eines jener Verhältnisse, wie sie zu Tausenden in Stadt und Land sich finden, vielleicht nicht so grell, die Farben sind mehr in einander vertuscht. Creszenz hatte den Florian gern und wollte doch die Versorgung durch den Geometer nicht drangeben; dort hielt sie die Liebe, hier der Verstand. Es müßte sonderbar zugehen, wenn daraus nicht schweres Unglück entstünde.

Fußnoten

1 Erzig, so viel als ursprünglich, durchaus gleich damit.

2 Verkommen, so viel als begegnen.

5. Was Florian im Dorfe treibt und wie er Haare lassen muß

5.
Was Florian im Dorfe treibt und wie er Haare lassen muß.

Florian blieb nun im Dorfe und schlachtete, von dem Meisterrechte seines Vaters Gebrauch machend, ein Rind und bald wieder eines. So gut es auch in der ersten Zeit zu gehen schien, so hatte doch die Herrlichkeit bald ein Ende. Der alte Metzgerle ging mit dem liegen gebliebenen Fleische hausiren, er [33] verthat aber oft nicht nur den Profit, sondern auch das Kapital. Die Concurrenz der bereits ansäßigen jüdischen Metzger war trotz der Geschicklichkeit Florians nicht zu besiegen, denn die Juden verkaufen das Fleisch von den Hintertheilen billiger, da sie nach einer Anordnung der Bibel nur das Fleisch der Vordertheile essen dürfen.

Ueberhaupt aber ist es auf dem Dorfe fast nicht möglich, von einem Handwerke allein ohne Ackerbau zu leben. Zum Ackerbau hatte Florian keine Gelegenheit und noch viel weniger Lust. Er schlachtete nun eine Zeit lang in Gemeinschaft mit einem jüdischen Metzger, aber auch dieß hörte bald auf.

Nun half Florian den Straßburger Metzgern Ochsen einkaufen. Er verdiente dabei manch schön Stück Geld und machte auch seinen Vater zu einen: ganz glückseligen Menschen. Der alte Metzgerle konnte wieder Ochsen ausgreifen und schätzen wie in alten Zeiten, er verjüngte sich wieder. Florian war einer der ersten Burschen im Dorfe.

Ungeschickterweise verdarb er es aber mit dem Schultheißen. Dieser ließ, als die fremden Händler da waren, den Florian zu sich kommen und wollte seine Ochsen verkaufen. »Sie wiegen gut vierzehn Centner,« betheuerte der Schultheiß. »Was sie mehr als eilf wiegen, will ich roh fressen,« erwiderte Florian, und das war dumm; denn von [34] diesem Augenblick an war ihm der Schultheiß spinnefeind.

Deß kümmerte sich aber Florian wenig, er spielte jeden Sonntag den Baron, kegelte immer am höchsten, und ließ wie man sagt, das Garn auf den Boden laufen.

Es ist ein eigen Ding um die Fremdenehre, sie ist gar bald aufgezehrt. Ein Ansehen, das man sich errungen hat, weil man eine ungewöhnliche Erscheinung war, hört auf, sobald die Leute an die Erscheinung gewöhnt sind; sagt man ja, wenn der Regenbogen lang stünde, würde man sich nicht mehr nach ihm umsehen.

So erregte auch Florian kein Aufsehen im Dorfe mehr. Erst ein unerwartetes Ereigniß zog wieder die Blicks Aller auf ihn.

Eines Abends stand er mit seinen Kameraden nicht weit vom Adler, der Schultheiß saß mit dem Geometer auf der Bank vor dem Hause. Florian bemerkte, wie sie nach ihm hinschielten, wie der Schultheiß mehrmals mit der Hand über die Oberlippe fuhr, der Geometer unbändig lachte und dabei das Wort Samson aussprach. Florian wußte nicht, was das zu bedeuten habe, es sollte ihm aber bald klar werden.

Andern Tages wurde er vor den Schultheiß geladen, von dem wir uns erinnern, daß er einst [35] Unterofficier gewesen war; er befahl nun dem Florian, ohne Widerrede seinen »Schnurrwichs« herunter zu machen, da er nie Soldat gewesen und es nur den Soldaten erlaubt sei, Schnurrbärte zu tragen. Florian lachte den Schultheiß aus, worauf dieser gewaltig schimpfte, es kam zur Gegenrede, für die Florian in das Gefängniß wandern mußte.

Es ist ein gefährlich Ding, einen Menschen, der eigentlich unschuldig ist, in's Gefängniß zu sperren; das stumpft sein Gefühl und seine Scheu ab für Zeiten, wo er vielleicht schuldig ist.

Als Florian herauskam, mußte er dem gestrengen Befehle Folge leisten. Mit einer Wehmuth ohne Gleichen stand er vor dem Spiegel und preßte seine der Haarzier beraubten Lippen zusammen, seine Zähne knarrten und ein harter Schwur setzte sich in seiner Seele fest.

Im ganzen Dorfe sprach man von nichts, als von dem abgemähten Schnurrbarte Florians, und jetzt, seitdem er nicht mehr war, lobte ein Jeglicher dessen Vorzüge.

Dem Florian war es, als ob seine Haut geschält wäre und als er durch das Dorf ging, beredete ihn ein Jeder über sein verändertes Aussehen.

So weit war es aber schon mit Florian, daß er sich sogar über dieses Aufsehen freute. Wenn nur [36] die Leute etwas Besonderes an ihm zu bemerken hatten, das war ihm schon genug.

Vor dem Hause der Creszenz ließ er sich am Tage nicht sehen, und als er Abends mit ihr zusammenkam und sie ihn auslachte, schwur er, daß der Geometer ihm jedes Haar bezahlen solle. Creszenz suchte ihn zu begütigen, er schwieg.

Wenige Tage darauf wurde der Geometer auf dem Heimwege von Horb des Nachts von drei Burschen überfallen. Sie schleppten ihn in den Wald und mit dem Rufe: »Auf ihn, er ist von Ulm,« prügelten sie ihn so durch, daß er kaum mehr heimgehen konnte. Einer rief ihm zum Schlusse zu: »dießmal war's glimpflich, wenn du binnen acht Tagen nicht aus dem Dorf bist, wird dir das Nachtessen noch einmal gewärmt.« Der Geometer glaubte die Stimme Florians zu erkennen. Er suchte nun eine Klage anhängig zu machen, aber die Wahlbewegungen im Dorfe ließen diese zu keinem richtigen Fortgange kommen.

Es wurde ein neuer Schultheiß gewählt, die Bartscheerung Florians war die letzte Amtshandlung des unteroffizierlichen Schultheißen. Der Buchmaier, der die Leute ungeschoren ließ, und unter dessen Regierung auch der Schnurrbart Florians wieder zu erneuter Herrlichkeit aufwachsen durfte, wurde fast einstimmig »gekurt.«

[37] Der Geometer verließ mit seinen Kameraden das Dorf und siedelte sich in Mühl an, der rothe Schneiderle und der Adlerwirth boten Alles gegen diese Auswanderung auf, aber vergebens.

Mit Florian war indessen auch eine große Veränderung vorgegangen. Er schien sich mit den Straßburgern überworfen zu haben, denn er war nicht mehr ihr Unterhändler. Auch der alte Metzgerle blieb fast immer zu Hause, er hatte eine neue Erwerbsquelle gefunden, die reichlich floß. Auf seinen Reisen als Ochsentreiber hatte er mit den Schmugglern im Badischen Bekanntschaft gemacht; denn Baden gehörte damals noch nicht zum Zollvereine. Er verkaufte nun die eingeschmuggelten Sachen, besonders Zucker und Kaffee, und stand sich gut dabei. Der rothe Schneiderle sah seinen Kramladen durch den geheimen Zwischenhandel vernichtet, und doch war ihrer Kinder wegen Feindschaft und Continentalsperre zwischen ihm und dem Metzgerle. Die Frau aber fand einen glücklichen Ausweg: das Haus der Leichkäther ward der neutrale Boden, auf dem man unterhandelte. Die Leichkäther mußte die fremden Waaren von dem Feinde für sie aufkaufen.

So war auch zwischen den Großmächten ein geheimes Spiel angezettelt.

Fast jeden Sonntag wurde Creszenz durch arge Mißhandlungen gezwungen, ihrem Vater zu folgen[38] und in Mühl oder halbwegs, in Egelsthal, mit dem Geometer zusammen zu kommen. Sie war dann wider ihren Willen munter und lustig, und wenn sie lange genug geheuchelt hatte, wurde sie beim Weine wirklich aufgeheitert, so daß der Geometer glaubte, sie hänge noch immer an ihm.

Abends aber ging sie immer wieder heimlich mit dem Florian, und wenn sie nach Hause kam, warteten ihrer neue Mißhandlungen.

So lebte Creszenz ein qualvolles Leben, dessen innern Widerspruch sie aber zu ihrem Glücke nicht erkannte; sie hatte ihr Lebenlang nichts als Unwahrheit und Halbheit vor sich gesehen.

6. Florian in Floribus

6.
Florian in Floribus.

Florian suchte im Ort etwas zu verdienen, es gelang ihm aber selten. Er wollte nämlich bloß auf seinem Handwerke oder sonst in einem angesehenen Geschäft arbeiten, die Feldarbeit hielt er unter seiner Würde; lieber wäre er Hungers gestorben, ehe er, wie andere vermögenslose Menschen, Steine auf der Straße geschlagen hätte.

Florian wollte nur das thun, was er gerne that, und das können doch die wenigsten Menschen durchführen.

[39] Es ergab sich indeß bald eine Gelegenheit, wobei Florian Geld und nach seiner Art hohe Ehre gewann.

Der Hammeltanz war nahe, große Vorbereitungen wurden dafür getroffen. Der Adlerwirth hatte sich mit Florian und seinen Kameraden wieder ausgesöhnt, denn als Wirth war er Diplomat genug, um den einmal erlittenen Verlust durch den Auszug der Geometer nicht noch durch Ortsfeindschaft zu verdoppeln.

Florian schlachtete nun für Kaspar ein Rind und ein Schwein; letzteres auf der Straße, so daß alle Leute bei ihn: stehen blieben und dem stinken Burschen zusahen, der in seiner Handwerksthätigkeit allerdings ganz herrlich anzuschauen war. Die Muskeln an seinen bloßen Armen waren so straff und schön, daß man sagen konnte, die Herrschaft über das Leben der Thiere strotzte darin. Er wetzte das Messer mit drei Strichen auf dem Stahl so scharf, daß er ein flatterndes Haar damit durchschneiden konnte. Besonders aber als es an das Würstehäckeln ging, stand immer ein großer Kreis von Gaffern um ihn her. Florian häckelte mit zwei Beilen, die er so leicht handhabte wie ein Trommler seine Schlägel; auch pfiff er dabei die schönsten Ländler und schlug den Takt dazu. Manchmal machte er sich noch einen besonderen Spaß. Er warf eines der Beile hoch in [40] die Luft, häckelte mit dem andern ununterbrochen fort, schnalzte mit der leeren Hand, fing das Beil am Stiele wieder auf und häckelte dann im Takte weiter. Alles schlug die Hände vor Verwunderung zusammen.

Der alte Metzgerle sammelte sich den Ruhm seines Sohnes als Nachtisch zu dem Kesselfleisch, das er genossen; bei dem Schmiedjörgli hielt er sich wieder besonders lang auf: »Ich bin doch ein geschlagener Mann,« sagte dieser, »daß meine Unterthanen mir nicht mehr folgen, da muß ich jetzt hocken und muß sehen, wie Alles zu dem Florian hinaufrennt und ihm zuguckt. Ich gäb' einen Dreibätzner drum, wenn er da neben mir schlachten thät.«

»Ja,« ergänzte der alte Metzgerle und rieb sich die Hände, »der Hofmetzger in Stuttgart kann's nicht wie mein Florian. Er hat einmal in Straßburg mit seinen Kameraden gewettet, er woll' vier Kälber und zwei Säu ganz herrichten ohne das kleinste Mösle 1 an seine Kleider zu bringen – und richtig, er hat's fertig bracht, und sein Schurz und sein Hemd waren noch grad wie der gefallene Schnee.«

Florian hatte nun bei allen Leuten so viel zu thun, daß er Tag und Nacht nicht zur Ruhe kam und am Sonntag des Hammeltanzes die Morgenkirche verschlief.

[41] Creszenz hatte dem Geometer eine Zusammenkunft in Egelsthal versprochen, es gelang aber Florian leicht, sie davon abwendig zu machen.

Nach der Mittagskirche war Jubel im ganzen Dorfe. Auf dem Schloßhofe waren Pfähle in einem Kreise aufgesteckt, um die ein Seil gebunden war. In der Mitte des Kreises stand ein schöner Hammel mit einem rothen Bande geziert, auf dem Tische daneben stand eine blinkende zinnerne Schüssel. Die Musik ging voraus; ein jeder der Burschen, sein Mädchen an der Hand, hinterdrein.

An dem Schloßthor war eine Schlaguhr angebracht, und zwar so, daß man sie nicht sehen konnte. Punkt zwei begann der »Freitanz.« Die Musik spielte einen Marsch, die Paare gingen in strenger Ordnung rings um das Seil. Ein alterthümlicher Säbel war in einen Pfosten gehackt, einer der Burschen nach dem andern zog ihn heraus und hackte ihn den nächstfolgenden Pfosten. Als Florian mit Creszenz an den Säbel gelangte, stellte er die Waffe aufrecht auf seine unteren Zähne und schritt so lange ohne zu wanken bis zur nächsten Station. Ein allgemeines »Gucket au!« lohnte diese Keckheit. Die Leichkäther prophezeite, daß Florian den Hammel gewinne. So wandelte nun Alles im Kreise, jubelnd und lachend. Als Florian den Säbel wieder in der Hand hielt, schlug es plötzlich drei. Ein allgemeines [42] »Hoch!« erscholl. Das Seil wurde eingerissen und dem Florian der Hammel, das Band und die Schlüssel gebracht. Die Mädchen kamen herbei, glückwünschten der Creszenz und flochten ihr das neue Band in das Haar. »Jetzt ist es g'wiß, ihr krieget euch dieß Jahr,« sagte des Melchiors Lenorle. Creszenz aber sah ihren Vater, der mit geballter Faust vor ihr stand; sie weinte.

Mit Musik zog man nun in das Wirthshaus, Florian begann mit Creszenz den ersten Tanz.

Der Buchmaier hatte als Schultheiß eine alte Sitte wieder erneuert. Er beorderte weder den Schützen noch einen Landjäger als Ordnungshalter zum Tanze. Am Vorabende hatte er alle Burschen, die das achtzehnte Jahr zurückgelegt hatten, zusammenkommen und sie zwei sogenannte »Tanzburschen« wählen lassen. Constantin und des Zimmermann Valentins Xaver erhielten die meisten »Kuren,« 2 der dritte sollte der sein, der den Hammel gewänne; der Schultheiß hatte sich nur vorbehalten, falls einer der Gewählten der Glückliche wäre, noch einen aus eigener Machtvollkommenheit zu ernennen. Nun war Florian der dritte Tanzbursche, der, wie die anderen, ein weißes Band um den linken Arm erhielt. Die Drei mußten für die Aufrechthaltung der Ordnung bürgen, jede Störung fiel ihnen zur Last; es kam aber keine [43] vor, denn die Leute lassen sich am liebsten von denen aus ihrer Mitte regieren.

Creszenz war ganz glückselig, sie vergaß den Geometer vollends. So schön als Florian konnte Keiner tanzen, selbst der Jörgli nicht; er schlug immer im Takte die Füße zusammen, so daß Aller Blicke auf seine schöngewichsten Stöckelstiefel gerichtet waren. Dann rief er manchmal mitten aus dem Tanze heraus: Hellauf! Sein ganzes Wesen hob und bewegte sich nach dem Tone der Musik; er war ein ganzer Tänzer. Er wollte keine Minute ruhen, und als die Musik eine Weile aushielt, trat er zu dem Klarinettisten und sagte: »Laß' dein dürr Holz rappeln,« worauf der Musikant erwiderte: »Laß was einschenken, daß es quillt.« Florian warf einen Sechsbätzner auf den Tisch.

Spät in der Nacht wurde der »Balbiererstanz« ausgeführt, bei dem Florian in seinem vollen Glanze er schien. Es wurde nämlich ein Mensch hereingebracht, der schneeweiß aussah, vorn und hinten einen Höcker hatte und überall mit weißen Tüchern verbunden war; man konnte den Studentle gar nicht mehr erkennen. Die Musik spielte die Weise zu dem Lied:


Hol' mir den Balbierersknecht,

's ist mir jo gar et reacht.


Ein Stuhl wurde in die Mitte des Saales [44] gestellt und der Kranke darauf gesetzt. Der ersehnte Arzt kam herbei, um und um mit Messern behangen, eine große Klammerbrille auf der Nase und eine Perrücke von Werg auf dem Kopfe. Ein schallendes Gelächter begrüßte den Eintretenden, es war Florian.

Mit possirlichen Sprüngen tanzte er um den Kranken herum, fühlte ihm den Puls, öffnete den Verband am Arme, ließ zur Ader und steckte endlich ein Messer in den Höcker und ließ es darin. Der Kranke fiel todt zu Boden, die Musik ertönte in dumpfen Klagen. Der Arzt sprang verzweifelnd in der Stube umher, raufte sich ganze Ballen seiner Perrücke aus und warf sie den Leuten ins Gesicht; die Musik verstummte. Endlich, die Hand an die Stirne legend, besann sich der Gequälte und rief: »Musik!« Wiederum Klagetöne. Er kniete zu dem Kranken nieder, riß ihm den Mund auf und zog unaufhörlich weiße Bändel heraus; aber immer noch lag der Kranke leblos. Jetzt nahm der Arzt ein großes Schoppenglas, füllte es bis an den Rand mit Wein, stellte es auf seine Stirne und legte sich nach dem Takte der Musik neben den Kranken rücklings auf den Boden. Alles hielt den Athem an ob dieses schweren Kunststückes, aber es gelang. Nun wurde dem Patienten das volle Glas bis auf die Neige eingegossen, er schlug um sich, warf die Vermummung ab, Florian that desgleichen, die Musik [45] spielte wieder einen Hopser, des alten Schultheißen Bäbele kam herbeigesprungen und tanzte mit Constantin, Creszenz mit Florian; Alles war wieder munter und wohlauf.

Man hatte mitten in der Lust mit dem Uebel und der Trauer gespielt, in erneutem Freudejauchzen lebte man wieder auf.

Als man sich eine Weile zu Tische setzte, trank und sang, gab Florian ein neues Lied zum Besten, das er aus der Fremde mitgebracht hatte; es lautete:


Zu Straßburg auf der Schanze,

Hatte mich ein Mädchen lieb,

Es bracht' mir alle Morgen

Einen Kaffee und einen Brief.


Den Brief hab' ich erhalten,

Den Kaffee aber nicht,

Darinnen stand geschrieben:

Der Winter ist vor der Thür.


Der Winter und der ist kommen,

Die Meister werden stolz,

Sie sprechen zu den Gesellen:

Geh' 'naus und spalt mir's Holz.


Spalt es mir nicht zu grobe,

Spalt es mir nicht zu rein,

So kannst du diesen Winter

Mein treu' Geselle sein.


[46]

Der Winter und der ist ume,

Die Gesellen werden's frisch,

Sie nehmen Stock und Degen

Und treten vor Meisters Tisch.


»Ach Meister, wir wollen's rechnen,

Es ist die schönste Zeit,

Du hast uns diesen Winter,

Mit Sauerkraut gespeist.«


»Ist dir das Brod zu schwarze,

Ich laß es backen weiß,

Ist dir dein Bett zu harte –«


Hier kamen Verse, über die leider weder Creszenz noch sonst eines der Mädchen erröthete, vielmehr jubelte Alles von Neuem.

Wer mag nun zweifeln, daß Florian der erste Bursch' im Dorfe war?

Als aber Creszenz nach Hause kam, mußte sie schwer dafür büßen, daß sie heute die erste Rolle gespielt hatte; die Mutter war krank und der Vater besaß nun alle Macht im Hause. Creszenz duldete ohne Murren, sie wußte jetzt sicher, daß sie mit Florian vereinigt würde; hatten sie ja gemeinsam den Preis gewonnen.

Fußnoten

1 Mos, so viel als Flecken.

2 Kuren, so viel als Wahlstimmen, noch immer gebräuchlich.

7. Es geht scharf bergab

7.
Es geht scharf bergab.

Als die Zeit der Lustbarkeiten vorüber war, hatte auch die Herrlichkeit des Florian ein Ende, er wurde in die Ecke gestellt wie eine gebrauchte Baßgeige; Alles ging wieder ruhig an sein Geschäft und sah sich wenig mehr nach den Spaßmachern um. Nur Florian hatte kein rechtes Geschäft und wollte auch keines haben, er lotterte in den Wirthshäusern umher und war auch da bald unwerth.

Auf dem Lande, wo Jedes die häuslichen Verhältnisse des Andern kennt, ist es nicht leicht, eine große Rolle zu spielen, wenn man es nicht aufzuwenden hat. Baden war jetzt dem Zollvereine beigetreten und so war auch zu Hause Schmalhans Koch. Bei alle dem ging aber Florian noch immer aufrechten Ganges, stolz und schön geputzt, wie in seinen besten Tagen. Nie ging er unsauber einher, und selbst als seine Stiefel fast keine Sohlen mehr hatten, waren sie doch noch immer schön gewichst.

»Man sieht einem auf den Leib aber nicht in den Magen,« war fein Wahlspruch, und oft sang er das Lied:


Jetzt hab' ich noch drei Kreuzer,

Ist all' mein baares Geld,

[48]

Dafür laß ich mir waschen,

Meine Hosen und Gamaschen,

Kauf mir Wichs' dazu,

Kauf mir Wichs' dazu,

Für mein' Stiefel und Schuh.


Die Uhr mit dem silbernen Behäng hatte Florian nur noch am Sonntag, das hatte er sich ausbedungen, als er sie bei der alten Gudel versetzte.

Der Horber Markt kam, und nun gab es wieder ein Fest für das halbe Dorf.

Der alte Metzgerle stand schon seit dem frühen Morgen an des Jakoben Brunnen, alle Bauern, die ihre Ochsen zu Markt trieben, ließen sie von ihm schätzen, und mit großem Wohlbehagen verrichtete er dieß Geschäft; es war ihm wieder als könne er das Alles kaufen, auch hoffte er, es würde ihn ein Bauer mitgehen heißen, aber Keiner that es. Der arme Mann hatte heute schon so viel gesundes Fleisch unter Händen gehabt, aber seit vierzehn Tagen keinen Bissen Fleisch über den Mund gebracht. Als nun alle seine Mühe vergebens war, wischte er sich seufzend den Schweiß von der Stirn, ging nach Haus, nahm seinen alten Knotenstock und ging auf gut Glück zu Markte, um dort als Unterhändler ein paar Kreuzer zu verdienen.

Florian lief im Dorfe umher und war ganz außer sich, er begegnete der Creszenz, die mit ihrem [49] Vater ebenfalls zu Markte ging, aber er lief schnell an ihnen vorüber; er hatte keinen Heller Geld in der Tasche. Wo er einen Bnrschen sah, gedachte er ihn um ein Darlehn anzusprechen, aber bald sagte er sich wieder: »der gibt mir doch nichts und der hat selber nicht viel, und dann hast du nichts als die Schand'.« So ließ er einen nach dem Andern von seinen Bekannten an sich vorüber gehen. Er dachte: »ei du brauchst ja nicht zu Markte zu gehen, du hast ja nichts dort verloren; es gehen ja noch viel Leut' nicht. Ja, aber die wollen nicht, und ich kann nicht.« Nun ward es ihm, als verliere er eine unersetzliche Freude, wenn er zu Hause bliebe; es ward ihm, als müßte er gehen, als stünde Alles dabei auf dem Spiel. Mit glühenden Wangen und forschenden Blickes ging er durch das Dorf, immer im Selbstgespräch: »Da wohnt der Schmied Jakob, dem hast du's beim Hammeltanz oft zugebracht, ja, aber er gibt dir doch nichts. Dort wohnt der Schreiner Koch, er war auch in der Fremd', zu dem gehst du; es ist eigentlich zum erstenmal, daß du so vertraut mit ihm bist, aber du mußt es doch thun.«

Der Schreiner Koch band eben ein Rind von der Krippe los, über Geldmangel klagend, Florian schwieg mit seinem Verlangen. Der Studentle war nicht mehr zu Hause; Florian war schnell entschlossen, er ging zum Adlerwirth, sagte: der Studentle schicke [50] ihn, er solle demselben sechs Kronenthaler leihen; Florian wollte nicht um ein Bagatell bitten. Der Adlerwirth erwiderte: »Ich borg' nichts, das macht die beste Freund' zu Feind'.« »Du hast recht, ich hab's auch gesagt,« erwiderte Florian grimmig lachend und ging davon.

Mit einem schrecklichen Gefühle der Verlassenheit wandelte er umher und dachte: »Wenn man kein Geld hat, ist man doch auch daheim nicht recht daheim.« Schweißtriefend lief er durch alle Gassen, es war ihm, als ob jede Minute, die er versäume. Unwiederbringliches an ihm vorübergehen lasse. Er gedachte nun, wie die großen Herren, Geld von einem Juden zu leihen; auch ihn störten ihre Blicke nicht bei seinen Verschwendungen oder Großthuereien. »Judenschulden sind kein' Schand',« sagte er sich und sprach des Mendle's Meierle, das mit einer vollen Geldgurte zu Markte ging, offen um ein Darleihen von einigen Karolin auf hohe Zinsen an; er erhielt eine abschlägige Antwort.

Endlich kam er auf den gescheidten Gedanken, nur geradeswegs nach Horb zu gehen und dort zu thun als ob er sein Geld vergessen oder verloren habe; er ärgerte sich jetzt, daß er den Gedanken nicht früher gehabt und ging fürbaß. Als er an dem Hause des Schmiedjörgli vorüberging, saß dieser wie gewohnt auf der Bank; er war heute besonders gut [51] aufgelegt, da er durch die Marktgänger Unterhaltung in Fülle hatte.

»Wohin so schnell, Florian? Du siehst ja aus, wie wenn dir die ganz' Welt feil wär!«

Florian stutzte und blieb stehen. Er vergaß, daß es eine besondere Freude des Schmiedjörgli war, Leute, die eine schwere Last, einen Sack voll Korn oder einen Kleebündel trugen, eine Weile durch Fragen zu stellen; Manche gingen in die Falle und der Alte freute sich dann doppelt, daß er so los und ledig dasaß, während die Anderen keuchten. Auch wenn Jemand eine schwere Schmerzenslast im Herzen trug, suchte ihn der Schmiedjörgli bei sich aufzuhalten; das war ja die beste Zeit, um etwas zu erfahren. Florian dachte an alles Das nicht mehr, denn er fragte:

»Wie könnet Ihr denn das wissen?«

»Man sieht's dem Strumpf an, wenn das Bein ab ist. Ich weiß wohl, gelt, grad ist die Creszenz mit ihrer Mutter Mann da vorbei, er bringt sie auch zu Markt.«

»Ich hab' kein' Sorgen.«

»Ich weiß wohl, man sagt, du seist tüchtig mit ihr verbandelt.«

Florian schmunzelte und ging weiter, es war ihm lieb, daß man das Rechte nicht ahnte.

An der Hohlgass' sah Florian den Schlunkel, [52] den »verwogenen« Kerl, der schon zweimal im Zuchthause gewesen war, am Raine sitzen und Geld zählen, sonst hätte er sich nicht herabgelassen diesen Menschen nur zu grüßen, jetzt sagte er zuerst halb spaßhaft: »soll ich dir helfen zählen?« Der Angeredete sah auf und antwortete nicht.

Florian setzte sich zu ihm und bat ihn endlich um einen Gulden. Der Schlunkel grinzte ihn an, schnürte seinen Lederbeutel fest zu, fuhr sich mit dem Zeigefinger über den Mund und pfiff dabei; Florian aber hielt seinen Arm krampfhaft fest.

»Du wirst doch mir das Geld nicht nehmen wollen?« fragte Schlunkel, »zu was brauchst denn so viel Geld?«

»Ich muß mir was kaufen.«

»Meinetwegen, komm, ich geh' mit nach Horb.«

Florian zitterte, lieber wäre er in die Hölle gegangen, als am helllichten Tag mit dem Schlunkel nur zehn Schritte; er sagte daher:

»Gib mir nur einen Sechsbätzner, in einer Stund treff' ich dich im Ritter, da hast's wieder.«

Der Schlunkel gab das Geld und Florian jagte wie der Blitz davon. Unterwegs aber langte er nochmals in seine Tasche, er wußte gar wohl, wie viel er darin hatte, aber er wollte sich dessen nochmals vergewissern. Er drückte die vier Sechser einen, nach dem andern durch die Finger, als wollte er mit [53] aller Gewalt aus jedem noch einen zweiten herausdrücken.

Pfeifend ging dann Florian über den Viehmarkt hinweg nach dem Krämermarkt in der obern Stadt.

8. Florian verspielt sich und gewinnt die Crescenz

8.
Florian verspielt sich und gewinnt die Crescenz.

Plötzlich blieb Florian stehen, ein Tisch mit Würfeln stand vor ihm, er ging vorbei und betrachtete sich die Pfeifen an der nächsten Bude; bald aber kehrte er wieder um und stellte sich an den Tisch, mit dem Vorsatze, nur den Anderen zuzusehen, wie sie spielten. Einer war besonders glücklich auf Nro. 8. Florian langte in die Tasche und setzte auf die gleiche Nummer drei Kreuzer, er verlor. Schnell setzte er abermals, er verlor wieder. Er kneifte sich auf die Lippen, daß ihm das Blut in den Mund rann: schnell aber sah er sich lächelnd um, damit Niemand es merke. Er setzte abermals und verlor bis auf sechs Kreuzer. Er spürte es in den Knieen wie alle Kraft daraus wich, seine Eingeweide kochten; mit zitternder, fieberheißer Hand warf er seinen letzten Sechser hin und schaute nach der andern Seite, er gewann sein ganzes Geld wieder. Schnell raffte er es ein und dachte innerlich: »so jetzt hast du mich gesehen, hab' ich doch mein Sach' wieder;« dennoch [54] blieb er stehen, es war, als ob er festgebannt wäre, auch wollte er den Schein vermeiden, so schnell mit seinem Wiedererworbenen davon zu gehen.

Wiederum dachte er: »Ich muß doch dem Schlunkel das Geld wieder geben und woher nehmen? Einen Sechser will ich wagen, das andere Geld thu' ich in die recht' Tasch', da herein greif' ich gar nicht.«

Er setzte, und nach einer Weile griff er doch in die rechte Tasche und wankte endlich ganz ausgebeutelt vom Tische fort.

Mit einer Wehmuth und Selbstanklage ohne Gleichen lief er nun auf dem Markt umher; da waren tausenderlei Sachen ausgestellt, die für Geld zu haben waren, er aber konnte nach keiner seine Hand ausstrecken.

Ein furchtbarer Fluch gegen die Welt trat zuerst über seine Lippen, er wünschte sich, daß er Alles zu unterst zu oberst kehren könnte.

Wenn man so darüber nachdenkt, möchte man fragen: ei warum wettert und flucht denn so ein Mensch wie der Florian? Die Welt hat ihm nichts gethan, er ist selber schuld an seinem Unglück.

Aber die meisten Menschen denken eben nichts, sowohl die Leichtfertigen, welche Handschuhe anhaben, als die, welche keine anhaben; wenn's ihnen schlecht geht, sind sie eben grimmig.

Nur ein Trost blieb Florian: er gelobte sich, in seinem Leben keinen Würfel mehr anzurühren.

[55] »Freilich,« sagt er sich wieder, »du hast jetzt gut schwören; wenn die Kuh draußen ist, macht man den Stall zu.« Dennoch fand er einen Trost in diesem Vorsatze.

Da begegnete ihm sein Vater, er sah fröhlich aus; Florian eilte auf ihn zu und sagte: »Vater, habt ihr kein Geld?«

»Ich hab' da drei Sechsbätzner bei einem Ochsenhandel verdient, guck.«

»Gebt mir zwei davon.«

Noch ehe der alte Metzgerle ja oder nein sagen konnte, war Florian mit dem Gelde im Gedränge verschwunden.

Wohlgemuth ging er nun zwischen den Buden einher, er war von dem sichern Bewußtsein des Besitzes getragen und plauderte bald mit diesem, bald mit jenem. Die Spieltische würdigte er kaum mehr eines Blickes.

Bald aber dachte er wieder: »du hast dein' Sach' blitzdumm angefangen, bist 'rumtappt von einer Nummer auf die andere; da hat's nicht fehlen können, du hast dein Geld verlieren müssen. Soll ich's denn dem Krattenmachergesindel lassen? Ja, du hast ja geschworen, keinen Würfel mehr anzurühren. Ich halt meinen Schwur, ich geh' dort an den Tisch, wo der Spielhalter den Würfel durch die Schlang' rollen läßt, da rühr' ich's nicht an.«

[56] Er ging abermals an einen Tisch und spielte zuerst wie die Andern um Kreuzer. Er spielte erst überlegt und wich nicht von seinem Plane, behielt die Nummern im Auge, die oft herausgekommen waren und setzte auf die anderen. So spielte er eine Weile, ohne etwas zu gewinnen oder zu verlieren. Nun ward ihm dieß langweilig, er setzte höher und auf mehrere Nummern und gewann; er winkte noch andere Bekannte herbei, sie sollten mitthun.

Bald aber wendete sich das Glück und Florian verlor. Jetzt taumelte er auf dem Brette umher, fuhr unschlüssig mit dem Gelde über alle Zahlen und setzte endlich, rückte aber noch ehe der Wurf geschah, oft wieder weg. Wenn es sich dann ereignete, daß gerade die verlassene Nummer gewann, lachte er laut auf. Das Glück ward ihm immer ungünstiger; er blieb nun wieder wie von Anfang auf bestimmten Nummern. Endlich hatte er wieder den letzten Groschen in der Hand und setzte ihn mit solchem Nachdrucke auf den Tisch, daß Alles wankte – abermals verloren.

Florian sah still drein, er athmete kaum hörbar, aber in seinem Innern stürmte und tobte es gewaltig; er blieb noch eine Zeit lang am Tische stehen, um seinen Bekannten nicht zu verrathen, daß er kein Geld mehr habe, und schlich sich endlich leise [57] fort. Jetzt fluchte und gelobte er nicht mehr, kein guter und kein böser Vorsatz stieg in ihm mehr auf: er ging umher, wie ein Körper ohne Seele, ohne Gedanken und Willen, dumpf, ausgebrannt und hohl.

Die Musik, die jetzt zum Ohre Florians drang, erweckte ihn erst wieder zum Leben, er stand vor dem Wirthshaus zur Rose. Unter der Hausthüre stand der Franzosensimpel, der auf einen Freihalter wartete,»Drenta marioin,« rief er Florian entgegen, das Zeichen des Trinkens machend, Florian aber schob ihn bei Seite und ging hinauf zum Tanze.

Von allen Seiten wurde es ihm zugebracht, er nippte nur am Glase und wollte es wieder hinstellen. »Es ist in guter Hand,« rief man ihm zu, was so viel hieß als: du mußt austrinken. »Hinten hoch! sagen sie drunten am Rhein,« erwiderte dann Florian, auf einen Zug das Glas über dem Kopfe leerend.

Durch diese oft wiederholte Ladung fühlte er wieder neues Leben in sich, die verschiedenen Weine regten ihn auf und er wischte sich den Schweiß von der Stirn. Endlich sah er den Peter, der auf ihn zukommend sagte: »Hast du die Creszenz gesehen? drüben im Ritter sitzt sie bei dem Geometer.«

Florian leerte schnell noch das Glas seines Freundes und eilte fort. Er freute sich, nun doch etwas [58] zu haben, an dem er seinen Grimm auslassen konnte; er wollte ein Verbrecher sein, sich und Alles zu Grunde richten.

Auf Nebenwegen, an der alten Apotheke vorbei, wo kein Marktgedränge war, eilte Florian zum Ritter; er rannte die Staffeln hinan und nahm immer drei auf einmal.

Wenn nur die Menschen zum Guten auch so rennten, wie zum Bösen! Wie oft gehen sie durch Wind und Wetter, über Stock und Stein ihren niederen Gelüsten nach; gilt es aber die Pflicht oder sonst etwas Gutes zu thun, ist ihnen jedes Windchen zu rauh und jedes Steinchen eine unübersteigliche Mauer.

Tief athmend kam Florian im Ritter an.

Als Creszenz ihn sah, eilte sie freudestrahlend auf ihn zu, faßte mit beiden Händen seine zitternde Rechte und sagte:

»Gott Lob und Dank, daß ich dich wieder hab', jetzt bin ich wieder ganz dein, grad hab' ich dem Geometer ein für allemal aufgesagt. Es hat schon lang in mir kocht, jetzt ist's übergelaufen. Guck, ich bin froh, ich weiß mir gar nicht zu helfen, jetzt weiß ich doch wieder, wem ich bin, und dein bin ich, mag daraus werden, was will. Warum machst du denn so ein Gesicht? Bist du denn nicht auch froh, daß das Lugenleben ein End' hat?«

[59] Sie rückte ihm das Kappenschild, das ihm in der Aufregung auf die Seite gekommen war, wieder zurecht in die Mitte der Stirne. Florian ließ Alles an sich hinreden und mit sich geschehen, es war ihm zu Muthe wie einem, der von Lastern und blutigen Gräueln geträumt und sich nun plötzlich an der Seite der Liebe und des seligen Friedens erwacht sieht. Er schreckte fast zusammen vor dieser innigen Liebe, die ihn mitten in seiner Verworfenheit begrüßte. Nichts nannte er jetzt mehr sein, als sein armes Leben, das er gern von sich geschleudert hätte; nun ward es ihm wieder etwas werth, da ein anderes Leben es so warm umfing. Er lächelte schmerzlich froh und sagte endlich:

»Komm', Creszenz, wir wollen fort.«

Creszenz willfahrte ihm gern, sie schaute aber nochmals lächelnd und fragend auf, als eben ein frischer Walzer gespielt wurde; sie hätte trotz ihrer innigen Freudigkeit doch auch noch gern getanzt, sie wollte es aber nicht aussprechen, nicht sowohl aus Furcht vor Mißverständniß, als weil sie eigentlich froh war, ganz nach dem Willen Florians leben zu können.

Nicht weit von der Thüre saß der Schlunkel einsam bei seinem Schoppen, er hatte keinen Kameraden; er brachte es nun dem Florian vertraulich zu, der zu der betroffenen Crescenz sagte:

»Geh' einstweilen voraus, ich komm' gleich nach.«

[60] Betrübt ging Crescenz weiter und harrte auf der Treppe, drinnen aber sagte der Schlunkel:

»Nun, gib mir jetzt mein Geld.«

»Ich kann nicht, ich kann mir's ja nicht aus den Rippen schneiden.«

»So gib mir das Messer, das du da stecken hast, zum Pfand.«

»Ich bitt' dich, wart' nur noch bis morgen Abend; wenn du's da nicht hast, bezahl' ich dir's doppelt.«

»Du hast gut doppelt versprechen, aber wer gibt mir's?«

»Ich.«

»Willst du morgen Abend zu mir kommen?«

»Ja.«

»Nun so meinetwegen.«

Florian ging schnell weg, als ihn aber Crescenz fragte: »Was hast du mit dem schlechten Menschen?« ward er so roth wie ein Feuerdieb und erwiederte:

»Nichts, er hat mir mein Messer abhandeln wollen.«

»Hast recht, daß du's ihm nicht geben hast, der hätt' einen Mord mit begangen.«

Florian schauderte zusammen, es that ihm tief wehe, daß Creszenz ihm so treuherzig glaubte.

[61]

9. Wie ein Thunichtgut und wie ein liebendes Mädchen werden kann

9.
Wie ein Thunichtgut und wie ein liebendes Mädchen werden kann.

Der zehnte Mensch weiß nicht, wie der eilfte lebt. So konnten sich die Leute auch gar nicht denken, wovon der Florian zu essen und zu trinken hatte, er hatte aber auch in der That wenig und ging nun den Studentle um ein Darleihen an.

»Ja,« sagte dieser, »Florian, du solltest eben anders leben; das ist kein' Art, so kann das nicht gehen, du mußt dich ändern.«

»Das ist jetzt nicht am Ort,« erwiderte Florian, »sag' mir das ein andermal, wenn ich nicht in Noth bin, da geht's eher an; jetzt hilf mir und mach' mir keine Vorwürf'.«

Die zur Unzeit gemachten Ermahnungen prallten ab und verursachten gerade die entgegengesetzte Wirkung, Florian erschien sich dadurch mehr bemitleidens- als scheltenswerth, mehr unglücklich als schlecht. Mit einem gewissen Stolze des Verzeihens wiederholte er seine Bitte, worauf das Studentle erwiderte:

»Das geht nicht. Wenn man sich bald verheirathet, ist's aus mit dem Geldverzetteln; du mußt halt allein sehen wie du's machst.«

[62] Der Studentle war nämlich mit des alten Schultheißen Bäbele Bräutigam geworden, obgleich wir uns noch aus der Geschichte des Ivo her erinnern, daß er nicht gar hoch vom Bäbele dachte.

Er hatte um des Buchmaiers Agnes gefreit und, wie vorauszusehen war, einen Korb bekommen; er erzählte nun dies offenkundig, »denn« berechnete er, »du mußt bei den Leuten ja als ein Hauptkerl gelten, weil du die Kurasche gehabt haft um das erste Mädle anzuhalten; drum sollen sie's Alle wissen, da werden die reichsten gesprungen kommen.« Sie kamen aber nicht und er begnügte sich mit dem Bäbele.

Bei dem Studentle ging es nun wie bei gar vielen verschwenderischen Menschen: wenn sie auf eigene Strümpfe kommen, werden sie geizig und hart.

Es war für Florian allerdings ein Unglück, daß gerade der Studentle sein Hauptkamerad war; er sagte sich nun oft: »der ist doch kein Bisle besser als du, und warum geht's ihm besser?« Er grollte dann immer mehr mit dem Schicksal, ward unglücklich und schlaff.

Creszenz aber war indessen ganz glückselig; so sehr sie auch ihr Vater mißhandelte, weil sie den Geometer aufgegeben, war sie doch durch letzteres eben gerade recht glücklich; ihr Wesen war nicht mehr getheilt, sie gehörte ganz dem an, den sie stets im Herzen getragen. Die traurige Lage Florians blieb [63] Crescenz nicht verborgen, sie sah kein Verbrechen darin, ihm ans allerlei Weise Hülfe zu verschaffen. Sie entwendete Tabak und andere Sachen aus dem Laden und drang es heimlich dem Florian auf. Anfangs schämte er sich zwar es anzunehmen, nach und nach aber lehrte er sie, wie sie ihm immer mehr verschaffen sollte, denn er hatte durch den Schlunkel Absatzwege gefunden. Creszenz gehorchte ihm in Allem, es war ihr oft als hätte ihr Florian über die ganze Welt und Alles was darauf und darin sei zu gebieten, als müßte ihm ein Jedes unterthan sein; es war ihr, als ginge er nur einstweilen so machtentblößt einher; als würde er bald Allen zeigen, was er zu bedeuten habe. Sie hoffte, daß der Augenblick bald kommen werde, da er in seinem vollen Glanze dastehe; sie hoffte das so zuversichtlich und vertrauensvoll wie den morgenden Tag, und doch wußte sie nicht auf was sie hoffte. – Bald aber wurde sie wieder aus ihren Träumen geweckt. Der Schneiderle kam hinter die Entwendung seiner Tochter und in einer stürmischen Nacht, als der Wind den Regen jagte, verstieß er sie aus dem Hause, und drohte ihr, sie den Gerichten zu übergeben, wenn sie wieder käme. Die Mutter lag todtkrank darnieder und konnte nicht abwehren.

Creszenz wußte sich nicht zu helfen. Sie eilte zum Florian, er war nicht zu Hause. Sie weinte [64] laut, als sie hörte, mit welchem nächtlichen Kameraden er weggegangen war.

Sie zog vor dem platzenden Regen den obern Rock über den Kopf, sie hätte sich gerne in sich selbst verkrochen; und nachdem sie lange umhergelaufen ohne es zu wagen in ein Haus zu gehen, suchte und fand sie endlich bei des Melchiors Lenorle Unterkunft.

Alle Versuche, wieder nach Hause zurückkehren zu dürfen, waren vergebens. Creszenz strickte und taglöhnerte nun für fremde Leute, auch Florian brachte ihr hin und wieder etwas, er war wieder bei Geld. Der Creszenz aber schauderte es vor jeder Münze, die er ihr gab, als ob Blut daran hinge; sie meinte, aus jedem Gesichte der geprägten Herrscher sähe der Schlunkel heraus.

Das Lenorle erlauschte immer die Zeit wann der Schneiderle mit seinem Zwerchsack nach Horb ging, dann durfte Creszens nach Hause schleichen und sich mit Allerlei versehen.

Auch Florian war oft auf der Lauer, um zu erschauen wann Niemand in der Nähe war, so daß er, seiner Ehre unbeschadet, zu dem Schlunkel schleichen konnte. Ein unvermuteter Widerstand zerriß aber bald diese trübselige Kameradschaft.

Der Schlunkel hatte dem Papierer von Egelsthal zwei Hämmel gestohlen. Als nun Florian eines [65] Tages bei ihm war, verlangte er von ihm, daß er die Thiere schlachten und herrichten solle. Sein Stolz, seine Krone war für Florian bisher sein Handwerk gewesen; diese Zumuthung beleidigte ihn im tiefsten, er sagte daher:

»Eher schneid' ich dir und mir die Gurgel ab, ehe ich gestohlene Hämmel im Geheimen schlacht'.«

»O du Trallewatsch,« sagte Schlunkel, mit einem gewandten Griffe dem Florian sein Messer aus der Tasche ziehend, »du kommst nicht lebendig aus der Stube, wenn du nicht die Hämmel metzgest oder mir meine zwei Kronenthaler bezahlst.«

»Wart, ich will dir!« knirschte Florian den Schlunkel umfassend und suchte ihm das Messer zu entreißen. Beide rangen aus aller Macht mit einander, aber Keiner wollte unterliegen; da hörte man Geräusch, Florian ließ los und sprang schnell zum Fenster hinaus.

Betrübt kam er zu Creszenz und gestand ihr Alles.

Ohne ein Wort zu reden nahm sie ihre Granatenschnur sammt dem Anhenker vom Halse, zog ihren silbernen Ring von der Hand und reichte es hin.

»Was soll ich damit?« fragte Florian.

»Du sollst's versetzen oder verkaufen und den schlechten Menschen bezahlen.«

Florian umarmte und küßte sie und sagte dann:

[66] »Thu' du's und bezahl' ihn dann, versetz' es nur, kannst dich darauf verlassen ich schaff' dir's wieder.«

Creszenz that wie ihr befohlen und brachte das Messer wieder. Florian untersuchte es genau und fand, daß kein Blut daran gewesen; er freute sich innerlich, daß sein Ehrenschmuck nicht mißbraucht worden war.

10. Florian sucht Hülfe und nimmt die nicht, die er findet

10.
Florian sucht Hülfe und nimmt die nicht, die er findet.

»Hör' mal,« sagte Florian eines Tages zu Creszenz, »das Ding' muß ein End' nehmen; in die Fremd' gehen kann ich nimmer, deinetwegen nicht und auch meine Ehr' steht darauf, ich muß es 'nausführen; wie meinst, wenn ich zu dem Pfarrer ging'? Er muß uns ein paar hundert Gulden geben, nachher können wir uns heirathen.«

»Du hast ja sonst nichts von ihm wissen wollen.«

»Noch frißt Hobelspän',« erwiederte Florian. »Willst du mir ein Briefle an ihn mitgeben und es auch von deiner Mutter unterschreiben lassen?«

»Wie du willst, du mußt am besten wissen, was zu thun ist; ich thu' was du sagst.«

Andern Tages war Florian auf dem Wege zu dem Pfarrer. Trübe Gedanken gingen ihm durch den Kopf, wenn er sich besann, wohin er wandere; [67] die Frische der Bewegung erhellte aber seinen Sinn bald wieder. Er war nun seit vielen Wochen fast nicht mehr aus dem Dorfe gekommen, die trübseligen, engen Verhältnisse und der Kampf mit ihnen hatten ihn stets umschlungen; jetzt durchzog ihn wieder die freie Wanderlust, er fand wieder einen größern Maßstab des Lebens und sagte sich: »Man kann auch anderswo leben, es muß nicht gerade daheim im Dorfe sein. Ich kann mit meiner Creszenz glücklich sein, wenn auch der Schmiedjörgli und der Adlerwirth nichts davon wissen; aber Respekt müssen sie vor mir haben, nachher geh' ich. Von dem Gang da darf aber keine Sterbensseel' was erfahren.«

Es war gegen Abend als Florian an seinem Ziele anlangte. Er ging alsbald nach dem Pfarrhause, traf aber niemanden als die Haushälterin, eine wohlgenährte, stolze Person; sie suchte ihn auf allerlei Weise auszufragen, er aber sagte immer: er müsse mit dem Pfarrer selber reden. Endlich kam dieser, seine zwei halbgeschornen Spitzhunde mit Gebell voraus; sie wollten sich nun an Florian machen, er aber blickte sie nur an und sie krochen in eine Ecke. Nicht umsonst sagten die Leute, daß Florian die Hunde bannen könnte; die wildesten, wenn er sie nur scharf ansah, wurden zahm und scheu.

Jetzt aber schlug Florian die Augen nieder, da [68] er den Pfarrer gesehen. Es war ein untersetzter, kräftiger Mann, der eine weiße und eins schwarze Halsbinde trug; selbst bis auf die Sommerflecken glich ihm Creszenz. Dem Pfarrer kam der scheue Blick Florians verdächtig vor, er fragte daher nach seinem Begehr.

»Ich muß allein mit euch reden,« erwiderte Florian.

Der Pfarrer hieß ihn in seine Studirstube folgen.

Florian übergab den Brief, der Pfarrer las. Florian verfolgte mit scharfem Blicke seine Züge.

»Von wem ist der Brief?« fragte der Pfarrer, »ich kenne die Person nicht.«

»Ihr kennet doch die roth' Schneiderin? da hat sie drunter geschrieben und das obere ist von ihrer ältesten Tochter. Die roth' Schneiderin liegt auf dem Todtenbett, sie wird nimmer aufkommen.«

»Thut mir leid. Sagt den Leuten einen schönen Gruß, und wenn ich was für sie thun kann wird's schon geschehen.«

»Und für die Creszenz wollt ihr jetzt nicht ein Besonderes thun?«

»Ich sehe nicht ein, warum?«

»Aber ich seh's ein, Herr Pfarrer. Es soll kein Mensch was davon erfahren, ich will einen Eid schwören und das Abendmahl drauf nehmen, aber helfen müsset ihr uns, ihr müsset, oder ich weiß nicht, was aus uns Beiden werden soll.«

[69] Der Pfarrer suchte in der Tasche nach seinen Schlüsseln, er hatte den rechten gefunden, in der Hand damit spielend sagte er:

»Ich helfe armen Leuten gerne, aber ich kann jetzt nur wenig thun.«

»So gebet mir für's Andere ein Schriftliches.«

Bei diesen Worten schaute der Pfarrer verwirrt um sich, es war ihm als hätte er sich verrathen, da man eine solche Zumuthung an ihn zu stellen wagte; er sagte daher mit sichtbar erzwungener Härte:

»Einmal für allemal, die Leut' gehen mich nichts an und da habt ihr was für eure Zehrung.«

Er wollte Florian etwas Geld geben, dieser aber warf es ihm vor die Füße und rief:

»Ich frag' zum letztenmal: wollt ihr euch um euer Kind, das euch aus dem Gesicht geschnitten ist, annehmen oder nicht? Ja oder Nein? Ihr seid der Vater von meiner Creszenz. Ich darf euch nichts thun, ich will euch nichts thun, aber Herr Gott! ich weiß nicht, was ich thu.« Er langte mit der einen Hand nach dem Messer in der Seitentasche, schnappte mit der andern schnell das Schloß an der Thüre ab und fuhr dann fort: »Ich hab' noch kein unrechtes Stückle Vieh mit dem Messer abthan, aber« – er schäumte und zitterte vor Wuth.

»Unverschämter Mensch!« schrie der Pfarrer sich nach dem Fenster flüchtend und es aufreißend.

[70] Da ging plötzlich die Wand auseinander, durch die Tapetenthüre trat die Haushälterin ein und sagte:

»Die Gemeinderäthe und der Schultheiß sind drüben, ihr sollet gleich 'nüber kommen, Herr Pfarrer.«

Florian entsank fast das Messer, der Pfarrer hatte sich hinter die offene Tapetenthür geflüchtet.

»Was ist euer letztes Wort?« fragte Florian noch mals.

»Fort aus meinem Haus, oder ich lass' ihn einstecken, wenn er nicht gleich gutwillig geht.«

Florian öffnete still die Thüre und ging zaudernd und schwankenden Schrittes davon, der letzte Ast am Baume seiner Hoffnung war gebrochen.

Einsam wandelte er dahin durch die Nacht, aber schreckliche Gedanken begleiteten ihn. Zu den Sternen aufschauend sagte er einmal:

»Herr Gott im Himmel, hast du denn das gewollt, daß es Menschen geben soll, die ihre Kinder verleugnen müssen, damit sie in's Elend kommen? ... Es geschieht mir aber recht, warum bin ich nicht bei meinem ersten Gedanken geblieben; er hätt' uns nichts angehen dürfen ...«

Traurig und verwirrt war Florian erst am dritten Tage wieder in's Dorf zurückgekehrt. Es war ihm auf dem Wege so bange zu Muthe als ginge er einer schweren Strafe entgegen, als müsse [71] er dort für etwas büßen, und doch war er sich keines Vergehens bewußt.

Als ihm aber zu Hause einige Zwischenträger berichteten, daß man während seiner Abwesenheit gesagt hatte, er sei entflohen: da kochte alles in ihm vor Wuth. Er hatte Alles daran gesetzt, um seine Ehre im Dorfe zu erhalten, und nun sah er seinen ganzen Ruf so wenig stichhaltig, daß man ihn dessen beschuldigen konnte.

Eine tiefe Verachtung gegen die Menschen begann in seiner Seele Wurzel zu schlagen.

Am Sonntage, als Florian mit mehreren Anderen vor dem Adler stand, kam der Buchmaier das Dorf herauf und sagte:

»Florian! auf ein Wort, geh' ein Bisle mit mir, ich hab' dich um einen Rath zu fragen.«

»Mit allem Willen, was denn?« fragte Florian mitgehend.

»Ich hab' nur vor den Leuten so gesagt; ich thät gern einmal mit dir reden, aber offenherzig. Wo bist du vergangene Woch' gewesen?«

»Das kann ich nicht sagen.«

»Nun, wie du willst. Hör' 'mal Florian, du bist ein gescheiter Kerl, du bist ein geschickter Kerl, verstehst dein Handwerk aus dem ff.«

»Nun, dahinter muß was stecken, saget's nur frei heraus.«

[72] »Ich möcht' halt, daß du's auch zu was Rechtem bringen thätst.«

»Es wird schon kommen.«

»Hör' mich jetzt ruhig an, ich red' jetzt nicht als Schultheiß mit dir, ich red' mit dir, weil ich's gut mit dir mein'. Wenn du so fort hier bleibst, gehst du zu Grund. Auf was wartest du denn hier?«

Florian schwieg betroffen, der Buchmaier fuhr nach einer ziemlichen Pause fort:

»Ich weiß wohl wie es ist, es ist grad wie wenn man aus dem Bett aufstehen soll, wenn man auch noch so hart liegt, man thut's halt nicht gern; wenn man aber nachher auf den Beinen ist, freut man sich doch. Drum folg' mir, geh' wieder fort. Guck, wenn Krieg wär', thät ich sagen: Florian, laß dir zweierlei Tuch anmessen, du bringst's zu was; du kannst's aber auch so zu was bringen, du brauchst nicht Menschenmetzger zu werden; aber hier ist deines Bleibens nicht. Fort mußt du.«

»Ich kann aber nicht und will aber nicht, ich will sehen, wer mich fortbringt.«

»Davon ist kein' Red'. Du brauchst gegen mich nicht stolz thun und nicht aufbegehren. Ich weiß wohl, du hast Bekanntschaft mit der Creszenz. Such' dir dein Glück, wenn dir's gut geht, kannst sie ja holen. Hier aber lebst du in Unehr'.«

»Wer sagt das? Wenn ihr's nicht wäret, Schultheiß, [73] wenn mir das ein Anderer sagen thät, ich wollt' ihm weisen; wer kann mir was an meiner Ehr' anhaben?«

»Kein Mensch, drum mach', daß du fortkommst.«

»Ich kann aber nicht und will nicht.«

»Wenn du kein Geld hast, ich will machen, daß man dir aus der Gemeindekasse Reisegeld gibt.«

»Gucket, lieber bestehl' ich den Heiligen; lieber leg' ich meine Hand da auf den Block und hack' mir sie selber ab, eh' ich einen Bettel aus der Gemeindekass' in die Hand nähm'.«

»Du steckst schon arg darin, du willst zehn Kegel schieben und sind doch nur neun aufgesetzt. Florian, Florian, bedenk', es gibt nicht nur ein Hist und Hott, es gibt auch einen Weg grad aus. Wenn du nicht viel verlangst, will ich dir das Reisegeld geben; ich schenk' dir's nicht, ich leih' dir's nur. An einem jungen Lumpen ist nur die Hälft' verloren, sagt man als, nimm mir's nicht übel.«

Florian knirschte die Zähne über einander und sagte dann: »Ich hab' Euch um nichts angesprochen und ich thu' jetzt was ich will, es hat mich Keiner zu schimpfen.«

»Meinetwegen, ich bin fertig, ich hab' dir nichts mehr zu sagen; wenn dich's aber gereut, darfst morgen noch einmal zu mir kommen. B'hüt dich Gott.«

[74] Er ging weg und ließ Florian stehen, der sich in seinem Tiefinnersten angegriffen fühlte. Ein lustig Lied pfeifend ging er dann hinab durch das Dorf, einem Jeden in's Antlitz schauend, als wollte er ihn fragen, ob er nicht allen Respekt vor ihm habe.

Creszenz erfuhr nie etwas von der Unterredung mit dem Buchmaier, Florian selber suchte sich die Erinnerung aus dem Sinne zu schlagen.

11. Florian hilft sich selber

11.
Florian hilft sich selber.

Der Herbst war gekommen, das jüdische Laubhüttenfest war vorüber, die Hochzeit des Beßle brachte wieder Musik und Lustigkeit in das Dorf.

Auf offener Straße, vor dem Schlosse, unter einem ausgespannten Baldachin wurde die jüdische Trauung vollzogen. Die Bauern, die sich gern eine müßige Weile gönnten, standen gaffend umher, auch Florian und der Schlunkel waren zu sehen. Der Letztere zupfte seinen ehemaligen Kameraden am Wamms, ihm zuraunend, er habe ihm etwas Wichtiges zu sagen; und als die Trauung vorüber war, schlich er hinter das Schloß in die offene, dunkle Brunnenstube. Nach einer Weile folgte ihm Florian, er wußte selber nicht warum.

[75] Der Schlunkel eilte auf ihn zu, reichte ihm die Hand hin und sagte:

»Schlag ein, heute werden wir reiche Leut.« Florian reichte willenlos die Hand und fragte:

»Wie so?«

»Grad so,« erwiederte der Schlunkel, einen Hops machend. »Heut Morgen ist des Mendle's Meierle vom Vaihinger Markt heimkommen, wo er alle seine Gäul' verkauft hat; er muß wenigstens sieben bis achthundert Gulden heimbracht haben, ich hab' die Leibgurt gesehen, die war so voll wie eine Leberwurst. Du weißt doch mit Würsten umzugehen? Heut Abend wollen wir die verschnabeliren. – Vor acht Tagen ist dem Meierle vom Feuergericht sein Backofen weggesprochen worden, weil er da im Winkel steht; es hat ihn abreißen und das Loch mit Backsteinen zumauern lassen. Ich hab' selber dabei geholfen und hab' einen Backstein so gelegt, daß man ihn leicht herausnehmen kann. Huidä! heut Abend, wenn Alles bei der Chasne ist, schlüpfen wir 'nein und holen uns die Judenwurst.«

»Ich nicht,« erwiderte Florian.

»Mir auch recht, du kannst dir vom Gemeinderath Geld geben lassen, sie haben dir's ja anbieten lassen; du kannst schon sehen, wie weit du mit springst.«

»Woher weißt du das?«

[76] »Ich hab' ein Vögele, das erzählt mir Alles; Narr, die Spatzen auf dem Dach schwätzen ja davon.«

Florian stampfte auf den Boden und biß auf seinen Schnurrbart. Wenn er das ganze Dorf hätte anzünden können, er hätte es in diesem Augenblicke gethan. Er sah sich von Allen verhöhnt, verlacht, bemitleidet, sein höchstes Strebeziel, vor Allen in Ansehen dazustehen, war schmählich in den Staub gesunken. Nun da er dieß verloren, war er zu Allem fähig. Er gedachte nicht im Entferntesten an die Schwere des Verbrechens, in das er sich einlassen wollte, er wollte beutebeladen fortziehen, da er der Ehre beraubt war; wie erwachend sagte er:

»Ich bin dabei, bis wann?«

»So gegen acht, denk' ich.«

Florian reichte dem Schlunkel die Hand und ging schnell davon.

Als er aus der dunkeln Brunnenstube wieder in das helle Tageslicht kam, taumelte er wie ein Betrunkener; er mußte sich eine Weile an der Wand halten.

Singend und pfeifend ging er den ganzen Tag durch das Dorf, er wagte es aber nicht zur Creszenz zu gehen, er fürchtete sich vor ihr.

Oft war es ihm auch, als ob er schon gestohlen hätte. Er sah alle Leute darum an, ob sie ihm [77] sein Verbrechen ansähen; dann dachte er wieder: es ist eins, sie halten doch nichts auf dich. – Dennoch freute er sich, wenn er sich wieder besann, daß die That noch nicht geschehen sei. Einmal, als er den Buchmaier sah, war es ihm, als müßte er entfliehen; er schämte sich aber seiner Feigheit, wie er es nannte, und schwur, die That zu vollbringen.

Als es Feierabend geworden war, kamen die Bauernburschen und Mädchen auch auf den Tanz und Einzelne brachten Hochzeitsgeschenke; nach dem gegenseitigen Herkommen erhielten sie drei Vortänze.

Auch Florian war unter den Angekommenen. Die Braut eilte auf ihn zu und sagte:

»Bist du auch da? Wo ist denn dein' Creszenz? Ich kann mir's denken, daß es ihr nicht recht tänzerig ist; mach' nur den Ehrlichen an ihr, Florian. Komm', wir wollen zu guter Letzt noch einmal mit einander tanzen.«

Florian, der gefeiertste Tänzer, mußte bald wieder inne halten; seine Kniee schlotterten; mit solchen Gedanken im Herzen, wie er hatte, und mit zerrissenen Sohlen an den Füßen, tanzt es sich nicht gut.

»Was ist dir? du hast doch sonst getanzt wie ein Trenderle?« 1 sagte die Braut, »nun, wir wollen's sein lassen. Es thut mir wahrhaftig in [78] der Seel' leid, daß ich die Creszenz nicht mehr sehen kann, wir sind immer gut Freund gewesen; wir fahren aber schon morgen ganz früh ab. Komm' jetzt mit, ich will dir ein Stück Hochzeitkuchen für sie geben, bring's ihr und sag' ihr Ade von mir.«

Florian folgte ihr in die innere Stube, er erhielt dort den Kuchen und ein Glas warmen Wein, das er auf einen Zug leerte; er fühlte wieder neue Kraft durch seine Adern strömen. Sobald er konnte, schlich er sich fort, kehrte bald wieder und ging dann nochmals weg.

Der Schlunkel harrte schon mit einer kleinen Leiter hinter dem Hause Meierle's, es war kein Licht darin, Alles war auf der Hochzeit.

Schnell war die Riegelwand eingebrochen und die Beiden schlüpften hinein. Sie erbrachen die Küchen-und Stubenthüre und den Schrank, fanden das Geld, mehrere silberne Löffel und Becher, und steckten es schnell zu sich.

Florian war der erste, der wieder im Hofe war, der Schlunkel zerrte noch an einem Bettstücke, das durch die kleine Oeffnung nicht heraus wollte. Da kam der Hausherr die Treppe herauf, er sah die Stuben- und Küchenthüre offen; in die Küche tretend, sah er das sich bewegende Bett, er zerrte nun innen an demselben und schrie um Hülfe. Der Schlunkel ließ schnell los, stürzte auf den Boden [79] und brach ein Bein. Florian suchte ihn zu retten, aber er hörte Leute, er flüsterte ihm nur noch schnell zu: »verrath' mich nicht, du kriegst die Hälft',« und entsprang schnell.

Der gefänglich eingezogene Schlunkel beharrte bei seiner Aussage, daß er keinen Mithelfer gehabt. Man hatte in dem Hofe ein Stück von dem Hochzeitkuchen gefunden, die Aussagen des Gefangenen widersprachen sich, indem er anfangs nichts davon wissen wollte, später aber sich besann, daß der Kuchen bei den gestohlenen Sachen gelegen habe.

Niemand wagte zu ahnen, daß Florian bei der Sache betheiligt sein könnte, auch war er um dieselbe Zeit beim Tanze gesehen worden.

Fußnoten

1 Kreisel.

12. Neue Stiefel, die gewaltig drücken

12.
Neue Stiefel, die gewaltig drücken.

Florian gedachte mit dem Gelde zu entfliehen und Creszenz nachkommen zu lassen, aber seine Stiefel hielten keine Reise mehr aus. Er ging daher nach der Stadt und kaufte sich ein Paar neue.

Wie wohl war es nun Florian, nachdem er lange in zerrissenen Stiefeln umher gegangen, mit niedergekehrtem Blicke jeder kleinen Pfütze ausgewichen war, jetzt wieder einmal aufrecht und trocknen Fußes die schlüpfrigsten Straßen zu wandeln; ein unnennbares[80] behagliches Wohlgefühl durchwärmte ihn, als er scharf auftretend heimkehrte.

Nicht lange aber sollte er so sicher auf freiem Fuße einherwandeln. Er hatte zufälligerweise einen durchlöcherten Kronenthaler bei dem Kaufe ausgegeben; ein solcher war von dem Bestohlenen als entwendet bezeichnet worden, und gegen Abend kam der Schultheiß mit dem Schützen und einem Landreiter, um Florian zu verhaften.

Der Buchmaier willfahrte ihm, daß man ihn hinten durch die Gärten führte.

Auf dem Wege beklagte er sich über sein Unglück und betheuerte seine Unschuld.

Die meisten Verhafteten, Schuldige wie Unschuldige, klagen den Polizeiverordneten ihr Leid und betheuern ihre Schuldlosigkeit. Es ist so natürlich, das Menschengefühl derer anzurufen, die wie wandelnde Mauern den Gefangenen umschließen, bis er sich zwischen den feststehenden Mauern von Stein eingeschlossen sieht. Wenn dann der Bedrängte ausgewinselt hat, lautet gewöhnlich die Antwort: das wird sich Alles Zeigen, das geht uns nichts an.

Mit Schmerz sieht der Unglückliche, daß er den von fremder Kraft bewegten Stein gefragt: warum schlägst du mich? daß er das Netz gebeten: hab' Erbarmen und laß mich los.

Florian hatte zuerst im reinen Naturdrange [81] gesprochen, nach und nach ward er darauf aufmerksam, daß er das Gleiche auch vor dem Richter vorbringen wolle. Er redete daher sehr ausführlich, denn eine Lüge, die man einmal ausgesprochen, bringt man zum zweitenmale um so fertiger und sicherer vor.

Man hatte bei Florian bloß ohngefähr fünfzig Gulden an Geld gefunden, er wollte dieß auf dem Horber Markt im Spiele gewonnen haben.

Nächst dem verausgabten durchlöcherten Thaler bildete das im Hofe des Bestohlenen gefundene Stück Hochzeitkuchen die Grundlage der Anschuldigung Florians; mehrere Mädchen hatten zugesehen, als die Braut ihm den Leckerbissen gab.

Florian läugnete Alles, denn: »Läugnen gilt bei Württemberg,« in diesem allbekannten Satze bestand seine ganze Rechtskunde.

Viele Leute im Dorfe, die früher nicht gewagt hätten, etwas Böses von Florian zu denken, berühmten sich jetzt, es schon vor zehn Jahren gesagt zu haben, daß er ein Nichtsnutz sei, und wärmten allerlei Jugendstreiche auf.

Florian dachte indeß im Gefängnisse auf seine Flucht. In einer Nacht brach er den Ofen ab und schlüpfte durch das Ofenloch hinaus.

Auf dieselbe Weise, wie er das Verbrechen begangen, sollte er gerettet werden.

Jetzt stand er auf dem Gange, er war verschlossen[82] und es war lebensgefährlich, so hoch aus dem Fenster zu springen. Er gewahrte einen Besen, der an der Wand stand. Schnell entschlossen öffnete er das Fenster, drückte den Besen in die Ecke, wo der Thurm mit dem Nebenhaufe zusammengebaut war, schwang sich auf den Stiel und rutschte so hinab.

Der Nachtwächter hatte es wohl bemerkt, aber er bekreuzte sich dreimal und flüchtete die Staffeln hinauf, denn er hatte den leibhaftigen Teufel auf einem Besen durch die Luft reiten sehen.

Florian war nun frei. Er rannte die Straße hinauf, kroch in ein Gewölbe, das zum Abflusse des jenseitigen Bergwassers dient, grub mit den Händen den Boden auf, fand das Geld und eilte damit durch den Wald.

Während der Gefangenschaft Florians war die Mutter der Creszenz gestorben. Alle Leute bestürmten nun den Schneiderle, bis er seine Tochter wieder in's Haus aufnahm.

In derselben Nacht, als Florian aus dem Gefängnisse entflohen, erwachte Creszenz in plötzlicher Angst aus dem Schlafe; sie hatte geträumt, Florian rufe sie zum Tanze und sie konnte doch ihren Strumpf nicht anziehen, so sehr sie sich auch abmühte.

Weinend saß sie nun in ihrem Bette und sprach das Gebet für die armen Seelen im Fegfeuer. Es [83] schlug vier Uhr, sie stand auf und verrichtete alle Hausgeschäfte. Als es kaum tagte, ging sie hinaus in den Wald, um Holz zu sammeln. Seit ihrem Unglück war ihre Thätigkeit übermäßig, es war, als wollte sie das müßiggängerische Leben Florians einbringen. Sie hatte für alle ihre Arbeiten keinen Dank, und doch war fast kein leeres Plätzchen mehr im Hause, so fleißig hatte sie Holz und Tannzapfen gesammelt.

Als sie nun zum Walde kam, fand sie am Saum desselben einen weißen Knopf, sie erkannte ihn, daß er von dem Wammse Florians war, sie verbarg ihn still in ihrem Busen; hinausschauend über die Berge und das Thal, sagte sie so vor sich hin: »Mein Kreuz ist groß, und wenn ich auf den höchsten Berg steig', ich kann's nicht übersehen.«

Ohne Holz gesammelt zu haben kehrte sie wieder heim. Sie weinte und freute sich als sie Florians Flucht vernahm; sie weinte, denn sie wußte nun, daß er ein Verbrecher war, und sie freute sich, daß er jetzt doch gerettet sei.

13. Die ärgsten Spießruthen und die Linderung

13.
Die ärgsten Spießruthen und die Linderung.

Florian war indessen immer weiter geeilt, und als es Nacht wurde, machte er sich aus den Zehentgarben[84] auf dem Felde eine Hütte und schlief darunter.

In einer Schenke hatte er ein Messer gestohlen, dafür aber heimlich zwölf Kreuzer in das Salzfäßchen auf dem Tisch versteckt; mit dieser Waffe machte er sich nun in einer Schlucht seinen Schnurrbart herunter.

Nichts desto weniger wurde er aber, als er die badische Grenze betreten wollte, verhaftet. Jetzt klagte er dem Landjäger sein Unglück nicht mehr, er wehrte sich mit aller Macht und suchte sich frei zu machen; er ward aber niedergeworfen und gefesselt.

Die Steckbriefe waren angekommen, und nun wurde er von Amt zu Amt den bewaffneten Landjägern übergeben. Stille, ohne ein Wort zu reden schritt er dahin, seine rechte Hand und sein rechter Fuß waren zusammengefesselt; er kam sich selber vor wie ein Thier, das zur Schlachtbank getrieben wird.

Als er aber von Sulz kommend aus dem Empfinger Wäldle trat, sein Heimathsort vor ihm stand und er nun merkte, daß er in Fesseln mitten durch dasselbe geführt werden sollte, da warf er sich vor dem Landjäger auf die Knie und bat ihn weinend, er möchte ihn doch um Gotteswillen hinten am Dorfe vorbei nach der Stadt führen.

Der Landjäger aber sagte: »Nein!« und Florian[85] schlug sich mit der linken Hand auf die Augen als ob er sich dieselben ausschlagen wollte, damit er seine Schmach nicht sehe; seine Rechte klirrte machtlos mit der Kette. Florian, der einst so Vielbewunderte, der sich freute, daß die Blicke Aller auf ihn gerichtet waren, sollte nun in so traurigem Geleite, mit so schmählichem Schmucke durch das Dorf wandeln. Jetzt wünschte er, daß kein Mensch ein Auge für ihn haben möchte. Als er an des rothen Schneiderle's Haus vorbeikam, stand Creszenz an der Reisbeige und hackte Holz. Das Beil entfiel ihrer Hand, eine Minute stand sie erstarrt, dann flog sie mit ausgebreiteten Armen auf Florian zu und lag an seinem Halse; der Landjäger machte sie sanft los. »Ich geh' neben dir durch das Dorf,« sagte Creszenz ohne zu weinen; »du sollst dich nicht allein schämen. Thut dir das Eisen weh? Gräm' dich nur nicht zu arg.«

Florian konnte nicht reden, er winkte nur mit der linken Hand der Creszenz, sie solle umkehren; sie aber ging nebenher als wär' sie mit unsichtbarer Kette an Florian gebunden. Wie ein Lauffeuer verbreitete sich die Nachricht durch das Dorf. Am Adler standen Kaspar und Bärbele vor dem Hause, jener hielt eine Halbe Vier in der Hand und brachte es dem Florian zum Trinken. Der Landjäger duldete das nicht. Florian bat nur, man solle die Creszenz [86] zurückhalten und Bärbele ließ nicht nach, bis sie bei ihm blieb. Alles weinte.

Weiter ging es nun durch die wohlbekannten Gassen.

Der Schmiedjörgli, der des kalten Wetters wegen nicht mehr vor seinem Hause saß, sah zum Fenster heraus und lupfte vor Verlegenheit seine Zipfelkappe. An des Schloßbauern Haus stand der Franzosensimpel und sagte auf seine Oberlippe deutend: »Mus à loin ringo.« Unwillkürlich zuckte ein schmerzliches Lächeln in den Mienen Florians.

Als nun endlich das letzte Haus hinter ihm war, gelobte er sich, nie mehr in seinen Heimathsort zurückzukehren. –

Die Gefangenschaft Florians war nun schwerer, er saß wohl wieder auf demselben Thurme am Neckarthore, aber in der bestvermauerten Zelle.

Oft lugte er durch das Gitter hinaus; wenn er aber einen Nordstetter bemerkte, prallte er wie von einer Kugel getroffen zurück.

Nach und nach ließ der Schmerz über sein Loos in Florian nach und er suchte sich nun allerlei Kurzweil zu machen. Er stellte sich einen Strohhalm auf die Stirne und ging eine Weile umher, dann legte er nach und nach mehrere Halme darauf, bis er eine vollständige Hütte aufbauen und wieder abbrechen konnte. Er lernte mit vieler Mühe sich an den [87] Eisenstäben wagrecht in die Luft halten, er lernte sogar seine beiden Kniee über den Nacken legen.

Eines Tages, als Florian durch das Gitter hinaussah, bemerkte er Creszenz, die nach der Stadt ging; heiße Thränen fielen auf die Eisenstäbe, er konnte sie nicht sprechen, ihr kaum ein Zeichen geben.

Als es Nacht geworden war, hörte er mehrmals vor dem Fenster husten, er erkannte Creszenz und antwortete mit gleichen Zeichen.

Creszenz flocht das rothe Band, das sie am Hammeltanze mit ihm gewonnen, aus ihren Haaren, knüpfte ein Steinchen und einen Brief hinein und warf das flatternde Band zu Florian hinauf, der es geschickt faßte; dann ging sie eilig davon. Aus der Ferne aber vernahm Florian den Endreim des Liedes:


Das Feuer kann man löschen,

Die Liebe nicht vergessen,

Das Feuer brennt so sehr,

Die Liebe noch viel mehr.


Die ganze Nacht konnte Florian kein Auge zuthun, er hatte Nachricht von seiner Creszenz in der Hand und konnte sie doch nicht lesen.

Beim ersten Morgenstrahle stand er am Gitter und las:

[88] »Ich weiß nicht, ob der Brief in deine Hand kommt und unterschreib' mich deßwegen nicht. Ich bin in der Stadt gewesen und hab' mir meinen Heimathschein geholt, das Beßle hat mir im Elsaß einen Dienst verschafft; ich geh' übermorgen fort. Ich hab' mir auch ein langes Kleid machen lassen. Mein' Mutter ist gestorben und mein Vater heirathet das Näher Walpurgle. Ich brauch' dir nicht zu sagen, daß ich nie von dir lass' und wenn du auch weiß nicht was gethan hättst. Wenn du auch einmal schlecht gewesen bist, du bist doch nicht schlecht, das weiß ich. Sei nur fromm und geduldig und trag' dein Schicksal, unser Herrgott ist mein Zeug', ich thät dir's gern abnehmen. Ich hab' mir auch von deinem Vater dein Messer geben lassen, das du immer so gern gehabt hast, ich hoff', will's Gott, dich noch einmal in Ehren mit schaffen zu sehen; gib nur du auch die Hoffnung nicht auf, denn sonst ist man ganz verloren. Mach' dir keine unnöthige Vorwürf' über das, was du gethan hast, das nutzt jetzt nichts mehr, und sei brav. Von dem ersten Lohn, den ich krieg', lös' ich mir wieder deinen Ring und meinen Anhenker aus. O! ich hätte dir noch so viel zu sagen, zehn Schreiber könnten's nicht schreiben. Ich will schließen und verbleibe deine Getreue bis in den Tod.«

Florian fühlte ein nie gekanntes Entzücken, er[89] konnte selig weinen, er sah erst jetzt recht, was er an der Creszenz besaß, und in allem freute er sich auch wieder, daß ihm sein Messer erhalten war.

14. Ein elendes und ein lustiges Leben

14.
Ein elendes und ein lustiges Leben.

Auf sechs Jahre kam Florian in das Zuchthaus. Er war fast froh als man ihm die Sammtjacke auszog und die graue Sträflingsjacke dafür gab, dadurch wurde doch auch sein Lieblingsgewand geschont; er wollte einst wiederum in demselben vor Creszenz erscheinen.

Ueberhaupt kam es Florian vor, als ob er nur acht Tage hier zu bleiben habe. Sein Herz war so voll froher zuversichtlicher Hoffnung, so daß er über die Jahre wie über eine kurze Spanne Zeit wegsah.

Man mag sagen was man will, es ist und bleibt doch wahr: in Dingen, die weder die Minderung der Steuern noch die der Beamtenmacht betreffen, sind sehr viele Regierungen in der That auf das Wohl ihrer Unterthanen bedacht; darum sind auch die Zuchthäuser in unseren Tagen meist ganz gut bestellt; darum, wer nur einmal eine Zeit lang in's Zuchthaus gekommen ist, kann ganz ruhig sein, für ihn ist gesorgt.

Schade, daß nicht alle Staatsangehörigen, die [90] Beamten ausgenommen, Sträflinge sind, wie mild und vorsorglich erschienen da viele jetzige Regierungen!

Dennoch fühlte Florian bald die Länge der Zeit. Er lernte das Bürstenbinderhandwerk, und nachdem endlich und endlich seine Strafzeit um war, eilte er zu Creszenz. Er wurde mit offenen Armen empfangen. Creszenz hatte sich etwas Geld erspart, und nun zogen die Beiden als Bürstenverkäufer im Land umher. Bald aber ward Florian dieses Lebens überdrüssig. Sein Lebenswandel zog wiederum das Aufsehen Aller an sich, denn er besuchte als Seiltänzer und Kunststückmacher Messen, Märkte und Kirchweihen. Besonders geschickt war er in dem Säbelspiel, da er drei Säbel im Kreise um sich herwarf und sie immer wieder am Griffe auffing, er hatte ja dieß schon frühe beim Wursthäckeln geübt. – Creszenz hielt stets getreulich an ihm, und als er einst vom Seile fiel und ein Bein brach, wartete sie ihn mit der liebendsten Sorgfalt.

Nun zog Florian mit einem Würfeltische auf den Märkten und Kirchweihen benachbarter deutscher Länder umher, denn in sein Heimathland mochte er nicht; auch war dort das öffentliche Würfelspiel verboten worden.

Deutschland hat das besondere Glück, daß was in dem einen Lande verboten, in dem andern erlaubt [91] ist; das ist ja das glückliche Ergebniß der vielerlei Regierungen, daß sie auch vielerlei anordnen können. Was wollte Florian anfangen, wenn Deutschland nicht dieses hohen Vorzugs genösse?

Das, womit sein Unglück begonnen hatte, war nun sein Gewerbe. Wenn ihn ein solcher Gedanke überfiel, rief er lauter und schärfer, als wollte er sich selbst zum Spiele auffordern; sein bischen Französisch kam ihm dabei sehr zu statten, denn das hat immer etwas Lockenderes und Vornehmeres für viele Leute.

Dann rief er:

»Messieurs faites votre jeu, immer 'ran! immer 'ran! spielen Sie hier meine Herren Messieurs. Acht Kreuzer für einen Kreuzer, ein Kreuzer hat acht Junge. La fortune, la fortune, la fortune. Ein Kreuzer ist gar kein Geld, aus nichts hat Gott die Welt erschaffen, aus gar kein Geld wird Geld. Immer 'ran!Messieurs faites votre jeu.«

Oft, wenn Florian an den Kirchweihen Abends beim Tanze allerlei Kunststücke machte und er dann die Burschen so fröhlich tanzen und jubeln sah, fuhr es ihm wie zweischneidige Schwerter durch die Seele: so war er einst gewesen, er selber war der flotteste Bursche und jetzt nichts als ein verachteter Spaßmacher für Andere. Wenn er auf solche Gedanken kam, machte er immer um so tollere Späße und überredete[92] sich eine Zeit lang, er mache sie zu seinem eigenen Vergnügen.

Von vier Kindern, die Creszenz geboren, waren nur zwei am Leben geblieben, der älteste Knabe und ein kleines Töchterchen; nie duldete Florian, daß eines derselben seine Späße oder sein Gewerbe mit ansah. Sie mußten immer den Tag über bei den Habseligkeiten in einer Scheune oder in einer Bauernstube bleiben.

Creszenz wagte einst den Vorschlag zu machen, daß sie um der Kinder willen nach Hause zurückkehren und sich dort als Taglöhner ernähren wollten.

»Red' mir nicht da davon,« erwiderte Florian zähneknirschend, »keine zehn Gäul' bringen mich die Horber Steig 'nauf. Ich hab' daheim meine Ehr' verloren und nie – nie seh' ich mehr den Nordstetter Kirchthurm.«

15. Ein verlorenes Kind und ein wiedergefundener Vater

15.
Ein verlorenes Kind und ein wiedergefundener Vater.

Zu Braunsbach am Kocher, gerade gegenüber von des Märxle's Haus, steht eine Linde, dorthin sah man an einem Sommernachmittage eine wandernde Familie ziehen. Der Vater, ein kräftiger Mann mit einem blauen Ueberhemde und einem vielfach eingedrückten grauen Hute, zog an einem Karren, auf [93] dem eine Scheerenschleiferbank und einiges Hausgeräthe lagen. Ein brauner magerer Hund von mittlerer Größe war neben ihm angespannt. Die Frau half ebenfalls den Karren den Berg hinaufschieben. Die zwei Kinder folgten hinterdrein und trugen zusammengelesenes Holz in ihren Armen. Als man endlich unter der Linde angelangt war, zog der Mann die um seinen Oberleib geschlungene Gurte ab, warf den Hut auf den Boden, fuhr sich mit der Hand über die schweißtriefende Stirne und setzte sich mit dem Rücken gegen die Linde gelehnt, auf den Boden. Wir erkennen ihn, trotzdem er sich gewaltig verändert hat: es ist Florian mit seiner Familie.

Der Hund hatte sich neben ihm niedergelassen, den Kopf auf beide Vorderfüße gelegt, der Knabe streichelte ihn.

»Laßt jetzt den Schlunkel, Friederle,« sagte Florian, »mach', hilf deiner Mutter.«

Der Knabe ging schnell zu seiner Mutter, er wußte, der Vater war böse, da er den Hund Schlunkel nannte; denn Floran kam immer, wenn er übler Laune war, zu dieser Selbstpeinigung, daß er den neben ihm im Joche eingespannten mit dem Namen dessen benannte, der ihn in's Unglück gestürzt hatte.

Die Mutter hatte indeß den Dreifuß und den Kessel vom Wagen genommen, mit dem mitgebrachten Holze Feuer angemacht und Wasser übergestellt.

[94] »Gang, sieh daß du Grundbirnen kriegst,« sagte sie zu Friederle. Dieser nahm einen Topf und ging auf das weiter oben stehende Haus mit dem roth angestrichenen Gebälke zu.

Ein bejahrter Mann sah gähnend zum Fenster heraus.

»Wollet ihr nicht so gut sein,« bat Friederle, »und uns Grundbirnen schenken? dur 1 Gott's Wille.«

»Woher bist?« fragte der Mann, der ziemlich satt schien.

»Mein Vater sagt allemal, von dem Land, wo die Leut' auch hungrig sind.«

»Ist der da drunten dein Vater?«

»Ja, machet aber nicht so lang, wenn ihr mir was geben wollet; unser Holz verbrennt sonst.«

Der Mann kam herab und öffnete die Thüre; die Nachbarn wunderten sich gar sehr, daß der Petermichel einem Bettelkinde sein Haus öffnete.

Friederle kam aber alsbald wieder heraus mit dem Topf voll Kartoffeln und etwas Butterschmalz in einem Schüsselchen.

Nun wurde statt bloßer Kartoffeln ein Brei gemacht, und nachdem Alles gegessen hatte, bekam der Hund das Geschirr, um das Uebriggelassene aufzulecken.

[95] Florian erhob sich und ging durch das Dorf mit dem steten Rufe: »Scherrrre schleife aus Parrrrris!« Friederle aber ging von Haus zu Haus um Arbeit zu holen, er versprach den besten Pariser Schliff. In der That war auch Florian ein Meister in seinem neuen Geschäfte.

Den ganzen Nachmittag stand der Petermichel bei der Scheerenschleiferfamilie. Er sah dem gewandten Manne, der so schöne Stückchen pfiff, gerne zu, und unterhielt sich auch mit der Frau und den Kindern. Als es Abend wurde, bot er ihnen sogar an, daß sie in seiner Scheune übernachten könnten. Im ganzen Dorfe sagte man: »das jüngste Gericht kommt, der geizig' Petermichel ist brav geworden.« Und doch wußten die Leute noch nicht Alles. Petermichel setzte sich nämlich zu den Fremden in die Scheune und sagte: »Gebet mir euren Buben da, er soll's gut bei mir haben. Wie meinet ihr?« Die Eltern sahen einander an und antworteten nicht, er aber fuhr fort: »Schlafet einmal drüber, ihr könnet euch bis morgen drauf besinnen.«

Florian und Creszenz sprachen viel hin und her in der Nacht und kamen doch zu keinem rechten Entschlusse. Die Mutter wollte, so wehe es ihr auch that, doch das Kind weggeben, damit es was Rechtes vor sich sehe, ordentlich in die Schule gehen und was lernen könne.

[96] Florian antwortete wenig und betrachtete sein Kind, das vom Monde überschienen sorglos schlief und gar lieblich anzusehen war.

»Der wird ein Hauptkerl,« sagte er zuletzt, legte sich auf die andere Seite und schlief ebenfalls.

Es mag vielleicht wunderbar erscheinen, daß Petermichel, der für so geizig gilt, auf einmal so gut wird, daß er ein Landstreicher-Kind annehmen will; es war indeß nicht Alles pure Güte an dem Petermichel. Er war allein und kinderlos, hatte seine Aecker verpachtet und lebte von seinem Gelde. Nun hatten ihn aber die Kinder seines Bruders, seine einzigen Erben, beleidigt, und er wollte ihnen durch die Annahme eines fremden Kindes eine Brille auf die Nase setzen; außerdem hatte er allerdings eine unerklärliche Zuneigung zu dem muntern Knaben mit den frischen blauen Augen bekommen.

Kaum war der Tag angebrochen, da stand Petermichel oben auf der Scheune und schaute hinab, ob die Fremden wach seien. Er rief dann:

»Höret Mann, kommet mit eurem Weib ein Bisle 'rauf in mein' Stube, wir wollen jetzt mit einander reden.«

Florian und Creszenz kamen.

»Nun wie ist's? Habt Ihr euch entschlossen?« fragte Michel.

»Ja,« sagte Florian, »ich will's deutsch heraussagen, [97] wir thäten den Buben gern weggeben, heißt das, weil er bei euch gut aufgehoben wär' und auch was lernen könnt', aber es geht nicht – gelt Creszenz es geht nicht?«

»Ja warum denn?«

»Weil uns der Bub in unserm Geschäft so nützlich ist, und wir müssen doch auch leben und unser Mädle auch.«

»Hört einmal,« sagte Petermichel, »ich will euch zeigen, daß ichs gut mein', ich geb' euch hundert Gulden, es ist nicht für den Buben, es ist damit ihr ein anderes Geschäft anfangen könnet, einen Geschirrhandel oder so was; hundert Gulden ist ein Wort. Nun wie ist's?«

Die beiden Eltern sahen einander betrübt an.

»Schwätz du, ich sag' gar nichts; was du thust, Creszenz, ist mir recht,« sagte Florian.

»Ja, der Bub wird halt nicht wollen, er ist so an uns gewöhnt. Ihr meinet's gut, das ist kein' Frag', aber der Bub kann doch vor Jammer und Heimweh sterben.«

»Ich frag' ihn,« sagte Petermichel, ließ die verblüfften Eltern stehen und ging eilends hinab zu dem Kinde.

Ohne ein Wort zu reden blieben Florian und Creszenz bei einander, sie bangten vor jeder Antwort.

[98] Da kam Petermichel mit dem Knaben an der Hand, er winkte den Eltern mit den Augen zu und Friederle rief:

»Ja, ich bleib' da bei unserm Vetter, er gibt mir ein' Geißel und ein Hottogäule.«

Creszenz weinte, Florian aber sagte:

»Nun so wollen wir fort, was einmal sein muß, muß schnell sein.«

Er ging hinab, packte die Sachen zusammen und spannte den Hund an. Der Petermichel brachte ihm das Geld.

Als Alles zur Abreise bereit war, küßte Creszenz nochmals weinend ihren Sohn und sagte: »sei brav und folg' dem Vetter, geh' fleißig in die Schul'; kann sein bis den Winter kommen wir wieder.«

Florian kehrte sich ab, als sein Sohn seine Hand nahm und zog scharf an, Friederle aber umhalste noch einmal den Hund und nahm zuletzt noch von ihm Abschied.

Bis nach Kochersteinsfeld waren die beiden Eltern mit einander gegangen ohne ein Wort zu reden, ein Jedes machte sich und dem andern Vorwürfe, daß es nicht mehr abgeredet und das Kind so leicht weggegeben habe. Hier wurde nun Halt gemacht und Florian ließ sich zur Aufheiterung einen Schoppen Wein bringen. Nachdem er getrunken, schob er Creszenz das Glas hin und sagte: »trink auch.«

[99] Sie setzte das Glas an den Mund, stellte es aber laut aufweinend nieder und sagte: »Ich kann nicht trinken, es ist mir grad wie wenn ich das Blut von meinem Friederle trinken müßt'!«

»Laß jetzt das Weibergeheul, hätt'st das früher gesagt. Wir wollen einmal drüber schlafen, bis morgen wird's anders sein.«

Gleich als wollten sie sich schnell recht weit von Friederle entfernen, eilten sie nun ohne anzuhalten bis Künzelsau. Unterwegs wurde ausgemacht, was man mit dem Gelde anfangen wollte, der Rath Petermichel's ward zum Beschluß erhoben.

Andern Tags zog man weiter gen Oehringen plötzlich aber hielt Florian an und sagte:

»Was meinst Creszenz, wenn wir wieder umkehren thäten und den Friederle holen?«

»Ja, ja, ja, komm.«

Schnell war der Karren gewendet und der Hund sprang an Florian hinauf, als wüßte er, wohin es wie der ginge. Nun aber sagte Creszenz:

»Ach Jesus im siebenten Himmel. Er wird ihn uns nimmer geben, es fehlt ein ganzer Gulden an dem Geld; das Nachtlager – und ich hab' dem Lisbethle ein Kleidle gekauft.«

»Weiber! Weiber mit eurem Putz!« knirschte Florian, »nun, wir wollen's einmal probiren, fort, zurück, ich hol' meinen Friederle.«

[100] Der Hund bellte vor Freude.

Wieder war Mittag als unsere Karawane bei der Linde anlangte.

Friederle sprang ihnen entgegen und rief: »Ist schon Winter?«

Die Mutter ging hinauf zu Petermichel, legte das Geld auf den Tisch, bat um Verzeihung, daß ein Gulden fehle und verlangte ihr Kind wieder.

Der Pfarrer faß eben bei Petermichel und hatte es fast dahin gebracht, daß er sich mit seinen Bruderskindern aussöhnen und dem angenommenen Kinde nur einen kleinen Theil seiner Habe verschreiben wollte.

Als er nun die Frau ansichtig wurde, stand er plötzlich auf und streckte beide Hände empor, er wußte nicht wie ihm war, aber ihm war ganz fremd zu Muthe. Er suchte die Frau zu bereden, ihr Kind doch hier zu lassen, und als er nun auf ihre Stimme aufmerkte, war es ihm als ob er einen Klang aus alter Zeit vernehme.

Petermichel hatte unterdessen den Florian heraufgerufen. Als dieser eintrat und den Pfarrer erblickte, eilte er auf ihn zu, packte ihn an der Gurgel und rief: »Kerl! ich bin froh, daß ich dich wieder hab'.« Creszenz und Petermichel wehrten ab, der Pfarrer bat mit stockender Stimme den letztern, daß er weggehe, er habe mit den Leuten was zu reden. Petermichel ging.

[101] »Heißt du Creszenz?« fragte der Pfarrer die Frau.

»Ja.«

»Mein Kind, mein Kind!« sprach der Pfarrer mit erstickter Stimme und warf sich an ihren Hals.

Eine Zeit lang war Stille in der Stube, die Männer und die Frau weinten. Der Pfarrer fuhr Creszenz immer mit der Hand über das Gesicht, dann ließ er die Beiden schwören, daß sie nie sagen wollten, in welchen Verhältnissen sie zu ihm stünden; er wollte für sie sorgen, ihnen ein Hauswesen einrichten. Creszenz sollte nur seiner Schwester Kind sein. –

So blieben nun die Landstreicher im Dorfe. Florian handhabte mit großem Fleiß sein ihm treugebliebenes Messer als Metzger.

Die Frau des evangelischen Pfarrers, eine tugendstolze Pietistin, will zwar herausgebracht haben, Creszenz sei die Tochter und nicht das Schwesterkind des Pfarrers, die Leute aber wollen's nicht glauben.

Der Hund, ein guter Metzgerhund, heißt nicht mehr Schlunkel, sondern führt seinen ehrlichen Namen Bleß. Alle trüben Erinnerungen an die Vergangenheit sind ausgelöscht.

Fußnoten

1 Durch.

II.
Der Lautenbacher.

[103][105]

Die Glocke läutete hell, ihre Töne zerflossen sanft in dem lichten Mittag; die Menschen kehrten von ihrer Arbeit heim. Die Männer gingen mit der Mütze in der Hand von den Feldern auf die Straße, die Stimme Gottes hatte sie gerufen, das harte Feldgeräthe aus der Hand zu legen, heimzukehren und sich zu stärken am Gebete und an irdischer Speise. Ein junger, schlank gewachsener Mann war die Straße von der Stadt heraufgekommen. Er war städtisch gekleidet und hatte einen braun marmorirten Ziegenhainer Stock, in den viele Namen eingeschnitten waren, in der Hand. Als er nun das Dorf so vor sich ausgebreitet sah, blieb er stehen, horchte hin nach dem Geläute und schaute umher in den Wald der blühenden Obstbäume, die das Dorf umdrängten. Er grüßte die Leute, die vom Felde herüber kamen, mit einer besondern Freundlichkeit, ja, als ob er sie kenne. Die Leute dankten herzlich und schauten sich Alle nochmals nach ihm um, sie meinten, das müsse Einer aus [105] dem Dorfe sein, der aus der Fremde heimkehre; er hatte sie ja so durchdringend angeschaut, und doch kannten sie ihn nicht.

Als die letzten Töne der Glocke verklungen waren, als Alles auf dem Felde stille, kein Mensch mehr zu sehen war und nur die Lerchen hoch in der Luft jubelten, da setzte sich der Fremdling an den Wegrain, schaute noch lange hinüber nach dem Dorfe, zog endlich eine Brieftasche heraus und oft wieder um sich blickend schrieb er hinein:

»Griechen und Römer! Wie hoch schallten eure Triumphe, wie schmetterten eure Kriegstrompeten, aber nur das Christenthum grub das Erz aus den dunkeln Schachten der Erde, ließ es hoch in den Lüften schweben und weithin seinen Klang ausgießen, zur Anbetung, zur Freude und zur Trauer. Wie herrlich mögen die Harfen und Pauken im Tempel zu Jerusalem geklungen haben; aber nicht mehr Ein Tempel steht auf der Erde, tausende hieß das Christenthum erstehen aller Orten ... Mir war's vorhin, als ob die Glocken erschallten zum Einzuge in meinen neuen Bestimmungsort, als ob die Stimme Gottes mir Willkommen zuriefe. Wohl saht ihr euch verwundert nach mir um, ihr guten Menschen, ihr wußtet nicht, was wir einander werden sollen. O könnt' ich die Seelen dieser Menschen ganz in meine Gewalt bekommen, ich [106] wollte sie frei machen von ihrem trägen Aberwitze und sie kosten lassen die reinen Freuden des Geistes. – Da wandeln sie aber hin, und gleich dem Thiere, das vor ihnen hergeht, sehnen sie sich nach nichts als nach dem Futter für ihren Mund ... Das also ist der Ort, wo mein erneutes Leben beginnt: diese Schluchten und Ackerflächen, mit welchen Gedanken wird mein Auge auf ihnen weilen! O die Erde ist überall schön und freudespendend, wo es Blumen gibt. Und wenn die Menschen mich nicht verstehen, verstehst du mich doch, o ewige Natur, und lächelst mir freundlich zu, wenn ich deinen stillen Offenbarungen lausche ... Da stehen die Bäume in ihrer Blüthenpracht und drinnen im Dorfe hör' ich das Jauchzen der Kinder, in deren Herzen ich den Lichtstrahl der Bildung werfen soll ....«

Der Schreibende hielt inne; seinen Stock betrachtend, sagte er leise vor sich hin: »Nach allen Gauen hin seid ihr zerstreut ihr Genossen meiner Jugend, nichts als eure Namen hier sind mir geblieben, und mit ihnen betrete ich die Schwelle meines neuen Lebens, ihr Alle begleitet mich im Geiste. Ich sende euch einen Herzensgruß hinaus in den Frühling, möge er euch wiedertönen aus dem Munde der Vögel in den Lüften und eure Seele erquicken!«

Rasch stand er auf und schritt durch das Dorf.

[107] Wir wissen nun, daß wir den neuen Schullehrer in dem jungen Mann kennen gelernt. Er fragte nach dem Schultheiß, man wies ihn in das Haus des Buchmaiers.

Der Buchmaier saß mit seinem zahlreichen Hausgesinde bei Tische, als der Fremde eintrat. Nach herzlichem Willkomm wurde er eingeladen sich zu Tische zu setzen; der Lehrer dankte.

»Ei was?« sagte der Buchmaier, der sich alsbald wieder gesetzt hatte, da er sich beim Essen durchaus nicht stören ließ, »rucket ein Bisle zusammen, ihr da. Hurtig, Agnes, hol' einen Teller. Da setzet Euch her, Herr Lehrer. Bei uns geht's nicht wie bei den Horbern, die sagen immer: wäret Ihr bälder kommen; wer bei uns zur Essenszeit kommt, muß mithalten. Wo Ihr jetzt hinkommt, kriegt Ihr doch nichts mehr, und da ist gekocht; Ihr müsset halt fürlieb nehmen mit dem, was da ist. Ihr kommet grad' zu einem rechten Schwarzwälderessen: gerührte Knöpfle und Hutzeln.«

Agnes hatte einen Teller gebracht, und der Lehrer um nicht grob zu erscheinen, sich zu Tische gesetzt.

»Da, mein' Agnes,« sagte der Buchmaier, nach dem er einen gehauften Teller voll herausgeschöpft, »die kriegt Ihr in die Sonntagsschul'.«

»O, Sie werden wenig mehr zu lernen haben,«[108] sagte der Lehrer, um doch etwas vorzubringen. Das Mädchen heftete den Blick scheu auf den Teller.

»Wie! Agnes, red' auch, du hast ja sonst dein Maul bei dir, sag', kannst du Alles?«

»Jo, mit deam Lease do käm' ich schaun no furt, herrentgege mit em Schreiba, do will's halt nimmei reacht gaun, d'Fingere weant oam härt, wemmer d'gahnz Woch so schaffe muaß.«

All' die Schönheit des Mädchens verschwand plötzlich vor den Augen des Lehrers, da er diese harte, in groben Lauten vorgebrachte Rede hörte.

Nachdem abgespeist und gebetet war, stellte sich einer der Knechte, der bei Tische nicht weit vom Buchmaier gesessen hatte, vor seinen Herrn hin, und indem er sein Messer einsteckte, sagte er:

»I will gaun mit de Gäul' naun alloan naus?«

»Ja, ich komm' bald nach. Nimm einen Buben mit, der dir den Fuchs führt, der will sich nicht recht eingewöhnen.«

»Schätz' wol, i krieg ihn schaun z'reacht,« sagte der Knecht und ging mit schweren Schritten von dannen. Der Lehrer schüttelte den Kopf.

Agnes deckte schnell ab, denn sie eilte, um in der Küche ihre Bemerkungen über den Ankömmling mit den Mägden auszutauschen.

»Ein nett's Bürschle,« sagte die Legat, die älteste Magd und Vertraute der Agnes, »er hat dich [109] anguckt, ich hab' nicht recht gewußt, will er dir ein Tätzle oder ein Schmützle geben. Was meinst, wär' das nicht ein Mann für dich? Er ist noch ledig.«

»Lieber möcht' ich ledig bleiben, bis die Kuh einen Batzen gilt, eh' ich den nähm'.«

»Hast Recht,« sagte eine andere Magd, »der thät dich auch mit zwei Händ' in's Maul stecken; hast nicht gesehen, der hat ja das Messer in die recht' und die Gabel in die link' Hand genommen und mit zwei Hand' gessen, das hat man sein Lebtag von keinem ehrlichen Menschen gesehen.«

»Ja,« sagte eine dritte, »der ist auch noch nicht über seines Vaters Miste 'nauskommen, der hat ja die Knöpfle mit dem Messer verschnitten, statt daß man's verreißt; da sind sie ganz talkig worden. O du Talk! geschieht dir recht, daß du hast so dran würgen müssen.«

Während draußen beim Spülen die Mädchen den Lehrer auch nicht ungewaschen ließen, nicht sowohl aus Bosheit als weil man einmal so begonnen hatte, war drinnen in der Stube die Unterredung des Buchmaiers auch keine sehr erfreuliche.

»Der Sprach' nach,« begann er, »scheinet Ihr aus dem Unterland gebürtig.«

»Eigentlich nicht, ich bin aus dem Taubergrund.«

»Nu, wir nehmen das nicht so genau, was halt [110] unter Böblingen ist, heißen wir das Unterland; wie heißt denn der Ort?«

Der Lehrer stockte ein wenig, legte beide Hände auf die Brust und sagte endlich sich verbeugend: »Lauterbach.«

Der Buchmaier stieß ein schallendes Gelächter aus, der Lehrer sah ernst drein; endlich sagte Ersterer:

»Nichts für ungut, Lauterbach weiß ja jed' Kind, das ist ja in dem Lied. Warum habt Ihr denn nicht recht mit 'raus wollen? Das ist ja kein' Schand. Nu Ihr könnet mir jetzt g'wiß die Wahrheit sagen, warum ist jetzt grad' Lauterbach in dem Lied?«

»Wer kann das wissen? es hat wahrscheinlich gar keinen Grund, solche dumme Lieder werden von einfältigen Menschen gemacht, die diesen und jenen Ort nehmen, weil er ihnen gerade in das Metrum, ich wollte sagen, in das Versmaß paßt.«

»Ei, das Lied ist gar nicht so dumm und es hat ein' recht lustige Weisung, ich hör's rechtschaffen gern singen.«

»Sie erlauben, daß ich entgegengesetzter Ansicht bin.«

»Was ist da viel zu erlauben? wenn ich's auch nicht erlauben thät, wäret Ihr's doch, nur frei heraus und saget mir einmal: warum?«

»Ich meine: welcher Gedanke, ja nur welcher Sinn liegt in dem Lied:


[111]

Zu Lauterbach hab' ich mein' Strumpf verloren,

Ohne Strumpf geh' ich nicht heim,

Jetzt geh' ich halt wieder gen Lauterbach,

Kauf mir ein' Strumpf zu mein eim.


Das ist nichts als barer Unsinn, und das nennen Sie lustig? Wie kann ein Lied lustig sein, wenn gar kein Gedanke darin ist? Ist die Gedankenlosigkeit Lustigkeit?«

»Ja, es mag jetzt sein, wie es will, lustig ist es doch; es paßt halt so grad, wenn man« – der Buchmaier konnte sich hier nicht mehr recht ausdrücken, er schnalzte nur mit den beiden Händen, dann fuhr er fort: »ich will sagen, wenn man so recht darüber 'naus ist. Wir haben hier Einen, den Jörgli, von dem müsset Ihr's einmal hören, dann saget Ihr auch: es gibt nichts lustigeres. Ein Spaßvogel hat mir einmal berichtet, es müss' nicht ›Strumpf,‹ es müss' ›Schuh‹ heißen, und deßwegen sei von Lauterbach die Red', weil dort auf allen Gassen Schlappen 'rumliegen. Aber was geht uns jetzt das Lied an? Wir wollen was Andres reden. Habt Ihr hier herum auch Bekannte?«

»Keinen Menschen.«

»Nun Ihr werdet schon gute Freund' bei uns finden, die Leut' sind zwar hier herum ein Bisle grob; es ist nicht so, aber es sieht so aus. Ein Bisle spöttisch, das ist wahr, das sind sie, es ist [112] aber nicht bös gemeint, man muß nur tüchtig heimzahlen; und wenn man mit ihnen umzugehen weiß, kann man's um einen Finger wickeln.«

»Ich werde gewiß allen Menschen mit Liebe entgegenkommen.«

»Ja, was ich hab' sagen wollen, nun müsset Ihr auch die Gemeinderäthe und den Bürgerausschuß begrüßen, Ihr müsset sie besuchen; und noch Eins, gehet auch zum alten Schullehrer, der jetzt schon 25 Jahr in Ruhstand versetzt ist, er ist ein braver Mann, und es thut ihm wohl. Er ist noch von der alten Welt, aber auch grundgut. Ich bin auch noch bei ihm in die Schul' gangen, freilich weiß ich auch wenig genug. Der letzte Schullehrer hat's mit ihm verdorben, weil er ihn nicht besucht hat; und wenn Ihr ihm einen besondern Gefallen thun wollet, lasset ihn als einmal am Sonntags Orgel spielen. Jetzt will ich Euch Euer' Wohnung zeigen, Eure Sachen sind schon gestern ankommen.«

Mißvergnügten Antlitzes ging der Lehrer neben dem Buchmaier durch das Dorf. Er war mit so hohen, überschwänglichen Gedanken hier angekommen, und war auf eine so rauhe, harte Wirklichkeit gestoßen. Oft hörte er hinter sich sagen: das ist g'wiß der neu' Schullehrer. Bei der Krone begegnete den Beiden der uns wohlbekannte Mathes, er war nun im Bürgerausschuß. Der Buchmaier stellte ihm den [113] neuen Lehrer vor. Einige hatten dies gehört und nun verbreitete sich die Nachricht wie ein Lauffeuer. Mathes schloß sich den Beiden an.

So groß war die hinneigende Liebe der Kinder, in deren Herzen der Lehrer einzudringen gedachte, daß sie davon liefen, als sie ihn von ferne sahen. Hie und da blieb aber auch einer der beherzten Knaben stehen und nickte freundlich, ohne die Kappe abzuziehen, aus dem einfachen Grunde, weil er keine auf hatte.

Nicht weit von dem Schulhause stand ein hübscher Knabe von sechs bis sieben Jahren. »Komm' her, Hannesle,« rief Mathes, »gucket, Herr Lehrer, der ist mein. Nehmet ihn nur recht dazwischen, er kann lernen, aber er mag oft nicht. Gib dem Herrn eine Hand, der ist jetzt dein Herr Lehrer, den mußt du gern haben. Wie sagt man zu einem Fremden?«

»Grüß' Gott,« sagte der Knabe, herzhaft die Hand reichend.

Das Antlitz des Lehrers war wie verklärt, dieser Gruß aus Kindes Munde that ihm gar wohl. Er war jetzt wieder in seinem Paradiese, das unschuldvolle Gemüth eines Kindes wendete sich ihm zu. Er beugte sich zu dem Knaben nieder und küßte ihn.

»Willst du mich lieb haben?« fragte er dann. Hannesle sah seinen Vater an.

[114] »Willst du den Herrn Lehrer gern haben?« fragte der Mathes.

Der Knabe nickte bejahend mit dem Kopf, er konnte nicht mehr reden, denn die Thränen standen ihm in den Augen.

Die drei Männer gingen fort, der Knabe sprang eilends, ohne sich umzusehen, nach Hause.

Der Buchmaier und Mathes zeigten nun dem Lehrer seine Wohnung.

»Da gehört bald ein Weib 'rein,« sagte Mathes, »ein Schullehrer muß eine Frau haben. Wir haben jetzt zum erstenmal einen Ledigen; nun wir haben hier Staatsmädle, Ihr müsset euch einmal umgucken. Das Best' ist, ihr nehmet eine aus dem Ort; wenn man nicht aus dem Ort ist und nicht 'rein heirathet, bleibt man halt wildfremd. Hab' ich Recht oder nicht, Vetter?«

»Vielleicht hat der Herr Lehrer schon eine ausgesucht,« entgegnete der Buchmaier, »und sie mag her sein, wo sie will, sie soll bei uns gut aufgehoben sein.«

»Ja, wir halten ihr einen Gegenritt,« sagte Mathes, indem er dachte: der Buchmaier ist doch gescheiter als du. Der Lehrer aber sagte:

»Ich bin noch durchaus ledig, ich kann schon noch eine geraume Zeit zusehen.« Innerlich dachte er: lieber eine Aeffin, als so eine vierschrötige Bäuerin zur Frau.

[115] »Jetzt müsset Ihr mich verexkusiren,« sagte der Buchmaier, »ich muß in's Feld; ich hab' da einen Gaul im Handel und muß sehen, wie der im Zug ist. Nun, wir sehen uns ja heut Abend. B'hüt's Gott dieweil. Gehst mit, Mathes?«

»Ja, b'hüts Gott, Herr Lehrer, und wenn Euch die Zeit zu lang wird, so nehmet's doppelt.«

Der Lehrer verstand diese nicht sehr geschickte Redensart des Mathes, die von dem Bilde eines zu langen Fadens genommen ist, nicht ganz.

Nachdem hinter den Fortgegangenen die Thüre schon zu war, drückte der Lehrer nochmals an derselben, gleichsam um sich zu vergewissern, daß er jetzt allein sei. Er fühlte sich sehr beklommen und konnte sich doch nicht recht sagen warum. Endlich siel ihm die Lauterbacher Geschichte wieder ein. Er sah darin eine grobe und rohe Begegnung, alle ihm sonst erwiesene Freundlichkeit haftete nicht an ihm.

So sind die Menschen! Wenn sie sich in gereizter Stimmung befinden, behalten sie immer nur das Eine im Sinne, was sie verletzte, und übersehen alles andere noch so Liebreiche.

Erst saß der Lehrer lange still, dann erhob er sich, seine Sachen auszupacken. Es heimelte ihn wiederum an, da die gewohnten Gegenstände um ihn her lagen. Bald versank er indeß abermals in stilles Brüten, und er dachte bei sich: da bist du [116] nun wie in eine Wildniß versetzt; was dich erfreut und betrübt, ist für diese Menschen gar nicht vorhanden; dein Schultheiß ist eben nichts als ein Bauernschulz, noch stolz auf seine Rohheit. Wohl mag der Geist auch in diesen Menschen schlummern, aber er ist verschüttet. Ich will alle meine Kraft zusammenhalten, um mich gegen das Verbauern zu wahren. Tagtäglich will ich mein ganzes Sein aufwühlen, ich will frei bleiben von dem Einflusse meiner Umgebung. Ich habe Lehrer gesehen, die mit dem freien Geiste der Zeit erfüllt in ihr Amt traten, und nach einigen Jahren versanken sie ganz in den Schlendrian, sie waren zu Bauern geworden, selbst ihr Aeußeres war nachlässig und schlapp. – Er schrieb auf ein Zettelchen: Memento! und steckte es an den Spiegel.

Endlich raffte er sich auf und ging hinaus auf das Feld, den Weg, den er herein gekommen war. Die Bauern, die hier auf den Aeckern an der Straße arbeiteten, sagten: »Nun, wie geht's, Herr Lehrer? schon eingewöhnt?« Der Lehrer gab kurze, aber freundliche Antworten; diese Zuthulichkeit kam ihm fremd vor und beleidigte ihn fast. Er wußte nicht, daß die Leute ein Anrecht zu derselben zu haben glaubten, weil sie ihn zuerst gesehen hatten, zuerst von ihm begrüßt worden waren.

Nach langem Umherschweifen in den Feldern fand[117] er »im Grunde« einen einsam stehenden Holzbirnenbaum von schönem Schlage. Er umwandelte ihn von allen Seiten, bis er den rechten Punkt gefunden hatte. Nun setzte er sich auf einen breiten Markstein und zeichnete.

Viele Bauern kamen neugierig herbei und schauten zu. Schnell verbreitete sich von Mund zu Mund das Gerücht: der neu' Lehrer schreibt die Bäum' ab.

Der Lehrer zeichnete noch den Hügel gegenüber mit dem Haselbusch und der Brombeerhecke, die sich über einen Felsen wand, auch das Feldhäuschen, in dem man das Feldgeschirr aufbewahrt oder bei Unwetter Schutz sucht; zuletzt zeichnete er einen Bauern mit Pferd und Pflug als Staffage.

Es neigte sich gegen Abend. Mit beruhigter Seele kehrte der Lehrer heimwärts. Unterwegs schlossen sich ihm mehrere Bauern an; ohne viel Umstände zu machen, hielten sie gleichen Schritt mit ihm und hatten gar viel zu fragen. So unbequem dieß dem Fremdling war, so ließ er sich's doch gefallen. Sehr ungeschickt aber war es, daß er auf die Frage: nicht wahr, es ist eine schöne Gegend hier herum? die Antwort gab: »So, so, es geht an.« Er dachte, daß sich hier nicht viel Malerisches zu finden scheine, und konnte das doch nicht sagen. Da ihm die Plumpheit der Kirchthurmspitze aufgefallen war, fragte er: »Wer hat die Kirche gebaut?«

[118] Die Leute sahen ihn mit großen Augen an, sie konnten sich gar nicht denken, daß es einmal anders gewesen, daß es eine Zeit gegeben haben könne, da die Kirche noch nicht da war.

Zu Hause harrte der Lehrer auf den Buchmaier, der ihn seiner Erwartung nach abholen würde. Es dämmerte, auf der Straße regte sich lebendiges Treiben; nur der Lehrer saß still am offenen Fenster. Er gedachte jetzt lebhafter als je, wie nothwendig ihn: eine Lebensgefährtin sei, die ihn verstünde, damit er nicht mehr »unter Larven die einzig fühlende Brust« sei.

Es war Freitag Abend; die jungen jüdischen Burschen zogen nach ihrer Gewohnheit singend durch das Dorf. Einst war eine Stimme darunter, die jetzt nicht mehr so hell klingt. Man sang mehr Lieder aus den Büchern. Als man an der Wohnung des Lehrers vorüber kam, wurde eben das schöne Lied begonnen:


Herz mein Herz, warum so traurig?

Und was soll das Ach und Weh?

's ist ja so schön in fremden Landen!

Herz mein Herz, was fehlt dir denn?


Nach und nach verklang das Lied nach dem obern Dorfe zu. Der Lehrer fühlte sich in tiefster Seele bewegt. Er griff nach seiner Geige und spielte den [119] Sehnsuchtswalzer; das waren im Dorfe nie gehörte Klänge. Bald vernahm er, daß sich viele Menschen vor dem Hause gesammelt hatten; sich selbst und die Anderen zur Lust aufrufend, spielte er dann noch einen neuen muntern Walzer. Jauchzen und Lachen auf der Straße lohnte ihm.

Endlich ward es dem Lehrer doch zu lange, er verließ das Haus und fragte den ihm begegnenden Mathes nach dem Buchmaier.

»Kommet mit,« sagte Mathes, »im Adler ist er und am Freitag Abend besonders gern.«

Der Lehrer fand es zwar nicht recht, daß der Schultheiß so bei den Anderen im Wirthshaus faß, er ging indeß doch mit.

Im Adler traf er große Gesellschaft und eifriges Gespräch. Die Juden, die großen Theils die ganze Woche nicht zu Hause sind, saßen hier unter ihren christlichen Mitbürgern und tranken; nur mit dem einzigen Unterschiede, daß sie, weil Sabbath war, nicht dabei rauchten.

Eine Weile herrschte Stille, als der Lehrer in die Stube trat; aber bald nach dem Willkomm und nachdem der Buchmaier neben sich Platz gemacht, fuhr dieser fort:

»Wie gesagt, der Thiers hat mit einem fetten Stück Deutschland Frankreich schmälzen wollen; pros't Alter, dir hat man die Supp' versalzen, du wirst [120] nimmer so schleckig sein. Was meinet Ihr, Herr Lehrer?«

»Sie haben ganz Recht, nur sollten wir auch das Elsaß wieder haben.«

»Ja, mornemorgen, 1 aber die Elsäßer wollen nicht. Wie ich das letztemal in Straßburg gewesen bin, hab' ich mich in die Seel' 'nein geschämt, wie sie mich gefoppt haben, ob wir nicht wieder bald falsch Geld haben, das kein' Heimath hat? Ein rechtschaffener Mann hat mir gesagt: die Beamten von drüben, die wären lieber deutsch, bei uns sind sie am besten bezahlt, sind versorgt auf Kinder und Kindeskinder und haben Ruh', aber drüben ist das anders; die Beamten machen das nicht aus. Und wenn's deutsch würd', wer sollt's kriegen? Ein Sohn von dem falschen Sechser? Es ist glaub' ich, noch Einer da? Oder ein verlegtes hannöverisch Zehnguldenstück? Man thät's aber nicht Einem geben, man thäts verschnipfeln; sie haben ja den Ueberrhein in drei Theil' verschnitzelt, damit man's auch recht weiß, daß er deutsch ist.«

Der Lehrer saß in stummem Erstaunen nach dieser Rede des Buchmaier; da begann ein starker, wohlbeleibter Mann, dessen städtische Kleidung und eigenthümliche Redeweise den Juden nicht verkennen ließ:

[121] »Ja, und die vielen Juden im Elsaß ließen sich eher massakriren, ehe sie deutsch werden thäten; drüben sind sie vollkommen gleich mit den christlichen Bürgern; wir, wir bezahlen alle Steuern gleich, werden Soldaten wie die Christen und haben doch nur die halben Rechte.«

»Hast Recht, Mendle, kriegst aber nicht Recht,« erwiderte der Buchmaier.

Eine Pause entstand, nach welcher der Buchmaier wiederum begann:

»Herr Lehrer, was haltet Ihr von den Thierquälervereinen? Kann man mir befehlen, wie ich mit meinem Eigenthume umzugehen hab'? Darf man mich dafür strafen?«

Der Lehrer sah hierin wiederum nichts als die Rohheit dieser Menschen; mit großem Eifer vertheidigte er daher die Polizeimaßregeln wegen Mißhandlung der Thiere; der Buchmaier aber entgegnete:

»In der Stadt, da kann's meinetwegen nöthig sein, daß man die Leut' ermahnt, das Vieh zu schonen, aber strafen kann man's nicht. So ein Kutscher oder Kutschersknecht, oder so ein Livreebeamter, ich will sagen Livreebedienter, der hat kein' rechte Lieb' zum Vieh, es ist oft gar nicht einmal sein eigen, und davon, daß er's aufgezogen hat, ist gar nicht zu reden. Bei uns aber, ich hab' schon [122] gesehen, daß die Leut' mehr heulen, wenn ihnen ein Rind draufgeht, als wenn ihnen ein Kind stirbt.«

»Die Herren sollten zuerst die Bauern besser behandeln,« sagte Mathes. »Der alt' Amtmann, der hat seinem Hund die besten Wörtle geben und die Bauern nur so angeschnauzt; sie sollten zuerst einen Verein stiften, daß Keiner mehr Er zu einem Bauern sagt.«

»Ja,« sagte der Buchmaier, »die Hauptsach' ist, die Amtleut' wollen jetzt gern auch über das Vieh regieren. Ihr werdet sehen, wenn's so fort geht, wird man über zehn Jahr' Einem befehlen, was er auf seinem Acker säen darf und wann er ihn brach legen muß; man kann ja auch seine Aecker quälen und kann ihnen zu viel zumuthen.«

»Wenn die Menschen nicht so vernünftig sind,« sagte der Lehrer, »das gehörige Maaß in allen Dingen zu halten, so ist der Staat verpflichtet, das Gute durch Strafen einzuführen.«

»Nein und neun und neunzigmal nein!« rief der Buchmaier, hielt aber plötzlich inne; sei es, daß er seiner Heftigkeit den Zügel halten wollte, oder daß er in der That nichts vorzubringen wußte. Er trank in langsamen Zügen, während dessen ein Mann mit gerollten, weißen und schwarzen Haaren, so was man Kümmel und Salz nennt, auf hochdeutsch sagte:

»Man kann die Menschen dafür strafen, wenn [123] sie schlecht handeln, aber man kann sie nicht zwingen, gut zu sein; eine durch's Gesetz erzwungene Güte ist auch keine Güte mehr.«

»Hat Recht,« sagte der Buchmaier auf die Worte des Mannes, dessen Rede trotz des Hochdeutschen in dem singenden Tone des jüdischen Dialekts gesprochen war. Der Lehrer aber ging nicht darauf ein. Es ist nicht wahrscheinlich, daß er, wie die gelehrten Herren pflegen, auf die Gegenrede eines Juden that, als ob sie gar nicht vorgebracht worden wäre; vielmehr betrachtete er nur den Buchmaier als seinen Gegner, er fragte diesen:

»Glauben Sie, daß der Staat ein Recht hat, die Leute durch Strafen zu zwingen, ihre Kinder in die Schule zu schicken?«

»Freilich, freilich.«

»Ja warum denn?«

»Weil das in der Ordnung ist.«

»Ja man hat doch aber kein Recht die Leute zu zwingen, daß sie gut seien.«

»Man kann's aber strafen, wenn sie schlecht sind, und wer sein Kind nicht in die Schul' schickt, der handelt schlecht. Ist's nicht so?« schloß der Buchmaier zu dem gewendet, der vorhin das Wort für ihn ergriffen hatte.

»Gewiß,« erwiederte dieser. »Der Staat ist der Vormund derer, die nicht selber für sich sorgen und [124] sich nicht wehren können. Wie er die Pflicht hat, sich um ein Kind anzunehmen, wenn ihm die Eltern sterben, und so durch den Tod nicht mehr für dasselbe sorgen können, so muß er auch solche, die durch Dummheit oder Schlechtigkeit ihre Kinder vernachlässigen, durch Strafen zu ihrer Pflicht zwingen.«

»Hat Recht, hat rechtschaffen Recht,« sagte der Buchmaier triumphirend.

Ohne sich an den, wie ihm schien, unberufenen Redner zu wenden, doch auch ohne ihn zu vermeiden, sagte der Lehrer:

»Wenn der Staat der Vormund der Unmündigen ist, derer, die sich nicht selber helfen und wehren können, so hat er auch die Herrschaft über das Vieh, das in gleichem Falle ist wie die Kinder.«

»Aepfelstiel und Birenschnitz, wie kommen die Rüben in den Sack? Das ist gar kein Vergleich,« sagte der Buchmaier lachend. »Herr Lehrer, nichts für ungut, aber da habt Ihr euch vergaloppirt. Ich hab' zu Haus ein Waisenrind, das arme Thierle hat kein Vater und kein' Mutter mehr, ich muß bigott morgen den Gemeinderath zusammenkommen lassen, man soll ihm einen Vormund setzen.«

Ein schallendes Gelächter erdröhnte in der ganzen Stube. Der Lehrer gab sich alle Mühe, seine Ansicht näher zu begründen, aber er konnte nicht mehr zu einer ordentlichen Auseinandersetzung kommen. [125] Die ganze Versammlung war seelenfroh, daß das zu ernste Gespräch endlich eine lustige Wendung genommen hatte. Nur so viel vermochte er darzulegen, daß er weit entfernt sei, die Kinder und das Vieh in eine Reihe zu stellen.

»Davon ist keine Red',« sagte der Buchmaier, »Ihr habt ja des Mathesen Hannesle einen Kuß geben, das thut man keinem Vieh. Aber jetzt ist mir's, wie wenn ich eine dreifache Versicherung hätt', daß das mit den Thierquälervereinen nichts ist als den Hühnern die Schwänz 'naufbinden, sie tragen's schon allein oben.«

Die Heiterkeit steigerte sich nun immer mehr, überall öffneten sich die Schleußen eines nicht immer sehr wählerischen Witzes. Der Lehrer war nicht dazu aufgelegt, sich davon fortreißen zu lassen, vielmehr ward er im Tiefinnersten verstimmt.

Mit jenem quälenden Gefühle, vor Mehreren seine Ansicht ausgesprochen zu haben, ohne sie ganz dargelegt zu haben und ohne ganz gehört worden zu sein, verließ der Lehrer nun bald das Wirthshaus. Er sah es wohl ein, wie schwer es ist, eine Versammlung von Erwachsenen in der gründlichen Erforschung eines Gedankens zu leiten und ihn durchzukatechisiren; bald aber verließ er diese Betrachtung wieder und ward überzeugt, daß er hier die Rohheit getroffen, die nicht in der eckigen und derben Natürlichkeit, [126] sondern in der selbstgefälligen Mißachtung der Bildung und der verfeinerten Ansichten besteht. Er war sehr betrübt. Der Vorsatz: sich nur der bildsamen Kindheit und der reinen Natur hinzugeben, befestigte sich stets mehr in ihm.

Andern Tages, es war Samstag, machte der Lehrer die Besuche bei den Gemeinderäthen, er traf aber keinen zu Hause. Er ging nun zuletzt zu dem alten Schullehrer, man wies ihn nach einem Garten am Wege. Hier waren die Beete nach der Schnur schön geordnet und mit Bux eingefaßt; der üppige Buchenzaun, der das Ganze einhegte, war schön geschoren und nach genau abgemessenen Zwischenräumen erhob ein Stämmchen nach dem andern seine gerundeten Zweige über den Haag. In der Mitte war ein Rondell, um welches ein mehrere Schuh hoher Bux einen natürlichen Kübel bildete, Blumen aller Art knospeten und blühten. Man vernahm hinten am Garten, in der Nähe der Laube, ein Gespräch. Der Lehrer trat auf die beiden Männer zu und seinen Hut abziehend sagte er:

»Kann ich den Herrn Schullehrer sprechen?«

»Wir sind zwei für Einen, he, he,« sagte der alte Mann, der hemdärmelig die Hacke in der Hand hielt.

»Ich meine den alten Herrn Lehrer.«

»Das bin ich, und das da ist der Judenlehrer [127] he he,« erwiderte der Mann mit der Hacke, auf seinen sabbathlich geputzten Nebenmann deutend.

»Das ist mir lieb, daß ich Sie auch hier treffe. Haben wir uns nicht gestern gesprochen?«

»Als Sie mit dem Schultheißen sprachen.«

Der alte Mann warf die Hacke weg, that die Pfeife aus dem Munde, griff schnell nach seinem Rocke und wollte ihn anziehen; unser Freund aber verhinderte dieß.

»Wir brauchen vor einander keine Umstände zu machen,« sagte er, »wir sind ja Collegen, ich bin der neue Lehrer. Gehört der Garten Ihnen eigen?«

»He he, wem denn? Ja,« erwiderte der Alte; alle seine Reden waren mit einem aus tiefer Brust geholten Lachen begleitet. »Grüß Gott in Nordstetten,« setzte er hinzu und reichte dem Angekommenen die Hand; diesem war es, als ob er die eiserne Hand Berlichingens fasse, so hart war sie anzufühlen.

Der jüdische Lehrer stand in Verlegenheit da, seine gefalteten Hände auf einander reibend. Er wußte nicht, sollte er dem Angekommenen die Hand reichen oder nicht. Er fürchtete zudringlich zu erscheinen, da man ihn nicht aufgesucht hatte; sodann fühlte er sich auch durch diese Nichtbeachtung beleidigt, er glaubte sich durch Zuvorkommenheit etwas zu vergeben.

Diese beiden Gefühle – Furcht vor Zudringlichkeit und Mißachtung auf der einen, und vor zu [128] weit getriebener Empfindlichkeit auf der andern Seite – das sind die beiden Schächer, zwischen denen der Jude im gesellschaftlichen Leben gekreuzigt ist; sie bleiben es so lange, als seine Stellung in der menschlichen Gesellschaft keine gesicherte und vor Mißdeutungen geschützte ist.

Wie alle gebildeten Juden aus der älteren Generation hatte der jüdische Lehrer die Sätze der Schrift genau inne, er gedachte der Bibelstelle: »Liebet den Fremden, denn ihr wäret selbst Fremde im Lande Aegypten« und »betrübe den Fremden nicht, denn du weißt wie es ihm zu Muthe ist.« Er gedachte der Freude, die ihm vor Jahren ein freundliches Entgegenkommen bereitet hatte. So stand er nun da, seine Lippen bewegten sich still, alle seine Gesichtsmuskeln zuckten. Er trat endlich auf den Angekommenen zu, reichte ihm die Hand und hieß ihn mit besonderer Herzlichkeit willkommen. Der Fremde sagte:

»Sie können mir gewiß viel Anleitung geben, meine Herren, über mein Verhalten dahier; ich bin hier so ganz fremd.«

»Ich kann mir das noch recht gut denken,« nahm der jüdische Lehrer das Wort, »ich war auch bloß auf Verfügung des Consistoriums hieher gekommen und kannte keinen Menschen. Ich wünschte mir oft, ich hätte eine Zeit lang incognito da bleiben können, um die Charaktere der Eltern genau zu [129] beobachten, und ohne die Eltern wissen Sie wohl, ist auch bei den Kindern nichts auszuführen. Bei mir war noch der besondere Umstand, daß ich vor fünf und zwanzig Jahren zum erstenmale eine geordnete Schule einzurichten hatte, was die Juden damals noch gar nicht kannten. Ich kam mir in der ersten Zeit vor, als wär' ich in eine fremde Welt verzaubert.«

»Nun, du hast dich bald verzaubern lassen und hast das schönst' Mädle aus dem Ort geheirathet, he he, und das war auch recht,« erwiderte der alte Mann. Zu unserm Freunde gewendet fuhr er fort: »Ihr müsset halt auch ein Mädle aus dem Ort heirathen.«

Unser Freund fuhr so bestürzt zurück, daß er in ein wohlgeglättetes Beet trat; es war ihm, als hätte sich Alles gegen ihn verschworen, um ihn zu verkuppeln. Nachdem er sich über die angerichtete Zerstörung entschuldigt, sagte er:

»Ich meine nur über mein Verhältniß zu den Eltern und den Kindern.«

»Nur recht streng,« sagte der Alte, die zertretene Stelle wieder aufhäckelnd. »Von dem neuen Schulwesen versteh' ich nichts, da fragt man die Kinder: wer hat den Stuhl gemacht? als wenn man das nicht schon von selber wüßt'; da lautiren sie b.k.l.m. wie die Stummen, es gibt gar kein ABC mehr.«

[130] »Sie meinen also recht streng?« erwiderte ablenkend unser Freund.

»Ja. Wie die Mannen im Dorf 'rumlaufen, ist keiner da, der es nicht aus dem Salz von mir kriegt hat, und sag' du, ob sie nicht noch heutigen Tags allen Respekt vor mir haben?«

»Ganz gewiß,« sagte der jüdische Lehrer lächelnd. Der Alte fuhr fort:

»Und wenn eine Lustbarkeit im Dorf ist, da darf man nicht den vornehmen Herrn spielen, der sich's eine Weile so anguckt, wie das dumme Volk auch lustig sein kann; nein, da muß man auch mitthun. Kreuz Himmel! Ich hab' die tollsten Streich' mitgemacht, den Balbiererstanz, den haben sie von mir gelernt, und den Siebensprung den hab' ich mit meiner Gret immer vorgetanzt; es juckt mir noch in den Beinen, wenn ich daran denk'.«

»Sie waren aus der Gegend, Sie konnten schon eher so etwas mitmachen.«

»Ich bin nicht aus der Gegend. Anno fünf ist hier erst Württembergisch geworden, damals war Alles vorderösterreichisch. Ich bin bei Freiburg daheim.«

»Sie haben wohl viel erlebt?«

»Das will ich meinen. Die Leut', die jetzt dreißig Jahr alt sind, die wissen gar nichts von der Welt, da geht Alles glattweg, wie auf der Kegelbahn. So [131] ein Lehrer, ich mein' euch nicht mit, aber was weiß denn jetzt so einer? Wo ist er in der Welt gewesen? In den Büchern ist er gesteckt. Da geht jetzt Alles seinen geweis'ten Weg, eins zwei drei, Schüler Seminarist Lehrer. Ich war Soldat, ich war Musikant, ich war Schreiber auf dem Amt in vielerlei Herren Länder. Ich hab' Russen und Franzosen und Sachsen und alles Teufelszeug mit durchgemacht. Ich hab' hier im Ort ein Buch angefangen gehabt und mit der schönsten Fraktur, und denket nur einmal, grad wie ich beim F bin, kommen die Teufelsfranzosen; da war's aus, die haben Fraktur mit Einem gesprochen.«

Nun erzählte der Alte, auf die Haue gestützt, seine zwei Hauptgeschichten; wie er nämlich einen Topf mit zweihundert Gulden im Keller vergraben hatte, den die Franzosen doch fanden, wie er im grimmkalten Winter den Pfarrer nach Egelsthal begleitete, um einer alten Frau die letzte Oelung zu geben, unterwegs ihnen ein Kosake begegnete und dem Lehrer die fuchspelzenen Handschuhe auszog. Er war eben an einer ausführlichen Beschreibung der Handschuhe, als es eilf Uhr läutete: man verließ den Garten.

Unser Freund ging noch im Geleite seines jüdischen Amtsgenossen bis zum Adler, dort hatte er sich zur Kost eingedungen.

Am andern Morgen erwarb sich der Lehrer viel[132] Lob durch sein Orgelspiel. Aus einzelnen Gruppen, die sich nach der Kirche gebildet hatten, hörte er mehrmals den Ausspruch: »er kann's fast gar wie der alt' Lehrer.« Er ging nun zu diesem und bot ihm das Orgelspiel für die Mittagskirche an.

Der alte Mann lachte ganz überselig und sagte endlich, wie immer in schnell abgestoßenen Sätzen sprechend: »Ja, sie können was lernen die jungen Leut', wenn sie wollen. Ich war dritthalb Jahr Unterorganist im Münster in Freiburg, he he. Ja, der früher' hochmüthig' Professor hat mich aus der Kirch' vertrieben, ich bin ein ganz Jahr nicht 'neingegangen, ich hab' dem sein Gequicks nicht hören können, und später bin ich nur zum Amt und zur Predigt: beim Singen hab' ich davonlaufen müssen.«

Der alte Lehrer spielte nun Mittags die Orgel, aber er machte mit dem heiligen Instrumente so lustige Sprünge, daß der junge Mann oft den Kopf schüttelte; auf dem Antlitze aller anderen Anwesenden aber leuchtete zufriedene Heiterkeit.

Die Freundlichkeit gegen den alten Lehrer erregte dem neuen vieles Lob; darüber aber, daß er die Gemeinderäthe am Werktage besucht hatte, da sie doch nicht zu Hause waren, ward ihm eben so vieler Tadel. Von Beidem kam ihm nichts zu Ohren.

[133] Montags begann die Schule. Der Pfarrer, ein freundlicher und edeldenkender Mann, führte den neuen Lehrer mit einer gehaltvollen Rede, im Beisein des ganzen Gemeinderaths und Bürgerausschusses, in seinen Wirkungskreis ein.

Von dem Tage an, da die Schule begonnen hatte, aß der Lehrer nicht mehr im Wirthshause; das laute Leben und die Gespräche dort störten ihn, er wollte, nachdem er die Schaar der Kinder entlassen, ganz allein sein. Ueberhaupt zog er sich ganz in sich zurück, er verrichtete sein Amt gewissenhaft, pflog aber mit Niemand Umgang; nur bisweilen ging er mit dem jüdischen Lehrer oder mit dem alten spazieren. Ueber den Charakter des letzteren war er bald einig, der Geistesrichtung des ersteren aber, in der die staatlichen und sittlichen Angelegenheiten seiner Glaubensverwandten im Vordergrunde standen, konnte er keine entsprechende Theilnahme widmen. Mit den übrigen Leuten im Orte, selbst mit dem Buchmaier, stand der Lehrer noch so fremd wie am Tage seiner Ankunft. Er ging nie in's Wirthshaus und gesellte sich nie zu den abendlichen Kreisen, die sich vor den Häusern bildeten. Waren die Schulstunden zu Ende, schweifte er einsam durch Wald und Feld, zeichnete oder schrieb in sein Taschenbuch, und wenn es Nacht war, musizirte oder las er.

Da wir die Zeichnungen nicht vorlegen und die[134] Musik nicht wieder aufspielen können, so mögen hier die Taschenbuchbemerkungen eine Stelle finden, unter dem Titel, den ihnen der Lehrer selbst gab:

Feldweisheit

von


Adolph Lederer.


(Im Grase liegend.) Bei allen Wiederbelebungen, in allem neuen Dasein sind Rückständigkeiten mitten darunter gemischt. Wenn man das Wiesengrün des Frühlings genau betrachtet, liegt viel verdorrtes überjähriges Gras zwischen und unter dem grünenden; es muß verfaulen und zum Dünger für das neue Leben werden. Da schreien dann die Thoren: es ist kein Frühling, es kann auch keiner kommen, seht hier die dürren Halme! Ist es nicht auch im ganzen Leben des Geistes so? ... ist der alte Schullehrer nicht auch so ein Stück dürres Gras? ...


Mir ist die ganze Natur ein Sinnbild des Geistes; ich meine immer, sie sei nur die Larve, hinter der das Geistesantlitz steckt. Die armen Bauern! sie leben mitten in der freiesten Natur wie in einem todten Hause, sie sehen in all den Feldern und Wäldern nur den Ertrag, die Zahl der Garben, die Säcke Kartoffeln, die Klafter Holz; ich aber schlürfe [135] den Geistesduft der Schönheit, der darüber schwebt. Ich will hinwegsehen über die Menschen, die da mitten unter diesem glanz vollen Leben lichtlos einherwandeln, ich will mich erheben über all das niedere klägliche Treiben, und wie die Biene hier aus der unanfaßbaren Distel Honig saugt, die dem Esel bloß zum derben Futter wird, so will ich den Honigseim des Geistes aus Allem ziehen. Steh' mir bei, du ewiger Geist und laß mich nicht denen gleich werden, die an der Scholle haften, bis die Scholle über ihren Sarg rollt; und ihr! ihr großen Geister meiner Nation, deren Werke mich hieher begleitet, stärket mich und laßt mich stets zu euren Füßen sitzen.


Jeder Acker hat seine Geschichte. Wüßte man die Wandlungen, die ihn aus der einen Hand in die andere gebracht, die Schicksale und Gefühle derer, die ihn bearbeitet, es wäre die Geschichte des Menschengeschlechts: sowie seine geologische Bildung, tief hinab bis zum Mittelpunkt der Erde aufgedeckt, die Geschichte des Erdballs aufzeigte.


Alles auf der Welt wird zur Nahrung oder zum sonstigen Verbrauch und Genuß für ein Anderes; nur der Mensch eignet sich alles an, er selber aber steht frei über der Erde, bis sie ihren Mund aufthut und seinen Leichnam verschlingt. Ich bin da auf [136] eigene Weise zu dem trivialen Gedanken gelangt, daß der Mensch der Herr der Erde ist; aber nur das ist Wahrheit, eigene Erkenntniß, was wir auf eigenthümliche Weise wiederfinden.


Ich habe einmal gehört und gelesen, daß nur da, wo die Anzahl der nützlichen Hausthiere die der Menschen übersteige, ein behaglicher und glücklicher Zustand des allgemeinen Besitzthums sei.

Ist das wohl eine geistige Lehre, daß die Zahl der Unvernünftigen die der Vernünftigen übersteigen müsse?

Es wäre schrecklich, wenn es so wäre, und doch ...


Es ist entschieden, daß die Bildung der Menschheit erst mit dem Ackerbau und durch denselben begonnen hat. So lange die Menschen ihre Nahrung nur suchten, sei es durch Jagen, Fischen und dergleichen, standen sie noch fast den Thieren gleich. Erst als sie begannen, sich die Nahrung vorzubereiten, indem sie das natürliche Wachsthum beobachteten und lenkten, indem sie pflanzten und pflegten, hielten sie an einem bestimmten Boden fest, mußten sie die Gesetze der Natur erforschen und entdecken, Einfluß auf das Leben der Außenwelt und ihrer Innenwelt gewinnen.

[137] Der Ackerbau ist die Wurzel aller Bildung in der Welt, aber die Ackerbauer selber haben die wenigste Frucht davon. Muß das so sein?


Auf der schwankenden Blume, die vom Winde geschüttelt wird, klammert sich die Biene fest und saugt emsig den Honig: so auch genießet der Mensch das schwankende Erdenleben, und der Boden zittert unter ihm.


(Am Buchsee.) Ein Himmelstropfen, der in ein stehendes Wasser fällt, bildet eine Weile ein Bläschen, dann zerplatzt er, und vermengt sich mit dem Sumpfe; in den lebenden Strom gefallen, wird er selbst ein Theil der lebendigen Welle. Ist mein Dasein ein solcher Tropfen? Ich will, daß ich in einen lebendigen Strom aufgehe, es muß so sein ...


Alle Vögel fliehen den Regen, nur die Schwalben flattern lustig darin.


Es erregt mir oft ein sonderbares Gefühl, daß wenn ich hinausgehe in das Feld, um mir körperlich erquickliche Ermüdung zu holen, die Leute von der Arbeit ermüdet heimkehren; es ist mir da oft, als müßt' ich mich schämen, daß ich jetzt spaziren gehe.

[138] Nur am Abend und am Morgen bemerkt man den schnellen Wechsel des Lichts; dieser ist aber den ganzen Tag aufsteigend bis zum Mittag und von da absteigend ebenso.

Ist nicht bei der Entwickelung des Menschengeistes das Gleiche der Fall?

So oft ich auch schon den Sonnenuntergang betrachtet, nie war er gleich; das ist die unendliche Mannigfaltigkeit der Natur, darum ist sie auch ewig schön und neu.

Beim Sonnenuntergang glaubt man immer, von der Stelle, wo man steht, bis nach Westen hin reicht das Abendroth, da ist noch Licht, rückwärts gekehrt erscheint Alles dunkel; diejenigen aber, die weiter hinten stehen, glauben, es reiche nur noch bis zu ihnen. So bemißt Jeder den Horizont nach seinem Standpunkte, und wer das untergehende Licht betrachtet, glaubt, es reiche nur noch bis zu ihm.

Warum ist ein Sonnenuntergang für die meisten Menschen ansprechender als ein Sonnenaufgang?

Ist es, weil diesen die Wenigsten oft sehen, oder weil das Verschwindende, das Sterbende näher zu uns spricht? Ich glaube nicht. Beim Sonnenuntergang erhält das Schauspiel einen zart geheimnißvollen Abschluß in der Nacht und der darauf folgenden Ruhe; der Sonnenaufgang aber hat keinen Abschluß, ihm folgt das helle Licht, die Unruhe und das [139] lärmende Gewühl des Tages. Schön ist das Sterben! o ich sehne mich ....


(Hinter'm Schloßhag.) Wenn man einen Pfosten in die Erde rammt, muß man die einzugrabende Spitze brennen, damit sie nicht faule; wen die Flamme des Geistes berührt, der kann nicht sterben.


Aus der Haut des einen Thieres schneidet man das Riemenwerk für Zaum und Zügel und die Einjochung des andern. Die Anwendung ist leicht.


Wenn man Jemand einen Weg zu kurz angibt, ermüdet er doppelt; dieß kommt wohl von der stets gespannten Erwartung am Ziele zu sein.

Ich habe mir den Weg zu meinem Lebensziele auch zu kurz gedacht.


Beim Mähen darf man nur kleine Schritte machen und gradaus. Je dünner der Klee steht, um so müder wird man beim Mähen; da fährt man mit der Sense auf dem harten Boden herum und in die Luft hinaus und hat am Ende nichts erschafft. Wie vieldeutig ist das!!


Vom Futter und Allem, was man grün heimthut, entrichtet man keinen Zehnten.

[140] Beim Kornschneiden muß man die abgeschnittene Frucht stets hinter sich legen, da ist Raum dafür, vorwärts stehen die neuen Halme, die zu schneiden sind; so muß es auch mit unseren fertigen Thaten sein, wir müssen sie aus unserm Gesichtskreise legen und das vor uns stehende Neue in Angriff nehmen.


Wenn ich von ferne die bald sich erhebenden, bald sich niederbeugenden Schnitter ansehe, ist es mir oft, als ob sie ein ceremoniöses Gebet verrichteten.


Da wird der neue Zaun am Schloßgarten mit grüner Oelfarbe angestrichen. Dürres Holz fault in Wind und Wetter, wenn man es nicht mit Farbe bekleidet. Die Natur hat über alle ihre Geschöpfe eine schützende Oberhaut ausgebreitet; die Menschen aber reißen die natürlichen Rinden und Glasuren ab, dann müssen sie eine künstliche auftragen.


Ist die Bildung vielleicht nichts als eine Oelfarbe, die den natürlichen Schmelz ersetzt? Nein, sie ist erhöhte, sie ist die wahre Natur; diese Menschen, wie sie hier sind ....


Der alte Zimmermann Valentin ist so vergeßlich, er geht mit der Peitsche über der Schulter seinen [141] Weg und sagt immer vor sich hin: Hio! ohne zu merken, daß seine Kühe schon dreißig Schritte hinter ihm einen andern Weg gegangen sind. Ergeht es nicht auch manchen Herrschern gerade so?


In einem Garten an der Straße steht eine Trauerweide, deren Aeste in allerlei Ellipsen, Zirkel, schiefe und rechte Winkel zusammengebunden wurden und nun so in einander verwachsen sind.

Ja, die Aeste des Trauerbaumes, die Zweige des Schmerzens sind am leichtesten zu biegen, da lassen sich die Menschen gar wunderlich verschnörkeln; aber die zähe Naturkraft macht die herben Krümmungen von Neuem ausschlagen. Warum nur die Bauern die verschnörkelte Natur so lieben? warum sie die Trauerweide, den schönsten aller Bäume, so mißhandeln? Vielleicht liegt es tief in der menschlichen Natur, mit dem, was das ganze Jahr die ernsteste Beschäftigung darbeut, auch einmal zu spielen ...


(Am Kreuz im Schießmauernfeld.) Ich habe früher nie über Juden nachgedacht, obgleich in meinem Geburtsorte auch Juden wohnten; ich erinnere mich nur, daß ich als kleines Kind auch die Judenknaben meines Alters verhöhnte und, wenn ich konnte schlug.

Es kömmt uns nicht ein, über unser Verhältniß [142] zu den Juden nachzudenken, so wenig wir über unser Verhältniß zu den Pferden nachdenken. Im Gegentheil, durch die Bibel bekömmt jedes Christenkind die Empfindung, daß ihm jeder einzelne Jude etwas Böses gethan. Ein geheimnißvoller Abscheu setzt sich dann in der Seele des Kindes fest; ich dachte mir immer alle Juden räudig; ein Kind kann ein Thier liebkosen, nie aber einen Juden.

Hier habe ich Gelegenheit, oft mit Juden zu verkehren. Der jüdische Lehrer ist ein vorurtheilsfreier Mann von Bildung, wie ich noch selten einen getroffen. Er weiß mehr von der Theologie als von den Naturwissenschaften. Ist das bei allen Juden so? In seinem Unterrichte ist mehr Geistreiches, weniger Methode und Stetigkeit; das ist für minder begabte Kinder nicht gut. Als ich zum erstenmale die Synagoge besuchte, war es mir ganz eigen zu Muthe: hier, in die schwarzen deutschen Tannenwälder haben sich diese ebräischen Worte vom Libanon verloren, und doch, ist nicht auch unsere Religion von dort her? Noch mehr, das alte Rom konnte die Deutschen nicht besiegen, sie nicht römisch reden lehren, das neue vollbrachte es; hier auf den fernen Bergen ertönt allsonntäglich in der Kirche die römische Sprache.


Meinem Hause gegenüber ist der sogenannte Brandplatz: dort stand das Haus, in dem eine ganze[143] jüdische Familie, Großmutter, Schwiegertochter und fünf Enkel verbrannt sind; jetzt spielen die Kinder am liebsten auf dieser Stätte, eine solche Ruine bietet sonst seltene Verstecke. An den schwarzen Wänden klettern die rothwangigen Buben umher und tollen und jubeln. So baut sich überall schnell neues Leben auf; wo die Flammen einst gewüthet, tummelt sich sorglos das junge Geschlecht. Es ist auch in der Weltgeschichte so.


Drinnen im Dorfe haben sie heute den Hammeltanz aufgeführt.

Solche Dinge passen nicht mehr in unsere Zeit, sie gehören in das Mittelalter. Da sah wohl der Gutsherr vom Schloßerker herab der Fröhlichkeit seiner Leibeigenen zu; er hatte ihnen den Hammel und die Schnur geschenkt und steuerte wohl auch das gewinnende Paar mit einem kleinen Lehen aus. Jetzt hat das Alles keine Bedeutung mehr, man sollte es abschaffen.

Manchmal verliert sich von der Tanzmusik drinnen im Dorfe ein Klang zu mir heraus in das Feld; nur die schmetternden Töne der großen Trompete sind es, die ich abgerissen vernehme. So auch stehen diese Bauern fern von der großen Harmonie der Geisteswelt; nur wenn die große Trompete erschallt, oder die große Trommel gerührt wird, dringt [144] ein abgerissener Klang zu ihnen und sie schreiten eine Weile im Marschtakte der Zeit. Von dem lieblichen Adagio, von dem friedlichen Zusammenklingen wissen und hören sie nichts.


Es ist gut, daß immer noch Plätzchen auf der Welt sind, die Niemand gehören, wo die Armen ihr Gras sammeln können; das sind die Raine, Anwände oder wie man sie nennen mag. Wo aber der Fuß des Men schen kaum mehr einen Halt findet, da klettert noch die Ziege, die Genossin der Armen, umher, um sich ein frisches Kraut oder ein schmackhaftes Läublein zu holen.


An den Holztagen dürfen die Armen von den grünenden Bäumen sich die dürren Aeste aneignen. Ich habe einmal die schöne Deutung gelesen, daß die gütige Natur dieses Gewohnheitsrecht aufstellte und von ihrem reichen Tische den Armen abgibt. Die Armen und das dürre Holz – –

Auch das Unkraut in den Kornfeldern gehört Niemand, das jäten die Armen aus und es ist nahrhaftes Futter; fragst du nun noch: wozu das Unkraut? Vielleicht ist es auch mit vielem andern so ...


Diese Blätter sind die Ausbeute von dreien Monaten, während welchen der Lehrer in den Feldern [145] umherschweifte. Sie hatten ihm manche üble Nachreden zugezogen, denn die Leute konnten gar nicht begreifen, was er immer einzubuchen habe, und sie erschöpften sich in allerlei Vermuthungen. Man wird bemerkt haben, daß er auch manche Erkundigung über Gewöhnliches einzog, das ihm noch neu war; die Leute sahen ihn groß an und schüttelten die Köpfe, sie konnten gar nicht begreifen, wie man so etwas nicht wissen könne.

Es ist gewiß schon Vielen begegnet, daß, wenn sie einen Bauern um den Weg nach dem nächsten Orte befragten, der Angeredete stutzte, weil er glaubte, man necke ihn, dann aber eine Erklärung gab, die auf der Voraussetzung beruhte, daß man die Oertlichkeiten kenne. Es geht aber auch vielen Gebildeten so: weil ihnen ihr gewohnter Gesichts- und Ideenkreis klar ist, meinen sie, das begriffe Jeder und sie verständigen sich nur halb.

Der Lehrer war im Dorfe noch so unbekannt, daß Niemand seinen Namen wußte. Eines aber hatte Jeder erfahren, nämlich, daß der Lehrer aus Lauterbach sei; hieran heftete sich nun die Spottsucht, man wollte es ihn entgelten lassen, daß er so stolz und zurückgezogen war. Abends, wenn die Burschen wußten, daß der Lehrer zu Hause war, rotteten sie sich vor seinen Fenstern zusammen und sangen unaufhörlich den Lauterbacher. Weil man auch wußte, [146] daß er ein strenger Vertheidiger des Vereins gegen Thierquälerei war, wurde ein gewöhnliches Lied zum Draufsetzen oft gesungen, es lautete:


Jetzt ischt das Liadle aus,

Jetzt speir i do e Maus:

Such i 'rum und find se,

Nehm i e Messer und schind se,

Stich ihr d'Augen aus –

No haun i e blinde Maus.


Diese »Gemeinheit« ärgerte den Lehrer. Er wußte aber noch immer nicht, was alles das zu bedeuten habe, bis sich endlich der Studentle zu den Burschen gesellte; obgleich er verheirathet war, stand er doch bei jedem muthwilligen Streiche obenan. Er brachte nun einen neuen Vers, der oft wiederholt wurde:


Z' Lauterbach bin ich so stolz gebor'n,

Stolz das ist meine Manier;

Ei wär' ich doch wieder in Lauterbach,

Da wär' ich in meinem Revier.


Jetzt merkte der Lehrer, was diese Zusammenrottungen zu bedeuten hatten; in seiner tiefsten Seele trauerte er, daß diese Menschen, denen er doch nur wohlwollte, ihn so mißhandelten. Drinnen trauerte der Lehrer, draußen aber wurde das Gejubel immer lauter. Da raffte er sich auf, er wollte an das [147] Fenster treten und ein Wort der Verständigung sprechen; glücklicher Weise fiel aber sein Blick auf die Geige, er nahm sie von der Wand und spielte frischweg die Melodie des ihn verfolgenden Liedes. Drunten horchte man still auf, nur verhaltenes Kichern ließ sich vernehmen; aber der Gesang begann bald wieder und der Lehrer begleitete ihn mit der Geige, so oft man auch wieder anfing.

Endlich trat er an das Fenster und sagte hinaus:

»So, hab' ich's recht gemacht?«

»Ja,« erscholl die allgemeine Antwort, und von diesem Abende an blieb der Lehrer von dem Liede verschont, denn man wußte, daß es ihn nicht mehr ärgere.

Von dieser Zeit an nahm sich indeß der Lehrer vor, freundlicher und gesprächsamer gegen die Leute zu fein; er erkannte, daß er nicht nur in der Schule, sondern auch außer derselben Pflichten gegen die Menschen habe, mit denen er gemeinsam lebte.

Die Ausführung dieses Vorsatzes wurde ihm bald treulich belohnt.

Eines Sonntags nach der Mittagskirche ging er durch die am Hügel gelegene Straße »Bruck« genannt. Da sah er eine alte Frau vor einem Hause sitzen, sie hatte die Hände ineinander gelegt und ihr Kopf wackelte; er sagte freundlich:

[148] »Guten Tag! Nicht wahr, der Sonnenschein thut Ihnen gut?«

»Dank schön, lieber Mensch,« erwiderte die Alte, oft mit dem Kopf nickend.

Der Lehrer blieb stehen.

»Sie haben schon manchen Sommer erlebt,« sagte er.

»Acht und siebenzig, es ist ein' schöne Zeit, siebzig Jahr ein Menschenleben heißt es in der Schrift. Es ist mir oft, wie wenn mich der Tod vergessen hätt'; nun unser lieber Herrgott wird mich schon holen, wenn's Zeit ist, er weiß wohl, ich verlauf' ihm nicht.«

»Sie können aber doch noch immer gut fort?«

»Nimmer recht – der Krampf – aber das thut gut,« sie zeigte auf die grauen Fädchen, die sie um die beiden Arme gebunden hatte, an denen die Venen geschwollen waren.

»Was ist denn das?«

»Ei, das hat eine reine Jungfrau gesponnen, des Morgens nüchtern mit ihrem Munde und hat drei Vaterunser dabei gebetet. Wenn man das unbeschrieen um den Arm thut und dabei neunmal das Gebet in unsers Herrgotts heilige drei Nägel sagt, so stillt's den Krampf, ich muß so viel husten,« sagte sie wie zur Entschuldigung ihrer oft unterbrochenen Rede auf ihre Brust deutend.

[149] »Wer hat denn die Fäden gesponnen?« fragte der Lehrer.

»Ei mein' Hedwig, mein Enkele, kennet Ihr denn die nicht? Wer sind Ihr denn?«

»Ich bin der neue Lehrer.«

»Und da kennet Ihr mein' Hedwig nicht? Sie ist ja eine von den Kirchensängerinnen. Sag' mir nur auch ein Mensch, was das für eine Welt ist, da kennt der Lehrer die Kirchensängerinnen nicht mehr. Ich bin auch Kirchensängerin gewesen, man hört mir's jetzt nimmer an mit meinem Husten; ich bin ein sauber's Mädle gewesen, ja, ich hab' mich dürfen sehen lassen, und alle Jahre war das Jahressen, da war der Pfarrer und der Schulmeister dabei; o! wie sind da g'spässige Lieder gesungen worden, der bayrische Himmel und so Sachen, das ist jetzt auch nimmer, ja die alt' Welt ist eben aus und vorbei.«

»Sie haben wohl Ihr Enkelchen sehr lieb?«

»Es ist ja das jüngst'. O! mein Hedwig die ist noch eine von der alten Welt, die hebt mich und legt mich und da ist kein unschön Wörtle; ich wollt's ihr gunnen, daß ich bald sterben thät, sie muß so viel daheim bleiben wegen meiner, und wenn ich gestorben bin, will ich auch recht für sie beten im Himmel.«

»Sie beten wohl recht viel?«

»Ja, was kann ich Besseres thun? Mit dem [150] Schaffen ist es aus. Ich kann auch ein Gebet, das die Seelen vom Mond gerad in den Himmel bringt und daß die Seelen gar nicht in's Fegfeuer brauchen. Die heilig Mutter Gottes hat einmal zu Gott Vater gesagt: Lieber Mann, ich kann das nimmer hören, wie die armen Seelen im Fegfeuer schreien und heulen, es geht mir durch Mark und Bein, und da hat er gesagt: Nu meinetwegen, du darfst ihnen helfen. Und da ist in dem Tyrol einem Mann, der acht Kinder gehabt hat, sein' Frau gestorben, und da hat er eben ganz schrecklich gejammert wie man sie auf den Kirchhof tragen hat, und da ist alle Morgen die Mutter Gottes kommen, hat die Kinder gestrehlt und gewaschen und die Betten gemacht, und da hat der Mann lang nicht recht gemerkt, wer das thut, und da ist er endlich zum Pfarrer gangen, und da ist der ganz früh mit dem Heilig kommen, und da hat der gesehen wie die Mutter Gottes zum Fenster n'aus ist, schneeweiß, und da ist das Gebet auf der Simse gelegen, und da hat man da ein' Kirch' hingebaut.«

»Dieses Gebet kennen Sie?« fragte der Lehrer, sich neben der Alten auf die Bank setzend.

»Ihr müsset nicht so Sie sagen,« begann die Alte vertraulicher werdend, »das ist nicht der Brauch.«

»Habt Ihr noch mehr Enkel?« fragte der Lehrer.

»Noch fünf und auch vierzehn Urenkel, und von[151] meinem Constantin krieg' ich auch bald eins. Kennet Ihr meinen Constantin nicht? Der hat auch gestudirt, er ist ein Wilder, aber ich hab' nichts über ihn zu klagen, gegen mich ist er alleweil gut.«

Plötzlich kam hinter dem Hause hervor ein Mädchen, dem ein schneeweißes Huhn auf dem Fuße folgte. »Hent ihr guate Roath Ahne?« fragte das Mädchen im Vorübergehen, es schaute kaum eine Weile auf. Der Lehrer war so betroffen, daß er unwillkürlich, aufstand und nach der Mütze griff.

»Ist dieß euer Enkelchen?« fragte er endlich.

»Freilich.«

»Das ist ja prächtig,« sagte der Lehrer.

»Nicht wahr, es ist ein sauber's Mädle? Der alt' Schmiedjörgli sagt ihm immer, wenn es das Dorf hineinkommt, es wär' grad wie sein' Ahne. Der Schmiedjörgli ist noch der einzig von denen jungen Bursch, mit denen ich getanzt hab'; jetzt ist es grad wie wenn wir hundert Stund' von einander wären, er sitzt drinnen im Dorf und kann nicht zu mir kommen und ich nicht zu ihm; wir müssen halt warten, bis wir halbwegs auf dem Kirchhof zusammenkommen, und da treff' ich die ganz' alt' Welt, und im Himmel da geht's erst recht an. Mein guter Hansadam muß lange warten bis ich zu ihm komm', die Zeit wird ihm lang werden.«

[152] »Euch haben gewiß alle Leut' im Dorfe gern,« sagte der Lehrer.

»Wie's in den Wald 'neinhallt, hallt's raus. Wenn man jung ist, möcht' man gern alle Leut' auffressen, die einen aus Lieb' und die anderen aus Aerger; wenn man alt ist, da läßt man einem Jeden sein Sach'. Ihr glaubet's gar nicht, was die Leut' hier so gut sind; Ihr werdet's auch noch erfahren. Seid Ihr denn auch schon viel in der Welt 'rumkommen?«

»Fast gar nicht. Mein Vater war auch Schullehrer, er starb, als ich kaum sechs Jahr alt war, bald darauf starb auch meine Mutter; ich wurde nun in das Waisenhaus gebracht, blieb dort, zuerst als Zögling, dann als Incipient und Hülfslehrer, bis ich diesen Frühling hierher versetzt wurde. Ja, liebe gute Frau, es ist ein hartes Loos, wenn man sich kaum mehr erinnert, daß einen die Hand der Mutter berührt hat.«

Die Hand der alten Frau streifte ihm plötzlich über das Gesicht, es war dem Lehrer in der That als ob ihn eine höhere Macht berührte, er saß da mit geschlossenen Augen und die Augäpfel zitterten und bebten, die Wangen glühten; wie erwachend faßte er die Hand der Alten und sagte:

»Nicht wahr, ich darf euch auch Großmutter heißen?«

»Rechtschaffen gern, du guter, lieber Mensch, es[153] kommt mir auf eilt Enkele mehr oder weniger nicht an, und ich will's probiren und will dir deine Strümpf stricken, bring' mir auch die zerrissenen.«

Mit einem erhabenen Wohlgefühl faß nun der Lehrer bei der alten Frau, er wollte gar nicht weggehen. Die Vorübergehenden staunten, daß der stolze Mensch sich so vertraulich mit der alten Maurita unterhielt.

Endlich kam ein Mann aus dem Hause, die Augen reibend, sich reckend und streckend.

»Hast ausg'schlafen Johannesle?« fragte die Alte.

»Ja, aber mein Kreuz thut mir noch sträflich weh von dem Schneiden.«

»Es wird schon wieder gut, unser Herrgott läßt Einem vom Schaffen keinen Schaden zukommen,« er widerte die Mutter.

Der Lehrer dachte daran, wie ihm das Bücken der Leute als ein ceremoniöses Gebet vorgekommen war. Nach gegenseitigen Begrüßungen begleitete er nun den Johannesle hinaus in das Feld.

Johannesle liebte eine Unterhaltung, bei der man nichts zu trinken brauchte und die auf diese Weise nichts kostete; er war daher entzückt von der Liebenswürdigkeit und Gescheitheit des Lehrers, denn dieser hörte ihm aufmerksam zu: die Darlegung seines Hauswesens, die Geschichte des Constantin und noch vieles Andere.

[154] Am Abend erzählte Johannesle allen Leuten, der Lehrer sei gar nicht so ohne, er könne nur nicht recht mit der Sprache heraus, er könne den Rank 2 nicht kriegen.

Der Lehrer aber schrieb, als er nach Hause kam, in sein Taschenbuch: »Die Frömmigkeit allein erhält den Menschen auch noch im Alter liebenswürdig, ja sie macht heilig und anbetungswerth, die Frömmigkeit ist die Kindheit der Seele; wenn fast wieder das Kindischwerden hervortritt, verbreitet sie eine anmuthige glorienhafte Milde über das ganze Wesen. Wie hart, herb und häßlich sind genußsüchtige, selbstsüchtige Menschen im Alter, wie erhaben war diese Frau selbst in ihrem Aberglauben!«

Noch etwas Anderes schrieb der Lehrer in sein Taschenbuch, aber er strich es alsbald wieder aus. In herber Selbstanklage saß er lange einsam, endlich ging er hinaus auf die Straße, sein Herz war so voll, er mußte unter Menschen sein; der Gesang der Burschen, der weithin schallte, durchzitterte seine Brust und er sagte: »Wohl mir, es ist gekommen, daß der Gesang der Menschen mich noch tiefer faßt, als der Gesang der Vögel; ich höre den brüderlichen Ruf. O Gott! ich liebe euch Alle!«

So wandelte er noch lange durch das Dorf, im [155] Herzen traulich zu Allen sprechend, aber kein Wort kam über seine Lippen. Ohne zu wissen, wie es gekommen war, stand er plötzlich vor dem Hause Johannesle's in der Bruck: Alles still ringsum, nur aus der untern Stube, wo die Leibgeding-Wohnung der Großmutter war, vernahm man eintöniges Murmeln von Gebeten.

Erst spät in der Nacht kehrte der Lehrer heim. Alles war still, nur hier und dort vernahm man das leise Wispern zweier Liebenden. Als er endlich in seine Stube eintrat, wo Niemand war, der ihm auf seine Reden eine Antwort gab, der nach ihm aufschaute und ihm gleichsam sagte: freue dich, du lebst und ich lebe mit dir – da betete er laut zu Gott: »Herr! laß mich das Herz finden, das mein Herz versteht.«

Am andern Tage wußten die Kinder gar nicht, warum der Lehrer heute so überaus fröhlich dreinsah. In der Zwischenstunde schickte er des Mathesen Hannesle in den Adler und ließ sagen, man brauche ihm das Essen nicht zu schicken, er wolle selbst hinkommen.

Es war mißlich, daß der Lehrer sich mit so hochfliegenden Gedanken dem Leben um ihn her näherte; er konnte sich wohl zurückhalten, seine eigenen Empfindungen den Andern mitzutheilen, dem aber konnte er nicht steuern, daß ihm manches Häßliche und Widrige vor die Augen gerückt wurde.

[156] In der Wirthsstube traf er das Bärbele, das in der Schenke stand, in eifrigem Gespräch mit einer andern Frau.

»Gelt,« sagte Bärbele, »sie haben dir gestern Abend den Deinen wüst heimbracht, er hat stark auf ein' Seite geladen gehabt; wenn ich's gesehen hätt', daß sie ihm Branntwein in's Bier schütten, ich hätt' scharf ausgefegt.«

»Ja,« sagte die Frau, »er war ganz erbärmlich Zugerichtet, er war grad wie ein voller Sack.«

»Ja und du sollst dich noch so schön bedankt haben, was hast denn gesagt? Sie haben so gelacht, es hat gar kein End' nehmen wollen.«

»Ich hab' halt gesagt, sag' ich: Ich dank' schön ihr Mannen, vergelt's Gott. Da haben sie mich gefragt: für was denn? Da hab' ich gesagt, sag' ich: Bedankt man sich ja wenn man einem ein' Wurst bringt, warum wird man sich nicht für ein' ganze Sau bedanken?«

Der Lehrer legte die Gabel weg, als er diese Nohheit vernahm; bald aber aß er wieder weiter, indem er lächelnd darüber nachdachte, wie das Unglück und die Leidenschaft so oft witzig mache.

Bei allen Gefühlsverletzungen, die der Lehrer durch die Art und Weise der Bauern empfand, wendete er sich aber nicht mehr an die Mutter Natur, sondern an die Großmutter Maurita, die ihm über [157] die Art, wie die Menschen hier lebten, manchen Aufschluß gab. Viele Leute sagten daher, die alte Frau habe den Lehrer behext. Dem war aber nicht so. So gerne er sich auch an ihrem liebevollen Herzen erlabte, konnte man doch eher sagen, die Hedwig hätte es ihm angethan, obgleich er sie nur einmal gesehen und noch kein Wort mit ihr gesprochen, hatte. »Hent ihr guate Roath, Ahne?« Diese Worte wiederholte er sich oft, sie klangen ihm so innig, so melodisch, trotzdem sie in dem derben Dialekte gesprochen waren, ja dieser selber hatte eine gewisse Milderung und Anmuth dadurch erhalten.

Mit aller Macht seiner früheren Vorsätze stemmte sich unser Freund gegen die Hinneigung zu einem Bauernmädchen, aber wie es immer geht, die Liebe findet Auswege genug; so sagte sich auch der Lehrer: »Gewiß ist sie das wiedergeborene Ebenbild der guten Großmutter, nur frischer, von der Sonne der neuern Zeit durchleuchtet. Hent ihr guate Roath, Ahne?«

Eines Abends saß der Lehrer wiederum bei der Alten, da kam das Mädchen hochgerötheten Antlitzes mit der Sichel in der Hand vom Felde heim, seine Schürze hielt es behutsam aufgeschlagen; es trat nun zur Großmutter und reichte ihr aus der Schürze die in Haselblätter eingehüllten Brombeeren.

»Du weißt doch, was der Brauch ist Hedwig, [158] zuerst wartet man den Fremden auf,« sagte die Großmutter.

»Langet naun zua, Herr Lehrer,« sagte das Mädchen frei aufschauend; der Lehrer nahm erröthend eine Brombeere.

»Iß auch mit,« sagte die Großmutter.

»I dank, esset's naun Ihr mit einander, 's soll Euch wohl bekommen.«

»Wo hast's denn brochen?« fragte die Großmutter.

»Neabe aunserm Acker im Grund, Ihr kennet jo die Heck,« sagte das Mädchen und ging in das Haus.

Es war dem Lehrer ganz eigen zu Muthe, daß von der Hecke, die er am ersten Mittage seines Hierseins gezeichnet, ihm Hedwig jetzt die reife Frucht brachte.

Hedwig kam bald wieder aus dem Hause, die weiße Henne folgte ihr auf dem Fuße.

»Wohin so schnell wieder, Jungfer Hedwig?« fragte der Lehrer, »wollt Ihr euch nicht ein wenig zu uns setzen?«

»Ich dank schön, ich will noch bis zum Nachtessen ein bisle 'nüber zum alten Lehrer.« 3

»Wenn's erlaubt ist, begleit' ich Euch,« sagte unser Freund und ohne eine Antwort abzuwarten ging er mit.

[159] »Kommet Ihr oft zum alten Lehrer?«

»Freilich, er ist ja mein Vetter, sein Weib ist die Schwester von meiner Ahne gewesen.«

»So, das freut mich herzlich.«

»Warum? Habt ihr mein Bas' gekannt?«

»Nein, ich mein' nur so.«

Man war an dem Garten des alten Lehrers angelangt, Hedwig schloß schnell die Gartenthüre hinter sich und ließ die Henne draußen, die wie eine Schildwache hier harrte.

»Wie kommt's,« fragte der Lehrer, »daß Euch das Huhn so nachläuft? Das ist ja etwas ganz Seltenes.«

Hedwig stand verlegen da und zupfte an ihren Kleidern.

»Dürfet Ihr mir's nicht sagen?« fragte der Lehrer wieder.

»Ja, ich darf, ich kann, aber – Ihr dürfet mich nicht auslachen und müsset mir versprechen, daß Ihr's nicht weiter saget; sie thäten mich sonst foppen.«

Der Lehrer faßte schnell die Hand des Mädchens und sagte: »Ich versprech's Euch hoch und heilig.« Er ließ die Hand nicht mehr los, und verlegen zur Erde schauend, sagte das Mädchen:

»Ich, ich hab', ich hab' das Hühnle an meiner Brust ausgebrütet; die Gluckhenn' ist verscheucht worden und da hat sie die Eier liegen lassen und wie [160] ich das einzig Ei'le gegen das Licht gehalten hab', hab' ich gesehen, daß schon ein Köpfle drin ist, und da hab' ich's halt zu mir genommen ... Ihr müsset mich nicht auslachen, aber wie das Hühnle 'rauskommen ist, da hab' ich mich vor Freud' gar nicht zu halten gewußt; ich hab' ihm ein Federbettle gemacht, hab' ihm Brod gekaut und hab's geäzt, und es ist schon an: andern Tag auf dem Tisch 'rumgelaufen. Es weiß Niemand was davon als mein' Ahne. Da ist mir jetzt das Hühnle so treu, wenn ich in's Feld' geh', muß ich's einsperren, daß es mir nicht nachlauft. Geltet, ihr lachet mich nicht aus?«

»Gewiß nicht,« sagte der Lehrer, und ging noch eine Strecke Hand in Hand mit Hedwig, dann aber verwünschte er die Ordnungsliebe und Sparsamkeit des alten Lehrers, der den fernern Weg so eng gemacht hatte, daß nicht zwei neben einander gehen konnten.

Unser Freund war sehr erzürnt, als der alte Schullehrer mit ungewöhnlich schnellem Lachen den beiden Ankommenden zurief:

»Kennet Ihr schon einander? Hab' ich dir's nicht schon lang gesagt, Hedwig, du mußt einen Schullehrer kriegen?«

Dieses unzeitige Anfassen einer kaum knospenden Blüthe that unserm Freunde in tiefster Seele weh, doch er bemeisterte seine Empfindlichkeit und schwieg; [161] er staunte aber, daß Hedwig, als ob nichts gesagt worden wäre, begann:

»Vetter, Ihr müsset morgen Eure Sommergerste in den Holzschlägeläckern schneiden, sie ist überzeitig und fällt sonst ganz um.«

Es wurde wenig gesprochen, Hedwig schien sehr müde, sie setzte sich auf die Bank vor einem Baume. Die beiden Lehrer sprachen nun mit einander, aber unser junger Freund sah das Mädchen dabei immer so durchdringend an, daß es sich mehrmals mit der Schürze über das Gesicht fuhr: es meinte, es müsse in der Küche, als es die Kartoffeln an's Feuer gestellt hatte, sich rußig gemacht haben. Unser Freund hatte aber ganz andere Dinge zu bemerken. Es fiel ihm jetzt zum erstenmale auf, daß Hedwig mit dem linken Auge ein wenig schielte; dieß war aber keineswegs unangenehm, vielmehr gab es dem Ausdrucke etwas Weiches und Scheues, was zu der übrigen Bildung des Gesichtes wohl paßte: die feine schlanke Nase, der überaus kleine Mund mit den kirschrothen Lippen, die runden, zartrothen Wangen – die Blicke des jungen Mannes ruhten mit Wohlgefallen darauf. Endlich, da er seinem Collegen mehrere verkehrte Antworten gegeben hatte, merkte er daß es Zeit zum Gehen sei; er verabschiedete sich, und Hedwig sagte:

»Gut' Nacht, Herr Lehrer.«

»Erhalte ich nicht auch noch eine Gutnachthand?«

[162] Hedwig versteckte schnell beide Hände hinter dem Rücken.

»Bei uns fragt man nicht, bei uns nimmt man sich die Hand, he, he,« sagte der alte Lehrer.

Unser Freund ließ sich diese Weisung nicht zweimal geben, er sprang hinter den Baum, um die Hand Hedwigs zu fassen, diese aber wendete ihre Hände schnell nach vornen.

Der Lehrer getraute sich nicht, mit ihr zu ringen und so sprang er noch mehrmals vor- und rückwärts, bis er zuletzt stolperte und vor Hedwig niederfiel; sein Haupt lag in ihrem Schooße auf ihrer Hand, schnell besonnen drückte er einen heißen Kuß auf diese Hand und nannte sie im Geiste sein. So blieb er eine Weile, ohne sich zu erheben, bis endlich Hedwig mit beiden Händen seine Wangen bedeckend ihn emporhob; verworren um sich schauend sagte sie:

»Stehet auf, Ihr habt Euch doch nichts gethan? Gucket, das kommt von denen Späß'; Ihr müsset Euch nur von meinem Vetter da nichts anlernen lassen.«

Der Lehrer stand auf und Hedwig bückte sich schnell nieder, um ihm mit der innern Seite ihrer Schürze die beschmutzten Knie zu reinigen; der Lehrer aber duldete das nicht, sein Herz pochte schnell, da er diese demuthvolle Bescheidenheit sah. Bald stand er wieder gesäubert da und sagte Hedwig abermals [163] gute Nacht; sie blickte zur Erde, weigerte ihm aber ihre Hand nicht mehr.

Schwebenden Ganges ging der Lehrer dahin, es war als ob er den Boden kaum berührte, als ob eine höhere Macht ihn trüge; ein unnennbares Kraftgefühl durchströmte sein innerstes Mark, ihm war so leicht und frei, alle Leute schauten ihn verwundert an, denn er lächelte ihnen ganz offen zu. –

So schnellem Wechsel ist aber ein Menschengemüth hingegeben, daß bald nach dem ersten Jubel der Lehrer in trüber Selbstanklage zu Hause saß: »Du hast dich von einer Leidenschaft zu schnell hinreißen lassen,« sagte er sich. »Ist das die Festigkeit? An ein ungebildetes Bauermädchen hast du dich hingegeben, weggeworfen. – Nein, nein, aus diesem Antlitze spricht die Majestät einer zarten, sanften Seele.« Noch mancherlei Gedanken stiegen in ihm auf, er kannte jetzt das Bauerleben, und noch spät schrieb er in sein Taschenbuch: »Das silberne Kreuz auf ihrem Busen ist mir ein schönes Sinnbild der Heiligkeit, Unnahbarkeit und Unberührtheit.«

Hedwig aber hatte zu Hause keinen Bissen zu Nacht gegessen, ihre Leute zankten, sie habe zu viel geschafft, sie habe gewiß noch dem Lehrer in der Gartenarbeit geholfen; sie verneinte und machte sich bald zu ihrer Großmutter, mit der sie in einem Zimmer schlief.

[164] Noch lange nach dem Nachtgebet sagte sie, als sie die Großmutter husten hörte und nun wußte, daß sie auch noch wach sei:

»Ahne, was hat denn das zu bedeuten, ein Kuß auf die Hand?«

»Daß man die Hand gern hat.«

»Weiter nichts?«

»Nein.«

Wieder nach einer Weile sagte Hedwig: »Ahne.«

»Wasele?« 4

»Ich hab' was fragen wollen, ich weiß aber nimmer.«

»Nun, so schlaf jetzt, du bist müd, wenn's was Gut's ist, wird's morgen früh auch nicht zu spät sein; es wird dir schon einfallen.«

Hedwig wälzte sich aber schlaflos im Bett umher. Sie überredete sich, daß sie nicht schlafen könne, weil sie den Hunger übergangen habe; sie wirkte nun mit aller Gewalt ein Stück Brod hinab, das sie für alle Gefahren bereit gehalten hatte.

Der Lehrer war indeß auch mit sich in's Reine gekommen. Anfangs hatte er sich vorgenommen, sich selber und seine Neigung zu prüfen, eine Zeit lang Hedwig gar nicht mehr zu sehen; endlich aber gelangte er doch zu dem weiseren und erfreulicheren Entschlusse, Hedwig im Gegentheil recht oft zu sehen und ihre Geistesbildung auf allerlei Weise zu prüfen.

[165] Andern Tages ging er nun zu seinem alten Collegen und forderte ihn zum Spazirgange auf; er sah es wohl, schon um Hedwigs willen mußte er hier in ein näheres Verhältniß treten. Der alte Mann ging eigentlich nie spaziren, die Gartenarbeit verschaffte ihm Bewegung genug; die Einladung unseres Freundes erschien ihm jedoch als Ehrenbezeigung und er ging mit.

Es war auffallend, wie wenig Gesprächsstoffe bei dem alten Manne Feuer fingen; sie waren immer wieder eben so schnell aus als seine Pfeife, für die er aller fünf Minuten Feuer schlug. Von Hedwig wollte der junge Mann nicht unmittelbar sprechen, aus den Bestrebungen des Alten selber wollte er schon Manches schließen.

»Leset Ihr auch bisweilen noch Etwas?« fragte er daher.

»Nein, fast gar nichts, es kommt mir auch doch nichts dabei heraus; wenn ich auch alle Bücher auswendig könnte, was hätt' ich davon? Ich bin pensionirt.«

»Ja,« erwiderte der junge Mann, »man vervollkommnet seinen Geist doch nicht bloß um des äußern Nutzens willen, den man daraus ziehen mag, sondern um ein erhöhtes, inneres Leben zu gewinnen, um immer tiefer und klarer zu schauen. Alles auf Erden und zumal das höhere Geistesleben muß zuerst Zweck für sich –«

[166] Der Alte schlug sich mit großer Gemüthsruhe Feuer, unser Freund hielt mitten in einer Auseinandersetzung inne, die ihm erst seit Kurzem aufgegangen war. Eine Weile schritten die Beiden wortlos neben einander, dann fragte der Jüngere wieder:

»Nicht wahr, aber Musik macht Ihr immer gern?«

»Das will ich meinen, da sitz' ich oft halbe Nächt' und feile, da brauch' ich kein Licht, verderb' mir die Augen nicht, hab' Unterhaltung und brauch' keinen Menschen dazu.«

»Und Ihr vervollkommnet Euch darin, so weit Ihr könnt?«

»Warum nicht? Gewiß.«

»Ihr habt doch aber auch keinen Nutzen davon,« sagte der junge Mann. Der Alte schaute ihn verwundert an; jener aber fuhr fort: »Wie Euch die Musik und Eure Ausbildung darin Freude bereitet, ohne daß Ihr einen Nutzen davon wollt, so könnte und sollte es wohl auch mit dem Lesen und der Geistesbildung sein; aber es geht hiemit oft gerade so wie vielen Leuten, die sich nicht mehr mit der gehörigen Sorgfalt kleiden, weil sie Niemanden haben, auf dessen Gefallen sie ein besonderes Gewicht legen. Ich hörte vorgestern, wie ein junger Bursche einer jungen Frau über ihren nachlässigen Anzug Vorwürfe machte. ›Ei,‹ sagte sie, ›was liegt jetzt da [167] dran? Ich bin jetzt schon verkauft, der Mein' muß mich halt haben, wie ich bin.‹ Als ob man sich eines äußern Zweckes, nur Anderer wegen sorgfältig kleide, und nicht weil es die eigene Natur, die Selbstachtung verlangt. So geht es auch Vielen mit der Geistesbildung; weil sie solche bloß des äußern Zweckes wegen betrieben, lassen sie davon ab, sobald der nächste Zweck erreicht oder nicht mehr da ist. Wer aber seine geistige Natur, seinen geistigen Leib, wenn ich so sagen kann, achtet und schätzt, wird ihn immer schön und rein erhalten und ihm stets mehr Kraft zu geben suchen.«

Der junge Mann erkannte erst jetzt, daß er eigentlich ein lautes Selbstgespräch gehalten hatte; er fürchtete indeß nicht, den Alten beleidigt zu haben, denn er sah dessen vollkommene Gleichgültigkeit. Mit schwerem Herzen erkannte er von Neuem, wie mühevoll es sei, die höheren allgemeinen Gedanken und Anschauungen an Mann für Mann zu verzapfen. »Wenn der alte Lehrer so harthäutig ist, wie wird es dir erst bei den Bauern gehen,« dachte er. So schritten sie eine stille Weile dahin, bis der Jüngere wieder begann:

»Meinet Ihr nicht auch, daß man in unserer Zeit viel frommer, oder wenigstens grad so fromm ist, als in der alten Zeit?«

»Frommer? In's Teufels Namen, man war in [168] der alten Zeit auch nicht letz, 5 aber man hat nicht so viel Aufhebens, so viel Geschmus 6 davon gemacht; z'litzel und z'viel verdirbt alle Spiel', he he.«

Wieder war Stille.

Endlich fand der junge Mann den rechten Gegenstand, indem er fragte:

»Wie war's denn in früheren Zeiten mit der Musik?«

Da lebte der Alte ganz auf, er hielt Zunder und Stahl in der Hand, ohne sich Feuer zu schlagen, denn er sagte:

»Das ist heutigen Tages nur noch ein Gedudel. Ich war dritthalb Jahr' Unterorganist im Münster zu Freiburg, Herr! Das ist eine Orgel, ich hab' den Abt Vogler drauf gehört, im Himmel kann's nicht schöner sein als der gespielt hat. Hernach hab' ich auch auf mancher Kirchweih aufgespielt. Früher hat man meist Geigen gehabt, auch eine Harf' und ein Hackbrett, jetzt haben sie nichts als Blasinstrumente: große Trompeten, kleine Trompeten, Klappentrompeten, Alles nichts als Wind und viel Geschrei. Und was verdient jetzt so ein Musikant bei einer Kirchweih? Vor Zeiten waren drei Mann vollauf, jetzt müssen's sechs, sieben sein; sonst waren [169] kleine Stuben, kleiner Baß und groß Geld, jetzt – große Stuben, großer Baß und klein Geld. Ich bin einmal mit zwei Kameraden im Schappacherthal 'rumzogen, da sind uns die Federnthaler von allen Seiten zugeflogen. Einmal haben sich zwei Orte schier todtgeschlagen, weil mich ein jedes hat zur Kirchweih haben wollen.«

Nun erzählte der Alte eine seiner Hauptgeschichten, wie ihn nämlich ein Ort wegen seines guten Geigenspiels als Lehrer angenommen, die Regierung aber einen Andern mit Dragonern einsetzen wollte, wie das ganze Dorf revoltirte, so daß es am Ende doch bei seiner Bestallung blieb.

»Hat denn Euer Ansehen als Lehrer nicht darunter gelitten, wenn Ihr auf den Kirchweihen spieltet?« fragte der junge Mann.

»Im Gegentheil, ich hab' hier im Ort mehr als fünfzigmal gespielt und Ihr werdet Keinen sehen, der nicht die Kapp' vor mir lupft.«

Der Redefluß des Alten war in ununterbrochenem Gange, bis man wieder in den Garten zurückgekehrt war; unser Freund harrte aber umsonst auf die Ankunft Hedwigs, sie kam nicht. So ward doch der anfängliche Vorsatz erfüllt, er sah Hedwig eine lange, lange Zeit nicht, nämlich einen ganzen Tag.

Andern Tages ging unser Freund wieder allein [170] in das Feld, er sah den Buchmaier auf einem großen, breiten Acker mit einem Pferde, das vor eine Art Walze gespannt war, arbeiten.

»Fleißig, Herr Schultheiß?« sagte der Lehrer; er hatte sich nun schon die bräuchlichen Anreden gemerkt.

»So ein Bisle,« erwiderte der Buchmaier und trieb seinen Gaul noch bis an's Ende des Feldes nach dem Wege zu, dann hielt er an.

»Ist das der Fuchs,« fragte der Lehrer, »den Ihr selben Tag, als ich angekommen bin, eingewöhnt habt?«

»Ja, der ist's, das freut mich, daß Ihr auch daran denket; ich hab' gemeint, Ihr denket allfort bloß an eure Geschriften. Gucket, mit dem Gaul ist mir's ganz besonders gangen. Ich hab' meinem Oberknecht seinen Willen gelassen und hab' ihn gleich anfangs zweispännig eingewöhnen wollen, aber es ist nicht gangen. So ein Füllen, das sein Lebtag noch kein Geschirr auf dem Leib gespürt hat, das schafft sich ab und zieht und thut und bringt doch nichts Rechts zuweg; wenn es scharf anzieht und mit den Sträng' ein Bisle vor ist, so macht es den Nebengaul nur irr, daß er gar nichts mehr thut und nur so neben her lottert; wenn man's allein hat, so lernt es stet thun und zappelt sich nicht so für nichts ab. Wenn ein Gaul einmal allein gut [171] ist, nachher geht er auch selbander gut, und man kann schon eher 'rauskriegen, wie stark der Nebengaul sein muß.«

Aus mancherlei Anwendungen, die der Lehrer von dieser Rede machte, sagte er nur diese laut:

»Es geht auch bei den Menschen so: zuerst muß man für sich allein etwas gewesen sein, ehe man in Gemeinschaft gut arbeitet und tüchtig ist.«

»Daran hab' ich noch nicht dacht, aber es ist wahr.«

»Ist das die neue Säemaschine, die Ihr da habt? was säet Ihr denn?«

»Reps.«

»Findet Ihr es nun mit der Maschine nützlicher, als mit der früheren Art zu säen?«

»Wohl, es wird gleicher, ist aber nur für große Aecker; Bauern, die nur ein klein Schnipfele haben, das man wohl mit einer Handvoll überlangen kann, die säen besser mit der Hand.«

»Ich muß gestehen, für mich hat das Säen mit der Hand etwas Ansprechendes; es liegt eine sinnige Deutung darin, daß das Samenkorn zuerst unmittelbar in der Hand des Menschen ruht, dann hingeschleudert eine Weile frei in der Luft schwebt, bis es von der Erde angezogen in den Boden fällt, um zu verwesen und neu aufzugehen. Findet Ihr das nicht auch?«

[172] »Es kann sein, ich merk' aber eben erst, daß man den Säespruch nicht mehr gut sagen kann mit der Maschine; nun, man kann's doch dabei denken.«

»Welchen Säespruch?«

»Früher hat man bei jeder Handvoll, die man ausgestreut hat, gesagt:


Ich säe diesen Samen,

Hier in Gottes Namen,

Für mich und die Armen.«


»Dieser Spruch sollte nicht aufhören.«

»Ja, wie gesagt, man kann's ja auch so denken, oder auch sagen; es ist eben nützlicher mit der Maschine.«

»Finden solche neue Erfindungen hier leicht Eingang?«

»Nein. Wie ich zum erstenmal meine Ochsen jeden in ein besonder' Joch gespannt hab', ist das ganze Dorf nachgelaufen; wie ich nun gar das Ding da vom landwirthschaftlichen Fest heimbracht hab' und zum erstenmal mit 'naus bin, da haben mich die Leute für närrisch gehalten.«

»Es ist doch traurig, daß die Verbesserungen so schwer bei dem gewöhnlichen Volke Eingang finden.«

»Oh Fuchs, Oha!« schrie der Buchmaier seinem unruhig scharrenden Pferde zu; dann es fester haltend fuhr er fort: »Das ist gar nicht traurig, Herr [173] Lehrer, im Gegentheil, das ist recht gut. Glaubet mir, wenn die Bauersleut' nicht so halsstarrig wären und jedes Jahr das Versucherles machen thäten, das die studirten Herren aushecken, wir hätten schon manches Jahr hungern müssen. Oha Fuchs! Ihr müsset Euch in der Landwirthschaft ein Bisle umsehen, ich will Euch ein paar Bücher geben.«

»Ich will zu Euch kommen, ich sehe, das Pferd will nicht mehr stillhalten; ich wünsch' gesegnete Arbeit.«

»B'hüts Gott,« sagte der Buchmaier, über den letzten Gruß lächelnd.

Der Lehrer ging seines Weges, der Buchmaier fuhr in seiner Arbeit fort. Kaum war aber Jener einige Schritte entfernt, als er den Buchmaier den Lauterbacher pfeifen hörte, er schreckte ein wenig zusammen, denn er war noch nicht frei von Empfindlichkeit und war geneigt, dieß für Spott zu halten; bald aber sagte er sich wieder: der Mann denkt gewiß nichts Arges dabei – und darin hatte er Recht, denn der Buchmaier dachte nicht nur nichts Arges, sondern gar nichts dabei, die lustige Weise war ihm eben so in den Mund gekommen.

In einer Feldschlucht, wo er sich zuerst umgesehen, ob ihn Niemand bemerke, schrieb der Lehrer in sein Taschenbuch:

»Die stetige und fast unbewegliche Macht des Volksthums, des Volksgeistes, ist eine heilige Naturmacht; [174] sie bildet den Schwerpunkt des Erdenlebens, und ich möchte wiederum sagen, die vis inertiae im Leben der Menschheit.

Welchen unglückseligen Schwankungen wäre die Menschheit hingegeben, wenn alsbald jede sittliche, religiöse und wirthschaftliche Bewegung die der Gesammtheit würde! Erst was die Schwankung verloren, erst was Stetigkeit, ich will sagen was ruhige Bewegung geworden, kann hier einmünden; hier ist das große Weltmeer, das sich in sich bewegt ....

Ich will das Leben und die Denkweisen dieser Menschen heilig achten, aber ich will es versuchen ...«

Was der Lehrer versuchen wollte, war hier nicht ausgedrückt, aber er hatte auf glückliche Weise an manchen Enden des Dorflebens angeknüpft.

Hedwig sprach er mehrere Tage nicht, er sah sie wohl einigemal als er bei der Großmutter war, aber sie schien sehr beschäftigt und huschte nur immer mit kurzen Reden vorbei, ja, sie schien ihm fast auszuweichen; er wartete in Geduld eine Zeit der Ruhe ab.

Wohl bewegte die Liebe zu dem Mädchen mächtig sein Herz, aber auch die ganze Welt des Volksthums, die sich ihm aufschloß, schwellte ihm die Brust. Er ging oft wie traumwandelnd umher, und doch hatte er noch nie so sicher und fest im Leben gestanden als eben jetzt.

Manche Trübsal und Störung erfuhr auch der [175] Lehrer durch den Studentle. Dieser war begierig zu erfahren, was der Lehrer mit seiner Großmutter zu »basen« habe; er gesellte sich daher mehrmals zu den Beiden. Wenn ein tieferer Gemüthston angeschlagen wurde, fuhr er mit lustigen Spöttereien drein.

Als der Lehrer fragte: »Großmutter, gehet Ihr gar nie in die Kirche?« erwiderte der Studentle schnell: »Ja, Großmutter, Euch gedenkt's vielleicht noch, wer die Kirch' gebaut hat; der Herr Lehrer möcht's gern wissen, er will aber doch die Kirch' im Dorf lassen.«

»Sei still du,« entgegnete die Großmutter, »wenn du was nutz wärst, wärst du jetzt Meister in der Kirch' und wärst Pfarrer.« Zu dem Lehrer gewendet fuhr sie fort: »Schon seit fünf Jahren bin ich nicht in der Kirch' gewesen, aber am Sonntag merk' ich schon daheim am Läuten, wenn das Heilig gezeigt wird und wann die Wandlung ist; da sag' ich dann die Litanei allein. Alle Jahr zweimal kommt der Pfarrer und gibt mir das Abendmahl; er ist gar ein herziger Mann, unser Pfarrer, er kommt auch sonst zu mir.«

»Meinet Ihr nicht Herr Lehrer,« begann der Studentle, »daß meine Großmutter eine Aebtissin comme il faut wäre?«

Die Großmutter schaute den Beiden verwundert in's Gesicht, da sie so fremde Worte über sich hörte, sie wußte nicht, was das zu bedeuten habe.

[176] »Allerdings,« sagte der Lehrer, »aber ich glaube, daß sie auch eben so fromm sein und eben so selig werden kann.«

»Gucket Ihr's, Ahne,« sagte der Studentle frohlockend, »der Herr Lehrer sagt's auch, daß die Pfarrer kein Brösele mehr sind als andere Menschen.«

»Ist das wahr?« fragte die Alte betrübt.

»Ich meine so,« begann der Lehrer, »es können ja alle Menschen selig werden, aber ein echter Geistlicher, der fromm und gut ist und eifrig für das Seelenheil seiner Nebenmenschen sorgt, der hat eine höhere Stufe.«

»Das mein' ich auch,« sagte die Alte. Dem Lehrer stand der Angstschweiß auf der Stirne, der Studentle aber fragte wieder:

»Sind Ihr nicht auch der Meinung, Herr Lehrer, daß die Geistlichen heirathen sollten?«

»Es ist Kirchengesetz, daß sie nicht heirathen dürfen, und wer bei vollem Bewußtsein Geistlicher geworden ist, muß sein Gesetz halten.«

»Das mein' ich auch,« sagte die Alte mit großer Heftigkeit, »die wo heirathen wollen, das sind Fleischteufel, und man heißt's Geistlich und nicht Fleischlich. Ich will Euch was sagen, gebet dem da kein' Antwort mehr, lasset Euch Euer gut Gemüth nicht verderben, der hat heut wieder seinen gottlosen Tag, er ist aber nicht so schlecht, wie er sich stellt.«

[177] Der Studentle sah, daß bei seiner Großmutter nichts auszurichten war, und ging mißmuthig davon, auch der Lehrer entfernte sich bald; wieder war ihm ein schönes zartes Verhältnis hart angefaßt worden. Erst zu Hause gelangte er zur Ruhe und stählte sich gegen die unvermeidlichen Eingriffe von außen.

Am Sonntag gelang es unserm Freunde endlich wieder, Hedwig in Ruhe zu sprechen; er traf sie bei dem alten Lehrer im Garten, sie saß mit ihm auf der Bank, die Beiden schienen nichts gesprochen zu haben.

Nach einigen gewöhnlichen Redeweisen begann der Lehrer: »Es ist doch eine hohe erhabene Sache, daß der siebente Tag durch die Religion geheiligt und aller Arbeit ledig ist; wenn wir uns vorstellen, daß das nicht so wäre, die Leute würden vor übermäßiger Anstrengung sterben. Wenn man in dieser hohen Erntezeit z.B. Tag für Tag ohne Unterlaß arbeiten würde, bis Alles vollbracht wäre, Niemand könnte es aushalten.«

Hedwig und der alte Mann sahen zuerst über diese Rede verwundert drein, dann aber sagte Hedwig:

»Ihr sind wohl schon hier gewesen, wie's der Pfarrer in der Heuet erlaubt hat, daß man am Sonntag das Heu wenden darf, weil es so lange [178] geregnet hat und Alles erstickt wär'. Ich bin auch mit 'naus in's Feld, aber es ist mir gewesen, wie wenn jede Gabel voll Heu doppelt so schwer sei; es ist mir gerad' gewesen, wie wenn mich Einer am Arm halten thät', und den andern Tag und die ganz' Woch' war mir's, wie wenn die ganz Welt verkehrt wär' und schon ein Jahr lang kein Sonntag mehr gewesen sey.«

Freudestrahlend blickte der Lehrer Hedwig an, ja, das war die Großmutter; zu dem alten Manne gewendet sagte er aber:

»Ihr müsset Euch noch der Zeit erinnern, als man in Frankreich die Dekaden einführte.«

»Dukaten? die kommen ja aus Italien.«

»Ich meine Dekaden. Man verordnet nämlich, daß nur alle Zehn Tage ein Ruhetag sein solle, da wurden ebenfalls alle Menschen krank. Die Zahl Sieben wiederholt sich auf eine geheimnißvolle Weise in der ganzen Natur und darf nicht verrückt werden.«

»Das war ja verrückt, alle zehn Tage einen Sonntag, he, he,« sagte der alte Mann.

»Wisset ihr auch die Geschicht' von dem Herrn, wo in der hiesig' Kirch' in Stein gehauen ist mit dem Hund?« fragte Hedwig.

»Nein, erzählet sie.«

»Das war auch so Einer, der den Sonntag nicht heilig gehalten hat. Es war ein Herr –« [179] »Der Herr von Isenburg und Nordstetten,« ergänzte der Alte.

»Ja,« fuhr Hedwig fort, »man sieht in Isenburg nur noch ein paar Mauern von seinem Schloß; der hat nun auch nichts auf keinen Sonntag und keinen Feiertag gehalten, und hat nichts auf der Welt lieb gehabt als seinen Hund, der war so groß und bös wie ein Wolf. Am Sonntag und Feiertag hat er die Leut' zwungen, daß sie haben Alles schaffen müssen, und wenn sie nicht gutwillig gangen sind, ist der Hund von ihm selber auf sie gesprungen und hat sie schier verrissen, und da hat er, der Herr, gelacht und hat dem Hund den Namen Sonntag geben. Er ist nie in die Kirch' gangen als ein einzigmal, wie man sein' einzig' Tochter copuliert hat; er hat den Hund, wo Sonntag geheißen hat, mit in die Kirch' nehmen wollen, der ist aber nicht dazu zu bringen gewesen, und hat sich vor der Kirch' auf die Schwell hingelegt bis sein Herr wieder 'rauskommen ist. Wie nun der 'rausgeht, stolpert er über den Hund, fällt hin und ist maustodt, und da ist auch sein' Tochter gestorben, und die sind jetzt beide mit sammt dem Hund in der Kirch' in Stein gehauen. Man sagt, der Hund sei der Teufel gewesen, und sein Herr hab' sich ihm verschrieben gehabt.«

Der Lehrer suchte zu beweisen, daß diese Sage [180] sich erst durch das Vorhandensein des Denkmals gebildet habe, daß die Adeligen sich gerne mit Wappentieren abbilden lassen u.s.w.; er fand aber wenig Anklang und schwieg.

Niemand war geneigt das Gespräch fortzusetzen. Hedwig machte mit ihrem Fuße ein Grübchen in den Sand, der Lehrer nahm hier zum erstenmal Gelegenheit, die Kleinheit ihres Fußes zu bemerken.

»Leset Ihr nicht auch mitunter am Sonntag?« begann er so vor sich hin; Niemand antwortete: er blickte Hedwig bestimmt an, worauf sie erwiderte:

»Nein, wir machen uns so Kurzweil.«

»Ja womit denn?«

»Ei, wie Ihr nur so fragen könnet; wir schwätzen, wir singen, und hernach gehen wir spaziren.«

»Nun, was sprechet Ihr denn?«

Das Mädchen lachte laut und sagte dann: »Das hätt' ich mein Lebtag nicht denkt, das man mich das fragt. Geltet Vetter, wir besinnen uns nicht lang drauf? Jetzt wird bald mein Gespiel', des Buchmaiers Agnes, kommen, da werdet Ihr nimmer fragen, was man schwätzt, die weiß eine Kuhhaut voll.«

»Habt Ihr denn noch gar keine Bücher gelesen?«

»Ja freilich, das G'sangbuch und die biblisch' G'schicht'.«

»Sonst nichts?«

[181] »Und das Blumenkörble und die Rosa von Tannenburg.«

»Und noch?«

»Und den Rinaldo Rinaldini. Jetzt wisset Ihr Alles,« sagte das Mädchen, mit beiden Händen über die Schürze streifend, als hätte es sein gesammtes Wissen jetzt vor dem Lehrer ausgeschüttet; dieser aber fragte wieder:

»Was hat Euch denn am besten gefallen?«

»Der Rinaldo Rinaldini, 's ist jammerschad, daß das ein Räuber gewesen ist.«

»Ich will Euch auch Bücher bringen, da sind viel schönere Geschichten darin.«

»Erzählet uns lieber eine, aber auch so eine recht grauselige; oder wartet lieber, bis die Agnes auch da ist, die hört's für ihr Leben gern.«

Da kam ein Knabe und sagte dem alten Lehrer, er solle sogleich zum Bäck kommen und seine Geige mitbringen, des Bäcken Konrad habe einen neuen Walzer bekommen; schnell erhob sich der Alte, sagte: »Wünsch' gute Unterhaltung,« und ging von dannen.

Als nun der Lehrer mit Hedwig allein war, erzitterte sein Herz; er wagte es nicht, aufzuschauen. Endlich sagte er so vor sich hin:

»Es ist doch ein recht guter alter Mann.«

»Ja,« sagte Hedwig, »und Ihr müsset ihn erst [182] recht kennen. Ihr müsset es ihm nicht übel nehmen, er ist gegen alle Lehrer ein bisle bös und brummig; er kann's noch nicht verschmerzen, daß er abgesetzt worden ist, und da meint er, ein Jeder, der jetzt als Lehrer Hierher kommt, der sei jetzt grad dran schuld, und der kann doch nichts dafür, das Consistore schickt ihn ja. Es ist eben ein alter Mann, man muß Geduld mit den alten Leuten haben.«

Der Lehrer faßte die Hand des Mädchens und blickte es innig an; dieses liebende Verständniß fremden Schicksals belebte seine ganze Seele. Plötzlich fiel ein todter Vogel vor den Beiden nieder, sie schreckten zusammen; Hedwig bückte sich aber alsbald und hob den Vogel auf.

»Er ist noch ganz warm,« sagte sie, »du armes Thierle, bist krank gewesen und hat dir Niemand helfen können; es ist nur eine Lerch', aber es ist doch ein lebigs Wesen.«

»Man möchte sich gern denken,« sagte der Lehrer, »ein solcher Vogel, der singend himmelan steigt, müßte beim Sterben gleich in den Himmel fallen; er schwebt so frei über der Erde, und nun berührt ihn der Tod, und von der Schwerkraft der Erde angezogen, fällt Alles.


immer wieder

zur Erd' hernieder.«


[183] Hedwig sah ihn groß an, diese Worte gefielen ihr, obgleich sie dieselben nicht recht begriff; sie sagte nach einer Pause:

»'s ist doch arg, daß sich seine Verwandten, seine Frau oder Kinder gar nichts um ihn kümmern und ihn nur so 'rabfallen und liegen lassen; es kann aber auch sein, sie wissen noch gar nicht, daß er gestorben ist.«

»Die Thiere,« sagte der Lehrer, »wie die Kinder verstehen den Tod nicht, weil sie nicht über das Leben nachdenken; sie leben bloß und wissen nichts davon.«

»Ist das auch g'wiß so?« fragte Hedwig.

»Ich meine,« erwiderte der Lehrer. Hedwig erörterte die Sache nicht weiter, wie sie überhaupt nicht gewohnt war, anhaltend etwas zu ergründen; der Lehrer aber dachte: hier sind die Elemente einer großen Bildungsfähigkeit, hier ist schon der Stamm eines selbständigen Geistes. Den Vogel aus des Mädchens Hand nehmend, sagte er dann:

»Ich möchte diesen Bewohner der freien Lüfte nicht in die dunkle Erde versenken, hier an diesen Baum möchte ich ihn heften, damit er im Tode in einzelne Stücke verfliege.«

»Nein, das gefällt mir nicht; an des Buchmaiers Scheuer ist eine Eul' angenagelt, und ich möcht's allemal, wenn ich vorbeigeh', 'runter nehmen.«

Stille begruben nun die Beiden den Vogel. Der[184] Lehrer, der heute so glücklich in seinen Entdeckungen war, ging schnell einen Schritt weiter; er wollte erproben, wie weit sich Hedwig einer feinern Bildung fügen würde.

»Ihr sagt so gescheite Sachen,« begann er, »daß es jammerschade ist, daß Ihr das holperige Bauerndeutsch sprecht, Ihr könnet es sicherlich auch anders, und das würde Euch viel besser anstehen.«

»Ich thät mich in die Seel' 'nein schämen, wenn ich anders reden thät, und es versteht mich ja auch ein Jedes.«

»Allerdings, aber gut ist gut, und besser ist besser. In welcher Sprache betet ihr denn?«

»Ei, wie's geschrieben steht, das ist ganz was anders.«

»Keineswegs, wie man mit Gott redet, sollte man auch mit den Menschen reden.«

»Das kann ich halt nicht, und das will ich auch nicht. Gucket, Herr Lehrer, ich wüßt' ja gar nichts mehr zu schwätzen, wenn ich mich allemal besinnen müßt', wie ich schwätzen soll; ich thät mich vor mir selber schämen. Nein, Herr Lehrer, euer Wort auf ein seiden Kissen gelegt, aber das ist nichts.«

»Saget doch nicht immer Herr Lehrer, saget auch meinen Namen.«

»Das kann wieder nicht sein, das geht nicht.«

»Ja warum denn?«

»Es geht halt nicht.«

»Es muß doch einen Grund haben, warum?«

[185] »Ei, ich weiß ja euern Namen nicht.«

»So? Ich heiße Adolph Lederer.«

»Also Herr Lederer, das ist fast gleich, Herr Lederer oder Herr Lehrer.«

»Nein, heißet mich Adolph.«

»Ach, machet jetzt keine so Sachen; was thäten denn die Leut' sagen?«

»Daß wir uns gern haben,« sagte der Lehrer, die Hand des Mädchens an sein Herz drückend, »habt Ihr mich denn nicht auch lieb?«

Hedwig bückte sich und brach eine Nelke. Da öffnete sich die Gartenthüre.

»Gott sei's getrommelt und gepfiffen, daß ich erlöst bin,« rief des Buchmaiers Agnes. »Guten Tag, Herr Lehrer! Hedwig sei froh, daß du nimmer in die Christenlehr' brauchst. Herr Lehrer, das solltet Ihr machen, daß so große Mädle nimmer drein müssen; freilich mich nutzt's wenig mehr, ich komm' schon nächsten Herbst draus.«

»Schenkt mir doch die Nelke,« sagte der Lehrer mit zart bittendem Tone zu Hedwig; sie gab ihm mit erröthendem Antlitze die Blume, und er drückte sie als Zeichen der Erwiderung seiner Liebe inbrünstig an seine Lippen.

»Du würdest schön ankommen,« sagte Agnes, »wenn der alte He he sehen thät, daß du eine Blum' abbrochen hast; 's ist gut; drinnen sitzt er [186] beim Bäck und spielt den neuen Walzer. Den wollen wir aber auch rechtschaffen tanzen an der Kirchweih'. Ihr tanzet doch auch, Herr Lehrer?«

»Ein Wenig, aber ich hab' mich schon lange nicht geübt.«

»Probieren geht über Studiren, lalalalala,« trällerte Agnes im Garten umherhüpfend, »was machst du für ein Gesicht, Hedwig? Komm!« Sie riß Hedwig, die ihrer Gewalt nicht widerstehen konnte, ebenfalls mit sich fort; sie waren aber so ungeschickt, daß sie in ein Beet traten. Agnes lockerte singend den Boden wieder auf und sagte dann:

»Jetzt komm, mach fort, wir wollen aus dem Garten 'naus, wo man sich nicht regen kann; die andern Mädle sind alle schon draußen im Kirschenbusch und Er wartet gewiß schon lang auf uns.«

»Wer?« fragte der Lehrer.

»Ei er,« erwiderte Agnes, »wenn Ihr mit wollet, könnet Ihr ihn umsonst sehen; wir werden Euch doch nicht zu gering sein, daß Ihr mit uns gehet?«

Der Lehrer faßte die Hand der Agnes und sie festhaltend, gleich als hielte er die der Hedwig, ging er mit den Beiden in das Feld.

Draußen, wo der Weg nach dem Daberwasen geht, an der Hanfdarre saß ein kräftiger, wie eine Tanne grad und schlank gewachsener Mann; der [187] Lehrer erkannte in ihm den Oberknecht des Buchmaiers, der, als er die drei so daher kommen sah, aufsprang und wie festgebannt stehen blieb; Trotz und Wehmuth sprach aus seinem ganzen Wesen; sein Antlitz erheiterte, seine Faust entballte sich aber, als Agnes fröhlich auf ihn zuschritt. Der Lehrer grüßte den Thaddä, so hieß der Oberknecht, mit besonderer Freundlichkeit. So schritten nun die beiden Paare vergnügt neben einander.

Um dem Thaddä seine Vertraulichkeit zu bezeigen, sprach der Lehrer viel von dem Fuchsen, und wie er sich in den Zug eingewöhne.

So war nun gekommen, was der Lehrer nie vermuthen mochte: er hatte ein Bauernmädchen zur Geliebten und einen Bauernknecht zum Kameraden.

Bald ging Thaddä mit Agnes voraus und der Lehrer mit Hedwig Hand in Hand hintendrein.

Unter traulichen Gesprächen schritt man des Weges dahin. Tief erfuhr es nun der Lehrer, daß man wohl viel miteinander sprechen kann, ohne grade Bücher gelesen zu haben.

Nicht weit von dem Katzenbrunnen, aus dem der Sage nach die Hebammen die Kinder holen, setzte man sich an einen Rain, und nun wurde gesungen. Der Lehrer erfreute sich inniglich an der schönen Altstimme Hedwigs, Thaddä begleitete den Gesang trefflich, und der Lehrer empfand es zu seiner großen [188] Betrübniß, daß er so wenig von den Volksliedern kannte; bei seiner musikalischen Bildung faßte er indeß die einfachen Weisen schnell und begleitete sie in tiefem Baß. Mit strahlendem Antlitze nickte ihm Hedwig Beifall zu. Oft aber mußte er auch bei einer unerwarteten Wendung der Melodie, die dazu diente, den schroffen Gedankensprung oder die Ungleichheit des Silbenmaßes auszugleichen, innehalten; dann ermunterte ihn Hedwig mit ihren Blicken, die so viel sagten als: sing nur mit, wenn's auch nicht ganz gut geht. So vereinte der Lehrer seine Stimme mit denen der dörflichen Sänger.

Jetzt war es so weit gekommen, daß er nur den Ton und die Bauern das Wort und den Gedanken hatten.

Man sang:


Bald gras' ich am Neckar,

Bald gras' ich am Rhein,

Bald hab' ich ein Schätzle,

Bald bin ich allein.


Was hilft mich das Grasen,

Wenn d' Sichel nicht schneid't?

Was hilft mich ein Schätzle,

Wenn's nicht bei mir bleibt?


Und soll ich denn grasen

Am Neckar, am Rhein,

So werf' ich mein schönes

Goldringlein hinein.


[189]

Es fließet im Neckar,

Und fließet im Rhein;

Soll schwimmen hinunter

In's tiefe Meer 'nein.


Und schwimmt das Goldringlein,

So frißt es ein Fisch,

Das Fischlein soll kommen

Auf Königs sein Tisch.


Der König thut fragen,

Wem's Ringlein soll sein;

Da thut mein Schatz sagen:

Das Ringlein g'hört mein.


Mein Schätzlein thut springen

Bergauf und bergein,

Thut wieder mir bringen

Mein Goldringelein.


Kannst grasen am Neckar,

Kanst grasen am Rhein,

Wirf du mir nur immer

Das Ringlein hinein.


Nach einer Weile drückte Thaddä Agnes näher an sich und sie sangen:

Mädle ruck, ruck ruck

An meine rechte Seite,

I hab' dich gar zu gern,

I kann di leide.


[190]

Wann die Leut' et' wär'n,

No müschtst mein Schätzle wär'n,

Wär'n die Leut' et g'west,

No wärst mein Weible jetzt.

Mädle, ruck u.s.w.


Mädle guck, guck, guck

In meine schwarze Auge,

Du kannst dein lieble

Bildle drin erschaue;

Ja, guck du nur 'nein

Du muscht drinne sein,

Du muscht bei mir bleibe,

Muscht mir d' Zeit vertreibe.

Mädle guck u.s.w.


Mädle du, du, du

Muscht mir den Trauring gebe,

Sust liegt mir wahrlich

Nix mehr an mei'm Lebe.

Wann i di net krieg,

No zieh ni fort in Krieg;

Wann i di net hab'

No wurd mir d' Welt zum Grab.

Mädle du u.s.w.


Noch gar viel andere, meist traurige Lieder wurden gesungen, obgleich die Sänger heiter und frohen Muthes waren. Wie der Brunnen zu ihren Füßen fortquoll und leise durch die Felder dahin rieselte, so schien auch der Liederquell unerschöpflich.

[191] Der Lehrer war wie in eine neue Welt versetzt. Wohl hatte er schon früher die kindlich zarte Empfindungs- und Denkweise des Volksliedes kennen gelernt, aber er hatte sie nur gekostet, wie man an reich besetzten Tafeln die Walderdbeeren ihres eigentümlichen Duftes wegen den künstlich gehegten und gepfropften vorzieht, sie aber doch mit Zucker und Wein verzehrt; hier aber war er selbst in den Erdbeerenschlag gekommen, und nicht in Haufen genossen, sondern einzeln frisch vom Strauche gepflückt, schmeckte die Frucht noch ganz anders.

Die tiefe Urkraft des Volksliedes erschloß sich unserm Freunde in ihrer ganzen Herrlichkeit, er sah sich liebend umfangen von der edlen, majestätischen Herrlichkeit des deutschen Volksgemüths, und die liebliche Vertreterin desselben saß in trauter Zuneigung an seiner Seite. Er gelobte sich, ein Priester dieses heiligen Volksgeistes zu werden.

Als er Abends mit Hedwig heimkehrte und sie vor der Großmutter standen, faßte er ihre Hand, drückte sie an sein Herz und sagte:

»Nicht zu mühseliger Arbeit sollt Ihr für mich Eure Hände erheben, sondern für das was ihnen gebührt, zum Segnen.«

Mehr konnte er nicht sprechen, und er ging rasch von dannen.

Im ganzen Dorfe sprach man am Abend von [192] nichts als davon, daß der Lehrer mit des Johannesle's Hedwig Bekanntschaft habe.

Unser Freund, der früher immer so gern und fast ausschließlich allein gewesen war, konnte jetzt, wenn er seine Schulstunden beendet hatte, fast keine Viertelstunde mehr allein ausdauern, in seinem Hause oder außer demselben. Von all den Büchern, die er bei sich hatte, paßte ihm keines zu seiner Stimmung, und wollte er etwas in sein Taschenbuch schreiben, erschien es ihm so nackt und nichtig, daß er es alsbald wieder durchstrich.

Im Felde konnte er es zu keinem Gedanken und zu keiner Zeichnung mehr bringen, er sprach mit Jedem, der ihm begegnete oder am Wege arbeitete; die Leute waren freundlich gegen ihn, denn seine offene Seele war auf sein Antlitz herausgetreten. Oft aber stand er auch bei den Leuten und sah träumerisch lächelnd vor sich hin, ohne ein Wort weiter zu sprechen; es war, als könne er nicht weggehen, als fürchte er sich, wieder in seine trübe Verlassenheit und Vereinsamung hinausgestoßen zu werden, als müsse er sich an Jeden, wer er auch sei, fest anklammern.

Einst sah er Hedwig auf dem Felde schneiden, er eilte zu ihr, machte sich aber alsbald wieder fort; es war ihm eine unüberwindlich mißliche Empfindung, so allein arbeitslos unter den Emsigen dazustehen,[193] und doch verstand er nichts von der Feldarbeit und wußte, wie ungeschickt er sich dabei anstellen würde. Die Hoheit Hedwigs erschien ihm nicht erniedrigt, vielmehr erhöhter durch ihre Arbeit. Im Weggehen sagte er vor sich hin: »Nur Hostien, nur Himmelsbrod sollte man aus der Frucht bereiten, deren Halme sie geschnitten.«

Bei der Großmutter saß er oft in Zerstreuung, und nur wenn sie von ihren Eltern und Großeltern erzählte, gewann sie seine volle Aufmerksamkeit; es that ihm so wohl, an diesem Familienbaume hinaufzuklettern in die Geschichte der Vorzeit. Der Großvater der Alten hatte den Türkenkrieg unter Prinz Eugen mitgefochten, und sie wußte noch gar viel von ihm zu er zählen. Manchmal auch sagte die Alte, jedoch ohne Klage, sie spüre es wohl, sie würde diesen Winter alle ihre Vorfahren wiedersehen. Er suchte ihr solche Gedanken auszureden, was ihm nicht schwer fiel; er suchte sie dahin zu bringen, daß sie von der Kindheit Hedwigs erzählte: wie sie in einem Glückshäutchen geboren ward, ihre Mutter aber bald darauf starb, wie Hedwig sich schon als kleines Kind grämte, daß ihre Puppe mit offenen Augen schlafen mußte und sie daher Nachts ihr mit Papierchen die Augen zuklebte. Wenn sie so sprach, da leuchtete das Auge des jungen Mannes und das der Alten von derselben Glorie, wie zwei nachbarliche Wellen, von demselben Mondstrahle durchglitzert.

[194] Ueber Hedwig finden wir nichts im Taschenbuche, aber durch die Erinnerungen der Alten und andere Erfahrungen angeregt sind wohl folgende Worte:

»Man denkt sich wohl gern, man könnte mit einem Katechismus der gesunden Vernunft hinaustreten unter das Volk und es alsbald bekehren; hier aber ist überall heiliger Boden der Geschichte, wir müssen die Fußstapfen der Vergangenheit aufsuchen. Traurig, daß unsere Geschichte zerrissen und zerstückt ist ... wo anknüpfen? ...«

Bei dem Buchmaier war der Lehrer von nun an auch oft, er studirte eifrig die Landwirthschaft und erfreute sich an den kernigen Gedanken des Buchmaiers, trotz ihrer Derbheit; je heimischer er aber im Hause des Buchmaiers wurde, um so fremder schien er in dem Hause Johannesle's zu werden, er selber war noch wie zuvor, aber Hedwig wich ihm sichtbar aus und grüßte ihn im Vorbeigehen immer scheu und zaghaft.

Eines Abends kam Hedwig weinend zu Agnes und sagte:

»Denk' nur, mein Wilder will's nicht leiden.«

»Was denn?«

»Nun, daß der Lehrer zu mir geht. Mein Constantin hat gesagt, wenn ich mich noch einmal mit dem Lauterbacher sehen ließ', nachher schlag' er [195] mich und ihn krumm und lahm; du weißt ja, er bosget, weil er mit deinem Vater so gut ist.«

»Das ist ein Kreuz. Was ist denn jetzt da zu machen?«

»Sag' dem Lehrer, wenn er kommt, er soll nicht bös sein und soll doch weniger in unser Haus kommen, ich könnt' nicht anders, ich darf nicht mit ihm reden. Ich thät mir nicht viel daraus machen, wenn mein Bruder auch grob wär', aber wenn er ihn beleidigen thät, und er ist's wohl im Stand, daß er ihm vor allen Leuten einen Disrespekt anthut, ich thät mich in den Tod 'nein grämen.«

»Laß jetzt das Trauern,« erwiderte Agnes, »ich sag' ihm doch von all dem kein Wörtle.«

»Warum?«

»Darum, o! du verliebte Dock! Meinst, ich bericht' ihm das, daß er nachher meint, man dürf' den Nordstetter Mädle nur so pfeifen, nachher kommen sie Einem nur so nachgesprungen?«

»Das glaubt er gewiß nicht.«

»Ich laß es aber nicht darauf ankommen, jetzt, ich bleib' dabei, ich sag' ihm gar nichts von dir; er muß mit mir davon anfangen. Laß mich nur machen, ich krieg' ihn schon dran. Huididä juh! Und wenn's dann so recht bei ihm pfupfert, will ich sagen: es kann sein, es läßt sich vielleicht möglich machen, ich will die Hedwig dazu überreden, daß ihr vielleicht [196] am Sonntag bei mir zusammen kommet, ich will dann schon sehen, ob man die Biren schütteln kann und wie man mit ihm dran ist.«

»Ja, du kannst's machen, wie du willst, ich kann dich nicht zwingen, aber das bitt' ich mir aus, plagen darfst ihn nicht; Narr, er ist einer von denen Menschen, die sich über Alles so viel Gedanken machen, ich hab' das schon gemerkt, und da könnt' er betrübt sein und könnt' nicht schlafen.«

»Das weißt du schon Alles? Woher denn?«

»Woher?« sagte Hedwig, »ich denk' halt so, er macht sich so allerlei Gedanken, es geht mir auch oft so.«

»O du guter Hammel. Sei nur ruhig, ich thu ihm nichts an Leib und Leben; so ein Lehrer hält so viel Prüfungen sein ganz Leben, jetzt will ich auch einmal eine mit ihm halten, ich will sehen, ob er gescheit ist.«

»Das ist er.«

»Wenn er gut besteht, darf ich ihm einen Kuß geben?«

»Meinetwegen.«

»Mach jetzt kein' so Gesicht, ein' fröhliche Lieb' muß man haben und keine maunderige. Denk' nur, am Sonntag hat der Pfarrer gefragt: wie muß man Gott lieben? und da hab' ich frischweg gesagt: lustig, und da hat er geschmunzelt und hat ein Pris' [197] genommen und hat gesagt: das ist recht – du weißt ja, wie er's macht, er sagt zu Allem, wenn's nicht ganz blitzdumm ist: das ist recht, aber nachher erklärt er's einem, und da kommt was ganz anders 'raus – da hat er eben gesagt: man muß Gott wie seinen Vater lieben, mit Ehrfurcht, und da hab' ich gesagt: man kann seinen Vater ja auch lustig lieben, da hat er wetterlich gelacht und hat sein' Dos' verkehrt aufgemacht, daß aller Tabak auf den Boden gefallen ist, und da haben wir alle zusammengelacht;


Alleweil e Bisle lustig

Und alleweil e Bisle froh,«


so schloß Agnes singend und zog Hedwig hinaus in den Garten, wo sie die ausgebreiteten Linnen in große Falten zusammenzog, um sie ins Haus zu tragen, indem sie dabei erklärte, daß das zu ihrer Aussteuer sei.

Am andern Abend, um die Zeit, da der Lehrer gewöhnlich kam, harrte Agnes vor dem Hause; aber alle ihre Plane von lustigen Neckereien verflogen, als sie bei der Erwähnung Hedwigs das schmerzliche Zucken in dem Antlitze des Lehrers sah und er ihr seinen Kummer dann treuherzig erzählte. Sie erklärte ihm nun die Parteiungen in der Gemeinde: der Studentle, als Schwiegersohn des ehemaligen unteroffizierlichen Schultheißen, gehörte natürlich zu [198] dessen Partei, die jeden mit dem Buchmaier Vertrauten als offenen Feind ansah; dazu kam, daß der Studentle voll Gift und Galle war, weil auf Betreiben des Buchmaiers der Mathes statt seiner in den Bürgerausschuß gekommen war.

»Es ist ein Kreuz,« schloß Agnes die Auseinandersetzung der Dorfpolitik, »ich hab' mir's so schön ausdenkt, daß wir bei der Kirchweih mit einander auf den Tanz gehen. Wartet aber nur, der Studentle ist mir nicht studirt genug, und der Thaddä muß auch mithelfen und rathen.«

Der Lehrer verbat sich dieß, Agnes sah ihn groß an, versprach ihm aber doch, er solle Sonntags Hedwig bei ihr sehen; sie wolle sich krank stellen und ihnen zu Gefallen beim schönsten Wetter nicht ausgehen.

In sein Taschenbuch schrieb der Lehrer noch spät am Abend: »Wie leicht ist es, sich rein im Gebiete des Geistes zu halten, sich da eine Welt und einen Himmel aufzubauen; kaum aber nähert man sich dem wirklichen Leben, wird man hineingerissen in den Strudel der Tageszwiste, der grollenden widerstrebenden Strömungen. Ich wollte mich hineinbegeben in das einige Leben dieses Dorfes, nun stehe ich mitten in der Parteiung, meine tiefsten Herzensneigungen werden mit hinein verschlungen.« –

Agnes hielt Wort. Die geheime Zusammenkunft [199] der beiden Liebenden erschloß ihre Herzen um so schneller und rückhaltsloser. Da war an kein Widerstreben mehr zu denken, man hatte sich ja verborgen gesucht und gefunden.

Nach dem ersten Austausch der beiderseitigen Betrübniß erwachte in Hedwig der frische Lebensmuth wieder schneller als in dem Lehrer.

»Ist es denn wahr,« fragte sie, »daß Ihr von Lauterbach seid?«

»Allerdings.«

»Ja, warum habt Ihr's denn verläugnen wollen? Das ist ja kein' Schand'!«

»Ich hab' es nie verläugnet.«

»Es ist doch grausam, wie die Leut' lügen können. Da haben sie hier ausgesprengt, Ihr wäret deßwegen so allein wie ein verscheucht' Hühnle 'rumgelaufen, weil Ihr gemeint hättet, man foppt Euch, weil Ihr von Lauterbach seid. Und wenn Ihr auch von Tripstrill wäret, Ihr wäret doch –«

»Nun? was wäre ich?«

»Ein lieber Mensch,« sagte Hedwig, ihm die Augen zuhaltend, er aber umfaßte, küßte und herzte sie und sagte dann endlich:

»Sei nur ruhig, du Liebe, Gute, es wird schon Alles noch gut gehen.«

Ohne sich aus seinen Armen zu erheben, sagte Hedwig doch:

[200] »Ihr müsset nicht so sein.«

Der Lehrer aber küßte und herzte sie von Neuem, und sie sagte wieder:

»Nun, jetzt schwätzet auch, erzählet mir was; wie ist's Euch denn gangen? Ihr schwätzet ja gar nichts.«

Der Lehrer nahm ihre Hand und drückte sie an seinen Mund; gleich als wollte er jedes Wort darin versiegeln, Hedwig deutete es wenigstens so, denn sie begann abermals:

»Nein, Ihr müsset schwätzen, ich hör' Euch so gern zu, und mein' Ahne sagt's auch als, er hat so herzige Worte; mein' Ahne hat Euch rechtschaffen gern.«

»Sag' doch du!« das waren die einzigen Worte, die der Lehrer hervorstammeln konnte.

»Du, du, du, du, du,« sagte Hedwig sich niederbeugend und den Kopf schüttelnd, als ob sie mit einem Kinde spielte; der Lehrer blickte sie mit Freudenthränen an, und als sie das bemerkte, sagte sie:

»Warum greinen? Es ist noch nichts verloren, und mein Constantin soll nur aufpassen, ja, was meint der? Ich will schon sehen, wer Meister wird, ich bin kein Kind mehr.«

Ungeachtet sie so sehr gegen das Weinen gesprochen hatte, flossen doch auch ihr die Thränen aus den Augen, sie trocknete sie aber schnell und fuhr fort:

[201] »Komm', jetzt wollen wir alles vergessen und was ist denn auch? Wenn's Gott's Willen ist, kriegen wir einander doch. Es ist mir immer, wie wenn Alles zu schön g'wesen wär', wenn alles so den geraden Lauf gehabt hätt'. Ich weiß nicht, wie's kommen ist, aber wie ich selben Sonntag, wo man bei meiner Ahne gesessen ist, um's Hauseck 'rumkommen bin, da ist mir's grad' g'wesen, wie wenn mir Einer mit einer feurigen Hand in's Gesicht langen thät; nein, noch ganz anders, ich kann's gar nicht sagen wie.«

»Ja, von jenem Augenblicke an liebte ich dich.«

»Nichts davon schwätzen,« sagte Hedwig mit strahlendem Auge in's Antlitz ihres Geliebten schauend, es war als scheute sie jedes Wort, da sie nach Art der Bauermädchen um so weniger das Wort Liebe aussprach, je mehr sie liebte; »von was Anderm,« ergänzte sie, sie war es aber auch zufrieden, als sie so schweigend neben einander saßen und kein Laut in der Stube vernommen wurde als das Girren der Turteltauben im Käfig und der eintönige Pendelschlag der Schwarzwälder Uhr.

Endlich trat Agnes, die wohlweislich weggegangen war, wieder ein. Hedwig sagte aufstehend:

»Mach' du, daß er red't, da sitzt er und guckt mich nur an.«

Als im Vorbeigehen ihr Blick in den Spiegel [202] streifte, wendete sie sich schnell ab, sie kam sich ganz wie eine andere Person vor, so fremd war ihr Aussehen.

Der Lehrer saß unbewegt da, wie wenn er mit offenen Augen träumte.

Agnes sang, in der Stube umherhüpfend und mit den Fingern schnalzend:


Und i woaß et wie's kommen thut,

Wann's Schätzle i seh,

Und da möcht' i gern schwätze

Und 's will halt et gehn.

Noan, noan und – jo jo –

Und – i moan, und – i muaß

Ist oft unser ganzer verliebter Discurs.


Auf den Lehrer zutretend und ihn am Arme schüttelnd, sagte sie:

»Wie? Was? Holz her! aufg'richt't. Z' Lauterbach hab' ich mein'n Strumpf verlor'n.« Tanzend zog sie ihn nun in der Stube umher.

Nun war wieder Alles Leben und Freude, Thaddä kam dazu. Im großen Rathe wurde der staatskluge Beschluß gefaßt: daß, wenn bis zur Kirchweih die Constantinischen Wirren noch nicht ausgeglichen wären, Thaddä mit Hedwig und der Lehrer mit Agnes zum Tanze gehen sollte.

Noch lange saß man traulich beisammen, die [203] Vorfreuden der Zukunft kostend. Endlich forderte Agnes den Lehrer auf, ihr zum Lohne eine Geschichte zu erzählen; die Bitten Aller vereinigten sich mit der ihrigen. Dem Lehrer aber stand der Kopf nicht dazu, er wollte nach Hause gehen und ein Buch holen; das wurde aber nicht geduldet, er sollte nur von selber frischweg erzählen.

Gewaltsam seine Gedanken sammelnd, begann er endlich die Geschichte der schönen Magellone. Anfangs sprach er die Worte tonlos, fast ohne zu wissen, daß er sie sprach; er hielt die Hand Hedwigs in der seinen. Nach und nach schloß er die Augen wieder und redete sich ganz in das Zauberland hinein, die Zuhörer hingen mit strahlendem Blicke an seinem Munde und Hedwig jauchzte innerlich.

Als der Lehrer geendet, faßte ihn Agnes mit beiden Händen am Kopfe, schüttelte ihn und sagte:

»Es ist doch ein ganzer Bursch,« sich umwendend fragte sie dann: »darf ich ihm jetzt den Kuß geben, Hedwig?«

»Rechtschaffen.«

Agnes machte schnell Gebrauch von der Erlaubniß, und der Lehrer sagte dann:

»Wir wollen Freunde sein,« und reichte dem Thaddä die Hand.

Als er fortging, begleitete ihn Thaddä und sagte auf der Treppe:

[204] »Herr Lehrer, ich hab' ein' Bitt', ich will Euch auch einen Gefallen thun; ich kann gut lesen, wolltet Ihr mir nicht auch so ein Geschichtenbuch leihen?«

»Recht gern,« sagte der Lehrer, die Hand seines Freundes zum Abschiede drückend. –

Nächst der Umwandlung seines Herzens, oder vielmehr der glücklichen Entfaltung desselben, hatte die Liebe Hedwigs noch einen besondern Einfluß auf den Lehrerberuf unseres Freundes; denn Alles in ihm rang stets nach Einheit.

Er hatte die süßen Worte Hedwigs so freudig aufgenommen, daß er sogar die Form derselben liebgewann. Er gedachte nun den Dialekt zu studiren und ihn beim Unterrichte als Grundlage der Denk- und Sprechweise zu benützen. Er wendete sich deshalb an den alten Lehrer, um Schriften im oberschwäbischen Dialekte, dieser holte ihm sein Lieblingsbuch, ja fast sein einziges, und band es ihm auf die Seele, es waren die Dichtungen Sebastian Sailers.

Jetzt erst lernte der Lehrer manche Besonderheit des hieländischen Bauernlebens recht verstehen, er erkannte die Derbheit und die Begierde, sich sogar mit dem Heiligsten und Unnahbaren lustig zu machen.

Die Rolle eines vierschrötigen Dorfschultheißen,[205] die hier ein geistlicher Dichter Gott Vater spielen ließ, befremdete ihn sehr; der alte Lehrer aber erklärte ihm, daß das der Heiligkeit der Religion nichts geschadet habe: »Früher,« sagte er, »wo man noch fromm gewesen ist und nicht bloß maulfromm, da hat man sich schon eher einen Spaß mit Gott erlauben dürfen; jetzt aber verträgt's kein Schnauferle mehr, sonst geht ihnen gleich das Licht aus, drum müssen sie jetzt so heilig thun. Ich hab' als in der Kirch' die lustigste Musik gemacht, wie mir's nur eingefallen ist.«

Unser Freund war indeß doch der Ansicht, daß sich auch Religionsspötterei aus dem vorigen Jahrhundert in diese Dichtungen gemischt habe, er behielt das aber für sich und ließ sich von dem Alten erklären, wie diese Stücke früher zur Fastnacht aufgeführt wurden. Besonders ausführlich mußte er sich von dem Alten den Anzug beschreiben lassen, den er einst als Lucifer getragen hatte.

»Die neue Bildung hat dem Volke viel, unendlich viel genommen, was hat sie ihm von wirklichen Freuden dafür gegeben? – – Kann ihm ein Ersatz werden? und wie? ....«

Diese Worte finden sich aus der eben genannten Zeit in dem Taschenbuche unseres Freundes. Eine mächtige Bewegung hatte sein ganzes Wesen ergriffen.

[206] Eines Tages kam der Buchmaier zu ihm und forderte ihn auf, bald Ortsbürger zu werden, indem ihm dann die Stelle des verstorbenen Gemeindeschreibers sicher sei. Der Lehrer faßte freudig die breite Hand des Buchmaiers:

»Jetzt,« sagte er, »jetzt könnet Ihr im ganzen Dorf Frieden stiften, ihr müsset meinem Schwa– ich will sagen dem Studentle zu dieser Stelle verhelfen, er kann sie vollkommen versehen.«

Der Buchmaier lächelte, wollte aber doch nicht darauf eingehen; auf die eindringlichen Reden des Lehrers versprach er endlich, sich aller Einwirkung bei der Wahl zu enthalten.

Der Lehrer eilte, den Stand der Dinge dem Studentle bekannt zu machen; dieser aber that stolz und sagte: er wisse noch nicht, ob er eine solche Stelle annehme, indeß dankte er dem Lehrer für seine Freundlichkeit, und so waren gewissermaßen die Vorbedingungen eines Friedens zwischen den Beiden festgestellt.

Die Kirchweihe war gekommen, die beiden Liebespaare gingen verabredetermaßen zum Tanze.

Jetzt stand der Lehrer nicht mehr draußen im Felde, während drinnen im Dorfe Alles jubelte und tanzte, er selber war mitten unter dem tollen Lärm; noch aber war er nicht ganz dabei.

Die beiden Tage der Kirchweihe war er fast [207] immer auf dem »Tanzboden«, nur manchmal ging er mit Hedwig und Agnes hinaus in's Feld, um dann neugestärkt wieder zurückzukehren. Oft durchzuckte ihn auch ein tiefer Schmerz, wenn er eines der unreinen Lieder vernehmen mußte; er hätte dann gerne sich und Hedwig die Ohren verstopft. Der Gedanke befestigte sich in ihm, auf die Lieder vor Allem seine Wirksamkeit und seinen Einfluß zu üben; er hatte sich die Gunst der jungen Bursche durch die Theilnahme an ihrer Lustbarkeit gewonnen, hieran wollte er nun anknüpfen.

Bis zum Kehraus hatte er zwei Nächte lang ausgehalten, am dritten Tage aber, als die Kirchweih feierlich begraben wurde, konnte er sich nicht dazu bringen, auch dieß mitzumachen; er stand vor seinem Hause und sah wie die Burschen dahinzogen, die Musik mit einem Trauermarsche voraus, dazwischen sang man halb weinerlich:


O Kirwe bleib au no mai do,

O Kirwe laß nimmermai no,

Drunten im Flecke

Will d' Kirwe verrecke:

O Kirwe bleib au no mai do,

O Kirwe laß nimmermai no.


Ein Schragen, auf dem zerbrochene Flaschen, Gläser, Stuhlbeine lagen, wurde feierlich geleitet [208] und draußen auf der Hochbux wurden diese Zeichen der Vergnüglichkeit in ein Grab gescharrt, Wein in dasselbe geschüttet und Trauerreden dabei gehalten. –

Trauer und Freude wechselten bald nach der Kirchweihe im Hause Johannesle's. Constantin war zum Gemeindeschreiber erwählt worden, der Lehrer hatte offen um Stimmen für ihn geworben. Nun war der Friede zwischen den Parteien hergestellt, und der Studentle näherte sich dem Lehrer mit Freundschaft; dieser ging in seiner Herzensfreude so weit, daß er dem Studentle das »Du« anbot. Der neu ernannte Gemeindeschreiber ließ nicht nach, man mußte sogleich in's Wirthshaus und nach echter Studentenweise, das Glas in der Hand und die Arme verschlungen, »Smollis« trinken.

Der Studentle war es aber dann auch, der im Familienrathe das Wort für den Lehrer nahm und seine Bewerbung um Hedwig nachdrücklich unterstützte.

Der »Verspruch« der beiden Liebenden wurde nun gefeiert: vor den Augen des Vaters und des Bruders, des alten Schultheißen und des Buchmaiers, den der Lehrer von seiner Seite geladen, reichten sie sich die Hand.

Hedwig ging bald mit ihrem Bräutigam aus der Stube, auf der Hausflur umarmte sie ihn, und nun zum erstenmal sagte sie:

[209] »Ich hab' dich rechtschaffen lieb.«

Dann gingen sie hinab zur Großmutter, die krank im Bette lag; sie knieten an ihrem Bette nieder.

»Er ist jetzt auf ewig mein,« sagte Hedwig, mehr konnte sie nicht vorbringen. Die Großmutter breitete ihre Hände über die beiden Liebenden aus und murmelte leise ein Gebet, dann sagte sie:

»Stehet auf, das ist nichts, so knien; man darf vor Niemand knien, als vor Gott. Ich sag's ja, ich bin der Bot', der im Himmel anzeigen muß, daß ihr euch habt. Lehrer, wie heißt denn dein' Mutter? Ich will gleich zu ihr, wenn ich 'naufkomm', und auch zu deinem Vater, und da nehm' ich meinen Hansadam, meine Geschwister und meine Eltern mit und auch meine drei Enkele, wo gestorben sind, und da setzen wir uns zusammen hin und schwätzen von euch und beten für euch, und da muß es euch gut gehen. Hedwig, ich vermach' dir meinen Anhenker, drinnen im Schränkle wirst ihn finden, und da ist auch noch mein Kränzle von meiner Hochzeit dabei, heb's auf, es wird dir Segen bringen und laß deine Kinder nach der Tauf' dran riechen. Und wenn ihr auch bald nach meinem Tod Hochzeit machet, da müsset Ihr doch Musik haben. Höret ihr's? Ihr sollet nicht so lang um mich trauern und den Siebensprung, den tanzet ihr für mich; ich will auf [210] euch 'runtergucken mit Freuden, und droben feiert die ganz' Familie auch die Hochzeit.«

Die Brautleute suchten ihr die Todesnähe auszureden, sie aber erwiderte:

»Es ist mir allfort, wie wenn mich ebber 7 am Arm zupfen und sagen thät: jetzt komm, es ist Zeit; es ist aber noch nicht stark genug, es muß noch stärker kommen. Müsset nicht greinen, das ist nichts; warum denn? ich bin gut aufgehoben. Ich dank' unserem Heiland, daß er mich's hat erleben lassen, daß mein' Hedwig einen braven Mann kriegt. Haltet euch nur in Ehren. Hedwig, er ist ein G'studirter, die haben oft Mucken im Kopf, ich weiß das von meiner Schwester her, du mußt Geduld mit ihm haben; denen G'studirten gehen oft ganz andere Sachen im Kopf 'rum und da lassen sie's am Unrechten 'naus. Lehrer und du mußt mein' Hedwig, mein' lieb' Hedwig –« Sie konnte nicht weiter reden, das Mädchen lag weinend an ihrem Halse.

Die Großmutter hatte ganz geläufig gesprochen, ihr Husten war vollkommen verschwunden, jetzt aber sank sie ermattet in die Kissen zurück; die Brautleute standen traurigen Antlitzes vor ihr. Endlich erhob sie sich wieder und sagte:

»Hedwig, hol mir des Valentins Christine, sie soll bei mir bleiben; ich sterb' heut noch nicht. Du [211] darfst heut den ganzen Tag nicht mehr zu mir kommen, gehet miteinander und seid recht lustig, versprechet mir's, daß ihr recht lustig sein wollet.«

Der Lehrer ließ Hedwig zurück und holte die uns wohlbekannte Christine. Nun mußten sich die Beiden entfernen; aber ihr Herz erzitterte noch immer in Wehmuth, bis sie bei des Buchmaiers Agnes gewesen waren, die durch allerlei Munterkeiten ihre Seele erheiterte.

Dann gingen sie hinaus in das Feld, das weiße Huhn folgte ihren Fußstapfen, es war jetzt Herbst, man brauchte es nicht mehr einzusperren. Vom frischen belebenden Hauche der Natur angeweht, erwachte in den Beiden eine hohe, himmlische Freude, um sie her pflückte der Herbst die gelben Blätter, in ihnen aber lebte ein neuer, nie geschauter Frühling.

Andern Tages verlangte die Großmutter nach der letzten Oelung. Der Lehrer nahm dem Meßner den Dienst ab und ging mit der Laterne in der Hand dem Pfarrer voraus; ein großer Theil der Gemeinde blieb an der Thüre stehen und betete, während drinnen Maurita »versehen« wurde. Der einzige Gedanke, der den Lehrer bei dieser Handlung beherrschte, war: möchten doch die Freidenkenden ebenso zuversichtlich hinübergehen in den Tod. – Mit offenen, glänzenden Augen empfing Maurita das Abendmahl, dann kehrte sie sich nach der Wand [212] zu, sie sprach nicht mehr; und als man nach einer Weile nach ihr umschaute, war sie todt.

Mit stiller, andächtiger Wehmuth, ohne lautes Weinen und Wehklagen wurde Maurita begraben. Alles im Dorfe trauerte. Selbst der alte Schmiedjörgli sagte mit ungewohntem Ernste: »Es thut mir von Herzen weh, daß sie todt ist; nun, jetzt kommt's an mich.«

Als der Lehrer von dem Begräbnisse nach Hause, d.h. zu Hedwig kam, umfaßte ihn diese weinend und sagte: »Jetzt bist du mir doppelt nöthig, ich hab' kein' Ahne nicht mehr.«

Dem Lehrer ward das Dorf von nun an noch einmal so werth und eigen, er hatte ein neues Leben darin gefunden und einen lieben Todten darin begraben.


So hätten wir denn die gute Maurita bis zum andern Leben und den Lehrer bis zu einem neuen Leben begleitet. Wir können der guten Großmutter nicht in den Himmel nachfolgen und wollen noch eine Weile zusehen, welch ein Leben der Lehrer auf Erden führt.

Im ganzen Dorfe hatte seine Verlobung Jubel und Freude erregt; selbst unter den Kindern, die auf dem Brandplatze spielten, gab es lebhafte Verhandlung, [213] da das eine und das andere seine Verwandtschaft mit Hedwig und hierdurch mit dem Lehrer darthun wollte. Der Johannesle hatte sonst wenig Freunde im Dorfe, aber über das neue Ereigniß freute sich Alles. Jeder kam dem Lehrer entgegen, gab ihm die Hand und sagte: Ich wünsch' Glück und Segen; Jeder wußte etwas Liebes und Gutes von Hedwig zu erzählen. Männer und Frauen, die sonst vielleicht im Leben nicht dazu gekommen wären, so Zutraulich mit dem Lehrer zu sprechen, standen jetzt bei ihm wie alte Bekannte. Der Mathes kam zu ihm ins Haus, schüttelte ihm wacker die Hand und sagte:

»Ich war halt doch der wo's prophezeit hat, daß es so gehen wird; wisset Ihr noch? Ihr hättet mir weiß nicht was schenken mögen, ihr hättet mir kein' größere Freud' machen können. Wenn der alt' Lehrer stirbt, krieget Ihr auch die zwei Aecker, die er in Nutznießung hat; es sind gute Aecker und Ihr dürfet mir's nur sagen, ich schaff' Euch gern ein paar Tag d'rauf.«

Dem Lehrer that diese Zuthunlichkeit der Leute doppelt wohl, er erkannte ihr gutes Herz daraus und fühlte auch, wie er jetzt weit sicherern Boden gewonnen habe, um in das Leben aller dieser Menschen einzugreifen.

Die Menschen sind es nicht mehr gewohnt, daß man aus allgemeiner Liebe sich ihnen naht, ihnen [214] frei und froh ins Auge schaut, sie zu erquicken, zu erfreuen, zu erheben trachtet. Sie wurden schon oft betrogen und getäuscht und meinen nun immer: man müsse etwas Besonderes dabei haben, dahinter müsse Etwas stecken; ja, sie erlauben Einem nur sie ohne Scheu zu lieben, wenn man mit ihnen blutsverwandt oder verschwägert ist.

Der Winter kam mit starken Schritten in das Dorf, die Menschen blieben zu Hause und genossen die Früchte ihres Fleißes, die sie bei sich eingesammelt hatten; Dreschen und bisweilen Dünger hinausführen war noch das einzige Geschäft. Als abgedroschen war, herrschte Stille im ganzen Dorfe. Nur hie und da hörte man einen fremden Hausirer durch die Gassen rufen: »Spindla, Weiber Spindla!« Der Schnee wirbelte, Niemand verließ gern die warme Stube. Da schlich am hellen Tage ein böser Geist auf leisen Sohlen durch das Dorf, es war: die Langeweile. Und wen der Geist ansah, der mußte gähnen oder zanken und Händel suchen. Die Zeit der Ruhe war keine Zeit der Erholung, denn die Leute wußten nicht, wie sie das lästige Ungeheuer, die Zeit, todtschlagen sollten. Junge Männer und ledige Burschen saßen oft ganze Tage im Wirthshause und kartelten; man schien aber doch an der überlangen Zeit noch nicht genug zu haben, denn man harrte bis zur letzten Minute der Polizeistunde aus. [215] Andere gingen frühe zu Bette und verschliefen ihr Leben, wieder Andere wandelten schlechte Wege.

Man sagt: Müßiggang ist aller Laster Anfang, das Erste, was daraus hervorgeht, ist Langeweile, da weiß man nicht, wo man sich hinthun soll. Nur arbeitsame Menschen sind aus sich heraus fröhlich, friedfertig und gut, Müßiggänger aber werden zur Trunk- und Spielsucht verleitet, werden ärgerlich, zänkisch, ränkesüchtig und schlecht. Darum Hausen in vielen vornehmen Ständen Laster aller Art.

Während nun der größte Theil der Leute im Dorfe nur ein halbes Leben führte, war dem Lehrer ein doppeltes Dasein aufgegangen.

Man hat schon oft gesehen, daß ein Mensch aus einem heftigen Fieber auch körperlich um einige Zoll größer aufstand, so war in unserm Freunde, während er mit fliegenden Pulsen das Leben Hedwigs in sich aufnahm, auch die Erkenntniß des Volksthums schnell, ja fast wunderbar gereist. Wie er einst den »Geistesduft der Schönheit schlürfte,« der über die äußere Natur ausgeströmt ist, und die rohe Benützung den Anderen überließ, so erkannte er jetzt in einem Jeden ein höheres Dasein, er war ihm ein Vertreter des heiligen und ewigen Volksgeistes. Edler als er sich selbst erschien, erschaute er nun jeden Einzelnen, denn er suchte, erkannte und liebte die reinere Kraft und Weihe in ihm. Er stellte einen Jeden [216] höher, als er sich selbst achtete, denn er achtete das höhere Selbst in ihm.

Er stand da als ein Mann, der das innerste Wesen Aller um sich her erkannte. Mit muthigem Entschlusse ging er nun daran, sie die »Freuden des Geistes kosten zu lassen;« er war jetzt gereist genug, durch die äußerliche Schale hindurchzudringen.

So saß er nun oft Abends im Wirthshause und las die Zeitung vor; er hatte viel zu berichtigen, denn der Studentle, an den man sich früher gewendet hatte, liebte es, den Leuten die verkehrtesten Dinge aufzubinden.

Ein kleiner Kreis hatte sich um den Lehrer gesammelt, Andere saßen an den Tischen und spielten, oft aber horchten sie auch hin nach dem, was der Lehrer vortrug und mancher Rams ging dabei verloren, Mancher legte die Kreide nicht an den bezeichneten Ort und erhielt einen Strich.

Die Männer gewannen nach und nach Zutrauen zu dem Lehrer und sprachen sich unverhohlener aus.

Trotz seiner innigen Liebe ward es unserm Freunde doch schwer, sich ganz in die Weise dieser Menschen zu versetzen.

Es ist leicht gesagt: ich liebe das Volk! Aber jederzeit persönlich bereit sein, auf allerlei Seltsamkeiten einzugehen, ohne sich an oft häßlichen Angewohnheiten und verhärteten Sitten zu stoßen, bald [217] als Freund in beliebige Abschweifungen eingehen, bald als liebende Mutter sich selber keine Ruhe gönnen und mit Wonnelächeln jedem neuen Worte lauschen – dazu gehört eine Selbstentäußerung, ein Hinausgeben der eigenen Persönlichkeit, die nur der ächten Liebe möglich ist. Dank der gesunden Erkenntniß, sie war in unserem Freunde.

Eines Abends begann Mathes: »Herr Lehrer, ich muß jetzt dumm fragen, aber warum heißt denn auch die Zeitung: Schwäbischer Merkur und nicht Schwäbischer Merker, so soll's doch heißen, weil er auf alles aufmerkt, oder heißt's auf Hochdeutsch Merkur?«

»Du hast den Alten auf dem Nest gefangen,« sagte der Studentle, »du hast ganz recht, Mathes, die in Stuttgart verstehen nichts. Narr, ich thät an deiner Stelle 'nabgehen und thät's ihnen sagen, du kriegst gewiß das Präme.«

Der Lehrer aber erklärte, daß Merkur der Götterbote und der Gott des Handels im alten Griechenland gewesen sei.

»Ja, wie kommt denn der aber jetzt dazu, schwäbisch zu heißen?« fragte Mathes wieder.

»Das hat man eben so gemacht,« erwiderte der Lehrer; er hatte selber noch nie darüber nachgedacht.

»Ich muß jetzt auch noch was fragen,« begann Hansjörg. »Haben denn die Griechenländer an mehr als an einen Gott geglaubt?«

[218] »Freilich,« erwiderte der Studentle, »der Ein' hat gemistet und der Ander' gesät, der Ein' hat geregnet und der Ander' donnert; für ein' jed' Sach' einen besondern Gott oder eine Göttin. Die Griechen haben sogar ihren Göttern erlaubt, daß sie heirathen.«

»Es werden halt Heilige oder Engel gewesen sein,« sagte der Maurer Wendel, »oder so Schutzpatronen; sie müssen doch einen Oberherrn gehabt haben, sonst wär's ja eine Gaukelfuhre zum Kranklachen so dumm.«

»Du hast den Thurm von Babylon auch nicht mitgebaut, Maurer,« bemerkte der Studentle, »freilich haben sie einen Oberherrn gehabt, einen Staatskerl, er hat nur ein eifersüchtig Weib gehabt, die hat ihm viel zu schaffen gemacht. Jetzt sag' du, Lehrer, ob's wahr ist oder nicht, sie glauben mir sonst wieder nichts.«

Der Lehrer sah zu seinem großen Leidwesen, daß er durch das Du seinem Schwager eine Stellung sich gegenüber eingeräumt hatte, die manches Nachtheilige brachte; er faßte sich indeß schnell wieder und gab den Bauern eine Uebersicht der griechischen Götterlehre. Er erzählte dabei einige Wundergeschichten, die viel Aufmerksamkeit erregten. Es kam ihm selber sonderbar vor, daß er hier in einer von Tabaksrauch erfüllten Schwarzwälder Dorfschenke die griechische[219] Götterschaar herbeizog. Alles das hatte der Schwäbische Merkur gethan.

Viele Mühe kostete es, den Bauern auszureden, daß die Griechen doch »blitzdumm« gewesen seien. Er erzählte ihnen von dem frommen und weisen Sokrates und seinem Martertode.

»Dem ist's ja grad gangen wie unserm Heiland,« sagte Kilian von der Froschgasse.

»Allerdings,« erwiderte der Lehrer. »Wer eine neue, heilbringende Wahrheit gradaus an Mann bringen will, der muß dafür ein Kreuz auf sich nehmen.« Der Lehrer seufzte hierbei, er hatte diese Worte nicht ohne Nebenbeziehung gesagt, denn er fühlte wohl, wie schwer ihm die Aufgabe würde, die er sich gestellt.

Als die Männer weggingen, sagte Einer zum Andern: »Das war doch einmal ein schöner Abend, da lernt man doch was dabei und die Zeit geht 'rum, man weiß nicht wie.«

Der Lehrer hatte sich vorgenommen, den Bauern etwas aus der griechischen Göttergeschichte vorzulesen; glücklicherweise kam ihm aber am folgenden Abend ein ganz anderes Buch, nämlich eine deutsche Sprüchwörtersammlung, in die Hand. Als er nun in die Wirthsstube trat, zog er das Buch aus der Tasche und sagte: »Da will ich euch einmal 'was vorlesen.« Die Leute machten unwillige Gesichter, sie hatten[220] einen tiefen Widerwillen gegen Bücher. Der Mathes gewann am ersten das Wort und sagte:

»Erzählet uns lieber, Herr Lehrer.«

»Ja, ja, erzählen, nicht lesen,« hieß es allgemein.

»Höret nur einmal ein wenig zu,« sagte der Lehrer, »wenn's nicht gefällt, könnt ihr ohne Scheu sagen: ich soll aufhören.«

Immer Pausen machend, begann nun der Lehrer die Sprüchwörter zu lesen.

»Ei, das sagt ja der Schmiedjörgli – und das ist ja des Brunnenbasche's Red' – das hat die alt' Maurita immer gesagt – und das ist dein Wort, Andres, Michel, Kaspar,« so hieß es von allen Seiten. Die Spieler hatten ihre Karten weggelegt und sich den Zuhörern beigesellt, denn manchmal erscholl auch ein lautes Gelächter, wenn ein derber Kernspruch vorkam.

Der Lehrer konnte sich den Triumph nicht versagen, die Frage zu stellen:

»Soll ich weiter lesen?«

»Ja, bis mornemorgen,« hieß es von allen Seiten und der Kilian von der Froschgaß sagte:

»Das muß ein grundgescheiter Mann gewesen sein, der das Buch gemacht hat, der hat Alles gewußt, das war gewiß einer von den alten Weisen.«

»Ja, das sind deine Leut', Kilian,« hieß es aus einer Ecke.

[221] »Seid jetzt still,« hieß es von andern Seiten. »Herr Lehrer, leset weiter.«

So geschah. Manchmal kamen auch Berichtigungen und Zusätze vor, und es that dem Lehrer leid, daß er sie nicht aufschreiben durfte; er scheute dieß, denn er fürchtete mit Recht dadurch die Offenherzigkeit der Leute befangen zu machen. Ein wucheriges Leben war unter allen, eine nie empfundene Freude, hier ihre ganze Weisheit auf einem Haufen wieder zu finden. Auch Streit über die richtige Deutung und die Wahrheit des einen und andern Sprüchworts entspann sich unter Einzelnen, in welchen sich der Lehrer wohlweislich nicht mischte. Einige bedrängten dann die Streitenden, sie sollten jetzt nur aufhören, Andere den Lehrer, er solle nur weiter lesen. So waren alle voll Feuer, und unser Freund fand eine wohlige Genugthuung darin, es entzündet zu haben.

Als er am andern Abend wieder kam, waren mehr Bauern als gewöhnlich versammelt; sie fürchteten sich nicht mehr vor einem Buche, sondern umdrängten ihn Alle und fragten:

»Habt Ihr wieder so was Schön's wie gestern?«

»Ja,« sagte der Lehrer und zog ein Buch heraus; aber dießmal ging es nicht so leicht ab, es war Unkraut unter dem Weizen, der Studentle hatte ihn gesäet, denn er hatte einen Widerwillen gegen allen aufkommenden Ernst. Mit einigen jungen Burschen, [222] die er gewonnen, saß er an einem Tische und sie begannen laut zu singen; der Lehrer wußte sich nicht zu helfen. Da sagte der Mathes:

»Hör' einmal, Constantin, schämst du dich nicht, du bist jetzt Gemeindeschreiber, daß du so Sachen machst?«

»Ich bin für mein Geld da und thu' was ich will,« er widerte der Studentle, »und Vorlesen gehört nicht in's Wirthshaus.«

Ein Murren entstand.

»Still,« rief Mathes, »keine Händel, da ist leicht geholfen. Adlerwirth, ich spring' schnell heim und hol' Holz, und da machen wir Feuer in die obere Stub'. Wer zuhören will, der geht mit 'rauf, und wer nicht will, kann da bleiben.«

»Ich hol' schon,« sagte Thaddä, der diesen Abend auch gekommen war, und machte sich rasch auf den Weg.

In der obern Stube glühte der Ofen bald, denn Thaddä wollte durch Nachschüren um kein Wort kommen; der Mathes setzte sich neben den Lehrer und putzte ihm das Licht. Der Lehrer las das Goldmacherdorf von Zschokke.

Trotz seines edlen Gehaltes hatte das Buch doch nicht die Wirkung, die der Lehrer wohl mit Recht erwartet hatte; es griff so unmittelbar an das Bauernleben, daß ein Jeder seinen Maßstab ohne Scheu an die getroffenen Einrichtungen anlegte.

[223] Es würde zu weit führen, wenn hier alle ausgesprochenen Urtheile wiederholt werden sollten. Allemal, wenn der Ausdruck vorkam: »Oswald öffnete seinen Mund und sprach,« lächelte der Buchmaier, denn dieser Bibelton mißfiel ihm sehr. Manche Rede ging spurlos vorüber, manche traf aber auch den Nagel auf den Kopf, so daß die Leute einander ansahen und nickten.

Sonderbar! als zu Ende gelesen war, stellte sich heraus, daß die meisten Leute für das Dorf gegen den Oswald Partei ergriffen hatten. Der Mathes traf zuerst den Grund dieses Widerspruchs, indem er sagte:

»Mir gefällt's nicht, daß der Oswald so allein Alles gut machen will und muß.«

»Und ich möcht' sagen,« begann Thaddä, »ich möcht' ihm seinen Federbusch und seinen Stern 'runterreißen; er ist ein braver Kerl, er braucht das nicht.«

»Hast Recht,« sagte der Buchmaier, »er spielt überhaupt zu viel den Herrn, und sein Erbprinz da, zu was braucht man den? Aber ich bin dir grad in die Red' gefallen, Andres, du hast was sagen wollen; 'raus mit den wilden Katzen.«

»Ich mein', der Oswald wär' ein Häfelesgucker; daß er so viel vom Kochen versteht, hat mir nicht gefallen.«

[224] »Und ich mein',« sagte Kilian, »die Bauersleut' seien viel zu dumm hingestellt; so arg ist's nicht.«

»Ja du bist doch auch ein Schriftgelehrter,« sagte Hansjörg. Alles lachte.

»Jetzt mein' Meinung ist,« sagte der Maurer Wendel, »das Dorf ist zuerst viel zu schlecht und nachher viel zu gut; ich kann's nicht recht glauben, daß es an einem Orte so ist.«

»Mich verdrießt am meisten,« sagte der Buchmaier, »daß zuletzt auch noch ausgemacht wird, was man für Kleider tragen darf. Das ist grad wie mit dem Thierquäler-Verein, das muß man einem Jeden selber überlassen. Und einmal hab' ich das Lachen kaum mehr verhalten können, wie der Oswald in seiner Uniform und mit dem Federhut all' die zwei und dreißig Mann einen nach dem andern umarmt; potz Blitz, das ist ein Geschäft!«

Der Lehrer zeigte nun, daß das Buch schon vor vielen Jahren geschrieben sei und alte Zustände behandle, daß es ein edles Buch sei, das viele beherzigenswerthe Lehren enthalte. Er bewies, wie sehr nöthig noch oft das äußere Ansehen, Geld, Uniform u.dgl. sei, um guten Absichten Eingang zu verschaffen, und schloß, daß man unrecht thue, wegen einzelner Kleinigkeiten so hart über das Ganze herzufahren.

»Davon ist kein' Red',« sagte der Buchmaier.[225] »Wenn ich den Mann, der das Buch geschrieben hat, einmal sehen thät, ich thät den Hut vor ihm ab, lieber als vor dem größten Herrn, und ich thät sagen: Du bist ein rechtschaffener Herzmensch, du meinst's recht gut mit uns, so ist's.«

Als man sich endlich zum Fortgehen anschickte, stieß Thaddä den Mathes an und sagte leise:

»Sag's nur jetzt, sonst lauft wieder Alles auseinander.«

»Wie meinet ihr, ihr Mannen,« begann Mathes, »wie wär's, wenn der Herr Lehrer so gut sein wollt' und uns jed' Woch' ein paar Abend so vorlesen thät?«

»Ja, das wär' prächtig,« riefen Alle.

»Ich bin gern bereit,« sagte der Lehrer, »wir wollen morgen Mittag zusammenkommen, etwa im Schulzimmer; unterdessen kann sich jeder über den Verein besinnen und Vorschläge machen.«

»Ja, so ist's recht,« hieß es allgemein, und man trennte sich mit großem Behagen.

Andern Tages wurde die Versammlung gehalten, sie war stürmisch. Der Lehrer hatte mit dem Buchmaier einen Entwurf der Vereinsordnung aufgesetzt. Ein Punkt nach dem andern wurde verlesen und jedesmal eine Weile innegehalten. Da entstand dann allgemeines Zwiegespräch, man meinte, die Leute hätten Alle etwas zu bemerken, aber aufgefordert, [226] ihre Ansichten mitzutheilen, schwiegen sie; nur Mathes, Hansjörg, Kilian und Wendel ergriffen laut das Wort. Ein allgemeiner, furchtbarer Sturm entstand aber, als verlesen wurde:

»So lange die Leseabende dauern, darf während derselben nicht geraucht werden.«

Das allgemeine Murren wollte gar nicht aufhören, bis endlich der Buchmaier das Wort ergriff, indem er dem Lehrer dabei zuwinkte, wie wenn er sagen woll te: »Hab' ich dir's nicht prophezeiht? Ich kenn' meine Leut'.« Er begann laut:

»Ich mein', man streicht das Gesetz vom Rauchen ganz weg.«

»Ja, ja,« erscholl es allgemein, wie aus Einem Munde. Der Buchmaier aber fuhr fort:

»Wer also das Rauchen nicht lassen kann, der soll in Gott's Namen rauchen; es wird aber dem Lehrer schwer werden, in dem Dampf zu lesen, und wenn er eben aufhören muß, so hört er auf, es kann's ihm Keiner verübeln. Aber das wollen wir doch feststellen: wer zu rauchen angefangen hat und die Pfeif' geht ihm aus, der darf sie nimmer anzünden, bis das Lesen aus ist, er kann dieweil schlafen, wenn er die Augen nicht aufhalten kann, aber schnarchen darf Keiner.«

Ein schallendes Gelächter entstand, nach welchem der Buchmaier fortfuhr:

[227] »Vom Rauchen thun wir also gar kein Wörtle in's Gesetz, und auch das wollen wir nur so mündlich ausmachen: wenn das Lesen vorbei ist, soll einem Jeden ein besonder Licht aufgehen, er soll sich mit einem Papierle sein' Pfeif' anstecken. Ist's so recht oder nicht?«

»Ja, so ist's recht.«

»Und wer schwätzen will, muß die Pfeif' 'rausthun,« rief eine Stimme, man wußte nicht, von wem sie kam; der bescheidene Redner hat sich bis heute nicht entdeckt.

Eine fernere Beschlußnahme machte noch viel Hin-und Herreden, nämlich über den Ort der Zusammenkunft. Da fast sämmtliche Gemeinderäthe anwesend waren, wurde das große Vorzimmer im Rathhause dazu bestimmt, denn der Lehrer hatte aus richtigem Takte gegen die Erwählung des Schulzimmers Einsprache gethan.

Auf den Vorschlag Hansjörgs wurde festgesetzt: daß Jeder, der wolle, seinen Schoppen Bier vor sich haben dürfe, aber nicht mehr. Dieser Vorschlag gewann dem Hansjörg so viel Gunst, daß er nebst Kilian und Mathes in den Ausschuß des Lesevereins gewählt wurde.

Noch gar viele Schwierigkeiten waren zu überwinden, bis der Verein im regelmäßigen Gange war, aber eine Schaar Begeisterter hatte sich um [228] den Lehrer gebildet, die ihm in Allem beistand, wozu besonders Mathes und Thaddä gehörten. Es war dem Thaddä nur leid, daß er nicht eine recht schwere Arbeit für den Lehrer thun konnte, er wäre gern für ihn in's Feuer gelaufen. – Dagegen hatte der Verein auch zwei heftige Feinde an dem Adlerwirth und dem Studentle. Jener sah seine Wirthschaft beeinträchtigt und schimpfte sehr auf den Lehrer, der, seitdem er Bräutigam geworden, auch nicht mehr bei ihm, sondern bei seinem Schwiegervater in Kost war; der Studentle aber witterte in Allem Frömmelei, er sagte offen: sein Schwager sei ein Betbruder, er wolle die Leute nur kirren, man werde schon sehen, wo das hinausgehe.

Gleichwie oft eine Staatsregierung die Demagogen zu Beamten macht und so für sich gewinnt, so machte der Lehrer den Studentle zum abwechselnden Vorleser. Nun, da er eine Rolle spielte, die seinem Stolze schmeichelte, ward er zum eifrigsten Anhänger des Vereins.

So lernte der Lehrer nach und nach die Menschen verstehen und lenken.

Den alten Lehrer und den jüdischen Lehrer suchte unser Freund ebenfalls für den Verein zu gewinnen, Ersterer aber war nicht dazu geneigt, um so eifriger und selbstthätiger aber der Letztere. [229] Auch mehrere Juden, die als Ackerbauern und Handwerker stets zu Hause waren, nahmen lebhaften Antheil.

Die Auswahl der Bücher war schwierig. Unser Freund merkte bald, daß das Belehrende oder unmittelbar sittliche Zwecke verfolgende nicht ausschließlich vorherrschen dürfe. Ohne daher die Sache zur bloßen Unterhaltung zu erniedrigen, wurden Abschnitte aus der Limpurger Chronik, Gedichte von Gleim, das Leben Schubarts, Mosers, Franklins etc. vorgelesen. Besonders viel Freude machte auch die Geschichte von Paul und Virginie und Wallensteins Lager, dem einige Abschnitte aus dem Simplizissimus beigefügt wurden. Am meisten aber horchte Alles auf, als der Lehrer, der Studentle und der jüdische Lehrer »Hedwig, die Banditenbraut, von Körner« lasen; das Abenteuerliche, Salbungsvolle griff tief ein. Als das Stück zu Ende gelesen war, fragte Mathes: »Wie ist es denn mit den Räubern im Keller gegangen? Sind sie verbrannt oder hat man sie gerichtet?«

Der Lehrer mußte über diese theilnehmende Frage lachen, er wußte aber keine Antwort; vielleicht ist einer der Leser so gut und läßt ihm eine zukommen.

Mitunter wurden auch die alten Volksbücher gelesen, und besonders die Schildbürger erregten großen Jubel.

[230] Allgemeine Bemerkungen in sein Taschenbuch einzutragen, dazu hatte der Lehrer nur selten Zeit und Stimmung; was er dachte, gab er sogleich den Männern preis, und was er dachte und fühlte, offenbarte er Hedwig und es war ihm genug, es so ausgesprochen zu haben. Dennoch finden wir einige Bemerkungen in den früher angezogenen Blättern:

»Wenn ich diese Blätter ansehe, ist es mir oft, als war ich früher ein sonderbarer Egoist; ich habe die Welt nur in mich aufzunehmen, nicht mich an sie hinauszugeben getrachtet. Was ist all' die eigensüchtige Verfeinerung der Gefühle gegen einen einzigen Gedankenfunken, in eine fremde Seele geworfen? Das ist tausendmal mehr werth als alle noch so sinnreich schwelgerischen Betrachtungen. Es ist gut und war wohl nöthig, daß ich diese hinter mir habe ....«

»Wie gar leicht ist es, groß, vornehm und gelehrt zu erscheinen, wenn man sich vom Volke zurückzieht, sich einen besondern Palast des Wissens und Denkens auferbaut, eine Burg auf hoher Bergesspitze, fern von den Thalbewohnern. Steigt man aber herab zu den Menschen in den Niederungen, lebt man mit ihnen und für sie, da erfährt man's oft, wie man bisweilen die einfachsten Dinge nicht weiß, die besten Gedanken nicht ahnt. Ich habe einmal [231] gelesen, daß es Fürsten gibt, die sich dem Volke nie oder nur selten zeigen; da ist es freilich leicht, sich mit Majestät zu umhüllen.«

»Es ist tief bezeichnend und Wohl sinnbildlich, daß die Schriftsprache Wort und Begriff Bauer noch nicht bestimmt zu dekliniren weiß: der Bauer, des Bauern und – des Bauers.«

»Wie der Athem der Erde und des Meeres aus den höheren Regionen wieder als erfrischender und befruchtender Regen herniederträufelt, so kann und muß auch der Volksgeist, sein Denken und Fühlen aus der höheren Region des Schriftenthums wieder herabgelenkt werden in seinen Ursprung, das Volksgemüth.«

»Gewiß war mancher der berühmten griechischen Helden nicht gebildeter, so was man eigentlich gebildet nennt, als mein Hansjörg, Kilian, Mathes, Thaddä, Wendel u.v.a., von dem Buchmaier gar nicht zu reden; aber durch die öffentlichen Staats- und Rechtsverhältnisse, durch das öffentliche Kunstleben, durch den Gottesdienst, der aus dem innersten Kern des Volkslebens hervorgegangen, war eine Masse von Gedanken, Gefühlen, Anschauungen und zarten Regungen in der Luft. Die Leute lernten und hörten nicht wie wir bloß biblische Geschichten, Erzählungen von Menschen, die in ganz anderen Verhältnissen gelebt und keinen unmittelbaren [232] Vergleich zulassen. Sie hörten von Vorfahren, die ähnlich gelebt wie sie selber, so und so gehandelt, so und so gedacht, einzelne Aussprüche und Anekdoten erbten sich fort von Geschlecht zu Geschlecht; alles das ging ihnen nahe, und wo es drauf und dran kam, waren die Nachkommen Helden und großsinnige Menschen wie ihre Vorfahren. Uns aber ist die Geschichte eines fremden verlorenen Volkes, des jüdischen, die heilige geworden, nicht die Geschichte unserer Nation ... Die Griechen kannten ihren Homer auswendig, er gab ihnen Sprüche und Bilder, die auf ihr Leben paßten: wir Deutschen haben noch keinen, der uns ganz das wäre; Schiller ist nicht für die ganze Nation in allen Bildungsschichten. Wir haben aber eine Nationalweisheit in den Sprüchwörtern, die sich unabhängig vom alten und neuen Testament gebildet hat. Wir haben das Nationalgemüth in schönster Fassung im Volksliede; das hatten die Griechen nicht.«

Bald nach der Stiftung des Lesevereins hatte der Lehrer auch einen Gesangverein aufgebracht; außer einigen jungen Männern hatten sich fast alle ledigen Burschen hiezu versammelt. Der Adlerwirt ward hiedurch versöhnt, denn der Gesangverein wurde in seine obere Stube verlegt. Obgleich unser Freund das Ganze im stillen leitete, überließ er doch die sichtbare Regierung dem alten Lehrer, der [233] zu diesem Zwecke trefflich zu verwenden war. Klugerweise wurden hauptsächlich Volkslieder eingeübt. Die Leute freuten sich gar sehr, ihr Eigenthum hier verschönert in seiner Vollständigkeit wieder zu erlangen, denn fast Niemand im Dorfe kannte mehr von einem Liede alle »Gesätze«. Nach und nach wurden auch einige neue Lieder gelernt, sehr behutsam, aber nichts desto minder nachdrücklich Ton- und Taktübungen gehalten, und sogar die Noten einstudirt. Wie bei dem Leseverein der Gegenkampf des Studentle, so war hier die Anmaßung des Jörgli zu überwinden, denn dieser wollte als berühmter Sänger sich geltend machen und die Hauptperson spielen; dabei aber verhöhnte er jede taktmäßige Einübung. Es gelang nicht, den Jörgli ganz zu gewinnen, er schied aus, und der Verein drohte zu zerfallen. Die guten Folgen desselben hatten sich schon offenbar kund gegeben; viele gemeine, unzüchtige Lieder wurden von den besseren verdrängt, wenn auch vorerst nicht weil diese besser, sondern weil sie neu waren. So gewannen doch Worte und Klänge aus reineren Regionen Raum und weckten manchen zarteren Widerhall in den Gemüthern.

Nun aber sprengte der Jörgli überall aus, der Lehrer wollte den großen Leuten Kinderlieder einlernen, es sei eine Schande für einen erwachsenen Menschen solche zu singen; er gewann bald ziemlichen [234] Anhang, und wenn auch noch einige dem Vereine treu blieben, so waren das doch nur Wenige. Der Thaddä wollte den Jörgli tüchtig durchprügeln, der Buchmaier aber fand ein gelinderes Mittel zur Aufrechthaltung des Vereins. Er lud nämlich den Pfarrer und alle bisherigen Mitglieder des Vereins mit Ausnahme des Jörgli zum Nachtessen am Sylvesterabend bei sich ein, dadurch gewann Alles wieder neues Leben.

Der Pfarrer hatte den Lehrer in seinen Bestrebungen ganz gewähren lassen, denn er war keiner von Jenen, die Alles in ihrer Hand haben und von sich ausgehen lassen wollen.

Am Sylvesterabend war nun großer Jubel beim Buchmaier, man trank, sang und scherzte.

»Herr Lehrer,« sagte der Buchmaier einmal, »wenn Ihr geheirathet habt, müsset Ihr auch einen Mädchengesangverein stiften.«

»Junge Weiber dürfen aber auch dabei sein,« rief Agnes.

»Ja, die müsset Ihr aber in einem Trumm fort singen lassen, sonst schwätzen sie dem Teufel ein Ohr weg.«

Manches Hoch wurde ausgebracht. Sonst ganz blöde Burschen wagten es hier vor Pfarrer, Lehrer und Schultheiß ein öffentliches Wort zu sprechen.

Zuletzt ergriff Thaddä das Glas und rief:


[235]

»Unser Herr Lehrer soll leben,

Und sein' Hedwig daneben!«


Hoch! und abermals Hoch ertönte, es wollte fast gar nicht enden.

Mit Hedwig lebte der Lehrer im innigsten Verständnisse; sie leistete seinen Bildungsbestrebungen willig Folge, da er es nicht mehr darauf abgesehen hatte, ihre Natur umzumodeln, sondern nur sie frei zu entwickeln. Anfangs erging es dem Lehrer bei Hedwig sonderbar. Wenn er ihre Seele auf allgemeine Gedanken und Ansichten hinlenken wollte, machte er bei Allem große Vorreden und Einleitungen; er sagte: so und so meine er es und sie solle ihn recht verstehen. Da sagte einst Hedwig: »Hör' mal, wenn du mir was zu denken gibst oder sonst 'was anbringen willst, sag's doch grad 'raus, mach' kein so Schmierale drum 'rum, ich will dir nachher schon sagen, ob ich's versteh' oder ob ich's nicht mag.« Der Lehrer that dieses letzte Bruchstück seines vereinsamten, bloß innerlichen Lebens ab und lebte froh und gemeinsam mit Hedwig.

Selbst auf die Schule verbreitete sich bald der neu erwachte Geist des Lehrers. Er knüpfte seine Erzählungen und Beispiele geschickt an die nächste Umgebung an; emsig sammelte er an einer Geschichte des Dorfes, um sie künftig zum Anknüpfungspunkt [236] und zur Veranschaulichung der Geschichte des Vaterlandes zu benutzen.

Manche kluge Leute wollen zwar behaupten, der Eifer des Lehrers werde bald erlahmen, wir aber dürfen vertrauensvoll das Beste hoffen.

Der Frühling nahte, die Glocken wanderten nach Rom um dort die Geschichte des Dorfes zu berichten, es ist gewiß, daß sie von dem vergangenen Winter weniger Sünden zu berichten hatten.

Ostern war vorüber und nun war der Tag der Hochzeit da, er war auf den Jahrestag festgesetzt, an welchem der Lehrer zuerst in das Dorf gekommen war. Am Vorabende ging Hedwig zu dem alten Lehrer und bat ihn, morgen auch ein recht schönes Vorspiel zu machen, da er die Orgel in der Kirche zu spielen hatte. Der alte Mann lachte in sich hinein und sagte:

»Ja, du wirst dich freuen.«

Am andern Tag ging es mit Musik zur Kirche. Hedwig gleichgeschmückt mit ihrer Gespiele, der Agnes, der Lehrer ebenso mit einem Strauße geziert, wie sein Gespiele der Thaddä; der Buchmaier, der Johannesle und der jüdische Lehrer hinter ihnen. – Als Alles versammelt war, begann der alte Lehrer das Vorspiel. Auf dem Antlitze eines Jeden schwebte ein Lächeln, denn der alte Spaßmacher hatte den Lauterbacher Hopser sehr geschickt in das [237] Vorspiel verwebt. Gleich darauf begann der Gesangverein in würdiger Haltung das schöne Lied:


»Heilig ist der Herr etc.«


Mit freudigem Ernste wurde das Ehebündniß geschlossen. – Es sei gesegnet.

Fußnoten

1 Morgenfrüh, morn heißt immer so viel als am andern Tag.

2 Mit einem Fuhrwerk geschickt um eine Ecke biegen, nennt man den Rank kriegen.

3 Hedwig sprach zwar immer ganz im Dialekt, zum bessern Verständniß geben wir es aber möglichst hochdeutsch wieder.

4 Verkleinerungsform von »was.«

5 Verkehrt.

6 Geschmus, von den Juden entlehnter Ausdruck, so viel als unnöthige Redensart.

7 Ebber, so viel als Jemand.

Dritter Band.

[1] I.
Sträflinge.

[1][3]

Ein Sonntagmorgen

Ein Sonntagmorgen.

Wir sind im Dorfe. Alles ist still auf der Straße, die Häuser sind verschlossen, da und dort ist ein Fenster offen, es schaut aber Niemand heraus. Die Schwalben fliegen nah am Boden und haben Niemand auszuweichen. Auf dem Brunnentroge am Rathhause sitzen andere Schwalben, trinken und schauen sich klug an und zwitschern miteinander und halten Rath, als ob das Dorf nur ihnen allein gehöre. Vornehme Bachstelzen trippeln herzu und schwänzeln davon und schweigen still, als wollten sie damit kundgeben, sie wüßten schon Alles und noch viel besser. Nur eine Schaar Hühner hat sich um die Schwalben versammelt und lauscht begierig ihren Reden. Sie hören wohl von freiem Wiegen in den Lüften, von Ziehen über's Meer und nach fernen Landen; denn sie heben und dehnen oft ihre Flügel und lassen sie wieder sinken und schauen trauernd auf, gleich als wüßten sie nun wieder aufs Neue, daß sie stets am Boden haften und fremden Schutz bei Menschen suchen müssen. Besonders eine kohlschwarze Henne mit rothem Kamme hebt und senkt ihre Flügel oft und oft. Eine Gluckhenne wandelt [3] das Dorf hinauf, sich stolz prustend im Kreise ihrer Söhne und Töchter, die sie durch stete Ermahnungen um sich versammelt hält und mit ihrem Funde äzt. Sie will nichts von freiem Wiegen in den Lüften, von der Sehnsucht nach der Ferne.

Eine wundersame Stille liegt auf dem ganzen Dorfe.

Die Menschen haben die getrennten Wohnungen verlassen und sich in dem einen Hause Dessen eingefunden, der sie allesammt eint. Die zerstreut schweifenden Blicke, die nur das Eigene suchen, heben sich jetzt vereint zu dem Unsichtbaren, der Alles sieht und dem Alles eigen ist.

Da steht die Kirche auf dem Berge, der einst befestigt war und um dessen Mauern jetzt blühende Reben ranken. Die Kirche war einst die Burg für alle Noth des Lebens. Kann und wird die frei stehende, äußerlich unbefestigte Kirche der freie Hort alles neuen Menschendaseins werden?

Eben verhallt der letzte Ton der Orgel, treten wir ein in die Kirche. Der Geistliche besteigt die Kanzel. Husten und Zurechtsetzen in der ganzen Gemeinde, denn Niemand will den Verkünder des höheren Geistes im Flusse seiner Rede stören.

Der Geistliche ist kein alter Mann, er steht in den besten Jahren. Nicht blos um graue Locken schwebt die Glorie der innern Befreiung von Eigensucht; die Milde mögt ihr da wol öfter finden, aber oft nicht mehr jenen lebendigen Feuereifer für die Menschheit. Der Glaube an den Himmel hat oft den Glauben an die Erde verdrängt.

[4] Nachdem der Geistliche still, in sich zusammengeschauert, verhüllten Antlitzes das leise Gebet gesprochen, erhob er freudig sein Haupt und sprach den Text: »Die Gesunden bedürfen des Arztes nicht, sondern die Kranken.« Lucas 5, 31.

Er zeigte zuerst, wie die geistige Gesundheit das wahre Leben, wie sie eins ist mit Tugend und Rechtschaffenheit; Sünde und Krankheit dagegen das Leben verunstaltet. Gleichwie in der Krankheit die natürlichen Kräfte des Menschen einen falschen Weg genommen, so auch in der Sünde. Denn Sünde ist Verirrung. Mit besonderem Nachdruck hob er dieses Letztere wiederholt hervor und ermahnte zur milden Betrachtung des Sünders, zur Pflege für seine Heilung. Er zeigte, wie leicht die Sünde einen Schlupfwinkel findet im verschlungenen Geäder des menschlichen Herzens, um bald als Leidenschaft, bald als listige Bethörung Alles aus dem Wege des Rechten zu verdrängen. Denn es ist kein Mensch, der nur Gutes thäte und nicht sündigte. Er zeigte, wie erquickend es ist, uns das tröstliche Bild des reinen Menschen ohne alle Sünd' und Fehle zu vergegenwärtigen, der uns vorschwebt, um alle Schuld zu tilgen, indem er uns anleitet, ihm nachzufolgen. Er zeigte, wie darum Jeder, der in irgend einer Weise sich von Sünde rein fühle, in dieser theilweisen Reinheit die Verpflichtung habe, der Erlöser des Andern, des in Sünde Versunkenen zu werden. Er muß dessen Fehl auf sich nehmen und zu sühnen trachten.

»Ihr Alle,« sprach er dann, »ihr Alle, die ihr in[5] Freiheit wandelt, die ihr an euerm Tische sitzt und ungehindert hinausschreitet unter Gottes freien Himmel – gedenket einen Augenblick des armen Eingekerkerten, auf dessen Antlitz seit Jahren kein Blick der Liebe geruht. Da sitzt er, und sein Auge starrt hin nach den steinernen Mauern, seine Worte prallen ungehört zurück. Und wenn er hinausgeführt wird unter seine Genossen, welch eine traurige Gesellschaft!

Die große menschliche Gesellschaft hat ihn einsam seiner Noth, seiner Verzweiflung, seinem Irrthum überlassen; keine hülfreiche Hand bot sich ihm dar, kein liebreiches Wort beschwichtigte seine Seele. Er stand vielleicht allein, allein mit seinem verworrenen Herzen. Erst als er der offenkundigen Sünde verfiel, erst da merkte er's, daß er nicht allein sei; die menschliche Gesellschaft faßte ihn mit gewaltigen Armen und hielt ihn zur Sühne fest.

Und wenn er nun wieder zurückkehrt unter die freien Menschen, was ist sein Loos? Die früher keinen Blick auf ihn richteten, sehen jetzt mit Verachtung, mit Mißtrauen oder unthätigem Mitleid auf ihn herab und verfolgen ihn auf Schritt und Tritt. Was soll aus ihm werden?

Du, der du hier in Freiheit sitzest, frage dich: wie oft du nahe daran warst, ein Verbrecher zu werden, wie nur die höhere Macht, die in dich gepflanzt ist und über dich herrscht, dir die Werkzeuge des Verderbens entzog und aus der Hand nahm. Darum hab' Mitleid mit dem Sünder, leide mit ihm, opfere dich für ihn, und es wird dir vergeben.«

[6] Dies und noch vieles Andere sprach der Pfarrer mit tiefer Erschütterung. Er wagte einen gefährlichen, aber zur lebendigen Eindringlichkeit doch oft nothwendigen Versuch und stellte sich selbst mitten in die Betrachtung, indem er erzählte:

»Ich wurde als armer Schüler eines Mittags im Hause eines Reichen gespeist. Sonst litt ich die bitterste Noth. Da stand ich nun allein im Speisezimmer und wartete bis zur Essenszeit. Um mich her glitzerte und schimmerte das Silbergeräth, es flimmerte mir vor den Augen, wie wenn ich berauscht wäre. Plötzlich blitzt mir der Gedanke durch die Seele: nur einige solcher Stücke können deiner Noth auf lange abhelfen, und – Niemand sieht dich. Ein unwiderstehlicher Reiz zog mich zum Korbe hin, wo das Silber aufgeschichtet lag; ich griff hinein, wie wenn jemand meine Hand hineinstieße. Da war mir's aber plötzlich, als könnte ich meine Hand nicht bewegen, ich konnte nicht lassen und nicht nehmen. Der Angstschweiß rann mir von der Stirn, und ich schrie laut: Hülfe. Hülfe! Ich wollte Menschen herbeirufen, um durch sie von der Sünde abgezogen zu werden. Ein alter Diener eilte herzu, und ich erzählte ihm weinend Alles. Er tröstete mich in meiner unbeschreiblichen Pein und hat in der Folge selbst und durch Andere dafür gesorgt, daß ich keine Noth mehr litt.«

Die Bemerkungen, die der Pfarrer hieran knüpfte, und die Aufforderung, daß jeder in gleicher Weise die Versuchungen seines Lebens sich vergegenwärtige, gingen unmittelbar an's Herz. Bei der längern Pause, die er [7] jetzt machte, sah er manche gefaltete Hände zittern, Manchen hinter dem vorgehaltenen Hute sein Antlitz bergen, manche Hand eine Thräne aus den Augen wischen, die dann wieder leichter aufschauten. Keiner aber blickte auf den Andern, Jeder hatte genug mit sich zu thun.

Nach dem Schlußgebet erzählte der Pfarrer in schlichtem Tone: »Es hat sich in der Hauptstadt ein Verein von wohldenkenden Männern gebildet, der sich die Aufgabe stellt, für das Fortkommen und die Besserung Derer zu sorgen, die aus den Straf- und Arbeitshäusern entlassen werden. Das ist ein heiliges und gottgefälliges Werk. Wer beitreten und mitwirken will, kann nach der Mittagskirche zu mir kommen und das Nähere erfahren. Besonders aber möchte ich euch bitten, daß Einer oder der Andere von Euch solch einen Entlassenen als Knecht oder Magd zu sich in's Haus nehme. Ich brauche euch nicht zu ermahnen, daß ihr die Gefallenen nicht gar zu zärtlich und weichherzig behandeln sollt. Wir kennen einander. Ich fürchte nicht, daß ihr allzugroße Sanftmut habt.«

Ein Lächeln zuckte auf den Angesichtern der Versammelten, das aber die Andacht nicht niederdrückte, sondern eher hob. Der Pfarrer fuhr nach kurzem Innehalten fort:

»Ihr müßt euch aber genau prüfen, ob ihr die Kraft in euch fühlt, diese Gefallenen liebevoll zu behandeln; denn ein Unglücklicher bedarf doppelter Liebe, und zwiefach gesegnet ist, der sie zu geben vermag. Der Herr erleuchte und erhebe euern Sinn und [8] begnadige uns Alle, daß wir uns nicht in Sünde verirren. Amen.«

Als die Kirche zu Ende war, drängte sich Alles mit ungewohnter Hast heraus. Viele reckten und streckten sich, als sie die Thüre hinter sich hatten; die Predigt hatte sie so gepackt, daß sie sich in allen Gliedern wie zerschlagen fühlten; es war ihnen schwül geworden, und sie holten jetzt wieder frei Athem.

Allerlei Gruppen bildeten sich. Da und dort sprach man alsbald von verschiedenen Dingen, die Meisten von der Predigt und dem rechtschaffenen Pfarrer. Der Webermichel aber behauptete, er predige nicht genug aus Gottes Wort, und der Bäck, der, wenn seine Frau nicht dabei war, auch gern etwas drein redete, bemerkte gar pfiffig, er habe bald gemerkt, zu welchem Loch der Pfarrer hinaus wolle. Ein muthwilliger Bursche raubte einem Mädchen den Strauß von Gelbveigelein und Rosmarin vom Busen, schrie dabei: »Hülfe! Hülfe!« und rannte mit der Beute davon.

Sonst aber hallten in den meisten Gemüthern noch die vernommenen Worte nach.

Konrad, der Adlerwirth, ging still dahin und redete kein Wort; er hielt auf dem ganzen Wege den Hut in der Hand, als wäre er noch in der Kirche. Bärbele war ihrem Manne vorausgeeilt, um den Mittagstisch herzurichten. An einem andern Sonntage wäre es nicht ohne Hallo abgegangen, wenn wie heute das Essen nicht gleich nach der Kirche fertig gewesen. Jetzt aber legte Bärbele, ohne ein Wort zu sagen, Gesangbuch und Rosenkranz auf den Fenstersims (denn man[9] braucht beides heute Mittag nochmals), zieht seinen Mutzen (Jacke) aus und hilft der Magd ohne ein »Schelterle« das Essen fertig machen.

Man saß endlich wohlgemuth bei Tische, und es schmeckte Allen wohl, denn wenn ein reiner Gedanke durch die Seele gezogen, ist es, als ob der ganze Mensch wie mit frischem Leben durchströmt wäre; jede Speise, die er zum Munde führt, ist wie gesegnet, man ist mit Allem froh und zufrieden. Wo ein guter Geist mit zu Tische sitzt und in den Menschen lebt, da wandelt er das Wasser des Alltagslebens in duften den Festwein.

In wie viel tausend Kirchen wird allsonntäglich mit hochgezwängter Stimme gepredigt, aber wie selten ertönt ein reinerer Klang, der, aus der Tiefe kommend, in den Tiefen der Herzen nachhallt!

Es ist aber auch bekannt, wie oft die Menschen, wenn sie gesättigt sind, eine ganz andere Sinnesart haben, als da sie noch hungrig waren.

Und da es auch gut ist, daß man nach Tische eine Weile ruht, so wollen wir die Folgen der Frühpredigt erst nach einer Pause weiter betrachten.

Nachwirkungen der Frühpredigt

Nachwirkungen der Frühpredigt.

So lind und frisch es auch in den Mittagsstunden draußen in Wald und Feld ist, so wandeln doch nur wenig »Mannen« hinaus, und auch diese kehren bald zurück, bis endlich Alles in der raucherfüllten niedern Stube zum Adler beisammen ist.

[10] Es mag auffallend erscheinen, daß auf dem Lande freie Trinkplätze so selten sind, wo man im Schatten der Bäume unter freiem Himmel seinen Schoppen in Frieden genießt. Aber erstlich fühlen sich die, welche die ganze Woche draußen sind, behaglicher unter Dach und Fach, und sodann vereinzelt das Zusammentreffen im Freien: der Raum ist unbeschränkt, man rückt nicht so nahe zusammen, das Wort des Einzelnen verhallt leicht, weil es nicht, von den Wänden eingeschlossen, zu Allen dringt.

Wir müssen uns also schon dazu bequemen, in die Wirthsstube einzutreten.

Um den runden Tisch in der Ecke sitzen Viele. Constantin, Mathes und der Buchmaier lesen die Zeitung, von der heute drei Blätter auf einmal angekommen sind. Sie theilen mit, was ihnen von Belang scheint und worüber sie Etwas zu sagen haben. Es sind oft Bemerkungen, die den Nagel auf den Kopf treffen, oft aber auch Schläge in die Luft. Denn heutigen Tages, wo man es meist darauf anlegen muß, den leitenden Grundgedanken zwischen den Zeilen herauslesen zu lassen, ist es für den Uneingeweihten fast unmöglich, das Rechte zu finden.

Das Gespräch verlor sich nach allen Seiten hin; es möchte lehrreich sein, solches weiteren Kreisen mitzutheilen, wir müssen uns aber an das nahegerückte Interesse des Tages halten. Der Adlerwirt ist auch dieser Ansicht; man sieht ihm an, daß er etwas auf dem Herzen hat; er sagt daher als einmal Stille eintrat:

[11] »In der Zeitung steht auch die Geschicht' von dem Sträflingsverein.«

»Lies vor!« hieß es von allen Seiten.

»Lies du!« sagte Constantin und gab seine Zeitung dem Mathes. »Ich will nichts davon. Gegen ganz schlechte Menschen da thun sie jetzt gar liebreich: da ist's wohlfeil gut sein. Dabei kann man den Kamm noch recht hoch tragen. Die Heiligenfresser und Beamtenstübler haben da neben einander feil, und wisset ihr was? Gnadenpülverle auf Stempelbogen.«

»Oha, Brüderle, du hast einen Pudel geschoben,« 1 erwiderte der Buchmaier; »da ist der Doctor Heister auch mit unterschrieben, und wo der ist, da darf man mit all' beiden Händen zulangen. Und wenn auch noch Hochmuthsnarren dabei sind, der Verein ist gut. Mag Einer sonst thun, was er will, wenn er was Rechtschaffenes thut, so ist das halt rechtschaffen.«

»Das mein' ich auch,« sagte Konrad der Adlerwirth und las vor.

»Da ist kein Salz und kein Schmalz in der Anzeig'«, bemerkte Mathes; »die sollten unsern Pfarrer haben, der hätt's anders geben, daß das Ding Händ' und Füß' hätt'. Wenn ich einen Knecht bräucht', ich thät gleich Einen nehmen.«

»Ich auch,« riefen Viele.

»Und ich nehm' Einen,« sagte Konrad.

»Wenn du das nicht gesagt hätt'st, wär's gescheiter gewesen,« entgegnete der Buchmaier, »da hätt's [12] Niemand gewußt, und jetzt sieht ihn ein Jedes drauf an.«

Konrad kratzte sich ärgerlich hinter dem Ohre.

Der Schullehrer trat ein, und der Buchmaier sagte zu ihm: »Du kommst wie gerufen. Kannst du uns nicht sagen, was das mit dem pensylvanischen Schweigstumm ist, oder wie man's heißt? Ich bin ganz dumm von dem, was da die Zeitung drüber sagt.«

»Es gibt zweierlei Strafsysteme oder Strafarten,« sagte der Schulmeister; »Auburn –«

»Nicht so!« unterbrach ihn der Buchmaier, der heute etwas ärgerlich schien; »mach' jetzt all' deine Bücher zu und sag's gradaus.«

Jener erklärte nun die Zellengefängnisse mit ihrer Sprachlosigkeit. Alles eiferte mit großer Heftigkeit gegen das Schweigstumm, wie sie es nannten, und der Buchmaier wurde so grimmig, daß er sagte: »Wenn ich Herrgott wäre, dem Mann, der das einsam stumme Gefängniß erfunden hat, dem ließ' ich nur all' Woch' zweimal die Sonn' scheinen.«

Der Lehrer wollte die Heftigkeit mildern, indem er berichtete, daß viele edle und gelehrte Männer für diese Strafart gestimmt hätten. Er fand aber kein Gehör.

Endlich traten mehrere Schreiber in die Wirthsstube. Das Gespräch erhielt eine andere Wendung und leise Fortsetzung. Man ging bald auseinander.

Fußnoten

1 So nennt man's, wenn man beim Kegelspiel keinen trifft.

Der Armenadvokat und sein Freund

Der Armenadvokat und sein Freund.

In einer Gartenlaube der Residenz saßen am selben Nachmittage zwei Männer von gleichem Alter, der eine aber trug einen Orden im Knopfloch.

Eine Magd brachte Kaffee und Cigarren.

»Wo hast du denn das schöne Dienstmädchen hingebracht, daß vor zwei Jahren in deinem Hause diente?« fragte der Ordensmann seinen Gastfreund, den Doctor Heister; »das war ein frisches Naturkind, immer fröhlich, mit Gesang die Treppe auf und ab. Es kam mir wie ein Heller, reiner Thautropfen vor; isteau de mille fleurs daraus geworden? Wie hieß es doch?«

»Magdalene. Das ist eine unglückliche Geschichte. Ich kann's noch kaum glauben, daß das brave Kind gestohlen hat, und doch ist es so. Während ich in Angelegenheiten eines Mündels in Berlin war, haben sie sie hier in's Zuchthaus gebracht.«

»Also du lieferst auch Rekruten zu deinem Verein? Ich werde nun auch wieder eine solche Unschuld zu Gesicht bekommen, die ich unter den Händen hatte, als ich noch Bezirksrichter war. Es war ein Postillon; er hat einen Ehemann, der ihm im Wege stand, in den Graben geworfen und so traktirt, daß er nach vierzehn Tagen für die Ewigkeit genug daran hatte. Das ist ein durchtriebener Schlingel. Ich habe ihn aber hinter gebunden und habe ihm auf hohe Verordnung einige Dosen Contumazialprügel wegen frechen Leugnens appliciren lassen. Das hat ihn mürbe gemacht. Es ist nicht anders fertig zu werden mit dem Gesindel. Ich[14] will nur sehen, was der Verein mit ihm anfangen wird; er hat sich auch gemeldet.«

»Es freut mich innig,« erwiderte der Doctor, »daß du die Sache des Vereins so nachdrücklich gefördert hast durch das Rundschreiben an die Bezirksgerichte und die Pfarrämter.«

Der Regierungsrat, denn ein solcher war der Ordensmann, sah geschmeichelt mit dem Kopfe nickend auf seine schönen Sommerstiefeletten und sagte: »Der Verein soll auch die Vortheile unserer geregelten Staatsordnung genießen. Während wir hier sitzen,« fuhr er fort, sich auf dem Stuhle schaukelnd, »ist oder wird von allen Kanzeln des ganzen Landes das Evangelium der armen Sünder verkündet. Hu! wie werden die Thränenbeutel ausgepumpt werden. Das wird den Leuten wohlthun in diesen warmen Tagen, es ist auch eine Cur. Aber das mußt du doch gestehen, daß unser Staatsleben ineinander greift wie ein Uhrwerk. Wenn ich hier einen Druck an der Staatsmaschine anbringe, bewegt sich eine Feder im entlegensten Dorfe.«

»Ob das ein Glück ist?«

»Du bist und bleibst der ewige Opponent. Ihr Leute wollt das Gute nicht sehen. Was hättet ihr denn gehabt ohne den Amtsweg? Einen Winkel im Zwischenreich der Landeszeitung –«

»Lassen wir das. Du kannst dich nicht bekehren, sonst müßtest du mit deinem Schicksal unzufrieden sein und einen großen Teil deiner mühevollen Arbeit für nichtig achten. Drum lassen wir das. Du verdienst[15] allen Dank, daß du den Verein so rasch zu Stande gebracht. Du mußt ihn gut bevorwortet haben.«

»Gut bevorwortet?« lachte der Regierungsrat und hielt das eben entbrannte Zündhölzchen so lange in der Hand, bis er es an den Fingern spürte und wegwarf; »gut bevorwortet? Da sieht man wieder euch unpraktische Weltverbesserer. Ihr glaubt, mit Ideen führt man die Sachen durch. Diplomatie, Freund, Diplomatie ists, die euch fehlt; ohne diese kommt ihr nie zu Etwas. Ich für meine Person gestehe, daß ich gar keinen Penchant für euern Verein habe. Es ist jetzt ein weichmüthiger Humanitätsrappel über die Welt gekommen, der das Leben horribel ennuyant macht. Ich habe nun einmal kein Spitalherz und will auch keines haben. Als die Vereinssache im Collegium vorkam, ich war Referent, zuckte ich mitleidig die Achseln. Der Präsident ist gar kein böser Mann, nur ist ihm angst und bang vor allem Neuen; es ist ihm unheimlich. Es war aber auch gefehlt von euch, daß lauter prononcirte Liberale sich an die Spitze stellten.«

»Warum? Die Sache hat ja nichts mit Politik zu schaffen?«

»Allerdings. Glaubt ihr, man wird euch Gelegenheit geben, euch als Wohlthäter der Menschheit hinzustellen und unter den Proletariern Partei zu gewinnen?«

»Nun? Wie ging die Sache denn doch durch?«

»Wie gesagt, ich zuckte die Achseln, und das Finale meines Referats war: Wie werden sich die Herren die Finger verbrennen! Wie werden sie einsehen [16] lernen, daß sich die Welt nicht nach ihren Utopien constituiren läßt. Das gäbe eine gute Schule für sie. Der Präsident lächelte. Nun war die Sache gewonnen. Ich erklärte noch, daß, falls der Verein die Genehmigung erhalte, ich bereit sei, als Regierungsbevollmächtigter demselben zu präsidiren und ihn zu überwachen. So wurde euch die Sache gewährt, um euch einen Possen damit zu spielen.«

»Welchen Grund hattest du aber, eine so seine Intrigue anzulegen für eine Sache, die dich nicht interessirt?«

Der Regierungsrat faßte die Hand des Advokaten und sagte: »Du bist und bleibst eine ehrliche Haut, aber auch dir gegenüber mußte ich intriguiren. Seitdem ich von der Kreisregierung hieher versetzt wurde, thut es mir immer leid, daß unsere beiderseitige öffentliche Stellung eine vertrautere Socialität fast nicht zuläßt; die Parteiungen haben Alles zerrissen. Lache nicht! In der Verbrechercolonie finden wir einen Indifferenzpunkt, wo wir uns aneinander anschließen, ohne daß Einer sich bei seiner Partei zu compromittiren braucht. Wir haben in Heidelberg den Freundschaftsbund geschlossen, er soll aufrecht erhalten werden. Nicht wahr, alter Cherusker, wir bleiben die Alten?«

Die beiden Jugendfreunde drückten sich die Hände. Dem Advokaten kam diese Mischung von Treuherzigkeit und Schlauheit, die er eben vernommen, doch sonderbar vor; er wendete sich indeß immer gern nach der idealen, sonnenbeschienenen Seite an der Frucht des Lebensbaumes und erwiderte:

»Wir haben noch so viele Berührungspunkte, noch[17] so viel gemeinsames Streben, daran wollen wir uns halten, das Andere bei Seite liegen lassen.«

»Ja, das wollen wir.«

»Du bist auch besser, als du dich gibst,« bemerkte Heister.

»Was besser? Alle Menschen sind Egoisten. Alles Uneigennützige geschieht aus Eitelkeit, Langeweile oder Gewohnheit. Freilich, du bist eine exceptio idealis, darum verzeihe ich dir deine Demagogie.«

»Nein, ich will kein Privilegium. Ich glaube, daß noch zu keiner Zeit so viel Menschen waren, deren ausdauerndes Streben dem Gemeinwesen gilt, deren Leid und Freud' vornehmlich aus den Zuständen des Vaterlandes seine Nahrung empfängt. Ein seltener Opfermuth bewegt die heutige Welt; leider findet er kaum eine Gelegenheit, sich anders als im Hoffen und Dulden zu bewähren –«

»Gelegenheit macht Diebe. Wir kommen da an einen Punkt, über den wir uns nie vereinigen werden – transeat.«

Eine Weile herrschte Stille; beide Männer schienen innerlich nach den Einheitspunkten zu forschen, die sie so bereitwillig voraussetzten. Es war eine peinliche Pause.

So erquickend es für die Seele ist, wenn zwei Freunde lautlos beieinander sitzen, sich und den Andern still in der Seele hegen, nach fernen Gedankenwelten schweifend doch beieinander sind, jeder in dem andern ein sichtbares Jenseits erkennt; ebenso schmerzlich ist das innere Suchen und Stöbern, einander friedlich zu begegnen.

[18] Der Regierungsrath nahm zuerst wieder das Wort, indem er sagte: »Auch die Poesie ist uns heutiges Tages geraubt. Der schöne Gott Apollo ist zum kranken Lazarus voll Wunden und Beulen geworden. Die Poeten führen uns heute immer in die schlechteste Gesellschaft. Freigeister und Pietisten blasen aus Einem Loch und proclamiren diese heitere, sonnige Welt als ein Jammerthal. Du warst doch auch einmal ein Stück Poet, was sagst du dazu?«

»Die Poesie der modernen Welt ist ein Kind des Schmerzes, selbst die harmloseste ist das freie Aufathmen der vorher gedrückten Brust. Ich sehe einen großen Fortschritt darin, daß selbst die Poesie jene falsche Idealität aufgegeben hat, welche die wirkliche Welt ignorirte oder nicht in sie einzugreifen wagt. Eine Idee muß Wirklichkeit werden können, oder sie ist eine eitle Seifenblase. Nun betrachte die Armen und Elenden –«

»Gut, daß Sie kommen!« rief der Regierungsrath, einer stattlichen, schönen Frau entgegengehend; »Ihr guter Mann hätte mich sonst noch zum Dessert durch alle Höhlen der Armuth gejagt.«

Das Gespräch nahm nun eine heitere, spielende Wendung, denn der Regierungsrat liebte es, die Frauen durch zierliche Redeblumen zu ergötzen; den Ernst des Lebens entfernte er gern aus ihren Augen. Darin bestand seine Frauenachtung.

Er sprach sodann von seinem Roccoco-Ameublement, das ihm mit Frau und Kind bald nach der Stadt folgen würde, und bemerkte mit ausführlicher [19] Sachkenntniß, wie das echte Alte alles neu Fabricirte weit hinter sich lasse, da die Arbeiter Geduld und Kunstfertigkeit zu diesen seinen Schnitzeleien nicht mehr haben. Er hatte Schränke, Stühle und Krüge aus alten Ritterburgen und von den Speichern der Bauernhäuser um einen Spottpreis zusammengekauft und wußte manche lustige Geschichte davon zu erzählen.

Der Advokat sah bisweilen schmerzlich drein, denn er fühlte es tief, daß der Riß zwischen ihm und seinem Jugendfreunde nur nothdürftig überkleistert war.

Man trennte sich bald. Der Advokat machte sich noch daran, die Papiere eines Clienten zu ordnen, für den er andern Tages eine Reise antreten wollte. Selbst bei der Arbeit konnte er den Gedanken an seinen verlorenen Jugendgenossen nicht los werden; dabei erkannte er wieder aufs Neue, daß selbst die rein humanen Bestrebungen keine Einigung zulassen, wenn der sittlich-politische Hintergrund ein anderer ist.

Der Verein und seine Zöglinge

Der Verein und seine Zöglinge.

Wenige Tage darauf saßen in der Hauptstadt fünf Männer um einen Tisch, Actenbündel und mit Siegel versehene Zeugnisse vor ihnen.

»Es zeigt sich noch wenig Eifer für unser Wirken,« begann der Vorsitzende. »Auf unsern Aufruf haben sich nur zwei zur Annahme von Sträflingen erboten, der eine unser würdiges anwesendes Mitglied, Herr Fabrikant Hahn, der andere ein schlichter Wirt vom Walde; wir haben ihn herbeschieden.«

[20] Er klingelte, und der Diener trat mit Konrad ein.

Die Zeugnisse der aus der Strafanstalt Entlassenen lauteten in Betracht der Umstände ziemlich günstig. Wie war ihnen nun aber fortzuhelfen? Besonders mit einem Schreiber, der wiederholte Namensfälschungen verbüßt hatte, wußte man nichts anzufangen. Unter den fünf Sträflingen, die dem Vereine ihre Zukunft anvertraut hatten, wurde auch ein ehemaliger Postillon genannt.

»Den will ich nehmen,« sagte Konrad.

Während man nun seine Obliegenheiten auseinandersetzt, verfügen wir uns in das andere Zimmer zu denen, die hier harren, was drüben über sie verfügt wird.

Zwei, in bereits vorgerücktem Alter, mit verschmitzten Gesichtern, gehen in lebhaftem Gespräch auf und ab. Ein hagerer Mensch in vertragenem schwarzen Frack steht am Fenster, haucht die Scheiben an, macht mit dem rechten Zeigfinger sehr künstlich verschlungene Namenszüge mit allerlei Schnörkeln und verwischt sie immer schnell wieder. Ein vierter sitzt in der Ecke und betet, wie es scheint, sehr eifrig aus einem frisch eingebundenen Gebetbuche. Nicht weit davon sitzt der fünfte, ein schlanker und kräftiger junger Mann, und hält das Gesicht mit beiden Händen bedeckt.

»Was willst du machen, Frieder?« fragte mit dicker Stimme einer der Wandelnden seinen Kameraden.

Dieser blieb stehen, hielt eine Flocke seines grauen Bartes, der das ganze Gesicht einrahmte in der Hand; in seinem zerwühlten, faserigen, wie aus Tannenholz[21] gehauenen Antlitze hoben sich die Muskeln in raschen Zuckungen. Er zwinkerte mit den klugen grauen Augen und erwiderte:

»Ich hab' mein' Resolution, und da beißt kein' Maus keinen Faden davon: eine Anstellung will ich und auf lebenslänglich und mit Pension; krieg' ich das nicht, schmeiß' ich ihnen den Bettel vor die Thür. Guck, ich wünsch mir kein Capital und keine Güter, weiter nichts als eine Anstellung. Wenn so ein Vierteljährle 'rum ist, kommt der Amtsdiener und legt das Geld auf den Tisch, lauter blanke harte Thaler. Sei's Sommer oder Winter, Hungerjahr oder wie's will, wenn's Vierteljährle 'rum ist, hat mein sein Gewisses. Man hat sich nicht zu quälen und nicht zu sorgen, man geht so den Trumm fort, und wenn's Vierteljährle 'rum ist, brauchst du nicht einmal zu pfeifen, da ist ein Säckle voll Geld da. Der Staat muß für mich sorgen, und das ist das beste. – Aber das will ich dir noch sagen, ich dreh' dir den Kragen 'rum, wenn du das vorbringst, was ich dir jetzt sag'. Ich will allein. Und du verstehst's ja auch gar nicht –«

»Brauchst nicht sorgen,« unterbrach ihn der Andere und verzog sein knolliges Gesicht zum Lachen; »ich will weiter nichts, als daß sie mir genug zu essen geben und auch das Trinken nicht mankirt. Dann will ich meinetwegen ehrlich sein. Narr, aus Uebermuth stiehlt man nicht.«

Frieder trat auf den Betenden zu und sagte:

»Bitt' mir eine Anstellung aus, du Heiliger. Ich will einen Handel mit dir machen: laß mir's hüben [22] für dich gut gehen, drüben kannst du mein Theil auch noch haben.«

Der Betende legte sein Buch nieder und begann mit salbungsvoller Stimme:

»Du wirst von Stufe zu Stufe sinken und fallen, Frieder, weil du nicht einsiehst, wie sehr der Herr uns begnadigte, da er uns sinken ließ, damit wir uns um so höher erheben.«

»Dank für dein' Gnad', ich will ja nicht hoch, ich will ja nur fest angestellt sein. Richt't euch,« fuhr er fort, auf den jungen Mann mit verdecktem Angesicht losgehend und ihn schüttelnd; »sei nicht so traurig, du. Da hast mein' Hand drauf, wenn ich Oberpostgaul werde, ich will sagen Oberpost ... oder so was, das Geheime schenk' ich ihnen, da wirst du mein Leibkutscher.«

Der Ermunterte regte sich nicht und antwortete nicht, und Frieder bemerkte wieder: »An dem da haben sie ein Meisterstück gemacht. Mir hat einmal die Hebamm' das Züngle gelöst, ich kann's nimmer binden. Es ist doch aber ein' schöne Sach' um ein Zuchthaus, da ist Alles gleich, und wenn einer auch ein noch so hochnasiger Schreiber ist,« schloß er mit einem Seitenblick.

Der Schreiber kehrte sich um; auf seinen eingefallenen Wangen glühte Zorn und Verachtung.

Der Diener berief die Harrenden vor den Vorstand.

Der Betende nahm sein Buch unter den Arm und fixirte sich die lammfromme Miene im Gesichte, um sie beizubehalten. Der Schreiber verlöschte noch schnell[23] einige Namenszüge und knöpfte den Rock zu. Der Verdeckte erhob sich mit schwerem Tritte, er sah bei aller jugendlichen Spannkraft wie geknickt aus, und hatte die Unterlippe zwischen den Zähnen eingekniffen.

Unter der Thüre verbeugte sich noch Frieder vor dem Schreiber und sagte:

»Sie haben den Vortritt, spazieren Sie voran, Herr von Federkiel, Graf von Papierhausen, Fürst von Dintenheim, König von –«

Der Schreiber schritt stolz an Frieder vorüber, der aber mit seinen Standeserhöhungen nicht eher endete, als bis sie an der Thüre des Sitzungszimmers waren.

Vor dem Vereinsausschusse drängte sich indeß Frieder vor und offenbarte, noch ehe man ihn fragte, sein Begehr, ohne aber wie vor wenigen Minuten die Motive so bündig vorbringen zu können. Es ging ihm dabei wie manchen Rednern, die nach ausführlicher Vorbereitung und privater Darlegung, wenn's drauf und dran kommt, ungeschickt auf's Ziel lostappen, ohne den Weg zu demselben nochmals fest zu durchschreiten. Er kam dadurch in den Nachtheil, daß er bloß als anmaßend erschien. Als man seinem Begehr nicht willfahrte, verließ er trotzig die Versammlung.

Die Vorstandsmitglieder sahen sich nach dieser ersten Begegnung verwundert an, der Regierungsrat lächelte hinüber zu seinem Freunde, dem Doctor Heister.

Konrad unterbrach zuerst die eingetretene Stille, indem er auf den Schlanken losging, den er sogleich als den Postillon erkannt hatte und sagte:

[24] »Willst du mit mir gehen, das Vieh versorgen, im Feld schaffen und den Fuhrleuten vorspannen?«

Der Angeredete hielt die Lippen noch immer zusammengekniffen und sah Konrad stier an. Erst als man die Frage zum Drittenmal wiederholte, antwortete er:

»Ja, wenn sonst Keiner von den Kameraden da ins Dorf kommt; allein.«

Schnell schlüpfte seine Unterlippe wieder zwischen die Zähne.

Man ging wie natürlich leicht auf die gestellte Bedingung ein und war froh, vorerst Einen untergebracht zu haben.

Der Schreiber und der aus Hunger Stehlende traten nach vielem Widerstreben bis auf Weiteres in Hahn's Fabrik ein. Der Fromme wollte Pfründner in einem Versorgungshause werden, um ganz seiner Seele zu leben. Da man ihm dieß nicht gewähren konnte, verließ er mit einem Segenswunsche die Versammelten.

Konrad verließ mit seinem Knecht das Haus. Auf der Straße begann er folgendermaßen:

»Wie heißt du?«

»Jakob.«

»Brauchst mir dein' Geschicht' nicht erzählen, sei nur jetzt brav. Du hast gesehen, wo der krumme Weg hinführt.«

Jakob antwortete nicht.

»Hast du schon was gessen?« fragte Konrad wie der.

»Ja,« lautete die Antwort aus fast verschlossenem Munde.

Im Wirthshause ging Jakob schnell in den Stall [25] zu den Pferden. Er streichelte und klatschte sie in Einem fort. Es that ihm gar wohl, wieder mit Thieren zusammen zu sein. Seit drei Jahren war er einsam oder unter Menschen, die seine Vorgesetzten waren und bei aller Güte doch stets vor Allem den Verbrecher in ihm sahen. Jetzt war es ihm gar eigen zu Muthe, daß er nun doch wieder bei Thieren war; etwas von der Unschuld der Welt sprach ihn daraus an. Das verlangte auch keine Rede und keine Antwort. Jakob wünschte, daß er mit gar keinem Menschen und nur mit den Thieren zu leben hätte.

Wie leuchtete sein Angesicht, als er mit seinem Herrn rasch dahinfuhr; er, der seit Jahren in einen kleinen Raum eingefangen war, rollte jetzt wie im Fluge an Bäumen und Feldern und durch Dörfer dahin.

Auch jetzt noch sprach Jakob wenig, und nur, als ihn Konrad bedeutete, daß der Gelbbraune nicht Fuchs, sondern Brauner heiße, antwortete er: »Schon recht.«

Als man unterwegs einkehrte und Jakob sein Essen erhielt, nahm er sich dieß mit in den Stall und verzehrte es bei den Thieren.

Jakob im Dorfe

Jakob im Dorfe.

Es ist eine seltsame Empfindung, wenn man in einen Ort kommt, wo man keinen Menschen kennt, wo man aber selber von Allen gekannt ist, und zwar wie Jakob nicht von der vortheilhaftesten Seite. Berühmte Männer können sich vom Gegentheil aus eine Vorstellung davon machen.

[26] Still und emsig vollführte Jakob die ihm obliegenden Arbeiten, fast immer noch mit eingekniffener Unterlippe. Nie sah man ihn lachen, nie nahm er zuerst das Wort. Wenn er ins Feld ging, bot er Niemand die Zeit, und wenn die Leute ihn grüßten, dankte er kaum hörbar. Nach und nach verbreitete sich das Gerücht, es sei im Oberstüble bei Jakob nicht recht geheuer; doch hatte noch Niemand etwas Närrisches an ihm gesehen, er verrichtete die Feldarbeit und versorgte das Vieh pünktlich, ließ kein Löckle Heu und kein Körnle Hafer verloren gehen. Nie gesellte er sich Abends zu den singenden und scherzenden Burschen. Selbst wenn er allein war, hörte man ihn nicht singen und nicht pfeifen, was doch Jeder thut, der nicht einen Kummer im Herzen oder schwere Gedanken im Kopfe hat.

Die Frühlingssonne hatte den im Kerker Gebleichten bald wieder geröthet. Die Mädchen bemerkten im Stillen unter sich, daß des Adlerwirths Knecht fünf rothe Bäckle habe, zu den gewöhnlichen noch eines auf dem Kinn und zwei an den Stirnbuckeln.

Bei alledem blieb sich Jakob in seiner sonstigen Art gleich.

Der Buchmaier, dem das verschlossene Wesen des Unglücklichen sehr zu Herzen ging, gesellte sich mehrmals zu ihm und suchte ihn auf allerlei Weise redselig zu machen. Jakob aber gab nur knappe Antworten und blickte dabei immer wie verstohlen und zusammengeschreckt auf den Buchmaier. Auch der Pfarrer konnte mit seinen liebreichen und eindringlichen Ermahnungen nicht viel aus Jakob herauskriegen. Auf eine lange Rede [27] von Vergebung und Gnade, die der Pfarrer einst auf seiner Stube an ihn gehalten, erwiderte Jakob nichts, sondern ging an den Tisch, nahm die Bibel, blätterte darin und hielt endlich den Finger starr auf eine Stelle. Der Pfarrer las, es waren die ersten Worte im Evangelium Johannis: »Im Anfang war das Wort.«

Jakob schlug sich auf den Mund und sah den Pfarrer fragend an, dieser verstand: man hatte dem Armen das Wort entzogen, jenes edle Band, das die Menschen miteinander und mit Gott vereinigt. Jede freie Rede seiner Lippen erschien ihm wie ein Hohn gegen den Armen, und er gedachte zum Erstenmal recht lebendig jener empörenden Tyrannei, da man das öffentliche Wort bindet und fesselt.

Jakob wendete sich ab und that, als ob er sich mit seinem Tuche den Schweiß abtrockne, in der That aber wischte er sich die Thränen ab, die er zu verbergen trachtete. Der Pfarrer stand vor ihm und betrachtete ihn mit thränenerfüllten Augen; er faßte seine Hand und sprach ihm Mut und Trost zu.

Jakob gestand zum Erstenmale in Worten, wie beklommen seine Seele sei. Das erleichterte ihn. Er ging befreiter von dannen und grüßte den Schullehrer, der ihm auf der Treppe begegnete, aus freien Stücken.

Im Adler war Jakob auch oft Gegenstand des Gesprächs, und der Buchmaier bemerkte:

»Man mag mir sagen, was man will, man hat kein Recht dazu, einem Menschen, und wenn er auch das ärgste gethan hat, das Sprechen zu verbieten. Weiß[28] wohl, die Leute meinen's gut, sie wollen die Menschen bessern, aber das heißt man zu Tod kuriren.«

»Herr Gott!« rief Mathes, »wenn ich dran denk', daß mir's so gehen könnt', ich thät an Jedem, der mir unter die Händ' käm', einen Mord begehen, daß man mir den Hals abschneiden thät'; nachher wär's ja ohnedem aus mit dem Schwätzen.«

Noch viel andere derartige Reden fielen, und Jakob war lange der Gegenstand des Gesprächs, bis man sich an ihn gewöhnte und nicht mehr an ihn dachte.

Desto mehr aber dachte Jakob für sich, so wenig das auch früher seine Gewohnheit war. In der ersten Zeit nach seiner Befreiung war er sich wie betäubt vorgekommen; er griff sich oft nach der Stirn, es war ihm, wie wenn man ihn mit einem schweren Hammer auf den Kopf geschlagen hätte. Er träumte wie halb schlafend in die Welt hinein.

Jahrelang in einsamer Zelle sitzen, ohne eine Menschenseele, der man die flüchtigen und unscheinbaren, wie tieferen Regungen der Seele mittheilt – das ist eine Erfindung, würdig einer lendenlahmen Zeit, der das Verbrechen über den Kopf wächst und die es zu ausgemergelter Frömmelei zu verwandeln trachtet. Drängt die quellende Thatkraft zurück, sperrt die scheußlichen Dämonen ein in die Brust eines Menschen, daß sie sich ineinander krallen, sich zerren und raufen; gebt Acht, daß ja Keiner entkommt und in eure mit Latten umfriedete Welt eindringt, – schickt dann euern Pfaffen, sein Opfer ist bereit, wenn ihm nicht der gütige Dämon des Wahnsinns zuvoreilt.

[29] Jakob war ein Mensch leichten Sinnes gewesen, sein Kopf war nie zu eng für seine Gedanken, er wußte kaum, daß er solche hatte; er sprach sie bald aus oder zerstreute sie. Jetzt aber hatte er Jahre lang still in einsamer Zelle gesessen, und Geister kamen, von denen er nie gewußt, und grüßten ihn wie alte Bekannte und tanzten einen tollen, sinnverwirrenden Reigen. Was nützte es ihn, daß er sorgfältig die Borsten zählte, die er bei seinem neuen Handwerke verarbeitete, daß er die Zahlen laut hersagte, daß er betete, daß er mit dem Hammer aufschlug? Die flüchtigen Dämonen wichen nicht und waren nirgends zu fassen. Sie lugten in der Dämmerung fratzenhaft unter dem Stuhle hervor; kollerten auf dem Bette, kletterten an den Wänden hin und spielten mit dem Gepeinigten und nährten sich mit dem Angstschweiß auf seiner Stirne.

Die gesunde Natur Jakobs hatte den Verderbern Stand gehalten. Als Jakob aus dem einsamen Gefängnisse zuerst wieder in die Gesellschaft seiner Schicksalsgenossen gebracht wurde, war er traurig und blöde. Die lebendigen Menschen erschienen ihm lange wie Geister mit erlogener Lebensgestalt. Und als er zu den freien Menschen zurückkehrte, war ihm die Welt wie aufgelöst, wie chaotisch ineinander zerflossen; er konnte sich nicht drein finden und lebte einstweilen so in den Tag hinein und arbeitete ohne Unterlaß. Er kam sich wie ein längst Verstorbener vor, der unversehens wieder in die Mitte der Lebenden versetzt wird, der sich die Augen reibt und nicht fassen kann, wozu die Menschen rennen und jagen, was sie zusammenhält, daß sie nicht [30] feindselig auseinanderstieben. Er hatte ehedem nach Neigung und Lust, und von den Pflichten des Tages gehalten, im Zusammenhange der Welt gelebt; er war durch ein Verbrechen schmerzhaft ausgejätet worden, er konnte nirgends mehr recht einwurzeln. Das Räthsel des Weltzusammenhanges stand hier vor der Seele eines Menschen, der nie etwas davon geahnt.

Mehrmals kam Jakob der Gedanke des Selbstmords, der plötzlich aus all dem Wirrwarr lostrennt; aber so oft ihm der Gedanke kam, ballte er beide Fäuste, knirschte vor sich hin und sagte: »Nein!«

Wohl hatte ihm der Pfarrer den weltbezwingenden Spruch ins Herz gelegt und gedeutet: Gott ist die Liebe! Er ist jener geheimnißvolle Punkt, der jedes Wesen zwingt, in sich fest zu stehen und zu leben, der alle Creaturen in sich und miteinander zusammenhält, der mitten in Kampf und Noth die ewige Harmonie zeigt, in die wir einst Alle aufgehen. – Jakob hörte die ausführliche Deutung beruhigt an, sie that ihm wohl, aber er konnte sie nicht auf sich anwenden, nicht die Welt um sich her damit beherrschen und verklären. Wo zeigte sich ihm diese Liebe in den Thaten der Menschen?

Jakob hatte einst in seiner Kindheit gehört, wie wilde Männer in Bärenhäute gehüllt zuerst in diese Gegend gekommen und sie angebaut hatten. Wenn er jetzt ins Feld ging, war es ihm sonderbarer Weise oft als sähe er einen jener ersten Wilden mit der Bärenhaut und der unförmlichen Axt in den Wald schreiten und die Bäume fällen; er sah ihn bei hellem lichtem Tage und in seinen Träumen. Welch ein tausendfältiges Leben bewegte [31] sich jetzt auf dem kleinen Raume, den einst nur die Thiere des Waldes beherrscht hatten! Er sah, wie nach und nach die Söhne und Töchter sich ansiedelten, Fremde herzukamen; sie nahmen Steine und setzten sie als Markzeichen zwischen ihre Felder, sie bauten ein großes Haus und stellten einen Mann hinein, der mit lauten Worten ihr Gewissen wach erhalte, sie setzten einen Andern hin zum Richter über ihren Streit, und diese Beiden behielten fortan allein das Wort, – aus dem Ofenloch, in das man das unartige Kind sperrte, ward ein großes Gefängniß ...

Jakob war auf einem Umwege in die wirkliche Welt zurückgekehrt; sie wird ihn bald wieder fassen und festhalten.

Wer mag es aber den Leuten verdenken, daß sie den Kopf über einen Menschen schütteln, von dem sie kaum ahnten, wie er in Gedanken weit weg von ihnen Allein war?

Zwei Genossen

Zwei Genossen.

Der Adlerwirth und seine Leute saßen eines Mittags in der Erntezeit bei Tisch. Es wurde fast gar nicht gesprochen, denn die Essenszeit dient zugleich als Ruhepunkt, und in diesen Kreisen ist das Sprechen eine Arbeit; man wird nicht finden, daß es nur als etwas Beiläufiges einem andern Thun sich zugesellt, die Seele wendet sich ihm ganz zu, und die fast immer begleitenden Bewegungen ziehen den Körper nach.

Bärbele, die Adlerwirthin, sagte, als man eben abräumte:

[32] »Der Bäck hat heut eine neue Magd kriegt, sie ist im Zuchthaus gewesen und ist ihm von dem Verein übergeben worden. Die dauert mich im Grund des Herzens, die kommt vom Prügele an den Prügel, ich mein' –«

Konrad stieß seine Frau an, sie solle still sein, und winkte mit den Augen nach Jakob. Durch das plötzliche Abbrechen und die eintretende Stille gewannen die Worte Bärbele's erhöhte Bedeutsamkeit; Jedes sprach sie gewissermaßen im Stillen nach. Jakob schien indeß wenig davon berührt, er schnitt sich einen tüchtigen »Ranken« Brod, steckte ihn zu sich, klappte sein Taschenmesser zu und verließ schon bei den letzten Worten des Schlußgebets das Zimmer. Die Rücksichtnahme durch das plötzliche Verstummen ärgerte ihn mehr als die vernommenen Worte: er wollte, daß man von seinen Schicksalsgenossen in seinem Beisein ohne Rückhalt spreche. Dieses Verstummen bewies ihm, daß man ihn noch nicht für gereinigt hielt; er zürnte.

So verletzlich und anspruchsvoll ist ein gedrücktes Gemüth.

Kaum war Jakob eine Weile fort, als sich die Thür wieder öffnete; ein fremder Mann, der einen Quersack über der Schulter trug, zerrte Jakob am Brusttuche nach.

»Komm mit,« rief er, »du mußt ein Bufferle 1 mittrinken. Sind wir nicht alte Bekannte? Haben wir nicht drei geschlagene Jahr' mit einander im Gasthof zum wilden Mann loschirt?«

[33] Jakob setzte sich endlich verdrossen auf die Bank.

Der Fremde ist uns gleichfalls bekannt, es ist der wohlgemuthe Frieder. Jakob war auch jetzt noch schweigsam, sein Kamerad ersetzte seine Stelle vollauf.

»Bist noch immer der alte, hm! hm!« sagte er; »hältst das Maul wie ein **scher Landstand? Guck, ich hab' heut schon mehr geschwätzt als sieben Weiber und drei Professor. Ich bin aber auch jetzt bei denen, die das große Wort führen. Was meinst was ich da drin hab? Lauter Purvel« (Pulver). Er öffnete seinen Sack und warf eine große Masse von – Lumpen heraus: »Lug, da draus macht man Papier, und da drauf exerziren ganze Regimenter von schwarzen Jägern. Ich muß das Lumpenvolk da zusammentreiben, sonst können meine Herren keinen Krieg führen und Krieg muß sein, Alles muß untereinander. Es geschieht ihnen Recht. Warum haben sie mir kein' Anstellung geben.«

»Was brauchst aber so viel schwätzen bei deinem Lumpensammeln?« fragte Bärbele.

»Das ist das allerschwerste Geschäft,« erwiderte Frieder; »du glaubst nicht, wie die Leut' an ihren Lumpen hangen. Wenn Alles noch so kreuzweis zerrissen und zersetzt ist, wollen sie's doch nicht hergeben; sie meinen immer: es wär' noch ein brav's Lümple dabei, das man noch zu was brauchen kann, zum Ausflicken oder Scharpie daraus zu zupfen. Her damit, sag' ich, wenn auch noch ein gut Lümple dabei ist, schad't nichts, eingestampft muß werden. Lumpenbrei. Jetzt hol noch ein Bufferle und denk derweil drüber nach, daß du das Taufen vergißst.«

[34] Frieder leerte schnell noch auf einen Zug den Rest; Jakob wollte aber nicht mehr trinken als die zweite Ladung kam.

»Was?« rief Frieder, »du willst keinen Schnaps trinken? Ja, du hast Recht, ich sag's auch: das Best' auf der Welt ist Wasser und – Geld genug und – Gesundheit. Freilich, das Schnapstrinken ist eine Sünd', aber ich muß es thun. Guck, jeder Mensch muß ein' Portion Sünden und ein' Portion Schnaps trinken, soviel eben auf sein Theil kommt. Ich trink jetzt aus Frömmigkeit für meine Mitmenschen. Ich bin mit meinem Theil fertig, und jetzt trink' ich für Andere. Es soll dir wohl bekommen, Jakob, das ist dein Theil!« schloß Frieder und nahm einen tüchtigen Zug.

Jakob sprach noch immer nicht, und jetzt endlich sagte er aufstehend, daß er ins Feld müsse. Frieder machte sich schnell auf, um ihn zu begleiten.

Frieder war im ganzen Dorfe bekannt wie bös Geld; er sprach Jedermann an und hielt Jakob dabei an der Hand. Diesem war es gar erschrecklich zu Muthe, daß er mit einem so allbekannten Gauner vor den Leuten erscheinen mußte; er sagte sich aber wieder: du bist ja selber ein Gezüchtigter und wie würde dir's gefallen, wenn man dich meidet? Er duldete daher die Vertraulichkeit Frieders.

Der Studentle begegnete ihnen und fragte: »Lebst auch noch alter Sünder?«

»O du!« entgegnete Frieder, »mit deinen Knochen werf' ich noch Aepfel vom Baum 'runter.«

[35] Constantin lachte und fragte wiederum: »Was treibst denn jetzt?«

»Lumpensammeln.«

»Geht's gut dabei?«

»'s ging schon, aber die verdammten Juden verderben den Handel. Wenn die Regierung was nutz wär', müßt sie den Juden das Lumpensammeln verbieten.«

Jakob war während dieses Gesprächs fortgegangen und Frieder rannte ihm nach. An dem Bäckenhaus lehnte sich ein Mädchen aus der Halbthüre, es ward »ritzerot«, als es die Beiden sah. Jakob blickte das Mädchen scharf an, sah aber gleich darauf zur Erde. Frieder pfiff unbekümmert ein Lied vor sich hin.

Erst am letzten »einzecht« stehenden Hause des Dorfes wurde Jakob seinen Gefährten los, der zu dem hier wohnenden Hennenfangerle ging. Die alte Frau, die diesen Beinamen hatte, war als Hexe verschrien, obgleich Niemand mehr recht daran glaubt; soviel war gewiß: gestohlenes Gut, das in ihre Hände kam, war wie weggehext. Jener Name rührt allerdings von etwas Dämonischem her, das der Frau innewohnte; sie konnte mit ihrem Blicke die Hühner bannen, daß sie sich wie vor einem Habicht zusammenduckten und greifen ließen. Gerupfte Hühner kennt kein Mensch mehr und zu Asche verbrannte Federn zeigen keine besonderen Farben. Dieser Geruch verbrannter Federn mochte auch immer die Hühner erschrecken, wenn das Hennenfangerle sich ihnen näherte, so daß sie laut aufgackerten.

[36] Die Leute ließen die alte Frau in Ruhe, denn sie war ihnen unheimlich, man sagte, sie werde deßhalb so alt, weil sie sich nur von Hühnersuppe nähre. Man traf Vorsorge, verfolgte sie aber nicht weiter, wenn sie sich unversehens ihren Tribut holte.

Die Luft beengt den Athem hier im Hause; lassen wir Frieder allein bei seiner Vertrauten.

Draußen im Felde, wo Jakob den Klee mit seinen verdorrten Blumen mäht, da ist's freier. Wie stattlich sieht Jakob aus bei dieser Arbeit, wie schön sind seine Bewegungen. Von allen Feldarbeiten ist das Mähen die schönste und am meisten kräftigende. Da bückt man sich nicht zu Boden, da steht man stolz und frei und im weiten Umkreis fallen die Halme nieder. Wir können aber Jakob nichts helfen, denn das Mähen will wohl gelernt und geübt sein, und die Schichten müssen liegen bleiben, wo sie gefallen sind, bis sie ganz verdorren. Könnten wir ihm nur in seinen Gedanken helfen! Die Sense scheint heute nicht recht scharf und Jakob etwas mißmuthig. Das Zusammentreffen mit Frieder peinigt ihn, aber noch etwas Anderes, er weiß nicht recht was. So oft er den Wetzstein nimmt und die Sense schärft – und das geschieht oft – denkt er an das Mädchen, wie es zur Halbthüre herauslehnte und wie es erröthete; er hat herzliches Mitleid mit ihm. Jakob war kein Neuling in der Welt, er wußte wie Unglück und Verbrechen kein Alter und kein Geschlecht verschont, aber jetzt war es ihm, als ob er's hier zum ersten Mal erführe. Ein Mädchen mit dem Stempel des Verbrechens auf der Stirn ist doppelt und ewig unglücklich; was [37] soll aus ihm werden? – Jakob mähte, um seine Gedanken los zu werden so emsig fort, daß er unvermerkt einen scharfen Schnitt in den Stamm eines Bäumchens machte, das mitten im Klee stand.

Nun hatte er Grund genug zum Wetzen.

Fußnoten

1 Ein Viertelschoppen.

Die lustige Magd

Die lustige Magd.

Am Sonntag Nachmittag saß Jakob bei einem Fuhrmann in der Stube; sie hatten einen Schoppen Unterländer Wein vor sich stehen. Konrad sah zum Fenster hinaus und sagte jetzt:

»Bäckenmagd, komm rein mit deinen Mitschele.«

Das Mädchen trat ein, es trug einen Korb voll »mürben« Brodes auf dem Kopfe. Wie es jetzt den Korb abnahm und frei vor sich hinhielt, erschien es in seiner gedrungenen Gestalt gar anmuthig. Das kugelrunde ruhige Gesicht sah aus wie die Zufriedenheit selber, seltsam nahmen sich dabei die weit offenen hellblauen Augen mit den dunkeln Wimpern aus; es schien eine Doppelnatur in diesem Gesichte zu hausen. Ein kleines unbändiges Löckchen, das senkrecht mitten auf die Stirne herablief, suchte das Mädchen in das braune Haargeflecht zu schieben, aber es gelang nicht. Man sah es wohl, das wilde Löckchen, das sich nicht einfügen ließ, war sorgfältig gekräuselt und zur Zierde gestaltet; es gab dem ganzen Anblicke des Gesichts etwas muthwilliges. So erschien es wenigstens Jakob, als das Mädchen auch zu ihm kam und ihm Brod zum Verkaufe anbot, und er fuhr wie erschreckt zusammen. Er griff nach dem [38] Glase, als wollte er es dem Mädchen reichen, schüttelte aber zornig schnell mit dem Kopfe und – trank selber.

Der alte Metzgerle, der auf der Ofenbank saß und auf einen Freitrunk harrte, suchte sich einstweilen die »Langzeit« zu vertreiben, indem er das Mädchen neckte. Er sagte, auf die Locke deutend:

»Du hast einen abgerissenen Glockenstrang im Gesicht, es muß einmal tüchtig Sturm geläutet haben bei dir.«

Das Mädchen schwieg, und er fragte wieder: »Sind deine Mitschele auch frisch?«

»Ja, nicht so altbacken wie Ihr,« lautete die Antwort.

Alles lachte, und der Metzgerle begann wieder:

»Wenn du noch dreißig Jahre so bleibst, gibst du ein schön alt Mädchen.«

Rasch erfolgte die Gegenrede: »Und wenn Ihr eine Frau krieget, nachher bekommt der Teufel eine Denkmünz', daß er das Meisterstück fertig bracht hat.«

Schallendes Gelächter von allen Seiten unterbrach eine Zeit lang das Reden, und als der Metzgerle wieder zu Wort kommen konnte, sagte er:

»Man merkt's wohl, du bist anders als aufs Maul gefallen.«

»Und Euch wär's gut, wenn Euch was in's Maul fallen thät', nachher ließet Ihr auch Eure unnützen Reden. Wie? Will niemand mehr was kaufen? Ich muß um ein Haus weiter.«

Mit diesen Worten verließ das Mädchen die Wirthsstube. Jakob schaute ihm halb zornig, halb mitleidsvoll [39] nach. Er machte sich jetzt Vorwürfe, daß er von allen Anwesenden die Magd am unwirschesten behandelt habe; er hatte kein Sterbenswörtlein mit ihr gesprochen. Dann sagte er sich wieder: »Aber sie geht dich ja nichts an, du hast ja nichts mit ihr zu theilen, nichts, gar nichts.«

Man sprach nun viel von der Magd und daß sie so lustig sei, als ob sie ihr Lebtag über kein Strohhälmle gestrandelt wäre.

Der Metzgerle bemerkte: »Die hat große blaue Glasaugen wie ein mondsüchtiger Gaul, die sieht im Finstern.«

In Jakob regte sich eine Theilnahme für das Mädchen, die er sich nicht erklären konnte. Er überlegte, ob es wirklich so grundverderbt sei, oder nur so leichtfertig thue; der Schluß seines Nachdenkens hieß aber immer wieder: »Sie geht dich ja nichts an, nichts, gar nichts.«

So oft nun Jakob der Magdalena – so hieß das Mädchen – auf der Straße oder im Felde begegnete, wendete er seinen Blick nach der andern Seite.

Der Hammeltanz wurde im Dorf gefeiert, im Adler ging es hoch her. Jakob versah die Dienste eines Kellners, auch Magdalena half bei der Bedienung. Da man nur in den Pausen beschäftigt war, so hätte Jakob wohl einen Tanz mit Magdalena machen können; er forderte sie aber nie auf und sie schien diese Unhöflichkeit kaum zu bemerken. Wenn er nicht umhin konnte etwas mit ihr zu sprechen, lautete Ton und Wort immer so als ob er sich gestern mit ihr gezankt, als ob sie ihm schon einmal etwas zu leid gethan hätte. [40] Magdalena blieb dabei immer gleichmäßig froh und guter Dinge.

