Der Herr am Oelberg und der Himmelsschäfer

Trutz Nachtigal von Spee. S. 211.

Der Schäfer.

Mond des Himmels treib zur Weide
Deine Schäflein gülden gelb,
Auf gewölbter blauer Heide
Laß die Sterne walten selbst,
Ich noch neulich so thät reden,
Da zu Nacht ein schwacher Hirt,
Aller Wegen, Steg und Pfäden,
Sucht ein Schäflein mit Begierd.
Und der Mond hört' was ich sagte,
Nahm ein lind gestimmtes Rohr:
Das er blasend zärtlich nagte,
Spielte seinen Sternen vor.
Der Mond.

Auf ihr Schäflein, auf zur Heiden
Weidet reines Himmelblau,
[276]
Daß nachher, wenn wir hier scheiden,
Von euch fließt der Morgenthau.
Ach wer aber dort im Garten
Liegt mit seinem Hirtenstab?
Wer will seiner dorten warten?
Schaut ihr Sternlein, schaut herab,
Haltet, haltet, ich nicht fehle:
Es ist Daphnis wohl bekannt.
Eja, Daphnis, mir erzähle,
Daphnis, was will dieser Stand?
Weidet meine Schäflein, weidet!
Ich mit ihm noch reden muß,
Weidet meine Sterne, weidet!
Daphnis liegt in harter Buß,
Daphnis thu' die Lippen rühren,
Eja, nicht verbleibe stumm,
Daphnis, laß dich dannen führen,
Eja, nicht verbleibe stumm.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Daphnis liegt in Aengsten groß,
Daphnis Pein und Marter leidet,
Wollt', er läg im Mutterschos!
Er dem Felsen liegt in Armen,
Liegt auf harten Steinen bloß:
Ach dort wird er nie erwarmen!
Fürcht, daß er sein Haupt zerstoß.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Daphnis spaltet mir das Herz:
Wer mag haben ihn beleidet?
[277]
Weinen möchten Stein und Erz;
Kalter Wind, halt ein die Flügel,
Rühre nicht das kranke Blut,
Meide jenen Berg und Hügel,
Daphnis liegt ohn Schuh und Hut.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Daphnis leidet Angst und Noth,
Daphnis dopple Thränen weinet,
Perlen weiß, Korallen roth.
Perlen von den Augen schießen,
Schießen hin ins grüne Gras.
Von dem Leib Korallen fließen,
Fließen in den Boden bas.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Niemand hats gezählet gar,
Niemand hat es ausgekreidet,
Wie die Zahl der Tropfen war,
Nur der Boden wohl erquicket,
Durch den weiß und rothen Trank,
Dankend ihm entgegen schicket,
Rosen roth, und Lilien blank.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Daphnis tief in Aengsten liegt,
Duft noch Farben unterscheidet,
Achtet keiner Blümlein nicht.
O was Marter mir erscheinet!
Hör zu bluten einmal auf,
Ach es ist genug geweinet.
Nicht mit Blut die Blümlein tauf.
[278]
Weidet meine Schäflein, weidet,
Wer doch hat es ihm gethan?
Niemand meine Frag bescheidet.
Du mir Daphnis, zeig es an.
Daphnis kann für Leid nicht sprechen,
Seufzet manchen Seufzer tief,
Ihm das Herz will ganz zerbrechen,
Ach daß niemand helfend lief.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Schon ein englisch Edelknab,
Stark durch Luft und Wolken schneidet,
Eilet hin in vollem Trab,
Er ihm singet süße Reimen,
Mit gar süßem Stimmlein schwank,
Auch den Kelch nicht thut versäumen,
Zeiget einen Kräutertrank.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Alles, alles ist umsonst,
Er doch allen Trost vermeidet,
Sang und Becher bleibt umsonst.
O du frommer Knab von oben,
Du nur mehrest ihm die Pein,
Doch ich deine Treu muß loben,
Gott! dirs muß geklaget seyn.
Weidet meine Schäflein, weidet,
O der traurig fromme Hirt!
Er den Becher jetzund meidet,
Morgen ihn es reuen wird,
Er sich jezt gar will befreien,
Weigert, was man trinket zu,
[279]
Dürft vielleicht wohl morgen schreien:
Ach wie sehr mich dürstet nun!
Weidet meine Schäflein, weidet,
Daphnis bleibet schmerzenvoll,
Ich befehle euch entkleidet,
Reisset aus die güldne Woll,
Nur euch kleidet pur in Kohlen,
Pur in lauter schwarz Gewand,
Von dem Scheitel auf die Sohlen
Euch gebühret solcher Stand.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Daphnis führet starkes Leid,
Ist vom Vater hoch vereidet,
Hoch, mit wohl bedachtem Eid,
Er doch wollte wieder bringen,
Ein verloren Schäflein sein,
Ach wenn sollte das mißlingen,
Er ja stürb für lauter Pein.
Weidet meine Schäflein, weidet,
Daphnis wird verfolget stark.
Bös Gesinde ihn beneidet,
Trachtet ihm nach Blut und Mark.
O was dorten, was für Stangen,
Wehr und Waffen nehm ich wahr!
O vielleicht will man ihn fangen,
Wahrlich, wahrlich, ist Gefahr!
Der Schäfer.

Weidet meine Schäflein, weidet,
Sprechen wollte bleicher Mond,
[280]
Ja nicht weidet, sondern scheidet,
Er da sprach, und wollte gehn,
Scheidet, scheidet, meine Schaaren,
Kann vor Leid nicht schauen zu,
Dich nun wolle Gott bewahren,
Daphnis wer kann bleiben nun!
Drauf Ade der Mond wollt spielen,
Da zersprang das matte Rohr:
Augentropfen ihm entfielen,
Hüllte sich in Trauerflor.
Und weil eben dazumahlen,
Er trat an in vollem Schein,
Gleich vertauschet er die Strahlen,
Vollen Schein, gen volle Pein.
Auch die Sterne weinen kamen,
Gossen ab all ihren Schein,
Schein und Thränen flossen sammen,
Reihn zum blauen Feld hinein,
Machten eine weiße Straßen,
So noch heut man spüren mag:
Dann der Milchweg hinterlassen,
Ist der schönsten Thränen Bach.

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TextGrid Repository (2011). Arnim, Ludwig Achim von. Gedichte. Des Knaben Wunderhorn. Band 1. Der Herr am Oelberg und der Himmelsschäfer. Der Herr am Oelberg und der Himmelsschäfer. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0002-0DDC-D