Wir verstehen sie nicht

Ein Schneider hätt ein böses Weib,
Vorwitzig, stolz, doch fein von Leib,
Sehr eigenwillig, frech und steil,
Trug ihre Ehr auch ziemlich feil,
Stets ihrem Mann zuwieder lebte,
In allem Guten wiederstrebte;
Kein Ding er ihr befehlen kunnt,
Allzeit sie das unrecht verstund.
Sie sollt ihm einstens bringen Wachs,
Da kam sie heim und brachte Flachs;
Noch einmal schickt er sie nach Zwirn,
Da brachte sie statt dessen Birn.
Sie sollte weisse Seide holen,
Sie brachte Saiten unbefohlen;
Sie sollt ihm holen eine Scheer,
Sie bracht daher viel Schweineschmeer.
Er sprach einmal zu ihr mit Fleiß,
Mach eilends mir ein Eisen heiß;
Sie ließ ein Eisen machen bald,
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Der Schmied brachts hin, da war es kalt.
Er sprach: Ich hab zuvor genug Eisen,
Ich hab kein neues machen heißen;
Mein Weib mich nimmer recht versteht,
Mit allem sie den Krebsgang geht.
Einst sprach er: Gieb mir her die Ell.
Da bracht sie ihm Lissabonisch Oehl;
Mehr sagt er: Dieses Kleid zertrenn,
Und sie verstand, das Kleid verbrenn.
Alsbald warf sie dasselb ins Feuer,
Das kam den Schneider gar sehr theuer;
Er hieß sie bringen ander Tuch
Zum Kleid, sie aber bracht ein Buch.
Er hieß sie früher aufzustehn,
Zur Predigt in die Kirch zu gehn;
Die Kinder überbringen hin,
Zur Schule was zu lernen drinn.
Die Kinder in die Kirch sie führte,
Sie aber in der Schul studierte;
Einst folgt er ihr nach auf dem Fuß,
Und sah was, das ihm bracht Verdruß.
Als sie zu Hause wieder kam,
Geschwind er die Flachshechel nahm;
Schlug ihr damit den Kopf und Leib,
O weh! was thust du, sprach das Weib.
Er sprach: Ich muß mich nur bemühen,
Den Flachs fein durch die Hechel ziehen;
Sie rief: o weh, weh meine Stirn!
Er sprach: ich speise dich mit Birn.
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Sie rief: o weh, mein Rück und Seit,
Er sprach: wie klingt die Zittersait,
Sie schrie: schlag mich doch nicht so sehr;
Er sprach: das Leder darf viel Schmeer.
Sie bat: er sollt ihr Gnad erweisen,
Er sprach: ich schmied ein neues Eisen;
Sie schrie: o daß es Gott erbarm!
Er sprach: es ist noch nicht recht warm.
Sie rief: ich geb auf meine Seel,
Er sprach: ich heil dich mit dem Oehl;
Sie bat: vergieb mirs nur diesmal,
Er sagte: mir dies Kleid bezahl.
Sie sprach: die Schuld will ich bekennen,
Er sprach: das heißt mirs Kleid verbrennen;
Sie sprach: hört auf, ich schaff euch Tuch,
Er sprach: ich les' in deinem Buch.
Sie sprach: erwürge mich nicht gar,
Er sprach: o nimm die Kirch fürwahr;
Und lerne da nicht in der Schul,
Sie sprach: ich hab da keinen Stuhl.
Er sprach: du sollst die Predigt hören,
So läßt du dich Studenten lehren;
Sie sprach: es soll nicht mehr geschehn,
Er sprach: ich kann dich nicht verstehn.
Also ein böses Weib wohl kann
Bös machen einen frommen Mann;
Hat diese Frau durch Schläge sich
Bekehrt, das soll fast wundern mich.
Denn man schlägt wohl raus einen Teufel,
Sechs aber drein ohn allen Zweifel;
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Doch die dem Mann nicht folget bald,
Die soll er schlagen warm und kalt.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 3. Wir verstehen sie nicht. Wir verstehen sie nicht. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-10B7-A