Aufhelfen

Aufhelfen.

Eines Tages ging Jakob in's Feld, da sah er Magdalene vor einem Kleebündel stehen; sie hielt die Hand vor die Stirn gestemmt und schaute sich weit um nach Jemand, der ihr aufhelfe. Jakob war es jetzt plötzlich, als ob sie einem Menschen ähnlich sehe, den er gern aus seiner Erinnerung verbannt hätte; er schüttelte den Kopf wie verneinend und ging vorbei; kaum war er aber einige Schritte gegangen, als er sich wieder umkehrte und fragte:

»Soll ich aufhelfen?«

»Ja, wenn's sein kann.«

Jakob hob Magdalenen die schwere Last auf den Kopf, dann reichte er ihr die Sense. Magdalene dankte nicht, aber sie blieb wie festgebannt stehen.

»Da hast ein' schwere Traget, das hättst du nicht allein aufladen können,« sagte Jakob.

»Drum hab' ich auch gewartet, bis Einer kommt. Dazu ist es ja, daß mehr als Ein Mensch auf der Welt ist, daß Einer dem Andern aufhilft. Man kann doppelt soviel tragen, wenn man sich nicht selber aufladen muß.«

»Du bist gescheit. Warum bist denn allfort so lustig und machst vor den Leuten Possen?« fragte Jakob.

»Narr, das ist Pfui-Kurasche,« erwiderte Magdalene. »Es kann's kein Mensch auf der Welt schlechter[41] haben als ich: die halb' Nacht am Backofen stehen und verbrennen, den Tag über kein' ruhige Minut' und nichts als Zank und Schelten, und wenn ich was nicht recht thu', da heißt's gleich: Du Zuchthäuslerin, du ... Da ist kein Wort zu schlecht, das man nicht hören muß. Es ist kein' Kleinigkeit, so einen Korb voll Brod zum Verkauf herumtragen und oft kein' Bissen im Magen haben. Wenn dein' gut' Meisterin die Adlerwirthin, nicht wär', die mir allbot was zuschustert, die Kleider thäten mir vom Leib abefallen. Ich weiß nicht, ich hab' das noch keiner Menschenseel so gesagt; aber ich mein' als, dir dürft' ich's sagen, du mußt's wissen wie's Einem ums Herz ist. Ich bin nicht so aus dem Häusle, wie ich mich oft stell'. Fortlaufen darf ich nicht, sonst heißt's gleich, die ist nichts nutz, und zu todt grämen mag ich mein jung Leben auch nicht, und ... da bin ich halt lustig. Es gibt Einem doch Niemand was dazu, wenn man sich das Herz abdruckt; es laßt ein Jedes das Andere waten, wie's durchkommen mag. Ich weiß gewiß, es muß mir noch besser gehen. Ich bin vom Fegfeuer in die Höll' kommen, es kann nicht ewig währen, ich muß einmal erlöst werden. Ich weiß nicht, warum mich unser Herrgott so hart straft; was ich than hab', kann dem rechtschaffensten Mädle passiren. Ich mein' als, ich muß für mein' Mutter büßen, weil sie meinen Vater genommen hat.« – So schloß Magdalene lächelnd und trocknete sich große Thränen ab.

Jakob sagte: »Genug für jetzt. Du hast schwer auf dem Kopf, mach' daß du heim kommst. Vielleicht[42] sehen wir uns ein Andermal wieder, oder ... heut Abend, oder ... morgen.«

Jakob ging rasch davon, als hätte er etwas Schlimmes begangen. Auch fürchtete er in der That auf freiem Felde mit Magdalenen gesehen zu werden; er kannte die Blicke und Worte der Menschen in ihrem Tugendstolze.

Jakob kehrte sich bald um und sah Magdalenen nach, bis sie zwischen den Gärten verschwand und man nur noch den Kleebündel zwischen den Hecken sich fortbewegen sah.

Bei der Arbeit beunruhigte ihn immer der Gedanke, welch ein Verbrechen wol Magdalene begangen habe; er hätte sie gern ganz unschuldig gewußt, nicht um seinetwillen, gewiß nicht; nur um ihretwillen, damit sie so harmlos leben könne wie es für sie paßte.

Jakob hatte sich vorgesetzt, fortan allein und getrennt von aller Welt sein Leben fortzuführen; er hatte nicht Freunde und nicht Verwandte auf dieser Welt. Er hatte einst gewaltsam eingegriffen in die gewohnte Ordnung oder Unordnung der Gesellschaft, und die Gesellschaft trennte ihn aus ihrer Mitte und gab ihn der Einsamkeit preis. So schmerzhaft auch diese Vereinsamung war, sie ward ihm jetzt fast eine liebe Gewohnheit. Zurückgekehrt in die Genossenschaft der Menschen, blieb er aus freien Stücken allein und frei, ließ sich von keinem Bande der Neigung und Vereinigung mehr fesseln. Jetzt schien es unverhofft über ihn zu kommen; er wehrte sich mit aller Macht dagegen. Er war nicht leichten Sinnes genug, um sich sorglos[43] einem Verhältnisse hinzugeben; er gedachte alsbald des Endes. Das Leben hatte ihn gewitzigt.

Wie stürmten jetzt diese Gedanken, bald klarer bald verworrener durch die Seele Jakobs. Das aber ist der Segen der schweren Leibesarbeit, daß sie die marternden Gedanken alsbald niederkämpft; das ist aber auch ihr uralter Fluch, daß sie nicht frei aufsteigen läßt in die Klarheit, um dort den Sieg zu holen. Wie viel tausend Gedanken ruhen gedrückt und verkrüppelt hinter der Stirn, die jetzt die schwielige Hand bedeckt; wie viel peinigende fliehen aber auch, wenn diese Hand sich regt. Jakob empfand Beides.

Anfangs wollte Jakob den Entschluß fassen, nie mehr irgend ein Wort mit Magdalene zu reden. Mit seiner früheren Bannformel »sie geht dich nichts an« wollte er das Wogen seines Innern beschwichtigen; aber diese Formel war schon längst nicht mehr wahr, schon damals nicht, als er noch kein Wort mit Magdalene gesprochen hatte. Wendete er den Blick auch ab, wenn er an ihr vorbeiging; im Innern hegte er doch eine tiefe Theilnahme für sie.

Wie klug ist aber die stille Neigung, die sich vor sich selbst verhüllt! Jakob kam endlich mit sich überein, daß Magdalena seiner als Stütze bedürfe; er konnte sich ihr nicht entziehen. Sie hat ja selbst gesagt: man trägt leicht eine doppelte Last, wenn ein Anderer aufhilft.

Jakob gehörte der Welt wieder an. Er ließ sich freiwillig einfügen, freiwillig und doch von einer höheren Macht getrieben. Er fühlte sich frisch und kräftig bei diesem Entschlusse, denn er trat durch denselben wieder [44] in den Einklang mit sich und der Welt. Das jedoch gelobte er sich hoch und heilig, daß er auf der Hut sein wolle; vor acht Tagen, mindestens aber vor Sonntag, das heißt vor übermorgen, wollte er Magdalene nicht sprechen.

Wie leicht aber wirft ein Mann den Liebesfunken in die Seele eines Mädchens und geht dann sorglos hin, sein selbst und des Andern vergessend, während es dort weiter glimmt und zur Flamme auflodert.

Magdalene war nach Hause gegangen und ihr Angesicht lächelte. Sie hatte gar keinen Gedanken, es war ihr nur wohl; sie wußte nichts von der Last auf ihrem Kopfe. In der Scheune stand sie noch eine Weile so still, gleich als wollte sie die Stimmung noch festhalten, die jetzt in dieser Lage in ihr lebendig war; dann aber warf sie den Kleebündel weit vor sich hin, strich sich die Haare zurecht und ging an die Küchenarbeit. Das Belfern der Bäckenfrau fand heute gar keinen Widerpart, Magdalene war geduldig wie ein Lamm. Träumerisch sah sie in das lodernde Feuer und dachte an Alles und an Nichts. Einmal sprang sie plötzlich auf, wie wenn sie gerufen worden wäre, rannte die Treppe hinauf in ihre Schlafkammer, betrachtete mit Wohlgefallen ihre neue Haube mit dem hohen von schwarzem Felbel überzogenen Draht, auch das schöne weiße Goller mit den Hohlfalten probirte sie an, legte Alles schnell wieder in die Truhe, schaute eine Minute in sich vergnügt zum Dachfenster hinaus nach dem blauen Himmel und eilte wieder, eben so schnell als sie gekommen war, zurück an den Herd.

[45] Wie staunte sie aber, als Jakob am Abend und am andern Tage ohne Gruß an ihr vorüberging.

Mit Thränen in den Augen zog sie am Sonntag Nachmittag das schöne Goller an und setzte die neue Haube auf; sie wischte hastig den halbblinden kleinen Spiegel ab, der allein die Schuld tragen sollte, daß man nicht recht sehen konnte.

Des Kindes Sühne

Des Kindes Sühne.

Lange saß Magdalene angekleidet auf der Truhe die all' ihre Habseligkeiten verschloß, dann aber ging sie hinab; die Treppe knarrte unter ihren schweren Tritten. Sie setzte sich auf die Staffel vor dem Hause und ließ ihre Gedanken spaziren gehen, sie selber wollte ruhen.

Nicht lange dauerte diese Ruhe. Jakob kam das Dorf herab, er grüßte sie und – ging vorüber. Jetzt ließ sie ihre Gedanken nicht mehr allein spaziren gehen, ihr ganzes Wesen folgte ihnen nach und sie gingen mit Jakob. Dabei saß sie ruhig auf der Staffel. Kaum hörbar, und ohne es selbst zu wissen sang sie das Lied:


Was hab' ich denn meinem Feinsliebchen gethan?

Es geht ja vorüber und schaut mich nicht an?

Es schlägt seine Aeuglein wol unter sich,

Und hat einen Andern viel lieber als mich.


Es paßte wol nicht; wer aber weiß, wie die Regungen und Erinnerungen der Seele sich ineinander verschlingen? Wie oft läuft ein fremder Gedanke neben her, während das Herz ganz erfüllt ist von dem Ereigniß des Augenblicks!

[46] Besser aber paßte ein anderer Vers, der nun auch folgte:


Die stillen, stillen Wasser,

Sie haben keinen Grund;

Laß ab von deiner Liebe,

Sie ist dir nicht gesund.


Der alte Metzgerle kam nun ebenfalls das Dorf herab. Magdalena fürchtete sich gerade jetzt vor seinen Späßen; sie ging schnell in das Haus und nahm ihren früheren Sitz erst wieder ein als der Spaßvogel vorüber war.

Was läßt sich da nicht Alles träumen an einem sonntäglichen Sommernachmittage!

Viel tausend Jünglinge und Jungfrauen treten zu einander und ihr Schicksal beginnt erst von dem Augenblicke, da sich die Strahlen ihrer Augen in einander schlingen; sie haben sich nichts zu berichten, als harmlose, halbverschleierte Kindererinnerungen. Ihr Leben beginnt erst jetzt, es beginnt als ein gemeinsames, und selig! wenn es so endet.

Wie ganz anders diese Beiden hier! Ein herbes Geschick lastet auf ihnen und sie tragen seine unauslöschlichen Brandmale. Darum zittern und zagen sie und schleichen bang umher. Die Wunden müssen noch einmal aufgerissen werden vor den Augen des Andern; sie quälen sich jetzt zwiefach, da sie vorahnen wollen was den Andern bedrückt, und doch kein Ziel finden.

Da kommt Jakob wieder denselben Weg, er muß um das ganze Dorf gegangen sein. Magdalena schaute nieder in den Schoos, aber sie sah doch Jakob immer[47] näher kommen, und jetzt ging er langsamer, und jetzt sagte er halb vor sich hin:

»Heut Abend nach dem Nachtläuten hinter'm Schloßhag.«

Magdalena antwortete nicht; als sie aufschaute war Jakob fort.

Wie glänzte jetzt ihr Angesicht voll Freude; sie wußte, daß er sie auch lieb habe. Bald aber ging das Trauern wieder an. »Was muß er nur von dir denken,« sprach sie zu sich, »daß er dir so gradaus befiehlt, wie wenn's so sein müßt'. Nein, ich laß mir nicht befehlen, und ich bin kein so Mädle, das Einem nachlauft. Nein, er soll rechtschaffen von mir denken. Du kannst lang warten, bis ich komm'. Und noch dazu auf dem finstern Platz, wo's Einem gruselt. Und was soll ich für eine Ausred' nehmen? Ich bin noch nie nach dem Nachtläuten fort. Und er hätt' wol ein' Weil dableiben können, daß man's besser ausgemacht hätt'. Nein, ich will nicht. Zehn Gäul' bringen mich nicht an den Schloßhag.«

»So ist's recht,« unterbrach jetzt der Metzgerle das nur in einzelnen Lauten vernehmbare Selbstgespräch, »so ist's recht, dein Raffele muß immer gehen; wenn Niemand da ist, schwatzst du mit dir selber, da hast du schöne Gesellschaft.«

Bei diesen Worten setzte er sich hart neben Magdalena, sie aber gab ihm einen gewaltigen Stoß, daß er fast von der Staffel fiel. Sie zog den Schlüssel an der Hausthüre ab und ging auch fort. Sie war heute gar nicht zum Scherzen aufgelegt.

[48] Als es Abend zu werden begann, ward es Magdalena wieder bang zu Muthe; es that ihr doch weh, daß sie so fest beschlossen hatte, nicht nach dem Schloßhag zu gehen. »Er wird gewiß bös sein, und er hat Recht; aber ich bin unschuldig, warum ist er so ungeschickt und ...« So dachte sie wieder und stellte sich an die Hausthüre: sie hatte keine Ruhe mehr zum Sitzen. Als die Abendglocke läutete, ging sie hinein und schaute nach den Hühnern, ob sie alle da wären. Richtig, die schöne schwarze Henne, die jeden Tag den Gott gibt ein Ei legt, die fehlt. Es ist jammerschad, nein, die muß gesucht werden, die muß wieder herbei. Alle Nachbarn werden gefragt, Niemand weiß Auskunft; aber das Hennenfangerle haben Viele heut hier vorbei gehen sehen. Sonst versteckten sich die Leute, die ihr Eigenthum wieder haben wollten, bei solchen Gelegenheiten in der Nähe vom Hause des Hennenfangerle, warteten auf seine Heimkunft und nahmen ihm die Beute wieder ab. Magdalena weiß aber auf andern Plätzen zu suchen: beim Rathhause oder auf dem Schloßplatze – ja, auf dem Schloßplatze, da ist sie gewiß. – Nichts kommt auf den Lockruf herbei. Dort unten ist der Schloßhag und wie im Fluge ist Magdalena dort. Zehn Gäul' bringen sie nicht an den Schloßhag, und jetzt war sie der verlorenen Spur einer Henne dahin gefolgt!

Niemand ist da. Magdalene steht ruhig am Zaune, sie hört das Summen und Schwirren in der Luft, das Zirpen des Heimchens in der Schloßmauer und wie es in der Brunnenstube quillt und quallt. Hinter des Schloßbauern Haus bellt der Hund, in der Ferne [49] singen die Burschen und ein Juchhe steigt wie eine Rakete in die Luft. Der Hollunder duftet stark, Johanniswürmchen fliegen umher wie verspätete Sonnenfunken. Jenseits auf dem Hochdorfer Berge steht eine langgestreckte dunkle Wolke, Blitze zucken daraus hervor; das Wetter kann sich hier heraufziehen. Endlich – der Zaun geht auseinander, dort wo er mit dürren Dornen ausgeflickt ist; Jakob kommt hervor.

»Wartest schon lang?« fragte er.

»Nein ... ich ... ich hab' mein' schwarze Henn' gesucht.«

Und nun erklärte Magdalene, wie sie eigentlich nicht habe kommen wollen, Alles, was sie seit Mittag gedacht hatte, oder doch die Hauptsache wie sie meinte. Jakob gab ihr Recht und berichtete gleichfalls, wie ihm die Bestellung fast unwillkürlich aus dem Munde gekommen sei; er habe etwas sagen wollen und da sei's so geworden.

Magdalene rollte ihre Schürze mit beiden Händen zusammen und sagte nach einer Weile:

»Drum wird's auch am gescheitsten sein, wir gehen jetzt gleich wieder. Und es ist auch wegen den Leuten.«

»Das wär' eins,« erwiderte Jakob, »die Leut' denken doch nichts Gutes, von dir nicht und von mir nicht. Jetzt sind wir einmal da, jetzt wollen wir auch ein bisle bei einander bleiben.«

Nun wurde beiderseits erzählt, wie man seit vorgestern gelebt. – Endlich fragte Jakob, indem er einen Zweig vom Zaune abriß, nach dem Schicksale Magdalenens.

[50] Magdalene fuhr sich mit der Hand über das Gesicht, stützte dann die Wange auf die Hand und erzählte:

»Von meinen Eltern kann ich dir nicht viel berichten, sie sollen früher ein schönes Vermögen gehabt haben, von meiner Mutter her; sie sind aber zuviel von einem Ort in den andern zogen und auch durch sonst Sachen – seitdem ich halt denken mag, sind sie arm gewesen. Mein' Mutter war früher an einen Vetter von meinem Vater verheiratet, und sie ist bald gestorben und ich bin in's Waisenhaus kommen, weil mein Vater sich gar nichts um mich kümmert hat. Ich bin zu dem Schullehrer in Hallfeld than worden. Ich kann's nicht anders sagen, ich hab's gut gehabt; er ist ein grundguter Mann, sie ist ein bisle scharf, aber das war mir gesund, ich bin ein Wildfang gewesen. Mein Vater ist auch all Jahr ein paarmal kommen und der Schullehrer hat ihm zu essen geben und hat ihn geehrt, wie wenn's ein Anverwandter wär'. Der Lehrer hat mich allfort ermahnt, ich soll meinen Vater ja nicht vergessen und soll ihm gut sein; und auf Neujahr hab' ich ihm allemal einen schönen Brief schreiben müssen und hab' ihm als ein paar Strümpf geschickt. Der Lehrer hat die Woll' dazu aus seinem Sack bezahlt. Wie ich vierzehn Jahr alt worden bin, hab' ich einen guten Dienst kriegt in der Stadt als Kindsmädchen; da war ich drei Jahr. Ich hätt' ein schön Geld verdient, wenn nicht all paar Wochen mein Vater dagewesen wär', und da hab' ich ihm Alles geben müssen was ich gehabt hab'. Wenn ich nicht Kleider [51] geschenkt bekommen hätt', ich hätte mir keine anschaffen können. Da sind die zwei jüngsten Kinder an der Ruhr gestorben und ich war überzählig im Haus. Die Leut' haben mich aber gern gehabt und haben mich das Kochen lernen lassen, und da hab' ich einen prächtigen Dienst bekommen bei dem Doctor Heister. Ich bin doch mein Lebtag unter fremden Leuten gewesen und es ist mir nichts zu schwer, aber da war ich wie im Himmel. Wenn man so in ein fremd Haus kommt in Dienst: man kennt die Leut' nicht, man schafft sich ab und weiß nicht ob man's recht macht, und wenn man der Herrschaft was Besonderes thun will, kann man grad einen Unschick machen. Bei dem Heister aber da war Alles gut. Es ist mir oft gewesen, wie wenn ich das Haus so eingerichtet hätt' und Alles war so hell und so schön wie geblasen, und mein' Küch' wie eine Kapelle. Der Doctor und seine Frau waren zwei einzige Leut' und keine Kinder, und da war noch ein Bedienter neben mir und alle Samstag eine Putzerin, und wir haben außer'm Haus gewaschen.«

»Mach's ein bisle kürzer, zu was brauch' ich das Alles wissen?« drängte Jakob.

»Ja, das gehört Alles dazu, paß nur auf. Nun ist mein Vater auch alle paar Wochen wiederkommen, und jetzt hab' ich ihm selber können zu essen geben bis genug, und mein' Herrschaft hat ihm als ein Glas Wein 'rausgeschickt. Der Herr Doctor hat aber bald gemerkt was mein Vater will und wie's mit ihm steht, und da hat er mir's einmal vorgehalten und hat gesagt, daß er die Sach' ändern will, und da hab' ich [52] gesagt: wie's der Herr Doctor machen, wird's gut sein. Von dem an hab' ich keinen Lohn mehr bekommen und die Trinkgelder hab' ich auch abliefern müssen, und das ist Alles auf die Sparkasse tragen worden und ich hab' das Büchle bekommen, da steht alles drin. Nun ist der Herr Doctor verreist, weit bis nach Rußland zu, für ein Waisenkind, das sie um sein Vermögen betrügen wollen. Er ist ein Vater der Wittwen und Waisen. Nun, das hab' ich vergessen: der Bediente, der neben mir war, das war ein wüster Mensch; der hätt' mich schon lang gern fortgedrückt, weil ich nichts von ihm gewollt hab'. Er hat gewiß auch die Geldroll' gestohlen, die von des Herrn Tisch wegkommen ist, mit fünfundsiebzig Gulden drin. Nun, wie der Herr fort war, da ist gleich den andern Tag mein Vater da, wie wenn's ihm ein Vöglein pfiffen hätt'. Selben Tag haben wir Fremde gehabt, den Bruder von der Frau und noch andere Gäste. Ich steh' nun grad' am Spülstein und wasch' das Silber, da kommt mein Vater her und sagt: gib mir Geld. Ich sag', ich kann nicht, und da seh' ich wie er zwei Löffel nimmt und will sie einstecken; ich halt' ihm sein' Hand und ring' mit ihm, er ist stärker als ich. Der Bediente kommt eben und bringt das Kaffeegeschirr, ich will keinen Lärm machen und fort ist mein Vater. Ich renn' ihm nach bis an die Eck', ich seh' ihn noch, und jetzt verschwindet er; ich kann in dem Aufzug wie ich geh', nicht durch die Straßen, und daheim ist alles offen und das Silber steht in der Küch'. Ich renn' heim und stoß' das Blech am Gußstein 'naus und sag': da sind mir zwei [53] Löffel 'nunter, und ich will sie mir am Lohn abziehen lassen. Der Bediente läßt den Abguß aufbrechen, man findet aber keine Löffel. Ich sag' ich weiß nicht wo sie hinkommen sind, und da, da hat mein Unglück angefangen. Der Bediente hat's schnell auf der Polizei anzeigt, er hat sich rein machen wollen wegen der Geldroll', und nach zwei Tagen sind die Löffel wiederkommen und der Silberarbeiter hat genau angeben, daß er sie von meinem Vater kauft hat. Wenn man einmal in's Lügen 'neinkommt, da ist's grad wie wenn man einen Berg 'runterspringt; man kann sich nicht mehr halten. Der Bediente hat Alles angezettelt gehabt. Die gut' Frau Doctorin hätt' die Sach' gern vertuscht, aber es ist nicht mehr angangen: die Sach' hat einmal den Lauf bei den Gerichten. Ich steh' in der Küch' und da kommen zwei Polizeidiener, ich muß mit ihnen 'nauf in mein' Kammer und muß mein' Kist aufmachen und krusten sie drin 'rum und reißen alles 'raus und thun, wie wenn's lauter Lumpen wären, und jetzt muß ich mit ihnen in's Criminal. Ich weiß bis auf diese Stunde nicht, warum ich nicht gestorben bin vor Kummer und Schand'. Gestern hab' ich wegen meinem Küchenkleid meinem Vater nicht nachspringen wollen; hätt' ich's nur than, so bräucht ich mich jetzt nicht so da führen lassen. Du lieber Gott, wie ist mir's da gewesen! Ich hab' gemeint, alle Leut', die mich ansehen, hängen sich an meine Kleider, und es war mir so schwer und doch bin ich fortkommen, und ich hab' mir das Gesicht zugehalten und doch hab' ich gesehen, wie alle Leute [54] stehen bleiben und nach mir umschauen und dann wieder ruhig fortgehen, und Der und Jener hat gefragt: was hat sie than? – So hab' ich die Menschen zum Letztenmal gesehen, die frei 'rumlaufen dürfen. Was geht sie ein armes Mädchen an, das von Polizeidienern geführt wird? Was soll ich dir viel von meinem Gefängniß erzählen? Sie haben von mir wissen wollen, wo die fünfundsiebzig Guldenroll' ist; ich hab' hoch und heilig geschworen, daß ich nichts davon weiß, aber sie haben mir nichts glaubt. Die Löffel hab' ich eingestanden. Hätt' ich sollen meinen Vater in's Unglück bringen? Ich hab' ihm ja jed' Neujahr geschrieben, daß ich ihm mein Leben verdank' und daß ich's ihm auch opfern will, wenn's nöthig ist. Und ich hab' mir auch Vorwürf' gemacht, daß ich mein Geld auf Zinsen gelegt hab' und mein Vater hat derweil Noth gelitten. Kurzum, ich bin in's Spinnhaus kommen.«

So hatte Magdalene erzählt und die Beiden waren lange still, bis Jakob fragte:

»Wo ist denn jetzt dein Vater?«

»Ich weiß es nicht.«

Jakob faßte ihre Hand, ein doppelzackiger Blitz leuchtete von jenseits und Jakob sagte:

»Du hast's gut, du bist unschuldig, aber ich – mein' Geschicht' ist ganz anders.«

»Das schad't nichts,« erwiderte Magdalene, »du hast dafür büßt, und ich seh' dir's an den Augen ab, du hast doch ein gut Gemüth.«

Wiederum leuchtete es hell von jenseits und hell[55] aus den Augen der Beiden. Das war ein grelles, seltsames Licht, mit dem der Blitz über die Angesichter der Beiden streifte; sie schauten sich an und standen wie in glührothen Flammen; und doch war es im selben Augenblicke wieder fahl und grünlichweiß, todtenartig. Sie drückten die Augen zu. Jakob umarmte Magdalene und preßte sie fest an sich.

»Du bist ein prächtig Mädle, wenn ich nur ein anderer Bursch wär'!« stöhnte Jakob.

»Es ist schon spät und ich muß gehen,« sagte Magdalene, »und ich hab' mein' Henn' doch nicht gefunden.«

»Ja,« sagte Jakob, »schlaf wohl, und wir sehen uns schon mehr und ... hab Geduld mit mir. Gut' Nacht.«

Er schlüpfte jetzt nicht mehr mühselig durch die Lücke des Zauns, er sprang behend über den ganzen weg. Magdalene ging stillsinnend heimwärts; sie vergaß, ihrer Henne zu locken.

Am andern Morgen fand sich die schwarze Henne bei den Kühen im Stall eingesperrt. Es ist nicht bekannt, wie sie dahin gekommen und ob Jemand davon gewußt.

Eine erste Liebe und eine zweite

Eine erste Liebe und eine zweite.

Wonnig schaute Magdalene andern Morgens zum Fenster hinaus, der Himmel war so schön blau, sie hätte hineinfliegen mögen, so leicht war's ihr. Die Luft war frisch und klar, auf dem Nußbaum in des [56] Jakoben Garten glitzerten die Tropfen; es hatte heute Nacht stark gewittert. Magdalene hatte den Sturm und das Gewitter verschlafen. Träumerisch hörte sie dem Buchfinken auf der Dachfirste gegenüber zu, der auch schon so früh auf war und schon was zu singen hatte; sie wollte ihn nachahmen und necken, verstand es aber nicht. Sie ging an die Arbeit und sang beim Holzhereintragen, im Stall und in der Küche, bis die Bäckenfrau durch das Schiebfensterchen rief, sie soll still sein, man könne ja nicht schlafen. Sie war still, aber innerlich war sie den ganzen Tag voll Jubel und Seligkeit; es kam ihr immer vor, als ob heut nochmals Sonntag sein müßte. Auf dem Speicher und in der Küche faltete sie oft die Hände und drückte sie fest aufeinander; sie sprach kein Wort, aber ihre ganze Seele war ein Gebet voll Dank und Liebe. Jetzt eilt sie hinauf in ihre Kammer, aber sie sieht nicht mehr nach der schönen Haube und dem weißen Goller, sondern nach ihrem Sparbüchlein, das ihr Doctor Heister frei gemacht hatte. Sie drückt das Büchlein an's Herz und liest darin: sie hat mehr als hundert Gulden ausstehen und das schon bald vier Jahre. Sie kann gut kopfrechnen, kann aber doch die Zinsen nicht vollständig herausbringen, weil noch etwas am Jahr fehlt und das Geld auch nach und nach eingelegt wurde. Es ist zwar eine Zinsenberechnung beigedruckt, aber da kann man jetzt nicht draus klug werden. Sie überlegt, ob es nicht besser sei, wenn sie das Büchlein Jakob zur Aufbewahrung gebe; ein Mann kann eher darauf Acht haben. Es wird ihr auf Einmal angst und bang, das [57] Büchlein könne abhanden kommen; sie legt es zu unterst der Truhe und verschließt sie sorgfältig. Sie überlegt, was man mit dem Gelde anfange. Ein Aeckerchen zu kaufen, dafür langt's nicht und trägt's nicht genug; ja, das ist's: ein gutes Pferd und ein Wägelchen, das kriegt man dafür. Jakob kann gut mit dem Fuhrwerk umgehen, er fährt all' Woch' zweimal als Bote nach der Hauptstadt und hat einen schönen Verdienst. Freilich, das ist dumm, daß er soviel von Haus weg ist, aber es geht nicht anders, und er kommt ja wieder und die Freud' ist um so größer.

Mit einem Wort, es war Magdalenen »wieseleswohl«.

Jakob war auch schon früh auf, er spannte einem Frachtfuhrmann vor. Er war heute auf dem Wege wieder sehr wortkarg, ging immer neben seinem Pferde und wehrte ihm die Bremsen ab. Da lächelte er einmal halb schmerzlich vor sich hin, denn er dachte: »Ich bin auch so ein Gaul, der im heißen Sommer den Frachtwagen ziehen muß und an den sich noch obendrein die Bremsen hängen, ihn stechen und plagen und ihm das Blut aussaugen.« – Während er so dachte, hatte er vergessen auf das Thier zu achten, das nun von den fliegenden Quälern wie übersät war.

Oben an der Steige im Walde wurde Halt gemacht. Jakob spannte sein Pferd ab. Der nächtige Sturm hatte hier tapfer gerast. Drinnen bei den Menschenkindern in ihren festgezimmerten Behausungen da weiß er nichts zu fassen und er packt nur im Muthwillen einen losen Fensterladen und klopft an, die Schläfer gemahnend, daß er wache. Draußen aber, da ist sein Reich. Er läßt [58] das Korn aufwogen, eilt rasch fort nach dem Walde, weckt die schlafenden Bäume, daß sie rauschen und brausen wie das ewige Meer, von dannen er kommt, daß die sangfertigen Kehlen der Bewohner der Lüfte verstummen und denen gleich seien, die in der Tiefe der Wellen hausen; denn ein einziger vom Unsichtbaren ausgehender Odem beherrscht Alles.

Das muß ein lustig Leben hier gewesen sein! Und wie dann der Sturm entflohen war und die segenbringende Wolke alles Leben erquickte! Darum jubiliren auch die Vögel so lustig in den Zweigen und die Lerche steigt, auf sich selbst ruhend, hoch auf, gleich einem Gebete.

Dem alten Eichbaum am Wege, dessen Wurzeln gleich einer mächtig ausgebreiteten Riesentatze sich in die Erde graben, ist ein schöner junger Ast abgeknackt worden. Solch junger Nachwuchs taugt nicht mehr für den knorrigen Alten, das hat ihn der Sturm gelehrt. Auf dem Stumpfe des geknickten schlanken Astes sitzt ein Buchfink und singt fröhlich in den Morgen hinein; er lockt wohl seinen Gefährten. Ist es vielleicht der drinnen im Dorf auf der Dachfirste?

Jakob war schon sehr müde, sitzlings kehrte er auf seinem Pferde heimwärts. Im Vorbeireiten riß er sich ein Birkenblatt vom Baume, legte es zwischen die Lippen und nun merkte man erst, wie vielerlei Weisen, lustige und traurige, Jakob im Kopfe hatte. Der Ton, den er durch das »Blätteln« hervorbrachte, glich dem eines schrillen Instrumentes, nur entfernt mit einem hochgezwängten Clarinettenton zu vergleichen; dabei war [59] er aber der leisesten und zartesten Biegungen fähig. Besonders künstlich war, wie Jakob den Klang des Posthorns mit seinem eigentümlichen Zittern nachahmte.

Seitdem Jakob in das Dorf gekommen, war dies zum Erstenmal, daß er etwas von seinem Melodienschatze preisgab. Im Innern war es ihm aber gar nicht »singerig« zu Muth. Er machte sich grausame Vorwürfe über sein gestriges Benehmen, er ist weiter gegangen als er wollte; er hat ein fremdes Leben an sich geschlossen und doch ist ihm sein eigenes zur Last. Er sieht Qual und Kummer von neuem über sich kommen. Er gedenkt einer Vergangenheit – das Blatt entfällt seinem Munde, er fängt es aber noch glücklich mit der Hand auf und blättelt weiter. Er kam sich jetzt doppelt verächtlich vor, da er so hülflos und verlassen ein so herrliches Mädchen mit Gewalt von sich stoßen mußte. Und doch muß es so sein – das war der Schluß seiner Ueberlegungen.

Als er heimkam, bemerkte er, daß er das »Zielscheit« verloren hatte. Er rannte nun nochmals den Weg hin und zurück, für den er vorhin zum einmaligen Gehen zu müde war; aber vergebens, er fand das Verlorne nicht wieder. Alles, was er heute unternahm, ging ihm »hinterfür«, und selbst die Thiere waren wie verhext. Er trat den Braunen mit den Füßen, weil er sich nicht alsbald schirrgerecht an die Deichsel gestellt hatte; heute zum Erstenmal wurde er von Konrad tüchtig ausgezankt. Jakob ließ sich's aber nicht gefallen, sondern erwiderte scharf und bestimmt: der Adlerwirth könne ihn ja auf Michaeli fortschicken, oder morgen oder gleich [60] heut, es sei ihm Alles eins. Konrad schwieg, denn so arg hatte er's nicht gemeint.

So sind aber die Menschen, sowohl die, welche man Herren heißt, als auch die, welche wirklich Knechte genannt werden. Wenn ihnen etwas quer gegangen ist und sie in Verstimmung bringt, da zerren und reißen sie an allen Banden, die sie mit Anderen verknüpfen; sie wollen noch unglücklicher, sie wollen losgetrennt und allein sein, damit Niemand die Befugniß habe, sie in's Klare zu bringen, weil sie nur im Unklaren zu ihrer Verstimmung berechtigt sind.

Jakob wäre es noch besonders lieb gewesen, wenn ihn sein Herr beim Worte genommen hätte; er selber wollte nichts dazu thun, aber eine fremde Gewalt sollte ihn fortdrängen aus allen seinen jetzigen Verhältnissen, aus all dem Wirrwarr, den er hereinbrechen sah.

Jakob war sehr unglücklich. Ein Schauer überkam ihn voll süßer Wehmuth, wenn er an Magdalene dachte; sie konnte ihm sein Leben wieder aufhellen, und doch war auch sie gebrandmarkt, vor den Augen der Welt wenigstens. Sie waren Beide arm – was sollte daraus werden? Er überlegte nun, daß er eigentlich noch gar keine Verpflichtung gegen Magdalene habe, Alles war noch zu trennen; um dieses vollends zu bewirken, wollte er ihr berichten wer er sei.

Mit diesem Vorsatze ging er den andern Abend zu Magdalene in die Scheune, wo sie kurz Futter schnitt. Sie setzten sich auf einen Kleebündel und Jakob erzählte:

»Ich hab' kein' Jugend gehabt, ich kann dir nichts davon erzählen. Noth und Elend macht vor der Zeit[61] alt. Ich bin ein vaterloses Kind. Weißt du, was man da auszustehen hat? Von den Alten und von den Jungen? Der Schullehrer hat einen Seinesgleichen aus mir machen wollen, ich will aber nicht. Eine Viertelstund von meinem Ort da ist die Post, da war ich immer und hab' geholfen. Ich hab' zu essen bekommen und die Reisenden haben mir auch oft was geben; ich hab' aber nie Einen angesprochen. Ich närrischer Bub hab gemeint, es kommt einmal ein König mit einer goldenen Kron' auf, und der nimmt mich mit und macht mich glücklich. Ich hab' allerlei dumme Geschichten im Kopfe gehabt und hab' auch gemeint, Der müss' kommen von dem mein' Mutter nicht gern spricht und hab' allen Menschen in die Augen gesehen. – Fort, es ist jetzt alles vorbei ... Wie ich vierzehn Jahre alt war, hab' ich das Postkärrele bekommen und was meinst, wie wohl mir's war, wie ich den gelben Rock' hab' anziehen dürfen und den Glanzhut aufsetzen? Das war die glücklichste Zeit, die ich in meinem Leben gehabt hab'. Hurrah! Wie bin ich dahin gefahren auf meinem zweirädrigen Kärrele, ich war allein und hab' selber kutschirt, jetzt war Ich König. Mein Herr hat mich einmal geschlagen, weil der Gaul gefallen ist und hat sich beide Vorderfüß' aufgeschürft. Am nächsten Ziel bin ich fort und bin Kutscher in der Stadt geworden.

Nach zwei Jahren bin ich fort. Warum? das gehört nicht daher. Ich bin nun Postillon in R. geworden. Jetzt war mir's erst wieder wohl. Mein Posthörnle, das war mein' Freud. Ich hab' manches Trinkgeld über die Taxe von den Reisenden bekommen, weil's [62] ihnen gar wohl gefallen hat. Wenn ich Nachts durch den Wald heimgeritten bin, da war mir's wie wenn die Bäum' sagen thäten: fang' jetzt einmal an, spiel einmal eins auf, wir warten schon lang. Und da hab' ich viel' besser geblasen, als ich's eigentlich kann, und die Bäum' haben sich selber vor Freude geschüttelt im Mondlicht, und der Wald hat selber zu blasen angefangen, und ich hab' nicht mehr aufhören können, und eins hat das andere nicht ruhen lassen, und es war mir, wie wenn ich mein Leben lang, hundert Jahr so fortreiten sollt', und mein' Gäul' sind so still und fromm dahin gangen, und ich selber war fromm und lustig und Alles war prächtig.«

Jakob hielt eine Weile inne, biß scharf auf die Lippen, dann fuhr er fort:

»Ich bin jetzt nur noch der halb' Kerle, der ich war. Ich darf's jetzt schon sagen, ich bin's ja nicht mehr, ich war ein ganzer Bursch. Die ganz' Welt hat mich lieb gehabt und ich hab' sie wieder lieb gehabt; ich hab' nicht gewußt, was Kummer ist und Alles hat mir freundlich gelacht, wenn ich's angesehen hab. Es ist vorbei ...« Mein Unglück hat in dem Haus schräg gegenüber von der Post gewohnt und das war die Frau von dem Kupferschmied, und die allein hat nicht gelacht und hat die Augen niedergeschlagen, wenn sie mich gesehen hat. Was ist da viel zu sagen? Wir haben einander gern bekommen. Jetzt war ich im Fegfeuer und ich hab' Tag und Nacht kein' Ruh mehr gehabt. Guck, wenn unser Herrgott einen mit der siebenten Höll' strafen will, da soll er ihn nur in eine Ehefrau verliebt machen. Ist man [63] brav, da möcht' man verbrennen; ist man nicht brav, da hat Einen der Teufel und sein' Großmutter am Bändel und läßt Einen nicht ruhen und nicht rasten und gunnt Einem kein' fröhliche Minut. Wenn ein Bursch eine Ehefrau gern hat, sollt' er sich nur gleich einen Stein um den Hals hängen und sich ins Wasser schmeißen, wo's am tiefsten ist. Oder ein guter Freund sollt's ihm thun, wenn er selber nicht will. Es gibt kein ander Rettungsmittel. Die Kupferschmiedin war siebzehn Jahr alt wie sie geheirathet hat. Sie hat damals noch nicht gewußt, was das zu bedeuten hat; sie hat's zu spät erfahren. Der Kupferschmied war ein schlechter Gesell und hat sein' Freud' dran gehabt, sie zu peinigen. Er ist fast den ganzen Tag bei uns in der Wirthsstub' gesessen und hat da gelumpt. Einmal hör' ich, wie er zum Doctor sagt: »Doctor, könnet Ihr mir nicht helfen? Mein' Frau liegt mir nicht recht und steht mir nicht recht.« »Warum? wo fehlts?« fragt der Doctor und der Schmied sagt: »Sie sollt' halt auf dem Kirchhof liegen und im Kirchenbuch stehen«. Alles hat gelacht, ich wär' gern hin und hätt' ihm den Kragen 'rumgedreht. Er muß mir so was angesehen haben und nimmt einen harten Thaler aus der Tasch', wirft ihn auf den Tisch und sagt: »Jakob, den kriegst du zum Trinkgeld, wenn du mir mein Weib abnimmst.« Ich hab' Angst vor mir selber bekommen, ich hab' nichts sagen können und bin 'naus in den Stall und hab' mir gewünscht, wenn ich nur ein Gaul wär' oder gestorben. Ich hab' mir heilig vorgenommen, gar nicht mehr nach der Kupferschmiedin umzuschauen; aber es [64] ist nicht gangen. Am Sonntag drauf kommt gegen Abend eine Extrapost, ich spann' an und fahr' mit fort. Es waren zwei prächtige Leutle drin, ein junges Ehepaar, und die haben sich so gern gehabt und sie hat immer gewollt, er soll rauchen, und er hat gesagt, es sei ihm so feierlich zu Muth, er könn' jetzt nicht; und da haben sie die Handschuh' auszogen und haben sich die Hand geben, und er hat ihre Hand an den Backen gehalten und sie sind still gewesen. – Ich hab' schon seit vielen Tagen nichts weiter als das Signal blasen, und jetzt war mir's, wie wenn mir Einer das Posthorn an den Mund legt' und ich hab' aufgespielt, daß es eine Art gehabt hat, und wie ich absetz', haben die beiden Eheleut' in die Händ' klatscht und haben sich nachher küßt. Wie wir den Berg oben sind und die Sonn' ist drüben so schön untergangen, da sagt er wieder: ich soll noch ein Stückle blasen, und ich hab's gethan, und hab' nicht mehr aufgehört, bis wir auf der Station waren, und da hab' ich einen harten Kronenthaler Trinkgeld bekommen. Ich füttre nun und mach' mich auf den Heimweg, die beiden Leutle grüßen noch zum Fenster heraus und Sie ist noch schöner ohne Hut. Ich bin fast immer die Steig' hinauf neben meinen Gäul gangen, aber heut waren mir die Stiefel wie Centnerstein' an den Füßen. Es war mir, wie wenn ich im tiefen Wasser ging'; ich hab' mich nicht regen können. Mein Sattelgaul guckt mich verwundert an, wie ich jetzt schon aufsteig'. In Steinsfeld ist Kirchweih. Ich bind' meine Gäul am Haus an und geh auch 'nauf zum Tanz. Der Kupferschmied ist auch da und thut wie ein lediger[65] Bursch; ich hab' mich aber nicht viel um ihn bekümmert und hab' mich in eine andere Stub' gesetzt. Heut zum Erstenmal hab' ichs gespürt, daß ich viel geblasen hab', ein Schoppen langt nicht; ich trink' mehr, ich hab' ja auch mehr als dreifaches Trinkgeld. Jetzt bin ich grausam traurig geworden. Da sind die Burschen alle und Jeder hat seinen Schatz und Jeder darf ihn zeigen, und ich – ich hätt' mir gern in's Gesicht geschlagen. Ich hab' mein Schicksal verflucht und hab' mir vorgenommen, die Sach' zu ändern und wenn ich meinen Dienst aufgeben muß. Es ist schon gegen zwölfe, wie ich heim reit', und die Bäum' am Weg haben tanzt, und die Stern' haben mich wie zum Spott anblinzelt und ich hab' an die beiden Eheleute dacht und an daheim und an Alles, und der Kopf hat mir geturmelt und mein Horn hat auch den Teufel im Leib und will nimmer. Wie ich in den Wald komm', da geht der Kupferschmied am Weg; ich nehm' mein' Peitsch und thu' ein Fitzerle nach ihm, nur zum Spaß, er aber schimpft was er vermag und geht auf mich los. Ich 'runter, ihn tüchtig durchklopfen und in den Graben schmeißen: das war Alles eins.

Meine Gäul', die sonst ruhig stehen bleiben wie die Lämmer, waren davongegangen, ich muß ihnen schnell nach und hol' sie richtig ein, dort wo's wieder den »Stich« hinaufgeht. Tags darauf hör' ich, daß der Kupferschmied krank im Bett liegt, er sei auf einen Stein gefallen und sei die ganze Nacht mit den Füßen im Wasser gelegen. Jetzt ist mir's doch bang worden und ich hab' dacht, das wär' nun die best' Zeit, um auf und [66] davon zu gehen; aber der Teufel hat mich am Narrenseil gehabt und hat mir allerlei vorgemacht. Der Schmied hat scheint's die Sach' von Anfang nicht bekennen wollen. Samstag Morgens hat mich der Schütz und ein Landjäger aus dem Bett geholt und sie haben mich auf den Thurm gesperrt. Ich sag' nichts davon, wie mir's da gewesen ist. Der Thorwart hat mir gesagt, der Schmied läg' am Sterben. Wie ich nun so jeden Tag gehört hab', wie's geht, einmal schlimmer, einmal besser – du kannst dir nicht vorstellen, wie mir's da um's Herz war. Im Gefängniß hab' ich geweint wie ein Kind und vor dem Richter war ich stolz und hab' Alles geläugnet. Er war gar scharf. Ich hab' in der Nacht kein Aug' zuthun können und wenn ich ja hab' schlafen wollen, da bin ich wieder aufgewacht; um zwei Uhr da kommt der Postwagen grad durch das Thor, wo ich drauf sitz, den hab ich geführt, und jetzt war mirs allemal, wie wenn mir der Wagen über den Leib wegging', so hat mich's geschnitten, und der weiße Spitzhund hinten auf dem Packkasten hat bellt und hat mich ausgelacht. Nach vier Wochen ist der Schmied gestorben, wie sie sagen an der schleichenden Hirnentzündung. Jetzt hätte ich's gern eingestanden, ich kann aber nicht mehr, ich bin sonst verloren, und der Richter war fuchsteufelswild. Jetzt kommt das Aergste – sagte Jakob und ballte beide Fäuste – »ich hab' Prügel bekommen. Was ich da dacht hab', wie ich dagelegen bin und die ganz' Welt hat auf mich losgeschlagen – unser Herrgott wird mir's verzeihen, aber die Welt wenn ich hätt' anzünden können, ich hätt's than. Und wenn [67] sie mir das Paradies schenken, ich kann nicht mehr froh sein, so lang ich unter Menschen bin.«

Jakob war still, sein Athem ging rasch; Magdalene strich ihm mit der Hand über die Stirn und er fuhr fort:

»Ich hab' Alles eingestanden, mehr als ich than hab', ich hab' wollen köpft sein; nur fort, nur schnell. Kurzum, weil ich trunken gehabt hab' und auch sonst noch, ich weiß nicht warum, hab' ich nur fünf Jahr' Zuchthaus kriegt. Ich bin da Jahre lang allein gesessen. Was meinst, was einem da in Kopf kommt, wenn man keinen Menschen sieht und hört und spricht? Ich muß einen festen Hirnkasten haben, daß er nicht versprungen ist.«

»Siehst du, so bin ich. Ich hab' einen Menschen aus dem Leben geschafft, hab' kein' Freud mehr an der Welt, hab' Niemand mehr gern, mag nicht mehr. Ich bitt' dich,« fuhr er fort, die Hand Magdalenens fassend, »ich bitt' dich, laß du mich auch; wer mich anrührt, hat Unglück.«

Magdalene saß lange still, endlich fragte sie: »Wie geht's denn der Schmiedin? weißt nicht?«

»Freilich. Sie hat schon lang wieder geheirathet, den Bachmüller; sie war eine Scheinheilige, ich hab' böse Sachen erfahren.«

».Es ist dir doch recht schlecht gangen,« begann Magdalene wieder, »aber du bist doch gut, und es wird dir gewiß auch noch gut gehn.« Sie konnte vor Weinen nicht weiter reden.

Plötzlich stand Jakob straff auf. Es war ihm zu Muthe, als ob er eine große Last abgelegt hätte; er fühlte sich so leicht und frei.

[68] »Und wenn mir's gut geht, so mußt du auch dabei sein,« sagte er mit einer ganz andern Stimme als bis her. Er hob Magdalene in seinen Armen empor und trug sie wie ein Kind umher; endlich gab er ihren Bitten nach und ließ sie herunter.

Als sie auf dem Boden stand, sagte sie: »Nein, ich möcht' dich auf den Händen tragen, damit du Alles vergissest; gib nur Acht, es wird schon.«

Jetzt erst waren die Beiden selig.

Von nun an scheute sich auch Jakob nicht mehr, vor Aller Augen mit Magdalene zu sprechen und sie zu besuchen.

Besonders oft standen sie hinter dem Hause beim Backofen. Das Verhältniß der beiden Sträflinge reizte aber die Spottlust im Dorfe. Als sie eines Abends so beisammen standen, hörten sie die Burschen nicht weit davon singen:


Und des Hudelmanns Tochter

Und des Bettelbuben Jung',

Die tanzen miteinander

Im Holdergäßle 'rum.


Der Hudelmann steht daneben

Und lacht überlaut:

Der Herr sei gelobet,

Meine Tochter ist Braut.


Das erste Gefühl Jakobs, als er diesen Sang hörte, war nicht Zorn, sondern Trauer über die Menschen; so sehr hatte er sich geändert.

Nach wenigen Tagen hatte auch die Spottlust ihr[69] Genüge; und man ließ die beiden Liebenden ungekränkt.

Jakob hätte nun gern etwas Großes, etwas Gewaltiges gethan, um seine Wiedergeburt, seine Rechtschaffenheit zu bethätigen und das Glück zu erringen. Aber wo war ein Raum für ihn? Er arbeitete für zwei Mann, aber was nützte das? Er konnte Jahre lang arbeiten, pünktlich und gewissenhaft sein; ein einziger Fehler zerstörte wieder Alles, frischte das Brandmal wieder auf, das durch eine einzige That seinem Leben aufgedrückt und nie zu tilgen war, weder aus seinem Gedächtnisse, noch aus dem der Menschen.

Er stand wieder einmal oben auf dem Berge und sah den abgeknickten Ast an der Eiche, der jetzt verdorrt war. Im Innern Jakobs sprach es: »Wie viel Jahre braucht so ein Ast, um zu wachsen, und ein einziger Sturmwind, ein einziger Axthieb knackt ihn in einem Augenblick ab ... Was thut's? Wenn nur der Stamm gesund bleibt, der Saft strömt der Krone zu.«

Eine unwandelbare Zuversicht lebte in Jakob. Er trauerte wol noch oft, es waren die Nachschauer eines langen Gewitters; die Sonne stand schon hoch und hell am Himmel.

Einen Schmerz aber konnte Jakob nicht verwinden, ohne ihn Magdalene mitzutheilen. Er fragte sie nach ihrem Vater, sie wußte nichts von ihm.

»Guck,« sagte er dann, »es ist jetzt kein' Red' mehr davon, daß wir von einander lassen; aber tief thut mir's weh, daß wir so allein stehen, gar keine Familie haben. Ich hab' mir früher als dacht, wenn ich einmal[70] heirath', da möcht' ich in eine große Familie hinein. So ein alter Schwiegervater und eine dicke Schwiegermutter, und recht viel Schwäger und Schwägerinnen, und Vaters Brüder und Schwestern, und so Alles, das muß prächtig sein. Und wenn's auch arme Leut' sind, die Einem nicht aufhelfen können und Einem auf dem Hals liegen, man hat doch recht viel' Menschen, die Einem angehören und Einem doch beistehen können in allen Sachen. So ohne Familie ist man wie ein Baum auf einem Berg, der steht allein und verlassen; wenn ein Wind kommt, packt er ihn von allen Seiten und läßt ihm lang' keine Ruh. In einer Familie aber ist man wie in einem Wald; kommt auch ein Sturm, so hält man's miteinander aus, und man hält zusammen. Was meinst du dazu? Hab' ich Recht?«

»Freilich,« seufzte Magdalene, »aber alle Menschen sind ja verwandt miteinander, wenn man's auch nicht so heißt, und ... und ... ich weiß nicht, wie ich's sagen soll: die rechte Lieb' ist doch, die man zu Leut' hat, die nicht verwandt heißen; das ist viel mehr. Und glaub' mir, ich hab' mein Lebtag die Gutthaten der Menschen genossen; es gibt Viele, die noch Alle gern haben, mehr als Verwandte; denk nur an den Schullehrer und an den Doktor Heister und an Alle, die so sind, und das ist unser' Familie, und die ist groß.«

Eine Nacht im Freien

Eine Nacht im Freien.

Es geht ein tiefes Wehe durch das Herz der Menschheit, daß es erzittert in namenlosen Schauern. Es ist[71] kein Mensch auf Erden, der das Heiligthum seines Wesens rein und frei und ganz hinwegtrüge über diese kurze Spanne Zeit. Abfall und Schmerz ist sein Loos, und aus ihnen steigt er auf, ringt nach Wiedervereinigung, nach seligem Leben. Das Menschenthum wird aus Schmerzen geboren. Muß das sein? Sollen wir nicht auf den lichten Höhen der Freude und des Einklangs eingehen in die Ewigkeit, als ganze, volle, reine Menschen? Die Flammen der Liebe und der Begeisterung! Sie haben Genien gezeugt und Ungeheuer. Wir Alle, die wir hier sind und waren, wir sind schon hinabgestiegen zur Hölle in der Tiefe unserer Brust, und wohl uns, wenn wir wieder erstanden sind zum freien, heitern Licht; aber mitten im Anschauen des Lichts hüpfen noch oft schwarze, nächtige Schlangen vor unserem Auge – wir können nicht fassen das volle Licht.

Da sitzt ein einfältiger Knecht und auf ihn hat sich die ganze Schwere des Menschenthums gelagert.

Der Himmelsbogen spannt sich so glänzend über die weite, reiche Erde, ihr Saft nährt von Geschlecht zu Geschlecht, und da und dort in allen Winkeln sitzen die Menschen und trauern, und ihre Brust hebt ungestillte Sehnsucht.

Sehen wir, wie es Jakob ergeht.

Er sitzt auf dem Stein vor dem Stalle. Er, der sonst so Ruhelose, kann jetzt oft Stunden lang hinsitzen und nichts thun und nichts reden; aber es ist nicht mehr die alte Schwermuth, die träg und eintönig seine Seele erfüllte: Alles hüpft in ihm vor Freude und er[72] sitzt still, wie magnetisch festgebannt und läßt es in sich walten wie eine stille Musik. Er ist glücklich. Er hat sich selber wieder, indem er ein Anderes Herz gefunden, er lebt in sich vergnügt, denn er lebt für ein Anderes.

Es ist Samstag Abend. Der Sommer ist heiß, das ist ein Jahr in dem die Schlehen reif werden. Auf dem ganzen Dorfe liegt's wie der heiße Athem eines Ermüdeten. Die Sonne stieg purpurn hinab und schaute noch einmal in die glührothen Angesichter der Menschen; es war als ob auch sie, müde nach sechs Tagewerken, sich des kommenden Tages freue, da sie allein draußen über Feld und Wald stehen und keine undankbaren Klagen von Menschenstimmen hören solle. Durch die Gassen jauchzen und jubeln die Kinder und sind unbändig. Wenn die Sonne hinabsinkt, verspürt das junge Erdenkind eine wundersame Erregung, als ob es mit fühlte den Schauer, der über die Erde zittert, wenn sie den letzten Sonnenstrahl in sich saugt. Männer und Frauen sitzen vor den Thüren und lassen die arbeitsschweren Hände rasten; um so behender aber regen sich die Zungen zu allerlei Gerede, gutem und bösem. Aus den Ställen vernimmt man abgerissenes Brummen der Thiere, das ist ihr Abendgespräch.

Neben Jakob streckt der Rappe den Kopf zum Stallfenster heraus, horcht still hinein in die Nacht und bläst die Nüstern weit auf. Aus dem obern Dorfe herab hört man das Singen der Burschen. Sie gehen noch gemeinsam und lassen noch gemeinsame Worte erschallen, aber bald zerstreuen sie sich, denn es ist heute Samstag Abend, und an manches Fensterlein wird [73] geklopft und da findet schon jedes die Worte, die ihm Allein taugen.

Still und immer stiller wird es auf den Gassen, die Menschen sind schlafen gegangen. Droben wölbt sich der sternglitzernde Himmel und still fließt das Mondlicht von der Blechkuppel des Kirchthurmes. Drunten aber sitzt ein Mensch und sein Herz pocht einsam und um ihn wehen Gedanken, die nicht die seinen, sie kommen von fern und weben um ihn, wie der Mond in sein Antlitz strahlt, still erglänzt auf Stirn und Wangen und wieder abgleitet.

Droben funkeln die Sterne, frei hinausgestellt von Gottes Hand, und sie wandeln unhörbar ihre gemessene Bahn. Millionen Augen, längst geschlossen, schauten hier hinauf; Millionen werden aufschauen und keines dringt in den Grund. Die Erde lebt, die Sterne leben, ihre Worte sind glitzernde Strahlen, Lichtboten rauschen durch die Welten. Willst du sie fassen, du lallendes Kind an der Mutterbrust? Willst du verstehen den Blick des Vaters und seine strahlenumwundenen Gedanken? – Laß ab, o Erdenkind, dein Zagen und Bangen; über eine Weile öffnet dir der Tod die Pforten des Wunders.

Jakob seufzt tief auf, er geht in den Stall, gibt den Pferden über Nacht und jetzt steht er an die Thürpfoste gelehnt, er findet keine Ruhe.

Leichtbeschwingter Geist! Flieg' auf und wiege dich frei über Berg und Thal, über Wald und Bach, schwimme hin in die Wellen des Mondlichts und schau in die Wipfel der Bäume, wo die Vögel wohlig ruhen, und [74] in den Spiegel des See's, drin die Sterne sich beschauen. Sei selig und frei.

O! wie schwer haftet die Sohle am Boden!

Mitternacht ist nahe, Jakob geht durch das Dorf; wohin? er weiß es selber nicht, nur soviel ist gewiß, daß er sich nach Nichts sehnt; er ist nicht mehr er selber, er ist wie aufgelöst in das All.

Der Mond zieht allewege mit, immer voller, immer tiefer. Wie lautlos ringsum, wie eine Pause in dem endlosen Rauschen der Weltaccorde, drin das Herz aufathmet und sich sammelt. Träume steigen unhörbar aus und ein über den Hütten. Dort stöhnt eine Brust von Qual und dort lächelt ein Antlitz von Wonne. Bald stöhnt deine Brust, bald lächelt dein Antlitz nicht mehr – es kommt der ewige Schlaf.

Jakob ging immer weiter und weiter. Er schaute sich nicht um, er gedachte der Nächte, die er im Kerker verbracht, in denen er eingesargt, abgestorben war in der großen weiten Welt; er streckte die Arme weit aus, als wollte er tasten ob nirgend eine Wand wäre; er wandelte jetzt frei umher, und doch zog es ihn fast willenlos fort. Als fühle er's, daß er jetzt am letzten Hause sei, schaute er auf. Oben zur Dachkammer in des Hennenfangerle's Haus grinste ein teuflisches Angesicht in die Nacht hinein. War das nicht Frieder? Jakob eilte, wie von Dämonen gegeißelt weiter.

Dort an dem Weiher steht die einsame Pappel, ihr Stamm ist gebeugt als wollte sie sich niederlegen zur Erde. Welch' seltsame Zeichen dort im Schatten? Wird ein Geist heraustreten und alle Lohe des Herzens löschen [75] oder hellauf lodern machen? Wo seid ihr, wundersame Gestalten, die ihr den nächtlichen Reigen tanzet?

Weiter schreitet Jakob durch die Wiesen ins Feld. Der Sturm hat das Korn niedergetreten, und es dorrt demüthig geduldig, bis der Herr der Erde, der Mensch, die Sichel anlegt und es einheimst.

Ein röthlicher Schimmer liegt auf den Kornhalmen, gleich als funkelten die eingesogenen Sonnenstrahlen fort und fort. Wie nächtig ragen die dunckeln Bäume hinein in den blaugeschliffenen, glitzernden Krystall des Himmels. Die Wolken, vom Monde durchströmt, ruhen angeglüht zwischen Sonnenaufgang und Niedergang. Wo ist die Nacht? ... Dort im dunkeln Walde, dort hat sie sich niedergesenkt und ruht.

Wie schlüpfen die Mondstrahlen durch das Gezweige und ruhen auf den Blättern und gleiten hinab auf den Boden und schlummern auf weichem Moose. Tief unten aber gräbt der Baum seine Wurzeln hinab und saugt den Saft und schickt ihn hinauf in die Blätter, drauf die Strahlen ruhen, daß sie miteinander kosen in lautloser Verschwiegenheit, was im Dunkeln geschlummert und was im Lichte herniederstieg; und jedes Blatt ist ein Hochzeitsbette.

Jakob legte sich unter die Buche an der Halde. Er will die Augen schließen und es ist ihm, als läge er tief unten im Meeresgrunde und über ihm rauschten die Wellen und schwämmen Geschöpfe ohne Zahl.

Welch ein Klingen in den Lüften, Himmel und Erde liegen in stiller Umarmung; welch' flüsternde Lebensstille im Aether. – Eine Blume verwelkt, eine andere [76] springt auf, ein Mensch ist geboren, ein Mensch ist vergangen.

Jakob richtet sich auf, rückt rasch seine Mütze zurecht: er gedenkt, den Kopf wieder auf die Hand niedergesenkt, wie einsam er ist. Er will fort; was zögert er? Die Augen gehen auf und zu, die Arme heben sich und sinken nieder ....

Am Fenster Magdalenens pocht es leise.

»Wer ist da?«

»St! Jakob.«

»Um Gottes willen, was willst du?«

Er antwortete nicht und stieg durch das geöffnete Fenster, er hatte die Mütze tief in die Stirn gedrückt; er gab Magdalene keinen Kuß und schlich leise durch die Kammer die Treppe hinab. Nach geraumer Weile kam er wieder und verließ lautlos die Kammer auf dem Wege, wo er gekommen war.

Magdalene schaute hinaus in die Nacht. Ein Wimmern und Wehklagen zog durch die Luft, und nach einer Weile schlich eine schwarze Katze oder ein Marder über die Dachfirste am Hause gegenüber ....

Die Lerche hatte schon längst den ersten Sonnenstrahl gegrüßt und sich ihm entgegengeschwungen, die Vögel jubilirten schon lange in den Zweigen, die Käfer summten, die Bienen und Schmetterlinge flogen umher – endlich erwachte Jakob. Er rieb sich verwundert die Augen, er konnte sich nicht entsinnen, wo er war, wie er daher gekommen. Nach und nach wurde es ihm klar und sein Auge glänzte so hell wie die Thautropfen auf Blatt und Halm. Jeder Nerv in ihm spannte sich in [77] Frohmuth, etwas von der allbelebenden, geheimnißvollen Kraft der Mutter Erde durchströmte ihn. Er war wie neugeboren und sprang muthig hinein in den jungen Tag.

Wenn man nach einer solchen Nacht und einem solchen Morgen nur etwas Außerordentliches vollbringen könnte, eine That für die Ewigkeit. Wie klein und zerstückelt ist da all das gewöhnliche Thun und Treiben!

Jakob eilte mit Herzklopfen nach Hause, er wußte nicht, welche Stunde am Tag es war. Erst als er sich dem Dorfe näherte und die Ziffer an der Thurmuhr erkennen konnte, ging er langsam, still und fromm.

Am ersten Hause des Dorfs schreckte er zusammen.

»Guten Morgen, Jakob, woher schon so früh?« rief eine gellende Stimme, es war die des Hennenfangerle, das zum Fenster herausschaute. Jakob antwortete nicht und ging rasch. Die Hexe hatte ihn zuerst gegrüßt, das gab einen bösen Tag.

Zu Hause traf Jakob große Verwirrung. Ein Fuhrmann wartete schon seit einer Stunde auf Vorspann; der Adlerwirth, aus seinem Schlafe gestört, schalt mit allem Nachdrucke. Der Rappe hatte sich über Nacht im Stalle losgerissen und hatte den Braunen geschlagen, neben dem er sonst friedlich an der Deichsel ging, hatte den Futterkasten zertrümmert und allerlei Untereinander angerichtet.

Das war ein schöner Morgen nach einer solchen Nacht.

Eben als Jakob vorspannen wollte, kamen der Schultheiß und der Schütz und verhafteten ihn. Dem Bäck [78] wären heut Nacht achtzig Gulden aus dem Eckschrank gestohlen worden. Der Nachtwächter hatte Jemand zu Magdalene hineinsteigen sehen, das Bett Jakobs war unberührt – er war der Dieb.

Anfangs lachte Jakob aus vollem Halse. Man hatte ihn noch nie lachen gehört, und das klang jetzt wie der teuflischste Spott. Bald aber lachte er nicht mehr, sondern schlug mit Riesenkraft um sich, als man ihn packen wollte; er hatte die Kraft eines Rasenden. Er faßte den Schütz und den herbeigekommenen Kilian am Halstuch und würgte sie, daß sie kirschbraun aussahen; er hätte sie erdrosselt, wenn nicht neue Hülfe gekommen wäre. Nur mit Mühe gelang es fünf Mann, ihn niederzuwerfen und zu binden.

Jetzt war er im Stall eingesperrt und gebunden.

Magdalene wußte nichts von alle dem. Sie war betrübt aufgestanden und wollte eben die Hühner herauslassen; keines kam hervor, der Marder hatte sie allesammt erwürgt. Sie konnte nicht in's Haus eilen und die Unglücksbotschaft verkünden, denn auch zu ihr kamen der Schultheiß und der Schütz und verhafteten sie. Sie folgte still der Weisung.

Das ganze Dorf war in Allarm, Alles schimpfte und fluchte über das fremde Gesindel, das nur ein Ableger einer großen Bande sein sollte; wo etwas fehlte, sollten es die Beiden entwendet haben.

Jakob und Magdalene wurden von den herbeigeholten Landjägern zur Stadt geführt. Sie waren zehn Schritte voneinander getrennt. Jedes hatte seinen besondern Begleiter. Drinnen im Dorfe läuteten die[79] Glocken zum Erstenmale zur Kirche, sie klangen so hell als ginge es zum Traualtare – das sind böse Brautführer zur Seite.

Der rechte Mann

Der rechte Mann.

Magdalene war bald wieder aus dem Gefängnisse entlassen worden; sie konnte weder für noch gegen Jakob zeugen, sie hatte den Eingestiegenen nicht erkannt; ihre eigne Schuldlosigkeit aber war offenbar. Wie traurig kehrte sie in das Dorf zurück. Der Bäck wollte sie nur noch bis zum »Ziele« behalten, der Pfarrer machte ihr herbe Vorwürfe und sagte: er müsse die Sache an den Verein berichten, dessen Stelle er hier vertrete.

Arm und verlassen war Magdalene und doch fand sie einen Trost darin, Jakob ihr Sparkassenbüchlein gegeben zu haben; man mußte das bei ihm gefunden haben und sie glaubte, er würde eher frei, wenn er das Entwendete damit zurückerstatte. Sie sagte das dem Bäck und bat ihn, ein gutes Wort einzulegen, der aber bedeutete sie:

»Die Sache hat ihren Lauf, da ist nichts mehr zu machen. Du bist jedenfalls um dein Geld, das fressen die Proceßkosten. Geschieht dir recht.«

Eine Hoffnung erhob Magdalenen wieder. Bärbele, die Adlerwirthin, versprach ihr, sie in Dienst zu nehmen. Nun hatte sie doch wieder einen »Unterschlupf« für den Winter, aber sie mußte im Dorf bleiben und wie gern wäre sie fort.

[80] Die Ihr Euer Leben lang behütet und umschirmt im Familienkreise aufgewachsen, denen eine liebende Hand Alles versorgte und schmückte, vom ersten Kinderhemdchen an bis zur hochschwellenden, erwartungsreichen Aussteuer, die ihr nie allein und frierend draußen gestanden in der weiten Welt, und nirgend ein Herz, das bangend und verlangend nach euch ausschaut – ihr könnt es kaum ermessen, was sich in der Seele eines Mädchens aufthut, dem seit dem ersten Gedanken zugerufen ward: dein Schicksal ist in deine Hand gegeben, du gehörst und hast Niemand, du bist allein; alle Liebe und allen Lebensunterhalt mußt du erobern, du kannst jede Minute ausgestoßen werden und bist fremd; kein unauflösliches Familienband umschlingt dich über alle Irrungen und Wechsel des Lebens hinweg.

So ohne Anhang und ohne Abhängigkeit zu leben ist wol auch eine Freiheit, aber dem jugendlichen Herzen, zumal dem eines Mädchens, thut es wohl zu gehorchen, einem fremden Willen die Verantwortlichkeit für die Lebenswendungen anheim zu stellen. Darum hatte Magdalene sich von ihrem Vater ausbeuten lassen, darum gehorchte sie dann so freudig der Fürsorge Heisters und wollte sie Jakob dienen, seine Schwermuth und seine Launen ertragen als eine demüthige Magd; hatte sie doch einen lieben Menschen, der ihr und dem sie angehörte.

Jetzt war sie wieder ganz allein. Sie wendete sich zum Vater aller Menschen, sie wollte mit aller Macht seine Hand fassen, er sollte sie führen, sie wollte ein Zeichen, einen bestimmten Befehl, was sie thun solle;[81] sie hatte ja rechtschaffen gelebt. Sollte sie alle Gedanken von Jakob ablösen? Sie konnte nicht. Die sie so zerknirscht in der Kirche liegen sahen, hatten Mitleid mit ihrer Reumüthigkeit; aber Niemand half ihr, selbst der Pfarrer nicht, der ihr zürnte, weil sie ihre Unschuld betheuerte.

Magdalene ging abgehärmt umher; sie hoffte bald durch den Tod erlöst zu werden.

Der Herbstwind spielte mit den abfallenden Blättern und ließ sie erst im Tode fühlen, wie frei es sich wiegt in den Lüften. Im Schicksal Jakobs war noch immer nichts entschieden, nur quälte ihn neben dem Untersuchungsrichter auch noch der Thorwart mit seiner zudringlichen Frömmigkeit. Der Gute! wir kennen ihn noch von der Scene im Vorzimmer des Vereins. Er hatte mit Ruhe und einzig durch salbungsvolle Reden sein Ziel erreicht. Die sehr mächtige Partei der Frommen hatte ihm diesen Posten verschafft und er wirkte in ihrem Geiste, predigte von Entsagung und einziger Hoffnung auf Jenseits und befand sich dabei recht wohl und reichlich genährt von seiner Besoldung hienieden.

Jakob konnte um so leichter seinen Anmahnungen widerstehen, da er sich vollkommen schuldlos fühlte, und doch kam bisweilen auch über ihn das trübe Herbstgefühl von draußen. Er wollte Erquickung in den aufgedrängten Traktätchen suchen, aber diese Blätter waren gleichfalls herbstlich welk und priesen den Winter, den Tod aller Natur, als das einzig wahre Leben.

[82] Eines Mittags ging Magdalene vor das Dorf hinaus nach der Hanfbreche.

Der Nebel hatte sich gesenkt und glitzerte auf Gras und Stoppeln, eine erfrischend feuchte Luft wehte; die wilden Buben hatten da und dort eine Lücke in den Zaun gerissen, um schneller einen vergessenen Apfel vom Baume zu werfen; von allen Seiten hörte man Schellengeläute der weidenden Kühe und Peitschenknallen der Hüter; oben an der Halde stand ein Knabe mit der Peitsche neben einem Feuer und sang lustig in die Welt hinein, von fernher hörte man das Knattern der Hanfbrechen; im Buchwäldle knallte ein Schuß, und angstvoll zwitschernd flog hier aus der Hecke ein Schwarm feiger Spatzen, die doch Niemand eines Schusses werth erachtete.

Bunt schwärmte es noch überall draußen, als müßte man sich tummeln, ehe der gestrenge Herr, der Winter, hier seine weiße Decke auflegt und Niemand zu Gaste kommen darf als seine Hauspfaffen, die Raben, die jetzt schon in großer Schaar dort auf dem Kirschbaume sitzen, still über die Zukunft des Reiches Rath halten und den Krähen in ihrer Lakaienlivree und den leichtfertigen Spatzen ihre Gunst und das Gnadenbrod verheißen. Die klugen und sicheren Raben! Sie lassen sich nicht schrecken, sie wittern die Tragweite eurer Waffen, sie lassen euch nahe herankommen und weichen erst dann ruhig aus, und kaum habt ihr den Rücken gewendet, sind sie wieder da. Die klugen und edelsinnigen Raben! Sie stehlen was blinkt und gleißt und das Menschenauge erfreut, und tragen es fort in ihre dunkeln [83] Nester; nicht daß sie sich selber dessen erfreuen, sondern nur daß es die Menschen entbehren. Die klugen und freien Raben! Sie kennen nicht Vater- und nicht Muttergefühl.

Das wäre nun so recht ein Tag zu stillen, endlosen Träumereien, Magdalene ist aber nicht dazu aufgelegt; sie dachte nur eine Weile darüber nach, warum man von Rabenvater und Rabenmutter spricht, und schritt dann rasch zur Hanfbreche.

Beim Hanfbrechen hilft immer eine große Anzahl dem, der grade heute an der Reihe ist. Der Hanf wird über dem in den Rain gegrabenen Heerd, die Darre, noch schnell gedörrt und dann zwischen der einfachen Walke aus scharfschneidigem Holze zu Werg verarbeitet. Je toller das Geklapper der vielen Brechen ist, um so mehr fühlt man sich ermuthigt, seine Stimme laut zu erheben zu allerlei Gespräch. Da wird denn auch manches Verhältniß und mancher Charakter tüchtig zu Werg verarbeitet, daß die Häcksel davon fliegen.

Magdalene hatte sich mit ihrer Hanfbreche an das äußerste Ende gestellt und man ließ sie in Ruhe, sie war zu unglücklich für den Spott; auch war des Kilians Lenorle, für die man heute arbeitete, ihre Beschützerin. Bald aber wurde sie aus ihrer Ruhe herausgerissen. Es ist ein altes Herkommen der Hanfbrecherinnen, daß Jeder, der des Weges daher kommt, ihnen ein Trinkgeld geben muß. Sie gehen dem Ankommenden entgegen, »fangen ihn im Hanf« und streuen ihm Häckerling vor die Füße, und wenn er Nichts geben will, so wünschen sie ihm, daß er nie ruhig im Bette liegen könne, sondern immer Häckerlinge spüre; die[84] Anderen kommen dann herbei und überstreuen ihn von allen Seiten mit Häckerling.

Eben sah man einen Mann des Weges kommen, Alles lachte, es war Frieder. Magdalene, die zuletzt gekommen war, mußte ihm »streuen«, wie man's nennt, sie wollte nicht; nur als das heftige Schelten Aller ausbrach, verstand sie sich dazu. Sie ging Frieder weit entgegen, weiter als Sitte war, und sagte, mit niedergeschlagenen Augen den Häckerling wegwerfend:

»Vater, gebt mir was, daß ich Ruh' hab'.«

Frieder griff in die Tasche und gab ihr einen ganzen Sechsbätzner. Das war nun ein Hallo, als das Geld kam. Man ließ es auf einen Stein fallen, es klang wirklich echt; alsbald wurde ein Knabe fortgeschickt, um Wein zu holen.

Frieder hatte sich wieder davon gemacht und Magdalene arbeitete still fort.

War Frieder wirklich ihr Vater? Leider war er's. Jakob hatte Recht, da er damals, als er Magdalene neben dem Kleebündel im Felde stehen sah, eine Aehnlichkeit zwischen ihr und Frieder bemerkte. Seitdem Frieder jene Löffel genommen und Magdalene mit ihm gerungen hatte, seitdem hatte sie kein Wort mit ihm gesprochen. Sie hatte ihn zum Erstenmale wiedergesehen, als er damals mit Jakob ging; sie war im Tiefsten erschrocken und wie durch ein geheimes Einverständniß thaten nun die Beiden, als ob sie sich nicht kennten. Einmal am Brunnen hatte er mit den andern Mädchen gescherzt und redete auch Magdalene an, sie aber antwortete nicht und ging davon.

[85] Um nun das Maß alles Unglücks voll zu machen, war jetzt auch Frieder wieder in das Dorf gekommen; Magdalene hatte mit ihm gesprochen, sie konnte sich ihm nicht mehr entziehen.

Jetzt hatte sie wiederum Jemand, der ihr für alle Zeiten angehörte. Magdalene war tief traurig.

Als sie am Abend Reisig hackte hinter dem Hause, kam Frieder freundlich auf sie zu und sagte: »Guten Abend Magdalene.« Sie stand wie festgebannt, das Küchenbeil ward ihr plötzlich so schwer, daß sie es nicht mehr aufheben konnte. Sie ließ Frieder reden was er wollte; sie hörte ihn nicht und stierte ihn grausenhaft an. Regungslos stand sie da. Plötzlich fuhr es ihr wie eine wilde Ahnung durch die Seele; sie hob das Beil empor und stand wie ein Racheengel da und rief:

»Gebt das Geld her! Ihr habt es dem Bäck gestohlen.«

Sie riß mit der linken Hand dem Frieder die Mütze vom Kopfe; an dieser hatte sie ihn wieder erkannt, er hatte sie jenen Abend tief in die Stirne gedrückt. Furchtbar drohend stand sie da, und ihre Lippen bebten.

Frieder grinste sie höhnisch an und sagte: »Probir's nur, hau zu, hack mir das Beil in den Kopf, da, mach schnell; du bist ja in erster Ehe zur Welt kommen, im Kirchenbuche bin ich ja doch dein Vater nicht.«

Magdalene ließ die Arme sinken. Sie raffte schnell das kleingehackte Reisig zusammen und ging in's Haus. Frieder hob die weggeworfene Mütze auf, ballte sie wie fluchend in der Hand zusammen und ging gleichfalls davon.

[86] Neue Ueberraschung! Ist der innerste Wunsch Magdalenens Wirklichkeit geworden? Dort kommt der Doktor Heister mit dem Buchmaier das Dorf herab; an ihn hatte Magdalene just gedacht, er konnte all die Wirrniß lösen, und – jetzt floh sie vor seinem Anblicke in das Haus und stand in der Küche und hatte keinen Athem, das Feuer anzublasen; die Thränen brannten in ihren Augen und wollten sich doch nicht lösen. Sie stand da und hielt sich die Stirn, Alles war ihr wie ein Traum: daß sie mit ihrem Vater gesprochen, daß Heister da war. – Eines aber stand fest: Frieder hatte sie von Neuem in's Unglück gebracht. Das erkannte sie mit innerster Zuversicht. Die Schnalle an der Mütze war ihr schon damals in der Nacht aufgefallen. Für sich selber durfte sie ein fremdes Verbrechen büßen, aber Jakob durfte sie nicht dulden lassen.

Was aber anfangen? – Dort der Vater, hier der Geliebte. Kalter Schauer und fliegende Hitze machten sie erbeben. Sie blies so heftig in das Feuer, daß sie das wilde Löckchen versengte.

Nach dem Abendessen machte sie sich eine Ausrede und ging in den Adler in die Küche. Sie mußte Gewißheit haben, ob Heister hier sei; sie traute sich nicht recht. Sie schaute durch das Schiebfensterchen in die Stube und – neues Wunder! Sie sah den Regierungsrath, den freundlich stolzen Mann, der früher so oft bei Heisters gewesen war. Bärbele, die Adlerwirthin, bestätigte aber auch, daß Heister da sei und soeben Pfannkuchen bestellt habe. Magdalene freute sich angeben zu können, daß er sie gern recht dünn und »rösch« [87] gebacken esse; sie half schnell mit und rührte den Teig noch recht tüchtig durcheinander, damit das Gebäck auch »luck« sei, und sie ließ nicht nach bis man noch zwei Eier dazu that. Als endlich aufgetragen wurde, sagte sie Bärbele, es solle »dem Herrn« berichten, daß sie da sei und notwendig mit ihm zu reden habe. Kaum hatte sie dieß vorgebracht, wollte sie es widerrufen, es war aber zu spät; Bärbele stand bereits unter der offenen Thür, durch welche jetzt der Regierungsrath in die Küche kam und um ein Reisig bat, seine Pfeife auszuräumen, obgleich das eigens hierzu dienende Instrument, die sogenannte Amtspflege, drinnen in der Stube stand. Er stutzte als er Magdalene sah, und sie am Kinne fassend sagte er:

»Du siehst ja recht übel aus. Nicht wahr, in der Stadt ist's doch besser?«

Magdalene wollte vor Furcht und Scheu in den Boden sinken, aber Arbeit hilft aus allen Verlegenheiten. Sie nahm schnell der Magd die Gabel ab und wendete den Pfannkuchen in dem brodelnden Schmalze, indem sie dabei sagte:

»Man muß sich an Alles gewöhnen, Herr Oberamtsrichter.«

Der Regierungsrath, dessen Beförderung noch nicht bis zu Magdalene bekannt geworden war, entfernte sich bald und sagte noch zum Abschiede:

»Ich will dem Doktor Heister sagen, daß du da bist, ich will ihn herausschicken; oder willst du hereinkommen?«

»Ach nein, nein.«

[88] Das machte sich nun allerdings gut, denn Bärbele hatte den Muth nicht, den Auftrag auszurichten; auch fand sie es unschicklich.

Nun aber ward es Magdalene plötzlich höllenangst. Sie hatte sich so sehr darauf gefreut den edlen Mann wieder zu sehen, Trost und Hülfe bei ihm zu suchen, und jetzt ergriff sie namenlose Furcht. Sie eilte rasch aus der Küche fort, die Treppe hinab und nach Hause. Sie hätte allerdings auch vergebens gewartet; denn drinnen in dem Verschlägle – der Honoratiorenstube, die durch eine Bretterwand von der großen Wirthsstube getrennt war – sagte der Regierungsrat:

»Ich habe so eben die lustige Magd gesehen, die vor einigen Jahren bei dir diente. Es ist jämmerlich, wie sie aussieht. Draußen in der Küche steht sie. Sie hat ihrem Herzallerliebsten, dem schmucken Postillon, zu einem Diebstahle verholfen. Es gibt allerlei Connexionen in der Welt. Erinnerst du dich noch des Burschen? Der wollte, daß kein anderer Sträfling außer ihm in's Dorf komme, der traute den wilden Katzen nicht. Unser Land wäre aber zu klein, wenn man jeden wilden Schößling in ein besonderes Terrain versetzen wollte; wir müßten die Prairien von Südamerika haben.«

»Das wäre nicht nöthig,« erwiederte Heister. »Bis auf die Verbrecher erstreckt sich das Uebel, das aus der Zerstückelung Deutschlands kommt. In einem großen einheitlichen Lande ist es einem Menschen, der einen Fehltritt begangen hat, leichter möglich, fern von dem Schauplatze seines Falles und doch innerhalb des Vaterlandes, [89] bewacht und doch ungekannt ein neues Leben zu beginnen.«

»Deliciös!« rief der Regierungsrath, »du kannst Aufsehen damit machen, du kannst ein Patent darauf lösen, diesen teleologischen Beweis von dem nothwendigen Dasein der deutschen Einheit gefunden zu haben.«

Eine längere Pause trat ein. Man merkte es, die beiden Freunde – so nannten sie sich noch immer – waren verstimmt, sich hier gefunden zu haben. Sie verhehlten einander den Zweck ihrer Reise, und doch wußte Jeder den des Andern.

»Meine Herbstfahrt liefert mir prächtige Ausbeute,« begann der Regierungsrat wieder. »Ich habe ganz magnifique Cabinetsstücke aus der Roccocozeit gefunden und für einen Spottpreis gekauft. Ich kann jetzt noch ein viertes Zimmer nach dem Geschmack der Renaissance meubliren.«

Heister lächelte innerlich über die Verschlagenheit seines Freundes, aber er fühlte heute auch die Lust, diplomatisch mit ihm zu spielen wie die Katze mit der Maus. Er fühlte sich so sicher in seiner wirklichen Sendung und schob eine andere in den Vordergrund, indem er vorgab, als Ausschußmitglied des Vereins für entlassene Sträflinge die Gegend zu bereisen, um nach den Pflegebefohlenen zu sehen. So spielten die beiden Freunde Versteckens miteinander, daß der Buchmaier, der dabei saß, verwundert drein sah.

»Ah,« nahm der Regierungsrath wieder das Wort, »bald hätte ich vergessen dir zu gratuliren. Herr Direktor; du bist ja in das Direktorium der Eisenbahn[90] gewählt worden. Da sieht man eben doch wo ihr Liberale hinauswollt. Darum habt ihr's dahin gebracht, daß die Eisenbahn nicht Staatseigenthum wird, damit ihr auch Aemter zu vergeben habt und auch Titel. Nicht wahr, so ein Titel schmeckt doch gut?«

»Allerdings,« erwiderte Heister, zwar lächelnd aber doch etwas gereizt, »wir haben es auf den Ruin der Titel abgesehen; der Nimbus fällt. Und dann: euer allmächtiger Staat soll nicht noch neue Macht aufhäufen, um wieder von oben bis herunter durch Aemtchen und Versorgungen einen ganzen Troß kirre zu machen.«

»Da sieht man wieder euch Kurzsichtige, die ihr euch Liberale nennt,« entgegnete der Regierungsrath. »Mag der Staat nicht so sein wie er sollte – was ich gern in manchen Beziehungen zugebe – so verkennt ihr doch alle Principien des Staatslebens, wenn ihr darauf ausgeht, die Staatsmacht zu schmälern und zu spalten. Bekommt ihr einmal einen Staat, wie ihr ihn wollt, so habt ihr mit diesen Grundsätzen ein hölzernes Schwert, das nicht hauen und nicht stechen kann. Man kann freisinniger sein als ihr, wenn man auch nicht mit euch übereinstimmt, ja man muß das; die Staatsmacht ist das Höchste.«

»Sagen Sie Beamtenmacht,« schaltete der Buchmaier halb laut ein. Der Regierungsrath schien sich auf keine weiteren Erörterungen einlassen zu wollen; er stand wie unabsichtlich auf und machte wieder seinen Rundgang durch die große Wirthsstube und die Küche.

Heister und der Buchmaier saßen mißvergnügt bei einander und der Letztere sagte:

[91] »Der Regierungsrath ist auch kommen, um sich von unserm Bezirk zum Landstand wählen zu lassen.«

»Weiß wohl«, entgegnete Heister, »aber weil er vor mir hinter'm Berg hält, sag' ich auch nichts.«

»Der Oberamtmann hat auch schon viel Stimmen für den Regierungsrath im Sack,« berichtete der Buchmaier; »es sind diesmal zu viel Schultheißen Wahlmänner geworden. Der Oberamtmann hat die Schultheißen immer in der Hand, die laufen ihm nicht davon; er kann sie schon drücken wenn er will. Und dann heißt es auch, wir bekommen eine Seitenbahn wenn wir den Regierungsrath wählen.«

»Larifari.«

»Er scheint gar nicht dumm,« bemerkte der Buchmaier wieder; »was er da vorhin gesagt hat, ist doch gar nicht so uneben, wenn ich auch wohl weiß zu welchem Loch er 'naus will.«

»Zu welchem Loch? Durch das leere Knopfloch zu einem neuen Orden,« ergänzte Heister lachend. »Das arme Knopfloch! sperrt das Maul auf und ist so hungrig, und es will doch nichts hereinfliegen. Ein Bändelesfutter wär' ihm zu gunnen.«

Dieser Ton schlug beim Buchmaier an, er lächelte vergnügt und Heister fuhr fort:

»Laßt euch doch von ein paar feingedrehten Redensarten nicht am Narrenseil herumführen. Der Mann hat seinen hochrothen Orden aus dem Knopfloch und die hochrothen Redensarten aus dem Munde gethan und thut ganz schlicht gegen euch. Ihr habt's ja selber gesagt: er spricht von Staatsmacht und meint Beamtenmacht. [92] Wir wollen auch, daß der Staat stark sei; aber er soll's nur dadurch sein, daß er die Aufsicht über die Macht führt, die in Händen der Bürger liegt.«

Heister setzte nun noch weitläufig auseinander, welche Kraft einem gegliederten Staate inne wohne, der aus selbständigen Genossenschaften und Vereinen erwachse.

Wir sehen, welche Bewegungen im Dorfe vorgehen. Wer wird mitten in den Wahlkämpfen noch des unglücklichen Mädchens und des eingekerkerten Knechtes gedenken? Und doch – so wunderbar verschlingen sich die Fäden des Lebens – sollte dadurch die traurige Geschichte ihr Ende finden.

Der Regierungsrath kam plötzlich wieder in die Herrenstube und sagte: »Da draußen geht's wild her. Der Stellenjäger, der Frieder, führt das große Wort. Ich müßte alle criminalistische Witterung verloren haben, wenn der nicht frisch gestohlenes Gut in der Tasche hat.«

Die Drei waren still und horchten hin wie Frieder draußen rief: »Adlerwirth, bring' mir einen Ueberrheiner, der Wein da schmeckt ja nach nichts, der schmeckt just wie wenn man die Zung' zum Fenster 'naus streckt.«

Als der bessere Schoppen kam und schnell auf einen Zug geleert ward, rief Frieder abermals: »Adlerwirth, hast kein'n Hund da?«

»Warum?« fragte Konrad.

»Narr,« schrie Frieder hell auflachend: »Ich hab' so viel Kronenthaler, ich möcht' sie gerad einem Hund zu fressen geben. Mehlwürmer! Mehlwürmer!« kreischte [93] er taumelnd. »Ich hab' sie dem Bäck aus der Nas zogen.«

Er schlug das Glas auf den Tisch, daß ihm die Scherben in die Hand schnitten, er stampfte gewaltig auf den Boden, fuhr sich mit beiden Händen in die Haare und zerrte sich zähneknirschend und schrie, obgleich ihn niemand fassen wollte: »Weg da, weg da! Rühr mich keiner an, oder ich schneid' ihm die Gurgel ab. Himmel heilig, weg! drei Schritt vom Leib, sag' ich!«

Er starrte stier drein, dann ließ er die Hände fallen, der Kopf sank immer tiefer, er legte ihn auf den Tisch, als wollte er einschlafen; seine Schultern schüttelte er noch immer abwehrend, als fasse ihn jemand.

Der Buchmaier, der Regierungsrat und Heister waren in die große Wirtsstube getreten. Heister wurde schnell alles klar. Er kannte Frieder als den Vater Magdalenens. Niemand als dieser hatte das Geld gestohlen.

In seinem Rausche wurde Frieder fortgebracht. Er hatte sich nur gegen die Angreifer in seinen Gedanken gewehrt; gegen die wirklichen war er ganz willig, soweit in seinem Zustande von Willen die Rede sein konnte.

Andern Tages wurde Frieder nach der Stadt geführt. Er verlangte, vorher noch einmal zu Magdalene gebracht zu werden, er habe ihr vieles zu sagen. Magdalene hörte und sah ihn aber nicht, sie lag in Fieberphantasien und rief nur bisweilen aus dem Traume:

[94] »Das Beil weg, das Beil weg ... Hauet dem Marder in den Kopf ... der Rab' hat die Löffel ...«

Heister stand mit Thränen in den Augen an ihrem Lager. Frieder bekannte ihm auch sein früheres Verbrechen, und daß Magdalene vollkommen schuldlos.

Jakob wurde nun frei, Frieder kam an seine Stelle.

Wie ein siegreicher Held wurde Jakob im Dorfe empfangen. Alles drängte sich zu ihm heran, Alles faßte seine Hand; man nannte ihn einen braven, wackern Menschen und war überaus liebreich. Man lobte ihn fast noch mehr als man berechtigt war, denn Niemand kannte genau die Tiefe seines Wesens; aber Jedes hatte ihm etwas abzubitten und kam ihm nun mit doppelter Liebe entgegen.

Heister nahm sich Jakobs an wie ein Bruder, und dieser sah jetzt selber ein, wie Recht Magdalene gehabt hatte da sie immer behauptete: es gibt eine Einigung des Menschen über die Familie hinaus – die freie, rein menschliche Liebe.

Magdalene erkannte Jakob und Heister nur Einmal einen Augenblick, dann verfiel sie wieder in ihre Fieberphantasien und träumte vom Marder mit der Mütze, vom Kopfspalten und vom Beil.

In der ganzen Gegend gewann es Heister alle Herzen, daß er die Unschuld so an's Tageslicht gebracht hatte. Er war Allen bereits als freigesinnter Mann bekannt, jetzt war er ihnen durch sein menschenfreundliches Wesen in den beschränkteren Lebensverhältnissen näher getreten. Die politische Freisinnigkeit zeigte sich [95] Allen in ihrem ursprünglichen Kern: der Humanität. Die Sage verbreitete noch zum Ueberflusse, daß Heister hauptsächlich zur Befreiung der Unschuldigen in das Dorf gekommen sei, da er das Rechte schon lang geahnt habe. Mit großer Stimmenmehrheit wurde Heister zum Abgeordneten gewählt und er vertritt die Rechte des Volkes mit nachdrücklichem Freimuthe.

Und Frieder? Wir müssen zu ihm in's Gefängniß dringen, werden aber wenig erkunden; er, der Feind alles Schweigens, regt jetzt kaum die Lippen zu einem Worte. Es muß noch ein schweres Verbrechen auf ihm lasten, denn bisweilen knirscht er doch vor sich hin:

»Pfui, alter Schindersknecht, hast dir selber den Strick um den Hals dreht; hast's gelernt, thu's recht. Weinheber, pfui!«

Am zweiten Tage nach der Einkerkerung Frieder's fuhr in aller Frühe ein zweirädriger Karren, dran ein mageres Pferd gespannt war, durch das Thal der Universitätsstadt zu. Auf dem Karren lag eine lange Kiste und drinnen war die Leiche Frieders. Er hatte sich im Gefängniß erhängt. Schwere, geheimnißvolle Verbrechen hat er mit hinübergenommen.

Bald hoch in den Lüften, bald nahe geleiteten Raben den Karren. Ihr Krächzen war der einzige Klagelaut, den man vernahm. Das Fuhrwerk ging ihnen zu träge und sie flogen voraus und setzten sich auf einen hervorragenden Tannenast, ließen das Gefährt einen Vorsprung gewinnen und folgten dann immer mit Krächzen wieder nach. Oder waren es Kameraden, die sie anrufen mußten und die ablösten? Der Fuhrmann [96] wenigstens glaubte steif und fest, es wären dieselben, die ihm bis zum Thore der Stadt folgten.

Frieder hatte geheimnißvolle Verbrechen mit sich erdrosselt. Die Gelehrten durchforschten jede Ader seines Körpers, das Geheimniß seines Lebens fanden sie aber nirgends.

Ein freundlicher Genius hatte Magdalene in Fieberphantasien versenkt; sie verschlief Leid und Freud der letzten Tage. Als sie nach mehreren Wochen genas, nahm Heister sie wieder zu sich in die Stadt. Sie ward wieder das selige, frohe Kind von ehedem und lebt in der Meinung: Frieder sei eines natürlichen Todes gestorben.

Magdalene hatte keine Ruhe, bis Heister Jakob eröffnete, in welcher Beziehung sie zu Frieder gestanden. Er zuckte schmerzlich zusammen über dieses letzte grausame Geschick, überwand es aber mit seltenem Gleichmuthe, zu dessen Gewinnung ihm noch eine neue Ueberraschung verhalf.

Als Frau Heister in die Küche trat, erkannte er augenblicklich in ihr jene junge Frau wieder, die er an jenem Schicksalsabende mit seinen Stücklein so er freut hatte; sie war ihm im Gedächtniß geblieben, Heister hatte er nicht erkannt.

Ein freundliches Erinnerungsband wurde nach gegenseitiger Mittheilung dadurch wieder fester geknüpft.

Das Idyll an der Eisenbahn

Das Idyll an der Eisenbahn.

Wie klein und eng ist oft das Endziel nach großer und weiter Lebensbahn voll harter Kämpfe. So im [97] hochfliegenden, dem Allgemeinen zugewendeten Streben, so im niedern, beschränkten Dasein. Und am Ende – zwei Schritt Erde, ein vergessener Hügel, der bald wieder der Fläche gleich wird.

Wie friedlich müßten die Menschen sich Raum gönnen, wenn sie des Endes gedächten.

Das aber ist der Segen den wir aus dem Irren und Drängen ins Weite empfangen, daß wir im winzigsten Raume die Unendlichkeit erfassen lernen; über der engsten Spanne Erde wölbt sich das Himmelszelt, und im kleinsten Thun stehen wir mitten inne in der Thätigkeit des All's. Wir lernen schon hienieden eingehen in das All, in das wir einst aufgehen.

Am Saume des Eichenwaldes, dort wo der Blick über die weite Wiesenebene hinausschweift bis jenseits zu den waldgekrönten Bergen, von denen eine Burgruine niederschaut: dort steht ein kleines Haus, dessen Gebälk noch in frischer hellbrauner Farbe glänzt; es ist mit dem Giebel dem Thale zugekehrt, das Dach ragt weit vor, drei Eichenstämme tragen den Söller mit hölzerner Brüstung, drauf Nelken und Gelbveigelein blühen.

Das ist das Haus eines Bahnwärters, denn hier nebenan ziehen sich die Schienen in kühngeschweiftem Bogen durch das Thal. Die nüchterne Gewinnsucht hat es Verschwendung gescholten, daß man diese Häuser so zierlich errichtet, aber der uneigennützige Schönheitssinn hat gesiegt. Diese Häuser sind Musterbilder ländlicher Wohnungen geworden, sie stehen im Einklang mit der Landschaft als Zierde derselben. Schon finden sie [98] hier und da Nachahmung in den Dörfern und drängen sich mitten unter die charakterlosen Wohnungen mit den starren kahlen Wänden ohne Handhabe, die aus der Stadt sich herübersiedelten.

Die Einwohner der schönen Wärterhäuschen scheinen dieselben auch in Ehren zu halten, denn nirgends fehlt ein kleiner Blumengarten mit Blüthen aller Art, der dem abseits sich hinziehenden Kartoffelfelde abgekargt wird.

Wenn ihr von der Hauptstadt aus auf der Eisenbahn dahinrollt, an den Feldern vorbei, die sich vor dem schnellen Blicke wie ein Fächer ausbreiten und zusammenlegen; wenn ihr sehet, wie die Pferde auf dem Felde sich bäumen, ungewiß, ob sie jauchzen oder zürnen ihrem Nebenbuhler, dem schnaubenden Dampfroß; wenn ihr sehet wie der Ackersmann eine Weile die Hacke ruhen läßt, euch nachschaut und dann wieder emsig die Scholle wendet, die ihn fest hält; wenn ihr dann immer rascher dahinbrauset und das Dampfroß schrillend jauchzt, dann wendet schnell einen Blick nach jenem Wärterhäuschen am Saume des Waldes. Dort steht ein Mann kerzengrade und hält die zusammengewickelte Fahne; unter dem Hause steht eine Frau und hat ein kleines Kind auf dem Arm, das die Hände hinausstreckt ins Weite. – Grüßt sie! Es ist Jakob und Magdalene, die ihren erstgeborenen Sohn, den Pathen Heisters, auf dem Arm trägt.

Wenn dann die rollenden Wagen vorbeigesaust sind und man hört sie nur noch in der Ferne, die hastig keuchende Welt ist dahin und endlich Stille ringsum, [99] da steckt Jakob die Fahne auf den Pfosten, grüßt sein Weib und lacht mit dem Kinde und arbeitet dann fleißig auf dem Felde.

Das selig stille Glück stirbt nicht aus, es siedelt sich hart neben den unbeugsam eisernen Gleisen der neuen Zeit an.

[100]

II.
Die Frau Professorin.

[101][103]

Es kamen zwei fremde Gesellen

Es kamen zwei fremde Gesellen.

Da sitzt der Wadeleswirth am Gartenfenster im Stüble, er hat den Ellbogen auf den Sims gestemmt und den Kopf in die Hand gestützt; nach seiner Gewohnheit hat er die Füße hinter die vordern Stuhlbeine geschlagen, als wollte er da festwurzeln; denn wo er einmal sitzt, da braucht's fast eine Wagenwinde, um ihn wieder in die Höhe zu schroten.

Freilich sitzt er nicht mehr da, es thut ihm schon lang kein Finger mehr weh, seiner Zeit aber haben seine Finger Manchem weh gethan; die Rede ging, wo der Wadeleswirth Einen an den Kopf trifft, da wächst kein Haar mehr nach, darum versetzte er auch aus Barmherzigkeit seine Schläge in's Genick, da gibt's auch kein Blut und thut doch wacker weh. – War der Wadeleswirth so ein Raufbold? Ihr werdet ihn schon kennen lernen, daß er ein Mensch war, so lammfromm und gutmüthig wie nur Einer; das hindert aber nicht, daß man zu guter Stunde Einem, der's begehrt, gesalzene Faustknöpfle austheilt: kurzum, der Wadeleswirth war, wie man's nimmt, ein absonderlicher Mensch oder auch nicht. Eigentlich hieß er nicht Wadeleswirth, [103] sondern Lindenwirth, wozu er durch die Linde vor dem Hause und auf dem Schilde das klarste Recht hatte. Jener Name aber – ja das ist eine schlimme Sache, man redet nicht gern davon, es schickt sich nicht, und doch ist das, worauf es sich stützt, nichts Geheimes, man macht dort wo der Mann her ist gar kein Hehl daraus, also: vom innern Kniegelenke bis gegen die Knöchel – rund heraus, die Wade war beim Lindenwirth tapfer bestellt und darum wurde er so genannt.

Jetzt können wir uns schon ruhiger beim Wadeleswirth niederlassen, wir müssen aber damit eilen, denn es gibt bald großen Halloh im Hause und im ganzen Dorfe und Alles durch einen einzigen Menschen oder zwei.

Der Wadeleswirth sitzt also still da und läßt seine Gedanken um sich her schwirren wie die Fliegen, die summend die Stube durchschwärmen. Freilich hat man nicht viel Gedanken, wenn man so müde ist und wie der Wadeleswirth eben vom Feld heimkommt, wo man einen Wagen Heu aufgeladen; da thut's wohl, geruhig zu verschnaufen und die Gedanken, wenn man deren hat, machen zu lassen was sie wollen. Der Katze, die auf dem äußern Fenstersims hockte und gar viel mit sich zu thun hatte, nickte er einmal zu, dann kehrte er sich um und rief:

»Lorle!« Aus der Kammer antwortete eine Stimme: »Was?«

»Ich mein', du machst's auch wie die Katz; die putzt sich, wie wenn wir Fremde bekämen.«

»Mir ist's auch so,« antwortete es von innen.

[104] »Mach' dich nur fertig, und wenn du verkühlt bist, hol mir einen Trunk (Most) aus dem Keller; ich verdurst' schier.«

»Gleich, gleich,« antwortete es wieder aus der Kammer. Man hörte eine Kiste zuschlagen, dann Jemand die Treppe hinablaufen und bald wieder heraufkommen, die Thür öffnete sich, da ... da fiel hart am Fenster ein Schuß, ein gellender Schrei entfuhr dem Mund des Mädchens, das Glas mit dem Most lag auf dem Boden und die Katze sprang in die Stube ganz nahe vorbei an dem Gesichte des Wadeleswirths. Dieser stand auf und fluchte, und das Mädchen war in der halbgeöffneten Thür verschwunden.

Wir aber müssen dem seltsamen Ereigniß nachgehen ...

Zwei junge Männer schreiten durch den Bergwald; der eine in grauer Tyrolerjuppe mit grünen Schnüren, groß und breitbrustig, mit braunrothem unverschorenem Bart, einen grauen Spitzhut, breitkrämpig und vielfach zerdrückt auf dem Kopfe; der andere mit bescheidener Mütze, unter der ein feingeschnittenes Gesicht mit wohlgezogenem Backenbart sichtbar wird, seine kleine Gestalt etwas nach vorn gebeugt mit einem zertragenen schwarzen Ueberrock bekleidet. Die Beiden wandern wortlos dahin. Ein alter Bauer trägt ihnen zwei Ränzchen, eine Zither, einen Malerstuhl und eine Flinte nach. Jetzt treten sie aus dem Walde und im Thale vor ihnen zieht sich ein langes Dorf hin, wie man sagt: nur auf einer Seite gebacken, denn die Häuser stehen längs des Baches, der murrend und [105] wildrauschend über und zwischen Felsen wegrollt; ein Steg führt über den Bach, wo jenseits auf einsamem Hügel die Kirche steht.

»Da hast du's, das ist Weißenbach,« sagte der Große mit klangvoller Bruststimme.

»Ille terrarum mihi praeter omnes angulus ridet,« sagte der Kleine, in dessen schwarzem Gewande wir mit Recht einen abgetragenen Schulrock vermuthet haben.

»Laß deinen Horaz,« erwiderte der Große, dem wir ohne Scheu den Malerstuhl zuerkennen dürfen.

»Gern,« versetzte der Kleine und sich umschauend fuhr er lächelnd fort: »Ite, missa est, ihr Bücher sollt mir nicht zwischen die Beine laufen in der freien Natur, still! Bruder, das solltest du malen, oder ich will ein Märchen schreiben, wie das Steckenpferd des Autors, das in jedem Buche aufgezäumt an die Krippe gebunden ist, lebendig wird und mit dem Buch davonjagt; es müßte herrlich sein, wenn so ein Rudel Bücher, so eine ganze Bibliothek da den Berg hinunterritte, hussa! hussa! Ich will das Märchen schreiben.« –

»Du thust's doch nicht, du speist dir immer in die Hände und greifst nie zu.«

»Leider hast du Recht, aber hier will ich frisches Leben holen. Sieh, wie das Dorf hier so friedlich im Mittagsschlummer daliegt als wär's ein großes Wasserungeheuer, das sich am Ufer sonnt; die Strohdächer sind wie große Schuppen. Sieh dort die Kirche! Ich liebe die Kirchen auf den Bergen, sie gehören nicht mitten in den Häusertrödel. Auf diesen Felsen will [106] ich meine Kirche erbauen – das ist schön! Auch leiblich sollen die Menschen aufsteigen, sich erheben zur geistigen Erhebung. Wie diese Kirche hier jenseits des Steges auf dem Berge steht, ist sie die wahrhaft transcendente, supranaturalistische.«

Nach einer Pause fuhr er fort: »Hörst du die Hunde bellen und die capitolinischen Wächter schnattern? Hörst du die Kinder dort jauchzen? Die guten Kinder! Sie ahnen nicht, daß du kommst, ihre Jugend im Bilde zu verewigen. Schon Virgil sagt sehr schön: O fortunatos nimium, sua si bona norint, agricolas. Das Volk ist doch wie die stille Natur, es weiß nichts von der Schönheit seines Lebens, es ist vegetabilisches Dasein und wir kommen, die Geistesfürsten, und verwenden ihre gebundene Welt zu freien Gedanken und Bildern.«

»Und wer weiß,« erwiderte der Große endlich, »wie der Weltgeist uns verwendet, zu welchen Gedanken und Bildern wir ihm dienen.«

»Du bist frommer als du glaubst, das ist ein großer Gedanke,« entgegnete der Gelehrte und der Maler fuhr auf:

»Numero A 1. Gib doch nicht gleich Allem, was man sagt ein Schulzeugniß.«

Die Beiden schwiegen. Der Maler, der seinen Kameraden doch zu hart angelassen zu haben glaubte, faßte seine Hand und sagte: »Hier bleiben wir nun, schüttle allen Schulstaub von dir, wie du dir's vorgenommen, denk nichts und will nichts und du wirst Alles haben.«

[107] Der Kleine erwiderte den Händedruck mit einem unendlich sanften Blicke und der Maler fuhr fort: »Ich muß dir den Mann schildern, bei dem wir bleiben.«

»Nein, thu's nicht, laß mich ihn selber finden,« unterbrach ihn der Kleine.

»Auch gut.«

Als sie sich jetzt dem Dorfe näherten, schlug der Maler den Fußweg ein, der hinter den Häusern herläuft: der Kleine bemerkte: »Es liegt ein tiefes Gesetz darin, daß die Naturstraßen nirgends gradlinig sind; der Bach hat einen undulirenden, einen wellenförmigen Weg, und die Straßen von Dorf zu Dorf ziehen sich selbst durch die Ebene in Schwingungen dahin. Die Philosophie der Geschichte kann davon lernen, daß Natur und Menschheit sich nicht nach der logischen Linie bewegen.«

»Bei den Straßen hat das einen einfachen Grund,« bemerkte der Maler, »ein Gefährt geht viel leichter, wenn es durch eine Biegung wieder einen Schwung bekommt; bei einem schnurgeraden Wege liegt auch das Pferd zu gleichmäßig und ermüdend im Geschirr. Das ist Fuhrmannsphilosophie.«

Mit diesen Worten waren die Beiden in einen Baumgarten getreten; der Maler nahm dem Bauer die Flinte ab und schoß damit in die Luft, daß es weithin wiederhallte, dann schrie er »Juhu!« sprang die Treppe hinauf und hinein in die Stube ...

Da sind wir also wieder beim Wadeleswirth, in dem Augenblick, da die Katze ihm am Gesicht vorbeigesprungen und das Glas Most auf den Boden gefallen [108] war. Der Wirth steht da, hat beide Fäuste geballt und flucht:

»Kreuzmillionenheideguguk, was ist denn das? Was gibt's in's –«

»Ich bin's,« rief der Maler, die Hand zum Willkomm ausstreckend.

Die Faust des Wirthes entballte sich und er rief: »Wa ... Was? Ja, bigott, er ist's; ei Herr Reinhard, sind Ihr auch wieder ause gelaufen? 1 Das ist ein fremder Besuch, da sollt' man ja den Ofen einschlagen.« 2

»Weil's Sommer ist, alter Kastenverwalter,« erwiderte der Begrüßte, indem er derb die Hand des Wadeleswirths schüttelte, der jetzt fragte:

»Seid Ihr's gewesen, der im Garten geschossen hat?«

»Nein, nicht ich, da mein Weib,« sagte der Maler, die Flinte aufhebend, »kann das Maul nicht halten.«

»Ihr seid noch allfort der Alte, aber der Mann muß für's Weib bezahlen; es kostet Straf', wenn man schießt.«

»Weiß wohl, ich bezahl's gern.«

Reinhard stellte nun seinen Freund, den Bibliothekscollaborator Reihenmaier vor.

»Reihenmaier,« sagte der Wadeleswirth, »so haben wir hier auch ein Geschlecht.«

Der Collaborator erwiderte lächelnd:

[109] »Es können weitläufige Verwandte von mir sein, ich stamme auch von Bauern ab.«

»Wir stammen alle von Bauern ab,« sagte der Wadeleswirth, »der Erzvater Adam ist seines Zeichens ein Bauer gewesen.«

»Wo ist denn Eure Eva, alter Adam?« frug Reinhard.

»Sie kommt gleich mit dem Heuwagen, ich bin dieweil voraus. Lorle! Lorle! Wo bist?«

»Da,« antwortete eine Stimme von unten.

»Mach hurtig die Scheuer auf, daß sie mit dem Wagen gleich 'rein können, es wird einen Regen geben, und komm hernach 'rauf.«

»Die Grundel? Ich bin begierig die Grundel 3 wie der zu sehen,« sagte Reinhard; der Wadeleswirth erwiderte schelmisch lächelnd und mit dem Finger drohend:

»Oha, Mannle! Das ist keine Grundel mehr, das kann sich sehen lassen, es ist ein lebfrisches Mädle; bigott aber Ihr könnet Euch nicht sehen lassen, man meint Ihr wäret ein alter Hauensteiner Salpeterer, Ihr habt ja einen ganzen Wald im Gesicht, Rothtannen und Blutbuchen, was kostet das Klafter? Saget einmal, lassen denn die Kesselflicker und Scherenschleifer in den Kanzleien so einen Bart ungerupft und ungeschoren? Machen sie's ihm nicht auch wie den Büchern und den Zeitungen –«

»Mann! Um Gottes willen, Mann!« unterbrach ihn Reinhard, »kommt Ihr jetzt auch mit diesen [110] Geschichten an? Hat man denn nirgends mehr Ruhe vor der verdammten Politik?«

»Ja gucket, das geht einmal nimmer anders, wir dummen Bauern sind jetzt halt auch einmal so dumm und fragen darnach, wo unsere Steuern hinkommen, für was unsere Buben so lang Soldaten sein müssen und –«

»Weiß schon, weiß schon alles,« betheuerte Reinhard.

Der Collaborator aber faßte die Hand des Wirths, klopfte ihm auf die Schulter und sagte:

»Ihr seid ein ganzer Mann, ein Bürger der Zukunft.«

Der Wadeleswirth schüttelte sich, hob beide Achseln, schaute den Collaborator mit gerunzelter Stirne an und sagte dann, indem er lächelnd nickte:

»Einen schönen Gruß und ich ließ' mich schön bedanken.«

Der Collaborator wußte nicht, was das bedeuten soll. Es gab aber nicht lange Bedenkzeit, man vernahm Peitschenknallen auf der Straße, der Wadeleswirth ging nach der »Laube«, dem bedeckten Söller, der das Haus, mit Ausnahme der Gartenseite, umschloß; die beiden Fremden folgten.

»Fahr' besser hist,« rief der Wirth dem jungen Manne zu, der auf dem Sattelgaule vor dem Heuwagen saß; »noch schärfer hist, sonst kommst du nicht herein, du lernst's dein Lebtag nicht; so, so, jetzt frischweg, fahr' zu!«

Der Wagen war glücklich herein; freier athmend ging man wieder nach der Stube.

Der Collaborator fragte bescheiden:

[111] »Warum lasset Ihr denn das Scheunenthor nicht weiter machen, da es doch so mühsam ist hereinzufahren?«

Der Wadeleswirth, der zum Fenster hinausgesehen hatte, kehrte sich um, dann schaute er wieder in's Freie und sprach hinaus:

»Das junge Volk braucht's nicht besser haben als wir, es soll eben auch lernen, die Augen bei sich haben und geschickt sein und wissen was hinter ihm drein kommt. Ich bin mehr als dreißig Jahr da hereingefahren und bin nie stecken blieben.« Jetzt wendete er sich nach der Stube und fuhr fort: »Was ist denn eigentlich Euer Geschäft, Herr Kohlebrater?«

»Ich bin Bücherverwalter.«

Nun kam die Frau, der Sohn, der Knecht und die Magd in die Stube. Alle bewillkommten Reinhard und die Frau bemerkte, auf den Bart deutend:

»Ihr seid recht verwildert in den zwei Jahren, wo wir Euch nicht gesehen haben.«

»Unser Tamburmajor,« sagte Stephan der Sohn, »hat auch so einen gottsjämmerlichen Bart gehabt, er hat ihn aber alle Morgen schwarz gewichst.«

»Wenn ich jung wäre, mich dürftet Ihr mit dem Bart nicht küssen,« sagte Bärbel, eine bejahrte, starkknochige Person, die als Magd im Hause diente; Martin, der Knecht, der hinter ihr stand, war ihr Sohn. Dieser hatte seine besondere Meinung, die er nun auch preisgab:

»Und ich sag', der Bart paßt ihm staatsmäßig, er sieht aus wie der heilig' Joseph in der Kirch'!«

[112] »Und du wie der Mohrenprinz,« endete der Wadeleswirth; »aber wo steckt denn das Lorle? Alte, hol mir einen Trunk aus dem Keller und gib mir ein Mümpfele 4 Käs' und dann richtest du dem Herrn Reinhard sein altes Zimmer her und der andere fremde Herr kann auf dem Tanzboden schlafen.«

Der Wadeleswirth bekam nun doch endlich seinen Trunk; er ging lieber eine Stunde im brennenden Durst umher, ehe er die zwei Treppen hinab- und wieder hinaufstieg. Der Collaborator setzte sich zu ihm.

Reinhard machte einen Gang durch das Dorf; alle Kinder liefen ihm nach, und einige muthvolle riefen sogar aus sicherm Versteck:


Rother Fuchs dein Bart brennt an,

Schütt' ein bisle Wasser dran.


Reinhard ging in das Haus, wo der Bader wohnte, die Kinder warteten vor der Thür bis er wieder geschält herauskäme; als er aber mit vollem Bartschmucke wieder erschien, lachten und jubelten sie aufs Neue.

Im Hause des Baders wohnte noch Jemand, dem Reinhard einen Auftrag gegeben hatte, es war der Dorfschütz, der jetzt mit der Schelle herauskam. Er klingelte an allen Ecken und sprach dann laut und deutlich: »Der Maler Reinhard ist wieder ankommen mit einem großmächtigen rothen Bart. Wer ihn sehen will, soll in die Linde kommen, allda ist der Schauplatz. Eintrittspreis ist, daß Jeder ein groß Maul machen und seine Zähne weisen muß, wenn er hat.

[113] Um halb neun Uhr geht die Fütterung an. Kinder sind frei.«

Ein unaufhörliches Gelächter zog durch das ganze Dorf, die Kinder folgten jubelnd und johlend dem Schütz auf dem Fuße, sie waren kaum so lang zum Schweigen zu bringen, daß man die Verkündigung hören konnte.

Als es bereits Nacht geworden und der Himmel mit schweren Regenwolken überzogen war, saß Reinhard auf der Steinbank unter der Linde vor dem Wirthshause; er lachte vor sich hin, der urplötzlichen Heiterkeit gedenkend, mit der er unversehens die Seelen aller Einwohner erfüllt hatte. Da hörte er ein verhaltenes Schluchzen in der Nähe, er stand auf und sah ein Mädchen das nach der Scheune ging.

»Lorle?« sagte er in fragendem Tone.

»Grüß Gott,« antwortete das Mädchen, die dargebotene Hand fassend, ohne aufzuschauen und ohne die Schürze vom Gesicht zu nehmen.

»Du hast ... Ihr habt ja geweint, warum denn?«

»Ich, ich ... hab' nicht geweint,« erwiderte das Mädchen und konnte vor schnellem Schluchzen kaum reden.

»Warum gunnet Ihr mir denn keinen Blick und sehet mich nicht an? hab' ich Euch was Leids than?«

»Mir? mir, nein.«

»Wem denn?«

»Euch.«

»Ja wie so?«

»Es gefällt mir nicht, daß Ihr Euch so zum G'spött vom ganzen Dorf machet, das ist nichts und uns habt[114] Ihr doch auch zum Narren; das hätten wir nicht von Euch denkt.«

»Ihr seid recht groß und stark geworden, Lorle; kommet 'rein in die Stub', daß ich Euch auch sehen kann.«

»Brauchet nicht jetzt noch mit mir Euern besondern Possen haben,« endete das Mädchen, raffte sich schnell zusammen und sprang davon durch das Hofthor nach der Straße.

Reinhard saß mit zusammengekniffenen Lippen vor sich niederschauend wieder auf der Bank. Was ihm vor einem Augenblicke noch wie ein übermüthiger, aber harmloser Scherz vorgekommen war, das hatte jetzt eine ganz andere Gestalt. Von sich sah er bald ab und dachte: Das Kind hat Recht, es ist ein Stück Aristokratie in diesem Scherze: wir wissen nicht wie viel von schmählichem Hochmuth in Jedem von uns steckt. Ich habe das ganze Dorf zu meinem Spaß verwendet.

Der Collaborator kam jetzt auch herab und sagte:

»Ein sonderbarer Mann unser Wirth! Ich bin doch schon durch alle Examina gesiebt worden, aber der hört gar nicht auf mit Fragen und dabei hat er so was Mißtrauisches.«

»Das ist's nicht,« sagte Reinhard, »die Bauern haben eine alte Regel: wenn man mit einem fremden Löffel essen will, soll man vorher dreimal hineinhauchen, verstehst Du?«

»Jawohl, das ist ein tiefsinniger Gedanke.«

»Einen schönen Gruß und ich ließ' mich schön bedanken, Herr Kohlebrater,« entgegnete Reinhard lachend.

[115] Viele Männer und Burschen aus dem Dorfe sammelten sich, von Allen ward Reinhard herzlich bewillkommt; die heitere Weise, die sie herbeigelockt, erhielt eine entsprechende Fortsetzung. Man ging nach der Stube und Reinhard wußte den ganzen Abend allerhand schnurrige Geschichten von seinen Fahrten in Oberitalien und Tyrol zu erzählen, das Gelächter wollte kein Ende nehmen. Reinhard gab sich selbst mehr zum Besten, als es eigentlich seine Art war; er wollte indeß ein Uebriges thun, weil er sie Alle zum Besten gehabt hatte, wie er in gesteigerter Selbstanklage sich vorwarf. Nach und nach gerieth er aber aus innerer Lustigkeit auf allerlei tolle Seltsamkeiten, denn er konnte sich, namentlich in zahlreicher Gesellschaft, wahrhaft in eine Aufregung hineinarbeiten.

Reinhard war so voll Lustigkeit unter den Menschen gewesen und allein auf seinem Zimmer ward er verstimmt und düster; die Welt erschien ihm doch gar zu nüchtern, wenn er nicht selber sie etwas aufrüttelte.

Lorle war den ganzen Abend nicht in die Stube gekommen.

Tief in der Nacht »schlurkte« noch Jemand in Klapp-Pantoffeln durch das ganze Haus und drückte an allen Thüren; es war der Wadeleswirth, der nie zu Bett ging, bevor er Alles von oben bis unten durchgemustert hatte.

Fußnoten

1 Zum Besuch kommen, sonst nur von ganz nahen Nachbarn gebräuchlich.

2 Eine gewöhnliche Redensart, wenn ein unerwarteter Freund kommt.

3 Grundel, Gründling, kleiner Fisch.

4 Mümpfele – mundvoll.

Das war ein Sonntagsleben

Das war ein Sonntagsleben.

Am andern Morgen stand der Collaborator ganz früh vor dem Bette Reinhard's und sang mit wohlgebildeter, [116] kräftiger Stimme, die man ihm nicht zugemuthet hätte, das Lied aus Preciosa: »Die Sonn' erwacht« mit Weber's thaufrischer Melodie. Reinhard schlug murrend um sich.

»Ein Mann wie du,« sang der Collaborator recitando, »der das herrliche Bild Sonntagsfrühe abconterfeit, darf einen Morgen nicht verschlafen, wie der heut, bum, bum.«

Reinhard war still und der Collaborator fuhr sprechend fort: »Was fangen wir heut' an? Es ist Sonntagmorgen, es hat heut Nacht geregnet, als ob wir's bestellt hätten; Alles glitzert und flimmert draußen. Was treiben wir nun? Giebt's keine Kirchweihe in der Nähe? Kein Volksfest?«

»Brat' dir ein Volksfest,« entgegnete Reinhard, »trommle dir die Massen zusammen, die du brauchst, und sattle dein Gesicht mit einem Operngucker; wirf Geld unter die Kinder, daß sie sich raufen und übereinander purzeln, dann hast du ein Volksfest mit ipse fecit.«

»Du warst gestern Abend so lustig und bist heute so mürrisch.«

»Ich war nicht lustig und bin nicht mürrisch; ich bin nur ein Kerl, der eigentlich allein sein sollte und verdammterweise doch keinen Tag allein sein kann. Paß auf, wie ich's meine. Es ist mir lieb, wenn du bei mir bist; ein Freund wie du, der's so treu meint, ist wie wenn man Geld im Schrank hat; braucht man's auch nicht, es unterstützt doch, weil man weiß, man kann's holen, wenn Not an Mann geht. Also bleib' [117] die noch übrigen Tage deiner Ferien da, aber laß mich auch ein bischen mir.«

»Ich begreife dich wohl. Hier empfängst du den Kuß der Muse und da darf kein fremdes, betrachtendes Auge dabei sein. Ich will dich gewiß ganz dir überlassen, stets zurücktreten, wo sich dir irgend ein Motiv zu einem Bilde bieten könnte; da darf man nicht mit Fingern hindeuten, nicht einmal profanen Auges hinschauen. Die Wurzel, die schaffende Triebkraft alles Lebens, ruht im Dunkel, wo kein Sonnenblick, wo kein Auge hindringt.«

»Das auch,« sagte Reinhard, »und für dich selber merke dir: will nicht von jedem Augenblicke etwas, ein Resultat, einen Gedanken und dergleichen; lebe und du hast Alles. Wir stecken in der Gedankenhetzjagd, die uns gar nicht mehr in Ruhe das Leben genießen läßt, du vor Allen, aber ich kann auch sagen wie jener Pfarrer in seiner Strafpredigt: Meine lieben Zuhörer, ich predige nicht nur für Euch, ich predige auch für mich. – Laß uns leben! leben! Der Hollunder blüht, er blüht und nicht blos, damit Ihr Euch einen Thee daraus abbrüht, wenn Ihr Euch erkältet habt.«

»Entschuldige, wenn ich dir sage,« bemerkte der Collaborator in zaghaft rücksichtsvollem Tone, »es steckt mehr Romantik in dir als du glaubst, das war ja auch die blaue Blume der Romantiker: ohne alle Reflexion zu sein, im Vollgenuß des Nichtwissens.«

»Bin nicht ganz einverstanden, aber meinetwegen heiß' es Romantik, wenn das Kind einen Namen haben muß.«

[118] Reinhard stand halb angekleidet am Fenster und sog die Morgenluft in vollen Zügen ein; plötzlich prallte er zurück, der Collaborator sprang schnell an das leere Fenster und sah hinaus. Das Wirthstöchterlein ging über den Hof, luftig gekleidet, ohne Jacke und barfuß. Eine Schaar junger Enten umdrängte sie schnatternd.

»Ihr Fresserle,« schalt sie und verzog damit trotzig den Mund, »könnet's nicht verwarten bis eure Kröpfle vollgestopft sind? Euch sollt' man alle Viertelstund' anrichten, nicht wahr? Nur stet, ich hol's ja, nur Geduld, ihr müsset halt auch Geduld lernen; aus dem Weg! ich tret' euch ja.«

Die jungen Entchen hielten an, als ob sie die Worte verständen, das Mädchen ging nach der Scheune und kam mit Gerste in der Schürze wieder. »Da,« sagte sie, eine Handvoll ausstreuend, »g'segn' euch's Gott! Gunnet's euch doch, ihr Neidteufel und purzelt nicht übereinander weg, scht!« scheuchte sie und warf eine Handvoll Gerste weiter abseits, »ihr Hühner, bleibt da drüben.« Der Hahn stand auf der Leiter an der Scheune und krähte in die Welt hinein. »Kannst's noch, accurat wie gestern,« sagte das Mädchen sich verbeugend, »komm' jetzt nur 'runter; bist halt grad wie die Mannsleut, die lassen immer auf sich warten, wenn das Essen auf dem Tisch steht.«

Der Hahn kam auch herabgeflogen und ließ sich's wohl schmecken, plauderte aber viel dabei; wahrscheinlich hatte er eben etwas Geistreiches oder Possiges gesagt, denn eine gelbe Henne, die gerade ein Korn aufgepickt hatte, schüttelte den Kopf und verlor das Korn. Der [119] Galante sprang behende herzu, holte das Verlorene und brachte es mit einem Kratzfuße, einige verbindliche Worte murmelnd.

»Guten Morgen Jungferle,« rief jetzt der Collaborator in den Hof hinab; das Mädchen antwortete nicht, sondern sprang wie ein Wiesel davon und ins Haus; die jungen Enten und die Hühner schauten bedeutsam nach dem Fenster hinauf, sie mochten wol ahnen, daß von dorther die Störung gekommen war, die ihnen die fernere Nahrung entzog.

»Das ist ein Mädchen! ach, das ist ein Mädchen!« rief der Collaborator in die Stube gewendet und ballte beide Fäuste zum Himmel; er durchmaß hierauf zweimal ohne zu reden die Stube, stellte sich dann vor Reinhard und begann wieder:

»Da hast du's, ich kann weiter nichts sagen als: das ist ein Mädchen. Kein Epitheton genügt mir, keines. Hier haben wir ein Gesetz der Volkspoesie, sie gibt den vollsten Ausdruck, macht die tiefste Wirkung oft blos durch das einfache Substantiv, ohne Epitheton; meiner Sprache steht jetzt in solcher Entzückung nicht mehr zu Gebote, als der eines Bauernburschen.«

»Was hältst du davon, wenn wir uns mit dem Epitheton ›göttlich‹ begnügten?«

»Spotte jetzt nicht, das Mädchen mußt du malen, wie es dastand, eins mit der Natur, zu ihr redend und von ihr begriffen, die vollendete Harmonie.«

»Es wäre allerdings etwas nie Dagewesenes: ein Mädchen im Hühnerhofe.«

»Nun, wenn auch nicht so, das Mädchen mußt du[120] malen, hier ist dir ein süßes Naturgeheimniß nahegestellt, du –«

»In's Teufels Namen, so schweig doch still, wenn es ein Geheimniß ist. Du schwatzest schon am frühen Morgen, daß man nicht mehr weiß, wo Einem der Kopf steht.«

Die beiden Freunde saßen eine Weile lautlos bei einander; endlich sagte der Collaborator aufstehend:

»Du hast Recht, der Morgen ist wie die stille Jugendzeit, da muß man den Menschen allein lassen, für sich, bis er nach und nach aus sich erwacht; man soll ihn nicht aufrütteln. Ich gehe in den Wald, du gehst doch nicht mit?«

»Nein.«

Der Collaborator ging und Reinhard saß lange still, das viele Reden und Rütteln des Collaborators hinterließ ihm die Empfindung, als ob er von einer geräuschvollen Reise käme; die ruhige Spiegelglätte des Morgenlebens war ihm zu hastigen Wellen aufgehetzt. Reinhard war verstimmt und nervengereizt, er legte sich nochmals auf das Bett und verfiel in leisen Schlummer. Die Glocken des Kirchthurmes weckten ihn, es läutete zum Erstenmal zur Kirche. Reinhard ging hinab in die Küche; die Bärbel, seine alte Gönnerin, die sonst so freundlich mit ihm geplaudert hatte, war unwirsch, sie sagte, er solle nur in die Stube gehen, sie hielte ihm schon seit drei Stunden den Kaffee bereit und man könne ja das Feuer nicht ausgehen lassen von seinetwegen. Reinhard war eben im Begriffe ihr eine barsche Antwort zu geben, er hatte es genug, [121] sich über den gestrigen Scherz hart behandeln zu lassen, da hörte er die Stimme Lorle's von der Laube:

»Bärbel, komm ause, guck ob's so recht ist.«

»Komm' du 'rein, ist grad so weit; mach nur fort, es wird schon recht sein.«

Ohne eine Antwort gegeben zu haben, verließ Reinhard die Küche, er ging aber nicht in die Stube, sondern fast unhörbar nach der Laube. Ungesehen von dem Mädchen konnte er dasselbe eine Weile beobachten; er stand betroffen beim ersten Anblick. Das war ein Antlitz voll seligen, ungetrübten Friedens, eine süße Ruhe war auf den runden Wangen ausgebreitet; diese Züge hatte noch nie eine Leidenschaft durchtobt oder ein wilder Schmerz, ein Reuegefühl verzerrt, dieser seine Mund konnte nichts Heftiges, nichts Niedriges aussprechen, eine fast gleichmäßige zarte Röthe durchhauchte Wange, Stirn und Kinn, und wie das Mädchen jetzt mit niedergeschlagenen Augen das Bügeleisen still auf der Halskrause hielt, war's wie der Anblick eines schlafenden Kindes; als es jetzt die Krause emporhob, die großen blauen Augen aufschlug und den Mund spitzte, trat Reinhard unwillkürlich mit Geräusch einen Schritt vor.

»Guten Morgen, oder bald Mittag,« nickte ihm Lorle zu.

»Schön Dank, seid Ihr wieder gut?«

»Ich bin nicht bös gewesen, ich wüßt' nicht warum. Habt Ihr gut geschlafen?«

»Nicht so völlig.«

»Warum? Habt Ihr was träumt? Ihr wisset ja, [122] was man in der ersten Nacht in einem fremden Bett träumt, das trifft ein.«

»Aber mein Traum nicht.«

»Nun, was ist's denn gewesen? Dürfet Ihr's nicht sagen?«

»Ganz wohl, und Euch besonders, ich hab' von Euch träumt.«

»Ach, von mir, das kann nicht sein. Gucket, machet mir keine Flatusen; es hat mich verdrossen, wenn Ihr mich früher Grundel geheißen habt, aber es wär' mir noch lieber, wenn Ihr so saget, als wenn Ihr mir so was Gaukliches vormachet.«

»Ich kann ja auch was träumt haben, das gar kein' Flatuse ist. Machet aber nur kein Gesicht, es ist nichts Böses, es ist blos dumm. Mir hat's träumt, ich sei mit Euch auf dem Bernerwägele gesessen und Euer Rapp war angespannt und hat eine großmächtige Schelle um den Hals gehabt, die hat geläutet wie die Kirchenglock', und der Rapp ist nur so durch die Luft dahingeflogen, seine Mähne ist hoch aufgestanden und man hat kein Rad gehört und wir sind doch immer fort und fort. Ich hab' den Rapp halten wollen, er hat mir aber schier die Arme aus dem Leib gerissen, und Ihr seid immer ganz ohne Angst neben mir gesessen und so immer fort; plötzlich legt sich der Wagen ganz sanft um und wir sind auf dem Boden gelegen, da ist mein Kamerad kommen und hat mich geweckt.«

»Das ist ein wunderlicher Traum, aber in den nächsten vier Wochen fahr' ich nicht mit Euch. Was ich hab' sagen wollen, Euer Kamerad ist ein wunderlicher [123] Heiliger, mein Vater sagt, er sei stolz und hochmüthig, ich mein' eher, er sei zimpfer und ungeschickt.«

»Ihr habt ihm doch seine Störung verziehen?«

»Ja. Seid Ihr auch schon auf gewesen?«

»Nicht ganz. Mit meinem Kameraden habt Ihr Recht, er ist nicht stolz, im Gegentheil scheuch und furchtsam.«

»Ja, das hab' ich auch denkt, und grad weil er scheuch und furchtsam ist, da geht er so auf die Leut' 'nein und thut wie wenn er sie zu Boden schwätzen wollt'. Wie ich vorlängst bei der Vroni auf der Hohlmühle gewesen bin, Ihr wisset ja, sie ist mit meinem Stephan versprochen, sie heirathen bis zum Herbst und er übernimmt die Mühle; Ihr seid doch auch noch da zur Hochzeit?«

»Kann sein, aber Ihr habt mir was erzählen wollen?«

»Ja, das ist Recht, daß Ihr Einen beim Wort behaltet, ich schwätz' sonst in den Tag 'nein. Nun wie ich drunten in der Hohlmühle bin, da wird's Nacht und da haben sie mir das Geleit geben wollen, ich hab's aber nicht zugeben und es wär' mir doch recht gewesen. Ich bin halt jetzt allein fort, im Wald da ist mir's aber katzhimmelmäuslesangst worden, und weil ich mich so gefürcht't hab', da hab' ich allfort pfiffen, wie wenn ich mir aus der ganzen Welt nichts machen thät. Ja, wie komm ich denn aber jetzt da drauf, daß ich Euch das erzähl'?« schloß Lorle, die Lippen zusammenpressend und die Augen nachdenklich einziehend.

[124] »Wir haben von meinem Kameraden gesprochen und –«

»Ja, Ihr bringet mich wieder drauf; der pfeift auch so lustig, weil er Angst hat, nicht wahr?«

»Vollkommen getroffen. Ihr müßt nun aber recht freundlich gegen ihn sein, er ist ein herzguter Mensch, der's verdient, und es wird ihn ganz glücklich machen.«

»Was ich thun kann, das soll geschehen. Ist er noch ledig?«

»Er ist noch zu haben, wenn er Euch gefällt.«

»Wenn Ihr noch einmal so was saget,« unterbrach Lorle, das Bügeleisen aufhebend, »so brenn' ich Euch da den Bart ab. Ja, daß ich's nicht: vergess', lasset Euch Euern Bart nicht abschwätzen, er steht Euch ganz gut.«

»Wenn er Euch gefällt, wird er sich um die ganze Welt nichts scheeren.«

»Was gefällt? Was ist da von gefallen die Red'?« ertönte eine kräftige Weiberstimme, es war die der Bärbel.

»Das Lorle ist in meinen Kameraden verschossen,« sagte Reinhard.

»Glaub' ihm nichts, er ist ein Spottvogel,« rief das Mädchen und Bärbel entgegnete:

»Herr Reinhard, ganget 'nein und trinket Euern Kaffee; Ich g'wärm ihn Euch nimmer.«

»Geht Euer Goller da in die Kirch?« wendete sich Reinhard an Lorle und erhielt die Antwort:

»Nein, das gehört der Bärbel, die geht, ich bleib' daheim; Ihr geht doch auch?«

[125] »Ja,« schloß Reinhard und trat in die Stube. Er hatte eigentlich nicht die Absicht gehabt, in die Kirche zu gehen, aber er mußte und wollte jetzt; er mußte, weil er's versprochen, und wollte, weil Lorle allein zu Hause blieb. Und wie wir unseren Handlungen gern einen allgemeinen Charakter geben, so redete er sich auch ein, er gewinne durch die Theilnahme an dem Kirchengange auf's Neue die Grundlage zur Gemeinsamkeit des Dorflebens und ein Recht darauf.

Während Reinhard in der Stube dies überdachte, sagte Lorle draußen auf der Laube: »Denk' nur, Bärbel, er hat heut Nacht von mir träumt.«

»Wer denn?«

»Nu, der Herr Reinhard.« Lorle verfehlte nie, auch wenn sie von dem Abwesenden sprach, das Wort »Herr« zu seinem Namen zu setzen.

»Laß dir von dem Fuchsbart nichts aufbinden,« entgegnete Bärbel.

»Und der Bart ist gar nicht fuchsig,« sagte Lorle voll Zorn, »er ist ganz schön kästenbraun und der Herr Reinhard ist noch grad so herzig wie er gewesen ist, und du hast doch früher, wie er nicht dagewesen ist, immer so gut von ihm gered't, und du hast Unrecht, daß du jetzund so über ihn losziehst. Wenn er auch den Spaß mit dem Ausschellen gemacht hat, er ist doch nicht stolz, er red't so gemein und so getreu.« –

»Ich kann nichts sagen als: nimm dich vor ihm in Acht, und du bist kein Kind mehr.«

»Ja das mein' ich auch, ich weiß doch auch wie Einer ist, ich ...«

[126] »Gib mir mein Goller, du zerdrückst's ja wieder,« sagte Bärbel und ging davon.

Reinhard wandelte sonntäglich gekleidet mit Stephan und Martin nach der Kirche. Alles nickte ihm freundlich zu, Manche lachten noch über die seltsame Bartzier, aber der Träger derselben war ihnen doch heimisch; sie fühlten es dunkel, daß er zu ihnen gehörte, da er nach demselben Heiligthume, zu derselben Geistesnahrung mit ihnen wallfahrtete.

Auf dem Wege fragte Martin: »Nun was saget Ihr aber zu unserm Lorle? nicht wahr, das ist ein Mädle?«

»Ja,« entgegnete Reinhard, »das Lorle ist gerad wie ein feingoldiger Kanarienvogel unter grauen Spatzen.«

»Es ist ein verfluchter Kerle, aber Recht hat er,« sagte Martin zu Stephan.

Reinhard saß bei dem Schulmeister auf der Orgel, der brausende Orgelklang that ihm wundersam wohl, er durchzitterte sein ganzes Wesen wie ein frischer Strom. Die Bärbel, die ihn jetzt von unten sah, dachte in sich hinein: Er ist doch brav! Wie seine Augen so fromm leuchten! Reinhard hörte nur den Anfang der Predigt. An den Text: »Lasset euer Brod über das Meer fahren,« wurde eine donnernde Strafrede angeknüpft, weil das ganze Dorf sich verbunden hatte, nichts für das zu errichtende Kloster der barmherzigen Schwestern beizusteuern. Reinhard verlor sich bei dem eintönigen und nur oft urplötzlich angeschwellten Vortrage in allerlei fremde Träumereien. Drunten aber lag die Bärbel auf den Knien, preßte ihre starken Hände inbrünstig zusammen und betete für Lorle; sie[127] konnte nun einmal den Gedanken nicht los werden, daß dem Kinde Gefahr drohe, und sie betete immer heftiger und heftiger; endlich stand sie auf, fuhr sich mit der Hand bekreuzend über das Gesicht und wischte alle Schmerzenszüge daraus weg.

Der Orgelklang erweckte Reinhard wieder, er verließ mit der Gemeinde die Kirche. Nicht weit von der Kirchenthüre stand die Bärbel seiner harrend; indem sie ihr Gesangbuch hart an die Brust drückte, sagte sie zu Reinhard: »Grüß Gott!« Er dankte verwundert, er wußte nicht, daß sie ihn erst jetzt willkommen hieß.

Als Reinhard nun noch einen Gang vor das Dorf unternahm, begegnete ihm der Collaborator mit einem gespießten Schmetterling auf dem Mützenrande.

»Was hast du da?« fragte Reinhard.

»Das ist ein Prachtexemplar von einem papilio Machaon, auch Schwalbenschwanz genannt; er hat mir viel Mühe gemacht, aber ich mußte ihn haben, mein Oberbibliothekar hat noch keinen in seiner Privatsammlung; es waren zwei, die immer in der Luft mit einander kosten, immer zu einander flatterten und wieder davon; sind glückselige Dinger, die Schmetterlinge! Ich hätte sie gern beide gehabt oder bei einander gelassen, habe aber nur einen bekommen, und schau wie ich aussehe; in dem Moment wie ich ihn haschte, bin ich in einen Sumpf gefallen.«

»Und Stecknadeln hast du immer bei dir?«

»Immer; sieh hier mein Arsenal,« er öffnete die innere Seite seines Rockes, dort war ein R aus Stecknadelköpfen gesetzt.

[128] »Aber daß ich's nicht vergesse,« fuhr er fort, »ich habe das Wort gefunden.«

»Welches Wort?«

»Das Epitheton für das Mädchen: wonnesam! Es ist ein Vorzug unserer Sprache, daß dieses Wort transitiv und intransitiv ist, sie ist voll Wonne und strahlt Jedem Wonne in die Seele. Aber halt! Eben jetzt, indem ich rede, finde ich das Urwort, das ist's:Marienhaft! Was die Menschheit je Anbetungswürdiges und Wonniges in der Erscheinung der Jungfrau erkannte, das drängte sie in dem Wort Maria zusammen. Das kann keine andere Sprache, solch einnomen proprium allgemein objektivisch bilden.Marienhaft! das ist's.«

Reinhard ward still; nach einer Weile erst frug er:

»Warst du die ganze Zeit im Walde?«

»Gewiß, o! es war himmlisch, ich habe einen tiefen Zug Waldeinsamkeit getrunken. Sonst wenn ich den Wald betrat, war mir's immer, als ob er schnell sein Geheimniß vor mir zuschließe, als ob ich nicht würdig sei, durch diese heiligen Säulenreihen zu schreiten und den stillen Chor der ewigen Natur zu vernehmen; mir war's immer, als ob beim letzten Schritte den ich aus dem Walde thue, jetzt erst hinter mir das süße geheimnißvolle Rauschen beginne und unerfaßbare Melodien erklingen. Heute aber habe ich den Wald bezwungen. Ich bin emporgedrungen durch Gestrüpp und über Felsen bis zum Quellsprung des Baches, wo er zwischen großen Basaltblöcken hervorquillt und ein breites rundes Becken ihn sogleich aufnimmt, als dürfte er da zu [129] Hause bleiben. Du warst gewiß noch nicht dort, sonst müßtest du's gemalt haben; das muß nun dein erstes Bild sein. Die Bäume hangen so sehnsüchtig nieder als wollten sie das Heiligthum zudecken, daß kein sterbliches Auge es sehe, in jedem Blatt ruht der Friede; der rote und weiße Fingerhut läßt seine Blüthenkette zwischen jeder Spalte aufsteigen, es ist eine Giftpflanze, aber sie ist entzückend schön! Die sanfte Erika versteckt sich lauschend hinter dem Felsen und wagt sich nicht hervor an das rauschende Treiben. Dort lag ich eine Stunde und habe Unendlichkeiten gelebt. Das ist ein Plätzchen, um sich in's All zu versenken. Morgenglocken tönten von da und dort, mir war's wie das Summen der Bienen, die sich heute bei der Sicherheit des schönen Wetters weit weg vom Hause wagten. Ich war emporgeklommen, hoch hinauf auf Bergeshöhen, die die Kirchthürme weit überragen, ich stand über Zion auf den Spitzen des unendlichen Geistes; da fühlte ich's wie noch nie, daß ich nicht sterben kann, daß ich ewig lebe; ich faßte die Erde, die mich einst decken wird, und mein Geist schwebte hoch über allen Welten. Mag ich freudlos über die Erde ziehen, klanglos in die Grube fahren, ich habe ewig gelebt und lebe ewig.« ...

Reinhard setzte sich auf den Wegrain unter einen Apfelbaum, er zog auch den Freund zu sich nieder. »Sprich weiter,« sagte er dann; der Angeredete blickte schmerzlich auf ihn, dann schaute er vor sich nieder und fuhr fort:

»Ich lag lange so in selig traurigem Entzücken, ich sah dem unaufhörlich sich ergießenden Quell zu. Wie[130] ätherklar springt er hervor aus nächtiger Verborgenheit; wie rein und hell schlängelt er sich in die Schlucht hinab, bald aber noch bevor er den ruhigen Thalweg erreicht, wird er eingefangen; was ficht's ihn an? Er springt keck über das Mühlrad und eilt zu den Blumen am Ufer. In der Stadt aber dämmen sie ihn ein, da muß er färben, gerben und verderben; er kennt sich nicht mehr. Es kann auch einem reinen klaren Naturkinde so ergehen. Was thut's? Du einzler Quell vom Felsensprung! ströme zu bis hin in das unergründliche, unbezwungene Meer, dort ist neue, dort ist ewige Klarheit und unendliches Leben, ein Ruhen und ein Bewegen in sich ... Bei dem Ersten, was ich dachte, war mir's nicht eingefallen, es festzuhalten, jetzt aber wollte ich Alles in melodische Worte fassen; ich quälte mich in allen Versarten, hin war meine Ruhe. Da fielst du mir wieder ein: wozu ein Resultat? Ich hab's gelebt, was braucht es mehr?« ...

»Ich kenne dein Waldheiligthum schon lange,« sagte Reinhard auf dem Heimwege, »ich habe auch genug dort geträumt, aber mit dem Pinsel konnte ich ihm nicht beikommen; ließen sich deine Gedanken malen, ja dann wär's anders. Ich habe mich von der Landschaft entfernt, und doch so oft ich hieher komme, ist mir's als ob hier eine tiefere Offenbarung noch meiner harre, besonders jetzt; vielleicht ist's dein Waldheiligthum, vielleicht auch nicht.«

»Wo warst denn du während meines Waldganges?«

»Ich war in der Kirche; du hättest eigentlich auch dort sein sollen; das einigt mit dem Bauernleben.«

[131] »Ja, ja, du hast Recht, ei, das thut mir leid; nun, ich gehe heut Mittag.« –

Im Wirthshause war eine große Veränderung.

Als der Collaborator neu beschuht herunterkam, rief ihm Lorle freundlich zu: »Das ist schön, Herr Kohlebrater, daß Ihr nicht auf Euch warten lasset. Wo seid Ihr denn gewesen?«

»Im Walde droben. Saget aber nicht Kohlebrater, ich heiße mit meinem ehrlichen Namen Adalbert Reihenmaier.«

»Ist auch viel schöner. Nun erzählet mir auch 'was, Herr Reihenmaier.«

»Ich kann nicht viel erzählen.«

»Ja, wir wollen warten bis Mittag, Ihr gehet doch auch mit auf die Hohlmühle? und Ihr könnet ja so schön singen.«

»Ich bin bei Allem, absonderlich wo Ihr seid; ich hab' im Walde an Euch gedacht.«

»Müsset mich nicht so zum Possen haben, ich bin zu gut dazu und Ihr auch; es schickt sich nicht für so einen Herrn wie Ihr seid. Hübsch ordelich sein, das ist recht. Ihr müsset aber auch Euren Sonntagsrock anziehen. Habt Ihr denn keinen?«

»Mehr als einen, aber nicht hier.«

»Ja, Ihr habt's doch gewußt, daß Ihr am Sonntag bei uns seid? Nun – schad't jetzt nichts. Ich will Euch den Martin schicken, er soll Euch ein bisle aufputzen.«

Jubelnd sprang der Collaborator die Treppe hinauf und holte eine Sammlung Volkslieder – (die er zu [132] etwaigen Ergänzungen und Varianten mitgenommen hatte – aus seinem Ränzchen; er warf das Buch an die Zimmerdecke in die Höhe und fing es wieder auf. »Hier,« rief er, das Buch hätschelnd, als wäre es etwas Lebendiges, »hier seid ihr zu Hause, nicht in der Bibliothek eingepfercht; heut sollt ihr wieder lebendig werden.«

Beim Essen herrschte die alte Gewohnheit nicht mehr, für Reinhard und seinen Freund war in dem Verschlag besonders gedeckt. Reinhard sagte dem Wirth, daß er wie ehedem am Familientisch essen wolle. Der Alte aber schüttelte den Kopf ohne ein Wort zu erwidern, nahm die weiße Zipfelmütze ab und hielt sie zwischen den gefalteten Händen auf der Brust, damit das Gebet beginne.

»Bärbel, traget nur die zwei Gedecke heraus, wir essen nicht allein,« rief Reinhard. Der Wadeleswirt setzte schnell die Mütze wieder auf, schaute, ohne eine Miene zu verziehen, rechts und links und sagte:

»Nur stet.« 1 Er machte dann eine ziemliche Pause, wie jedesmal, wenn er dieses Wort sagte, das als Mahnung galt, daß Keiner mucksen dürfe bis er weiter redete; endlich und endlich setzte er hinzu:

»Drin bleibt's. Es ist kein Platz da für zwei.« Er hob die Arme bedachtsam auf, strich die Hände wagrecht über die Luft, wie den Streichbengel über ein Kornmaß, was so viel hieß als: abgemacht.

Die Freunde setzten sich in den Verschlag, Lorle trug ihnen auf.

[133] »Kann denn das die Bärbel nicht?« fragte Reinhard, und der Collaborator ergänzte: »Ihr solltet uns nicht bedienen.«

»O du liebs Herrgöttle,« beschwichtigte Lorle, »was machen die für ein Gescheuch von dem Auftragen. Ich thu's ja gern, und wenn Ihr einmal eine liebe Frau habt, Herr Reihenmaier, und ich komm' zu Euch und ihr gunnet mir ein warm Süpple, da soll mich Euer Weible auch bedienen.«

»Woher wisset Ihr denn, daß ich heirathen möcht'?«

»Da kann man mit der Pelzkappe darnach werfen, so groß steht's Euch auf der Stirn geschrieben: ich glaub', daß eine Frau mit Euch rechtschaffen glücklich wird.«

»Woher wisset Ihr denn das?«

»Ihr seid so ordelich mit der Handzwehle 2 umgangen.«

Alles lachte, und draußen am Tische sagte der Vater: »Es ist ein Blitzmädle, und es hat sonst in einem Jahr nicht so viel geschwätzt, wie jetzt seit gestern.«

»Ja,« sagte die Mutter, nachdem sie mit besonderer Zufriedenheit einen Löffel Suppe verschluckt, jetzt mit dem Löffel auf den ihres Mannes klopfend, »du wirst's noch einsehen, was das für ein Mädle ist; das ist so gescheit wie der Tag.«

»Das hat es von dir und von unserm Vorroß, von der Bärbel da,« schloß der Wadeleswirth, den Schlag zurückgebend.

Die beiden Freunde unterhielten sich vortrefflich mit [134] Lorle, das immer ein Auge auf jegliches Erforderniß hatte, seltsamerweise aber Alles mit der linken Hand anfaßte; der Collaborator sah sie mehrmals scharf darob an und Lorle sagte:

»Nicht wahr, es ist nicht in der Ordnung, daß ich so links bin? Ich hab' mir's schon abgewöhnen wollen, aber ich vergess' es immer.«

Schnell nahm Reinhard das Wort: »Das schadet nichts!« Leiser, daß man es in der Stube draußen nicht hören konnte, setzte er hinzu: »Ihr machet Alles prächtig. Wer kann's beweisen, daß die rechte Hand die geschicktere ist? Eure Linke ist flinker als manche Rechte, und mir gefällt's so ganz wohl.«

Bei diesen Worten richtete sich Lorle grad auf, eine eigentümliche Majestät lag in ihrem Blicke.

»Sind keine Musikanten im Dorf?« fragte der Collaborator.

»Freilich, sie sind alle bei einander.«

»Die sollten uns heut' Abend einige Tänze spielen, ich bezahle gern ein Billiges.«

»Ja, das geht nicht, der Schultheiß ist heut verreist und es ist vom Amt streng verboten, ohne polizeiliche Erlaubniß Musik zu halten; in Eurer Stub' droben hängt die Verordnung.«

»O Romantik! Wo bist du?« sagte der Collaborator und Lorle erwiderte: »Das haben wir hier nicht, aber ein Clavier steht droben, das darf man –«

Die beiden Freunde brachen in schallendes Gelächter aus, so daß sie sich kaum auf ihren Sitzen halten konnten. Reinhard faßte sich zuerst wieder, denn [135] er sah, wie es plötzlich durch das so friedliche Antlitz des Mädchens zuckte und zitterte, Pulse klopften sichtbar in den Augenlidern und ein tiefschmerzlich fragendes Lächeln lag auf den Lippen. Lorle stand da mit zitterndem Athem; sie wand das festangezogene Schürzenband um einen Finger, daß es tief einschnitt; dieser körperliche Schmerz that ihr wohl, er verdrängte einen Augenblick den seelischen. Reinhard gebot in barschem Tone seinem Freunde, mit dem »einfältigen Lachen« endlich aufzuhören. So sehr sich nun auch der Collaborator entschuldigte und sich Mühe gab, Lorle zu erklären was er gemeint habe, das Mädchen räumte schnell ab und blieb verstimmt, so verstimmt wie das Klavier, das der Collaborator alsdann in seiner Stube probirte.

Das war eine grausam zerstörte Harmonie, fast keine Saite hatte mehr den entsprechenden Klang, da mußten viele Menschen darauf losgetrommelt haben. »Ja,« dachte der Collaborator, »wenn ein Wesen einmal zur Mißstimmung gebracht ist, dann arbeitet Jedes zum Scherze oder muthwillig darauf los, es noch mehr und vollends zu verstimmen, und haben sie's vollbracht, dann lassen sie es vergessen im Winkel stehen.« Der Collaborator sah darin nur ein Bild seines Lebens, er dachte nur an sich. – Von den vielen Wanderungen und Empfindungen ermüdet, verschlief er dann richtig die Mittagskirche, zu seinem und vielleicht auch zu unserm Frommen. Wer weiß, ob das Waldheiligthum vom Morgen ungestört geblieben wäre.

Als Lorle aus der Mittagskirche kam, ging sie mit[136] ihrem Bruder rasch nach der Hohlmühle. Der Vater, das wußte sie, war nicht so bald loszueisen, er versprach mit der Mutter nachzukommen. Freilich hatte sich's Lorle heute Morgen schön ausgedacht, wenn auch die Fremden mitgingen. Es lief auch ein Bißchen Stolz mit unter. Das war aber nun Alles vorbei. Nach vielem Drängen folgte das alte Ehepaar mit den Freunden zwei Stunden später. Der Collaborator war wieder ganz aufgeräumt.

»Ihre Uhren hier gehen falsch,« bemerkte er dem Wirthe, »ich habe die meinige nach dem Meridian auf der Bibliothek gestellt. Sie könnten sich hier auch eine Sonnenuhr einrichten, etwa an der neuen Kirche, die jetzt gebaut wird; à propos, warum bauen Sie die neue Kirche nicht mehr drüben auf dem Hügel, das war ja so schön, daß man sich erhebt, wenn man zur Kirche geht?«

»Ja, wir wollen jetzt die Kirch' bei der Hand haben, zu allen Gelegenheiten wo man's braucht.«

»Da habt ihr auch Recht, die Religion und die Kirche sollen nicht mehr oberhalb, fern von dem Leben stehen, sondern mitten unter demselben. Ach, da blüht schon vorzeitig die Genziana cruciata,« unterbrach sich der Collaborator und sprang über den Weggraben nach der Blume.

Der Wadeleswirth schaute ihm lächelnd nach und sagte zu Reinhard: »Das ist ein sonderbarer Mensch! Hat man nicht gemeint, er will mit aller Gewalt die Kirch' wieder auf den Berg setzen, und wenn man's ihm anders auslegt, gleich ist es ihm auch Recht; bei[137] dem ist's wie bei dem Verwalter auf der Saline drunten, der hat einen Schlafrock, den man auf all beiden Seiten anziehen kann. Grausam gelehrt muß er aber sein; was hat er denn eigentlich g'studirt?«

»Zuerst geistlich und dann viele Sprachen; jetzt ist er auf dem Bücherkasten angestellt, und da hat er von Allem was wegkriegt. Er hat im Ganzen wohl feste Meinungen, und grundbrav ist er, das könnet Ihr mir glauben.«

»Ja, ja, glaub's schon.«

Der Collaborator war wieder herbeigekommen. Er konnte sich nicht enthalten, auf jedem Schritte Reinhard auf die Schönheiten des Weges aufmerksam zu machen; da war eine Baumgruppe, eine Durchsicht, ein knorriger Ast, Alles rief er an »und sieh,« sagte er wieder, »wie das Sonnenlicht so herrlich in Tropfen durch die Zweige und von den Blättern rinnt!«

»Laß doch dein ewiges Erklären!« fuhr Reinhard auf; der Collaborator ging still, um sich wieder eine Blume zu holen und zerschnitt sie mit dem Federmesser.

»Ihr müsset ihn nicht so anfahren,« sagte der Wadeleswirth, »das ist ja ein glücklicher Mensch; wo ein Anderes gar nichts mehr hat, hat der noch überall Freude genug, an der Sonn', an einer Blum', an einem Käfer, an Allem.« –

Man war endlich am Mühlgrunde angekommen: dort wandelten zwei Mädchen durch die Thalwiese Hand in Hand und sangen. »Lorle!« rief die Mutter, das Echo hallte es wieder, Vroni blieb stehen und Lorle sprang den Kommenden entgegen. Der Wadeleswirth [138] stand da, weitspurig und die Hände in die Seiten gestemmt, er nickte nur einmal scharf mit dem Kopfe und hier sprach sich sein ganzer Vaterstolz aus: Zeiget mir noch so ein Mädle landaus und landein, sagten seine Mienen.

Reinhard ward auf der Mühle herzlich bewillkommt, auch sein Freund wurde traulich begrüßt, denn hier, wo Alles in der Sippschaft lebt, werden die Freunde wie Familiengenossen angesehen. Um den Tisch unter dem Nußbaum saß die Gesellschaft, der alte Müller zeigte Reinhard, wie sein Name, den er vor Jahren in die Rinde geschnitten, groß geworden war.

Der Collaborator wendete keinen Blick von dem alten Manne, für dessen Antlitz er später die eigene Bezeichnung erfand, indem er es ein »geschmerztes Gesicht« nannte; es war eines jener edlen, länglichen Gesichter, hohlwangig, mit breiten Backen- und Stirnknochen und großen blauen Augen, voll Demuth und langen Harmes, darauf die Leidensgeschichte des deutschen Volkes geschrieben ist.

»Ja,« sagte der Alte, Reinhard mit dem Finger drohend, »der Schelm soll mich ja, wie sie sagen, in einem besondern Bild gemalt haben. Ist das auch ehrlich und recht?«

»Das macht der Katz' keinen Buckel,« lachte der Wadeleswirth, »mich dürft' er meinetwegen malen wie er wollt', ich behielt' mich doch.«

»Eingeschlagen, bleibt dabei,« rief Reinhard, die Hand hinstreckend; als er aber keine Hand erhielt, setzte er lachend hinzu: »Es war nur Spaß, es giebt gar keine so dicken Farben, wie Ihr seid.«

[139] Unter dem allgemeinen Gelächter sagte dann der Müller: »Jetzt saget's frei, was habt Ihr denn aus mir gemacht?«

»Nichts Unrechtes. Wie ich damals die Mühle abgezeichnet hab', da geh' ich einmal Abends weg, die Sonne ist grad' im Hinabsinken, da geht Euer Fenster auf, Ihr gucket 'raus, ziehet die Kapp' vom Kopf, haltet sie zwischen den Händen und betet laut in die untergehende Sonne hinein. Da hat mich's heilig angerührt und ich hab' Euch so gemalt, nur mit der Aenderung, daß Ihr unter der Halbthür statt am Fenster stehet.«

»Das ist nichts Unrechtes, das kann man sich schon gefallen lassen,« sagte die Wirthin.

Man saß ruhig und wohlgemuth beisammen und Reinhard vertraute unter dem Gelöbniß der Verschwiegenheit, daß er in die neue Kirche ein Altarbild stiften wolle. Der Wadeleswirt bot ihm freie Zehrung in seinem Hause an, so lang er hieran arbeite, und der Müller wollte auch etwas thun, er wußte nur noch nicht was.

Eine Weile herrschte Stille in dem ganzen Kreise, Niemand fand, nachdem man so gute und fromme Dinge besprochen, etwas Anderes. Der Collaborator verhalf zu einer andern Stimmung. Die Mädchen waren ab- und zugegangen und hatten Essen aufgetragen, die Gläser waren eingeschenkt, aber Niemand griff zu, weil die Gedanken Aller in der Kirche waren. Lorle hatte den Collaborator offenbar vermieden. Dieser fragte nun Vroni:

[140] »Hat man keine Sagen von dem Mühlbache? Baden sich keine Nixen droben im Quell?«

»Ja, nix badet sich drin,« erwiderte Vroni; Alles kicherte in sich hinein.

Der Collaborator ließ aber nicht ab und wendete sich an den Alten: »Erzählt man sich denn gar nichts von dem Bache?«

»Ach was! Das sind Sachen für Kinder, das ist nichts für Euch.«

»Ich bitte, erzählet doch. Ihr thut mir einen Gefallen damit.«

»Nun, man berichtet allerlei, so von dem Wasserweible, und so.«

»Ja, davon erzählet, ich bitte.«

»So hat im Schwedenkrieg ein Schwed hier der Tochter vom Haus Gewalt anthun wollen und da ist sie auf den Fruchtboden entlaufen und hat die Leiter nachzogen und da hat der Schwed' die Mühle gestellt und ist am Rad 'naufgestiegen, und wie er halb droben ist, da ist das Wasserweible kommen, hat die Mühle in Gang bracht, und patsch! ist mein Schwed' unten gelegen und ist versoffen.«

»Das ist eine herrliche Sage.«

»Ja, Aberglaube ist's,« eiferte der Müller, »der Schwed' hat die Mühl nicht recht stellen können und da ist sie halt wieder von selber in Gang kommen.«

Der Nachmittag ging unter mancherlei Gesprächen vorüber, man wußte nicht wie. Die beiden Mädchen machten sich über den Collaborator auf alle Weise lustig, sie hielten ihn für abergläubisch und erzählten[141] ihm Spuk- und Geistergeschichten; besonders Lorle war froh, ihm seinen gelehrten Hochmut heimzahlen zu können und machte ihn so »gruseln«, daß er gewiß in der Nacht nicht schlafen könne; sie stellte sich, als ob sie an Alles glaube, um ihm rechte Furcht einzujagen. Der Collaborator war ganz glückselig über diese reiche Fundgrube und merkte Nichts von der versteckten Schelmerei.

Auf dem Heimwege sagte der Wadeleswirth ein gar weises Wort zu Reinhard: »Euer Kamerad ist doch grad wie ein Kind und er ist doch so gelehrt.«

Stephan war auf der Mühle geblieben, Lorle ging neben der Mutter, der Collaborator begleitete sie und sagte einmal: »Da kann man nun Vergangenheit und Zukunft sehen, so wie das Lorle müsset Ihr einmal ausgesehen haben, Frau Wirthin, und das Lorle wird auch einmal so eine nette alte Frau, wie Ihr.«

Die Wirthin schmunzelte, es war ihr aber doch unbehaglich, so von sich sprechen zu hören; denn wenn die Bauern auch noch so gern ein Langes und Breites selber von sich reden, ist es ihnen doch unlieb, wenn ein Anderer sie in ihrem Beisein schildert oder gar kritisirt.

Unser gelehrter Freund aber begann wieder: »Saget doch, woher kommt's, daß man so selten schöne ältere Leute auf dem Dorfe sieht, besonders wenig schöne ältere Frauen?«

»Ja gucket, die meisten Leut' haben ein kleines Hauswesen und können keinen Dienstboten halten und da muß oft so eine Frau schon am vierten, fünften Tag, nachdem sie geboren hat, an den Waschzuber[142] stehen oder auf's Feld. Wenn man sich nicht pflegen und warten kann, wird man vor der Zeit alt.«

»Ihr solltet einen Verein zur Wartung der Wöchnerinnen stiften.«

»Ja wie denn?«

Der Collaborator erklärte nun die Einrichtung eines solchen Vereins, die Wirthin aber machte viele Einwendungen, besonders, daß manche Frauen sich ungern von Nichtverwandten in ihre unordentliche Haushaltung hineinsehen lassen; endlich aber stimmte sie doch bei und sagte: »Ihr seid ein recht liebreicher Mensch,« und Lorle bemerkte: »Aber die Mädle können auch bei dem Verein sein?«

»Gewiß, der Verein verpflichtet sich, jede Wöchnerin mindestens vierzehn Tage zu pflegen.«

Es war Dämmerung als man im Dorfe anlangte, Reinhard schloß sich einem Trupp Burschen an und zog mit ihnen singend durch das Dorf. Als es längst Nacht geworden war, kam er heim, sprang schnell die Treppe hinauf und wieder hinab. Der Collaborator saß auf seiner Stube und notirte sich einige der heute vernommenen Sagen; als er aber von der Straße herauf Zitherklang hörte, ging er hinab.

Unter der Linde saß Reinhard, die Zither auf dem Schooße, die ganze Männerschaft des Dorfes war um ihn versammelt. Er spielte nun zuerst eine sanfte Weisung, er wußte das liebliche Instrument so zart zu behandeln, daß es, bald schmelzend, bald jubelnd, alle Gemüthsregungen verkündete. Die Zuhörer standen still und lauschend, es gefiel ihnen gar wohl und doch, [143] als er jetzt geendet, fürchteten sie, er möchte immer blos spielen. Martin sprach daher das allgemeine Verlangen aus, indem er rief: »Ihr könnet doch auch singen, gebt was los.«

»Ja, ja,« stimmten Alle ein, »singet, singet.«

Reinhard gab nun viele kurze Lieder preis, die er auf seinen Wanderungen aufgehascht hatte; hell klang seine Stimme hinein in die stille Nacht und die Jodeltöne sprangen wie Leuchtkugeln hinauf zum Sternenhimmel und stürzten sich wieder herab.

Lorle, die sich eben hatte zu Bett legen wollen, schaute zum Fenster heraus und horchte hinab; die Worte mit den Lippen sprechend, aber nicht der Luft anvertrauend, sagte sie:

»Es ist doch ein prächtiger Mensch, so gibt's doch gewiß Keinen mehr auf der ganzen Welt.«

Nun sang Reinhard das Lied:


Und wann's emol schön aber 3 wird,

Und auf der Alm schön grüen,

Die Böckle mit de Geisle führt,

Die Sendrin mit de Küehn;

Die Wälder werden grün von Laub,

Die Wiesen grün von Gras,

Und wann i an mein' Sendrin denk,

No g'freut mi halt der G'spaß.


Der Collaborator kannte das Lied und begleitete es im Grundbaß, Lorle oben machte aber bei den nachfolgenden Versen das Fensterchen zu und legte sich still zu Bett. Gegen das Ende des äußerst naiven Stelldichein, [144] welches im Liede besungen wurde, konnten schon fast alle Burschen mitsingen; der eilfte und letzte Vers wurde unter hellem Lachen noch einmal wiederholt:


Der Bue der sait, heut kann's nit sein,

Heut hab i goar koan Freud,

Wann i das nächstmal wieder kumm,

Heut hab i goar koan Schneid.

Er thut en frischen Juchzer drauf,

Das hallt im ganzen Wald;

Die Sendrin hat ihm nachig'weint,

So lang sie hört den Schall.


»Und das Lied hat eine Sennerin gemacht!« schrie der Collaborator in vollem Entzücken.

»Ihrem Herzliebsten zur guten Nacht, gut Nacht,« schloß Reinhard und ging in das Haus. Die Burschen sangen das neue Lied noch weit hinein durch das Dorf und lachten unbändig.

»Das war ein genußvoller Tag,« sagte der Collaborator auf der Stube zu seinem Freunde. »Wie schön ist Musik in der Nacht! Das Licht ist ein Nebenbuhler des Gesangs, es liebt ihn nicht, die dunkle Nacht aber wiegt ihn sanft auf ihren weichen Armen. Du verstehst's mit dem Volke umzugehen, man sollte ihm die neuen Offenbarungen im Gesange mittheilen, da ist Alles wieder eins, die erste und letzte Bildungsstufe ist im Gesange wieder geeint.«

Da Reinhard nicht antwortete, fuhr der Redner fort: »Du hast mir diesen Abend ein Gesetz von der Völkerwanderung der Lieder, ich wollte sagen, von der Wanderung der Volkslieder concret erklärt. Man hat[145] so oft Volkslieder von ganz localer Färbung an fremden Orten gefunden. Menschen wie du sind die Schmetterlinge, die den befruchtenden Blumenstaub von der einen Blume zur andern bringen. Wir hatten heute Alles: Ein Müllerstöchterlein, ein Wirthstöchterlein, ein Maler und Musikant, es fehlte nur noch ein Jäger, dann hätten wir die vollständige Romantik.«

»Laß die Romantik, du bist heut schon übel damit gefahren.«

»Du solltest unsere heutige Versammlung unter dem Nußbaum malen.«

»Du hast mir versprochen, mich nicht aufmerksam zu machen.«

»Ja, verzeih', gut Nacht.«

Reinhard richtete noch bis spät in der Nacht seine Werkstätte ein, er hatte etwas im Sinne und wollte am andern Morgen frisch an die Arbeit.

Fußnoten

1 Langsam, ruhig.

2 Handtuch.

3 Aber = frühlingshell, sonnig.

Bergaus und bergein

Bergaus und bergein.

Nachdem der Collaborator am andern Morgen die unterbrochene Aufzeichnung der Sagen vollendet hatte, suchte er seinen Freund auf und fand denselben vor einer fast fertigen Farbenskizze: ein Tyroler, der oberschwäbischen Burschen und Mädchen ein neues Lied vorsingt.

»Da hast du ja mein Gesetz verbildlicht,« bemerkte der Collaborator, »das Bild gewinnt eine tiefe Tendenz.«

»Bleib' mir vom Hals mit deiner Tendenz,« entgegnete der Maler, »die Menschen haben den Teufel [146] zur Welt hinausgejagt, aber den Schwanz haben sie ihm ausgerissen und der heißt Tendenz. Wie in dem Märchen von Mörike legen sie ihn als Merkzeichen in's Buch, in Alles. Ich möchte einmal Etwas machen, bei dem sie gar keine Tendenz herausquälen könnten, wo sie blos sagen müßten: das Ding ist schön.«

»Du hast Recht, das Symbolische und Typische, was jedes Kunstwerk in sich hat, muß sich auf naturwüchsige Weise gestalten.«

»Naturwüchsig? Ein schönes Wort; warum sagst du nicht naturwuchsig oder naturwachsig?«

»Spotte nur, meine Behauptung steht doch fest: in jedem Kunstwerke ist Symbolisches und Typisches; die Situation, das Ereigniß ist für sich da, bedarf keiner äußern Ideenstütze, ist selbständig; in der tieferen Betrachtung aber muß sich ein sinnbildlicher oder vorbildlicher Gedanke darin offenbaren, das Concrete wird an sich ein Allgemeines. Das ist nicht Tendenz, wo man in die magere Milch Butter gießt, um glauben zu machen, die Kuh gebe von selbst Milch mit solchen Fettaugen, das Gedankliche ist vielmehr als Saft und Kraft in jedes Atom vertrieben. Dein Bild hier kann ganz vortrefflich werden, nur ist die Frage, ob das Musikalische, das punctum saliens gegenständlich werden kann für die Malerei. Du mußt Lessing's Laokoon studiren, dort sind die Grenzen der Kunst haarscharf gezogen. Ich sehe wohl, daß der Tyroler mit der Zither auf dem Schooße, wie er mit der einen Hand die Finger schnalzt, wie er den Mund öffnet, ein lustiges Lied singt; du hast in der Gruppe zwischen dem Burschen [147] und dem Mädchen, die sich hinter dem rücken des Alten zuwinken und hier zwischen den Hand in Hand stehenden, staunenden beiden Mädchen gezeigt, daß eine Liebesstrophe gesungen wird, ob aber –«

»Du wolltest ja heute das Clavierstimmen,« unterbrach ihn Reinhard.

»Das will ich. Hier an dem Clavier habe ich auch wieder ein Symbol des deutschen Volksgemüthes: alle Saiten sind noch da, keine braucht frisch aufgezogen zu werden, aber fast alle sind von rohen, ungeschickten Händen verstimmt, nur einige tiefe Töne sind noch rein. Auch das ist bezeichnend, daß ich mir jetzt vom Schulmeister den Stimmhammer holen muß. Ich gehe nun.«

»Grüß' mir den Schulmeister,« schloß Reinhard und schaute eine Weile nach der Thür, die er hinter dem Störenfried verschlossen hatte. Zur Staffelei gewendet, versank er in Gedanken; er hatte so rüstig und zuversichtlich begonnen und jetzt war's ihm doch, als ob das Musikalische nicht wohl zu malen sei. Er erinnerte sich nun, daß er ein Bild für die neue Kirche versprochen, und ging nach dem neuen Bau, um sich Räumlichkeit und Größe zu betrachten; einmal aus der Werkstatt, ging er nicht wieder zurück, sondern wanderte ins Feld. Als er hier die arbeitenden Bauern betrachtete, zog der Gedanke durch seine Seele: Wie glücklich sind diese Menschen in der Stetigkeit ihrer Arbeit. Sie wissen nichts von Stimmungen und Zwiespältigkeiten des Berufs, ihre Arbeit ist so fest und unausgesetzt, wie das ewige Schaffen der Natur, der sie dienen. Wär' ich [148] ein Bauer, ich wäre glücklich. – Nun fiel ihm auch eine Bäuerin ein, er saß im freien Felde am hellen Mittag auf dem Pfluge, ein Weib kam den Rain herauf, sie trug das einfache Essen im tuchumwickelten Topfe, ihr Antlitz leuchtete, als sie ihren Mann sah, der, die schirmende Hand an die braune Stirn gelegt, nach ihr ausschaute; sie lächelte und ihr Mund schwellte sich wieder zum Kusse. – Wir sind genußsüchtige Menschen, dachte Reinhard, aus seinen Träumen aufseufzend; wie glücklich könnte ich leben, vermöchte ich's, mich in die Beschränkung einzufrieden.

Aber – so sonderbar ist der Mensch in seiner Doppelnatur geartet – Reinhard konnte wenige Minuten darauf sein Traumbild in flüchtigen Umrissen in sein Skizzenbuch zeichnen. Wohl that er's nur zur Erinnerung, aber es war doch noch mehr, und daß er überhaupt so bald eine Träumerei in eine Skizze verwandeln konnte, mußte ihm zeigen, wie weit ab er davon war, seinen Künstlerberuf hinter sich zu werfen. – Die Züge des Weibes hatten unverkennbare Aehnlichkeit mit einem nicht gar fernen Mädchen. Reinhard wollte sich selbst entfliehen, indem er mit voller Kraft den Bergwald hinaufrannte: er schweifte lange umher, da sah er in einer Schlucht die zur Trift abgeholzt war, einen Hirtenknaben, der auf seinen Stock gelehnt über die weidenden Kühe hinweg nach dem Thal schaute. Reinhard schlich leise an ihn heran, nahm ihm den breiten, schwarzen Hut vom Kopfe und machte eine tiefe Verbeugung; der Knabe lachte und dankte vornehm nickend, ein frisches Antlitz von feuerrothen Lockenkrausen umwallt, schaute zu Reinhard auf.

[149] »Nun? ist das Alles?« fragte der Knabe keck; »her mit dem Hut!«

»Nein, ich will dich abzeichnen, willst du still halten?«

»Ja, wenn Ihr mir einen Groschen gebt.«

Reinhard ward handelseins, der Knabe aber wollte nichts vom Stillehalten wissen, bis er den Groschen in der Tasche habe. Reinhard mußte willfahren. Während der Arbeit erfuhr er nun, daß der Knabe beim Lindenwirth diente und hier dessen Kühe hütete.

»Wen hast du denn am liebsten im Hause?«

»Da sitzt er und hat's Hüetle auf,« antwortete der Knabe schelmisch, was so viel hieß als: man wird dir's nur schnell sagen, ja, wart' ein Weilchen.

»Also die Bärbel?« fragte Reinhard.

»Nein, die gewiß nicht; ich kann's Euch meinetwegen auch sagen, aber wenn Ihr's verrathet, werdet Ihr gestraft um sechzehn Ellen Buttermilch.«

»Also wer ist's?«

»Versteht sich das Lorle. Du lieber Himmel! Wenn ich nur nicht erst dreizehn Jahr' alt wär', das Lorle müßte mein Weible sein; ich hab' aber nur fünf Gulden Lohn im Sommer und ein paar Nägelschuh' und ein paar Hosen und zwei Hemden, das gibt kein Heirathgut. Aber das Lorle, das ist ein Mädle, potz Heidekukuk! Es kommt immer daher, wie wenn es aus dem Glasschränkle käm', und es schafft doch sellig, und da guckt es so drein, daß man nicht weiß, darf man mit ihm reden oder nicht; es hat so getreue Augen, daß man satt davon wird wenn man's ansieht, und es sagt nichts und es ist Einem doch wie wenn [150] es über alle Menschen zu befehlen hätt', und wenn es was sagt, muß man ihm durch's Feuer springen, da kann man nimmer anders.«

Reinhard sah den Knaben so verwirrt an, daß dieser die Hand an die Seite stemmte und herausfordernd fragte: »Was gibt's denn? Was wollet Ihr?«

»Nichts, nichts, red' nur weiter.«

»Ja was weiter? Da habt Ihr Euern Groschen wieder, wenn Ihr mich zum Narren habt, und ich red' jetzt gar nicht, just nicht, gar nicht.«

Reinhard beruhigte den Knaben, der sich in Zorn hineinarbeiten wollte, er schenkte ihm noch einen Groschen; das that gute Wirkung. –

Als die Zeichnung vollendet und Reinhard weggegangen war, jauchzte der Knabe laut auf, daß die Kühe, das abgegraste Futter im Maul haltend, nach ihm umschauten. Der Knabe setzte sich schnell auf den Boden und betrachtete mit unendlicher Befriedigung Wappen und Schrift an den beiden Groschen, dann zog er das in ein Knopfloch gebundene Lederbeutelchen vor, darin noch anderthalb Kreuzer waren, legte schmunzelnd das neue Geld hinein und sagte, den Beutel zudrehend: »So, vertraget euch gut und machet Junge.«

Während sich dies im Walde zutrug, hatte der Collaborator im Dorfe ganz andere Begebnisse. Er besuchte den Schullehrer und traf in ihm einen abgehärmten Mann, der schwere Klage führte, wie sein Beruf so viel Frische und Spannkraft erheische und wie der bitterste Mangel ihn niederdrücke, so daß er sich selber sagen müsse, er genüge seinem Amte nicht. Der Collaborator [151] gab ihm zwei Gulden, die er nach Gutdünken verwenden solle, den Schulkindern eine Freude damit zu machen, ausdrücklich aber verbot er, ein Buch dafür zu kaufen. – Der neuen Kirche gegenüber auf den Bausteinen saß ein hochbetagter Greis, der jetzt den Collaborator um eine Gabe bat. Auf die Frage nach seinen Verhältnissen erzählte der Alte, daß ihn eigentlich die Gemeinde ernähren müsse und daß sie ihm auch Essen in's Haus geschickt habe; er habe es aber nur zweimal angenommen, er könne nicht zusehen wie seine sieben Enkel um ihn her hungern, während er sich sättige. Die umstehenden Maurer bestätigten die Wahrheit dieser Aussagen. Der Collaborator begleitete den alten Mann nach Hause und das Elend, das er hier sah, preßte ihm die Seele so zusammen, daß er zu ersticken glaubte; er gab hin was er noch hatte, er hätte gern sein Leben hingegeben, um den Armen zu helfen. Lange saß er dann zu Hause und war zum Tode betrübt, endlich machte er sich an die Arbeit, das Clavier zu stimmen.

Mittag war längst vorüber, da kam Lorle zu ihm; sie hatte sich zwar gestern vorgenommen mit dem »Ueberg'studirten« zu trutzen, aber es ging nicht. Für ein gutes Gemüth giebt es keine schwerere Last, als erfahrene Unbill oder Kränkung in der Seele nachzutragen. Lorle hatte alles Recht dazu, wieder freundlich zu sein.

»Da sehet Ihr's jetzt, wie der Herr Reinhard ist,« sagte sie, »wenn er einmal vom Haus fort ist, muß man ihm das Mittagessen oft bis um viere warm halten. Das muß man sagen, schleckig ist er nicht, er ist mit Allem zufrieden; aber es thut Einem doch leid,[152] wenn das gut Sach' so einkocht und verdorrt, und man kann's doch nicht vom Feuer wegthun. Und, Herr Reihenmaier, ich hab' auch viel an Euch denkt; Ihr habt gestern so eine gute Sach' gesagt und so schön ausgelegt, jetzt lasset's aber nicht blos gesagt sein, Ihr müsset's auch eingeschirren und in's Werk richten.«

»Was denn?«

»Das mit dem Verein für die Kindbetterinnen; gehet zum Pfarrer, daß der die Sach' in Ordnung bringt«

»Gut, ich gehe.«

»Ja,« sagte Lorle, »jetzt nach Tisch ist grad die best' Zeit beim Pfarrer, und Euch wird Euer Essen noch viel mehr schmecken, wenn Ihr so was Gutes in Stand bracht habt.«

Der Collaborator traf den Pfarrer im Lehnstuhl, zur Tasse Kaffee eine Pfeife rauchend. Nach den herkömmlichen Begrüßungen wurde das Anliegen vorgetragen, der Pfarrer schlürfte ruhig die Tasse aus und setzte dann dem Fremden auseinander, daß der Plan »unpraktisch« sei, die Leute hülfen einander schon von selbst. Der Collaborator entgegnete, wie das keineswegs der Fall sei, daß man deshalb die Wohlthätigkeit organisiren müsse, um zugleich frischen Trieb in die Menschen zu bringen. Der Pfarrer stand aus und sagte mit einer kurzen Handbewegung: man bedürfe hier der Schwärmereien von Unberufenen nicht. Jetzt gedachte der Collaborator der Armuth und Noth, die er erst vor wenigen Stunden gesehen; immer heftiger werdend rief er:

»Ich kann nicht begreifen, wie Sie die Kanzel besteigen und predigen können, indem Sie wissen, daß[153] Menschen aus der Kirche gehen die hungern werden, während Sie sich an wohlbesetzter Tafel niederlassen.«

Der Pfarrer kehrte sich verächtlich um und sagte: er würdige solche demagogische Reden – er war noch aus der alten Schule und hatte den Ketzerstempel communistisch noch nicht – kaum der Verachtung. Er machte eine Abschiedsverbeugung und rief noch: »Sagen Sie Ihrem Freunde, er möge seine Liederpropaganda unterlassen, sonst giebt's eine Polizei. Adieu.«

Der Collaborator kam leichenblaß zu Reinhard in das Wirthshaus und aß keinen Bissen. Als ihn Lorle nach dem Erfolge seines Ganges fragte, erwiderte er wie zankend: »Ich bin ein Narr!« dann preßte er wieder die zuckenden Lippen zusammen und war still.

Reinhard hielt Lorle sein Skizzenbuch hin und fragte: »Wer ist das?«

»Ei der Wendelin. Lasset mir's, ich will's der Bärbel zeigen.«

»Nein, das Buch gebe ich nicht aus der Hand.«

»Warum? Ist Jemand darin abgezeichnet, das ich nicht sehen darf?«

»Kann sein.«

Lorle zog ihre Hand von dem Skizzenbuche zurück.

Auf dem Spazirgange, den die Freunde nun gemeinsam machten, schüttete der Collaborator sein ganzes Herz aus; Reinhard verwies ihm sein Verfahren und er erwiderte:

»Du bist zu viel Künstler, um dir die Noth und das Elend vor Augen halten zu können; du suchst und hältst nur das Schöne.«

[154] »Und will's auch so halten, bis ich einmal durch ein Wunder ausersehen werde, die kranke Menschheit zu operiren.«

»Ich kann's oft nicht fassen,« fuhr der Collaborator wieder auf, »wie ich nur eine Stunde heiter und glücklich sein kann, da ich weiß, daß in dieser Stunde Zahllose, berechtigt zum Genusse des Daseins wie ich, ihr Leben verfluchen und bejammern, weil sie am Erbärmlichsten, an Speise und Trank Noth leiden.«

Die Beiden gingen geraume Zeit still den Bergwald hinan; ein alter Mann, der ein Bündel dürres Holz auf dem Rücken trug, begegnete ihnen, der Collaborator stand still und sah ihm nach, dann sagte er: »Der Instinct, was wir mit dem Untermenschlichen gemein haben, das hilft uns noch am meisten. Wir müßten ohnedies vergehen im Kampf gegen die Welt, wohlweislich aber ist's von Gott in alle Wesen und in den Menschen besonders gesetzt. Hast du beobachtet, wie der Alte vorgebeugt seine Last trug? Er kennt die Organisation seines Körpers nicht, weiß nichts von Schwerpunkt und Schwerlinie, und doch trägt er seine Last ganz vollkommen mit den Gesetzen der Physik übereinstimmend – vielleicht trägt auch die Menschheit ihre Last auf naturtriebliche Weise, die wir noch nicht als Gesetz erkennen.«

Auf diese Nothbank des Vielleicht suchte der Collaborator seine quälende Sorge abzusetzen; es gelang ihm nicht, aber er konnte doch verschnaufen, doch so viel freien Athem schöpfen, um neuen Eindrücken offen zu sein. Reinhard traf das rechte Mittel, um den Freund [155] zu erlösen, er stimmte jetzt mitten im Walde das Weber'sche »Riraro! der Sommer der ist do« an, der Collaborator begleitete ihn schnell im kräftigen Baß; sie wiederholten die Strophen mehrmals, und so ein Lied thut Wunder auf eine betrübte Seele, die sich nach Freiheit sehnt, es leiht dem Geiste Schwingen, daß er mit den Tönen frei über die Welt hinschwebt.

»Es giebt doch keinen festeren Halt, keine sicherere Freude als die Natur;« sagte der Collaborator wiederum, »selbst die Liebe, glaube ich, kann der namenlosen Wonneseligkeit nicht gleichen, die wir in der Natur empfinden. Der Natur Dank, daß sie stumm und gemessen fortlebt, uns nur sieht und nur zu uns spricht, wenn der Geist Natur geworden. Denke dir, wir könnten die ganze Natur hineinreißen in den grausen Wirrwarr unserer Philosopheme, Theorien und Zwiespälte, sie unterbräche durch dieselben auch ihr Dasein, experimentirte mit in unseren Ideen – wie unglücklich müßten wir werden! Nein, die Natur ist stumm und von ewigen Gesetzen gebunden. Es mag eine tiefe Deutung darin gefunden werden, daß nach der Bibelurkunde Gott die ganze Welt durch das Wort, aber ohne ausgesprochenen Willen schuf: erst als er den Menschen formte, sprach er: wir wollen einen Menschen schaffen. Die Natur spricht nicht und will nicht, wir aber sprechen und wollen, wir werden uns selbst zu Gegensatz und Kampf.«

»Lustig! Und wenn der Bettelsack an der Wand verzweifelt,« rief Reinhard endlich dazwischen, schnalzte mit den Fingern und begann zu singen:


[156]

»Jetzt kauf i mir fünf Leitern

Bind's aneinander auf,

Und wann's mich unt' nimer g'freut

Steig i oben hinauf.

Hiudidäh u.s.w.


Bin kein Unterländer,

Bin kein Oberländer,

Bin ein lebfrischer Bue,

Wo's mi freut, kehr i zue.


Drei 'rüber, drei 'nüber,

Drei Federn aufm Huet;

Sind unser drei Brüder,

Thut keiner kein guet.


Sind unser drei Brüder

Und i bin der klenst,

Hat e Jeder ein Mädle

Und i han die schönst.


E schön's Häusle, e schön's Häusle,

E schön's, e schön's Bett,

Und e schön's, e schön's Bürschle

Sust heirath i net.


Wenn i nunz ein Haus han

Han i doch e schöne Ma'n,

Dreih ihn 'rum und dreih ihn 'num,

Schau ihn alleweil an.


Mein Schatz, der heißt Peter,

Ist e lustiger Bue,

Und i bin sein Schätzle,

Bin au lusti gnue.«


[157] Mit solchen »G'sätzle«, die Reinhard schockweise kannte, überschüttete er seinen Freund; so oft dieser zu grübeln beginnen wollte, sang er ein neues und der Collaborator konnte nicht umhin, die zweite Stimme zu übernehmen. Wohlgemuth kamen sie zu Hause an und merkten nicht, daß die Leute die Köpfe zusammensteckten und allerlei munkelten.

Am andern Morgen stand Reinhard vor dem Bett des Collaborators und sagte: »Frischauf! du gehst mit, wir wandern ein paar Tage in's Gebirge; das wird dir das Blut auffrischen und ich kann doch nichts arbeiten, es gefällt mir nichts.«

Der Aufgeforderte war ohne viel Zögern bereit, er hatte sich's zwar vorgesetzt, so viel als möglich sich in das Kleinleben des Dorfes zu versenken; nun sollte sich's ändern.

Erkräftigende, sonnige Wandertage verlebten die beiden Freunde; wie der Himmel in ungetrübter Bläue über ihnen stand, so breitete sich auch eine gleiche einige Seelenstimmung über sie. Was der Eine that und vorschlug, war dem Andern lieb und erwünscht; nie wurde hin und her erörtert, und so hatte jeder Trunk und jeder Bissen den man genoß eine neue Würze, jedes Ruheplätzchen doppelte Erquickung. Freilich war der Collaborator noch immer der Nachgiebige, aber er war's nicht aus rücksichtsvoller Behandlung, sondern unmittelbar in freudiger Liebe. Da er es selten unterließ, einen gegenwärtigen Zustand mit einer allgemeinen Betrachtung zu begleiten, sagte er einmal: »Wie herrlich ist's, daß wir vom Morgen bis zum Abend [158] beisammen sind. Ich bin oft gern allein der stillen Natur gegenüber, ist aber ein Freund zur Seite, so ist's eine höhere Wonne, unbewußt durchzieht mich die Empfindung, daß ich nicht nur mit der Natur, sondern auch mit den Menschen einig und in Frieden bin, sein möchte.« –

Reinhard gab auf diese Rede seinem Freund einen derben Schlag auf die Schulter, er hätte ihn gern an's Herz gedrückt, aber diese Form seines Liebesausdruckes war ihm genehmer und dünkte ihn männlicher. –

Sie kamen nun in eine geologisch höchst merkwürdige Gegend. Der Collaborator vergaß eine Weile all das menschliche Elend was ihn bedrückte, denn er machte in den Steinbrüchen manchen glücklichen Fund; er fand in einem Kalkbruch nicht nur einen Koprolith von seltener Vollkommenheit, sondern auch noch manche andere Seltenheit. Als er mehrere sehr schöne versteinerte Fischzähne gefunden, äußerte er seine eigenthümliche Empfindung, hier Ueberbleibsel einer alten Welt zu haben, die viele tausend Jahre älter ist als unsere Erde. Reinhard hörte solche Auseinandersetzungen gern an, denn ihm ward jetzt auf den Wegen die Entstehungsgeschichte unserer Erde eröffnet. Der Collaborator liebte es in komischen Darlegungen auseinanderzusetzen, wie dieser unser Erdball mehrmals durch's Examen gefallen, bis er den Doktor, den Menschen gemacht. Er wiederholte oft, daß die Geologie die einzige Wissenschaft sei, der er sich mit voller Lust widmen möchte, er liebte sie auch besonders, weil, wie er sagte: die Astronomie der Altgläubigkeit das Dach über'm [159] Kopfe abgehoben und die Geologie ihr den Boden unter den Füßen weggezogen habe.

Die Taschen des Collaborators füllten sich übermäßig, er mußte manche schöne Versteinerung, deren Fund ihn ganz glücklich gemacht hatte, zurücklassen, er entschädigte sich aber dafür, indem er solche an ungewöhnlichen Orten versteckte; mit kindischer Freude malte er dann aus, wie nachkommende Stümper tiefe Abhandlungen über diese seltsamen Erscheinungen schreiben würden. Als ihm Reinhard bemerkte, daß er ja hierdurch die Wissenschaft verwirre, stand er stutzig da und half sich dann mit einem leichten Scherze darüber weg. Dennoch ließ er jede Versteinerung, die er nicht mitnehmen konnte, fortan an ihrem Orte liegen. Bei den naturgeschichtlichen Auseinandersetzungen hörte Reinhard willig zu; wenn es aber wieder an die Fragen vom Weltübel ging, begann er zu singen:

»Collaborator! Collaborator. Ihr Bäume, Vögel, Steine, der Collaborator ist da und will euch eine Predigt halten. Sieh, ich lehre die Vögel im Walde deinen Titel, wenn du nicht einpackst.«

Ueber eine Sache jedoch hörte Reinhard mit besonderm Wohlgefallen zu. Sie ruhten einst unter einem Nußbaume mitten im Walde, da bemerkte der Collaborator: »Der Volksmund berichtet, einem Raben sei an solcher Stelle die Frucht, die er im Schnabel trug, entfallen und sie sei zum Baume aufgewachsen. So steht auch oft mitten unter Menschen mit rauhen Sitten und Seelen ein zartes, hohes Gemüth.«

[160] »Aber ein schöner Leib muß auch dabei sein,« bemerkte der Maler.

»Gewiß, wie glücklich ist ein schönes Menschenantlitz; freundlich lacht ihm die Welt entgegen, alle Blicke, die sich ihm zuwenden, erheitern sich, ein Widerstrahl des Wohlgefallens kehrt aus Allen zu ihm zurück.«

Sie nannten Lorle nicht und doch dachten Beide an sie.

Sie sprachen einmal von Liebe und Reinhard bemerkte: »Mir ist's oft, als wäre all das Singen und Sagen von der Liebe eitel Tradition; ich kann mir jenen süßen Wahnsinn, da der ganze Mensch in Liebe ausbrennt, nicht denken.« –

Reinhard sagte dies selber nur als Tradition aus einer vereinsamten Vergangenheit, es hatte keine Wahrheit mehr für ihn und doch wiederholte er's wie aus Gewohnheit; sein Freund mochte das fühlen, er sah ihn bedeutsam und traurig an, indem er dann erwiderte: »Solch ein Mädchen ist wie ein Lied, das ein ferner Dichter geschaffen und zu dem ein Anderer die Melodie findet, die Alles und hundertfältig mehr daraus offenbart.«

Als Antwort stimmte Reinhard das Lied an: »Schön Schätzichen wach auf!«

Der Collaborator fand eine reife Erdbeere am Felsen, er hielt sie vor sich hin und sagte: »Wie duftig und voll würziger Kühle ist diese Beere, wie lange bedurfte das Pflänzchen, bis es Blüthe und Frucht reifte, und nun steht es da zu unserer Erquickung.[161] War sein ganzes Dasein nur ein stilles Harren auf mich? Hat der Schöpfer es bereit gehalten, bis er mich herführte?«

Reinhard betrachtete seinen Freund mit glänzenden Augen und sagte dann: »Wenn ich dich einst male, fasse ich dich so: die frische Frucht zum Genusse in der Hand und du sie betrachtend.«

In den Dörfern wo man übernachtete, brachte der Collaborator eine seltsame Bewegung unter die Bewohner; er ließ sich in der Nacht vom Küster die Kirche öffnen und berauschte sich im Orgelspiel, das er meisterhaft verstand. Noch viele Tage redete man in den Dörfern von dem wunderlichen, nächtigen Orgelspieler und der Collaborator selber sagte auf dem Heimwege: »Es ist tief bedeutsam, wie in jedem Dorf ein großes, heiliges Instrument aufgerichtet ist, dessen harrend, der einst die freien Klänge daraus erwecke. Auch das: ich bin nicht der rechte Mann des Volkes, ich verstehe nur das höchste Instrument des Dorfes, die Orgel zu spielen, und zwar wesentlich zu meiner eigenen Erholung.« – –

Die Wandertage hatten die Freunde auf's Neue an einander geschlossen; sie kehrten Freitag spät in der Nacht heim, am andern Mittag mußte der Collaborator nach der Stadt in sein Amt zurück.

In aller Frühe stimmte er noch vollends das Clavier und sagte mit schmerzlichem Lächeln zu dem eintretenden Reinhard: »Unter der Hand wird mir Alles zum Sinnbilde. Ich habe nun das Clavier gestimmt, werde aber morgen keine lustigen Tänze darauf spielen. [162] Après nous la danse. Nach uns geht der Tanz der Weltgeschichte an. Diese Steine und die paar Schmetterlinge, das ist Alles, was ich aus dem Dorf mitnehme.«

Er eilte nochmals zu der armen Familie, um zu sehen wie es ihr erginge; die Leute waren unwirsch und er glaubte, sie wüßten, daß er ihnen nichts mehr geben könne.

Von allen Hausgenossen war es Lorle allein, die innigen Abschied vom Collaborator nahm. Als er fort war, sagte sie zu Reinhard: »Ich kann's nicht glauben, aber die Pfarrköchin hat's im Dorf ausgesprengt, der Herr Reihenmaier sei ein gottloser Heid', er häb beim Pfarrer auf das Predigen geschimpft und den neuen Kirchenbau verflucht. Er kann aber nicht schlecht sein, nicht wahr? Er hat doch so ein gut Herz.«

Reinhard sah dankend auf Lorle. Der Abschied vom Freunde that auch ihm wehe, und doch dünkte er sich jetzt erst recht frisch und frei; er glaubte jetzt alle störsame Reflexion los zu sein, da sie von seiner Seite gewichen war ....

In einem geheimen Buche der Residenz wurde mehrere Tage darauf ein neues Conto für einen Kunden eröffnet. Darin hieß es »Ministerium des Cultus. Der Collaborator Adalbert Reihenmaier, nach Denunciation des Pfarrers M ... zu Weißenbach laut Bericht des Amtes zu G., atheistisch gesinnt, Versuch zur Aufreizung des Volkes. Reg. VII. b. act. fasc. 14263.«

[163]

Hoch zum Himmel hinan!

So wohl sich Reinhard jetzt fühlte, schaute er am andern Morgen doch oft nach der Thür, als müsse der Freund eintreten.

Mit frischer Lust wurde nun die Ausführung der Farbenskizze fortgesetzt, es wurde noch ein Plätzchen für Wendelin erübrigt, der mit dem Hirtenstocke in der Hand stehen blieb, während die Kühe sich im Hintergrunde verloren; hiedurch bekam das Abendliche, das über dem Ganzen liegen sollte, noch ein weiteres Motiv. Einigen Zuhörern im Hintergrunde gab Reinhard Lasten auf den Kopf, sie kehrten eben vom Felde heim und blieben stehen; der Collaborator würde sagen, dachte Reinhard lächelnd: das zeigt symbolisch oder typisch, daß das Volk durch das Lied die bedrückenden schweren Lasten vergißt! ... Nun ward auch noch der Collaborator in eine Ecke gestellt, es war offenbar, daß er das neue Lied aufschrieb.

Reinhard aß fortan wieder am Familientisch; er war doch erst jetzt wieder in seinen alten Verhältnissen. Mit Lorle sprach er oft und viel von dem fernen Freunde und daß sie allein im ganzen Dorf einen Menschen lieb hatten, den die Anderen vergaßen oder schmähten, das gab ihrem Verhältniß noch eine geheime Besonderheit. Es ergab sich nun, daß der Collaborator allerdings in seinem tiefen Aufruhr sich zu heftigen Aeußerungen eigentümlicher Art hatte hinreißen lassen; er hatte im Hause des alten Klaus ausgerufen: »man möchte an Gott verzweifeln, daß er die Sonne scheinen [164] und die Bäume wachsen läßt, daß er's duldet, daß man ihm eine Kirche erbaut, während die Menschen solches Elend ihrer Brüder ruhig mit ansehen.« Lorle entschuldigte ihn immer bis auf's Aeußerste und beklagte, daß die Leute, denen er doch nur Gutes gethan, ihn dafür jetzt beim Pfarrer verläumdet und angegeben hätten. Sie gönnte sich jetzt auch fast keine Ruhe und keinen Genuß mehr, sie wollte überall im ganzen Dorfe wo es dessen bedurfte beispringen und helfen.

Reinhard war überaus fleißig und, wie das immer Ursache und Wirkung des schöpferischen Fleißes, auch überaus lustig; er war zu Scherz und Schelmerei aller Art aufgelegt, es schien als ob das ganze Haus nur ihm gehörte. Man konnte nicht recht sagen was er trieb; in den Stunden, in denen er nicht arbeitete, war's eben als ob ein Kobold umherrenne und Alles lachen und springen mache.

Der Wadeleswirth sagte oft gar bedächtig: »Nur stet, lasset mir nur das Haus über'm Kopf stehen;« zwei Minuten darauf mußte er aber selbst ganz ungewöhnliche Sprünge machen. Reinhard verstand nämlich zweierlei Künste besonders: zuerst die Bauchrednerei; er brachte einst den Wadeleswirth so in Gang, wie sich dessen Beine seit Jahren nicht erinnern konnten, denn er ahmte die Stimme Lorle's nach, die vom Speicher nach Hülfe rief. Ueber ein anderes Kunststück Reinhard's rief Bärbel einmal alle Hausbewohner zusammen. Die jungen Schweinchen, die man erst vor Kurzem eingethan, grunzten plötzlich auf dem obersten Speicher, und als man hinaufkam, hatte Reinhard blos [165] die Stimmen der bescheidenen Geschöpfe nachgeahmt. Man konnte dem übermüthigen Gesellen nicht gram sein und Lorle sagte einmal:

»In unserm Haus dürfet Ihr die Späß' machen, aber nur nicht vor andern Leuten, die haben sonst keinen Respect vor Euch.«

Reinhard war von diesem Augenblicke an ruhiger und nur wenn die Gelegenheit gar zu lockend war, vollführte er noch einen Schabernack.

Lorle war viel im Dorf, aber nicht zu Hause, sondern bei der Mutter Wendelins, die mit dem sechsten Kinde, einem Knaben, niedergekommen war. Reinhard hatte sein Bild rasch untermalt und wollte sich nun, so lange die Farben trockneten, Ruhe, das heißt freies Umherschweifen in Wald und Feld gönnen. Er putzte seine Büchse, um auf die Jagd zu gehen, aber er kam nicht dazu, denn schnell drängte sich ein anderes Bild auf die Staffelei und mit frischem Eifer vollendete er die Farbenskizze zu demselben, es war das versprochene Altarbild. Reinhard hatte die Hochzeit zu Canä dazu gewählt und malte mit fast immer lächelndem Antlitz, denn er hatte die Figuren aus dem Dorf genommen, die er gar nicht mit langen Bärten und Talaren verkleiden wollte; es war eine einfache deutsche Bauernhochzeit, unter die der Heiland trat: Stephan war der Bräutigam, die Braut aber sah nicht Vroni ähnlich, der Wadeleswirth und der Hohlmüller nahmen sich als Schwiegerväter stattlich aus. Reinhard pfiff allerlei lustige Volkslieder während er malte, und als er einmal das Ineinandertönen der Farben aus [166] der Ferne betrachtete, dachte er vor sich hin: »Wie würde sich der Collaborator freuen, wenn er sähe, wie ich unser Bauernleben dem altjüdischen als Kukuksei ins Nest practizire. Was könnte er da für culturgeschichtliche Bemerkungen machen! Wie würde er mir beweisen, daß auch Shakspeare dadurch Leben gewonnen, daß er die Römer zu Engländern gemacht.«

Nach Vollendung der Farbenskizze kam dennoch ein Mißmuth über Reinhard; ihm bangte wie so oft vor der Ausführung, er hatte die Freude des Schaffens vollauf bei dem Entwurfe genossen.

Es liegt eine tiefe Erfrischung in dem drängenden Treiben, das die Künstlerseele tagtäglich zu neuen Gebilden erweckt; die wahre, nachhaltige Erquickung liegt aber nur in der Treue, in der unablässigen, sorgsamen Vollendung dessen, was man in der Stunde der Weihe empfangen und begonnen. In dieser Treue ersteht die Schaffensfreude, wiedergeboren durch den Willen, erhöht und verklärt.

Reinhard gelobte sich Treue in seinem Berufe und doch ging er stets mit bewegtem Herzen als suche er Etwas, als müsse er ein Ungeahntes finden, als stehe er auf der Schwelle einer Offenbarung, deren Pforten sich plötzlich aufthun und Wunder schauen lassen. Er wandelte auf dem Boden der gewohnten Welt wie auf knospenden Geheimnissen, und doch war ihm wiederum so wohl in Wald und Flur; Baum und Strauch und Gras, Alles stand ihm so nah wie noch nie, er lebte ihr Leben mit, er hatte nicht Auge genug für diese unendlich reiche Welt, die sich aufthat als ginge er mit [167] ihr eben aus der Hand des Schöpfers hervor; Alles war ihm wie neu, als sehe er's zum Erstenmale. Er stand einst vor einer Schlehdornhecke und versank in ihrem Anschauen in tiefe Betrachtung: Wie das hier aus dem Boden steigt, Aeste treibt Frucht und Blatt ansetzt, wie schön gezackt und glänzend, und der Winter kommt, es stirbt und fällt und grünt wieder – Alles, das einfachste Naturleben war Reinhard ein neues Heiligthum geworden. »Was soll aus mir werden?« sagte er dann, indem er zu sich zurückkehrte. »Heilige Natur! Mache aus mir was du willst, laß mich nur kein verpfuschtes Wesen sein, irr in sich – Ich will dir gehorchen.«

So schwellte namenloses Sehnen die Brust Reinhards und selbst im Hause saß er oft stundenlang wie mit offenen Augen träumend. Die Leute schüttelten den Kopf über ihn, sie kannten ihn gar nicht mehr; aber Jedes in der Welt hat zu viel für sich zu thun, um den Gedanken eines Andern nachgehen zu können, zumal wenn diese eben der Art sind, daß sie sich nicht fassen lassen. Reinhard machte den Versuch, sich aus seinen Träumereien herauszureißen, er ging auf die Jagd; das erheischte ein zusammengehaltenes, geschlossenes Wesen und festen Blick nach außen. Eines Mittags kehrte Reinhard mit der Büchse auf der Schulter und zwei Birkhühnern in der Tasche nach Hause, da sah er Lorle unter der Linde sitzen mit den zwei jüngeren Geschwistern Wendelin's. Das kaum einjährige Kind stand auf dem Schoße des Mädchens aufrecht und Lorle schnalzte mit den Fingern [168] und lachte und koste, um das Kind zu erheitern; der Knabe der ihr zu Füßen stand, schaute aber trotzig drein. Lorle nickte dem herzutretenden Reinhard freundlich zu und fuhr dann fort, mit dem Kinde zu spielen, indem sie sang:


Ninele, Nanele,

Wägele, Stroh,

's Kätzle ist g'storbe,

's Mäusle ist froh.


Reinhard setzte sich auf einen Baumstamm Lorle gegenüber und starrte drein, sie ließ ihn gewähren, sie war's gewohnt, daß er sie oft anstierte, sie fragte nur:

»Wird denn der Herr Reihenmaier nicht schreiben?«

»Nein,« sagte Reinhard.

Das war doch nur ein einfaches Nein, aber in dem Tone der Stimme lag ein Ausdruck, den die liebevollsten Worte nicht ersetzen mochten. Plötzlich fing der Knabe zu Füßen Lorle's an zu weinen und schrie: »Ich will heim.«

»Bleib',« beschwichtigte Lorle, »dein' Mutter schlaft und du kannst nicht heim.« Auf ein Rothkehlchen deutend, das vor ihnen umherhüpfte, sagte sie: »Guck einmal, was der Vogel ein weißes Unterwämmschen anhat, paß auf, wenn er auffliegt; scht!« Der Vogel flog auf und man sah die weißen Federn unter seinem Flügel. »Hast's gesehen?« fragte Lorle, der Knabe ließ sich aber dadurch nicht zerstreuen, und erst als er das Versprechen erhielt, daß ihm Lorle eine Geschichte erzähle, schluchzte er still. Lorle trocknete ihm das [169] thränennasse Gesicht und erzählte nun eine jener eigentlich inhaltlosen Geschichten, bei denen aber Ton und Geberde eine ganze Seele voll Liebe ausspricht und erweckt. Es wurde weiter nichts berichtet, als daß ein Knabe eine schöne Kirsche hatte, die ihm ein Vogel wegnehmen wollte, die Mutter aber den Vogel verscheuchte.

Lorle und ihr Zuhörer lachten darüber laut auf, es waren eben Kinder, die sich über sich selbst und mit einander freuten. Der Knabe wollte aber immer wissen, wie es weiter ging, und fragte immer: »Und dann?« Bis Lorle sagte: »Und dann? dann lassen wir die Hödel und die Gizle heraus.« Und so geschah es auch. Die Geis und die Zieglein wurden aus dem Stall geholt, Lorle freute sich wol eben so sehr an den Sprüngen derselben als die Kinder, die sie hütete.

Zu Hause lehnte Reinhard alle seine Bilder und Entwürfe mit dem Gesicht gegen die Wand; er wollte nichts sehen als ein Bild, das er im Geiste vor sich erschaute.

Am Abend hatte er im Stüble eine lange Unterhandlung mit dem Wadeleswirth, und besonders durch die Erinnerung an das großmüthig zurückgegebene Versprechen auf der Hohlmühle ward Reinhard willfahrt. Der Vater rief endlich seine Tochter herein und sagte:

»Lorle, da der Herr Reinhard braucht dich zum Abmalen für das Kirchenbild; willst du?«

»Für die Kirch'?« fragte Lorle, sie schaute um und auf, als grüßte sie ein fremdes Wesen hinter ihr und über ihr.

[170] »Was guckst du so?« fragte der Vater.

»Nichts, ich hab' gemeint, es wär' Jemand hinter mir, ich weiß nicht.«

Der Vater begann wieder: »Die Mutter bleibt von morgen an die ganz' Woch' zu Haus, wir bekommen Drescher und da kann sie drauf Acht geben und auch bei euch sein. Willst du?«

»Ja,« sagte Lorle mit fester Stimme; auf ihrer Kammer aber weinte und betete sie die ganze Nacht; sie wußte nicht recht warum, es war ihr so wohl und so weh zu Herzen.

Auch Reinhard war die ganze Nacht voll Unruhe, und als er mit dem ersten Sonnenstrahl erwachte, sagte er laut vor sich hin: »Marienhaft! er hat Recht.« – Still verließ er dann das Haus, er schwang den Hut, um das Haupt in der Morgenluft zu kühlen, und stand noch einen Augenblick so da, als grüßte er die heilige Frühe. Am Kirchberge begegnete er dem Küster, der eben hinanging, um zur Frühmette zu läuten; er begleitete ihn und stieg den Thurm hinan, saß in der Glockenstube und schaute zur Lucke hinaus in's Weite. Drunten im Thale kämpften noch Sonne und Nebel, die Sonne aber ward bald Meister. In der Kirche begann die Orgel zu brausen und zu dröhnen, Reinhard saß hoch oben und dachte Unendliches.

Als die Kirche zu Ende war, kam der Küster und bat Reinhard hinabzusteigen, da er schließen müsse. Still ging Reinhard dahin, da begegnete ihm Lorle, die aus der Kirche kam.

[171] »Ihr seid auch in der Kirch' gewesen?« sagte sie halb fragend.

»Ja, oben.«

Die Beiden konnten nicht reden, sie waren tief erschüttert, wie von einer überirdischen Macht erregt, und doch war es auch ihr eigener Wille.

Lorle sah blaß aus, die Mutter fürchtete, sie sei krank, da sie auch nichts über die Lippen brachte; Lorle konnte aber kaum eine Antwort geben, es war ihr als sollte sie gar nichts reden.

Nun endlich saß sie bei der Staffelei und Reinhard sagte: »Wir wollen lustig sein, warum denn traurig? Juhu!«

Er sagte: »wir wollen«, und konnte doch nicht, auch ihn ergriff es, wie wenn Jemand seine tiefste Seele gepackt hätte und festhielte.

»Meinet Ihr nicht auch, daß es eine Sünd' ist?« fragte Lorle, verschämt die Augen niederschlagend.

»Nein,« antwortete Reinhard wieder mit jenem herzinnigen Tone, und Lorle sah heiter auf; diese einfache Betheuerung genügte ihr vollkommen.

Die Mutter ging ab und zu, während Lorle ruhig da saß. Anfangs war Lorle stets in der peinlichsten Verlegenheit, und wenn Reinhard geflissentlich Scherze machte, fragte sie: »Darf ich denn auch lachen? Darf ich denn auch schwätzen? Saget's nur, ich will Euch nicht aufhalten.«

Reinhard versicherte, daß sie sich nur ganz natürlich benehmen solle, Eines aber bat er, sie möge sich nicht so viel mit der Hand in's Gesicht langen, worauf [172] Lorle bemerkte: »Ihr habt Recht, ich merk's, ich hab' die üble Gewohnheit, ich will mir's gewiß abgewöhnen; aber es ist mir als wenn ich's im Gesicht spüren thät, daß Ihr mich jetzt da malet und jetzt da. Ich bin dumm, nicht wahr? Ihr dürfet's frei 'raus sagen, ich nehm' Euch nichts übel.«

Reinhard mußte an sich halten, Lorle nicht um den Hals zu fallen; die Mutter kam, stand von fern und hielt die Hände hart am Leibe, damit sie ja nicht vor Erstaunen das nasse Bild anrühre; sie konnte sich aber nicht genug verwundern, wie man Lorle schon ganz gut erkenne. – Es wurde ausgemacht, daß Niemand im Dorf etwas von der Sache erfahren solle bis zur Einweihung der Kirche.

Wie still und friedsam flossen nun die Stunden hin, in denen die Beiden bei einander waren. Von fern aus der Scheune hinter dem Hause vernahm man die Taktschläge der Drescher und von der Straße hörte man bisweilen ein Kind schreien, einen Wagen rollen; und wieder war Alles still und lautlos.

Lorle sagte einmal: »Ich mein' ich wär' gar nicht mehr im Dorf oder ich schlaf' und hör' das Alles nur so, ich weiß nicht wie. Ich weiß nicht, für keinen an dern Menschen auf der Welt thät ich so da sitzen.«

»Gutes Lorle,« erwiderte Reinhard, »ich weiß, Ihr habt Niemand auf der Welt so lieb als mich. Zittere nicht,« fuhr er fort, ihre Hand fassend, »ich kenne dein ganzes Leben; du hast, während ich in der Ferne umherschweifte, still meiner gedacht, du hast dich gegrämt, daß ich dich so oft geneckt und hast mich doch lieb [173] gehabt; und als ich wiederkam, hast du an jenem Abend geweint, weil Jemand auf mich schimpft?«

»Um Gottes willen hat das die Bärbel verrathen?«

»Also war's die Bärbel! nein, es hat mir Niemand was gesagt. Mir zu lieb warst du so freundlich gegen den Collaborator, und in jener Nacht, als ich unter der Linde das lustige Lied sang, hast du still getrauert in deinem Kämmerlein, weil ich mich so heruntergäbe.«

»Heiliger Gott! woher könnet Ihr das alles wissen?«

»Weil ich dich lieb hab', weiß ich Alles. Hast du mich auch recht lieb?«

»Ja, tausend tausendmal.«

In einem seligen Kusse umschlangen sich die Beiden.

»Jetzt, jetzt,« rief endlich Reinhard, »jetzt möcht' ich sterben und du auch.«

»Nein,« rief Lorle sich aufrichtend und Reinhard mit starken Armen fassend, »nein, erst recht leben, lang, lang leben.« In ihrem Blicke lag eine Heldenkraft, eine stolze Spannung, als könne sie jeden Tod besiegen.

»Du willst also ewig mein sein?« fragte Reinhard.

»Ja, ja, in Gottes Namen, Alles, Alles.«

Bei diesem Zusatze: in Gottes Namen – zuckte es fremd in den Mienen Reinhard's; er glaubte, Lorle umfasse ihn nicht mit ganzer Seele, nicht mit freudigem Jubel; er bedachte nicht, daß auch Lorle mit sich gekämpft hatte und daß sie sich dieser Liebe demüthig fügte, als einem Gebote Gottes.

»Was ist? Hab ich was nicht recht gemacht?« fragte sie.

»Nein, nichts.«

[174] »Darf ich jetzt gehen und es meiner Mutter sagen?«

»Nein, bleib, wir wollen das Geheimniß noch still bewahren; glaub mir, es ist besser so.«

»Ja, ja,« sagte Lorle zaghaft, »ich thu' gern Alles; befiehl mir nur recht und immer, was ich thun soll, du guter Reinhard.«

»Heiß' mich nicht mehr Reinhard, nenne mich bei meinem Vornamen Woldemar.«

Lorle lachte laut auf und auf die verwunderte Frage Reinhard's, was es gebe, sagte sie: »Verzeih, Woldemar! das ist so lächerig, Woldemar, das ist, wie wenn man die Treppe herunterfällt, Poldera, so macht's grad. Nein, darf ich nicht mehr allfort Reinhard sagen? Ich hab' dich so lieb bekommen, ich bin dich so gewohnt, laß mich so dabei.«

»Auch gut,« sagte Reinhard, halb verdrießlich lächelnd.

Es ist eine Kleinigkeit, aber doch hat fast Jeder eine gewisse Liebe für seinen Vornamen, als wäre er nicht etwas Verliehenes, sondern ein Stück des eigensten Wesens; man verträgt's nicht leicht, daß man ihn unschön findet. Ist's ja auch dieser Klang, der uns vor Allem mit den Menschen verbindet, uns ihnen kenntlich macht; liegen darin ja auch die süßesten Zauber der Kindeserinnerung.

»Du mußt recht gut gegen mich sein,« sagte Lorle, die Hand auf die Schulter Reinhard's legend, »sonst vergeh' ich vor Angst; ich bin dich ja doch nicht werth, ich bin viel zu gering. Ja, und was ich noch hab' sagen wollen, du mußt im Dorf nichts von mir reden, [175] gar nichts; du hast zum Martin gesagt, ich sei ein Kanarienvögele, und jetzt heißen sie mich im ganzen Dorf so; mir liegt nichts dran, wenn sie mich ausspotten, aber es ist mir von wegen deiner, es weiß doch kein's als ich –«

»Was denn?«

»Was du für ein lieber Kerle bist,« sagte Lorle, die Zähne zusammenbeißend und Reinhard am Barte zausend.

Wer kann all das süße Kosen und Plaudern wiedergeben, das von diesem Tage an die sonst so stille Werkstatt Reinhard's in sich schloß? In Demuth entfaltete Lorle eine Fülle des Liebesreichthums, daß Reinhard staunend und anbetend vor ihr stand. Der Schluß ihrer Rede war aber fast immer: »Ach Gott! ich bin dich nicht werth.«

»Nein,« rief Reinhard, »du bist millionenmal besser als ich, als alle Männer, als alle Menschen. Ich möchte siebenmal sieben Jahre um dich dienen.«

»Da könntest du alt werden,« sagte Lorle still lächelnd, und Reinhard fuhr fort: »Sieh, ich habe schon oft die ganze Welt und mich verloren gehabt, im Taumel hineingelebt, mitten in der Neue ein Sünder – doch, du kannst nicht begreifen, wie weit ich untergegangen war.«

»Ich kann Alles begreifen, sag' du mir's nur ordelich.«

»O du herzige Liebe! Nimm dich in Acht mit mir, ich habe noch nie einen Herzfreund gehabt, den ich nicht quälte; der Collaborator ist der Einzige, der mir[176] treu ausharrte. Ich bereite den Menschen oft Schmerzen, denen ich nur Gutes und Glückliches zufügen möchte. Erst seitdem ich dich sehe, seitdem ich dein bin, sehe ich auf den alten Woldemar, und das ist ein gar wüster Geselle, nicht werth, daß er den Saum deines Kleides berühre. Ich kann dich glücklich machen, wie noch kein Weib auf Erden war, und – unendlich unglücklich.«

Lorle weinte große Thränen, aber sie trocknete sie bald und sagte: »Hab' dich nur lieb, von da siehst du viel besser aus.« Sie deutete dabei auf ihre Augen und setzte nun schmollend hinzu: »Und ich leid's nicht, daß Jemand auf den Reinhard schimpft, und du darfst auch nicht. Und jetzt mach' mich nur nicht stolz; komm her, wir wollen mit einander gut und brav sein, Gott wird schon helfen.«

»Ja, du machst mich wieder ganz fromm,« sagte Reinhard und stand mit gefalteten Händen vor ihr. –

Das Bild wurde rüstig gefördert, Lorle ermahnte immer zur Arbeit und Reinhard trug ihr noch auf, ihn nicht lässig werden zu lassen. Niemand im Hause ahnte etwas von der neuen Wendung der Dinge, nur Vroni ward ins Vertrauen gezogen; man ging nun öfters nach der Mühle. Wie die Kinder jubelten die beiden Liebenden, wenn sie sich im Walde haschten und versteckten.

»O Welt voll Seligkeit!« rief einst Reinhard, als er so vor Lorle stand, »das hat sich der Weltgeist allein vorbehalten, die Liebe, sie kommt aus ihm; das läßt sich nicht machen und nicht bilden. Da steht ein[177] Wesen und hält mich zauberisch gefangen; schön ist Alles, Alles, was du bist. Und hätte ein Wesen Seraphsflügel und ist die Liebe nicht, spurlos zieht es dahin. Dank dir, ewiger Weltgeist, du hast mir gegeben was ich nicht suchte.«

»Ich verstehe dich nicht recht,« sagte Lorle.

»Ich verstehe mich ja selber nicht. Was braucht's? Komm, sieh mich an, laß mich schauen, stumm, welch ein gutes Leben in mir ist.«

Das Bild reifte seiner Vollendung entgegen, die beiden Liebenden sprachen von Allem, nur nicht von der Zukunft; Beiden bangte innerlich davor, Reinhard weil er nicht wußte, wie sie sich gestalten solle, und Lorle weil sie fühlte, wie schmerzlich sie aus dem elterlichen Hause gerissen würde.

Nun ergab sich aber auch eine Mißhelligkeit zwischen den Liebenden. Lorle, die zu einer Madonna gesessen hatte, sollte jetzt das Kind mit dem sie unter der Linde gespielt hatte, wieder auf den Schoß nehmen; unter keiner Bedingung wollte sie das thun: »Es ist eine Sünd', es ist eine gräßliche Sünd'!« betheuerte sie immer, aber Reinhard war unbeugsam und sie willfahrte endlich, indem sie seufzend sagte: »Ich muß in Gottes Namen Alles thun, was du willst.« Sie zitterte aber am ganzen Leibe; so daß das Kind laut schrie, bis Reinhard endlich Beide beschwichtigte, das Kind mit Süßigkeiten und Lorle mit liebreichen Worten.

Die Gewänder waren nur flüchtig untermalt, und nun sollte dem Kopf die letzte Zusammenstimmung der Farbentöne gegeben werden; das sagte Reinhard eines [178] Tages und bat Lorle, daß sie Beide noch diese wenigen Stunden sich recht still verhalten wollten. Lorle nickte still, sie wagte schon jetzt nicht mehr zu reden. Ihr Kopf war nach dem Wunsche Reinhard's aufgerichtet und sie sah hinauf nach dem blauen Himmel: weiße Wolkenflocken zogen leicht dahin, still und friedlich war's im weiten Raume, kein Laut vernehmbar; da fließt eine Wolke sanft hin, sie nimmt eine kleine mit und versinkt mit ihr unter den Gesichtskreis, eine andere streckt schon ihr Haupt empor, wer weiß wie lang sie ist, wie dunkel ihr Grund, wie bald sie abbricht; nur wer am Himmelsbogen steht, kann sie ermessen. Da drunten liegt die Welt, weitab, Alles, Alles zieht vorbei, vorbei, die Erde ist untergesunken: ein Geist schwebt über den Wolken ...

So hatte Lorle sich in den Himmel hineingedrängt. Reinhard hatte sie eine Weile starr betrachtet und dann emsig gemalt.

Stille war's lange; die Beiden wagten kaum zu athmen.

»Was hast du so eben gedacht? Dein Antlitz war verklärt?« fragte Reinhard.

»Ich bin gestorben gewesen und allein,« sagte Lorle mit geisterhaftem Blicke, ihre Arme hoben sich und fielen wie leblos wiederum nieder. Reinhard faßte ihre Hand, er konnte aber nicht reden, er schaute sie an wie eine überirdische Erscheinung.

»Jetzt möcht' ich auch sterben,« sagte Lorle endlich und Reinhard erwiderte: »Ich sag' wie du: nein, erst recht leben, lang, lang leben.«

[179] »Bin ich jetzt fertig?« fragte Lorle aufstehend.

»Ja.«

»So will ich gehen, es wird jetzt schon wieder fröhlicher werden.«

Reinhard wollte sie zum Abschied küssen, sie aber wehrte streng ab und sagte: »Jetzt nicht, nein, mir zulieb.« –

Reinhard gönnte sich nun auch wieder einige Erholung. Auch ihm war ganz eigen zu Muthe, da er seit vielen Tagen in einer steten Spannung und Aufregung gelebt hatte. Als er das Lorle erklärte, sagte sie: »Mir ist auch so, wie wenn ich aus der Fremde käm', wie wenn ich gar nicht daheim gewesen wär'.« –

Auf seinen Wanderungen begegnete Reinhard wiederum Wendelin, der trübselig aussah. Reinhard fragte: »Was hast? Warum bist so traurig? Weil du ein neues Brüderle bekommen hast?«

»O nein, von deswegen nicht, mein Vater hat gesagt, wo Fünfe halb hungern, kann ein Sechstes auch mitthun.«

»Nun was hast du denn?«

»Ja gucket, mein Scheck da (er wies auf eine stattliche Kuh), der ist vorgestern verkauft worden für 53 Gulden; der Metzger Heuberer von G. (er nannte die Amtsstadt) hat ihn 'kauft und läßt ihn noch sechs Wochen laufen, nachher holt er ihn. Ich krieg' einen Sechsbätzner Trinkgeld, aber es macht mir kein' Freud; der Scheck ist mir doch der liebst' von allen und jetzt thut mir's so weh um den Scheck, der frißt jetzt da fort wie [180] wenn er ewig leben sollt', und da kommt der Metzger und schlägt ihm auf Einmal auf den Kopf und da liegt er, todt ist er.«

Der Knabe sah Reinhard gedankenvoll an, dann fuhr er fort: »Mich freut's nur, daß der Metzger betrogen ist.«

»Wie so denn?«

»Ja gucket, er hat den Scheck viel zu theuer 'kauft, aber er möcht' gern dem Meister (Dienstherrn) das Maul süß machen, weil er sein Lorle heirathen möcht', und da ist er doch angeführt.«

»Warum? Denkst du nicht mehr so gut vom Lorle?«

»O Ihr!« sagte der Knabe zornig, »wie er mich anguckt, wie ein gestochener Bock mit seinem langen Bart; ja gucket nur zu, ich fürcht' mich nicht, ich bin nicht in Euch vernarrt wie das Lorle.«

»Woher weißt du das?«

»Ja, ich bin nicht so dumm. Wie vergangenen Sonntag der Martin nach der Stadt ist, hab' ich für ihn Eure Stiefel 'putzt, und da ist das Lorle kommen und hat gesagt, ich soll's gut machen und hat die Stiefel anguckt mit ein paar Augen, das waren Augen! Und da hab' ich's gleich gemerkt, was es geläutet hat. Und gestern Nacht, wie ich in der Kammer lieg', da hör' ich wie mein' Mutter dem Vater erzählt, daß das Lorle in Euch verschossen ist. Und wenn das Lorle fort ist und mein Scheck ist fort, und da geh' ich halt auch fort.«

Reinhard suchte den Knaben zu trösten, es bedurfte dessen kaum, denn er sang und jodelte hinter Reinhard lustig in die Welt hinein.

[181] Reinhard sah nun, daß ihr Verhältniß doch schon dorfkundig war; er ging nachdenklich das Thal entlang. Es wurde Abend, die Mäher waren emsig, das thaunasse Oehmdgras zu mähen, die sterbenden Gräser hauchten noch würzigen Duft aus, Reinhard breitete oft die Arme aus, als wollte er tausend Leben an seine Brust drücken. Jetzt befiel ihn aber ein Trübsinn: rasch, in voller Blüthe ihrer frischen Liebe, wollte er Lorle Sein nennen, und doch war seine Zukunft so unsicher; er warf die Sorge von sich, er wollte den Tag genießen, die fliehende Minute, und was gelingt nicht einem frischen Herzen im freien Wandern? Reinhard sah eine Weile sein selbst vergessend den Abendbremsen zu; die zogen erst jetzt auf Nahrung aus und schwebten oft ganz ruhig, unbewegt auf einem Fleck in der Luft, wie an einem Abendstrahl aufgehangen; ihre Flügel drehten sich wie leichte Wolkenrädchen zur Seite, bis sie wie angestoßen auffuhren; sie hatten eine kaum sichtbare Beute erhascht und hielten sich nun wieder ruhig auf ihrer neuen Stelle. Der geräuschvolle Tag verstummte immer mehr, ein sanftes, nächtiges Flüstern hauchte durch Zweig und Gras, Reinhard schweifte immer weiter, es zog ein Lied durch seinen Sinn, er wußte nicht was, ihm war traurigfroh zu Muthe; da hörte er einen einsamen Burschen jenseits des Baches singen:


Ihr Sternle am Himmel,

Ihr Tröpfle im Bach,

Verzählet mei'm Schätzle

Mein Weh und mein Ach.


[182] O die Liebe kann nicht genug Boten finden, ihre unnennbare Seligkeit und ihr tiefes Leid zu verkünden. Und der Bursche sang weiter:


Die Sternle in's Wasser,

Die Fischle in 'n See,

Die Lieb geht rief abe,

Geht niemals in d' Höh'.


Und jetzt ward noch mit anderer Weisung der lustige Schluß angehängt:

Ganget weg, ihr Burgersmädle,

Ganget weg, ihr Patschele,

Da nehm' i mir e Bauernmädle,

Das sind recht wackere.


Als Reinhard spät Abends nach Hause kam, fand er einen Brief aus der Stadt vor; er war vom Collaborator und lautete:


»Kleinresidenzlingen, an einem der Hundstage.


Oft habe ich im Wald einem Vogel zugehorcht, der mir seine Melodie hundertmal vorsang, als müßte ich sie verstehen, und wenn ich mich endlich zum Fortgehen anschickte, war mir's als singe der lustige Kauz jetzt erst recht aus voller Seele, als riefe er mir nach: Du verstehst doch nicht was ich singe, und Millionen werden nach dir kommen und werden's auch nicht verstehen. So geht mir's jetzt auch mit dem Volksgeiste. Mir ist's als ob jetzt, da ich fort bin, es erst recht zu singen und zu klingen begänne. – Diese romantische Sehnsucht der modernen Menschheit nach dem was hinter [183] ihr ist, verdreht ihr den Kopf; ich habe auch einen krummen Hals.

Es ist nicht gut, daß dieser Mensch auf sich stehe, drum will ich ihm eine Anstellung schaffen. So sprach Gott der Herr, als er den deutschen Menschen gemacht hatte. Die Eichen im Walde werden nächstens auch angestellt und erhalten das allerhöchste Decret, das sie zu einstweiligen Symbolen und Hütern der deutschen Kraft und deutschen Freiheit ernennt; es gibt dann Referendars-, Assessors-, geheime und wirkliche geheime Eichen mit eigenem Laub. Wir Deutschen sind die solideste Nation der Welt, es ist die schändlichste Verläumdung, daß man uns Gemeinsinn abspricht; wer nur irgend ein gemachter Mann sein will, setzt sich auf den Besoldungsstuhl und speist aus der Communschüssel. Fichte hat das Wesen des deutschen Gelehrten zu sehr aus seinem subjectiven Idealismus erfaßt, ich mache mir jetzt Excerpte, um in biographischen Umrissen nachzuweisen, welchen Einfluß die Staatsanstellungen auf die Gestaltung des deutschen Geistes gehabt haben.

Ich habe für die vornehme Species der Menschen einen eigenen Namen gefunden, sie heißen: die eisfressenden Thiere. Heute Morgen war ein Prachtexemplar bei mir, dein Gönner, der dicke rothe Tabled'hotenkopf; der hochwohlduftende Comte de Foulard, er hat sich sehr nach dir erkundigt; der Prinz ist aus Italien zurück, hat dort viel Bilder gekauft, hat in Rom dein Lob gehört, ist entzückt von deiner Waldmühle, kurz man will eine Gallerie errichten, will dich fesseln, das heißt anstellen. Da hast du's also. Wenn du kommst, ist die [184] Sache abgemacht. Ich weiß nicht wie du darüber denkst, ich habe um meine Stelle auch supplicirt in der geheimen Hoffnung, daß nichts daraus wird, und nun weide ich schon bald sieben Jahre die geduldige Bücherheerde und scheere nur das eine und das andere um ein Excerpt, so was im Zaun hängen bleibt. Lieb wär mir's wenn du einen Schleiftrog am Bein hättest, daß wir dich hier behielten. Mach' aber was du willst, ich rathe nichts; hast du Lust, so komm baldigst.

Ich habe mit meiner Schwester eine neue Wohnung bezogen, sie hat endlich ihr Putzgeschäft aufgegeben und pflegt nun mein Alter. Ich esse Mittags und Abends Suppe und kann hundert Jahr alt werden, wenn ich's erlebe.

Grüße mir die Alpenrose, Gott sende ihr Thau und Sonnenschein genug und lasse sie gedeihen.

Ich schreibe dir diesen Brief auf dem neuen Katalog den ich anzufertigen habe; ich bin ganz allein, mein Oberwallfisch wascht sich im Seebad.

Dein

Kohlebrater.


Beiwagen: Die sieben Gulden, die du mir zur Heimreise geliehen, kann ich dir erst zum Quartal, den 1. Oktober, wenn ich meine Löhnung fasse, erstatten. Brauchst du's früher, will ich's anderweitig entlehnen.

Unser Schulkamerad R., das sogenannte durchlöcherte Princip, hat eine Vocation in's Departement des Jenseits bekommen, er ist Assistent beim Weltgericht geworden.

[185] Das Erdbeben, das wir vorgestern hatten, hat mich unendlich ergötzt; ach! wie haben sie hier Alle gezittert! So muß einem Floh zu Muthe sein, der auf einem fieberkranken Pudel haust.«

Nachdem Reinhard diesen Brief gelesen, verkündete er daß er am Morgen nach der Hauptstadt abreise und bald wiederkomme. Lorle schlief die ganze Nacht nicht, sie machte sich allerlei Gedanken über die so schnelle Abreise; Reinhard hätte sie durch ein einziges Wort beruhigen können und er dachte nicht daran. Am Morgen sah er Lorle noch einen Augenblick allein und sagte ihr schnell: »Wenn ich ein Glück bekomme, theilst du's mit mir?«

»Wenn ich dich nur Dich ganz krieg',« war die Antwort, vom Theilen sagte sie nichts.

Im Hause des Wadeleswirths war's nun wieder so still und friedsam wie ehedem. Hatte Reinhard in der letzten Zeit auch weniger tolle Streiche losgelassen, so machte er doch noch immer Lärm genug im Hause; jetzt ging Alles wieder seinen alten Weg, kaum daß Einer mehr des Fernen gedachte. Wie schnell schließt sich der Strom des Lebens hinter einem Menschen, der aus einem Kreise tritt! Nur Lorle hegte das Andenken Reinhard's tief im Herzen, Tag und Nacht. War sie früher stets liebreich und gut gegen die Eltern und Alle im Hause gewesen, so war sie's jetzt doppelt; sie wollte immer Alles thun und bereiten für Jedes. Niemand wußte woher das kam, und man kümmerte sich auch nicht viel darum; Lorle aber that dadurch im Innersten Abbitte, daß sie die Ihrigen in Gedanken schon verlassen [186] hatte und bald ganz von ihnen scheiden werde, sie wollte ihnen noch Gutes erzeigen, so viel sie vermochte.

In der Stadt betrieb Reinhard seine Anstellung mit allem Eifer. Als der Collaborator seine Verwunderung darüber äußerte, erwiderte er: »Ich will dir's nur gestehen, ich bin mit Lorle verlobt.«

»Was?« rief der Collaborator gedehnt, Staunen und Kummer sprach aus seinem Antlitze; »wenn sie Einer heirathen und aus ihrem Boden reißen dürfte, so wär' das nur ich, ich allein; ja lache nur, ich verstehe sie allein; du bist viel zu wild, du darfst eigentlich gar nicht heirathen. Hat dir denn der Vater das Mädchen gegeben?«

»Nein.«

»O, so ist noch Hoffnung, daß sie Keiner von uns Beiden bekommt,« schloß der Collaborator schelmisch.

Reinhard ging nicht vom Fleck, bis er sein Ernennungsdecret erhalten hatte. Am Morgen nachdem solches ausgefertigt war, sagte er beim Erwachen zu sich selber: »Guten Morgen Herr Inspektor, mit dem Titel Professor; haben Sie wohl geruht? Hast dir nun auch ein Hundsband umbinden lassen und war dir doch so wohl, als du frei umhergelaufen bist.« Als er vor dem Spiegel stand, verbeugte er sich ganz höflich und sagte: »Ihr Diener, Herr Professor! Gehorsamer Diener siebente Rangklasse.«

Dennoch freute sich Reinhard in dem Gedanken, wie ganz anders er nun vor den Wadeleswirth hintreten und um dessen Tochter freien könne, und wie glücklich auch Lorle sein werde.

[187] Schnell packte er seine Gliederpuppe und einiges alte Seidenzeug zusammen, das er zur Gewandung gekauft hatte, und bald rollte er wieder dem Dorfe zu, wo seine Liebe wohnte.

Nur stet

Nur stet.

Auf dieser Fahrt machte ein Gedanke die Wangen Reinhard's von einer fremden Glut entbrennen. Er kam so eben aus den Kreisen der teppichunterbreiteten Existenzen, alsbald überkam ihn ein besonderes Behagen an dieser verfeinerten Welt, an dieser Anmuth heiterer Geistesspiele, voll tändelnder Musik und sprühender Witzfunken, fernab von der rauhen Wirklichkeit, ausschreitend aus der engbürgerlichen Umzäunung; er hatte das Gelüste rasch niedergekämpft, jetzt kam es in veränderter Gestalt wieder und zeigte ihm, wie Lorle diese Freiheit des Lebens nie verstehen werde, wie sie doch seinem ganzen künstlerischen Denkkreise fern stehe – er war in seinem eigenen Hause mit seinem tiefsten Wollen ein Fremder.

Das war ein böser Blutstropfen in Reinhard und er machte ihm die Wangen glühen.

Den Gedanken: Lorle nach und nach heranzubilden, warf er bald von sich und er rief fast laut: »Nein, sie soll das frische Naturkind bleiben mitten im Trödel der Stadt; sie bedarf keiner andern Welt, ich bin ihre ganze Welt.« – Er bat sie in Gedanken um Verzeihung, daß sein Sinn nur einen Augenblick sich von ihr entfernen konnte.

[188] Für ein erregbares Gemüth haben weite Strecken, die von einer Lebenswendung bis zur andern zu durchmessen sind, ihr Gutes und ihr Schlimmes; sie dämmen oft die berauschende Seligkeit des Gefühls, beschwichtigen aber auch die leicht sich eröffnenden Zwiespältigkeiten.

Sorglos, als wäre das nicht der entscheidendste Lebensgang, fuhr Reinhard dahin; selbst seine Sehnsucht war eine abgeklärte, friedsame. In der Amtsstadt ließ er sein Gepäck zurück und eilte auf dem Waldwege dem Dorfe zu. Je näher er kam, desto heftiger loderten die Flammen der Liebe wieder in ihm auf; mit zitternden Pulsen rannte er dem Hause zu. Die Bärbel stand unter der Thür und reichte ihm die schwielige Hand: »Ihr kommet bald wieder, ich hätt's nicht glaubt,« sagte sie; Reinhard konnte nicht antworten, zu Lorle wollte er sein erstes Wort sprechen; er eilte die Treppe hinan, Niemand war im Hause. Lorle war, wie Bärbel erzählte, mit den Eltern nach der Stadt gefahren, von wo Reinhard eben herkam.

Mit der Botschaft der Lebenserfüllung auf den Lippen stundenlang harren zu müssen, das war eine schwere Aufgabe.

Reinhard machte sich bald wieder auf, den Ankommenden entgegen zu gehen, aber als er schon eine Stunde den Waldweg gegangen war, besann er sich erst, daß er so in Gedanken dahingeschritten sei, während doch das Wägelchen mit den Heimkehrenden bereits den Fuhrweg dahingerollt sein konnte; er kehrte still wieder um, traf jedoch auch die Erwarteten noch jetzt [189] nicht zu Hause. Mit namenloser Angst quälte ihn der Gedanke, daß ihm Lorle mit Gewalt entzogen sein konnte, die Eltern waren ja mit ihr in der Stadt und er mußte sich sagen, daß er durch seine Zweifel solches verschuldet haben konnte; aber die ganze Treue Lorle's stand wieder vor ihm, und als es Nacht wurde, war es ihm als ob das Bild auf der Staffelei hell leuchte; er zündete Licht an und betrachtete jetzt nach längerer Abwesenheit das Bild wieder; er staunte fast vor sich selbst, hier war ihm Etwas gelungen, was ein Anderer, ein Mächtigerer geschaffen hatte.

Reinhard nahm die Zither und wollte spielen und singen, aber er hörte bald wieder auf, er legte sich endlich angekleidet auf das Bett, er wollte heute noch die Seinigen sprechen, keine Stunde seines Glückes versäumen; er verschlief aber doch die Ankunft der Hausbewohner, die spät in der Nacht erfolgte.

Die Mutter war zu Bett gegangen, der Vater saß im Stüble und las die mitgebrachten Zeitungen, Lorle machte sich aber, trotz aller Ermahnungen, noch immer Etwas in der Stube zu schaffen; endlich kam sie zaghaft zum Vater in's Stüble und sagte:

»Aetti, ich hab' ein' Bitt'. Machet das Licht aus und bleibet da.«

»Nur stet, warum denn?«

»Ich bitt', ich hab' Euch was zu sagen und ich kann's nicht so.«

»Närrisches Kind, meinetwegen. Nun jetzt ist das Licht aus, nun jetzt red'.«

Lorle legte die Hand auf die Schulter des Vaters[190] und sagte ihm mit zitternder Stimme in's Ohr: »Der Herr Reinhard hat mich gern und ich ihn auch, und er will mich und ich will ihn und keinen andern auf der ganzen Welt.«

»So? Und das habt ihr unter euch ausgemacht?«

»Ja.«

»Nur stet, gang jetzt schlafen, morgen ist auch ein Tag; wir reden ein Andermal davon.«

Kein Bitten und kein Betteln Lorle's half, sie erhielt keinen andern Bescheid.

Als der Wadeleswirth nun noch gewohntermaßen das ganze Haus durchmusterte, fand er die Thüre Reinhards halb offen, er drehte von außen den Schlüssel um; Reinhard war eingeschlossen.

Am Morgen ward Lorle vom Vater »zeitlich« geweckt. Als sie herabgekommen war, sagte er: »Du gehst gleich auf die Hohlmühle und bleibst da bis ich komm'.«

Lorle mußte gehorchen, sie wußte wohl, da half keine Widerrede; sie durfte nicht mehr die Treppe hinauf, sondern mußte sich schnurstracks aufmachen.

Der Wadeleswirth ging umher und zankte mit Stephan und mit Allen, weil sie eben keine so schlaflose Nacht gehabt hatten wie er; endlich saß er im Stüble und las die Fruchtpreise auf den verschiedenen Schrannen, aber trotz der hohen Sätze hatte er die Lippen zusammengekniffen und trommelte unwillig mit dem Fuße auf dem Boden. Von oben vernahm man jetzt mächtiges Pochen an eine Thüre, da erinnerte sich der Wirth, daß er Reinhard eingeschlossen habe, und befahl der Bärbel, ihm aufzuschließen; dadurch ersparte er sich's [191] auch, dem Maler alsbald frischweg die Meinung zu sagen. Reinhard kam zum Wirt und streckte ihm beide Arme entgegen, dieser aber saß ruhig, hielt mit beiden Händen die Blätter und so darüber wegschauend, sagte er: »Auch wieder hiesig?«

»Und ich hoffe zu Hause,« sagte Reinhard.

»Nur stet. Ich sag's Euch grad heraus, packet Eure Sachen zusammen und b'hüt Euch Gott.«

»Und das Lorle?« fragte Reinhard zitternd.

»Das will ich schon wieder zurecht bringen, das ist mein' Sach', da hat Niemand nichts drein zu reden.«

»Und ich geh' nicht aus dem Haus, bis mir das Lorle selbst gesagt hat, daß ich gehen soll.«

»So? Ist das der Brauch bei Euch Herren aus der Stadt? Ich kann auch anders ausgeschirren. Verstanden?« sagte der Wadeleswirth aufstehend.

»Ich hätte den Bauernstolz nicht bei Euch vermuthet,« sagte Reinhard.

Der Wadeleswirth schnaubte grimmig und ballte beide Fäuste; er schaute Reinhard von oben bis unten stumm an, wie wenn er sagen wollte: was glaubst? Bin ich der Mann, mit dem man so redet?

Reinhard schüttelte den Kopf und sagte endlich: »Ihr seid doch sonst ein gescheiter Mann, warum seid Ihr jetzt so wild. Was hab' ich Euch leid's than?«

Diese sanft gesprochenen Worte verfehlten ihre Wirkung nicht und der Wadeleswirth sagte mit stockender Stimme: »So? Und mein Kind, mein' einzige Tochter wegstehlen?«

»Lorle soll reden. Wo ist sie?« fragte Reinhard.

[192] »In der Haut bis über die Ohren, wenn sie nicht da ist, ist sie verloren. Das Lorle ist nicht da, so lang Ihr da seid.«

Nach einer Weile, in der er das schmerzdurchwühlte Antlitz Reinhards betrachtet hatte, fuhr der Wirth fort:

»Ich kann's Euch schon sagen, wo das Mädle ist: auf der Hohlmühle.«

»Ich verspreche Euch«, sagte Reinhard schnell, »kein Wort ohne Euer Wissen mit ihr zu reden.«

»Glaub's, Ihr seid sonst allfort ein rechtschaffener Mensch gewesen, und jetzt muß ich auf's Feld,« sagte der Wadeleswirth ruhiger.

Er ging fort und Reinhard auf sein Zimmer. Wie glücklich war dieser jetzt, daß er nach der Gliederpuppe die Gewänder malen konnte; er war unausgesetzt fleißig und ließ sich sogar das Mittagessen auf sein Zimmer bringen.

Die Bärbel, die Alles wußte, tröstete Reinhard und sagte, er solle nur die Hoffnung nicht fahren lassen, der Alte sei zäh', er müsse ein gut Weilchen am Feuer stehen bis er weich werde. Auch die Mutter kam leise herauf geschlichen, sie redete nichts von der Hauptsache, aber an der Sorglichkeit, die sie für alle Bedürfnisse Reinhards hatte, konnte er wohl merken, daß sie auf seiner Seite war.

Am Abend erzählte Reinhard dem Vater, wie er blos Lorle zulieb sich eine Anstellung geholt habe und wie er sie ewig glücklich machen wolle. Der Wadeleswirth war still und schaute über das Glas weg, das er eben zum Munde führen wollte, Reinhard bedeutsam an.

[193] Als die Bärbel am andern Morgen Reinhard den Kaffee brachte, sagte sie:

»Glück und Segen!«

»Wozu?«

»Ihr seid ja Professor geworden, der Alte hat gestern nacht seiner Frau noch viel davon vorgeschwatzt; es gefallt ihm doch wohl, das Wasser fangt schon zu sieden an.«

Der Alte ging immer brummig im Hause umher und hatte sogar, was sonst nie geschah, kleine Häkeleien mit seiner Frau; er hätte gar zu gern gehabt, sie möchte ihm weidlich mit Reden und Bitten zusetzen, daß er die Sache doch in's Reine bringen möge; sie aber that, wie man sagt, »kein Schnauferle«, sie wollte die Verantwortung für spätere Tage nicht haben. Und dann war's ihr doch auch wind und wehe, ihr Kind so weit weg unter ganz fremde Verhältnisse zu geben; sie war von dem Sorgen und Nachdenken so müde, daß sie bald da bald dort, wo nur ein Plätzchen war, sich niedersetzte und ausruhte.

Am dritten Tage kam der Wadeleswirth zu Reinhard auf sein Zimmer, setzte sich und redete lange nichts; endlich begann er:

»Ich hab' mich resolvirt. Es geht mir ein Stück aus dem Herzen, wenn ich das Kind so weit weg geb'; aber was ist da zu machen? Ich thu' Euch also den Vorschlag, ich will mein Lorle noch auf ein Jahr zu den Klosterfräulein thun, da soll's lernen, was man in der Stadt braucht, und seid ihr Beide dann noch so gewillt wie jetzt, nun, so in Gottes Namen.«

[194] Reinhard widersprach und betheuerte, daß Lorle nichts zu lernen habe, gerade so, wie sie jetzt sei, mache sie ihn glücklich; der Alte lächelte und ging davon.

Drei Tage und drei Nächte hatte Lorle in schweren Gedanken auf der Mühle zugebracht; kein Bote kam, Stephan wußte nichts, und oft war's in Wahrheit als ob sie in eine andere Welt versetzt wäre. Am vierten Morgen kam der Wadeleswirth und holte seine Tochter, er hatte ein unwirsches Ansehen und Lorle folgte ihm still wie ein Opferlamm. Der Vater zürnte nicht auf das Kind, er zürnte nur mit sich selber, weil er nun doch nachgeben müsse.

»Hast du den Reinhard noch gern?« fragte er einmal, als sie schon eine gute Strecke miteinander gegangen waren.

»Ja, so lang ich leb',« erwiderte Lorle. Und nun gingen sie wieder still dahin, Keines redete ein Wort. Der Wadeleswirth war durchaus der Mann nicht, der sorgfältig Ueberraschungen zu bereiten strebte; das Kind mußte nur schweigen, so lang er nicht zu reden begann, und er wollte nicht reden, weil's ihm nicht darum war; auch war's ihm zu viel, das was er zu sagen hatte, zweimal vorzubringen.

Reinhard hatte indeß von der Bärbel die Mittheilung erhalten, daß Lorle mit dem Vater käme; er eilte den Beiden entgegen und als sie sich jetzt zum Erstenmale wieder sahen, flammte ihre ganze Liebe auf und Reinhard rief: »Vater, gebt mir das Lorle jetzt, hier.«

»Nur stet, das ist nichts so, wie Bettelleut' hinter der Heck; wartet bis wir heim kommen.«

[195] In diesem Schlußsatz lagen vielverheißende Worte. Hand in Hand schritten die Liebenden dahin, sie bedurften keines Austausches der Worte. Als man gegen das Dorf kam, machte sich Lorle Etwas an ihrem Schurzbändel zu schaffen, sie ließ dadurch die Hand Reinhards los und faßte sie nicht wieder.

Im Stüble war endlich die ganze Familie beisammen; Alles stand, nur der Vater saß und nach einer sattsamen Pause begann er:

»Alte, was meinst? sollen wir sie einander geben?«

»Wie du's machst, ist's Recht,« sagte die Frau.

»Guck, Lorle, so muß eine Frau sein, merk' dir das, bis du einmal eine bist,« sagte der Vater und Lorle ward glühendroth, da sie ihre Zukunft sich vorhalten hörte. Der Vater sagte nun aufstehend: »Ich mein' wir machen jetzt die Handreichung und wenn die Ernt' vorbei ist, halten wir Verspruch, und über's Jahr könnet ihr in Gottes Namen heirathen. Hat mein Bauernstolz Recht?« fragte er, Reinhard derb auf die Schulter klopfend.

»Guter Vater!« war Alles, was dieser hervorstottern konnte.

»Nun, Ihr seid auch ein guter Mensch, ich will das nicht läugnen. Jetzt fertig.«

Alles reichte sich nun die Hand und Reinhard küßte noch die Mutter innig, den Vater konnte er nicht küssen, dieser schüttelte ihm nur starr die Hand.

Als die halb unterdrückte Rührungsscene noch nicht vorüber war, stellte sich der Wadeleswirth wieder breitspurig vor Reinhard und sagte:

[196] »Jetzt hab' ich noch ein Wörtle mit Ihm zu reden, du Lump, du liedricher! Und was ich dem Mädle geb', darnach fragt Er gar nicht und thut wie wenn Er ein Bettelmädle bekäm'? Und unser gut Sach', was wir erhauset haben, das ist Ihm ein Pfifferling, das ist Ihm gar nichts werth? Potz Heidekukuk, das ist ein' Lumpenwirthschaft. Ja, es ist mir ernst, es ist da nichts zum Lachen, Himmelheide –«

»Um Gottes willen sei doch still,« rief die Mutter, »wenn's ja Ein's hört, so meint es, du thätest zanken und wir hätten Händel.«

»Lorle,« erwiderte der Vater; »merk' dir das jetzt auch, das mußt du nicht thun; wenn der Mann red't, muß das Weib still sein. Jetzt genug, jetzt ganget an's Geschäft.«

Alles entfernte sich, Lorle wollte mit Reinhard Hand in Hand weggehen, der Vater aber winkte ihr und sagte: »Bleib du noch ein bisle da.« Lorle war allein mit dem Vater im Stüble und dieser sagte: »Jetzt bist doch zufrieden? brauchst nicht heulen, darfst lustig sein; jetzt paß auf ... ja, was ich doch sagen will, ja ... mach', daß du dein Kränzle am Hochzeitstag mit Ehr' und Gewissen tragen kannst.«

Lorle fiel dem Vater nicht um den Hals, sie verbarg ihr Antlitz nicht, frei und stolz schaute sie drein und sagte fest: »Aetti, Ihr wisset gar nicht, wie brav er ist.«

»Glaub's, ist mir schon Recht, wenn er brav ist, verlaß dich aber auf kein' andere Bravheit als auf die deinige; jetzt gang.«

[197] Das waren nun glückselige Tage, die den Verlobten aufgingen. In Reinhard hatte das Offenkundige ihres Verhältnisses gar nichts geändert, Lorle dagegen fühlte sich jetzt viel freier; sie war stets voll Entzücken, wenn Eines nach dem Andern aus dem Dorf kam und ihr Glück wünschte. Fast Jedes hatte etwas Besonderes an Reinhard zu loben und man bedauerte nur, daß Lorle so weit weg käme; sie nahm aber Jedem das Versprechen ab, daß es sie besuchen, bei ihr wohnen und essen müsse, wenn es nach der Hauptstadt käme.

Einige Besonderheiten Lorle's zeigten sich schon jetzt. Fast nie ließ sie sich von Reinhard am Arme durch das Dorf führen, draußen aber faßte sie ihn von selbst, hüpfte und sang voll Freude. Nie war sie zu bewegen an einem Werktage Mittags mit Reinhard spaziren zu gehen, wenn aber der Feierabend kam, dann war sie bereit; das war der Dorfsitte gemäß, unter deren Herrschaft sie stand.

Ein Umstand veranlaßte viele Erörterungen zwischen dem Schwiegervater und Reinhard. Dieser wollte nämlich schon zum Frühherbst heirathen, er konnte nicht lange Bräutigam sein, sich nicht Monate und Jahre mit der Sehnsucht nähren; der Schwiegervater wollte aber durchaus nicht, daß man die Sache so über's Knie abbreche. Das Weibervolk im Hause wußte indeß, daß er schon nachgeben werde, und die Mutter ließ bei allen Webern in der Umgegend tuchen und bei allen Näherinnen schneidern, während die Schwester des Collaborators nach einem genauen Maß die Stadtkleider für Lorle fertigte.

[198] Lorle wollte durch ihre Brautschaft keinerlei Arbeit und Verbindlichkeit im Hause entledigt sein, ja sie war emsiger als je; sie wollte noch Alles in Stand bringen und in Ordnung verlassen, es war ihr wie einem ehrenhaften Dienstboten, der, bevor er den Dienst verläßt, freiwillig das ganze Haus von oben bis unten scheuert und säubert. Reinhard mußte sie gewähren lassen, dafür war sie aber auch auf den Abendspazirgängen voll frischen Lebens.

»Mir ist allfort,« sagte sie einmal, »wie wenn heut Samstag wär' und morgen ist Sonntag, und da kommt wieder ein Tag und da kommt mir's wieder wie Samstag vor und so fort. Ich bin so froh, so froh, ich möcht' nur, ich weiß gar nicht was ich möcht'.«

Ein Andermal, als sie durch den Wald gingen, flogen Lorle gar viele Nachtfalter in's Gesicht, sie ärgerte sich darüber und Reinhard bemerkte: »Dein Gesicht ist so lauter Licht, daß sich die Nachtfalter drin verbrennen wollen; ich bin auch so.«

Lorle faßte einen Baumzweig, schüttelte Reinhard den Nachtthau in's Gesicht und sagte? »So, da ist gelöscht.«

Ueber Zittergras und blaue Glockenblumen weinte Lorle die ersten Brautthränen.

Die Verlobten gingen mit einander über die Wiese; da raufte Reinhard jene Pflanzen aus und zeigte Lorle den wundersam zierlichen Bau des Zittergrases und die seinen Verhältnisse der Glockenblume; »das gehört zu dem Schönsten was man sehen kann,« schloß er seine lange Erklärung.

[199] »Das ist eben Gras,« erwiderte Lorle und Reinhard schrie sie an: »Wie du nur so was Dummes sagen kannst, nachdem ich schon eine Viertelstund' in dich hineinrede.«

Große Thränen quollen aus den Augen Lorle's hervor, Reinhard suchte sie zu beruhigen, aber innerlich war er doch voll Aerger, denn er vergaß, daß nur wer die Seltenheit und Pracht der Zierpflanzen lange erschaut hat, wieder an den einfach schönen Formen des Grases sich ergötzen mag.

Dieser Abend bebte wehmüthig in der Seele Lorle's nach, sie gab Reinhard keine Schuld, sondern ward nur fast irr an sich; sie kam sich nun wirklich grausam dumm vor und oft, wenn er sie um Etwas fragte, schreckte sie zusammen, aber lügen konnte sie nicht, keine Theilnahme und kein Verständniß heucheln. Die Liebe aber überwindet Alles. Lorle nahm sich vor, recht aufzumerken, wenn Reinhard Etwas sagte, denn er war ja viel gescheidter. So verlor sich nach und nach ihre Zaghaftigkeit wieder und sie war das harmlose Kind von ehedem.

Auch ein Schreckbild ward Reinhard einmal für Lorle. Einst saß er Abends mit dem Vater überaus lustig beim Glase, Lorle schnitt Brod ein zur Suppe und war ganz glückselig, daß die Beiden sich so lieb hatten, sie sah immer von Einem auf den Andern und legte zuletzt die Hände fest zusammen, als wären es die Hände der beiden treuen Menschen, die so traut bei einander saßen. Reinhard war wieder zu allerlei Schalkhaftigkeiten aufgelegt, er taumelte nun in der[200] Stube umher, sprach mit lallender Zunge unverständliche Worte, ganz wie ein Betrunkener. Lorle wußte doch, daß er nur scherze, aber sie rang die Hände über dem Kopf und rief aus allen Kräften: »Um Gottes willen, Reinhard, Reinhard! Laß das bleiben! So darfst du nicht aussehen.«

Reinhard hörte sogleich auf, aber Lorle zitterte noch lange über diesen Scherz; sie war keineswegs so empfindsam, sie kannte das Leben und seine Verunstaltungen und hatte schon manchem Bruder Saufaus tüchtig den Marsch gemacht, aber Reinhard kam ihr durch solche Nachahmung ganz verzerrt und entwürdigt vor; sein hohes Wesen, zu dem sie so demüthig aufschaute, durfte auch nicht im Scherze so erniedrigt werden. Fast die ganze Nacht konnte sie das häßliche Bild nicht vergessen, und erst, als Reinhard ihr am andern Morgen versprach, nie mehr solchen Scherz zu treiben, verschwand es aus ihrer Seele.

Diese beiden Zwischenfälle waren die einzigen Störungen in dem Liebesleben; sonst ging stets Freude vor ihnen her und Entzücken grüßte sie von jedem Baumblatt und aus jedem Gräschen.

Wer kann erfassen, wie eine Seele in sich jauchzt und jubelt, wenn sie stumm aufgeht in ihr Jenseits? Warum klingt uns allüberall in tausendfältigen Klängen die Kunde von den Schmerzen und Zwiespältigkeiten des Lebens entgegen? Ist's der Schmerz allein, der zum Bewußtsein ruft und drin haftet? Die Freude und das Entzücken sind das wahre Dasein, da ist das Einzelbewußtsein untergesunken, in Liebe aufgelöst, in [201] ihr gestorben und lebt doch das wahre, das selig ewige Leben ....

Die Madonna war vollendet und zur Ausstellung nach der Stadt geschickt. Zu seiner Betrübniß erhielt Reinhard die Nachricht, daß der Collaborator unvorsichtigerweise verrathen hatte, wer zur Madonna Modell gesessen. Ein in Rom katholisch gewordener Engländer, der sich eben in der Residenz aufhielt, bot eine namhafte Summe für das Bild; Reinhard gab es hin, sowohl weil er seine Frau nicht nach der Stadt bringen wollte, wo das Bild war, als auch aus einem andern Grunde. Die materielle Kehrseite fehlt keinem Verhältnisse. Reinhard bedurfte Geld zu seiner häuslichen Einrichtung, und sah er auch mit Wehmuth das, was er aus tiefster Seele geschaffen, in eine verlassene Kapelle nach England wandern, um es nie wieder zu schauen; er ließ es ziehen.

Der Collaborator miethete für Reinhard eine Wohnung und seine Schwester richtete sie ein. Mit dieser Nachricht wurde nun der Wadeleswirth bestürmt, die baldige Hochzeit zu gestatten.

So voll Selbstgefühl und freigesinnt auch der Wadeleswirth war, so that es ihm doch besonders wohl, wenn er bei den Leuten im Dorfe: »Mein Tochtermann, der Professor,« sagen konnte; auch hatte er Reinhard in der That von Herzen lieb gewonnen. Als nun die Frauen sich mit den Bitten Reinhard's vereinten, sagte er:

»Ich seh' schon, Ihr habt die Sach' mit einander gebestelt, ich weiß wohl, ich gelt' nichts im Hause; nun meinetwegen.«

[202] Reinhard lief sogleich zum Pfarrer und bat ihn, Sonntag das erste Aufgebot zu halten. An dem versprochenen Kirchenbilde arbeitete er nun mit erstaunlichem Fleiß, er warf es in derben Zügen für die Ferne hin und nur einzelnen Köpfen widmete er eine sorgfältige Ausführung. Auf den Sonntag vor der Einweihung der neuen Kirche war der Hochzeitstag bestimmt. Lorle bat, daß sie doch noch über die Festlichkeit bleiben möchten, aber Reinhard hatte keine Luft mehr, diesen Jubel mit zu feiern: er sehnte sich fort aus dem Dorf.

Sie ziehen in die weite Welt

Sie ziehen in die weite Welt.

Vroni war von der Mühle hereingekommen und blieb die ganze letzte Woche, sie schlief mit Lorle in einem Bette und die Mädchen verplauderten oft die halben Nächte. Lorle konnte der Vroni nicht genug an's Herz legen, wie sie die Eltern pflegen solle, wenn sie nicht mehr da sei.

Am Vorabend der Hochzeit stand Lorle bei der Bärbel und weinte bitterlich, daß sie nun auch diese getreue Pflegerin verlassen solle; sie klagte, wie sie sich in der Stadt werde gar nicht zu helfen wissen, da sagte die Bärbel:

»Ich kann's nicht mehr, ich hab' ihm versprochen, daß ich nichts sagen will, aber es geht nicht. Sei ruhig, der Reinhard hat so lange an mir bittet und zerrt, daß ich jetzt zu euch nach der Stadt geh'. Sei heiter, ich bleib' bei dir, so lang du mich behältst.« –[203] Lorle eilte zu Reinhard und umhalste ihn mit maßloser Innigkeit; sie verscheuchte ihm dadurch auch den Mißmuth, den er so eben durch einen Brief des Collaborators empfunden hatte; er hatte ihn als seinen einzigen Freund zur Hochzeit eingeladen; die abschlägige Antwort, die verweigerten Urlaub als Grund angab, war voll grämlicher Bitterkeit auch gegen Reinhard.

Am Hochzeitmorgen sah Reinhard Lorle nur einen Augenblick und er sagte: »Mir ist so stolz und hoch zu Muth, wie einem König an seinem Krönungstage.«

»Nicht so, fromm sein,« erwiderte Lorle, das waren die einzigen Worte, die sie vor der Trauung mit ihm redete.

Lorle ließ sich noch in ihrer Dorftracht trauen. Als sie aus der Kirche kam, ging sie auf ihr Kämmerlein, um die Stadtkleider anzuziehen. Lange lag sie hier auf den Knieen und betete weinend: »Heiliger, guter Gott, ich will gern sterben, wann du willst, du hast mir bisher geholfen, ich will Alles auf mich nehmen, ich hab' das erlebt, du bist gut und hast mich das erleben lassen, hilf mir gut sein, hilf!«

Sie richtete sich auf und rief Vroni, daß sie sie ankleide; sie zog keines der weit ausgeschnittenen seidenen Kleider an, sondern ein einfaches weißes, das bis an den Hals geschlossen war.

Ein Jedes sah voll Freude auf Lorle, als sie so herabkam, ihr Gang, jede Bewegung ihrer Hand, Alles war so feierlich wie ein heiliger Choral.

Bei Tische ging's lustig her, der Wadeleswirth war[204] überaus aufgeräumt und machte allerlei Späße. Lorle war's, als wäre sie verantwortlich für alle Reden ihres Vaters und sie fand Manches nicht am Platze; sie gäbelte nur immer so auf dem Teller herum, aß aber Nichts, trotz aller Zureden. »Ich bin satt, ganz satt,« war ihre stete Entgegnung, die die vollste Wahrheit enthielt.

»Lasset's in Fried',« rief endlich der Wadeleswirth, »wenn das Lorle auch nichts ißt, meine Kinder sind g'frässig und g'süffig, es schmeckt ihnen Alles, sie kommen aus einem rauhen Stall; von deßwegen, Professor, könnet Ihr mit meinem Lorle bis Paris reisen, es ist nicht schleckig.«

Nach dieser Rede schaute er rundum allen Leuten in's Gesicht, sich den Beifall zu holen, weil er so etwas gar Gescheites gesagt hatte; als aber Niemand Lob zunickte, rief er, vom Wein erregt: »Zur Gesundheit, Herr Pfarrer, auf die neu' Kirch' und daß sie auch von innen ... ja ich hab' was, aber es wird nicht gesagt, von meinem Tochtermann, aber es wird vorher nichts gesagt.«

Die Tafelmusik spielte manche lustige Weise und die Fröhlichkeit hatte noch lange nicht ihren Gipfelpunkt erreicht, als man jetzt in einer Pause Peitschenknallen vor der Thür vernahm: Reinhard und Lorle standen auf, Alles folgte ihnen. Vor dem Hause stand das Wägelchen, das Gepäck war sorgsam festgebunden, der Rapp war angespannt und Martin stand da und hielt das Leitseil.

Lorle sah immer auf den Boden als sie über den[205] Hof ging, als wäre überall Etwas, das sie aufhielte, über das sie wegsteigen müsse. Die Hochzeitsgäste standen alle rings um das Wägelchen, da kam der Wendelin und übergab Lorle schluchzend eine Amsel, die er gefangen, in einem selbstverfertigten Käfig, Lorle solle sie mitnehmen; man versprach ihm, daß die Bärbel sie mit nach der Stadt bringen werde, da sie nicht für die Reise tauge. Der Knabe ging still mit seinem Vogel davon. Der Wadeleswirth hatte die Peitsche vom Wägelchen genommen und hieb dem Rappen eins auf, daß dieser sich hoch aufbäumte und ihn Martin kaum halten konnte.

»Paß auf,« sagte jetzt der Wadeleswirth zu Reinhard, »wenn man von Haus wegfährt, muß man dem Gaul ein Fitzerle geben, daß er's auch weiß, daß man die Peitsch' bei sich hat; hernach braucht man sie oft den ganzen Weg nicht mehr. So ist's auch mit dem Weib. Man muß sie gleich von Anfang merken lassen, wer Meister ist, nachher ist's gut und man kann die Peitsche ruhig neben sich hinstecken, aber das Leitseil muß man festhalten, rr! hu! Rapp! o oha.«

Der Wadeleswirth sah schmunzelnd auf ob seiner klugen Rede; er hatte heute Unglück, er konnte noch so Gescheites vorbringen, man hörte nicht recht darauf. Lorle stand an die Mutter gelehnt und weinte; es war als wollte sie zusammenbrechen vor Schmerz. Die Mutter sagte: »Alter, du könntest auch was Besseres reden zum Abschied wenn ein Kind fortgeht, kann sein auf ewig.« – Sie preßte die Lippen zusammen, sie konnte nicht weiter sprechen.

[206] Dem Wirth war's plötzlich wie wenn man ihm einen Kübel Wasser über den Kopf schüttete; er legte die Peitsche auf das Wägelchen und sagte:

»Nu, nu, nu, nur stet. Lorle, ich will dir was sagen, heul' nicht; wenn du Geld brauchst, was dir fehlt, was es ist, du weißt du hast einen Vater, und wenn's einen Buben giebt weißt wo du die Gevattersleut' holst, verstanden? Jetzt heul' nicht, ich kann das Heulen nicht leiden; heul' nicht, oder ich lass' dich bigott nicht vom Fleck.« – Er schlug sich den Hut tiefer in den Kopf, ballte beide Fäuste und fuhr fort: »Du bist mir nicht feil, nicht für ein' Million. Professor, komm her; wenn du noch Reu' hast, komm her, kannst mir mein Lorle da lassen, bleib' daheim Lorle.«

Die junge Frau schlug lächelnd die Augen auf und reichte dem Vater die Hand, dieser fuhr fort: »Professor, jetzt hör' noch Eins, ich will dir was sagen, bleib' da mit sammt dem Lorle; wirf denen in der Stadt den Bettel vor die Thür, du brauchst's nicht, du bist mein Tochtermann und übernimmst die Wirthschaft, du kannst Lindenwirth sein, ich übergeb' dir Alles, wir ziehen in's Unterstüble; laß abpacken, bleibet da.«

»Und meine Kunst und mein Geschäft?« fragte Reinhard.

»Ja freilich, davon versteh' ich nichts,« antwortete der Vater, er hielt Lorle's Hand in der seinen und schärfte sich die Lippen mit den Zähnen; das sollte die Bewegung, die sich seines Antlitzes bemächtigte, zurückdämmen.

Die Mutter nahm Reinhard bei Seite und sagte:

[207] »Habt nur immer ein getreu Aug' auf mein Lorle, so giebt's kein Kind mehr, soweit der Himmel blau ist; es hat ein gar lindes Herz und wenn es einen Kummer hat, verdruckt es ihn in sich hinein, wenn's ihm auch schier das Herz abstoßt und ... sorget dafür, daß es sich in den Stadtkleidern nicht verkältet, es ist nicht dran gewohnt, und lasset ihm ein Fleischsüpple kochen, wo Ihr über Nacht bleibet, es muß sie essen, es muß, es hat heut noch keinen Bissen über's Herz bracht und ... und denket auch oft an Eure Mutter im Himmel ... und b'hüt Euch Gott.«

Mit Lorle selbst sprach die Mutter fast gar nichts mehr, sie streichelte nur immer den schönen Mantel, den sie über hatte, und fragte: »Hast auch warm? Nimm dich nur in Acht, es wird kühl gegen Abend, besonders im Fahren.«

Lorle nickte bejahend, sie konnte nichts mehr reden.

Jetzt rief der Wadeleswirth: »Stephan! bring' noch ein' Butell Altweiberwein auf den Gaul. Ich bring' dir's Professor, trink, und Lorle trink auch, du mußt.«

»Ja,« sagte die Mutter, »trink, es g'wärmt.«

Lorle mußte zuletzt noch trinken, eine Thräne fiel in das Glas.

Nun wurde sie in das Wägelchen gehoben und als Reinhard eben auch hinaufwollte, gab ihm der Wadeleswirth noch einen derben Schlag und sagte:

»Mach', daß du fortkommst, du Lump, du schlechter Kerle, du Heidenbub, nimmst mir mein Mädle mit fort.«

Das waren lauter Liebkosungen und Lorle mußte unter Thränen lachen.

[208] »Jetzt hü! in Gottes Namen, fahr zu!« rief der Wadeleswirth.

Die Musikanten, die bisher still zugeschaut hatten, spielten einen lustigen Marsch und fort rollte das Wägelchen ...

Wer je dabei stand, wie ihm ein Liebes entführt wurde und die ganze Seele drängt sich den Entfernenden nach, der mag mitfühlen wie es den Eltern zu Muthe war als ihr Kind dahinzog. Die Mutter stand da und ihr war's als wanke der Boden unter ihr, als werde sie ebenfalls fortgezogen und nichts stehe mehr fest; ihr Kind, das sie unter dem Herzen getragen, über das ihr Auge wachte, so manches Jahr, in stillen Nächten wie im Lärm des Tages, dahin, dahin – und doch hielt sie die Hand festgeschlossen, als fasse sie ihr fernhinziehendes Kind an einem Geistesbande. Endlich schrie sie laut auf und fiel ihrem Mann um den Hals. Alles sah gerührt auf die Beiden. Der Pfarrer bemühte sich, die Trauernden durch Trostesworte aufzurichten; die Mutter wendete ihm ihr thränennasses Antlitz zu und schüttelte den Kopf verneinend, der Wadeleswirth aber sagte: »Das ist jetzt Alles gut, ja, ja, aber da könnet ihr nicht mitreden, Herr Pfarrer, das könnet Ihr nicht wissen, was das heißt, ein Kind, sein Kind weggeben.«

Der Pfarrer schwieg.

»Komm 'rein Alte,« sagte der Wadeleswirth nun, seine Frau unter'm Arm fassend, was er fast nie that, »komm, jetzt müssen wir uns halt wieder allein gern haben. Von Anfang wie wir gehaust haben, haben [209] wir keine Kinder gehabt und jetzt haben wir bald wieder keine daheim, komm, wir wollen noch ein Tänzle machen. Spielleut', hellauf!«

In der Wirthsstube war der Wadeleswirth froh, seinen Gram in Zorn verwandeln zu können; er schimpfte auf die neue Mode, daß man alsbald nach dem Hochzeitstisch wegfahre und den Tanz allein lasse: »das ist ja wie ein Kindbett ohne Kind,« sagte er immer.

Lorle war indeß mit Reinhard rasch dahingefahren ohne sich umzuschauen, sie hielt sich fest am Wagensitz, es war ihr als ob sie jetzt zum Erstenmal in ihrem Leben auf einem Wägelchen sitze: da steigt man auf ein hohes Gestell und läßt sich fortrollen und bewegt sich nicht selber. »Wir fahren fort« – sagte sie zu Reinhard, er wußte nicht was das zu bedeuten habe.

Vor dem Dorfe saß Wendelin mit seinem Käfig am Wegraine. Als die Hochzeitsleute ihm nahe kamen, nahm er den Vogel heraus und hielt ihn hoch hinauf den Fahrenden hin. War's freiwillig oder von ungefähr? Der Vogel entwischte der Hand und flog davon, Wendelin kehrte mit dem leeren Käfig heim.

Wortlos fuhr das junge Ehepaar dahin, Lorle hatte so viele Gedanken, daß sie eigentlich keinen bestimmten hatte. Als man jetzt an der Steige hielt, wo gesperrt wurde, sagte sie: »Fahr' nur stet, Martin. Warum hast du denn den Rappen eingespannt, der geht ja nicht gern in der Lanne? Komm Reinhard, wir wollen auch absteigen.«

»Wollen wir nicht lieber sitzen bleiben? Doch, wie du willst.«

[210] Reinhard sprang vom Wägelchen, er half nun auch Lorle und hielt sie eine Weile auf beiden Händen frei in der Luft, bis sie rief: »So laß mich doch auf den Boden.«

Im Weitergehen sagte Reinhard: »Wie ich dich frei in der Luft gehalten, so habe ich dich hinweggehoben von deinem Boden; ich allein halte dich, du bist mein, von allen Menschen der Welt, vor Allen.«

Lorle wußte nicht recht, was er damit sagen wollte, sie meinte nur, er habe gesagt, daß er viel stärker als sie und ihr Herr sei; sie ließ sich das gern gefallen.

»Denkst du noch was du träumt hast?« fragte sie jetzt.

Reinhard hatte den Traum von der ersten Nacht im Dorf völlig vergessen, Lorle betheuerte aber bei der Wiedererzählung, daß sie sich deshalb nicht im Mindesten fürchte. »Ich glaub' nicht an Träum',« versicherte sie, »ich hab' schon mehr als zehnmal träumt mein Vater sei gestorben und ich hinter der Leich' drein gangen, und er ist doch mit Gottes Hülf' noch frisch und gesund; aber es macht mir doch bang, daß er so dick wird und nimmer gern laufen mag. Wenn ich nur wüßt', wie es ihm jetzt geht. Es ist mir wie wenn ich ihn schon ewig lang nicht gesehen hätt', aber nein, jetzt sind sie daheim am Geschirraufspülen; da werden sie vor zehn in der Nacht nicht fertig und des Wendelins Mutter die hilft, die ist so ungeschickt und läßt Alles aus der Hand fallen.«

»Laß jetzt die Bärbel am Spülstein und sei bei mir,« entgegnete Reinhard.

[211] »Ja, ja, jetzt schwätz aber auch du, ich bring sonst lauter dumm Zeug vor.«

»Wir brauchen gar nicht reden, wenn ich dich nur hab'.«

»Ist mir auch recht.«

Man war in G., der nächsten Stadt, angekommen; Reinhard und Lorle aßen allein auf ihrem Zimmer, er gab ihr die ersten Löffel Suppe zu essen wie einem Kinde, sie ließ sich's gefallen, dann aber griff sie selber tapfer zu. Als abgegessen war, stellte Lorle die Teller aufeinander, schüttelte das Tischtuch zum Fenster hinaus ab und legte es in die kenntlichen Falten.

»Da sieht man die Wirthstochter,« sagte Reinhard lachend, »das brauchst du nicht thun, das kann der Kellner.«

»Laß mich nur,« entgegnete Lorle, »ich kann's nicht leiden, wenn abgegessen ist und das Geschirr steht noch auf dem Tisch.«

Er ließ sie gewähren und nannte sie sein Hausmütterchen, das ihm jede fremde Wohnung zur Heimath mache. Sie saßen nun ruhig an einander gelehnt beisammen, aber plötzlich fiel Reinhard vor ihr nieder umfaßte ihre Knie und rief schluchzend und weinend:

»Ich bin dich nicht werth, du Reine, Holde.«

Lorle hob ihn auf und tröstete ihn, dann aber sagte sie: »Jetzt hab' ich auch eine Bitt', wir wollen weiter fahren, es ist ja so schön mondhell; thu's mir zu lieb, lieber Reinhard.«

Die Beiden fuhren weiter durch die mondbeglänzte Nacht in stillem Entzücken.

[212] Lorle gedachte aber auch oft nach Hause, sie hätte gar zu gern gewußt, ob sie jetzt wol schon schlafen gehen oder ob sie noch tanzen. Einmal sagte sie zu Reinhard: »Kennst du noch den schönen Dreher, den sie aufgespielt haben, wie wir daheim fortgefahren sind? Mir ist's allfort, wie wenn ich Musik hör'.«

Zur selben Zeit war zu Hause die Mutter hinaufgegangen in Lorle's Kämmerchen, und als sie hier das Bett des Kindes sah, konnte sie sich erst recht ausweinen; sie blickte lange hinein in den Mond und ging dann endlich still hinab.

Der Tanz hatte bald geendet, denn man mußte sich aufsparen für den nächsten Sonntag, da die Einweihung der Kirche stattfinden sollte.

Martin fuhr das junge Ehepaar noch drei Tage und Lorle war's immer als ob das nur eine Spazirfahrt wäre, von der sie morgen wieder nach Hause kehrten und Alles bliebe im alten Gange.

Hatte die Verlobung auf Lorle einen so tiefen Eindruck gemacht, während sie Reinhard nur wenig berührte, so war dies jetzt mit der Trauung umgekehrt. Durch die Verlobung sah sich Lorle dem ganzen Dorf gegenüber als eine ganz neue Person an und für sie war schon damals der Bund unauflöslich geschlossen; Reinhard dagegen, der der weiten Welt angehörte, kam sich jetzt in ihr wie ein ganz anderer Mensch vor; durch ein unauflösliches Band mit einem Wesen außer ihm verbunden, er, der sonst so ganz allein war – ihm war's als ob die Bäume und Berge ihn neu anschauten, [213] als hätte Alles ein anderes Leben gewonnen, weil er selber ein anderes begann.

Eine Eigenheit Lorle's, die wol zum Theil noch vom strengen Regiment ihres Vaters herrührte, wesentlich aber auch aus ihrem Mitgefühl für Mensch und Vieh stammte, war die, daß sie in fieberischer Unruhe war, sobald das Wägelchen vor dem Hause angespannt stand. »Es ist mir, wie wenn ich selber angespannt wär',« sagte sie auf die Zurechtweisung Reinhards. Um ihr solche Hast und Unruhe abzugewöhnen, zögerte Reinhard nun noch viel bequemer und behaglicher als sonst bei der Abfahrt, und Lorle entschuldigte sich jedesmal bei Martin, daß sie ihn so lang warten ließen.

Am dritten Abend, vom Dreikönig in Basel aus, machte sich Martin auf den Heimweg. Tief im Herzen weh that Lorle diese letzte Trennung von ihrem eigenen Wägelchen, vom Rapp und besonders vom Martin und sie sagte: »Viel tausend Grüß' an Alle daheim, so viel Grüß' als nur auf den Wagen gehen und der Rapp ziehen kann.«

Während Lorle dem Wegfahrenden nachtrauerte, sagte Reinhard, sie tröstend: »Sei fröhlich, laß die ganze Welt hinter dir versinken; ich habe dich herausgetragen aus dem Strom des gewohnten Lebens, wir sind allein, ganz allein. Denk jetzt nicht mehr heim.«

Heute zum ersten Mal speisten sie auch an der öffentlichen Wirthstafel. Reinhard wollte Lorle zerstreuen, und doch ward er übellaunig, als ihm dies gelang. Lorle's Tischnachbar, ein lustig aussehender[214] junger Mann, sagte zu ihr: »Sie sind gewiß eine fertige Clavierspielerin, gnädige Frau?«

»Ei warum?«

»Die Clavierspielerinnen gebrauchen die linke Hand wie die rechte, sie reichen sie oft beim Gruße.«

»Nein, ich kann nicht Clavier spielen, wir haben aber daheim ein eigen Clavier; mein Vater hat gewollt, ich soll's lernen, ich hab' aber kein' Geduld gehabt und hab' mich auch geschämt, so nichts zu thun. Das ist blos eine üble Angewohnheit von mir mit der linken Hand.«

Der junge Mann war äußerst verbindlich und verwickelte Lorle bei jedem frischen Gerichte in ein neues Gespräch, so sehr sich auch Reinhard Mühe gab, selber das Wort zu ergreifen und Lorle an sich zu ziehen; der Fremde hatte alsbald wieder Lorle zum Reden gebracht und machte sie oft laut lachen. Reinhard war fest überzeugt, daß der Fremde sich über sie lustig mache, obgleich er eigentlich keinen Grund dafür angeben konnte, er war voll Zorn und fand doch keine Gelegenheit ihn auszulassen. – Auf dem Zimmer bedeutete er dann Lorle, daß es sich für eine Frau nicht schicke, an einer öffentlichen Tafel so laut zu lachen, und daß es überhaupt nicht passe, mit jedem Nachbar zu reden. Gegen letzteres wehrte sich Lorle, sie behauptete, wenn man mit Jemanden von Einer Schüssel esse, müsse man auch mit ihm reden, sie habe im Gegentheil die Anderen bemitleidet, die für sich gegessen hätten, wie ein Krankes auf seinem einsamen Bette. Daß sie sich das Linkische abgewöhnen solle, [215] gab sie zu, obgleich Reinhard das früher so schön gefunden habe.

»Bist du mir nun bös?«

»Ach Gott im Himmel, warum denn? Du bist ja so gut.«

»Du mußt auch Manches an mir ändern, mußt mir nicht nachgeben; wir wollen uns vornehmen, einander zu bessern.«

»Nichts so vornehmen, gradaus sein,« entgegnete Lorle. Sie konnte sich nicht leicht eine Norm und Richtschnur machen, sie lebte und handelte aus der Sicherheit ihres Naturells; während Reinhard, von den besten Anflügen erfaßt, sich das Edelste vorsetzte, dabei aber doch meist, wenn's drauf und dran kam, aus der augenblicklichen Stimmung handelte.

Nun ging's hinein in die Pracht der Alpenwelt.

Beim Alpenglühen rief Lorle einmal aus: »Reinhard, sag', ist's denn im Himmel schöner?«

»Gutes, herziges Kind, das kann ich auch nicht wissen.«

»Nicht Kind sagen,« bemerkte Lorle.

»Nun denn, Engel, ja du bist's; ich weiß nun wie's im Himmel ist, ich bin bei dir.«

Die untergehende Sonne überglühte zwei selig Umschlungene.

Reinhard hatte eine willige Zuhörerin, indem er nun auf den Wanderungen die Schönheiten der Natur und die malerischen Gesichtspunkte erklärte; Lorle hörte ihn immer gern sprechen, auch wenn sie ihn nicht ganz begriff. Bisweilen machte sie auch eine Abschweifung, [216] indem sie ihn auf den Stand der Kartoffeln aufmerksam machte und wie die Ochsen ganz anders eingespannt seien als daheim. Schnitten solche Anmerkungen auch oft eine begeisterte Auseinandersetzung entzwei, so nahm Reinhard sie in Geduld wieder auf. Eine Eigentümlichkeit offenbarte sich bei diesen Auseinandersetzungen: Reinhard hatte bis jetzt durchaus im Dialekt mit Lorle gesprochen, zwar ohne Vorsatz, denn es ergab sich von selbst, auch war ihm wohl und heimisch dabei; nun aber war's ihm oft, als hätte er mit seiner Seele eine Fastnachtsmummerei vorgenommen, es war ihm ein fremdes Kleid für den Werktag, er fühlte, daß die ganze Welt der Reflexion, der Allgemein-Gedanken, keine rechte Heimath im Dialekte hatte; alles Persönliche konnte er darin kundgeben, aber nichts was darüber hinausging. Er bat daher auch Lorle, sich nach und nach mehr an das Hochdeutsche zu gewöhnen und sie versprach's willfährig; sie sah immer staunend an ihm hinauf, wenn er so Herrliches redete, und sie sagte einmal:

»Du hättest doch eine Gescheitere oder gar nicht heirathen sollen, aber nein, es hat dich doch Niemand so lieb wie ich, du herziger Mensch.«

Er bat sie nun, immer recht Theil zu nehmen an dem was er denke und erstrebe, sie war voll Demuth zu Allem bereit; sie wiederholte sich oft manche Worte, die er gesagt hatte und die gar schön geklungen hatten, mehrmals leise, um sie sicher zu behalten.

Seitdem Lorle den Modehut aufhatte, plagte sie die Sonne weit mehr als früher da sie noch barhaupt [217] ging, und doch vergaß sie beim Ausgehen fast jedesmal ihren Sonnenschirm, man mußte ihn oft nachholen, und war er nicht aufgespannt, so ließ sie ihn beispiellos oft fallen; es that ihr wehe, wenn Reinhard galanterweise ihn aufhob, und sie band sich ihn daher fest um die Hand. – Mit dem großen Uebertuche konnte sie sich gar nicht bewegen, eben so wenig mit der Echarpe; sie knüpfte ersteres, sobald sie aus der Stadt war, auf dem Rücken zusammen, und letztere band sie wie eine Ritterschärpe an der Seite. Nie durfte ihr Reinhard Etwas abnehmen, ja sie wollte ihm bei Wanderungen seinen Rock tragen, wie die Bauernmädchen in der Regel die Jacke ihrer Burschen am Arm hängen haben. So lange sie Handschuhe an hatte, kam sie sich ganz fremd vor, sie konnte nicht so gut reden als sonst; sobald sie nur konnte wurden daher die Handschuhe abgestreift. Diese Kleinigkeiten gaben zu vielen heiteren Neckereien Anlaß.

Auf dem Zürichersee weinte Lorle die ersten Frauenthränen, und zwar über die neue Kirche zu Weißenbach.

Schon bei der Abfahrt sprach Lorle von nichts Anderem, als daß jetzt, an diesem hellen Sonntag, zu Hause die Kirche eingeweiht werde; sie sah nichts von all der Herrlichkeit rings umher und Reinhard hörte ihr eine Weile ruhig zu, dann bat er sie, doch auch umzuschauen nach dem was sie hier umgebe; sie ward still, Reinhard setzte sich auf ein einsames Plätzchen auf dem Schiffe. Als nun die Kirchenglocken von nah und fern erklangen, ging er zu Lorle und sagte: »Horch wie schön!«

[218] »Ja,« sagte sie, »jetzt gehen sie daheim in die Kirch', und die Vroni hat ihre neue Haub' auf und der Wendelin hat die neu' Jack' an, die ich der Bärbel für ihn geben hab'.«

Reinhard sagte zornig: »Du kannst doch ewig nicht über dein Dorf hinaus denken, das ist einfältig!«

Heiße Thränen rollten über die Wangen Lorle's, und Reinhard ließ sie eine Stunde allein sitzen.

Am Abend war indeß Lorle ganz glücklich durch die Mittheilung Reinhard's, daß sie sich nun auf den Heimweg machen wollten. Reinhard hatte dies beschlossen, weil er die Ueberzeugung hatte, daß Lorle erst im eigenen Haushalt sich vollkommen wohl fühlen werde und er selbst sehnte sich auch nach stiller Häuslichkeit. Seit vielen Jahren hatte er ohne Familie frei sich in der Welt umhergetummelt, er mochte kaum ahnen, mit welchen zarten und doch starken Wurzeln das Leben solch eines Mädchens mit dem Heimatboden verwachsen war; jetzt sollten sie Beide gemeinsam auf neuem Grunde wachsen.

Vorher aber mußte Reinhard noch dafür zugestutzt werden. Auf der letzten Station, wo man Halt machte, nahm er sich seinen schönen Bart ab, denn der Oberhofmeister hatte ihm bemerkt, daß sich dieser mit Reinhard's Titulatur und Hofstellung nicht vertrage. Scherzend, aber doch mit einer gewissen Wehmuth, gab sich Reinhard die etikettemäßige Glätte. Lorle jammerte gar sehr, indem sie sagte: »Du bist gar nimmer so schön wie früher, heißt das: mir ist's gleich, aber es ist doch schad.« Sie strich ihm mit der Hand über [219] das kahle Gesicht und beklagte, daß es nun so rauh sei. »Wenn das dein Vater sähe, würde er lachen; er hat's prophezeit,« sagte Reinhard. –

Lorle ahnte dunkel, welchen kleinlichen, engbrüstigen Verhältnissen sie entgegen gingen; sie suchte aber sich und Reinhard zu erheitern, und es gelang ihr.

Zwischen hohen Mauern

Zwischen hohen Mauern.

Wie war Lorle voll Freude, als sie in ihrer Wohnung die Bärbel schon fand. Man war in der Nacht angekommen und Lorle durchmusterte sofort Alles, das war ja nun ihre neue Welt. Mit einer immer sich steigernden Seligkeit ordnete sie noch am Abend fast ihre ganze Aussteuer in die Schränke ein. Wie viel Unerwartetes hatte die Mutter hinzugesellt, die gute Mutter! Der Vater hatte sich's nicht nehmen lassen, nach altem Brauch eine Wiege zu schicken, und Lorle ward feuerroth, als sie diese gewahrte; dann war sie aber voll Freude über die vollen Mehlschränke, über die umfangreichen Schmalztöpfe und alle Bedürfnisse einer vollen Haushaltung, die Bärbel mitgebracht hatte; jeden Topf in der Küche wollte sie beschauen als ihr nunmehriges Eigenthum. Reinhard wollte Anfangs Einhalt thun, dann aber ging er selber mit durch Küche und Kammer und freute sich an dem Glücke seines »lieben Hausmütterchens«.

Bis spät in die Nacht saßen dann die Beiden noch beisammen auf dem Sopha, und Reinhard erzählte, wie er, das einzige Kind seiner Eltern, diese schon früh verloren, [220] wie er in einem Institut erzogen, später im Widerspruch mit seinem Vormunde die Studien aufgegeben und sich der Kunst gewidmet, wie er, aller Bande los und ledig, frei in der Welt umhergeschweift. »Nie,« schloß er, »hab' ich's empfunden, was ein Heimathherd ist; meine tiefe Sehnsucht ist nun erfüllt, freilich mit einem schweren Opfer, ich habe mich in Dienst begeben, aber freudig gebe ich einen Theil meines freien Künstlerthums hin, um eine Heimath, ein Nest zu haben.«

Lorle umhalste ihn und sagte: »Du sollst gewiß immer gut und gern daheim sein, du armer Mensch, den sie so in die Welt hinausgestoßen haben.«

Am andern Morgen kam der Collaborator mit seiner Schwester zur Bewillkommnung; er hatte gleich am Tage nach der Hochzeit alle Thüren der neuen Wohnung mit Kränzen geschmückt; als aber die Ankunft der Erwarteten sich verzögerte und die Kränze welk wurden, nahm er sie still wieder ab.

»Es wird mir auch mit der Zeitgeschichte so ergehen,« sagte er, »ich winde meine Kränze zu früh für den Einzug des neuen Lebens; die harrenden Blumen verdorren und am Ende zieht die neue Welt durch ungeschmückte Thore. Sei's, wenn sie nur kommt.«

Leopoldine, die Schwester des Collaborators, ein von Natur liebreiches aber durch Jahre und Schicksale herb gemachtes Gemüth, hatte mit wahrhaft schwesterlicher Sorgfalt allem vorgesorgt; traf solches Anordnen und Einrichten auch mit ihrer Neigung zusammen, so war doch nicht minder wirkliche Güte dabei thätig. Unter dem wiederholten Danke des jungen Ehepaares führte [221] sie nun Lorle in der Wohnung umher und zeigte ihr den Gebrauch jedes Schränkchens, und wie man es in Ordnung halten müsse, wie man die Schlüssel umdrehe, die Schublade ausziehe, Alles. Lorle war eine willfährige Schülerin, zu Manchem aber bemerkte sie doch: »Das brauchet Ihr mir nicht sagen.« Sie sprach das in reiner Ehrlichkeit, sie kannte die Gesellschaftslüge noch nicht, der zufolge man sich unwissend stellen muß, um dem Andern in seiner Weisheit angenehm zu erscheinen; sie wollte der »guten Person« nur die unnöthige Mühe ersparen. Leopoldine sah aber hierin einen bäurischen Stolz, der sich nicht gern zurechtweisen ließe; sie war indeß zu erhaben, um sich von dem Dorfkinde beleidigen zu lassen, sie widmete ihr fortwährend mitleidvolle Gönnerschaft, zumal sie wirkliches Bedauern fühlte, daß sich »das Kind« mit einem so wilden Naturell wie das Reinhard's war, auf ewig verbunden hatte.

Der Collaborator war in seltsamer Stimmung, er ging scherzend und singend durch alle Zimmer und versuchte allerlei Schabernack; es hatte den Anschein, als wollte er eine frühere Weise Reinhard's sich aneignen; er nöthigte Reinhard schon am frühen Morgen, eine Flasche Wein mit ihm auszustechen, obgleich die Schwester bemerkte, daß ihm das nie gut bekäme. Als ihr Bruder aber dennoch nicht nachgab, verzerrten sich ihre Züge auf eine höchst unangenehme Weise; mit Schrecken bemerkte dies Lorle, Leopoldine aber redete kein Wort mehr.

Nachdem »die beiden Junggesellen«, wie sie Reinhard nannte, sich verabschiedet hatten, kam es Lorle vor als [222] wäre ein fremdes Leben durch ihre Zimmer geschritten, als ob die Möbel anders stünden als früher; erst nach und nach heimelte sie's wieder an in ihrer Behausung.

»Nun, was sagst du zu Leopoldine?« fragte Reinhard. –

»Die ist Weinessig, ist einmal Wein gewesen,« erwiderte Lorle.

Reinhard bemühte sich, ihr eine bessere Anschauung beizubringen, und hier zum Erstenmal erfuhr er eine ihm unerklärliche Schärfe des Urtheils bei Lorle, die er der Zartheit ihres liebevollen Gemüthes nie zugetraut hätte. Er bedachte nicht, daß es eine Menschenliebe gibt, die streng und rücksichtslos urtheilt, die aber, trotzdem daß sie die Mängel erkennt, in ungeschwächtem Wohlwollen verharrt; daß ferner ein unverborgenes Naturell ohne Rückhalt und unbarmherzig die augenblickliche Empfindung als Urtheil ausspricht.

Mit Bärbel hatte Lorle an diesem ersten Morgen auch schon einen Kampf, denn die gute Alte deckte den Tisch nur für zwei Personen; keine Ermahnung und keine Bitte, daß sie doch mit am Tisch essen solle, fruchtete; denn sie behauptete, es schicke sich nicht, ja sie verbot Lorle, ihren Mann irgend damit zu behelligen, da er sie sonst für gar zu einfältig halten müsse.

Die Suppe stand endlich auf dem Tisch, Lorle betete still, Reinhard betete nicht und sie wiederholte das Gebet noch einmal anstatt ihres Mannes.

Als sie nun beisammen saßen, fragte Reinhard: »Lorle, sind die Teller unser eigen?«

»Ja freilich, wem denn?«

[223] »Juhu! Wenn ich jetzt einen Teller zerbrech', brauch' ich dem Wirth nicht zahlen; das ist mein, Alles mein eigen.« – Er nahm einen Teller und warf ihn jubelnd auf den Boden.

»Er ist von einem ganzen Dutzend,« sagte Lorle.

»Mein Dutzend hat nur zehn,« rief Reinhard und warf noch einen entzwei, dann tanzte er singend mit Lorle um den Tisch herum.

»Du bist ein wilder Kerle,« sagte sie, die Scherben zusammenlesend, »ich will andere Teller holen.«

»Nein, wir essen miteinander aus der Schüssel.«

»Mir auch recht.«

Die Bärbel kam, da sie das Zerschmettern vernommen hatte, Lorle aber sagte: »Brauchst heut' keine Suppenteller mehr bringen, wir essen aus der Schüssel, da haben wir's g'rad wie daheim.« –

Reinhard stellte seine Frau Niemand vor, sie bedurfte ja Niemand außer ihm, er war ihr Alles; er machte seine Antrittsbesuche bei Vorgesetzten, Gönnern und Bekannten, und wo man ihm zu seiner Verheirathung glückwünschte, dankte er einfach und lenkte das Gespräch bald ab.

Die Gallerieangelegenheit war noch keineswegs erledigt, wenn auch schon ein Beamter dafür angestellt war; in diesem Winter sollte ein außerordentlicher Landtag, und zwar wie man solche am meisten liebt, ein bloßer Finanzlandtag einberufen werden, um wegen der in Aussicht stehenden Verheirathung die Gelder zum Baue eines Schlosses für den Thronerben zu bewilligen; auch über die Kosten zum Baue des Galleriegebäudes [224] sollte dann mit den Ständen eine Vereinbarung getroffen werden; eine Gesetzesvorlage über Wiesenberieselung sollte den Schein des Gemeinnützigen hergeben.

Während Reinhard sich durch seine Besuche eine umfassende Kenntniß des Staatskalenders verschaffte, konnte Lorle zu Hause sich noch gar nicht in das Stadtleben finden. Wenn Alles so sehr gesäubert und in Ordnung war, daß sich nun durchaus nichts mehr aufbringen ließ, vermochte es Lorle über die Bärbel, daß sie sich zu ihr in die Stube setzte; es bedurfte hierzu vieler Ueberredung, denn die Bärbel, die nun schon seit mehr als dreißig Jahren diente, hatte ihre festen Ansichten, man möchte sagen ihre Handwerksregeln für das Leben, von denen sie nicht gern abging; sie sagte immer zu Lorle: »Herrschaft ist Herrschaft und Dienst ist Dienst.« Erst wenn Alles verschlossen war, gab sie nach und setzte sich zu ihrer »Madam« in die Stube, aber weit ab vom Fenster, daß man sie aus den Häusern gegenüber nicht sehen konnte. Kam dann Reinhard, der den Schlüssel zur Hausflurthür hatte, so wollte sie sich rasch auf ihren Posten zurückziehen; sie mußte jedesmal dringend ersucht werden, doch ungestört zu bleiben. Man durfte ihr hundertmal etwas zugestehen, was außerhalb ihres Kreises lag, sie sah es dadurch nie als ihr Recht an, stets mußte sie auf's Neue dazu gebracht werden; sie setzte einen gewissen Stolz darein, nicht in den vertraulichen Ton einzugehen, ihr Grundsatz war: geb' ich dir dein' Ehr', mußt du mir mein' Ehr' geben, kannst mich nicht das Einemal an den Tisch setzen und das Anderemal [225] hinter die Thür stellen. – Reinhard aber sah in dieser fortgesetzten Haltung eine bäurische Umstandsmacherei, er verlor wenig Worte mehr mit der Bärbel. In seiner Abwesenheit saß sie nun bei Lorle, emsig plaudernd. Die Wohnung war, obgleich in einem ganz neuen Stadtviertel, dennoch im dritten Stock, da unsere weitgreifende Zeit gleich von vornherein hoch baut.

»Ach Gott!« klagte Lorle einmal, »es ist so hoch oben, wenn einmal Feuer ausgeht; und du dauerst mich auch, man muß das Wasser so weit herauf holen. Es ist so unheimelich. Da guck einmal 'nab, es schwindelt Einem, und man sieht den Menschen nur auf den Hutdeckel. Die Stadtleut' sind aber doch pfiffig, sie bauen in die Luft hinein, da kostet's keinen Platz, da spart man das Feld dabei. Ich lass' aber nicht nach am Reinhard, bis er ein eigen Haus kauft, wo wir allein sind und nicht so in einer Kasern'. Da guck, blos da links können wir noch in's Freie sehen, aber da legen schon wieder mächtige Grundmauern, über's Jahr haben wir nichts als Stein vor uns.«

Bärbel, die früher, lange bevor Lorle geboren wurde, ein Halbjahr in der Stadt gedient hatte, konnte die Ausstellungen ihrer »Madam« in Manchem berichtigen. – Lorle hätte gar zu gern gewußt, wer denn die Leute seien die mit ihr unter demselben Dach wohnen, wie ihre Haushaltung ist, wovon sie leben und was sie treiben. Bärbel belehrte sie, daß das einmal in der Stadt so sei; da habe Jedes seinen abgeschlossenen Hausgang und kümmere sich nichts um das Andere. Lorle konnte sich aber dabei nicht beruhigen und sie klagte: »Ich möcht' [226] jetzt nur wissen, wovon der Seiler da drüben lebt; ich hab' nicht gesehen, daß er seit gestern Morgen was verkauft hat. Und wenn ich über die Straß' geh und da sitzen die Leut' in so einem kleinen Lädle und es kauft ihnen Niemand was ab und da möcht' ich wissen, wovon die jetzt heut zu Mittag essen und noch so viel' Menschen, die so herumlaufen und man weiß gar nicht was sie thun.«

»Gut's Närrle, das kann man nicht wissen; daheim da kann man Jedem in seine Schüssel gucken, aber hier geht das nicht und du siehst ja, daß die Leut' doch leben, so laß sie machen.« So tröstete Bärbel.

Vom Hause gegenüber hörte man ein Mädchen fast den ganzen Tag Clavier spielen und singen, nur bisweilen wurde dieses Thun unterbrochen, indem ein Lockenkopf am Fenster erschien, straßauf und straßab schaute. »Das muß eine schöne Hausfrau geben,« bemerkte Lorle einmal, »und die kann ja Sonntags an der Musik gar kein' Freud' haben, wenn sie's so die ganz' Woch' hat, und horch' nur, wie sie sich gar nicht schämt und bei offenen Fenstern singt, daß man's die ganze Straß' hinab hört; wie das nur die Eltern zugeben!«

Wenn Reinhard nach Hause kam, war er meist liebevoll und zärtlich. Je tiefer er in das Getriebe der Staatsmaschine und des Staatsdienerlebens hineinschaute, je mehr er die Beengungen erkannte, die es ihm auferlegte, daß ihm der Kopf brauste, um so mehr erfaßte er den stillen Frieden, der in der Luft seiner Häuslichkeit schwebte; er sog ihn in vollen Zügen ein [227] und wollte sich ihn stets erhalten; für ihn hatte er ja die Freiheit seines Seins geopfert. Wenn er bisweilen gedankenvoll und betrübt drein sah und Lorle ihn um die Ursache fragte, antwortete er: »Gutes Kind, du sollst und wirst nie erfahren, wie wirr und kraus es in der Welt hergeht. Du mußt mich nicht immer fragen, wenn ich so in Gedanken bin; es geht mir vielerlei im Kopf herum. Sei jetzt nur heiter, sei froh, daß du Vieles nicht weißt.«

»Was du meinst, daß ich nicht wissen soll, das will ich nimmer fragen,« entgegnete Lorle.

Auf den Gängen durch die Stadt und vor den Thoren begleitete der Collaborator fast immer das junge Ehepaar. Lorle tastete noch immer an der ihr fremden Welt herum und konnte die rechten Handhaben nicht finden.

»Ich weiß nicht,« sagte sie einmal, »mir kommen die Leut' in der Stadt gar nicht so lustig vor wie daheim; wenn's nicht einmal ein Schusterjung' ist, sonst pfeifen und singen die Leut' gar nicht wenn sie über die Straß' gehen, es ist Alles so still als wenn sie stumm wären.«

Der Collaborator gab ihr vollkommen Recht und sagte: »Die Leute bilden sich ein, sie hätten Gedanken statt Gesang, es ist aber nicht wahr.« Reinhard dagegen suchte Lorle klar zu machen, daß solche Ungezwungenheit in der Stadt nicht möglich sei; er knüpfte hieran eine weit abgehende Auseinandersetzung, daß das wahre gesunde Wesen in solcher Beschränkung nicht zu Grunde gehe, sondern sich in sich erkräftige. Der Collaborator [228] durchkreuzte solche Darlegungen durch schneidende Entgegnungen und hier zeigte sich ein oft wiederkehrendes Zerwürfniß zwischen den beiden Freunden, unter dem zunächst Lorle leiden mußte. Wollte Reinhard seiner Frau Achtung vor der Bildung einflößen, sie zur Bewunderung und Nacheiferung solcher Zustände anleiten, von denen sie bisher keine Ahnung gehabt hatte, so suchte der Collaborator Alles in die Luft zu sprengen; denn es entwickelte sich bei ihm immer mehr die Ansicht, die er in seinem Unmuthe auch bisweilen geradezu aussprach: »Wir haben uns mit unserer ganzen Civilisation in eine Sackgasse verrannt.«

Lorle, die zwischen den Streitenden ging, gewann wenig Frucht aus diesen Erörterungen.

Einst bemerkte sie: »Ich mein' die Hunde bellen in der Stadt viel weniger als bei uns im Dorf; es ist wol, weil sie mehr an die Menschen gewöhnt sind.« Da lachte der Collaborator und sagte: »Deine Frau hat die tiefste Symbolik.« – Lorle, die nun schon Muth hatte und sich durch ein fremdes Wort nicht mehr verblüffen ließ wie damals zu Hause, sagte jetzt: »Ihr müsset nicht so g'studirt reden, wenn es mich angeht.« Der Collaborator erklärte nun, wie deutungsreich ihr Ausspruch war und suchte seine ganze Verachtung dieses Lebens nachdrücklich geltend zu machen. Lorle erwiderte nur, sie hätte nicht geglaubt, daß er so grimmig bös sein könne. –

Als sie einst klagte, daß durch die neue Kanzlei ihrem Hause gegenüber die Aussicht in's Freie verbaut würde, wußte der Collaborator auch dies sinnbildlich [229] zu deuten. Lorle verstand den Collaborator besser als er glaubte, aber sie war doch ärgerlich, daß er ihr alle Worte im Munde verdrehe und immer etwas anderes daraus mache als sie gewollt hatte. Einmal nach mehrtägigem, anhaltendem Regen gingen sie durch die Promenade; da sagte Lorle: »Es ist doch viel schöner in der Stadt, da braucht man die Wege nicht erst durch die Hecken treten, da sind überall Wege ausgehauen und werden schnell wieder gangbar.« –

Der Collaborator behielt diesmal seine symbolische Deutungslust für sich. War sie ihm etwa nicht genehm? ...

Reinhard empfand nun erst recht die Wonne der Häuslichkeit, indem er wieder rüstig zu arbeiten begann. Arbeit macht selbst einsame fremde Räume zu heimisch trauten, und wie nun gar die gemeinsam bewohnte eigene Heimath! In dem kleinen Stübchen gegen Norden, das er sich zur einstweiligen Werkstatt eingerichtet hatte, ging er an die Vollendung des Bildes: »Das neue Lied,« das er schon im Dorfe begonnen hatte.

Lorle war oft bei ihm, denn er hatte ihr gesagt: »Ich bitte dich, komm oft zu mir, wenn ich arbeite; ich thue Alles besser und lieber, wenn du da bist. Wenn ich auch nichts mit dir rede, wenn ich auch deiner scheinbar nicht bedarf, du bist mir wie angenehme Musik im Zimmer; es thut sich Alles besser dabei.«

Als er nach vollbrachter Tagesarbeit bei ihr in der Stube saß, sagte er einmal: »Stricke und nähe nicht, arbeite nicht, gar nichts, wenn du bei mir bist; es ist[230] mir, als wärest du nicht Allein, nicht ausschließlich bei mir, als wäre noch ein Drittes bei uns Zweien, als wärest du nur halb bei mir.«

»Hab' dich schon verstanden, brauchst's nicht so um und um wenden,« entgegnete Lorle und legte das Strickzeug weg, »aber die Händ' da, die wollen was zu thun haben, und da muß ich dich halt beim Busch nehmen und zausen.« Sie vollführte dies auch, schüttelte ihm den Kopf mit beiden Händen und gab ihm dann einen herzhaften Kuß.

Das war ein liebewarmes häusliches Winterleben.

Auch an kleinen Neckereien fehlte es nicht. Lorle hatte die Scheuersucht der Frauen in ungewöhnlichem Grade; die Stubenböden waren jetzt ihre Aecker, sie konnten nicht umgepflügt, aber doch sattsam aufgewaschen werden. Reinhard mahnte oft und oft zur Mäßigung, aber vergebens. Als er einmal unversehens nach Hause kam und richtig in kein trockenes Zimmer konnte, faßte er Lorle am Arm und tanzte mit ihr in der Stube herum, indem er sang:


»In Schnitzelputzhäusel, da geht es gar toll

Da trinken sich Tisch' und Bänke voll,

Pantoffel unter dem Bette.«


Auch außer dem Hause wollte Reinhard seiner Frau das neue Leben eröffnen, er führte sie in's Conzert. Der Collaborator unterhielt sie hier sehr eifrig, sie kannte sonst Niemand. Nach einer Beethoven'schen Symphonie fragte er einmal: »Nun sagen Sie mir ehrlich, wäre Ihnen ein schöner Walzer nicht lieber?«

[231] Lorle antwortete: »Aufrichtig gestanden, ja.«

Der Collaborator kam freudestrahlend zu Reinhard und sagte: »Du hast eine herrliche, einzige Frau, sie hat noch den Muth, offen zu gestehen, daß sie sich bei Beethoven langweilt.«

Reinhard kniff die Lippen zusammen, zu Hause aber sagte er ruhig zu Lorle: »Du mußt dich vom Collaborator nicht irre machen lassen, der hat sich an den Büchern übergessen. Du mußt nie über Etwas lachen oder aburtheilen, wenn du's noch nicht ganz begreifst. Es giebt nicht nur eine Musik, nach der sich unsere Körper bewegen, es giebt auch eine solche, wo wir unsere Seele in Trauer und Lust emporsteigen und sinken und sich wiegen lassen, über Alles erhoben – die Seele ganz frei und allein. Ich kann dir's nicht erklären, du wirst es schon finden; aber Respect muß man vor Sachen haben, an welche so viele große Männer ihr ganzes Leben gesetzt. Hab' du nur die Achtung und du wirst die Sache auch schon bekommen.«

Lorle versprach, sich recht zusammen zu nehmen.

Im letzten Winterconzerte, als der Collaborator nach einem Musikstücke fragte, was sie jetzt gedacht habe, sagte sie: »An Alles, und ich weiß doch nicht. Wenn so die Flöten und Trompeten und Geigen miteinander reden und einander anrufen und nachher Alle zusammen sprechen, da ist's doch, wie wenn Andere als Menschen reden und da thut's Einem so wohl, an Alles zu denken, so geruhig; es ist wie wenn die Gedanken auf lauter Musik spaziren gingen, hin und her.«

[232] Der Collaborator murrte in sich hinein: »O weh! die wird nun auch gebildet.«

Am Theater, wohin Reinhard sie in der ersten Zeit einige Mal führte, fand Lorle keine nachhaltige Freude; die lustigen Stücke kamen ihr gar zu närrisch vor, und bei den kreuzweis geköperten Intriguenstücken war's ihr zu Muthe wie in einem Wirbelwind, der von allen Seiten reißt und zerrt, so daß man sich gewaltig zusammennehmen muß. Von zwei Stücken redete sie aber noch lange. Das eine war die Stumme von Portici. Es kam ihr grausam vor, daß die Hauptperson stumm ist und die andern Alle singen; auch meinte sie, es sei schon hart genug, wenn ein Mädchen betrogen wird, es brauche keine Stumme zu sein. Daß die Fischer, nachdem sie einige Soldaten niedergemacht, unmittelbar vor dem Ausbruch der Revolution niederknieten und beteten, kam ihr recht brav vor, aber sie hatte gräßliche Angst, es kommen jetzt andere Soldaten und schießen sie Alle nieder. An Schiller's Tell hatte sie volle Freude. In der versteckten Loge, wohin Reinhard sie immer führte, gab sie ihm während der ganzen Vorstellung kaum eine Antwort; sie sah ihn oft still an, mit der Hand begütigend, als dürfe man Etwas nicht wecken. Auf dem Heimwege sagte sie: »So wie der Tell, so wär' mein Vater in seinen jungen Jahren gewiß auch gewesen.«

Reinhard nahm ihr das Versprechen ab, über derartige Dinge mit niemand Anderm als mit ihm zu reden.

Lorle nahm die ganze Welt um sich her keineswegs [233] als eine gegebene hin; gerade weil ihr die Ueberlieferungen mangelten, worauf sich so Vieles stützt, erschien ihr Alles, als ob es erst heute und für sie erstünde; sie schmälzte und salzte nach ihrer eigenen Zunge.

Reinhard unterließ es jedoch bald, Lorle in die Bildungs- und Kunstsphären einzuführen, und sie hatte auch nie Sehnsucht darnach; war's ihr nicht vor die Augen gerückt, war's für sie nicht da. Reinhard sah sich nun selbst mitten im Strudel einer ihm wesentlich neuen Welt, er trat in die sich vorzugsweise so nennende »Gesellschaft«, in der Alles, was nicht dazu gehört, als zusammengelaufenes, höchstens erbarmungswürdiges Volk gilt. Bei der eigenen Unfruchtbarkeit der Gesellschaft an erfrischenden Elementen ward Reinhard ihr Adoptivkind. In der ersten Zeit betrachtete er das Frequentieren der Salons – eine Phrase mit welcher die kleine Residenz aufputzte – als einen Theil seiner Amtspflichten; es kam ihm nicht in den Sinn, wie traurig es sei, daß Lorle so allein zu Hause sitze; da waren ja noch so viele Andere, die sich mit einer Bürgerlichen und nicht wie er, nun gar mit einem Bauernmädchen »mesalliirt« hatten und sie mußten sich's Alle gefallen lassen, hier als ledige Burschen zu gelten.

Anfänglich war es Reinhard oft, wie wenn man aus freiem Felde in ein dumpfes Gemach tritt; die darinnen waren, wissen nichts von der gepreßten Luft, aber dem Eintretenden beengt sie die Brust. Bald jedoch bewegte er sich in diesem Treiben wie in seiner eigenen Welt. Zwei Umstände förderten dies mit besonderer Raschheit. Der außerordentliche Landtag war [234] einberufen. Der Prinz hatte mit Reinhard oft den Plan durchsprochen, daß man in dem neuen Palais die Bel-Etage des Mittelbaues mit den schönsten Gegenden des Landes zieren müsse, die Reinhard al fresco malen sollte; in dem Fries sollten die eigenthümlichen Volkssitten durch Figuren in den verschiedenen Volkstrachten dargestellt werden. Reinhard war voll Seligkeit, ein solches Werk ausführen zu können, das als Erfüllung eines Lebens gelten durfte; er stellte das Bild »das neue Lied« zur Seite und machte allerlei Entwürfe. Die Vorlegung derselben gab reichen Unterhaltungsstoff, und Reinhard ward dadurch vielfach Mittelpunkt der Gesellschaft. Nun aber ergab sich, daß die Landstände mit großer Mehrheit nicht nur die Gelder zum Bau des neuen Palais, sondern auch für die Gallerie verweigerten, weil die Noth des Landes so groß sei, daß sie keine derartigen Ausgaben gestatte. Mit einer Mehrheit von blos zwei Stimmen wurde hierauf die angesetzte Summe zur Einrichtung der Zimmer über dem Marstall für die Gallerie und der Gehalt Reinhard's bewilligt. Dagegen nahm die Regierung Rache und verweigerte eine Aufbesserung der Volksschullehrergehalte, die auf dem vorigen Landtag schon beantragt war.

Ein tiefer Mißmuth setzte sich in Folge der ersten Behinderungen in Reinhard fest, zu dem er noch die Ueberzeugung gesellte, daß das ständische Wesen alle Kunst vernichte, diese daher nur in dem monarchischen Prinzip einen Halt habe. Reinhard hatte bisher ohne politische Ansicht gelebt, nun war sie ihm geworden. [235] Aus diesen Gründen fühlte er sich heimischer in der »Gesellschaft«; aber noch ein bedeutsames Motiv kam dazu.

Die junge Gräfin Mathilde von Felseneck, eine reizende und vielbesprochene neue Erscheinung, schloß sich an Reinhard auf besonders zuvorkommende Weise an; sie trat jetzt zum Erstenmal in »die Welt,« sie war einsam auf dem väterlichen Schlosse aufgewachsen; denn ihr Vater, der die Tochter seines Rentamtmanns geheirathet hatte, lebte seit zwanzig Jahren fern vom Hofe und von seinen Standesgenossen. Erst jetzt, seit dem Tode der Mutter ward ihm Versöhnung; das Kind wurde willig aufgenommen, zumal es eine blühende reiche Erbin war, von der man mit Zuversicht erwartete, daß sie den Fehler ihrer Abstammung durch eine standesgemäße Ehe ausgleichen werde. Gräfin Mathilde, die das Schicksal ihrer Mutter im Herzen trug, betrachtete sich in diesem Kreise nur als Geduldete, als Bürgerliche; sie fühlte sich zu Reinhard hingezogen, wie man im fernen Lande unter Fremden einen Heimatgenossen begrüßt; dazu ward sie mächtig angesprochen von dem freien und doch so sichern Benehmen Reinhard's, der keine der Gesellschaftsformen verletzte, sie aber doch, nur dem aufmerksamen Blicke sichtbar, mit einem gewissen leichten Uebermuthe behandelte; namentlich bemerkte sie dies dem Comte de Foulard gegenüber, der die Etikette mit einer gewissen priesterlichen Andacht wie ein hochheiliges Mysterium verwaltete. In der That zwang dieses ausgeprägte und feststehende Formenleben Reinhard nur eine kurze Weile [236] eine gewisse Achtung ab, dann überließ er sich der freien Gebarung seines Wesens.

Eines Abends, als man sich eben an verschiedenen kleinen Tischen niederließ und die Bedientenschaar mit märchenhafter Schnelle Alles ordnete und auftrug, sagte der Comte de Foulard zu Reinhard: »Die Gräfin von Felseneck hat sich sehr geistreich über Ihre heute vorgelegten Zeichnungen ausgesprochen; sie bemerkte: die Künstler haben nicht nur in ihrer Schöpferkraft etwas Gottähnliches, indem sie den vorhandenen Reichthum der Welt vermehren, sie müssen auch etwas von der göttlichen Geduld haben, ruhig über ihre Werke Kluges und Unkluges auskramen lassen.« Reinhard wendete sich unwillkürlich nach dem Mädchen um, das an einem andern Tische saß.

»Wenn Sie meiner Cousine vorgestellt sein wollen, bin ich bereit,« sagte ein schmucker Gardeoffizier, der neben Reinhard saß. Das Erbieten wurde mit Dank angenommen.

Von diesem Abend an gestaltete sich ein eigenthümliches Verhältniß zwischen Reinhard und Mathilde. Wenn sie sich bei Hofe oder in den Salons trafen, kam eine gewisse ruhige Sicherheit über sie; so förmlich auch ihr beiderseitiger Gruß war, es lag etwas Zutrauliches darin, als hätten sie sich ohne Verabredung hier ein Stelldichein gegeben. Sie hatten Beide die Empfindung, als ob das Eine mit schützender und vorsorgender Hand dem Andern diese Stunden zu genußreichen bereiten müsse; Jedes hegte gewissermaßen die Verantwortlichkeit für einen Mißgriff oder ein Mißgeschick des [237] Andern in sich. Wenn Reinhard von seinem Gönner, dem Comte de Foulard, mit einem Kunstgespräche in einer Nische festgenagelt wurde, empfand Mathilde die höchste Langweile für ihn und merkte kaum auf die Artigkeiten und Aufmerksamkeiten, die sie umgaben; wenn dann die Gräfin Mathilde singen mußte, bebte Reinhard für sie; war die Reihenfolge ihrer Lieder eine unpassende, so machte er sich selbst Vorwürfe. Bald waren sie dann oft, in der gemessensten Haltung einander gegenüberstehend, in die launigsten Gespräche verwickelt. Nie lobte Reinhard den so seelenvollen Gesang Mathildens, er sprach nur bisweilen über die Schönheiten der Dichtung und Composition; sie mochte daraus erkennen, wie sehr sie ihm zu Herzen gesungen hatte.

Der Vetter Arthur hatte verrathen, daß Mathilde »waldfrische Volkslieder« singen könne, und nun mußte sie, da der Prinz persönlich darum bat, eines derselben vortragen. Sie stand eine Weile an dem Piano und hielt sich krampfhaft an demselben, um Ruhe zu gewinnen; dann stimmte sie in kecken Tönen ein Jodellied aus den Bergen an, so hell und froh wie die Lerche, die mit thaufeuchter Schwinge hineinjauchzt in das Morgenroth. Heute zum Erstenmal lobte Reinhard ihren Gesang, Mathilde aber war betrübt; sie klagte, daß es ihr vorkäme, als ob sie das heilige Geheimniß ihrer Heimathberge verrathen und profanirt habe; sie glaube, daß ihr dieses Lied entweiht sei, weil sie es hier unter Kerzenschimmer und ausgebälgten Uniformen als Curiosität preisgegeben. Reinhard widersprach ihr [238] und erklärte, daß das wahrhaft Heilige, was wir in der Tiefe der Seele hegen, unberührt und unverletzt durch die ganze Welt schreite; daß das, was gestört oder gar zerstört werden kann, in sich und für uns keine rechte Wahrheit hatte. Mathilde war beruhigter.

Oft wollte sie auch, daß Reinhard ihr viel von seiner Frau erzählte; sie hegte offenbar den Wunsch, Lorle kennen zu lernen, aber Reinhard war in seinen Mittheilungen kurz und lehnte jenes nicht angesprochene Ansinnen, ohne es entschieden zu bezeichnen, mit Bestimmtheit ab; er sah darin doch mehr eine bloße Neugier und fürchtete zugleich, daß sich Lorle nicht wie er wünschte benehmen möchte.

Der Graf lud Reinhard auf Veranlassung seiner Tochter zu sich ins Haus und Mathilde, die in Gesellschaft immer etwas Schmerzliches, Empfindsames hatte, war hier das heiterste Kind, voll sprudelnder Jugendlust; sie sang und spielte mit Fertigkeit und Geist und ihre Zeichnungen verriethen ein ungewöhnliches Talent. Alle Blüthen der edelsten Bildung standen hier in schöner Entfaltung und wenn Reinhard etwas derartiges bemerkte, sah Mathilde mit andächtiger Hoheit auf und sagte: »Sie hätten meine selige Mutter kennen sollen.« – Bisweilen sangen sie auch gemeinsam scherzhafte und schwermüthige Volkslieder; von solchen wohlgebildeten Stimmen vorgetragen, hatten diese Töne noch eine ganz besondere Macht.

Wenn nun Reinhard aus der Gesellschaft nach Hause kam, regte sich oft der alte böse Blutstropfen in ihm; seine Häuslichkeit kam ihm so eng, so [239] kleinbürgerlich vor. Drückte dann Lorle mit kindlichem Stottern ihre Gedanken und Empfindungen aus, so hörte er selten darauf und gab sich noch seltener die Mühe, sie zu ergänzen und zu berichtigen; er war es müde, das ABC der Bildung vorzubuchstabiren. Auch fiel ihm jetzt eine eigenthümliche Ungrazie Lorle's auf: die Hastigkeit und Kräftigkeit ihres Gebarens war nun unschön; sie faßte ein Glas, das Leichteste, was sie zu nehmen hatte, nicht mit den Fingern, sondern mit der ganzen Hand, ihre Bewegungen hatten in den Stadtkleidern eine auffallende Derbheit, sie trat immer stark mit den Fersen auf und er bat sie einmal, den schwebenden und sich wiegenden Gang auf den Zehen anzunehmen.

Lorle entgegnete: »Just Alles brauch' ich nicht erst zu lernen, ich hab' schon laufen können, wie ich noch kein Jahr alt gewesen bin.«

Zu den übrigen Residenzbewohnern hatte Reinhard keine Beziehung und er erfuhr erst spät, daß ihn viele den »Civilcavalier« nannten und sich damit erhaben dünkten, während sie doch selber die fürstliche Gnadenprobe vielleicht nicht besser bestanden hätten. Zu den wenigen Künstlern der Stadt war Reinhard in eine schiefe Stellung gerathen; er war so ohne alle Vorbereitung zu seinem Amte gelangt; die Einen glaubten in der That, daß ihm dieß nur durch Winkelzüge gelungen sei, die Anderen verleitete Neid und Bitterkeit zu ungerechter Beurtheilung Reinhard's und seiner Leistungen.

So hatte er außer der Hofgesellschaft nur den Collaborator, aber auch dieser zürnte ihm; er sprach offen [240] seinen Grundsatz aus: »Kein Ehrenmann darf von der innerlich angefaulten Societät mit sich eine Ausnahme machen lassen, so lange sich dort nur noch eine Spur von Exclusivem findet.«

Der Collaborator zürnte mit Reinhard doppelt, weil dieser mit Lorle, dem frischen Naturkinde, kunstgärtnere. Das that ihm wehe, aus persönlichen wie aus allgemeinen Gründen. Er erkannte leicht im Kleinen und Vereinzelten ein allgemeines, ja ein weltgeschichtliches Gesetz. Lorle war ihm ein Typus des Urmenschlichen, des ursprünglich Vollkommenen, an sich Vollendeten, unberührt von den Zwiespältigkeiten der Geschichte und der Bildung; es däuchte ihn eine Versündigung, sie durch alle die Labyrinthe zu quälen, ohne sicher zu sein, daß sie den jenseitigen Ausgang finde, der wiederum zur freien Natur führt – sie stand ja von selber darin, Anfang und Ende sind hier eins. Er behauptete, daß die Menschen zu allen Zeiten das ursprünglich Vollkommene, was ihnen in einem Menschen nahe tritt, martern und kreuzigen und zu Tode quälen, weil das Dasein des absolut Vollkommenen, des Urmenschen, der nichts will und nichts hat von dem ganzen Trödel, den die Menschheit nachschleppt, dieser ein Gräuel sein muß. Und doch muß die Geschichte von Zeit zu Zeit wiederum erfrischt und begonnen werden von solchen ersten Menschen, die aus dem Urquell des Lebens vollendet erstehen.

Der Collaborator wußte wohl, daß Lorle solchem höchsten Ideale nicht entspreche, aber er hatte eine fast abgöttische Verehrung für die Urthümlichkeit ihres Wesens, [241] gegenüber dem Unfertigen, Ringenden und Halben der Civilisation, ihm hatte der vielverbrauchte Ausdruck, daß sie ein Kind der Natur sei, eine tiefere Bedeutung: er erfand diese Bezeichnung wiederum für sie.

Reinhard bestrebte sich, Lorle und Leopoldine mit einander zu befreunden, er brachte sie oft zu dieser; Lorle war's aber immer unheimlich. Leopoldine hatte die überfließende Redefertigkeit einer Ladenfrau, sie konnte Alles, was sie im Sinn hatte ohne Scheu aufzeigen, wie ehedem ihre Haubenmuster; dabei hatte die Vielgeprüfte etwas Entschlossenes, das sie namentlich ihrem Bruder gegenüber in einer Weise geltend machte, daß es Lorle in der nunmehrigen Zaghaftigkeit ihres Gemüthes wie Schärfe und Härte erschien.

Ueber eine Bemerkung Lorle's freute sich Reinhard einst übermäßig; sie gingen von Leopoldine weg und Lorle sagte: »Ach was schöne Blumen hat die, und so im Winter.«

»Du sollst auch solche haben.«

»Nein, ich mag nicht, ich mein' ich könnt' und ich dürft' mich nicht so freuen, wenn's wieder Frühjahr wird, weil ich so gezwungene Blumen vorher in der Stub' gehabt hab', eh' sie draußen sind. Laß mich lieber warten.«

Reinhard war von dieser Aeußerung so entzückt, daß er wieder einen ganzen Tag der Liebevolle von ehedem war.

An den vielen kleinen Sächelchen auf dem Nipptisch Leopoldinens freute sich einst Lorle wie ein Kind; als ihr Reinhard versprach, auch solche Sachen zu kaufen, [242] sagte sie: »Nein, ich möcht' lieber was Lebiges haben; wenn wir einen Stall hätten, möcht' ich eine Geis oder ein paar Schweinchen haben, oder in meiner Stub' Turteltauben oder einen Vogel.«

Am andern Tage nahm Reinhard die Bärbel mit als er ausging und brachte einen Kanarienvogel in schönem Käfig und Goldfischchen in einem Glase. Lorle war voll Freude und Reinhard erkannte auf's neue, wie leicht dieses anspruchslose Wesen zu beglücken war.

Eines Abends, als Reinhard zum Maskenball beim Minister der Auswärtigen geladen war, ging Lorle in die Theevisite zu Leopoldinen. Auf dem Wege sagte sie zur begleitenden Bärbel: »Ich wollt', ich könnt' bei dir daheim bleiben: ich komm' mir oft vor wie ein Waisenkind, das unter fremden Leuten herumgeschubt wird.« –

Die Bärbel tröstete so gut sie konnte.

Lorle trat zitternd in die Stube. Die Frau Professorin Reinhard, die Kammersängerin Büsching, Frau Oberrevisorin Müller, Frau Handschuhfabrikantin Frank; so stellte Leopoldine die Anwesenden vor. Die Frau Oberrevisorin warf stolz den Kopf zurück, ihr gebührte es, vor der pensionirten Kammersängerin vorgestellt zu werden. Die alte Sängerin unterhielt sich schnell mit Lorle und bald war sie auf ihrem Lieblingskapitel, indem sie von ihren ehemaligen Triumphen erzählte und daß sie die erste hier in der Stadt war, die die Emmeline in der Schweizerfamilie gesungen. Ihre Bemerkung gegen Lorle, daß sie auch Volkslieder sehr liebe, wurde schnell verdeckt, denn nun öffneten sich die [243] Schleußen der Unterhaltung und Alles auf einmal sprach vom Theater, d.h. von dem Haushalt der Schauspieler und Sänger und ihren Liebesbeziehungen. Unversehens lenkte sich das Gespräch auf den heutigen Maskenball. Die Frau Handschuhfabrikantin (deren ganzes Personal, aus dem Ehepaar und einem Lehrling bestehend, Leopoldine zur Fabrik erhoben hatte) konnte die intimsten Nachrichten davon preisgeben; sie klagte nur, daß wenn die Fremden, die Engländer, nicht wären, man wenig Handschuhe mehr verkaufte; sonst habe »ein nobler Herr« zwei bis drei Paar an einem Abende verbraucht, jetzt zögen selbst die Gardeoffiziere, die doch von Adel sind, nur bei den ersten Touren frische Handschuhe an und ersetzten sie dann unversehens durch alte.

Die Frau Oberrevisorin sagte: »Ich würde mich schämen, mich um solche Dinge zu bekümmern.«

Nun brach der Zorn der Handschuhfabrikantin los und sie bemerkte, es gebe viele Handwerksleute, die mehr verdienten als die Angestellten; man wisse wohl, da sei's oft außen fix und innen nix. Leopoldine, die den unverzeihlichen Mißgriff gemacht hatte, eine solche gemischte Gesellschaft zu laden, brachte die Sache schneller als sie hoffen konnte, wieder in's Geleise durch die einfache Frage: Ob wohl die Herrschaft bei dem heutigen Ball sein werde.

»Was ist das, die Herrschaft?« fragte Lorle. Alles sah sie erbarmungsreich an.

»Das ist der Hof, das ist die Herrschaft,« erklärte man von allen Seiten.

Lorle aber entgegnete: »Warum denn Herrschaft?[244] Mein' Herrschaft ist's nicht, ich bin kein Dienstbote, ich hab' meine eigne Haushaltung und ihr ja auch.«

Kichernd und lachend erhob sich Jedes himmelhoch über diese furchtbare Einfältigkeit; selbst die Frau Oberrevisorin konnte nicht umhin, der ihr vorgezogenen Kammersängerin Etwas in's Ohr zu zischeln. Lorle athmete erst wieder frei auf als der Collaborator aus dem Bierhause kam und allerlei Scherze losließ.

»Mein' Lebtag geh' ich nimmer in so eine Gesellschaft,« sagte Lorle auf dem Heimwege zu Bärbel.

Sie fühlte wohl die Erbärmlichkeit eines solchen Lebens, wo man, statt an eigener gesunder Kost sich zu erfreuen, nach den Brosamen und dem Abhub der vornehmen Welt hascht.

Während dieses Abends mußte Reinhard viele ergötzliche Neckereien bestehen; er wurde stets von zwei Masken gehänselt, die ganz in derselben Bauerntracht gingen wie einst Lorle. Anfangs war er erschrocken, denn beide Masken sprachen vollkommen den Dialekt; erst beim Entlarven konnte er in der einen die Gräfin Mathilde und in der andern ihre Gesellschafterin, ein armes adeliges Fräulein erkennen.

Als Lorle ihm am andern Morgen die Ereignisse des gestrigen Abends erzählte, hörte er ihr kaum zu; seine Gedanken tanzten noch auf dem Balle.

Dennoch blieb das Verhältniß zur Gräfin Mathilde ohne Fortschritt, fast auf demselben Punkte, auf dem es begonnen hatte; zumal da sie jetzt, nach Schluß der Saison, wieder mit ihrem Vater auf seine Güter zurückkehrte.

[245]

Fürnehmes Leben, fürstliches Brod

Fürnehmes Leben, fürstliches Brod.

Lorle hatte ein vereinsamtes Leben, denn Reinhard war die meisten Abende außer dem Haus, und trieb sich oft Tage lang auf den Hofjagden umher. Jetzt richtete er sich noch seine Werkstatt in den obern Zimmern des Marstalls ein. Lorle war noch nie dort gewesen.

Der Prinz hatte Reinhard beauftragt, eine Erinnerung an die letzte Fuchsjagd zu malen; auf die Entgegnung Reinhard's, daß er sich nicht auf Jagdstücke verstehe, erhielt er die Antwort: »Malen Sie nur ganz nach Ihrer Eingebung, ich lasse der Kunst gern die vollste Freiheit.«

In unglaublich kurzer Zeit vollführte nun Reinhard ein Werk, das er für sein Bestes hielt; es war eine tiefe Waldeinsamkeit, nur ein Fuchs saß ruhig auf seinem Baue unter den alten knorrigen Stämmen und schaute sich klug um; es war der Verstand des Waldes. Triumphirend ließ Reinhard das Bild auf das Schloß tragen: es mißfiel allgemein. »Das ist ja bloß eine Landschaft,« hieß es, man hatte mindestens die Abbilder der Hauptjäger und ihrer Hunde erwartet.

Das war also die »vollste Freiheit« der Kunst, und doch sollte nach Reinhard's Ansicht das monarchische Princip ihre einzige Stütze sein. Verstört und ingrimmig ging er umher.

Zu Hause war auch des Elendes genug und gerade in seinem Berufe hatte er die Erlösung gesucht. Er hatte ein gut Theil jener Unabhängigkeit verloren, die in [246] dem eigenen Bewußtsein sich erhebt; seine gesellschaftliche Stellung verlangte nothwendig die Anerkennung als Künstler.

Die Bärbel kränkelte und Lorle jammerte viel, daß sich die Diensteifrige keine Ruhe gönne. Reinhard bemerkte einmal, die Bärbel solle wieder heimkehren; da weinte Lorle so bitterlich, daß er sie nur mit vieler Mühe beruhigen konnte. Er ließ Lorle immer mehr für sich gewähren, und wenn er dann oft plötzlich an ihr schulte, setzte sie ihm eine störrige Unnachgiebigkeit entgegen. Sie war ihm demüthig ergeben, so lang er sich ihr vollauf widmete, ihr ganzes Tagewerk war oft nur ein Warten auf ihn, manche Arbeit kam ihr nur wie einstweilige Unterhaltung bis zu seinem Wiederkommen vor; nun aber, weil er sonst wortkarg und mürrisch war und fast nur sprach, wenn er Etwas zu tadeln und zu lehren hatte, hörte sie seine Auseinandersetzungen an ohne ein Wort zu erwidern. Reinhard fühlte sich dadurch oft im Tiefsten unglücklich.

Die Bärbel erkannte mit schwerer Bekümmerniß, wie so bald das einige Leben der Eheleute sich schied; sie suchte Lorle auf allerlei Weise zu beruhigen, und ihr Haupttrost war: »Es wird schon Alles besser gehen, wenn du einmal ein Kind hast.«

Da warf sich Lorle weinend an ihre Brust und sagte:

»Ich fürcht', ich fürcht', das wird nie geschehen; ich hab' mich versündigt, ich hab' ein Kind, das den Heiland vorstellt auf den Schoos nehmen müssen, wie er mich damals abgemalt hat. Ich hab's nicht thun wollen, [247] er hat's aber gewollt; Gott wird doch barmherzig sein und mir mein' Sünd' vergeben.« –

Die Bärbel suchte ihr die schweren Gedanken auszureden, glaubte aber selbst mehr daran als die Unglückliche selber.

Als Reinhard einmal wieder auf einen ganzen Tag zur Jagd gegangen war, machte sich Lorle die heimliche Freude und half der Bärbel bei der Wäsche; beim Auswinden derselben drehte Lorle zuerst einen Ring und die Bärbel versäumte nicht, den alten Waschweiberglauben anzubringen, daß Lorle sich eine Wiege drehe; Lorle spritzte nun der Bärbel einige Tropfen in's Gesicht und ging in die Stube.

Eine allerhöchste Laune brachte Lorle unversehens in Berührung mit dem Gesellschaftskreise Reinhards. Ungewöhnlich früh kam dieser eines Abends nach Hause und verkündete, daß der Prinz Lorle zu sprechen wünsche und daß sie daher andern Tages mit ihm auf die Gallerie gehen müsse; daß man begierig war, das Urbild der Madonna zu sehen, verschwieg er wohlweislich.

»Ich mag aber nicht, ich hab' nichts beim Prinzen zu suchen,« entgegnete Lorle.

»Ja, Kind, das geht nicht, einem fürstlichen Wunsche muß man gehorchen, sonst beleidigt man; da wird man nicht vorher gefragt und ich hab's nun auch einmal versprochen.«

»Wenn er noch eine Frau hätt', aber so zu einem ledigen Bursch', weil er's g'rad will!«

»Wie einfältig! Es ist vollkommen schicklich, ich geh' ja mit,« sagte Reinhard heftig; Lorle sah auf und[248] schwere Thränen hingen in ihren Wimpern. Reinhard faßte ihre Hand und sagte: »Sei nicht bös, sei gut, glaub' mir du verstehst das nicht, darum folge mir, du kannst's immer.«

»Ja, ja, ich will's ja thun, aber ich darf doch auch was sagen. Wenn das so fortgeht, weiß ich gar nicht mehr, ob ich nicht närrisch bin, ich ... ich weiß gar nicht mehr, bin ich denn noch und was soll ich denn?«

Als ihr Reinhard Trost einsprach, entgegnete sie: »Gieb jetzt du nur Fried', es ist Alles gut, ja, ich bin zufrieden, sei du's nur auch; aber ich wollt', die ganz Welt ließ' mich in Ruh, ich will ja auch nichts von ihr.«

»Du bist mir doch nicht mehr bös?«

»Nein und zehnmal nein, ich thu' ja was du willst, aber laß mich nur auch reden.«

Reinhard ging nun in das Haus des Collaborators und bat Leopoldine, am andern Morgen zu ihm zu kommen und Lorle für die Audienz vorzubereiten; dann schloß er sich dem Collaborator an und ging mit ihm nach seinem ständigen Bierhause, wo in einem kleinen Stübchen mehrere jüngere Advocaten, Aerzte, Kaufleute und Techniker wohlgemuth beisammen saßen, rauchten, tranken und plauderten. Anfangs war ein stummes Erstaunen, den »Civilcavalier« in der Kneipe zu sehen; dann aber nahm das Gespräch seinen ungehinderten Verlauf. Die tiefsten Fragen von Welt und Zeit wurden hier mit einer Schärfe und Eindringlichkeit, mit einem Feuer verhandelt, daß Reinhard im Stillen bemerken mußte, wie hier die frischeste [249] Lebendigkeit herrschte, weil Jeder bot, was ihn bewegte, weil man überhaupt nicht auf Unterhaltung ausging; es kam ihm vor, daß im glänzendsten Salon in einem Monat nicht so viel ursprünglicher Geist laut werde, als jetzt hier in dem kleinen, spärlich erleuchteten Stübchen. Das Laute und die Derbheit mancher Formen war ihm wieder neu und fremd, denn er kam aus den Kreisen, wo man flüstert und lächelt und nicht streitet und lacht. An einem monarchischen Mittelpunkte fehlte es indeß auch hier nicht, und seltsam genug war dies der Collaborator; seine machtvolle Stimme und sein ausgebreitetes Wissen sicherten ihm diese Würde ohne alle Etikette. Reinhard blieb länger als er gewollt hatte, er war wie in einer fremden Stadt: dort war ein Menschenkreis voll wirklicher und eingebildeter Interessen, der nie aus sich heraustrat und sich geberdete, als ob er allein die Welt sei und so dem Geringfügigsten, einem Anreden oder Uebersehen, einem halben oder einem ganzen Lächeln eine Bedeutung beilegte. Und hier – hundert Schritte davon lebten Menschen aus einem andern Jahrhundert, die sich im Kampfe erhitzten, als ob sie vom Forum, aus der Volksversammlung kämen oder sich darauf vorbereiteten.

