Dritter Winterabend

Altdeutsche Landsleute

Während wir heute zu unsrer Gesellschaft hinaustrabten, der Invalide und ich, froren allmählich unsre Gedanken so weit ein, daß wir nichts Besseres zu unsrer Unterhaltung fischen konnten, als was wir recht im Herzensgrunde über einander und über alle andern Mitgliedern der Kolonie wußten und dachten. Es gibt eine Wahrheitswut, die zur reinsten Lüge gelangen kann, so schnitten wir einander in so kleine Stücke, daß endlich kaum etwas von uns zu erkennen war, doch meinten wir ein recht braves Stück voll innerer Tüchtigkeit ausgeführt zu haben. Wir kamen zuletzt auf den Gesandten des untergegangenen Hofes und völlig überein, alle seine Überzeugungen seien mit untergegangen und er sei nur als Vermittler zwischen allen möglichen und unmöglichen Meinungen übrig geblieben, nichts als das gefällige Papier, woraus gute Taschenspieler bald einen Vogel, bald ein Schilderhaus, bald ein Buch nachmachen. Hier wurde uns noch kälter. – »Es ist ein so elendes Kunststück mit seiner Universalität«, meinte der Invalide, »die entgegengesetze Überzeugung immer aufzusuchen von jeder vorgetragenen und beide zu einem Nichts zu sammen zu kneten, daß wir es gar nicht mehr anhören wollen.« – Nun waren wir am Hause und traten ins Zimmer. Der Gesandte war von einem heftigen Redestrome ergriffen, und seiner höflichen Art ganz entgegen, dankte er kaum auf unsern Gruß, sondern fuhr fort: »Wir Deutsche haben mancherlei Tugend, es fehlt uns nur gerade diese eine, die wir brauchen können, die Tugend der Rache; gedenken Sie wie sonst die Blutrache aus Frömmigkeit geübt wurde und Sie werden [196] fühlen, daß die Rache kein Laster ist, wie die Moralisten meinen, sondern recht verstanden das Schwert der ewigen Gerechtigkeit, geschmiedet in ewiger Liebe, geschliffen am höchsten Verstande, geweihet vom tiefsten Schmerze und geschwungen von dem, der dazu berufen; wer sich dieser höchsten Leidenschaft verschließt, der verschließt sich Gott.« – »Ich bitte Sie, reden Sie nicht so entsetzlich!« bat ihn die Frau vom Hause. – »Verzeihen Sie«, fuhr er fort, »es gibt aber einen Ärger, der sehr vernünftig, weil er über alle Vernunft geht; wenn ich sehe, daß Deutsche die Rute küssen, die sie so eben gezüchtigt und ihre Schmach zu erlöschen glauben, wenn sie wieder Zuchtmeister andrer Deutschen werden, da doch jeder Deutsche ehrlos ist, der sich für Ausländer gegen Deutsche brauchen läßt, wie das ein ehrwürdig Herkommen war; entsetzlich wird mir, wenn ich sehe, wie sich Deutsche über ihre Nation erheben wollen, wenn sie ihr alles Herrliche absprechen, und gar nicht ahnden, daß sie ihr Urteil eben dadurch vernichten; entsetzlich wird mir, wenn sie dem Deutschen die Ehre absprechen, die ohne Stockschläge im Herzen schlägt, oder ganz träge sich aufgeben zu aller Besserung und rufen, ja wäre die Städteordnung in England, da ist Bürgersinn, oder wären diese Kunstschulen in Italien, da ist Kunstsinn, diese Prediger in Spanien, da ist noch Religion, aber bei uns ist höchstens noch auf die Kinder zu wirken. Aber wisset, daß die Kinder noch dreifach schlechter als wir geraten, wenn wir uns zum Besseren aufgeben, denn nur das lebendige Beispiel erzieht, das gleichzeitig vom Alter zur Jugend, von der Jugend zum Alter übergeht, keine Pestalozzische Schule für sich allein. Einen Menschen zum Menschen erziehen zu wollen, ist eitel menschlicher Kram, zum Menschen ist er von Gott geschaffen, daß aber die Seinen ihm den ganzen geschichtlichen Reichtum, den sie überkommen und gesammelt haben, als gute Hausväter ihr Pflichtteil und Liebeganzes treulich überliefern, das ist Erziehung, darum ist ein Kind in der Fremde erzogen, als ein ausgesetztes anzusehen, das sie dem Zufalle Preis geben, zuweilen wohl in törichter Hoffnung, daß ein Reicherer als sie selbst es finden und erziehen werde. Das Kind mag auch dort gedeihen, aber seinem Volke ist es gestohlen, so wie die Reisenden, die ihren leeren Müßiggang am steten Wechsel der Gegenden erlustigen und die dann so recht als Verächter ihres Landes zurückkehren.« – »Aber Sie verteidigen ja sonst das [197] Studieren auf fremden Universitäten, das Wandern der Handwerker, das Reisen der Künstler?« fragte ich. – »Wer redet von diesen«, sagte er rasch, »die sind erzogen, ehe sie auswandern, unter solchen ist noch deutsche Landsmannschaft, die gehören durch ihr Bestreben schon ihrem Volke an, die sind einander treu in Not und voll Ehrgefühl für ihr Vaterland. Aber jener müßige Troß reisender Beobachter, Weltkenner, Kritiker, Statistiker und Politiker, die Deutschland am Narrenseile ihres leeren Lobpreisens und ihrer schalen Verachtung erwürgt haben, jener Troß, den ich immer mit inniger Scham auf meinem Gesandtschaftsposten dem Hofe vorstellen mußte, und die zum Teil nicht einmal die äußere Sicherheit des großen Lebens gewinnen konnten, diese ließ ich unmittelbar an der Grenze bei ihrer Rückkehr in ein Pesthaus sperren, um in strenger Arbeit ihre müßige Weltkenntnis auszuwittern. Nie habe ich gesehen, daß diese Leute als treue Landsleute einer für alle und alle für einen und für die Ehre ihres Landes gestanden, wie oft habe ich ihnen einzelne verunglückte Landsleute empfohlen, die mit Aufopferung eines Vergnügens errettet werden konnten, aber umsonst, sie konnten Vaterland, Ehre und Leben wie Spieler aufgeben, nur nicht einen Tag des Vergnügens.« – »Und ich gebe Ihnen hiemit auf, nach den Grundgesetzen unsrer Kolonie nichts Ärgerliches von dieser ärgerlichen Zeit weiter vorzubringen, sondern uns irgend etwas andres vorzulesen«, sprach die Frau vom Hause. »Es ist auch schon genug«, fuhr er fort, »zur Einleitung einer mir sehr trostreichen Geschichte, die ich vorzutragen denke, wenn keiner etwas dagegen hat.«

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Holder of rights
TextGrid

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Erzählungen. Der Wintergarten. Dritter Winterabend. Altdeutsche Landsleute. Altdeutsche Landsleute. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0E65-2