Wenn er an Lorle dachte, befiel ihn eine unerklärliche Angst; er meinte, es geschehe zu Hause ein großes Unglück, das Haus brenne ab und jeden Augenblick müsse man die Sturmglocke hören; dennoch saß er wie festgebannt. Ahnte er vielleicht, in welchen schweren Gedanken Lorle in Schlaf gesunken war? Als er endlich nach Hause kam, athmete er leichter auf; da [250] stand wie immer das Oellämpchen auf der Treppe; er ging leise in die Kammer. Lorle schlief ruhig, er betrachtete sie lange, sie sah so heilig aus in ihrem Schlafe, fast wie damals als er sie zum Erstenmal auf der Laube wiedergesehen, nur lag jetzt ein Zug des Schmerzes auf ihrem Antlitz und ihre Lippen zuckten öfters.

Ein Außerordentliches geschah. Reinhard war am andern Morgen früher auf als Lorle, er hatte die Schlüssel gefunden und legte nun die Kleider zurecht, die sie anziehen sollte. Als er so über Kisten und Kasten kam, lobte er im Stillen die Ordnungsmäßigkeit seiner Frau; er freute sich auf ihren Dank für seine Vorsorglichkeit und ging immer auf den Zehen umher; es war ihm so leicht als würde er getragen.

Als Lorle erwachte und die Kleider sah, rief sie: »Was hast du gemacht? Ich bitt' dich um der tausend Gotts willen, überlaß mir Alles ganz allein. Denk nur nicht immer, daß ich gar nichts versteh'. Du hast mir gewiß Alles untereinander gekrustet. Ich bitt' dich, laß mich Alles allein in Richtigkeit bringen.« –

In Reinhard wogte und brauste es, er hielt aber an sich und ging in die Stube; dort stand er eine Weile, die Stirn an die Fensterscheibe gedrückt, in tiefem, namenlosen Schmerz. Schnell nahm er dann Hut und Stock und ging davon. Es war ein frischer Morgen, im Schloßgarten blühten die Blumen so schön und die Vögel sangen so lustig, unbekümmert in wessen Garten sie sich so laut machten, und ob die Bäume, in deren Zweigen sie saßen, einen Titel angehängt hatten [251] oder nicht. Reinhard sah und hörte nichts; es kam ihm vor, als ob Jemand leibhaftig ihm das Wort aus Hebels Karfunkel in's Ohr geraunt hätte: »Los, du duursch mi ... mittem Wibe hesch's nit troffe;« 1 er suchte das Wort wegzubannen, aber es kam immer wieder und sprach sich von selbst.

Als er heimgekehrt war, sagte er zu Lorle: »Wir wollen gut sein.«

»Ich bin ja nicht bös,« entgegnete sie.

»Nun, es ist jetzt eins, ich bin gewiß viel Schuld, aber laß Friede sein.«

Dieser war nun auch bis Leopoldine kam. Sie half Lorle ankleiden, lehrte sie einen Knicks machen und wie man den Kronprinzen anreden müsse. Lorle schien zu Allem willig; als aber Leopoldine sich entfernt hatte, riß sie Haube und Chemisette herunter und sagte: »Ich geh nicht, ich geh' nicht, ich bin kein Staarmatz, und du läßt'st auch einen Narren aus mir machen und ich merk's wohl: wenn man mich dumm macht und da werd' ich immer schlechter, und ich bin so jähzornig und so ungeduldig ... Guter Gott! Was soll denn aus mir werden?«

Sie weinte laut auf. Reinhard sagte mit thränengepreßter Stimme: »Nichts, du sollst nichts Anderes werden, bleib du das gute Kind.«

»Ich bin kein Kind, das hab' ich dir schon hundertmal gesagt. Jetzt will ich mich aber ordelich anziehen, und du wirst sehen, ich mach' keinen Unschick.«

[252] Endlich gingen sie miteinander zur Gallerie. Reinhard wagte es kaum mehr, Lorle eine Verhaltungsregel zu geben. Als sie nun hier zum Erstenmal die Werkstatt Reinhards sah, erschrak sie über die grausige Unordnung; sie wollte scheuern und kehren, mußte aber der dringenden Bitte nachgeben, sich doch ruhig zu verhalten und ihre glänzenden weißen Handschuhe zu schonen. Vor Unruhe konnte sie keine Minute still sitzen, eine fieberische Aufregung durchwogte sie, sie wollte sich nicht verblüffen lassen, sondern dem Prinzen zeigen, daß sie auch nicht auf den Kopf gefallen sei, und zugleich Reinhard beweisen, wie sie mit Jedem reden könne, sei er wer er wolle. Mit Bangigkeit bemerkte Reinhard diese Erregung, er ahnte die gewaltsame Hast und Unruhe in Lorle und daß sie diesem Ereignisse gegenüber die Unbefangenheit und Harmlosigkeit ihres Wesens aufgegeben; aber er hatte die Zügel verloren, um dieses Naturell zu halten, er konnte nichts thun, als um Ruhe bitten. Endlich wurde der Prinz gemeldet und man ging nach dem großen Salon. Man mußte hier noch eine Weile warten, und dieses Kommenlassen, Warten, Melden und Wiederwarten machte Lorle doch etwas bang; sie meinte, es müsse jetzt etwas ganz Besonderes vorgehen.

Der Prinz trat in Militärkleidung rasch ein und auf die sich verbeugende Lorle zu. In leutseligem Ton sagte er: »Seien Sie willkommen, Frau Professorin.«

»Schön' Dank, Herr Prinz, Königliche Hoheit.«

»Nun, wie gefällt es Ihnen bei uns in der Stadt?«

[253] Lorle hatte, trotz der scharfen Blicke Reinhards, schnell ihre Handschuhe abgestreift; sie wußte, daß sie so besser reden konnte, und sie sagte: »Wo man verheirathet ist, da muß es Einem gefallen; es ist auch recht schön und sauber hier, aber so himmelhohe Häuser.«

»Ich habe schon oft gedacht,« begann der Prinz wieder, »die Bauern sind doch die glücklichsten Menschen auf der Welt.«

»Da hat der Herr Prinz Hoheit unrecht, das ist nicht wahr; man muß schaffen wie ein Taglöhner und Steuern zahlen mehr als ein Baron, sagt mein Vater.«

Reinhard stand wie auf Kohlen; das war unerhört, daß man einem Prinzen sagt: das ist nicht wahr.

Der Prinz fixirte Lorle lächelnd, dann lenkte er ab und sagte, auf die Madonna anspielend: »Ich habe Sie schon früher gesehen, Frau Professorin.«

»Freilich, erinnert sich der Königliche Hoheit noch, wie wir klein gewesen sind? Er ist g'rad acht Wochen älter als ich, ich weiß seinen Geburtstag wohl, wir haben allemal an selbem Tag eine Bretzel in der Schul' kriegt. Weiß er noch, wie er durch unser Dorf kommen ist? Er hat dazumal lange blonde Locken gehabt und einen gestickten Kragen in Hohlfalten gelegt; damals haben wir uns daheim gesehen. Ach Gott! wir haben drei Wochen vorher von nichts Anderem gered't und träumt als: der Prinz kommt durch's Dorf! Den Nachmittag vorher war kein' Schul' und an dem Tag erst recht nicht, und wie wir jetzt Alle da gestanden sind mit Sträuß', und der Martin ist oben auf dem [254] Thurm, und wie der Prinz auf unser' Gemarkung kommt, da haben alle Glocken geläut't und da hat man mit Böllern geschossen, und wir Kinder sind alle auf dem Platz in die Höh' gesprungen, und der Lehrer hat gerufen: still! ruhig! Und jetzt hat man bald gehört, wie die Kutsch' kommt, und da hab' ich aufpassen wollen, daß ich Alles seh', da geht mir grad mein Schurzbändel auf; ich werd' aber noch fertig, und da kommt er und hält: grad' neben uns, und des Luzian's Bäbi hat ein Gedicht an ihn hingesagt, und da haben wir Kinder alle: Vivat hoch! gerufen, und rrr! fort ist der Prinz und hat noch sein Käpple mit der Troddel d'ran gelüpft, und da haben wir ihm unsere Sträuß' nachgeworfen, und da sind die Hofwagen kommen und sind über unsere Sträuß' weggefahren.«

Der Prinz sagte mit sichtbarer Rührung: »Hätte ich damals gewußt, daß Sie da sind, ich wäre ausgestiegen; ich wollte, Sie wären dort meine Jugendgespielin gewesen.«

»Ja, das wär' schon angangen. Ich hab' rechtschaffen Mitleid mit ihm gehabt, er hat doch auch ein arm's Leben gehabt, gar kein' Minut' für sich, 'naus in Wald oder in's Dorf. Wie er da auf der Saline blieben ist, da haben sich immer lauter große alte Leut' an ihn gehängt und er ist kein' Minut' allein gewesen. Weiß der Hoheit denn auch, wie ein Baum im Wald aussieht, wo kein Kammerdiener dabei ist?«

Der Prinz drückte Lorle die Hand und sagte: »Sie sind ein vortreffliches Wesen. Ja, gute Frau, es ist eine schwere Jugend, die eines Fürsten.«

[255] »Nun, so arg ist's g'rad nicht, es muß sich doch ertragen lassen, man sieht ihm just nichts an, daß es ihm so übel gangen ist; aber ich hab' auch wegen dem Herr Prinz Hoheit Ohrfeigen kriegt und es ist mir Alles im Angedenken blieben.«

»Wie so das?«

»Wie der Hoheit auf der Saline blieben ist, da bin ich mit meiner Bärbel auch 'nunter und wir sind draußen am Gitter gestanden, und er ist drinnen im Garten spaziren gangen, und da ist ihm sein Schnupftuch auf den Boden gefallen, und da ist ein steinalter Mann mit weißen Haaren, von denen bei ihm, hingesprungen und hat ihm's aufgehoben; und da hat die Bärbel gesagt: der wird auch in Grundsboden 'nein verdorben, und da hab' ich gesagt: wenn ich ein Prinz wär', ich thät' den ganzen Tag alles wegschmeißen, daß mir's die alte Leut' mit denen Stern' auf der Brust aufheben müßten – und da hat mir die Bärbel ein paar tüchtige Ohrfeigen geben. Nun, mir hat's nichts g'schad't, und dem Herr Prinz Königliche Hoheit sagt man auch viel Gutes nach.«

»Sie machen mich glücklich, da Sie mir sagen, daß meine Unterthanen gut von mir denken.«

»Ich hätt's doch mein Lebtag nicht glaubt, daß ich so mit dem Prinz Hoheit reden könnt', und jetzt möcht' ich ihm doch auch noch was sagen.«

»Reden Sie nur frei und offen.«

»Ja guter himmlischer Gott! Wenn ich's jetzt nur auch so recht sagen könnt'. Der Prinz Hoheit sollt's nur selber sehen, wie schrecklich viel Noth und Armuth [256] im Land ist, und da mein' ich, da könnt' er helfen und da müßt' er auch.«

»Wie meinen nun Sie, daß geholfen werden soll?«

»Ja wie? das weiß ich nicht so, dafür ist der Hoheit da und seine g'studirten Herren; die müssen's wissen und eingeschirren.«

»Sie sind eine kluge und brave Frau, es wäre zu wünschen, daß Alle in Ihrer Heimath Ihnen gleichen.«

»Mein Vater sagt: wenn man Hirnsteuer bezahlen müßt', da kämen wir auch nicht leer davon. Jetzt mach' der Hoheit nur, daß er auch bald eine ordeliche Frau kriegt; ist's denn wahr, daß er bald heirathet?«

In der Pause, die nun eintrat, wechselte Verlegenheit und heiteres Lächeln schnell im Antlitz Reinhard's. Daß Lorle den Prinzen mit Er anredete, erkannte er als beirrende Folge der ihr eingeübten Titulaturen; das letzte aber war nicht nur der ärgste Verstoß, daß man einen Fürsten irgend Etwas fragt, da er vielleicht nicht antworten kann oder will, sondern Lorle sprach hier geradezu Etwas aus, was man selbst in den höchsten Kreisen nur mit den vorsichtigsten diplomatischen Umschweifen zu berühren wagte, weil ein Korb in der Schwebe hing.

Der Prinz aber erwiderte: »Es kann wohl sein; wenn ich eine so nette, liebe Frau bekommen könnte, wie Sie sind.«

»Das ist Nichts,« entgegnete Lorle, »das schickt sich nicht; mit einer verheiratheten Frau darf man keine so Späß machen. Ich weiß aber wohl, die großen Herren machen gern Spaß und Flattusen.«

[257] Schließlich beging nun Lorle den ärgsten Verstoß, denn sie verabschiedete sich, indem sie sagte: »Jetzt b'hüt' Gott den Herr Prinz Hoheit, und er wird auch zu schaffen haben.«

Eben als sie die Hand zum Abschied reichte, kam der Adjutant mit der Meldung, daß die Revue beginne; der Prinz und Reinhard geleiteten Lorle bis an die Thür.

»Herr Professor!« rief Ersterer noch. Reinhard kehrte um und stand wie elektrisirt, als müßte jeder Nerv zuhören; der Prinz fuhr fort: »Kennen Sie den köstlichsten Kunstschatz, den wir auf der Gallerie haben?«

»Welchen meinen Königliche Hoheit?«

»Ihr Naturschatz ist der größte.«

Dieses hohe Witzwort verbreitete sich durch den Mund des Adjutanten in »den höchsten Kreisen«, Lorle ward hierdurch einige Tage Gegenstand allgemeiner Besprechung.

Die Audienz vollendete aber auf eigenthümliche Weise den innern Bruch zwischen Reinhard und dem Hofe; es kränkte ihn, daß man nach der Hofweise diesen Besuch zu einer abgemessenen Zwischenstunde der Unterhaltung angesetzt, während er für ihn und seine Frau die innersten Lebensfragen aufgeregt hatte. Dies gestand er sich offen, keineswegs aber das, wie er nicht die Kraft gehabt, sein häusliches Heiligthum dem Hofe zu entziehen.

Bei Tische sagte Lorle: »Der Prinz ist doch lang' nicht so stolz wie unser Amtmann.«

»Woher weißt du das? Du hast ihn ja gar nicht zu Wort kommen lassen.«

[258] »Es ist wahr, ich bin so in's Schwätzen 'neinkommen, ich hab' mich nachher auch darüber geärgert, aber es schad't doch nichts.«

»Du mußt dich überhaupt mehr mäßigen.«

»Ja, was soll ich denn machen?«

»Nicht überall gleich den Sack umkehren, mit Kraut und Rüben.«

Lorle war still, sie glaubte ihren Fehl genugsam eingestanden zu haben, den letzten Tadel meinte sie nicht zu verdienen, da sie mit dieser Allgemeinheit überhaupt nichts anzufangen wußte.

Reinhard dagegen war voll Trauer, daß Lorle dieses Sichgehenlassen selbst fremden Menschen gegenüber nicht eindämmen konnte; es kam ihm jetzt vor, daß sie weit mehr geplaudert habe als eigentlich der Fall war; es ärgerte ihn, daß Jeder mit herablassendem Wohlwollen diese Naivität beschauen und vielleicht bespötteln könne. Er ahnte, daß dieses offene, rückhaltslos zutrauliche Wesen nothwendig der Dorfumgebung bedurfte, in der fast Niemand, mit dem man in Berührung tritt ein Fremder ist, wo die Thüren überall unverschlossen, wo man bei Nachbarn und im ganzen Dorfe aus- und eingehen mag wie zu Hause, wo man sich kennt, und zwar von Jugend auf mit all' den Eigentümlichkeiten von Naturell und Schicksal. –

So leicht verblendet einmal eingerissenes Mißverständniß, daß Reinhard, statt aus dem letzten Ereignisse Hochachtung vor der unzerstörbaren Naturkraft seiner Frau zu gewinnen, darin eine spröde, alle Bildungselemente abstoßende Halsstarrigkeit beklagte.

[259] Lorle selber fühlte auch immer mehr, ohne sich's zur Klarheit bringen zu können, daß sie in einer fremden Welt war. Das ganze Leben einer solchen anhangslos aus der Fremde in die Stadt versetzten Frau ist durchaus auf ihre Häuslichkeit beschränkt, die ganze Welt um sie her geht sie nichts an; nur eine allgemeine Bildung mag auch hier bestimmte Anknüpfungen finden lassen, denn sie verbindet mit Men schen, die auf fernen Bahnen wandelnd doch dieselben allgemeinen Lebenseindrücke, dieselben Interessen in sich hegen. Lorle dünkte sich selber oft erschreckend verstandesarm, ihr Scharfblick und ihre Klugheit konnten sich nur offenbaren, wenn sie von Bekannten, von Menschen sprechen konnte; daheim war sie viel klüger gewesen. Nothwendig und natürlich kam sie daher in Ermangelung der gemeinsamen Bekannten oder der Allgemeinheiten dazu, daß sie leicht von sich sprach oder ihre ganze Eigenthümlichkeit offenbarte; sie konnte nicht anders, sie mußte auch in der neuen Umgrenzung sich frei walten lassen. –

Eine Lerche, gewohnt und geschaffen hinanstrebend im weiten Raum ihren Gesang erschallen zu lassen, lernt auch im engen Käfig singen wie in der Freiheit, aber am Gitter stehend bewegt sie ihre Flügel in leisem Zittern während sie singt, und nie wird sie zahm, jeder betrachtende und forschende Blick macht, daß sie in wildem Aufruhr sich gegen die Umgitterung wirft und stemmt; sie verstummt und will entfliehen.

So hatte das letzte Ereigniß nach zwei Seiten hin vielleicht tödtliche Keime angesetzt oder längst vorhandene dem Bewußtsein mehr geöffnet.

[260] Nun aber war noch über ein sichtbar erschüttertes Leben zu wachen. Die Bärbel konnte endlich doch das Bett nicht verlassen, Lorle wußte und kannte von nun an nichts mehr, als die Pflege der Getreuen; sie hatte auch die Freude, sie bald wieder genesen zu sehen. Der Arzt erklärte, daß es der Bärbel vielleicht an ermüdender Arbeit in freier Luft fehle, und Reinhard drang nun darauf, daß sie heimkehre; aber zur Freude Lorle's erklärte die Bärbel, daß sie lieber sterben wolle als Lorle verlassen. Bei der anderweit erregten Verstimmung ward nun für Reinhard seine Häuslichkeit immer weniger erquickend, er war es überdrüssig ein Hauswesen zu haben, in dem alle Sorgfalt sich wesentlich auf die Dienstmagd bezog; Lorle durfte er nichts davon mittheilen, denn er war fest überzeugt, sie könne seine Stimmung nicht begreifen, sie werde ihn nothwendig mißverstehen.

Die Bärbel sollte nun ärztlicher Verordnung gemäß oft spaziren gehen, Lorle begleitete sie bisweilen, nöthigte sie aber auch, sich allein aufzumachen; in diesem Falle aber kam sie bald wieder zurück und sagte: »Ich kann nicht so herumlaufen, ja, wenn ich ein Kind zu tragen hätt' da ging's noch, aber so? Ich lauf' die Allee hinauf wie wenn ich wunder was schnell holen müßt', und da kehr' ich doch wieder leer um und da schäm' ich mich.« –

Als im Herbst die Blätter von den Bäumen fielen, sank die Bärbel wieder auf das Krankenlager und nach wenig Tagen war sie todt.

Der Jammer und der Kummer Lorle's war unbeschreiblich. Reinhard theilte ihren Schmerz, aber es[261] ward ihm doch zu viel, daß die Klagen über die Verstorbene immer und immer wiederkehrten und kein Ende nehmen wollten; auch sollte er nun mithelfen und sorgen bei Mißhelligkeiten mit den neuen Dienstboten.

Ein trüber Winter kam heran. Reinhard wurde weniger in die »Gesellschaft« gezogen, er war keine neue Erscheinung mehr und noch dazu offenbar mißgestimmt. Was kümmert sich die Gesellschaft um ein betrübtes Dasein? Sie will nur die Heiterkeit und sei sie auch eine erlogene. Und nun gar die vornehme Welt! Sie kennt die Menschen nur, da sie in Glück und Glanz stehen. Anfänglich verdroß Reinhard diese Zurücksetzung, dann aber war's ihm erwünscht, so vielfacher Störung los zu sein; er blieb indeß nicht zu Hause, sondern schloß sich dem Collaborator und dessen Kreis öfter an. Die beiden Freunde durchsprachen oft den Plan zu einem satyrischen Bilderwerk. Reinhard entwarf treffliche Zeichnungen zu demselben, aber der Collaborator kam nie dazu, den Text zu schreiben. Wenn Reinhard nicht umhin konnte, dennoch eine der früheren Gesellschaften zu besuchen, so machte er sich bald wieder davon und kam im Ballanzuge in das raucherfüllte Bierstübchen, wo er bis spät in die Nacht sitzen blieb und dann oft noch stunden lang mit dem Collaborator durch die menschenleeren Straßen wandelte.

Mit dem Prinzen stand Reinhard noch im alten Verhältnisse, er fehlte nie in den kleinen Cirkeln, die der junge Fürst um sich versammelte; aber auch hier fand er Mißbehagen genug.

[262] »Es ist erbärmlich,« klagte er häufig dem Collaborator auf ihren nächtlichen Gängen: »ich kann mich oft vor Ingrimm nicht halten, wenn ich sehe, welche Bedientenhaftigkeit gegen Ausländer an unseren Höfen herrscht. Wir Eingebornen, wir Deutschen, müssen Adelige oder ausnahmsweise Bürgerliche von einer Auszeichnung des Talents sein, um bei Hof Eingang zu finden; jeder englische Stiefelputzer aber ist hoffähig, weil er eine weiße Halsbinde trägt und englisch spricht. Man muß froh sein, wenn nicht dem Fremden zulieb Alles den ganzen Abend Englisch quatscht. Diese Travellers haben Recht, wenn sie ganz Deutschland wie einen einzigen Lohnbedienten ansehen; beginnen ja die Höfe mit Schändung der Nationalehre.«

Der Collaborator erwiderte: »Laß doch die da drüben auf ihrem drapirten, wurmstichigen Gerüste treiben was sie wollen, die Weltgeschichte kümmert sich nicht mehr darum; sie legt neue Bahnen und die besuchtesten Straßen werden leer stehen. Ich bin kein Freund der Engländer, ich halte sie für die gottloseste Nation auf Erden, trotz und in Folge ihres steifen Kirchenthums. Jeder Engländer hat aber das Recht, sich bei uns als Adeliger zu gebärden, die Geschichte seiner Nation ist die Geschichte seiner Ahnen, die Größe seiner Nation ist die Größe jedes Einzelnen, und wir, wir sind Privatmenschen, mit und ohne Familienwappen.«

In solchen Gesprächen wandelten die Freunde oft bis tief in die Nacht hinein; die Nachtwächter sahen staunend die sonderbaren Schwärmer.

Immer vereinsamter ward Lorle; eine unnennbare[263] Sehnsucht, ein Heimweh regte sich in ihr, aber sie kämpfte, es nicht aufkommen zu lassen. Oft gedachte sie jener Stunde nach der Hochzeit, wo sie Gott gelobet hatte, Alles freudig über sich zu nehmen, da sie so unendlich beglückt war. Jetzt fühlte sie, wie schwer es ist, um eine selige Stunde ein langes banges Leben hinzukümmern; es gebrach ihr an Kraft zu solchem Opfer, weil sie fürchtete, daß sie den Andern, dem sie es brachte, vielleicht nicht damit beglücke. Sie geizte nach einem freundlichen Worte Reinhard's, ein kleines Lob von ihm erhob und erkräftigte sie wiederum; sie bedurfte einer Anerkennung, seiner vor Allen. Wie Reinhard die Sicherheit des Selbstbewußtseins in seinem künstlerischen Lebensberuf, so schien sie solche in ihrem Charakter verlieren zu wollen; sie horchte hin nach anerkennendem Zuruf von außen. Die Verstörtheit Reinhard's steigerte noch ihr Wehe, er stand ihr so hoch, so erhaben über allen Menschen, daß sie der ganzen Welt zürnte, die ihm so viel zu schaffen machte und ihn quälte. In ihrer Fürsorge für ihn bekundete sich eine solche Unterthänigkeit, solch' ein krankenwärterisches Nachgeben, daß er sie oft mit stiller Wehmuth betrachtete.

Warum konnte er nicht glücklich sein?

Wie oft müht und peinigt man sich im kleinen und vereinzelten Leben und sucht ein Nothwendiges mit quälender Angst, und am Ende liegt es bei ruhigem Blicke vor uns offen und frei; es ist als ob ein Dämon uns früher geblendet und verwirrt hätte. Geht's wohl auch im großen, ganzen Leben so?

[264] Reinhard versuchte es, Leopoldine und seine Frau einander zu nähern, aber diese versicherte, daß sie gern allein, daß es ihr so am wohlsten sei. Tage und Wochen lang saß Lorle am Fenster bei dem Vogelbauer und strickte Strümpfe, deren Arbeitserlös sie den Ortsarmen in der Heimath schickte.

Zur Fastnachtszeit gewann sie eine neue, schwere, für sie aber doch erhebungsvolle Thätigkeit. Die Magd erzählte, daß in dem Stockwerk unter ihnen die Frau des Kanzleiregistrators, eine Mutter von fünf Kindern, an der Auszehrung darniederliege und daß Jammer und Noth in der Familie herrsche. Lorle kannte die Leute nicht, sie stand nur einen Augenblick still am Fenster, mit einem Entschluß kämpfend; dann ging sie hinab, klingelte und sagte, sie müsse zur Frau Registrator; dieser bot sie nun Hülfe und Beistand an. Die Kranke hob die durchscheinigen Hände auf und faltete sie mit innigem Dank. Lorle verweilte nicht lange beim Reden, sondern ging alsbald durch Küche und Kammer und ordnete Alles. Von nun an war sie ihre ganze freie Zeit, und das war der größte Theil des Tages, bei der Kranken und ihren Kindern, die mit Liebe an ihr hingen; sie waltete überall als wäre sie die Schwester der Mutter. Die Kranke war eine Frau voll ruhigen schönen Verständnisses für das Wesen Lorle's, da sie dieselbe nicht zuerst durch Reden und Unterhalten, sondern frischweg durch die That kennen lernte; ohne Ahnung ihrer baldigen Auflösung sagte sie immer, wie glücklich sie sei, eine solche Freundin gefunden zu haben und wie schön sie nach ihrer [265] Genesung mit einander leben wollten. Lorle entnahm hieraus einen ganz besondern Trost: eine Stadtfrau hatte sie doch auch verstanden und ihr solche Liebe zugewendet.

Unterdeß gewann die Stimmung Reinhard's eine immer trübere Färbung. Er hatte seit den Universitätsjahren nie so lange mit dem Collaborator gelebt als jetzt; der ätzende Geist des Gelehrten, der immer schärfer wurde, übte einen störenden und verwirrenden Einfluß auf das künstlerische Dichten und Trachten Reinhard's. Im Glück und in der Freiheit wäre er stark genug gewesen, alle Störung von sich abzuschütteln, nun aber bemächtigte sich seiner oft eine nie dagewesene Grämlichkeit und Weichheit, so daß er waffenlos erschien. Wollte er Etwas beginnen oder ausführen, sah er eitel Mangel und Halbheit darin.

Der Trost des Collaborators war ein trauriger, denn er bestand darin, daß in unseren Tagen Alles was gesundes Leben in sich hat, nur negativ sein könne, daß es darum keine Kunst geben könne, bis eine neue positive Weltordnung erobert sei; was sich heute noch zur Kunst gestalten könne, bestände nur noch in Reminiscenzen der vergangenen und noch nicht völlig aufgezehrten positiven Welt. Diese Ansichten verfocht er mit unläugbarem Scharfsinn, und so sehr sich auch Reinhard dagegen stemmte, sie kamen ihm doch in die Quere bei mancherlei neuen Entwürfen; er wendete sich daher wieder ganz der Landschaft zu – das Naturleben blieb doch stetig und fest – innerlich aber trauerte er dennoch um das verlassene Menschenleben. Dazu kam, daß [266] eben dieses ihn von anderer Seite vielfach in Anspruch nahm, und zwar auf die unerfreulichste Weise; er mußte bald bei Hofe, bald in den anschließenden Kreisen lebende Bilder stellen, Maskenzüge ordnen, und all dies Treiben ekelte ihn an. Konnte er Lorle von den Kämpfen um das innerste Wesen seines Lebensberufes Etwas mittheilen?

Sonst, wenn ihm die Mißlichkeiten des Lebens zu nahe rückten, flatterte er davon, ließ all das kunterbunte Treiben hinter sich und vergrub sich still in den Bergen; jetzt war er festgebunden ...

Der Frühling nahte, die Frau des Registrators fühlte sich immer freier, und doch war sie nur noch ein Schatten. Lorle hatte manchen Aerger am Krankenbette, besonders über das singende Mädchen gegenüber; das sang und klimperte fort, mochte daneben ein Mensch sterben und verderben. Lorle konnte sich noch immer nicht in die Welt finden, wo Jubel und Todesschmerz Wandnachbarn sind und doch geschieden wie ferne Welten. –

Bis zum letzten Athemzuge der Kranken harrte Lorle bei ihr aus und drückte ihr die Augen zu. Nun hatte sie wieder eine Befreundete zur Erde bestattet, die Sorge für die Kinder blieb ihre unausgesetzte Pflicht. Im ganzen Haus und in der Nachbarschaft hatte man vernommen, wie aufopfernd und edel Lorle gegen die Verstorbene und deren Familie gehandelt; sie gewann sich dadurch eine stille Achtung und Liebe. An manchem Gruß von ehedem stummen Lippen, an manchem ehrerbietigen Ausweichen auf Treppe und Hausflur [267] merkte dieß Lorle, und es erquickte sie im tiefsten Herzen. Oft dachte sie: »die Menschen sind doch überall gleich, nur kennen sie in der Stadt einander nicht. Vielleicht ist da eine brave Nachbarin, der es lieb wäre wenn ich zu ihr käme, aber wir wissen nichts von einander.«

Wer sollte es aber glauben, daß Lorle ein geheimes und dauerndes Verhältniß zu einem fremden Manne hatte?

Die Kanzlei, dem Hause gegenüber, war vollendet und bezogen. Wenn nun Lorle des Morgens ihren Vogel vor das Fenster hing, öffnete sich gerade gegenüber in der Kanzlei ein Fenster; ein Mann mit wenigen schneeweißen Haaren erschien und begoß seine Blumen, die auf dem äußersten Fenstersims standen. Er sah dann starr nach Lorle, bis ihr Blick ihn traf, er nickte freundlich, sie antwortete mit demselben Gruß und zog sich schnell in ihre Stube zurück; sie konnte nicht unwirsch gegen den guten alten Mann sein, er stellte ihr so schöne Blumen gegenüber, und sie schickte ihm dafür lustigen Vogelsang in die actenstille Stube. Eines Morgens räumte der alte Mann seine Blumen weg und stand, die linke Hand unter die Batte seines Rockes gestemmt, mit glänzendem Gesicht da, nach Lorle hinüberschauend, etwas Farbiges prangte auf seinem Rocke; als ihn Lorle endlich erschaute, nickte er zweimal. Von diesem Tage an ward er nicht mehr gesehen, Lorle wußte nicht, was aus ihm geworden war; hätte sie das Regierungsblatt gelesen, so hätte sie erfahren, daß der Oberrevisor Körner einen Orden erhalten hatte und [268] zum Kanzleirath er nannt war; er ward dadurch auf die Sonnenseite des Staatsgebäudes in das erste Stockwerk versetzt.

Fußnoten

1 Hör', du dauerst mich, mit dem Heirathen hast du's nicht getroffen.

Die Flügel ausgebreitet!

Eine tiefe, entsagungsvolle Schwermuth lag wie ein Bann auf Lorle. Sie sang einmal vor sich hin und plötzlich schaute sie auf, als hörte sie die Stimme eines Andern; sie erinnerte sich jetzt, daß sie seit Wochen und Monden kein Lied gesungen hatte, weder lustig noch traurig.

Die Tage des Lebens, sie vergehen, ob wir sie einsam oder in Gemeinschaft mit den Zugehörigen, ob wir sie in Trauer oder Lust verleben; sie ziehen dahin wie flüchtige Schatten und kehren nimmer wieder.

Lorle war überzeugt, daß die Schuld des getrennten Daseins nicht blos in dem Mangel an Kindersegen beruhe; dieser hätte wohl den Zerfall verhüllt oder ausgeglichen, aber die unzerstörbare Kraft der Liebe kann sich oft gerade da am mächtigsten bewähren, wo zwei Menschen sich allein Alles sein müssen. Die Eltern zu Hause hatten auch lange in kinderloser Ehe gelebt und die Bärbel erzählte oft, daß sie selber mit einander gewesen wie zwei Kinder, so selig vergnügt.

Oft siecht ein Leben seine ganze Dauer hin und oft rafft es sich empor zu neuer, selbstbestimmter Wiedergeburt; es ist ein höherer Wille, der dazu erkräftigt, und zugleich die in sich gehaltene Charakterkraft. Sonne und Regen nähren und erschließen leise und allmälig [269] die Knospe, die der Entfaltung entgegenreift; Sturm und Gewitter können sie urplötzlich sprengen.

Da sind drei Menschen, sie gehen ruhig ihren Lebensweg, und doch verdoppeln sich oft die Pulsschläge ihres Herzens, als müßte jetzt unversehens eine Wendung des Geschicks eintreten.

Lorle lebte still dahin, sie war den Kindern der Verstorbenen eine sorgsame Mutter und erfreute sich in diesem erweiterten Kreise ihrer Pflichten. Da Reinhard fast nie mehr mit ihr spaziren ging, war sie auch froh, nun eines der Kinder zur Begleitung zu haben.

Reinhard war vielfach betrübt: er redete sich ein, daß ihm kein Bild mehr gelinge, auch hatte er viel Unruhe bei der ihm obliegenden Ordnung einer im Unverstand zusammengetrödelten Kupferstichsammlung. Dazu wurde trotz seines Widerspruches manches geschmacklose Bild angekauft, ja man nahm seinen Rath oft erst in Anspruch wenn der Kauf bereits abgeschlossen war; seine Mahnung, einheimische Künstler zu beschäftigen verhallte spurlos, denn man wollte fremde und glänzende Namen im Katalog haben.

Der Collaborator hatte seit geraumer Zeit etwas Geheimnißvolles und Verschlossenes. Niemand ahnte, daß er nun in der That endlich in der Ausführung eines Werkes war, das wissenschaftlich und praktisch zugleich sein sollte, denn es auf nahm Gesetzesvorlagen in einem großen Staate Bezug, den man, nachdem die allgemeine Mißliebigkeit der Maßregel ihm zugefallen war, um so unbehinderter nachzuahmen strebte. Dort sollte nämlich unter der Herrschaft des Ritters von der Phrase [270] der englisirte Sabbath und ein straffes Kirchenregiment eingeführt werden.

Der Collaborator verrieth niemand sein Vorhaben, er hatte schon so oft gesagt, daß er dieses und jenes vollführen wolle, was doch unterblieben war; nun wollte er plötzlich auftreten. Er wußte, daß stark erscheinen oft wesentlich darin besteht: die Vorsätze und Schwankungen zu verbergen und dann mit fertigen Thaten zu überraschen. Der Weg nach der Hölle der Selbstanklage und der Verdammung durch Andere ist mit guten Vorsätzen gepflastert. – Mit einem Gluteifer, den er bisher noch gar nicht an sich gekannt hatte, arbeitete der Collaborator an seinem Werke und fand darin eine Erhebung, die kein noch so tiefes Denken und Fühlen in sich zu gewähren vermag. In der Hingebung, daß er die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit sagen wollte, erquickte ihn auch noch oft der Gedanke an die öffentliche Wirksamkeit, und so empfing er im Stillen den Segen der Geistesthat, der unbelauschten Ausbreitung des eigensten Seins und Erkennens für alle, ein Segen, dem nichts auf Erden gleichkommt; das ganze Einzelleben will sich aufzehren, ein Opfer in den Flammen des Gedankens, und schwebt wiederum unversehrt, geläutert daraus empor.

Oft ward dem einsamen Forscher auch bange, er hatte so viel auf dem Herzen, das er doch nicht auf Einmal offenbaren konnte.

In Gesellschaft der Freunde war er schweigsamer als je; weil er ein Geheimniß mit sich trug. Es war ihm, als ob er sich auch über andere Dinge nicht [271] vollkommen unumwunden aussprechen könne. Bei manchen Gesprächsgegenständen hatte er bisweilen Lust auszurufen: »Wartet nur bis mein Buch kommt, dort habe ich alles dies erörtert und an's Licht gesetzt.« Weil er dies nicht sagen durfte und mochte, schwieg er. Dagegen konnte er nicht umhin, unter dem unmittelbaren Einfluß der Gespräche in seine bereits niedergeschriebenen Darstellungen manchen Zwischensatz einzuschalten, manches »Epitheton« einzukeilen, um diesen oder jenen Mißverständnissen und schiefen Ansichten zu begegnen. –

Eines Mittags ging Lorle mit dem jüngsten Knaben des Registrators nach dem Schloßplatz zur Parade; sie wollte Reinhard dort erwarten, von dessen Werkstatt man gerade nach der Schloßwache sehen konnte. Als sie hier vorüberging, trat ein Tambour auf sie zu mit den Worten:

»Grüß Gott! Ei kennst mich nimmer? Sieh mich einmal recht an.«

»Herr Je! der Wendelin, du bist ja mehr als um einen Kopf gewachsen.«

»Und dir geht auch nichts ab, du bist recht stark worden, Lorle, oder Frau Professorin; nicht wahr, so heißt man dich doch?«

Sie reichten sich die Hände und nach mancherlei Fragen erzählte Wendelin: »Wie du halt fortgewesen bist, bin ich das Frühjahr drauf auch fort und hab' mich zum Grafen Felseneck als Schäfer verdingt, und da hat einmal unser Fräulein, die Gräfin Mathilde, gehört, daß ich von Weißenbach sei und da hab' ich zu ihr 'nauf müssen und da hat sie mich Alles [272] ausgefragt von dir und vom Herrn Reinhard. Es ist ein brav' Mädle unser gnädig Fräulein, und da hat sie mir ein Guldenstückle geschenkt, und von dem Tag an hab's ich's immer besser gehabt auf dem Hof und wenn sie so durch's Feld geritten ist, sie reitet prächtig, da ist sie auf mich zukommen und hat mit mir geschwätzt. Und wie der Herr Graf die Schäferei aufgegeben hat, da hat mich der Vetter, der ist Oberstlieutenant in unserm Regiment, mit hierher genommen und jetzt bin ich Tambour; ich bleib's aber nicht, ich lern' das Horn blasen und über's Jahr komm' ich zur Regimentsmusik und da hab' ich für mein Lebtag ausgesorgt. Ich bin schon vierzehn Wochen hier, ich hab' dich aber noch nicht gesehen.«

»Warum bist du nicht zu mir kommen?«

»Ja, wenn ich's gewußt hätt', daß ich so dürft' und daß du noch allfort so gut bist, ich hätt' dich schon ausgefunden. Ich hab' aber auch sündlich viel zu lernen gehabt, meine Arme sind mir oft wie abgebrochen gewesen und heut' bin ich zum Erstenmal auf der Wacht; es ist mir ein gut Zeichen, daß ich dich grad' seh!«

Während die Beiden so mit einander plauderten, war der Adjutant des Prinzen bei Reinhard, um mit ihm die Transparente zu besprechen, die zur bevorstehenden Vermählung des Prinzen anzufertigen waren; er trat jetzt an's Fenster und rief: »Da unten steht Ihre Frau Gemahlin bei einem Soldaten.«

Reinhard eilte hinab, Lorle sah ihn nicht kommen, bis er ganz nahe war und in heftigem Tone rief: »Was stehst du da? Komm mit fort.«

[273] In den bittersten Aeußerungen ergoß sich Reinhard über diese schmachvolle Unschicklichkeit; Lorle konnte nicht zu Wort kommen. Die Parade zog auf und spielte einen lustigen Marsch, Lorle war's, als müßte sie in den Boden versinken, da sie hier vor aller Welt ihre Thränen nicht zurückhalten konnte; glücklicherweise aber bemerkte Niemand ihr zur Erde gewendetes Antlitz. Endlich konnte sie die Worte hervorbringen:

»'s ist ja der Wendelin, du kennst ihn doch auch.«

Reinhard sah wohl ein, daß es zu hart und heftig gewesen war, aber die Unschicklichkeit war doch zu groß als daß er Abbitte that.

Bei den unerquicklichen Arbeiten, die Reinhard nun auszuführen hatte, ward er zu Hause immer düsterer und gereizter. Als er sich einst wieder zu einer Heftigkeit gegen Lorle hinreißen ließ, sagte sie: »Schmeiß' nur Alles zusammen wie die Teller, die du auch zerbrochen hast.«

Reinhard ward still, seine Frau kam ihm unendlich kleinlich vor, da sie jenen vor Jahren vollführten Uebermuth nicht vergessen konnte. Lorle aber konnte nicht mehr ausführlich mit ihm reden, sie wollte ihm sagen daß er auch sie zerbreche weil sie sein eigen geworden sei; aber sie konnte jetzt ihm gegenüber nur halbe Worte finden, ein Bann lag auf ihrer Seele, den sie nicht zu lösen vermochte.

Sie ging mit Reinhard durch die Straße, da begegnete ihnen ein Wagen mit frischem Heu; Lorle riß eine Handvoll aus und sagte: »Jetzt heuet man,« und[274] Reinhard entgegnete: »Das ist etwas ganz Neues, eine merkwürdige Entdeckung!«

Lorle schwieg, sie konnte wiederum nicht sagen, wie schmerzlich es sie errege, erst zufällig durch einen Heuwagen zu merken was an der Zeit sei, da sie sich so weit vom Feldleben entfernt hatte.

Ein überraschender Besuch verscheuchte auf einige Tage das stille Einerlei der einsamen Häuslichkeit. Der Wadeleswirth hatte schon oft seine Tochter heimsuchen wollen, aber wie das so geht, er kam schwer vom Fleck; bald sollte dieses bald jenes Feldgeschäft noch gethan sein bevor er reiste, und dann redete er sich wieder ein, er wolle die Gevatterschaft abwarten und so verstrich die Zeit. In den Briefen, die Lorle nach Hause geschrieben hatte, sprach sich oft in einzelnen Worten ein sehnsuchtsvolles Heimweh aus. Es hätte sich wohl daraus entnehmen lassen, daß ihr jetziges Leben ihr noch ein fremdes war; die Eltern ahnten wohl dergleichen, aber sie wollten sich's nicht glauben, sie rechneten Alles der übermäßigen Kindesliebe zu. Seit geraumer Zeit entschuldigte Lorle in ihren Briefen jedesmal ihren Mann, daß er nicht selber schreibe weil er gar viel zu thun habe.

Sei es nun durch eine Mittheilung Wendelin's oder durch andere Berichte, im Dorfe ging die Sage, Lorle sei unglücklich und werde in der Stadt wie eine Gefangene gehalten. Nun hatte alles Zaudern und Zögern ein Ende, der Wadeleswirth lief herum, schnaubte und ballte die Fäuste; es that ihm nur leid, daß er den Reinhard nicht gleich packen und tüchtig durchwalken [275] konnte. Den ganzen Tag und die Nacht hindurch fuhr er und kam am frühen Morgen in der Stadt an; er besann sich jetzt aber eines Bessern, er wollte Lorle zuerst allein sprechen und wartete daher bis Reinhard in der Werkstatt war. Als er die drei Treppen hinanstieg, stand er mehrmals still und verschnaufte, sein Blut war in mächtiger Wallung und er meinte die Knie müßten ihm brechen; das war ein harter Gang.

Erschütternd war das Wiedersehen von Vater und Kind, Lorle wollte sogleich nach Reinhard schicken, aber der Vater sagte: »Nur stet, ich hab' zuerst ein Wörtle mit dir allein zu reden.«

Lorle mußte nun ihre Lebensweise berichten. Der Vater runzelte die Stirn und preßte die Lippen auf einander, als er merkte, daß Reinhard nur zum Mittagessen und Schlafen heimkäme; er gestand offen, daß das anders werden müsse und daß er dem »Professor was aufzurathen« geben wolle. Lorle bat und beschwor, ja keine Heftigkeit anzufachen, da das doch zu nichts führe; Eheleute müßten sich selber verständigen, da könne selbst der Vater Nichts thun, sie sei nicht unglücklich und ihre ganze Anschauung des Mißverhältnisses drängte sich in den Worten zusammen: »Gucket, das ist halt in der Stadt anders, das Elend ist eben, daß die Frau dem Mann in seinem Geschäft gar Nichts helfen und beispringen kann, und da muß ein Jedes allein sein; daheim, da geht die Frau mit dem Mann auf's Feld und hilft überall.« –

Dann erklärte sie, wie sehr Reinhard zu bedauern[276] sei, er werde so viel vom Hof in Anspruch genommen und habe doch keine Freude daran.

Eine gemischte Empfindung beruhigte die Aufregung des Wadeleswirths, er bewunderte die Klugheit seiner Tochter und betrachtete sie mit erneutem Stolz; dann freute er sich, daß der Reinhard nichts vom Hofe wolle.

Lorle hatte Reinhard nun doch rufen lassen und dieser kam in Gemeinschaft mit dem Collaborator. Das Wiedersehen von Schwiegervater und Sohn hatte hierdurch eine vielleicht erwünschte fremde Haltung, denn noch war der Zorn des Ersteren nicht ganz verraucht. Reinhard war ganz der Alte, auch äußerlich; denn er hatte sich seinen Bart wieder wachsen lassen, da die Engländer in allen möglichen Bartformen bei Hofe erschienen: man kann fast sagen, daß damit wiederum sein unbändiges Wesen aufwuchs. Reinhard schlug die alte übermüthig lustige Weise gegen seinen Schwiegervater an, Lorle freute sich darüber. Sie wußte nicht, daß er sich innerlich Vorwürfe machte, daß er jetzt mit Absicht und Willen eine Form annahm, die ehedem unwillkürlich zu seinem Wesen gehörte; aber ihm stand keine andere Vermittlungsart mit seinem Schwiegervater zu Gebote. Der Collaborator war überaus zuvorkommend und freundlich gegen den Wadeleswirth; Lorle neckte ihn, weil er sich sonst so wenig sehen ließ; sie konnte nicht ahnen, daß er sich von ihr zurückzog, aus Furcht sein Mitleid und seine Verehrung für sie könne ihm einen bösen Streich spielen.

So hatte die erste Stunde des Zusammenseins einen [277] überaus heitern Anstrich und hätte man später auch Lust oder Veranlassung gehabt, eine andere Farbe zum Vorschein kommen zu lassen, so wäre dies nicht mehr möglich gewesen, wenigstens nicht in der ganzen Schärfe und Bestimmtheit; denn die erste Stunde des Wiedersehens ist der Accord, der die Tonart für den ganzen Verlauf des Beisammenseins angiebt. Außerdem war Reinhard mit Arbeiten überhäuft, wie er mindestens behauptete, er überließ daher seinen Schwiegervater ganz der Leitung und Fürsorge des Collaborators.

Sei es zufällig oder absichtlich, Reinhard ging nie mit dem Wirth, der natürlich in seiner Bauerntracht erschienen war, bei Tage über die Straße. Lorle glaubte, er ahne und fürchte eine unangenehme Auseinandersetzung und wolle dieselbe vermeiden, sie hatte nichts dagegen einzuwenden; daß er sich des Bauern schämen könnte, kam ihr nicht entfernt in den Sinn.

Der Collaborator war ganz glückselig den Wadeleswirth überall geleiten zu können, er erfreute sich nicht nur an dem körnigen naturkräftigen Sinne des Mannes, sondern er wollte auch vor sich und vor Andern beweisen, wie sehr er sich dem Volke nahe fühle; er versuchte sogar Arm in Arm mit dem Wirth zu gehen, was dieser aber als unbequem ablehnte. Der Wirt fand den Gelehrten in der Stadt auch viel schlichter und natürlicher als damals im Dorfe, er war daher auch ganz harmlos gegen ihn und sagte einmal: »Es ist mir doch allemal, wenn ich nach der Stadt da komm', wie wenn ich umfallen müßt'; es ist Alles so eben (flach), es sind keine Berg' da, wo ich mich d'ran halten kann.« –

[278] Der Collaborator erfreute sich an dieser eigenthümlichen Empfindungsweise des Bergbewohners, aber er hatte gelernt, nicht alsbald auf Alles eine Gegenbemerkung zu machen, wodurch der lautere Erguß gehemmt oder in eine andere Richtung gelenkt wurde.

Der Landtag ward gerade wiederum versammelt, der Collaborator brachte seinen Schützling in die Gesellschaft der freisinnigen Abgeordneten. In der ganzen Stadt und zumal »höheren Orts« wurde es übel vermerkt, daß der Collaborator als Staatsdiener, der noch dazu jeden Tag seine endliche Ernennung zum Bibliothekar mit Gehaltserhöhung erwarten durfte, sich offen der ständischen Opposition anschloß; er kümmerte sich aber wenig um die ihm hierüber zugehenden Andeutungen. War nur irgend ein Bedenken berechtigt über den Anschluß an Männer, die auf dem Boden der Verfassung stehend gegen Regierungsmaßregeln kämpften und Normen für die Zukunft feststellten? War er ein Diener der Minister oder des Staates? – Der Wadeleswirth, aus dessen Bezirk ein Regierungsmann gewählt war, wurde dennoch von dem angesehenen Haupt der Opposition mit besonderer Auszeichnung behandelt, weil er nicht nur als freisinniger Wahlmann bekannt war, sondern in ihm auch eine Bürgschaft für die zukünftige Besserung des verlorenen Wahlbezirks liegen konnte. In dem rührigen, ernsten und heitern Leben, das in dieser Gesellschaft den Wadeleswirth umgab und wo er andächtig zuhörte, vergaß er fast ganz, warum er eigentlich nach der Stadt gekommen war; überdieß sah er jetzt wohl ein, daß hier nichts von seiner Seite [279] geändert werden könne, und so war er froh, doch in der Betheiligung an den allgemeinen Landesangelegenheiten eine Erhebung zu finden. Der Collaborator sprach mit seinem Schützling viel über Staatsverhältnisse, aber voll von dem Gegenstande, den er eben jetzt in seiner Schrift behandelte, konnte es auch nicht fehlen, daß er oft darauf zurückkam, man müsse zunächst und vor allem die wahre Religion wieder herstellen und dem »Pfaffenthum den Treff geben«.

»Ich hätt's nicht glaubt,« entgegnete der Wadeleswirth, »daß Ihr so fromm seid; aber lasset doch in Gottes Namen die Pfaffen in Ruh, da ist nicht gut anrühren und die gelten eigentlich doch nur bei den Weibsleuten. Jetzt müssen wir weniger Steuern, müssen Schwurgerichte und Landwehr haben, das ist jetzt die Hauptsach'.«

Trotz aller Bitten Lorle's hatte sich der Vater nicht bewegen lassen bei ihr zu wohnen, er blieb bei einem alten Bekannten, einem Bäcker, der ihn bisweilen beim Fruchteinkaufe besuchte und der zugleich eine Wirtschaft hielt; Lorle mußte oft mit ihm dahin gehen, und sie saßen dann nicht in der Wirthsstube, sondern im Backstüble bei der Familie. Lorle war voll Freude, hier Menschen zu finden, einfach und offen wie daheim, voll rüstiger Thätigkeit im Haus und im Feld. Der Wadeleswirth empfahl noch seinem Gastfreund, er solle Lorle beistehen und ihr geben was sie verlange, und sie versprach öfters zum Besuche bei der Bäckerfamilie zu kommen.

Die Stunde der Abreise nahte. Lorle konnte den[280] Gedanken nicht los werden, daß sie auf lange Abschied nehme und ihren Vater vielleicht nimmer wiedersehe; sie sagte daher bei der letzten Handreichung: »Pfleget Euch nur auch recht gut, daß Ihr gesund bleibet und machet Euch wegen meiner keinen Kummer.«

»Närrle,« erwiderte der Vater; »ich sterb' noch nicht, und wenn ich sterb', du kannst ruhig sein, du hast mir mit Willen dein Lebtag keinen traurigen Augenblick gemacht.«

Lorle weinte.

»B'hüt dich Gott!« sagte der Vater in einem gewaltsam starken Ton, »und komm auch bald auf Besuch.«

Er stieg auf das Wägelchen des Bäckers, mit dem er halbwegs fuhr, wo ihn dann der Martin abholte.

Lorle lebte nun wieder in ihrer alten, ruhig stillen Weise. Die beiden Freunde aber waren in großer Aufregung.

Eine soeben erschienene Zwanzigbogenschrift brachte die ganze Stadt in Aufruhr. Sie hieß: »Die Sonntagsteufel mit den weißen Bäffchen, oder ein Schuß in's Schwarze, von Adalbert Reihenmaier.« Die Vorrede lautete: »Leser, auf zwei Worte! Ich will die Religionsheuchelei an's Messer der Oeffentlichkeit liefern. Ich will die Versteinerungen im Moraliencabinet ordnen. Komm mit.«

Der Collaborator, der ehedem die Ansicht gehegt hatte, man müsse die ganze heutige Welt radical in sich verfaulen lassen, hatte nun doch an das Bestehende angeknüpft, da er zur Einsicht gelangt war, daß jene [281] Erhabenthuerei blos eine Maske der Trägheit und Selbstgefälligkeit ist.

Die Tiefe und Selbständigkeit der philosophischen und geschichtlichen Forschung war in der Schrift unverkennbar, Manches aber nahm sich seltsam aus; denn es waren nackt hingestellte Ergebnisse langer Besprechungen oder weitläufiger innerlicher Denkprozesse, nur für denjenigen vollkommen klar, der den Collaborator kannte. Daneben waren dann wieder Sätze wie Dolche aus zusammengeschweißtem und gehämmertem Stahldraht. Ein Kapitel: »Adam Kadmon, oder die Urmenschen an der Spitze der Geschichtsepochen«, in dem der Verfasser seine Ansichten von der Erlösung darlegte, wurde von Oberflächlichen als mystisch bezeichnet, weil darin die Wiedergeburt der Menschheit durch die reine Natur erklärt werden sollte. Wir kennen einige Grundlinien dieser besondern Anschauung aus der Art, wie der Collaborator das Wesen Lorle's gegenüber den Culturbestrebungen ansah. So weit ab in die Tiefen des Geistes und der Geschichte sich diese Erörterung verlief, kann sie doch wohl durch jene Betrachtung angeregt worden sein; denn wer weiß, aus welchen scheinbar fernliegenden Anregungen der schöpferische Geist seine Gebilde schafft und seine Erkenntnisse den Anfang nehmen.

Wo sich die Schrift dem unmittelbaren Leben zuwendete, gelangte sie zu einem Schwunge, der sich mit dem prophetischen vergleichen ließ; hier loderte der Eifer gegen die Verunstaltung und die Blindheit, die aus dem Beseligendsten und Befreiendsten eine Jammerschule und eine Sklavenkette macht. Eben dies erregte den [282] heftigsten Zelotismus gegen den Verfasser. Von den Kanzeln herab wurde gegen den ruchlosen Gottesleugner gepredigt und zugleich alsbald eine Untersuchung gegen ihn eingeleitet. Jetzt lebte jene alte Notiz in dem geheimen Buch und das Aktenfascikel 14263 wieder auf; die Schrift und jene Thatsache wurde zur Fangschnur gedreht: der Collaborator wurde wegen Atheismus angeklagt.

Die rechtsgelehrten Freunde erboten sich, ihn juristisch zu vertreten, er lehnte es ab, und die Vertheidigungsschrift, die er einreichte, ward zur neuen Anklage. Dennoch ging er so frei und froh umher, wie noch nie. Was kümmerten ihn die scheelen Blicke und das Fingerdeuten auf den vordem Unbekannten, Unangefochtenen? Er glaubte erst jetzt sich selber achten zu dürfen. Nur der unbeschreibliche Jammer seiner Schwester Leopoldine that ihm weh. Vor der Schwelle einer gesicherten Zukunft hatte der Bruder sich selber den Weg abgegraben, das konnte die treue Gefährtin nicht verschmerzen. Sie hatte Gönnerinnen genug und lief von Haus zu Haus mit Bitten und Klagen, bis sie erfuhr, daß es sich zugleich auch darum handle, den eben von der Universität zurückgekehrten Sohn des Consistorial-Direktors in die zu erledigende Stelle einzuschieben. Von diesem Augenblicke an hörte man kein Klagewort mehr von ihr. Mit einer bewundernswerthen Stärke und Seelenruhe ließ sie nun Alles kommen und war freundlich gegen den Bruder, in dem sie ein Opfer der Familienränke sah.

Lorle suchte jetzt Leopoldine wieder auf und sah mit tiefer Reue, wie unrecht sie gegen diese gehandelt hatte, [283] die jetzt in Schmerz und Noth ihre Hochherzigkeit und ihren liebevollen Geist offenbarte. Auch Leopoldine erkannte nunmehr das gesunde Herz und die Zartheit Lorle's. Diese sagte einmal: »Ich glaub's nicht, aber wenn's auch wahr ist, daß der Herr Reihenmaier was Sündliches geschrieben hat, da wird ihn unser Herrgott schon strafen und besser machen; was geht das das Consistore an? Da kann kein König und kein Kaiser was machen, das muß Gott selber wieder in Einem zurecht bringen. Aber der Bruder ist ja so gut, er beleidigt ja kein Kind!«

Die Oberbehörden hatten andere Grundsätze, der Collaborator wurde durch ein beispiellos rasches Erkenntniß als Gotteslästerer zu sechs Monaten Gefängniß verurtheilt und demzufolge seines Amtes entsetzt. Er recurrirte an das Gesammtministerium.

Reinhard war eines Abends »en petit cercle« beim Prinzen, die Eingeladenen standen in einer Gruppe im Empfangsaale und harrten nach der Hofweise des Einladenden.

Unversehens kam die Rede auf das Buch des Collaborators; ein junger Engländer bemerkte: »Solche Frechheiten darf man nie und nirgends dulden, das schamlose fade Buch sollte an den Galgen genagelt werden.«

Reinhard hielt an sich und sagte nur mit ironischem Lächeln: »Sie zürnen, weil der Verfasser die Engländer das gottloseste Volk der Erde nennt, Sonntagschriften, die allsabathlich ihrem Lordsgott langbeinige Reverenzen machen, während sie in der Woche lieblos gegen die eigenen niederen Stände und egoistisch gegen alle Welt sind.«

[284] »Ich bewundere Ihre glückliche Gabe, es giebt Menschen mit einer besondern Anziehungskraft für Paradoxen und Trivialitäten,« entgegnete der Engländer.

Reinhard biß die Lippen aufeinander und faßte krampfhaft seinen Rockschoß, als packte er den kecken Schwätzer, der jetzt fortfuhr: »Der aberwitzige Verfasser versteht kein Wort von Philosophie.«

»So?« fuhr Reinhard fort, »also auch darüber wagt Ihr abzuurtheilen? Wo sich der deutsche Geist irgend in seiner Kraft äußert, da wagt Ihr's, ihn zu bespötteln. Mag die ganze vornehme Welt vor Euch krummbuckeln und der Affe Eurer Gentlemans-Rohheit sein, es giebt noch etwas Höheres« –

»Seine königliche Hoheit!« hieß es plötzlich als eben der Comte de Foulard beschwichtigend sich einmengen wollte; die Gruppe zertheilte sich schnell und bildete zu beiten Seiten Fronte, durch die der Prinz begrüßend schritt.

Wie war jetzt Alles plötzlich gedämmt! Die Gräfin Mathilde hatte wahr gesprochen, als sie einst gegen Reinhard bemerkte, daß die Etikette und die gesellschaftliche Form überhaupt den individuellen Tact oft ersetzen müsse.

In mancherlei abliegenden Gesprächen suchten die Engländer, die sogleich gemeinschaftliche Sache machten, Reinhard zu reizen, ohne daß er in Gegenwart des Prinzen ihnen erwidern konnte; Reinhard fand indeß einen unerwarteten Beistand in dem Oberleutnant und Kammerjunker Arthur von Belgern, dem Vetter der Gräfin Mathilde.

[285] Als man die Gesellschaft verließ, sagte Belgern zu Reinhard: »Sie haben zwar dem ganzen Hofkreise den Handschuh hingeworfen, indeß erbiete ich mich gern zu Ihrem Secundanten. Es empört mich und Viele mit mir schon lange, welche Anmaßungen den Fremden bei Hofe gestattet werden; durch einige Mäßigung hätten Sie sich, ich darf wohl sagen, den besten Theil der Gesellschaft zu Dank verpflichtet.«

Reinhard war es aber durchaus nicht darum zu thun gewesen, eine Partei zu gewinnen oder sich eine Coterie zu verpflichten; er hatte seinem Ingrimm Luft gemacht, und es that ihm nur leid, daß es nicht noch kräftiger geschehen war. Mochte seine Beziehung zum Hofe sich dadurch lösen, es war ihm erwünscht.

Als die Ausforderung nun andern Morgens eintraf, nahm er sie mit Freuden an, ließ sich aber nicht von Belgern, sondern von einem jungen Rechtsgelehrten secundiren und schoß seine erste Kugel dem Gegner durch das rechte Schulterblatt.

Das Duell erregte gewaltiges Aufsehen in der ganzen Stadt; es wurde indeß vertuscht, aus Rücksicht für den Ort wo es angesponnen, und weil man überhaupt gern Aufsehen vermied und Ignoriren in diesen wie in höheren Beziehungen als höchste Staatsklugheit gepriesen wird.

Lorle erfuhr die ganze Sache erst mehrere Tage später zufällig von Leopoldinen; sie schauderte vor dem was geschehen war und daß Reinhard ihr es verhehlen konnte. Sie begriff diese Welt nun gar nicht mehr: dort ein braver Mensch der Gottesläugnerei [286] angeklagt; hier ihr eigener Mann, der sein Leben auf's Spiel setzte, wie einen Rechenpfennig. Sie ging mehrere Tage umher und sah allen Leuten verwundert in's Gesicht, als wollte sie sie fragen, ob denn die Welt bald untergehe?

In Reinhards Gegenwart war sie oft zerstreut und dann sah sie ihn wieder mit einem flehenden Blick an, der dringend bat: erzähl' mir doch Alles, ich kann nicht begreifen wie du dein Leben, das doch mir gehört, vor die Mündung einer Pistole setzen konntest, ohne mir Etwas davon zu sagen; und auch jetzt noch, da du der Gefahr entronnen, höre ich kein Wort. Bin ich denn gar nicht mehr da?

So sah sie ihn oft starr an und Keines redete eine Silbe.

Lorle half Leopoldinen so viel sie konnte, aber die Wackere und Starkmuthige war selten zu Hause; sie ahnte was kommen konnte, und um gegen jede Fährlichkeit gesichert zu sein, begann sie nun wieder ihr Putzgeschäft einzurichten.

In dem Hause des Bäckers, wohin Lorle ihrem Versprechen gemäß jetzt bisweilen ging, fand sie meist Erholung; hier war ein Leben voll Arbeit und Heiterkeit, man wußte hier so wenig von dem Wirrwarr, der da drüben in den anderen Kreisen herrschte, als läge diese Welt fern über'm Meere. –

Lorle, die sonst immer zu Hause geblieben und in sich selber Ruhe gesucht hatte, ging jetzt öfter aus, sie wollte sich vergessen, eine gewaltige Unruhe störte sie auf; sie war wie ein Vogel, der den Baum [287] zur Erde gefällt sieht, auf dem er sein Nest gebaut hatte. –

Das Gesammtministerium bestätigte die Amtsentsetzung des Collaborators, jedoch ward ihm die Gefängnißstrafe erlassen. In dem kleinen Bierstübchen wurde »der Geburtstag des Privatmenschen Reihenmaier« würdig gefeiert. Der Neugeborne hielt sich selber die Rede, in welcher die bemerkenswerthe Stelle vorkam: »Sie irren sich, die Herren, sie wollen uns zu Lumpen machen, um dann ausrufen zu können: Seht Ihr's. Nur die Taugenichtse sind unzufrieden! Wir wollen's ihnen zeigen.«

Von dieser Zeit an studirte er emsiger als je. Viele glaubten, daß er mit einer neuen, noch nachdrücklicheren Schrift hervortreten werde; aber er behauptete, nicht zum Schriftsteller zu taugen. Er gab sich nun ganz seiner Lieblingswissenschaft, der Geologie hin. Scherzend sagte er einst zu Reinhard: »Ich bin ein Stück Prometheus, auf den Felsen verwiesen weil ich einen Funken Licht vom Himmel auf die Erde gebracht; aber ich bin nicht gefesselt und ich lasse mir das Herz nicht aushacken.«

Reinhard war nicht nur bei Hofe, sondern auch, wie ihm die Freunde erzählten, fast in der ganzen Stadt in Ungnade gefallen. In der Residenz, die wesentlich aus Beamten und Militär bestand, und wo es an natürlichen Erwerbsquellen mangelte, hatte sich bereits jenes Verderbniß der Badeorte eingenistet, daß Viele faullenzend von der Vermiethung ihrer Wohnungen an Fremde lebten, und wie sie sich vor denselben in kleine Stübchen zurückzogen, so ihnen auch sonst in Allem Unterthänigkeit [288] bewiesen. Die Engländer hatten in Mißmuth fast sämmtlich die Residenz verlassen und Reinhard ward nun in den Augen Vieler ein Aergerniß. So wenig ihn alles dieß berührte, empfand er doch eine prickelnde Unbehaglichkeit in allen seinen Verhältnissen. Lorle litt dabei am meisten, denn er sagte oft im Unmuth: »Ich gehe zu Grunde, wenn ich hier bleibe, ich kann nicht hier bleiben und will und muß doch.« –

Lorle wußte gar nicht was sie beginnen sollte, sie bat, daß sie nach einer andern Stadt ziehen möchten; aber das wollte Reinhard wieder nicht.

Mitten in diesem Wirrwarr traf Lorle eine schwere Nachricht: ihr Vater war plötzlich am Schlage gestorben. Nachdem sie sich sattsam ausgeweint hatte, war sie wunderbar gefaßt; sie ging tagtäglich nach der Kirche, um für den Verstorbenen zu beten. Leopoldine stand ihr getreulich bei in ihrem Kummer. Als sie ihr einst durch Erinnerung an eigenes Mißgeschick Trost zusprechen wollte, sagte Lorle: »Er ist jetzt todt, aber mir ist's, wie wenn er nur weiter weg wär', wo man eben nicht hinkommen kann bis Gott Einen ruft, ich denk' jetzt g'rad an ihn wie wenn er noch da wär', für mich ist's eins; ob man so weit oder so weit voneinander ist, das ist gleich. Es thut mir nur leid, daß er nichts mehr von dieser Welt hat, er hat aber die andere dafür; mich dauert nur mein' Mutter, mein' gute gute Mutter.«

Reinhard kam immer seltener und immer flüchtiger nach Hause, er vollführte ohne Unterlaß seine Aufträge für den Hof; er setzte einen Stolz darein, zu zeigen[289] daß ihm die Ungnade nicht nahe gehe und er Großmuth zu üben wisse. – In den Feierabenden begann er sich auf traurige Weise zu betäuben.

Lorle fühlte ein fast unbezwingbares Heimweh, und doch wollte sie nicht auf einige Tage zur Mutter; sie fürchtete das Wiedersehen, den Abschied und die Rückkehr. Oft war's ihr wie einem Vogel, der die Flügel regt, aber sich nicht aufschwingen kann. Im Traume kam es ihr vor, als hätte der Bach ihres heimatlichen Dorfes eine Gestalt gewonnen und zöge und zerrte an ihr, daß sie heimkehre.

Eines Abends im Herbste saß sie am Fenster und sah den Schwalben zu, die jetzt hastiger durch die Luft schossen, im Fluge zwitscherten und sich grüßten; Lorle breitete unwillkürlich die Arme aus, sie wünschte sich Flügel, sie wollte fort, sie wußte nicht wohin. Die Dämmerung brach herein, die Abendglocke läutete, Lorle konnte nicht beten, sie saß im Dunkel und träumte: sie läge tief in der Erde eingeschlossen und nimmer tagt's. Da erwachte sie und hörte eine Stimme auf der Straße, die in schwerem, langem Klageton rief: Sand! Sand! Sand!

»Ach Gott!« dachte Lorle, »der Mann will noch nicht heim, er kann seinen Kindern kein Brod bringen für den Sand, den er feil bietet.« Sie ging hinab und kaufte dem Manne seinen ganzen Wagen voll Sand ab, so daß für Jahr und Tag vorgesorgt war. Der abgehärmte heisere Sandverkäufer dankte ihr mit Thränen in den Blicken. Sie ging nun wieder in die Stube und malte sich das Glück der Familie aus, [290] wenn der Vater heimkam und Brod und Geld mitbrachte. Zu sich selber sprach sie dann: »Du bist doch undankbar, du hast's so gut, hast dein täglich Brod, und dein Mann läßt dich über Alles Meister sein. Ach, er ist ja so gut. Wenn ich ihm nur helfen könnt'.«

Sie nahm ihr Gebetbuch und betete; sie mußte herzstärkende Worte gelesen haben, denn sie küßte die Blätter des Buches und legte es zu.

Wie viele inbrünstige Küsse lagen schon in diesem Buch eingeschlossen!

Lorle faßte den Entschluß, heute zu warten bis Reinhard heimkäme; sie mußte ihm wieder einmal ihr ganzes liebendes Herz offenbaren. – Stunde auf Stunde verrann, er kam nicht; sie hatte wieder das Gebetbuch ergriffen und Gebete und Gesänge für alle möglichen Lebensfälle gesprochen und leise gesungen; sie rieb sich oft die Augen, aber sie blieb wach.

Welch ein eigenthümlicher Weltzusammenhang offenbarte sich ihr jetzt. Die Gedanken der Menschen in den verschiedensten Lebensverhältnissen waren jetzt durch ihre Seele gezogen, und alle und überall seufzten sie auf und streckten die Hände empor. Könnt ihr euch nicht retten und emporschwingen?

In diesem Gedanken saß Lorle da und starrte hinein in das Licht.

Mitternacht war längst vorüber, als sie Reinhard die Treppe heraufkommen hörte; sie wollte ihm entgegengehen, aber doch hielt sie's für besser, ihn in der Stube zu erwarten. Jetzt öffnete sich die Thür. Verhülle dich [291] Auge! Ein Schreckbild, das einst im Scherz dich so gepeinigt – es wird zur Wahrheit.

»Lieber Reinhard, was ist dir?« rief Lorle entsetzt.

»Laß mich, laß mich,« antwortete Reinhard mit schwerer, lallender Zunge; er that einen Schritt vor und taumelnd stürzte er auf den Boden.

Lorle schrie nicht um Hülfe, sie hatte seinen Zustand erkannt und warf sich neben ihm auf den Boden, sie schaute dann mit gläsernem Blick umher und konnte nicht weinen. Eine Göttererscheinung, zu der sie anbetend aufgeschaut hatte, war in den Staub gesunken. »Wer hat das verschuldet? Er, ich oder die Welt? ...«

Endlich stand sie auf, holte ein Kissen und legte es Reinhard unter den Kopf; er hob einen Arm und ließ ihn matt wiederum sinken.

In dunkler Kammer hatte sich Lorle über das Bett geworfen, kein Schlaf berührte ihre Augenlider, ihre Gedanken wurden wie von nächtigen Geistern wirr durcheinander gejagt und Bilder, die kein Wachen schauen kann, umgaukelten sie. Der Tag graute. Als fühlte sie das Nahen des Morgens, stand sie auf, Reinhard lag noch in ruhigem Schlafe. Sie kleidete sich sorgfältig an, nahm ihr Gebetbuch, öffnete es aber nicht, sondern steckte es zu sich; was sie jetzt vorhatte, kam zunächst aus der Entschiedenheit ihres Charakters, aus ihrem selbständigen Entschluß. Vom Abend her lag noch eine geklärte Ruhe auf ihrer Seele und eine Zuversicht die aus der Tiefe des eigensten Lebens kam, spannte ihr ganzes Wesen; sie schwankte keinen Augenblick in ihrem Beginnen. Eine Weile stand sie mit [292] gefalteten Händen vor Reinhard, dann verließ sie die Stube und ging die Treppe hinab. An der Flurthüre des Registrators lauschte sie, Alles war still. »B'hüt euch Gott ihr lieben Kinder,« hauchte sie an die Scheibe und verließ rasch das Haus.

Der Bäcker war höchlich erstaunt, als Lorle ihn bat augenblicklich einspannen zu lassen, um sie nach Hause zu fahren; er willfahrte indeß ohne Zögern und da kein Knecht zu Hause war, übernahm er selbst den Fuhrmannsdienst. Lorle nahm nicht nur kein Frühstück, sondern duldete nicht einmal, daß der Bäcker auf dessen Bereitung wartete.

Als sie an der Kaserne vorbeifuhren, stand ein Tambour dort und schlug die Tagwacht; es war Wendelin, er ahnte nicht, wer im Morgenduft an ihm vorüberzog.

Wenige Stunden darauf erhielt Reinhard durch einen Boten folgenden Brief:


»Ich sage dir Lebewohl, lieber Reinhard, ich gehe wieder heim zu meiner Mutter, ich hab's wohl bedacht, aber ich geh'. Ich danke Dir viele tausendmal für all' das Liebe und Gute auf dieser Welt, was ich durch Dich gehabt hab'. Ich bin ein' schöne Zeit glücklich gewesen. Gott ist mein Zeug', wenn ich's heut' nochmals zu thun hätte und ich wüßt', daß ich so lang in Schmerzen verleben muß, ich thät's doch wieder und ging' mit Dir. Es ist doch ein' schöne Zeit gewesen.

Laß es bleiben, daß Du mich zu dir zurückbringen willst, das geschieht nimmer und nimmermehr; es ist gut so für Dich, und mit Gottes Hülfe auch für mich.[293] Wenn Du mir mein Bett und die zwei blauen Ueberzüge schicken willst, von Allem andern will ich nichts mehr sehen.

Du mußt wieder in die weite Welt und ich geh' heim. Du wirst Deinen Kummer schon wieder vergessen, vergiß meiner aber doch nicht ganz. Lebe wohl und ewig wohl. Bis in den Tod Deine getreue

Lore Reinhard.


Laß der Bärbel noch ein steinern Kreuz setzen, wie Du versprochen hast. Lebe wohl und ewig wohl. Deine Getreue.

Verzeihe, das Papier ist naß geworden, ich habe darauf geweint. Lebe wohl und lebe ewig wohl.«

Und dann

Und dann?

Der Collaborator ist als Theilhaber einer Mineralienhandlung auf Reisen. Wer weiß, in welchem Bergwerk er jetzt hämmert und gräbt. Wir dürfen ihm Glückauf zurufen und sicher sein, daß er wieder den Weg an's Licht findet.

In Rom fragte die Frau des Kammerherrn Arthur von Belgern, geborene Gräfin Mathilde von Felseneck, angelegentlich nach dem Maler Reinhard, der seine Stellung in der *schen Residenz aufgegeben und sich hieher gewendet hatte; sie hörte nur, daß er selten nach der Stadt käme, sich meist in der Campagna umhertreibe und dort il Tedesco furioso heiße.

[294] Durch das Dorf geht eine Frau in städtischer Kleidung, von Jedermann herzlich begrüßt, und fragt ihr, wer sie sei, so wird euch Jeder mit dankendem Blicke sagen, daß sie der Schutzengel der Hülfsbedürftigen ist. Und ihr Name? Man nennt sie die Frau Professorin.

[295]

[1] Lucifer.
(1847.)

[1][3]

In die wogende Saat

In die wogende Saat.

Die Morgenglocken tönen und klingen und wollen nicht enden, durch die still wogende Saat wallt in langer Reihe eine fromme Schaar, die Kirchenfahnen blau und roth flattern und knattern im sanften Windhauch, laut ausgerufene Worte werden nachgemurmelt in der endlosen Reihe, Gesänge schallen hin über Wiese und Feld und der rauschende Wald verschlingt sie. Hoch oben im Blau verborgen, schmettert die Lerche ihr Lied und badet im lichten Aether; erfrischender Duft athmet von den Höhen und aus den Gründen, und die Weihrauchwölkchen aus den geschwungenen Kesseln zertheilen sich rasch. Dort senkt sich der Zug den Feldweg hinab, die Fahnen sind versunken und die Menschen mit ihnen, dort aber steigen sie schon wieder die Höhe jenseits hinan; weit voraus sind die Ersten, und noch bewegt sich das Ende des Zuges zwischen den Hecken der Gärten am Dorfe. Die Menschen ziehen hin durch die Flur und danken dem Gotte, der so reiche Saat emporsprossen ließ, sie flehen um ferneren Schutz und segnen die Frucht ihrer Arbeit. Es ist der Bittgang durch das Feld.

Diese Wege zogen sie oft einsam, belastet und müde, heute sind sie alle vereint, frei und in ihren Feierkleidern; nur Worte, andächtige Grüße schicken sie hin [3] über die Häupter der schwankenden Aehren, die sich still zu einander neigen, als verstünden sie den Gruß und flüsterten Unhörbares sich zu.

Den Zug schloß eine uralte wohlgekleidete Frau, sie ging etwas gebückt und führte einen rothwangigen Knaben von etwa neun Jahren, der stets tänzelte und hüpfte. Als man an der Thalschlucht anlangte, sagte die Alte: »Victor, halt ein bisle still, wir wollen da absitzen, meine Läufer wollen nimmer mit; komm', wir wollen noch beten und dann heimezu gehen.«

Sie setzten sich auf den Rain und der Knabe las aus dem Gebetbuche vor. Dann sprach die Alte mit tiefer Rührung von der Güte Gottes, der nun die armen Menschen wieder so reich gesegnet habe.

Endlich richtete sie sich auf und streichelte den Knaben über Stirn und Wangen, und nun machten sie sich still auf den Weg.

Im Dorfe war Alles wie ausgeflogen, die Glocke schien gleich einer Mutterstimme die Fernhingezogenen zu rufen, daß sie der Heimath nicht vergäßen. Deß hatte es keine Noth, denn bald füllten sich die Straßen wieder und Alles eilte mit doppelter Hast zur harrenden Speise. Eben bebte der letzte Ton des Geläutes aus, und schon schlug es zwölf Uhr.

Der Mittag ist glühheiß, die Sonne sticht so spitz. Nach der Mittagskirche ist es wiederum leer auf der Straße. Die Pappel beschaut sich weithin im glatten Spiegel des Weihers und kein Lüftchen bewegt ihre langstieligen Blätter; die Enten liegen am Ufer, und[4] da sie nichts zu reden und nichts zu essen haben, stecken sie die Schnäbel unter die Flügel und – gut Nacht Mittag! Eine Schaar Hühner hat unter einem leerstehenden Wagen Schatten gesucht, und nur eine unruhige aus ihrer Mitte gräbt sich tief ein in den Sand.

Das ganze Dorf ist wie schlafen gangen. Am Rathhause aber hört man gewaltigen Lärm, besonders tönt eine mächtige Stimme hervor. Alle Mannen sind dort versammelt, denn der Schultheiß bringt einen neuen Vorschlag an die Gemeindeversammlung. Zweierlei Mißlichkeiten hatten bisher beim Einzuge des Zehnten stattgefunden. Vor Allem die Scherereien durch die Zehntknechte, da war man nicht Herr seines Eigenthums, bis die Herren Zehntknechte ihren Theil geholt hatten; pachteten Ortsangehörige den Zehnten, so blieb dieser Mißstand derselbe und führte noch zu allerlei Feindschaften bei der Steigerung u.s.w. Darum hatte der Gemeinderath für dieses Jahr sowohl den »Herrenzehnten« als den »Pfarrzehnten« gepachtet, und verlangte dafür die Bestätigung der Gemeinde. Der Vorschlag war sachgemäß und billig, Alles schien einverstanden.

Da erhob sich der Sägmüller Luzian Hillebrand, der zugleich auch Obmann des Bürgerausschusses war, und rief: »Wie? will Keiner das Maul aufthun bei der Hitz'? Fürchtet er sich die Zung' zu verbrennen?«

Alles lachte und man hörte eine Stimme sagen: »Was hat der jetzt wieder?«

Luzian fuhr fort: »Was hat der jetzt wieder? hör' ich da rufen. Sollst's gleich hören und ihr Alle mit.[5] Ich muß mich jetzt schon an den Laden legen. Also wie es den Anschein hat, soll die Sach' jetzt gleich beschlossen werden, butschgeres fertig, wie der alte Geigerlex als gesagt hat. Aber warum hören Wir vom Ausschuß erst jetzt davon? Da sehet ihr's, ihr Mannen, wie die Herren Gemeinderäth' für die Ewigkeit, ich mein' die lebenslangen, regieren, da könnet ihr's nun wieder abmerken, daß ihr nie mehr Einen wählet, der nicht unterschreibt, daß er nach fünf Jahren austreten will.«

»Was hast denn gegen die heutige Sach'?« fragte der Schultheiß, »was sollen die griffigen Reden?«

»Kommt schon,« entgegnete Luzian, »es ist auf die Lebenslangen kein Schlag verloren, als der wo neben 'naus geht. Also nach dem Flurbuch wollet ihr den Zehnten umlegen? Nicht wahr Schultheiß und du Heiligenpfleger, du hast deine Aecker meist im Speckfeld, der Kübelfritz da hat aber seine paar Aeckerle drunten beim Heubuckel und im Nesselfang; was meinst, muß der vom Morgen so viel Zehnten geben, wie du und ich von meinen besten Aeckern, wo der Boden fett und mürb ist und wo wir die doppelten Neuning 1 machen? Saget nur Alle Ja.«

»Nein,« schrie es von allen Seiten und »hat Recht, hat beim Blitz Recht,« hinkte noch der Eine und Andere mit seiner Rede nach, als bereits wiederum Stille eintrat und Luzian dann fortfuhr:

»So? Also nein; warum stehet ihr denn aber da wie Gott verlaß mich nicht und red't kein's und deut't [6] nicht und macht nicht und bericht't nicht? Warum lasset ihr mich immer am schweren Ort anfassen? Nun meinetwegen, es geht auf die alt' Zech'. Jetzt ich mein' so: wenn der Vorschlag angenommen wird, und ich will mich nicht dagegen stäupern (widersetzen), dann macht man den Anhang dazu: man wählt noch einen Ausschuß, der den Zehnten zelgweise, wie's Kauf und Lauf ist, umlegt. Aber ihr schreibet Alle nicht gern Zettel und da du,« er stieß lächelnd seinen Nachbar an, »du fürchtest mit den Anderen, das Bier im Rößle wird dir warm. Also der Gemeinderath und drei Mannen vom Bürgerausschuß, die nehmen noch ein paar von den Halbfuhrigen 2 dazu und die vertheilen's gleichling.«

Dieses wurde nun auch einstimmig beschlossen.

Es war so erstickend heiß in der Gemeindestube, daß Viele schon innerlich grollten, weil die Verhandlung so lange dauerte, obgleich es ja ihr nächstes Wohl betraf. Andere schlichen sich, da die Thür offen gelassen werden mußte, still davon und dachten, die Zurückbleibenden würden schon ausmachen was gut sei; sie stimmten gar nicht mit, und gewiß waren diese Ausreißer nicht minder vorn dran, wenn es galt, die Ueberlasten aller Art zu beklagen. Die Ueberwitzigen beschönigen dann wohl gar ihre Faulheit mit der klugen Rede, daß der Bettelsack doch ein Loch habe und da nicht zu helfen sei, es müsse Alles anders kommen. Denn nicht blos hinter Brillen hervor dringen solche kluge Blicke, die über Alles hinaus sind und alles Thun eitel finden; die urthümliche Lungerei ist grad so weit.

[7] Endlich ward die Gemeindeversammlung aufgehoben, die Straßen belebten sich. Viele Männer zogen ihre Röcke aus und schickten sie sammt den Hüten durch herbeigerufene Knaben nach Hause; der kleine Umweg von da in's Wirthshaus war ihnen zu viel.

Allerlei Gruppen bildeten sich, wir bleiben bei der um Luzian. Er erhielt allgemeines Lob und man sagte ihm, es sei einmal so, wenn Er in der Versammlung sei, so warte eben alles, bis er dem Gemeinderathe die Streu schüttle.

Es muß hiebei bemerkt werden, daß Gemeinderath und Ausschuß, besonders wo jener lebenslang gewählt ist, sich oft verhalten, wie Regierung und Stände, so weit diese aus unabhängigen Männern bestehen. Schon geraume Zeit kämpfen alle Einsichtigen gegen die Lebenslänglichkeit des Gemeinderaths, aber das Staatsgesetz verharrt unbeugsam, und so hat man zu jenem Verfahren genöthigt, das Luzian oben angab; man hat damit den Einklang mit dem Gesetze tiefinnerlichst untergraben.

Luzian hatte noch einen besonderen Grund, warum er, wie man sagt, gerne dem Gemeinderath eine hölzerne Wurst auf's Kraut legte. Wir werden das schon noch sattsam erfahren.

»Es macht doch gottsträflich heiß,« bemerkte jetzt der Schmied Urban.

»Thut Nichts,« entgegnete Luzian, »ich weiß nicht, ich kann die Hitz' viel eher vertragen als die Kält', und ich schwitz' auch schon gern ein bisle, wenn's nur ein gut Weinjahr giebt; es ist denen Wingerter zu gunnen. [8] Soll das Gewächs auskochen, so muß der Mensch auch sein Theil Hitz mitnehmen.«

»Der Luzian schwitzt gern für die Welt, er ist ja auch so ein Stück Erlöser,« sagte der Brunnenbasche, ein wohlhäbiger, bejahrter Mann, der die Rolle des Schalksnarren im Dorfe spielte.

Luzian gab ihm keine Antwort und ging voraus.

Man ging nach dem Wirthshause. Luzian las die Zeitung, deren verschiedene Blätter in einem kleinen Kreis vertheilt waren, Andere »kartelten,« da der Pfarrer das Kegeln am Sonntag verboten hatte. Bald aber legten die Spieler die Karten weg, die Zeitungsleser rieben sich die Augen und die Buchstaben flimmerten vor ihnen, es war plötzlich stockdunkel.

»Heiliger Gott! was ist das?« rief der Erste, der zum Fenster hinaussah.

»Was giebt's?«

»Da gucket einmal den Himmel an.«

Es gab nicht genug Fenster für die Drängenden, man rannte hinaus in's Freie. Schreckensbleich wurde jedes Antlitz, das aufschaute. Schwere, schuppenartig gestaltete Wolken schoben sich im ganzen Gesichtskreise träg in einander; mit jedem Augenblicke wurde es düsterer und nächtiger. Die die Wirthsstube verlassen hatten, kehrten nicht mehr dahin zurück, sondern eilten heimwärts, immer wieder aufschauend und die Hände von sich abstreckend, als müßten sie den Einfall des Himmels von sich abwehren. Die in der Wirthsstube verblieben waren und ihre noch in der Hand gehaltenen Karten an sich drückten, um den Nachbar nicht [9] einschauen zu lassen, warfen das Spiel mit allen Trümpfen weg und nahmen sich nicht einmal Zeit, den Rest ihres Trunkes zu leeren; auch sie eilten »heimezu«.

Jedes wollte zu den Seinen stehen, als wäre das Unglück abzuwenden, wenn man sich ihm mit vereinter Kraft entgegenstemmte; jedenfalls war es leichter zu tragen.

Der Wirth war bald allein, und indem er die Reste zusammenschüttete, sagte er vor sich hin: »Und jetzt haben wir heut erst den Zehnten abgelöst.« Der Vorder- so wie der Nachsatz dieses Gedankens kam nicht zu Worte, denn er wagte es nicht, vor sich selbst die Furcht auszusprechen, die ihn erzittern machte.

Luzian ging still das Dorf hinab, manchmal zwinkerte er mit den Augen, wenn er aufschaute, und preßte die scharfgeschnittenen Lippen zusammen. Am Schulhause begegnete er dem Lehrer, der die Kirchenschlüssel trug und als Küster eben zum Wetterläuten gehen wollte.

»Ihr solltet das sein lassen, Herr Lehrer,« sagte Luzian, »wenn's da droben aufspielt, da nützt das Bimbam nichts. Ich hab' erst vorlängst noch gelesen, daß das Wetterläuten ein alter nichtsnutziger und gefährlicher Brauch ist. Wer nicht von ihm selber betet, der thut's auch nicht auf das Gebimbel hin. Es ist ja auch abkommen gewesen.«

»Ja, aber unser neuer Pfarrer hält streng auf die alten Bräuche, ich bekomme beim Unterlassen einen strengen Verweis.«

»So? Auch auf das hält er? Hätt's eigentlich wissen können. Nun, behüt' uns Gott!«

[10] Im Weitergehen schnalzte Luzian mit beiden Händen und spie oft aus. Fast vergaß er über seinem Aerger, was am Himmel vorging, er mußte sich jetzt zusammennehmen, daß ihm der Hut nicht vom Kopfe gerissen wurde; der Sturmwind wirbelte graue Staubwolken vor ihm her zusammen, schon fielen jetzt einzelne breite Tropfen, und als er die Klinke seiner Hausthür erfassen wollte, zuckte ein gelber Blitz, so daß Luzian geblendet nach dem Griffe tastete.

»Gott sei Lob, daß du da bist!« begrüßte ihn seine Frau, »was sagst du zu dem Wetter? Es wird doch, will's Gott, mit Gutem vorübergehen! So, jetzt bist doch da. Mir ist viel leichter, wenn dein Rock am Nagel hängt. Komm, gieb her.«

»Laß mir ihn noch an, man weiß nicht, wie man 'naus muß. Ist das Kind da?«

»Ja. Siehst ihn denn nicht? Da sitzt er und liest. Das giebt auch so einen Büchergucker, wie du. Victor, gieb dem Aehni (Großvater) die Hand, du hast jetzt genug gelesen und es ist ja stichedunkel.«

»Wo ist das Bäbi?« fragte Luzian.

»Draußen in der Küch', der Paule ist auch da.«

»Gang und mach' das Feuer aus und sie sollen 'rein kommen. Halt, das ist ein Schlag, der hat kracht und jetzt läutet der Schulmeister auch noch^.«

Während die Frau hinausging, trat Luzian in die Nebenstube, er fand dort eine Schlafende, die wol durch das drückende Wetter jetzt schon eingeschlafen war. Es ist dieselbe Frau, bei der wir heute beim Bittgang verblieben sind, als wir, gleich ihr die Andern weiter [11] ziehen ließen. Auf leisen Sohlen kehrte Luzian wieder in die Stube zurück, er lehnte die Thür nur an, ohne sie in's Schloß fallen zu lassen.

Die Bäbi und der Paule traten mit glühenden Wangen in die Stube. Die Mutter hatte draußen wol ein großes Feuer zu löschen gehabt. Bäbi stellte sich sogleich zu Victor an das Fenster, es gelang ihr dadurch, ihr flammendes Antlitz zu verbergen, das sie dem Vater nicht zeigen wollte.

»Guten Tag, Schwäher,« sagte Paule und steckte aus Ehrerbietung die in der Hand gehaltene Pfeife in die Brusttasche.

»Guten Tag. Bist allein hier?«

»Ja.«

»Guter Gott!« begann Bäbi, »wenn das Wetter nur keinen Schaden thut, das könnt' alle Lustbarkeit auf unserer Hochzeit –«

»Du denkst jetzt nur an dich,« unterbrach sie Luzian; »Paule wie ist's? Hat dein Vater sich in die Hagelversicherung einschreiben lassen?«

»Mein Vater? Nein. Gucket Schwäher, Euch kann ich's ja sagen; mein Vater, der ist gar wunderlich, der trappelt so 'rum und drückst und will halt nicht an die Sach, und geht man ihm scharf auf den Leib, so sagt er, daß er nur nichts zu thun braucht: man muß Gott machen lassen, wenn er Einen strafen will. Und gegen mich ist er jetzt gar, es will ihm nicht recht in den Sinn, daß ich nimmer Vorroß sein soll, daß ich jetzt halt auch an die Deichsel komm'. Deßwegen bin ich halt hehlings in die Stadt und hab' mich einschreiben[12] lassen, es ist ja bald mein eigen Sach. Mein Vater darf aber nichts davon erfahren, der ist –«

»Schäm' dich in's blutige Herz hinein,« unterbrach die Frau den Redenden, »das ist nichts, so über deinen Vater oder über einen Menschen zu reden, wer er sei, und noch dazu, wenn so ein Wetter am Himmel ist; man versündigt sich ja.«

»Drum hab' ich's immer gesagt,« begann Luzian, »der Landstand muß eine allgemeine Hagelversicherung für's ganze Land einführen, da kann Keiner mehr neben 'naus, und da ist's auch wohlfeiler; freilich ist's traurig, daß man die Leut' zu ihrem eigenen Nutzen zwingen soll; aber man zwingt's ja zu anderen Sachen, die gar nicht so nöthig sind. Drum ist der Landstand –«

»Luzian, was hast denn?« rief die Frau in Angst und Pein, »zuerst wird über die nächsten Anverwandten losgezogen und jetzt über den Landstand, und bei so einem Wetter.«

»Wenn man's ehrlich meint, darf man reden, mag's gewittern oder die Sonn' scheinen. Meinst du, unser Herrgott ist jetzt näher bei der Hand als an einem hellen Tag?«

»Mich gehen deine Bücher nichts an, und jetzt muß man einmal beten. Ich will jetzt auch nichts mehr reden, es darf keinen Zank geben, das ist ärger als Feuer auf dem Herd.«

Luzian schwieg, die Frau breitete ein Tischtuch auf dem Tische aus, legte das Gesangbuch und die Bibel aufgeschlagen an der Stelle: »Im Anfang schuf Gott[13] Himmel und Erde« mitten auf den Tisch und streute Salz auf dessen vier Ecken.

»Aehni, es gitzebohnelet« (schloßt) rief Victor am Fenster.

Die Mutter nahm ihn still an der Hand, führte ihn an den Tisch und betete dort laut mit ihm.

Luzian lächelte vor sich hin, als der Knabe las: »Guter Christ, du wirst es ja nicht deinem Pfarrer oder Seelsorger zur Schuld rechnen, wenn Hagel oder Ungewitter Schaden anrichten. Wer kann dem heiligsten Willen des Allmächtigen widerstehen? Oder was für ein Priester hat eine größere Macht als Gott selbst?« 3

Natürlich: des Priesters Macht reicht hinab in die tiefste Hölle und hinauf in den höchsten Himmel, warum sollte er dem Wetter nicht Einhalt thun können?

Rührend klang dann das alte Lied, in dem es heißt:


»Das Wildfeu'r fern hin von uns jag',

In wild's Geröhr und Hage,

Darin es Niemand schaden mag

Bei'r Nacht und auch bei'm Tage.


O reicher Gott! laß mildiglich

All' Frucht kecklich entsprießen,

Daß Arm', Elende hie redlich

Durch Gab' sein Wohl genießen.


[14]

Den armen Seelen in Fegfeu'rs Pein

Thu' bitters Leiden schmälen,

Und sie durch das Almosen rein

Den Seligen zuzählen.«


Wie mit scharfen Schroten schlug es nun gegen die Fenster, eine Scheibe sprang und aus der Ferne hörte man andere klirren, Fensterladen abknacken und Klageschreie verhallen.

»Das giebt ein gräßliches Unglück, ein gräßliches Unglück!« jammerte Luzian und rang die Hände vor sich hin.

Victor hatte schon lange neben ausgeschielt, jetzt sprang er auf und holte eine durch die geöffnete Scheibe eingedrungene Schloße; sie war fast so groß wie ein Taubenei.

»O wie schön!« rief Victor, und Alles antwortete wie aus Einem Munde: »Daß Gott erbarm!«

Immer dichter und dichter kam der Hagelschlag.

»Haufengenug, ist nimmer nöthig, es ist schon Alles hin,« sagte Luzian, nach Außen winkend, trauervoll in Ton und Miene.

Luzian und Paule schlossen schnell die Fensterladen, um die Scheiben zu wahren; Licht wurde angezündet.

»Jetzt sind wir in der Arche Noah, und du, Aehni, bist der Noah, wenn unser Haus fortschwimmt,« plauderte Victor.

»Still!« gebot Luzian mit scharfem Tone, dann setzte er flüsternd hinzu: »Es ist mir nur lieb, daß die Ahne (Großmutter) in der Kammer das Wetter verschlaft; so alte Leut' sind doch wie die kleinen Kinder, [15] die spüren die schwere Luft und sinken um. Sie ist heut' auch ein bisle zu weit mit dem Bittgang in's Feld.«

Keines redete mehr ein Wort, selbst Victor ging auf den Zehen und betrachtete das Zerfließen der Schloße auf seiner warmen Hand; nur manchmal hob er sie auf und versuchte beim Lichte durchzuschauen; Tropfen fielen auf das Gesangbuch und vermischten sich dort mit den Thränen, welche die Frau geweint hatte.

Man horchte still hinaus ob das Wetter noch nicht nachlasse, das wüthete aber immer toller; wie aus riesigen Wurfeln schüttete es immer wieder und jeder letzte »Schüttler« schien der gewaltigste.

»Das kann bei uns daheim auch sein,« sagte Paule. Niemand antwortete.

Endlich fielen nur noch einsame Tropfen an die Fensterladen. Menschenstimmen wurden auf der Straße hörbar. Man öffnete und schaute wirklich wie aus der Arche Noah hinaus. Welch ein Fluthen und Wogen überall! Das gurgelte und murmelte lustig, aber die Menschen waren nicht von der Erde verschwunden, sie waren geblieben zu Jammer und Noth.

Alles rannte durcheinander hin und her und hinaus auf's Feld, Jedes wollte seine zerschlagene Hoffnung sehen; Einige kehrten schon heim und brachten eine Handvoll ausgeraufter Aehren mit, sie zeigten sie mit thränenschweren Blicken. Heulen und Wehklagen der Frauen erfüllte die Straßen und die Häuser; stumm, gesenkten Hauptes wandelten die Männer dahin, innerlich fröstelnd ballten sie die Fäuste, sie hatten so wacker gearbeitet und die Arbeit war hin und die Hoffnung.

[16] In allen Gärten waren die Stützen der Bäume zu Boden gestreckt und neben ihnen lag das unreife Obst, fast kein Baum, dem nicht ein Ast abgeknackt war, viele waren ganz niedergeworfen.

An diesem Abende reichten die Eltern kummervoll den Kindern ihr Essen, sie selber aber hungerten und schwere Sorge nagte an ihren Herzen die bange schlaflose Nacht.

Heute hielt sich von selbst das strenge »pfarramtliche« Gebot, daß nicht mehr auf den Straßen gesungen werden durfte.

Draußen ist's so würzig, wie eine balsamische Glätte zieht es durch die Luft; in den Häusern und in den Herzen aber ist es trüb und dumpf.

Fußnoten

1 Neuning, ein Haufen von neun Garben.

2 Die nur eine einzelne Kuh zum Anspannen haben.

3 Wörtlich aus: Guter Samen auf ein gutes Erdreich. Ein Lehr- und Gebetbuch sammt einem Haus- und Krankenbüchlein für gutgesinnte Christen, besonders für's liebe Landvolk, von Aegidius Jais, S. 203.

Ein Blick in's Haus und in die Rathsstube

Ein Blick in's Haus und in die Rathsstube.

Das war ein traurig Erwachen am Montag. Die Sensen und Sicheln waren gedengelt, die Menschen fühlten ihre Sehnen gespannt und straff zu frischer Arbeit, jetzt ließen sie die Hände sinken und schauten still drein. Dennoch ruhte auf manchem Auge, das sich ausgeweint hatte, auf manchem Antlitze ein Abglanz stiller Verklärung, man möchte sagen wie auf der Natur rings umher, die sich auch ausgeweint zu haben schien.

Ein Ungemach, das hereingebrochen, sieht sich am andern Morgen ganz anders an; am Tage seiner Entstehung willst du es nicht dulden, kannst du es nicht fassen, es soll sich nicht einnisten in deiner Seele als Wahrheit; wie wäre es möglich? Du selbst lebst und deine Gedanken sind wach. Wie kann dir etwas entrissen werden, das dir angehört, das du mit deinen Gedanken festhältst? Sinkt die Nacht, versenkt dich in Schlummer und macht dich dein selbst vergessen, so faßt dich am Morgen das, was dich gestern betroffen, noch immer mit staunendem Schmerze, aber schon ist es zur Vergangenheit geworden, die mit unwandelbarer Gewißheit feststeht, du kannst nicht mehr daran rütteln und mußt dich darein ergeben, mit stillem Schmerz dein zerstücktes oder überbürdetes Leben der heilenden Zukunft entgegenführen.

Auf Feld und Flur funkelte und flimmerte der Morgenthau, der trieft hernieder, ob die Halme sich [18] auf ihren Stengeln neigen oder geknickt zur Erde geworfen sind. Die Sonne stand am Himmel in voller Pracht, sie bleibt nicht aus am Himmelsbogen, nur manchmal lagern sich Wolken, Wetter und Nebel zwischen sie und die Erde und das Erdenkind vermag nicht durchzuschauen, das Licht genügt ihm nicht, es will seinen Urquell erfassen. Das Licht aber haftet im Auge wie in der weiten Welt draußen, und das Auge vermag es nur zu schauen, weil das Licht in ihm ist. Du suchst den Urquell und er ist in dir wie in der Welt.

Das Korm am Halme, das zur Erde niedergeworfen ist, geht in Verwesung über und setzt nur zu seinem eigenen fruchtlosen Untergange neue Keime an. Der Mensch aber gleicht nicht dem Halme, er kann sich aufrichten durch die Kraft seines Willens.

Frisch auf! du mußt dich durch die Welt schlagen, ja hindurchschlagen, das ist's. Der Tag ist verloren, ausgebrochen aus der Kette deines Lebens, den du in Trübsinn und thatenloser Verzweiflung hinstarrtest.

Aus solcherlei Gedanken heraus, die er nach seiner Art hundertfältig herüber und hinüber und auf die besonderen Verhältnisse der Einzelnen anwendete, ging Luzian am andern Morgen von Haus zu Haus. Er nöthigte auf manches kummerstarre Antlitz das Zucken eines Lächelns durch seinen Haupttext: »Dem Weibervolk ist's nicht zu verdenken, das muß klagen und jammern wenn ein Hafen (Topf) in Scherben zerbricht; das ist ja grad das bravst Häfele gewesen, nein, so wird keins mehr gemacht; der Mann aber sagt: hin ist hin und jetzt wirtschaften wir mit dem, was noch [19] blieben ist. – O! die leichtsinnigen Männer, denen ist an Allem nichts gelegen, klagen dann noch die Weiber, und am Ende müssen sie uns doch Recht geben.«

Luzian brachte es zu Wege, daß mancher Mann, der Alles stehen und liegen und in sich verfaulen lassen wollte, sich nun doch aufmachte, um wenigstens das Obst zur Schweinemastung einzuheimsen.

Es war schon viel gewonnen, daß man sich wieder zur Thätigkeit aufraffte. Freilich fing man zuerst mit dem Kleinsten an, aber das trifft sich meist, daß man nach erlittenem Ungemache zuvörderst das Nebensächliche, oft Unbedeutendste in Angriff nimmt, man getraut sich noch nicht an das Hauptstück; die Hand gewinnt jedoch hiemit wiederum Stärke und Festigkeit, das Blut strömt wieder lebendiger zum Herzen und erfrischt es mit neuem Muth.

Müde und lechzend kam Luzian zu Mittag nach Hause und sein erstes Wort war: »Weib, wir müssen doppelt sparen und hausen, wir bekommen den Winter wieder große Ueberlast.«

»Ich seh' schon, wie du wieder überall sorgen und helfen willst,« entgegnete die Frau, »und du kriegst doch nur Schimpf und Undank.«

»Laß du meinen Luzian nur machen, was mein Luzian macht das ist gut,« sagte die Ahne, die im großen Lehnstuhl saß.

»Ich weiß wohl, ihr Zwei haltet zusammen wie gezwirnt,« schloß die Frau lächelnd, indem sie das Tischtuch von der Suppe zurückschlug; denn es ist hier Sitte, besonders im Sommer, daß man geraume Weile [20] vor der Essenszeit die Suppe auf das ausgebreitete Tischtuch stellt und dann das Tuch wieder über die Schüssel schlägt, um die Suppe in sich verdampfen und abkühlen zu lassen. Man liebt das heiße Essen und das langwierige Blasen nicht.

Wir sind gestern unter so seltsamen Umständen vor dem Wetter hier in das Haus geflüchtet, daß wir kaum Zeit hatten uns die Leute näher zu betrachten. Wir müssen uns damit sputen, bevor vielleicht eine unversehene Erschütterung Alles so von der Stelle rückt, daß wir den vormaligen stillen Wandel der Menschen und Verhältnisse kaum mehr herausfinden mögen.

Der ruhende Mittel- und Schwerpunkt des Hauses war die Ahne, die uns bereits gestern im hellen Sonnenschein an der Hand Victors begegnete. Die Gestalt ist groß und hager, mit runzlichem, fast klein gewordenem Antlitze, das dunkelbraune Auge scheint kaum gealtert zu haben, das blühweiße Tuch, das sie fast immer um den Kopf gebunden trägt und dessen Eckzipfel hinten weit hinabfallen, rahmt das Gesicht auf eigentümliche Weise ein und gibt ihm einen nonnenhaften Anblick; sie ist aller ihrer Sinne mächtig, im ganzen Behaben äußerst säuberlich, fast zierlich. Nur zum sonntäglichen Kirchgange entfernt sie sich vom Hause. Schon geraume Weile vor dem ersten Einläuten macht sie sich auf den Weg, erwartet sodann im Winter in der Stube des Schullehrers, im Sommer auf der Bank vor dem Rathhause den Beginn des Gottesdienstes. Mancher, der die alte Cordula so dahin wandeln sieht, eilt, um sich noch mit ihr auf der Rathhausbank zu besprechen; [21] sie hat ein offenes Herz für Leid und Lust, und oft findet hier auf dem Vorhofe eine heiligere Erhebung statt als im Innern des Tempels. Manche suchten aber auch in neckischer Weise die Ahne auf ihren Hauptspruch zu bringen, sie wollte es aber nie glauben, daß man ihrer spotte. Dieser Hauptspruch der Ahne war nämlich: »Ja, wenn der Kaiser Joseph nicht vergiftet wäre, dann wäre das und das gewiß besser.« Sie verehrte den Kaiser, von dem ihr Vater oft und oft gesprochen hatte, fast wie einen Heiligen; sein Andenken war mit dem an ihren Vater unauflöslich verknüpft, als wären sie Geschwister gewesen. Sie hegte den vielverbreiteten Glauben, daß der Kaiser, weil er's so gut mit allen Menschen gemeint habe, von scheinheiligen Pfaffen um sein junges Leben gebracht worden sei. In solch gegenständlicher Weise faßt der Volksglaube die Untergrabung der edeln Pläne des hochherzigen Kaisers. Einst las Luzian der Mutter eine Lebensgeschichte des Kaisers vor und sie behauptete, das sei just so wie ihr Vater erzählt habe, nur anders gesetzt. Das Dorf hatte bis in die neueste Zeit zu Vorderösterreich gehört und ein Oheim der Mutter war kaiserlicher Rath in Wien gewesen, sie hatte ihn noch gekannt, da er einst im Dorfe zum Besuche war; sie bewahrte noch eine Granatschnur, die er ihr damals schenkte. Der einzige Streit, den sie bisweilen mit Luzian hatte, war darüber, weil er nicht ihrem Verlangen willfahrte und nach Wien an die Nachkommen des kaiserlichen Rathes schrieb; sie behauptete immer, es sei unmenschlich wenn Blutsverwandte so gar nichts von einander wissen. Eine [22] besondere Vorliebe hatte die Mutter für den Victor, ihr Urenkelchen, sie sagte oft: »Der wird just wie der kaiserliche Rath. Wenn der Kaiser noch leben thät, der thät ihn nach Wien verschreiben, das sag' Ich.«

Man hätte fast glauben sollen, Luzian sei der leibliche Sohn der Ahne, die er auch fast immer Mutter nannte, während er in der That nur ihr Schwiegersohn war. Seine Frau neckte ihn oft und stellte sich eifersüchtig wegen der Liebschaft der Beiden zu einander; denn Luzian ging die Sorgfalt für die Mutter über Alles, und er hätte ihr gern, wie man sagt, das Blaue vom Himmel geholt, um sie zu erfreuen.

Luzian war ein Mann im Anfang der fünfziger Jahre, stämmig, ein Sägklotz, wie er von seinen Freunden manchmal genannt wurde, weil er zum Spalten zu dick war und sich nicht splittern ließ; sein Gesicht war voll und gespannt und verrieth entschiedenes Selbstbewußtsein, der starke Stiernacken bekundete Unbeugsamkeit. Noch gegen Ende des Befreiungskrieges war er zum Soldatendienste ausgehoben worden, kam aber zu keiner Schlacht. Die Sägmühle hatte er seinem Sohne Egidi übergeben und bauerte nun auf dem Gute im Dorfe. Victor, Egidi's ältesten Sohn, hatte er sich und der »Guckahne« (Urgroßmutter) zulieb in's Haus genommen, angeblich indeß, damit der Knabe der Schule näher sei.

Margret, Luzians Frau, ähnelte der Mutter unverkennbar; war auch ihr ganzes Dichten und Trachten dem Haushalte zugewendet, so war doch Luzian nicht minder ihr Stolz, nur ließ sie es nie merken wie die[23] Mutter, wenigstens nie in Worten. Sie bildete sich mehr darauf ein als Luzian selber, daß dieser schon zweimal zum Abgeordneten vorgeschlagen war. Spöttelte sie auch manchmal über sein vieles Lesen, so war es ihr doch nicht unlieb, da er dadurch fast immer im Hause war und Alles in bester Ordnung hielt; auch glaubte sie, daß er eben viel gescheidter sei als alle in der ganzen Gegend. Klagte sie auch wiederholt über die Gemeindeämter und vielen Pflegschaften, die sich Luzian aufbürden ließ, so dachte sie doch wieder im Stillen bei sich: »Ja, es versteht's eben doch Keiner so gut wie er.«

Bäbi, das hochgewachsene Mädchen mit auffallend dunkeln Augen und starken Brauen, gehört eigentlich gar nicht mehr recht in's Haus. Sie hatte noch gestern zu Paule, ihrem Bräutigam, gesagt: »Seitdem der Pfarrer uns miteinander verkündet hat und über vierzehn Tage unsere Hochzeit sein soll, da ist mir's jetzt allfort, wie wenn ich nur auf Besuch daheim wär!«

Die Bekanntschaft Egidi's mit seiner Frau und den Kindern müssen wir abwarten, bis sie sich uns selbst vorstellen.

So wären wir also hier im Hause mit Allen bekannt und können sie ungestört mit den beiden Knechten und der Magd zu Mittag essen lassen. Man kennt aber namentlich einen Bauern nicht recht, wenn man seinen Besitzstand nicht weiß; an ihm äußert sich nicht nur die ganze Sinnesweise und der Charakter, sondern dieser stützt sich auch meist darauf. In andern Stellungen bilden sich Lebenskreis, Haltung und Geltung[24] vornehmlich aus der Persönlichkeit heraus, hier aber wird das Meßbare und im Werthe zu schätzende vor Allem Stützpunkt des Charakters in sich und seiner Bedeutung nach Außen. Du wirst daher oft finden, daß ein Bauer, der Vertrauen zu dir faßt, dir alsbald all' seine Habe aufzählt, oft bis auf das Kälbchen, das er anbindet. Er will dir auch damit zu verstehen geben, was er daheim bedeutet. Da sitzen sechzig Morgen Ackers und so und so viel Wald und Matten, besagt oft die Art wie sich ein Bauer im fremden Wirthshaus niedersetzt. Gehörte Luzian auch keineswegs zu letzterem Schlage und stellte sich seine Ehre und Schätzung noch auf etwas anderes, so müssen wir doch noch schnell sagen, daß er vier Pferde, zwei Paar Ochsen, sechs Kühe und ein Rind im Stalle hatte; darnach messet. Die Pferden werden allerdings nicht blos zum Feldbau, sondern auch zu Holz- und Bretterfuhren gebraucht, da Luzian diesen Handel eifrig betreibt, der ihm manchen schönen Gewinnst abwirft.

Nach Tische wurde Luzian auf's Rathhaus gerufen. Er fand dort außer dem Schultheiß und den Gemeinderäthen auch den Pfarrer. Luzian maß diesen mit scharfen Blicken, denn er sollte ihm zum Erstenmale so nahe sitzen. Der Pfarrer war ein junger Mann, der die erste Hälfte der zwanziger Jahre noch nicht überschritten hatte, groß und breitschulterig, mit derben Händen, das Gesicht voll und rund, aber blutleer und in's Grünliche spielend, die zusammengepreßten Lippen bekundeten Entschiedenheit und Trotz; ein eigentümliches Werfen des Kopfes, das in bestimmten Absätzen von Zeit zu [25] Zeit folgte, ließ noch Anderes vermuthen. Ueber und über war der Pfarrer in schwarzen Lasting gekleidet, der lange, weit über die Kniee hinabreichende Rock, die Beinkleider und die geschlossene Weste waren vom selben Stoffe; er wollte die leichte Sommerkleidung nicht entbehren und doch keine profane Farbe sich auf den Leib kommen lassen. Der spiegelnde Firniß des rauhen Zeuges gab der Erscheinung Etwas, das ans Schmierige erinnerte, während der junge Mann sonst in Ton und Haltung eine gewisse vornehm stolze Zuversicht kund gab. Dieß sprach sich sogar in der Art aus wie er jetzt, während die Blicke Luzians ihn musterten, mit einem kleinen Lineal in kurzen Sätzen in die Luft schlug.

»Ich habe dich rufen lassen, Luzian,« sagte der Schultheiß, »wir wollen da wegen dem Hagelschlag eine Eingab' an die Regierung machen und eine Bitt' in die Zeitung schreiben, du sollst als Obmann auch mit unterschreiben.«

»Wie ist's denn, Herr Pfarrer?« fragte Luzian das Papier in Handen, »wie ist's denn? Schenket Ihr der Gemeind' den Pfarrzehnten, oder was lasset Ihr nach?«

»Von wem sind Sie beauftragt, mich darüber zu ermahnen?« warf der Pfarrer entgegen, »was ich thun werde, ist mein eigener guter Wille; ich lasse mir meine Gutthat dadurch nicht verringern, daß mich Unberufene daran gemahnen.«

»Berufen hin oder her,« sagte Luzian, »eine Ermahnung kann einer Gutthat nichts abzwacken; wenn das ja wär', so wären die Gutthaten auch minderer, [26] die auf Eure Ermahnungen in der Predigt von den Leuten geschehen.«

»Sie scheinen darum die Kirche zu meiden, um nicht zu etwas Gutem verführt zu werden,« schloß der Pfarrer und warf das Lineal auf den Tisch.

»Ich will Ihnen was sagen,« entgegnete Luzian mit großer Ruhe, da er noch nicht enden wollte, »Sie haben Beicht- und Cummunion-Zettel auch für die großen (erwachsenen) Leute eingeführt; wir lassen uns das nicht gefallen, das war beim alten Pfarrer niemals.«

»Was geht mich Ihr alter Pfarrer an? Das neue Kirchenregiment hält seine Befugnisse streng zum Heile« –

»Schultheiß, hast kein'n Kalender da?« unterbrach Luzian.

»Warum? heute ist der siebzehnte,« berichtete der Gefragte.

»Nein,« sagte Luzian, »ich hab' nur dem Herrn Pfarrer zeigen wollen, daß wir 1847 schreiben.«

Der Pfarrer stand auf, preßte die Lippen und sagte dann mit wegwerfendem Blick: »Ihre Weisheit scheint allerdings erst von heute. Ich hätte eigentlich Lust mich zu entfernen und wäre dazu verpflichtet nach solchen ungebührlichen Reden. Sie alle sind Zeugen, meine Herren, daß ich hier, ich will kein anderes Wort gebrauchen, schnöde angefallen wurde. Ich will aber bleiben, ich will ein gutes Werk nicht stören und lasse mich gern schmähen.«

Solche geschickte Wendung konnte Luzian doch nicht auffangen, er stand betroffen, Alles schrie über ihn hinein und er sagte endlich:

[27] »Ich will's gewiß auch nicht hindern, gebt her, ich unterschreib', und nichts für ungut Herr Pfarrer, ich bin Keiner von denen Leuten, die sich an einem Polizeidiener vergreifen, weil sie mit der Regierung unzufrieden sind. B'hüt's Gott bei einander.«

Niemand dankte.

Aergerlich über sich selbst verließ Luzian die Rathsstube, er hatte das Heu vor der unrechten Thür abgeladen. Der Anhang, den er selbst unter dem Gemeinderath hatte, schüttelte jetzt den Kopf über ihn.

Wir müssen um einige Monate zurückschreiten, um die Stimmung Luzians zu ergründen.

Die Regungen des tiefgreifendsten Kampfes zuckten eben erst in der Gemeinde aus. Der alte Pfarrer, der so eins war mit dem ganzen Dorfe, war plötzlich nach dem Bischofssitze berufen worden, er kehrte nicht mehr zurück, statt seiner verwalteten die Pfarrer aus der Nachbarschaft wechselsweise die Ortskirche. Kurz vor Ostern verkündete das Regierungsblatt die Ernennung und fürstliche Bestätigung eines neuen Pfarrers. Dieß war das Signal für Luzian, der den ganzen innern Verlauf kannte, daß sich die ganze Gemeinde wie Ein Mann erhob. Der Gemeinderath mit sämmtlichen Ortsbürgern reichte einen Protest gegen die neue Bestallung ein, der zu gleicher Zeit an die Regierung und an den Bischof geschickt wurde. Sie verlangten ihren alten Pfarrer wieder oder falls dieß nicht gewährt würde, das freie Wahlrecht; sie wollten keinen von den jungen Geistlichen, gegen deren Anmaßungen sogar schon beim Landstand Klage erhoben worden war. Das war die lebendigste [28] Zeit, in der Luzian seine ganze Kraft entwickelte und die Gemeinde stand ihm einhellig zur Seite. Noch ehe indeß ein Bescheid auf den Protest einging, wenige Tage vor der Fastenzeit, bezog der neue Pfarrer seine Stelle. Sonst ist es bräuchlich, daß das ganze Dorf seinem neuen Geistlichen bis zur Grenze der Gemarkung entgegengeht, dießmal aber war er nur von dem Dekan und einigen Amtsbrüdern geleitet. In den meisten Häusern sah man nur durch die Scheiben dem Einziehenden entgegen, man öffnete das Fenster erst, wenn er vorüber war, da man nicht grüßen wollte. Der Gemeinderath und Ausschuß war auf dem Rathhause versammelt, die ganze Körperschaft ging in das Pfarrhaus und überreichte abermals den Protest. Der Dekan sprach beruhigende Worte und händigte zuletzt dem Schultheiß die abschlägige Antwort des Bischofs ein. Still kehrte man in das Rathhaus zurück und dort wurde beschlossen, in fortgesetztem Widerstande zu beharren.

Am Sonntag, das Wetter war hell und frisch, versammelte sich das ganze Dorf zu einer Pilgerfahrt; in großem Wallfahrtszuge ging's nach Althengstfeld, dem Geburtsort Paule's. Viele wollten sogleich aus dem Auszuge einen Scherz machen, und schon zog Lachen und Lärmen durch manche Gruppen. Der Brunnenbasche vor Allen ging von Einem zum Andern und hetzte und stiftete, daß das Ding auch ein Gesicht bekäme; den Mädchen erzählte er, daß seine Frau bald ausgepfiffen habe, und er fragte diese und jene, ob sie ihn, einen Wittwer ohne Kinderheirathen wolle, aber ohne Pfaff, so wie die Zigeuner. Da und dort fuhr [29] ein gellender Schrei und ein Gelächter auf; der so andächtig begonnene Auszug schien zum Fastnachtsscherze zu werden. Man war's gewohnt, daß der Brunnenbasche, wie man sagt, über Gott und die Welt schimpfte und sich erlustigte, man ließ ihn gewähren; nun aber ging's doch böse aus. Luzian, der mit einigen Anderen Ordnung herzustellen suchte, kam und zog das Halstuch des Brunnenbasche so fest zu, daß er ganz »kelschblau« wurde. Alles fluchte nun über den Störenfried, den Brunnenbasche, und dieser war kaum losgelassen, als er mit lustiger Miene rief: »Fluchet meine Säu auch, dann werden sie auch fett davon.«

Jener erste Fastensonntag war der kummervollste, den Luzian bis dahin noch erlebt hatte, ihm war's so herrlich erschienen, wenn man feierlich in geschlossenem Zuge dahin wallte, und jetzt schien alles aus Rand und Band zu gehen, aller Zusammenhalt schien zerrissen. Hier zum Erstenmale erfuhr er, was es heißt, die gewohnte Ordnung aufzulösen, wenn nicht Jeder den Gleichschritt an seinem Herzschlage abzunehmen vermag. Müssen wir denn gefesselt sein durch äußere Amtsmacht? flog's ihm einmal durch den Kopf. Er konnte den verzweiflungsvollen Gedanken nicht ausdenken, denn es galt den Augenblick zu fassen, koste es was es wolle; darum rannte er, in allen Adern glühend, hin und her, schlichtete und ermahnte, und darum ließ er sich von der Heftigkeit zu solcher Behandlung des Brunnenbasche fortreißen. Es gelang ihm endlich mit Hülfe des Steinmetzen Wendel und des Schmieds Urban, Ruhe und Ernst wiederum zu erwecken, und als der [30] Zug sich nun von dem Rathhause aufmachte, begann der Schlosserkarle mit seiner schönen Stimme ein Lied, bald gesellten sich seine Kameraden zu ihm; der Pfarrer schaute verwundert zum Fenster heraus, als die Wallfahrer singend vorüberzogen.

Der Brunnenbasche war von Jedem, an den er sich anschließen wollte, fortgestoßen worden; jetzt lief er hinterdrein und murmelte vor sich hin: »Laufen die Schaf' eine Stund' weit, um sich mit ein paar Worten abspeisen zu lassen. Der Luzian ist der Leithammel. Könnt' denn das Vieh nicht einmal einen Sonntag ohne Kirch' sein? Ich will aber doch mit und sehen was es giebt.«

Als man in der Waldschlucht anlangte, war Luzian vorausgeeilt, von einem Felsen hoch am Wege rief er plötzlich: »Halt!« Die ganze Schaar stand still und Luzian sprach weiter: »Liebe Brüder und Schwestern! Ich will euch nicht predigen, ich kann's nicht und es ist hier der Ort nicht, und doch sind oft die besten Christen in den Wald gezogen und haben von dort sich ihre Religion wieder geholt. Ich hab' jetzt nur Eins zu sagen, ein paar Worte. Wir sind von daheim fort, von der Kirch', die unsere Voreltern gebaut haben; hier wollen wir schwören, daß wir zusammenhalten und nicht nachgeben bis wir unsere Kirch' wieder haben und einen Mann hineinstellen, wie wir ihn haben wollen, wir. Das schwören wir.« Luzian hielt inne, er erwartete etwas, aber die Meisten wußten nicht, daß sie etwas zu sagen hatten, nur einige Stimmen riefen: »Wir schwören.« Luzian aber fuhr fort: »Nein, nicht mit [31] Worten, im Herzen muß ein Jeder den Schwur thun. Noch eins, wir kommen jetzt in ein fremdes Dorf, wir wollen zeigen, daß wir eine heilige Sache haben.« Luzian schien nicht weiter reden zu können, er kniete auf dem Felsen nieder und sprach laut und mit herzerschütterndem Tone das Vaterunser.

Mit Gesang zogen die Wallfahrer in das Nachbardorf ein, als es eben dort einläutete. Nach der Kirche gab es manche harmlose Neckereien zwischen den Althengstfeldern und ihren neuen »Filialisten.« Währenddessen waren der Gemeinderath und Luzian beim Pfarrer, sie baten ihn, einstweilen Taufen, Begräbnisse u.s.w. in ihrem Orte zu übernehmen, da sie entschlossen seien mit ihrem neuen Pfarrer in gar keine Verbindung zu treten und auf ihrem Protest zu beharren. Ihrer Bitte wurde aber nicht willfahrt, da dieß nicht anginge, Ermahnungen zum Frieden waren das Einzige, was ihnen geboten wurde.

Zu Hause erfuhr man, daß der Pfarrer nur mit wenigen Kindern und alten Frauen den Gottesdienst gehalten; dennoch aber geschah, was zu vermuthen war. Schon am nächsten Sonntage war der Auszug klein und vereinzelt, es traten dann Fälle ein, wo man den Ortspfarrer nicht umgehen konnte, und Keiner aus der Nachbarschaft wollte taufen und die letzte Oelung geben; der Gemeinderath selber gab endlich nach und trat mit dem Pfarrer in amtlichen Verkehr. So schlief die Geschichte ein, wie tausend andere. Nur in wenigen Männern war der Widerspruch noch wach, und zu diesen gehörte besonders Luzian; er ging dem Pfarrer nie in [32] die Kirche, heute zum Erstenmale hatte er mit ihm am selben Tische gesessen und mit ihm geredet. Noch lag der Protest in letzter Instanz beim Fürsten, und Luzian wollte die Hoffnung nicht aufgeben; heute aber, er wußte nicht, wie ihm war, war er sich untreu geworden, hatte sich zu persönlichem Hader hinreißen lassen; er grollte mit sich selber.

Ein alter Volksglaube sagt: wiegt man eine Wiege, in der kein Kind ist, so nimmt man dem Kinde, das man später hineinlegt, die gesunde Ruhe. Ja, unnützes Wiegen ist schädlich, und das gilt noch mehr von dem Schaukeln und Hin- und Herbewegen der Gedanken, in denen kein Leben ruht.

»Was da, Kreuz ist nimmer Trumpf, da gehen der Katz die Haar' aus,« mit diesen fast laut gesprochenen Worten riß sich jetzt Luzian aus dem qualvollen Zerren und Wirren seiner Gedanken. Er ging hinaus aufs Feld, um die Verheerung näher zu betrachten. Allerdings war Luzian mit dem Ertrage aller seiner Felder versichert; man würde indeß sehr irren, wenn man glaubte, daß ihm die Verwüstung nicht tief zu Herzen ginge, ja man kann wohl sagen, sein Schmerz war um so inniger, weil er ein uneigennütziger war; ihm war's als wäre ihm ein lieber Angehöriger entrissen worden, da er diese niedergeworfenen Halme sah.

Der Künstler liebt das Werk, das er geschaffen, es ist aus ihm; die Stimmung dazu, die urplötzliche und die stetig wiederkehrende, die hat er sich nicht gegeben, er verdankt sie demselben Weltgesetze, das Sonnenschein und Thau auf die Saaten schickt. Auch der denkende [33] Landmann hat dasselbe Mitgefühl für das Werk seiner Arbeit, und wehe dem Menschengeschlechte, wenn man ihm diese oft geschmähte »Weichherzigkeit« austreiben könnte, so daß man in der Arbeit nichts weiter sähe, als den Preis und den Lohn, der sich dafür bietet.

Wenn der Boden überall in weiten Rissen klafft und die Pflanzen schmachten, da wird euch schwül und eng, und wenn der Regen niederrauscht, ruft ihr befreit: »wie erfrischt ist die Natur!« Noch ganz anders der Bauer; er lebt mit seinen Halmen draußen und kummert für sie; trieft der segnende Regen hernieder, so trinkt er so zu sagen mit jedem Halme und tausend Leben werden in ihm erquickt.

Wie zu einem niedergefallenen Menschen beugte sich jetzt Luzian und hob einige Aehren auf, sein Antlitz erheiterte sich, die Körner waren nothreif, sie waren fester und in ihrer Hülse lockerer als man glaubte; noch war nicht Alles verloren, wenn auch der Schaden groß war.

Durch alle Gewannen schweifte Luzian und fand seine Vermuthung bestätigt. Die Sonne arbeitete mit aller Macht und suchte wie mit Strahlenbanden die Halme aufzurichten, aber ihre Häupter waren zu schwer und in den Staub gedrückt; hier mußte die Menschenhand aufhelfen.

Als Luzian, eben aus dem Nesselfang kommend, in die Gärten einbog, wurde er mit den Worten begrüßt: »Ah, guten Tag, Herr Hillebrand.«

»Guten Tag, Herr Oberamtmann,« erwiderte Luzian, und nach einer kurzen Pause setzte er gegen den[34] begleitenden Pfarrer und Schultheiß hinzu: »Guten Tag, ihr Herren.«

Der Pfarrer nickte dankend.

»Ich habe mir den Schaden angesehen,« berichtete der Oberamtmann, »der Ihren Ort betroffen hat; das hätten wir auf der letzten landwirtschaftlichen Versammlung nicht gedacht, daß wir so bald die Probe davon haben sollen, was sich bei solchen Gelegenheiten retten lasse. Wie ich höre, sind Sie der Einzige, der in der Hagelversicherung ist.«

»Ja, ich und mein Egidi.«

Luzian hatte doch gewiß das tiefste Kümmerniß über die Fahrlässigkeit der anderen, aber er konnte in diesem Augenblicke nichts davon laut geben; so leutselig auch der Beamte war, so blieb er doch immer der Oberamtmann, dem man auf seine Fragen antworten mußte und vor dem kein Gefühl auszukramen ist, wenn man auch das Herz dazu hätte. Außerdem hatte Luzian, sobald er einem Beamten nahe kam, etwas von der militärisch knappen Weise aus seiner Jugendzeit her. In diesem Augenblicke war es Luzian, der unter sich sah, als fühlte er den stechenden Blick des Pfarrers; er schaute auf, die Blicke Beider begegneten sich und suchten bald wieder ein anderes Ziel.

Man war am Hause Luzians angelangt. Er wollte sich höflich verabschieden, aber der Oberamtmann nöthigte ihn mit in das Wirthshaus, da man dort noch allerlei zu besprechen habe. Luzian willfahrte und am Pfarrhause empfahl sich der Pfarrer. Der Abend neigte sich herein, die Dorfbewohner standen am Wege und grüßten [35] den Amtmann ehrerbietig, es schien ihnen Allen leichter zu sein, da jetzt ihre Zustände bei Amt bekannt waren, als sei nun die Hülfe bereits da.

Es wird vielleicht schon manchem Leser aufgefallen sein, daß der Beamte einen einfachen Bauersmann mit Herr anredete. Schon um dieses einzigen Umstandes willen verdiente der Oberamtmann eine nähere Betrachtung, wenn wir auch nicht noch mehr mit ihm zu thun bekämen.

Die schlanke feingegliederte Gestalt, dem Ansehen nach im Anfange der dreißiger Jahre stehend, bekundete in der ganzen Haltung etwas sorglich, aber ohne Aengstlichkeit Geordnetes. Es lag darin jene schlichte Wohlanständigkeit, die uns bei einer Begegnung auf der Straße oder im Felde darauf schwören ließe, daß der Mann in einem wohlgestalteten Heimwesen zu Hause sei. Die blauen Augen unseres Amtmannes waren leider durch eine Brille verdeckt, der braune Bart war unverschoren; nur gab es dem Gesichte etwas seltsam Getrenntes, daß die Bartzier auf der Oberlippe allein fehlte; denn es wird noch immer als eine Ungehörigkeit für einen Mann in Amt und Würden betrachtet, den vollen Bart zu haben. Diese neue Etikette rechtfertigte sich noch persönlich bei unserem Amtmann, der nebst der Gewohnheit des Rauchens auch die des Tabakschnupfens hatte. Die Dose diente ihm zugleich auch als Annäherung an viele Personen, denn es bildet eine gute Einleitung und versetzt in eigentümliches Behagen, wenn man eine Prise anbietet und empfängt. Unser Amtmann bestrebte sich auf alle Weise, sein Wohlwollen gegen Jedermann zu bekunden.

[36] Er stammte aus einer der ältesten Patrizierfamilien des Landes, in welcher, dem Sprüchworte nach, alle Söhne geborene Geheimeräthe waren. Nach vollendeten Studien hatte er mehrere Jahre in Frankreich, England und Italien zugebracht, und gegen alle Familiengewohnheit hatte er, nachdem er Assessor bei der Kreisregierung geworden war, diese gerade Carriere aufgegeben und sich um seine jetzige Stelle beworben. Er wollte mit den Menschen persönlich verkehren und ihnen nahe sein, nicht blos immer ihr Thun und Lassen aus den Akten herauslesen. In dem Städtchen gab es manches Gespötte darüber, daß er jeden Mann im Bauernkittel mit Herr anredete, die Honoratioren fühlten sich dadurch beleidigt; er kehrte sich aber nicht daran, sondern war emsig darauf bedacht, Jedem seine Ehre zu geben und seine Liebe zu gewinnen. Seine Natur neigte zu einer gewissen Vornehmigkeit, dessen war er sich wohl bewußt, und trotz seines eifrigsten Bemühens war es ihm lange Zeit nicht möglich geworden, ungezwungen sein innerstes Wohlwollen zu bekunden. Es fehlten die Handhaben, er bewegte sich mehr in Abstractionen als in bildlicher Anschauung und Ausdrucksweise; er konnte sich aber hierin nicht zwingen, die Menschen mußten seine Art nehmen wie sie war. Oft beneidete er das Gebaren seines Universitäts-Bekannten, des Doktors Pfeffer, der so frischweg mit den Leuten umsprang; aber er konnte sich dieses nicht aneignen.

Durch den landwirtschaftlichen Verein, der vor ihm blos eine Spielerei oder ein Nebenbau der Bureaukratie gewesen war, gewann unser Amtmann ein natürliches, [37] persönliches Verhältniß zu den Angesehensten seines Bezirkes. Auch mit unserm Luzian war er dort auf heitere Weise vertraut geworden.

Auf dem Wege nach dem Wirthshause begegnete den Beiden der Wendel, und der Oberamtmann fragte: »Soll ich nichts ausrichten an unser' Amrei?«

»Dank' schön, Herr Oberamtmann, nichts als einen schönen Gruß.«

Im Weitergehen erzählte der Beamte wie glücklich er und seine Frau seien, daß sie die wohlerzogene Tochter Wendels als Dienstmädchen im Hause hätten.

Im Wirthshause war Luzian viel gesprächsamer, indem er seine Ansicht entwickelte, daß man das beschädigte Korn rasch schneiden, jede Garbe in zwei Wieden binden und so aufrecht auf dem Felde dorren und zeitigen lassen müsse. Der Oberamtmann stimmte ihm vollkommen bei. Es bedurfte aber vieler Arbeit, um solches zu bewerkstelligen; die hellen Mondnächte mußten dazu genommen werden. Der Oberamtmann versprach ein schleuniges Ausschreiben an den ganzen Bezirk um Beihülfe, und Luzian sagte endlich: »Ich will heut' noch nach Althengstfeld reiten, die müssen uns helfen.«

»Ich mache den Umweg und reite mit,« sagte der Amtmann.

Aus allen Häusern schauten sie auf, als man Luzian neben dem Oberamtmann durch das Dorf reiten sah.

In dieser Woche wurde fast übermenschlich gearbeitet, aber auch Hülfe von allen Seiten kam. Nacht und Tag wurde unablässig geschnitten und gebunden; nur am heißen Mittag gönnte man sich einige Stunden Schlaf. [38] Am Samstag Abend lag Alles zu Bette, bevor die Betglocke läutete.

Es donnert und blitzt abermals

Es donnert und blitzt abermals.

Der Sonntag war wieder da. An diesem hellen Morgen wurde im Hause Luzians bitterlich geweint. Bäbi stand bei der Mutter in der Küche und betheuerte unter immer erneuten Thränen, sie nehme sich eher das Leben, ehe sie allein zur Kirche gehe. »Der Vater muß mit, der Vater muß mit!« jammerte sie immer. Auf weitere Gründe ließ sie sich nicht ein, als daß der Vater ja doch am nächsten Sonntag in die Kirche müsse. Auf die Entgegnung, daß die Trauung ja in Althengstfeld sei, wiederholte sie stets nur ihren Jammerruf. Sie wollte heute communiciren, und sie durfte nicht sagen, daß sie auf die Frage in der Beichte die Gottlosigkeit ihres eigenen Vaters bekannt und darauf das Gelöbniß abgelegt hatte, Alles aufzubieten, um ihren Vater zur Reue und zum Kirchenbesuche zu bringen; nur unter dieser Bedingung hatte sie die Absolution erhalten.

»Geh' nein, die Mutter soll's ihm sagen,« tröstete endlich die Frau.

»Sie will nicht,« entgegnete Bäbi.

»Probir's noch einmal.«

Bäbi ging hinein, die Alte blieb aber bei ihrem Spruche: »Was mein Luzian thut ist brav, und was er nicht thut da weiß er warum.«

»Man muß keinen Hund tragen zum Jagen,« ergänzte Luzian.

[39] Da warf sich Bäbi vor die Ahne auf die Kniee und geberdete sich wie rasend in Jammer und Klage; sie schwur, sich ein Leids anzuthun, sie wisse nicht was sie thäte, wenn der Vater nicht mit in die Kirche gehe. So hatte man das Mädchen noch nicht gesehen und die Ahne sagte endlich: »Ja, thu's doch Luzian, thu's dem Kind.«

»Mutter, ist's Euer Ernst, daß ich dem neuen Pfarrer in die Kirch' gehen soll?«

»Ja, thu's in Gottes Namen, thu's mir zulieb.«

»Mutter, das ist der höchste Trumpf den Ihr ausspielen könnet, Ihr wisset wohl wenn Ihr saget: thu's mir zulieb, da muß ich.«

»Ja, es muß Alles einmal ein End' haben, du hast dich lang genug gewehrt; ich wart' auf dich und geh' mit.«

»Bäbi! Hol' mir den Rock und das Gebetbuch,« schloß Luzian. Das Verlangte war schnell bei der Hand.

Heute ging die Ahne seit langer Zeit wieder mit der gesammten Familie, sie führte sich an Luzian. Egidi mit der Frau und den beiden jüngeren Kindern war von der Mühle heraufgekommen und schloß sich auch dem Zuge an. Alle strahlten voll Freude, als brächten sie ein hehres Opfer. Wer weiß was sie opfern?

Luzian ging still dahin; es ließ sich nicht erkennen, ob sein zögernder Schritt aus einem Mißmuthe kam, oder ob er blos der Mutter zulieb so bedächtig einherging. Er dankte Allen, die ihn grüßten, mit ernster Miene. In der That war es ihm fast lieb, daß er durch so heftiges Bitten zum Kirchgange gezwungen [40] wurde, er kam dadurch aus dem vereinsamten Kampfe, in dem er nach verlorener Schlacht fast noch allein auf dem Waldfelde verblieben war. Er nahm sich vor, keinerlei Groll zu hegen und unangefochten die Welt ihres Weges ziehen zu lassen.

Luzian mußte bekennen, daß der junge Pfarrer mit schöner klangvoller Stimme und in edler Haltung Messe und Amt verrichtete.

Jetzt bestieg der Pfarrer die Kanzel, Luzian stand ihm gerade gegenüber an eine Säule gelehnt, er ließ den Platz neben sich leer und blieb stehen. Der Pfarrer sprach:

»Geschrieben stehet: wer da viel säet, wird viel ernten, und wer wenig säet, wird wenig ernten«. So steht geschrieben. Ach, Gott und Herr im siebenten Himmel! höre ich euch Alle im Herzen rufen, ach Gott! ist denn der Spruch auch wahr? ... Mit dieser Frage seid ihr Alle fort, hinaus aus der Kirche, ihr seid draußen auf dem Felde, wo euer Korn und euer Hanf niedergeworfen ist und die Bäume von unsichtbarer Hand gepflückt. Dort seid ihr nun und fragt: haben wir nicht gesäet mit voller Hand? Haben wir nicht gearbeitet am Morgen früh und am Abend spät, und nun? ... Ihr murret und hadert ob der Hand des Herrn und ihr fluchet schier. Und nun? fragt ihr. Ich aber antworte euch: wer da viel gesäet:, wird viel ernten, und wer da wenig gesäet, wird wenig ernten. In euch liegt ein Feld, das liegt brach, öde und versteint, Schlangen und Gewürm hausen darin. Habt ihr es umgepflügt mit dem scharfen Pfluge der Buße [41] und euern festen Willen vorgespannt und am Seile gehalten? Habt ihr es gedüngt mit der Reue und den Samen des ewigen Wortes drein gestreut zur Tugend und heiligen That? Habt ihr? Ich frage euch. Wohl, ihr saget: ich fühle mich rein von schwerer Schuld, wer kann mir was Schlechtes nachsagen? So ruft jeder Verbrecher, selbst der Mörder, wenn er von den Händen der Gerechtigkeit gefaßt wird. Und wenn ihr in den Beichtstuhl kommt, ei freilich, da wißt ihr kaum, daß ihr einmal geflucht oder eine böse Rede geführt, und doch habt ihr Alle Alle die sieben Todsünden schon siebenmal siebzigmal begangen. Aber das ficht euch nicht an. Es ist Mancher unter euch, der jetzt unter sich schaut und seinen Hut zusammenkrempelt, er denkt: was! das ist altes Gepolter! das ewige Lämplein in der Kirche brennt nur noch matt und kommt ein guter Luftzug, aus ist's; aber die Aufklärung, das Licht, das ich in meinem Kopfe stecken habe, das allein gilt. – Schau, schau, da hätten wir also Einen, der den Aufkläricht verkostet hat, den die fürnehmen, hochgelahrten Herren in der Stadt euch gar mildiglich bereiten. Wenn du nach der Stadt kommst, siehst du vielleicht ein armes Bauernweiblein, das in einem schmutzigen Kübel, in einer schwimmenden Brühe allerlei Abgängiges heim trägt zur Mastung für ihre lieben Schweine. Siehst du, das ist der Aufkläricht, den dir die vornehmen, hochgelehrten Herren wollen zukommen lassen. Juden und Lutherische und Katholiken, die in der Staatsmastung stehen, werfen dir Etwas zu, wenn sie sich toll und voll gefressen haben und nicht mehr mögen. [42] Du freust dich damit und vergissest darob den Tisch, zu dem der Herr alle Gäste geladen, wo Alle gleich, hoch und nieder, wo es keine Gelehrten und keine Vornehmen gibt, denn der Glaube allein gilt. – In dem Aufkläricht ist ein wurmäsiger Apfel von dem alten Baume, daran die Schlange war, der mundet dir, da schmatzgest du, daß dir die Brühe von allen beiden Mundwinkeln herunterlauft, wenn die Schlange spricht: es giebt keine Erbsünde, das ist eitel Pfaffentrug aus finsteren Zeiten, wo man noch nichts wußte vom Licht und noch nicht schmeckte den Aufkläricht. Ich aber sage euch: eine ganze Brut von Schlangeneiern und einen Wurmstock von Teufeln bringst du mit auf die Welt, und so du das nicht alle Wege vor Augen hast und mit Zerknirschung erkennest, wie verworfen und nichtswürdig du bist, so bist du ewig verloren; deine Seele steckt noch zu tief im Fleisch und wehe, wenn du wartest, bis die Todessense sie herausschabt. Thut's wehe? Schneidet's? Brennt's und nagt's? Warte nur, es kommt noch besser. Wer nach dem Aufkläricht schnappt, wird eine runzliche Nase und ein krummes Maul über solche Worte machen, und um den Widerwart los zu sein, wird er mir gar zurufen: du gehst zu weit ab vom Text. Ja Brüderlein! Du bist noch viel weiter ab vom Text, ich aber bleib' dabei: wer da viel gesäet, wird viel ernten, und wer da wenig gesäet, wird wenig ernten.

»Ich hole noch ein Früchtlein aus dem Aufkläricht, es schwimmt oben auf. Mancher von euch denkt wohl: Ja, hätt' ich nur dem guten Rathe gefolgt und mich [43] in die Hagelversicherung aufnehmen lassen; da könnt' ich dem Hagel was pfeifen. Komm her, du versicherter Mann, laß dich ein bisle heraufholen. Seht ihr, da hab' ich ihn; der Neid muß ihm's lassen, es geht ihm gut und er sieht reputirlich aus. Mag's brennen und sengen und hageln und Seuchen wüthen, da steht er fest der versicherte Mann. Da steht sein Haus, es ist in der Feuerkasse – versichert, am Laden klebt ein Täfelein, sieht fast aus wie ein Ordensschmuck, das zeigt an: Tisch und Bett und Stuhl, Kisten und Kasten, der ganze Hausrath ist – versichert; das Vieh im Stall – versichert, die Aecker im Feld – versichert, die Kinder – versichert, sie sind auf der Rentenanstalt eingetragen, und wenn eines zwanzig Jahr' alt ist, bekommt es so und so viel Zinsen bis in die grasgrüne Ewigkeit hinein; sein eigen Leib und Leben – versichert, doppelt versichert, in Paris und in Frankfurt. Jetzt komm Herrgöttle und thu' mir einmal was an! So schlägt sich der versicherte Mann herausfordernd auf die hirschledernen Hosen. Ja beim Teufel! Den muß unser Herrgott laufen lassen, den kann er nimmer am Grips kriegen. Aber wie? du feuerfester, hageldichter, versicherter Mann, laß dich noch eine Weile beschauen. Wo hast du denn dein ewiges Heil versichert? Gelt, daran hast du noch nicht gedacht, das brauchst du nicht? Vielleicht glaubst du gar nicht an ein ewiges Leben, das gehört so zum Aufkläricht. Aber wart', es kommt die Stunde und du liegst auf dem Schragen und röchelst schauerlich und schnappst nach Luft, der kalte Schweiß steht dir auf der Stirn. Kennst du das Gerippe? Es [44] streckt die dürre Hand nach dir aus, o! wie schwer, wie centnerschwer liegt's auf dir; du willst mit todesschweißiger Hand abwehren, du fassest die leere Luft. Ja, krümm' dich nur wie ein Wurm, bäum' dich wie ein Pferd, fort, fort, von hinnen mußt du, deine ganze versicherte Welt bleibt dahinten. Noch rollen die Schollen nicht auf deinem Leichenaas und du stehst vor dem obersten Halsrichter, da geht's auch öffentlich und mündlich her, wie du so oft deinen Zeitungsheiligen nachgeschrieen hast, da ist der letzte Zahltag: wo hast denn deine Papiere, deine Versicherungen? Guck, da ist ein ander Sparkassenbüchlein, da ist Alles verzeichnet, die Rechnung stimmt, fast zum Verwundern. Jetzt hast's verspielt, du kommst in's Regiment, links vom Gottesgericht, und da ziehen sie dir eine feurige Uniform an, die sitzt dir wie angegossen eine Schlange schnallt sich dir als Leibgurt um, Pech und Schwefel sengen dich und brennen dich und verzehren dich nicht. In die Hölle! in die Hölle zur ewigen Verdammniß fährst du, und drunten in deinem versicherten Hause ist's oft alleinig in stiller Nacht wie das Winseln von einer Seele, die drüben die ewige Ruhe nicht finden kann. Das Gebet deiner Kinder könnte dich erlösen und die Ewigkeit deiner Qualen kürzen. Hast du sie beten gelehrt? du hast sie – versichert.«

Mancher Blick hatte sich schon beim Beginn dieser Schilderung nach der Säule gewendet, wo ein Mann feststand wie der Stein hinter ihm, aber die Blicke glitten wieder ab und jetzt fuhr der Pfarrer fort:

»Geliebte in dem Herren! Ich sage euch laut und[45] deutlich, ich habe Niemand gemeint, ich kenne Niemand, der solchen Herzens ist, aber Jeder frage sich, ob er nicht schon im Geiste den Weg betreten, so zu werden. Fern sei es auch von mir, euch davon abzuhalten, euer zeitlich Gut zu wahren, aber alles ist Tand und Staub und Moder. Und gäbet ihr mit eurem zeitlichen Gut Wohlthaten und Geschenke wie Sand am Meere, verflogen ist's, fehlt euch der Glaube. Wahret euer Gut, so viel ihr könnet, aber die einzige Versicherung ist dem, der da bauet auf dem Fels, der da ist der Glaube, der schüttert nicht und splittert nicht und stehet fest ohne Wanken. Und wenn rings umher deine Saaten das Wetter knickt, der Glaube richtet dich auf; du stehest fest wie ein Fels und Lobgesänge schallen aus deinem Munde. – Aber sei nur kein windelweicher, auszehriger, naßkalter Tropf, eher noch ein grundmäßiger Heide, wie der versicherte Mann, den mag der Herr noch in seine Zange fassen, schmieden und schweißen. Laß es nicht von dir heißen: du bist nicht kalt und nicht warm, du bist lau, darum werde ich dich ausspeien aus meinem Munde. – Eure Saaten sind geknickt, Noth und Jammer steht euch bevor. Warum? Warum frage ich euch, hat der Herr seinen Wettern befohlen, daß sie herniederfahren und euch züchtigen? Ihr habt sein vergessen in eurem Taumel, gottverlassen ruht auf Jedem von euch tausendfältige Todesschuld. Darum ....«

»Das ist schandmäßiger Lug und Trug!« erscholl plötzlich eine Stimme aus der Gemeinde.

Hat die Säule dort gesprochen? Dringen Worte aus dem starren Stein?

[46] Es wäre nicht wunderbarer, als daß eine Stimme aus der Gemeinde es wagte, sich hier zum Widerspruche zu erheben.

Die Blicke Aller richteten sich nach der Säule dort, wo Luzian stand, ein Lichtstrahl fiel grade auf sein Antlitz, auf dem ein wundersamer Glanz schimmerte: er blickte in die Sonne und seine Wimper zuckte nicht, dann schweifte sein Auge über die Versammlung hin, als wäre sie untergesunken, als suche und finde sein Blick Etwas, das über den Häuptern der Menschen um ihn her schwebte. Eine Weile herrschte Todtenstille, man hörte das Picken der Thurmuhr, es war wie der laute Herzschlag der ganzen Kirche.

Jetzt rief der Pfarrer: »Wer hat es gewagt, das Wort des Herrn hier zu schänden?«

»Ich!« rief Luzian, und legte die zitternden Hände fest auf das Herz, das ihm zu springen drohte.

»Sind eure Hände lahm? vom Satan gebunden?« rief der Pfarrer, »daß sie sich nicht erheben, um das Heiligthum von dem gottesleugnerischen Aase zu säubern?«

Ein Tumult entstand in der Gemeinde; es ließ sich nicht ahnen und bestimmen, was daraus werden sollte.

»Kommt her!« rief Luzian und streckte seine Arme weit aus, aber seine Hände waren nicht zum Segnen ausgebreitet, seine Fäuste ballten sich, »kommt her! Glaubt nicht, daß ich mich binden lasse, wie ein geduldig Lamm. Gott ist in mir, ich zerbreche die Hand, die sich nach mir ausstreckt.«

[47] »Soll der Gotteslästerer noch länger das Heiligthum entweihen?« schrie der Pfarrer schäumend vor Wuth.

Die Gemeinde war wie erstarrt, und Luzian sprach mit ruhiger, weithin vernehmlicher Stimme:

»Ja, ich muß reden, und wenn man mich jetzt auf den Scheiterhaufen legt, ich muß. Du Gesalbter da oben, du schmähest Gott und die Menschen, ich will nicht theilhaben an deiner Sünde. Hört auf mich, Brüder und Schwestern! Ich bin kein Weiser, aber ich weiß: Gott ist die Liebe, Gott lebt in uns, und schickt er Wetter und Unheil, so thun wir uns zusammen und theilen mit einander, und Keiner hat sich zu schämen, die Gaben zu empfangen, und Keiner darf hart sein, sie zu weigern. Du da oben, du willst wissen, warum Gott durch das Wetter unsere Felder verhagelt hat! Weil wir schlecht sind? Sind wir schlechter als alle unsere Nachbardörfer? Gott ist die Liebe, Gott ist in mir und die Liebe ist in mir, für euch, und ich will jetzt sterben. Die Hölle ist nur in dir da oben und in Allen wie du ....«

»Du bist verdammt und verflucht in Ewigkeit!« schrie der Pfarrer und stieg die Kanzel herab.

Der Gottesdienst war zu Ende, die ganze Gemeinde schwirrte durcheinander. Luzian ging festen Schrittes der Thüre zu, Alles wich vor ihm zurück, aber wie mit wunderbarer Kraft erhob sich die Ahne, faßte seine Hand und schritt so kräftig neben ihm her wie seit Jahren nicht. Sie gingen still heimwärts und dort sah sie den Luzian zum Erstenmale in seinem Leben weinen und laut schluchzen wie ein Kind.

[48] Die Ahne wußte gar nicht was sie beginnen sollte, sie lief kopfschüttelnd im Zimmer umher, drückte an allen Fenstern ob sie auch fest zu seien, und jagte zuletzt die Katze, die hinter'm Ofen saß, zur Thür hinaus; auch sie sollte nicht hören, daß der starke Mann weinte.

Luzian saß da, er hatte die Hand auf den Tisch gelegt und das Antlitz darauf verborgen.

»Meinst du nicht auch?« tröstete die Ahne, »wenn der Kaiser Joseph nicht vergiftet wär' und er hätt' das Leben noch, der thät' den jungen Pfarrer da in's Zuchthaus schicken? Nicht wahr?«

»Freilich,« sagte Luzian und schaute lächelnd auf.

[49]

Das Nachspiel und ein kalter Schlag

Das Nachspiel und ein kalter Schlag.

Dem Schulmeister war indeß das Nachspiel in der Orgel stecken geblieben, es sollte aber doch noch ausgeführt werden. In grausigem Wirrwarr drängte sich die Gemeinde aus der Kirche. Der Pfarrer hatte sich rasch in die Sakristei zurückgezogen, die Ministranten folgten ihm in ihren flatternden Hemden mit eiligen Schritten, als ginge es zu einem Sterbenden. Nicht so behende gelang es der Versammlung. Da ging Einer und heftete den Blick auf den Boden als suche er Etwas, als wäre ihm der letzte Bissen von einer scharf gewürzten Speise, den er sich zur Letzung und zum Nachschmacke bis zum Ende aufbewahrte, plötzlich durch den ungeschickten Stoß eines Nachbars auf den Boden geworfen worden. Fromme Mütterchen konnten kaum ihr Gebetbuch zusammenlegen, das schien so schwer als zerrten die Geister der unerlösten Worte daran, die noch gesprochen werden mußten. Alle sahen sich staunend um, und ihre Blicke fragten, ob denn das noch die Kirche, das noch die Menschen seien, ob denn nicht plötzlich ein gewaltig Zeichen erscheinen und der Himmelsbogen krachend einstürzen müßte!

Die äußere Würde ist ein sein geschliffener, behutsam anzufassender Schmuck, überlieferst du herablassend oder niedergebeugt das Diadem fremden Händen, du kannst die Grenze nicht mehr ziehen, wie weit sie dir's verschleppen, wie sie damit spielen und es gar [50] zerschmettern. So bei der äußern Würde von Personen, so von Heiligthümern und dergleichen.

Unversehens entstand in der Gemeinde ein Johlen und Gröhlen, ein Toben und Tosen, als ob das wilde Heer gefangen wäre. Man wußte nicht woher der Lärm kam, wo er entstanden, er schien aus den Wänden gedrungen. Durch Zischen und Rufen suchte man das Stimmengewirre zu beschwichtigen, aber das war wie ein ohnmächtiger Wasserstrahl, den man in die helle Lohe leitet; zischend steigt der Dampf auf und mächtiger drängt sich ihm die Flamme nach.

Losgelassen waren die Stimmen in allen Tonarten, die sonst hier still verharrten oder in gebundenen Sängen und Responsorien laut wurden.

Alles drängte dem Ausgang zu. Den Brunnenbasche hatte eine muthwillige Schaar mitten in den Weihkessel gesetzt und er arbeitete sich triefend daraus hervor. Jeder, der das Freie erreicht hatte, athmete leichter auf und fühlte sich erlöst von erdrückender Last. Niemand außer dem Brunnenbasche eilte nach Hause; man konnte sich nicht trennen ohne ein Wort der Verständigung, ohne einen gemeinsamen Halt; Jedem war's, als müßte der Andere ihm helfen, als dürfe man sich jetzt nicht verlassen und trennen.

Den frevlerischen Spott, der mit dem Brunnenbasche begangen worden, hatten nur Wenige bemerkt.

Großen Versammlungen theilt sich leicht wie elektrisch eine gewisse gemeinsame Stimmung, so zu sagen eine gemeinsame Wärme mit, so daß Niemand kaltes Blut und Ueberlegung genug hat, um, über das[51] Gemeingefühl sich erhebend, unbefangen das Vorliegende zu deuten und zu klären.

Jetzt im Freien fühlte sich Jeder wiederum selbständiger, heller. Es scheint mit den Nervensträngen oftmals sich zu verhalten wie bei den Saiten eines Instrumentes, die ihre Stimmung und Spannung ändern, wenn sie in eine andere Temperatur gebracht werden. Dennoch konnte Einer den Andern nicht lassen, ein Gefühl der Gesammtverantwortlichkeit durchbebte sie.

Der Steinmetz Wendel, der jahraus jahrein Mühlsteine meißelte, Mitglied des Bürgerausschusses war und zugleich in einer geheimnißvollen Achtung stand, weil er Vorsteher der Steinmetzen war, die unter allerlei undurchdringlichen Ceremonien alljährlich ihr Innungsfest feierten, dieser, ein schmächtiger Mann, viel gewandert und von anerkannter Klugheit, hatte eine große Gruppe Männer um sich versammelt und selbst der Schultheiß hörte ihm zu, zumal Zuhören unverfänglicher war, als selbst reden.

Endlich erschien der Pfarrer in bürgerlicher Kleidung, er hielt die schwarzeingebundene Bibel und das Meßbuch mit der linken Hand auf die Brust gedrückt; gesenkten Blickes, ohne aufzuschauen, schritt er durch die Versammelten, die sich vor ihm zertheilten; plötzlich schien ein Entschluß seinen Schritt zu hemmen, er warf seiner Gewohnheit nach den Kopf nach hinten, richtete das Antlitz aufwärts und schloß die Augen. Von allen Seiten wurde Stille gerufen und der Pfarrer sprach:

»Meine lieben Christen!« die Stimme schien ihm[52] zu stocken, man sah, er arbeitete mit aller Macht um Athem, nur zu den nächsten Umstehenden sagte er: »Ich bitte um Geduld, ich werde mich gleich fassen.« Man hörte es indeß allerwärts, und nach einer Weile fuhr er laut fort, die Hand hoch emporstreckend:

»Auf! und wenn das Gefäß meiner Seele zerbricht! – Meine lieben Christen! Ein Wetter, gräßlicher denn das eure Saaten niederschmetterte, ist aus einer Seele voll Nacht und Dunkel niedergestürzt, um das Pflänzchen des Glaubens in euch zu begraben. Fluchet nicht dem, von wannen solches ausging, er ist arm genug, und wenn er alle Güter der Erde sein eigen nennte. Gehet hin, und Jeder bete still um sein Heil und seine Erlösung durch die Gnade, wie ich es thun werde im stillen Kämmerlein auf meinen Knien, mit meinen Thränen. Er ist mein Bruder, ich lass' ihn nicht, und Niemand darf ihn lassen. Ich spreche nicht von der Schmähung, die mir angethan worden. Was bin ich? Ein unwürdiger Knecht dessen, dem wir alle dienen. Und so ihr also betet für ihn, wird der Herr euch Macht verleihen und euch begnaden, auf daß der böse Feind, der umgeht, eure Herzen nicht in seine Fallstricke reiße. Noch eins. Ich ermahne euch zum Frieden. Thuet wohl denen, die euch Böses thun. Lasset den gerechten Groll, daß das Heiligthum geschändet wurde, nicht Ihn entgelten. Will Luzian ein Luzifer werden, beweinet ihn, aber Niemand wage es, der Gerechtigkeit des Herrn der Heerschaaren vorzugreifen. Ein Jeder muß seine Haut selber zu Markte tragen, sagt das Sprüchwort; Niemand wage es, sie ihm freventlich voraus [53] zu gerben. Vielleicht will Luzian lutherisch werden, oder will er gar die neue preußische Religion, das Gemächt von dem Bruder Schlesinger. Wir können mit Gebet und frommen Ermahnungen um die Abwehr flehen, aber Niemand wage es, seine Hand –«

»Was da?« unterbrach plötzlich eine Stimme. Heute schien alles aus Rand und Band zu gehen. Der Steinmetz Wendel fuhr fort: »Mit Verlaub, Herr Pfarrer, ich red' wegen der Schwachen im Geist, die könnten schier gar meinen, Ihr wolltet aufhetzen, statt abwehren. Nicht wahr, ihr Mannen, es ist kein ehrlicher Mann im Ort und in der ganzen Gegend, der dem Luzian das Schwarze unter dem Nagel beleidigen möcht'? Hab' ich Recht oder nicht?«

»Hat Recht. Wer will dem Luzian was thun?« scholl es aus der Versammlung, und Wendel sagte schmunzelnd:

»Nun noch ein Wort. Was ihr da wegen der preußischen Religion saget, ist auch fehlgeschossen. Wir lassen uns mit dem Worte preußisch keinen Pelzmärte mehr vormachen, das ist vorbei; der Preuß' will ja auch die Religion gar nicht, er klemmt sie ja wo er kann, der Hauptpreuß', der König, ist eher euer ....«

»Genug,« unterbrach ihn der Pfarrer, »ich wußte es in tief betrübtem Herzen, daß der Verblendete nicht allein steht, daß der Zeitungsglaube noch mehr Apostel hat. Ich rede nur noch zu euch, die ihr Christen seid; ein Jeder bete still für den Andern und suche sein eigen Herz zu reinigen. Gott mit euch.«

[54] Schnellen Schrittes ging der Pfarrer seiner Wohnung zu, und nun stob Alles in wilder Hast auseinander.

»Wer geht mit zum Luzian?« rief Wendel noch. Dieser Ruf schien zu spät zu kommen, denn die Meisten hatten sich bereits zum Heimgang gewendet, sie schienen vorerst des Kirchenstreites satt und verspürten einen andern Hunger. Wendel ging blos von Egidi geleitet zu Luzian.

An diesem Mittage herrschte in allen Häusern eine sonntagswidrige Ungeduld. Die Männer setzten sich kaum ruhig zum Essen nieder und standen bald wieder auf, um sich mit Nachbarn und Freunden über das Vorgefallene auszusprechen. Es war nichts Neues zu holen, aber Jeder mußte doch sagen, wie es ihm zu Muthe war, und Jeder wollte das Ereigniß auf ganz besondere Weise erlebt haben; da waren Umstände, Vorahnungen und Wahrzeichen, die Niemand außer ihm kannte. Es war wie die Löschmannschaft nach einem plötzlich ausgebrochenen Brande, die sich nun in der Wirthsstube zusammen findet; man kann noch nicht in sein Heimwesen zurück, und Jeder muß berichten, wie und wo er überrascht ward, und was er als Einzelner im Gesammten vollbrachte.

Was nun zu thun sei, davon war nirgends die Rede. Sollte die müßige Selbstbespiegelung, diese Grundfäulniß im Charakter unserer Tage, sich auch hier schon eingefressen haben?

Es muß sich bald zeigen.

[55]

Ein Herz ist aufgegangen

Ein Herz ist aufgegangen.

Schließen wir uns an Wendel und Egidi an. Wir treffen Luzian hemdärmelig hinter dem Tische sitzen heitern Blickes dreinschauend. Die Angehörigen aber standen in der Stube und auf der Hausflur, so in starrem Schmerz in sich gebannt als läge in der Kammer nebenan eine geliebte Leiche, deren ewiger Schlaf wie zu leisem Auftreten gemahnte. Die Schwiegertochter, die hochschwangere Frau Egidi's, hielt die Kinder behutsam zum Schweigen an; sie wußten nicht was all der stille Kummer bedeute und ließen sich's gefallen, daß sie gegen alle Hausregel kurz vor dem Mittagsessen ein Butterbrod bekamen. Das Feuer auf dem Herde war ausgegangen und schickte seine Rauchwolken in die Hausflur und in die Stube sobald sich diese öffnete; Niemand blies das Feuer an. Die Knechte und Mägde trieben sich draußen umher, alle Ordnung schien aufgelöst.

»Willst's mithalten, Wendel?« fragte Luzian den Eintretenden, »von den Meinigen will keins an den Tisch; sie meinen, das sei mein Henkermahl, jetzt gleich nach dem Essen werde ich geköpft. Und ich sag' dir, ich habe einen weltsmäßigen Hunger, so hab' ich mein Lebtag keinen gespürt, grad wie wenn ich über's Hungerskraut gangen wär'. Ich möcht' nur wissen, ob die Hauptketzer, die den Pfaffen in's Zeug gefahren sind, auch allemal so einen Hunger gehabt haben, so einen grundrührigen. Weißt nicht?«

[56] »Ich hab' noch nichts davon gehört, was der Doktor Luther zu Mittag gessen hat, wie er vom Reichstag in Worms in seine Herberge heimkehrt ist,« entgegnete Wendel, Luzian die Hand schüttelnd, und dieser begann wieder: »Also du mußt mir doch auch Recht geben?«

»Freilich, es ist genug Heu unten gewesen.«

»Du bist halt der Wendel, du weißt, daß man die Birnen schütteln kann,« sagte Luzian aufstehend. Er ging die Stube auf und ab, in seinem Blicke, in seiner Haltung lag etwas Hoheitliches, wie wenn er plötzlich zum Feldherrn ausgerufen worden wäre und draußen harrten seiner die geschaarten Völker. Er schlug sich ruhig mit beiden Händen mehrmals auf die Brust, als wollte er die sich bäumende Kraft darin beschwichtigen. »Also wie Ein Mann muß die Gemeinde zu mir stehen,« sagte er endlich stillhaltend.

»O Luzian!« sagte Wendel und schaute mitleidsvoll zu dem Abgewandten auf.

»Was ist?« rief Luzian in halber Wendung sich umkehrend sprühenden Auges, »was ist? wollen sie nicht?« fuhr er in scharfem Tone fort, indem er Wendel mächtig schüttelte, als wäre dieser der Unterbefehlshaber der aufrührerisch gewordenen Truppen.

»O Luzian!« sagte Wendel kopfschüttelnd, »lehr' mich die Menschen nicht kennen. Ich bin nur um ein Jahr älter als du, aber ich bin weit in der Welt herumkommen. Guck, da zerren und bellen sie das ganze Jahr und wenn Einer heraustritt und er packt die Niedertracht bei der Gurgel und er kommt dafür in die Patsch, hui! da ist das Kätzle auf der Mauer, da [57] will Keiner was dabei haben, da duckt sich ein Jedes und sagt: ja warum hat er's auch so dumm angefangen? warum hat er sich so weit eingelassen? Er dauert mich – das ist noch das Höchste. Und wenn sie ja Zusammenhalten thäten, wär' ihnen geholfen, aber da denkt Keiner dran, da –«

»Also du glaubst –« fuhr Luzian auf und seine Hand faßte krampfhaft den Sprecher.

»Daß du allein schaffst,« fuhr Wendel fort. »Du bist ein reicher Mann, du kennst's nicht aus Erfahrung, weißt aber doch: das schwerste Geschäft ist – allein dreschen. Wenn's mehr bei einander sind, thut sich's noch so ring, es ist wie wenn der Gleichschlag den Flegel von selber heben thät. Lieber allein tanzen als allein dreschen. So ist's recht, lach' nur. Es geschieht dir auch nicht so viel. Der Pfarrer hat in der Predigt auf dich angespielt, das darf –«

»Nichts da, davon will ich nichts,« entgegnete Luzian. »Er oder Ich. Aber du bist immer so ein Schneesieber gewesen. Laß du nur mich machen. Egidi! hol jetzt das Bäbi, es soll das Essen 'rein thun, ich muß bald fort.«

Egidi kam nach einer Weile wieder und sagte, Bäbi sei in ihrer Kammer eingeschlossen, sie weine, gebe keine Antwort und mache nicht auf.

»Es wird gleich da sein,« sagte Luzian, die Lippen schärfend. Die Frau hielt ihn unter der Thüre fest und rief: »Um Gotteswillen gieb doch Fried', ich will das Essen bringen.«

»Nein, das Bäbi muß her.«

[58] Er machte sich los und ging die Treppe hinauf. Droben rief er: »Bäbi! mach auf!«

Keine Antwort.

»Bäbi, ich, dein Vater ruft.«

Man hörte Jemand schwer sich vom Boden aufrichten; ein Riegel wurde zurückgeschoben.

Luzian stand selbst eine Weile erschüttert beim Anblick des Mädchens.

»Was hast? was ist? komm abi,« sagte Luzian sanft.

»Vater, schlaget mich todt, aber ich kann mich vor keinem Menschen mehr sehen lassen,« rief Bäbi schluchzend und warf sich auf das Bett.

»Warum? warum? Gieb Antwort, red, red', sag' ich.«

»Wenn ich nur todt wäre und der Paule auch,« stöhnte Bäbi endlich.

»Bäbi!« fuhr Luzian auf, die Haare standen ihm zu Berge, es überrieselte ihn eiskalt, »Bäbi, ich will nicht hoffen, daß es Eil' hat mit deiner Hochzeit; Bäbi, ich erwürg' dich jetzt da gleich,« fuhr er zitternd fort, »wenn's an dem ist. Soll der Pfaff sagen: so geht's bei dem Gottlosen her und so sind seine Kinder? Bäbi, red' oder ich weiß nicht was ich thu'.«

»Vater! Ich mach' Euch kein' Schand,« erwiderte Bäbi.

Unwillkürlich hatte sie das Wort Ich so scharf betont, daß es Luzian durchzuckte; er hielt an sich und plötzlich kam eine seltsame Wandlung über ihn. Blitzschnell kam ihm der Gedanke, daß er seinem Kinde Unrecht thue, weil er selber in Wallung war. Er schalt sich, daß er seinen Zorn an dem unschuldigen[59] Kinde auslasse und er sagte: »Verzeih mir Bäbi, ich hab' dir Unrecht than – ich will keinem Menschen Unrecht thun, sonst bin ich verloren,« sprach er wie zu sich selber und fuhr dann fort: »Bäbi, dein Vater macht dir auch kein' Schand.«

Diese letzten Worte sprach er wie mit stockender Stimme, so daß Bäbi allen Kummer aus dem Antlitz wischte und wie erhoben zu ihm aufschaute.

Wie rasch schossen hier die Empfindungen hin und wieder. Bäbi wäre gern niedergekniet vor dem Vater, der sich so vor ihr demüthigte.

Man muß sich die machtvollkommene, über Widerspruch und Einrede erhabene Stellung des Vaters im Bauernhause vergegenwärtigen, um zu ermessen, was es heißt, daß Luzian sich seinem Kinde wie ein Büßender gegenüberstellte. Ist es schon in anderen Kreisen für einen abgeschlossenen in sich ruhenden Charakter schwer, sich zu beugen, Irrthum, Fehl und Uebereilung offen zu bekennen, umgeht man gern das Geständniß in Worten und will solches stillschweigend aus der nachfolgenden That erkennen lassen – wie unsäglich mehr war solche rasche Reumüthigkeit für den Vater hier. Das empfand Bäbi und es that ihr tief wehe, daß sie den Vater so niedergedrückt hatte.

Heischt man auch im augenblicklichen Unmuthe oft ein merkliches Reubekenntniß, so wird doch ein edles Gemüth die Beugung rasch aufheben und möchte lieber sich selbst niederwerfen und um Verzeihung flehen, daß man es so weit getrieben.

Wie vieler an Ton und Zeichen gebundener Worte[60] bedarf es, um dem unendlich raschen Fluge der Empfindung schwerfällig nachzugehen.

Vater und Tochter standen hier einander gegenüber und in ihrer Haltung schien nichts erkennbar von der Weichmüthigkeit, dem sanften Fassen und Heben in ihrem Geiste.

Der Blüthenkelch eines Menschengemüthes öffnete sich, das, wer weiß wie lange noch, verschlossen in sich geruht hätte.

Bäbi erkannte nur einfach, daß sie ihrem Vater helfen und beistehen müsse, statt ihn zu härmen; und schwingt sich ein Herz über das eigene Leid hinaus und sucht fremdes zu heilen, so ist die Erlösung gefunden.

Zum erstenmale in ihrem Leben wagte es Bäbi, die Hand ihres Vaters zu fassen; dann sagte sie: »Kommet, ich will das Essen auftragen.«

Victor ward herbeigerufen und sprach das Tischgebet. Luzian hörte zu, als vernehme er's zum Erstenmale, er schien jedes einzelne Wort in seinen Gedanken zu prüfen.

Wie er verkündet, so war's. Luzian hatte in der That einen weltsmäßigen Hunger, wie er's genannt hatte; er war dabei überaus heiter und wohlgemuth. »Mich freut das Essen und ich thue ihm seine Ehr' und Respect an, ich mein' das war' der beste Dank gegen Gott,« sagte er einmal. Niemand antwortete. Die Frau schöpfte sich auch heraus, aber sie aß nicht. Egidi war eben so lautlos.

Bäbi betrachtete den Vater immer mit freudestrahlendem Antlitze, als hätte er ihr eben erst das [61] Köstlichste und Herrlichste geschenkt. Niemand ahnte was in dem Mädchen vorging und selbst Luzian wußte nicht, welch eine Wunderblume neben ihm aufgesprossen war. Bäbi, die es sonst nie gewagt hatte, bei Tische im Beisein des Vaters ungefragt ein Wort zu reden, sagte jetzt, lange nachdem der Vater gesprochen hatte: »Ja Vater, lasset Euch nur nichts zu Herzen gehen.«

»Sei ohne Sorg', es geschieht mir nichts an Leib und Leben,« erwiderte Luzian staunend, »aber jetzt halt' der Ahne das Essen warm und paß auf, daß es nicht anbrenzelt.«

Die Ahne war nämlich bald nach der Morgenkirche in der Kammer eingeschlafen. Luzian schöpfte ihr bei Tische zuerst und das Beste heraus.

Bäbi ging immer ab und zu, sie verkostete keinen Bissen, es kam ihr fast sonderbar vor, daß die Menschen durch Speise und Trank ihr Leben auffrischen, sie betrachtete die Speisen wie Etwas, das sie gar nichts anginge; sie war so satt, so tiefgetränkt, daß sie glaubte, hundert Jahre so fortleben zu können.

In dem Hause wo sie geboren und erzogen war, das sie noch nie verlassen hatte, schaute sich jetzt Bäbi um, als käme sie eben aus der Luft herabgeflogen und hätte sich nur hier niedergelassen; fragend schien sie zu forschen, wer denn gekocht habe, wer das Haus gebaut und eingerichtet, wie der Mensch so vielerlei nöthig habe – sie wollte doch von Allem nichts; sie schien fragen zu müssen, ob denn früher schon eine Welt da war, während ihr eigen Leben jetzt erst aufging. Ein neugeboren Kind, das reden könnte, müßte so die Welt erfassen.

[62] Bäbi stand oft still, schloß die Augen und schaute in sich. Sie konnte es nicht in Worte und feste Gedanken setzen, aber sie fühlte es, in dieser Stunde war sie zum Bewußtsein ihrer selbst erwacht, wieder geboren. Wie hatte heute am Morgen namenloser Schmerz ihr ganzes Wesen aufzehren wollen, die süßeste, zuversichtliche Hoffnung war in unabsehbare Ferne gerückt. Jetzt war's ihr, als ob ein fremder Mensch in all den Klagen gerungen habe, sie selber war ja so froh, wie abgelöst aus einer fremden Hülse. Sie mußte sich fast gewaltsam die Erinnerung zurückrufen, daß sie Braut sei, daß sie auf der Schwelle stehe, ein eigen Heimwesen zu gründen. Das war ein Kind das solches erlebt hatte, wo ist es hin? Sie wäre gern zu allen Menschen hingeeilt und hätte ihnen gesagt, daß sie ihren Vater über Alles liebe, daß er mehr sei als die ganze Welt. Und Paule? Der war ja eins mit ihr, der mußte ja Alles mit erfahren und gedacht haben wie sie – oder war's nicht so?

Ein Mädchen, das den Vater verlassen, besinnt sich jetzt erst in der Entfernung der stillen Verehrung, die es für den Würdigen gehegt, sehnsuchtsvoll öffnet sich das innerste Heiligthum des Herzens und hell strahlt das erhabene Bild aller Kraft und alles Edelsinns. Wie ganz anders tritt dann wieder die Tochter dem Vater entgegen.

Bäbi hatte sich von ihrem Vater mehr als räumlich entfernt und sie erschaute ihn jetzt wie einen Heiligen, der ihr geraubt war. Nicht durch äußere Lehre, aus dem innersten Zusammenhang der Familie sollte Bäbi zum höchsten Leben erweckt werden.

[63] Wir werden vielleicht das geheimnißvoll dunkle Walten in der Seele des Mädchens noch näher kennen lernen, wenn es nicht die scharfe Wirklichkeit in sich bricht.

»Was ist das für ein Lärm?« rief plötzlich Alles in der Stube. Man sprang an's Fenster. Des Schützen Christoph drehte vor dem Hause die große »Rätsch«, das ist der Kasten aus gespannten Brettern, die ein Kammrad in Bewegung setzt. Die Rätsch dient statt der Kirchenglocken, wenn diese zur Fastenzeit nach Rom zur Beichte wallfahren. Was sollte das aber jetzt mitten im Sommer? Ein Theil der Tischgenossen rannte auf die Straße, um Erkundigungen einzuziehen, die Uebrigen eilten in die Kammer, wo die Ahne von dem plötzlichen Knattern der Rätsch aufgewacht war und laut schrie: das Haus stürze ein.

Bald erfuhr man was vorging. Der Pfarrer hatte verordnet, daß, weil die Kirche entweiht sei, keine Glocken geläutet werden dürfen; er wußte wohl, daß die Kirche das Herz der Gemeinde, zumal am Sonntage, und dieses Herz kehrte er um und um; er ließ den Altar, die Gefäße u.s.w. aus der Kirche bringen und im Freien aufstellen, um dort den Mittagsgottesdienst zu halten.

»Kannst du das lesen?« fragte Luzian den Wendel, als sie in der Kammer waren und deutete auf die innere Seite der Thüre.

»Ja,« entgegnete Wendel und las das mit Kreide hingeschriebene Wort: Thomasius!

»Komm heraus ich muß dir was erzählen,« sagte[64] Luzian und fuhr dann in der Stube fort: »Guck, wenn ich den Namen wieder seh' und hör', da weiß ich's ganz deutlich, wie es bei mir angefangen hat, daß ich den Pfaffen so auf den Haken sitze; die Hexen sind daran schuld und die Ahne drin.«

»Wie so? Hältst du denn die Ahne für eine Hex'?«

»Umgekehrt ist auch gefahren. Ich hab' mir so denkt, wenn die Ahne in alten Zeiten gelebt hätt', wer weiß ob sie nicht verbrannt wär', sie hat oft so gewundrige Sachen an sich. Und da, da ist mir's siedig heiß eingefallen, wie doch vor Alters die Welt so grausam verdammt dran gewesen ist. Ich hab' den alten Pfarrer darüber befragt, warum denn die Geistlichkeit das so lang zugeben hat, und da hat er mir bestanden, daß man wirklich und wahrhaft an Hexen glaubt hat. Wie ein Blitz ist mir's da in's Herz geschlagen: also so? Euer Sach' ist auch nicht unfehlbar? Ihr könnet auch den letzen (falschen) Weg gehen und die Weihe und der heilig' Geist hilft nicht? ... Und da hab' ich dem Pfarrer gesagt, warum denn die Lüge von den Hexen und der Zauberei in der Bibel steht. Da hat er die Achseln zuckt und mir ein Pris' anboten, weißt, wie er oft than hat, wenn er nimmer hat reden dürfen. Er hat hernach wieder sein' alt' Sach vorbracht, ich soll das Bibellesen sein lassen, das pass' nicht für einen katholischen Christen, da kuspern die Lutherischen immer drin 'rum. Wie ich fortgeh', giebt er mir ein Buch mit zum Lesen. Da steht Alles drin. Der Hexenglaube ist ein Bestandvieh, das der alt' Moses aus Aegyptenland bei uns eingestellt hat und wir müssen Kälber davon [65] ziehen, oder aber es mästen mit dem besten Futter von unseren Matten. Die Lügengeschicht' von den Hexen ist uns von den Juden und aus der Heidenzeit verblieben. Der Doktor Luther hat dem Teufel auch nicht den Genickfang geben, er hat ihm nur das Tintenfaß an den Kopf geschmissen und er ist schon vorher schwarz. Guck, und weil ich jetzt gewußt hab', daß es keine Hexen und keinen Teufel giebt, da ist Alles bei mir zusammengepoltert, grad wie wenn man bei einem alten Haus auf der einen Seite eine Wand einreißt und auf der andern fällt's von selber ein.«

»Was hast du denn aber mit dem Thomasius?«

»Ja, der Mann hat dem Faß den Boden ausgeschlagen. Jetzt horch. Von all den tausend und aber tausend Geistlichen ist Keiner dem Lügenwesen vom Teufel und Hexen auf den Leib gangen, Narr, es steht ja in der Bibel und sie brauchen's zum Pelzmärte, der Thomasius allein hat die Sach am rechten Zipfel gefaßt. Die Geistlichen sind immer mit gangen, wenn man so eine arme alte Frau verbrannt hat und haben noch betet aus ihrer Bibel und aus Anderem. Ich hab' dem alten Pfarrer offen bestanden, daß Vieles bei mir nichts mehr gilt, da hat er nur so geschmunzelt und hat gesagt: das sei schon lang und wird immer so sein, daß die Gescheiten auf Vieles nichts mehr halten, aber der große Haufe, das Volk kann nicht davon lassen. Was meinst, wie mich das grimmt hat? Jetzt wenn ich nicht von selber drauf kommen wär', so stecket' ich auch noch im großen Haufen? Eure verdammte Pflicht und Schuldigkeit ist's, ihr Geistlichen, daß Keiner [66] in der Geschichte stecken bleibt und an Teufel und Hexen glaubt, die es gar nicht giebt. Da predigen und lehren sie das ganze Jahr Sachen, von denen sie so wenig wissen wie wir, da stopfen sie die Kinder voll mit Zeugs – ich möcht' oft die Wänd' 'nauf, wenn ich hör', was mein Victor Tag für Tag auswendig lernen muß – und wenn sich das hernach in den Gedanken verhärtet und verbuttet, da schreien sie: Man darf dem Volk nicht an seinem alten Glauben anrühren. Ja wer hat ihn denn hineingepflanzt? ... Das Volk! das Volk! Weißt denn, wer das Volk ist? Wenn ich das Wort hör', geht mir allemal die Gall' über. Wer halt nicht mit regiert, geistlich oder weltlich, der ist Volk.

Der neue Pfarrer ist doch gewiß mein Mann nicht, aber das hat er Recht: was die Herren nimmer mögen, das sollen wir, das soll das Volk auffressen. Aber es ist grad das Gegentheil von dem was er gesagt hat: die Aufklärung ist's nicht, hingegen aber der Lutschebrei.

Aber die Bibel? das Wort Gottes? Es steht die Geschicht' von den Hexen und dem Teufel und der Zauberei drin – ich will nichts von der Bibel. Guck, noch jetzt wenn ich das sag', ist mir's, wie wenn ich einen Stich mitten durch den Leib bekäm', aber es geht nicht anders. Dazumal bin ich dir Tage und Wochen herumgelaufen, wie wenn mir Einer das Hirn aus dem Kopf genommen hätt'! Es nützt aber Alles nichts, in die Bibel hinein kriegt man mich nimmer.«

»Ja, Luzian,« schaltete Wendel ein, »ich seh's wohl, du bist weit ab vom Fahrweg.«

[67] »Freilich, aber ich hab' doch ganz allein den Weg zu unserem Herrgott gefunden, ganz allein, ohne Pfaff. Ich werd' die Nacht nie vergessen, es ist mir wie wenn's heut wär'! Ich bin im Spätjahr in G. und mach' mit dem R. einen Bretterhandel ab, du kennst ihn ja, er ist ein gescheiter Mann, er kämmt sich seinen borstigen Backenbart allfort mit einem Weiberkämmle und macht viel Späß', er ist auch beim Landtag. Wie wir nun beim Weinkauf sitzen, geht mir das Herz auf, und ich klag' ihm mein' Noth; da lacht er, daß er sich am Tisch heben muß und die Butellen mit wackeln. Ich mag's nimmer sagen, was er vorbracht hat, und wie er sieht, daß es mir bitterer Ernst ist, klopft er mir auf die Achsel und sagt: Luzian, folget mir und schlaget Euch die Sachen aus dem Kopf, das Sprüchwort sagt: es ist kein Strick so lang, man findet sein End; das ist aber beim Pfaffenstrick nicht wahr. Darum muß man in der Religion die Leut' für sich machen lassen, was man denkt bei sich behalten, mögen Andere glauben was sie wollen. Luzian, sagte er, Ihr wisset so gut als ich, man muß das Brett bohren, wo es dünn ist, aber da sitzt eine Astwurzel, da bricht der schärfste Bohrer. Lasset Euch ja von Euren Gedanken daheim nichts merken, vor keiner Menschenseel'. Wir haben auf Euch gerechnet, Ihr müsset bei der nächsten Landtagswahl Abgeordneter werden, der Alte, der, wie Ihr wohl wisset, das ganze Land im Sack hat, hilft Euch auch, aber von Religion darf dabei nicht die Rede sein. Es kann Euch nicht fehlen; aber wenn das gemeine Volk merkt, daß Ihr ihm an seinen [68] Glauben wollt, da ist's aus und Amen ... So redete der R. Was meinst Wendel? Wenn mir Eins in's Gesicht geschlagen hätt', es hätt' mir nicht weher than. Ich hab' still austrunken und bin heim. – So? Also auch die Leut', die thun, wie wenn ihnen der Teufel aus der Hand fressen müßt', die wollen in dem Stück von der Religion nicht 'raus mit der Farb', man fürchtet sich? Guck Wendel, ich hab' zu gar nichts mehr auf der Welt Zutrauen gehabt. Ich hab' austrunken und bin fort, heime zu, und es ist mir doch grad wie wenn ich auf der ganzen Welt nirgends mehr daheim wär', es geht mich Niemand mehr was an; ich geh aber die Straß' hin, wie wenn mich Eins fortschuben thät. Brennend heiß ist's über mich kommen: ja, ja, es hilft Einem kein Mensch auf der Welt, du mußt dir selbst helfen. Wenn ich nur wüßt' wo ich's anpack'. Jetzt ist mir's gewesen, wie wenn ich gestorben wär', die Leut laufen 'rum und wollen mich begraben und ich kann ihnen nicht zurufen, daß ich leb'. Jetzt hab' ich ausdenken wollen, wie's sein wird wenn ich gestorben bin, was meine Leut' machen und die Anderen, wie's im Dorf aussieht, was sie reden und treiben. Ich bin aber nicht weit kommen, da kann ich nimmer fort mit meinen Gedanken. Alles ist mit mir gringel'rum gangen, wie dazumal wie ich auf den Straßburger Münster 'naufgestiegen bin und ich gemeint hab', jetzt müss' ich mich 'nunterstürzen; ich hab' laut aufgeschrien, und ich hab' gemeint, ich werd' närrisch. Mein Lebtag hab' ich doch kein' Angst gehabt und jetzt ist mir's wie wenn aus jedem Busch Einer käm' und schießt mich todt, da [69] liegst du. Jeder Steinhaufen am Weg kommt mir wie ein Unthier vor, das da liegt und nur wartet, bis ich dort bin und dann aufschnappt. Ich hab' beten wollen und hab' nicht können ....«

»Ja, Luzian, das sind die Geburtswehen, dazumal ist der alte Luzian gestorben und der neu' auf die Welt kommen,« schaltete Wendel ein.

»Horch, paß auf,« fuhr Luzian fort: »Wenn mich jetzt der Tod streckt, hat mir's doch eine Menschenseele abgenommen. Es ist lang Nacht, kein Stern am Himmel und auf allen Zinken und Ecken flimmert ein Licht aus den einzechten Häusern und wo ich an einem Haus an der Straß vorbeikomm', da hör' ich beten. Ich steh manchmal still, und es friert mich und ist doch gar nicht kalt. Die Hunde bellen und geben kein' Ruh, die Leut' gucken zum Fenster 'raus und beten weiter und schauen was es giebt; fort, fort bin ich wie ein Galgendieb, es war mir wie wenn ich den Leuten was aus ihrem Gebet gestohlen hätt'. Jetzt fängt es sachte an zu regnen, es säuselt nur so herab, der Kopf hat mir brennt und das hat mich ein bisle abkühlt. Ich bin so meines Weges fort und es hat sich mir ein Lied durch die Seel' gesprochen, das die Mutter singt:


Alte Welt, Gott gesegne dich,

Ich fahr' dahin gen Himmelrich.


Ich hab' nun gar nichts Anderes im Sinn gehabt als die paar Worte, die haben sich immer allein gesungen und es ist mir gewesen wie wenn mich Eines nach der Weisung von dem Lied am Leitseil halten thät', und[70] da ist mir's wieder sterbensangst worden und ich hab' laut aufgeschrieen und bin selber erschrocken wie's im Wald widerhallt. Der Regen ist stärker kommen und es hat nur so pflatscht, und ich hab' dir kaum einen Fuß heben können, meine Kniee sind wie abbrochen; ich schlepp' mich noch fort bis zu dem Steinbruch, wo du das ganze Jahr schaffst; unter deinem Strohdach dort hab' ich mich auf die Steine hingelegt. Ich hab' kein' Müdigkeit mehr gespürt, wie ich so da lieg', aber doch ist mir's wie wenn ich von der ganzen Welt ausgestoßen wär', ich hab' keine Frau und keine Kinder und kein Haus, nichts, nichts – und unser Herrgott droben verläßt mich auch. Da hab' ich unsern Herrgott bittet, er soll mir ein Zeichen geben, ein Zeichen, was es sei, daß ich weiß, ich bin nicht auf dem unrechten Weg. Still hab' ich hingehorcht, ob nichts kommt; es läßt sich aber nichts hören, als der Regen, wie er durch die Bäume rieselt und rauscht, wie wenn Blatt und Zweig zu einander sagen thäten: es schmeckt gut und frisch, laß dir's wohl bekommen, ich hab' auch mein Theil. Jetzt spricht sich wieder das alte Lied:


Alte Welt! Gott gesegne dich,

Ich fahr' dahin gen Himmelrich.


Wie ein Blitz ist mir's jetzt aufgangen: das ist noch alter Aberglaube von dir, daß du ein Zeichen willst; es ist erlogen, daß je Einer eins bekommen hat, sonst müßt's jetzt auch sein und da hätt' unser Herrgott viel zu thun. Was Engel! Giebt's keine Teufel, so giebt's auch keine Engel. Sind einmal Wunder geschehen, so[71] müßten sie auch jetzt vorkommen, weil aber jetzt keine geschehen, so sind auch nie keine geschehen. Sag du, Bibel, was du magst. Und jetzt wird mir's auf einmal, wie wenn ich in lauter Seligkeit schwimmen thät': du willst rechtschaffen sein! hab' ich laut vor mich hingesagt und Alles hat mir in Freuden gelacht wie lauter liebe Menschengesichter, die ich seh' und die ich doch mit keinem Aug' erblickt hab', und jetzt hab' ich's ganz deutlich gespürt: ja, ich bin auf dem rechten Weg ... Ich kann dir nicht sagen, wie mir's war, aber so wie wenn mich unser Herrgott selber geküßt hätt', und ich bin aufgesprungen und hätt' gern jetzt die ganze Welt glücklich gemacht. Ich hab' gewußt und weiß es, ich bin nicht schlecht und will nicht schlecht sein. Was will ich denn? Könnt' ich nicht in Fried' und Ehren leben, wenn ich den Aberglauben sein ließ'? Aber ich darf nicht und will nicht. Ich hab' mich wieder umgelegt, ich mag nicht heim, mir ist so wohl da draußen wie wenn ich vom Tod auferstanden wär'; so glücklich bin ich noch nie gewesen wie da in der Stund.«

»Du bist ja dagelegen wie der Erzvater Jakob auf dem Stein, wo er gesehen hat wie die Engel auf einer Leiter auf und nieder steigen vom Himmel,« bemerkte Wendel schalkhaft; Luzian aber erwiderte ernst:

»Was! auf und nieder steigen von dem Himmel! das ist ja auch alter Aberglaube, daß auf dem blauen Deckel da oben unser Herrgott sitzt. Nein, mir ist's anders gewesen, rings 'rum um die ganze Welt giebt es Menschen, freie, gute, die sind mir lieber als die Engel die auf und absteigen. Ich bin gleich fertig, [72] ich muß dir auserzählen. Erst gegen Morgen bin ich heimkommen und meine Leut' haben nicht gemerkt, warum ich von da an so heiter gewesen bin, der Ahne hab' ich's so halb und halb berichtet. Ich will mich nichts berühmen, es könnt' ein Jedes braver sein, wenn es sich ehrlich fragt; aber von dem Tag an hab' ich mit Wissen und Willen gewiß keinem Menschen was Leids than und hab' geholfen wo ich kann. Drum bin ich jetzt so heiter. Guck, die Pfaffen die plagen Einen immer mit unserer Sündenschuld, ja freilich es hat ein Jedes sein Bündele, aber man kriegt' mehr Kraft, wenn man Einem sagen thät: freu dich an dem Rechtschaffenen was du than hast. Wenn man's betrachtet, will's eigentlich nicht so viel heißen und man thut weiter. Guck, das Blut könnt' ich theilen mit meinen Nebenmenschen und ich schäm' mich, wenn sie sich für einen guten Dienst bei mir bedanken, und da soll ich mir von dem Pfaff sagen lassen: das sei Alles für die Katz, wenn man den rechten Glauben nicht hat? Nein, und neunzigmal nein. Wenn ich nicht vor mir selber sagen kann, du willst rechtschaffen sein, da bin ich verloren. Erst heut hab' ich meiner Bäbi Unrecht than und ...«

In diesem Augenblick hörte man ein Geräusch in der Küche. Das Schubfensterchen, das nach der Stube führte, ging ganz auf, eine Pfanne fiel lärmend auf den Steinboden. Luzian setzte nur noch hinzu: »Aber das ist jetzt vorbei.«

»Du guter Kerle,« schloß Wendel, »du hast dich hart angriffen und plagt, bist 'rum gelaufen wie ein[73] verscheuchter Dieb und ist doch gar nicht nöthig gewesen. Narr, was man nicht verheben kann, das läßt man liegen. Ich hab's viel kürzer gemacht. Wie ich zu Verstand kommen bin und es hat Vieles nimmer 'nein wollen, da hab' ich's halt draußen gelassen mit aller Ruh. Mag die Bibel und Alles, was da davon herstammt, sehen, wo es ein Unterkommen findet, bei mir ist kein Platz. Ich lass' aber die andern Leut' auch treiben, was sie wollen; ich dürft' nichts anfangen, wenn ich auch wollt'. Ich muß von meinem Handwerk leben und gelte drum nicht viel; du, du darfst dich schon eher an den Laden legen, du bist der reichste Mann im Ort.«

»O Wendel!« sagte Luzian mit weicher Stimme, »du kannst dir nicht denken, wie tief es bei mir gesessen ist; drum darf ich meine Nebenmenschen nicht laufen lassen, ich muß ihnen helfen. Und da siehst du's jetzt an dir selber wie es in der Welt steht, daß man reich oder g'studirt sein muß, wenn das Wort von Einem was bedeuten soll. Wo ist da die Religion?«

»Ja Luzian, du solltest halt auch auf einem andern Platz stehen.«

»Nein, ich möcht' gar nichts Anderes sein. Ich hab' mich auch lang mit dem Gedanken plagt, aber es ist am Besten so. Guck, was Anders sein wollen, was man einmal nicht sein kann, das ist grad wie wenn man sich mit dem zukünftigen Leben nach dem Tod abquält. Heut ist Trumpf, sagt der Geigerlex, jetzt bin ich da und was ich bin, will ich recht sein. Von Tag zu Tag ist mir's heller und klarer worden: es ist [74] vorbei, daß man mit alten Säcken neue flickt. Bruderherz! Jetzt geht's los und ich freu' mich drauf, daß das Gebittschriftel ein End' hat; jetzt Vogel friß oder stirb.«

»Ich fürcht',« sagte Wendel kopfschüttelnd, »ich fürcht', du wirfst das Beil zu weit 'naus. Du bist gegen die Franzosen in's Feld, und dein' Flint' ist nicht warm worden, es kann dir noch einmal so gehen und der Feind jetzt ist viel schwerer zu finden als der Franzos. Glaub' mir, wenn auch die Leut' ihre sieben Gedanken zusammenraspeln könnten, es ist jetzt grad die unrechteste Zeit, wo an allen Ecken der Bettelsack 'naus hangt. Ich will aber doch jetzt umschauen, wie's im Dorf steht.«

Wendel ging davon und Luzian zur Ahne in die Kammer.

Die Wände haben Ohren. Durch das Schubfensterchen hörte Bäbi Alles, was der Vater gesprochen, ihr ganzes Wesen bebte in stiller Freude; sie saß dann lang in Gedanken auf dem Herd und vergaß das Geschirr zu spülen. Als endlich Paule kam, trat sie ihm mit den Worten entgegen: »Mein Vater ist der heiligste Mensch von der ganzen Welt.«

[75]

Das Haus wankt

Das Haus wankt.

Das war an diesem Mittag ein Pispern und Flüstern im ganzen Hause, wo Zwei beisammen waren: es war, als ob der Holzwurm im Gebälke nage und knappere. Die Knechte und Mägde standen bei einander im Hofe, keines ging aus, trotz des Sonntagmittags. Wie wohl war es ihnen sonst, um diese Zeit mit Befreundeten nach Lust und Laune umherzuschlendern. Das Vieh ist versorgt und muß nun warten bis zum Abend, im Hause ist nichts mehr zu thun. Die Mittagskirche ist vorbei, man ist nun mit seinem Gotte fertig und kann sich selber leben. Wer den abgesonderten Gottesdienst nicht mehr kennt, wer ihn in einen Lebensdienst verwandelt, alle Zeit und aller Orten derselbe, ohne bestimmte, an einen Moment gebundene besondere Ansprüche, der mag sich kaum mehr das Wohlgefühl des Kirchgängers vergegenwärtigen, der unter Glockengeläute heimkehrt, das Gebetbuch an seine ruhige Stelle legt und dann dem Leben und seinen hunderterlei Beziehungen sich hingiebt.

Wie wohlgemuth schritten sonst die Belasteten, die die ganze Woche fremdem Willen unterthan waren, um diese Zeit dahin: sie gingen langsamen zögernden Schrittes, sie wollten sich auch von der Freude nicht zu Hast und Unruhe drängen lassen; die Freude mußte ihnen gehorchen. Heute hielt sie eine gewisse Angst zu Hause. Sie wußten nicht wie es draußen über den[76] Meister herging, sie konnten zu etwaigen bösen Reden nicht still schweigen und wußten auch nichts darauf zu sagen.

Um den Kindern Egidi's eine besondere Freude zu machen, ließ der Oberknecht das noch nicht dreiwöchige Schimmelfüllen heraus, die schwarzen und weißen Seidenhasen huschten von selbst nach, duckten sich an schattigen Plätzen nieder, blinzelten auf und schossen bald wieder hinein in den schützenden Stall; sie wurden noch dazu von Victor gejagt, weil sie seine Tauben aufgescheucht hatten, die von ihrem Schlage auf dem Baumstamm inmitten des Hofes herabgekommen waren. Victor wollte seinen Geschwistern und den andern Kindern zeigen, was für schöne Tauben er habe, und erhielt die Erlaubniß, daß man ihm schon jetzt Futter für dieselben gebe. Als alle Körnlein aufgepickt waren, schickte Egidi seine Frau mit den Kindern heim nach der Mühle, er selbst blieb bei der Mutter auf dem überdachten Treppenaltan; er hatte Viel auf dem Herzen.

»Mutter, warum redet Ihr denn auch kein Sterbeswörtle?« begann Egidi.

»Ich bin ganz wirbelsinnig worden und so krottenmüd, ich mein', es trag' mich kein Fuß mehr. Was hast denn?«

»Mutter, der Vater ist gewiß der bravste Mann unter'm weiten Himmel, aber zu Euch darf ich ja mein Herz ausschütten, es wird ja nicht verfremdet. Mutter, das thut kein gut, das kann kein gut thun. Der Vater will der Peterling (Petersilie) auf allen Suppen sein und da wird man verschnipfelt, daß zuletzt gar nichts[77] mehr an Einem ist. Er möcht' gern Alles rump und stump auf Einen Wagen thun, aber man muß nicht über die Leitern laden, sonst keit (wirft) man um. Er hat den neuen Pfarrer zum Ort 'naus haben wollen, ich hab' auch mit unterschrieben, wie nachgar alle im Ort; aber jetzt geht's einmal nicht, die Regierung ist Meister, und jetzt muß man dem Wasser den Lauf lassen. Freilich, es hat mich auch gottvergessen geschnellt, wie der Pfarrer auf den Vater angespielt hat, daß man's hat mit Pelz-Handschuhen greifen können wen er meint, aber in der Kirch', da ist doch der Platz nicht, wo man so einen Randal verführt.«

Die Mutter nickte immer rasch mit dem Kopfe und preßte die Lippen zusammen, die keine Gegenrede laut werden ließen.

Egidi fuhr fort: »Und was soll denn aus den Kindern werden, wenn sie sehen, daß man so den Pfarrer anschnurrt und nur noch fehlt, daß man ihm eins in's G'fräß giebt? Da ist kein' Heiligkeit und kein Glaube und kein Gehorsam mehr. Der Vater ist mein Vater, aber unser Herrgott ist vor ihm mein Vater. Er hat jetzt lauter große Kinder, ich hab' aber vier kleine, ich muß es wissen; man kann keine Kinder gut aufziehen ohne Gottesfurcht. Unser alter heiliger Glaube muß fest eingepflanzt sein, es kommt eh' man's versieht, so schon Manches davon, wie's nicht sein sollt'. Ich sag's ja, es ist die Zeit vom Antichrist, der Sohn muß gegen den Vater sein. Mutter, jetzt so mein' Ich, wie müssen nun erst die Anderen denken? Ich sag' das nur zu Euch. Wir müssen jetzt Zusammenhalten, Mutter, sonst [78] geht bei so schweren Zeiten Alles hinterling. Man weiß ja ohnedem nicht, wie man ungeschlagen über den Berg 'naus kommen soll. Drum mein' ich, der Vater muß nachgeben und muß von den unnöthigen Sachen lassen; er verrechnet sich, wenn er glaubt, daß die Gemeinde zu ihm steht; ich möcht' Alles verwetten, er bleibt allein und Ein Vogel macht keinen Flug. Wir stehen in Ehren da, und wir brauchen uns keine Unehre holen wegen anderer Leut'. Wenn nur alle Bücher verbrannt wären, eh' eins über's Vaters Schwelle kommen ist. Jetzt wie, Mutter? Warum redet Ihr denn nicht?«

»O du!« rief die Mutter, und stieß dem Sohn die geballte Faust auf die Brust, daß er zwei Schritte von ihr wegflog, »o du lummeliger Trallewatsch, du, du schwatzst ja 'raus, wie ein Mann ohne Kopf. Wo bist denn du her? Du hättst ja ohne deinen Vater nicht den Löffel in der Tischlade verdient. Du willst über deinen Vater 'raus langen? Er ist zu gut gegen dich gewesen, er hätt' dir sollen die Raufe höher henken, dann wärst ihm nicht so vonderhändig. Du willst den Frommen spielen und deinen Vater zum Nichtsnutz machen? Wer kann ihm was nachsagen? Dein Vater ist kein so pulveriger Hitzeblitz wie du meinst, du frühbieriger Katzenmelker du. Er weiß was er thut. Da mußt du siebenmal drum 'rum gehen, eh' du den Verstand davon kriegst; das darf man nicht so leicht weg über's Haus 'naus werfen. O du lieber Herr und Heiland im dritten Himmel droben 'rab, was sind das für Zeiten! Es giebt keine Kinder mehr. Blut wird nicht zu Wasser, sagt man sonst, das ist auch nimmer[79] wahr; von den eigenen Kindern wird man verschimpfirt und hat kein Hülf'. Da möcht' man ja Blut greinen; gang mir aus dem Weg du.« Sie weinte und schluchzte in ihre Schürze hinein.

Egidi suchte sich zu vertheidigen, es half aber nichts, sie sagte immer: »Gang mir aus dem Weg. Was thust du da? du gehörst nicht daher.«

Da Egidi Männertritte von der Stube her vernahm, ging er davon; er konnte doch jetzt seinem Vater nicht vor Augen treten.

Während dies auf dem Treppenaltan sich zutrug, hatte Bäbi in der Küche eine ganz andere Unterredung mit Paule. Dieser hatte schon unterwegs noch im Hengstfelder Walde die Angelegenheit des Tages er fahren, da ihm Einer aus dem Orte begegnete, der ihn mit den schonenden Worten stellte: »Weißt auch schon von deinem Schwäher?« Zum Tode erschrocken vernahm Paule das Ereigniß und eilte dann so rasch über den zur Zeit verbotenen Wiesenweg, daß sich kaum das Gras unter seinen Füßen bog. Er stellte sich die Sache und ihre Folgen noch viel schlimmer vor; er wußte nicht wie, und war nun beruhigter, Alles in gewohntem Gleise zu finden; daß aber durch das unterlassene Aufgebot die Hochzeit heut über acht Tage nicht stattfinden konnte, machte ihn ganz wild. Er wollte sogleich zum Pfarrer und ihn bitten, noch am Mittag das Fehlende nachzuholen, Bäbi aber hielt ihn zurück, indem sie sagte:

»Bleib', er thut's doch nicht und du kriegst nur auch noch Händel, und ich möcht' auch um die Welt nicht[80] schon jetzt fort und meinen Vater verlassen. Ich könnt' mir alle Adern schlagen lassen für ihn, er ist jetzt mein Einziges.«

»Und ich? ich gelt' gar nichts?« fragte Paule.

»Paule, du bekommst jetzt ein ganz ander Weib. Ich kann dir's nicht so sagen. Könnt' ich nur mein Herz aufmachen und dich 'nein sehen lassen, aber ich weiß wohl, das sind Gedanken, die kann man nicht sehen. Du wirst's aber schon erfahren. Ich möcht' jetzt ein' ganz andere Sprach' haben, ganz andere Wort', ich weiß nicht wie, ich kann gar nichts reden. Guck, bis heut Nachmittag bin ich ein Kind gewesen, und da bin ich auf einmal aufgewacht, wie wenn ich mein' Lebtag geschlafen hätt'! Du mußt nicht lachen, ich kann halt nicht reden; und wenn's auch hinterfür 'raus kommt, es ist doch nicht so. Die alt' Bäbi, die findest du nirgends mehr, aber du machst doch einen guten Tausch.«

»Laß dich beschauen,« entgegnete Paule, die zur Erde Blickende am Kinn fassend, »du bist doch noch die Bäbi, die uralt'; wenn mir recht ist, ich mein' ich hätt' dich schon einmal gesehen, geht dir's nicht auch so? Ich weiß nur nicht, wo ich dich hinthun soll. Aber du siehst ja heut so glanzig aus, wie geschmälzt, ich will's einmal verkosten.«

Er küßte sie gewaltsam, aber Bäbi schüttelte sich, als ob sie's grausele, dann rief sie: »Um Gotteswillen, Paule, mach' jetzt keine Späß!«

»Hu, man wird dich doch anrühren dürfen,« entgegnete Paule, »du thust ja, wie wenn dir ein Frosch in's Gesicht gesprungen wär', du verwunschene Prinzessin.

[81] Wenn du mich nicht magst, kannst mich noch laufen lassen. Ich will dir nicht überlästig sein.«

»Paule, versündig' dich nicht. Ich kann jetzt halt gar nichts mehr denken als meinen Vater, der ist jetzt mein Einziges.«

»So heirath' deinen Vater,« entgegnete der Zornige und wendete sich ab.

»Paule,« bat Bäbi wieder, »wenn ich dich beleidigt hab', verzeih mir's, ich will ja keinen Menschen kränken, und dich gewiß nicht, bittet ja ein Vater sein Kind ... Paule, guck um, sieh mich an; es ist sündlich wenn man nur eine Minut' einander weh thut, verzeih mir, da hast meine Hand.«

Paule hatte wahrscheinlich noch Weiteres erwartet, daß Bäbi auf ihn zukomme und ihn umhalse; als sie das nicht that, verließ er, trotzig mit den Füßen schleifend, die Küche, und begann ein Lied zu summen. Weil ihn Bäbi um Verzeihung gebeten hatte, glaubte er, sie habe ihm schwer Unrecht gethan, und er wußte doch nicht recht was. Er wollte gleich wieder heim, im Hofe aber besann er sich eines bessern, musterte den Stall und unterhielt sich mit den Knechten.

So war auf zwei Seiten im Hause Mißhelligkeit ausgebrochen, Luzian allein saß ruhig bei der Ahne.

»Du mußt jetzt das Herz in all' beide Hände nehmen,« sagte sie, »schick' du mir nur die Leut' her zu mir, ich will's ihnen schon ausreden, was man mit so einem Pfarrer anfangt. Wenn nur mein Vater noch leben thät, der wär' der Mann für dich, aber mein Vater ist todt, und der Kaiser Joseph ist vergiftet.«

[82] Luzian wollte hier das Ende der Mittagskirche abwarten, aber er war so voll Jast, daß er nicht ruhig auf dem Stuhle sitzen konnte; er ging daher fort. Als er auf der Treppe seine Frau so betrübt sah, sagte er: »Sei ruhig, Margret, es ist noch nicht Alles hin, das Bettelhäusle steht noch. Wo ist der Egidi?«

»Laß ihn laufen, er ist in's Dorf.«

In der Frau war eine seltsame Wandlung vorgegangen. Anfangs war sie böse auf ihren Mann und gar nicht gewillt, ihm beizustimmen: wer Haus und Kinder hat, hat Sorgen genug, was braucht der sich Anderes aufzuladen. So dachte sie. Als aber Egidi sich so viel herausnahm, durfte sie das von dem Kinde nicht dulden. Was anfangs Widerspruch gegen das Kind war, das schien nach und nach sich als ihre Meinung festzusetzen. Wenn die Welt gegen ihren Mann sein sollte, dann war sie gewiß auf seiner Seite.

Ob dieser Stand wohl aushalten wird?

Luzian ging durch Scheune und Stall und sah Allem nach. Als er hier Paule traf, sagte er: »Wo hast denn das Bäbi?«

»Es ... Es will sich anders anziehen,« entgegnete Paule stotternd.

»Laß dich's nicht verdrießen,« sagte Luzian, »daß deine Hochzeit 'nausgeschoben wird; von deßwegen sind wir doch lustig und es ist ohnedem besser, daß wir jetzt bis nach der Ernte warten.«

»Mir pressirt's nicht,« erwiderte Paule.

Luzian ging durch die Scheuern nach dem Bienenhaus. Dort war sein Lieblingsplätzchen.

[83]

Es regt sich im Dorfe

Es regt sich im Dorfe.

Die Stimmen der Gemeinde, die heute Morgen noch zu verflattern schienen, sammelten sich jetzt in Chören, in denen Einzelne selbst den Akkord angaben.

Wir können die Gruppe nicht übergehen, aus der Lachen und Johlen herausschallt; der über Alles hinausige Brunnenbasche führt das große Wort; hört nur, wie er schreit:

»Katzenhirn habt ihr gefressen, wenn ihr noch was mit den Schwarzkitteln zu thun haben wollt; nichts, gar nichts, mit gar keinem, da trifft man den rechten gewiß. Das kann man ja an seinen sieben Simpeln abnehmen, daß man's nicht braucht; es ist doch Alles verlogen. Drum muß man's machen wie selber Bauer, dem sagt Einer: Euer Hund ist mager – Er frißt nicht, giebt er zur Antwort – warum? – Ich geb' ihm nichts – Warum? – Ich hab' nichts – So muß man –«

Allgemeines Gelächter übertoste die Moral, die hieran geknüpft wurde. Ein junger Bursche, der eine Soldatenmütze trug, fragte den Brunnenbasche: »Warum habt denn Ihr den Pfarrer nicht auf's Korn genommen?«

Der Brunnenbasche trat zwei Schritte zurück, drückte die Augen zu, als ob er zielte und sagte dann: »Weil ich mein Pulver nicht an Spatzen verschieß'. Comprenez-vous, Monsieur? sagt der Franzos.«

Wenn der Basche zu wälschen anfing, dann ging's[84] erst recht los, da kamen dann die Dinge vor, trotz deren Gemeinkundigkeit die geistliche Gewalt noch ungeschmälert fortbesteht. Die Zuhörerschaft wurde heute selbst von den saftigsten Geschichten nicht gefesselt, und wir wollen uns auch weiter umschauen.

Wendel war im obern Dorfe dem Schmied Urban begegnet, sie reichten sich unwillkürlich die Hand wie zum Willkomm. Wenn ein folgenschweres Ereigniß eingetreten ist, so wird die Trennung einer Stunde zu einem langen Zeitraum; man trifft sich wieder wie nach großer Abwesenheit, schließt sich auf's Neue an einander an, und der Händedruck sagt, daß man zusammenhalte.

»Was macht der Luzian?« fragte Urban.

»Er ist daheim und wird bald kommen, wir müssen vor schauen, wie's steht.«

Sie gingen mit einander nach dem Rößle. Vor dem Wirthshause standen die angesehensten Mannen im Schatten des Brauhauses. Natürlich war Luzian und seine That Mittelpunkt des Gesprächs. Wendel und Urban horchten still hin, nur allgemeine Redensarten wurden laut, wie: das ist ein schlimmer Handel u.dgl. Wurde die Sache eingänglicher betrachtet, so bezeichnete man sie nur als eine Sonderangelegenheit Luzians. Manche bedauerten in der That aufrichtig, daß er sich eine so böse Geschichte auf den Hals geladen.

»Drum müssen wir ihm helfen tragen,« sagte der Schmied Urban, und hob die breiten Achseln als wollte er sich bereit machen, ein gut Theil aufzunehmen.

»Freilich,« hieß es drauf, »der Luzian hat sich der Bürgerschaft immer am meisten angenommen.«

[85] Und nun ging es zur Hin- und Widerrede:

»Wir kriegen den Pfarrer nicht weg, das geht einmal nicht.«

»Was ist denn da zu machen? die Zeit verzetteln und auf's Oberamt für nichts und wieder nichts.«

»Der Luzian bringt all fort das Dorf in Ungelegenheit, er möcht' gern den Herrn über Alle spielen.«

»Das ist verlogen. Sei's was man braucht, der Luzian hilft Einem aus, aber wer Einmal sein Wort nicht gehalten hat, von dem will er nichts mehr. So ist's.«

»Wie kann die Geschichte nur ausgehen?«

»Wie wir sie 'naus führen.«

»Der Pfarrer muß fort, das freie Wahlrecht muß her.«

»Das kriegen wir nicht.«

»Wenn nur der Pfarrer selber abdanken thät', da wären wir am besten erlöst; wir ließen ihn über das Samenfeld 'neinfahren, nur fort.«

»Ja, kauf du der Katz den Schmer (Speck) ab.«

»Wir haben an dem Hagelwetter genug zu leiden, wir können keine neue Händel brauchen.«

»Es sollen sich jetzt auch einmal andere Gemeinden um das freie Wahlrecht annehmen; wir haben unser Schuldigkeit than.«

»Jetzt, wenn die Sach' nochmal vor Gericht kommt, da will ich nichts davon; ich hab' kein' übrige Zeit.«

»Ich auch nicht.«

»Und ich auch nicht.«

»Ich bin kein reicher Bauer, ich hab' keine Knecht', die für mich schaffen.«

[86] »Vors Oberamt geh' ich auch nicht.«

»Ja, man ist froh, wenn man nicht dran denken braucht wo die Oberamtei steht.«

In diesem Widerwillen gegen die amtlichen Scherereien und Verzettelungen schien zuletzt sogar bei den Besten sich die Stimmung festzusetzen. Eher wären Alle für die Sache ihres Mitbürgers und im dunkeln Drang nach Freiheit und Selbständigkeit in einen blutigen Kampf auf Leben und Tod gezogen, aber oft vor Gericht zu gehen, nein, das ist zu viel.

Wendel schien es an der Zeit, mit seinem Hauptgrunde hervorzutreten. Lächelnd rief er:

»Jetzt giebt's jeden Sonntag eine staatsmäßige Metzelsuppe.«

»Wie so?«

»Ich versäum' gewiß kein' Kirch' mehr. Für heut ist der Luzian gestochen, aber nicht hergerichtet und geschmälzt worden, der ist nicht mager, nahezu drei Finger hoch Speck. Das hat gut protzelt im eigenen Schmalz, ein paar Stückle hat man eingesalzen und das ander' hängt man in Rauch. Der Pfarrer versteht's, das Metzgen und das Haushalten. Nächsten Sonntag kommst du dran, Lukas, du bist auch spickfett, dir rutscht's gut auf die Rippen. Und du laßst mir doch auch ein rechtschaffenes Würstle zukommen, wenn er dich an's Messer kriegt? Ho! Und wenn's erst an den Schultheiß geht, da schlecken alle die Finger darnach bis an den Ellenbogen. Ich komm' auch dran, aus mir macht er ein G'selchts, wie sie im Bairischen sagen. Den Säukübel hat uns der Hochwürden schon [87] unter die Nase gehoben. Jetzt werden wir nach und nach so Alle in die Kirche geschlachtet, wir laufen nur einstweilen so ungemetzget 'rum. Und wenn das Ochsenfleisch ausgeht, kommen die Weiber dran. Kuhfleisch gilt auch einen Batzen. Das sind jetzt Zeiten, wo ein Jedes mehr schaffen muß. Sonst ist der Hochwürden Hirte von sanften Lämmlein gewesen oder gar Seelenhirt; unser Herr Pfarrer, es ist ein Erbarmen, der gut' Mann muß Sauhirt und Metzger und weiß noch was Alles sein. Wenn ich hexen könnt', ich thät' unserm Pfarrer einen Saustall auf den Buckel hexen.«

Niemand lachte, der Zorn ballte die Fäuste Aller.

»Das darf man nicht leiden.«

»Der Pfarrer muß 'naus, wir wollen doch einmal sehen, wer Meister wird.«

»Diesmal hat er sich die Finger verklemmt.«

»Wir wollen ihn gleich fortjagen.«

»Nein, wir wollen warten bis heut Abend.«

»Nichts da, keine Gewalttätigkeit.«

So schrie wieder Alles durcheinander. Als es Ruhe gab, sagte der Lukas von über'm Steg: »Der Pfarrer hat ja deutlich verkündet, daß er niemand Besondern mit meint.«

»Du machst kein' Katz', wenn man dir auch die Haar' dazu giebt,« erwiederte Urban, »merkst denn nicht? Das ist ja grad der Pfiff; das hat er than, daß man ihm nicht bei können soll. Wir können aber Alle beschwören, daß er den Luzian gemeint hat. Nicht wahr?«

»Ja, ja.«

[88] Durch das ganze Dorf toste und brauste ein allgemeiner Unmuth. Die Stimmung schien für Luzian und seine Sache günstig, obgleich eine Spannung von außen sie hervorgebracht.

»Jetzt gehen wir zum Luzian.«

»Zum Luzian, ja,« riefen Viele, und ein großer Trupp bewegte sich nach dessen Hause.

[89]

Ein Kämpfer in seinen Gedanken allein

Ein Kämpfer in seinen Gedanken allein.

Luzian weilte indeß einsam im Garten. Wie das Blut durch das Zuströmen der eingeathmeten Luft neu belebt zurückfließt in's Herz, so auch erstarken die Gedanken, wenn sie ausgesprochen wieder einkehren in die Seele.

Luzian fühlte sich befreit, »hopfenleicht«, als er in den Grasgarten hinter der Scheune trat.

Wie war hier Alles so friedsam. Baum und Gras wußten nichts von den Kämpfen des Menschen; das wuchs still fort im brütenden Sonnenschein. Die kleinen und großen Heuschrecken sprangen so lustig wie selbstbewegte Grasgelenke, in den Bäumen zwitscherten und sangen die Vögel so hell und die Bienen summten so emsig von Blume zu Blume. Halm und Blatt und Blüthenkelch mag den schwerfälligen Thieren zum Futter verbleiben, die Biene holt sich vorab ihren süßen Saft. Wer weiß wie manches Blumenherz in sich verkäme, wenn nicht die Bienenlippen es berührten. Wer weiß was es zur Entwicklung der Blume beiträgt, daß die Biene den Honig aus ihr aussaugt, wie manche Triebkraft dadurch gelöst wird; und der Blüthenkelch des Menschengemüthes, wer kann bestimmen, welche bisher gebundenen Mächte frei aufschießen, wenn ihm die Welt den still bereiteten Honigseim innerer Selbstvergessenheit entzieht.

Durch den Garten hin wandelt gackernd eine weiße [90] Henne; sie wirft den Kopf mit dem rothen Kamm oft hin und her, sie geht den Weg nach ihrem heimlichen Neste dort im Zaune bei den Brombeeren, wo die Grille so laut schrillt. Die undankbare Henne! Sie läßt sich füttern im Hause und verschleppt die Eier.

Luzian verfolgte ihren Weg mit festem Auge, er wollte seine Frau mit dem Fund überraschen und wartete nur, um den warmen Brütling von heute gleich mitzubringen.

Nun ist Luzian doch wieder in der kleinen, sichern Welt. Er weiß es selbst kaum mehr, daß er derselbe, der heute vor wenigen Stunden einer uralten Macht sich entgegenwarf, und dessen ganzes Wesen die höchste Erschütterung erfaßt und gehoben hatte. Als er sich jetzt nach dem Bienenhause wandte, bemerkte er dort einen seltsamen Schmuck. Es ist ein alter Glaube, daß wie nur in einer friedlichen Familie die Bienen gedeihen, man diese auch von Allem, was im Hause vorgeht, benachrichtigen muß. Stirbt Jemand im Hause, so müssen die Stöcke von ihrer Stelle gerückt werden, und schwarzer Flor wird über die Luke geheftet; ist Freude, ein Hochzeitfest im Hause: hier sehen wir die Zeichen, hochrothe Läppchen über die Luken gesteckt.

Lächelnd dachte Luzian: »Das Bäbi hat's nicht vergessen wollen, den Bienen zu sagen, daß Hochzeit im Haus ist; aber die Bienen verstehen dich nicht, armer Mensch, und du verstehst auch nicht, was unter dir ist. Um eine Biene, ein Schaf zu verstehen und von ihnen verstanden zu werden, wie ihnen und dir zu Muthe ist, müßtest du dich in solch ein Thierlein verwandeln ...

[91] Und Gott, der nur Geist ist, und der Mensch, der nicht blos Geist ist, sie können einander auch nicht verstehen, wenn Jedes bleibt, was es ist. Darum ist Gott Mensch geworden ... Aber die Mutter Maria, die Wunder und der Teufelsglaube –«

Schwer wiegte Luzian das Haupt, und hier war er nun wieder mitten in den Wirren des Tages. Sein Geist war ein lang ausgeruhter Boden. Wie soll er nun die schwellende, wogende Saat gewältigen?

Müde setzte er sich auf das Bänkchen vor dem Bienenhause.

Die Bienen kennen ihren Herrn und umschwärmen ihn ohne Beunruhigung. Nicht so der Schwarm von Gedanken, der umherschwirrt.

»Dieser Immenstock! Es ist, wie wenn die hundert und aber hundert Thierchen nur ein einzig Geschöpf wären, so fest gehören sie zusammen und können nicht auseinander. Je größer die Thiere werden, um so mehr hat ein Jedes seinen Willen und kann für sich hinlaufen und machen, was es mag. Mensch, wo läufst du hin? Du kannst über's Meer schwimmen, aber Einmal mußt doch bleiben; da ist dein Feld, das kannst nicht mitnehmen, du hast's nicht wie die Imme, die überall offene Blumen, nicht wie die Schwalbe, die überall Mücken und Wasser findet; du hast deinen Acker, du mußt säen und ernten ... Aber der erste Same ist wild von sich selbst gewachsen ... Du triffst überall Menschen. Halt' dich zum Nachbar. Ihm ist die Liebe in's Herz gepflanzt, wie dir. Sie ist auch einmal wild gewachsen, jetzt mußt du sie säen und ernten, und da [92] giebt's tausendfach mehr aus ... Gewiß, gewiß, die heiligen Menschen, die die Liebe gepredigt, haben Recht gehabt. Wenn die Liebe uns nicht zusammenhält, sind wir ja dümmer dran als so ein Immenstock; der bleibt von selbst bei einander. Wozu braucht man aber das Buch? Ja heilig und wahr ist's: Gott ist die Liebe! Das nehm' ich 'raus, und das Andere verbrenn' ich; den Teufeln und den Hexen drin schadet ja das Feuer nichts ... Ich möcht' nur wissen, warum die Geistlichen den Menschen die Wahrheit nicht sagen. Was haben sie denn davon? ... Herr Gott! Herr Gott! Was geht an so einem Sonntag vor in deiner Welt ... Jetzt läuten sie drüben in Hengstfeld und droben in Eibingen aus der Kirch'. Was habt ihr denn kriegt? ... Freilich wohl, es giebt viele Geistliche, die selber den alten Glauben für gewiß und wahr halten und treulich dran hangen, und ist ihnen auch Manches nicht eben, meinen sie doch, das Volk kann nicht ohne das sein. Aber die vielen Tausend Andere? O! der Herrsch- und Regierteufel, der ist's. Mein Victor ist schon ganz glücklich, wenn er seine Buben auf der Straße kommandiren kann ...«

Luzian gedachte jetzt des alten Pfarrers, der zuletzt an der Spitze der Gemeinde eine Eingabe an den Bischof eingereicht hatte, daß eine Synode aus Geistlichen und Laien berufen werde zur Abschaffung der Mißbräuche. Der gute alte Mann folgte der Aufforderung seines Obern, stellte sich zur Verantwortung im Franziskanerkloster ein, und das Gerücht ging, daß er dieser Tage reumüthig gestorben sei. »Wär' es ihm nicht [93] wohler gewesen als armer Taglöhner? Was hat er zu Stande gebracht?« Das überdachte Luzian, und er saß in tiefer Trauer auf dem Bänkchen. Er hatte die Hände gefaltet zwischen die Knie gedrückt; in allen Fingern klopften Pulse.

So trafen ihn die Männer aus dem Dorfe. Er richtete sich auf, seine Lippen waren bleich und bebten.

»Luzian, ist dir was?« fragte Wendel.

»Nein, was giebt's?«

»Wir sind da,« begann Urban, »wir halten zu dir, der Pfarrer muß aus dem Ort.«

»Und weiter?«

»Und das freie Wahlrecht müssen wir haben.«

»Und weiter? Nein,« sprach Luzian ruhig, drückte eine Weile mit der Hand die Augen zu und fuhr dann fort: »Ich bin ein Erzschelm, ein Lügner, verdammter als ein räudiger Hund, wenn ich nicht Alles sag'. Ich, ich will gar nichts mehr von dem Pfarrer wissen, von dem nicht und von keinem andern, von keinem alten und von keinem neuen, von gar keinem. Ueber die Schrift hinaus, da gehet ihr doch nicht mit?«

»Was sagst? wie?«

Luzian hob die Arme mit geballten Fäusten rasch empor und schleuderte sie nieder, indem er rief: »Ich glaub' nicht an die heilig' Schrift, das Wort Gottes, wie sie's heißen. Gott hat nie geschrieben und gesprochen. Die Pfarrer sind nur Bauchredner und machen, wie wenn die Stimm' von oben käm'. Ja, ja,« lachte er krampfhaft, »Bauchredner, so ist's; sie reden, daß sie nur was in den Magen kriegen. Nun? wie? haltet ihr noch zu mir?«

[94] Die Blicke Aller senkten sich. Urban raffte sich zuerst auf, er trat auf Luzian zu, legte seine Hand auf dessen Schulter und sagte: »Luzian, mußt jetzt keine Späß' machen, du bist doch sonst nicht so. Wir haben's jetzt mit dem Pfarrerle da, da sitzt der Putzen.«

Rasch schüttelte der Angeredete die aufgelegte Hand von der Schulter und rief: »Ich fürcht' dich nicht, Urban, und noch so zehn wie du; wer noch einmal sagt, daß ich Späß' mach', den schlag' ich ungespitzt in den Boden.«

»Was hast denn?« fragte Wendel besänftigend, »wenn man dir was sagt, so ist's grad', wie wenn man Schmalz in's Feuer schüttet.«

»Lasset mich unkeit (unbehelligt) mit eurem Glauben, ganz weg muß er,« schloß Luzian und stieß die beiden Ellbogen hinter sich, als entferne er das ihm Störsame.

Still schlichen die Mannen davon, nur Wendel blieb und sagte:

»O Luzian, du hast viel verdorben, mehr als du in zehn Jahren wieder gut machst. Wer Alles sagt, was er weiß, dem wird das kalte Wasser im Bach zu heiß. Jetzt nutzt dich all dein Ansehen von früher nichts mehr. Die Mannen haben sich Alle zusammen than, wie ein Sack voll Nägel; er ist schneller ausgeschüttet, als wieder zusammengelesen. Was hast denn nöthig gehabt, das Alles zu sagen?«

»Weil ich's los sein will, Alles los sein will. Jetzt bin ich frei. Den Anderen kann ich doch nichts helfen, es ist mit Lug und Trug und Hinterhalt doch nichts[95] geholfen. Wenn ich jetzt Nachts in's Bett steig', legt sich ein ehrlicher Kerl.«

»Und was hilfst du damit?«

»Jeder muß sich selber helfen.«

»Nein Luzian, du hättest viel 'naus führen können im Dorf und in der ganzen Gegend. Wer weiß wie's nach und nach gegangen wär', man muß nur abwarten. Jetzt hast du die Flint' in's Korn geworfen mit Pulverhorn und Kugeltasche. Was hast denn ausgeführt?«

»Ich bin ehrlich und aufrichtig, ich kann mir alle Aederle aufschneiden lassen, es ist nichts Verstecktes mehr drin.«

»Ich sag' noch einmal Luzian: man muß kein unrein Wasser ausschütten, bis man reines hat.«

»Das Glas muß leer sein.«

»Ich seh' wohl, es battet nichts. B'hüt dich Gott, Luzian. Ich muß nach und will sorgen, daß die Mannen kein falsches, unnöthiges Geschrei machen. B'hüt dich Gott! Ich wünsch', daß du nie Reu haben mögest, von wegen dem, was du than hast.«

Luzian schaute dem Weggehenden lange nach, er hatte die Arme auf der Brust über einander geschlagen; er hielt nichts mehr als sich selber.

Endlich riß er sich aus allem Denken heraus, ging in den Stall, sattelte den Braunen und ritt zum Dorf hinaus. Wohin? Nur fort, fort.

[96]

Wie endet der Sonntag!

Während Luzian auf schnaubendem Rosse in's Weite stürmte, kehrte Egidi bedächtigen Schrittes in's väterliche Haus zurück. Die Scheltworte der Mutter gingen ihm wenig mehr zu Herzen, denn er gedachte des balsamreichen Spruches: »Es ist so ernst gemeint, wie ein Mutterfluch.«

Die Stimmung Egidi's hatte sich im Hinhorchen da und dort bereits verändert. Fast das ganze Dorf ist auf Seite des Vaters und gewiß mit Recht; es ist ja sonnenklar, daß der Pfarrer ihn beschimpfen wollte. Egidi, der an Autoritäten hing, ließ die allgemeine Meinung des Dorfes als solche auf sich wirken, ja er schien schon fast geneigt, die Kraftäußerung des Vaters sich zum Stolze anzurechnen. Zwar stieß ihn noch ein Etwas von der Theilhaftigkeit am Ruhme zurück, aber es geht damit leicht wie mit dem Gelde; wer es überkommt, fragt nicht leicht, wie es erworben worden. Egidi war in jeder Beziehung ein Erbe. Er trat oft nur scharf und bestimmt auf, um seine Unselbständigkeit vor sich und Anderen zu verdecken; er wollte ein Mann sein und sich namentlich seinem Vater gegenüber als solcher hinstellen, weil er dessen Uebermacht zu schwer fühlte; er schloß manchen ungeschickten Pferdehandel ab, ohne seinen Vater dabei zu Rathe zu ziehen, so gern er das auch innerlich sich wünschte; er wollte [97] allein den Meister zeigen. In seinen Reden und Gedanken hielt sich Egidi gern an Sprüchwörter u.dgl., das waren ja auch Erbstücke von unwandelbarem Gepräg und Werth. Luzian ließ den Sohn ganz für sich gewähren, als er diese gewaltsame Ermannung wahrnahm, besonders hatte er bis jetzt jede Einwirkung in religiösen Dingen unterlassen, da das wohl abzuwarten war, und Luzian selber gestand sich kein Recht zur Bekehrung Anderer zu, so lange er selbst nicht ganz offen war.

Egidi hatte ein frommes, weiches Gemüth, überdies gehörte er zu jenen Menschen, die als geborene Unterthanen erscheinen; es war ihm wohl dabei, wenn man ihm die Last der Selbstregierung vorweg abnahm, je wenn man ihn nie dazu kommen ließ. Unsichere Naturen lieben es, wenn ein Arzt bei Tische ist und ihnen sagt, daß diese und jene Speise ihrer Leibesbeschaffenheit nicht unverträglich, ja sogar förderlich sei; mit der innersten Lust der Sorglosigkeit geben sie sich dann dem Genusse hin, und tritt einmal eine Störung ein, der Heilkünstler hat ja Mittelchen genug, er weiß zu helfen. In religiösen Dingen ist es für Viele noch anmuthender, sich auf Lebenszeit eine Diät vorschreiben und in außerordentlichen Fällen nachhelfen zu lassen; die oft halsverdrehende Selbstbeobachtung, die beschwerliche Selbstgesetzgebung, mit ihrem Gefolge der eigenen Verantwortlichkeit, ist dadurch beseitigt.

Egidi sagte sich's nie deutlich, aber er war ganz froh und wohlgemuth, daß die Geistlichen für Alles vorgesorgt hatten, daß es da bestimmte Pflichten zu[98] üben, bestimmte Gebete zu sprechen gab. Wenn er nun dennoch für freie Wahl der Geistlichen stimmte, so lag ihm so wenig, wie den Meisten, die Folgerung davon offen, daß die Mitwirkung auf das Innere der Lehre sich nothwendig daran anschließen müßte. Vorerst dachte er, wie die Anderen, nur an die freie Wahl der Person; warum sollte der Geistliche nicht ebenso aus freier Wahl hervorgehen, wie der Schultheiß?

Noch auf dem Wege nach dem elterlichen Hause hatte Egidi allerlei Bedenkliches über den Vater rumoren gehört, aber er glaubte nicht daran, es war nur Unverstand und Böswilligkeit, die so Gottloses aussprengen konnten. Still setzte er sich zur Mutter auf die Laube.

»Der Gaul, der zieht, auf den schlägt man; so geht's auch beim Vater,« sagte er endlich.

»Warum? was hast wieder?«

»Nichts Schlimmes. Der Vater muß halt am Meisten ziehen von den Gemeindeangelegenheiten, die Anderen, die lottern mit all' ihrem Reden doch nur so neben her und ziehen keinen Strang an. Der Vater hätt' sollen studirt haben, das wär' sein Platz, ihm käm' Keiner gleich.«

Die Mutter nickte lächelnd, sie sah in den versöhnlichen Worten Egidi's nur die Folgen ihrer scharfen Zurechtweisung und freute sich dieser Bekehrung. Schnell vergaß sie Alles, was vorgegangen war; ihr Mutterherz hatte es ja nie geglaubt, daß der Sohn mißtreu gegen den Vater werde. Sie ließ sich gern von Egidi erzählen, wie Alles im Dorfe vom Lobe [99] Luzians überströme, und sie sagte einmal ganz selig: »O redet nur, es kennt ihn doch Keines so wie ich. Wenn man jetzt bald dreißig Jahr' mit einander haust, da ist man wie Ein Mensch; ich ich kann ihn nicht loben, es wär' mir wie Eigenlob.«

Es war ihr so wohl zu Muth, daß sie nach einer Weile begann: »Und jetzt spür' ich's erst, daß ich zu Mittag keinen Bissen über's Herz bracht hab'. Wart' ein bisle, ich lang' einen Most 'rauf', wir wollen ein bisle vespern. Du ißst doch auch gern ein Mükele kalten Speck? Ja ich bring'.«

Die Ahne war auch herzugekommen, sie jammerte, daß Luzian auf und davon sei, ohne Jemand was gesagt zu haben; man wisse jetzt gar nicht, wohin man ihm in Gedanken nachgehen sollte.

»Es ist auch nicht gut,« sagte sie, »wenn man außer dem Hause mit sich in's Reine kommen will; was man daheim nicht findet, ist draußen verloren. Aber mein Luzian ist brav, das ist das Beste.«

Egidi wollte die Rückkunft des Vaters abwarten; es wurde indeß Nacht, Frau und Kinder harrten seiner, er ging heim zur Mühle. Als er vor dem Dorfe war, läutete die Betglocke, er zog die Mütze ab und wandelte betend durch das Feld.

Unterdessen hatte Bäbi den Paule aufgesucht. Sie war keineswegs frei von mädchenhafter Selbstherrlichkeit, die in jedem Falle unbewegt zuwartet; aber sie wußte und wollte heute nichts davon. Sie fand Paule im Stall und bat ihn flehentlich, den Fuchsen zu satteln und dem Vater nachzureiten. »Du bist ihm lieber [100] als der Egidi,« sagte sie, und sprach damit deutlich genug aus, wie er so unzertrennlich zum Hause gehöre. Eine trübe Ahnung hatte sich in der Fürsorge um den Vater ihrer bemächtigt, sie war daher froh, als Paule sagte, der Vater werde nach der Stadt geritten sein, um den Pfarrer dort bei Gericht anzuzeigen. Nun hatte sie doch einen Halt in ihrer unsteten Angst.

»Ihr Männer seid doch immer gescheiter,« sagte sie. Das begütigende Wort that keine Wirkung.

Paule blieb mürrisch, und Bäbi war zu bräutlichem Kosen nicht aufgelegt. Sie war Paule gegenüber seltsam befangen; sie lobte ihn nur, weil sie sich in Gedanken stolz und überhebend dünkte, ihr war's als sei sie mit hundert Lebenserfahrungen und Veränderungen von einer großen Reise zurückgekehrt, und müßte sich erst an die bekannten Menschen und ihr Gebaren wieder gewöhnen. Darum war das Zusammensein heute verfremdet und der Abschied frostig. Paule wollte, daß sie ihn, wie sonst immer, ein Stück Weges heim geleite, Bäbi aber wollte heute das Haus nicht verlassen, nicht unter fremde Menschen gehen; sie fürchtete den alleinigen Rückweg und das Geschwätz der Begegnenden.

»Du könntest wohl jetzt auch einmal unter der Woche kommen,« rief Bäbi dem Weggehenden nach.

»Wenn's sein kann,« erwiderte Paule und trollte sich grollend fort.

In scharfem Trab war Luzian von Hause weggeritten, er wußte selbst kaum wohin; erst auf dem Wege[101] faßte er die Stadt als Ziel in's Auge, er wollte sogleich zum Oberamtmann. Unweit der Stadt überholte er eine Kutsche, darin saß der Pfarrer. Luzian hielt an, stellte außerhalb der Stadt in der Krone ein und kehrte, ohne Jemand gesprochen zu haben, wieder nach Hause.

Schlafenszeit war schon lange da, aber auch die Ahne blieb auf, um ihren Luzian zu erwarten. Endlich kam er, der Gaul ging im Schritt und kaum hörbar, als ob er Socken an den Hufen hätte und kein Eisen. In der That hatte er auch eines verloren, aber Luzian trug es in der Tasche, denn trotz alles Sinnens und Denkens hatte sein scharfes Ohr bald gemerkt, daß der Gleichlaut des Schrittes unterbrochen war; er kehrte daher nochmals um, und sein spähendes Auge fand in dunkler Nacht das verlorene Hufeisen.

Luzian übergab das Pferd dem Oberknecht mit der Weisung, daß es morgen beschlagen werden müsse. Als er eben dem Hause zuschritt, hörte er, wie der Oberknecht zum zweiten Knecht sagte: »Das ist einmal kein Sonntag gewesen.«

»Wo kein Glaube ist, ist auch kein Sonntag,« lautete die Antwort. Luzian wollte eben umkehren, um den Beiden bessere Ansichten beizubringen, da rief die Frau von der Laube:

»Bist du da? komm.«

»Man muß nicht nach allen Mücken schlagen,« dachte Luzian, und ging die Treppe hinan.

Mit unsäglicher Freude wurde er bewillkommt, Jedem war er wie neu gewonnen, ein Jedes wollte ihm etwas abnehmen, ihm zur Erleichterung und sich zur[102] freudigen Gewißheit, daß er da sei. Bäbi brachte die Pantoffeln, kniete nieder und wollte dem Vater die schweren Stiefeln ausziehen, Luzian wehrte ab, indem er sagte:

»Seit wann brauch' ich denn einen Bedienten?«

Luzian drang darauf, daß Alles bald zur Ruhe komme, er selber aber lag noch lange unter dem offenen Fenster und schaute hinein in den funkelnden Sternenhimmel; er hatte keinen festen Gedanken, ihm war's so leicht und flügge, als schwebte er mit den Sternen dort im unendlichen Raum. Unwillkürlich faltete er die Hände und betete das einzige herrliche Gebet, das ihm geblieben war: Vater unser, der du bist im Himmel – aber schon hielt er inne. »Gott im Himmel?« sprach er, »das ist ein Wort, im Himmel; Gott ist überall.« ... Er hörte auf zu beten, und doch konnte er die Hände nicht auseinander falten. Wo die eigene Kraft dich verläßt und zur Neige ist, wo du nicht mehr fassen, wirken und schaffen kannst, da fügen sich die Hände still in einander, und dieses Sinnbild spricht: ich kann nicht mehr, waltet ihr, ihr ewigen Mächte! So verharrte Luzian unbewegt, Nichts regte sich in ihm, Alles lautlos, wie draußen in der stillen Nacht, und jetzt stieg das Wort des Knechtes zu ihm herauf: »Wo kein Glaube ist, ist kein Sonntag.« Nein, nein, feiern wir denn darum den Sonntag, weil Gott in sechs Tagen die Welt geschaffen und am siebenten geruht? Braucht denn Gott Tage zum Schaffen und Tage zum Ruhen? Die Menschen setzten sich einen Tag, an dem sie der Arbeit ledig sein wollten. Wird [103] aber dieser inne gehalten werden ohne Religion? Er muß. Und was sollen wir an ihm beginnen? Uns freuen und zu aller gegenseitigen Hülfe bestärken.

Es schlug zwölf. Fahr' hin alter Sonntag, es kommt ein neuer!

O Schlaf! Du schirrest aus die straffen Bande der schaumschnaubenden, staubstampfenden Gedanken; du lässest sie flugbeschwingt hinsegeln, hoch in sanft kühlende Wolken; du führest sie zu unsichtbaren Quellen und tränkest die Seele mit neuer Kraft, und badest sie in süßem Vergessen. Wer könnte sie tragen die unaufhörliche Last des Gedankens, erschienst du nicht, einziger Erlöser!

Und in mondbeglänzter, geistdurchwebter Nacht sprießt der Thau am Blüthenkelch, sprudelt der Quell im Felsengrund, den Leib zu heilen, zu reinen; bist du der strahlende Bruder des Schlafes, du allbelebendes, reinendes Wasser?

[104]

Sühneversuch und neuer Zerfall

Sühneversuch und neuer Zerfall.

Am Morgen hatte Luzian die zufällige Entdeckung von gestern nicht vergessen; er machte seine Frau ganz glücklich, indem er ihr die fünfzehn Eier aus dem verborgenen Nest brachte. Die undankbare weiße Henne wurde darauf von Bäbi im Hofe müde gejagt, sie flog manchmal über den Kopf der Verfolgenden weg, sank aber doch endlich ermattet nieder, wurde gefangen und blieb fortan eingesperrt.

Luzian führte den Braunen zum Schmied Urban und ließ ihm dort das Eisen wieder aufschlagen. Er hielt den Huf empor, fast die ganze Last des Thieres lag auf ihm; da kam der Schütz und sagte: »Luzian, du sollst auf's Rathhaus kommen, vor den Kirchenkonvent.«

»Ich muß mir vorher ein Eisen aufschlagen lassen, daß der Schinder auch was 'runter reißen kann, wenn er mich auf den Anger kriegt. Sag nur, ich komm' gleich.«

»Luzian, es ist kein gut Zeichen, wenn man so wilde Späß' macht. Es wär' bös, wenn das die ganze Kunst vom Unglauben wär',« so sagte der Schmied Urban. Der Angeredete schien betroffen, und erst nach geraumer Weile erwiderte er lächelnd: »Wer sich mausig macht, den frißt die Katz. Nicht wahr?«

Luzian hatte des Kämpfens eigentlich schon übergenug, zumal da er das nächste faßbare Ziel sich selber [105] entrückt hatte. Es war doch nur ein einziger Tag, seitdem er in offenem Kriege oder besser im Zweikampfe stand, aber es dünkte ihn schon eine unermeßlich lange Zeit, so viel hatte er durchgemacht.

Wenn nicht eine Schaar von Genossen den Kämpfer umgiebt und in ihrer eigenen Entflammung die Kampfeslust immer neu vor Augen führt und im Urheber anfacht, wenn nicht sichtbar von außen der Brand, den man geworfen, in Flammen fortlodert, so glaubt der Einzelne leicht, er könne Alles ändern, noch sei es in seine Hand gegeben; es ist vorbei, wenn er sich selbst zurückzieht. Er vergißt im Gefühl des Rechts und der Großmuth, daß er den Feind zur Gegenwehr gereizt, die sich nicht mehr halten läßt.

In allerlei Gestalt tritt die Versuchung auf. Sie sagt oft kaum nachdem der erste Streich gefallen: laß ab, du hast genug gethan, du hast deiner Ueberzeugung willfahrt, du dringst doch nicht durch.

So war Luzian in seltsam friedfertiger Stimmung nach dem Rathhaus gegangen; er machte sich keine Vorstellung davon, wie denn wieder Alles in's alte Gleise kommen könne, genug, er war in sich begütigt. In der kleinen Rathsstube nickte er den Versammelten, worunter auch der Pfarrer, unbefangen zu, und sein »Guten Tag beinander« tönte so fest und hell, daß man nicht wußte, was darin lag.

Der Pfarrer winkte dem Schultheiß deutlich mit der Hand, er solle reden, und dieser begann:

»Der Herr Pfarrer hat heute wieder Mess' in der Kirch' gelesen, von Entweihung ist demnach kein' Red' [106] mehr. Jetzt Luzian, sei nicht vonderhändig, der Herr Pfarrer will's christlich mit dir machen. Thu's wegen dem Ort, wenn du's nicht wegen deinem Seelenheil thust. Denk' nur, wie wir wieder im ganzen Land verbrüllt werden, wenn die Sach' auskommt. Der Herr Pfarrer will's jetzt im Stillen abmachen. Du hast ja sonst immer so auf das ganze Ort und auf unser Ansehen gehalten –«

»Ja wie? was soll ich denn machen? Was will man denn von mir?«

»Du wirst schon merken. Nicht wahr Herr Pfarrer, es wird glimpflich sein? du sollst dir halt eine Kirchenbuß' auflegen lassen.«

»Spei' aus und red' anders.«

»Luzian, man weiß ja gar nicht mehr, was man dir sagen soll; bigott, du bist ein Fetzenkerl, und man sollt' ja mit dir umgehen wie mit einem schaallosen Ei, beim Blitz, und du bist doch sonst ein ausgetragenes Kind.«

»Genug, genug. Sag deinem Herr Pfarrer, er soll vor Gott verantworten, was er predigt und lehrt, und ich will auch verantworten, was ich than hab' und noch thu'. Ich brauch deinen Herr Pfarrer mit seiner Buß' nicht zum Schmußer 1 zwischen unserm Herrgott und mir, wir finden schon allein einander und werden handelseins. So ist's, aus und Amen.«

»Sie sehen, meine Herren,« begann der Pfarrer mit ruhiger, fast bittender Stimme, »Sie sehen, ich habe keinen Versuch zur Aussöhnung unterlassen; ich [107] bitte das gehörig der Gemeinde zu verkünden, wenn die Sache nun wider meinen Willen den gerichtlichen Lauf geht.«

»Gut, besser als gut,« erwiderte Luzian. »Es ist kein Strick so lang, man findet sein End'. Ich will nichts mehr reden, es wird jetzt Alles in eine andere Schüssel eingebrockt. B'hüt's Gott.«

In festem, siegesfrohem Kraftgefühle verließ Luzian das Rathhaus; jetzt ging der Tanz erst von Neuem an, er freute sich dessen. So wogte es hin und her im Gemüthe, bis der Kampf ein faßlich persönlicher wurde.

Es klingt erhaben und rein, einen Kampf blos um der Idee, wie man's nennt, des Principes willen zu beginnen und auszufechten, sich selbst und den Gegner dabei aus dem Spiele zu lassen; aber erst dann gedeiht die lebendigere Entscheidung, wenn du aus allgemeiner Ueberzeugung oder durch eine wirkliche Thatsache dich persönlich angegriffen fühlst durch den herrschenden gegnerischen Gedanken.

Luzian war jetzt erst recht aufgelegt zum unnachgiebigen Kampfe, er fühlte sich durch die Zumuthung der Buße gekränkt und angegriffen. Wir dürfen hoffen, daß er das Allgemeine darin nicht verkennt, aber jetzt erst ging's Mann gegen Mann.

Wie emsig arbeitete er im Felde. Dort hatte er mit Händen Etwas zu fassen. Leicht, als wäre das ein Kinderspiel, schwang er die Garben auf den Wagen, band er den Wiesbaum fest. Keiner der Knechte wagte Einhalt zu thun und zu bemerken, daß wohl überladen sei. Beim Abfahren erwies sich's nun doch, daß etwas [108] hoch geladen war; Luzian ließ daher den Oberknecht auf den Sattelgaul sitzen, er selber stemmte sich sammt dem zweiten Knechte mit der Gabel gegen die aufgethürmten Garben; bei mancher Biegung hatte er sich scharf anzustrengen, damit er nicht von der reich geladenen Frucht überstürzt würde. An einem abschüssigen Hügel machte das Schimmelfüllen, das los und ledig neben her sprang, fast die ganze Fuhre über den Haufen fallen; es sprang unversehens den Pferden vor die Füße, diese scheuten; schnell besonnen fuhr der Knecht in einen Steinhaufen am Wege, der Wagen stand still, wenn auch schwankend und überhängend. Ohne Unfall, wenn auch mit heißer Noth, gelangte man endlich nach Hause.

Als Luzian eben die Stubenthür öffnete, hörte er noch wie seine Frau dem Victor einschärfte: »du darfst dem Aehni nichts davon sagen,« sie wusch dem Knaben dabei eine große Stirnwunde aus, Schiefertafel und Lineal lagen zerbrochen neben dem heftig Schluchzenden.

»Was? was nicht sagen?« frug Luzian, »Victor, die Ahne hat's nicht ernst gemeint. Du weißt, du kriegst kein Schläpple von mir wenn du die Wahrheit berichtest; frei heraus: was ist geschehen?«

»Ja ... ich sag's, ich sag's.« Und nun erzählte Victor, immer von Schluchzen unterbrochen: »Der Herr Pfarrer hat halt die Religionsstund heut selber geben und da hat er viel davon gesagt, daß der Teufel die Gottlosen holt und daß er sie Nachts im Bett mit Gedanken verkratzt wie tausend und tausend Katzen, und da haben sie in der Schul Alle nach mir umgeschaut und des Hannesen Christoph, der neben mir sitzt, hat [109] nur so pispert: das ist dein Aehni! Und da hab' ich geheult und da hat der Pfarrer gesagt, ich soll still sein, es geschieht Niemand nichts, der fromm ist und zu den Heiligen betet. Nun müsset Ihr noch wissen, daß in einer früheren Stunde einmal die Bank knackt hat und da hat der Pfarrer gesagt, das wär' der Teufel, der die Bank knacksen macht, damit wir nicht aufpassen auf die guten Lehren; der Teufel treibe allerlei Possen, damit man an andere Sachen denkt. Jetzt wie der Pfarrer gerade red't, macht des Wendels Maurizle, der vor mir sitzt, die Bank knacksen und sagt so leislich: der Teufel ist wieder im Spiel. Der Pfarrer hat aber nichts davon gemerkt und hat uns befohlen, jeden Abend beim Einschlafen und jeden Morgen beim Aufwachen ein Gebet für die armen Sünder zu beten und des Wendels Maurizle hat in der Bank vor mir gesagt: ich kann für keinen Andern beten, das muß er selber thun. Wenn ich für einen Andern bet', kann ich auch für ihn essen. Jetzt hat der Erste das Gebet an die Tafel schreiben müssen, wie's ihm der Pfarrer vorgesagt hat und wir haben's Alle abgeschrieben; da steht's auch auf meiner Tafel, es ist aber fast ganz ausgelöscht.«

Victor hob die Schiefertafel auf und zeigte sie vor.

»Victor! Wie bist denn zum Raufen kommen?« fragte Luzian.

»Jetzt wie die Schul' aus ist, da schreien sie Alle auf mich 'nein: morgen hast du keinen Aehni mehr, den holt der Teufel und so. Des Wendels Maurizle hat mir aber gesagt: der Pfarrer weiß auch nicht Alles.[110] Gestern Nacht hab' ich noch gehört, wie mein Vater zum Schmied sagt: der Luzian ist doch braver als alle Pfarrer. Und jetzt sind alle Buben auf mich 'nein und haben geschimpft: Teufelsenkele! und da hab' ich des Hannesen Christoph einen Tritt geben, er muß ihn noch spüren, und da sind sie auf mich los, aber der Maurizle ist mir beigestanden, und sie haben doch auch ihr Theil kriegt, bis der Lehrer kommen ist. Da, da hab' ich noch den Stein, den mir eines an den Kopf geworfen hat; den zeig' ich dem Pfarrer.«

Victor zeigte das Genannte vor und Luzian sagte:

»Victor, schmeiß den Stein weg; von heut' an, hörst du? gehst du nicht mehr in die Schul'. Hörst du? Und wenn dich Eins fragt warum? da sagst du, ich hab's gesagt.« Am Fenster stehend sprach dann Luzian vor sich hin: »Ich bin doch ein schlechter Kerle, daß ich nicht die Axt nehm' und dem Pfarrer das Hirn einschlag'.«

Kaum war dem Victor das weiße Tuch um den Kopf gebunden, als er behend auf die Straße sprang und jubelnd seinen Kameraden verkündete, daß er nun gar nicht mehr in die Schule gehe.

Heute hatte Luzian keinen »weltsmäßigen Hunger,« obgleich ihm die Frau aus dem aufgefundenen Schatze Rühreier gemacht hatte.

Die Pferde waren im Felde, Luzian ging zu Fuße nach der Stadt.

Als er sich dem Pfarrhause näherte, sah er wie die Fenster aufgerissen wurden, mehrere Geistliche drängten sich in denselben und Luzian hörte hinter sich rufen: »der ist's.«

[111] Luzian geht so langsam, daß wir wohl einen Seitensprung hier in das Pfarrhaus machen können. Wir wollen uns nur so lange aufhalten als man einem Vogel am Wege zuhört.

Fünf nachbarliche Amtsbrüder hatten ihren streitenden Genossen heimgesucht; sie hatten sich's wohl munden lassen, das bezeugte die Zahl der Flaschen auf dem Tisch, die die Zahl der Köpfe überstieg; der jüngste Amtsbruder, der die Würde am wenigsten zu achten schien, war in Hemdärmeln, möglichst aufgeknöpft waren Alle. Eine alte Magd brachte den Kaffee, der Ortspfarrer zündete ein Licht an und reichte Cigarren.

Wer je in einer Gesellschaft abschließlicher Leutenants war, wie sie etwa in der Wachtstube unter sich über einen kecken Civilisten losziehen, der da und dort ihre Standesehre und allseitig nothwendige Uebermacht in Wort und That zu erschüttern wagte – wir sind hier bei anders Uniformirten in gleicher Gesellschaft.

»Fridolin,« sagte der Jüngste, Hemdärmelige zum Ortspfarrer, indem er sich über den Tisch bog und die Cigarre anbrannte, »Fridolin, sei froh, daß du einen solchen Häretiker oder Apostaten unter der Gemeinde hast. Du kannst Kirchengeschichte an ihm studiren.«

»Laß ihn laufen,« rief ein Anderer, »wie der Baron Felseneck einen emballirten Hammel bei seiner Heerde laufen hat, damit er weiß, welche Schafe bocken wollen.«

Man lachte über diesen Vergleich bis ein Gefährte mit hochblonden, rothen Löckchen begann: »Ich bleib' dabei, Fridolin, du verfehlst es besonders, weil du ein Aristokrat bist, politisch unfrei. Abgesehen von der Zeitund [112] Vernunftwidrigkeit deiner politischen Ansicht reizest du dadurch unnöthig gegen die Kirche. Schon aus Politik müßtest du dich auf Seite der Freiheit stellen. Schau nur auf Belgien hin, auf Frankreich; und selbst der heilige Vater ist uns hier ein Vorbild. Der Zug der Zeit geht auf politische Freiheit.«

»Eine renovirte schwarzrothgoldene Rede,« unterbrach ihn ein vierschrötiger Mann mit fettem Doppelkinn, der sehr nach Kampher roch; »Rollenkopf, man merkt dir stets an, daß du bei der Tübinger Burschenschaft affiliirt warst. Ich halte nun einmal dieses Hätscheln der politischen Freiheit qua talis für eine Verblendung, die uns traurige Früchtlein bringen kann. Man muß weiter sehen. Selbst das weltliche Regieren muß als Priesterthum festgehalten werden. Nicht umsonst ist's, daß im heiligen römischen Reich der Kaiser gesalbt wurde. Die Obrigkeit ist von Gott eingesetzt. Giebt man dem Volke zu, daß der Regent nicht mehr von Gottes Gnaden ist, so muß man folgerecht auch den Schritt weiter; auch der Priester ist dann nicht mehr von Gottes Gnaden, ist Gleicher unter Gleichen. Das selfgovernment hat dann eben so viel Recht in kirchlichen und religiösen wie in politischen Dingen. Das Volk, das sich selber Gesetze giebt und seine Herrscher einsetzt, bildet sich dann auch seine Religion und seinen Gott. Die französische Revolution war consequent, wenn sie Gott zu- und abdecretirte.«

»Als verewigter preußischer Landstand wärest du sehr am Platze,« entgegnete der Ortspfarrer Fridolin Schwander.

[113] »Das Köstlichste von Allem,« sagte der Hemdärmelige wieder, »ist was die Zeitungen bringen, daß der König von Preußen alle bisher von den Deutschkatholiken geschlossenen Ehen für null und nichtig, für Concubinate erklärt. Jetzt sind diese Sektirer von innen heraus gesprengt. Ich seh's, wie Mann und Frau von einander laufen wie's ihnen beliebt. Dadurch ist nun die sittliche Abfaulung eingeätzt, und diese Religions-Zigeuner sind von innen heraus getödtet.«

»Und ich muß bekennen,« rief der Rollenkopf und schlug dabei auf den Tisch, »daß dies ein potenzirtes, hundertfach empörendes Seitenstück zum Koburger Gelde ist; es ist ganz ähnlich: eine Herabsetzung und Entwerthung dessen, was man selbst geprägt und anerkannt hat. Ein unauslöschliches Brandmal wird die Geschichte den Urhebern –«

»Hoho! du machst dir's bequem, du hältst das Sacrament der Ehe nur für ein staatliches Gepräge wie bei der Münze,« schaltete der Hemdärmelige ein und brach seine Cigarre mitten entzwei, weil sie keinen rechten Zug hatte. Rollenkopf setzte die weitere Verhandlung in leisem Zwiegespräch fort. Während dessen zog der Kamphermann ein gedrucktes Blatt aus der Brusttasche und sagte zu unserm Ortspfarrer: »Hier in den Mainzer Sonntagsblättern ist eine Recension über deine Schrift: Die Trennung von Kirche und Staat. Du bist über das Bohnenlied hinaus gelobt.«

»Ich werde gegen dich schreiben. Es ist eine verkehrte Welt jetzt. Man verlangt Fürsorge des Staats für die materielle Arbeit, und die geistige soll ganz ohne [114] Oberaufsicht sein? Unsere Zeit schwankt zwischen Omnipotenz und Impotenz des Staats,« so sprach Rollenkopf, über die Achsel gewendet.

Unser Ortspfarrer schaute nur lächelnd, ohne zu antworten, von dem Blatte auf, dessen Inhalt ihm wohl zu thun schien. Jeder Kreis und jede Meinungsschattirung hat seine öffentliche Krönung.

Ein kluges Wort kam jetzt aus einem Munde, der bisher noch nicht gesprochen.

»Hat's ein gutes Bier im Rößle?« fragte einer der Jüngeren.

Der Ortspfarrer bejahte, und man brach auf zu Kegelspiel und Bier.

Suchen wir vorher die Thür zu erreichen; mit etwas raschem Schritt holen wir Luzian ein, wir treffen ihn noch auf der Straße im Neuensteiger Walde. Der Fußsteig über den Berg ist näher, aber Luzian liebt das Bergsteigen nicht, zumal in der Mittagshitze, auch begegnen ihm auf der Straße mehr Menschen. Er hat seinen Rock über die Schulter gehängt und schreitet leicht und fest dahin; ist ihm aber doch schwer und schwankend zu Muthe, denn in ihm spricht's: »Was hast du gethan? Hättest du's nicht können bleiben lassen? Hast dir und all den Deinigen den Frieden verscheucht und für was? Schau, da ziehen die Menschen hin: der schafft sein Holz aus dem Wald an die Straße, der führt am Horn seine rindernde Kuh zum Sprunge, der holt Bretter aus der Sägmühle und der führt sein Korn heim. Ich möcht' hinrennen und sie rufen: kommet mit, Alle mit, ich geh' für euch; ficht's denn euch gar [115] nichts an? Wacht auf, faßt ein Herz und seid frei! Wenn ich nur auf einen einzigen Tag Allen die Augen aufmachen könnte. Freilich, der Wendel hat Recht, ich hab' das Beil zu weit 'naus geworfen. Ich hab' nicht anders können. So ist's.«

Wie man berichtet, so wird gerichtet, sagt ein inhaltreiches Sprüchwort; darum wollte Luzian heute kein Hinderniß anerkennen, er mußte nach der Stadt, um selber seine Sache vorzubringen.

In der Oberamtei mußte er lange warten ehe er den Amtmann sprechen konnte. Er wurde freundlich begrüßt und gebeten, übermorgen wieder zu kommen.

»Ich hab' wollen« – sagte Luzian.

»Ich weiß schon Alles, der Steinmetz Wendel war heute in aller Frühe da und hat mir den ganzen Hergang erzählt; kommen Sie von übermorgen an wann Sie wollen, auch außer den Amtsstunden.«

»Nur noch ein Wort,« sagte Luzian, »ist mein' Sach' criminalisch?«

»Keineswegs. Sie brauchen auch keinen Advocaten, es ist reine Polizeisache. Entschuldigen Sie –« und fort wischte der Oberamtmann wieder.

»Es soll aber criminalisch sein!« sagte Luzian vor sich hin, als der Amtmann schon längst verschwunden war. Dann verließ er, schwer den Kopf schüttelnd, die Oberamtei.

Wir werden wohl später erfahren, was Luzian mit seinem absonderlichen Gelüste wollte; jetzt war es ihm nur überlästig, daß er wieder Tage warten und still herumlaufen sollte, ohne daß Etwas geschah. Auf dem [116] Heimweg schlug er oft mit den Armen um sich, aber wo war's? was sollte er fassen?

Auf das theilnehmende Herz und den hellen Geist des Oberamtmanns hatte Luzian viele Hoffnung gesetzt. Das gestand er sich jetzt erst, als er so leer wie er gekommen war, davon ging. Warum hat er auch nicht ein ermunterndes, muthiges Wort gesprochen?

Ein Herz, das die Folgenschwere eines Ereignisses oder einer freien That in sich trägt, verlangt oft zu sehr nach Handreichung, aber die Menschen um dich her sind Alle mit sich und tausend anderen Dingen beschäftigt, sie sehen und verstehen deinen bittenden Blick nicht. Erwarte keine Hülfe von außen, sei stark in dir.

Luzian kehrte nicht mehr die Straße heimwärts, er ging den Waldweg; dort war es still und feierlich, und seine Gedanken beteten inbrünstig zu Gott, daß ihn die Kraft nicht verlassen möge, die ganze volle Wahrheit zu bekennen und ihr Alles zu opfern. Gern hätte er ein Gebet in Worten gehabt, aber er fand keines.

Tief im Waldgrunde sang ein Bursch, der wohl neben einem beladenen Holzwagen herging, ein »einsames« Lied. Luzian stand still horchend:


O Bauerensohn, laß die Röslein stehn,

Sie sein nicht dein,

Du trägst noch wohl von Nesselkraut

Ein Kränzelein.


Das Nesselkraut ist bitter und sau'r

Und brennet mich;

Verloren hab' ich mein schönes Lieb,

Das reuet mich.


[117]

Es reut mich sehr und thut mir

In meinem Herzen weh,

Behüt' dich Gott, mein holder Schatz!

Ich seh' dich nimmermehr.


Zwischen jeder Strophe knallte der Bursch mit der Peitsche, daß es weithin widerhallte. War das nicht die Stimme Paule's, der also sang? Was hatte der zu klagen? Nein, der kann's wohl nicht sein ...

Im Weitergehen dachte Luzian: »Der Bursch hat das Lied auch nicht selber gesetzt, und es erleichtert ihm doch das Herz; so auch hat der eine Mensch Gebete für andere gemacht.«

Die zahllosen Gebetbücher entstanden und waren gerechtfertigt vor dem Geiste Luzians.

Still und gedankenvoll schritt er dahin, es begegnete ihm Niemand.

Das Gewitter vom vorletzten Sonntag hatte sich hieher verzogen und auch hier noch arg gehaust; da war ein Baum ganz entwurzelt, dort ein anderer mitten gespalten wie zerfleischt, und dort hingen abgeknackte Aeste, selbst die jungen Schäleichen waren in zahlloser Menge zu Boden gebeugt, der Fußsteig war oft unwegsam. Hinter Neuensteig umging Luzian eine gewaltige Eiche, die quer über dem Weg lag; er gerieth dadurch in einen Sumpf, wo Erlen standen und rettete sich nur mit schwerer Mühe daraus.

Kaum war Luzian wieder hundert Schritte auf trockenem Wege, da begegnete ihm ein Mann; es war der uns bekannte, Rollenkopf genannte Pfarrer. Man begrüßte sich beiderseits mit einem »guten Tag« und[118] ging an einander vorüber. Luzian stand bald still. Sollte er den Pfarrer nicht vor dem Sumpf warnen? Der Pfarrer überlegte gleichfalls bei sich, ob er nicht den Häretiker, den er wohl wieder erkannt hatte, ansprechen und ein gutes Wort beibringen sollte. Plötzlich rief Luzian: »Heda!« Hinter dem Ruf tönte es wie ein Echo, und doch war's keines, denn der Pfarrer hatte im selben Augenblicke den gleichen Ruf gethan.

»Seid Ihr nicht der Luzian Hillebrand von Weißenbach?« rief der Pfarrer aus dem Thale herauf, von den Bäumen verborgen.

»Ja freilich, aber ich hab' Euch doch was zu sagen. Dort unten, wo die Eiche liegt, müsset Ihr rechts ab, sonst kommet Ihr bei den Erlen in den Sumpf.«

»Wartet ich komm',« tönte es wieder, und Luzian ging dem Rufenden entgegen, weil er sich nicht verstanden glaubte, er wollte es genauer bezeichnen oder selber mit zurückkehren. Der Pfarrer hatte ihn aber verstanden und begann nun mit ihm über den Kirchenstreit zu sprechen. Anfangs war Luzian mißtrauisch, selbst die freien Worte Rollenkopfs sah er nur wie einen Spionenkniff an, aber was lag ihm an allem Auskundschaften! Er hörte darum mit einer gewissen Ueberlegung zu. »Du hast Vieles zu verhehlen, Ich nicht,« dachte er. Als aber Rollenkopf schloß: »Wie gesagt, es regt sich ein freier Sinn in der Kirche, der siegen muß. Darum müssen aber auch die freien Männer innerhalb der Kirche bleiben, sich nicht davon trennen. Wenn die Freien ausscheiden, was bleibt uns? Die träge, verstandlose Masse, der ewige faule Knecht.«

[119] »Soll das auf mich gesagt sein?«

»Gewiß. Ihr müßt in der Kirche bleiben und helfen, sie rein und frei zu machen.«

»Ich glaub' aber nicht an Gottes Wort und brauch' kein' Kirch'.«

»Aber Eure Brüder bedürfen ihrer und Ihr seid verpflichtet, sie nicht zu verlassen.«

»Ich hab' kein Amt und kein' Anstellung in der Kirch.«

»Eure Menschenpflicht ist Euer Amt, und Euer Gewissen Eure Anstellung.«

»Alles schön und gut, aber ich müßt' lügen und heucheln, und das kann einmal kein Mensch mehr von mir verlangen.«

Der Pfarrer suchte noch Späne abzuhauen, aber den eigentlichen Klotz konnte er nicht bewältigen. Man schied mit freundlicher Handreichung, und auf dem stillen Heimweg dachte Luzian: »Der ist grad' wie der Amtmann; dem wär's auch lieber heut als morgen, wenn man die ganze Verfassung mitsammt dem König über den Haufen schmeißen thät, und doch bleibt er im Amt. Ich thät ja lieber schaffen was es wär', daß mir das Blut unter den Nägeln 'rauslauft; halb satt zu fressen wär' besser als so ein Amt, das man eigentlich nicht haben darf.«

Stolz und groß erhob sich Luzian in diesem seinem Selbstgefühle.

Fußnoten

1 Unterhändler, ein von den Juden entlehnter Ausdruck.

Ein Kind bleibt, und ein Kind geht

Ein Kind bleibt, und ein Kind geht.

Als Luzian nach Hause kam, trat ihm Bäbi entgegen mit den Worten: »Vater, Ihr sollet gleich in's Rößle kommen, es ist schon zweimal ein Bot' da gewesen, es sei Jemand da, der nöthig mit Euch zu reden hat.«

»Wer denn?«

»Des Rößleswirths Bub' weiß es nicht, oder will's nicht sagen.«

Luzian ging nach dem Wirthshause. Er traf hier den Vater Paule's von Althengstfeld, der hinter dem Tische saß und ihm zuwinkte ohne aufzustehen und ohne die Hand zu reichen.

»So? bist Du auch hier?« fragte Luzian, »hast Du mich rufen lassen?«

»Ja. Rößleswirth! Ist Niemand in deiner hintern Stube? Ich hab' da mit dem Luzian ein paar Worte zu reden. Können wir 'nein?«

»Ja.«

»Was hast denn? Kannst's nicht da ausmachen? Oder komm' mit mir heim,« sagte Luzian.

»Nein,« entgegnete Medard, »es ist gleich geschehen.«

Die beiden Schwäher gingen nach der Hinterstube; alle Anwesenden schauten ihnen nach.

»Was giebt's denn so Heimliches?« fragte Luzian.

[121] »Gar nichts Heimliches. Du weißt, ich bin frei 'raus, drum, Luzian, guck, du bist jetzt im Kirchenbann und vielleicht noch mehr, du kommst mit denen Sachen nicht so bald 'raus, wie mir unser Pfarrer gesagt hat und die Pfarrer alle, die heut dagewesen sind. Drum wird dir's auch recht sein, wenn man jetzt ausspannt.«

»Ja wie? was?«

»Ha, du verstehst mich schon. Mit deinem Mädle und mit meinem Paule da lassen wir's jetzt halt aus sein. Wir sind von je gut Freund gewesen, Luzian, nicht wahr! Und das bleiben wir von deßwegen doch. Es ist ja Christenpflicht, daß man keinen Hasard auf einander hat und Alles in Gutem bleibt.«

»Ja, ja, freilich, ja,« sagte Luzian, die Hände reibend, »und was ich hab' sagen wollen? ... Ja, und dein Paule ist auch mit einverstanden? Du redest in seinem Namen?«

»Ha, ich bin ja der Vater. Ich lass' mich nicht ausziehen, ehe ich mich in's Bett leg', das Sach' ist mein und ich geb' die Geißel noch nicht aus der Hand, du auch nicht. Was wahr ist, ist wahr; mein Paule hat dein Mädle gern gehabt, ja rechtschaffen gern, es ist ihm hart 'nangangen. Er hat dem Pfarrer aber bestanden, dein Mädle sei wie ausgewechselt, es hab' ihm kein gut Wort mehr gunnt, und es hab' halt auch Deine Gedanken Luzian. Recht so, ist ganz in der Ordnung; die Kinder müssen zum Vater halten und mein Paule hält zu mir. Du hast ja selber gewollt, daß wir keinen Reukauf ausbedingen, und Schriftliches[122] haben wir auch nichts gemacht, da brauchen wir auch nichts verreißen. Mein Bub hat deinem Mädle einen silbernen Fingerring geben, er hat zwei Gulden und fünfzehn Kreuzer kostet, kannst nachfragen beim Silberschmied Hübner neben der Oberamtei. Jetzt kannst den Fingerring wieder 'rausgeben, oder es ist besser du giebst das Geld, hernach kann ihn dein Mädle behalten; kannst das Geld dem Rößleswirth da geben, ich bin ihm noch was schuldig für Kleesamen. Dein Mädle, das bringst du schon noch an, brauchst's nicht in Rauch aufhängen, und mein Bub der setzt den Hut auf die link' Seite und ist der alt'. Es hat halt jetzt den Schick nimmer zwischen unsern Kindern, und es wär' gegen Gott gesündigt, wenn man da wieder was anhäfteln wollt'. Jetzt wie? was siehst du so unleidig? Stehst ja da wie ein Stock und machst kein Gleich (Gelenk)? Hab' ich dich verzürnt?«

Luzian war in der That wie erstarrt, er ließ den Metard an sich hinreden und hörte Alles wie im Halbschlaf; der Schweiß trat ihm vor ängstlichen Gedanken auf die Stirn; er nickte endlich und sagte: »Ja, Metard, ich schick' dir den Fingerring gleich 'rauf', kannst drauf warten.«

»Pressirt nicht so. Jetzt sei mir nicht bös, bei dir ist gleich dem Himmel der Boden aus. Wir bleiben doch die alten guten Freund', nicht wahr?«

»Das Kind ist todt, die Gevatterschaft hat ein End'.«

Mit diesen Worten verließ Luzian die Kammer und trat in die Wirthsstube. Neugierig richteten sich die[123] Blicke Aller auf ihn; er sah verstört aus. Mit seltsamem Lächeln sagte Luzian: »Rößleswirth, weißt was Neues? Mein Bäbi ist kein' Hochzeiterin mehr. Grad hat mir der Metard aufgesagt.«

»Es wird doch das nicht sein?« tröstete der Wirth.

»Frag' nur den Metard,« endete Luzian, die Thür in der Hand, und fort war er.

Luzian hatte sich eingebildet, er sei auf Alles gefaßt und doch überraschte ihn dieser Zwischenfall so, daß er nicht wußte, wo aus noch ein. Offen gestanden dachte er im ersten Eindruck fast gar nicht an seine Tochter, sondern nur an sich selbst. Hatte er seine Ehre verloren? Wo war landauf und landab ein Bauersmann, der sich's nicht zur Ehre angerechnet hätte, mit ihm verschwägert zu sein? – Darum hatte er noch die Aussage selbst verkündet, die Schande sollte zurückfallen auf Metard, er warf sie zurück mit dem ganzen Stolz seines Ansehens; aber galt dies auch noch? Kämpfte er nicht mit leerer Hand, während er die zweischneidige Waffe sich in die Faust träumte?

Im wilden Ringen des Kampfes reißest du dir oft eine Wunde, du weißt es nicht, bis nach ausgetobtem Streite das Rinnen des Blutes und der Schmerz dich daran mahnt. Kein Pflaster und keine Salbe stillt das Blut, wenn nicht das ausgetretene gerinnt und stockt, und so sich selbst die schützende Decke zur Wahrung des in dir strömenden bildet. Es geht mit den Wunden deiner Seele ebenso.

Müd und schwer, als ob ihm ein Schleiftrog an den Beinen läge, ging Luzian nach Hause.

[124] »Ist es wahr? ist mein Schwäher im Rößle?« Mit diesen Worten kam ihm Bäbi wiederum entgegen.

»Dein Schwäher? Nein, aber des Paule's Vater,« entgegnete Luzian. »Komm her Bäbi, gieb mir dein' Hand, brauchst nicht zittern, du sollst weiter nichts als den Fingerring abthun, du bist kein' Hochzeiterin mehr; der Paule hat dir aufgesagt. Meine Händel mit dem Pfarrer sollen dran Schuld sein, oder hast du auch was mit dem Paule gehabt? Es ist jetzt eins. Du bist schon noch eine Weile bei uns gut aufgehoben. Zitter' nur nicht so.«

»Ich zittere ja nicht,« entgegnete Bäbi; es war ihr gar wundersam zu Muthe, noch nie hatte ihr Vater so ihre Hand gefaßt und gehalten, »ich zittere nicht,« wiederholte sie, »lasset nur los, ich will den Ring abethun.«

»Thut dir's weh? Es ist doch eigentlich meinetwegen.«

»Nein, das ist's nicht, und wenn's auch wär', mein' Hand könnte ich mir für Euch abnehmen lassen, Vater, und nicht nur so einen Ring abethun. Wenn mich der Paule nimmer mag, hat er mich nie gemögt; ich bin ihm nicht bös. Und die Schand' wird auch noch zu ertragen sein.«

»Du kriegst schon noch den Mann, der dir bescheert ist,« sagte Luzian, ohne durch irgend eine Liebkosung oder ein freundliches Wort die gepreßte Rede Bäbi's zu erwidern. Diese aber schloß: »Mein lediger Leib ist mir nicht feil. Da ist der Ring.«

»Der Knochen, der einem bescheert ist, den trägt kein' Katz' davon,« bemerkt noch die Ahne.

[125] »Wo ist der Victor? Er soll den Ring gleich in's Rößle tragen,« sagte Luzian. Die drei Frauen sahen einander verlegen an. Die Frau Margret nahm sich zuerst ein Herz, faßte den Rockärmel ihres Mannes, zog daran und sagte: »Thu zuerst den Rock aus, du läufst ja den ganzen Tag 'rum wie ein Soldat auf dem Posten. So, jetzt ist dir's leichter, so, jetzt setz' dich auch, daß man auch ordentlich mit dir reden kann.«

»Wo ist der Victor? Ruf' ihn,« wiederholte Luzian.

Die Frau hing den Rock auf und sagte dabei: »Er hört mich nicht, ich kann nicht so arg schreien; er ist auf der Mühle.«

»Der Egidi hat ihn geholt und der Victor hat geheult,« ergänzte Bäbi.

»Jetzt seid Alle still, ich will's erzählen,« begann die Ahne, »da, rück' her Luzian, noch näher. Jetzt guck, du bist noch kein' Büchsenschuß weit vom Haus weg, da kommt der Egidi und fragt nach dir, aber mit einem Gesicht wie ein Bub', dem die Hühner sein Butterbrod weggefressen haben; und da träppelt er 'rum und kann das Maul nicht finden. Endlich sagt er, ob wir schon gehört haben, was die Leut' von dir reden; ich sag', du kannst den Leuten die Mäuler nicht verbinden.«

»Was sagen sie denn über mich?« fragte Luzian.

»Du seist gottloser als ein Heid und ein Jud, und du habest gar kein' Religion. Ich sag' aber dem Eigidi: deines Vaters seine Gutthaten sind seine Religion und das ist die best'! Da schreit er über mich 'nein wie ein Flözer; und ich sei auch so, und ich stehe doch mit[126] einem Fuß im Grab, und ich wiss' nicht, wann ich vor Gott stünd', und ich sollt' dich Luzian eher zurückhalten als noch aufstiften und drein hetzen. Wenn ich mich nicht vor mir selber geschämt hätt', ich hätt' dem Egidi eins in's Gesicht geschlagen, daß er nimmer gefragt hätt', wo sind mehr. Ich sag' weiter nichts als: junge Gäns' haben große Mäuler. Wie wir so reden, kommt der Victor 'rein, ich schick' ihn fort, er soll nicht hören was sein Vater für ein Latschi ist. Eine Weile drauf kommt der Schütz und bietet dem Egidi, er soll in's Pfarrhaus kommen. Ich sag': du gehst nicht zum Pfarrer, eher läß'st dir all' beid Bein abhacken. Da schlägt er auf den Tisch und schreit: ich bin Meister über mich, und ich thu' was ich will. Wart Schütz, ich geh mit. Mein Vater ist mein Vater, aber unser Herrgott ist vorher mein Vater, und ich lass' mir meinen Glauben nicht nehmen und ich lass ihn mir nicht nehmen. – So rennt er fort.«

»Ja der Victor, was ist denn mit dem?« fragte Luzian abermals.

»Ich erzähl's ja, wart' nur. Vergeht kein' Stund', ist mein Egidi wieder da, er hat den Victor an der Hand und heißt ihn sein Schulsack zusammenpacken, und da schreit er über das Kind 'nein, daß es nicht weiß, ist es taub oder hat es sonst was than. Ich schick den Victor fort, er soll mir für einen Kreuzer Kandelzucker holen, und wie er fort ist, sag' ich: Egidi, du versündigst dich. Ich weiß wohl, es geht Einem so, wenn man sieht, daß Leut' ein Kind verziehen, so wird man auf das Kind bös und grimmzornig; es ist [127] aber nicht recht. Es ist mir mit unseren Nachbarsleuten, mit des Bäckers Christle, auch so gangen. Wenn du meinst, daß wir deinen Victor verziehen, mußt deinen Zorn nicht an ihm auslassen, das ist eine schwere Sünd'. Was Sünd'! schreit da der Egidi. Eine Sünd' gehört so wenig da 'rein wie eine Sau ins Judenhaus. Da sind ja lauter Heilige. Ich bin nun halt ein sündhafter Mensch und mein Victor ist mein Kind und soll auch so wer den, er muß wissen, daß man Buße thun muß. Ich komm' vom Schulconvent, und da hab' ich gehört, daß der Vater meinem Victor die Schul' verboten hat, und jetzt geht er mit mir und kann sich ein schlecht' Beispiel an mir nehmen. Ihr habt den Victor einmal euer Erzenkele geheißen, wir wollen dafür sorgen, daß er kein Erzteufele wird. – Luzian, ich kann dir nicht sagen wie schandgrob der Egidi gewesen ist, und er hat das Kind mit fort, und das hat geweint. Und mir thut's so and (bang) nach dem Kind, ich möcht' auch schier greinen. Jetzt hab' ich aber ein' einzige Bitt' an dich, Luzian, du folgst mir gewiß gern: verzeih dem Egidi seinen Unverstand, ich vergeb's ihm auch, und man muß ihm zeigen, daß Gutheit Trumpf sein muß, nachher sei Religion was für woll'. Gelt Luzian, du versprichst mir's, glimpflich mit ihm umzugehen?«

Ein Kopfnicken antwortete. Es bedurfte dieser letztern Ermahnung kaum, denn wie das so geht bei rasch auf einander folgenden Schicksalsschlägen: das persönliche Leid fühlt sich kaum mehr, und man erhebt sich in ihm zu Allgemeingedanken. Darum sagte auch Luzian aufstehend:

[128] »Ihr habt mir ein gut Wort gesagt Ahne, man ist oftmals auf ein Kind bös, weil seine Eltern es verziehen. Es geht Einem auch oft so mit ganzen Dörfern und Ländern; man darf den Menschen nicht bös sein, weil ihre Vormünder, die Pfarrer und Beamten, sie verzogen haben und noch verziehen.«

Luzian ging nach der Kammer. Die Frauen sahen verdutzt einander an, sie hatten einen mächtigen Ausbruch der Leidenschaft von Luzian erwartet, und jetzt redete er, daß man ihn kaum verstand.

»Was hat er?« fragte die Mutter so vor sich hin. Niemand antwortete.

Mit dem Rocke bekleidet kam Luzian wieder heraus, nahm den Hut und sagte mit einer ganz fremden Wehmuth im Antlitze: »Ich mach' heut' auch meine Stationen, sie sind ein bisle weit und die Schritte nicht abgezählt, aber mein Kreuz ist mir noch nicht zu schwer. Ich will nur zum Egidi, daß er mir das Kind nicht verdirbt. Könnet ohne Sorgen sein, er ist der Vater, ich werde ihm kein bös Wörtle geben.«

Wieder verließ Luzian das Haus.

[129]

Ueber sich hinaus

Ueber sich hinaus.

Zum zweitenmal nach mehrstündiger Abwesenheit ging Luzian heute an Stall und Scheunen vorüber, ohne einzuschauen; wie ist das nur möglich? Das gedachte er jetzt, als er schon eine Strecke entfernt, sich nach seinem Heimwesen umwendete.

»Es muß Alles verlumpen,« dachte er, und eine seltsame Bitterkeit prägte sich auf seinem Antlitz aus. »Sie haben Recht, die Herren von Staats- und Kirchengehalt, tausendmal Recht: so ein unruhiger Kopf, so ein Schreier, der sich um Sachen annimmt, die ihm nichts eintragen und die ihn, genau besehen, eigentlich nichts angehen, nicht mehr als andere Leut' auch, das muß ein Lump sein oder Einer werden. Am besten, er ist's von Haus aus. So ein Mensch, der Alles, was er hat auf dem Leib trägt und dem kein Geldbeutel in der Hosentasch' zittert vor Angst, nach dem Niemand fragt: wo bist und wo bleibst? der kann wie der Soldat im Feld leben oder wie die Bettelleut'.«

Ein altes Schelmenlied mit endlosen Strophen kam ihm hier in den Sinn, und im Weitergehen pfiff er die Weisung vor sich hin:


Bettelleut han's gut, han's gut,

Bettelleut han's gut,

Bricht ihnen kein' Ochs das Horn,

Frißt ihnen kein Maus das Korn u.s.w.


[130] Der Mund, der sich zum Pfeifen spitzt, kann sich nicht mehr so leicht griesgrämlich verziehen, und doch verfinsterten sich die Züge Luzians bald wieder. Er ging jetzt eben in's Feld, da die Menschen von demselben heimkehrten. Er sah in dem Gruße der Begegnenden etwas Gepreßtes, Niemand blieb stehen und Niemand fragte, wie sonst bräuchlich, wohin noch so spät?

An der Halde, dort am Rand des Berges wo drunten im Thale der Waldbach rauscht und die Mühle schrillt, nicht lauter vernehmbar als das Zirpen des Heimchens hier neben im Brombeerbusche, dort saß Luzian auf dem Markstein und starrte hinein in die untergehende Sonne. Wie allmälig ist ihr Aufgehen und wie rasch ihr Untergang! Dort steht der glührothe Ball noch über dem jenseitigen Berge, und jetzt ist er hinab und der ganze Himmelsbogen steht in gluthbrennenden Flammen. Der Aufgang und der Niedergang der Sonne macht die Welt ringsum in blutig grellen Flammen erglühen, nur wo das helle Licht herrscht, schaut dich die Welt mannigfarbig an. Getrost! der helle Tag kommt immer wieder.

Wie schwarze Schlangenbilder jetzt vor dem Auge Luzians vorüber huschten, so stieg auch vor seiner Seele ein dunkles Leid auf, das sich zum nächtigen Ungeheuer zu gestalten drohte.

»Nichts nutz, Lumpenbagage ist die ganze Welt, und vorweg gar diese da meine Grundbirnenbäuerle, nicht werth, daß man sich einen Finger für sie naß macht. Sie müssen in alle Ewigkeit hinein Dreck [131] fressen, es schmeckt ihnen ja wie Zuckerbrod. Denen da die Wahrheit verkünden? Das ist g'rad, wie wenn man einem blinden Gaul winkt. Sie sind nichts besseres werth, als was sie sind.«

So dachte Luzian vor sich hin, und sprach es fast laut aus. Die Grundsuppe, in der alle Niedertracht der Gegenwart zusammenbrodelt, schien auch hier aufzukochen in dem Herzen eines Mannes, der mitten in den Reihen des Volkes stand. Denn was ist es anderes, das die Wahrheit hemmt, sich über alle Welt zu ergießen? Es ist mit einem Worte die Volksverachtung. Der Hexenkessel in dem diese gebraut wird, steht auf dem Dreifuß der Amtirungssucht, dem dünkelhaften Hochmuth der Alleinweisen, und auf der verletzlichen Zimperlichkeit der Wohlmeinenden. Sollte auch Luzian dem selbstherrlichen Dünkel der Alleinweisen verfallen?

Wer draußen steht, sich allein dem Volke gegenüber stellt, dem mag es leicht werden, sich dem Volke zu entziehen, indem er ihm nie die Kraft der vollen Wahrheit zutraut oder beim ersten Versuche sich verächtlich von ihm abwendet. Das Volk ist ihm gestaltlose Masse. Anders ist es bei Luzian. Er lernte die Menschen nicht als Masse kennen, sondern als Einzelne; ihm war es nicht gegeben, die mannigfaltigen Sinnesweisen verschiedener Menschen mit einem einzigen in Maschen verschlungenen Begriff, mit einem einzigen Wort einzufangen.

Wenn man mehrerlei Waldvögel in Einen Käfig sperrt, verlieren sie ihren Waldschlag, keiner von Allen [132] singt mehr, und sie zwitschern nur noch fast so ängstlich und unbestimmt wie lallende Küchlein.

Luzian konnte nicht wie Andere vom Volke und dergleichen reden, er kannte die Einzelnen, und die waren meist gut und getreu. Wie im Fluge schweifte sein Geist im eigenen Dorfe und in dem und jenem benachbarten von Haus zu Haus. Da und dort wohnt ein kernfester Ehrenmann; er kannte ihn von Jugend auf, und doch war er nicht auf dem Wege, den er jetzt ging.

»Nein,« sprach es in ihm, »ich bin nicht besser, als der und jener und dieser da. Aber warum greifen sie nicht mit an? Warum ziehen sie sich zurück von dir? Sie sind eben jetzt noch da, wo du selber vor ein paar Jahren noch gewesen bist. Das sind lauter alte Luzians, die da 'rumlaufen, thu' ja Keinem nichts und halt' mir ihn in Ehren, du bist's selber. Wie hätt' dir's gefallen, wenn dazumal Einer wie du jetzt dich mit grimmigen Augen von oben 'rab angesehen hätt'? Nein, ihr seid Alle meine Brüder! ihr seid so gescheit wie ich, es ist nur noch nicht heraus. Herr! Wenn ich da Alle hätt', da auf dem Acker, und ich stund' auf dem Markstein und thät' ihnen das Herz aufschließen und sie mir, das wär's, das müßt's sein. Warum dürfen wir nicht zusammenkommen? Wer kann uns hindern? Die Soldaten? Das sind unsere Buben und Brüder. Es muß sein. Herr! Wie sind wir an Hand und Fuß gebunden. Bricht's denn nicht einmal?« Luzian richtete sich rasch auf, und nächst dem Gedanken an eine große Versammlung, gegen den Willen des [133] Beamten und Pfarrers erquickte ihn noch innerlich das stille Bewußtsein eines Sieges über sich selber, über Hochmuth und Empfindlichkeit. Er hatte die echte liebende Duldung gefunden. »Lauter alte Luzians,« sagte er im Weitergehen noch oft vor sich hin, »mir wird das Gebot jetzt leicht: liebe deinen Nächsten wie dich selbst, jetzt versteh' ich's. Wenn du auf Einen grimmig bist, denk', du wärst der, der dich verzürnt, du könntest ja auch so sein ... Es ist doch viel Schönes in der Bibel, aber auch viel Anderes.«

Es war Nacht geworden. Luzian kannte jeden Baum und Strauch hier am Wege; wandelte er ja diesen Pfad schon mehr als dreißig Jahre. Im raschen Weitergehen, so im Vollgefühle der Kraft mit dem Schlehdornstock in der Luft fuchtelnd, verspürte er wieder eine alte Lust, die sich heute schon mehrfach regte, sich aber nicht unverhüllt aufthat.

Im Menschengemüth ebbt und fluthet es wundersam. Luzian wollte dreinschlagen, zuerst den Pfarrer, dann den Metard, und dann seinen eigenen Sohn Egidi und so fort tüchtig mit ungebrannter Asche einreiben, damit sie ihre gebührende Strafe bekommen und endlich einsehen, daß Recht und Vernunft ihm zur Seite stehen.

Wie bald sucht der Mensch die geistige Beweisführung zu verlassen und den leibhaften Nachdruck dafür einzusetzen. Sich so mit der ganzen Schwere des Wesens auf den Gegner zu werfen und ihn zu zermalmen, darin liegt nicht blos rohe Gewaltthätigkeit, sondern auch ein Bestreben, damit tatsächlich darzuthun daß[134] man bereit sei, das ganze Dasein daran zu setzen und den Gegner anzurufen, daß er bewähre, ob die Macht des Gedankens in ihm so stark sei, auch äußerlich die Gewalt zu erringen.

Darum greifen Völker und Parteien so gern zum Schwerte. Es gilt als letzte Beweisführung, die Lebenskraft einzusetzen.

Mitten auf dem Wege, an der großen Buche wo die vielen Namen eingeschnitten sind, merkte Luzian plötzlich, daß drunten im Thale die Sägmühle gestellt wurde. Der schrillende Ton war dahin, und das Wasser rauschte plätschernd über die unbewegten Räder. Dieses plötzliche Aufhören des weithin kreischenden Pfiffes machte Luzian verwundert aufschauen. Was ging dort unten vor? Er schritt rasch der Mühle zu. Die Bäume über ihm rauschten so wundersam, das tönte und klang in nächtlicher Stille heller als am Tage; dieses Säuseln und Rauschen in den Wipfeln floß immer weiter und weiter hinab, tief in den Wald, und still war's eine Weile in der Nähe; jetzt erhob sich wieder ein neuer Klang zu Häupten in den Zweigen, er schwoll immer mächtiger und mächtiger an, und brauste dahin. Wie wohlig lauscht sich's allvergessen in stiller Sommernacht dem ewigen Wogen des Waldes. Du kannst nicht sagen und deuten, was sich da spricht im Flüstern der Zweige, und doch erquickt dir's das Herz und durchströmt dich mit süßen Schauern.

Wie wenn die tosende Tagesarbeit schweigt, du still hinhorchst auf das Weben und Walten in deiner Brust, so war es hier als ob das Ohr, an den Mühlenton [135] gewöhnt, nun bei dessen Verstummen schärfer und voller das rastlose Wogen der weiten Natur in sich aufnähme.

Friedsam als ob nirgends in der Welt Kampf und Widerstreit wäre, und ein Mensch dem andern die Lust des Lebens gönnte wie ein Baum des Waldes dem andern, so schritt Luzian dahin.

Unweit der Mühle zieht sich der Weg einen dachjähen Hügel hinab. Luzian stand hier plötzlich still, denn er hörte wie vor dem Hause auf dem Sägbalken sitzend, zwei Männer mit einander sprachen, oder vielmehr der Eine redete.

»Wie ich Euch sage, Egidi, es giebt nur zwei Wege: entweder fromm und streng an unsere heilige Kirche halten, oder – an gar nichts glauben: nicht daß der Mensch eine Seele habe, nicht daß es einen Gott gebe, nicht daß wir der Erlösung bedürfen«. Wie gesagt, entweder gut katholisch oder ein Gottesläugner, man kann nur zwischen dem Einen und dem Andern wählen; mitten drin stecken bleiben wie das Lutherthum, halb an die Bibel, halb an die Vernunft glauben, das ist, wie mein alter Lehrer in Freiburg gesagt hat, nichts als Festungsfreiheit; man ist in der Festung eingesperrt, darf jedoch innerhalb der Ringmauer frei umhergehen. Nichts davon. Entweder muß man alle Gelüste und Begierden ausgeschirren und sie im freien Felde rammeln lassen wie die Hasen, oder man muß sie festhalten mit Zaum und Gebiß der ewigen Glaubensgesetze. Ich weiß Egidi, Ihr seid von Grund aus ein fromm Gemüth, darum schließe ich Euch mein Herz auf. Von der Stund' an, da auf das schallose[136] Haupt des Neugebornen das heilige Wasser herniederträuft, bis zu dem schweren Augenblicke, da die lebensmüden Füße des Sterbenden gesalbt und gesegnet werden, die nun ihren Erdengang vollendet haben: unablässig hält die Kirche leitend, schirmend und segnend die Hand über ihre Angehörigen. Unglückselig, wer sich ihr entzieht und sie von sich stößt. Ihr könnt in Eurer Mühle Verbesserungen finden, neue Räder anwenden, die Wasserkraft sorgfältiger benützen; in göttlichen Dingen aber ist Alles vom heiligen Geiste offenbart, und erbt sich unabänderlich fort von Geschlecht zu Geschlecht. Gäbe es hier eine neue Wahrheit, die nicht in dem Geoffenbarten läge, so wäre ja Gott der Allgütige ein Stiefvater gegen die vergangenen Geschlechter gewesen, die solcher Heilslehre nicht theilhaftig waren. Der Heiland und seine Lehre war in ihm und mit ihm vom Anbeginn der Welt. Wehe dem Armen, der seinen Weg allein gehen will, du folgst dem Irrlicht in den Sumpf.

»Glaubt mir, Egidi, es ist ein schweres Amt, einzutreten in die heilige Schaar, die das Erlösungswerk forterbt; ich bin nichts, nur die Gnade wirkt in mir, ich bin nichts für mich, ich kenne nicht Vater nicht Mutter so sie nicht in dem Herrn wandeln, ich kenne nicht Weib nicht Kind, ich ziehe spurlos über die Erde, ein zerbrechlich Gefäß, das der Herr zerschmettert am Ende seiner Tage. Aber weil ich dem Herrn diene, so fürchte ich die Menschen nicht, sie müssen dem Herrn gehorsamen. Da bin ich für euch Alle zu jeder Stunde bereit zu rathen, zu helfen und zu erheben zum Herrn.«

[137] Der Mond trat aus den Wolken, und Luzian sah neben seinem Sohne den Pfarrer.

»Ich kann's aber nicht leugnen,« entgegnete Egidi schüchtern, »mir thut es doch weh um meinen Vater, und es wird ihm arg weh thun, daß ich ihm den Victor weggenommen.«

»Aergert dich dein Auge so reiß' es aus,« rief der Geistliche halb zornig, »Egidi, Ihr seid hochbegnadigt, daß Ihr zum Theil ein priesterlich Opfer bringen könnt. Ihr müßt Euer Herz tödten dem Herrn, auf daß es in ihm auflebe. Oder wollt Ihr mit Eurem Vater zur Hölle fahren und Euer unschuldig Kind mitreißen? Nicht ruhen und nicht rasten dürft Ihr, bis Ihr seinen stolzen Sinn demüthig macht. Das sag' ich Euch,« rief der Pfarrer aufstehend und streckte seine Hand aus wie ein strafender Prophet, »die erste Strafe, die der Herr über Euren gottlosen Vater verhängt, ist die, daß sich sein eigen Kind wider ihn empören muß. Ihr seid das auserlesene Werkzeug des Herrn. Das wird ihm auf dem Herzen brennen, Ihr müßt ...«

Der Pfarrer konnte seine Rede nicht vollenden, denn eine gewaltige Faust drückte ihm die Gurgel zu.

Mit der Schnelle eines Habichts, der auf seine Beute schießt, war Luzian herbeigesprungen und warf den Pfarrer über die Sägeklötze hin, daß es knackte.

»Ich will dich ... ich muß auch ... ich hab' auch den Arm des Herrn,« unter diesem Ausrufe schlug er auf den Geistlichen los, daß ihm das Blut aus Mund und Nase rann.

Egidi suchte abzuwehren, aber es gelang ihm nicht, [138] den riesenstarken Luzian loszubrechen. Der Pfarrer spie diesem das Blut in's Gesicht, er biß sich mit den Zähnen in seinen Arm ein, doch Luzian rief: »Spei nur Gift, beiß nur, ich will dir den Wolfszahn ausreißen.«

Egidi schrie um Hülfe und riß endlich den Vater von seiner Beute los. Luzian wandte sich um und schlug Egidi auf die Brust, daß er taumelnd zurückstürzte.

Unterdeß richtete sich der Pfarrer auf, er war kein Schwächling; er faßte Luzian im Nacken und warf ihn nieder, daß es dröhnte, fast wie wenn man einen Baum fällt. Jetzt knieete der Pfarrer auf den Gefallenen und während er ihn heimlich mit Füßen trat und ihm die Augenwimpern ausraufte, rief er laut, daß es im Walde widerhallte und das Gebell der Hunde im Hofe übertönte: »Thue Buße, ich will dir vergeben; ich vergelte dir nicht, kein Schlag soll dich treffen.«

Die Frau Egidi's schrie Feuerjo zum Fenster heraus, die Mühlknechte eilten herbei, sie folgte ihnen. Ueberdieß hatte sich Luzian wieder befreit, und ein gewaltiges Ringen zwischen ihm und dem Pfarrer hatte begonnen.

»Mein Egidi ist todt!« schrie plötzlich die Frau und sank neben ihrem Mann nieder. Das war ein Schrei, der die Bäume im Wald erschüttern konnte.

Luzian ließ ab vom Ringen, kniete neben seinem Sohn nieder und schrie: »Mein Kind! Mein Kind! Pfaff, da hast dein Opfer.«

»Und du bist der Mörder,« entgegnete der Pfarrer.

[139] Luzian schnellte wieder empor, zückte sein Seitenmesser, faßte den Pfarrer und rief: »Wenn ich geköpft werden soll, will ich's wegen deiner, du ...«

Man riß ihn mit unsäglicher Mühe los.

Die Frau lag über ihren Mann hingebeugt, das stille Thal tönt wieder von ihrem Jammern und Klagen.

Egidi wurde in's Haus getragen, und als man ihm dort das Weihwasser das neben der Thürpfoste hing über das Gesicht schüttete, schlug er die Augen auf. Kaum hatte Luzian dies gesehen, als er wiederum den Pfarrer ergriff und mit den Worten: »'naus mit dir!« ihn aus der Stube drängte.

Das war eine traurige Nacht hier in der Waldmühle. Egidi gelangte bald wieder zu vollem Bewußtsein, und als er dann ruhig einschlummerte, ließ Luzian nicht nach bis Alles schlafen ging, er selber aber wachte am Bett seines Kindes, dessen Stirn und Hände er oft befühlte. So saß er und starrte unverwandt hinein in das matt flackernde Licht, bis dieses endlich verlosch. Er sah dem Absterben des Lichtes zu, obgleich das für todesgefährlich gilt.

Mit dem Verlöschen des Lichtes erwachte Egidi plötzlich, und hier in stiller Nacht, wo der Mond sein fahles Licht in die Stube warf, besprachen sich Vater und Sohn, daß Niemand mehr wußte, wer eigentlich den Andern beleidigt hatte. Egidi wollte mit aller Macht seinen Vater bekehren, aber es gelang nicht, und Luzian versprach, nicht den leisesten Groll gegen ihn zu hegen, wenn er das thue was aus ihm selber käme, aber nicht was der Pfarrer ihm einimpfe. [140] Luzians einziger Wunsch war, daß er den Victor wieder bekäme; er und die Ahne könnten nicht ohne das Kind leben, er wollte es gerichtlich adoptiren. Egidi schien hingegen hartnäckig, jedoch nur so, daß er nicht ausdrücklich willfahrte; was etwa geschehen werde, das konnte er nicht hindern.

Gegen Morgen kam eilig eine alte Magd des Hauses und verkündete, die Frau sei durch den nächtigen Schreck so, daß man bald der Wehmutter bedürfe. Egidi sprang rasch aus dem Bett, er wollte nach dem Dorf, aber Luzian versprach Alles zu besorgen; er sprang rasch hinauf in die Kammer, kleidete den schlaftrunkenen Victor an und trug ihn auf den Armen dem Morgenrothe entgegen, hinauf in's Dorf. Der Weg durch den Wald war hier und dort mit Blutspuren bezeichnet.

[141]

Verlassen und verstoßen

Verlassen und verstoßen.

Im Hause Luzians war diese Nacht nicht minder überwache Verstörtheit. Bäbi saß allein in der Küche und befühlte stets mit dem Daumen die Stelle des Fingers, wo der Brautring gesessen; eine zart empfindliche Haut hatte sich hier unter dem breiten silbernen Ringe gebildet, und Bäbi war's oft als ob sie ein Stück von ihrer Hand verloren habe. Noch unbewußter hatte sich unter dem anerkannten äußern Verhältniß ein geschütztes Gedankengebiet in der Seele des Mädchens aufgethan, das war jetzt Alles dahin, der unbestimmten rauhen Wirklichkeit preisgegeben. Bäbi konnte nun still in sich hinein weinen. Sie glaubte jetzt erst zu wissen wie sehr sie den Paule geliebt; ist's denn möglich, daß er jetzt daheim umhergeht, ohne ihrer zu gedenken? Gewiß nicht. Sie wünscht sich Flügel, um ungesehen schauen zu können, was er jetzt treibe, wo er jetzt sei.


Ach Scheiden immer Scheiden,

Wer hat dich doch erdacht?

Hast mir mein junges Herze

Aus Freud in Trauern bracht.

Ade zu guter Nacht.


So sang sie und sann dann wieder still hin und her, ob es denn möglich sei, daß Paule sie verlassen habe. »Wie wird er denn leben können? wird derselbe[142] Mund einstmalen zu einer Andern sprechen können: du bist mir das Liebste auf der Welt, du einzig und allein? O! die Männer sind falsch, aber der Paule doch nicht. Freilich, er muß bald heirathen, er hat keine Mutter, es muß bald eine Frau in's Haus. Er ist Wittwer und sein Vater auch, und ich bin auch eine Wittwe. Wenn man nur wüßte, wen er heimführt; es wär' doch Schad' um sein gut Herz, wenn er sich jetzt in der Eil' überrumpeln thät, ich möcht' ihm helfen eine Frau suchen. Nein, wir thäten keine paßliche finden, es gefiele mir doch keine. Und ich? Werd' ich denn einmal wieder einen Liebsten finden? Werd' ich denn einmal wieder Einen küssen und umhalsen können wie den Paule, daß man schier vergehen möchte vor lauter Lieb' und Freudigkeit? Nein, es giebt nur Einen Paule und keinen mehr so ohne Falsch und so grundgetreu; das kommt nicht mehr wieder. Und soll ich einmal wieder einen andern Schatz kriegen, wo steckt denn der Kerle jetzt? Am besten wär's er käm' jetzt gleich, jetzt könnt' ich ihn am nöthigsten brauchen, ich bin jetzt so traurig und so einödig, jetzt könnt' er mir über Zaun und Hecken helfen. Wenn ich einmal wieder von selber heiter und lustig bin, da brauch' ich dich nimmer, da kann ich schon allein fort. Komm jetzt, gleich, wenn du einmal kommen thust. Und wenn er so wär' wie der Paule, wär' mir's nicht recht, ich thät' mich vor ihm fürchten wie vor einem Gespenst, ich thät' hundertmal Paule zu ihm sagen und wenn er nicht so wär' wie der Paule, wär' mirs auch nicht recht ... Ich mein', ich müßt' meinem Paule mein Herzeleid klagen, [143] er ist mir der Nächste von all den Meinigen und er ist's doch wieder, der von mir fort ist und über ihn hab' ich zu klagen ...«

»Ich lass' den Strick auf den Boden laufen, ich heirath' gar nicht.« Mit diesen letzten, fast laut gesprochenen Worten stand Bäbi auf und suchte die Gedanken zu verscheuchen die unstet hin und her flatterten. Gewaltsam heftete sie wieder ihren Sinn auf die Hoheit ihres Vaters: »Ihn kränkt's von meinem Paule gewiß noch mehr, oder doch so viel als mich. Und was werden die Leute sagen? Ich seh' schon wie sie allerlei Bedauern mit mir haben, und hinterrücks ist doch Manche schadenfroh, daß es mir so geht. Aber das leid' ich nicht, daß mir Eines in's Gesicht hinein auf meinen Paule schimpft; es geschieht mir kein Gefallen damit, im Gegentheil.«

Fast in demselben Augenblicke als Luzian im Geiste von Haus zu Haus wandelte, um zu erkunden wie man von ihm und seinem Kampf denke, schweifte auch der Sinn Bäbi's zu allen Freundinnen und Gespielen; aber sie hatte ihre Rundschau noch lange nicht beendet, als die Ahne plötzlich rief. Bäbi eilte zu ihr und die Ahne klagte fast zum Erstenmal bitterlich, wie man sie allein lasse und Alles verkehrt und rücksichtslos verfahre. »Ich weiß nicht,« sagte sie, »hundertmal geredt ist wie keinmal, und du machst auch kein' Thür zu, und man ist ja in dem Haus wie vor einem Blasbalg und nirgends kein' Ruh' und Alles ist fort. Dein' Mutter heult mir auch den Kopf voll und du gunnst mir auch das Maul nicht und red'st kein Sterbenswörtle. Wenn [144] halt mein Luzian nicht da ist, da hat der Himmel ein Loch.«

Die sonst so anspruchslose Ahne, die nie Jemand gern zu schaffen machte, war heute krittelig, hatte allerlei zu befehlen und zu wünschen, und doch war ihr nichts recht.

Bäbi schloß der Ahne bald ihr Herz auf, wie tief weh ihr zu Muthe sei.

»Laß das Sinniren sein,« entgegnete die Ahne, »man bringt doch nicht 'raus, wie's morgen sein wird; jeder Tag sorgt für sich selber. Wenn man heut' schon wüßt' was morgen wird, braucht' man ja morgen nicht leben. Zeit macht Heu. Mir ist's, wie wenn meinem Luzian ein schwer Unglück über den Hals käm'; wenn er sich nur nicht an dem armen Schelm, am Egidi vergreift.«

»Ich will dem Vater nach in die Mühle.«

»Nein, will denn Alles fortlaufen? Da bleibst.«

»Ich mein' ich hab' grad des Paule's Stimm' gehört,« sagte Bäbi wieder und wurde feuerroth.

»Kann mir's denken. Dir geht sein' Stimm' im Kopf 'rum. Was könnt' er denn da bei uns suchen? Hast du noch ein Geschenk von ihm?«

»Nein, aber vielleicht hat er's mit seinem Vater in's Reine bracht oder so, und er ist da und will –«

»Du kennst den alten Metard nicht, dem ist, mit Gutem sprich, die Seel' in den Leib gerostet. Dein' Mutter die schimpft auf den Paule und das leid' ich nicht. Wer gestern brav gewesen ist, der kann nicht – Plumpsack da bin ich – heut auf Einmal ein [145] Nichtsnutz sein; wenn er auch einen Unschick begangen hat, er ist doch der Alt'. Wen man gestern gern gehabt hat, den kann man nicht heut' über alle Häuser 'nausschmeißen wie einen alten Schlappen. So ist's. Der Paule geht seinem Vater nicht von der Hand; er thut besser dran als der Egidi, der Latschi, der thut ja so übergescheit als ob er auf seines Vaters Hochzeit gewesen wär'.«

»Ja, bei seinem Vater bleiben muß man, mein Paule hat's grad so gemacht wie ich –«

»Gewöhn' dir die Red' ab; du kannst nimmer sagen: mein Paule« warf die Ahne ein; Bäbi schien es kaum zu hören, unverrückt in's Licht starrend fuhr sie begeistert fort: »Ich hab' heut fast die ganze Nacht nicht geschlafen, vor lauter Gedanken. Sonst ist so ein Sonntag rum gangen wie ein Tanz so schnell, man weiß nicht wo er hinkommen ist. Aber was haben wir gestern nicht Alles verlebt! Ich hab' sonst nie gewußt, daß man vor Gedanken nicht schlafen kann, aber gestern hab' ich's erfahren. Da hab' ich halt auch darüber gedenkt: wozu braucht man denn auch einen Pfarrer bei der Trauung? Wär's nicht viel schöner und heiliger, wenn in der Kirch', wo die ganze Gemeind' bei einander ist, der Vater vom Bursch und der Vater vom Mädle da vor ihnen stünd' und Einer nach dem Andern thät das Paar einsegnen und tränen? Der Vater ist doch eigentlich der Stellvertreter von Gott bei seinem Kind, und so eine Trauung vom Vater wär' doch erst recht heilig. Und mein Vater könnt' besser segnen als alle Pfarrer auf der ganzen Welt, und ich mein' ein [146] jeder Vater, wenn er da auf dem Platz stünd', müßt' ein gut Wort vorbringen können. So ein Pfarrer ist doch ein fremder Mensch und mein Vater ist mein und ich bin sein bis zu der Stund.«

Die ganze erhobene Liebe Bäbi's zu ihrem Vater brach flammend auf. Die Ahne sagte verwundert: »Bäbi, du redest ja, man kennt dich gar nicht mehr.«

»So pfeift mein ... der Paule, ja, ja, das ist das Lied vom Nesselkranz,« sagte Bäbi plötzlich vor sich hin, auf die Straße hinaushorchend, »aber ich warte bis er 'rauf kommt.«

Bäbi hatte in der That recht gehört, Paule war da und wollte vor Allem mit Luzian sprechen, er strich um's Haus umher, ob er nicht Bäbi doch zufällig treffe. Endlich ging er zum Wendel und wollte dort die Ankunft Luzians abwarten. Erst spät in der Nacht kehrte er heim.

Lange besprach sich noch Bäbi mit der Ahne, bis diese endlich einschlief; auch die Mutter ging zu Bett und still war's ringsum. Bäbi holte sich noch eine Näharbeit, die zur Vollendung ihrer Aussteuer gehörte; hatte es mit dieser nunmehr auch keine Eile, so hielt die Arbeit doch wach. Kaum eine Stunde aber hatte Bäbi emsig und still bei der Oellampe gesessen, als ihr die Hände in den Schooß sanken und sie ermüdet einschlummerte. Das erste Pochen an der Thüre erweckte sie, denn in dem wachbereiten Schlafe ist das Ohr jedes Tones gewärtig.

Ohne daß man Jemand kommen hörte, öffnete sich der Riegel, Bäbi sah ihren Vater vor sich stehen und[147] blickte staunend in sein verwildertes Antlitz. Luzian aber sagte rasch: »Gut, daß du auf bist, lauf hurtig zur Hebamm', sie soll gleich zu des Egidi's Clor' (Clara) kommen, und dann sag's ihrer Mutter. Lauf tapfer, ich will schon drin im Haus wecken.«

Luzian ging mit Victor in's Haus, und Bäbi rannte in den Strümpfen ohne Schuhe pfeilschnell das Dorf hinauf.

Frau Margret machte sich rasch auf den Weg, und als Luzian nach einer Weile in den Hof ging, sah er den Oberknecht, der die beiden Braunen an den Wagen spannte.

»Hast Recht, daß dich früh aufmachst,« sagte Luzian, »willst Klee holen?«

»Nein, ich hab' noch genug für heut' von gestern Abend. Ich hab' noch zwei Fuhren Dinkel im Speckfeld, die müssen 'rein, und hernach will ich zackern.«

Luzian nickte zufrieden und half eingeschirren. Stillstehend schaute er dann dem Wagen nach, der davon fuhr; das Schimmelfüllen sprang neben her, sich noch ledig tummelnd im frischen Morgenhauch. Luzian dünkte es schon ein Jahr, daß er sich nicht um sein Sach' angenommen hatte. Diese unablässige Stetigkeit des Arbeitens trat ihm jetzt in ihrer ganzen Erquickung vor die Seele; ihm war die ganze Welt aus den Fugen gegangen, hier aber verlief Alles regelmäßig, das kannte keinen Wirrwarr und konnte keinen ertragen. Die Natur arbeitet in stiller Unablässigkeit, und der Mensch, der in ihr wirkt, muß wie sie rastlos sich rühren; das hat seine festen Zeiten, die nicht verabsäumt werden [148] dürfen, Sonne und Regen warten nicht bis du mit deinen anderweiten Anliegen fertig bist. Du magst den Hammer in der Schmiede, die Axt auf dem Zimmerplatz, den Hobel in der Schreinerwerkstatt ruhen lassen, eine Weile unausgesetzt anderen Dingen, Gemeinzwecken nachgehen, du kannst Alles leicht wieder aufnehmen, wie am Tage wo du es verlassen. Anders der Bauersmann. Die Sonnentage, die über dem Felde seiner harrten, kann er nicht wieder heraufrufen. Darum eignet sich der Bauersmann so selten zur Verfolgung von Anforderungen, die abseits dem von Kreislauf seiner Thätigkeit liegen. Des Herrn Auge macht das Vieh fett; wie leicht verkommt Alles, wenn der Herr fehlt. Muß es Dienende geben, unablässig belastet mit der Hände Arbeit, während der Herr den höheren Anliegen der Menschheit nachgeht, ist kein Zustand möglich, in dem sich Beides vereinigt?

»Wenn du wieder kommst, geh' ich mit in's Feld,« rief Luzian dem Knechte nach und kehrte in's Haus zurück.

Die Ahne war ganz glückselig, beim Erwachen ihn wieder zu sehen.

»Mir hat heut' Nacht träumt,« erzählte sie, »du bist Pfarrer worden. Ich hab' dich predigen sehen, aber in einer ganz fremden Gegend, ich hab' alle deine Worte gehört, o! es war prächtig. Und du gäbest erst noch einen guten Pfarrer. Mein Vater hat's mehr als hundertmal gesagt: wenn's mir nachging', dürft mir Keiner vor dem fünfzigsten Jahr Pfarrer werden. Ein Pfarrer braucht nicht studirt haben und kein Examen machen, [149] er muß sich in der Welt umthan haben mit offenen Augen, und sei er meinetwegen Holzhacker gewesen, er kann doch der best' sein, besser als alle Bücherpfarrer. Woher wollen denn die aus dem Seminare mitreden und Einem Trost und Hülf' geben? Sie haben ja selber nichts erfahren. Mein Vater, das war der gescheiteste Kopf auf dem je ein Hut gesessen ist, der kaiserliche Rath hat's auch oft gesagt.«

»Heut' giebt's noch ein Urenkele,« sagte Luzian, »die Clor' wird eines bringen.«

»So? Ja von deßwegen bist auch die Nacht nicht heimkommen. Wir haben lang' auf dich gewartet.«

Luzian war still, die Kehle war ihm wie zugeschnürt. So oft die Ahne das Wort Pfarrer aussprach, ging ihm ein Stich durch's Herz; er konnte ihr jetzt nicht sagen, was vorgegangen war. Wird es ihr aber verborgen bleiben und ist's nicht besser, selber Alles zu bekennen? Einstweilen muß man abwarten und Ruhe suchen.

Still sich vergrämend saß Luzian da. Von allen Qualen, die den Menschen heimsuchen können, ist die Selbstverachtung die höchste, freilich nur für ein ehrlich Gemüth, denn die zahllosen anderen kommen nie dazu, sich selbst die volle Wahrheit zu gestehen. Ueber den Aufrichtigen aber kommt die Pein doch nur vorübergehend, denn eben in der Aufrichtigkeit liegt schon die Gewähr, daß die Selbstverachtung eine unberechtigte ist.

Luzian erkannte schwer, wie durch seine letzte That sein ganzes Streben verkehrt und verwüstet war.

»Was hast du jetzt? Raufhändel und weiter nichts. Und du bist nicht mehr allein für dich ...«

[150] Mit diesen Worten erkannte er jene bindende Allverantwortlichkeit, die in der selbsterweckten oder überkommenen Sendung für das Allgemeine liegt; das ganze Thun und Lassen hört damit auf ein eigenes, beliebiges zu sein.

»Mich dürfen sie für einen Lumpen halten, da läg' mir nicht viel dran, aber jetzt heißt's: Alle, die nicht an die Pfaffen glauben, sind Raufbuben, man sieht's ja. Das thut mir in der Seele weh. Jetzt hat der Pfaff Oberwasser. Ja, ich passe nicht zu einer solchen Sach', nein.«

Hiemit betrat Luzian eine neue Stufe des Märtyrerthums: den Zweifel und die Verzweiflung an sich selbst. Tausendmal ist dieß nur Beschönigung der Ruhesucht, feiges Abschütteln einer unumgänglichen Aufgabe, aber hier war's die bitterste innere Zerknirschung. Luzian hielt sich in der That seines hohen Vorhabens unwürdig, die letzte That zeigte dieß für ihn und Andere. Tiefe Sehnsucht stieg in ihm auf, daß doch ein gewaltiger erhabener Mensch erstehe, der stark und heilig die Welt auf's Neue erlöse; wie gern wollte er ihm dienen, ihm Alles opfern, jedem Wink seiner Augen gehorchen, wenn es ihm nur vergönnt wäre, in den Reihen seiner Kämpfer zu streiten.

Ich bin kein bisle mehr als ein gemeiner Soldat und dazu noch ein recht wilder, unbändiger.

Darin sprach sich's aus, was er wünschte. Das tiefe Verlangen und Sehnen des Jahrhunderts gab sich auch hier kund. Wird ein gewaltiger Führer erstehen, der das Zauberwort findet, um die zerstreuten zahllosen[151] Streitmuthigen in geschlossenen Reihen zu ordnen und sie die große Bahn zu einem neuen Leben zu führen? ...

Als Luzian durch das Dorf ging, grüßte er Niemand, er wartete den zuvorkommenden Gruß ab; man solle nicht glauben, er demüthige sich oder suche jetzt einen besondern Anhang. Menschen, an deren Urtheil ihm ehedem so wenig lag, daß er gar nie daran dachte, diesen sah er jetzt scharf in's Gesicht; sie sollten und mußten ein Wort, einen Blick für ihn haben, er mußte sicher sein, was sie von ihm denken. Manchmal wurde er in der That zuvorkommend gegrüßt, aber er fragte sich wieder, ob das nicht durch die Nöthigung seines scharfen Anblickes geschehen sei. Wenige bemerkten seine Unruhe, und die sie bemerkten und darüber nachdachten, vermutheten einen entgegengesetzten Beweggrund, sie glaubten herausfordernden Stolz zu erkennen. Wo Zwei oder Mehre beisammen standen und Luzian ging vorüber, waren sie plötzlich still, gewiß hatten sie von ihm gesprochen. Der Rößleswirth sah zum Fenster heraus und als er Luzian kommen sah, zog er sich zurück und machte das Fenster rasch zu. Luzian war fest überzeugt, daß Alles auf ihn gemünzt sei, er, der sonst in sich so Feste, sah sich auf Einmal abhängig von den Mienen und dem Behaben eines Jeden. Dem Dieb brennt der Hut auf dem Kopf, sagt das Sprüchwort, und ähnlich erschien sich Luzian wie ein offenkundiger Verbrecher, der sich Wohlwollen und Anerkennung zusammenbettelt, die er vordem selbstverständlich inne hatte. Luzian wollte sich Alles aus dem Sinn schlagen und es gelang ihm, aber dieses Vergessen war doch nur wie der [152] Schlummer eines Krankenwärters, eines Harrenden; das leiseste Geräusch weckt taumelnd auf.

In der Schmiede, wohin nun Luzian ging, ward auch Alles plötzlich still, als er eintrat. Urban begann indeß: »Gelt, jetzt sind die Karten anders gemischelt? jetzt schenkt der Pfarrer dir die Trümpf', die du früher gehabt hast?«

»Wie so?« fragte Luzian.

»Du wirst doch nicht läugnen, du hast vergangene Nacht bei deinem Egidi den Pfarrer todtstechen wollen und hast ihn blutig geschlagen, aber der Pfarrer hat heilig geschworen, daß er nichts davon bei Gericht angeben will; er verzeiht dir's. Jetzt frag' um im Dorf, laß ausschellen: wer dir noch Recht gibt, soll sich melden.«

»Du hast Glück,« sagte der Brunnenbasche, »du hast Glück wie jener Mann, der hat einen Floh fangen wollen und hat eine Laus gefunden.«

»Mit dir red' ich gar nicht,« erwiderte Luzian und verließ die Schmiede in schweren Gedanken.

Als er so in sich gekehrt, den Blick zur Erde geheftet hinwandelte, fühlte er plötzlich einen mächtigen Faustschlag auf dem Rücken. »Heilig Millionen,« knirschte er sich umkehrend und nach dem Schläger fassend. »Ah, du bist's,« sagte er und ließ ab als er Wendel sah, »du hast mich grausam erschreckt, es ist mir durch Mark und Bein gefahren.«

»Warum? seit wann bist du so zimpfer?«

»Guck, ich weiß nicht, ich bin dir so ängstlich im Herzen, es ist eine Schande, ich mein', die ganze Welt [153] ist gegen mich, ich möcht' sie Alle vergiften, und da kommst du hehlings und giebst mir einen Schlag wie vom Himmel 'runter.«

»Bist denn eine schwangere Frau? Schäm' dich. Wenn du auch Eins kriegt hast, es ist nur eine Abschlagszahlung von nacht Abend.«

»Weißt auch schon.«

»Ja, und jetzt spielt der Pfarrer den Gutedel. Hab' ich dir's nicht gesagt, du wirfst das Beil zu weit 'naus? Dein Sach' ist bis daher eine reine, thauklare gewesen, und jetzt ist geronnen Blut drin.«

»Mach' mir keine Vorwürfe, ich weiß Alles, ich weiß ja; von dir hätt' ich am Ersten verlangt, daß du mir Trost einredest, statt daß du mich jetzt auch noch schändest.«

»Ich schwätz' dir kein Loch in den Kopf, wer bist denn? Kopf in die Höh! daß man den alten Luzian zu sehen kriegt. Narr, du hast nicht geschlafen, ich seh dir's an, du bist mauderig wie ein Vogel, der sich mausert. Jetzt laß dich nur nicht unterkriegen. Was du einmal than hast, dabei mußt du bleiben.«

»Ich hab's aber nicht gern than, ich bin in der Wildheit dazu kommen. Ich ließ' mir einen Finger abhacken, wenn ich den Pfarrer nicht geprügelt hätt'.«

»Luzian, das hab' ich nicht gehört, das hast du nicht gesagt, das darfst du nicht sagen, keinem Menschen. Vor der Welt mußt hinstehen, daß Alle die Augen unterschlagen, wenn du sie anguckst. Möchtest gerne Trost haben? Was Trost? Wer nichts nach der ganzen Welt fragt, nach dem fragt die Welt am [154] meisten. So bist du, und so mußt du sein, und so bist du morgen am Tag.«

»Ich weiß wohl, ich bin nichts nutz, aber das thut mir weh, mein' Sach' ist doch gut.«

»Freilich, freilich, da dran halt' dich. Laß den Schlag ein paar Monat versurren, da hat das Ding ein ander Gesicht. Wir wollen zu Michaeli davon reden, wenn die Sach' bis dahin nicht ist wie der ferndige (vorjährige) Schnee.«

Dieser Zukunftstrost verfing bei Luzian nicht, denn er entgegnete: »Führ' du im Frühjahr einen Hungrigen auf den Kornacker und sag: da friß dich satt. Lug, Wendel, ich mein' es ist ein Jahr, aber es ist erst gestern gewesen, daß ich den alten Luzian hab' vor mir herumlaufen sehen, aber den Luzian von über'm zukünftigen Jahr, den kenne ich noch nicht, von dem weiß ich noch nichts und der hilft mir noch nichts. Sag du mir hundertmal: ich werde ein anderer muthfester Kerl sein, jetzt bin ich's noch nicht und jetzt braucht ich's. Ich hab' dir eine Angst fast zum Davonlaufen und weiß nicht wovor und weiß nicht wohin.«

»Das Stündle bringt's Kindle, sagen die Hebammen. Luzian horch auf, ich will dir was sagen. Sei kein Narr; im Gegentheil, sieh dir die Welt als ein Narrenspiel an, mach dich lustig darin so gut als es geht und so lang als es hält. Du bist gesund, hast Vermögen genug, laß dir dein Leben bekommen, es ist bald genug aus, eh man sich's versieht; und es dankt dir's kein Teufel, wenn du jetzt deine besten Jahre verkrimpelst und verbuttelst für nichts und wieder nichts, [155] blos weil dir was einredest. Ich kann dir in sieben Worten all' meine Weisheit sagen: für was man die Welt ansieht, das ist sie Einem. Wenn ich du wär', ich wollt' mir ein ander Leben herrichten. Ich wünsch' dir nur meinen Leichtsinn, den geb' ich dir nicht für deinen besten Acker. Jetzt muß ich heim, es wartet ein Staatsmittagessen auf mich, ein Herrenessen, der König hat nicht mehr, es kommt in Allem nur darauf an, wie man's ansieht: ich hab' Gesottenes und Gebratenes. Die untern Kartoffeln im Hafen (Topf) die sind gesotten, und oben wo das Wasser einkocht ist, da sind sie braten.«

Man war am Hause Wendels angelangt und dieser ging hinein.

[156]

Ein neues Familienglied

Ein neues Familienglied.

Als Luzian heimkam, hörte er schon vor der Hausthür, daß die Frau Egidi's ein Töchterchen geboren hatte.

Aus der Küche trat ihm die sporenklirrende Fidelität entgegen.

»Guten Tag Herr Doctor,« sagte Luzian.

»Guten Tag Herr Schwiegersohn,« lautete die Antwort.

Fast möchte man's bedauern, daß in den zehn Tagen, die wir jetzt schon in dem Hause verweilen, im Dorfe Alles körperlich wohlauf war, wir lernen dadurch das heitere Naturell erst jetzt kennen. Es ist aber noch immer Zeit.

Der Doctor Pfeffer von G., ein junger Mann mit geröthetem Antlitz, das die Kreuz und die Quer durchsäbelt war, kam nie in's Dorf, ohne das Haus Luzians oder vielmehr die Ahne zu besuchen. So oft man das Reitpferd des Doctors am Wirthshaus angebunden sah und er nicht dort zu treffen war, suchte man ihn bei der Ahne auf, wo er scherzend und lachend saß. Die Leutseligkeit und frohe Laune des lustigen Bruders hatte ihn auf allen umliegenden Dörfern beliebt gemacht. Auf der Universität war der forsche Studio als der große Baribal hoch berühmt und angesehen, ein Meister auf der Mensur und in der Kneipe. Er behielt sich auch diese Würde fast über das doppelte Quadriennium [157] hinaus. Endlich, als das ganze Vermögen verstudirt war, ließ sich der Mensurheld zum Examen einpauken, und halb aus wirklichem Glück, halb aus Rücksicht der Professoren, die ihn endlich von der Universität los sein wollten, bestand er das Examen. Er ließ sich nun in G. als praktischer Arzt nieder, erhielt bald darauf die Stelle eines Unteramtschirurgus und befleißigte sich hauptsächlich der Dorfpraxis. Eine gewisse Geschicklichkeit in der Operation, wozu ihn besonders sein Muth und eine handliche Fertigkeit befähigten, war ihm nicht abzusprechen; er traute daher auch nur dem operativen Theile seines Berufes, von der neuen Errungenschaft der innern Heilkunde besaß er als wesentliches Ergebniß nur die Skepsis. Das praktische Leben faßte er oft wie die Fortsetzung einer ulkigen Studentensuite. Reiten und Fahren, seine alte Liebhaberei, war jetzt ein Theil seines Berufes; das ging nun hin und her über Berg und Thal, und die Welt ist so weise eingerichtet, daß es auch in dem kleinsten Dorfe, wo die Füchse einander gut' Nacht sagen, nicht an einem kühlen Trunk Wein fehlt, der spricht da mit demselben Geiste wie in der Gesellschaft aller Weltweisen. Wenn unser Doctor noch so lange bei'm Glas gesessen, hielt er sich doch immer fest zu Pferde wie eine Katze, ja die Leute behaupteten, er sei von Nachmittag an, das heißt, wenn er schon ein bischen angerissen war, noch weit gescheiter und geschickter als Arzt. Er trank unabänderlich nur halbe Schöppchen, damit der Wein allzeit frisch vom Fasse komme. War das Fläschchen leer, schlug er es mit einem Daktylus auf den Tisch, und die Wirthe in der [158] ganzen Umgegend kannten dieses Zeichen zum Auffüllen. Im Sommer gab es da und dort topfebene Kegelbahnen, wo unser Arzt hemdärmelig mit einigen Pfarrern und sonstigen Honoratioren der edeln Kegelkunst oblag. Mit allen Menschen jeglichen Standes war er im besten Einvernehmen, und man nannte ihn allgemein einen braven Kerl, denn er war gleich liebreich und unverdrossen gegen Hülfesuchende, Arme wie Reiche. Er, der als Studio über alle Schranken der bürgerlichen Einpfählung sich hinweggesetzt, hatte sich damit auch, wie man sagt', ausgetobt; er vertrug sich jetzt mit allem Bestehenden und dessen Vertretern. Stimmte er auch manchmal mit ein in scharfen Tadel über diese oder jene Staatseinrichtung, so galt ihm das mehr zur Uebung seines Witzes und zur Verwendung eines Kraftausdruckes aus Olims Zeiten. Er war mit allen Beamten in dem Städtchen smollis, und stand mit allen Pfarrern des Oberamts auf gutem Fuß. Viermal des Jahrs communicirte er, wie sich gebührt, und verließ am Abend vorher schon Punkt zehn Uhr das Wirthshaus.

So fehlte dem Doctor zu einem gemachten Manne weiter nichts als eine Frau, und in der That suchte er auch eine solche, aber sie mußte reich sein, mindestens so reich, daß man fortan bequem zweispännig leben konnte.

Kluge Leute behaupteten, er habe es auf Luzians Bäbi abgesehen, und diese Annahme war nicht ohne Grund. Er war weit davon entfernt, daß ihm die Bildungsstufe Bäbi's als ein Hinderniß erschien; er verlangte von einer Frau weiter nichts, als daß sie eine[159] gesunde Mutter, eine tüchtige Wirthschafterin sei, und ein erkleckliches Einbringen habe.

Luzian mit seinem heftigen Eifer für Umgestaltung des Lebens war ihm eine anziehende Erscheinung, und dem Bauersmann gegenüber hatte er wissenschaftliche Fettbrocken genug, um seinen einfachen Verstand damit zu spicken und so sich in Geltung zu setzen. Die Ahne, die er stets mit Heirathsanträgen neckte, war ihm von Herzen gut; so oft er kam, sie hatte ihm stets etwas über ihr Befinden zu klagen und zu befragen, er hörte es geduldig an und half ab. Ganz glücklich machte er sie einst, als er ihr das Bildniß Kaiser Joseph's unter Glas und Rahmen überbrachte.

Paule allein wußte es, daß der Doctor auf einen förmlichen Heirathsantrag eine abschlägige Antwort von Bäbi erhalten hatte. Als sie Braut geworden, unterließ er seine Besuche dennoch nicht; vielleicht wollte er damit seine frühere regelmäßige Einkehr verdecken. Bäbi ging ihm stets aus dem Wege, sie meinte, er müßte ihr böse sein, weil sie ihn beleidigt habe; er wußte aber nichts von Groll. Das zeigte sein heutiges Thun.

Unser Doctor war Menschenkenner genug, um zu wissen, wie weich und empfänglich ein verlassenes Mädchenherz ist, wie halb Verzweiflung halb Sehnsucht leicht einen kühnen Freier aufnimmt; er erneuerte daher jetzt frischweg seinen Antrag bei Bäbi, aber mit so viel Schonung, daß die abweisende Antwort des Mädchens nur als zögernder Aufschub erscheinen konnte. Er hatte so eben, Bäbi's Hand fassend, ihr versprochen, nicht mehr von der Sache zu reden, bis sie selbst davon [160] anfinge. Es war als ob er mitten im Brande des Hauses das verlassene Mädchen sich erobern würde, als eben Luzian hereinkam; vor ihm scheute er sich jetzt mit seinem Anerbieten hervorzutreten, er ging mit ihm nach der Stube und setzte sich mit einer gewissen heimischen Art, die Luzian dahin mißdeutete, als ob er zeigen wolle, er thue dem geächteten Hause durch seinen Besuch eine Ehre an.

Die Ahne hatte verweinte Augen, auch aus der Küche vernahm man durch das Schiebfensterchen bisweilen das Schluchzen Bäbi's. Luzian bemerkte wohl, daß seine Raufhändel hier bekannt worden waren, aber er dachte still: »Ihr müßt euer Theil eben auch haben.«

Das war jetzt ein Hauswesen, so verstört und aufgescheucht, als ob es nie eine Heimat ruhiger Menschen gewesen wäre.

Nach einer Weile sagte Luzian: »Herr Doctor, kommet mit zum Egidi, sehet einmal nach der Kindbetterin.«

Der Doctor bestieg sein Pferd und Luzian ging neben ihm her den Waldweg nach der Mühle. Luzian fühlte schwer, wie einem Menschen zu Muthe ist, der immer hin und her getrieben von einem Orte zum andern, nirgends eine sichere Ruhestätte und häusliche Erquickung hat.

Als die beiden Männer fort waren, kam Bäbi in die Stube und sagte: »Ahne, Ihr dürfet den Doctor nicht so oft wiederkommen heißen, Ihr müsset ihn nicht so in's Haus zeiseln (locken).«

»Warum?«

[161] »Denket nur, er hat mir heut' wieder was davon vorgeschwatzt, daß er mich heirathen will, und es sind noch nicht drei Tag', daß ich nicht mehr Hochzeiterin bin.«

»Laß ihn seine Späß' machen, er ist ein guter Mensch, und wir dürfen jetzt nicht alle Leut' aus dem Haus verscheuchen, es läßt sich ja ohnedem Niemand mehr sehen. Gelt Bäbi, der Pfarrer hat deinen Vater gewiß zu den Raufhändeln gezwungen? Ich bleib' dabei: was mein Luzian thut, das ist brav.«

Unterdeß eilte Luzian mit dem Arzt der Mühle zu.

An der Berghalde stieg dieser ab und zog sein Pferd am Zaume nach, um so gleichen Schrittes mit Luzian besser mit ihm reden zu können.

»Wie meinet Ihr Schwäher?« sagte er, »wie wär's, weil ich doch die Ahne nicht heirathen kann, wenn Ihr mir das Bäbi zur Frau gäbet? Ich bleib' dann doch in der Familie und werde nicht verfremdet.«

»Es ist jetzt kein' Fastnachtszeit.«

»Was ich sag', ist so klar wie Klösbrüh und ist mir grundbirnenernst. Ohne Spaß, ich nehm' das Bäbi, wie es geht und steht und liegt. Der Paule giebt das Bäbi auf wegen der Pfaffengeschichte, mir ist das ganz Wurst, im Gegentheil, die Tochter von einem Ketzer ist mir noch was Besonderes. Ich habe einen guten Freund von der Universität her, wir nennen ihn den Rollenkopf, der traut uns morgen, wenn Ihr einstimmt.«

»Weiß das Bäbi von Eurem Vorhaben?«

»Gewiß, sie ziert sich noch ein Wenig, aber sie thät doch gern schnell Ja sagen, wenn sie sich nicht vor der Welt scheute. Wenn Ihr ein Wort fallen lasset, ist die [162] Sache abgemacht. Nun? Stünde ich Euch nicht an als Schwiegersohn?«

»Ja, ja, warum denn nicht?« entgegnete Luzian. Er war fortan äußerst schweigsam, bis man am Bestimmungsorte anlangte; desto mehr redete der Doctor.

Auf der Mühle bekundete er die äußerste Sorgfalt für die Wöchnerin und das Kind, und da man einmal zur Apotheke schickte, verschrieb er auch noch eine schnellheilende Salbe für die Kopfbeule, die Egidi beim Falle erhalten hatte. Scherzend gratulirte er Egidi zu seinem neuen Schwager, als welchen er sich selbst vorstellte.

Unser Doctor hatte sich in ein seltsames Verfahren verrannt, bei dem eben so viel augenblickliche Laune als Berechnung war; er, der die Weise des Volkes so gut kannte, glaubte seine Brautwerbung doch in scherzhaftem Tone halten zu müssen; das schien ihm der derben Art seiner künftigen Schwägerschaft angemessen, und sollte ihn und sie über alle etwaige Peinlichkeiten und Erörterungen hinwegheben. Aus diesem Grunde verkündete er auch die Sache allen Frauen, die auf der Mühle anwesend waren; diese Offenkundigkeit mußte sowohl die Bedenken bei Bäbi heben, als auch zugleich sie fesseln, da man nun doch einmal allgemein davon redete. Unser Doctor irrte sich aber gewaltig. Er überschritt in seiner Burschikosität unbewußt die feine Grenzlinie, die zwischen Derbheit und Leichtfertigkeit gezogen ist; auch der vierschrötigste Bauer kennt diese wohl, und es beleidigt ihn, wenn so Viele, wie hier unser Doctor, um sich der volkstümlichen Denkweise anzubequemen, eine gewisse Rohheit in Ausdruck und [163] Behandlung ernster Verhältnisse annehmen. Um nicht gekränkt zu sein, mußte Luzian die Angelegenheit entschieden und wiederholt als Scherz auslegen.

Zwischen Egidi und seiner Mutter war eine wortlose Versöhnung eingetreten. Hier galt es zu helfen, und da war von Streit nicht mehr die Rede. Die Mutter wirtschaftete lebendig im ganzen Hause, und Egidi kam mehrmals zu ihr in die Küche und sagte, sie möge nur sich selbst nicht vergessen, sie möge sich etwas Gutes bereiten, sie allein habe zu befehlen und nicht die Schwiegermutter »und« setzte er in seltsamer Einfalt hinzu, »thuet nur, wie wenn Ihr in Eurem eigenen Hause wäret und nehmet Euch Alles ungefragt. Soll ich Euch klein Holz spalten?« Ohne Antwort abzuwarten fing er an, und mußte fortgejagt werden, da die Wöchnerin nebenan jeden Schlag spürte und eben einschlafen wollte.

Egidi sprang und pfiff im Hause herum wie ein lustiger Vogel auf dem Baume, der in die Welt hinein verkündet, daß jetzt eben ein junges Küchlein im Neste die Augen aufschlug.

Am andern Morgen stand Luzian nach fast zwölfstündigem Schlafe wohlgemuth auf. Die ganze Welt, die aus den Angeln schien, hielt sich doch noch in ihrem Kreislaufe, und Luzian fühlte sich wieder muthfest. Er pflügte den ganzen Morgen ohne Unterlaß draußen im Speckfelde, er empfand es still, daß das doch eigentlich die Arbeit sei, die er am besten verstehe.

Kaum ist die Frucht vom Felde eingethan, so wird der Boden mit scharfem Pfluge wieder umgelegt, die[164] abgestorbenen Stoppeln werden entwurzelt und verwandeln sich in neue Triebkraft, der aufgelockerte Grund ist bereit, sich von Sonnenschein und Regen durchdringen zu lassen, bis er neue Saat empfängt. Das Wachsthum des Menschengemüthes gleicht nicht dem vergänglichen Halme, eher dort dem Fruchtbaume, der bleibt bestehen und harrt neuer Frucht am selben Stamme.

Luzian fühlte sich jetzt so wohl und heimisch in seiner Arbeit, daß es ihm am liebsten gewesen wäre, wenn der ganze Handel mit dem Pfarrer ein Traum wär.

Es ist ein ganz Anderes, mitten in den gewohnten Lebensverhältnissen einen Charakter still ausbilden, als dann zum Kampfe heraustreten und unablässig in demselben stehen.

Tausende wünschen jetzt den Krieg und sagen: nur das kann von der fieberischen Aufregung erlösen. Wer weiß, wie bald sie sich aus dem Leben im Feldlager heimsehnen würden. Der neue Kampf muß den Muth erfrischen.

Als Luzian mit dem Pflug heimkehrte, begegnete ihm Egidi, der betrübt vom Pfarrhause kam.

»Was hast?« fragte Luzian.

»Vater,« entgegnete Egidi, »Ihr müsset aber nicht grimmig sein, ich kann nichts dafür, ich hab' eben dem Pfarrer die Taufe von meinem Kinde angezeigt, sie ist nächsten Sonntag und es soll auch Kordula heißen wie die Ahne; und da hat mir der Pfarrer gesagt, daß nicht die Ahne und nicht Ihr und nicht die Mutter und nicht das Bäbi in die Kirch' kommen darf, sei's als Gode oder als Taufzeuge; ihr seid Alle im Kirchbann.«

[165] »Gut, gut,« sagte Luzian, »du hast ja dein' Schwiegermutter und deine zwei Schwägerinnen.«

»Nicht wahr, Vater, Ihr seid mir nicht bös? ich kann ja nichts dafür, und ich muß doch mein Kind taufen lassen.«

»Freilich, freilich, aber ich muß jetzt essen, ich kann schier nicht mehr lallen,« so schloß Luzian und sprang den Pferden nach, die ihm voraus heimgeeilt waren.

Bei Tische fragte Luzian den Victor: »Bist wieder gern in der Schul' und wie geht dir's?«

»Ihr hättet mich nicht 'rausthun sollen, wenn ich wieder 'nein muß,« entgegnete Victor, »der Pfarrer hört alle Kinder ab in der Religionsstund', und mich übergeht er, wie wenn ich gar nicht da wär'.«

Luzian legte den Löffel ab, er konnte nicht weiter essen; er fühlte tief den Vorwurf des Kindes, indem er eine rasche That begonnen und sich doch zur Nachgiebigkeit bequemen mußte. Dabei empfand er, wie tief kränkend solches offenkundige Uebergehen für ein gut geartetes Kind sein mußte. »Es ist vielleicht gut für ihn,« schloß er in Gedanken, »er muß schon früh erfahren, wie die Pfaffen überall blutig anhacken, damit er um so bälder ein eigener Mensch wird, eh' er so alt ist wie ich.«

[166]

Ein Kind im Walde und ein Ruf im Munde der Menschen

Ein Kind im Walde und ein Ruf im Munde der Menschen.

Am Sonntag Morgen war es im Thalgrunde voll frischen Tauduftes. Die Tannen an der Sonnenhalde rauschten so geruhig im sanften Morgenwind, und die mächtig großen Jahresschosse, die sie in diesem Sommer angesetzt, glitzerten und flimmerten. Der Bach floß arbeitsledig dahin, still murmelnd wie ein vergnügter Spazirgänger; über ihm flog ein Schwalbenschwarm in kühnen Bogen auf und nieder, es waren die Alten, die die Jungen im Fluge übten zur weiten Fahrt übers Meer. Bald senkte sich die eine um die andere rasch hernieder, haschte einen frischen Morgentrunk aus dem Bache und reihte sich schnell wieder ein in den schwärmenden Kreis; unten aus dem Bache schossen die Fische nach der Oberfläche und haschten nach schwärmenden Mücken. Eine Goldammer saß auf der äußersten Spitze des Kirschbaumwipfels, sang unaufhörlich hinein in den blauen Himmel und wetzte sich immer wieder den Schnabel an dem Zweige, auf dem sie saß. Ruhe und sanfte Kühlung quoll aus Berg und Thal. Jetzt öffnete sich die Hausthür an der Waldmühle, und heraus trat eine Frau, die ein mit weißen Linnen bedecktes Kind in beiden Armen vor sich trug. Drei Frauen, mit Kränzen von künstlichen Blumen auf dem Haupte, folgten ihr, und bald auch kam Egidi in seinem langen [167] blauen Rocke, den Hut in der Hand. Aus dem Stubenfenster oben schaute ein Mädchen den Weggehenden nach; es war Bäbi, die bei der Wöchnerin zurückblieb. Die Frauen trugen das Kind durch den Wald hinan dem Dorf zu.

Da ist ein Kind geboren auf der einsamen Waldmühle, fern von der großen Gemeinschaft der Menschen, und es wird hingebracht in die heilige Versammlung, wo Alles sich zusammenfindet von den einsamen Gehöften, und ausgesprochen wird, daß das Kind gehöre in den großen Bund der Menschen, der es tragen und halten muß, damit es einst ein lebendiges thatenreiches Glied desselben werde. Das Kind wird dann aus den Händen der Menschheit wieder zurückgegeben in die Arme der Mutter, an deren Brust es gedeiht, bis es sich selbst seinen Weg sucht und dann weiter schreitet in die Einigung der zerstreut wohnenden Menschen. Alle sollen es wissen, daß ihnen ein Bruder, eine Schwester geboren wurde, und die frommen Wünsche Aller sollen es willkommen heißen, noch bevor es sie hört und sieht und versteht. Was soll es nun aber heißen, den Teufel aus dem neugeborenen Kinde austreiben? O schmähliche Verirrung des Menschenverstandes!

Das waren die bald klaren, bald dunklen Gedanken, die an diesem Morgen durch die Seele Luzians zogen. Er verließ das Dorf, das ihm die Kirche verschloß, und ging dem Kind entgegen, hinab in den Wald. Als er dort die Frauen traf, zog er die Linnen weg von dem Antlitz des Kindes, und es schlug die großen blauen Augen nach ihm auf. Er legte ihm die Hand auf das [168] Haupt, in welchem er den Pulsschlag fühlte. Er schüttelte den Thau von dem überhängenden Zweige einer Buche leise auf das Antlitz des Kindes und sprach mit einer Stimme, die Aller Herzen erschütterten: »Das ist das ewige Weihwasser, mit dem ich dich begieße; werde rechtschaffen und liebevoll, wie es deine Großmutter Kordula war, deren Namen du tragen sollst.« Drauf schritt er rasch von dannen, und Niemand sprach ein Wort, ja Niemand wollte es wagen ihm nachzuschauen; nur die Schwiegermutter Egidi's hatte den Muth rückwärts zu sehen, und sie sah wie Luzian vom Wege ab tief in den Wald hineinsprang ...

Als man jetzt vom Dorf her Glockengeläute vernahm, ermahnte man sich gegenseitig zur Eile, damit man noch zur rechten Zeit komme. Als der Taufzug vor dem Hause Luzians vorüber kam, öffnete sich kein Fenster, Niemand kam zur Begleitung heraus.

Wir können dem Taufzug auch nicht in die Kirche folgen, wir müssen nur so viel berichten, daß im ganzen Dorf an diesem Sonntag über die traurige Taufe des Kindes gesprochen wurde, bei der die nächsten Anverwandten fehlten.

Wir müssen Luzian in den Wald folgen.

Er hätte sich gern in das dunkelste Dickicht vergraben, in eine Höhle sich versenkt, nur um den Menschen zu entfliehen; und doch zog es ihn wieder zu ihnen hin. Die Kirchenglocken tönten von allen Fernen und ließen das Rauschen des Waldes nicht so vernehmlich werden wie in jener stillen Nacht. Vor dem Geiste Luzians sproßte ein neuer Wald auf. »Ich habe einmal [169] in einem Buch gelesen,« dachte er, »daß irgendwo die Eltern bei Geburt eines Kindes einen Baum pflanzen. Wie schön müßte so ein Menschenwald sein, wenn das Jeder thäte, und die Gemeinde giebt einen Platz dazu her, und wenn der Mensch gestorben ist, und wenn der Baum keine Frucht mehr giebt, wird er umgehauen und zu etwas Nützlichem verwendet. Wie närrisch sind doch die Leute, daß sie glauben, es wäre etwas Höheres, wenn man aus einem Baum eine Kanzel, als wenn man einen Leiterwagen daraus macht; es ist ja Alles gut, wenn's recht ist. Und was für freudige Versammlungen könnten sein, von den lebenden Menschen im grünen Menschenwald!«

Luzian war jetzt in der Stimmung, um sich in allerlei Schwärmerei zu verlieren, aber die Bande der Familie und des alltäglichen Wirkens hielten ihn fest.

Trotz der weihevollen Art, mit der er das Kind im Walde getauft, war heute schon ein häßlicher Zornesmuth durch seine Seele gezogen. Die Frau war voll Jammerns und Klagens, sie sagte: »Mir ist so bang, so furchtsam, wie wenn in der nächsten Minut' ein großer Schrecken über mich kommen müßt', wie wenn eine Axt nach mir ausgeholt wäre und mir jetzt gleich das Hirn spaltete.«

Auf diese Rede hatte Luzian mit bitterem Wort entgegnet. Jetzt fiel ihm all' das wieder ein, und er dachte: »Es ist unrecht, daß du von den Deinigen Hülfe verlangst in der Noth, im Gegentheil, du mußt ihnen Hülfe bringen, denn du hast ihnen die Noth gebracht.«

[170] Mit versöhnlichem Herzen kehrte Luzian heim. Er fand seine Frau gleich bereit, denn die Ahne hatte ihre Tochter scharf vorgenommen und ihr in's Herz gepflanzt, daß es jetzt gelte, die gelobte Treue zu bewähren; darum sagte Frau Margret nach Tische: »Luzian, mach' nur, daß die Sache bei den Gerichten bald ein Ende hat, und dann wollen wir fort aus dem Dorf, ich geh' mit dir, wohin es sei, nur fort; ich wollte, ich könnte auch all' die Menschen aus meinem Gedächtnisse vergessen, die jetzt so gegen uns sind.«

»Ja,« sagte die Ahne, »wenn das die Religion ist, daß man Einen verschimpfirt und Einem Dinge nachsagt, woran sein Lebtag Keins gedacht hat, da will ich lieber gar kein' Religion.«

Die Frauen hatten nämlich erfahren, daß man Luzian die gräßlichsten Unthaten nachredete. Man wollte in der Vergangenheit Belege für sein gegenwärtiges Handeln finden, und Nichts war zu heilig, das man nicht antastete.

Es giebt Gedanken und Aussprüche, die, ohne unsere Seele zu treffen, sie doch so widrig beleidigen, wie wenn man nahe vor dem offenen Auge mit einer Messerspitze hin- und herfährt. Wir scheuen uns fast, es zu sagen, aber es gehört mit zur Geschichte: selbst das Verhältniß Luzians zur Ahne wurde mit dem niedrigsten Geifer besudelt. Niemand konnte sagen, woher diese Nachreden kamen, man konnte die Urquelle nicht entdecken, sie sprangen aus dem Boden, da und dort; während man die eine verfolgte, brach die andere los.

Frau Margret eiferte über ihre Mutter, sie hätte [171] Luzian nichts von dem Geschwätz sagen sollen; aber die Ahne sagte:

»Ich kenn' meinen Luzian. Wenn er auch alles Schlechte von den Menschen weiß, er wird doch keinen Haß auf sie werfen. Die Menschen sind mehr dumm als bös; den Kaiser Joseph haben sie vergiftet, und dir Luzian möchten sie gern dein gut Gemüth mit bösen Nachreden vergiften. Das geht aber nicht, gelt ich kenn' dich? Ich trag' dein Herz in meinem Herzen.«

Luzian ließ sich nun Alles erzählen: wie er schon lange im Geheimen lutherisch sei und versprochen habe die katholische Kirche zu beschimpfen, wie er die Waisen betrogen, wie er diesen und jenen zur Gant gebracht, um nachher dessen Aecker aufzukaufen, und Hundertfältiges dieser Art. Er hörte es mit Gleichmuth an. Ihm kam es vor, als ob man das von einem andern Menschen sagte; die Leute mußten ja selbst wissen, daß Alles erlogen sei, dennoch stellte sich bei ihm ein Gefühl des Ekels und dabei eine stille, aber gründliche Verachtung ein. Er hatte es nie geglaubt, daß man es wagen könnte, seinen Namen mit derlei Dingen in Verbindung zu bringen. Auf der Straße faßte er Diesen und Jenen an und sagte: »Hast auch schon gehört? ich bin schon lang ein geheimer Lutherischer? Ich habe die Waisen betrogen, den und jenen in die Gant gebracht.« – Die Verleumdung über das Verhältniß zur Ahne berührte er nicht, das war zu empörend. – »Nun, was sagst du dazu?« schloß er in der Regel seine Rede.

[172] Natürlich ward ihm selten ein so heftiger Zornesausbruch darüber kundgegeben, als er erwarten mußte.

»Freilich, hab's auch gehört, es ist schändlich, aber du kannst die Leut' reden lassen,« so lautete in der Regel die Antwort.

Er rief manchmal zornig aus: »Du hättest dem in's Gesicht schlagen sollen, der so was über mich gesagt, und der Geschlagene wieder dem, der's ihm gesagt hat, und so wären wir zuletzt hinunter zu dem Maulwurf gekommen, der den Haufen aufwirft, und den hätt' man maustodt gemacht.«

So erhaben sich auch Luzian über all' die Nachreden fühlte, so hatte er doch eine peinliche Empfindung darüber; ihm war's als ob das innerste Heiligthum seines Lebens von ungeweihten Händen berührt worden wäre. So muß es frommen Gläubigen zu Muthe sein, die ihr wundertäthiges Heiligthum aus den Händen ungläubiger Räuber unversehrt wieder erringen. Ein Gefühl der Trauer verläßt sie nicht, daß man so freventlich damit umgegangen.

Wie die Speise, die sich in unser leibliches Leben verwandelt, so geht es auch leicht mit allen Erlebnissen, die wir in einer Zeit gewinnen, in der wir von einem einzigen Gedanken beherrscht sind; sie verwandeln sich unversehens in einen Theil dieses Denklebens, so fremd und beziehungslos sie auch anfangs erscheinen mochten. Zum Erstenmal ging jetzt Luzian das Gefühl der Ehre in seiner Hoheit auf. Wohl hat sie ihre tiefste Wurzel in der Selbsterhaltung, aber eben dieser Ursprung tritt in ihr geläutert auf. Sich selbst ehren und Alles so thun, [173] daß man dies könne, das schließt die höchste Tugend in sich. Spricht aber die Religion nicht gerade aus, daß wir Alles zur Ehre Gottes thun müssen? Wohl, Alles zur Ehre des unvertilgbaren Heiligthums, das in uns gepflanzt ist. Warum lehrt die Religion immer und vorzugsweise, sich selbst gering achten? »Lernet euch selbst ehren, möchte ich den Menschen zurufen, du bist König und Priester, so du das Heiligthum der Ehre in dir auferbauest und rein erhältst.«

Luzian hatte wieder seine volle Kraft gewonnen, und siegesmuthig schritt er über die gewohnte Welt dahin. Aus dem Bewußtsein heraus lernte er die alte Welt auf's Neue gewinnen und beherrschen.

[174]

Ich bin der ich bin

Ich bin der ich bin.

Der Oberamtmann hatte durch seine Magd, die Tochter Wendels, Luzian auffordern lassen, dieser Tage einmal zum Verhör zu kommen. Er ließ ihn absichtlich nicht durch den Schultheiß entbieten, und diese freundliche Schonung that Luzian im Innersten wohl. Er ging daher andern Tages nach der Stadt. Der Amtmann nahm Luzian aus der Kanzlei mit hinauf in seine Privatwohnung. Dort ließ er Kaffee machen, schenkte Luzian ein und sagte: »So, wenn Sie rauchen wollen, steht's Ihnen frei, wir wollen die Sache leicht abmachen; erzählen Sie mir den Hergang noch einmal und ich will das Protokoll aufsetzen.«

Luzian war anfangs betroffen über diese seltsame Abweichung vom strengen Amtston, er ließ sich's aber auch gern gefallen. Er erzählte nun die Geschichte von der Predigt und seiner Gegenrede.

»Das kommt mir jetzt schon vor, als ob es vor hundert Jahr' geschehen wär',« schloß er.

»In vergangenen Zeiten,« entgegnete der Oberamtmann, »war dies allerdings auch oft der Fall, die Geistlichen mußten sich Widerspruch und Einrede gefallen lassen, aber jetzt freilich paßt das nicht in die Kirchenordnung. Es ist schrecklich, wenn man bedenkt, daß wir unser Lebenlang unsere beste Kraft dazu aufwenden müssen, das Unnatürliche, das unserer Seele aufgekünstelt wurde, herunterzukratzen und am Ende [175] wird's doch nie mehr so rein, und da und dort haftet ein fremdartiger Fleck. Was für andere Menschen müßten aus uns Allen werden, wenn man der Natur ihr freies Wachsthum gönnte. Wie alt sind Sie jetzt, Luzian? Da steht's ja im Protokoll, 51 Jahre. Ist's nicht himmelschreiend, daß wir um so viel Lebensjahre betrogen werden.«

»Ja,« sagte Luzian, »man möcht' oft unserm Herrgott böse werden, daß er die Wirtschaft da so mit ansieht.«

Der Oberamtmann sah dem Redenden staunend in's Gesicht, faßte seine Hand und sagte: »Wie? glaubt Ihr denn noch wirklich an ihn?«

Luzian zuckte und zog unwillkürlich seine Hand zurück, indem er betroffen entgegnete: »Ich versteh' Sie nicht, was meinen Sie? wie?«

Ernst lächelnd entgegnete der Oberamtmann: »Ich meine Gott.«

Luzian sah auf, ob nicht die Decke einfalle, und der Oberamtmann fuhr fort: »Dieses Wort ist nur ein Schall für Etwas, von dem wir Nichts wissen; weil wir so viel Elend, Ungleichheit und Ungerechtigkeit in der Welt sehen, so denken wir uns ein unsichtbares Wesen, das Alles schlichtet und in's Gleichgewicht bringt; aber wenn ein Ruchloser vom Blitz erschlagen wird, so sagen wir oder vielmehr die Pfaffen: das ist der Finger Gottes. Wird ein Rechtschaffener getroffen, so heißt es dagegen: die Wege des Herrn sind unerforschlich. Das Eine wie das Andere ist nichts als Stümperei und Redensart. Weil wir so viel Verkehrtheit in der [176] menschlichen Gesellschaft sehen, so erdenken wir uns ein Jenseits, in welchem das Böse und das Gute vergolten werden soll, und das ist doch weiter nichts, als daß wir uns die lästigen Fragen vom Hals schaffen. Nein, wer zur Vernunft gekommen ist, braucht keinen Gott und keine Unsterblichkeit.«

Diese letzten Worte waren wie fragend ausgesprochen, aber Luzian antwortete nicht; sein ganzes Antlitz war in starrer Spannung, und der Oberamtmann fuhr fort:

»Wer tiefer in die Welt hineinsieht, der erkennt, daß Alles Notwendigkeit ist, daß es keinen freien Willen giebt. Ich habe keinen freien Willen, sondern wenn ich genau hinsehe, muß ich Alles thun, was ich zu wollen scheine, und das Weltall hat auch keinen freien Willen, der gegen die Gesetze in ihm herrschen könnte, denn das wäre Gott. Freier Wille in uns und Wunder in der Natur ist ganz dasselbe. Was ich jetzt thue, daß ich jetzt so mit Euch rede, das ist die notwendige Folge einer endlosen Kette von Ursachen, von Ereignissen in mir und mit mir, denen ich gehorsamen muß; weil Alles in der Welt Notwendigkeit ist, darum liegt in dieser schon was man Strafe und Lohn nennt, eingeschlossen. Der Eine fügt sich in sein Schicksal, weil er es als den unabänderlichen Willen Gottes, der Andere, weil er es als eine unabänderliche Notwendigkeit erkennt; es kommt am Ende auf Eins heraus. Wir müssen still halten, Sonnenschein und Hagelwetter über uns kommen lassen, und am Ende wieder tüchtig die Hände rühren; denn das, was man Gott [177] nennt, thut Nichts für uns, wir müssen's selber thun. Nicht wahr, ich bin Euch noch nicht in Allem ganz deutlich?«

»Nein, aber nur eine Frage: warum sind Sie denn rechtschaffen, wenn's keinen Gott giebt und keine Vergeltung? Es ist doch oft viel angenehmer, ein Bruder Lüderjan zu sein?«

»Wie ich Euch schon sagte, das, was uns wahre Freude macht, ist auch das Gute, alles Andere ist ein schneller Schnaps, bei dem das Brennen nachkommt. Ich thue meine Pflicht, nicht, weil sie mir von Gott geboten ist, sondern weil ich sie mir selber auferlege und sie festhalten muß zur Selbstachtung. Wenn ich meine Pflicht vernachlässige, verliere ich die Ehre vor mir selbst, und wenn ich einem Menschen, wie man's nennt, über meine Pflicht hinaus Gutes erzeige, so thue ich an mir selbst fast noch mehr Gutes, als an dem, der die Wohlthat empfängt. Daß ich weiß, den Armen erquickt mein Stück Brod, das thut mir oft wohler, als dem, der es kaut. Seitdem ich an keinen Gott mehr glaube, seitdem bin ich, wie man's nennen möchte, noch viel demüthiger geworden. Alles was ich bin, das ist eine Notwendigkeit, und Alles, was ich thue, ist meine Schuldigkeit, ich habe nicht Ehre, nicht Lohn, nicht Dank von Jemand anzusprechen. Luzian, ich könnte bis morgen nicht fertig werden, wenn ich Alles darlegen wollte. Ich rede so offen zu Euch, weil ich vor Euch Respect habe. Entweder hat sich Gott einmal geoffenbart und thut es noch fort in seinen gesalbten Priestern, oder Gott hat sich nie geoffenbart, und wir haben gar nichts nach alledem zu fragen, [178] was man bisher geglaubt hat. Drum sage ich: entweder muß man ein guter Katholik sein und Alles hinnehmen, wie man es überliefert bekömmt, oder frisch über Alles hinweg, Jeder sein eigener Priester und Heiland. Entweder katholisch oder gottlos. Meint Ihr nicht auch?«

»Nein, das mein' ich nicht,« rief Luzian laut, sich erhebend, »das letzte Wort, das Ihr da gesagt habt, hat der Pfarrer auch gesagt, es ist aber doch nicht wahr. Kann sein, ich bin nicht studirt genug, aber da gilt keine Gelehrsamkeit. Sehen Sie, Herr Oberamtmann, ich hab' mir in diesen Tagen mein ganzes Leben zurückgedacht, da hab' ich gesehen, es ist der Finger Gottes, eine väterliche Fürsehung darinnen. Hundert Sachen, die ich grad am ungernsten than hab', und die ich als mein größtes Unglück angesehen hab', die sind mir zum besten geworden; unser Herrgott hat gewußt was daraus wird, ich aber nicht. Das ewige Leben? ja, das kann ich mir nicht vorstellen, weil ich an keine Hölle glaube und auch nicht weiß, wo der Himmel ist. Jetzt lebe ich einmal so, daß wenn es kommt, ich auch nicht davon laufe. O lieber Mann, Sie sind ein guter Mann! Wenn ich's nur machen könnt', daß Sie mit mir glauben, wie eine väterliche Hand, die wir nicht sehen, uns führt. Das thäte Sie doch oft trösten, wo Ihre gescheiten Gedanken zu kurz sind und nicht hinlangen. Guter Mann, ich habe einen Sohn von zweiundzwanzig Jahren und noch zwei kleine Kinder unter dem Boden liegen. Wenn man so ein Grab offen sieht, unser eigen Herz mit hineingelegt wird, da geht Einem eine neue Welt auf.«

[179] Die Stimme Luzians stockte, er konnte vor innerer Rührung nicht weiter reden. Eine Weile herrschte Grabesstille in der Stube. Ja den beiden Männern kam es selber vor, als wären sie außerhalb dieser Welt in ein Jenseits versetzt.

Der Oberamtmann versuchte es nicht mehr, seinen eigenen Denkproceß in Luzian anzufachen, er empfand eine gewisse heilige Scheu, diese innige Gläubigkeit anzutasten: »und« setzte er still für sich hinzu, »nur diese vermochte es vielleicht, den Kampf mit dem Pfaffenthum aufzunehmen.«

Traut, wie zwei Freunde, die sich mit ihrer Standes- und Familiensonderung außerhalb der Welt befinden, besprachen die Beiden sich noch mit einander, und als der Oberamtmann darauf kam, daß einzig in Amerika die wahre Religionsfreiheit herrsche, indem es dort gestattet ist, zu keiner Kirche zu gehören, oder sich eine beliebige neue zu gestalten, da wurde das Auge Luzians größer; wie von unfaßbarer Stimme wurden ihm jetzt die Worte seiner Frau zugerufen: »Wenn wir nur fort wären aus dem Ort« – aber er konnte den Gedanken doch noch nicht fassen.

Luzian öffnete sein ganzes Herz und erzählte, welche namenlose Pein er überstanden habe, indem er sich vom alten Herkommen frei machte.

»Ich möchte lieber ein ganzes Jahr Tag und Nacht im Zuchthaus sitzen und Woll' spinnen, als das noch einmal durchmachen,« schloß er.

»Allerdings hatte ich da ein viel glücklicheres Loos,« erzählte der Oberamtmann, »mein Vater war ein vollkommen [180] freisinniger Mann, der ohne allen Zusammenhang mit der Kirche lebte. Wenn eines von uns Kindern einen Fehltritt beging, faßte er es beinahe mit doppelter Liebe, und nahm es mit sich auf seine Arbeitsstube; dort suchte er uns zur Einsicht des Fehlers zu bringen, und wir mußten darauf eine Stunde ruhig bei ihm verweilen. Ich verließ die Stube nie ohne tiefe Erschütterung. – Meine Mutter war katholisch und ging regelmäßig nach der Kirche, ich hörte oft davon reden, war aber noch nie dort gewesen. Ich erinnere mich ganz deutlich des ersten Eindruckes, den ich davon erhielt, ich war damals sechs Jahr alt. Eines Sommermorgens, wir wohnten in einem Garten vor dem Thor, lag ich mit meiner zwei Jahre älteren Schwester im Grase, und wir schauten Beide hinauf in den blauen Himmel, an dem auch nicht ein einzig Wölkchen war. Wir hatten gehört, daß die Sterne beständig am Himmel stehen, auch am Tag, wir wollten sie nun sehen. Ich wurde gerufen, ich durfte mit meiner Mutter zur Kirche gehen, ich war voll Seligkeit und brennenden Verlangens. In der Kirche aber befiel mich plötzlich ein unnennbares Heimweh, eine drückende Angst, ein Bangen nach einem Stück meines blauen Himmels; diese dicken Mauern, diese Lichter am Tage, die Orgel, der Weihrauch, die steinerne Kühle, Alles machte mich fast weinen, und ich war wie in der Gefangenschaft zusammengepreßt. Ich lebte erst wieder auf, als ich im Freien war und meinen blauen Himmel sah. Von jenen Kindestagen an hatte ich nie mehr ein Verlangen nach der Kirche; die väterliche [181] Erziehung und eigene Forschung stellten mich so, daß ich kaum Etwas abzustreifen hatte.«

Luzian horchte betroffen auf, er schaute hier in eine Lebensentfaltung, von der er keine Ahnung gehabt hatte, von der er nie gedacht, daß sie in der Welt bereits vorkäme.

Mit der heimlich stillen Erquickung, die wir immer empfinden, wenn ein ganzes Herz sich erschlossen, schieden die beiden Männer von einander. Luzian hatte dabei noch die Empfindung, daß er dem Oberamtmann, der doch ein so hochstudirter und angesehener Mann war, einen heiligen Funken in's Herz gelegt habe. Der Oberamtmann aber hielt an sich. Wie er die Unbarmherzigkeit der reinen Consequenz in sich walten ließ, so machte er diese auch unbedingt gegen andere Menschen geltend; dadurch erschien er vielfach schroff und schonungslos. Er wußte das, und sagte dagegen oft: »Nicht ich bin hart und unbeugsam, sondern der Gedanke ist es; alle die Gemüthlichkeiten und anmuthenden Gewöhnungen müssen fallen, wenn sie vor der Schärfe der absoluten Erkenntniß nicht bestehen können.« Dennoch hielt er heute plötzlich an sich. Vorerst erschien es ihm, als ob er unwillkürlich in seine unvolksthümliche Auffassungs- und Anschauungsweise verfallen wäre, die Furcht vor seiner oft gerügten Vornehmigkeit kam dazu; und als jetzt Luzian die Erschütterungen des ganzen Menschen am Grabe aufrief, sollte er den thränenschweren Blick des Redenden auf Abstractionen lenken? Darum erzählte der Amtmann hierauf einen Zug aus seiner Jugendgeschichte, er wollte dadurch deutlicher [182] werden; aber alles dieß erschien im Erzählen und vor Luzian doch fast wie eine entschuldigende Erklärung seines jetzigen Standpunktes.

Heute zum Erstenmal vergaß Luzian bei einer Anwesenheit in der Oberamtei, die Tochter Wendels, die hier als Magd diente, zu fragen, ob sie nichts heimzubestellen habe. Er erinnerte sich dessen noch auf der Straße vor dem Hause, aber er kehrte doch nicht mehr zurück.

Mit vormals ungeahntem, gehobenem Gefühle schritt er heimwärts durch den Wald. Seine Wangen glühten, alles Leben regte sich mit Macht in ihm. Es war nichts Bestimmtes, was ihm so mit namenloser Entzückung die Brust hob, es war ein Gefühl der Freudigkeit, daß es ihm oft war, er spränge dahin wie ein junges Reh, während er doch gemessenen Schrittes einherging. Er schaute einmal halbverworren auf, ob er denn nicht wirklich dort vor sich herspringe, wie ein unschuldvolles, jauchzendes Kind.

Das war eine Stunde, in der sich den Menschen Gesichte aufthun, die sie selber nicht fassen können, wenn sie wieder zur Ruhe gelangt sind.

Jetzt trat Luzian aus dem dichten Walde in eine Wiesenlichtung, die sogenannte Engelsmatte. Der Abend stand eben mit seinem goldenen Lichte über den Wipfeln der Bäume, die vielfarbigen Blumen und Gräser sogen still den herniedertriefenden Thau ein, und die Heimchen zirpten, wie wenn die Blumen und Gräser selber laut jauchzten über die frische Erquickung. Am jenseitigen Ende der Waldwiese stand ein junges Reh vor [183] einer weißen Birke, die sich zu den dunkeln Tannen gesellt hatte; das Reh äste und schaute oft auf. Luzian blickte an sich hernieder, und in ihm sprach's die wundersamen Worte: »Du bist ein Mensch! Du schweifest hin über diese Welt voll Blumen und Thiere, und du hast Alles, und du hast mehr, du hast dich selbst. Was ist mir geworden aus all meinem Kampfe? Ich hab's errungen, ich bin der ich bin, kein fremdes Wesen mehr, das die Gedanken anderer Menschen hat, frei, treu und wahr in mir. Jetzt kann ich getrost hinziehen über diese Welt. Ich bin der ich bin.«

Die nächtigen Schatten legten sich über Wald und Wiese, durch die ein Mensch hinschritt, hellflammend und in sich leuchtend ...

Als Luzian nach Hause kam, sagte er zu seiner Frau auf der Hausflur: »Heut' mach mir was Gutes zu essen und laß mir einen guten Schoppen Wein holen, mir ist so wohl wie mir noch nie im Leben gewesen ist.«

Der »weltsmäßige Hunger,« von jenem Sonntage nach der Predigt, hatte sich diesesmal noch gesteigert bei ihm eingestellt.

Die Frau gab keine Antwort, sie schlug den thränenschweren Blick auf und rang verzweiflungsvoll die Hände.

Das ist das unerfaßliche, tausendfältige Getriebe des Weltlebens, das macht uns oft den Ausblick in's Gesammte zu einem Wirrsal, daß während ein Mensch hier hoch hinansteigt, dort ein anderer hinabsinkt, während die Pulsschläge eines Herzens sich hier verdoppeln, dort ein anderes still steht. Der Mensch lebt nicht für [184] sich allein, und es ist ihm nicht gegeben, rein aus seinem eigenen Kern sich weiter zu entwickeln.

Dort am Waldesrande neben der weißen Birke wird das Reh nicht urplötzlicher vom heißen Blei des Jägers getroffen und bricht nicht zuckender zusammen, als Luzian von dem erschüttert wurde, was in der höchsten Freudigkeit seiner Seele sich ihm aufthat.

»Die Mutter! die Mutter!« klagte die Frau, und als er hineinging in die Kammer, wo viele Weiber versammelt waren, sah er bald, wie es um die Ahne stand. Sie hatte geschlummert und erwachte jetzt. Sie hieß mit schwerer Stimme Luzian willkommen, und fragte ihn: ob er denn aus dem fernen Lande schon zurück sei? Dann rief sie ihre Tochter und sagte: »Halt' fest an meinem Luzian, halt' fest wie seine rechte Hand. Du weißt, Margret, wie es mit Eheleuten steht, die nicht ...« ihre Stimme stockte, und nach einer Weile fuhr sie fort: »Ich vergeb' dir, Christian, du hast's doch gut gemeint; jetzt kommt mein Vater und der kaiserliche Rath.«

Die Frauen umdrängten Luzian und sagten: man müsse den Pfarrer holen. Luzian entgegnete, die Ahne habe ihm in gesunden Tagen ausdrücklich gesagt, sie wolle keinen Pfarrer; endlich aber willfahrte er doch den Bitten und Thränen, zumal man ihm vorstellte, es werde zu neuen Verleumdungen Anlaß geben; man werde die Aussage der Ahne nicht glauben, und er habe nur ein Recht, mit seiner eigenen Seele zu machen, was er wolle, nicht mit der der Ahne. Luzian gab endlich nach.

[185]

Ein Gang in's Pfarrhaus

Ein Gang in's Pfarrhaus.

Wir haben Luzian auf Schritt und Tritt so unablässig begleitet, daß wir uns fast ausschließlich in seinem Hause einbürgerten. Jetzt wird es uns fast so schwer wie dem Luzian selbst, nach dem Pfarrhause zu gehen.

Das acht Fenster breite Haus hat an der Straßenseite keinen Eingang, wir müssen über den eingefriedeten Rasenplatz an der Kirche und dort an der verschlossenen Thüre klingeln.

Wir schreiten über einen bedeckten Gang, stehen nochmals vor einer verschlossenen Thür, die sich aber durch einen Zug von innen öffnet. Wie friedsam und still ist es hier; Treppe und Hausflur sind so rein wie geblasen, die Wände sind schneeweiß getüncht; kein Ton ließe sich hören, wenn nicht ein weißer Spitzhund bellte, den ein großes, stattliches Frauenzimmer, halb bäurisch gekleidet, zu beruhigen sucht. Das ganze Haus steht da wie eine stille Klause, mitten im lärmenden Getriebe der Menschen. Es ist ein Anbau an die Kirche und es scheint sich darin zu wohnen, so andächtig still, als wohnte man in der Kirche selbst. Schüttle den Staub von den Füßen und wandle durch die Reihe der Zimmer, sie sind alle weiß getüncht, spärlich mit Hausrath versehen, denn es hat keine familienhafte Gemeinsamkeit hier ihre Stätte. Nirgends liegt da oder dort eines jener hundertfältigen Werkzeuge des Haushaltes in anheimelnder Zerstreutheit umher. Alles hat seinen [186] gemessenen Ort und scheint fest zu stehen, wie die großen braun lackirten Kachelöfen. Eine gewisse Oede liegt in der dünnen Luft. Die Schlösser an den Thüren gehen hart. Ein Cruzifix ist die einzige Verzierung jeden Zimmers, nur in dem vorletzten, in das wir jetzt treten, wo das Bett mit drüber gebreiteter weißer Decke steht, hängen außerdem noch Steinzeichnungen der Evangelisten, und zu Häupten des Bettes das Bildniß des Papstes Pius IX. in schwarzem Rahmen. Jetzt endlich treten wir in die tabaksdampferfüllte Studirstube. Wir treffen hier eine außerordentliche Anzahl von Büchern, denn unser Pfarrer gehört zu denen, die neuerdings mit dem Protestantismus um die Palme der Wissenschaft ringen. Nicht umsonst hat er schon auf der Universität den theologischen Preis gewonnen durch eine Abhandlung über das Verhältniß der Neuplatoniker zu den Christen. Schon früh am Morgen treffen wir ihn vollständig angekleidet in seiner Studirstube, denn er hat, wie sich's gebührt, nüchtern die Messe gelesen und sein Tagewerk wäre nun eigentlich vollendet, wenn er nicht selbst sich ein neues auferlegte. Er ist von dem entschiedensten Eifer beseelt, thätig an mehreren Zeitschriften, und verfolgt mitten im Kleingewehrfeuer derselben mit Eifer alle Erscheinungen im Gebiete theologischer Literatur. Selten wird diese Morgenstille von der Anmeldung einer Taufe oder sonstiger Amtshandlung unterbrochen. Nur manchmal macht sich der Pfarrer plötzlich auf und überrascht den Lehrer in der Schule mitten im Unterricht. Am Mittagstisch sitzt er still bei seiner Schwester, die ihm durch die Vermittlung der Magd das Leben in [187] allen Häuslichkeiten zuträgt. Erst gegen Abend geht der Pfarrer aus, und obwohl von streng ascetischer Richtung, weiß er doch nirgends anders hinzugehen als in's Wirthshaus. Dort sitzt er im Gespräche mit Gemeindegliedern, die sich ihm nähern und mit zufällig eingetroffenen Bekannten, oder auch oft allein. So vergeht ein Tag um den andern. Er hat keine lebendige Verbindung mit den Dorfbewohnern, er ist nur auf den Ruf der Vorgesetzten hierher gefolgt und morgen bereit, an einem andern Orte die Lehre zu verkünden und die Weihe zu vollziehen.

Seit geraumer Zeit aber ist der Pfarrer voll Unruhe. Die Landeszeitung lieferte allwöchentlich fortlaufende Aufsätze über die höhere und niedere Kirchenverwaltung. Diese Darstellungen zeugten von genauester Kenntniß des ganzen Mechanismus und enthielten epigrammatische Spitzen, die offenbar bestimmte Persönlichkeiten und Vorkommnisse treffen mußten. Nur eine geweihte Hand konnte hier die Feder geführt haben. Die Geschichte Luzians bildete nicht unbedeutenden Anlaß zu den schärfsten Ausfällen. Trotzdem diese Aufsätze unter Censur erschienen waren, erließ dennoch der Bischof ein Umlaufschreiben, in welchem er die ganze Klerisei des Sprengels aufforderte, mit Bekräftigung des Priestereides in einem anliegenden Reverse zu bezeugen, daß sie weder mittelbare noch unmittelbare Urheber jener Aufsätze seien. Dieses geheime Umlaufschreiben, gleichfalls wenige Tage nach dessen Erlaß in derselben Zeitung als Beweisstück der Kirchentyrannei veröffentlicht, erregte gewaltige Aufregung unter Priestern und Laien.

[188] Unser Pfarrer war schon mehrere Tage mit sich im Kampfe, was er zu thun habe. Er war weit entfernt von dem Widerstreben Vieler, die dem Bischof das Recht absprachen, einen solchen Revers zu verlangen und sich nun dessen weigerten, trotzdem und weil sie sich ihrer Unschuld bewußt waren; im Gegentheil, unser Pfarrer war von ganz anderen Bedenken in Schwankung gebracht. Vorerst zuerkannte er dem Bischof das volle Recht seiner Maßnahme, ja er behauptete, daß Jeder, der um die skandalsüchtige Urheberschaft wisse, verpflichtet sei, frei aus sich heraus solche anzuzeigen, und: du sollst den Namen Gottes deines Herrn nicht vergebens aussprechen. Wer um eine Sache weiß und zugiebt, daß ein Anderer einen unnöthigen Eid schwört, macht sich dieses Vergehens schuldig. Unser Pfarrer kannte den Urheber nach seiner zuversichtlichen Ueberzeugung. Mußte er diesen nicht kund geben und allen unnöthigen Eidschwur und alle Aufregung niederschlagen?

Daß der Urheber sein Freund war, daß er ihn daran mit Bestimmtheit erkannte, weil in den Aufsätzen Ausdrücke gebraucht waren, die der Freund mehrmals in vertraulicher Rede im Munde geführt, durfte ihn das abhalten, den beschworenen Eid des Priestergehorsams zu brechen?

Nur Eines that unserm Pfarrer aufrichtig leid und erfüllte ihn mit längerem Bedenken. Er hätte gewünscht, daß seine eigene Angelegenheit im Dorf nicht in jene Aufsätze verflochten wäre, damit ihn Niemand niedriger Rachsucht oder sonstiger unlauterer Motive zeihen könnte. [189] Dies war der Punkt, wo seine sonst feste Verfahrungsweise in Schwanken gerieth. Aber die so nahe liegende Furcht vor Mißdeutung erfüllte ihn bald mit neuem Kampfesmuth ... »Wie?« sagte er, »soll ich unterlassen, was Eid und Gewissen mir befiehlt, weil ich dadurch in falsches Licht gerathen kann? Grade deßhalb muß ich's desto zweifelloser über mich nehmen. Was wäre die Erfüllung der Pflicht, wenn sie kein Opfer kostete?«

Mit fliegender Feder schrieb er die Denunciation an das bischöfliche Amt nieder, und unmittelbar darauf einen Brief an Rollenkopf, worin er ihm offen sein Verfahren gestand, damit er niemand Anders als seinen Angeber im Verdacht halte. Rollenkopf ließ diesen Brief ohne Erläuterung oder Bemerkung einfach in der Landeszeitung abdrucken. Wenige Tage darauf war er seines Amtes entsetzt.

Es gab wohl Manche, die den Heldensinn unseres Pfarrers und seine Großthat lobten, noch weit mehr aber fand man darin jene Starrheit und jenen Verrath an Allem, was die unbedingte Tyrannei erheischt. Ja selbst die Frommen, die die That lobten, konnten doch nicht umhin, einen gewissen Abscheu gegen den Thäter zu empfinden. So verwirrt und uneins ist unsre Zeit, daß man auf allen Seiten Thaten wünscht, die man selbst nicht vollziehen möchte.

Unser Pfarrer war nun Gegenstand des öffentlichen Streites in allen Blättern, und dies war der Hauptgrund, warum er die Schlägerei Luzians nicht bei den Gerichten anhängig machte, sondern auf alle Weise zu vertuschen suchte. Es mußte ihm darum zu thun sein, [190] so gerecht und schwer gekränkt er auch dabei erschien, doch nicht entfernt mit Thatsachen genannt zu werden, die einen Makel im Rufe lassen, fast in der Weise wie die blauen Mäler, die er noch auf den Armen und an der Stirne davon behalten hatte. Ein Geprügelter ist immer in einer mißlichen Lage; so himmelschreiend unrecht ihm auch geschah, das gemeine Handgemenge schon zieht herab. Unser Pfarrer mußte und wollte sich auf seiner idealen Höhe erhalten.

Eben jetzt saß der Pfarrer nachdenkend in seiner Stube. Er hatte das Zeitungsblatt in der Hand, welches berichtete, daß Rollenkopf, weil er nicht genügende Subsistenzmittel nachweisen konnte, aus der Hauptstadt nach seinem Heimathsorte verwiesen sei. Da klingelt es. Sonst hätte wer da wolle Einlaß begehren können, unser Pfarrer ließ sich nie stören, er wartete ruhig die Meldung ab. Jetzt sprang er unwillkürlich an's Fenster. Er meinte Rollenkopf müsse da sein. Er schaute hinaus und erblickte zu seinem Erstaunen den Luzian, der so aussah, daß man nicht wissen konnte, was er vorhatte. Der Pfarrer trat daher rasch auf die Hausflur und fragte: »Wer ist da?«

»Ich bin's, der Luzian.«

»Was giebt's?«

»Herr Pfarrer, ich komm' nicht, es kommen nur meine Worte; machet schnell, gleich, es ist wegen der Leute, sie bringen Neues gegen mich auf; kommet schnell, gleich, eilet; mein' Bäbi ist schon zum Meßner gelaufen.«

»Was denn?«

[191] »Meine Schwiegermutter liegt im Sterben.«

»Der Luzian darf nicht dabei sein, wo die letzte Oelung ertheilt wird.«

»Nicht? und wenn sie während Dem stirbt?«

»Nicht. Der Luzian haßt unsern Glauben.«

»Ich will ja fort von Haus bleiben, machet nur schnell; die Ahne will Euch auch nicht, die Weiber wollen's.«

»So? und ich soll Spott treiben lassen mit dem Heiligthum, weil sich der Luzian vor dem Gerede der Menschen fürchtet?«

»Reden wir nicht mehr lange,« entgegnete Luzian außer sich vor Angst. »Die brave Frau kann allein sterben, und braucht Euch nicht. Gott ist unser Priester. Ihr sollt nur sein Handlanger sein, sein Arm, der noch den Kelch des Lebens reicht den Lippen, die zum letztenmal zucken.«

»Was Kelch? so verrathet Ihr Euch; wer reicht den Kelch? Ihr wißt wohl wer?«

»Herr Pfarrer, ich weiß nicht was ich red'. Mit aufgehobenen Händen bitte ich Euch, es druckt mir das Herz ab; kommet, ich bitt' Euch tausendmal um Verzeihung, wenn ich Euch was Leids than hab'.«

»Mir hat Luzian nichts Leids gethan; seine Teufel haben aus ihm gesprochen und seine Teufel haben ihm die Hände geführt.«

»Herr Pfarrer, dazu ist jetzt keine Zeit. Kommet mit! wer weiß –«

»Ich geh nicht mit dem Luzian, ich werde allein kommen.«

[192] Luzian eilte schnell heimwärts; es war still auf der Flur und in der Stube. Er fand nur noch die todten Ueberreste der Ahne.

Der Pfarrer hatte noch während des Ankleidens erfahren, daß es zu spät sei; er kam nicht.

Die ganze Nacht war Luzian still und redete fast kein Wort. Am anderen Morgen war er heiter und wohlgemuth, und die Leute erkannten immer mehr und mehr in ihm einen hartgesottenen Gottesleugner.

Die Ahne wurde ohne Glockengeläute in ungeweihte Erde begraben.

Ein junger Mann weinte große Thränen an ihrem Grabe. Es war Paule, der von Althengstfeld herübergekommen war, sich still dem Zuge anschloß und still, ohne mit Jemanden zu reden, heimkehrte.

Das Herz Bäbi's erzitterte, als sie ihn sah; aber sie wandte alle Gedanken von ihm zurück und schickte sie der Entschlummerten nach.

[193]

Nicht mehr daheim

Nicht mehr daheim.

Im Hause Luzians war's oft öde, als ob auf einmal alle Ruhe und Ansässigkeit daraus entflohen wäre. Wenn sonst Alles in's Feld gegangen war, so blieb doch die Ahne zu Hause und jeder Rückkehrende erhielt einen freundlichen Willkomm. Jetzt blieb sowohl Bäbi als die Frau nur ungern allein daheim; sie konnten da eine gewisse Bangigkeit nicht los werden, sie glaubten die Stimme der Ahne in der Nebenstube hören zu müssen. Aus dem Dorfe fand sich gar kein Besuch mehr ein, das Haus Luzians war wie ausgeschieden. Kam auch zum Feierabend bisweilen noch der Wendel, so hatte Luzian stets Heimliches mit ihm zu reden.

Dagegen kam der Doctor öfter, und seine Theilnahme war in der That eine innige. Bäbi war jetzt immer froh wenn er kam, denn er erheiterte Luzian und brachte ihn oft zum Lachen, während dieser sonst immer ernst und nachdenklich einherging. Bäbi wußte nicht was das zu bedeuten habe, daß der Vater mit einer gewissen Feierlichkeit fast tagtäglich Haus und Stall und Scheune durchmusterte, da und dort Alles neu in Stand setzte, während das Haus doch so wohlbehalten war, daß, wie Wendel einst sagte, man es dem Nagel an der Wand anmerke, daß er satt ist. Auch sprach der Vater oft davon, daß er doch die schönsten Aecker in der ganzen Gemarkung habe, und Bäbi wußte nicht, was er damit wolle; sie und die[194] Mutter zerbrachen sich oft den Kopf darüber, und wenn die letztere es wagte, ihren Mann offen zu fragen, erwiderte er: »Du hast den ersten Gedanken gehabt. Du wirst bald Alles erfahren. Man kann die Streu nicht schütteln, so lang man im Bett liegt.«

Wenn nun der Doctor öfter kam, verließ Bäbi die Stube nicht mehr, sie blieb vielmehr da und freute sich, wie herzlich der doch fremde Mann der Ahne gedachte, und wie harmlos er an Allem Theil nahm. Ja sie wagte es öfter mit drein zu reden, und Luzian sah sie manchmal verstohlen an, in Gedanken den Kopf wiegend, ob er wohl da seinen Schwiegersohn vor sich habe.

Der Herbst kam rasch herbei, und Luzian ließ außergewöhnlich schnell abdreschen. Er nahm die doppelte Anzahl Drescher von sonst und half vom Morgen bis zum späten Abend mit; dann ließ er ganz ungewohnter Weise alles Korn vermessen, ehe man es auf den Speicher brachte. Er wollte sogar das Heu abwiegen lassen, wenn das nicht zu viel Mühe gemacht hätte.

Wenn die ganze Familie beisammen war, schwebte seit dem Tode der Ahne ein versöhnter Geist unter ihnen.

Gleich Tags darauf hatte die Frau zu Luzian gesagt:

»Seitdem die Mutter todt ist, ist es mir grad, wie wenn ich dir jetzt erst von Neuem in ein fremd' Haus gefolgt und mit dir allein wäre. Lach' mich nicht aus, ich hab' so Heimweh wie ein Mädle nach der Hochzeit. Mein' Mutter ist nicht da, ich hab' sie sonst Alles fragen können und war allfort daheim.«

[195] »Du bist auch mein junges Weible, und jetzt geht erst eine neue Hochzeit an,« entgegnete Luzian.

»Ja,« fuhr die Frau fort, »ich möcht' jetzt alle Stund' bei dir bleiben, mich an deinen Rock hängen wie ein Kind an die Mutter, ich möcht' dir überall nachlaufen.«

So hatte sich ein neuer, inniger Anschluß festgesetzt zwischen beiden Eheleuten, die schon das zweite Geschlecht aus ihrer Ehe aufwachsen sahen.

Ein Scheidebrief durchschnitt jetzt das neugeeinte Leben.

Am Mittag, gegen Ende Oktober, kam ein großes Schreiben, mit einem großen Amtssiegel aus der Stadt. Luzian wendete das Schreiben mehrmals hin und her, ohne es zu eröffnen, er ahnte wohl seinen Inhalt; dennoch durchfuhr ihn ein Schreck, als er jetzt las. Er schaute rechts und links über seine Schulter, ob Niemand da sei, der ihn fasse. In der Zuschrift stand, daß Luzian wegen freventlicher Störung des Gottesdienstes zu sechs Wochen bürgerlichem Gefängniß verurtheilt sei. Da stand's in wenigen Worten; das war schnell gesagt, aber wie viel einsame trübe Stunden, Tage und Nächte waren darin eingeschlossen.

Luzian rief Bäbi und seine Frau in die Stube; er faßte die Hand der letzteren und sagte: »Margret, es ist jetzt alles im Haus im Stand, ich muß auf sechs Wochen verreisen, nein, offen will ich dir's sagen, gelt', du bist ruhig und gescheit? Denk' an dein' Mutter! Also da steht's, ich muß wegen der Pfarrersgeschichte auf sechs Wochen in den Thurm.«

[196] Bei dem letzten Worte schrie die Frau gellend auf, aber Luzian beruhigte sie, und Bäbi sagte: »Ich geh' zum König und thu' einen Fußfall; das darf nicht sein. Lieber Gott! darf man so einen Mann einsperren wie einen Nichtsnutz? Sie müssen sich ja schämen.«

»Jetzt sei ruhig, Bäbi,« entgegnete Luzian, »ich muß geduldig über mich nehmen, was da draus kommt, daß ich die Wahrheit gesagt hab'. Denk' nur, wie viele Menschen den Tod haben darüber leiden müssen.«

Bäbi faltete still die Hände und drückte sie an ihre hochklopfende Brust.

Luzian wollte schnell seine Strafzeit vollführen.

»Man muß es machen, wie die Ahne gesagt hat,« bemerkte er, »man muß bei der Arznei, die man ein mal schlucken muß, die Nas' zuhalten und schnell hinunter mit.«

Er ordnete noch Alles rasch im Hause, und andern Tages schnürte er sich ein kleines Bündel, ritt nach der Stadt und stellte sich dem Oberamt zur Abbüßung. Der Oberamtmann rieth ihm, doch an das Kreisgericht zu appelliren; der Doctor, der zugegen war, sagte: er wolle ihm ein Zeugniß geben, daß eine Gefängnißstrafe ihm bei seiner Blutfülle und Korpulenz eine Krankheit zuziehe; Beide aber bestanden darauf, daß er antrage, das Gefängniß möge in eine Geldstrafe verwandelt werden. Luzian aber weigerte sich dessen und verlangte, nach seiner Zelle geführt zu werden.

»Ich hab' immer glaubt,« sagte Luzian, »mein' Sach' wird criminalisch. Wenn mein' Sach', wie ich seh', nicht vor das öffentliche Schlußgericht kommt, so [197] will ich meine Strafe, und jetzt, ich kann nicht mehr warten, bis nach einem halben Jahr eine andere Resolution kommt. Ich steh' mit einem Fuß im Steigbügel, ich habe beim öffentlichen Verfahren noch einmal vor aller Welt aussprechen wollen, was uns die Pfaffen anthun; damit sie alle, gute und schlechte, aufgeknüpft werden, wenn auch ein paar brave dabei sind? sie verdienen's doch, weil sie noch Geistliche bleiben; ich laß es jetzt sein, ich bin der Mann nicht, der der Welt helfen kann. Zuerst muß ich jetzt noch in's Loch und dann 'naus zum Loch.«

Der Oberamtmann und der Doctor führten nun Luzian selber in sein Gefängniß; sie blieben nur eine Weile bei ihm, dann wurde die Thür geschlossen, und er war allein.

Bald nachdem er einige Stunden im Gefängnisse saß, kam ihm dieses doch ganz anders vor, als er gedacht hatte. Eine seltsame Lust hatte ihn rasch zur Abbüßung der Strafe greifen lassen, er war sein Lebenlang noch nie Tage und Wochen mit sich allein gewesen; er glaubte, Alles müsse in ihm besser geschlichtet und geebnet werden, wenn er einmal so ungestört, von der ganzen Welt nichts wissend, in sich selbst hinabstiege; denn da drinnen war es bei alledem noch wirr und kraus. Auch empfand er eine eigentümliche Wollust darin, unverdiente Strafe abzubüßen; das gab ihm noch mehr Recht, sein Lebenlang gegen die Pfafferei zu kämpfen.

Wenn der Luzian von heute auf den der vergangenen Monate hätte zurückschauen und ihn lebendig [198] in allem seinem Thun erblicken können, er hätte sich gewundert über den, der jetzt zu solchen ganz ungewöhnlichen Gelüsten und Behaben gekommen war.

Nachdem er eine Weile auf der Pritsche geruht, erhob er sich plötzlich, und sein Blick schweifte an den Wänden umher und – wie seltsame Verlangen steigen oft plötzlich in der Seele auf – er wollte in einen Spiegel schauen, um sein Aussehen zu betrachten. Lächelnd gewahrte er, daß dies Stück Hausrath nirgends an den kahlen Wänden sich vorfand. Wozu sollten auch die Gefangenen dessen bedürfen? Sie erscheinen vor Niemand, sie können mit sich machen was sie wollen. »Ich möcht' nur einmal ein anderer Mensch sein und mich von weitem daher kommen sehen, wie ich da herumlaufe, und was für ein Bursch ich eigentlich bin, wie man mich ansieht, was man von mir hat, ob man mich gleich für einen ehrlichen Kerl hält, so bei den ersten paar Worten. Warum weiß ich jetzt, wie mein Margret aussieht und der Wendel und der Doctor und der Pfarrer, und wenn ich malen könnt', könnt' ich sie dahin malen; und mich selber hab' ich doch auch genug geschaut und ich weiß doch nicht, wie ich ausseh' ... Mein Herz und meine Gedanken kenne ich auch nicht so, ich meine, ich kenne die von anderen Leuten viel besser, und doch kann und muß ich mich auf mich allein am besten verlassen ... Was Reue! Es ist nichts nutz, wenn man uns allfort sagt, das und das hättest du besser machen müssen, oder wenn man sich selber vorschwatzt, ich möcht' um so und so viel Jahr jünger sein; nichts da, an dem läßt sich [199] nichts mehr beßteln und machen, heut, heut ist gesattelt. Wenn Gott sagt: heute, sagt der Teufel: morgen und der Pfaff sagt: gestern.«

Diese letzten Worte sprach Luzian mit den Lippen, aber ohne Stimme; es schien fast als bete er ein stilles Gebet.

Wie schwer steigt sich's hinauf die Gedankenhöhen und hinab die Tiefen, wenn immer ein Gedanke sich auf den andern thürmt und plötzlich kollernd wegrollt. Es bedarf da eines festen Steigers und kecken Springers. Luzian schaute zu dem vergitterten Fenster hinaus und horchte auf die verschiedenen Sangesweisen der über und unter ihm Eingekerkerten. Es kam ihm jetzt unfreundschaftlich vor, daß der Doctor und der Amtmann ihn so bald verlassen und seit so langer Zeit nicht wieder besucht hatten. Mußten sie nicht immer draußen auf Schritt und Tritt dran denken, daß er hier einsam eingekerkert sei? Konnten sie das nur einen Augenblick vergessen?

Armer Mensch, der du glaubst, dein Schicksal werde von einer andern Brust in der ganzen Ausbreitung seiner Folgen getragen.

Es wird Abend, die Thür knarrt, die Riegel werden heftig zugeschlagen, der Gefängnißwärter tritt ein, ihm folgt Bäbi mit einem Hängekorb am Arm. Sie sagte ihrem Vater einfach: »guten Abend« und ließ keinerlei heftige Kundgebung merken; dann erzählte sie, daß Egidi mit seiner Frau und den Kindern während des Vaters Abwesenheit bei der Mutter wohne, sie selber bleibe nun beim Vater und habe durch den[200] Doctor die Erlaubniß vom Oberamtmann bekommen, ihrem Vater Gesellschaft zu leisten.

»Wer hat dich an den Doctor gewiesen?« fragte Luzian.

»Niemand, ich bin von selber zu ihm gangen, die Ahne selig hat Recht gehabt, er ist gespässig, aber doch ein grundbraver Mensch, er ist gleich mit mir zum Oberamtmann.«

Luzian fixirte seine Tochter scharf und zog dabei die Brauen ein. Nach einer Weile sagte er wieder:

»Ja, du kannst doch aber nicht da schlafen?«

»O da ist schon für gesorgt; ich schlaf' bei des Wendels Agat, die beim Oberamtmann dient, die Madam hat mir's schon erlaubt.«

Jetzt fühlte Luzian doch, daß es Herzen außer uns giebt, deren Pulsschlag der unsere ist.

Von nun an war Bäbi fast den ganzen Tag beim Vater, sie spann fleißig an der Kunkel, während Luzian in den Büchern las, die ihm der Amtmann und der Doctor gegeben hatten. Das Lesen ward ihm doch schwer; das war kein Geschäft für ihn, Morgens beim Aufstehen, Mittags wieder und Abends noch einmal. Er hielt es in Einem Zuge kaum länger als eine halbe Stunde aus, und wenn er dann wieder begann, las er das Alte noch einmal, weil es ihm vorkam, als ob er's nicht recht verstanden habe.

»Es ist etwas anderes, wenn das Lesen ein Schleck (Leckerbissen), als wie wenn es ein Geschäft ist. Guck, deßwegen habe ich mich auch im Stillen immer davor gefürchtet, einmal Landtagsabgeordneter zu werden. Ich [201] bin nicht so dumm, ich red' auch gern mit drein, wie man den Staat und die Gemeinde und wie man die Gesetze einrichten soll; aber das kann ich nur, wenn ich den Tag über geschafft hab'. Wenn ich so im Ständehaus, in dem großen Saal, bei den vielen Menschen vier, fünf, sechs Monate sitzen und weiter Nichts thun sollte als ein' Tag wie den andern von neuen Gesetzen, von den Finanzen und von all dem hören und da mitreden: mir ging der Trumm (Faden) aus.«

So sagte Luzian zu seiner Bäbi. Bäbi übernahm es nun oft, dem Vater vorzulesen. Ein Buch besonders war es, das Luzian mächtig anzog und über das er viel sprach; es war das Leben Benjamin Franklins und dessen kleinen Aufsätze.

»Ich geb' das Dutzend Evangelisten und die großen und kleinen Propheten drein für den einzigen Mann,« sagte Luzian einmal.

Der Doctor und der Oberamtmann kamen bisweilen gemeinsam, und ersterer noch öfter allein. Da gab es dann manche gute herzstärkende Gespräche, bei denen Bäbi still zuhorchte. Die Art des Doctors hatte etwas besonders Wohlthuendes. Man sah es wohl, auch der Oberamtmann bemühte sich, seine innere Leutseligkeit kund zu geben, aber er war und blieb doch etwas bockbeinig, wie es der Doctor einmal nannte. Dieser dagegen war harmlos lustig, er hatte sich im Ton nicht erst herunter zu spannen; sein Benehmen gegen Bäbi war ein durchaus unbefangenes, als ob er nie Ansprüche auf sie gemacht hätte, und nie Etwas [202] zwischen ihnen vorgefallen wäre. In der That betrachtete er die Sache als längst abgethan und erledigt, und eben dadurch gewann Bäbi eine gewisse verwandtschaftliche Zutraulichkeit zu ihm, wie zu einem Vetter. Das gestand sie ihm einmal, und er nannte sie seitdem nicht anders als »Jungfer Bäsle«.

Luzian betrachtete oft im Stillen seine Tochter und den Arzt. Sollte sich da wirklich eine entschiedene Neigung festsetzen? Das kam ihm bei seinem Vorhaben sehr in die Quere, und doch griff er nicht ein.

Die Hälfte der Strafzeit war noch nicht um, als Luzian alle Bücher satt hatte, und gar nichts Gedrucktes mehr lesen konnte. Er hatte zu viel Bücher auf Einmal bekommen, das war gegen alle Gewohnheit von ehedem, und als ihm das eine nicht mundete, versuchte er es mit einem zweiten und so mit einem dritten; es gelang ihm dadurch nicht mehr, mit dem alten Appetit zu einem angebissenen zurückzukehren. Er blätterte darin, wollte da und dort einen Brocken holen, und legte endlich das Ganze weg.

Es war Bäbi auch lächerlich, wie vielleicht vielen Anderen, aber Luzian ließ sich nicht davon abhalten: er setzte sich zu seiner Tochter an die Kunkel und lernte mit ihr den Flachs spinnen. Das war eine kleine Arbeit und allerdings nicht geeignet für einen Mann von so kraftvollem Baue wie Luzian, aber es war doch eine Arbeit; man hatte dabei nicht mit dem Kopf zu thun wie immerfort beim Lesen. Bäbi sagte oft, sie thäte sich die Augen ausschämen, wenn ein Mensch sähe und wüßte, daß ihr Vater an der Kunkel sitzt [203] und spinnt; aber Luzian gewann eine wirkliche Freude an diesem Thun, das ihm die Tage und Abende verkürzte, und wenn er so bei seiner Tochter saß und mit ihr spann, wie er es bald meisterlich verstand, so konnte er auch viel besser reden, als wenn er so arbeitsledig war. In den Stunden, in welchen Vater und Tochter an Einem Rocken spannen, war es oft, als ob strahlende Seelenfaden sich aus Einem Urquell hervorzögen zu einem heiligen Gewebe.

Luzian ging so weit, daß er einmal zu Bäbi sagte: »Ich hab's gar nicht gewußt, daß du ... nicht so dumm bist.«

»Ja, ich hätt' sollen ein Bub werden, ich wollt' der Welt was aufzurathen geben,« sagte Bäbi keck.

Diese Tage des Gefängnisses wurden so für Bäbi die seligsten.

Wenn Jemand die Treppe heraufkam, oder sich irgend eine Thür im Gefängnißthurm bewegte, ließ Bäbi nicht ab, bis der Vater schnell von der Kunkel aufstand. Sie riß dann den Faden ab, damit Niemand etwas von der gemeinsamen Arbeit merke. Nur die Mutter, die zum Besuche ihres Mannes kam, erfuhr von Luzians heimlicher Thätigkeit.

Auch ein neuer Besuch wiederholte sich bald täglich.

Es geschieht wohl oft, daß im Abscheiden aus altgewohnten Verhältnissen wir erst jetzt Personen und Beziehungen entdecken, die nun erst unserer Erkenntniß oder unserem Leben sich nahe stellen. Eine neue Hand faßt dich, und eine ungewohnte hält dich mit ungeahntem innigem Drucke. Wir scheiden aus dem alten [204] Leben, das im letzten Momente ein unbekanntes neues geworden.

Der Pfarrer Rollenkopf, dem Luzian nur Einmal im Walde begegnet war, suchte diesen jetzt im Gefängniß auf. Mit ihm vereint wollte er eine neue Gemeinde um sich schaaren und dem alten Kirchenthum entgegentreten. Er fand ungeahnten Widerstand. Er hielt Luzian vor, daß damit nichts gethan sei, wenn er sich selbst von der Kirche lossage, das sei kaum ein Splitter, der sich von dem gewaltigen Baue losbröckele, der Bau selber spüre nichts davon, er stehe in sich fest; es gelte darum, den Baum von innen heraus zu sprengen durch Bildung von Genossenschaften. Luzian erwiderte:

»Das Menschengeschlecht hat's jetzt seit so und so viel tausend Jahren probirt mit dem Zusammenthun in Glaubensgemeinschaften und Kirchen, und was ist dabei herauskommen? Ihr wisset's besser als ich. Jetzt mein' ich, probirt man's einmal so lang ohne Kirchen und Gemeinden; schlimmer kann's in keinem Fall werden.«

Als der Pfarrer ihm ein andermal eindringlich vorstellte, er möge doch der Hülflosen, der Leidenden und Kranken gedenken, denen ein geläuterter Glaube und die ewige Wahrheit im Worte Gottes Trost und Labung gewähre – entgegnete Luzian kurz:

»Arznei aus der Apotheke ist keine Kost für Gesunde.«

Nicht immer jedoch war Luzian gegen Rollenkopf so scharfschneidig gekehrt, vielmehr fühlte er sich meist angeglüht von dem edeln Feuereifer des jungen Mannes, [205] dem noch dazu eine gewisse Schwermuth anhaftete, weil er sich Vorwürfe darüber machte, daß er nicht früher und nicht freiwillig mit der Kirche gebrochen habe; er hätte dann seine Gemeinde, die ihm damals noch treulich anhing, mit sich aus der Kirche geführt.

Aber nicht nur der Pfarrer, sondern im Verein mit ihm bisweilen auch noch der Oberamtmann und der Doctor, ergingen sich bei Luzian im Gefängnisse in den tiefsten Erörterungen über Religion und Kirche. Der Amtmann sagte einmal, es ließe sich ein neuer Phädon daraus gestalten, wenn man nur einen Schnellschreiber zur Hand hätte. Sehr oft verliefen sich die Gespräche in solche geschichtliche und philosophische Erörterungen, daß Luzian still zuhörend wenig thätigen Theil daran nahm. Bäbi hörte gleichfalls mit der größten Anstrengung zu, eroberte aber nicht viel dabei.

Luzian gewann eine innige Liebe zu Rollenkopf und sprach mit seiner Bäbi oft davon. Diese aber war still, denn mitten unter den religiösen Debatten war dem excommunizierten Pfarrer ein neues Leben aufgegangen. Mit dem tiefsten Schreck bemerkte Bäbi an den Blicken Rollenkopfs und an einzelnen Worten, daß er ihr anders zugethan sei als ein Beichtvater einem Beichtkinde, und trotzdem sie Beide außerhalb der Kirche standen, sah sie in Rollenkopf doch stets den geweihten Priester.

Einst paßte Rollenkopf die Zeit ab, als Bäbi aus dem Thurm nach dem Amthause ging, und gestand ihr offen, daß er sie heirathen, und sie zur neukatholischen Pfarrerin machen wolle. Bäbi glaubte in den[206] Boden zu sinken, und antwortete rasch: »Ich heirath' gar nicht.«

Sie eilte zu ihrer Freundin, der sie aber nicht zu bekennen wagte, was ein Pfarrer ihr gesagt.

Wieder hatte Rollenkopf einmal den Heimgang Bäbi's in's Amthshaus abgepaßt, aber auch der Doctor kam, und Beide begleiteten sie nun. Bäbi kam's gar wundersam vor, solche Herren zu Begleitern zu haben. Sie berichtete das des Wendels Agath', und diese sagte: »Die Beiden wollen dich heirathen und dein reiches Gut dazu; du bist auch eine recht anständige halbe Wittfrau. Der Doctor sucht schon lange nach so Einer, weil ihn die Mädle nicht mögen und der Pfarrer braucht eine Ketzerin; aber ich hab' dir seit gestern zu sagen vergessen, daß des Paule's Vater gestorben ist.«

»Das wird dem Paule doppelt weh thun, es muß Einem schrecklich sein, wenn Eines wegstirbt, mit dem man oft im Zank und Hader gewesen ist.«

»Es giebt Leut', die anders denken,« sagte Agath', »denen ist's im Gegentheil gerade Recht, wenn sie so einen Polterteufel los sind. Jetzt ist der Paule und sein Haus noch einmal so viel werth. Was meinst jetzt?«

»Ich heirath' gar nicht,« erwiderte Bäbi.

Die kluge Tochter Wendels entgegnete: »Wenn das Wort eine Brück' sein sollt', da ging' ich auch nicht darüber, die bricht ein.«

Bäbi ging in ihre Kammer, und was sie längst abgethan glaubte, erwachte auf's Neue und preßte ihr stille Thränen aus.

[207]

Die Befreiung

Die Befreiung.

Endlich kam der Tag der Befreiung; und als Luzian zum Erstenmal auf der Straße war, reckte er sich und sagte:

»Guten Tag Welt! bald b'hüt dich Gott.«


Alte Welt, Gott gesegne dich,

Ich fahr' dahin gen Himmelrich;


sang es wieder in ihm.

Im Lamm war Egidi mit dem Fuhrwerk, aber noch Andere waren da, der Wendel und der Paule, der einen Flor um den Arm trug.

»Schwäher,« sagte Letzterer, »ist's wahr, Ihr wollet nach Amerika?«

»Ja.«

»Nehmet Ihr mich mit, wenn mich das Bäbi wieder mag?«

Luzian schaute auf seine Tochter, die hoch erglühend die Augen niederschlug.

»Wie?« sagte Luzian, »red' du Bäbi, sag' Ja oder Nein.«

Bäbi schwieg.

»Wenn du nicht Nein sagst, so nehm' ich's für Ja.«

Bäbi preßte die Lippen heftig zusammen, als fürchte sie, daß ihr Mund Nein spräche.

Paule löste die Lippen bald zu seligem Kusse.

Auf der fröhlichen Heimfahrt erzählte nun Paule,[208] wie sein Vater von dem Pfarrer umgarnet war und wie er auf dessen Betrieb die Brautschaft aufgekündigt hatte. Auch in ihm lebte der heftige Zorn gegen das Pfaffenthum, wenn er gleich noch lange nicht auf Luzians Standpunkt angelangt war.

Jetzt faßte Luzian die Hand seines Sohnes Egidi und sagte: »Komm her, du kannst mir eine große Wohlthat erzeigen, ich hab' eine Bitte an dich; willst du?«

»Wenn's in meinen Kräften ist, ja.«

»Nun gut, gieb mir den Victor mit, ich will ihn halten, wie wenn du es wärst; ich will auch von dir was bei mir haben.«

Egidi nickte bejahend, er konnte nicht reden. –

Wer am Himmelsbogen säße und mit Einem Blick überschauen könnte das gewaltige Drängen und Treiben aus der alten Welt heraus nach einem Dasein, in welchem die Menschen frei ihr Leben gestalten, dem böte sich ein Anblick voll Jammer und voll Erhebung.

Den Ortspfarrer traf Luzian nicht mehr im Dorfe; er war wegen seiner besonderen Talente und seines Eifers zum Rector eines neuerrichteten Knabenseminars für Priester, der »geistlichen Cadettenanstalt«, wie sie in jenen Zeitungsberichten genannt war, berufen worden.

In der Zeitung standen am selben Tage zwei große Bauerngüter mit Schiff und Geschirr ausgeboten; es waren die Luzians und Paule's.

Mit tiefem Herzeleid sah Luzian sein sorgsam gepflegtes Gut zerschlagen in fremde Hände übergehen.

Als er Abschied nehmend mit seinem Passe zum[209] Oberamtmann kam, übergab ihm dieser ein Buch zum Andenken. Es war ein Wegweiser für deutsche Auswanderer.

»Ich habe auch einige Worte hineingeschrieben,« sagte der Oberamtmann.

Luzian las dieselben, nickte mit dem Kopfe, reichte ihm die Hand und sagte: »Das ist ein schönes Gleichniß aus der Bibel; Gleichnisse lass' ich mir gefallen, wenn auch die Geschichte nicht wahr ist.«

In dem Buche aber stand:

Man soll nicht auswandern wie der eigensüchtige Rabe aus der Arche Noah, der draußen bleibt, wenn's nur ihm wohlergeht; man soll auswandern wie die ausgeschickte Taube, die heimkehrt mit dem Oelzweig, verkündend: daß die Sündfluth sich verlaufen hat.

[210]

[1] Die Geschichte des
Diethelm von Buchenberg.
(1852.)


[1][3]

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

In dem freundlichen Städtchen G. war lebhaftes Marktgewühl, und mitten durch das auf und ab wogende Menschengedränge bewegte sich, von zwei fetten, tief eingekreuzten Rappen gezogen, ein Bernerwägelein, auf dessen niedergelassener Halbkutsche ein breitschulteriger Mann saß. Der breitkrempige schwarze Hut mit handhoher Silberschnalle im Sammtbande, der kragenlose, einreihige schwarze Sammtrock mit den nahe zusammengerückten flachen silbernen Knöpfen, die rothe Scharlachweste mit den kugelförmig silbernen Knöpfen zeigten den reichen oberländischen Bauer. Er hielt mit beiden Händen die Pferde straff im Zügel, die Peitsche stack neben ihm, und er rief nur manchmal den zögernd Ausweichenden ein Aufg'schaut! oder einfach Hoho! zu. Die Pferde trugen die Köpfe mit dem messingbeschlagenen Riemenzeug so stolz, als wüßten sie, welch ein Aufsehen sie erregten. Neben dem Manne saß ein junges Mädchen, ebenfalls in oberländischer Tracht, die sich aber mehr im Schnitt als im Stoff zeigte; denn der braune Spenzer und die schwarze Schürze waren von Seide, nur die Haube war noch in der landesüblichen Weise und aus den schwarzen am Kinn geknüpften[3] Bändern sah ein blasses längliches Gesicht mit dunkeln Augen.

Die Leute im Gedränge gafften Alle nach dem Gefährte und dessen überaus stattlichen Insassen. Manche vergaßen darüber auszuweichen und mußten von Nachbarn angerufen werden, und bald da bald dort gab es ein heftigeres Gedränge, aber die Rappen standen jedesmal auf einen Pfiff ihres Herrn stille. Oftmals auch grüßte dieser einen Bekannten und rief ihm zu: »Weißt schon, im Hirsch.« In dem Marktgewühl stachen besonders die Schäfer hervor in ihren weißen, rothausgeschlagenen und mit rothen Einnähten versehenen Zwillichröcken, auf denen noch, über die rechte Schulter gelegt, schärpenartig der lederne Gurt mit glänzenden Messingringen prangte; ihre Hunde liefen hart neben ihnen, denn sie hatten sie an die vielgelenkige Kette angekoppelt. Ueber das bartlose runde Antlitz des Fahrenden zuckte oft ein Lächeln, denn er hörte die Staunenden am Wege fragen: »Wer ist das?« worauf die Antwortenden immer ihre Verwunderung ausdrückten, daß man den nicht kenne: »Das ist ja der Diethelm von Buchenberg,« hieß es dann, »der hat mehr Kronenthaler, als die zwei Gäul' ziehen können,« und ein Anderer sagte wieder: »Ich wollt', du und ich, wir hätten das mit einander im Vermögen, was der heut für Woll' und Schafe einnimmt.« »Wenn der Diethelm da ist, geht der Markt erst an,« sagte ein Dritter; »die Engelländer warten Alle auf ihn,« rief ein Vierter. Ein Mann, der mit mehreren anderen eine gute Strecke neben dem Wagen herging, berichtete: »Ich [4] bin von Letzweiler, und der Diethelm ist auch von da gebürtig. Er hat einen grausam mächtigen Familienanhang. Vor zwanzig Jahren sind das lauter Krattenmacher (Korbmacher) und Bettelleut' gewesen und der Diethelm hat sie hingestellt, daß sie capitalfest sind. Ja, ja, so ein Mann in der Freundschaft und sie ist glücklich.«

Der Fahrende stieß manchmal die neben ihm Sitzende an, daß sie auch hinhorche auf das, was man sage; die üble Nachrede im eigentlichsten Sinn des Wortes schien der Fahrende nicht zu vernehmen, denn es gab auch Manche, die über die Ungebühr schimpften, mit Roß und Wagen mitten durch das Menschengedräng zu fahren; Andere machten darob Witze, und einige gehobene Heldenseelen fluchten hinter dem Wagen drein und schalten auf die Polizei, die so etwas dulde. Ein Bretzelverkäufer, der seinen Kram auf einem langen Stock aufgereiht trug, sagte geradezu: es sei nichts schlimmer, als wenn der Bauer auf den Gaul käme, der mache es ärger als die Herren.

Der Vielberufene fuhr aber strahlenden Antlitzes wie ein Triumphirender dahin, und endlich war man beim Wirthshaus zum Hirsch, das eine ganze Wagenburg umstellte, angelangt. Eine mächtige Glocke erschallte im Hausflur, die Frau Hirschwirthin oder, wie sie lieber genannt war, die Frau Postmeisterin, erschien selber, reichte Diethelm die Hand, hieß die »Jungfer Tochter,« die als schlanke, biegsame Gestalt auf dem Wagen stand, willkommen, half ihr absteigen und nahm ihr eine bunt gestickte Reisetasche ab. Der Hausknecht, der heute seinen großen Tag hatte, war doch bei der Hand, und [5] während er die Aufhaltketten der Pferde löste, half ihm ein Schäfer dieselben aussträngen.

»Ist Alles in Ordnung, Medard?« fragte Diethelm den Schäfer, indem er sich neben die Pferde stellte; der Schäfer bejahte, eilte dem Mädchen nach und raunte ihm schnell zu:

»Mein Munde (Raimund) ist auf Urlaub auch hier.«

Das Mädchen erröthete und antwortete nichts, es band sich die Haube fester, indem es in das Wirthshaus trat.

Der Schäfer Medard eilte zu seinem Herrn zurück und sagte, daß er schon beim Einfahren von einem Händler darum angehalten worden sei, wie theuer er verkaufe.

»Wie ich dir gesagt habe,« erwiderte Diethelm ruhig, »siebzehn Gulden das Paar und keinen rothen Heller weniger. Sag nur, dein Herr sei der Diethelm und der laß nicht mit sich handeln. Wir nehmen unser Vieh wieder heim, es ist mir so lieb wie baar Geld.«

Der Schäfer nickte, in seinem gerötheten Antlitze, das von einem langen zottigen Backenbarte eingefaßt war, zuckte es; er ging davon, wobei man ein Hinken am rechten Fuße bemerkte.

Diethelm streichelte die Rappen und lobte sie, daß ihnen trotz des scharfen Fahrens kein Haar krumm geworden sei, er ließ sie deßhalb nicht sogleich nach dem Stall bringen, sondern hielt sie noch auf, bis sich immer mehr Bekannte sammelten, die sein »Baronen-Fuhrwerk« lobten und theils geradezu, theils auf Umwegen seinen Reichthum hervorhoben. Diethelm hielt die Hand auf den Sattelgaul gelegt, er war im Stehen[6] kleiner, als er auf dem Wagen erschienen war, er maß kaum etwas mehr als sechzehn Faust, wie die Rappen, und war auch so wohlgenährt und breit wie sie. Er vernahm nun, wie das immer geht, von schlechten Marktaussichten, das Ausgebot sei groß und die Nachfrage gering, daß Händler und Fabrikanten den Preis sehr drückten und überhaupt baar Geld sehr knapp sei, weil Alles auf Zeit kaufen wolle.

»Dann verkauf' ich gar nicht und kauf' selber,« erwiderte Diethelm und schlug sich dabei auf den Bauch, um den er eine umfangreiche leere Geldgurt geschnallt hatte. Mehrere boten ihm nun sogleich Wolle und Schafe an, aber er lehnte für jetzt noch ab, und als man ihn aufforderte, mit in die Stube zu gehen, schien er sich schwer von seinem Gefährte zu trennen und aus seinen Mienen sprach nur halb der ihn bewegende Gedanke: »So wie man geht und steht, herumlaufen, das hat kein Ansehen, da ist man wie jeder Hergelaufene; ich wollt', ich könnt' mit meinen Rappen und meinem Kütschle in den Stuben herumfahren, da zeigt sich doch auch gleich, wer man ist.« Es war ein seltsames Lächeln, mit dem endlich Diethelm die Rappen in den Stall schickte. Die stattliche Rotte, die ihn umgab, konnte er mit Fug als sein Geleite betrachten und waren auch verkommene Leute darunter, ehemalige Schafhalter, die jetzt als Unterhändler dienten, Schmarotzer, deren ganzes Marktgeschäft im Erhaschen eines Freitrunkes bestand: bah! große Männer haben immer auch solche in ihrem Geleite, und Diethelm schritt an der Spitze seines Trosses breitspurig einher.

[7] Der Reppenberger, ein hagerer Bauer im zertragenen blauen Kittel, mit einem schmutzigen Wochenbarte auf dem listigen Gesichte, war ehemals selbst wohlhabend gewesen, hatte sich im Schafhandel »verspekulirt« und war jetzt der gewandteste Unterhändler. Dieser wollte sich an die Seite Diethelms drängen; er bot ihm eine Prise aus seiner großen birkenrindenen Dose und wollte ihm allerlei mittheilen, aber Diethelm vertröstete ihn mit herrischer Miene auf später und zog den Schultheiß von Rellinghausen, einen mehr ebenbürtigen Genossen an sich, und so trat er in die Wirthsstube, wo jetzt im halben Morgen schon voller Mittag gehalten wurde; denn an langer Tafel und an Seitentischen saßen Männer und Frauen und erlabten sich an Sauerkraut und Speck und gedeihlichem Unterländer Wein, und was sie nicht aufspeisten, wickelten sie in ein daneben gelegtes Papier und steckten es zu sich. Da und dort war auch der Tisch zu einer Rechentafel geworden, und mit Kreide wurde der Erlös zusammengerechnet, denn es war schon Mehreres verkauft. Mancher vollgestopfte Mund nickte Diethelm zu, und manche Hand legte die Gabel weg und streckte sich ihm entgegen.

»Je später der Markt, je schöner die Leut',« rief ein Weißkopf Diethelm zu.

»Kommst spät.«

»Bist alleine oder hast die Frau bei dir?«

»Ist das zimpfere Mädle dein' Fränz?« (Franziska.)

Solche und viele andere Anreden bestürmten Diethelm von allen Seiten, und manche Gabel deutete nach [8] ihm, und mancher Kopf drehte sich um, denn die, die ihn kannten, zeigten ihn den Fremden, und eine Weile war alle Aufmerksamkeit nach ihm gerichtet. Erregte der Duft der Speisen einen ungeahnten Hunger, so gab dieses allgemeine Ansehen eine andere Sättigung. Eine Kellnerin fragte Diethelm nach altem Brauch, was er befehle; aber die Wirthin, die eben durch die Stube ging, schnitt ihr das Wort ab und sagte:

»Der Herr Diethelm sitzt in die Herrenstube, der Advokat Rothmann sind auch schon drüben und unterhalten sich mit der Fränz.«

»Die Fränz soll da herein kommen,« entgegnete Diethelm und so laut, daß es Alle hören konnten, »wenn der Advokat Rothmann was von mir will, kann er zu mir kommen; ich lauf' ihm nicht nach, ich hab', Gottlob! nichts mit ihm. Ich bleib' da unter Meinesgleichen.«

Man sprach davon, daß es einen harten Wahlkampf geben werde, wenn Diethelm gegen den Rothmann als Mitwerber um die Abgeordnetenstelle auftrete; Diethelm lehnte mit halber Miene jede Bewerbung ab, und stimmte selber in das Lob Rothmanns ein, der als »fadengrader« Ehrenmann gepriesen und oft bei seinem Beinamen »der Schweizertell« genannt wurde, denn er hatte nicht nur zweimal auf dem eidgenössischen Freischießen den Preis gewonnen, sondern stand überhaupt in vielfachem Verkehr mit dem benachbarten Freistaate und war selber ein Charakter als wäre er in der Republik aufgewachsen, schlicht, derb und unverbogen bei aller gelehrten Bildung.

[9] Als er jetzt in die äußere Stube trat und seine hagere hohe Figur Alle überragte, ging ihm Diethelm zuerst entgegen und reichte ihm die Hand, worauf fast alle Anwesenden nacheinander ihm zutranken.

Der Reppenberger kam hastig, klopfte Diethelm auf die Schulter und sagte ihm in's Ohr: man rede schon überall davon, daß der Diethelm einkaufen wolle, und just heute ließe sich ein gutes Geschäft machen. Der Krebssteinbauer da hinten aus dem Lenninger Thal, der dort an der Ecke sitze, den müsse man zuerst einfangen; er mache die Andern kopfscheu und sprenge aus, der Diethelm thäte nur so als wenn er einkaufen wolle, der habe gewiß schon verkauft und stecke mit den Händlern unter Einer Decke, und man könne überhaupt nicht wissen, was der vorhabe; der Steinbauer werde aber schon einen geringeren Preis angeben, als wofür man abgekauft habe, wenn er nur baar Geld kriege, dafür wolle er schon als Unterhändler sorgen.

Diethelm sah dem Reppenberger steif in's Gesicht, als müßte er herausgraben, was er von ihm denke; schnell sagte er aber ganz laut:

»Es ist nur Spaß, daß ich einkaufen will, das Futter ist klemm und ich brauch' Geld, ich hab's nicht in Säcken stehen wie Ihr meint.«

Alles widersprach und schalt zutraulich auf ihn, daß so ein Mann sage, er brauche Geld; man wisse ja, daß er Capitale ausstehen habe, mehr als seinen Schuldnern lieb sei.

[10]

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Diethelm ging lächelnd die Stube auf und ab, sein Kleinthun hatte mehr genützt als alle Prahlerei; er blieb bei dem Steinbauer stehen, gab ihm einen derben Schlag auf den Buckel und sagte:

»Wie, Steinbauer, kennst mich noch?«

»Freilich, grüß Gott. Ich hab' nur warten wollen, bis ich gessen hab.«

»Ruck ein bisle zusammen, ich will mich zu dir setzen. Fränz, da komm her.«

»Ist das die Tochter?« fragte der Steinbauer, etwas verwirrt an die Seite rückend; er erinnerte sich nicht, daß er sich mit Diethelm duzte.

»Wenn du nicht so altbacken wärst, könntest sie heirathen,« entgegnete Diethelm. Der Krebssteinbauer grinste nun gar seltsam und schwieg, er war überhaupt kein Freund vom vielen Reden und vorab beim Essen. Nur Einmal wendete er sich um und auf das Haupt Diethelms deutend, sagte er: »Auch grau geworden seit dem letzten Jahr.«

»Ja, der Esel kommt heraus,« sagte Diethelm lachend, aber der Steinbauer ließ sich nicht zu der doch rechtmäßig erwarteten höflichen Entgegnung herbei; er aß ruhig weiter, als hätte er Nichts gesagt und Nichts gehört.

Diethelm kannte die hinterhältige und selbst mit[11] Worten karge Weise dieses Mannes wohl, und doch klammerte er sich an ihn und that gar zutraulich. Der Steinbauer ließ sich das gefallen, aber mit einer Miene, in der der Ausdruck lag: mein Geldbeutel ist fest zu, mir schwäzt Keiner einen Kreuzer heraus, wenn ich nicht mag.

Als Diethelm sich einen Schoppen Batzenwein bestellte, schaute der Steinbauer nur flüchtig nach ihm um, aber er sprach kein Wort der Verwunderung und des Lobes über die Sparsamkeit Diethelms und diesem erschien solch ein Benehmen noch saurer als der ungewohnte Halskratzer. Diese in sich vermauerte Natur des Steinbauern, der über Thun und Lassen Anderer kein Wort verlor und selber that, was ihm gutdünkte, ohne umzuschauen, was man dazu denke oder sage; diese verschlossene Sicherheit, die ihr Benehmen nicht änderte und, von hundert Augen bemerkt dieselbe blieb wie daheim auf dem einödigen Hofe, – Alles das erkannte Diethelm als Gegensatz und es reizte nothwendig sein herausforderndes Gebaren zum Kampfe. Er mochte aber den Steinbauern anzapfen wie er wollte, höchstens ein Freilich, ein Jawohl oder ein kopfschüttelndes Verneinen war aus ihm heraus zu bringen. Als Diethelm fragte, ob er auf des Steinbauern Stimme zählen könne, wenn er sich um die Abgeordnetenstelle bewerbe, ließ sich der Steinbauer endlich zu den vielen Worten herbei: »Ich wüßt' nicht, warum nicht.« Nun lachte Diethelm über das ausgesprengte Gerücht, daß er Landstand werden wolle; er denke nicht daran, bei diesen schlechten Zeiten könne man ein großes Anwesen nicht verlassen, da müsse man jede Stunde und jeden Kreuzer sparen, wenn [12] man der rechte Mann bleiben wolle, es mögen andere Leute den Staat regieren, das gehe ihn nichts an.

Der Steinbauer wickelte gelassen das übrig gebliebene Fleisch in ein Papier und steckte es zu sich, er hob und senkte nun mehrmals seine geschlossenen Lippen, sei es zum Nachkosten des Genossenen oder dem Gehörten beistimmend.

Diethelm setzte nun noch weiter auseinander, daß er sich nichts um die öffentlichen Angelegenheiten kümmern möge, und das gilt jetzt wieder unter vielen Menschen, besonders aber bei den Bauern, als großer Ruhm. Als er aber darauf hinwies, daß er in seinem Hauswesen vielerlei zu sorgen habe, sagte der Schultheiß von Rettinghausen: »Die Kläger haben kein' Noth und die Prahler kein Brod.«

Der Steinbauer erhielt sich noch immer in seiner unerschütterlichen Theilnahmlosigkeit, methodisch und langsam stopfte er seine Pfeife, schlug Feuer, öffnete den Deckel und verschloß den Zündschwamm und wollte nun aufstehen. Diethelm aber hielt ihn noch fest und fragte zuerst, ob er nicht seinen Hof verkaufen wolle, sein Schwager, der Schäuflerdavid, suche so einen herrenmäßig gelegenen für einen Ausländer. Der Steinbauer sagte, daß er zwar nicht verkaufen wolle, aber wenn er ein rechtes Anbot bekäme, ließe sich davon reden. Nun hatte ihn Diethelm doch flüssiger, und indem er noch mehrmals von seinem Schwager, dem Schäuflerdavid, und ihren gemeinsamen Geschäften sprach, kam er endlich an's Ziel zu erklären, daß er allerdings Willens sei, wenn die fremden Händler nicht höher [13] hinausgehen, selber einzukaufen. Der Steinbauer, dem es ersichtlich Mühe machte, sein saures Dreinsehen aufzugeben, ward plötzlich freundlicher, nahm ohne Widerrede das Glas an, das ihm Diethelm einschenkte, und erklärte nun mit erstaunlicher Redseligkeit, welch einen Ausbund von Wolle und Schafen er habe, wie die Alle so wolltreu seien, ein Haar dem andern gleiche und der Stapel vom besten Fluß und gleich rund sei, wie »viel Leib« seine Schafe hätten, daß er aber doch um einen annehmbaren Preis Alles verkaufe, weil er kein Glück in der Schafhalterei habe. Er legte das Zeugniß seines Schultheißen vor, darin nach einem Formular beurkundet war, wo seine Schafe geweidet, und daß keine Krankheit dort und auch keine kranken darunter waren, und schloß endlich:

»Neun und neunzig Schäfer hundert Betrüger, sagt man im Sprüchwort, und es ist noch mehr als wahr. Drum will ich Nichts mehr davon.«

Die Umsitzenden stimmten auch in die Klagen über die Schäfer ein, und Jeder hatte zu erzählen, wie man seit des Erzvaters Jakob Zeiten, um ihrer sicher zu sein, ihnen einige Schafe als Eigenthum bei der Heerde halten muß, wie sie diese aber zu gewöhnen wissen, daß sie den anderen stets das beste Futter wegfressen, wie sie den Hund abrichten, daß er nie ein Schäferschaf beißt, wie sie immer die besten und schönsten Lämmer haben und den Mutterschafen ihre nichtsnutzigen unterschieben; kommt dann der Herr dazu, so heißt es, wie das auch bei der natürlichen Mutter sein kann: es will noch nicht recht annehmen. Allerlei Schelmenstreiche [14] von Schäfern wurden erzählt, und das Gespräch schien sich fast ganz hierin zu verlieren, bis es Diethelm wieder auf den Handel brachte, aber er zuckte zusammen, als der Steinbauer, nachdem er das eingeschenkte Glas ausgetrunken hatte, ruhig sagte, er handle nur um baar Geld.

»Bin ich dir nicht gut?« fragte Diethelm trotzig.

»Du bist mir gut, und daß du mir's bleibst, ist baar Geld das beste,« sagte der Steinbauer und schob seine Tabakspfeife in den linken Mundwinkel, während er aus dem rechten den Rauch blies. Er sah dabei nochmal so listig aus.

»Ist dir mein Schwager, der Schäuflerdavid, auch nicht gut?« fragte Diethelm.

»Der Schäuflerdavid? freilich, der ist auch gut; wenn er sich verbürgt, kann ich bis Fastnacht mit dem Geld warten.«

Diethelm hob hastig beide Achseln, wie wenn er etwas abschütteln müsse, dann lachte er laut und sagte:

»Komm' jetzt, wir wollen 'naus auf den Markt.«

Der Steinbauer zog einen ledernen Geldbeutel, der dreifach verknüpft war, bezahlte, nahm seinen hohen Schwarzdornstock, der in der Ecke lehnte, und ging mit Diethelm.

Auf dem Schafmarkt stand in einer Doppelreihe Hurde an Hurde, darin die Schafe eng zusammengedrängt, theils lagen, theils standen und wiederkäuten. Alle aber waren lautlos und das allezeit blöde Dreinsehen der Schafe hatte fast noch etwas Gesteigertes. Knaben mit flüssigem Zinnober in offenen Schüsseln liefen umher und gesellten sich zu Gruppen, wo mit lautem Geschrei und heftigen Geberden gehandelt wurde. [15] Händler stiegen in die Hurden, zogen den Schafen die Augenlider auf und schauten nach den Zähnen, Andere bezeichneten mit einer in Zinnober eingetauchten Schablone die eingekauften und zählten dabei; dort sprang eine Heerde lustig aus der geöffneten Hurde, sich in der wiedergewonnenen Freiheit überstürzend, überall war buntes, lebendiges Treiben. Der Schäfer Medard kam Diethelm entgegen und sagte, daß er noch nicht verkauft, aber sichere Hoffnung habe. Nun einigte sich Diethelm schnell mit dem Steinbauer, kaufte ihm seine Zeithämmel (jährige) ab und nahm auch die Bracken dazu.

Er eilte mit dem Steinbauer in das Kaufhaus, ihnen vorauf lief das Gerücht, daß Diethelm bereits Schafe eingekauft habe und auch für die Wolle die besten Preise bezahle. Diethelm war aber noch nicht zum Wolleinkauf entschlossen, er hatte diesen Gedanken nur so in leichtfertiger Prahlerei hingeworfen, um zu verdecken, wie sehr es ihm zum Verkaufen auf den Nägeln brenne; jetzt wurde ihm das Vorhaben immer genehmer, und mit seltsamem Blicke betrachtete er seinen Genossen mit dem mehr als mannsgroßen Stocke, mit dem schlichten Anzuge und der selbstzufriedenen Miene; der wünschte wohl nicht, wie er, mit Wagen und Pferd in den Stuben umherzufahren; wie weit zurück lag ihm jetzt die Zeit, wo auch er so stolz sein konnte, statt daß er jetzt, um sich nicht zu verrathen, stolz thun mußte.

»Hast kein Fuhrwerk bei dir?« fragte Diethelm, worauf der Steinbauer erwiderte:

»Nein, ich bin noch gut zuweg, mit dem Fahren hat's Zeit bis ich alt bin.«

[16] Im Kaufhause sah Diethelm, daß die verpflichteten Wollsetzer seine Schepper (Vließe) gut aufgesetzt hatten, sie standen an guter Stelle, nicht zu hell und nicht zu dunkel; seine spanische und seine Bastardwolle durfte sich sehen lassen. Sein nächster Nachbar war der Steinbauer, der sich darüber beklagte, daß er einen schlechten Platz habe, gerade neben der Feuerspritze und dem großen Wasserfasse, die unter der Treppe standen. Diethelm stand mit übereinandergeschlagenen Armen ruhig neben seiner Lammwolle, als hastigen Schrittes der Reppenberger kam. Alles Blut schoß Diethelm zu Kopfe, indem er dachte, daß er vielleicht auch einst als Unterhändler hier sich tummeln, sich abweisen und anfahren lassen müsse, während Alles jetzt seine Nähe suchte und um seine Freundschaft buhlte. Diethelm war entschlossen, mindestens vom Steinbauern noch die Wolle einzukaufen. Zwar hatte er die Bürgschaft des Schwagers zu leichtfertig versprochen, aber der Steinbauer muß ihm vor der Hand glauben, und dann will er noch heute all das Mitgebrachte und das Erkaufte in der Stille versilbern, es sind dann drei Monate Zeit gewonnen, es gilt Luck auf und Luck zu zu machen, bis man den rechten Schick trifft, und der kann doch nicht ewig ausbleiben. Diethelm wurde auch hier schnell handelseins mit dem Steinbauer und als nun Andere sahen, daß dieser ihm das Seinige übergab, bestürmten sie ihn ebenfalls mit Anerbietungen. Er wehrte Anfangs ab; er wollte nicht weiter gehen. Aber vielleicht läßt sich gerade jetzt der rechte Schick machen, man darf ihn nicht aus der Hand lassen, mit so viel Waare läßt[17] sich was Großes versuchen – die Hand Diethelms wurde brennend von dem öfteren Handschlag, er wußte fast gar nicht mehr wie viel er eingekauft hatte und der Reppenberger brachte neue und immer bessere Gelegenheiten mit Zahlungsterminen auf Ostern oder noch weiter hinaus. Wie berauscht ging Diethelm von Stapel zu Stapel und wiederum hinaus auf den Schafmarkt von Hurde zu Hurde; ihm war's, als hätte alles Besitzthum der Welt gesagt: ich will dein sein, du mußt mich nehmen.

Das Lärmen und Rennen um ihn her, das ferne verworrene Brausen des städtischen Marktgewühls, aus dem bisweilen einzelne Accorde der Musik, die jetzt zum Tanze aufspielte, wie aus dem Stimmengedränge heraus schlüpften, Alles das machte einen sinnverwirrenden Eindruck auf Diethelm; bald lächelte er Jedem, und sein Antlitz war hochgeröthet, bald wurde es schlaff und verdrossen und alles Blut wich daraus zurück. Auf einem Wollsacke nicht weit von der großen Feuerspritze, die im Hofe stand, saß er mit entblößtem Haupte und gekreuzten Beinen und sein Auge schaute hinein in die rothe Schreibtafel, in die er sich seine Einkäufe nach Sorte u.s.w. eingezeichnet hatte, um ihn her lagen in verschiedenen Papieren Wollproben. Diethelm fuhr sich mit der Hand über das Haupt und er meinte, er spüre es, wie ihm die Haare jetzt plötzlich grauer werden. Eben kam der Reppenberger wieder und brachte einen Mann, der eine überaus feine und haartreue Wolle habe, da sei jedes Härchen von unten bis oben gleich und Alles im Vließ gewaschen. Diethelm nebelte [18] es vor den Augen, und er ersuchte den Reppenberger, vor Allem einen guten Trunk Wein herbeizuschaffen; er fühlte sich so matt, daß er auf keinem Beine mehr stehen konnte, und besonders in den Knieen spürte er eine unerhörte Müdigkeit. Er gab den Umstehenden wenig Bescheid und starrte hinein in seine Schreibtafel und sprach mit den Lippen lautlos die Zahlen vor sich hin. Vom Hauptthurm der Stadtkirche bliesen eben die Stadtzinkenisten den althergebrachten Mittagschoral; sie standen eben auf der Westseite der Thurmgalerie, und diese Posaunen und Trompeten strömten ihre langgezogenen Töne gerade zu Häupten Diethelms nieder. Er zuckte zusammen und schaute auf, als hörte er die Posaune des jüngsten Gerichtes vom Himmel herab; er fuhr sich mit der breiten Hand langsam über das ganze Gesicht, dann schaute er hell auf, der Reppenberger rief ihm. Der herbeigebrachte Wein richtete ihn bald wieder auf und nun galt es, die begonnene Rolle muthig fortzusetzen. Die Stadtzinkenisten bliesen eben nach einer andern Himmelsgegend, und die Klänge schwebten wie verloren über dem lauten Marktgewühle. Einmal sprach er eifrig und ganz allein mit einem fremden Händler und es verbreitete sich rasch die Sage, daß er im Auftrage dieses, der noch gar nichts eingekauft hatte, die Händel abschließe. Diethelm merkte bald, daß sein Auftreten dem Markt eine ganz andere Wendung gegeben hatte; es kamen schon Unterhändler, die sich im Auftrage Ungenannter nach dem Wiederverkaufe erkundigten. Eine Weile stockte er und gedachte mit mäßigem Gewinn darauf einzugehen, aber der [19] Reppenberger hatte Recht: jetzt im hohen Verkehr, wo Alles im Trab geht, kann man nicht hufen und rückwärts fahren; wenn Alles vorbei ist, dann läßt sich ein guter Treffer machen, dann hat man die ganze Geschichte allein in der Hand, drum jetzt nur muthig vorwärts. Und immer neue Zahlen stellten sich in die Schreibtafel Diethelms, er hatte schon dreimal die Schreibtafel in die Tasche gesteckt und die Hand darauf gelegt mit der Versicherung, daß er sie nicht mehr herausthue, und wenn er die Sachen halb geschenkt bekäme, er gehe nicht weiter in's Wasser, als er Boden habe; aber Alles schrie über seine Bescheidenheit, so ein Mann wie er, könne dreimal den Markt auskaufen. Dieser Ruhm stachelte ihn immer wieder auf's Neue, denn er sah, wie seine prahlerische Bescheidenheit ihm immer mehr Vertrauen an den Hals warf. Der Gedanke, wie sehr er dieses Zutrauen täusche und vielleicht ganz betrüge, zuckte ihm wieder durch die Seele, aber jetzt fand er eine rasche Aushülfe: da ist der Steinbauer, der so heilig thut, wie ein frisch vom Himmel geflogener Engel, und ohne Widerrede gibt er einen geringern Preis an, als er bekommt, und betrügt damit alle Anderen. Aller Handel und Wandel ist auf Lug und Trug gestellt, ein bischen mehr, ein bischen weniger; und es kann ja wohl sein, es ist so viel als sicher, daß kein Mensch einen Heller verliert. – Die Leute zeigten einander, wie zuversichtlich und froh der Diethelm dreinsah und beneideten ihn um den Haupttreffer, den er heute mache.

[20]

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Wieder kehrte Diethelm mit großem Geleite in das Wirthshaus zurück. Es waren nun wirklich seine Vasallen, denn ihn umgaben alle Die, denen er abgekauft hatte.

Unter dem Thore begegnete er seiner Tochter, die mit einigen Mädchen dort seiner harrte; sie fragte ihn, ob er nun mitgehe, ihr, wie er versprochen, einen Marktkram zu kaufen. Diethelm sagte, er habe keine Zeit und gab ihr zwei Kronenthaler, daß sie sich selber etwas kaufe.

Mit dem Steinbauer mußte nun vor Allem glatte Rechnung gemacht werden. Diethelm nahm ihn zuerst allein vor, aber er mochte reden, was er wollte, der Steinbauer blieb bei seiner Aussage, er verlangte ein Viertheil des Kaufpreises als Anzahlung und binnen acht Tagen die Unterschrift des Schäuflerdavid als Bürgen. Diethelm suchte das Ungerechte dieser Bedingungen, die gar nicht festgestellt waren, darzuthun; der Steinbauer verzog keine Miene und blieb dabei, selbst als Diethelm laut lachte und die Sache in's Scherzhafte ziehen wollte, blieb sein Widerpart ohne Theilnahme und war, was man so nennt, ein bestandener Bauer, der sich nicht so leicht aus seinem Schritt bringen ließ. Schnell in Zorn überspringend, schalt ihn Diethelm einen Betrüger, da er einen geringeren[21] Kaufpreis angegeben habe, um die Anderen zu hintergehen. Der Steinbauer läugnete dieß und behauptete, er habe zur Angabe Diethelms nur geschwiegen, er könne aber jetzt auch reden und vielleicht mehr als lieb sei.

»Was meinst? was?« fragte Diethelm hastig.

»Ich mein' gar nichts, ich will mein Geld, und da bleibt ein Jeder, wer er ist.«

»Hältst mich für ein Schuldenbäuerle?« fragte Diethelm halbzornig.

»Nein, b'hüt Gott, ich könnt' mit dir tauschen, wenn's drauf ankäm'; aber weißt: zahlen mit baar Geld, das zwingt die Welt. Du brauchst ja nur pfeifen, da hast's, und wenn ich mein Sach' wieder an mich zieh', und das thu' ich, wenn du mich nicht baar bezahlst, ich ließ' es aber nicht dabei, ich müßt' vor's Amt damit, so hart es mich ankommt.«

Diethelm fühlte, was es heißt, sich in schwankender oder gar in verzweifelter Lage zu befinden, da muß man sich so zu sagen über's Ohr hauen lassen und thun, als ob nichts geschehen wäre, nur um Aufsehen und genauere Nachforschung zu vermeiden.

»In einer Stunde hast all dein Geld,« rief Diethelm den ihn ungerecht Bedrängenden überbietend.

»So recht,« sagte der Steinbauer, »wie viel Uhr ist jetzt? Drei? Um viere bin ich wieder da. B'hüt' dich Gott und zürn' nicht.«

Die Uebrigen, die den zähen Steinbauer so zufrieden davon gehen sahen, waren schnell befriedigt, und Diethelm drang selber drauf, daß sie »wegen Leben und [22] Sterben« eine Handschrift von ihm nehmen mußten. Nun eilte er zu dem Advokat Rothmann und verlangte von ihm ein Darleihen für den Steinbauer; der Advokat beglückwünschte Diethelm zu seinen guten Einkäufen und schloß eine eiserne Geldkiste, indem er sagte: »Das sind Pfleggelder, Ihr seid ja selber Waisenpfleger und wißt, daß ich solches Geld nicht ohne gerichtliche Bürgschaft verleihen darf.« Diethelm ging um die Kiste herum wie die Katze um einen Wursthäckler und sah mit Schmerzen das Alles verschließen, ohne Miau zu machen; er blieb noch eine Weile harmlos plaudernd bei dem Advokaten und that, als ob er nie ein Anliegen gehabt hätte, mit dem er abgewiesen worden war. Er versicherte Rothmann, daß er weit davon entfernt sei, ihn aus der Abgeordnetenstelle verdrängen zu wollen, der Advokat entgegnete, daß er Diethelm Glück wünsche, wenn er als Candidat der sich so nennenden Conservativ-Liberalen durchdringe, die Herren möchten dann einmal ihre sogenannte Möglichkeitspolitik versuchen, um zu erfahren, daß das Schlechte leichter möglich sei, als das einfach Rechte.

Diethelm zeigte sich eifrig in Darlegung seiner Gesinnungen, und doch dachte er jetzt an nichts weniger als an dieß.

Offen und versteckt laufen überall und allzeit die verschiedensten Interessen durcheinander.

Als Diethelm das Haus verließ, traf er glücklich den Reppenberger vor demselben; durch diesen ließ er nun ein gut Theil des Eingekauften unter der Hand zu baar Geld machen, mit der Bedingung, daß nicht [23] hier unter den Augen der Marktaufseher, sondern morgen auf dem eine Stunde entlegenen Dorfe oder, noch besser, in seiner eigenen Heimath abgeliefert werde. Bis dieses Geschäft abgemacht war, wollte sich Diethelm verborgen halten, und dazu gab es kein besseres Versteck, als der Tanzboden im Stern, wo eben die Musik aufspielte; dort würde ihn gewiß Niemand suchen, und dorthin sollte Reppenberger mit dem fremden Händler kommen.

Es war, als ob doch etwas von dem Wunsche Diethelms, mit seinen zwei Rappen in den Stuben herum zu kutschiren, erfüllt wäre; denn kaum war er auf dem Tanzboden, wo sich eben in lärmender Pause die erhitzten Paare verliefen, als Alles ehrerbietig vor ihm auswich, und da und dort hörte er seinen Namen pispern. Einige ältere Leute, die ihm zutranken und stolz darauf schienen, daß er das Glas annahm, fragte er nach dem Reppenberger, den er zu suchen vorgab; sogleich erboten sich mehrere Trinkgelds-Bedürftige, den Reppenberger aufzusuchen. Diethelm hatte abzuwehren, so gut er konnte, und glücklicherweise erlöste ihn ein junger, modisch gekleideter Mann, der mit vielen Bücklingen auf ihn zukam, sich als ältesten Sohn des Sternwirths vorstellte und Diethelm bat, in die Herrenstube zu kommen.

Die Welt duldete es gar nicht mehr, auch wenn er es selbst gewollt hätte, daß er in niederem Bereiche verweilte. Diethelm betrachtete sich selbst, um zu erkunden, was denn an ihm sei, daß ihm Jeder ungefragt eine höhere Stufe anwies. Er folgte dem jungen Manne, der äußerst ehrerbietig war, die Treppe hinab, und als [24] er eben die Klinke zur Herrenstube in der Hand hatte, hörte er einen Soldaten unter der Hausthüre sagen: »Komm nur.« Diethelm drehte sich um, die Stimme war ihm bekannt, und der Soldat fuhr fort:

»Tanz' du nur einmal, während der Zeit wird dein Vater um ein paar tausend Gulden reicher, und ich krieg' dich immer weniger.«

»Ich weiß nicht, ob's recht ist,« sagte eine Mädchenstimme und halb gezogen erschien Fränz auf der Schwelle mit hochglühendem Antlitze.

»Soll ich euch aufspielen?« rief Diethelm, sich umwendend. Der Soldat und Fränz ließen vor Schreck die Hände los.

Der Soldat faßte sich schnell wieder und grüßte Diethelm, dieser aber sagte:

»Du bist's? wie kommst du daher, Munde?«

»Ich hab' Urlaub genommen, und es freut mich, daß ich auch meinen alten Herrn seh'.«

»So? Willst eine Halbe trinken?«

»Freilich.«

»Säh! da hast Geld, trink eine,« und Diethelm reichte mit diesen Worten dem über und über erröthenden Soldaten einen Sechsbätzner. Der Soldat, der nicht anders erwartet zu haben schien, als Diethelm würde ihn mit zum Wein nehmen, wußte nicht, sollte er die Hand zum Faustschlag ballen oder zum Empfang der Gabe darreichen. Beides schien gleich mißlich, offene Feindseligkeit wie die beabsichtigte Demüthigung vor den Augen der Geliebten; es fand sich aber noch ein Ausweg, und lächelnd sagte der Soldat:

[25] »Dank' gehorsamst, ich will warten, bis ich einmal ein' Halbe mit Euch trink'; vor der Hand hab' ich schon noch, um von meinem Geld ein Glas auf Euer Wohlsein zu trinken.«

Mit einem Gemisch seltsamer Empfindungen reichte Diethelm dem Soldaten die Hand und stand von dem Vorhaben ab, dem Burschen auf strenge Weise zu zeigen, an welchen Platz er gehöre; diese geschickte, höfliche Wendung und der Stolz, der darin lag, gefiel ihm. Das gestand sich Diethelm, aber nicht, daß er sich in diesem Augenblicke selber zu sehr gedemüthigt fühlte, um die Unterwürfigkeit Anderer herauszufordern. Er sagte daher nichts weiter, winkte dem Soldaten einen Abschied zu und verschwand mit Fränz hinter der Thür der Herrenstube. Der Soldat ging im Hausflur auf und ab wie ein Wachtposten und seine Gedanken gingen mit ihm hin und her: sollte er auch hinein in die Herrenstube und sich auftischen lassen? Aber wer weiß, wozu das führt? Es sind viele Fälle möglich. Der Schluß blieb jenes letzte Mittel, das Gelehrten und Ungelehrten gleich genehm ist, nämlich: vor Allem und vor der Hand nichts thun – da macht man nichts gut und nichts böse und kann getrosten Muthes und ruhigen Gewissens die kommenden Ereignisse abwarten.

[26]

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Der Soldat ging nach dem Schafmarkt. Viele Hurden waren bereits leer, die noch zurückgebliebenen Schäfer hatten ihre Mäntel bereits lose zusammengerollt auf der Schulter hängen. Das Marktgewühl brauste und toste in der Ferne, hier aber war Alles so still wie auf einsamer Höhe, an deren Fuß ein wildrauschender Bach über Felsen braust; nur bisweilen hörte man das klagende Blöcken eines Schafes, dem ein Metzger durch einen Schnitt in's Ohr das Kennzeichen seines Eigenthums gab. Die also bezeichneten Schafe duckten die Köpfe und sahen traurig und dumpf nieder, als wüßten sie, daß die Tage ihres Weidganges gezählt sind. Von einer Heerde führte ein Metzger eben einen Hammel weg, und das sonst so geduldige Thier war störrig und mußte mehr gezogen und geschoben werden, als daß es ging; es kümmerte sich wenig um Bellen und Beißen des Hundes und blöckte nur kläglich. Der Soldat schaute dem Allem mit dumpfer Verwunderung zu; er war selber Schäfer gewesen und doch war ihm alles Das wieder neu und fast seltsam. Er sah die Hurde seines Bruders, des Schäfers Medard, den wir beim Ausspannen gesehen haben, und schon von fern zerrte der falbe Hund an [27] der Kette, die am Gurte seines Herrn befestigt war, und weckte diesen aus stillem Niederschauen, so daß er aufblickend rief:

»Hast sie gefunden?«

Der Soldat nickte mit dem Kopfe und erst als er bei seinem Bruder war und den Hund gestreichelt hatte, erzählte er, wie er die Fränz allein auf dem Markte getroffen, wie sie miteinander umhergeschlendert und eben zum Tanze gehen wollten, als Diethelm dazwischen kam und ihn so sonderbar davon schickte.

Der Schäfer dagegen berichtete, wie es ihm sei, als ob die ganze Welt aus dem Leim ginge: daheim habe der Meister so nöthlich gethan, wie wenn Alles bei ihm auf Spitz und Knopf stehe und kaum auf den Markt gekommen, kaufe er wie besessen ein und thue, wie wenn er fragen möchte, was kostet das Schwabenländle da? Er habe die Hammel verkauft und könne den Herrn nirgends finden, um ihm das Geld zu geben. Ueberhaupt, erzählte er, sei der Meister seit fast einem Jahr zweierlei Menschen: bald streichle er Einen wie mit Sammtpfoten, bald sei er ein borstiger Igel, bald lobe er Alles, bald mache man ihm gar nichts recht. Die Brüder besprachen sich noch lange über das seltsame Wesen des Meisters, denn auch der Soldat hatte ehemals bei Diethelm als Schäfer gedient.

Als der Schäfer äußerte, daß Diethelm vielleicht um so größer thue, je kleiner er geworden sei und vielleicht noch einen tüchtigen Raps mache, so lang man ihm traue, fuhr der Soldat dagegen los, als ob er selber beleidigt wäre, und es war noch mehr als das:[28] denn da gilt ja gar nichts mehr, wenn man gegen solch einen Mann nur so was denken darf; worauf der Andere lächelnd erwiderte:

»Büble, Büble, du wirst dein Lebtag nicht gescheit; du glaubst den Leuten, was sie dir vormachen. Laß sehen, was du für Tubak hast,« schloß er und nahm dem Soldaten die Pfeife aus dem Mund und rauchte sie weiter; der Soldat sagte kein Wort dazu.

Es war ein seltsames Brüderpaar, das da bei einander saß. Medard hätte dem Alter nach der Vater Munde's sein können, aber ähnlich sahen sich die Brüder nicht. Medard hatte ein langes dürres Gesicht, das durch den zottigen Backenbart und die aufgesträubten röthlichen Augenbrauen Aehnlichkeit mit dem Schäferhunde hatte, während Munde kugelrund aussah und Angesicht und Hals von dunkelbrauner Farbe war; er hatte kohlschwarzes Haar und kleine in fetten Augenlidern versteckte braune Augen, aus denen ein stilles sanftes Gemüth sprach. Medard sah aus, als könnte er nie lachen, und Munde sah noch jetzt in seiner Betrübniß aus, als könnte Schmerz und Zorn keine Heimath in seinem Gesichtsausdruck finden.

Medard war gerade um fünf und zwanzig Jahre älter als sein Bruder, und diese beiden und noch eine Schwester, die dem alten Vater in Buchenberg Haus hielt, waren von neun Kindern am Leben geblieben. Als der kleine Munde so verspätet und plötzlich geboren wurde, verließ Medard unter Verwünschungen das väterliche Haus und betrat sechs volle Jahre dessen Schwelle nicht mehr. Es war nicht Aerger wegen des [29] Erbes – da war ja nichts zu theilen – aber Medard schämte und ärgerte sich über den nachgebornen Bruder, daß er von seinen Eltern gar nichts mehr wissen wollte; er verdingte sich weit weg und kam erst nach sechs Jahren wieder, als er aus dem Zuchthause entlassen wurde, wo er wegen einer Rauferei, in der er einen Nebenbuhler erschlagen, fünf Jahre gebüßt hatte. Es war ihm nun doch nichts übrig geblieben, als in das elterliche Haus zurück zu kehren. Als er zum Erstenmal wieder in des Vaters Stube trat – die Mutter war schon seit sechs Jahren gestorben, und wie der Vater sagte, an den Folgen der Verheimlichung ihrer Schwangerschaft, die sie vor dem erwachsenen Sohne verbergen wollte – da war's, als ob der kleine Munde es dem Bruder wie mit Zauber angethan hätte; er umklammerte gleich beim Eintreten seine Füße und Medard ließ den schon ziemlich großen Bengel oft Stunden lang nicht vom Arm herunter und tollte mit ihm wie närrisch umher, die ganze verhaltene Bruderliebe schien auf Einmal sich zu entfalten und eine Sühne für seine früher verübte Härte zu Tage zu fördern.

Diethelm that gerade um diese Zeit eine großartige Schäferei auf und auf die Bitten des alten Schäferle und die Zureden seiner Frau nahm er den Medard in Dienst, der nun von Georgi bis Michaeli im freien Felde war und stets den Munde bei sich hatte und ihn mit einer Sorgfalt ohne Grenzen wartete und pflegte. Der alte Schäferle überließ ihm gern das Kind; er war mit Allem zufrieden, wenn er nur hinlänglich [30] Tabak hatte, um seine Holzpfeife in beständigem Brand zu erhalten. Medard versorgte ihn jetzt mit Tabak, während er sonst oft hatte dürre Nußblätter rauchen müssen.

Wenn Medard manchmal dachte, daß ihm das Kind sterben könnte, fühlte er alle Haare zu Berg stehen. Stundenlang konnte er in das braune Antlitz und in die dunkeln Augen des Knaben schauen und sich nur ärgern, daß dieser ihn gewiß nicht so lieb habe, wie er ihn, es wenigstens nicht darthun konnte; dann konnte er aber auch stundenlang vor sich hin lächeln über eine einfältige oder kluge Bemerkung des Munde. Auf den falben Schäferhund, den Paßauf, war Medard oft eifersüchtig, denn der Knabe war mit dem Hund so zutraulich und verschwendete an ihn so viel Liebe, die doch ihm gebührte. An Einer Sache hatte aber Medard stets seine ungetrübte Freude. Munde war nämlich äußerst gelehrig in der Musik. Vielleicht ist es noch ein Ueberbleibsel aus den verklungenen Schalmeienzeiten, daß die Schäfer in der Regel kunstfertige Pfeifer sind, und Medard war hierin noch ein besonderer Meister. Er verstand nicht nur den nothwendigen Signalpfiff, der dem Paßauf als Commando galt, er konnte auch alle Vögel des Waldes nachahmen und hatte noch dazu eine unerschöpfliche Quelle von Lieder- und Tanzweisen, in denen er trillern konnte wie ein Kanarienvogel. Er lehrte nun den Munde diese Fertigkeit, und wenn der Knabe dann vor ihm stand und den Mund spitzte und hellauf pfiff, umfaßte Medard mit beiden Händen seine Schäferschippe und bohrte sie tief in den Boden vor [31] Freude. Im Herbst lockte Medard andere Knaben zu sich auf's Feld, damit sie mit dem Munde spielen, denn dieser kam ihm manchmal so traurig und nachsinnend vor, so verlassen wie ein Schäfchen, das von der Heerde genommen ist, und das einsam in sich hinein jammert. Da däuchte es dann Medard, als ob sein Munde über Alle herrsche, sie beugten sich ihm ungeheißen, und alte Sagen kamen ihm in den Sinn, wie ein Schäferknabe plötzlich zu einem König geworden und eine schöne Prinzessin im diamantenen Palaste zum Ehegemahl erhielt. Er lächelte wohl über diese Sagen, er wußte ja, daß daran kein wahres Wort sei, aber Munde war gewiß zu etwas Großem geboren, wenn auch just nicht zu einem König; und dann wollte sich Medard in seinen alten Tagen das Gnadenbrod bei ihm ausbitten und unter der Stallthür stehend glücklich sein, wenn sein Bruder in der Kutsche dahinfuhr oder auf einem schönen Apfelschimmel daherritt. Was läßt sich nicht Alles ausdenken draußen bei den still weidenden Thieren! Medard erschien sich oft ganze Wochen wie verzaubert, Alles, was er that, kam ihm so vor, als wäre das nur für einstweilen, nur noch jetzt, in einer Stunde wird's anders; da kommt auf einmal ein groß Glück. Und manchmal konnte er es gar nicht fassen, daß der Munde noch so klein und jung sei und noch so lange zu wachsen habe, bis er ein großer Mann, mindestens ein reicher Graf sei. Natürlich fehlte es auch nicht an Zeiten, wo sich Medard vor die Stirn schlug und sich selber auslachte über all die Narretheien, die er im Kopfe herumtrage; er war dann froh, daß Niemand [32] davon wußte, und schlug sich Alles aus dem Sinn; aber innerlich verborgen konnte er doch eine gewisse Hoffnung des Unerwarteten nicht ertödten, er wußte nicht was und wie, aber doch blieb's.

Als dem Diethelm seine Fränz geboren war, hatte Medard dieser schon einen Ehemann bestimmt, lange bevor sie ein Wort sprechen konnte.

Munde war acht Jahre alt geworden. Es war im hohen Sommer, im Thale war abgeweidet, und der Pferch begann noch nicht, Medard hatte seinen sämmtlichen Schafen Schellen umgehängt, und es ging nun auf den Trieb in's hohe Waldgebirge. Das Schellengeläute währte unaufhörlich vom Morgen bis zum Abend, denn die Schafe auf der Weide fressen beständig im Gehen und stehen meist kaum so lange still, um das Gras abzuraufen; Medard war immer in wundersamer Aufregung, und er dachte mit schweren Sinnen, daß dies der letzte Sommer sei, in dem er den Munde bei sich hatte; zu Ostern mußte dieser bei Strafe endlich in die Schule. »Es ist vorher gegangen, es muß nachher auch gehen,« tröstete sich Medard, wenn er überlegte, wie er diese Trennung ertragen werde. An einem Mittag, an dem die Nebel nicht von Berg und Thal wichen, saß Medard am Waldrande an dem ein schmaler Holzweg sich hinzog, und vor ihm, den jähen Berghang hinab, weideten die Schafe; Munde stand weiter unten, just in der Biegung des Weges in einer Brombeerhecke und erlabte sich an der saftigen Frucht. Vom Walde oben vernahm man Hacken und Knacken der Holzhauer, und das Schellengeläute war so summend, [33] daß Medard fast in Schlaf versinken wollte. Da hörte er über sich etwas poltern, er schaute rückwärts – hat sich ein Felsen aus seiner uralten Ruhe losgelöst? Da kommt es den Weg herab, ein in Schuß gerathener lediger zweirädriger Karren, Medard ist ganz erstarrt, er schaut auf und schaut hinab und ruft schnell: Munde, geh bei Seite, Munde, um Gottes Willen lug' auf! Aber das Kind hörte nicht, und der Wagen ist schon so nahe; kommt er bei Munde an, stürzt er die Halde hinab und zerschmettert das Kind, es ist kein Stein am Wege, nichts, womit man einhalten kann. All' dies Schauen, Denken, Rufen, war das Werk eines Augenblickes, schon ist das zermalmende Rad nahe, Medard kann sich retten – aber das Kind! Schnell streckt Medard halb träumend, halb wissend, was er thut, den rechten Fuß weit vor, es knackt, der Karren steht still ... Die Leute, denen der Karren entronnen war, kamen mit Geschrei hinterdrein, sie fanden Medard mit zerknicktem Fuße, leblos, sie warfen schnell das Holz ab und luden Medard auf den Karren und führten ihn nach dem Dorf, wo er Monate lang eingeschindelt lag. Um so lustiger aber sprang Munde um ihn her, und das erquickte den Leidenden mehr, als all' die guten Tränkchen, die der alte Schäfer bereitete, und mehr als die sorgsame Abwartung der Meistersfrau. Medard war nicht so großmüthig, seinem Bruder nie zu sagen, was für ein Opfer er ihm gebracht. Das Kind verstand dessen Bedeutung noch nicht, und als er in spätern Jahren es erkannte, war die That eine längst gewohnte, wenig beherzigte, wenn gleich Munde dem [34] älteren Bruder mit kindlicher Hingebung zugethan war, und es ihm nie in den Sinn kam, eine Einsprache dagegen zu erheben, daß ihn Medard stets »Büble« hieß. Medard konnte, wenn auch mit einem lahmen Fuß, seinem Geschäfte nachgehen; die Ruhe, die es mit sich brachte, war ihm nun besonders genehm. Munde war in der Schule, und Medard blickte auf die Tage, da es ihm das Kind wie mit einem Zauber angethan hatte, mit verwundertem Lächeln zurück; und doch war etwas eingetroffen, und wer wußte, was noch daraus wird. Munde lebte im Hause Diethelms wie das eigene Kind, und es war nicht anders zu vermuthen, als Diethelm würde dem Munde gern seine Fränz zur Frau geben, denn Diethelm war wegen seiner Gutherzigkeit berühmt, die er allerdings zumeist nur auf seine Freundschaft (Verwandtschaft) anwendete. Munde war und blieb eben der Schäferprinz, wie ihn Medard oft im Stillen nannte. Bei all' seiner Zärtlichkeit für das kleine Brüderchen und dessen große Hoffnungen versäumte indessen Medard doch seinen einstweiligen Vortheil nicht, er wollte für alle Fälle geborgen sein, er verstand es, wie man hier erst recht sagen kann, sein Schäfchen in's Trockene zu bringen und zwar mit so verschlagener List, daß Diethelm das unbedingteste Vertrauen in ihn setzte, obgleich er es ihm noch manchmal vorrückte, daß er ein Sträfling sei. Medard machte sich nicht im Entferntesten ein Gewissen daraus, das Vertrauen Diethelms zu mißbrauchen; denn das ist das Unergründliche in des Menschen Brust, daß oft Betrügerei neben Treuherzigkeit, [35] Verstocktheit neben Zartsinn friedlich zu wohnen vermag. Als Munde confirmiert war, wurde er Schäfer, aber der ältere Bruder gab seine Hoffnung noch nicht auf: Munde mußte einst die Fränz heirathen; und je mehr das Mädchen heranwuchs, um so größer wurde auch seine Liebe zu dem jungen Schäfer, immer hütete Medard den Bruder wie seinen Augapfel und diente ihm, als wäre er sein angeborener Herr. Erst als Munde Soldat werden mußte und der Diethelm ihn nicht loskaufte, faßte Medard einen tiefen Haß gegen seinen Meister; es genügte ihm nicht mehr an den gewohnten kleinen Veruntreuungen, er wünschte sich eine gewaltige That, um Zorn und Rache loszulassen; nur die Meisterin that ihm leid dabei, und wenn sie nicht wäre, sagte er oft, hätte er den Meister schon im Stall erwürgt.

Als Medard jetzt den Bericht seines Bruders hörte, sagte er nichts, sondern stieß nur den Rauch der Pfeife immer rascher heraus.

»Ich wollt',« schloß der Soldat, »der Diethelm würde über Nacht ein armer Mann, nachher könnt' ich die Fränz heirathen ungefragt.«

»Büble, du bist ein Narr,« rief Medard, »du mußt sie haben mitsammt ihrem Geld, und mag sie noch so hoffärtig sein, und ein Nückel ist und bleibt sie; aber freilich da drüber darf man mit dir nicht reden. Wenn ich nur wüßt', wie's mit dem Meister steht; sauber ist's nicht, das glaub' mir.«

Nun besprachen die Brüder das Leben des Meisters. Diethelm war ehedem ein wohlhäbiger, still arbeitsamer [36] Bauer gewesen, er war als Knecht nach Buchenberg gekommen und hatte die reiche Wittwe, die Schwester des Schäuflerdavids, gegen den Willen ihres Bruders und ihrer ganzen Familie geheirathet. Stolz war er von je, und selbst seine vorherrschende Tugend, die ihm einen großen Namen machte, schien davon nicht frei. Damals, als Diethelm die reiche Wittwe heirathete, lebten seine Eltern noch, aber sie wie ihre anderen sechs Kinder, die theils dienten, theils selber Familien gegründet hatten, lebten in äußerster Dürftigkeit. Das nahm nun schnell ein Ende, denn mit reicher Hand setzte Diethelm alle seine Angehörigen in Wohlhabenheit und Alles, was Diethelmisch hieß, stand plötzlich in Ehre und Ansehen. Hatte Diethelm im Allgemeinen eine freigebige Hand, so war sie es noch besonders für einen auffälligen Zweck. Er kleidete nämlich gern die Armen und es war seine besondere Lust, daß Alles stattlich daher käme; und wurde er auch oft von Solchen mißbraucht, die fremder Gabe gar nicht bedurften, immer wieder fand ihn Jeder bereitwillig und hülfreich. Wenn unser Meister nach Letzweiler kam, stand Alles still, als erschiene ein höheres Wesen und die Lippen bewegten sich wie zu Segenssprüchen, denn solch einen Wohlthäter hatte man noch nie gesehen und Diethelm hatte nur abzuwehren, daß ihm nicht Kinder und Greise die Hände küßten. Seine hülfreiche Mildthätigkeit war aber auch ohne Grenzen und man fabelte allerlei über seine unermeßlichen Reichthümer: er habe ein großes Loos in einer fremden Lotterie gewonnen, er habe einen Schatz gefunden und dergleichen mehr. [37] Diethelm gefiel sich in dem Ruhm seines Reichthums und seiner Wohlthätigkeit. In den besten, manneskräftigen Jahren, als er Schultheiß geworden war, fiel es ihm auf Einmal ein, daß er genug gearbeitet habe. Er verpachtete daher seine Aecker und lief müßig und mit eingebildeten Krankheiten im Dorf umher; aber auch dieß Leben verleidete ihm nach wenigen Jahren, zumal er mit den Pachtbeständern vielerlei Quengeleien hatte. Er wollte ändern, mochte aber nicht mehr zurück, verkaufte nun trotz heftigsten Widerspruchs seiner Frau alle seine Aecker, nur die Wiesen behielt er und lebte von Zinsen. Bald aber fing er einen kleinen Kornhandel an, der nicht ohne Gewinn war, und nun ging er Tag und Nacht auf sogenannte Spekulationen aus, die ihm auch meist glückten.

Dieses Verwenden der ganzen Lebensarbeit seiner Dorfbewohner als bloßen Werthgegenstandes hatte schon in sich etwas Herausforderndes, Feindseliges. Der ewige Kampf zwischen den Hervorbringenden und denen, die solches mühsame Händewerk mit Reden und Schreiben zu eigenem Vortheil verwenden, ist auf dem Lande naturgemäß ein Widerstreit gegen die Kornhändler, der sich je nach den Zeitläuften zu ausgesprochenem Hasse entwickelt. Das Vorhalten des Gedankens von dem großen Weltverkehre und daß die Thätigkeitsergebnisse der ganzen Menschheit einander angehören, will bei dem, dessen Auge auf der beschränkten Stätte seiner Arbeit haften muß, nicht Eingang finden; in dieser wie in mancher andern Beziehung arbeitet die Zeit noch überall an der Erhebung zum Gedanken der großen Weltgehörigkeit.

[38] Auch Diethelm erfuhr in seinem Thun mancherlei Haß und statt ihn zu versöhnen, reizte er ihn noch, indem er oft laut sagte: »Ihr arbeitet euch krumm und lahm und ich schau' zum Fenster hinaus und hab' meine grünen Saffian-Pantöffele an, und verdien' dabei in einer Stunde mehr, als ihr in drei Monaten.« Das war aber nicht immer der Fall und in demselben Jahre, als Diethelm in seinem Handel eine große Schlappe erlitt, wurde er auch nicht mehr zum Schultheiß gewählt und er begann nun das Schafhalten und den Wollhandel. Die Umgegend von Buchenberg eignete sich allerdings dazu, die Schafe ihre sieben Monate auf dem Weidgang zu erhalten, aber auch Seuchen blieben nicht aus, die empfindliche Verluste mit sich führten.

Medard war gegen seinen Herrn voll Zorn und Haß, und wieder voll ergebener Abhängigkeit. Wenn er auch nun schon so viele Jahre bei ihm diente, ließ es ihn Diethelm gelegentlich doch noch immer fühlen, daß er ihn als Sträfling zu sich genommen und behandelte ihn oft mit tyrannischer Willkür, gegen die auch nicht der leiseste Widerspruch sich erheben durfte. In der Seele des Schäfers setzte sich daher eine Bitterkeit fest, die ihn wünschen ließ, daß sein Herr einmal zu Falle kommen oder in seine Hand gerathen möge.

Munde dagegen war voll aufrichtiger Liebe gegen Diethelm, der ihm dafür auch mit besonderer Freundlichkeit zugethan blieb.

[39]

5. Kapitel

Fünftes Kapitel.

Während die Brüder draußen vor dem Thor sich über das Leben ihres Meisters besprachen, saß dieser drin beim Sternenwirth im hintern Stübchen vor einer Flasche vom Besten, die der Sternenwirth zu Ehren seines Gastes auftischte und dabei seine Familienverhältnisse darlegte.

Halb klagend, halb ruhmredig erzählte er, wie sich die Zeiten ändern: er selber sei noch Metzger gewesen und habe dabei gewirthet, jetzt aber müsse ein Wirth alle Sprachen kennen und ein Handwerk daneben zu treiben sei gar nicht denkbar; sein Wilhelm sei aber auch in Genf und »auf der Universität von allen Kellnern, im Schwan in Frankfurt gewesen.«

Diethelm zeigte sich diesen Mittheilungen besonders theilnehmend und aufmerksam, denn es ist dem bangenden Herzen oft nichts erwünschter als durch Aufnahme fremden Schicksals sein selbst zu vergessen. Während der Sternenwirth erzählte, hatte sich eine von dessen Töchtern und der Sohn angelegentlich mit Fränz beschäftigt und waren oft in lauten Scherz ausgebrochen. Der Sternenwirth rückte nun, von der Theilnahme seines Zuhörers ermuthigt, weiter heraus: wie glücklich ein vermögliches Mädchen mit seinem Wilhelm werden könne, er wolle den Engel in der obern Stadt kaufen und [40] ausbauen und sei ohne Rühmens der geschickteste Wirth. Diethelm nickte einverständlich und bemerkte nur, daß der Wilhelm noch jung sei und wohl noch ein paar Jährchen warten müsse, und der Wirth stieß eben mit ihm an, als der Reppenberger eintrat. Diethelm nahm ihn bei Seite und vernahm, daß nichts zu verkaufen sei und höchstens um's halbe Geld.

»Sag nur, ich behalt' den Posten auch noch,« rief Diethelm plötzlich laut und sagte dann, daß es Alle hören konnten, leichthin zu dem Wirth:

»Kannst mir nicht auf eine Stunde fünfhundert Gulden geben?«

»Auf eine Stunde kann's schon sein,« erwiderte der Wirth, »es hat mir ein Händler tausend Gulden aufzubewahren gegeben. Nicht wahr, du bringst mir's gleich wieder? Von wegen, wenn's mein wär', könntest's behalten so lang du willst, wär' mir sicherer als im Kasten. Es ist halb Silber und halb Papier. Was willst?«

»Die Thaler, der Steinbauer hört das Geld gern klappern, er traut ihm eher.«

Diethelm empfing ein graues Säckchen mit den Geldrollen, er übergab die kleine Last dem Reppenberger zum Tragen, befahl der Fränz, ihn hier zu erwarten, und ging mit seinem Geleite stolz durch das Marktgewühl. In der Post brach er alle Rollen auf und zählte und klimperte lange mit dem Gelde, das er dem Steinbauer einhändigte; das graue Säckchen betrachtete er dann eine Weile still und steckte es endlich zu sich, wobei er es an Spottreden auf den Steinbauer[41] nicht fehlen ließ; dieser zählte aber- und abermals die Häufchen ab und hörte auf Nichts.

Vor dem Hause athmete Diethelm tief auf und sagte dem Reppenberger, daß er tausend Gulden haben müsse, und wenn er sie aus dem Heiligenkasten stehlen sollte.

»In dem Nest muß Geld sein, hilf's holen,« ermahnte er den Reppenberger. Dieser wußte auch Rath: der Kastenverwalter hatte einen großen Posten bereit, aber nur auf Hypothek oder Wechsel. Von ersterer konnte bei Diethelm keine Rede mehr sein, er hatte nichts Unbewegliches als sein Haus und die Wiesen, und das war die letzte Sicherheit der Frau; und hätte er auch diese, wie er wohl wußte, zu einer Unterschrift bewegen können, er durfte es für sich selbst nicht thun, denn mit Ausnahme einer Hypothek wäre all' sein Ansehen vernichtet; vor dem Wechsel aber hatte Diethelm eine Höllenscheu, der Reppenberger mochte das einen albernen Bauernaberglauben schelten und darüber spötteln wie er wollte. Vor der Thüre des Kastenverwalters stand Diethelm mit Reppenberger wie angewurzelt; er lachte zwar, wenn Reppenberger das »Haus Diethelm« aufforderte, zu verfahren wie ihm zukam, aber innerlich bebte ihm das Herz; endlich mußte doch ein Entschluß gefaßt werden, und weil denn einmal das Unvermeidliche zu vollziehen war, entlehnte Diethelm gleich noch ein zweites Tausend. Dennoch erhielt er nur mit großer Mühe sechshundert Gulden baar, das Uebrige mußte er in fremden Staatspapieren zu hohen Tagespreisen annehmen. Noch nie zitterte die [42] Hand Diethelms so sehr, als da er den Wechsel unterschrieb. Auf der Straße war's ihm, als sähe es ihm Jedermann an, daß er sich dazu verpflichtet hatte, nach drei Monaten in schmähliche Gefangenschaft zu gehen; aber die Leute waren so ehrerbietig wie je, im Stern fand man es nicht im Entfernteren verwunderlich, daß Diethelm auf die Minute sein Wort hielt; und als dieser dem Wirthe die Staatspapiere aufzubewahren gab, kam ein neuer Stolz über ihn: »Tausende handeln ja nur mit Credit, warum soll ich es nicht auch? Ich kann auch mit einem Federstrich Summen hin- und herschieben.«

Die Furcht vor einer Wechselschuld erschien ihm jetzt in der That nur als ein Aberglaube, und der Wein erfrischte ihm das Herz wie noch nie. Auf die Bitten der Wirthsleute und der Fränz versprach er, über Nacht zu bleiben und den Honoratioren-Ball zu besuchen. »Das Haus Diethelm bleibt,« sagte er halb selbstspöttisch; es wußte Niemand, was er damit meinte. Er ging nun hinaus vor das Thor, um seinen Schäfern Bescheid zu sagen und der Mutter Nachricht zu geben.

So traf Diethelm die beiden Brüder mitten im Gespräch über ihn; er war voll guter Laune, als ihm Medard das Geld für die verkauften siebzig Paar Hammel übergab, händigte ihm ein namhaftes Trinkgeld ein und befahl ihm ein Fuhrwerk zu nehmen und rasch nach Buchenberg zu fahren, dort der Meisterin Bescheid zu bringen und Alles herzurichten zur Aufnahme der neuen Waaren und Schafe. Bald fuhr Medard mit seinem Bruder in die linde Nacht hinein, Buchenberg zu.

[43]

6. Kapitel

Sechstes Kapitel.

Diethelm wollte nun sogleich von dem Kastenverwalter den Wechsel auslösen, aber er überlegte, daß er dann ohne baar Geld sei und noch nie hatte er solche Freude an diesem gehabt wie heute.

Das Marktgewühl verlief sich allmälig: die großen Leiterwagen, mit lustigen Bauern und Bäuerinnen voll besetzt, konnten, schon in ungehemmtem Schritte durch die Straßen heimwärts fahren, in den Krämerbuden wurde bereits eingepackt und gehämmert und die Pferde der Uebernachtenden wurden zur Abendtränke an den Marktbrunnen geführt. Es war Diethelm, der in Gedanken verloren Allem zuschaute, als bliebe er zum Erstenmale in seinem Leben in einem fremden Orte über Nacht und als sei er fern in der weiten Welt und diese Stadt ihm nicht wohlbekannt und heimisch. Er wartete noch bis auch seine Rappen zur Tränke geführt wurden, dann ging er abermals nach dem Kaufhause, um die Beförderung der eingekauften Vorräthe nach seinem Heimathsort anzuordnen. Als begänne das eben am Himmel aufflammende Abendroth zu tönen, so war's als jetzt die Stadtzinkenisten den feierlichen Abendchoral vom Thurme erschallen ließen. Diethelm achtete nicht lange darauf und die Oedigkeit und Kühle, die jetzt in dem vor Stunden so menschenvollen Kaufhause herrschte,[44] machte ihn eine Weile frösteln; aber er ließ es dennoch nicht an Umsicht fehlen und der Reppenberger versah sein Aufseheramt meisterlich. Fünf große Wagen fuhren nach Buchenberg, als Diethelm wieder in den Stern zu seiner Fränz zurückkehrte, und zu neuem Aufsehen eine weitere Summe zum Aufbewahren übergab. Das Innere des Hauses hatte in wenigen Stunden ein ganz anderes Ansehen gewonnen und in der Stube lachte ein Mädchen Diethelm aus, weil er es lange anstarrte und nicht erkennen wollte: es war Fränz, die in dem weißen Kleide der Wirthstochter mit veränderter Haartracht in der That ganz unkenntlich war. Diethelm schalt offen über diese Vermummung, denn theils regte sich der Bauernstolz in ihm, theils fühlte er auch wohl, wie ungemäß diese Erscheinungsart für die Fränz war. Der Wirth suchte ihn zu beschwichtigen, aber eine Stimme aus der Ecke rief:

»Der Herr Diethelm hat ganz Recht: die gewohnte Tracht ziert den Bauersmann am besten, und ist auch die nützlichste, weil sie nicht aus der Mode kommt.«

Zu seinem Schreck erkannte Diethelm den Kastenverwalter und doch that er rasch freundlich zu ihm und rühmte sich beim Glase sehr viel, wie stolz er darauf halte, ein schlichter, echter Bauersmann zu sein.

»Dreieckiger Hut, dreifache Versicherung, hat ehemals bei uns gegolten,« sagte ein hagerer Stammgast mit langer Pfeife, der neben dem Kastenverwalter saß und sich als Kaufmann Gäbler aus der Stadt zu erkennen gab. Und wo Drei im Vaterlande heutigen Tages beisammen sitzen, sprechen sie über die fortschreitende [45] Noth und Verarmung des mittleren Bürger- und Bauernstandes. So auch hier.

Leicht aber nehmen solche Gespräche eine selbstische Wendung, die mehr oder minder ausdrücklich darauf hinausläuft, sich am eigenen Wohlgefühl zu erquicken. Diethelm verstand es dabei meisterlich, eine bescheidene Großthuerei an den Tag zu legen; und als der Kastenverwalter die sichern Hypotheken lobte, gab Diethelm zu verstehen, daß er deren auch manche habe, daß er sie aber für den Handel nicht angreife. »Das wäre ja,« sagte er, »wie wenn man einen Balken aus dem Hause nähme, um damit Feuer auf dem Herd zu machen.« Der Kastenverwalter fand das klug und lobte das Haus Diethelm, und dieser fand ein eigenes Wohlgefühl darin, mit Prahlereien um sich zu werfen und sie dünkten ihn bald nichts als reine Wahrheit; denn es ist ja gleich, was man besitzen mag, wenn nur die Menschen daran glauben: der Glaube macht selig und der Glaube macht reich. Endlich rückte der Kaufmann Gäbler mit seinem eigentlichen Vorsatze heraus, er war Agent einer Brandversicherungs-Gesell schaft, und Diethelm sollte die eingekaufte Waare und all seinem Hausrath versichern. Mit überlautem Widerspruch verneinte Diethelm diese Zumuthung und hatte dafür allerlei unhaltbare Gründe vorzubringen, die der Kastenverwalter mit Siegesstolz widerlegte, wobei er mit besonderem Nachdruck wiederholte: daß nicht der Bauer Diethelm, sondern das Handlungshaus Diethelm versichern müsse. Als endlich auch der Sternenwirth beistimmte, gab Diethelm nach, aber unweigerlich beharrte er gegen den neuen Vorschlag:[46] auch sein Leben zu versichern; ja es wäre vielleicht darob zu einem heftigen Streite mit dem Kastenverwalter gekommen, wenn nicht plötzlich ein Zwischenfall eingetreten wäre, der Diethelm im hellsten Glanze strahlen machte. Ein junger Mann trat ein und fragte nach Diethelm; dieser ging auf ihn zu und begrüßte ihn mit hoher Freude und zwang ihn mit an den Herrentisch zu sitzen. Nach vielem Widerstreben willfahrte der junge Mann, der ein Zeugweber aus der Stadt war, und so viel auch Diethelm abwehrte, bald sprach Alles am Tisch nur Lob und Preis über ihn, denn der junge Handwerker, Kübler mit Namen, war Bräutigam mit der Bruderstochter Diethelms aus Letzweiler, und Diethelm allein war es, der das Mädchen ausstattete, so daß zu Neujahr die Hochzeit sein sollte. Diethelm nickte bejahend als der Kaufmann Gäbler sagte: »Wenn der Vetter Diethelm für Euch gut sagt, Kübler, könnt' Ihr bei mir holen, was Ihr wollt.« Immer auf's Neue erhob sich das Lob Diethelms, der mit fürstlicher Freigebigkeit seinen Verwandten aufhelfe und der Sternenwirth nannte ihn sogar einen Napoleon. Anfangs war Diethelm dieser Ruhm im Beisein seines Gläubigers peinlich gewesen; als aber auch der Kastenverwalter einstimmte, war es ihm, als wachse er immer. Und als endlich der Beginn des Honoratioren-Balls in der Post angekündigt war, trat Diethelm so breit in den Saal, daß die beiden Flügelthüren nicht vergebens aufgemacht waren.

Diethelm fühlte sich bei all seinem Stolz doch bald nicht recht wohl bei dieser Lustbarkeit. So genehm [47] es ihm auch war, mit Beamten an Einem Tisch zu sitzen, er machte sich doch bald zu dem alten Sternenwirth, der daheim in der untern Stube geblieben war, und hier ging ihm eine neue Hoffnung auf. Der Sternenwirth sagte offen, daß er und Diethelm keine Unterhändler brauchten und erklärte geradezu, daß sein Wilhelm und die Fränz wohl für einander paßten; er verbreitete sich sehr über die wirthliche Tüchtigkeit eines klugen Bauernmädchens und wie wohl angelegt hier eine reiche Mitgift sei. Diethelm gab nur abgebrochene Antworten und hielt dabei immer der Art inne, daß der Sternenwirth etwas einschieben mußte. Immer wohlgemuther und zutraulicher wurden die beiden Genossen, denn der Sternenwirth bewährte heute an sich seine alte wirthliche Ermahnung: »Der Wein hängt an einander.« Mit diesem Worte brachte er immer wieder volle Flaschen auf den Tisch.

Spät in der Nacht, als die Gäste sich bereits entfernt hatten, saßen Diethelm und Fränz noch bei den Wirthsleuten, und es war ihnen Allen so vertraut zu Muthe, daß man sich gar nicht trennen mochte; und doch sprach man nichts von der neuen Familieneinigung, aber diese schien Allen in der Seele zu leben.

Um dieselbe Zeit saß in Buchenberg noch die Frau Diethelms harrend bei der einsamen Lampe. Es war eine Frau von großer hagerer Gestalt und feinem, fast vogelartigem Gesichte, sie war ersichtlich älter als Diethelm; und wie sie jetzt tief Athem holend vom Spinnen aufschaute und in die Lampe hinein starrte, sah man, daß ein schwerer Kummer sich in diesem[48] Antlitze heimisch angesiedelt hatte. Sie hatte heute alle heimkehrenden Marktgänger nach ihrem Mann ausgefragt: die Einen gaben nur halben Bescheid, die Anderen verkündeten Dinge die unglaublich waren. Freilich hielt Diethelm streng darauf, daß sie keine volle Einsicht in seine Handelschaft hatte, so viel aber wußte sie doch, daß er jetzt baar Geld brauchte, er konnte also unmöglich eingekauft haben. Mit den heimkehrenden Marktgängern, ihren mitgebrachten Lederspangen, Gewandstoffen, Kinderpfeifen und Kindertrompeten, mit der Musterung der eingekauften Pferde und Kühe, vor Allem aber mit der lärmenden Laune der Angetrunkenen war etwas von dem geräuschvollen Marktgewühl in das stille Dorf gedrungen und die Heimgebliebenen sahen dem verwunderlich zu; vor Allen aber betrachtete die Grobbäuerin – wie Martha Diethelm noch immer nach ihrem ersten Manne genannt wurde – das Alles, als wäre es etwas Unerhörtes. Da zeigten die Einen die neuen Schuhe und Stiefel, die sie in der Hand trugen und ließen um den Preis rathen, oder sie übergaben den Kindern die für sie eingekauften, die damit davon rannten; Andere ließen ihre neuen Hüte mustern, die sie auf dem Kopfe trugen, während sie die alten in der Hand hielten, und mancher Spaßvogel stülpte den neuen Hut über den alten auf den Kopf. Der Schmied hatte seinen Weißdornstock quer über den Rücken gelegt und die Arme als Haken darüber geschlungen, Martha wußte nicht, war es die Weinlaune oder Ernst als er ihr käme zehnmal so reich wieder heim. Als es wieder still [49] im Dorfe wurde, in den Häusern die Lichter erflammten und ein jedes im Kreise der Seinen erzählte, was ihm am heutigen wichtigen Tage begegnet war, saß Martha noch immer im Dunkeln in ihrer Stube; ihr war so bang, sie war wie festgezaubert, daß sie der Magd nicht nach Licht rufen konnte; und als diese endlich von selbst damit kam, heiterte sie sich wieder auf: es war ja nichts geschehen, worüber sie zu bangen ein Recht hatte, und sie ließ sich gern von der Magd berichten, welche neue Kleider u.dgl. in das Dorf gekommen waren. Als endlich Schlafenszeit und noch immer kein Diethelm und keine ausdrückliche Nachricht von ihm kommen wollte, schickte sie die Magd zu Bett und setzte sich an ihren Spinnrocken, um sich wach zu halten. Die Wanduhr schlug neun, die an Ketten hängenden Gewichte rasselten nieder und pochten an den Uhrenkasten. Martha erhob sich und zog die Uhr auf, sie erinnerte sich, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, als Diethelm noch »hauslich« war, er jeden Abend selbst zur bestimmten Stunde die Uhr aufgezogen; sie betrachtete das Zifferblatt: da stand mit großer Schrift ihr Name und der Diethelms, so wie die Jahreszahl ihrer Hochzeit in einem Blumenkranze. Damals als die Uhr zum Erstenmal hier hing, war große Freude, und wie viel schwere Stunden hat sie seitdem geschlagen und wie ist sie selbst ein Erinnerungszeichen des Zerfalls geworden, denn diese einfache Uhr kostete dreitausend Gulden; Diethelm hatte für seinen Schwager, der sich mit dem Uhrenhandel beschäftigte, um diese Summe Bürgschaft geleistet, der Schwager war in der [50] Fremde geblieben, und man konnte noch von Glück sagen, daß er seine Familie nachkommen ließ, nachdem man sie mehrere Jahre ernähren mußte.

Ach! An Alles knüpften sich traurige Erinnerungen.

Es war still ringsum, denn das Haus Diethelms lag weitab vom Dorf auf einer Anhöhe. Martha öffnete das Fenster, horchte hinab und schaute hinein in die sternglitzernde Nacht, dann setzte sie sich wieder zur wachhaltenden Arbeit und ihr ganzes Leben zog an ihrem Sinnen vorüber. Jung verheirathet an einen grämlichen, bis zum Hungerleiden geizigen Mann, der nicht umsonst der Grobbauer hieß, hatte sie ein schweres Loos; sie gebar drei Kinder, von denen sie zwei begrub und nur das älteste, eine Tochter, war ihr geblieben als auch ihr Mann starb. Sie verfeindete sich mit ihrer ganzen Familie, besonders aber mit ihrem Bruder, dem Schäuflerdavid, als sie ihren überaus schmucken Knecht, den Diethelm heirathete. Die Leute sagten, der Diethelm habe um die Tochter Martha's gefreit, die Mutter aber habe ihn für sich behalten. Bald nachdem die Tochter auf den Kohlenhof, zwei Stunden von Buchenberg, verheiratet war, feierte Martha ihre Hochzeit mit Diethelm. Dieser, obgleich zwölf Jahr jünger, schien überaus glücklich mit seiner rüstigen wohlhäbigen Frau, er ehrte und erfreute sie, wo er es nur immer vermochte und schien sich noch immer fast als Knecht zu betrachten, denn er verfügte über Nichts in Haus und Feld, ohne vorher die Frau darum zu befragen.

Buchenberg gehört noch zu jenen Dörfern, wo Alles mit einander verwandt ist, weil die großen Bauern nur [51] unter sich heirathen. Um so glücklicher durfte sich Diethelm schätzen, vom fremden Knechte zum reich angesessenen Hofbauern erhoben zu sein. Er schien das auch zu erkennen. Bald aber erhielt Martha die Kunde, wie er hinter ihrem Rücken über Großes verfügte und namhafte Summen seinen Verwandten schenkte. In seltsamer und doch so häufig vorkommender Verkehrtheit ging sie Tage ja Wochen lang mit tiefem, immer sich steigerndem Zorn in der Seele umher, und unversehens, bei den geringsten Anlässen, brach sie in Verwünschungen, in Schelten und Weinen aus, daß Alles zu Grunde gerichtet werde. Die Erwartung, daß Diethelm endlich selber seine geheime Schuld bekennen würde, konnte immer schwerer in Erfüllung gehen, denn Diethelm sah nun auf Einmal in seiner Frau ein verändertes zänkisches Wesen, sah sich für sein ganzes Leben an's Unglück geschmiedet und freute sich im Stillen doppelt, daß er in der Aufhülfe seiner Familie doch noch eine Freude habe, während ihm sonst nur Leid bevorstand. Er wußte doch jetzt, wofür er das zu erdulden habe. Dem allzeit keifenden Wesen seiner Frau setzte er unverbrüchliches Stillschweigen gegenüber; und als er dies endlich brach, da die Frau ihn im Beisein des Metzgers über den eigenmächtigen Verkauf eines Kälbchens hart anließ, erfuhr er endlich die lange verhaltene Ursache vom Zorn seiner Frau. Jetzt aber war der gerechte Grund ihres Unwillens längst in ihm vernichtet und abgebüßt, und mit schneidendem Spott erklärte er seiner Frau, daß er nicht, wie sie, kein Herz für die ihm angehörige Familie habe.

So verkehrt es auch war, daß Diethelm seiner Frau[52] ein Verhältniß zum Vorwurf machte, das doch nur um seinetwillen eingetreten war, so wirkte dies doch so erbitternd auf Martha, daß sie, ohne ein Wort zu sagen, mit hervorgequollenen Augen, mit knirschenden Zähnen und zitternd gekrallten Fingern auf Diethelm eindrang, als wollte sie ihn in Stücke zerreißen. Diethelm stand starr und regungslos bei diesem Anblicke. So hatte er sich nie gedacht, daß seine Frau werden könne. Als sie nun ihm ganz nahe war, verzerrten sich ihre Mienen zur grimmigsten Fratze; aber sie legte nicht Hand an ihn, sondern stieß nur einen unartikulirten Schrei höchster Verachtung aus und verließ die Stube.

Von jenem Tage an und gerade aus dem Ausbruch von so mächtigen Zorn- und Haßgedanken war eine seltsame und doch wieder so leicht erklärliche Einkehr in den Gemüthern der beiden Ehegatten vorgegangen. Diethelm erkannte und sprach es aus, daß er seiner Frau Unrecht gethan, da sie vollberechtigt sei, in der Verwendung ihres Besitzthumes darein zu reden. Er erklärte ihr nun die Hilflosigkeit seiner An gehörigen, und wie er sich schämen müßte, selber im Ueberflusse zu leben, während seine Nächsten darbten. Auch Martha erkannte dies und daß sie ungerecht gegen ihren Mann gewesen, aber ausdrücklich bekennen konnte sie das nicht, obgleich sie oftmals auf Diethelms Gutherzigkeit zu sprechen kam und dabei das zum Verzweifeln karge Wesen ihres verstorbenen Mannes erwähnte. Sie schickte nun selbst, so oft sich Gelegenheit gab, Allerlei nach Letzweiler, und Diethelm, nun vollkommen gedeckt, wollte allen seinen Angehörigen gründlich aufhelfen. Ein wirklich [53] ungewöhnlich mächtiger Familiensinn, dabei aber auch die Lust, frei und offen über ein großes Besitzthum zu verfügen und vor Allem die Ehre und der Ruhm, der ihm dadurch ward, ließen ihn fast keine Grenzen mehr kennen.

Das Haus des Grobbauern, das ehedem von den Bettlern gemieden war, zeigte sich seit Diethelms Zeiten als die reichste Quelle der Wohlthaten, und es wurde viel gerühmt, daß Martha nie einem Armen eine abgerahmte Milch gab.

Eine Eigenschaft zeigte sich bei Diethelm in Allem: es war eine unersättliche Ehrbegierde; er hätte lieber das tiefste häusliche Elend ertragen, ehe er davon etwas in der Welt verlauten und so seine Ehre blosstellen ließ. Als nun nach fünf Jahren kinderloser Ehe die kleine Fränz geboren wurde, war er vollste ten Jubels und an dem Kinde schien immerwährend sein ganzes Leben zu hängen. Aus dem Gespräche der beiden Schäfer ist uns noch erinnerlich, welch' eine seltsame Lebenswendung Diethelm einschlug und wie bald keine Spur mehr davon übrig war, daß er einst das Besitzthum seiner Frau wie ein Dienstbote betrachtet hatte. Er schien fortan keine Ruhe mehr in seinem Hause und in seinem ganzen Leben zu haben; es kam hierüber zu heftigen Erörterungen, und Diethelm behauptete ein für allemal, er habe es versäumt, seine jungen Jahre zu genießen und müsse das jetzt nachholen. Von jener Zeit an sah Martha, welch' ein Leben ihr geworden war, sie ließ Alles ohne Widerrede geschehen, den Güterverkauf, den Fruchthandel, die Schafhalterei; sie [54] hatte einen Mann, der sie des Reichthums wegen geheirathet und der nun, dessen gewohnt, ihrer kaum mehr achtete und seine Freude außer dem Hause suchte. Das war aber nicht immer der Fall, denn Diethelm hatte Zeiten, da er voll Ehrerbietung gegen seine Frau war und sie scherzweise Meisterin nannte, und die Frau hatte bei all' ihrem vergrämten Wesen doch oft Mitleiden mit dem Mann, der vielleicht mit einer jungen minder begüterten Frau glücklicher geworden wäre. So lebten diese Leute schon zwei und zwanzig Jahre in der Ehe und hatten noch ihre Einigung nicht gefunden, und doch strebte eigentlich im Innersten ein Jedes dem Andern zu Gefallen zu leben und war auch viel Streit und Zank zwischen ihnen: war das Eine vom Andern entfernt, gedachten sie mit inniger Sehnsucht einander und die Frau besonders war dann bestrebt, gegen Jedermann ihren Diethelm zu preisen. An Fränz, wenn sie zu Haus war und nicht nach ihrer Gewohnheit den Vater überall geleitete, hatte sie keine Stütze; denn das Mädchen hatte das hoffärtige Wesen ihres Vaters geerbt: Großthun, die Welt in Neid von sich reden machen, war ihr ewiges Dichten und Trachten, und sie schalt wie Diethelm die Grämlichkeit und das Schwarzsehen der Mutter eine Alterskrankheit, die sie höchstens bemitleidete.

Martha saß jetzt allein, rückwärts schauend in die Vergangenheit und vorwärts nach ihrer einzigen Sehnsucht: dem Tod. Da hörte sie einen Wagen die Straße daherfahren, eine Männerstimme rufen, und mit der Freude eines Mädchens, das den Bräutigam erwartet, rief sie zum Fenster hinaus in die Nacht: willkommen [55] Diethelm! Es antwortete Niemand, sie steckte schnell die Ampel in die Laterne, eilte hinab und als sie die Ankommenden sah, schrie sie jammernd laut auf.

»Was habt Ihr, Meisterin?« fragte der Schäfer, dem sein Bruder vorausgegangen war.

»Was will der Landjäger?« fragte die Frau.

»Das ist kein Landjäger, das ist ja mein Munde,« antwortete der Schäfer, und Munde faßte die Hand der Frau, die zitternd und kalt war.

Als Medard in der Stube die Vorgänge in der Stadt erzählte, preßte die Frau die Lippen und ihre vogelartige Nase wurde kreideweiß; sie sprach kein Wort und schüttelte nur mehrmals mit dem Kopf. Als sie endlich in ihrer Kammer allein war, warf sie sich auf die Kissen und weinte hinein und schrie die Worte: »Ausborger! Vergantet! Letzweiler Lump.« Dann richtete sie sich wieder schnell auf, riß die Kissen vom Bett und schrie wie rasend: »Das Alles wird versteigert, Alles. Auf's Stroh, aufs Stroh bringst du mich.« Sie warf sich auf das Stroh und weinte lange, bis sie endlich einschlief.

[56]

7. Kapitel

Siebentes Kapitel.

Von Trompeten- und Posaunenschall erweckt schlug Diethelm am Morgen die Augen auf; es schien ihm fast, als ob es die Stadtzinkenisten gerade auf ihn abgesehen hätten und ihm war jetzt so schwer, als ob die ganze Last des Erkauften leibhaftig auf ihm läge: er überschaute jetzt nochmals die Zahlen in seiner rothen Schreibtafel und erkannte, daß er mehr eingethan als in's Maß will. Jetzt galt es aber muthig einzustehen. Fränz war sehr mißlaunisch, sie hatte sich in den vornehmen Kleidern doch ausnehmend gefallen und kam sich wie erniedrigt vor in der gewohnten Tracht. Sie mußte nun den Vater zu dem Kaufmann Gäbler begleiten, wo man feines blaues Tuch zu einem Mantel für die Mutter einkaufte, und von den Zureden Gäblers unterstützt, ließ sie nicht ab, bis auch für sie mehrere städtische Kleider eingekauft wurden. Gäbler war überaus freundlich und sagte, Diethelm habe mit Recht den Ruhm, daß gut mit ihm handeln sei und er etwas an sich verdienen lasse. Als Diethelm die Waare bezahlen wollte, lehnte Gäbler dies mit dem höflichen Beisatz ab, solche Kunden müsse man festhalten, denen stelle man Jahresrechnung und Diethelm lächelte in sich hinein; so klein auch diese Summe war, es zeigte sich doch wieder, wie die ganze Welt ihm ihr Besitzthum [57] aufdrang und Vertrauen in ihn hatte. Warum sollte er das selbst nicht haben?

Gäbler rief Diethelm noch auf der Straße nach, daß er in den nächsten Tagen mit dem Brandschatzungs-Commissär nach Buchenberg käme, um Alles aufzunehmen und zu versichern und er hoffe, daß das Beispiel ihm mehr Kunden im Oberlande verschaffen solle. Diethelm hatte das eingekaufte Manteltuch im Arm, jetzt ließ er es plötzlich fallen und als er sich darnach bückte, stürzte er nach der ganzen Körperlänge auf den Boden. Fränz und der herzugeeilte Gäbler hoben ihn rasch auf und Diethelm behauptete mit schmerzverbissenem Antlitze, daß er über einen Pflasterstein gestrauchelt sei.

Der Abschied von den Wirthsleuten im Stern hatte etwas erzwungen Heiteres, der Sternenwirth sagte noch bei der letzten Handreichung: »Es bleibt also wie wir abgeredet.« Diethelm nickte bejahend. Mit einem besondern Behagen legte er dann das Manteltuch in die Kutschentruhe, er konnte seiner Frau damit doch beweisen, wie er ihrer gedacht; und erst, als er schon fuhrfertig oben saß, kam Fränz mit hochglühenden Wangen und verweinten Augen. Die beiden Wegfahrenden sprachen kein Wort mit einander, und Diethelm schaute immer rechts und links nach den Häusern; sein Blick haftete besonders auf jenem Täfelchen, darauf im schwarzen Felde zwei rothe Hände in einander verschlungen waren.

Erst vor der Stadt nahm Diethelm die Peitsche auf und schlug fluchend und im heftigsten Zorn auf die beiden Rappen, daß sie im wilden Trab dahin rannten. Es war ein schöner heller Augustmorgen, die Leute [58] am Wege arbeiteten als wäre nicht gestern Markttag gewesen und mancher schwere Garbenwagen, der langsam des Weges daherkam, hatte kaum Zeit dem pfeilschnellen Gefährte auszuweichen, und Mancher im Felde drohte mit dem Garbenknebel, mancher Bauer fluchte mit geballter Faust hinter Diethelm drein, denn er war beim raschen Ausweichen in einen aufgeschichteten Steinhaufen am Wege oder gar in den Weggraben gefahren und konnte nun lange nicht mehr vom Fleck, während Diethelm rasch aus den Augen verschwand. An der ersten Anhöhe begegnete Diethelm einem leeren Wagen; er hielt an, und erfuhr auf die Frage: woher? daß dieß der Knecht des Steinbauern war, der ihm Wolle zugeführt hatte.

»Hast ein Trinkgeld bekommen?« fragte Diethelm.

»Wüßt' nicht von wem. Die Frau hat sich gar nicht sehen lassen, ein Schäfer und ein Soldat haben die Ballen abgenommen.«

In einem Gemisch von Demuth und Stolz sagte Diethelm, in die Tasche greifend: »Ich bin der Diethelm, bin selber Knecht gewesen und weiß, was ein Trinkgeld ist. Mein' Frau ist krank. Säh« (da) und er warf buchstäblich das Geld auf die Straße und fuhr davon.

Diethelm schimpfte gegen Fränz über die Mutter, die ihn gewiß wieder »mit ihrem Gruchzen in der ganzen Welt verbrüllt habe,« und Fränz hatte darauf nichts zu erwidern, als daß das Verbleiben in der Stadt ja so schön gewesen sei. Trotz der Erwähnung dieses Säumnisses dachte Keines von Beiden daran, wie es Pflicht gewesen wäre, alsbald selbst heim zu eilen [59] und die Uebernahme und Einräumung selbst anzuordnen, statt sie der Mutter über den Hals zu schicken. Fränz und Diethelm waren wie zwei Menschen, die, ohne es sich offen zu gestehen, daß sie ein Unrecht begangen und doch dessen bewußt, gegen den losfahren, dessen Leiden ihnen den Spiegel ihres Thuns vorhält. Diethelm schwur, daß er nun der Mutter das Manteltuch gar nicht gebe, sie habe es nicht verdient, und nur hierin beschwichtigte Fränz und deutete auf die Kränklichkeit und daraus folgendes grämliches Wesen der Mutter hin. Nun waren sie wieder Beide wohlgemuth, denn sie konnten jeden kommenden Vorwurf mit mitleidigem Achselzucken von sich weisen.

Am Waldrande in der Mitte des Weges erhob sich eine Staubwolke und als die Fahrenden näher kamen, zeigte sich eine große Heerde Schafe. Der Schäfer kannte Diethelm und sagte, daß er am Abend in Buchenberg sein werde und lobte überaus die eingekaufte Heerde. Diethelm empfahl ihm ruhigen Trieb zu halten und warf auch ihm ein Geldstück zu.

»Das ist Alles unser,« sagte Diethelm dann mit triumphirender Miene zu Fränz, und mit Stolz wies er weiter hinaus, wo wieder eine Heerde in einer Staubwolke sich zeigte, und es war ihm, als ob nirgends Raum genug wäre und auf allen Wegen sich sein Reichthum ausbreitete, mit dem er Hohes, Unübersehbares erobern wollte. Mit Behagen erzählte er zum Hundertstenmale der Fränz, wie er vor dreißig Jahren mit dem Stab in der Hand und neun Kreuzer in der Tasche nach Buchenberg gekommen sei und wie er jetzt [60] auftrete, und noch höher hinaus müsse. »Und Alles nur für dich und für die Meinigen in Letzweiler,« schloß er und redete nun Fränz in's Gewissen, daß sie den Schäfer Munde, der jetzt daheim gewiß auf sie warte, ein- für allemal aufgeben müsse. Fränz erklärte sich hiezu bereitwillig, sie spottete über die Liebschaft mit Munde als über ein Kinderspiel, nannte ihn ein an Pfennigwirthschaft gewöhntes Schäferle und sagte geradezu, daß sie nur noch in reichen Verhältnissen leben und sich nicht abplagen möge, wie eine Viehmagd.

An der sogenannten kalten Herberge auf der Anhöhe standen noch drei beladene Wollwagen. Diethelm stieg ab und hörte, daß diese Fuhren für ihn seien; er ließ nun den Fuhrleuten auftischen nach Herzenslust, beschenkte die Armen und Wanderburschen, die sich wie gerufen eingestellt hatten und geberdete sich überhaupt, als ob er einen großen Schatz gefunden und Geld für ihn gar keinen Werth habe. Er freute sich des dankenden Lobes von den Fuhrleuten und horchte aus dem Verschlage hinaus nach der großen Stube, denn er wußte wohl, daß die Leute dort den Ruf im Lande machen. Es war aber nicht allein dieser Ruhm, der ihn erfreute: er hatte seine Lust an der Freigebigkeit selbst; dieses Aufleben der Beschenkten durch die Gabe, dieses Erleuchten des Antlitzes gleich dem glänzenden Aufsprossen einer Pflanze nach erfrischendem Regen, das that ihm im Innersten wohl.

Sinnliche Naturen, das heißt solche, die mit mächtigen Trieben ausgestattet sind, neigen auch leicht zu Freigebigkeit und Wohlthätigkeit: das Mitgefühl ist rasch [61] erregbar und jener dunkle Zusammenhang mit der Außenwelt offenbart sich in Leid und Lust. Was man die Gutherzigkeit nennt und mit Recht hoch hält, wird durch solchen Ursprung nicht aufgelöst, die Sonne freier Erkenntniß färbt die Frucht, der aus dunklem Grunde der Saft zuströmt.

Diethelm empfand eine wahre Glückseligkeit in der Anschauung und in dem Gedanken, wie Viele er labte und erquickte.

Der Wein mundete vortrefflich, und da einmal aus Versehen ausgespannt war und die Frau zu Hause gewiß kein Essen bereitet hatte, ließ es sich Diethelm, trotzdem es noch so früh am Tag war, trefflich schmecken; zankte nun die Frau daheim, so hatte er doch vorgesorgt und der Wein gab Muth zu Allem. Der Wirth äußerte in redseliger Weise seine Freude über die Einkehr Diethelms und erzählte, wie es ihn schon lang verdrossen habe, daß er immer ohne anzukehren vorübergefahren sei. »Freilich,« setzte er hinzu, »früher hat das Haus kein Ansehen gehabt, aber jetzt, seit ich neu gebaut habe, besuchen mich die Herrschaften aus der Stadt.«

»Hast deswegen neugebaut?«

»Nein, ich hab' müssen, ich bin ja abgebrannt.«

»So?« sagte Diethelm und stürzte ein volles Glas hinab. »Bist versichert gewesen?«

»Darüber könnt' ich nicht klagen, der Kaufmann Gäbler auf dem Markt hat mir den Schemel unterm Tisch vergütet.«

Diethelm schwieg während der weitläufigen Erzählung [62] von dem Brand und dem Neubau. Er hörte mißtrauisch die ganze Darlegung von der Anklage auf Brandstiftung und der vollkommenen Freisprechung von derselben, und so heiter er in das Wirthshaus eingetreten war, ebenso mißmuthig verließ er dasselbe: der Mann und alle seine Habe, alle die Tische, Stühle, Thüren erschienen ihm so verbrecherisch, das ganze Haus so unheimlich, als spräche aus jedem Stein und Balken das Verbrechen, das es gegründet haben sollte.

Als flöhe er vor einer verzauberten Behausung, die ihn festbannen wolle, machte sich Diethelm davon und die Leute schauten ihm verwundert nach, als er in gestrecktem Galopp über die Hochebene davon jagte.

Als es wieder bergab ging, hemmte Diethelm kein Rad und die Rappen stemmten sich rechts und links und Diethelm fuhr immer hin und her, um dadurch eine Schlängelung des Wagens zu gewinnen; da krachte es plötzlich, der Sattelgaul stürzte und riß Diethelm mit sich vom Wagen herab, daß Fränz laut aufschrie. Herbeieilende Wegknechte halfen bald wieder auf, Diethelm hatte sich nicht beschädigt, nur hinkte er am linken Fuß. Die zerbrochene Deichsel wurde zusammengebunden, und die wild gewordenen Pferde an der Hand führend, ging Diethelm mit der Fränz neben ihnen her. Eine gute Strecke gingen sie lautlos dahin, jetzt hielt Diethelm an, nahm seufzend den Hut ab, seine Haare schienen in der That seit zwei Tagen sehr gebleicht zu haben und an das staubbedeckte Pferd gelehnt, sagte er mit zitternder Stimme: »Fränz, ich thät sterben, ich thät mir selber den Tod an, wenn ich auf meine alten [63] Tage in Noth käm'; wenn ich laufen müßt' und nicht mehr fahren könnt'. Guck, ich mein', ich geh knietief im Boden, so schwer wird mir's. Wenn ich so weit 'runterkäme – nein, es darf nicht sein. Ich bin nicht allein, ein ganzes Dorf stürzt mit mir. Wenn ich Niemand mehr was schenken könnt' – lieber möcht' ich gestorben sein.«

Fränz tröstete so gut sie konnte und nannte diese Schwermuth nur eine Folge des Schreckens. In Unterthailfingen, kaum noch eine Stunde von Buchenberg, war Diethelm eigentlich schon zu Hause, denn hier hatte er einen Weidgang für vierhundert Schafe gepachtet. An der Schmiede wurde nun die zerbrochene Deichsel wieder festgenietet und der Wein im Wirthshaus festigte fast ebenso das geknickte Gemüth Diethelms, ja er fühlte sich so frisch gestimmt, als ginge es zu einer besondern Festlichkeit und in seltsamer Laune schickte er nach dem Bader und ließ sich von ihm mitten in der Woche die Bartstoppeln abnehmen.

[64]

8. Kapitel

Achtes Kapitel.

Mit aufsehen erregendem Wagengerassel fuhr Diethelm in Buchenberg ein; aber es schaute Niemand nach ihm, denn eben läutete die große Glocke, die sogenannte alte Kathrin', die nur bei Sterbefällen und in Feuersgefahr allein angezogen wurde. Diethelm fühlte, wie dieser Klang ihm den Athem stellte. Wär's möglich, daß seine Frau sich ein Leid angethan? Er mußte die Leute auf der Straße für die arme Seele beten lassen und konnte nicht fragen.

»Wer ist gestorben?« fragte er beim Wirthshause zum Waldhorn anhaltend und erhielt zur Antwort, daß man dem alten Küfermichel zum Verscheiden läute. Diethelm knallte mit der Peitsche. Es war nicht der Mühe werth, um den alten Mann so viel Aufhebens zu machen.

Heitern Sinnes fuhr er das Dorf hinaus nach seinem Gehöfte. Im hellen Mittagsglanze lagen Haus und Scheuer und Ställe stattlich da. Das Haus, mit der Giebelseite nach der Straße gekehrt, von den Grundmauern bis zum Dach um und um mit graugewordenen Schindeln vertäfelt, die als Wetterpanzer dienten, öffnete jetzt so zu sagen seinen Mund und erhielt große Brocken; denn in dem Vorbaue am Dache standen zwei Männer und zogen an der Radwinde die Wollballen herein, die von unten [65] hinaufgeschrotet wurden. Aus dem Schornstein stieg kein mittäglicher Rauch auf, und es war nun doppelt gut, daß in der kalten Herberge vorgesorgt war. Während er den kleinen Hügel hinanfuhr, überlegte Diethelm, wie er dem keifenden Wesen der Frau begegnen solle und es blieb schließlich dabei, daß er zu Allem lächeln und geheimnißvoll thun müsse, als ob er einen großen Gewinn in der Tasche und einen noch größern in Aussicht habe. Als er anhielt und abstieg, ließ sich Niemand sehen. Diethelm führte selbst die Pferde in den Stall und schickte durch Fränz das Manteltuch der Mutter; dann ging er an der Stubenthür vorbei, drin er laut weinen hörte, hinauf auf den Speicher, und als er hier mit Medard zankte, weil er die verschiedenen Sorten unter einander gelegt, erwiderte dieser trotzig, das ganze Geschäft sei eigentlich nicht seine Sache, er sei Schäfer und nicht Kaufmannsdiener. Zu jeder andern Zeit hätte Diethelm auf solche trotzige Art tapfer ausgeschirrt, heute aber brummte er nur vor sich hin: »wart' nur krummer Spitzbub'« und sprach kein lautes Wort. Er wollte es vor Allem vermeiden, vor den vielen ein- und ausgehenden Fremden im Hause irgend Zank laut werden zu lassen; denn es konnte dabei Manches zu Tage kommen, was besser verborgen blieb, auch wußte er, wie große Stücke seine Frau auf den Schäfer und dessen ganze Sippschaft hielt. Als er wieder die Stiege herab kam, stand die Frau am Herd und zündete ein Feuer an. Er reichte ihr die Hand und fragte:

»Warum hast denn bis jetzt kein Feuer angemacht?«

[66] »Ich hab' warten wollen, bis du's selber anzündest,« erwiderte die Frau in schmollendem Tone. Diethelm stand erstarrt und biß auf die Lippen. Was meinte die Frau mit diesen Worten? Wie konnte sie ahnen, daß heute schon zum Zweitenmal ein solcher Gedanke ihm wie ein brennender Funke in die Seele fiel? Die Frau aber schien diese Worte nur unbedacht als scharfe Widerrede gesprochen zu haben; denn ohne weiter darauf einzugehen, schalt sie die Fränz:

»Was laufst so 'rum wie ein Schlittengaul? Zieh' deine Sonntagskleider aus. Es ist ja Sünd' und Schad. Wirst doch nicht so daheim 'rumlaufen wollen? Bei rechtschaffenen Bauersleuten ist's immer so gewesen: wenn man heimkommt, zieht man seine Werktagskleider an und legt die guten ordentlich in den Schrank. Aus dem Weg! Darfst mir nichts anrühren. Fahr' in der Welt herum oder zum Teufel, wohin du magst.«

Der Zorn gegen den Vater ging wie schon so oft auch diesmal an dem Kind aus; denn einerseits hatte Martha nicht den vollen Muth gegen ihren Mann, anderseits wußte sie, daß eine Kränkung der Fränz ihm doppelt weh thue. Fränz wollte laut aufweinen, aber Diethelm beschwichtigte sie und sagte:

»Die Mutter hat Recht, ganz Recht hat sie, aber heut ist eine Ausnahme, heut kommen noch viele Leut' und da darf man nicht so verhudelt 'rumlaufen.«

»Und ich? ich kann das Aschenputtel sein?« frug die Mutter.

»Du mußt dich auch besser anthun. Wie gefällt dir das Manteltuch? Frau, du wirst dein' Freud' haben [67] an dem Marktgang,« sagte Diethelm mit zutraulicher Stimme, während er klein Holz häckelte, eine Aufmerksamkeit, die er seit den ersten Jahren der Ehe nicht mehr gehabt hatte.

Der Hausfriede war nun nothdürftig hergestellt, und Diethelm mußte bei Tische thun, als ob er noch nirgends gespeist habe; er würgte jeden Bissen mit Mühe hinab und sein ganzes Heimwesen erschien ihm auf Einmal so düster: wie war's draußen in der Welt so hell und freundlich und Alles so zuvorkommend, und hier mußte er immer thun, als ob er das Gnadenbrod esse. Die freie Stimmung, die er aus der Ferne mitgebracht, war plötzlich gefängnißdumpf, und als er wieder hinabkam und seine Halbkutsche sah, meinte er, er müsse gleich wieder anspannen und fort, immer weiter: auf der kalten Herberge, im Stern, in der Post, überall war's viel besser, sonniger und luftiger.

Wagen an Wagen kamen angefahren, Heerden hielten unten am Wege und blökten so kläglich, und Diethelm war's wieder, als ob ihn all das neue Besitzthum erdrücke; er hatte außer Medard noch zwei Schäfer in Dienst genommen, und noch hatte Jeder mehr als die gewohnte Zahl Vierhundert zu hüten. Aber er that freundlich und wohlgemuth, er half selber die Ballen oben in der Lucke einziehen und einmal schrie Alles laut auf, denn Diethelm hatte sich zu weit hinausgewagt, er hing frei in der Luft am Seil, es war ihm, als schwebte er über dem Abgrund: er wußte nicht, sollte er festhalten oder freiwillig hinabstürzen, daß er zerschmettere und Alles auf Einmal aus sei; aber [68] unwillkürlich hielt er fest, und besonders der Geistesgegenwart und dem entschiedenen Commando des Schäfersoldaten Munde war es zu danken, daß vor lauter Staunen über den möglichen Unfall derselbe nicht in der That eintraf. Die Männer unten ließen leise die Last wieder herabgleiten, und Diethelm stand schwankend auf dem Boden und fühlte, wie er aus Noth und Tod plötzlich wieder in's Leben gestellt war. Die Gefahr, in der Diethelm geschwebt, hatte plötzlich wieder all' die Liebe Marthas zu ihm geweckt, sie umhalste ihn laut weinend und dankte Gott für seine Rettung. Vor einer Stunde noch voll Jähzorn und giftiger Verwünschungen, verfiel sie jetzt in die ganz entgegengesetzte Stimmung, daß sie ihren Diethelm »verkindelte,« so daß dieser einst von solcher altmütterlichen Behandlungsart gesagt hatte: »es fehle weiter nichts, als daß ihm seine Frau noch Kindchensbrei koche.« Martha duldete es nicht mehr, daß Diethelm irgend Hand anlege; sie besorgte selber die Empfangnahme alles Eingekauften, Diethelm mußte in der Stube sitzen, und wie er draußen lärmen und rufen hörte, kam er sich vor, als wäre er im Fieber gefangen und Alles stürmte auf ihn ein, und er konnte sich nicht wehren und mußte still Alles mit sich geschehen lassen.

Endlich waren die leeren Wagen abgefahren, die Heerden in den weitläufigen, an das Haus angebauten Ställen untergebracht, es war Abend und Diethelm fühlte sich so wohl daheim, daß ihm die vergangenen Tage und das Hinaussehnen wie ein Traum erschien. Hier allein war Friede und Glückseligkeit. Er ließ den [69] Munde in die Stube rufen, dankte ihm für seine entschiedene Hülfe und schenkte ihm einen Kronenthaler. Munde nahm zaghaft das dargebotene Geld, aber er nahm es doch, und fast stolperte er über Fränz, die am Spinnrocken saß und verließ ohne ein Wort die Stube. Diethelm war so hingegeben, daß er fast geneigt war, seiner Frau die ganze Lage seiner Verhältnisse zu offenbaren; aber er hielt noch zeitig genug an sich und erklärte ihr nur, daß er entschlossen sei, nur noch diesmal die Handelschaft zu treiben, dann wolle er wieder hier oder anderswo sich Aecker kaufen und ruhig bauern, wie ehedem. Diese tröstliche Aussicht, die das Antlitz der Frau fast verjüngte, erfüllte Diethelm selbst mit einer heitern Gemüthsruhe, und in ihm sprach's: es muß Alles wieder gut werden, Gott darf eine so schöne Zukunft nicht zu Schanden werden lassen ... Eine andächtige Stille herrschte in der Stube, und Diethelm zog die Uhr auf, das war das Zeichen, daß es Zeit zum Schlafengehen sei.

[70]

9. Kapitel

Neuntes Kapitel.

Fränz allein war voll Unruhe und Widerstreit. Es war ein seltsam geartetes Kind, wie es in einer Ehe, die so oft von Zwietracht zerstört war, kaum anders erwachsen konnte. Als sie noch Kind war, scheuten sich die Eltern anfangs noch irgend einen Zerfall vor ihr laut werden zu lassen; nach und nach aber verlor sich diese Zurückhaltung, ja die hässigen Reden des Einen und des Andern wurden immer an das Kind gerichtet, da hieß es oft: »Das Vermögen kommt Alles von deinem Vater her, darum darf er's verlumpen« und anderseits: »Dein' Mutter kann in ihren jungen Tagen nichts als gruchzen und flennen.« Es fielen aber auch noch unumwundenere und viel derbere Reden, und das Kind stand dazwischen, wie wenn wilde Vögel ihm um's Haupt schwirrten und wußte nicht, wie ihm geschah. Wenn der Zwiespalt auf's Aeußerste gediehen war, und doch wieder ein Jedes innerlich fühlte, wie sehr es an das Andere gebunden war und nur den Weg zu dieser Aeußerung nicht finden konnte, dann haschte ein Jedes nach dem Kind und schwur auf sein Haupt: »Wenn du nicht wärst, dann wäre ich schon lang in's Wasser gesprungen, oder ich hätte mich an einen Baum gehängt« u.dgl. Bei diesen Reden stand das Kind wie ein [71] Lamm da, und wie es die großen braunen Augen aufschlug, sprachen Worte und Gedanken daraus, die Niemand verstehen konnte und wollte. Bisweilen wurde auch Fränz zum Friedensboten gemacht und von der Mutter nach dem Wirthshaus zum Waldhorn oder in den Stall geschickt, dem Vater leise zu sagen, wenn er Alles wolle aus sein lassen, möge er zum Essen kommen; oder auch umgekehrt: der Vater schickte Fränz nach der Mutter, die sich in der Regel in das Haus des alten Schäferle, zum Vater von Medard und Munde flüchtete. Natürlich konnte hierbei von Kinderzucht gar keine Rede sein, und es war nur dem guten Naturell des Mädchens zu danken, daß es nicht widerspenstig und höhnisch gegen die Eltern war. Die Kameradschaft mit Munde, der ein aufgeweckter und äußerst zartsinniger Knabe war, trug viel dazu bei, eine gewisse Milde in das herrische und heftige Wesen des Mädchens zu bringen. Als Fränz zur Jungfrau zu reifen begann, war sie oft unbegreiflich schwermüthig und still. In jener Zeit begann aber der Fruchthandel und bald darauf die Schafhalterei Diethelms; er nahm nun das Kind so oft als möglich mit auf seine Fahrten, und von da an lernte Fränz das Leben außer dem Hause als das allein schöne ansehen und wurde Meisterin einer weltläufigen Verstellungskunst; denn wenn man den Diethelm erinnerte, zu welcher Stellung er, der frühere Knecht, gekommen war, verfehlte er nicht, sein häusliches Glück zu preisen. Schon mit ihrem fünfzehnten Jahre merkte Fränz die bald offenen, bald versteckteren Werbungen um sie, und sie verstand es, dieselben [72] hinzuhalten, während sie daheim den getreuen Munde am Bändel führte und ihn in der That von Herzen lieb hatte. Denn Fränz war bei alledem doch kein durchaus verdorbenes Wesen, sie war gutherzig und arbeitsam, nach Laune oft bis zum Uebermaß, sie hatte die Lust zu schenken wie ihr Vater; nur erschien ihr das, was man als Liebe pries, oft wie ein Possenspiel, sie sah es ja so vor sich bei ihren Eltern; sie glaubte nicht an einen Frieden, und Alles war nur der Welt wegen, damit Die draußen nichts merken. Wenn Zank und Hader zwischen den Eltern war, erging es ihr fast noch am besten, da wurde sie von Jedem gehätschelt und durfte thun, was sie wollte; und wenn dann eine Versöhnung stattgefunden hatte, in der sich Jedes bestrebte, dem Andern besonders liebreich zu sein, hätte sie gerne vor Verachtung die Zunge gegen Beide herausgestreckt: sie wußte ja wohl, daß keine Friedsamkeit von Dauer war. Fränz war in der That, wie sie schon Medard auf dem Markt genannt hatte, ein Nuckel. Ein Oberdeutscher weiß gleich, was es heißen will, und es wird ihm doch schwer, dies zu erklären; denn damit, daß es ein Wesen voll Tücken und Nücken bezeichnet, ist noch nicht Alles erschöpft, ist ja damit noch nicht dargethan, daß man dem Nückel auch gut sein muß, man mag wollen oder nicht. Der Nückel kann bis zu einem gewissen Grad aufrichtig treuherzig sein, er kann es manchen Menschen anthun, daß sie ihm zu Willen leben müssen, und wenn sie sich tausendmal darüber ärgern, und dann hat der Nückel seine besondere Freude mit den Menschen zu spielen, sie gegen einander zu hetzen, [73] und wenn die Händel ausgebrochen sind, daneben zu stehen, als ob er kein Wässerlein trüben könne. Das einzige Bestreben der Fränz war nur, recht bald aus dem Haus und in recht schöne reiche Verhältnisse hinein zu kommen. Von den ländlichen Bewerbern, die sie ehedem kaum angesehen hatte, zeigte sich auffallenderweise seit einem Jahre keiner mehr und Fränz, die vielgewanderte, sagte sich auch, daß sie keine Lust habe, auf einem einsamen Bauernhof ihr Leben zu verbringen, wo man froh ist, wenn eine Samenhändlerin kommt und Einem von der Welt berichtet. »Engelwirthin! das ist das Rechte, aber nur bald, nur fort aus dem Haus,« sagte sich Fränz, während sie still spann.

So verließ Fränz auch jetzt wieder die Stube und ohne sich deutlich zu machen, was sie wollte, ging sie vor das Haus, um vielleicht noch Munde zu sehen, der fast über sie gestolpert war, als er den Kronenthaler empfing. Die Liebe des schönen jungen Burschen, der sie mit den Augen verschlingen wollte, that ihr wohl; sie zeigte doch, was sie noch vermöge, und wie sie, wenn sie nur wollte, an jedem Finger Einen nach sich ziehen könnte. Am Stall hörte sie drin sprechen, das war die Stimme Munde's, der in Verwünschungen seinem Bruder klagte, daß er nicht den Muth gehabt habe, dem Meister das Geldgeschenk vor die Füße zu werfen; er betrachte ihn noch immer als Meister und wolle es auch wegen der Fränz nicht mit ihm verderben. Medard tröstete, so gut er konnte und schalt über die Meistersleute, die zu Grund gehen müßten, und eben zog er [74] über Fränz los und sagte, daß in ihr keine getreue Ader sei; da trat Fränz unter die Stallthür und als hätte sie nichts gehört, rief sie dem Munde zu, sie wolle ihm noch »b'hüts Gott« sagen, weil er wohl morgen früh abreise. Rasch trat Munde heraus und hielt zitternd die Hand der Fränz in seinen beiden Händen, er wollte eben sprechen als man vom Hause her Schritte vernahm und halb widerwillig zog er die Fränz mit sich fort in den Grasgarten hinter den Schafstall. Richtig kam Diethelm nochmals und schärfte dem Medard ein, ja niemals bei Licht Heu vom Boden herabzuholen, es läge jetzt ein ganzes Vermögen auf dem ersten Speicher. Medard mußte ihm noch die Laternen zeigen, damit er wisse, daß keine beschädigt sei, und er befahl ihm, sie morgenden Tages mit Drahtgitter überziehen zu lassen; dann kehrte Diethelm wieder in's Haus zurück. Unterdessen war Munde in seliger Liebe bei Fränz, sie neckte ihn damit, daß sie wahrscheinlich Engelwirthin in G. werde, aber Munde schalt sie über diese Neckerei und glaubte nicht daran. Als sie ihm sagte, daß sie ganz gewiß nach der Hauptstadt käme, um dort das Kochen und Nähen zu lernen, war Munde voll Jubels und gab Fränz genau an, wo sie ihm Nachricht geben könne und Fränz neckte ihn nicht mehr mit der Engelwirthin. Als sie ihm endlich den letzten Kuß gab und verschwand, rief ihr noch Munde nach »aber nur für heut.«

Fränz kehrte wohlgemuth in's Haus zurück. Wenn alle Stränge reißen, bleibt ihr noch der Munde, dessen war sie gewiß.

Als Munde neben seinem Bruder in der Stallkammer [75] lag, sagte dieser: »Und ich wette meinen Kopf, der Diethelm will das Haus anstecken, um wieder reich zu werden, drum ist er so ein Laternenvisitator; aber mich betrügt er nicht.«

»Sei still, das darfst nicht reden, oder ich muß dir auf's Maul schlagen,« rief Munde in größter Heftigkeit.

»Du mir? Büble, wer bist denn du?« rief Medard und paff! hatte der Bruder einen Schlag weg, aber er steckte ihn ruhig ein, und ohne ein Wort zu sagen, stand er auf und machte sich mitten in der Nacht auf den Weg nach der Garnison.

[76]

10. Kapitel

Zehntes Kapitel.

Eine feste Friedsamkeit lag in dem Wesen Diethelms, als er am andern Morgen in seinen berühmten grünen Saffianpantoffeln im sonnigen Hofraum umherspazirte. Die Nacht, vor der es ihm so seltsam bange war, ist glücklich vorüber und so wird auch alles Sorgen und Zagen ein heiteres Ende nehmen, es gilt nur ruhig Stillhalten und die günstige Gelegenheit erfassen. Ein bedeutungsvolles Anzeichen kündigte sich eben jetzt an. Der Metzger, mit dem Diethelm vorgestern nicht handelseins werden konnte, kam gerade den Hügel heran, hatte allerlei Ausreden, wie er zufällig daher komme und begann nochmals einen geringen Kaufpreis anzubieten, aber Diethelm war klug genug, die Kauflust des Metzgers zu ersehen und sagte stolz und fest: wenn nichts mehr geredet werde, halte er sein Wort, und bleibe es bei dem auf dem Markte Besprochenen, wo nicht, wenn er nicht bevor die Heerde den Berg hinab ist in die Hand einschlage, verlange er für jeden Hammel einen Gulden mehr. Der Metzger schlug ein und Diethelm hatte schon am frühen Morgen dreihundert Hammel verkauft und dabei eine namhafte Summe gewonnen. Diethelm ging mit dem Metzger in's Feld und übergab ihm die gesondert gehaltene Heerde, die sogleich nach der Hauptstadt getrieben wurde, und eben als er [77] noch im Wirthshaus saß und dort die baare Bezahlung empfing, kam ein Wagen angefahren und in die Stube trat bald darauf der Kaufmann Gäbler mit noch zwei Männern, die Diethelm als die Oberfeuerschau vorgestellt wurden. Diethelm war sichtlich betroffen, aber schnell sagte er mit Entschiedenheit: daß er es mit dem Versichern nicht so ernst gemeint habe, sein Haus läge so einödig und er könne schon selber jede Feuersgefahr abwenden und sei überhaupt entschlossen, die erworbenen Vorräthe bald wieder loszuschlagen. Der Kaufmann Gäbler widersprach heftig und die Feuerschaumänner, der Metzger und selbst der Waldhornwirth redeten Diethelm zu, er möge doch versichern, da sei man für alle Gefahren geborgen und der Zins sei so gering. Gäbler faßte schnell den Waldhornwirth beim Wort und hatte ihn bald gewonnen. Während nun die Fahrniß im Wirthshaus aufgenommen wurde, eilte Diethelm heim um seine Frau gütlich vorzubereiten. Er übergab ihr zuerst das eingenommene Geld für die Hammel und zeigte ihr zum Erstenmal in seiner rothen Schreibtafel den Einkaufpreis und ließ sie den Gewinnst selber ausrechnen. Die Frau nickte zufrieden und verschloß eben das Geld in ihren Schrank, als Diethelm von der bald ankommenden Feuerschau und der Fahrnißversicherung sprach. Wie gewaltsam gepackt kehrte sich Martha um und sah ihrem Manne, der am Fenster stand, starr in's Gesicht, dann setzte sie sich rasch auf einen Stuhl, legte die Hände gefaltet in den Schooß und jammerte vor sich nieder: »Ist's soweit?«

»Was meinst? Was hast?« fragte Diethelm.

[78] »Mußt du anzünden?« fragte Martha ohne aufzuschauen, und wild auffahrend erwiderte Diethelm:

»Weib, daß du mich für so schlecht hältst, hätt' ich doch nie geglaubt. Guck, aber nein, du traust mir ja nicht auf's Wort. Guck, mich soll die Sonn', wie sie jetzt am Himmel steht, nie mehr bescheinen, nie mehr warm machen, wenn ich nur einen Gedanken an so was hab'.«

Und plötzlich fühlte Diethelm, wie es ihm frostig den Rücken hinablief, als wären die Sonnenstrahlen auf Einmal eiskalt, er schaute sich um und verschloß lächelnd das Fenster, das er in der Heftigkeit aufgestoßen hatte, so daß durch die offen stehende Thür ein Luftzug strömte.

»Verzeih mir, was ich gesagt hab', und glaub' mir, ich hab's nie gedacht,« sagte die Frau aufstehend, »ich will nur ein bisle Ordnung machen, daß nicht Alles so unters über sich aussieht, wenn die Herren kommen.«

Rasch veränderte sich der leidmüthige Ausdruck ihres Gesichts, und es war leicht zu erkennen, daß sie mit Stolz daran dachte, welche Augen die fremden Herren machen würden, wenn sie über Kisten und Kasten kämen. Festen Schrittes verließ Martha die Stube.

Diethelm stand wie gebannt an das Fenstersims gelehnt, er rieb sich die plötzlich so trocken und kalt gewordenen Hände, und fühlte mit Behagen, wie die Sonne ihm den Rücken durchwärmte. Durch seinen Sinn zog die gräßliche Anmuthung, die ihn auf dem Marktplatze in G. zum Erstenmale getroffen und niedergeworfen hatte, dann auf der kalten Herberge so verlockend und doch widerlich und jetzt daheim so[79] vorwurfsvoll an ihn gekommen war. Wie kann nur ein Mensch daran denken und gar ihm solches zumuthen? Und doch – drängt ihn nicht Alles mit Gewalt dazu und ist das nicht die letzte Rettung, wenn er sich in seinen Aussichten betrogen und die Waare ihm auf dem Halse liegen bleibt?

Diethelm war's, als ob die Mauer, daran er sich lehnte, plötzlich morsch würde und zurückwiche, und ein Schwindel erfaßte ihn wie gestern, als er oben in freier Luft zwischen Himmel und Erde schwebte. Diethelm schob die Ursache hievon auf die brennenden Sonnenstrahlen, die wie zu Zeugen angerufen ihm heiß auf Haupt und Rücken brannten. Wie mit traulichem Gruß an alle seine Habe ging er durch Stube und Kammern, durch Ställe und Scheunen; er gedachte der Zeiten, wie er als armer Bursch hieher gekommen war und nichts sein genannt, als was er auf dem Leibe trug, und wie er so glücklich war, als das ganze Haus mit Allem, was darin war, sein Besitzthum wurde; jedes Messer, jede Sense, jedes Feldgeräth bewillkommte er damals mit freudigem Blick, das war jetzt Alles sein eigen. Das ist doch ein ander Leben, in der Welt zu Haus zu sein, Theil zu haben an ihr. Es war ihm damals, als hätte er an dem Hause und dem, was es erfüllte, einen neuen Leib gewonnen. Wer darf daran denken, das Alles in Staub zu verwandeln? Ist das nicht wie ein Selbstmord? Freilich sind das nur leblose Dinge, die man neu viel schöner und besser haben kann; aber es sind doch nicht die alten, treu gewohnten ... Und wenn man sich nicht anders helfen kann und Alles [80] verbrennen muß, dann ist's noch Zeit genug daran zu denken, dann drückt man die Augen zu und thut's – aber jetzt, jetzt darf man nicht daran denken ...

So ging Diethelm in Gedanken hin und her und mußte gerufen werden, denn er hatte nichts davon gemerkt, daß die Feuerbeschau schon in der Wohnstube versammelt war. Nochmals lehnte er die Versicherung ab und sagte: auch seine Frau wünsche sie nicht; aber Martha widersprach und nun ging's im Geleite nochmals treppauf und treppab und Alles wurde aufgezeichnet und gewerthet. Diethelm that oft Einspruch, daß man ihn zu hoch einschätze und ließ sich nur von dem Waldhornwirth beschwichtigen, der ihm die Nützlichkeit hiervon immer mehr darlegte; Diethelm sah schnell, daß die Unbefangenheit, mit der er Einsprache erhoben, ihm für jetzt und später sehr gut zu statten käme, und als es nun endlich an die Wollvorräthe und die Zahl der Heerde kam, gab er selbst einen hohen Werth an, der in Betracht seines früheren Widerstrebens ohne Einspruch angenommen wurde. Die Versicherungssumme belief sich gegen zwanzig tausend Gulden und Diethelm schmunzelte als die Feuerbeschauer rühmend sagten: man sehe es einem bescheidenen Bauernhause gar nicht an, was darin stecke, besonders die Aussteuer der Fränz dürfe sich sehen lassen. Staunend gab man Diethelm verneinende Antwort, als er zuletzt einen großen Pack Papiere holte, mehrere davon vorzeigte und die prahlerische Frage stellte, ob man auch Staatspapiere und Unterpfandsscheine nach dem vollen Werth versichere. Für so reich hatte den Diethelm doch Niemand gehalten.

[81] Scherzhaft fragte er noch zuletzt: »Wie hoch habt ihr die Wanduhr dort angeschlagen? die kostet mich keinen Heller mehr und keinen weniger als achttausend Gulden.«

Er erzählte nun unter Lachen wie ihn sein Schwager betrogen, und da er die Summe fast um das Dreifache zu hoch angegeben, vermied er es, dem Blicke seiner Frau zu begegnen, der, wie er zu spüren glaubte, zurechtweisend auf ihm ruhte.

Endlich wurde das Täfelchen mit den zwei rothen Händen in Ermangelung eines Fensterladens auf die Hausthür genagelt. Martha saß daneben auf der steinernen Hausbank. Diethelm stand bei ihr. Als der erste Hammerschlag geführt wurde, sagte sie leise von sich hin:

»Mir ist's, wie wenn ich den Nagel in meinen Sarg schlagen hörte.« Diethelm blickte sie nur scharf an und ob dieser Rede erzürnt, blieb er nicht zu Hause, sondern ging mit den Männern hinab in das Waldhorn und blieb dort den ganzen Tag bis tief in die Nacht. Als die feinwolligen Schafe, die man nicht im Pferch übernachten ließ, am Abend heimkamen, schauten sie, den Blicken ihres Führers folgend, verwundert nach dem hellfarbigen Täfelchen über der Hausthür. Heute kam Diethelm nicht zur Laternenvisitation und noch spät in der Nacht trug Medard seine geringe Habe zu seinem Vater in das Dorf und übergab ihm noch ein Päcklein Tabak und einen Theil des Trinkgeldes, das er auf dem Kirchheimer Wollmarkt erhalten hatte. Der alte Schäferle, ein schweigsames, dürres Männchen,[82] nickte froh, er bedurfte zu seinem Lebensunterhalt fast nichts als ein paar Kreuzer zu Tabak und ein Trinkgeld ließ er nicht gern altbacken werden. Vom Waldhorn herab tönte durch das stille Dorf Lachen und lautes Hin- und Herreden. Als der alte Schäferle in die Wirthsstube trat, wurde er mit großem Halloh empfangen, und Diethelm ließ ihm sogleich einen Schoppen einschenken, denn Alles um ihn her sollte lustig sein, wie er's selber war. Er hatte heute wieder seinen Hauptspaß, er gab dem Lehrer und vielen Anderen schwere Rechenexempel auf, Räthselrechnungen, die Niemand herausbrachte; und wenn Alles ringsum ihn lobte und ihm huldigte, rühmte er den alten Kopfrechner in Letzweiler, von dem er das gelernt, und die Bewunderung und die Schmeichelreden Aller gingen Diethelm mit dem Weine leicht ein. Als man spät in der Nacht, nicht eben sicher auf den Beinen, aufstand, machte ein Witzwort des alten Schäferle noch auf der Straße viel Gelächter, denn er hatte gesagt: »Diethelm, dir schadet ein Brand (Rausch) nichts, du bist ja in der Brandversicherung.«

Diethelm lachte laut und wurde auf Einmal nüchtern, und auf dem ganzen Heimweg verließ ihn das Wort nicht.

Es war nun so hellgemuth daheim, daß Diethelm nur mit Schmerz daran dachte, auf Geschäftsreisen in der Ferne sich tummeln zu müssen. In der That kamen jetzt auch, von Reppenberger und Anderen angewiesen, mehrere Händler, besahen die Vorräthe Diethelms, konnten aber nicht handelseins mit ihm werden; und [83] die Mahnung, wie sehr die Wolle durch langes Lagern an Aussehen und Gewicht verliere, wies Diethelm leicht von sich, es war ihm zur Gewißheit geworden, daß der gute Schick, auf den er harrte und hoffte, nicht ausbleibe; er glaubte an ihn wie an eine Verheißung und fast noch mehr als an eine solche. Es fiel ihm dabei gar nicht ein, rückwärts dem Urgrund dieser Zuversicht nachzuspüren und mit einem allgemeinen Trost beschwichtigte er das Grübeln, wenn er sich ausdenken wollte, in welcher Weise denn sein zukünftiges Glück eintreten solle. Diethelm war jetzt auffallend weichmüthig und gutherzig gegen Jedermann und faßte auch immer bessere Vorsätze für kommende Tage; und solch ein Mann, sagte er sich dann oft, solch ein Mann darf nicht untergehen, wenn noch Gerechtigkeit bei Gott und im Himmel ist. Ohne es auffällig zu machen, ging Diethelm öfters in die Kirche, und im Wirthshaus zum Waldhorn unterhielt er sich viel mit dem Pfarrer, und dieser sagte oft zu den Wirthsleuten und zu Anderen: er habe den Diethelm gar nicht so gekannt, unter seinem starkthuerischen Gebaren ruhe ein demuthsvolles und gläubiges Gemüth, und dabei sei er ein guter politischer Kopf. Diethelm war kein Liberaler, er war zu sehr monarchischer Natur und dünkte sich zu erhaben über Alle unter sich, als daß er eine Gleichberechtigung anerkannt hätte; nur in Sachen der Wahlen wich er davon ab: die Ehre von so Vielen erwählt zu werden dünkte ihn fast noch größer als von der hohen Regierung ernannt zu werden. Manche schalten jetzt sogar auf Martha, die mit ihrem zänkischen und schwermüthigen [84] Wesen den braven Mann oft aus dem Hause treibe; es muß aber zur Ehre Diethelms gesagt werden, daß er immer entschiedene Einsprache that, wenn er Derartiges merkte. Er hielt es für eine Versündigung, durch Ungerechtigkeit gegen Andere erhoben zu werden; aber so sehr war er bereits in innern Wirrwarr gerathen, daß er diese einfache Ehrlichkeit für ein besonderes Opfer hielt, wofür ihm der Gotteslohn nicht ausbleiben dürfe. Diethelm hielt sich überhaupt viel im Waldhorn auf und kartelte. Hier war gewissermaßen sein zweites Heimwesen und ein noch viel willfährigeres als das eigentliche. Diethelm hatte eine Hypothek auf dem Wirthshause, und der ohnedieß geschmeidige und schmeichlerische Wirth war sein Neffe, dem er zum Ankauf dieses Hauses verholfen hatte; natürlich also, daß Diethelm hier unbedingte Botmäßigkeit fand, wie sonst nirgends; und er ließ sich diese gern gefallen. Im Waldhorn wartete er nun jedesmal den Postboten ab: die Quittung für eine drängende Schuld, die er mit der erworbenen baaren Summe getilgt hatte, blieb nicht aus, aber auch andere Briefe kamen, in die er nur kurze Blicke warf und die er auf dem Heimwege in kleinen Stückchen verzettelte, welche der Herbstwind lustig davon trug. Ganz buchstäblich schlug er alle Sorgen in den Wind, und wenn die Frau, die wohl tiefer sah, mit ihm Alles besprechen wollte, hatte er hunderterlei Ausreden und versicherte Martha, sie solle nur auf ihre Sache sehen, er werde die seinige schon auseinander haspeln. Martha war wie alle Frauen vornehmlich auf's Erhalten bedacht und diese durch die [85] kleinlichen Handthierungen des Lebens bedingte Tugend erschien Diethelm in seinen weit ausgreifenden erobernden Planen als engherzig. Martha war schon zufrieden, daß er ihrem Drängen nachgab, sich nicht zum Abgeordneten wählen zu lassen, was er eigentlich nie recht im Sinn gehabt; nur that er jetzt, als ob er damit seinen liebsten Wunsch opfere.

Fränz bestürmte den Vater, sie, wie er versprochen, nach der Stadt zu bringen; die Mutter aber widersetzte sich unnachgiebig diesem Vorhaben. Fränz schwieg und that, als ob sie nicht mehr daran dächte; je mehr es aber Herbst wurde, im Dorfe die Dreschzeit begann und die Wege so grundlos wurden, daß man oft ganze Wochen kaum in's Dorf hinab kam, um so mächtiger wurde die Sehnsucht der Fränz nach dem Stadtleben; sie war wie ein Wandervogel, der gewaltsam zurückgehalten wird vom Zuge. Trotz des Widerspruchs der Mutter wußte sie es dahin zu bringen, daß sie den Vater auf einer Fahrt nach der Amtsstadt begleiten durfte, und als Diethelm hier nicht, wie er gehofft hatte, Kauflustige für seine Vorräthe fand, ward es ihr nicht schwer, ihn zu bestimmen, mit ihr nach der Hauptstadt zu fahren. Wie ein Vogel, der angstvoll von Zweig zu Zweig hüpft, bald ausschaut, bald ruft: so wanderte hier Diethelm hin und her und verstand sich endlich zu dem schweren Entschluß, selber Anerbietungen zu machen und durch Zwischenhändler verbreiten zu lassen. Der Erfolg war aber ein geringer. Diethelm brachte nichts mit nach Hause als Aussichten auf den Verkauf der Staatspapiere, die er zu einem sehr [86] niedrigen Tagespreis abgeben sollte; Fränz aber brachte er nicht wieder, denn sie blieb im Rautenkranz, in dem Wirthshause, wo Diethelm stets seine Einkehr hatte, um hier die Koch- und größere Wirthschaftskunst zu erlernen.

In Buchenberg ging es nun gar still her, wenn nicht dann und wann Fuhren mit Heu ankamen, von dem immer neue Vorräthe zur Ueberwinterung der Schafe gekauft werden mußten. Diethelm hatte eine wahre Kaufwuth; wo nur irgend etwas zu haben war, eignete er sich's an, bezahlte Anfangs baar, gerieth aber auch nach und nach in's Borgen und behaftete sich mit einer Unzahl sogenannter kleiner Klettenschulden, so daß das einsame Haus von Drängern aller Art überlaufen wurde, die besonders die bekümmerte Frau peinigten; denn Diethelm blieb jetzt mehr als je und ganz ohne Grund tagelang aus dem Hause, nur um der Anschauung des auf ihn hereinbrechenden großen Unglücks und den kleinen Bedrängnissen zu entgehen. Er ärgerte sich jetzt über viele Menschen und sah erst jetzt, wie er es hatte geschehen lassen, daß er von Jedem ausgeraubt wurde, der etwas an ihn zu fordern hatte. Menschen, die ihm sonst brav und rechtschaffen erschienen waren, erkannte er nun in ihrer offenkundigen Schlechtigkeit und hatte vielerlei Streit und Gerichtsgänge. Noch böser hatte es Martha daheim. Leute, die sie sonst nicht lang bei sich geduldet hätte, saßen jetzt oft tagelang auf der Ofenbank, denn sie ließen sich nicht damit abweisen, daß Diethelm nicht zu Hause sei; sie wollten seine Rückkunft abwarten und [87] Martha, die vor Zorn und Kummer fast vergehen wollte, mußte noch freundlich thun, mußte diesen Leuten zu essen und zu trinken geben und sich fast entschuldigen, wenn sie etwas für sich bereitete, denn sie sah nicht undeutlich die höhnisch frechen Blicke, als ob sie vom Eigenthum fremder Menschen lebte. Sie fürchtete sich, die Stube zu verlassen, denn sie wußte, wie hinter ihrem Rücken über den Verfall dieses Hauses gesprochen wurde und wie bald die Kunde hievon landauf und landab sich ausbreiten würde. Oft war es Martha, als sollte sie das ganze Haus mit Allem, was darin ist verlassen und davon rennen; es war ja himmelschreiend, wie ihr einziges Kind sie so heimtückisch verlassen hatte und wie ihr Mann sie dem Elende und der Schande preisgab, während er lustig lebte. Dennoch war sie wie festgebannt an das Haus und endlich griff sie ihren letzten Hort an: es war dieß eine nicht unbeträchtliche Summe, die sie verborgen hatte und die man erst nach ihrem Tode hatte finden sollen. Mit dieser erledigte sie sich nun der Klettenschulden und Diethelm war bei seiner Heimkehr überaus wohlgemuth, als er solches vernahm. Als sie ihm den Rest übergab, sagte sie:

»Nur um Gottes willen keine Schulden. Schau, wenn so Gläubiger über Einen kommen, ist's grad wie beim Dreschen. Anfangs, wenn die Dreschflegel auf die volle Spreite fallen, da geht's langsam, und man hört's nur wenig, je leerer aber das Korn wird, da geht's immer lauter und schneller. Verstehst mich?«

»Wohl, du bist gescheit. Aber hast nicht noch mehr so geheime Bündel?«

[88] Martha verneinte, Diethelm aber glaubte es ihr nicht und war wieder voll Liebe gegen sie, wie in der ersten Zeit ihrer Ehe, so daß sie gar nicht dazu kam, gegen ihn den Gram und Zorn über seine Fahrlässigkeit auszulassen. Er vertröstete sie auf den großen Schick, der unfehlbar nächstens eintreffe und half nun selber für die laufenden Ausgaben Leinwandballen verkaufen, von denen Martha aus Zorn gegen Fränz schon mehrere versilbert hatte.

Eines Tages kehrte Diethelm nach einer vergeblichen Umfahrt von mehreren Tagen wieder heimwärts, da sah er am Wege im Wald an einem ausgehauenen Baumstumpf eine große Schichte von Kienholz. Rasch, ohne sich klar zu machen was er wollte, hielt er an, sprang ab, raffte einen Arm voll auf, riß den Sitz ab, öffnete das Kutschentruckle, verschloß das Kienholz in dasselbe und fuhr rasch davon; bald aber stieg er wieder ab und wusch sich die harzigen Hände im Schnee.

Seltsam! Als er heute heimkam, fragte ihn Martha:

»Hast nichts im Kutschentruckle?«

»Warum fragst?« erwiderte Diethelm erschreckt.

»Ich weiß nicht warum, ich mein' nur so.«

»Es ist nichts darin,« schloß Diethelm fest.

Spät in der Nacht, als Alles im Hause schlief, schlich Diethelm noch einmal hinab, lauschte, ob Medard in seiner Stallkammer schlief, ging dann nach der Scheune, öffnete den Kutschensitz, nahm das Kienholz heraus, trug es die Leiter hinauf nach dem Heuboden und versteckte es unter einem Dachstuhlbalken. Aber [89] kaum war er wieder die Hälfte der Leiter herab, als ihm gerade dieses Versteck besonders gefährlich erschien; er kehrte wieder um und fand am Ende nichts Besseres, als das Kienholz wieder in den Kutschensitz zu verschließen, er faßte dabei den Vorsatz: bei der nächsten Ausfahrt dieses willfährige Brennmaterial wieder auf die Straße zu schleudern. Er schauderte vor sich selber, indem er dachte, was ihm durch den Sinn gegangen war und die Hand auf das Kienholz legend, schwur er vor sich hin in stiller verborgener Nacht, jede Versuchung von sich abzuthun, und wie aus einem wüsten Traume erwacht, froh, daß es nur ein Traum war, schlief er ruhig und fest.

Am andern Tag, es lag ein leichter Schnee auf dem Felde, fuhr Diethelm in Angelegenheit seines Waisenpflegeramtes wieder nach der Stadt. Er wollte unterwegs das Kienholz wieder wegwerfen, und zweimal hielt er an und öffnete den Kutschensitz, als jedesmal Leute daherkamen, so daß er in seinem seltsamen Thun gestört wurde und wieder davon fuhr. Es war ihm, als ob er auf lauter Feuer sitze, aber bald lachte er über diese alberne Furcht und wollte sich nun gerade zwingen sie zu überwinden, und heiteren Blickes fuhr er in die Stadt ein. Am Stern wußte er nicht, sollte er besondere Achtsamkeit empfehlen, da er etwas im Kutschensitze habe; aber das konnte aufmerksam machen, er müßte Red und Antwort darüber geben, darum war's besser er schwieg ganz und so blieb's dabei. Als er auf dem Waisenamte war, fühlte er mitten in den Verhandlungen plötzlich einen jähen heißen Schreck; er [90] glaubte, er habe den Kutschensitz nicht recht verschlossen, es war ihm fast sicher, daß er offen war: wenn nun Jemand darüber kam und den wunderlichen Schatz fand, was konnte das für Gerede geben, welche Ahnungen mußten in den Menschen aufsteigen. Ohne nachzusehen, unterschrieb Diethelm Alles, was man ihm vorlegte und eilte nach dem Wirthshaus; seine Vermuthung hatte ihn betrogen, der Kutschensitz war wohl verschlossen, aber er wagte es nicht ihn jetzt zu öffnen und nach dem verrätherischen Inhalt zu schauen.

Als Diethelm hierauf an dem Kaufladen Gäblers vorüberkam, rief ihm dieser zu und übergab ihm mit einigen halb höflichen Worten die Rechnung für die eigenen Einkäufe und für die des Zeugwebers Kübler. Diethelm versprach zu Neujahr zu bezahlen und Gäbler sagte, er verlasse sich darauf. Ueberhaupt schien es Diethelm, als ob alle Menschen ein verändertes Benehmen gegen ihn hätten, selbst der Sternenwirth war wortkarg und ging seinem Geschäfte nach, während er sonst unzertrennlich bei Diethelm saß und mit ihm über Allerlei aus Gegenwart und Zukunft plauderte. Was hatten denn die Menschen, daß sie auf Einmal so ganz anders waren? War denn Diethelm nicht noch immer derselbe, der er von je gewesen? Damals am Markttag erglänzte ihm jedes Angesicht und streckte sich ihm jede Hand entgegen. Was ging denn jetzt vor? Der Zeugweber Kübler, der »den Herrn Vetter und Familienfürsten« aufsuchte und sich ihm zu Besorgungen erbot, konnte nicht begreifen, warum Diethelm über die ganze Welt fluchte und immer sagte, der sei ein Narr, der [91] nur eine Stunde einem Menschen glaube. Woher es kam, das wußte Diethelm nicht, aber offenbar schien es ihm, daß man Schlimmes von ihm dachte und seine Ehre angegriffen sei, daß etwas wie eine Verschwörung aller Menschen gegen ihn in der Luft schwebe. Das von Zweifel und Bangen gepeinigte Herz verlangt besonders huldreiche Zuneigung der Welt, und gerade da bleibt sie aus, und das düster blickende Auge des Bedrängten sah Unfreundlichkeit der Menschen, wo sonst gar nichts gesehen wurde.

Diethelm beauftragte Kübler, eine geweihte Kerze, ein vierundzwanzig Stunden haltiges sogenanntes Taglicht zu kaufen für den verstorbenen Vater des Waisenkindes, in dessen Angelegenheiten er eben in der Stadt war. Kaum war Kübler weggegangen, als ein Briefchen vom Kastenverwalter kam, der Diethelm daran erinnerte, daß er das Geld, das in sechs Wochen fällig war, bereits anderweit versagt hätte. »Der hat auch was,« knirschte Diethelm, den Brief in die Tasche steckend, und hätte er in diesem Augenblicke ein Verbrechen an der ganzen Welt begehen können – es wäre ihm eine Lust gewesen. Er hielt noch die Hand auf dem Briefe des Kastenverwalters, als Kübler kam, aber er brachte statt Einer Kerze ein Gebund, das vier solcher enthielt.

»Ich hab' nur Eine gewollt, aber es ist so auch recht,« sagte Diethelm und hielt in zitternder Hand die Kerzen. Es war ihm, als müßte er damit sengen und brennen.

[92]

11. Kapitel

Elftes Kapitel.

Der Schnee wirbelte um ihn her und Diethelm fuhr durch die Nacht dahin heimwärts, seine Wangen glühten und die Schneeflocken, die darauf fielen, konnten die Gluth nicht löschen. Am ersten Berg hielt er an, öffnete den Kutschensitz, aber nicht um seinen Inhalt, verborgen vor jedem Späherauge, zu zerstreuen; er legte drei der geweihten Kerzen noch zu dem Kienholz. Er fühlte einen Stich durch's Herz, und doch bewegte ihn ein freudiger erfindungsreicher Gedanke: diese Kerzen brennen eine volle Tag- und Nachtlänge, mit ihnen läßt sich verdachtlos etwas bewirken.

Im Schritt den Berg hinanfahrend überdachte Diethelm sein ganzes vergangenes Leben. Er spürte ein Jucken in den Augen, als er der unsäglich vielen Freuden gedachte, die er seinen Eltern und allen seinen Angehörigen bereitet hatte; und plötzlich stand es vor ihm, daß sein Bruderskind in Elend verkomme, wenn er nicht dem Kübler zur Ansässigmachung verhelfe. Alles, was er thue, sei ja zum Guten. Und jetzt war es, als sähe er seine Fränz, wie sie unter den Menschen herumgestoßen würde, die kein Erbarmen haben und sich selber sah er sterbenskrank und in Noth und verlassen. Es muß sein ...

[93] Heute kehrte Diethelm freiwillig auf der kalten Herberge ein. Es war ihm hier nicht mehr wie in einem verzauberten Hause zu Muthe: Alles hatte einen freundlichen Anschein, und das behäbige und wohlgemuthe Wesen des Wirthes sprach es deutlich aus, daß man nach einer solchen That wieder frischauf leben kann. Diethelm suchte sich immer mehr einzureden, daß der böse Leumund die Wahrheit, verkünde und dieser Wirth ein Brandstifter sei. So saß Diethelm in sich gekehrt und mit glänzenden Augen umschauend, als ein alter Bekannter, der Reppenberger, eintrat und seinen Glücksstern pries, daß er ihm einen Weg erspare, den er eben zu Diethelm machen wollte. Er berichtete, wie er endlich einen willigen Käufer gefunden, der den gesammten Wollvorrath zu einem Preise übernehme, bei dem für Diethelm noch ein mäßiger Gewinn sich ergab. Reppenberger hatte ein so lebendiges Mundstück und wußte es durch Weinzufuhr immer neu zu beleben, daß er gar nicht merkte, wie zerstreut und stotternd Diethelm stets antwortete, wenn er nicht lautlos darein starrte, als hätte er gar nichts gehört. Denn Diethelm war es in der That, als treibe der Teufel sein Spiel mit ihm. Kaum giebt er ihm die Kerzen in die Hand und erregt in ihm die erfindungsreichen Gedanken: da kommt die Versuchung und will Alles zum leeren Possenspiel und zu nichte machen. Ist darum alles Bedenken und alles innere Zagen überwunden, damit Alles ein eitles Spiel um Nichts sei? Das Herz, das Einmal den festen Willen zur bösen That gefaßt, sieht leicht diese schon als in sich vollbracht an, und [94] wie mit dämonischer Gewalt wird es immer wieder dazu gedrängt, und alle Ablenkungen erscheinen nicht als das was sie sind, sondern als Hindernisse, die übersprungen und besiegt werden müssen. Denn das ist das unergründliche Dunkel, daß das innere Sinnen, sei es gut oder böse, alle Vorkommnisse wie eine leibliche Speise verwandelt und sich gleich macht. Was vor Kurzem noch in Kämpfen und Bedenken als freier Entschluß sich darstellte, verkehrt sich in unabänderliche Notwendigkeit und wie in einen Zauberkreis gebannt, aus dem nichts mehr zu wecken vermag, erfüllt sich das Geschick.

Darum muthete diese sonst frohe Kunde Diethelm jetzt mit Betrübniß an und er knirschte innerlich vor Zorn, wie ihm die Rechtfertigung vor sich genommen war, da sonst kein anderer Ausweg blieb. Wie zum Hohn öffnete ihm jetzt die schlechte Welt einen Ausweg, den er doch nicht mehr einschlagen konnte. Einen großen Schick wollte er machen und was soll jetzt ein kleiner Gewinn? Der spielte ihm die Möglichkeit einer völligen Rettung aus der Hand und überließ ihn fort und fort den tausend kleinen Plackereien, deren Ende gar nicht abzusehen war. Darum muß geschehen was beschlossen ist ...

Als erriethe er Diethelms Gedanken, sagte der Reppenberger jetzt:

»Guck einmal den Wirth an. Sitzt er nicht da so unschuldig und fromm wie der heilig Feierabend, und doch weiß er, was er gethan hat und hat sein Haus angezündet und beim Brandlöschen sich einen nassen[95] Finger gemacht und Alles abgewischt was angekreidet gewesen ist. Jetzt hat er ein neues Haus und baar Geld statt Schulden.«

»Wer weiß, wie es ihm zu Muth ist,« sagte Diethelm, sich mit der Hand hin und her durch das Halstuch streifend, als wollten die Worte nicht heraus.

Der Reppenberger lachte laut und sagte:

»Hab' schon gehört, daß du fromm geworden seist, aber glaub' mir, wenn alle Leute, die was Ungrades gethan haben, krumm gingen, da könnt' sich ein Aufrechter um's Geld sehen lassen.«

»Ich will nichts mehr davon hören,« sagte Diethelm streng verweisend und sprach nun von dem Verkauf, zu dem er sich willfährig zeigte. Er wußte nicht recht warum er das that, aber so viel war ihm klar, er mußte scheinbar darauf eingehen, um nicht Verdacht auf sich zu lenken. Auf diese Rücksicht wollte er fortan alle Klugheit verwenden und er war im Innern stolz darauf, wie weit er es bereits in der Verstellungskunst gebracht hatte. Diethelm nahm den Reppenberger mit nach Buchenberg, und da der abgehauste Mann keinen Mantel hatte, gab er ihm eine Pferdedecke, in die sich derselbe behaglich wickelte. Diethelm aber fröstelte es bei dem Gedanken, daß auch er einst wie dieser einer geliehenen Pferdedecke sich freuen könne, und wie er Peitsche und Leitseil in die Hand nahm, sprach es in ihm: darum muß geholfen werden so lang ich das noch festhalte.

Der Reppenberger entschlief bald, aber Diethelm wurde von mühsamen Gedanken wach gehalten. Zum[96] Scheine verkaufen und vor den Leuten sich höchlich darob freuen, aber vor der Ablieferung noch Alles in die Luft sprengen, und mit der hohen Versicherungssumme sich wieder frisch flott machen – das war die Bestimmung, die endlich so fest stand, als wäre sie gar nicht die Geburt seines eigenen Entschlusses; und so ruhig ward er dabei, daß er die Peitsche neben sich steckte und die des Weges gewohnten Pferde laufen ließ und in Schlaf versank wie ein Kind nach dem Nachtgebet. In Unterthailfingen vor dem Wirthshaus hielten die Pferde an und Diethelm erwachte; taumelnd schaute er auf und mußte sich besinnen wo er war, und im ersten Augenblick erschien die weißverhüllte Gestalt neben ihm wie ein Gespenst. Im Dorfe schlief Alles und Niemand bemerkte das Anhalten eines Fuhrwerks, nur Reppenberger erwachte, als Diethelm mit einem plötzlichen Ruck im gestreckten Trab davonfuhr.

»Wenn ich nur so ein Kütschle hätt' wie du,« sagte der Reppenberger, »wenn ich meine siebzig Jahre da hüben so 'rumfahren könnt', könnten sie meinetwegen in der andern Welt mit mir machen was sie wollen.« Und wie nun Diethelm immer weiter sein Glück preisen hörte und wie der Reppenberger erzählte, welch ein elendes Leben er führe, empfand Diethelm immer mehr ein Wohlgefühl, daß er den Muth und den rechten Weg gefunden habe, sich eine heitere sorgenfreie Zukunft zu sichern. Als der Reppenberger seine Pfeife gestopft hatte und jetzt Feuer schlug, fiel Diethelm im Anschauen der springenden Funken der Traum ein, den er so eben gehabt: er ging über eine [97] große weite Haide und es regnete Funken, sie flogen ihm in's Gesicht und auf den blauen Mantel, aber sie zündeten nicht und er ging darunter hinweg als wären es Schneeflocken, und weiter hinaus in der Ebene standen Funkensäulen und strömten auf und nieder und plötzlich stand sein Vater vor ihm und sagte lächelnd: es regnet Gold – da hielten die Pferde an, dahin war das Traumgesicht.

Träume gelten zwar nichts, sagte sich Diethelm, aber dieser hat doch eine gute Vorbedeutung.

Am Waldhorn in Buchenberg stieg der Reppenberger ab und lustig knallend fuhr Diethelm nach seinem Haus und erzählte der Frau, daß der gute Schick nun in diesen Tagen eintrete und alle Wolle so viel als verkauft sei.

»Gott Lob und Dank!« rief die Frau, die Hände in einander schlagend, »ich hab' dir's nicht sagen wollen, daß mir's immer gewesen ist, wie wenn die Deck' und Alles, was darauf ist, mir auf dem Kopf liege.«

»Mir auch,« sagte Diethelm zutraulich und schnell dachte er jetzt in dieser heitern, arglosen Stimmung Vorsorge zu treffen und er fuhr fort: »Ich hab' immer Bangen gehabt, es geht einmal ein Feuer aus und der Teufel hat doch sein Spiel und wenn auch das Sach' versichert ist, was nutzt das wenn Eins von uns umkäm', und da hab' ich mir schon oft gedacht, da zu dem Fenster 'nausspringen thut man sich keinen Schaden, weil der Dunghaufen der da ist.«

»Red' so was nicht; das heißt Gott versuchen,«[98] wehrte die Frau ab und Diethelm erklärte, daß das nur ein vorübergehender Gedanke war; innerlich aber fühlte er sich erleichtert, seiner Frau den Weg gezeigt zu haben, wenn er sie nicht vorher aus dem Hause bringen konnte; denn durch ihn allein, von keiner andern Menschenseele gekannt, sollte die That geschehen.

Heute machte Diethelm keinen Versuch mehr, den Inhalt des Kutschensitzes zu verstreuen, er freute sich des fallenden Schnees, der die Halbkutsche in der Scheune ließ und den Schlitten zur Verwendung brachte.

Am Morgen fühlte Diethelm noch einmal ein Bangen über seinen Vorsatz, und doch war's ihm, als hätte er Jemand das Versprechen gegeben, ihn zu vollführen. Eben wollte er die geweihte Kerze in das Pfarrhaus schicken, als seine Bruderstochter aus Letzweiler ankam. Noch bevor sie ein Wort reden konnte, weinte sie laut und erklärte endlich, daß man in G. sage, Diethelm werde ihr keine Aussteuer geben, die Hochzeit nicht stattfinden und sie im Elend bleiben. Man konnte nicht herausbringen woher das Gerücht gekommen war und das Mädchen, das immer auf der Bank sitzen blieb und nicht aufstand, schwur, daß sie sich ein Leid anthue, wenn das Gerücht wahr sei. Diethelm stand lange still vor dem Mädchen, betrachtete es scharf, so daß es die Augen niederschlug, und sich auf die Brust schlagend, daß es dröhnte, schwur Diethelm: »Guck, mir soll die Kerze da auf der Seele verbrennen, wenn du nicht Alles von mir bekommst, wie ich's versprochen habe.«

Er ging mehrmals mit schweren Schritten die Stube [99] auf und ab und stand wieder vor dem Mädchen still und sagte:

»Warum hast du denn ein so schlechtes Kleid an? Hast keine besseren?«

»Freilich, ich hab' ja die zwei, die Ihr mir geschenkt habt, aber ich will sie sparen.«

»Du weißt ja,« fuhr Diethelm auf, »ich kann nicht leiden, wenn Eines von den Meinigen so verlumpt daher kommt. Mein' Frau muß dir von der Fränz ein anderes Kleid geben. So darfst du nicht durch das Dorf. Ich will der Welt zeigen wer ich bin.«

Wuth gegen die Welt, die seinen Ehrennamen so grundlos angriff und ein freudiger Hohn, daß er es in der Gewalt habe, Rache zu nehmen, alle bösen Nachreden zu Schanden zu machen, kochten in seinem Herzen. Er stand gerechtfertigt vor sich da, das Schlechteste zu thun; traute man ihm ja das Schlechteste zu, und Niemand hatte ein Recht oder einen Grund dafür. Das Mädchen, das sich wohl auf einen scharfen Zank gefaßt gemacht hatte, schaute mit gefalteten Händen wie anbetend zu Diethelm auf, der ihm liebreich die Wangen streichelte, denn ein freudiger Gedanke erhob ihn; sichtbarlich zeigte es sich ihm: er mußte die That thun, um die Stütze seiner Familie zu retten. Die ganze Macht seiner Familienliebe erwachte in ihm: nicht für sich, für alle seine Angehörigen mußte er der bleiben, der er war, alles Verdammungswürdige in seiner That war nur verkannte Tugend.

Medard kam in die Stube und berichtete die Zahl der Lämmer, die in diesen Tagen sich zahlreich [100] eingestellt hatten, indem er dabei bemerkte, der Meister möge doch auch wieder einmal in den Stall kommen und nachschauen. Diethelm wies den Medard mit strengem Blick ab und sagte, er habe jetzt anderes zu thun; als er aber dem stechenden Blick Medards begegnete, fügte er hinzu: ich komme gleich. Er überdachte schnell, daß er nichts auf sich kommen lassen dürfe, was als Fahrlässigkeit gegen sein Eigenthum erscheinen könne. Sonst hatte er im Winter immer seine besondere Freude an den Schafen gehabt; im Sommer sind sie auf der Weide, dem Auge entrückt, im Winter aber gibt es oft täglich Junge, und stundenlang hatte Diethelm im warmen Schafstalle gesessen. Als er jetzt dahin kam, drängten sich alle Schafe auf ihn zu, so daß ihm ganz ängstlich zu Muth wurde, er zählte die Lämmer kaum und machte sich wieder davon.

[101]

12. Kapitel

Zwölftes Kapitel.

Auch im Schicksal der Menschen giebt es veränderliches Aprilwetter, wenn neue Keime aufgehen. Ein Brief des von Reppenberger bestellten Käufers meldete einen Verschub seiner Ankunft auf mehrere Wochen und ersuchte Diethelm, wenn er früher verkaufen wolle, mit Proben nach der Hauptstadt zu kommen. Diethelm ließ sich aber dadurch nicht abhalten, im Waldhorn prahlerisch seine günstigen Aussichten zu verkünden. Er lief dann hin und her und hatte für Alles die genaueste Fürsorge, und doch war ihm jedes Thun nur wie ein Nebengeschäft, wie ein gewaltsamer Zeitvertreib, bis es an die einzige wirkliche That ging. Als ihn der Waldhornwirth aufforderte, mit auf die Jagd zu gehen, schlug er es ab, und doch war sein Antlitz froh gespannt, denn er erinnerte sich des bedeutenden Pulvervorrathes, den er im Hause hatte, und der sich nun auch zu schicklicher Verwendung eignete. Als Diethelm beim Nachhausegehen in der Nacht an der Kirche vorüberkam, erschrack er plötzlich, da er hellen Schein durch die hohen Kirchenfenster blinken sah. Hat das eine Vorbedeutung, daß die Kirche brennt? Schon wollte Diethelm laut rufen, als es ihm einfiel, daß das ja die Weihekerze war, die er selbst aus der Stadt mitgebracht; auf die Minute hin ist berechnet, wie lang [102] dieses Licht brennt, und ist es nieder und findet keine Nahrung seiner Flamme mehr, dann erlischt es, findet es aber neue weithinziehende, dann ... Als Diethelm sich endlich von den Knieen aufrichtete, sah er wie verwirrt an sich herab, er konnte sich nicht erinnern, wie er niedergekniet war, es mußte das gegen seinen Willen geschehen sein. Hastig verscharrte er die Spuren seiner Kniee im Schnee, und wie er weiter schritt, verscharrte er jede Fußtapfe zur Unkenntlichkeit, und doch wagte er es nicht, geradenweges heimzugehen; bald ängstigte ihn der Gedanke, daß er entdeckt und verrathen sei, bald hatte er eine Angst vor seinem eigenen Hause, als ob die todten Wände wüßten, daß er sie in Asche verwandeln wolle und vorzeitig zusammenstürzen und ihn unter ihrem Schutte begraben. Eine ruhelose Gewalt trieb Diethelm immer weiter, als müßte er entfliehen und hinter sich lassen Alles, was ihn kennt und nennt; die Verwandten werden sich schon der Martha und der Fränz annehmen, wenn nur er nicht mehr da war, nur wehe that es ihm, daß er ihnen nicht Lebewohl gesagt, und Thränen traten ihm in die Augen über seinen eigenen so jähen Tod, den er doch suchen mußte.

In dieser Nacht kämpfte zum Letztenmal der gute Geist Diethelms mit seinen schlimmen Vorsätzen in gewaltigem Ringen und eine überraschende Wendung seines Denkens löste auf Einmal allen Hader: dir bleibt nichts als dich selbst umbringen, das ist eine schwere Sünde – oder Brandstiften, das ist auch ein Verbrechen, aber minder, und du hast schon genug[103] gelitten für das, was du thun wolltest, du hast deine Strafe vorweg empfangen, jetzt mußt du's auch thun, und du rettest dich und all die Deinen.

An der Gemarkung von Unterthailfingen kehrte Diethelm um und kam, man kann fast sagen, als hartgefrorner Missethäter heim.

Drei Tage ging Diethelm einsam und in sich gekehrt umher; er verstopfte jede Luke und jeden Spalt auf dem Speicher und sagte sich innerlich Wort für Wort Alles vor, was er zur gefahrlosen Vollbringung zu thun habe; denn er gewahrte, wie sein Athem schneller ging bei dem Gedanken an die endliche Ausführung, er wollte sich vor sich selbst sicher stellen, um mit Umsicht und ohne Leidenschaft und Hast, die leicht das Wichtigste übersieht, zu Werke zu gehen.

Am dritten Abend kam ein Bote vom Kohlenhof mit der Nachricht, daß die Kohlenhofbäuerin, die Tochter Martha's erster Ehe, krank sei und nach der Mutter verlange. Diethelm erfaßte dieß schnell als eine erwünschte Wendung und drang in seine Frau, daß sie sogleich abreise; er wußte aber allerlei Ausreden, daß er sie nicht selbst führte, er wollte dem Medard den Schlitten mit den beiden Rappen übergeben, aber dieser klagte über Schmerzen in seinem gebrochenen Bein und der Waldhornwirth war gern bereit, die Base zu führen. Diethelm empfahl ihm, bald zurückzukehren, da er morgen auch verreisen müsse.

Als das Fuhrwerk mit Schellengeklingel davonrollte, hob Diethelm die Arme hoch empor und reckte sich wie zum Ausholen für eine schwere Arbeit.

[104] Spät in der Nacht als Alles schlief, ging Diethelm ohne Licht hinab in die Scheune, öffnete den Kutschensitz, nahm die Kerzen sorgfältig heraus, that das Kienholz in einen Sack, den er sich über den Rücken band, und stieg auf der Scheunenleiter hinauf nach dem Speicher. In der Mitte der gradaufstehenden Leiter, die er doch tausendmal auf- und abgestiegen war, überkam ihn plötzlich ein Schwindel, daß er nicht vor- und nicht rückwärts konnte; er hing wieder wie über einem Abgrund zwischen Leben und Tod, und fast schrie er laut auf nach Hülfe, aber noch hatte er Besinnung genug zu überlegen, daß er sich damit in's Elend stürze und mit letzter Kraft in sich hinein fluchend, stemmte er sich an und kletterte behend von Sprosse zu Sprosse und stand endlich keuchend auf dem obern Boden. Er legte jetzt Alles nieder wo er stand, ja selbst die Pulversäckchen that er aus der Tasche. Er öffnete einen Laden, um das Mondlicht hereindringen zu lassen und saß lange ausruhend auf einem Wollballen. Endlich vertheilte er das Kienholz in einzelne Schichten, die er zwischen die Ballen legte, dabei sprach er fast laut vor sich hin: »Dorthin die eine, dort die andere Kerze und die dritte zwischen die aufgehobenen Bretter, daß kein Licht nach außen scheint. Ich muß sie kürzen, sie dürfen nur zwölf Stunden brennen.« – Jetzt hatte er Kienholz zwischen zwei Ballen geworfen, aber es fiel so dumpf, er griff hinab und ein Schrei des Entsetzens ertönte, Diethelm hatte einen haarigen Kopf erfaßt; er zitterte, daß die Bretter unter ihm dröhnten, eine krallige Hand faßte nach seinem Munde: »Der Teufel! [105] der Teufel!« schrie Diethelm und sank lautlos zu Boden.

»Meister, Meister, ich bin's,« rief jetzt eine Stimme, und Diethelm setzte sich auf. War das nicht die Stimme des Schäfers Medard? Wunderbar schnell war Diethelm gefaßt.

»Was thust du da? du hast stehlen wollen, du Zuchthäusler?« rief Diethelm.

»Und wenn auch, was darnach?« erwiderte Medard spöttisch, »die Brandkasse bezahlt's doch.«

Rasch schnellte Diethelm empor, und mit den Worten: »Ich erwürge dich, du krummer Hallunk,« warf er sich auf Medard, schleuderte ihn nieder und kniete ihm auf die Brust.

»Ich will ja nichts sagen, lasset nur los,« rief Medard mit halberstickter Stimme und Diethelm gewahrte plötzlich, daß er zum Mörder hatte werden wollen und ließ ab. Wie anders war plötzlich Alles geworden, er hatte einen Mitwisser seiner That und war allezeit in der Hand eines Fremden.

»Guck,« sagte er, und ihn selber schauderte vor dem, was er sagte, »ich bin einmal so weit, zurück kann ich nicht mehr, aber ich kann weiter gehen, ich muß es, wenn du mir nicht eine Sicherheit giebst, daß du nie – nie was redest.«

»Es giebt nur Eine Sicherheit, nur eine einzige,« erwiderte Medard, »und die ist fester als tausend Eide.«

»Heraus, heraus! Was ist's?« sagte Diethelm, die Hände des am Boden Liegenden festhaltend, und dieser erwiderte:

[106] »Der Munde heirathet Eure Fränz, und wenn mein Bruder all' das Sach kriegt, da ist die beste Sicherheit, daß ich nie was red'.«

Diethelm preßte vor Zorn die Hände des Medard zusammen, daß dieser laut aufschrie, aber allmälig ließ er doch lockerer, und er sagte endlich:

»Meinetwegen, ja, ja, es soll so sein, aber du mußt mitthun und du mußt anzünden, wenn ich nicht da bin.«

»Das nicht,« erwiderte Medard, »aber mit thu' ich und wir schaffen noch ein gut Theil fort eh' es losgeht.«

»Hast denn gestohlen?«

»Was fraget Ihr jetzt darnach? das ist jetzt Alles lauter Schwefelhölzle und ich weiß noch was, was Ihr vergessen habt; ich komm' morgen in's Spritzenhäusle, ich will helfen die Spritze vom Rädergestell auf den Schlitten bringen, und da will ich nur zwei Schrauben an der Spritze losmachen, dann mag man löschen.«

»Du bist nicht dumm, du bist gescheit,« sagte Diethelm, und mit diesen Worten war der Friede zwischen den Beiden geschlossen. Diethelm führte den Knecht, den in der That sein kranker Fuß von dem Falle sehr schmerzte, sorglich die Treppe hinab und gab ihm Branntwein zum Einreiben.

Medard sprach viel davon, wie albern es wäre, wenn man nicht noch so viel als möglich bei Seite schaffe, aber Diethelm wehrte streng ab, er hatte das Wort auf der Zunge, aber er schämte sich es zu bekennen, daß er nicht auch noch zum gemeinen Dieb [107] werden wolle, er fühlte voraus den höhnischen Spott seines Genossen und wies nur auf die Gefahr hin, die solches Beiseiteschleppen, ohne daß man's ahne, mit sich führt. Medard hatte wohl zu verteidigende Einwände und Diethelm fühlte sich geneigt streng zu befehlen, daß Alles nach seiner wohlbedachten Anordnung ausgeführt werde, aber indem er den Befehl aussprach, verwandelte er ihn in eine Bitte, und es klang fast wehmüthig, wie er den Medard bat, um seiner Beruhigung willen Nichts hinterrücks zu thun und alle seine Anordnungen auszuführen.

Medard hatte sich während dessen gemächlich Knie und Wade eingerieben, und als jetzt Diethelm schloß:

»Wir sind doch eigentlich ganz gleich, ich thu' Alles wegen meinen Verwandten und du thust Alles wegen deinem Bruder,« da schaute Medard grinsend auf und sagte:

»Aber mein Bruder ist jetzt Euer einziger und nächster Verwandter, Eure Letzweiler Krattenmacher haben schon genug gekriegt und für den Munde thun wir Alles, und ihm muß Alles bleiben.«

Diethelm biß sich die Lippe blutig über diese freche Rede, die ihm in's innerste Herz griff, aber er schwieg; er sah, wie der kecke Bursche ihn jetzt schon zu meistern begann und schaute mit Grauen in die Zukunft. Er faßte einen tödtlichen Haß gegen den Gesellen und stampfte auf den Boden vor Zorn und Reue, daß er ihn nicht erdrosselt hatte. Jetzt war das nicht mehr möglich, von der Stube aus hätten die Dienstleute im Nebenbau den Hülferuf gehört. Welch ein ausgespitzter [108] Bösewicht war es, an den er zeitlebens gefesselt war, auch nicht einen Augenblick hatte der sich besonnen, die That zu vollführen, während er selbst doch so gräßlich mit sich gerungen hatte. Diethelm knirschte in sich hinein, da er die Unterthänigkeit gewahr wurde, in die sein immer noch weichmüthiges Naturell gegenüber diesem versteiften, hartgesottenen Bösewicht gerieth; äußerlich aber war er freundlich und zuthulich, und nickte zu dem Vorschlage Medards, man müsse vom obern und zweiten Boden Bretter ausheben, daß die Flamme rasch einen Durchzug fände, bevor sie hinausschlage.

Schwer ist oft die Verzweiflung, die einen Menschen heimsucht, der einsam den Weg des Verbrechens wandelt; aber einen Genossen haben ist höhere Pein: man kann den eignen Mund hüten, daß er nicht rede, die eigenen Mienen, daß sie nicht zucken, und es kann Tage geben, wo man Alles vergißt und sich ausredet, was geschehen ist; in einem Genossen aber spricht bei jeder Begegnung die That sich aus, ohne Wort, ohne Wink; und weilt er fern, wer behütet den Mund, wer wahrt die Mienen, daß sie nicht den Ahnungslosen in's Verderben reißen?

Das erkannte Diethelm, da er wieder allein war und es ihm vorkam, als knistere es schon in den Wänden. Als der Hahn krähte, erwachte Diethelm und ballte die Fäuste; der Gedanke schnellte ihn empor, daß Nichts übrig bleibe als den verrätherischen Genossen aus dem Wege zu schaffen, der ihn gewiß schon seit Jahren betrogen und mit zu seinem Elend verholfen, aber [109] er bezwang sich und – so seltsam geartet ist das Menschenherz – daß Diethelm aus dieser Selbstbeherrschung einen friedlichen Trost schöpfte: die That, die er begehen wollte, erschien unschuldvoll, fast ein Kinderspiel, da er das schwere Verbrechen, den Mord von sich wies.

Mit ruhigem Gewissen schlief Diethelm abermals ein.

[110]

13. Kapitel

Dreizehntes Kapitel.

Es läßt sich kaum sagen, was in dem beiderseitigen Blicke lag, als sich Diethelm und Medard am Morgen zum Erstenmal im Tageslicht begegneten, nur mit Blitzesschnelle streiften sich ihre Blicke, dann schaute Jeder vor sich nieder. Medard aber war wieder schnell gefaßt, griff in die Tasche und sagte, die Messingschrauben zeigend, mit triumphirender Miene: »Da, die hab' ich heut' schon geholt.«

»Vergrab' sie,« sagte Diethelm und winkte dem Medard nach dem Stalle und fuhr hier fort: »Du sagst doch deinem Vater nichts?«

»Nein, das ist nichts für einen Sympathiedoctor. Der Ofen muß aber heut' geheizt werden, denn brennt's an einem andern Ort, da merken sie, daß die Schrauben und Kloben fehlen. Das Flugfeuer kann nicht zünden, die Dächer sind mit Schnee bedeckt. Aber Meister,« fuhr Medard fort, das Wort ging ihm schwer heraus, »wie ist's denn? wollen wir die Schaf' nicht an einen Ort thun? Ihr wisset ja wohl, die sind blitzdumm und können das Funkeln nicht leiden und laufen grad' drein 'nein!«

»Das geht nicht, das könnt' den Leuten verdächtig vorkommen, es muß Alles bleiben, wie es ist. Ich [111] sag' dir's noch einmal, es muß Alles bleiben, wie es ist.«

So schloß Diethelm und ging nach dem Hause. Hinter ihm drein aber streckte Medard die Zunge heraus und fluchte vor sich hin: »Du verdammter Scheinheiliger, wart' du Waisenpflegerle, popple du nur die ganze Welt an und thu', wie wenn du kein Thierle beleidigen könntest, dich hab' ich; ich halt' dich am Strick um den Hals, du sollst mir's theuer bezahlen, daß du die unschuldigen Schafe verbrennst, du sollst mir nimmer Mäh machen und nicht mucksen, wenn ich dich anguck'.« In der Seele dieses Menschen, bereit zum Verbrechen, empörte sich noch das Mitgefühl für die Thiere, die er jahraus jahrein hütete, und dieses Mitgefühl verwandelte sich in neuen giftigen Haß gegen Diethelm, und dieser war ihm so erlabend, daß er sich auf die Vollführung der That wie auf eine Lustbarkeit freute.

Diethelm aber, der nach dem Hause ging, lächelte vor sich hin; die Messingschrauben wurden zu sicheren Handhaben gegen Medard. Die Zerstörung der Feuerspritze, das war eine That, mit der er Medard gefangen halten konnte, er selber konnte jede Betheiligung leugnen, er konnte mindestens damit drohen, und wenn die Sache herauskam, so wälzte dieser Vorgang allen Verdacht auf Medard. Es galt nun behutsam in dem Mitwissen des Waldhornwirths und vielleicht bei einem andern festzustellen, daß und wie Medard beim Ueberheben der Spritze auf den Schlitten geholfen habe, und dann mußte Diethelm unter der Hand merken lassen, daß er mit Medard unzufrieden sei und ihn [112] aus dem Haus thun wolle. Aber Alles nur fein behutsam.

»Du meinst, du hast mich, und ich hab' Dich im Sack,« sprach Diethelm in sich hinein und freute sich seiner klugen Benutzung der Umstände. So hegten diese beiden Menschen, die so einig schienen, im Innersten den tiefsten Haß gegen einander, und während sie noch gemeinsam die That zu vollbringen hatten und noch nicht der Beute habhaft waren, dachte ein Jeder schon daran, wie er dem Andern den Genuß verkümmere und ihn gefangen halte.

Unter der Thür traf Diethelm einen Boten vom Kohlenhof mit der Nachricht von Martha, daß ihr noch Mancherlei geschickt werden solle, da sie die Kranke noch mehrere Tage nicht verlassen könne. Der Bote sah verwundert auf Diethelm, dem die Krankheit seiner Stieftochter gar nicht zu Herzen zu gehen schien, ja in seinem Gesichte drückte sich sogar eine Freude aus und der Bote, ein armer alter Häusler, dachte darüber nach, wie hart der Reichthum die Menschen mache, denn die Freude in dem Gesichte Diethelms konnte gewiß nur von der Aussicht auf die Erbschaft herrühren. Diethelm aber dachte an nichts weniger als an die Erbschaft, er war froh, daß seine Frau noch länger wegblieb; in der nächsten Nacht mußte die unterbrochene Vorbereitung vollführt und Alles rasch zu Ende gebracht werden. Er ließ daher seiner Frau sagen, sie möge nur ruhig bei ihrer Tochter bleiben, da er ohnedieß morgen verreise.

Im Waldhorn war heute Diethelm besonders aufgeräumt, [113] und als der Wirth sein Geschick lobte, das ihn immer mit unverhofftem und neuem Glück überhäufe, nickte Diethelm still. Er freute sich, daß man an den großen Gewinn glaubte, den er aus dem Verkauf seiner Vorräthe mache. Das ließ gewiß nie einen Verdacht aufkommen, geschehe was da wolle. Dennoch erzitterte Diethelm innerlich, als der Vetter Waldhornwirth erzählte: »Denk' nur, was heut' geschehen ist. Wie wir heute die Spritze abheben, ist ein Rudel Schulbuben drum 'rum, der Schmied jagt sie fort, aber die sind wieder da wie Bienen auf einem blühenden Repsfeld. Und wie jetzt der Schmied eine Peitsche nimmt und unter die Buben einhauen will, da ruft der alt Schäferle: ›Laß sein, bei so etwas darf man sich nicht versündigen und die Kinder können Nichts dafür; sie hören immer davon und sehen das ganze Jahr die Spritze nicht, und da sind sie gewunderig froh, wenn sie das einmal am hellen Tag und in der Ruhe sehen.‹ Könnet Euch denken Vetter, was auf die Red' für ein Geschnatter und Getrappel ist, und wo man hinguckt, hängt so ein junger Malefizbub, und mit Müh und Noth werden wir fertig, ohne so Einem die Finger abzutreten. Wie wir eben fortwollen und der Schmied das Thor in der Hand hat, um zuzuschließen, da hören wir wie die Spritze von selber zweimal pumpt, grad', als ob man's hüben und drüben heben thät. Da ruft der alt Schäferle: ›Höret ihr? Eh' drei Tage vergehen, brennt's im Ort.‹ Der Schmied ist so bös, daß er die Thür zuschlägt und fast den alten Schäferle dazwischen klemmt. Dein Knecht, des Schäferle's Medard hat [114] sich geschämt, daß sein alter Vater so dummes Zeug schwätzt und ist davon, und die Schulbuben rennen durch's Dorf und schreien überall: ›In drei Tagen brennt's.‹ Dem alten Schäferle sollte man seine dummen Prophezeiungen verbieten, aber hier fürchtet sich Alles vor ihm und – sollt' man's meinen, wo man hört, glauben die Leut' alle an die Prophezeiung, und da sind die Leut' hier noch stolz auf ihren Ort. Bei uns daheim in Letzweiler fände man keine zwei alten Weiber, die so was glauben thäten, und der Ort liegt doch nicht an der Landstraß' wie Buchenberg.«

Diethelm griff aus dieser langen Mittheilung gern den letztangeregten Gegenstand auf; der alte Wettkampf, der in Spott und Neckerei überall zwischen einem Dorf und dem andern rege ist, hatte ihn schon viel erlustigt, aber Keiner der anwesenden Buchenberger ging heute darauf ein und Diethelm schien es fast, als ob er Mißtrauen errege, weil er von dem Schreckgespenst gar nicht rede, er sagte daher überlenkend:

»Der alt Schäferle hat nichts besonderes prophezeit. Jedesmal, wenn man was an den Spritzen zu thun hat, hält man das für ein Wahrzeichen, daß eine Feuersbrunst auskommt, und da ist's am gescheitesten man macht den Aberglauben zu Schanden und giebt doppelt Acht, daß kein Unglück auskommt.«

Alles schwieg. Nur ein fremder Mann, der auf der Ofenbank saß, sagte halblaut vor sich hin:

»Abbrennen ist nicht immer ein Unglück, im Gegentheil –«

[115] »Wer ist der Lump?« fragte Diethelm seinen Vetter und dieser erwiderte:

»Ein fremder Spindelnhändler. Ich hätt' gute Lust und thät den Kerl die Stiege 'nabwerfen.«

»Thu's nicht,« beschwichtigte Diethelm, »das giebt ein unnöthiges Geschrei in der Welt.« Er beredete nun seinen Vetter, am morgenden Tage mit ihm nach der Hauptstadt zu reisen, wohin er mit Proben seiner Wollvorräthe gehen, und dann seine Fränz abholen wolle, die ihm geschrieben habe, daß sie nicht mehr in der Stadt bleibe. Gerade der Waldhornwirth war ihm stets der liebste Genosse, er war halb Kamerad, halb abhängiger Untergebener, und draußen, wo man dieses letzte Verhältniß nicht kannte, war Diethelm immer besonders hoch angesehen, wenn der stattliche Waldhornwirth ihn überall mit unterwürfiger Ehrerbietung behandelte und hinter seinem Rücken sein Lob verkündete. Der Waldhornwirth war schlau genug, diese unausgesprochene Vasallenschaft zu erkennen; er that oft, als ob er sich davon losmachen wolle, um den Vetter zu allerlei Nachgiebigkeiten und Vortheilen zu bewegen. Dies gelang ihm auch heute, denn Diethelm versprach eine Entschädigung für jegliche Versäumniß.

In neuer verzweiflungsvoller Pein ging Diethelm wieder heimwärts. War es denn nicht, als ob plötzlich seine innersten geheim gehaltenen Gedanken sich von unsichtbarem Munde verbreitet hätten, so daß jetzt Alles im Dorfe von einer Feuersbrunst sprach, an die man sonst das ganze Jahr nicht dachte? Wäre es nicht das Beste, Alles zu verschieben und zu hintertreiben,[116] bis die Prophezeiung vergessen ist? Aber wer weiß, wann die Frau wieder aus dem Hause sein wird?

Im Stall traf Diethelm den Medard, der ein großes Seil mit Karrensalbe einschmierte und auf seine verwunderte Frage erhielt er die Antwort, daß dieses das Seil aus der Radwinde sei, das mit Fett getränkt als Lunte dienen müsse, um das Feuer blitzschnell in den Nebenbau auf den Heuboden zu leiten. Diethelm konnte nicht umhin, auch diese erfinderische Klugheit zu loben; dennoch sprach er davon, die Sache noch zu verschieben, da man an die dumme Prophezeiung glaube; Medard aber erwiderte:

»Just deßwegen müssen wir gleich losschießen. Weil Alle davon schwätzen ist Jeder vorsorglich und glaubt Niemand dran, und geschieht jetzt was, da heißt's: das hat sein müssen, das hat kein Mensch gethan, es hat sein müssen, weil's prophezeit gewesen ist.«

Wie doch Alles auch seine Kehrseite hat, das erfuhr jetzt Diethelm; die Wendung, die Medard der Sache gab, war doch überaus sinnreich und fein berechnet, und doch war Diethelm schwer beklommen, schwerer als je; ihm war's, als wäre die That nicht mehr sein, sie war in fremde Hand gegeben und mußte geschehen, sei er nun willfährig oder nicht.

Fast die ganze Nacht hindurch war Diethelm mit Medard beschäftigt Alles herzurichten. Die Mäuse liefen ohne Scheu wie toll hin und her, als ahnten sie den Untergang des Hauses. Diethelm zitterten oft die Hände, aber Medard war voll heiterer Laune, und wenn es Diethelm versäumte, lobte er sich selbst über [117] hundert kleine Erfindungen, die er noch machte und kneifte sich selbst in die Wangen. Diethelm schauderte, als Medard über die geweihten Kerzen im Kirchentone einen wild närrischen Feuersegen sprach.

Als der Morgen graute und ein lustiger Wind pfiff, entzündeten sie die Kerzen und verschlossen Alles sorgfältig, daß kein Lichtschein nach außen dringe. Diethelm sagte nun, daß er verreise.

»Bis wann kommst du wieder?« fragte Medard. Betroffen sah Diethelm drein, daß ihn sein Knecht dutzte, aber er hielt an sich und erwiderte:

»Bis gegen Abend.«

»Drum,« erwiderte Medard, »wenn du nicht auch da bist, wenn es losgeht, zeig' ich dich an, so wahr die Lichter da brennen; oder nimm mich mit, ich will nicht allein da sein, daß Alles auf mich kommt.«

Diethelm bebte vor Wuth, er sah, in welche Hände er gegeben war, er griff sich hin und her am Hals, denn er fühlte, wie es ihm die Kehle zuschnürte; endlich brachte er unter Zähneklappern die Worte hervor:

»Kannst dich drauf verlassen, daß ich Abends wieder da bin, da hast mein' Hand drauf.«

Kaum hatte Diethelm die Hand Medards gefaßt, als er ihm einen Stoß vor die Brust gab, daß er niederfiel, und jetzt kniete er auf ihn und band ihm mit dem Halstuch die Hände zusammen, aber Medard biß ihm in den Arm, schnell raufte Diethelm eine Hand voll Wolle aus einem daneben stehenden Sack, stopfte sie Medard in den Mund, band ihm die Füße mit Stricken zusammen, betrachtete ihn einen Augenblick [118] mit gehobenem Fuß, als wollte er ihn zertreten, und eilte hinab, Alles sorgfältig hinter sich verschließend.

Vor dem Hause rief er absichtlich laut nach Medard, aber die Magd kam und half ihm die Pferde eingeschirren; und so schnell als der Wind, der den Schnee aufwirbelte, jagte Diethelm davon.

[119]

14. Kapitel

Vierzehntes Kapitel.

Im Rautenkranz in der Hauptstadt lebte indeß Fränz auch nicht so vergnügt, wie sie es gehofft hatte. Das Wirthshaus war fast wie eine kleine Stadt für sich; der gepflasterte Hof war so groß wie der Marktplatz eines kleinen Städtchens, bequem konnten zwei Frachtfuhren darin wenden und in den Scheunen und Ställen war allzeit ein reges Leben; Frachtfuhren, Stellwagen, Botenwagen, Reiter und Fußgänger von allen Gegenden des Landes gingen hier ab und zu und Jeder wußte so vollkommen Bescheid im Hause, daß das rührig bunte Treiben sich doch wieder wie eine stille Regelmäßigkeit darstellte. Wären nicht Gasröhren durch das Haus geleitet gewesen, man hätte in ihm nicht geglaubt, daß man sich mitten in der Hauptstadt befinde. Die weite, offen stehende Küche mit ihrem zahlreichen glänzenden Kupfergeschirre an den Wänden und dem übermäßig breiten Herde in der Mitte, die steinernen Treppen mit ausgelaufenen Geleisen zeigten, daß hier Alles von altem Bestand war und gleicherweise zeigte sich's in der weitläufigen Wirthsstube, wo nicht weit von dem mächtigen Kachelofen an der großen, mit neubackenem Brod überschütteten Anrichte die Herrin des Hauses, eine stattliche Wittwe, saß, nähte und sich von den Ankommenden er zählen ließ und ihnen Bescheid gab, ohne [120] sich zu irgend Jemand zu drängen. Es gab vielleicht keinen zweiten Menschen im Lande, der dessen innerste Verhältnisse so genau kannte, als die Frau Rauten-Wirthin, sie machte aber von ihrer Wissenschaft keinen Gebrauch, außer in seltenen Fällen, wenn sie von alten Hausfreunden um eine Nachricht angegangen wurde; sie wendete vielmehr ihre ganze Macht auf die Regierung ihres Hauses und diese gelang ihr vollkommen, denn sie herrschte unbedingt. Von ihren drei Töchtern hatte eine die Aufsicht in der Küche, während zwei die Gäste bedienten, die beiden Söhne versahen die Bäckerei und Metzgerei und Alle gehorchten der Mutter mit unbedingter Unterwürfigkeit; ja die Söhne bekamen Sonntags von der Mutter ein Taschengeld ausbezahlt und fanden diese Abhängigkeit vollkommen in der Ordnung. Und wenn die Rautenwirthin zwei- dreimal des Tages durch das Haus ging, konnte man sich darauf verlassen, daß Alles vom Morgen bis zum Abend in fester Ordnung sich hielt; denn die Knechte und Mägde, durch das Beispiel der Kinder belehrt, waren ebenfalls voll Gehorsam und Pflichterfüllung, und wer aus dem Rautenkranze sich anders wohin verdingte, konnte bei gutem Lobe zehn Dienste in einer Stunde haben. Nie hörte man einen Zank im Hause, willfährig geschah die Handreichung von Einem zum Andern, der Pflichtenkreis eines Jeden war fest abgemessen, es konnte Niemand aus seiner Bahn abirren; auch wenn noch so viel Gäste da waren, bemerkte man nie eine Hast, nie aber auch war Unthätigkeit.

Fränz hätte wohl kein besseres Haus finden können, [121] um die Wirtschaftlichkeit im größern Maßstab zu erlernen, und so erschien es ihr auch Anfangs; der gediegene Halt und die stetige Ordnung des Hauses nöthigte ihr da eine hohe Achtung und willfährige Unterordnung ab; ja sie griff um so freudiger zu, wenn sie daran dachte, wie daheim bei den wenigen Menschen Alles so kunterbunt durcheinander ging, daß man oft nicht wußte, wann Mittag und wann Abend ist. Nach und nach fühlte sich aber Fränz wiederum beängstigt und gefesselt von dieser Hausordnung; spät schlafen gehen und früh aufstehen, den ganzen Tag arbeiten und nie eine Lustbarkeit, ja kaum vor die Thüre kommen, dazu war sie nicht nach der Stadt gegangen; sie lebte ja hier fast wie eine Magd. Sie versuchte es, die Töchter und die Mägde zur Widerspenstigkeit aufzuhetzen, aber sie fand kein Gehör und die Rautenwirthin hatte ein scharfes Auge auf sie. Fränz hatte dem Sohne des Sternwirths von G. bald zu wissen gethan, daß sie hier sei; er kam auch mehrmals in der Dämmerung, wenn im Erbprinzen abgespeist war, aber mit Schrecken und Ingrimm sah Fränz, daß er fast nur Augen für die älteste Tochter der Rautenwirthin hatte, und sich oft stundenlang zu der Mutter setzte, die großen Gefallen an ihm zu haben schien. Nun behandelte ihn Fränz mit auffälliger Mißachtung und sie verstand es bald mit dem ältesten Haussohn, dem Metzger, einen kleinen Liebeshandel anzuzetteln. Das dauerte aber auch nicht lang und mit Einemmale war aller Verkehr abgebrochen und Fränz erfuhr von einer vertrauten Magd, die gelauscht hatte, daß die Wirthin [122] ihrem Sohn jede Hinneigung zu Fränz ernstlich verboten, und dieser fast ohne Widerspruch nachgegeben habe. Fränz sah von da an in dem Hause nur noch ein Sklavenhaus und verwünschte Alles, was darin war, den Sohn, der sich von dem Herrschteufel, der Mutter, befehlen lasse und vor Allem diese selbst; wenn sie sie hätte vergiften können, es wäre ihr erwünscht gewesen. Nun aber blieb ihr nichts, als wo sie konnte Unordnung und Unfrieden im Hause stiften, und alle ihre Obliegenheiten zu vernachlässigen. Als die Wirthin sie über Letzteres zur Rede stellte, erklärte Fränz voll Heftigkeit: sie sei keine Magd und noch viel weniger ein Sklav, sie thue was sie wolle, dafür bezahle ihr Vater Kostgeld. Ohne ein Wort zu erwidern, ordnete die Wirthin an, daß Fränz Nichts mehr im Hause zu thun habe, und daß sie nur noch eine Kostgängerin sei, bis ihr Vater sie abhole und das je eher, je lieber. Darum schrieb Fränz den Brief an ihren Vater und wollte nun nach Laune frei und ledig in der Stadt umherlaufen; die Wirthin aber erklärte, daß das nicht angehe, so lange sie bei ihr im Hause sei; sei ihr Vater da, könne sie machen, was sie wolle.

Munde hatte, ohne daß es ihm Fränz zu wissen that, doch bald erfahren, wo sie war; er kam nun auch oft in den Rautenkranz und blieb übermäßig lang bei seinem Schoppen sitzen, meist schweigsam und wenig theilnehmend an den Gesprächen um ihn her, nur seine Blicke folgten Fränz, wenn sie durch die Stube ging, und er trommelte mit den Fingern auf dem Tisch, wenn sie mit einem Gaste freundlich that. Fränz aber [123] lächelte ihm nur manchmal schelmisch zu, und wenn er sie heimlich auf einen sogenannten »Ständerling« vor dem Hause bestellte oder gar mit ihr zum Tanze gehen wollte, wehrte sie strenge ab, da die Wirthin sie bei dergleichen mit Schimpf und Schande aus dem Hause jagen würde. Während sie auf Habhaftwerdung des Sternenwirthssohnes und dann des Haussohnes ausging, verstand sie es, Munde doch so hinzuhalten, daß er treulich wiederkam und diese ausdauernde Liebe that ihr einerseits wohl, andererseits hoffte sie dadurch besonders bei dem Haussöhne eine Eifersucht und eine raschere Entscheidung herbeizuführen. In der Küche und bei dem Wirthssohne scherzte sie oft über Munde und seine närrische Verliebtheit, wobei sie ihn stets ihren Knecht nannte.

Schon seit mehreren Tagen erwartete Fränz ihren Vater, und als sie von allen ankommenden Fuhrleuten vernahm, welch eine unerhörte Kälte draußen sei, beklagte sie, daß ihr Vater dadurch abgehalten werden könne, sie zu holen. Gegen Abend kam Munde mit noch einem Soldaten und dessen Vater, einem Bauer aus Unterthailfingen, der seinen Sohn besucht hatte. Fränz that heute besonders freundlich gegen Munde, bat ihn um Aufträge an die Seinigen, da sie bald die Stadt verlasse.

»Und du wirst jetzt noch einmal so reich,« sagte Munde.

»Wie so? Hast du was gehört? Hat mein Vater verkauft?«

»Das auch, aber dein' Stiefschwester, die Kohlenhofbäuerin, liegt im Sterben und da kriegst du Alles.«

[124] »Woher weißt das?« fragte Fränz.

»Da der Peter von Unterthailfingen erzählt's, dein' Schwester wird schon gestorben sein.«

Während Fränz sich noch mit der Schürze die Augen abrieb, trat ein Postschaffner vor Kälte heftig trappend ein. Es war ein ehemaliger Unteroffizier, den Munde kannte; er bot ihm nun das Glas zum Trinken an und der Schaffner sagte, sich den Bart wischend:

»Weißt auch schon, des Diethelms Haus in Buchenberg ist abgebrannt?«

»Herr Gott, unser Haus?« schrie Fränz in lauter Wehklage, und stieß im Umsichschlagen die Flasche vom Tisch, die klirrend auf den Boden fiel, so daß Alles im Zimmer sich nach ihr wendete. Munde sprang schnell auf und setzte die zitternde Fränz auf seinen Stuhl. Der Schaffner bedauerte seine Unvorsichtigkeit, da er nicht gewußt habe, daß das Diethelms Tochter sei. Fränz aber, leichenblaß und mit stierem Blick, wollte Näheres wissen. Der Schaffner hatte dies nur von einem Andern gehört, der am Morgen durch Buchenberg gefahren war und wußte weiter Nichts, als daß kein Mensch dabei verunglückt sei, nur einen Knecht, der das Haus angezündet habe, suche man noch vergebens. Alles versammelte sich nun um Fränz und tröstete sie; ja man wollte ihr sogar die ganze Sache ausreden, es sei vielleicht gar nicht wahr und dergleichen mehr. Fränz aber war rasch entschlossen, sie wollte augenblicklich heim; sie faßte beide Hände des Munde und bat ihn, ihr zu helfen, daß sie fortkäme, sie jammerte um ihren Vater und ihre Mutter und [125] klagte sich selber an, daß sie von ihnen fortgegangen sei, es seien gewiß Alle verbrannt, und man sage es ihr nicht. Die Wirthin wollte sie beruhigen und ihr solch wildes Rasen ausreden, aber Fränz stieß sie heftig von sich.

»Munde, du bist dein Lebtag gut zu mir gewesen, ich bitt' dich Munde, guter Munde, hilf mir, daß ich fortkomm',« rief sie immer laut weinend, und Munde selber weinte mit und versprach Alles zu thun. Der Schaffner sah auf seine Uhr und sagte: durch Buchenberg gehe erst Morgen wieder ein Eilwagen, in einer Stunde aber gehe ein anderer nach G. ab, und von dort aus könne Fränz leicht nach Buchenberg kommen. Fränz eilte schnell auf ihre Kammer, holte ihre Kleider, und trotz aller Einrede, daß sie doch den Abgang des Wagens im Haus abwarten möge, blieb sie nicht und ging, von Munde allein begleitet, nach dem Posthofe.

Wie träge schlug hier die Uhr, Fränz wollte fast vergehen vor Hast und Verzweiflung, und Munde, der sie gar nicht beruhigen konnte, sagte fast unwillkürlich:

»Wenn ich nur den bösen Gedanken aus dem Kopf bringen könnt'!«

»Was? Was hast?« fragte Fränz, ihn am Arme fassend. Munde sagte, daß es Nichts sei, und er könne es nicht sagen, es sei schlecht und sie solle es ja nicht glauben, aber er sag's ihr nicht.

Nun drang Fränz immer heftiger in ihn und schwur, ihr Leben lang ihn nicht mehr anzusehen, wenn er nicht mittheile, was er im Sinne habe. Da sagte Munde:

[126] »Es ist einfältig, es wäre besser gewesen, ich hätt' dir gar nicht gesagt, daß ich was weiß. Aber ich seh' schon, ich komm' so nicht mehr los. Schwörst du mir, es nicht zu glauben und keinen Haß auf mich zu werfen und mich gern zu haben, wenn ich dir's sag'? Nein, nein, ich kann auch so nicht, ich bring's nicht auf die Zung', nie.«

»Ich schwör' dir Alles, ich bitt' dich, lieber lieber Munde, ich hab' dich so lieb, ich bitt' dich, sag' mir's, was ist? Was weißt?«

»Es ist eigentlich dumm, und du könntest meinen, Wunder was es wär', drum will ich's sagen, aber du darfst's nicht glauben.«

»Nein; aber sag's.«

»Mein Medard hat einmal im Rausch gesagt, dein Vater woll' das Haus anzünden. Das ist Alles. Nicht wahr, du glaubst's nicht? Ich bitt' dich nur, gieb mir gleich Nachricht, wie es den Meinigen geht. Wenn ich Urlaub bekomm', komm' ich morgen nach. Was hast? Warum redest denn nicht? Steh' doch auf.«

»Ja, ja,« sagte Fränz wie träumend und erhob sich von der eisbedeckten Staffel, auf die sie sich gesetzt hatte. »So, jetzt kommen die Pferde, aber wie langsam die machen. Gott im Himmel! Ich sterb', wenn das nicht schneller geht. Munde, was hab' ich sagen wollen? Ich weiß nicht mehr. Ja, sei mir nicht bös. Wenn nur meine Eltern noch leben, dann ist Alles gut. Ich hätt's nie glaubt, daß ich so aus der Stadt weggeh', und da Munde, da hast du auch noch Geld; das, was du gesagt hast, ist nicht gesagt und wird nie mehr [127] gesagt. So, Gottlob, nun ade,« schloß Fränz, als der Schaffner »Eingesetzt« rief.

Der Postillon blies lustig, der Wagen fuhr ab und Munde schlug sich davongehend auf die Stirne; es kränkte ihn, daß er so unbesonnen herausgeredet und den Schmerz des Mädchens noch grausam vermehrt hatte, und jetzt merkte er erst, wie er so unbewußt Geld angenommen. Er kehrte in den Rautenkranz zurück, um noch Einiges zu besorgen, das Fränz in der Eile vergessen hatte.

[128]

15. Kapitel

Fünfzehntes Kapitel.

Unter klingendem Schlittenschellen fuhr Diethelm nach dem Dorfe hinab, er athmete tief auf in der scharfen Morgenkälte und starrte fast bewußtlos vor sich hin, beobachtend wie die Rappen so rasch und gleichmäßig die Füße hoben, und wie sie so muthig die schellenumwundenen Köpfe warfen.

Während im Herzen ein jäher Schreck ausklingt oder wilder Schmerz rast, ist oft der äußere Sinn verloren und gefangen in der Betrachtung eines Farbenspiels, eines alltäglichen Ereignisses, und verfolgt seine Wandlungen mit einer Stetigkeit und gesammelten Kraft, als wäre sonst Nichts auf der Welt und als müßte gerade dieser Vorgang in seinem innersten Wesen erforscht werden. Erwacht dann das innere Bewußtsein aus solcher träumerischer Versenkung, so fährt der Gedanke an das erlittene Unheil wie mit tausend schneidenden Waffen auf's Neue durch alle Lebensnerven, durchzuckt das ganze Wesen und ein lauter Aufschrei spricht es aus, was über das selbstvergessene Menschenherz gekommen.

Diethelm fuhr so heftig auf, daß er mit dem Leitseile die Rappen herumriß, so daß sie sich nur mühsam auf den Beinen hielten, während der Schlitten in den Graben abrutschte. Diethelm sprang heraus und es [129] gelang ihm bald, das Fuhrwerk wieder flott zu machen; er stieg aber nicht mehr ein, sondern ging heftig trappend neben den Pferden her bis zur Schmiede im Dorfe, wo er die Pferde frisch griffen ließ, während er nach dem Waldhorn ging. Der Waldhornwirth war noch nicht zuweg, und als er kam, war er überaus übellaunisch über die heutige Ausfahrt.

»Wir sollten heut' lieber daheim bleiben,« sagte er, »alle Wege sind verschneit, der Wind treibt allen Schnee auf den Straßen zusammen und es ist heute so sträflich kalt, daß der Hungerbrunnen zugefroren ist; das erinnern sich die ältesten Leute nicht.«

Diethelm sah den Vetter starr an, preßte die Lippen und sagte endlich:

»Wir müssen fort, da ist Nichts mehr zu reden.«

Der Waldhornwirth holte sich eine große Schale Kaffee aus der Ofenröhre, und während er auf das Erkalten wartete, dem Diethelm mit schnaubender Ungeduld zusah, sagte er:

»Wenn heute das Unglück wollte, daß ein Feuer auskäme, man hätt' keinen Tropfen Wasser zum Löschen, das ganze Dorf wär' verloren.«

Diethelm kam es vor, daß der Vetter ihn bei diesen Worten so seltsam anstierte und er verfiel plötzlich in ein grinsendes Lächeln; er überlegte rasch, ob er auf das Gehörte antworten sollte, aber Schweigen konnte Mißtrauen erregen; darum sagte er aufstehend:

»Glaubst du auch an die Prophezeiung?«

»Nein, aber möglich könnt' es doch sein.«

Das Zaudern und Trödeln des Waldhornwirths[130] machte Diethelm alle Eingeweide kochen, er hielt es in der Stube nicht mehr aus, sagte, er wolle nach der Schmiede gehen und bis er zurück käme, müsse der Vetter reisefertig sein. Diethelm war entschlossen, wenn das Zögern noch länger dauerte, lieber allein abzureisen, ohnehin war ja der Zweck erreicht, daß das ganze Dorf um seine Abreise wußte. Als er aber vor die Thür kam, wo ihm ein Wind so stark entgegen wehte, daß es ihm den Athem benahm und er sich umwenden mußte, spürte er plötzlich einen heftigen Schmerz im Oberarm von dem Bisse Medards, den er fast ganz vergessen hatte. Mit Mühe arbeitete er sich sturmentgegen nach der Schmiede, und als er dort ankam, rief er dem Schmied zu:

»Nimm dich in Acht vor dem zuderhändigen Rappen, der beißt. Weißt kein Mittel gegen einen Pferdebiß?«

»Laß einmal sehen,« erwiderte der Schmied.

»Es ist jetzt schon heil,« beschwichtigte Diethelm in Furcht, sich zu verrathen, »aber für's Zukünftige könntest du mir ein Mittel geben.«

»Da wendest du dich am besten an den alten Schäferle, der hilft dir, daß es in einer Stunde vorbei ist.«

Diethelm versprach dieß vorkommenden Falles zu thun. Während er am Feuer stehend den Schmerz verbiß, kam ein Trupp Männer und Burschen wild lärmend nach der Schmiede, so daß Diethelm erbebte.

»Komm Schmied,« hieß es nun, »es ist Befehl vom Amt da, daß wir mit dem Bahnschlitten 'naus [131] müssen, der Postwagen kann nicht durch. Sollen wir gleich die Rappen da einspannen?«

Diethelm wehrte ab und es gelang ihm, seine halb gegrifften Pferde zu behalten. Der Trupp eilte nach dem Spritzenhäuschen, wo der Bahnschlitten stand.

Im ganzen Dorfe war jetzt eine wunderliche Aufregung. Die Nachricht, daß man von aller Welt abgeschnitten sei, durchdrang alle Häuser und die Menschen, die sonst nie daran dachten, daß anderswo auch noch Leute wohnen, thaten auf Einmal, als ob sie allstündliche Verbindung nach außen hätten und gar nicht leben könnten ohne deren ungestörten Bestand. Ueberall in den verschneiten Gassen sah man mit dem Winde kämpfende Menschen hin- und herrennen, Weiber grillten, wie sie unversehens in eine tiefe Schneewehe traten, Kinder jauchzten, Männer schrieen: man lief nach den Nachbarhäusern zu Vettern und Verwandten, als müßte man sich vergewissern, daß der Weg dahin noch offen sei und Vorsorgliche eilten zum Krämer, um sich Salz zu holen; denn es hatte sich das Gerücht verbreitet, daß der Salzvorrath bald erschöpft sei und man lange keines von außen bekommen könne. Vor allen Häusern wurde geschaufelt und Eis gehackt und mancher Scherz dabei verübt und die Kinder thaten überall mit, denn in der allgemeinen Aufregung war ein glücklicher schulfreier Tag. In das verschlossene lautlose Winterleben des Dorfes war plötzlich ein buntes lärmendes Straßentreiben gekommen, in dem das damit verbundene Ungemach fast vergessen schien, der Wirrwarr hatte seinen eigenen Reiz und die Erwachsenen [132] sind auch oft wie die Kinder, denen nichts lieber ist, als eine tummelfreie Umkehr der gewohnten Ordnung.

Das meiste Leben war bei dem Bahnschlitten. Dieses noch aus dem Urzustande herstammende Fahrzeug aus starken in einen spitzen Winkel gefugten Borden bestehend, einem in der Mitte zertheilten Schiffe gleichend, dessen Kiel mit Eisen beschlagen, wurde mit sechs Pferden bespannt, und mindestens dreißig Mann stellten sich als Beschwerungslast auf denselben, johlten und schrieen.

Diethelm sah all dem Treiben mit unnennbarer Seelenangst zu. Das Herz im Leibe drückte ihn wie ein Stein, bald schlug es ihm wie Flammen zum Gesicht heraus, bald überrieselte es ihn eiskalt; den Schmerz am Arme spürte er kaum mehr. Am Bahnschlitten hörte er mehrmals den Namen Medards nennen, der sonst immer bei dieser Ausfuhr gewesen war und sich heute nicht sehen ließ. Diethelm sagte, der Medard müsse daheim bleiben, da er verreise. Endlich fuhr das schwere Gefährt das Dorf hinaus, und es trat eine Weile Stille ein. Diethelm kehrte in das Waldhorn zurück. Der Vetter war froh, daß sich die Reise noch verzögerte, während Diethelm vor Verzweiflung fast vergehen wollte. Er stellte die Rappen im Waldhorn ein und wollte bis zur Abreise nur die Rückkunft des Bahnschlittens abwarten, einstweilen ging er wieder – nach Hause. Es schauderte ihn innerlich, da er dieses Wort aussprach, er hatte ja kein Haus mehr, es sollte nicht mehr sein. Dennoch ging er den Weg dahin, aber an der Anhöhe hielt er an und konnte sich nicht[133] dazu bringen hinauf zu steigen. Es kam ihm der Gedanke, Medard zu befreien, und wie von einem Bann erlöst, rannte er mehrere Schritt hinan; aber plötzlich hielt er wieder inne: wenn er nun Medard befreite, muß dieser ihn nicht auf den Tod hassen und in's Elend bringen? ... Diethelm kehrte rasch wieder um. Aber noch einmal und noch einmal stieg er fast dieselbe Höhe des Berges hinan, und wieder stand er still und fuhr sich mit todtenkalter Hand über die heiße Stirn, denn er dachte: Medard ist schon erstickt, er muß schon erstickt sein. Was willst du dir noch den grausenvollen Anblick machen, der dich nie verlassen wird, so lang dir ein Aug' offen steht? ... Der Wind im Rücken half Diethelm rasch den Berg hinabspringen, und er kam eben in's Dorf, als der Eilwagen glücklich durchfuhr. Nun war die Bahn offen, es galt, keine Zeit mehr zu versäumen. Mit erheitertem Antlitz kam Diethelm in's Waldhorn zurück, aber er mußte doch noch dem Vetter nachgeben, daß man daheim Mittag machte. Diethelm trank zwei Flaschen von seinem Leibwein und war überaus wohlgemuth, als man über alle Hindernisse hinweg endlich davonfuhr. Der alte Schäferle mit seiner dampfenden Pfeife stand am Wege, nickte Diethelm und seinem Trompeter zu und winkte mit der Hand, zeigend, daß er nach Diethelms Haus zu seinem Medard gehen wolle. Diethelm wollte dies abwehren, aber die Pferde waren so rasch im Zuge, daß man unversehens weit vom Schäferle weg war, und als Diethelm den Vetter zwang anzuhalten und sich umwendete, war der Schäferle verschwunden. Diethelm [134] ließ ihm nun durch ein Kind am Wege sagen, daß er den Medard über Feld geschickt habe; er hatte nicht mehr Zeit, dies bereuend und eingedenk seiner widersprechenden Aussage beim Bahnschlitten, zu widerrufen, denn der Vetter fuhr heute im tollen Trab. Dieser Widerspruch ist auch gewiß ganz bedeutungslos, sagte sich Diethelm und nahm sich vor, fortan recht genau auf Alles zu achten, was er sage. Noch einmal wendete sich Diethelm nach seinem Hause um, es tanzte ihm vor den Augen, als käme das Haus den Berg herab. Er nahm dem Vetter die Peitsche ab und hieb selber auf die Pferde ein, daß sie in gestrecktem Galopp davonrannten.

Man begegnete vor Unterthailfingen dem Bahnschlitten, und der darauf stehende Trupp, der sich im Nachbardorfe erlustigt hatte, brachte Diethelm in wildem Schreien ein Hoch aus. Dem Trompeter schien heute sein Mundstück eingefroren, er redete kein Wort; die Kälte war aber auch zu schneidend, wie scharfe Messer fuhr sie in's Gesicht und schlupfte unter dicken Schafpelzen durch, auf alles Eisenwerk am Schlitten und Geschirr setzte sich immer ein haarigkrauser Schneereif. Die Sonne war heute gar nicht erschienen. Schneewolken jagten sich am Himmel, aber es war zu kalt, als daß sie niederfielen. An der kalten Herberge öffnete endlich der Vetter seinen Mund und sprach von Einkehr, auch die Pferde schienen mit dem Vetter einverstanden und wendeten sich ab des Weges; aber Diethelm peitschte sie ingrimmig durch und jagte vorbei, es war ihm unmöglich, jetzt in dieses Haus einzutreten, [135] ja schon dessen Anblick sträubte ihm die Haare empor. Der Vetter ward nun noch verschlossener und letzte sich nur bisweilen an dem mitgenommenen Kirschengeist. Es war schon lange Nacht geworden, als man steif und starr in G. im Stern ankam. Mit gekrümmten Fingern griff sich Diethelm in die Tasche, um nach seinen Papieren zu sehen. Plötzlich schrie er laut auf und schlug sich auf die Stirn, er hatte die Staatspapiere vergessen, die er in der Hauptstadt zu Geld machen wollte. Der Vetter, seines Amtes eingedenk, tröstete ihn in seiner unfaßlichen Verzweiflung.

»Die Staatspapiere verschimmeln Euch ja nicht und Ihr habt ja noch Geld genug.«

Diethelm konnte es sonst nie leiden, daß der Trompeter solche Reden an ihn allein verschwendete, ohne daß sie sonst Jemand hörte; heute aber nickte er ihm schnell gefaßt zu, denn er überlegte rasch, daß das Aufgeben dieser Wertpapiere, deren Besitz er nachweisen konnte, bei etwaiger Untersuchung entschieden zu seinen Gunsten sprechen müsse. Er rieb sich gewaltig die Hände und setzte sich behaglich an den Tisch.

»Ihr habt's gut,« sagte der Vetter, dessen Register einmal aufgezogen war, »Euch fliegt der Reichthum nur zu, wo man gar nicht d'ran denkt.«

Diethelm bestätigte den Gewinnst, den er durch Verkauf der Wolle mache und erholte sich immer mehr an dem Zutrauen, das seine Vorkehrungen einflößten.

»Das mein' ich ja gar nicht, Ihr machet ja die große Erbschaft,« entgegnete der Vetter.

[136] »Red' nicht so. Von wem soll ich erben? Von den Unsrigen in Letzweiler?«

»Stellet Euch nur nicht so. Ihr wisset's wohl und ich weiß nicht, warum Ihr so thut als ob Ihr's nicht wüßtet, Eure Stieftochter auf dem Kohlenhof, die kommt nicht mehr auf, sie sagen ja, sie sei schon todt; Kinder hat sie nicht und da fällt wieder Alles an die Mutter zurück.«

Gläsernen Blickes, mit offenem Munde und ausgespreizten Händen hörte Diethelm diese Worte.

»Dann ist ja Alles umsonst!« schrie er laut auf und faßte den Vetter an der Brust und schüttelte ihn, als wollte er ihn erdrosseln. Der Vetter wehrte ab und sagte:

»Was habt Ihr denn? Ihr thut ja wie von Sinnen.«

»Ich bin's, komm, komm' da fort,« stöhnte Diethelm, »nein, ich bin nicht närrisch, aber komm', einspannen, schnell, heim, in mein Haus, mein Haus ...« Er richtete sich auf, sank aber wieder zurück auf den Stuhl und schlägelte mit den Händen, als hätte ihn der Schlag gerührt. Der Vetter schüttete ihm schnell Wein hinab und Diethelm erholte sich bald wieder, dann bat er mit weinender Stimme, daß sie schnell wieder heimkehren sollten, er müsse zu seiner Frau. Der Vetter war gerührt, daß Diethelm der Tod seiner Stieftochter so nahe ging, er versprach Alles zu besorgen, und eilte hinaus. Diethelm faltete die Hände vor dem Mund und sprach etwas wie ein Gebet, und so zutraulich auch heute wieder der Sternenwirth war, [137] er gab ihm keine Antwort und eilte hinaus in den Stall und weinte dort so laut, daß man meinte, es müsse ihm das Herz abstoßen. Er hatte den Arm auf den Hals des Handpferdes gelegt und weinte so heftig auf die Mähne und sprach unverständliche und doch flehend klingende Worte, als wollte er die Pferde bitten, ihn mit schnellster Macht heim zu bringen.

Er hatte Verbrechen auf Verbrechen gehäuft um seine Ehre zu retten, und nun war Alles unnöthig, die Erbschaft von seiner Stieftochter stellte ihn ja hin, glänzender als je. Er zitterte am ganzen Leibe und nur Ein Gedanke hielt ihn noch fest, daß daheim die grause That noch gut zu machen sei und er faßte die besten Vorsätze, die sollten das Schicksal zwingen, daß die böse That ungeschehen sei. Gewaltsam ballte er die Fäuste und preßte die Lippen, um sich nicht zu verrathen, wenn es doch zu spät wäre, aber nein, das darf nicht sein, das kann nicht sein. –

Jede Minute, die mit Festschnallen eines Riemens, mit Anlegen eines Stranges verging, däuchte Diethelm eine Ewigkeit; er wollte Vorspann, er wollte frische Pferde nehmen um mit Windesschnelle heim zu eilen, aber er fürchtete wieder, daß ihn jedes Wort verrathe, und wagte nicht einmal mehr die Einspannenden zur Eile zu drängen. Als der Vetter vorsorglich eine Laterne mitnahm und sogar nach einem zweiten Licht als Ersatz schickte, erschrack Diethelm, aber er hatte gelernt zu schweigen. Er mußte vor dem Vetter Alles verbergen, er hatte ihn ja mitgenommen, um ihn zum Zeugen seiner Unschuld zu gebrauchen.

[138] Man fuhr wieder heimwärts und Diethelm mußte davon sprechen, daß er seine Frau in dem Schmerz um den Tod ihres Kindes nicht allein lassen wolle.

»Warum hast mir denn nicht früher gesagt,« fragte er, »daß es so mit der Kohlenhofbäuerin steht?«

»Ich hab' gemeint, Ihr wisset's und wollet nicht davon reden; ich hab' Euch ja oft darauf angespielt, daß Ihr wieder doppelt reich werdet.«

»Ja wohl, ja wohl, fahr' nur schärfer, noch schärfer, und wenn die Gäul' morgen auch hin sind,« drängte Diethelm.

In dem Bannkreis des Verbrechens, in den er eingeschlossen war, hatte er nichts gemerkt von dem, was vielleicht alle Leute wußten und einander sagten; mit ihm sprach Niemand davon, und mitten in der Qual, die ihm die Brust zusammen preßte, dachte er immer wieder, wie schlecht die Menschen sind, sie gönnten ihm sein unverhofftes Glück nicht und redeten darum kein bestimmtes Wort davon.

Der Wind hatte sich gelegt, die Schneewolken entluden sich und Diethelm sah nach den halb verschneiten Bäumen am Wege und streckte den Arm aus nach Jedem, an dem man vorüber war, als schiebe er ihn damit zurück; war man ja der Heimath immer wieder um eine Strecke näher, aber es dauerte doch lang und ein tiefer Frost schlich Diethelm durch Mark und Bein. Er glaubte, das Herz im Leibe gefriere ihm zu Eis, während der Vetter doch sagte, die Kälte sei gebrochen. Diethelm dachte sich die Pein Medards aus, der gefesselt am Boden liegt, die Flamme immer näher [139] knistern, die Schafe in der Ferne blöken hört, und wie die Flamme immer näher heranschleicht, von allen Seiten nach ihm züngelt und ihn still umfängt ... wenn sie zuerst seine Bande versengt – er hebt die gefesselten Hände den Flammen entgegen, er macht sich frei ...

»Du lebst,« schrie er einmal unwillkürlich laut auf, und der Vetter wunderte sich wieder über die so innige Liebe Diethelms zu seiner Stieftochter; nicht umsonst hieß er der Familienfürst.

»Wir kriegen wieder kalt, der Mond geht heute roth auf,« sagte der Vetter, als man auf der kalten Herberge angekommen war, »seht, dort, Buchenberg zu.«

Diethelm spie das Blut aus, das er sich aus den Lippen gebissen.

»Was ist denn das?« fuhr der Vetter nach einer Weile fort, »ich höre die alt' Kathrin' brummen, und es riecht in der Luft so gräulich.«

Diethelm erwiderte Nichts.

Als man Buchenberg nahe war, schrie der Vetter: »Herr im Himmel, Euer Haus brennt,« aber Diethelm hörte es nicht und mit Mühe erweckte ihn der Vetter mit Schneereiben aus dem Schlage, der ihn getroffen zu haben schien.

[140]

16. Kapitel

Sechzehntes Kapitel.

Lautlos und regungslos, weiß überschneit, stand die Menschenmasse am Berge versammelt, und wie sie vom rothen Gluthschein übergossen war, erschien sie wie von einem Zauber festgebannt. Keine Menschenstimme ward hörbar, nur vom Thurme dröhnte die Sturm- und Sterbeglocke, die sogenannte alte Kathrin', und aus der Flamme, die breit und still, von keinem Winde bewegt, hochauf schlug, tönte ein tausendstimmiges Wehklagen, so dumpf und tief und wiederum so gräßlich röchelnd, als hätten die auflodernden Flammenzungen markerschütternde Stimmen gewonnen, und über der Flamme glitzerte der fallende Schnee und verdampfte in seltsame Luftgebilde.

»Zu Hülfe! Rettet! Rettet!« schrie Diethelm vom Schlitten springend, »was steht ihr so müßig da? Rettet!«

Wie aus dem Zauberbann erlöst, wendeten sich Alle plötzlich nach ihm und umringten ihn.

»Es ist Nichts zu helfen,« sagte der Schmied, »dein Haus ist an allen vier Ecken angegangen eh' man's gewußt hat, und kein Mensch als dein Medard hat die Kloben aus der Spritze da 'rausgenommen. Wir können Nichts machen.«

»Wo ist der Medard?« fragte Diethelm.

[141] »Das weiß kein Mensch, er hat sich heut vor Niemand sehen lassen, der hat gewiß angezündet und ist vielleicht im Haus verbrannt; die wo zuerst kommen sind, sagen, sie hätten ihn schreien gehört.«

»Rettet! Rettet!« schrie Diethelm und eilte nach dem Hause, aber von dorther kam eine Rachegestalt mit weißen Locken und zerfetzten Kleidern und warf sich auf Diethelm und wollte ihn erdrosseln.

»Mordbrenner! Mordbrenner!« kreischte der alte Schäferle mit schäumendem Munde, »wo hast du mein Kind? Wo? Gieb mir mein Kind. Mordbrenner! Mein Kind! Mein gutes, braves Kind!«

Mit Gewalt wurde der rasende alte Mann von Diethelm losgerissen, er hatte mehr als jugendliche Manneskraft und hielt Diethelm wie mit eisernen Banden umklammert, und Diethelm ächzte laut auf, denn der Schäferle hatte ihn gerade an der Armwunde gefaßt, und als fräßen sich tausend schneidende Spitzen durch Mark und Knochen ein, so schmerzte bei der Berührung der Vaterhand der vom Sohne eingepreßte Biß. Das Blut rann Diethelm von der Hand herab, als er losgemacht war, er taumelte halb besinnungslos umher, aber der Vetter stand ihm getreulich bei. Jetzt hörte man deutlich, woher das Wehklagen kam: die Schafe im Stall, dessen Eingangswand bereits in Flammen stand, blökten so schmerzvoll klagend, daß es das Herz im Leibe erschütterte, es war nicht anzuhören. Diethelm brachte es mit dem Vetter und dem Schmiede dahin, daß sie eine Feuerwand einbrachen um durch die Oeffnung die Schafe zu retten, und so viel auch [142] die Umstehenden abwehrten, Diethelm konnte es nicht ertragen, daß auf Einmal so viel Leben und sei es auch nur das der Thiere, draufging. Er drang selber durch die eingerissene Wand ein: wie in einen Knollen zusammengepreßt standen die Thiere, und von denen, die der Flamme nahe waren, sprang bald eines, bald das andere wie aufgeschnellt mitten in die Flamme hinein, that noch einen jämmerlichen Schrei und die Unversehrten blökten vor sich nieder. Mit Gewalt drängte sich Diethelm in die Mitte der Thiere und suchte sie hinauszutreiben, aber sie preßten sich immer wieder zusammen und plötzlich fiel er nieder, und die Thiere standen auf ihm und um ihn und mit halb ersticktem Schrei konnte er nur noch um Hülfe rufen. Es gelang dem Vetter ihn zu retten, und bewußtlos, aus unsichtbaren Wunden blutend, wurde Diethelm nach dem Dorfe in das Waldhorn getragen, während gerade das Haus zusammenkrachte und der Dachstuhl in die Umfassungsmauern stürzte. Ein unerträglicher Geruch benahm allen Menschen fast den Athem, so daß keiner ein Wort sprach. Nur der alte Schäferle rief dem Davongetragenen nach: »Mordbrenner! du darfst nicht sterben. Du mußt noch am Galgen verfaulen.«

Er wurde erst ruhiger, als eben Frau Martha kam ....

Es war Tag, als Diethelm erwachte, und vor ihm stand seine Frau und hob die gefalteten Hände zum Himmel, als er die Augen aufschlug.

»Du da?« frug Diethelm, »ist sie todt?«

»Ach Gott, ja, und sie hat noch im Sterben das Unglück gesehen.«

[143] »Wer hat mir meinen Arm verbunden? Bist du schon lang da? Hab' ich im Schlaf was geredet?« frug Diethelm wieder in fast zornigem Tone.

»Der Doctor ist mit mir herüber vom Kohlenhof, und der hat dir deinen Arm verbunden. Du bist von einem Schaf gebissen, ich bin grad kommen, wie sie dich fortgetragen haben. Du hast nichts im Schlaf geredet, als ein paarmal Medard gerufen.«

»Weiß man nichts vom Medard?«

»Ach lieber Gott, nein, der ist gewiß verbrannt.«

Diethelm schloß noch einmal die Augen und schärfte still die Lippen, dann begehrte er aufzustehen, er sei wohl und müsse nach dem Schutthaufen sehen. Die Frau suchte ihm einzureden, daß er noch krank sei, und als er dies streng abwehrte, erklärte sie ihm, daß er dann vielleicht verhaftet und nach der Stadt abgeführt würde.

»Ist mir recht,« sagte Diethelm trotzig, »dann nimmt die Geschichte bald ein Ende. Sie können mir nichts thun. Wer klagt mich an?«

»Der alt' Schäferle.«

»Da hilft kein' Sympathie.«

»Wie ich hör',« sagte die Frau zögernd, »will auch die Brandversicherung dich anklagen.«

»Ho ho!« lachte Diethelm, »denen will ich's schon zeigen, die müssen mir blechen. Ich steh' auf, ich bin hechtgesund.«

Trotz aller Widerrede vollführte Diethelm seinen Ausspruch und zankte mit seiner Frau, daß sie so eine herzbrechende Miene mache. Erst als sie mit halbunterdrücktem [144] Weinen sagte, sie habe ja auch gestern ihr Kind verloren, erwiderte er:

»Ja ja, das ist wahr. Zum Teufel, daß ich das auch immer vergeß. Ich will gleich einen Boten an die Fränz schicken, sie muß heimkommen.«

Martha stand am Fenster und weinte in den schneeigen Tag hinaus. Erst als Diethelm leise vor sich hinpfiff, wendete sie sich um und sagte:

»Um Gotteswillen, Diethelm, was machst? Wie kannst du nur auch so sein? Was müssen die Menschen von dir denken, wenn du nach so einem Fall jetzt gar noch lustig thust?«

»Hast Recht, hast Recht, red' weiter nichts, hast Recht,« sagte Diethelm hastig. Er erkannte schnell, daß seine Frau ihn auf das Entsprechende hinwies; allzuviel Gleichmuth war wiederum verdächtig.

Eine gewaltige Veränderung war in Diethelm vorgegangen. Nun die That geschehen war, mit all' ihrem Schrecken, galt es mit gefestetem Muthe ihr Stand zu halten. Er verbannte alle Weichherzigkeit und als er vor dem kleinen Spiegel stand und sein flockseidenes Halstuch umthat, hielt er die Zipfel desselben eine Weile ruhig in der Hand und betrachtete die stolzsichere Miene, die er allen Vorkommnissen gegenüber bewahren wollte.

In der Wirthsstube, wo der junge Amtsverweser mit seinem Actuar und zwei Landjägern und noch Viele aus dem Dorf sich befanden, schaute Alles verwundert auf, als Diethelm freundlich grüßend und mit dem Ausspruche eines schmerzlichen Bedauerns eintrat. Diethelm wollte dem Amtmann, mit dem er am[145] Markttag an Einem Tische gesessen, die Hand reichen, aber der Amtmann wußte gewandt seine Hände mit einem großen vor ihm liegenden Bogen zu beschäftigen, und Diethelm zuckte mit den Achseln, als er die dargebotene Hand leer wieder zurückziehen mußte.

»Ihr seid gekommen,« nahm Diethelm das Wort, »um mein Unglück in gerichtlichen Augenschein zu nehmen. Helfet nur auch untersuchen, wie das Feuer ausgekommen. Es ist leider nichts gerettet.«

Der Amtmann erklärte, daß Alles das späteren Verhandlungen vorbehalten bleibe; er schickte einen Landjäger nach dem alten Schäferle und ersuchte die Anwesenden, außer dem Schultheißen, das Zimmer zu verlassen.

»Ich hätt' eine Bitt', die Ihr mir wohl willfahren könnet, wenn's nicht gegen das Recht ist,« sagte Diethelm mit ruhiger und doch weicher Stimme, »ich möcht', daß meine Mitbürger mit anhören dürften, worauf ich angeklagt bin. Das öffentliche Gericht, das uns versprochen worden, ist noch nicht eingesetzt; drum möcht' ich bitten, wenn's möglich wär', daß Alle da blieben.«

Der Amtmann willfahrte mit der Bemerkung, daß nur ein vorläufiges Protokoll aufgenommen werde. Ein Jeder suchte sich nun einen guten Platz, und Mancher sagte leise zu seinem Nachbar, wie der und jener sich ärgern werde, daß er nicht auch dabei sei und das mit anhören könne.

Der alte Schäferle trat ein, bleich, mit weißen Haaren und eingefallenen Wangen, eine bejammernswerte Gestalt. Alle Blicke waren auf Diethelm gerichtet, und dieser wußte, daß dies geschah; mit ruhigem[146] Auge betrachtete er den Mann, in der Wunde am Arme zuckten Pulse, als spürten sie die Nähe des Rächers; in dem Gesichte Diethelms wollte sich's regen, aber er beherrschte seine Züge, er sah gewaltsam starr drein und kein Nerv bebte.

»Sagt, was Ihr habt?« ließ sich Diethelm nach einer lautlosen Pause vernehmen, in der man nichts als das Winseln von Medards Schäferhund vor der Thüre vernahm.

»Das ist meine Sache,« fiel der Amtmann ein, und oft von Weinen und Schluchzen unterbrochen erklärte der alte Schäferle, wie sein Medard ihm schon im Herbst gesagt habe, der Diethelm habe nur eingekauft und versichert um anzuzünden, er habe sichere Anzeichen davon; wie der alte Mann jetzt klagte, daß er nicht einmal die Leiche seines Sohnes habe, um sie zu bestatten, fuhr sich Mancher mit der Hand über das Gesicht; auch Diethelm wischte sich die Augen. Als aber der alte Schäferle schloß:

»Wenn der Hund da draußen reden könnte, der wüßte mehr was vorgegangen ist,« da spielte ein Lächeln auf dem Antlitze Diethelms. Wieder entstand eine Pause, in der man nichts als das Federkritzeln des Protokollanten und das Winseln des Hundes hörte.

»Soll ich was drauf antworten?« fragte Diethelm in höflich stolzer Weise den Amtmann, und dieser erklärte, daß er vorerst gar nichts zu sagen habe. Der Schäferle erwähnte nun noch, daß ihm Diethelm beim Wegfahren einen Knaben geschickt habe, mit der Weisung, er habe Medard über Feld geschickt und der [147] Vater möge ihn nicht besuchen, während Diethelm doch beim Bahnschlitten gesagt habe, Medard müsse zu Hause bleiben.

Alle Zuhörer in der Stube nickten einander zu, und deuteten sich mit den Fingern, wie wichtig das sei.

»Soll ich darauf auch nichts sagen?« fragte Diethelm, den Kopf zurückwerfend, »man soll den Buben holen lassen, er soll sagen, was ich ihm aufgetragen hab', und da mein Vetter war bei mir im Schlitten, der hat Alles gehört.«

»Ich hab' nichts gehört,« platzte der Vetter heraus.

»Ruhe!« gebot der Amtmann, »ich weiß schon selbst, wen ich zu verhören habe.«

Er verkündete nun Diethelm, daß er verhaftet sei und nach der Stadt abgeführt werde.

»Gut,« sagte Diethelm aufstehend, »darf ich in meinem Fuhrwerk fahren? Ich hab' einen bösen Arm.«

Der Amtmann bewilligte dieses und jetzt trat Martha vor, die Allem still zugehört hatte und sagte:

»Ich weiß von Allem so gut wie mein Mann, ich will mit in den Thurm, ich bleib' bei dir, Diethelm. Wir sind von Gott zusammen gegeben, kein Mensch kann dich von mir trennen.«

Jetzt erst sah Diethelm tief traurig drein wie seine Frau seine Hand faßte. Eine tiefe Bewegung bemächtigte sich Aller, und der Amtmann erklärte, daß Martha nicht bei ihrem Manne bleiben, daß sie aber mit ihm selbst nachfahren könne, da man ihrer nur als Zeugin bedürfe.

Als Diethelm von dem Landjäger abgeführt wurde,[148] legte er an der Thüre die Hand auf die Schulter des Schäferle, sah ihn durchbohrend an und sagte:

»Du bist ein Vater, ich nehm' dir's nicht übel was du thust, aber du wirst's bereuen, was du an mir gethan. Wenn ich mit meinem halben Leben deinen Medard wieder aufwecken könnte, ich thät's; und da schwör' ich's vor allen Leuten, ich laß dir's nicht entgelten, ich will dir helfen wo ich kann, du hast ja deinen Sohn verloren und du könntest ja mein Vater sein, ich will mich dünken lassen, mein Vater lebt noch einmal.«

»Friedle, was hast du an uns than?« klagte die Frau, und der Schäferle weinte, man sah es ihm an, wie weh es ihm that ob dem, was er angerichtet, zumal um den Schmerz der Frau Martha.

Selbst der Landjäger behandelte Diethelm mit Freundlichkeit und redete ihm Trost zu, daß Alles bald wieder aus sei.

Als Diethelm an dem Berg vorüberfuhr, auf dem nur noch ein Schutthaufen rauchte, stieß er einen Schmerzensschrei aus; dann schloß er die Augen wie zum Schlafe, aber seine Lippen bewegten sich stets, als spräche er: in der That stand er auch in Gedanken dem Untersuchungsrichter Red' und Antwort und manchmal zuckte etwas wie ein Lächeln um seine Mundwinkel, wenn ihm eines der Beweismittel ein fiel, das jeden Verdacht abwälzen mußte. Der Landjäger schaute oft verwundert in das Antlitz des Schlafenden, der nach so grauenvollen Ereignissen unter peinlicher Anklage so ruhig träumte. Als man der Stadt nahe war, schlug [149] der Landjäger den Mantelkragen Diethelms höher hinauf, setzte ihm die Pelzmütze tiefer in's Gesicht und Diethelm dankte herzlich für die gutmüthige Vorsorge des gegen Mitleid abgehärteten Landjägers. Erst am Gefängnißthore öffnete er die Augen, und jetzt erst merkte er, daß der Paßauf, Medards Schäferhund, ihm gefolgt war; der Landjäger scheuchte den Hund zurück, der Diethelm in die Stube des Gefangenwärters folgen wollte.

Zwei Stunden nach ihm fuhr der Amtmann mit Martha im verschlossenen Wagen nach der Amtsstadt.

[150]

17. Kapitel

Siebzehntes Kapitel.

Die Sage vom Löwen und der Maus schien sich wieder zu erneuen; das erste fremde Menschenbild, das Diethelm sah, war der Zeugmacher Kübler und jetzt erinnerte er sich, daß dieser ja der Sohn des Amtsdieners sei. Mit welch hochmüthiger Gönnerschaft hatte Diethelm immer diesen armen Teufel betrachtet, und jetzt überdachte er schnell, daß er ihm Alles verdanken könnte, und wenn alle Mittel zu Schanden werden – die Flucht. Daran aber war noch lange nicht zu denken. Diethelm hob den Mantel von den Schultern in die Höhe, und wartete ruhig bis der dienstbeflissene junge Kübler ihm denselben ehrerbietig abnahm; er streckte nun dem Amtsdiener die Hand entgegen und sagte mit heller Stimme in herablassender Höflichkeit:

»Guten Morgen, lieber Amtsdiener. Wollt Ihr einen abgebrannten armen Verwandten nicht ein paar Tage bei Euch wohnen lassen? Habt Ihr kein Zimmer frei? Ich nehme mit einem kleinen vorlieb.«

Diethelm glaubte zu bemerken, daß diese Anrede den verkehrten Eindruck machte; Alles, was mit dem Criminalgericht zusammenhängt, schien keinen Spaß zu verstehen.

Wie ein gefangener Ritter empfahl nun Diethelm seine Rosse der sorgsamen Wartung. Waffen hatte er[151] nicht abzuliefern, aber gewiß konnte Diethelm besser schreiben und lesen und war mindestens so verschlagen und ehrgeizig als je ein Mann, der im Harnisch rasselte; daß man aber in anderen Zeiten war, zeigte besonders der Ofen, der war so winzig und windig und ein Ritter, wenn er von einem Raubzuge in eine Herberge kam, fand einen Baumstamm im breiten Ofen prasseln. Wäre nicht eine abgestumpfte Sandsteinkugel auf dem Ofen gelegen, Diethelm hätte sich nicht einmal die Hände wärmen können, und doch fühlte er von innen heraus eine unbezwingliche Kälte, als ob nicht Blut, sondern Eiswasser ihm durch die Adern rinne. Er bat nun mit einer gewissen Demuth, in der Stube bleiben zu dürfen, bis seine Zelle geheizt war. Der alte Gefangenwärter ging weg und ließ Diethelm mit dem Landjäger und seinem Sohn allein. Diesem empfahl nun Diethelm nochmals seine Pferde und trug ihm auf, nach dem Waldhornwirth in Buchenberg zu schicken, damit er Roß und Schlitten abhole und gut im Stand halte.

»Soll ich den Hund hier behalten?« fragte der junge Kübler den abgewendet Sprechenden.

Diethelm schüttelte den Kopf verneinend, dann wendete er sich um und sagte in heiterm Tone:

»Dein' Braut ist vor ein paar Tagen noch bei mir gewesen, ihr könnt euch drauf verlassen, daß ich euch auf den Tag hin wie's versprochen ist Hochzeit mache, und Gevatter bin ich auch; dann wollen wir lustig sein, daß die Stern' am Himmel zittern; der Vergeltstag bleibt nicht lang aus.«

[152] Der Landjäger verbot eben Diethelm jedes weitere Reden, als der Gefangenwärter eintrat, mit der Kunde, daß Alles bereit sei. Diethelm erzitterte jetzt vor Wut, als man ihm Alles aus den Taschen nahm, als man ihm das Halstuch abnahm und sogar die Hosenträger abnestelte; dieses letzte geschah aus dem doppelten Grunde, damit der Gefangene nichts habe, um sich daran zu erhängen und bei einem etwaigen Fluchtversuch durch die Nöthigung, die Hosen in der Hand aufzuhalten, gehindert sei. Eine Minute lächelte Diethelm über diese Vorkehrungen, bald aber ward er des grausamen Ernstes bewußt, und mühsam schleppte er sich die Treppe hinan nach seiner Zelle; der junge Kübler trug ihm noch mitleidig seinen Mantel nach. Erst als ihn der Landjäger verließ, sagte er:

»Ihr kennt mich wohl nicht. Ich bin von Grubenau bei Letzweiler gebürtig. Meinen Vater hat man den Schreinerhannesle geheißen, er ist ein guter Freund von Eurem Vater gewesen. Ich hab' viel von Euch und Euren Gutthaten gehört, wie ich noch klein gewesen bin. Nun b'hüt Gott. Ich wünsch' alles Gute.«

Diese Mittheilung des Landjägers machte einen eigenen Eindruck auf Diethelm; daß der Mensch sich gedrungen fühlte, sich ihm zu erkennen zu geben, und daß er von seinem Ruhme sprach, wie traf das jetzt das Herz des Gefangenen.

Diethelm war nun allein. Er hatte sich vor Niemand mehr zu verstellen. Auf dem Stuhl vor dem Ofen saß er, und es war ihm, als müßte sein Körper in Stücke zerfallen. In dem Ofen brummte das Feuer, [153] manchmal knallte ein Fichtenast und zischte langsam ein grünes Scheit. Diethelm fühlte, wie ihm alles Blut im Herzen zusammen gerann, aber Wärme verspürte er nicht, kalt, unendlich kalt war es ihm; er hüllte sich in seinen Mantel und wickelte sich in die wollene Decke, die auf der Pritsche lag, immer war es ihm, als ob er in der so wohl verschlossenen Zelle mitten in einem Luftzuge stehe und plötzlich fuhr er wie emporgeschnellt auf, die Wände dröhnten und schmetterten, zitternder Drommetenklang umrauschte ihn von allen Seiten. Erst nach geraumer Weile besann er sich, daß die Stadtzinkenisten den Abendchoral bliesen, die Trompeten und Posaunen schienen gerade nach seiner Zelle gerichtet, so unmittelbar, so gradaus strömten die Töne in dieselbe, und vor Allem stand jener Tag wieder vor Diethelm, an dem er sich zum unmäßigen Einkauf verleiten ließ.

Was war seitdem aus ihm geworden! Ein Mordbrenner! Diethelm hielt sich die zitternde Hand vor den schnell athmenden Mund, daß er das Wort nicht laut ausrufe. Er warf sich auf die Kniee und ein heftiger Thränenstrom entlud sich aus seinen Augen, er fühlte seine Wangen glühen und plötzlich wurde es ihm warm. Mit dem Antlitz auf dem Boden liegend, sprach es in ihm, daß er Alles bekennen müsse, und er streckte sich weit aus, bereit, den Todesstreich zu empfangen, zu sterben ... Er weinte auf's Neue um sein verlorenes Leben; über ihm tönte der wehklagende Grabgesang, ein schriller Drommetenton verwandelte sich in die Klagestimme seiner Martha und ein anderer [154] in die seiner Fränz ... Und die sind verloren auf ewig, und du wirst nicht gleich getödtet, du mußt Wochen- und Monate lang, ja vielleicht deine ganze Lebenszeit auf deinen schandvollen Tod warten. Mußt du das ertragen in Gefangenschaft und Elend, warum kannst du es nicht auch in Freiheit und Ehre? ... Diethelm richtete sich auf, und als jetzt von einer andern Thurmseite der Choral erscholl, sang er die Töne laut mit und seine Stimme tönte so voll, fast wie Posaunenschall. Er sang so laut am Fenster, daß er nicht hörte, wie das Schloß hinter ihm knarrte, die Thüre sich öffnete und der Gefangenwärter eintrat, ihn zum Verhör abzuholen.

Um dieselbe Zeit war Martha in der Stadt angekommen; sie ging mit fest zusammengepreßtem Munde und thränenlosem Auge umher, das Schicksal ihres Mannes, der Tod ihrer Tochter, der sie nun nicht einmal eine eisige Scholle auf die Bahre werfen konnte, der gräßliche Tod des treuen Knechtes, das Verbrennen des Hauses, in dem sie so viele Jahre Freud und Leid verlebt, Alles das bestürmte ihr Herz und machte sie dumpf und verwirrt. Ihrer Bitte, auch eingesperrt zu werden, hatte man nicht willfahrt, und sie lief wie ein verirrtes verstoßenes Bettelkind in den Straßen umher, als müßte sie Jemand finden, der ihr den Weg aus dem Wirrwarr heimwärts zeigte. Es dämmerte, in den Häusern wurden da und dort Lichter entzündet. Ach! Da wohnen überall Menschen, die daheim sind und wissen Wen sie haben. Martha fuhr vor Schreck zusammen, denn es sprang etwas an ihr[155] herauf, sie erkannte bald den vor Freude bellenden Paßauf.

»Ach, du bist's,« sagte sie, den Hund streichelnd, »gelt armes Thierle, es geht dir auch wie mir, du weißt auch nimmer wo du hin gehörst. Bleib nur bei mir, komm' mit, wir gehen zum Meister.«

Eben als Martha an der Post vorüberging, kam der Eilwagen unter hellen Posthorntönen angefahren. Was hat nur der Hund, daß er eine aussteigende verhüllte Gestalt anspringt und dann mit Freudenbellen zwischen der Gestalt und Martha hin und wider rennt? Wäre dort vielleicht der todt geglaubte Medard, der von seiner Flucht zurückkehrt? Martha fühlte, wie ihr die Haare sich emporsträubten und wie ihr die Kniee fast brechen wollten. Mit wankenden Schritten ging sie auf den Posthof zu, sie hörte den Schaffner sagen: »Ich will Ihnen gleich ein Fuhrwerk nach Buchenberg verschaffen.« Sie näherte sich der verhüllten Gestalt.

»Mutter!« rief es ihr entgegen.

»Du bist's, Fränz?«

Und mit wehklagendem und doch freudigem Schmerzensausruf lagen Mutter und Tochter sich in den Armen. Jetzt erst konnte Martha weinen. Fränz erholte sich rasch wieder, und wenn auch schmerzvollen Klanges, sagte sie doch mit fester Stimme:

»Mutter! Gottlob, Gottlob und Dank, daß ich Euch hab'. Mutter, ich möcht Euch Abbitte thun für Alles; ich hab' erfahren, was fremde Menschen sind, und da schwör' ich's unter freiem Himmel, nie, nie, so lang Euch ein Aug offen steht, verlass' ich Euch. Jetzt lasset [156] mich nur Eure Hand küssen. Ich kann Alles wieder gut machen an Euch und am Vater. Ach Gott, wie geht's ihm denn?«

Martha schwieg.

»Ist er verbrannt?« schrie Fränz so grell, daß selbst ein losgespanntes Pferd, das an ihr vorbeiwollte, rückwärts wich.

Martha schüttelte den Kopf, und erst mit schwerem Athem konnte sie die Worte hervorbringen:

»Er sitzt im Criminal.«

Die Postmeisterin, die Fränz noch vom Markte her kannte, zog dieselbe in das Haus, und hier erfuhr sie nun Alles. Fränz küßte aber- und abermals die Hände der Mutter, dann legte sie ihre heiße Wange an die eingefallene kalte Wange der Mutter und sagte:

»Ach Gott, wenn ich nur mein warmes junges Blut da in Euch hinübergießen könnt'. Kommet nur jetzt gleich, wir müssen sehen, daß wir den Vater sprechen können.«

Martha erklärte, daß sie nicht mehr gehen könne, ihr seien die Beine wie abgehackt, vom Todtenbette des Kindes weg in solch ein Elend hinein, das sei zuviel. Fränz befahl schnell einen warmen Wein für die Mutter, sie lief in raschen Schritten im Zimmer hin und her, das dauerte ihr viel zu lang, bis das Befohlene kam; sie wollte selber hinab und das Angeordnete bereiten, sie verstünden das hier nicht; aber die Mutter bat, sie nicht zu verlassen, sie könne nicht mehr allein sein. Plötzlich kniete Fränz vor der Mutter nieder und sah nach, ob sie warme Füße habe; sie sprang rasch [157] auf, als sie fühlte, wie dieselben eisstarr waren, sie klingelte nach Branntwein, »aber rasch, rasch!« befahl sie, und es war ihr eine innige Buße, als sie nun der Mutter die Füße wusch und rieb. Die Mutter ließ Alles mit sich geschehen wie ein Kind; sie schlürfte dann den warmen Wein, den ihr Fränz an den Mund hielt, und mit schmerzlichem Lächeln sagte sie nach jedem Schluck: »Ah, das thut gut. Versuch's nur auch, Fränz.« Fränz nippte, und die Mutter sagte wie halb träumend:

»Du bist so schön geworden, Fränz, und siehst mich so getreu an, so ... so ... so hab' ich dich lieb. Wenn nur der Vater auch so was Gutes hätt', und wenn er dich nur auch sehen könnt'. Sein Herz hängt an dir, ach, und du bist jetzt auch mein einzig Kind. Komm, leg' deinen Backen wieder an meinen Backen. So. Jetzt sag', wie kommst denn du daher? Wie ist dir's denn gangen?«

Fränz schluckte die Thränen hinab, da sie die Mutter so beruhigt sah und dieselbe nicht wieder neu aufregen wollte. Sie erzählte mit möglichster Umgehung alles Erschütternden, wie sie das Brandunglück erfahren und sagte zuletzt:

»Den heutigen Tag, Mutter, den werde ich nie vergessen. Was ich da Alles gedenkt und erfahren hab'. O Mutter! und die Menschen sind so gut, wenn sie Einen im Unglück sehen; Alle, wo mit gefahren sind und in allen Wirthshäusern haben sie mir beigestanden und haben mich getröstet und hätten mir gern in Allem geholfen. Kommet, legt Euch ein bisle auf's Bett, ich will Euch erzählen.«

[158] Fränz trug in starken Armen die Mutter auf das Bett, dann setzte sie sich daneben und ihre Hand haltend, begann sie zu erzählen; aber bald merkte sie, daß die Mutter schlief. Sie hielt noch lange still die Hand der Schlafenden und wagte es nicht, sich zu bewegen; endlich legte sie die Hand auf das Kissen und leise auf den Zehen schleichend, hatte sie sich der Thüre genähert, als die Mutter rief:

»Kind, wohin willst?«

»Zum Vater.«

»Da muß ich auch mit, ich bin ganz wohlauf.«

Es half kein Abwehren, und nachdem Fränz die Mutter wohl eingemummt, verließ sie mit ihr die Post.

[159]

18. Kapitel

Achtzehntes Kapitel.

Die Wintertage waren so kurz und der junge Amtsverweser, der bald seinen Fehler erkannte, daß er die erste Anklage gegen Diethelm in dessen Beisein vernommen, wollte ihm nicht Zeit lassen, sich ein Gewebe von Aussagen zu knüpfen. Er nahm den Gefangenen daher noch am Abend in's Verhör und Diethelm war es allerdings schauerlich, als er durch matterleuchtete schallende Gänge nach der Verhörstube geführt wurde. Hier war es noch leer. Diethelm erhielt vom Landjäger den Befehl, sich auf einen Stuhl an der Wand zu setzen, wo gerade hüben und drüben Wandleuchter mit brennenden Kerzen ihren Lichtschein ihm in's Gesicht warfen; er wollte wegrücken, erhielt aber die Weisung, just hier sitzen zu bleiben. In der Stube waren nur noch zwei Lichter, am Sitze des Actuars hinter dem Actengestelle, an dem langen grünen Tische, und der Schatten des Gestelles breitete sich weithin in die Stube. Diethelm wollte dem Landjäger neben ihm sagen, daß er seinen Vater wohl gekannt habe, aber der Landjäger wendete sich ab und winkte ihm mit der Hand, nichts zu reden. So saß denn der Angeklagte, die Hände gefaltet, stumm vor sich niederschauend. Endlich näherten sich Schritte aus der Nebenstube, der Amtsverweser [160] und der Actuar traten ein, ihnen folgten die beiden Gerichtsschöppen, und diese waren Niemand anders als der alte Sternenwirth und der pensionirte Kastenverwalter. Diethelm war aufgestanden und sagte, mit dem Kopfe nickend: »Guten Abend.« Er erhielt keine Antwort; krampfhaft faßte er die Stuhllehne und seine Zähne klapperten, aber er biß sie aufeinander und als der Amtsverweser ihm mit den Worten zuwinkte: »Setzt Euch,« that er dieses, räusperte sich und rieb sich hastig die Hände. Nun begann ein kluges Verhör von Kreuz- und Querfragen, und Diethelm war es, als umgäben ihn von allen Seiten scharfe Schwertspitzen; aber er hielt sich ruhig, er antwortete ohne Hast, aber auch ohne Zögern, es war fast als ob er dem schreibenden Actuar Zeit lassen wolle, genau seine Worte aufzuzeichnen. Auf manche Fragen antwortete er sogar mit spaßigem und herausforderndem Lächeln, und die Anwesenheit des Kastenverwalters gab ihm den glücklichsten unvorhergesehenen Entlastungsbeweis an die Hand. Alles was er so klug vorher bedacht hatte, war minder durchschlagend als das, was ihm eine unbedachte Vergeßlichkeit in die Hand spielte; der Kastenverwalter mußte bezeugen, daß er Diethelm für sechshundert Gulden inländische Staatspapiere geliehen habe; diese nun nebst einem Hypothekenschein auf das Wirthshaus zum Waldhorn waren verbrannt.

»Ich weiß wohl,« schloß Diethelm, »daß das Verbrennen der Hypotheke nichts schadet, sie ist im Hypothekenbuch eingetragen; aber die Staatspapiere sind verloren, und diese hätte ich doch gewiß leicht gerettet, [161] wenn ich den schlechten Gedanken an Anzünden nur eine Minute gehabt hätte.«

Als der Amtsverweser erklärte, daß man die Nummern der Staatspapiere, die der Kastenverwalter noch in seinem Buche verzeichnet hatte, in den Zeitungen bekannt machen und die etwaigen Besitzer bei Vermeidung der Amortisation auffordern werde, da sagte Diethelm:

»Was das ist, ich weiß es nicht, ich frag' auch nicht darnach, es wird sich Alles zeigen; wie es scheint, glaubt man mir ja nicht mehr.« Und das, daß man ihm das Wahrhafte an seinen Angaben bezweifelte, gab ihm immer mehr den Muth, mit kecker, herausfordernder Zuversicht aufzutreten. Zuletzt faßte er seine Aussagen dahin zusammen, daß er mindestens zehn Stunden abwesend war, als der Brand ausbrach, daß er gerade jetzt in der besten Lage war, da er nicht nur einen schicklichen Verkauf machen konnte, sondern auch durch den Tod seiner Stieftochter ihm eine reiche Erbschaft in's Haus kam, er habe daher nach der Hauptstadt reisen wollen, um den Handel abzuschließen und seine Fränz heimzubringen, damit die Mutter in ihrem Schmerz doch auch ein Kind um sich habe. Dem Vorhalt, daß er über den Aufenthalt Medards widersprechende Aussagen gemacht und wohl mit ihm im Einverstande gewesen sei, setzte Diethelm die Betheuerung entgegen, daß er im Gegentheil dem Knaben gesagt habe, der alt' Schäferle möge zu seinem Sohn hinaufgehen, da er daheim bleiben müsse und an seinem Beinbruche leide. An dieser letzten neuen Zuthat fand der Richter [162] eine Handhabe, um Diethelm noch eine geraume Weile hin und her zu zerren, aber Diethelm riß sich endlich gewaltsam los und sagte aufstehend mit mächtiger Zornesstimme:

»Ein Ehrenmann wie ich, braucht sich eigentlich gar nicht zu vertheidigen. Ich bin seit fünfzehn Jahren Waisenpfleger und habe für die Waisen gesorgt wie ein Vater und nie auf meinen Vortheil gesehen –«

Diethelm hielt plötzlich mit einem Schrei inne, denn von der Höhe senkte sich eine Flamme und brannte ihm in's Gesicht.

»Was macht Ihr?« schrie er plötzlich laut auf und fuhr weit zurück, sank auf den Boden und starrte drein als sähe er ein Gespenst.

»Was macht Ihr?« schrie er nochmals.

Der Richter sprang schnell von seinem Stuhl auf, faßte Diethelm an der Schulter und fragte mit gebieterischem Tone:

»Habt Ihr mit solch' einer Kerze das Haus angezündet?«

»Ich weiß nicht, was Ihr wollt. Ist das erlaubt? Ich will das zu Protokoll genommen. Darf man mich brennen?« schrie Diethelm sich aufrichtend.

Der Richter befahl dem Kanzleidiener die Kerze, die Diethelm beim raschen Aufstehen von dem Wandleuchter gestoßen, wieder aufzustecken, und gebot Diethelm ruhig auf seinem Stuhl zu bleiben und sein Handfuchteln zu lassen.

Sich am Stuhle aufrichtend setzte sich Diethelm auf denselben und athmete laut.

[163] »Warum seid Ihr wegen der Kerze so erschrocken?« fragte der Richter nochmals, rasch und nahe auf Diethelm zutretend und die Hand gegen ihn ausstreckend.

»Nur gemach, nur gemach,« wehrte Diethelm ab, »sind Sie vielleicht feuerfest, Herr Amtsverweser? Thut's Ihnen nicht weh, wenn Ihnen ein Licht in's Gesicht brennt und noch dazu den Tag nachdem so ein Unglück über Sie kommen ist, und man jedem Licht bös ist, weil es so was anrichten kann? Sie können, nein, beim Teufel, Sie müssen mich frei sprechen, Herr Amtsverweser, aber die Schande, daß ich eingesperrt gewesen bin, ich, der Diethelm von Buchenberg, und die Qualen, die man mir anthut, die könnet Ihr mir nicht wieder gut machen. Mich tröstet nur Eins: ich bin zu stolz gewesen, ich hab' mir auf meinen Ehrennamen vielleicht zu viel eingebildet, ich hab' gedemüthigt werden müssen; aber so viel weiß ich, so gut gegen die Menschen bin ich nicht mehr, wie ich gewesen bin. Fraget in Letzweiler nach mir, fraget überall nach mir, und man wird Euch sagen, wer der Diethelm ist. Ich soll geholfen haben anzünden? Ja, das Beste vergess' ich ja. Der Kastenverwalter da, und der Sonnenwirth und der Kaufmann Gäbler, die können mir Alle bezeugen, daß sie mich überredet haben zu versichern, ich hab' nicht gewollt. Thut das ein Brandstifter? Thut das ein Mordbrenner?«

»Sprecht nur leiser,« ermahnte der Richter, und Diethelm fuhr fort:

»Sie haben Recht, ja, aber ich möcht' laut schreien, daß es die ganze Welt hört, was man an mir thut.[164] Jetzt will ich aber nicht mehr reden. Fragen Sie noch, was Sie zu fragen haben.«

Der Richter stellte fast nur noch der Form wegen einige Nachforschungen an, dann fragte er Diethelm zuletzt, ob er in Bezug auf seine Haft noch etwas zu wünschen oder zu klagen habe. Diethelm erwiderte, daß er den Advokat Rothmann sich zum Rechtsbeistande nehmen wolle. Als der Richter hierauf entgegnete, daß dieser im Auftrage der Fahrnißversicherung sein Ankläger sei, schloß Diethelm:

»Dann will ich gar keinen Advokaten. Ich hab' aber noch eine Bitt', ich schäm' mich fast sie zu sagen; man hat mir die Hosenträger genommen, damit ich mich nicht dran aufhänge, und ohne die Hosenträger ist mir's immer, als ob mir der Leib aus einander fallen thät.«

Der Richter klingelte dem Amtsdiener und befahl ihm, das Gewünschte Diethelm wieder zurück zu geben. Der Amtsdiener meldete leise etwas und der Richter sagte:

»Diethelm, Ihr könnt Eure Frau und Eure Tochter sehen, wenn Ihr versprecht, nichts von Eurer Anklage mit ihnen zu reden.«

Diethelm versprach und blieb auf dem Stuhl sitzen. Mit scheuen Bücklingen trat Martha ein, Fränz aber drang ihr vorauf und streckte dem Vater beide Hände entgegen. Diethelm schüttelte sie wacker und reichte dann die andere Hand seiner Frau, die er aber bald zurückzog, um sich eine Thräne abzutrocknen. Fränz berichtete, daß sie mit der Mutter in der Post wohne.[165] Der Richter befahl, daß Diethelm abgeführt werde. Er sprach kein Wort mit den Seinigen und ging von dannen.

Der Richter sagte nun Martha, daß er sie auch gleich verhören wolle, da sie nun da sei; er bot ihr den Stuhl an, den Diethelm so eben verlassen, sie setzte sich und legte die Hände in einander. Sie bat, ob nicht ihre Fränz bei ihr bleiben dürfe, der Richter verneinte dies mit Bedauern, Fränz könne indeß im Vorzimmer warten.

Martha preßte die gefalteten Hände wie zu einem Dankgebet zusammen, als ihr der Amtmann die schönmenschliche Gesetzesbestimmung erklärte, daß ein Angehöriger keinen Zeugeneid zu leisten habe, und es überhaupt seinem Belieben anheimgestellt sei, Zeugniß abzulegen oder zu verweigern. Martha erklärte sich für Ersteres, theils in der Hoffnung, ihrem Manne zu nützen, theils auch, weil sie den Muth nicht hatte, ohne Red und Antwort das bestellte Gericht zu verlassen.

Martha war so offenbar ein Bild des aufrichtigen Jammers, daß der Richter sie nicht mit verwickelten Fragen quälen wollte. Sie konnte mit Fug betheuern, daß sie von der Handelschaft ihres Mannes fast gar keine Einsicht hatte, und als auf ihren Ehezwist wegen der Großthuerei und Verschwendung Diethelms die Rede kam, glaubte sie, daß Gott es ihr verzeihen müsse, wenn sie das nicht unter die Welt kommen lasse; sie bestritt daher jeden ehelichen Zwist und lobte ihren Mann aus Herzensgrund. Der Richter ging bald hiervon ab und fragte:

[166] »Ist nie zwischen Euch und Eurem Manne davon die Rede gewesen, daß er brandstiften will?«

Martha war's, als schlügen ihr Flammen in's Gesicht. Was sollte sie darauf antworten? Zwar hatte damals am Versicherungstage Diethelm die Sonne zum Zeugen angerufen, daß sie ihn nie mehr erwärmen solle, wenn er einen solchen Gedanken habe, aber wenn sie das bekannte, wer weiß, was daraus gemacht wird? Aber sie hat doch versprochen, die Wahrheit zu bekennen. Zweimal ließ sich Martha die Frage wiederholen, und schon stand ihr das Bekenntniß auf der Zunge, aber sie schluckte die Worte hinab, und matt die Hände in den Schooß sinken lassend, sagte sie:

»Nein, nie, niemals.«

Ueber Medard befragt, erklärte sie, daß er ihrem Mann schon lange gram war, weil er ihm manchmal im Zorn das Zuchthaus vorgeworfen, und der Medard sei ohnedieß aufsätzig gegen den Meister gewesen, weil er seinen Bruder, den er lieb hatte wie sein eigen Kind, nicht vom Militär losgekauft habe; gegen sie aber sei er immer gut gewesen, er habe zwar manchmal Veruntreuungen gemacht, aber die könnten einmal die Schäfer nicht lassen. Martha unterschrieb das Protokoll und wankte hinaus zu ihrer Tochter. Im Amthause sprach sie kein Wort mehr, auf der Straße aber sagte sie:

»Das sind Seelenverderber, die Amtleute, da droben haben sie mir das Herz ausgeschnitten.«

Fränz suchte die ungemein erregte Mutter zu beruhigen, so gut sie konnte, aber noch im Schlafe schrie[167] Martha oft wild auf und warf sich im Bette hin und her. –

Diethelm war indeß mit triumphirendem Stolz in sein Gefängniß zurückgekehrt. Von aller Unthat war keine Erinnerung in ihm; er gedachte nur seines Sieges, wie es ihm gelungen war, sich so hinzustellen, daß der Richter ihm fast Abbitte thun mußte. Seine Verteidigung war nun festgegründet, dort stand sie verzeichnet und konnte nicht mehr ausgelöscht werden. Diethelm freute sich über sich selbst, er hatte gar nicht gewußt und erst jetzt erfahren, welch eine Macht ihm innewohnte. Du wärst ein großer Mann geworden, sagte er sich, wenn du auf dem rechten Platz stündest, es haben Andere schon viel Aergeres gethan und sind doch ruhmvoll durch die Welt gegangen. Jetzt fang' ich das Leben von vorn an. Ich will Ihnen zeigen, wer der Diethelm ist.

Der Amtsdiener, der das Gewünschte Diethelm übergab, freute sich ob seines Frohmuthes und erklärte schlau:

»Ich hab' Euch nur wie einen gemeinen Verbrecher behandelt, damit man kein Mißtrauen in mich haben soll, weil wir so nah verwandt werden. Ich hab's wohl gewußt, daß Ihr ein unschuldiger Ehrenmann seid, auf den wir stolz sein können. Im Gesicht vom Amtsrichter ist deutlich geschrieben gestanden: der ist freigesprochen. Es kann noch ein paar Tag dauern, aber gewiß ist's, da verlaßt Euch drauf. Ich versteh' das.«

Wie nach einer vollbrachten Großthat streckte sich[168] Diethelm auf die Pritsche, er befahl noch tüchtig einzuheizen, denn es fror ihn noch immer so mörderlich; wollte ihm auch manchmal ein Gedanke dessen kommen, was er gethan, er verscheuchte ihn und schlief ruhig ein.

Tief in der Nacht aber wurde er aufgeweckt und im Scheine einer Blendlaterne standen zwei Männer vor ihm.

[169]

19. Kapitel

Neunzehntes Kapitel.

Diethelm hatte dem jungen Kübler gesagt, er möge den Vetter Waldhornwirth nach der Stadt entbieten, damit er die Pferde hole. Das konnte offenbar nichts als ein versteckter Auftrag sein, der eigentlich hieß: mach', daß ich den Vetter so bald als möglich hier habe und spreche. Mit fröhlicher Eilfertigkeit – denn es liegt im Hülfebringen für einen Leidenden oft eine Fröhlichkeit – eilte der junge Kübler selbst nach Buchenberg, und unterwegs lächelte er oft vor sich hin, indem er überdachte, wie klug er doch sei, daß er solche vermummte Gedanken erkenne, und wie ihn Diethelm darob loben müsse. Natürlich vergaß er dabei auch nicht, wie vielen Dank ihm Diethelm dadurch schuldig werde, und das war ein Kapital, das gute Zinsen trägt. In Buchenberg war schon Alles zur Ruhe gegangen; nur bei der Brandstätte, von der noch immer ein zum Ersticken übelriechender Rauch aufstieg, wandelten einige Wachthaltende hin und her. Der Vetter Waldhornwirth mußte aus dem Schlaf geweckt werden, und unter Verwünschungen machte er sich endlich bereit, mit Kübler nach der Stadt zu fahren. Erst draußen vor dem Dorfe hängten sie dem Pferde das Rollengeschirr um und fuhren dann, mühselig und verdrossen nach der [170] Stadt, wo sie erst gegen Morgen ankamen. Der junge Kübler zog seinem Vater die Gefängnißschlüssel unter dem Kopfkissen weg, führte den Waldhornwirth die Treppe hinauf, öffnete die Zelle Diethelms, und jetzt standen Beide vor dem grimmig Fluchenden, der sie nicht alsbald erkannte. Als sie sich zu erkennen gaben und Kübler triumphirend berichtete, daß er nach den Andeutungen Diethelms den Vetter geholt habe, rieb sich Diethelm mehrmals die Stirn und fuhr dann zornig auf:

»Verfluchtes blitzdummes Gethue! Kübler, was habt Ihr gemacht? Ihr bringt mich nur in neue Ungelegenheit. Ich bin freigesprochen, Alles liegt sonnenklar am Tag und jetzt wenn's heraus kommt, und es kommt gewiß heraus, daß Ihr meinen Vetter zu mir gebracht habt, wird das wieder einen Verdacht auf mich werfen und es geht neu an's Protokolliren, und ich kann noch Tage und Wochen da hocken müssen und Euer Vater kann seinen Dienst verlieren. Aber mich geht's nichts an und wenn's darauf ankommt, ich kann's nicht anders machen, ich kann's beschwören und ich thu's, daß ich Euch das nicht angelernt und nichts davon gewollt hab'.«

Der junge Kübler stand wie vom Blitz getroffen, er hatte mit Klugheit Dank und Lohn zu erwerben geglaubt und mußte sich nun ausschelten lassen und fast noch bitten, daß man ihn nicht verrathe.

Diethelm rieb sich vergnügt die Hände, er war stolz auf sich, mitten aus dem Schlaf geweckt hatte er seine Besinnung behalten und gegen zwei Menschen, deren[171] er bedurfte, sich so gestellt, daß sie ihm dienen mußten, ohne ihn dafür irgendwie in der Hand zu haben. Es durfte Niemand geben, der nicht an seine Unschuld glaubte, oder gar Grund und Beweis gegen ihn habe; dürfte das sein, so wäre ja Alles mit Medard umsonst ... Einlenkend reichte er nun dem Vetter die Hand und sagte:

»Thut mir leid, daß du dir so viel unnöthigen Brast machst, und Ihr habt's auch gut gemeint, Kübler, das weiß ich wohl und bin auch erkenntlich dafür, wenn ich's auch nicht brauch'. Ich mein' Vetter, es wär' am besten wir reden gar nichts, ich hab' dir ja nichts zu sagen und du kannst ruhig vor Gericht auslegen was du weißt.«

Der junge Kübler betheuerte wiederholt seine Wohlmeinenheit und der Vetter sagte:

»Ja, ich kann mich mit Teufels Gewalt aber nicht mehr besinnen, was Ihr zu dem Buben gesagt habt.«

»Kann mir's denken,« lachte Diethelm, »wenn du von deinem Uhlbacher ferndigen trinkst, vergißst du leicht, daß du Frau und Kinder daheim hast, geschweige was anders, und dann hast noch Kirschengeist darauf gesetzt, das thut nie gut. Laß mir aber von deinem Uhlbacher noch was übrig bis ich heimkomm, und da der Kübler muß in Buchenberg Hochzeit machen, ich zahl' Alles und da trinken wir das Faß voll aus. Ja, was hab' ich sagen wollen? Ich hab's ganz vergessen.«

»Von wegen dem Buben,« bedeutete der Vetter.

»Richtig,« nahm Diethelm unbefangen auf, »besinn' dich nur, du mußt noch wissen, daß ich dem Buben deutlich gesagt hab', der alt' Schäferle soll zu seinem [172] Medard 'naufgehen, er müss' daheim bleiben und leide an seinem Beinbruch.«

»Vom Beinbruch, ja, das erinner' ich mich, das hab' ich deutlich gehört, guck, das fällt mir jetzt ein, das ist das Wahrzeichen,« frohlockte der Vetter und rieb sich immer die linke Seite der Stirne als weckte er ein Organ der Erinnerung.

Diethelm lächelte in sich hinein, daß der Vetter gerade dessen sich erinnerte, was er erst vor Gericht zu seinem eigenen Schrecken noch hinzugesetzt; er fuhr aber leichthin fort:

»Dann wirst dich auch an alles Andere erinnern und daß ich mein' Fränz hab' holen wollen, damit mein' Frau nicht so allein ist, wenn ihre Stieftochter stirbt; aber ich brauch' dir ja nichts sagen, du weißt Alles allein und sag' du's nur frei.«

So fuhr Diethelm fort und wußte nach und nach in der harmlosesten Weise dem Trompeter sein Stücklein auf Noten zu setzen, daß es eine Art hatte.

Der junge Kübler drängte zur Trennung, da es Tag zu werden begann. Diethelm reichte Beiden wohlgemuth die Hand und der Vetter entschuldigte sich noch, daß er sich nicht gleich auf Alles besonnen habe; der Schrecken beim Brand habe ihm Alles weggescheucht, aber jetzt wisse er jedes Wort. Diethelm sah dem Vetter scharf in's Gesicht, um zu erkunden, ob ihn der ausgefeimte Schelm nicht verhöhne, aber der Vetter sah in der That mitleidig und treuherzig drein. Als die Beiden fort waren, streckte Diethelm die Zunge hinter ihnen heraus und sprach dann in sich hinein: neun Zehntel der Menschen sind nichts als Hunde und [173] Papageien, sie reden und thun wie man sie's anlernt, und schwören dann Stein und Bein, daß das aus ihnen selber käm'. Alle die oben dran sind und über Andere herrschen, verstehen nur die Kunst, die Menschen glauben zu machen was ihnen gut dünkt, und je mehr das Einer vermag, um so größer ist er und führt die Welt am Narrenseil herum.

Mit einem erhabenen Heldengefühle legte sich Diethelm abermals zum Morgenschlafe nieder. Als die Stadtzinkenisten wieder bliesen, suchte er sich zu bereden, daß das eine Musik zu seiner Unterhaltung sei und pfiff unausgesetzt ihre Melodien nach.

Diethelm glaubte schon am heutigen Tag freigelassen zu werden, aber vergebens. Er wurde Nachmittags noch einmal zum Verhör geführt, der Trompeter hatte richtig sein Stücklein getreu abgespielt, aber es war doch ein Ton darin, der Diethelm noch viel zu schaffen machte, nämlich die Kunde von seinem heftigen Weinen bei der Nachricht vom Tode der Stieftochter und seine rasche, unmotivirte Umkehr. Diethelm hatte hieran wohl gedacht und hätte dem Vetter gern Weisung gegeben, aber er wußte nicht wie er das verdachtlos bewerkstelligen sollte und hoffte auch, daß davon gar keine Rede sein würde. Anfangs schwankend, dann aber immer sicherer erklärte Diethelm, daß er den Tod seiner Stieftochter nicht so bald erwartet habe und nun heimgeeilt sei, um seine Frau nicht ganz allein zu lassen und die Fränz später holen zu lassen. Befragt, warum er dann nicht nach dem Kohlenhof gefahren sei, erklärte er zuerst: er habe sich das nicht so klar gemacht, er [174] sei vom Schreck zu sehr ergriffen gewesen; dann aber setzte er hinzu, er habe erwartet, seine Frau sei gleich nach dem Tode heimgekehrt und er habe sie dort trösten wollen. Weiter befragt, wie es komme, daß der Tod seiner Stieftochter ihn so furchtbar ergreife, sah er eine Weile scheu vor sich nieder, dann erhob er sein Antlitz und sagte:

»Ich hätt' nicht geglaubt, daß man mich das fragen darf, aber ich seh' schon, wer einmal, und sei er noch so unschuldig, in Verdacht steht, muß auf Alles antworten. Nun denn so sei's,« er athmete tief auf und fuhr dann fort: »So wisset denn ... ich hab' vor zweiundzwanzig Jahren mein' Stieftochter gern gehabt und hab' sie heirathen wollen, aber mein' Frau hat's nicht zugeben und hat mich lieber selbst genommen.«

Eine Pause entstand, der Actuar schrieb, und der Richter, betroffen von dem schmerzvollen Ton Diethelms, hielt eine Weile mit Fragen inne. Diethelm aber fühlte einen innern Schreck, als ob man ihm ein Stück aus dem Herzen reiße, es däuchte ihn als schände er seine Hausehre und alle Schamhaftigkeit, da er auch dieß dem Protokolle anvertraute; er hatte so sorglich seine Hausehre gewahrt und jetzt hatte er sie preisgegeben und noch dazu mit einer gräßlichen Lüge, denn die Kohlenbäuerin war schon seit Jahren nicht mehr für ihn auf der Welt. Diethelm fühlte jetzt zum Erstenmal, wie das Verbrechen keinen reinen Fleck an dem Menschen läßt, wie es Alles mit sich hinabzerrt; er erhob den Blick lange nicht, es war ihm, als stände seine Frau vor ihm und er könnte sie nicht anschauen. [175] Hätte er erst gewußt, daß er sie auf demselben Stuhle verrieth, auf dem sie ihm zu Liebe ihr Gewissen geopfert!

»Das thut mir am wehesten, daß ich das hab' sagen müssen,« rief er endlich mit tiefschmerzlichem Tone. Der Richter beruhigte ihn, daß das Niemand erführe, er war aber Inquirent genug, die weiche Stimmung Diethelms zu benützen, und mit veränderten Fragen noch einmal das ganze Verhör von vorn zu beginnen. Schlag auf Schlag gingen die Fragen. Der alte Schäferle war diesen Vormittag auch wieder im Verhör gewesen und im Schmerz um den Tod seines Sohnes, den er rächen zu müssen glaubte, hatte er sich kein Gewissen daraus gemacht, seinen Aussagen eine noch entschiedenere Fassung zu geben, und daß Medard geradezu die Woche bezeichnet, die Diethelm ausdrücklich zur Brandstiftung festgesetzt habe, wenn es ihm gelänge, seine Frau aus dem Hause zu bringen. Der alte Schäferle hoffte, daß es vielleicht gelingen werde, Diethelm zu einem Geständniß zu überrumpeln, wenn man ihm bestimmte Thatsachen vorhielt, und Gleiches erwartete auch der Richter. Diethelm merkte bald was vorging und war wiederum schnell gewaffnet und berief sich in den meisten Antworten einfach auf seine gestrigen Aussagen.

Nicht mehr stolz, innerlich geknickt, saß Diethelm in seinem Gefängniß; er merkte wohl, daß sich ein Punkt aufgethan, von dem er in den Grund gestürzt werden konnte. Jetzt bat er den jungen Kübler, der in der Wartung der Gefangenen seinem Vater beistand, ihm noch eine Unterredung mit dem Waldhornwirth zu verschaffen; aber der junge Kübler war dessen eingedenk, wie Diethelm ihn mit Undank angefahren und [176] sogar gedroht hatte, ihn zu verrathen; er blieb trotz aller Schmeichelworte unerbittlich und Diethelm, dessen Furcht vor einem Mitwisser noch größer war als die vor dem Gericht, fand sich endlich drein, Alles geschehen zu lassen wie es sich von selbst machte, ja es gab Zeiten, in denen er so zerknirscht war, daß er die Entdeckung wünschte, nur um dieser schwebenden Qual enthoben zu werden. So zerknirscht er aber auch in der Einsamkeit des Gefängnisses war, so kampfgerüstet und fest erschien er jedesmal vor dem Richter; schon die Stimme desselben erweckte ihn zu Muth und Trotz und bald zeigte sich, daß die ursächlichen Verbindungen zwischen allem Geschehenen nur ihm klar waren, den Anderen zerfiel Alles zusammenhanglos.

Dieß stellte sich besonders heraus als der Amtsverweser die Fortführung der Untersuchung dem neu bestallten Richter übergab. Man hatte geglaubt, daß ein neuer in Criminalsachen gewiegter Mann Diethelm verblüffen und verwirren würde; aber gerade das Gegentheil war eingetreten: dem fremden Manne gegenüber, der ihn nie weich gesehen hatte, fühlte sich Diethelm doppelt stark, und bei manchen Fragen zeigte Diethelm sein Uebergewicht, indem er sagte: das hab' ich im Protokoll von dem und dem Datum schon angegeben; seine Gewandtheit im Kopfrechnen kam ihm jetzt in anderer Weise zu statten. Diethelm dachte gar nichts mehr als sein Verhör, er wendete es nach allen Seiten, und wenn er antwortete, sprudelte er die Worte so sicher hervor, als stünden sie vor ihm geschrieben.

[177]

20. Kapitel

Zwanzigstes Kapitel.

In der Post lebte Fränz mit ihrer Mutter still und einsam. Früh Morgens gingen sie täglich nach der Kirche, wo die Mutter immer so zerknirscht betete, dann ging es jedesmal hinaus nach dem Gefängniß, um von dem alten Kübler zu erfahren, wie sich der Vater befinde; er gab in der Regel einförmig guten Bescheid, nahm bisweilen auch Geschenke an, ließ sich aber nicht herbei, Diethelm irgend eine Nachricht zu bringen, und so waren Mutter und Tochter von ihm wie durch Meere geschieden. Von dem einzigen Ausgange abgesehen, lebten sie selber wie in Gefangenschaft, die Mutter saß in der Mitte der Stube und spann, obgleich sie immer klagte, daß ihre Spinnfinger wie abgestorben seien. Sie hatte nicht Lust, bei der Arbeit manchmal hinaus zu sehen nach den Vorübergehenden, sie kannte Niemand und wollte Niemand kennen, und oft wenn sie eine volle Spindel abstellte, klagte sie über die schöne Aussteuer der Fränz und über die tausende von selbstgesponnenen Spindeln, die da mit verbrannt seien. Fränz saß am Fenster und stickte für den Vater sehr bunte Pantoffeln, sie hatte das in der Hauptstadt trefflich gelernt; oft schaute sie aber auch hinaus auf die Straße und machte allerlei Bemerkungen über die [178] Vorübergehenden. Die Mutter verwies ihr das immer mit steter Wiederholung:

»Wir haben gar nichts zu spötteln über andere Menschen, wir müssen froh sein, wenn man nicht mit Fingern auf uns weist.« Nun verschwieg Fränz meistens ihre Bemerkungen, sie hatte, wie sie glaubte, die unsäglichste Geduld mit ihrer Mutter, die gar keine Zerstreuung wollte und so gewiß als das Tischgebet jedesmal, wenn man sich zum Essen setzte, sagte:

»Ach Gott! jetzt muß der Vater allein essen, ich weiß, daß ihm kein Bissen schmeckt, er hat nie was allein essen mögen ohne dabei zu reden, und wenn er heim kommen ist und ich ihm Essen hingestellt hab', hab' ich mich immer zu ihm setzen müssen, und beim Tisch hab' ich nie aufstehen dürfen und wenn was gefehlt hat, er hat immer gesagt: lieber kein Salz auf dem Tisch, als daß du mir fehlst. Ach Gott! Wir haben doch so gut mit einander gelebt, und wenn's auch manchmal ein bisle uneben gangen ist, es giebt doch kein' bessere Ehe auf der Welt und alle Adern hätt' sich Eins für's Andere aufschneiden lassen.«

Fränz hörte das immer geduldig an und ermahnte nur die Mutter, das Essen nicht kalt werden zu lassen.

Fränz trauerte auch aufrichtig um das Schicksal des Vaters, aber sie konnte diese immerwährende Trauer nicht aushalten und sehnte sich nach Zerstreuung, sie wollte von keinem Zweifel mehr wissen, daß dem Vater etwas geschehen könne und sprach oft davon, daß sie gar nicht mehr in das Dorf zurückkehren wollten; wenn der Vater frei sei, müsse er mit ihnen in der Stadt [179] bleiben. Martha wollte nichts davon hören und Fränz suchte ihr alle Schauer zu erregen, die man erleben müsse, wenn man in einem Hause wohne, wo früher ein Mensch verbrannt sei.

»Wo nur der Paßauf hin ist?« fragte Martha ablenkend und Fränz erwiderte:

»Ihr könnet Euch darauf verlassen, der ist mit dem alten Schäferle, wie er zum Verhör in der Stadt gewesen ist.«

»Hast du den Munde in der Hauptstadt nicht gesehen?« fragte die Mutter wieder.

»Freilich,« erzählte Fränz, »er ist, wenn er nicht auf die Wacht gemußt hat, jeden Tag und jeden Tag in den Rautenkranz kommen, er thut noch immer so narret mit mir.«

Martha erzählte nun, daß der Vater ihr den Munde zum Mann bestimmt habe, aber Fränz wehrte sich dagegen, daß sie das »Opferlamm« sein solle; wenn sie einen Mann nehme, so nehme sie ihn für sich und für Niemand anders. Sie ließ sich nicht dazu herbei, zu erklären, was sie mit dem Opferlamm gemeint habe, sie behauptete, das sei nur Redensart, in ihr aber erwachte wieder der Gedanke, den sie auf der ganzen Herreise gehabt, daß ihr Vater doch schuldig sei und daß es nur gelte, sich hinaus zu reden. An jenem letzten Tage in der Stadt hatte die Eröffnung Munde's, obgleich er sie so klug zu verhüllen trachtete, einen gewaltigen Eindruck auf Fränz gemacht. Sie kannte durch ihre öftere Begleitung die Verhältnisse des Vaters besser als irgend Jemand, sie wußte, daß er tief in Verlegenheiten [180] steckte, auch klagte ihr der Vater öfters; sie gedachte während der Fahrt jenes Augenblickes, da der Vater auf dem Markte niedergefallen war als ihm der Kaufmann Gäbler sagte, daß er mit der Feuerschau käme, sie hatte den Vater dann auf der kalten Herberge beobachtet, wie er mehrmals die Farbe wechselte und dann wie besessen davon jagte, und jetzt war es ihr deutlich warum der Vater so klagend davon sprach, daß er Armuth nicht überleben würde, als die Deichsel gebrochen war; und als der Vater sie zum Letztenmal in der Hauptstadt besucht, war er wieder voll Jammer und Klage gewesen. Darum glaubte Fränz schon auf dem Wege an die Schuld des Vaters und als sie nachträglich erfuhr, daß er ihr den Munde zum Manne bestimmt hatte, kam kein Zweifel mehr auf. An einen vom Vater begangenen Mord dachte sie nicht, wohl aber, daß er mit Medard gemeinsam Feuer angelegt und daß Medard dabei verunglückt war.

Von allen Menschen auf Erden hatte Diethelms einziges Kind allein eine gegründete Ueberzeugung von dessen Schuld und erklärte sich ihren Zusammenhang, und Fränz allein war als durchaus unbetheiligt nie verhört worden.

Auf jener Nacht und Tag währenden Heimfahrt war eine große Wandlung mit Fränz vorgegangen, sie sah sich schon verstoßen und verhöhnt von aller Welt und war tief traurig und voll Demuth gegen Jedermann, und empfing darum überall eine Behandlung voll Theilnahme und Rücksicht, die sie wieder mild stimmte. Als sie die Mutter sah, warf sie sich ihr mit[181] Inbrunst entgegen, das war das einzige Herz auf der Welt, das sie nicht von sich stieß und die in Trotz und Rechthaberei verhüllte Kindesliebe brach gleichzeitig mit der demüthigen Milde gegen alle Menschen auf, zwei Lilien gleich, in einer Wetternacht aufgebrochen.

Als sie nun aber hörte, daß der Vater für unschuldig galt und daß es nur darauf ankam, diese Geltung aufrecht zu erhalten, verwelkten die in Schmerz erblühten Blumenkelche wieder. Wer weiß, in Schmach und Noth wäre Fränz vielleicht eine Heldin an Duldung geworden; jetzt war sie wieder in der Welt voll Lug und Trug, wo Alles darauf ankam, sich in seiner Rolle zu behaupten, und Fränz wurde wieder die hoffährtige, alle Welt verhöhnende Tochter Diethelms; nur eine gewisse Umflorung, die aus dem Kummer um das noch nicht entschiedene Schicksal des Vaters entsprang, dazu eine Nachwirkung von jener immer mehr verklingenden Trauerstimmung, verhinderte, daß nicht mit Einem Wort der leibhafte Nückel wieder da war.

Fränz ertrug den Schmerz um die sich in die Länge ziehende Gefangenschaft des Vaters leichter als die Mutter, weil sie ihn für schuldig hielt; von einem Morde an Medard ahnte sie nichts, und für einen Brandstifter gehalten worden zu sein, dachte sie, ist am Ende keine Schande, wenn man nur freigesprochen ist.

Seit mehreren Tagen hatte Fränz jedesmal um Mittag gesagt: »Jetzt ist halb eins« und wenn die Mutter fragte: »Warum?« antwortete sie lächelnd: »Weil der Amtsverweser da über den Markt herkommt, er ist ein saubers Bürschle, er speist unten an der [182] Tafel.« Die Mutter ermahnte sie vom Fenster wegzugehen, sie müsse sich ja schämen, wenn er sie sähe; Fränz aber behauptete, daß das gar nicht der Fall sei und bald bemerkte der Amtsverweser, welche Augen nach ihm ausschauten und es entstand ein regelmäßiges und immer entschiedeneres Grüßen herauf und herab am Mittag. Die Mutter ward auch bald neugierig, den Mann zu sehen, den sie seit jenem schrecklichen Abend nicht mehr erblickt hatte und von da an hatte Fränz gewonnen Spiel; sie ließ nicht ab und hatte dabei willfährige Hülfe an der Frau Postmeisterin, bis die Mutter sich entschloß mit ihr an der Tafel zu speisen. Martha gab endlich nach, besonders als ihr Fränz immer eindringlicher vorhielt, wie gut das für den Vater wäre, wenn man mit dem Amtsverweser bekannt sei, und wie man auch gesprächlich Manches von ihm erfahren könne über den Stand der Untersuchung. Das leuchtete ein. Anfangs stand Martha oft viele Tage mit trockenem Munde auf, sie konnte keinen Bissen hinabbringen, wenn sie den »Herrn« ansah, der ihr so schweres Herzeleid angethan und der ihren Mann auf Zeitlebens in's Zuchthaus bringen konnte. Es war ihr immer, als säße sie mit einem Henker am Tisch und sie begriff gar nicht, wie er so ruhig Speise und Trank zum Mund führte, während er auf die Fragen seiner Tischnachbarn erzählte, daß heute Der und Jener eingebracht oder daß Dieser oder Jener in's Zuchthaus abgeführt worden sei. Martha sah dann oft nach seinen Händen, ob die nicht vom Blute rauchten. Nach solchen Tagen hatte Fränz immer[183] einen schweren Stand, denn die Mutter wollte durchaus nicht mehr an die öffentliche Tafel. Nun aber hieß es, das könnte dem Vater schaden, wenn man jetzt zeige, daß man sich schäme, die Mutter verstand sich mit schwerem Herzen dazu und Fränz hatte oft aufrichtiges Mitleid mit ihr, wenn ihr der Gang zu Tisch so peinvoll wurde; aber sie beredete sich, es sei nöthig, daß sich die Mutter wieder an die Menschen gewöhne und sie vermochte die Postmeisterin, sich mit an den Tisch zu setzen und die Mutter beständig im Gespräch zu erhalten. Der Amtsverweser lehnte auch fortan jede bezügliche Frage seiner Nachbarn ab, und man war fast heiter. Die Mutter lebte sichtlich wieder auf. Fränz war in der Wohnstube der Postmeisterin bald mit dem Amtsverweser bekannt geworden und dieser theilte ihr freiwillig, aber unter dem Siegel der Verschwiegenheit, frohe Kunde über den Vater mit. Martha fand ihn nun gar nicht mehr henkergleich, sondern grundmäßig gut, man sähe es ihm ja an den Augen an; sie segnete ihm jeden Bissen und jeden Trunk, den er zum Mund führte. Von nun an kam der Amtsverweser jeden Tag später als gewöhnlich in die Kanzlei, denn er trank seinen Kaffee und ranchte seine Zigarre in der Wohnstube der Postmeisterin und unterhielt sich eifrig mit Fränz, die redegewandt und schelmisch war und der die verhüllende Trauer noch einen besondern Reiz verlieh. Dennoch kam es nicht weiter als zu einer gewissen gefallsamen Annäherung zwischen Fränz und dem Amtsverweser, denn Beide hüteten sich in Betracht der Umstände vor jeder ausgesprochenen [184] Zuneigung. Was Wunder, daß unter solchen Verhältnissen die Untersuchung gegen Diethelm nur mangelhaft geführt wurde, zumal keine rechten Beweise vorlagen. Der Verweis, den der Amtsverweser darob von dem neubestallten Richter erhielt, nützte nicht mehr viel und der Richter versuchte nun selbst den rechten Haken zu finden.

In der Wohnstube der Postmeisterin war große Trauer, als der Amtsverweser feine Versetzung nach einem vielbesuchten Badeort ankündigte. Als er bald Abschied nahm, reichte ihm Fränz mit einem vielsagenden Blick die Hand; der Amtsverweser bot nun auch Martha die Abschiedshand, sie reichte sie und spürte dabei mächtig ein Jucken in der Hand, über das sie seit Wochen schon oft geklagt hatte.

Fränz war nun selbst damit einverstanden, daß man von der Gasttafel wegblieb, sie war ungewöhnlich viel still und sinnend; sie sang oft still vor sich hin, und unterbrach sich dann plötzlich, wenn sie dachte, in welcher Lage sie war. Die Mutter ermahnte sie nun selbst oft, zur Wirthin hinabzugehen, während sie einsam spann.

Eines Tages kam Fränz athemlos in das Zimmer gestürzt.

»Mutter,« schrie sie, »Mutter, er ist da!« »Wer? Um Gotteswillen der Vater?« »Ja, der Vater,« keuchte Fränz und wollte sich eben wieder umwenden, um dem Kommenden entgegen zu gehen, als die Mutter mit einem Schrei vom Stuhl auf den Boden fiel. Sie beugte sich über sie, als [185] Diethelm eintrat, und kaum hatte er mit seiner klangvollen Stimme die Worte gesprochen: »Was ist der Mutter?« als die Ohnmächtige die Augen aufschlug und in ein krampfhaftes Weinen und Lachen ausbrach, daß Diethelm mit zitternden Händen dastand und gar nicht wußte, was er thun sollte; er fuhr seiner Frau mit der Hand über das Gesicht, und sie faßte seine Hand und hielt sie fest an den Mund und konnte noch immer nicht sprechen.

»Martha, ich bin frei,« sagte Diethelm, sie aufrichtend, »nimm dich zusammen und sei froh. Es ist ja Alles wieder gut.«

Martha hielt immer noch seine Hand fest und das erste Wort, das sie sprach, war:

»Alles, was ich auf dem Leib trage, schenke ich einer armen Frau, und meinen Mantel auch, und ich will Gutes thun an der ganzen Welt. Komm Diethelm, komm, weißt was wir thun wollen? Wir wollen jetzt gleich in die Kirch' gehen, komm, Fränz, komm.«

»Du bist jetzt so schwach, laß es auf ein Andermal.«

»Nein, nein, jetzt gleich, ich bin nicht schwach, es hat mich nur so angewandelt. Ich bitt' dich, folg' mir jetzt, ich will dir auch in Allem folgen, was du willst.«

Diethelm mußte willfahren und mit seiner Frau in die Kirche gehen. Es schauerte ihn und durchfuhr ihn eiskalt, als er in die hohe Halle eintrat; er warf sich mit seiner Frau vor dem Altar nieder und bat Gott, ihn auf dieser Welt um seiner Frau und seines Kindes willen zu verschonen.

Als sie aus der Kirche traten, wo sich viele Men schen [186] versammelt hatten, schenkte Martha sogleich einer armen alten Frau ihren Mantel und gab nicht nach, daß sie den Mantel nur noch bis zur Post behalten möge. Diese Schenkung, sowie der auffallende Kirchgang überhaupt, verbreitete sich schnell, und Diethelm hörte schon auf seinem Heimweg davon reden; viele Menschen, die er starr ansah, zogen den Hut vor ihm ab, und er sah, daß er neue Ehre gewonnen habe, er war entschlossen, sie zu behaupten.

Als sie aus der Kirche zurückgekehrt waren und die Glückwünschenden sich entfernt hatten, saß Diethelm lange am Tisch, auf den er die Arme gestemmt und den Kopf in die Hände gedrückt hatte, und als ihn Martha bei der Hand faßte, schaute er zu ihr auf und große Thränen rollten über seine Backen. Zum Erstenmal in ihrem Leben sah Martha ihren Diethelm weinen, sie schrie laut auf, er aber beruhigte sie, und es war die volle Wahrheit, als er ihr sagte, daß diese Thränen ihn erfrischt und ihm hellen Muth gegeben hätten.

Martha drängte, daß man noch heute heim nach Buchenberg zurückkehre; Diethelm sah sie traurig an, da sie vom Heimkehren sprach, wo waren sie daheim? Er fragte nach seinen Rappen, und als er hörte, daß sie in Buchenberg stünden, blieb er fest dabei, erst morgen abzureisen; er schickte sogleich einen Boten nach seinen Pferden, das war das Einzige, was ihm lebendig von seiner früheren Habe verblieben war und mit ihnen wollte er stolz in Buchenberg einziehen.

[187]

21. Kapitel

Einundzwanzigstes Kapitel.

Nahezu zwei Monate hatte Diethelm im Gefängnisse gesessen, es hatte mehrmals gethaut, aber auch immer wieder frischen Schnee gelegt und heute war ein heller, mäßig kalter, echter Schlittentag. Diethelm hatte sich gewundert, daß nicht der Vetter selber das Fuhrwerk gebracht, sondern einen Knecht mit demselben geschickt hatte. Die Rappen schienen ihren Herrn nicht mehr zu kennen, sie senkten die Köpfe, so sehr auch Diethelm sie klatschte, mit ihnen sprach und ihnen salzbestreutes Brod vorhielt, sie hatten eben jenen gejagten Brandabend noch nicht vergessen und spürten ihn noch immer. Diethelm dachte, daß alle Welt verändert sei und gewiß waren alle Häuser verschlossen und Niemand drängte sich zu ihm und reichte ihm die Hand, nicht einmal der Vetter war gekommen ihn abzuholen. Die Menschen sind Alle falsch wie Galgenholz, sie klagen und krächzen um einen Todten, und wenn er plötzlich wiederkäme, sie wären voll Zorn auf ihn, weil er sie um ihr Mitleid betrogen. So dachte Diethelm, als er mit der Wolfsschur angethan auf dem Vordersitze saß und die Pferde lenkte, hinter ihm saßen die Mutter und Fränz. Diethelm nahm sich vor, nur noch Einmal nach Buchenberg zurückzukehren, Allen seine Verachtung zu zeigen und sie dadurch zu züchtigen, daß er den Ort auf ewig [188] verließ, sie waren es nicht werth einen Mitbürger zu haben wie er. Er überlegte plötzlich, daß eigentlich Niemand in Buchenberg sei, bei dem es ihm der Mühe werth war, was er von ihm denke; sie sollten aber einsehen, wer er war, wenn er nicht mehr in ihrer Mitte sei. Es that ihm nur leid, daß er nicht eine wirkliche Rache an ihnen nehmen könne, der Vetter vor Allem aber sollte es büßen, seine Hypothek war gekündigt.

Während er aber noch den Rachegedanken nachhing, erhob sich in ihm plötzlich der Zweifel, ob er ihnen Folge leisten dürfe. Wohl war die ganze Welt sein Feind, aber er durfte ihr nicht zeigen, daß eine Veränderung mit ihm vorgegangen sei, und wenn Alles stechende Blicke auf ihn richtete, so war es doch klüger, zu thun, als ob man das nicht bemerke – falsch sein gegen die falschen Menschen das ist das Beste; um unversehens ihnen die Gurgel zuzudrücken, aber auch das muß vorsichtig und schlau geschehen.

Hin und her warf es Diethelm in Gedanken, denn so argwöhnisch gegen sich und gegen die Welt ist ein Herz, das Arges in sich verborgen hegt.

Eine Strecke ab von der kalten Herberge, Unterthailfingen zu, sagte Fränz:

»Vater, ich hör' Musik den Berg herauf, horchet, sie kommt näher. Was ist das?«

Auch Diethelm hörte es, das Leitseil schwankte hin und her, so zitterten seine Hände, er faßte es straff.

»Ich mein' immer,« sagte die Mutter mit verklärtem Antlitz, »es sei Alles nur ein Traum gewesen. [189] O das wär' doch prächtig, wenn unser Haus noch stünde und Alles wär' nicht wahr.«

»Weibergeschwätz, es ist Alles wahr, still!« sagte Diethelm zornig; die Kälte, die er immer innerlich spürte, fast wie einen gefrornen Punkt, so sehr er sich äußerlich erwärmte, rann ihm jetzt wieder durch Mark und Bein. Er hielt an und trank einen mächtigen Zug Heidelbeergeist. Die Musik kam immer näher. Man sah jetzt einen großen Trupp Reiter und Einer ritt im Galopp vorauf nach Diethelm zu, kehrte aber bald wieder um und ordnete die Zurückgebliebenen hüben und drüben an der Straße zu Spalier.

Was sollte das sein? Sollte Diethelm wieder gefangen genommen werden? Aber wozu war dann die Musik? Die Rappen, von den Klängen erweckt, hoben die Köpfe hoch und rannten wiehernd davon.

Fränz hatte das beste weitsichtige Auge, sie erkannte bald den Vetter Waldhornwirth, der nun ein wirklicher Trompeter war; auch andere Buchenberger erkannte sie und Diethelm übergoß es wieder abwechselnd flammend heiß und schauerlich kalt.

Dort, genau an der Stelle, wo im Sommer die Deichsel gebrochen war, dort scholl Diethelm ein Trompetentusch und hundertstimmiges Hoch entgegen. Alles was in Buchenberg beritten war und eine große Anzahl von Unterthailfingen, die sich dazu gesellt hatten, hielt Diethelm einen feierlichen sogenannten Gegenritt und holte ihn im Triumphe ein. Diethelm fand nicht Worte seiner Empfindung Luft zu machen; es bedurfte dessen aber auch nicht, denn unter beständigem Hochrufen und [190] Trompetenblasen und Peitschenknallen setzte sich der Zug alsbald in Bewegung. Die Mutter weinte und Fränz sah mit frohlockenden Augen drein, während Diethelm mit besonderer Sorgfalt die Rappen lenkte; es war sein einziges Denken, daß in dem Wirrwarr kein Unglück geschehe, das alle Freude in Leid verkehre.

Wie war Diethelm so plötzlich verändert; er, der noch vor wenigen Stunden bittern Groll und Haß gegen seine Mitbürger in sich erweckt hatte.

In Unterthailfingen standen alle Leute am Fenster und auf den Straßen und grüßten. An der Gemarkung von Buchenberg hielt neben einem Schlitten der Gemeinderath und Bürgerausschuß und begrüßte Diethelm.

»Wo ist der Schultheiß?« fragte Diethelm. Der Obmann des Bürgerausschusses erwiderte, daß der Schultheiß schon vor vier Wochen gestorben sei.

Der Gemeinderathsschlitten fuhr hinter dem Diethelms drein. An der Anhöhe, wo einst Diethelms Haus gestanden und jetzt nur noch verschneite Trümmer sich zeigten, bogen die Rappen plötzlich um und Diethelm wurde an den straffen Zügeln fast vom Schlitten gerissen, aber der Vetter hatte dieß wohl vorausgesehen; er war zur Seite der Rappen geritten und drängte sie auf den Dorfweg.

Nun erst im Dorfe ging das Hochrufen von Neuem an, die Kinder schrieen mit und die Weiber schlugen vor Freude weinend die Hände zusammen. Am Hause des alten Schäferle wurde plötzlich der Schlitten Diethelms gestellt, der Paßauf war wie wüthend an die[191] Köpfe der Pferde hinaufgesprungen und ließ sie nicht vom Platze, bis ihm ein Reiter mit der Peitsche Eines überhieb, daß er winselnd davonjagte. Drinnen in der niedern Stube, die Stirne an die Fensterscheiben gedrückt, stand der alte Schäferle und aus seinem zerfallenen Antlitze sprach Kummer und Klage, daß man einen Mann wie Diethelm wie einen Alles beglückenden Helden einholte. Diethelm sah nur einen Augenblick unwillkürlich hinüber und Martha grüßte den so schwer betroffenen Trauernden, dieser aber blieb starr und bewegungslos. Weiter ging der Zug und ordnete sich noch einmal unter Trompeten- und Jubelschall.

Als Diethelm am Waldhorn absteigen wollte, stellte sich der Wirth neben ihn und hielt ihn auf dem Schlitten. Er hatte als diensteifriger Marschall diese Huldigungen angeordnet und verlangte nun auch deren richtigen Verlauf.

»Ihr müsset ein paar Worte reden,« lispelte er Diethelm zu und rief dann laut: »Ruhe! Stille! der Herr Diethelm will reden.«

»Liebe Freunde und Mitbürger!« begann Diethelm, und nochmals wurde Ruhe geboten, worauf er wiederholte: »Liebe Freunde und Mitbürger! Ich danke euch von ganzem Herzen für die Ehre und Liebe, die ihr mir erweist, ich werde sie euch nie vergessen, obzwar ich sie nicht verdiene. Was hab' ich denn Großes gethan? Ich bin kein Brandstifter, kein Mordbrenner, das ist Alles. Mein Ehrenname steht wieder rein da. Ich will hoffen, daß ihr mich einstmals eben so mit Ehren hinaustraget, wenn man mir ein eigen Haus anmißt. Haltet fest.«

[192] Dieser Gedanke schien Diethelm so zu übermannen, daß seine Stimme zitterte, der Vetter aber neben ihm brummte: »Wie kommen die Rüben in den Sack?« und Diethelm setzte noch hinzu:

»Ich dank' euch, ich dank' euch viel tausendmal.«

Diethelm hielt inne, aber der Vetter drängte wieder:

»Noch was, so kann's nicht aus sein, saget noch was,« und Diethelm fuhr fort:

»Viele von euch haben gehört, was man mich angeklagt hat, aber meine Freisprechung ist hinter verschlossenen Thüren vor sich gegangen. Freut euch, daß das bald ein Ende hat, wir bekommen das Schwurgericht, wo wir selber richten und Alles öffentlich.«

Diethelm hielt wieder inne und wollte absteigen, aber der Vetter ließ ihn nicht vom Platze und drängte: »Das ist nicht genug, ladet sie wenigstens zu einem Trunk ein.« Diethelm fühlte, daß er jetzt keine Schmauserei halten konnte, es war schon zu erdrückend viel an dem Geschehenen, er schloß daher: »In vier Wochen halt' ich meiner Bruderstochter hier Hochzeit, ich lad' euch heute Alle dazu ein auf meine Kosten. Nochmals sage ich euch meinen herzlichen Dank.«

Diethelm drängte den Vetter fast zu Boden, als er abstieg.

Unter den Reitern zeigte sich aber eine offenbare Mißstimmung. Es geht im Großen wie im Kleinen so, ein versprochener Zukunftstrunk macht eher verdrossen als lustig, wer weiß, was dann ist wenn die versprochene Zeit kommt; man will eben trinken, wenn Gemüth und Zunge einmal dazu vorbereitet sind, heute, [193] eben jetzt, und da hilft eine noch so sichere Vertröstung auf kommende Tage nichts.

Der Vetter sah schon, daß er etwas auf seine Kappe nehmen mußte, er war der nachträglichen Bestätigung sicher; er sagte daher jedem Einzelnen, daß es bei der Hochzeitseinladung verbleibe, daß aber heute Jeder ein Halbmaas Wein auf Diethelms Kosten trinken könne, er habe das nur nicht laut sagen wollen, weil er glaube, es schickt sich nicht.

Nun war doch eine mäßige Beruhigung hergestellt und im Waldhorn ging's hoch her in Schmausen und Unterredungen. Die eine Halbmaaß zog Kameraden nach und der Vetter hätte nichts dabei verloren, wenn er die Schenkung wirklich auf seine Kappe genommen hätte. Diethelm saß indessen in der obern Stube und hielt beide Hände vor's Gesicht, die Augen brannten ihm, aber weinen konnte er nicht. Mitten unter dem Ehrenjubel, der ihn neu in's Leben zurückführte, konnte er den Gedanken nicht los werden, daß das ein Leichenbegängniß wäre, sein eigenes, er war scheintodt, und er konnte nicht aufschreien: ihr begrabt einen Mann der lebt, nein, ihr begrüßt unter den Lebenden einen Todten. Hirnverwirrend drang es auf ihn ein und er meinte, er sei wahnsinnig, er hätte gerne gesprochen, um vor sich selber sicher zu werden, wie er sei, aber der Lärm war so groß und Fahren und Reiten so wild. Darum freute er sich Anfangs, als er seine eigene Rede vernahm, die so klug war, aber mitten in dieselbe sprang ihm unversehens der Todesgedanke, und wie ein fester Stern, der aus der Irre[194] führt, erschien plötzlich die Anrufung des Schwurgerichtes. Und doch war Diethelm eigentlich froh, daß dieß noch nicht eingerichtet war.

Jetzt zum Erstenmal fühlte Diethelm ganz deutlich, wie ein Scheinleben gewiß nicht minder gräßlich ist, als ein Scheintod, aber er war entschlossen, ihm mit starkem Willensmuth zu trotzen.

Die ganze Gemeindevertretung trat bald bei ihm ein, und der Obmann frug Diethelm geradezu, ob es wahr sei, daß er, wie der Waldhornwirth gesagt, vom Dorfe wegziehen wolle.

Diethelm gab ausweichenden Bescheid, denn er erkannte plötzlich, daß die Ehrenbezeigung nicht pure Huldigung war; man wollte ihn mit seinem Vermögen im Dorfe fesseln. Der Obmann erklärte, daß man mit der Schultheißenwahl auf ihn gewartet habe, er werde einstimmig gewählt, wenn er willfahre. Diethelm machte noch einige scheinbare Widersprüche, daß er jetzt zu viel mit Ordnung seiner Angelegenheiten zu thun habe u.dgl.; auf vieles Zureden gab er indeß nach, er fühlte doch erst im Dorfe und so zu sagen in den niederen Stuben recht deutlich das Maß seiner Größe, und ihn erquickte der Gedanke, nun ein festes Ehrenamt zu bekleiden, bei dessen jedesmaliger Benennung ihm stets klar vor Augen liegen mußte, in welchem Ansehen er stand und wie kein Mackel an ihm hafte. Er bedurfte dessen jetzt doppelt, denn seitdem er wieder in's Dorf zurückgekehrt war, fühlte er sich so bang, als ob ein Gespenst ihm auf dem Nacken sitze und ihn bei allen Ehrenbezeigungen auslache und heimlich zwicke und quäle. Und doch [195] wollte er erst wenn Alles vergessen war und seine Fränz sich verheirathet hatte, das Dorf verlassen; vorher erschien es ihm verdächtig.

Ein großer Haufe Geld, wie ihn baar das Dorf noch nie gesehen hatte, kam andern Tages an, es war die volle Versicherungssumme für die Fahrniß. Der überbringende Kaufmann Gäbler war voll Unterwürfigkeit gegen Diethelm und empfahl sich ihm zu jeglicher Vermittlung. Nun ging es an ein Abwickeln der Schulden und zwischen hinein an Uebernahme der Erbschaft vom Kohlenhof, und im Waldhorn war allzeit ein reges Leben. Das Haus selbst, das in der Staats-Brandkasse versichert war, wurde erst zur Hälfte bei Beginn und zur andern Hälfte bei Vollendung des Wiederaufbaues bezahlt. Diethelm ließ schon im Winter Steine brechen und fahren, und verschaffte dem Dorf und der ganzen Umgegend gesegneten Verdienst in einer sonst kahlen Zeit; aber weder er selbst, noch Martha besuchten je die Brandstätte, nur Fränz war mehrmals dort gewesen. Es schien Alles wohl zu gehen, nur Martha klagte viel über das Leiden in ihrer rechten Hand; die Mittel des oft herbeigerufenen Arztes verschlugen nicht, der Daumen, Zeige- und Mittelfinger waren wie abgestorben, leichenhaften Ansehens. Der Arzt behauptete, diese Finger seien durch zu eifriges Spinnen mit der Spindel abgetödtet, und Diethelm bestätigte, daß ihm seine Mutter oft erzählt habe, Spindeln seien giftig; aber seine Frau habe nie nachgegeben und am Rädchen spinnen lernen wollen. Er klagte nun auch, nachdem er Frau und Tochter fortgeschickt, sein eigen Leid, wie [196] es ihm stets mitten im Körper so kalt sei und es ihn innerlich stets friere, wenn er am Ofen sitze und fast verbrate. Der Arzt bedeutete, daß das vielleicht ein innerlicher Rheumatismus sei und daß es sich gerade schicke, Frau Martha müsse im nächsten Sommer nach einem warmen Bade und der Herr Diethelm auch.

Als Diethelm diese Botschaft seiner Frau verkündete, sagte sie:

»Der Doctor versteht mein Uebel nicht, aber ich versteh's. Sei nur nicht bös, ich muß es aber doch zu einem Menschen sagen; guck, mir sind just die drei Finger abgestorben, mit denen ich einen falschen Eid geschworen hätt', wenn ich hätt' schwören müssen.«

»Du? Wo denn?«

»Ich hätt' vor Gericht geschworen, daß nie vom Anzünden zwischen uns die Rede gewesen ist, ich hab' gemeint, ich bring' dich damit in Ungelegenheiten, wenn ich's sag.«

»Dummes Zeug, das hätt'st du wohl auch mit einem Eid sagen können, ich hab' noch ganz andere Sachen zu Boden geschlagen,« polterte Diethelm; als er aber das schmerzzuckende Antlitz seiner Frau sah, setzte er begütigend hinzu: »Red' dir nur nichts ein von einem falschen Eid, du hast ja gar nicht geschworen, und hättest du auch, wär's auch nicht falsch gewesen, du hast ja blos etwas verschwiegen, und wenn alle Menschen, die falsche Eide geschworen haben, todte Finger bekämen, es gäb' wenige, die eine Prise nehmen könnten.«

Martha schwieg, ein schwerer Gedanke stieg in ihr auf, den sie aber mit aller Macht bannte. Wie [197] verwildert, wie jähzornig und bald wieder so viel alleinredend war ihr Mann!

Mehr als je standen diese Menschen in Reichthum und Ueberfluß, aber Kummer und Schmerz verließ sie nie – Martha konnte Nichts mehr arbeiten und wurde immer trübsinniger, tagelang saß sie in sich zusammengekauert und betrachtete stieren Blickes die todten Finger an ihrer rechten Hand; nur Fränz war glücklich, zumal da sie hörte, daß man im Sommer nach dem Bade reiste, und zwar gerade nach dem Orte, wohin der Amtsverweser versetzt war.

Martha hatte insgeheim und durch dritte Hand dem alten Schäferle manche Gabe zukommen lassen, aber er wies Alles zurück; er war den ganzen Tag beim Abräumen des Schuttes und suchte nach den Gebeinen seines Sohnes, von denen er nichts fand, als den halbverbrannten Schädel und ein Stück des Oberarmes.

Martha wagte es eines Abends, den verlassenen Mann aufzusuchen.

»Ich will nichts von Euch,« rief der alte Schäferle der Eintretenden entgegen.

»Aber ich will was von dir,« entgegnete Martha, »da sieh, was ich für todte Finger hab'. Du mußt mir helfen.«

Der alte Schäferle, dessen geheime Kunst aufgefordert war, die er seinem Vater an Freund und Feind zu üben versprochen hatte, näherte sich, wenn auch langsam, betrachtete die Hand lange, hauchte dreimal darauf und murmelte dabei unverständliche Worte. [198] Martha bewegte schon die Finger besser auf und zu, und der Schäferle sagte:

»Der Hund da, der Paßauf, kann Euch helfen. Lasset ihn nur bei Euch im Bett schlafen.«

Martha wehrte sich gegen dieses Mittel, gerade der Hund des verbrannten Medard war ihr ein Schrecken, und sie dachte nicht, daß ein anderer kurzhaariger ebenso dienlich gewesen wäre; sie verstand sich eher zu den andern Mitteln, die darin bestanden, Turteltauben im Zimmer zu halten und im Neumond drei Blutstropfen aus den drei Fingern auf Baumwolle aufzufangen und solche in eine junge ab dem Wege stehende Weide einzuspunden.

In der That wurde Martha von nun an viel belebter und heiterer, und sie rieth oft ihrem Manne, wegen seines Fröstelns den alten Schäferle zu befragen, ja sie befragte diesen von selbst über den Fall; aber der alte Schäferle, der wußte, wem es galt, behauptete, nicht helfen zu können, bevor der Mann selber zu ihm käme. Diethelm aber wollte sich nicht dazu verstehen, und wenn ihn seine Frau über seine unruhigen Nächte ausfragte, redete er ihr ein, das viele Geld im Hause mache ihm bange; er durfte ihr ja nicht sagen, wie nicht die Sicherung seines Geldes, sondern die Wahrung seines Geheimnisses ihn oft in der Nacht aufschreckte, und wie es ihm oft war, als hörte er Peitschenknallen, Wagenrasseln, und als kämen plötzlich die Häscher, um ihn auf's Neue einzufangen. Jedesmal in der Nacht, wenn der Eilwagen durch das Dorf fuhr, erwachte er; er hoffte wieder Ruhe zu finden, wenn er aus dem lärmenden Dorfe weg sei und wieder auf seinem stillen Berge wohnte.

[199]

22. Kapitel

Zweiundzwanzigstes Kapitel.

An der Hochzeit des jungen Kübler mit der Bruderstochter Diethelms, die dieser reichlich ausstattete, zeigte sich was die berittene Mannschaft zweier Dörfer verprassen kann, und noch dazu, wenn es auf fremde Kosten geht; dem Diethelm war nichts zu viel und er ermunterte noch Jeglichen zu Essen und Trinken. Das Faß Uhlbacher wurde richtig ausgetrunken und Diethelm, dem der Arzt seinen Leibwein verboten hatte, machte heute eine Ausnahme und half wacker mit, denn er verband mit diesem Tage noch ein zweites Fest.

Seit acht Tagen war Munde vom Militär heimgekehrt, er war frei und hatte nur noch drei Jahre die gewöhnlichen Herbstübungen mit zu machen. Da Diethelm Schultheiß geworden war, mußte ihm Munde seinen Urlaubspaß übergeben; er wartete ab, bis Diethelm mit dem Gemeinderath auf dem Rathhaus war, übergab dort das Schriftliche ohne aufzuschauen und nannte ihn stets »Herr Schultheiß.« Diethelm hielt gerade ein Anschreiben vom Amte in der Hand als Munde eintrat und sprach. Von heftigem Schreck erfaßt, starrte er eine Weile hinein in das Papier, auf dem die Buchstaben seltsam in einander krochen. Der Klang der Bruderstimme hatte Diethelm mächtig erschüttert. Die Einbildungskraft kann sich zu Leid und [200] Freud das ganze Wesen und Gehaben eines Verstorbenen in die lebendige Erinnerung stellen, Eines aber vermag sie nicht aus sich zu erwecken: es ist der Klang der Stimme des Abgeschiedenen, nur ein Ton von außen ruft ihn wach. Und wie jetzt Diethelm die Bruderstimme hörte, drang sie ihm in's Herz, so daß plötzlich alles Verborgene und gewaltsam Zurückgedrängte vor ihm stand.

Diethelm faßte sich und sagte endlich, das Papier niederlegend und sich zurücklehnend:

»Was willst du jetzt anfangen, Munde?«

»Ich werd' schon sehen,« antwortete Munde und grüßte soldatenmäßig. Diethelm aber rief ihm noch nach:

»Komm zu mir in's Waldhorn, Munde, ich hab' dir was Gutes zu sagen.«

»Das Gescheiteste wär', du gäbst ihm dein' Fränz,« sagte der Schmied hinter dem Weggegangenen, »sie haben sich von je gern gehabt und es schickt sich g'rad für dich, Einem der nichts hat deine Tochter zu geben, und einen braveren und schöneren Tochtermann kannst du nicht kriegen.«

Diethelm schwieg und nahm die Gemeindeverhandlungen wieder auf. Am Mittage erzählte er seiner Frau, daß er den Munde herbestellt habe und es sei wohl möglich, daß er seinen Vorsatz ausführe und ihm die Fränz gebe. Martha war glückselig mit diesem Vorhaben und sagte, daß dann gewiß wieder Alles gut werde und daß auch die Seele des verstorbenen Medard Ruhe haben werde, wenn sein liebster Wunsch erfüllt sei. Diethelm nickte zufrieden, aber drei Tage lang [201] ließ sich Munde nicht sehen und Diethelm war voll Zorn gegen ihn und verbot Frau und Tochter ein Wort »mit dem Bettelbuben« zu reden. In sich aber überdachte er, daß es wohl klüger sei, dem Munde die Fränz nicht zu geben, diese Großmuth konnte leicht verdächtig erscheinen und als Gewissensangst gedeutet werden; dennoch muthete ihn der Gedanke einer Sühne in Erfüllung des Versprechens gegen den Todten tröstlich an. »Dann ist ja Nichts geschehen – sagte er sich – als ein paar Jahre verkürzt und das hätte sich der Medard gern gefallen lassen für das was seinem Bruder zukommt, er hat ihn ja immer so gern gehabt.« Ueberdem war es Diethelm unerträglich, daß noch irgend ein Mensch außer dem altersschwachen Mann an seine Schuld glaubte. So lange noch ein solcher Mensch auf der Welt lebte, meinte er keine Ruhe zu finden.

Munde hatte seinem Vater erzählt, wie zutraulich Diethelm gegen ihn auf dem Rathhaus gewesen.

»Ich weiß was er vorhat,« sagte der alte Schäferle, »er will dir seine Fränz geben.«

»Vater, was machet Ihr?« rief Munde hochentflammt.

»Kannst dich drauf verlassen,« fuhr der alte Schäferle gelassen fort, »er will sich loskaufen.«

Munde mußte aber und abermals hören, wie unerschüttert der Vater an die Schuld Diethelms glaubte, er wehrte sich mit aller Macht dagegen, aber der Vater blieb standhaft und sagte:

»Ob er Blutschuld auf sich hat, weiß ich nicht gewiß, aber so gewiß als der Himmel über uns ist und [202] nichts auf der Welt verborgen bleibt, hat er mit angezündet. In alten Zeiten hat ein Bruder nicht geruht, bis er für das Blut seines Bruders Rache genommen hat. Kannst du hingehen und die Tochter von Dem heirathen? Nein. Weißt was, komm her,« sagte der alte Schäferle aufstehend und holte einen Rock aus dem Schranke, von jenen Kleidern, die ihm Medard zur Herbstzeit in der ersten Furcht übergeben hatte, »da, komm her, zieh den Rock an und setz' den Hut auf und geh hin zum Diethelm und betracht' dir ihn genau was er macht. Du siehst dem Medard gleich wie er vor Jahren ausgesehen hat, geh, mach's.«

Munde ließ sich nicht dazu bewegen, er faßte den weißen, rothausgeschlagenen Rock des Bruders und weinte bittere Thränen darauf, indem er dem Vater erzählte, daß auch gegen ihn Medard den Verdacht ausgesprochen und daß er mit einem Schlag in's Gesicht von ihm geschieden sei. Dieses Letzte besonders that ihm so weh, daß er so grimmzornig von seinem Bruder auf ewig geschieden sei. Munde hatte sein weiches sanftes Gemüth bewahrt und er streichelte den Rock als deckte er noch den, der ihn einst trug. Drei Tage kämpfte Munde einen schweren Kampf mit sich und mit dem Vater. Der Gedanke, Fränz zu besitzen, entflammte ihn! und wenn er wieder dachte, daß er ewig um den Mann sein und ihn Vater nennen solle, der vielleicht am Tode seines Bruders schuld war – die Asche des Bruders lag auf all dem großen Besitzthum. Aber was kann Fränz dafür? Es ist nur eine alte Dorfgewohnheit, daß das Kind die Schande erdulden muß, die auf dem [203] Vater ruht, und ist nicht Diethelm freigesprochen und hochgeehrt?

Am dritten Abend als Munde das Dorf hinaufging, begegnete er Fränz, sie reichte ihm froh und innig die Willkommshand, aber es mochte seine ganze Gemüthsverfassung zeigen, daß das Erste was Munde sprach, dahin lautete: er müsse ihr das Geld wieder geben, das er ohne zu wissen bei ihrer Abreise aus der Hauptstadt von ihr genommen habe. Er überreichte ihr das Geld, das er in einem Papiere wohl verwahrt hatte, sie empfing es mit den Worten: »Sonst hast du gar nichts zu sagen?«

Die trotz aller Tändeleien und Anknüpfungen nie völlig erstorbene Liebe zu Munde erwachte in ihr, dabei die Erinnerung an jenen Schreckensabend und Etwas von der Milde und Demuth, die damals in ihr aufgesproßt war. Nach einer stummen Pause setzte sie daher hinzu:

»Kannst dir denken, wie hart es uns Allen zu Herzen geht, daß dein Medard dabei verunglückt ist. Wir sind ja Alle zu ihm gewesen als wenn er das Kind vom Haus wär', und dein Vater hat schweres Herzeleid über uns gebracht.«

»Mein Medard hat ihm das Gleiche gesagt, wie mir. Weißt wohl?«

»Und du denkst noch daran?« sagte Fränz schaudernd. In ihrem Wissen um das Geschehene fühlte sie, daß noch nicht Alles gesühnt war und auch in ihrem Herzen kämpfte nun Liebe zu Munde und Furcht vor ihm; sie setzte aber schnell hinzu:

[204] »Mein Vater ist freigesprochen und es darf Niemand mehr so was reden und denken. Sag das deinem Vater. Es steht Zuchthaus drauf.«

»Auch auf's Denken?« fragte Munde und Fränz erwiderte unwillig:

»Ich hab' Nichts mehr mit dir zu reden, wenn du so bist. Ich glaub' an keinen Menschen mehr, weil auch du schlechte Gedanken hast. O Munde, ich könnt' mir die Augen ausweinen über dich. Ich hab' dich so gern gehabt. Jetzt darf ich's sagen, es ist ja vorbei.«

»Nein, es ist nicht vorbei,« rief Munde aufflammend, »ja du hast Recht, es ist schlecht, so was zu denken. Gieb mir dein' Hand, komm, wir gehen zu deinem Vater, er hat mich kommen heißen. Fränz, hast mich denn wirklich noch so gern?«

»Es kommt drauf an, wie du bist. Allem Anschein nach hast du dich verändert. Du hast doch immer so ein gutes Gemüth gehabt.«

»Und ich hab's noch, wenn du mich lieb hast, komm Fränz, komm.«

Hand in Hand gingen Beide in das Waldhorn zu Diethelm. Jede andere Empfindung wurde bei Fränz von dem Triumphe überragt, daß sie den Munde hinter sich drein ziehen könne, wohin sie wolle.

»Hast dich besonnen?« fragte Diethelm nach den ersten Begrüßungen.

»Auf was?« erwiderte Munde stotternd, indem er schnell umherschaute und vor sich niederblickte. Diethelm ertrug jetzt seine Stimme schon gleichmütiger und sagte daher achselzuckend:

[205] »Das ist dein' Sach. Ich will dir nur sagen, daß dein ... dein Medard noch vierzig Gulden Lohn bei mir stehen hat. Kannst sie jeden Tag holen, wenn du was damit anfangen willst.«

»Damit kann ich nicht weit springen. Der Herr Schultheiß hat mir ja aber auf dem Rathhaus gesagt, daß er mir was Gutes mitzutheilen hat.«

»Nun? Ist denn vierzig Gulden Nichts? Und zwei Jahr Zins ist auch dabei. Ich will dir's aber nur sagen, ich hab' was anderes mit dir vorgehabt, aber du hast dich drei Tage besonnen, bis du zu mir kommen bist, und derweil sich der Gescheite besinnt, besinnt sich der Narr auch.«

Munde sah wohl, daß ihn Diethelm schrauben wollte; daran daß er ihn tief zu demüthigen suchte, um ihn dann vielleicht großmüthig zu sich zu erheben, dachte er nicht, er sagte daher:

»Ihr wisset, was ich denk', Ihr kennet mich ja.«

»Ich kenn' dich nimmer. Du bist zwei Jahre Soldat gewesen, da wird der Mensch ein anderer.«

»Wen ich damals gern gehabt, hab' ich noch gern.«

»Das ist brav. Du hast immer ein gut Herz gehabt. Jetzt muß ich aber da Schreibereien machen. Komm morgen wieder, Munde.«

Schon beim Eintritte Munde's hatte sich Fränz entfernt, und als dieser jetzt auch wegging, begleitete ihn die Mutter und sagte ihm noch auf der Treppe:

»Munde, sei nur heiter. Ich darf nichts sagen, aber glaub mir, er hat's gut mit dir vor. Komm nur morgen wieder. Es fällt kein Baum auf Einen [206] Schlag. Grüß' mir deinen Vater und sag' ihm, es ging' mir viel besser, aber spinnen kann ich noch nicht. Und sieh, daß du von deinem Vater ein Mittel kriegst gegen böse Träume und gegen das Frieren; darfst aber nicht sagen, für Wen es ist.«

»Für Wen ist's denn?«

»Es ist besser, wenn du's nicht weißt, dann brauchst du es nicht zu sagen.«

Munde wußte es aber jetzt und die anfangs tröstliche Zusicherung der Frau Martha hatte einen bittern Nachgeschmack. Diethelm hatte böse Träume und fror, er war also doch schuldig; er durfte es aber jetzt nicht mehr sein, gewiß nicht am Tode Medards. Munde hatte Lust Jeden zu Boden zu schlagen, der so etwas dachte und protzte mit seinem Vater, der immer darauf zurück kam. Der alte Schäferle hatte bald heraus, wo sein Munde trotz des Verbotes gewesen war und blieb dabei, daß Diethelm ihm die Fränz geben wolle, und ihn nur zappeln lasse um jeden Anschein von sich zu entfernen. Als Munde wie zufällig um ein Mittel gegen böse Träume und Frost fragte, frohlockte der alte Schäferle:

»So? Hat er auch böse Träume? So ist er doch nicht los, wenn er auch freigesprochen ist.« Der Stolz auf seine sympathetische Heilkunst verleitete ihn aber doch zu dem Zusatze: »Gegen böse Träume giebt es ein altes untrügliches Mittel: man muß auf einem Schaffell schlafen und vor Schlafengehen Thee von Brennesselwurzel trinken, und gegen Frost giebt es nichts Besseres als Morgens vor Tag sich in Wasser waschen, [207] das man vom Menschenblut abgenommen hat, dann drei Stunden vor die Sonne im Mittag steht und drei Stunden nachher ohne Ausschnaufen Erlenholz sägen, das man im Vollmond geschlagen hat.«

Diethelm war andern Tages viel zuthätiger und herablassender gegen Munde, er saß in seine Wolfsschur gehüllt am Ofen und fror heftiger als je. Er hatte mit Fränz gesprochen und in der Art wie sie einwilligte, den Munde zu heirathen, und dabei das unerhörte Verlangen stellte, daß der Vater bei Lebzeiten sein Besitzthum ihr abtreten müsse, erkannte er nicht undeutlich, daß sie an seine Schuld glaubte. Er that als ob er das nicht merkte und doch fraß es ihm das Herz ab, daß sein einziges Kind das Schlimmste von ihm dachte. Beim Eintritte Munde's war er rasch aufgestanden und schritt stolz die Stube auf und ab, dann hieß er Munde sich neben ihn setzen und fragte ihn, wie er ein großes Vermögen umwenden und zusammen halten wollte. Munde gab fröhlichen und zufriedenstellenden Bescheid. Als Diethelm jetzt plötzlich wieder fror, gab er ihm das Mittel an, das er vom Vater erfahren; Diethelm aber fuhr stolz auf:

»Ich bin der Diethelm, ich hab' mein Bauerngeschäft nicht aufgegeben, um Holzhacker zu werden. Ich brauch' kein Mittel.«

Munde beging den Unschick, mindestens die Anwendung des Mittels gegen böse Träume anzurathen, aber kaum hatte er das Wort Schaffell gesagt als Diethelm laut aufschrie:

»Ein Hund und ein Fuchs ist dein Vater, rathet [208] der mir das, weil er weiß, daß mir so viel hundert Schafe jämmerlich verbrannt sind. Aber wer hat dir gesagt, daß ich bös träume?«

»Niemand, ich hab' nur so davon gesprochen, weil das beim Frieren ist.«

»Bei mir nicht. Ich schlaf' wie ein neugeborenes Kind. Aber Munde, ich will dir auch gut betten, sag's frei was du willst,« wendete Diethelm, um alles Andere vergessen zu machen.

Munde brachte nun im glückseligen Ueberströmen seine Bitte um Fränz vor. Diethelm solle freier Herr bleiben so lang er lebe, er wolle nur die Fränz. Diethelm nickte zufrieden, aber plötzlich sagte er:

»Ich nehm' gar nichts an, du hast nichts gesagt, es muß beim alten Brauch bleiben; dein Vater muß für dich freiwerben, eher geb' ich kein Jawort. Verlaß dich drauf.«

Das war nun aber ein schwer Stück Arbeit, den alten Schäferle zu diesem Gange zu bewegen, er ließ sich nicht erbitten, weder durch Munde noch als Frau Martha ihn selber darum anging; er wiederholte stets: Munde könne thun was er wolle, er selber aber bleibe davon, er thue dem zulieb nicht die Pfeife aus dem Maul und gehe auch nicht mit zur Hochzeit.

So kam in betrübter Unentschiedenheit die Hochzeit des jungen Kübler heran, aber mitten im Schmausen und Lärmen faßte Diethelm einen andern Gedan ken, er überrumpelte Fränz mit ihrem unkindlichen Verlangen nach Güterabtretung und Munde war ihm nicht nur eine Sühne für das Vergangene, sondern auch der [209] bequemste willfährige Tochtermann, der ihn frei schalten ließ. Er verkündete daher plötzlich die Verlobung von Fränz und Munde und Alles war voll Jubel und Lobpreis über Diethelm. Darum half er heute trotz ärztlichen Verbotes den Uhlbacher ferndigen rein austrinken.

Als man davon sprach, daß Munde noch drei Jahre Soldat sein müsse, beklagte Diethelm, daß er nicht Landtagsabgeordneter geworden sei, er hätte nicht geruht, bis die verdammte allgemeine Wehrpflicht wieder aufgehoben und das Einsteherwesen hergestellt sei. Wer nichts habe, solle Soldat sein. Die fetten Bauern stimmten mit ein, schimpften und klagten, wie sehr sie ihre Söhne vermißten, und mitten unter Schmausen und Zechen wurde eine Eingabe an die versammelten Stände um Wiederherstellung des Einsteherwesens aufgesetzt und unterzeichnet.

[210]

23. Kapitel

Dreiundzwanzigstes Kapitel.

Diethelm hatte auf den Abend die Stadtzinkenisten zur Tanzmusik bestellt. Diese Menschen mit ihren Trompeten und Posaunen hatten ihn so oft erschüttert und nun sah er, daß es keine Engel vom Himmel, sondern nur arme Schlucker mit langgestrecktem und gewundenem Messingblech waren. Wußte er das auch schon vordem, so that es ihm doch wohl, es so deutlich vor sich zu haben und die Zinkenisten nach seinem Gelust aufspielen zu lassen was er ihnen angab und manchmal sogar vorpfiff. Mitten zwischen den Tänzen mußten sie ihm sogar einmal einen Choral blasen, worüber viele Leute den Kopf schüttelten und sich entsetzten; Diethelm aber ließ an den Schlußton schnell einen Tanz heften und tanzte mit seiner Martha den Siebensprung wie ein junger Bursch. Es war spät in der Nacht und Diethelm ließ allen Gästen warmen Gewürzwein auftischen, er selber aber stand bald auf, es fehlte ihm noch Jemand, und der mußte herbei; alle Welt sollte seiner Ehre voll sein, Keiner ausgenommen.

Es war mondhell. In seine Wolfsschur gehüllt ging Diethelm das Dorf hinaus nach dem Hause des alten Schäferle. Vom Waldhorn herab, das glänzend in die Nacht hineinschimmerte, klangen bisweilen noch verlorene Töne; hier war Alles einsam und dunkel. [211] Das Haus des alten Schäferle stand am Ende der sogenannten Luftgasse, die heute mit doppeltem Recht so hieß, denn der Wirbelwind tanzte gar lustig mit dem Schnee und machte sich selbst Musik dazu. Die Hausthür war offen, Diethelm schritt durch den Hausflur, der zugleich Küche war, in die Stube, auch hier öffnete sich die Thüre, aber Niemand regte sich, nur der Paßauf kam still herangeschlichen und Diethelm fühlte erschreckt die kalte Schnauze an seiner Hand.

»Ist Niemand daheim?« rief Diethelm jetzt laut.

»Ja freilich,« ertönte eine dumpfe Stimme. Der alte Schäferle auf der Bank hinter dem Tische rauchte einsam und die Pfeife im Mund haltend fuhr er fort:

»Ich weiß, warum der Diethelm kommt, aber er kann unverrichteter Sache wieder fortgehen.«

Diethelm setzte sich auf die Bank und redete dem alten Manne zu, seinen einfältigen Haß fahren zu lassen und glücklich zu sein mit den Glücklichen.

Der alte Schäferle antwortete Nichts, legte die Pfeife auf den Tisch, ging nach dem Schranke, brachte einen weiß eingebundenen Pack und legte ihn auf den Tisch, auf den ein schräger Mondstreif fiel.

»Wenn du das nimmst, geh' ich mit,« sagte er.

»Was ist's denn?« fragte Diethelm.

»Mach's auf.«

Diethelm öffnete und schrie laut auf, daß der Hund bellte. Er hatte einen Schädel mit halbverbrannten Haaren gefaßt. Der alte Schäferle packte ihn am Arme und rief:

»Da, da leg' deine Hand drauf, das ist mein [212] Medard, da leg' deine Hand drauf und schwör', daß du unschuldig bist an seinem Tode. Schwöre, schwöre, so wahr dir Gott in deiner letzten Stunde beistehen mag. Schwöre, und ich will dir Abbitte thun. Red'! Jede Minute, die du schweigst, schreit, daß du doch ein Mordbrenner bist. Medard, sprich, sprich du, da ist dein Mund. Schwöre, Diethelm, schwöre!«

Diethelm war's, als ob alle Höllengeister ihn umzingelten, seine Hand war wie gelähmt, er konnte sie nicht zurückziehen von dem Todtenschädel des Ermordeten, aber plötzlich stieß er auf, daß der Schädel die Stube hinabkollerte.

»Du bist ein liederlicher Lump. Mich verhexest du nicht,« schrie er und seine ganze Kraft kehrte wieder.

»Woher hast du diese Sachen? Die Ueberreste Medards müssen ehrlich begraben werden.«

»Nimm sie mit, nimm sie mit, wenn du kannst,« knirschte der alte Schäferle. Diethelm stand auf und sagte mit fester Stimme:

»Ich hab' dir schon einmal gesagt, ich verzeihe dir, du hast deinen ältesten Sohn verloren, ich mache deinen jüngsten glücklich. Ich verzeihe dir. Morgen ordne ich an, daß Alles begraben kwird; gieb Acht, daß sich Alles wiederfindet, oder du sollst spüren, wer ich bin.«

Stark auftretend schritt er hinaus auf die Straße, und als er sich mit der Hand über das Gesicht fuhr, merkte er einen Modergeruch. Er wusch sich die Hände lange im Schnee.

Im Waldhorn wunderten sich die Leute, wie blaß[213] Diethelm aussah, und wie er große Gläser warmen Weines hinabstürzte, als wäre es kühles Quellwasser.

Freude und Trauer folgten sich auf dem Fuße. Am andern Tage ließ Diethelm die Ueberreste des Entseelten, die der Vater willig hergab, feierlich begraben, und die Menschen, die Diethelm immer als harten Mann gekannt hatten, lobten ihn sehr, weil er bei dem Begräbnisse so heftig weinte.

Die volle Kraft war wieder über Diethelm gekommen, er besuchte die Brandstätte und ordnete den Bau und fuhr oft mit seinen Rappen über Land. Draußen fühlte er sich erst recht wohl. Zwar blieb es eine Widrigkeit, daß er von jedem neu Begegnenden eine Beileidsbezeugung anhören und darauf mit einer schmerzvollen Miene oder auch mit einem Ausruf der Trauer dankend erwidern mußte; war aber dieß vorüber, hatte man hin und her den Heuchlerzoll bezahlt, dann überließ man sich ohne Scheu der Freude und dem Glückwunsche. Diese immer wiederkehrende Wahrnehmung, wie lügnerisch die ganze Welt sei, da man Mitleid darlegte wo man keines hatte und im Gegentheil fast Neid empfand, da man Klagen auspreßte wo man Freude vermuthen mußte, dieses ganze jämmerliche Possenspiel war für Diethelm fast ein Labsal. Es war ihm recht, daß die ganze Welt schlecht war und es keinen ehrlichen Menschen giebt.

Die ganze Welt verachten, das ist im Bauernrock wie in der Galla Uniform das beste Mittel, um nicht zur richtigen Schätzung seines eigenen Werthes zu gelangen.

[214] Diethelm gewöhnte sich an das Bewußtsein seines Verbrechens, wie man sich an ein untilgbares körperliches Leiden gewöhnt; Anfangs will sich die gesunde Kraft nicht drein fügen, immerdar eine Behinderung zu finden, nach und nach aber setzt sie sich damit zurecht. Wir sind allzumal gebrechlich und sündhaft, das lernt der Stolz der übermüthigen Kraft einsehen und es fragt sich nur noch um das Maß des notwendigen Mangels.

Während Diethelm sich draußen tummelte, war Munde daheim viel beschäftigt und viel bewegt. Er war gerade in entgegengesetzter und doch nicht unähnlicher Lage wie Diethelm. Jedermann glückwünschte ihm zu seiner so überaus günstigen Lebenswendung und er wollte diese gutherzige Freude der Menschen nicht dadurch stören, daß er ihnen sagte, wie tief er den gräßlichen Tod seines Bruders betraure, und daß ein so schwarzer Fleck auf seinem Andenken ruhe; er glaubte, das nicht aussprechen zu dürfen, daß er, wie der Vater ihm täglich vorhielt, aus der Asche seines Bruders sich sein Glück erbaue. Munde war ein seltsamer Bräutigam: es freute ihn, daß Diethelm wieder von Auswanderern ein stattliches Bauerngut zusammen kaufte, aber wenn er Diethelm dann so im Gelde wühlen sah, war es ihm oft als müsse er aus einer Verzauberung über alle Berge entfliehen und ihm schauderte vor jedem Kreuzer, den er davon in die Hand nahm, als könnte er sich plötzlich in brennende Kohle verwandeln. Er half den Bau leiten. Im Frühlingsthauen, das jetzt begann, wurden die Grundmauern gegraben und es [215] schien in der That, daß Diethelm nicht prahlte, wenn er sagte, daß er ein kleines Schloß baue.

Wenn Diethelm über Land fuhr, spannte ihm Munde ein, hielt ihm oft eine Stunde lang die Pferde vor dem Hause und benahm sich überhaupt wie ein Knecht, nicht aber wie der Sohn des Hauses. Darüber hatte er viel bei Fränz auszustehen, die überhaupt jetzt die ganze Schärfe ihres Wesens offenbarte; sie verlangte, daß er sich gegen den Vater ganz anders stelle, der müsse unterducken und dürfe nicht mehr den Herrn spielen, das Sach' gehöre jetzt den jungen Leuten und nicht mehr den alten; wenn Munde nicht den Muth und das Geschick habe, solch ein großes Anwesen in die Hand zu bekommen, hätte er davon bleiben sollen. Es gab oft die ärgerlichsten Auftritte zwischen Munde und Fränz, und wenn dann Munde das Wasser in den Augen stand, lachte ihn Fränz schelmisch aus, faßte ihn am Kopfe, küßte ihn wacker ab und sagte: »Munde, du hättest sollen ein Klosterfräulein werden, du bist so windelweich; fluch' einmal recht wetterlich, ich glaub's gar nicht daß du's kannst. Sei froh, daß du nicht in Krieg kommen bist, du hättest Keinen erschossen. Mach, fluch' einmal so recht mörderlich. Ich hab' dich nachher noch einmal so lieb.« In solcher Weise zerrte Fränz ihren Munde hin und her und machte aus ihm was sie wollte. Diethelm war oft jähzornig gegen ihn, weil er die Arbeitsleute beim Baue nicht scharf genug anhielt; nur die Mutter war stets liebreich und mild gegen ihn und erfreute ihn oft durch Vorzeigung der schönen Aussteuer, die sie für ihn und Fränz bereiten ließ.

[216] Fränz hatte nicht nachgelassen, bis Munde einmal das Fuhrwerk für sich nahm und mit ihr eine Lustfahrt nach der Stadt machte.

Munde hatte sich nie dazu verstehen wollen. Jetzt aber ergab sich eine besondere Veranlassung; nicht Diethelm, sondern das junge Brautpaar stand Gevatter bei dem Erstgebornen des Zeugmachers Kübler in G.

Es war ein linder Morgen des ersten Frühlings, als Munde mit seiner Braut dahinfuhr, er hatte an die schwanke Spitze der Peitsche und die Messingrosen der Pferdezäume rothe Bänder geheftet als bescheidene und doch kenntliche Fahnen ihres bräutlichen Glückes. An seinem väterlichen Hause wollte ihm der Paßauf folgen, aber der alte Schäferle pfiff ihm zornig und er kehrte zu ihm zurück. Munde wußte, daß sein Vater Niemand mehr um sich haben wollte als den Hund des verstorbenen Medard, mit dem er oft stundenlang sprach. Munde kümmerte sich deß nicht mehr und fuhr wohlgemuth hinaus in den frühlingsjungen Tag. Die Sonne stand nicht am Himmel, nebelhaft verschwommene Wolken umzogen ihn und ein leiser Duft wob über den kaum ergrünenden Feldern, daraus sich einzelne Lerchen noch zaghaft zwitschernd emporhoben, um bald wieder nieder zu sinken.

»Fränz, ich freu' mich doch, aber lach' mich nicht aus,« sagte Munde.

»Warum?«

»Guck, ich kann mir's gar nicht denken, daß das Fuhrwerk mein eigen sein soll und daheim noch so viel, [217] ich mein' immer, es sei nur geliehen, ich bin bei euch zu Gast und ihr könnet mich morgen fortschicken.«

»Du bist ein schrecklich guter, aber auch zum Verzweifeln weichmüthiger Mensch. Du bist ein gutes Schaf, aber du mußt anders werden. Wir zwei haben unsern Alten am Bändel, er merkt wohl, was wir Zwei von ihm wissen.«

»Meinst du, er hab's wirklich than?«

»Es ist brav von dir, daß du mir's jetzt ausreden willst,« sagte Fränz; »aber ich weiß es nicht von dir allein. Ich könnt' auftreten wenn ich wollt'. Das weiß er. Und so wirst du doch nicht auf den Kopf gefallen sein, daß du nicht merkst, er hätt' uns nicht zusammen geben, wenn ihm nicht das Gewissen schlagen thät? Wir Zwei sind unschuldig. Uns geht's nichts an. Drum mußt du dabei bleiben, daß er vor der Hochzeit alles Vermögen an uns abtreten muß. Es soll ihm nichts abgehen, er ist ja der Vater, aber wir sind die Meisterleut', so muß es sein. Kinder haben nichts darnach zu fragen, woher die Eltern das Sach haben, in zweiter Hand ist es redlich Gut und es muß ihm auch recht sein, daß er nichts mehr damit zu thun hat.«

Die Raben, die im ersten Frühling immer so laut krächzen, flogen über den Weg hin und her, und Munde war's plötzlich, als schrien sie Rache und wäre die ganze Welt um ihn verkehrt. Er faßte sich aber und sagte endlich, nachdem er Fränz lange an sich hatte hinreden lassen:

»Du willst mir nur die Zunge heben. Es kann nicht sein, daß du das glaubst.«

[218] »Ich erkenn' deine Gutheit wohl,« erwiderte Fränz, »aber wir Zwei brauchen uns nichts vor einander verhehlen. Es hat schon Mancher Aergeres gethan als mein Vater, und daß dein Medard verunglückt ist, dafür kann er nicht. Aber dabei bleiben mußt, daß wir die Meisterleut' sind, er ist mit seinem Großthun im Stand und ladet den Wagen noch einmal zu hoch, daß er umschmeißen muß.«

Munde hieb gewaltig auf die Pferde ein, als müßten sie ihn schnell an dem Abgrunde vorüber führen, in den er plötzlich hinein sah. So hatte der alte Schäferle Recht, und war vielleicht das Gräßlichste wahr?

Hätten sie nicht zu Gevatter stehen müssen, Munde wäre vielleicht gleich umgekehrt. Aus allem dem nahm seine Gemüthsart eine unberechenbare Wendung.

Die Scheidekünstler wissen zu bestimmen, welche Wirkung ein Stoff auf den andern hervorbringt; welche Wirkung aber ein Wort in fremdem Gemüthe verursacht, ist nicht so leicht in ein Gesetz zu fassen.

»Das freut mich, du bist nicht so stolz wie ich glaubt hab',« sagte Munde endlich.

»Warum? Wie meinst?« fragte Fränz verwundert.

»Wenn du stolz wärst, hättest du mir das nicht gesagt und hättest mich auf dem Glauben gelassen, daß mir eine besondere Gnade damit geschieht, des Diethelms Tochtermann zu werden. Aber jetzt ist mir's fast lieb, daß du mir's gesagt hast. Ich seh', ich geh' dir über Vater und Mutter, und du hast mich an mir selber gern und willst nichts vor mir voraus.«

Fränz rieb sich Anfangs betroffen die Stirne. Sie[219] hatte mit ihrem losen Herausplaudern, statt dem Vater einen Fallstrick zu legen, sich selber gefesselt. Sie hatte nicht den Muth, zu thun, als ob sie Alles nur im Spaß geredet, und als sie zuletzt hörte, wie gut der Munde ihre Rede auslegte, bewältigte sie diese Macht der harmlosen Treuherzigkeit. Der Munde war doch so ohne Falsch und so seelengut, daß sie ihn in diesem Augenblicke mehr liebte als je, und sie gab ihm von selber einen Kuß.

Munde war ein finsterer Gevatter von gar nicht bräutlicher Laune, und als ihn der Geistliche um den Namen des Täuflings fragte, gab er nicht, wie verabredet, den Diethelms an, sondern rief zitternd: Medard! Er bebte in der Kirche, denn er dachte, daß einst seine eigenen Kinder einen Großvater liebkosen sollten, der so Arges gethan. Beim Taufschmause schnitt es ihm Anfangs in die Seele, da man ihn als glücklichen Schwiegersohn Diethelms laut pries und der junge Kübler ihm ein Hoch ausbrachte, daß er ebenfalls ein Familienfürst werden möge, wie sein Schwäher. Nach und nach – die Huldigung hat allezeit ihren verführerischen Reiz – beschwichtigte Munde die Gewissensschreie in seinem Innern, zumal er Fränz so überaus glücklich sah. Fränz war es gewohnt, sich in den Familien der von ihrem Vater Beglückten preisen und erheben zu lassen, und wie sie Geschenke aus breitete und Alles voll Dank und Lob war, zeigte sie wirklich eine hohe Freude und Gutherzigkeit; sie suchte an sich herum, ob sie nichts mehr zum Verschenken habe und löste ihre Korallenschnur ab. Unter all dem [220] verworrenen Gestrüppe blühte doch in ihr die Blume wirklicher Milde und Freigebigkeit.

Im Nachhausefahren umarmte Munde seine Fränz voll Glückseligkeit, da sie sagte, wie gut sie es doch hätten, da sie so vielen Menschen Gutes thun könnten. Das war jetzt auch für Munde ein Trost, in dem er zu vergessen suchte, wie schreckenvoll Alles um ihn sei.

Es sollte ihm aber nicht ganz gelingen.

[221]

24. Kapitel

Vierundzwanzigstes Kapitel.

Die Landstände hatten glücklich das alte Einsteherwesen wieder hergestellt. Zum großen Pferdemarkte, der alljährlich in der Hauptstadt abgehalten wurde, schnallte sich Diethelm eine vollgestopfte Geldgurte um, er wollte sich ein neues Gespann und einen modischen sogenannten Charabank kaufen und dann seinen Schwiegersohn vom Militär losmachen. Munde verließ nur ungern jetzt seinen Vater, der fast nicht mehr vom Bette herunter kam und zusehends abfiel; der alte Schäferle wollte aber nichts von ihm wissen und sagte immer: »Laß du uns Beide – er meinte sich und den Paßauf – nur allein, geh' du deiner Wege, sei glücklich so gut du's kannst. Du bist jung, bei dir verlohnt sich's noch, der Diebshehler zu sein, ich bin schon zu alt, ich wär' ein Narr, wenn ich erst so spät anfangen thät.« Martha versprach des kranken Mannes zu warten, Fränz ließ sich nicht davon abbringen, mit nach der Hauptstadt zu reisen; was sie einmal wollte, das mußte auch geschehen.

Am Morgen als Munde kam, schickte sie ihn noch einmal nach Hause, er mußte die neuen Kleider anziehen, die sie nach städtischer Tracht für ihn bestellt hatte. Als er wieder kam, knüpfte sie ihm das Halstuch [222] nochmals anders und sagte dann frohlockend, sich vor ihn hinstellend:

»So. Siehst du? so, jetzt bist ein Mann, der sich sehen lassen darf.«

Schon beim Einsteigen gab es Streit. Fränz behauptete, ein Brautpaar gehöre zusammen und der Vater solle auf den Vordersitz und kutschiren; aber Munde willfahrte ihr nicht und Fränz beruhigte sich erst, als ihr Munde sagte, daß die Herren in der Stadt oft selbst fahren. Draußen vor dem Dorfe gab es abermals Händel. Diethelm wollte, daß Munde die Geldgurte umschnalle, und setzte selbstverrätherisch hinzu: »In der Stadt kannst mir sie wieder geben.«

»Das leid' ich nicht,« schrie Fränz, »entweder – oder, entweder behaltet Ihr die ganze Zeit die Geldgurte oder mein Munde behält sie; er ist nicht Euer Knecht, er ist wenigstens grad so viel wie Ihr. Ihr könnet ja das Geld in's Kutschentruckle thun.«

Das wollte aber Diethelm nicht, sei es, daß er das Kutschentruckle noch scheute, oder daß er sein Geld auch zeigen wollte.

Wo man einkehrte, hatte Fränz bei der Ankunft und bei der Abfahrt noch manchen Zank mit dem Vater und mit Munde. Sie wollte es nicht dulden, daß dieser sich als Knecht benahm, ja sie weinte vor Zorn als Munde ihr nicht nachgab und sprach oft Stunden lang kein Wort mit ihm.

Im Oberlande war es noch ziemlich rauh und kalt, je mehr man aber nach dem Unterlande kam, zeigte sich der wonnige Frühling; man fuhr durch Buchen-Wälder, [223] die in dem ersten so zarten knospenfeuchten Grün prangten, und bald fuhr man zwischen blühenden Obstbäumen, die hüben und drüben am Wege standen; aber in den Herzen der drei Menschen, die da hinfuhren, war Widerstreit und Trübsinn mancher Art. Dazu kam noch, daß es Diethelm nicht lassen konnte, Munde über die Art, wie er die Pferde führte, zurecht zu weisen, und es giebt vielleicht nichts, was leichter zu Zorn aufreizt, als ein Dreinsprechen beim Pferdelenken. Wenn es einen kleinen »Stich« hinabging, rief Diethelm jedesmal: »Sperr die Mick 1 und fahr Trab, dreh' noch besser.« Munde ließ es an heftiger Widerrede nicht fehlen, peitschte oft geflissentlich die Pferde und fuhr im Zorne in der That ungeschickt, besonders beim Ausweichen, so daß es mehrmals ein Unglück gegeben hätte, wenn ihm Diethelm nicht in die Zügel gefahren wäre. Fränz wartete immer darauf, daß Munde einmal tapfer aufbegehren und die ganze Geschichte hinwerfen werde; als es aber immer nicht geschah, biß sie sich auf die Lippen und murmelte still vor sich hin Schimpfworte auf Munde, die sie hinter seinem Rücken sprach.

Man kehrte in der Hauptstadt im Rautenkranz ein[224] und Fränz war wenigstens einigermaßen zufrieden gestellt, als Munde beim Absteigen sagte:

»So, jetzt beim Heimfahren könnet Ihr kutschiren, Schwäher, nicht um ein Königreich fahr' ich noch einmal so. Komm Fränz, wir Zwei wollen zusammen halten. Weißt noch, wie oft ich da bei dir gewesen bin? Ich freu' mich, grad hier zu zeigen, daß wir doch noch ein Paar geworden sind.«

»Siehst jetzt, daß ich Recht hab'?« entgegnete Fränz, als sie mit ihrem Bräutigam allein war, »mit meinem Vater kommt kein Tochtermann aus, der ihm nicht den Meister zeigt.«

Sie blieb stets bei diesem Gedanken.

Im Rautenkranz war schon heute ein buntes Gedränge von Menschen in Trachten aus allen Landesgegenden, und dazwischen sah man Soldaten von allen Waffengattungen, die sich hier bei Angehörigen und Bekannten gütlich thaten; aber mitten im Gewoge beharrte die stattliche Rautenwirthin an der Anrichte, wie ein Fels im Strome, und je lärmender und unruhiger es um sie her wurde, um so bedachtsamer und gemessener ertheilte sie ihre Befehle und zählte Alles genau nach, was aufgetragen wurde. Dazwischen fand sie immer noch Zeit, auf Nachfragen der Gäste bündigen Bescheid zu geben. Als sich Fränz mit Munde zu ihr hindurchgedrängt hatte, wurde Erstere mit besonderer Freundlichkeit bewillkommt. Die Rautenwirthin sagte, daß der Schaffner, mit dem sie damals gefahren sei, Fränz nicht genug habe rühmen können, und wie man ihr überhaupt viel Gutes nachsage, daß sie Vater und [225] Mutter so getreulich pflege. Fränz war stolz und hochfahrend, und doch war's ihr beim Lob der Frau Rautenwirthin, als setzte man ihr eine Krone auf. Diese Frau hatte es durch Schweigsamkeit und Zurückhaltung dahin gebracht, daß schon eine freie Anrede, um wie viel mehr ein Lob von ihr als Ehrenschmuck galt, und sammelte sich hier gute Nachrede, so war man deren im ganzen Lande gewiß. Mit seltsamer Befangenheit sagte nun Fränz, daß sie mit Munde verlobt sei. Die Rautenwirthin zog nur ein wenig die Brauen ein und sagte: »Das ist schnell gangen. Ich wünsch' Glück.« Dann wendete sie sich um und gab anderen Gästen Bescheid.

Munde saß verdrossen bei Fränz, die Eifersucht hat einen raschen Scharfblick, er behauptete Fränz schäme sich seiner und durch diesen offenen Ausspruch wurde die noch halb schlummernde Empfindung der Fränz plötzlich geweckt.

»Und wenn's wär',« sagte sie aufbegehrend, »wenn ich ein Mann wär', ich thät mir eher die Zung' abbeißen ehe ich einem Mädle sagen thät, es kann sich meiner schämen. Aber du, freilich, du bist dagestanden wie der Bub, der die Milch verschüttet hat. Ich sag' dir's noch einmal, du mußt ganz anders werden oder du bringst's dahin, daß ich mich deiner schäm', ja, dahin bringst's, ja, daß du's nur weißt.«

Munde behielt nur die ersten Worte der Fränz, und er fühlte, daß sie Recht habe. Die gereizte Seelenstimmung hat aber etwas wahrhaft Ansteckendes. Munde war von Fränz gedemüthigt worden und nun mußte [226] er ihr Gleiches entgelten; mit fast schadenfroher Miene sagte er: »Mir hat's für dich einen Stich in's Herz geben, wie die Rautenwirthin dich gelobt hat, daß du so ein gutes Kind gegen deinen Vater bist. Wenn die Leute wüßten, wie's eigentlich ist ...«

Fränz knirschte die Zähne über einander und sah Munde mit einem zermalmenden Blicke an; hätte sie ihn damit in Stücke zerreißen können, sie hätte es gethan. Sie wollte aufstehen, aber Munde hielt sie fest und sagte begütigend: »Die Fahrt mit dem ewigen Gezerr hat uns Alle mit einander dumm gemacht. Wir wollen gar nichts mehr reden. Ich geh' jetzt noch vor dem Appell ein bisle in die Kasern' zu meinen Kameraden. Vergiß Alles und denk' gut an mich. Gieb mir ein' Hand. So, b'hüt dich Gott.«

Munde ging nach der Kaserne. Er war jetzt ein ganz anderer Mensch als vor wenigen Monaten, da er diesen Weg so oft abgeschritten. Zuerst als ihm der Vater das Erbe der Rache aufdrängen wollte und dann als er von Diethelm das Erbe des Verbrechens überkam, war in sein träumerisches still umfriedetes Wesen eine gewaltige Gährung gekommen, er war zaghafter und kraftloser als je. Er war überhaupt nicht geschaffen, sich mit fester Hand ein Schicksal zu bereiten: von Kindheit auf war Medard sein Führer und Rathgeber in Allem, als Hirte führte er ein fast gedankenloses Leben, pfeifend und rauchend, und als er Soldat wurde, brachte auch dieß keine bedeutsame Wandlung in ihm hervor; er war anstellig und pünktlich, als stiller, allzeit wohlgemuther Bursch beliebt, aber ohne sich irgend [227] eine besondere Geltung zu verschaffen; nur mit seiner Kunstfertigkeit im Pfeifen hatte er sich bei der Compagnie beliebt gemacht und davon den Beinamen Pfifferling erhalten. Jetzt, so plötzlich in die Erfüllung seines einzigen und höchsten Wunsches eingesetzt, ging er oft wie traumwandlerisch umher und nur der Gedanke an das geschehene noch so dunkle Verbrechen schreckte ihn oft auf. Er freute sich, daß er Fränz gewonnen und all' das große Gut dazu, er wäre aber am liebsten Hirte gewesen, träumend wie in alten Tagen bei seiner Heerde. Das viele Gut und die tausend Thätigkeiten dafür, die er übernehmen sollte, erdrückten ihn fast. Darum konnte er dem Wunsch der Fränz nicht nachgeben, ihm war es ja lieb, wenn Diethelm so lang als möglich Alles unter seiner Obhut behielt.

Jetzt auf dem Wege nach der Kaserne sagte er sich, daß Fränz doch Recht habe, er müsse anders auftreten, kecker und umsichtiger. Nicht nur seine Liebe zu Fränz stieg auf's Neue in ihm auf, er empfand auch eine große Hochachtung vor ihrem energischen Wesen, das allzeit geweckt, den Dingen scharf in's Auge sah und sie frei beherrschte. So kam er zu den Kameraden und erzählte ihnen, daß er sich andern Tages vom Militär loskaufe, und was aus ihm geworden sei; er wußte seine künftige Thätigkeit bereits so lebendig als wirkliche darzustellen, daß Alle staunten, wie sich der Pfifferling, der stille Munde, dem man das gar nicht zugetraut, verändert hatte. Als er zuletzt sagte, daß er morgen auf dem Markt vier Pferde einkaufe, beschlossen unter Jubel der Feldwebel und einige Kameraden, auch [228] auf den Markt zu kommen, um zu sehen, wie der Pfifferling das mache.

Stolz aufgerichtet mit gespanntem Selbstgefühle kehrte Munde in den Rautenkranz zurück, er wollte seiner Fränz Abbitte thun, daß er so bös gegen sie gewesen sei und ihr sagen, wie er sich nun wacker in's Geschirr legen wolle, daß es ihm landauf landab Keiner voraus thun könne.

Als er in den Rautenkranz trat, hörte er in der Küche die Stimme der Fränz, sie sagte:

»Das ist ja prächtig, daß Sie Kellner im Wildbad geworden sind. Ich komme diesen Sommer mit meinen Eltern auch dahin.«

»Aber Sie sind Braut,« sagte eine Männerstimme.

»Ja, mit mir,« sagte Munde eintretend, er sah einen Mann – es war der älteste Haussohn aus dem Rautenkranz – der die Hand der Fränz hielt.

»Ich gratulire,« sagte der Nebenbuhler schnell die Hand loslassend, und Munde erwiderte:

»Dank' schön. Komm' mit Fränz in die Stube.« Er faßte sie nicht eben zart am Arm, und Fränz machte große Augen, als er ihr allein sagte, daß das Scharmuzeren ein Ende habe, und ob sie mit den Eltern in's Wildbad gehe, darein habe er auch noch ein Wort zu reden. Fränz widersprach heftig, und Munde erklärte, daß er von dieser Stunde zu regieren anfange über Alles, was ihm gehört, und das sei vor Allem seine Frau, es müsse ja Fränz recht sein, daß er sich als Mann zeige.

»Zeig's zuerst beim Vater. Bei mir brauchst nicht[229] anfangen,« stachelte Fränz, der diese Wendung gar nicht lieb war. Munde sprach wiederholt und in verstärkter Weise seinen Herrscherplan aus, und der Abend dieses unruhvollen verhetzten Tages schien doch noch erwünscht auszuklingen.

Schon am frühen Morgen jedoch hatte Munde einen gewaltigen Zank mit seinem Schwäher, er wollte sich die Geldgurte umschnallen, Diethelm aber lachte ihm in's Gesicht.

»Dann reiß' ich sie Euch auf öffentlichem Markt vom Leib herunter, wenn Ihr mich so gehen lasset, und ich Euch damit seh',« drohte Munde und ging hinab in die Wirthsstube.

Diethelm schaute hoch verwundert dem so plötzlich Veränderten nach und Fränz sah mit Schrecken die böse Saat aufgehen, die sie gesäet; sie wußte aber den Vater noch dahin zu beschwichtigen, kein Geld mit auf den Markt zu nehmen, die Leute könnten es für Prahlerei ansehen und das müsse man vermeiden nach so einem Unglück. In der Wirthsstube übergab hierauf Diethelm der Rautenwirthin die Geldgurte zum Aufbewahren und Munde lächelte vergnügt zu seinem Siege. Diethelm traf hier viele Bekannte, unter denselben auch den Reppenberger und den Steinbauer. Reppenberger war eben so zuthulich und redselig, als der Steinbauer unachtsam und maulfaul; er erzählte, daß er einen umfangreichen Branntweinhandel betreibe, er habe den Vertrieb übernommen, und fahre mit seinem Einspänner im Lande umher, während sein Geschäftsgenosse das Brennen aus dem Grunde verstehe.

[230] Munde trat auf Diethelm zu und wiederholte in entschiedener Weise einen früher gemachten Vorschlag, daß man die Rappen gegen gute Ackerpferde vertausche, sie brauchten ja keine Kutschenpferde mehr.

Diethelm widersprach heftig und der Steinbauer, der sich sonst nicht in fremder Leute Sachen mischte, ließ sich doch zu den Worten herbei:

»Dein Tochtermann hat Recht, Gäule, die gewohnt sind, in der Kutsch' zu laufen, gehen zu Grund, wenn sie wieder Zacker fahren müssen.«

Der Steinbauer sagte das mit so schelmisch zwinkernden Augen, daß eine Bezüglichkeit seiner Worte auf die Lebensweise Diethelms kaum zu verkennen war. Diethelm merkte das auch, aber er that, als ob er's nicht verstände; ihm war das versessene Wesen des Steinbauern in der Seele zuwider, aber er vermied doch jede offene Feindschaft mit ihm. Er schüttelte lächelnd den Kopf und gab lang keine Antwort, bis er endlich zu Munde gewendet sagte:

»Das ist mein' Sach', Punktum.«

Der große Umzug der Marktpferde, der eben an dem Rautenkranz vorüberkam und alles an die Fenster und auf die Straße lockte, unterbrach den Streit, Munde folgte seinem Schwäher auf den Markt. Mitten im Gewühle wurde er von seinem Feldwebel und mehreren Kameraden angehalten, die wie versprochen gekommen waren, und nun auf's Neue ihr Verlangen aussprachen, den Pfifferling einkaufen zu sehen.

»Ist der bärenmäßige Bauer dein Schwäher?« fragte der Feldwebel.

[231] »Ja, der ist's.« Aber Diethelm war verschwunden. Munde suchte ihn mit seinem Geleite hin und her, ohne ihn finden zu können und mußte manchen Spott darüber hören, daß er sich nicht getraue, einen Pferdeschwanz allein einzukaufen.

Munde ließ sich diese Neckereien gefallen und schwieg, er wollte nicht weiter gehen, als ihm eigentlich zustand; etwas von der alten Zaghaftigkeit seines Wesens kam wieder über ihn. Er verwünschte es, daß er sich im Uebermuth Wächter seiner Ehrenstellung zugesellt hatte und hoffte sie in guter Weise wieder los zu werden. Der Feldwebel war ein Pferdeverständiger und that sich was darauf zu gute, er suchte ein Viergespann gleichgezeichneter Braunen aus, Munde ließ sie sich hin und her vorführen, holte die Rappen aus dem Rautenkranz zum Vertauschen und war eben daran unter Bedrängen des Feldwebels und der Kameraden in die dargebotene Hand einzuschlagen, als Diethelm herzutrat. Munde hielt ein und rief ihm zu:

»Schwäher, ich hab' einen Handel gemacht.«

»Du? Hast ein' Geis gekauft?«

Munde schoß alles Blut zu Kopf, und Diethelm fragte wieder:

»Wie kommen die Rappen daher?«

»Ich hab' unsere Rappen vertauscht,« berichtete Munde.

»Unsere?« lachte Diethelm. »Vor der Hand sind sie noch mein und ist keine Red' von unseren, was hast du von unseren zu sagen?«

»Schwäher, was machet Ihr? Jeder Knecht sagt zu seines Herrn Sach unser, und ich bin kein Knecht.[232] Sehet nur das Viergespann an. Ich bin so viel als handelseins.«

»Du? Was nimmst denn du dir 'raus? Wenn man dich auf den Kopf stellt und es fällt dir ein Guldenstückle 'raus, soll man mir die Augen mit ausstechen. Und du willst vier Roß kaufen?«

»Schwäher, das geht über den Spaß, redet nicht so. Ich hol' gleich unsere Geldgurt aus dem Rautenkranz. Besehet Euch nur die vier Roß.«

»Daß ich ein Narr wär'. Wenn du allein Meister bist, so bezahl's auch.«

»Schwäher, ich weiß nimmer was ich thu, wenn Ihr so fort machet.«

»Das glaub' ich. Du hast keinen Groschen zum Einkaufen. Ich will dir zeigen, wer die Geißel in der Hand hat.«

»Schwäher,« kreischte Munde heißer vor Wuth und ballte beide Fäuste, »Schwäher, redet anders oder ich ...«

»Weg da, führ' die Rappen in den Stall und red' kein Wort mehr.«

»Ich will nichts von deinem Brandgeld, nichts von deinen Sachen, du bist unter'm Galgen weggelaufen, aber du bleibst doch noch einmal dran hängen. Lasset mich los,« schrie Munde, den seine Kameraden festhielten, daß er nicht auf Diethelm eindrang.

Eine große Menge Menschen hatte sich um die Streitenden versammelt, Diethelm hatte sich rasch entfernt, Munde riß sich von seinen Kameraden los und mit geballten Fäusten und schäumendem Munde eilte er nach dem Rautenkranz: Fränz mußte ihm Genugthuung [233] verschaffen für die unerhörte Schmach, die ihm der Vater angethan, und dann mußte sie noch zur Strafe ihren Vater verlassen, Nichts von seinem Sündengute annehmen, er wollte Tag und Nacht arbeiten, um sein Brod in Ehren zu verdienen. – Als er in die Wirthsstube trat, sah er Fränz, die Hand in Hand neben dem Rauthenwirthssohne am Tisch saß. Sie heftig schüttelnd, fuhr er auf:

»Lumpenpack! Hundebagage seid ihr Alle. Da sitzst du bei einem Andern, derweil dein Vater mich vor aller Welt beschimpft.« Der Zorn gab ihm plötzlich höllische Gedanken ein und er fuhr fort: »Du hast mich aufgestiftet, ich soll deinem Brandstifter-Vater Widerpart thun und ihn hast du aufgestiftet, daß er mich beschimpfen soll, damit du mich los wirst. Du hast schon einen Andern. Jetzt seh' ich, du bist das schlechteste – ich kann's gar nicht sagen was. Aber warte nur, du hast mir selber gesagt, was du von deinem Vater weißt. Verflucht ist dein ganzes Haus. Ich will nur so lang leben, bis du mit deinen Kindern vor meiner Thür um Brod bettelst. Ich bin froh, daß ich nimmer so schlecht bin und von eurem Sündengut was mag. Fresset's allein und ersticket dran.«

Fränz stieß den Munde weit von sich und er stürmte fort die Stadt hinaus der Heimath zu. –

So unverhofft als die Verlobung geknüpft war, ebenso sollte sie auch zerrissen werden.

Mit dem Abschied vom Militär hatte Munde heimkehren wollen, jetzt rannte er dahin wie aus der Welt verstoßen, er wußte gar nicht, wohin er sich wenden[234] sollte. Die blüthenduftigen Bäume standen so still selig im Sonnenschein und ließen die Bienen in ihren Blüthenkelchen sich erlaben, die Vögel sangen so wonnig und Alles freute sich des Daseins, nur sein Herz war zum Tode betrübt. Stundenlang war er unaufhaltsam gerannt, immer vor sich hin fluchend und Alles verwünschend; als er jetzt durch das Dorf Breitlingen schritt, stand er vor dem Wirthshaus still, suchte in allen Taschen nach Geld und fand in der That keinen Heller; mit einem selbstverachtenden Lachen schritt er weiter und legte sich draußen vor dem Dorf unter einen blühenden Birnbaum am Wegrain. Beim Niederlegen gedachte er der schönen Kleider, die er anhatte, und er schämte sich derselben, sie waren von Diethelms Geld und Fränz hatte sie ihm gegeben. Er wollte nur noch heim, den Brandstiftern die Kleider mitsammt der Trau (Verlobungsgeschenk) schicken und dann fort, weit fort.

Die Bienen summten und schwirrten im Baume und Munde spielte mit dem Brautring, den er vom Finger gezogen und ein abgerissener Klang aus dem alten Liede vom Teufel, der die untreue Braut holt, zog Munde durch den Sinn:


So komm nur her, du schöne Braut,

Du hast deinen Himmel in die Hölle gebaut.


Er nahm sie bei der linken Hand

Und führte sie in den feurigen Tanz ...


Bald aber hörte Munde weder eine Stimme im Innern noch etwas um sich her.

Fußnoten

1 Mick nennt man den neuen Ersatz des Radschuhs, wo man vermittelst einer zugedrehten Walze die Räder hemmt. Es ist erfreulich, daß das Volk die durch das Maschinenwesen eingeschleppten Benennungen sich erfinderisch mundgerecht macht. Das Wort Mick ist eine Zusammenziehung von Mechanique. Wäre es aus der Analogie von Bremse entstanden, müßte es im Oberdeutschen wenigstens Muck heißen.

25. Kapitel

Fünfundzwanzigstes Kapitel.

Die beiden Rappen waren zu großer Verwirrung los und ledig auf dem Markt umhergelaufen, der Schmied von Buchenberg, der ein Pferd eingekauft hatte und eben davon reiten wollte fing sie ein und brachte sie dem Diethelm, der darob ganz verwundert schien; er übergab dem Reppenberger die Pferde um sie nachzubringen und eilte voraus durch Nebengäßchen und Durchhäuser nach dem Rautenkranz. Als er hier von Fränz hörte, was geschehen war, erschrack er anfangs, so weit hatte er's mit Munde nicht treiben, er hatte ihm nur den Daumen auf's Auge halten wollen. Bald aber sagte er: »Es hat sein müssen, drum ist's besser heut als morgen.« Fränz war nicht so leicht zu beruhigen, sie nahm den Vater aus der Wirthsstube fort nach dem stillen Zimmer und sagte hier, daß man nicht wissen könne, was Munde vorhabe, er wisse Alles, Medard habe ihm das Gleiche gesagt wie dem alten Schäferle.

»Das ist vorbei,« beruhigte Diethelm, »davon bin ich freigesprochen; was gemäht ist, ist gemäht. Red' mir heut nichts mehr von der Geschichte.«

»Ja Vater, aber er wird mich deßwegen vor Gericht fordern.«

[236] »Dich? Warum? Was hast denn du dabei?«

»Ich hab' ihm Alles gesagt,« erwiderte Fränz mit niedergeschlagenem Blicke.

»Was? Was hast ihm gesagt? Was weißt denn du? Ich versteh' den blauen Teufel von all deinem Geschwätz.«

»Vater, ich hab' gemeint, er sei mein Mann und ihm darf ich Alles sagen und da hab' ich ihm erzählt, wie Ihr damals auf der kalten Herberge die Farb' gewechselt habt, wie der Wirth erzählt hat, und wie Ihr mir hier in diesem Zimmer vier Wochen vor dem Brand gesagt habt, Ihr wisset nicht mehr wo aus noch ein. Vater, ich hab's ja nicht bös gemeint, ich hab' ja nie daran denken können, daß uns der Munde verrathen könnt'.«

Diethelm schnaubte wild vor Zorn und Schreck, er ballte die Faust als wollte er Fränz zu Boden schlagen: sein eigen Kind wußte um seine Schuld und hatte sie preisgegeben; aber schnell entballte er seine Faust wieder, spielte in der Luft mit den Fingern wie auf Claviertasten und sagte bitter lächelnd:

»So? Also du bist so gescheit und willst deinem Vater was zusammen zwirnen? Aber du bist zu dumm, daß dich die Gäns' beißen. Ich sollt' eigentlich kein Wort mehr mit dir reden und dir die Peitsche anmessen. So denkst du von deinem Vater? Du bist's nicht werth, daß ich dir einen Groschen hinterlasse. Geh' nur vor Gericht. Kannst Alles sagen, Alles. Aber gedenken will ich dir's was du gethan hast. Jetzt weiß ich, warum der Lump so frech gegen mich gewesen ist. [237] Mein eigen Kind, mein einzig Kind hat's ihm eingeben. Ich will hinaus und will die ganze Welt fragen ob das noch einmal vorkommt, so weit der Himmel über der Erde steht.«

»Vater, verzeihet mir. Ich denk's ja gewiß nicht mehr,« bat Fränz weinend.

»Schlecht genug, daß du's Einmal gedacht hast. Wenn du von heut an, hör' zu was ich sag' und guck' nicht unter sich, sieh mir in's Gesicht sag' ich,« knirschte Diethelm seine Tochter schüttelnd, »wenn du von heut an nicht demüthig und gehorsam bist, wie's einem Kind zukommt, nein, ich will dir nicht sagen was ich thu', ich behalt's bei mir, aber vergessen werd' ich's nicht, verlaß dich drauf. Jetzt komm, hinter mir drein gehst und machst ein heiter Gesicht, das sag' ich dir, und red' mir kein Wort mehr davon.«

Diethelm war es gelungen, den schlimmen Sinn seiner Tochter zu bezwingen, sie ging hinter ihm drein wie ein Lamm und erschrack bei jedem seiner Blicke, wenn er sich umwendete. Was war aber damit gewonnen? Handhaben für erneute Anklagen waren in fremde Gewalt gegeben und noch dazu in die eines auf's Aeußerste Erbitterten. Soll denn die That nie ruhen? Brennt das Feuer immer wieder auf? Nur Eines tröstete Diethelm, und dieß war der weichmüthige Charakter Munde's. Aber hatte er sich nicht seit gestern so auffallend verändert? Nein, er ist noch derselbe, sonst wäre er ja nicht davon gelaufen, statt Diethelm und Fränz sogleich den Gerichten zu überliefern. Dennoch schickte Diethelm sogleich den Reppenberger nach Buchenberg, [238] theilte ihm oberflächlich mit was geschehen war und gab ihm den dringenden Auftrag, zu erforschen, was Munde vorhabe und es ihm durch einen Eilboten nach der Stadt mitzutheilen. Der Reppenberger verstand den Vorgang wenn auch nur halb und sagte:

»Ich hab's bald gemerkt, das thut kein gut. Man kann ein Roß und ein Schaf nicht zusammenspannen.« Diethelm lachte über diesen Vergleich und gab dem Reppenberger ein gutes Zehrgeld mit auf den Weg. –

Beim Namen angerufen erwachte Munde unter dem Birnbaum bei Breitlingen, der Schmied von Buchenberg hielt mit seinem Pferd neben ihm und hieß ihn aufsitzen, wenn er müd sei. Munde nahm das gern an. Der Schmied wußte nur von Händeln, die Munde mit seinem Schwäher gehabt, und Munde war nicht geneigt, viel zu sprechen. Nur als der Schmied sein Glück rühmte und ihm anrieth, klug zu sein, die paar Jahre noch den Diethelm den Herrn spielen zu lassen, sagte er:

»Ich bin nicht klug und will nicht reich sein.«

Die ganze Nacht hindurch rastete man nicht, und bald saß der Eine, bald der Andere zu Pferde.

Es war bald Mittag, als man sich Buchenberg näherte. Es hatte hier im Oberlande geregnet, und Blüthen und Blätter waren an den Bäumen hervorgebrochen, so plötzlich wie ein bereit gehaltenes Feuerwerk, das nur des zündenden Funkens wartet.

Munde war ganz ausgehungert, denn er hatte sich geschämt, dem Schmied zu bekennen, daß er keinen Heller Geld bei sich habe.

[239] Als er in die väterliche Stube eintrat, rief ihm der alte Schäferle, die Pfeife im Mund haltend, vom Bette herab zu:

»Grüß' Gott Munde, ich weiß wie's dir gangen ist. Komm her, gieb mir die Hand.«

So zutraulich war der Vater seit lange nicht gewesen und die Hand reichend sagte Munde:

»Was wisset Ihr? Von wem? Sind schon Marktleute vor uns angekommen?«

»Kein Mensch. Ich weiß es von mir. Du hast mit dem Mordbrenner Händel gehabt. Ich weiß das so gewiß, als wenn ich dabei gewesen wär'.«

Munde starrte drein vor dieser prophetischen Sehergabe des Vaters und dieser fuhr fort:

»Ich hab's schon lang kommen sehen. Es ist mir aber lieb, daß ich's noch erlebt hab'. Ich treib's nimmer lang. Von heut' in sieben Tagen seh' ich meinen Medard, und der muß mir sagen, wie er so schnell von der Welt kommen ist, und wenn ich dir's berichten kann, thu ich's. Setz' dich zu mir auf's Bett. Jetzt bist du wieder mein. Gelt, jetzt bist wieder mein? Gehst nicht mehr zu dem Mordbrenner? Ich kann dir auch was geben, daß du nicht mehr an die Fränz denkst. Und ich sag' dir all meine Mittel. Ich hab' dem Medard schon viele gesagt gehabt, und ihm gehören sie auch, aber du bist jetzt mein Einziger.«

Munde weinte laut und erzählte dann Alles, wie es ihm ergangen. Der alte Schäferle richtete sich auf, nahm die Pfeife in die linke Hand, hob die Rechte in die Höhe und rief:

[240] »Ich schwöre, so wahr ich bald vor Gott komm', der Diethelm ist nicht unschuldig an dem Tod deines Bruders, wie, das weiß ich nicht, das weiß Gott allein. Munde, leg' deine Hand auf meine Herzgrube, dir vererb' ich's, daß du nicht ruhst, bis der Diethelm seine Strafe hat. Willst du mir schwören, nicht zu ruhen und nicht zu rasten, bis der Tod deines Bruders gerächt ist?«

»Ich kann's nicht, Vater, ich kann's nicht, ich thät Euch ja Alles so gern,« rief Munde, dem plötzlich davor graute, diese schwere Last auf sich zu nehmen, »aber das sag' ich, ich will dem Diethelm so lang ich lebe zeigen, daß ich ihn für einen schlechten Menschen halte.«

»Gut, das ist mir genug, du hast ein weiches Herz, du kannst nicht mehr.«

Der alte Schäferle begann nun, Munde alle seine sympathetischen Mittel zu sagen, wie er sie vom Vater ererbt; er wollte es Anfangs nicht dulden, daß Munde sie aufschrieb, das sei gegen das Herkommen und tödte vielleicht ihre geheime Kraft, aber Munde behauptete, nicht Alles so schnell behalten zu können. Das Zaubermittel gegen angethane Liebe schrieb Munde nicht auf. Er saß nun bei seinem Vater wie in einem Zauberberg, umgeben von geheimnißvollen Mächten und wußte nichts mehr von der Welt, bis Martha mit dem Reppenberger kam.

Munde that es wehe, auch gegen die Meisterin feindselig zu sein, der Reppenberger sprach von einer Abstandssumme, die Diethelm dem Munde bezahlen[241] wolle, wenn er sich zur Auswanderung entschließe, aber Munde wies alle Anerbietungen von sich, und der alte Schäferle war glücklich, als er hörte, daß sein Sohn die erledigte Stelle als Gemeindeschäfer in Unterthailfingen annehmen wolle.

Auf den Tag hin, wie er es vorausgesagt, starb der alte Schäferle. Als ihm Munde noch am Morgen die gestopfte Pfeife übergeben wollte, schüttelte er den Kopf verneinend und sagte: »Es ist vorbei.«

Munde überließ Alles seiner Schwester und nahm sich nur die Kleider des Medard.

Er saß am Weg und hütete die Schafe, als Diethelm vierspännig mit seiner neuen Kalesche daherfuhr, er schaute auf, und blitzschnell durchzuckte ihn der Gedanke, welch ein großes Leben er hätte führen können; aber er drückte den Hut in's Gesicht und pfiff dem Passauf, während Diethelm und Fränz rasch vorbeirollten.

Nicht ohne Befriedigung hörte Diethelm, daß der alte Schäferle gestorben und begraben sei, und daß der Geistliche an dessen Grabe sagte, Gott möge ihm vergeben, wie ihm der vergeben habe, dem er so schweres Leid angethan. Den Munde fürchtete Diethelm nicht mehr, weil er nicht im ersten Zorn gehandelt hatte, in diesem war er des Schlimmsten von ihm gewärtig, jetzt in Ruhe, dachte er, wird die Schafseele es nie dazu bringen, als Ankläger aufzutreten. So fühlte sich Diethelm von dieser Seite gedeckt, aber der Geist der Widerspenstigkeit und Aufsätzigkeit, den er in Fränz niedergerungen hatte, schien in Martha jetzt neu zu erwachen, [242] wenn gleich gemildert von ihrem an Ergebung gewohnten Wesen. Mit Ruhe ertrug es Diethelm, daß sie ihm heftige Vorwürfe machte, weil er mit Fränz in der Welt umherfuhr und seine Frau daheim vergaß, »wie ein im Stall angebundenes Stückle Vieh.« Er versprach, sie nie mehr allein zu lassen.

Eines Tages ging er mit ihr nach dem Bau, der staunenswerth rasch vorrückte, die Sonne brannte stechend und gewitterverkündend nieder, und Diethelm sagte:

»Ich weiß nicht wie mir's ist, seitdem ich im Gefängniß gewesen, bring' ich eine Kellerkälte nicht aus mir heraus; es ist mir, wie wenn ich einen Eisklumpen im Herzen hätt'. Ich hab' gemeint, im Sommer wird's besser, aber es ist nicht. Du sagst jetzt, dir sei heiß, und ich werde die Gänshaut nicht los.«

»Herr Gott! das sind meine todten Schwurfinger,« schrie Martha gellend und streckte die leichenhaften Finger Diethelm in's Gesicht.

»Was hast? Was machst?« fragte Diethelm erschrocken und Martha erklärte, indem sie sich auf einen Steinhaufen am Wege setzte:

»Diethelm, was hast du gemacht? Weißt du's denn nicht mehr? Du hast ja geschworen, die Sonne soll dich nicht mehr erwärmen, wenn du an's Brandstiften denkst, dort am Fenstersims hast's geschworen und jetzt ist's ja wahr geworden, die Sonne wärmt dich nicht und ich hab' einen falschen Eid auf mich nehmen wollen und meine Finger sterben mir ab. O gerechter Gott, was machst du aus uns? Gerechter Gott, was soll aus uns werden?«

[243] Diethelm suchte zu trösten so viel er vermochte, er wollte jetzt leugnen, daß ihn friere und behauptete, die Wunde an seinem Arm sei noch nicht völlig geheilt; da faßte ihn Martha gerade an der wunden Stelle, daß er laut aufschrie, sie aber sagte:

»Gesteh' ehrlich, beichte, nur mir sag's, nur mir, woher du das hast. Der Doctor hat immer gesagt, das säh' aus wie ein Biß von einem Menschen. Wer hat dich gebissen?«

Diethelm hatte Geistesgegenwart genug, seine Frau tapfer auszuzanken mit dem Zusatz, daß wenn sie noch ein einzigmal von todten Schwurfingern rede, er sie auf immer verlasse, möge daraus werden was da wolle.

Martha schwieg, aber ihre schweigend trauervollen Mienen, ihr stilles stundenlanges Betrachten der abgestorbenen Finger sagte Diethelm was sie für sich sinne und was sie von ihm denken möge.

Als das Haus gerichtet war und der bänderverzierte Maien vom Giebel prangte, machte sich Diethelm mit den Seinen auf nach dem Wildbad, die warme Quelle sollte Diethelm von seinem Frost und der Wunde heilen und sollte die todte Hand Martha's neu beleben. Am hoffnungsreichsten aber war Fränz, sie bedurfte der warmen Quelle nicht: ihrer harrte dort der Rautenkranzsohn und, nicht zu vergessen, auch der Amtsverweser.

[244]

26. Kapitel

Sechsundzwanzigstes Kapitel.

Der stattliche reiche Bauer von Buchenberg mit seiner Familie und seinem eigenen Gefährte war wochenlang eine der bemerktesten Erscheinungen im Wildbad. Schon der frappante Gegensatz, den man sich von ihm erzählte, daß er sich beim Brande eine schwer zu heilende Erkältung zugezogen, machte ihn zum Gegenstand des Gespräches, dazu sein gemessenes Benehmen, weder zudringlich noch schüchtern, machte ihn zu einem Urbild jenes stolzen selbstbewußten Bauernthums, das man sogar in der sogenannten guten Gesellschaft anziehend findet, so lange es in ästhetischer Buchferne verharrt und der eigenen Ueberhebung nicht zu nahe tritt. Martha und Fränz waren weniger bemerkt. Martha hielt sich vorzugsweise zu einigen alten Frauen, die im Armenbad eine Freistelle genossen und ließ sich von ihnen ihre Leiden und ihre Schicksale erzählen, Fränz aber war seltsam verscheucht und zurückgezogen. Wir werden bald erfahren, warum. Wir müssen nur noch erzählen, daß Diethelm die Spitze seines Ruhms erreichte, als eine regierende Fürstin in der Allee durch den ersten Kammerherrn ihn sich vorstellen ließ. Diethelm war beseligt durch diese Auszeichnung, er gab auf alle Fragen bescheidene und wie es schien genehme Antworten; er widersprach nicht als man ihn für einen [245] großen Hofbesitzer hielt und nahm sich nur vor, diese Voraussetzung zu einer Wahrheit zu machen; dabei schaute er oft wie verlegen um, er wollte sehen, ob Niemand bemerke, welche Ehre ihm zu Theil wurde. Es gingen aber Menschen vorüber, die ihn nicht kannten. Dennoch sah er wohl, daß sie in der Ferne stehen blieben. Als er entlassen wurde, ging er aufgerichtet durch die Alleen heimwärts, die Bäume waren noch einmal so grün, der Himmel noch einmal so blau und die Vögel sangen so lustig wie noch nie. Zum Erstenmal spürte er die Wirkung des Bades, eine wohlthätige Wärme überströmte sein ganzes Wesen und als er zu Frau und Tochter kam, war er glückselig und wiederholte immer und immer, daß dieser Tag sein höchstes Glück sei. Er mußte sich niedersetzen, so hatte ihm die Freude fast wie ein Schreck die Kniee angegriffen, diese Ehre schien zu schwer für ihn und als jetzt ein erwünschter Besuch, der Vetter Waldhornwirth eintrat, blieb Diethelm auf seinem Stuhle sitzen und sagte mit verklärtem Lächeln:

»Wärst du nur um eine Stunde früher gekommen, da hättest du sehen können, wie die Fürstin von ** mit mir gesprochen hat, grad so wie ich jetzt mit dir, so freundschaftlich, so herztreu. Ich hätt' einen Finger von der Hand drum geben, wenn ich ganz Buchenberg hätt' daneben stellen können. Aber erzählen mußt's. Sie müssen's Alle wissen.«

Der Vetter versprach zu erzählen, andern Tages aber wurde er auch von der Wahrheit überführt, denn vor dem Kurhause, vor allen Leuten winkte die Fürstin [246] den Diethelm zu sich und unterhielt sich lange mit ihm. Sie fragte nach seiner Untersuchungshaft und Diethelm, der Anfangs erschrack, richtete sich an einer alten Erinnerung auf und betheuerte, wie er ein treuer Unterthan sei und nichts von den Grundrechten wolle, aber das Schwurgericht, das sei doch gut, da werde man auch öffentlich freigesprochen. Mit einem freundlichen Lächeln entließ ihn die Fürstin und der Vetter Trompeter, der von Ferne zugesehen, faßte seine Hand als er zu ihm trat und rief:

»Was meinet Ihr Vetter, wenn das Euer Vater gesehen hätt', der Krattenmacher von Letzweiler?« Diethelm schien diese Erinnerung nicht genehm, denn er erwiderte:

»Was redest du wie ein Mann ohne Kopf?« Der Vetter verstand und fuhr fort:

»Ich hab's nicht allein gesehen, dort steht der Kastenverwalter von G. Gucket er kommt schon her und will Euch Glück wünschen.«

In der That geschah dieß auch, und nicht nur der abgestellte Kastenverwalter, viele andere hohe und niedere Beamte, ja sogar Adelige behandelten Diethelm mit Auszeichnung und zum darauffolgenden Ball im Kurhause erhielt Diethelm mit seiner Familie eine Einladung. Martha sagte sogleich, daß sie daheim bleibe, sie sei krank und nicht zum Tanzen da, Fränz aber hüpfte vor Freude als hörte sie schon die lustigen Tanzweisen.

Fränz war, wie gesagt, während des Badeaufenthaltes noch nie zu rechter Freude gekommen, sie fühlte[247] sich nicht recht heimisch in diesen Umgebungen, sie hatte zwar die Bauernhaube abgelegt, die kaum zu bewältigenden Haarflechten aufgenestelt und sich einen farbenschillernden Sonnenschirm angeschafft, aber erst durch einen Geistlichen erhielt sie eine gesellschaftliche Firmelung. Ein junger Missionär aus der Schweiz, der in einem zierlichen Rollwagen umhergeführt wurde, war bald der Schützling aller Frauen und Mädchen, auch Fränz wurde durch eine priesterlich zuvorkommende Ansprache in seinen Kreis gezogen und verlor bald jede äußere Schüchternheit, indem sie gleich den Uebrigen dem Kranken, der noch dazu ein geweihter Priester war, sich dienstgefällig erwies. Die Hülflosigkeit des Kranken ließ jede Scheu verschwinden, man durfte ihm die Hand reichen und gefällig sein wie einem Kinde. Der junge Mann, ein wirklich eifervoller Priester mit seinem blassen Antlitze, das durch die beständige weiße Halsbinde noch gehoben wurde, war eine anziehende Erscheinung und sein brennendes Auge, das er wundersam zu heben und zu senken verstand, zeugte von innerem Feuer, das auch hervorbrach, wenn er an stillen schattigen Plätzen dem Frauenkreise vorlas. Er hatte eine wohltönende, in's Herz dringende Stimme. Fränz hatte in der Stadt die Kunst gelernt, Pantöffelein zu brodiren und sie saß nun mit den anderen Frauen mit ihrer Arbeit um den heiligen Mann und hörte die ergreifenden Vorlesungen und eifervollen Vorträge; sie verstand es wie die Anderen, mitunter aufzuschauen, einen verständnißreichen Blick zu thun, bedeutsam mit dem Kopf zu nicken oder gar die Hände in einander [248] zu legen und unverwandt auf den Redner zu schauen. Mitunter war sie auch wirklich ergriffen und der Spruch: Rette deine Seele! schauerte ihr durch Mark und Bein. Sie erkannte mit Schrecken, wie sie ihr Seelenheil bisher verwahrlost und war geneigt, dem Jungfrauenbunde, für den schließlich geworben wurde, beizutreten, aber ein äußerlicher Grund half ihr, sich von den schweren Opfern zu befreien. Sie glaubte zu bemerken, daß einige, und zwar die Vornehmsten und Manierlichsten, von dem weihevollen Manne vorgezogen wurden, die Eitelkeit regte sich, und gewohnt, daß Alles in der Welt nur zum Schein geschehe, forschte sie auch hier den Täuschungen nach und glaubte solche immer mehr zu finden. Dennoch war sie bereits so sehr im Bannkreise des jungen Priesters, daß sie ihm reuig und zerknirscht diese ihre Sünde offen beichtete, aber die Mahnung ihre Eitelkeit zu besiegen machte sie stumm und im Innersten widerspenstig, zumal diese Aufforderung gerade mit der Ehre zusammentraf, die ihrem Vater durch die Fürstin von ** geworden war.

Die Leichtigkeit, mit der sich ein Verhältniß im Badeleben knüpft, zeigt sich auch im Lösen desselben. Fränz hatte immer mehr Abhaltungen, im Schatten der wilden Kastanien unter dem andächtigen Zuhörerkreise des Missionärs zu erscheinen. Wenn sie dorthin ging, hatte sie den stillen bescheidenen Gang und den niedergeschlagenen Blick, wenn sie aber bei den Musiken im Freien erschien, hatte sie, man kann fast sagen etwas schäckernd Hüpfendes wobei sie den Kopf in den Nacken warf.

[249] Und diese letzte Haltung gewann die Oberhand als der Priester bald geheilt im blumenbekränzten Wagen abreiste.

Fränz wollte, rund heraus gesagt, sich hier einen Mann erobern..

Den Munde bei seinen Schafen hatte sie längst vergessen, ja sie sah jetzt, daß er nie zu ihr gepaßt habe; aber hier that ihr die Wahl weh zwischen dem Rautenkranzsohn, der hier Kellner war, und dem Amtsverweser. Der Kellner war eine gutartige und heitere Erscheinung, aber es hatte doch etwas Abstoßendes, daß er hier Jedermann bediente und gegen alle Welt freundlich und unterwürfig sein mußte. Das behagte dem hoffährtigen Wesen der Fränz durchaus nicht. Wenn er ihr bei Tafel eine Schüssel reichte und dabei einige freundliche Worte sprach, schämte sie sich fast ihm zu antworten; zwar erinnerte sie sich wieder, was er daheim zu bedeuten habe, und wie er mehr sei, als Viele, die er hier bediente; aber eben dieses Bedienen gefiel ihr nicht, und dann konnte der Kellner nie einen Spazirgang, viel weniger eine Ausfahrt mitmachen, er mußte froh sein, wenn er eine Stunde von fünf bis sechs Uhr Nachmittags erübrigte, um an den Hauspfosten gelehnt eine Zigarre zu rauchen, die er schnell verbarg, wenn ein Gast kam. Dennoch hatte Fränz nicht recht den Muth, sich von ihm abzuwenden, ja sie dachte sich aus, wie Alles schon anders würde, wenn sie einmal ein eigenes Wirthshaus hätten. Der Amtsverweser war äußerst zurückhaltend, obgleich er mit an derselben Tafel speiste; er schien mehreren Damen den Hof zu [250] machen, die er oft auf Spaziergängen begleitete. Glücklicherweise aber – man konnte nun nicht sagen, daß die Ansprache der Fürstin von ** daran schuld sei – hatte der Amtsverweser sie und den Vater just den Tag vorher begleitet und viel mit Fränz gelacht; er setzte nun diese Annäherung mit großer Beständigkeit fort, überbrachte selbst die Einladung zum Kurhausball und schickte am Abend desselben den erlesensten Blumenstrauß, eine Aufmerksamkeit mit der ihm jedoch der Rautenkranzsohn zu vorgekommen war. Es waren Beide wohl zu beachtende Bewerber. Der Rautenkranzsohn war jünger und farbiger, in seinem vollen wohlgekämmten braunen Haar sah man stets die frischen Furchen der Bürste und den weißen Scheitel, der Amtsverweser war blasser und mit einer avancirenden Glatze versehen. Fränz hielt die beiden Sträuße der Bewerber in der Hand und betrachtete sie lang, sie überlegte, welchem Strauß und welchem Geber sie den Vorzug gönnen solle, ihre Wangen glühten, sie war nicht dem Zufall ergeben genug, um eine Blume mit »Liebt mich« und »Liebt mich nicht« zu zerzupfen, sie bedachte, daß der Rautenkranzsohn allerdings seine Vorzüge hatte, er stand ihr näher, sie kannte seinen Lebenskreis genau und konnte sich frei darin bewegen, auch war er gut geartet und leicht zu beherrschen, nicht so sehr wie Munde, aber doch lenksam genug, und sie hatte sich's ja einst als schönstes Ziel gedacht, Frau Rautenwirthin zu werden; aber Frau Amtmännin und in Zukunft Frau Regierungsrätin – das ist doch schöner und ein Narr ist, wer das Höhere erreichen kann und sich mit Geringerem [251] begnügt. Fränz war entschlossen, den Blumenstrauß des Amtsverwesers zu nehmen; aber während des langen Besinnens hatte sie vergessen, ob der in der Rechten oder in der Linken von ihm kam, sie waren so ähnlich. Jetzt erinnerte sie sich, daß der in der Rechten der gültige war, aber in der Verwirrung hatte sie die Sträuße niedergelegt und dieses Merkmal zerstört. Wenn aber kein rechtes Kennzeichen war, so konnte ja der Amtsverweser nichts merken? Wer weiß indeß, ob er nicht doch ein geheimes Kennzeichen hat. Fränz war ganz berauscht von der blumenduftigen Werbung, sie eilte die Treppe hinab und wollte den Kellner fragen, welcher Strauß von ihm sei, aber nicht der Gedanke, welch eine tückische Härte hierin lag, hielt sie plötzlich fest, sondern die Erinnerung, daß sie ja dann eine offenbare Entscheidung machen müsse und einen Freier aus der Hand gebe, bevor sie des andern gewiß sei und jetzt that sich ein neuer und glücklicher Ausweg auf, sie wollte gar keine Blumen mitnehmen und dem Amtsverweser sagen, sie habe deren so viele von unbekannten Verehrern bekommen, daß sie Alle daheim gelassen. Das wird ihn kirren und rasch zugreifen machen, und dann ist die Entscheidung da.

Und so geschah es auch.

Wieder unter rauschender Musik wurde Fränz zum Zweitenmal verlobt. Der Amtsverweser hatte in unerklärlicher Zaghaftigkeit gewünscht, daß die Verlobung noch einige Zeit geheim gehalten werde, mindestens bis er seine täglich erwartete Bestallung als stellvertretender Staatsanwalt erhalten habe, aber Diethelm war [252] nicht gewillt, nur einen Tag der Ehre verlustig zu gehen, die ihm aus dieser Verlobung seiner Tochter entsprang; er faßte den Einwand seines Schwiegersohnes, daß er wegen des neu zu übernehmenden Amtes vor kommenden Frühling nicht heirathen könne, dahin fest, daß Fränz während dieser Zeit noch in ein Erziehungs-Institut, eine »Schnellbleiche,« wie er es spöttisch bezeichnete, gethan werde, um ihrer neuen Stellung gerecht zu werden. Bis dahin wollte er auch sein neues Anwesen in Buchenberg verkaufen, und wie er doch schon lang vorhatte, nach der Kreisstadt ziehen.

Die warme Quelle hatte weder Diethelm von seinem Froste, noch seine Frau von der Abgestorbenheit ihrer Finger befreit, man getröstete sich der Nachwirkung.

Nur Fränz hatte erreicht, was sie wollte, und die Eltern erfreuten sich bei der Heimfahrt im Sprechen über das Glück ihres Kindes und vergaßen darüber alle Körperleiden und alles Leid in der Seele.

[253]

27. Kapitel

Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Wie ein Mensch aus höheren Regionen, der sich bescheidentlich herabläßt, mit niederen Erdgeborenen zu verkehren, so ging Diethelm durch Buchenberg; er hatte mit fürstlichen Personen, mit hohen Staatsmännern verkehrt und ein Staatsanwalt – denn das war er geworden – war sein Schwiegersohn! Es dünkte ihn wie ein Traum, daß er sein einziges Kind einst einem armen Schäfer hatte geben wollen. Wenn er seiner That gedachte, war sie ihm wie längst abgethan und die Gunst der Großen, denen er so nahe gestanden, erschien ihm als Schild und Schirm, daß nie mehr auch der leiseste Verdacht sich gegen ihn erheben dürfte. Wenn der Eilwagen durch das Dorf fuhr und bald darauf Briefe kamen, sah Diethelm immer, ob keiner mit einem großen Siegel darunter sei, der ihm einen Orden zubrächte oder irgend eine andere unverhoffte Auszeichnung. Es kamen aber meist Bettelbriefe von allen Orten, von den entferntesten Verwandten, von Schulmeistern geschrieben, die in hochtrabendem Tone den hochverehrten Herrn Vetter um Gaben und Darleihen baten. Diethelm glaubte genug gethan zu haben und ließ sie unbeantwortet. Am erfreulichsten waren noch die Briefe von Fränz; zwar waren sie in steifer [254] ungelenker Redeweise, aber diese erschien Diethelm gerade recht schön und erbaulich, und von Brief zu Brief ward die Schrift zierlicher und geläufiger. Diethelm konnte nicht umhin, manche davon, besonders aber auch die Briefe des Staatsanwalts, durch den Vetter im Waldhorn vorlesen zu lassen.

Die Verehrung im Dorfe schien ihm indeß doch minder bedeutend, als die in der Stadt sich darthat. Mit Martha, die er nun nicht mehr allein ließ, fuhr er oft dahin, um allerlei Hausrath zu kaufen. Er richtete sich nur nothdürftig ein, da er ja bald wieder verkaufen wollte.

Alles ließ sich zu größter Beruhigung an, nur Martha war nicht aus ihrer beständigen Trauer und Kümmerniß zu reißen, und wenn Diethelm sie damit abwies, sagte sie klagend:

»Ich hab' ja sonst Niemand, dem ich mein Herz ausschütten kann, und mir bangt vor dem neuen Haus, wo der Medard verbrannt ist.«

Diethelm hörte sie geduldig an, aber dieses ewige Klagen machte ihn stumpf gegen die Vorhersagung der Frau, daß sie den Einzug in's Haus nicht erleben werde.

»Nur nicht prophezeien,« war seine beständige Rede, »das ist das Schlechteste was man thun kann. Ich hab' dir versprochen, daß ich dich nie mehr allein lasse, aber du treibst mich aus dem Haus, wenn du so fort machst.«

Martha hatte in der That falsch prophezeit: der Sommer ging zur Rüste, und im Herbste zog sie, abgesehen von ihrem beständigen Leid, wohlbehalten in [255] das wochenlang durchheizte neue Haus ein und nachdem das erste Mißbehagen überwunden, schien sie sich dessen zu freuen; zumal da Diethelm die junge Frau Kübler mit ihrem Kinde während der Abwesenheit der Fränz zu sich in's Haus genommen hatte.

Nun erlaubte er sich auch allmälig seinem Versprechen untreu zu werden und buchstäblich hielt er es doch, wenn er wieder Tage und Nächte über Land blieb: Martha war ja nicht allein, die junge Frau mit dem Kinde war bei ihr. Wenn Martha ihn dennoch an sein Versprechen gemahnte, war er ungehalten und voll Jähzorn über diese unerträgliche Sklaverei und über dieses ewige Erinnern an ein Versprechen, das er schon von selbst halte und viel lieber, wenn er nicht daran gemahnt werde. Er blieb nun mehr als gewöhnlich zu Hause und jetzt erkannte er deutlich was er schon oft flüchtig wahrgenommen: wenn er im lebhaften Verkehr mit Menschen, und zwar mit recht vielen war, wich das Frösteln von ihm, in der Einsamkeit aber war es immer wieder da, unabwendbar. Diethelm knirschte über die neue Gefangenschaft, in der er sich befand, und jetzt fiel ihm das Mittel des alten Schäferle ein. Er kaufte Erlenholz und sägte Tage lang, als müßte er sein Brod damit verdienen. Der stolze, in grünen Saffianpantoffeln stolzirende und alle schwere Arbeit verhöhnende Diethelm war in das Loos eines armen Taglöhners verfallen, aber er war dabei doch froh, denn er fühlte in der That eine lange nicht empfundene Wärme; das Holz, das, haufenweise in den Ofen gesteckt, ihn nicht von seinem Frösteln befreit hätte, [256] erwärmte ihn jetzt bei dessen Verarbeitung. Vom Morgen bis zum Abend arbeitete er im Schuppen und lauschte dann oft selbstvergessen den wunderlichen Tönen der Säge; wie das klingt und schrillt beim ersten Einschnitt und dann zum Kern des Scheites gelangend so dumpf tönt und wieder in's Schrille, Kurzathmige übergeht beim Ende des Durchschnittes. Mochte es aber klingen wie es wollte, wohlige Wärme durchströmte den Körper. Die Leute sagten, der Diethelm sei geizig geworden, seitdem sein Reichthum gestiegen sei; er ließ sich diese Nachrede, die ihm wieder zukam, gern gefallen, denn auch im Geiz liegt ein gewisser Ruhm, da seine unbezweifelte Voraussetzung der Reichthum ist.

Wenn er manchmal einen Tag in seiner mühseligen Arbeit aussetzen wollte, kam wiederum das Frösteln über ihn, als wollte sich alles Zurückgedrängte auf Einmal geltend machen; er mußte aufs Neue wider Willen an die unscheinbare und doch so mühselige Arbeit, als hätte ein Zauber ihn darin festgebannt. Es half nichts anderes.

Da kam ein neues Ereigniß, das ihn von dieser Arbeit und seiner häuslichen Gefangenschaft befreite, ohne daß Martha zu einer Einsprache berechtigt war.

Das Schwurgericht, das man in stürmischen Zeiten verheißen hatte, wurde jetzt nach Herstellung der nöthigen Bauten in der That eingesetzt. Der veränderten Zeitrechnung zufolge wurden aber die Geschworenen nicht nach allgemeinem Wahlrechte frei gewählt, sondern die Amtsversammlung, bestehend aus den meist gefügigen Schultheißen und einem Theil der Obmänner des [257] Gemeindeausschusses wählte einen sogenannten Siebenerausschuß und dieser ernannte die Geschwornen aus der Zahl der Höchstbesteuerten und Nichtdemokraten. Eines Tages kam der Vetter Waldhornwirth hastig mit der Landeszeitung in der Hand und sagte zu Diethelm:

»Da kommet Ihr in der Zeitung, Vetter.«

»Ich? Wie?« erwiderte Diethelm sich verfärbend, und nahm mit Zittern das Blatt in die Hand. Er las die Liste der Geschworenen und als Dritter stand sein Name. Lange starrte er darauf hin und rieb sich mehrmals die Stirn, er wollte den Schreck vergessen, den er gehabt hatte, und jetzt war es ihm doch eine Freude, sich gedruckt zu lesen; er äußerte dieß aber nicht, sondern sagte nur, daß er um Dispensation bitten werde, da er in seinem Anwesen noch viel zu thun habe, und daß er auch seine Frau nicht verlassen dürfe. Martha entgegnete rasch:

»Meinetwegen kannst du's schon annehmen, im Gegentheil, mir ist's lieb, wenn du ein paar Wochen fortgehst, lieber als wenn du so all Ritt verschwindest, wie in den Boden gesunken.«

Der Vetter sagte, daß Diethelm gar nicht ablehnen dürfe; man wisse nicht, was die Menschen denken könnten, wenn er sich davon losangle; das ginge ihn zwar nichts an, aber er dürfe es auch ohnedieß nicht, er habe das Schwurgericht zu allen Zeiten gepriesen, und jetzt müsse er auch dabei sein.

Diethelm schäumte innerlich vor Wuth. So hatte seine Freisprechung, hatten alle die hohen Ehren, die er genossen, nichts genützt; die Menschen, die so unterwürfig [258] waren, hegten noch immer Verdacht gegen ihn, der allzeit bereit war loszubrechen. Der erstickte Argwohn in den Gemüthern glich der Flamme in einem niedergebrannten Hause, die immer wieder aufschlägt, sobald man einen Balken weghebt. Diethelm verfluchte die ganze Welt und zankte mit dem Vetter, als dieser entschuldigend sagte: er habe noch nichts gehört, von Niemand, er habe nur so gemeint.

»Was hast du vorzudenken, was andere Leute denken können? oder bist du schlecht genug und blasest den Leuten selber ein, daß sie mich verunehren?«

»Ihr wisset ja, wie ich zu Euch bin,« sagte der Vetter mit schelmisch bedeutungsvollem Blick. Diethelm sah das und wieder kam ihm die Vermuthung, daß der, den er sich am Nächsten glaubte, schlimmen Verdacht gegen ihn hegte; aber das Klügste war doch, immer zu thun, als ob er das nicht glaube; er sagte daher:

»Wenn's nicht anders ist, nehm' ich's an. Hast Recht, Vetter, es kann mir Eins sein, was die Leut' denken, und ich freu' mich auch bei meinem Schwiegersohn zu sein. Weißt was, Frau? Geh mit.«

Martha verneinte und Diethelm wiederholte seinen Vorschlag nicht. Denn wie Alles in der Welt seine vielfachen Gründe hat, so ging es auch hier. Diethelm wollte nicht nur zeigen, daß er keinen Gerichtshof scheue, er wurde auch von der Oede im Hause und den ewigen Klagen seiner Frau erlöst, wenn er sich davon machte.

Diethelm hatte bei der bald darauf folgenden Amts-Versammlung [259] die Genugthuung, vom Amtmann Niagara – der so genannt wurde, weil er im Gespräche immer ein mächtig schätterndes Gelächter erhob – mit besonderem Ruhme erwähnt zu werden, während den Anderen mit Recht vorgehalten wurde, daß sie gern freie Staatseinrichtungen hätten, aber dafür keinen Tag aufwenden wollten, so daß ihnen schon jedes Wählen zu viel Mühe sei.

Diethelm sah stolz und selbstbewußt drein und bei dem gemeinsamen Mahle, das nach der Amtsversammlung gehalten wurde, erhielt Diethelm den Ehrenplatz neben dem Amtmann Niagara und half ihm tapfer lachen. Es gab besonders viel Witzreden über Diejenigen, die da gehofft hatten, daß den Geschworenen reiche Taggelder aus der Staatskasse ausgesetzt würden; der Steinbauer vor Allem mußte sich viele Neckereien gefallen lassen, weil er auf sein Dispensationsgesuch einen abschlägigen Bescheid erhalten hatte. Der Angegriffene wagte es nicht, den Spässen des freundlichen Amtmanns entsprechenden Widerstand zu leisten und ohne sich auf eine nähere Erklärung einzulassen, behauptete er, daß er doch noch frei werde.

Noch nie kam Diethelm frohgemuther nach Hause, als von der heutigen Amtsversammlung und er wünschte sich, daß die Gerichtssitzungen nur bald beginnen möchten. Die Ehrenbezeigungen von den Beamten thaten ihm gar wohl.

Als der Tag der Abreise kam, wollte es Diethelm wiederum bange werden, es erschien ihm als ein gefährliches Spiel, das er mit sich treibe. Er nahm sein[260] Gefährte nur bis G. mit, dort gesellten sich im Eilwagen die anderen Geschworenen zu ihm, der Sternwirth und der Steinbauer waren auch dabei.

Es war das erste Schwurgerichtstagen seit undenklichen Zeiten und alle Mitwirkenden waren in feierlich gehobener Stimmung, der der Vorsitzende des Gerichtshofes und der Staatsanwalt wie der Altmeister der Rechtsanwälte beredte Worte gaben. Besonders ein Wort des Vorsitzenden drang Diethelm in's Herz, denn er hatte gesagt: Ein Verbrechen, das ungesühnt in der Seele ruht, gleicht dem Brand in einem Kohlenbergwerke; man stopft es zu und will das Feuer ersticken, aber es brennt weiter, unterirdisch, ungesehen, und eine Oeffnung, die sich aufthut, läßt die Flamme emporschlagen.

Diethelm fühlte bei diesen Worten, wie es wirklich in seinen Eingeweiden brannte, er hätte laut aufschreien mögen vor Schmerz, aber er bezwang sich. Als jetzt die Rechtsgelehrten der verschiedenen Stellungen gesprochen hatten, trat eine Pause ein. Man erwartete eine Ansprache aus der Mitte der Geschworenen. Einer stieß den Andern an, er möge reden, und doch hätte Jeder gern selbst gesprochen, die Pause dauerte peinlich lange, da erhob sich Diethelm. Er glaubte gerade besonders zeigen zu müssen, wie sehr er die Bedeutsamkeit der neuen Einrichtung erkenne, die Worte des Amtmanns bei der Wahlversammlung kamen ihm wohl zu statten, und hatte er sich vordem nicht gescheut, mit fremdem Geld und Gut groß zu thun, so hatte es mit einem fremden Gedanken gewiß viel weniger auf sich. Anfangs [261] bebend, dann aber mit fester Stimme wiederholte er, in seine Weise übertragen, jene Worte; und Alle standen auf, als er plötzlich stotternd abbrach und die Hände faltend mit gehaltenem Tone das Vaterunser sprach.

Bevor die Namen der Geschworenen verlesen wurden, ließ der Vorsitzende durch den Gerichtsschreiber ein ärztliches Zeugniß vortragen, das der Steinbauer beigebracht hatte und das ihn befreien sollte. Nach kurzer leiser Berathung erklärte der Schwurgerichtshof, daß die Befreiungsgründe nicht zureichend seien. Diethelm schaute mit triumphirendem Lächeln auf den Steinbauer, der aber keine Miene zuckte.

Nun ging es an das Verlesen der Namen. Der Vorsitzende nahm bald rechts bald links die Zettel auf, die ihm die beiden Schwurrichter reichten und warf sie in die Urne. Dieses Aufraffen, Ausrufen und Versenken der Namen hatte für Diethelm etwas Eigentümliches, bang Räthselvolles, es war ihm, als wäre er wie sein Name in fremde Gewalt gegeben.

Als jetzt die Namen aus der Urne gezogen wurden, ballte Diethelm bei Jedem, der ausgerufen wurde, die Fäuste, um keinen Schreck zu zeigen, wenn er den Seinigen hörte, aber er kam nicht. Beim Namen des Steinbauern sprachen Staatsanwalt und Vertheidiger zugleich: Abgelehnt! worüber ein Lächeln in der Versammlung entstand, und der Vertheidiger mit höflicher Handbewegung die Ablehnung dem Staatsanwalt überließ. Der Steinbauer schaute herausfordernd auf Diethelm, seine Mienen sagten: ich hab's gewußt, daß ich frei werde.

[262] Die zwölf Männer waren ernannt, Diethelm war nicht unter ihnen; er athmete frei auf. Nun aber erklärte der Vorsitzende, daß er noch zwei Ersatzgeschworene ausloose, und der erste Name, der jetzt erschien, war der Diethelms. Als er mit schweren Schritten nach der Geschworenenbank an dem dichtgefüllten Zuhörerraume vorüberging, hörte er dort sagen: schade, daß der nur Ersatzgeschworener ist, das wäre ein tüchtiger Obmann geworden. Diethelm schloß die Augen, als er in seinem Armstuhl saß: der Ehrenzuruf aus den Zuhörern hatte ihm sein fast stillstehendes Herz freudig bewegt. Durch ein Geräusch wurde Diethelm auf seiner inneren Versunkenheit erweckt, die Stühle rutschten und brummten, die ganze ruhige Versammlung kam plötzlich in Bewegung, dort auf der Erhöhung, wo das Gericht saß, war es dunkel geworden, denn die Mitglieder des Gerichtshofes, hinter deren Rücken die Fenster waren, hatten sich erhoben, und nun sprach der Vorsitzende den Geschworenen mit feierlicher Stimme ihren Eid vor, und Einer nach dem Andern erhob die Hand und sprach: »Ich schwör' es, so wahr mit Gott helfe.« Es waren ruhige überzeugungsfeste Stimmen und Jeder, der es hörte, wie hier die innere Wahrhaftigkeit sich laut betheuerte, mußte ergriffen und erschüttert werden; es war eine rechtsprechende Gemeinde, darin ein Jeder aus Herzensgrund sein Bekenntniß aussprach, und über der ganzen Versammlung ruhte eine ernste Gehobenheit, denn die Heiligkeit des Beginnens, der Geist der Wahrhaftigkeit schwebte darüber.

Diethelm sprach den Eid, und wie er die Hand [263] emporhob, fühlte er's, wie wenn eine unsichtbare Macht seine Hand faßte, er senkte sie nicht, bis er sich niedersetzte und jetzt erst eine Müdigkeit fühlte, als wären ihm die Kniee zerbrochen.

Auf der Anklagebank saßen zwei junge Männer, des Complott-Diebstahls beschuldigt. Der verlesenen Anklage gemäß erschien dennoch der Eine mehr als Verführter. Der Staatsanwalt begründete in scharfsinniger Weise die Anklage, seine Stimme hatte etwas zitternd Melancholisches und dieses sowohl wie seine Beweisführungen hatten so viel Bestimmendes, daß der Nachbar Diethelms, der Schultheiß von Rettinghausen, ihm zuraunte: Die sind schuldig. Diethelm antwortete nicht. Mit eingekniffenen Lippen und weit aufgesperrten Augen betrachtete er die Angeklagten: diese finster blickenden Augen, die nur bisweilen zuckten, diese starren Züge, diese in einander gelegten Hände, diese Gestalten mit ihrem ganzen Leben sind in fremde Gewalt gegeben. Dort hinter den Angeklagten sitzt der Landjäger, das gezückte Schwert in Händen. Wie es so gierig blinkt! Das ist das Schwert der Gerechtigkeit über den Angeklagten schwebend. Immer und immer mußte Diethelm denken, wie es diesen Menschen zu Muthe sei, wie die Blicke der Anwesenden sie treffen müssen wie scharfe Schwerter; er konnte diese Gedanken nicht los werden, bis er endlich die Hände zusammenpreßte, ein Schauer durchrieselte ihn und zum Erstenmal betete er in innerster Seele voll Reue über das Geschehene. Vor seinen dreinstarrenden Augen verschwammen die Menschengestalten, nur das blanke Schwert dort an der Wand [264] blinkte und die Stimme des Staatsanwalts tönte. Da erklärte der Vorsitzende die Verhandlung für diesen Morgen als geschlossen und beraumte eine zweite Sitzung auf Nachmittag.

Als jetzt Alles sich erhob, rieb Diethelm sich lange die Stirn und wie taumelnd verließ er den Saal und drängte sich dann hinaus, als würde er festgehalten. Erst in freier Luft fand er sich selber wieder, er trat fest auf und schaute zurück nach dem Gerichtssaal, wie ein Angelandeter dem schwankenden Schiffe nachschaut, das er eben verlassen.

Die Mehrzahl der Geschworenen hatten sich einen gemeinsamen Mittagstisch in einem ihnen genehmen Wirthshause angeordnet und wie von selbst war Diethelm hier der Vorsitzende, zumal da die wenigen »Herren« unter den Geschworenen sich in einen vornehmeren Gasthof begeben hatten. Diethelm fühlte sich ganz wohlgemuth: er war fest überzeugt, daß er heute alles Peinliche seiner Lage überwunden habe und daß nichts mehr über ihn kommen könne.

Es waren hier die gewichtigsten Bauern eines ganzen Kreises versammelt, die sich zum Theil noch nicht persönlich kannten, sie fanden aber schnell eine Einigung und sogar ein allgemeines Gespräch; denn nichts vereinigt die Menschen so leicht als eine Anhänglichkeit oder ein Widerspruch gegen eine Persönlichkeit. Gegen den Steinbauern, der sich bald nach seiner Erledigung heim gemacht hatte, brannte wie beim Scheibenschießen ein Jeder seine Kugel los. Man erzählte sich, daß der Steinbauer das Gerücht verbreitet habe, er werde Jeden [265] unbedingt für schuldig erklären und darum werde er stets abgelehnt werden und könne daheim ausdreschen. Diethelm fand in dem Schultheiß von Rettinghausen und in einem jungen Manne zierlichen Angesichtes, es war der Gemeindeschreiber von Reindorf, fertige Beihülfe, die mit ihm die Gewissenlosigkeit und Niedrigkeit eines solchen Gebarens brandmarkten und schon jetzt zeigte sich die unverwüstliche Ehrenhaftigkeit des Volkscharakters, die nur der rechten Erweckung bedarf: ein Jeder betheuerte mit aufrichtigen Worten, daß er sich nicht um Vieles von einer so schönen Ehrensache losmachen möchte, und wenn nur die Schwurgerichte besonders zur Winterszeit wären, möchten sie immer dabei sein.

Das Gespräch verlief sich nach allen Seiten, und Diethelm ärgerte sich, daß seiner Rede bei Eröffnung des Schwurgerichtes gar keine Erwähnung geschah; er war nicht der Mann, der eine glorreich vollbrachte That gern unbeachtet sah. Nach Tische hatte er indeß die Genugthuung, daß sein Schwiegersohn, der als Assessor bei dem Gerichtshof war, zu ihm kam, und sich zu ihm setzte; bald drängte sich eine große Menschenmenge aus allen Gegenden zu ihm, theils alte Bekannte, theils neue, die ihn wegen seiner ergreifenden Rede kennen lernen wollten. Diethelm klagte indeß seinem Schwiegersohn, daß ihn die Sache doch mehr angreife als er erwartet habe, besonders das lange ruhige Sitzen werde ihm peinlich; der Assessor getröstete ihn aus eigener Erfahrung, daß er sich schon daran gewöhnen werde, und Diethelm lächelte, als er hörte, daß er als Ersatzgeschworener nicht mit zu urtheilen habe.

[266] »So bin ich nur Vorspann für die Gefahr,« sagte Diethelm und dieses Wort setzte sich fest und seit jener Zeit nennen die Geschworenen die Ersatzgeschworenen »den Vorspann.«

Als man am Nachmittag wieder in den Gerichtssaal kam, war die Weihe des ersten Eindruckes zwar verschwunden, aber der Ernst des Unternehmens blieb. Diethelm fühlte sich noch besonders beruhigt, da er nicht zu urtheilen hatte; er lehnte sich bequem in sei nem Stuhle zurück, er betrachtete sich den Saal, der sich in einem alten Deutschmeisterhause befand, aber aus den übereinanderpurzelnden Genien und halbnackten Kriegern an dem Deckengemälde, sowie aus den Stuckarbeiten an den Wänden konnte man nicht klug werden. So oft ein neuer Zeuge beeidigt wurde; schreckte Diethelm zusammen, dieses plötzliche geräuschvolle Sicherheben der ganzen Versammlung machte immer von Neuem einen gewaltigen Eindruck. Ueber die Zeugen aber war Diethelm meist sehr ungehalten; das war ein unbehülfliches Hinstellen und ein Stottern, als ob sie nicht drei Worte zusammenhängend sprechen könnten. Diethelm fühlte, daß er mit Recht eine bevorzugte Stellung in Anspruch nahm. Hätte der Vorsitzende nicht mit Milde und Klugheit und unverwüstlicher Geduld, sowie besonders durch Erfragen unverfänglicher Gegenstände, die Zeugen zum Sprechen und zur Sicherheit des Sprechens gebracht, man hätte kaum etwas erfahren.

Dem Benehmen der Angeklagten widmete Diethelm dabei eine besondere Aufmerksamkeit; bald der Eine, bald der Andere vergaß sich und schaute sorglos und [267] keck darein, bis er sich oft plötzlich besann und sich faßte, und während des Zeugenverhörs schärfte sich oft der Hauptangeklagte die Lippen, indem er mit der Zunge dazwischen hin und her fuhr; dann stemmte er die Hand in die Seite, raffte sich zusammen und richtete sich auf.

Was geht in diesen Menschen vor?

Mitten durch's Herz fühlte Diethelm einen Stich, als er hörte wie die beiden Angeklagten, die doch Genossen bei der That gewesen, jetzt vor Gericht als die bittersten Feinde einander gegenüber standen und sich wechselseitig anklagten.

So wären Diethelm und Medard einander gegenüber gestanden. Diethelm zuckte zusammen und fuhr sich mit der Hand über das Gesicht. Er schaute frei umher und auf seine Mitgeschworenen; er erinnerte sich, wo er saß.

Drei volle Tage mit doppelten Sitzungen dauerte die erste Verhandlung und bei aller ehrenhaften Anhänglichkeit an das Gerichtsverfahren klagten die Mitgeschworenen doch auch manchmal über das fremde Leben in fremder Stadt. Sie fühlten sich unbehaglich, beständig in Sonntagskleidern und der Handarbeit ledig umher zu gehen; dennoch betheuerte Jeder, daß er nicht davon sein möchte und Diethelm hatte nur gegen die Behauptung Einsprache zu erheben, daß man die Sache zu weitläufig behandle. Der Schultheiß von Rettinghausen, der gleich Anfangs sich für ein Schuldig entschieden hatte, erklärte jetzt, daß dieses genaue Erörtern doch Einem erst die Augen öffne, und jene seltsame Seelenstimmung [268] trat in Vielen zu Tage, wo man bald mit Bestimmtheit ein Schuldig aussprechen möchte, bald zweifelvoll ist und wiederum ein Nichtschuldig sich herausstellen will.

Der Schultheiß erwarb sich das Lob eines gutherzigen Menschen, da er darlegte, daß man sich nicht, um zeitig zu seinem Mittagessen oder zu seinem Schoppen zu kommen, verleiten lassen dürfe, über das ganze Lebensschicksal eines Menschen rasch den Stab zu brechen.

Diethelm wurde staunend angesehen, als er sagte, ihm gehe es jetzt, wie ihm der Doctor von G. einmal erzählt habe. Als dieser zum Erstenmal von der Anatomie kam, sah er immer nichts als aufgeschnittene Menschen vor sich, und so gehe es ihm jetzt auch.

Als endlich am dritten Abend die Verhandlung geschlossen wurde und die Geschwornen sich mit den Fragen zurückzogen, war Diethelm froh, daß er nur Vorspann gewesen war und zurückbleiben durfte. Die Geschwornen kamen bald zurück. Der Schultheiß von Rettinghausen war Obmann, er erklärte die beiden Angeklagten für schuldig.

Als die Verbrecher abgeführt wurden, machte sich Diethelm rasch davon; aber unversehens war er an den unrechten Ausgang gekommen, und sah plötzlich den Landjäger mit bloßem Schwerte hinter sich. Glücklicherweise klopfte ihm sein Schwiegersohn auf die Schulter und nahm ihn mit durch die Gerichtsstube.

Am andern Tage bei einer neuen Verhandlung blieb der Name Diethelm in der Urne, und der Steinbauer wurde richtig wiederum abgelehnt.

[269] Diethelm wußte zwar nicht, was er zu Hause beginnen sollte, aber weil er auf mehrere Tage frei war, kehrte er doch heim. Verwundert sah er auf dem Wege, wie das Leben der Menschen draußen, die das nicht miterlebt haben, seinen geregelten Gang fortgeht; sie Alle dachten nicht an die drohenden Gerichtsverhandlungen und wie jetzt zwei Männer auf Jahrzehnte aus der Mitte der Menschen gerissen waren.

Still und in sich gekehrt weilte Diethelm daheim und nur Abends beim Spiel war er lebendig. Die Leute wunderten sich, warum er so wenig vom Schwurgericht erzählte, er aber wollte es sich aus dem Sinne schlagen, und kehrte mißmuthig wiederum am zweiten Dienstag nach der Kreisstadt zurück.

[270]

28. Kapitel

Achtundzwanzigstes Kapitel.

Der erste Mann, der Diethelm begegnete, war der Steinbauer, er schien ihn nicht mehr zu kennen, und in der That hatte sich die Erscheinung Diethelms auffallend verändert. Er trug jetzt einen dunkelblauen Rock mit Kummetkragen, Batten und dunkeln seidenbesponnenen Knöpfen, dazu eine schwarze, bis an den Hals geschlossene Atlasweste und lange dunkelblaue Hosen, nur der Hut war der alte geblieben. Theils um selber die kennzeichnende Bauerntracht los zu sein, theils auch um, wie er hoffte, sich seinem Schwiegersohne genehmer darzustellen, hatte Diethelm seine Erscheinung verändert; überhaupt aber wollte er in jeder Weise ein anderer Mensch sein, er hatte sich genugsam über die Weichmüthigkeit geärgert, die ihn an dem Schicksal der abgeurtheilten Diebe so besondren Antheil nehmen ließ, daß er noch tagelang dachte, wie sie auf den Schub gebracht, im Zuchthaus eingekleidet und in ein fremdes Dasein gebracht werden. Er suchte gewaltsam seinen alten Stolz wieder hervor und stellte sich hoch über »das Lumpenpack, das nichts hat und nichts vermag.«

Als er zu seinem Schwiegersohn kam, bedauerte dieser, daß Diethelm seine ihm wohl anstehende Tracht abgelegt habe. Er ging aber bald davon ab und berichtete mit dem freudigen Bangen, das ein Offizier[271] vor der ersten Schlacht empfinden mag, daß er andern Tags stellvertretender Staatsanwalt sein werde, und zwar in der Angelegenheit Reppenbergers, der erst vor Kurzem eingebracht, aber noch in dieser Gerichtsperiode abgeurtheilt werde, sowohl um ihn nicht noch auf ein Vierteljahr im Salz liegen zu lassen, als auch um rasch ein abschreckendes Beispiel gegen das über Hand nehmende Verbrechen zu geben.

»Ich kenn' den Reppenberger, was hat er denn? Ich hab' noch gar nichts davon gehört;« sagte Diethelm.

»Die Sache war schlau angelegt,« erwiderte der stellvertretende Staatsanwalt, »er hat eine Branntweinbrennerei, hat sie hoch versichert, angezündet und sich davon gemacht; er hat aber nicht an den Zugwind gedacht und das Feuer ist zu früh ausgebrochen, am hellen Tag, man hat gelöscht und gefunden, daß die Fässer, in denen Branntwein sein sollte, nichts als Wasser enthielten. Zwölf Jahre Zuchthaus sind ihm gewiß. Es ist Brandstiftung und Betrug.«

»Das ist ein schöner Spaß.«

»Wie so Spaß?«

»Ich hätt' nicht glaubt, daß Sie mit mir so einen Spaß machen. Das lassen Sie sich gesagt sein, das ist ein Punkt wo man mich nicht anfassen darf, da bin ich kitzlich und hau' um mich, sei es wer es wolle, da versteh' ich keinen Spaß.«

Der Schwiegersohn betheuerte, daß er nur ernste wirkliche Thatsachen berichtet habe und sah Diethelm verwundert an; dieser erkannte schnell, daß er sich anders gebaren müsse, und seine geübte Verstellungskunst [272] kam ihm zu statten, er that als ob er den Vorgang mit Reppenberger schon längst kenne und nur darüber gescherzt habe, da der Schwiegersohn voraussetzen könne, daß er sich von dieser Sache dispensiren lasse; denn diese Verhandlungen griffen ihn überhaupt zu sehr an und zumal die bevorstehende gegen den Reppenberger, der ein alter Bekannter von ihm sei. Der Schwiegersohn bemerkte, daß es Aufsehen machen werde, wenn sich Diethelm gerade hievon dispensiren lasse, er solle vielmehr ihm zu lieb dabei sein.

»Warum Euch zu lieb? Habt Ihr auch noch was im Hinterling gegen mich?« fragte Diethelm und seine Augen rollten.

»Ich meine mir zu lieb, weil ich gern möcht', daß mein Schwiegervater dabei wär', wenn ich zum Erstenmal im Feuer stehe.«

»Ich kann ja auch als Zuhörer dabei sein,« schloß Diethelm, brach ab und plauderte mit seinem Schwiegersohn über Allerlei voll heiterer Laune.

Am Abend machte sich Diethelm auf zu dem Rechtsanwalt Rothmann, der der bestellte Vertheidiger Reppenbergers war; dieser mußte ihm den Gefallen thun und von seinem Rechte Gebrauch machen, die ihm nicht genehmen Geschwornen abzulehnen und dafür aus der Ueberzahl einen andern zu nehmen. Erst im Zimmer Rothmanns fiel ihm ein: daß solch eine Bitte gefährlich und nutzlos sei. Gerade weil er ein alter Freund Reppenbergers war, mußte dessen Vertheidiger ihn festhalten. Er sprach daher auch mit Rothmann Allerlei, aber nichts eigentlich über die Angelegenheit Reppenbergers. [273] Nur beiläufig bemerkte er, daß die Geschwornen bös gestimmt werden, wenn man Sachen, die nicht daher gehören, anbringe. Er hoffte, daß ihn Rothmann verstanden habe und von dem ihn betroffenen Fall nichts erwähnen werde. Rothmann nickte still. Es kam Diethelm der Gedanke, zu dem Vorsitzenden zu gehen und ihm zu sagen, daß er heim müsse, seine Frau sei todtkrank, aber er wagte es doch nicht, dies auszuführen. Er ging noch in das Wirthshaus, wo sich in der Regel die Geschwornen versammelten, und hier kam es endlich zu heftigem Streit zwischen ihm und dem Steinbauer, dessen sicherer aber auch boshafter und verurtheilungssüchtiger Charakter ihm stets zuwider gewesen war.

Mit besonderm Behagen und listigem Augenzwinkern spielte der Steinbauer wiederholt darauf an, daß sie morgen einen Schwarzkünstler (so nannte er stets spöttisch die Brandstifter) einthun wollten, damit die Brandsteuer nicht immer wachse.

Anfangs hörte Diethelm ruhig zu, bis er glaubte, daß Stillschweigen ihm mißdeutet würde, und bald war er mit dem Steinbauer im heftigsten Streit. Der Steinbauer, der stets so kaltblütig und wortkarg war, zeigte sich unbändig wild, wenn er in Zorn gebracht wurde. Er ließ es an gedeckten und doch bitter hässigen Reden gegen Diethelm nicht fehlen, und nur dem Schultheiß von Rettinghausen gelang es, Tätlichkeiten zu vermeiden.

Als trüge er noch all' das Lärmen und Schreien im Kopf, so wirr kam Diethelmendlich in seinem [274] Quartier an und faßte den festen Vorsatz, noch das Letzte zu thun und ohne ein Zeichen der Betroffenheit den morgigen Verhandlungen beizuwohnen.

Mitten in der Nacht erwachte er, er war an einem Schrei aufgeschreckt, den er noch wachend zu vernehmen glaubte. Er hatte im Traume seine Frau krank gesehen, und sie rief ihm mit so jammervoller Stimme, daß sein Herz noch laut pochte. Er machte sich rasch auf, verließ das Haus und die Stadt und eilte heimwärts. Immer fester glaubte er daran, daß seine Frau mit dem Tode ringe und nicht sterben könne, bis er bei ihr sei, und daß sie noch im Tode ihn so sehr liebe, daß sie ihn wegrief von all' den Schrecken, die seiner harrten und denen er vielleicht doch nicht Trotz bieten könne. Die nie ganz erloschene Zuneigung zu seiner Frau flammte in ihm auf, und weinend wie ein Kind rannte er dahin. Am Herbsthimmel schossen Sternschnuppen in weiten Bogen hin und her, mit vertrauender Innigkeit sprach Diethelm beim Aufblicke den Wunsch aus, daß seine Frau leben bleiben und Alles mit ihnen gut sein möge.

Kaum eine Stunde war Diethelm gegangen, als er vor einem Berge wie festgewurzelt stand. Wehe! Von der Bergesspitze herunter kam wie aus dem Himmel heraus eine Heerde Schafe, die blöckten so jämmerlich, wie damals in den Flammen. Diethelm setzte sich nieder und wusch sich die Augen mit dem Thau, der auf dem Grase lag, er wollte gewiß sein, daß er nicht träume. Er schlug die Augen auf, aber immer näher, immer näher kam es wie ein Hirt und eine[275] Heerde, und aus der Brust Diethelms rang sich der Schrei los:

»Was willst du?«

Keine Antwort. Im Laub auf dem Wege raschelten Schritte. Ist das der Gang des Geistes? Es nahte sich und jetzt stand es vor ihm.

»Seid Ihr's Diethelm?« sprach eine Stimme.

»Bist du's Munde?« rang Diethelm heraus.

»Ja. Wie kommt Ihr daher? Was habt Ihr? Aber das geht mich nichts an. Eure Frau schickt mich zu Euch, Ihr sollet gleich heimkommen, sie liegt schwer krank. Jetzt hab' ich's ausgerichtet, und nun red' ich kein Wort mehr mit dem Diethelm, so lang er lebt.«

»O Himmel! O Himmel! Ich hab's geahnt, daß meine Frau todtkrank ist,« schrie Diethelm. »Hilf mir auf Munde, ich kann ja nicht aufstehen.«

»Meinetwegen. So,« sagte Munde, ihn aufrichtend, »Ihr seid mein Feind, aber ich will's doch thun.«

»Ich bin nicht dein Feind, gewiß nicht, gewiß nicht, Munde, glaub' mir. Meine Frau weiß das auch. Warum hat sie just dich geschickt?«

»Sie hat mich grad in der Stunde, wo ich zum Manöver fortgewollt hab', rufen lassen und hat mich noch gebeten, Euch gut Freund zu sein. Ich hab's ihr aber nicht versprechen können. Nie, nie werde ich Euch gut Freund, so gern ich auch Eurer Frau noch was Gutes gethan hätt'. Ich muß meinem Vater vor Allem Wort halten, und lügen kann ich nicht, auch nicht zu Einem, das stirbt. Ich hab' Eurer Frau versprochen, Euch gleich zu melden, daß Ihr heimkommen sollet. Ich hab' [276] mein Versprechen gehalten und will nicht darnach forschen, warum Ihr in einsamer Nacht da umherläuft. Daneben leg' ich Euch nichts in den Weg, vor mir kann der Diethelm ruhig sein, wenn er's vor sich auch kann.«

Schnell eilte Munde davon und hörte nicht darauf, daß ihm Diethelm noch nachrief, er möge ihn begleiten.

Wie traumwandelnd ging Diethelm in die Stadt zurück. Im Umschauen gewahrte er wieder die zerstreuten weißen Punkte auf dem Berge und jetzt erinnerte er sich, daß das ja nur Kreidefelsen waren, die hier zu Lande auf den Bergen liegen gelassen werden, um die Dammerde vor Abschwemmungen zu wahren. Im Wirthshaus schrieb er einen Brief an den Vorsitzenden und schickte ihn doch nicht ab; er wartete mit Ungeduld auf den Morgen und eilte in aller Frühe zu dem Vorsitzenden, ihm ankündigend, welche Botschaft ihm ein Soldat gebracht, den er genau bezeichnete. Der Vorsitzende entließ ihn und Diethelm hörte kaum, daß heute ohnedieß keine Sitzung sei. Noch einen Augenblick sah er seinen Schwiegersohn und bat ihn, Fränz von dem Geschehenen zu benachrichtigen, dann fuhr er mit Extrapost heimwärts, er fand aber seine Frau nicht mehr am Leben und hörte nur von der Frau Kübler, wie innig sie seiner gedacht und immer gerufen habe: »Du bist unschuldig. Du bist mein braver Diethelm.«

In seinem aufrichtigen Schmerze tröstete ihn der Gedanke, daß sie in diesem Glauben gestorben war. Er machte eine namhafte Stiftung zu ihrem Andenken und war überaus mild und freigebig.

[277]

29. Kapitel

Neunundzwanzigstes Kapitel.

Von Fränz war ein Brief aus der Kreisstadt gekommen; sie hielt sich dort bei den Eltern ihres Bräutigams auf, hatte die Todesnachricht erfahren und fragte, ob sie nun dennoch heimkommen solle und wenn dieß der Vater wünsche, möge er ihr Jemand zum Geleite schicken, da es nicht mehr für sie passe allein zu reisen. Dieser Brief war für Diethelm voll Betrübniß, er sah darin auf's Neue die Herzlosigkeit seines Kindes, das nicht über Alles hinweg zu ihm eilte, um ihn nicht allein seinem Schmerze zu überlassen und am Grabe der Mutter mit zu weinen. Ja, Diethelm fühlte, daß er in seiner Frau nicht nur eine treue Ehegenossin, sondern auch eine mütterliche Sorgfalt verloren, die allezeit fest und unbeirrt ihm sich zuwendete. Er ging im Dorfe mitten unter den Menschen umher wie ein in Waldesdunkel verirrtes Kind, so verlassen, so hülflos erschien er sich. Was nützte ihm all die Ehrerbietung und zuthuliche Theilnahme der Menschen? Das waren doch nur Bettelpfennige, die man dem Hülflosen am Wege zuwirft und ein Jedes ging schließlich doch seinem eigenen Lebenskreise und seiner Lustbarkeit nach und ließ ihn mit sich allein. Mit der jungen Frau Kübler zankte Diethelm stets, sie machte ihm [278] nichts recht, das war Alles anders gewesen zu Lebzeiten der Meisterin.

Der Vetter Waldhornwirth hatte ihn gar noch gekränkt, denn als ihm Diethelm über das herzlose Wesen der Fränz Klage führte, hatte er gesagt:

»Ich wüßt' was ich thät', das hoffährtige Mädchen bekäme mir eine junge Mutter. Ihr seid ein Mann in den besten Jahren und ich will für Euch freiwerben, ich weiß, wo ich anklopfe wird mir aufgemacht, ein neues Haus und eine neue Frau.«

Diethelm schrieb der Fränz, sie solle an einem bestimmten Tag in der Kreisstadt seiner warten und er bereitete nun Alles vor, um Buchenberg auf ewig zu verlassen; einstweilen, bis er einen schicklichen Käufer gefunden, übergab er dem Vetter Waldhornwirth Alles zur Ueberwachung. Es gingen aber doch noch Tage darauf bevor er fortkam, da waren noch hunderterlei Sachen abzuwickeln und diese Tage wurden ihm zur höchsten Pein; der Geist, der aller gewohnten Umgebung bereits Ade gesagt und doch noch mitten in ihr steht, erschien wie ein ruheloses Gespenst, das noch umwandeln muß. Endlich am zehnten Tage nach seiner Rückkehr fuhr Diethelm allein mit seinen Rappen davon. Er drückte den Hut tief in die Stirn und schaute nicht rechts und nicht links und erst als er die kalte Herberge hinter sich hatte, athmete er frei auf.

Das Reisen im frischen Herbsttage, das Fahren im eigenen Gefährte belebte ihn wieder neu und am zweiten Mittage kam er wohl gekräftigt in der Kreisstadt an. Fränz, die er bei den Schwiegereltern traf, klagte[279] und weinte viel und doch schien es Diethelm, als ob sie Manches nur erkünstle, um vor den Schwiegereltern als gute Tochter zu erscheinen; sie ging so straff und aufrecht umher, ihre Trauerkleidung war so wohlgeordnet, sie erschien darin schöner als je und trug gekräuselte Scheitelhaare. Diethelm betrachtete sie oft still forschend als wäre sie gar nicht seine Tochter und in der That war Fränz eine zierlich schlanke Dame geworden; nur die breiten Hände, die sich noch durch Flormanschetten besonders hervorhoben, zeigten die ehemalige Bäuerin. Als sie einen Augenblick mit dem Vater allein war, sagte sie schnell:

»Der Munde ist auch in der Stadt, er ist beim Manöver, ich hab' ihn gesehen.«

»Was geht dich der Munde an?« entgegnete Diethelm zornig und noch ehe etwas erwidert werden konnte, trat der Schwiegersohn ein; er trug einen Flor um den Hut und sprach aufrichtige Worte des Mitgefühls um den Tod der Schwiegermutter.

Diethelm schwieg und lange redete Keines der Anwesenden ein Wort. Der Staatsanwalt hielt still die Hand der Fränz, die auf dem Tritt am Fenster saß. Diethelm fragte endlich nach den Gerichtsverhandlungen, von denen er gar nichts mehr gehört und wie die Sache Reppenbergers ausgegangen sei.

»Die ist noch nicht aus,« erhielt er zur Antwort, »sie ist die letzte Tagesordnung für Morgen. Der Schelm hat sich krank gemacht, er hat den Kalk von seinen Gefängnißwänden abgefressen, so daß er ganz schwarz wurde; es ist möglich, daß er sich tödten wollte, [280] es kann aber auch sein, daß er nur seine Untersuchungshaft noch um ein Vierteljahr hinauszuziehen hoffte; aber wir haben ihn so hergestellt, daß er morgen vor die Bank der Zwölf Männer kommt, und Sie müssen dabei sein, Schwäher, Sie müssen.«

Diethelm preßte die Lippen fest zusammen und trappelte mit den Füßen rasch auf den Boden. Hatte denn der Teufel sein Spiel mit ihm, daß er ihm diese Geschichte aufbewahrte und sie ihm wie einen Fallstrick abermals vor die Füße warf?

»Ich muß? Warum muß ich? Wer kann mich zwingen? Ich bin dispensirt. Wer will mich zwingen?« sagte er endlich und bebte in allen Gliedern.

Der Staatsanwalt erwiderte, es sei gut, daß das niemand Anders gehört als er; er ließ die Hand der Fränz los und fuhr fort zu berichten, daß der Advokat Rothmann, der Vertheidiger Reppenbergers darauf bestehen werde, Diethelm auf der Schwurbank zu sehen; lasse er es darauf ankommen, daß der Gerichtshof darüber entscheide, so mache das großes Aufsehen und rühre Altes, Eingeschlummertes wieder auf, das ohnehin sich schon wieder geregt habe, drum sei es am Besten: Diethelm melde sich freiwillig.

»Das thu' ich aber nicht,« sagte Diethelm aufstehend, »ich nehm' meine Fränz mit und reise noch in dieser Stunde nach Buchenberg. Was redet man von mir? Sagt's frei heraus.«

Mit der größten Behutsamkeit erzählte der Staatsanwalt, daß schon als Diethelm so rasch abgereist war, sich von Böswilligen ein verdächtiges Gerede über ihn [281] kundgegeben habe, für dessen ersten Urheber er den Steinbauer halte. Als sich nun herausgestellt, daß die Schwiegermutter wirklich gestorben sei, habe Alles geschwiegen. Wenn er aber jetzt abreise, gerade bevor man die Thüre zu dieser Verhandlung öffne, werde sich der Verdacht wieder regen, und er sei es sich und seinen Kindern schuldig, gerade zu zeigen, daß er jeder Oeffentlichkeit sich mit freier Stirn blosstellen könne. Diethelm weigerte sich noch immer, und Fränz stellte sich auf seine Seite, indem sie zu ihrem Bräutigam sagte:

»Gustav, du bist sonst so lieb und gut und bist ein Herzenkenner, aber du kannst nicht ermessen, wie schwer das Gerichthalten dem Vater ankommt. Du bist es das ganze Jahr gewöhnt.«

»Ja, Ihr seid Menschenmetzger und habt kein Mitleid mehr,« fuhr Diethelm auf.

Der Staatsanwalt schluckte den Aerger über diesen Vorwurf hinab, und sagte, die Hand Diethelms fassend:

»Jetzt sag' ich wirklich, thun Sie es mir zulieb, ich kann es um Ihrer und meiner Ehre willen nicht dulden, daß nur ein Augenblinzeln meiner Collegen Den beleidige, den ich Vater nenne. Thun Sie es, so hart es Sie auch ankommt, um unserer Ehre willen. Ich bitte dringend.«

»Brauchet nicht so bitten,« sagte Diethelm mit gepreßter Stimme, denn es wollte ihn bedünken, daß sein Schwiegersohn auch nicht frei von Verdacht war, »brauchet nicht so bitten. Ich thu's, ich thu's.«

Der Staatsanwalt wollte ihn umarmen, aber Diethelm wehrte ab.

[282] Alles war nun so heiter, als es die Trauerpflicht zuließ und ohne noch irgend ein Bedenken in sich aufkommen zu lassen, ging Diethelm zu dem Vorsitzenden und meldete sich freiwillig. Es wird ja noch immer geloost, und er kann frei werden, und ist es nicht, so wollte er sich als Mann zeigen, beschwichtigte er sich. Seine ganze trotzige Kraft war wieder in ihn zurückgekehrt.

Am Morgen, als die Gerichtsverhandlungen begannen, wurde Diethelm von seinen Schwurgenossen herzlich bewillkommt; nur der Steinbauer blickte vor sich nieder und Diethelm heftete seinen Blick so lang auf ihn, bis er aufschaute und dann wie getroffen das Haupt wieder senkte. Das war ein Triumph, der schon viele Beschwerden aufwog. Auch der Rechtsanwalt Rothmann bewillkommte Diethelm herzlich und lobte ihn wegen seines Wiederkommens. Bei jedem Namen, der aus der Urne gezogen wurde, war Diethelm voll Spannung und er hatte wirklich die Freude, daß schon die Zahl elf voll und er noch nicht unter den Gezogenen war; aber nun machte Rothmann von seinem Ablehnungsrecht Gebrauch und verwarf sechs der Ausgeloosten, bis Diethelm endlich als Letzter doch noch unter die Zahl der Geschwornen kam. Er nickte ruhig und setzte sich auf seinen Platz.

Im Gerichtssaal war der Zuhörerraum, der nur durch ein Gitter abgeschieden war, gedrängt voll und in der Loge der Schwurbank gegenüber saß ein Mädchen in Trauerkleidern: es war Fränz, die mit doppelt bangen Gefühlen Vater und Bräutigam in öffentlicher Wirksamkeit sah.

[283] Sie hatte sich kindisch gefreut, als dieser am Morgen bei ihr eingetreten war in der schönen Uniform, sie hatte den blauen Militärfrack mit amaranthrotem Kragen, das Bandelier mit dem goldgefäßigen Degen und den Tressenhut mit wahrem Jubel bewundert.

Die Anklageschrift wurde verlesen und der Staatsanwalt schilderte mit hinreißender Beredtsamkeit die Verruchtheit eines Verbrechens, das immer mehr über Hand zu nehmen drohe, Eigenthum, öffentliches Vertrauen und öffentliche Moral zerstöre: und beschwor die zwölf Männer aus dem Volke durch ihr Schuldig dieser Alles verheerenden Ruchlosigkeit einen Damm zu setzen. Fränz beugte sich weit heraus, die glänzende Rede ihres Bräutigams, sowie seine Erscheinung mußten ihr sehr gefallen. Reppenberger benahm sich klug und gewandt mitten in allem Kreuzverhör und wußte Alles auf die unschuldigste Weise zu erklären, ja er verstand es sogar mehrere Zeugen durch Fragen, die er an sie stellte, zu verblüffen. Den Betrug schob er auf seinen Geschäftsgenossen, der, vor Kurzem entflohen, ihn betrogen habe, und nun hätten schlechte Menschen ihm Feuer angelegt. Gegen Diethelm und die Geschwornen überhaupt schaute der Reppenberger kaum auf, er hielt den Blick fast ausschließlich auf die Richter gewendet, und nur manchmal beugte er sich hinter die Brüstung nieder und nahm eine Prise aus seiner bekannten birkenrindenen Dose. Eine große Zahl von Belastungs- und Entlastungszeugen wurde verhört und Diethelm stellte an diese sogar selbst einige sachgemäße und entscheidende Fragen.

[284] Mittag war längst vorüber, als das sogenannte Plädoyer begann. Rothmann schilderte in ergreifender Rede das Loos des Angeklagten, der sich redlich wieder emporgearbeitet habe, und nun, weil er einmal in Elend versunken gewesen war, dem lauernden Verdacht und der boshaften Schadenfreude nicht entgehe. So eifrig auch Rothmann seinen Schützling vertheidigte, er ließ sich doch nie zu jener heillosen, alle Sittlichkeit verkehrenden Weise verleiten, wo es immer heißt: »Es ist meine heiligste innigste Ueberzeugung,« während dieß keineswegs immer der Fall ist. Er verhielt sich ganz gegenständlich und suchte nur die Möglichkeit eines andern als verbrecherischen Vorganges in's Licht zu setzen. Es war nicht minder klug als ehrenhaft, daß er die über Hand nehmende allgemeine Entsittlichung durch die muthwilligen Brandlegungen schilderte: wie der erste Gedanke beim Vernehmen der Sturmglocke nicht mehr Mitleid, sondern im besten Falle Zorn sei, in der Regel aber ein teuflisches Frohlocken, daß es gelinge, den Staat zu Gunsten eines Schurken zu betrügen, wie da Alles müßig umherstehe und oft die Zimmerleute noch in Hoffnung auf Verdienst durch den Neubau und den Dank des Abgebrannten dem Feuer Luft machen.

Vom aufrichtigen Beklagen dieser Entsittlichung ging er auf die Unschuld seines Schützlings über, und jetzt wendete er sich an die Schwurbank und rief: »den Ehrenmann« dort, der selbst einmal unter so nichtiger Anklage gestanden, auf, bei seinen Mitgeschwornen auf eine leidenschaftslose Prüfung der vorliegenden Umstände hinzuwirken.

[285] Der Staatsanwalt unterbrach den Vertheidiger und verlangte von dem Gerichtshof, solche unangemessene Anrufung als unerlaubt zurückzuweisen und dem Vertheidiger eine Rüge zu ertheilen. Rothmann widersprach, und der Gerichtshof zog sich zurück; es entstand eine Pause, in der Diethelm starr dreinschaute, keine Miene zuckte. Der Gerichtshof trat bald wieder ein und erklärte, daß dem Vertheidiger für das Gesagte keine Rüge zukäme, daß er aber solche persönliche Anrufung fortan unterlassen müsse. Rothmann fuhr nun fort, mit großem Geschick die Schuld von dem Angeklagten zurückzuweisen. Der Staatsanwalt entgegnete mit gesteigertem Eifer, und besonders eine Hinweisung machte Diethelm den Kopf schütteln, da der Staatsanwalt sagte: der Angeklagte hat gleichsam als Sühne für sein Verbrechen an einer Menschenwohnung sich aus den Kerkerwänden den Tod geben wollen.

Der Vorsitzende faßte endlich Alles klar und übersichtlich zusammen, worauf er die Fragen stellte. Rothmann griff die Fassung derselben an, und es begann bereits zu dämmern, als die zwölf Männer sich in ihr Berathungszimmer zurückzogen. Einstimmig und vom Steinbauer zuerst vorgeschlagen, wurde Diethelm zum Obmann gewählt. Er widersprach und verlangte, daß ein Anderer für ihn einstehe, da er selbst in die Verhandlung gezogen sei; aber der Steinbauer widersprach mit lauernd frohlockendem Blick. Diethelm wollte den Gerichtshof entscheiden lassen, er wollte hinaus, er hatte vergessen, daß die Thüre hinter ihnen geschlossen blieb, bis sie den Wahrspruch gefällt hatten, wenn sie nicht [286] über die Fragestellung sich eine Erklärung holen wollten. Plötzlich war es ihm, als wäre er mit wilden Thieren eingesperrt, die ihn zerfleischen wollten. Er verlangte nach einem Schluck Wein, nach einem Bissen Brod, aber dieß war den Schwurrichtern versagt, bevor sie ihr Amt vollendet. Diethelm fühlte seine Wangen brennen, ein Hungerfieber machte ihn zittern. Sich aufrichtend und mit gewaltiger Stimme las er die aufliegenden Anweisungen für die Geschwornen vor und leitete die Verhandlung. Auf dem Tische lagen die Akten des Verweisungserkenntnisses. Der Steinbauer sagte, man möge doch wenigstens die Aktenschnur aufmachen, damit es nicht den Anschein habe, als ob man sich gar nichts um die Akten gekümmert habe. Es war Diethelm gelegen, diese kindisch heuchlerische Anforderung zu züchtigen, er erklärte, daß man nur nach dem zu urtheilen habe, was man selbst gehört. Die Verhandlung war bald geendet, und Diethelm sammelte die Stimmen; er selber sprach: Schuldig.

Nach einer gräßlichen halben Stunde trat er an der Spitze der Geschwornen in den Gerichtssaal. Er war erleuchtet und Alles sah doppelt feierlich aus; ein Zischeln ging durch die Zuhörer, der Gerichtshof trat von der andern Seite ein und der Angeklagte wurde wieder vorgeführt; hinter ihm blitzte das blanke Schwert. Todtenstille herrschte, Diethelm stand, die rechte Hand auf das Herz gelegt und wollte eben den Wahrspruch verlesen. Da drängte sich ein Schäfer im weißen, roth, ausgeschlagenen Zwillichrock an das Gitter der Zuhörer; [287] er erhob den Arm weit hinüber über das Gitter und auf Diethelm deutend hörte man ihn laut sagen:

»Ich will sehen, wie der Diethelm einen Brandstifter verurtheilt.«

Mit einem Schrei des Entsetzens rief Diethelm: »Du da? Du da? Medard? Ja, ja, Ich;« er schlug sich auf die Brust, daß es dröhnte. »Ich, ich, ich bin schuldig, hab' dich verbrannt, Alles verbrannt. Ich, ich, ich bin schuldig.«

Er brach in die Kniee, die Schwurgenossen wichen von ihm zurück; von oben hörte man einen Hülfeschrei, eine Frauengestalt in Trauerkleidern wurde ohnmächtig weggetragen.

Die Schwurbank wurde zur Bank der Angeklagten.

Der Vorsitzende erklärte die Verhandlung aufgelöst, zwei Angeklagte wurden abgeführt, es waren der Reppenberger und Diethelm.

[288]

30. Kapitel

Dreißigstes Kapitel.

Das Herbstmanöver war zu Ende und Munde hatte seinen Schäferrock angezogen, ohne daran zu denken, daß ihm sein Vater einst befohlen in diesen Kleidern des ermordeten Bruders vor Diethelm hinzutreten und ihm das Geständniß abzupressen. Er hatte gehört, daß eben die letzte Gerichtsverhandlung stattfinde und sich zu derselben gedrängt. Fast unwillkürlich hatte sich sein lang verhaltenes feindliches Grollen in jenen Worten Luft gemacht, die Diethelm so plötzlich zum Geständniß seiner Schuld brachten. Er mußte nun in der Stadt bleiben, um bei der wieder aufgenommenen Untersuchung gegen Diethelm als Zeuge zu dienen. Er machte nur die Angabe von dem, was ihm sein verstorbener Bruder gesagt, von den Mittheilungen der Fränz schwieg er; denn er hatte trotz des sympathetischen Gegenmittels noch Liebe genug zu ihr, um nicht auch sie in's Elend zu stürzen und sie zu zwingen, gegen den Vater Zeugniß abzulegen.

Fränz erhielt noch am Abend einen Besuch von ihrer Schwiegermutter, ihr Bräutigam ließ ihr auf die schonendste Weise, die aber doch nicht minder schmerzte, Lebewohl sagen. Der in Diethelm ertödtete Haß gegen die Welt setzte sich nun in Fränz fest.

[289] Diethelm gestand im ersten Verhör seine ganze That mit allen ihren wechselnden Stimmungen bis in die Einzelumstände hinein, aber manchmal sprach er doch verworrene Worte, über die er jedoch bald wieder hinweg kam. Er klagte jämmerlich über die unvertilgbare Kellerkälte, die ihn so sehr plage, und verlangte den rothausgeschlagenen Rock Medards, der ihm allein warm machen könne und in dem er zum Richtplatze gehen wolle.

Die scheinbare Geistesverwirrung Diethelms löste sich wieder. Er verzichtete ausdrücklich auf die Verhandlung vor dem Schwurgericht, wurde aber, da diese Bestimmung der Grundrechte noch galt, nicht zum Tode, sondern zu lebenslänglichem Zuchthaus verurtheilt.

Im Zuchthause zu M. saß drei Jahre lang ein zusammen geschnurrtes Männchen, dürr und gebeugt, das immer fror und sich die Hände rieb und mit den Zähnen klapperte; es war schwer in diesem Männchen den einst so stattlichen Diethelm wieder zu erkennen. Dumpf und lautlos verhielt sich der Sträfling und nur manchmal bat er mit aufgehobenen Händen um die Gnade, Holz hacken zu dürfen, da diese Arbeit allein ihn vom Froste erlöse. Erst nach drei Jahren des Wohlverhaltens wurde ihm diese Gnade gewährt und nachdem er die ersten Splitter von den zähen Baumstümpfen gelöst und die Keile eingetrieben hatte, fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und betrachtete frohlockend die Schweißtropfen, die er abgewischt hatte. Auf's Neue erhob er mit Macht die Axt und die zusammengeschrumpfte Gestalt wurde bei jedem Schlage [290] größer und gewaltiger. Das war wieder der Diethelm von Buchenberg. Plötzlich schrie er laut auf: »Heraus, heraus will ich!« und zerschmetterte sich mit dem Beile das Hirn.

Eine Leiche sank unter die Splitter der Baumstümpfe.

Der anfängliche Wahnsinn Diethelms gab dem Advokaten der Fränz Gelegenheit, die Ansprüche der Feuer-Versicherungsgesellschaft in Frage zu stellen und ein langwieriger Rechtshandel schien sich daran zu knüpfen, den Fränz mit eiserner Unbeugsamkeit und mit Dransetzen eines großen Theils ihres Muttergutes fortführte.

Sie wohnte allein mit einer Magd in dem großen neuen Hause in Buchenberg, kleidete sich wieder in Landestracht und that lustig; sie behielt die Rappen ihres Vaters und fuhr oft damit nach der Stadt zur Betreibung ihres Rechtshandels.

Rothmann brachte noch vor der Wiederherstellung Diethelms einen Vergleich zu Stande, der Fränz noch immer zu einer der reichsten Erbinnen im Oberlande machte. Man sagte, daß sie doch noch den Munde heirathe. Dieß trat aber nicht ein.

Die Missionen kamen in das Oberland und wühlten alle Herzen auf. Ergreifend vor Allen wirkte jener Missionär, den Fränz im Wildbade kennen gelernt hatte. Fränz ward die Stifterin eines Jungfrauenbundes in Buchenberg und die erste Schwester desselben.

Auf den Bahnhof in Friedrichshafen am Bodensee kam eines Tages ein großer Zug von jungen Burschen und Mädchen, sie weinten Alle beim Abschiede von einer abgehärmten Mädchengestalt, die eine Nonne[291] geleitete und schauten ihr noch lange traurig nach als sie mit dem Dampfschiff nach der Schweiz fuhr.

Das schöne Haus in Buchenberg gehört jetzt dem Kloster Einsiedel in der Schweiz. Wer weiß, welche Bestimmung es haben soll!

[292]

Sechster Band.

[1] Brosi und Moni.
(1852.)

[1][3]

Brosi und Moni

Brosi und Moni.

Wie Geigen- und Klarinettenton klingt es in der ganzen Umgegend von Haldenbrunn wenn man diese Namen nennt, und allerorten heißt es: so giebt es keine Menschen mehr, so lustig und so gut und so glücklich.

Es ist eine Freude, solche Menschen gekannt zu haben und eine höhere Freude, sie Andern bekannt zu machen und ihnen damit eine reine Erquickung zu schenken. Aber freilich, das geht schwer. Wer nicht ein Auge mitbringt, in dem die Menschenliebe leuchtet, und wer nicht seine Lust hat an unverwüstlichem Lebensmuth – der wird am Ende weiter nichts sehen als zwei alte knochendürre Gestalten.

Wir gehen ab der Landstraße einen ziemlich schroffen Berg hinan, der Weg ist mehr mit Schlitten als mit Wagen befahren und hüben und drüben stehen dunkle Tannenwälder, drin der Kukuk ruft und die Holzaxt schallt. In Klaftern aufgeschichtetes Brennholz verbreitet in der Mittagssonne einen eigenthümlichen Harzduft, jetzt haben wir das Dorf erreicht und sehen, daß wir nur einen Vorhügel erstiegen, denn hinter ihm [3] dehnen sich fast unübersehbar weit hinaus hohe Waldberge. O wie erquicklich ist es, wenn man im heißen Mittag über den Berg kommt und aus dem Wald heraustretend ein Dorf in grünen Obstbäumen vor sich sieht; da lernt man verstehen, was es heißt, sich nach dem kühlen Wein sehnen. Es ist Niemand auf der Straße, den wir nach dem besten Wirthshaus fragen können, ist aber auch nicht nöthig; dort gegenüber dem Röhrbrunnen jenes helle Haus mit dem Ziegeldache hat seinen Wegweiser, der blecherne Auerhahn mit ausgespreiztem Schweif, den es im Schilde trägt, schaut vergnüglich auf euch nieder. Er ist Alleinherrscher und kein Anderer neben ihm. Es ist ganz am Platze, daß man dem einzigen Wirthshaus im Walddorfe den Auerhahn zum Schilde gegeben, der hier noch lebendig nistet; und noch dazu gehört jetzt das Wirthshaus dem Revierförster, der es erheirathet hat, seitdem die Beamtung aufgab und sich dem einträglichern Holzhandel widmet. Wir treten in die geräumige getäfelte Stube, an deren oberem Ende ein Stück Brett in die Decke neu eingesetzt ist. Wir werden schon später erfahren, warum. Es ist Niemand daheim als das wohl kaum fünfzehnjährige Wirthstöchterlein, das emsig aus einem Buche abschreibt. Flink eilt es auf unser Geheiß in den Keller.

Die Welt ist doch schön eingerichtet für den, der Geld im Sack hat. Hier oben, wo kaum die Holzäpfel reif werden, beherbergen die guten Menschen kräftigen Unterländer Wein, der nur auf den Ruf aus lechzender Kehle wartet.

[4] Wollt ihr wissen, was das junge Wirthstöchterlein im heißen Mittag einsam schreibt? Lächelt nur, es sind französische Vokabeln. Der Herr Revierförster (denn ein Titel stirbt nicht aus) lassen jede Woche zweimal den geschickten Lehrer von Endringen kommen, der muß das Töchterlein vorbereiten, bis er es nach dem nahen Straßburg auf ein Jahr in ein Pensionat thut.

Die geschminkte Vornehmigkeit und der deutsche Bedientengeist finden ihren Weg in die entlegensten Walddörfer.

Es hat aber damit doch noch keine Gefahr. Fragt den Mann, der jetzt mit seinem schindelnbeladenen Gefährte vor dem Wirthshaus hält und die Peitsche im Schooß einen Schoppen Most trinkt, fragt ihn nach dem Brosi, und er wird euch sagen, »das war ein alter Deutscher,« und darunter versteht man doch noch immer einen schlichten, gerechten Mann von Treu und Glauben.

Hier in der Wirthsstube hat der Brosi viele schöne Stunden verbracht, die gerippten Gläser, die dort auf dem Brette auf den Kopf gestellt sind, hingen gewiß alle schon an seinen Lippen.

Es ist hier gerade der rechte Platz, seine Lebensgeschichte zu erzählen.

[5]

1. Kapitel

Erstes Kapitel.

Seht dort den weißen Kirchthurm mit gestaffeltem Giebel, just so lang als der im Dorfe steht, ist der Brosi auch da; sie stammen auch Beide aus Einem Ort, denn die großen Quader sind in Endringen an's Tageslicht gebracht und der Brosi auch; und der Brosi hat geholfen diese Steine einfugen, und als man zum Erstenmal vom Thurm läutete, ging der Brosi mit seiner Moni in die Kirche und wurde als Ambrosius Heller mit Monika Kreitter feierlich getraut.

Damals war der Brosi noch ein frischer Bursch und hatte Backen fast so roth als wie die Purpurnelken in seinem Hochzeitstrauß; er that einen Schwur, so lange er ein Bein heben könne, auf jeder Hochzeit und jeder Kirchweih im Dorfe zu tanzen und er hat diesen Schwur ein gutes halbes Jahrhundert treulich gehalten.

Der Brosi erzählte immer gern, wie er zu seiner Frau gekommen und sagte dabei immer, er habe sie sich »ermauert«.

Endringen liegt eine gute Stunde entfernt an der jenseitigen Abdachung des zweiten Vorberges. Von dorther kam der Brosi jeden Morgen sobald der Tag graute, und wenn er über den Sieg des Forlenbaches ging, [6] der an Haldenbrunn vorbei thalwärts rollt, – es ist ungewiß, ob der Bach seinen Namen von den Forellen in seinem Wasser oder von den Forellen an seinen Ufern hat, – da schaute Brosi jedesmal nach einem kleinen ärmlichen Häuschen, das dort neben einem kleinen dicht mit Zwetschgenbäumen besetzten und mit fuchsig gewordenen Tannenzweigen umzäunten Grasgarten steht. In dem Häuschen war immer schon so früh am Tage Jemand wach, die offene Stallthür zeigte, daß das erste Geschäft des Tages, das Reinigen des Stalles, vorgenommen wurde; und sei es, daß die Arbeit bereits so weit gediehen, oder daß das Auftreten des schlanken jungen Maurergesellen auf dem dröhnenden Stege dazu gemahnte: in der Regel erschien eine junge Mädchengestalt mit einem Besen unter der Thüre, vom Steg aus wurde ein heller »Guten Morgen« gerufen und von der Thür aus mit einem regelmäßigen »Schön Dank« erwidert. »Auch schon fleißig?« setzte dann der Maurergeselle noch hinzu, »Ein bisle,« lautete die Antwort. Der Maurergeselle ging vorüber und schwenkte das bunte Tuch, das er in der Hand trug und in das er seinen Topf und sein Brod gewickelt hatte, noch schneller hin und her.

Noch nach Jahrzehnten konnte Brosi seine Frau damit necken, daß er eben nicht sehr zart sagte: »Ich hab' dich zuerst als Hexe mit dem Besen und auf dem Mist gefunden.«

Mit dem Morgengruß in der Seele ging Brosi an die Arbeit und war allzeit wohlgemuth, obgleich er sich lange nichts dabei dachte; ja, als dies geschah,[7] redete er sich's aus, denn er war ja eben so lustig, wenn ihn aus dem Schiebfensterchen zuerst die alte Frau mit kahlem Scheitel begrüßte.

Endringen ist nicht so weit von Haldenbrunn entfernt, daß der Brosi nicht die Verhältnisse dieses Hauses genau kannte. Es waren gerade zwölf Jahre, Brosi war damals siebzehn Jahre alt, und vom Speisbuben zum Maurer emporgestiegen, als der Maurermichele von Haldenbrunn in Nellingen vom Dach stürzte und auf dem Platze todt blieb. Die Wittwe, Rosine mit ihrem Taufnamen, die ehedem in der Apotheke der drei Stunden entfernten Amtsstadt als Magd gedient hatte und darum das Apothekerrösle genannt wurde, nährte sich nun davon, daß sie im Walde und auf den Wiesen allerlei Kräuter und Wurzeln für die Apotheke sammelte. Daneben trieb sie einen Butter- und Eierhandel und die Bauernfrauen gaben mit innerm Widerstreben aber äußerlich freundlich ihr die verkäuflichen Vorräthe, weil sie fürchten mußten, daß das Apothekerrösle ihnen die Kühe und Hühner verhexe; die Männer dagegen, die sich auf ihre Aufklärung was zu gute thaten, behaupteten, das Apothekerrösle sei deshalb allzeit so aufgeweckt und habe noch in alten Tagen so flimmerige Augen, weil es bei seinen Stadtgängen tief in's Glas gucke. Ausgemacht war aber jedenfalls, daß das Apothekerrösle eine scharfe aufgeweckte Frau war, die auf jedes Vorkommniß eine Auskunft bereit hatte, so sicher als der Apotheker seine Mittel in Gläsern und Kolben geordnet und leicht zu finden hat. Die beiden älteren Töchter des Apothekerrösle dienten in der Schweiz, [8] wohin schon damals des größeren Lohnes wegen der Zug der Dienstboten sich lenkte; die jüngste Tochter war daheim und konnte jetzt nicht mehr in die Fremde, da die Mutter plötzlich lahm geworden war. Die Rede ging: in Kronweiler habe ein Bauer in der Nacht einer schwarzen Katze, die im Stalle einen Rappen ritt, daß er schäumte, den Fuß abgeschlagen, und das sei das Apothekerrösle gewesen. Wenn das Apothekerrösle mit ihrem von jahrelangem Korbtragen ganz kahl gewordenen Vorderkopf Jemanden zum Fenster heraus grüßte, dankte man schnell mit einem frommen Gruß, damit man kein Leid erfahre.

Brosi war nicht frei vom Hexenglauben, so gern er sich das auch ausredete; jetzt aber empfand er gar keinen Schreck, wenn ihn das Apothekerrösle am frühen Morgen grüßte, im Gegentheil, es muthete ihn heiter an, und er war oft versucht, das der Alten zu sagen, die gewiß um die üble Nachrede, die sie verfolgte, bekümmert war; aber es war doch besser, sich hier gar nicht einzulassen, denn Brosi fühlte, daß er nichts von der Mutter zu gefährden habe, vor der er doch noch eine Scheu hatte: die Tochter mit der hellen Stimme und dem arglosen und doch wiederum schelmischen Blicke konnte es ihm weit eher anthun. Brosi aber wollte noch höher hinaus. Zunächst war er noch jung und gedachte über die Berge zu wandern und in der Fremde sein Glück zu suchen; ließ er sich aber von einem Geschick daheim halten, so mußte es etwas Anderes sein, als ein armes Mädchen mit der Dreingabe einer Hexenschwieger. Brosi war ein ehrliches Gemüth, und eben [9] darum hatte er eine Höllenangst vor dem Verlieben; er war früh verwaist, und darum früh zum Ernst und darauf hingewiesen, für sich selbst Bedacht zu nehmen. Er lebte in Endringen bei einer Base, die an einen Holzknecht verheirathet, mit einem Haufen Kinder in Armuth lebte und noch besonders zänkisch gegen Brosi war, weil er nicht seinen sämmtlichen Erwerb in ihr Hauswesen einbrockte.

Brosi war schon lange damit umgegangen, sich in der Gegend eine andere Unterkunft zu suchen, aber es wollte sich nicht schicken, und jetzt stand sein Vorhaben fest, in die weite Welt zu ziehen.

So oft er aber am Hause des Apothekerrösle vorüberging, war es ihm, als zöge ihn etwas da hinein, und er hätte gewiß an einen Zauber geglaubt, wenn er nicht gewußt hätte, daß ein Anderes dabei waltete.

Schon drei-, viermal hatte er eine Hinneigung zu dem allzeit rüstigen Mädchen in sich aufkommen lassen und wieder bekämpft, noch bevor er, wie man sagt, ein übriges Wort mit dem Mädchen gesprochen hatte; ja den nöthigen Morgengruß auf dem Stege sprach er oft verdrossen und fast zornig, immer aber wurde ihm mit gleicher Freundlichkeit erwidert.

Als der Bauer von der langen Furche, der nachmals ein so schweres Geschick hatte, das wir ein andermal berichten müssen, mit des Schmalzgrafen Tochter von Siebenhöfen Hochzeit hielt, und drei Tage lang das Tanzen und Prassen nicht ausging, da machte sich der Brosi auch einen arbeitsledigen Tag und war voll übermüthiger Lustigkeit.

[10] Er tanzte mit der Braut den Siebensprung und mit der ersten Brautjungfer, der Schwester des Furchenbauern, den Hoppetvogel (wobei man nach bestimmter Weisung wie ein Vogel hüpft und nach Futter scharrt) so meisterlich, daß selbst die Alten auf ihn zukamen und ihm als höchstes Lob die Versicherung gaben, daß sie zu ihrer Zeit nicht besser hätten tanzen können. Und immer lustiger ward der Brosi, und jeder Bursche, der den Musikanten ein Lied vorsang, daß sie es als Tanzweise spielen sollten, und der damit nicht vom Fleck kam, fand im Brosi eine allzeit bereite Hülfe; er kannte alle Lieder und alle Weisen und hatte eine helle, Alle übertönende nie heisernde Stimme. Die Monika, die Tochter des Apothekerrösle von Haldenbrunn, war auch auf dem Tanz. Sie durfte sich wohl sehen lassen, sie war nett und sauber gekleidet und trug einen Rosmarinstrauß am Busen: von Gestalt untersetzt mit einem apfelrunden Gesicht von wenigem Ausdruck, zeigte sich doch um die festgeschlossenen feinen Lippen, zu welcher Lebendigkeit dieses Mädchen gebracht werden könnte, wenn der Rechte sich einfand. Brosi bedachte, daß die Monika gewiß nur seinetwegen gekommen sei, aber er sah sich kaum nach ihr um und hatte noch im Stillen die Schadenfreude, ihr einen Plan zu Schanden zu machen; sie hatte ihn gewiß seit Monaten allmorgendlich nur so freundlich gegrüßt, um einen sichern Tänzer für den heutigen Tag zu haben; jetzt hatte sie das Zusehen. Brosi tanzte immer nur mit den fürnehmsten Bauerntöchtern, besonders mit der Schwester des Furchenbauern, die er sich endlich just im Angesicht der Monika [11] auf den Schooß setzte und dabei sang und trank, als ob die ganze Welt nur ihm gehörte, und im Tanzen hielt er's, als ob jeder Reigen der erste wäre, aufstampfend, singend, mit den Händen schnalzend that er, als könne er von Müdigkeit und Sättigung der Lust gar nichts wissen.

Einmal saß er, die erste Brautjungfer auf dem Schooß, in einer Pause am Tisch, mit dem Gesicht nach dem Tanzraum gekehrt, da rief er:

»Heut' tanz' ich meinen Kehraus in der hiesigen Gegend. Wenn die Schwalben davon ziehen, gehe ich in die weite Welt. Wer mich haben will, muß es heut' sagen und heut' noch Hochzeit machen.«

Ein guter Schwarm Mädchen kam auf ihn zu und umringte ihn neckend und spottend und wiederum bittend, er möge doch ja nicht fortgehen. Als er aber immer darauf bestand, rief die Brautjungfer: »Dann binden wir dich an. Kommet nur Alle.«

Im Nu hatten sich Alle nach dem Beispiele der ersten Brautjungfer ihre doppelten Zöpfe mit den fliegenden langen rothen Bändern auf die Brust gelegt und nestelten nun die Bänder an Brosi fest. Er ließ es geschehen und mit einem schrillen Juchhe sprang er auf, stampfte auf den Boden und sang:


Spielleut spielet auf und auf

Und seid nicht so verzagt,

I han noch ein Vögeles-

Groschen im Sack.


Die Musikanten ließen die Weisung ertönen und Brosi sprang an die Decke mit jauchzendem Juchhe[12] und machte allerlei Figuren während die Mädchen, mit den rothen Zopfbändern an ihn geheftet, ihn umtanzten. Plötzlich warf er sich auf den Boden und sang:


Weil Scheiden bitter ist

Und 's'lieben süß,

Jetzt leg i meim alten Schatz

D' Händ' unter d' Füß.


Die Bänder mußten losgemacht werden, die Brautjungfer mußte sich auf seine Hände stellen und er tanzte eine Weile so mit ihr bis er sie in den Armen auffing und singend mit ihr den Reigen beschloß.

Von dieser Zeit her stammt der Bändelestanz; man nennt ihn auch noch den Brositanz und Niemand konnte ihn meisterlicher ausführen als der Urheber.

»Mein Mann ischt koaner!« 1 rief der Brosi oft und oft und von jenem Abend an hatte er diese Redensart und wendete sie bei vielen Gelegenheiten an.

Die Monika wäre ohne einen Fuß zum Tanz gesetzt zu haben, nach Hause gegangen, wenn sich nicht die Schneiderin von Haldenbrunn über sie erbarmt und einmal mit ihr herumgetanzt hätte, wobei sie viel gestoßen und gedrückt wurde, denn die Burschen haben es darauf abgesehen, Mädchen die allein tanzen, anzurennen. Als Monika über den Bachsteg ihrem Hause zuging, nahm sie den Rosmarinstrauß von dem Busen und warf ihn hinab in den Bach; es hatte kein Bursch darnach verlangt und der von dem sie es gewünscht hätte, war schlecht und stolz und gab sich doch zum Hansnarren her.

[13] Das dachte aber Brosi nicht, er hätte gern immer aufgeschrien vor Lust, aber seine sonst unangreifbare Kehle schien nicht mehr mitthun zu wollen, so sehr er ihr auch mit kaltem und warmem Wein zusprach; er ballte jetzt oft still die Faust vor innerer Seligkeit.

Es war tief in der Nacht, da sagte Brosi, daß er am Morgen wieder an die Arbeit gehe und sich mit dem Hammer einen Hopser und mit der Kelle einen Schleifer spiele; da trat der Hochzeiter auf ihn zu und sagte:

»Was hast denn Taglohn?«

»Zehn Kreuzer,« erwiderte Brosi, denn so nieder stand zu selbigen Zeiten noch der Taglohn.

»Ich geb' dir das Doppelte,« rief der Hochzeiter, »da nimm, du mußt da bleiben und die Lustbarkeit erhalten. Da nimm.«

Die Mädchen kamen wieder und bestimmten Brosi doch einzuwilligen, da sprang er auf und rollte die Augen so wild, daß die Mädchen scheu vor ihm zurückwichen; er nahm einen sauer verdienten Kronenthaler aus dem Beutel, warf ihn den Musikanten zu und rief:

»Aufgespielt! Die Schmalzbauern meinen, sie könnten die Lustigkeit auch kaufen, sie geben einen guten Taglohn für einen Lustigmacher. Dreidutzend Juchhe um einen Groschen,« schrie Brosi mit plötzlich wieder hell gewordener Stimme. »Aufgespielt! hellauf! Weg da, Hochzeiter, weg, oder dein' Hochzeit ist dein Tod.«

Und wieder begann er zu tanzen und zu singen und zu trinken, aber Alles in Ingrimm und um zu zeigen, daß er sich um die angethane Schmach nichts kümmere. [14] Er zerschlug nach einander drei Gläser aus denen er getrunken und als es dem Morgen immer näher kam, die Musikanten aufhören wollten und die Mädchen sich nach einander fortschlichen, ließ sich Brosi noch allein aufspielen und ohne sein Sonntagsgewand auszuziehen ging er im Morgengrauen nach Haldenbrunn an die Arbeit.

Fußnoten

1 Ist keiner. Mit mir kann sich Niemand vergleichen.

2. Kapitel

Zweites Kapitel.

Auf dem Stege schaute Brosi hin und her, aber Niemand grüßte ihn und hadernd mit sich selber und übernächtig von der tollen Lust that er seine Arbeit, voll Reue, daß er sich dazu hatte verleiten lassen, sein mühsam Erworbenes im Trotze zu verschleudern, worüber ihn die fetten Bauern gewiß noch hinterdrein auslachten.

Viele Tage sah Brosi Nichts an dem Hause des Apothekerrösle und nur das war ihm erwünscht, daß er an jenem Abende nichts mit Monika angeheftelt hatte; er konnte nun um so freier in die Welt ziehen, aber sparen mußte er mehr als je, denn die Hochzeit hatte den größten Theil des Reisegeldes aufgezehrt.

Wenn Brosi gut aufgeräumt war, freuten sich deß besonders die Speisbuben, die den Mörtel auf das hohe Gestelle zu tragen hatten, denn war Brosi's Kübel leer, so trommelte er immer so lustig in die Höhlung, daß es gar nicht wie eine harte Mahnung klang und fast tanzend kletterten die Speisbuben die hohen Leitern hinan und verwechselten den leeren Kübel mit einem vollen. Seit mehreren Tagen aber klopfte der Brosi so wild und so melodielos in seinen Kübel und zankte noch mit den lässigen Speisbuben.

[16] Das Wetter hatte sich gewendet und es goß beständig in Strömen herab, so daß die Arbeit noch überdieß eine wenig freudige war. Durchnäßt, frierend und hustend (denn seit der Hochzeitnacht fühlte er stets einen stechenden Schmerz auf der Brust) ging Brosi am Morgen und am Abend ungegrüßt über den Steg. Der Forlenbach, der sonst in den hohen Sommermonaten oft so trocken war, daß eine Katz hinüberlaufen konnte, schwoll durch den anhaltenden Regen immer mehr an und wälzte seine braunen Wellen wildrauschend über die Felsen. Brosi stand einst auf dem schon schwankenden Steg still und wünschte sich, daß die Wellen den Steg jetzt fortrissen und ihn selbst mit verschlingen möchten. Es kamen Tage, an denen der Regen nachließ, aber weiter im obern Gebirge mußte er noch anhaltend sich ergießen, denn der Bach wurde immer höher und brachte ganze Baumstämme mit, die von den Uferbewohnern mit Hakenstangen, sogenannten Geisfüßen, als gute Beute eingezogen wurden. Eines Morgens kam Brosi an den Steg und schaute verwundert um sich; er kannte die Gegend kaum mehr, da war keine Spur des Steges und weit hinein in die Wiesen floß das Wasser und schwemmte das in Schochen zusammengerechte Grummet mit sich fort. Während Brosi noch umschauend da stand, sah er am jenseitigen Ufer im Grasgarten des Apothekerrösle die Monika. Er öffnete den Mund, aber noch ehe er ein Wort hervorbrachte, rief ihm die Monika so laut zu, daß er es trotz der rauschenden Wellen hören konnte:

»Droben an der Bömle's-Sägmühle kann man noch 'rüber.«

[17] Betroffen von diesem Zurufe und mit höchster Anstrengung rief der Brosi hinüber:

»Wir haben in Lustbarkeit nicht zusammen kommen sollen, es scheint, daß es in Traurigkeit sein soll.«

»Wir brauchen gar nicht zusammen kommen, gar nicht,« lautete die schnippische Antwort der Monika, und sie verschwand.

Den ganzen Tag mußte Brosi bei der Arbeit darüber nachdenken, wie so eigen die Monika ihm doch zugerufen und ihn dann so barsch abgewiesen hatte. In der mittäglichen Feierstunde ging er nach dem Hause des Apothekerrösle, er hustete mehrmals und wagte es nicht hinein zu gehen. Endlich fand sich eine schickliche Ausrede: sich eine Kohle vom Herde holen, um die Pfeife anzuzünden, ist eine unverfängliche Sache.

Brosi ging nach der Küche, Monika stand scheuernd in derselben.

»Ist's erlaubt, eine Pfeife anzuzünden?« fragte Brosi und Monika erwiderte:

»Das kann man Niemand wehren.«

Brosi nahm die Kohle und war eben im Begriff zu gehen, als er mächtig husten mußte; da klopfte es dreimal dumpf an die Küchenwand und die Mutter rief aus der Stube: wer draußen sei, solle zu ihr herein kommen. Brosi trat in die Stube, und erschrack heftig, da die Frau ihm aus dem Bett mit gellender Stimme entgegen rief:

»Gleich thust die Pfeif' 'raus, gleich. Jeder Zug, den du draus thust, nimmt dir ein Stück Leben.«

Nun fing das Apothekerrösle an, ihn vor Allem[18] tüchtig auszuzanken, daß er mit der Monika nicht getanzt habe; sie habe gar nicht zum Tanz gehen wollen, und habe nur auf ihr Zureden nachgegeben, weil ihre Mütter so gut Freund gewesen seien. Hierauf ging es an ein Klagen, wie schlecht jetzt die Welt sei, vor Zeiten hätten verlassene Menschen zusammengehalten und Keines einem Andern eine Unehre geschehen lassen, jetzt aber hofire Alles den Holzbauern, die groß damit thun, daß sie das Geld von ihren Wäldern, die von selbst wachsen, verprassen können. Die Pfeife in der Hand, mit offenem Munde mußte Brosi zuhören, wie er immer schärfer abgekanzelt wurde; und dazu hörte er oft kaum die Worte, denn er sah jetzt das Apothekerrösle zum Erstenmal ganz in der Nähe, sie hatte ein Gesicht, das sie mit nie gesehener Behendigkeit bewegte, als wäre gar kein Knochen darin. Den Unterkiefer bewegte sie mit solcher Gelenkigkeit, daß man meinte, sie könne ihn über die Nase hinausheben; dazu bildete bei besonders höhnischen Reden und wenn sie lachen wollte, der linke Mundwinkel ein Pfännchen, mit dem sie schlürfte als ob sie eine Süßigkeit kostete; die Augen waren allerdings noch flimmerig, aber schrecklich anzusehen war der kahle Scheitel. Man konnte den Leuten nicht Unrecht geben, daß sie hier eine Hexe zu sehen glaubten.

Als das Apothekerrösle sich sattsam ausgelassen hatte, schloß es damit:

»Ich kann dir deinen Husten heilen, der dich unter den Boden liefert, wenn du nicht dazu thust. Deine Mutter ist auch schwach auf der Brust gewesen. O sie war ein' gute Seel' und hätt's besser verdient. Steig'[19] einmal hinauf und hol' mir den Sack vom Himmelbett herunter.«

Brosi that, wie ihm befohlen, und das Apothekerrösle übergab ihm eine Handvoll Thee von seltsamer Mischung, mit der genauen Anweisung des Gebrauchs, und entwickelte dabei solch eine mütterliche Sorgfalt untermischt mit liebevollen Erinnerungen an die Verstorbene, daß Brosi ein Brennen in den Augen verspürte.

»Ich rauch' nicht mehr. Ich lass' mein' Pfeif' gleich da,« – das war Alles, was er hervorbrachte, und mehr stolpernd als gehend verließ er die Stube und das Haus; aber schon am Abend kam er wieder und sagte geradezu, wie er sich's ausgedacht, daß er eigentlich in Endringen keine Heimath habe, er sei dort bei seiner Mutterschwester und könne besser hier sein und erspare noch den Weg hin und her; wenn daher die Base (in der Gegend von Haldenbrunn nennt sich Alles, was sich kennt, Vetter und Base) Nichts dagegen habe, wolle er, so lang der Kirchenbau noch daure, in ihrem Hause bleiben, und für das Kochen einer warmen Suppe und die Unterkunft einen billigen Entgelt leisten.

»Mein' Moni schlaft bei mir, und wir haben sonst kein Bett,« entgegnete das Apothekerrösle, worauf Brosi als des Einverständnisses sicher auseinandersetzte, daß er ein paar Tage auf dem Heu schlafe und sobald man mit einem Karren von Endringen herüber könne, hole er sein eigen Bett; es sei ihm ohnedies lieb, dies einzige Erbstück von seiner Mutter in guter Hand zu wissen, da er nicht sicher sei, daß ihm seine Hausleute nicht die Federn stehlen, während er auf Arbeit sei.

[20] Es war während dieser Verhandlung Nacht geworden, und der Regen strömte wieder mächtig herab. Ohne weitere Erörterung klopfte das Apothekerrösle wieder mit der Faust dreimal an die Wand und rief der Monika, sie solle gleich Wasser an's Feuer stellen und dem Brosi seinen Thee bereiten.

»Und ich will nicht,« schrie Monika, daß es im ganzen Hause gellte.

»Geh' 'naus, sie ist noch bös,« winkte die Mutter dem Brosi und zwinkerte dabei mit den Augen so einverständlich, daß es Brosi graute vor dem was er begonnen. Er gehorchte zögernd, aber kaum war er in der Küche als Monika sie verließ, in die Stube eilte und lauten Zank erhob, daß die Mutter den Brosi in's Haus nehme und betheuerte, daß sie in finsterer Nacht davon gehe, wenn es dabei bleibe. Eine Weile überschrieen sich beide Frauen so sehr, daß man kaum die Stimme der einen von der der anderen abscheiden konnte; dann trat eine Pause ein, in der man nur noch ein Weinen vernahm und jetzt sagte die Mutter:

»Ich hab' den Brosi so fest wie einen Finger an der Hand. Der geht nicht mehr aus dem Haus, und niemand Anders als du kriegt ihn, und du wirst mir's noch danken, wenn ich schon lang verfault bin.«

»Und ich geh' davon, so weit mich meine Füß' tragen,« rief Monika.

»Und kommst doch wieder,« entgegnete die Mutter ruhig, »sei froh, daß du bös auf ihn gewesen bist, eh' du ihn hast, du ersparst's für nachher.«

Das wollte dem unwillkürlich lauschenden Brosi doch [21] nicht zu Sinn, er kam sich doch wieder wie verzaubert vor; und hätte er sich nicht geschämt, er wäre noch in der Nacht davon gelaufen. Wer weiß auch welch' ein Trank ihm bereitet wird. Eben hatte es aber die Mutter dahin gebracht, daß ihm Monika die gemischten Kräuter in die Küche trug. Durch solche Hand, dessen war Brosi gewiß, geht kein Trank, der Einem Böses anthut, und noch als er die schwankende Treppe hinaufstieg, hörte er Monika klagen:

»Mutter, Ihr habt's verschuldet, wenn ich von dieser Nacht an einen bösen Namen hab', daß ich keinem Menschen mehr frei in's Gesicht sehen kann.«

Wo solch' ein Sinn daheim ist, hat keine Hexerei eine Gewalt – das war der Gedanke, mit dem sich Brosi in das duftende Heu niederlegte.

[22]

3. Kapitel

Drittes Kapitel.

Der Speicher war von innen nicht verschließbar, nur von außen befand sich ein Holzriegel an der Treppenthür. Was war aber zu gefährden in solch' einem Hause? Brosi legte sich behaglich in das Heu. Kaum aber lag er eine Weile, als er sich wieder aufrichtete; die Treppenstufen knarrten, es schlich etwas herauf wie eine Katze so leise, aber nur von einer Menschenlast konnten die Treppen so knarren, es mußte Jemand sein, der barfuß herauf kam.

»Wer ist da?« rief Brosi halb in Furcht halb in Zorn.

Niemand antwortete, das Heraufkommende stand offenbar still auf seinem Platz, eine Weile horchte Brosi hinaus, man hörte nichts als das Rauschen des Forlenbaches und das Zirpen der Grillen in der warmen, wieder regenlosen Sommernacht. Schon glaubte Brosi, daß er sich getäuscht habe und wollte sich ruhig wieder ausstrecken, da hörte er es mit den Händen tastend noch einige Treppenstufen heraufkommen und laut wurde der Holzriegel an der Treppenthür in den Kloben gestoßen.

Jetzt war keine Täuschung mehr möglich und »In's Teufels Namen was ist das?« rief Brosi auffahrend.

[23] »St! Stille! Ich will dir was sagen,« erwiderte eine leise Stimme.

»Wer ist denn da?«

»Ich bin's, die Monika. Komm' da her an die Thür, aber thu' leise, ich will dir was sagen.«

»Mach' die Thür auf, dann kannst besser reden und ich kann sehen wer es ist. Mach' die Thür auf oder ich stampf' sie ein.«

»Ich bitt dich, thu leise,« bat die Stimme draußen wieder, »ich mach' nicht auf. So kann ich besser mit dir reden, und wenn dir dein Leben lieb ist, hör' mir ruhig zu und polter' nicht und pockel' nicht und sei ganz still.«

»Was willst denn, wenn du die Monika bist? Wenn du 'rein willst, mach' auf. Was willst denn vorher ausmachen?«

»Red' nicht so schlecht. Eben deswegen komm' ich ja. Was mein' Mutter vorhat, ich weiß nicht und will's nicht wissen. Es ist mein' Mutter, ich darf nicht schlecht von ihr denken und thu du's auch nicht. Guck, ich lieg' da vor der Thür auf den Knieen und heb' meine Hände zu dir auf und bet' wie man zu Gott betet. Brosi, du bist ein braver Mensch gewesen und ich auch ... und wenn dir deine eigene Ehre lieb ist und die von einem armen Mädchen auch – Brosi, thu mir den einzigen Gefallen und bleib' nicht mehr im Haus, kein' Minut, kein' Stund mehr. Ich bitt' dich, nimm deine Stiefel in die Hand und geh' leise herunter, die Hausthür kannst von innen aufmachen. Brosi, sei barmherzig und geh.«

[24] »Wo soll ich denn hin jetzt in so später Nacht und aus dem ersten Schlaf heraus? Ich bin ohnedem krank.«

»Geh' noch nach Endringen, oder wenn du nicht willst, drüben beim Jörgtoni schlafen noch drei fremde Maurer, da kannst du auch sein.«

»Morgen will ich's thun. Heute geh ich nimmer fort.«

»Wenn du nicht heut gehst, bist du verloren auf ewig und ich auch. Brosi, sei barmherzig. Du wirst es sonst in deiner Todesstunde bereuen, der Angstschweiß auf der Stirne wird dich gemahnen, wie du ein armes Mädchen –«

»Ho ho! Thu nicht so arg. Ich geh' ja, aber mach' nur auf und komm ein bisle 'rein.«

»Bist du schlecht Brosi? Willst du schlecht sein?«

»Nein, ich hab' ja schlafen wollen. Ich will ja nichts. Morgen will ich gehen, oder meinetwegen heut, du Heilige. Mach' nur auf und gieb mir die Hand.«

»Schwörst du, gleich zu gehen?«

»Ja, ich schwöre. Mach' nur auf und gieb mir die Hand.«

»Schwörst du, ohne Bedingung zu gehen?«

»Ja, so wahr mir Gott helfe zu einem rechtschaffenen Leben und zu einem leichten Tod.« –

Brosi drückte an die Thür, sie war offen, er hatte sie nicht entriegeln gehört, er vernahm keinen Tritt die Treppe hinab, kein Oeffnen und Schließen der Stubenthüre. Alles war wie in die Luft verschwunden, keine Menschengestalt, keine Stimme, nur der Forlenbach rauschte, die Heimchen zirpten noch und die einzige Kuh im Stall brummte wie verschlafen.

[25] Brosi nahm die Stiefel in die Hand und von Angst gejagt als fliehe er aus einem brennenden Hause, stieg er die Treppe herab, öffnete das Haus und stand frei athmend draußen in der stillen Nacht. Er zog seine Stiefel an und eilte nach Endringen.

Den ganzen andern Morgen war Brosi bei der Arbeit immer selbstvergessen und träumend, er hielt oft den Hammer unbewegt in der Hand und vergaß den Stein vor sich zu meißeln und als er ihn einfugte und mit Mörtel befestigte, schöpfte er mehrmals aus dem leeren Kübel ohne es zu merken. Der Bauführer, der das lässige Wesen Brosi's sah, ließ ihn hart darob an und Brosi hörte ihn mit offenem Munde an, als gelte das gar nicht ihm. Am Mittag, als Brosi wieder auf dem Boden stand, war es ihm als ginge die ganze Welt mit ihm im Kreise herum. Er aß ohne Hunger und als er sich eine Weile niederlegen wollte, konnte er keine Ruhe finden, denn er lag wie in schaukelnder Wiege. Er stand auf und ging zuerst nach dem Hause des Jörgtoni und bestellte sich eine Schlafstelle, und wie unwillkürlich ging er dann nach dem Hause des Apothekerrösle.

Mutter und Tochter thaten gleich verwundert über sein nächtliches Entweichen; nur als Brosi bemerkte, daß er sich beim Jörgtoni eingemiethet habe, glaubte er ein kaum merkliches Nicken der Monika zu beobachten.

Da sich Brosi heute nicht arbeitsfähig fühlte, schenkte er sich den noch halben Arbeitstag, holte sein Bett in Endringen und war nun erst ganz in Haldenbrunn daheim.

[26] Das Apothekerrösle hatte seinen Namen nicht umsonst; Brosi fühlte sich bald wieder hergestellt von den Folgen jener tollen Tanznacht.

Brosi kam oft in das Haus des Apothekerrösle, Monika mußte es merken, daß er Etwas auf der Zunge hatte, was er ihr mittheilen wollte, aber Mädchen in Wiflingröcken wie in langen Kleidern verstehen es, einen unkecken Burschen nicht zu Wort kommen zu lassen. Kam Brosi in die Stube, verließ Monika dieselbe mit freundlichem Gruß; vertrat er ihr den Weg im Freien, wußte sie immer Jemand anzurufen, der sich zu ihnen gesellte, und dann hatte sie immer so eilige Besorgungen, daß sie sich keine Minute aufhalten konnte. Wenn Brosi meinte, jetzt halte er sie fest, war sie ihm immer unversehens entschlüpft und so ging er in seltsamen Selbstgesprächen lange einher.

Die wilden Wasser im Bache hatten sich rasch wieder verlaufen, und nun zeigten sich die traurigen Folgen der Ueberschwemmung; ganze Wiesen waren zerrissen und mit Sand bedeckt und nicht nur der Ertrag des gegenwärtigen Jahres war verloren, auch für lange Zeit hinaus war kein Ersatz zu hoffen; das war doppelt betrübend in der Gegend, die keinen andern Feldbau kennt als die Wiesennutzung. Im Hause des Apothekerrösle war auch Wehklagens genug, die wilden Wasser hatten zwar den hochgelegenen Grasgarten nicht zu überschwemmen vermocht, sie hatten aber ein gut Stück davon mit fortgerissen und eine tiefe Höhlung gemacht, daß noch mehr nachstürzen mußte und der Bach immer eigensinniger sich nach dem linken Ufer drängte, um [27] den Garten der Wittwe zu verschlingen. Ohne ein Wort von seinem Vorhaben zu sagen, begann Brosi in den abendlichen Feierstunden Steine aus dem Bett des Baches zu wälzen und zu meißeln, und bald zeigte sich, was werden sollte: eine durch vorgeschobene Reisigbündel gesicherte und in's Halbrund gesetzte Schutzmauer zog sich längs des Gartens hin und ein sogenannter Sporn, ein nur dem Kennerauge sichtbarer Erdaufwurf im Bette des Baches drängte den Strom nach dem jenseitigen Ufer hin. Brosi ärgerte sich oft, daß ihm Monika noch immer kein besonderes freundliches Wort gab; er wußte ja nicht, daß sie fest darauf hielt, man dürfe einen Menschen, der ein gutes Werk thue, nicht dabei berufen. Einmal jedoch konnte sie sich nicht enthalten, bei ihm stehen zu bleiben, und schnell rief Brosi sie festhaltend:

»Jetzt sag, jetzt sag einmal, hab' ich's nicht brav gemacht?«

»Ja, die Mauer ist brav.«

»Du weißt wohl, daß ich das nicht mein'. Verdien' ich gar keinen Dank, daß ich so schön gefolgt hab' und bin aus eurem Nonnenklösterle fort, wie du mich geheißen hast?«

»Ich weiß nicht was du meinst, ich versteh' kein Wort,« entgegnete Monika mit so treuherzig unwissender Miene, daß Brosi sie anstarrte, und sie setzte hinzu: »red' deutsch, daß man dich auch verstehen kann. In welchem Kloster bist denn gewesen?«

»O ihr Weibsleut!« rief Brosi, »ich hab' mein Lebtag gehört, ihr könnt euch verstellen ärger als der beßt' [28] Fastnachtshansel, aber so arg hätt' ich's doch nicht glaubt. Weißt denn nichts mehr vom Riegelzu und ich lieg auf den Knieen und bet zu dir wie zu unserm Herrgott? Hab' ich darum den Rechtschaffenen an dir gemacht und allen Respekt vor dir gehabt, daß du jetzt thust wie der Ichbinnichtdabeigewesen?«

»Ich versteh von all' deinen Reden vom Simri kein Mäßle,« beharrte Monika, und hohnlachend entgegnete Brosi:

»Gut, so will ich der Narr sein und will dir Alles nochmals erzählen,« und er berichtete genau von jenem Abend und allen Worten, die er gehört und gesprochen.

Monika hatte die Hände in die zusammengerollte Schürze versteckt und schaute den Sprechenden mit großen Augen an, endlich sagte sie:

»Ich glaub' dir, aufs Wort hin glaub' ich dir Alles, es ist gewiß so. Aber Brosi, glaub' mir auch, du hast Alles nur geträumt und es ist einer von den rechten, von den braven Träumen gewesen. Guck, jeder Mensch hat seinen guten Engel, der ihm Alles thut; da ist mein guter Engel zu dir kommen und hat dir Alles berichtet, wie ich dir's selber gesagt hätt'; aber ich, glaub mir, ich bin nicht aus der Stub' kommen. Wo hätt' ich auch so schnell hin verschwinden sollen? Da hast das Wahrzeichen, daß ich's nicht gewesen bin und nur meine Schutzheilige, zu der ich dafür beten und der ich danken will. Und mit dem Riegel? Kannst 'naufgehen und kannst selber sehen, an der Thüre ist so, wie man's angreift, bald ist sie zu bald auf, es [29] ist nur ein Vortheil 1 dabei. Ich lass' es aber gelten, wie wenn ich's selber gewesen wär' und rechne dir's grad so an; aber geträumt hast, das ist einmal ausgemacht.«

Brosi stand eine Weile wie versteinert, dann faßte er sich schnell und machte allerlei Versuche Monika zum Lachen zu bringen und ihr das Geständniß abzuzwingen, daß sie ihn nur necke; aber keine Miene in ihrem Gesichte zuckte, sie schaute ernsthaft drein und verließ ihn indem sie ihm noch mehr solche gute Träume wünschte.

Brosi schaute mit verdächtigem Blick auf das Haus des Apothekerrösle, das ganze Haus schien ihm nicht geheuer, da man darin so lebhafte und wunderliche Träume haben könne; und doch wollte er wieder nicht daran glauben, daß all das Erlebte nur ein Traum gewesen, und wiederum dünkte ihn das doch besser; denn wenn Monika jetzt ein falsches Spiel mit ihm triebe, war sie ja falsch wie Galgenholz; drum muß es doch ein Traum gewesen sein.

Am andern Tage machte Brosi einen Versuch an der Treppenthür und fand die Aussage der Monika richtig, es bedurfte nur eines geschickten Griffs an die Thüre, um den Riegel auf oder zu zu machen. Bei dieser Gelegenheit entdeckte aber auch Brosi den baufälligen Zustand des Hauses; und als die Gartenmauer vollendet war, machte er sich an Instandsetzung des Innern. Wo er anklopfte, stäubte es ihm entgegen. Die Umfassungsmauern bestanden aus aufgeschichteten Querbalken, die noch ziemlich Stand hielten, aber die[30] Riegelmauern zerbröckelten fast bei starker Berührung und besonders die Feuerwand, die nach der Küche ging und so oft von den drei Schlägen erdröhnte, hatte einen wundersamen Bestand, die drei Schläge mußten mit besonderer Kunst geführt werden, da die Wand nicht einstürzte.

Das Apothekerrösle wußte es Brosi wenig Dank, daß er mit Aufopferung all seiner freien Zeit und da diese nur kurz gemessen war, sehr langsam das Häuschen so herstellte, daß es »behäb war wie ein Büchschen.« Das Apothekerrösle hatte nur immer zu klagen, daß es diesen Staub und dieses Gehämmer noch erleben müsse. Desto dankbarer aber war Monika und als sie ihm einst sagte:

»Brosi, du baust zwei Kirchen, dort die große und hier eine kleine, die dir Gott lohnen wird,« da warf Brosi Hammer und Kelle weg und die lang verhaltene Liebe brach in die Worte aus:

»Und ich will dich von Gott zum Lohn und weiter nichts.«

»Ich hab' auch sonst nichts, denn das Häusle ist verschuldet, und unsere Kuh haben wir nur im Bestand.«

Der Bund war geschlossen, und das Apothekerrösle sagte: es freue sich nur, daß es doch Recht behalte; es thue kein Mensch etwas aus Gutheit, der Brosi habe Haus und Garten nur hergerichtet, um Alles zu haben. Mit Nachdruck setzte es dann hinzu, wie gerichtlich festgestellt werden müsse, daß die beiden älteren Töchter, die in der Schweiz dienten, ein Heimathsrecht im Hause hätten, das ihnen Niemand verkümmern dürfe. Ueberhaupt [31] hob das Apothekerrösle mit schmatzendem Munde alle die Mißlichkeiten hervor, die dem neuen Hausstande drohten, so daß Brosi oft zaghaft werden mußte, wenn er nicht bedacht hätte, daß seine Schwiegermutter ingrimmig sei, weil sie einen Tochtermann bekam, den sie nicht eingestellt und in der Hand hatte. Moni lobte ihn über diese Auslegung als tiefen Menschenkenner und bestärkte ihn mit heiterm Sinn in froher Zuversicht.

Als erstes Geschenk des nun geschlossenen Bundes wollte Brosi von seiner Moni wissen, ob er an jenem Abend wirklich geträumt habe; aber Moni wich ihm aus, und als er immer dringlicher ward, sagte sie ihm, am Hochzeitstage werde Jemand kommen, der ihm Alles erkläre, er dürfe aber nie mehr vorher darnach fragen.

Fußnoten

1 Geschickter Handgriff.

4. Kapitel

Viertes Kapitel.

Es giebt ein Bekenntniß der Armuth, das sich unter allen am schwersten bekennen läßt: es ist die Armuth an Freundschaft. Nur ein in ungemessener Selbstherrlichkeit sich erhebendes Wesen vermag dieses Geständniß mit einem gewissen heitern Gleichmuth zu thun, weil sich darin wiederum die große Thatsache offenbart, daß Niemand ihm gleichkomme, sei es an wirklichem Gehalt oder auch nur an Verständniß seiner unerfaßlichen Bedeutsamkeit. Untergeordnete, in sich oder von der Welt sich abhängig fühlende Naturen dagegen, erkennen in ihrem Mangel an Freundschaft nicht nur eine Härte und schiefe Stellung des Geschickes, die oft dabei mitwirkt, sondern auch in der Aufrichtigkeit vor sich selber einen Fehler in der eigenen Natur, die es nicht vermag, Liebe zu gewinnen und festzuhalten.

Mit demuthvoll niedergeschlagenen Augen und zitternder Stimme sagte eines Tages Moni zu ihrem Bräutigam:

»Horch Brosi, ich muß dir Etwas sagen. Dann bin ich aber auch ganz fertig und kannst mich aufschneiden und findest keinen verborgenen Gedanken mehr in mir.«

»Was hast? Sag's nur frei heraus.«

»Guck, mein' Mutter ist gewiß viel daran schuld,[33] du weißt ja selbst am Besten, wie sie ist; aber ich bin auch schuld, gewiß ich auch.«

»Was hast denn? 'raus mit.«

»Guck, ich hab' auf der ganzen weiten Welt keinen Menschen, den ich zur Hochzeit laden kann, und ich hab' keine Gespiele, die an unserm Ehrentag mit mir in die Kirche geht. Die Näherlise, die in Endringen mit mir getanzt hat, wär' die einzige, aber die kann ja jetzt nicht. Ich hab' Niemand auf der Welt, ich bin wie aus dem Stein gesprungen; wenn ich mein' linke Hand in die rechte nehm', hab' ich all meine gute Freund' bei einander. Gelt, ich seh' dir's an, das thut dir auch weh', aber red' jetzt und sag', wie wir's machen.«

Moni hatte recht gesehen. Ein gewisses bräutliches Bangen, das halb verschleierte Bewußtsein, nun mit dem ganzen Leben abgeschlossen zu haben, hatte schon manchmal bei aller Zuversicht das Herz Brosi's erzittern gemacht; jetzt bei dieser Kundgebung kam es wieder. Er wollte schon losbrechen in der Darlegung seiner Bekümmerniß, als er noch zeitig genug an sich hielt, denn jetzt zum Erstenmal kam ihm der Gedanke, daß zwei Menschen, die sich zu einem vollen Gemeinleben verbinden, wohl in Ehrlichkeit und Offenheit zusammen stehen müssen, daß es aber die Pflicht des Einen sei, dem Andern, das in Leid oder Leidenschaft versunken ist, nicht durch eigene Zuthat solches noch zu vermehren, sondern ihm heraus zu helfen.

Ueber das Antlitz Brosi's zog eine eigentümliche sonnige Klärung, er faßte die Hand Moni's und sagte:

[34] »Red' nicht so. Freilich ist's hart. Sag' aber nicht, wenn deine rechte deine linke Hand faßt, habest du alle deine gute Freund'. Da hast meine zwei Händ' und ich hab' viele Freunde, und die sind alle dein, und ich hab' Niemand auf der Welt, der was gegen mich hat, auch der Furchenbauer nicht. Ich schaff' dir Gespielen so viel du magst und die fürnehmsten aus der ganzen Gegend. Wenn nur wir Zwei mit Gottes Hülfe gut Freund sind, dann wird's die ganze Welt auch sein.«

Moni beugte ihr Haupt nieder und legte ihre brennende Wange auf die Hand Brosi's, dann richtete sie sich auf, schüttelte seine beiden Hände mit mächtiger Kraft und sagte:

»Brosi, das vergeß ich dir nie, nie, wie du jetzt gegen mich gewesen bist. Du wirst sehen, was du an mir hast.«

Die Verlobten hielten ihre beiden Hände fest und sahen einander tief in die Augen, und dieser Blick sprach mehr, als alle Worte auszudrücken vermögen. Ohne Kirche, ohne Priester und Zeugen kam die Segnung der ewigen Weihe über die beiden Verbundenen.

Moni war so aufgelöst und hingegeben, daß sie schon heute ihrem Verlobten das Räthsel jener Traumnacht lösen wollte, aber Brosi wollte nichts davon hören.

»Du mußt mich dazu anhalten, daß ich bei meinem Wort bleib', und ich will's auch so halten,« erklärte er, worauf Moni diese feste Männlichkeit hochpries. Brosi schmunzelte, dann aber sagte er mit der Zunge schnalzend:

[35] »Jetzt ist's genug, sonst kommen wir ja in ein Geflenn, wie die Katzen auf dem Dach. Lustig, und wenn der Sack sieben Löcher hat.«

Zum Erstenmal mußte Moni mit ihm in den Auerhahn zum Weine gehen, sie sträubte sich lange dagegen und wollte es auf Sonntag verschieben; aber Brosi behauptete, heut' sei Sonntag und gab seiner Braut als Probe auf, das augenblicklich zu glauben. Lachend sagte Moni:

»Hast Recht, heut' ist Sonntag, aber ich will deßwegen auch schnell meine Sonntagskleider anziehen. Ich bin gleich wieder da.«

Sie erfüllte dieses Versprechen mit überraschender Schnelligkeit und noch nie schmeckte Brosi ein Schoppen so gut als den er mit seiner Moni austrank. Durch die Nacht heimwärts gehend, sangen sie in beweglicher Weisung:


Es giebt kein' größre Freud

Auf dieser Erden,

Als wenn zwei junge, junge Leut

Zwei Ehleut' werden.

Da giebt es keine Noth,

Kein Kreuz und kein Leiden,

Nichts als der bittre Tod

Der kann sie scheiden.


Noch nie ging Brosi so wonneselig von seiner Braut, als an diesem Abend. Als er ihr am andern Morgen begegnete, sagte sie:

»Du hast mich ganz narret gemacht, es will mir [36] gar nicht aus dem Sinn, daß gestern Sonntag gewesen ist und die Leut' sagen, heut' sei Freitag.«

»Diese Woch' hat halt zwei Sonntäg',« entgegnete Brosi lachend und ein Jedes ging an seine Arbeit. –

Am nächsten wirklichen Sonntag machte sich der Brosi mit seinen beiden Hochzeitlädern auf, um in seiner Heimath die üblichen Einladungen zu machen; er trug einen Rosmarinstrauß mit rothen und blauen Bändern auf dem Hut und im Knopfloch, und ebenso die beiden Gesellen, die noch dazu Säbel an der Seite trugen. Moni schaute ihnen noch lange nach von dem wiederaufgerichteten Bachstege, und von fernher ertönten ihr noch die hellen Juchhe, die die Berge widerhallten.

Es war für Brosi eine eigenthümliche Buße, daß das erste Haus, in das er mit seinen Gesellen eintreten mußte, der Hof zur langen Furche war. Hier kam er gerade in große Festlichkeiten hinein, denn die Schwester des Furchenbauern verlobte sich mit dem Gipsmüller vom untern Thale; da standen Fuhrwerke von ob und nid der Steige wie eine Wagenburg vor dem Hause, und drinnen in der Stube war Alles gesteckt voll von dicken Verwandten beider Seiten. Brosi überkam ein Bangen und ein seltsamer Schreck als er in die übervolle Stube trat. Wie viele Menschen hatten sich hier zusammen gefunden, um den Handschlag mit zu feiern, wie wirkte das Ereigniß hinaus über Berg und Thal und eine ganze Reihe von gewichtigen Menschen trat einander nahe; wie armselig dagegen war seine Verlobung gewesen und Moni hatte Recht, da sie sagte: »Ich bin wie aus dem Stein gesprungen.« Der Furchenbauer, [37] der es wohl bemerkte, wie Brosi so verloren um sich schaute, hielt das für eine Verlegenheit von jenem trotzigen Aufbrausen an seinem Hochzeitabende her; er trat daher auf Brosi zu, versicherte ihn herablassend seiner Gunst, und nun sprachen die beiden Gesellen den üblichen Einladungsspruch. Die neue Braut reichte dann nach gewohnter Sitte den Brodlaib, um eine Schnitte abzuschneiden, brachte aber gleich darauf auch ein groß Stück Kuchen zum Gruß an Moni, äußerte die Freude, daß an ihrem Brautmorgen ein so fröhliches Ereigniß bei ihr einkehre und versprach, sicher zur Hochzeit zu kommen. Brosi brachte seinen Wunsch vor, daß sie die Brautjungfer sein möge, und nachdem sie ihren Bräutigam geholt und diesem das Verlangen vorgetragen hatte, willigte sie gern ein. Trotz dieser Zusage verließ Brosi mit gestörtem Gemüth das Haus; die Verlockungen des Reichthums und das Verlangen, einer großen hochgeltenden Familie anzugehören, waren in seine Seele gedrungen. Er hatte nie darnach getrachtet, solch ein Mädchen zu gewinnen, das war ja unmöglich, denn die Standesunterschiede bei den Bauern stehen fast unerschütterlich fest; jetzt aber fühlte er doch etwas wie Neid und Lust nach geborgenem Vermögensstande. Er dachte auf Einmal wie viel Hammerschläge er thun müsse, bis er sich nur ein Geringes erobert haben werde; und nachmals hat er noch oft und oft davon erzählt, daß er damals auf der Schwelle des Furchenbauern erfahren, »wie der Teufel in jedem Menschen wohne und Meister werde, wenn man ihn nicht gleich beim Grips fasse und erwürge.« Jetzt hatte Brosi nichts [38] in der Hand als das große Stück Kuchen; das gab er seinen Gesellen und brachte keinen Bissen davon über die Lippen, für sich zum Zeichen, daß er von den bösen Gewalten nichts annehme.

Brosi hatte am vergangenen Donnerstag die volle Wahrheit gesprochen: überall wohin er kam, hatte er nichts als gute Freunde und Niemand, der ihm gram war. Ja, die Freundlichkeit ging sogar so weit, daß man da und dort über seine Schwiegermutter spöttelte und ihn um diese Zuwage bedauerte, Andere machten ihm dabei noch freundschaftliche Vorwürfe, daß er so früh heirathe und sich einen so harten Anfang aufbürde; Alle aber versprachen, sicher zu kommen, zumal da man ja auch zugleich die Einweihung der Kirche mitmache. Es wurde ihm als ein kluger Streich ausgelegt, daß er seine Hochzeit auf diesen Tag festgesetzt, da es ihm so an Zuspruch und reichlichen Hochzeitgeschenken nicht fehlen könne. Von Moni sprach fast Niemand, es kannten sie auch nur Wenige; desto mehr aber sprach Brosi in sich: »Und ihr wisset Alle nicht, daß es mein klügster Streich ist, just die Moni zu heirathen.«

Als er am Abend auf dem Heimweg wieder an des Furchenbauern Haus vorüber kam und die Stelle sah, wo so böse Gedanken ihm in der Seele gewaltet hatten, eilte er seinen Gesellen voraus und wollte schnell heim zu Moni; nur auf das Zureden der Gesellen, wie es sich nicht schicke, daß er allein heimkehre, hielt er gleichen Schritt mit ihnen.

Moni war hocherfreut als sie vernahm, welch eine fürnehme Brautjungfer sie haben werde; als aber Brosi [39] in seiner Offenherzigkeit auch erzählte, welche böse Gedanken ihm in der Seele aufgesproßt seien, wie er sie aber mit Stumpf und Stiel ausgerottet habe, da weinte Moni bitterlich und wollte sich nicht beruhigen lassen, so sehr auch Brosi versicherte, daß Alles wurzweg in ihm ausgejätet sei. Erst nach und nach gelang es ihm, sie zu beruhigen, aber so heiter wie die vergangenen Tage war sie doch nicht.

Auf dem Heimwege nach seiner Schlafstelle fand Brosi mitten in der Nacht eine sehr dienliche Weisheit. »Man muß den Weibern nicht Alles berichten,« sagte er sich, »absonderlich aber nicht von Dingen, die aus und vorbei sind; sie glauben das doch nicht und meinen es sei immer was übrig. Kannst dich darauf verlassen, Moni, du kriegst nichts mehr von dem, was ich einmal 'nunter gedruckt hab'.«

[40]

5. Kapitel

Fünftes Kapitel.

Man redet so lang von der Kirchweih bis sie endlich da ist, das ist eines der unbestreitbarsten Sprüchwörter und es bewährte sich auch in Haldenbrunn.

Im dichten undurchdringlichen Morgennebel, den man nach dem Ausspruche Vieler fast mit Löffeln essen könnte, krachten die Böllerschüsse und ertönten zum Erstenmal die Kirchenglocken von Haldenbrunn allesammt und so hell wundersam von unsichtbarer Höhe, daß Alles auf die Straße rannte und Eins dem Andern zurief, doch auch hinzuhorchen wie schön das klinge: solch ein Geläute habe keine Gemeinde landauf und landab; Eines bestärkte das Andere in der zuversichtlichen Hoffnung, daß der Nebel fallen und ein heller Tag darüber erscheinen werde.

Brosi ging beim ersten Geläute nach dem Hause seiner Monika, er hatte unwillkürlich die Hände gefaltet, und seine Lippen bewegten sich, denn er sprach vor sich:

»Guter Gott, gieb, daß diese Glocken uns nur Stunden des Glücks und der Freude ankündigen.«

Als das Gesammtgeläute vorüber war, tönten noch drei einzelne Glockenschläge nach, als sprächen sie dreimal Amen.

[41] Moni war nicht in der Stube, sie war in der Bühnenkammer, die Brosi wohnlich hergerichtet hatte; die Thüre war verschlossen und Brosi bat nicht um Einlaß, es wäre gegen allen Brauch gewesen, dieses Gemach jetzt zu betreten.

»Hast's auch so schön läuten gehört?« fragte Brosi und von innen antwortete es:

»O freilich! und ich hab' gewußt, daß du kommst und ich hab' zu Gott gebetet, er soll uns alle Stunden, die uns die Glock' angiebt, in Zufriedenheit erleben lassen und wenn es Leidmuth giebt, soll er helfen, daß wir bald wieder drüber 'naus kommen.«

Das war ja ganz dasselbe was in Brosi's Herzen aufgestiegen war, nur noch bedachtsamer auf Leid und Ungemach. Moni ließ ihn nicht lange hierüber nachdenken, denn sie rief, indem sie eine Kiste zuschlug:

»Wenn sich nur das Wetter auch aufheitert. Geh' 'nunter, ich komm' sogleich.«

Das Apothekerrösle war auch heute noch voll grämlichen Klagens und sagte immer, die ganze Welt sei darauf zugespitzt um es zu ärgern: sich zum Possen müsse es den Tag noch erleben, wo Alles sich draußen freut und es müsse daheim liegen wie eine kranke Katz.

Brosi schauderte bei dieser unzerstörbaren Giftigkeit und der Erinnerung an die Katze; er bat indeß die Schwiegermutter, doch wenigstens heute fröhlich zu sein, er wolle ihr Wein und Braten und Kuchen nach Haus schicken oder selbst bringen, sie solle mindestens heute freundlich zu den ankommenden Gästen sein, sie habe bösen Namen genug.

[42] »So?« rief das Apothekerrösle mit gellender Stimme, »ich weiß wohl, die Leut' halten mich für eine Hex, aber wenn ich machen könnt', daß mich die Leute für des Teufels Großmutter hielten, ich thät's. Lieber möcht' ich von einem tollen Hund gebissen sein, als von den Menschen gern gehabt. Wenn sie so recht Furcht vor mir haben, das ist mir recht. Wenn sie nur so stark Furcht hätten daß sie Alle die Gichter kriegten, wenn ich sie anseh!«

Moni unterbrach diese Herzensergießungen, die noch viel weiter gehen zu wollen schienen, sie brachte ihrem Bräutigam das feine flächsene Hemd, das sie selbst gesponnen, gebleicht und genäht und das er heute den ganzen Tag tragen mußte. Das Apothekerrösle wollte die Geschichte vom Rockertsweible erzählen; das ein Hemd aus Brennesseln gesponnen habe, aber Moni befahl ihr in scharfem Tone davon still zu sein und klagte über die Brautjungfer, die so lang auf sich warten lasse und die Mutter äußerte schadenfroh, daß sie gewiß gar nicht kommen werde. Da ertönte das Schellengeläute eines Fuhrwerkes vor dem Hause, die Brautjungfer war angekommen, ihr vorauf lud man einen großen Sack ab, es war ein Malter Weißmehl, das als Hochzeitsgeschenk in den Hausgang gestellt wurde. Ehe die Brautjungfer in die Stube ging, ließ sie den Sack umdrehen und da war auf demselben deutlich »Ambrosius Heller 1799« in einem Kranze zu lesen. Die Brautjungfer trug einen Rosenkranz um die Hand geschlungen, offenbar zum Schutz gegen die Hexerei des Apothekerrösle; sie schickte sogleich den Brosi fort, da es gegen alles Herkommen war, daß er sich jetzt im Hause befand.

[43] Zum Zweitenmal knallten die Böllerschüsse, die Glocken läuteten und Alles jauchzte, da die Sonne hell hervorbrach. Moni war besonders glücklich, da sie just in dem Augenblicke so hell erglänzte als ihr die Brautjungfer die Flitterkrone, die sogenannte Schappel aufsetzte. Die Sonne hatte aber in Haldenbrunn noch gar viel andere Herrlichkeiten zu bescheinen: vom Thurme flatterten Fahnen und an den Häusern hingen überall Kränze von grünen Tannenreisern und Stechpalmen, aus denen in Ermanglung von Blumen aufgereihte Hagebutten und Zweige von Pfaffenhütchen und Vogelbeerbüschel hervorschauten. Der Auerhahnwirth hatte von seinem Hause nach dem gegenüberstehenden Kirschenbaume am Röhrbrunnen einen mit vielen Bändern verzierten Kranz gezogen, und auf den Straßen lagen überall Tannenreiser, Ginster und sogenanntes Schafterheu; der Wald hatte seinen Gruß gesendet zum Danke dafür, daß ihn nun Glockenschall durchhallte.

Die Burschen von Endringen kamen alle insgesammt unter Pistolenknallen und mit bänderverzierten Rosmarinsträußen auf dem Hute, sie holten Brosi ab, um ihm das Geleite nach der Kirche zu geben. Als es zum Drittenmal läutete, Böller- und Pistolenschüsse knallten, ertönte die Musik, die beiden Hochzeitläder gingen mit gezücktem Säbel vor und hinter der Braut; zum Erstenmal ertönte zum feierlichen Gottesdienste die Orgel in der Kirche und man sah viele Leute vor Freude und Rührung weinen. Der Geistliche, ein Heimathgenosse Brosi's, aus Endringen gebürtig, verstand es, die rechten Worte für die Weihestimmung zu treffen und als [44] er die Anrede an Brosi hielt, wünschte er ihm, daß sein Glück so fest und ohne Wanken sein möge wie die Steine des Baues, die er zusammenfügen geholfen.

Beim Ausgang war ein großes Gedränge, abermaliges Läuten, Böllerkrachen und Musikschall und jetzt, nachdem der nöthige Ernst abgethan war, brach die Freude mit verdoppelter Macht hervor.

Die Brautführer geleiteten die Braut und deren Gespiele bis in's Wirthshaus, stießen dort ihre Säbel in die Stubendecke, genau da, wo Braut und Bräutigam sitzen müssen und nun begann der Brauttanz. Es war eine Lustbarkeit, wie sie zwischen den dunkeln Wäldern noch selten gefunden war und Brosi nickte zu frieden als ihm einer der Burschen mitten aus dem Tanze zurief: »Heut sind wir Alle lauter Brosi's.« Er selbst fühlte sich in seiner neuen Würde zu ernstem Maßhalten gestimmt, er hatte auch dafür zu sorgen, daß er mit Jedem der Gäste ein freundliches Wort sprach und daß Jeder für sein Geld gehörig bedient werde. Auch hatte Brosi Grund genug zu ernstem Nachdenken. Er hatte seiner Schwiegermutter Wein und Essen nach Haus gebracht und sie hatte vor seinen Augen den Wein in die Stube geschüttet und dabei so höllisch gelacht, als wäre ihr Wunsch vom Morgen in Erfüllung gegangen und sie wirklich des Teufels Großmutter. Er suchte indeß den Gram darüber zu verwinden und in erster Anwendung seines vor der Hochzeit angelobten Verfahrens unterließ er es, der Moni etwas davon zu sagen. Diese strahlte in harmloser Seligkeit und brachte es eben dadurch auch zuwege, ihn zu erheitern und [45] den Vorsatz in ihm zu befestigen, das Apothekerrösle wie einen Narren zu behandeln, mit Geduld und Gleichgültigkeit.

Als es Abend zu werden begann und manche Gäste sich zur Heimfahrt anschickten, schrie Alles wie aus Einem Munde:

»Bändelestanz! Brositanz!« und Brosi mußte den auf der Hochzeit des Furchenbauern erfundenen Reigen abermals ausführen. Heute aber faßte er nur seine Moni und sang dabei:


Weil Scheiden bitter ist

Und 's Lieben süß,

Jetzt leg i meim rechten Schatz

D' Händ unter d'Füß'.


Trotzdem schon viele Pferde auf der Straße angespannt waren und hell wieherten, versprachen doch alle Gäste noch zu bleiben, wenn Brosi auch noch den Hoppetvogel und den Siebensprung ausführe. Er ließ sich dazu nicht lange bitten und man konnte nicht sagen, wer Alles zierlicher und auf den Ton hin genauer ausführte, er oder Moni. Die volle Lustigkeit brach wieder in Brosi hervor, er jauchzte und sprang und sang, daß Alles auf Tisch und Bänke stieg um ihm genau zuzusehen, und als er geendet hatte, rief er: »Eingehalten! Es kommt was.« Er trat mit Moni vor die Brüstung, hinter der die Musikanten saßen, und sagte: »Moni, das ist auch ein Altar und jetzt kommt ein neues Versprechen. Ich nehm' euch Alle zum Zeugen, da schwör' ich's: so lang mir der oberste Musikant da zu allerhöchst [46] oben Leben und Gesundheit schenkt, tanz' ich jede Kirchweih. Schwör' du das auch, Moni, thu's, ich bitt dich drum.«

»Ja, ja, ich schwör's auch,« rief Moni und reichte ihm die Hand; die Musikanten wirbelten einen Tusch und hefteten gleich einen lustigen Hopser dran. Alle Gäste, denen Brosi und Moni das Geleite geben mußten, um von ihnen das übliche Geldgeschenk zu empfangen, betheuerten, noch nie eine so lustige Hochzeit mitgemacht zu haben und der beste Beweis, daß Alles glücklich und zufrieden war, lag darin, daß Moni im Geheim ihrem Mann in's Ohr sagte, sie hätten jetzt neben dem Sack Mehl und Anderem schon dreißig Gulden baar über die Hochzeitskosten eingenommen.

»Hast's gezählt?« fragte Brosi.

»Ja, ich hab' Alles ungesehen abgezählt, eh ich's in Sack than hab'; da rechts hab' ich achtzehn und da hab' ich sieben und zwanzig Gulden. Wir kaufen dem Beständer unser Küh'le ab, es ist gar ein brav Küh'le, das wird das beste sein.«

»Ja, ja,« sagte Brosi, und rieb sich vergnügt die Hände, er sah schon jetzt wieder deutlich, was für eine »hausliche« Frau er hatte.

Nachdem die Braut gestohlen und dann wieder ausgelöst worden war, ging die Lustbarkeit von Neuem an. Brosi sprach im Geheimen vom Heimgehen, aber Monika hatte noch manche Leute im Auge, die noch kein Geschenk gegeben hatten, deren Weggang mußte abgewartet werden. Endlich nickte Moni still als ihr Brosi wieder winkte, sie schlich sich fort und bald war [47] Brosi bei ihr auf der Straße; aber so verborgen sie sich auch glaubten, sie waren doch entdeckt worden und Musik und Gesang tönte ihnen von den Fenstern heraus nach.

Nicht weit von ihrem Hause sprang Moni davon, er ließ sie gewähren, denn es gilt als Zeichen, daß der die Herrschaft bekommt, der zuerst in's Haus tritt und Brosi sah schon, daß er gut dabei stand, wenn er seine Frau walten ließ. Er sah sie in das Haus treten und die Thüre hinter sich offen lassen, aber so sehr er auch das Haus durchsuchte und sie rief, er fand sie nirgends, auch in der Bühnenkammer war sie nicht und nicht auf dem Heuboden, nicht im Stall und Keller. Endlich rief er: »Soll ich an meinem Hochzeittag fluchen? Und das muß ich, wenn du nicht kommst.«

»Such' das Geheimniß,« rief eine Stimme wie aus der Ferne und auf die Bitten Brosi's rief es endlich deutlicher: »Da bin ich.« Unter der Treppe war ein Laden, der in die Raufe nach dem Stalle ging und Moni erklärte, daß sie hier hin verschwunden sei in jener Nacht als sie ihn aus dem Hause bettelte.

[48]

6. Kapitel

Sechstes Kapitel.

Man hatte sich bisher in Haldenbrunn mit einer zerfallenen Kapelle auf dem Gottesacker begnügen müssen, und man muß es wissen, was es heißt, wenn ein Dorf zum Erstenmal eine eigene Kirche hat. Es ist als ob der heilige Geist sich leibhaftig unter den Bewohnern ansässig gemacht hätte und wiederum als ob Alle gemeinsam ein schönes unzerstörbares Sonntagsgewand bekommen hätten; der wahre heilige Geist, das Gefühl der Gemeinsamkeit und Allgehörigkeit, erhebt die Herzen, macht sie froh in sich und freundlich Eines dem Andern. Verstünde es die Kirche, diese Weihestimmung, dieses Gefühl der Brüderlichkeit und Gemeinsamkeit vor Allem in den Herzen wach zu halten, sie wäre die Heilsanstalt, deren Beruf sie sich zuschreibt.

Fast noch mehr aber als an der Kirche freute sich Alles an den Kirchenglocken. Wie still und ungezählt waren die Stunden des Lebens vorübergegangen, wie lief man in des Nachbarn Haus oder schaute nach dem Schatten, um die Tageszeit zu erkunden; jetzt tönt es allezeit vom Thurme und die Berge, solchen Klanges ungewohnt, sprechen ihn nach, und im Walde legt der Holzhauer die Axt nieder und spricht: das ist unsere Glocke, die elfe schlägt – und dieses unsere thut so wohl und würzt das karge Mahl. Ein feierlicher Hauch [49] webte noch tagelang über Haldenbrunn, und die Tannenreiser, die zu festlichen Kränzen und Bogen verwendet waren, dufteten so würzig; aber der festliche Hauch vergeht, und die Tannenreiser werden bald abgenommen, zu Reisigbüscheln für die Heizung zerhackt und gebunden.

Nur bei Brosi war die Festtagssonne noch nicht erloschen. Zwar gestattete er sich nur noch Tags darauf im Sonntagsgewand einherzugehen, und wenn ihn die Leute grüßten, meinte er, Alle müßten es ihm ansehen, wie glücklich er sei und seine feierliche Stimmung blieb noch lange Zeit. Er begriff oft gar nicht, daß die Leute so thaten als ob das gar nichts wäre, wenn er auf ihre Frage Wohin zur Antwort gab: »Ich gehe heim.« Wußten denn die Leute nicht, daß er zum Erstenmal in seinem Leben eine Heimath gefunden, und daß er jetzt ein doppelter Mensch war, daß er daheim eine wackere nette Frau sein eigen nannte? Ueber seine frohe Stimmung und das volle Erquicken an derselben vergaß er aber nicht, auf das Erste und Nothwendigste bedacht zu sein, und das war: eine Winterarbeit, einen Verdienst in der harten Zeit zu finden. Zwar begann man schon damals hier und dort Winterwerkstätten für Steinmetzen herzurichten, und da Brosi Steinmetz und Maurer war, hätte er wohl ein Unterkommen finden können; aber gleich den ersten Winter aus der neu gegründeten Heimath fortzugehen, konnte er sich nicht zumuthen. Es blieb also nur übrig, Arbeit im Orte zu finden, und da gab es nur eine einzige: Holz fällen in den umgrenzenden Wäldern, und wenn der Boden gefroren ist und sich eine Schneebahn darüber [50] legt, das Gefällte auf Handschlitten thalwärts führen. Der Revierförster war nicht abgeneigt, gegen den damals üblichen Abzug von dem bedungenen Lohne zu seinen eigenen Gunsten Brosi Arbeit zu geben, und er durfte nicht lange zögern, denn ein junger Ehemann in seinen Vermögensverhältnissen mußte der übelsten Nachrede gewärtig sein, wenn er nur einen Tag müßig umherging. Die Waldarbeit wurde Brosi unsäglich schwer, er war von seinem Handwerk an ein stetiges und gleichmäßiges Arbeiten gewöhnt, aber diese oft plötzlichen Kraftanstrengungen ermüdeten ihn mehr als man bei seinem starkknochigen Körperbau vermuthen mochte.

Bald aber gelang es ihm, auch diesem Thun die heitere Seite abzugewinnen. Er nannte den gefrorenen Wald seinen überzuckerten Weihnachtsgarten, und wenn er vor Kälte hüpfte und mit den Händen schlägelte, sagte er immer, er führe jetzt den Friertanz auf. Er sprach zu den Bäumen, die er fällte, so entschuldigend freundliche Worte und bat sie unter allerlei Verbeugungen, doch gnädigst nicht so zäh zu sein und sich in ihr Schicksal zu finden, daß alle anderen Holzhauer sich herzudrängten, um mit ihm gemeinsame Arbeit zu machen. Wenn der Baum schwankte und krachend niederfiel, stieß Brosi immer einen hellen Juchschrei aus. Am glückseligsten war er aber doch, wenn er in sich hinein dachte, welch' ein »kugelig Weible,« wie er es stets nannte, er daheim habe, und manchmal verzehrte er verstohlen, um den Neckereien der Anderen zu entgehen, einen guten Bissen, den ihm Moni »hehlings« in die Tasche gesteckt hatte. Wenn er dann Abends heim kam [51] und die Axt in einen Küchenwinkel stellte, wischte er sich behaglich Reif und Schnee aus dem Bart, stellte sich breitspurig, die Hände auf dem Rücken, vor seine Moni, die am Herde stand und schaute sie so lang an, bis sie lachte; dann sprach er ganz leise mit ihr, damit es die Mutter in der Stube nicht höre, und dieses Heimlichthun, das doch seine traurige Ursache hatte, erschloß wieder seinen besondern Reiz. Brosi und seine Frau waren immer wie zwei Liebende, die sich vor einem keifenden Vormunde nur verstohlen und heimlich nähern dürfen, denn das Apothekerrösle fluchte und schimpfte immer, wenn Brosi und Moni mit einander scherzten, und sagte, sie wollten es noch vergiften, um ihre Narretheien ungesehen treiben zu können. Sprachen sie einmal leise miteinander in der Stube, so heulte und wehklagte das Apothekerrösle, daß man es zehn Häuser weit hören konnte, und die Eheleute ihr Alles versprachen, wenn sie nur still sei. Moni hatte der Mutter einen Theil des Bettes nehmen müssen, und nun klagte diese stets über das hartherzige Kind, das ihr die Kissen unter dem Kopfe wegzöge, und das sie gewiß bald aus der warmen Stube vertreibe; aber sie gehe nicht fort und werde noch einen Menschen finden, der für sie den Vogt hole.

Brosi wollte der Mutter die entnommenen Bettstücke wieder zurück geben, aber Moni duldete das nicht, man dürfe nicht nachgeben, sonst sei man verloren. Moni suchte ihren Mann zu trösten über die schwere Bürde, die er an ihrer Mutter habe, aber dieser sagte gleichmüthig:

[52] »Wir wären zu glücklich, drum müssen wir unser Kreuz haben, das ist einmal so in der Welt; und so schwer ist es nicht, daß wir nicht noch lustige Sprünge machen können.«

Als ihm aber Moni ein beglückendes Geheimniß mittheilte, sagte er doch:

»Lieber Gott, mir ist nur arg, daß das unschuldige Kind die Belferei von deiner Mutter mitanhören muß.«

Jetzt aber war Moni gescheiter, denn sie entgegnete:

»Das schadet nichts. Man wird just nicht giftig davon, das siehst an mir, und in frühen Jahren zu wissen, daß nicht alle Menschen Lämmer Gottes sind, hat auch sein Gutes.«

Ganze Abende saß Brosi bei seiner Frau und sang mit ihr, daß die Fenster zitterten. Weil sie in Gegenwart der Mutter nicht viel reden durften, begannen sie in der Regel bald nach dem Nachtessen, das die Hauptmahlzeit war, Liebeslieder und Schelmenlieder, wie sie ihnen in den Sinn kamen, und wie gesagt, das hässige Wesen der Mutter drängte die Eheleute gerade zu um so größerer Lustigkeit, die freilich in ihnen Beiden steckte. Schien der Liedervorrath erschöpft oder nicht mehr ergiebig genug, so ging es an die wortlose Musik. Hopser und Walzer und besonders der Siebensprung wurden ohne Ende zweistimmig gesungen, bis der Uribasche, der Nachwächter, neun Uhr anrief. Dabei waren aber beide Eheleute nie müßig mit den Händen. Moni hatte von dem Geld, das nach Ankauf der Kuh übrig geblieben war, Hanf gekauft und spann nun denselben mit nie gesehener Schnelligkeit; [53] sie war ja überhaupt allzeit lebhaft und fleißig, drehte sich dreimal herum ehe ein Anderes nur aufstand. Brosi hatte auch nie zu den Langsamen und Trägen gehört; er fand aber in den Winterabenden nichts anderes zu thun, als dieselbe Handthierung, die in der ganzen Gegend heimisch war: nämlich Schindeln zu machen. Damals war es noch nicht wie heute, wo die Holzhändler alles Stammholz aufkaufen und den Schindelmachern nichts übrig bleibt als die astvollen Spitzen, die nur im Kerne zu verarbeiten sind; damals ging man noch hinaus in den Wald und bezeichnete sich eine Schindeltanne, die man als Spaltholz zum Revierpreis und manchmal auch nur für einen Küchengruß erhielt; denn damals wurde noch nicht jeder Baum in sieben Bücher eingeschrieben und verrechnet, da hatte man zartes, das heißt, astloses Holz genug, und wenn man den Stamm in kleine schuhlange Blöcke gesägt und in Würfel gespalten hatte, durfte man nur das Messer oben einsetzen, um mit leichtem Handgriff die Schindel nach der Faser zu schlitzen. Freilich waren sie damals auch noch billiger, das heißt, das Geld war theurer; wenn man heutigen Tages für hundert Stück gern drei Kreuzer bekommt, war man damals froh sie für einen los zu werden. Brosi machte noch am Abend spielend seine zwei- bis dreihundert fertig, und das gab doch immer etwas für Salz und Oel; denn auch dieses brauchte man, da es die Mutter nicht leiden konnte, daß man Lichtspäne in der Stube brannte. Oft stellte Moni mit ihrem Manne den Wettkampf an, daß sie einen Faden abspinne, bis er zwei Schindeln geschlitzt habe, und sie hielt es richtig inne.

[54] So weit die dunkle Tanne die hohen Berge bedeckt, gab es gewiß kein arbeitsameres und fröhlicheres Haus als das von Brosi und Moni, und noch dazu standen sie am Vorabend eines glücklichen Ereignisses; denn das »brave Küh'le,« wie es Moni stets nannte, mußte nun bald ein Kalb bringen, aus dessen Verkauf man ein gut Stück Geld in die Hand bekam, und wenn dann die drei Hühner zu legen aufhören, hat man doch wieder Milch im Hause und eine volle reiche Haushaltung.

Bei jedem Begegnenden auf dem Waldgange und in den Gesprächen bei der Arbeit selbst, forschte Brosi stets nach einer andern Tagesbeschäftigung; aber er konnte und mochte keinen Tag aussetzen, um nach einer solchen umzuschauen, und das besonders seiner Frau wegen; sie sollte nicht merken, wie müheselig ihm diese ungewohnte Arbeit war und erst davon erfahren, wenn er eine andere ausfindig gemacht. Diese Rücksicht war aber nicht lauter Zartheit, sondern vornehmlich auch Stolz. Ein Mann wie er, sagte sich Brosi, darf sich von seiner Frau nicht darum ansehen lassen, daß er so wenig Erwerbsquellen hat; wenn die Frau da mit berathen hilft, ist aller Respect dahin und diesen zu erhalten war Brosi allezeit sehr eifrig bedacht.

Es begann nun die Zeit, wo das Scheitholz zwei Stunden weit nach dem Thal gebracht werden mußte, von wo es im Frühling verflözt oder auf der Achse befördert wurde. Lange bevor der Tag anbrach, zog die Mannschaft mit Fackeln hinaus in den Wald, ein Jeder trug seinen Schlitten mit den rasselnden Anhebketten den Berg hinauf. Es war ein seltsamer Anblick, [55] diese Schaar in den Wald ziehen zu sehen: voraus gingen die Knaben, die nur beim Aufladen helfen mußten, sie trugen abwechselnd die Fackeln und drangen vor in die Finsterniß, als dränge man stets in eine tiefe Grube; dann kamen die Männer, auf den Schultern die Schlitten, deren Geleise nach vorn hornartig aufgebogen und gespitzt emporstanden, so daß die Männer wie ungeheuerliche Riesen mit seltsamen Umzäunungen erschienen; dazu das Rasseln der Abhebeketten, das Knarren der Tritte im harten Schnee und manchmal ein schlaftrunkenes Taumeln auf dem abschüssigen Wege oder gar ein Hinstürzen bei der Unachtsamkeit auf eine tückische Baumwurzel. Manchmal geschah es auch, daß die Fackeln durch unvorsichtiges Halten oder vergessenes Schwingen ausgingen, wo alsdann Alle nach einander und oft mehrere gemeinsam die glühenden Kohlen zu heller Flamme anzublasen suchten: und dabei nichts zuwege brachten als pausbackige glühende Gesichter, die während des Blasens nur bisweilen sich setzten um grimmig zu fluchen. Nachdem man mühsam ein Schwefelholz entzündet und nach einander alle, die man bei sich hatte, an die Fackel gehalten, bis es auf die Nägel brannte, mußte man oft eine Stunde lang auf dem Fleck stehen bleiben, wo man eben war; man durfte es nicht wagen in Finsterniß und Schneewehen weiter zu gehen, bis der Morgen anbrach. Ist schon das Warten in jeglicher Lage ein die innerste Verstimmung leicht aufreizendes, so war es hier noch weit mehr der Fall, man zankte und stritt sich über das geschehene Ungemach, und da man sich bei diesem Streite nicht sah, [56] gab es oft die lustigsten Stimmenverwechslungen, und besonders der Brosi machte oft den Spaß, mit sich selber einen Streit anzufangen oder mitten im Gezänke die Stimme eines Unbetheiligten nachzuahmen und in seinem Namen tüchtig zu schimpfen. Man trappelte auf dem Platze hin und her, wo Eines einen Knaben unter die Hände kriegte, bekam er einen Knuff als muthmaßlicher Uebelthäter, und in das Zanken und Streiten mischte sich klägliches Weinen des Knaben und noch lauteres Schelten und Fluchen des betreffenden Vaters. Es war fast immer so finster, daß man einander in die Augen greifen konnte, und dabei stieß man sich noch gegenseitig mit den Schlitten auf die Köpfe, theils muthwillig, theils im Hader, wenn Einer seinen Schlitten abnehmen, und den Andern dadurch von seiner sichern Stelle verdrängen wollte.

Brosi verhielt sich in solchen Fährlichkeiten auch oft ganz ruhig, und wenn Alles durcheinander lärmte und schrie, schüttelte er sich nur und machte das Rollenhafter, das er sich umgehängt hatte, laut erklingen.

Es bedurfte seines ganzen unverwüstlichen Frohsinns, um in diesen Zänkereien und den darauf folgenden Mühen nicht bis zum Uebermaß verdrossen zu werden.

Hatte man dann seinen Schlitten geladen und die Sperre, die nur aus niederhängenden Scheitern in der Kette bestand, gehörig gerichtet, so galt es, weder der Erste zu sein, der den Anderen Bahn machte, noch auch einer der Letzten, der schon zu glatte Geleise vorfand. Es gelang Brosi nicht, weder mit Scherz noch mit nachdrücklichem Ernste eine feste Reihenfolge herzustellen, ja [57] er wurde gehänselt und mit seinen Neuerungen barsch abgewiesen, weil er von Endringen gebürtig, ein Eindringling und einer der jüngst Eingetretenen war. Brosi war nun meist der Bahnmachende, er stellte sich in die Gabel seines Schlittens und leitete ihn den Berg hinab, bald anziehend, bald sperrend, je nachdem es der Weg mit sich brachte. Oft war es ihm, als müßte das Treiben ihm die Arme ausrenken, und das Ziehen die Brust herausstoßen und noch dazu das allezeit vorsichtige Umschauen auf den Weg und das Aufmerken auf die Genossen, die so unverzeihlich hart hinter ihm dreinkamen; aber Brosi war jung und gesund, und er freute sich dessen doppelt. War er im Thal angekommen, wo er sich zum Verschnaufen ein wenig ausspannte und sich den Schweiß von der Stirn wischte, so reckte und bäumte er sich mit Lust und fühlte die Kraft durch alle Glieder strömen; er sagte dann oft scherzend: »Das Ding ist doch gut, das macht Einem Gaulsknochen.« Das Ziehen im Thale war dann nur noch ein Kinderspiel, eine halbe Arbeit, und so oft er ausschnaufte, pfiff er einen lustigen Ländler dabei.

Die rechte Freude kam aber doch immer erst, wenn er mit sinkender Nacht heimkehrte und mit seiner Moni die gebackenen Schupfnudeln oder gebrägelten Kartoffeln aus der Pfanne aß, und seltsamer Weise wurde der Sack Mehl, den der Gipsmüller geschenkt hatte, kaum merklich leer. Moni mußte einen Haussegen haben, der ihr dazu verhalf; wenn sie auch Schwarzmehl oder sogar Kleie unter das geschenkte Mehl schüttete – die Schupfnudeln waren offenbar dunkel – das Mehl erwies [58] sich doch wunderbar ausgiebig. Moni hatte während des Essens immer sehr viel zu erzählen, und ließ ihren Mann fast gar nicht zu Wort kommen. Dieser merkte wohl, daß sie darum so viel sprach, um ihm Gelegenheit zu geben, den größeren Theil des Essens zu verzehren, denn sie hielt oft die Gabel leer oder gefüllt lange unbewegt vor dem Munde; Brosi hörte ihr ruhig zu und that ihr den Willen, sich ihrer Gutherzigkeit freuend, er nickte meist nur mit dem Kopfe, aber wenn er merkte, daß er seinen gebührenden Antheil hatte, legte er die Gabel nieder und sagte:

»So, Gottlob; jetzt iß du voll aus,« und da half keine Widerrede mehr; Moni durfte nicht aufstehen, bis sie rein aufgegessen hatte und unter steten Betheuerungen, daß sie nicht mehr weiter könne und unter vielem Lachen mußte sie ihm doch willfahren.

Mit dem Schindelnmachen ging es seit Beginn der Holzfuhren nur lässig, denn Brosi war in der That jetzt am Abend »müde wie ein Gaul,« er schlief meist schon auf der Bank hinter dem Tisch ein, nachdem er sich die Würfelscheiter hergerichtet hatte. Wenn ihn dann endlich seine Frau weckte, so verführte sie dabei allerlei Scherze, namentlich kitzelte sie ihn mit einem gedrehten Papierchen auf der Nase und im Gesicht; er wehrte dann stets die vermeintliche Fliege ab und sie mußte ihn zuletzt noch rütteln und rief oft dabei: »guten Morgen Brosi;« dieser aber erhob sich dann in die Hände klatschend und dankte Gott, daß er ihm für jeden Tag zwei Nächte zum Schlafen gebe und auf der Treppe nach der Bühnenkammer gab es dann meist helles Lachen und Scherzen.

[59]

7. Kapitel

Siebentes Kapitel.

Wochenlang sah Brosi während der Werktage kein Haus in Haldenbrunn, so lange die Sonne schien, denn vor Tag ging es in den Wald und erst mit sinkender Sonne wieder heimwärts. Dafür war aber auch der Sonntag ein wahrer Sonnentag, und wenn's auch schneite, daß man kaum die Augen aufmachen konnte; da hatte jede Stunde, ja jede Minute ihre Ruheseligkeit. Wie behaglich wurde am Morgen getrödelt und gezögert, Moni hatte noch, bevor ihr Mann die Augen aufschlug, das Sonntagsgewand hergerichtet so ordentlich und so pünktlich, daß es eine Lust war, sie mußte aber oft drei, viermal die Treppe hinaufrufen und sogar selbst hinaufkommen, um ihn zur Morgensuppe zu entbieten, und manchmal hatte Brosi schon die Kleider im Arm, er setzte sich aber wieder auf den Stuhl und rief durch die verschlossene Thür: »Laß mich noch ein bißle da sitzen, es thut gar so wohl. Sag der Supp' einen schönen Gruß und sie soll warm bleiben, ich versprech' ihr auch dafür eine gute Versorgung.« Erst wenn Moni klagte, daß sie nun schon so lange mit leerem Magen herumgehe, beeilte er sich und sagte dann der Schwiegermutter einen so treuherzigen, sonntagsfreudigen »guten Morgen,« daß selbst diese verboste Hexe [60] freundlich sein und mit ihrer Unterlippe ein Pfännchen machen mußte. Hemdermlig wurde die Morgensuppe verzehrt und so gewiß als die Glocke tönt, mußte ihm jedesmal während des dritten Geläutes Moni helfen den langen blauen Rock anziehen und ihm den dreispitzigen Hut nebst Gebetbuch darreichen. Brosi ging in der Regel Morgens in die Kirche und Moni Nachmittags. Nur in seltenen Fällen und bei besonderen Feierlichkeiten gingen sie mit einander. Brosi ging doppelt gern in die Kirche, weil ein Endringer hier Pfarrer war, und wenn Eines den Pfarrer lobte, vergaß er gewiß nie hinzuzusetzen; »Ja er ist eben von Endringen. Wir sind aus einem Ort.« Brosi war ein frommes, gläubiges Gemüth und hatte eben darum wenig damit zu schaffen; er that seine Pflicht, glaubte was vorgeschrieben ist und war sicher, einst eine selige Urständ zu finden. Er stand in einem unausgesprochenen Einverständniß mit dem Schullehrer, und so oft dieser die Intonation vollendet hatte, stimmte Brosi mit mächtiger Stimme den Gesang an; er war in den Kirchenliedern nicht minder bewandert, wie in Liebes- und Schelmenliedern und war im Stande einen ganzen wankenden Chor aufrecht zu erhalten. »Mir nach!« sprach dann seine aufrechte Haltung wenn er sich erhob, und die Leute ließen es darob nicht an wirklichem und übertriebenem Lob fehlen, worauf er oft seinen Spruch hervorbrachte: »Mein Mann ischt koanr.« Mit seligen Hoffnungen und Verheißungen gespeist, ging Brosi nach Hause, blieb unterwegs bald bei Diesem bald bei Jenem stehen und sprach über Allerlei. Je näher er aber [61] seinem Hause kam und den Rauch von der Lucke des Strohdaches aus dem weißen Schnee aufsteigen sah, um so mehr schmunzelte er in der Zuversicht eines besondern Genusses der auch nie fehlte. So oft er auch sein gutes Dutzend faustgroße Leberspatzen verzehrte, jedesmal rühmte er, daß gewiß, so weit man kocht, Niemand solche Leberspatzen bereiten könne wie seine Moni. Ueberhaupt war es ausgemacht, daß die beiden Ehegatten einander sehr viel lobten; aber Brosi erhielt auch hier den größern Theil und wer es noch nicht gemerkt hat, dem sei es jetzt ausdrücklich gesagt, daß Brosi eigentlich von Grund des Herzens eitel und lobsüchtig war, und zwar sehr eitel und sehr lobsüchtig.

Während der Mittagskirche saß Brosi vor einem durchschossenen Kalender und schrieb – er war ja von Endringen und hatte Schreiben, Tafelrechnen und Lesen gelernt und das konnte damals unter Zehn kaum Einer – mit harter Hand verzeichnete er den Arbeitslohn der Woche, was er davon erhalten und noch gut hatte und wie viel Klafter er überhaupt zu Thal geliefert; daneben wurde der Schindelverkauf genau berechnet und jede besondere Ausgabe, wie etwa die Herrichtung einer zerrissenen Sperrkette verzeichnet. Brosi hätte das Alles wohl im Kopf behalten können, aber erstlich erschien er sich in einer besondern hausväterlichen Würde bei solcher Buchführung – und Moni vergaß es nicht, ihn gebührlich darob zu loben, – und dann war es ihm in der That, als ob er sich eine Last abnehme, wenn er diese Sachen aus dem Gedächtniß schaffte; da auf dem Papier stand es sicher und fest, und wenn [62] es eintönig aus der Kirche läutete, hing er den Kalender mit besonderem Behagen an den Nagel.

Junge Männer, die zu einer selbständigen Wirtschaftlichkeit gelangen, beginnen leicht eine übermäßig genaue Buchführung, lassen aber eben so leicht bald ganz davon ab, im stillen Vertrauen, daß sie nichts Unnöthiges verausgaben. Wir werden aber im Verfolge unserer Erzählung sehen, daß Brosi seinem Vorsatze durch länger als ein halbes Jahrhundert getreu blieb und eben diese wohlgeordnete Sammlung von Kalendern, unter denen die leider nur wenigen Jahrgänge des unübertrefflichen Rheinländischen Hausfreundes sehr verlesen sind, diente uns vielfach als Stützpunkt zu den Ereignissen im Leben Brosi's und erweckten ihn zu ausführlichen Berichten; denn wenn er nur in diese Blätter hineinsah, stand wieder Alles so lebendig vor ihm, als wäre es erst heute geschehen.

Oft war auch Brosi rascher fertig mit seinen Aufzeichnungen und fand dann noch Zeit, bei einem Nachbar einzusprechen. Das hatte aber Moni nie gern, sie sprach es nur Einmal aus und als das nicht gut wirkte, so arbeitete sie fortan im Geheimen mit allerlei Künsten daran, daß ihr Mann sich nicht daran gewöhne, seine Unterhaltung außer dem Hause zu suchen und kaum den Löffel aus dem Mund fortrenne, sondern daß er am liebsten daheim bleibe.

Damals war noch allgemein Sitte auf dem Walde, daß allsonntäglich nach dem Nachtessen die Eheleute, wenn sie gut mit einander lebten, gemeinsam in's Wirthshaus gingen. Es war nicht wie heute, wo der Mann [63] sich allein einen frischen Trunk vom Fasse holt und die Frau mit versauertem Gemüthe daheim läßt. In der Regel gingen die Frauen aber, besonders solche die Kinder und ein großes Hauswesen hatten, wenn sie vom Glase genippt hatten, bald wieder fort und dieser Wirthshausgang war mehr eine Musterung über das Eheleben.

So ging auch Brosi das Dorf hinein und seine Frau hinter ihm, sie that das nicht anders, sie ging nie voraus.

Im Wirthshaus war strenge Rangordnung und Niemand dachte sie zu durchbrechen. Die Großbauern hatten ihren besondern Tisch und bekamen Flaschen und Gläser dazu, die Halbbauern saßen wieder gesondert und hatten glatte Schoppengläser, die Häusler, zu denen Brosi gehörte, saßen ebenfalls für sich und hatten gerippte Gläser. Dem Eintretenden brachte es indeß Dieser und Jener zu und er mußte aus jedem Glase trinken mit einem »Gesundheit« beim Ansetzen, und »Groß Dank« beim Absetzen. Wenn Brosi eintrat, war Keiner in der Stube, der es ihm nicht zubrachte, denn er war von Allen wohl gelitten und daran hatte besonders Moni ihre Freude; sie strahlte vor Glückseligkeit, sie, die Vereinsamte, Verstoßene, die nun durch ihren Mann in die Gemeinschaft der Menschen aufgenommen war. Solche, die früher kaum nach ihr umgeschaut und kein gutes Wort für sie hatten, thaten jetzt als ob sie von je her die besten Freunde zu ihr gewesen wären und die Großbauern sprachen mit ihr und sagten, man sehe es erst jetzt, daß sie eigentlich ein »sauber Mädle« [64] gewesen sei. Das Alles verdankte sie ihrem Brosi, der sie nicht mit den anderen Frauen fortgehen ließ, sondern bei sich behielt, bis sie sich unversehens zu der Wirthin in die Schenke machte, denn sie war oft bald die einzige Frau unter den vielen Männern.

Haldenbrunn gehörte zu Vorderösterreich, und der Krieg mit den Franzosen, in dem viele Söhne aus dem Dorfe sich befanden, bildete natürlich das erste Gespräch; der Sieg Erzherzog Karls bei Stockach, der Rückzug der Franzosen über den Rhein, Bonaparte's Rückkehr nach Frankreich, die Gefangennehmung des Papstes, nachträgliche Berichte über den Gesandtenmord in Rastatt, das Alles lief wirr durcheinander mit Vermuthungen über die Zukunft. Bald aber verließ man die hohe Politik, bei der nur die Großbauern das Wort führten, und kam auf Näherliegendes.

Es ist allezeit wohlgethan, daß gesunde Menschen die Kraft in sich erwecken, mitten unter Drangsal und Bangen einen Scherz zu erhaschen, daß Einem das Wasser in die Augen tritt. Das dachten die Haldenbrunner nicht, aber sie thaten es, und das ist am Ende gleichviel. Der Sohn des Nachtwächters, auch ein jung verheiratheter Mann, des Uribasche's Kalter genannt, weil er die Eigenschaft hatte, daß er nichts Warmes genießen konnte, war das Stichblatt des eben nicht wählerischen Scherzes; besonders am Tische der Großbauern gab es darob oft ein Lachen, daß der Tisch wackelte und Gläser und Flaschen an einander klirrten. Brosi war dabei der erfindungsreichste Urheber neuer Scherze und Neckereien, und unversehens[65] war er selber der Gegenstand des Hänselns geworden; er merkte das wohl, aber es erheiterte ihn Andere zu erheitern und er gab sich selber zum Besten so viel man wollte.

An dem Abend, an dem dies zum Erstenmale geschah, ging Moni still hinter ihrem Manne drein nach Hause und so behutsam sie auch im stillen Kämmerlein sagte, daß er sich nicht zum Narren hergeben dürfe, sonst könne er künftig allein gehen und sie wolle diese Ehre nicht mehr mit genießen. – Hierüber schmollte Brosi zum Erstenmal mit seiner Frau, er sagte, daß er nicht in's Ehejoch gegangen sei, um alle Lustbarkeit in sich ertödten und beschimpfen zu lassen und er gab seiner Frau keine Antwort, als sie ihm gute Nacht sagte.

In dieser Woche ward Brosi die Arbeit doppelt schwer, er pfiff keine Ländler beim Ausschnaufen im Thale. Moni war stets gleich freundlich, er wartete indeß stets, daß sie ihn um Verzeihung bitte; sie aber that es nicht, und Brosi ging immer zu Bette, ohne zuvor seinen ersten Schlaf auf der Tischbank zu halten.

Am Sonntag Morgen, als ihm Moni den Rock anziehen half, ihm Hut und Gesangbuch darreichte, sagte Brosi endlich:

»Moni, kannst du mich so in die Kirch' gehen lassen? Hast dich noch nicht besonnen? Bittst mich nicht um Verzeihung, daß du mich einen Narren geheißen hast?«

»Das hab' ich dich nicht geheißen, ich sag' blos, du läß'st dich dazu machen.«

»Das ist gehupft wie gesprungen, das ist eben so viel.«

[66] »Nein, das ist nicht eben so viel, aber geh' nur jetzt.«

»Nein, ich geh' nicht, und wenn alle Leute fragen, warum ich nicht in die Kirch' kommen bin, ich geh nicht,« rief Brosi und versuchte den Rock wieder auszuziehen.

»Denk' nach, ich hab' dir nichts Böses than, geh' jetzt,« bat Moni.

»Denk' du nach,« schalt Brosi, »es ist an dir.«

»Wenn du meinst, ich hätt' dich beleidigt, bitt' ich dich um Verzeihung,« beschwichtigte Moni.

»Ich mein's nicht, es ist so, da soll man die ganze Welt fragen, ob's nicht so ist.«

»Und ich bin auf dem Glauben, daß ich nichts Böses than hab',« beharrte Moni.

»Da soll doch ein Millionendonnerwetter,« schrie Brosi, und zerrte den Rock vom Leib.

»So ist's recht. Kommt's jetzt schon? Ich hab's gewußt, daß es mit dem Gepätschel und Getätschel bald aus sein wird,« kicherte eine Stimme aus dem Hintergrunde und wie versteinert stand Brosi und hielt den Rock in der Hand. Das Apothekerrösle lachte noch frohlockend. Moni zog ihren Mann aus der Stube und draußen sagte sie:

»Brosi, du bist ja der bravste Mann von der Welt und deine Ehr' ist's ja nur, worauf ich bedacht bin; wenn ich's ungeschickt gemacht hab', denk' ich bin nicht gescheiter; ich kann nicht lügen, das willst du gewiß auch nicht. Jetzt geh' in die Kirch' und bitt' Gott, daß er mich gescheiter macht und dich – und dich laßt, wie du bist.«

Sie half ihm nochmals den Rock anziehen und mit[67] großen Schritten eilte er nach der Kirche, ging aber, um kein Aufsehen zu erregen zu dem Lehrer auf die Orgel. Heute sang er nicht vor, er betete überhaupt Nichts von dem was im Buche stand, er betete immerdar inbrünstig zu Gott, daß dies der erste und letzte dumme Streit mit seiner Frau gewesen sein möge. Auf dem Heimwege hielt er sich bei Niemand auf, sondern eilte zu seiner Frau in die Küche und »du hast Recht, du hast Recht,« sagte er stets, wenn Moni ihm erklärte, daß sie ja seine Lustigkeit nicht unterdrücken wolle; im Gegentheil, ein Mann, der das ganze Jahr eine Ehrenhaltung bewahre, der dürfe schon einmal das Garn auf dem Boden laufen lassen, und seine jungen Jahre genießen: wenn man aber allzeit den Lustigmacher spiele, sei man bald der Garnichts, sie selber sei auch noch gern lustig und hoffe, daß ihr noch lange die Musikanten die liebsten Handwerksleute seien.

»Ich brauch' Gott nicht bitten, daß er dich gescheit macht,« sagte Brosi schmunzelnd. Der Friede war geschlossen und wie das immer geht: ein Friedensschluß zwischen Liebenden erweicht die Gemüther gar sehr, Eines will dem Andern sein Gutsein darthun und in besonders eindringlicher Weise, wie solches der ungestörte Fortgang nicht hervorgebracht hätte. Moni lehnte indeß jede Auswägung des Schuldantheils an der Mißhelligkeit klüglich ab, obgleich Brosi auch hier den größern Theil auf sich nehmen wollte; sie sagte immer: »Das Wasser ist den Bach 'nab und vorbei.«

Beim Essen, wo es wieder munter herging, mußte Moni ihrem Manne viel zureden, aber beim besten[68] Willen brachte er es heute nicht zu seiner gesetzten Zahl Leberspatzen; der Zank am Morgen hatte ihm doch die Eßlust etwas verdorben. Moni versprach den Ueberrest auf den nachkommenden Hunger aufzubewahren.

Als sie am Mittag nach der Kirche ging, erschloß es ihr plötzlich wie eine Offenbarung: sie konnte bei ihrem Manne Alles zuwege bringen, wenn sie bei einer Zurechtweisung ein Lob vorspannte. Voll Dank und Freude saß sie in der Kirche und sang laut mit.

Brosi war unterdeß daheim mit der Aufzeichnung seiner Wochenarbeit bald fertig, aber noch lang saß er über das Blatt gebeugt und hielt die Feder fest, er wollte sich's zur Warnung aufzeichnen, daß er eine Woche Fröhlichkeit verloren und heute den ersten unnöthigen Zank mit seiner Frau gehabt habe: aber wozu das aufschreiben? und noch dazu da wo es Jedermann lesen kann? Er konnte es aber nicht unterlassen zur Erinnerung drei eingeringelte Kreuze zu machen, und wie gesagt, so oft er solch ein Blatt wieder sah, stand Alles wieder deutlich vor ihm und bei den drei eingeringelten Kreuzen erzählte er diese Geschichte auf's Genaueste.

Am Abend als zur Suppe die rückständigen Leberspatzen eingeheimst waren, ging Brosi wiederum mit seiner Frau nach dem Auerhahn. Er hatte ihr vorausgesagt, daß er nicht mit Einemmal absetze, und hielt es auch so, er ließ sich nur maßhaltend zu Scherzen herbei.

Es giebt Menschen, die, wenn sie in Gesellschaft mit Andern sind, theils aus Langeweile theils aus Gefälligkeit gerne Lachen erregen, und dabei leicht ihre natürliche Laune überschrauben und sich selbst zum Besten [69] geben; sie spinnen sich in ein Netz von Späßen, aus dem sie gar nicht mehr heraus können, auch wenn sie sehen, daß die Gutmüthigkeit mißbraucht wird und man diese Opferung noch dazu für Eitelkeit hält.

Und noch Eins: in vielen Kreisen der geselligen Lust hat man weit eher und länger seine Freude an lächerlichen und sogar an spottsüchtigen, als an eigentlich lustigen Menschen. Wer über das menschliche Leben nachdenken mag, der wird sich das leicht erklären, und es hat mehr als Einen Grund.

Man findet Beispiele hiefür an albumbedeckten Tischen, wie in tabaksdampferfüllten Dorfschenken.

Heute, da sich Brosi ruhiger verhielt, merkte er, in welcher Gefahr er gestanden hatte; denn Einmal in die Rolle des Lustigmachers gekommen, ist es unsäglich schwer, sich ihrer wieder zu erledigen.

Jetzt war es noch Zeit, die Voraussetzung zu zerstören, daß er sich zu dem gnädigen Spaß der Großbauern hergebe.

Als er mit seiner Frau heimging, lobte er wiederholt ihre Klugheit und es lag ein tiefer Schmerz um die verlorene Harmlosigkeit darin, als er hinzusetzte: »So geht es Einem, wenn man in fremdem Ort ist, wo man Einen nicht von Jugend auf kennt; da sind die Menschen wie Räuber auf Einen hinein. So gegetreue Menschen, wie in Endringen, die giebt's nicht mehr in der ganzen Welt.«

Das war das Erstemal, daß sich ein seltsames Heimweh in Brosi festsetzte und dieß behielt er, wie wir sehen werden, sein Leben lang.

[70]

8. Kapitel

Achtes Kapitel.

Was ist aber alle Menschengeltung und alles Sinnen und Grübeln, wenn's wieder an die Arbeit geht? Dahin wie der Schatten einer fliegenden Wolke. Das ist der Segen aller Arbeit, zumal der lieblichen Handtirung, daß sie den Menschen wieder auf sich stellt: vergessen und nicht da gewesen ist alle kleinliche Verstimmung, die in der Müßigkeit der Mensch über sich kommen läßt, oder die Andere ihm einflößen.

Wenn Brosi in seine Werktagskleider schlüpfte und seinen Schlitten auf die Schultern nahm, wußte und wollte er nichts mehr davon, ob man ihn für einen närrischen Spaßmacher hielt oder nicht; er hatte eine brave Frau, verdiente sein Brod und noch eine Ersparniß dazu, und nun mögen Andere auch treiben und denken was sie wollen; er pfiff seine Ländler so lustig wie je und blieb dabei, daß er sich seinen Frohmuth von Niemand nehmen lasse.

Es hatte nach einem Thauwetter tüchtig gefroren und mit den Steigeisen sich scharf einhakend, marschirte der Trupp nach der Spitze des Kappelberges. Brosi mußte wiederum zuerst auf die Bahn. Er hatte ein halb Klafter auf den Schlitten und die Sperren geladen, aber kaum ist er damit am Bergeshang, da treibt es ihn so gewaltig, daß es ihn vom Boden hebt, und [71] er zappelnd sich mit beiden Händen noch an der Gabel festhält und durch einen glücklichen Schwung treibt er den Schlitten seitwärts und gewinnt wieder den Boden unter den Füßen, er steift sich mächtig zurück, sich fast ganz zurücklegend und schaut hin und her, um nirgends anzurennen, oder eine Stelle zu erkundigen, wo er einen Widerhalt finde, um festzustehen. Die Kameraden oben schreien und pfeifen, aber er versteht nicht, was sie schreien, und was sie mit dem Pfeifen meinen; er sucht aus dem Gurte zu schlüpfen, den er über die Brust gespannt hat, und der ihn an den Schlitten heftet, er will dann eine rasche Wendung versuchen um sich hinter den Schlitten zu bringen und ihn allein den Berg hinabstürzen zu lassen; aber er kann hüben und drüben keine Hand loslassen; der Gurt reicht ihm vom Bücken schon bis an's Kinn, doch er kann mit dem Kopf nicht durchschlüpfen, und jetzt stößt es ihn plötzlich wieder vorwärts, als ob der ganze Berg hinter ihm dreinschiebe. Er sieht und hört nichts mehr, und fortgeschleudert und mit dem Schlitten über einen Hang hinab durch die Luft fliegend, befiehlt er Gott seine Seele; da kracht und poltert es, er liegt zur Seite geschleudert, er lebt, er hebt den Kopf empor, und dort überstürzt sich der Schlitten zwei- dreimal und liegt endlich an einen mächtigen Felsen angerannt. Brosi erhebt sich auf die Kniee, die zitternden Hände in einander faltend betet er ein Vaterunser, und inbrünstiger wurden diese Worte gewiß nie gesprochen, als hier in der erstarrenden Bergschlucht.

Wäre Brosi nicht auf fast wunderbare Weise aus[72] dem Gurte geschlüpft, er läge jetzt dort am Felsen zerschmettert. Das Herz im Leibe zitterte ihm, als er jetzt aufstehend an Moni und das traurige Geschick des vor der Geburt Verwaisten gedachte; er begann nochmals ein Vaterunser, als er es jenseits des Felsens krachen und splittern hörte, und dann war Alles still. Er konnte nicht weiter und setzte sich wie zerschlagen auf den umgestürzten Schlitten; da vernahm er wieder Schreien und Pfeifen, sie suchten ihn gewiß, und mit angestrengter Kraft rief er laut zwischen die beiderseits vorgehaltenen Hände: Halloh! Von allen Seiten antwortete es ihm, und der Jörgtoni, bei dem Brosi früher als Schlafgänger gewesen war, stand zuerst vor ihm.

»Hast den Uribasche nicht gesehen? Er ist hinter dir drein,« fragte der Jörgtoni, ohne die glückliche Rettung Brosi's mit Einem Worte zu erwähnen.

»Ich weiß von Niemand was, ich dank' Gott tausendmal, daß ich noch von mir weiß,« antwortete Brosi, und bald standen die Anderen mit leeren Schlitten bei ihm; des Uribasche's Kalter jammerte kläglich nach seinem Vater.

Man umging den Felsen, Brosi schlich mühsam hinter drein und der Jörgtoni, der wieder der Erste war, rief laut:

»Daß Gott erbarm, da liegt er todt.«

Alle standen festgebannt, lautlos, nur des Uribasche's Kalter wimmerte und jammerte und die Zähne klapperten ihm.

»Das ist rack aus gewesen,« sagte der Jörgtoni, der den Zerschmetterten untersuchte. Man lud ihn auf zwei [73] zusammengebundene leere Schlitten, deckte ihm mit dem Kittel, den man ihm auszog, das Gesicht zu, drei Mann spannten sich vor, und auf mühsamen Umwegen auf dem eingefrorenen Bache führte man die Leiche nach dem Dorfe. Der Sohn des Uribasche ging hinterdrein, in der einen Hand trug er die Mütze des entseelten Vaters und wischte sich damit die Thränen ab, die alsbald gefroren, in der andern Hand trug er ein Stück Brod, das dem Vater aus der Tasche gefallen war; er sah wehmüthig darauf, man wußte nicht ob aus Kummer, oder weil er nicht wußte, ob er dreinbeißen solle.

Brosi folgte still und matt, es fror ihn mächtig, als aber die Ziehenden abwechselten, spannte er sich selbst auch vor, und die Anstrengung brachte ihn zu neuer Kraft.

Im ganzen Dorfe war Jammer und Wehklage über den so jähen Tod des Uribasche, ein Jedes wollte sein bester Freund gewesen sein und hatte schöne Thaten von ihm zu erzählen, besonders die Frauen, die sich auch hier am zahlreichsten einfanden, stimmten darin überein, daß man solch' einen braven Nachtwächter nie mehr bekomme. Diese hatte er immer pünktlich geweckt, wenn sie große Wäsche hatte, jener hatte er eine verlaufene Gans heimgebracht und einer Andern ein vergessenes Stück Tuch von der Bleiche geholt. Auch der Kalte, der sonst meist nur Spottreden erfuhr, lernte zum Erstenmal die guten Worte der Menschen kennen; er stand aber noch immer wie vergessen da, rührte nicht Hand noch Mund und hielt die Mütze in der einen und das Stück Brod in der andern Hand. Von der [74] wunderbaren Rettung Brosi's sprach Niemand eine Silbe. Als er heimwärts ging und ihm Moni entgegeneilte, ihn auf offener Straße umarmte und weinend rief: »Gott Lob und Dank, daß du gesund bist,« da sagte er: »Ja, ich dank Gott, daß ich dich hab'; ich hab' doch Einen Menschen, der sich freut, daß ich noch da bin, die Anderen, die thun, wie wenn ich gar kein Mensch wär', weil ich von Endringen bin. Das Nest ist's aber nicht werth, daß einer von Endringen hier Burger ist.«

Moni hatte viel zu thun, ihm diesen Aerger auszureden, sie verschluckte den Kummer, daß er immer Endringen wie ein Paradies lobte und ihren Geburtsort so herabsetzte; nach echter Frauenart sagte sie:

»Dank Gott, daß er uns nicht härter gestraft hat, weil wir in Unfriede gelebt haben; er hat uns gezeigt, was wir verdienen. Gott Lob und Dank, daß die Warnung so an uns vorbeigegangen ist.«

Dem Uribasche galt das erste Läuten der Todtenglocke von Haldenbrunn, und seitdem heißt diese Glocke der Uribasche. Dieses Andenken ist länger geblieben als das andere das ihm errichtet ward; das hölzerne Kreuz draußen am Felsen des Kappelberges, wo er den Tod fand, ist längst versunken und verschwunden.

Am nächsten Sonntag schrieb indeß Brosi in seinen Kalender: »Der Herr über Leben und Tod hat mich vor einem frühzeitigen Ende bewahrt; ihm sei allezeit Preis und Dank. Ulrich Sebastian genannt Uribasche †.«

Des Uribasches Kalter übernahm die Bedienstung seines Vaters als ein Erbamt; man überließ es ihm[75] ohne Widerrede so lang das Mitgefühl um den Tod des Vaters noch frisch war; gegen Neujahr aber mehrten sich die Klagen, daß man dem halben Simpel die Bewachung des Dorfes überlasse, zumal in so gefahrvollen Zeiten, und der Bewerber fanden sich Viele.

Brosi ging seiner Arbeit nach; aber auf Allen, die sie vollzogen, lag eine Bangigkeit: der Tod des Uribasche machte sie beklommen und vor der Abfahrt wurde jetzt oft still gebetet.

Moni erzählte ihrem Manne, daß der Kalte nicht mehr lange Nachtwächter bleibe und Brosi sagte scherzend, das wäre ihm für den Winter ein fröhliches Amt und er würde die Holzfuhren dann aufgeben.

Am andern Tage sah man Moni ungewöhnlich viel im Dorfe umherlaufen, sie ging bei den Großbauern umher, die im Auerhahn so freundlich mit ihr gesprochen hatten.

Als es am Neujahrstage zur Wahl kam, erhielt Brosi die gewichtigsten Stimmen; er that aber noch ein Uebriges, theilte das Amt mit dem Kalten, der auch in den kurzen Sommernächten den Dienst allein versehen konnte und im Winter nur die Stunden vor Mitternacht anzurufen hatte: die nach Mitternacht behielt sich Brosi.

[76]

9. Kapitel

Neuntes Kapitel.

Der Uribasche hatte den Tod erleiden müssen, der auch Brosi bedrohte, jetzt erbte dieser noch gar das Amt des Verstorbenen und just mit dem Jahrhunderte trat Brosi sein Amt an. Haldenbrunn hatte die schönsten Glocken in der Umgegend und den gewecktesten, hellgestimmtesten Nachtwächter dazu. Mit einer Andacht und einer Fröhlichkeit, die Jedem der es hörte, das Herz erfreuen mußte, sang Brosi die Stunden an. Es war ihm eine Lust, in den als Gemeindeeigenthum ererbten Schafpelz und in die Ohrenkappe versteckt mit der Hellebarde in der Hand oft zum wandelnden Schneemann geworden, durch das Dorf zu schreiten und mit heller Stimme mahnend und tröstend die Stunden zu verkünden; da ging er hin in stiller Nacht und Niemand hörte ihn als sein eigen Ohr und der Gott über ihm und er sang so schön und aus voller Seele, er schenkte sich keinen Vorschlagton so oft er auch die Weisung wiederholte, die Töne kehrten wieder in seine Seele zurück wie eine Botschaft vom Himmel und sein Geist wurde größer und allezeit fröhlicher in der einsamen Nacht. Es schlafen die Menschen, Leid und Freud ist dahin, draußen stehen die Sterne und schauen glitzernd hernieder und warten, bis der Tag erwacht.


[77]

Zwölf, das ist das Ziel der Zeit,

Mensch, bedenk' die Ewigkeit,


sang Brosi und schritt dahin, so wünschelos, so in sich gesättigt, als wäre er allein auf der Welt und wiederum schon in der Ewigkeit.

Und in einsam stiller Nacht legte Brosi einen großen Theil seiner Eitelkeit ab, er sang seinen Spruch so voll, so ganz, mochte ihn ein Mensch hören oder nicht. Fröhlich und fromm, in jedem Tone glückselige Zuversicht klang es, wenn er den Tag anrief:


Hört ihr Herrn und laßt euch sagen

Unsre Glock hat vier geschlagen.

Vierfach ist das Ackerfeld,

Mensch, wie ist dein Herz bestellt?


Alle Sternlein müssen schwinden,

Und der Tag wird sich einfinden;

Danket Gott, der uns die Nacht

Hat so väterlich bewacht.


Einst in stiller Winternacht hatte ein menschenfreundlicher Herr seine Herberge im Dorfe genommen, es war ein Mann von wohlwollendem und fröhlichem Herzen, das die Gedanken der Menschen in sich trug, die nur dürftige Kunde geben können von dem was sie bewegt. Der Mann erwachte in dunkler Nacht, er hörte den Wächter draußen rufen, ein Heim weh bemächtigte sich seiner nach dem schlichten Reden und Denken der Volksgenossen unter denen er einst gelebt, und er hieß die Sprache feststehen, die bisher nur die Luft getragen [78] und faßte das klanglos verborgene Leben in melodisch gebundene Worte.

Der Mann, der nachmals Brosi so viel heitere und erquickende Geschichten erzählte, der Allemannische Dichter, wurde von ihm in stiller Nacht zum Innewerden seines Heilthums erweckt.

Der Wächter und der Dichter haben nie von einander den Namen erfahren und doch wurden Beide einander zum Heile.

Brosi erfuhr nur von minder bedeutenden Zuhörern das Lob über sein Taganrufen, und er konnte sich nicht enthalten auf solchen Ruhm hinzu zu setzen: »Mein Mann ischt koanr,« aber er sagte diesen Spruch doch nicht mehr so ungemessen selbstzufrieden wie sonst.

Ein Nachtwächter hat aber nicht immer gottselige und fromme Gedanken, sein Gemüth ist weit weniger allzeit empfänglich als seine Kehle, und wo nächtige Gesellen beisammen sitzen und sich am kühlen Wein laben, da kann man sich darauf verlassen, daß der Nachtwächter unter sie tritt, nicht als nachgeborner Cherub der Polizei, der die Seligen aus dem Paradiese vertreibt mit rostiger Hellebarde; nein, er setzt sich ruhig an den Seitentisch beim wärmenden Ofen und täuscht sich nicht in der Hoffnung, daß die Seligen gern spenden, und auf die Frage, welche Zeit es sei, hat er die trostreiche Antwort: »Noch früh am Tag. Erst Ein Uhr.« Wie manchen guten Trunk hätte Brosi verschlafen, wenn er nicht Nachtwächter geworden wäre, und er hatte oft die Genugthuung, daß ihn lustige Zechbrüder zu sich riefen, wenn er die Stunde ansang. [79] Ein Amt, und sei es auch das geringste, giebt doch alsbald auch eine Würde. Brosi ließ sich durch kein Zureden und Versprechen dazu herbei, selber mit zu jubeln und tolle Streiche zu machen; er störte die Lustbarkeit der Anderen nicht, aber er selber blieb in Amt und Würde.

Oft hatte er noch die besondere Sendung, den Kappelbauer heim zu geleiten. Dieser zechte und kartelte oft Nächte hindurch mit dem Auerhahnwirth und die leichten Karten spielten nach und nach ganze Morgen Hochwald in die Hände des Wirths. Der Kappelbauer war kinderlos, hatte aber dafür eine Frau, die mehr Lärm machen konnte als zehn Kinder in der Abenddämmerung. Wenn nun der Kappelbauer seinen richtigen »polnischen Rausch« hatte, wie er es nannte, stützte er sich auf die befreundete Macht Brosi und begann in mehr als liebevoller Hingebung zu klagen, welch eine böse Frau er habe und wie sie ihn die wenigen Stunden nicht werde schlafen lassen. Er konnte dabei untereinander fluchen und weinen, bis Brosi einst ein kluges Mittel fand:

»Weißt was?« sagte er, »wenn deine Frau zankt, daß schon so spät sei, sagst, es sei ja erst zehne und ich steh' vor deinem Haus und ruf' zehne an.«

Der Kappelbauer weckte sogar seine Frau und als Brosi den Zank losgehen hörte, rief er mit verstellter Stimme, als wenn des Uribasches Kalter sänge, zehn Uhr an, und nur noch ein lautes Lachen erscholl, dann ward es still im Hause des Kappelbauers.

Einen ganzen Winter lang ging dieser Betrug vor[80] sich und außer den beiden Betheiligten wußte Niemand davon als der Auerhahnwirth. Brosi machte sich nicht im Geringsten ein Gewissen daraus, die ganze Wahrhaftigkeit seines Berufes zu mißbrauchen, und doch war es derselbe Mann, der zu Zeiten von den heiligsten Gedanken getragen dahin schritt; der Uebermuth des Scherzes deckte Alles zu und die Trinkgelder des Kappelbauern waren reichlich. Gemahnte ihn doch bisweilen eine innere Stimme, so beschwichtigte er sie mit dem Einwande, daß der Kappelbauer auch ohne diese Beihülfe sein Leben nicht ließe und nur Zank dadurch verhütet werde, daß der Kappelbauer nicht mehr lange lebe und die Wittwe noch immer reich genug bleibe; im nächsten Winter aber, wenn der Kappelbauer doch noch leben sollte, gelobte er sich diesen Betrug nicht mehr mit zu machen.

Auf Diebe hatte Brosi wenig zu achten, denn es gab damals in Haldenbrunn nichts zu stehlen als etwas Holz, und dessen konnte man bei Tag genug habhaft werden; aber manchem Burschen, der aus einem Fenster sprang und durch die Schatten an den Häusern dahin huschte, winkte er mit der Hellebarde und rief ihm auch einige Spottworte nach. Oft klopfte er auch an ein Haus und weckte die Leute, wenn er hörte, daß eine Kuh kalben wollte, ein Pferd sich losgerissen hatte, und das trug immer ein paar Töpfe Milch oder einige Kocheten Kartoffeln ein.

Von den Holzfuhren hatte sich Brosi nicht losmachen können, denn der Revierförster, der anfangs Winter gethan hatte, als ob er ihm eine überschwängliche Gnade [81] angedeihen ließe, hielt ihn jetzt aus Mangel an Holzknechten fest. Brosi war damit zufrieden, er ging immer bei Tag in den Wald, sah mit unnennbarer Erquickung, daß sich sein Besitzthum täglich vermehrte und Brosi war der lustigste Schlittengaul, wie er sich oft nannte.

Nun kam noch das glückliche längstersehnte Ereigniß, daß das »brave Küh'le« endlich kalbte. Der Sprößling war so starkknochig, daß nur zu bedauern war, daß man seine fernere Entwicklung nicht mit erleben durfte; dafür legte aber auch schon nach acht Tagen der Metzger zwei harte gediegene Kronenthaler auf den Tisch und noch zwölf Kreuzer Trinkgeld für die Moni; diese war schon ohnedies im gelobten Lande, denn eine neumelkige Kuh im Stall ist für eine wirthliche Frau eine Wonnezeit und noch dazu begannen die Hühner schon wieder zu legen. Fülle und Reichthum war im Haus und baar Geld dazu. Moni sang wie ein junges Mädchen im Haus umher und Brosi sang mit.

»Jetzt sind wir reich. Jetzt haben wir zwei frischmelkige Küh',« sagte er eines Tages und Moni erwiderte:

»Ich dank' Gott für die eine.«

»Und wir haben doch zwei.«

»Ich hoff' auch, wir kommen mit Gottes Hülfe noch dazu.«

»Nein, wir haben's jetzt schon.«

»Mach' mich nicht zum Narren,« schalt Moni verdrossen und schelmisch erwiderte Brosi:

»Wir haben doch zwei frischmelkige Küh'. Du mußt noch lang wachsen, bis du da 'rauf reichst,« sagte er auf die Stirn deutend, »dein brav Thierle im[82] Stall ist die eine und mein Amt ist die zweite Milchkuh. Jetzt sag' bin ich ein Narr?«

»Ich wollt', die ganz' Welt war so närrisch wie du.«

»Und ich wollt's nicht. Ich will was Apartes haben.«

Es giebt eine Fröhlichkeit, eine innere Durchleuchtung, die sich in gar nichts Besonderem, ja nicht ein mal in Worten ausspricht; eines der Ehegatten oft fern von dem andern hat die vergnügtesten Stunden mit ihm, sei es im Alleinreden oder im inneren Gedenken, und wenn sie sich begegnen, lachen sie einander aus, sie wissen nicht warum und wollen es nicht wissen. So lebten Brosi und Moni seelenvergnügt, während draußen die beginnenden Frühlingsstürme rasten, und wenn das Apothekerrösle noch immer keifen wollte, verstand Brosi oft, es lachen zu machen.

Wenn Brosi um zwölf Uhr sein Amt antrat, stand Moni mit ihm auf und spann bis der Tag anbrach, so sehr auch das Apothekerrösle schalt, daß man ihm auch noch die Nachtruhe raube. Moni hängte einen Rock an das Himmelbett und spann hinter demselben, und wenn Brosi in der Zwischenzeit des Anrufens nach Hause kam, sprach sie leise mit ihm oder ließ ihn einschlafen und weckte ihn mit dem Glockenschlag. Es waren für ihn jetzt manchmal böse Zeiten, der Sturm raste, daß Brosi nur mit höchster Gewalt seine Hausthüre öffnen konnte, die ihm alsbald wieder aus der Hand geschlagen wurde, so daß das Apothekerrösle in der Stube immer laut aufschrie; draußen auf der Straße heulte und toste es, als wollte der Wind alle Wälder [83] zusammenbrechen und die Wohnungen der Menschen in die Luft davontragen; und damit keine Stimme ertöne als das Brausen des Sturmes, rieß dieser dem Wächter das Wort von den Lippen, daß er es selber kaum hörte; drehte Brosi sich um und sang nach der andern Seite, so kam der Wind auch hier herangesaust und benahm ihm fast den Athem. Sturmentgegen wie durch reißende Wogen mußte sich Brosi fortarbeiten und nur eines war gut, es fiel kein Ziegel von einem Dache, denn alle Häuser des Dorfes, ausgenommen die Kirche, das Pfarrhaus und der Auerhahn, waren mit Stroh gedeckt.

Brosi tröstete seine Frau, die über solches Unwetter klagte und immer behauptete, so sei es noch nie gewesen; er betheuerte stets, er freue sich dieses Sturmes, der bringe den Frühling und mit ihm die lohnreiche Bauzeit.

Noch lag tiefer Schnee in den Schluchten, als sich Brosi auf die Wanderschaft begab, er wußte noch nicht, wo er Arbeit finden werde. Moni ließ es sich nicht nehmen, ihm ein gut Stück das Geleite zu geben, sie nahm aber auch gleich ein Beil und einen Strick mit, um auf dem Heimwege dürres Holz zu sammeln. Die Wolken standen noch fest auf dem Berge, über den die beiden Eheleute hinschritten, sie sprachen nichts vom Abschied, und Moni sagte:

»Wenn ich ein geschickt's Wiesle kaufen kann, thu ich's. Ich mach' hundert Ellen Tuch, daraus lös ich ein Ordentliches und etwas Baar haben wir auch noch. Hätt'st dir doch noch einen Gulden mitnehmen sollen.«

[84] »Ich komm' schon fort,« beruhigte Brosi, »aber was ich dir noch einmal sag', versprich mir, daß du dir nichts abgehen läßst, das Näherlisle soll dir warten und neun Tag bleibst im Wochenbett.«

»Das versprech' ich nicht, aber drei Tag, da hast mein' Hand drauf.« Brosi hielt die Hand fest und stand still indem er sagte:

»Ich schreib' wo ich bin und der Lehrer soll mir gleich anzeigen was es ist, ein Bub oder ein Mädle ist mir gleich, wenn's nur wuselt. Wenn ich dem Terkel nur auch gleich in die Augen sehen könnt' – aber es ist schon so recht, der Gipsmüller und sein' Frau wollen Gevatter sein und die Namen weißt auch. Ich hab' dir nichts mehr zu sagen. Jetzt weiter darfst nicht mit. Ich geh' da links 'nauf. Was ich vergessen hab', kannst dir selber sagen. Was du thust ist mir recht, das weißt. Jetzt b'hüt dich Gott, Moni. B'hüt dich Gott alter Schatz und grüß mir den Terkel und laß ihn nur recht schreien, daß er auch gut singen lernt. Jetzt heul' nicht, du thust dem Kind Schaden. Es ist nichts zu heulen. Geh', sing, ich halt dir zu, so lang ich dich hör'.«

Er schüttelte Moni die Hand und schritt davon. Moni setzte sich an den Wegrain, nach einer Weile aber rief Brosi aus dem Walde:

»Ich bitt dich, sing'.«

Und Moni begann:


Es wollt ein Steinhauer wandern,

Auf die Wanderschaft wollt' er gehn.

[85]

Was begegnet ihm auf der Reise?

Ein Mädchen schneeweiß bekleidet:

»Wo 'naus, wo wollt Ihr hin?«

»Ich such' ein Schatz auf Erden,

Oder willst du mein Schatz werden

So komm und bleib' bei mir.«


Brosi stand still und begleitete den Gesang, dann schrie er Juchhu, daß es vom Berg und Thal widerhallte und weiter schritt er singend und Moni ging tiefer in den Wald, sammelte Holz und trug es heim; sie sang aber nicht weiter.

Das Haus war so leer, beim Essen war's so einsam, und hätte Brosi nicht gebeten, es dem Kinde zulieb zu unterlassen, sie hätte viel geweint; sie bewältigte sich und trug ihr Garn zum Weber, der aufrichtig betheuerte, kein so schönes noch auf seinem Webstuhl gehabt zu haben. Moni wünschte nur, daß auch ihr Mann dies Lob gehört hätte.

[86]

10. Kapitel

Zehntes Kapitel.

Das Erdreich wird aufgegraben und Stein an Stein zur Grundmauer gefügt, langsam schreitet der Bau fort, bis sich der Bau über der Erde erhebt und in Einem Tage thürmt sich das Gebälke darüber, prangt die Maientanne auf dem Giebel und läßt die hellen Bänder im Winde flattern. Die Menschen, die des Weges kamen, schauten allzeit um nach dem Bau, still ahnend oder hell bewußt, daß wieder ein Fleck Erde der Heimath von Baum und Pflanze entzogen ist, um der Gemeinsamkeit eines Menschenlebens Raum zu gönnen. Wenn der Bauspruch ertönt, stehen sie lauschend versammelt, dann aber zieht ein Jedes dahin und hat noch kaum einen Blick dafür, wie sich der Bau ausfüllt und im Innern vollendet.

Wir haben die Gemeinsamkeit des Lebens von Brosi und Moni sich erbauen sehen, wir kennen das Grundwesen desselben und wollen nun auch im Auge behalten, wie das Schicksal es wendet und wie sie seine Fügungen aufnehmen.

Moni war so glücklich, noch ihr Heu einzuthun und zwar auch das von der neu erworbenen Wiese im untern Thale, die sie von der Wittwe des wirklich verstorbenen Kappelbauern kaufte, und noch stand ein[87] Handkarren voll unabgeladen im Schuppen, als Moni rasch und gesund eines derben Knaben genas, der seine Befähigung zum Sänger mit tüchtigem Schreien bekundete.

Die Tage, die Moni wiederum mit der Mutter allein gewesen, waren voll Hader und Verhetzung; die Mutter hatte eine teuflische Lust daran, der Tochter immer vorzusagen, daß der Brosi gewiß nicht wieder käme und wußte viele derartige Beispiele zu erzählen. Endlich kam ein zufriedener Brief von Brosi, worin er erzählte, daß er nach mühseligem Suchen zuletzt im Elsaß Arbeit gefunden. Moni hatte nicht das Glück den Brief lesen zu können, aber sie trug ihn doch stets bei sich und war nicht mehr allein, und als sie das Kind in den Armen hielt, war sie eine glückselige Mutter und Frau.

Unterlieferanten waren in das Dorf gekommen und hatten zur Ausrüstung des Heeres alles Leinenzeug aufgekauft. Moni erhielt für ihren Vorrath ein schön Stück Geld und in diesem Sommer baute sie selbst etwas Hanf, sie hatte einen Theil der neuerworbenen Wiese versuchsweise dazu verwendet und den Grasgarten am Hause zu einem Kartoffel- und Krautacker verwandelt; dabei lebte sie so sparsam, daß sie noch Milch verkaufte. Die schwarze Henne, die immer am spätesten zu legen aufhörte und am frühesten wieder anfing, hatte gebrütet und elf Junge glücklich erzogen, deren Verkauf nun auch eine gute Beisteuer gab. Der kleine Knabe, den die Mutter immer in einem Korbe mit sich auf's Feld nahm, gedieh zusehends.

[88] Der Sommer ging rasch vorüber. Brosi hatte Einmal geschrieben und nicht wieder, man hatte ihm die Geburt seines Sohnes angezeigt und dabei blieb es; bei sparsamen Landleuten ist das Postgeld das überflüssigste von allen. Moni hatte ihre Grummet eingethan und damit das ganze Haus vollgestopft, daß es ganz von süßem Duft erfüllt war; sie hatte ihren Hanf gejätet, gedörrt und gebrochen, die Kartoffeln eingethan und das Kraut eingeschnitten, so segenerfüllt, so spickvoll war das Haus noch nie gewesen. So oft Moni nach dem Walde ging, um Holz zu raffen, hielt sie sich möglichst in der Nähe des Waldweges, sie hoffte täglich, daß Brosi daherkommen müsse. Der Nebel stand schon wieder tagelang auf den Bergen und endlich schneite es sogar; aber Brosi kam noch nicht und Moni tröstete sich, daß drunten im Lande wohl noch heller Herbst sei und die Bauarbeit noch fortgehe.

Eines Abends als der kleine Nachtwächter, wie ihn die Großmutter stets hieß, mächtig schrie, hörte man es vor der Thüre plötzlich quicksen wie von einem jungen Schweine; der kleine Nachtwächter horchte auf diesen Laut und war einen Augenblick still, da öffnete sich die Thüre und –

»Wart' ich will dich,« rief eine starke Männerstimme. Der kleine Knabe schrie wieder, aber noch lauter als er rief Moni:

»Lieber Gott, lieber Gott! Mein Brosi,« sie faßte seine beiden Hände, er drückte sie rasch und beugte sich dann zu dem Knaben nieder, der den fremden Mann mit dem bereiften Gesichte, der ihn küßte, [89] mit großen Augen anstarrte, dann aber wieder laut schrie.

»Der hat einen guten Brustkasten,« sagte Brosi und reichte nun auch der Schwiegermutter die Hand, die ihm aber kaum die ihrige reichte und sich nach der Wand umwendete.

»Hast der Mutter nichts mitgebracht?« fragte Moni leise.

»Zuerst bin Ich da, das ist die Hauptsach'. Mit dem Andern hat's Zeit,« sagte Brosi tiefaufathmend sich auf die Bank setzend. »Gottlob, daß ich wieder da bin. Es sieht wüst aus in der Welt, die Menschen sind auf einander, wie wenn Eins das Andere auffressen möcht'! Du bist aber schöner geworden, Moni, ich hab's gar nicht mehr gewußt, daß ich so eine nette Frau hab'.«

Er strich ihr mit der Hand über die erglühende Wange, dann hob er den Säugling sehr unbeholfen aus der Wiege und nahm ihn noch ungeschickter auf den Arm. Moni that ihm das Häubchen ab und zeigte wie viel Haar er schon habe, aber das Kind verlangte nach der Mutter und Brosi ging vor die Thüre und schleppte einen großen Quersack in die Stube, in dem es wieder quickste. Er öffnete den Sack und sagte:

»Ich hab' noch was Lebiges mit in's Haus gebracht.« Er zeigte ein schönes junges Schwein mit vielversprechenden langen Ohren; da aber der Säugling die Freude der Mutter nicht theilte, sondern erbärmlich schrie, wurde der neue Mitbewohner wieder in sein vorläufiges Zelt gebracht und aus der andern Seite [90] des Sackes dem jungen Weltbürger ein rothbackiger Apfel gereicht, den er alsbald zum Munde führen wollte, was die Mutter indeß abwehrte; aber der kleine Schelm verstand es schon, den Apfel auf den Boden fallen zu lassen und lachte herzlich, da die Mutter mit liebkosendem Schelten ihm den Apfel stets wieder aufhob.

»Wie er so herzlich lacht,« jauchzte Brosi und die Mutter behauptete, er könne noch viele Kunststücke, aber sie brachte ihn nicht dazu, daß er jetzt eines davon preisgab.

Brosi legte der Großmutter ein Täfelchen Schokolade auf das Bett und bemerkte frohlockend, er habe es in Erinnerung behalten, daß sie einst dieses Getränk gelobt; aber das Apothekerrösle kehrte sich nicht um und sagte nur: »Ich mag keinen, trink' du ihn, ich nehm's für genossen an.« Brosi biß auf die Lippen, aber Moni winkte ihm beschwichtigend und staunte nun über das schöne Obst, das er auf dem Tisch ausschüttete, wobei sie nicht vergaß, hinzuzusetzen, daß sie ihm die schönsten Zwetschgen aus dem Garten aufgehoben habe. Zuletzt gab es noch großen Jubel, als Brosi Wollzeug zu einem Sonntagskittel aus einem verschnürten Papiere auspackte.

»Es wär' nicht nöthig gewesen, aber es freut mich doch und doppelt, und daß du so an mich denkst freut mich,« äußerte Moni.

Da die Mutter sich noch immer theilnahmlos abwendete, zeigte sie die »Mitbring« dem Kinde und sagte:

»Guck, das hat dein Vater mitgebracht, dein Vater[91] ist ein braver Mann, werde nur auch so. Streichel' ihm zum Dank,« sie nahm das Händchen des Kleinen und strich damit Brosi über die Wangen. Sie mußte ihn das Kind gehörig auf den Arm geben und er tanzte und sang damit in der Stube umher, während Moni schnell das Essen bereitete und aus der Küche mitsang.

Moni hatte viel zu erzählen, und wie natürlich Alles kunterbunt durcheinander, schließlich aber kamen sie doch immer wieder beide darauf zurück, daß sie glückliche Menschen seien, nicht durch die Liebe, davon sprachen sie nicht, sondern durch die Vermehrung ihres Besitzthums; sie hatten es in diesem Jahre weit gebracht, hatten eine fast ganz bezahlte Wiese, und Brosi breitete all' sein erworbenes Geld ein Stück neben dem andern auf dem Tisch aus; er gab dem kleinen Knaben einen nagelneuen Fünflivresthaler als sein Eigenthum, daß er damit zu hausen anfange.

War Brosi in Gedanken auch immer daheim gewesen, und sagte er oft, ein verheiratheter Mann sollte eigentlich nicht mehr in die Fremde gehen, denn er habe sich fast vor sich selbst geschämt, welch' ein Heimweh er anfangs hatte, so war ihm doch wiederum jetzt sein eigenes Leben neu; er empfand das Glück desselben, aber auch das Ungemach, das ihm beschieden war und fast unerträglich erschien. Das Apothekerrösle ließ nicht ab von seiner unbegreiflichen Verbostheit, und jedes gute Wort, das man ihm gab, war ebenso an ihm verschwendet, wie es am Hochzeitstage den Wein ausgeschüttet hatte. Brosi war indeß Manns genug, um [92] diesen Kummer in sich zu verwinden und das schlafende Kind betrachtend, sagte er zu sich: »Du mußt dir's verdienen, daß deine Kinder auch einmal Geduld mit dir haben, wenn du bettlägerig und krittlich bist.«

Obgleich er von der Reise, er war heute zwölf Stunden gelaufen, müde war, wollte er doch noch heute sein Nachtwächteramt, das des Uribasche's Kalter im Sommer allein versehen hatte, wieder antreten, aber Moni, der ihr kleiner Sohn mehr als die Stunden anrief, ließ ihren Mann ruhig die Zeit verschlafen, und als dieser erwachte, war es ihm nur noch gegeben, des Uribasche's Kalten darin abzulösen, daß er für ihn den Tag anrief. Ungesehen von seinen Mitbürgern und ohne daß sie wußten, daß er da war, schritt er durch die Nacht dahin und ließ den Morgensang erschallen, so hell, so von ganzer Seele, daß ihm selber immer froher dadurch zu Muthe ward, und Mancher, der in stiller Nacht erwachte, dachte vor sich hin, oder sprach es laut: »Der Brosi ist wieder da.« Zuletzt sang er noch vor seinem eigenen Hause, und es war ihm, als tönte ihm, als tönte jedes Wort wie ein Segen vom Himmel darauf nieder, und Alles ist geweiht und beschirmt ....

Am Sonntag mußte Brosi im Auerhahn viel erzählen, wie es »draußen in der Welt« aussieht, und er verstand es meisterlich. Der Zug Bonaparte's nach Italien bildete das Hauptgespräch, bald aber fand sich eine näher liegende Verhandlung: die Jahresfeier der Kirchweihe fiel in so unruhige Zeit, daß man sie lieber aussetzen wollte. Brosi gewann aber mit seiner Meinung [93] die Oberhand, daß man gar nicht absehen könne, wann die Welt wieder ruhig werde, darum müsse man lustig sein, so lang es noch tagt.

Zur damaligen Zeit brauchte man noch nicht ein Hin- und Herschreiben vom Amte, um einen Schweinestall bauen zu dürfen. Brosi war damit gerade am Abend vor der Kirchweih fertig und konnte am andern Tage seinen Gästen den Neubau und dessen Bewohner zeigen. Ueberhaupt war es für Brosi ein großes Fest, zum Erstenmal in seinem Hause Gäste zu bewirthen, und zwar so vornehme, wie den Gipsmüller und seine Frau, die zur Kirchweih gekommen waren. Moni verstand es, ihre geringe »Aufwartung,« den Zwetschgenkuchen und den Kirschengeist so nett auf ein schönes weißes Tischtuch herzurichten, und hatte dabei Alles so zur Hand, als ob ein dienender Geist ihr Alles darreiche, so daß Brosi das Lob der Gevatterleute mit innerstem Behagen bestätigte. Dabei war der kleine Kilian, der schon aufrecht auf dem Arm der Mutter saß, »angethan wie ein Graf.« Die Gevatterleute lobten ihren Pathen gar sehr, und wie die Menschen in der höchsten Freude der Gegenwart immer auch leicht die Zukunft mit herein ziehen und die ganzen beglückenden Folgen des Gegenwärtigen genießen wollen, so sagte Brosi immer: »Und ich freu' mich, wie das erst schön sein wird, wenn ich den Kerl erst mit in die Fremde nehm', in's Geschäft. Wenn's nur schon gleich morgen wär'.«

Brosi war, wie wir wissen, ein Mann von starkem Selbstgefühl, aber er hatte doch seine besondere Freude [94] daran, an einem so angesehenen Manne, wie der reiche Gipsmüller war, eine Anlehnung zu haben, das konnte ihm und seinen Kindern zu gute kommen. Er ging zwar auf das Anerbieten des Gipsmüllers nicht ein, ihm bei einem geschickten Häusertausche, (da das jetzige doch gar zu eng schien) beizustehen, behielt sich indeß die Beihülfe des Gevatters für den Ankauf einer neuen Kuh bevor und erklärte sich schließlich gern bereit, statt der Holzfuhren dem Gevatter dreschen und in der Gipsmühle arbeiten zu helfen.

Schön ist's, im eigenen Hause die ganze Fülle seines Glücks zu haben, aber schöner ist's, auch draußen hülfreiche und herzgetreue Menschen zu wissen, bei denen man in Leid und Freud eine Heimath findet, und nicht als Einzelner, sondern Familie zu Familie: die eigene Heimath ist erweitert und vergrößert, und von Haus zu Haus weht sichtbar und unsichtbar eine belebende Gemeinschaft.

Mit strahlenden Angesichtern geleiteten Brosi und Moni ihre Gevatterleute durch das Dorf nach dem Auerhahn. In allen Häusern hatte man heute Gäste, die man freundlich bewirthete, aber gewiß war man nirgends glückseliger und auch stolzer mit seinem Besuche, als Brosi und Moni mit dem ihrigen.

Im Auerhahn waren auch viele Endringer, die Brosi zutranken, er freute sich ihrer und versprach auch nach Endringen zur Kirchweih zu kommen. Der Kirchweihtag war der einzige, an dem die gewohnte Tischordnung aufgehoben war, Brosi und Moni saßen vergnügt bei ihren Gevattern, die Gipsmüllerin durfte[95] nur einen Schleifer tanzen, um so höher sprang aber Brosi mit seiner Frau, nicht zur Erfüllung seines gethanen Gelübdes, sondern in frischer Erregung des Augenblicks; und doch war seine Lustigkeit eine andere als da er noch ledig war, er war nicht minder voll innersten Jubels und doch war es anders, es ließ sich nicht bestimmen, wie und worin.

Als die Gevatterleute abgereist waren und wiederum einen Sack Mehl zurückgelassen hatten, ging Brosi nochmals allein in den Auerhahn, er sang lustig mit, machte sich aber doch frühzeitig heim und sang mit seiner Moni die Tanzweisen, die man vom Auerhahn herunter vernahm; der kleine Kilian schlief ruhig dabei.

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11. Kapitel

Elftes Kapitel.

Mit Dreschen, Gipsmahlen und dem Nachtwächterrufen ging der Winter vorüber, das glückliche Ereigniß des vorigen Jahres stellte sich wiederum ein und Niemand war dessen froher, als der grunzende Mitbewohner hinter dem Hause. Fröhlicher als im vergangenen Jahre trat Brosi wieder seine Wanderschaft an, denn er hatte es nun deutlich erfahren, daß alle Sorge um die Heimath unnöthig war; als er im Spätherbst wieder heim kam, lief ihm der kleine Kilian schon entgegen und der Vater lernte dessen unbeholfene Sprache bald verstehen. Moni hatte viel zu erzählen, man hatte Einquartirung gehabt von allerlei Nationen, Bayern, Russen, Hessen und Franzosen, die aber bisher immer gute Mannszucht gehalten hatten. Dazu kamen noch viele Neuigkeiten aus dem Dorf und der Umgegend. Die Kirchweih in Haldenbrunn und Endringen wurde regelmäßig mitgefeiert und so verging ein zweiter und ein dritter Winter und die Trennungszeit im Sommer. Brosi und Moni standen fest in Glück und Heiterkeit, aber doch empfanden auch sie das Bangen, das damals alle Menschen überfallen hatte; die Erschütterung, die damals ganz Europa ergriffen hatte, wurde in jedem Hause des entlegensten Dorfes verspürt. Bonaparte war Kaiser [97] Napoleon geworden und wir müssen es sagen, Brosi, der viel im Elsaß arbeitete, hatte eine große Verehrung für ihn. Die Gewalt des Kaisers änderte Vieles, aber die Tischordnung im Auerhahn zu Haldenbrunn, die Brosi oft ein Gräuel war, konnte er doch noch nicht umstürzen.

Brosi hatte seine Wiese vollständig bezahlt, und acht Tage bevor ihm sein erstes Töchterchen geboren ward, noch eine zweite Kuh baar bezahlt; dazu kam noch ein neues Bett, das aber Moni ganz allein aus der Kunkel herausspann, ein Schwein wurde alljährlich in's Haus geschlachtet, und es war Alles heiter, nur das Apothekerrösle blieb sich gleich. Da kam eines Tages, Brosi war gerade in der abgelegenen Gipsmühle, russische Einquartirung, die arg in der engen Wohnung hauste. Das Apothekerrösle saß immer aufrecht im Bette und schimpfte und schalt, je mehr der Russe mit dem Säbel auf den Tisch schlug, und die Kinder heulten dazu. Moni hatte Niemand den sie nach ihrem Mann schicken konnte, sie wußte sich kaum zu helfen mit der Beschwichtigung der Mutter, der Kinder und des Russen. Als sie diesem das Essen brachte, warf er es zum Fenster hinaus, durchstöberte das ganze Haus und entdeckte endlich die wohlversteckten Hühner. Das Apothekerrösle schrie jämmerlich, als es draußen die so gut legenden Hühner krähen hörte, und als der Russe mit den Erwürgten in die Stube kam, hatte sein Schelten kein Ende. Als ihm der Russe mit dem Säbel drohend Schweigen gebot, spie es ihm den Geifer in's Gesicht, der Russe faßte es mit beiden Händen am Halse, noch [98] einmal schnappte es auf nach Luft und sank in die Kissen zurück. Der Russe, der jetzt sah, was er gethan hatte, schaute wild umher, raffte Alles zusammen, vergaß aber die Hühner nicht, und entfloh aus dem Hause, als jagte man mit Peitschen hinter ihm drein.

Moni kniete noch am Bett der Mutter, da trat Brosi ein und erfuhr schaudernd Alles, was geschehen war. Es war keine Rettung mehr. Brosi eilte sogleich zu dem Befehlshaber, die Lärmtrommel tönte durch das Dorf, vor dem Auerhahn wurde Musterung gehalten, aber der Mörder fand sich nicht, und die Leute sagten, es sei gar kein Russe gewesen, der Teufel habe das Apothekerrösle erwürgt. Noch am selben Abend marschirte die Einquartirung ab.

Brosi und Moni konnten sich nicht leugnen, daß der Tod des Apothekerrösle gerade kein Unglück war; aber als hätte wirklich ein böser Geist die Hand dabei im Spiele, mußte noch die Art des Todes den Ueberlebenden schweren Kummer bereiten.

Von den sogenannten Todtenfrauen wollte keine die Leiche des Apothekerrösle einkleiden helfen, Brosi und Moni mußten dies allein thun. Da fühlte Brosi um den Leib der Entseelten einen Gürtel, Moni hieß ihn hinaus gehen und nach einer Weile kam sie und hielt in zitternder Hand einen Gürtel, in den Geld eingenäht war; schnell trennte Brosi die Naht und enthülste nach einander zwanzig Ducaten. Brosi fühlte das Gold schwer in der Hand, er legte es auf die Treppe und machte dreimal ein Kreuz darüber, es blinkte hell in der Dunkelheit.

[99] »Sie ist bei alledem doch eine gute Frau gewesen,« sagte Moni, ihr Mann antwortete nicht.

Wäre nicht der Gipsmüller zum Leichenbegängnisse gekommen, es hätten sich nur Wenige demselben angeschlossen, man sah es aber doch allen Menschen an, wie froh sie waren, daß das Apothekerrösle nun unter die Erde kam.

Dem Gipsmüller theilte Brosi auch das Geheimniß von dem aufgefundenen Schatze mit und überließ ihm auf Zureden Moni's die Entscheidung, ob er solchen mit den Schwägerinnen in der Schweiz theilen solle. Der Gipsmüller entschied vor der Hand, bis man später den Schwägerinnen es offen erkläre, für den Alleinbesitz Brosi's, da die in der Fremde ja nichts für die Mutter gethan hatten, sondern die Eheleute sie allein erhalten mußten. Er übernahm hierauf ohne Scheu das Gold und versprach Brosi Silbergeld dafür, das gar nichts Unheimliches hatte.

Man vermuthete, daß der Gürtel, der zweimal kürzer genäht war, etwa bei einem Falle im Walde dem Apothekerrösle die Lähmung gebracht habe. Gewisses ließ sich natürlich darüber nicht herausbringen, aber ein Theil von dem trotzigen, aufbegehrerischen Wesen der Verstorbenen ließ sich allerdings dadurch erklären, daß sie sich im Besitz eines geheimen Schatzes wußte.

Das Haus war nun in doppelter Beziehung frei, das Apothekerrösle war nicht mehr da, und die Schuld, die wie ein Gespenst darauf gehaftet hatte, wurde abgetragen; aber ein anderes Gespenst zeigte sich. Brosi [100] machte mehrere Versuche zu einem Häusertausch, aber Niemand wollte sein Haus übernehmen, in dem das Apothekerrösle nächtens als Geist umgehen sollte.

Noch lange nach seinem Tode plagte es die Insassen durch diesen Aberglauben.

Brosi und Moni fanden sich aber doch nur wenig davon beunruhigt. Zwar kam Brosi immer früher aus der Gipsmühle nach Hause, um seine Frau nicht allein zu lassen, und wenn er die Stunden anrief, begann er vor seinem Hause den frommen Sang, um es damit zu beschirmen und bald fanden die beiden Eheleute, daß sie für ihre ganze Lebenszeit Raum genug im Hause hatten; gehörte ihnen ja jetzt erst die Stube zu eigen, und die wohnliche Bühnenkammer war fast überflüssig.

Friedlich aber still war's diesen Winter im Hause. Der Tod des Apothekerrösle brachte doch auch für die ganze Kriegszeit einen Segen über das Haus: es wurde theils aus Aberglaube, theils aus Rücksicht, ferner mit Einquartirung übergangen.

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12. Kapitel

Zwölftes Kapitel.

Napoleons Continentalsperre gegen England brachte dem Brosi reichlichen Verdienst, nicht als Fabrikant oder Schmuggler, sondern einfach als Maurer bei den vielen Fabrikgebäuden, die besonders im Elsaß errichtet wurden. Wir dürfen aber auch nicht vergessen, daß Brosi durch ein Weltereigniß sehr viel Kummer hatte, denn Brosi wurde plötzlich ein Ausländer. Bei der Theilung Vorderöstreichs durch den Reichsdeputationshauptschluß wurde Endringen badisch und Haldenbrunn württembergisch. Dieser Schnitt ging Brosi in's Herz; er wußte nichts von deutscher Einheit, er war trotz seiner Verehrung für Napoleon doch gut kaiserlich und merkte nichts von diesem Widerspruche; das aber fühlte er doch, was es ist, Länder zu zerschneiden, und jedesmal, wenn er an dem Grenzpfahl im Walde vorüber kam, machte er ihm ein grimmiges Gesicht. Besonders mit seinem Gevatter, dem Gipsmüller, der nun auch ein Badischer geworden war, sprach er viel über die verkehrte Welt, und als es im Laufe der Jahre hart gegen Napoleon herging, war seine erste Hoffnung, daß Endringen und Haldenbrunn wieder zu Einem Lande gehören würden.

Es ist aber wunderbar, wie bald die aufgepfropften Begriffe selbständig ausschlagen. Es vergingen kaum[102] einige Jahre, als die Endringer und Haldenbrunner als Badische und Württembergische einander vielfach neckten.

In dieser Zeit hatte aber Brosi von der Welt doch alljährlich eine besondere Freude. Obgleich der Rheinländische Hausfreund ein badischer Kalender war, brachte ihn doch Brosi jeden Herbst mit nach Hause; aber er las keine Silbe darin, bis das Neujahr wirklich da war, und auf manchem Gang in der Nacht schmunzelte er vor sich hin, wenn er an die lustigen Geschichten dachte, die er gelesen hatte. Von der ganzen Sammlung seiner Kalender waren diese die zerlesensten und in keinem ist mehr eingetragen. Es geschahen aber auch zu ihrer Zeit die wichtigsten Ereignisse.

Der Kilian hatte noch einen Bruder Namens Franz und außer seiner Schwester Rösle noch eine Namens Mariann erhalten, ein zweites Brüderchen lag neben dem Apothekerrösle auf dem Gottesacker. Es gab keine zweite Mutter in Haldenbrunn, die ihre Kinder mehr in Zucht und zur Schule anhielt als Moni; ja sie ging selber noch in die Schule und zwar bei ihrem Kilian, denn sie lernte bei diesem Geschriebenes lesen und selbst die Feder führen. Spielend und ohne daß die Kinder die Unwissenheit der Mutter merkten, lernte sie die Schreibkunst; sie hatte erfahren, wie nachtheilig ihr deren Mangel gegenüber den Kindern war und freute sich auch kindisch darauf, an Brosi selber einen Brief schreiben zu können. Es war ein seltsamer Anblick, wenn die Mutter mit den Kindern um den Tisch saß und wettete, wer zuerst mit seiner »Gschrift« fertig [103] werde. Jener erste Brief Brosi's aus ihren ersten Ehejahren diente Moni als Vorschrift; sie hat dabei freilich nicht orthographisch schreiben gelernt, aber besser als Brosi brauchte sie es auch nicht zu verstehen und ihre Fehler waren gerade die, die Brosi auch machte. Dieser war ganz glückselig als ihm seine Moni so unverhofft einen eigenhändigen Brief in die Fremde schrieb. Die Kinder durften auch oft Briefe an den Vater schreiben, von denen aber natürlich höchstens einer abgeschickt wurde. Der wissenschaftliche Betrieb im Hause war aber doch weit geringer als der praktische in Wald und Feld. Kilian mußte die Kühe in den Wald zur Weide führen, denn die Grasnutzung im Walde war damals noch allgemein, die Anderen mußten Streu einthun, Erdbeeren, Himbeeren, Heidelbeeren und Wachholder sammeln, und theils selbst nach der Stadt zum Verkauf bringen, theils übernahm dies die Mutter. Ein besonderes Handelsgebiet war den Kindern aber auch darin eröffnet, daß sie im Herbste Lichtspäne – lange zugespitzte dünne Scheiben aus dem Kernholz von Kiefern, die man zur Beleuchtung in der Küche benützt – stundenweit in kleinen Körben auf dem Kopf nach dem Getreidelande tragen mußten, um dafür Mehl, Kleie, Schmalz oder auch Aepfel einzutauschen, und manchmal gab es sogar baares Geld, das die Kinder getreulich ablieferten. So kam es, daß Moni mit einem Häuflein Kinder nicht mehr brauchte, als da sie noch allein war, und die Kinder wurden gewitzigt und selbständig und früh auf ein sparliches Umtreiben hingewiesen.

Wenn Brosi im Frühling auf die Wanderschaft zog, [104] begleitete ihn die Mutter mit den Kindern, die beiden Eheleute sangen nicht mehr, aber Brosi rief noch laut in der Ferne die Namen seiner Kinder nach einander, und das war doch noch herzerfrischender als aller Gesang.

Jedesmal wenn Brosi von der Wanderschaft nach Hause kam, kaufte er in der Stadt ein Weißbrod, und je mehr Kinder im Hause waren, je mehr Theile wurden daraus gemacht.

Das Heimweh Brosi's wurde oft wieder stärker, in den letzten Herbstwochen war er immer ein verdrossener Arbeiter, ohne rechte Eßlust und ohne rechten Schlaf. Um sich zu zwingen, setzte er sich daher jedesmal noch eine Woche weiter zum Aufenthalt in der Fremde fest, aber jedesmal wenn diese Woche kam, schenkte er sich dieselbe und eilte heim zu seiner Moni und zu seinen Kindern.

Brosi hatte noch eine zweite Wiese von anderthalb Morgen, die sogenannte Bömleswiese gekauft, es war dieß der Boden eines abgetriebenen Waldes im untern Forlenthale, da wo der Bach eine so starke Biegung macht, daß er die Wiese mehr als im Halbkreise umzieht. Moni hatte auch eine erkleckliche Beisteuer dazu gegeben, denn trotzdem sie vier Kinder hatte, gewann sie immer noch so viel Zeit zum Spinnen, daß sie neben dem Hausbedarf an Leinen fünfzig Ellen jährlich verkaufen konnte; daneben legte sie noch manches zurück zur künftigen Aussteuer für ihre Töchter, und dazu hatte noch jedes Kind einen baaren Fünffrankenthaler, denn Brosi hatte Jedem das Gleiche geschenkt wie seinem Erstgeborenen, und ganz allein von ihrer Ersparniß hatte Moni nicht nur eine vermehrte Kopfzahl für die im [105] Kriege verlorenen angestammten Hühner erobert, sie vermehrte auch noch ihre Hausmacht durch fünf stattliche Gänse.

So schmerzvoll und niederdrückend es ist, wenn ein Familienvater sich trotz aller Mühen von Jahr zu Jahr verarmen und verkommen sieht, und das noch ein glückliches Jahr nennen muß, in dem er sich so durchschlug, daß er nichts einbüßte, eben so erquickend ist das Gefühl, sich wachsen zu sehen.

Es kommt so selten vor, daß Jemand von Grund des Herzens und jahrelang sagt: ich bin ein glücklicher Mensch. Brosi sagte dieß und er war es auch; dabei pflegte er hinzuzusetzen: »Ich hab' Gottlob in siebzehn Jahren dem Apotheker nicht mehr bezahlt als einen Batzen, und den – für Rattenpulver.«

Das innere Wohlgefühl Brosi's wurde aber auch zum Wohlwollen für andere Menschen; nie hörte man ihn ein böses Wort über Jemand reden, und wenn man im Auerhahn oder sonst wo über Einen loszog, duldete er das nicht und nahm sich des Beschimpften in jeglicher Weise an. Es konnte nicht fehlen, daß Brosi bei seiner immerwährenden Heiterkeit für einen halben Narren galt; aber die Rechtschaffenheit und Gutmüthigkeit hat doch so viel Bewältigendes, daß er in Ehre und Ansehen stand und besonders das, daß er Niemand Böses nachredete, machte ihn in vielen Dingen zum Rathgeber und Schiedsrichter und Brosi konnte bei mancher glücklichen Auskunft hinzusetzen: »Ja der Brosi. Mein Mann ischt koanr.«

Die Kinder Brosi's wurden mit diesem Eitelkeitsspruche ihres Vaters frühzeitig geneckt und wo sie hinkamen, [106] hieß es oft: »Wie sagt der Brosi? Mein Mann ischt koanr.« Sie klagten das oft der Mutter, aber diese wagte es nicht, gegen eine Grundeigenschaft ihres Mannes und deren Ausdruck anzukämpfen; sie hatte es einmal versucht und jene Trutzwoche hätte sich fast wiederholt, sie beschwichtigte nun die Kinder so gut sie konnte und besonders damit, daß man Jedem was nachspotten müsse und ihr Vater dürfe das auch schon sagen, es gäbe auch keinen solchen Mann mehr auf der Welt wie er sei. Das merkte sich der kleine Kilian und als er wieder damit geneckt wurde, sagte er stolz: »Und es ist erst noch wahr, so wie mein Vater gibt's Keinen mehr.«

Als man Brosi diese Rede seines Erstgeborenen erzählte, hatte er diesen, der ohnedieß sein Liebling war, nochmal so gern; er nahm ihn oft des Sonntags mit in den Auerhahn und am Werktag in die Gipsmühle. Der Kilian war überhaupt ein gescheiter Bub, er hatte einst das einzige Leidwesen Brosi's in der Frage ausgedrückt: »Vater, bist du nur im Winter unser Vater?« Brosi versprach, ihn bei der Entlassung aus der Schule mitzunehmen, dann habe er auch einen Sommervater.

An der Kirchweih tanzte Brosi allzeit regelmäßig mit seiner Moni, und die Kinder, die auf dem Hausflur waren, tanzten dort ebenfalls. Mit des Kappelbauern Lisle (die Wittwe hatte schon lange wieder geheirathet) tanzte der Kilian den Hoppetvogel und den Siebensprung gerade wie der Vater mit der Mutter.

In dem Jahre als die Verbündeten in Paris einzogen, hatte auch Brosi einen Verbündeten. Er nahm seinen Kilian mit auf die Wanderschaft und sagte zu[107] seiner Moni: »Weißt noch, wie ich mir die Zeit herbeigewünscht hab'? Und jetzt ist sie da. Es kommt Alles. Drum lustig so lang es tagt.«

In dem Jahr als Württemberg einen neuen König erhielt, wurde Brosi noch ein Sohn geboren. Der Revierförster, der jetzige Auerhahnwirth, der zu Gevatter stand, gab ihm den Namxen Wilhelm: Brosi aber rief ihn bei seinem zweiten Taufnamen Severin. Er hatte seine besondere Freude an dem kleinen Severin und sagte oft:

»Ich freu' mich nur, daß wir auch wieder ein klein Kind haben, wenn sie nur auch länger so klein und lieb bleiben thäten; wenn sie einmal größer sind, sind's keine Kinder mehr und machen Einem nur noch die halbe Freude.«

Das erste Lebensjahr Severins war das schwerste für die ganze Familie, es war das Hungerjahr Siebzehn. Brosi war vor Allem darauf bedacht, daß die Mutter und das Kind die rechte Nachrung hätten; aber der Unsegen, der damals auf Allem ruhte, daß man ganze Schüsseln aufessen und doch nicht satt sein konnte, schien sich auch auf die Muttermilch zu erstrecken: der kleine Severin schrie immer, mehr als je ein anderes Kind.

Brosi wäre in seinem ganzen Hausstande zurückgekommen, wenn sich nicht jetzt der Gevatter Gipsmüller bewährt hätte; er verkaufte kein Korn an Brosi; er lieh es ihm nur mit der Bedingung, daß er ihm solches im andern Jahre wieder als Korn zurückerstatten müsse.

Wenn Brosi später den Jahrgang 17 seiner Kalender in die Hand nahm, sagte er: da steht gar nichts darin, ich vergeß das Jahr aber doch nie.

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13. Kapitel

Dreizehntes Kapitel.

Je mehr die Kinder heranwachsen, um so mehr hören die Eltern auf, für sich selber ein Leben zu haben und auch zu wollen; das Schicksal der Kinder wird immer mehr das der Eltern.

Nicht nur am ersten Tage von des Vaters Ankunft, wie dies immer ist, waren die Kinder brav; sie blieben es auch.

Die Kinderzucht im Hause war eine musterhafte, das heißt strenge, es wurde wenig an den Kindern erzogen, aber unbedingter Gehorsam war oberstes Gesetz. Brosi rühmte sich deß oft, indem er hinzusetzte: »Es kann eines meiner Kinder auf dem Dach in Lebensgefahr sein, ich pfeif' ihm nur, huit! und bin sicher, daß es feststeht wie eine Mauer und nicht zuckt, bis ich komm' und es herunter hol'. Das hat mein' Moni zuweg bracht. O die, die könnt' General sein.« In der That war diese strenge Zucht das Werk Moni's, denn ihr Mann war ja den größten Theil des Jahres in der Fremde; war er aber daheim, so konnte man gewiß sein, daß nie eines der Eltern dem andern in einer Zurechtweisung der Kinder widersprach oder nur durch eine Miene einen Widerspruch verrieth, wenn es auch mit der Anordnung innerlich nicht übereinstimmte.[109] Der Vater stand vor den Kindern wie ein höheres, fast unnahbares Wesen, eine Patschhand von ihm war eine hohe seltene Gunst, und half er gar im Frühling ein Mühlrad im nahen Bach bauen, so war das eine Seligkeit. Nie sahen oder hörten die Kinder einen Zank zwischen den Eltern; gab es eine Zurechtweisung, so wurde ein Alleinsein abgewartet, und Frohsinn und Heiterkeit herrschten allezeit; nur wollte Moni manchmal der Kinder wegen in der Wahl der Lieder wählerisch sein, aber Brosi duldete das nicht und behauptete stets, er habe diese Lieder schon gekannt ehe er zehn Jahre alt war und sei doch geworden, der er sei. Monika war gescheit und ließ ohne ein Wort zu sagen, die »Gesätzle« weg, die ihr nicht gefielen, und Brosi war's auch recht; er nahm's mit dem Inhalt just nicht so genau, wenn's nur gesungen war und recht lustig, die Worte konnten sich legen, wie sie wollten, und wenn Moni fortfuhr und immer wieder anschlug, konnte er eine Strophe zehnmal singen und immer so vollauf, als wär's das Erstemal. Nie ließ Eines das Andere beim Singen im Stich.

Der kleine Severin zeigte sich schon früh als ein eigensinniger hartköpfiger Bursche und es war oft nahe daran, daß der Ehefriede seinethalb gestört wurde, wenn nicht Moni stets darauf hingewiesen hätte, wie das unschuldige Kind nichts dafür könne, daß sein Vater verstimmt und maßleidig sei. Brosi war dies aber oft in hohem Grade, denn von außen war ihm der Friede und die Ruhe seines Hauses gestört worden. In dem Sommer, als der Severin geboren wurde, hatte der [110] Maurerjochem, dem der Garten an der Fensterseite von Brosi's Hause gehörte, sich auf dem jenseitigen versandeten Ufer ein Haus gebaut und, um einen näheren Weg in's Dorf zu haben ein Stück seines diesseitigen Gartens dazu verwendet; der Fußweg ging hart an den Fenstern Brosi's vorbei. Noch in der ersten Nacht seiner Heimkehr zäunte Brosi diesen Weg zu, aber schon am andern Tage mußte er auf schultheißenamtlichen Befehl den Zaun selbst wieder abtragen; Brosi wetterte und fluchte in seinem Hause so oft Jemand an seinen Fenstern vorüber ging und die Leute machten sich den Spaß und gingen des Weges auch ohne Not. Brosi lief zu Amt und verzettelte viel Zeit und Geld mit diesem Rechtshandel, der mehrmals zu seinen Ungunsten entschieden, immer wieder von ihm aufgenommen wurde, so daß er volle vier Jahre dauerte. Brosi behauptete, daß vier Schuh Platz rings um das Haus ihm gehören, daß er das oft von seiner Schwieger gehört habe und nicht davon ablasse.

Er sprach oft davon, daß wenn er den Prozeß verliere, so wandre er aus nach Endringen, wohin er ohnedieß gehöre und wo er eigentlich am liebsten sei.

Moni war vollkommen mit ihrem Manne einig, daß man dieses Gäßchen nicht dulden dürfe; aber endlich mußten sie sich doch den Entscheid gefallen lassen, daß es blieb, zumal dieser Weg von Pfarrer und Schullehrer als Kirchen- und Schulweg bezeichnet wurde. Mit dem Auswandern nach Endringen schien es nicht recht Ernst gewesen zu sein und wäre dieß nun auch schwierig geworden, da Endringen jetzt Ausland war. Brosi [111] hatte zu dem Schaden noch den Spott, daß er fortan der Gäßles-Brosi hieß; man hatte schon lange nach einem Unnamen für ihn gesucht, jetzt hatte man einen, mit dem man ihn aufziehen konnte. Anfangs that er den Leuten den Gefallen, sich darob zu ärgern, nach und nach aber lachte er dazu, und seine alte Lustigkeit brach aufs Neue hervor. Wer aber seine besondere Gunst haben wollte, durfte nicht durch das Gäßchen gehen und vor Allem seine Kinder durften nie diesen Weg betreten; wie er und seine Monika ihr Leben lang keinen Fuß darauf setzten. Es wurde Brosi nicht verwehrt, eine Art Verhau am Eingang des Gäßchens anzubringen, um auch seine Hühner und Gänse abzuhalten, daß sie den Weg nicht gingen. Brosi rammte aber scharfgespitzte Pfähle ein, daß sich Manche daran verwundeten, und wenn man Kies auf das Gäßchen schüttete, um es trocken zu legen, war er am andern Morgen verschwunden; den größten Theil des Jahres gab es keinen nasseren Weg, als eben dieses Gäßchen.

Die Gäßlesgeschichte war noch lange der geheime Kummer Brosi's; er klagte besonders dem Gevatter Gipsmüller oft, daß dieß das einzige Leid sei, das er mit sich herumtrage und empfing die Tröstung, er solle zufrieden sein, daß er sonst keines habe.

Im Jahr Achtzehn erließ die Regierung die folgenreiche Verordnung, die den Beamten jegliche Geschenkannahme verbot; dieß traf besonders auch die Forstbeamten, und der Revierförster, der seinem Pathen den Namen des Königs gegeben, schien es doch gerathen zu finden, dem Kuhhirt von Ulm zu folgen und von [112] selbst abzudanken; er widmete sich fortan dem Holzhandel und machte schon damals Brosi den Antrag, als Kürer, der die Stämme im Wald aussuchen hilft und eine Art Aufsicht über die Holzknechte hat, bei ihm einzutreten; Brosi aber lehnte es ab, er wollte bei seinem Handwerke bleiben, zumal er dieses Jahr, wie er sagte, »zweispännig ausfuhr«, denn er nahm nun auch seinen Franz mit in die Fremde. Brosi wäre gern daheim geblieben und sah sich deshalb nach Beschäftigung bei einem nahe gelegenen Brückenbau um, aber schon jetzt zeigte sich, daß er ein Württemberger war, die badischen Arbeiter erhielten den Vorzug und Brosi wanderte wieder in's Elsaß.

In dem Jahre als Kilian Soldat werden mußte und der Gäßleshandel sich entschied, gab Brosi das Nachtwächteramt auf, er hatte es durch zwanzig Winter versehen und sagte, auch im Gefühle seines Besitztums, daß es genug sei, wenn er fortan am Tage tüchtig arbeite. Es war aber, ohne daß er sich's gestand, auch Aerger über die Gäßlesgeschichte dabei; das Dorf, das ihm das angethan hatte, war eines solchen treuen und hellen Wächters nicht werth. Dennoch erwachte er noch wochenlang zu jeder Stunde und manchmal sang er leise vor sich hin.

Der kleine Severin machte viel Aergerniß und bekam viel Schläge, er war das einzige Kind, das es nicht lassen wollte, auf dem Gäßchen hin und her zu gehen. Es gehörte in der That eine Selbstüberwindung dazu, das Gäßchen zu vermeiden, man mußte nicht nur immer einen Umweg machen; wenn man aus der Thüre [113] tritt, führt das Gäßchen gerade links an dem Hause vorbei und es ist eine seltsame Eigenheit, daß man beim Austritt aus einem Hause ohne zu wissen wohin links wendet, wie man beim Ankleiden den linken Stiefel zuerst anzieht. Brosi selber mußte sich noch oft hemmen, daß er nicht unwillkürlich den verbotenen Weg ging. Der Severin war das einzige Kind, das von dem Vater viel Schläge und wenig gute Worte erhielt und gerade der Severin war, wie sich schon früh zeigte, das ehrgeizigste seiner Kinder und hätte sich eher todtschlagen lassen, als daß er um Erbarmen schrie oder um Verzeihung bat. Wenn der neue Lehrer, der ein tüchtiger Mann war, den Severin lobte, zuckte Brosi die Achseln und sagte: »Es ist eben ein knützer 1 Bub. Wenn ihm meine Frau einmal ein Käsbrod gibt, frißt er den Käs oben 'runter und erst wenn ich ihm mit Schlägen droh', bitzelt er am Brod, und ich sollt' ihm Hosen von Eisen machen lassen, er hat eine besondere Kunst seine ledernen zu zerreißen. Das best' an ihm ist, daß er singen kann wie ein Kanarienvogel, aber wenn man's ihn heißt, da thut er's nicht und wenn ich aus der Haut fahr'. Ich will ihn aber schon eingeschirren, wenn ich ihn einmal mit mir nehm' und ihn ferm in meine Finger fass'.«

Die erwachsenen Söhne und Töchter Brosis gingen nun auch schon zum Tanz, das Rösle, das neben Kilian der Liebling Brosi's war und das er oft »mein schön Mädle« nannte, hatte bereits eine entschiedene Bekanntschaft mit des Jörgtonis Kaspar; aber Brosi und [114] Moni waren noch immer regelmäßig auf dem Kirchweihtanze und so lustig wie je. Und wieder hatte diese Lustigkeit einen andern Charakter. Es war nicht mehr wie in ledigen Tagen, noch wie in der ersten Ehezeit: man war jetzt mitten unter den erwachsenen Kindern und eine gewisse Scheu vor ihnen begrenzte den Uebermuth; aber Brosi und Moni hatten ihre Freude an der Lustbarkeit der Kinder fast noch mehr als an der eigenen und die Kinder konnten neuaufgekommene Tänze, besonders den Galopp, den die Alten nicht mehr verstanden und hätten sie das auch, sich nicht mehr dazu geeignet fühlten. Brosi war aber Keiner von denen, die über diese Neuerungen schimpften, im Gegentheil, er sagte zu seiner Frau:

»Die junge Welt hat eben ihre neuen Sprüng'. Wir bleiben bei unseren alten.«

Es war jedesmal eine feierliche Freude, wenn Brosi und Moni ihre Tänze aufführten; ihre eigenen Kinder betrachteten es als eine Art öffentlicher Kundgebung des Hausfriedens, denn glücklicher als Brosi und Moni lebten keine Eheleute, sie standen noch allezeit zu einander wie Braut und Bräutigam in zuvorkommender Freundlichkeit und heiterm Scherz, und man konnte nicht sagen, ob Brosi seine Moni mehr ehrte und lobte, oder sie ihn.

Brosi war der erste, der das neue Gesetz mit übertreten half, da vermöge allerhöchster Fürsorge in den Bestimmungen des Decrets der Oberregierung vom 17. bis 22. Juni 1811 der Tanz mit dem Schlage zwölf Uhr enden sollte. Schon die polizeiliche Ueberwachung [115] des Tanzes war Brosi ein Greuel, aber er setzte sich darüber weg, und Haldenbrunn lag auch so weit an der Grenze, daß die Strenge des Gesetzes dort etwas nachließ. Das Verbot aber, daß die Schulkinder dem Tanze zusehen und ihn auf dem Hausflur nachahmen durften, wurde unnachsichtlich aufrecht erhalten.

Brosi wollte seinen Severin zwingen, mit ihm zum Tanze zu gehen, aber dieser blieb widerspenstig und flüchtete sich zum Lehrer, der dem, wie er glaubte, mißhandelten Knaben besonders zugethan war. Severin konnte überhaupt schon frühe die Spässe seines Vaters nicht leiden und dieser sagte oft: »In dem Buben steckt etwas vom Apothekerrösle, aber ich treib's ihm aus, und wenn er mir unter der Hand bleibt.« Wenn man den Severin mit dem Spruche seines Vaters neckte, schlug er um sich, und die Mutter hatte viel zu vertuschen und wieder schien ihm nichts heilig: keines der Kinder hätte eine der oberen Zwetschgen im Garten angerührt, denn diese ließ die Mutter stets stehen bis sie runzlig wurden, und bewahrte sie für den heimkehrenden Vater; der Severin aber war unversehens auf einem der Bäume und ging oft nicht herunter, bis man mit Steinen nach ihm warf.

Severin brachte immer am wenigsten mit, wenn er mit anderen Kindern in den Wald geschickt wurde, um Waldbeeren zu sammeln, denn man hörte, daß er meist in den Himmel schauend unter einem Baume lag; und sollte er im Herbste Lichtspäne in's Getreideland tragen, mußte man ihn jedesmal mit Schlägen dazu zwingen; einmal kam er acht Tage lang nicht nach [116] Hause und keine Gewalt der Welt hätte aus ihm herausgebracht, wo er gewesen.

Die Landesvermessung kam auch nach Haldenbrunn, der Lehrer empfahl den Geometern den Severin, der noch die Schule besuchte, aber schon ein hochaufgeschossener Knabe war. Brosi wollte es nicht gestatten, daß Severin mit den Geometern ging, aber Moni ließ nicht nach, bis er es zugab, und als er das Lob seines Sohnes hörte, der sehr anstellig war, that ihm das wohl, aber freundlicher ward er nicht gegen ihn; er getröstete sich der Zeit, wo er ihn ganz allein in seine Hand bekommen und ihn schon zurecht setzen werde.

Hatte man vom Severin vielen Kummer, so machten die anderen Kinder um so mehr Freude. Der Kilian war auf Urlaub gekommen und arbeitete wieder fleißig mit dem Vater und dem Franz. Das Rösle war Braut mit des Jörgtoni's Kaspar. Brosi und Moni erfuhren nichts davon, daß diese Brautwerdung der Mutter einen bösen Ruf gemacht hatte. Der Kaspar hatte nämlich eine Zeitlang das Rösle verlassen, und war der reichern Tochter des Kappelbauern nachgegangen, da wurde des Kappelbauern Tochter plötzlich von einem Blutsturz befallen und starb, der Kaspar kam wieder zu dem Rösle und wurde auch wieder angenommen; die Leute aber sagten, die Moni habe das Hexen von ihrer Mutter geerbt und habe des Kappelbauern Tochter verhext. Da Brosi und Moni hievon nichts erfuhren, war ihre Freude an der glücklichen Versorgung der Tochter eine ungetrübte.

Brosi hatte sich, theils um die Heirath zu ermöglichen, [117] theils aber auch aus Stolz, bei der versprochenen Aussteuer über seine Kräfte angestrengt und arbeitete nun doppelt emsig mit seinen beiden Söhnen, um den Ausfall bald wieder einzubringen. Er hatte für zwei Jahre eine glückliche Arbeit gefunden, nur vier Stunden entfernt wurde eine neue Straße mit mehreren Brücken angelegt und diesmal auf württembergischem Grunde, und Brosi war nun mit den Seinigen jeden Sonntag zu Haus.

Eine lustigere Hochzeit als die von Rösle und Kaspar war lange nicht in Haldenbrunn gewesen. Brosi konnte sich zwar Anfangs nicht damit zufrieden geben, daß die fürsorgliche Regierung den alten Brauch verboten hatte, daß die Hochzeitläder mit gezücktem Säbel die Braut geleiteten und die Säbel in die Decke steckten, darunter Braut und Bräutigam sitzen mußten. Dieses Eingreifen in die alten Gewohnheiten verbitterte ihm fast den glückseligen Tag, er sprach oft davon und ließ es an derben Schimpfworten nicht fehlen; aber er lernte allmälig, sich einen Freudentag weder durch einen Regierungserlaß noch durch ein sonstiges Ereigniß verderben zu lassen und Moni verstand es, ihm darüber hinweg zu helfen. Die Eltern waren die Lustigsten auf dem Tanzboden und Brosi rief oft: »Moni, jetzt sind wir hier zweimal daheim.« Er hatte sich einst so glücklich geschätzt beim Gipsmüller eine freundliche Stätte zu haben außer dem Hause, jetzt ging er zu seinem eigenen Kinde und war dort hochgeehrt und geliebt.

Fußnoten

1 Knütz – zu bösen Streichen aufgelegt, nichtsnutz.

14. Kapitel

Vierzehntes Kapitel.

Als Severin aus der Schule entlassen wurde, sprach er seinen Wunsch aus, Geometer zu werden, aber Brosi wies ihn barsch ab: es dürfe keines seiner Kinder für sich allein sorgen, es müsse Jedes mit beitragen, den Hausstand zu erhöhen. Es war ein fröhlicher Tag als Brosi dreispännig ausfuhr, der Vorspanngaul war und blieb aber widerspenstig. Brosi suchte seinen Jüngsten durch gute Worte zu zähmen, aber es schien zu spät dazu, und wenn der Vater in Gesellschaft der Genossen allerlei Spässe machte, biß Severin auf die Lippen, während die Anderen lachten.

Im Winter, wenn die Söhne Schindeln schlitzten, war Severin verdrossen dabei; seine Hauptfreude war, wenn er die Schindeln im Schuppen zum Trocknen aufbauen durfte. Brosi selber lobte ihn über die schönen Häuser, Brücken und Schlösser, die er aus den Schindelnbüscheln aufbaute und nannte ihn stets seinen Boßler.

Manchmal schien sich ein besseres Verhältniß zwischen Vater und Sohn herzustellen und Beide strebten sichtbar darnach; Severin hatte dem Vater schon oft darum angelegen, er möge doch die Bömleswiese verbessern, dadurch, daß man dem Bache eine andere Richtung gebe. Brosi hatte ihn damit abgewiesen, auf immer wiederholtes Drängen aber ihm endlich gestattet, [119] beim Forstamte die Erlaubniß dazu nachzusuchen und die Sache selber auszuführen. Nach vielen vergeblichen Gängen erhielt Severin die Genehmigung, und mit theils selbst gefertigtem, theils entlehntem Handwerkszeug steckte er die Wiese ab und leitete den Bach gerade durch, wobei er noch Vorrichtungen zur bequemen Wässerung anbrachte, daß die Wiese um die Hälfte mehr werth war und das Lob Severins im ganzen Dorfe sich ausbreitete. Dieß schien ihm aber nicht zu genügen, er blieb verdrossen und einsilbig.

An der Kirchweih ging er wohl zum Tanz, aber er saß still bei seinem Schoppen und schaute nicht auf, wenn Vater und Mutter zur Bewunderung Aller ihre Tänze ausführten; ja, er sagte der Mutter, es schicke sich nicht mehr für sie, die Junge zu spielen und Moni, der das selber schon nicht mehr genehm war, ging das Jahr darauf gerade an dem Tage in die Mühle zum Mahlen. Alt und Jung wollte sich die gewohnte Freude nicht nehmen lassen und man entbot eine Gesandtschaft mit einem vorausgehenden Klarinettisten als Herold zu Moni in die Mühle, sie wies aber jede Einladung entschieden ab und sagte zuletzt: »Nicht zehn Gäule bringen mich zum Tanz.« Der Jörgtoni wußte hierauf einen gescheiten Ausweg, der mit Halloh ausgeführt wurde: man spannte elf Gäule an einen Schlitten, und Moni mußte wider Willen lächelnd nachgeben und wurde im Triumph mit dem seltenen Gespann in den Auerhahn gebracht.

Seitdem ist das Sprüchwort in Haldenbrunn. Wenn einer sagt: »Zehn Gäule bringen mich nicht zu Dem[120] und Dem,« so antwortet man: »aber elf Gäule wie die Moni aus der Mühle zum Tanz,« und Fremde, die das nicht verstehen, erhalten willfährigen und genauen Bericht über die Entstehung dieser Redeweise.

Das Jahr darauf klagte Moni über Unwohlsein und Brosi blieb bei ihr daheim. Eine Gesandtschaft aus dem Auerhahn erhielt abschlägigen Bescheid. Die Kinder waren Alle auf dem Tanz und selbst Severin war heute mit unter den Jubelnden.

Es war eine helle Herbstnacht, der Mond stand glänzend am Himmel und warf sein schräges Licht vielfach gebrochen in die Stube. Brosi hatte die Ampel gelöscht und saß noch lange still und horchte auf die Musik, die vom Auerhahn herübertönte; er schnupfte viel, denn das hatte er sich seit geraumer Zeit angewöhnt, es wollte ihm gar nicht in den Sinn, daß er zum Erstenmal nicht zum Kirchweihtanze sollte. Mehrmals sagte er in sich hinein: »Sei nicht so närrisch, du bist kein junger Bursch mehr, die Schlappen sind jetzt deine Tanzstiefel. Du bist Großvater;« aber er konnte sich das in allen möglichen Wendungen wiederholen, es half nichts, er meinte immer, er müsse entfliehen. Endlich legte er sich doch still seufzend in das Bett, aber den Schlaf fand er nicht.

Mitternacht war vorüber, da regte sich Moni, und er sagte leise:

»Moni, Moni.«

»Was? Was willst?«

»Ich hab' gemeint, du schlafst.«

»Ich hab' nicht geschlafen. Was willst denn?«

[121] »Ich kann auch nicht schlafen. Hörst die Musik?«

»Freilich, die läßt ja Einem kein Aug' zuthun.«

»Jetzt spielen sie den Bändelestanz. Ich möcht' nur auch wissen, wer den tanzt?«

»Geh 'nauf und sieh' zu, ich hab' dir schon gesagt, geh' du allein. Es ist mir lieber, wenn du gehst.«

»Ich geh' nicht allein. Aber weißt was? Wir haben doch eigentlich geschworen, daß wir, wenn wir gesund sind, jede Kirchweih tanzen wollen.«

»Ich bin aber nicht wohl.«

»Wird nicht so arg sein. Weißt was? Steh' hurtig auf und zieh' dich an. Oder sag' mir ehrlich, tanzst du nicht auch gern?«

»Freilich wohl, rechtschaffen gern, aber was willst?«

»Komm', wir tanzen daheim.«

Mit einem lustigen Juchhe sprang Brosi aus dem Bett, gab Moni ihre Kleider auf dasselbe und zog sich rasch an. Vom Auerhahn tönte die Musik, der Mond schaute gerade voll in die Stube, und Brosi und Moni tanzten miteinander, und Brosi jauchzte und stampfte auf und schnalzte mit den Händen, er warf seine Moni in die Luft und fing sie wieder auf: da öffnete sich die Stube, und die Kinder standen beifallrufend und jauchzend unter der Thür, sie waren vom Tanze zurückgekehrt und Niemand hatte ihren Eintritt vernommen.

»Wo ist der Severin?« fragte Brosi.

»Er ist mit uns, er ist grad verschwunden,« berichteten die Kinder.

»Wer hat den Bändelestanz ausgeführt?«

»Des Rösles Kaspar, und prächtig,« berichtete [122] Mariann', und Franz, der nach Severin ausgeschaut hatte, sagte, daß er schon oben auf der Bühne in seinem Bett liege.

Der Severin war also der einzige, der sich über die Fröhlichkeit seiner Eltern nicht gefreut hatte und still davon geschlichen war. Er war und blieb ein seltsamer nicht zu bewältigender Trotzkopf.

Das Ende des vortrefflichen Vierunddreißiger Weinjahres brachte unserm Brosi eine große Freude: er hatte das Glück, seine zweite Tochter Mariann' nach Endringen zu verheirathen und zwar an den Petersepp, der jahraus jahrein in der Gipsmühle des Gevatters arbeitete und ein weitläufiger Vetter von des Jörgtoni's Kaspar war. Die Wurzeln eines ausgebreiteten Familienanhangs erstreckten sich immer weiter hinaus, aber diese, die seinen Geburtsort berührte, war für Brosi besonders nahrungsfrisch.

Am Hochzeittage war es, als ob der Boden seiner Heimath ihn verjünge, und oft rief er: »Jetzt hab' ich wieder einen Ableger in meinem Endringen, und wenn's uns in Haldenbrunn überleidet wird, gehen wir nach Endringen. Nicht wahr Moni?«

»Ja, wo du hingehst, geh' ich mit.«

Manchmal aber war es Brosi doch, als ob das nicht mehr das alte Endringen wäre. Die Leute hatten ein anderes Wesen, er konnte nicht recht fassen, worin das bestand und glaubte, daß es darin liegen müsse, daß Endringen badisch geworden sei; aber mit alten Kameraden sang er unaufhörlich Lieder, die nicht badisch und nicht württembergisch waren.

[123] Wie die Flüsse und Ströme auf der Erde ihren Weg ziehen, unbekümmert um die Gränzpfähle an ihrem Ufer, so fluthet über der Erde ein unsichtbarer Strom des Geistes, der nicht zu fassen und nicht zu bannen ist durch willkürliche Scheidungen.

Brosi überschritt jetzt auch oft die Grenzen vieler deutschen Länder. Die Eisenbahnen, deren Vollendung über alle Trennung hinweg eint, hatten schon bei ihrer Erbauung die Arbeitskräfte der verschiedenen Länder vereinigt und den Unterschied der Fremdheit wenig gelten lassen. Brosi zog mit seinem Dreigespann nach dem Niederrhein und brachte reichlichen Verdienst zurück. Im Auerhahn hatte er dann viel zu erzählen von den fremden Landen und besonders von einem Dunkelnel, den er auswölben half und der viele Stunden weit durch einen Berg führte. Severin ließ es sich nie nehmen, den Vater zu berichtigen, daß es Tunnel und nicht Dunkelnel heiße.

Ueberhaupt muß man sagen, daß Severin nicht dem Beispiele Sems des Sohnes Noah folgte; wo sich sein Vater eine Blöße gab und etwas falsch erzählte oder unrichtig erklärte, konnte man sicher sein, daß Severin einfiel: das ist ganz anders, das ist so und so. Er hatte in der Regel Recht und zeichnete mit Kreide Alles zum besseren Verständniß auf den Tisch. Brosi kämpfte immer mit sich, ob er stolz darauf sein solle, einen so gescheiten Malefizbuben zu haben, oder, wie er berechtigt war, sich ärgern sollte, so hingestellt zu werden. Er wurde nicht darüber einig, aber so viel zeigte sich doch: daß er im Grund des Herzens [124] keinen Haß auf den Severin hatte, denn er sagte stets: »Mein Kilian und mein Franz müssen aus heirathen, und mein Kleiner kriegt des Vaters Gut.« Seitdem Brosi noch mehr Wiesen und sogar einen Morgen Wald gekauft hatte, nannte er sein Besitzthum stets halb spöttisch, halb ruhmredig sein Gut.

In dem Jahre als Franz, der ebenfalls Soldat und zwar Kanonier geworden war, den Abschied erhielt, mußte Severin zur Loosung, und in diesem Herbste kam der Vater in voller Entzweiung mit dem jüngsten Sohne nach Hause. Keiner von Beiden hat je genaue Auskunft darüber gegeben, wie weit ihr Streit gediehen war, ja Severin schwieg ganz darüber; nur Brosi erzählte, sein Sohn habe gesagt, daß er lieber vorher desertire, wenn er wüßte, daß er Soldat werden müsse, und darauf habe Brosi ihm gesagt und bewiesen, daß er ihn eher erwürge, ehe er sich durch ihn die Schande anthun lasse, seinen ehrlichen Namen in die Zeitung und sogar in einen Steckbrief zu bringen.

Brosi geleitete seinen Severin selber in die Stadt zur Loosung, und als dieser jubelnd berichtete, daß er sich frei geloost habe, schüttelte der Vater den Kopf und sagte: »Ist mir nicht recht. Es wäre dir gesund gewesen, wenn sie dich unterm Militär ein bisle gezwiebelt hätten.«

Von nun an hatte Severin keine Ruhe mehr im Hause, er konnte nicht mehr auf einem Stuhle stillsitzen, sondern lief immer aus und ein, und wenn er mit dem Vater und den Brüdern beim Gipsmüller dreschte, traf er oft im Selbstvergessen die Dreschflegel [125] seiner Genossen und in dem Hause, wo nie ein Zank gewesen war, gab es jetzt täglich einen Lärm, daß die Leute auf dem Gäßchen stehen blieben; denn der Brosi schalt seinen Severin und war doppelt böse, weil dieser ihm meist gar keine Antwort gab.

Endlich brachte es Moni mit vieler Mühe dahin, daß Severin sich ein Wanderbuch holen und ein paar Jahre in die Fremde ziehen durfte. Ein neuer Ranzen wurde gekauft und ein dauerhafter Inhalt von Kleidern und Wäsche dafür hergerichtet; der Severin aber gab dem Vater noch immer kein gutes Wort.

Am Sonntag Morgen, als die ganze Familie beisammen war, die kaum die Stube fassen konnte, der Kaspar und das Rösle mit drei Kindern, die Mariann' und der Petersepp aus Endringen und Kilian und Franz mit den Eltern, da packte Severin alles Hergerichtete ein, und als er die letzte Schnalle zugezogen hatte und den Stechpalmenstock, den er sich auf dem Kappelberge geschnitten, in die Hand nahm, schnupfte Brosi schnell eine Prise, die er zwischen den Fingern hatte und sagte, die Hand auf den Ranzen legend:

»Schad', Schad' um das schöne gute Sach. Wie bald wirst du das verlumpen.«

»Ich will gar nichts von Euch, gar nichts!« schrie Severin zornroth und warf dem Vater den Ranzen vor die Füße, »behaltet Alles. B'hüt Gott, Mutter, b'hüt Gott, Geschwister.«

Und hinaus rannte er aus der Stube und über den Steg und nahm nichts mit, als den Stechpalmenstock in der Hand und das Wanderbuch in der Tasche.

[126] Die Mutter und Geschwister schauten ihm nach und riefen ihm, aber er kehrte sich nicht um und Brosi stand wie festgebannt und schaute immer auf den Ranzen vor seinen Füßen. Die Mutter wollte den Kilian und den Franz und ihre Schwiegersöhne dem Flüchtigen nachschicken, aber Brosi rief mit starker Stimme:

Da bleibet ihr, Keiner, kein Mensch sag' ich darf ihm nach. Er muß allein wieder kommen und kommt er nicht, so soll er zum Teufel gehen; aber er kommt, sei ruhig Moni, heul' nicht, er kommt schon wieder.«

Man harrte still, Keines sprach ein Wort, es läutete zur Mittagskirche, aber Niemand ging dahin und Brosi that, als ob er nicht merkte, daß der Petersepp mit einem verständigenden Blicke auf die Mutter sich davon schlich und bald über den Steg rannte.

Die Mittagskriche war schon zu Ende, aber weder Petersepp noch Severin waren zurückgekommen. Brosi zog seinen Rock an und ging nach dem Auerhahn, er wollte seine Frau walten lassen und diese schickte den Kilian und bald nach ihm den Franz fort. Es wurde Nacht als alle Ausgesandten wieder kamen, aber ohne den Severin, ja, sie hatten ihn nicht einmal gesehen; nur der Petersepp brachte die Kunde, die er von einem Endringer erfahren: dieser hatte den Severin bei der Bömleswiese getroffen, er sei ganz heiter gewesen und habe gesagt, er gehe in die Fremde, zuerst in die Schweiz zu seinen Basen.

[127]

15. Kapitel

Fünfzehntes Kapitel.

Es war nun wieder Ruhe und Stille im Haus, aber der Friede und die Freude wollten lange nicht in dasselbe einkehren. Moni merkte wohl, daß ihr Mann im stillen auch traurig über den so feindseligen Weggang ihres jüngsten Sohnes war, und er mußte es um so mehr sein, da er doch eigentlich schuld daran war; sie suchte daher nach den ersten jammervollen Tagen ihren lauten Schmerz zu bewältigen, aber den zurückgelassenen Ranzen konnte sie nie ohne Thränen ansehen, da war noch Alles gepackt, und die neuen nägelbeschlagenen Stiefelsohlen kamen ihr so traurig vor, als läge ihr Sohn zu Boden geworfen und sie stehe vor seinen Füßen.

Am dritten Sonntag, während Brosi in der Morgenkirche war, packte sie endlich aus und legte es zu oberst in ihren Kasten; sie weinte viel dabei, war aber als dieß abgethan war, wieder heiterer. Sie hatte nach Basel an ihre Verwandten geschrieben, aber diese antworteten, daß sie Nichts vom Severin gesehen hätten. Im Dorfe hieß es nur im Allgemeinen, der Severin sei im Zorn von seinem Vater davongegangen; die Geschwister und die Tochtermänner hüteten sich wohl, etwas von der Familienstreitigkeit unter fremde Leute zu bringen. Man hörte lange nichts von Severin. Erst als [128] Brosi selber wieder in die Fremde zog, sagte ihm der Revierförster, der jetzt schon Auerhahnwirth war:

»Ich hab' sechs Wochen, nachdem dein Severin fort gewesen ist, Briefe von ihm gehabt aus Mainz.«

»So? und was schreibt er?«

»Er bittet mich als seinen Gevatter, ich soll bei dir anhalten, du mögest ihm doch was Geld schicken.«

»Hast ihm Antwort geschrieben?«

»Ja.«

»Ohne mein Wissen? Und was denn?«

»Was ich gewollt hab'. Ich hab' ihm geschrieben: wenn ein Mensch wie er sich nicht allein fortbringen kann, soll er heimkommen und seinem Vater helfen Kartoffeln schälen.«

Es nützte nichts, daß Brosi den Gevatter über seine eigenmächtige Handlungsweise hart anließ, und er getröstete sich endlich, daß er seinen Sohn gewiß in Mainz oder beim Bau des »Dunkelnels« finden werde. Er machte sich schon im Voraus das Verfahren zurecht, das er gegen ihn beobachten wolle, und war nur zweifelhaft, ob er den Ranzen gleich mitnehmen solle; aber es war besser, dies zu unterlassen, denn man konnte doch einander verfehlen, und Moni war wieder auf's Neue aus ihrem eingeschlummerten Leidwesen geweckt.

Frohen Muthes zog Brosi mit seinen beiden Söhnen aus, er fand in Mainz richtig die Spur seines Severin, aber von da an war nichts mehr zu erkunden.

Der Schmerz um den verlorenen Sohn lebte noch in beiden Eltern fort, in Moni allerdings noch stärker, aber die Alles heilende Zeit und noch mehr die lebendige [129] Erfüllung der Tagespflicht, sowie die Sorge um Kinder und Enkel hüllte Alles bald in einen sanften Dämmer. Am Namenstage des Severin sagte Moni einmal:

»Es ist mir wie vorbedeutend, mein Severin ist das einzige Kind gewesen, das an der Muttermilch nicht genug gehabt hat, ich hab' ihm schon mit zehn Tagen noch was dazu geben müssen, und so mein' ich wär' sein Wandern auch; er hat eben an der Muttermilch nicht genug gehabt. Aber hart ist's doch, daß er seine alten Eltern so in Jammer läßt und uns so ganz vergißt. Der Lehrer sagt auch, er begreife das nicht und der hat ihm immer die Stang' gehalten.«

»Das versteh' ich so gut als der Lehrer und als der Pfarrer,« erwiderte Brosi. »Es ist schon so. Gott hat uns eben eine Anfechtung schicken müssen, daß wir zeigen, ob wir brav und lustig bleiben; auf ebenem Weg wär' das keine Kunst gewesen. Drum müssen wir das haben, weil wir Gottlob sonst nichts zu klagen hätten.«

Brosi bewies es, daß er nicht nur brav, sondern auch lustig geblieben war. Bei der Hochzeit seines Erstgeborenen, der die Großmagd des Furchenbauern bei Endringen heiratete, die sich ein Erkleckliches verdient hatte, tanzte Brosi trotz des nicht vergessenen Kummers um seinen Severin wiederum so, daß er mit vollem Nachdruck sagen konnte: »Mein Mann ischt koanr.« Und dies zeigte er nicht nur in der Heiterkeit, sondern auch in der Arbeit; er zog im härtesten Winter beim Dreschen nie eine Jacke noch Handschuhe an, und wenn man ihn darob rühmte, konnte er ausrufen: »Ja der [130] Brosi, es ist nicht wahr, daß ich schon hinten in den Sechzig bin, ich bin erst siebzehn Jahr alt und sei es wie es will, ich bleib' dabei, die schönsten Jahre sind die von sechzig bis neunzig. Ich bin Anno Siebzig geboren, drüben wie man noch siebzehn geschrieben hat, ich muß es hüben auch schreiben, da wird nichts abgehandelt, ich will wenigstens noch vier Jahr Trinkgeld.« Wenn er so redete, hielt er immer seine Dose fest in der linken Hand, knickte ein wenig in die Kniee und hob sich, als wollte er in die Höhe springen.

Die Auswanderung nach Amerika, die sich immer mehr auf dem Schwarzwalde ausbreitete, hatte auch Haldenbrunn ergriffen, und Keiner ging fort, der nicht einen besonderen Abschied bei Brosi und Moni nahm und Brosi trug getreulich alle ihre Namen in seinen Kalender ein. Diese Auswanderungen, so manchen Schmerz sie auch brachten, waren doch für Brosi und Moni trostreich: sie sagten jedem Davonziehenden, er solle sich nach dem Severin umschauen und von ihm berichten. In alle Weltgegenden gingen nun lebendige Botschaften, die doch Etwas von dem verlorenen Sohne erkunden mußten, und die beiden Eheleute bestärkten sich dann darin, daß sie sich bedünken lassen mußten, ihr Sohn sei übers Meer gewandert, er lebe noch und sie wüßten nur nicht wo und wie und dürften hoffen, ihn einst wieder zu sehen.

»Aber weißt,« setzte dann Brosi hinzu, »ich möcht' ihn doch noch da auf der Bank sitzen sehen; droben auf dem Himmelsstuhl ist mir's doch ein bisle zu spät, und ich möcht' ihm doch auch noch sagen, daß ich ganz [131] gut mit ihm bin und er auch mit mir, und wir könnten Beide ruhiger sterben.«

Moni seufzte still, sie konnte ihrem Mann nicht sagen, wie ihr zu Muthe ward, wenn von Severin die Rede kam; daß er noch lebte, sagte ihr eine innerste Zuversicht und sie zweifelte gar nicht an deren Wahrheit.

Die Ausgewanderten schrieben in ihren Briefen, daß sie nichts von dem Severin erfahren hätten; aber Jedes schrieb einen besondern Gruß an Brosi und Moni, und die Neuverheiratheten setzten oft hinzu, daß sie weiter nichts wünschen, als sie möchten auch eine so gute Ehe haben wie Brosi und Moni.

»Siehst,« sagte dann Brosi, »in Amerika reden sie von uns. Moni, wie meinst? Wenn wir's erleben, halten wir goldene Hochzeit und lassen uns noch einmal zusammen geben, oder willst mich nimmer, und soll ich mir eine Andere holen? Darfst's nur sagen, du hast das Jawort.«

Jedem Begegnenden erzählte Brosi, was die Ausgewanderten an ihn geschrieben hätten und war allezeit wohlgemut. Wer ihn von fern sah, lächelte im Voraus, denn er wußte, daß der Brosi ihm etwas Erheiterndes sagen würde und er verrechnete sich nie, und Brosi ward dadurch selber immer heiterer; denn wie das Lied den fremden Hörer erfreut, so strömt es auch die Lust wieder auf den Singenden zurück. Im Erheitern Anderer, in dieser allzeitigen Gewißheit eines Jeglichen, daß der Brosi nicht anders als lustig sein könne, war er es auch und hob sich selber über jeden innern Verdruß hinweg.

[132] In Folge der Auswanderung hätte Brosi jetzt leicht ein anderes Haus bekommen können, aber er sagte stets: »Ich bleib' jetzt einmal auf meinem Gut,« und Moni setzte hinzu: »da haben wir zu leben angefangen und da wollen wir's auch beschließen.«

»Aber noch lang nicht, die ander Welt lauft mir nicht davon,« schloß dann Brosi, »und das sag' ich dir Moni: wenn du mir das anthust, daß du vor mir davon gehst, bin ich dir mein Lebtag bös und wenn ich 'nüber komm' red ich nichts mit dir.«

Es gab in der That keine glücklicheren Menschen als Brosi und Moni, und dazu waren sie allzeit gesund. Wäre der Kummer um Severin nicht gewesen, sie hätten gar nicht gewußt, was Leid ist.

Im Jahre 41 vollführte Brosi seine letzte Maurerarbeit und zwar am Forlenbache. Dieser wurde von der Regierung zur sogenannten Wildflößerei eingerichtet; das Brennholz, das hier auf dem Walde fast ganz werthlos war und wofür man kaum die Aufbereitungskosten erlöste, wurde durch Schwellungen thalwärts geschwemmt und von dort auf der Achse nach dem holzarmen Unterlande gebracht. Als der Flußbau vollendet war, erhielt Brosi eine ihm genehme Anstellung: er wurde beeidigter Holzmesser. Der gekerbte Maßstab, den er nun immer bei sich führte, war ihm auch als Stock willkommen, denn er hatte sich immer dagegen gewehrt, sich einen andern beizulegen.

Die großen Holzbeugen, die wir beim Eingang in das Dorf gesehen haben, sind noch von Brosi aufgerichtet. Dieses Aufschichten des Holzes betrieb er mit [133] wahrer Kunstliebhaberei. Wenn er eine lange Gasse aufgestellt und Thüren und Durchgänge darin gelassen, konnte er sich davor hinstellen und allein für sich oder zu Anderen sagen: »Ja der Brosi! Mein Mann ischt koanr.« Beim Ausmessen in Klafter war er äußerst gewissenhaft und von seinem Handwerk her hatte er ein großes Geschick, die Scheite so zu legen, daß gerade das Rechte herauskam; denn man berechnet ein Klafter auf hundert vier und vierzig Kubikfuß, davon werden vier und vierzig als Zwischenraum abgerechnet, so daß für die wirkliche Holzmasse, das was man Derbraum nennt, geradeaus hundert Kubikfuß verbleiben.

Diese Arbeit war Brosi um so willkommener, weil er nun auch im Sommer jeden Abend daheim seyn konnte, und weil ihm Moni jeden Mittag das Essen in den Wald brachte. Wenn er sie so daherkommen sah, so strack aufrecht und in weißen Hemdermeln wie ein junges Mädchen, jauchzte er ihr zu wie ein junger Bursche. Moni hatte nie vorher gegessen und wußte im Walde immer einen hübschen Platz auszufinden, wo sie sich mit ihrem Manne niedersetzte, mit ihm gemeinschaftlich aß und dann das Ruhestündchen mit ihm verplauderte, das aber immer sie zuerst abbrach. Oft sagte Brosi: »Weible, wir sollten eigentlich jetzt erst siebzehn Jahr alt sein. Jetzt sollten wir erst anfangen, und wenn ich's recht berechne, hab' ich eigentlich nur das halbe Leben mit dir gehabt.«

»Wir können Gott danken für das, was wir gehabt haben,« beschwichtigte Moni.

[134] »Freilich, freilich,« stimmte Brosi bei, »aber weißt, ich kann eben gar nicht genug kriegen.«

»Jetzt ist's aber genug,« schloß Moni aufstehend und ging heimwärts, aber noch aus der Ferne rief sie: »überschaff' dich nicht.«

Das that Brosi nicht, er vollführte seine Arbeit genau, aber auch gemächlich und hielt streng darauf, daß Alles gut verscheitert sei, denn das Heben und öftere Hin- und Herwenden der großen Scheite war ihm doch beschwerlich.

[135]

16. Kapitel

Sechzehntes Kapitel.

Im Winter auf 47, in dem Brosi sechsundsiebenzig Jahr alt wurde, fühlte er sich zum Erstenmal in seinem Leben nicht geheuer; er behauptete es habe ihn »ein Frost gestoßen,« er gönnte sich aber doch keine Ruhe, er war eben, was man einen Schaffmann nennt: so lange er fort konnte entzog er sich keiner Arbeit; aber bald ließ er die Dose stehen und schnupfte nicht mehr, das war für Moni das sicherste Zeichen, daß es etwas Ernstliches war. Er mußte zu Bett und bald zeigte sich, daß er einen mächtig geschwollenen Fuß bekam und zum Erstenmal kam ihm der Arzt über die Schwelle, aber noch jetzt erlustigte er sich an seiner Krankheit und sagte oft: »Es ist nicht mehr als billig, ich muß auf dem Kubikfuß leben, es geschieht mir recht. Verbind' mir meinen Kubikfuß,« rief er dann seiner Moni.

Alles hatte bei ihm ein heiteres Gepräge und er lachte noch jetzt oft, daß man es die ganze Gasse hinab hörte. Er mußte wochenlang liegen, aber seine Heiterkeit schwand nicht, nur manchmal sagte er: »Der Severin muß doch auch wissen, daß ich jetzt ein guter Siebziger bin; wenn er kommen will, hat er nichts mehr zu versäumen.«

Eine große Freude hatte Brosi durch einen Gruß, den ihm die Gipsmüllerin sagen ließ; sie war auch[136] krank und ließ Brosi sagen, in stillen schmerzlosen Stunden müsse sie immer daran denken, wie lustig sie auf der Hochzeit ihres Bruders, des Furchenbauern, den Bändelestanz mit ihm getanzt habe und sie höre noch immer die Musik aufspielen.

Jedem, der ihm einen Krankenbesuch machte, erzählte Brosi diese freudige Botschaft und als er wieder gesund war, wollte er seinen ersten Gang nach der Gipsmühle zu seiner Tänzerin machen; aber man hielt ihn davon ab und in's Herz hinein fühlte Brosi die Nachricht, daß sie bereits gestorben und begraben sei. Eine Jugendfreundin und langjährige Genossin war ihm plötzlich entrückt, es waren ihm schon viele langgewohnte Gestalten dahingerafft worden, er hatte es leicht verwunden; aber jetzt mit einer gewissen Feinfühligkeit des Genesenden empfand er den Schmerz doppelt, es gemahnte ihn, daß der Tod doch immer näher rücke und ihm schon unentbehrlich scheinende Stücke aus dem Leben reiße. Er ging tagelang still den Kopf schüttelnd umher, und als er zum Erstenmal nach der Gipsmühle kam, weinte er mit dem verlassenen Gevatter.

Er hatte die Freude eines andern Hauses mitgenossen, er nahm auch dessen Leid auf sich.

Aber wieder und wieder erwachte der helle Frohsinn in Brosi, und als er einmal mit seiner Moni im Walde zu Mittag aß, sagte er:

»Du wirst nichts dagegen haben. Wenn ich 'nüber komm, bitt' ich mir's aus, daß mir die Posaunen-Engel einen Vortanz für mich und die Gipsmüllerin aufspielen.«

[137] Die Lustigkeit schien in Brosi gar nicht abzutödten.

Der März 48 brachte dem abgelegenen Haldenbrunn seine Revolution so gut wie Berlin und Wien. Schultheiß und Gemeinderath wurden gestürzt und ein neuer gewählt, Brosi wurde einstimmig zum Gemeinderath erwählt, er wäre Schultheiß geworden, wenn er dieß nicht abgelehnt und die Stimmen auf seinen verschwägerten Jörgtoni gelenkt hätte. Die verkümmerte Nutzung des Gemeindewaldes, den der Gemeinderath für sich ausbeutete, war wesentlicher Grund der Revolution, und auf Brosi, der allzeit ein gerechter Mann und Niemand zulieb und Niemand zuleid redete, setzten besonders die armen Häusler ihre Hoffnung. Er war mit Einem Worte der Märzminister von Haldenbrunn und hörte es gern, wenn man ihn »Herr Gemeinderath« anredete. Auch Moni war diese neue Würde nicht ungenehm, sie ging am ersten Sonntag mit ihrem Mann in die Kirche und hatte sich noch dazu vom Näherlisle eine neue Jacke machen lassen, wozu sie das Zeug längst bereit hielt, es aber für die Hochzeit ihres Franz aufbewahren wollte. Vor der Kirche grüßte Moni alle Leute doppelt freundlich, und in derselben schaute sie oft nach den vorderen Bänken. Da, wo der Gemeinderath sitzt, dort saß ja ihr Brosi; die arme verstoßene Tochter des Apothekerrösle hatte einen Mann, der auf der ersten Kirchenbank saß. Als man sich zu Tische setzte, sagte Brosi in sehr verbindlichem Ton, einen Kratzfuß machend:

»Frau Gemeinderäthin, wollen Sie nicht auch gefälligst [138] Platz nehmen?« und trieb noch allerlei muthwilligen Scherz mit ihr.

Moni sagte, ihr Mann müsse sich einen neuen Rock machen lassen, es schicke sich nicht mehr, daß er in dem alten Rock einhergehe, den er sich schon zur Taufe ihres jüngsten Sohnes (sie vermied, wie es schien, mitten in der Freude den Namen Severins) hatte machen lassen. Brosi schüttelte den Kopf und sagte: »Wenn nur meine Knochen so lang halten, als der Rock noch hält; und man hat den Brosi im alten Rock gewählt, nicht den im neuen.«

Der noch immer unerklärte blinde Franzosenlärm brachte auch in Haldenbrunn eine Bürgerwehr zu Stande, die sich vorerst mit gestreckten Sensen bewaffnete. Der Revierförster Auerhahnwirth wurde natürlicherweise Leitmann und Brosi's Kilian wurde zum Obmann und Uebungsmeister gewählt, er hielt seine Uebungen auf der Straße, die nach Endringen führt.

Im Auerhahn war jetzt täglich große Zusammenkunft; die Tischordnung galt hier noch mitten in allen Wirrnissen, nur saß Brosi als Gemeinderath bei den Großbauern. Wenn Manche erschracken über die wilden Reden, die geführt wurden, beschwichtigte er mit der klugen Einrede, daß man ja einander kenne und noch immer wisse, daß es nicht beim ersten Anbot bleibt, man ließe noch etwas abhandeln. Wenn die jüngeren Leute von deutscher Einheit sprachen, sagte er oft:

»Was wisset Ihr davon? Da können Wir mit reden, Uns gedenkt es noch, daß Endringen und Haldenbrunn zusammen gehört haben.«

[139] Im Gemeinderath war Brosi ein eifriges und bedachtsames Mitglied, und er war es auch, der sich dem Andringen Vieler entgegenstemmte, daß man den Gemeindewald verkaufe und den Erlös vertheile. Er mußte sich deßhalb manche üble Nachrede gefallen lassen und es hieß, er sei eben auch wie die Anderen, seitdem er da oben sitze; aber er ließ sich's nicht verdrießen, jedem Einzelnen seine Gründe darzulegen, und die sich einer besseren Einsicht nicht verschlossen – und deren war doch die Mehrzahl – gaben ihm Recht.

Brosi vollführte seine Arbeit nach wie vor. Er war kein großer Politiker und rühmte sich auch dessen nicht, aber er sagte doch immer: »Von der Freiheit kann man nicht essen, man muß arbeiten, sei die Regierung, welche sie woll'; das Holz spaltet sich in einer Republik auch nicht allein auf; aber freilich, schaffen und schaffen ist ein Unterschied, und der rechte Lohn gehört einem Jeden.«

Die Revolution im Badischen brachte Brosi vielen Kummer, denn die Reibereien zwischen den Endringern und Haldenbrunnern gediehen auf's Höchste, die Haldenbrunner wurden immer »faule Schwaben« geschimpft. Dazu lebte noch Brosi's Schwiegersohn, der Petersepp, bei seinem Schwäher verborgen im Walde.

Die Reaction brachte aber Brosi nicht minderen und noch weit tiefer gehenden Kummer. Es war nicht der Schmerz um die vereitelten Hoffnungen des Vaterlandes, die ihm zu Herzen gingen, er hatte sie nie recht begriffen und nur immer gedacht, Haldenbrunn und Endringen sollten wieder Eins werden. Es war ein [140] ganz Anderes, was Brosi tief betrübte: die Verordnung, daß am Sonntag nicht mehr auf der Straße gesungen werden durfte, die Einsetzung des Sittengerichtes der Pfarrgemeinderäthe, wozu man ihn auch wählen wollte, was er aber entschieden ablehnte, vor Allem aber jene hochweise fürsorgliche Verordnung, daß fortan alle Kirchweihen im ganzen Lande auf Einen Sonntag festgesetzt wurden, so daß aller nachbarliche Besuch abgeschnitten war. Zwar lag Haldenbrunn so an der Grenze, daß man meist badischen Besuch erwartete und dieser kam auch reichlich, da jenseits im glückseligen Belagerungszustande keine Musik gehalten werden durfte; aber man stand doch auch mit Landesangehörigen in Verbindung, und wenn man auch das Verbot umging, daß man doch noch eine stille Feier veranstaltete und der hohen Fürsorge nun eine doppelte Kirchweih verdankte, es war und blieb doch mißlich.

Vom Gemeinderath in Haldenbrunn, in dem Brosi noch saß, ging eine Eingabe an die hohe Regierung um Aufhebung der Kirchweihordnung; aber sie ging nur bis in die Amtsstadt und ist dort selig entschlafen.

[141]

17. Kapitel

Siebenzehntes Kapitel.

An der nächsten Kirchweih war Brosi's fünfzigjähriger Hochzeitttag. Man redete ihm viel zu, daß er seine goldene Hochzeit feiere, aber besonders Moni hatte eine Scheu und einen Aberglauben davor, und ängstliche Freundinnen vermehrten dieß noch mit der Erwähnung, daß man nach einem solchen Fest gewöhnlich nicht mehr lange lebe und Brosi, dem eigentlich doch das Herz daran hing, wollte ihr nicht zureden.

So kam der Frühling des vorletzten Jahres heran, die beiden alten Leute hielten immer fester zusammen und Moni war oft ganze Tage bei ihrem Mann und kochte im Walde. Einst sagte Brosi zu ihr:

»Wenn unser Severin käm', sag, thätest du da die goldene Hochzeit feiern?«

»Ja, wenn mein Severin käm', ja, da thu ich's, da hab' ich genug gelebt.«

»Ich mein' auch,« sagte Brosi wieder, »ich mein' ich hab's einmal in einem Lied gehört: mit dem Blumenstrauß auf der Brust darf das Herz zu schlagen aufhören. So geht mir's auch. Ich möcht' lustig sterben.«

Und als er das sagte, war's ihm, als hörte er die Stimme seines Severin.

Moni ging heim, er schaute ihr lange unwillkürlich nach. Da kam ein Landjäger durch den Wald. [142] Oft, wenn der Schultheiß und kein anderer Gemeinderath zu Hause war, kamen die Landjäger, die das Dorf passirten, zu Brosi, um sich die Stunde ihrer Anwesenheit in ihrem Dienstbuche bescheinigen zu lassen. Brosi war an ihren Anblick gewöhnt, und doch erschrack er heute als er den Landjäger von fern sah. Als er näher kam, erkannte er den Stationscommandanten, der ihn freundlich grüßte. Brosi schrieb ihm mit Bleistift die gewünschte Bescheinigung ein und sprach noch über Allerlei, da sagte der Landjäger:

»Habt Ihr nicht einen Sohn gehabt, der Wilhelm Severin heißt?«

»Ja, ja, warum? was ist?«

»Im Verordnungsblatt, das ich wegen der Steckbriefe halten muß –«

»Was? was? Was steht da?«

»Nichts Böses, da ist ein Wilhelm Severin Heller von Haldenbrunn zum Oberbaurath ernannt.«

»Ihr habt mich zum Narren, das ist nicht recht. Wenn Ihr einen Narren wollt, lasset Euch einen drechseln.«

»Thut mir leid, daß ich das Verordnungsblatt nicht bei mir hab', es steht deutlich darin.«

»Aber er wird nicht von Haldenbrunn sein, es giebt viele mit Namen Heller und es kann noch ein anderer Wilhelm Severin heißen.«

»Auf mein Wort, es steht deutlich: von Haldenbrunn. Ich bin nicht der Mann, der Spaß macht,« sagte der Stationscommandant etwas bitter.

Brosi stand da und hielt die leeren Hände vor sich[143] hingestreckt, als ob er noch ein Scheit holte; er starrte wie verloren drein und als ihm der Landjäger die Hand auf die Schulter legte, zuckte er zusammen und fuhr sich in die weißen Haare, die sich emporsträubten. Der Landjäger wollte weggehen, aber Brosi bat ihn, bei ihm zu bleiben und ihn nach Haus zu geleiten. Als sie gegen das Dorf kamen, hörten sie ein lautes Schreien und Brosi sah, wie seine Moni ihm entgegensprang, aber ihr vorauf eilte ein großer Mann und warf sich Brosi an den Hals, küßte ihn und weinte; Brosi küßte ihn wieder und weinte mit ihm – es war sein Severin.

Brosi mußte sich auf einen Steinhaufen am Wege setzen, die Knie wollten ihm brechen, Moni kam langsam des Weges, geführt von einer Dame mit wehendem Schleier:

»Agy, that is my father,« sagte Severin, und die Dame warf sich Brosi an den Hals, und es war ihm, als ob ein Engel ihn in die Arme nehme, der ihn selig aus der Welt mit fortnehmen wolle. Es kam wirklich eine leichte Ohnmacht über ihn, aber bald erholte er sich wieder, und er faßte seine Moni, und so breit als die Straße war, gingen Moni und Brosi und Severin und seine Agnes Hand in Hand das Dorf hinein. Brosi schaute immer wie verwirrt umher, wenn die schöne Frau ihm und seiner Moni die rauhen Hände küßte.

»Gott hat es doch gut gemeint zu mir, daß ich euch noch im Leben finde, wie often habe ich daran gedacht,« sagte Severin und übersetzte das seiner Frau[144] in's Englische, seine Eltern bedeutend, daß seine Frau fast gar kein Deutsch verstehe.

»Wo hast denn du ihn zuerst gesehen?« fragte Brosi seine Frau.

»O lieber Gott, denk' nur, wie ich heimkomm', ist die Hausthür offen, ich geh' in die Stub', da sitzt er mit dem goldigen Engel da auf der Bank; ich hab nicht gewußt, wo ich bin, ob noch auf dem Boden oder im Himmel, da ruft er: Mutter! Und weiter kann ich dir nichts berichten.«

»Der Severin hätt' uns doch vorher Nachricht geben sollen,« sagte Brosi halb zu seiner Frau, halb zu seinem Sohne; »so ein Ueberfall kann ja Einen auf dem Platz tödten.«

Severin erklärte, daß er schon vor mehreren Tagen geschrieben habe, sich aber, wie er sehe, im deutschen Postgang verrechnet hätte.

Als man am elterlichen Hause angelangt war, sagte die junge Frau auf das Gäßchen deutend:

»Gässle not go.«

»Hast ihr das schon gesagt?« schmunzelte Brosi und rief mit starker Stimme zu seiner Schwiegertochter: »Ist recht, ist brav,« er meinte, wenn er recht schreie, müsse sie ihn gewiß verstehen.

Um das Haus versammelte sich Alles, was im Dorfe war, und selbst in die Stube und in die Hausflur drangen sie, und die draußen standen, schauten zu den Fenstern herein und theilten sich ihre Bemerkungen über Severin und seine Frau mit. Das Rösle, das mit seinen Kindern laut schreiend und weinend daher kam, [145] hatte Mühe, sich zu dem Bruder hindurch zu arbeiten, um ihm an den Hals zu fallen. Es schickte sogleich seinen ältesten Sohn zu dem Vater, der draußen auf der Bömleswiese mähte, und Moni bat die Versammelten um einen Boten nach Endringen, um die Mariann' und den Petersepp zu holen. Drei Boten stellten einen Wettlauf an. Die junge Engländerin äußerte gegen ihren Mann ihre Freude, daß das ganze Dorf so umherstehe und Alles die Freude des Einen Hauses theile. Severin schien aber nicht dieser Meinung, er bat die Leute zuerst in freundlichem Ton, sich zu entfernen und als dieß nicht geschah, drückte er die Thüre zu und schob einige Widerwillige nicht eben sanft hinaus.

»Mit welcher Gelegenheit seid ihr ankommen?« fragte Brosi, als ob das das Wichtigste wäre.

»Mit einem Hauderer,« antwortete Severin kurz.

»Du bist nicht versteckt, sie ist sauber,« sagte Brosi auf die junge Frau winkend, die die Hand der Mutter nicht losließ, »ihre Haare glänzen ja wie Gold, und was sie ein paar Augen im Kopf hat und das helle Gesicht, die ist gewiß gut. Hat sie auch brav Batzen?«

»Nicht viel, ich bin überhaupt nicht reich, hab' aber mein gutes Auskommen.«

»Wieso hast die Anstellung kriegt? Du bist doch der im Blättle?«

»Freilich. Ich hab' einen besondern Vortheil im Brückenbau erfunden, habe ein Modell in die große Ausstellung in London gegeben; der anwesende Landescommissär erkundigte sich nach mir, und darauf bin ich angestellt worden.«

[146] Im Reden mit seinem Vater im Dialekte sprach Severin ganz geläufig, während er im Hochdeutschen, in dem er seine ersten Worte anbrachte, etwas Anfremdendes hatte und aus dem Englischen übertrug.

Moni holte sich ihre Sonntagsjacke und mahnte auch ihren Mann, doch einen ordentlichen Rock anzuziehen; als aber Agy das merkte, bat sie ihren Mann, solches zu verhindern; es muthe sie so sehr an, daß die Eltern in Hemdermeln seien. Severin dolmetschte das lächelnd, und Brosi willfahrte zu bleiben wie er war. Wir dürfen überhaupt nicht verschweigen, daß er sich seiner vornehmen Schwiegertochter recht freute, aber minder befangen war und weniger Umstände machte, seitdem er erfahren hatte, daß sie nicht reich sei.

»Wie lang bleibet ihr bei uns?« fragte Brosi.

»Bis nächsten Montag. Ich habe viel zu thun. Ich komme aber zum Herbst wieder.«

Die Mutter jammerte über diese kurze Zeit, aber Brosi sagte: »Geschäft geht vor Allem.«

»Du logirst mit deiner Frau im Auerhahn bei deinem Gevatter.«

»Nicht gern. Er hat mir den bösen Brief von Euch geschrieben.«

»Von mir? Ich hab' nichts davon gewußt, kein Sterbenswörtle.«

Und nun stellte sich heraus, daß der Auerhahnwirth die Antwort so gestellt hatte, als ob der Vater dem Severin die harten Worte sagen ließ, und das Verhältniß zwischen Vater und Sohn, das trotz aller Freude des Wiedersehns ein unausgeglichenes war, ebnete sich[147] erst jetzt, denn Severin erkannte die Unschuld seines Vaters, und trotzdem Severin noch mehr als sonst etwas Gehaltenes und Herbes hatte, ließ er sich doch herbei, seinen Vater förmlich um Verzeihung zu bitten, und reichte ihm zuletzt eine silberne Dose, darauf die Worte eingegraben waren: »Mein Mann ischt koanr.«

Anfangs stutzig, freute sich Brosi dann kindisch mit dieser Dose und sagte immer: »In England drüben haben sie mein' Red in Silber gegraben.«

Nun wendete sich der Zorn von Vater und Sohn gegen den hinterhaltigen Auerhahnwirth. Severin wollte ihm gar nicht mehr über die Schwelle gehen; aber Brosi sagte:

»Laß aus sein. Ein Mann wie du, was kann Dem am Auerhahnwirth liegen? Aber man kann sich nicht mit ihm verfeinden, er hat das einzige Wirthshaus im Ort.«

Bald kam auch des Jörgtoni's Kaspar, die Mariann' und der Petersepp. Moni wollte einen Boten an Kilian und Franz schicken, die sechs Stunden von Haldenbrunn arbeiteten und erst Sonntags heimkamen, aber Severin verhinderte dieß, man könne nun schon warten, da es einmal so lange gedauert habe und der Vater habe es ja auch gesagt, Geschäft geht vor Allem. Moni drückte es auf der Brust, ihr Severin hatte sich doch sehr verändert seit den vierzehn Jahren seiner Wanderschaft, er war freundlich und gut, aber er hatte doch etwas Schroffes, und als sie mit ihrem Manne allein war, sagte sie:

»Ich mein', der Severin hat sich doch ganz ausgeartet [148] (sich verändert), er ist doch nie Soldat gewesen, und er hat doch so was von einem alten Soldaten, weißt? so kurz angebunden. Er ist so steif wie sein Hemdkragen, der ihm fast das Ohrläpple absägt.«

»Das macht sein großer Titel und du wirst's nicht übel nehmen, das Stück Apothekerrösle, was in ihm ist, ich hab's ja immer gesagt,« bedeutete Brosi.

»Aber ein gar prächtig Weible hat er, die ist ja wie aus einem Büchsle 'raus. Wenn sie nur auch recht mit Einem reden könnt'!«

»Ja das Weible ist nicht unrecht, 's ist ein gattigs (passendes) Weible, sie ist gewiß viel bräver weder. Die Kinder von seinen Schwestern hat er ja fast gar nicht angesehen. Nun es ist mir ein Trost, daß ich ihn gut versorgt und in Ehren weiß, und weiter brauchen wir einander nicht.«

Eine Verfremdung und Bitterkeit, die viele Jahre lang sich im Gemüth eingewurzelt hat, scheint nicht mit Einemmal und plötzlich ausgestockt werden zu können; wenigstens war dieß bei Brosi und Severin der Fall.

[149]

18. Kapitel

Achtzehntes Kapitel.

Severin hatte nie die kleinen gemüthlichen Anhänglichkeiten an die Menschen und Umgebungen seiner Heimath in sich empfunden; er zeigte andern Morgens seiner Frau die Bömleswiese und den Busch, woraus er sich den Stechpalmenstock geschnitten und gab den Begegnenden nur kurze Antworten. Die junge Frau entwarf schnell eine Skizze von dem Waldgrunde bei der Bömleswiese und nahm sich vor, dieselbe in den kommenden Tagen weiter auszuführen.

Wenn Severin mit seiner Frau durch das Dorf ging, liefen oft viele Kinder hinter ihm drein, andere stellten sich in Haufen zusammen und wenn die Beiden vorüber waren riefen sie kecklich: Grüß' Gott! Andere bildeten eine Kette, faßten sich an der Hand und rannten ihnen vorauf mit jener eigenen barfüßigen Behendigkeit und warteten immer bis sie in ihrer Nähe waren, um zu wiederholen. Agy wehrte ihrem Mann ab, der diese kindische Freudenbezeigung nicht dulden wollte.

Ein Zwischenfall, der selbst den Severin lächeln machte, ereignete sich mit der Tochter des Auerhahnwirths. In langen Kleidern und am Sonntag mit dem aufgespannten Sonnendach ging das Mädchen oft im Dorfe umher mit dem stolzen Selbstgefühle einer für diese Umgebung zu hoch gebildeten Seele. Der Gevatter Auerhahnwirth [150] hatte seinen Pathen gefragt, ob seine Frau französisch könne und mit der bejahenden Antwort eilte er zu seinem Töchterchen und befahl ihm, sich an die Engländerin anzuschließen und dem Dorfe zu zeigen, was sie könne. Das Mädchen mochte endlich weinend gestehen, daß es ja noch gar keine Uebung habe, der Vater ließ nicht ab und sagte immer: dann üb' dich, jetzt hast du die beste Gelegenheit dazu. »Du mußt, üb' dich jetzt.« Zur Verlegenheit Aller zeigte sich aber, daß das Mädchen weder ein Wort französisch verstand noch sprechen konnte; der Revierförster fluchte über den Lehrer von Endringen, dem man noch jedesmal wenn er Stunde gab, ein Glas Wein einschenkte, aber das half nichts mehr und Brosi war nicht wenig stolz, als er eines ungeahnten Reichthums inne wurde: er kannte vom Elsaß her einige französische Brocken und seine Söhnerin klatschte darüber vor Freude in die Hände.

Am Nachmittag war große Gasterei bei der Schwester Rösle, es wurde sehr satziger Kaffee aus kleinen Tassen getrunken und dazu »Sträuble« (Spritzkrapfen) gegessen; das Rösle, das von der Hitze und der Bereitung des Schmalzgebäckes glänzte, ließ sich nicht bewegen, mit an den Tisch zu seinen Gästen zu sitzen, es lief mit seiner ältesten Tochter immer ab und zu und bediente mit Kilians Frau die Eltern, den Bruder und die Schwägerin. Severin hatte sich bald entfernt, da er einen Bauriß zu vollenden habe und bestimmte seine Frau, nur unter den Angehörigen zu verbleiben. Er verrechnete sich nicht. Agnes wagte es, wenn Severin nicht dabei war, ihr weniges Deutsch zum Besten zu [151] geben und lernte noch Manches dazu von den Eltern und der Schwägerin, und die Art, wie sie das bereits Gekannte aussprach und das Neuerlernte nachbuchstabirte, und dabei so treuherzig vertrauend lächelte und Alles nachmachte, erregte große Heiterkeit und oft lautes Lachen. Mit Beihülfe vieler Pantomimen erklärte ihr Brosi, sie sei ihm wie ein kleines liebes Kind, das erst sprechen lerne, und das sei ja die schönste Zeit der Kinder, das sei die Zeit der Apfelblüthe. Das Letzte verstand die junge Frau nicht, aber das Erste begriff sie und mit einer das tiefste Herz ansprechenden Innigkeit ahmte sie nun die Weise eines kleinen Kindes nach, so daß Brosi oft mit beiden Händen auf die Lederhosen schlug und hoch beteuerte:

»Sie ist mir tausendmal lieber als der Severin, das ist ja was Herziges, er ist sie gar nicht werth.«

Die Hühner Rösle's waren auch zu Gaste in die Stube gekommen, man wollte sie schnell hinausscheuchen, aber Agy verstand ihre Bitte deutlich zu machen, daß man sie da ließe. Ihren Zusatz: daß dieses Gemeinleben der Menschen mit den Thieren sie freue, begriffen die Hörer nicht; aber Brosi hatte eine Ahnung davon, denn er sagte:

»Sie hat ein gutes Herz, sie ist auch gegen die Thiere gut. Der Severin muß doch das Herz auf dem rechten Fleck haben, daß er so ein Frauele genommen hat.«

Als sie ihm zuletzt noch den Rock auszog und theils mit Worten, theils mit Zeichen ihm sagte: es sei viel schöner, wenn er in Hemdermeln sei und er [152] brauche sich vor ihr nicht einen Zwang anthun, da rief Brosi:

»Moni, wenn du nicht mit mir goldene Hochzeit machst, da geh' ich nach England und hol' mir auch so Eine.« Er sprang in die Höhe, seine Hand, die sich wie Tannenrinde anfühlte, faßte die Hand der jungen Frau, und mit großer Beschwerde erklärte er ihr, daß sie auf seine goldene Hochzeit kommen und mit ihm tanzen müsse. Die junge Frau, die von dieser bevorstehenden Feier schon wußte, ahmte zur Bekundung ihres Verständnisses den Geistlichen und den Bräutigam und die Braut und die Musikanten nach. Brosi schnupfte nochmal so viel vor Freude, aber putzte sich die Hand schnell ab, und faßte immer wieder die Hand seiner Söhnerin und sagte zu den Umstehenden:

»Das Händle ist wie lauter Seide und Baumwoll', o wie muß das Einen streicheln,« er führte sich die Hand über seine Backen und machte die Geberden des höchsten Entzückens.

Am Abend konnte der Brosi seinem Severin gar nicht genug erzählen, welch eine liebe Frau er habe und er schaute den Sohn viel freundlicher an. In ihrem Hause sang Brosi für seine Söhnerin, die um einen Sang gebeten hatte, mit seiner Frau, dem Rösle, der Schwiegertochter und dem Kaspar allerlei Lieder. Severin saß still dabei und spaltete den Mund nicht, die junge Frau aber versuchte mitzusingen und Brosi nickte ihr ermunternd zu.

Als man endlich spät endigte, ging Agnes auf Brosi zu, legte die Hand auf dessen Schulter und sagte mit[153] fremdelnder Betonung, aber ganz deutlich: »Mein Mann ischt koanr.«

»Es ist ein' Blitzhex,« rief Brosi und jauchzte hellauf: Juhu, daß die junge Frau doch zusammenschrack.

Am zweiten Tage ging es nach Endringen zur Gasterei, denn Kilians Frau wollte die Heimkunft ihres Mannes abwarten. Brosi und Moni fuhren zum Erstenmal in ihrem Leben in einer Kutsche nach Endringen. Moni saß neben ihrer Söhnerin und Brosi ihr gegenüber. Brosi lupfte gnädig den Hut vor allen Begegnenden, welche die Insassen auf diese Art begrüßten und Manche, die es vor Staunen vergaßen, lehrte er es durch zuvorkommenden Gruß.

Als man gegen das Haus des Petersepp kam, sagte Brosi: »Da drüben in den Garten hinein hab' ich immer ein nett's Häusle gewünscht, das ist der höchste Wunsch gewesen, den ich in meinem ganzen Leben gehabt hab'.«

Das Auge Brosi's leuchtete bei diesen Worten, und doch sprach Severin kein Wort und nickte nur still vor sich hin. Nur Agy sagte durch den Mund ihres Mannes, daß ihr Endringen noch besser gefiele als Haldenbrunn, und Brosi war darob überaus glücklich.

Beim Petersepp und der Mariann' war's nicht minder gastfreundlich als gestern beim Rösle. Alle Endringer, die kamen, ließ Brosi eine Prise nehmen und seine Spruchdose bewundern.

So lang der Severin da war, machte Agy viel weniger Späße und war stiller; aber auch heute ging Severin fort und als man heimkehren wollte, mußte [154] man ihn vom Bürgermeister, wie man im Badischen den Schultheiß nennt, holen.

Am dritten Tage ging Brosi an seine Arbeit, er sagte: er halte diese Gastereien nicht aus, er hatte einst den Ausspruch gethan, man könne nicht von der Freiheit essen und jetzt sagte er: »Ich kann von der Freud' allein nicht leben.«

Agy vollendete ihre Zeichnung vom Bömlesgrund, und Brosi arbeitete unweit davon. Severin war allein nach Endringen gegangen.

In den folgenden Tagen vollführte Agy zum Staunen aller Haldenbrunner noch eine weitere Zeichnung: sie saß jenseits des Baches und nahm das elterliche Haus Severins auf. Das Haus mit dem Strohdache und den Pflanzen, die sich darauf festgewurzelt hatten, nahm sich auf dem Papiere sehr gut aus und als Agy gegen Severin die Einfachheit und Ursprünglichkeit dieser Bauart lobte, war dieser strenger Fachmann genug, um ihr zu beweisen, daß in dieser Bauart gar kein Stil liege und gar keiner anzuwenden sei, es sei eben nichts als die rohe Nohtdürftigkeit. Agy biß bei dieser Darlegung auf ihren Bleistift; aber sie schaute bald wieder hell auf, sie kannte ihren Mann, bei dem die strenge rücksichtslose Wahrhaftigkeit Alles beherrschte und der deshalb keinen liebgewordenen oder anmuthenden Schein verschonte.

Von der kleinen, vor fünfzig Jahren aufgeführten Ufermauer sah man wenig mehr. Weiden und Erlen bedeckten das Ufer und bildeten einen ansprechenden Vordergrund mit dem Bachstege. An der Stelle des[155] ehemaligen Zaunes von fuchsig gewordenen Tannenzweigen, grünte ein lebendiger und kurz gehaltener Buchenhag.

Moni hatte trotz der Abwehr doch ihren Söhnen Kunde von der Ankunft des Bruders zukommen lassen, und diese hatten solche zu gleicher Zeit auch von anderer Seite erhalten; sie kamen nun auch schon am Samstag Morgen und Severin schüttelte ihnen wacker die Hände und gab Jedem einen silberbeschlagenen Ulmerkopf, die sie nur nach vieler Einsprache mit lautem Dank annahmen, denn sie hatten Größeres erwartet.

Mit Kilian, der ihm immer der Liebste gewesen war, hatte Severin viel zu geheimnissen und man sah diesen oft zufrieden lächeln, während Kilian sich vor Lachen bog. Einmal indeß hörte man Kilian auch rufen:

»Du wirst aber sehen, er thut's nicht. Denk' an mich. Es ist nur so gered't. Er kann's nicht, und wenn er auch möcht'.«

Severin winkte ihm hierauf mit Heftigkeit Schweigen zu.

Mit Franz verkehrte Severin nur sehr wenig.

»Hast dir ein' Saubere 'rausgelesen,« sagte Franz einmal zu seinem Bruder, mit seiner neuen Pfeife auf Agy deutend.

»Warum bist denn du noch ledig?«

»Weiß nicht, ich hab's versäumt und jetzt ist's fast gar zu spät. Wenn du mir eine geschickte Wittfrau wüßtest, ich ließ mich noch überreden. Aber ich denk' wohl, ich bleib' ledig. Wir haben so ein' große Familie, und es soll auch einmal was zu erben geben.«

[156] Franz war eine zufriedene stille Natur, die sich mit Denken nicht viel zu plagen hatte. Dabei war er äußerst karg und hatte seine Hauptfreude an baarem Gelde.

Am Sonntag Morgen saß Alles schön geschmückt und zum Kirchgange bereit lange vor Beginn desselben im elterlichen Hause. Brosi schnitt von den Stockscherben, die ein unberührbares Heiligthum waren, die schönsten Nelken ab und schenkte sie seiner englischen Söhnerin. Es läutete zum Erstenmal zur Kirche, und man wollte sich auf den Weg machen, um sich noch vorher gehörig bewundern und begaffen zu lassen. Brosi freute sich besonders darauf, seiner Söhnerin auch zu zeigen, daß er in der Gemeinderathsbank sitze; da sagte Severin:

»Meine Frau geht nicht mit uns.«

»Warum?«

»Sie ist evangelisch.«

Alles zuckte zusammen, und eine Weile war es so still in der Stube, daß man nichts hörte, als das Picken der Wanduhr und ein schnelles Athmen Brosis.

Endlich sagte er aufstehend und sich vor Frost die Hände reibend:

»Kommet in Gottes Namen. So gehen wir allein. Oder hast du auch deinen Glauben abthan?«

»Nein,« sagte Severin und ging mit dem Vater, der nach der Söhnerin, die er so sehr geliebt hatte, nicht mehr umschaute.

In das seligste Glück riß die Spaltung über Glaubensmeinungen, die der ganzen Menschheit schon so viel Unheil bereitet, einen tiefen Riß.

[157] Brosi, der allen Menschen triumphirend in's Auge hatte sehen wollen, ging mit niedergeschlagenem Blick nach der Kirche. »Nicht katholisch und nicht einmal reich,« sprach es in ihm, und er zuckte zusammen.

In der Kirche sang er wiederum laut mit, als müßte er seinen eigenen Glauben doppelt festhalten und verkünden, dann saß er still niederschauend und drückte manchmal mit der Hand fest die Augen zu.

Er mußte aber doch eine Beruhigung gefunden haben, denn als er neben dem nachdenklichen Severin aus der Kirche ging, sagte er:

»Das hast nicht recht gemacht, du hättest nicht über den Sonntag bei uns bleiben sollen. Es hätten's nicht alle Leute zu wissen brauchen.«

Als er heimkam, sah er Agy aus einem schwarz eingebundenen Buche lesen, er schaute hinein und erblickte schöne heilige Bilder. Agy las nur noch wenige Zeilen, dann stand sie auf und machte eine tiefe Verbeugung. Brosi reichte ihr die Hand und fühlte den warmen Druck von der Hand seiner Söhnerin. Seine Finger waren kalt und sie erwärmten sich.

In dieser stillen Handreichung lag in diesem Augenblicke eine Verständigung und ein Religionsfriede, der der ganzen Welt zu wünschen wäre.

Am Mittag nahm Brosi alle seine Kinder mit nach der Gipsmühle. Er stand einmal am Wege und ließ Kinder und Enkel an sich vorbeiziehen, um zu überschauen, wie reich sich sein Leben ausgezweigt hatte. Wie oft war er diesen Weg einsam gewandert. Auf den Wunsch Agy's wurden helle Lieder angestimmt, die [158] im Walde widerhallten. Noch fühlte Brosi eine leichte Bedrückung von dem überwundenen Schmerz, den er heute empfunden, und auch laut nun das Letzte abschließend, sagte er:

»Es ist doch nur Ein Gott, der die Sonne scheinen und die Bäume wachsen läßt, und er weiß doch wie es gemeint ist, ob man so oder so zu ihm betet.«

Er sang dann so laut mit, daß seine Stimme Alle übertönte.

Severin sah allein bis auf den Grund der mächtigen Bewegung, die in seinem Vater vorgegangen war; er freute sich dessen, aber ihm solches kund zu geben, fand er die rechten Worte nicht und hielt es schließlich auch nicht für nöthig.

Der Gipsmüller, der krank in einem großen Armsessel saß, freute sich hoch über die Ankömmlinge. Severin und Agy mußten sich zu ihm setzen, daß er sie genau sehe, denn er litt auch an schwachen Augen.

Beim Gipsmüller traf man zufällig »die geschickte Wittwe«, die sich Franz schon längst gewünscht, die ihm aber einen förmlichen Korb gegeben hatte. War es das eifrige Zureden des Gipsmüllers, oder war es die stolze Anwartschaft, einen Oberbaurath zum Schwager zu haben: die Witwe, die zwei Kinder hatte und ein schönes Vermögen besaß, gab ihr Jawort und Franz wurde unversehens Bräutigam.

Brosi war darob glückselig und er sagte einmal:

»Jetzt sind alle meine Kinder versorgt, mein Altbackener auch. Gott giebt mir Recht, er zeigt mir's,[159] daß ich die rechten Gedanken hab', sonst hätt' er mich heut das nicht erleben lassen.«

Es wurde ausgemacht, daß die Hochzeit des Franz an der Kirchweih sein solle, an welchem auch Brosi seinen goldenen Ehrentag feiern wollte. Dabei blieb er, wenn auch Moni noch schüchtern Einsprache that; er sagte stets, er habe es seiner englischen Söhnerin versprochen, und faßte oft deren Hand.

Als man gegen Abend heimkehrte, wartete man nicht erst die Aufforderung der Agy ab, und singend zog man in das elterliche Haus.

Im Auerhahn war heute große Versammlung, Alles erwartete die Ankunft Severins, aber dieser sagte, daß er nicht hingehe, und wunderbarer Weise – Brosi gab ihm Recht und sagte, er bleibe auch daheim. Es schien indeß nur wunderbar, es hatte Alles seinen guten, wenn auch geheimen natürlichen Grund. Brosi wußte, daß die Menschen, immerdar neidisch auf ein unantastbares Glück, fast eine Genugthuung darin empfinden werden, daß der andere Glaube der Söhnerin einen Schatten darauf werfe; er wollte sie das in gemeinsamer Versammlung auskosten lassen und hoffte, daß sie dann damit fertig seien.

Mit den Seinen saß er in seiner Stube, schnupfte vergnüglich und plauderte Allerlei; Severin erzählte viel von seinem Leben, und wie er so schnell zu der Berufung und der raschen Heirath gekommen sei, daß er nicht vorher schreiben gekonnt. Man holte den sehr steif gewordenen Ranzen, den Severin ehemals so trotzig zurückgelassen hatte, er bestimmte ihn jetzt für den ältesten [160] Sohn seiner Schwester Rösle, der als Schuster in der Lehre stand und bald auf die Wanderschaft Ziehen wollte. Der Franz, der später in den Familienrath nachgekommen war, wollte auch ein Wort dazu thun und sagte:

»Severin, du bist jetzt Oberbaurath, was kannst denn jetzt auch noch werden? Kannst auch noch höher 'nauf?«

»Freilich, ich kann Oberbaudirector werden.«

»Und dann?«

»Weiter nichts mehr als – Engel,« antwortete Brosi. Ein schallendes Gelächter erfüllte die Stube und Brosi lachte nochmal mit, als Severin seiner Frau Alles verdolmetscht hatte und diese herzlich lachte.

Franz ließ sich aber nicht so bald von seinen Erforschungen abbringen, sie waren nicht bloß Neugier; er bat seinen Bruder, ihm auch eine feste Anstellung zu verschaffen, das Amt eines Weginspektors sei jetzt frei, und das könne er wohl versehen. Severin erklärte ihm, daß er keine Stellen zu vergeben habe, und auch Kilian fragte jetzt:

»Sollen wir denn bloß noch die alten Maurer sein, wenn du unser Oberbaurath bist?«

Severin erklärte, daß das nichts ändere, und wie das leicht geht: nach großer, anhaltender Freude thut sich plötzlich unversehens eine Verstimmung auf; so geschah es auch hier. Die Brüder fühlten sich zurückgesetzt; aber Brosi verstand es, ihnen die Sache deutlich zu machen, und schloß damit:

»Es bleibt ein Jedes, was es ist. Im geraden [161] Weg braucht Eines das Andere nicht, und im ungeraden wird euch der Severin schon beistehen. Haltet nur getreulich zusammen, wenn eure Eltern auch nimmer da sind.«

Diese Mahnung verfehlte ihre Wirkung nicht und wenn auch nicht in heller Freude, so doch in stiller gesättigter Beruhigung ging man auseinander, zumal da Severin noch kurz versprach, stets der Seinigen eingedenk zu bleiben. Am andern Morgen, als Severin und Agy nach der Residenz abgereist waren, sagte Brosi immer:

»Ich weiß nicht, wie mir ist, mir fehlen die Kinder in allen Ecken, ich kann mir's gar nimmer denken, wie's einmal gewesen ist, wo wir noch gar nichts von ihnen gewußt haben.«

Jetzt, da Severin fort war, hatte Brosi im Gedenken an ihn fast noch mehr Freude von ihm, als während seiner Anwesenheit. Er gab Moni Recht, als sie sagte:

»Er ist doch ein prächtiger Mensch, er redt nicht viel, aber jedes Wort von ihm ist wie ein Eid, da kann man Häuser drauf bauen.«

[162]

19. Kapitel

Neunzehntes Kapitel.

Severin kam während des Sommers mehrmals, aber er hielt sich meist in Endringen auf, wo er, wie er sagte, mit dem Bürgermeister Geschäfte habe. Als Severin seinem Vater eine frohe Hoffnung mittheilte, erwiderte dieser kein Wort, er wollte lieber nichts wissen als daß er durch eine Frage Auskunft darüber erhielt, in welcher Religion die Kinder erzogen werden.

Es verging kein Tag, an dem nicht Brosi seine »gesetzte Arbeit«, wie er sie selbst scherzweise nannte, vollführte. Moni schien sich wahrhaft zu verjüngen, seitdem ihr Severin und ihre Agy da gewesen, und sie war es auch, die zu jeder Zeit schöne Geschenke von ihrer Söhnerin, der Oberbauräthin, erhielt; besonders ein handfester Armsessel, der auf Rollen ging, machte großes Aufsehen im Ort und schon nach zwei Monaten empfing sie einen saubern, deutsch geschriebenen Brief von der englischen Söhnerin. Wie lohnte sich's ihr jetzt auf ihre alten Tage, daß sie selber noch so spät deutsch schreiben und lesen gelernt hatte. Die beiden alten Leute, die nie viel über Religion nachgedacht hatten, sprachen jetzt im Walde viel über die Unterschiede derselben, die Nähe des Grabes mochte Einiges dazu beitragen, aber erweckt zu solchen Erörterungen wurden sie doch nur durch Agy; die Agy [163] war so lieb und gut, die konnte doch nicht auf ewig verdammt sein. Moni hatte großes Zutrauen zu dem Geistlichen; sie wünschte, daß man sich seines Rathes erhole, aber Brosi wehrte ab, indem er sagte:

»Was kann er für Auskunft geben? Er ist geistlich und darf sei' Sach' nicht verunehren. Und was könnt' am Ende dabei herauskommen? Daß wir Unfriede machen in unseres Severins guter Ehe? Nein, das will unser Herrgott nicht, und seit jenem Sonntag ist mir's so, daß kein Mensch den andern verdammen darf, wenn nur jeder aufrichtig und wahrhaftig bei dem seinigen ist. Wenn die Agy einmal 'rüber in Himmel zu uns kommt, muß sie unser Herrgott zu uns lassen, ich will's schon sagen und unser Herrgott weiß es ja auch, daß sie nichts dafür kann; sie ist so geboren und erzogen, sie kann nichts dafür.«

»Die Vögel im Wald, da pfeift ein Jedes anders, und es heißt doch, daß Alle Gott lobsingen,« bestätigte Moni.

»Das ist ein gescheites Wort, so muß des Brosi's Frau reden,« schloß der Eheherr. »Das hat sein Mäß,« setzte er hinzu und hob die obere Querstange aus einem geschichteten Klafter. Es war unklar, ob er die letzten Worte buchstäblich auf das Holz oder bildlich auf das Religionsgespräch bezog.

Die Tage wurden bald immer kürzer, und es ist eine alte Erfahrung, daß man deren Abnehmen viel mehr merkt als das Zunehmen. Je weiter es dem Herbste zuging, je mehr empfand Moni ein eigenthümliches bräutliches Bangen, während Brosi mit Jubel[164] seiner goldenen Hochzeit entgegensah. Mehrmals äußerte Moni ihre Beklommenheit, aber ihr Bräutigam, wie sich Brosi nannte, redete ihr solche aus und suchte sie mit seiner eigenen Freudigkeit zu erfüllen; sie gab sich um Brosi's willen Mühe, Allem heiter entgegen zu sehen und in dieser Bemühung ward sie von selbst freudig.

Endlich waren es nur noch wenige Tage bis zur Kirchweih, da kam Severin und dießmal ging er nicht allein nach Endringen, Vater und Mutter mußten ihn begleiten. Brosi fuhr sich mehrmals rechts und links über die Augenbrauen, als er unweit des Petersepp Haus in dem Grasgarten, dort wo er sich's gewünscht hatte, ein Haus stehen sah, zierlicher und feiner als er sich's je wünschen konnte, und Severin darauf deutend sagte:

»Vater das ist Euer. Da sollet Ihr mit der Mutter wohnen, so lang Euch Gott das Leben erhält, und ich wünsch' nur, daß es recht lang sei. Das schenkt Euch mein Agy als Hochzeitgeschenk.«

Starr mit offenem Munde betrachtete Brosi bald seinen Sohn, bald das Haus und endlich sagte er mit unvermutetem Lachen:

»Das Haus da? Das ist mir viel zu schlecht. Nicht geschenkt nehm' ich's.«

»Ich bitt' Euch Vater, macht keinen Spaß,« entgegnete Severin in seltsamer Gereiztheit.

»So? Meinst du, du darfst allein Spaß machen und noch dazu mit deinem Vater?«

»Ich mache nie Spaß. Ich meine es im völligen Ernst. Das Haus ist Euer. Mutter, saget Ihr, wie gefällt's Euch?«

[165] »Wohl, ganz wohl, aber das ist nichts für uns.«

»Ich gebe Euch mein Wort. Es ist für Euch. Es ist auf Euern Namen hier beim Bürgermeisteramt eingetragen.«

»Das ist zu vornehm. Das ist für dein Weible, für die paßt's.«

»Dafür ist es allerdings auch hergerichtet. Meine Frau wünscht nichts sehnlicher als die Sommermonate hier oben zu wohnen. Sie will bei Euch sein.«

»Wir wollen all' Woch zu ihr auf Besuch kommen, sie soll nur allein hier wohnen und will's Gott mit dem Kind.«

Der Bürgermeister, zu dem Severin geschickt hatte, kam aus dem Dorfe und übergab Brosi die Schlüssel und einen neuen Bürgerbrief. Brosi nahm Beides unwillkürlich in die Hand, schaute nach dem Hause und schüttelte unwillkürlich mit dem Kopf.

Das Landhaus war schön, im Stil der englischen Cottages und doch in freier Umbildung nach dem landschaftlichen Charakter und Bedürfniß.

Nur mit Mühe brachten es Severin und der Bürgermeister dahin, daß die Eltern in das Haus eintraten.

Die Räume waren hell und bequem. Brosi fühlte oft an die Wände und nickte, da er sie trocken gewahrte.

»Du bist ein Hexenmeister,« sagte er zu seinem Sohne, als dieser erzählte, wie er den Bau so geheim hatte ausführen lassen, und wie ihm Alle darin beigestanden, das Geheimniß zu bewahren.

»Aber für uns ist's nicht,« beharrte Brosi.

Fast zornig erklärte Severin, daß der Vater ihm [166] seinen liebsten Lebenswunsch ausgesprochen habe, daß er als Sohn ihn nach Kräften erfüllte, daß ein Mann von Ehre nicht spiele und auch ausführe, was er sich im Wunsche vorgesetzt habe. Auch der Bürgermeister redete eifrig zu, dem Sohne seine Freude nicht zu verderben.

»Ich erkenn' die Gutheit, ich erkenn' sie rechtschaffen,« stotterte Brosi. »Was meinst Moni? Red' auch du, dich geht's so viel an wie mich.«

»Ich hab' den Wunsch nicht gehabt.«

»So? Alles soll auf mir liegen? Und wenn ich nun sag: wir ziehen da her?«

»Dann zieh ich mit dir, das weißt ungefragt.«

»Aber diesen Winter nicht mehr Severin,« wendete sich Brosi an diesen, »den Winter dürfen wir noch in Haldenbrunn in unserm alten Nest bleiben?«

»Vater, ich will Euch nicht zwingen.«

»Beim Teufel! in so ein Schlößle einzuziehen, braucht man Einen nicht zwingen,« polterte der Bürgermeister, »der Herr Oberbaurath haben sich's eben ausgedacht gehabt, daß ihr auf eure goldene Hochzeit einziehen solltet und die Endringer holen euch ein wie ein junges Paar. Das ist Alles schon ausgemacht.«

»So? Nun ja, ja,« schloß Brosi und rieb sich den Mund.

Er ließ sich nicht bewegen in Endringen einzukehren, er eilte gleich heim nach Haldenbrunn als entfliehe er einer Gefangenschaft, und zum Erstenmal in seinem Leben freute er sich als er den württembergischen Grenzpfahl sah, und schnaufte erst jetzt aus als er ihn im Rücken hatte.

[167] Das Jahresfest der Kirchweih kam und mit ihm die Feier einer Doppelhochzeit, denn auch Franz sollte heute mit seiner geschickten Wittwe getraut werden. Von allen Ecken und Enden kamen Gäste und Schaulustige herbei und manche Landesangehörige ließen ihre eigene Kirchweih, die ja auch durch oberamtliche Bekanntmachung auf denselben Tag festgesetzt war, dem zu lieb im Stich.

Als es zum Zweitenmal in die Kirche läutete, kam eine große Menschenmenge mit Musik herangezogen und holte das alte Brautpaar ab. Brosi trug wiederum wie vor fünfzig Jahren einen Rosmarinstrauß mit flatternden Bändern auf dem Hute und im Knopfloch und schaute frei umher, während Moni sich unter der Schappel demüthig beugte. Brosi lächelte als er sah, daß die Hochzeitläder, um das Verbot der Regierung zu umgehen, hölzerne mit Kränzen umwundene Säbel trugen. In langer Reihe gingen schön geschmückt die Kinder und Enkel des alten Paares hinter drein. Hierauf holte man das junge Brautpaar ab und es war eine erhebende Feier als der Geistliche das Doppelpaar einsegnete, er konnte nichts Besseres thun, als den Neuvermählten den Segen der Eltern wünschen.

Im Auerhahn ging es heute hoch her. Brosi bedauerte nur oft, daß seine englische Söhnerin nicht da sein könne, das sei das Einzige, was ihm auf der glückseligen Welt fehle, und er habe ihr versprochen, mit ihr zu tanzen und sie sollte doch auch sehen, welch' ein junger Bursch er sei und seine Moni sei erst siebzehn Jahr alt.

[168] Wirklich konnte man das fast glauben, wenn man nun die beiden alten Leute den Hoppetvogel, den Siebensprung und den Bändelestanz ausführen sah. Ja Brosi tanzte noch außerdem mit seinen Töchtern und Schwiegertöchtern und zweimal mit der erwachsenen Tochter Rösle's, die auch Monika hieß. Er befahl ihr, recht bald zu heirathen, damit er auch noch Urenkel erlebe, und der jüngste Sohn des Gipsmüllers schien diese Mahnung gern zu hören.

Es ging wild her auf dem Tanze, und Severin staunte, als sein Vater ihm sagte:

»Jetzt ist mir's eigentlich lieb, daß dein Weible nicht hat kommen können, so ein englisch Frauele paßt nicht in das Getrampel und in den Tuback hinein.«

Man sprach auf der Hochzeit viel davon, daß Brosi seinem Severin versprochen habe, morgenden Tages nach Endringen zu ziehen; Brosi that meist, als ob er das nicht hörte, und wenn man ihn geradezu darum befragte, sagte er »Ja ja,« aber das in einem Tone, der unentschieden ließ, ob er damit sagen wollte, ich denk' nicht daran, oder ob er einfach bejahte.

In Einem merkte es Brosi doch, daß er seine fünfzigjährige Hochzeit feierte, er schlief mitten unter der Musik auf der Bank hinter dem Tisch ein. Er wurde geweckt und die halbe Musik, denn Viele tanzten noch während dessen, gab ihm und Moni das Geleite bis an ihr Haus.

Brosi und Moni schliefen lange nicht, und noch im Bett sagte Brosi:

»Ich fürcht' mich so vor dem neuen Haus, ich kann's gar nicht sagen.«

[169] »Aber wir müssen's thun, wenn nur auf eine Weile, du hast's dem Severin versprochen.«

»Ich bin ja gezwungen gewesen, mehr als gezwungen, ich hab' ihm sein Freud' nicht verderben wollen. Und lieber Gott, das ist ja so ein kalt's Haus, das ist nichts für alte Leut'.«

»Du hast Unrecht. Es ist gut warm und hat prächtige Oefen, da kann man mit einem Schwefelhölzle einheizen.«

»Ja, das kann Alles sein, aber weißt? Es ist mit Ziegel gedeckt, das hält gar nicht warm, so ein Strohdach ist wie ein' gute Pelzkapp, und die Stubendecken sind so hoch, und nach Endringen mag ich auch nicht mehr. Ich sterb', wenn ich da 'nein muß. Lieber Gott! Man wünscht' viel, was Einem nicht recht wär', wenn's nachher in Erfüllung ging'.«

»Ja, was aber machen?« erwiderte Moni dem in die Kissen hinein Schluchzenden. »Sag's ihm frei, er wird das nicht wollen, wenn dich's so hart ankommt. Du hast ihm das nie so gesagt.«

»Weil ich nicht kann; wenn er mich ansieht, bleibt mir's immer im Hals stecken. Aber halt! Juchhe! Ich hab' was.« Er sprang aus dem Bett, machte Licht und holte die Nagelschachtel mit dem Hammer vom Himmelbett.

»Was willst? Was willst machen?« fragte Moni.

»Was ich von dir gelernt hab',« sagte Brosi lachend. »Es hat einmal ein Mädle geben, das hat einem jungen Burschen einen Riegel vorgeschoben und hat ihn zum Haus 'nausgeschwätzt. Jetzt wird einem draußen ein Riegel vorgeschoben und der darf nicht herein.«

[170] Während vom Auerhahn die Musik herabtönte, erschollen laute Hammerschläge im Hause Brosi's, denn er nagelte die Hausthüre, die Stallthüre und die Schuppenthüre zu und legte sich dann fröhlich in's Bette, im Voraus lange ausmalend, was das morgen für ein Spaß sein werde.

Die Kinder und Enkel, die am Morgen nach dem Hause Brosi's kamen, fanden dasselbe verschlossen und auch auf Klopfen wurde nicht geantwortet.

Endlich kam Severin, auch er klopfte, aber Niemand antwortete. Die Endringer kamen mit Schießen und Musik, um das Brautpaar zu holen. Brosi und Moni hörten, wie draußen viele Leute standen die auf Allerlei rietehn und Einige sagten sogar, Brosi und Moni seien gewiß an der Freude gestorben, das käme davon, wenn alte Leute solche Feste mitmachten.

Drinnen drang Moni in ihren Mann, er solle doch Antwort geben, das sei ja sündlich, die Leute so hinzuhalten, Brosi aber sagte, er möchte gern hören, was die Leute nach seinem Tode ihm nachsagten. Moni wollte auf wiederholtes Klopfen schreien, da hielt ihr Brosi den Mund zu.

Jetzt hörte man den Schlosser mit dem Dietrich an den Schlössern arbeiten, sie gingen auf und zu, aber keine Thüre öffnete sich, und Brosi lachte in sich hin ein. Da rief Severin: »Wenn wir keine Antwort erhalten, schlagen wir die Thüre mit dem Beil ein. Vater, hört Ihr nicht?«

»Ja, ich höre,« antwortete Brosi, der sich an die Thüre gestellt hatte und nun erklärte, daß er nicht [171] aufmache, wenn ihm Severin nicht sein Wort zurückgebe, und daß er in seinem alten Hause bleiben dürfe, lieber bliebe er ewig mit seiner Moni eingeschlossen.

Ein Jubel erscholl von der Straße, und Brosi öffnete endlich und reichte seinem Severin die Hand.

[172]

20. Kapitel

Zwanzigstes Kapitel.

Mancher Aberglaube ist nur eine Erfahrungswahrheit, die zu sicherer Ueberlieferung von Geschlecht zu Geschlecht in feste Form gebunden ist, und die Furcht regiert viele Gemüther leichter als die Einsicht. Man hält es für gefahrbringend vor den allzeit lauernden bösen Schicksalsmächten, solch ein Fest zu feiern wie Brosi und Moni gethan, das den langen stillen Fortgang des Lebens in mächtigem Zusammenfassen spannt und höher hebt, und in der That erschließt sich leicht hinter solch einem Hochpunkte die Kahlheit des Alltagslebens und der unterbrochene stille Fortgang verwandelt sich nun in Oedigkeit und Abspannung. Es ist etwas anderes, zur Zeit der aufstrebenden Kraft einen Jubeltag sich zu setzen als da, wo die Ruhe und das stille Walten allein Erquickung bietet. Wie sich Moni unter der Schappel demüthig gebeugt hatte, so war sie den ganzen Tag in sich still und ruhig geblieben, Brosi aber hatte im jauchzenden Austoben sich erlustigt, und schon am andern Tage, nachdem Severin abgereist war, schlief Brosi nach dem Essen unwillkürlich auf der Bank ein.

Das Gäßchen war heute besonders widerwärtig, denn die Vorübergehenden sprachen da draußen so laut, [173] man hörte jedes Wort, als ob sie in der Stube wären. Moni wollte hinausgehen und die Leute zur Ruhe gemahnen, aber als sie sich erhob, merkte es Brosi und erwachte, sich verwundernd, daß er am Tage schlafe; er fühlte sich ganz gestärkt, da er das Versäumte von gestern Nacht nachgeholt habe. Brosi war wie immerdar heiter und aufgeräumt; nur als Moni bemerkte, der Franz mit seiner Frau sei da gewesen und habe nachsehen wollen, wie es dem Vater gehe, da sagte dieser:

»Jetzt sind alle unsere Kinder fort, jetzt sind wir doch wie ein entlaubter Baum,« als aber während dieser Worte des Rösles Monika eintrat, die nun bei den Großeltern wohnen wollte, sagte er: »Richtig, da kommt ja unsere Wurzelbrut. Weißt Alte? Es giebt Bäum', die wieder an der Wurzel ausschlagen. Recht so, bleib du bei deiner Ahne und gieb Acht, daß du so wirst wie sie und leid's nicht, daß sie zu viel schafft.«

Brosi hatte nun drei eigene Familien im Orte, die er besuchen konnte und war nun auch mit dem größten Theile des Dorfes verwandt, und wenn sich hier auf dem Walde Alles Vetter nennt, so hatte das bei Brosi noch eine besondere Berechtigung. Er ließ sich's aber auch nicht nehmen, noch diesen Winter regelmäßig zu dreschen und wenn ihm auch weh dabei geschah, gestand er es weder sich noch seinen Genossen. Wenn ihm die Leute sagten, er solle sich doch zur Ruhe setzen, er sei ja vermöglich, habe seine Kinder alle versorgt und wenn er etwas Uebriges brauche, werde sich der Oberbaurath eine Freude daraus machen, ihm solches zu geben, da sagte er:

[174] »Mein' größte Freud' ist, daß ich's haben könnt' und nicht brauch'!«

Um Neujahr zeigte Severin die Geburt eines Töchterchens an und der Winter ging still und heiter vorüber, nur war es eine traurige Botschaft, daß um Lichtmeß der Gipsmüller starb. Brosi ließ es sich nicht nehmen, seinem Leichenbegängnisse sich anzuschließen, aber er ging, wie er sagte, des schlüpfrigen Weges halber am Stocke über Feld und stand oft still und verschnaufte. Als er von Endringen, wo der Gipsmüller begraben wurde, zurückkam, sagte er:

»Das Sterben sollt' nicht sein, aber es ist einmal so Gottes Ordnung. Aber Moni, unser Haus da drüben ist doch schön, es müßt' sich doch gut drin wohnen.«

Noch oft kam Brosi auf sein Gelüste, in dem schönen Hause zu wohnen, aber es war doch nie weiter, als eine gewisse flüchtige Unbefriedigtheit des Alters, das leicht in allerlei Planen und Wünschen sich ergeht und dem es schließlich doch am liebsten ist, wenn es beim Altgewohnten sein Verbleiben hat.

Im Frühling ging Brosi wieder in den Wald an seine Arbeit, des Jörgtoni's Kaspar half ihm, und Brosi sah es gern, daß dieser sich in seine Stelle setzte, für den Fall, daß er sie nicht mehr versehen könne. Beim Ausgehen und bei der Heimkehr verweilte Brosi da und dort bei Altersgenossen, die in Leibgedingstuben wohnten und ließ sich von ihnen lang und breit ihre Gebresten erzählen, er selber klagte nicht und sagte nur oft:

[175] »Wenn ich's in meiner Jugend besser gehabt hätt und mich nicht so hätt' schinden und plagen müssen, ich wär hundert Jahr alt geworden.«

Auch daheim kam er oft hierauf zu reden. Das Gehen wurde ihm immer schwerer, aber so lange er nur fortkriechen konnte, ging er seiner Arbeit nach, und man sah es, wie er sich gewaltsam aufrecht hielt und für jeden noch immer eine Scherzrede hatte.

Es war am Tage nach Jakobi – noch gestern war Brosi im Auerhahn gewesen und hatte viel davon gesprochen, wie leid es ihm thue, daß seine Söhnerin in ein Bad gemußt habe und nicht nach Endringen käme, er wäre ihr zu lieb doch dahin gezogen – heute konnte Brosi nicht mehr gehen, sein Kubikfuß stellte sich wieder ein, er mußte zu Bette bleiben oder in dem großen Armstuhl sitzen, den Agy geschickt hatte.

Die beiden älteren Söhne waren weit in der Fremde, aber Severin kam einmal und besuchte seinen Vater, und zum Erstenmale hatten seine starren Züge etwas Lindes. Brosi behauptete, daß es gar keine Gefahr habe, und des Rösle's Monika mußte ihm oft stundenlang die Geschichten aus den alten zerlesenen Kalendern vorlesen, durfte aber nicht in die Einzeichnungen von seiner Hand sehen. Die Frau saß schon jetzt im Sommer an der Kunkel und spann; Brosi that einmal die seltsame Frage:

»Was spinnst?«

»Tuch zur Aussteuer für unsere Monika.«

»So? Das ist recht,« sagte Brosi und war lange still; er mußte an sein Todtenhemd gedacht haben.

[176] Die Hühner kamen jeden Mittag vor den Stuhl Brosi's, und er brockelte ihnen Brod; aber auch viele befreundete Menschen kamen, ihn aufzuheitern, dessen bedurfte es aber nicht, denn er war noch immer der Lustigste von Allen.

Schon als Brosi das Bett nicht mehr verlassen konnte, war er noch immer ein säuberlicher Kranker. Der Bader mußte jeden Samstag kommen und ihm den Bart abnehmen, und war es schon an sich schwer, aus den vielen Falten des eingefallenen Gesichtes die Bartstoppeln heraus zu kriegen, so erschwerte es noch Brosi durch die vielen Späße, die er machte, so daß der Bader oft vor Lachen absetzen mußte.

Eines Tages sagte Brosi mitten im Gespräche zu seiner Frau:

»Ja, daß ich's nicht vergeß. Ich dank' dir tausend und tausendmal für all die Liebe und Güte, die du mir angethan, und wenn ich jetzt oft krittlich bin, denk' nur, das bin ich nicht, ich kann nicht anders. Es wird schon wieder besser, wenn ich wieder gesund bin. Und wenn ich sterb', laß mich nicht zu lang auf dich warten, aber dießmal nimmt's mich noch nicht. Wart' nur, bis es wieder Winter ist, ich bin im Winter immer besonders wohlauf.«

Moni setzte sich so an die Kunkel, daß es ihr Mann nicht sehen konnte und die Thränen fielen ihr auf die Hand, und sie benetzte den Faden damit, den sie spann. Sie sagte es nicht, aber sie bestimmte dieses Tuch zu ihrem eigenen Todtengewand.

Brosi verlangte selbst nach dem Geistlichen und seiner [177] letzten Wegzehrung; er konnte es doch nicht lassen, wegen Agy's zu beichten, aber der Geistliche war mild genug, ihn zu trösten.

Auch den Gemeinderath ließ Brosi zu sich kommen und befahl, daß man bei seinem Begräbnisse lustige Tanzmusik aufspielen solle, er sei lustig in der Welt gewesen und wolle auch lustig hinaus. Man versprach nach seinem Willen zu thun.

Des Rösle's Monika war eine rüstige Pflegerin, denn die Großmutter wußte sich vor Herzbrechen gar nicht zu helfen.

Es kamen Tage, in denen Brosi überaus lustig war, seine Enkelin mußte singen, und er sang mit und ermahnte auch Moni dazu.

Einmal in der Nacht als die junge Monika bei ihm wachte, rief er mit starker Stimme:

»O lieber guter Gott! Laß mich doch noch leben. Ich will noch alles Holz messen bis an den Rhein, ich will den Kappelberg ganz allein durch und durch graben, laß mich leben, oder wie du willst, aber nur nicht lang leiden. Mach's kurz.«

Als man in der Ferne den Nachtwächterruf hörte, summte er gegen die Wand gekehrt vor sich hin:


Alle Sternlein müssen schwiden

Und der Tag wird sich einfinden ...


Der jungen Monika wurde es schwer angst, aber sie wagte es nicht, nach Jemand zu rufen und jetzt den Kranken zu verlassen, und einmal wendete er sich wieder um und sang mit geschlossenen Augen:


[178]

»Weil Scheiden bitter ist

Und 's Lieben süß ....«


Gegen Morgen that er einen mächtigen Schrei, die Frau sprang von dem Stuhl, auf dem sie eingeschlafen war, und in den Armen seiner Moni starb Brosi. –

Es war am Freitagmorgen, am Tage Himmelfahrt Mariä, als Brosi starb und als der Uribasche – die Todtenglocke – läutete, betete ein Jedes still im Dorfe, Jedes wußte, wer verschieden war.

Erst am Montag Morgen wurde Brosi begraben, man hatte nach den Söhnen geschrieben und sie kamen und gingen hinter seiner Leiche. Auf dem Sarge lag Hammer und Kelle und der Maßstab, der Brosi als Stütze gedient. Die polizeiliche Ordnung duldete es nicht, daß man den Wunsch des Verstorbenen erfüllte, und ihm Tanzmusik zu seinem Leichenbegängnisse aufspielte, aber weil Brosi Gemeinederath gewesen war, wurden eine Stunde lang in dreimaligen Absätzen alle Glocken geläutet. Es war ein heller Sommermorgen voll Lerchensang und Sonnenschein und so weit man die Glocken in den Bergen vernahm, standen die Waldarbeiter still, legten die Aexte hin und beteten für Den, den man begrub, ein Vaterunser; und wer mit Genossen arbeitete sprach mit ihnen davon, wie gern ein Jedes dem Brosi die letzte Ehre erwiesen hätte, daß man aber keines Taglohnes ermangeln könne.

Nur noch dreimal war Moni in der Kirche als man ihrem Manne die Todtenmessen las; sie lebte [179] ruhig aber fast wortlos, dazu war sie noch fast stocktaub geworden. Und als das Tuch von der Bleiche kam, das sie in diesem Sommer gesponnen, entschlummerte auch sie.

Als die erste Trauer vorüber war, lebten Brosi und Moni in der Erinnerung aller Menschen wie der Nachhall einer Tanzweise, die sich von selber fortsingt, nachdem man den Ort der Lustbarkeit weit hinter sich hat.

Das Jahr darauf heirathete der jüngste Sohn des Gipsmüllers wirklich des Rösle's Monika, und als die ganze Familie im Auerhahn beisammen war und zum Erstenmal wieder der Bändelestanz aufgespielt wurde, stand Alles still und Eines sagte dem Andern: »Ach Gott, das war sein Leibstück.« Aber des Jörgtonis Kaspar sprang mit beiden Füßen in die Mitte des Saals und rief: »Jetzt bin Ich der Brosi!« und zeigte sich als dessen gelehriger Schüler. Noch lange, wenn der Hoppetvogel, der Siebensprung und der Bändelestanz ausgeführt wird, wird man den Namen Brosi's nennen und »Mein Mann ischt koanr, sagt der Brosi« ist noch immerdar Sprüchwort.

[180]

Der Viereckig

oder

die amerikanische Kiste.

[181][183]

»Ich glaub' nicht an Amerika,« sagte einst die alte Lachenbäuerin in der Hohlgasse, als man ihr Vielerlei und darunter auch Fabelhaftes von dem fernen großmächtigen Land erzählte. Die Leute erlustigten sich über diese einfältige Rede, denn die Lachenbäuerin hatte keineswegs damit nur sagen wollen, daß sie nicht an die Verheißungen und Hoffnungen Amerika's glaube, sie erklärte sich einfach dahin, sie glaube überhaupt nicht an das Dasein von Amerika, das sei alles lauter Lug und Trug. Sie bemühte sich dazu nicht zu mehr Beweisen, als die Großen am spanischen Hofe gegen Columbus vorbrachten, sie glaubte eben nicht an Amerika, und fester Unglaube läßt sich eben so wenig überführen als fester Glaube.

Wenn heutigen Tages Jemand im Dorf durch irgend welche Hindernisse nicht nach Amerika auswandern kann, hilft er sich mit der Scherzrede: »Ich glaub' nicht an Amerika, wie die alte Lachenbäuerin.«

Es giebt aber auch landauf und landab kein Haus mehr, in dem man nicht den lebendigen Beweis vom Gegentheil hätte. Da ist ein Geschwister, dort ein Verwandter oder auch nur ein Bekannter in Amerika, man weiß den einzelnen Staat zu nennen, in dem sie sich [183] angesiedelt haben, man hat Briefe von ihnen gelesen und gehört.

Im Wirthshaus des entlegensten Dorfes, wo man aus einem guten Schoppen Kräftigung oder Vergessenheit trinken will, schreibt mitten aus den Tabakswolken eine Zauberhand ihre Mene Tekel an die Wand; da legen zwei Hände sich brüderlich ineinander, da segelt ein buntgeflaggtes Schiff auf grüner See und in flammenrothen Buchstaben leuchtet die Botschaft: »Nach Amerika!« Verschwunden ist alles Selbstvergessen; der Geist, der sich in sich versenken und begnügen wollte, wird mit Zaubergewalt hinausgetragen auf das unabsehbare Wellenwogen der Ueberlegungen und Berathungen. Freilich ist bei dieser Schrift keine Zauberei, sie ist nur ein Meisterstück der Buchdruckerkunst, und die zahllosen Auswanderungsexpeditionen: die Bruderhand, das treue Geleit, die sichere Obhut, die glückliche Zukunft und wie sie sich Alle nennen – Auswanderungsagenten mit ihren Helfershelfern, Wirthen, Schulmeistern und Krämern, sorgen dafür, daß man allerorten eingedenk sein muß, wie weit wir es in der Kunst Gutenbergs gebracht haben. Ist der Blick aber auch nur flüchtig von diesen Zeichen gefesselt worden, so muß auch das Wort ihm folgen, und Menschen die ihr Lebenlang kein anderes Fahrzeug gesehen als den Flotz, das eilig an der Wiese vorbeischwimmt darauf sie mähen, sprechen von gekupferten Dreimastern, vom Leben in Vorkajüte und Zwischendeck. Menschen, die es daheim nicht zu einer Handbreit Erde bringen können, sprechen von Congreßland und den tausend Morgen, die sich[184] leicht erwerben lassen. – Amerika schickte uns einst die Kartoffel, die in der alten Welt heimisch und zum Bedürfniß geworden, in hunderterlei Art bereitet und genossen wird; man kann fast sagen, das Gespräch über Amerika ist auch eine Art von Kartoffel: das wird gesotten und gebraten, in hunderterlei Art bereitet und sogar zum berauschenden Trank hergerichtet. Wie erlaben und erhitzen sich oft die Sonntagsgäste an der Kartoffel in Trank und Wort, und kehren sie dann heim in ihre Behausungen, so kommen sie aus dem fernen Land zurück, und spät in der Nacht wird noch mit der Frau überlegt, ob man nicht auch auswandern wolle, dahin, wo man nicht mehr zinse und steuere; jedes kleine Ungemach hebt alsbald ganz hinweg von dem gewohnten Lebensboden und noch am Morgen bei der Arbeit ist es oft, als ob die Luft von selbst das Wort Amerika spreche; mit Sichel und Sense oder der Pfluggabel in der Hand schaut der Bauer oft aus, als müßte plötzlich Jemand kommen, der ihn abrufe nach dem gelobten Land Amerika. – Glückselig, wer sich bald wieder findet und sich tapfer wehrt auf dem Boden, darauf Geburt und Geschick ihn gestellt.

Es wäre thöricht, die unabsehbare Befruchtung und den großen Alles, bewältigenden Zug der Menschheitsgeschichte in dem Auswanderungstriebe verkennen zu wollen. Das hindert aber nicht, ja fordert eher dazu auf, die Herzen derer zu erforschen, die, vom Einzelschicksale gedrängt in die Reihen der Völkerwanderung eintreten, deren weltgeschichtliche Sendung unermeßbar und den Einzelnen, die mitten im Zuge gehen, unerkennbar [185] ist. Daneben ist es von besonderem Belang, zu beobachten, welche Wandlung solch ein Trieb, der die ganze Zeit ergriffen, im beschränkten Lebenskreise der Scheidenden und Verbleibenden hervorbringt.

Der Statistiker stellt, manchmal mit Bedauern, die Summe Derer zusammen, die in diesem und diesem Jahre das Vaterland auf ewig verlassen; er ermißt, welche Arbeits- und Capitalkraft dadurch dem Vaterlande entzogen wurde; die innere sittliche Macht aber, die den Zurückbleibenden dadurch entzogen und anbrüchig geworden ist, läßt sich nicht in Zahlen fassen und nicht in die Linien der statistischen Tabellen eintragen. Wandert über Berg und Thal, und der Lastträger, der sich euch anschließt, stemmt seinen Stock unter die Last auf seinem Rücken, und ausschnaufend erzählt er euch, wie man in Amerika für seine harte Arbeit doch auch Etwas vor sich bringe und wie er gern dahinzöge, wenn er nur die Ueberfahrtskosten erobern könnte. Dort in jener Hütte wohnt ein altes Paar, einsam und verlassen; es hat seine Kinder, die Freude und Stütze seines Alters, über's Meer ge schickt, damit es doch mindestens ihnen wohlergehe, und ist bereit, den Rest seiner Tage einsam und freudlos zu verbringen, wenn nicht die Kinder es zu sich rufen. In einem andern Hause klagt eine arme Verwandte ihre bittere Noth, und ein noch nicht fünfjähriger Bub' sagt: »Sei zufrieden Base, wenn ich groß bin, geh' ich nach Amerika und schicke dir einen Sack voll Geld.« Der Dienstbote spart sein Lohn zusammen, und stellt die Rahmenschuhe weg, die er zu Georgi und Michaeli [186] bekommt und über alles zunächst Vorliegende hinaus schweift der Gedanke nach Amerika. Das ganze diesseitige Leben wird zu einem mühseligen unruhigen Samstag, hinter dem der lichte amerikanische Sonntag verheißungsvoll winkt. – Hatte jener Bauer Recht, der da sagte: »Wenn eine Brücke hinüberginge über's Meer, es bliebe kein einziger Mensch mehr da?«

Tretet in die Hallen des öffentlichen Gerichts und der ewige Endreim heißt: nach Amerika. Der Brandstifter wollte mit den Versicherungsgeldern – nach Amerika, der Dieb mit dem Erlös seines Diebstahls – nach Amerika; die Kindsmörderin wollte mit ihrem Verführer – nach Amerika, und da er sie verließ, tödtete sie ihr Kind, um sich allein zu retten – nach Amerika, ja selbst der verurtheilte Verbrecher tröstet sich, daß er im Zuchthaus so viel erübrigen könne, um auszuwandern oder gar, daß man ihm die Hälfte seiner Strafzeit schenke und ihn fortschicke – nach Amerika.

Aber nicht nur Verarmte, die sich nicht aufraffen und sich der Hoffnung hingeben, daß die Gemeinde oder der Staat sie endlich über's Meer sende, und nicht nur Verbrecher, die sich mit kecker Hand das Lösegeld aneignen, schauen aus nach Amerika; auch die Menschen, die sich wieder darein gefunden haben, muthig und rechtschaffen auf ihrer Stelle auszuharren, im Lande zu bleiben und sich redlich zu nähren, auch diese tragen oft zeitlebens die untilgbaren Folgen davon, daß sie einst eine andere Sehnsucht über sich kommen ließen. Nur starke Naturen oder solche denen nichts tief geht, überwinden die Unruhe und die Unstätigkeit, die auf [187] lange nicht aus der Seele weichen will, welche einst den Gedanken der Auswanderung in sich gehegt hatte. –

»Ich glaub' nicht an Amerika,« sagen nun aber auch ganz andere Leute, als die alte Lachenbäuerin.

Die Strömung der Auswanderung hat sich auch schon gestaut und ist eine Zeit lang rückwärts gegangen. Viele in Verzweiflung heimgekehrte Auswanderer wissen gar Schauererregendes zu erzählen von der neuen Welt; denn getäuschte Hoffnung macht bitter, läßt das Gute an einer Sache leicht übersehen oder gar verläugnen, und wer von einem Unternehmen abgelassen hat, das er unter der gespannten Aufmerksamkeit Anderer mit großem Eifer versucht hat, der muß die Hindernisse als ungeheuerliche darstellen, um mit seiner Ehre desto besser dabei wegzukommen. Da wird die ehemalige blinde Lobpreisung jetzt zur blendenden Verleumdung. Freilich sind die Gaunereien, die in Amerika unter allerlei Masken oder auch ganz offen freies Spiel haben, oft fabelhaft keck und abenteuerlich, mit Verläugnung alles sittlichen Gefühls und rücksichtsloser Ausnutzung des Nebenmenschen und seines hingebenden Vertrauens; freilich bildet dort die Selbsthülfe, auf die Jeder angewiesen ist, sich oft auch zur lieblosen Selbstsucht aus, und wer von seiner eigenen Kraft verlassen ist, ist ganz verlassen. Aber weil eben die Hoffnungen für Amerika zu hoch gespannt, zu träumerisch unklar waren, weil man ein Fabelreich daraus machte, und amerikanisches Wohlleben zu einem Aberglauben geworden war, ist dieser jetzt vielfach in Unglauben umgeschlagen und – »Ich glaub' nicht an[188] Amerika« heißt es jetzt mit der alten Lachenbäuerin, und das hat sein Gutes. Es wird jetzt aufhören, daß Jeder, der mit seiner Hoffnung oder mit seiner Thätigkeit in die Brüche gekommen ist, alsbald das Weite sucht und alles Heil von der neuen Welt erwartet, und von dieser wird sich eine klare und gerechte Anschauung ausbreiten, die nichts vom Aberglauben und nichts von Unglauben hat, sondern die Bedingungen des alten und des neuen Lebens entsprechend würdigt. – –


Des Lachenbauern Xaveri ist der Enkel jener Alten, die den Spruch that: »Ich glaub' nicht an Amerika,« aber der Xaveri mußte daran glauben, und zwar auf seltsame Weise.


Das war ein unbändiges Gelächter am Rottweiler Markt, vor dem Wirthshause zur Armbrust! Auf einem sattellosen Apfelschimmel saß ein halbwüchsiger Bursche, breitschultrig, mit einem wahren Stiernacken, darauf ein Kopf von gewaltigem Umfange ruhte, die braunen Haare, die geringelt von selbst emporstanden, machten den Kopf noch umfangreicher, und eben war man daran, diesem Haupt die entsprechende Bedeckung zu verschaffen. Der Reiter hielt mitten im Marktgewühl vor einer Bude, und ein Hut nach dem andern wurde ihm heraufgereicht, aber er gab sie alle wieder zurück. Ein älterer Bauer faßte das Pferd am Zügel und führte es sammt dem Reiter durch die drängenden Menschen nach einer andern Bude. Der frühere Versuch wurde hier erneuert, [189] ein Hut nach dem andern wanderte auf das gewaltige Haupt des Reiters und wieder hinab, braune, schwarze und graue Hüte von jener neuen Form, die ohne das Verbot der hohen Regierungen die Menschen verschiedener Bildungsstufen wenigstens der Form nach unter Einen Hut gebracht hätte. Man reckte und zerrte die Hüte, man spannte sie über die Form, aber dennoch war keiner passend. Der Bursche hielt den Zügel des Pferdes und die schwarze Zipfelmütze, die er abgethan, krampfhaft in der linken Hand. Eine große Menschenmenge hatte sich bald leise, bald laut spottend um ihn versammelt; da rief Einer laut: »Der Xaveri hat einen viereckigen Kopf.«

»Es ist beim Blitz wahr, für dich findet sich kein Deckel, reit' nur heim, du Malefizbub,« rief der Mann, der früher das Pferd am Zügel nach der andern Bude geführt hatte, und jetzt schrie Alles laut spottend: »Der Viereckig! der Viereckig!«

Der Reiter nahm die lederüberzogene neue Peitsche, die er über die Brust gespannt hatte, und hieb damit nach Dem, der zuerst »der Viereckig« gerufen hatte; aber dieser war rasch entschlüpft, und als der Reiter in langsamem Schritt durch die Menge weiter ritt, rief ihm Alles nach: »Der Viereckig! der Viereckig!« Die dicken Lippen des Reiters schwollen noch mächtiger an, er schärfte sie bisweilen mit den Zähnen und murmelte Unverständliches vor sich hin, und als er das Menschengedränge hinter sich hatte, peitschte er das Pferd, daß es vorn und hinten ausschlug, und jagte im wilden Galopp davon. Manchen, der still mit sich [190] allein oder laut selbander mit seinem Rausche dahinwandelte, und Manchen, der mehr als nüchtern sein unverkauftes Vieh heimtrieb, hatte er in raschem Ritte fast über den Haufen geworfen, aber er hörte kaum das Fluchen und Schelten hinter sich drein, ja schnelle Steinwürfe erreichten ihn nicht, denn das schwerfällige Pferd trug ihn fast mit Windeseile davon. Gedanken aber sind doch noch schneller, und wir können darum den Reiter leicht geleiten und ihn näher kennen lernen.

Es gab keinen keckern, meisterlosern Buben im Dorfe, als des Lachenbauern Xaveri. Der Lachenbauer – er hieß nicht so, weil er viel lachte, das konnte dem finstern und kargen Manne Niemand nachsagen, sondern weil sein Haus neben der Pferdeschwemme, der sogenannten Lache stand, und nicht weit davon war das allgemeine Waschhaus – der Lachenbauer hatte seine heimliche Freude an all den losen Streichen seines Sohnes Xaveri, und wenn man ihm darüber klagte, pflegte er zu sagen: »Haut ihn, das macht ihn fest; das giebt einen Kerl, der Bäum' umreißt, und ich hab' nichts über ihn zu klagen, mir folgt er auf's Wort.«

Es war fast keine Hand im Dorf, von der nicht Xaveri schon seine Schläge bekommen hatte. Das konnte ihn aber nichts anfechten, im Gegentheil, er gedieh wacker dabei, er war halsstarrig und hartschlägig; was er einmal wollte oder nicht wollte, davon brachte ihn Nichts ab. Seine Hauptheldenthaten vollführte der Xaveri an Sommerabenden bei der Pferdeschwemme, und in den Nächten beim Waschhaus. Wenn die Männer und Burschen an Sommerabenden ihre Pferde in die Schwemme ritten, [191] oder auch nur am Ufer stehend sie an langem Leitseile hineintrieben, so daß die Thiere ihre Nüstern aufbliesen und die Mähnen schüttelten, dann mußten sie den Xaveri mit hineinreiten oder ihn die Peitsche regieren lassen; wollten sie sich dem nicht fügen, so traf unversehens ein Kiesel Reiter oder Pferd. Wie aus der Luft kam der Wurf geschleudert, man konnte nicht sagen, kam er vom Giebel aus dem Hause des Lachenbauern, aus einer Hecke am Weiher oder von irgend einem Baume, das aber war sicher, daß er aus der Hand des Xaveri kam, dessen man nur selten habhaft werden konnte; geschah dieß, so erhielt er seinen ungemessenen Lohn, aber wie gesagt, das geschah doch nur selten, denn der Xaveri war schlau und behend wie eine wilde Katze.

Beharrlichkeit, auch in schlimmen Streichen, übt immer eine gewisse siegreiche Macht. Die Männer und Burschen konnten bei allem Aerger nicht umhin, eine gewisse Freude an dem unbändigen Buben zu haben, und es wäre auch mißlich, ihm im Zorn nachzuspüren, da man bei vergeblichem Forschen noch wacker ausgelacht wurde. So kam es, daß der Xaveri immer freiwillig aufgefordert ward, die Pferde mit in die Schwemme zu reiten, und da er nicht auf allen Pferden sitzen konnte, ertheilte er solche Gunst an diesen oder jenen Altersgenossen und machte sie sich dienstpflichtig; aber keiner war so geschickt wie der Xaveri, er stand barfuß auf dem Pferde und trieb es in das Wasser bis über die Mähne und lenkte es mit einem Zungenschlage wieder zurück.

Hatte er die Männer und seine Altersgenossen sich[192] dienstpflichtig gemacht, daß sie ihm ihre Pferde zur Verfügung stellen mußten, so erpreßte er fast wie ein Raubritter von den wehrlosen Frauen und Jungfrauen Essen und Trinken, was ihm gelüstete, und mancherlei Gunst. Man konnte aufpassen wie man wollte, unversehens fand man den Zapfen an der Laugengelte ausgezogen und die angefeuchtete Asche, die in einem Tuche über die Wäsche ausgebreitet war, in dieselbe gestürzt, ja sogar die aufgehängte Wäsche war nicht sicher und wie von Geisterhänden herabgerissen und erbarmungswürdig zusammengeballt. Das konnte Niemand anders gethan haben, als des Lachenbauern Xaveri. Die Frauen und Mädchen lockten ihn darum an sich, gaben ihm von ihrem Kaffee und Kuchen, versprachen ihm Obst und was er begehrte, und trieben oft ganze Nächte im Waschhause allerlei Scherz und Neckerei mit ihm, so daß man weithin Lachen und Johlen vernahm. Hatte sich der Xaveri nicht bewegen lassen, im Waschhaus zu bleiben, so kam er oft mitten in der Nacht in allerlei Gespenstergestalt daher, und der Jubel war aus dem Schrecken heraus noch ein höherer. Eine besondere Macht erwarb sich der Xaveri noch dadurch, daß er von neidischen, boshaften oder eifersüchtigen Frauen und Mädchen dazu eingelernt wurde, irgend ein verborgenes Stelldichein zu stören oder geheime Wege zu vertreten. Der Xaveri war noch nicht zwölf Jahr alt, als er bereits Verhältnisse im Dorfe kannte, die Vielen erst im spätern Alter offenbar wurden, er war aber auch nach Gunst und Laune verschwiegen, und war natürlich der Kobold des Dorfes in Scherzen und [193] Schelmenstreichen. Es herrschte die allgemeine Stimme im Dorf: »Der Xaveri wird einmal ein fürchterlicher Mensch,« und Jedes that das Seine dazu, daß er das werde; Manche aber sagten auch: »Aus so wilden Buben wird oft was ganz Besonderes.« Beides hörte der Xaveri oft, und er nahm sich Beides gleich sehr zu Herzen, das heißt gar nicht.

Im elterlichen Hause war der Xaveri folgsam, besonders gegen den Vater, gegen die Mutter erlaubte er sich schon manche Widerspenstigkeiten; einen unbedingten Untergebenen hatte er an seinem zwei Jahre ältern Bruder mit Namen Trudpert. Xaveri konnte thun was er wollte, der Bruder half ihm immer heraus, ja er nahm manche Uebelthat auf sich, nur daß Xaveri verschont wurde; denn dieser hatte es ihm wie mit einem Zauber angethan.

Eines Tages, es war im Winter – die alte Lachenbäuerin, von welcher der Spruch herrührt: »Ich glaub' nicht an Amerika,« war schon lange todt, und sie wäre jetzt auch anderer Ueberzeugung geworden – da war großes Halloh im Hause des Lachenbauern. Die Mutter hatte es nicht gestatten wollen, daß der Trudpert seinem jüngern Bruder Alles nachgebe und hatte Xaveri deßhalb geschlagen, bis sie müde war und der Knabe schrie jämmerlich und schnitt Gesichter, aber ohne zu weinen; da kam ein armer Mann, der nach Amerika auswandern wollte und bettelte um Dürrobst oder um etwas Leinenzeug für seine zahlreiche Familie. Im Zorn rief die Mutter:

»Da, nehmt den bösen Buben mit nach Amerika.«

[194] »Ich geh' mit, gleich geh' ich mit,« rief Xaveri aufspringend, aber jetzt wälzte sich der Bruder auf dem Boden und schrie: »Mein Xaveri darf nicht fort, mein Xaveri muß dableiben.«

»Schenk' mir dein Sackmesser und deine Tauben,« unterhandelte Xaveri und der Bruder gab trotz der widersprechenden Mutter Alles und war glücklich als er den Xaveri um den Hals fassen und mit ihm nach dem Taubenschlage gehen konnte.

Von nun an hatte der Xaveri ein untrügliches Mittel, um von seinem Bruder Alles zu erlangen; willfahrte er ihm nicht alsbald, so drohte er: »Ich geh' nach Amerika!« und damit erlangte er allezeit was er wollte: denn dem Trudpert stand gleich das Wasser in den Augen, wenn er diese Drohung hörte.

Auch sonst im Dorfe brachten die Leute den Xaveri oft dazu, daß er seinen Spruch hersagte: »Ich geh' nach Amerika.« Da die Leute an dem Xaveri nichts erziehen konnten und wollten, machten sie sich den genehmern und weit anschlägigern Triumph, ihn auf allerlei Weise zu verhetzen: indem sie ihm oft vorhielten, wie gut es die Kinder in Amerika hätten, da brauche man gar nicht in die Schule zu gehen, und die Buben säßen den ganzen Tag zu Pferde und ritten in Wald und Feld umher und schon mit sechs Jahren bekäme ein Knabe eine Flinte, um Hirsche und Rehe zu schießen. Die Leute waren merkwürdig erfinderisch im Ausmalen von allerlei Ungebundenheit, und der Schreiner Jochem, der mit seiner Familie auswanderte, trieb seine [195] Gemüthlichkeit so weit, daß er mit Xaveri ein Complot einging und ihm versprach, ihn heimlich mitzunehmen. Xaveri kam richtig mitten in der Nacht, in der Jochem mit seiner Familie davonziehen wollte, zu demselben, brachte in einem Packe seine Kleider und in einem Sacke einen ziemlichen Vorrath von Dürrobst. Der Jochem packte das letztere zu unterst in eine große Kiste, schickte aber heimlich nach der Mutter des Xaveri und ließ sie ihren Sohn sammt seinen Kleidern abholen. Das war der erste gewaltige Hohn und Betrug, den Xaveri in seinem Leben erfuhr, aber er verwand ihn bald wieder, zumal da die Mutter die ganze Sache und sogar den Raub am Dürrobst vor dem Vater vertuschte. Im Dorf aber war der Vorgang dennoch ruchbar geworden, man ließ es nicht daran fehlen, den Xaveri in aller Weise zu necken und er vergalt es durch noch übermüthigere Streiche.

In einer Kindesseele verschwinden leicht die Spuren der gewaltigsten Eindrücke; es hat sein Gutes weit mehr als sein Schlimmes, daß die jugendliche Spannkraft in ihrem freien Wachsthum beharrt. Wer aber weiß, was in der schlummernden Kindesseele fortwaltet? Wenn von brausender Locomotive ein brennender Funke in den offenen Kelch einer Blume fällt, vom Winde alsbald verweht und verlöscht wird, ihr seht keine Spur an dem offenen Kelche, aber an dem Boden, darin die Wurzel haftet, ruht die verlöschte Asche, fördernd oder verderbend.

Wenn der Xaveri nicht seinen Bruder damit neckte, dachte er nicht mehr an Amerika, und nur Einmal, als[196] Kinder aus der Schule mit ihren Eltern auswanderten, trug er ihnen auf, dem »Schreiner Jochem drüben« Schimpf und Schande zu sagen; ja er schrieb einen Brief an ihn mit den heftigsten Drohungen, wenn er nicht den Sack, worin das Dürrobst war, wieder mit Gold gefüllt zurückschicke.

In seinem zwölften Jahre stand der Xaveri schon vor Gericht und wurde auf einen Tag eingesperrt. Im Dorfe war eine äußerst verhaßte Persönlichkeit, und zwar diejenige, die die öffentliche Ordnung überwachte. Der »Wullisepple,« so genannt, weil er ehemals Wolle gesponnen hatte, war Ortspolizeidiener geworden und hatte von nun an den Namen »grausig Mall,« d.h. so viel als die grausame Katze, denn er war den Nachtbuben äußerst aufsätzig und konnte seine Augen funkeln lassen wie eine Katze. Nun nahmen die Bursche einst Rache an ihm und dazu gebrauchten sie den Xaveri. Es war auf dem Tanz, da wurde der kleine Xaveri von den Burschen vor die Musikanten hingestellt und er rief: »Aufgepaßt! es kommt ein neuer Tanz!« und sang den Musikanten ein Spottlied auf den grausigen Mall vor. Dieser war zugegen und wollte abwehren, aber die Burschen riefen: »Du gehst 'naus! Du hast das Recht erst um elf Uhr da zu sein! Du bist Polizei und nicht Gast!« Sie bildeten einen Knäuel und drückten den grausigen Mall hinaus; der aber rief: »Ich geh' und ich geh' zum Amt!« Nun war Lachen und Johlen und Singen und der Xaveri wurde von Allen auf den Armen herumgetragen. Der grausig Mall hielt Wort und Xaveri stand mit mehreren Burschen vor Gericht. [197] Man wollte wissen, woher er das Lied habe; er blieb dabei, er habe es Morgens beim Tränken am Wettibrunnen gefunden. Er mußte das Lied vor dem Amtmann nochmals singen, der selbst darüber lachte; und da er dabei beharrte, Niemand angeben zu können, wurde er auf vier und zwanzig Stunden eingesperrt. Als man ihn abführte, rief er: »Wer mich einthut, muß mich auch schon wieder austhun!«

Man kann sich denken, welch eine bewunderte Persönlichkeit Xaveri nach dieser Heldenthat war. Er hatte den giftigen Zorn des grausigen Mall nicht zu fürchten, denn alle Burschen im Dorf waren seine Gönner.

Unter Allen im Dorf, die das Gemüth Xaveri's verhetzten, stand das Zuckermännle obenan. Es giebt wohl in jedem Dorf einen besondern Menschen, der seine eigne Freude daran hat, allerlei Wirrwarr und Feindseligkeit anzustiften, und zwar ganz ohne Eigennutz, wenn man nicht eben in der Freude an diesen Vorfällen einen Eigennutz sehen will. Das Zuckermännle, ein kleiner schmächtiger Schneider, mit verschmitzten grauen Aeuglein in dem faltenreichen Gesichte, hatte, da es noch viel jünger an Jahren war, die alte Krämerin, die sogenannte Zuckerin, geheirathet; es hoffte, seine Alte bald los zu werden und sich dann ein frisches Weibchen nach seinem Sinne zu holen; aber die alte Zuckerin war zäh und dürr, der Tod schien gar kein Verlangen nach ihr zu haben: sie lebte zu besonderem Leidwesen ihres Mannes noch ein und dreißig Jahre. Sie war erst diesen Frühling gestorben, und [198] das Zuckermännle, das unterdeß alt und grau geworden war, ging auf fröhlichen Freiersfüßen. Bei seinem frühern Hauskreuz war es ihm ein besonderes Labsal gewesen, den Xaveri zu allerlei Schelmenstreichen anzustiften und er suchte dann mit heimlicher Schadenfreude die Beschädigten auf, um Mittel und Wege zu neuen Schelmereien zu entdecken. Seit Xaveri aus der Schule entlassen war, zog er sich von seinem ehemaligen Lehrmeister auffallend zurück; man hatte geglaubt, daß Xaveri, der Schulzucht entbunden, mit neuen losen Streichen sich zeigen werde, aber seltsamer Weise war er arbeitsam und still und man hörte nichts von ihm; ja in der Sonntagsschule war er äußerst aufmerksam und ehrgeizig, und die Leute, die prophezeit hatten, daß aus dem Xaveri noch etwas Besonderes werde, frohlockten ob ihrer Weisheit. Es schien, als ob die gewonnene Freiheit und Selbständigkeit ihn geändert hätte. Mehrere Jahre gingen darauf hin, ehe man den rechten Grund erfuhr, und jetzt wunderte man sich, daß man ihn nicht schon früher bemerkt hatte.

In diesem Frühling war Xaveri aus der Sonntagsschule entlassen worden; er war achtzehn Jahre alt und verstand, was es heißt, wenn die Blaumeise im Frühling singt: »D'Zit is do! D'Zit is do! D'Zit ist do!« Noch viel wahrer aber lauteten die Worte, die man dem Gesange eines andern Vogels unterlegt, denn nachahmend das Schwirren und Zwitschern heißt es, daß die Lerche singt: »'s ist e König im Schwarzwald, hat siebe Töchter, siebe Töchter: d'Lies ist d'schönst,', d'schönst', d'schönst'!« Mit dem König konnte Niemand [199] anders gemeint seyn, als der Pflugwirth im Dorf; er hatte zwar nicht sieben Töchter, aber doch fünf, und dazu nur einen Sohn, und auf's Wort hin war es nichts als Wahrheit, daß des Pflugwirths Lisabeth landauf und landab das schönste Mädchen war.

Des Pflugwirths Lisabeth war mit Xaveri zugleich aus der Sonntagsschule entlassen worden und er galt nun für deren öffentlich Erklärten und Keiner im Dorfe wagte ihm dies streitig zu machen, denn von Kindheit an war Xaveri von Allen gefürchtet. Der Pflugwirth schien auch nichts gegen dieses offene Verhältniß zu haben, er hieß den Xaveri, den Sohn eines vermöglichen Bauern im Dorfe, stets bei sich willkommen und sah es mit Genugthuung, daß der Nachwuchs der jungen Burschen im Dorfe sich seinem Hause zuwendete, während bisher Alles dem Wirthshaus zur Linde treu geblieben war; denn der Pflugwirth war ein Fremder, er war von Deimerstetten oder vielmehr von Straßburg in's Dorf gezogen und war er nun auch schon mehr als achtzehn Jahre ansässig, er war doch noch ein Fremder, denn seine Frau war eine Elsäßerin und er selber ein seltsamer Mann, vor dem man eine geheime Scheu hatte, wenn man seiner nicht bedurfte. Sein ganzes Gebaren hatte etwas Fremdes und Auffallendes; wenn er über die Straße ging, lief er allezeit so behend, als wenn er immer zu eilen hätte. Das ist im Dorfe besonders auffällig, wo man sich zu Allem gern Zeit nimmt. Er mußte es noch von der Stadt her gewöhnt sein, an den Menschen vorüberzugehen, ohne sich um sie zu kümmern; er hielt [200] nirgends Stand, und wenn man ihn grüßte, dankte er kurz und knapp. Der Pflugwirth war vordem Hausknecht im »Rebstöckl« in Straßburg gewesen und bildete sich nicht wenig auf seine Welterfahrenheit und besonders auf sein Französisch ein. Um dieses Letztere selbst nicht zu vergessen und noch einen Vortheil für seine Kinder daraus zu ziehen, sprach er mit seinem einzigen Sohne Jacob, den er Jacques nannte, nie anders als französisch und zwar elsässer-französisch. Der Schackle, wie er im Dorfe hieß, war vor den Leuten nur schwer zu bewegen, in der wälschen Sprache zu antworten und bekam deshalb viel Schläge. Im Dorf und in der Schule wurde er deshalb viel geneckt und während die andern Kinder des Pflugwirthes frisch gediehen, war der Schackle ein verbutteter unansehnlicher Knabe. Obgleich er viele Jahre jünger war, hatte Xaveri ihn doch zu sich herangezogen und nur diesem Umstande verdankte er es, daß er in der Schule nicht täglichen Mißhandlungen ausgesetzt war. Seit kurzer Zeit hatte der Pflugwirth aber auch einen tatsächlichen Erfolg von seiner Weltgewandtheit und Sprachkenntniß; er war nicht nur Agent einer französischen Feuerversicherungsgesellschaft, sondern auch, was noch einträglicher war, Agent einer Auswanderungs-Expedition, genannt: »Die Bruderhand.« Nun hatte er oft hin und her zu reisen und sah es gern, daß Xaveri viel in seinem Hause ein- und ausging, denn er half dem sehr unanstelligen Schackle so wie den Töchtern bei dem Feldgeschäfte. Xaveri war weit mehr im Pflugwirthshause als bei seinen Eltern, er war ohne Lohn fast der Knecht des [201] Pflugwirths. Dies gab oft Streit zwischen ihm und dem Vater. Xaveri kehrte sich nicht daran. Seit einigen Wochen aber war er mißlaunisch und zanksüchtig, mehr als je. Von Deimerstetten, dem Geburtsorte des Pflugwirths, kamen sonntäglich die Burschen, und besonders Einer, des Lenzbauern Philipp, warb offenkundig um Lisabeth und diese schien es nicht unwillfährig aufzunehmen. Xaveri schalt mit Lisabeth, ja er klagte es dem Pflugwirth selber; aber dieser beruhigte die »Kinder« mit klugen Worten und Xaveri war wohlgemuth, da auch er sich als Kind des Hauses bezeichnen hörte.

Nun hatte er heute zum Rottweiler Markt seine schwarze Zipfelmütze abthun und sich auch einen breitkrämpigen Hut mit breitem Sammetband und einer hohen Silberschnalle, ganz wie des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten, anschaffen wollen; darum war er im Geleit seines Vaters nach Beendigung des Pferdemarktes auf den Krämermarkt geritten und dort beim Wirthshause zur Armbrust hatte er den fürchterlichen Schimpf erfahren und der zuerst den Spottnamen »der Viereckig« gerufen hatte, war gerade des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten gewesen und alle Umstehenden, darunter auch Viele aus seinem eigenen Orte, hatten ihn ausgelacht und verhöhnt. Darum raste jetzt der Xaveri in wilder Wuth dahin, er hatte mit dem schönen Hut in's Dorf zurück kehren wollen und jetzt kam er mit dem schändlichen Unnamen, und den hatte ihm sein Nebenbuhler gegeben. Hin und her rasten seine wilden Gedanken. Er haßte den Vater, der mit geholfen, ihn zu beschimpfen und noch dazu gelacht hatte; vor Allem [202] aber schleuderte er seinen bittersten Grimm auf des Lenzbauern Philipp; und wenn er selber darüber zu Grunde ginge, den wollte er krumm und lahm und zu Tode schlagen. Er überlegte nur noch, wie er das in's Werk setze. Der rasche Galopp hatte sein Ende erreicht; am Fuße des Berges, der nach seinem Heimathsdorfe führte, schnauften Roß und Reiter aus, und Xaveri schaute verwirrt umher, als ihn das Zuckermännle grüßte, das eben auch vom Markt heimkehrte. Es war ganz neu gekleidet und seine fröhlichen Mienen schienen nichts zu wissen von dem Flor, den es um den Arm trug. Es lüpfte den neuen Hut und reichte ihn dem Xaveri, damit er erkenne, wie leicht und geschmeidig er sei. Xaveri erschien das als Hohn, er holte schon mit der Peitsche aus, um sie auf den alten Schelmenkopf zu schlagen, da erinnerte er sich noch, daß ja das Zuckermännle nichts von seiner Verspottung wissen könne; er war ja Allen voraus davongeeilt. Ohne zu sagen, was ihm geschehen sei und nur im Allgemeinen von einer Beschimpfung sprechend, verlangte er von dem alten Schlaukopf einen Rath, wie er sich rächen sollte; so sehr aber auch das Zuckermännle darauf drang, Xaveri ließ sich nicht dazu bewegen, seinen Unnamen auf die Lippen zu nehmen und lautlos ritt er dahin, das Zuckermännle ging im Schritt neben ihm.

Im Dorfe ging Xaveri voll Unruhe hin und her, es waren die letzten Stunden, in denen er hier ohne den schändlichen Unnamen lebte. Jedem, der vom Markte kam, schaute er tief in's Gesicht, als wollte er [203] ergründen, wer der erste Verkünder seines Schimpfs wäre. Endlich ging er nach dem Pflugwirthshause und erzählte hier der Lisabeth den ganzen Vorfall, aber noch immer ohne das Wort zu nennen. Er verlangte von Lisabeth, daß sie mit des Lenzbauern Philipp kein Wort mehr spreche, ja ihm sogar die Thür weise; aber sie weigerte ihm das Eine wie das Andere: hier sei ein Wirthshaus, und da müsse man Jeden willkommen heißen. Es war schon Nacht, als die jungen Burschen von Deimerstetten, die auf dem Heimweg nach ihrem Dorfe durch Renkingen mußten, im Pflugwirthshause einkehrten. Xaveri saß am Tische, seine Augen rollten und seine Fäuste ballten sich; bald verließ er die Stube und man sah ihn hastig im Dorf hin und her rennen, aber nicht mehr allein, denn von Haus zu Haus vergrößerte sich sein Anhang; sie gingen endlich Alle gemeinsam auch nach dem Pflugwirthshause, und wenn die Deimerstetter eine Maß Achter kommen ließen, so riefen die Renkinger: »Ein' Maß Zehner!« und wenn die Deimerstetter ein Lied begannen, sangen die Renkinger ein anderes drein und überbrüllten sie. Der Pflugwirth beschwichtigte so gut er konnte, der Schackle mußte die Deimerstetter bedienen und die Lisabeth mußte sich zu den Ortsburschen setzen und durfte nicht vom Platze. Xaveri aber glaubte zu bemerken, daß sie feurige Blicke nach des Lenzbauern Philipp am andern Tische sendete; und jetzt rief dieser: »Lisabeth, frag' einmal den Xaveri, warum er keinen Hut vom Markte mitgebracht hat?«

»Wart', ich will dir einen Glashut aufsetzen, den[204] man dir aus dem Kopfe schneiden muß!« schrie Xaveri, faßte eine Maßflasche, sprang damit über den Tisch und schlug nach dem Kopfe des Philipp. Durch die Abwehr des Pflugwirths und der Kameraden schlug er die Flasche nur an der Wand entzwei, und unter Geschrei und Toben gelang es endlich dem Pflugwirth, eine rasche Versöhnung herzustellen. Er behauptete, wer Feindschaft halte, der habe es mit ihm zu thun, er sei ein Deimerstetter und Renkinger in Einem Stück; er gab selber eine Maß von seinem Besten als Freitrunk und brachte es endlich dahin, daß die Tische aneinander gestoßen wurden und die Burschen beider Orte zusammen saßen und tranken. Der Wein aus Einer Flasche belebte die Zungen, und die gleichen Töne stimmten zusammen, aber doch mochte man beiderseits spüren, daß noch keine Einigkeit da war. Es war schon spät, als die Deimerstetter endlich aufbrachen, die Renkinger wollten ihnen das Geleit geben, der Pflugwirth aber suchte sie davon zurückzuhalten und es gelang ihm bei mehreren, daß sie in seiner Stube blieben. Der Xaveri mit wenigen seiner Genossen beharrte aber dabei, daß er das Geleit gebe und man ließ ihn ziehen; er war nun an Zahl den Deimerstettern nicht überlegen und diese waren berühmt wegen ihrer Stärke. Durch das Dorf ging man still und wohlgemuth mit einander. Xaveri hatte den Plan, erst draußen im Hohlweg die Feinde anzugreifen, aber unversehens platzte er am letzten Hause des Dorfs heraus und fragte den Philipp: »Sag' Philipp, sag' noch einmal, wie hast du mich auf dem Markte geheißen?«

[205] »Laß gut sein, es ist ja vorbei.«

»Nein, sag's nur, ich will's noch einmal hören, sag's! Du mußt. Hast's vergessen?«

»Nein, aber ich sag's nicht!«

»So thu's oder ich werde wild.«

»Du bist ein närrischer Kerl, ein Wort läuft ja an Einem 'runter.«

»Ich will's aber noch einmal von dir hören, nur noch Einmal.«

»Viereckig ist besser als rund,« sagte ein anderer Bursche und kaum hatte Xaveri diese Worte gehört, als er eine Baumstütze am Wege ausriß und den Philipp traf, daß er zu Boden stürzte.

Nun erhob sich allgemeines Schreien, Schlagen und Fluchen, und es hallte weit hinein durch das Dorf. Der Nachtwächter eilte herbei mit seiner Hellebarde und einer Laterne, ihm folgte der grausig Mall mit dem Gewehr über der Schulter. Ihr Ruf nach Ruhe wurde nicht gehört, denn wie ein wilder Knäuel wälzte sich Alles am Boden. Da schoß der grausig Mall über ihren Köpfen weg und in wilder Flucht stob Alles auseinander. Einen aber, der mit Steinen nach ihm warf, glaubte der grausig Mall zu erkennen, er verfolgte ihn und im nahen Wald stellte er sich ihm selber, drang auf den Verfolger ein und rang heftig mit ihm. Der Polizeisoldat riß sich los, faßte sein Gewehr und zerschlug auf dem Haupte seines Gegners den Kolben in Stücke; gleich als wäre nichts geschehen, entfloh der Bursche und höhnend rief der Polizeisoldat: »Lauf du nur, ich erkenn' dich schon morgen, ich hab' dich [206] gezeichnet. Man wird dir ein Lied singen, das du nicht am Wettibrunnen gefunden hast.«

Als der grausig Mall in's Dorf zurückkehrte, kam ihm wunderbarerweise, die Arme auf den Rücken übereinandergelegt, der Xaveri entgegen und grüßte ihn zuvorkommend.

»Ich will dir Morgen groß Dank sagen,« erwiderte der grausig Mall und ging, um sogleich alles Vorgekommene dem Schultheiß zu melden.

Am andern Morgen war eine seltsame Verhandlung beim Schultheißenamt. Xaveri bekannte offen, daß er bei der Rauferei gewesen, aber er läugnete beharrlich, mit dem grausigen Mall in eine persönliche Berührung gekommen zu sein und staunend sah der Diener der öffentlichen Ordnung ihn an; der Xaveri mußte einen Kopf härter als Stahl und Eisen haben, denn nicht die Spur irgend einer Verletzung war daran zu bemerken und Xaveri war so lustig wie je. Der Schultheiß, ein Vetter Xaveri's, ließ die Verhandlung nach dieser Seite hin gern auf sich beruhen, denn Auflehnung und persönlicher Angriff gegen den Polizeisoldaten hätte, wenn vollkommen erwiesen, nicht die leicht zu verwindende Strafe von ein paar Wochen bürgerlichen Gefängnisses oder eine Geldbuße nach sich geführt, sondern entehrendes Arbeitshaus. Um so ernster nahm dagegen der Schultheiß die Rauferei mit den Deimerstetter Burschen, und hier sah sich Xaveri in einer seltsamen Falle gefangen; er wollte durchaus nicht sagen, was eigentlich der Grund seines Zornesausbruchs gegen des Lenzbauern Philipp war, er bezeichnete ihn im [207] Allgemeinen als Ehrenkränkung, und als der Schultheiß spöttelnd darauf kam und auch die Genossen mittheilten, daß der Unname die eigentliche Veranlassung gewesen sei, und als Einer nach dem Andern, unter großem Gelächter das Wort: »der Viereckig« aussprach, war Xaveri voll Wuth und schrie immer:

»Das Wort darf nicht in's Protocoll, das darf nicht auf dem Rathhaus eingetragen sein, sonst ist's ja für ewige Zeiten fest; das darf man gar nicht nennen, gar nicht erwähnen, das leid' ich nicht, sonst hat's der ganze Gemeinderath mit mir zu thun.«

Alle diese Einwände halfen nichts und Xaveri sah zu seinem Schrecken, daß er hervorgerufen, was er auf ewig verstummen machen wollte. Er selbst mußte zuletzt seinen Namen unter ein Protokoll schreiben, worin es deutlich und mehrfach wiederholt hieß, daß er den Schimpfnamen »der Viereckig« habe.

Als er vom Rathhaus herunter kam, ballte er die Faust und knirschend schaute er das Dorf auf und ab. Freilich hatte er fortan den seltenen Ruhm, einen so harten Kopf zu haben, daß das Gewehr des grausigen Mall daran splitterte, ohne ihn zu verletzen. Eine Zeit lang schien es, daß dieser Ruhm einen so bösen Schimpfnamen überdecke. Die Ueberlegenheit im Raufen brachte ihm viel Lob und Ehre ein. Es ist aber doch ein seltsam Ding um solchen Ruhm! Die Bethätigung ungewöhnlicher Kraft, ein wüstes Raufen kann sich eine Zeit lang als Bedeutung geltend machen, dann aber tritt plötzlich eine Ernüchterung ein; die Menschen besinnen sich, was denn das eigentlich sei, und wenn [208] man nicht immer neue glorreiche Thaten aufbringen kann, erscheinen die verjährten Rechte des Gewalthabers plötzlich in Frage gestellt. Eine Widerspenstigkeit gegen das herrische Wesen Xaveri's gab sich im ganzen Dorf kund, er hieß jetzt nur immer »der Viereckig« und mußte das mit guter Miene geschehen lassen, denn er konnte doch nicht immer dreinschlagen. Des Pflugwirths Lisabeth vor Allen entzog sich ihm, sie sah jetzt auf Einmal, daß Xaveri auch gegen sie roh und gewaltthätig gewesen war; er hatte sie behandelt, als müsse man ihm ohne Frage gehorchen und indem sie sich von solcher Unterthänigkeit frei machte, machte sie sich auch von Xaveri selbst ganz frei. Das geschah besonders, seitdem des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten ungehindert im Dorfe aus- und einging; denn der Schultheiß hatte Xaveri gedroht, sobald dem fremden Burschen im Dorfe irgend eine Unbill widerfahre, würde er ohne Untersuchung Xaveri dafür in Strafe ziehen, und dieser mußte nun fast selber der Wächter seines Nebenbuhlers sein. Bald wurde Lisabeth Braut mit des Lenzbauern Philipp und Xaveri that, als ob ihm das sehr gleichgültig sei; er besuchte nach wie vor das Haus des Pflugwirthes und als Elisabeth in Deimerstetten Hochzeit machte, ritt er auf seinem wohlbekannten Apfelschimmel dem geschmückten Brautwagen voraus, und an dem schönen breiten Hute, den er sich allerdings ausdrücklich hatte bestellen müssen, flatterten helle Bänder.

Xaveri schien froh, daß er Soldat werden mußte, und an der Fastnacht, bevor er nach der Garnison [209] abging, vollführte er noch einen lustigen Streich, der ihm lange anhaltenden Nachruhm zuzog.

Das Zuckermännle hatte sich bald zu trösten gewußt, und sich ein armes, aber schönes Mädchen aus Deimerstetten zur Frau geholt. Als nun zu Fastnacht die Burschen auf einem Wagen durch's Dorf zogen und die sogenannte »Altweibermühle« darstellten, erschien Xaveri als die verstorbene Zuckerin und wußte ihr Wesen und ihre ganze Art so täuschend nachzuahmen, daß Alles im Dorf darüber jauchzte; und als er unter gewaltigem Schreien in die Mühle geworfen wurde, erschien er auf der andern Seite wiederum als die junge Zuckerin. Selbst vor dem Hause des Verspotteten führten sie das Possenspiel auf und die junge Frau sah vergnüglich dazu lachend aus dem Fenster; das Zuckermännle aber ließ sich nicht sehen. Am Aschermittwoch Morgen hatte Xaveri die Keckheit, sich ein Päckchen Tabak bei der Zuckerin zu holen, diese aber schien gar nicht böse gelaunt, sie war unter Lachen äußerst zuthunlich gegen Xaveri und in einem Anfluge von Tugend und Mißgunst sagte dieser zuletzt: »Laß dich nur nicht mit den hiesigen Burschen ein, dann hast du, wenn dein Alter abkratzt', die Wahl unter Allen.«

Wenige Tage darauf mußte Xaveri in die Garnison und am Morgen vor der Abreise übergab ihm seine Mutter mehrere Päckchen Tabak, die er bei der Zuckerin eingekauft und die diese überbracht hatte. Xaveri hatte nichts gekauft, er nahm aber das seltsame Geschenk doch wohlgemuth mit.

[210] Es gibt Auffälligkeiten und Bezeichnungen für dieselben, die sich auf wundersame Weise überallhin verbreiten. Als Xaveri zu seinem Regimente eingetheilt war, erfuhr er von allen seinen Kameraden den alten Schimpf auf's neue. Der Feldwebel fluchte und wetterte, daß auch dem Beherzten flau zu Muthe wurde; er hatte nach und nach fast sämmtliche Helme auf Xaveri's Haupt probirt, aber keiner paßte. Er drückte ihm die Helme auf den Kopf, das Lederwerk und die Spangen knarrten, aber doch war keiner passend. Endlich sagte er halb fluchend und halb scherzend: »Kerl, du hast ja einen viereckigen Kopf und größer als eine Bombe.« Nun hatte der Xaveri auch in der Kaserne sein gebranntes Leiden, aber er hatte seinen Stolz darauf, daß man ihm eigens einen Helm bestellen mußte, und bei der ersten Visitation des Obersten war er Gegenstand allgemeiner Betrachtung, wobei er nur in sich hineinlachte, denn nach außen lachen durfte man als Soldat nicht mehr im Angesichte der Vorgesetzten.

Ganz gegen alles Vermuthen fühlte sich Xaveri im Soldatenleben wohl; diese strenge, unwandelbare Ordnung, diese unbeugsamen Gesetze übten eine große Macht auf den Burschen aus, der nie die Herrschaft eines fremden Willens gekannt hatte. Dazu kam, daß für Xaveri sich bald eine neue Lustbarkeit aufthat; er war Schütze und nicht lange darauf Signalist geworden.

Draußen am Waldesrand sich auf dem Horne einzuüben, das war ihm eine Lust, und Xaveri's Signale übertönten alle; man mußte ihn nur zwingen, sie nicht zu übermächtig ertönen zu lassen.

[211] Schon im ersten Jahre seines Soldatenlebens erfuhr Xaveri den Tod seines Vaters. Er nahm Urlaub auf zwei Tage, ordnete mit seinem Bruder Alles und ließ sich bereit finden, gegen eine Summe, die sich nahezu auf tausend Gulden belief, dem Bruder, wie es der Vater bestimmt hatte, das väterliche Erbe zu überlassen. Bald hörte er, daß sein Bruder sich verheirathe und seine einzige Schwester mit dem Vetter von des Lenzbauern Philipp verlobt sei. Das Soldatenleben schien aber Xaveri so zu gefallen, daß er nicht einmal zu den Hochzeiten seiner Geschwister heimkam, und besonders glücklich war er, als die Signalisten zu einer Musikbande geordnet und eingetheilt wurden, die nun bei Ein- und Ausmärschen hellauf blies.

Xaveri hatte seine sechs Jahre ausgedient, ohne die Garnison zu verlassen; er war Willens, als Einsteher einzutreten, da kam gerade um dieselbe Zeit das Gesetz der allgemeinen Wehrpflichtigkeit, welche das Einsteherwesen aufhob, und Xaveri kehrte in's Dorf zurück. Er lebte bei seiner Mutter, die von Trudpert ein mäßiges Leibgeding bezog und in der untern Stube des elterlichen Hauses wohnte. Er konnte sich nicht dazu verstehen, bei seinem Bruder in freiwilligen Dienst zu treten und schien dem Rathe seines Vetters, des Schultheißen zu folgen, der ihn ermahnte, sich nach einem rechten »Anstand,« d.h. nach einer vermöglichen Heirath umzuthun. Unterdessen aber lebte er in den Tag hinein, und wie von selbst war er wiederum die meiste Zeit in dem Hause des Pflugwirths. Der Schackle, der sich zum [212] Feldbau untauglich erwiesen, war auswärts in der Lehre bei einem Kaufmann; aber fast noch schöner als ehemals die Lisabeth, war jetzt die zweite Tochter des Pflugwirths, Agathe, geworden. Freilich war sie nicht so beredtsam, und die Leute sagten sogar, sie sei dumm wie Bohnenstroh: aber Xaveri hatte das nie gefunden, sie wußte auf Alles gehörig Rede und Antwort zu geben, von selbst sprach sie allerdings nicht. Xaveri hatte einmal seinen Kopf darauf gesetzt, eine Tochter des Pflugwirths zu haben; war es Lisabeth nicht, so mußte es Agathe sein.

Mit einem Gemisch von Empfindungen hörte und sah Xaveri, daß das Hauswesen der Lisabeth und des Lenzbauern Philipp in Deimerstetten, die bereits sechs Kinder hatten, in Verfall gerathen war; ja die Rede ging, wenn nicht der Pflugwirth noch einmal nachgeholfen hätte, wären sie bereits ganz zu Falle gekommen. Xaveri war nicht hartherzig genug, um sich darüber zu freuen, aber auch nicht so sanftmüthig, daß er nicht eine gewisse Genugtuung dabei empfand. Die ältere Schwester sollte einst die jüngere beneiden und er meinte, der Pflugwirth habe nicht Unrecht gethan, da er ihm Lisabeth versagte; er war damals noch zu jung und unerfahren, aber jetzt hatte er etwas von der Welt gesehen und konnte es dem Dorfe beweisen. Das waren die Gedanken Xaveri's.

Der Pflugwirth verstand es wiederum, ihn als Knecht ohne Lohn im Hause zu halten und nur zum Essen und Schlafen ging Xaveri zu seiner Mutter. Die Leute schimpften gewaltig darüber und forderten[213] Trudpert auf, das nicht zu dulden: aber dieser konnte sich nicht dazu bringen, scharf gegen seinen Bruder zu sein. Die alte Liebe und Anhänglichkeit aus der Kinderzeit lebte noch in ihm und er hatte deßhalb manchen Streit mit seiner Frau.

Der Pflugwirth betrieb sein Auswanderungsgeschäft noch viel umfänglicher, er hatte sich ein eigenes Gefährte angeschafft und beförderte mit demselben oft ganze Trupps nach Straßburg. Dabei bediente er sich des Xaveri als Kutscher und Postillon, denn durch Renkingen und durch alle Dörfer, die man bis nach Offenburg an die Eisenbahn berührte, blies Xaveri lustig auf seinem Waldhorn, das er in's Dorf mitgebracht hatte. Länger als ein Jahr war Xaveri so der unbelohnte Knecht des Pflugwirths zum Aerger aller Dorfbewohner, die auch die Mutter verhetzen wollten; aber diese war wie Trudpert dem Xaveri mit unerschütterlicher Liebe zugethan. Da starb das Zuckermännle, und kaum war es unter der Erde, als sich ein Schwarm Bewerber bei der vermöglichen und noch immer wohlansehnlichen Wittwe einfand.

Zu großer Belustigung des Dorfes wurde ein Brief des alten, abgestellten Baders von Deimerstetten bekannt, der der Zuckerin schrieb, sie möge sich mit einer Heirath nicht übereilen, seine Frau kränkle immer, und er werde sich glücklich schätzen, sich mit ihr zu verehelichen. Man kann sich denken, wie sehr dieser Brief belustigte, und Manche konnten seine hochtrabend verschmitzten Worte ganz auswendig.

Man konnte recht die Menschen kennen lernen an[214] der Art, wie sie über die Zuckerin sprachen. Sie hatte wenig gute Freunde im Dorfe, sie war eine Fremde und man war ihr neidisch, und überhaupt ist die Krämerin immer eine widerwillig betrachtete Persönlichkeit, weil ihr der Bauer das besonders hochgeschätzte baare Geld geben muß und weil sie allerlei Heimlichkeiten der Bauerfrauen Vorschub leistet. Jetzt schien plötzlich ihr Ruf ein ganz anderer geworden. Manche verkündeten laut ihr Lob und Andere nickten nur still aber vieldeutig dazu. Man konnte ja nicht wissen, in welche Familie die Zuckerin nun bald gehören würde. Eine ihrer Eigenschaften aber wurde mit allgemeinem Lobpreis hervorgehoben, und das war der Acker von anderthalb Morgen, den sie besaß, draußen am Bergesabhang, neben dem Kirchhof, an der Straße nach Deimerstetten. Man ermahnte den Pflugwirth, er solle sich diesen Acker von der Wittwe zu erwerben suchen, der sei grade für ihn gelegen, denn er liebte besonders die Aecker an der Straße; aber er lehnte es ab und sagte spöttisch, der Acker gehöre ja schon einem aus Deimerstetten Gebürtigen. Als man ihn hierauf neckte, er möge den Schackle mit der Zuckerin verheirathen, dann habe er den Acker und brauche keinen neuen Kaufladen einzurichten, sagte er mit schelmischer Gemütlichkeit, er wolle einem guten Freund nicht in den Weg stehen.

Xaveri war still, aber in ihm kochte die Wut, als ihm der Pflugwirth mit zuthulicher Freundlichkeit anrieth, sich auch um die Zuckerin zu bewerben. So hatte er sich zweimal von dem abgeriebenen Schelm betrügen lassen! Dennoch that er wiederum, als ob nichts [215] geschehen wäre, und Tage lang saß er in der Wirthsstube zum Pflug und starrte hin auf die große Tafel an der Wand, darauf ein Schiff auf der See schwamm und mit großen, rothen Buchstaben geschrieben war: Nach Amerika. Der Entschluß schien ihm schwer zu werden; endlich aber eines Sonntags, als fast das ganze Dorf in der Wirthsstube versammelt war, verkündete er, daß er auch auswandere. Einige sagten, daß er daran Recht thäte, und sie hätten das schon lange erwartet, solch ein halbes Leben schicke sich nicht für ihn; Andere dagegen bedauerten seinen Weggang und wieder Andere bezweifelten, daß es ihm Ernst sei.

»Ihr kennt mich dafür, daß das, was ich gesagt habe, auch ausgeführt wird!« schrie Xaveri, und seine alte Trotzigkeit lebte wieder in ihm auf. Das Wort war heraus, er wußte nun, was er wollte, und war nicht mehr von Zweifeln geplagt. Dennoch willfahrte er beim Nachhausekommen seiner Mutter, die von Anderen bereits seinen Entschluß gehört hatte, nicht zu schnell damit zu sein und die Sache noch hinzuhalten, vielleicht fände sich doch noch der rechte »Anstand,« daß er im Lande bleibe. Wochenlang ging er nun im Dorf umher und mußte still sein, denn er wußte Nichts zu antworten, wenn ihn die Leute immerdar fragten: »Bis wann geht's fort?« Er hatte auch im Stillen gehofft, daß der Pflugwirth noch andern Sinnes werde und ihn nicht ziehen lasse, aber dieser hatte sich bereits einen wirklichen Knecht gedingt und Xaveri sah, daß all seine Hoffnung vergebens sei.

Hatte Xaveri bisher die junge Welt im Dorfe [216] beherrscht, so schien es nun, daß er auch mit seinem Weggange eine gewaltige und beispielgebende Macht ausüben sollte. Unter dem ledigen Volke im Dorfe zeigte sich eine ungeahnte und jetzt zum Schrecken Vieler hervortretende Auswanderungslust. In dem Auswanderungstriebe war eine neue Entwicklungsstufe von unberechenbaren Folgen eingetreten. Bisher war man es nur gewohnt, ganze Familien auswandern zu sehen, und mußte man mitunter auch manchen Wohlhabenden scheiden sehen, der Riß unter den Zurückbleibenden war darum doch kein so auffälliger; es schieden Menschen, die sich von ihren Blutsverwandten und Angehörigen schon losgelöst hatten zu einer in sich abgeschlossenen Familie, sie waren nur sich verpflichtet und man konnte sie, wenn auch mit Wehmuth, doch ohne Groll scheiden sehen. Die neue Thatsache aber, daß nun auch ledige Leute auswandern wollten, daß eine ganze Schaar von jungen Burschen und Mädchen sich zusammenthat, um in die weite Welt zu ziehen, brachte die Gemüther auf einmal in seltsame Bewegung.

Wie ein lebendiges Nationalgefühl es schmerzlich empfinden sollte, wenn wie in unsern Tagen noch zukunftsreiche Kräfte sich der Gesammtheit entziehen, so empfand man jetzt im Dorfe, was es heißt, wenn junge Bursche, die man groß gezogen und von denen man Etwas erwarten kann, sich mit ihrer Kraft davon machen. Xaveri war der erste Ledige im Dorfe, der davonzog, und andere Bursche und Mädchen wollten es ihm nachthun; mitten in der Familie that sich eine Selbstsucht auf, von der man bisher keine Ahnung gehabt. Kinder, die [217] man unter Sorgen und Mühen großgezogen und von denen man eine Stütze für's Alter erwartete, dachten jetzt nur an sich, wollten sich selbst eine Zukunft schaffen und die alten Eltern und jungen Geschwister der Stütze und thätigen Kraft beraubt allein lassen. Der Staat duldet es nicht und ahndet es im Betretungsfalle, wenn ein junger Mann sich der Wehrpflicht entziehe, und was ist das Recht des Staates an Dem, der ihn verlassen will? Die Familie hat keine äußere Macht, die den Treulosen zurückhielte, und hätte sie auch eine solche, sie brächte sie nur selten zur Anwendung. In vielen Häusern in Renkingen hörte man lautes Schreien und Lärmen, denn hier wollte ein Sohn und da eine Tochter und dort wollten alle Erwachsenen auswandern; die Eltern klagten, gaben aber meist nach. Denn was opfert die Elternliebe nicht?

Auf den Xaveri aber war Alles zornig, er hatte diese Sucht im Dorfe aufgebracht und sein Beispiel wurde immer angeführt, er hatte es ja am wenigsten nöthig und zog doch über's Meer. Während aber viele Andere sich bereits entschieden hatten, war gerade Xaveri noch zweifelhaft.

Es war an einem schönen Sommernachmittag nach der Heuernte, da fuhr Xaveri eine neue Kiste von weißem Tannenholz auf einem Schubkarren langsam das Dorf hinauf; er stand oft still und ließ die Leute fragen, was er da habe, um ihnen zu sagen, daß das seine Auswanderungskiste sei, wobei er erklärte, wie sie gesetzmäßig genau drei Schuh hoch, drei breit und vier lang sei, denn so müssen diese Kisten sein, um [218] gehörig in den Schiffsraum gebracht werden zu können. Auch beim Schlosser, wo er die Reife darum schlagen, zwei Schlimpen anbringen und die vier Ecken mit starkem Eisenblech beschlagen ließ, wußte er es so einzurichten, daß dies die allgemeine Aufmerksamkeit erregte. Seine Mutter weinte, aber er tröstete sie, daß nun einmal nichts zu ändern sei. –

Er war nun zu seinem ungeordneten und müßigen Leben berechtigt, er zog ja von dannen und durfte sich's wohl noch in der Zeit seines Verweilens in der Heimath bequem machen; er schaffte sich mehrfach neue Kleider an und ging in denselben an Werkeltagen umher. Vor dem Rathhause, wo es alle Leute sehen konnten, wurde die Kiste im Sonnenschein mit blauer Farbe angestrichen. Der grausig Mall ließ sich einen Nebenverdienst als Sackzeichner nicht entgehen, und machte diese Zeichnung mit besonderer Liebe, denn sie entledigte ihn eines von Kindheit auf tückischen Feindes; mit großen Buchstaben schrieb er auf den Deckel und auf die Vorderseite: »Xaver Boger in Neuyork.« Ein großes Rudel Kinder stand immer umher und viel Kopfbrechens und mehrfache Versuche kostete es, hüben und drüben an der Kiste das Waldhorn Xaveri's abzumalen; aber darauf bestand er, und endlich war das große Werk gelungen.

Xaveri brachte die Kiste zu seiner Mutter, diese aber klagte immer, sie könne nicht schlafen wegen der Kiste, es sei ihr immer, als stünde der Sarg ihres Sohnes bei ihr, und es sei auch ein Sarg, er wäre ja todt für sie, wenn er über das Meer ziehe. Weinend [219] und klagend wiederholte sie oft: »Ach! Meine Mutter hat gesagt, ich glaub' nicht an Amerika; ich, ich muß dran glauben!« Auch Trudpert drang in seinen Bruder, doch zu bleiben, er sei sein einziger Bruder, und sie hätten immer treu zusammengehalten, er solle ihn doch nicht verlassen. Der unbeugsame Xaveri erwiderte: »Was der Viereckig einmal will, das führt er auch aus.« Gegen seine Angehörigen ließ er den Zorn los, daß er diesen Schimpfnamen hatte und sie konnten doch nichts dafür. Doch machte Xaveri einen letzten Versuch und ging zum Pflugwirt, mit ihm den Ueberfahrtsvertrag abzuschließen; er hoffte, wenn auch nur halb, daß dies ihn möglicherweise noch nachgiebig machen werde. Aber der Pflugwirth holte mit Bedauern zwei gedruckte Formulare, darauf die Bruderhand sehr schön zu sehen war, füllte sie aus, unterschrieb selber und ließ auch den Xaveri unterzeichnen, worauf er ihm den Vertrag einhändigte mit dem Beifügen: »Du kannst mir auf den Abend oder morgen das Geld bringen, aber bezahlen mußt; was einmal da geschrieben ist, muß bezahlt werden, und du siehst, ich hab' dir ja den billigsten Preis gestellt.« Xaveri nickte bejahend ohne ein Wort zu reden und steckte den Vertrag zu sich. Als er auf dem Heimweg vor dem Hause der Zuckerin vorüber kam, ging er hinauf, um sich Tabak zu holen. Er hatte sie seit seiner Rückkehr nicht wieder besucht, er hatte eine gewisse Furcht vor ihr; jetzt, mit diesem Abschiede in der Tasche, konnte er sie ja wieder sehen. Die Zuckerin war überaus freundlich bei seinem Eintritt, sie schalt zwar lächelnd, daß er sie so auffallend [220] vernachlässigt habe, erklärte ihm aber dabei, wie sie ihm seine gute Ermahnung doch nicht vergessen habe, und wie sie jetzt sehe, daß er Recht gehabt habe, denn sie könne sich der Freier gar nicht erwehren; sie besinne sich aber zweimal, bis sie sich entschließe, um Einen in diese volle Haushaltung einzusetzen, in der mehr stecke als man glaube, und die sie sich bei ihrem Alten habe sauer verdienen müssen. Xaveri sah sich mit Wohlgefallen in dem Hause um, und als eben ein Kind kam, um Essig, und bald darauf der grausig Mall, um sein Nasenfutter zu holen, und noch Andere die Stiege heraufkamen, schickte die Zuckerin mit zutraulichem Bedrängen den Xaveri in die Stube, damit er dort warte, bis sie die Käufer abgefertigt hätte. Unwillkürlich folgte ihr Xaveri, und es muthete ihn behaglich an in der Stube. Der große Lehnsessel stand neben dem Ofen, der jetzt im Herbst schon geheizt war, und Aepfelschnitze, die auf dem Simse gedörrt wurden, verbreiteten einen angenehmen Duft. Die rothgestreiften Vorhänge an den Fenstern, die mit Messing eingelegte nußbaumene Kommode, die gepolsterten Sessel, Alles machte einen behaglichen Eindruck. Man hörte nichts als das schnelle Ticken einer doppelgehäusigen Sackuhr, die an der weißen Wand hing, und das Summen der Fliegen, die jetzt das Herbstquartier bezogen hatten und sich an den Aepfelschnitzen gütlich thaten. Alles im Zimmer war, wenn auch etwas ausgedient, doch sauber und an den festen Platz gestellt; da waren keine Kinder, die Unruhe und Unordnung machten. Xaveri nickte mehrmals mit dem Kopfe vor sich hin, [221] als wollte er sagen: »Das ist nicht so uneben.« Xaveri war in einer nie gekannten weichen Stimmung. Der unterschriebene Ueberfahrtsvertrag in der Tasche, nach dem er mehrmals griff, mußte das bewirken. Er fürchtete sich jetzt fast vor der Zuckerin, er hatte sich zu viel zugetraut; die Abfertigung der Käufer im Laden dauerte lange, und immer hörte er wieder neue die Treppe heraufkommen. Mehrmals dachte er daran, sich aus dieser peinlichen Lage fortzumachen und die Rückkehr der Zuckerin nicht abzuwarten. Was sollte ihm das jetzt? Er mußte fort und hatte von der Zuckerin nie was gewollt, dafür war er sich zu viel werth; aber wenn er jetzt fortging, mußte es ja Aufsehen erregen bei den Kunden im Kaufladen. »Aber, was liegt daran, wenn man dir auch etwas nachsagt? Du ziehst ja über's Meer. Es ist aber auch wieder nicht Recht, die Frau in's Geschrei zu bringen; um ihr das nicht anzuthun, mußt du bleiben.« Und so blieb er mit widerstreitenden Gefühlen. Er stopfte sich seine Pfeife, schlug Feuer und setzte sich behaglich schmauchend in den abgegriffenen großen Ledersessel am Ofen. »Das ist kein übel Plätzle,« dachte er und von diesem Gedanken doch wieder erschreckt, stand er plötzlich auf. Eine eigene Gespensterfurcht überkam ihn am hellen Tag in der stillen Stube; auf diesem Stuhle hatten die alte Zuckerin und das Zuckermännlein sich ausgehustet, das war kein Platz für des Lachenbauern Xaveri. Er schaute an den Pfosten gelehnt durch das Fenster, um zu wissen wer wegging; als aber jetzt des Pflugwirths Agathe aus dem Hause trat, sich umwandte und nach dem Fenster schaute, [222] trat er tief zurück in die Stube, setzte sich aber nicht mehr in den abgegriffenen Ledersessel am Ofen. Endlich klang die Klingel an der Ladenthüre wie bellend, die Thüre wurde abgeschlossen, aber es sprang wieder Jemand die Treppe hinab, man hörte an der Hausthür einen Riegel vorschieben und laut athmend kam die Zuckerin in die Stube und sagte: »So, jetzt bin ich nicht mehr daheim. Wer kein Essig und Oel hat, der kann seinen Salat ungegessen lassen. Du glaubst gar nicht, was man geplagt ist, wenn man so Haus und Geschäft allein über sich hat. Der Verdienst ist gut, ich könnte gar nicht klagen, es ist nicht groß, aber regnet's nicht, so tröpfelt's doch. Das ist Recht, daß du dir deine Pfeife angezündet hast. Ich rieche den Tabak gar gern. Mein Alter hat nicht rauchen können. Jetzt sag, ist's richtig, daß du fortgehst?«

Ohne ein Wort zu erwidern, reichte Xaveri der Zuckerin den unterschriebenen Ueberfahrtsvertrag, und die Hände zusammenschlagend und klagend rief sie: »Ja der Pflugwirth! Wenn den der Teufel holt, zahle ich ihm den Fuhrlohn. Oder ich sage wie die alte Schmiedin einmal von unserm bösen Schultheiß gesagt hat: ich möchte mit dem in derselben Stunde sterben, denn da haben alle Teufel alle Hände voll zu thun, um die Schelmenseele zu fangen, und da kann derweil jedes Andere mit allen seinen Sünden daneben in den Himmel hineinhuschen.«

»Du bist gescheit und scharf,« sagte Xaveri schmunzelnd und auch die Zuckerin schmunzelte; Beide waren mit einander zufrieden und sahen einander eben nicht [223] böse an. Aber was ist da für eine Einheit, wo sich zwei Menschen in solch einem bösen Gedanken vereinigen? Was wird daraus werden?

Die Zuckerin fuhr indeß geschmeichelt rasch fort: »Den Pflugwirth kennt Keiner, das ist ein Seelenverkäufer, der hat dich zum Narren gehabt, und dich hineingeritten, bis du nicht mehr gewußt hast, wo anders 'naus, und da macht er noch seinen Profit dabei. Wenn ich Gift hätte und wüßte, daß Niemand anders davon essen thät', dem gäb' ich's, der ist nichts Besseres werth. Ach! und ich hab's immer gesagt, du bist so gut, nur zu gut. Es ist unerhört, daß ein Mensch wie du und aus einer solchen Familie auswandern soll. Das lasse ich mir gefallen bei Einem, der nicht mehr weiß, wo aus und ein und der keinen Anhang hat. Mich dauert nur deine gute, rechtschaffene Mutter, der drückt es das Herz ab, und eine bessere Frau giebt es nicht zwischen Himmel und Erde.«

Minder dieser Ruhm und dieses zutrauliche Lob, als der anfängliche Zorn gegen den Pflugwirth, drang Xaveri tief in die Seele; sie sprach es aus, was er selber schon oft gedacht hatte, und um seinetwillen hatte sie diesen Zorn. Nicht nur ein Gegenstand gemeinsamer Verehrung, sondern oft noch weit mehr der eines gemeinsamen Hasses eint die Gemüther, und erst die Folge lehrt, welches Band dauernder sei. Das heftige und ingrimmige Wesen der Zuckerin sprach jetzt Xaveri sehr an, weil es sich gegen den Mann seines Hasses kehrte; er ward zutraulich und freundlich gegen die Wittwe und glaubte es ihr schuldig zu sein, daß er [224] sie lobte und ihr Hauswesen bewunderte, während sie ihn vom Speicher bis zum Stalle umherführte. Mit einer verblüffenden Offenherzigkeit erklärte sie dann zwischen hinein:

»Kannst dir denken, daß es mir an Freiern nicht fehlt, aber ich mag Keinen von Allen; ich will Keinen, der einem in der Hand zerbricht. Ich will dir's nur gestehen, dir darf ich's schon sagen, ich bin ein bißchen hitzig und obenhinaus, aber auch gleich wieder gut, und drum will ich grade einen Mann, der den Meister macht, der ein rechter Mann ist und nicht unterduckt. Für die Frau gehört sich's, daß sie untergeben ist, und das kann ich nur sein gegen Einen, vor dem ich Respect habe, der fest hinsteht.«

Diese, in verschiedenen Wendungen halb lächelnd halb klagend vorgebrachten Selbstanschuldigungen, die doch wieder ruhmreich waren, machten den Xaveri ganz wirbelig; seine Antworten, die er doch manchmal einfügen mußte, bestanden in unverständlichem Murren und Brummen, das eben so sehr Mißmuth wie Wohlgefallen ausdrücken konnte und in der That auch Beides ausdrückte.

Trotz freundlicher Zurede kehrte aber Xaveri doch vom Stalle aus nicht mehr in die Stube zurück. Er verließ plötzlich das Haus und rannte die ersten Schritte schnell wie fliehend davon. Es war Nacht geworden, und auf dem Heimwege gelobte er in sich hinein, daß er sich nie mehr zu solcher Vertraulichkeit mit der Zuckerin verleiten lassen wolle; das war Einmal geschehen und nie wieder. Er war des Lachenbauern Xaveri, der sich [225] nicht an eine abgedankte Wittwe vergeben durfte, die gar nicht einmal wußte, woher sie war. Und grade daß die Zuckerin seinen großen Familienanhang lobte und das Gelüste zeigte, in denselben einzutreten, erweckte wieder das ganze stolze Bewußtsein in ihm. Jetzt zum Erstenmal kam ihm aber auch der Gedanke, daß er drüben in Amerika nicht mehr des Lachenbauern Xaveri sei, da galt sein Familienansehen nichts mehr. Das war nun freilich nicht mehr zu ändern.

Es mußte aber doch etwas Eigentümliches in Xaveri vorgehen, weil er am Abend und den ganzen andern Tag seiner Mutter nichts davon sagte, daß er den Ueberfahrtsvertrag abgeschlossen und am heutigen Tage bezahlt habe. Erst von der Zuckerin vernahm sie das spät am Abend. Sie war gekommen, um ihr frisches Backwerk zu bringen und wußte viel davon zu sagen, wie gern der Xaveri dabliebe, er wisse schon wo er gleich daheim sei; es käme nur darauf an, ihn dahin zu bringen, daß er, ohne sich vor den Leuten dem Spott auszusetzen, wieder umkehre; man müsse darum thun, als ob man ihn zwinge daheimzubleiben, das sei was er wolle, aber nur nicht sagen könne.

Die Mutter, der die Schwiegertochter zwar nicht recht anstand, war doch glücklich, daß sie ihren Xaveri daheim behalten sollte und lange, ehe dieser zum Schlafen kam, war es unter den beiden Frauen ausgemacht und entschieden, daß er bleiben müsse.

Xaveri war indeß an diesem Tage vor dem versammelten Gemeinderathe erschienen und hatte seinen Austritt aus der Gemeinde gemeldet. Der Schultheiß rieth [226] ihm, daß er gar nicht nöthig habe, sein Heimathsrecht aufzugeben, er könne sich einfach einen Paß nehmen, und wenn es ihm in Amerika nicht gefalle, wieder zurückkehren oder auch unterwegs andern Sinnes werden. Xaveri lachte höhnisch über diese Zumuthung und drang jetzt gerade um so mehr auf Entlassung aus dem Orts- und Heimathsverbande.

»Nun denn,« rief zuletzt der Schultheiß, »wenn's sein muß, wollen wir's gleich an's Amt ausfertigen; aber ich rathe dir, besinn dich noch einmal.«

»Bin schon besonnen, fort geh' ich,« sagte Xaveri trotzig.

Gelassen erwiderte der Schultheiß nochmals: »Xaveri, ich mein' du verbindest dir den unrechten Finger.«

»Ich weiß selber, wo mir's fehlt, und ihr seid auch kein Doctor. Behüt's Gott!« schloß Xaveri und ging davon.

»Es ist wie's im Sprüchwort heißt: wenn's der Geis zu wohl auf dem Platz ist, da scharrt sie,« sagte ein Gemeinderath hinter ihm drein und der Schultheiß setzte hinzu: »Es ist halt der viereckig Hartkopf.« – Er hatte aber doch Unrecht; gerade weil Xaveri innerlich ein Schwanken empfand, that er nach außen um so trotziger und unbeugsamer. Erst am andern Morgen gelang es der Mutter, ihm den Antrag wegen der Zuckerin zu machen, aber Xaveri that auch hier unmuthig und entgegnete: »Wie könnt Ihr mir so einen Antrag machen? Werd' ich so Eine nehmen? So Eine findet man noch, wenn der Markt schon lange vorbei ist.«

Mehrere Tage war nun ein seltsames Widerspiel[227] von verdeckten Meinungen in der niedern Leibgedingstube: die Mutter lobte die Zuckerin überaus und hatte doch im Innern keine rechte Zuneigung zu ihr und der Xaveri that, als ob er gar nichts davon hören wolle und im Geheimen war es ihm doch lieb, daß man ihn damit bedrängte. Die Mutter erinnerte sich aber wohl, daß ihr die Zuckerin mitgetheilt hatte, der Xaveri wolle gezwungen sein damit er sich vor den Leuten nicht zu schämen brauche, daß er von seinem Auswanderungsentschlusse abstehe. Sie war eben daran, alle möglichen Bitten und Gründe vorzubringen und führte schon die Hand nach den Augen, um die zukünftigen Thränen abzuwischen, als grade der Vetter Schultheiß eintrat. Er überbrachte Xaveri die verlangten Papiere und sagte spöttisch, daß er ihn nun als Fremden im Dorfe begrüße; er sei hier nicht mehr daheim. Die Mutter schrie laut auf und die Thränen stellten sich jetzt in Fülle ein. Xaveri aber ergriff mit zitternden Händen die Papiere und starrte auf die großen rothen Siegel. Der Trudpert, der eben in's Feld fahren wollte, kam auch in die Stube zur Mutter, er sah schnell was hier vorging, und stemmte die geballte Faust still auf die blaue Kiste, die auf der Bank stand. Eine Weile schwiegen alle Vier, die in der Stube versammelt waren, nur die Mutter schluchzte vernehmlich. Als jetzt aber der Schultheiß weggehen wollte, hielt sie ihn zurück und mit mächtiger Beredsamkeit schilderte sie nun, welch ein Glück der Xaveri im Dorfe machen könne, wie er gewiß kein solches über dem Meere finde, und wie er sich dabei noch sagen [228] könne, daß er seine alte Mutter nicht vor der Zeit ins Grab bringe. Als sie endlich den Namen der Zuckerin nannte, schaute Trudpert wie erschrocken um, aber er schwieg. Xaveri starrte zur Erde und der Schultheiß zeigte sich als eifriger Beistand der Mutter und half ihr, wenn auch nicht die Zuckerin, doch das schöne Beibringen, das sie besaß, zu loben. Die Mutter redete sich nun immer mehr in Eifer hinein und was vorhin nur gewaltsame und von außen erregte Wärme war, wurde jetzt zu einer von innen kommenden; denn so eigen geartet ist das Menschenherz, daß es bald nicht mehr weiß und nicht mehr wissen will, was ihm gegeben und was aus ihm gekommen ist. Die Mutter pries sich und die ganze Familie glücklich, die Eines der Ihrigen an der Seite einer solchen Frau und in solch einem Hauswesen wußte. Xaveri hatte bei diesen Worten aufgeschaut und aus seinem Blicke sprach's, daß er an sich und seinen Gedanken zweifelte. War denn eine Heirath mit der Zuckerin in der That ein solches Glück? Fast aber hätte das übertriebene Lobpreisen der Mutter Alles zerstört, wenn nicht der Schultheiß mit bedachtsamer Ruhe Jegliches in gehörigen Betracht gezogen hätte, so daß auch endlich Trudpert nickte. Zuletzt stieg es wie ein Leuchten im Antlitze Xaveri's auf, als der Schultheiß darlegte, Xaveri verstünde ja jetzt das Geschäft der Auswanderungsbeförderung so gut wie der Pflugwirth und er könne, wenn er die Zuckerin heirathe, mit seinem freien Vermögen die Sache so in die Hand nehmen, daß er dem Pflugwirth das Handwerk lege. Das schien bei Xaveri einen gewaltigen [229] Eindruck zu machen, aber er schwieg noch immer bis endlich Trudpert die Hand auf die Schulter des Bruders legend sagte: »So red' doch auch, wir wollen dich nicht zwingen.«

»Nein, wir wollen ihn zwingen, ich geb' dir keine Hand, ich red' kein Wort mit dir, ich weiß nicht, was ich thue. Dein Vater unter'm Boden wird mir's nicht verzeihen, daß ich ihm verhehlt habe, wie du als Kind mit dem Schreiner Jochem hast davongehen wollen. Er hätt' einen Eid geschworen, daß er dich verflucht, wenn du je fortgehst. Soll ich jetzt das für ihn thun? Soll ich? Ich muß. Ich hab' dich mein Lebtag nicht zwingen können, von kleinauf nicht, jetzt thu' ich's nicht anders, ich zwing' dich: jetzt zwing' ich dich, es geschieht zu deinem Heil, folg mir nur das Einemal. Eine Mutter weiß am besten, was ihrem Kinde gut ist, ich hab' dich unterm Herzen getragen, ich kenn' dich doch am besten, ich weiß deine Gedanken, du folgst mir, ich bin deine Mutter, du thust's deiner Mutter zulieb und du thust's gern und es wird dein Glück sein in dieser Welt und in jener.« So rief die Mutter mit beredtem Mund und hielt zwischen ihren beiden Händen die Hand Xaveri's, der wie erwachend lächelte, aber noch immer nicht redete.

»So sag' doch ein Wort,« drängte endlich der Schultheiß und Xaveri platzte heraus: »Ich habe meine Entlassung, ich hab' meinen Ueberfahrtsvertrag, ich kann nicht mehr daheimbleiben.«

»Hast dein Ueberfahrtsgeld schon bezahlt?« fragte Trudpert zuerst.

[230] »Ja, auf den Kreuzer,« erwiderte Xaveri.

Vor Allem wendete sich nun das Denken des Schultheißen und Trudperts darauf, wie man das Geld von dem Pflugwirth wieder heraus bekäme. Xaveri redete nichts darein und die Mutter, welche die Hand ihres jüngsten Sohnes nicht mehr losließ, sagte:

»Das hat nichts zu sagen und wenn's auch verloren ist; besser als ein Kind verloren.«

»Das verstehen die Weiber nicht, man kann kein Geld 'nausschmeißen,« riefen Trudpert und der Schultheiß wie aus Einem Munde, der Letztere aber fügte noch hinzu: »Ich will's schon machen, ich will schon ein gut Theil wieder von ihm herauskriegen, er hat mich auch oft nöthig; aber es ist jetzt verteufelt, Xaveri! Hättest du mir nur gefolgt und dein Heimathsrecht nicht aufgegeben, jetzt mußt du dich beim Blitz wieder in die Gemeinde aufnehmen lassen; nun, sie können dir's nicht verweigern, aber die ganze Hetzerei und das Gethue wäre nicht nöthig gewesen.«

»Wenn ich auch bleiben möcht',« sagte Xaveri endlich, »Euch zulieb Mutter und auch Euch, Vetter Schultheiß, und auch wegen deiner Trudpert, wenn ich auch möcht', ich kann nicht, ich hab's den Anderen versprochen mitzugehen, und kurzum, ich laß mich nicht anbinden, ich bin nicht der, der dasteht, wo man ihn hinstellt.«

Nun erklärte der Schultheiß in Hohn und Zorn, daß in der Welt Jeder für sich selber zu sorgen habe und Xaveri solle nur einmal die Briefe von den Leuten aus Amerika lesen, da sei's erst recht so, da halte man [231] zusammen, so lange man Vortheil davon habe und keine Minute länger, und man könne Niemand versprechen, daß man sich selber vor sein Glück stehen wolle.

Xaveri sah bei dieser Darlegung dem Schultheiß steif in's Gesicht und der Schultheiß konnte nicht ahnen, wie sehr es traf, als er noch hinzusetzte, in Amerika gelte des Lachenbauern Xaveri nicht mehr als jeder andere hergelaufene Knecht. Das war ja ganz dasselbe, was er an jenem Abend, als er von der Zuckerin wegging, schmerzlich gedacht hatte.

»Ich muß doch fort und ich geh' auch,« sagte er abermals mit halber Stimme und heftete den Blick auf die blaue Kiste. Es schien ihn jetzt nur noch der Gedanke zu beherrschen, daß er einmal dem Dorfe Ade gesagt und daß es auch dabei bleiben müsse. Die Mutter ahnte dies, sie zischelte dem Trudpert etwas in's Ohr, worauf dieser wegging und mit wunderbar heiterem Sinn spöttelte sie nun darüber, wie es so lustig sei, daß man das ganze Dorf zum Narren gehabt habe; von den Nachkommen der alten Lachenbäuerin gehe Keiner nach Amerika, sie hätten's nicht nöthig. Indem sie nun mit seltsamem Geschick ausführte, was Dieser und Jener zum Dableiben Xaveri's sagen werde, brach sie den scharfen Nachreden, um welche diesem allerdings bangte, mit klugem Geschick im Voraus die Spitzen ab.

Trudpert kam bald wieder, aber unter der Thür hörte man ihn sagen: »Geh' du nur voraus.« Er, der eigentlich scheel dazu sah und der neuen Schwägerin[232] nicht zugethan war, that doch ehrerbietig gegen sie, und die neue Schwägerin war Niemand anders als die Zuckerin, die mit aufgerichtetem Haupt Xaveri die Hand bot. Die Mutter, welche die Hand Xaveri's gehalten hatte, legte sie nicht ohne fühlbares Widerstreben in die dargereichte der Zuckerin und sagte: »Gott Lob und Dank, daß das so schön fertig geworden ist.« Auch der Schultheiß und Trudpert brachten nun ihre Glückwünsche zur Verlobung. Xaveri nickte still.

So war also Xaveri Bräutigam und blieb daheim.

Der Schultheiß ging auf's Rathhaus, Trudpert auf's Feld und Xaveri blieb noch lange mit seiner Braut bei der Mutter; er wollte vorher die seltsame Kunde sich im Dorfe verbreiten und bereden lassen, ehe er sich mit seiner Braut zeigte. Vor dieser öffentlichen Schaustellung bangte ihm überhaupt sehr, nur das glückstrahlende Gesicht seiner Mutter erheiterte ihn, und er sagte sich's zum Erstenmal in seinem Leben, daß er eigentlich ein guter Sohn sei. Fast nur der Mutter zu lieb that er schön mit seiner Braut, aber dennoch willfahrte er ihr nicht, sie jetzt nach Hause zu geleiten. Die Zuckerin ging allein. Den ganzen Tag verließ Xaveri die Stube nicht, er saß fast immer still in sich zusammengekauert auf seiner blauen Kiste; er las wiederholt seinen Ueberfahrtsvertrag und dann las er ihn nicht mehr und starrte hin auf das Papier, auf die abgebildete Bruderhand, auf die gedruckten Zeilen, zwischen denen sein Name eingeschrieben war und dann sah er nichts mehr und Alles schwamm ihm vor den Augen. Erst in der Dämmerung machte er sich auf [233] Zureden der Mutter auf, seine Braut zu besuchen; er wurde von allen Begegnenden angehalten und spöttisch hieß man ihn willkommen aus Amerika. Und ebenso spöttisch klangen die Glückwünsche zu seiner Verlobung.

Die Mutter saß still daheim und betete immerfort; es lag ihr schwer auf dem Herzen, daß sie vielleicht doch ihr Kind in's Elend hineingezwungen habe, Xaveri hatte so gar kein Bräutigams-Ansehen; aber sie tröstete sich wieder, daß es die zurückgehaltene Auswanderung, nicht die widerwärtige Verlobung sei, die den Trübsinn in sein Angesicht brachte.

Die Zuckerin war unwillig, daß ihr Bräutigam erst jetzt sich zeigte, und dieser mußte, um sie zu versöhnen, zärtlicher sein als ihm zu Sinne war. Als er im Gespräch darauf kam, daß er dem Pflugwirth das Handwerk legen wolle, sagte die Zuckerin zuerst: »Das geht nicht, das leid' ich nicht; mein Mann muß daheim bleiben und nicht draußen ich weiß nicht was treiben.«

Xaveri erhob sich auf diese Worte und sah sie zornig an, da setzte sie schnell begütigend hinzu: »Nun, es läßt sich ja drüber reden, es braucht ja nicht Alles heut' ausgemacht zu sein.« Als Xaveri zuletzt sich noch ein Päckchen Batzenknaster mitnahm und sich's durchaus nicht nehmen ließ, es zu bezahlen, gab ihm seine Braut noch ein anderes Päckchen Tabak und sagte: »Probir einmal den, der kostet die Hälfte, probir' ihn nur, und er wird dir auch schmecken, so gut wie der theuere; es ist ja nur geraucht.«

»Du bist hauslich,« sagte Xaveri mit spöttischem Lob, aber die Zuckerin nahm dies für ein wirkliches hin.

[234] Das Einzige, was Xaveri zu Hause der Mutter klagte, war diese Geschichte mit dem Tabak, aber die Mutter beschwichtigte ihn: »Sie ist halt ein blutarmes Mädchen gewesen, das den Kreuzer werth halten muß, und hat nachher den Geizhals gehabt. Weiber verthun genug, sei froh, daß du eine häusliche hast, und sie wird sich schon dran gewöhnen was der Brauch ist bei Einem, der aus einem rechtschaffenen Bauernhaus kommt.«

Xaveri fügte sich darein, daß man sich ins Leben finden müsse so gut es geht, und seltsam! diese weiche entsagende Stimmung, die der Trotzkopf zum Erstenmal in seinem Leben kannte, machte ihn minder empfindlich gegen die Neckereien, die er vielfach auszustehen hatte wegen seines Daheimbleibens. Die Leute waren ihm fast gram, daß er sie um ihre Theilnahme an seinem Weggehen betrogen hatte; sie hatten ihm diese gewidmet und er war ihnen nun auch schuldig, wegzugehen. Fast eine stehende Frage, die man an ihn richtete, war, wie es in Amerika aussehe, und wie er die Seekrankheit überstanden habe. Zu seiner Verlobung glückwünschte man ihm großentheils aufrichtig und weil Xaveri gerade wegen dieser in sich bedrückt war, fühlte er die Spöttereien wegen seines Verbleibens fast gar nicht.

Der Pflugwirth hatte sich dazu verstanden, das Ueberfahrtsgeld wieder herauszugeben, aber die Bedingung festgesetzt, daß man als billigen Entgelt nun auch die Hochzeit in seinem Hause feiere. War diese ganze Hochzeit eine eigentlich erzwungene, so war es[235] nun auch noch der Ort der Feier. Braut und Bräutigam hatten keine rechte Freude aneinander und der Wirth und seine Leute, die freundlich und ehrerbietig zu ihnen thaten, empfanden nichts bei dieser Schaustellung.

Acht Tage vor seiner Hochzeit wanderten die Burschen und Mädchen aus, mit denen Xaveri hatte ziehen wollen. Er sah ihnen mit trübem Blick nach, aber er schüttelte Alles von sich und sagte sich innerlich vor, daß er daheim ein Glück gemacht habe, vielleicht größer als es ihm in Amerika zu Theil geworden wäre und dabei blieb er des Lachenbauern Xaveri.

In der Nacht vor seiner Hochzeit fuhr Xaveri seine blaue Kiste, darinnen seine ganze Ausrüstung für die Auswanderung war, in das Haus seiner Braut. Die Zuckerin wollte sogleich die Aufschrift auskratzen und die Kiste in den Kaufladen verwenden, aber Xaveri bestand mit Heftigkeit darauf, daß die Kiste bleibe wie sie sei, und daß seine ganze Gewandung darin aufbewahrt werde. Er stellte die Kiste in das Schlafzimmer vor das Bett und sagte scherzend: »Ich steige über Amerika hinüber in's Bett.«

Ein wohlangebrachter Scherz hat immer etwas Versöhnendes. An diesem Abend übernachtete Xaveri zum Letztenmal im Hause der Mutter und zum Erstenmal war er in der Seele eigentlich recht froh, er wußte nicht warum und wollte es auch nicht wissen.

Bei der Hochzeit ging es lustig her, nur war die Zuckerin einmal unwillig, weil Xaveri mehr als nöthig war, mit Lisabeth, die von Deimerstetten herübergekommen [236] war, und mit ihrer jüngern Schwester Agathe getanzt hatte. Xaveri versöhnt sie bald, und als seine Frau mit seinem Bruder Trudpert tanzte, stieg er zu den Musikanten hinauf und blies den amerikanischen Marsch, den er so oft den Auswanderern auf dem Wagen aufgespielt hatte, als lustigen Hopser und erntete darüber großes Lob.

Xaveri trug so zu sagen Amerika immer auf dem Leibe, denn er ging in der fremdländischen, mehrfach zu wechselnden Kleidung, die er sich für die neue Welt angeschafft hatte; aber er trug auch Amerika immer noch im Herzen, und das war viel gefährlicher. In der ersten Zeit nach seiner Verheirathung durfte er sich's schon hingehen lassen, daß er sich nur halb der Arbeit widmete; aber als er auf Bedrängen der Frau sich derselben mehr annehmen sollte, zeigte sich's, daß er jetzt doppelt schlaff war. Der Gedanke der Auswanderung hatte ihn erlahmt, er hatte sich gewöhnt, das Dorf gar nicht mehr als den Kreis seiner Thätigkeit anzusehen, er hatte, so zu sagen, auf einen neuen Lebensmontag gehofft, an dem er sich scharf in's Geschirr legen wollte; jetzt sollte er mitten in der alten Woche im alten Gleise doppelt frisch zugreifen. Und wie das Dorf und Alles, was darin vorging, ihm keine Freude mehr machte – weil er sich daran gewöhnt hatte, sich nur von einem ganz andern Leben, von ganz andern Verhältnissen Erfrischung zu versprechen und Alles, was um ihn her vorging, gleichgültig zu betrachten – so war ihm auch gleicherweise das erheirathete Anwesen alt und morsch, es bot keine [237] Gelegenheit, mit starker Kraft etwas ganz Neues zu schaffen, wie er sich's so glänzend ausgedacht hatte. Er war eben in ein verwittwetes Anwesen versetzt; die ganze alte Welt, die ganze gewohnte Umgebung hatte ihm etwas Verwittwetes. Er konnte sich das nicht deutlich machen, aber er fühlte es nichtsdestominder. Gern gab er seiner Frau darin nach, daß er dem Pflugwirth das Handwerk nicht legte; es war ihm Recht, daß er nichts Besonderes, eigenthümliche Anstrengung und Zusammenfassung Erforderndes zu thun hatte. Er lebte gern so in den Tag hinein, und es war ihm schon zu viel, daß er damit zu thun hatte, neues Vieh anzuschaffen – denn das alte war verkommen – daß er neue Feldgeräthe anschaffen mußte – denn die alten waren gar nicht zu gebrauchen. Das Anwesen der Zuckerin und die Fülle des Hauses waren nicht so bedeutend, als es den Anschein gehabt hatte. Die Vorräthe im Kaufladen waren geborgt, und Xaveri, der sein Vermögen auf Zinsen anlegen wollte, mußte mehr als die Hälfte in das Haus stecken, und durfte sich davon vor den Leuten nichts merken lassen, um nicht zum Schaden auch noch den Spott zu haben. Dabei hatte er über die kleinste Anordnung, die er im Hause traf, scharfe Auseinandersetzungen mit seiner Frau. Sie hatte einst gewünscht, einen Mann zu haben, dem sie untergeben sei; und das Geringste, was dieser nun selbständig verfügen wollte, erregte ihre heftigste Einsprache. Xaveri, der einst über das ganze Dorf und noch weit darüber hinaus geherrscht hatte, sah, daß es ihm nicht gelingen wollte, die eigene Frau in seine Gewalt zu bekommen. [238] Er rang mit ihr um die Oberherrschaft, und weil es zwischen ihnen an der Liebe fehlte, die nicht eifert, war Herrschaft ihr einziges Ziel. Wenn Eins merkte, daß das Andere Dies oder Jenes besser verstand, herrschte darüber nicht Freude und Anerkennung, sondern Neid und Schmälsucht. Xaveri hatte, ohne vorher ein Wort davon zu sagen, den ganzen Viehstand im Hause verändert, und weil er damit, zum Theil nicht ohne seine Schuld, unglücklich war und mit Verlust noch einmal ändern mußte, ließ sich's die Frau nicht entgehen, ihm solches oft und mit Schadenfreude zu wiederholen und ihm zu zeigen, daß er nichts verstünde und sich von Jedem betrügen lasse. Bei solchen Erfahrungen und Wahrnehmungen war Xaveri wohl bös auf seine Frau, aber noch mehr auf seine Mutter, seinen Bruder und alle seine Verwandten. Er sah in allem nur sein Ungeschick für die alte Welt, man hätte ihn sollen ziehen lassen, er wäre ein ganz anderer Mann geworden in Amerika, das war sein steter Gedanke. Mit Ungestüm forderte er oft Hülfeleistungen und Beistand von seinen Angehörigen; sie durften ihm, wie er glaubte, nichts versagen, sie waren es ihm schuldig, da er ihnen zulieb daheim geblieben war. Wenn man ihn bei solchen Zumuthungen auf seine eigene Kraft und Thätigkeit hinwies und Jedes unbekümmert um das Andere seinem Tagewerk nachging, knirschte er in sich hinein: ihm war ja himmelschreiend Unrecht geschehen, er war daheim geblieben, um eine hülfebereite Verwandtschaft zu haben und es gab ja gar kein Zusammenhalten mehr; er war einsam und auf sich gestellt, als wäre er in [239] weiter Wildniß. Die Familienangehörigkeit erschien ihm eben auch als eine Lüge, wie Alles auf der Welt. Tage und Wochen lang sah sich Niemand nach ihm um, und doch hatten sie gethan, als könnten sie nicht leben, wenn er nicht da wäre. Wie freundschaftlich und zuthulich war damals das ganze Dorf und besonders seine Verwandtschaft gewesen, als er fortgehen wollte, und jetzt zeigten sie nicht den hundertsten Theil jener Herzlichkeit. Der Pflugwirth erschien jetzt noch als der Bravste, der war doch immer der gleiche Schelm gewesen.

Mit Absicht entzog sich jetzt Xaveri den Seinigen und verspottete sie. Besonders gegen seinen Bruder Trudpert faßte er einen tiefen Widerwillen, der war immer so ruhig und still, ging unablässig in seinem Geleise seinen Geschäften nach, und hatte nicht einmal ein freiwilliges Wort für das Anliegen eines Andern, geschweige einen Beistand. Er war mit dem Pfluge in's Feld gefahren, als Xaveri nach dem Markt ging, um neues Vieh einzukaufen, er hatte ihm kaum Glück auf den Weg gewünscht. Hätte er nicht als älterer, erfahrener Bruder freiwillig mitgehen und Xaveri vor dem Ungeschick bewahren müssen, in das er für sich allein gerathen war?

Am meisten aber war Xaveri doch auch bös auf sich selber und zwar natürlich darum, weil er der Narr gewesen war, dem Geflenne und Gezerre der Seinigen nachzugeben und daheim zu bleiben.

Mitten in all diesem Sinnen und Grübeln war es fast wunderlich und Xaveri schüttelte oft selbst darüber [240] den Kopf, daß er jetzt so viel über die Menschen und über sich selbst nachdenken mußte. Es schien, als habe er bis jetzt alle seine Jahre nur träumend verbracht und jetzt auf Einmal ginge ihm das Leben auf, so verwirrt und düster.

Ein jeder Menschengeist, so dumpf er auch scheinen mag und so sonnenlos auch sein Standort ist, hat doch seine kürzer oder länger andauernde Blüthenzeit. War der Kelch, der sich hier erschloß, eine Distel oder gar eine Giftpflanze? Die Nahrung mindestens, die Xaveri zu sich nahm, war in Zorn und Hader vergiftet. Er hatte einen unüberwindlichen Abscheu vor allem Geschirr, das vom Zuckermännle und der alten Zuckerin herstammte, und wenn er das seiner Frau sagte, daß er die Alten immer husten höre, lachte sie ihn höhnisch darüber aus, und suchte seinen Ekel noch zu vermehren. Er suchte sich fortan zu überwinden, aber – es mag seltsam scheinen, und doch ist es so – eine Hauptursache vieler Verstimmungen war: die Zuckerin bereitete das Essen so, daß es Xaveri fast gar nicht genießen konnte. Anfangs half er sich damit, daß er sich, zuerst wie zum Scherz, dann aber zu bitterem Ernst von seiner Mutter das Nöthige bereiten ließ und bei ihr verzehrte; er scheute sich noch, vor den Leuten zu zeigen, wie es ihm ergehe.

Wie seltsam war es Xaveri zu Muthe! Sonst ging er satt aus dem Hause und jetzt ging er hungrig aus demselben um im Wirthshause zu essen. Er schämte sich, Etwas zu bestellen und doch war ihm so öde und so bitter. Er ließ sich manchmal verstohlen in der [241] Küche Etwas geben und aß es hinter dem Hause. Bald aber bestellte er sich schon oft am Tage vorher was er morgen haben wolle, und aß vor aller Welt im Wirthshause. Und wenn er nach Hause kam, sprach seine Frau, die das immer schon erfahren hatte, ihm das Nachgebet dazu; sie machte ihm nun zum Possen das Essen immernoch schlechter und aß selber vorher insgeheim.

Xaveri hatte nie Karten gespielt, aber jetzt saß er oft bis tief in die Nacht hinein im Wirthshause und spielte. Er wollte sich selber vergessen, nichts von sich und seinem Elend wissen, und er fragte sich nicht mehr, worin eigentlich dies sein Elend bestehe, und wie es zu fassen und zu ändern sei. Er sagte sich immer nur, daß er im Elend sei; das war eine ausgemachte Sache, und er wollte ermüdet sein und nichts mehr denken können, wenn er spät heimkam und sich zum Schlafen niederlegte. Anfangs gewann er im Spiel, aber er machte sich nichts aus dem Gewinn; er wollte das zeigen und wurde immer waghalsiger. Natürlich spielte man auch nicht trocken, und in der Hitze von Spiel und Trunk gab's manchmal Händel, aber sie wurden bald wieder geschlichtet; denn Spielgenossen sind seltsam friedfertig, und trotz allen Streites denken sie doch innerlich immer wieder darauf, des zu erhoffenden Vergnügens und Gewinnstes nicht zu entbehren. Nun verlor Xaveri geraume Zeit, denn er hatte seine Gedanken nicht beim Spiel; bei jeder Karte die er wie einen Axthieb auf den Tisch warf, dachte er oft und oft an seine Frau, daß die ihn zwinge liederlich zu sein und zu spielen. Er wollte sich aber nicht mehr [242] zwingen lassen, setzte eine Zeitlang aus und schaute nur zu, wie die Andern spielten; später glaubte er es besser gelernt zu haben und that wieder mit, aber auch jetzt verlor er unbegreiflicher Weise fast immer. Er lachte laut und verspottete sich über seinen Verlust, aber innerlich nahm er sich fest zusammen und rührte fortan keine Karte mehr an.

Xaveri, der bei aller Wildheit doch noch immer eine gewisse Ehrfurcht vor der Häuslichkeit hatte, die er in so schöner Weise bei seinen Eltern kennen gelernt, bewog seine Mutter, hier vermittelnd einzugreifen, und es gelang der alten Lachenbäuerin, eine entsprechende Friedsamkeit herzustellen. Die beiden Eheleute schienen wieder geraume Zeit in Eintracht miteinander zu leben. Xaveri ermannte sich und griff wacker zu, aber sobald nur der kleinste Zwist ausbrach, sobald nur das geringste Ungemach sich zeigte, war immer sein erster Gedanke: »O, wär' ich doch, wo mich meine Kiste hinweist!« Er hatte dies einmal gegen seine Frau ausgesprochen und sie holte die Axt und wollte die Kiste zertrümmern und verfluchte ganz Amerika und jeden Gedanken daran. Nur mit der größten Milde und Nachgiebigkeit und durch den schließlichen Vorhalt, daß die Kiste fünf Gulden werth sei, und daß er sie bei nächster Gelegenheit einem Auswanderer verkaufe, rettete er sie noch. Wenn aber fortan ein Gedanke an die neue Welt in Xaveri aufstieg, verschloß er ihn in sich; manchmal konnte er minutenlang in der Kammer auf die Kiste hinstarren und seine Gedanken zogen weit ab von Allem, was ihn umgab.

[243] Wenn Xaveri Abends im Pflugwirthshause saß, schaute er durch die Tabakswolken oft nach jener Tafel, darauf das Schiff schwamm, und wo mit rother Schrift zu lesen war: »Nach Amerika!« Wenn er heimkam, machte er dann jenes Scherzwort zur Wahrheit, daß er über Amerika in's Bett stieg.

Im Frühling war eine lustige Hochzeit im Dorf, die aber ihre traurigen Folgen hatte. Der Schackle war zurückgekehrt und heirathete eine Kaufmannstochter aus der nahen Amtsstadt; er errichtete einen großen Kaufladen, mit langen bis an den Boden reichenden Fenstern, wie man solche im Dorf noch nie gesehen. Die Zuckerin, die, gestützt auf ihren jetzigen Familienanhang bei Schultheiß und Gemeinderath, die Gestattung dieser Concurrenz hatte verhindern wollen, brachte nichts zu Stande, und sie, die einst die Familie Xaveri's so hoch gerühmt hatte, konnte nicht genug Schimpfworte auf dieselbe finden und den Xaveri hieß sie fast nicht mehr anders als den »Garnichts,« weil er einmal gesagt hatte: »Ich kümmere mich um die Sache gar nichts!« und dabei festgeblieben war. Die Zuckerin suchte jetzt den Xaveri zu stacheln, daß er dem Pflugwirth dafür seinen Auswandererhandel verderbe; Xaveri aber war nicht mehr dazu aufgelegt, dennoch versagte er sich die Schadenfreude nicht, ihr vorzuhalten, daß sie ihn verhindert habe, als es noch Zeit war, und ihn jetzt ermahne, da es zu spät sei. Nun wollte sie, daß er mindestens nicht zu Schackle's Hochzeit gehe, aber auch hierin willfahrte ihr Xaveri nicht; er war ja der alte Beschützer des Schackle gewesen und [244] schloß zuletzt auf jede Ermahnung: »Ich bin kein Krämer!«

Xaveri pfiff lustig, als es zum Hochzeitsschmaus des Schackle ging, und hörte nicht auf das Brummen und auf das laute Schelten seiner Frau, er zog sein bestes amerikanisches Gewand an und versteckte noch darunter sein Waldhorn. Er entsetzte sich fast, als er seine Frau ansah: wie hatte diese sich so fürchterlich verändert! Ihre ganze Erscheinung war so über alle Maßen vernachlässigt, daß er fast gar nicht glauben mochte, das sei seine Frau. Die Zuckerin wußte, daß ihr Mann noch vom Soldatenleben her viel auf ein propres Wesen hielt, und fast zu seinem Aerger vernachlässigte sie sich immer mehr und lachte wenn er sie Hanfbutz (Vogelscheuche im Hanfacker) nannte. »Kannst dich anziehen und auf den Abend auch nachkommen, ich will einmal gut essen!« sagte Xaveri und ging nach dem Pflugwirthshause. Das Waldhorn tönte am Abend das ganze Dorf herauf; es konnte Niemand anders sein, als der Xaveri, der so schön blies. Die Zuckerin saß daheim in Zorn und bitterm Haß und sie wußte am Ende nichts Anders zu thun, womit sie ihren Mann ärgern könnte, als daß sie ein Beil holte, um die Kiste zu zertrümmern. Er hütete die Kiste wie ein Kleinod, er hatte seine Frau gebeten, ja ihr streng befohlen, sie nie zu berühren; darum sollte sie jetzt zerstört werden. Die Zuckerin besann sich aber doch wieder, daß sie einen namhaften Geldwerth zerstörte und ließ nun ihren Zorn damit aus, daß sie mit dem Beil den Namen Xaveri's und die beiden Waldhörner[245] auskratzte. Sie ging vor das Haus und jetzt sagte ihr eine wohlwollende Nachbarin, der Xaveri tanze wie ein junger Bursch. Schnell sprang sie nach dem Wirthshaus und eilte athemlos die Treppe hinauf. Dort tanzte Xaveri eben mit des Pflugwirths Agathe und jauchzte und sang dabei; schnell drang sie durch die tanzenden Paare und stand vor ihrem Xaveri: »Was machst du da?« schrie sie laut.

»Guck, die ist halt schöner als du!« erwiderte Xaveri. Fluchend mit gellem Schreien, daß darob die Musik einhielt, schimpfte nun die Zuckerin Agathe, die aber ruhig entgegnete: »Was schändest so? Ich mag ihn nicht; wenn ich ihn gemocht hätt', hätt'st du ihn nicht kriegt!«

»Du siehst ja aus wie ein Hanfbutz!« rief Xaveri und in übermüthiger Laune begann er das Lied zu singen:


I g'sieh kein Rab, i g'sieh kein Vogel –

Der Hanfbutz, der Hanfbutz, der Hanfbutz isch do!


Die Musik begann die Weisung zu spielen und Alles jauchzte hellauf und tanzte und drückte die Zuckerin hinaus. Diese eilte zu Xaveri's Mutter und zu Trudpert. Bald sah man Letztern auf dem Tanzboden und Xaveri verschwand gleich nach ihm.

Im Leibgedingestübchen der Mutter gab es nun heftige Erörterungen, oft von Weinen und Schreien unterbrochen. Die Mutter hatte schnell die Laden zugemacht. Es sollte kein Laut nach außen dringen. Xaveri, der ohnedieß nur verzweifelt lustig gewesen war, [246] erkannte wohl bald sein Unrecht, aber er hatte wieder seinen alten Trotzkopf und wollte das nicht gestehen, bis endlich Trudpert, der sein Lebenlang gutmüthig und nachgiebig gegen ihn gewesen war, auf ihn zusprang und schwur, ihn zu erdrosseln, wenn er nicht in sich gehen und sich bessern wolle. Die Mutter weinte und wehrte ab so viel sie vermochte und nach der eigenthümlichen Frauenart sprachen ihre Klagen nichts davon, wie jammervoll dieser Bruderstreit an sich war, sie wiederholte nur immer: »Was ist das für eine Schande vor den Leuten, daß ihr so Händel miteinander habt! Um Gotteswillen! Das ganze Dorf läuft ja zusammen! Draußen steht Alles und horcht zu!«

Die Zuckerin saß auf der Bank und hielt die Hände still ineinander. Xaveri schaute nur Einmal mit wildem Blick nach ihr hinüber; wie ein Blitz durchzuckte ihn der Gedanke, wie schändlich es von seiner Frau sei, daß sie ihm nicht beistehe und seinen Bruder nicht abwehre, der ihm fast den Hals zudrehte. »Laß los, du hast Recht,« rief er, aber doch keuchend. »Du mußt Recht haben, weil Du so gegen mich sein kannst. Das hätt' ich nie geglaubt!«

»Ich hätt's auch nie geglaubt!« sagte Trudpert, ließ ab und seine Hände zitterten.

Xaveri versprach aufrichtig, sich zu bessern, und als er mit seiner Frau heimging, schaute ihm die Mutter aus ihrem Fensterchen nach und betete auf den nächtigen Weg der Heimgehenden noch lange inbrünstige Gebete.

Der offenkundige Zerfall, den Xaveri herbeigeführt[247] hatte, schmerzte ihn sehr; wir müssen aber sagen, nicht sowohl um des verlorenen Glücks willen, als um die preisgegebene Ehre. Vor Tag ging er mit dem Pflug in's Feld oder zum Holzfällen in den Wald und kehrte erst am Abend wieder heim. Im Wirthshaus sah man ihn lange nicht. Die Leute sagten, sein Gesicht sei zerkratzt, er könne sich nicht sehen lassen, man habe ihn solch einen Ausruf einmal bei Nacht schreien hören; das war nicht der Fall, seine Frau hatte ihm nur während seiner Abwesenheit seinen Namen von der Kiste abgekratzt und so oft er nun darauf sah, kochte ein Ingrimm in seiner Seele; er sprach zwar nur Einmal davon, immer aber mußte er daran denken, wie ganz anders es stünde, wenn er mit seinem unversehrten Namen davongezogen wäre über's Meer. Im Hause wurde wenig gesprochen, es war weder Streit noch Friede. Nur Einmal entbrannte jener wieder, als die Zuckerin die Kiste verkauft hatte und Xaveri eben dazu kam, wie man sie abholen wollte. Er hielt sie zurück mit dem Bedeuten, sein Eigenthum dürfe niemand Anders verkaufen als er selbst.

Die Zuckerin, deren Kramladen ganz verödete, kochte ihrem Mann fast gar Nichts mehr und er mußte sich wieder bei seiner Mutter erholen.

Die Ernte kam herbei. Xaveri ging schon vor Tag hinaus nach dem Acker neben dem Kirchhofe. Dieses Hinausschreiten im kühlen Morgennebel, da sich ein grauer Schimmer auf Gras und Staude legt, diese Freude am frischen Gang aus Dumpfheit und Verzerrung zur Arbeit, die jetzt noch als Lust entgegenwinkt, [248] der Gruß der Begegnenden, die sich zu gleichem Thun aufmachten und einander in der sichern Hoffnung auf einen hellen Tag bestärkten: Alles machte Xaveri plötzlich im Innersten froh; er dachte kaum mehr an sein verworrenes Leben und es schien ihm leicht zu glätten, mindestens wollte er Alles thun, damit es schön und heiter werde. Xaveri war trotz Allem doch noch Bauer genug, daß er seine Freude an dem schönen Acker hatte, den er jetzt sein eigen nannte; er lachte vor sich hin, als er denken mußte: es ist doch gut, daß sich die Wiesen und Aecker nichts um die Händel im Hause kümmern und beim Unfrieden nicht davon laufen; sie wachsen still, und wie prächtig steht hier das Korn! Ihr seid doch glückliche Menschen und Gott ist gut, daß er euch den Unfrieden nicht entgelten läßt. –

Der erste Anschnitt eines Ackers hat immer etwas Feierliches, besonders für den einsam Arbeitenden; der alte Lachenbauer hatte immer gebetet ehe man anfing; Xaveri that das nun zwar nicht, aber indem er die Sichel noch einmal wetzte, wetzte er gleichsam noch einmal seine Gedanken und die waren: daß er fortan arbeitsam und friedsam sein wolle. – Das Feld war ergiebig, die niedergelegten Halme, die sogenannten Sammelten, lagen so nahe aneinander, daß man gar keine Stoppeln mehr sah, und das ist das fröhlichste Zeichen einer reichen Ernte. Die Sonne war emporgestiegen, die Lerchen sangen in blauer Luft, aber Xaveri horchte nicht hin und sah nicht auf, seine Gedanken waren drüben in Amerika: »Wie anders wäre das, wenn du dort zum Erstenmal Ernte hieltest, auf [249] einem vordem nie bebauten Boden! Hier tönt die Morgenglocke – dort hört man kein Geläute; vom Acker daneben hört man Menschenstimmen – dort vernimmt man nichts. Es ist doch besser auf dem Boden zu bleiben, den schon die Vorfahren bebaut und der Geschlecht auf Geschlecht genährt, und wer weiß, ob du drüben noch lebtest« ... Xaveri richtete sich verschnaufend auf und sah nach dem Kirchhofe. – »Dort liegt dein Vater und dort deine Ahne, von welcher der Spruch herrührt: ich glaube nicht an Amerika.« Zum Erstenmal in seinem Leben empfand er, was es heißt, den Boden zu verlassen, in dem die Gebeine der Angehörigen ruhen; aber dieser Gedanke streifte ihn nur flüchtig und im Weiterarbeiten dachte er: »Auch du wirst einmal dort liegen. Dieses Leben hast du nur Einmal und willst es so in Haß und Hetzerei verbringen? Fang' es frisch an, so lang es noch nicht verloren ist; dein Weib wird schon gut sein, sie muß, wenn sie sieht, daß du gut bist. Wir haben unser reichliches Brod, warum sollen wir denn nicht gut miteinander auskommen? Ich will nicht mehr an Amerika denken. Es muß uns hier gut gehen und wir haben's besser als tausend Andere, und wenn jetzt das alt' Zuckermännle den Löffel erst grad' aus dem Maul gethan hätt', ich thät' damit essen und es schmeckt' mir; das darf nichts mehr gelten. Wenn sie mir nur auch bald Essen bringt« ... Dieser letzte Gedanke war es, bei dem Xaveri am längsten verharren mußte, denn er spürte in sich einen Mahner und auch von außen wurde er daran erinnert. Von den benachbarten Aeckern hörte [250] man gemeinsames Sprechen und oft lautes Lachen. Es war sechs Uhr, man hatte den Schnittern das Essen gebracht und überall, so weit er sehen konnte, wandelten Frauen und Kinder mit Körben und Töpfen. Denkt deine Frau allein nicht an dich und glaubt sie, daß du nicht auch hungrig wirst und schneidest du denn für dich allein? So sprach es in Xaveri, und der im Hunger doppelt leicht gereizte Zorn wollte wieder in ihm aufsteigen und Alles bewältigen; aber noch wurde er seiner Herr und sagte sich, daß seine Frau sich verspätet haben könne, oder daß sie im Kaufladen aufgehalten werde. Er schnitt allein weiter, während Alles um ihn her ruhte und sich gütlich that; das aber nahm er sich vor, es sollte als Zeichen des Friedens gelten, ob seine Frau ihm Essen bringe oder nicht. Sieben Uhr war schon vorüber, ringsumher war Alles wieder neugestärkt an der Arbeit und Xaveri, der immer weiter schnitt, empfand tiefes Mitleid mit sich, daß ihm das Weinen nahe stand; er fühlte sich verlorener hier, als wäre er in der neuen Welt. Oft schaute er aus, aber immer sah er seine Frau noch nicht. Er wollte davonlaufen, aber in einer Art von heldenmütiger Selbstvernichtung wollte er unaufhörlich weiter arbeiten bis er niedersänke vor Ermattung und die Leute dann sahen, wie es ihm ergehe. Endlich, es schlug acht Uhr, da sah er seine Frau den Berg herabkommen, sie hatte weder Korb noch Topf bei sich. Auch das wollte Xaveri verwinden, sie konnte ja wieder umkehren. Als sie aber näher kam und so verwahrlost aussah in der nachlässigsten Kleidung mit der Sichel [251] in der Hand, da konnte er sich nicht enthalten, halb scherzend auszurufen: »Du siehst ja wieder aus wie der Hanfbutz. Guck, es ist kein Vogel weit und breit, es singt keine Lerche wo du bist, du bist halt der Hanfbutz.« Die Zuckerin stand still und lachte höhnisch. Da rief Xaveri abermals: »Hast Nichts zu essen?« »Da wächst ja gutes Brod, iß davon,« erwiderte die Zuckerin, »das ist mein Acker, den Ich zugebracht habe; iß aber nur, so viel du magst, ich schenk' dir's.« »Aber dir ist nichts geschenkt,« schrie Xaveri und hackte da wo er stand, seine Sichel in den Boden und stampfte sie noch mit dem Fuße hinein, dann verließ er das Feld. Die Frau schimpfte und klagte hinter ihm drein, er aber drehte sich nicht mehr um, ging in das Haus, raffte Alles, was er zu eigen besaß, in seine Kiste und eilte damit zu seiner Mutter. Dieser erzählte er Alles, was am Morgen beim Schneiden in ihm vorgegangen und wie er so friedfertig gegen seine Frau gewesen war und sie nur im Scherz geneckt habe. Die Mutter mochte ihm hundertmal erklären, daß das ja die Frau nicht wissen konnte, daß man sich erst wieder necken dürfe, wenn man schon lange Frieden habe; Xaveri mochte wohl etwas davon einsehen, denn er antwortete nichts darauf, er wiederholte nur, daß es bei seinem Schwure bleibe, er habe, als er die Sichel in den Boden getreten, in sich hineingeschworen, nie mehr hier zu Lande eine in die Hand zu nehmen, und dabei bleibe es, keine Gewalt des Himmels und der Erde brächte ihn davon ab. –

Ein unbeugsamer Trotz gegen die ganze Welt, der[252] sich leicht in Selbstzerstörung verwandelt, setzte sich in Xaveri fest. Mitten in der hohen Erntezeit, wo im Dorfe so zu sagen jeder Finger, der sich regen kann, in Arbeit ist, saß Xaveri draußen am Waldrand und blies auf seinem Waldhorn. Durch dies Benehmen ward Xaveri des ganzen Vortheils und des ihm allgemein zuerkannten Rechts gegen seine Frau verlustig. Solch ein Müßiggang war unerhört und empörend. Man hielt Xaveri anfangs für närrisch, dann aber wendete sich Haß und Verachtung des ganzen Dorfes gegen ihn. Selbst Trudpert ließ seinen Bruder in heftigen Worten an; ja er drohte, der Mutter von der ausbedungenen Nahrung abzuziehen, wenn sie den Xaveri noch länger damit füttere; er wolle die Sache vor Gericht kommen lassen. Mit lang verhaltenem Ingrimm erwiderte Xaveri, daß ihm das Recht sei, und er werde sich jetzt bei dem Gericht ausweisen, wie er durch Trudpert in der Erbtheilung zu kurz gekommen sei.

In der That versuchte auch Xaveri einen Rechtsstreit darüber anhängig zu machen, ging oft nach der Stadt, besprach seine Angelegenheit im Wirthshaus mit allerlei fremden Menschen und erholte sich Raths bei einem Rechtsanwalt, der indeß immer mehr eigentliche Belege von ihm verlangte. Xaveri redete sich vor, daß er diese beschaffen könne.

Es giebt für einen in sich uneinigen und müßiggängerischen Menschen nichts Bequemeres als einen Rechtsstreit. Da hat man immer die Ausrede bei der Hand: wenn erst diese Sache geschlichtet ist, dann geht [253] wieder Alles in Ordnung, und einstweilen entschuldigt man für sich die Nichtsthuerei. So erging es auch Xaveri, und ein geheimer Stolz kam noch dazu. Er konnte sich nicht läugnen, daß in seinem ganzen Thun und Lassen etwas Unmännliches sei. Er mußte, sich oft im Stillen gestehen, daß er eigentlich keine rechte Mannesgeltung habe. Jetzt in den Wirthshäusern in der Stadt, im Vorzimmer bei dem Rechtsanwalt und im innern Stübchen bei diesem selber, jetzt war er doch ein Mann. Wer kann das noch bestreiten, daß einer der einen Rechtsstreit führt, Protokolle und Abschriften ausfertigen läßt, worin sein Name groß geschrieben ist in Fractur, und der mit landesfarbigen Schnuren zusammengeheftete Acten ausfüllt – wer kann bestreiten, daß das ein Mann sein muß, der solches veranlaßt?

Indeß zeigte sich bald, daß der Rechtsstreit zu keinem Ziel führe, und Xaveri ließ ihn ebenso leicht als er ihn aufgenommen, auf Anrathen seines Rechtsanwaltes wieder fallen. Trudpert und Xaveri redeten fortan kein Wort mehr mit einander, und diesem war von allen Menschen im Dorfe Niemand mehr zugethan als seine Mutter. Sie ging zu Jedermann und redete gut von ihrem Xaveri, sie wollte im Einzelnen ihm wiedergewinnen, was er auf Einmal und bei Allen verloren hatte, und sie allein hoffte noch immer, daß Alles sich wieder ausgleiche; aber vergebens. Der Mutter allein erzählte Xaveri, was in ihm vorging, sonst wanderte er durch das Dorf, grüßte Niemand und hielt den Blick immer zur Erde gesenkt, denn er verwünschte es innerlich, [254] daß er nicht fort konnte, nicht auf Einmal in eine ganz andere Welt, daß er immer wieder heim mußte um zu essen. Diese natürliche Befriedigung des Lebensbedürfnisses ward ihm zur Qual. Draußen am Waldesrand lag er dann Tage lang und schaute hinaus in die Felder, wo die Menschen hin und her gingen. Sein sonst so scharfes Auge schien jetzt plötzlich die Dinge nicht mehr recht zu unterscheiden. Trotzdem er oft einen Männerhut zwischen den Kornfeldern sich fortbewegen sah, wollte er doch glauben, und glaubte es auch, ja indem er sich halb aufrichtete, war es ihm ganz deutlich – daß er eine Frau sähe und gar seine eigne Frau, die ihm winke, daß sie komme und ihn hole; aber die Gestalt verschwand wieder und er blieb allein. Der graue Meilenstein am Wege, den er doch genau kannte, den hielt er jedesmal beim Aufschauen für einen Menschen, der nach ihm ausblicke. War das Täuschung oder Selbstbetrug? Wer kann in solchem Falle entscheiden? Seltsam war und blieb, daß es jedesmal eintraf, so oft er sich's auch vorhersagte. Hörte er einen Schritt sich seinem Lagerplatze nähern, kam ein Mann, eine Frau oder ein Kind, so blinzelte er und richtete sich ein wenig auf, es war gewiß Jemand, den seine Frau nach ihm schickte; und wenn der Kommende vorüberging ohne ihn zu achten, hustete er, um gewiß zu sein, daß er bemerkt und nicht verfehlt worden sei. Dann warf er sich wieder auf das Antlitz nieder, als wolle er sich in die Heimatherde einbohren und eingraben. Jetzt liegst du noch auf der Heimatherde, und bald mußt du sie verlassen! sagte er [255] oft vor sich hin, und während er mit einem Grashalm in seinen Zähnen stocherte, sang er dann wieder und wieder:


Und wer einen steinigen Acker hat

Und einen stumpfen Pflug,

Und ein böses Weib daheim,

Der hat zu feilen g'nug.


Der Vers kam ihm gar nicht aus dem Sinn, als wären es nur noch die einzigen Worte die er kannte und kein anderes mehr.

Ja, was denkt und sinnt nicht Alles ein Mensch, der in sich verwirrt und verwahrlost ist und sich noch mehr verwirrt und verwahrlost!

Xaveri war wie ein Fieberkranker, der im Bette liegt und in einfachen Linien an der Wand, in Leisten und Nägeln allerlei Bilder und Zeichen sieht, Schnäuzchen und Henkel am Wasserkrug wird zu Mund und Höcker eines seltsamen Männchens, und Schränke, Stühle und der Tisch, Alles verwandelt sich in beängstigende Ungeheuer.

Wenn Xaveri den Weg dahin ging und seinen Schatten sah, kam es ihm oft vor, als wäre er selber nur noch ein Schatten; er spielte mit seinen Schattenbildern und machte allerlei Sprünge und Stellungen wie die Kinder. Die Leute hielten ihn für närrisch.

Aber was ist denn ein Mensch, der die ihm gegebenen Verhältnisse nicht so zu fassen und zu gestalten weiß, daß wenn auch nicht Glück, doch Ruhe und Frieden daraus erwachsen muß?

[256] Die Sühneversuche zwischen Xaveri und seiner Frau, die vor dem Pfarrer, vor dem Kirchenconvent und dem Amte wiederholt abgehalten wurden, blieben erfolglos. Xaveri bestand darauf, daß er nie mehr zu seiner Frau zurückkehre. Die Entscheidung zog sich lange hin, und endlich im Herbst wurden sie getrennt, da sie nicht geschieden werden konnten. Mehr als ein Drittheil seines Vermögens, das Xaveri in das Hauswesen gesteckt hatte, war verloren; es zeigte sich bei der Auseinandersetzung ein auffälliger Rückgang des Besitzthums, aber doch blieb Xaveri noch so viel, um in der Ferne sein Heil suchen zu können. Noch einmal wurde die Kiste frisch angestrichen, noch einmal der Name darauf geschrieben und abermals ein Ueberfahrtsvertrag mit dem Pflugwirth abgeschlossen. Des Lenzbauern Philipp von Deimerstetten und Lisabeth mit ihrer zahlreichen Familie wanderten zu gleicher Zeit mit Xaveri aus.

Das war ein anderes Abschiednehmen als vor einem Jahre. Damals war Xaveri stolz und im vollen Bewußtsein seiner Geltung, Jeder mußte bedauern, daß er wegging; jetzt reichte man ihm kaum die Hand und sprach kaum halbe Worte, und Xaveri glaubte es diesem und jenem anzusehen, daß man ihn fortwünschte, und er nahm sich nun als einzige und letzte Rache vor, Keinem mehr Ade zu sagen. Nur auf dringendes Bitten der Mutter ging er zu Trudpert und reichte ihm die Abschiedshand. »Ich verzeihe dir,« sagte Trudpert. »Und ich verzeihe dir,« trotzte Xaveri und ging fort. Die Brüder, die einst so einträchtig miteinander gelebt, schieden jetzt in innerem Groll; Jeder glaubte sich [257] vom Andern tief gekränkt und Jeder sprach Worte, die ganz Anderes ausdrückten, als was sie eigentlich sagten.

Xaveri hielt sein Waldhorn in der Hand, als er, auf dem Wagen neben seiner blauen Kiste stehend, durch das Dorf fuhr; er hatte lustig blasen wollen, aber er brachte es nicht zu Stande, es versetzte ihm den Athem. Er schaute um und um nach den gewohnten Menschen: dort lud Einer Mist und nickte ihm im Aufladen zu, dort spannte Einer seine Ochsen ein und das Joch in der Hand haltend, rief er ein Lebewohl. Drescher kamen aus den dunkeln Scheunen, nickten und riefen noch ein »B'hüt's Gott!« und kaum war er vorbei, so hörte er hinter sich den Tactschlag der Dreschflegel. Mitten im Dorf stand die Zuckerin am Weg. »Du da, leg' dich vor's Rad, daß ich über dich wegfahren kann,« schrie ihr Xaveri zu. Die Frau schaute wild um sich, nahm einen gewaltigen Stein auf und schleuderte ihn nach Xaveri. Der Stein kollerte auf die Kiste und zerriß noch einmal den Namen. Xaveri öffnete ohne ein Wort, im Anblick vieler Versammelten, die Kiste und legte den Stein hinein. Jetzt fiel die Zuckerin auf die Kniee und schrie: »Bleib' da! Verzeih', ich bitt' dich mit aufgehobenen Händen, verzeih'. Ich seh' was ich gethan habe; bleib' da. Du bist mein Mann, laß mich's an dir gut machen.« Xaveri war leichenblaß geworden, aber er schüttelte mit dem Kopf und fuhr davon. Die Zuckerin wankte heim und saß lange weinend auf ihrer Hausschwelle, bis Leute kamen und sie in ihr Haus brachten. –

[258] Xaveri war unterdeß, den Hut in die Augen gedrückt, das Dorf hinausgefahren. Draußen, nicht weit vom Kirchhof, schob er den Hut in die Höhe, da erhob sich eine Frauengestalt, die am Wege saß. Xaveri erkannte jetzt seine Mutter, von der er doch schon Abschied genommen; er sprang vom Wagen und die Mutter umfaßte ihn und rief: »Xaveri, sei gut und bleib' da, bleib' bei mir allein, wenn du willst, aber besser, geh' zu deiner Frau! Wenn du auch etwas zu leiden hast, denk', du bist auch viel Schuld! Guck, dort legt man mich bald in den Boden! Kehr' noch einmal um, alle Menschen auf Erden und die Engel im Himmel werden dir's vergelten, was du an deiner Mutter thust; es wird dir gewiß gut gehen!«

Zum Erstenmal in ihrem Leben sah die Mutter den Xaveri bitterlich weinen und er sprach mit aufgehobenen Händen: »Mutter, da schwör' ich's unter freiem Himmel, ich thät' umkehren, Euch zu Lieb, wenn ich könnte! Ich hätt' mich schon lange umgebracht, wenn Ihr nicht wäret. Ich steh' jetzt da, ich hab' Niemand auf der weiten Welt als Euch! Ich möcht' mein Lebenlang da Stein' schlagen auf der Straß', wenn ich nur bei Euch bleiben könnt'! Mutter, ich sollt' Euch das nicht sagen, es macht Euch das Herz nur noch schwerer! Mutter, ich muß fort, ich muß! B'hüt's Gott! B'hüt's Gott, Mutter!«

Er sprang auf den Wagen und fuhr rasch davon. Vom Thal herauf hörte man ihn noch lange auf dem Waldhorn blasen; die Leute auf den Feldern, die das hörten, schimpften auf die Hartherzigkeit Xaveri's, die [259] Mutter aber wußte, daß er ihr noch Zeichen geben wollte, so lange sie ihn hörte, sie horchte hinaus, – bis sie nichts mehr vernahm, dann kehrte sie in's Dorf zurück ....

Die Töne des Waldhorns waren längst verklungen, der Name Xaveri's wurde im Dorf kaum mehr genannt; denn die Menschen können sich nicht damit abgeben, Verschwundenes allezeit in Erinnerung zu behalten, und das hat auch sein Gutes. Nur drei Menschen nannten noch oft den Namen Xaveri's und zwei davon fast nur um gegen ihn loszuziehen: das waren die Zuckerin und Trudpert. Aber daß sie immer wieder von Xaveri sprachen, und zwar nur zu der Mutter und gern zuhörten, wie diese den verlorenen Sohn vertheidigte, darin lag doch wieder ein Beweis, daß sie tief im Herzen nicht von Xaveri lassen konnten. Die Mutter aber sagte stets: »Es kennt meinen Xaveri Keines als ich. Er hat im Grunde das beste Herz von der Welt, nur hat er einen falschen Stolz. Hätte ich's verstanden, oder hätte ihn ein Anderes dazu bringen können, daß er seinen harten Willen auf etwas Gutes stellte, er hätte es ebenso fest ausgeführt als jetzt das Verkehrte. Daß er sich das Amerika in den Kopf gesetzt, das hat ihn verwirrt; es war ja wie wenn's ihm auf die Stirn geschrieben wär', und jetzt ist er unstet und flüchtig und mir sagt's mein Herz, er denkt an uns wie wir an ihn, und wenn Gedanken, die an einem Menschen reißen, ihn ziehen könnten, sie wären stärker als alle Dampfwagen und brächten uns wieder zu einander.«

Wie gesagt, auch die Zuckerin hörte gern so reden,[260] denn sie schien in sich gegangen zu sein; sie lebte still und arbeitsam und war besonders liebreich und ehrerbietig gegen die Schwiegermutter, bei der sie nicht abließ, bis sie zu ihr in's Haus zog, und Alles, was sie ihr Gutes that, schien ihr ein doppelter Trost, als ob sie es damit auch zugleich dem fernen Verlorenen erweise.

Man spöttelte Anfangs viel über die Verheirathung der alten Lachenbäuerin mit der Zuckerin, aber die Menschen lassen schließlich auch das Gute ohne Spott gewähren.

Drei Jahre waren vorüber, man hatte nichts mehr von Xaveri gehört. Da wanderte eines Samstag Abends im Spätsommer ein Mann mit einer Kraxe auf dem Rücken vom Thal herauf; er hob oft rasch den Kopf, dann senkte er ihn wieder zur Erde und schritt mit leisem Murmeln vorwärts. An dem Kirchhof hob er die Kraxe vom Rücken und starrte lang auf eine blaue Kiste, die aufrecht auf die Kraxe gebunden war; wenn auch vielfach zerkritzelt, war dennoch deutlich auf dem Deckel zu lesen: Xaver Boger in Neuyork. Ja, es war Xaveri, der wieder heimkehrte; noch sah er breit und kraftvoll aus, aber seine Wangen waren eingefallen, und als er jetzt, das Kinn auf die Hand gestützt hineinschaute über das Dorf, wo jetzt die Abendglocke läutete und aus allen Fenstern wie tausend und abertausend Lichter das Abendroth wiederglänzte, da zog auch über das Angesicht des Bedrückten ein Freudenstrahl. Dann setzte er sich an den Wegrain und verbarg sein Gesicht an der Kiste, in der es seltsam kollerte.

[261] Spät in der Nacht klopfte es am Haus der Zuckerin, und von der Treppe hörte man einen durchdringenden Schrei ...

In der Stube saßen noch lange nach Mitternacht Xaveri und seine Frau und Niemand als der Mond, dessen Strahlen schräg in's Zimmer fielen, hat gehört, was sie einander sagten.

»Wie lang ist's, daß ich zum Erstenmal da gesessen habe,« sagte endlich Xaveri, auf den abgegriffenen Lehnstuhl zeigend.

»Ja, und in dem ruht jetzt deine gute Mutter aus!« sagte die Frau. »O, die hat immer an dich geglaubt. Es ist gut, daß sie schläft; wir müssen's ihr morgen früh leise beibringen. O, die wird neu aufleben.«

»Ich will sie jetzt nur im Schlaf sehen,« sagte Xaveri.

»Nein,« entgegnete die Frau ihn haltend, »du kannst sie damit tödten, wenn sie aufwacht. Sei geduldig, bezwinge dich.«

»Ja, ich hab' mich bezwungen, und das will ich zeigen,« sagte Xaveri. »Ich bin doppelt umgekehrt.«

Und noch einmal öffnete sich die Hausthür und Mann und Frau traten heraus und wanderten still durch die schlafenden Gassen. Xaveri trug Etwas in beiden Händen.

»Laß mich's tragen,« bat die Frau, »Ich hab' die Schuld, Ich hab' die Sünde gethan.«

»So nimm,« sagte Xaveri. »Ich hatte mir vorgenommen wie du auch wärest, ich will's in Geduld tragen; aber ich sehe, du kannst gut sein und sollst [262] es bleiben. O, ich habe mit dem da mein ganzes Elend durch die ganze Welt getragen, durch die alte und durch die neue. – Es hat sich Keines von uns Zweien biegen wollen, drum hat's brechen müssen. Wie gesegnet hätten wir leben können als Ehre und Vermögen noch unser eigen war! Das Erste können wir wieder gewinnen und das Andere – müssen wir entbehren lernen.«

»Und jetzt,« sagte die Frau als sie am Weiher beim elterlichen Hause Xaveri's standen, und sie hob den Stein auf, den Xaveri wieder mitgebracht, »und jetzt versenken wir mit dem da alles Elend und alles Vergangene in's tiefe Wasser.«

Der Stein klatschte laut auf in dem Weiher. Im Mondschein bildeten sich silberne Ringe darüber.


* * *


Es läßt sich denken, welch ein Aufsehen die Heim kehr Xaveri's im Dorfe machte, aber er ertrug allen Spott und alles Mitleid geduldig, und täglich sprach er seine Zufriedenheit aus, daß er allen, denen er Kummer gemacht, noch in Freuden vergelten könne; besonders aber seiner Mutter.

Xaveri, der nun zu den Aermeren im Dorfe gehörte, arbeitete auch bei seinem Bruder als Knecht, und wo es sonst etwas Mühseliges zu thun gab, war er bei der Hand, und bald hieß es: »Der Xaveri kann schaffen wie ein Amerikaner.«

Als der grausig Mall starb, wurde Xaveri Dorfschütze. Er hält gute Ordnung, denn er kennt alle Schliche.

[263] Von seinem amerikanischen Leben erzählt er nur den Seinigen. Vielleicht aber können wir doch noch einmal die Erlebnisse des Viereckigen berichten. Wenn Jemand im Dorf ihn an seine Auswanderung erinnert, hat er die Redensart: »Meine Großmutter hat gesagt: Ich glaub' nicht an Amerika. Aber Ich hab' daran glauben müssen, und jetzt bin ich bekehrt.«

[264]

[1] Der Lehnhold.
(1853.)

[1][3]

Ab der Landstraße

Ab der Landstraße.

Ab der Landstraße, die durch das rauschende Waldthal führt, zieht sich ein Fahrweg bergan durch den Wald und dann zwischen lebendigen Buchenhecken nach einem einsamen Gehöfte, einer sogenannten Einzechte.

Die Gleise auf dem Wege sind alle gleich, denn hier bewegen sich nur Wagen von derselben Spurweite, wer hier auf und abzieht, hat mit dem Bauer von der langen Furche zu thun; denn dieser Weg gehört dem Furchenbauer zu eigen und führt nur zu ihm; wer von da wieder zurück will zu anderen Menschen, muß auf demselben Wege wieder umkehren.

So stattlich und weit sich auch Haus und Scheunen dort ausnehmen, die mit ihren grauen Strohdächern fast felsenartig in's Thal herniederschauen; sie haben doch nicht Raum genug für all das reiche Erträgniß des Feldes, denn hüben und drüben in den Feldern sehen wir die kegelförmig gebauten Garbenhaufen, Feimen genannt, die erst nach und nach abgedroschen werden und in den noch herbstgrünen Bergwiesen stehen lustige Scheunen, sogenannte Stadel, deren Wände und Dach von graugewordenen Brettern viel nahrhaftes Heu in sich bergen.

[3] Dort etwas fern vom Hofe, am Rande des Bergvorsprunges jenes kleine aus Holz erbaute Häuschen, mit einer Thurmspitze geschmückt, das ist die Kapelle, die dem Hofe zu eigen gehört. An Sommerabenden oder auch am Sonntage wenn man nicht nach der mehr als eine Stunde entfernten Kirche gehen kann, versammelt der Hausherr seine Kinder und sein Ingesinde in dem Käppele (wie der Landesausdruck hier das Wort Kapelle umgewandelt hat) und vor den mit Blumen und Bändern geschmückten Heiligenbildern wird er selber eine Art Priester, indem er laut die üblichen Gebete spricht und Alles um ihn her kniet.

Wir sind längst auf Grund und Boden des Furchenbauern, aber der Weg ist noch lang genug, daß wir uns einstweilen erinnern können, zu wem wir gehen, bis wir den Mann selbst vor uns haben. Damals, als wir mit dem Brosi auf der lustigen Hochzeit in Endringen waren und den Bändelestanz entstehen sahen, damals hatten wir uns vorgesetzt, die Geschichte des Furchenbauern zu erzählen. Wer damals das glückselige und reich gesegnete junge Paar erschaute, konnte nicht ahnen, welch ein schweres Geschick ihm bevorstand, das sich mit der Zeit erfüllte.

Freilich, stolz und eigenmächtig war der junge Furchenbauer schon damals: hatte er ja dem armen Brosi einen Taglohn dafür geben wollen, wenn er mit Tanzen und Singen die Hochzeitsgäste erlustige; schon damals blickte der Furchenbauer mit einer stillen innern Verachtung auf Jeden herunter, der ihm nicht gleichstand und hielt es nur selten der Mühe werth, in[4] Wort und Mienen das auszusprechen. Aber warum soll ein junger Baron in schwarzem rothausgeschlagenem Sammtrock, rother Weste und Lederhosen nicht eben so stolz sein wie einer mit Epauletten und goldgesticktem Halskragen? Der Furchenbauer konnte sich neben jedem Ritterbürtigen sehen lassen. Er war alleiniger Erbe oder wie man es hier zu Lande noch heißt, der Lehnhold des großen Gutes von der langen Furche, das sich in Wald und Feld weit über Berg und Thal ausbreitet; er hatte acht Roß im Stall, eben so viel Ochsen und die Doppelzahl Kühe und Rinder und Alles war schuldenfrei, denn er heirathete die Tochter des reichen fetten Gäubauern, des Vogts von Siebenhöfen, der den ehrenvollen Unnamen »der Schmalzgraf« hatte, und von dem Beibringen der Frau konnte die ausbedungene Losung der einzigen Schwester, die nachmals den Gipsmüller heirathete, blank ausgezahlt werden; der einzige Bruder, der sich dem geistlichen Stande weihte, erhielt nur einen Theil des ihm Zukommenden, das Uebrige ließ er auf dem elterlichen Hofe stehen, es war ja ohnedieß das einstige Erbe der Bruderskinder.

Mit einem stolzen gesättigten Behagen sah der Christoph, oder wie er jetzt – da ihm seine Würde erst den rechten Namen verlieh – hieß, der Furchenbauer am Morgen nach seiner Hochzeit zum Fenster hinaus und schaute zu, wie der Wind mit den Morgennebeln spielte, fast so wie er selber die Tabakswolken vor sich her blies. Der Vater hatte ihm die Zeit lang gemacht, Christoph war ledigerweise viel älter geworden, als die Bauernsöhne seinesgleichen, der Vater schien [5] das Gut nicht lassen zu können, bis der Tod es ihm entriß. Christoph zürnte im Stillen oft darüber, aber er war in Gehorsam und Unterwürfigkeit erzogen und durfte sich nichts merken lassen; war es ihm ja übel bekommen, als er einmal scherzweise zu seinem Vater sagte: »Gebt Euer Sach doch her so lang ihr lebet, dann höret Ihr's auch noch wie man Euch Dank sagt.« Christoph hörte die Antwort darauf nicht, aber er fühlte sie. Nur auf Bedrängen der Gefreundeten und besonders des zweiten Sohnes, der damals Pfarrverweser in Reichenbach war, ließ sich endlich der Vater bewegen, an Christoph abzugeben. Er wählte seinem Sohne die ebenbürtige Frau und dieser willfahrte nach altem Brauch; aber als müßte es doch zur Wahrheit werden, daß der Vater das Gut bei Lebzeiten nicht lassen könne, starb er vor der Uebergabe und der Hochzeit. Am Morgen nach dieser dachte Christoph mit einem gewissen wehmüthigen Danke an den Vater; er hatte Recht gethan ihn nicht früher in das Gut einzusetzen, jetzt erst war er geeignet, der Furchenbauer zu heißen, und ein schönes reichgesegnetes Leben lag vor ihm ...

Die freudige Stimmung jenes ersten Morgens nach der Hochzeit ist schon lange verklungen. Wenn man bald vierzig Jahre im Besitze einer Macht ist, denkt man kaum mehr der Stunde, da man damit bekleidet wurde. Der Furchenbauer hat seitdem Mancherlei erlebt. Von neun Kindern waren ihm vier verblieben, drei Söhne und eine Tochter; er hatte die Freude, den ältesten zum Schmalzgrafen erhoben zu sehen, denn er erbte das Gut des Muttervaters; aber schon nach wenigen [6] Jahren starb der rüstige Schmalzgraf mit Hinterlassung einer einzigen Tochter. Dieß war das alleinige Enkelchen des Furchenbauern, denn die andern Kinder waren unverheirathet, und wir werden bald sehen warum.

Wir sind am Hofe. Dumpfes Bellen und Kettenrasseln zweier Hofhunde, die in ihrem Bellen sich bald ablösen und bald zusammenstimmen, zeigt an, daß kein Fremder sich unbemerkt hier nahen darf; über das Bellen hinaus tönt aber der Taktschlag von sechs Dreschern und dazwischen vernimmt man das rasche Klappern einer Handmühle, der sogenannten Putzmühle, die statt des ehedem üblichen Wurfelns das Korn säubert. Häuser, Ställe und Scheuern sind im Gevierte gebaut, das Thor steht offen; halten wir aber noch eine Weile inne, bevor wir eintreten. – Auf der Leiter an einem Zwetschgenbaum im Hausgarten steht eine Frauengestalt in üblicher Landestracht, die rothen Strümpfe umschließen ein mächtiges Wadenpaar. Aus dem offenen Hofthore kommt ein schlanker junger Bauer, drei mächtige Strohbündel auf dem Rücken.

»Ameile, fall nicht abe,« ruft der junge Mann.

»Da unten ist auch schwäbisch,« antwortet es in die Zweige hinein und die Strohbündel hüpfen auf und nieder von dem Lachen des jungen Mannes, während die Frauengestalt wieder fragt:

»Was willst denn mit dem Stroh?«

»Der Bauer will, daß man die Breitlingäpfel dort dießmal nicht brechen soll, man hab' kein' Zeit dazu, ich soll sie schütteln und Stroh unterlegen. Steig abe und gieb mir die Leiter.«

»Bist zu steif? Kannst nicht 'naufkrebseln?« spottet [7] das Mädchen, während der Bursche das Stroh ausbreitet und erwidert:

»Du sollst auflesen, ich muß gleich wieder an's Dreschen.« Behende ist er auf den Baum geklettert, der ganze Baum wird hin und hergeschüttelt, es rasselt in den Zweigen und dumpf prasselnd auf das knisternde Stroh und darüber hinaus fallen die rothbackigen Aepfel. Das Mädchen will bald da bald dort anfangen aufzulesen, aber wo es sich zeigt, wird ein Ast mächtiger geschüttelt und manchmal getroffen von einem Apfel grillt es auf und schilt den tückischen Mann auf dem Baume. Dieser steigt ab, schaut das Mädchen kurz an und will nach dem Hofe gehen.

»Du machst unsaubere Arbeit!« sagt das Mädchen lachend und fährt auf den Baum deutend fort: »Schau, dort hängt noch ein Apfel und dort noch einer.«

Im Fortgehen erwidert der Bursche:

»Du vergißst's immer wieder und ich hab' dir's schon oft gesagt: wenn man einem Obstbaum nicht Alles abnimmt, trägt er im nächsten Jahre um so gewisser.«

Ameile (Amalie) hält einen Apfel in der Hand und will den Weggehenden damit werfen, aber noch im Ausholen hält sie an, ein zweiflerischer Gedanke scheint ihr die Hand zu senken, sie steckt den Apfel in die Tasche und auf das Stroh kniend, rafft sie die Aepfel zusammen und singt dazu:


»Schätzele, Engele,

Laß mi e wengele –«

»Schätzele wasele?«

»Nur mit dir basele?«


[8] Der Bursche, der eine Soldatenmütze auf dem Kopfe trägt und überhaupt eine soldatische Haltung verräth, geht wieder nach dem Hofe zurück, nimmt den Dreschflegel zur Hand und fällt taktmäßig in die Schläge ein.

Im Hofe

Im Hofe.

Im Hofe, in dessen Mitte der große mit Stangen eingezäunte Düngerhaufen, daran eine Jauchenpumpe sich befindet, ist reiche lebendige Bewegung: da wird Korn auf einen Wagen geladen, dort Stroh und dort Aepfelsäcke getragen, die zahlreichen Hühner und Enten wissen geschickt auszuweichen und überall etwas zu ernaschen. Rechts von dem Eingangsthor unter einem breiten Hollunderbaume, der jetzt schon schwarze Beerenbüschel trägt, steht der Röhrbrunnen, der seinen hellen, armdicken Strahl in den langen Eichentrog ergießt und rings um den Brunnen ist der Boden vortrefflich gepflastert, so daß nicht wie sonst oft gerade hier Alles unsauber ist; der Abfluß des Brunnens hat einen gepflasterten Weg nach dem Baumgarten links am Thor und bildet dort sogar einen kleinen See. Die Kühe und Rinder werden zur Tränke geführt, denn die Ochsen und Pferde sind draußen im Feld beim Pflügen und Eggen. Der Kühbub knallt, daß es im Hofe widerhallt. Eine glänzend schwarze Kalbin, die auch nicht ein anderes Härchen hat und in Schönheit strahlt, tanzt lustig im Hofe hin und her, steht bald still und schaut wie neckisch und verwundert drein und hüpft [9] dann wieder mit gehobenem Schweif auf und ab. Die Drescher, die eben eine neue Spreite auflegen, stehen unter dem Scheunenthor und betrachten mit lauter Bewunderung das schöne Thier und dieses scheint gefallsüchtig fast zu wissen, daß es bewundert wird, denn es macht immer freudigere Sprünge, bis endlich ein Mann aus dem dunkeln Schuppen ruft:

»Hannesle, gieb Acht, daß dem Schwärzle nichts geschieht, thu's ein.«

Das ist aber nicht so leicht, auch ein Thier läßt sich in seiner Lustbarkeit nicht gern unterbrechen, und erst mit Hülfe der Drescher, die sich wie es scheint, auch gern ein wenig im Freien umhertummeln, gelingt es dem Kühbub, das Schwärzle in den Stall zu bringen. Das Schwärzle ist eine wichtige und beliebte Erscheinung auf dem Furchenhofe, dem hohe Ehren bevorstehen und Jedermann spricht nur Gutes von ihm.

Wir wollen aber jetzt der Stimme aus dem Dunkel folgen, deren Ruf Alles gehorchte. Das rollt und quetscht und platzt in dem dunkeln Schuppen und ein eigener süßer Duft dringt uns entgegen. In einem fast halbrunden Eichentroge wird ein steinernes Rad gewälzt, das die eingeschütteten rothbackigen und grünen Aepfel zerdrückt und dort hinten rinnt es aus der Presse in die Kufe; wir sind beim Mosten. Ein einäugiger schlanker junger Bursche treibt die Stange vorwärts, die mitten im Steinrade steckt, und ein anderer älterer Mann mit röthlich grauem Haar drückt sie wie der zurück, wobei Einer dem andern hilft. Ein alter schlanker Mann mit enganliegenden schwarzen Lederhosen [10] und Rohrstiefeln, die faltenreich niederfallen und blaue Strümpfe sehen lassen, hält eine längliche hölzerne Schippe in der Hand, wandelt an der freien Seite des Eichentroges auf und ab und schiebt je nach der Wendung die zerdrückten Aepfel zum bessern Auspressen unter das Rad, manchmal bückt er sich, um einen ganzen oder getheilten Apfel, der über den Rand des Eichentroges gefallen, wieder hineinzulegen.

Das ist der Furchenbauer. Er sieht langgestreckt, dürr und hartknochig aus, und das ganze Wesen hat etwas Zähes, Unbeugsames. Die weißen Haare, die den spitzen Oberkopf ringsum bedecken, sind kurz geschoren, die hohe Stirne ist runzelvoll, über den grauen Augen sind die Ausläufer der dicken Brauen in die Höhe gewirbelt, die linke mehr als die rechte, man sieht offenbar, daß der Mann seine Brauen oft mit der Hand bewegen muß, und wenn er auch die Augen ganz aufschlägt, hängt noch immer die Haut des Augenlides schlaff und fast wie ein Vordach auf den Backenwinkel des Auges, die Backenknochen stehen dürr hervor und tiefe Furchen ziehen sich zu beiden Seiten der knolligen Nase herunter; das sind Furchen, die das Schicksal gepflügt. Die schmalen Lippen des Mundes sind so sehr einwärts gezogen, daß man fast gar kein Roth sieht. Dabei hat der Mann in seinem Behaben noch etwas Bewegliches, wenn dieß auch eckig und herb ist.

Man wird in vielen Bauerngesichtern etwas Trotziges und Widersacherisches finden, es ist das nicht immer Ausdruck einer innerlichen Gemüthsverfassung, sondern rührt meist von der schweren Arbeit her, gegen die es [11] oft ein trotziges Anstemmen, ja gewissermaßen ein feindseliges Besiegen gilt.

Wie jetzt der Furchenbauer nach einem großen Sack Aepfel ausgreift, um ihn zu wenden, haben seine Mienen etwas Grimmiges, das sich noch steigert, da er seiner Schwäche gewahr wird und ächzend ruft er:

»Helfet doch, ihr faulen Kerle!« Der ältere Mann gehorsamt rasch diesem Zuruf, der jüngere Einäugige aber sagt ruhig stehen bleibend:

»Vater, ich mein', es wär genug für heut. Ich möcht' lieber dreschen als mosten.«

»Ich weiß was du lieber thätest, gar nichts wär' dir am liebsten,« erwidert der Furchenbauer zornig und schüttet mit Hülfe des älteren Mannes die Aepfel in den Trog. Die Aepfel platzen und zischen wieder unter dem steinernen Rad und erst als Alles in die Presse gebracht war, als die Spindeln der Presse krachten und knackten und der Saft nur noch tröpfelnd in die Kufe floß; erst als der Einäugige schon zweimal gesagt hatte, daß die Drescher bereits aufgehört hätten, gehen die Drei endlich nach dem Röhrbrunnen, waschen sich dort die klebrigen Hände, die sie nur durch Abschütteln trocknen, und treten endlich in das Haus.

Die Drescher und Feldtaglöhner schienen schon lange auf den Hausherrn zu warten, sie umstehen den Sattler, den sich der Furchenbauer ins Haus genommen hat und der auf einem Seitentische der großen Stube ganze Felle zerschnitt, um daraus neue Pferdegeschirre zu machen und die alten in Stand zu setzen. Kaum ist der Hausherr in der Stube und plötzlich Stille eingetreten, [12] als Ameile mit einer kübelartigen Schüssel eintritt und sie auf den mit einem Tuch bedeckten Tisch stellt; ihr folgen noch zwei Mädchen, die das Gleiche bringen. Nachdem man gebetet hat, setzt man sich wortlos an den Tisch. Der Bauer sitzt oben, links von ihm der Einäugige, rechts der schlanke Bursche, den wir heute schon beim Eintritte die Aepfel schütteln gesehen. Taktmäßig wie beim Dreschen langt Eines nach dem Andern mit dem Löffel in die Suppe. Die Mädchen sitzen am untern Ende des Tisches, unter ihnen Ameile, und nur leise sagt Eines dem Andern, ihm mehr Raum zum Sitzen zu geben. Die wahren Seen von Suppe sind bald verschlungen, ein großer Laib Brod geht von Hand zu Hand und Jedes schneidet sich mit seinem Taschenmesser einen Ranken. Niemand spricht ein Wort, außer wenn etwa der Bauer Einen anredet und die Antworten sind stets knapp und gemessen. Nun verlassen die Mädchen den Tisch und kommen rasch wieder mit Bergen von Leberklößen und Felsstücken von geräuchertem Fleisch. Das Sprüchwort sagt nicht umsonst: die können essen wie Drescher. Mit einer Ruhe und Nachhaltigkeit, die sich immer gleich bleibt, werden die Leberklöße vertilgt und erst als das Fleisch zum Vertheilen kommt, schnipfeln Viele nur an ihrem Theile herum, und kaum hat der Mann, der mosten geholfen hat, das Beispiel gegeben und das übrige Fleisch in ein Tuch gewickelt und in die Tasche gesteckt, als ihm auch viele Andere beherzt folgen. Der Bauer sagt nur noch, daß er morgen nicht daheim sei und Vinzenz die Aufsicht führe, ein Jeder schneidet [13] sich noch ein Stück Brod, steckt es zu sich und man steht vom Tische auf. Nach dem Schlußgebete sagt der Bauer zu dem Burschen, der ihm zur Rechten gesessen:

»Dominik, wenn du draußen fertig bist, komm' 'rein, ich hab' dir was zu sagen.«

Nach einem Gutnacht in verschiedenen Tonarten verlassen die Drescher und Taglöhner mit schweren Tritten die Stube und erst draußen vor dem Hause hört man sie unter einander sprechen und lachen. Mehrere machen sich bald davon und zerstreuen sich in die Häuslerwohnungen, die da und dort im Thale stehen und an den Bergen hangen; nur einige, die aus fernen Gegenden sind, gehen in die Scheunen und legen sich in's Heu.

Die Bäuerin, eine alte wohlbeleibte Frau, kommt jetzt auch aus der Küche, bringt sich ihr Essen mit und verzehrt es neben ihrem Mann. Dieser sagt ihr, daß er morgen nach Wellendingen (einem in der Mitte des Bezirks gelegenen Dorfe) fahre, da dort das jährliche landwirthschaftliche Bezirksfest sei und daß Dominik das Schwärzle hinführen müsse; Ameile nehme er zu sich auf das Bernerwägele.

»Du solltest den Vinzenz mitnehmen,« sagt die Frau in etwas schüchternem Tone.

»Wie soll ich ihn denn mitnehmen? Ich kann ihn doch nicht die Kalbin führen lassen? Und er und der Dominik können nicht miteinander vom Hof weg sein. Wenn ich was sag', mußt du dich vorher dreimal besinnen, eh du was dreinredest.«

»Ich hab' nur gemeint, weil du doch auch für den[14] Vinzenz ein Mädle aus einem rechtschaffnen Haus finden kannst –.«

»Da brauch' ich ihn grad nicht dazu, das kann ich am besten allein. Zuerst muß Ich die Sach' fertig haben, dann kommt erst er.«

Die Bäuerin schweigt und der Bauer liest die Zeitung, den Wälderboten, den der Milchbub, wenn er Morgens die Milch nach der Stadt führt, mitbringt, den aber der Bauer täglich ruhig warten läßt und die Weltnachrichten, Vergantungen und Fruchtpreise jedesmal erst am Abend wenn alle Arbeit abgethan, liest. Er zwirbelt sich dabei mit der Hand die linke Augbraue und manchmal fährt er sich über die Stirne, denn er liest heute zerstreut. Der Gedanke, daß er keinen ebenbürtigen Nachbar habe und darum für seine Kinder sich auswärts umthun müsse, geht ihm durch den Sinn. In dem Blättchen stand, daß in Klurrenbühl wiederum Liegenschaften versteigert werden. Der Hofbauer von Klurrenbühl war der einzige ebenbürtige Nachbar gewesen, aber er hat schon vor Jahren sein Gut verkauft und ist Papierer geworden. Der Hirzenbauer von Nellingen hat die unverzeihliche That begangen, sein schönes, von alten Zeiten her unzerspaltenes Gut unter seine Kinder zu zertheilen.

Der Furchenbauer schüttelt den Kopf und holt tief Athem, er schaut nachdenklich steif in's Licht, dann steht er plötzlich auf und stellt sich fest hin indem er beide Fäuste ballt; er mag es fühlen, daß er bald der Einzige ist in der Gegend, der einzige mächtige Stamm, während Alles ringsum abgeholzt ist. Er ist fest genug, sich von keinem Sturm entwurzeln zu lassen.

[15] Ja, der Furchenbauer gleicht einer mächtigen Tanne, und wie diese oft in ihrer Wurzelausbreitung auf ein Felsstück stößt, aber unbehindert ihre Wurzeln darüber hinstreckt und den Fels in sich einkrallt und wie dieses Wurzelgeäste harzgetränkt lichterloh brennen kann, so ist auch der Furchenbauer unbewegt, einen Gedanken wie einen Felsen mit den Wurzeln festhaltend und helle Flammen in sich bergend.

Ein Knecht mit verschiedenen Anliegen

Ein Knecht mit verschiedenen Anliegen.

Nach geraumer Weile tritt Dominik der Oberknecht ein und stellt sich ruhig wartend an den Tisch des Sattlers. Der Bauer liest noch ein wenig weiter, dann sagt er aufschauend:

»Du stehst heut Nacht um zwei auf und giebst Acht, daß gut gefüttert wird, besonders das Schwärzle, und vor Tag machst du dich mit dem Schwärzle Wellendingen zu. Du fahrst den Hennenweg über Jettingen, der Boden ist oben linder als auf der Landstraß und das Schwärzle hat weiche Klauen, du thust recht gemach und laßst dir Zeit. Daß du mir aber ja nicht über Nellingen fahrst; kannst deiner Mutter Bescheid geben lassen, daß sie zu dir nach Wellendingen kommt. Du ziehst dein Sonntagsgewand an und in Wellendingen im Apostel wartest auf mich, wenn ich noch nicht da bin.«

Ohne ein Wort zu sagen, will Dominik weggehen, da ruft ihm noch der Bauer nach:

[16] »Kannst dich auch freuen, du kriegst morgen eine Denkmünze, weil du jetzt schon bis Martini elf Jahr bei mir dienst.«

Dominik stolpert über einen Stuhl als er die Stube verläßt.

»Soll ich dir was mitbringen von Wellendingen?« fragt Dominik in der Küche beim Pfeifenanzünden das Ameile, und diese erwidert:

»Ich fahr' mit dem Vater. So? Gehst du auch hin?«

»Ja, und ich krieg' ein' Denkmünz und das Schwärzle vielleicht auch. Mensch und Vieh ist eins. Es ist nur schad, daß man die Menschen nicht auch verkaufen und metzgen kann.«

»Der Dominik thät bitter und sauer schmecken,« sagt die Großmagd, eine stämmige und handfeste Person, während ihr verliebter Blick sagt, daß ihr dieser grobe Witz keineswegs ernst war. Ameile aber setzt hinzu: »Es muß dich freuen, Dominik, daß du den Ehrenpreis kriegst. Wenn ich ein Dienstbote wär' –«

»Dann wärst du nicht des Furchenbauern Ameile,« unterbricht sie Dominik und geht davon, denn er hörte wie die Stubenthür sich öffnet. Die Bäuerin ruft Ameile in die Stube.

Bald kommt Ameile wieder, nimmt die kupferne Gelte und geht damit zum Brunnen. Die Nacht ist stille und sternlos, am Himmel jagen sich die Wolken, aus den Ställen vernimmt man das Kettenrasseln der Pferde, das Brummen der Kühe und Ochsen, ein lautes Zwiegespräch zwischen Knechten oder fremden Taglöhnern, das oft von Lachen unterbrochen wird,[17] und der Kühbub stimmt jetzt auf seinem Lager ein einsames Lied an.

Die Gelte ist schon lange bis über den Rand gefüllt und lauft über, aber noch steht Ameile mit auf der Brust über einander geschlagenen Armen träumend davor. Ein plötzlicher Windstoß macht den Hollunderbusch rauschen und sich beugen, der Brunnenstrahl wird seitwärts gebogen und Tropfen davon gerissen, die Ameile ins Gesicht spritzen, sie wischt mit der einen Hand die Tropfen ab und steht wieder still. Jetzt vernimmt man ein Geräusch in der Stallkammer, Ameile ruft den Kühbuben um ihr aufzuhelfen, aber statt des Gerufenen kommt Dominik.

»Holst noch Wasser?« sagt dieser die Gelte Ameile auf's Haupt hebend und sie erwidert:

»Ja, und weil du da bist, grüß' mir dein' Mutter und sag' ihr, ich schick' ihr mit Nächstem was.«

»Dank, weiß nicht, ob ich mein' Mutter seh.«

»Ja und wegen dem Ehrenpreis muß ich dir noch einmal sagen, du mußt dich mit freuen, du versündigst dich, wenn du's nicht thust. Ich freu' mich auch mit. Es ist ja auch eine Ehre für uns, daß du so lang bei uns bist, und sei nur recht stolz.«

»Freilich, freilich,« erwiderte Dominik, »gut Nacht.«

Ameile geht nach dem Hause, aber schon auf halbem Wege begegnet ihr die Mutter, die nach Dominik ruft und als dieser bei ihr steht ihm sagt:

»Du mußt morgen in Reichenbach anhalten und schauen was mein Alban macht. Wir haben seit der Heuet nichts von ihm gehört. Des Nagelschmieds Vreni [18] soll jetzt auch in Reichenbach bei ihrer Schwester sein, sag ihm, er soll doch von ihr lassen, dann wird wieder Alles gut.«

Dominik kommt endlich zu Worte:

»Der Bauer hat mir verboten über Reichenbach zu fahren, ich soll den Waldweg über Jettingen.«

»Geh du nur über Reichenbach. Du wirst schon eine Ausrede finden, und wenn alle Sträng' brechen, nehm' ich's auf mich; thu's mir zulieb und bring' mir Bescheid.«

Dominik zuckt die Achseln und antwortet: »Will sehen was zu machen ist.«

In dem Herzen dieses Knechtes gehen an diesem Abende seltsame Kämpfe vor. Er gesteht es sich selbst nicht und hütet sich wohl, es irgend eine Menschenseele merken zu lassen, daß er eigentlich seines Bauern Tochter liebt. Das ist ein unverzeihlicher wahnsinniger Uebergriff, und sowohl um sich selbst zu wahren als auch um als treuer Diener seines Herrn zu bestehen, sucht er jede Aeußerung dieser Zuneigung zu bekämpfen. Das hätte aber Alles nichts gefruchtet, wenn er nicht erwogen hätte, daß es ein unnützes und frevlerisches Spiel sei, das Kind – denn er betrachtete Ameile noch immer als Kind, weil er schon ein hochaufgeschossener Bub war, ehe sie noch in die Schule ging – das Ameile, das ihn wie einen alten Ohm ansah, mit solchen Dingen zu plagen, und wenn sie auch einst oder vielleicht morgen an einen Großbauern verheiratet wurde, so war's besser, sie hat nichts davon gewußt. Heute Abend in der Küche hat er sich aber doch etwas verrathen, und die Großmagd, die ihm allzeit nachstellt [19] und auflauert, hat ihn so verwunderlich angesehen, daß er sich darob ärgerte. Die morgige Preisbelohnung ist ihm auch zuwider. Diese öffentliche Schaustellung hat noch nicht die Form gefunden, in der sie wirklich volksthümlich wäre. Nun kommt noch der Kampf dazu, daß er nicht weiß, soll er dem Bauer oder der Bäuerin folgen; ersteres ist ihm doch genehmer, denn er hatte sich vorgenommen trotz des Verbotes nach Nellingen zu eilen und seine Mutter zu sehen, bei der er seit Weihnachten nicht gewesen war. Wenn er den Befehl des Herrn übertritt, wär's doch besser, das für sich zu thun als für Andere.

Ein Dienstbote ist doch allezeit angebunden, sein Leben und seine Tage gehören einem Fremden.

Im Zorn über dieses Gefühl der eigenen Abhängigkeit weckt Dominik mit Schelten und Püffen seinen Untergebenen, den Kühbub, der ein Sohn des Nagelschmieds ist, und befiehlt ihm die Nacht aufzubleiben, damit er zur Zeit wecke.

Auf dem Hofe ist es jetzt still und dunkel wie ausgestorben, der Halbmond blickt bald unter jagenden Wolken hervor und verschwindet schnell wieder, und die Häuser und Scheunen des Furchenhofes mit ihren schweren wie Kappenschilde überhängenden Strohdächern erscheinen wie unförmliche Felsengebilde. Die Hofhunde sind von der Kette gelassen und schleichen still und frei umher, legen sich bald da bald dort nieder und richten sich wieder auf bei jedem Geräusche. Der Kühbub geht hinab in den Hofraum und spielt mit den Hunden, um sich wach zu erhalten; der Türkle, ein rother Wolfshund, [20] ist zuthulich und leutselig, der Greif aber, ein schwarzer böhmischer Schäferhund, knurrt wenn sich ihm der Kühbub naht und selbst als er ihm ein Stück Brod reicht, ist dies verschwendet, er hat es in einem Schluck weg, bleibt aber unwirsch. Er ist wahrscheinlich stolz, sei es auf seine Wissenschaft, weil er kunstgerecht auf den Mann dressirt ist, oder auf seine Abkunft, denn er stammt mütterlicherseits von edler Rasse. Mitten in der sternlosen Nacht, in der Kameradschaft mit dem einen Hunde, geht dem Kühbuben eine glorreiche Zukunft auf. Er hat gehört, daß der Dominik einst auch als Kühbub auf den Hof gekommen war und der war jetzt Oberknecht und der nächste beim Bauer und bekam morgen eine Denkmünze. Solches kann ihm einstmals auch werden. Der zukünftige Oberknecht erlabt sich besonders an dem Gedanken, wie er dann seine Untergebenen strenge halten wolle, die mußten ihm auf den Pfiff gehorchen. Das ist eine Aussicht, die leicht wach hält. Bei der trüben Stalllaterne betrachtet der Kühbub die doppelgehäusige Taschenuhr des Oberknechts und gedenkt der Zeit, wo er einst eine solche zu eigen haben werde; ja er wagt es sogar, die Pfeife des Dominik in den Mund zu nehmen und kalt daraus zu rauchen. Und mitten in der Nacht steigt in dem barhauptigen Kühbuben ein großer Gedanke auf. Ein reicher Bauernsohn zu sein, das wäre doch noch besser als sich zum Oberknecht aufzuschwingen; da hat man nichts zu thun als gehörig zu wachsen, und wenn man groß geworden, hat man Haus und Vieh und Aecker von selbst. Warum haben's die Einen so leicht und [21] die Anderen so schwer? ... Das ist ein Räthsel, das der Kühbub noch nicht gelöst hat, als er den Dominik weckt, und nur das Eine hat er davon erobert, er läßt sich das rauhe Wesen des Oberknechtes leichter gefallen, denn er lacht ihn innerlich aus, er ist ja doch kein Bauernsohn und hat noch einen über sich.

Nächtige Rückerinnerung

Nächtige Rückerinnerung.

Noch als das Licht gelöscht war, hatte der Bauer seiner Frau gesagt, daß er auch hoffe, morgen für das Ameile einen rechten Bräutigam aufzubringen, die Frau hatte nichts geantwortet, denn sie betete still für sich und in ihr Gebet schloß sie einen Namen ein, den sie schon seit bald einem Jahre nicht vor ihrem Manne nennen durfte, es war Alban, seit dem Tode des Schmalzgrafen ihr ältester Sohn ...

In dem Hause, wo überall nichts als Fülle und vielgepriesener Wohlstand sich kundgab, wachte in stiller Nacht die Mutter und klagte um ihren Sohn, der in der Fremde als Knecht dient. Sie brach bald ab und wollte einschlafen, denn sie hatte auch eine wunderbare Macht über ihre Gedanken und konnte sich zwingen, Störendes und Unruhvolles zu verbannen. Wie zu lästigen Bettlern konnte sie jetzt zu Erinnerungen, die mit klagender Stimme an sie herantraten, barsch und doch wieder wohlwollend sagen: kann euch heute nicht brauchen, kommet morgen wieder, oder ein andermal – und sie gingen. Heute aber verschlug das nicht ...

[22] Das eigene Leben der Bäuerin durfte rasch an ihr vorüberziehen. Ohne Neigung, aber auch ohne Widerstreben hatte sie als reiche Bauerntochter den gleichbegüterten Furchenbauer geheirathet. In den bald vierzig Jahren ihrer Ehe hatte sie es nicht vergessen, daß ihr das herbe und schroffe Wesen ihres Mannes viel Herzeleid gemacht, aber sie hatte sich daran gewöhnt. Dennoch blieb sie dem oberländischen Wesen noch vielfach fremd. Auf einem großen einsamen Bauernhofe aufgewachsen, kam sie als Frau wieder in einen solchen, sie kannte wenig von der Welt, aber hier war doch Alles anders; sie stammte aus dem viel mildern geschmeidigern Unterlande, hier oben war Alles wie mit der Holzaxt zugehauen. Daheim auf Siebenhöfen hatte sie oft bei der Heuet im Thale die Flözer vom Schwarzwald auf dem Neckar mit einander schreien und fluchen hören, daß man meinte, sie hätten die gräßlichsten Händel und würden beim Zusammentreffen einander erwürgen und mit ihren Aexten das Hirn spalten, und am Ende war's nichts als ein tapferer Zuruf. So sah sie auch bald, daß viele Heftigkeiten in Haus und Hof nicht so bös gemeint waren, es gehörte eben zu der lauten »herrscheligen« Art und Weise der Menschen. So sehr sie aber dies erkannte, blieb sie doch diesem Leben fremd, sie hatte noch immer die Sitten ihres väterlichen Hauses im Sinne und wenn später ihre eigenen Kinder unbändig waren, sagte sie oft: »So sind halt des Furchenbauern.«

Dieses stete Rückschauen nach der Heimath, dieses Preisen derselben als eines allezeit friedsamen stillen[23] Paradieses, brachte in der ersten Zeit manches Zerwürfniß zwischen den Eheleuten, bis die Bäuerin endlich einsah, daß ihr Mann Recht hatte, wenn er ihr sagte: »Du glaubst, bei dir daheim hätten sie alle Gutherzigkeit in Beschlag genommen und des Schmalzgrafen hätten das Beßthaupt kriegt. Wenn's drauf ankommt, wirst schon sehen, daß wir auch ein Herz im Leib haben, grad so gut wie ihr.«

Und das war in der That der Fall.

Der Furchenbauer war offenbar ein rechter Mann, karg an Worten, aber arbeitsam von früh bis spät, pünktlich und auf Ehre haltend; er ließ seine Frau in ihrem Bereich gewähren, er wußte was sich für einen großen Bauernhof und für die Tochter des Schmalzgrafen schickte. In solchen Verhältnissen hat man überhaupt nicht lange mit Gemüthsangelegenheiten zu thun, der Tag hat seine hundertfältigen Pflichten; in einem solchen großen Anwesen gilt es überall zur Stelle zu sein, anzuordnen und selbst Hand anzulegen, und das ruhige Gefühl, Alles gehörig im Stand zu halten, und dazu noch ein gewisser Stolz der Herrschaft und des Besitzes füllt Alles aus.

Die beiden Eheleute lebten in Frieden und hielten einander in Ehren.

Es mag hart klingen, aber es ist doch wahr und erweist sich bei näherer Betrachtung auch milder: bei den Bauern, besonders aber bei den Großbauern, ist die Ehe vielfach nur ein Vertragsverhältniß in der ausgedehntesten Bedeutung des Wortes. Erkennen die Eheleute, daß die Verschiedenartigkeit ihrer Naturen sich [24] nicht zur Einigkeit verschmelzen läßt, so tritt ein gegenseitiges selbständiges Gewährenlassen ein. Hier wo die Hausfrau gleichmäßig mit dem Manne für den Besitzstand zu arbeiten hat, erfüllt ein Jedes den Kreis seiner Pflicht ohne weitere Anforderung. Die Arbeit für Erhaltung und Vermehrung des Besitzthums ist die Wesenheit des Lebens, dem die Heilighaltung des geschlossenen Bundes noch eine gewisse Weihe ertheilt, und kommen Kinder, so erblüht die Verträglichkeit auch wiederum oft zur Liebe.

Offene Zerwürfnisse oder gar Trennungen aus Mangel an Liebe kommen darum im Leben der Großbauern fast nie vor.

Nur selten, zu einem Jahrmarkt, zu einer Gevatterschaft oder Hochzeit verließ man den Hof, und die Bäuerin hörte überall mit Befriedigung, wie hochgepriesen sie und ihr Mann waren und wie sie als eine Zierde der ganzen Gegend galten, so daß es immer hieß: solche Bauersleute seien schon lange nicht in der Gegend gewesen. Die Bäuerin hörte solchen Lobpreis immer mit ruhigem Behagen an, sie hatte sich von ihrem Mann angewöhnt, auch kein übrig Wort zu reden. Nie kam es ihr in den Sinn, von ihrem Reichthum einen andern Genuß haben zu wollen als den, ihn zu erhalten und zu vermehren und wie sich's gebührt, den armen Leuten der Gegend ihre Gaben zukommen zu lassen. Die schwere Kriegszeit, die in den Anfang ihrer Ehe fiel, verschonte auch den Furchenhof nicht, ja sie brachte Noth und Gefahr. Gegen eine Einquartirung, die sich unziemlich gegen die schöne[25] Bäuerin benahm, fuhr Christoph mit der ganzen Heftigkeit seines Wesens auf und nur ein Zufall rettete ihn vom Todtschlage. Damals fühlte die Bäuerin recht deutlich, welch ein Mann der Furchenbauer war und in dem Gedanken, daß sie ihn hätte verlieren können, wie lieb sie ihn hatte. Nur das Einemal sagten dies die Eheleute einander und sonst nie.

Der Furchenbauer lebte ganz für sich, er schloß sich an Niemand an, er hatte keinen Freund, keinen Vertrauten; mit seiner Schwester und seinem einzigen Schwager, dem Gipsmüller, lebte er in oberflächlicher Beziehung, die sich nachmals durch einen Streit in gegenseitiges einander Vergessen verwandelte; nicht einmal mit seiner Frau beredete er was er vorhatte, er war eine einsame Natur, ohne Anhänglichkeit und ohne Abhängigkeit, man kann fast sagen: er selber war ein geschlossenes Gut.

Es kamen mehr Kinder als sonst in einem solchen Bauernhofe gewöhnlich ist. Der Bauer war oft unwirsch; wenn er aber den Neugeborenen auf den Armen hielt, war er seltsam weich und liebevoll. Vier Kinder lagen auf dem eine Stunde weit entfernten Kirchhofe, drei Söhne und Ameile waren geblieben, der Alban war nach dem Schmalzgrafen der älteste, Vinzenz der jüngste. Da wurde abermals ein Sohn geboren, und als zwei Tage darauf Vinzenz mit dem Vater vom Kornmarkt heimfuhr, sagte der kecke Bursche:

»Vater es ist ein' Schand und Spott und Ihr solltet Euch auch schämen wie ich, daß ich noch ein kleines Brüderchen bekommen hab'.« Der Furchenbauer [26] ward über diese Rede so wild, daß er ihn niederwarf und ihm mit dem Peitschenstiel so in's Gesicht hieb, daß er ihm ein Aug' ausschlug.

Das war ein Jammer, als der Vater mit dem einäugigen Sohn heimkam und in derselben Stunde war das kleine Brüderchen gestorben, dem die Wehmutter noch die Nothtaufe gab.

Es war nun ein seltsam zerstörtes Leben auf dem Furchenhofe. Der alte Bauer lebte in Unfrieden mit sich und mit der Welt, er schlug die Augen nieder wenn er den Vinzenz sah, den er so jämmerlich verletzt hatte und verhätschelte ihn auf allerlei Weise. Der Vinzenz zeigte jetzt ein herrisches und tückisches Wesen und lebte in stetem Hader mit seinem ältern Bruder Alban, der bis jetzt, so weit es ging, der natürliche Herrscher des Hauses gewesen war. Denn Alban war zu Allem anstellig und allezeit aufgeweckt und wußte besonders gut mit den neuen Pflügen, Häckselschneide- und Säemaschinen umzugehen, die der Furchenbauer angeschafft hatte, da er den Ruhm eines aufgeklärten Landwirthes besitzen und es gern so weit es seinem Vortheil entsprach, den studirten und adeligen Gutsbesitzern der Gegend gleichthun wollte. Jetzt schien Alles auseinanderzufahren, Niemand war mehr recht bei der Arbeit; aber ein festgefugtes Anwesen hat so viel innere Stetigkeit, daß es auch ohne besondere Leitung noch eine Weile seinen geregelten Gang fortgeht; und dazu kam noch, daß Dominik sich jetzt in seiner ganzen Verständigkeit und Treue zeigte: er ließ die drin im Hause zanken und schelten und sorgte unermüdlich dafür, daß [27] Alles in Feld und Stall und Scheunen gehörig vollführt wurde. Der Furchenbauer fand endlich einen glücklichen Ausweg. Alban hatte schon oft gewünscht, in eine Ackerbauschule einzutreten, jetzt ward ihm das gewährt. Kam diese Gewährung auch für Alban etwas zu spät, er ließ sich doch auf Zureden der Mutter, der Schwester und des Dominik zu deren Annahme bewegen, und nach seinem Weggang schien auch wieder Friede und Ruhe im Hause zu herrschen. Nur sah man den Furchenbauer oft heimlich knirschen, der Vinzenz schien ihn allerwege zu quälen und seine Befehle zu verhöhnen, und so reichlich er ihm auch gegen seine Gewohnheit Taschengeld gab, er war damit nie zufrieden und man mußte bald da bald dort Schulden für ihn bezahlen und allerlei böse Streiche vertuschen. Vinzenz hatte es Niemand gesagt, wie er um sein Auge gekommen war, die Drohung damit gegen den Vater ward eine ergiebige Quelle für allerlei Gewährung. Endlich schien auch dies sich beizulegen, Vinzenz wurde arbeitsamer und häuslicher und der Furchenbauer eröffnete seiner Frau, daß er sich entschlossen habe, dem Vinzenz einstmalen das Gut zu übergeben, der Alban sei ein aufgeweckter Bursche, der sich leicht durch die Welt bringen und eine reiche Lehnbesitzerin erobern könne; denn die meisten großen Bauerngüter waren oder heißen noch Lehen. Die Mutter hatte nichts dagegen einzuwenden, in ihrer Heimath war es ohnedies Sitte, daß nicht der Aelteste sondern der Jüngstgeborne das väterliche Erbe erhielt und den anderen Geschwistern eine nothdürftige Abfindung ausbezahlte. Sie ahnte wohl, daß diese [28] Neuerung hier zu Lande und besonders bei Alban nicht so glatt abginge, aber sie beschwichtigte ihre Sorge, ja sie freute sich vollauf der nun wieder herrschenden Eintracht; sie war eine kluge und behagliche Frau, die die Freude des heutigen Tages nicht mit Kummer um kommende Zeiten verscheuchte.

Der Völkerfrühling und ein flammendes Jünglingsherz

Der Völkerfrühling und ein flammendes Jünglingsherz.

Zu Lichtmeß 1848 kehrte Alban wieder auf den väterlichen Hof zurück. Die Mutter hatte ihre Freude an dem schönen Burschen und betrachtete ihn oft, als wäre er ein Fremder. Die braunen Haare, die nur am ovalen Hinterkopfe ganz glatt geschoren waren, trug er auf dem breiten Oberhaupte gescheitelt. Wie leuchtete die weiße Stirne, doppelt hell über dem sonnverbrannten Antlitze mit dem braunen Schnurr- und Knebelbarte, wie glänzten die braunen Augen, die er so hoch aufschlug, daß man unter den tief hereinstehenden Brauen gar kein Augenlid sah. Er trug ein nach vorn geöffnetes kurzes graues Burgunderhemd, die sogenannte Blouse, und alle seine Bewegungen, jeder Schritt, jede Stellung und Wendung war allezeit geschlossen und mit gesammelter Kraft, Alles machte den Eindruck der Frische und straffen Jugendlichkeit. Die Mutter hatte nicht allein ihre Freude an dem schönen Sohne, wer auf den Hof kam, konnte sein nicht Rühmens genug finden und die ganze Gegend war stolz auf ihn. Die Mutter hatte es vollkommen getroffen, [29] wenn sie nach dem landesüblichen Ausdruck sagte: »Mein Alban ist ein waidlicher Bursch,« denn mit waidlich bezeichnet man das Hurtige wie das Jugendfrische.

Begriff und Wort Jüngling sterben jetzt allmälig fast aus: Alban war noch ein Jüngling in der frischen Bedeutung des Wortes, kindlich hingebend und hell aufflammend. Er war in dem Jahre seiner Abwesenheit fast jünger geworden. Er hatte ein freies Behaben aus der Fremde mitgebracht, das aber heimathlich anmuthete. Er hatte fremde Gedanken mitgebracht wie auch fremde Lieder, die man ihm bald auf dem Hofe nachsang, aber zum Ruhme seiner Lehrer wie seines eignen Naturells muß gesagt werden: er hatte sich in keinerlei Weise der Heimath entfremdet, sein Wesen hatte nur etwas Sonntägliches und das paßte ganz zu dem neuen glorreichen Sonntag, der jetzt über der Welt aufgegangen war. Einstimmig wurde Alban zum Leitmann gewählt, als man, von dem noch jetzt unerklärten Franzosenlärm geschreckt, sich vorerst mit gestreckten Sensen bewaffnete. Auch Dominik war mit unter den Bewaffneten, der Furchenbauer hatte ihm ausdrücklich die Erlaubniß gegeben.

Wie oft stand die Mutter mit Ameile hinter dem »Käppele« und schaute nach dem Thal, wo ihr Sohn wie ein Feldherr regierte, oder sie ging gegen ihre Gewohnheit am Werktage nach dem Thal, um in der Nähe zu sehen wie ihr Sohn commandirte, und mit Hülfe des Dominik und des Nagelschmieds, eines ehemaligen Soldaten, der als Häusler und Taglöhner auf dem Hellberge wohnte, militärische Ordnung einübte. Wenn [30] er dann mit der schwarzrothgoldenen Schärpe angethan mit ihr nach Hause ging, sagte sie ihm oft: »Du könntest Offizier sein,« und dann erzählte er ihr von der Schweiz, wohin er mit dem Lehrer und den Genossen eine landwirthschaftliche Reise gemacht hatte und wo die reichen Bauernsöhne Offiziere seien, das ganze Jahr nach Pflicht arbeiteten und nur zu den alljährlichen Uebungen einrückten. Die gute Frau ließ oft der freudige Gedanke nicht schlafen, daß ihr Alban Offizier sei.

Der Furchenbauer sah die Erwählung seines Alban doppelt gern und zog daraus manchen trostreichen Gedanken, den er aber in sich verschließen mußte.

Schon die Erwägungen, die bei der Wahl der Führer in Dörfern und Städten zu Tage kamen, zeigten eine gewisse Unentschiedenheit der Gemüther, die sich bald im großen Ganzen kenntlich und verderblich darstellte. Es herrschte die allgemeine Stimmung, daß der Nagelschmied als ehemaliger Soldat und redlicher gescheiter Mann Führer sein sollte; man sah das wohl ein, aber man wollte doch auch wieder einen Mann von Ansehen, der auch Bedeutung hatte. Die Parteien vereinigten sich zuletzt und um Allem gerecht zu sein, wählte man keinen Hofbauern, sondern den Sohn eines solchen und Alban war nach Stellung und Persönlichkeit dazu am geeignetsten.

Auf dem Hofe standen Knechte und Mägde oft bei einander und der Hauptgegenstand ihres Gespräches war der Alban, wie der so gut und zutraulich gegen Jedermann sei und selbst der Kuhbub wußte Lobendes von ihm zu erzählen, Alban hatte ihm versprochen, daß er [31] Trommler werden solle und er übte sich einstweilen mit zwei Stücken auf dem Melkkübel. In die Dienstleute schien ein unruhiger Geist gefahren: unversehens standen Mehrere bei einander und plauderten von allerlei Abenteuerlichem, von einer ganz neuen Welt, die jetzt anfange. Auf der ersten Volksversammlung, die man erlebte und die in Wellendingen gehalten ward, hatte ein Advokat öffentlich ausgerufen: »Die ganze alte Welt wird jetzt auf den Abbruch versteigert.« Dies Wort wurde von einsamen Wanderern über Berg und Thal getragen, man glaubte daran wie an einen Bibeltext und manche Predigt wurde darüber gehalten. Der Furchenbauer zankte oft über diese »Ständerlinge;« aber behutsam, diese Unruhe, die in alle Menschen gefahren war, däuchte ihm nicht geheuer. Es war ihm nur lieb, daß sein Sohn Anführer war, das schützte ihn gegen das Räubervolk, denn als solches betrachtete er jetzt alle Nichtbesitzenden, die sich in der That jetzt die kecksten Waldfrevel ungeahndet erlaubten und kein Förster hatte Muth gegen sie. Dem Alban folgten die Dienstleute auf einen Augenwink und mit dem größten Eifer. Ohne besondere offizielle Erklärung wurde der Thronfolger Alban jetzt Mitregent und der Dominik, der zum Oberknecht ernannt war, erster Minister. Der Furchenbauer mußte bekennen, daß Alles gut von statten ging, wenn ihm gleich die vielen freundlichen Ansprachen an Dienstleute und Taglöhner nicht gefielen; aber es war jetzt eine neue Welt. Hätte Alban jetzt das väterliche Gut von ihm verlangt, er hätte es ihm geben müssen, trotzdem er dem Vinzenz mit Handschlag versprochen, [32] ihn einzusetzen und darauf mit ihm das Abendmahl genommen hatte. Alban dachte an nichts weniger als an derlei Dinge. Er fühlte wohl, daß sein einäugiger Bruder, der nicht gleich ihm in der Fremde gewesen war, sich bedrückt fühlen und neidisch gegen ihn sein mußte; er behandelte ihn daher trotz seines unwirschen Gebarens mit zuvorkommender Liebe und wo er nur konnte, stellte er ihn voran und ließ ihn Befehle ertheilen. Vinzenz ließ sich das gefallen, er verschloß in sich hinein die Gedanken und Plane, daß wieder andere Zeiten kommen werden, wo der Alban froh sein werde, wenn er ihn als Verwalter oder Knecht zu sich nehme. In der Kammer, wo die beiden Brüder schliefen, herrschte Friede und Eintracht. Vinzenz sprach wenig, desto mehr aber Alban und wenn der Vater nach seiner Gewohnheit, von der er nicht lassen konnte, manchmal an der Thür horchte, ging er kopfschüttelnd weg. Der Alban offenbarte allezeit ein so grundklares lauteres Gemüth und war dabei so geschickt und welterfahren, daß es ihm manchmal leid that, ihn nicht in das Gut einsetzen zu können; der würde einen Hof hinstellen, wie landauf und landab keiner zu sehen war. Er tröstete sich aber wieder damit, dem Alban könne es nicht fehlen, sich eine reiche Lehnbesitzerin zu holen, die fürnehmste, die er wolle; der Vinzenz aber war vom Vater verstümmelt und konnte sich ohnedieß nicht selber helfen.

Jenes wonnige Beben, das damals die gedrückten Herzen in ganz Europa durchzitterte, jene freudige Ahnung, daß die Zeit der Noth und der Ehrlosigkeit[33] vorüber sei, machte sich damals auf dem Furchenhofe und in der Umgegend in eigenthümlicher Weise geltend. In Wald und Feld, mit Axt und Pflug in der Hand, schaute Jegliches oft plötzlich aus, als müßte ein Wunder kommen, ein neues Erlösungswerk, das auf einmal Alles richte und schlichte.

Es war die Zeit der Zeichen und Wunder, alle Sehnsucht und alle Verheißung, die mehr oder minder klar in den Gemüthern ruhte, sollte ihre Erfüllung finden; die Erlösung war da für die hochstrebenden, die ganze Menschheitentwicklung erfassenden Geister, wie auch für diejenigen, die in beschränkte Gesichtskreise eingeschlossen waren.

Die Hoffnung, daß eine Zeit gekommen sei, in der man seines Schweißes froh werde, bildete sich oft abenteuerlich aus. Oft wenn Einer in verborgener Thalschlucht oder tief im Walde arbeiten mußte, überkam es ihn plötzlich wie ein jäher Schreck, daß er jetzt den Triumphzug versäume, der die Heerstraße dahinzieht und Alles glückselig macht. Die Taglöhner sprachen oft wild durcheinander wegen Vertheilung der Allmend und des Gemeindewaldes, wegen Erhöhung des Tagelohnes und Kürzung der Arbeitszeit, und mancher lang verwundene und halb vergessene Schmerz kam an den Tag. Alban sprach da und dort mit beredtem Munde und hatte einen hülfreichen Beistand an dem verständigen Nagelschmied, der mit seiner Tochter Vreni auf dem Furchenhof als Taglöhner arbeitete. Der Nagelschmied hieß nur noch so, aber er war es nicht mehr. Noch vor wenigen Jahren hatte er im Sommer als [34] Taglöhner auf den benachbarten Höfen gearbeitet und im Winter Nägel geschmiedet, wobei ihm seine Frau und seine Goldfuchsen, wie er seine Kinder mit röthlichbraunem Haare nannte, halfen, und besonders die zweitälteste Tochter Vreni zeigte eine große Kunstfertigkeit. Durch ein Verbot der Regierung wurde ihm dieß Gewerbe untersagt, weil es nach dem Buchstaben des Gesetzes nicht unter die freien Gewerbe gehörte. Vreni hatte das Strohflechten erlernt, und so oft sie zur Feldarbeit ging oder von derselben heimkehrte, sah man sie mit grobem Geflechte beschäftigt; zu dem feineren waren ihre Hände durch die Feldarbeit und die frühere Thätigkeit in der Werkstätte ungeschickt geworden.

Jetzt hoffte der Nagelschmied wieder sein Gewerbe aufnehmen zu dürfen, und Alban versprach, ihm zur Anschaffung des Handwerkszeuges, das er in der Noth verkauft hatte, behülflich zu sein.

Auf dem Furchenhofe wurde allzeit mit doppelter Lebhaftigkeit und unter Lachen und Singen gearbeitet, Jeder war lustig ohne zu wissen warum und ohne weiter darnach zu fragen. Im Frühling, wo gerade die härteste Nothzeit ist, da die Wintervorräthe aufgebraucht sind, vertheilte Alban freiwillig Korn als Vorschuß unter die Taglöhner und der alte Furchenbauer mußte ihm trotz der Widerrede Recht geben; denn andere Großbauern wurden zu Dem gezwungen, was er freiwillig gethan hatte und wofür er nun Dank erhielt.

Alban und der Vater ritten einst zu der großen Versammlung in Wellendingen, die der Candidat für die Stelle eines Reichstags-Abgeordneten anberaumt[35] hatte. Alban war auf dem Heimweg ganz erfüllt von den feurigen Worten, die er vernommen, er hatte zum Erstenmal unter freiem Himmel befreiende Worte gehört und mit eingestimmt in den tausendstimmigen Jubel. Als er auf dem Heimweg sein Herz gegen den Vater ausschüttete und endlich sagte: er müsse dem Volksmann seine Stimme geben, sagte der Vater:

»Ja, das thu' ich auch. Man muß jetzt mitthun.«

»Und ich mit,« rief Alban.

»Ja so,« fuhr der Vater fort, »du stimmst ja auch? Das hab' ich fast vergessen. Freilich es ist ja jetzt Alles gleich, Vater und Kind und wer was hat und wer nichts hat; es ist All eins. Ich bin froh, daß ich tief in den Sechzig bin, das ist kein' Welt für mich; die Bettelleut dürfen nicht mitreden, der Nagelschmied darf nicht mitstimmen wie ich.«

Alban schwieg, er traute sich's nicht zu, seinen Vater zu anderer Ueberzeugung zu bringen; auch war er an die natürliche und altherkömmliche Oberherrlichkeit des Vaters gewöhnt und wagte es nicht ihm geradezu zu widersprechen.

Man würde indeß dem Furchenbauer schwer Unrecht thun, wenn man einen gewissen Freimuth desselben in Zweifel zöge.

Der Bauer auf Einzechten – wie man die weit auseinanderliegenden geschlossenen Güter nennt – ist ein ganz anderer, als der in den Dörfern lebt. Die Alles in ihr Netz spannende neue Regierungskunst, oder vielmehr Polizeikunst hat nur eine lose Verknüpfung mit solchen einsamen Höfen und nur selten betritt ein[36] Diener der Obrigkeit die oft einen großen Theil des Jahres unwegsamen Pfade, welche dahin führen. Dadurch bildet sich in dem Hofbauer die eine Seite des freistaatlichen Lebens: das Gefühl der Unabhängigkeit und dessen eifersüchtige Wahrung mächtig aus. Die Markscheide, wo die Unabhängigkeit zu Eigensucht wird, tritt nur selten zu Tage. Hat die Büreaukratie aus den Bürgern in Städten und zusammenhängenden Dörfern jeden Gemeinsinn, jede Selbstthätigkeit für's Allgemeine allmälig gründlich ausgetrieben, so ist der einsame Bauer draußen oft gar nie dazu gekommen.

Unser Furchenbauer galt von jeher als ein Liberaler und er war dieß auch nach dem bisher gewohnten Begriff. So oft er mit den Beamten in Berührung trat, war er stolz und zäh. Wenn er aufs Amt kam, sagte sein Gang, seine Miene: »Was seid denn ihr Schreiber gegen mich? Ich bin der Furchenbauer,« und nur Einmal vertraute er in sonst nie vorgekommener Offenherzigkeit dem Hirzenbauer von Nellingen einen Geheimgedanken mit den Worten: »Die Beamten haben doch weit mehr Respekt vor Einem, der kein unterthäniger Jamensch ist, wenn sie ihn auch nicht leiden mögen.« Dazu kam, daß trotz seines Stolzes ihm die Vertraulichkeit der angesehenen Männer aus der organisirten liberalen Partei wohlthat; er duzte sich mit mehreren Advokaten und sogar mit dem ausgetretenen Geheimrath, der trotz seines Liberalismus doch beharrlich Geheimrath betitelt wurde. Der Furchenbauer hörte sich gern als freien Mann rühmen, der nach Niemand was zu fragen habe, er sprach bei den Wahlversammlungen [37] nie öffentlich und kaum mit einem Nachbar, aber bei der Abstimmung war er fest und sicher.

Jetzt war eine andere Zeit gekommen. Freilich war es schön, daß zwei von den Duzbrüdern des Furchenbauern jetzt Minister waren. Damit sollte aber auch die Welt zufrieden sein, und unerträglich war's, daß jetzt Jeder die Keckheit hatte, auch ein Liberaler sein zu wollen; das ist doch etwas, was nur Leuten zusteht, die nach Niemand was zu fragen haben, wie kommt so ein Häusler dazu? Und himmelschreiend war's, daß jetzt auch ein Kind, das noch keinen Kreuzer eigen Vermögen besaß, mitstimmen durfte wie der Vater.

Diese Wahrnehmungen machten den Furchenbauer oft unwirsch, aber er verschloß seinen Widerstreit in sich. Nur Einmal gab er ihn kund, indem er Alban befahl und als dies nichts half, ihn sogar bat, von seinem Stimmrechte keinen Gebrauch zu machen; aber Alban ließ sich das nicht nehmen, er hatte von der Volksversammlung das Schlagwort mitgebracht: »Wehrpflicht, Wahlrecht;« und was er einmal in seinem Herzen aufgenommen, ließ er nicht mehr los. Alban war bei der Volkswehr und ein Jubeltag war es für ihn, als er zum Erstenmal im Leben seine Stimme abgab. Vinzenz hatte dem Vater willfahrt und darauf verzichtet.

Freies Gut, freies Brod, und ein Blitz vom Himmel

Freies Gut, freies Brod, und ein Blitz vom Himmel.

Im Laufe des Sommers kam ein Ereigniß, das auch den alten Furchenbauer plötzlich für die neue Zeit [38] gewann. Der Furchenhof war noch von Altersher ein sogenanntes Erblehen, auf dem mancherlei Lasten und Abgaben ruhten; jetzt durften diese allesammt abgelöst werden. Der Hof, den man nahezu auf hunderttausend Gulden schätzen durfte, wurde durch die Ausbezahlung von sechstausend Gulden freies Eigenthum, an dem Niemand mehr irgend einen Rechtstitel hatte. In baarem Geld brachte der Furchenbauer die Summe auf das Kameralamt und kam doppelt glückselig und freudestrahlend wieder, denn er hatte in der Stadt gehört, daß fortan auch die adeligen Gutsherren unter dem Schultheiß stehen wie jeder Andere.

»Jetzt bin ich so viel wie ein Baron und ich schaff' mir jetzt für unser Käppele eine Glock' an, ich darf's jetzt so gut wie ein Baron; ich brauch' Niemand darum anfragen,« sagte der Furchenbauer zu seiner Frau und seinen Kindern und strich sich behaglich mit der breiten Hand über die rothe Brustweste. Er ging lächelnd und behend durch Ställe und Scheunen, auf die Felder und in den Wald und betrachtete Alles neu, als grüßte er's erst jetzt als sein rechtes Eigenthum. Vinzenz zuckte mit dem einen Auge als der Vater am Abend zu ihm und Alban sagte:

»Ihr Buben kriegt's besser als wir's gehabt haben, ihr seid Freiherren.«

»Ja, und jetzt darf man mit dem Hof schalten und walten wie man will,« setzte Vinzenz hinzu.

»Vor der Hand bleib' Ich noch ein' Zeitlang Freiherr, Punktum,« schloß der Vater und keiner der Söhne wagte mehr ein Wort zu reden; sie mußten es schon [39] als eine Gnade ansehen, daß der Vater so viel mit ihnen gesprochen hatte.

»Der Professor aus der Volksversammlung hat Recht gehabt,« sagte Alban halb für sich, »es darf keine Grundherren mehr geben, nur noch einen Himmelsherrn.«

Der alte Furchenbauer antwortete nichts hierauf.

So lange schon dieser Boden die nährende Frucht hervorbringt und von Geschlecht zu Geschlecht sättigt, wurde die Sichel gewiß noch nie freudiger gehandhabt als in diesem Jahre, und der erste Garbenwagen, den Dominik vierspännig in den Hof einführte, war bekränzt und ihm nach jauchzten Schnitter und Schnitterinnen. Alban hätte gern den ersten Garbenwagen unter dem Gesang aller Arbeitenden in den Hof geleitet, aber das ging jetzt in der hohen Ernte nicht an. Wenn auch das Wetter ständig schien, durfte man doch keine Minute Zeit verlieren; denn nur was man glücklich unter Dach oder in Feime und Stadel hat, darf man erst recht sein Eigen nennen. Der Vater hätte es nicht geduldet, daß man Zeit damit verlor, einen Kranz zu winden, und darum war es klug von Vreni, daß sie einen fertigen Kranz mitgebracht hatte.

Der alte Furchenbauer sah scheel dazu, aber er sagte nichts, als Alban an einem Nagel des Scheunenthores ein Papier aufhängte, die Garben beim Abladen zählen ließ und die Summe auf das Papier verzeichnete; er wollte dem Alban den unschuldigen Stolz gönnen, die neue Art zu zeigen, die alles Erträgniß buchte. [40] Noch war der eine Wagen nicht abgeladen als schon ein anderer vor der Scheune hielt und so ging es fort bis zum Abend; Mensch und Thier war in rastloser Thätigkeit und vor Allem schien sich die Kraft und Behendigkeit Albans zu vervielfältigen. Er war überall.

Die Sonne war schon hinabgesunken und nur noch leichte rothe Wolkenstreifen standen ruhig über den blauen Waldbergen und kündigten für morgen einen gleichen gesegneten Tag, als man für heute den letzten Garbenwagen einführte, und hinter ihm sangen Schnitter und Schnitterinnen helle Lieder und die Lerchen über den Feldern erhoben sich nochmals zum letzten Abendsang. Alban ging unter den Taglöhnern und sang mit, seine Stimme tönte rein und hell; er hatte auf der Ackerbauschule nach Noten singen gelernt, war aber den Weisen seiner Heimath in nichts fremd geworden, er stimmte mit doppelter Lust ein in den Gesang, der von Natur sich vierstimmig setzte. Seine Stimme und die Vreni's begannen stets.

Jeder der Vreni sah mußte gestehen, daß sie eine frische und anmuthende Erscheinung war, wenn Mancher auch die Zartheit ihrer Gesichtsfarbe auf Rechnung ihres braunen röthlich glänzenden Haares schrieb, das ihr wie allen Kindern des Nagelschmieds die Bezeichnung der Goldfuchsen gegeben. Niemand aber ersah Vreni so schön als Alban. Wenn er seinen Blick auf sie richtete, erglühte ihre Stirne, sie senkte das Auge in Demuth, aber aus ihrem ganzen Angesicht leuchtete es wie eine Strahlenglorie. Jetzt beim Singen hielt sie zum Erstenmal seinen Blick unverwandt mit offenem [41] Auge aus, aber Alban wendete sich plötzlich von ihr ab und ward still. Sein Blick war fest auf den Garbenwagen geheftet: der brachte das erste Brod des wahrhaft freien Mannes und das Auge Albans leuchtete hell, denn er dachte der Männer, die dort in der alten Reichsstadt die Ernte einthun, rathen und helfen, daß Freiheit und Wohlstand allüberall sei. Noch einmal jauchzte er hellauf als man in den Hof einfuhr.

Nach dem Abendessen ging es erst recht lustig her, denn es kam ein Mann, der mit dem Athem seines Mundes Alles tanzen und springen machte. Auf dem Hellberge in der ehemaligen Nagelschmiede wohnte das alte Müllerle, genannt »die Obedfüchti« (Abendfeuchtigkeit) weil es in der Regel in der Dämmerungsstunde vor den Bauernhäusern erschien und die Klarinette blies. Die Obedfüchti arbeitete nicht und sorgte nicht und war doch allzeit lustig und wohlauf. Vor Zeiten war das Müllerle ein Kamerad des Geigerlex gewesen und war auch ein Nachkomme jenes närrischen Musikanten, der am Felsen beim Hellberge sein Leben vergeigte und wovon der Fels noch immer den Namen: des Geigerle's Lotterbett hat.

Auf dem Furchenhofe war die Obedfüchti bei Alt und Jung beliebt und ging nie leer aus.

»Die Obedfüchti! die Obedfüchti!« schrie Alles, als man jetzt Klarinettenton vom Hofe hörte und trotz der Ermüdung von der Arbeit wurde noch in der Tenne getanzt.

Alban war auch hier der unermüdlichste, aber obgleich seine hübschen Basen, die beiden Töchter des Gipsmüllers, auch dazu gekommen waren, tanzte er[42] doch fast ausschließlich mit der Vreni, der Tochter des Nagelschmieds. Vinzenz hinterbrachte dem Vater, daß Alban im Jubel der Vreni zugerufen habe, sie müsse Bäuerin auf dem Furchenhof werden. Der Vater hatte schon lange bemerkt, daß Alban mit der Vreni Etwas habe, er hatte nichts dagegen, daß sein Sohn mit dem, wie er selbst gestehen mußte, »bildsaubern Mädle« seine Lustbarkeit trieb, das darf ein reicher Bauernsohn; aber was soll ein solches Geschwätz?

Bevor Alban schlafen ging, rief ihn der Vater zu sich und sagte ihm:

»Ich will dir ein für allemal zu wissen thun: mach' mir mit der Vreni keinen so Spaß mehr.«

»Was hab' ich denn than?«

»Du hast ihr gesagt, sie muß Bäuerin auf dem Furchenhof werden. Das geht über den Spaß. Oder willst's leugnen?«

»Nein, es kann sein, daß ich's gesagt hab'.«

»Du hast's gesagt. Punktum. Und so ein Spaß darf nicht mehr vorkommen.«

»Nein,« schloß Alban und ging tiefathmend die Treppe hinauf. Hatte er bei der ersten Probe seine Liebe verleugnet? Bei aller innigen Hingebung, bei aller leicht beschwingten Freudigkeit lastete doch ein geheimer Druck auf dem Herzen Albans, der sein scheinbar so entschlossenes und festes Wesen in stillen Stunden zaghaft und zweiflerisch machte. Nicht sowohl das Hauswesen als die ganze starre Art des Vaters war ihm bei der Heimkehr fremd und unerträglich. Der Lehrer in der Ackerbauschule hatte ihm beim Abschied an's Herz [43] gelegt und die Mutter fast mit denselben Worten das Gleiche wiederholt, er möge in Liebe und Demuth die altgewohnte Weise des Vaters aufnehmen und ihm dankbar und erkenntlich sein, auch wo ihm seine Art widerstrebe. Wäre Alban in ruhigen Zeiten wieder in das elterliche Haus eingetreten, vielleicht wäre ihm das leichter gelungen, aber auch jetzt wollte er vor Allem ein gehorsamer und ehrerbietiger Sohn sein. Er sagte sich nun, daß die Vreni alles für Scherz nehmen müsse und es war ja auch nicht mehr, und der Vater hatte Recht: solch ein Verhältniß taugte nicht für ihn, er mußte einst eine Frau haben, von deren Vermögen er bei Uebernahme des Hofes die Geschwister auszahlen konnte. Dennoch war Alban am andern Tage unlustig zur Arbeit und erbat sich vom Vater die Erlaubniß, nach Wellendingen zu einer Volksversammlung zu gehen, auf der eines Bauern Sohn, der Lorenz von Röthhausen, genannt Lenz die rothe Weste, oder auch die gestreckte Sense, durch seine kernigen und schlagfertigen Worte Alles entzündete.

Widerwillige und ungläubige Hörer würde man heut zu Tage finden, wenn man die Reden und Schicksale dieses Bauernjünglings erzählen wollte; der Hauch der Zeit hatte ihn mit einem Prophetengeist angeweht, wie uns ein Gleiches nur von alten Zeiten berichtet wird und er besiegelte seine Sendung mit dem Märtyrertode. Damals riß er alle Herzen in unwiderstehlicher Gewalt fort. Alban fühlte bei den Reden des Lenz alles Blut in seine Wangen treten und oftmals ergriff es ihn, als würde er von einem Sturm davon getragen, er wollte [44] auch hinauf auf die blumenbekränzte Rednerbühne, er mußte – aber er bezwang sich doch und vor Allem im Gedanken an seinen Vater. Der Lenz mußte in anderen Verhältnissen stehen, der Furchenbauer hätte es seinem Sohne nie verziehen, wenn er es gewagt hätte, vor aller Welt hinzutreten und sich geltend zu machen; er sagte es oft: die Jungen müssen schweigen und zuwarten in Dingen, in denen nur die Alten mitreden dürfen. Mitten im Sturm seiner Gefühle beugte sich Alban der gewohnten väterlichen Gewalt, er schluckte die Worte hinab, die er auf der Zunge hatte.

Es schien fast nicht möglich, daß Alban noch mächtiger ergriffen werden könnte als von der Rede des Lenz von Röthhausen, und doch war es so. Unter allgemeinem Jubel trat nach dem Lenz von Röthhausen ein ehemaliger Offizier mit vornehmem Namen auf und die Worte, die er sprach, glühten von einer höheren Weihe, die Alban fast kirchlich erschien; in der That wiederholte der Redner auch oft die Bibelworte: »Kain! Wo ist dein Bruder Abel?« Er griff die bisherige Erbfolge im Güterbesitz an und zeigte deren gräßliche Verderbniß und Ungerechtigkeit. »Der Schweiß deines Bruders, den du dir zum Knecht machst, der Schweiß deines Bruders schreit wider dich zum Himmel und die Stimme deines Gewissens muß rufen: Kain, wo ist dein Bruder?«

Jetzt drängte es Alban nicht mehr zum Reden, in ihm sprach es immer: »Kain, wo ist dein Bruder?«

Alban war ein Gemüth, das dem empfangenen Eindruck sich widerstandlos hingab und kein Hinderniß[45] und keinen Einwand anerkennen mochte, wo es die heilige Pflicht galt, dem Rechten zu gehorsamen. In den feurigen Worten, die er heute vernommen, erwachte es plötzlich in ihm, in welch schmählicher Verwahrlosung die ganze Welt steht, wie Bruder den Bruder vergißt, sich gütlich thut im eigenen Wohlstand und den Nebenmenschen verkommen läßt. Wäre jetzt wie zu jenem reichen Jüngling in der Schrift, ein Heiland zu ihm getreten und hätte ihm geboten: gieb hin Alles was du dein nennst – er wäre ihm mit Freude gefolgt. Der Pächter des Sabelsbergischen Gutes in Reichenbach hat nachmals oft erzählt, wie leuchtend das Antlitz Albans war, als er eine Strecke mit ihm von der Volksversammlung heimging und plötzlich stehen blieb und die Worte ausrief: »Es geht doch nicht anders, man muß Alles hergeben.« Er wurde still und traurig bei den Einreden, aber noch am andern Morgen sagt er glühenden Antlitzes dem Vater: »Vater, das ist fest und heilig bei mir, wenn ich das Gut übernehm', zahl' ich meinen Geschwistern heraus, was das Gut wirklich werth ist; es ist bis jetzt viel zu gering angeschlagen.«

»Wart's ab, du kannst dich wieder anders besinnen,« sagte der Vater, worauf Alban aufflammend entgegnete: »Ich werd' nie ungerechtes Gut haben.«

Alban war erst spät heimgekommen, er behauptete so lange in Wellendingen gewesen zu sein, er hatte sich aber auf dem Hellberg bei des Nagelschmieds Vreni aufgehalten.

[46]

Von kleinen Leuten und schweren Gedanken

Von kleinen Leuten und schweren Gedanken.

Des Menschen Herz ist, wie es heißt, trotzig und verzagt und unerforschlich in seinen Widersprüchen. Weil Alban vor aller Welt der unsichtbaren väterlichen Gewalt sich gebeugt hatte, sprach er sich wiederum davon frei in Dingen, die nur ihn allein angingen, und gleichsam als Lohn seiner Unterwürfigkeit streifte er dieselbe ab, folgte dem Drange seines Herzens und die Erregung, die noch in seinem Gemüthe nachzitterte, ergoß sich in feuriger Liebe zu Vreni auf dem Hellberg. Dort unter freiem Himmel hatten es heute Tausende gehört und im Innern nachgesprochen, daß Arm und Reich, Hoch und Nieder gleich sei, Alban machte es zu einer Wahrheit. Dennoch war noch Tage und Wochen lang genug Bauernstolz und Furcht vor dem Vater in ihm, daß er oft innerlich zitternd einherging, er zitterte vor dem, was mit ihm geschehen war. Wenn Vreni auf dem Hof als Taglöhnerin arbeitete, scherzte er nicht mehr mit ihr; er befolgte in dieser Weise das Verbot des Vaters, aber aus ganz anderen Gründen. Seine innere Liebe und das demüthige und doch so hohe Wesen Vreni's ließen ihm jeden Scherz als eine Entwürdigung und Rohheit erscheinen, zumal da das Mädchen in seiner untergeordneten Stellung sich dagegen nicht hätte auflehnen dürfen und nur dem Spotte der Genossinnen ausgesetzt war. Der kecke allzeit wohlgemuthe und singende Alban hatte jetzt oft etwas Scheues und träumerisch in sich Versunkenes; er, der sonst allezeit [47] wie gerüstet und schlagfertig war, schrack jetzt oft plötzlich zusammen, wenn man ihn unversehens anrief. Um diese Schwermuth loszuwerden, ging jetzt Alban mehr denn je den Lustbarkeiten nach, der Vater gab ihm nicht unerkleckliches Handgeld dazu, denn er sah dadurch allmälig die Herrschaft wieder in seine Hände zurückkehren. Alban bedurfte dieses Handgeldes nicht, denn er war reichlich damit versehen, er hatte sich nicht dazu bringen können, gleich anderen Bauernsöhnen karger Väter Korn zu stehlen und zu verkaufen; seit Jahren lieh ihm Dominik seinen vollen Lohn, und obgleich er es wegen seiner Tauglichkeit vollkommen verdiente, war dies doch ein nicht ungewichtiger Grund, daß Dominik zum Oberknecht befördert und der vertraute Genosse Albans wurde. Alban hatte oftmals das aufrichtige Verlangen, sich Vreni aus dem Kopfe zu schlagen, ja er sah sich forschend unter den reichen Töchtern der Gegend um, denn er erkannte die Nothwendigkeit, den Hof von seinen Geschwistern abzulösen und war dabei fest entschlossen, ihn nur zum vollen Werth zu übernehmen. Es durfte nur eine Verirrung sein, daß er je im Ernst an des Nagelschmieds Tochter gedacht. So gewichtige Gründe er aber auch in sich zu befestigen trachtete, und so sehr er sich auch eifrig unter den ebenbürtigen Töchtern des Landes umschaute, er konnte sich trotz mancher Zuvorkommenheiten nie entschließen, und von allen Lustbarkeiten blieb die beste immer die, daß er auf dem Heimwege bei Vreni auf dem Hellberge einkehrte.

Der Winter ging schnell vorüber, die wundersamen [48] Schauer, die im Frühling alle Herzen ergriffen hatten, waren längst verweht. Die Freiheit wurde nicht in Einem Sommer gezeitigt und der Landmann vor Allem ist nicht geneigt, sich auf ein längeres Warten einzulassen. Man fand sich allmälig in das altgewohnte Herkommen. Alban war nur noch Einmal auf einer Volksversammlung im Apostel zu Wellendingen gewesen, er hatte jene bekannten Herabwürdigungen des Reichstages gehört und nur daraus entnommen, daß Alles aus sei. Er mußte sich stillschweigend manchen Hohn des Vaters gefallen lassen, dem er nichts erwiedern konnte, auch wenn ihn die kindliche Unterwürfigkeit nicht daran gehindert hätte.

In diesem Winter vollführte Alban eine Arbeit, auf die er nicht wenig stolz war, über die indeß der Vater lächelnd den Kopf schüttelte. Alban entwarf nämlich mit verschiedenen Farben eine Karte des ganzen Hofgutes: Berg und Thal, Feld und Wald und alle Wege waren darauf genau angegeben. Es war allerdings kein Meisterstück, aber Alban verdroß es doch, daß der Vater sagte: das sei unnütz. Die Mutter lobte ihn indeß dafür um so mehr, sie ließ die Karte einrahmen und hing sie in der Stube auf und nicht ohne Stolz hatte der Urheber: »Alban Feilenhauer gez.« darunter geschrieben.

Einst gegen den Frühling, Alban hatte sich vorgenommen, daß dieß das Letztemal sein solle, war er wieder auf dem Hellberg, da erzählte ihm der Nagelschmied, daß sein Großvater es von seinem Vater gehört habe, wie vor Zeiten der Hellberg ein großer[49] Bauernhof gewesen sei, drauf lebte eine Familie, die allzeit feindselig mit denen auf dem Kandelhof war, bis der Urahne Albans die einzige Tochter vom Hellberge heirathete und beide Höfe zu einem machte. Der Nagelschmied setzte noch hinzu, daß auch die Obedfüchti von einer reichen Bauernfamilie abstamme, der Ahne aber habe Alles, man wisse nicht warum, vernachlässigt und drunten am Felsen den ganzen Tag Geige gespielt.

Als Alban heimwärts ging, war es ihm immer als spräche ihm Jemand in's Ohr: »Das ist ein Doppelhof, das waren einst zwei Höfe, dein Vater will nicht leiden, daß du den Hof bekommst und die Vreni heirathest, gut, so zerreiß' es wieder, nimm den Hellberger Hof für dich und die Deinigen, das muß er thun.« Alban war aber doch auch wieder ein stolzer Bauernsohn, berechtigt zu dem großen und ganzen Erbe, er warf den Gedanken weit hinter sich, die Hälfte seiner Habe leichtfertig zu opfern und doch kam ihm wieder zu Sinn, daß der Nagelschmied und die Obedfüchti ja auch von reichen Bauern abstammten, warum sollte nicht eines von des Nagelschmieds Kindern wieder zu reichem Besitzthum gelangen? Alban sah weit hinaus in die Zukunft, wie einst auch erblose Nachkommen, die von ihm abstammten, zu Taglöhnern wurden, Vreni sollte glücklich sein, ... aber die Schwiegereltern, die Schwäger und Schwägerinnen waren eine beschwerliche Last. –

Dort, wo eine auf Stützen umgelegte Tanne den Weg einhegt, dort wo der Fels jählings in's Thal abspringt, den man des Geigerles Lotterbett nennt, wo drunten der Bach rauscht, den jetzt die Schneewasser[50] schäumend erfüllen, dort stand Alban lang an das Geländer gelehnt und träumte hinein in die dunkle Nacht und in die ferne Zukunft. Die ganze Welt stand still und nur der Bach rauschte und manchmal war's, als ob mitten unter Rauschen und Brausen die längst verstummten Saiten des Geigerle tönten. Das war nur ein dünner Wasserstrahl, der klingend aus einer Felsenschrunde rann.

Endlich machte sich Alban entschlossen auf mit dem festen Vorsatz, diesen Weg nie mehr in solchen Gedanken zu beschreiten; er war ein großer Hofbauer und war verpflichtet, eine Neigung in sich zu bekämpfen.

»Wenn ein Großbauer sich auch noch eine Frau nach reiner bloßer Herzensneigung wählen dürfte, dann hätten ja die Reichen Alles auf der Welt, Gut und Geld und alle Herzensfröhlichkeit auch noch dazu. Das wär' zu viel, drum ist's vertheilt; die Einen haben dies, die Andern haben das, und des Vaters Wille muß gelten: ein Großbauer hat vor Allem daran zu denken, daß die Familie in alten Ehren bleibt.« Das waren die Gedanken, mit denen Alban sein stürmisches Herz zu beschwichtigen suchte.

Theils durch die Anlage seiner Natur, hauptsächlich aber durch sein Verweilen außer dem elterlichen Hause hatte sich Alban Kenntnisse und Lebensanschauungen angeeignet, die ihr Förderndes, aber auch ihre Zwiespältigkeiten in ihm und mit seiner gewohnten Umgebung zu Tage brachten. Schon die ernstliche Neigung zu Vreni und die Erwägungen hierüber waren ein Ergebniß davon und der vollbrachte Sieg hätte ihn vielleicht [51] lange in Widerstreit mit sich gehalten, wenn nicht sein Stolz noch mächtiger gewesen wäre; und vor Allem beschäftigten ihn vielfache Neugestaltungen der ganzen Bewirthschaftung. Der Vater ließ ihn jetzt aber nicht mehr schalten wie er wollte und gab ihm nur in Kleinigkeiten nach, die er als große Gunst darstellte.

Alban hatte einen dreischarigen Felgpflug angeschafft und bearbeitete damit eine schon im Herbst abgerodete und umgepflügte Waldstrecke, er spannte jetzt zwei junge Stiere hinter einem vorausgehenden Pferde an den Pflug. Noch nie hatte man hier zu Lande Stiere an die Feldarbeit gewöhnt, man bediente sich dazu der zahmen Ochsen. Der Vater lachte Alban über den neuen Versuch aus, den dieser in der Schweiz gesehen und hier nachahmen wollte, aber nach viel Mühe und Schweiß gelang es ihm, und die wilden Thiere fügten sich in die Arbeit.

Der alte Furchenbauer war trotz vielen Scheltens doch stolz auf seinen Alban und auf dem samstägigen Fruchtmarkt in der Stadt, wenn er bei dem gräflich Sabelsbergischen Pächter in Reichenbach saß, sagte er oft: »Der Alban braucht gar nichts; der Bauer, dem ich den Alban für seine Tochter gebe, der muß mir noch Geld herauszahlen.«

Die Zügel in fremder Hand

Die Zügel in fremder Hand.

Am Ostersonntag fuhr der Furchenbauer mit seiner Frau, den beiden Söhnen und Ameile nach der über[52] eine Stunde entfernten Kirche. Auf dem Heimweg, da wo von der Landstraße ab der eigene Weg nach dem Hofe beginnt, stieg der Vater ab und befahl auch Alban ein Gleiches zu thun und Vinzenz die Zügel zu übergeben.

Es giebt ganz gewöhnliche Ereignisse, die oft so seltsam berühren, daß man sich einen Grund dazu gar nicht erklären kann. Alban hat nachmals oft erzählt, daß ihn der Befehl, die Zügel abzugeben, im Innersten erschreckt habe, ohne daß er wußte warum. Vinzenz nahm ihm mit einem so raschen Griff die Zügel aus der Hand und der sonst so gewandte und behende Alban stieg so ungeschickt ab und verwirrte seine Füße in die Zügel, daß er fast zu Boden fiel.

Kann sein, daß Alban sich Alles was diesem Ereigniß folgt, erst später so bestimmt ausdeutete, genug, er stand auch jetzt eigenthümlich erschüttert vor dem Vater, der nach einer Weile begann:

»Alban, es ist Zeit, daß du jetzt für dich selber zu bauern anfangst.«

»Wie Ihr meinet, Vater, ich hab' glaubt, Ihr wollet warten, bis das Ameile versorgt ist.«

»Das ist mein' Sach'. Es ist gescheiter du heirathest jung, ich bin ein bisle zu spät dazu kommen, ich möcht' aber doch noch mit meinen lebendigen Augen sehen, wie's meinen Kindern geht.«

»Und ich will Euch thun was ich Euch an den Augen absehen kann,« betheuerte Alban und hielt vor innerer Bewegung still, der Vater aber schritt fürbaß, knurrte etwas vor sich hin und sagte endlich:

[53] »So ist's nicht gemeint. Ich geb' den Löffel nicht aus der Hand bis ich satt bin. Du hast nichts für mich zu sorgen. Kurzum, heut Nachmittag kommt der Kornmesser Spitzgäbele, er hat mir auf dem letzten Fruchtmarkt gesagt, daß er dir eine rechtschaffene Wittfrau weiß, drüben im Gäu, mit einem Gut so groß wie das meinige und die Aecker noch viel besser, und sie hat nur ein einziges Kind und das hat sein abgetheiltes Vermögen. Du spannst unsre beiden Fuchsen an's Bernerwägele und fahrst mit dem Spitzgäbele nüber und besiehst dir die Gelegenheit.«

»Aber Vater, warum soll ich denn aus dem Haus? Wer kriegt denn unser Gut?«

»Der dem ich's geb'. Das Sach' ist mein.«

»Wer ist denn der älteste?«

»Still sag' ich, du hast nichts zu fragen. Ich kann nicht nur Mulle, ich kann auch Kuz sagen 1. Nein, horch, bleib' ein bisle stehen und laß mich ausschnaufen. Guck Alban, ich hab' viel auf dich gewendet, du bist ein Kerle, der sich sehen lassen kann, du bist mein Augapfel gewesen ... Ich brauch' dich beim Teufel nicht fragen, du mußt thun was Ich will ... Nein, horch, der Vinzenz ist freilich der jüngere, aber guck, da, da, du hast deine zwei Augen ... Du Heidenbub, guck mich nicht so an, du mußt thun was Ich will. Red' mir kein Wort. Still sag ich. Du bist jetzt freilich der Aelteste, aber das Gut ist jetzt auch frei, ich kann mit thun was ich mag. Ich kann's verlumpen. Alban,[54] sei gescheit und folg' mir ohne Widerred'. Mit Einem Wort. Der Vinzenz kriegt den Hof. Punktum. Alban, jetzt folg' mir, ich will dich nicht verkürzen, er muß dir 'rausbezahlen, daß du dir einen Hof frei machen kannst. Sei brav und folg' mir, das Kind muß dem Vater gehorchen, so steht's geschrieben und so ist's von je gehalten worden. Alban, folg' mir oder ich renn' dir ein Messer in Leib und wenn ich selber darüber zu Grund geh. Da, gieb mir die Hand, die Hand her! Du fahrst mit dem Spitzgäbele 'nüber und machst, daß du den Hof kriegst. Mach mir keine Sprüng'! Du kennst mich noch nicht. Ich rück' die paar Jahr an dich, die ich noch zu leben hab', aber komm, du folgst mir. Punktum.«

Alban hatte die Hand dargereicht, sein Vater hielt sie fest umklammert wie eine Zange, sei es daß er der Betheuerung Nachdruck geben oder seine Kraft noch beweisen wollte. Der Vater sah schauerlich aus. Seine Lippen zogen sich völlig einwärts und seine Augen quollen weit heraus. Alban sah ihn so mitleidig und unterwürfig an, daß der Vater jetzt mit dem Kopf schüttelte und die Augen niederschlug. Alban war in diesem Augenblicke so von Kindesliebe und gewohntem Gehorsam überwältigt, daß er trotz des Sturmes, der in ihm waltete, dem Vater noch aufrichtig versprach, willfährig zu sein. Er hatte ihm Anfangs nur zum Schein und um ihn zu begütigen, gehorchen wollen, jetzt war es sein aufrichtiger Wille. Schweigend gingen Vater und Sohn bis zu dem Hof, der Alte hatte auf Einmal einen raschen festen Tritt. Alban hatte etwas [55] von der Mutter geerbt im stillen Bewältigen störender Gedanken, er ließ es nicht in sich aufkommen, daß er ausgestoßen würde vom väterlichen Hause, so weit war es ja nicht; er war nicht umsonst in der Welt gewesen, er wußte, daß man auch anderswo leben kann, und es war seine Pflicht, einen Versuch zu machen, dem Bruder, der einem so traurigen Geschick verfallen war, das Gut zu überlassen und so ihm zu helfen; ja er dachte daran, daß der Schmalzgraf noch leben und ledig sein könnte und dann hätte er als jüngerer Bruder ja ohne Widerrede auf den Besitz des Hofes verzichten müssen.

Als man in den Hof eintrat, stand Vinzenz an die Stallthüre gelehnt und pfiff lustig. Alban glaubte in seinem Gesichte eine Siegesmiene zu finden, ja er bemerkte, daß Vinzenz den Vater fragend ansah und dieser mit dem Kopfe nickte. So war also was jetzt geschehen sollte, längst beschlossen, der Vater hatte das dem Einäugigen versprochen, und während Alban emsig und friedfertig daheim war, war er schon längst ausgestoßen? Grimmige Wuth erfüllte Alban, er wollte widerrufen, daß er dem Vater zulieb nur einen Schritt aus dem Haus thue. Schon zweimal hatte man ihn zum Essen gerufen, er stand wie festgewurzelt auf dem väterlichen Boden, den Blick zur Erde geheftet und die Fäuste geballt. Als endlich die Mutter kam und ihn lobte, daß er sich wieder als guter Sohn beweise, schaute er wie höhnisch auf, er verschloß aber seine Gedanken: man hatte ihn betrogen, er wollte Gleiches mit Gleichem vergelten; er faßte den Vorsatz, dem Vater zum Scheine [56] zu willfahren, er kannte die unerschütterliche Oberherrlichkeit seines Vaters und wollte ihn nun auch überlisten und auf seinem Rechte bestehen. Bei Tische war Alles wohlgemuth und noch während des Essens kam der Kornmesser Spitzgäbele. Er drängte zur Eile und Vinzenz half selbst die beiden Fuchsen einspannen und der Vater gab Alban noch seinen eigenen neuen Mantel mit und befahl ihm wiederholt, etwas draufgehen zu lassen und sich als Sohn des Furchenbauern zu zeigen. Nur die Mutter sagte noch leise zu Alban:

»Vergieb dich nicht, du bist uns noch nicht unwerth und hast nichts zu eilen. In keinem Fall mach's fest, eh' ich sie auch gesehen hab'; ich kenn' die Familie wohl, aber das Weib kenne ich nicht. Fahr' auf dem Heimweg über Siebenhöfen und sieh was dein Bruderskind macht, kauf unterwegs was und bring's ihm.«

Lustig knallend fuhr Alban davon und der Furchenbauer, der ihm nachsah, sagte zu seiner Frau:

»Wenn ich ein' einzige Tochter hätt' und wüßt einen Burschen wie den Alban, ich thät nicht ruhen, bis er mein Schwiegersohn wär'.«

Fußnoten

1 Mulle ist ein Ausdruck beim Schmeicheln, Kuz beim Verscheuchen einer Katze.

Die Brautfahrt

Die Brautfahrt.

Alban fuhr indeß mit dem Spitzgäbele, einem lustigen alten Männchen mit lauter Falten im Gesicht, ruhig die Pferde lenkend den abschüssigen Weg hinab, dabei hörte er die Lobeserhebungen des Kupplers über den Eichenhof.

[57] »Und wie ist denn die Bäuerin?« fragte Alban keck. Es ist schade, daß die Personalbeschreibung, die Spitzgäbele jetzt aushülste, nicht mitzutheilen ist; er schilderte mit einem schmatzenden Behagen, daß ihm das Wasser davon im Munde zusammenlief. Alban lachte darob aus vollem Halse und that überaus lustig, und als er nach der Gemüthsart der Bäuerin fragte, gab Spitzgäbele seinen Bescheid wieder mit einem so saftigen Scherze, daß Alban abermals laut auflachte.

Vor einer geschmückten Frauengestalt, die am Wege ging, standen die Pferde plötzlich still, Alban wollte schon mit der Peitsche ausholen, da rief Spitzgäbele: »Halt!« und zu der abgekehrten Frauengestalt gewendet:

»Mädle wohin?«

»Gen Reichenbach, Gevatter stehen.«

»Willst mitfahren?«

»Dank' schön.«

»Komm nur 'rauf. Halt doch Alban. Mädle, du kannst auf meinen Schooß sitzen.«

Das Mädchen war Niemand anders als Vreni, sie stieg nach wiederholter Ermahnung, wobei Alban beharrlich schwieg, auf und setzte sich auf den Habersack hinter dem Sitz, wobei Spitzgäbele Mancherlei zu rühmen hatte.

Alban fuhr wildrasend dahin, er fuhr zur Freiet und hinter ihm saß Vreni. Er fuhr doppelt rasch, damit Spitzgäbele nicht mit seinen Scherzen fortfahren konnte.

Vor Reichenbach bat Vreni, daß er anhalte, und behend war sie vom Wagen gesprungen. Jetzt erst[58] sprach Alban das erste Wort mit ihr indem er sie fragte:

»Bei wem stehst Gevatter?«

»Bei meiner Schwester.«

»Mit wem?«

»Mit meinem Vater. Mein Schwager hat Niemand anders finden können, es ist das siebente Kind.«

»Da, bring' das als Gevatterschenk von mir,« sagte Alban, langte in die Tasche und holte ein groß Stück Geld. Vreni wollte es nicht annehmen, Alban aber warf es hin, daß es zu Boden fiel und fuhr rasch davon. Spitzgäbele konnte sich nicht enthalten zu fragen:

»Ich hab' gemeint, du kennst das Mädle gar nicht. Wem gehört's denn?«

»Es ist des Nagelschmieds Tochter, ihr Vater taglöhnert bei uns und ihr Bruder ist unser Kühbub,« sagte Alban und es war ihm als brennten ihm die Lippen, da er diese Worte sprach.

»So?« spottete Spitzgäbele, »vielleicht gar ein heimlicher Schatz von dir? Das hat gar nichts zu sagen. Die Bäuerin hat mir selber bestanden, sie sei gar nicht eifersüchtig, aber natürlich gescheit mußt sein. Das versteht sich.«

Alban fuhr immer mehr seinem Ziele zu und bei jedem Schritte wäre er gern umgekehrt. Nur Einmal sagte er zu Spitzgäbele:

»Ihr müsset mir vor meinem Vater bezeugen, daß nicht ich die Vreni auf den Wagen genommen hab', aber Ihr.«

[59] »Ich thät noch was Anderes auf mich nehmen. Ich weiß mehr als das von den Großbauern. Ich könnt' sieben Wochen lang davon erzählen.«

Einstweilen begann Spitzgäbele allerlei lustige Geschichten zum Besten zu geben. Alban hörte ihn kaum, er rückte seinem Ziel immer näher und war in Gedanken doch nur in Reichenbach bei Vreni und ihrer Schwester; er dachte darüber nach, ob sie wohl sein Gevatterschenk hergebe, gewiß, sie ist ja gescheit und wird sich mit den Ihrigen davon einen lustigen Tag machen. Tief in die Seele schnitt es ihm, wenn er darüber nachdachte, welch ein schreckliches Loos das sei, daß man nicht einmal mehr einen Gevatter für ein Kind finde und des Nagelschmieds stammten doch auch von reichen Hofbauern. Der genehme Schluß dieser Betrachtung aber war doch: darum muß man dafür sorgen, daß man nie in Armuth geräth.

Im Dorfe vor dem Eichhofe, wo man mit einbrechender Nacht einkehrte, hörte Alban aus dem dunkeln Stall heraus einen Knecht zu einem andern sagen:

»Das ist gewiß wieder ein Freier für die Eichbäuerin, ich bin froh, daß ich ein Knecht bin und mich nicht zu verkaufen brauch'.«

Der Spitzgäbele verstand den Alban gar nicht, als er jetzt am Ziel angelangt, wieder umkehren und gar nicht auf den Eichhof gehen wollte. Nur die Erwähnung des Vaters brachte Alban dahin, daß er sich endlich bewegen ließ, wenigstens auf den Eichhof zu gehen. Auf dem Wege bedauerte Spitzgäbele, daß es Nacht sei und Alban die schönen fetten Aecker nicht[60] sehen könne; das sei ein Boden, der gar keinen Dünger brauche. Der Weg war grundlos und eben das wurde als Zeugniß des fetten Bodens gedeutet. Alban schwieg, er fühlte sein Herz klopfen. Man näherte sich dem Hofe, da rief eine Stimme durch die Nacht: Vreni! Vreni!

Gerade dieser Ruf erschütterte jetzt Alban, daß es ihm war, als müßte er in den Boden sinken. Eine Stimme antwortete auf den Ruf: »Ich komm' gleich.« Auch die Stimme war ähnlich.

Als wäre er verzaubert, fast taumelnd trat Alban in den Hof und als er in die Stube trat fuhr er sich mit der Hand über die Stirn. Es war ja wieder als ob Vreni hier wäre, nur war diese hier wohlbeleibter und sah trotziger drein.

Spitzgäbele machte die Vorstellung leicht und sprach, da noch mehr Leute da waren, von einem Roßhandel. Die Frau, die Vreni so ähnlich sah, hatte denselben Namen und war die Bäuerin.

Alban ließ sich nicht lange zum Sitzen nöthigen, die Kniee brachen ihm fast. Er schaute sich in der Stube um, Alles war stattlich und anheimelnd und in ihm war es wie ein Ausspruch der Gewißheit, daß er hier sein Lebensziel gefunden habe.

Sehr häufig machen die Menschen gerade die verzwicktesten Gesichter, wenn diese von einem betrachtenden Auge aufgenommen oder gar abgemalt werden sollen. Der Gedanke, das jetzt diese Formen selbständig und dauernd festgehalten werden, prägt eine Erschlaffung oder eine unnatürliche Spannung in ihnen aus. In ähnlicher Lage war jetzt Alban, er wußte nicht, [61] sollte er unter dem Forscherblick der Bäuerin die Augen niederschlagen oder erheben. Zu großem Glück schmiegte sich ein großer schwarzer Schäferhund, der in der Stube war, an ihn, und Alban hatte nun Etwas, womit er sich beschäftigen, wobei er auf-und niederwärts blicken konnte. Die Bäuerin bemerkte nicht ungeschickt, daß Alban ein guter Mensch sein müsse, da der fremde Hund so zutraulich gegen ihn sei. Alban schwieg und dabei blieb er, selbst als die Dienstleute sich aus der Stube entfernt hatten und zuletzt auch Spitzgäbele wegging und ihn mit der Bäuerin allein ließ. Diese fragte ihn nun, ob er das Kind seines verstorbenen Bruders in Siebenhöfen besuchen werde und als Alban ohne einen weiteren Zusatz antwortete: »Ich hab's im Sinn,« zeigte sich plötzlich eine seltsame Bewegung in der Bäuerin; sie stand auf, setzte sich aber gleich wieder und fuhr fort, Kartoffeln zu schälen für die morgige Frühsuppe. Sie sprach noch Manches mit Alban, besonders über sein elterliches Haus und über seine Hieherreise und abermals – Alban wußte nicht warum – kam sie auf seinen Besuch bei seinem Bruderskinde zu sprechen. In allen ihren Reden offenbarte sich ein verständiges und gutes Herz, Alban war damit zufrieden, und heiterer als er sich's gedacht hatte, kehrte er mit Spitzgäbele wieder in das Wirthshaus zurück. Er durchforschte mit unbefangenem Blick die große Wirthsstube und saß noch lange bei dem Wirth, er sah sich schon im Geist an manchen Abenden vom Eichhofe hieherwandern, um wieder fremde Menschen zu sprechen und unter ihnen zu sein.

[62] Am Morgen war es Alban wieder etwas bange, er fühlte sich wieder wie in die Fremde verstoßen, er sollte sein Leben in ferner Einsamkeit verbringen; hier kannte er Niemand und daheim hatte Jedes ein freundliches Wort für ihn. Spitzgäbele lachte ihn aus, da er offen klagte, er sei so voll Heimweh und banger Besorgniß, daß er weinen möchte wie ein Kind. Spitzgäbele erklärte dieß als das natürliche Beben vor einer großen Freude, und wußte das Glück Albans wieder so hoch zu preisen, daß dieser selber es nicht mehr verkennen konnte.

Alban hatte aus Trotz gegen seinen Vater und eigentlich um ihn zu täuschen, sich zu dieser Brautfahrt entschlossen, und jetzt sah er sich davon gefesselt. Als er aber im hellen Morgen mit seinem Gefährten den nächtlich beschrittenen Weg dahinging, als die Lerchen so jubelnd sangen über den grünen Feldbreiten, die Spitzgäbele als sein künftiges Eigenthum pries, und besonders auf das Winterfeld zeigte, das so gut angeblümt war und hie und da schon buschig zu werden begann, da wurde es Alban fast bräutlich jubelvoll zu Muthe. Wenn die Eichbäuerin am Tag so schön war wie sie am Abend erschien, so konnte sich nicht leicht eine mit ihr vergleichen. Nochmals stellte sich des Nagelschmieds Vreni vor die Erinnerung Albans, aber er sagte sich, daß er sie nicht hätte heirathen können, auch wenn er Bauer auf dem Furchenhofe geworden wäre, der Vater hatte Recht; und abermals lebte die Kindesliebe und der Gehorsam in Alban auf und er fühlte sich im Tiefsten erquickt im Gedenken an die [63] Freude, die sein Vater an der Verlobung haben müsse, und es erschien wohlgethan, daß Vinzenz, der beschädigt genug war, den väterlichen Hof erhielt. Die Lerchen sangen nicht lustiger in der blauen Luft als die Freude über alle diese Gedanken im Herzen Albans jauchzte.

Heiter glänzenden Antlitzes trat er in den Eichhof und aus dem Grunde seines Herzens sagte er mit heller Stimme der Bäuerin »Guten Morgen« und streckte ihr die Hand entgegen; sie reichte ihm nur die Linke, sie trug ein wohl kaum zweijähriges Kind auf dem Arm, das sich vor den Männern erschreckt und schreiend umwandte und sein Gesicht am Halse der Mutter verbarg. Diese hieß die beiden Männer sich setzen und suchte das Kind zu beschwichtigen, Alban tief anschauend sagte sie zu dem Kinde: »Peterle, wenn du umguckst und eine Patschhand giebst, schenkt dir der Vetter da ein Gutle, das er dir mitbracht hat.«

Alban schaute verdutzt drein, er hatte es ganz vergessen und es fiel ihm jetzt schwer auf's Herz, daß er Vater eines fremden Kindes sein sollte; er war jedoch willigen Herzens genug, um dem Kinde jede Liebe zu erweisen. Jetzt wurde ihm auf Einmal klar, warum die Bäuerin am Abend so oft von dem Kinde seines verstorbenen Bruders gesprochen hatte. Während er aber schweigend darüber nachsann, sah ihn die Bäuerin nochmals mit großen Augen an, dann verließ sie mit dem Kinde die Stube und ging in die Kammer. Nach einer Weile, in der man hörte, wie sie das Kind abküßte, rief sie Spitzgäbele zu sich und sagte ihm:

[64] »Ich komm nimmer in die Stub', ich will euch so Ade sagen.«

»Warum? Was ist?«

»Der junge Furchenbauer soll sich eine andere suchen. Ich hab' gemeint, er wird von seinem Bruderskind her wissen, was ein verlassenes Kind ist. Es ist nicht so. Sitzt er gestern den ganzen Abend da und fragt nicht nach meinem Kind, und heut' hat er ihm nicht für ein Kreuzers Werth mitgebracht. Eh ich so Einen nehm', bleib' ich lieber allein.«

Spitzgäbele bemühte sich mit allen möglichen Einreden, aber die Bäuerin blieb dabei: »Es kann brav sein, ich hab' nichts gegen ihn, aber wir passen nicht zu einander.«

Zweimal mußte Spitzgäbele seine Worte wiederholen, als er bei Alban eintretend ihm sagte, er möchte mit fort gehen, die Sache sei aus.

Wie taumelnd ging Alban davon, er hörte im Hofe Knechte und Mägde lachen – das konnte nur ihm gelten. Die Lerchen auf dem Wege sangen im gleichen Jubel, aber Alban hörte sie nicht, sein Athem ging rasch, er ballte die Fäuste und erhob kaum den Blick; er schämte sich vor seinem Begleiter, der die Absageworte der Bäuerin wiederholte und dann gegen seine Gewohnheit schweigsam neben ihm ging.

Ohne nochmals in die Wirthsstube einzutreten, spannte Alban an, aber er mußte innerlich fluchend mit dem Leitseil in der Hand lange auf Spitzgäbele warten. Man war nüchtern nach dem Eichhofe gegangen, man wollte bei der Braut sich gütlich thun; Spitzgäbele brachte [65] sein verspätetes Frühstück auf fremde Kosten sattsam ein. Mitten im Zorn und Ingrimm spürte auch Alban einen Hunger, daß er meinte, er fresse ihm das Herz ab, aber in solchen Momenten tritt leicht zu dem vorhandenen Schmerz noch eine Selbstquälerei; Alban freute sich fast an dem körperlichen Ermatten, das er fühlte, seine Wangen glühten und er träppelte hin und her wie die Fuchsen, die muthig scharrten. Endlich kam Spitzgäbele noch schmatzend, und wie aus dem Rohre geschossen flog der Wagen davon. Alban fuhr nicht, wie er sich Anfangs vorgenommen, über Siebenhöfen, um nach seinem Bruderskinde zu schauen, ja er war diesem fast böse, denn es war Schuld an seiner Schande; er fuhr geradewegs wieder heimwärts. Im nächsten Dorf kehrte er ein und der Wein schien ihm sehr zu munden; ja er wurde ganz lustig, und jetzt offenbarte sich eine eigenthümliche Folge seiner Abweisung. Vor Allem war er voll Zorn gegen seinen Vater. Er gedachte nicht mehr, wie er ihn hatte täuschen wollen, sondern nur wie er auf dem Morgengange nach dem Eichhofe ihm zulieb sich hatte in die Heirath fügen wollen, und laut auflachend kam ihm plötzlich ein guter Gedanke: er war nicht abgewiesen, er hatte das Nichtzustandekommen beabsichtigt und darum vorsätzlich gethan, als ob gar kein Kind da wäre; der Furchenhof gehöre ihm, er sei der älteste, er lasse sich nicht davon vertreiben.

Als er das gegen Spitzgäbele herauspolterte und dieser sein Gesicht in noch mehr Falten zog, wurde Alban plötzlich gewahr, daß er sich verrathen und seine besten Handhaben abgebrochen habe; es war ja viel [66] besser, wenn er sich als gehorsamen Sohn, der tief gekränkt war, hinstellte. Er suchte daher einzulenken, aber Spitzgäbele hielt ihn fest und Alban mußte sich alle Mühe geben, Etwas zu zerstören, was im Voraus unwahr gewesen und er nur im tollen Uebermuth ausgeheckt hatte. Er mußte dem Spitzgäbele, der ihm ein Abscheu war, alle guten Worte geben und jetzt selber wieder darauf drängen und hoch und heilig betheuern, wie sehr er durch die Abweisung beschimpft und verunehrt sei. Zuletzt mußte er sogar noch bekennen, daß ihm Recht geschehe, daß die Eichbäuerin eine rechtschaffene Frau und Mutter sei, er aber sich hartherzig und unklug benommen habe und alle Schuld, die auch Spitzgäbele hatte, weil er ihn nicht daran erinnerte, nahm er gern auf sich. Er schenkte von dem mitgenommenen Gelde ein Namhaftes dem Spitzgäbele, nur um ihn ganz für sich zu gewinnen.

Lautlos dahinfahrend dachte Alban nur immer an seine Beschimpfung, und wenn auch in seinem jetzigen Zustande nur halb, erkannte er doch in gewisser Weise eine Entweihung, die mit ihm vorgegangen war: er hatte sein ganzes jugendliches Leben hingegeben und war damit zurückgewiesen. Er, der Alban, der jedem Menschen frei in's Gesicht sah, mußte fortan vor manchem Worte den Blick zur Erde schlagen. Es half nichts, daß Spitzgäbele oft wiederholte:

»Ein junger Bursch macht sich aus so was nichts, er setzt den Hut auf die linke Seite und freit um eine Andere, Schönere.« Alban wurde seine schmerzlichen Gedanken nicht los.

[67] In Reichenbach stieg Spitzgäbele ab und wanderte über die Berge zu Fuß nach der Stadt. Alban kam unerwartet früh nach Hause und begegnete überall fragenden Blicken.

»Wie ist dir's gangen?« fragte die Mutter noch vor dem Absteigen und Alban erwiderte trotzig:

»Wie unserm Fuchsen auf dem Wellendinger Markt.«

»Was hast? Was redest?«

»Deutsch. Man verkauft nicht jedes Stückle Vieh, das man zu Markt bringt.«

Er blieb im Stall bei Dominik, bis die Mutter ihn holte, gegen die er kurz den Schwur aussprach, nie mehr eine solche Fahrt zu machen; er habe als gehorsamer Sohn gehandelt und jetzt sei's genug.

Der Vater redete gar nichts mit ihm von der Sache. Er fragte nur, wo der Spitzgäbele abgestiegen sei, denn von diesem wollte er sich den ordnungsmäßigen Bescheid holen; eine mit Betheuerungen und allerlei Zubehör untermischte Auskunft war nicht nach seinem Geschmack. Er blieb beim Ordnungsmäßigen.

Nachrede und Lärm in der Welt

Nachrede und Lärm in der Welt.

Ein von der Reise Ankommender ist so zu sagen körperlich und geistig eine Zeitlang ungelenk in der Mitte derer, die in der Gewohnheit des häuslichen Lebens verharrten, und der Angekommene kann noch geraume Zeit eine gewisse Unruhe nicht los werden. Dies war nun heute bei Alban doppelt der Fall. Er[68] kam mitten im Tage und wußte nichts mehr anzufangen; dazu der Aerger über seine Schmach und die Ungewohnheit seiner heutigen Lebensweise. Nachdem er das Schelten der Mutter gehört, weil er nicht über Siebenhöfen gefahren war, ging er fast unwillkürlich nach dem Hellberg zu Vreni.

Er war kaum auf dem Hellberg angekommen und hatte Vreni noch nicht gesehen, die von dem Montagsrechte Gebrauch machend, im Walde war, um Holz zu holen: als Dominik ankam und ihm im Namen des Vaters den Befehl brachte, nach Hause zurückzukehren. Alban willfahrte nur langsam und als er heimkam, that sein Vater als ob er gar nicht da wäre; erst durch die Mutter erfuhr er, daß sie es gewesen, die nach ihm geschickt hatte, weil sie das Zornesmurmeln des Vaters verstanden hatte und ihm zuvorkommen wollte, daß sie aber Dominik verboten hatte, Alban dies zu sagen. Dieser sah in dem ganzen Vorgang nur das Eine, daß die einzigen Menschen, die er sich treu und anhänglich glaubte, die Mutter und Dominik, auch hinterhältig gegen ihn waren und sich vor den Gewaltthätigkeiten des Vaters fürchteten. Er ging im Hofe hin und her als müsse er irgendwo räuberisch einbrechen und den schlummernden Streit freiwillig wecken; er blieb aber doch nicht lang in dieser Stimmung, und sei es im Angedenken an die heute erlebte Schmach, sei es aus Verlangen, doch vielleicht noch Alles gütlich auszugleichen, oder aus altgewohnter Arbeitslust – im Hof stand ein leerer Wagen, auf dem Kornspeicher hörte man schaufeln; Alban erinnerte sich, daß morgen [69] ein außergewöhnlicher Kornmarkt in der Stadt sei, er ging auch auf den Speicher und sah den Vinzenz mit Beihülfe zweier Knechte große Säcke füllen. Der Vater stand daneben und ohne nach Alban umzuschauen, spöttelte er, daß man dieses Jahr sein gutes Korn nicht für halben Preis an die Taglöhner als Vorschuß verschleudere, jetzt brauche man dem Lumpenpack nicht mehr schön zu thun, jetzt müsse es wieder unterducken; aber sein Lebenlang werde er es nicht vergessen, daß er mehrere Hundert Gulden durch Verschleuderung seines Korns zum Fenster hinausgeworfen habe. Alban merkte wohl, daß diese Worte nach ihm zielten, aber er schwieg, theils aus Gehorsam, theils aber auch, weil er schon bedachte, daß er unnöthigen Widerspruch vermeiden und um so fester auf dem einen beharren müsse. Als indeß einer der mitbeschäftigten Taglöhner sagte:

»Es war doch eine lustige Zeit, alle Menschen waren Brüder, wie wir das Korn da eingethan haben,« da konnte Alban nicht umhin, mit rothglühendem Antlitz hinzu zu setzen:

»Und jetzt sind's doch wieder Sklaven, die das Brod von dem ferndigen (vorjährigen) Korn essen.« Dabei ließ er sich nicht aufhelfen, sondern schwang mit leichter Mühe einen Malter Spelz auf die Schulter, trug ihn die knarrende Stiege hinab und lud ihn auf den Wagen.

Der Vater preßte die Lippen zusammen und schaute ihm mit weit aufgerissenen Augen nach. Noch neben dem geladenen Wagen schaute er Alban mehrmals von Kopf bis zu Fuß an, er öffnete mehrmals den Mund [70] als wollte er etwas sagen, aber er schwieg. Das galt doch noch mehr als die heftigsten Worte.

Noch in der Nacht fuhr Dominik mit dem Fruchtwagen nach der Stadt. Am Morgen fuhr der Vater mit Vinzenz auf den Kornmarkt und Alban ackerte wieder auf dem Neubruch am Kugelberger Feld. Es war ein regnerischer Frühlingstag, die Luft war knospenfrisch, der freie Athem und die Arbeit waren doppelt erquickend nach einem verstürmten Tage. Ein Hagelschauer kam wie im Zorn dahergestürmt, aber der Hagel zerging rasch wieder in den offenen Schollen und auf den grünenden Wiesen, und nur seine Tropfen säuselten noch im nahen Walde, sonst vernahm man nichts als bisweilen den verstohlenen Pfiff eines Vogels aus dem Nest oder das Krächzen eines Raben, der seinen Gefährten anrief, trotz des Wetters mit ihm in's Weite zu ziehen. Alban zählte die Stunden ab, wann der Vater in der Stadt sein und wann Spitzgäbele ihm den gestrigen Vorgang erzählen könne; er war voll Unruhe, denn auf den Schelm war doch kein Verlaß, heute zum Erstenmal wurde seine Schande ruchbar und Vinzenz war dabei. Im Angesicht Albans prägte sich die giftige Schadenfreude aus, die er sich in Vinzenz dachte, und jetzt fühlte es Alban wie einen Stich mitten durch's Herz, denn zum Erstenmal lebte ganz deutlich der Haß gegen den Bruder in ihm auf. Die Thiere waren heute gar nicht zu bändigen, es gelang dem Treibbuben schwer, sie in der Linie zu halten, Alban wollte sich nicht bekennen, daß er sie mit in seine Unruhe hineingerissen und er fuhr nun auf dem weiten [71] Felde mit ihnen kreuz und quer, er wollte sie ermüden um sie dann besser in der Gewalt zu haben, seine beiden Hände hielten die Pfluggabel fest und oft war es ihm, als rissen die Thiere ihm die Arme vom Leibe. Von Schweiß und Regen dampfend ging er hinter den Thieren drein, die auch wie in einer Wolke dahinschritten, aber er war stark genug und setzte sich immer mehr darauf, ihrer Meister zu wer den. Dennoch mußte er ausspannen, bevor es Mittag war. Im nahen Walde unter einer breitästigen Kiefer ruhte er mit dem Treibbuben aus und war so müde, daß er gar nichts denken konnte, bis der Kühbub ihm das Mittagessen brachte. Lächelnd schaute er ihn an, denn er wollte ihm »Schwager« zurufen, aber er sagte ihm nur, daß er ihn bei sich behalte, damit er die zuchtlosen Thiere lenken helfe. Während er hier im Walde unter säuselndem Regen sein gewohntes Mittagsmahl verzehrte, dachte er nach der Stadt, wo jetzt der Vater und Vinzenz in der Rose beim schäumenden Bier sich auftischen ließen und wie da hin und her die Rede schoß und er war hier im Walde bei dem Treibbuben. Alban wollte sich hineindenken, was man von ihm rede und wie Alles herginge, er errieth wohl Manches, aber doch nicht das Ganze.

Der Vater war am Morgen mit Vinzenz ausgefahren und dieser triumphirte innerlich über den zurückgesetzten Bruder, er sprach aber seine Siegesfreude nur dadurch aus, daß er lustig mit der Peitsche knallte und den Kragen des Mantels, den er über hatte, oftmals zurückwarf. Als man im Thal dahinfuhr, wo man [72] oben in einer Baumwiese des Nagelschmieds Behausung zum Hellberge sah, sagte er, indem er eine neue Schmitze mit den Zähnen aufknüpfte:

»Er ist gestern noch da oben gewesen.«

»Wer?« fragte der Vater.

»Ha der Alban, die Mutter hat ihm aber gleich nachgeschickt und ihn holen lassen, damit Ihr's nicht erfahret.«

Der Vater schaute nur kurz nach seinem Sohne um, aber sein Blick fiel gerade auf das gespenstisch leere Auge, er hielt sich die Hand vor seine beiden Augen und erwiderte nichts.

Man fuhr durch Reichenbach. Am Hause des Schultheißen stand dessen älteste Tochter und hielt einen grauen Mantel auf dem Arm, sie rief Vinzenz, er möge anhalten und übergab ihm den Mantel, den der Vater vergessen hatte und den er in der Stadt abliefern solle.

»Ich nähm' dich auch noch mit,« scherzte Vinzenz.

»Ich wills gut behalten für ein Andermal. Schön Dank,« sagte das Mädchen lachend und stolz fuhr Vinzenz davon.

Als es bergan ging sagte der Vater: »Das ist ein saubers Mädle,« und schnell fügte Vinzenz hinzu:

»Und Ihr müsset selber sagen, eine rechtschaffenere Familie als des Schultheißen giebt es nicht.«

»Ho ho, es giebt noch mehr.«

»Freilich, freilich, aber das wär' eine Söhnerin, die den Schwiegereltern die Händ' unter die Füße legen thät.«

»Hast denn schon was angezettelt und bist denn schon so weit?«

[73] »Nein, nein, Ihr wisset, ich thu nichts als was Ihr wollet, aber so viel weiß ich schon, daß des Schultheißen Tochter mich nimmt; sie muß freilich auch ein Aug' zudrücken, daß sie nicht mehr hat wie ich,« sagte Vinzenz und schaute dem Vater starr in's Gesicht, »aber wie gesagt, ich thu keinen Schritt als was Ihr wollet, aber schön wär's, wenn man heut' die Sach noch in's Reine brächt', auf dem Markt wär's grad geschickt –«

»Du hast schon noch Zeit«, erwiderte der Vater und mit unterwürfigem Ton fuhr Vinzenz fort:

»Wie gesagt, wie Ihr wollet, ich wünsch' Euch noch ein langs Leben und wenn ich hundert Jahr alt werde, will ich's immer Kindeskindern sagen, was Ihr für ein Mann gewesen seid und wie Ihr Alles so zusammengehalten habt und kein Hängenlassen duldet –«

»Brauch' dein Lob nicht,« unterbrach ihn der Vater. »Wie kommst du dazu mich zu loben? Wenn ich mich unterstanden hätt' so was zu meinem Vater zu sagen, er hätt' mir die Zähn' in den Rachen geschlagen.«

»Ja, Ihr habt's beim Vetter Dekan auch anders vor Euch gesehen; ich muß mir's vorsagen, was Ihr für ein Mann seid, damit ich nicht auch lern' ... Ich will aber lieber nichts sagen.«

»Was? Was? Was sollst lernen? Gleich sag's. Was?«

»Ich sag's nicht gern, aber jeder Knecht und jeder Taglöhner giebt dem Alban Recht, wenn er sich berühmt, er habe den Hof erst zu Etwas gemacht und das soll erst noch einmal ganz anders werden, wenn er ihn erst ganz in der Hand hat ... wenn mein Alter, wie er nie anders sagt –«

[74] »Still, kein Wort mehr,« rief der Vater zornig, »sag' kein Wort mehr gegen deinen leiblichen Bruder, du machst's grad verkehrt damit; sag' kein Wort mehr oder du wirst sehen –«

»Mit Einem Aug, wenn Ihr mir nicht das auch noch ausschlaget,« erwiderte Vinzenz wieder und der Vater begann nach einer Weile in ruhigem Ton:

»Guck, Vinzenz, ich halt' dir mein Wort.«

»Aber Ihr fürchtet Euch doch vor dem Alban, das in's Reine zu bringen?«

»Nein, das nicht, aber es soll nicht heißen und soll auch nicht sein, daß du mich gegen deinen Bruder verhetzest. Was ich thu, das thu ich weil ich mein eigener Herr bin und weiß was ich thu und der Alban ist mein Kind so gut wie du, und er hat sein Lebenlang noch kein böses Wort auf dich zu mir gesagt und auf mich zu Anderen gewiß auch nicht, ich glaub's nicht; ich weiß, die Leute sind schmeichlerisch und verdrehen Einem das Wort auf der Zunge. Mein Alban ist ein folgsames, ehrerbietiges Kind.«

»Ich kann Euch alle Dienstleute bis auf den Dominik und seinen Schwiegervater den Nagelschmied zu Zeugen stellen, wenn Ihr mir nicht glauben wollt.«

»Ich will nichts davon. Das wär' mir schön, die Dienstleute abzuhören. Red' jetzt nichts mehr. Ich will gar nichts wissen!«

Vinzenz fuhr schweigend dahin. Er setzte sich's als eine kluge Regel vor, nichts mehr gegen Alban zu sagen, aber darum nicht minder auf baldige Erledigung der schwebenden Sache hinzuarbeiten. –

[75] Die armen Kleinbauern und Häusler, die heute zu Markte gingen und ihre zusammengeschnurrten Kornsäcke bald wie einen Zopf gedreht am Stocke auf der Achsel, oder wie eine Schärpe um Schulter und Hüfte gebunden trugen, grüßten heute den Furchenbauer nur halb und lächelten.

Was geht denn vor in der Welt? ...

Das sollte sich bald zeigen.

Auf dem Kornmarkt war heute eine seltsame Bewegung. Mitten unter dem aufgewirbelten Staub, unter Feilschen um den Preis und Abmessen des Korns, sprach man von nichts als von der Revolution im Nachbarlande und es hieß, daß es auch hier bald losgehe.

Der alte Furchenbauer stand ruhig an die aufgestellten Säcke gelehnt, auf denen mit großen Buchstaben: Christoph Feilenhauer und die Jahreszahl 1849 geschrieben stand. Er mußte oftmals die Frage beantworten, ob es wahr sei, daß sein Alban unter die Freischärler gegangen. Niemand konnte sagen, woher das Gerücht entstanden war, und doch war es da.

Unter solchen Umständen war es natürlich, daß es nach dem hiesigen Landesausdrucke »abgehrte« d.h. daß die Fruchtpreise fielen, und selbst zu niedrigen Preisen konnte man nicht verkaufen. Der Furchenbauer, der sonst das Unverkaufte in der Stadt lagern ließ, befahl jetzt, daß Alles wieder aufgeladen und heimgeführt werde; er traute der Sicherheit in der Stadt nicht.

Spitzgäbele war heute früher als sonst in der Rose; und während um ihn her Alles im wilden Gespräche über die Zustände des Nachbarlandes und des eigenen [76] schrie und zankte, ließ sich der Furchenbauer vom Spitzgäbele das Nähere von der Brautfahrt erzählen. Den Vinzenz hatte er beim Aufladen des Korns gelassen, er sollte dort helfen und auch nicht hören, was hier vorging.

Spitzgäbele glaubte dem Gerücht, daß Alban unter die Freischärler gegangen sey, trotz der heftigsten Gegenbetheuerungen des Furchenbauern; er bewunderte wiederholt die unerschütterliche Ruhe dieses Mannes, er glaubte nicht anders, als der Furchenbauer wünsche noch einen weitern Zornesgrund gegen seinen Sohn und theils um ihm diesen zu gewähren, theils auch um sich selber im Glanz zu erweisen, erzählte er nun, wie Alban Alles verkehrt gethan und sich zuletzt noch berühmte, er habe die Brautfahrt nur gemacht, um seinen Vater zu betrügen.

Der Furchenbauer verzog bei diesen Mittheilungen keine Miene, ja er hob das Glas auf, um zu trinken, aber kaum brachte er es an die Lippen, als er es wieder absetzte, es däuchte ihm Alles wie Galle.

Der Lärm in der Stadt war heute dem Furchenbauer zu toll. Auf den Nachmittag hieß es, kämen hunderte mit Doppelbüchsen bewaffnete Holzhauer von Wellendingen herüber, wo sie sich beim Apostel unter Anführung des Lenz von Röthhausen sammelten, eine Volksversammlung sei in der Stadt angesagt und jetzt müsse Alles mitthun. Theils um diesen Fährlichkeiten zu entgehen und in solchen Verhältnissen auf seinem Hofe zu sein, theils aber auch aus einer gewissen Bangigkeit um Alban, eilte der Furchenbauer mit[77] Vinzenz vor der Zeit heimwärts. In jedem Dorf, durch das sie fuhren, hieß es, daß sie nicht weiter können, im nächsten Dorf seien Freischärler und raubten Alles und hätten es besonders auf die Pferde abgesehen. Man wollte ganz genauen Bericht haben, und obgleich es sich in jedem Dorfe als unrichtig erwies, glaubte man doch seltsamerweise daran und je weiter man kam, desto tiefer schob sich immer Alles zurück.

Eine wunderliche Gespensterfurcht hatte sich der Menschen am hellen Tag bemächtigt. Der Aufstand, durch den der letzte Versuch gemacht werden sollte, die Freiheit zu erobern, erschien zuerst als Gefährdung von Gut und Blut.

Der Furchenbauer hatte den Dominik mit dem Fruchtwagen bald eingeholt, und so sehr war er von der allgemeinen Bangigkeit befangen, daß er fürchtete, die Freischärler hätten es auf seinen Fruchtwagen abgesehen. Er befahl daher dem Dominik, langsam weiter zu fahren, bis er Gegenbefehl erhalte.

Der Tag hatte sich aufgeklärt, der ganze Himmel war mit rothen Wolken überzogen, als der Furchenbauer mit Vinzenz von der Straße ab in seinen eigenen Weg einlenkte.

»Gottlob, da ist der Alban,« rief Vinzenz und der Vater schaute dem neben ihm Sitzenden, der doch seinen Bruder lieben mußte, freudig in's Gesicht. Als aber Vinzenz mit der Miene klugen Einverständnisses hinzusetzte: »Seid nur jetzt auch gut gegen ihn, nur jetzt keine Händel, er ist unser Schutz,« da knirschte der Vater die Zähne zusammen, gerade weil Vinzenz Etwas [78] von seinen Gedanken errathen hatte, und hastig stieß er die Worte hervor:

»Ich brauch' Niemand, ihn nicht und dich nicht; ihr könnet alle Beide zum Teufel gehen,« und gleichsam als Zeichen, daß er selber noch am Platze sei, riß er dem Vinzenz Peitsche und Leitseil aus der Hand und hieb zornig auf die Pferde ein.

Dennoch konnte er sich nicht leugnen, daß er eine gewisse Freude hatte, seinen Alban dort zu sehen; er hatte zuletzt fast selbst an das Gerücht geglaubt und er beklagte schon leise den verloren geglaubten Sohn; er merkte doch jetzt, wie lieb er eigentlich den Alban hatte, er war stolz und unbeugsam wie er selbst, nur anders, etwas vornehmer, und ein Vater liebt in seinen Kindern selbst seine Fehler, zumal wenn sie zugleich auch als Tugenden oder mindestens als Kraft erscheinen. Der Furchenbauer sagte sich, daß er eigentlich keinen Schutz von seinem Sohn wolle, aber es war ihm doch lieb, ihn in der Unruhe bei sich zu haben, wie man bei einem drohenden Gewitter gern alle Angehörigen wach und um sich versammelt hat.

Der Sturm bricht los

Der Sturm bricht los.

Alban mußte gehört haben, daß sich das Gefährte nahe und der Furchenbauer hob mehrmals die Peitsche hoch, um ihm zu winken, ja er knallte; aber Alban schaute nicht um und in dem Vater stieg plötzlich wieder der ganze Zorn auf, daß dieser Sohn, wie Spitzgäbele [79] erzählte, ihn verhöhnt und verspottet habe und hinterrücks sein Possenspiel mit ihm trieb. Darum faßte er jetzt den Vorsatz, mitten in aller Unruhe, während jetzt die ganze Welt aus Rand und Band ging, in seinem Hause den Meister zu zeigen. Wie er jetzt die Zügel fest anhielt und auf die Pferde loshieb, so mußte es auch im Hause sein: die Zügel fest in der Hand und dann drauf losgehauen, bäumt euch, schnaubt und schlagt aus wie ihr wollt, ihr seid festgebunden.

Alban hatte den Pflug draußen im Feld inmitten der Furche liegen lassen, um ihn morgenden Tages wieder aufzunehmen; wohlgemuth das Schleswig-Holstein-Lied pfeifend, war er mit den ledigen Thieren zurückgekehrt, als er plötzlich mitten im Pfeifen abbrach, er sah von fern den Vater mit Vinzenz daherkommen; sie fuhren müßig in der Welt umher und thaten sich gütlich, sie waren die Herren, während er daheim sich als Knecht abarbeiten mußte. War er der Knecht und nicht der Erste im Erbgang? War er nicht der künftige Hofbauer und hatte er nicht aus übermäßiger Nachgiebigkeit sich dem Schimpf blosgestellt, von der Eichbäuerin abgewiesen zu werden? Nicht eine Handbreit von seinem Recht wollte er künftighin preisgeben, und jetzt da der Vater ihm nahe war, drückte er die Thiere an den Zaun und stellte sich neben sie, damit das Gefährte bequem vorbei könne. Er rief den Ankommenden keinen Gruß zu und als der Vater neben ihm war, knallte er mit der Peitsche hart an seinem Ohr und höhnte dabei:

»Das ist ein Gruß von Spitzgäbele.«

[80] Alban hatte nicht Zeit auf diesen Zuruf etwas zu erwidern, denn im raschen Trab fuhr jetzt auf der Hochebene das Gefährte dahin und langsam vor sich hin knirschend trieb Alban die Thiere in den Hof.

Beim Abendessen that er, als ob nichts vorgefallen wäre, nach demselben aber blieb er in der Stube und harrte eine Weile, daß der Vater zu reden anfangen werde. Als dies aber nicht geschah, fragte er geradezu:

»Was hat denn der Lump, der Spitzgäbele, von mir gesagt?«

»Weil du ihn so heißst, ist Alles wahr,« entgegnete der Vater und erzählte nun mit beißendem Spott und mit einer Zuthat des Ingrimms, wie sehr ihn Alban verhöhnt habe und wie er überhaupt hinterrücks sich als Bauer geberde und alle Maßnahmen des Vaters verhöhne. Vinzenz, der dabei in der Stube war und seine Saat aufgehen sah, setzte sich auf die Ofenbank und spielte mit seinem Lieblingshund, dem Greif, den er sich angeschafft hatte und der fast ausschließlich nur ihm gehorchte. Der Vater hatte heute wieder seine »Flözerstimme« wie sie die Mutter bei sich nannte. Sie wußte zwar schon längst, daß er jedesmal wenn er vom Kornmarkt heimkam, lauter sprach; er behielt den Ton noch bei, den er dort unter dem Lärm gebrauchte, aber heute war's doch übermäßig. Sie winkte ihm mit den Augen, ja sie erhob beide Hände flach in der Luft zu begütigenden Zeichen, aber es half nichts. Der Vater erklärte weiter, daß Alban ganz anders werden müsse, ganz anders, wenn Friede im Hause sein solle. Als Alban hierauf entgegnete, daß er nicht wisse, worin [81] er sich ändern solle, er sei gehorsam, fleißig und ehrerbietig, wie Viele Seinesgleichen jetzt nicht wären, da schlug der Vater auf den Tisch und schrie zornig:

»Was Deinesgleichen? Was weißt du wer du bist? Mein Knecht bist du wenn ich will, und ich will's. Ja, es bleibt dabei, du suchst dir einen andern Hof, denn den kriegt der Vinzenz. Still sag ich! Was Deinesgleichen? Meinst du, weil andere Väter jetzt sich von ihren Buben über's Ohr hauen lassen, meinst ich leid's auch? Ich bin Herr und Meister, und mit dir mach' ich was ich will und mit meinem Hof mach' ich was ich will.«

»Das könnet Ihr nicht,« rief Alban fest auftretend, »der Hof gehört im Erbgang mir, es wird sich zeigen, ob Ihr mir ihn nehmen könnt!«

»Was wird sich zeigen? Ich bin noch über dich 'naus studirt. Du meinst weil du herrelen – den vornehmen Mann spielen – kannst, du seist was? Nichts bist. Ja, reib' nur deinen Bocksbart. Wenn du nicht augenblicklich mich um Verzeihung bittest und mir versprichst, mir in Allem zu folgen, ohne Widerrede, da kannst mein' Hand auch noch in deinem Gesicht spüren.«

Die Mutter und Ameile suchten den heftig Erregten zu beruhigen, auch Vinzenz trat auf den Vater zu und sagte:

»Ich bitt' Euch, haltet nur jetzt Friede. Wir werden uns als Brüder vergleichen.«

»Du willst mir auch dreinreden? Wer bist denn du? Naus sag ich, oder ihr habt die Wahl, ob ihr [82] zu der Thür oder zum Fenster 'nauswollet; 'naus alle Beide, ihr dürfet mir nicht mehr vor die Augen bis ich euch ruf'.« Er riß die Thüre auf und schob zuerst Vinzenz hinaus, der nur geringen Widerstand leistete, als er aber auch Alban anfassen wollte, streifte dieser die Hand rasch ab und sagte in scharfem, bestimmtem Tone:

»Vater, rühret mich nicht an. Ich geh allein, ich geh von selber, und da schwör' ich's: nie, nie mehr komm' ich daher vor Eure Augen, wenn Ihr mich nicht selber darum bittet.«

Er nahm seinen breitkrämpigen grauen Hut vom Ofenstängele und ging hinaus. Drin in der Stube hörte man noch Schelten zwischen Mann und Frau und dann lautes Weinen, das erst aufhörte, als die Thüre zugeschlagen und dann noch einmal mit dem Fuß darauf getreten wurde.

Am Röhrbrunnen stand Alban mit seinem Bruder und dieser sagte:

»Alban, ich bin oft neidisch auf dich gewesen, aber jetzt mein' ich's gut. Du wirst sehen, ich werd' dir Alles geben, was recht ist.«

»Ich brauch' nichts von dir, du eher von mir.«

»Sei jetzt nicht bös, ich kann nichts dafür. Sieh da, sieh her, siehst das da?«

»Ja, dein blindes Aug'.«

»Und weißt wovon das ist?«

»Wie du vom Wagen gefallen bist. Was geht mich das jetzt an?«

»Es geht dich an. Zum Erstenmal in meinem [83] Leben sag ich das, ich hab's noch nie über meinen Mund bracht, aber jetzt, jetzt muß es 'raus. Ich bin nicht vom Wagen gefallen. Der Vater hat mir im Zorn das Aug' ausgeschlagen.«

Alban faßte zitternd die beiden Hände seines Bruders.

»Ja,« fuhr Vinzenz fort, »es weiß es sonst kein Mensch als er und ich, du bist der Erste, und ich hab ihm einen Eid geschworen, es Niemand zu sagen, aber ich muß ihn jetzt brechen. Und weil mir der Vater das than hat, hat er mir den Hof versprochen und das Abendmahl drauf genommen.«

Alban stand still neben dem Bruder. Man hörte lange nichts als das Rauschen des Brunnens und ein sanftes Flüstern des Hollunderbaumes. Plötzlich raffte sich Alban zusammen, reichte dem Bruder die Hand und sagte:

»Behüt' dich Gott. Ich geh fort.«

»Wohin?«

»Ich weiß selbst nicht.«

»Bleib' lieber da und geh nur nicht unter die Freischärler. Man sagt, sie sammeln sich jetzt im Thal, und in der Stadt hat's auch geheißen, du seist schon dabei, und deßwegen ist der Vater auch so bös gewesen.«

»So?« rief Alban gedehnt, rückte den Hut fester in die Stirne und reckte sich mit allen Gliedern, »hauset mit einander wie ihr wollet. Trifft mich ein' Kugel, ist mir's recht, und komm' ich wieder, wollen wir schon abrechnen.«

Ohne nochmals die Hand zu reichen, rannte er zum[84] Thor hinaus und den Berg hinab; die Augen brannten ihm und es war ihm, als fühlte er an sich den gräßlichen Jähzorn des Vaters, der sein eigenes Kind fast geblendet. Als er auf der Landstraße war, überkam ihn auf Einmal mitten im Jammer ein frohes Gefühl, er war nun frei, frei von der ganzen Welt. Wie oft hatte ihm schon der Ruf nach Freiheit das Herz erfüllt, jetzt endlich konnte er ihm Folge leisten, er durfte für sich handeln und brauchte nicht zu fragen, ob dies der Vater genehm finde; es war recht, daß er verstoßen war, er hatte zu lange sein eigenes Herz unterdrückt, jetzt war er frei. Er streckte die Arme empor und war bereit zu sterben, damit die ganze Welt frei und glücklich sei.

Raschen Laufes schritt er dahin, nur Einmal stand er still, denn ihn hemmte der Gedanke, ob nicht Vinzenz in ausgefeimter Falschheit ihm diesen Weg gezeigt hatte und ihn scheinbar abhielt, um ihn so sicherer darauf zu lenken und seiner entledigt zu werden. Er konnte an solche Bosheit des Menschen nicht glauben. Und war es nicht sein Bruder? Und zitterte nicht seine Stimme so kläglich, als er die grause That des Vaters erzählte? Mit neuem Muth schritt Alban dahin. Da begegnete ihm ein Wagen, er kannte den Tritt der Pferde, das Rollen des Wagens und das eigenthümliche Peitschenknallen des Dominik. Er hatte sich nicht getäuscht, Dominik kam mit dem Fruchtwagen.

»Wohin noch?« fragte Dominik erstaunt.

»Gen Reichenbach.«

[85] »Bleib' heut davon, die Freischärler sind dort, ein paar hundert Mann, der Lenz von Röthhausen führt sie an. Ich hab' auch deinen Namen nennen hören.«

»So? Da komm' ich gewiß,« entgegnete Alban und erzählte nun alles Vorgegangene. Alban war erstaunt, als Dominik ohne große Theilnahme sagte:

»Ich weiß schon lang, doch du bist auch kein rechter Freisinniger. Hättest du den Hof allein bekommen, es wär' dir nicht eingefallen, daß deine Geschwister durch das alte Herkommen verkürzt werden, du wärst halt ein großer Hofbauer wie Andere, wenn auch ein bisle gutmüthiger.«

»Das verstehst du nicht,« entgegnete Alban zornig.

»Freilich, ich bin nur als armer Knecht aufgewachsen. Was kann so Einer wissen.«

Alban stand betroffen, aber er wollte jetzt von nichts Anderem wissen und ging fast zornig davon. Er hatte Dominik um ein Darlehen bitten wollen, aber jetzt that er ihm diesen Gefallen nicht.

In Reichenbach wurde Alban mit großem Jubel bewillkommt. Es klärte sich jetzt Alles auf. Der Lenz hatte dem Alban schon am Morgen einen Boten geschickt, der Bote hatte die Weisung angenommen, war aber wahrscheinlich nach einer andern Gegend entflohen, weil er sich vor der Verantwortlichkeit fürchtete. Mitten im Sturm war Alban für sich plötzlich hoch erfreut. So war es also nicht Lüge und Falschheit von Vinzenz, daß man in der Stadt gesagt hatte, er sei bereits unter den Freischärlern, er bat dem Bruder in Gedanken jeden Zorn ab, den er gegen ihn gehegt hatte ...

[86] Der Pflug im Kugelberger Felde blieb lang unberührt liegen.

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Monatelang hörte man nichts von Alban, bis auf den Furchenhof plötzlich die Nachricht kam, der Alban habe sich eine Zeitlang beim Hirzenbauer in Nellingen aufgehalten und diene jetzt als Knecht auf dem Sabelsbergischen Gut in Reichenbach. Die Mutter eilte zu ihm, um ihn nach Haus zu bringen, aber er ging nicht und beharrte auf seinem Eid, der Vater müsse ihn holen. Es war unerhört, daß der Sohn des Furchenbauern bei dessen Lebzeiten Knecht sein, an der Schwelle des väterlichen Hofes fremden Leuten dienen sollte. Alban war unnachgiebig, als auch Ameile und Dominik nach einander zu ihm kamen, er wiederholte Beiden: er wolle dem Vater zeigen, daß er Knecht sein könne, aber nur bei fremden Leuten, nicht auf dem väterlichen Hof, dazu werde er sich nie verstehen; der Vater, der ja für seine Nachkommen sorgen wolle, könne jetzt bei Lebzeiten an ihm sehen, wie es ihnen einst ergehe.

Es war ein strenger Befehl des Vaters, daß in seinem Beisein Niemand von Alban reden durfte, auch die Mutter nicht; ja sie hatte es so weit gebracht, selbst ihren Gedanken zu wehren, daß sie zu ihm hingingen. Ueber ihre Träume aber hatte sie keine Macht ....

[87]

Ein Sohn und ein Knecht

Ein Sohn und ein Knecht.

Heute waren alle die stürmischen und trüben Erinnerungen in der Seele der Mutter erwacht, und als sie endlich eingeschlafen, schrak sie plötzlich auf und rief laut den Namen Albans, von dem sie seit länger als einem Jahre ihre Lippen entwöhnen mußte. Sie horchte still, ob ihr Mann nichts gehört habe, der aber schlief ruhig.

Die ganze Welt war wieder in ihr altes Geleise zurückgekehrt, die gerade gestreckten Sensen waren wieder umgebogen und einzelne, bei denen sich das nicht mehr thun ließ, waren zum alten Eisen geworfen; die Gemeinden, die auf allgemeine Kosten Waffen angeschafft, hatten diese wieder verkauft und nur hier und da sah man noch einen einzelnen Heckerhut mit schlaffer Krempe, der allmälig zertragen wurde. Die Jahre der Bewegung, die auch in der entlegensten Hütte eine Erschütterung hervorgebracht, schienen jetzt vergessen wie ein Traum. Auf dem Furchenhofe war auch Alles wieder wie ehedem, ja der Furchenbauer war wieder einer der Liberalen, die man freilich jetzt anders nannte, denn bei der Einführung der Geschwornengerichte hatte man ihn, der doch auf der Liste der Höchstbesteuerten stand, eben wegen seiner ehemaligen Gesinnung nicht zum Geschwornen er nannt, vielmehr waren viel Geringere aus der Gemeinde dazu berufen. Alles war wieder in's alte Gleise zurückgekehrt, nur mit Alban war dies nicht der Fall. Trotz aller Ruhe und gewohnten Ordnung, die auf dem Furchenhofe herrschte, [88] war es doch immer, als fehlte Etwas und als könnte eine plötzlich eintretende Erscheinung Alles ändern. Das ganze Leben, das sonst so stetig erschien wie das Wachsen von Baum und Pflanze, hatte jetzt etwas Einstweiliges, morgen rundum zu Verkehrendes. Die Dienstleute standen oft bei einander und plauderten und wenn der Meister zu ihnen trat, verstummte plötzlich das Gespräch; es hatte gewiß wieder vom Alban gehandelt und wie der mit dem Meister entzweit sei, weil er die Eichbäuerin abgewiesen habe und lieber des Nagelschmieds Vreni heirathe, und darin geben sie ihm gewiß Alle Recht, denn jeder Knecht und jede Magd fühlte sich damit erhoben, daß Eines ihresgleichen zu hohen Ehren kommen sollte. Der alte Furchenbauer schien sich seit dem Streit mit seinem Alban verjüngt zu haben, er stand Allem vor wie der jüngste Mann; nur die Bäuerin merkte oft an seinem stillen Brüten, daß ihm Etwas im Gemüthe saß, das er nicht verwinden konnte: sie durfte aber nicht davon sprechen, denn er wurde immer heftig gegen sie und verbot ihr zuletzt, je vor ihm den Namen Albans zu nennen. Nur Einmal, und das vor wenigen Wochen, sprach er selbst von ihm und mit einer gewissen verhaltenen Freude. Er erzählte, wie ihm der Rentamtmann im Vertrauen mitgetheilt habe, Alban habe sich eigentlich nicht als Knecht verdingt, er habe sich ausdrücklich wöchentliche Kündigung bedungen, auch seinen Genossen erklärt, er diene nur hier, um die höhere Ackerwirthschaft noch besser zu erlernen. Dieser Stolz Albans, der zugleich die Ehre des Vaters wahrte, gefiel diesem; er widersprach [89] nicht, als die Mutter hinzusetzte, der Alban gleiche ganz ihrem eigenen Vater, der habe auch so was Adeliges gehabt, darum habe man ihn auch spottweise den Schmalzgrafen geheißen. Als die Mutter aber weitergehen und eine Versöhnung daran knüpfen wollte, wurde der Furchenbauer plötzlich wieder voll Ingrimm und betheuerte, daß das nie geschehe, bis Alban bittend vor ihn hintrete.

Sprach der alte Furchenbauer nur äußerst selten mit seiner Frau von Alban, so that er dies um so öfter mit Dominik. Dieser war eine treue Stütze des Hauses, und wenn gleich nur Knecht, doch wohl angesehen. Der Bauer wußte, that aber als ob er Nichts davon gemerkt habe, daß ihn die Mutter schon mehrmals zu Alban geschickt hatte; er suchte daher von ihm zu erfahren, was denn eigentlich Alban vorhabe, aber Dominik war behutsam und klug und gab nur knappe Antworten. Der Vater, der seinem Sohn keine unmittelbare Nachricht gab, wollte doch, wie man sagt, es seine Meinung auf die Post geben; er that, als ob er nur Dominik mittheilte, daß er den Hof diesmal höher schätzen lasse als es von Alters her bräuchlich sei, damit die abgefundenen Kinder auch ein Erkleckliches hätten, daß er aber Alban ganz enterbe, wenn er nicht von des Nagelschmieds Vreni lasse. Dominik hörte das ruhig an und erwiderte in der Regel nichts, nur manchmal fragte er geradezu, ob er das Gehörte dem Alban im Namen des Vaters mittheilen solle, was der Furchenbauer streng verneinte; er durfte sich weder vor seinem Sohn noch vor dem Knecht eine Blöße geben.

[90] Das gesetzte Benehmen des Dominik machte auf den Furchenbauer einen bedeutsamen Eindruck. Er ehrte den Dominik damit, daß er ihn mehrmals geradezu fragte: ob er denn nicht Recht habe, ob denn ein Vater nicht schalten und walten dürfe wie er wolle, ob sich ein Kind dagegen auflehnen dürfe und ob nicht Kindeskinder Dem danken müssen, der die Größe und die Ehre der Familie fest gewahrt habe. Aber auch hierauf gab Dominik nur wenig entsprechende Antworten, er sprach davon, daß der kindliche Gehorsam, aber auch daß der Friede über Alles gehe, lehnte indeß jede Selbstentscheidung ab, mit dem Bedeuten, daß er diese Sachen nicht verstehe. Der Bauer war mehrmals versucht, den Dominik für dumm zu halten; aber aus einzelnen Worten entnahm er doch wieder wie klug er war, hatte er ja einmal geäußert:

»Es ist wahrscheinlich dumm was ich sag', aber ich weiß nicht, der Pfarrer sagt doch immer, Gott allein sei die Vorsehung und ich weiß jetzt nicht: wollet Ihr nicht mit dem was Ihr vorhabet, wie man bei uns in Nellingen sagt, in Gottes Kanzlei steigen und Vorsehung spielen? Kann man da nicht auch zu viel thun und muß man nicht unserm Herrgott die Hauptsach' überlassen, was er für künftige Zeiten vorhat?«

»Du bist gar nicht so dumm, gar nicht, aber du verstehst die Sach nicht,« hatte darauf der Bauer erwidert und Dominik war mit dieser Antwort mehr als zufrieden und blieb doppelt bestärkt in seinem gehaltenen Benehmen. Er mischte sich trotz aller geheimen und offenen Aufforderungen nicht eigentlich in die [91] Sache, er verdarb es weder mit dem Bauer noch mit Alban, wenn dieser einst doch den Hof bekomme, und solche weise Zurückhaltung eines Dienstboten verfehlte nicht, dem Bauer einen gewissen nachhaltigen Respect abzunöthigen. Minder war das bei Alban der Fall; dem Dominik, als er ihn einst im Auftrag der Mutter besuchte, gesagt hatte: »Ich bin auch ein Häuslerkind, mein Großvater war auch ein reicher Bauernsohn, den man nebenausgesetzt hat. Man muß sich drein finden ...«

Als jetzt die Furchenbäuerin in der Nacht erwachte und hörte, wie der Dominik das Schwärzle aus dem Stall zog, däuchte es ihr eine Ahnung, daß sie erwacht war; jetzt zog ja ihre Botschaft zu ihrem Alban, denn sie hoffte, daß Dominik dem Willen des Bauern ungetreu über Reichenbach fahren werde.

Ein nächtiger Gang bis daß es tagt

Ein nächtiger Gang bis daß es tagt.

Der Kühbub hatte Dominik zur Zeit geweckt und Dominik war bald zur Abfahrt bereit, er war aber entschlossen, mindestens auf dem Hinweg dem ausdrücklichen Befehl des Bauern zu gehorchen; wenn er ihm zuwiderhandelte, wollte er es lieber zu eigenem Nutzen thun und eine halbe Stunde ab des Wegs zu seiner Mutter nach Nellingen gehen. Er war darüber noch nicht mit sich einig, als er von der Landstraße ab den Waldweg einschlug. Das Schwärzle brummte vor sich hin, als man in den nächtig säuselnden Wald eintrat, wo die dunklen Wipfel rauschten, obgleich [92] man keinen Wind verspürte; es stand oft still und nur den freundlichen Ermahnungen oder auch dem Schelten des Dominik folgte es und schritt fürbaß.

Die Gelehrten haben vielleicht nicht unrecht, daß sie den Hennenweg eigentlich Hünenweg nennen, ungeheuerlich genug ist er und die Felsblöcke und seltsamen Erdwälle, die hüben und drüben sind, können wohl für Hünengräber gelten; die Volksmeinung aber bleibt dabei, der Weg gleiche einer Hühnersteige und darum heißt er der Hennenweg. Das Schwärzle, einmal im frischen Lauf, konnte klettern wie eine Ziege und das war natürlich; das Schwärzle war von echter Schwyzerrasse, die Mutter war unmittelbar aus dem Appenzell gekommen und unter der Obhut des Dominik war das Schwärzle aufgewachsen und so gediehen, daß ihm der Preis nicht fehlen konnte. Wie ein Hund seinem Herrn, folgte das Schwärzle dem Dominik, und erst als man auf der Anhöhe war, hielten Beide an, Dominik stopfte sich eine Pfeife und das Schwärzle fand in der Nacht ein thaufeuchtes Maulvoll Gras am Wege, das war für den Hunger und für den Durst. »Vorwärts in Gottes Namen« sagte jetzt Dominik und mit einem schnell erhaschten Vorrath für den Weg folgte das Schwärzle. Dominik fürchtete weder Gespenster noch lauernde Uebelthäter, aber der Ruf, den er vorhin gethan, erlöste ihn doch von einem gewissen Gefühl der bangen Einsamkeit und dabei schlug er sich an die Hüfte und überzeugte sich, daß sein im Hirschhorngriffe feststehendes Messer dort sicher ruhte. Der Meister hatte Recht, der Weg war von jetzt an bequem [93] und lind, er zog sich auf einem Walddurchschlag hin, auf dem bis zum Jahre 1848 die gräflich Sabelsbergischen Schafe weideten, das Gras war jetzt in die Höhe geschossen, denn der Furchenbauer hatte sich nicht entschließen können, nach dem Rathe Albans selber Schafe einzuthun und eine mehrmalige Ausschreibung der Schafweideverpachtung hatte bis jetzt zu keinem Erfolge geführt. Dominik dachte in sich hinein, wie manches Erträgniß doch auch auf solch einem großen Bauernhofe verloren gehe, er dachte, wie es einem rechtschaffenen Knechte zukommt, zunächst an den Vortheil seines Meisters, dann aber auch an sich selber; er verstand die Schäferei, und hätte er nicht sein ganzes Geld an Alban verliehen gehabt, er hätte sich selber Schafe eingethan und den Weidgang gepachtet. Es giebt ja hier zu Lande viele Eigenthümer von Schafheerden, die keinen Grundbesitz haben. Dominik war in die Jahre getreten, wo er allzeit ausschaute nach einem selbständigen Anwesen und sei es auch noch so klein. Er gedachte jetzt, wie Manches von einem großen Hof doch noch ganz anders ausgenutzt werden könnte, wenn es in fleißige Hand gegeben wäre, die nur das allein hätte. Immer kam Dominik wieder auf die Ueberlegung zurück, wie es einem noch so Fleißigen hier zu Lande nicht möglich sei, Etwas vor sich zu bringen. Drüben im Gäu, wo es wenig geschlossene Güter giebt, die auf ewige Zeiten in Einer Hand bleiben, da ist es einem sparsamen Knecht, der von Haus aus Nichts hat, doch möglich, mit der Zeit ein gut Stück Feld zu erwerben, er heirathet noch Etwas dazu und wenn die Gemeinde [94] sieht, daß das junge Paar fleißig und sparsam, läßt sie ihm bei einem schicklichen Kauf die Vorhand und nach und nach zahlt man jedes Jahr ein Ziel ab und hat mit der Zeit ein schönes Bauerngütle und die Aecker sind alle das Doppelte werth. Hier zu Land aber ist Grund und Boden in fester Hand und es bleibt Nichts, als Häusler werden und wie der Spatz auf dem Dach leben. Das aber wollte Dominik nicht, lieber ledig sterben; er hatte im elterlichen Hause zu bitter erfahren, welch ein elendes Leben das ist.

An einer starken Lichtung, die jetzt am Wege war, erkannte Dominik den Grenzstein vom Gute seines Herrn. Wer wird doch noch Recht behalten? Alban oder der Vater? Wer weiß, es kann noch bös werden, zwei harte Mühlsteine mahlen nicht gut, sagt das Sprüchwort. Es raschelte Etwas im Walde, das allgemein bewaffnete Jahr muß doch noch nicht alles Wild weggepirscht haben, das Schwärzle brummte leise und drängte sich näher an Dominik. Gen Morgen zeigte sich allmälig ein lichteres Grau, die Nebel senkten sich, das Schwärzle begrüßte durch lautes Schreien den jungen Tag. Ein Rabe hockt noch verschlafen auf einem Baumast, er hat den Kopf unter den Flügeln, jetzt erwacht er, schüttelt sträubend sein Gefieder, öffnet den Schnabel wie gähnend und fliegt krächzend waldaus. Ein enges grünes Thal thut sich auf, über den Waldbergen jagen die Nebel in zerrissenen Wolken dahin, die Elstern schnattern und fliegen von Baum zu Baum, auf einem blätterlosen Kirschbaum klagt der Fink regenverkündend: es gießt! es gießt! und hoch oben schwebt [95] ein Raubvogel, es ist die Hühnerweihe, sie stößt ihr jauchzendes Geschrei aus: Gujah! Gujah! Hähne krähen, Hühner gackern, der Taktschlag der Drescher tönt herauf, das ist das arme, von Waldarbeitern bewohnte Dorf Klurrenbühl, aber man sieht nichts davon, Alles ist in Nebel gehüllt, die Wälder tauchen daraus auf, eine heisere Morgenglocke ertönt wie weit verloren, jetzt erscheinen die Häuser des Dorfes bis zur Dachfirste, hell und darüber die Nebelwolken, von den Bäumen am Weg tropft es leise, die breiten Blätter des Kohls tragen schwere Tropfen, die manchmal in der Mitte des Blattes wie von einander angezogen zusammenrinnen und je näher sie sich kommen, immer hastiger. Da und dort fällt ein einzelner Apfel schwer vom Baume. Dominik hatte für Alles Aug und Ohr, denn er wünschte sich doch einen hellen Tag, heute da er und das Schwärzle gekrönt würden. Als er jetzt am ersten Haus unter dem Geläute der Glocke, die so armselig und wie bescheiden bittend ertönte, den Hut abzog, mischte sich in sein Gebet der Dank, daß er nicht dazu bestimmt sei, in einer Einöde wie dieses Dorf war, sieben Stunden hinterm Elend wie man sagt, sein Leben zu verbringen; er war auf dem Furchenhof an Besseres gewöhnt. Lieber lebenslang auf dem Furchenhof als Bürger in so einem armseligen Nebensausorte, dachte Dominik. Auf einem »abscheinigen« Hauswesen bauern, wo Einen die Schulden morgen wie der Wind wegblasen können – da ist Knecht sein besser; und doch: ein eigen Leben geht wieder über Alles.

Im Dorfe zeigte sich schon frühes Leben, dort ging[96] einer mit der Peitsche knallend, gleichsam sich und die Thiere erweckend, nach der Stallthüre, dort öffnete sich eine Stallthüre von innen und die Kühe schreien – der hat seinen Thieren schlecht über Nacht aufgesteckt; ein Mann, der in dürftigem Kleide über die Straße ging, schaute den Dominik verwundert an und vergaß seinem freundlichen Gruße zu danken. Wer weiß, mit welchen bösen oder traurigen Gedanken Der seinen Tag anfängt. Auf einen Ehrenpreis hofft der wenigstens heute nicht. Diese Aussicht, die gestern den Dominik noch grimmig gemacht, ward ihm jetzt im frischen Morgen zu einer lichten Freude; er fühlte sich so lustig wie seit lange nicht und etwas Anderes konnte es doch nicht sein. Mit frischer Kraft wanderte er, das Schwärzle am Seile führend, dahin, und selbst das wohlbekannte Thier erschien ihm jetzt so schön wie noch nie. Wie prächtig schwarz war die Farbe, die durch einen kaum merklich lichteren Streif auf dem Rücken noch gehoben war; nur wenig überbaut, wie war es so fest und doch fein, der Kopf mit den weißen Hörnern, dem weißen Maul und den hellen Haarbüscheln in den Ohren – wie verständig sah das Thier aus.

Es mag wohl von dem ehemaligen Hirtenleben des Dominik herkommen, daß er nie ein rechtes Auge für die Schönheiten des Pferdes hatte, um so mehr aber für die des Rindviehs, und er erquickte sich wahrhaft daran.

»Du verdienst auch den Preis,« sagte Dominik fast laut, dem Thier auf den Bug klatschend »friß jetzt nicht, du kriegst was Besseres, ich vergeß dich nicht wenn ich was zu mir nehm'.«

[97] Das Schwärzle schien aber eine Vertröstung auf die Zukunft nicht zu verstehen, es bog den Kopf noch mehrmals nach dem Gras am Wege und Dominik mußte es kurz halten.

Auf den Wiesen wurde es nun lebhaft. Die Kühe, die den ganzen Sommer im Stall gehalten wurden, sprangen jetzt auf der Weide lustig klingend hin und her und die Hütenden rannten hin und wieder, knallten und jodelten und sangen bei dem Feuer, in dem sie ihre Kartoffeln brieten. Dominik gedachte, wie auch er einst ein armer Hirtenbub war und jetzt hatte er's doch so weit gebracht. Dieses stete Untersichschauen, dieses beständige Erwägen was er einst gewesen und wie weit er's gebracht, machte ihn weniger kühn und muthig und mehr bescheiden und demüthig als eigentlich seine Natur mit sich brachte. Jetzt sang ein Hirtenbub dasselbe Lied, das Ameile gestern ihm nachgesungen und das Antlitz des Dominik erleuchtete plötzlich in Freude.

Nun wußte er's: nicht der Ehrenpreis war es, der ihn so innerlichst fröhlich machte, das Lied lag ihm im Sinn und weiterschreitend sang er:


»Schätzele, Engele

Laß mi e wengele –

Schätzele, wasele?

Nur mit dir basele.«


Das Lied verließ ihn auf dem ganzen Weg nicht mehr und hob seine Schritte und lachte ihn aus mit all seinem Denken und gab ihm auf Alles Antwort.

[98] Ich bin neun Jahre älter als das Ameile – das ist ja kein Fehler, das ist ja grad recht ... Das Ameile ist ein anvertrautes Gut von meinem Herrn, ich darf nicht falsch damit gegen ihn sein – er muß dir noch Dank sagen, daß du ihm so einen rechten Tochtermann giebst. Was fehlt dir denn zu einem rechten Bauer als Geld und Gut? Und das hat sie ... Ich mag mich nicht so hoch versteigen, ich plumps sonst so arg 'runter – das ist Feigheit von dir und du wirst's bereuen, wenn's zu spät ist. – Es war merkwürdig, wie sich in Dominik Alles Red' und Antwort gab, als wären zwei Seelen in ihm, und das war wohl auch, denn er trug Ameile im Herzen. Schon vor elf Jahren, als der Hirzenbauer von Nellingen, der Klein-Rotteck genannt, dem Dominik den Dienst auf dem Furchenhof verschaffte, schon damals gewann der hochaufgeschossene Bub das kleine Kind besonders lieb. Ameile stand am ersten Abend am Brunnen und schaute Dominik zu, der sich die Hände wusch; das Kind aß von einem großen Apfel, den es mit beiden Händen hielt, es mochte den zutraulichen Blick des Dominik, der nach ihm umschaute, wohl anders deuten, denn es trat auf ihn zu, streckte ihm den Apfel entgegen und sagte: »Beiß auch ab.« Dominik war selber noch kindisch genug, um mit diesem Anerbieten so weit Ernst zu machen, daß das Kind eine Weile verblüfft auf seinen so sehr verminderten Apfel sah, dann aber doch wieder Dominik anlachte. Von jenem Abend an hatte Dominik eine besondere Liebe zu dem Kinde und suchte ihm auf jede Weise Freude zu machen. Im Winter trug er es oft den [99] größten Theil des Weges auf seinen Armen nach der eine Stunde weit entfernten Schule, und wenn Schneebahn war, führte er es auf einem Handschlitten. Als Dominik Soldat werden mußte und nach halbjährigem Verweilen in der Garnison wieder in seinen alten Dienst zurückkehrte, gewahrte er plötzlich, daß das Kind eine Jungfrau zu werden begann. Der Abstand ihrer Lebensverhältnisse wurde ihm immer klarer und selbst in die Herzen voll Einfalt finden oft verschlungene, sich selbst verhüllende Gedanken ihren Weg. Dominik war jung genug, daß ihm die unverkennbare Liebe Ameile's die tiefste Seele erquickte; er lächelte oft still vor sich hin, aber wenn er Ameile begegnete, ihr etwas zu bringen oder zu sagen hatte, machte er immer ein finsteres, ja fast zorniges Gesicht und war wortkarg, er bangte vor dieser Liebe, die ihm nur Unglück bringen konnte, er wollte sie bezwingen, aber es gelang ihm nicht. Da fand sich eine glückliche Aushülfe: nicht um seinetwillen, sondern um Ameile mußte er jede Neigung ausreißen und zerstören, das gute harmlose Kind, das durfte nicht in's Elend kommen, es mußte behütet und beschirmt werden. Dominik erschien sich groß in dieser Entsagung um der Geliebten willen, die ihm jetzt zu gelingen schien; er war nun auch oftmals freundlicher gegen Ameile, nur um ihr zu zeigen, wie gut er's mit ihr meine und bald schien es wieder, daß sie von Allem nichts wisse, sie war allezeit gleich fröhlich und behend, lustig wie ein Vogel auf dem Zweige. Dominik däuchte es, daß er sich getäuscht habe; er hatte mit Schmerzen und Kämpfen eine Liebe ausgerottet, die[100] gar nicht da war. Und so seltsam ist das Menschenherz: statt daß Dominik sich dabei beruhigte und zufrieden war, daß Alles sich fügte, wie er wünschen mußte, wollte er jetzt mindestens eine Erkenntlichkeit für seine Aufopferung, und er sagte es einst Ameile was er für sie gethan. Ameile stand betroffen dabei und redete kein Wort. Wochenlang sah sie ihn kaum an wenn sie ihm begegnete und huschte vorbei, als fliehe sie vor ihm. Hatte Dominik erst geweckt was er tödten wollte? Es schien nicht der Fall. Einst als sie ihm nicht mehr ausweichen konnte und er sie fragte, warum sie so trotzig gegen ihn sei, sagte sie mit keckem Antlitz lächelnd:

»Es hat einmal Einer einen Bärenpelz verkauft, ehe er den Bären geschossen hat.«

»Wie? Was meinst?«

»Es hat einmal Einer ein Mädle aufgeben, bevor er's gehabt hat. So ist's.« Der Mädchenstolz schien beleidigt, daß eine Liebe preisgegeben wurde, um die noch gar nicht geworben war. Wollte sie ihn zurückweisen, wenn dies geschehen war? Ameile schien nun ein grausames Spiel mit Dominik zu treiben, sie ging allezeit trällernd und lachend umher und die Natur selber mußte ihr helfen, denn sie wurde mit jedem Tag schöner und liebreizender. Wo sie nur konnte, hänselte sie den Dominik, und die Mutter selber schalt sie oft darüber, der Vater aber hatte seine heimliche Freude an dem lustigen Kind und seinen Scherzen und es war nicht uneben, als er einmal sagte: »Sie ist grad wie ein Kanarienvogel, je mehr Lärm und Untereinander [101] im Haus ist, je lustiger ist sie, grad wie ein Kanarienvogel, der schlagt auch immer heller, wenn's recht toll hergeht in der Stub'.« Auch Dominik hatte nach dem anfänglichen Aerger seine Lust an dem Uebermuth Ameile's, es wäre ihm gar nicht lieb gewesen, wenn sie ihn nicht geneckt hätte, sie lachte und jauchzte dabei so grundmäßig; und daß sie grade immer mit ihm anheftelte, war kein böses Zeichen. Er gab sich nun selber manchmal zum Besten und bot Ameile oft Gelegenheit über ihn zu lachen.

Auf dem einsamen Furchenhof war damals eine Bewegung der Gemüther wie sie sich nur selten aufthut, und in Stube und Stall und Scheune sagte man einander, daß es gewiß nirgends lustiger hergehe. Man wußte nicht und wollte nicht wissen, was denn eigentlich vorging und warum Jedes am Morgen so fröhlich aus dem Schlafe sich erhob, man fragte nicht darnach und konnte es nicht sagen und das ist die beste aus innen quillende Freude. So viel aber wußte doch ein Jedes, daß Ameile der Mittelpunkt aller Lustbarkeit war. Selbst der alte Furchenbauer, der eine gewisse finstere Miene nie ablegte, konnte sich des Einflusses der »Blitzhexe« wie er Ameile auch bisweilen nannte, nicht erwehren, und es war doppelt zum Lachen, wenn man sah, welche Mühe er sich gab, bei den losen Streichen und Reden Ameile's seine ernste Miene zu bewahren, wie es aber innerlich zuckte und er am Ende doch nicht anders konnte, als laut auflachen. Oft an Winterabenden, wenn der Vater im Stüble saß und den Wälderboten studirte, während Ameile mit dem [102] Gesinde in der großen Stube spann und allerlei Kurzweil trieb, hörte man bei einer neckischen Rede Ameile's den Vater drin im Stüble laut lachen.

Als Dominik jetzt auf seinem Gang an diese Zeiten und besonders den sieben und vierziger Winter dachte, leuchtete die Heiterkeit von damals wieder aus seinem Antlitz.

Als im Vorfrühling darauf Alban aus der Fremde heimkehrte, trat plötzlich mit ihm ein anderer Geist ein. Ein Angehöriger und doch vielfach fremden Wesens war auf den Hof gekommen. Man hatte heiter und erfüllt gelebt in seiner Abwesenheit und es war als ob jedes gewaltsam Raum schaffen müsse für das Gebaren des neuen Ankömmlings, der so zu sagen der zweite Meister war und alsbald überall zugriff.

Mit Ameile ging eine besondere Veränderung vor, sie betrachtete den Bruder oft mit staunender Verehrung und glühte vor Entzücken, da ihr Alban stets mit etwas fremder und so zu sagen höflicher und doch wieder brüderlicher Zutraulichkeit begegnete.

Bald nach der Ankunft Albans hatte auch jene Bewegung begonnen, die so wunderbar die ganze Welt umstellte. Hand in Hand geleitete oft Ameile ihren schönen und so vornehmen Bruder hinab in's Thal zu den Waffenübungen, sie blieb mit der Mutter in der Ferne am Käppele stehen und sah ihm zu und ihr Herz lachte vor Freude. Hundertmal wünschte sie sich im Scherz und Ernst, auch ein Bursche zu sein und klagte, daß bei der neuen Welt gar nichts für die Mädchen herauskäme. Dominik war mit unter den Bewaffneten, [103] aber er wußte, daß Ameile nicht seinetwillen auf der Anhöhe stand und unverwandten Blicks herabschaute; sie hatte nur ein Auge für ihren Alban. Dominik war innerlichst eifersüchtig auf diesen, aber er durfte sichs nicht merken lassen und bald hatte er keinen Grund mehr dazu. Die Hinneigung Albans zu Vreni ward sichtbar und Dominik schöpfte daraus neue, wenn auch unbestimmte Hoffnung, aber die Welt war ja jetzt eine andere, alle Menschen waren Brüder, und noch leichter als Alban die Vreni heimführte, konnte der Knecht des Bauern Tochter gewinnen. Ameile schloß sich fortan mit klugem und gutem Herzen der Vreni an, sie konnte dem Bruder ihre Liebe nicht besser erweisen, und als Alban einst in militärischer Weise den Dominik Kamerad nannte, sagte Ameile:

»Dem Dominik gönn' ich's am ehesten, daß er dein Kamerad ist.«

Dennoch war Ameile äußerst zurückhaltend, und wollte Dominik sich ihr nähern, hatte sie immer eine scherzende Abweisung. Als der Zerfall zwischen dem Vater und Alban eingetreten war, wurde Ameile oft still und in sich gekehrt und einmal sagte sie zu Dominik:

»Es ist doch Recht, daß du mich schon lang aufgeben hast, dabei wollen wir auch bleiben.«

Fortan verhielten sich Dominik und Ameile so, als ob nie etwas zwischen ihnen vorgegangen wäre. Ameile, die ihren Bruder so sehr geliebt hatte, wurde wunderbarerweise bald wieder so heiter wie ehedem; sie war überzeugt, daß ihr Bruder unbedingt Unrecht habe und [104] sprach das auch unverhohlen gegen den Vater aus. Es ging sie nichts an, was er für einen Streit mit dem Vater hatte, es war und blieb jedenfalls unverzeihlich, daß er die Sache aus dem Hause trug. Was im Hause vorgeht und besonders zwischen Vater und Kind, das darf nicht über die Schwelle.

Der Vater wurde nun noch besonders liebreich gegen Ameile, da er sie so reden hörte und er ging einmal so weit, daß er ihr sagte: »Du bist mein einzig Kind, an dem ich Freud' hab'.«

Dominik war wortkarg und ging still seiner Arbeit nach. Wenn ihn auch Ameile auch oft ermahnte: »Bös brauchen wir just nicht mit einander zu sein; wir dürfen doch mit einander lachen.« Dominik ging nicht darauf ein.

Ein stolzer Bauernbursche wie Alban, der kann es wagen, eine neue Regel für sich aufzustellen und keck über altgewohnte Schranken hinwegzusetzen; ein Knecht, der sich sein Leben lang fügen und ducken mußte und allezeit nach seiner Herkunft schaut, findet die erforderliche Spannkraft hierzu nicht. Es giebt Naturen, die die Abhängigkeit immer weicher und zaghafter macht.

Das Vertrauen, das nach dem Zerfalle mit Alban der Furchenbauer jetzt seinem Knechte schenkte, erweckte in diesem den alten Vorsatz: er wollte Ameile nicht in's Unglück stürzen und dem Vater nicht neuen Kummer bereiten.

Darum hatte er noch gestern beim Aepfelschütteln so herb gegen Ameile gethan und am Abend am Brunnen sich zu wenigen Worten herbeigelassen. Jetzt aber, [105] da er allein war auf dem Wege, sang sie ihm allezeit in's Ohr: »Schätzele, Engele.«

In Jettingen, wo Dominik das Schwärzle einstellte, daß es sich an Futter und Ruhe erhole, gönnte er sich selber keine Rast. Er eilte eine halbe Stunde ab des Weges zu seiner Mutter nach Nellingen, er hatte sich nicht darüber berathen und sich nicht dazu entschlossen, es trieb ihn unwiderstehlich fort. Im armseligen väterlichen Hause, das nun der ältere Bruder besaß, traf er die Mutter nicht; sie war, wie die heimgebliebenen Bruderskinder sagten, beim Kartoffelausthun auf dem Felde des Hirzenbauern. Dominik kannte das Feld und eilte dorthin. Auf dem Wege schlug ihm das Herz gewaltig, da er bedachte: wie grausam es sei, daß die alte Frau noch taglöhnern müsse; er kam sich als schlechter Sohn vor, denn er überdachte, wie oft er sich gutthue und seiner Mutter vergesse. Im Hinausschreiten gelobte er sich, dies fortan zu ändern. Die Mutter, eine lange dürre Gestalt, reichte ihrem Sohn die Hand und hob gleich wieder die Harke und wollte während des Harkens mit ihm weiter sprechen; der Sohn des Hirzenbauern, der den Dominik freundlich bewillkommte, sagte ihr aber, sie solle nur mit ihrem Sohn heimgehen, sie solle doch ihren Taglohn erhalten. Dominik dankte und ging langsam neben der Mutter durch das Dorf hinein, die Wangen brannten ihm; denn er mußte eilen, er hatte gegen den ausdrücklichen Befehl seines Herrn diesen Abweg gemacht, aber er zwang sich doch zur Ruhe. Er hatte der Mutter nichts mitgebracht als den verheißenden Gruß, den Ameile ihm mitgegeben; sie [106] bat ihn um Geld, er versprach ihr von Wellendingen zu schicken, und als eben der Hirzenbauer auf seinem Bernerwägelein am Hause vorüberfuhr, sagte er: »Ich schick Euch's mit Dem, verlaßt Euch darauf, und ich komme bald wieder.«

Als Dominik schon die Thüre in der Hand hatte, fragte ihn noch die Mutter: »Ist's denn wahr, daß dir dein Bauer sein' einzige Tochter giebt?«

»Wer hat das gesagt?«

»Ich hab's gehört, die Leut reden davon. Mach nur, daß ich's noch erleb'.«

»Da könnt Ihr lang leben bis dahin,« schloß Dominik und machte sich eilig auf den Rückweg durch den Wald. Das Schwärzle brummte ihm entgegen, als er in den Stall trat und ohne Säumen machte er sich nun mit ihm auf nach ihrem Ziel.

Draußen vor Jettingen fuhr der Hirzenbauer an ihm vorüber und winkte ihm zu, sich zu beeilen; Dominik glühte vor Erregung, es war schon spät, er konnte die ganze Feierlichkeit versäumen und mit seinem Herrn hart zusammentreffen; es war unbegreiflich einfältig, daß er nach Nellingen gesprungen war, er hatte ja doch nichts mit seiner Mutter reden können und was sollte er auch? Das Schwärzle mußte in langsamem Gang erhalten werden, damit es nicht erhitzt und abgemattet ankomme, das hätte neuen gerechten Zank gegeben vor aller Welt, und heute sollte er ja wegen seiner treuen Dienste öffentlich belohnt werden. Dominik wünschte sich Riesenkraft, damit er das Schwärzle tragen und mit ihm davon rennen könne; er hätte ihm [107] gern geholfen seine Schritte fördern, aber er konnte nichts thun als langsam neben ihm hergehen. Dahin war nun all der fröhliche Muth, all das morgenfrische Leben der vergangenen Stunden, und oft fuhr er sich über die heiße Stirn, wenn er bedachte, was seine Mutter ihm gesagt und was die Leute redeten.

Erst nach geraumer Weile, als aus einzelnen Gehöften Leute kamen, die gleich ihm ein Rind oder einen Stier zur Preisbewerbung nach Wellendingen führten, beruhigte er sich und schalt sich innerlich über seinen unnöthigen Jast; es war ja noch früh an der Zeit und in der That war er einer der Ersten an dem Wirthhaus zum Apostel in Wellendingen.

Festgefahren

Festgefahren.

Der Furchenbauer war noch nicht da. Heitern Sinnes war er am Morgen mit seiner Tochter ausgefahren. Er war festtäglich gekleidet, er trug seinen schwarzsammtnen, roth ausgeschlagenen kragenlosen Rock, dazu die rothe Weste mit silbernen Kugelknöpfen, den breiten schwarzen Hut mit nach hinten flatternden Band-Enden. Auch Ameile war im vollen Putz. Der safrangelbe hohe Strohhut mit schmaler nach vier Seiten eingebogener Krämpe, die schwarzen um das Kinn gebundenen breiten Sammetbänder hoben noch die frischen Farben ihres runden Antlitzes, um den Hals war ein schwarzblaues seidenes Tuch geschlungen, dessen rothe Endstreifen im Nacken flatterten und lange Zöpfe mit [108] eingeflochtenen rothen Bändern hingen den Rücken hinab; der schwarzsammtne »Schoben« (die Jacke) nach vorn offen ließ die Silberkettchen auf dem rothen Mieder sehen und war nach einer glücklichen Neuerung bis auf die Hüfte verlängert, dazu die weiße Schürze, der schwarze Rock mit Scharlach und Goldborden eingerändert und die rothen Strümpfe vollendeten den Festanzug.

Die beiden Schweißfuchsen gingen ruhig, der alte Mann lenkte sie leicht und nur manchmal draußen vor den Dörfern überließ er Ameile auf ihr Bitten das Leitseil und Ameile schnalzte mit der Zunge und fuhr lustig. Auf dem allzeit finstern Antlitze des Bauern ruhte heute der Abglanz des Triumphes, daß vor aller Welt heute sein Knecht und sein Vieh mit dem Preis ausgezeichnet würde; der eigentliche Ruhm davon gehörte doch dem Herrn und Meister.

Wäre nicht der geheime Kummer um Alban gewesen, in dem Furchenbauern hätte lauter Freude und Wohlbehagen gelebt. Er gedachte jenes Tages, da er mit Sorge um seinen Fruchtwagen diesen Weg gefahren; jetzt war die Welt wieder ruhig, und gehörte er auch nicht gerade ganz zu Denen, die Dem Recht geben, der Recht behalten, oder, wie der Klein-Rotteck von Nellingen sagt, dem Anderen zuvorgekommen und ihn zuerst ins Loch gesteckt hat: so dachte er doch nicht mehr viel an solcherlei Dinge. Die Hauptsache war auch ihm, daß man jetzt wieder die Erträgnisse des Ackers gut absetzt; im Uebrigen mag die Welt regieren wer will und wer kann.

Seit vielen Jahren war der Furchenbauer Mitglied[109] des landwirthschaftlichen Vereines; der alte, in diesem Bezirk ehedem so sehr beliebte Oberamtmann Niagarra, dessen Lachen immer so mächtig war und lautete wie wenn ein Klafter Holz zusammenfällt, hatte den Furchenbauer zum Eintritt beredet und er blieb dabei, denn er sah den jährlichen Beitrag als eine Art Ehrensteuer an, der sich ein großer Bauer nicht entziehen dürfe. Von all den vorgeschlagenen Verbesserungen in der Landwirthschaft, von den vielen empfohlenen Werkzeugen hatte sich der Furchenbauer nur wenige angeeignet; er befand sich wohl bei seinem alten Verfahren und hatte nicht Lust Neues zu versuchen, das nicht nur fraglich, sondern auch ihm fremd war und dadurch seine Meisterschaft herabsetzte. Eines aber hatte er gern befolgt. Mehr aus Stolz als aus Einverständniß mit der Sache hatte er seinen Alban in die neuerrichtete Ackerbauschule gegeben, und das hatte böse Frucht getragen; wenigstens wälzte der Vater die wesentliche Schuld auf dieses Verhältnis. Jetzt aber zeigte sich doch auf Einmal ein strahlender Erfolg seiner Mitgliedschaft und halb vor sich hin und halb in sich hinein murmelte der Furchenbauer:

»Die Leute werden Alle sehen, wie gut es meine eigenen Kinder bei mir haben, wenn es mein Knecht so gut hat, wie sich öffentlich ausweist.«

Er schien dieser Rechtfertigung vor sich und der Welt zu bedürfen. Ameile, die diese Worte wohl hörte, erwiderte nichts darauf und der Vater sah sie scharf darob an. Er ärgerte sich aber nicht nur über das Schweigen des Kindes, sondern auch über seine eigene [110] Redseligkeit; es war nicht wohlgethan und ganz gegen alle strenge Familienzucht, sich so vor dem Kinde auszulassen.

Unmittelbar vor dem Dorfe Reichenbach wäre den Fahrenden beinahe ein Unglück geschehen. Alban kam gerade mit einem großen Düngerwagen aus dem Dorf heraus, als der Furchenbauer in dasselbe einfuhr; sei es nun, daß der Vater die Zügel in zitternder Hand lenkte oder daß die Pferde Alban erkennend auf ihn zueilten – unversehens hingen die beiden Fuhrwerke in einander und konnten nicht vom Fleck und um ein Kleines wäre Alban dazwischen zerquetscht worden. Ameile riß dem Vater rasch die Zügel aus der Hand, rief Alban, er möge sein Gespann halten, daß es nicht vorwärts gehe und drang in den Vater, daß er absteige, so lange sie die Pferde halte. Alban stand eine Weile an seinen Sattelgaul gestemmt, der sich hoch bäumte, aber er bändigte ihn, und mit einer geschickten Wendung löste er rasch die Stränge, sprang behend über die Deichsel und löste die Stränge dem andern Pferde gleichfalls. Nun konnte sein Fuhrwerk nicht mehr vom Fleck und keinen Schaden mehr anrichten. Er eilte nun, dem Vater beim Absteigen zu helfen. Dieser hatte den einen Fuß über der Leiter und wagte trotz der Ermahnungen Ameile's nicht, den andern Fuß nachzuziehen; das Ungemach und das Zusammentreffen mit Alban hatte ihn ganz wirr und blöde gemacht. So stand er noch, mit hülfesuchendem Blick umherschauend als schwebte er am Rande eines Abgrundes, da kam Alban, faßte ihn mit starken Armen, [111] hielt ihn hoch empor und stellte ihn dann sanft auf den Boden. Er befahl Ameile, ruhig sitzen zu bleiben, hob wie spielend die Hinterräder ihres Wagens in die Höhe und zur Seite, sprang vor an den Kopf der Thiere, lenkte sie etwas zurück und dann wieder vorwärts und flott war das Fuhrwerk. Der Vater stieg behende wieder auf, die Beihülfe Albans abwehrend, und dieser stand noch eine Weile ruhig, die Hand auf die Wagenleiter gelegt und schaute dem Vater in's Antlitz; dann sagte er:

»Es hat schon so sein müssen, Vater, daß wir einander auffahren.«

»Fahr' zu!« herrschte der Furchenbauer gegen Ameile als Antwort, und an die Schwester gewendet mit zornig wehmüthigem Tone sagte Alban wieder:

»Wohin geht's?«

»Gen Wellendingen zum landwirthschaftlichen Bezirksfest, unser Dominik kriegt heut einen Preis und vielleicht das Schwärzle auch. Kehr' um und führ' uns, wir können so Beide nicht fahren, hast gesehen,« entgegnete Ameile und der Vater befahl nochmals: »Fahr' zu!«

»Ich kann nicht mit,« sagte Alban vor sich niederschauend, »ich bin hier Knecht.« Er reichte der Schwester die Hand und schloß: »B'hüt dich Gott.« Auch dem Vater streckte er die Hand entgegen und sagte: »B'hüt's Gott Vater.« Er zog die dargereichte Hand aber leer zurück, denn der Vater riß Zügel und Peitsche an sich und fuhr davon. Ameile schaute noch einmal zurück und winkte dem Alban, dieser aber sah sie nicht, [112] denn er strängte die Pferde wieder ein, stieg auf den Sattelgaul, untersuchte die Treibschnur und fuhr hell knallend die Straße hinauf und dann querfeldein.

Draußen vor dem Dorf sagte der Furchenbauer:

»Der Malefizbub ist mir überall im Weg. Wenn ihm der Dominik Bescheid gegeben hat, geht's dem schlecht. Der Malefizbub hat's gewiß erfahren, wann ich komm', und hat mir zeigen wollen, wie er Knecht ist, und aufgefahren ist er auch mit Fleiß, es kann ja kein Hofkutscher besser fahren wie er.«

»Nein Vater, da thuet Ihr ihm Unrecht, er hat halt die Besinnung verloren, wie er uns gesehen hat, wie wir Beide auch.«

»Ich nicht.«

»Man sieht ihm aber nichts mehr von seiner Krankheit an,« begann Ameile nach einer Pause, und der Vater fragte:

»Ist er denn krank gewesen? Woher weißt du's?«

»Ich hab' des Jörgpeters Maranne von hier Setzling (zu Kohl) verkauft und die hat mir gesagt, daß er's auf der Brust hab'.«

»Das ist nichts. In unserer Familie ist Alles gesund auf der Brust und der Alban hat eine Brust wie ein Faß.«

»Er sieht doch aber aus wie ein Graf.«

»Viel zu wenig, zum Geringsten wie ein Prinz. Red' mir heut kein Wort mehr von ihm. Punktum. Ich werd's heut wieder von fremden Leuten schon genug hören müssen.«

Trotz dieser Mahnung sagte Ameile doch nochmals:

[113] »Ihr hättet ihm wohl ein' Hand geben dürfen, er hat so herzgetreu Behüt's Gott gesagt. Das Wasser ist ihm in den Augen gestanden.«

»Ich will aber keine Hand und kein Wort von ihm. Still jetzt, du darfst mir heut seinen Namen nimmer gedenken, oder ich zeig' dir, daß ich über dein Schneppebberle auch Meister bin. Punktum sag' ich zum Letztenmal.«

Der Furchenbauer konnte den Seinigen verbieten, von Alban zu sprechen, selbst aber sein zu gedenken, dessen konnte er sich nicht erwehren. Er hatte seit anderthalb Jahren die Stimme seines Kindes zum Erstenmal wieder gehört, das Auge des Kindes hatte lange auf diesem starren Antlitze geruht und die Mienen wurden nur noch finsterer und die schmalen Lippen wurden oft zwischen die Zähne gekniffen.

Erst als er sich Wellendingen näherte und den Leuten begegnete, die ihr Vieh zur Preisbewerbung führten, lächelte der Furchenbauer vor sich hin. Als Dominik am Apostel auf ihn zukam, rief er diesem barsch zu.

»Bist doch über Reichenbach gefahren und hast dem Alban gesagt, daß ich auch komm'?«

»Nein, ich bin wie Ihr befohlen, über Jettingen gefahren; der Hirzenbauer kann mir's bezeugen.«

»Schon recht. Ist das Schwärzle gut gelaufen?«

»Ja, wie ein Hirsch.«

Der Furchenbauer ging mit Ameile nach der Wirthsstube, wo Spitzgäbele ihn alsbald bewillkommte.

[114]

Ein officielles Volksfest, eine exotische und eine wilde Blüthe

Ein officielles Volksfest, eine exotische und eine wilde Blüthe.

Seitdem wieder jede freie und natürliche Strömung des Volkslebens gebunden ist, seit die Verzweiflung an der Macht des rein sittlichen Gedankens immer allgemeiner zu werden droht, seit man Eidbruch und Verhöhnung des Rechts und Ehrgefühls als nicht zu erörternde Thatsachen hinstellt, ist von dem stolzerhabenen Fahnenrufe der vergangenen Jahre Alles verlöscht worden und nur das eine Wort: Wohlstand stehen geblieben. Die öffentlichen Stimmen rufen es allein aus und jeder Einzelne dünkt sich weise und gewitzigt und berühmt sich dessen, daß der günstige Geschäftsbetrieb, der Wohlstand, doch das einzige Wünschenswerthe sei. Höheren Ortes – wie man es nennt – wird diese Richtung sorglich gepflegt und ihr allenfalls noch durch Erweckung eines kirchlichen Sabbathsinnes ein Gegengewicht zu geben versucht; jede Bürgerehre, jede sittliche Verbindung der Staats-und Volksgenossenschaft wird als entbehrlich, ja vielfach als strafwürdig angesehen. Wenn sich hierdurch die bürgerlich-sittliche Gemeinschaft immer mehr aufzulösen droht, so wird der einsichtige Kenner der Menschengeschichte dennoch nicht trostlos verzweifeln, vielmehr die Zuversicht schöpfen, daß trotz aller eigensüchtigen Zerfahrenheit doch am Ende wieder Ehre und Freiheit sich entwickeln muß, wenn auch zunächst nur als die höchsten Güter des Genusses oder des Wohlstandes, wenn man es so nennen will.[115] Und auch jetzt schon, so wenig man es auch Wort haben will, zeigt der Staat, daß er diesseits der Markscheide der jüngst vergangenen Jahre andere Ziele haben muß: die ehemalige verneinende Polizeikunst möchte sich zu einer positiven Förderung des Gemeinwohls entwickeln, möchte von oben herab beglücken, ohne das doch je zu können.

Die vergangenen Jahre haben es oft dargethan, daß der Bauernstand die Pfahlwurzel alles gesunden Staats- und Nationallebens sei, und ihm wendet sich nun die höchste und allerhöchste Fürsorge zu. Während man jede Volkssitte, die frecherweise ohne höhere Genehmigung aufgewachsen ist, auszutilgen sucht, während man das öffentliche Singen der Volkslieder in den Dörfern verbietet, während man die Spinnstuben in Acht und Bann erklärt und sogar polizeilich sprengt, während man die Kirchweihen alle auf Einen Sonntag verlegt und so Nachbardorf von Nachbardorf absperrt – will man in den landwirthschaftlichen Vereinen und Festen ein mit Kanzleitinte verschriebenes Surrogat dafür setzen. Da sollen die politischen Schreier einmal zeigen, ob sie wirklich etwas wissen zur Hebung des Nothstandes und zur besseren Ausnutzung der Arbeits- und Naturkräfte! Jeder Hinweis auf die große Strömung des Nationalbesitzthums und seine Erfordernisse erscheint natürlich alsbald als Flausenmacherei; es handelt sich hier nur darum, wie die Cultur, natürlich der Gewächse, zu fördern, wo man russischen Weizen und Luzerne pflanze, wie der belgische Pflug zu handhaben, wie der Dünger zu behandeln und welche Vortheile [116] bestimmte Kreuzungen und Veredlungen, natürlich der Hausthiere, bringen. Zeigt sich dann auch beim Schmause eine gewisse Lebendigkeit und Lustigkeit, sie ist doch immer gedämpft und in Schranken gehalten, oder will einmal gar wildes Wasser einbrechen, es sind Dämme genug da, durch die Anwesenheit der Angestellten, die hier freilich nur einfache Mitglieder sind, aber doch ihre Amtstitel behalten und sogar in entsprechenden Uniformen darstellen. Eine gewisse Humanität, die auch den Niederen und Niedersten bedenkt, ist dabei jedoch nicht vergessen, wie wir bald sehen werden.

Eine mit Eichenlaubgewinden, mit Astern und mannichfachen besonders ausgezeichneten Jahreserzeugnissen geschmückte Tribüne erhob sich am Gartenzaun des Apostelwirths, so daß die Versammlung auf der Straße zwischen dem Wirthshause und der breiten Tribüne sich aufstellen konnte; Fuhrwerke, die des Weges kamen, mußten um das Apostelwirthshaus herum weiter fahren. Hier war noch vor wenigen Jahren eine fast beständige Tribüne für Volksversammlungen gewesen; hier war der Reichstagsabgeordnete gewählt und waren Proteste gegen ihn erlassen worden, der Lenz von Röthhausen hatte hier seine glänzendsten Triumphe gefeiert. Der Ort war vortrefflich in der Mitte des Bezirkes gelegen und der Wirth war einer der eifervollsten Freisinnigen und rauchte beständig aus einer Heckerpfeife. Seitdem hat er sich anders besonnen, hat sich das Rauchen abgewöhnt, schnupft nur noch echten Pariser und ist sogar fromm geworden.

Eine Musikbande war im obern Stock des Wirthshauses [117] an den Fenstern aufgestellt, ein Trompetenstoß und darauf folgender Marsch verkündete, daß jetzt die Viehmusterung beginne. Natürlich hatten zwei mit Ober- und Untergewehr bewaffnete Landjäger den Zug angeordnet und hielten Wache. Die Preisrichter waren fünf. Obenan stand der derzeitige Präsident des landwirthschaftlichen Vereins, ein resignirter Cameralverwalter, der jetzt als Pächter mehrerer Domänen den Titel Domänenrath hatte, ein behäbiges und lustiges Männchen mit spärlichen grauen Haaren auf dem Haupte, die jetzt sichtbar wurden, da er beim Austreten aus dem Apostel fortwährend alle Anwesenden grüßte, die entblößten Hauptes vor ihm standen. Dominik war der erste, der seinen Hut wieder aufsetzte, denn das Schwärzle war unbegreiflich wild. Dem Domänenrath folgte eine hagere selbstbewußte Erscheinung, die den Schnurrbart zwirbelte; es war der Rittergutsbesitzer von Renn, ehemaliger Leutenant. Nun kam eine vollbärtige untersetzte Gestalt, ebenfalls ein studirter Oekonom, ehemals Pfarrkandidat und jetzt Pächter auf dem Sabelsbergischen Gute in Reichenbach, im Rufe gelinder Freisinnigkeit stehend. Der Hirzenbauer, Klein-Rotteck genannt, eine untersetzte, gedrungene Figur und der ewig lächelnde, halb städtisch gekleidete Schultheiß des Ortes beschlossen die Reihe der Auserwählten.

Die Thiere wurden vorgeführt und von allen Seiten gemustert, der Domänenrath riß ihnen das Maul auf, um das Alter zu erkunden, seine Hände trieften von Schaum; er gab seine Stimme ab: erster oder zweiter Preis, worauf die Andern in der Regel laut beistimmten, [118] nur der ehemalige Theolog und der Klein-Rotteck wichen manchmal ab. Als Dominik mit dem Schwärzle vorfuhr und sich mächtig anstemmen mußte, da das sonst so geduldige Thier in der Menschenmenge unter der Musik schnaubte, und hin und herriß, lächelte eine Frauengestalt aus dem untern Fenster des Apostels. Die Oberamtmännin stand dort neben Ameile und sagte: »Das ist ein prächtiger Bursch, und wie er sich gegen den Kopf des Thieres anstemmt, steht er zum Malen da.« Der Domänenrath prüfte das Schwärzle und einstimmig wurde ihm der erste Preis zuerkannt. Der Landjäger verwies Dominik mit dem Thiere nach der rechten Seite, das Thier schleifte ihn fast und er mußte mit aller Kraft hemmen.

Nun bestiegen die Preisrichter die Tribüne. Der Oberamtmann in seiner Uniform mit der gelben Schärpe und dem Degen an der Seite stellte sich auch dort auf. Ihm folgte die Oberamtmännin, die nicht abließ, bis auch Ameile mitging; sie stellte sich aber immer hinter die Oberamtmännin, so daß sie kaum gesehen werden konnte. Der Domänenrath hielt nun einen Vortrag über den Flurzwang und die Vortheile des Zusammenlegens der Grundstücke, den er mit manchen anschaulichen Bildern und Scherzen zu würzen wußte, so daß oft ein verhaltenes Lachen durch die Versammlung sauste.

Auf seinen Wink ertönte dann ein Trompetenstoß und die Austheilung der Dienstbotenpreise begann, wobei noch ausdrücklich bemerkt wurde, daß nur solche belohnt würden, die ohne nahe Verwandtschaft viele Jahre in Einem Hause vorwurfsfrei gedient haben. [119] Auf der Tribüne lagen rothe Kästchen, welche mit dem Namen der Belohnten bezeichnet waren und die Denkmünze enthielten. So oft ein Name ausgerufen wurde, reichte die Oberamtmännin dem Domänenrath das Kästchen, dieser reichte es hinab und jedesmal ertönte ein dreimaliger Trompetentusch. Dominik war erst der vorletzte unter den Preiswürdigen, weil seine Dienstzeit durch die Militärpflicht unterbrochen war. Als endlich sein Namen ausgerufen wurde, faßte Ameile unwillkürlich das Kästchen und ohne es durch die Hand des Domänenraths gehen zu lassen, reichte sie es Dominik unmittelbar hinab. Ein heller Trompetentusch ertönte, in den sich freudiges Zujauchzen der Versammelten mischte. Wer könnte ermessen, was in diesem Augenblick in Ameile und Dominik vorging? Der Domänenrath streichelte ihr die glühende Wange und sprach etwas von Ritterfräulein und Turnieren, Ameile verstand ihn nicht, sie schwebte wie auf den Tönen der Musik in Jubel und Bangen.

Dominik steckte das Empfangene ruhig in die Tasche, schaute nur flüchtig auf und sich ungeschickt verbeugend und stolpernd kehrte er zu seinem Thiere zurück. Dort erst öffnete er das Kästchen und es enthielt ihm jetzt in der That einen hohen Ehrenpreis. Der Furchenbauer brachte nun dem Dominik eine mächtige Kuhschelle mit neuem rothem Riemen, die er vorsorglich im Wagensitze mitgenommen. Das Schwärzle ließ sich nicht ohne Unruhe die Schelle umhängen und vom Apostelwirth den Kranz auf's Haupt setzen. Der Apostelwirth war ein kluger, politischer Kopf, er hatte Kränze bereit [120] gehalten für alle, die gekrönt worden waren, und er behauptete, ganz genau vorher gewußt zu haben, welches Thier preiswürdig befunden würde.

Der Domänenrath hielt hierauf noch eine sehr in's Salbungsvolle übergehende Anrede über die Tugenden eines wackeren Dienstboten; ein aufmerksamer Zuhörer hätte es ihm deutlich angehört, daß er auf einen Uebergang zu der nun erfolgenden Handlung spekulirte und in seiner Rede hin und her tappte; er fand aber den richtigen Ausweg nicht und half sich endlich damit, daß er wieder einen Marsch aufspielen ließ. Der Rainbauer von Hirlingen – der sogenannte Scheckennarr, weil er nur scheckiges Vieh hielt und es oft theuer bezahlte – erhielt den ersten Preis für einen selbstgezogenen hochbeinigen holländischen Zuchtstier, den vier Mann führen mußten. Unmittelbar darauf wurde das Schwärzle vorgeführt, unter dem Kranze hervor schaute sein Auge keck hinauf zu den Preisrichtern, während der Furchenbauer den Hut abzog, da er seinen Namen ausrufen hörte und wieder Trompetentusch erschallte. Er geleitete den Dominik noch aus der Reihe hinaus und befahl ihm, jetzt nur der Straße nach heimzufahren. Durch alle Dörfer sollte nun sein Ruhm erklingen, der noch verewigt wurde im Wochenblättle.

Dominik wartete indeß noch auf den Hirzenbauer, und als er ihn sah, übergab er ihm das Kästchen sammt der Denkmünze und bat ihn, solches seiner Mutter in Nellingen zu zeigen und ihr drei Gulden darauf zu leihen. Der Hirzenbauer entgegnete, daß er von Dominik kein Pfand brauche, er nahm aber [121] doch die Denkmünze mit, um solche, wie er sagte, der Mutter zu zeigen und für sie aufzubewahren.

Gern hätte Dominik noch einmal Ameile gesehen, er konnte sie aber mit keinem Blicke erspähen, und mit verlangendem Herzen machte er sich auf den Heimweg. Das Fest, vor dem er sich gestern noch fast gefürchtet hatte, war nun doch ein freudiges geworden, aber freilich nicht blos durch die von oben gesetzte Anordnung.

Kaum war Dominik eine halbe Stunde von Wellendingen, als ihm ein wilder Reiter auf schnaubendem Rosse begegnete und staunend erkannte er den Alban; er hielt an und fragte:

»Wohin des Weges?«

»Wo du herkommst,« erwiderte Alban.

»Dein Vater ist drin.«

»Das weiß ich und eben deßwegen komm' ich. Ich bin's satt zu warten bis er mich ruft; heim komm' ich nicht, aber wo er sich in der Welt sehen läßt, muß er mir Rede stehen. Ich bin lange genug das verstoßene Kind gewesen. Heut auf Einmal ist mir's eingefallen, daß ich keinen Tag mehr versäumen darf.«

»Wenn du mir folgst,« belehrte Dominik ruhig, »kehrst wieder mit mir um; vor allen Leuten machst die Sache nur ärger, da kann dir dein Vater nicht nachgeben, wenn er auch wollt', und glaub mir, er möcht' und weiß nur nicht wie. Kehr' mit mir um. Ich hab' dir einen Gruß von deiner Mutter. Du machst einen Unschick, wenn du weiter rennst.«

»Was Unschick?« rief Alban, »ich bin kein Knecht, [122] ich will's nicht sein; des Furchenbauer Großer darf auch schon einmal einen Unschick machen.« Er ritt in wildem Galopp davon.

Dominik rief ihm noch nach, das Ameile sei auch da, aber Alban hörte schon nicht mehr.

Eine neue Freundschaft geknüpft und eine alte Liebe zerrissen

Eine neue Freundschaft geknüpft und eine alte Liebe zerrissen.

Im obern Saale des Apostels hielt unterdeß der Domänenrath eine sehr geschickte Rede; er sagte, es sei noch ein wichtiger Gegenstand auf der Tagesordnung zu erledigen, er glaube aber allgemeiner Beistimmung sicher zu sein, wenn er voraussetze, daß ein anderer Gegenstand noch viel dringender und das sei, daß man vorher esse. Alles schrie durcheinander »Ja wohl! Bravo!« und manche riefen vorzeitig: »Der Herr Domänenrath soll leben hoch und abermals hoch.« Es war eben eine Versammlung der materiellen Interessen und Jeder beeilte sich einen guten Platz dafür zu erlangen. Der Furchenbauer erhielt seinen Platz zwischen Spitzgäbele und dem Hirzenbauer.

Die Oberamtmännin kam und bat in wohlwollenden Worten, daß Ameile bei ihr sitzen dürfe. Der Furchenbauer willfahrte mit doppelter Freude, denn das war nicht nur eine hohe Ehre, sondern auch ein Gegengewicht gegen seine vertrauliche Nachbarschaft mit dem Hirzenbauer, der als unbezwinglicher Radikaler bekannt und von den Beamten übel angesehen war.

[123] Die Oberamtmännin hatte seit dem Betreten der Tribüne Ameile nicht mehr von ihrer Seite gelassen, sie erkannte bald ein Liebesverhältniß zwischen der Bauerntochter und dem Knechte und die überraschende Preisübergabe bestätigte dieß vollkommen; sie liebte jetzt Ameile, denn in dem was sie unwillkürlich gethan hatte, sah die Oberamtmännin einen unmittelbaren Herzenstakt und sie bewunderte den sichern Muth desselben, der eine scheinbare Demüthigung des Geliebten in eine Erhöhung verwandelte. Die Oberamtmännin war eine Frau von tiefem idealem Streben. Während ihr Mann allezeit über die Rohheit der Menschen und die Rauheit der Gegend zu klagen hatte, in deren Mitte er versetzt war, verklärte die Oberamtmännin gern Alles mit einem idealen Schimmer; sie erquickte sich an der Zutraulichkeit in dem Wesen der Menschen und manche Bergschlucht, die man bisher nur als eine unwirthliche Stätte gekannt, wo man nicht einmal das Holz fällen und thalwärts bringen könne, entdeckte sie als ein heimliches Naturheiligthum voll romantischen Zaubers, dahin sie oft wallfahrtete und zum Staunen der Umwohnenden auch andere Städter beredete. Auf solchen Wanderungen trat sie oft in einsame Bauernhöfe und Häuslerhütten ein; sie hatte das Bedürfniß, auch den Menschen nahe zu kommen, aber es gelang ihr nicht. Bei dem landwirthschaftlichen Fest leistete sie immer gern Beistand, und doch kehrte sie jedesmal unbefriedigt von demselben zurück; sie verkannte die Nothwendigkeit der materiellen Debatten nicht, aber es fehlte doch gar zu sehr an Schönheit und Innigkeit. »Unserer [124] Zeit,« klagte sie einst ihrem Mann, »ist der weltlichreligiöse Geist der öffentlichen Naivetät abhanden gekommen. Wir können uns kaum mehr denken, daß einst die Männer in Griechenland Thyrsusstäbe schwangen und sich das Haupt bekränzten und daß sie in Kanaan Palmenzweige schwangen; wir schämen uns jedes äußern Zeichens der Lust, höchstens wagt man es noch, Kinder zu bekränzen oder stecken Jünglinge einen grünen Zweig auf den Hut.«

Der Oberamtmann, der in seinem häuslichen Kreise nicht ungern zarte Empfindungen hegte, hatte seine Frau zu überzeugen gesucht, daß die Gebildeten keine Festesattribute für das Volk aufbringen können und die Oberamtmännin hatte trotz ihrer übergreifenden Wünsche innere Kraft genug, das was sich nicht äußerlich und allgemein darstellen ließ, in einer innerlichen Beziehung und bei Einzelnen zu suchen und sich von keiner Herbheit abstoßen zu lassen.

Die Oberamtmännin stand noch unter dem Einflusse der Nachwirkung, daß sie sich einst öffentlich lächerlich gemacht hatte: sie war eben in dem Gedanken, daß den Vereinigungen der neuen Zeit auf's Neue Schmuck und Zier gegeben werden müsse, mit Blumen und Aehren auf dem Haupte erschienen. Sie erfuhr bald den Fehlgriff, den sie begangen und dessen Folgen nicht so bald schwanden, aber sie war ehrlich und stark genug, nicht aus Empfindlichkeit fortan ihren innersten Bestrebungen untreu zu werden. Heute nun hatte sie gewonnen, wonach sie so lange trachtete: Ameile war ein holdes frisches Naturkind und noch dazu verklärt [125] durch eine fast tragische Liebe. Anfangs wurde Ameile fast erschreckt durch die übermäßige Zuthulichkeit und Freundlichkeit; ein Bauernkind kann es nicht fassen, warum ein Nichtverwandtes und noch dazu ein Höhergestelltes sich ihm vertraulich zuneigen soll. Die Oberamtmännin erkannte das so zu sagen Rehscheue in dieser Natur und sie erzählte nun, daß sie auch einen ledigen Bruder habe, der Landwirth sei. Ameile lächelte bei dieser Mittheilung, es lag etwas Schmeichelhaftes darin, wenn sie das auch innerlich ablehnte; sie sagte aber nur:

»Er hat gewiß aber auch so feine Händ' wie die Frau Oberamtmännin?«

Hieran knüpfte sich nun ein immer weiter gehendes vertrauliches Gespräch und die beiden Frauen, so verschieden in Bildungsstufe und Lebensanschauung, wurden immer vertrauter mit einander.

Man wird es immer finden, daß edelsinnige Frauenherzen, wenn sie durch sich selbst oder durch äußere Bedingungen über gewisse Begrenzungen hinausgehoben sind, sich bei rascher Begegnung leicht aneinander anschließen; die gesellschaftlichen Unterschiede und Schranken sowie die starren Besonderheiten von Beruf und Gesinnung, die den Mann kennzeichnen, fallen bei Frauen oft leichter weg; der Lebenskreis hat trotz aller Verschiedenheit doch wieder im Wesentlichen ein Gleichartiges. Die Oberamtmännin verstand das herauszufinden, und bald erzählte ihr Ameile mit bewegter Stimme das Leben auf dem väterlichen Hof und – da es doch schon in der Welt bekannt war – den Zerfall mit Alban.

[126] »Ihr solltet euch an meinen Mann wenden,« schloß die Oberamtmännin, »der würde die Sache gütlich in's Reine bringen.«

»Das geht nicht, Gott behüte, das geht nicht,« entgegnete Ameile.

»Und warum? Mein Mann ist die beste Seele.«

»Glaub's wohl, aber das geht nicht, das thät ich nicht leiden, nie. Was für Zwei ist, ist nicht für Drei, hat mein' Mutter im Sprüchwort. Es ist schon arg genug, daß unser Familienstreit draußen in der Welt herumfährt; das wär' gar noch eine unerhörte Schand', wenn man mit einander vor Amt ging'.«

Dieses starre Festhalten, eine Familiensache nie zum Austrag vor das bestellte Gericht zu bringen, erschien der Oberamtmännin als jene Feindseligkeit, von der sie schon oft gehört hatte, indem man die bestellten Beamten als natürliche Feinde und Widersacher ansieht. Sie seufzte vor sich hin und betrachtete in schweigendem Nachdenken Ameile. Mit welcher Widerspenstigkeit und welchem verschlossenen Trotze hatte das Mädchen jene Worte gesprochen. Wie ist das sonst so offenbar Scheue in diesem Wesen mit solcher schroffen Widersetzlichkeit vereinbar? Ist aber das Scheue nicht gerade eine verhüllende Form der Wildheit und Unzähmbarkeit?

Als die Oberamtmännin Ameile zu Tisch führte, war diese voll Lustigkeit und äußerst gesprächsam; sie bat die Frau Oberamtmännin auch einmal auf den Furchenhof zu kommen, damit sie ihr die Ehre auch in etwas vergelten könne. Die Oberamtmännin sagte zu, indem sie beifügte, man habe ihr von einer schönen[127] Felsenparthie in der Nähe des Furchenhofes gesagt, die des Geigerles Lotterbett heiße und schroff abginge in einen Waldbach. Ameile bestätigte und sagte aber, es sei ein »wüster Weg« dahin und es sei auch nichts zu sehen als Felsen und Bäume; sie berühmte dagegen den Wald am Kugelberg, die schönen Wiesen und den Kuhstall, die dürfen sich sehen lassen.

Die Oberamtmännin war nun äußerst heiter und versprach zum Frühling zu kommen; vorher aber müsse Ameile sie in der Stadt besuchen.

Ameile thaute immer mehr auf und manche kluge Rede kam über ihre runden Lippen; die Oberamtmännin machte heute eine seltsame Erfahrung, denn Ameile sagte ihr einmal zutraulich keck:

»Sie sind so gescheit wie die rechteste Bauernfrau.«

Dieses Lob erschien Anfangs eben so wunderlich als übermüthig, bald aber erkannte die Oberamtmännin, daß Ameile sie nach ihrem Herzen nicht besser loben konnte. Der Bauer ist nichts weniger als bescheiden, er traut den Gebildeten und Studirten fast nur verdrehten Verstand zu, weil er sie oft über Dinge entzückt und über andere mit Abscheu erfüllt sieht, die ihm solche Empfindung gar nicht einflößen. Das höchste Lob was ein Bauer Einem aus dem Herrenstande zu spenden vermag, ist, daß er ihm den Lebensverstand zuerkennt; und am Ende kann Niemand anders als mit eigenem Maße messen, nur der Freigebildete anerkennt bis zu einem gewissen Grade auch solche Dinge und Anschauungen, die ihm nicht genehm sind.

[128] Aus dieser Erfahrung heraus wurde die Oberamtmännin immer herzlicher gegen Ameile und ihr anfänglich eigentlich nur allgemeines Interesse wurde zu einem persönlichen.

Während Ameile am obern Tisch viel lachte, war der Vater von Spitzgäbele und dem Hirzenbauer in die Mitte genommen.

Der Furchenbauer hätte sich gern vom Klein-Rotteck zurückgezogen, denn er war ihm innerlich neidisch, weil er sehen mußte, wie dieser zwei Söhne, wovon einer die Eichbäuerin geheirathet hatte, und einen Tochtermann hier bei Tische hatte, während er allein stand; auch hänselte ihn der Klein-Rotteck wiederholt, indem er sagte: »Es nutzt dich jetzt nichts mehr, daß du ein Aristokrat sein möchtest, du hast einmal als Altliberaler ein' Bläß und das schmiert dir kein' Kanzleitinte zu, und du bist grad so übel angesehen wie ich. Sie haben dich auch nicht zum Geschwornen gewählt wie mich. Drum wär's besser, du thätest gleich mit uns.«

Wir haben schon oft gehört, daß der Hirzenbauer Klein-Rotteck heißt und müssen nun auch erzählen, woher das kam; es entstand einfach, daß er in den dreißiger Jahren bei einer Versammlung in Freiburg öffentlich sprach, worauf ihm der berühmte Rotteck auf die Schulter klopfte und sagte: »Ihr könnt so gut öffentlich sprechen wie wir.«

Der Klein-Rotteck war heute in gereizt übermüthiger Laune und es war nicht abzusehen, wohin das führt. Der Furchenbauer hörte ihm nicht zu, als er giftigen Spott über Uniform, Degen und Schärpe des[129] Oberamtmanns losließ. Jetzt aber horchte er doch auf als er sagte:

»Wenn die Sach' nicht in der Kanzlei angesetzt wär', müßten wenigstens die Dienstboten, die den Ehrenpreis bekommen haben, da mit uns am Tisch sitzen.«

»Und die Kühe und Ochsen auch,« ergänzte Spitzgäbele lachend; der Furchenbauer aber nahm ruhig das Wort und sagte:

»Der Ehrenpreis gehört eigentlich dem Meister, weil er's so lang mit dem Lumpengesindel aushält. Es ist ein wahres Elend, daß man so viel Dienstboten halten muß.«

»Darum zerschlag' dein Gut wie dein Alban will,« schaltete Klein-Rotteck ein; der Furchenbauer hörte nicht darauf, sondern fuhr fort:

»Wenn Eines von meinen Dienstboten was verfehlt hat und ich halt's ihm vor, ruhig und streng, darf es sich nicht entschuldigen, das leid' ich nicht, es muß einfach eingestehen: das und das war nicht recht. Es ist verteufelt, wie stockig sie oft sind und der Dümmste findet noch Ausreden, nur um nicht sagen zu brauchen, ich hab's dumm gemacht, ich bin dumm gewesen; und wenn man einen Dienstboten fortschickt, da sieht man erst, wie galgenfalsch sie gewesen sind –«

»Das mußt du bald wieder erfahren,« sagte Spitzgäbele und zog den Furchenbauer nahe an sich, damit es der Klein-Rotteck nicht höre. Er erzählte nun, wie er es so viel als richtig gemacht habe, daß der älteste Sohn des Scheckennarren das Ameile heirathe, aber jetzt sei Alles wieder auseinander; ein Jedes rede davon, [130] daß das Ameile mit dem Dominik verbandelt sei, und es habe sich ja gezeigt, wie sie ihm den Preis selber übergeben habe. Der Furchenbauer suchte zuerst über das Gerede zu spotten, da kein wahres Wort daran sei; Spitzgäbele erzeigte ihm den Gefallen und that als ob er der Versicherung glaube, empfahl ihm aber dennoch, weil nun einmal die Rede sei, den Knecht wegzuthun. Der Furchenbauer konnte nicht umhin beizufügen, wie brav der Knecht gewesen sei, daß er ihn vermissen werde und besonders jetzt in der Dreschzeit; dennoch schwur er, daß Dominik ihm noch heute aus dem Hause müsse und Spitzgäbele empfahl ihm nur, es ohne Aufsehen zu thun. Die Beiden sprachen noch viel miteinander, die Musik spielte lustig dazu auf und der Klein-Rotteck hatte sich zu seinem Nachbar gewendet, dem er erzählte, daß er fünf Söhne habe, davon sei der Aelteste Advokat, der Zweite sei gut versorgt, er habe die Eichbäuerin geheirathet und unter die drei Jüngsten theile er sein Gut, es behielte Jedes noch genug, um zwei Knechte zu halten.

»Weißt mir Niemand für meinen Vinzenz?« fragte der Furchenbauer heimlich, und Spitzgäbele erwiderte ebenso:

»Das geht nicht, bis du mit deinem Alban abgemacht hast; das sagt Jedes.«

Ohne zu wissen warum wendete der Furchenbauer plötzlich seinen Blick nach dem Empor des Saales, wo die Musikanten waren. Hatte ihn der Wein benebelt oder was war das? Dort schaute ja Alban mit festem Blick auf ihn herab. Er fragte Spitzgäbele ob er nichts [131] dort sähe, aber dieser sah nichts, es mußte also Täuschung sein. Ameile lächelte vom obern Tisch zu ihrem Vater herunter, dieser erblickte sie jetzt, aber er sah sie finster an.

»Mit Hunden hetz' ich dir deinen Dominik aus dem Haus,« knirschte er vor sich hin.

Zweckesser, Hofmetzger und Nachtisch

Zweckesser, Hofmetzger und Nachtisch.

Man hat in den letzten Jahren so oft gepredigt, daß England der Musterstaat sei; die Beamten haben wenigstens so viel davon angenommen, daß sie das erste Glas mit Segenssprüchen den Erdengöttern weihen. Der Oberamtmann hatte den ersten Toast dem »gekrönten fürstlichen Landwirthe« gebracht, der in der That für Hebung des Ackerbaus Ersprießliches gethan. Hierauf ging es an ein gegenseitiges Beräuchern. Der Verein ließ den Präsidenten, der Präsident den Verein, das älteste Mitglied das jüngste, das jüngste das älteste, der Studirte den Unstudirten, der Dickste den Dünnsten, der Dünnste den Dicksten u.s.w. leben. Der Jubel und glückselige Untereinander war allgemein, man schüttete sich beim Anstoßen den Wein über Rock und Hände und lachte dazu, man drückte sich an's Herz, man reichte sich die Hände und unter rauschender Musik, bei der man kaum sein eignes Wort hörte, sagte Eines dem Andern, wie glückselig man sei und welch ein herrlicher unvergeßlicher Tag das geworden. Der Domänenrath hemmte indeß noch einmal den gemüthlichen [132] Glückseligkeitsdusel. Wohlweislich vor dem Braten verlas er einen geschriebenen Aufsatz und während er sonst einfach und sachgemäß zu sprechen verstand, erging er sich hier in gelehrten Darlegungen. Weil er sich vom Schreiber emporgearbeitet hatte, wollte er wohl den anwesenden Beamten und Studirten zeigen, daß sein Wissen auch nicht von gestern sei und verlor sich in eine Darlegung des römischen Familienrechts, in dem der Vater in unbeschränkter Machtvollkommenheit war und das jus vitae ac necis (das Recht über Leben und Tod) hatte im Gegensatz zu der germanischen Familie, die eine Rechtsgenossenschaft war, und in der die Familienglieder einen selbständigen Rechtskreis erhielten. Hier wurde er unterbrochen. Auf der Tribüne bei den Musikanten wurde es unruhig, der Oberamtmann befahl Ruhe, oder er werde den Störer mit einem Landjäger abführen lassen. Der Domänenrath sprach weiter und mit einem Sprunge, bei dem er den getödteten Grundrechten, welche die bäuerlichen und adeligen Fideicommisse aufgelöst hätten, noch einen Tritt versetzte, kam er auf die Bedeutung der Familien-Fideicommisse; er hielt sich bei den adeligen Erbgütern nicht lang auf, sondern wies auf die Bedeutung der großen geschlossenen Bauerngüter hin, wie diese die Stammhalter des Staates seien und wie Alles zu Grunde gehe wenn die Gütercomplexe zersplittert würden und das eintrete, was der Märtyrer für Deutschlands Wohlfahrt und Kraft, Friedrich List, die Zwergwirthschaft genannt. Mit erhobener Stimme pries er die Landschaft glücklich, in der noch nicht der Grundbesitz, das [133] unbewegliche Gut, so sehr zu einem beweglichen geworden sei, daß es davon laufe, wo vielmehr noch die Grundfeste einer mächtigen Bauernschaft bestehe und »freudig« rief er aus »sehe ich mich auch hier um und sehe noch Männer im groben Kittel voll Kraft und Bedeutung, die sich ein Denkmal setzen für ewige Zeiten wie sie es von den Vorvätern überkommen und die es nicht dulden, daß auf ihren großen Ackerbreiten einst nichts als Markstein an Markstein wachsen. Ich sehe mich um und sehe nicht Zwergwirthe, sondern mächtige gesunde Bauernstämme.« Ein allgemeines Lächeln unterbrach den Redner und der Furchenbauer sah stolz umher und schien größer und jünger zu werden. Dieser Tag brachte ihm Preis und Ehre in Fülle. Der Domänenrath ging nun auf den eigentlichen Zweck seiner Rede über, indem er gegen das in der That vielfach verderbliche Verfahren der Zertheilung großer Güter durch Händler, die sogenannte Hofmetzgerei, loszog und damit schloß daß man eine Petition an die Stände unterschreiben solle, damit ein Gesetz erlassen würde zum Schutze der geschlossenen Güter und gegen die Hofmetzgerei. Bevor er die bereits entworfene Petition vorlas, stellte er den Gegenstand zur Debatte.

»Will Jemand das Wort ergreifen?« fragte er.

Lautlose Stille.

Da rief eine Stimme vom Empor: »Ich, ich will da gegenreden.«

Der Furchenbauer erbleichte. War das nicht die Stimme Albans?

Der Oberamtmann schickte einen Landjäger auf den [134] Empor, um den Ruhestörer zu entfernen. Noch einmal fragte der Domänenrath: »Will Jemand das Wort ergreifen?«

»Ja wohl,« rief jetzt eine Stimme neben dem Furchenbauer, daß dieser zusammenfuhr. Ein Lachen und Murmeln zog durch die Versammlung, aus dem man vielfach das Wort hörte: »Ah! der Klein-Rotteck.« Dieser stand auf, hielt das Messer in der Hand und stemmte dessen Spitze auf den Tisch; er schaute gelassen hin und her und wartete bis Ruhe eingetreten war, dann begann er: wie er auch meine, daß große Bauern dem Staat nützlich seien, weil sie noch die einzigen sein könnten, die nicht unterducken; daß dies aber nicht der Fall sei, wo die Ehre und der Verstand fehle »und die hat« setzte er mit erhobener Stimme hinzu »ein Taglöhner, der mit dem Handkarren fährt, ein Bettelmann, der seine Schuhe in der Hand trägt, oft grad so gut und noch besser als Einer der vierspännig fährt. Der Furchenbauer da neben mir,« der Erwähnte fuhr wieder zusammen, »der Furchenbauer hat einen Knecht, ihr habt ihm heute einen Preis gegeben, sein Urgroßvater war ein Bruder von meinem und hat fast nichts bekommen. Darf man die Enkel zu Bettlern machen, warum denn nicht seine Kinder zu Mittelleuten?« Er erhob sein Messer und fuhr fort: »Da liegt ein Laib Brod, ich will sagen er ist mein, ich zertheil' ihn und geb' Jedem von meinen Kindern ein gut Stück; so hab' ich's auch mit meinem Hofgut und so darf ich's haben und Niemand, kein Gesetz und Niemand soll mir's wehren. Das ist und bleibt ein Grundrecht, sei's [135] geschrieben oder nicht. Und weil wir grad davon reden: die große Verfassung gilt jetzt nichts mehr, aber in unserer kleinen, in unserer Landesverfassung ist uns mit deutlichen Worten ›Freiheit des Eigenthums‹ zugesichert. Ich weiß die Worte deutlich und einer von den Herren wird wissen welcher Paragraph es ist –«

Der Klein-Rotteck hielt eine Weile inne und eine Stimme rief: »der vier und zwanzigste,« worauf der Redner fortfuhr:

»Also im 24. Paragraph haben wir Freiheit des Eigenthumsrechts. Die Hofmetzgerei ist ein Elend, ein großes Elend, das ist wahr; aber ist nicht ganz Deutschland auch ein zerstückeltes Gut, in der Hofmetzgerei geschlachtet? Und die Zwergwirthschaft –«

Ein allgemeiner Sturm entstand, der Präsident verwies den Klein-Rotteck zur Ordnung und dieser fuhr ruhig fort, aber nur noch mit halbem Nachdrucke, das freie Schalten über jegliches Eigenthum zu vertheidigen. »Die niedern Leute,« schloß er, »müssen auch Gelegenheit haben, ein Stück Acker zu erwerben, daß sie nicht ewig in der Luft stehen. Ich bin dafür: man kann ein Ausmaaß stellen, bis wie weit ein Gut vertheilt werden darf für die Zukunft; man muß aber auch ein Ausmaaß stellen, bis wie weit man Grund und Boden in Einer Hand besitzen darf. Die Adeligen kaufen von den Ablösungsgeldern, die sie von uns bekommen haben, jetzt wieder alle Güter auf. Wie lange wird's dauern, da giebt's wieder nur noch Beständer? (Pächter). Dagegen muß auch Vorkehrung getroffen werden. Wenn diese beiden Punkte hineinkommen, dann unterschreib' ich.«

[136] Der Klein-Rotteck war zweimal unterbrochen worden, denn der Apostelwirth hatte das Ameile aus dem Saale abgeholt und bald darauf die Oberamtmännin; sie waren beide nicht wieder zurückgekehrt. Aus der untern Stube vernahm man jetzt lautes Rufen und Abwehren.

Der Klein-Rotteck setzte sich lächelnd nieder und zerschnitt den Laib Brod in Stücke; den Furchenbauer fröstelte es: er wußte nicht, warum, er schüttete ein groß Glas Wein in Einem Zuge hinab.

Der Domänenrath wollte erwidern, aber man sah deutlich in der Ferne, wie ihm der Oberamtmann abwehrte, er wollte dies selbst übernehmen, und bald begann er in gemäßigtem Tone zuerst den Klein-Rotteck zu loben, daß er frei herausgesprochen habe, dann aber vertheidigte er, oft vom Beifall unterbrochen, mit hinreißender Beredtsamkeit die Bedeutung eines mächtigen Bauernstandes. Zuletzt wendete er sich nochmals gegen den Vorredner und erging sich in scharfem Spotte über »unverzapftes und sauer gewordenes acht und vierziger Gewächs«. Er hielt dem Klein-Rotteck den Widerspruch vor, daß er gegen die Zerstückelung Deutschlands eifere (worauf dieser einwarf: »Bin deßwegen zur Ordnung gerufen, darf nicht erwähnt werden«) und bei Privateigentum in Grund und Boden doch einer solchen das Wort rede. Er suchte darzulegen, daß man diese Frage »die schwierigste der Volkswirthschaft« nicht mit einigen liberalen Redensarten abthun könne. »Das ist eine Sache,« rief er spottend, »die sich nicht mit dem Brodmesser schneiden läßt, da braucht es die feinsten Instrumente der staatlichen Heilkünstler. Der Hirzenbauer [137] wird mir erlauben, daß ich ihn auch Klein-Rotteck heiße und ihm sage, daß sein Pathe der große Rotteck für Untheilbarkeit der Güter sich aussprach.«

Ueberhaupt deckte der Oberamtmann mit schonungsloser Schärfe nicht nur die Widersprüche sondern auch die Lücken auf, die aus der Darlegung des Klein-Rotteck sich ergaben. Er lobte ihn wiederholt wegen seines selbständigen Denkens und seiner unumwundenen Aussprache, zeigte ihm aber, daß ihm die Uebersicht und der Zusammenhang fehle und er traf den Hauptpunkt indem er sagte, daß der Hirzenbauer schlagend und oft unwiderleglich sei, wenn er eine einzelne Bemerkung mache, daß er sich aber auch immer verhaspele, wenn er einen zusammenhängenden Vortrag halten wolle; seine Reden seien eben auch keine geschlossenen Güter. Zuletzt erwies er mit großem Scharfsinn, daß die Freiheit des Eigenthums auf Grund und Boden angewendet nur darin bestehe, daß man in keiner Weise gehindert sein dürfe, sein Grundeigenthum zu bebauen und auszunutzen, wie man den Verstand dazu habe; der Staat aber müsse ein Recht haben; die Zerstörung seines eigenen Bestandes, seines eigenen Bodens, und das sei die Zerstückelung des Grundeigentums, zu verhindern und mit den Worten Justus Mösers schloß er: »Der Boden ist des Staates.«

Der Klein-Rotteck verzichtete auf jede Entgegnung und während der Domänenrath die Petition vorlas, kam der Apostelwirth und rief auch den Furchenbauer ab.

Er wurde nach einer hintern Stube geführt, vor deren Thüre ein Landjäger stand. Als er eintrat, sah [138] er zu seinem Erstaunen Alban zwischen Ameile und der Oberamtmännin. Er wollte wieder umkehren, aber die Oberamtmännin faßte ihn bei der Hand und beschwor ihn hier zu bleiben, wenn nicht ein fürchterliches Unglück geschehen soll.

»Was kann geschehen?« fragte der Furchenbauer trotzig.

»Das ist ein rasender, ein fürchterlicher Mensch!« rief die Frau, »Euer Sohn vergreift sich am Landjäger und kommt in's Zuchthaus, wenn Ihr nicht Friede stiftet.«

»Meinetwegen, er ist nichts Besseres werth, er ist widerspenstig gegen seinen Vater und gegen die ganze Welt,« entgegnete der Furchenbauer kalt.

Die Oberamtmännin ließ die Arme sinken, im Innern that sie ihrem Mann Abbitte, weil sie ihm oft nicht glauben wollte, wie roh die Menschen seien. Der Oberamtmann hatte sich das Sprüchwort angewöhnt: Elf Ochsen und ein Bauer sind dreizehn Stück Rindvieh. Zeigt sich nicht hier eine stiere Unbeugsamkeit? Der Furchenbauer wendete sich wieder nach der Thüre, die Oberamtmännin hielt ihn fest und erzählte hochathmend wie es Alban gewesen sei, der vom Empor gerufen habe, wie ihn der Landjäger verhaftet und er nach Ameile schickte, diese sie rufen ließ, wie sie sich dafür verbürgt habe, daß Alban frei ausgehen solle, und daß dieser unerwartete Ueberfall zum Frieden und zur Versöhnung führen müsse.

Der Furchenbauer rieb sich mit beiden Händen Schläfe und Wange, der Wein schlug ihm zum Gesichte heraus, er athmete schwer; endlich sagte er:

[139] »Mach' ein Fenster auf, Ameile; ich erstick'.«

Ameile gehorchte und wieder sagte der Vater:

»Was will denn der ungerathene Bub da? Red', red', sag' ich.«

Alban schwieg beharrlich und der Vater fuhr fort: »Da sehet Ihr's wie er ist. Recht war's wie der Domänenrath von alten Zeiten erzählt hat, da hat der Vater seinen Sohn aufknüpfen dürfen. Er hat ihm das Leben gegeben, er darf's ihm auch nehmen. Darf ein Kind jetzt seinen Vater durch Ungehorsam umbringen?«

Seine Stimme stockte und er hielt inne.

»Vater, er ist brav, er will brav sein,« beschwichtigte Ameile.

»Still Du, mit dir hab' ich allein zu reden, dein' Falschheit ist am Tag; aber wart nur, komm nur heim,« polterte der Furchenbauer gegen Ameile.

Die beiden Frauen standen rathlos. Endlich begann Alban: »Ich will auch Friede, nichts als Friede; ich schäm' mich in's Herz hinein, daß ich da so da stehen soll.« –

»Hast's auch nöthig.« –

»Ich kehr' wieder heim, aber unter einer Bedingung.« –

»Ho, ho! Er will Bedingung stellen.« –

»Ich hab's geschworen und der Vater muß bitten.« –

Der Furchenbauer schlug sich auf den Mund und rief:

»So lang die Zung' da lallen kann, nicht, darauf kannst du dich verlassen. Herr Gott, was ist das für eine Welt! Mein Vater wär' hundert Jahr' alt geworden, wenn er sich nicht Schaden gethan hätt'; ich werd' [140] nächsten Montag siebzig Jahr alt, ich erleb's nicht, du kannst dich rühmen, daß du das zuweg bracht hast, es wird dir am Vergeltstag angerechnet werden.«

Jetzt mit bebender Stimme sagte Alban: »Vater! Ich will Euch in Ehren halten, ich will Euch jeden Tag doppelt vergelten, den ich Euch Kummer gemacht hab'. Vater! Wenn ich fest bin in dem was ich gesagt hab', so hab' ich das von Euch, Ihr habt mich's gelehrt und mich darüber gelobt; Ihr dürfet mich jetzt nicht dafür verstoßen.« Er warf sich vor dem Vater auf die Knie und schrie schluchzend: »Da bitt' ich Euch um Alles in der Welt, saget das eine Wort! Draußen steht der Landjäger, ich vergreif' mich an ihm, ich will zu Grunde gehen, ich will in's Zuchthaus, Vater! zum Letztenmal halt' ich Eure Hand, saget nur die paar Worte und ich bin wieder am Leben. Vater! lieber Vater! saget's.«

»Könnet Ihr widerstehen, dann seid Ihr ein Unmensch,« rief die Oberamtmännin unter Thränen die Faust ballend.

»Nun meinetwegen, ich bitt' dich, komm heim,« sagte endlich der Furchenbauer. Die Oberamtmännin faltete die Hände und umarmte Ameile und küßte sie, während Alban schluchzend am Halse des Vaters hing. Dieser riß sich rasch los und sagte: »Komm 'rein und trink' einen Schoppen.«

Der Landjäger vor der Thüre entfernte sich auf Geheiß der Oberamtmännin. Alles staunte als Alban mit dem Vater eintrat.

Als Alban nicht trinken wollte, sagte der Vater:

[141] »Mein Wein ist dir wahrscheinlich zu gering? So ein Herr wie du muß petschirten haben? Laß dir nur kommen.«

Alban trank.

Der Furchenbauer war der letzte, der die Petition unterschrieb, er konnte vor Zittern die Feder nicht führen und befahl Alban seinen Namen für ihn zu schreiben. Alban wollte das Geschriebene zuerst lesen, aber der Vater befahl ihm unbedingt zu unterschreiben und Alban willfahrte.

»Erst nächsten Montag setzen wir Alles auseinander,« sagte der Vater jetzt zu Alban, »bis dahin reden wir kein Wort, und du mußt fleißig sein, ich thue einen Knecht weg.«

Alban zuckte bei diesem Worte und sagte nur:

»Ich will den Hirzenbauer zum Schiedsrichter, wenn's einen Streit geben sollt'.«

»Wirst keinen brauchen. Es darf Niemand Fremdes sich drein mischen.«

Spitzgäbele hielt zu guter Letzt auch noch eine Rede, die mit großem Beifall aufgenommen wurde. Er verkündete, daß am Rhein und im Taunus heuer die Aepfel ganz mißrathen seien, während man hier zu Land nicht wisse wohin damit, er habe daher von zwei Wirthen in Frankfurt, die »Aeppelwein schenken« den Auftrag, das Simri Aepfel zu 28 Kreuzer, frei nach der Amtsstadt an den Neckar geliefert zu kaufen und lege zu dem Behufe eine Liste auf, in die Jeder einschreiben möge, wie viel er liefere.

Allgemeines Gelächter entstand als der Klein-Rotteck [142] rief: »Wir liefern Reichsäpfel nach Frankfurt.« Viele unterschrieben sogleich. Der Furchenbauer sagte, er wisse nicht wie viel er habe, Spitzgäbele solle zu ihm auf den Hof kommen.

Bei der Cigarre und Pfeife, die jetzt dampften, ward Allen erst recht behaglich. Der Domänenrath kam auf den Klein-Rotteck zu und schüttelte ihm die Hand wegen seines freimüthigen Ausspruches; der Klein-Rotteck vergalt es durch aufrichtigen Ausspruch seines Respects vor dem Domänenrath, dessen Eifer und Verdienst um den Verein und seine Zwecke er wohl erkannte.

Der Domänenrath verwand dadurch die betrübende Erfahrung, daß seine Gelehrsamkeit noch nicht allseitig stichhaltig sei, denn der Oberamtmann hatte ihm so eben auseinander gesetzt, wie in England die ungetheilte Vererbung von Grund und Boden und die Fideicommisse überhaupt nicht als Gesetz, sondern nur als Sitte bestehen.

Die Oberamtmännin, die eine besondere Gönnerin des Klein-Rotteck war und es ihm blieb trotz seines Radikalismus, so daß er ihr jedesmal, wenn er als Schultheiß nach der Stadt kam, seine Aufwartung machte, scherzte nun in freundlicher Weise mit ihm und selbst der Oberamtmann that freundlich und neckte seine Frau, daß er eifersüchtig werde. So schien am Ende doch Alles in eine freundliche und versöhnliche Stimmung auszuklingen.

Der Pächter von Reichenbach entließ Alban sogleich aus dem Dienst und als Ameile auf den Wagen stieg, küßte die Oberamtmännin sie herzlich; aber Ameile war [143] trotz des wiederhergestellten Friedens traurig. Sie ahnte Unheimliches.

Zwei Söhne sind heim und fremd

Zwei Söhne sind heim und fremd.

Alban hatte das Reitpferd, das er mitgebracht, hinten an den Wagen gehängt, um es in Reichenbach abzugeben. Jetzt saß er vor dem Vater und der Schwester und lenkte die gewohnten Thiere. Die Pferde, allezeit rasch wenn es der Heimath zugeht, waren es heute doppelt; ahnten sie vielleicht, daß ihr junger Herr sie lenkte und daß sie auch ihn wieder heimbrachten? Alban hatte nur immer die Zügel fest anzuhalten. Die drei Fahrenden sprachen kein Wort, diese Versöhnung war so urplötzlich in gewaltiger Gemüthsüberwallung gekommen und nichts war mit ihr geschlichtet und ausgeglichen.

Ameile schloß still die Augen und dachte in sich hinein, was nun geschehen werde, auch mit ihr; der plötzliche unbegreifliche Zorn des Vaters, was war sein Grund und seine Folge? Sie wagte es nicht, jetzt den Vater zu fragen, was er gegen sie habe, sie war ein seltsam und streng in's Haus gebanntes Wesen, nicht einmal auf offener Straße, wo man allein mit einander war, durfte eine Erörterung der Familiensachen vor sich gehen, das durften nur die vier Wände des Hauses in sich schließen; deswegen war sie ja gegen Alban auf Seite des Vaters gestanden und hatte dieser ihr so viel Liebe zugewendet. Aus diesem Denken heraus sagte sie nur [144] einmal: »Ich will warten, bis Ihr mir daheim saget, was ich verfehlt hab'.« Sie erhielt keine Antwort und im stillen nächtigen Dahinfahren erschien ihr der verflossene Tag wie ein Traum: sie hatte eine vornehme Freundin die sie küßte, und Alban war wieder mit ihnen vereint. Sie öffnete manchmal die Augen, um sich dessen zu vergewissern, und unter dem raschen Hufschlag der Pferde, bei dem Rollen des Wagens hörte sie am Ende nichts mehr als den verklungenen Trompetenwirbel, unter dem Dominik den Preis bekommen hatte.

Erst in Reichenbach erwachte sie, wo Alban das Pferd abgab, seine Habseligkeiten zusammenraffte und aufpackte. Man erfuhr auch, daß Dominik das Schwärzle hier zurückgelassen weil es zu hinken begann; er war allein heimgeeilt.

Nur um das Schwärzle kümmerte sich jetzt der Furchenbauer mit eifriger Sorgfalt und Beredtsamkeit und empfahl dem Wirth in Reichenbach gute Pflege und Abwartung.

Man fuhr weiter. Der Furchenbauer öffnete den Mund kaum zu den gleichgültigsten Worten. Es war ihm nicht minder unbehaglich, daß mit Alban Nichts entschieden ausgeglichen war; die Oberamtmännin, die ihm zudringlich erschien, hatte das verhindert. Er hoffte aber doch jetzt mit dem mürber gewordenen Burschen fertig zu werden und was Zufall gewesen war, erschien ihm jetzt als eine kluge That: Alban hatte ja selber die Petition unterschrieben, die gegen jegliche Güterzersplitterung gerichtet war.

[145] Alban war auch unzufrieden mit sich. Was er in Jahr und Tag still für sich ausgesonnen, hatte er gar nicht vorgebracht. Er war von einem Sturm fortgerissen, und nur das Eine hatte er richtig festgestellt, daß der Vater seine Unbeugsamkeit anerkennen müsse, weil er sie selber hatte und in seinem Sohne hegte. Alban war indeß noch der Heiterste von den Dreien, er war wieder mit guter Manier daheim, das war die Hauptsache: mit Fortlaufen ist nichts geholfen, die Sache muß auf dem Fleck ausgemacht werden.

Spät in dunkler Nacht wie Alban einst aus dem väterlichen Haus entflohen war, kehrte er wieder in dasselbe zurück.

Der Kühbub, der trotz des Zerwürfnisses auf dem Hof verblieben war, kam mit der Laterne den Anfahrenden entgegen und leuchtete Alban in's Gesicht, er prallte zurück und schien seinen Augen nicht zu trauen.

»Ich bin's wirklich,« sagte Alban lachend indem er abstieg.

»Wo ist der Dominik?« fragte der Furchenbauer einen zweiten Knecht.

»Er schläft schon.«

»So weck' ihn, ich hab' ihm was zu sagen.«

»Vater,« begann Alban, »ich will gern für den Dominik schaffen, was er heut noch zu thun hat. Lasset ihn jetzt schlafen; er muß grausam müde sein; er hat die wilde Kalbin den weiten Weg hin und her geführt und ich hab's gesehen, sie hat ihm schier den Brustkasten von einander gerissen.«

»So? Fangst schon gleich so an?« sagte der Vater[146] gedehnt, »bist kaum über meine Schwelle und willst mir dreinreden und den Herrn gegen mich spielen. So haben wir nicht gewettet, Bürschle, so nicht. Merk' dir's. Du kannst morgen schon das Geschäft vom Dominik übernehmen. Jetzt geschieht was Ich sag.« Zum Knechte gewendet fuhr er fort: »schick' ihn in die Stub', augenblicklich.«

Er schritt voran und Alban stand eine Minute wie angewurzelt. War er darum zurückgekehrt, um die Stelle des Oberknechtes einzunehmen?

Die beiden Hofhunde waren wie toll, der Greif bellte grimmig, er erkannte Alban nicht, das Türkle aber winselte an der Kette und sprang hin und her. Alban löste ihm die Kette und das Thier sprang an ihm empor und leckte ihm die Wangen.

Die Mutter lag schon im Bette und trotzdem, daß Ameile gehört hatte, daß etwas mit Dominik vorgehen solle, vergaß sie jetzt ihres Kummers, eilte zur Mutter und verkündete ihr, daß Alban wieder da sei.

»Komm 'rein Alban! komm 'rein,« rief die Mutter aus der Kammer, als Alban in die Stube trat: er kam zu ihr und sie bedeckte sein Antlitz mit heißen Küssen.

»Gottlob daß ich dich hab', und sei nur jetzt auch brav und dank's dem Vater, daß er dich geholt hat. Ach! du riechst so frisch, du bringst mir wieder neue Luft, mein Husten ist weg. Stell' die Ampel da vorn hin, noch besser, daß ich dich auch sehen kann; du bist magerer, gelt, Dienstbotenbrod ist doch ein hartes? Nun Gottlob, daß es vorbei ist. Du hast mich manche [147] Nacht den Schlaf gekostet.« So rief die Mutter. Der Bauer kam auch herein, reichte ihr die Hand und sagte:

»Er will wieder Alles gut machen, er hat mir versprochen folgsam zu sein in Allem.«

Er verließ bald die Kammer wieder und ging in die Stube, denn Dominik war eingetreten, fast noch verschlafen taumelnd. Alban trat auf ihn zu und reichte ihm die Hand; der Knecht rieb sich die Stirne mit der einen Hand, mit der andern faßte er Alban fest, er wollte sicher sein, daß er nichts träume.

»Jetzt freut mich's, daß Ihr mich aus dem Schlaf habt wecken lassen,« sagte er mit heller Stimme. Ohne darauf zu hören, sagte der Furchenbauer sich setzend und die Beine über einander legend:

»Ich hab' was mit dir zu reden. Vom letzten Viertelfahr bin ich dir noch deinen Lohn schuldig und ein Vierteljahr vorher muß ich dir aufkündigen. Das ist's. So, jetzt ist's geschehen.«

»So? Darf ich fragen, warum Ihr mich so Knall und Fall fortschicket?«

»Freilich.«

»So saget mir warum?«

»Weil ich will.«

»Das ist kein Grund.«

»Haufengenug für dich. Einen andern sag' ich dir nicht. Meinst du, du sollst dich berühmen können, wegen dem und dem, ich weiß nicht wegen was, seist du fortkommen? Und wenn ich hör', daß du Eines von meinen Kindern in's Geschrei bringst, hast du's mit mir zu thun. Bist aber brav, so kannst in einem [148] Jahr oder auch bälder wieder zu mir kommen, heißt das, bei mir nachfragen.«

Der Furchenbauer hatte sich trotz seiner schlauen Verdecktheit doch verrathen, er sah das schnell und wollte nun die Anhänglichkeit des Dominik an sein Haus ködern und binden.

»Wenn's an dem ist,« sagte Dominik, »dann geh ich lieber gleich.«

»Ist mir auch recht. Lieber heut Nacht als morgen früh. Ich bezahl' dir noch den Lohn auf vier Wochen, aus Gutheit, das wirst einsehen, von Kost ist ohnedies kein' Red weil du von selber gehen willst.«

Alban wollte sich dreinmischen, er hatte aber kaum die Worte gesagt: »Aber Vater,« als dieser ihm streng zurief kein Wort zu reden. Er zählte Dominik das Geld auf den Tisch und legte das für die vier Wochen besonders. Dominik war eine Minute zweifelhaft, ob er dieses auch nehmen solle und Alban zuckte und hielt sich die Hand vor den Mund als er es wirklich nahm. Er konnte nicht ermessen, daß der von Haus aus allezeit arme Bursch sich nicht das Recht und den Muth zutraute, seiner Ehre zulieb einige Gulden wegzuwerfen und noch dazu seinem langjährigen Herrn gegenüber.

»B'hüts Gott,« sagte Dominik und ging mit dem Geld aus der Stube. Die Mutter in der Kammer und Alban wagten nicht ein Wort zu reden.

Ameile hatte in der Küche Alles gehört. Als jetzt Dominik an ihr vorüberging, sagte sie so laut, daß man es in der Stube hören konnte:

»So? Jetzt gehst fort? Nun so b'hüt dich Gott und[149] ich wünsch' dir viel Glück.« Ganz leise aber setzte sie hinzu: »In einer Stunde unterm Breitlingbaum im Garten.« Sie kam in die Stube, sagte Gutenacht und ging mit Geräusch nach ihrer Kammer und verschloß sie hinter sich.

Alban war doch dem Dominik nachgegangen und hatte ihm herzlich zugeredet, sich nicht unnöthigen Kummer zu machen, er solle allzeit Bruderhülfe bei ihm finden. Dominik schwieg zu Allem und packte seine Kleider ein. Erst als Alban sagte, daß er ihm wegen Leben und Sterben ein Schriftliches geben wolle über die Darlehen, die er bei ihm gemacht, sagte er, daß es in guter Hand stehe, bis er es brauche um auszuwandern.

Dominik wollte noch vor Tag aus dem Hofe fort. Alban kehrte in das Haus zurück. Er ging nach der Kammer wo Vinzenz schon schlief und wo sein Bett noch stand von alten Zeiten. Hinter ihm drein war der Vater geschlichen und lauschte an der Thür.

Heimliche Verabredungen

Heimliche Verabredungen.

Als Alban seinen Bruder Vinzenz aus dem Schlafe weckte, rief dieser um sich schlagend: »Thu mir nichts, du darfst mir nichts thun.« Alban war erschreckt von diesem Ausrufe und erzählte nun dem Bruder, wie er in Friede mit dem Vater heimgekehrt, wie Alles gütlich ausgeglichen sei und er dem Vater nachgeben wolle.

Vinzenz richtete sich jetzt im Bett auf und sagte:

[150] »Grüß Gott!« Gähnend fügte er hinzu: »Ich hab' arg geschlafen.« Alban setzte sich zu ihm auf das Bett und sagte, wie ganz verändert, jähzornig und wild der Vater sei, wie er den Dominik so plötzlich und hart fortgeschickt, und wie ihn die Kinder als krank behandeln und ihm in Allem nachgeben müßten.

»Ich mein',« schloß Alban, »die Sünde, daß er dir ein Aug' ausgeschlagen hat, läßt ihn nicht ruhen. Wir wollen's vertuschen, so gut als wir können.«

Der Horchende erbebte. So war seine That Alban bekannt und er konnte ihn der Schande preisgeben! Eine Minute dachte er, daß Alban doch bis jetzt brav gewesen, er hatte diese grause That doch bis jetzt Niemand verrathen; schnell aber sprang er wieder in eine andere Stimmung über: der eigenwillige Bursche wußte also warum der Vater nicht anders handeln konnte, und war doch unnachgiebig! Neuer Zorn entbrannte gegen ihn, in den sich nur noch der gegen Vinzenz mischte, der das Geheimniß verrathen hatte. Wenn er Beide hätte enterben können, er hätte es gethan, und fast schien es besser, den muthigen offenen Alban einzusetzen, als den hinterhältigen Vinzenz, der doch nur ein halber Mensch war.

Alban hatte sich in sein Bett gesteckt und sich behaglich streckend rief er:

»Ah! Da ist's doch am besten. Es ist mir wie einem Vogel, der in sein altes Nest kommen ist. Man liegt nirgends besser als daheim. Jetzt horch' auf Vinzenz, was ich dir sag'. Wir machen's so. Hörst auch gut zu?«

[151] »Ja.«

»Ich widersprech' nicht, wenn der Vater dir das Gut giebt und es abschätzt wie er will. Ich heirath' die Vreni und bleib' bei dir als Knecht.«

»So? Das wirst nicht wollen? Das ist nicht dein Ernst.«

»Freilich, aber nur auf die Art, wie ich's mein'. Wir thun dem Vater nur zum Schein seinen Willen. Er ist bald siebzig und lebt nicht ewig, und wir wollen ihm den Willen lassen so lang er lebt; er soll meinen, das Sach sei alles dein und bleib' bei einander. Du giebst mir aber schriftlich mit zwei Zeugen unterschrieben, daß du nach des Vaters Tod den Hof abschätzen läßst von Unparteiischen und zu gleichen Theilen mit mir und dem Ameile theilst. Auf die Art ist des Vaters Willen geschehen und doch auch wieder Keines von den Kindern verkürzt, und wir erhalten den Frieden und der Vater kann in Ruhe seine Tage verleben. Zu Zeugen nehmen wir den Hirzenbauer von Nellingen und unsern Vetter den Gipsmüller, die halten Alles verschwiegen und geheim. Ist das nicht recht? Ist das nicht ordentlich gesprochen? Hast du was dagegen? So gieb doch Antwort. Schnarch' nicht, ich glaub' nicht, daß du schlafst. Das ist falsch von dir, Vinzenz; hab' mich nicht zum Narren. Man kann's ja nicht brüderlicher machen als ich geredet hab'. Vinzenz, gieb Antwort. Ich reiß' dich an den Haaren aus dem Bett, wenn du mich so zum Narren hast. Vinzenz, willst du mich auch des Teufels machen?«

Alban sprang aus dem Bett und schüttelte den [152] Bruder, dieser schrie laut auf und that wieder als ob er erwachte.

Schon wollte der lauschende Vater zum Schein die Treppe heraufspringend zu Hülfe eilen, als er Alban sagen hörte:

»Sei ruhig. Ich thu dir nichts. Hast denn nicht gehört, was ich gesagt hab'? Hast wirklich geschlafen?«

»Halb und halb.«

»Und was sagst dazu?«

»Ich versteh' die Sach' noch nicht recht, aber so viel weiß ich, ich bin zum Krüppel geschlagen und mir gehört was im Voraus. Ich kann aber heut nimmer viel schwätzen. Morgen ist auch ein Tag. Gut Nacht.«

Alban erhob im Bett seine Hände und betete: »Herr Gott! Laß mich heut' Nacht sterben, wenn ich was Unrechtes will. Ich weiß nicht anders. Es ist nicht meine Schuld, daß ich so bin. Ich muß anfangen, das Unrecht, das von Geschlecht zu Geschlecht gegangen ist, umzustoßen. Ich wollt' es müßt's ein Anderer thun, aber ich muß. Wenn ich Unrecht hab', nimm' mich im Schlaf von der Welt und zu dir –.« Er murmelte noch unverständliche Worte, in denen nur deutlich, wie im gewohnten Kindesgebete, Vater und Mutter vorkamen, dann war Alles still ...

Dem Furchenbauer schoß es in die Knie, er mußte sich auf die Treppe setzen. Erregte vorhin der Plan ihn zu täuschen seinen brennenden Ingrimm, so traf ihn jetzt jedes Wort im Gebete Albans wie ein Blitzschlag. War das sein hartherziger Sohn? Welch ein Kind war das! Er hatte seine geheimsten Gedanken[153] hören wollen, er hatte sie gehört, sie waren bös und heilig, schändlich und rechtschaffen. Wer hilft da heraus? Lange saß der Vater auf der Treppe in dunkler Nacht und konnte sich nicht erheben. Wer jetzt in sein Antlitz hätte schauen können, würde den eisenharten Furchenbauer nicht erkannt haben.

Während hier der ungelöste Bruderstreit vom Vater belauscht sich kundgegeben hatte, standen unter dem Apfelbaume im Obstgarten zwei Liebende beisammen und sie sprachen wenig und ihre leisen Worte verhallten von keinem fremden Ohre belauscht und zogen hinan zu den Sternen, die in der Herbstnacht hell glitzerten und funkelten.

»Was soll denn das jetzt noch?« hatte Dominik zu Ameile gesagt. »Es ist besser, du bist frei, ich will dir nicht vor dein Glück stehen und mit mir hättest du nur Elend und glaub' mir, ich könnt's nicht ertragen, wenn du nicht mehr leben könntest wie du's gewöhnt bist.«

»Ich bin an nichts gewöhnt als an dich und dabei bleib' ich, und wenn ich von Vater und Mutter und von der ganzen Welt fort muß, mit dir geh' ich nach Amerika, wie wenn's nach Reichenbach wär'. Ich will froh sein, wenn ich aus unserm Haus bin, da ist ja Jedes immer wie eine geladene Pistol. Ich will Gott danken, wenn ich nur dreimal Kartoffeln des Tages hab' und Ruhe und Friede dazu; aber sie müssen mir mein Vermögentheil geben, im nächsten Jahr werd' ich großjährig. Halt' nur fest aus wie ich. Du mußt wegen meiner aus dem Haus. Ich weiß es. Aber da[154] drin in meinem Herzen bleibst du und da kann dir kein Vater und kein Meister aufkündigen. Da hast mein' Hand, dich nehm ich und keinen Andern.«

Dominik faßte die dargereichte Hand nicht, er sagte nur:

»Du kannst auf Einmal reden wie eine Große –«

»Ich bin kein Kind mehr.«

»Freilich, aber deiner Eltern Kind bist noch und dagegen will ich dich nicht aufstiften.«

»Weil du kein' Kurasche hast,« sagte Ameile zornig und Dominik erwiderte:

»Ich hab' mehr als du glaubst, ich könnt' für dich durch's Feuer laufen, ich thät' mich nicht besinnen. O Ameile!« seine Stimme stockte und sich an seinen Hals hängend rief das Mädchen.

»Was? Wer wird heulen? Rechtschaffen und lustig –«

Die Beiden redeten lange kein Wort mehr, der Quell des Wortes war versiegelt, in stiller Nacht hingen sie Lippe an Lippe.

»Sieh den Stern!« rief Ameile nach einer fliegenden Sternschnuppe den Kopf wendend, aber nicht nach ihm deutend, denn es ist bekannt, daß man mit Hindeuten nach einem Stern einem Engel die Augen aussticht. In begeistertem Ton fuhr Ameile fort: »Weißt noch wie du mir gesagt hast, ein Sternschuß ist ein verirrter Stern, der wieder an seinen Ort heimkehrt? So sind wir Zwei jetzt auch. Da, jetzt wollen wir uns Braut und Bräutigam heißen. Du mußt mir eine Trau geben. Weißt was? Deine Denkmünze, das ist mir das Liebste.«

[155] »Ich hab' sie nicht mehr.«

»Wo hast sie denn?«

»Ich hab' sie meiner Mutter geschickt. Ich hab' sie dem Hirzenbauer versetzt, daß er meiner Mutter ein paar Gulden geben soll. Ich hätt' dir das nicht sagen sollen, ich will mich aber nicht berühmen. Ich hab' im Gegentheil an meiner Mutter bisher zu wenig gethan.«

»Vor mir darfst dich berühmen. Das ist mir lieb, daß ich jetzt auch weiß wo du hingehst. Ich bin doch dumm. Ich hab' gemeint, du mußt in die wilde Welt hinaus. Du hast ja auch ein' Mutter. Das ist gut. Grüß sie von mir und sag' ihr, sie soll mir meine Trau gut aufheben und soll sich am Leben erhalten, bis sie auf unserer Hochzeit lustig ist. Und wenn dir was vorkommt, daß du eine Annahme brauchst, geh' nur zur Oberamtmännin und sag's ihr nur frei, du seist heimlich mein Hochzeiter, sie weiß schon so was, und die wird dir in Allem helfen und beistehen, die hat den klaren Verstand zu Allem und ist so grad wie eine rechtschaffene Bauernfrau, gar nicht wie eine Herrenfrau. Und noch Eins: verding' dich nicht in einen andern Platz, du wirst dir schon so forthelfen und thu's mir zulieb und geh' heut' nicht in der Nacht fort, du hast nächt (vergangene Nacht) nicht geschlafen und bist müd; wart bis Tag ist.«

Noch Vieles plauderten die Liebenden zusammen in Scherz und Ernst, sie wollten gar nicht voneinander lassen; endlich aber mußten sie sich doch trennen.

Ameile ging still und gedankenvoll nach dem Hause, [156] sie öffnete es leise. Als sie die Bühnentreppe hinanstieg zu ihrer Kammer, die der Schlafkammer der Brüder gegenüber war, wurde sie plötzlich von starken Händen gefaßt und eine Stimme rief:

»Wer bist? Wer ist da?«

Ameile schrie laut auf. Die Mutter kam mit Licht herbei und sah wie der Vater die Tochter fest in den Armen hielt.

»Du bist's?« rief der Vater, »So? Ich weiß wo du gewesen bist, aber still, still, nicht gemuckst, daß Niemand im Haus Etwas erfährt, still sag ich.«

Er schleppte Ameile nach ihrer Kammer, schloß sie ein und nahm den Schlüssel zu sich.

Ein armes Kind im Elternhaus

Ein armes Kind im Elternhaus.

Ein gut gestelltes Hauswesen geht ordnungsmäßig fort, ohne täglich frisch aufgezogen zu werden. Der rasche Taktschlag der Drescher war schon laut, als Dominik ärgerlich ob seines langen Schlafes erwachte; er besann sich aber, daß er ja das Hans verlassen müsse, aus dem er so plötzlich gewiesen war. Er sputete sich. Verwirrt schaute er sich im Hof um; wie viel hundertmal hatte er's gehört und sich selbst gesagt, daß er wie das Kind im Hause gehalten sei und jetzt – abgelohnt, fortgeschickt, du gehörst nicht mehr hieher ... Da war kein Werkzeug im Hof, das er nicht gehandhabt, an dem er nicht Etwas gerichtet hatte, jedes Thier kannte ihn, seinen Tritt und seine Stimme, [157] und jetzt – hinaus, fort, das geht dich Alles nichts an. – Aus dem Hause stieg der morgendliche Rauch auf, dort wird keine Suppe mehr für dich gekocht, du holst dir dort nicht mehr unter Scherz und Neckerei eine glühende Kohle für deine Pfeife. Wo nur Ameile sein mag, daß sie sich nicht einmal vorübergehend am Fenster oder unter der Thüre zeigt? Da drin lebt Alles weiter, als ob du nie dagewesen wärest, und wer weiß, ob sie nicht auch Ameile dazu bringen? Nein das nicht, das wird nie sein. Wie wird's aussehen, wenn du wieder in die Stube trittst und die Tochter begehrst? Bis dahin muß die Welt anders werden.

Noch nie in seinem Leben war Dominik an einem Werkeltags-Morgen so lange müßig dagestanden, heute konnte er nicht vom Fleck und er durfte ja thun und lassen was er wollte, er war Herr über sich und seine Zeit. Dennoch war's ihm manchmal wieder, als müsse er auch zu den Dreschern; das ist die gewohnte Ordnung, das muß sein, davon kann ihn Niemand abhalten. Eine Weile lächelte er vor sich hin, indem er dachte, wie der Meister aufschauen würde, wenn er ohne ein Wort zu sagen, mit den Dreschern zum Morgenimbiß käme. Es wird ihm selber Recht sein, daß seine Uebereilung nicht ausgeführt ist; er ist allezeit so hitzig und denkt oft in der nächsten Minute nicht mehr daran. Wenn er dich aber vor allen Leuten aus dem Haus jagt? Was dann? Gestern vor aller Welt für treue Dienste mit der Denkmünze belohnt und heute mit Schimpf und Schande aus dem Haus gejagt. – Was wird Ameile dazu sagen? Bis jetzt hast du selber [158] aufgekündigt und kannst mit Stolz weggehen, und das mußt du wenn der Bauer nicht kommt und dich holt.

Sieh, die Thüre öffnet sich – nein, es ist die Großmagd, die nach dem Brunnen geht, um Wasser zu holen, sie ruft Dominik zu: »So, du bist noch da? Glück auf den Weg.« Sie trommelte mit einem Scheit Holz auf dem Kübel zum Aerger des Dominik, denn nach altem Brauch ist dies Trommeln auf den Kübel ein Zeichen des Spottes und der Mißachtung gegen einen »wandernden« Dienstboten. Sie ging nach dem Brunnen und während sie wartete, bis der Kübel voll war, sang sie:


Heut ischt mein Bündelestag,

Morn (morgen) ischt mein Ziel,

Schickt mi mein Bauer fort

Geit (giebt) mir et viel.


Dominik kehrte nach der Stallkammer zurück, schnürte seine Gewandung noch fester zusammen, hob sie auf die Schulter und verließ den Hof ohne noch einmal umzuschauen. Er hatte schon zu lange gezögert.

Als er aber jetzt an das äußere Hofthor kam, wurde ihm doch eine Ehrenbezeigung zu Theil. Die Knechte kamen mit Peitschen, an deren schwanke Spitzen sie rothe Bänder geknüpft hatten, und nun begannen sie allesammt nach einer bestimmten Melodie zu knallen, daß es weithin schallte. Dominik dankte für dieses Ehrengeleit, denn wie man einem Soldaten in's Grab schießt, so gilt es als Ausdruck der Ehre und Liebe der Mitdienenden, daß man einem wandernden Dienstboten [159] nachknalle. Dominik ging fürbaß. Er trug schwer auf der Schulter, aber noch schwerer im Herzen. Als er den Hof hinter sich hatte und an dem Garten vorüber kam, wo der Apfelbaum stand, unter dem er noch gestern Nacht Ameile in den Armen gehalten, da glühten ihm die Wangen, die ganze Liebe des treuen und plötzlich so starken und selbständigen Mädchens lebte wieder in ihm auf. Er schalt sich, daß er immer nur an sein Knechtsleben gedacht hatte; Ameile hatte Recht, ihm fehlte der tapfere Muth, er dachte zu viel daran, daß er ein armer Bursch sei und wie er barfuß als Kühbub auf den Hof gekommen. Es sind schon Mindere hoch hinauf gekommen, halt' dein Glück fest und zeig', daß du es werth bist ... An der Hauskapelle, da wo der Weg umbiegt und abwärts in's Thal geht, dort stand Dominik noch einmal still, schaute nach dem Hof zurück, wo jetzt der Taktschlag der Drescher verstummte, sie gingen zum Essen und fast laut sagte Dominik vor sich hin: als Haussohn will ich da aus- und eingehen.

Es ist ein tiefdeutiger Spruch: ein Mädchen, das ein ausgelöschtes Licht aus dem glimmenden Docht wieder anblasen kann, ist eine reine Jungfrau. War die Liebe des Dominik nicht schon einmal ausgelöscht? Und wie hellleuchtend hatte sie der Athem Ameile's wieder angefacht.

Die Gedanken des Dominik, noch vor Kurzem so betrübt und unverzeihlich weichmüthig, wurden auf einmal freudig und fest. Nur über Eines war er noch nicht mit sich im Reinen: ob er es geradezu aller Welt [160] sagen solle, daß ihn Ameile liebe und daß er darum aus dem Hause mußte, oder ob er dieß noch verschweigen und sich eine Zeitlang übler Nachrede aussetzen sollte. Wieder wollte ihn die gewohnte Demuth noch einmal überkommen, aber er bewältigte sie und faßte den unabänderlichen Vorsatz, denen, an deren Meinung ihm liege, den Sachverhalt mitzutheilen, vor Allem dem Hirzenbauer; ob auch der Mutter und den Geschwistern, das wird sich zeigen.

Wohlgemuth zog Dominik seines Weges. Heute konnte er welchen Weg er wollte einschlagen, heute befahl ihm Niemand mehr. Du bist dein eigener Herr, sagte er sich, aber doch stieg er wieder den Henneweg hinauf. Der Nebel stand fest über Thal und Wald, von den Zweigen floßen Tropfen, aber Dominik wandelte hin wie in lauter Sonne und lichter Freudigkeit. Als er wieder auf dem begrasten Weg und endlich am Grenzstein des Furchengutes dort an der Waldeslichtung war, dachte er nicht mehr an die Pachtung der Schafweide: er wollte mit seinem Ameile ein gut Stück von diesem Gute haben, und wenn nicht im Boden selbst, doch in Geld. Noch einmal dachte Dominik, ob es nicht klüger wäre, wieder umzukehren und nach Reichenbach zu gehen; dort war jetzt Albans Stelle offen, das war ein Ehrenplatz, und er war näher beim Furchenhof. Aber Ameile hat ihn gebeten, nicht in einen neuen Dienst zu treten ... Während des Ueberlegens schritt er immer rasch voran, er wollte, wenn er sich anders entschließe, keine Zeit versäumt haben, und wirklich blieb er auch dabei, zu seiner Mutter zu gehen. [161] Dorthin hatte ihn auch Ameile gewiesen, dort waren ihre Gedanken bei ihm, und er mußte für Ameile die Trau auslösen. Jeder Schritt ward ihm leicht und zur Freude, denn er ging ihn für Ameile.

In Klurrenbühl im Wirthshaus hielt er an und traf heute große Bewegung, einem der Angesehensten des Dorfes wurden heute im Gantverfahren seine Liegenschaften verkauft. Man erinnerte Dominik, wie vor fünf Jahren hier ein großes Hofgut, das er noch gekannt hatte, zerschlagen wurde; der heut zu Vergantende, ein fleißiger, haushälterischer Mittelmann, kaufte übermäßig viel ein, und nun ist er schon der Dritte, der dadurch vergantet wird, zwei Mißernten und die Kapitalschulden erdrückten ihn und jetzt ist auch sein früheres Besitzthum damit verloren und er ein Bettelmann.

Die Leute, die Dominik kannten, staunten, als er fragte, was denn das ganze Anwesen im Schätzungswerthe betrage, und als er auf die Auskunft erwiderte: das wär' mir zu klein. Dominik sah schon vor sich, wie er ein mittleres Gut kaufte, es durch Fleiß und Bewirthschaftung höher hob und am Ende doch noch Ameile in ein Glück setzte, wie es ihr gehörte. Er war jetzt in der Stimmung, daß er auf die halbe Welt ein Anbot gethan hätte, so frisch ausgerüstet fühlte er sich. Fast vor seinem eigenen Muthe fliehend, ging er beim Beginn der Versteigerung davon, und immer wehmüthiger ward es ihm jetzt im Herzen, daß er mit jedem Schritt weiter weg von Ameile sei. Es fiel der erste Schnee, der aber alsbald wieder zerging, und der abgerissene Klang aus dem Liede zog Dominik durch den Sinn:


[162]

Berg und Thal, kalter Schnee –

Von Herzlieb scheiden und das thut weh.


Wann wird er den Weg wieder zurückkehren, freudig getrieben von lockender Glückseligkeit? Wenn nur Ameile nicht gar zu hoch über ihm stünde! Freilich, sie hat ein festes Herz, aber sie weiß doch noch nicht, was es heißen will, aus solch einem vollen Hause fortzugehen: der Milchkeller ist allzeit voll und es ist etwas Anderes, wenn man jeden Tropfen sparen muß; daheim ist die Mehltruhe, der Schmalztopf allzeit gefüllt, da heißt es nur: geh da geh dort hin und schöpf; wie aber dann, wenn's klein hergeht und wenn man nach dem was man braucht überallhin ausschicken muß? Wir wollen mit Lieb und Freud jeden Bissen salzen und schmalzen.

Ein guter Kamerad gesellte sich unversehens zu Dominik, der wußte die besten Herzensgedanken, und der Kamerad war das Lied, das er also vor sich hin sang:


Es steht ein Baum in Oesterreich

Der trägt Muskatenbluth,

Die erste Blume, die er trug

War Königs Töchterlein.


Dazu da kam ein junger Knab,

Der freit um Königs Tochter;

Er freit sie länger als sieben Jahr

Und kann sie nicht erfreien.


Laß ab, laß ab du junger Knab,

Du kannst mich nicht erfreien;

Ich bin viel höcher geboren denn du

Von Vater und auch von Mutter.


[163]

Bist du viel höcher geboren denn ich,

Vom Vater und auch von Mutter,

So bin ich dein Vaters gedingter Knecht

Und schwing dem Rößlein das Futter.


Bist du mein Vaters gedingter Knecht,

Und schwingst dem Rößlein das Futter,

So giebt dir mein Vater auch guten Lohn,

Daran laß dir genugen.


Der große Lohn und den er giebt,

Der wird mir viel zu sauer;

Wenn andre zum Schlafkämmerlein gehn,

So muß ich zu der Scheuer.


Des Nachts wohl um die Mitternacht,

Das Mägdlein begunnte zu trauern,

Sie nahm ihre Kleider in ihren Arm

Und ging wohl zu der Scheuer ...


Das war ein braves Lied. Dominik wußte wohl, es hat noch mehr »G'sätzle«, aber er kannte sie nicht und erinnerte sich nur, daß der Knecht des Königs Schwiegersohn wurde. Und was in alten Zeiten geschehen ist, kann auch wieder geschehen. Und wenn Ameile auch »höcher ist denn er von Vater und auch von Mutter,« so ist sie doch keine Königstochter und hat ihn gewiß mehr lieb als die von alten Zeiten. »Dich nehm' ich und keinen Andern« das sind ihre Worte gewesen. Wenn's nicht wahr wär', hätt' man kein Lied darauf gesetzt. Und Dominik sang die Verse aber- und abermals mit voller Lust und heute hörte er nicht auf den Ruf der Gabelweihe, nicht auf das [164] Klingen der Heerden und das Singen der Hütenden, er wußte nichts vom Weg und nichts von Allem rings umher, er ging nicht auf der Erde, er ging im Himmel.

In Jettingen erwachte er wieder plötzlich wie aus einem Traum, hier wo er gestern das Schwärzle eingestellt hatte, ließ er jetzt seine Habseligkeiten zurück und wanderte ledig nach seinem Geburtsorte. Er wollte nicht unterwegs Jedem Red und Antwort stehen, weil er seine Habe bei sich trug und jetzt fiel es ihm doch wieder schwer auf's Herz, daß er so Knall und Fall fortgeschickt war; er konnte ja nicht Jedem sagen, wie ganz anders sich das noch wenden müsse. Heute ließ er sich Zeit zu dem Weg nach Nellingen, und war er ihm gestern unbegreiflich lang erschienen, so däuchte er ihm heute ebenso unbegreiflich kurz. Er dachte sich aus, wie seine Mutter und Geschwister seine Rückkunft aufnehmen würden und wie er sich dabei verhalten solle, als er schon vor dem elterlichen Hause stand. Glücklicherweise war Niemand daheim als zwei kleine Bruderskinder und Dominik ging bald wieder fort und geraden Weges zu dem Hirzenbauer. Nach dem ersten Erstaunen und nachdem er mit auffallender Hast die verpfändete Denkmünze ausgelöst, erzählte er dem Hirzenbauer den ganzen Hergang. Der Hirzenbauer wollte nun seinem Spott über den Furchenbauer Luft machen, Dominik fiel ihm aber in's Wort indem er sagte:

»Redet nicht so von meinem Meister, ich darf das nicht mit anhören.«

»Ja so,« lachte der Hirzenbauer, »er wird ja dein Schwäher.«

[165] »Das steht noch im weiten Feld.«

»Nein, nein was ich dabei thun kann, soll mit Freuden geschehen. Was willst denn jetzt anfangen?«

»Wenn Ihr mich als Drescher brauchen könnet, wär' mir's recht.«

»Gut, das kann schon sein, und es mangelt uns grad ein Knecht, da kannst derweil aushelfen und bist auf dem Sprung wenn's auf dem Furchenhof losgeht, denn da geht's noch durcheinander.«

Als Dominik fortgehen wollte, sagte der Hirzenbauer:

»Wart ein bisle, ich geh mit dir. Ich will's deinen Leuten schon zu verstehen geben, daß du was hast, was du ihnen nicht sagen kannst und daß sie noch Ehr' an dir erleben. Die Schwägerin ist gar anfechtig, (reizbar) die meint gleich, du trägst ihr das halb Haus weg. Dein Mädle hat mir gestern wohl gefallen und die hat ganz das Ansehen dazu, die führt aus was sie will.«

Wie glückselig war Dominik als er mit dem Hirzenbauern durch das Dorf ging. Das war doch noch ein Ehrenmann, der sich eines Jeden annahm sei es wer es wolle, und der errieth wo es Einem fehlt, und wie brav war's, daß er an die Heirath mit Ameile so fest glaubte, und er wußte doch nicht einmal Alles was sie ihm heilig versprochen hatte.

Bei den Angehörigen des Dominik, die diesen nur mit halber Freude willkommen hießen, wußte der Hirzenbauer Alles fein herzustellen. Man schien zufrieden und ihm zu trauen, aber doch nur halb. Dominik sollte erst später erfahren warum. Das aber stand [166] jetzt schon fest, der Hirzenbauer nahm sich des Dominik an wie seines Grundholden, und er wachte über sein Schicksal und freute sich über dasselbe wie ein Menschenfreund. –

Es ist keine Mutter so arm, sie hält ihr Kindlein warm, sagt ein gutes Sprüchwort, das zeigte sich auch an der Mutter des Dominik. Vor dem älteren Sohne und der Schwiegertochter zeigte sie ihre Liebe nicht, ja sie that auch wie die Anderen fast erzürnt über seine Rückkehr; als sie aber allein mit ihm war, öffnete sich ihr ganzes Mutterherz, das sich in den Worten aussprach:

»Und wenn du aus dem Zuchthaus kämst, du wärst doch mein liebstes Kind, du bist von kleinauf die beste Seele gewesen.«

Die Mutter wußte nicht anders, als Dominik habe sich eines schweren Vergehens schuldig gemacht, sonst wäre er ja nicht so plötzlich gekommen und hätte nicht den Hirzenbauer zu seinem Fürsprech geholt. Dominik konnte der Mutter nicht sagen, was vorging, sie hatte ihm ja geklagt, daß sie das gestern erhaltene Geld der Söhnerin gezeigt und ihr habe geben müssen und er wußte wohl, daß sie noch weit weniger als Geld ein Geheimniß vor der Schwiegertochter bergen konnte, mit der sie doch scheinbar in stetem Unfrieden lebte. Die Mutter war redselig und da sie Niemand anders hatte als die Söhnerin, sprach sie mit ihr Alles aus. Jeden Tag war sie nun glücklich, denn Dominik war ehrerbietig und liebreich gegen sie, was sie schon lange nicht gewohnt war.

[167] Auf dem Hirzenhof unter den Dreschern erfuhr Dominik die seltsame Stimmung seines Heimathsdorfes und jetzt wußte er auch, warum die Seinigen nur halb erfreut und befriedigt waren, als der Hirzenbauer sich seiner annahm. Der Hirzenbauer hatte seinen Hof zertheilt und das ganze Dorf war darüber erbost. Ein Jeder, auch der ärmste Häusler, war stolz darauf gewesen und rühmte sich dessen auswärts, aus einem Dorfe zu sein, wo so ein großer Bauer wie der Klein-Rotteck auch daheim war; jetzt war einem Jeden etwas von seinem Glanze genommen und man war aufgebracht gegen den Hirzenbauer und hatte nur noch den halben Respect vor ihm. Ein Schneider, der mit unter den Dreschern war, erzählte:

»Es geht uns grad wie den Hechingern. Ich bin vor Kurzem wieder dort gewesen. Ihr könnt euch gar nicht denken wie elend das Städtle jetzt dran ist. Früher hat's doch einen Glanz gehabt und seinen Fürsten und Alles, und jetzt können sie Blut schwitzen und haben nichts und sehen nichts. Der Hirzenbauer ist unser Fürst gewesen und jetzt wird Alles lauter Lumpen und unser Nellingen das elendeste Nest so weit man Hosen flickt.«

Dominik stand allein mit seinen Entgegnungen, er konnte den Bettelstolz, der an Hartnäckigkeit keinem andern Stolz nachsteht, nicht besiegen; er wußte aber auch keine Antwort auf den praktischen Vorhalt, wie beim nächsten Geschlecht, wenn der Hirzenhof noch einmal verschnitzelt wäre, jeder Abkömmling Alles allein bewirthschaften könne, dann hätten die armen Leute [168] im Orte keinen Winterverdienst mehr und müßten auswärts Arbeit suchen und halb verhungern.

In der Abendruhe saß Dominik jedesmal beim Hirzenbauer. Dieser hätte wohl ein Menschenverächter werden können, wenn seine Natur dazu angelegt gewesen wäre; er kannte genau die Lage in der er sich befand und wie die Menschen um ihn her ihm gesinnt waren, er glich einem mediatisirten Fürsten, dessen Herablassung kaum noch halb als solche angesehen wird. Er ließ sich dadurch nicht abhalten, seine Wohlmeinenheit in doppelter Macht Jedem kund zu geben, aber einen gewissen Spott konnte er manchmal nicht zurückhalten, daß man ihm verargte, weil er gethan, was recht und billig ist, und in diesem Bewußtsein beharrte er. Er erzählte Dominik, wie er im Testament angeordnet habe, daß der Boden nur bis zu einem gewissen Grade zertheilt werden solle, sei es so weit, so sollten die Uebrigen auswandern. Es war eine eigne Erregung, als Dominik einmal hierauf sagte:

»Jetzt das gefällt mir, so thät ich's auch machen und dabei blieb' ich.«

Der Klein-Rotteck verhehlte sich nicht, welch ein Widerspruch darin lag, daß er für künftige Zeiten eine Beschränkung heischte, die er jetzt aufhob; aber er wußte keinen andern Ausweg. »Man muß thun, was man in seiner Zeit für Recht hält: andere Zeiten können's wieder anders machen,« war sein Wahlspruch.

Schön ist der Baum mit seinen farbigen Blüthen, schön ist der Baum mit seinen farbigen Früchten, aber schöner ist ein Tisch, daran Vater und Mutter sitzen[169] und um sie her die zahlreichen Kinder, die mit vollen und hellen Wangen die vielfältige Schönheit des Lebens erweisen, ehrwürdig ist der Mann, der sie sättigt und tränkt, selig die Mutter, die sie unter dem Herzen getragen und mit stillem Ernst unterweist.

Auf dem Hirzenhof war ein anderes Leben als beim Furchenbauer, stattliche Schwiegertöchter, vollwangige Enkel gingen aus und ein und überall war ein schön gesättigtes Leben in Arbeit und Frohmuth.

Der Hirzenbauer bewahrte daheim und in seinem Werktagsgewande allzeit eine gewisse phlegmatische Ruhe, eine langsame Stetigkeit in Reden und Mienen und in allem Thun. Das lag nicht nur in seiner Natur, sondern auch bei allem Freimuth im Bewußtsein seiner höheren Stellung. Kleine Leute, denen kommt es zu, ein aufgeregtes, gehetztes, leidenschaftliches Leben zu haben; ein Großbauer muß allezeit mit eisenfester Gemessenheit zu Werk gehen; das schickt sich nicht anders für ihn, so verlangt es seine Würde.

Wenn hier auf dem Hirzenhof Etwas erörtert wurde, merkte man wohl die natürliche Oberherrlichkeit des Vaters, aber es kam nie zu tyrannischen Machtsprüchen, es gab nie ein lautes Wort.

Unserm Dominik erquickte das Reden und Thun des Hirzenbauern das Herz, und dennoch erschien ihm wieder die Welt oft ganz verwirrt. Dort auf dem Furchenhof war Zwietracht wegen ungetheilter Vererbung des Gutes, und hier schimpften die Leute im Dorf, weil man das Gut zertheilt habe und der Bruder des Dominik wollte diesen auch aufhetzen, mit ihm und [170] Anderen einen großen Prozeß anzufangen; sie waren ja auch Nachkommen eines abgefundenen Sohnes vom Hirzenhof; nur wenn das Gut beisammen blieb, hatten sie keinen Anspruch, jetzt aber waren auch sie zu einem Erbtheil berechtigt. Dominik, der sich der Betheiligung an diesem Prozesse weigerte, erfuhr nun doppelt, wie mißachtet er im elterlichen Hause beim Bruder war: ehedem, wenn er auf Besuch kam, war er geehrt und geschätzt, jetzt gilt er nichts mehr, weil er nichts mehr ist und fast wird er als ein Eindringling angesehen, der draußen in der Welt verjagt, wieder in's Nest zurückkehrt. Die Mutter wagte es nur im Geheimen ihm ihre Liebe zu bezeigen, vor den Andern mußte sie scheinbar zu ihnen halten; sie mußte ja mit ihrem verheiratheten Sohn und ihrer Schwiegertochter leben, Dominik konnte ihr nichts helfen.

Vom Furchenhof verbreiteten sich plötzlich seltsame Gerüchte, die Einen sagten, der Furchenbauer habe den Alban so geschlagen, daß er am Tode läge; die Anderen sagten, Alban habe den Bruder erstochen. Es duldete Dominik nicht mehr länger in der Ferne.

Es war ein wunderlicher Geleitsspruch, den der Hirzenbauer dem Dominik zum Abschied mitgab, denn er sagte:

»Wenn du auf den Furchenhof kommst, tritt fest auf. So lang man Einen für gutmüthig hält, trampelt ein Jedes auf ihm herum. Ich hab' dich in den Tagen neu kennen gelernt. Glaub' mir, die Menschen kriegen erst Respekt vor Einem, wenn man ihnen die Gurgel zusammenpreßt, daß sie nimmer schreien können.[171] Steh fest hin und wenn du jetzt nicht Meister über den Furchenbauer wirst, wirst du's nie.«

Kaum acht Tage waren es, seit Dominik diesen Weg beschritten, als er wieder eilig auf demselben zurückkehrte. Er hatte nichts mitgenommen, als seine Denkmünze. Die Angst trieb ihn unaufhaltsam vor sich hin. Es überlief ihn heiß und kalt, wenn er sich ausdachte, was geschehen sein könnte, und einmal schlug er sich heftig auf die Stirn, als träfe er damit leibhaftig den Gedanken, der dort entsprungen war; denn es fuhr ihm durch den Sinn, ob nicht aus dem Unheil der Familie sein Heil erwachsen könne. Er wünschte einem Jedem Heil und Frieden, er wollte ihnen nur in der Wirrniß beistehen und machte sich jetzt Vorwürfe, daß er fortgegangen war, während er doch sah wie über dem Hause, dem er treu angehört, bös Wetter auf's Neue aufzog. Es ist ein alter Glaube: wenn man mit Fingern auf ein Gewitter weist, dann schlägt es ein. Hatte Dominik das gethan? Mitten in allem Bangen, Sorgen und Selbstanklagen durchflammte wieder die Liebe das Herz des Dominik, denn es ist eine sattsam bekannte Wahrnehmung, daß gerade mitten in den heftigsten Erschütterungen des Lebens oft die Seele am meisten nach Liebe lechzt. Dominik schärfte sich die Lippen und genoß im Voraus die Küsse, deren Süßigkeit er so lange entbehrt hatte. Und heftiger klopften seine Pulse und rascher gingen seine Schritte, er ging zwei Armen entgegen, die sich selig ausbreiten, um ihn an's Herz zu schließen.

[172]

Ein reiches Kind im Elternhaus

Ein reiches Kind im Elternhaus.

Am selben Morgen, an dem Dominik den Furchenhof verlassen, war es im Hause wirr hergegangen. Natürlich konnte sich Ameile nicht am Fenster und nicht an der Thüre zeigen, denn sie saß im Stüble bei der Mutter und weinte, daß ihr die Augen schwollen, diese Augen, die sonst nur mit hellem Freudenglanz in die Welt hineinlachten. Der Vater hatte Ameile schon früh aus dem Gewahrsam geholt und es war ihm ein Leichtes, mit harten Worten und drohend aufgehobener Hand das Mädchen zusammen zu brechen, daß es auf den Boden sank. Der Vater ließ sie am Boden liegen und ging, die Hände auf dem Rücken übereinander gelegt, die Stube auf und ab; er fuhr fort, ihr Vergehen in heftigen Worten zu züchtigen und mit der Faust an die Wand schlagend verwünschte er sein Mißgeschick, das ihm lauter widerspenstige Kinder gegeben, die ihn in Schande und vor der Zeit unter den Boden bringen, aber er schwur, ihrer Meister zu werden. Als er jetzt auch gegen Dominik, »den Heuchler und Verführer, den meineidigen treulosen hergelaufenen Lumpenbuben« loszog, da sprang Ameile plötzlich auf, stellte sich fest vor den Vater hin und sagte:

»Vater, Ihr könnet mit mir machen was Ihr wollet, aber das leid' ich nicht; ja, gucket mich nur so an, Ihr könnet mich todtschlagen, aber das leid' ich nicht, er ist ehrlich und treu und rechtschaffen und er hat mich nicht verführt und wir können vor Gott und [173] der Welt hinstehen und frei aufschauen, und daß er arm ist, das ist kein' Schand. Mein Dominik –«

»Dein Dominik? Wart ich will dich dein Dominik –«

»Ja, das wird ein' Kunst sein, eine arme Tochter, die sich nicht wehren kann, zu schlagen. Die gut' Oberamtmännin die hat's geahnt, die hat nicht umsonst gestern aus heiler Haut zu mir gesagt: Mädle wenn du einmal Beistand brauchst, vergiß nicht wo ich bin. –«

Es dröhnte ein polternder Sturz an der Kammerthür und man hörte kein Wort mehr in der Stube. Die Mutter kam aus der Kammer, sie sah schnell was geschehen war, Ameile lag am Boden und der Vater saß am Tisch und hielt die geballte Faust auf demselben. Sie führte Ameile schnell in die Kammer und ließ nicht ab, bis sie sich auf das Bett setzte, dann eilte sie zu ihrem Mann und redete ihm mit klugen Worten zu, doch kein Aufsehen zu machen, man müsse die Sache vertuschen; reize er aber das Kind, so mache er's damit ja ärger, das Kind habe nichts mit dem Knecht, es sei nur eine alte Anhänglichkeit, das Kind sei gescheit und werde sich auch wenn etwas wahr sei, so eine Narrheit bald aus dem Kopf schlagen; mache man aber viel Wesens daraus und käme so etwas in der Leute Mund, so müßte man Ameile mehr als das doppelte Heirathgut geben, um sie an den rechten Mann zu bringen.

Diese Gründe leuchteten dem Furchenbauer wohl ein und er sagte nur noch: »Aber das Teufelsmädle will die Sach' selber an die große Glock' hängen und will Alles der Oberamtmännin berichten.«

[174] »Das ist nur so gered't. Wenn man gehetzt und gejagt wird, da sagt man Mancherlei was man nachher doch nicht thut. Da laß nur mich dafür sorgen. Jetzt sei lind gegen das Mädle und verscheuch mir's nicht. Hör' nur wie es heult, es stoßt ihm ja fast das Herz ab. Jetzt laß mir heut den Freudentag, weil unser Alban wieder da ist und halt Friede. Meine Kinder sind so brav und noch braver wie andere, und du mußt so gut Alles in Frieden und Gutheit herstellen können wie jeder andere Bauer, und wenn's nicht ist, denk' nur, es ist deine Schuld.«

»Nicht meine, sag' das nicht, es ist nicht meine.«

»Das wollen wir jetzt nicht ausmachen. Ameile!« rief sie laut, »geh' 'naus und thu Schmalz und Mehl 'raus und back Sträuble. Hurtig, mach voran, seit wann muß ich dir was zweimal sagen? Wasch' dir die Augen ab und laß dir vor den Mägden nichts merken. Sei brav und man hält dich brav.«

Der kindliche Gehorsam in der Wirthschaftlichkeit bewältigte den Kummer in dem sich Ameile fast verzehren wollte: ihr Geliebter war aus dem Haus gejagt und sie selber mißhandelt. Noch als sie am prasselnden Feuer stand, rann ihr manche Thräne über die Wangen und sie sagte der Großmagd, daß heute der Rauch sie so sehr beiße. Mit Trauer und Klage im Herzen buck sie den Festkuchen. Als ihr die boshafte Großmagd, die Wasser geholt hatte, erzählte, wie sie den Dominik verhöhnt habe, der dagestanden habe wie der Gott verlaß mich nicht, kam kein Laut der Erwiderung über Ameile's Lippen; sie war der Großmagd [175] nicht einmal böse. Warum sollten fremde Menschen besser sein als die eigenen Angehörigen?

Alban kam mit freudiger Morgenfrische in die Küche, die Hinterhältigkeit des Bruders war ihm ganz aus dem Sinn gekommen. Alban hatte in aller Frühe geordnet und gewirthschaftet und es that ihm wohl, wieder im väterlichen Hause zu walten und die Freudenbezeigungen der Taglöhner und Dienstleute erhellten ihm das Gemüth. An Dominik dachte er kaum mehr, er war ein Knecht, er hatte ihn freilich besonders lieb und war ihm zu Dank verpflichtet, aber es ist doch nicht von besonderer Bedeutung, wenn ein Knecht aus dem Haus zieht. Das Herz, das lange der Freude entbehrte, wird oft so eigensüchtig, daß es sich jedes störende Begegniß gern ablenkt. Alban hörte den betrübten Ton nicht, in dem Ameile sagte, daß sie zur Feier seiner Ankunft Sträuble backe; er freute sich nur kindisch ob dieses Schmauses.

Dem Vater und der Mutter sagte er im Stüble mit heller Stimme »Guten Morgen,« und selbst der Vater nickte freundlich; er mochte wohl der Erschütterung gedenken, die er in der Nacht beim Horchen empfunden; auch hatte er heute schon Kummer genug gehabt, er durfte sich eine Freude wohl gönnen.

Bei dem Morgenschmause waren die Eltern und beiden Söhne äußerst wohlgemuth. Ameile trug ab und zu. Der Vater wollte sie jetzt zwingen, fröhlich zu sein und sich mit an den Tisch zu setzen, sie aber schützte allerlei Arbeit vor und als der Vater darob zornig werden wollte, sagte die Mutter nach dem Weggehen Ameile's:

[176] »Du willst doch immer die Gedanken gleich umstellen wie du sie haben möchtest. Laß doch in dem Kind die Sach' auskochen, dann ist's vorbei; will aber nicht gleich: jetzt geheult und jetzt wieder lustig.«

Als man aufstand, bat die Mutter, daß ihr Alban noch ein wenig bei ihr sitzen bleibe und der Vater befahl es ihm ausdrücklich. Er machte seiner Frau gern eine Freude und heute besonders, er fühlte doch, daß sie ihn von manchem unüberlegten Aufbrausen abhielt und vielleicht gelingt ihr jetzt bei Alban, wovor ihm noch immer bangte.

»Gelt, du bist jetzt brav und hörst auf zu widerspensten?« sagte die Mutter mit freudig herzlichem Blicke.

»O Mutter!« rief Alban erregt. »Es giebt doch kein' größere Freud' auf der Welt als seinen Eltern Freud' machen. Wenn ich draußen in der Welt ein Lob bekommen hab' über Das und Jenes, hab' ich tausendmal denken müssen: Was nützt mich das Alles? Was thu ich mit eurem Lob und eurer Zufriedenheit? Das geht Alles in Wind auf, weil meine Eltern es nicht hören und sehen können, für die allein möcht' ich der rechtschaffenste und aller Orten gepriesene Mensch sein. Wenn's meine Eltern nicht hören und sehen, ist Alles nichts. Es hat den Schein gehabt, als wenn ich ungehorsam wär', aber jetzt erst seh ich's, ich bin nichts gewesen als ein verirrtes Kind im wilden Wald, das jammert und weint, und weint und ruft nach Vater und Mutter. Mir wär' am liebsten, ich thät jetzt sterben, daß Ihr und der Vater mit Freude an mich denken könntet.«

[177] Aus dem Urquell alles Lebens strömten Worte und Gedanken Albans heraus und die Mutter sah ihn staunend und bewundernd an, wie sein Antlitz sich verklärte, wie eine Verzückung daraus leuchtete. Mutter und Sohn waren in diesem Augenblick hinausgehoben über alle Wirrniß und alle Beschwerung des Alltagslebens. Die Mutter drückte ihre beiden Hände auf Augen und Wangen des Sohnes und hielt sein Haupt in den Händen fest, sie drückte ihre Zähne übereinander vor innerstem Jubel, und hier, auf dem einsamen Gehöft unter dem Strohdache leuchtete jene Glorie auf, darob der Stern am Himmel erglänzt zum Zeugniß, daß sie so ewig ist wie er ...

»Lieber Gott, ich hab's ja gar nicht gewußt, was du für ein Kind bist,« brachte endlich die Mutter hervor, und helle Freudenthränen rannen ihr über die Wangen.

Eine Weile waren die Beiden still, die heiligste Regung klang noch in ihnen aus; aber kein Leben, am mindesten das werkthätiger Menschen duldete eine solche in's Höchste versetzte Erhebung lange.

Die Hände in einander legend und ihren Sohn mit behaglichem Lächeln betrachtend sagte die Mutter endlich wieder:

»Du bist doch auch wie dein Vater, nur in anderer Art und bist besser geschult. Es ist wunderig! Dein verstorbener Bruder ist der Einzige gewesen, der meiner Familie nachgeartet ist, der ist grad gewesen wie mein Vater selig, von dem hat man auch sein Lebtag kein laut Wörtle gehört. Dein Vater hat ihn oft [178] ausgelacht wegen seinem Ochsenschritt: aber ihr seid Alle wie die wilden Ross': hinten und vorn ausschlagen, wenn's was giebt, das ist bei euch daheim. Aber jetzt komm und erzähl mir einmal geruhig: wie ist dir's denn auch gangen?«

»Wie ich in den Krieg kommen bin –«

»Davon will ich nichts wissen. Wie ist dir's denn als Knecht ergangen?«

»Gut. Nur um Weihnachten war mir's am ärgsten –«

»Kann mir's denken, da hast rechtschaffen Jammer (Heimweh) gehabt?«

»Nein, nicht mehr als sonst, aber schrecklich ist mir's gewesen, daß ich mich hab' müssen beschenken lassen. Ich hätt' gern dem Meister die Schenkasche vor die Füß' geworfen und hab's doch nicht dürfen; er hat's gut gemeint. Und fürchterlich ist's, wie die Dienstboten gegen einander sind. Wenn Eines dem Andern das Leben recht sauer machen kann, ist's ihm ein Freud'.«

»Ihr Kinder und besonders du hast's uns ja nie glauben wollen, was für ein schlechtes Corps das ist, jetzt bist selber drunter gewesen, jetzt wirst uns Recht geben. Freu dich nur jetzt, daß du wieder Haussohn bist. Mach' nur, daß Alles mit Gutem ausgeht und laß die Kirch' im Dorf.«

»Ich thu was ich kann, Mutter! Ich laß mir da die Hand abhacken, eh ich eine Ungerechtigkeit leid'. Wenn nur der Vinzenz auch brav ist, redet mit ihm, mit mir brauchet Ihr nicht zu reden; er soll Euch sagen wie ich's im Vorschlag hab' und was er dazu will. Mir giebt er keinen Bescheid.«

[179] Ein unterdrücktes Husten in der Stube bestärkte die Mutter in der Vermuthung, daß der Vater wieder nach seiner bösen Gewohnheit lausche; sie brach ab, sie wollte sich wo möglich nicht in diese Sache mischen, sie konnte Alban ohnedies nicht ernstlich zureden, da es ganz gegen ihre Ansicht war, daß der Erbgang zu Gunsten des Vinzenz geändert wurde; sie hatte keinen Einwand wenn es sich gütlich ausglich, aber im Herzen war sie nicht nur an sich für den herkömmlichen Erbgang, sondern auch noch aus besonderer Liebe für Alban. Als dieser jetzt sagte: »Ich muß jetzt an's Geschäft,« hörte man draußen die Stubenthür in's Schloß fallen.

Noch als Alban weggegangen war, ruhte ein Freudenglanz auf dem Angesichte der Mutter, als ob sie ihn noch vor sich sähe; in Aug und Mund ruhte ein stilles Lächeln, und die Hände faltend mit einem Blick nach oben ging sie an ihre Arbeit.

Auf dem Hofe war Niemand so vollauf glückselig wie die Mutter. In ihrer ruhig thätigen und leidenschaftslosen Natur glaubte sie auch nicht an die Leidenschaftlichkeit Anderer und die Erfahrung hatte sie belehrt, daß all das heftige Gethue nichts als verhetzte Sinnesweise, unnöthig und übertrieben sei; und eben dadurch weil sie nicht an die unbändige Heftigkeit der Menschen glaubte, hatte sie dieselbe oft bewältigt. Wenn ihr Mann oft in Wildheit gegen Kinder und Dienstboten zu rasen begann, konnte sie ihm sagen: »Christoph, das mußt nicht leiden, so darf dich der Hassard nicht übermannen,« und er wurde still und ruhig.

Es ist eine viel zu wenig beachtete Erfahrung, daß[180] die Leidenschaft mitten im ungezähmtesten Ausbruche zu bewältigen ist, wenn es dem Unbefangenen gelingt den Punkt zu berühren, wo der im Sturme Fortgerissene mit sich selbst ob seines Thuns zerfallen ist. Die Furchenbäuerin traf dies bei ihrem Manne meist mit unfehlbarem Takt. Sie wollte aber jetzt nichts thun, denn er war selber zu sich gekommen. Es war gut, daß er nach seiner übeln Gewohnheit gelauscht hatte. Es wird sich Alles auf friedlichem Wege ausgleichen. Warum sollte es denn nicht sein? Ist ja daheim in Siebenhöfen allzeit Jegliches gütlich beigelegt worden, warum denn hier nicht auch?

Es war wieder ein neues rühriges Leben auf dem Furchenhof, Alban arbeitete rastlos vom Morgen bis in die Nacht und pfiff und sang allezeit. Jede Arbeit machte ihm jetzt doppelte Freude, er that sie nicht mehr als Knecht, sondern als freier Sohn des Hauses. Der Vater ließ ihn gewähren und schaute ihn oft mit Zufriedenheit an; er that als ob er es nicht wüßte, wenn Alban noch spät Abends oft zu Vreni auf den Hellberg ging; dieses Verhältniß schien ihm jetzt genehm. Je mehr sich Alban mit Vreni einließ, um so weniger konnte er den Hof beanspruchen; er mußte mit einer erklecklichen Auszahlung zufrieden sein und konnte damit nach Amerika auswandern, wenn er sich hier zu Land nicht in ein Häuslerleben schicken mag.

Auf dem Hellberg ging es allzeit lustig her. In dem Hause, wo man die Kartoffeln zählte, ehe man sie an's Feuer stellte, sah doch Jedes wohlgenährt und munter aus. Das machte die Freude, denn hier war [181] Singen und Tanzen, als wäre beständig Kirchweih. Die Obedfüchti, die den Tag über ganz allein von Gehöft zu Gehöft wandelte und sich allerlei einhamsterte, spielte am Abend die Klarinette und man sang und tanzte oft dazu. Jetzt wurde bereits an fünf Kunkeln gesponnen, die Erwachsenen spannen den feinen Flachs und die Kinder das Werg. Die Großmutter hatte auch nur Werg an der Kunkel, sie that es wieder den Kindern gleich, denn ihre Finger waren krumm und ihr Auge schwach. Die Spindeln drehten sich lustig auf dem Boden.

Zwischen hinein erzählte die Obedfüchti allerlei lustige Streiche aus alten Zeiten, wie er einst eine tüchtige Zeche bei einem Wirthe angetrunken und als er nicht bezahlen konnte eine Ohrfeige erhielt, worauf sie ruhig antwortete: »So gut ist mir's noch nie gangen, hab' kein Geld gehabt und doch noch was heraus bekommen.« Der Wirth lachte darob so sehr, daß er aufs Neue einschenkte. Eine Hauptgeschichte erzählte die Obedfüchti aber stets unter neuem Lachen. Er war einst im Sommer nach Klurrenbühl auf den dortigen Hof gekommen, als eben Sträuble gebacken wurden; er bat auch darum, wurde schnöde abgewiesen und ging; da sah er ein Kind neben einem Weiher sitzen, schnell tunkt er es in's Wasser und trägt es als vom Tode gerettet in das Haus. Nun wurde er reichlich beschenkt und ging nie mehr leer aus, so oft er kam.

An längst genossenem Wein und Leckerbissen erlabte sich noch das alte Männchen und seine Zuhörer zehrten mit. In diesem Hause, wo das tägliche Leben so wenig [182] bot, erquickte und erheiterte man sich an alten Geschichten und Späßen und war wohlgemuth. Die Goldfuchsen lachten mit und sprachen in Alles hinein im Beisein der Eltern und die ganze Familie war wie Ein Mensch. Wenn Alban jetzt wieder täglich vom elterlichen Hause hierher kam, war es ihm stets als athmete er nun erst frei auf, hier war er »ausgeschirrt,« wie er oft sagte, und bei allem Freisinn genoß er noch das Wohlbehagen eines Höherstehenden, der sich in niederen Kreis begiebt, dem man den besten Stuhl anweist, dem man jede Freundlichkeit doppelt dankt und vor dem man sich gern im besten Lichte zeigt. Alban war hier wieder der rechte Sohn des Furchenbauern und das that ihm wohl und er sagte sich nur, daß das überall sei, wo er eintrete.

Der Nagelschmied sprach manchmal mit Alban über das Zerwürfniß mit dem Vater. Er war klug und fest, denn er vermied jeden Schein, als ob er Alban aufhetze, und Alban war stolz und eigenwillig genug, daß dieß gerade das Gegentheil hervorgebracht hätte. Der Nagelschmied hatte daher nur allerlei unhaltbare Einwände gegen den Plan Albans vorzubringen und ließ sich gern von ihm widerlegen; daneben wußte er aber ernste Andeutungen zu geben, daß er mit seiner Tochter Vreni nicht spielen lasse und daß er sein Leben an den wage, der mit der Krone seines Hauses leichtfertigen Scherz treiben wolle oder gar sie verunehre; er wiederholte stets, daß er Alban nicht damit meine, daß er zu ihm alles Vertrauen hege, er wußte ihm aber dabei immer deutlich zu machen, daß der arme Mann [183] nichts habe als seine Ehre und sein heiteres Gemüth, und eben darum um so eifriger auf deren Erhaltung bedacht sein müsse.

Bruder und Enkelkind

Bruder und Enkelkind.

Nächsten Montag war der Vater siebzig Jahre alt. Am Samstag Morgen wurde Alban in aller Frühe mit den beiden Fuchsen nach Siebenhöfen geschickt, um die kleine Tochter des verstorbenen Schmalzgrafen zu holen; auf dem Rückweg sollte er Abends in der Stadt die Ankunft des Eilwagens abwarten, mit dem der Bruder des Furchenbauern, der Dekan im Oberlande war, kommen sollte. Mit dem einzigen Bruder und dem einzigen Enkel des Vaters sollte Alban dann zurückkehren. Die letzte Entscheidung nahte. Der Vater schien dazu Alles was ihm angehörte um sich versammeln und feierlich mit der Welt abschließen zu wollen. Alban war es trotz aller innern Entschiedenheit schwer zu Muthe auf dieser Fahrt. Vinzenz war ihm immerdar ausgewichen und hatte ihm nie einen richtigen Bescheid auf seinen in der ersten Nacht gestellten Vorschlag gegeben. Alban fand keinen Schlaf mehr neben dem Bruder, der verstockt und wortlos blieb; theils um doch Schlaf zu finden, theils auch aus innerer Furcht, daß er sich einmal im Grimm an seinem Bruder vergreife, hatte sich Alban nun in der Stallkammer das Bett des Dominik zum Lager gewählt und schließlich hatte das auch noch den besonderen Vortheil, daß man ihm seine Ausflüge nach dem Hellberge und [184] seine Rückkunft nicht nachrechnen konnte. Der Greif allein verrieth ihn am ersten Abend, denn dieser Hund, den sich Vinzenz während der Abwesenheit Albans angeschafft hatte und der in der Nacht von der Kette losgelassen war, fiel den Heimkehrenden wie einen räuberischen Eindringling an, so daß das ganze Haus in Allarm kam. Am andern Morgen hatte der Vater zu Alban gesagt:

»Das ist grad nicht nöthig, daß du in der Knechtskammer schläfst, bleib' du nur bei deinem Bruder, und wenn er dir was hinterwärts gegen mich einfädeln will, sag' ihm nur: es gilt Alles nichts als was Ich festsetz', das allein hat Bestand.«

Hatte Vinzenz dem Vater die erste Unterredung verrathen? Alban konnte nicht klug daraus werden. Er blieb aber jetzt um so mehr bei seinem Nachtlager, und um den Greif nicht zum Lärm zu bringen, ließ er einen Laden im Heuschuppen nach der Feldseite offen und schlüpfte durch denselben allabendlich herein. Im eigenen elterlichen Hause hatte er einen verborgenen Eingang. Jetzt im Fahren gedachte er, wie fremd er doch eigentlich noch im Elternhause war.

Als er in der Ferne am Eichhof vorbeifuhr, wo er vor anderthalb Jahren um die Wittwe gefreit, erwachten in ihm wieder Scham und Trotz von damals, und doch konnte er sich des Gedankens nicht erwehren, wie ausgeglichen und friedlich Alles wäre, wenn er hier oben bauern würde, vielleicht hielt er jetzt schon ein eigen Kind auf dem Arm ... Alban liebte trotz alledem die Vreni vom Hellberg innig und aufrichtig;[185] aber es giebt Stimmungen, in denen auch der Starke und Muthige sehnlichst wünscht, daß ihm die Last des unaufhörlichen Kampfes abgenommen wäre, daß das Schicksal ihm das Heißerstrebte durchkreuzt haben möchte, nur um ihm Ruhe zu gönnen.

In Siebenhöfen wurde Alban herzlich bewillkommt. Man glückwünschte ihm zur baldigen Uebernahme des Hofes und empfahl ihm reiche Bauerntöchter aus der Nähe zur Auswahl. Alban widersprach in Nichts; er wollte den Leuten nicht sagen, wie es noch ungewiß sei, ob er in den Erbgang trete; dieß schien hier ausgemacht und fraglos. Alban wollte fast selber daran glauben, denn eine Zuversicht von außen, so wenig begründet sie dem Hörer auch erscheint, hat doch immer etwas so Einschmeichelndes und Anmuthendes, daß sie sich unvermuthet in der Seele festsetzt und alle Zweifel der eigenen besseren Erkenntniß überdeckt. Alban genoß harmlos die Ehre des Hoferben. Wer weiß, ob es nicht zum Letztenmal ist, daß er sich ihrer erfreuen darf.

Die Mutter hatte Recht: hier im Gäu ging Alles viel bedachtsamer und stetiger her, der Menschen Thun und Reden war gelassener und nicht so laut wie daheim.

Hätte die Eichbäuerin heute gesehen, wie sorgsam und innig Alban um sein Bruderskind bedacht war, sie hätte ihn nicht mehr der Hartherzigkeit geziehen. Als Alban mit der kaum eilfjährigen Amrei (Anna Marie) davon fuhr, war er voll Entzücken; jedes Wort, das das Kind sprach, erquickte ihm das Herz und ein lang nicht gekanntes Lächeln ruhte beständig auf seinem [186] Antlitz. Wie die Kinder es immer fühlen, wo ein treues und aufrichtiges Herz sich ihnen zuneigt, so war das Mädchen bald äußerst zutraulich und anschmiegend gegen Alban und als es ihn fragte: »Ohm, hast du daheim auch ein Kind?« wußte er nichts Anderes zu erwidern, als das Kind fest in die Arme zu schließen und es innig zu küssen. Der ganze Jubel, daß er einst auch ein eigen Kind haben solle, stieg in ihm auf und er wünschte sich jetzt nur, diesem Mädchen, das ihn wie eine glückselige Zukunft anschaute, recht viel Liebe erweisen zu können. Plötzlich erwachte Wehmuth in seiner Seele: dieses Kind hatte seines Vaters Liebe nicht gekannt, er war dahin gerafft bevor es seinen Namen nennen konnte und er selber – ihm lebte der Vater und bedrückte ihm das Herz mit Härte und unbeugsamer Herrschsucht. Das aber ist die Beseligung, die die Kindesnatur auf ihre Umgebung ausströmt, daß sie ist gleich der stetigen unwandelbaren Natur um uns her, die sich nicht hereinziehen läßt in die Wirrnisse des Denkens und Lebens und die doch im Kinde Sprache gefunden hat. Amrei wußte so lieblich zu plaudern und freute sich so sehr über jedes Begegniß, daß Alban keinen schweren Gedanken nachhängen konnte; er ward kinderfroh mit dem Kinde. Noch nie war eine Fahrt so rasch und fröhlich gewesen als die von Siebenhöfen nach der Stadt. Mit dem Kind an der Hand ging Alban durch die Stadt und er hüpfte selbst mit dem Kind als das Posthorn klang. Der Oheim Dekan war richtig angekommen. Es war ein stattlicher umfangreicher Mann. Alban hatte ihn seit lange nicht [187] gesehen; dennoch ward er sogleich von ihm erkannt. Der Dekan reichte ihm etwas salbungsvoll die Hand, die andere legte er als er gehört hatte, wer das sei, auf das Haupt des Kindes. Alban trug das Gepäcke des Oheims nach dem Wirthshause, aber das Kind wollte sich von dem Geistlichen nicht führen lassen, es hing sich an den Rockzipfel Albans.

Der Dekan war ein Mann, der nichts übereilte, Alban hielt schon die Zügel der angespannten Pferde in der Hand, als der Dekan noch gemächlich seinen Schoppen trank und dazu die mit ihm angekommene Landeszeitung las.

Beim Aufsteigen gab es zwei saure Gesichter, ein altes und ein junges. Das Kind weinte, weil es allein bei dem Pfarrer sitzen sollte, es wollte zu Alban und dieser mußte sich nun mit auf den gemeinschaftlichen Sitz einzwängen; er setzte sich indeß so auf die Kante, daß der Oheim Platz genug hatte. Das Kind saß zwischen ihnen. Im Fahren verschwindet bald jede anfängliche Ungemächlichkeit, man richtet sich allmälig ein und merkt zuletzt, daß Jedes noch genugsam Raum inne hat. Der Dekan, der stets die Hände gefaltet auf der Brust hielt, war ein wohlwollender und behaglicher Mann. Er sprach mit seinem Neffen von dessen vormaligem Leben in der Ackerbauschule, er war selber ein eifriger Landwirth und machte Versuche mit Tabaksbau und Seidenzucht; dann ließ er sich von Alban von den Freischärlerzeiten und dem Leben in Reichenbach erzählen. Erst nachdem dieses ordnungsmäßig abgethan war, wobei sie oft von Anrufungen des Kindes unterbrochen [188] wurden, das fast eifersüchtig schien, weil Alban sich jetzt weniger mit ihm beschäftigte, begann der Dekan zu fragen, wie hoch Alban den Hof übernehme, da er jetzt viel mehr werth sei, nachdem man die alten Grundlasten abgelöst habe.

Als Alban berichtete, daß er noch immer aus dem Erbgang gestoßen werden solle, als er die ganze Wirrniß auseinander zu haspeln suchte und zuletzt damit schloß, wie er darauf bestehe, daß Alles zu gleichen Theilen getheilt werde, sagte der Dekan ohne eine Miene zu verziehen und ohne die Finger auseinander zu falten:

»Dann hab' ich auch noch Ansprüche und der Gipsmüller auch; unsere Abfindung beruht nur darauf, daß das Gut beieinander bleibt; wird es getheilt, gehört es gar nicht mehr deinem Vater allein.«

»Wie soll's denn aber gemacht werden?« frug Alban, der von dieser Rede ganz verwirrt wurde, und der Dekan erwiderte lächelnd:

»Wie's Recht ist. Kannst ruhig sein, ich verlang' in keinem Fall etwas und der Gipsmüller wohl auch nicht! Aber ruhig muß Alles gehen. Friede und Duldsamkeit! Mußt nicht gleich glauben, wenn Einer was anders will als du, das sei schlecht; es hat ein Jedes seinen eigenen Weg. Darum nur Friede!«

»O lieber Gott! Ja, den stiftet,« rief Alban inbrünstig mit lauter Stimme aus, und der Dekan befahl ihm, sich auch in seiner Friedensanrufung zu mäßigen, man könne Alles in der Welt viel besser mit leisen Worten beilegen.

[189] Das behäbige Wesen des Dekans, der, noch aus der Wessenbergischen Schule stammend, Duldsamkeit und Maßhalten in allen Dingen bewahrte, übte einen eigenthümlich beschwichtigenden Einfluß auf Alban; er fühlte sich wie unter einem Zauberbann und doch wand und bäumte sich noch der Widerspruchsgeist in ihm, der einen nicht unwillkommenen Beistand darin erhielt, daß Alban sich des Gerüchtes erinnerte, wie sein Oheim in der Bewegungszeit ein Gegner derselben gewesen war. Dennoch rief er:

»Ich will mein Leben lang für Euch beten, wenn Ihr mir beistehet.«

»Ich bete selber für mich und ich stehe nur dem Rechten bei, keiner Person,« entgegnete der Dekan.

In Reichenbach hielt man an, hier mußte der Dekan auf länger einsprechen, er war hier vor Jahren Pfarrer gewesen.

Es war schon mehrere Stunden Nacht als man nach dem Furchenhofe fuhr, das Kind schlief und schmiegte sich traulich an Alban; er hatte Mühe die Pferde zu lenken ohne das Kind zu wecken. Alban und der Dekan sprachen fast gar nicht.

Als man auf dem Furchenhof ankam, war große Bewegung. Der Vater eilte dem Bruder mit einem Stuhl entgegen und reichte ihm die Hand, der Gipsmüller stand hinter ihm. Die Mutter umhalste ihr Enkelchen und weckte es mit Küssen, Ameile trug das noch halb Schlaftrunkene nach dem Hause.

In der Stube war heute Abend eine feierliche Weihestimmung, und selbst die Knechte und Mägde im Hofe [190] sprachen leiser miteinander, denn der Dekan übernachtete hier. Der Dekan sah den Gipsmüller jetzt zum Erstenmal seit dem Tode der Schwester. Alte Wunden öffneten sich blutend, der Dekan besprach sie aber mit heilenden Worten. Der Gipsmüller kam sonst nie auf den Furchenhof, er hatte sich mit dem Schwager veruneinigt. Heute war Alles friedlich und wie mit einer Alles lindernden Milde gesalbt.

Ein Kirchgang am Morgen und eine Beichte in der Nacht

Ein Kirchgang am Morgen und eine Beichte in der Nacht.

Am Sonntagmorgen wurde den Pferden das neue Geschirr angelegt, und die Menschen zeigten sich alle in ihren besten Kleidern. In zwei Wagen fuhr die ganze Familie nach der über eine Stunde entfernten Kirche; neben Vinzenz saß die Mutter, hinter ihnen der Oheim Dekan und der Vater, Alban hatte Ameile und die kleine Amrei bei sich. Die ganze Familie außer Amrei war noch nüchtern, denn man ging heute zur Communion. Die Häusler, die bald da bald dort den Wiesenweg von einsamen Gehöften herabkamen, grüßten ehrerbietig, und der Furchenbauer dankte ernst dem Gruß, der seinem geistlichen Bruder galt. Die Fußgänger schauten der stattlichen Auffahrt noch lange verwundert nach und redeten allerlei darüber. In der Kirche verrichtete der Dekan das Meßamt und reichte den Seinen das Abendmahl.

Eine festtäglich gehobene Kirchenstimmung brachte [191] man noch mit auf den Furchenhof zurück, und den ganzen Tag ging Jedes allein und in sich gekehrt umher. Nur Alban und Ameile saßen gegen Abend still beisammen auf der Bank am Brunnen und Ameile sah den Bruder staunend an, als er plötzlich mit tonloser Stimme sagte:

»Ameile, wenn ich sterbe, so will ich dir's gesagt haben, daß ich dem Dominik gegen vierhundert Gulden schuldig bin und er hat nichts Schriftliches von mir.«

Ameile wollte den Bruder ob solcher Rede auslachen, aber er wehrte ihr, er sagte zwar, solche Todesgedanken seien närrisch, aber es sei ihm so schwer im Herzen und er habe sich nun doch erleichtert, daß noch Jemand von seiner Schuld an Dominik wisse, er wolle das auch der Mutter mittheilen.

Woher kam Alban diese Todesahnung? Ein Volksglaube sagt: wer ein umwandelndes Gespenst, einen Geist erlöst, muß bald sterben. Hat Alban den Geist der Gerechtigkeit erlöst und muß er darob sterben? Ist es ein nothwendiges Gesetz der Menschengeschichte im großen wie im kleinen Leben, daß die einseitig hingegebenen Vertreter eines unterdrückten Rechtsgedankens auch dessen Märtyrer werden müssen? ...

Am Abend wallfahrteten alle Hausbewohner nach dem »Käppele,« der Dekan sprach dort den üblichen Abendsegen.

Der Gipsmüller mit seinen Töchtern war auch herbeigekommen und nun war große Familienzusammenkunft in der Stube. Ein Jedes lauschte nur auf die Worte des Dekans, der, dem Scherze nicht abhold,[192] manchmal auch ein kleines Späßchen zum Besten gab, worüber man bescheiden zu lachen wagte; in der Regel aber führte er ernste Rede und immer wieder wußte er Beispiele beizubringen, wie Besonnenheit und Mäßigung die Tugenden seien, die ewig in Ehren gehalten werden müssen. Jedes war zufrieden mit diesen Mahnungen, denn Jedes schob dem andern die Bethätigung zu und glaubte selbst deren nicht zu bedürfen.

Der Dekan kannte die alte Geschichte der Familie und wußte besonders viel zu erzählen von jenem Urahn, der auch Alban hieß und der durch Klugheit und Nachgiebigkeit den Hellberger Hof und den Kandelhof – so hieß ehedem das Furchengut – mit einander vereinigte. Dieser Urahn hatte am Michelstag einen mit zwei Pferden bespannten Pflug rings um das Gut geführt und hatte dabei stets die Sonne im Angesicht und ohne zu rasten kam er erst mit sinkender Nacht wieder auf der Ausgangsstelle an. Von jener Zeit hatte das Gut den Beinamen: von der langen Furche.

Der Dekan erzählte noch, daß das Geschlecht der Feilenhauer vor Zeiten Feigenhauer geheißen habe und adelig gewesen sei.

Der alte Furchenbauer schmunzelte, aber zum Staunen Aller sagte Alban:

»Und die Vorfahren dieser Adeligen sind doch auch wieder Bürgerliche gewesen; drum bleiben wir gleich dabei.«

Man ging früh auseinander, denn man wollte morgen mit Tagesanbruch den Feldumgang halten. Der Gipsmüller hatte Abhaltungen, wegen deren er nicht[193] dabei sein könne, versprach aber am Abend zur Abtheilung wiederzukommen.

Als Alban dem Oheim Dekan die Hand reichte und ihm eine »ruhsame Nacht« wünschte, erschrack er fast, da der Geistliche vor Allen ohne Scheu sagte:

»Nun schlaf heut noch gut und mach' dich recht rein im Gewissen, denn morgen Nacht gehst du als Furchenbauer zu Bett.«

War der Ohm Dekan auf seiner Seite? Das hatte er nimmer gedacht. Heute zum Erstenmal ging Alban nicht nach dem Hellberg und doch fand er lange keine Ruhe. In stiller Nacht kam die Versuchung über ihn. Er war der Erstgeborne, er trat in den Erbgang: warum sollte es ein Unrecht sein, wenn er den Hof zu geringem Preis annahm und sich erlabte am reichen übermächtigen Besitz? Er konnte den Geschwistern später schenken was er wollte. Er nahm sich fest vor, das zu thun, er feilschte mit sich selber über die Summen, die er dafür festsetzen wollte, er konnte nicht einig mit sich werden und blieb am Ende dabei, Zeit und Maß seiner Leistungen an die Geschwister nach seinem Gutdünken und nach dem Erträgniß guter Jahrgänge zu bestimmen. Dabei wollte er bleiben und ruhig schlafen, aber er fand keine Ruhe und plötzlich sprang er aus dem Bett, faßte das Gesangbuch, das er noch vom Kirchgange bei sich hatte und es in beiden Händen haltend sprach er laut: »Vor Gott und meinem eigenen Gewissen schwör' ich's: ich will kein unrecht Gut. Ich gebe meinen Geschwistern den vollen Theil des Erbes, den ganzen, ohne Vorbehalt und vor aller Welt. Du, [194] o Gott, allein hörst mich und mein eigenes Ohr! Höre mich nicht mehr und mein Ohr vernehme meine Stimme nicht mehr, wenn ich diesem Schwur nur einen Augenblick untreu werde ...«

Jetzt erst fand Alban den Schlaf, der ihn Hoffnung und Qual vergessen machte.

Während Alban nach dem Selbstgelöbniß die ersehnte Ruhe fand, war drin im Hause heftige Zwiesprache und Unruhe.

Der Dekan schlief im Leibgedingstüble der verstorbenen Eltern. Als ihn der Furchenbauer dahin geleitete, sagte er:

»Das versteh' ich nicht. Der Herr Dekan – der Furchenbauer redete mit seinem Bruder stets in der dritten Person – spricht von Frieden und Verträglichkeit und hetzt das eigene Kind gegen den Vater auf.«

»Wie thu' ich denn das?«

»In meinem Verstand heißt das aufgehetzt, wenn man dem Alban sagt, er sei der Lehnhold und er sei morgen Nacht Furchenbauer, und das wird er mit meinem Willen nie, und ich habe dem Herrn Dekan schon gesagt, warum ich den Vinzenz einsetzen muß.«

»Die Sünde an dem Einen wird dadurch nicht gut gemacht, daß man eine Sünde an dem Andern thut.«

»So soll ich also meineidig werden?«

»Davor bewahre uns Gott. Für ein ungerechtes Versprechen kann Der Buße thun, der es gegeben hat. Der Alban soll dann etwas mehr hergeben, daß du dem Vinzenz eine Versorgung kaufen kannst.«

[195] »Nein, nein, nie; der Alban kriegt meinen Hof nicht, der ist vom Hirzenbauer und von denen, die nichts als theilen wollen, angesteckt; der thät' den Hof, den wir von unsern Ureltern her haben, unter seine Kinder theilen.«

»Drum komm' ihm zuvor und theil' selbst.«

»Das kann der Dekan nicht ernst meinen, er ist ja Keiner von den Revoluzern nie gewesen. Das wär' ja gegen alle rechtschaffene Ordnung.«

»Setz' dich, ich will dir was erzählen,« sagte der Dekan und setzte sich selbst nieder. »Hör' zu: vor Jahren ist ein Mann zu einem Pfarrer in die Beichte gekommen, der nicht aus seinem Ort war, die Stimme war kräftig, etwas stolz im Ton, und viele Jahre ist der Mann immer wieder gekommen und hat immer dasselbe gebeichtet: ich leb' mit meiner Frau in Fried' und Einigkeit, aber wenn sie mir das glückseligste Geheimniß anvertraut, gehen wir immer Beide umher wie zwei junge Leute, die sich verfehlt haben, und ich wünsche den Tod des Kindes noch bevor es geboren ist, und wenn es geboren ist und größer geworden, da zerreißt es mir das Herz, weil ich nicht weiß, welches Kind mir am wenigsten wehe thäte, wenn es stürbe. Mein Weib findet sich bälder darein, sie nimmt es als eine Schickung Gottes auf sich, mich aber verläßt der Gedanke nicht und ich kann nicht ruhen und nicht rasten und ich habe Gott gebeten, er soll mir die große Kinderzahl abnehmen und es ist geschehen und jetzt ist doch mein Herz schwer ob dieser Sünde.« »Und warum hast du einem jungen Leben den Tod gewünscht?« »Damit [196] das Erbe nicht zu klein werde.« Dreimal kam der Mann in derselben Zerknirschung ob derselben Sünde und dreimal erhielt er die Absolution. Als er das Viertemal kam, wurde sie ihm verweigert und er kam nicht wieder; er suchte sich wohl einen andern Beichtiger. »Und diese Todesschuld hat der Mann auf sich, weil er im Stolze heischte, daß seine Nachkommen groß und reich seien. Und dieser Mann – bist du –«

Wie vom Blitz getroffen fuhr der Bauer empor, da der Dekan sich plötzlich erhoben hatte und seine Hand mit schwerem Schlag ihm auf die Schulter legte. Schnell aber ermannte er sich, und allen Respekt bei Seite setzend rief er:

»Ist das recht, daß du ein Beichtgeheimniß so verrathest?«

»Mit dir allein darf ich so reden, und ich muß es – weil du noch in der alten Sünde bist. Du willst das eine Kind am Lebensgute tödten, um das andere damit zu bereichern. Folgtest du dem Zwange des Erbganges, du könntest dich vielleicht freisprechen, die Schuld liegt hinter dir in alten Zeiten. Jetzt aber willst du neues Unrecht pflanzen. Das dulde ich nicht. Ich ziehe meine Hand ab von deinem Thun. Entweder setzest du Alban ein, oder du theilst. Bleibst du bei deinem Vorhaben, so schüttle ich den Staub von den Füßen und ziehe wieder dahin, von wannen ich gekommen.«

Der Furchenbauer hatte noch allerlei Einwände und besonders über Einen wurde der Dekan auf's Aeußerste aufgebracht, indem der Bauer erklärte, daß er am Tode [197] der Kinder unschuldig sei und dabei das Sprüchwort anführte: »Man trägt mehr Kälberhäute auf den Markt als Ochsenhäute.« (Es sterben mehr Kinder als erwachsene Menschen.) Der allezeit so milde Dekan gerieth darob in solche Heftigkeit und stellte dem Bruder seine Vergangenheit in so greller Weise dar, daß er dadurch die erschütternde Macht, die er bis jetzt geübt hatte, fast ganz einbüßte. Er lernte eine seltsame Verhärtung des Gemüthes kennen, indem der Bauer sagte: »Und wenn's so ist, und sei's meinetwegen, und hab' ich meine Seele verdorben und meine Seligkeit in die Höll' geworfen, so will ich's wenigstens hier auch 'nausführen und soll wenigstens nicht Alles umsonst gewesen sein.«

Der Dekan faßte nochmals in neu gesammelter Ruhe alle die sittlichen Bedingungen zusammen, die hier in Frage stehen, dann ging er auf die praktischen Bedenken über. Der Furchenbauer beharrte dabei, daß er auch ohne die Beschädigung des Vinzenz diesen doch einsetzen würde, denn Alban sei von Haus aus begabter und könne sich leicht forthelfen. Als ihm aber der Bruder erklärte, wie es gegen alles Recht und Herkommen sei, daß ein Beschädigter Lehnhold werde, das geschehe nie, so wenig ein mangelhafter Mensch eine Krone erben dürfe – da stutzte der Furchenbauer. Endlich preßte er das Geständniß hervor, er möchte wohl nachgeben und Alban einsetzen, aber Vinzenz habe ihn in der Hand und werde seine letzten Lebenstage noch der Schande preisgeben. An diesen Ausspruch hielt sich nun der Dekan und redete dem Bruder noch in mildester Weise zu.

[198] Mitternacht war längst vorüber, als der Furchenbauer innerlich geknickt und zerbrochen seiner Schlafkammer zuwankte; er wußte nicht mehr was er thun sollte. Als er aber am Morgen erwachte, knirschte er vor sich hin: »Und doch muß es bleiben wie Ich will, und wenn unser Herrgott einen Evangelisten schickt, der kann das nicht ändern. Das ist alte Satzung, die gilt in Ewigkeit.«

Wie ganz anders erwachte Alban. Eine innere Beseligung durchströmte sein ganzes Sein und er trat in die gewohnte Welt mit geweihtem prophetengleich geklärtem Herzen.

Feldumgang und Sonnenwende

Feldumgang und Sonnenwende.

Der Oheim Dekan war unwohl und erklärte den Markungsumgang nicht mitmachen zu können; der Vater und Vinzenz standen indeß dazu bereit und gewaffnet, denn Jeder trug im linken Arme die übliche Handaxt, auch Alban mußte sich eine solche holen, und als er damit wiederkam, hieß ihn der Vater den Quersack aufnehmen, der auf der einen Seite Speisen, auf der andern mehrere gefüllte Weinkrüge enthielt. Alban wußte nicht, ob das Tragen des Mundvorraths eine Pflicht des Lehnholden oder des Abgefundenen war.

Alles hatte heute wieder etwas eigentümlich Feierliches und Ceremonielles. Der Vater reichte der Frau und Ameile die Hand zum Abschiede, und als er dem Dekan die Hand reichte, hielt dieser sie fest, legte die Linke auf die Schulter des Bruders und sagte:

[199] »Dein Ausgang sei in Gerechtigkeit und dein Eingang in Frieden.«

Die Zurückgebliebenen standen unter der Thür und schauten den Weggehenden nach; aber schon im Hofe gab es einen kleinen Aufhalt. Vinzenz wollte seinen Hund, den Greif, mitnehmen; der Vater wehrte ihm das streng und er mußte etwas Verwunderliches und Herausforderndes im Blicke Albans bemerkt haben, denn er sagte zu diesem gewendet:

»Wer im Herzen spottet über das was heute geschieht, der ist ein schandbarer Mensch, vor Gott und der Welt verdammt. Unsre Väter und Urahnen haben's so gehalten, und das ist heiliger Brauch.«

Unter dem Hofthor stand der Furchenbauer noch einmal verschnaufend still, er mochte denken, daß er zum Letztenmal hier als Herr und Meister stand; wenn er wiederkehrte, gehörte das Alles einem Andern. Mit dem grünen Maien auf dem Hut wird am Abend ein Jüngerer als Meister hier eintreten.

Wer wird es sein?

Man ging von Sonnenaufgang nach Untergang, schweigend bis zum ersten Marksteine. Dort hielt der Vater an, nahm ein Brod, zerschnitt es in drei Stücke, aß zuerst von dem einen und reichte dann die beiden anderen den Söhnen. Alban erhielt das erste Stück aus seiner Hand. Jetzt füllte der Vater ein Glas, schüttete daraus zuerst ein wenig auf den Markstein und trank; dann reichte er es zuerst Vinzenz, dieser trank, gab das Glas in die Hand Albans, der auf den Wink des Vaters den Rest austrank.

[200] War es ein Zufall unwillkürlicher Regung, daß das erste Stück des Brodes dem Aeltesten gereicht wurde, oder war dieser wirklich der Lehnhold? Alban wußte es wiederum nicht.

Der Vater schlug mit dem Haus (breiten Rücken) des Beiles dreimal auf den Markstein, die beiden Söhne mußten das Gleiche thun und der Vater sprach:

»Keine Gnade finde Der bei Gott, der diesen Markstein verrückt.«

Der Vater stieß das Messer, mit dem er das Brod geschnitten, dreimal in den Boden und sagte, als er es zum Letztenmal herauszog, halb vor sich hin:

»Rein ist das Wasser, rein ist der Boden und schärft den Stahl.«

Man schritt weiter. Alban schauderte es im Innern.

Auf dem zweiten Markstein saß ein Rabe und sah den Ankommenden ruhig entgegen. Der Vater winkte aufscheuchend mit der Hand, aber nach Art dieser kecken Thiere, die alsbald merken, wenn man waffenlos gegen sie ist, blieb der Rabe ruhig sitzen. Vinzenz bückte sich und hob eine Scholle auf; aber der Vater hielt ihm den Arm, indem er sagte:

»Man darf nach einem Raben nicht mit Ackererde werfen.«

Erst als man ganz nahe war, flog der Rabe kreischend davon. Dieselbe Weihehandlung wiederholte sich hier, nur sprach der Vater beim Aufstehen keine Verwünschung mehr aus, vielmehr brockelte er Brod ringsumher auf den Boden und sagte dabei:

»Das ist für die hungrigen Vögel in Feld und[201] Wald. Wer da gesegnet ist mit reichem Besitz, gedenke allzeit Derer, die in Noth und Armuth sind, denn darum hat ihn Gott gesegnet, und es wird ihm doppelt wohl ergehen.«

Der dritte Markstein war am Waldessaum. Der Vater setzte sich auf den Stein und befahl den Söhnen: »Holt Wanderstäbe!« Sie eilten in das Dickicht und bald hörte man es knacken. Alban war der Erste, der wieder zurück kehrte, und im Angesichte des Vaters zuckte es seltsam, da ihm Alban einen abgezweigten Schwarzdornstock übergab und dann wieder in das Dickicht ging, um sich selbst einen zu holen. Vinzenz brachte zwei noch mit den Zweigen behangene Stöcke; der Vater befahl ihm, einen wegzuwerfen und einen für sich zu behalten. Als nun auch Alban mit seinem Stocke wiederkam, erhob sich der Vater und rief in gebieterischer Haltung:

»Zerbrecht Eure Stöcke!« Vinzenz schaute den Vater verwundert an, der Stock Albans knackte und bald darauf auch der des Vinzenz und der Vater rief wieder:

»Werft die Splitter weg!« Es geschah, und der Vater fuhr fort, seinen Stab erhebend: »Seht, ich allein halte den Stab, ich allein habe Macht über euch und ihr müßt mir gehorsam und unterthänig sein in Allem.« Vinzenz rief laut »Ja,« und gegen ihn gewendet sprach der Vater: »Ihr habt nicht zu antworten und ich hab' euch nicht zu fragen. Von Gott eingesetzt ist es, daß das Kind nach dem Willen des Vaters thue, ohne Widerrede; und so ist es treu und fromm von Alters her in unserer Familie gehalten, und darum stehen wir unter den Ersten im Lande.« Mit erleichtertem[202] Herzen schloß er: »So, jetzt hab' ich nach dem alten Brauch gethan, und jetzt können wir ordentlich und frei miteinander reden.«

In der That schien sich der Furchenbauer erst jetzt leicht und frei zu fühlen, er schritt an dem frisch geschnittenen Stabe behend dahin; der Waldweg war breit, seine beiden Söhne gingen neben ihm, Vinzenz war zur Linken, sein blindes Auge stets an der Seite des Vaters. Dieser erzählte abermals die Geschichte von dem Urahn, der die Furche um sein Gut gezogen und ihm den Namen gegeben. Im Walde waren viele Menschen, Männer, Weiber und Kinder, die Dürrholz rafften, denn am Montag übten sie von Alters her diese Gerechtsame. Jedes dem man begegnete, erhielt nach alter Sitte Wein und Brod und die Kinder sogar kleine Münze. Im Walde jauchzte und jubelte es von allen Seiten und der Tag hellte sich auf. Der Vater sagte, daß nun die Uebergabe des Gutes überall besprochen werde. Er wendete sich mit seinen Worten jetzt vorherrschend und besonders freundlich an Alban und plauderte von allerlei.

Es war schon gegen Abend, als man am Markstein unweit des Felsens, den man des Geigerle's Lotterbett nennt, wieder den üblichen Halt machte. Drunten rauschte der Waldbach und der Vater fragte jetzt Alban geradezu:

»Jetzt sag' einmal: wie thätest du denn das Gut übernehmen?«

»Zehnfach so hoch als es bis jetzt geschätzt ist, aber ich will –«

[203] »Schweig. Still sag ich. Du verdienst nicht, daß man dir einen Fußbreit Boden giebt. Kann ein Mensch, der fünf zählen kann, ein Gut übernehmen, das so verschuldet ist? Die Zinsen fressen dich ja auf.«

»Man kann den Wald am Kugelberg schlagen und –«

»So? So fangen die rechten Lumpen an, der Wald muß büßen, was der Acker nicht vermag. Was die Voreltern aufgespart haben, kommt unter die Axt. Am Wald sich versündigen ist das Schlechteste. Du willst gescheit sein und hast kein Loth Verstand. Wenn ein Bauer keinen Wald mehr hat, hat er keinen Anhalt mehr. Drum hab' ich ihn auch geschont wie meine Vorfahren auch. Du thätest es dahin bringen, daß du kein' eigene Tanne mehr hättest, aus der man dir eine Bahre machen kann. Siehst jetzt ein, daß ich Recht hab'? Siehst ein?«

»Wenn meine Geschwister lieber baar Geld wollen – es ist ein Käufer für den Hellberger Hof da.«

»So? Hast schon einen?«

»Ja, der Graf Sabelsberg hat mit mir davon gesprochen –«

»Von meinem Ablösungsgeld? O du bist ein vermaledeiter Bub. Eh ich das zugeb', laß ich mir lieber ein Glied vom Leib abhacken. Mein Gut laß ich nicht verreißen, nie, nie. Sag jetzt gradaus. Guck mich nicht so an, Vinzenz, ich kann machen, was ich will, ich hab' den Stab in der Hand; da komm her, Alban, versprichst du mir in die Hand hinein, des Nagelschmieds Vreni laufen zu lassen und dir eine rechtschaffene Frau [204] zu holen: versprichst du mir, vor Gott einen Eid zu thun, daß du einem deiner Kinder das Gut ungetheilt vererben willst? Gieb Antwort. Steh nicht da wie ein Stock, laß mich nicht die Zunge lahm reden –«

»Ich mein'« –

»Nichts, nichts, kein ander Wort, Ja oder Nein. Willst du jetzt das Maul aufthun, oder soll ich dir alle Zähn' in Rachen schlagen?«

»Ich kann nicht, Vater.«

»Gut, dabei bleibt's. Du hast gesehen, ich hab's gut mit dir gemeint, jetzt ist's vorbei, aus und vorbei, oder ich will verdammt sein auf ewig, hier und dort. Komm her, Vinzenz.« Der Vater stand auf, mit zitternder Hand brach er einen Zweig von einer Tanne, nahm dem Vinzenz den Hut ab, steckte den Zweig darauf, setzte ihm den Hut wieder auf's Haupt, reichte ihm die Hand und sagte: »Du bist der Furchenbauer und dabei bleibt's so wahr mir Gott helfe. Alban, du sollst nicht zu kurz kommen, dafür laß nur mich sorgen und sei folgsam. Sei der Erste, der deinem Bruder Glück und Segen wünscht und er soll allezeit brüderlich an dir handeln.«

Alban schaute starr vor sich nieder, jetzt erhob er sein Antlitz, wilde Raserei flammte daraus.

»Ich leid's nicht,« rief er, »ich leid's nicht,« und riß dem Vinzenz den Zweig vom Hute. »Es giebt noch eine Gerechtigkeit. Die Gerichte sollen entscheiden. Das Gut muß und muß getheilt werden.«

Der Furchenbauer war wunderbar ruhig, seine Züge waren eisenstarr, er bückte sich selbst, hob den Hut auf, [205] den Alban zu Boden geworfen hatte und setzte ihn Vinzenz wieder auf's Haupt. Dieser redete noch immer kein Wort. Man hörte nichts als das Rauschen des Baches und das Schreien der Raben im Walde. Der Furchenbauer sagte endlich:

»Kommet heim. Oder Alban willst du gleich von hier aus zu Amt? Ich steh' dir nicht im Weg. Ich hab' dir nichts zu befehlen. Du willst mein Kind nicht sein, ich bin dein Vater nicht. Die Gerichte nehmen sich deiner an; und dort werden wir uns sehen. Was hat das Geländer gethan, daß du mit dem Beil darauf loshaust? Hau da zu, da, da ist mein alter Kopf. Komm, Vinzenz.«

Der Vater ging mit Vinzenz davon. Als Alban seine Axt aus dem Balken zog, der querliegend am Rande des Felsweges als Geländer befestigt war, kollerte der Balken krachend und knisternd den jähen Fels hinab und klatschte drunten im schäumenden Waldbach auf. Alban schaute nur eine Minute hinab in den Tobel und beugte sich hinaus, er konnte mit der Hand den Wipfel einer hohen Tanne fassen, die drunten im Thale steht, der Bach war bald sichtbar, bald verschwand er unter vorspringenden Felsen. Alban war's, als müsse er sich hinab stürzen, und wieder, als zöge ihn eine Hand zurück, richtete er sich auf und folgte dem Vater und dem Bruder hintendrein. Er kam sich verlassen und verloren vor in der weiten Welt, und doch konnte er nicht anders und willenlos folgte er dem Schritte des Vaters; er war an seine Macht gebannt.

[206] Das Hofgesinde stand am Thor und schaute verwundert aus, daß Keiner der beiden Söhne mit dem grünen Zweig auf dem Hute zurückkehrte.

Alban drängte sich an die Seite des Vaters und dieser schritt machtvoll und fest zwischen seinen beiden Söhnen dem Hause zu. Er dankte kaum dem Gruße seiner Dienstleute.

Alles zerstiebt in's Weite und Einer bleibt in der Enge

Alles zerstiebt in's Weite und Einer bleibt in der Enge.

Der Furchenbauer hackte seine Handaxt in die Thürpfoste, daß die Wand dröhnte, dann ging er hinein in's Haus. Die Mutter und Ameile standen in der Küche am prasselnden Feuer, sie bereiteten das Festmahl, das dem heutigen Tag sich ziemte. Der Vater ging ohne Gruß an ihnen vorüber nach der Stube. Dort saß der Gipsmüller mit seinen Töchtern beim Dekan, die Mutter kam hinter Vinzenz drein, sie mußte hören was vorging. Sie hörte es nur allzubald, denn der Bauer war rasend ob des widerspenstigen Sohnes. Niemand wagte zu widersprechen außer dem Dekan. Ameile trug das Essen auf. Man setzte sich dazu nieder, aber es däuchte Allen eher ein Leichenmahl denn ein Freudenfest.

Alban war nicht zu Tisch gekommen, er hatte sich gleich nach der Stallkammer begeben, die Mutter hatte nach ihm geschickt, ja sie war selbst bei ihm gewesen, aber er gab Niemand eine Antwort, sondern saß, das Antlitz mit den Händen bedeckt, auf dem Bett.

[207] »Kommt der Bub nicht?« fragte der Vater. Die Mutter wollte Ameile nach ihm schicken, aber der Vater wehrte ab:

»Nichts da, keine guten Worte, ich ruf' ihn und ich will sehen, ob er mir folgt oder nicht.« Er öffnete das Fenster und rief in den Hof hinab:

»Alban, komm gleich 'rauf, Ich ruf' dich!«

Kaum eine Minute verging und Alban trat in die Stube. Das Licht mochte ihn blenden, denn er rieb sich die Augen, alle Röthe war von seinen Wangen gewichen, sein Antlitz war leichenfahl.

Der Dekan und der Gipsmüller allein dankten seinem Gruß, Niemand wagte es ein Wort an ihn zu richten. Nur die kleine Amrei rief:

»Alban, setz' dich hurtig her, die Ahne hat einen ganzen Haufen Schnitz gekocht. Hast du Schnitz auch gern?«

»Und Schnitzgeigerle's,« höhnte der Furchenbauer. Niemand hörte darauf, Alles beschäftigte sich nur mit Amrei und brachte sie immer mehr zum Reden. Ein Jedes fühlte die Erfrischung, daß ein harmloses Gemüth unter ihnen war, das von allem Wirrwarr nichts wußte und wollte. Das Kind fand sich selbstgefällig in die Rolle, daß Alles sich ihm zuwendete und plauderte allerlei kunterbunt durcheinander, Kluges und Albernes, aber Alles wurde belacht. Selbst der Großvater konnte nicht umhin, seine Miene zu einem Lächeln zu verziehen; man sah es ihm aber an, nur die Oberfläche erheiterte sich, in der Tiefe grollte und kochte ein gewaltiger Zorn. Desto glückseliger waren aber [208] die Mutter und Ameile mit dem Kinde. Ein Enkelkind am Tisch der Großeltern schmückt und erheitert denselben mehr als die schönsten Blumen. Das Kind darf reden was und wann es will und Alles wird mit Freude begrüßt und ein Jedes hat zu erzählen, was das Kind heute gesagt und gethan und wie Alles so lieb und gescheit sei. Vor Allem strahlen die Großeltern in Freudenglanz und was einst in dem Kinde aus dämmeriger Jugenderinnerung ersteht, wenn die Großeltern längst nicht mehr sind, erblüht jetzt in diesen als heiteres Ausschauen in eine zukünftige und eine vergangene Welt.

Das Abendessen ging durch das Kind ziemlich heiter vorüber. Nur einmal als Amrei fragte:

»Alban, was machst für ein Gesicht? Bist bös mit mir?« sagte der Vater:

»Der? Der ist viel zu sanftmüthig, der beleidigt kein Kind.«

Man stand auf, Amrei betete vor, die Stimmen der Männer bildeten den dunklen Grundton zu der hellen Stimme des Kindes.

Alban wollte die Stube verlassen, da rief ihm der Vater:

»Da bleibst.«

Alban setzte sich auf die Ofenbank, es gesellte sich Niemand zu ihm, er saß da wie ein armer Sünder. Da sprang Amrei vom Schooße der Großmutter und schmiegte sich an die Knie Albans. Der Vater befahl Ameile, das Kind in's Bett zu bringen, es folgte nur mit Weinen und Alban war's, als jetzt das Kind von[209] ihm genommen wurde, als wär' er nun alles Schutzes beraubt. In der That ging nun auch der Sturm gegen ihn von allen Seiten los. Der Vater erzählte den ganzen Vorgang ziemlich sachgetreu, nur übertrieb er etwas seine heutige wohlwollende Stimmung gegen Alban, und diesem däuchte es nun, daß sie nie Ernst gewesen. Das Schelten und Fluchen des Vaters, das Weinen der Mutter, das Mahnen des Dekans, Alles drang nun auf Alban ein und Alles vergebens, er blieb bei seinem ausgesprochenen Vorhaben.

Ein Feuer, das der Blitz entzündete, kann menschliche Gewalt nicht löschen, so lehrt der allgemeine Volksglaube. Der Gedanke der Gerechtigkeit, der in jener bewegten Zeit wie ein feuriger Funke in die Seele Albans gefallen, war in ihm unauslöschlich. Mitten unter allen Einreden und Ruhestörungen erhob sich sein Herz, nicht in Gier nach Besitz, sondern in einer märtyrergleichen Hingebung an das Unabänderliche. Sein Herz blutete aus tausend Wunden, die ihm Liebe und Haß schlug, und er zagte und zweifelte jetzt keinen Augenblick mehr, er war bereit zu sterben, aber mit dem Bekenntniß der Wahrheit auf den Lippen.

Immer wieder auf's Neue toste es an ihn heran, aber er stand fest, unbeweglich wie ein Fels. Zuletzt kam der Vater zitternd auf ihn zu und schwur, ihm Alles zu verzeihen, wenn er umkehre; er schilderte noch einmal wie es ihm das Herz zerfleische, daß sich das Kind nicht beweisen lasse, wie Unrecht es habe. »Mein Vater selig,« rief er zuletzt, »hätt' nicht so lang mit einem Kind geredet, er hätt' gesagt: das geschieht und [210] da hätt' Keiner mucksen dürfen. Ich will das nicht, du sollst einsehen, daß ich Recht hab', du mußt's einsehen und du kannst, wenn du dich nur nicht verstockt machst. Schau, du willst gegen die ganze Welt gerecht sein, aber gegen deinen Vater nicht. Du weißt nicht, wer dein Vater ist. Dein Vater ist ein Mann, vor dem du den Hut abthun mußt. Ich dürft' für meine Kinder ein glühiges Eisen tragen (die Feuerprobe bestehen). Gott weiß es, wie ich an ihnen ein Vater bin und sein will. Ich weiß besser als du, und wenn du tausend Bücher im Kopf hast, wie's sein muß. Ich will nicht, daß die ganze Welt verlumpen soll und nichts bleibt als Geisenwirthschaft, und kurzum, ich bin tausendmal gescheiter und braver als du, jetzt glaub's oder glaub's nicht.«

Alban verstand sich endlich nur dazu insoweit nachzugeben, daß er sagte:

»Ich thue keinen Schritt, so lang Ihr nichts thut, aber dann auch ohne Widerrede.«

»So soll also auf meinem Grabe mein Gut zerrissen werden?« fragte der Vater weinend vor Zorn. Alban schwieg und die Männer in der Stube mußten abwehren, daß ihn der Vater nicht erdrosselte.

»Red' du, red' du mit ihm,« wendete sich der Bauer an seine Frau, »so red' doch was, du gehörst auch dazu.«

»Mein' Mutter selig hat nie in Mannshändel drein geredet. In den Krieg trag' ich keinen Spieß, hat sie immer gesagt. Wie ihr's ausmachet, muß mir's recht sein. Nur haltet Friede. Bei uns daheim ist's der Brauch, daß –«

[211] »Du bist jetzt nicht in Siebenhöfen, du bist nicht daheim –«

»Das merk' ich an deinem teufelmäßigen Schreien und Toben.«

Wie von einem Blitz durchzuckt standen Mann und Frau plötzlich still, sie merkten, daß vor den Kindern, vor fremden Menschen, ein Widerstreit zwischen ihnen zu Tage gekommen war, der tief in ihnen Beiden wurzelte. Die plötzlich eintretende Stille machte die scharfe Widerrede noch schärfer. Alban wendete sich nach der Thür und diese Bewegung des Sohnes zeigte den Eltern auf's Neue was geschehen war und sprach den härtesten Vorwurf aus.

Alban verließ die Stube, die Mutter wollte ihm folgen, aber der Vater hielt sie zurück und so heftig, daß sie laut schrie.

Der Dekan erklärte, daß er am Morgen früh wieder abreise, der Gipsmüller verließ mit seinen Töchtern bald das Haus.

Am Morgen führte ein Knecht den Dekan nach der Stadt, Alban wirthschaftete im Hause umher als wäre gar nichts geschehen; er schien den Plan in der That ausführen zu wollen, bei Lebzeiten des Vaters keinen öffentlichen Widerstreit anzufachen. Der Bauer stand in der Stube und sah, die heiße Stirne an die Scheiben gedrückt, dem widerspenstigen Sohne zu. Ein Gedanke durchfuhr ihn und er bäumte sich hochauf. Er trat zu Alban und befahl ihm einen Sack Kartoffeln aufzuladen und sie in den Keller zu tragen. Alban gehorchte, der Vater folgte ihm, er befahl ihm den [212] Sack in einem abgesonderten Verschlage auszuleeren. Kaum war Alban darin, als der Vater hinter ihm zuriegelte und ein Schloß vorlegte.

»Was soll das?« fragte Alban.

»Ich will dich in Schatten stellen, daß dich die Sonne nicht verbrennt.«

Mit einem heftigen Griff und noch einem riß Alban das Lattenwerk zusammen und stieg heraus; aber jetzt faßte ihn der Vater und warf ihn zu Boden.

»Vater, was ist das?« rief Alban; »Vater, es ist Keiner in der ganzen Gegend, der mich zwingen kann, Ihr könnet's, weil ich mich nicht wehren darf. Lasset los, auf diese Art zwinget Ihr mich nicht, so nicht.«

»Aber so,« keuchte der Furchenbauer, er hatte sich sein Halstuch abgeknüpft und band damit Alban die Hände zusammen, dann schwur er, ihn nicht an's Tageslicht zu lassen, bis er nachgebe.

»Du bist mit dabei gewesen,« schloß er, »wie ich gehört hab': in alten Zeiten hat der Vater über Leben und Tod seiner Kinder richten können. Ich bin noch aus der alten Welt. Ich will dir zeigen, daß ich's bin.«

Er sprang behend die Treppe hinauf und wälzte mit ungewohnter Kraft ein Faß und mehrere Kartoffelsäcke auf die Fallthüre.

Während dieß im Keller geschah, hatte die Bäuerin ihre große Noth im Hause. Bettelleute aus allen Himmelsgegenden waren angekommen, denn es war bräuchlich, daß der junge Lehnhold allerlei Geschenke bei der Gutsübernahme austheilte. Die Obedfüchti spielte lustige Tänze vor dem Haus. Die Bäuerin fand [213] keinen Glauben, daß ihr Mann noch nicht abgebe und sie brachte sich die Leute erst vom Halse als sie Mehl und Schmalz und Brod und Kartoffeln unter sie vertheilte. Sie seufzte endlich erlöst auf, da trat eine neue Gestalt ihr vor die Augen.

»Dominik, was thust denn du da?«

»Ich hab' gehört, daß, daß –«

»Daß Untereinander bei uns ist und da willst du ihn noch vergrößern?«

»Nein, ich hab' eben sehen wollen, ob man mich nicht brauchen kann. Wenn ich unwerth bin, kann ich schon wieder gehen, aber ich –«

»Ich kann dir nichts sagen, ich weiß selber nicht, ob ich noch da hergehöre, ob ich noch auf der Welt bin, und jetzt kommst du auch noch und jetzt geht die Geschichte mit dem Mädle noch einmal an.«

»Ich hab' mit dem Alban was zu reden.«

»Darf ich's nicht wissen?«

Dominik erstarb die Antwort auf den Lippen, er starrte drein als sähe er ein Gespenst. War das der lebende Furchenbauer oder sein umwandelnder Geist? Wenn er's selber war, hatte er sich in den acht Tagen fürchterlich verändert. Der Furchenbauer sah ihn steif an, seine Lippen zuckten, aber er sprach kein Wort, er wusch sich die Hände in der Küche und sagte endlich:

»Weißt noch Bäuerin? Wir haben einmal den Türkle an den Apostelwirth verkauft gehabt und nach drei Tagen ist er wieder kommen mit dem abgebissenen Seil. Der da ist grad wie der Türkle.«

»Ein Hund bin ich grad nicht,« knirschte Dominik.

[214] »Gehörst aber auch nicht hierher. Willst dir was zu essen holen? Siehst übel aus. Gelt, in Nellingen geht's magerer zu als bei uns?«

»Ich will zum Alban,« sagte Dominik stolz.

»Such ihn wo er ist,« antwortete der Bauer.

Ohne eine Erwiderung abzuwarten ging der Bauer nach der Stube. Dominik ging auch davon, er schaute um und um, aber er sah Ameile nicht. Er stand wieder draußen vor dem Hofe. In einem Acker am Wege grub ein Mann eine Grube, eine sogenannte Miete, um die rings umher aufgehäuften Futterrüben einzukellern. Man sah von dem Manne nichts als seine Mütze und die Schaufeln voll Erde, die er herausschleuderte.

»Guten Tag!« rief Dominik. Der Mann dankte und streckte seinen Kopf aus der Grube heraus, es war Vinzenz. Er war hocherfreut den Dominik zu sehen und schloß damit: »Könntest mir wohl helfen.« Dominik war dazu bereit, sprang rasch in die Grube und ergriff die Haue.

»Wo ist dein Alban?« fragte Dominik während des Arbeitens und Vinzenz erwiderte lachend:

»Ich hab ihn nicht im Sack. Weiß wohl, er ist dir Geld schuldig, er kann dir jetzt baar heimzahlen, er kriegt genug. Wie viel ist er dir schuldig? Soll ich's zurückhalten von seinem Zukommen?«

Dominik verneinte und seine Mienen erheiterten sich. Er hatte jetzt die Gewißheit, daß das Gerücht in jeder Weise gelogen hatte, Alban war so wenig beschädigt als der Furchenbauer, und um jenen war ihm[215] doppelt bange gewesen, denn Vater und Mutter thaten so verlegen als er seiner erwähnt hatte. Der Vinzenz war äußerst frohgemuth und zutraulich gegen Dominik, ja er sagte ihm:

»Wenn du zu mir hältst und den Alban zurechtbringst, da will ich dir was sagen: ich hab' nichts dagegen, im Gegentheil ich helf' dir dazu, wenn dich mein Ameile will, sie kriegt auch ein schönes Vermögen; der Alban heirathet dann sein' Vreni und du und das Ameile ihr gehet Alle mit einander nach Amerika, da könnet ihr euch mit dem Geld einen Hof kaufen, zehnmal so groß als der da, und ihr zwei, ihr seid ja Bauern oben 'raus, ihr könnet den Hof hinstellen, daß es eine Pracht ist. Das ist doch gewiß ehrlich und gutmeinend gesprochen. Kann man aufrichtiger sein? Wenn ich nicht so in dem Unglück wär', ich thät's gleich, ich thät's um den Frieden zu erhalten. Man muß den Vater vor Allem ehren. Ich hab' kein Wort dagegen gesprochen, wie er den Alban zum Lehnhold hat machen wollen, er soll selber sagen, ob ich nur Laut geben hab'; aber jetzt bin ich Lehnhold und jetzt bleib' ich's, und was der Vater festgesetzt hat, muß man in Ehren halten.«

Noch nie hatte Dominik eine so lange und eindringliche Rede von Vinzenz gehört; der in sich gekehrte wortkarge Bursche schien durch seine ausgesprochene Würde plötzlich viel reifer, viel offener und einsichtiger. Dominik machte der Gedanke, daß er einen Beistand im Hause habe, um Ameile zu gewinnen, die Wangen glühen; freilich war Vinzenz nicht der eigentlich genehme [216] und war ihm doch noch nicht ganz zu trauen, aber er ist doch jetzt der eigentliche Herrscher im Hause und an der Seite Ameile's und mit Alban in die weite Welt ziehen, da ist die Ferne nicht mehr fremd, da hat man gleich den liebsten Anverwandten an der Hand. Es war aber eine seltsame und doch natürliche Umbiegung des Gedankens als Dominik jetzt frug:

»Und dir thät's gar nichts ausmachen, wenn deine Geschwister in die weite Welt gingen und du weit und breit Niemand mehr hättest?«

»Was geht denn das dich an?« sagte Vinzenz zornig. »Ich bin zu gutmüthig, daß ich so viel mit dir red'. Ich will den Frieden und ich hab' gemeint du auch. Du vermagst viel beim Alban, mehr als wir Alle, und es wär' dein Glück auch. Ich red' aber nichts mehr. Ich brauch' dich nicht und brauch' keinen Menschen.«

Während Dominik grub, entdeckte er in seiner Seele einen verborgenen ungekannten Schatz: der Hirzenbauer hat Recht, mit der Gutheit allein führt man nichts aus. – Jetzt hatte Dominik ein Mittel, das seinem Verlangen Nachdruck verschaffte, er mußte seinen Einfluß auf Alban verwerthen, er mußte Vermittler, gewiß vor Allem zum Frommen Albans, aber auch zu seinem eigenen sein.

Aus Trübsal heraus und noch mitten in ihr empfand Dominik eine nie gekannte Glückseligkeit; denn nicht nur die begeisterte mit Hingebung erfüllte That erhebt das Herz mit innerster Erquickung: auch das Bewußtsein: die Lebensbegegnisse mit kluger Umsicht zu[217] handhaben und auszubeuten, vermag ein Gleiches. Dominik war in dieser Stunde zum festen Manne gereift, er sah, daß er die Augen besser aufmachen müsse, daß er nicht mehr demüthig und mit Kleinem zufrieden nach innen gekehrt, sondern klug und beherzt sich und seinen Vortheil geltend machen müsse.

Während man die Rüben in die Grube schüttete, kam der Bauer auch herbei. Er stand verduzt.

»Was thust du noch da?« fragte er Dominik und Vinzenz erwiderte:

»Ich hab's ihn geheißen und lasset es dabei, Vater. Lasset nur uns Zwei machen, und Ihr werdet sehen, es geht Alles gut aus. Der Dominik hat was und damit kann er den Alban um einen Finger wickeln.«

»Was denn?«

Halb aus Verschlagenheit, halb auch, weil er doch noch nicht recht wußte, was er sagen sollte, that Dominik sehr geheimnißvoll, aber nichts desto minder zuversichtlich.

Der Bauer sah ihn starr an und ging ohne ein Wort zu reden nach dem Hofe zurück.

Dominik und Vinzenz vollendeten die Miete, der letztere wollte die Sache nur rasch abthun, aber Dominik ließ sich von seiner Sorgfalt nicht abbringen, er bedeckte zuerst Boden und Wände der Grube mit Stroh und schüttete dann die Rüben hinab. Nachdem er sie mit einer Lage Stroh zugedeckt, wollte er für jetzt aufhören, aber seine Einwendung half nichts, daß man noch eine Weile bis es gefriere, die Frucht verdunsten lassen müsse. Vinzenz befahl ihm streng, sogleich Erde [218] darauf zu schütten und er mußte willfahren, er ließ aber trotz Scheltens über sein Besserwissen nicht ab, Strohwische in die Höhlen zu stecken, damit die Frucht nicht ersticke.

Mitten in Unruhe und innerer Hast that Dominik jede Arbeit, die er zur Hand nahm, vollkommen. Wer über solch ein Thun nachdenken mag, wird wissen was das zu bedeuten hat.

Flüchtig und eingeholt und abermals davon

Flüchtig und eingeholt und abermals davon.

Als Ameile mit dem Kind an der Hand in die Stube trat, wie erstaunte sie, den Dominik hier zu sehen; er stand neben Vinzenz, grade dort an der Kammerthür, wo sie im Ringen um ihn niedergefallen war. Sie wußte sich jetzt nicht anders zu helfen, als sie nahm das Kind auf und umhalste und küßte es mit Inbrunst.

»Wo ist der Alban?« hieß es allgemein. Man suchte, man rief im ganzen Hause, nirgends eine Antwort, nirgends eine Spur. Man setzte sich zu Tisch, der Platz Albans blieb leer.

Der Bauer aß fast gar nicht, er schärfte sich immer die Lippen mit den Zähnen. Hätte nicht wieder das Kind bei Tische gesprochen; man hätte keinen Laut gehört.

Als abgegessen und gebetet war, sagte der Bauer zu Dominik:

»Ich muß dir's noch einmal sagen, deines Bleibens ist nicht da. Ich brauch dich nicht.«

[219] »Aber der Vinzenz hat gesagt, ich soll bleiben und ich geh nicht, bis ich mit dem Alban gesprochen hab',« erwiderte Dominik. Der Bauer athmete rasch auf und warf dabei den Kopf zurück, aber er hielt an sich und in diesem Augenblicke erschrack Alles im Hause: eine Kutsche fuhr in den Hof. Kommen schon die Gerichtsleute und wer hat sie geholt?

Spitzgäbele stieg aus und nach ihm zwei fremde Männer. Das waren keine vom Gericht. Der Furchenbauer ging ihnen entgegen ...

Die Welt geht ihren Gang fort in Handel und Wandel, mag Wirrniß da und dort herrschen. Spitzgäbele brachte die beiden Männer, die Aepfel einkauften. Auf dem landwirthschaftlichen Bezirksfeste hatte der Furchenbauer eine große Masse davon versprochen, und wie kam jetzt die Erfüllung zur Unzeit! Der Furchenbauer that freundlich und unbefangen; und doch brannte es ihm im Innern. Er hatte gedacht, seinen Alban zu befreien, er hatte sich doch übereilt, und jetzt konnte er es vor den fremden Menschen nicht. Wer weiß, was der wilde, nun doppelt verhetzte Bursch im ersten Augenblick anfängt?

Der Furchenbauer mußte im wahren Sinn des Wortes in einen sauren Apfel beißen und zwar in mehr als einen: er mußte seine Frucht proben und proben lassen, er mußte die Männer im Garten, in den Scheunen geleiten und zuletzt in die Stube führen und Spitzgäbele ließ nicht ab, bis der Furchenbauer den fremden Herren zeigte, was für einen guten Tropfen ein Oberländer Bauer im Keller hege. Glücklicherweise war[220] der Weinkeller ein anderer als der, darin der Gefesselte lag. Spitzgäbele war auch eine Art Patriot, er machte sich stolz damit, den fremden Herren zu zeigen und zu erklären, was hier zu Lande ein Bauer sei. Wie war es dem Furchenbauer zu Muthe, als er jetzt seinen übermäßigen Reichthum und den Segen der geschlossenen Güter preisen hörte, und wie bei einem solchen Bauer »die Zeinsle singen,« denn man nennt Zeisige und Zinsen Zeinsle. Es wurde Nacht bevor Spitzgäbele mit seinen Herren davon fuhr, sie hatten hier gegen 400 Simri Aepfel eingekauft.

Während der Furchenbauer mit den Fremden zu thun hatte, stand Ameile wieder bei Dominik im Garten.

»Ich hab's gewußt, daß du kommst, du hast müssen kommen,« sagte sie nach den ersten Begrüßungen. »O Dominik! Wie sieht's bei uns aus. Ich thät' sterben vor Gram wenn ich nicht dich hätte. Laß dich nur nicht verscheuchen, du mußt da bleiben; ich muß einen Beistand haben, es kann jeden Augenblick auch gegen mich losgehen. Du bist mein' Hülf' und mein Zuflucht und mein Alles.« Natürlich war Alban bald der einzige Gegenstand des Gesprächs. Ameile konnte sich gar nicht erklären, wohin er verschwunden war; die Mutter glaube, daß er nach der Stadt vor Amt sei; sie aber habe ihr nicht gesagt, wie sie in seiner Kammer nachgesehen, da seien all seine Kleider und er sei nicht ein solcher, der unordentlich in die Welt hinaus laufe. Sein Gesangbuch sei aufgeschlagen, und weinend sprach sie die Ahnung aus, daß sie fürchte, Alban habe sich ein Leides angethan, er habe am Sonntag, als sie [221] allein mit ihm war, so viel vom Tode gesprochen. Dominik beruhigte sie so viel er vermochte und die frische Stärke des Gemüthes, die er heute erst in sich erweckt, sowie der Umstand, daß er allein nicht erhitzt von dem Gehetze der vergangenen Tage aus der Ferne eine gewisse Ruhe mitbrachte, alles das übte endlich einen beschwichtigenden Einfluß auf Ameile. Dennoch war es Dominik nicht wohl dabei, und er sagte, er wolle auf den Hellberg gehen, Alban sei gewiß dort bei der Vreni.

Beruhigt mit dieser Auskunft ging Ameile nach dem Hause und Dominik nach dem Hellberge.

Zum Nachtessen kam Dominik nicht in die Stube, Ameile brachte ihm Speise in die Stallkammer und hörte, daß Alban seit zwei Tagen nicht auf dem Hellberg gesehen worden.

Der Vater war heute voll Unruhe und brummte immer in sich hinein. Er schickte Alles früh zu Bett, aber Ameile konnte nicht schlafen und hörte jeden Tritt ...

Als Alles still im Hause war, schlich der Vater nach dem Keller. Er versuchte es, jetzt die Säcke und das Faß von der Fallthüre zu wälzen, aber die Kraft versagte ihm, er setzte sich ermattet nieder und rief: »Alban!« Keine Antwort. »Alban, ich bin's, dein Vater ruft.« Immer noch lautlose Stille. Dem Vater standen die Haare zu Berge. Hätte sich Alban ein Leid angethan? Kam er zu spät? Mit bebender Stimme rief er: »Alban, du bist mein gutes Kind, Alban, sei fromm und brav, thu' mir das nicht an, es stoßt mir [222] das Herz ab. Alban, du bist ein Schandbub', du bist nicht werth, daß man dich erwürgt. Alban gieb Antwort, sei brav, sei brav, ich will dir ja Alles, Alles thun, gieb Antwort –«

»Was wollt ihr thun?« rief eine Stimme von unten und der Bauer athmete frei auf. Alban lebte. Er antwortete lange nicht und erst auf die wiederholte Frage von unten sagte er:

»Du wirst jetzt einsehen, daß ich Recht hab', du mußt's einsehen, du hast dich im Stillen besonnen. Guck, ich könnt' ja warten, ich könnt' ja gar nicht abgeben so lang' ich leb' und mein Testament machen und das muß dann gehalten werden, und das müssen die Gerichte schützen; aber ich will nicht, auch nach meinem Tod sollen die Amtsleut' sich nicht in meine Sach' mengen und ich möcht' auch noch meine Kinder verheirathet und auch noch Enkel sehen. Ist das ein schlechter Vater, der das will? Sag', willst du Allem folgen, was ich thu?«

»Nein.«

»Dann siehst du das Tageslicht nicht bis du anders wirst.«

Der Bauer erhob sich und schlich wieder langsam die Treppe hinauf in seine Schlafkammer .....


Sie nahm ihre Kleider in ihren Arm

Und ging wohl zu der Scheuer.


Das Wort aus dem Lied erneuert sich. Aus dem ersten Schlaf wurde Dominik geweckt. Ameile rief ihm. Sie hatte des Vaters nächtigen Gang belauscht und[223] kam jetzt, Dominik das Gräßliche zu künden, was sie vernommen; sie sprach so verwirrt, daß Dominik sie nicht recht verstand, sie bat ihn, ihr zu helfen, die schweren Lasten von der Fallthüre wegzunehmen, und so viel stellte sich endlich heraus, daß Alban gefangen war. Ameile wollte, daß man ihn insgeheim befreie, aber sie staunte als Dominik sagte:

»Nichts geheim! Dein Vater muß wissen was wir thun. Er darf uns nicht wehren. Das ist unmenschlich! Er muß froh sein, daß wir nicht unter die Leut' bringen, was er thut. Jetzt haben wir Ihn in der Hand, jetzt muß er thun was Wir wollen. Komm, Ameile.«

Nur wie ein flüchtiger Blitz erkannte Ameile, welch' ein kräftiger Muth in Dominik erwacht war, »du bist unser Aller Heil,« rief sie und seine Hand festhaltend eilte sie mit ihm nach dem Hause.

Dominik weckte Alles mit lauter Stimme, als er Alban aus dem Keller rufen hörte. Der Vater, die Mutter und Vinzenz kamen herbei und Alban stieg aus dem Keller empor und starrte sie an wie ein vom Tod Auferstandener.

Dominik hielt den Alban in seinen Armen und sagte: »Thu' nichts was Gott verboten hat; die Hand, die sich gegen den Vater erhebt, wächst aus dem Grabe.«

Alles war still, der Furchenbauer trommelte mit den Fingern auf dem Faß.

Die Mutter umhalste ihren geliebten mißhandelten Sohn und jetzt hörten die Kinder ein entsetzliches Wort aus ihrem Munde gegen den Vater.

[224] »Du bist ein Unthier und kein Mensch,« rief sie ihm zu.

Man ging nach der Stube, die Mutter wusch dem Alban selbst die Hände und das Antlitz und trug ihm Essen auf. Der Vater wollte aus Allem einen Scherz machen, Alban redete kein Wort; er aß ruhig und ging dann mit Dominik schlafen.

Als ihm Dominik den gutmeinenden Plan des Vinzenz darlegte, lachte er vor sich hin.

Verhetzt und in den Abgrund gestürzt

Verhetzt und in den Abgrund gestürzt.

Der Tag graute kaum, als Alban einen der Fuchsen gesattelt aus dem Stall zog, er schwang sich behend auf und ritt im Nebel zum Thor hinaus und davon. Ohne Aufhalt wie ein Feuerbote jagte er im raschen Galopp dahin und er war in der That ein Feuerbote, er wollte in der Stadt Schutzmittel suchen gegen den Brand, der in seinem elterlichen Hause entflammt war. In der Stadt angekommen und ganz brennend vor Zorn befiel ihn doch noch einmal Bangigkeit darüber, daß er einen Familienzwist vor die Gerichte bringen solle; die alte strenge Zucht war doch noch mächtiger in ihm, als er geahnt hatte. Er glaubte sein Auge nicht aufschlagen zu können vor dem Richter, dem er die Sache vorbringe. Der Kreuzwirth, noch ein standfester Republikaner, dessen Wirthschaft darum auch von Vielen, die es mit dem Amte nicht verderben wollten, gemieden wurde, galt für einen klugen [225] Advokatenkopf, und ihm entdeckte sich nun Alban zuerst, ohne ihm jedoch Alles und namentlich die letzte Mißhandlung zu sagen. Der Kreuzwirth erklärte, daß Alban nichts anfangen könne, so lange der Vater lebe; man könne ihn nicht zwingen, sein Gut abzugeben auf diese oder andere Weise; er traute sich indeß doch nicht ganz und rieth Alban, nach der nächsten Stadt zu reiten, wo der Sohn des Hirzenbauern als Rechtsanwalt wohne. Alban schien das nicht genehm. Er ging aus und stand geraume Zeit vor dem Oberamtsgericht, ohne sich entscheiden zu können, ob er hineingehen solle oder nicht. Da sah er in der Oberamtei eine Frauengestalt am Fenster, er grüßte hinauf, man dankte freundlich. Alban ging hinauf zur Frau Oberamtmännin. Sie öffnete selbst den Treppenverschlag und hieß ihn eintreten; sie fragte ihn nach Ameile, nach dem Vater, nach Dominik und seinem eigenen Befinden. Alban gab Anfangs nur stotternde und oberflächliche Auskunft. Sein Blick schweifte wie verloren in der Stube umher. Ist denn dieses Haus auf derselben Erde, auf der sein väterliches stand? Wie ist hier Alles so geregelt, so fein, wie spricht aus Allem eine Ruhe; und doch ist das nur ein Stockwerk höher über den Stuben, wo die gräßlichsten Händel, Mord und Todtschlag, Raub und Betrug verhandelt werden. Und dazu diese begütigende Stimme der Frau. Alban hatte ein solches von Bildung und zarter Sitte erfülltes Hauswesen schon einmal kennen gelernt im Hause des Direktors der Ackerbauschule, aber jetzt erschien ihm Alles wieder so fremd, so traumhaft schön.

[226] Die Oberamtmännin verstand es, seine Gedanken zu sammeln, und mit einer wie elegisch gebrochenen Stimme erzählte ihr nun Alban Alles. Sie stand oft unwillkürlich auf, wenn er ihr eine Herbheit berichtete, setzte sich aber schnell wieder und bat Alban fortzufahren. Zuletzt sagte sie ihm, daß ihr Mann Morgen nach Reichenbach müsse, sie werde vielleicht mitkommen und ihn wo möglich bewegen, daß er auf den Furchenhof fahre und dann solle Alles rein freundschaftlich ohne den Amtsweg geschlichtet werden, denn das stehe fest, Alban könne nicht mehr bei seinem Vater bleiben. Während dieser noch herzlich dankte für die getreue Annahme, kam ein Dienstmädchen und meldete Dominik. Die Frau Oberamtmännin hieß ihn eintreten.

»So? Da treff' ich dich?« sagte Dominik zu Alban und richtete einen Gruß von Ameile an die Oberamtmännin aus, mit der Bitte, sie möge so bald als möglich auf den Furchenhof kommen, der Vater habe Respect vor ihr und sie könne viel machen. Die Oberamtmännin gab nun feste Zusage, und auf dem Weg nach dem Wirthshause sagte Dominik zu Alban:

»Dein Vater hat mich dir nachgeschickt, du sollst ja nicht vor Gericht gehen. Er will Alles thun.«

»Will er theilen?«

»Das glaub' ich nicht, aber sonst Erkleckliches, und wenn du nachgiebst, ist's mein Glück auch.«

»Ich geh' nicht um ein Haarbreit ab von dem was ich gesagt hab',« erwiderte Alban, ohne auf das Letzte zu hören und im Zorne rief Dominik:

[227] »Es ist doch so. Du bist grad wie dein Vater, grad so unbändig.«

»Meinetwegen, und es wird sich zeigen, wer stärker ist.«

Im Kreuz traf man den Klein-Rotteck. Alban bat ihn, doch auch Morgen früh auf den Furchenhof zu kommen und ihm beizustehen. Der Klein-Rotteck lehnte entschieden ab, er mische sich nicht in fremde Händel, da putze sich Jedes an Einem ab. Auf des Dominik Zureden und auf dessen leisen Zusatz, daß er ihm zulieb kommen möge, zumal er es ihm ja versprochen habe, ihm beizustehen, sagte endlich der Klein-Rotteck mit einem Handschlag zu.

Der Hirzenbauer war sehr betrübt, obgleich er heute einen Prozeß gewonnen hatte. Seine Ortseinwohner hatten ihn wirklich verklagt, weil er sein Gut getheilt hatte, kein Advokat aus der Nachbarschaft hatte sich dazu hergegeben, den Klägern eine Eingabe zu machen, sie hatten aber einen Winkeladvokaten, einen sogenannten Entenmaier gefunden, der ihnen die Sache als sehr bedeutsam und erfolgreich darstellte; ja er hatte behauptet, die Advokaten hätten nur deßhalb keine Klagschrift gemacht, weil sie alle Parteigenossen des Klein-Rotteck seien. Nun hatte der Klein-Rotteck heute den Prozeß in erster Instanz gewonnen, aber das sah er, er hatte keine Nachbarn mehr, das sind lauter Feinde, ja, sie denunzirten jetzt bei Gericht, was er im Jahr 1848 gesprochen und wäre der Richter nicht doch noch wohlwollend gewesen, er hätte einen neuen Strick für ihn drehen können.

[228] Alban und Dominik ritten mit einander heimwärts, Alban war wild und voll Jähzorn und Dominik erkannte wieder, daß solch ein reicher Bauernsohn ganz anders geartet ist als ein armer Knecht; solch ein Haussohn ist nicht so leicht zufrieden gestellt und vergiebt nicht so schnell. Er erzählte Alban, um ihn zu beruhigen, daß der Vater ihn ja auch dreimal mit Schande aus dem Hause gewiesen habe und er sei doch geblieben, aus Anhänglichkeit und um Frieden zu stiften. Diese Mittheilung machte aber die verkehrte Wirkung, denn Alban sagte:

»Das beweist eben wieder, daß du kein' Ehr' im Leib hast.«

Es war schon Nacht als man am Hellberg ankam, vom Hause schimmerte Licht und die Klarinette der Obedfüchti tönte in's Thal. Alban stieg ab und befahl Dominik, das ledige Pferd an der Hand heim zu führen. Dominik rieth ihm, jetzt zu den Eltern nach Hause zu gehen, die seiner sehnsüchtig harrten, aber Alban erwiderte:

»Ich bin drei, ja vier Tage sind's, nicht dort gewesen. Ich muß wieder hin.«

Raschen Schrittes sprang er den Berg hinan. Die Obedfüchti spielte sich allein etwas vor in ihrer zerfallenen Behausung. Ein Hund schlug auf Alban an. Was ist das? Das ist ja der Greif. Wie kommt der daher? Alban eilte die Treppe hinan, Vreni kam ihm entgegen.

»Geh' nicht hinein,« sagte sie.

»Warum? Wer ist da?«

[229] »Dein Vinzenz.«

»Was will er?«

»Nur Gutes. Er hat dem Vater auch vierhundert Gulden versprochen, daß er mit uns kann, wenn du mit mir auswandern willst. Alban, jetzt werden wir ja glücklicher als wir's je gedacht haben. Jetzt leg' deinen Stolz ab und es ist Alles gut.«

»Für deinen Vater sorg' Ich und nicht mein Bruder. Er hat nicht mehr als ich auch. Ich und die Meinigen wir nehmen nichts geschenkt. Laß mich.«

Er riß sich von Vreni los und stürmte in die Stube. Vinzenz zuckte zusammen als er ihn sah.

»Du hast nichts da zu schaffen. Marschir' dich,« gebot Alban.

»Das Haus ist mein,« entgegnete Vinzenz, »und ich kann dich 'nausjagen.«

Der Nagelschmied stellte sich vor Alban und Vinzenz verließ die Stube.

Der Nagelschmied redete nun dem Alban gütlich zu und dieser sagte endlich, er müsse seinem Bruder nach und noch einmal im Guten mit ihm reden. Er eilte von dannen und rief seinen Namen. Unweit des Felsens, dort wo sie vorgestern am letzten Marksteine gesessen, von dorther hörte Alban das Bellen eines Hundes und eine Stimme rief: »Fass' ihn!« Der Greif sprang wie ein Tiger an Alban empor, aber dieser kam ihm zuvor, faßte ihn am Genick und schleuderte ihn in die Schlucht.

»Du hetzest den Hund auf mich!« schrie Alban, rannte nach seinem Bruder, packte ihn und stumm[230] rangen die Beiden mit einander; da polterte es, es war kein Geländer da, und fest einander umklammernd stürzten die Beiden den Felsen hinab und der Bach spritzte auf.

Wo ist dein Bruder!

Dunkle stille Nacht war's, als Alban erwachte. Er griff um sich und schaudernd prallte er zurück, er faßte ein Menschenantlitz. Die Erinnerung tauchte in ihm auf, das war Vinzenz, sein eines Auge glitzerte starr in der dunkeln Nacht. Er rief ihn mit Namen, er wusch ihm das Antlitz, kein Laut, keine Bewegung. Er legte sein Ohr an das Herz des Bruders. Ach zu spät! Dieses Herz schlug nicht mehr. Er rief laut um Hülfe zu Gott und den Menschen, vergebens, keine Antwort ertönte. Er raffte sich auf und trug den Bruder in den Armen am Bachesufer fort, er riß sich blutig an den Felsen, aber er ließ nicht los. Jetzt schritt er in den Wald, aber er brach zusammen unter der Last und laut weinend warf er sich auf sie nieder und sprang dann davon, durch die Nacht hin immer: »Vinzenz! Vinzenz!« rufend. Er stand vor dem elterlichen Hause, Alles kam ihm entgegen.

»Wo ist dein Bruder?« fragte der Vater.

»Im Walde, todt,« stöhnte Alban und ein Blutstrom quoll ihm bei diesen Worten aus dem Munde.

Der Vater riß die Axt aus der Thürpfoste und wollte auf Alban los, Alban kniete nieder wie ein [231] Opferlamm; aber Dominik fiel dem Vater in den Arm und schleuderte ihn zurück mit den Worten:

»Habt Ihr nicht genug Elend, wollt Ihr noch mehr?«

»Du legst Hand an mich?« schrie der Furchenbauer.

»Ja ich,« erwiderte Dominik trotzig. Er hob Alban in die Höhe und fragte ihn, wo Vinzenz liege. Alban bezeichnete die Stelle, dort wo er am Tage vorher im Unmuthe mit dem Beil das Geländer hinabgeschleudert hatte.

Die Knechte, die fremden Drescher, die in den Scheunen schliefen, wurden aufgeboten und mit Fackeln zog man hinaus: Alban wollte mit, aber beim ersten Schritt brach er zusammen und mußte in die Stube getragen werden.

Durch den nächtigen Wald lief der Furchenbauer mit der Fackel und rief immer: »Vinzenz! Vinzenz!« so daß er zuletzt nur noch mit heiserer Stimme den Namen lallen konnte.

Es wurde Tag, aber das war kein Tag, ein fester Nebel stand über Berg und Thal, man ging in Wolken, man sah nicht Himmel nicht Erde, kaum den Schritt breit wo man stand. Im Haupthaar und im Barte des Furchenbauern stand der eisige Reif und nur noch vor sich hin murmelte er den Namen: Vinzenz.

Man fand Vinzenz an der bezeichneten Stelle nicht, Alban mußte nicht recht gewußt haben, wo er ihn abgelegt.

Der Tag stieg höher, aber der Nebel wich nicht, er war mit Händen zu greifen, als sechs Mann auf [232] einer Bahre aus Baumstämmen die Leiche des Vinzenz daher brachten. Unter dem Hofthore drückte ihm der Vater das Eine Auge zu, dieses Auge, das so vorwurfsvoll drein starrte. Keine Thräne kam über die Wange des Furchenbauern und starr schaute er auf die Frau und auf Ameile, die bei dem entsetzlichen Unglücke doch weinen konnten.

Man hatte einen reitenden Boten nach dem Arzte geschickt, er kam zugleich mit dem Oberamtmann und dessen Frau und bald darauf fuhr auch der Hirzenbauer in den Hof.

Der Nagelschmied mit seiner Vreni kam auch und durch Alle hindurch drang Vreni und Niemand wagte es, sie abzuhalten, daß sie zu dem Kranken eilte.

Wie war jetzt der Hof so voll von fremden Menschen, und von den eigenen war der eine Sohn todt und der Arzt erklärte jeden Belebungsversuch vergebens und der andere hatte vielleicht eine Todeswunde und raste mit seiner letzten Kraft!

Der Oberamtmann ging nach dem Felsen, um den Thatbestand in Augenschein zu nehmen, er fand die unverzeihliche Fahrlässigkeit: den Mangel eines Geländers. Die Oberamtmännin blieb bei den Frauen und erwies sich in Allem ordnend und hülfereich.

Im Leibgedingstüble lag die Leiche des Vinzenz, der Vater saß dabei und noch immer hörte man keinen Laut von ihm; das Wort, das zuerst über diese starren zusammengepreßten Lippen ging, mußte Zerschmetterndes bekunden. Als der Hirzenbauer zu dem Trauernden eintrat, wies er ihn mit der Hand hinaus [233] und verhüllte sein Angesicht mit beiden Händen. Der Hirzenbauer ging, aber bald nach ihm trat der Gipsmüller ein; auch ihm wurde gewinkt wegzugehen, aber er folgte nicht; er setzte sich ohne ein Wort zu reden, neben seinen Schwager und so saßen die beiden Männer stumm neben einander, vor ihnen die Leiche.

Im Hofe war es lautlos still, nur bisweilen hörte man den raschen Hufschlag eines Pferdes; kein Taktschlag aus den Scheunen ertönte, selbst die fremden Drescher, die nicht im Taglohn standen, feierten, ihre Hände zitterten noch, sie hatten die Leiche getragen und auf dem Heu saßen sie bei einander und sprachen leise davon, wie elend doch auch der große Reichthum machen könne.

Alban war in Ruhe gesunken, der Arzt verordnete, daß man ihm Schnee auf's Haupt lege. Ein Drescher und der Kühbub wurden mit Kübeln nach dem zwei Stunden entfernten hohen Berge geschickt, wo es bereits geschneit haben sollte. Ein Knecht wurde mit einem der Fuchsen nach der Stadt in die Apotheke geschickt.

Um Mittag begannen die Drescher plötzlich zu dreschen und Alban erwachte laut schreiend: »Wo ist dein Bruder?« Er klagte, daß ihm jeder Schlag das Hirn träfe. Dominik eilte, den Dreschern Einhalt zu thun. So viele Hände waren zu beschäftigen und man dachte nicht daran, sie müßig zu lassen. Dominik befahl ihnen, die Aepfel auf die Wagen zu laden, der Furchenbauer hatte ihm gesagt, daß er sie heute abliefern wolle und der Nagelschmied fand sich bereit, die Ablieferung zu übernehmen. Man konnte dem großen Leide im Hause in Nichts beistehen, es blieb nichts übrig, als die [234] Arbeit zu vollführen, die der Tag verlangte, Dominik wußte selber oft nicht was er thun sollte und stand oft mitten in einem raschen Gang müssig und selbstvergessen da, bis er dessen inne wurde und hin und her rannte und immer wieder vergaß, was er gewollt hatte. Ameile kam jetzt zu ihm, das Kind hing sich an ihren Rock und ließ nicht ab von ihr, sie sagte, man müsse das Aepfelaufschütten aufgeben, Alban klage: das Poltern der Aepfel sei ihm, als schütte man die Schollen auf sein Grab. Jetzt endlich wurden die Arbeiter zum Müssiggang beordert.

Der Oberamtmann stand beim Hirzenbauer am Brunnen und sie wogen miteinander hin und her abermals die Vortheile und Nachtheile der geschlossenen Güter. Der Hirzenbauer sagte: »O Herr Oberamtmann! Ich habe auf der Versammlung und öffentlich nicht Alles sagen können und ich mag's noch nicht sagen, was für Schandbarkeiten mit dem geschlossenen Erbgang verbunden sind. Der Furchenbauer da hat das traurige Glück gehabt, daß ihm fünf Kinder als klein gestorben sind. Ich weiß wohl, daß mit dem Zertheilen neues Unglück haufengenug kommt, aber kann man's anders machen und darf man?« Der Oberamtmann war heute besonders freundlich mit dem Hirzenbauer, denn er erkannte den wenn auch starren doch reinen Gerechtigkeitssinn des Mannes.

Als der Hirzenbauer und der Oberamtmann mit seiner Frau wegfuhren, kam gerade der Kühbub mit einem Kübel voll Schnee, er war vorausgeeilt, der Drescher blieb klugerweise noch einige Stunden auf dem [235] Berge, um dann mit frischem Schnee zu kommen. Bald traf auch der reitende Bote aus der Apotheke ein. Alban duldete Niemand um sich als Vreni und Dominik, selbst die Mutter und Ameile durften sich ihm nicht nahen.

Einen Tag und eine Nacht saß der Furchenbauer bei der Leiche seines Sohnes und aß nicht und trank nicht und sprach kein Wort.

Als man am Morgen darauf die Leiche des Vinzenz zu Grabe führte, schwankte er am Stabe, den Alban ihm geschnitten, hinter der Leiche drein. Erst auf dem Kirchhof, wo er die eingesunkenen Kreuze an den Gräbern der Kinder sah, die Vinzenz vorausgegangen waren, brach er zum Erstenmal in lautes und heftiges Weinen aus.

Auf der Heimfahrt – der Gipsmüller that es nicht anders, er mußte sich auf den Wagen setzen – sprach der Furchenbauer das erste Wort zu seinem Schwager und die zitternde Hand erhebend sagte er:

»Gott hat mich hart gestraft, aber er hat mir doch Recht gegeben, mein Gut bleibt doch bei einander.«

Gleich nach dem Leichenbegängniß führte der Nagelschmied Amrei nach Siebenhöfen. Seit der Zerrüttung des Hauses weinte das Kind unaufhörlich nach seiner Mutter und verging fast vor Heimweh.

Alban hatte nichts davon gemerkt, als man die Leiche seines Bruders fortbrachte, jetzt, da man das Kind fortführte, merkte er es auf seinem Krankenlager und sagte vor sich hin:

»B'hüt dich Gott Amrei.«

[236] Der Vater, der sich bisher gar nicht um Alban gekümmert, war jetzt sorglich bedacht um ihn; er hörte still nickend, daß Alban ruhig sei aber keinen Schlaf finde, daß er Alles bis auf's Kleinste erzählt habe, wie es ihm ergangen und wie er dem Bruder im Guten nachgeeilt sei; er nickte still zu diesen Berichten. Selber durfte er sich Alban noch am wenigsten nahen, denn dieser schrie wie rasend auf, als er zu ihm trat, und sogar wenn er ungesehen in der Stube war, merkte es der Kranke und war voll fieberischer Hast, die er augenscheinlich zu bezwingen suchte.

Der Zustand Albans war veränderlich, der Arzt wollte trotz allen Drängens keinen ganz tröstlichen Bescheid geben.

Eines Tages mußte Alles die Stube verlassen, nur Dominik und Vreni durften zurückbleiben. Die Beiden mußten Alban im Bett aufrichten und er sprach:

»Dominik, es wird Alles dein. Meinem Peiniger vertrau' ich's nicht. Gieb mir dein Hand drauf, daß du dem Nagelschmied und meiner Vreni mein Erbtheil giebst. Mein' Vreni ist vor Gott mein.«

Dominik reichte die Hand und sagte:

»Du bist nicht so krank, aber du kannst's gerichtlich machen, wenn du willst, wenn's dich beruhigt.«

»Ich will nichts mehr vom Gericht ... Familiensache ... Ich glaub' dir ... und wenn du Kinder bekommst, sei gerecht, Gerechtigkeit ... Wo ist dein Bruder? ... Gerechtigkeit ...«

Das waren die letzten hellen Worte, die Alban sprach, er raste noch mehrere Tage besinnunglos und[237] befand sich oft in der großen Volksversammlung und schrie: »Ruhe! Stille! Bravo!«

Mit den Worten: »Wo ist dein Bruder?« hauchte er seinen letzten Athem aus. Seine Wangen waren roth.

Als man dem Furchenbauer den Tod seines Sohnes berichtete, stampfte er zornig auf und seine Faust ballte sich.

»Das ist sein letzter –« schrie er, er verschwieg die anderen Worte. Er mochte es als eine Unthat seines Sohnes betrachten, daß er ihm durch den Tod seine letzte Hoffnung zerstörte, sein Gut kam in fremde Hand.

Bald nach Alban begrub man auch die Mutter, sie hatte Niemand ihr Leid geklagt und eines Morgens fand man sie todt im Bette.

Der Furchenbauer, der nun Dominik als einzigen Erben vor sich sah, redete ihm viel zu, daß er ihm verspreche, wenn er Kinder bekomme, das Gut nie zu theilen. Dominik weigerte dies und sagte zuletzt, er habe dem sterbenden Alban das Gelöbniß gegeben, gerecht gegen jedes seiner Kinder zu sein.

Der Furchenbauer ging starr und stumm im Hofe umher, er redete mit Niemand und ging durch Stall und Scheunen wie ein Gespenst. Im Wald ließ er sich eine alte Tanne hauen, sie zu Brettern versägen und brachte sie selbst auf den Hof.

Im Frühling, am selben Tag als der Nagelschmied mit seiner Familie auswanderte, fand man den Furchenbauer plötzlich todt. Dunkle Gerüchte gingen über seine Todesart. Man hat nie etwas Bestimmtes darüber erfahren.

[238]

Der neue Lehnhold

Der neue Lehnhold.

Aus der zerrissenen Erde sprießt die Saat, aus den Gräbern wachsen Blumen. Trübe Schwermuth lagerte auf dem Gemüth des Dominik wie Ameile's. Die Oberamtmännin war eine milde Trösterin, denn sie kam jetzt im Frühling auf mehrere Wochen auf den Hof. Sie fand eine Erquickung darin, in die Tiefe der Gemüther zu schauen, die ihre Empfindungen nicht in Worten ausdrücken können, sie aber hatte die Macht des Wortes und wie linder Balsam heilten sie die Wunden. Was ihr im Großen und Umfassenden nicht gelingen wollte, gelang ihr im Einzelnen; das Herz der Höherstehenden einte sich mit denen, die im beschränkten Lebenskreise verharren. Es war nicht Gefühllosigkeit, sondern unverwüstlicher Lebensmuth, daß Ameile sich fast bälder in das Unabänderliche fügte und sich der Heiterkeit nicht verschloß wie Dominik, aber auch diesem gelang es endlich.

Oft betrachtete Ameile mit Wehmuth die Karte des Hofgutes, die Alban in jenem letzten friedlichen und hoffnungsvollen Winter gezeichnet. Das war das Einzige, was von ihm übrig geblieben und die Karte hing noch an derselben Stelle, wo sie die Mutter aufgehängt hatte. An die Mutter und an Alban mußte Ameile oft denken und die Beiden waren ja auch immer dem Dominik gut gewesen. Dann aber strich sie sich wieder rasch über das Gesicht und alle Wehmuth war daraus weggenommen.

[239] Man mag es Eitelkeit nennen, es war aber weit mehr stolze Siegesfreude und die Lust am Wohlthun, was Dominik empfand, als er vierspännig nach Nellingen fuhr, um seine Mutter zur Hochzeit abzuholen. Er hatte jetzt das doppelte Verlangen, seiner Mutter noch recht viel Freude zu bereiten, er hatte nichts von ihr empfangen als das nackte Leben, und wie gräßlich war es Denen ergangen, die ihre Kinder mit Reichthum auszustatten vermochten.

Die Hochzeit wurde still gefeiert, die Oberamtmännin und die Mutter des Dominik gingen an der Seite Ameile's, Dominik ging zwischen dem Hirzenbauer und dem Gipsmüller zum Traualtar.

Ameile trug zur Freude ihres Mannes und aller Anwesenden einen besonderen Schmuck auf der Brust: sie hatte die Denkmünze des Dominik an einen Henkel fassen lassen und trug sie an der Granatenschnur. »Das ist mein schönster Ehrenschmuck,« sagte sie lächelnd beim Hochzeitmahl.

Dominik behielt seine Mutter bei sich auf dem Furchenhof. Sie hatte allzeit über ihre Söhnerin in Nellingen geklagt; sie hatte jetzt glückselige Tage; aber sie hielt es doch nicht lange aus, sie hatte Heimweh nach der keifenden Söhnerin, nach den Nachbarn und vor Allem nach den Kindern ihres ältesten Sohnes. Dominik brachte sie wieder nach Nellingen und versorgte sie gut.

Erst als auf dem Furchenhof das erste Kind geboren wurde, kam sie wieder und blieb dort.

Auf dem landwirthschaftlichen Feste fehlt Ameile[240] nie und ist allezeit im Geleite der Oberamtmännin; der Dominik sitzt jedesmal neben dem Hirzenbauer und ist einer der angesehensten Großbauern.

Bei der letzten Heimfahrt vom landwirthschaftlichen Bezirksfeste war der neue Furchenbauer gar lustig und er sagte zu seiner Frau:

»Bäuerin,« – denn so redet er sie jetzt auch nach herkömmlicher Art an – »ich kann dir nicht sagen, wie wohl mir's doch wieder auch ist und wie glückselig ich bin. Wenn ich so in ein Wirthshaus komm' und ich lass' mir geben was der Brauch ist, und da denk' ich bei mir: und du kannst's bezahlen und es thut dir nichts. Ich mein' oft noch, ich sei der Kühbub, und dann wird mir's doppelt wohl, daß ich jetzt so dasteh' und mir was erlauben darf.«

»Und das sollst du recht oft thun und dir auftragen lassen nach Herzenslust. Du bist manchmal noch ein bisle zu genau. Ich denk' auch bei den Armen immer daran, daß wir auch für die Todten ihr Theil Gaben geben müssen. Aber da ist's schon wieder, hilf mir, daß ich nicht immer und bei Allem dran denk', wie meine Brüder und meine Eltern aus der Welt gegangen sind.«

»Ich will dir schon helfen. Drum denk' jetzt nicht dran. Du bist halt ein Prachtweible. Ein Andere hätt' gewiß gesagt: nimm dich in Acht und laß dich nicht verleiten! man vergißt gar bald wo man herkommen ist. Du kennst mich aber und du gunnst mir was Gutes und du hast nicht bang, daß ich dir dein' Sach verthu'.«

[241] »Meine Sach? Es ist Alles so gut dein wie mein. Du weißt was mein Ehrenschmuck ist, aber du mußt auch nie vergessen, daß du jetzt ein Großbauer bist.«

»Und meine Kinder sollen nicht vergessen, was ihr Vater gewesen ist. Und wenn ich zehn Theile machen muß, ich will sie schon so Herrichten, daß ein Jedes glücklich und zufrieden sein kann.«


* * *


Am Allerseelentag brennen auf dem Kirchhof neun Lichter ganz nahe bei einander, es sind die für den Furchenbauer, seine Frau und seine Kinder. Dominik und Ameile knieen mit ihren Kindern betend dabei, und erst wenn die Lichter verlöscht sind, kehren sie heim in die Behausung, wo einst so viel Leidenschaft und Jammer war, und jetzt ein stiller Friede waltet.

[242]

Achter Band.

[1] I.
Hopfen und Gerste.

[1][3]

1. Der Faullenzer

1. Der Faullenzer.

Auf der Schnitzelbank vor seinem Hause saß rittlings ein junger Bursch und hob von Zeit zu Zeit aus einer großen Schichte zu seiner Rechten einen langen Tannenzweig auf, preßte ihn zwischen den Kloben und drehte ihn zu leichter Biegsamkeit, schnitzelte das dicke Ende und flocht einen Strohzopf daran; was zubereitet war, legte er sorgfältig zu seiner Linken nieder, wo bereits mehrere solcher Garbenbänder, sogenannter Wieden, wohlgeordnet lagen. Trotz des lustigen Parademarsches, den der Bursche pfiff, hatten seine Mienen doch etwas Verdrossenes und er warf oft wie unwillig das Haupt zurück, auf dem eine Soldatenmütze mit rothem Vorstoß prangte.

Der Dorfschütz, ein alter Soldat, der ein kupfernes Ehrenzeichen auf seinem blauen Rock trug, kam vom Rathhaus herunter; er hielt bei dem Arbeitenden still und sagte:

»Buschur, Kamerad.« Der Angeredete dankte stumm und der Schütz fuhr fort: »Warum bist nicht bei der Zehentversteigerung gewesen?«

[3] »Ich bin noch nicht Bürger,« erwiderte der junge Soldat, »das Sach gehört noch meiner Mutter und meinen Geschwistern.«

Der Schütz setzte sich auf die fertigen Wieden und berichtete: »Es ist ein Generalspaß gewesen. Seit Jahren haben die drei fetten Schwäger den Zehnt gepachtet, sie mögen's nicht leiden, daß der Zehntknecht auf ihre Aecker kommt und wollen da freie Herren sein. Aber dießmal hat der Wasserstiefel immer höher geboten und zuletzt ist ihm der Zehntbestand zugeschlagen worden. Dein Schwäher, der Schlägelbauer, der hat seinen Koller kriegt vor Zorn und Gift, daß man gemeint hat, er erstickt, und mit Fluchen und Schelten sind sie Alle davon. Das führt noch einmal zu bösen Häusern, du wirst sehen Franzseph.«

Franz Joseph, oder wie er in der Abkürzung hieß Franzseph, nahm eine neue Wiede auf und entgegnete:

»Es ist und bleibt nicht recht, daß das ganze Dorf und vorab der Schlägelbauer so einen hirnwüthigen Haß auf den Faber geworfen hat und weiß kein Mensch recht warum. Der Faber ist hier fremd, er hat des Lucians Gut um sein ehrlich Geld gekauft und thut Niemand was zu leid; daß er sich herrisch kleidet, geht ja Niemand was an und er kann darüber lachen, daß sie ihn den Wasserstiefel heißen. Der Schlägelbauer ist auch schon an mir gewesen, ich soll' nichts mit dem Faber reden: aber ich weiß selber was ich zu thun hab' und ließ' mir von meinem eigenen Vater, wenn er noch leben thät', nichts drein reden, mit wem ich Freundschaft haben darf oder nicht. Und gerade weil [4] sie ihn Alle den Wasserstiefel heißen und Niemand gut gegen ihn ist –«

»Du bist halt ein guter, guter Kerle, das sagen alle Leut'!« unterbrach der Schütz.

Dem jungen Mann schoß bei dieser Anrede alles Blut zu Kopfe, er würgte eine Wiede ganz ab, warf die Stücke weit weg und rief voll verbissenen Ingrimms: »Sag das nicht. Ich bin kein guter Kerl, ich will nicht. Fahnenmalefizdonner! Ich möcht' euch zeigen, daß ich kein guter Tralle bin. Sag das nicht noch einmal oder ich vergreif' mich an dir zuerst.«

»Das wär' am unrechtesten Orte angefaßt. Du bist ja wie ausgewechselt. Was hast denn? Giebt des Schlägelbauern Madlene nach und heirathet das bildsaubere Mädle des Schultheißen Claus?«

»Wenn die Kuh einen Batzen gilt,« entgegnete Franzseph plötzlich lachend und über sein Antlitz zog eine Besänftigung des Friedens, daß es zu leuchten schien.

»Du bist aber doch seit Ostern,« fuhr der Schütz fort, »seit du mit dem Abschied vom Regiment heimkommen bist, wie verhext. Was hast denn? Freilich, kann mir's denken, du kannst dich nicht wieder ins Bauernleben gewöhnen; mußt den Paradeschritt verlernen und den Ochsenschritt einexerciren. Hab' ich Recht? Ist's das, warum du immer so maßleidig aussiehst?«

»Kann sein,« erwiderte Franzseph nach langer Pause und fuhr dann sich aufrichtend fort: »Ja, du hast mit meinem Vater in Einer Compagnie gestanden und bist sein bester Kamerad gewesen; ich will mich dünken lassen, [5] ich red' zu meinem Vater. Guck', wie ich mit dem Abschied heim bin, da hab' ich gemeint, ich könnt' es gar nicht erwarten und das ganze Dorf muß grad so sein wie ich, und jedes muß weiter nichts denken und sagen als wie: der Franzseph ist da. Ich hab' mir oft denkt, daheim da ist das helle Paradies und ich hab mir mit Gewalt wieder vorrechnen müssen, wie viel Feindschaft und Hassard auch da ist und wie Eines ein Auge drum gäb', wenn's Andere keins hätt'. Ich bin freilich nie gern Soldat gewesen, aber es ist doch eigentlich das schönste Leben und jetzt wünsch' ich mir des Tags tausendmal, daß ich's noch wär'.«

»Ja, es ist jetzt schlimmer hier als je. Denk daran was ich sag': es thut kein gut, bis die Hopfenstangen draußen an der Geißhalde noch zu einer Generalsprügelei verwendet sind.«

»Wegen dem Hopfengarten,« nahm Franzseph wieder auf, »haben meine ersten Händel mit dem Schlägelbauer angefangen. Ich hab' mich gefreut, daß der Faber den verrutschten Berg so gut ausnutzt und der Schlägelbauer hat grad darüber losgezogen; er versteckt seinen einfältigen Haß hinter der Gemeindeehre. Früher, sagt er, sei unser Dorf berühmt gewesen, daß wir den besten Spelz bauen, jetzt werde sich's umkehren und man wird sagen: die Weißenbacher bauen den schlechtesten fuchsigen Hopfen. Und wenn ich meine Aecker krieg, bau' ich selber auf dem Buckel im Speckfeld auch Hopfen; es ist dort gerade der rechte warme Lehmboden und liegt prächtig gegen Mittag. Die alten Bauern, die nie über ihres Vaters Miste 'nauskommen sind, [6] die meinen: schaffen wie ein Vieh, damit sei Alles gethan; man muß schaffen wie ein Mensch, mit Verstand und Bedacht. Ich bin nicht umsonst beim Regiment gewesen und weiß von der Welt. Der Schlägelbauer giftet auch darüber, weil ich den Knecht nicht aus dem Haus thue, den meine Mutter für meine Soldatenzeit genommen hat; ich kann ihn nicht so von heut auf morgen fortschicken und ich muß mich auch erst wieder ins Feldgeschäft gewöhnen, und ich bin ein Kerl der Ehre im Leibe hat und wenn mich einer zum Schaffen ermahnt, da thu ich grad Nichts; ich weiß selber, was ich zu thun hab', und es soll Keiner meinen, ich hätt' darauf gewartet, bis er mich richtig anstellt und das Lob gehört ihm.«

Unter diesem Gespräch war die Herrichtung der Wieden vollendet. Franzseph rief seinem Knecht, der auf der Hausschwelle die Sense dengelte, und befahl ihm, die Wieden nach dem Bach zu tragen; er selber folgte mit der Hakengabel und die Art wie er diese nicht auf die Schulter nahm, sondern als Spazirstock gebrauchte, zeigte die seltsame Stimmung des sich stolz tragenden stattlichen jungen Mannes.

Viele Menschen, wenn sie zu einem Rechtsanwalt kommen und ihren Streit vortragen, wollen von den Gegengründen ihrer Widersacher fast gar keine Kunde oder doch nur augenscheinlich unhaltbare mittheilen; sie meinen dadurch ihren Streit bereits gewonnen zu haben. Aehnlich erging es dem Franzseph bei seinen Mittheilungen an den Dorfschützen.

Aus dem Soldatenleben zurückgekehrt und nicht unter [7] der Botmäßigkeit eines Vaters stehend, fand der junge Mann sich nur schwer in die Obliegenheiten der mühseligen Arbeit. Er schloß sich um so lieber an Faber, den sogenannten Wasserstiefel an. Faber war weder ein bloser Gutsbesitzer noch ein Bauer und schon seine Kleidung zeigte seine Stellung zwischen beiden. In der Ackerbauschule gebildet, mit mäßigem Vermögen ausgerüstet, das sich durch die Heirath einer Wirthstochter aus der Hauptstadt noch beträchtlich vermehrte, gehörte Faber zu jenen Männern, denen keine sogenannte niedere Arbeit zu gering ist, die aber auch mit überschauendem offenem Geist ihre Thätigkeit erweitern und wohl mit der Zeit die Erneuerung des starken in sich gefesteten Bauernthums darstellen. Faber sah es gern, daß Franzseph an seinen Versuchen und Studien zur bessern Ausnutzung der vorhandenen Bodenkräfte Theil nahm, und Franzseph war gern mit ihm, theils um der besondern Ehre willen, theils auch weil Faber mit einer noch immer fremd bleibenden Zurückhaltung nie ermahnend in seine Angelegenheiten eingriff, während er sonst überall mehr oder minder grobe Stichelreden über seinen halben Müßiggang hören mußte.

Lässige Menschen – und ein solcher war Franzseph – suchen vornehmlich Umgang mit Halbfremden oder unterthänig Schmeichlerischen; für Franzseph gehörte Faber zu den ersteren und der Dorfschütz zu den letzteren. Darum schloß er sich fast nur diesem an und schien heiter und wohlgemuth. Dennoch fehlte ihm die rechte Herzensfreudigkeit Alles war ihm wie mit einem trägen Nebel verdeckt, durch den nur die [8] Liebe zu des Schlägelbauers Madlene zuweilen wie ein heller Stern hindurch schimmerte; manchmal fürchtete er aber fast die Vereinigung mit Madlene und sah sich einer Sklaverei entgegengehen, in der er über jede Stunde und ihre Arbeitspflicht Rechenschaft geben müsse, manchmal hoffte er auch wieder, wenn er erst Madlene ganz sein nennen werde, müsse wieder frische Regsamkeit in ihn kommen und die oft unerklärliche Trübsinnigkeit schwinden. Diese Hoffnung stand nun aufs Neue im weiten Feld, denn der Schlägelbauer wurde von Tag zu Tag unwirscher, wollte von Verspruch nichts wissen und verlangte vor Allem ein Aufgeben der Kameradschaft mit Faber. Franzseph sah darin nur eine Beschönigung der Feindseligkeit, da der Schlägelbauer behauptete, ein Bauersmann, der keine Kapitalien habe und von der Ernte leben müsse, könne sich nicht in solche Sachen einlassen wie der Wasserstiefel. Franzseph antwortete hierauf kaum, er wußte es ja besser, daß er mit seinem jetzigen scheinbaren Nichtsthun mehr gewinne, als wenn er sich Schwielen an die Hände und Schweiß auf die Stirn arbeite. In lässigem Trotz ritt und fuhr er um jede Kleinigkeit in die Stadt und machte daheim immer ein saures Gesicht als suche er etwas oder als plage ihn ein geheimes Leiden. In der That hatte er immer einen so rothen Kopf, daß man meinte, das Blut würde ihm zu den Adern herausspritzen. Die Mutter wollte den Arzt darüber befragen, und als sie dieß einst ihrem Vetter Schlägelbauer klagte, hörte Franzseph, der in der Kammer seine Zigarre rauchte, diesen sagen:

[9] »Schneid' ihm die Blutadern aus seiner Soldatenmütze heraus, dann ist dein Franzseph gesund. Leid's nicht, daß er Zigarren raucht; dazu braucht man eine dritte Hand und kann nichts dabei schaffen. Aber da ist Alles kurz beieinander, dein Franzseph ist halt ein Faullenzer, der kehrt sich Morgens siebenmal im Bett und wendet dem Teufel den Braten.«

Schnell riß Franzseph die Kammerthür auf und rief:

»Saget mir das noch einmal in's Gesicht hinein, frei heraus.«

»Kannst's haben; ja, du bist ein Faullenzer.«

»Wenn ihr nicht der Vater von der Madlene wäret, läget Ihr jetzt am Boden.«

»Da müßt' ich auch dabei seyn. Freilich, du hast deine Kräfte gespart, du bist ausgeruht; aber wegen meiner Madlene, da thu dir keinen Zwang an, auf die Art ist's mit euch aus, daß du's nur weißt.«

Der Schlägelbauer bekam wieder seinen schweren Husten und die Mutter beschwichtigte den Streit und hieß Franzseph wieder in die Kammer gehen; sie geleitete dann den Vetter bis vor das Haus und Franzseph hörte noch wie sie sagte:

»Mein Franzseph ist ja der beste Mensch von der Welt.«

»Das ist wahr«, erwiderte der Schlägelbauer, »er wär' mir lieber ein bisle schlimm. Ich brauch' keinen so Gutedel.«

»Ich bin ein Faullenzer!« rief noch Franzseph zum Fenster hinaus und hoffte mit diesem Selbstbekenntniß [10] einen großen Sieg gewonnen zu haben, die ganze Welt sollte es hören, welch ein himmelschreiend Unrecht ihm geschah und Alles, vorab der Schlägelbauer, sollte ihm Abbitte thun.

Aber der Schlägelbauer schaute sich nicht um und Franzseph betrat die Schwelle seines Vetters nicht mehr; er sah nur noch verstohlen seine Madlene, die aber meist schweigsam und betrübt war. Was sollte aus der Feindseligkeit Franzsephs mit dem Vater werden? und wenn ihr jener klagte, daß ihm Alles so schwarz vorkäme und er keine rechte Lustbarkeit in sich spüre, mußte sie die wahre Tröstung verschweigen, denn sie hatte einst gesagt:

»Ich mein' auch, du schaffst nicht genug.«

»Ich bin halt ein Faullenzer,« knirschte Franzseph.

»Das sag' ich nicht,« entgegnete Madlene, »aber« –

»Genug,« unterbrach Franzseph, »da drüben wohnt die Vroni, frag deinen Vater, woher sie Wittwe ist. Ihr Mann liegt in der Ernte krank im Bett, da geht sie zu ihrem Vater und sagt: in der harten Arbeitszeit will er jetzt in's Bett liegen. Da will ich schon helfen, sagte der Alte, nimmt seine Peitsche und haut auf den kranken Mann los bis er zum Bett herausspringt – und zwei Tage darauf hat man ihn begraben. Wie meinst, Madlene, sollt' ich mir's auch so machen lassen?«

»Du bist ja aber nicht krank«, entgegnete Madlene.

»Das ist All eins, es darf mir Niemand sagen, ob ich schaffen soll.«

Von jener Zeit an hatte Madlene hierüber kein[11] Wort mehr gesprochen und Franzseph fühlte wohl selber, wie er sich anders rühren müsse, aber er konnte sich nicht dazu bringen, daß er den Schein auf sich lade, auf fremde Ermahnung arbeitsam zu sein; fast nie ging er mit dem Geschirr ins Feld, trug nie etwas über die Straße, ging immer los und ledig einher und gebarte sich überhaupt, als wäre er nur auf Urlaub daheim und als sei jede Arbeit, die er verrichte, besondern Dankes werth.

Ein geheimer Segen der Arbeit ist allerdings zerstört, wenn sie nicht aus eigenem Antrieb, sondern auf fremde Ermahnung erfolgt; aber Franzseph konnte nicht über den kindischen Stolz hinauskommen, der ihn eben darum auch gegen seine Pflicht widerspenstig machte. – Wie er eben jetzt wieder nicht selber die Wieden nach dem Bach trug, sondern mit der Hakengabel spazirend daherschritt, kam ihm der oft unterdrückte Gedanke, geradeswegs zu dem Schlägelbauer zu gehen und ihm zu sagen: Vetter, Ihr habt Recht, und Ihr werdet sehen, ich bin fleißig ... Aber sein Athmen ging schneller schon vor Zorn über diesen Gedanken, den er doch nicht bannen konnte und heftig schlug er mit der Hakengabel auf, denn es wurde ihm klar, daß seine bisherige Lässigkeit ihn in eine verkehrte Lage gebracht: wie tapfer er auch künftig sich rühren möge, der Schlägelbauer wird ihm immer mißtrauisch aufpassen und er geräth dadurch in eine unerträgliche Botmäßigkeit, über die alle Menschen spotten müssen; hätte er nie den Namen eines Müßiggängers auf sich geladen, da stünde er ganz an ders da. Der Schlußpunkt [12] dieser Wahrnehmung waren folgerecht immer Zorn und Reue über die vergangenen und schlaffer Mißmuth ja Verwünschungen über die kommenden Tage, wobei er sich jedesmal wünschte, wieder unter den Soldaten zu seyn; da steht man doch unter einem festen Commando, dem folgt man und hat sich nicht von dem Blick eines Jeden befehlen zu lassen. Dießmal aber konnte er nicht hierbei beharren: am Montag begann die Ernte und die verschlossene Trutzigkeit, der Hader mit sich und der Welt mußte auf eine oder andere Weise geändert werden.

Franzseph schickte den Knecht nach Haus und weichte mit der Hakengabel die Wieden im Bach ein. Er hatte sich hierzu eine recht bequeme Stelle ausgesucht, da, wo auf eingerammtem Balken ein Brett befestigt war und eine Art Landungsbrücke bildete. Von hier aus konnte man auch ungesehen beobachten, wer beim Schlägelbauer aus- und einging. Jetzt sah Franzseph Madlene mit dem Vater daher kommen, sie konnten ihn nicht bemerkt haben, er hatte sich schnell hinter den Weiden versteckt; dennoch hörte er wie der Schlägelbauer über den Bachsteg gehend und oft vom Husten unterbrochen sagte:

»Ein gesunder Mensch, der faul sein kann, ist der liederlichste. So ein lottriger Tagdieb meint wunder wie gut er sei, weil er Niemand was stiehlt, er legt sich auf die faule Haut und schreit immer: ich bin ja so gutmüthig, ich bin ja so brav.«

Franzseph ballte beide Fäuste und wollte schreien und fluchen, aber der Laut erstickte ihm in der Kehle[13] und drohte ihn fast zu erwürgen. Er starrte in den Bach hinein und wußte nicht wie ihm geschehen, ihm war so dumpf, als hätte plötzlich ein schwerer Hammerschlag ihn auf den Kopf getroffen. Endlich raffte er sich auf und nur der eine Gedanke lebte in ihm, wie er Rache nehmen könne für die erlittene Unbill; er konnte nichts finden, und doch wollte er durch eine gewaltige That zeigen, wie himmelschreiend Unrecht ihm geschehen sei. Noch einmal durchblitzte ihn der Gedanke, durch rastlose Emsigkeit darzuthun, wie sehr man ihn verkannt habe; aber schnell verwarf er diese Demuth wieder. Sollte er Jeden zum Zeugen seiner Rührigkeit aufrufen und sich von ihm den Stempel seiner Geltung aufprägen lassen? – Franzseph war ein Soldat, dürfen diese versessenen Bauertölpel über seine Ehre richten? Freilich mußte er unter diesen Menschen leben, aber sie mußten einsehen lernen, daß er etwas Besseres sei als sie. Darum erschien es ihm zuletzt am genehmsten, in trotziger Verachtung den Unverstand herauszufordern. Mitten in der Ernte, die übermorgen beginnen sollte, wollte er sonntäglich geschmückt müßig und Zigarren rauchend auf den Feldern und im Dorf umherschlendern, bis Alle ihm Abbitte thun, daß sie das ihm inwohnende Streben nach Arbeitsamkeit so grausam verkannt hatten. Aber woher sollten die Menschen an eine Tugend glauben, von der sich ihnen gerade das Gegentheil unter die Augen stellte? Sie müssen es dennoch, denn was ist das für eine Achtung und Liebe, die erst Beweise verlangt, daß man sie verdiene?

[14] In der Seele dieses jungen Mannes erhob sich ein Widerstreit, den er in Worten nicht hätte darlegen können, und doch bewegte sich's in ihm und die Leidenschaft erschloß ungeahnte Quellen.

Weit hinein stieß Franzseph die Wieden, daß sie den Bach hinabschwammen, als stieße er damit jeden Gedanken an Arbeit von sich und er freute sich seines Nichtsthuns auch für die kommenden Tage wie einer Lustbarkeit.

Es liegt in der Trägheit eine eigne Wollust, ja man möchte sagen, eine Art Leidenschaft voll unergründlicher Macht; wie im halbwachen Schlummer überstürzen sich in ihr Gestalten und Empfindungen und begraben in ihren Wellen das selbstmörderisch hingegebene Leben. Auch von Madlene wollte Franzseph nichts mehr wissen, wie von sich selbst nichts mehr. Eben wollte er auch die Gabel den davonschwimmenden Wieden nachwerfen, da rief eine Stimme:

»Franzseph was machst?« und Madlene stand vor ihm.

»Ich faullenze,« entgegnete der Angeredete trotzig; das Mädchen aber faßte seine Hand und wehrte ab:

»Sag' das nicht, du thust dir Unrecht.«

»Ich? wer thut mir Unrecht? Ich heiß das Lüderlichste auf Gottes Erdboden und will's auch sein. Glaubst du nicht auch, daß ich faul bin?«

»Nein, Gott ist mein Zeuge, daß ich das nicht glaube. Laß du die Leut' sagen, was sie wollen, ein Wort beißt nicht. Ich weiß besser wie du bist. Du kannst dich nur vom Soldatenleben her noch nicht [15] wieder in's Bauerngeschäft finden. Ich seh dir's schon seit ein paar Tagen an, du willst jetzt in der Ernt' zeigen, was du vermagst; aber ich bitt' dich, überschaff dich nicht, du bist's ungewohnt und man hat eine Krankheit weg man weiß nicht wie, thu's mir zulieb und schon' dich.«

Im Innersten betroffen und erschreckt schaute Franzseph auf. Noch vor wenigen Augenblicken hatte er in selbstzerstörendem Unmuth diese Liebe verleugnet und ihre Zuversicht richtete ihn jetzt straff auf; er blinzelte mehrmals rasch mit den Augen und wie angerufen sprang er dann plötzlich den davongeschwommenen Wieden nach, watete in den Bach und holte sie auch richtig ein. Jetzt konnte er sich das Angesicht von den aufgespritzten Tropfen abwischen und alle Düsterheit war plötzlich davon weggenommen. Madlene hatte diesem verwunderlichen Thun betroffen zugesehen; sie litt unsäglich unter der Feindseligkeit zwischen Franzseph und ihrem Vater. Sie verkannte das herrschsüchtige und geizige Wesen ihres Vaters nicht, aber auch das müßige Gehenlassen Franzsephs war ihr klar, und so sehr auch Feindschaft zwischen den Beiden waltete, sie wußte doch, daß sie in Gedanken nicht voneinander lassen, denn Beide waren stolz und das verband sie doch. Der Vater verbot ihr nie ausdrücklich den Umgang mit Franzseph und that, als ob er von den heimlichen Zusammenkünften nichts wüßte, und Franzseph suchte trotz alles Tobens doch bloß nach einer Gelegenheit, um in Lob und Ehre vor dem Vater dazustehen. Lachend stand Franzseph bald wieder bei [16] seiner Madlene, und sie sprachen traulich wie in vergangenen Tagen mit einander. Sie mußte ihm, obschon widerstrebend, jedes harte Wort berichten, das der Vater über ihn gesagt, und diese Vorwürfe, die ihn sonst zum Toben und Rasen gebracht hätten, hörte er jetzt so heiter lächelnd an, als wären es lauter Lobeserhebungen. Nur als das Mädchen berichtete, daß ihr Vater nichts von ihm wissen wolle, solange er die Soldatenmütze auf dem Kopf habe, da preßte er die Lippen zusammen, nahm die Mütze ab, betrachtete sie eine Weile und setzte sie wieder keck auf. Madlene erzählte hierauf, daß des Schultheißen Claus, der sie immer von ihm abspenstig machen wollte, sich bei ihrem Vater gut Kind mache, besonders dadurch, daß er dem Wasserstiefel, wo er nur könne, eine Tücke anthue und daß der Vater sie immer bereden wolle, der Werbung des Claus nachzugeben. Selbst das hörte Franzseph mit unveränderter Miene an und sagte endlich, er wolle den Schlägelbauer auf Einmal zu ganz anderer Meinung über ihn bringen. Er ließ sich aber nicht bewegen, zu erklären, wodurch er dieß bewirken wolle.

»Wohin ist dein Vater gegangen?« fragte Franzseph zuletzt.

»Auf das Speckfeld, dort wollen wir am Montag – will's Gott – anfangen Wintergerste schneiden.«

Die Sonne stand eben im Scheiden und ihr rother Widerschein glänzte im Bach und im Antlitz der Liebenden, die Hand in Hand dastanden. Die Lippen Franzsephs zitterten, es lagen Worte darauf, die er nicht aussprechen durfte, und ehe er's gekonnt hätte,[17] schied er schnell von Madlene, denn sie sahen den Schlägelbauer von der Höhe jenseits herabkommen. Franzseph nahm die Wieden auf und trug sie nun selbst nach Haus; dennoch machte er einen Umweg, um dem Schlägelbauer nicht zu begegnen.

2. Ein Sommernachtswerk

2. Ein Sommernachtswerk.

Zu Hause war Franzseph voll Unruhe, die Mutter überraschte ihn, als er sich eben ein großes Stück Brod abschnitt und in die Tasche steckte; er erwiderte auf ihre Frage, was er damit wolle, daß ihn oft in der Nacht ein Jähhunger plage, dem er vorsorgen müsse. Die Mutter schüttelte den Kopf über das so auffällig veränderte Wesen ihres Sohnes und sprach wieder vom Arzt, aber Franzseph hörte nicht darauf und hatte noch allerlei in der Scheune herzurichten, als ob es früher Morgen wäre und nicht einbrechende Nacht. Er wich den Fragen hierüber aus und bat um die Kappe des verstorbenen Vaters, die er zum Andenken in seiner Kammer haben wolle; die Mutter brachte sie schnell, setzte sie ihrem Sohn auf's Haupt und betheuerte, daß sie ihm viel besser stehe, als die steife Soldatenmütze, der sie höchst unehrerbietige Namen gab. Franzseph riß hierauf rasch die Kappe ab und setzte seine gewohnte auf, aber er gab die alte doch nicht wieder zurück. Er ging mehrmals durch das ganze Dorf und es kam ihm wunderlich vor, daß die Leute noch immer zögerten zur Ruhe zu gehen. Wie [18] gern hätte er den Zapfenstreich schlagen lassen und den Leuten commandirt: »Licht aus! in's Bett!« Aber hier führte Jeder sein eigen Regiment und kannte kein allgemeines Gebot. Jedem, der noch eine Weile vor dem Hause gesessen und sich dann hinein unter Dach begab, wünschte Franzseph in besonders nachdrücklicher Weise eine gute Nacht. Es war, als ob er Jedem besonders dankte, der nur die Augen schloß, um sein Vorhaben nicht zu sehen.

Endlich war Stille im Dorf, über dem eine sternglitzernde Nacht stand, der Mond kam heute erst um Mitternacht herauf. Die Thüre an Franzsephs Hause, die nach dem Garten ging, öffnete sich unhörbar, aber es trat Niemand heraus, nur eine tuchumwickelte Sense wurde behutsam und geräuschlos auf den Boden gelegt; erst nach geraumer Weile kam ein Mann zum Vorschein, schloß die Thüre, stand eine Weile still horchend, nahm die Sense auf und schlich durch den Garten hinaus in's freie Feld. Es war Franzseph; er hatte aber, wohl um sich nicht so rasch kenntlich zu machen, eine andere Kopfbedeckung als gewöhnlich, und zwar die pelzverbrämte Pudelkappe seines Vaters. Er athmete laut und hielt auf seinem raschen Gang oft ein, hinaus lauschend, ob er nicht fremde Schritte höre; aber es ließ sich nichts erkunden, nur Heimchen und Heuschrecken in Busch und Gras hörten in der milden Nacht nicht auf zu zirpen. Gegen Norden stand die Nachtdämmerung, deren lichter Schein von der Mitte Mai bis Mitte August am Himmel nicht verschwindet. Franzseph ging nach dieser Seite hin, [19] und es war ihm, als schritte er hinein in den Tag, und nur wenn er sich umkehrte, sah er die volle Nacht. Franzseph nahm die Sense, die er bisher in der Hand tief am Boden gehalten hatte, frei auf die Schulter und schritt muthig vorwärts. Wie leise flüsternd wiegte sich das Korn am Weg und sog den Nachttau ein, der ihm nur auf kurze Zeit noch beschieden war; das wächst und gedeiht still, während die Menschenhände ruhen, die es gesäet und bald wieder einsammeln. Was raschelt dort in den Halmen und kollert jetzt den Wegrain hinab? Es ist wohl ein Igel, der nächtig auf seine Nahrung ausgeht. Dort im Gebüsch winselt und klagt es, das sind Stimmen verscheuchter Vögel, denen ein Marder, ein Wiesel Eier oder Junge geraubt. Das ganze Leben der Thiere ist Suchen nach Nahrung, der Mensch aber bereitet sich diese durch Arbeit. Franzseph faßte seine Sense fester. Jetzt ging der Weg eine Strecke über die Landstraße, wo hüben und drüben reichgestützte Obstbäume standen, und wie von unsichtbarer Hand gepflückt fiel bald da bald dort ein frühreifer oder wurmstichiger Apfel nieder, kollerte auf der harten Straße oder fiel dumpf in das weiche Gras. Die Obstbäume, deren fester Stamm das Menschenleben überdauert, bedürfen nur Schutz und Stütze von Menschenhand und erzeugen von selbst die Frucht; das Brod aber, des Menschen vielbereitete Speise, reift nur auf mühsam bearbeitetem Boden am alljährlich sich erneuenden Stengel.

Wie war's jetzt in einsam stiller Nacht, als ob alles Gewohnte rings umher seltsame Worte spreche [20] und eine Offenbarung ging aus von Halm und Zweig, die das Herz erbeben machte. Denn des Menschen Sinn fühlt ein Beben beim Nahen des Allgeistes. Worte und Gedanken, die Franzseph ehedem wie halb träumend von Faber vernommen hatte, erwachten jetzt wie mit heller Stimme und klaren Augen. Franzseph pfiff nur sich selber hörbar vor sich hin. Endlich führte der schmale Fußweg mitten durch die Kornfelder. Franzseph kühlte bald die eine bald die andere Hand im Thau, der auf den Halmen lag; er sah hinüber nach dem Hopfenacker, dessen lange Stangen wie ein getödteter Wald mitten im Felde standen. Er mußte lächeln bei der Erinnerung an die Prophezeihung des Dorfschützen, daß diese Stangen noch zu einer Generalprügelei verwendet würden – aber plötzlich hielt er an, er hörte in der That Schritte, die hinter ihm drein kamen; schnell sprang er in das Kornfeld, kauerte in den hohen Halmen nieder und hielt den Athem an. Die Schritte kamen immer näher und jetzt hielt der unsichtbare Wanderer an der Stelle, wo Franzseph verschwunden war und dieser überlegte rasch, wie er sich verhalten müsse, wenn er entdeckt würde; aber der Suchende ging vorüber und der Versteckte athmete frei. Der Flurschütz hatte wohl noch seinen nächtlichen Rundgang gehalten; es war nun sicher, daß er in der heutigen Nacht nicht mehr in diese Gemarkung käme. Noch eine Weile verharrte Franzseph in seinem Versteck, dann wendete er sich sorglos rechts nach dem Speckfeld. Im Umschauen däuchte es ihn einmal, als ob die Stangen im Hopfengarten sich bewegten und ein [21] Knistern und Knarren von dorther dringe; aber das war gewiß nur Täuschung, wie sollten die festen Pfähle sich jetzt beugen, da ein leiser Windhauch kaum die Spitzen der Halme bewegte. Franzseph schritt fürbaß und gelangte endlich zu seinem Ziel, er nickte mehrmals, denn er fand die Merkzeichen, daß er am Gerstenacker des Schlägelbauern war. Er nahm die Einhüllung von der Sense und strich mit dem Wetzstein so leise als möglich über die Schneide. Als aber jetzt die Thurmuhr im Dorf zehn zu schlagen begann, wagte er es, gedeckt von diesem Klange, kecker die Sense zu wetzen und nun ging's frischer an's Mähen, daß die Halme rauschend zu Boden fielen; dabei war er aber noch so hastig, daß er mehrmals die Sensenspitze in den Boden bohrte, er zwang sich nun zu gemäßigter Thätigkeit und ruhig vorwärts schreitend legte er die Halme nieder. Die Schwingung hin und her ging so geruhig und fast mühelos, es war als ob in die Sense ein eigen Leben gefahren wäre, sie bewegte sich wie von selbst in seiner Hand, mähte die Halme und zog ihn allmälig nach. Vom Wald herüber hörte man das Krächzen und Winseln junger Eulen, die sich wohl um eine Beute balgten. Was kümmert den Thätigen all das Geschrei um ihn her? Nur der Arbeitsledige horcht überall hin und findet darin willkommene Zerstreuung. Erst als Franzseph die volle Ackerlänge durchgemäht hatte, gönnte er sich ein Aufathmen, und die Art, wie er sich reckte, zeigte jetzt, daß nicht Müdigkeit ihn lähmte, sondern neue Lebenskraft seine Glieder durchströmte. Es duldete kein langes Ausruhen [22] und rückwärts ging's in gleicher Thätigkeit, die so gleichmäßig im Takt fortschritt, daß sich Franzseph eine Art Melodie dazu dachte. All das Denken, das am Tage und jetzt in der Nacht durch seinen Sinn gezogen, ruhte nun im tiefsten Grunde seiner Seele wie ein verborgenes Labsal.

Wie bald aber ändert sich Denken und Thun. Wieder auf dem ersten Ausgangspunkt angekommen, fühlte Franzseph einen Hunger, wie er ihn seit lange nicht gekannt hatte, aber er blieb bei seinem Vorsatz, erst nach drei vollen Mahden sich eine Erholung zu gönnen, und nun dünkte ihn nicht mehr, daß die Sense sich von selbst bewege und pfiff er auch keine Melodie mehr zur Arbeit; als gälte es einen Widersacher zu erlegen, so ernst und mit angespannter Kraft schritt er mähend vorwärts. Die Aehren rauschten nieder und es sumste und schwirrte gar seltsam am Boden. Franzseph hatte gegen seine Mutter mit dem Jähhunger gespaßt, jetzt schien er ihn wirklich zu überkommen, jedes Ausholen mit der Sense ward zur Beschwerde, aber er ließ nicht ab und langte endlich von Schweiß triefend zum Drittenmal an seinem Ziel an. Er setzte sich auf den Markstein nieder und wischte den Schweiß von der Stirn. Das ist ein Thau, der die Menschenkraft gedeihen macht, und das Brod, das der Einsame jetzt zum Munde führte, war nährenden Segens voll. So hatte noch nie ein Bissen geschmeckt.

»Fleiß ist Tugend,« hat Faber einmal gesagt, und jetzt tönte das Wort wie ein Segensspruch von unsichtbaren Lippen um den jungen Mann, der allein in[23] stiller Nacht sein Brod verzehrte. Wohl giebt es einen Fleiß, der der Habgier und allen schlechten Trieben dienen muß, und doch ist Fleiß, die lebendige Bethätigung der Kraft, Grundlage alles echten Thuenden, aller Tugend.

Vom Dorf herüber schlug es zwölf Uhr, und der Nachtwächter rief die Stunde. Franzseph konnte es kaum glauben, daß er schon so lange gearbeitet habe, er hatte ja keinen Glockenschlag gehört; aber hört denn der Emsige die Stunde schlagen und rinnt ihm die Zeit nicht ungezählt dahin?

Franzseph kam sich wie verzaubert vor. Das war ein Klingen und Singen und Summen in der Luft und auf den Feldern, wie von zahllosen unsichtbaren Wesen. Franzseph fühlte eine unwiderstehliche Schlafsucht, aber er bewältigte sie doch; umherschauend zwang er sich, die ganze Umgebung im lichten Sonnenschein zu denken und jetzt kam der Mond rund und groß hinter dem Wald herauf und übergoß Alles mit mildem Schein. Feld und Wald und Dorf lag im weichen Dämmerlicht ausgebreitet und aus dem Bach blinkte es da und dort hell herauf. Franzseph richtete sich rasch auf und die Sense glitzerte im Mondschein wie er sie aufhob und untersuchte, er verbarg das verrätherische Blinken schnell unter den Halmen und mit neuem Muth ging's an die Vollführung des Werkes. Er gedachte wie der Schlägelbauer und mit ihm das ganze Dorf staunen werde, wenn es sich zeigt, daß der Faullenzer, während Alles ruhte, einen Morgen Gerste niedergemäht, und wie freudig Madlene jauchzen müsse, [24] daß ihre Zuversicht sich so bestätigte. Er bedurfte dieser Aufmunterung sehr, denn immer mühsamer wurde ihm diese Arbeit und solch einsame Verkehrung der Nacht in Tag. Er wetzte die Sense öfter als sonst und nicht mehr so behutsam. Der Nachtwächter, dachte er, glaubt freilich nicht mehr an den Dengligeist, aber er wird doch morgen Allen berichten, daß er ganz gewiß in vergangener Nacht den verschollenen Erntegeist im Felde habe die Sense wetzen hören. Er wird dann dem Orte nachforschen, von wo er den Klang vernommen und dadurch wird die Sache am schnellsten offenbar, denn selbst kann ich sie doch nicht verrathen, und bis zum Montag warten könnte ich auch nicht.

Wieder wetzte Franzseph die Sense anhaltender als je und ließ sie dann noch fast geflissentlich im Mondschein blinken, er fürchtete nicht mehr, vom Flurschützen überrascht und gestört zu werden, dies wäre ihm wohl eher erwünscht gewesen. Er hatte ein gut Theil des Ackers gemäht und war so überaus müde, aufhören konnte er aber nicht, denn was sollte die halbe Arbeit? Wurde er aber verscheucht, so war es ja nicht seine Schuld, daß noch Etwas rückständig blieb, auch dieses mußte ihm als vollbracht angerechnet werden, er hätte es ja ohne die Störung gewiß vollendet. So sehr auch Franzseph wetzte und endlich sogar zu dengeln anfing, es ließ sich Niemand sehen noch hören, der ihn stören wollte und eine Zeit lang mähte er im Zorne fort und horchte auf jede Viertelstunde, die es im Dorfe schlug. Endlich aber wurde er auch dieser Mißstimmung Meister, und je mehr es gegen Morgen [25] ging, desto mehr erfreute er sich seines Thuns. Mit dem ersten lichten Grau, das im Osten aufdämmerte, belebte ihn ein neuer Gedanke, der sich immer mehr geltend machte: nicht das Staunen und die Bewunderung des ganzen Dorfes erquickte ihn, er freute sich über sich selber, er hatte vor sich bewiesen, daß er einen schweren Vorsatz vollführen könne. Jetzt war er auch des Zweifels ledig, ob er in den Tag hinein arbeiten wolle, bis man ihn bemerke, er war entschlossen, sich davon zu machen, ehe man ihn sah. Die Morgenwolken, die sich immer mehr lichteten, warfen ihre Strahlen hinein in den Mond und es war als ob zu diesem Sonntag eine doppelte Sonne über der Welt aufgehe. Hier und da zwitscherte eine Lerche am Boden und ein Rabe flog krächzend waldaus, als wäre er der Bote der Nacht, der ihren Rückzug verkünde. Jetzt schwang sich dort aus der Ferne eine Lerche keck empor und aus den thaufeuchten Halmen schwirrten ihr andere nach, vom Walde her und in den Hecken begann es zu zwitschern und zu singen, die Sonne stieg in voller Pracht empor und mit freudigem Siegesgefühle schaute Franzseph zu ihr auf. Er hatte in stiller Nacht ein frisches Herz gewonnen. Er mähte noch den Acker bis zu Ende. Nur noch eine Spreite stand. Sollte er sein Werk im Tageslicht vollenden? Er hob die Sense hoch hinauf in's Sonnenlicht und in ihm sprach der Vorsatz, daß die Sonne immerdar seine emsige Arbeit erschauen und sie segnen möge; dann verbarg er die Sense in einem noch hell grünenden Haberfelde und eilte davon; aber er kehrte nicht[26] in's Dorf zurück, er schritt nach dem Walde, er suchte nicht lange und hatte den Schlaf nicht anzurufen, bald war er auf dem Moose unter einer mächtigen Tanne eingeschlummert.

3. Ein Feldfrevel

3. Ein Feldfrevel.

Im Hause des Landwirths Emil Faber, genannt der Wasserstiefel, war noch Alles in lautloser Ruhe, nur die Tauben in ihrem Schlage gurrten nach Freiheit und der Hahn krähte aus seiner Verborgenheit immer anhaltender. Mit Ausnahme des offenen Schuppens war das Haus noch ganz dasselbe, wie es Luzian verlassen; nur hatte Alles eine frischere Farbe und hieländisch fremde Pflüge und eine große Häckselmaschine zeigten, daß eine junge Kraft hier walte. Das Schlafzimmer der jungen Eheleute war nach dem ruhigen Grasgarten gelegen, wo ein Apfelbaum mit seinen rothbackigen Früchten fast in die Fenster hineinragte. Der lustige Pfiff einer Grasmücke hatte von dort aus den jungen Mann geweckt, der eben im Ankleiden begriffen war, als er das Erwachen seiner Frau wahrnahm.

»Guten Morgen Pauline,« rief der junge Mann, »es ist noch früh, schlaf noch einmal und freue dich mit mir, heut ist Sonntag.«

»Ja, guter Emil, und heut gehst du mit mir in die Kirche?«

»Auch, aber ich freue mich auch mit dem Sonntag,[27] weil es an diesem schönen Tag neugebackene Bretzeln giebt,« erwiderte der Mann mit kindischem Humor.

Die Frau erzählte, daß sie einen ängstlichen Traum gehabt: die wegen des Zehntpachtes aufrührischen Bauern hätten das Haus angezündet und Niemand hätte retten und löschen wollen als der Franzseph, der endlich in den Flammen verschwunden sei.

»Ach,« schloß sie klagend, »ich habe mir das Landleben doch anders gedacht und du bist auch so unnachgiebig und forderst durch den Zehntpacht noch die Tücke dieser rohen Menschen heraus. Du wirst sehen, sie bereiten uns irgendwo ein Verderben.«

»Das ist auch meine Ansicht und eben darum hab' ich den Zehnt gepachtet. Man muß den Menschen einmal Gelegenheit geben, allen versteckten Groll, den sie in der Seele hegen, loszulassen. Ich bin der kleinen Plänkeleien, Tücken und Beinstellereien müde, sie müssen mir eine offene Schlacht liefern, ich bin darauf gefaßt. Wegen Brandstifterei sei ruhig, sie wagen nichts so Keckes und wissen auch, daß ich gut versichert habe und gern neu bauen möchte. Mit dem Franzseph werde ich aber in diesen Tagen ein ernstes Wort reden; er muß seinen dummen Soldatenstolz abthun.«

Der junge Mann, eine ungewöhnlich große Gestalt mit flachsblondem Haar, trat an das Bett seiner Frau, strich ihr mit der Hand über die Stirn und beruhigte sie durch trauliches Zureden, dann verließ er das Zim mer, ging hinab nach dem Hof, wo ihn der große Kettenhund mit Winseln und Sprüngen begrüßte, er [28] band ihn los und sah nach dem Treiben der Knechte und Mägde, die sich mittlerweile auch aufgemacht hatten und sich zwischen den Tauben hin und her bewegten, die gurrend auf und nieder flatterten. Eben stand Faber bei einem neu eingetretenen Knechte und lehrte ihn die Häckselmaschine besser handhaben, als der Dorfschütz militärisch grüßend in den Hof trat.

»Was giebt's schon so früh?« fragte Faber.

»Euer Hopfenacker ist verruinirt. So eben berichtet's der Flurwächter. Es steht kein' Stang mehr, und alle Ranken sind zerschnitten.«

Obschon der junge Landwirth so eben noch sich auf Tückisches gefaßt erklärt hatte, so verfinsterten sich dennoch plötzlich seine Mienen; er hätte vielleicht einen persönlichen Angriff leichter ertragen, als diese ruchlose Zerstörung einer mit besonderer Liebe gehegten Pflanzung. Der Hund schaute bald in das Antlitz seines Herrn, bald in das des Botschafters, gewärtig den Befehl zum Angriff zu vollziehen; brummend und mit aufgesträubten Rückenhaaren umkreiste er den Dorfschütz, bis ihn sein Herr zur Ruhe verwies. Nachdem Faber auf die Frage, ob die Sache bereits amtlich angezeigt sei, bejahende Antwort erhalten, kehrte er zu seiner Frau in's Haus zurück und bald sah man ihn, mit den hohen Wasserstiefeln angethan, der Hund vorauf, hinaus auf das Feld wandern. Die Kunde von dem Geschehenen hatte sich rasch verbreitet und das Dorf frühzeitig geweckt, denn überall an den Fenstern und vor den Häusern machten Männer und Frauen Zeichen des Mitleides und bezeigten bedauernd ihre [29] Schuldlosigkeit gegen Faber, der ohne Anhalt mit großen Schritten fürbaß ging.

Bald sammelten sich Gruppen Lautredender auf den Straßen und Alle schimpften auf den Feldfrevler, den man entdecken müsse, damit er für den Schaden einstehe und nicht die Gemeinde dafür büßen müsse. Eine lärmende Gruppe hatte sich nicht weit von des Franzsephens Haus bei dem Brunnen gebildet und hier hörte man vor Allem die Stimme des Schultheißen, der unnachsichtliche Strenge verkündete und Alles aufbieten wollte, um den Missethäter zu entdecken. Der Schlägelbauer, der daneben stand, suchte ihn zu beruhigen und die Sache in's Spaßhafte zu ziehen, indem er schadenfroh lächelte; der Schultheiß aber rief:

»Und wenn du's selber than hast, laß ich dich gleich einsperren.«

Die Mutter Franzsephs, von dem frühen Lärm erschreckt, kam herbei, ging auf die heftig Redenden zu und fragte was geschehen sei, ob man von ihrem Franzseph etwas wisse, der heute die ganze Nacht nicht heimgekommen sei. Der Schlägelbauer winkte, aber die Mutter verstand ihn nicht und jetzt schrie Alles über den versteckten Faullenzer, an dem nun das Unglück hinausgehen werde, das er über das ganze Dorf bringen wollte. Während noch so Alles unter einander tobte, sah man den Franzseph, mit der ungewohnten Pudelkappe auf dem Haupt, vom Berge herabkommen. Der Schultheiß befahl schnell dem Dorfschützen ihm entgegen zu gehen und ihn gefangen zu nehmen, aber ein Kamerad Franzsephs war rascher als der nur langsam [30] schlendernde alte Soldat, er sprang vorauf und rief Franzseph zu: »Lauf davon, du wirst eingesperrt.«

Franzseph aber schien diesen Zuruf nicht als ihm geltend zu betrachten, er schritt ruhig weiter und als ihm der Dorfschütz, der jetzt bei ihm angelangt war, seine Verhaftung verkündete, fuhr er sich mit der Hand über die Stirn und lächelte ungläubig.

Der Schlägelbauer hatte die Mutter überreden wollen, nach Hause zu gehen und sich auf ihn zu verlassen, aber die Mutter ließ nicht von der Rotte, die sich auf jedem Schritt vergrößerte, den sie dem Franzseph entgegen ging. Als sie ihn endlich vor sich hatten, wollte der Schultheiß in laute Schmähungen ausbrechen, aber der Schlägelbauer unterbrach ihn, bat um's Wort, ging auf Franzseph zu, faßte seine Hand, daß er in sich erbebte und sagte fast ganz ohne Husten:

»Franzseph, ich hab' dir Unrecht than, ich schäm' mich nichts und sag's frei vor allen Leuten. Ich hab' gemeint, du seist blos ein so guter Tralle, der kein' Schneid' hat; jetzt hast du zeigt, daß du die rechte Schneid' hast. Dein Sach' mag jetzt ausgehen wie sie will, wenn du wiederkommst, weißt du, wo ich wohn'! Verstanden? Jetzt fürcht' dich nichts und sei standhaft.«

Die Mutter stand weinend neben ihrem Sohn und hielt ihre Hand auf seine Schulter gelegt. Franzseph wußte nicht wie ihm geschah, ein Frösteln überkam ihn, daß er am ganzen Leib zitterte.

»Gestehst du was du gethan hast?« fragte der Schultheiß.

»Ich weiß nicht was es Euch angeht,« entgegnete[31] Franzseph, und der Schlägelbauer trat wieder vor und sagte:

»Mein Franzseph leugnet nichts. Er ist ein Mann, der Kurasche hat und versteckt sich nicht hinter der Heck. Gesteh' du's nur. Ja, ich sag's für ihn, ja, mein Franzseph hat heut Nacht des Wasserstiefels Hopfenacker abgeschnitten und umgestürzt und hat rechtschaffen Recht daran gethan. Wir sind Mann's genug für den Schaden aufzukommen, wir brauchen den Gemeindebettel nicht, und die paar Wochen Straf' bringen ihn auch nicht um. Mein Franzseph hat Schneid' und ist kein guter Tralle. Jetzt laß ihn frei, Schultheiß, er entlauft dir nicht.«

Die Brust Franzsephs hob und senkte sich mit schwerem Athem, er drückte sich mit der Hand die Augen zu, als müsse er sich besinnen, ob er nicht träume.

»Du kannst nicht für ihn reden,« entgegnete der Schultheiß, »er wird selber das Maul bei sich haben; red' du selber, Franzseph, du bist immer ein guter Kerle gewesen, ich kann's noch nicht recht glauben.«

»Er ist kein guter Kerle,« unterbrach der Schlägelbauer.

»In's Teufels Namen, laß ihn selber reden,« kreischte der Schultheiß, »ich will kein Wort mehr von dir.«

Franzseph schaute jetzt mit zusammengepreßten Lippen starren Blickes auf den Schlägelbauer; offenbar hat dieser in seinem Haß den Feldfrevel begangen und verlangt nun, daß sein Schwiegersohn für ihn einstehe. [32] Franzseph war bereit dazu, obgleich er nicht recht wußte, was daraus werden solle, und es ihm tief wehe that, daß er, der allein Fabers Freund war, in dessen Augen als hinterlistiger Heuchler erscheinen müsse. Als aber jetzt auch der Schultheiß auf die Gutmüthigkeit anspielte, regte sich ein seltsamer Stolz in Franzseph und er rief laut: »Ich bin kein guter Kerle, ja, ja, ich hab' Alles than, was der Vetter Schlägelbauer sagt.« Alles war stumm vor Entsetzen, nur des Schultheißen Claus, der eben mit einem Landjäger herzugetreten war, lachte laut auf.

Franzseph wurde dem Landjäger übergeben und nach der Amtsstadt abgeführt, der Schlägelbauer geleitete die weinende Mutter tröstend nach Hause.

4. Fremde That

4. Fremde That.

Als der Landwirth Faber nach Hause kam, hörte er zu seinem Entsetzen, wer die ruchlose That vollbracht habe, und die neubacknen Bretzeln, auf die er sich so kindisch gefreut hatte, wollten ihm gar nicht munden. Die Frau, die sich dem heißblütigen Manne gegenüber auf ihre ruhige Menschenkenntnis viel zugute that, behauptete, daß sie schon lang etwas Heimtückisches und Hinterlistiges an Franzseph bemerkt habe, daß sie aber geschwiegen hätte, um nicht wieder für mißtrauisch zu gelten. Faber bestritt das Vorhandensein dieser Weltklugheit, und wie das so leicht geschieht, eine Unbill von außen erzeugt leicht Mißstimmung und [33] Streit zwischen den Betroffenen; das gekränkte Herz heischt oft, ohne es gestehen zu wollen, eine Tröstung und jede ungeschickte oder unerwartete Berührung wird zu einer Mißstimmung. Faber behauptete streng verweisend, daß Niemand dies habe von Franzseph voraussetzen können und die Frau suchte versöhnend abzuschließen, indem sie die Furcht vor neuer nicht so leicht zu verschmerzender Unbill darlegte und ihren Mann bat, die Beschädigung ungesühnt zu erleiden, den Franzseph frei zu machen und durch diese Hochherzigkeit das ganze Dorf zu beschämen und zur Freundschaft zu zwingen. Das war aber gerade ein neu aufreizender Vorschlag und Faber schwur und betheuerte, daß er unnachgiebig den strengen Rechtsweg in dieser Sache verfolge, von dem ihn nichts abbringe. Er setzte eilig eine Klagschrift an das Amt auf, in der er genauen Augenschein forderte. Er schrieb noch mit fliegender Feder, als Madlene mit verweinten Augen eintrat. Faber kannte das Mädchen wohl, dennoch fragte er nach Namen und Begehr, und ohne ein Wort zu erwiedern, schüttelte er auf die Bitte, »Gnade für Recht ergehen zu lassen,« verneinend den Kopf, siegelte die Schrift, verließ die Frau, die Madlene zu trösten suchte, ging nach dem Hof und schickte sogleich einen reitenden Boten mit der Schrift nach der Stadt. Bald kehrte er wieder in die Stube zurück und fragte Madlene, seit wann der Franzseph Nägelschuhe trage. Das Mädchen behauptete, daß er nur Stiefel mit eisenbeschlagenen Absätzen habe und sprach, ermuthigt durch die Mittheilung, daß man die Spuren von Nägelschuhen [34] im Hopfenacker gefunden habe, die Ueberzeugung aus, daß Franzseph unschuldig sei; zwar habe er selbst gestanden, aber wer wisse, was ihn dazu veranlaßt habe.

»Dann hat er fremde Schuhe geborgt oder Helfer gehabt, es muß sich Alles erweisen,« entgegnete Faber, verließ abermals in Unruhe das Zimmer und schickte einen zweiten Knecht als Wache nach dem verwüsteten Hopfengarten, damit Niemand hineintrete und die ganz deutlichen Fußstapfen verwische. Während er dem Knecht noch sein Verhalten genau vorschrieb, sah er Madlene das Haus verlassen; sie ging zu der Mutter Franzsephs, die wegen des Geschehenen ganz untröstlich war und immer behauptete, ihr guter Franzseph müsse zu dem Schelmenstreiche verführt worden sein, denn so etwas käme nicht aus seinem braven Herzen und zu einem solchen Streiche könne er nicht des Vaters Pudelkappe aufgesetzt haben. Sie hatte die Soldatenmütze ihres Sohnes auf den Tisch gestellt und sah immer weinend und händeringend darauf, als würde sie nie mehr das Haupt sehen, das damit bedeckt war ...

Unterdeß schritt Franzseph, von dem Landjäger gefolgt, lautlos die Straße dahin. Als sie an der Anhöhe vorüber kamen, wo das abgemähte Gerstenfeld war, däuchte ihn, es müsse sich von dort irgend ein Zeichen für ihn erheben; aber wer konnte sprechen, wer Zeugniß ablegen für ihn? Ueber den Spitzen der Kornfelder wob sich schwebend ein funkelnder Duft und aus dem Thal und von der Höhe klangen die Morgenglocken. Franzseph schritt ruhig weiter und gedachte der hellen Stunde, da er froh begrüßt und geehrt diesen Weg [35] heimwärts ziehen werde. Mit wachen Augen ging er halb träumend hin und konnte sich nicht klar machen, was geschehen war und noch geschehen sollte. Als man endlich in der Amtsstadt an gekommen war und alle Leute nach dem jungen Verbrecher ausschauten, und der Hausknecht des Greifenwirths, ein ehemaliger Kamerad, ihn mit seltsamem Lächeln bei Namen rief und grüßte, da fing es ihm an doch bange zu werden; aber immer noch däuchte ihn Alles nicht wahr, und erst als er allein im Gefängniß stand, erwachte er plötzlich und ballte beide Fäuste und schlug gegen die ungerechten Mauern und schrie laut auf. Die Mauern wichen nicht und der Schrei verhallte von Niemand gehört. – Was nützte jetzt alles Besinnen und Ueberdenken? Es ließ sich nichts herauspressen. Endlich legte sich Franzseph beruhigt nieder, mit der festen Zuversicht, daß der Schlägelbauer der Sache bald ein Ende machen werde. Man brachte ihm Essen, er ließ es unberührt stehen. Die gebrochene Nachtruhe, die ungewohnte Arbeit, die Gemüthsbewegungen und der Weg, Alles machte sich geltend, um Franzseph in einen bleiernen Schlaf zu versenken. Als er erwachte, mußte er sich besinnen wo er war; dunkle Nacht und Einsamkeit umher. Das ganze Leben war verändert, die Nacht war zum Tage, der Tag zur Nacht geworden. Ein zerschnittener Lichtstreif des Mondes fiel in seinen Kerker und leuchtete Franzseph beim Verzehren des kalt gewordenen Mahles, über das er sich rasch hermachte. Er fühlte sich neugestärkt und meinte, er müsse jetzt gleich erlöst werden; es war genug des schlimmen[36] Scherzes. An dem hohen Fenstergitter sich mit beiden Händen anhaltend, schaute Franzseph hinein in die Mondnacht. Plötzlich war's ihm, als ob er einen Schlag an den Kopf bekäme, so nahe dröhnte die Thurmuhr der Stadt, die in gleicher Höhe mit der Gefängnißzelle war. Es schlug Eins. Das war ein anderes Warten auf den Tag als in vergangener Nacht im freien Feld. Jede Viertelstunde, die es schlug, klopfte mit leibhaftigem Pochen an das Haupt Franzsephs und durchdröhnte seinen ganzen Körper, und selbst als er sich wieder auf die Pritsche legte, hörte das nicht auf, und durchbebt von diesen Klängen mußte er der vielen Stunden gedenken, die er in halb stolzer, halb feiger Lässigkeit verträumt und vertrödelt hatte; er sprang oft auf und streckte die Hände empor voll heißen Verlangens nach Arbeit. Heute wollte er ja rüstig an's Werk und nimmer lässig werden, warum war er gefangen?

Ein bläulicher Schimmer zeigte sich am Himmel, kein Lerchenton war vernehmbar, nur der ächzende Pendelschlag der Thurmuhr hin und her. Ein heller Tag brach an, ein ächter gesegneter Erntetag. Je weiter die Stunden vorrückten, um so lebhafter dachte sich Franzseph, wie jetzt Alles daheim sich zur Arbeit rüstet; nur er allein mußte träge ruhen, und als eine Seligkeit erschien es ihm jetzt die Sense zu handhaben, er sehnte sich nach dem Griff der Sense wie nach der Hand eines Freundes; weinend vor Zorn und Wehmuth wälzte er sich auf seinem Lager, da öffnete sich endlich die Thüre und der Gefangenwärter trat mit dem Landwirth Faber ein.

[37] Der erste Anblick erschreckte Franzseph so, daß er starr da stand, aber rasch streckte er dem Faber die Hand entgegen, die dieser indeß abwies, indem er mit ruhigem Ton erklärte: er habe sich von dem Untersuchungsrichter eine Unterredung erbeten, bevor das Verhör beginne, es sei ihm noch unfaßlich, daß gerade der Einzige, der sich ihm vertraulich angeschlossen, den Frevel ausgeführt habe, Franzseph sollte daher bekennen, wer ihn dazu verleitet und wer ihm dabei geholfen habe. Franzseph starrte lautlos drein und ließ sich trotz allen Drängens zu keiner Antwort herbei. Als indeß Faber auf die Stiefel deutend sagte:

»Solch' eine Fußspur findet sich gar nicht in meinem Hopfenacker, Ihr müßt also blos Wache gestanden und Andere müssen Euch geholfen haben,« da zuckte Franzseph zusammen und sagte endlich:

»Lieber Herr Faber, wenn ich sagen könnte, wem die anderen Fußspuren gehören, versprecht Ihr mir die Sache aus und vorbei sein zu lassen um eine billige Entschädigung?«

»Nein, und wenn ich den Menschen an den Galgen brächte, ich könnte ihn mit Lust baumeln sehen.«

»Dann hab' Ich's gethan und sonst Niemand,« fiel Franzseph ein.

»Das geht nicht mehr, wir haben das Bekenntniß, das Ihr anders aussagen könnt, wenn Ihr wollt.«

»Ja, wenn ich will,« entgegnete Franzseph halb trotzig halb wehmüthig. Faber suchte ihn nun mit aller Güte zu bereden, den wahren Sachverhalt zu bekennen, er werde als Verführter nur eine geringe [38] Strafe bekommen, und beschwor ihn zuletzt aus Achtung vor ihrer ehemaligen Freundschaft, ihm nicht das Leid anzuthun, daß er nun an keinen guten Menschen mehr glauben dürfe.

Dieses Wort »gut« machte aber wieder die verkehrte Wirkung auf Franzseph und er verfiel in erzwungenen Trotz und Starrsinn, der sich nur zu den Worten verstand, daß er dem Untersuchungsrichter allein Antwort schuldig sei. Faber mußte sich zwingen noch weiter zu sprechen, und in den Mienen Franzsephs zuckte es als er hörte, daß im Dorfe gestern Jeder dem Andern auf die Schuhe gesehen habe, daß man am Abend an des Schultheißen Haus einen brenzlichen Geruch wahrgenommen habe, der vielleicht davon herkäme, daß des Schultheißen Claus seine Schuhe verbrannt habe. Auch hierauf schwieg Franzseph, lachte aber in sich hinein.

Eben wollte Faber weggehen, als Madlene eintrat, sie konnte vor Weinen erst gar nicht reden, dann klagte sie durcheinander über das Zuchthaus, dem Franzseph entgegen gehe, und dann wieder über ihren Vater, der sie nun doch zwingen wolle des Schultheißen Claus zu heirathen, der ihn ganz umgarnt habe und durch einen Streich, den man nie von ihm geglaubt hätte, den Vater ganz gewonnen habe.

»Was sagt denn dein Vater über mich?« fragte Franzseph.

»Ja, ich sag' dir's frei,« erwiderte Madlene, »er schimpft auf dich und sagt, du habest den Hopfenacker nur verwüstet, damit man dich einsperrt und du in der Ernte faullenzen kannst.«

[39] »Da thut er nur so, er weiß besser wie's steht,« entgegnete Franzseph lächelnd, aber diese versteckte Bosheit that ihm doch wehe und war unbegreiflich. »Warum ist denn der Claus so wohl dran? Was hat er denn gethan?« fragte er dann wieder.

»Denk' nur, der hat, um zu zeigen was er vermag, Samstag Nacht einen ganzen Morgen Gerste im Speckfeld abgemäht.«

»Das hat der Claus gethan?«

»Ja, er hat meinem Vater bewiesen, daß er die ganze Nacht nicht daheim gewesen ist, und jetzt' möcht' der ihn auf Händen tragen.«

Franzseph jauchzte laut auf, die Umstehenden sahen ihn betroffen an, als wäre er plötzlich wahnsinnig geworden, denn Franzseph schnalzte mit beiden Händen und tanzte im Gefängniß umher. Auf die ängstlichen Bitten Madlene's beruhigte er sich wieder und fragte:

»Paß auf, was ich sag': war dein Vater Samstag Nacht daheim?«

»Ja, er hat seinen bösen Husten gehabt und hat fast kein Aug' zuthan.«

Wieder jauchzte Franzseph hell auf und umarmte seine Madlene und den widerwilligen Faber und erzählte endlich den ganzen Hergang: wie seine Sense noch im Haberfeld liegen müsse und wie er die That nur für den Schlägelbauer übernommen habe. Er bat dann vor Allem den Faber, ihm wieder gut Freund zu sein, was dieser auch gewährte. – Vor dem Richter wurde nun nochmals Alles klar dargelegt, und Franzseph auf die Bitten Fabers entlassen.

[40] Franzseph und Madlene fuhren mit Faber in dessen Kütschle nach dem Dorf zurück, aber ohnweit des Dorfes beim Speckfeld stieg Franzseph ab und Madlene folgte ihm. Sie fanden bald die Sense im Haberfelde, und Franzseph mähte jetzt noch schnell unter dem Blicke der Geliebten die noch stehende Spreite des Gerstenfeldes nieder. Mit der Sense auf der linken Schulter und seine Madlene an der rechten Hand führend, kehrte Franzseph wieder in das Dorf zurück ....

Es ist nicht mehr viel zu erzählen. Die Nägel von den verbrannten Schuhen des Claus fanden sich richtig in der Asche; im Zuchthaus trägt der Claus jetzt Holzschuhe.

Wer weiß, ob der tückische Schlägelbauer den Franzseph nicht lieber in's Unglück getrieben hätte, als daß er ihm, wie jetzt geschah, seine Tochter geben mußte. Freilich ein volles Glück war das, trotz der Liebe Madlene's, doch nicht. Schwäher und Tochtermann lebten nicht gütlich miteinander. Franzseph arbeitete für Zwei, und doch mußte er fast täglich von seinem Schwäher hören, daß er ein Faullenzer sei; jetzt aber lächelte er darüber, es machte ihn nur zornig, so lange es eine Wahrheit gewesen, den ungerechten Schimpf hörte er ruhig an und das verdroß den Schlägelbauer so sehr, daß er sich ein Leibgedinghaus baute. Aber er bezog es nicht mehr und Franzseph ist Schlägelbauer. Die Soldatenmütze hängt über dem eingerahmten Abschied als Andenken, Franzseph und seine Buben tragen Pudelkappen.

Fabers Hopfenacker ist wieder im besten Gedeihen[41] und Franzseph hat richtig einen eigenen ergiebigen im Speckfeld angelegt.

Kein Weg ist betretener als der Gartenweg von des Schlägelbauern Haus zu dem Fabers, und wenn Pauline Faber von ihrer raschen Menschenkenntniß spricht, sagt ihr Mann neckend: denk' an Franzseph. – –

An des Schlägelbauern Haus aber sind zum ewigen Gedenken Hopfen und Gerste angemalt.

[42]

II.
Ein eigen Haus.

[43][45]

Das alte Liebespaar

Das alte Liebespaar.

Wohlgemuther und feiner war kein Mädchen im Dorf anzuschauen als des Bäckers Zilge. Nach dem Landesbrauch änderte man ihren Taufnamen Cäcilie in Zilge, und das konnte wohl passen, denn man nennt hier zu Lande auch die Lilie Ilge, und des Bäckers Töchterlein war so weiß und sein wie eine Lilie. Man sah Zilge selten auf der Straße und nie im Feld. Sie saß jahraus jahrein beim Küfer auf der Winterhalde am Fenster und fertigte weiße Stickereien für Schweizer Fabriken, die ihre Gewerbthätigkeit immer tiefer in das Grenzland herein ausdehnen. Zilge war schon frühe verwaist. Ihr Vater war Bierbrauer und Bäcker im obern Dorfe gewesen, aber als leidenschaftlicher Prozeßkrämer in Noth und Armuth gestorben, und Zilge kam in das Haus des ihr verwandten kinderlosen Küfers, wo sie als Kind des Hauses hätte leben können, wenn sie einen gewissen trotzigen Uebermuth zu bannen vermocht hätte; sie aber blieb herrisch und verlangte von Jedem Unterwürfigkeit, so daß sie am Ende von einer Verwandten der Küferin im Hause verdrängt wurde. Sie trug das gleichmüthig, denn [45] ihr Stolz war doch gewahrt. Der einzige Bruder Zilge's war schon in der Fremde als Bäcker und Bierbrauer.

Es gab eine Zeit, wo der Maurer-Seb viel beneidet wurde, daß die feine Zilge ihn vor Allen auserwählt hatte. Das war aber schon lange, denn vierzehn Jahre waren es, seitdem die Liebesleute unverbrüchlich einander anhingen. Zilge war siebzehn und Seb neunzehn Jahre alt gewesen, als ihre Liebe sich entschied. Im Frühling, bevor Seb regelmäßig auf die Wanderschaft zog, und im Herbst, wenn er heimkehrte, gingen die Beiden miteinander an Sonntag Nachmittagen einsame Pfade, die Gartenwege zwischen den Maßholder-Zäunen und durch die Felder. Sie führten einander nicht an der Hand, sie schlangen nicht die Arme in einander, und doch hielten sie fest zusammen. Manchmal auch gingen sie nach dem Nachbardorfe Weitingen, aber ohne dort in ein Wirthshaus einzukehren. Zilge duldete keine unnöthigen Ausgaben, Seb besuchte nur einen Handwerksgenossen, der bereits einen Hausstand hatte und oft mit ihm gemeinsam in der Fremde arbeitete. Wenn eine Lustbarkeit im Dorfe war, zogen sich die Beide davon zurück, auf dem Tanzboden spielte jetzt ein junger Nachwuchs die Hauptrolle, der noch in die Schule gegangen war, als Seb und Zilge schon an's Heirathen dachten und sie hatten nicht Lust, sich darunter zu mischen; und zu ihren Altersgenossen taugten sie auch nicht, denn diese waren fast alle verheirathet.

Warum aber zögerten sie so lange? Anfangs verweigerte ihnen die Gemeinde wegen ihrer Armuth die[46] Niederlassung, und als sie sich Beide etwas erspart hatten, muthete das Zilge so sehr an, daß sie es erst weiter bringen wollten, ehe sie einen Hausstand gründeten. Sie wußte viele Beispiele anzugeben von Ehepaaren, die nach kurzem Wohlstand und Frieden in's Elend gerathen waren, und sie beharrte dabei: vor der Ehe ließe sich leichter sorgen, als nach derselben.

Seb war oft unwillig, dieses Hinhalten Zilge's that ihm tief wehe, er klagte manchmal, daß Zilge ihn eigentlich nicht von Grund des Herzens lieb habe, sonst könnte sie nicht so lange zögern, sie aber wußte mit kluger und inniger Rede ihn immer wieder zu beschwichtigen; und es zeigte sich ja auch, daß sie getreulich an ihm hielt. Oft gingen sie schweigend große Strecken Weges, bisweilen aber sprachen sie auch über das Hauptkapitel, das unglücklich Liebende heutigen Tages ebenso sicher verhandeln, wie vor Zeiten Entführung und heimliche Trauung, und das heißt:Amerika. Seb sprach davon, daß er auch über's Meer ziehen, sich umsehen und etwas erwerben wolle, um dann seine Braut zu holen oder nachkommen zu lassen. Der ganze Charakter Zilge's war darin ausgesprochen, indem sie einmal darauf erwiderte:

»Wenn ich ein Bursch wär' und ich hätt' ein Mädle, wie ich eins bin, und ich hätt' das Vertrauen zu ihm, daß es mir getreu bleibt, ich thät' nicht viel mit ihm überlegen; ich thät', was ich mein', das recht ist. Wenn du von selber nach Amerika gangen wärst, und hättest mir geschrieben: Zilge, ich bin da und ich will sehen, ob ich hier unser Glück gründen kann – [47] ich hätt' dir wieder geschrieben: da thust Recht dran, und du darfst nur winken, da komm' ich. Jetzt aber mit mir überlegen kannst du die Sach' nicht, ich versteh's nicht und will's nicht verstehen und mit meinem Willen lass' ich dich nicht so weit über's Meer.«

»So geh gleich mit.«

»Das mag ich auch nicht.«

Die Beiden überzählten oft, wie viel sie bereits erspart hatten, und so bestand ihr Gespräch meist in Sorgen und Ueberlegen. Zilge trat endlich mit ihrem Entschlusse hervor, daß sie nicht heirate, bis sie ihr eigen Haus habe, sie sei ihr Lebenlang genug bei fremden Leuten herumgestoßen worden, sie wolle auch einmal wissen, wie sich's unter eigenem Dach lebt, und sie könne es den Kindern nicht anthun, daß sie keinen Unterschlupf hätten, wo sie hin gehörten und wo sie Niemand vertreiben könne. Der Maurer-Seb mochte im Gütlichen erklären, daß es viel klüger sei, wenn sie sich von ihrer Ersparniß einen guten Acker kauften für den Kartoffelbrauch, und eine Wiese, um eine Kuh zu halten: Zilge widersprach und behauptete, daß sie mit Sticken mehr verdiene, als wenn sie das Feldgeschäft versehe, auch könne man nicht im Felde schaffen und dann wieder sticken, man müsse sich zu dieser Arbeit die Hände sein erhalten. Sie beharrte bei ihrem Entschluß: ohne eigen Haus kein eigner Herd. Oft dachte Seb daran, sein Vorhaben auszuführen, ohne Zilge darum zu fragen, und wer weiß, ob sie sich nicht darein gefunden hätte; aber seine Liebe zu ihr hielt ihn wieder davon ab, nach eigenem Gutdünken zu handeln. [48] Wollte er dann irgend ein wohlfeiles Häuschen von einem Auswanderer kaufen, so hatte Zilge wieder allerlei Einwürfe; dieses war zu finster für die Stickarbeit, jenes nur ein halbes mit bösen Inwohnern u.dgl. Sie sagte dann auch oft: »Ich thät' mich schämen, wenn ich ein Schneider wär', mir einen alten Rock zu kaufen. Wozu bist denn Maurer? Bau' dir doch ein Haus. Oder kannst's nicht? Sag's nur.«

So lebten die Beiden vierzehn Jahre, und Manche bedauerten im Stillen den Seb, oder sagten es ihm auch, daß er an Zilge gebunden sei, denn diese hatte wenig Freundlichgesinnte im Dorfe. Man war ihr gram, weil ihre Lebensweise sich streng von der im Dorf üblichen abschied, und weil ihr stolzes Wesen es dahin gebracht hatte, daß die Küferin eine Verwandte, die aus Weitingen war, an Kindesstatt angenommen hatte; das hätte Zilge mit ein bischen Klugheit und Nachgiebigkeit für sich erringen können, und Seb brauchte sich dann nicht so zu plagen; schließlich aber vereinigte sich Alles darin, daß Zilge unerhört hochmüthig sei und immer unverzeihlich sauber daherkäme.

Endlich im fünfzehnten Frühling ihrer Liebeszeit kam der Seb vom neuen Ziegler herauf, der sich links im Thal angesiedelt hatte und berichtete freudig, daß er dem Ziegler die Anhöhe mit den zwei Tannen gradüber vom Küfer als Bauplatz abgekauft habe, und der Ort schien wohl gelegen, denn der Blick ging hinaus über die Wiesen nach dem jenseitigen Waldberg:

»Ich dreh' das Häusle 'rum,« sagte er triumphirend zu Zilge, »und richte alle Fenster in's Freie, daß [49] dir Niemand zugucken kann als die Sonn'. Es freut mich, daß ich dir deinen Willen thun kann, und du wirst sehen, was ich herstelle!«

Das lustige Häusle

Das lustige Häusle.

Mit unermüdlicher Emsigkeit arbeiteten nun Seb und sein Vater, den er dafür bezahlte, als ob er für einen Fremden arbeitete, an seinem Hause. Sie mußten die Grundmauern tiefer legen, als sie sich gedacht hatten, denn sie kamen bald auf eine Schicht von Triebsand; sie wollten sie ausheben, aber je tiefer sie gruben, je nachhaltiger schien die Sandschichte zu werden, und sie legten endlich doch die Steine auf dieselbe. Der Vater warnte wiederholt, daß dieser Grund kein Haus trage, und daß es überhaupt unpassend sei, hier an den Bergrücken zu bauen, wo jedes wilde Wetter das Haus an allen vier Ecken packe; er wollte, daß man mindestens mehrere Schuh tiefer in's Land hineinrücke und das Haus nicht so keck an den Berghang stelle. Er lobte die Klugheit der alten Zeit, da man ein Haus lieber geschützt zu einem andern setzte, und überhaupt auch im Häuserbau geselliger gewesen sei. Seb widersprach alledem, und um so entschiedener, je weniger er sich leugnen konnte, daß die Einwände des Vaters nicht unhaltbar waren.

Seb stand trotz seines vorgerückten Alters doch noch in jener unversuchten Jugendlichkeit, wo man an die Ausführbarkeit einer jeden Sache mit Zuversicht glaubt, [50] wenn man sie unternommen hat, und aus keinem andern Grunde, als eben weil man sie einmal unternommen hat. Um auch noch den letzten Einwand zu beseitigen, berief er sich gegen den Vater nachdrücklich auf das Urtheil des Bauamtes, das nach Besichtigung der Oertlichkeit und mit Erwägung aller Bedingungen die Erlaubniß zum Bau gegeben habe. Er redete sich dabei aus, daß er selber es ja gewesen, der die ganze Sachlage zu solchem Endbeschlusse in's Licht gestellt hatte; die Maßnahmen des Bauamtes mußten jetzt als felsenfester untrüglicher Hort gelten.

Als die Grundmauern aus dem Boden herauswuchsen, war Seb überaus glückselig; jetzt war Alles gewonnen. Er dehnte den Bau größer aus, als er sich anfänglich vorgesetzt, denn beim ersten Spatenstich übergab ihm Zilge eine nicht unansehnliche Ersparniß, und er lernte in der Wohnung Zilges die Wahrheit des Sprüchwortes kennen: ein heruntergekommener Reicher hat noch mehr als ein aufkommender Armer. Auch hiegegen warnte der Vater, und er traf zwei Dinge auf einmal, indem er sagte: es läßt sich gar nie berechnen, was ein Neubau und was eine Frau aus einem vormals reichen Hause für Aufwand kostet. Weil das Letzte offenbar griesgrämige Verleumdung war – denn zufriedener und sparsamer als Zilge konnte ja Niemand sein – so durfte auch das Erste nichts als Altersängstlichkeit sein.

Seb war ehrgeizig und stolz, wenn auch minder als Zilge, er wollte der Welt und vor Allem in der Welt seiner Zilge zeigen, was er vermöge, und welch' [51] ein lustig Haus er dahinsetze. Er dankte ihr oft im Stillen, und er sprach es manchmal am späten Feierabend gegen sie aus, daß sie ihn vermocht habe, neu zu bauen. Wer im Dorf ein Fuhrwerk hatte, that dem Seb eine oder mehrere unentgeltliche Baufuhren. Ein Jedes freute sich, daß die Liebesleute, die schon so lange treulich zusammenhielten, doch endlich vereinigt werden sollten, und beim Freitrunk, den Seb einzig dafür als Lohn gab, zeigte sich, daß Zilge auch reichlich mit Flaschen und Gläsern versehen war.

Die Fuhrwerke hatten viel Mühe, wieder leer umzuwenden, denn das Haus wurde an das Ende der Gasse gebaut, gerade da, wo dieselbe sich sackte. Ein Zaun von kurz gehaltenen knorrigen Tannen, darein sich wilde Rosen mischten, zog sich querüber zum Schutze der dahinter liegenden Wiese, deren Waldursprung noch zwei hohe Tannen bekundeten, die an der Westseite von Seb's Bauplatz standen; sie hätten wohl schöne Baustämme gegeben, Seb aber wollte sie erhalten, theils zum Schutze des Hauses, theils auch, weil seinem nicht ungebildeten Schönheitssinn die Bäume als erwünschter Schmuck erschienen; er hatte sie auf dem Plane gezeichnet, den er mit Hülfe des Zimmermanns von seinem Hause entworfen und den jetzt Zilge über ihrem Stickrahmen hängen hatte. Er nannte diese beiden Tannen gern scherzweise seinen Wald.

Den ganzen Sommer war Seb in fieberischer Aufregung und schlief keine Nacht ruhig. Er hatte, seitdem er aus der Schule entlassen war, beim Bauen geholfen, er war daran sattsam gewöhnt, aber jetzt [52] war's ihm allzeit, als ob Steine, Kalk und Mörtel auf ihn warten und ihm keine Ruhe lassen.

Oft, bevor der Tag graute, hörte man ihn meißeln und hämmern, und in der Mittagsruhe legte er den Kopf auf einen Stein und schlief eine Weile.

Seb machte die Umfassungsmauern des nur einstöckigen Hauses bis unter das Dach von Stein.

Die wilden Rosen am Zaune blühten, als man das Haus richtete und der grüne bebänderte Maien vom Giebel prangte.

Von der Wiese aus, die man jetzt, da das Heu eingeheimst wurde, betreten konnte, nahm sich das Häuschen gar freundlich aus und erhielt auch von dort den Namen, denn im ganzen Dorfe verbreitete sich das Wort, das Seb zu Zilge, die er dorthin geführt hatte, sagte:

»Jetzt siehst, daß ich Recht habe, ich bau' dir ein lustig Häusle.«

So hieß nun das Haus, das gegen allen Ortsbrauch sein Angesicht nicht den Menschen zuwendete, sondern hinaus in's Freie.

Seb war nicht wenig glücklich und stolz, daß die Sommerzeit noch so früh war; das Haus konnte bequem ausgebaut werden und austrocknen bis zum Herbst. Nun wurde im Innern gehämmert und gerichtet und Seb war überaus wohlgemut, daß er nun zum Erstenmal einen Bau hergestellt, den er nicht wieder verlassen sollte. Aber eben als er an's Dachdecken gehen wollte, und das verstand Seb meisterlich, stand er schwindelnd vor dem Hause. Es war ihm, als müßte [53] er selbst umfallen: die Ostseite des Hauses hatte sich ja tief gesenkt. – Seb stand lange zitternd da, es versetzte ihm den Athem, und er biß sich die Lippen blutig, als er das gewahrte. Seltsamerweise bemerkte aber der Vater nichts, ja er bestritt es dem Seb, als dieser ihn darauf aufmerksam machte, und Seb wollte selbst bezweifeln, daß er das Wahre gesehen.

Die Zuversicht auf die bisherige Untrüglichkeit seines Augenmaaßes, und der Wunsch, daß es ihn doch dießmal getäuscht haben möge, stritten sich in ihm. Um diesen Streit nicht zu schlichten und sich selber in der Schwebe zu halten, warf er den Zollstab weg, mit dem er eben sich hatte Gewißheit verschaffen wollen. Als er nun aber das Dach deckte, drängte sich ihm auch ohne Zollstock die Gewißheit auf, daß er richtig gesehen.

Er nagelte an der Ostseite doppelte Latten auf, er legte doppelte Ziegel, das glich wohl ein wenig aus, aber doch noch nicht genug, und jetzt tröstete ihn nur das Eine, daß Niemand, selbst der Vater nicht die Senkung merkte.

Die Freude vor sich selbst war dahin, aber die Ehre vor den Menschen war doch geblieben. Er hatte dem Dorf und der ganzen Umgegend zeigen wollen, wie man ein Musterhaus baue; es sollte ihnen der Verstand aufgehen, jetzt war es nur gut, daß er ihnen nicht aufgegangen war. Der einzige, der die Sache recht beurtheilen konnte, leugnete beharrlich, und das war der Vater. Seb hatte sich selber davon abhalten können, aber den Vater nicht, daß er nach allen Seiten [54] ausmaaß, aber noch jetzt, da er doch auf die Linie hin den Fehl kennen mußte, behauptete der Vater, daß Alles in Ordnung sei. Und das war das Klügste. Wie sollten denn fremde Leute zur Baukunst des Seb Vertrauen haben, wenn er sein eigen Haus nicht gehörig stellen und richten konnte?

Das Dach prangte bald in ungewohnter Herrlichkeit. Der neue Ziegler, der sich im Dorf angesiedelt hatte, um als Aushelfer der Regierung die Stroh- und Schindeldächer verdrängen zu helfen, benutzte das Haus des Seb als Musterkarte und gab ihm seine neuen glasirten Ziegel zum Preise der gewöhnlichen. Aus einer doppelten Reihe von grünen und weißen Ziegeln bildete nun Seb die Buchstaben S. und Z. sammt der Jahreszahl auf dem Dache und Alles betrachtete staunend und bewundernd von der Wiese das schöne »lustige Häusle.«

Der Baumeister

Der Baumeister.

Im Herbst feierten endlich Zilge und Seb ihre Hochzeit. Ein seltsamer Gast war dabei, der von seinen Angehörigen, wie vom ganzen Dorf mit scheelen Blicken betrachtet wurde. – Es war der einzige Bruder Zilge's, der als Landjäger gekommen war. – Er hatte vom Vater eine Scheu vor regelmäßiger Arbeit geerbt, und da er militärpflichtig geworden, ließ er sich nach Umlauf seiner Dienstzeit als Landjäger anwerben.

Dieses Herumschlendern behagte ihm, er aß lieber[55] das Brod, das fremde Leute backen, und trank noch lieber Bier, das fremde Leute brauten, als daß er selber solches bereitete. Er beredete sich dabei, daß er bei seiner Vermögenslosigkeit es doch nie zu einem eigenen Hausstand gebracht hätte, und jetzt war er »staatsmäßig« versorgt. Wie das Dorf ihn mit einer gewissen Scheu fast wie einen Abtrünnigen betrachtete, so war auch Seb nicht eben stolz auf diese Schwägerschaft, und der Bruder Landjäger, der das merkte, sagte am Hochzeitstische seiner Schwester: »Zilge, wenn dein Mann einmal gegen dich ist, wenn er vergessen sollt', wer du eigentlich bist, da wend' dich nur an mich.«

Durch den Bruder Landjäger und seine Großsprechereien war etwas Bedrücktes auf der ganzen Hochzeit. Erst Tags darauf, als die beiden jungen Eheleute allein in ihrem neuen Hause waren, ging ihnen die volle Glückseligkeit ihrer Herzen auf.

Der Vater Sebs hatte in jeder Weise, außer in Bezug auf Zilge, richtig prophezeit. Seb war dem Glaser, Schreiner und Hafner Geld schuldig geblieben, aber schon am ersten Tag seiner Ehe ergab sich ein glückliches Ereigniß. Der Ziegler machte mit Seb den Accord zum Bau einer neuen Hütte, und Andere sprachen von Häuserbauten, die sie ihm übergeben wollten; das lustige Häusle, das er allein hingestellt hatte, brachte ihm Ehre und Vertrauen, und er redete es sich selbst als eine Kleinigkeit aus, daß es einen geheimen Schaden hatte.

Seb hatte den Gedanken nicht in sich aufkommen[56] lassen, aber er war ihm doch manchmal durch den Sinn gefahren, daß Zilge vielleicht durch ihr Bedrängen auf ein eigen Haus seine Handwerksehre zu Grunde gerichtet haben könne; jetzt zeigte sich das Gegentheil, und er sagte ihr das dankbar ohne ihr den Vorgedanken mitzutheilen. Zilge war doppelt glücklich, daß die Erfüllung ihres eigenen Wunsches noch nachhaltige Folgen gehabt, an die sie kaum gedacht, jetzt aber erschien es ihr, als habe sie solche mit kluger Berechnung beabsichtigt; sie rühmte sich dessen, wenn auch bescheiden und Seb ließ ihr gern diesen Ruhm.

Zilge war fleißig und heiter von Morgen bis in die Nacht; die Hand, die mit dem silbernen Trauringe geschmückt war, schien noch flinker und unermüdlicher geworden. Sie wußte das Innere des Hauses so schön herzurichten, daß kein zweites im Dorfe so freundlich war.

Der Winter war mild, man konnte bis nach Neujahr im Freien arbeiten, man konnte die neue Ziegelei unter Dach bringen, in der nun Seb für ein anderes Haus die Steine meißelte. Aber auch Ungemach kam in diesem Winter.

Der Vater Sebs ward schwer krank. An dem letzten Tage, als Viele sein Bett umstanden und er die arbeitsmüden Hände kaum mehr erheben konnte, hieß er alle Anwesenden hinausgehen, nur Seb sollte bei ihm bleiben. Und als dieser allein mit ihm war, richtete der Vater sich auf und sagte:

»Seb, bevor es Nacht wird, komm' ich zum großen Meister. Seb, jetzt horch, ich will dir was sagen: [57] mir schadet's nichts mehr, aber dir, dir kann's schaden; ich will Zeugen hereinrufen und will vor ihnen sagen, daß wenn deinem Haus was geschieht, ich daran Schuld bin, du nicht, du nicht. Ruf die Leut'.«

»Nein Vater, nein, Ihr dürfet nicht mit einer Lüge aus der Welt gehen, nein, die Sünd' lade ich nicht auf Euch und nicht auf mich,« rief Seb, und der Alte legte seine zitternden harten Hände auf das Gesicht seines Sohnes und sagte: »Hast Recht, es wär' mir doch auch schwer geworden, und unser Herr Gott wird dir's vergelten.«

Bevor der Abend niedersank, der den Handwerksburschen in die Herberge ruft, hatte der alte Maurer seinen Lebensweg vollendet.

Auf dem Dorfe ist es nicht Sitte, daß um den Tod der Eltern, die satt an Jahren scheiden, sich schwere Klage erhebt; eine gewisse Dumpfheit des Gefühls, mehr aber noch die natürliche Anschauung, daß die Eltern vor den Kindern aus dem Leben scheiden müssen, und dazu der Mangel der Gesellschaftspflicht, die da nöthigt, mit einem Schmerze zu prunken, Alles das läßt solche Ereignisse viel schneller vorübergehen, und man kann den Sohn in den Kleidern des Vaters, die Tochter in denen der Mutter bald nach deren Tode fröhliche Wege wandern sehen.

Um so auffälliger war die ungewöhnliche Trauer Sebs, in die sich zu dem Gefühl der Verlassenheit noch das Bangen und eine drohende Selbstverantwortlichkeit mischte.

Er wies den Gedanken weit weg, daß er dem Vater[58] die Schuld hätte aufbürden sollen, und doch kam er bald wieder. Zilge suchte ihren Mann mit inniger Tröstung aufzurichten, aber es gelang ihr nicht, sie sagte ihm, es sei so beschieden, er solle nicht mehr haben als sie auch; sie sei ja auch elternlos. Er konnte und wollte ihr für diese guten Worte nicht sagen, daß ihr Vater sich nicht mit dem seinigen vergleichen ließe. Erst als Zilge ihm sagte, daß die Leute seine Trauer als Reue über die Ehe mit ihr deuten müßten, schüttelte er gewaltsam alle Trauer ab, und Frühling und Arbeit halfen ihm darin getreulich als die besten Tröster.

In diesem Frühling konnte Seb nicht nur Gesellen annehmen, es trat auch ein Ereigniß ein, das, so klein es erschien, doch ihm und Zilge große Freude machte, ein Schwalbenpaar nistete unter ihrem Dachsims, gerade über dem Fenster, wo Zilge stickte. Die fröhlichen Verheißungen, die seit uralten Zeiten sich an den Anbau des lieblich behenden Vogels knüpfen, erheiterten Zilge: da schlägt kein Blitz ein, und Friede und Ruhe ist im Hause; der Ausspruch der ganzen Lebensfreude, die sie erfüllte, knüpfte sich an die Ankunft des Vogels. Seb hatte aber noch seine besondere Freude, die er nicht aussprach. Die Wahrnehmung, daß der Vogel unter seinem Dach nistete, galt ihm als eine Gewähr, die alle Messungen zu Schanden machte; das Haus war wohlgebaut, denn der kluge fromme Vogel baut nicht unter ein Dach, das schwankend und unsicher ist. So waren die jungen Eheleute vom Kleinen aus und im Großen ihres ganzen Hausstandes heiter und werkthätig.

[59] Am Abend desselben Tages, an dem das neue Haus gerichtet wurde, das erste, das Seb als Meister für einen Fremden baute, wurde ihm ein Sohn geboren, und Zilge war noch am Mittag beim Bauspruche gewesen.

Die ganze lustige Baugewerkschaft kam noch am späten Abend und sang vor dem Hause helle Lieder, die lustig das Thal hinab und von den jenseitigen Bergen widerklangen. Zilge war nicht wenig stolz, da sie hörte, daß man ihr als »Frau Baumeisterin« ein Hoch und abermals Hoch ausbrachte.

Sie lächelte ablehnend, aber sie hörte es doch gern, wenn man sie fortan auch nur scherzweise Frau Baumeisterin hieß. Das war ein einträglicher und ehrenvoller Scherz, und einmal sagte sie sogar im Stillen zu ihrem Seb: Ein Mann, der Häuser bauen könne, brauche nicht mehr Maurermeister, er könne wohl Baumeister heißen; in dieser bösen Welt aber hätten die großen Herren alle schönen Titel für sich allein genommen.

Seb gab seinem erstgebornen Sohne den Namen des Schutzpatrons der Baugewerke: Johannes.

Die Schwalben vor dem Fenster zwitscherten, wenn Zilge ihr Kind in den Schlaf sang, und sie, die allezeit still und sinnend war, erweckte auf Einmal einen ungeahnten Schatz von Liedern, die ihr im Gedächtnisse schlummerten; sie sang sie dem Kind und sich selber zur Lust.

Und wenn Zilge bei der Arbeit still war, sangen ihr die Schwalben geheimnißvolle Weisen. Ja, man [60] thut den Schwalben Unrecht, wenn man ihnen nur ein Zwitschern zuerkennt. Wenn sie so ruhig auf der Dachfirste sitzen, schlingen sie Töne ineinander, so innig, so aus tiefster Seele und so fein, daß es ist als sänge Jemand das schönste Lied, aber nur mit halber Stimme, nur für sich, nur in sich hinein. Sängen die Schwalben so laut wie die Nachtigall und Lerche, man hörte nur noch auf sie. Wird es einmal einen nie dagewesenen herrlichen Frühling geben, in dem das leise halbstimmige Singen der Schwalben zum schmetternden Klange wird? Oder können sie nie aus voller Brust laut hinaus jubeln, weil sie doppelten Frühling und doppelte Heimath und eigentlich Keines recht und einzig haben? ... Es ist das beste Zeichen einer von Sorgen befreiten und frohgeweckten Seele, wenn sie sich hinein versenken will in das geheimnißvolle Leben von Thier und Pflanze und sich selber drin vergißt.

Zilge konnte allerlei denken und grübeln, ohne doch je in ihrer Thätigkeit lässig zu sein, ja sie war emsiger als je, ihr stetes Denken und Arbeiten war darauf gerichtet, die Schulden, die sie noch vom Hausbau her hatten, abtragen zu helfen, und bevor das Töchterchen angekommen, war dieß gelungen. Das Haus war vollständig bezahlt und Vieles in das selbe eingeschafft; wohlgemuther sah kein Ehepaar darein, und fröhlicher grüßte und dankte keins als Seb und Zilge, wenn sie Sonntag Morgens mit einander zur Kirche gingen und aus derselben heimkehrten. Dieser gemeinschaftliche Kirchgang ist oft eine selbständige heilige [61] Feier, der die eigentliche nicht gleichkömmt. Zilge sagte einst auf diesem Kirchgange zu Seb:

»Wenn ich so mit dir geh', jetzt vor Gott und der Welt dein und du mein, da ist mir's gar nicht als ob wir zwei Menschen wären und Jedes für sich allein gehen könnt'! Und jetzt können wir bald unsern Johannes mit nehmen, und da sind wir dann Beide in Einem Stück. Und unser Haus hab' ich mit der Nadel und du mit dem Hammer aufgebaut. Man könnt' ein Räthsel drauf machen.«

»Ich glaub' nicht, daß der Pfarrer mir was besseres sagen kann als du,« erwiderte Seb lächelnd, und noch in der Kirche auf ihren getrennten Plätzen schauten sie einander oft an.

Der Grund wankt

Der Grund wankt.

Es war gegen den vierten Frühling, da regnete es wochenlang unablässig, man sah die jenseitigen Waldberge den ganzen Tag nicht, die Tannen an der Westseite des Hauses sausten und brausten unaufhörlich und ein brauner Strom stürzte am Hause die Wiese hinab.

Seb grub dem Wasser einen Graben, etwas entfernt von der Mauer; aber der Ziegler, dem die Wiese gehörte, that Einsprache: wenn das Wasser ungesammelt den Berg hinabrollte, tränkte es die Wiese, und jetzt riß es eine tiefe Schrunde hinein, und floß unnützlich ab. Die Sache kam vor den Schultheiß und Seb war mit seinem besten Freunde im Widerstreit.

[62] In einer Nacht schrie Zilge plötzlich auf, sie wollte gespürt haben, wie das Haus sich senke. Seb gestand ihr, daß das schon längst der Fall sei, er behauptete aber, daß nichts Neues geschehen, und beschwor nun seine Frau, ihre Wahrnehmung geheim zu halten, da sonst sein ganzes Ansehen und sein Erwerb zerstört würde.

Zilge faßte ihre beiden Kinder in ihre Arme, »O Gott meine Kinder! Wenn das Haus einstürzt« – jammerte sie.

»Und an mich denkst du gar nicht?« fragte Seb er bittert.

»Ich denk' ja auch nicht an mich,« erwiderte sie.

Seb ging unter heftigem Regengusse hinaus und sah, daß der Ziegler den Graben zugestopft hatte, so daß das Wasser wieder zerstreut abfloß; das ganze Haus stand ringsum wie in einem Bache. Er arbeitete nun aus allen Kräften, und als der Tag anbrach, zeigte sich, daß das Haus noch um ein Merkliches gewichen war.

Seb eilte zum Schultheiß, sein Ungemach ließ sich nicht mehr verhehlen, der Ziegler sollte ihm nun dafür einstehen, aber noch als er beim Schultheiß war, kam ein Bote und rief:

»Seb, geh heim, dein Haus ist auseinander.« Die Sturmglocke läutete, um unter dem Regensturze das ganze Dorf wach zu halten. Alles war um das Haus Sebs versammelt, und verzweifelnd sah dieser, wie das Haus mitten auseinander in zwei Stücke gefallen war, gerade in jenem Zwischenraume, zwischen [63] dem Buchstaben S und Z war das Dach auseinander gerissen. Man eilte in das Haus, um die Frau und die Kinder zu retten und vom Regen triefend brachte man sie heraus. Zilge schien ganz verwirrt und besinnungslos. Sie hatte keinen Versuch zu ihrer Rettung gemacht, sie sprach kein Wort, hielt ihre Kinder fest in ihren Armen und ließ sich dieselben von Niemand abnehmen. Erst als man ihr sagte, daß sie nicht mehr in das Haus zurückkehren dürfe, erst als ihr die Nachbarn anboten, daß sie bei ihnen wohnen möge, sagte sie:

»Soll ich denn nicht mehr in meinem eigenen Haus wohnen? in einem fremden?«

Der Küfer hatte eine hohe thurmartig zugespitzte Beuge Faßbretter neben dem Hause Sebs stehen, sie waren nicht zusammengestürzt, weil das Wasser durch die Zwischenräume durchfloß. Seb biß auf die Lippen, als der Küfer ihm selbstgefällig sagte: »Ich kann allem Anschein nach besser bauen als du.«

Während man Zilge und die Kinder nach dem Nachbarhause brachte, wurden mächtige Stützen an das Haus angestemmt, daß es nicht vollends einstürze. Das Schreien und die Axtschläge tönten dumpf mitten im Regensturme.

Der blaue Frühlingshimmel spannte sich über die reichgetränkte, grünende Erde, die Schwalben kamen wieder, aber Seb riß denen an seinem Hause das Nest ein. Diese scheinheiligen Thiere hatten also doch gelogen! Sie sollten darum auch nicht mehr bei ihm wohnen. Sie umzwitscherten ihn wie vorwurfsvoll, während er sein Haus wieder zusammenrichtete, aber er [64] war jetzt ingrimmig auf Alles in der Welt, was auf der Erde, in der Luft und im Himmel. Es hatte im wahren Sinne des Wortes Unglück auf ihn herabgeregnet. Bei dem Rechtshandel mit dem Ziegler hatte er Nichts gewonnen als einen unversöhnlichen Feind. Mit knapper Noth hatte er vom Bauamt die Erlaubniß erhalten, sein Haus wieder aufzurichten, und noch schwerer ging es, eine Hypothekenschuld auf dasselbe aufzunehmen, um neu bauen zu können.

Die Bauverträge, die er für diesen Sommer abgeschlossen hatte, wurden ihm entzogen, und er wagte es nicht vor Amt deshalb zu klagen; ja, die Bauten, die er schon ausgeführt hatte, ließen die Besitzer noch einmal gerichtlich besichtigen und mancher Uebelstand kam dabei zu Tage. Von Gesellenhalten war jetzt keine Rede mehr, er mußte froh sein, wenn man ihn selber als Gesellen annahm. Während er jetzt einsam arbeitete und nicht mehr wie ehedem mit dem Vater, und doppelt schwierig, weil er ein verpfuschtes Werk einzurenken hatte, gingen ihm schwere Gedanken durch die Seele. Er mußte darüber nachdenken, wie es denn wäre, wenn er die letzte Handreichung des Vaters nicht abgelehnt hätte, und jetzt sah er auf einmal, daß das Rechtschaffene auch das Klügste ist. Läge auch die ungerechte Schuld auf dem Vater, er selber wäre dadurch doch nicht frei. Darum ist es doppelt gut, daß der Name des Vaters rein geblieben, und sein Segen wird nicht ausbleiben. Oft, wenn Seb der Arbeit überdrüssig war, warf er seinen Hammer weg und nahm den vom Vater ererbten auf, und Alles [65] ging so leicht von Statten als ob ein Anderer für ihn arbeite.

Jeden Morgen, wenn er auf die Baustätte kam, seufzte er tief und ließ die Hände hängen. Jetzt mußte er jede Baufuhre bezahlen und fand dabei noch unwillige und höhnende Helfer. Sein ganzer Ruf, sein Glück und sein Besitzthum waren dahin, und alles Das, weil er sich hatte verleiten lassen, einen stolzen und eigenen Bau auszuführen. Ein längst erstorbener Keim trieb wieder neue Knospen. Er gedachte jetzt, daß sich Zilge berühmt hatte, sie habe ihn zu dem Bau gedrängt, um seinen Ruf dadurch zu gründen. Er machte ihr nun darob Vorwürfe, daß sie ihn zum Hausbau verführt habe und als sie erwiderte:

»Ich bin unschuldig. Wenn du kein Haus allein bauen kannst, hättest es sollen bleiben lassen,« da war er doppelt grimmig; auch sie verletzte seine Handwerksehre. Sie sagte zwar nur, was alle Leute sagten, aber eben das sollte sie nicht, meinte er, sie sollte sein Ungeschick für ein Unglück ansehen.

Als er dies mit Schmerz und Zorn darlegte, suchte sie ihn damit zu beschwichtigen, daß sie sagte:

»Vielleicht ist dein Vater selig schuld, du hast ihm immer zu viel gefolgt.« Das hieß aber ein Feuer mit Oel löschen wollen. Seb wurde über diese Rede noch ingrimmiger.

Oft war es ihm, als sollte er alles Handwerksgeschirr wegwerfen und in die weite Welt laufen; hier zu Land war sein Ruf auf ewig vernichtet, und er kam nie mehr zu seiner alten Festigkeit. Aber er blieb doch.

[66] Von allen Bauverträgen, die ihm gekündigt worden, war ihm doch einer geblieben, nämlich das Umdecken des Kirchendaches und des Thurmes mit neuen glasirten Ziegeln.

Der Stiftungsrat hatte die Uebertragung an Seb aufrecht erhalten, obgleich bei seinen jetzigen Vermögensverhältnissen von der ausbedungenen vierjährigen Gewähr füglich nicht mehr die Rede sein konnte.

Kaum war das Haus nothdürftig hergerichtet, und die Familie wieder eingezogen, als Seb sich an den Kirchenbau machte; er hoffte wieder frischer zu werden, wenn er nun wieder eine fremde Arbeit ausführte. Aber auch auf dem Kirchendach vergaß er sein Unglück nicht.

Die Wege der Eigensucht sind tief verschlungen. Seb wälzte immer wieder die wesentliche Schuld seines Ungemachs auf Zilge, als hoffärtige Bierbrauerstochter hatte sie ihn dazu verleitet ein eigen Haus zu bauen. Freilich konnte er sich immer nicht verhehlen, daß ja Alles gut wäre, wenn er gut zu bauen verstanden hätte, und Zilge hatte keine Schuld daran, daß er seiner Unerfahrenheit vertraute und die Warnungen des Vaters überhörte; aber doch ließ ihn der Gedanke nicht los: das ganze Unglück wäre nicht da, wenn er nicht ein eigen Haus gebaut hätte. Wäre er seinem Plane gefolgt und hätte er nun sein Geld in einem Acker stecken, so könnte man es leichter wieder herauskriegen und sein Glück an einem andern Ort versuchen, die Welt ist ja so weit ... Bei dieser letzten Wendung seines Nachdenkens hielt er oft still, und ihm [67] schwindelte, nicht vor der sichtbaren Tiefe unter ihm, aber vor einer andern, die sich in ihm aufthun wollte. Und zu diesem innern Sinnen gesellte sich plötzlich ein äußeres Wahrzeichen.

Zu allen Zeiten hatte das zweiflerische und sorgenvoll bewegte Menschenherz sich gern aus dem umgebenden Naturleben, das sich in stetigen Gesetzen hält und bewegt, Rath und Richtung erholt.

Als Seb dem Storchennest auf dem Giebel nahe kam, starrte er lange darauf. Das Storchenmännchen war schon da, es säuberte das verlassene Nest und setzte es neu in Stand, es hungerte gern bei der Arbeit, und erst wenn Alles wieder in der Richte, und Nahrung wieder ringsum vollauf ist, fliegt es zurück und holt das Storchenweibchen. Das Weibchen in der Ferne klagt nicht und jammert nicht, denn es weiß, der Mann baut und sorgt in der Ferne und holt es zur Zeit ...

Der Speisbub, der für Seb den Mörtel auf das Dach trug, hatte ihn schon zweimal angerufen, aber er hörte nicht und starrte auf das Storchennest. Endlich machte er sich wieder an die Arbeit.

Er verhöhnte sich und Zilge oft, indem er am Abend sagte: »Jetzt hast du doch kein eigen Hans, jetzt hat's die Hypothekenschuld.« Selbst die wiederkehrende heitere Laune der Zilge mißstimmte ihn. Er sah darin den thatsächlichen Beweis, daß sie alle Schuld auf ihn wälze, und sich gar keinen Theil davon zuerkannte.

[68]

Auf schwindelnder Höh'

Auf schwindelnder Höh'.

Am Morgen als das Decken des Thurmes beginnen sollte, that Seb seine silberne Sackuhr aus der Tasche und hing sie an den Nagel.

»Warum thust das? Nimm sie nur mit,« sagte Zilge.

»Ich hör' auf dem Thurm schon schlagen, und ... man weiß nicht, es kann Einem was passiren, man ... man kann sich stoßen.«

»Seb, sei heiter, unser Herrgott hält doch seine Hand über uns –«

»Ja, er kann aber keinen Regen schicken, der mir die Hypothekenschuld abwascht.«

»Mit Fleiß und Sparsamkeit können wir schon Manches abtragen, bet' nur recht, eh' du auf den Thurm steigst, und bet' auch, wenn du oben bist.«

»Bet' du, du hast's an deiner Stickerei da geschickter.«

»B'hüt' dich Gott Seb, und gieb mir auch ein' Hand.«

»Ich bin zu alt zu solchen Kinderpossen, du hast mich lang genug warten lassen.«

Dennoch küßte Seb beim Weggehen die Kinder und reichte auch Zilge die Hand. Zilge, die sonst keine Minute unnöthig von ihrem Stickrahmen auf stand, nahm das eine Kind auf den Arm und das andere an die Hand, und stand lange Zeit auf der Anhöhe hinter der Kirche und schaute hinauf zu ihrem Manne auf dem Thurme. Aber Seb schaute sich nicht um.

[69] Es ist eine alte weise Regel der Dachdecker, daß sie nicht über sich und nicht unter sich schauen dürfen; blickt Einer nach den ziehenden Wolken, so zieht es ihn unwillkürlich mit fort, hinein, hinauf in das wogende Wolkenmeer, und die Wolken treiben ein falsches Spiel, sie nehmen ihn nicht auf, die Erde läßt ihn nicht und zieht ihn zerschmettert zu sich nieder.

Das aber thut sie auch, wenn der in der Höhe Schwebende hinabschaut auf die Erde, sein Fuß gleitet und er stürzt und zerschmettert.

Seb mußte immer an jenen grausenhaften Augenblick denken, wenn er bald zwischen Himmel und Erde schweben wird, er greift aus und nirgends ein Halt, nirgends als im Tod ...

Den Blick auf das Nächste geheftet, arbeitete Seb weiter, und das ist die sicherste Gewähr, man steht fest, als stände man auf ebenem Boden. Wie der Blick am nächsten haftet, so hat auch der ganze Körper eine Ruhe und Sicherheit an ihm.

Tagelang war Seb auf dem Kirchthurm, und seine unheimlichen Gedanken verließen ihn nicht. Das alte Uhrwerk im Thurm, das im Innern mit einem Bretterdache gedeckt war, schnurrte und surrte, und wenn es eine Stunde anschlug, dröhnte es Seb durch Leib und Seele, aber immer sah er keinen andern Ausweg als den jähen Tod. Er liebte sein Weib und seine Kinder, aber er sagte sich, daß er ihr Elend nicht ertragen könne, und dazu noch die Unmacht ihnen zu helfen; starb er, und starb er im Dienste der Gemeinde, so mußten gute Menschen, ja die Gemeinde [70] mußte sich der Verlassenen annehmen; bei eignen Lebzeiten wäre das nie geschehen, und er hätte das nie ertragen. Das stand fest.

Der Küster rief eines Mittags Seb in die Glockenstube, er mußte zu einem Leichenbegängnisse läuten und fürchtete, daß es dem auf dem Thurme Arbeitenden Schaden thun könne. Seb stand in der Glockenstube, und um und um umdröhnt von den gewaltigen metallenen Klängen rannen ihm die Thränen aus den Augen und er wischte sie mit harter Hand ab.

Als er wieder auf das Dach stieg, war es ihm, als müßte er jetzt sein Schicksal vollenden, aber der über dem Abgrund schwebende Geist wird oft an unscheinbar dünnen, seltsam verschlungenen Fäden gehalten. Die Leute sollten nicht sagen, der Seb habe weder eine Grundmauer legen, noch einen Thurm decken können; seine Handwerksehre mußte für ewige Zeiten feststehen; er wollte nicht von einer halbfertigen Arbeit sich davonmachen. Er legte jeden Ziegel und strich jede Kelle Mörtel fest, daß sie für die Ewigkeit haften. Trauernd sollten die Menschen bekennen, was der Seb für ein Mann gewesen.

Daheim redete Seb fast gar nichts, es war ihm unheimlich bei Weib und Kindern, er kam sich wie ein Gespenst vor, das hier noch umwandelte, er hatte sie ja verlassen, er verließ sie ja bald.

Am letzten Morgen ließ Seb von dem Küster die Thurmuhr stellen, er behauptete, daß er heute das Summen und Surren und gar das Schlagen nicht vertragen könne. Lautlose Stille lag nun über dem [71] ganzen Dorf, als Seb auf das Thurmdach heraustrat, und wie heute keine Stunde schlug, so mußte Alles still daran denken, in welcher gefahrvollen Lage heute Seb schwebte.

Er war noch nicht lange an der Arbeit, als er plötzlich ein Klappern hörte, er schaute sich um – der Storch war mit seinem Weibchen angekommen und zeigte ihm unter seltsamem Verbeugen und in die Brust werfen das neu hergerichtete Haus und die ringsum frühlingsgrüne Welt; das war ein Schnattern und Klappern und ein bedächtig fröhliches Gethue, und jetzt flogen die Wandervögel auf. Halt! fast wäre unfreiwillig zur Wahrheit geworden, was Seb so lange als Vorsatz im Sinne hatte, er war ausgeglitten, er hielt sich nur noch am Vorsprunge fest. Er hatte dem Fliegen des Storchenpaares zugesehen, wie sie so wohlig in der Luft schwimmen, und ohne sich zu stoßen und zu schwingen ruhig schweben und wieder in schiefen Bogen in's Nest sich senken.

Als sich Seb wieder aufrichtete, belebte ihn plötzlich ein neuer Gedanke: er hatte den Tod überwunden, er wollte leben und Zilge und dem Dorf zeigen, was er vermag; sie sollten eine Weile noch schlechter von ihm denken, dann aber – – Seb hielt sich mit beiden Händen fest und schaute hinaus in die weite mit Blüthenbäumen besäte Welt und in den blauen Himmel.

Lange schweifte sein Blick in der Landschaft umher, mit neugeborner Lust sie erschauend: dort drüben steht der Gemeindewald auf dem Berg, und hinter dem Berg thürmen sich andere, und Felder und Dörfer breiten [72] sich weitaus, und näher! Wie still stehen die Bäume im wogenden Korn und als grüne Bänder ziehen sich die Gartenhecken dorthin, und dort das kleine Geschöpf, das mit den kleinen Thieren im Brachfeld pflügt, und hier unten der Ameisenhaufen, den man ein Dorf nennt – Ein Narr ist, der sich aus dieser schönen offenen Welt hinaustreiben läßt.

Seb suchte unter dem Häusergewirre sein eigen Haus, er fand es bald, er konnte es gar nicht begreifen, daß er sich da wieder in Noth und Sorgen hineindrängen sollte.

»Ich will ein größer Theil an der Welt haben,« sagte er vor sich hin. –

Die Arbeit ging rasch von Statten. Der Schlosser und sein Geselle kamen mit dem neu vergoldeten Kreuze, Seb ließ es sich heraus reichen und steckte es auf die Thurmspitze. Die Schlosser nieteten das Kreuz im Innern fest, und als dieß vollendet war, ließ sich Seb die neuen Strümpfe und Schuhe herausreichen, die nach altem Brauch die Gemeinde dem geben muß, der das Kreuz auf den Thurm setzt. Seb schwang sich keck hinauf zu dem Kreuze, und abwechselnd es mit dem einen und dem andern Arme umklammernd, zog er hier hoch oben die neuen Schuhe und Strümpfe an. Er schaute nicht hinab, wo eine große Menschenmenge versammelt war, er hörte nur von dort Jauchzen und Wehklagen, es war ihm, als hörte er seinen Namen rufen, bald in Angst, bald in Freude.

Wie zum Spott warf er seine alten Schuhe hinab auf das Dorf, schlüpfte durch die Lucke in die Glockenstube, [73] füllte die Oeffnung aus und stand endlich wieder unten auf dem Boden unter der staunenden Menge.

Noch fühlte er sich wie taumelnd, aber mitten im Taumel triumphirte sein Herz, sie hatten Alle bewundernd einsehen gelernt, welch' ein muthvoller geschickter Mann er war; und sie sollten noch Weiteres, Unerwartetes kennen lernen. Zilge war nicht unter den Versammelten. In seinen krachneuen Schuhen mit dem siegreichen Handwerkszeuge in der Hand ging Seb wie ein Siegesheld durch das Dorf.

Aus allen Häusern glückwünschte man ihm, als käme er von einer großen Reise, er dankte freundlich. Es war ein zweideutiges Lob, als ihm sein Nachbar der Küfer sagte: »Es scheint, du kannst besser in den Himmel als in den Boden bauen.« Dennoch gab er ihm den Auftrag, andern Tages eine eingesunkene Gartenmauer hinter dem Hause herzurichten, da sonst aller Boden abrutsche. Seb sagte nicht zu und lehnte nicht ab.

Zu Hause traf er Zilge am Stickrahmen, sie beugte ihr Angesicht tief auf denselben und redete kein Wort. Er nahm die Taschenuhr vom Nagel und steckte sie wieder zu sich. Die ganze Welt hatte ihn triumphirend begrüßt, und nur Zilge sprach kein Wort.

Er wollte eben im Zorn darob die Stube verlassen, als er an der Thüre wieder umkehrte und fragte:

»Zilge, verdien' ich gar kein Wort?«

Sie antwortete nicht und stickte weiter.

»Red', verdien' ich gar kein Wort?« wiederholte er zornig.

[74] »Mehr als eins,« erwiderte sie endlich, ohne aufzuschauen.

»Und was?«

»Was ich nicht sagen will.«

»Du mußt aber.«

Laut weinend klagte nun Zilge, wie sündhaft er mit seinem Leben gespielt habe, das doch ihr und den Kindern gehöre. Seb stand einen Augenblick erschüttert von diesen Worten, und halb im Scherz erklärte er, daß die Gemeinde sie und die Kinder hätte erhalten müssen, wenn er gestorben wäre.

Mit einem eigenthümlichen Trotz entgegnete hierauf Zilge, daß sie allein sich und die Kinder erhalten könne, und sich nie von der Gemeinde erhalten ließe.

Es durchzuckte Seb sichtbar, als er das hörte, aber er sprach lange nicht. Endlich erzählte er Zilge lachend, was das für eine Lustbarkeit, ein Knixen und Klappern und Schwingen gewesen sei, als heute der Storch mit seinem Weibchen ankam.

»Die fangen jetzt von neuem zu hausen an,« schloß er, »und das Weible ist ganz glückselig, weil sie eine Zeitlang von ihrem Manne fortgewesen ist, und er das Haus neu hergerichtet hat.«

»Was geht mich das dumme Zeug an?« schalt Zilge schon im schwindenden Unmuth, und Seb war froh, daß sie nicht mehr merkte und nicht mehr sagte.

Drei Tage arbeitete er nun an der Gartenmauer hinter des Küfers Haus, und oft, wenn er aufschaute nach dem in der Sonne blinkenden Thurmkreuz, dachte er mit Schauder daran, wie er da oben geschwebt, [75] und welche Gedanken ihm durch die Seele gezogen, und doch waren es in Lust und Leid übermüthige gewesen; jetzt aber stand er wieder auf ebenem Boden in einem Gartenwinkel und führte eine ärmliche Mauer auf. Wie er die Steine wälzte und meißelte, hob und legte, so hob und legte er manchen Gedanken hin und her, aber wie er's auch richtete, es blieb bei dem alten Vorsatz, wie bei einem unabänderlichen Bauriß. Am dritten Abend war die Mauer fertig, und Seb raffte mit einem schweren Seufzer sein Handwerkszeug zusammen. Er wußte es, das war seine letzte Arbeit im Dorfe. Er war jetzt los und ledig.

Am Morgen früh zog er seine Gemeindeschuhe an und sagte Zilge, daß er sich in der Fremde Arbeit suchen wolle; hier zu Land, wo er Meister sei und Gesellen gehalten habe, könne er nicht mehr als Geselle arbeiten. Zilge, die ehedem seinen Stolz gereizt hatte, daß er Meister werden und selbst Bauten aufführen solle, wollte jetzt diesen Stolz beschwichtigen, aber es gelang ihr nicht mehr und mit bangem Herzen ließ sie endlich Seb scheiden.

Er sagte ihr noch, wie viel sie von der Gemeinde für den Kirchenbau zu bekommen habe und hing seine Uhr, die er schon in der Tasche hatte, wieder an den Nagel. Zilge wollte, daß er sie mitnehme, er aber willfahrte ihr nicht und sagte, sie könne sie verpfänden, wenn sie kein Geld mehr habe. Wiederum stolz schwur sie, daß das nie geschehen würde, und endlich ging Seb von dannen.

Die Kinder schliefen noch, das kleine Töchterchen[76] mit seinen rothgeschlafenen Backen zuckte zusammen als er es küßte, und der Knabe Johannes, der unbewegt fortschlief, schrie noch als Seb die Hausthüre zumachte, plötzlich:

»Vater bleib' da!«

Seb reichte noch Zilge die Hand, preßte die Lippen zusammen, und fort rannte er, als jagte Jemand hinter ihm drein.

Ein Bauer der am frühen Morgen seine Wiesen im Thale wässerte, sah den Seb, wie er lange dem Storchenpaare zuschaute, das gemächlich steif und stillernst durch die Wiesen stelzte, die Füße hoch hob und mit Kopf und Hals stets rechts und links nickte. Als der Bauer den Seb anrief, sagte dieser: »Ich geh auch in die Fremd' und komm' vielleicht vor dem Winter oder Frühjahr nicht wieder.« Der Nachbar Küfer traf den Seb in der Stadt, und ihm gab er den ausdrücklichen Auftrag, seiner Frau die Botschaft zu bringen, sie möge keine Sorgen haben, wenn sie vielleicht lange nichts von ihm höre.

Das waren die letzten Nachrichten, an denen Zilge lange ihr Hoffen und Harren befriedigen mußte.

Siebenmal einsam

Siebenmal einsam.

Schon am ersten Tage nach Sebs Abwesenheit hatte Zilge fast keine Ruhe mehr am Stickrahmen, ja, was ihr seit Jahren nicht geschehen, traf ein, sie mußte die Arbeit eines ganzen Tages wieder auftrennen, und [77] da sie keinen Tageslohn entbehren konnte, mußte die Nacht das Verfehlte wieder einbringen.

Sie hatte stets einen halben Gulden besonders gelegt, damit sie den Brief gleich bezahlen könne, den Seb ihr aus der Fremde schicke, und sagte sie sich auch wieder, daß er von seinem Verdienst den Brief frei machen könne, sie rührte das Geld nicht an. Oft mußte sie in überwallender Empfindung sich aufrichten, wenn sie daran dachte, wie lieb sie doch ihren Seb hatte, und sie machte sich Vorwürfe, daß sie ihm das nie so gezeigt; sie beruhigte sich aber bei dem Gedanken, daß sie bei seiner Heimkehr ihm den Himmel auf Erden schaffen wolle. Sie sah jetzt die Rechtschaffenheit und den Biedersinn Sebs in vollem Glanz, und wie getreu und sparsam er war, und wie er sie hoch hielt. Keine Frau weit und breit hat einen braveren Mann. Ja, sie schalt sich innerlich, daß sie nach Vollendung des Kirchendaches ihn nicht gelobt habe, sie hatte ja selber diesen übermüthigen Ehrgeiz in ihm gepflegt.

Während sie sonst den verdienstlosern, Oel und Holz verzehrenden Winter fürchtete, freute sie sich jetzt darauf; da kehrt Seb heim, und sie sah oft staunend auf die Kinder, sie war jetzt sehnsüchtiger nach ihm, als da sie Braut gewesen. Ihr Herz pochte so heftig, wie an jenem Abend, nachdem sie ihn Tags vorher zum Erstenmal geküßt; alle Küsse, die ihr Seb je gegeben, entbrannten jetzt wieder auf ihren Lippen, und leise und verstohlen sang sie sich jetzt am Stickrahmen die Lieder, die sie einst mit ihm gesungen. Der kleine Johannes hütete sein Schwesterchen gut, und Zilge [78] hatte viel Zeit zum stillen Denken und Grübeln. Wenn der kleine Johannes am Abend betete und den Vater in Gottes Schutz befahl, sprach sie dem Kinde immer die Worte leise nach, und oft in stiller Nacht schaute sie stundenlang zum Fenster hinaus über die Wiese nach den jenseitigen Waldbergen, die waren noch dunkler als die Nacht. Zilge war es oft so bang, daß sie fast laut aufschrie, und doch schalt sie sich wieder wegen dieses ungerechten Zagens; sie zwang sich zur Munterkeit. Als aber der erste Schnee fiel, wurde sie plötzlich tief traurig, sie beredete sich, daß wohl in den wärmern Ländern noch heller Herbst sei, aber immer mehr sagte ihr eine innere Stimme: er kommt nicht, er kommt nie mehr, du bist einsam und verlassen ... Sie wollte diesen Gedanken wieder ausreißen, er sollte sie nicht hindern, ihrem Manne mit voller Liebe entgegen zu kommen, und hundertmal ließ sie sich von Johannes die Worte vorsagen, die sie ihn gelehrt hatte, daß er den Vater damit bewillkomme; bald ließ sie auch das und pries im Stillen das Glück des Kindes, dem ein Entfernter ganz aus dem Sinne schwindet, wenn man es nicht geflissentlich daran erinnert.

Die fröhliche Weihnachtszeit kam; nur um den Kindern Wort zu halten, zündete sie ihnen einen hellen Baum an, und es schnitt ihr in die Seele, als das Kind von selbst sagte: »Gelt Mutter, weil der Vater nicht kommen ist, darum kriegt er auch nichts?« Einen Baum voll Liebesflammen hatte ihm Zilge entzünden wollen, jetzt war Alles dunkel und ausgestorben. [79] Auf einmal stieg eine freudig traurige Tröstung in ihr auf: Seb ist krank, er kann nicht kommen, aber warum schreibt er nicht, und läßt nicht schreiben? Vielleicht hat ihn ein jäher Tod ereilt, er war ja so übermüthig keck, und seit dem Einsturz des Hauses doppelt verwegen. Zilge glaubte vor zweiflerischem Sinnen und Grübeln vergehen zu müssen. Nicht umsonst wohnte sie in einem Hause, dessen Einsturz man allzeit befürchten mußte.

Um Fastnacht hörte Zilge, daß der alte Kamerad Sebs, der Maurer in Weitingen, den Sommer über mit Seb gearbeitet hatte und Nachricht von ihm geben könne. Sie übergab ihre Kinder dem Nachbar Küfer, und wanderte im Schneegestöber nach Weitingen. Sie kam mitten in den Faschingsjubel, sie mußte Alles mit traurigem Herzen mit ansehen, denn der Maurer spielte selber eine Rolle darin. Endlich berichtete er ihr mitten unter dem Wirthshauslärm, daß er allerdings bis zum Herbst mit ihrem Manne gearbeitet habe, sie brauche aber nicht traurig sein, denn ihr Mann sei überaus lustig gewesen, und habe gesagt, er gehe noch weiter, vielleicht in die neue Welt, seine Frau habe ihn bis zur Hochzeit lange warten lassen, jetzt könne sie nachher auch sich daran gewöhnen. Zilge bat und beschwor ihn, mit ihr keinen Faschingsscherz zu treiben; darauf ward der Mann böse, ließ sie stehen und mengte sich wieder unter das lustige Gewimmel. Auf dem Heimweg war es Zilge einmal, als müsse sie auch sich in die weite Welt stürzen. Warum war sie allein festgebannt? Waren denn die Kinder[80] nicht so gut die seinen wie die ihrigen? Da überlief es sie plötzlich eiskalt und bis in's Herz hinein schauerte sie, und sie stieß in die schneebedeckte Welt hinein einen gräßlichen Fluch gegen ihren Mann aus. Ein wirbeliges Taumeln, eine Schlafsucht ergriff sie, daß sie mit starren Händen sich die Augen rieb, aber der Schlaf wollte sie überwältigen, schon wollte sie sich niederlegen, da schoß sie auf: schlief sie hier ein, war sie des Todes. »Meine Kinder! Meine Kinder!« rief sie im Weiterschreiten und rannte aus voller Macht dahin, bis sie endlich ihre Schritte mäßigte. Zwiefach arm kehrte Zilge wieder heim, sie war verlassen und von Haß erfüllt. Und doch, als sie von fern ihr Häuschen wieder sah, überkam sie ein gewisses Gefühl der Geborgenheit; draußen ist die Welt so kalt und starr, da ist doch eine warme sichere Stätte, da bist du daheim und mit Fleiß und Ergebung wird sich Alles ertragen lassen. »Gott sei Lob und Dank, daß ich gesund bin,« sprach sie vor sich hin und faltete die starrkalten Hände. Als am Abend der kleine Johannes in sein Nachtgebet den Vater einschloß, fuhr sich Zilge mit der Hand über die sträubenden Haare: das Kind segnete Den, dem sie heute geflucht, der ganze Jammer ihres Lebens sprach sich da aus, Segen und Fluch, Liebe und Haß stritten mit einander. Was wird die Oberhand behalten? ...

Der Morgen nach einem erfahrenen Ungemach erweckt doppelte Pein, und doch hat sich dabei der erste grelle Schmerz im Schlaf geklärt. Zilge wußte nun, was sie zu ertragen hatte, und nur eine Weile konnte[81] sie sich der schmerzgelähmten Mattigkeit hingeben, die Alles absichtlich noch mehr verkommen läßt und sich fast dessen freut, daß Schlag auf Schlag das Schicksal peinigt.

Am ersten Sonntag, nachdem sie die Gewißheit ihres Unglücks hatte, durchblätterte sie das Gesangbuch hin und her, endlich stand sie auf und sagte:

»Da stehen Lieder und Gebete für alle Leiden und Krankheiten, für meines nicht; das ist unerhört, das hat noch keine Menschenseele erlebt.«

Zilge erinnerte sich jetzt, daß ihr Mann ihr die Gemeindeversorgung in Aussicht gestellt; ihr Ehrgefühl und ihr Stolz erhob sich, sie wollte der Welt zeigen, wer sie sei, und es erschien ihr als eine erquickende Rache an Seb, er mußte es doch einst erfahren, daß sie ohne ihn das Haus im Stand gehalten, sein böser Vorsatz, sie in's Elend zu stürzen, sollte zur Lüge werden. Allem, was Zilge nun sann und unternahm, lag das Gefühl des Hasses gegen ihren Mann zu Grunde, sie verschloß das aber in sich vor fremden Menschen, nur manchmal konnte sie nicht umhin, gegen die Kinder ihrem Herzen Luft zu machen.

Der Frühling kam, er brachte keine Wasserfluthen mehr, die Störche waren wieder da und ein Schwalbenpaar nistete wieder über dem Fenster Zilge's. Zilge lebte ruhig und still. Nur zwei Vorkommnisse plagten sie vielfach. Wenn sie über die Straße ging, fragte sie Jedermann: »Hast noch keine Nachricht von deinem Seb?« Die Menschen hielten sie für herzlos, weil sie nicht Jedem den Gefallen that, mit der ganzen Ausbreitung [82] ihres Kummers darauf zu antworten, und man glaubte es ihr doch nicht, daß Seb nicht in heftigem Zank von ihr gegangen sei. Ja, Manche glaubten ihr Mitleid nicht anders bezeigen zu können, als indem sie ihr vorhielten: »Wie wird's deinen armen Kindern gehen, wenn du einmal krank wirst?« Am erbittertsten war aber Zilge, wenn man ihr vorwarf, wie unklug es von ihr gewesen, daß sie sich ehedem nicht besser in die Launen der Küferin gefügt hatte, sie wäre an Kindesstatt angenommen und Haus und Aecker der Küferin wären nicht verfremdet worden an die Verwandte von Weitingen.

Viel schwerer konnte Zilge der Störung ihres Bruders, der nach der nahen Amtsstadt versetzt war, widerstehen; er wußte seine Schwester nicht anders zu trösten, als indem er Feuer und Flammen gegen Seb spie und ihm alles Schlechte nachsagte, und dazu hatte er noch Streit mit Zilge, weil sie das nicht dulden wollte. Er schwur, Seb »mit Gusto« krumm zu schließen, wenn er ihn fahnde; er prahlte mit seiner Kenntniß des Amtsstyls, indem er ihr den Steckbrief vorsagte, den er gegen Seb erlassen wolle, aber Zilge behauptete, daß Niemand dazu ein Recht habe, als sie, und der Bruder kam mit der Zeit oft in's Dorf, ohne sie heimzusuchen. Der Pfarrer kam auch bisweilen zu Zilge und lobte sie wegen ihrer milden Ergebung und ihrer ehrenhaften Thätigkeit. Sie nahm das Letzte, das sie verdiente, eben so an, wie das Erste, das sie nicht verdiente. Niemand sollte wissen, was in ihr vorging.

[83] Die traurigste Zeit war für Zilge Pfingsten und die hellen Sommersonntage. Da sitzen Nachmittags die Frauen unter einem Nußbaum, oder vor einem Hause auf der Bank und plaudern allerlei. Zilge war so viel allein, daß sie an diesen Tagen sich auch zu den Menschen gesellen mußte, aber sie wußte nicht wohin; sie gehörte nicht zu den Mädchen, nicht zu den Frauen und nicht zu den Wittwen. Das stille ewige Insichhineinleben hatte ihre Empfindung krankhaft geschärft, und jetzt gab ihr doch die Welt eine, wenn auch nicht wohlthuende Heilung. Zilge gewahrte bald, wie die Unempfindlichkeit und Theilnahmlosigkeit der Menschen doch auch ihr Gutes hat. Die Welt nahm ihr Schicksal viel unbefangener, viel nüchterner: sie ist eine verlassene Frau, das ist schon oft dagewesen, und wird noch mehr kommen. Diese Nüchternheit der Welt hat Anfangs etwas furchtbar Erkältendes, allmählig stellt sich aber die Erkenntnis ein, daß die Welt fremdes Ungemach alsbald so faßt, wie man es im Verlauf der Zeit doch auch selber auch nehmen kann und muß. Zilge war anfangs erstaunt, daß man sie nicht darüber schalt und höhnte, sondern es natürlich fand, wenn sie auch einmal unwillkürlich lachte und scherzte, und manchmal erschien es ihr selbst, als ob ihr Ungemach gar kein so außerordentliches wäre. Man sprach von Wiedergekehrten, und wie doppelt glückselig die Menschen dann miteinander wurden. Wenn Zilge das hörte, gab es ihr einen Stich durch's Herz: ein heimliches Labsal, der Haß gegen ihren Mann sollte ihr dadurch entrissen werden, und doch konnte sie sich des [84] Einflusses nicht erwehren. Es gab Stunden, wo ihre Wangen glühten, und sie sich dachte, daß sie ihren Mann mit offenen Armen empfangen würde, und wieder andere, wo sie die Zähne knirschte und ihn erwürgen wollte, wenn sie ihn wiedersah.

Von Zeit zu Zeit klopfte Zilge die Sonntagskleider ihres Mannes aus, die er daheim gelassen hatte. Die Leute riethen ihr, diese Kleider zu verkaufen, aber sie konnte sich dazu nicht verstehen. Tief erschreckt wurde sie aber einst, als sie mit dem Kleiderausklopfen beschäftigt, den kleinen Johannes sagen hörte: »Nicht wahr Mutter, wenn der Vater da wär', thätest ihn auch so ausklopfen, wie den Rock da?« Zilge schauderte vor dem, was sie und vielleicht auch andere in die Kindesseele gepflanzt hatten, aber sie konnte es nicht mehr ausjäten.

Im dritten Herbst kam ein Brief von Ausgewanderten aus Amerika, worin es hieß, daß Seb auch dort sei und viel Geld verdiene. Wieder bestürmten wechselnde Gefühle das Herz Zilge's, aber der Unmuth behielt die Oberhand. Konnte Seb nicht selbst schreiben oder Etwas schicken? Sie wollte ja gern seiner in Geduld harren. So oft nun Jemand kam und von Amerika sprach, jammerte Zilge viel und es war ein seltsamer Treffer, daß der kleine Johannes auf die Frage: »Wo ist dein Vater?« immer antwortete: »In Jammerika.« Er ließ sich nicht dazu bringen, das Wort richtig auszusprechen, und die Leute erlustigten sich zuletzt daran, und im Dorfe sagte man eine Zeitlang nie anders als: »Jammerika.«

[85] In demselben Winter kam in der That auch ein Brief von Seb aus der neuen Welt. Er traf Zilge am Krankenbett ihres Töchterchens und der Brief enthielt nach einer Schilderung vieler Mühsal nichts als die Tröstung, daß es ihm jetzt besser ergehe und er Zilge bald hole. Das ganze Dorf kam nach und nach, um den Brief zu hören und zu lesen, und als der Nachbar Küfer las, daß Seb seine Frau darin erinnerte, wie der Storch auch zuerst allein fortfliege und dann sein Weibchen nachhole, sagte er nicht uneben:

»Das ist kein Vergleich, die Storchen geben jedes Jahr ihre Kinder aus, der Mensch aber muß sie lang ernähren, ehe sie sich selber forthelfen können.«

Auch der Bruder Landjäger stellte sich wieder ein, und dießmal konnte ihm Zilge nicht wehren, daß er auf Seb schimpfe, weil er nicht für einen Kreuzerswerth geschickt hatte. Seb hatte versprochen, bald wieder zu schreiben, worauf man ihm dann antworten könne.

Das Kind genas und Zilge mußte nun die Nächte hindurch arbeiten, sie schüttelte oft den Kopf, wenn sie des Wiedersehens gedachte. »Du kommst zu spät,« sprach sie dann oft vor sich hin, sie dachte an ihren Tod und an die Erkaltung ihres Herzens.

Neues Ungemach kam, Zilge konnte nicht mehr sticken, ihre Augen wurden krank, und dabei klagte sie dem Arzte, daß sie sich oft wie besessen vorkäme, sie habe so schwere Gedanken, daß sie oft aus dem Schlaf laut aufschreie und es ihr am hellen Tage manchmal vorkäme, als müßte plötzlich Jemand die Thüre [86] aufreißen, und ihr mit einer Axt das Hirn einschlagen. Der Arzt wußte kein anderes Mittel, als daß sie die sitzende Lebensweise aufgebe.

Zilge verstand sich nicht auf die Feldarbeit, eine Fabrik war nicht in der Gegend, sie faßte aber dennoch einen raschen Entschluß.

In unserer wohlregierten, allseitig beschützten Welt bedarf aber jede aus der Linie gehende Thätigkeit der amtlich gestempelten Erlaubniß. Der Schultheiß, bei dem sich Zilge ein Leumundszeugniß holen mußte, billigte ihren Entschluß, daß sie Lumpensammlerin werden wolle, er rieth ihr aber, ihr Häuschen zu verkaufen, denn so lange sie das hatte, mußte sie neben den Zinsen für die Hypothekenschuld auch noch Gemeinde- und Staatssteuern bezahlen. Zilge, die nichts hatte als ihrer Hände Arbeit, um sich und ihre Kinder zu ernähren, mußte Steuern zahlen zur Erhaltung der Gerichte, der Militärmacht und des ganzen sogenannten Staatsorganismus. Sie konnte aber doch ihr Haus nicht aufgeben, schon der Gedanke daran war ihr, als würde sie mit ihren Kindern auf die Straße gesetzt; sie hatte sich ihr Lebenlang nach einem »eigenen Unterschlupf« gesehnt, lieber wollte sie sich nur halb satt essen, ehe sie solchen aufgab.

Mit knapper Noth kam sie bei ihrem ersten Schritt in die fremde Welt straflos davon. Als sie das ausgestellte Patent, das sie zum Lumpensammeln ermächtigte, bezahlen sollte, ergoß sie sich in heftigen Worten: warum sie denn seit Jahren Steuern bezahle, daß sie nun, wenn sie einmal das Gericht brauche, nochmals [87] Blutgeld dafür geben müsse? Der Amtmann antwortete nicht, er zog an einer Klingel, ein Landjäger trat ein; glücklicherweise war es aber der Bruder Zilge's, dessen Fürsprache es nun gelang, daß ihr die Strafe des Einsperrens erlassen wurde. Zilge hörte zu ihrer Verwunderung zum Erstenmal die Entschuldigung, daß es ihr nicht ganz geheuer im Kopfe sei.

Zilge freute sich mit dem Patente, als hätte sie damit ein großes Glück errungen, denn eine mühsam errungene Möglichkeit muthet oft schon an wie eine Erfüllung. In der That war sie nun auch heiterer als je auf ihren Wanderungen durch die Dörfer, und der Gewinn war rascher, als mit der langsamen Nadel am Stickrahmen. Die Leute waren überall freundlich gegen sie und wenn sie sich auch anfangs dessen schämte, fühlte sie doch bald ihre Kräfte wieder wachsen bei manchem nahrhaften Bissen, den man ihr schenkte. Manche Mitleidige sagten ihr noch, wie schön und stolz sie einst gewesen sei, und sie lächelte still dazu, wobei die Leute sie immer mit einer gewissen unruhigen Scheu betrachteten. Am Abend trug Zilge neben der Last auf ihrem Rücken noch immer in einem Handbündel allerlei Eßwaaren heim, und sie freute sich mit ihren Kindern, die sie den Tag über beim Nachbar Küfer gelassen.

Auf ihren einsamen Gängen mußte Zilge immerdar ihres Mannes gedenken und wenn sie in ein Haus kam, zuckte ein eigentümliches Lächeln über ihr Antlitz, wenn man sie scherzweise »Frau Baumeisterin« nannte, sie aber sagte nie etwas darauf.

[88] Man sprach da und dort davon, daß viele Ausgewanderte in Amerika sich zu einem Kriege hätten anwerben lassen, und viele beim Bau der Panama-Eisenbahn gestorben seien. Zilge war es, als ob die Leute wüßten, daß ihr Mann nicht mehr am Leben sei, obgleich man ihr das stets ausredete. Die Leute sahen sie aber immerdar so wunderlich an. Was hatte das zu bedeuten?

Zilge, die ehedem nicht in Sonnenhitze, nicht in Frost vor das Haus gekommen war, scheute jetzt kein Wetter, und mit einer sich stets gleich bleibenden Hast und Unruhe wanderte sie von Haus zu Haus, von Dorf zu Dorf, und ihre Mühe brachte erfreuliches Erträgniß. Im stillen Denken über Feld und durch den Wald setzte sie sich oft auch Termine, indem sie, ihres Mannes gedenkend, sagte: »Wenn er bis da und da nicht heimkömmt, so sind wir Beide verloren, er und ich, auf ewig geschieden.« Er kam nicht und sie war nur froh, daß sie diesen Vorsatz gegen Niemand ausgesprochen, als zu sich selber, sie konnte den Termin wieder weiter hinausrücken, und sie that es und malte sich's glückselig aus, wie sie ihm vergebe. Sie legte einmal mehrere Wochen den silbernen Trauring ab, den sie von Seb an der linken Hand trug, aber wenn sie in ein Haus kam, verdeckte sie mit ihrer rechten Hand die linke, und da Niemand bemerkt hatte, daß ihr etwas fehle, zog sie still den Ring wieder an. Nur der kleine Johannes hatte Acht darauf, denn er fragte: »Hast deinen Ring wieder gefunden?«

Als aber Sommer und Winter vergingen, und [89] keine Nachricht, nichts kam, setzte sich wieder eintöniger Haß in ihr fest. Er war es ja, der sie so in die Welt hinaus trieb. Wie kann er das je wieder entgelten?

Im Vorfrühling schritt sie einst im Regensturm die Straße am Neckar dahin, der Wind wollte sie umreißen und machte ihr die regentriefenden Wangen glühen, da stand sie still, und plötzlich überkam sie, als müßte sie sich hinabstürzen und den Tod suchen in den Wellen; aber sie jagte rasch davon, und als sie heimkam, bat sie den Lehrer, ihr doch den Johannes auf einige Tage aus der Schule zu entlassen, daß er mit ihr gehe; sie gestand nur halb, wovor sie sich fürchtete, aber der Lehrer willigte doch ein. Im Geleite des Knaben, der ein Bündel trug, erfuhr sie nun immer mehr, welch eine Hässigkeit gegen den Vater in der Brust des Kindes sich festgesetzt hatte; er erzählte ihr, wie der Ziegler ihm gesagt: Seb habe in Jammerika eine Schwarze geheirathet und wolle nichts mehr von seiner Frau und seinen Kindern. Zilge gab sich viele Mühe, den Vater zu loben, aber es wollte ihr bei ihrer Gemüthsstimmung nicht gelingen.

Eines Mittags suchte sie im Weitinger Walde unter einem Ahornbaum mit ihrem Knaben Schutz vor einem Platzregen. Mutter und Kind standen an den Stamm gelehnt, die Tropfen fielen so schwer nieder durch die Zweige, es raschelt auf den vorjährigen Blättern am Boden allezeit, als kämen Schritte von allen Seiten; in den Wipfeln saust es, und drunten der Neckar rauscht, und es läßt sich nicht mehr unterscheiden, was ist Waldessausen, und was ist Stromesbrausen. Der [90] Kukuk hat noch kaum vor einer Weile gerufen und dabei so seltsam gelacht, ja, wer ihn tief im Walde belauscht, kann ihn hören wie er lacht: jetzt ist er auch still.

»Ich möcht' nur auch den Kukuk einmal sehen,« sagte der kleine Johannes.

»Laß ihn, dein Vater ist auch ein Kukuk.«

»Warum?«

»Ich weiß schon warum, du brauchst nicht Alles zu wissen. Wenn du und dein Schwesterle nicht wär', da hätt' man mich schon da unten am Mühlrechen aufgefischt.«

»Wie denn?«

»Ich hätt' mich vertränkt.«

Eine Elster huschte plötzlich über Zilge tiefer in den Wald hinein, als hätte das böse Wort sie verscheucht; den Vogel gewahrend wurde Zilge seltsamerweise plötzlich inne, was sie gethan, sie pflanzte ja neue unheilvolle Gedanken in die Seele des Kindes; sie gab ihrem Bruder Recht, der sie für irrsinnig erklärt hatte, sie nahm fortan den Knaben nicht mehr mit auf ihren Wanderungen.

Jahr an Jahr verlief, man hörte nichts von Seb. Die Storchen kamen und gingen, die Menschen freuten sich, daß die Bäume blühten und das Ackerfeld grünte, und freuten sich, als die Saaten dürr und reif wurden, und die Bäume voll Früchte hingen; nur Zilge blieb allezeit still und in sich gekehrt. Man hörte nichts von Seb. Zilge harrte nicht mehr und dachte nicht mehr. Sie versuchte es, ihre alte Thätigkeit wieder [91] aufzunehmen, aber sie hatte keine Ruhe, und lässig und still ging sie nun ihrem Erwerbe nach.

»Ich bin siebenmal einsam,« klagte sie am Pfingsten, als es sieben Jahre geworden waren, seitdem Seb sie verlassen. Zilge war mit Steuern und Zinsen rückständig geblieben, sie mußte oft auf das Rathhaus, darüber manchen Tag versäumen und gerieth immer mehr in's Elend.

Seb wurde nun doch in den Zeitungen ausgeschrieben und nach Gesetzesbrauch aufgefordert, binnen dreißig Tagen sich zu gestellen, widrigenfalls ihm wegen des eingeleiteten Gantverfahrens ein Abwesenheitspfleger gesetzt werde. Zilge sah dem letzten Schlage, den sie bisher mit aller Macht abgewehrt hatte, jetzt gleichgültig entgegen.

An die große Glocke

An die große Glocke.

Es war ein heller Herbstabend, die Schwalben sammelten sich in Schaaren und strichen in großen Flügen dahin; vor den Häusern saßen die Bauern und dengelten die Sensen, um das Oehmd zu schneiden; das war ein Klingen und Hämmern durch das ganze Dorf, daß man kaum das Abendläuten hörte.

Vor dem Rathhaus spielte ein Trupp Knaben laut jauchzend das sogenannte Habergeisspiel, des Maurer Sebs Johannes war auch unter ihnen. Da tönte eine wolbekannte Klingel durch das Dorf, die Dengelnden hielten eine Weile an und hörten den Ausruf des Dorfschützen, [92] dann hämmerten sie wieder weiter. Den Knaben am Rathhause mußte zweimal Stille geboten werden, bis sie ruhig waren, daß man hören konnte, wie der Schütz nach dreimaligem Klingeln von einem großen Bogen las: »Aus der Gantmasse des Maurermeisters Eusebius Groler, genannt Maurerseb, und seiner Ehefrau Cäcilia, geborene Künzle, wird deren allhier an der Winterhalde belegenes einstöckiges Wohnhaus morgen nach der Nachmittagskirche im Aufstreich zum Erstenmal öffentlich versteigert.«

Der Schütz ging gravitätisch weiter und man hörte ihn bald wieder vor einer andern Häusergruppe schellen.

Die Knaben schauten Alle auf Johannes, der mit niedergeschlagenem Blicke dastand, seine Lippen zuckten; bald aber ging das Necken der Kameraden los:

»Jetzt wird euch euer Häusle verkauft. Dein Vater hat eine Schwarze geheirathet.«

So zwitscherten die Jungen, wie die Alten sungen. Johannes schlug um sich auf Jeden, der ihm nahe kam, dann rannte er laut heulend das Dorf hinauf und stand nicht still, wenn ihn Manche fragten, warum er weine; er rannte unaufhaltsam fort heim zu seiner Mutter. Zilge stand in der Küche und schnitt Brod für eine Suppe: »Mutter, gieb mir das Messer,« schrie Johannes, »gieb's mir. Wenn der Vater kommt, stech' ich ihn mit todt.«

Zilge entfiel im Schreck ob dieser Worte das Messer aus der Hand, sie wies den Knaben scharf zurecht, in ihrem Innern aber trauerte sie tief, da sie nun immer gräßlicher wahrnahm, welch ein Kind sie mit ihrem [93] Hasse groß gezogen. Und dennoch wälzte sie die Hauptschuld auf Seb. Sollte ein so schlechter Vater ein braves Kind haben? Welch ein muthiger aufgeweckter Knabe wäre das unter dem Auge des Vaters geworden, und mit welchen Verbrechen wird er nun sein Leben erfüllen? ...

Sie wußte das Kind nicht anders zu beruhigen, als indem sie ihm sagte: »Dein Vater kommt nie mehr wieder, und du bist mein Sohn und mußt brav sein und meine Stütze im Alter.«

Dieses letzte allein beschwichtigte endlich den unnatürlich erregten Knaben; aber noch als ihn die Mutter schlafen legte, wollte er nicht beten, und als er endlich auf ihr Bitten die Worte sprach: »Lieber Gott, behüt' meinen Vater –« da warf sich Zilge auf ihn nieder und bedeckte ihn mit Küssen.

»Wirst sehen ich werd' für dich sorgen,« betheuerte das Kind und schlief endlich ein.

Zilge zündete kein Licht an und saß am Fenster, bald vor sich nieder, bald in den sternglitzernden Himmel schauend, wo Sternschnuppen hin und herflogen; sie hatte nichts mehr, das sie sich dabei wünschen konnte, als: Gott möge ihre Kinder in seinen Schutz nehmen, und sie brav werden lassen.

Auf der Bergwiese vor ihrem Hause war es heute Nacht lebendig, man mähte das Oehmd und der würzige Thauduft stieg zu Zilge empor, aber das Schnittrascheln der Sense zuckte ihr durch das Herz. Sie hielt mit der Hand fest die Fensterleiste, als wollte sie damit ihr Haus festhalten, und es nicht aus der Hand geben. [94] Kann das Elend noch tiefer gehen? Warum kann man nicht sterben vor Kummer? Wie lange mußt du warten, bis der Tod dich nieder mäht? Das war ihr einziges Denken.

Des Zieglers Hund im Thale bellte, und alle Hunde im Dorf bellten ihm nach. Wenn ein Hund einen Feind abwehrt oder für sich klagt, stimmen Alle ein, die Menschen aber ... Zilge rieb sich oft die Augen, aber sie konnte nicht weinen, und die Augen mit der Hand zugedrückt, legte sie das Haupt auf das Fenstersims ...

Da öffnete sich die Thüre.

»Wer ist's? Wer will was?«

»Ein Bettelmann kommt und bittet.«

Wehe! was ist das für eine Stimme?

»Hülfe! Hülfe!« schrie Zilge zum Fenster hinaus.

»Sei ruhig, liebe gute Zilge, ich bin's, dein Mann –«

»Weg, weg, fort, ich will dich nicht, lebst du oder bist du todt, ich will dich nicht, nicht in dieser Welt und nicht in jener.«

Eine Hand legte sich auf Zilge, von Fieber geschüttelt zuckte sie zusammen, dann schrie sie laut auf und sank auf den Boden.

Die Mäher, die den Hülferuf gehört, kamen herbei; Seb, denn dieser war es, hieß sie wieder gehen, seine Frau habe eine Ohnmacht bekommen, sie sollten nur den Nachbar Küfer und dessen Frau holen.

Er richtete Zilge auf, und plötzlich fing sie laut an zu lachen.

[95] »Gelt, du bist der Maurer Seb? Ja der Maurer, du hast mich lebendig eingemauert. Rühr' mich nicht an, nie, nie, und wenn du mit der Krone auf dem Kopf wiederkommst, ich will dich nicht mehr, geh hin, wo du gewesen bist, geh', geh'.«

Sie stieß ihn mit großer Macht von sich, und fing dann an laut zu weinen und zu schluchzen.

»Um Gotteswillen, Zilge, sei doch ruhig,« bat Seb, »häng' nicht Alles an die große Glocke, schrei nicht so. –«

»Du hast Alles an die große Glocke gehängt, mich, die Kinder, und das Haus. Es giebt gar nichts, was du nicht gethan hast; weg, weg,« rief sie noch lauter.

Die Nachbarn kamen und zündeten Licht an.

Als Seb nach seinen Kindern sehen wollte, sprang Zilge wie rasend auf und duldete es nicht.

»Er hat sieben Jahr nicht nach ihnen gesehen, sie gehen ihn nichts mehr an,« rief sie.

Seb und die Nachharn waren starr, da sie Zilge sahen, sie war leichenblaß, strich sich bald mit beiden Händen über die Stirn, bald streckte sie die Hände vor sich hin mit ausgespreizten Fingern, ihre Augen lagen weit heraus. So oft Seb ein Wort sagen wollte, schrie sie laut, als steche man sie mit Dolchen.

Die Kinder erwachten weinend, Seb rief ihnen zu, aber Zilge gebot ihnen, nicht zu antworten.

Vor dem Hause war Alles versammelt, was noch im Dorfe wach war. Der Maurer Seb ist wieder da, das hatte sich schnell verbreitet, aber Zilge raste und wüthete immer fort, und Seb mußte sich endlich aus seinem eigenen Hause vertreiben lassen, aus dem er[96] vor Jahren entflohen war. Der Nachbar Küfer beredete ihn beschwichtigend dazu, und die Küferin versprach, diese Nacht bei Zilge zu bleiben. Seb reichte den Bewillkommenden kaum die Hand, denn er hörte vom Küfer, daß man an seiner Frau schon lange Anzeichen von Irrsinn bemerkt habe, sie habe sich ihre Verlassenheit zu sehr zu Herzen genommen und nur selten mit Jemand davon gesprochen. Am Morgen, als Seb in sein Haus kam, fand er Zilge noch schlafend, er näherte sich auf den Zehen ihrem ärmlichen Lager. Wie abgehärmt sah sie aus! Aber sie mußte doch seinen Blick gespürt haben, denn sie schlug mit der Hand um sich und wendete sich nach der Seite.

Die Küferin berichtete leise, wie Zilge ihr gestanden habe, als sie ihren Mann gehört, gesehen und seine Hand gespürt, habe sie nicht mehr gewußt, wo sie sei, was sie thue, und was sie rede, und da sei ihr auf einmal all das in den Sinn gekommen, was sie seit Jahren einsam für sich gedacht und gesprochen und heraus sei es, und es sei ihr gewesen, als ob etwas in ihrem Kopfe reiße, es habe gesurrt und geschnellt, wie wenn man einen Seidenfaden beim Nähen spannt, mit dem Finger tönen macht und dann reißt, und sie habe reden müssen, wie sie sich's tausendmal vorgesagt. »Ein Teufel,« das waren ihre Worte, »ein Teufel habe aus ihr gebellt.« Seb schöpfte aus dieser Mittheilung doch einigen Trost. Es gelang ihm mit Hülfe der Küferin, die Kinder in das Nachbarhaus zu bringen, das Mädchen war bald zutraulich gegen den Vater, der Knabe aber blieb trotzig und [97] widerspenstig, er stand immer bei Seite mit niedergeschlagenen Blicken, und nur manchmal heftete er sein großes Auge auf den Vater. Welche unergründlichen Gedanken sprachen aus diesem Auge. Nicht von dem Vater, sondern nur von dem Küfer ließ sich der kleine Johannes die neuen schönen Kleider anziehen, die der Vater ihm und der Schwester mitgebracht hatte. Die Kleider waren zu eng und knapp. Seb hatte sich im Wachsthum seiner Kinder verrechnet. Er schien sich überhaupt verrechnet zu haben, denn kaum war Johannes schön geschmückt, als er, ohne ein Wort zu sagen, das Dorf hineinrannte; er kam aber alsbald wieder im vollen Athem, er hatte offenbar die neuen Kleider seinen Kameraden zeigen wollen und war doch wieder von einem Schamgefühl gejagt, unaufhaltsam hin und her durch das Dorf gerannt, als brennten die Kleider.

Ein seltsamer Zwiespalt ging in dem wilden Knabenherzen vor. Das Mädchen, schon viel zu groß dafür, ließ sich doch von dem Vater auf dem Arme tragen, es war glückselig in seinem neuen Kleide und Seb trug das Kind unter Küssen rund um das Haus und stand lange bei den Tannen, die er ehemals seinen Wald genannt. Die Sonne schien so hell und warm, der Würzgeruch des frischgemähten Oehmdes erfüllte die Luft, die Welt wird mit jedem Morgen wieder neu; warum sollte das ein Menschenherz nicht auch können?

Endlich hörte Seb, daß Zilge aufgestanden war, er ging mit den Kindern an der Hand in die Stube, der Knabe wand sich unwillig an seiner Rechten. Zilge[98] saß am Fenster, blaß mit hohlen Wangen, sie blickte unbewegt gläsern darein.

Sie schüttelte mehrmals nickend den Kopf, als Seb sie mit liebreichen Worten begrüßte und sie um Verzeihung bat, daß er sie am Abend so plötzlich überrascht; er habe gehofft, es damit gut zu machen. Sie ließ ihn ihre Hand fassen, die leblos und starr in der seinen lag, dann sagte sie, sich hin und her wendend:

»Er sieht gut aus wie ein Bierbrauer.«

Es war als spräche sie zu jemand Fremdem, und doch war Niemand außer Seb und den Kindern in der Stube.

Jetzt erst schien sie die Kinder zu bemerken, sie rief sie zu sich und riß ihnen hastig die Kleider vom Leibe; das Mädchen weinte darob und sie sagte:

»Er hat euch sieben Jahr hungrig und nackt gelassen; damit fangt man mich nicht. Gieb die Kleider wem du willst.«

Seb bat sie, doch vor den Kindern gemäßigter zu sein, sie aber sagte:

»Sie haben das Elend bisher mit angesehen, sie können's auch noch weiter.«

Seb brachte die Kinder aus dem Hause, dann setzte er sich zu seiner Frau und erzählte ihr, wie ja Alles wieder gut sei und besser als je, er sei nach Kalifornien gereist, wo man Gold grabe, er habe sich aber damit nicht abgegeben, sondern auf seinem Handwerk gearbeitet und dabei großen Verdienst gehabt, er habe mehr als zehn Bauten ausgeführt und keine sei ihm mißlungen. Zum Beweise seines Wohlstandes legte er [99] mehrere Goldrollen auf den Tisch und brach einige davon auf, daß der Inhalt wie neugierig auf den Tisch rollte. Zilge aber schüttelte den Kopf, und erst auf wiederholtes Bedrängen sagte sie: »Damit fängt man mich nicht, wenn du tausend Millionen bringst, kaufst du mir nicht ab, was da drin –« sie deutete auf ihr Herz, es würgte sie im Halse, sie konnte nicht weiter reden.

Man hörte Besuche vor der Hausthüre, Seb raffte schnell das Gold wieder zusammen, und als viele Männer und Frauen eintraten, sagte Zilge lachend:

»Wenn ein Hund an der Kette liegt, werfen die Buben mit Steinen nach ihm, sie wissen wohl, warum, wenn er aber los ist, hui!«

Sie erklärte trotz vieler Fragen beharrlich nicht, was sie damit meinte, und die Leute schüttelten den Kopf ob ihres Irreredens; sie hatte aber wohl damit sagen wollen, daß man sie in ihrem Elend vielfach verhöhnt und verspottet habe, und allerdings waren unter den Angekommenen auch Menschen, die sich das hatten zu Schulden kommen lassen. Seb drängte die Besuchenden mit Höflichkeit hinaus und verschloß die Hausthüre, und jetzt wendete er sich mit erneutem Eifer an Zilge und betheuerte ihr, wie er ihr jede Minute ihres Lebens doppelt vergelten wolle für das große Leid, das er ihr angethan. Zilge lächelte freudig, faßte seine Hand und drückte sie, als er aber hinzusetzte: »So ist's recht, jede Minute, die wir noch jetzt von unserem schönen gesegneten Leben verlieren, ist eine Sünde an Gott,« da schrie sie laut auf und stieß ihn von sich, indem sie sagte:

[100] »So? Eine Sünde an Gott ist jede verlorene Minute? Wie viel Minuten hat sieben Jahr? Hol' die Tafel und rechne. Nein, nein, nein, du kannst gehen, wohin du willst. Sieben Jahre verlassen seyn ist ein Scheidegrund, ich will's auf mich nehmen, was du willst, wie du willst, sag' mir nur nichts mehr von deinem Geld –«

»Und unsere Kinder?« sagte Seb bebend.

»Ihnen zulieb möcht' ich schon, aber ich kann nicht, Gott ist mein Zeug', ich kann nicht;« sie schlug sich wie betheuernd mehrmals auf die Brust, dann sagte sie dumpf:

»Wart nur noch eine Weile, dann holt mich der Tod, dann hast Alles allein, Alles, ich will nichts davon, gar nichts, man soll mich mit meinen Lumpen zudecken.« –

Seb legte den Kopf weinend auf den Tisch, Zilge stand auf und fuhr ihm mit der Hand über die Haare, dann sank sie plötzlich nieder. Seb trug sie in seinen Armen auf das Bett, dann eilte er hinaus und schickte einen reitenden Boten nach dem Arzte.

Als es zum Erstenmal zur Kirche läutete, richtete Zilge sich auf und sagte:

»Nimm das Gesangbuch, nimm's, was zitterst? Sind dir meine Thränen drin zu schwer? Lies, sing's ganz durch, von Anfang bis End, mein Leid und mein Weh steht nicht drin, das hat Keiner gewußt, das hat kein Schriftgelehrter, kein Heiliger und kein Kirchenvater erlebt.«

Seb saß auf einem Schemel zu Füßen seiner Frau, die die Augen schloß und, wie es schien, ruhig schlummerte. Die Glocken läuteten zur Morgenkirche, und [101] Seb bedeckte sich sein Antlitz mit beiden Händen. Wie stolz triumphirend hatte er unter diesem Geläute an der Hand seiner Frau vor aller Welt wieder erscheinen wollen, wie hatte er gehofft, ihr Herz mit Jubel zu erfüllen, da er nun die Glücksgüter ihr in den Schooß legte, die ihrem seinen ehrliebenden Wesen gebührten. Und jetzt! Zorn und Ingrimm wollten in ihm aufsteigen, er hatte sich ja keine Ruhe und keinen Genuß gegönnt, nur um diese Höhe zu erreichen. Wie aber, wenn sie unterdeß gestorben, da sich ihr Herz ihm verfremdet und im Elend verkümmerte, so daß es nicht mehr fähig war, ein heiteres Glück und ihn in sich aufzunehmen? Wie muß Schmerz und Jammer in dieser Seele gewühlt haben, bis sie verwirrt und zerrüttet war! Seb fühlte sich auf einmal tief gedemüthigt. Er konnte jetzt ein Haus erbauen, wie keines im Dorfe war, aber läßt sich erstorbene Liebe wieder auferbauen? Seb wand sich hin und her und die Geldrollen in seiner Brusttasche schlugen von außen wie ein schwerer Hammer an sein klopfendes Herz. Leibhaftig fühlte er jetzt die ungeahnten Schläge, die ihm nun sein Reichthum brachte. Und mitten in aller schweren Kümmerniß überkam ihn doch wieder ein trostreicher Gedanke: wie mußte ihn diese Frau einst geliebt haben, und ihn allein, keinen Reichthum und keine Größe, sie fragte nichts danach, es schauderte sie davor, sie waren mit ihrem Herzblute erkauft. – Von dem Gedanken der unergründlichen Liebe seines Weibes bewegt, schnellte Seb empor und drückte einen Kuß auf die blasse, nur leichtgeröthete Wange der Schlafenden.

[102] Die Kinder kamen herbei; Seb kleidete sie wiederum festlich an, und selbst Johannes ließ ihn gern gewähren, dann stellte sich der Knabe zu Haupten des Bettes und betrachtete mehrmals die Mutter, meist aber stand er, das Kinn auf die Brust gesenkt, die Augen zum Vater aufrichtend und fest auf ihn schauend. Ein Kind kann mit einer Dauer und unbewegten Stetigkeit den Blick auf einen Gegenstand heften, wie das Auge eines Erwachsenen ohne zu blinzeln nicht vermöchte, und dieser starre Kindesblick gewinnt eine Durchdringlichkeit und Strenge, der keine Worte gleichkämen. Seb senkte oft den Blick, wenn er den dreinstarrenden Knaben ansah. Er brachte kein Wort aus ihm heraus, nur einmal sagte der Knabe von selbst: »Gelt, die Mutter wird nicht sterben?«

Der Knabe hatte gehört, daß Seb einen reitenden Boten nach dem Arzte geschickt, und daher die eigentümliche Erweichung seines starren Wesens; vielleicht hatten aber auch die neuen Kleider doch eine Aenderung in ihm hervorgebracht.

Als Zilge erwachte und die wieder geschmückten Kinder sah, bat Seb, ihnen doch die Kleider zu lassen. – Sie schwieg.

Der Arzt kam und fand den Zustand Zilge's nur wenig beunruhigend; als Seelenkundiger empfahl er indeß noch Seb die äußerste Geduld und Nachgiebigkeit, da Zilge ohnedieß schon oft an Anfällen von Schwermuth gelitten habe.

Als Seb die Aussagen der Küferin berichtete, lächelte der Arzt und sagte, Zilge sei zwar durch ihr Stubenleben [103] und ein gewisses nachdenkliches Grübeln etwas feingeartet, aber doch nicht so subtil, daß nicht Alles noch zu Gutem sich wenden könne.

Seb verließ keine Minute seine Frau, aber er durfte ihr nichts reichen, sie nahm nichts aus seiner Hand, und nur von der Küferin.

Als die Nachmittagskirche ausläutete, sagte sie:

»Jetzt versteigern sie unser Haus, geh doch auch dazu und kauf's, wenn du kannst.«

Seb wollte erklären, daß das nun nicht mehr geschehe, und wäre es auch, er behielte es doch nicht mehr. In bitterem Tone sagte darauf Zilge:

»Nicht einmal das will er mir thun!«

Seb ging und kam bald wieder, indem er freudig rief:

»Das Haus ist wieder dein und blank.«

Zilge sah starr drein, als ob sie gar nichts gehört hätte.

Mit Seb war auch der Bruder Landjäger gekommen. Er hatte von der Ankunft seines Schwagers gehört und hatte ihn beim ersten Ausgang getroffen; er, der sonst nicht Schimpfworte genug für den Seb gehabt, war jetzt stolz auf ihn, und sein bester Freund, zumal, da er ihm eine silberne Taschenuhr mitgebracht hatte. Er zog jetzt heftig gegen Zilge los, daß sie sich so ziere und sperre. Seb suchte seinen Reden Einhalt zu thun, aber mit jener Art von martialischem Gleichmuth, ja von Heiterkeit, die solche Leute gern bei einer Exekution zur Schau stellen, strich sich der Bruder Landjäger den Schnurrbart und sagte, auf umherstehende Süßigkeiten deutend:

[104] »Das ist nichts, der muß man's einmal aus dem Salz geben, dann ist sie geheilt; du bist viel zu zimpfer, Seb.«

Dieser verbot mit Gemessenheit jedes weitere derartige Wort, aber der Bruder Landjäger kehrte sich nicht daran, und Seb wußte endlich keinen andern Ausweg, als daß er den Bruder Landjäger mit sich fort nach dem Wirthshause zog. Zilge verriegelte hinter ihnen die Hausthüre und öffnete sie nicht mehr.

Ein Leidensgang und stilles Dulden

Ein Leidensgang und stilles Dulden.

Als Seb am andern Morgen die Hausthüre offen fand und nach seiner Frau umschaute, war diese verschwunden; sie hatte den Kindern noch die Morgensuppe zurecht gestellt, die mitgebrachten Sonntagskleider verschlossen und das Werktagsgewand hergerichtet und war dann davongegangen. Der kleine Johannes mußte fühlen, welch eine ahnungsschwere Unruhe den Vater bewegte, der im ganzen Hause nach ihr rief; er sagte, die Mutter sei auf ihre Handelschaft gegangen, sie habe ihr Säckchen mitgenommen. Nun mußte Seb im ganzen Dorf und auf allen Wegen nachfragen, welchen Weg seine Frau eingeschlagen. Er fürchtete das Gräßlichste. Endlich erfuhr er von den Oehmdenden an der Windenreuthe, daß seine Frau den Waldweg nach Weitingen eingeschlagen; sie habe sich noch herabgefallene Zwetschgen in der Wiese aufgelesen. Seb eilte durch den Wald, drunten rauschte der Neckar [105] und sein Rauschen war ihm unheilverkündend; da sah er plötzlich Zilge auf einem Baumstumpfe sitzen, ein kleines Bündel lag neben ihr; sie aß ruhig Zwetschgen, und warf die Steine weit weg, sie bewegte sich nicht bei seinem Anblick und doch mußte sie ihn sehen. Als er vor ihr stand, starrte sie ihn an, und als er sie dringend bat, doch mit ihm um zukehren, sie brauche dieses elende Leben nicht mehr zu führen, stand sie rasch auf, nahm ihren zusammengerollten Sack und schritt davon. Seb ließ sie eine Strecke gehen und rief ihr nach, daß sie ihn auf ewig von sich vertreibe, daß er wieder in die weite Welt gehe, wenn sie nicht umkehre; sie antwortete nicht, aber kaum war sie aus seinen Augen verschwunden, als er ihr nachrannte, und da er sie sah, hinter ihr dareinschritt. Seb war doppelt unglücklich und voll Zorn, er hatte eine Drohung ausgesprochen und gleich darauf gezeigt, daß er sie nicht auszuführen vermöge. Endlich ging er wieder stumm an der Seite Zilge's, und sie sagte jetzt von selbst und ganz verständig:

»Die Müllerin hat mir auf heute einen halben Zentner versprochen. Wenn ich's nicht hol', dann kommt ein Jud und schnappt mir's weg.«

Seb wußte nicht mehr, was er thun und denken sollte, nur das eine wußte er, er durfte seine Frau nicht mehr verlassen.

Zilge ging in die Mühle und kam bald wieder heraus und setzte sich, den Sack auf dem Schooße, auf die Schwelle. Seb setzte sich neben sie. Die Müllerin kam aus dem Feld. Seb schlugen die Flammen aus[106] dem Gesicht, als er hier Vorwürfe über seine Entweichung hören mußte, und es war wunderbar, wie klug und auf ihren Vortheil bedacht Zilge das Versprochene zu erwerben wußte. Seb stand dabei, er wußte nicht mehr wo er war. Zilge lud sich den schweren Sack auf den Rücken und ging damit davon; aber kaum war sie zwanzig Schritt gegangen, als Seb ihr den Sack abnahm und mit flammendem Antlitze rief:

»Zilge, ich will dir Alles thun, was du willst, ich will mich vor den Leuten hinstellen und mich ausschimpfen lassen. Sag', soll ich den Sack den jähen Berg da 'nauftragen? Ich thu's gleich, wenn du's sagst. Nur sei gut, und sei wieder mein liebes, gutes Weib und komm' jetzt heim.«

Zilge antwortete nicht, und als Seb sie bat, doch mit ihm im Wirthshaus einzukehren, sagte sie:

»Ich hab' kein Geld.«

»Aber ich hab'.«

»Das geht mich nichts an.«

Seb mußte nun dabei stehen wie Zilge von Haus zu Haus in bettelndem Ton um Lumpen bat; er biß sich die Lippen zwischen die Zähne, und die Last auf seinem Rücken ward übermäßig schwer.

Endlich machte man sich auf den Heimweg, Zilge ging so rasch, daß Seb neben ihr kaum Schritt halten konnte.

Am Neckar auf einem Felsenvorsprung stand sie plötzlich still und sagte:

»Seb, komm' her, schau, da bin ich gestanden,[107] mehr als Einmal, in Wind und Wetter und hab' mir den Tod geben wollen, und wären meine Kinder nicht, sie hätten mich da drunten am Mühlrechen aufgefischt. Seb, sei zum Letztenmal aufrichtig gegen mich. Sag' mir ehrlich: hast du am ersten Tag, gleich wie dir's gut gangen ist, wie du mir hättest was schicken, wie du mich hättest holen können, das gleich ausgeführt? Hast du keinen Tag versäumt? Sag's, sag's ehrlich.«

»Das ist recht, daß du einmal ordentlich redest. Schau, so fortlaufen, oder was man hat, gleich aus der Hand geben, das kann man nicht. Ich hab' damit weiter Geld gemacht, und ich hab' mir denkt: hast du's so lange ausgehalten, geht's auch noch ein bisle weiter, und ich hab' wollen groß –«

»So geh groß zum Teufel,« schrie Zilge, stieß heftig nach ihrem Mann, riß sich krampfhaft windend den Trauring von der Hand und rief dabei: »Aus ist's mit uns, los und ledig,« warf den Ring hinab in den Fluß und rannte davon; aber bald wendete sie querfeldein, denn sie sah einen Landjäger des Wegs daher kommen, der Landjäger sprang ihr über den Graben nach und sie sank vor ihm auf das Stoppelfeld.

»Fang' mich, bind' mich, ich will nichts mehr von ihm, gar nichts, nie mehr, nie,« rief sie.

Der Landjäger, der niemand Anders war, als der Bruder Zilges, stand wie verwirrt, und als jetzt Seb herbeikam, schrie Zilge gellend auf und wühlte ihr Antlitz in den Boden.

[108] So wäre also doch wahr, was man schon lange geahnt hatte? War Zilge irrsinnig?

Ein leerer Wagen kam des Weges. Zilge ließ sich lautlos von den Männern auf denselben tragen, nur zuckte sie bei jeder Berührung Sebs elektrisch zusammen. Ein Theil der Lumpen wurde ihr als Kissen untergelegt, mit dem andern deckte man sie zu, denn es schüttelte sie ein Fieberfrost.

Seb hatte schon im Spätherbst wieder in die neue Welt zurückkehren wollen, jetzt war er mit schwerem Leid in der Heimath gefangen; schrecklich war's, blieb er in derselben, aber noch schrecklicher, zog er in die Fremde mit der zwar nicht Irrsinnigen, aber im unbezwinglichen Widerwillen gegen ihn Befangenen.

Seb hatte den Leuten nicht geglaubt, daß seine Frau irrsinnig sei, und man hatte ihm das auch bald wieder ausreden wollen; jetzt kam abermals Jedes darauf zurück, aber Seb wehrte ab. Es wäre viel leichter gewesen, die unbegreiflichen Launen Zilge's zu ertragen, wenn sie Krankheit und nicht eine Herzenshärtigkeit waren, aber Seb war ehrlich genug, sich keine unwahre Erleichterung zu verschaffen, und in dieser Aufrichtigkeit fand er wieder einen neuen Trost; mit Milde und unzerstörbarer Liebe konnte er eine Herzenshärtigkeit lösen, nicht aber einen Irrsinn. Er übte unsägliche Geduld an Zilge, er warb um jeden Blick, um jedes Wort, jede Handreichung mit einer nachhaltigen Geduld, daß ihn das ganze Dorf darob lobte.

Er war glücklich, wenn er ihre Hand berühren [109] durfte, und als sie einst von selbst seine Hand faßte, küßte er die ihre.

Oftmals sah sie ihn lächelnd an, dann aber wendete sie rasch und wie erschreckt den Blick und unversehens wurde sie äußerst zänkisch und unwillig bei dem Geringsten, was er unterließ oder in seinem Schmerze linkisch that. Nie durfte Seb vor ihren Augen Geld zeigen, sie schrie dabei laut auf, wenn er diese Vorsicht vergaß, nie durfte er vor ihren Augen eines der Kinder liebkosen, sie sagte einmal ganz offen:

»Wenn die Kinder nicht wären, wärst du nie mehr wiederkommen, mir hast du mein Leben abgewürgt; aber die Kinder sind mein, nicht dein, das wird sich zeigen, und du bist ganz irr, wenn du glaubst, du kannst mich sieben Jahr in's Elend werfen und mich dann wieder holen, weil dir's jetzt recht, weil dir's jetzt geschickt ist, ich bin auch mein Eigen.«

Keine Einwendung, keine Betheuerung half, es schien, daß sie gar nicht darauf hörte.

Wenn Seb sie manchmal durchdringlich ansah, konnte sie ausrufen:

»Nicht wahr, ich bin alt und verhutzelt? Wie hast dir denn denkt, daß eine verlassene Frau aussieht nach sieben Jahr Elend? Ich brauch' dir auch gar nicht mehr zu gefallen, ich will gar nicht mehr.«

Seb konnte ihr der Wahrheit gemäß betheuern, daß sie nur der Erholung und guter Tage bedürfe, um wieder frisch und munter zu sein; sie gab keine Antwort, sie sprach was sie auf dem Herzen hatte, und schien nichts erwidert haben zu wollen.

[110] Wenn Seb ihr erklärte, daß der Hausbau sein Unglück und sein Glück geworden sei, rief sie oft: »Ich bin an keinem von Beiden schuld und will auch kein Theil an keinem.«

Seb führte seine beiden Kinder täglich zweimal an der Hand nach der Schule, und holte sie zweimal wieder ab. So schwer es ihm gelingen wollte, den kleinen Johannes dazu zu bringen, daß er die neue Welt nicht mehr Jammerika nannte, ebenso schwer ging es, sein verhetztes und verstocktes Wesen zu schmeidigen. Gerade weil der Knabe bemerkte, daß der Vater um seine Liebe warb, schien er um so verschlossener. Mit Geschenken war er noch weniger als Zilge zu gewinnen, denn ein Kind freut sich der Gabe und vergißt alsbald des Gebers. Der trotzköpfige und hinterhältige Knabe erschien als der leibhaftige großgezogene Haßgedanke Zilge's, und bald zeigte sich, daß er noch etwas Anderes war.

Es war am Neujahrstag, da saß Seb bei Zilge und betheuerte ihr in innigen und festen Worten, wie er wisse, daß er kein Recht mehr auf sie habe, sie könne ihn verschmähen und verstoßen, sie sehe ja aber, daß er um sie werbe, wie um eine Fremde, er wünsche nur, daß er Etwas thun könne, um ihr seine Liebe zu beweisen; wenn es der Pfarrer thäte, er würde sich noch einmal und mit erneuter Glückseligkeit mit ihr trauen lassen. Da streckte Zilge zitternd die Hände aus, aber in demselben Augenblicke trat der kleine Johannes ein und Zilge schrie laut auf, rannte nach der Kammer und verschloß sie hinter sich.

[111] Hatte Zilge eine Scheu, eine vielleicht erwachende Liebe zu ihrem Manne vor dem Knaben zu zeigen, der so oft ganz Anderes von ihr gehört hatte?

Aus dem Stromesgrund

Aus dem Stromesgrund.

Die Zeit der Abreise rückte immer mehr heran und Zilge wollte sich für nichts entscheiden, und sie sollte es doch allein. Sie war voll Ingrimm, daß Seb nach wiederholten, vergeblichen Versuchen die natürlichen Folgerungen ihrer Worte aufnahm: sie hatte ihm so oft gesagt daß er jedes Anrecht auf sie verwirkt habe, er stellte nun jede Entscheidung ihr anheim und gelobte, ihr nicht mehr dreinzureden und sich in Jegliches zu fügen. Diese unbewegte richterliche Annahme ihrer Aussprüche empörte sie, und doch konnte sie sich zu nichts entschließen und bestimmen; bald wollte sie mitgehen, bald daheim bleiben, bald durch dieses Rache und Vergeltung üben an Allen im Dorf, die ihr je eine Unbill angethan, bald wollte sie durch die Auswanderung sie auf ewig vergessen und mit Verachtung strafen. Wenn Seb darauf drang, daß man aus dieser Schwebe heraus müsse, wenn er mäßig und bestimmt Alles darlegte, so war sie äußerst gereizt. Sie erkannte wohl, welch ein fester ruhiger Mann Seb geworden, und ein Bewußtsein der innern Verwahrlosung, in die sie während der sieben verlassenen Jahre gerathen war, dämmerte in ihr auf. Sie war die stolze Zilge, sollte jetzt Seb mehr sein als sie? »Ich will[112] deine Gnad' und Barmherzigkeit nicht,« sagte sie ein mal zu Seb, ohne zu erklären, woher sie zu diesem Gedanken gekommen war. Sie ließ gern Alles in der Schwebe hängen, sie war durch die sieben Jahre an eine solche Schwebe gewöhnt, allezeit einer Erwartung hingegeben, und wenn man sie jetzt zu einem Entschlusse drängen wollte, weinte sie unaufhörlich. Ueberhaupt weinte sie viel über ihr vergangenes Elend, und war dabei gar nicht zu beschwichtigen, und es verdroß sie sehr, daß Seb sie lehren wollte, das Vergangene als abgethan und todt zu betrachten, sie weinte dann nochmals über solche Rede.

Der Arzt, der auf den Wunsch Seb's allwöchentlich einmal kam, aber auch von selbst, wenn ihn sein Weg in's Dorf führte, Seb besuchte und gern mit ihm über Amerika sprach, der Arzt war ein verständiger Mann und Sebs Tröster und Helfer. Er erklärte das viele Weinen Zilge's als eine Eigenthümlichkeit der Frauen, die oft mit heldenmütiger Kraft das Ungemach ertragen, sich aber von der Erinnerung an dasselbe niederwerfen lassen; sie bespiegeln sich im Mitleid mit sich selber, und kommen schwer darüber hinaus.

»Da haben Sie in's Schwarze getroffen,« sagte einst Seb, als ihm der Arzt den ganzen Zustand Zilges daraus erklärte, daß sie eines Prozeßkrämers Tochter sei, sie habe mit ihrem Mann auch einen Prozeß und wolle ihn auf's Aeußerste hinausführen, und die Entscheidung sei ihr eigentlich nicht recht, auch wenn sie gewinne.

Den Bruder Landjäger, der auf Anrathen Sebs [113] gelinder mit seiner Schwester umgehen wollte, duldete sie gar nicht um sich, sie sagte so oft er kam: »Das ist mein eigen Haus,« und weiter war kein Wort aus ihr herauszubringen. Das ganze Dorf kam nach und nach und redete Zilge zu, doch ihren Starrsinn zu lassen. Sie ließ sich die mancherlei Triumphe nicht entgehen, die sie bei diesen Besuchen hatte; sie lächelte frohlockend, wenn Jedes sagte, wie gut und demüthig Seb gegen sie sei und entgalt es dabei Manchem in scharfen Worten, was er ihr vormals angethan. Zur Verwunderung Aller entschied sie sich aber endlich gegen den Pfarrer dahin, daß Seb allein in die weite Welt ziehen solle, sie bleibe im Dorfe und in ihrem eigenen Hause, es werde noch aushalten, so lange sie lebe.

Seb redete von nun an kein Wort mehr über die Hauptsache, und sie sah ihn darob oft im verbissenen Zorn an. Wie ist es denn möglich, daß er sich drein fügt?

Es handelte sich jetzt nur noch darum, bei wem die Kinder bleiben sollten. Seb machte Anspruch auf eines derselben, wie er dem Pfarrer sagte, auch als Unterpfand, daß Zilge vielleicht dadurch andern Sinnes werde und ihm nachkomme. Er überließ es ihr, welches der Kinder sie hergeben wolle, das Mädchen war ihm anhänglich aber der Knabe bedurfte seiner vielleicht mehr. Auch darüber konnte sich Zilge lange nicht entscheiden, sie weinte wieder viel und schalt innerlich über Seb, der sie gar nicht zu trösten suchte. Auf wiederholtes Bedrängen erklärte sie schließlich im Frühling [114] dem Pfarrer, daß Seb den Knaben mitnehmen möge. Als Zilge aus dem Pfarrhause heimkam, umhalste sie ihren Johannes weinend und sagte ihm, daß er sie nun auf ewig verlasse und mit dem Vater in die weite Welt ziehe. Da riß sich der Knabe aus den Armen der Mutter los, rannte aus der Stube, so sehr ihm auch Seb rief, er rannte durch das Dorf und wendete sich auf den Zuruf des hinter ihm drein folgenden Vaters nicht um. Mit der Behendigkeit eines Rehes sprang er durch die Felder und hinab den Bergwald nach Weitingen, Seb hinter ihm drein, rufend und schreiend, bittend und scheltend. Johannes verlor im Rennen seine Mütze, er wendete sich nicht danach um, der Vater hob sie auf und sie in der Hand schwingend eilte er dem störrischen Kinde nach. Jetzt stand der Knabe an der Stelle, wo Zilge den Trauring in den Neckar geworfen; Seb rief nochmals dem Knaben zu, die Haare standen ihm zu Berge, da spritzte der Strom hoch auf, der Knabe war verschwunden. Seb rannte ihm nach, sprang in's Wasser, schrie laut um Hülfe, das Klappern der Mühle verschlang seinen Hülferuf. Am Mühlrechen erhaschte er das Haupt des Knaben und schrie an die Luft gekommen, mit letzter Kraft um Hülfe: da wurde die Mühle gestellt, die Mühlknappen kamen mit Stangen herbei und halfen Seb und dem Knaben aus dem reißenden Strom.

Der Knabe hing leblos in den Armen des Vaters. Da drang ein gellender Schrei widerhallend durch das Thal, Zilge stand händeringend am Ufer. Die Müllerin eilte über den Steg zu ihr und hielt sie fest.

[115] Eine Viertelstunde entsetzlichen Jammers war in der Mühle. Man rieb den Knaben, der blau geworden, leblos da lag, und als er endlich viel Wasser ausspie, die Augen aufschlug und sie bald wieder schloß, hochauf athmete und den Kopf zurückwarf, fiel Zilge ihrem Manne um den Hals:

»Jetzt kannst du mit mir machen, was du willst. Verzeih mir nur,« rief sie.

»Weil ich das Kind aus dem Wasser gezogen?« fragte Seb.

»Nein, du hast mich auch aus dem Tod geholt, mich auch. Hättest du nur auch meinen Trauring wieder mit herausgebracht,« sagte Zilge.

»Laß ihn versunken sein, ich hab' einen neuen, sieh; den hab' ich dir aus der neuen Welt mitgebracht; jetzt fasse ich dich in Gold.«

Und als der Knabe zum Erstenmal sprach:

»Vater, ich hab' mich nicht in's Wasser stürzen wollen, thu' mir nur nichts,« zog Seb seiner Zilge den neuen Trauring an, und sie kniete vor ihm nieder und bat Gott und ihren Mann tausendmal um Verzeihung und Vergebung ....

Gerade auf den Jahrestag, an dem der Grundstein zu dem eigenen Hause gelegt worden war, hatte Seb die Abreise bestimmt.

Am Abend als der Thau sich auf den Roggen senkte, der eben aus den Aehren schoß, gingen Seb und Zilge Hand in Hand wieder die alten heimlichen Wege durch die grünen Gartenhecken, die jetzt so knospenharzig dufteten und von Vogelgesang erschallten.

[116] »Ach, ich hab' dich so lieb,« rief Seb, »es ist ein' Schand', daß ich dir's sag', aber ich mein' du wärst noch ein jung Mädle und es seien noch die Zeiten, wo wir da miteinander gegangen sind.«

»Und mir ist's, wie wenn wir nicht so große Kinder daheim hätten, und uns erst jetzt bekämen. O, ich hätte dir oft gern gesagt, wie ich dich im Grund des Herzens so gern hab', wie du so geduldig und liebreich gegen mich gewesen bist, aber ich hab' nicht können. Es ist mir gewesen, wie wenn mir Jemand zum Guten den Mund zuhielte. So muß es einem Scheintodten sein, das reden will und nicht kann. Jetzt bin ich selig, glücklich wieder auferstanden.«

Seb lenkte bald wieder in die männlich ruhige Mittelstimmung seines Charakters ein, er war kein Freund von den raschen Umstürzen, und Zilge ließ sich's gefallen.

»Hast du denn drüben auch ein eigen Haus?« fragte sie.

»Das geht schwer, wir ziehen von Stadt zu Stadt und bauen, und hab' ich ein eigen Haus, verkauf' ich's wieder. Wenn du aber willst, sag's nur.« –

»Ich will nichts mehr, als was du willst.«

»Dein Bruder geht auch mit uns,« sagte Seb, und Zilge erwiderte:

»Ich will's ihm vergeben, was er mir angethan hat, man hat mir ja auch viel zu vergeben, aber du ladest dir viel auf mit ihm, er will nichts schaffen.«

»Er wird's in Amerika schon lernen.«

»Ich sag' dir noch einmal, mir zulieb brauchst du's[117] nicht zu thun; du bist mir genug auf der Welt, mein Alles; ich brauch' auch keinen Bruder.«

»Aber lass' nicht von ihm, von Keinem, der einmal mein ist ....«

Wie Neuvermählte glückselig zogen Seb und Zilge mit den Ihren fort in die neue Welt.

[118]

III.
Erdmuthe.

[119][121]

Gottfried von Hollmaringen

Gottfried von Hollmaringen.

»Der Cyprian hat heute das Sonnenwirthshaus in Leutershofen gekauft,« berichtete der Oberknecht des Schultheißen Gottfried von Hollmaringen, als dieser am Abend mit Kindern und Gesinde bei Tisch saß.

»Woher weißt's,« fragte der Schultheiß.

»Bin beim Weinkauf gewesen. Geht lustig her. Sitzen gewiß noch bei einander.«

»Wie theuer hat er gekauft?«

»Haus und Aecker für siebentausend Gulden und zweihundert Gulden Schlüsselgeld für die Frau. Soll billig sein, sagen alle Leut'.«

Weiter wurde bei Tisch nicht gesprochen. Erst als der Sohn, die beiden Töchter und das Gesinde die Stube verlassen hatten, sagte die Frau:

»Laß dich's nicht zu arg verdrießen, daß dein Schwager dir gar nichts von seinem Vorhaben gesagt hat. –«

»Ist schon lang mein Schwager nicht mehr. Das Kind ist todt: die Gevatterschaft hat ein End'.«

»Deiner Schwesterkind lebt ja noch.«

»Freilich, freilich, das paßt jetzt nicht, aber ich will ihm doch zeigen wer ich bin; bin ich sein Schwager nicht mehr, so bin ich doch noch der Gottfried von[121] Hollmaringen und er soll mir nicht mit Unrecht vorgeworfen haben, mir reißt man nichts aus der Hand, ich halt' fest wie eine Beißzang. Ich hab' jetzt eine Staatsbeißzang, und die ist das Gesetz; das Muttergut von meiner Schwester Kind darf er nicht mit in's Ausland nehmen, morgen am Tag schieb' ich ihm einen Riegel vor.«

Während Gottfried noch sprach, rollte ein Wagen mit lärmenden Insassen die Straße herauf, Gottfried steckte den Kopf zum kleinen Schiebfensterchen hinaus und erkannte trotz der Nacht an den Pferden und an den lärmenden Stimmen den Cyprian mit seinen Schmarotzern, die weiter oben im Dorf vor einem stattlichen Haus anhielten, unter Geschrei und Lachen nach Laternen riefen, und als diese und funkelnde Lichter kamen, erneute sich der Lärm, der doppelt laut durch das stille schlafende Dorf drang.

»Du hast einen Rausch wie ein Haus.«

»Nein, jetzt wie zwei Häuser,« hörte man rufen und ein Mann wurde in den erleuchteten Hausflur getragen.

»Du solltest noch zu ihm hinausgehen, er wird ja zum Kinderspott wie er's treibt,« sagte die Frau, als Gottfried tief aufathmend sich in die Stube zurückwendte.

»Hat bis morgen Zeit,« erwiderte Gottfried, »ihr Weiber meinet immer, der morgige Tag lauft davon.«

»Wenn du dein Schwesterkind in's Haus nehmen willst, mir ist's rechtschaffen recht; das Kind verkommt so in dem Durcheinander und bei der herben Stiefmutter.«

[122] »In Gutem läßt er mir das Muttergut nicht und läßt er mir auch das Kind nicht. Mein' Sach ist jetzt nur, dafür zu sorgen, daß meiner Schwester Kind nicht in Armut kommt; wie es ihm sonst geht, dafür muß Gott sorgen und die Verstorbene wird über es wachen –«

Der feste Ton des gelassenen Mannes hatte bei diesen letzten Worten etwas Bebendes, er fuhr sich mit der Hand über das ganze länglich schmale Antlitz, stand auf und ging mit schweren Schritten nach der dunkeln Kammer, sich zu Bett zu legen.

Cyprian hatte vor Jahren die einzige Schwester Gottfrieds geheirathet, von der ein einziges Kind übrig geblieben war, das den Namen der Verstorbenen, Erdmuthe, trug. Seit der Wiederverheirathung Cyprians lebten die Schwäger in einem lauen Verhältniß, das dadurch noch fremder wurde, weil Cyprian sich einem gewissen unruhigen, Zerstreuung suchenden Leben hingab und mit Menschen umging, die sich nicht zur Gesellschaft eines reichen Bauern schickten; ja er kegelte oft ganze Sonntag Nachmittage mit halbwüchsigen Burschen, denen Geld abzugewinnen noch mehr Schande war, als es an sie zu verlieren. Wenn Gottfried seinem Schwager in dem Marktflecken Leutershofen auf dem Kornmarkt oder im Wirthshaus begegnete, grüßten sie einander und wechselten auch manchmal eine Rede, aber offenbar mehr der Leute wegen; sie saßen dann an gesonderten Tischen, Jeder bei seiner Kameradschaft, und daheim im Dorf wichen sie einander wie auf Verabredung aus. Man sagte, die Frau Cyprians sei an [123] dieser Mißhelligkeit schuld, da sie es nicht dulden wollte, daß Cyprian in der gewohnten Abhängigkeit von Gottfried, keinen Pferdekauf, überhaupt nichts unternahm, ohne die Entscheidung des Schwagers einzuholen. Cyprian haßte aber seinen Schwager von selbst und der Haß wächst auf dem verschiedenartigsten Grund und Boden. Einst war Cyprian stolz darauf gewesen, mit Gottfried verschwägert zu sein, jetzt war er voll Aerger, daß immer nur von Gottfried die Rede war, daß Jeder im Dorf und auswärts nur so viel Geltung hatte, als Gottfried ihm zukommen ließ. Der Hauptgrund des Hasses war aber, daß Gottfried immer reicher wurde, während Cyprian trotz seiner Arbeitsamkeit, so oft er einen außergewöhnlichen Vortheil zu erringen hoffte, fast immer Schaden erlitt; er wollte in Kauf und Verkauf seinen eigenen Weg und nicht Gottfried nachgehen wie die Anderen, meist aber schlug das bös aus. Mit der Wohlhabenheit Gottfrieds wuchs auch Cyprians Haß gegen denselben und während man Gottfried äußerst genau, ja karg nennen konnte, schalt ihn Cyprian geizig, habsüchtig und blutsaugerisch, und es gab gute Leute genug, die diese Aeußerungen Cyprians dem Gescholtenen mit der üblichen Zuthat hinterbrachten. Das stille abgelegene Dorf, in dem noch nach der reichen Bauern Art, ein Jeder abgeschlossen für sich lebte, schien aber auch keine rechte Heimath mehr für Cyprian; er saß oft ohne erkennbaren Grund Tagelang in der diesseitigen Amtsstadt oder in dem Marktflecken des Grenzlandes und wenn er in die Wirthsstuben trat, wußte man bereits, was er zu trinken [124] begehrte und brachte es ihm ungeheißen; besonders ein rother Unterländer, den der Sonnenwirth »Weiberzorn« getauft hatte, schien eigens für Cyprian gewachsen. Man erzählte, daß er einst den Erlös von einem ganzen Wagen voll Bretter in der Sonne vertrunken und verspielt habe und als er Abends heimging, rief er: »Machet das Hofthor auf, es will ein Wagen voll Bretter 'naus.« Ein Andermal ließ er in gleicher Weise den Erlös von einem Kalbe draufgehen, und bei jedem frischen Schoppen, der kam, blöckte er wie ein Kalb: »Mäh, mäh.« Solche Geschichten verbreiteten wohl den Ruhm seines lustigen Witzes, Cyprian war aber noch klug genug, um auch zuerkennen, daß Ehre und Ansehen sich daran verzehren. Noch war es von geringer Bedeutung, was er eingebüßt hatte, denn ein wohlbestelltes Gut vermag Manches auszutragen. Cyprian legte sich oft wochenlang jede Entbehrung auf, arbeitete unablässig und sprach mit Niemand, aber eben diese gewaltsame Zurückhaltung verleitete ihn bei der ersten Veranlassung wieder zu einem Rückfall. Endlich hatte er es herausgebracht, daß nur die Einsamkeit und Abgeschiedenheit des Ortes ihn hinausziehe; hätte er kameradschaftliche Ansprache in der Nähe, wäre er in einem Orte, wo er selber als der Erste gälte und nicht Alles Gottfriedische Unterthanen, und hätte er gar ein eigenes Wirthshaus, so müßte es von selbst kommen, daß er wieder der Alte war, ja noch höher stieg. Darum hatte er die Sonne gekauft und sich beim Weinkauf der unbändigen Trinklust hingegeben, denn er hatte gesagt: »Das soll mein letzter Rausch sein. Es thut [125] doch weh, auf ewig Abschied davon zu nehmen, aber es muß sein; ein Wirth, der allezeit halb duselig 'rumlauft, der ist der Garnichts, einen Schluck für den Durst darf man trinken, aber mehr nicht. Komm her letzter Ueberdurst, allerletzter und allerallerletzter.«

Am frühen Morgen schaute Gottfried zum Fenster oder vielmehr zum Eisengitter hinaus, denn das Haus Gottfrieds war eines der ältesten im Dorfe, und alle seine Fenster waren mit ausgetieften starken Eisengittern versehen. Man hatte ihm oft gerathen, diesen Ueberrest der alten unsichern Zeit doch abzuthun, er ließ sich aber nicht dazu bewegen, er fand in dieser Vergitterung nicht nur eine Zierde des Hauses, sie war ihm selber auch anständig und man kann fast sagen, sie hatte sich seinem Charakter aufgeprägt, sein Ausblick in die Welt hatte etwas Feindseliges, er war allzeit auf räuberische Anfälle gefaßt und dagegen geschützt, und in dieser Sicherung gegen die feindliche Welt war sein Blick auch ohne das faßbare Gitter stets von einer geistigen Schutzwehr durchschnitten. Es konnte sich nie Jemand rühmen, daß er ihn ganz in der Hand gehabt habe.

Jetzt sah Gottfried den Cyprian schon hemdärmelig bei der Arbeit, er richtete sein Bernerwägelein her, spielend hob er es mit der Winde in die Höhe, hängte bald dieses bald jenes Rad aus, salbte die Achsen und brachte mit einem leichten Griffe das Rad in Schwung, daß es noch lange sich um und um drehte. Man sah an seinem ganzen rüstigen Gebaren, daß er entschlossen schien, das Leben frisch und von vorn anzufangen. [126] Cyprian war einer der schönsten Männer der Gegend, groß, stark gebaut, vollen runden Antlitzes mit dunkeln Augen voll stillen Feuers, glatter weißer Stirne und braunen von selbst geringelten Haaren. Wenn er lächelte und die weißen Zähne sichtbar wurden, lag eine feine Anmuth in seinem Ausdrucke, wobei er die »Hundsaugen«, wie sie der alte Gottfried genannt hatte, halb verdeckte, was ihm etwas Schelmisches und doch Gutmüthiges gab.

»Bläsi« (Blasius) rief jetzt der zum Fenster hinausschauende Gottfried seinem kaum der Schule entwachsenen Sohn zu, der im Hofe die Ochsen einjochte, »Bläsi, geh hinauf zum Vetter Cyprian und sag ihm, ich laß ihn fragen, ob er nicht zu mir kommen will.«

Bläsi band den Riemen fest, ließ das andere Halbjoch leer und ging das Dorf hinaus. Er war ein besonders schlanker Bursch, wie er dahinschritt, und in den schwarzen ledernen Hosen und den hohen Stiefeln sah er zwar etwas steif aber knappenhaft aus. Als er Cyprian die Botschaft ausrichtete, sagte dieser lachend und den Kopf zurückwerfend:

»Sag' deinem Vater, er hat grad so weit zu mir wie ich zu ihm.«

Bläsi ballte die Faust und preßte die runden Lippen zusammen, als er das Dorf herab schritt. Er kündigte dem Vater die Antwort und sagte, indem er den zweiten Ochsen einjochte: »Zu dem laß ich mich nicht mehr Boten schicken.«

Gottfried befahl nun, daß auch ihm das Bernerwägelein hergerichtet werde; er hatte die Angelegenheit[127] mit Cyprian gütlich beilegen wollen, jetzt blieb es beim Rechtswege.

Noch wirbelte der Staub auf der Straße vom raschen Bernerwägelein Cyprians, als Gottfried hinter ihm drein fuhr. Ein Jeder hatte leeren Platz neben sich, aber unsichtbar saß neben Jedem der zum Feind gewordene Schwager, denn Einer hegte Zornesgedanken gegen den Andern. Gottfried schämte sich, den Zerfall durch die Dörfer kundzugeben, durch die man fuhr; er ließ Cyprian einen Vorsprung. Erst auf der Treppe des Amtsgerichtes begegneten sie einander, Cyprian kam herab, während Gottfried hinauf stieg; sie gingen stumm an einander vorüber, aber kaum war Gottfried einige Stufen gegangen, als er sich umkehrte und in sanftem Tone sagte:

»Cyprian, laß gut mit dir reden.«

»Ich hab' nie was Böses gezeigt.«

»Komm in's Wirthshaus, da wollen wir's ausmachen.«

»Was hast denn?«

»Gieb mir das Kind. Laß mir die Erdmuthe.«

»Und weiter willst nichts?«

»Nichts für mich.«

»Für wen denn?«

»Für das Kind. Thu's Denen unterm Boden nicht an, daß ich dich vor Gericht zwingen muß, das Muttergut heraus zu geben.«

»So? Du kannst mich zwingen?«

»Ich will ja nicht.«

»Will du nur.«

[128] »Thu's in Gutem, es ist ein' Schand vor Gott und den Menschen. Du wanderst aus, das Kind ist bei uns heimathberechtigt –«

»Du hast auch nicht alle Gesetze im Kopf; das Kind ist des Vaters.«

»Kann sein, aber das Muttergut muß sichergestellt werden bei uns; thu's freiwillig, und ich laß da oben die Thüre zu.«

»Mach' du sie nur auf.«

»Cyprian,« sagte Gottfried mit bewegter Stimme, »es ist das letzte Wort, das ich mit dir red', überleg's zweimal.«

»Du kannst mir dreimal zum Teufel gehen. Was mein ist, hältst du nicht hinter deinem Eisenkrems,« höhnte Cyprian.

»Und Du stirbst noch einmal (als Gefangener) hinter einem andern Eisenkrems,« knirschte Gottfried voll Zorn.

Laut lachend ging Cyprian davon. Er schaute nicht mehr um, und Gottfried öffnete die Thüre der Gerichtsstube.

Der Gottfried von Hollmaringen war der Mann, der das, was er einmal wollte, unablässig ausführte. Er brachte es dahin, daß die Auswanderung Cyprians hinterhalten, sowie die beabsichtigte freiwillige Versteigerung von Cyprians Haus und Hof wieder rückgängig wurde. Ueber dieses letztere war Cyprian besonders ingrimmig. Er hatte die Felder sammt dem stehenden Erträgniß verkaufen wollen, was allerdings zum besseren Erlöse von nicht geringer Bedeutung gewesen wäre, jetzt [129] mußte er ernten und dreschen und pflügen und säen, und wollte doch nichts mehr von alle dem, und dazu hatte er noch ein Wirthshaus und Güter in Leutershofen, das Haus stand leer und um die Ernte wurde er halb betrogen. Immer mußte er auf dem Wege hin und her sein und dazu noch vor Amt. Um all' das Ungemach zu vergessen, mußte jetzt Cyprian den Wein zu Hülfe nehmen, aber beim Glase und am nüchternen Morgen schalt er auf Gottfried, der ihn zu Grunde richte. Gottfried grenzte von je her mit seinen Aeckern an viele Nachbarn, er durfte sich rühmen, daß er nie mit Jemand einen Streit gehabt; in diesem Jahre hatte er, wo er an Cyprian grenzte, immer die ärgsten Händel, die natürlich auch von den beiderseitigen Dienstleuten aufgenommen und gehörig ausgebeutet wurden. So war aus dem anfangs nur abwendigen und störrischen Cyprian ein grimmiger Feind geworden. Gottfried aber ging ruhig seines Weges, er verbot in seinem Hause, daß man der bösen Nachreden Cyprians erwähne, ja er that nichts dagegen, als Cyprian ihn einmal selbst öffentlich beschimpfte; er wollte ihn nicht weiter in's Unglück bringen, er hatte seiner Pflicht genügt und blieb im Uebrigen ruhig und gelassen.

Die Feindeskinder und der Schwester Ehrenschmuck

Die Feindeskinder und der Schwester Ehrenschmuck.

Es giebt ein altes Kinderspiel, das überall und zu allen Zeiten unter den verschiedensten Namen verbreitet [130] ist: man wirft einen flachen Kiesel oder einen Scherben wagrecht über die Oberfläche eines Wassers, daß der Stein das Wasser nur berührend oft und oft weiter hüpft, bis er endlich untersinkt. Das nennt man hier zu Lande: Bräutle lösen, und man hat dafür die Deutung, daß es sinnbildlich die feine, nicht so leicht zu erhaschende, hüpfende und tänzelnde Art der Braut darstelle, die lange neckisch sich verhält, bis sie doch endlich dem Naturgesetz folgend, vom Strom des Lebens bewältigt wird. Mag dies die entsprechende Deutung sein oder nicht, gewiß ist, daß Knaben und Mädchen mancherlei Scherz damit treiben; Bläsi, der am Weiher bei der Hanfbreche mit anderen Kindern dies Spiel oft trieb, verstand es, den Stein am meisten auffliegen zu machen, und Cyprians Erdmuthe, die die Kinder ihm als Braut zugetheilt, mußte oft hören, daß sie lange tanzen müsse. In der That behandelte Bläsi sein Geschwisterkind mit brüderlicher Aufmerksamkeit und hatte nichts dagegen, wenn man sie seine Braut nannte.

Jetzt, da die Väter so feindselig geworden, war das anders.

Es ist eine seltsame aber vielfach bewährte Erfahrung, daß die Kinder verfeindeter Verwandter den Familienzwist in eigenthümlicher Weise aufnehmen und leicht auf die Spielplätze übertragen. Der kleinen zehnjährigen Erdmuthe, die ein derbes braunes Kind mit den dunkeln Augen des Vaters war, hatte man das Haus des Ohms Gottfried strenge verboten, sie durfte es nicht mehr betreten und Niemand aus [131] demselben grüßen, ja sie hörte Tag und Nacht die häßlichsten Worte über den Oheim und wußte nicht anders, als er wolle ihren Vater an den Galgen bringen.

Eine ältere Magd im Hause, die noch bei der verstorbenen Mutter gedient hatte, Traudle (Gertraude) genannt, suchte ihr zu erklären, was eigentlich vorging; aber das Kind begriff natürlich nur die Feindseligkeit im Allgemeinen und liebte über Alles seinen Vater, der jederzeit so gut und liebreich war, und jetzt war noch dazu, ohne daß Erdmuthe den Zeitpunkt merkte, auch die Mutter mild und sanft gegen sie, sie kleidete sie immer besonders sauber an und hieß sie manchmal: »lieb's Erdele.«

Wenn Erdmuthe an dem Hause des Oheims vorüberging, schaute sie zur Erde und schüttelte zornig mit dem Kopfe, als wollte sie damit sagen: ich grüße euch doch nicht. Stundenlang saß sie mit ihrem Strickzeug auf der Steinbank vor dem Hause und schaute nur manchmal hinab nach dem Hause des Oheims, und dann stieß sie mit der Faust vor sich hin und verzog das Gesicht zu eigenthümlichem Trotz, und ihr ganzes Wesen sprach: warum seid ihr so bös? Das ganze Haus erschien ihr so stachelig, starr und finster wie die Eisengitter vor den Fenstern, die auch so trotzig auf die Straße schauten. Des Nachbars Claus, ein lahmer Knabe, der an Krücken ging, saß oft bei Erdmuthe und wußte ihr viel zu erzählen, wie tückisch der Bläsi sei, denn so klein der Claus war, gab ihm doch seine Eifersucht auf Bläsi manchen großen Gedanken ein.

Bläsi ging an Erdmuthe vorüber, als ob sie nicht [132] da wäre. Er hatte ihr einmal heimlich Kirschen geschenkt, sie aber warf sie auf die Straße, daß die Gänse sie aufschnabelten. Bei den Spielen zog sich Bläsi oder Erdmuthe alsbald zurück, wenn Eines sah, daß das Andere unter den Theilnehmenden war. Den Cyprian haßte Bläsi so sehr, daß er einmal wochenlang einen Stein bei sich trug, um ihn dem Cyprian an den Kopf zu werfen, wenn er ihn schlagen wolle.

So war der Familienzwist bis tief in die Kinder gedrungen.

Mit den abfallenden Blättern kam auch ein großer Stempelbogen in's Dorf, der das letzte Erkenntniß in dem Rechtsstreite zwischen Cyprian und Gottfried brachte: es lautete zu Gunsten des Letztern. Die Versteigerung wurde nun anberaumt, aber die Hollmaringer sind stolze wohlhäbige Bauern, sie lassen es nicht leicht dazu kommen, daß sich ein Fremder durch Güterankauf bei ihnen ansäßig mache, sie sind froh, wenn einmal ein Acker bei ihnen käuflich wird, um das eigene Gut zu vergrößern oder ein Kind dadurch im Ort zu behalten. Es fehlt daher in Hollmaringen meist an fremden Käufern, und die Helfershelfer, die Cyprian aufgestellt hatte, brachten nur wenig zu Stande; man ließ ihnen einige Güter zuschlagen, vollkommen sicher, daß sie sie bald wieder verkaufen müßten. Das Haus und den größten Theil der Güter erwarb Gottfried unter dem Namen eines Scheinkäufers, und Cyprian war auf's Neue ergrimmt als er dies merkte. Obgleich er die Sitte des Dorfes kannte, und dabei einen erklecklichen Kaufpreis erzielte, glaubte er sich doch übervortheilt [133] und bei dem Weine, der damals noch während der Güterversteigerung getrunken wurde, machte er seinem Groll auf das ganze Dorf und vor Allem auf Gottfried Luft. Man ließ ihn schimpfen wie er wollte, er war nicht mehr ebenbürtig und man verzieh ihm leicht seinen Unmuth darüber. Ein namhafter Theil des Kaufschillings blieb als unantastbare Hypothek zur Sicherung des Muttergutes für Erdmuthe stehen. Um den nicht aus der Fassung zu bringenden Gottfried zu kränken, kündigte Cyprian an, daß er Tags darauf mit dem Hausrath auch einen vollständigen Hochzeitsanzug und zwar den seiner verstorbenen Frau verkaufe. Alles sah auf Gottfried und nur die gedungenen Steigerer Cyprians tranken noch von seinem Weine, alle Anderen gingen still und ohne den üblichen Johannistrunk davon.

Am andern Tag, bei der Versteigerung des Hausraths, war Gottfried fast das einzige Mannsbild unter den versammelten Frauen, und erst gegen das Ende wurde in der That der Ehrenschmuck der Verstorbenen zum Ausgebot gebracht. Man sah und hörte Gottfried nicht an, was in ihm vorging, als er ein Stück des Gewandes nach dem andern zu hohem Preise erwarb. Er machte sein Anbot immer mit gleicher ruhiger Stimme. Es war noch ein Gewand aus der ehrenfesten Bauernzeit, das sich schon auf das zweite Geschlecht vererbt hatte. Der kleine runde Strohhut mit gewässerten schwarzen Knüpfbändern mit rothen Wollrosen verziert, die rothen Zopfbänder, die schwarzsammtne, auf dem Rücken weit ausgeschnittene Jacke, [134] der sogenannte Schoben, das Scharlachmieder mit den silbernen Nesteln und Kettchen, der aus Silberdraht und Felbelschnüren gedrehte Gürtel, ein besonderer nur an Ehrentagen getragener Schmuck, der blaue faltige Rock mit den verschiedenfarbigen Einfassungen, die feine weiße Schürze, die rothen Strümpfe und Stöckleschuhe, Alles das erwarb Gottfried eines nach dem andern und legte es wieder mit Andacht in die kenntlichen Falten, da es der Ausrufer auseinandergerissen hatte. Er sprach kein übriges Wort und nur den jedesmaligen Kaufpreis. Als aber jetzt wieder ein Stück Hausrath an die Reihe kam, gebot er Stille und fragte den Ausrufer:

»Ist die siebenfache Granatenschnur mit dem Schwedendukaten nicht auch dabei?«

»Den Halsschmuck hab' ich,« lachte Cyprian, »ich hab' mir ihn durch die Gurgel laufen lassen.«

Gottfried knüpfte still das Erstandene in ein weißes Tuch und ging damit fort.

Vor dem Hause traf er die kleine Erdmuthe, sie saß auf der Steinbank und weinte.

»Was ist? hat dir Jemand was than?« fragte er, die Hand auf das Haupt des Kindes legend; das Kind antwortete nicht und er fuhr fort:

»Kann mir's denken, daß dir in dem Durcheinander bang ist; es sieht sich Niemand nach dir um. Hast denn was zu Mittag gessen?« Das Kind nickte bejahend, und abermals sagte Gottfried:

»Möcht' dir gern noch anders helfen, aber ich kann nicht. Sei nur geduldig und folgsam und halt dich[135] brav, und wenn du groß bist, und so brav wie dein Mutter selig, schau, da darin ist ihr schönstes Gewand, aber brav mußt du sein und denk, du hast noch einen Annehmer in der Welt, du verstehst das jetzt noch nicht, aber du wirst's schon kennen lernen. Jetzt heul' nicht mehr und laß dir's nicht verbieten, und komm' auch noch zu mir, eh du fortgehst. Jetzt heul' nicht mehr.«

Gottfried ermahnte das Kind zur Fassung und ihm selber quollen trotz aller Gegenwehr Thränen aus den Augen, und er trocknete sie mit einem Zipfel der Schürze ab, die aus dem Bündel hervorhing; das Ehrengewand der Seligen saugte seine Thränen auf. Er gewann schnell wieder seinen Halt, denn Traudle kam aus dem Garten herbei, sie gab Erdmuthe mehrere Zwetschgen und hier bewährte sich wieder, daß Zukunftsversprechungen bei einem Kinde nichts verschlagen, die gegenwärtigen Zwetschgen wirkten mehr als der versprochene Ehrenschmuck vom Oheim. Erdmuthe war heiter und Gottfried sagte Traudle, daß sie jedes Jahr ein Weihnachtsgeschenk von ihm zu erhalten habe, so lange sie bei Cyprian bleibe und auf das Kind Acht habe. Traudle versprach es, schon um der Verstorbenen willen.

»Ich habe mein Kind meiner Schwester in Lichtenhardt geben müssen,« setzte sie hinzu, »ich will die Erdmuthe für das meinige ansehen.«

Traudle war eigentlich die Schwägerin Cyprians zu nennen, denn sie war mit ihrem Kinde die Hinterlassene seines Bruders. Dieser, ein weit bekannter [136] übermüthiger Geselle, war bei einer Hochzeit in Isenburg ertrunken. Der Wirth hatte vier überzählige Gläser Glühwein an einen Tisch gebracht, da rief der Bruder Cyprians: »nur her, sie sind alle mein,« und als er heimwärts ging, verfehlte er den Weg und ertrank. Als die Schwester Gottfrieds heirathete, nahm sie Traudle zu sich in's Haus und so war sie in demselben verblieben und hatte sogar über Cyprian eine gewisse Gewalt.

Cyprian verbot es streng, daß Erdmuthe noch im Hause des Oheims Ade sagte, er hatte nichts mehr, womit er Gottfried kränken konnte, als dieses und er wollte es ausnutzen. Gottfried hatte ihm die Freude des Umzuges durch den Rechtsstreit und durch die Verluste verdorben, er zwang sich nun zu übertriebener Lustigkeit beim Abschied. Als er aber am Hause Gottfrieds vorüber fuhr und auf der Fensterstange vor den Eisengittern den Ehrenschmuck hängen sah, den man lüftete, wurde er plötzlich still und schaute nach den Kindern, die hinter ihm saßen, unter ihnen Erdmuthe.

Die Sonne geht auf und steht im Mittag

Die Sonne geht auf und steht im Mittag.

In der Sonne zu Leutershofen schien Cyprian erst recht zu blühen und sich zu entfalten. Er hatte trotz aller Verzögerung doch noch immer einen schicklichen Kauf gemacht, die weiten Räume des Hauses thaten ihm wohl und das allzeit rührende Leben darin noch mehr. Die ganze Art des lebhaften gewerbsamen Ortes [137] sagte ihm zu und er betheuerte oft, hier wisse man doch auch, daß man auf der Welt sei; in einem Dorf wie Hollmaringen sei man schon bei lebendigem Leib halb gestorben. Hier bekam man jeden Tag bei mehreren Bäckern frisches Brod. Jeden Abend Schlag acht Uhr und jeden Morgen Punkt halb sechs rollte der Eilwagen durch den Flecken und an Sommerabenden, besonders aber am Samstag Abend, blies der Postillon jedesmal durch den ganzen Ort, denn die Kinder liefen behende neben ihm her und ließen nicht ab, bis das Posthorn ertönte und jauchzten und hüpften bei den Klängen, und die Eltern, die vor dem Hause sitzend Feierabend hielten, schauten fröhlich auf. Leutershofen war nicht nur ein Marktflecken an der Staatsstraße mit einer Schranne von nicht geringer Bedeutung, es war auch glücklich zwischen zwei Bergen gelegen; kamen die Fuhren vom Thal herauf, so mußten sie hier neuen Vorspann nehmen, vor dem Hause standen fast allzeit mehrere mit Blahen überzogene Frachtwagen und während die Pferde an den fliegenden Krippen fraßen und die Sperlinge bei ihnen schmarotzten, saßen die blauhemdigen Fuhrleute in der Wirthsstube und labten sich an Speise und Trank, und Cyprian that ihnen Bescheid; den rothen sogenannten Weiberzorn ließ Cyprian nie ausgehen. Die Frau erwies sich als emsige Wirthin, und Traudle war bald die beliebteste und gesprächsamste Kellnerin, so weit eine dem Fuhrmann beim Eintritt Peitsche und Hut abnimmt und im Aufsagen der vorräthigen Speisen und Getränke dieselben lobend schmackhaft machen kann. [138] Auch Kutschen mit vornehmen Reisenden wurden bisweilen von der Sonne, die Cyprian hatte neu vergolden lassen, angezogen und Cyprian verstand es, die Landeszeitung mit einigen Worten zu bringen, die den Mittheilsamen leicht zu einem Gespräche anregten. Die Haupternte der Woche war aber immer am Tage des Kornmarktes; da war am Tag ein Lärmen und Rufen in der großen Wirthsstube, lauter als auf dem Markte selber, und waren die Kornpreise hoch gestiegen, hörte das Schlemmen bis tief in die Nacht nicht auf, der einfache Landwein galt nichts mehr, warmer Würzwein mußte her und oft sogar Ueberrheiner und Champagner. Cyprian ließ es natürlich nicht fehlen, sich auch bisweilen als uneigennütziger Wirth zu zeigen, und kaum ein Jahr war vergangen, als sein Gesicht so breit war wie die Sonne in seinem Schilde. Er lachte viel und besonders, wenn man ihn wegen seiner Breite neckte und sagte dann oft: das käme nicht vom Essen und Trinken, sondern davon, daß er den Mauskopf – diesen Unnamen hatte Gottfried – nicht mehr vor Augen sehe. In der That kamen die Hollmaringer wenig und was Gottfriedisch war, gar nicht in die Sonne, sondern hielten ihre Einkehr im Ochsen. Cyprian hatte fast allezeit sechs Roß auf der Straße als Vorspann und drei Jahre lang übernahm er die Haberlieferung für die Kavallerie zweier Garnisonsstädte; er mußte aber seine Rechnung nicht dabei gefunden haben, denn er wollte nichts mehr davon wissen.

Erdmuthe war in dieser steten Fürsorge für Andere wenig beachtet der Schule entwachsen, nur Traudle[139] nahm sich ihrer an und tröstete sie oft, wenn sie darüber klagte, daß der Ohm Gottfried und Bläsi ohne Gruß am Hause vorüberfuhren und sich gar nicht um sie kümmerten; sie selber durfte sich ihnen nicht nahen, denn der Vater hatte ihr das Härteste angedroht, wenn er solches erführe und der Vater war doch nächst Traudle ihre einzige Stütze und gab ihr verstohlen manchmal ein gutes Wort. Sonst wurde sie viel gescholten, denn sie sollte jetzt die Gäste bedienen helfen, sie aber war schüchtern und verscheucht, wurde über und über roth bei jedem Wort, das ein Fremder ihr sagte, und doppelt wenn er dann erklärte, daß dieses Erröthen sie noch schöner mache als sie eigentlich schon sei. In der Angst vor den Fremden und vor den eigenen Angehörigen ließ sie oft volle Gläser und Flaschen aus der Hand fallen und hatte darob böse Zeit. Traudle tröstete sie wohl beim Schlafengehen, indem sie ihr alte Mährchen erzählte von Kindern, die viel hätten leiden müssen und dann eine Krone errungen. Erdmuthe wußte zwar nicht, woher die Krone kommen sollte, aber diese Geschichten trösteten, ein unnennbarer Zauber stieg aus diesen Wundermähren in das Herz und wie ein kleines Kind bat sie oft Traudle am Abend, ihr noch mehr solcher Geschichten zu erzählen. Der Vater erlöste sie endlich aus der Wirthsstube und dem unmittelbaren beständigen Verkehr mit der harten Mutter. Eines Sonntags, nachdem Erdmuthe den Weiberzorn zu einer Wahrheit gemacht, da sie eine Flasche des rothen Weines einer fremden Dame über das weiße Kleid schüttete, sagte der Vater am Abend [140] im Familienrathe: »Ich sehe schon, Erdmuthe, du bist Gottfriedisch, was denen nachschlagt, paßt nicht unter Menschen, nur unter Vieh und auf's Feld. Von morgen an hast du nichts mehr in der Stube zu thun, du versorgst mit dem Knecht und der Magd unser Bauernwesen. Ist dir's recht?«

»Ja. Ich dank', Vater.«

Die Frau wollte diese neue Anordnung nicht gestatten, man würde es ihr aufbürden, daß sie das Kind gegen die ihrigen zurücksetze, aber Cyprian blieb fest.

Von nun an war Erdmuthe überaus heiter, der Knecht und die Magd berichteten, man habe gar nicht gewußt, welch ein lustiger Vogel die Erdmuthe sei; sie trällere den ganzen Tag und wisse beim Ausruhen gar wunderbare Geschichten zu erzählen, daß man sich wie in einer andern Welt vorkäme und jede Arbeit gehe ihr so flink von der Hand, als hätte sie schon Jahre lang die schwersten Geschäfte verrichtet.

Erdmuthe wurde sonnverbrannt, aber dabei stark und groß, sie hatte gar nichts vom Vater als die braunen Augen mit dem breiten stillen Feuer, im Uebrigen schien sie ganz der Mutter nachzuarten. Am Markttage, wenn's im Hause lustig herging, war Erdmuthe fast immer betrübt. Es waltete ein eigener Zufall, daß, so wie sie einen Schritt aus dem Hause ging, sie immer Bläsi begegnete, er fuhr, ritt oder ging immer an ihr vorüber, als ob es ihm ein Geist verrathen hätte, daß sie kommen würde. Die Beiden gingen rasch an einander vorüber, ohne zu grüßen; Anfangs war es das strenge Verbot des Vaters, was [141] Erdmuthe davon abhielt, bald aber setzte sich eine selbständige Feindseligkeit in ihr fest und ebenso in Bläsi. In Hollmaringen sagte dann Bläsi am Abend zu seiner Schwester, die einen Sohn des Rodelbauern geheirathet: hatte und im Hause Cyprians wohnte: »Es ist doch unerhört, die Erdmuthe ist doch meine einzige Verwandte und geht an mir vorbei wie an einem Stock; ich sag's ihr aber nächstens einmal, sie geht mich gar nichts an, sie ist meine Verwandte nicht.« Fast ganz dasselbe sagte dann Erdmuthe am Abend dem Traudle und wenn diese dann eine künftige Liebe daraus deuten wollte, wehrte sie sich mit aller Macht dagegen und betheuerte, ihr nie mehr von Bläsi zu sprechen; dennoch konnte sie sich nicht enthalten, ihr oft und oft zu erzählen, wie grimmig sie heute den Bläsi angesehen, daß er die Augen habe niederschlagen müssen. Einmal erzählte sie sogar, daß Bläsi ihr habe zusprechen wollen, sie aber sei davon gelaufen und habe sich nicht an ihn gekehrt.

Cyprian war oft unwirsch, er mußte mancherlei geheimen Kummer haben und nur Einen sprach er laut aus; es ärgerte ihn, daß er sein ältestes Kind, das er innig liebte, aus seiner Nähe hatte verdrängen lassen und manche üble Nachrede sich dadurch zugezogen hatte. Er wollte Erdmuthe wieder im Hause um sich haben, aber sie willfahrte ihm nicht. Hinter dem Schenkgitter suchte er über Mancherlei Vergessenheit zu trinken und brachte dadurch neues Ungemach zu Tage. Das Gelübde, daß der Rausch beim Weinkauf des Hauses der allerletzte sein sollte, war schon längst [142] übertreten und nicht mehr in Erinnerung. Erdmuthe sah den Zerfall im Hause wohl und so wehe es ihr that, den Vater sich allein zu überlassen, sie hielt sich jetzt doppelt gern in Feld und Stall auf und selbst im Winter saß sie meist still in der Stube an der Kunkel. Es kamen manche Freier, die um Erdmuthe anhielten, der Vater wies sie alle ab und wenn sich Einer dem Mädchen selber näherte, wußte der Vater so viel Verdorbenheit und Schlechtigkeit von einem Jeden zu sagen, daß Erdmuthe gern darein willigte, Jeden von sich zu entfernen. Auch Traudle half dem Vater dabei, denn sie nährte unablässig die Hoffnung, daß Erdmuthe den Bläsi heirathen und sie wieder nach Hollmaringen zurückbringen müsse.

Die Sonne geht nieder

Die Sonne geht nieder.

Ein lustig grünender Baum, dem plötzlich und auf immer der Bach abgegraben wird, der seine Wurzeln tränkte, kann von seinem Schmerze nichts kundgeben und er verdorret still; der Mensch aber, auch der an die Scholle gebundene, kann doch klagen und schelten wenn er verkümmert und kann einen Versuch machen, ob er neuen Boden gewinne.

Die Eisenbahn, die durch das Schwabenland gezogen wurde, beschäftigte alle Gemüther landauf und landab; man schalt darüber, man stritt hin und her und die Klügeren lachten ob der neuen Mode, die auch wieder aufhören würde, wie viele andere. Die[143] Eisenbahn wurde vollendet, allerlei Fabelhaftes ward erzählt und es zeigte sich, daß sie einen guten Theil des Verkehrs auch der weit abgelegenen, durch Leutershofen führenden Landstraße entzog. Der Vorspann wurde geringer, aber Cyprian fand ein neues Mittel, er kaufte einen im Ort nie gesehenen Stellwagen und ließ ihn jede Woche zweimal regelmäßig nach der Hauptstadt gehen; er sicherte sich dadurch einen stetigen Verdienst und eine nicht unergiebige Einkehr in seinem Wirthshause; aber kaum ein Jahr war vorüber, als neues Mißgeschick sich an ihn herangrub. Die ganze neue Straßenbaukunst gewann durch die Erfahrungen bei der Eisenbahn eine veränderte Gestalt; hatte man ehemals die Straßen über Berge geführt, so scheute man jetzt einen Umweg nicht, wenn man nur die Straße möglichst eben legen konnte. Die neue Welt will im Trabe fahren und nicht mühselig über Berge kriechen. Die Jahrhunderte alte Heerstraße wurde brach und eine neue im Thale gelegt und durch Dämme geschützt. Ganz Leutershofen, besonders aber der Sonnenwirth, empfand die unausweichliche Brache, und doch mußte man noch Alles in Stand halten, um plötzlich aufzuhören. An den Tagen des Kornmarktes äußerte sich die neue Gestaltung der Verhältnisse besonders in hässigen Neckereien mit den Einwohnern von Bieringen, Isenburg u.s.w.; das waren Dörfer, die man ehemals gar nicht oder nur mit Spott über ihre Abgelegenheit genannt hatte, aber die neuen Weltmänner ließen es an überhebenden Anzüglichkeiten gegen die vormals stolzen Dörfer an der Landstraße nicht fehlen. [144] Cyprian suchte aus seinem Mißgeschick den letzten Vortheil zu ziehen, er übernahm mehrere hundert Klafter Steinfuhren in Accord für den Straßenbau und rüstete dazu Knechte, Roß und Wagen; aber es scheint oft, als ob sich eine Tücke des Schicksals, wenn es sich einmal feindlich gestellt, in Allem erweise; Cyprian erlitt so viel Schaden an Pferden, Wagen und Geschirr, daß er sich einen namhaften Verlust zuzog. Nun dachte er daran, sein Anwesen zu verkaufen und sich im Thale anzusiedeln, aber es wollte sich für Beides kein sogenannter Schick finden. Endlich wollte er wieder ganz Bauer werden und ging mit Eifer in's Feld, aber er war, wie er sonst oft neckend eingestanden hatte, »zu mast« geworden; bei der kleinsten Handthierung versetzte es ihm den Athem und rann ihm der Schweiß von der Stirne. Nun ließ er endlich Alles kommen wie es kommen mag.

Die Thalstraße war fertig und in dem Sonnenwirthshause mit den weiten, zur Aufnahme vieler Menschen hergerichteten Räumen war es doppelt öde. Das Sprüchwort sagt, daß man sich ob der leeren Krippe leicht zankt; das bewährte sich nun. Der Sonnenwirth hatte aber manchen Tröster im unterirdischen Dunkel, der ihm die Zeit kürzen und vergessen half. Stunden, ja Tage lang lag er im offenen Fenster, das rothe Taschentuch als Polster untergeschoben, und schaute träumend hinaus in's Freie, er hoffte, es müsse endlich ein schicklicher Käufer kommen, denn er hatte das Anwesen wiederholt in den Zeitungen ausgeboten, um es aus freier Hand zu verkaufen. Was[145] er dann beginnen wollte, das überließ er der Zukunft. Wie öde und leer war jetzt der große freie Platz vor dem Hause! Man hörte nichts als das Plätschern des allzeit rinnenden großen Röhrbrunnens, die fliegenden Krippen, ehedem den Fuhrleuten zur schnellen Fütterung bereit, lagen wie müde und mancher Beine beraubt bei zerbrochenen Flaschen in einem Winkel, und das ganze Dorf war still, am hellen Tag wie eingeschlafen. Jetzt gab es keinen Kornmarkt mehr, jetzt bekam man nicht mehr täglich frisches Brod, kein Posthorn schallte mehr unter jauchzenden und springenden Kindern durch die Gassen.

Cyprian sah dem Zerfall des ganzen Hauswesens mit einer Gleichgültigkeit entgegen, wie sie Uebertäubung und das dämmernde Bewußtsein des unabänderlichen Einsturzes so oft erzeugt. Die Frau, von je her leichtfertigen Sinnes, machte sich von den guten Tagen noch zu Nutze, so viel man vermochte, und da Schelten und Zanken mit ihrem Manne nichts half, wollte sie noch mit genießen, solange sich Etwas vorfand; von Fässern und Bütten waren die Reifen gesprungen, und sie kochte mit den bequemen Brettern. Zwei Aecker waren verkauft, andere verpfändet, man zehrte sich auf, so lange Etwas da war. Cyprian redete sich noch ein, daß er freiwillig verkaufen wolle, während er täglich mehr dem Schicksal entgegen ging, von Haus und Hof gesetzt zu werden. Er gab die Gastwirthschaft nicht aus und bezahlte die Steuern dafür, ohne so viel einzunehmen als diese betrugen; er glaubte des künftigen Verkaufes wegen das Gewerbe,[146] wenn auch nur nothdürftig aufrecht erhalten zu müssen. Mitunter bekam er noch ein Fäßchen Branntwein oder halbsauren Wein zu hohen Preisen geborgt, in der Regel aber war der Keller leer, und wenn ein Handwerksbursche, der ab der Straße durch die Dörfer zog, in der Sonne einkehrte, wurde Traudle zu dem Ochsenwirth geschickt, um von dort unter der Schürze verborgen das Verlangte zu holen, und Cyprian sagte dem Harrenden wie sich selbst verhöhnend: »Mein Keller ist ein bisle weit weg.«

Nach und nach ging Cyprian weiter und verkaufte was nicht niet- und nagelfest im Hause war: gestern verspeiste man einige Stühle, heute einen Tisch, morgen Gläser, Pfannen, Pferdegeschirr u.s.w. Oft mußte Traudle, meist aber Erdmuthe, wenn es Nacht war, vom Vater begleitet, kleinere Gegenstände und Bettstücke nach der Stadt tragen. Das waren schwere Gänge, der Vater jammerte allezeit und wünschte sich den Tod, und war er auch auf dem Heimwege nach der Einkehr im Wirthshause wohlgemuther, bei der geringsten Anregung konnte er über sein Schicksal weinen und ließ sich nur mit Mühe beruhigen.

Seltsamerweise, aber nicht ohne Grund, hatte Erdmuthe seit dem Zerfalle des Hauses lauter gute Tage, selbst die Mutter schalt sie selten und war oft freundlich gegen sie. Diese Frau war immer wieder heiter wenn zeitweilig Fülle in das Haus einzog. Erdmuthe empfand die ökonomische Auszehrung im Hause oft schwer und es war ihr, als müßte die Decke über ihr einstürzen; aber das Gefühl, daß sie nun liebreich [147] gehegt und die Erste im Hause war, ließ sie manchmal wieder Alles vergessen.

An dem Tage, als von Obrigkeitswegen das goldglänzende Schild am Hause eingezogen und die Gant verkündet wurde, weinte Alles, Groß und Klein, und ließ sich den ganzen Tag nicht am Fenster und nicht auf der Gasse sehen, und zum Erstenmal hörte Erdmuthe, daß sie allein die Stütze und Hoffnung des Hauses sei. Am Abend erklärte ihr Traudle, was das zu bedeuten habe, und warnte sie, sich auch zu Grunde zu richten, sie könne doch den Anderen nicht helfen.

Schon bevor die Ganterklärung eingetreten war, hatte Erdmuthe sich dazu verstehen müssen, zur Nachtzeit viele Habseligkeiten aus dem Hause zu schaffen und bei Bekannten unterzubringen; jetzt, nach dem Ganterkenntniß, ging es im Hause erst recht an ein Ausrauben desselben, als wäre es ein fremdes und feindliches. Die Behörde hatte zwar aufgeschrieben was sich vorfand, aber es gab doch noch Manches bei Seite zu schaffen, und endlich wurden sogar auf dem Speicher die Böden ausgehoben und die Bretter verkauft. Cyprian hatte es klug dahin gebracht, daß sich die Gant in die Länge zog, und er schien nie glücklicher gelebt zu haben als eben jetzt, seine Gläubiger mußten ihn erhalten, er zehrte, wie man es nennt, von der Masse, er lebte fast wie ein Beamter von seiner Besoldung; aber auch dies nahm ein Ende und im Frühling, als Erdmuthe zwanzig Jahre alt wurde, mußte sie mit den Eltern und Geschwistern in eine kleine Leibgedingwohnung ziehen.

[148] Cyprian wollte Traudle aus dem Dienst entlassen, aber auf die Bitten Erdmuthe's behielt er sie; er sprach es aus und zeigte es auch, daß er Erdmuthe zulieb Alles thue.

Man rieth Cyprian, er möge sich doch mit Gottfried in Hollmaringen aussöhnen und nachgeben; wenn man Feuer wolle, müsse man es in der Asche suchen; aber Cyprian wollte davon nichts wissen, er sagte, daß er über's Jahr in die neue Welt auswandere.

Der Ohm Gottfried von Hollmaringen kam einmal und ließ Erdmuthe zu sich in's Wirthshaus rufen. Cyprian stellte ihr jetzt frei, ob sie einen Mann besuchen wollte, der ihren Vater keines Wortes würdige und eigentlich an seinem Unglück Schuld sei, wobei er den Verlust, den er bei seinem Umzug gehabt, noch sehr vergrößerte. Erdmuthe verneinte, und nun kam Gottfried zu Cyprian in seine Stube; er schaute sich hin und her um und sagte zu Erdmuthe, ohne Cyprian zu grüßen, er habe kein Geheimniß vor dem Vater, und wolle sie nur fragen, ob sie zu ihm ziehen wolle, seine zweite Tochter verlasse nun auch das Haus. Erdmuthe erklärte, daß sie bei ihrem Vater bleibe, und als Gottfried sie zur Hochzeit seiner jüngsten Tochter einlud, lehnte sie auch dies ab; sie war dem Manne gram, der ihrem Vater kein Wort gönnte, weil er jetzt in Armuth war.

Ein geschmücktes Opfer

Ein geschmücktes Opfer.

Das war ja wie aus den alten glücklichen Märchen, als Erdmuthe an ihrem einundzwanzigsten Geburtstage [149] in ihrer Dachkammer erwachte und ein blinkendes Geschmeide vor ihren Augen schweben sah, aber der es ihr darreichte, war kein Zauberer und kein Geist, sondern der Vater, der es ihr selber um den Hals nestelte und stumm weinend sie küßte.

»Was ist denn? was ist denn?« fragte Erdmuthe noch halb träumend. Der Vater setzte sich zu ihr auf den Rand des Bettes und tief athmend begann er:

»Das ist das Geschmeide deiner Mutter selig, das hab' ich nicht hergegeben, in keiner Noth, das ist so bestimmt gewesen, das sollst du heut haben. Heut vor einundzwanzig Jahren –«

In Erinnerungen verloren konnte der starke Mann nicht mehr weiter reden und weinte laut.

»Habt Ihr nicht den Ehrenschmuck meiner Mutter verkauft? Deswegen ist Euch ja der Ohm Gottfried so feind?« fragte Erdmuthe.

»Ich hab' die Kleider verkauft, um den Mauskopf zu ärgern, und sie wären doch vermodert, aber den ächten Ehrenschmuck hab' ich doch behalten. Schau Erdmuthe,« und Cyprian faßte ihre Hand, »du bist mein liebes Kind, du bist mein einziges Kind, mein einziges ... du bist mir an's Herz gewachsen wie keines sonst ... du weißt's, wenn ich dir's auch nicht oft sag' –«

»Ja, ja, Vater, das weiß ich.«

»Schau, du kannst aus mir machen was du willst, einen Bettelmann oder einen Ehrenmann, oder Einen, der sich selbst um's Leben bringt.«

»Was kann Ich denn thun?«

[150] »Hör' ruhig zu, hör' nur. Schau, du wirst heute großjährig und du kannst dir den Himmel auf Erden verdienen, du ziehst dein Vermögen an dich, es bleibt dir, ich nehm' dir keinen Groschen davon, als was wir zur Reise brauchen, drüben können wir uns schon selber helfen. Verstehst mich? Verstehst, was ich mein'?«

»Ja, ja, das thu ich von Herzen gern, das Traudle hat das schon lang geahnt und hat mich bereden wollen, ich soll's nicht thun, aber ich thu's doch, da habt Ihr mein' Hand drauf. Machet nur, daß Niemand was davon erfährt –«

»Nicht so, liebes Kind, das geht nicht. Du mußt vor Gericht dein' Sach verlangen, du kannst's jetzt –«

»Könnet Ihr nicht das für mich?«

»Nein, du mußt selber und es hat gar kein' Gefahr dabei, du brauchst kein' Angst haben. Nur mußt fest bleiben. Wirst sehen, sie werden Alle kommen und werden sagen, dein Vater ist ein Lump und er verputelt dein Vermögen auch noch, und so und so. Da mußt dich nicht abspenstig machen lassen, von Gutem und von Bösem nicht. Kannst das? Du kannst wenn du willst und wenn du daran denkst, daß du deinen Vater und die Deinigen von Schand' und Tod errettest –«

»Ja, ich kann's, Ihr werdet sehen, ich kann's, ich thu den Ehrenschmuck an und halt' ihn in der Hand, und da wird mir kein Wort im Hals stecken bleiben. Verlasset Euch darauf.«

»Schwör' mir: so wahr wie dir dein' Mutter im Himmel beistehen soll, daß du fest bleiben willst.«

[151] »Ich brauch' nicht schwören. Lasset mich's so ausführen, es ist mir leichter. Trauet Ihr denn Eurem Kind nicht?«

Cyprian verbarg sich mit der Hand rasch die Augen und sagte schnell: »Alles, Alles, du liebes gutes Kind.« Er sagte ihr noch, daß sie das Halsgeschmeide verborgen halten müsse, da sonst Niemand etwas davon wisse und er seinen Stolz darein setze, für schlechter zu gelten als er sei.

Als Cyprian zu seiner Frau in die Stube kam, sagte er zu ihr:

»Das ist ein Kind, das ist ein wahrer Engel, ich bin's nicht werth, daß ich so ein Kind habe.«

Die Frau lachte in sich hinein.

An diesem Tag ging es festlich und vollauf bei Cyprian her, fast wie in seinen besten Zeiten, und Erdmuthe war der gefeierte Mittelpunkt von Allem, selbst ihre Geschwister, die sonst nur Boshaftigkeiten an ihr ausübten, waren heute freundlich und dankbar ob des Kuchens, den sie durch die Schwester erhielten.

Tags darauf geleitete der Vater selber Erdmuthe bis gen Hollmaringen, er sprach wenig, nur manchmal schärfte er der Tochter noch ein, wie sie sich seinen abwendig machenden Feinden gegenüber zu benehmen habe. Er wollte Erdmuthe wiederholt die Anleitung geben, daß sie sagen möge, der ganze Plan ginge von ihr aus, und es habe ihr Niemand einen Gedanken davon eingeflößt, aber Erdmuthe sagte:

»Vater, das geht nicht, ich komm' viel besser durch, wenn ich bei der Wahrheit bleib'. Und was brauchen [152] wir denn da läugnen und verhehlen? Es ist ja in der Ordnung, daß das Kind dem Vater folgt; da kann kein Mensch was davon loshauen.«

Wenn der Vater den Blick zur Erde geheftet, gramvollen Antlitzes so dahin schritt, betrachtete ihn Erdmuthe oft mit stillem Mitleid und sie freute sich wieder, daß es ihr gegeben sei, Alles wieder gut zu machen, und sie gedachte mitten in ihrem praktischen Vorhaben der Märchen, wo die Kinder ausziehen, um das Lebenskraut für den kranken Vater zu holen, und mit Muth allerlei Fährlichkeiten bestehen.

Als man Hollmaringen auf der breiten Ebene vor sich sah, und der Weg von der alten Hauptstraße nach dem Dorfe abbog, stand der Vater still und sagte, daß er wieder umkehre und in Seebrunn im Rößle, dem ersten Hause des Dorfes gegen Hollmaringen, auf die Rückkehr Erdmuthes warten wolle. »Du weißt alles,« sagte er, »und geh in Gottes Namen.« Er setzte sich an den Wegrain und preßte die gefalteten Hände auf den Schlehdornstock zwischen seinen Knieen. Als er nach geraumer Zeit wieder aufschaute, sah er Erdmuthe dem Dorfe zugehen, sie wendete sich nicht mehr um und schritt ruhig fürbaß, und plötzlich wurde dem Vater schwer bange: dort ging sein Kind, und was es unternahm, entschied für ihn über Leben und Tod; wenn die Verwandten das Mädchen überredeten und gleich zurückbehielten, war er verloren – es war jetzt großjährig und konnte über sich schalten wie es wollte. Wankenden Schrittes und oft stille stehend, kehrte Cyprian um, die Welt war frühlingsgrün, voll[153] Sonne und Lerchensang, aber der von schweren Sorgen Bedrückte ist in ihr wie in einem Kerker, Kummer und Qual durchschneiden jeden Ausblick wie Eisenstäbe am Kerkerfenster.

Erdmuthe ging indeß ihres Weges wie in einer Verzückung, die Menschen auf den Feldern und auf dem Wege kannten sie nicht, aber jeder Baum, jede Hecke, jeder Graben grüßte sie mit tausend halbvergessenen Kindeserinnerungen, und sie selbst schaute umher mit großen, verwundert dreinblickenden Augen, wie ein Kind, das aus dem Schlaf erwacht; die Lerchen jubelten, die Bäume blühten, die Sonne schien so hell, und im Herzen des Mädchens lebte, ihr selbst unbewußt, der beglückende Gedanke, daß sie einer rechtschaffenen That entgegen ging, und ihr ganzes Sein war von Freude übervoll. Sie ging dahin, als würde sie von einem unsichtbaren Wesen an der Hand geführt, und plötzlich stand sie still und eine tiefe Trauer schlich sich in ihr Herz, daß sie nicht hier bleiben sollte, wo sie so ganz, wo sie allein daheim war. »Und du bleibst ewig da,« sagte sie fast laut vor sich hin, sie wußte nicht woher es kam. Da sah sie den von einem Buchenzaune umfriedeten Gottesacker. Jetzt wußte sie was hier so wunderbar zu ihr sprach; sie ging in den Friedhof, sie las die Inschriften vieler Kreuze, und es wurde ihr ganz wirr von dem endlosen Sterben der Menschen, das hier von Schritt zu Schritt zu ihr sprach. Da las sie im Tiefsten erschreckt auf einem halb eingesunkenen Kreuz ihren eigenen Namen: es war das Grab ihrer Mutter, sie sank vor ihm nieder[154] und lag lange, das Haupt in das frische Gras gedrückt. Endlich richtete sie sich starren Blickes auf, sie konnte nicht weinen, und doch war ihr ganzes Herz voll tiefer Trauer, sie legte die Hand auf das Grab, als faßte sie die Hand der Mutter und schaute in die weite Welt. Die Lerchen über ihr jubelten, ein Buchfink schmetterte seinen hellen Sang von einer Trauerweide, deren junges Laub im Sonnenschein glitzerte, ein Säuseln zog durch die einsamen Föhren, die da und dort standen und Schmetterlinge flogen hin und her. – Sie raufte einige Grashalme und wilden Thymian vom Grabe, steckte sie in ihren Busen und schritt fest davon. Durch das Dorf ging sie ohne umzuschauen und ohne Jemand zu grüßen. Mittag war vorüber und die Leute gingen wieder ins Feld; nur vor ihrem elterlichen Hause hemmte sie ihren Schritt und sah lange an dem Hause hinauf und auf die Steinbank, wo sie als Kind so oft gesessen. Es war Alles im alten Stand, und nur des Nachbars Klaus, der an Krücken ging, war in den zehn Jahren ein großer Bursche geworden und strickte eine wollene Jacke auf der Steinbank, und in dem Garten war eine neue Scheune gebaut. Eben als Erdmuthe den Klaus grüßen wollte, trat Bläsi mit einem Pferdekummet auf der Schulter aus der Hausthüre; er erkannte Erdmute trotz des großen weißen Tuches, mit dem sie ihr Gesicht fast verhüllt hatte und sagte:

»So? Bist auch hiesig? Willst jetzt bei uns bleiben?«

»Nein,« antwortete Erdmuthe und ging weiter, es kränkte sie, daß Bläsi ihr weder die Hand reichte noch [155] eigentlich ein freundlich Wort sagte. Als sie die Treppe im Hause des Oheims Gottfried hinan ging, war es ihr, als müßten ihr die Kniee brechen, aber sie faßte sich, denn sie ahnte, daß sie sich ihr Vorhaben leichter gedacht als es war. Der Oheim Gottfried, der in Papieren lesend am Tische saß, stand nicht auf, aber er streckte ihr die Hand entgegen zum Willkomm und sagte:

»Das ist brav, daß du doch zur Einsicht kommen bist! du bist bei uns so gut und besser aufgehoben als bei deinem Vater. Du mußt in diesen Tagen großjährig werden, halt, heut haben wir den zwölften Mai, gestern ist's gewesen wo du's geworden bist, du kannst jetzt mit dir machen was du willst.«

»Ja, deswegen bin ich da und ich hab' Euch sagen wollen –«

Erdmuthe konnte nicht ausreden, denn die Frau, die ebenfalls die Hand gereicht hatte, schnitt ihr das Wort ab indem sie sagte:

»Du kannst hernach erzählen. Zuerst mußt was essen. Wärst ein' halbe Stund' früher kommen, hättest's gleich mithalten können. Rosel!« rief sie laut, ein schlankes Mädchen kam in die Stube, das nach Vorstellung der Mutter Erdmuthe herzlich bewillkommte, aber auch hier unterbrach die Mutter jedes weitere Reden und sagte: »Rosel, wärme schnell die Leberspatzen, die von heut Mittag überblieben sind, thu' noch einen Löffel Schmalz daran und schlag der Base ein paar Eier ein.«

Erdmuthe wollte danken, aber man hörte nicht [156] darauf und trotz der Ermüdung und des unleugbaren Hungers fühlte sie plötzlich eine Sättigung und es war ihr, als müßte sie auf und davon rennen. Diese zutrauliche, herzinnige Weise der Menschen, die sie bisher für Feinde und Unholde gehalten, dieses Entgegenkommen von Menschen, bei denen sie sich vergessen geglaubt, das Gefühl bei Verwandten zu sein, die jede Liebe und Güte als selbstverständliche Sache hinnehmen und dazu der Gedanke, daß sie mit einem Vorhaben gekommen, das ihnen entgegen war, alles Das preßte ihr die Kehle zusammen.

Der Oheim raffte die Papiere zusammen und sagte, daß er in einer Stunde wiederkomme, er müsse in die Gemeinderathssitzung. Erdmuthe stand auf und grüßte demüthig, als er wegging, reden konnte sie nicht.

Als die Rosel, von der die Mutter erzählte, daß sie in acht Tagen Hochzeit mache, das Essen brachte, wollte Erdmuthe durchaus nichts davon annehmen.

Es giebt eine alte Sage, daß man von verführenden Geistern nicht Speise noch Trank genießen darf, sonst ist man in ihrem Bann. Erdmuthe kannte diese Sage und sie kam sich wie in einem Zaubrekreis vor; aber hier waren gute Geister und sie wollte nur nichts annehmen, weil sie dann bei der ausbrechenden Feindseligkeit undankbar war. Die Frau ließ indeß nicht nach und wiederholte ihr, sie müsse ihr verscheuchtes Wesen ablegen, sie sei hier unter Menschen, die es gut mit ihr meinen und staunend hörte Erdmuthe, daß man hier Alles von ihrem Leben wußte und erröthend hörte sie ihr Lob, daß sie eine so tüchtige Bäuerin [157] geworden und sich nicht auch dem »Wirtheln« ergeben habe, das der schweren Arbeit entwöhne. Jetzt weinte Erdmuthe, die sonst nie Thränen vergoß, übermäßig; Alles, was sie heute erlebt, drängte sich plötzlich überquellend zusammen. Die Frau suchte sie mit den besten Worten zu beruhigen und die Rosel sagte, sie müsse ihre Kranzjungfer bei der Hochzeit sein. Erdmuthe erklärte, daß sie nur dem Oheim sagen könne, was ihr das Herz bedrücke.

Als der Oheim Gottfried, der im Gemeinderath auch das Amt des Waisenpflegers hatte, zurückkam, öffnete er einen Schrank, nahm mehrere mit Stempeln versehene Papiere heraus und sagte: »Du wirst auch wissen wollen, wie es mit deinem Vermögen steht; das sind die Hypotheken, dreitausend vierhundert Gulden ist's gewesen und so ist's geblieben, dein Vater hat jedes Jahr, auch wie's ihm noch gut gangen ist, die Zinsen erhoben. Wenn du einen rechtschaffenen Mann kriegst, der was hat, so ist das ein guter Zuschuß, daß ihr gut hausen könnet.«

»Ich denk' nicht daran, Vetter.«

»Wird schon kommen.«

»Nein, höret mich gut an, Vetter.«

»Ja, ja, red' du nur.«

»Schaut Vetter, ich bin ... ich soll.. ich will ... ja, ich soll mein Vermögen holen.«

»So? Das glaub' ich, daß das dein Vater will.«

»Und ich auch.«

»Aber Ich nicht.«

Gottfried that die Papiere wieder in den Schrank,[158] ließ den Riegel zweimal in die Schließe fallen und knüpfte das Lederband, daran der Schlüssel befestigt war, wieder in das Westenknopfloch. Erdmuthe saß still da.

»Was möchtest denn mit dem Geld machen?« fragte Gottfried.

»Meinem Vater damit aufhelfen.«

»Daß es der Lump auch noch verfressen und versaufen kann?«

Erdmuthe erhob sich, sie hielt das Halsgeschmeide in der Tasche fest in der Hand, und mit starker Stimme sagte sie:

»Vetter, das leid' ich nicht. Mein Vater ist so gut wie Einer, und Die, wo ihn verschimpfen, die haben's verschuldet, wenn was nicht recht an ihm ist.«

»Ich seh' schon, dein Vater hat dich auch verdorben.«

»Und wenn's so ist und wenn's wahr war', wer ist dran schuld? Mein Vater nicht allein. Ihr, ja Ihr seid daran schuld. Ihr hättet die Feindschaft aufgeben und dafür sorgen müssen, daß Euer Schwester Kind nicht verdorben wird; aber mit dem großen Wagen vorbeifahren, wo der Schwester Kind der Pudel im Haus ist, da hat man sich auch nichts zu berühmen.«

Gottfried stand starr, er sah zum Erstenmal in seinem Leben seine Rechtschaffenheit angegriffen, er konnte eine gewisse innere Stimme nicht verleugnen, welche die Berechtigung dazu anerkannte, aber doch war er dem gram, wer das aussprach. Er war nahe daran, seine Gelassenheit aufzugeben, aber schnell fand er wieder die Fassung und sagte bitter lächelnd: »Das hat dir dein Vater auch eingeblasen.«

[159] »Nein, nein, was ich red' das sind meine Gedanken, die ich tausendmal im Stillen gehabt hab'. Aber ich will Euch keinen Vorwurf machen und machet Ihr mir auch keine. Ich hab' heut Gutes in Eurem Haus gehabt, ich möcht' gern wenn ich fortgeh', in Gutem an meine Verwandten zurückdenken.«

»Wo willst denn hin?«

»Nach Amerika, mit meinem Vater und meinen Geschwistern. Ihr saget, ich hätt' ein schönes Vermögen; ich will nicht im Reichthum leben, wenn mein Vater ein Bettelmann ist –«

»Und noch einmal wird, wenn er das Deinige auch noch verthan hat. Ich seh', man kann gescheit mit dir reden und du hast ein gutes Herz, du verleugnest dein' Mutter selig nicht, die hat mich für brav gehalten, du denkst anders, ich will dir nichts darüber sagen, aber besinn' dich nur, laß dich dünken, es redet ein Anderer zu dir: wie soll denn ein Mann, der mit einem größeren Vermögen in seinen besten Jahren Alles durchgebracht hat und keinen Unglücksfall gehabt hat, er mag sagen was er will, wie soll der jetzt auf Einmal fleißig und haushälterisch werden? Du bist noch in jungen Jahren, du hast das Leben erst vor dir, du darfst dich nicht in's Unglück stürzen für Einen, der schon mit fertig ist. Besinne dich wenigstens noch, ein Jahr oder so lang du willst, du kannst bei mir bleiben oder wo du magst.«

Es war zum Verwundern, mit welcher Festigkeit und raschen Entgegnung Erdmuthe allen Einwänden Stand hielt, und endlich brachte Gottfried das Ehrengewand [160] der Verstorbenen und erklärte mit bebender Stimme, wie Cyprian das verkauft und wie er es erworben habe, um es einst Erdmuthe zu ihrem Ehrentage zu geben, und als Erdmuthe bestritt, daß der Vater den Ehrenschmuck verkauft, stampfte Gottfried auf den Boden ob dieser Starrheit, aber noch einmal faßte er sich und beschwor sie beim Andenken an die Selige, ihm und nicht dem Vater zu Willen zu sein. Und als Erdmuthe noch immer standhaft blieb, veränderten sich plötzlich seine Mienen, mit heiserer Stimme schrie er:

»Gut, so geh', so geh'; aber das schwör' ich dir, du verleugnest mich, ich verleugne dich auch, auf ewig, auf ewig. Du bist todt für mich, begraben und Gras drüber. Geh' –«

Plötzlich brach sich seine Stimme, er konnte nicht weiter reden; die Frau, die mit Bläsi und den beiden Töchtern in der Küche zugehört hatte, kam herbei und klagte, daß das Uebel, das Gottfried schon einmal gehabt, wiedergekehrt sei, aber Gottfried winkte mit der Hand, daß Erdmuthe hinaus solle, und sie verließ das Haus. Niemand grüßte, Niemand geleitete sie. Als ginge sie schon auf schwankendem Schiffe, so schritt Erdmuthe das Dorf hinaus, sie schaute sich nicht um und ging unaufhaltsam, bis sie da wo der Weg auf die Hauptstraße geht, unter dem blühenden Apfelbaum am Wegweiser sich niedersetzte. Sie schaute nicht auf und antwortete nicht dem Gruße der Weiber, die mit Bündeln Unkraut aus den Saatfeldern kamen.

[161]

Es blüht ein der Baum wo der Weg sich trennt

Es blüht ein der Baum wo der Weg sich trennt.

»Das ist gut, daß ich dich da noch find',« sagte plötzlich eine Stimme, Erdmuthe schaute auf, es war Bläsi, der vor ihr stand, hochglühenden Antlitzes und mit einem seltsamen Ausdruck in den Mienen.

»Schickt dich dein Vater und hast du mir von ihm was zu sagen?« erwiderte Erdmuthe und wollte aufstehen; es durchschauerte sie aber, als Bläsi jetzt zum Erstenmal sie berührte, indem er sie am Arm faßte und sie sitzen bleiben hieß mit den Worten:

»Bleib' du nur, es schickt mich Niemand, ich komm aus mir allein und hab' aus mir allein mit dir zu reden. Willst du mich ordentlich und geduldig anhören und mich ausreden lassen?«

»Du hast noch kein' Prob', daß ich nicht Alles mit Ruhe anhöre, was man mit Ruhe anhören kann.«

»Magst meinetwegen Recht haben,« sagte Bläsi, sich neben sie setzend, »laß jetzt die alten Sachen vorbei sein, ich hab' Anderes mit dir zu reden. Guck, hundertmal hab' ich mir gewünscht, wenn ich nur auch so ruhig wie jetzt mit dir reden könnt', hundertmal hab' ich gedenkt, unser Herrgott muß barmherzig und übergut sein, daß er uns nicht dafür straft, weil die nächsten Anverwandten so in Feindschaft mit einander leben, hundertmal wenn ich dir begegnet bin, hab' ich dich anhalten wollen, aber du bist immer so trutzig und stolz gewesen –«

»Ich? stolz?« schaltete Erdmuthe mit bitterm Lächeln ein. Bläsi fuhr fort:

[162] »Du bist von Vaters Seite mein' einzige Anverwandte und es hat mir das Herz im Leib herumgedreht, wenn ich dich gesehen hab' und dich nicht hab' anreden dürfen. Und mein Vater auch, er red't nicht viel, aber er ist grundgut, du kennst ihn nicht und dein Vater –«

»Sag' nichts, es ist recht, daß du deinen Vater lobst und ich will dir Alles glauben, aber mein Vater ist auch mein Vater und ich laß nichts auf ihn kommen –«

»Eben das, wie ich das gehört hab', hab' ich noch mehr Respekt vor dir kriegt. Aber das haben wir jetzt nicht auszumachen. Wir sitzen jetzt da bei einander, wie wenn wir Beide keine Eltern hätten und ganz allein auf der Welt wären, so ist mir's, wie's dir ist –«

Bläsi hielt inne und trocknete sich den Schweiß von der Stirn; vor sich niederschauend, fragte Erdmuthe:

»Warum hast mir denn kein gut Wort geben, wie ich in's Dorf kommen bin?«

»Weil ich gemeint hab', du bleibst bei uns und da hätt' sich schon schickliche Zeit gefunden, und ich hab' dir auch nichts im Voraus geben wollen ... Du hast mich dein Leben lang geplagt genug, von damals an wo du mir die Kirschen nachgeworfen hast, ich hab' dir's eintränken wollen –«

Die gekrümmte linke Hand auf Kinn und Unterlippe gedrückt schaute Erdmuthe den Bläsi mit flüchtigem Lächeln an, dann fragte sie:

»Warum bist denn jetzt anders?«

[163] »Weil du jetzt Alles wieder auseinander sprengst, weil du in Feindschaft davon gehen willst. Das ist nicht recht, das ist nicht brav, das ... das leid' ich nicht. Du gehörst zu uns und nicht zu denen in Leutershofen und du sollst uns nicht nachsagen, wir hätten dich verstoßen –«

»Das sag' ich nicht, und es wär' ja auch gelogen.«

»Das mein' ich auch nicht, du verwirrst mir ganz meine Worte, du redest mir so drein, daß ich nimmer weiß wo ich steh' –«

»Gut, ich will ganz still sein, so red' du allein.«

Sich die Hände reibend und eine gewaltsame Bedächtigkeit erraffend begann Bläsi wieder:

»Du sollst dich eben an uns halten, ich will nichts von den Deinigen sagen, so viel siehst aber doch, daß wir ganz andere Leute sind und du solltest dich freuen, daß du so einen Anhang hast. Sag', hab' ich nicht Recht?«

»Freilich, aber wenn mein Vater im Zuchthaus säß', ich möcht' doch bei Niemand in Gnade sein, ich thät dienen und behielt' mein' Ehr für mich.«

»Das ist in Ordnung, den Stolz, den hast du doch nur von unserer Familie, du gehörst doch zu uns, aber du brauchst nicht dienen, im Gegentheil. Wenn man nur wüßt', ob du ... ich hab' dich von Herzen lieb und ich laß dich nimmer davon –« Er umschlang ihren Hals und drückte einen Kuß auf ihre Lippen, aber sie entwand sich ihm.

»Hast du mich denn nicht auch lieb? Warum weinst denn jetzt? Warum weinst?« fragte Bläsi mit bebender Stimme.

[164] »O Bläsi,« begann Erdmuthe endlich, »das ist nicht recht, das ist gefrevelt, wir müssen scheiden, auf ewig scheiden, das darf nicht sein.«

»Was darf nicht sein?«

»Ich hab' mir's nie gestehen wollen und jetzt darf ich's auch nicht, denk du lieber, ich sei schon lang gestorben.«

»Das will ich aber nicht. Sag's frei, magst mich oder nicht?«

»Ach Gott, ich kann dir's nicht sagen, wie lieb –« Sie umhalste ihn und lange hielten sie sich fest in den Armen, die ganze Welt war vergessen und sie hörten nichts als das Klopfen ihrer Herzen und sahen nichts als das Eine in das Auge des Andern. Bläsi gewann zuerst wieder das Wort:

»Willst du jetzt noch einmal heim?«

»Ich muß ja, ich muß.«

»Es ist auch gut. Mein Vater ist grimmig gegen dich, wie ich ihn noch nie gesehen hab', aber das wird sich schon geben. Hast denn gar nichts geahnt, wie du zu uns kommen bist?«

»Ich weiß nicht, wie ich gegen das Dorf kommen bin, ist mir's gewesen, wie wenn mich der Boden festhalten thät' und dann bin ich da drüben gewesen auf dem Grab meiner Mutter, und in deinem Haus ist mir's so heimelig gewesen und es ist mir Allerlei durch den Kopf gangen, aber wie ich gehört hab', daß man auf meinen Vater schimpft, da ist mir wieder alle Gelust vergangen; ich bleib' in keinem Haus, wo man so über meinen Vater redet, er hat das beste Herz von[165] der Welt, freilich schwach ist er, aber er muß selber am meisten darunter leiden und es hat Keiner das Recht darüber zu schimpfen. Jetzt Bläsi, jetzt mußt du mir helfen, ich weiß nicht mehr wo ich bin und was ich zu thun hab'.«

Mit stolzem Selbstgefühl seiner Männlichkeit erklärte Bläsi, daß er sich das schon ausgedacht habe. Erdmuthe solle ihrem Vater das Geld für die Ueberfahrtskosten geben und mit dem Uebrigen nach Hollmaringen kommen, dann sei beiden Theilen geholfen. Statt diesen Vorschlag, wie Bläsi erwartet hatte, als klug zu loben, sagte Erdmuthe:

»Ich möcht' ihm lieber Alles lassen, ich will gar nichts mehr mit Geld zu thun haben, es graust mir davor; andere Mädle haben gar nichts damit zu schaffen und ich muß mich so viel mit 'rumplagen.«

Bläsi fand das Letztere richtig, wenn er auch nur halb den Widerwillen Erdmuthe's anerkannte; er wiederholte ihr, daß sie großjährig sei und daß es eine Sünde wäre, das Geld an Cyprian zu verschleudern.

Mitten im sonnigen Erleuchten der Liebe Erdmuthe's zog plötzlich eine verfinsternde Wolke darüber; sie hatte zu oft und Jahre lang von dem Geize der Gottfriedischen reden hören und sie sah auch Bläsi davon befangen. Wenn es nicht wäre, warum will er nicht dem Vater Alles geben, um sie zu retten? Bläsi deutete die Veränderung ihres Antlitzes und ihr Verstummen anders. Er rieth Erdmuthe, da sie sich vor dem Austrage der Sache fürchte, wieder in's Dorf zu seiner verheirateten Schwester zurückzukehren und ihm [166] allein oder seinem Schwager Alles zu überlassen. Das wollte und konnte Erdmuthe nicht, sie mußte mit ihrem Vater allein zurecht kommen, sie durfte auch sein Vertrauen auf ihre Rückkehr nicht getäuscht haben; mußte er nicht an der Welt verzweifeln, wenn sie, seine letzte Hoffnung, ihn hinterlistig verließ? Oder wollte sie auch Bläsi beweisen, daß sie für sich allein Kraft genug besaß?

Noch einmal siegte die überströmende Macht jugendlicher Liebe und mit dem Rufe: »Es gibt gar kein Geld in der Welt, horch wie der Fink da über uns lustig ist und hat keinen Kreuzer im Sack,« umhalste sie abermals den Bläsi und tausend Erinnerungen und Begegnungen wurden ausgetauscht und gelacht und gejubelt und sie erfanden verschiedene Küsse, der eine war für den Vetter, der andere war für den Bräutigam, der eine war für die Base, der andere für die Braut. Bald mußte Bläsi aufstehen, des Weges daherkommen, grüßen und ein Gespräch anknüpfen, wie es früher hätte sein sollen, bald mußte Erdmuthe die gleiche Rolle spielen und sie verstand es noch viel scherzhafter und dann saßen sie wieder beisammen und hielten sich umschlungen und dann hieß es: »Jetzt ist wieder ein Jahr vorbei,« und noch eines wurde gespielt und immer wieder. Die Sonne sank nieder als Bläsi sagte:

»Sieben und siebenzig Jahr möcht' ich so leben.«

»Und hernach laß ich mir noch was dreingeben,« lachte Erdmuthe. Bläsi bedauerte, daß er nichts habe, das er ihr als Liebesangedenken geben könne, aber er versprach ihr, wenn sie zur Hochzeit der Rosel komme, ihr einen goldenen Ring zu geben.

[167] »Silber oder Gold ist mir eins,« scherzte Erdmuthe.

»Das Wort gilt,« bestätigte Bläsi und wie erschreckt fuhr sie zusammen vor diesem Zusatz; hatte sie nicht ihrem Vater auch das Wort gegeben, fest und standhaft zu bleiben? Durfte sie auf das Wort eines Andern, durfte man auf ihr Wort mehr trauen?

Wie das immer nach gewaltigen Erregungen der Fall ist, hielten sich Bläsi und Erdmuthe still Hand in Hand. Sie gingen die verödete Landstraße und Bläsi betrat gern die spitzen zerschlagenen Steine und ließ ihrem Fuß das glatte Geleise. Erdmuthe hatte ihm gesagt, daß ihr Vater in Seebronn auf sie warte. Bläsi wollte mitgehen, er wollte ihr Beistand sein, aber sie wehrte ab und Bläsi mußte ihr sogar heilig geloben, sich nicht drein zu mischen und nicht nach Leutershofen zu senden oder zu kommen; sie fürchtete durch die Einmischung der Gottfriedischen von ihrem Vater das Härteste und wollte auch Alles selbst vollenden. Dagegen mußte sie Bläsi versprechen, nicht mehr zu Fuß, sondern in einem Bernerwägelein, wie es sich für sie schickte, nach Hollmaringen zu kommen. Erst vor dem Dorf schieden sie, es war als könnten sie sich nicht trennen und immer auf's Neue sagten sie einander Lebewohl und hielten doch die Hand fest. Es schien als ob Bläsi noch Etwas zu sagen hätte, das er nicht auf die Lippen bringen konnte; er wollte Erdmuthe nicht von sich lassen, diese aber hörte am ersten Hause des Dorfes, welches das Wirthshaus war, die laute Stimme ihres Vaters; sie drängte Bläsi fort und ging hinauf. Bläsi kehrte heim, denn auch er hatte einen Vater zu fürchten.

[168]

Ein Seelenlicht

Ein Seelenlicht.

Tag um Tag verging, man hörte nichts von Erdmuthe. Am Abend vor der Hochzeit seiner Schwester, als die ganze Familie sich im Hause Gottfrieds versammelte und jene stille Lust alle Herzen belebte, die auf der Schwelle eines freudigen Ereignisses so still wonnig macht, da war auch Bläsi nicht unter den Versammelten zu sehen, er war allein und gedankenvoll den Weg gegen Seebronn hinausgegangen, er saß unter dem Apfelbaum am Wegweiser, von dem jetzt die Blüthenblätter abfielen und die Straße und den Rain wie zum Einzug einer Freude schmückten. Bläsi ging weiter bis gegen Seebronn, er hielt den Ring in der Hand, mit dem er Erdmuthe schmücken wollte, aber sie kam nicht und doch hatte er sie für heute so sicher erwartet; er wollte weiter und immer weiter wandern bis nach Leutershofen, ein unendliches Verlangen trieb ihn und doch kehrte er wieder um, er wollte die Freude im Elternhause durch sein Ausbleiben nicht stören. Er fand noch Alles, was anverwandt war, versammelt, man labte sich jetzt an der kommenden Freude wie an dem Dufte der frischen Kuchen, der das ganze Haus durchdrang; der Genuß selber gehörte dem morgenden Tage. Bläsi erwiderte kein Wort, als seine Schwester ihm sagte, daß sie ihm zum Letztenmal sein Sonntagsgewand herrichte und wie er sie nun oft vermissen werde, denn sie heirathete einen Holzhändler im Enzthale. Bläsi war seiner ganzen Umgebung entrückt, er musterte die Anwesenden Alle nach einander, nur [169] um auf's Neue zu sehen, daß Erdmuthe nicht unter ihnen war und Niemand sie vermißte als er allein. Als man ihn damit neckte, daß nun das Heirathen an ihn käme und daß er sich umschauen müsse, antwortete er Nichts und mancher strahlende Mädchenblick, der sich auf ihn heftete, wendete sich unerwidert wieder ab.

Am Morgen, als Wagen an Wagen den Bräutigam und seine Familie, sowie die auswärtigen Anverwandten des eigenen Hauses brachte, ging Bläsi wie verloren hin und her und hatte für Niemand einen rechten Gruß. Er zwang sich beim Tanze zur Lustigkeit, aber man sah, daß es ihm nicht Ernst damit war und doch ahnte Niemand außer der verheiratheten Schwester im Dorf, was mit ihm vorging. Beim Abschiede der Rosel weinte Bläsi am meisten.

Wenn er im Dorf oder auf dem Felde war und ein Wagen die Straße daherrollte, rannte er ihm aus dem Hause oder vom Acker mit pochendem Herzen entgegen; es konnte nicht anders sein, Erdmuthe mußte kommen, aber immer waren es fremde Menschen, die des Weges kamen und staunend auf den Burschen sahen, der bei ihrem Anblick wieder zurück rannte. Oft und oft nahm sich Bläsi vor, sich um kein Wagengeräusch mehr zu kümmern, aber sobald er wieder ein rasches Rennen hörte, ließ es ihn nicht an der Stelle und nur noch diesmal und diesmal wollte er sich's gestatten, bis er auch endlich davon abließ.

Da brachte eines Morgens die Landeszeitung, die Gottfried als Schultheiß – oder wie der neue Kanzleistyl heißt, als »Gemeindevorstand« – halten mußte,[170] eine erschreckende Kunde in's Haus, denn eine gerichtliche Anzeige forderte alle Gläubiger Cyprians auf, sich zu melden, da er nach Amerika auswandern wolle, fügte aber sogleich bei, daß Niemand auf Zahlung hoffen dürfe, da Cyprian auf Kosten seines Kindes erster Ehe auswandere. Während Gottfried dies in der Stube las, war Traudle zu Bläsi in den Stall gekommen und brachte ihm den letzten Abschiedsgruß von Erdmuthe, sie war mit dem Vater nach dem Seehafen vorausgeeilt, die übrige Familie sollte erst nach der gesetzlichen Frist nachkommen. Traudle erzählte viel, wie schwer Erdmuthe der Abschied geworden sei, und doch wußte sie, die allzeit die Vertraute gewesen, nicht anzugeben, warum sich Erdmuthe doch noch zur Auswanderung bewegen lassen. Traudle war nun auch verlassen in der Welt, sie bat, bei Gottfried bleiben zu dürfen, aber dieser wollte nichts mehr von Jemand wissen, der ihn an Erdmuthe erinnerte. Traudle ging zu ihrer Tochter nach Lichtenhardt, sie hatte sich's nie gedacht, daß sie wieder nach dem Dorf zurückkehren müsse, das so arm und abgeschieden war, daß man sich überall scheute, sich als von dort gebürtig zu nennen. Draußen in der Bauernwelt, die man von Lichtenhardt aus bewundernd ansah, galt nun Traudle auch nichts mehr, seitdem Erdmuthe verschwunden war.

Cyprian mußte seinen Plan schon lange vorbereitet haben. Auf Grund einer gerichtlich anerkannten Vollmacht Erdmuthe's hatte er die Hypotheken an einen Unterhändler verkauft, der nicht ohne namhafte Abzüge [171] baares Geld dafür gegeben. Der Tag, an dem Gottfried die zweimal verschlossenen Hypotheken herausgab, war ein trauriger. Aber nicht nur um den Verlust des Geldes, sondern auch um das verlorne Schwesterkind mußte eine tiefe Wehmuth im Herzen Gottfrieds wohnen. Er legte zur Verwunderung Aller, die es bemerkten, Trauerflor um die Abgeschiedene an und sprach wochenlang von Erdmuthe nie anders als von einer Verstorbenen. Gottfried war ein Mann von zäher Selbständigkeit, der keinerlei fremden Einfluß kannte; man schalt ihn ob dieser seltsamen und selbst auferlegten Trauerzeichen, man warnte ihn, daß er damit Gott versuche, der um ihn zu strafen Ernst machen und ihm ein wirkliches Leid, einen Trauerfall zuschicken werde; er beharrte und ließ sich nur zu der Erklärung herbei: entweder sei ihm Eines todt oder lebendig, er wolle nichts davon, daß noch eines für ihn da sei, von dem er nichts wisse, Erdmuthe sei für ihn todt, ob sie auch noch in Amerika lebe, das gehe ihn nichts an, für ihn sei sie todt, und in seinem Hause durfte sie Keiner mehr anders nennen.

Vielleicht wollte Gottfried mit diesem eigenartigen Starrsinn doch noch etwas Anderes.

Nach einigen Wochen legte er den Trauerflor ab, aber eine gedrückte Stimmung im Hause blieb und wollte nicht schwinden. Rosel, die das Haus erheitert hatte, war nicht mehr da und Bläsi wurde von Tag zu Tag stiller und in sich gekehrter. Er hatte um Erdmuthe kein äußeres Trauerzeichen angethan und keines abgelegt, ja er vor Allen war dem Vater über Beides [172] am meisten gram, denn er ahnte, daß diese gewaltsame That ihm besonders galt.

Gottfried hatte seinem Sohn allmählig das ganze Bauernwesen in die Hand geben wollen, aber Bläsi fragte ihn jetzt um jedes Vorhaben und wußte sich nicht zu rathen und zu helfen. Er war im eigenen elterlichen Hause wie ein Knecht, der erst an diesem Tag in Dienst getreten war. Sonst hatte Bläsi die meisten Amtsschreibereien für den Vater gemacht und dieser war zufrieden mit der runden Fassung des Sohnes; jetzt mußte der Vater ihm jedes Wort in die Feder diktiren, und dabei schrieb er oft noch Verkehrtes. Die Eltern sprachen über das veränderte Wesen ihres Sohnes, der es nicht in Abrede stellte, als man ihm laut vorwarf, daß er bei Erdmuthe am Wegweiser gesessen und sie geküßt habe. Der Vater drohte ihm das Härteste, wenn er nur noch mit einem Gedanken an Erdmuthe denke, ja, er steigerte seinen Haß gegen »die Verstorbene« zu den höchsten Verwünschungen und jetzt zeigte sich, daß er mehr um Bläsi's willen Trauer um Erdmuthe angelegt hatte. Er ging sogar noch weiter und zündete am Tage Allerseelen zwei Lichter auf dem Grabe seiner Schwester an. Endlich fand er das beste Mittel, jeden Funken in Bläsi zu tödten, er faßte einen festen Entschluß und Bläsi mußte gehorchen; er verlobte ihn mit der schmucken Tochter des Kirchengutsverwalters, des sogenannten Heiligenpflegers von Seebronn. Bläsi hatte ehedem eine Neigung zu dem Mädchen gezeigt, das aber für Gottfried weit unter seinen Anforderungen stand; jetzt [173] drang er selbst auf die Verlobung und Alles sagte, der Gottfried habe seine alte Art ganz verändert und das Lob, das er jetzt hören mußte, war weit mehr ein Tadel, denn er vernahm dabei, was man ehedem von ihm gehalten.

Es gab wohl nie einen weniger aufgeweckten Bräutigam als Bläsi. Er that Alles was Vater und Mutter ihm sagten, mehr aber auch nicht. Denselben Weg, den er mit Erdmuthe gegangen, ging er nun zu seiner Braut und wenn er zu ihr kam, mußte er sich immer erst erinnern, was er sei und was er hier zu thun habe. Die Leute schüttelten oft den Kopf über sein seltsames Wesen. Als ihn einst seine Braut eine große Strecke Wegs heim geleitete und unter dem Apfelbaum am Wegweiser sich niedersetzen wollte, schrie er mit entsetztem Angesichte:

»Nicht, nicht, nicht, da sitzt ein Geist,« und fort rannte er.

Andern Tages kam der Heiligenpfleger von Seebronn, brachte die Brautgeschenke wieder zurück und löste das geschlossene Band, da Bläsi irrsinnig sei.

Eine tiefere Kränkung hätte Gottfried nicht erfahren können, als daß man seinen Sohn abwies und ihm solches nachsagte. Er redete fortan kein übriges Wort mehr mit Bläsi, der die Auflösung seines Bräutigamstandes aufnahm, als ob das ihn gar nichts anginge, er blieb still und schaute immer träumend drein. Sein Schwager war der einzige, dem er sich anschloß, er arbeitete lieber für ihn als im elterlichen Hause und wenn man nach dem Kornmarkt fuhr, der jetzt [174] nach der Stadt verlegt war, leistete er am liebsten Knechtesdienste und blieb bei den Pferden. Dabei sah er in gleicher Weise wie vordem frisch und jugendlich aus, nur hatte er die seltsame Angewohnheit, daß er auf manche Anrede nichts antwortete, sondern nur still wehmüthig lächelte.

So vergingen drei Jahre.

Als einst in der Zeit der beginnenden Heuernte Bläsi seine Pferde auf dem Marktplatz in der Stadt tränkte, da kam Traudle zu ihm und winkte ihm schon von fern, er sah sie kommen, aber er rührte kein Glied und dankte nicht ihrem Gruße.

»Gottlob, daß du da bist,« rief Traudle. Bläsi sah, daß seine Pferde die triefenden Mäuler aus dem Troge hoben, er pfiff ihnen, aber sie soffen nicht mehr und er führte sie in das Wirthshaus zurück. Traudle konnte vor raschem Athem nicht sprechen, sie ging neben ihm her und sagte:

»Bläsi, wach auf, Schlafenszeit ist vorbei.«

Er sah sie kaum an und band die Pferde wieder an die Krippe.

»Hörst mich denn gar nicht? Ich hab' dir was Gutes zu sagen, an das kein Mensch denkt. Um Gottes willen, bist denn wirklich hintersinnt?« fragte Traudle mit steigender Angst und prallte scheu zurück, als Bläsi sie durchbohrend anschaute.

»Was willst von mir? Was hast?« fragte er endlich.

»Hinter der obern Mühle am Bachsteg wartet ein Mädle auf dich und hat mich zu dir geschickt. Sag, thut dir's nichts, wenn ich dir sag' wer's ist? Sag's[175] doch. Es ist ein Mädle, es bringt dir Botschaft von der Erdmuthe.«

Als ginge plötzlich die Sonne auf, so hell wurde das Antlitz Bläsi's, er faßte Traudle am Arm, daß sie laut aufschrie.

»Wo ist das Mädle? Wo?« fragte er.

»Komm mit.«

Er ging raschen Schrittes neben Traudle, und als sie über den Steg kamen, sah er eine verhüllte Frauengestalt mit einem weißen Kopftuche und einem Bündel auf dem Rücken, ähnlich wie sie aus der Umgegend auf Wallfahrten ziehen. Die Gestalt saß unter dem Weidenbaum in sich zusammengekauert, jetzt richtete sie das Haupt empor, ein braunes Auge leuchtete, die Gestalt richtete sich auf und Bläsi rief:

»Bist du nicht? ... Heiliger Gott im Himmel, du bist's.«

Ein Freudenschrei ertönte, den das gewaltige Rauschen des Stromes nicht verdecken konnte. Erdmuthe und Bläsi lagen einander in den Armen.

An den rauschenden Wellen

An den rauschenden Wellen.

»Glaub' nicht, daß ich kein rechter Mann bin, ich kann nicht anders, ich muß weinen, du glaubst nicht wie viel tausend Thränen mir in's Herz gesunken sind. Es wird mir so leichter. Laß nur.« So beruhigte Bläsi, da Erdmuthe seine in's Unfaßliche gehende Erregung beschwichtigen wollte, »ich freu' mich nur, daß [176] ich dich gleich erkannt habe, du hast dich ganz verändert, aber deine Augen, die sind's noch. Jetzt sag, wie ist's denn möglich? Ist's denn wahr, daß du da bist? Wie hat's denn nur sein können? Sind's denn schon drei Jahr, seit du fort bist oder ist's erst seit gestern?«

So oft auch Erdmuthe beginnen wollte, ihre Geschichte zu erzählen, sie wurde immer wieder unterbrochen von Ausrufungen der Liebe und Verwunderung. Endlich verbot sie jede Zwischenrede und begann:

»Da an dem Platz wo wir jetzt sind, da hat mein großes Unglück angefangen, da hat sich mein Vater in's Wasser stürzen wollen, wenn ich nicht mit ihm geh', und wahr bleibt's, wie's auch kommen ist, ich bin doch seine einzige Freud' auf der Welt und unterwegs hat er mir all' Stund gedankt, daß ich ihn nicht verlassen habe. O Bläsi, glaub' mir und thu' mir die Liebe und zweifle nicht daran, ich will dir's zeitlebens vergelten, er ist an dem was mir geschehen ist, so unschuldig wie du; nur das ist sein Unrecht: er hat mir die Höll' vorgestellt wenn ich zu euch komm' und wie dein Vater dich zu todt plagt, und dir zulieb und ich kann's jetzt selber nimmer begreifen, wie mir's gewesen ist, und ich hab' auch gedenkt, du nimmst's vielleicht doch leichter und mein Vater hat sonst Niemand, der ihm ein gutes Wort gönnt, die Großen und die Kleinen fahren Alle auf ihn hinein, wenn er ein Wort sagt, und da bin ich halt fort und es ist mir immer gewesen, wie wenn das doch nicht Ernst wär' und ich käm' morgen wieder heim und doch sind [177] wir immer weiter gefahren, hundert und hundert Meilen Wegs, bis wir an dem großmächtigen Meer Halt gemacht haben, man heißt den Ort Antwerpen. Wir haben lang da bleiben müssen, bis die Anderen nachkommen sind und mein Vater hat mir jeden Kreuzer verrechnet, den er ausgeben hat, und ich hab' unser Geld immer bei mir tragen müssen, der Vater hat's nicht zugeben, daß ich's in einen Schrank verschließ' und er selber hat's auch nicht genommen; da bin ich dir immer herumgelaufen, so geplagt und ich hab' fast gar nicht gehen können und mein Herz ist mir noch viel tausendmal schwerer gewesen und ich hab' mich oft fast hintersinnt und ich hab' herausbringen wollen, warum gerad ich das Alles durchmachen muß und hab's doch nicht gefunden. Unter dem Durcheinander von den Schiffen und den Menschen ist mir so sterbensbang gewesen und wenn's kein' Sünd' gewesen wär', ich wär' in's Wasser gesprungen und wenn ich alles Geld von der Welt hätt' mit mir nehmen und in's Meer versenken können, ich wär' doch und noch viel lieber hineingesprungen. Das Geld ist doch an allem Unglück in der Welt schuld.«

Bläsi schüttelte nur abwehrend den Kopf und Erdmuthe fuhr fort:

»Wie die Frau mit den Geschwistern kommen ist, da hab' ich mein Geld in meine Truhe thun dürfen und es ist immer Eines als Wache dabei blieben. Einmal komm' ich dazu, wie der Vater mit der Frau fürchterliche Händel hat, wie ich dazu komm', sind sie plötzlich still und der Vater hat mich nachher, wie wir [178] allein gewesen sind, gewiß eine Stunde bei der Hand gehalten und mir alles Liebe und Gute gesagt und geweint. Damals ist mir das nicht besonders aufgefallen, aber nachher hab' ich dran denken müssen, was das Alles zu bedeuten gehabt hat. Am Morgen vor der Abfahrt, wie wir Alle auf dem Schiff sind, schickt mich mein' ... mein Mutter noch einmal in die Stadt, ich soll einen Sack Erbsen holen, den wir im Wirthshaus haben liegen lassen; mein Vater will gehen, aber sie leidet's nicht und er ist leider Gottes auch nicht ganz bei sich gewesen; auf das Schiff zu gehen ist ihm doch gar hart geworden und er hat sich durch den Wein den Jammer vertreiben wollen. Wie ich vom Schiff absteig', welscht Einer mit mir, aber ich versteh' ihn nicht. Ich geh' in die Stadt, ich find' den Sack nicht, es will Niemand was davon wissen, daß er liegen blieben sei; ich geh' wieder in's Schiff – Bläsi, ich hab' in's Wasser springen wollen, das Schiff ist fort und ich bin allein da, allein, ausgesetzt, verlassen und verstoßen. Bläsi, kannst dir denken wie mir's da gewesen ist ... Die Leute haben gemerkt, was mit mir geschehen ist und sie haben mich vom Boden aufgerichtet wo ich hingefallen bin und da war auch ein Deutscher und der hat mich getröstet und hat mir versprochen, er will mir helfen, daß ich den Meinigen nachreisen kann. Da bin ich gesessen am Boden und hab' nicht reden können und nicht gehen und die Leute haben mir Silber- und Kupfermünzen in den Schooß geworfen. Noch einmal Geld und immer Geld! Was will denn ich noch davon? Ich will sterben. Sie haben mich in die Stadt geführt; [179] wie ich erwacht bin, haben sie mir gesagt, daß ich lang geschlafen hätt'. Das Traudle hat mir oft Geschichten erzählt von Kindern, die von ihren harten Eltern im wilden Wald im tiefen Schnee ausgesetzt worden sind; aber schwerer als mir ist's gewiß Keinem geworden, und ich bin dir so verlassen und unbeholfen gewesen wie ein kleines Kind, das kaum sagen kann, wie sein Vater heißt. Der Deutsche, ist es ein Jud' gewesen, der selber Auswanderer hinüberschickt, hat mich umsonst über's Meer bringen wollen, ich hab' aber nicht gewollt, ich hab' bei ihm im Haus ein Jahr gedient und er und die Frau, sie ist auch eine Schwäbin, sind gut gegen mich gewesen, aber ich bin doch fort und bei Köln bin ich krank worden, und da bin ich wieder in Dienst gangen zu einem Bauer und jetzt bin ich da. Ich hab' geglaubt, du bist schon lang verheirathet, Bläsi, und ich hab' bei dir dienen wollen, und da bin ich zuerst zum Traudle, das hat auch Trauer, sein' Tochter ist ihm gestorben und wir haben einander getröstet, so gut wir haben können und sie hat gesagt: du hättest dir mein Weggehen so arg zu Herzen genommen, daß du hintersinnt seist und da hab ich dir helfen wollen –«

»Und du hast mir geholfen und ich weiß gewiß, ich wär' gestorben, wenn du nicht kommen wärst –«

»Jetzt sag' aber, Bläsi, was soll ich jetzt anfangen?«

»Du gehst mit in mein Elternhaus.«

»Nein, so nicht, das geht nicht.«

»Hast auch Recht, ich weiß schon einen Ausweg,[180] ja, das ist gescheiter. Du hast ja im Feld schaffen können. Kannst's noch ordentlich?«

»Freilich, ich hab' mich ja mit dem Traudle über die Sommerzeit verdingen wollen. Ach! ich hab' nicht glaubt, daß ich mit dir wieder zusammen komm', und doch, wenn ich sagen soll –«

»Was? Was thätest du sagen?«

»Daß das Traudle Recht gehabt hat. Ich bin wieder heimezu und hab' doch kein' Heimat, und da bin ich zum Traudle und bin grad recht kommen, ihm in seiner Noth beizustehen, seine Tochter ist ihm gestorben und da haben wir Eines über das Andere weinen können. Aber davon hat man nicht gessen, im Gegentheil, mich macht das Weinen viel hungriger –«

»Hast denn heut schon was gessen?«

»Jawohl, schau, da hab' ich noch Brod im Sack. Du hast doch ein gutes, gutes Herz, das hab' ich immer gewußt und ich hab' denkt du wärst schon lang verheirathet; am selben Abend, wo ich von dir geschieden bin, hab' ich gehört, daß du mit des Heiligenpflegers Tochter von Seebronn dich versprechen wirst –«

»Und warum bist denn doch wieder kommen?«

»Hundertmal hab' ich mir das auch auf Wege gesagt: du kannst euch Beide noch unglücklicher machen. Und doch bin ich mit dem Gedanken immer weiter gangen und ich hätt' gern dir Gutes gethan und dir gedient und deinem Vater auch, er hat es doch auch gut mit mir gemeint –«

»Ja, das hat er und er hat Trauerflor um dich angelegt und hat gesagt: du seist gestorben, und man [181] darf nicht anders von dir reden als von einer Verstorbenen.«

Erdmuthe weinte laut als sie dies hörte, Traudle aber trat herzu und schalt Bläsi, daß er der Verlassenen das Herz noch schwerer mache, das Reden solle jetzt einmal ein Ende haben, er solle sich als Mann zeigen und fest auftreten.

Mit einer Heiterkeit des Antlitzes, die gar nicht zu seinem Vorschlage paßte, die ihm aber die Freude über seinen Einfall aufprägte, erklärte nun Bläsi:

»Ich glaub' nicht, daß dich Jemand im Ort kennt, Erdmuthe, und so mit dem Tuch nun gar nicht und du mußt dich nicht kennen lassen, von Keinem. Traudle, wie hat dein' Tochter geheißen.«

»Regele« (Regina), antwortete die Gefragte mit einem tiefen Seufzer.

»Gut. Kennt man dein' Tochter in Hollmaringen?«

»Nein, sie ist nie in Hollmaringen gewesen, mein' Schwester hat sie angenommen gehabt, weil sie selber kein Kind hat. Wenn ich die Erdmuthe anseh', mein' ich noch immer mein Regele lebt und sie haben's in Lichtenhardt auch gesagt, daß sie sich gleich sehen. Warum sollen sie auch nicht? Sie sind ja Bruderskinder.«

»Um so besser,« sagte Bläsi, »Erdmuthe, du heißt jetzt Regele und bist des Traudle's Tochter.«

»Ja, ich hab' sie so lieb wie mein Kind und sie ist's auch mehr als mein eigenes gewesen,« sagte Traudle sich die Augen reibend, und Bläsi fuhr fort:

»Schon recht. Ich nehm' euch also als Taglöhner und du Regele machst, daß sich mein Vater an dich[182] gewöhnt. Nehmet euch ja in Acht, daß ihr euch in Nichts verrathet, bis es Zeit ist, bis Ich's euch sag', es wird sich schon finden.«

»Ja, beim Auskehren findet sich Alles wieder,« scherzte Erdmuthe, und wehmüthig lächelnd sagte Traudle:

»So ist's recht. Wenn du mein Regele sein willst, mußt du lustig sein, lustiger ist kein Geschöpf auf der Welt gewesen.«

»Ich glaub', daß ich die Kunst auch kann,« bestätigte Erdmuthe. Bläsi trug den beiden Frauen noch auf, zu Fuß nach Hollmaringen zu gehen, er könne sie nicht mit auf den Wagen nehmen, weil er sich zu verrathen fürchte. Leise in's Ohr sagte er Erdmuthe:

»Grab' ein bisle am Apfelbaum beim Wegweiser auf der Ackerseit', du wirst was finden, nimm es zu dir.«

Ein eigener schelmischer Zug schwebte auf seinem Antlitz als er dann laut »Regele« bat, ihn nicht zu verkennen, wenn er auch manchmal barsch und grob gegen sie sei und als eben ein Hollmaringer vorüber ging, übte er das sogleich und wiederholte in polterndem Ton die Bedingungen unter denen er die beiden Taglöhnerinnen in Dienst nahm, und ging davon.

Der Heimgang der Verhüllten

Der Heimgang der Verhüllten.

Erschien Bläsi seinem Schwager, mit dem er heimwärts fuhr, als ein Wunder, so erschien ihm die ganze Welt und er selber sich noch mehr als ein solches. War's denn möglich, war's nicht ein Traum, daß Erdmuthe [183] wieder da war? Er schrak zusammen als er diesen Namen in sich hineindachte, als hätte er sich verrathen, und leise vor sich hin sagte er: »Regele.«

Die beiden Frauen gingen barfuß den Weg neben der Straße und trugen ihre Schuhe auf den Rückenbündel geknüpft; Bläsi deutete schon von fern mit der Peitsche nach ihnen und fragte seinen Schwager:

»Was meinst, daß mein Vater dazu sagen wird, daß ich sie gedingt habe?«

»Der wird sich freuen, daß du wieder so hellauf bist und dich auch wieder von selbst um etwas annimmst und Muth hast.«

Bläsi knallte mit der Peitsche als er an den beiden Frauen vorüber fuhr, die still grüßten, er knallte fort und fort hin und her, das war ja das einzige Freudenzeichen, das er, ihnen allein verständlich, kundgeben konnte und Erdmuthe verstand die innere Musik, die aus diesem unmelodischen Knallen heraustönte. Sie ging den stundenlangen Weg still mit Traudle und nur manchmal klagte sie über die Beschwerlichkeit des Gehens:

»Ich bin die halbe Welt ausgewandert, und jetzt ist mir's als ob mir bei jedem Schritt die Kniee brechen.«

Sie hatte heute schon zu viel erlebt, um noch bei rüstiger Kraft zu sein. Traudle wollte auf Bläsi schelten, daß er sie nicht mit auf den Wagen genommen, aber sie mußte auf die Einreden ihrer Begleiterin bald schweigen.

Als man am Wegweiser beim Apfelbaum anlangte, rannte Erdmuthe ihrer Begleiterin vorauf, grub nach Anweisung Bläsi's an dem Baume und fand einen [184] silbernen Ring von jener Art, wie sie ein Bursche seinem Mädchen als Verlobungsring giebt. Sie steckte ihn an den Finger und küßte ihn, und Traudle war die Erste, die ihr glückwünschte: sie hatte bis jetzt doch noch an Bläsi gezweifelt, nun war auch sie bekehrt. Erdmuthe erzählte, wie sie hier einst mit Bläsi gesessen und lichte Freude durchströmte sie; als sie wieder aufstand war sie voll frischer Kraft, daß sie fliegen zu können glaubte. Noch einmal mußte sie von der Wehmuth sich bewältigen lassen; sie schaute hinüber nach jener Buchenumhegung, daraus die schwarzen Kreuze schauen, sie durfte jetzt nicht dort sich niederwerfen, sie war eine Andere, und sie war eine Bettlerin, die barfuß und demüthig in ihre Heimath einzog. Sie hatte sich vor dem Dorf die Schuhe anziehen wollen, aber Traudle hatte sie bedeutet, daß sich das für eine Taglöhnerin nicht schicke und ihr übel ausgedeutet würde. Sie schaute kaum auf als sie durch die Gassen ging, und wendete gewaltsam den Blick ab als sie zum Elternhause kam. Der lahme Klaus saß wieder auf der Steinbank und strickte, er stierte sie an, der Knäuel unter dem Arme entfiel ihm, er erkannte sie nicht, und doch wäre das Gegentheil Erdmuthe jetzt lieb gewesen, denn sie zitterte im Herzen vor all der Verstellung, die sie üben sollte; sie sollte den Menschen nahen, die ihr allein auf Erden geblieben waren, und doch keine Hand nach ihnen ausstrecken, kein Liebeswort ihnen sagen.

Die Schultheißin hieß Traudle und deren Tochter willkommen und gab ihnen auf der Hausflur zu essen; [185] aus der Stube hörte man die laute Stimme Gottfrieds, der den Streit zweier Männer zu schlichten suchte.

Bläsi ging an den beiden Frauen, die aus dem Schooße aßen, vorüber und sagte: »Gsegn' es Gott. Traudle, ich glaub' dein' Tochter ist ein bisle heikel, red ihr zu, daß sie essen soll, ihr krieget nichts mehr bis auf den Abend und ihr könnet gleich mit mir hinausfahren und helfen Heu einthun.«

Erdmuthe aß mit gutem Appetit und die Schultheißin lobte sie nachher besonders, weil sie so schnell Bescheid im Hause wußte, das Geschirr spülte und an seinen Platz stellte, ehe man sich's versah.

Bläsi stand aufrecht im Wagen und Traudle und Erdmuthe fuhren mit ihm hinaus auf die Wiese, er schalt Erdmuthe bei der Arbeit ob ihrer Langsamkeit und sagte: »Du sollst Lahmele heißen, nicht Regele.« Er fand sich besser in seine Rolle als Erdmuthe, er hatte es freilich auch leichter.

Man brachte das Heu rösch und unverregnet unter Dach und als plötzlich zwei Mäher krank wurden, hatte Erdmuthe noch einen besondern Triumph: sie mähte mit Bläsi und dem Knechte in gleicher Linie und blieb nie zurück. Gottfried, der, wie der Schwager voraus gesagt hatte, sich an der entschlossenen Thätigkeit Bläsi's freute, ließ auch einen Theil dieses Gefühls auf die neuen Taglöhnerinnen übergehen und ermahnte Bläsi, nicht zu strenge gegen sie zu sein. Er lachte, da ihm die Mutter sagte, die Tochter Traudle's sei Bläsi nicht gleichgültig, eben weil er so viel mit ihr zanke: er kannte seinen stolzen Sohn viel besser. Die ganze Woche [186] und selbst am Sonntag kam man nicht zu Ruhe und Besinnung, man war immer in Bedrängniß vor dem drohenden Wetter und nur beim Essen im Felde wechselte man einige Worte. Da sagte der Knecht einmal:

»Das Vieh geht doch in Allem voraus, das kriegt das Erste vom Feld und nachher kommen erst die Menschen mit ihrem Futter dran.«

»Das gehört sich auch,« sagte Erdmuthe, »wenn man zuerst für Andere gesorgt hat, dann kommt man erst an sich selber und die Kühe und Ochsen fressen das Heu für uns, wir kriegen's nachher als Milch und Butter und Fleisch.«

»Und die Gäul?« sagte Bläsi.

»Die sind unsere Arme, die müssen für uns Pflug und Wagen ziehen.«

»Dein Maul braucht keinen Wetzstein,« lachte der Knecht und Bläsi nickte still zu Erdmuthe.

Am zweiten Sonntag sprach Gottfried das erste Wort mit Erdmuthe:

»Mädle, ich hab' heut dein Stimm' in der Kirche aus Allen herausgehört, du hast was besonderes, ich weiß nicht was.« Erdmuthe sah ihn groß an, hatte sie die Stimme ihrer Mutter und hatte diese den Bruder so angesprochen? Wie gern hätte sie alle Vermummung abgelegt, aber sie durfte nicht, und immer mußte sie denken, daß dieser Mann Trauer um sie wie um eine Todte angelegt; sie hatte schon einmal durch die Erregung seiner Heftigkeit ihn an den Rand des Grabes gebracht, sie durfte Nichts mehr wagen.

[187] Am Abend in der Dämmerung ging Erdmuthe mit Traudle durch das Dorf, diese kannte Jedermann und hatte überall eine Ansprache, und Erdmuthe stand dabei so verlassen und es schnitt ihr durch die Seele, wenn sie hören mußte, daß sie die Tochter Traudle's sei. Verläugnete sie ihre Mutter? Sie kam sich beständig wie eine Diebin vor und gab nur wenig Antwort, und die Spielplätze ihrer Kindheit betrachtete sie mit verstohlenem Blick. Bläsi hatte ihr doch Schweres auferlegt, aber sie vertraute ihm und wollte ausharren. An ihrem elterlichen Hause stand sie lange bei der Schwester Bläsi's und konnte sich kaum enthalten, sie nicht als Base zu begrüßen. War denn diese ganze Mummerei nicht unnöthig und grausam? Aber Bläsi sollte sehen, daß sie ihm unbedingt gehorchte. Die jungen Burschen und Mädchen zogen singend durch das Dorf, die Schwester Bläsi's verkündete mit Jubel, daß dieser seit Jahren zum Erstenmal wieder unter ihnen war. Erdmuthe seufzte still, und immer wieder kam die unlösliche Frage, warum gerade ihr allein ein so schweres Loos beschieden war. Der Dorfschütz klingelte und verkündete, daß am morgenden Tage die Ernte beginne und ein Jeder vor Allem Wege schneiden müsse, damit der Nachbar seine Frucht ohne Schaden des Andern heimbringen könne.

Das Dorf schlief bald, denn mit der Morgensonne mußte Alles wach sein.

»Man sollte eigentlich gar keinen Menschen lieb haben,« sagte Erdmuthe beim Schlafengehen zu Traudle, »wenn man so sieht, wie sie weiter leben, wenn man [188] fort ist, und gar nicht mehr an Einen denken, als wär' man nicht da gewesen.«

»Das kannst von deinem Bläsi nicht sagen.«

»Nein, gottlob nicht, aber sprich nicht so laut. Gut Nacht.«

Erdmuthe war die Erste im Hause und schlich unhörbar wie ein Geist umher, Alles ordnend und zurechtlegend, und hier zum Erstenmal, seit sie in das Haus gekommen war, überraschte sie Bläsi beim Brunnen, als sie Wasser holte. Sie klagte ihm leise, wie schwer ihr die Verläugnung ihres Namens und Lebens werde; aber Bläsi getröstete sie, daß das der einzige Weg sei, seinen Vater zu gewinnen, der sie auf ewig aus seinem Herzen verstoßen; wenn auch alles sich wieder ausgleichen ließe, so werde er doch nur durch das äußerste Mittel ihr verzeihen, daß sie ihr Muttergut verschleudert habe. Noch heute könne er in mächtigen Zorn gerathen, wenn er auf einen Acker komme, der Erdmuthe gehören sollte, und der nun in fremdem Besitze sei. Erdmuthe wagte es kaum, leise ein Wort über diese zähe Habsucht zu äußern, da faßte sie Bläsi mit starker Hand und sagte, daß er nie an den verschwenderischen Leichtsinn ihres Vaters gedenken wolle, daß sie dafür aber auch seinem Vater nichts Böses nachtragen und ihn ehren und hochhalten müsse. Erdmuthe versprach das gern und bat nur, daß sie sich der Mutter oder der Schwester zu erkennen geben dürfe, es drücke ihr das Herz ab, daß sie mit Niemand von sich selber reden könne. Auch hiegegen bestand Bläsi darauf, daß es ihr genügen solle, wenn er allein [189] wisse, wer sie sei, sie brauche sonst Niemand; und hingegeben in treuer Liebe sagte Erdmuthe, daß sie gern Buße thue, weil sie ihn verlassen hatte, daß sie ihm allein angehöre und ihn fortan um nichts mehr bitten wolle, bis er selber finde, daß es Zeit sei.

In stiller Umarmung hielten sich die beiden Liebenden, bis daß der Morgenstern am Himmel erblich.

Die neue Ruth

Die neue Ruth.

Das ganze Jahr ist der Feldbau eine in gleichmäßigem Schritt gehaltene stetige Arbeit. In der Heuet, noch mehr aber in der Ernte wird sie plötzlich zur Leidenschaft, es ist ein gehetztes Treiben, jede Stunde, jede Arbeitskraft, jedes Fahrzeug ist unersetzlich, man jagt im Galopp auf klapperndem Wagen die Straße hinauf, biegt feldein, wo die Räder sich still umdrehen, fährt knallend mit geladenem Wagen in's Haus zurück, um dann auf's Neue hinaus zu eilen, wo die gebundenen Garben harren. Selbst die Essenszeit, der sonst so gewissenhaft eingehaltene Ruhepunkt, ist draußen im Felde von Hast nicht frei, so sehr man sich auch gegenseitig ermahnt, die Hast nicht aufkommen zu lassen.

Das aber ist ein schönes Kennzeichen der Menschennatur, daß das Herz sich um so freudiger bewegt inmitten aller Arbeitsmühen, daß ein gutes und heiteres Wort nie erfrischender in die Seele fällt, daß ein Bissen nie besser mundet, daß man nie mehr zu einer, wenn [190] auch flüchtigen doch innigen Begegnung mit den Nebenmenschen aufgelegt ist, als bei solcher angespannten Thätigkeit. Alle Tugenden und Lebensfreuden sprießen frei in ihr auf, und jener uralte Fluch ist zum Segen verwandelt, erst durch die Arbeit ist der Mensch zum Menschen geworden.

Wie der Morgenthau erfrischend auf Busch und Halm lag, so ruhte auch ein erquickliches Gefühl im Herzen Aller, die vom Hause Gottfrieds mit den Sicheln hinausschritten in das Feld. Bläsi ging voran mit den Männern, die Frauen hinter ihnen drein mit Körben und Krügen an der Hand. Man ging eine geraume Strecke wortlos, da machte ein Scherz Traudle's Alles lachen. Sie sagte: »Wann sind die Bauern am stärksten?« Niemand wußte eine Antwort und Traudle erklärte: »Vor der Ernt', da können sie all' ihre (wenige) Frucht auf dem Buckel in die Mühle tragen.« Es bedurfte nur dieses leisen Anstoßes, um die Allen inwohnende Heiterkeit Schlag auf Schlag zur Offenbarung zu bringen. Andere schlossen sich der Gruppe eine Strecke Weges an, und das Lachen und Necken tönte hell über die schnittreifen Feldbreiten. Als die Gottfriedischen in die Nähe des Gerstenackers kamen, der zuerst angeschnitten werden sollte, schimpfte der Knecht, weil der Anwänder (Nachbar), es war der Vater des lahmen Klaus, keine Anstalt getroffen, daß man durch seinen Acker auf den eigenen kommen konnte.

»Wir machen Luft,« sagte Erdmuthe und legte zuerst ihre Sichel an die Aehren, und Bläsi bestätigte:

[191] »Sie hat Recht; zuerst für einen Andern arbeiten, das bringt Segen.«

Es konnte kein besseres Liebeswort Bläsi's geben, als daß er das, was Erdmuthe früher ausgesprochen, hier sogleich anwendete. Fast nur in langsamerem Schritte weiter schreitend, legte man nun einen breiten Weg durch den Acker des Anwänders nieder, bis man zu dem eigenen kam. Die Frauen schnitten immer zwischen den Männern drein den schrägen etwas schmäleren Streifen, den sie zwischen einander stehen ließen, sie selber mit ihrer stärkeren Kraft nahmen größere Breiten, oder wie man hier zu Lande den Ausschnitt nennt, den ein Jeder macht, einen größeren Jaun. Erdmuthe, die zwischen Bläsi und dem Knechte war, legte mit einer Leichtigkeit und Behendigkeit die Aehren nieder, daß es schien, als habe sie eine Zaubersichel, sie kam den andern vorauf, vollendete zuerst den Jaun und rief, die Sichel hoch hebend: Juchhe! daß es weithin schallte und von anderen Feldern erwidert wurde. Traudle erhob sich auch und sagte: »Duss (draußen) ist's, hat seller (jener) Pfarrer gesagt, und hat das Amen vergessen.« Alles lachte und nun ging es rückwärts, und so oft man an das Ende eines Jauns kam, ging das Schneiden viel schneller, weil Alles zusammenrückt, und es wurde gearbeitet als würde geraubt, und das Sprechen der Genossen, die durch keine Scheidewand getrennt waren, nahm einen frischen Anlauf, bis es allmählig wieder verstummte und man nichts hörte, als das Schneiden der Sichel, und manchmal einen Seufzer über Rückenweh.

[192] Man spottete einmal über Erdmuthe, die die Stoppeln höher stehen ließ als die Anderen, sie aber sagte:

»Wenn man dem Acker die Halme nicht zu kurz nimmt, dann ist er halb gefüttert und trägt das Nächstemal um so besser.«

Dieses Wort vernahm der ungehört herbeigekommene Gottfried und sah bitter drein. Deutete er dies vielleicht als Anwendung auf seine Genauigkeit?

Man setzte sich zum Morgenimbiß, den eine Magd herbeigebracht hatte. Traudle konnte sich nicht enthalten, über das schlechtgebackene Brod die spöttische Bemerkung zu machen:

»Es giebt verschimmelte Bauern, die verderben die Gottesgabe und lassen schlechtes Brod backen, damit es Einem wie ein Kieselstein im Magen liegt.«

Alles schwieg, aber Erdmuthe schnitt sich ein gutes Stück ab und sagte dabei halb singend:


»Laible, du mußt Rübele heißen,

Rübele, du mußt gessen sein.«


Gottfried betrachtete genau die Spalten an den Aehren des benachbarten Kornackers, denn es gilt als alte Regel: je mehr Spalten da wo der Strohhalm beginnt, taub sind, um so theurer wird das Korn. Er nickte zufrieden.

Ein Storch flog über die Schnitter weg, und sich zurücklegend und in den Himmel schauend sagte Erdmuthe:

»Ich möcht' nur wissen, wie der Vogel da oben auf uns 'runterguckt, wie sich da Alles tummelt; es [193] muß ihm doch sein, wie wenn wir in einen Ameisenhaufen schauen.«

Gottfried ging brummend davon, er kam wenig auf's Feld, er hatte meist mit seinen Amtsgeschäften zu thun und überließ Bläsi gern die Meisterschaft, und die jungen Leute waren doppelt lustig, wenn er wegging.

Am Mittag kam der wohlausgerüstete Korb. Man saß am Raine, die Sonne im Rücken, und Erdmuthe mußte allzeit den Obstmost in den zinnernen Becher einschenken, der von Hand zu Hand ging.

Man kam den ganzen Tag nicht in's Dorf und schnitt unaufhörlich, bis der Abendtau auf die Felder sank und nur noch der Goldammer von den Obstbäumen pfiff, und die Staare in Haufen aufflogen. Der Vollmond kam mit röthlichem Scheine hinter den Bergen hervor und im Heimgehen sagte Erdmuthe:

»Mir ist's immer wunderig, daß man gar nichts davon hört, wenn der Mond kommt, daß er auf Einmal so still da ist.«

Es lebte ein eigener regsamer Geist in dem Mädchen und Bläsi pries im Stillen doppelt sein Geschick, daß es ihm so wunderbar wiedergegeben war.

Tag um Tag verging und die Heiterkeit blieb sich gleich wie das ständige Wetter. Am Abend hörte man im Dorfe nichts als Futterschneiden und Dengeln. Erdmuthe half das Vieh versorgen, auf das man jetzt doppelt Acht haben mußte, und war ebenso behend in der Küche und in der Stube. Gottfried betrachtete sie oft mit freundlichem Blick und einmal sagte er ihr sogar:

[194] »Wenn mein Bläsi geheirathet hat, kannst du als Magd bei uns bleiben. Du bist anstellig.«

Erdmuthe antwortete nichts.

Zum Garbeneinführen kam Gottfried immer in's Feld, und die Sammelten betrachtend schätzte er immer richtig, wie viel Garben es gebe, damit man wisse, wie viel Wagen man nehmen solle und keine Zeit verliere.

Die Mädchen sammelten den Männern die Aehren in die Wieden, Erdmuthe hatte immer das beste Augenmaß, sie durfte nie etwas ab- oder zuthun, und ihre Garben lagen immer wie nach der Schnur gemessen in gradlinigen Gassen. Erdmuthe sah schön aus, wenn sie das Korn in ihren beiden Armen hoch hielt und die Aehren über ihrem Haupte wallten, ihr Kopf war allzeit verhüllt, sie war nur mit dem rothen Leibrocke bekleidet, und von den Hüften bis zum Hals geschlossen, bedeckte das Hemd die anmuthigsten Formen, die sich beim Heben und Beugen leicht und frei ausprägten. Das bemerkte sogar der alte Gottfried. Trotz seiner vorgerückten Jahre hob Gottfried mit Leichtigkeit die Garben auf den Wagen, nur beim Einstemmen und Aufheben sah man ihm eine Mühe an; hatte er die Garbe hoch, so trug er sie leicht, wenn aber Bläsi die Garben aufnahm, war es als ob sie sich von selbst vor ihm erhöben.

Das war ein Leben auf dem Felde! Es war als ob die zahllosen Fuhrwerke aus dem Boden wüchsen, die Mädchen glühten, die Bursche knallten mit den Peitschen, man lieh einander Wieden, man rief einander an beim [195] Ein- und Ausfahren, lobte, Gott dankend, die Schwere der Garben und trank einander zu.

In solcher Zeit ist alles Leid und alle Sorge eine Weile vergessen, und die Menschen sind zu einander wie Brüder auf der Mutter Schooß.

Der Besitzer großer Ackerbreiten und der Taglöhner, der nur einen kärglichen Lohn davonträgt, sind eine Weile gleich, denn die Arbeit macht gleich, und das Mahl auf dem Boden und der Trunk aus demselben Becher wird zum selbstgeheiligten Liebesmahle. Der alte Gottfried that seinen Arbeitern manche Handreichung, er saß bei ihnen, sprach mit ihnen und kannte keinen Stolz mehr. Er scherzte sogar mit Traudle von alten Zeiten, da sie Beide noch jung waren, und Traudle war mehrmals nahe daran, ihm Alles zu sagen; aber sie wollte doch Bläsi nicht vorgreifen, und am Abend drängte sie diesen oft, daß er dem gefährlichen Spiel ein Ende mache, da gerade jetzt die entsprechende Weichheit und ein gewisses gesättigtes Wohlwollen in Gottfried war, aber Bläsi war weit entfernt, inmitten der Ernte solch eine Bewegung zu veranlassen, und so mußte man sich still gedulden.

Bläsi war überhaupt wie Einer, der in gewaltiger Anstrengung eine Thüre aufgedrückt hat, und nun fast rathlos dasteht und nicht weiß, was und wie er beginnen soll. Er wollte ruhig abwarten, und er hatte dabei ein gut Theil von jener Angewöhnung des Bauernlebens, die in allen Dingen gern Wachsthum und Reife abwartet und sich nicht leicht überstürzt.

Es kamen Regentage und man drosch einstweilen[196] in den Scheunen und die Hühner gackerten dazu und erhaschten manches aufspritzende Körnlein. Bläsi drosch immer in dem Trupp mit Erdmuthe. Es kamen schwere sorgenvolle Tage und Nächte, man hörte von Hagel im Unterland, und ein säuselnder Regen, der nur manchmal in starkes Platzen überging, wollte nicht enden. Man hat Vieles geschnitten draußen liegen, und bangte darum, daß es auswachse, und auch wenn die Sonne wiederkommt, trocknete es nicht so leicht als das Stehende. Gottfried ging immer brummend umher und auch Bläsi war betrübt; Erdmuthe wollte ihn durch Scherz erheitern, aber er verwies ihr das und es schnitt ihr tief durch die Seele als er sagte: »Es scheint, du weißt nicht, wie weh es thut, wenn das Sach vor der Thüre zu Grunde geht.« Hielt sie Bläsi für nicht haushälterisch, und mußte sie immerdar darunter leiden, daß sie aus einem verkommenen Hause kam? Das wollte sie nicht, lieber wollte sie Alles wieder verlassen.

Schön ist ein Sommermorgen nach ausgeregneten Tagen, ein leichter schwüler Dampf steigt auf von der reichgetränkten Erde, die Berge, die lange verhüllt waren, steigen in bläulichem Duft hervor, die Vögel singen und jubeln, die Sonne zeigt auf's Neue ihre nie versiegende Kraft, und die Menschen athmen wieder frei auf!

Die Kümmerniß war verschwunden, es ging auf's Neue an die rüstige fröhliche Arbeit, und es zeigte sich, daß die Sorge übertrieben war. Als Erdmuthe einmal abgesondert von den Uebrigen dem Bläsi die Aehren in die Wieden trug, sagte sie:

[197] »Ich kann nichts lange nachtragen, ich muß dir sagen, ich bin dir noch bös, weil du mir beim Dreschen das böse Wort gesagt.«

»Weiß schon, aber du darfst das nicht übel aufnehmen, du mußt auf Alles bedachter sein, du hast ein bisle einen leichten Sinn, du kannst nichts dafür, du bist's gewohnt –«

»Aber solche Vorwürfe bin ich nicht gewohnt. Ich will's nicht läugnen, ich mach' mir vielleicht zu wenig Sorgen, ich will das gern annehmen, aber du übertreibst's auch, siehst ja jetzt, daß es nicht so arg ist. Ich will gern von dir lernen, aber du mußt auch von mir, glaub mir, das ist auch nöthig.«

»Gieb noch einen Armvoll her, es geht noch in die Wiede,« endete Bläsi, und der Friede war abgeschlossen. Im weiteren stillen Arbeiten wollte er zwar Anfangs die Mahnung Erdmuthe's verwerfen, aber er war ehrlich genug, ihr doch Recht zu geben, und es war ihm eine Freude, ihr Recht geben zu können.

Diesseits der Regentage war Emsigkeit und Heiterkeit auf dem Felde noch eine verdoppelte. Selbst der allzeit finstere Gottfried sagte einmal seiner Frau, so lustig sei noch nie eine Sommerszeit gewesen, und er befahl ihr, daß sie bei der Sichelhenkete auch nicht sparen solle.

Mit der hohen Erntezeit hörte das Bedrängen der Arbeit nicht mehr auf. Es ging an's neue Einbauen der kaum befreiten Aecker. Männer und Frauen hielten sich an verschiedene Arbeit, diese mußten Hanf jäten, den Samen ausklopfen, spreiten und im Weiher [198] einweichen und dazwischen die Ernte unter dem Boden halten, Kartoffeln und Rüben einthun, und der hundertfältigen kleinen Thätigkeit obliegen, die ein ausgebreitetes Feldgeschäft mit sich bringt. Bläsi hatte meist mit dem Einsäen zu thun und kam müde nach Haus, denn das Säen gehört zu den beschwerlichsten Arbeiten: ein bis zwei Simri Saatfrucht vor sich hertragen, in dem schweren Boden, wo man kaum die Füße heben kann, sich in gleichmäßigem Schritt und gerader Linie halten und dabei allzeit einen gleichmäßigen Wurf thun – wenn Bläsi Abends heim kam, schlief er bald ein, und es war nicht abzusehen, wann die Angelegenheit mit Erdmuthe enden sollte.

Man schnitt eines Tages wieder gemeinsam den Späthaber an dem Hubelberg, die Blätter an den Bäumen fingen schon an zu vergilben, an den Bergen hingen Wolkenflocken und ein leiser Herbstduft wob über den Feldern; da kam Gottfried mit einem fremden Herrn zu den Schnittern auf das Feld. Erdmuthe mußte ihn auf den Wunsch der Genossen nach altem Brauche »in's Weisch fangen«. Sie nahm eine Handvoll Aehren, wand sie dem Fremden um den Arm, legte ihm die Sichel auf die Schulter und sprach:


Den Weg bin ich gegangen,

Den Herrn hab' ich gefangen,

Das Brod wird sich gesegnen,

Der Herr wird sich auslösen.


»Wenn du mich in's Weisch fangst, kriegst du auch was,« sagte Gottfried in ungewohnter Leutseligkeit.[199] Als ihm nun Erdmuthe die Hand auf die Schulter legte, bebte er zusammen. Spürte er vielleicht die Blutsverwandtschaft? Er war wenigstens so verwirrt, daß er dem Theilungskommissar – denn dies war der fremde Herr – nur ordnungslose Auskunft geben konnte über die Art, wie der Zerstückelung der Güter ein Ende gemacht und durch Tausch u.s.w. wieder abgerundete Ackerflächen zusammengelegt werden sollten.

Auf den Abend war die Sichelhenkete anberaumt und Gottfried sagte dem Bläsi, daß er die fremden Taglöhner ablohnen und fortschicken wolle. Bläsi widersprach und sagte, daß man die Lichtenhardter noch behalten müsse.

»Hast denn was mit dem Mädle?« fragte der Vater.

»Ich geb' Euch mein heilig Wort, ich hab' nichts mit des Traudle's Tochter,« erwiderte Bläsi und der Vater willfahrte ihm gern, er hatte ja Freude genug, daß sein verdüsterter Sohn ihm so heiter und frisch wieder erstanden war.

Bräutle lösen und Allerseelen

Bräutle lösen und Allerseelen.

Warum zögerte nur Bläsi mit der Offenbarung des Geheimnisses? Ihm bangte doch davor, denn er kannte die eiserne Härte des Vaters, er hatte auf irgend einen begünstigenden Zufall gehofft, aber der war nicht eingetreten, und wie das so geht, allmälig erwuchs ihm ein neuer Gedanke.

Viele Menschen sind oft am stolzesten auf Ereignisse [200] und Gedanken, die ihnen im Laufe der Zeit erwuchsen und bereden dann sich und Andere, daß dies ihre ursprüngliche, genau berechnete Absicht war. So beredete sich auch Bläsi, daß er die lange Verborgenheit erzielte, um den haushälterischen Sinn Erdmuthe's zu prüfen und in ihr zu pflanzen; denn so tief und innig auch seine Liebe zu Erdmuthe war, er war doch noch Gottfriedisch genug, um jede leichtfertige Vergeudung, ja sogar die bloße Sorglosigkeit als das ärgste Uebel zu fürchten, und man konnte nicht wissen, was noch Erdmuthe von der Gewohnheit ihres elterlichen Hauses anhange.

Erdmuthe hatte ihn nur das Einemal am Morgen vor der Ernte um Lösung des Geheimnisses gebeten, sie schwieg fortan und harrte geduldig. Um so drängender war Traudle. Sie schilderte die Gefahr, daß Jemand von Lichtenhardt komme und sage, daß ihre Tochter todt sei, sie schilderte ihre Qual und die Erdmuthe's in den grellsten Farben und wollte keinen Zweck der Zögerung anerkennen. Ja seit einigen Wochen wuchs die Sorge, daß das Geheimniß auf ungeschickte Weise offenbar würde, das sich so wunderbar lange erhalten hatte; der lahme Klaus mußte Erdmuthe halb erkannt haben, denn er lauerte ihr oft auf und lief an seinen Krücken ihr nach und fragte sie, ob sie nichts von Erdmuthe wisse; diese wies ihn barsch ab, aber sie weinte darüber im Stillen. Das Unglück kennt einander, nur Klaus hatte sie erkannt, und sie wich ihm nun aus und verbarg sich vor ihm; aber erst als Traudle ihn bat, ihr Kind in Ruhe zu lassen, ließ er ab, sie zu verfolgen.

[201] Die Sichelhenkete war in Lustigkeit vorüber. Gottfried hatte die Taglöhner für die bisherige Arbeit abgelohnt, und Erdmuthe als »Weischgefangener« noch ein besonderes Geschenk gemacht. Jetzt kam Traudle mit erneuertem Drängen, aber Bläsi ging zu Erdmuthe, die im Keller Kraut einschnitt, und fragte sie, was sie mit ihrem Gelde mache.

»Ich hab's bis auf zwei Gulden dem Traudle geschenkt,« erwiderte sie, und Bläsi gerieth darob in gewaltigen Zorn und schalt über Verschwendungssucht und böse Gewohnheiten. Erdmuthe ließ ihn austoben, dann erklärte sie ihm, daß sie ebenso gern arm sein möchte als in Reichthum kommen, und dieses sei ihr nur darum erwünscht, damit sie Anderen ohne Schmälerung des Besitzthumes Gutes thun könne; dürfe sie das nicht und vertraue ihr Bläsi nicht, daß sie haushälterisch sei, so verließe sie lieber in dieser Stunde das Haus und zöge wieder in die weite Welt, und wolle Niemand sagen wer sie sei. Nun ging es an ein abermaliges und gründliches Erörtern der beiderseitigen Geldschätzung, und Bläsi, der Erdmuthe hatte bekehren wollen, mußte selber bekennen, daß bei der Art, wie man in seinem elterlichen Hause allzeit in Angst und Sorge sei, man kein Vermögen besitze, sondern davon besessen sei, und daß es ein Taglöhner besser habe als ein Reicher, der immer den Geldschlüssel an's Herz gebunden habe. Bläsi verstand diese letzte Wendung wohl und er bat Erdmuthe nur, seinen Vater nichts merken zu lassen, daß er und sie andern Sinnes seien. Mit Freude gab ihm Erdmuthe die [202] Hand darauf und versöhnte ihn zuletzt noch völlig, indem sie sagte:

»Ich will dir's nur gestehen, ich hab' mein Geld noch, und hab' dem Traudle nur zwei Gulden geschenkt; aber weil du mich so mißtrauisch gefragt hast, hab' ich grad' umgekehrt gesagt; du mußt an mich glauben, ungefragt, wie ich an dich; ich mein', ich hab' dir's bewiesen.«

»Ja, und jetzt ist Alles gut und schön und am Allerseelentag kommt's erst recht. Meiner Schwester hab' ich zur Vorsorge Alles gesagt, und du sollst, wenn's Abend wird, zu ihr kommen. Es geht was vor. Sei gefaßt.«

Im eigenen elterlichen Hause fand sich Erdmuthe zuerst wieder daheim und erkannt, und es war das größte Lob, das ein Gottfriedisches aussprechen konnte, als die Schwester sagte:

»Mein Bruder macht ein größer Glück an dir, als wenn du dein Vermögen doppelt und dreifach noch hättest.«

Als andern Tages Erdmuthe mit vielen andern Frauen beim Hanfbrechen am Weiher war, kam auch Bläsi und bezahlte gern das übliche Lösegeld, das ein Mann geben muß, der den Frauen bei dieser Arbeit in den Weg kommt. Viele Knaben sprangen hier umher, die sich Peitschen flochten und das Bräutlelösen am Weiher spielten; als wäre er selber noch ein Kind, nahm auch Bläsi dieses Spiel auf, und Alles staunte und jubelte über seine Geschicklichkeit. Im Uebermuthe seines beseligenden Geheimnisses und in der kecken Lust es zu verrathen, rief er:

[203] »Das hab' ich vor vielen Jahren mit der Erdmuthe gespielt, sie hat lang auf dem Wasser getanzt, endlich ist sie doch untergeplumpst.«

Niemand verstand ihn als Erdmuthe und die Schwester, die Anderen sahen einander staunend an und ihre Blicke sagten: jetzt hat man gemeint, er wär' geheilt, und jetzt ist er doch wieder nicht recht im Kopf. –

Ein stiller sonnenloser Tag brach an, der Himmel war weißlichgrau und die Erde auch, denn ein Winterreif lag auf Gras und Scholle und auf den Spitzen der Wintersaat. In jener Buchenumzäunung vor dem Dorfe brannten hunderte von Lichtern auf den schwarzen Kreuzen, kein Windhauch wehte und die Lichter brannten unbewegt; auf einem Kreuze flammten zwei Lichter und darunter stand der Name: Erdmuthe. Die Lebenden gingen zwischen den Gräbern der Abgeschiedenen umher, Niemand sprach ein lautes Wort, nur leise Gebete wurden gemurmelt, die Lebenden selber glichen umwandelnden Geistern und Mancher mußte denken, daß er über's Jahr vielleicht auch hier unter dem bereiften Boden liege und ein Licht brennt zu seinen Häupten. Auch Gottfried wandelte hin und her, er hatte Gräber von Eltern und Kindern und von der Schwester hier. Als er sich diesem wieder nahte, lag eine Frauengestalt auf demselben ausgestreckt und schluchzte, daß es ihr den ganzen Körper zusammenschütterte. War das nicht die Tochter Traudle's, zum Erstenmal barhäuptig?

»Was hast du da? Was geht dich das Grab an?«[204] fragte Gottfried. Dringt das Antlitz der Verstorbenen aus der Erde? Mit bleichen Lippen fragte Gottfried noch einmal?:

»Du bist –«

»Ja, ich bin die Erdmuthe, Eurer Schwester –«

Lautlos sank Gottfried auf den Boden, Alles sprang herbei, man trug ihn erstarrt davon, eine Leiche vom Kirchhofe.

Weinend ging Erdmuthe hinter drein, ihr entgegen kam Bläsi mit seiner Schwester, und sie sahen mit Entsetzen, was geschehen war. Bläsi hatte heute dem Vater auf dem Kirchhof Alles sagen wollen, nur so glaubte er ihn erweichen zu können; Erdmuthe arbeitete auf dem Kartoffelfelde beim Wegweiser und sollte warten, bis man sie holt, aber es duldete sie nicht, sie lief vorzeitig hin und so geschah, was wir erfahren.

Inmitten des Jammers um Gottfried, den jetzt wieder Alles lobte, erfuhr man, daß die vermeintliche Tochter Traudle's des Cyprians Erdmuthe sei, an die Niemand mehr gedacht. Man wollte es nicht glauben, daß sie schon einen ganzen Sommer im Dorf war, das schien unmöglich, und die Gruppen der Neugierigen und Theilnehmenden wechselten zwischen dem Hause Gottfrieds und dem Cyprians, wo die Rodelbäuerin Erdmuthe zu sich genommen und in die Kammer eingeschlossen hatte.

Nach einer Stunde, in der Erdmuthe die höchsten Qualen ihres Lebens durchmachte, kam die Rodelbäuerin zu ihr und verkündete, daß man den Vater wieder zum Leben gebracht habe, daß ihm aber die Stimme [205] versage. Bald darauf kam auch Bläsi mit der Nachricht, daß der Vater spreche, nur sage er, er müsse sterben, weil seine Schwester ihm erschienen sei. Erdmuthe war trostlos, weil sie nicht aus dem Hause durfte und nichts thun konnte zur Abwendung des großen Leids, das sie über die Familie gebracht, aber Bläsi tröstete sie und sagte:

»Wir haben's verschuldet, ich besonders, es ist sündlich gewesen, dich so lang hinzuhalten. Mach dir nur keine Vorwürfe und Niemand soll sie dir machen.«

Die Rodelbäuerin ging wieder hinab in's Elternhaus, und bald kam an ihrer Stelle die Schultheißin und umarmte Erdmuthe innig, und seltsam äußerte sich ihr Herz, indem sie Erdmuthe schalt, daß sie sich nicht schon lang zu erkennen gegeben; sie könne nichts dafür, daß sie sie als Taglöhnerin behandelt habe.

Das Erste, das wieder Heiterkeit gewann, die Ohnmacht Gottfrieds für vorübergegangen ansah und sich an der Wichtigkeit seiner Bedeutung freute, war Traudle, und sie wiederholte oft, ihr wäre jetzt so leicht als wenn eine schwere Last von ihr genommen wäre. Der lahme Klaus saß auf der Steinbank vor dem Hause und rühmte sich seiner Klugheit, daß er allein Erdmuthe erkannt habe. Er beklagte sich bitter, daß man nie genug anerkenne, wie er gescheiter sei als Alle im Dorfe; aber als der erste Schreck vorüber war, neckte und hänselte man ihn nur über seine Weisheit. Erdmuthe indeß ließ ihn zuerst vor Allen zu sich heraufrufen und reichte ihm die Hand, und nun hatte er doch noch seinen Lohn.

[206] Man konnte dem alten Gottfried nur schwer begreiflich machen, daß die er gesehen, die lebendige Erdmuthe sei. Er schüttelte immer mit dem Kopfe, endlich schien er es doch zu fassen, denn er sagte:

»Ich hätt' eher geglaubt, daß die Todte wieder aufersteht, als daß die aus Amerika kommt.«

Er verlangte Erdmuthe zu sehen, aber man willfahrte ihm erst andern Tages, und er selber befahl, daß man ihr das alte Ehrenkleid bringe, sie solle in diesem zu ihm kommen. Das ganze Dorf lief zusammen, als Erdmuthe mit dem Ehrenkleid ihrer Mutter angethan und mit dem Halsgeschmeide geziert, das sie treulich bewahrt hatte, nach dem Hause Gottfrieds ging. Sie küßte die zitternden Hände des Oheims, der lange nichts reden konnte, endlich sagte er, auf die siebenfache Granatenschnur mit dem Schwedendukaten deutend:

»Wer hat dir das geben?«

»Mein Vater.«

»Hast du sonst noch was von deinem Muttergut gerettet?«

»Nein.«

Gottfried legte die Augen zu und schwieg, da trat Bläsi vor und sagte:

»Sie braucht jetzt nichts mehr, sie hat wieder Vater und Mutter am Leben, es fehlt ihr nichts mehr –«

»Als ein Mann,« ergänzte Traudle.

»Und den hat sie auch,« begann Bläsi wieder, »den Ring da an der Hand trägt sie von mir, der ist auch aus dem Grab auferstanden.«

[207] Er erzählte, wie er den Ring vergraben gehabt, Gottfried nickte still ...

Sobald der Dispens eingetroffen war, noch vor der Fastenzeit, wurde die Hochzeit Erdmuthe's und Bläsi's gefeiert, und Gottfried, der viel daheim sitzen mußte, hatte es am liebsten, wenn Erdmuthe bei ihm blieb; er sprach wenig, aber ihre Nähe that ihm wohl.

Im Frühling wurde das Haus neu verputzt und wenigstens ein Eisengitter abgethan. Gottfried gab Erdmuthe Recht, daß er so besser auf die Straße sehen könne.

Ein Brief an Gottfried aus der neuen Welt von Cyprian, vollendete noch im zweiten Sommer die Sühne. Cyprian klagte bitterlich um das verlorene Kind, betheuerte seine Unschuld und zwar, wie er oft wiederholte, im Angesicht des Todes. Er mußte im Innersten zerbrochen sein, denn er bat Gottfried um Verzeihung für all die Unbill, die er ihm angethan, und immer wieder sprach er von seinem nahen Tode. Gottfried schrieb selbst einige Worte zu dem Brief Erdmuthe's, worin sie alles Geschehene erzählte. Es ist aber nicht bekannt worden, ob der Brief Cyprian noch am Leben traf.

Am Wegweiser unter dem Apfelbaum errichtete Bläsi eine Steinbank und ließ den Namen Erdmuthe darauf eingraben, und an sommerlichen Sonntagsnachmittagen erschallt es allzeit hier von Lachen und Singen der jungen fröhlichen Welt.

[208]

IV.
Der Geigerlex.

[209][211]

Es summt und schwirrt in der mitternächtigen Luft. Horch! rasche Rossestritte aus der Ferne, sie kommen näher! Hei! da springt ein Reiter auf sattellosem Pferd daher und ruft: Feuerjo! Feuerjo! Hülfe! Feuerjo! – Er reitet gerade der Kirche zu und bald klingt es vom Thurme, es läutet Sturm.

Wie schwer ist's, mitten in der Erntezeit sich aus dem besten Schlaf zu erheben; die Menschen können nicht aufkommen, sie liegen fast wie die Halme draußen im Feld, die sie mit emsiger Hand geschnitten. Aber es muß sein. Die Burschen, die Pferde im Stalle haben, sind am flinksten; Jeder will den Preis gewinnen, der seit alten Zeiten darauf gesetzt ist, wer am ersten mit angeschirrtem Gespann sich am Spritzenhäuschen einfindet. Da und dort erscheint Licht in den Stuben, öffnet sich ein Fenster, Thüren gehen auf und die Mannen ziehen eilig erst auf der Straße die Jacken an. Als man am Rathhaus versammelt ist, heißt es allgemein: »Wo brennt's?« – »In Eibingen!« – Frag' und Antwort war kaum nöthig, denn dort hinter dem dunkeln Tannenwald stand der ganze Himmel angeglüht, still gleich dem Abendroth, und [211] nur bisweilen schoß ein Sprühregen von Funken empor, wie wenn ein mächtiger Luftzug durch einen Hochofen geht.

Die Nacht ist so still und lau, die Sterne glitzern so ruhig auf die Erde nieder, sie kümmern sich wohl nichts darum, ob ein Menschenkind da unten verkommt oder vergeht. –

Die Spritze ist angespannt, die Feuereimer sind aufgereiht, zwei Fackeln sind entzündet, die Fackelträger stehen bereits hüben und drüben, und halten sich an dem Messingspund; wer nur noch einen Griff, eine Handbreit Platz gewinnen kann, um zu stehen und zu fassen, schwingt sich hinauf, man sieht kaum mehr ein Stückchen von der rothangestrichenen Spritze.

»Noch ein Gespann vor; zwei Pferde können nicht Alles ziehen!«

»Thut die Fackeln weg!«

»Nein, es ist alter Brauch!«

»Fahrt zu, in Gottes Namen!«

So scholl die laute Rede hin und her.

Jetzt rollt das schwere Gefährt das Dorf hinaus an den schlafenden Feldern und Wiesen vorbei. Die Obstbäume am Wege mit ihren Stützen tanzen lustig vorüber im flackernden Licht, und jetzt dröhnt es durch den Wald; von Licht und Lärm geweckt erwachen die Vögel aus ihrem Schlummer und fliegen scheu umher, und können sich kaum mehr zurückfinden in's warme Nest. Jetzt endet der Wald, da drunten im Thal liegt das Dorf tageshell, und es ist ein Schreien und Sturmgeläute, als ob die Flamme dort Stimme gewonnen hätte.

[212] Seht! Steht nicht dort am Waldesrand eine weiße Geistergestalt, und hält etwas Dunkles an der Brust? Vernehmt ihr nicht einen Laut, einen schrillen Saitenklang? Die Räder rasseln, man kann nichts Deutliches vernehmen – vorbei, eilt, rettet!

Da kommen Leute aus dem Dorfe, die ihre Habe flüchten, Kinder in bloßen Hemden mit nackten Füßen, sie tragen Betten, Zinn- und Kupfergeschirr. Ist's denn so weit, oder hat ein grauser Schreck Alles ergriffen?

»Wo brennt's«

»Beim Geigerlex

Und rascher trieb der Fuhrmann die Pferde, und ein Jeder reckte sich, um doppelt zu helfen.

Als man sich der Brandstätte nahte, sah man bald, das brennende Haus war nicht mehr zu retten; alle Wasserstrahle waren nur auf die angebauten Häuser gerichtet, um diese vor den gierig leckenden Flammen zu wahren.

Man war eben damit beschäftigt, ein Pferd, zwei Kühe und ein Rind aus dem Stall zu retten; scheu gemacht durch das Feuer, wollten die Thiere nicht vom Platz, bis man ihnen die Augen verband und sie so durch Schläge endlich hinaustrieb.

»Wo ist der Geigerlex?« hieß es von allen Seiten.

»Er ist im Bett verbrannt,« berichteten die Einen.

»Er ist entflohen,« berichteten Andere. Niemand wußte Sicheres.

Er hatte weder Kind noch Verwandte, und doch trauerte Alles um ihn, und die aus den Nachbardörfern gekommen waren, schalten die Einheimischen, daß [213] sie nicht vor Allem über das Loos des Unglücklichen sich Gewißheit verschafft hatten. Bald hieß es, man habe ihn beim Schmied Urban in der Scheune gesehen, bald wieder, er sitze droben in der Kirche und heule und jammere; das sei das Erstemal, daß er ohne Geige und nur zum Beten dorthin gekommen sei; – aber man fand ihn nicht da, und fand ihn nicht dort, und nun hieß es wieder, er sei in dem Hause verbrannt, man habe sein Winseln und Klagen vernommen, aber es sei zu spät gewesen ihn zu retten, denn schon schlug die Flamme zum Dach hinaus und spritzte das Glas der Fensterscheiben bis an die Häuser auf der andern Seite der Straße.

Als es mälig zu dämmern begann, waren die angrenzenden Gebäude gerettet. Man ließ nun das Feuer auf seiner ursprünglichen Stätte gewähren, Alles schickte sich zur Heimkehr an.

Da kam vom Berg herab, just wie aus dem Morgenroth heraus, ein seltsamer Aufzug. Auf einem zweirädrigen Karren, an den zwei Ochsen gespannt waren, saß eine hagere Gestalt, nur mit dem Hemd angethan, und halb mit einer Pferdedecke zugedeckt; der Morgenwind spielte in den langen weißen Locken des Alten, dessen lustiges Gesicht von einem kurzen struppigen und schneeweißen Bart eingerahmt war. In den Händen hielt er Geige und Fiedelbogen. Es war der Geigerlex. Junge Bursche hatten ihn am Saum des Waldes gefunden, dort wo ihn die Fahrenden im raschen Fluge bei der Fahrt fast als eine Geistererscheinung gesehen, dort stand er nur mit dem Hemde angethan, [214] und hielt seine Geige mit beiden Armen an die Brust gedrückt.

Als er sich jetzt dem Dorf nahte, nahm er Geige und Fiedelbogen auf und spielte seinen Lieblingswalzer nach dem bekannten Liede: Heut bin ich wieder kreuzwohlauf u.s.w.

Alles schaute nach dem seltsamen Mann und grüßte ihn, wie wenn er von den Verstorbenen wieder erstanden wäre.

»Gebt mir was zu trinken!« rief er den Ersten zu, die ihm die Hand reichten – »ich hab' so einen mächtigen Durst.«

Man brachte ihm ein Glas Wasser. »Pfui!« rief der Alte, »das wäre eine Sünde, so einen prächtigen Durst, wie ich habe, mit Wasser zu löschen – Wein her! Oder hat der verfluchte rothe Hahn auch meinen Wein ausgesoffen?«

Und wieder fing er an, lustig zu geigen, bis man vor der Brandstätte ankam.

»Das sieht ja aus wie der Tanzboden den Tag nach der Kirchweih,« sagte er endlich, stieg ab und ging in des Nachbars Haus.

Alles drängte sich zu dem Alten und umringte ihn mit Trostworten und mit dem Versprechen, ihm alle Hülfe zum Wiederaufbau des Hauses zu leisten.

»Nein, nein,« beschwichtigte er, »es ist recht so, mir gehört kein Haus, ich gehöre zum Spatzengeschlecht, das baut sich kein Nest und hat kein eigenes und huscht nur manchmal ein bei den Pfahlbürgern, den Schwalben. Für ein paar Jahre, die ich noch Urlaub habe, [215] bis ich in unseres Herrgotts Hofkapelle oder in die Regimentsmusik bei seinen Leibgarden-Engeln eingereiht werde, finde ich schon überall Quartier. Jetzt kann ich wieder auf einen Baum steigen und zur Welt hinunter rufen: von dir da unten ist nichts mein! – Es war doch Unrecht, daß ich ein Eigenthum gehabt habe, außer meiner herzliebsten Frau Figeline.«

Es ließ sich dem seltsamen Mann nichts einwenden, und die Auswärtigen kehrten heim mit dem beruhigenden Gefühl, daß der Geigerlex noch da sei. Er gehörte nothwendig in die ganze Gegend, – sie wäre verschändet gewesen, wenn er fehlte, fast wie wenn man die weithin sichtbare Linde auf der Landecker Höhe unversehens über Nacht niedergeworfen hätte.

Der alte Geigerlex freute sich gar sonderlich, als ihm der reiche Schmied Caspar einen alten Rock schenkte, der Kehreiner Joseph ein Paar Hosen, und Andere anderes. »Jetzt trage ich das ganze Dorf auf dem Leib,« sagte er, und gab jedem Kleidungsstück den Namen des Gebers. »So ein Rock, den Einem ein Anderer vorher lind getragen hat, sitzt gar geschmeidig, man steckt in einer fremden Menschenhaut. Mir war's allemal wind und weh, wenn ich einen neuen Rock bekommen hab', und Ihr wißt, ich bin allemal in die Kirche gegangen und hab' die Aermel in das herabtropfende Wachs von den heiligen Kerzen gedrückt und hab' g'sagt: So, Rock, jetzt bist du mein; bisher bin ich dein g'wesen. Das spar' ich jetzt bei Eueren Kleidern, die habt Ihr schon mit allerlei Speis' und Trank genährt. Ich bin jetzt ein neugeborenes Kind, und [216] dem schenkt man die Kleidchen, die man ihm nicht angemessen. Ich bin neugeboren.«

In der That schien das bei dem Alten der Fall; seine frühere tolle Laune, die seit einiger Zeit eingeschlummert schien, jauchzte wieder laut auf.

Als ein Mann hereintrat, der zum Löschen des Brandes gekommen war, und weil er einmal im Geschäfte begriffen, auch innerlich einen Brand gelöscht hatte, und zwar, wie sich ganz deutlich zeigte, mehr als nöthig – da schrie der Geigerlex: »Ich beneide nur den Kerl um seinen schönen Rausch.« –

Alles lachte. – Das Lachen und Spaßen ward indeß unterbrochen, denn der Amtmann mit seinem Actuarius kam, um über die Entstehung des Feuers und den angerichteten Schaden ein Protokoll aufzunehmen.

Der Geigerlex gestand sein Vergehen offenherzig ein. Er hatte die seltsame Eigenheit, daß er fast in jeder Tasche ein Schächtelchen mit Reibzündhölzchen trug, um nie fehlzugreifen, wenn er seine Pfeife anzünden wollte. Wenn man ihn besuchte, und wenn er wohin kam, spielte er immer damit, daß er eins der Hölzchen rasch entzündete. Oft und oft sagte er dabei: »Es ist doch schändlich, daß das erst jetzt aufkommt, wo ich bald abkratzen muß. Schaut, wie das geht, wie der Blitz. Wenn ich's zusammen rechne, habe ich Jahre Zeit verloren mit dem Feuerschlagen; der Alte da oben muß mir dafür zehn Jahre Zulag geben zu den siebzig Jahren, die mir gehören.«

Aus dieser fast kindischen Spielerei war aller Wahrscheinlichkeit [217] nach der Brand entstanden, es ließ sich aber nichts beweisen; und der Amtmann sagte zuletzt: »Es ist nur gut, Ihr seid eigentlich der letzte Spielmann; in unserer Zeit voll griesgrämiger Wichtigthuerei seid Ihr ein Ueberrest aus der vergangenen lustig sorglosen Welt, es wäre Schade, wenn Ihr so jämmerlich umgekommen wäret.«

»Und bei meinem gesunden Durst verbrennen, das wäre gar zu dumm! Herr Amtmann, ich hätte sollen Pfarrer werden, ich hätte den Menschen gepredigt: macht Euch nichts aus dem Leben, und es kann Euch nichts anhaben; schaut Euch Alles wie eine Narrethei an, und Ihr seid die Gescheitesten; und giebt's noch auf der andern Welt eine Nachkirchweihe, so tanzen wir sie auch mit! Wenn die Welt immer lustig wär', nichts thät' als arbeiten und tanzen, da brauchte man keine Schullehrer, nicht schreiben und lesen lernen, keine Pfarrer, und – mit Verlaub zu sagen, auch keine Beamte. – Die ganze Welt ist eine große Geige, die Saiten sind aufgespannt, der lustige Herrgott verstünde es schon, darauf zu spielen, aber er muß immer an den Schrauben am Hals – das sind die Herren Pfarrer und Beamten – drehen und drücken, und es ist Alles nichts als ein Probiren und Stimmen, und der Tanz will nie losgehen.«

Solcherlei Rede führte der Geigerlex, und der Amtmann nahm wohlwollend Abschied von ihm; denn auch er kannte die Lebensgeschichte des seltsamen Mannes.

Es sind jetzt nahezu dreißig Jahre, seit der Geigerlex im Dorf ist, gerade so lange als die neue Kirche[218] eingeweiht wurde. Damals kam er in das Dorf und spielte drei Tage und drei Nächte, nur einige Morgenstunden ausgesetzt, fast unaufhörlich die tollsten Weisen. Abergläubige Leute munkelten, das müsse der Teufel sein, der so viel Uebermuth aus dem Instrumente zu locken vermag, der Niemand ruhen und rasten ließ, wer ihm zuhörte, wie er selbst kaum der Ruhe zu bedürfen schien. – Er aß während dieser ganzen Zeit kaum einen Bissen und trank nur, aber in mächtigen Zügen, während der Pausen. Manchmal war's, als bewegte er sich gar nicht, er legte nur den Fiedelbogen auf die Saiten und helle Töne sprangen daraus hervor, der Fiedelbogen hüpfte fast von selbst in kurzen Sätzen auf und nieder.

Hei! was war das ein Rasen und Springen auf dem großen Tanzboden in der »Sonne!«

Einmal während einer Pause rief die Wirthin, eine behagliche runde Wittwe: »Spielmann! halt' doch einmal ein, alles Vieh im Dorf verklagt dich und muß fast verkommen, die Burschen und Mädchen gehen nicht heim zum Füttern. – Wenn du's nicht wegen der Menschen thust, wegen des lieben Viehes halt doch ein!«

»Recht so,« rief der Geigerlex, »da könnt' Ihr's sehen, wie der Mensch das edelste Wesen auf der Erde ist, der Mensch allein kann tanzen, paarweise tanzen. Wirthin, wenn du einen Tanz mit mir machst, dann hör' ich eine Stunde auf.«

Er stieg von dem Tisch herunter. Alles drang in die Wirthin, bis sie nachgab. Sie mußte ihn um die [219] Hüfte fassen; er aber hielt seine Geige, entlockte ihr noch nie gehörte Töne und in solch seltsamer Stellung, spielend und tanzend, drehten sie sich im Kreise, und zuletzt hörte er wie mit einem hellen Jauchzen auf, umfaßte die Wirthin und gab ihr einen herzhaften Kuß. – Er erhielt dafür einen ebenso herzhaften Schlag auf den Backen. Das Eine wie das Andere geschah indeß in Frieden und Lustbarkeit.

Von jener Zeit an blieb der Geigerlex im Hause der Sonnenwirthin. Er nistete sich dort ein, und wenn eine Lustbarkeit in der Umgegend war, spielte er auf, kehrte aber regelmäßig immer wieder zurück, und es war weit und breit kein Dorf und kein Haus, in dem mehr getanzt wurde, als bei der runden Sonnenwirthin.

Der Geigerlex benahm sich im Hause als dazu gehörig, er bediente die Gäste (denn zur Feldarbeit kam er nie), unterhielt alle Ankommenden, machte bisweilen ein Kartenspiel und wußte den neuangekommenen Wein trefflich zu loben. »Wir haben wieder einen frischen Tropfen; verschmecket ihn nur, in dem Wein da ist Musik drin!« Ueber Alles, was das Wirthshaus betraf, sprach er mit der Redeweise: »Wir«. »Wir liegen auf der Straß',« – »man muß über uns stolpern,« – »wir haben den besten Keller« u.s.w.

Der Jahrestag der Kircheneinweihung kam wieder, und der Geigerlex war noch immer da.

»Heut' ist mein Purzeltag, heut bin ich hier auf die Welt kommen!« – so rief er, und seine Geige war lustiger als je.

[220] Man konnte sich im Dorf und in der ganzen Gegend das Wirthshaus »zur Sonne« gar nicht mehr den ken ohne den Geigerlex. Die Wirthin aber dachte sich's doch vielleicht anders. – Als der zweite Jahrestag der Kirchweih vorüber war, faßte sie sich ein Herz, und sagte: »Lex, du bist mir lieb und werth; du bezahlst, was du verzehrst; aber möchtest du nicht auch wieder einmal probiren, wie sich's unter einem andern Dach haust? Wie meinst?«

»Mir gefällt's bei uns! Wer gut sitzt, soll nicht rücken, sagt man im Sprüchwort.«

Die Wirthin schwieg.

Wieder vergingen einige Wochen, da begann sie abermals: »Lex, nicht wahr, du meinst's gut mit mir?«

»Rechtschaffen gut.«

»Hör', es ist nur wegen der Leut', ich leg' dir nichts in den Weg, aber weißt, es ist ein Gerede. Du kannst ja wiederkommen, nach ein Paar Monaten. Wenn du wiederkommst, steht dir mein Haus offen.«

»Ich geh' nicht weg, da brauch' ich nicht wiederkommen.«

»Mach' jetzt keine Späss', du mußt fort.«

»Ja, zwingen kannst du mich. Geh 'nauf in meine Kammer, pack' meine Sachen in einen Bündel und wirf sie auf die Straße. Anders kriegst du mich nicht vom Fleck.«

»Du bist ein Teufelsbursch. Was soll ich denn mit dir anfangen?«

»Heirath' mich.«

[221] Er erhielt wieder einen Schlag auf den Backen, aber diesmal viel sanfter, als bei der ersten Kirchweih.

Als die Wirthin den Rücken wendete, nahm er die Geige und spielte hell auf.

In kürzeren Zwischenräumen versuchte es nun die Wirthin, den Lex zum Fortgehen zu bewegen, aber seine beständige Antwort war: »Heirath' mich.«

Einstmals sprach sie mit ihm, daß ihn wohl die Polizei nicht mehr dulde, er habe ja eigentlich keinen rechten Ausweisschein u.dgl. Drauf antwortete Lex keine Sylbe, setzte den Hut auf die linke Seite, pfiff ein lustiges Lied und ging nach dem zwei Stunden entfernten Schlosse des Grafen. Das Dorf gehörte damals noch dem reichsunmittelbaren Grafen von S.

Am Abend, als die Wirthin in der Küche am Herd stand und ihre Wangen erglänzten im Widerschein des Feuers auf dem Herd, trat Lex, ohne eine Miene zu verziehen, vor sie hin, überreichte ihr ein Papier, und sagte: »So da hast du unsere Heirathsbewilligung, der Graf dispensirt uns noch von jedem Aufgebot, heut ist Freitag, übermorgen ist unsere Hochzeit.«

»Was? du Schelm wirst doch nicht«

»Herr Lehrer!« rief Lex dem eben an der Küche Vorübergehenden zu, »kommet herein, und leset vor!«

Er hielt die Wirthin am Arm fest, während der Lehrer las und am Ende seinen Glückwunsch aussprach.

»Nun, meinetwegen!« sagte die Wirthin endlich, »du bist mir schon lang recht, aber es war nur auch wegen dem Gerede und dem Gelauf.«

[222] »Also übermorgen?«

»Ja, du Schelm ......«

Das war nun ein lustiger Aufzug, als am Sonntag der Geigerlex, genannt Alexis Grubenmüller, sich selber den Hochzeitsreigen aufspielte, geigend neben seiner Braut zur Kirche ging und die Geige erst am Taufbecken ablegte, auf dem Heimweg aber wieder so lustig geigte, daß allen Leuten das Herz im Leibe lachte.

Von dazumal also ist der Geigerlex im Dorf, und das heißt so viel als: die Lustigkeit lebt darin.

Seit mehreren Jahren aber ist er manchmal auch trübselig, denn die hohe Kirchen- und Staatspolizei hat verordnet, daß ohne obrigkeitliche Erlaubniß nicht mehr getanzt werden darf. – Auch haben die Trompeten und Blasinstrumente die Geige verdrängt, und so spielte unser Lex nur noch den Kindern unter der Dorflinde seine lustigen Weisen vor, bis auch dies das hochlöbliche Pfarramt als schulpolizeiwidrig untersagte. Vor drei Jahren ist dem Lex noch gar seine Frau gestorben, mit der er immer in Scherz und Heiterkeit gelebt.

So trotzig keck auch der Geigerlex Anfangs sein Schicksal aufgenommen hatte, so ward es ihm doch jetzt manchmal schwer, mehr als er gestand.

»Der Mensch sollte nicht so alt werden,« war das Einzige, was er manchmal sagte, und das war nur ein Aufschrei aus einer großen innern Gedankenreihe, in der er es wohl erkannte, daß zum lustigen Leben eines fahrenden Musikanten auch ein junger Leib gehört.

[223] »Das Heu wächst nicht mehr so weich wie vor dreißig Jahren!« pflegte er oft zu behaupten, wenn er sich in Scheunen gebettet hatte.

Der junge Amtmann, der ein besonderes Wohlwollen für den Geigerlex hatte, war indeß darauf bedacht, ihm sorgenfreie Tage zu sichern. Die nicht unbedeutende Summe, mit welcher das Haus in der allgemeinen Landesfeuerkasse versichert war, wurde statutenmäßig nur dann voll ausbezahlt, wenn ein anderes Haus an der Brandstelle aufgerichtet wurde. Die Gemeinde, die sich schon lang nach einem Bauplatz zum neuen Schulhaus in der Mitte des Dorfes umthat, kaufte nun, auf Betreiben des Amtmanns, dem Geigerlex die Brandstätte mit allem darauf Haftenden ab. Der Alte aber wollte kein Geld, und so ward ihm eine wohlausreichende Jahresrente bis zu seinem Tod ausgesetzt. Das war nun gerade so nach seinem Geschmack. Er erlustigte sich viel damit, wie er sich selbst aufzehre und das Glas vollaus trinke, daß auch kein Tropfen mehr darin sei.

Auch ward es ihm nun wieder nachgesehen, daß er den Kindern unter der Dorflinde an Sommerabenden vorgeigen durfte. So lebte er nun auf's Neue frisch auf, und manchmal erblitzte wieder sein alter Uebermuth.

Als man im Sommer darauf das neue Schulhaus zu bauen begann, da war er beständig wie zauberisch dorthin gebannt. Er saß auf dem Bauholz, auf den Steinen und sah mit beständiger Aufmerksamkeit zu, hacken, graben und hämmern. Mit dem frühesten[224] Morgen, sobald die Bauleute auf ihrer Arbeitsstätte erschienen, war der Geigerlex schon da. Wenn die Werkleute nach drei Stunden Arbeit ihr Frühstück verzehrten, und wenn sie am Mittag eine Stunde Rast machten, und die Kinder und Weiber ihnen das Essen brachten, da saß der Geigerlex immer unter den Ruhenden und Genießenden und machte ihnen »Tafelmusik,« wie er's nannte. Viele aus dem Dorf sammelten sich dazu, und so ward der ganze Bau eine sommerlange einzige Lustbarkeit.

Der Geigerlex sagte oft, jetzt sehe er erst recht, wie er so viel zu thun gehabt habe; er hätte sollen überall sein, meinte er, wo fröhliche Menschen rasten; die Musik könnte den magern Kartoffelbrei zum schmackhaftesten Leckerbissen machen ...

Noch ein schöner Ehrentag sollte dem Geigerlex aufgehen, es war der Tag, als der geschmückte Maien auf den fertigen Giebel des neuen Schulhauses gesteckt wurde. Die Zimmerleute kamen, sonntäglich angethan, mit einer Musikbande vorauf, um ihren Bauherrn, den Geigerlex, abzuholen. Er war den ganzen Tag über so voll Uebermuth, wie in seinen besten Jahren, er sang, trank und geigte bis in die tiefe Nacht hinein, und am Morgen fand man ihn, den Fiedelbogen in der Hand, auf seinem Bette todt ....

Manche Leute wollen in stiller Nacht, wenn es zwölf Uhr schlägt, im Schulhaus ein Klingen hören wie die zartesten Geigentöne. Einige sagen, es sei das Instrument des Geigerlex, das, dem Schulhause vererbt, allein spiele. Andere wollen gar die Töne, [225] die der Geigerlex beim Bau in Holz und Stein hineingespielt hat, in der Nacht herausklingen hören. Jedenfalls werden die Kinder nach allen neuen rationellen Methoden in einem Haus unterrichtet, das von der Sage umschwebt ist.

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Notes
Erste Skizzen zu den Schwarzwälder Dorfgeschichten entstanden 1840. Entstehungszeit zwischen 1842–1861. Erstdruck: Band 1 u. 2: Mannheim (Bassermann) 1843. Band 3. Mannheim (Bassermann) 1852. Band 4: Mannheim (Bassermann u. Mathy) 1854, Band 5 u. 6 in: Schwarzwälder Dorfgeschichten: Band 1–6 Stuttgart (Cotta) 1861f.
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Citation Suggestion for this Edition
TextGrid Repository (2011). Auerbach, Berthold. Schwarzwälder Dorfgeschichten. TextGrid Digitale Bibliothek. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-13F9-F