Zyklus »Sanatorium I.«

Der einsame Park

Im Parke waren Sträucher wie Bergsträucher im Bergsturm mit ganz verbogenen und zusammengebogenen Zweigen. Die Blüten dufteten wie Bergblüten in unzugänglichen Geklüften, zart und von einer andern Erde geboren, geheimnisvoll infolge von Verfeinerungen. Daneben hing in einem Käfig die Turteltaube des Knaben Hans Otto Erik, des einzigen gesunden Menschen im Parke. Und selbst von ihm sagte seine bleiche reizende französische Gouvernante:

»C'est un enfant mélancolique. Il a des regards pour moi comme si j'etais une princesse de France. Il a toujours peur qu'on ne me traite pas comme son cœur tendre me traite dans chaque minute. Je crois qu'il haït tous les gens qui ne se prosternent pas devant moi. Quand il m'apporte une chaise du jardin, c'est comme le fiancé l'apporterait à sa bien aimée. Je crois qu'il est par trop malheureux que je suis bonne et servante. C'est un enfant mélancolique. – – Il voit déjà que le monde est autrement qu'un cœur tendre le commande. Je voudrais lui dire: Otto Erik, on mepaye pour mes services! mais il ne comprendra rien de toutes ces choses, comme si on dirait à un poète que le monde entier est une grande affaire de bourse –«


Der alte Fürst hat sich mit der Weltordnung leichter abgefunden; denn wenn er beim Spaziergange [219] mit der flachen Hand jeden Baumstamm berührt, ist er bereits glücklich und zufrieden.

Die »Königin«, welche niemals eine Königin war, kniet vor dem abgeschlagenen Mandelbaum nieder und betet für sein Schicksal, daß er wieder wachse. Pflanzen und Vögel sind ihre Domäne, und wenn der Dachdecker das Dach ausbessert, beschimpft sie ihn wegen der gestörten Vogelnester. Über die Menschen hat sie keine Herrschaft, aber Pflanzen und Tiere müssen es sich gefallen lassen, daß sie sich ihrer wie eine Schutzgöttin annimmt.

Dem jungen Fräulein ist der erste Kuß unter einer Gaslaterne ins Gehirn gestiegen, und indem sie alle eventuellen schrecklichen Ereignisse vorausahnt, fürchtet sie sie und sucht sie zugleich auf. So flieht sie vor sich selbst in der Todesangst, sich einmal zu

finden und in diesem Augenblicke für ewig sich zu verlieren – – –

Der Baron blickt durch sein Schildkrotmonocle kalt und hart auf den Irrsinn der Welt. Er denkt:

»Idealisten und Träumer, Religionsstifter und Weltbeglücker, was quält Ihr euch ab, um diese Herde von Milliarden blökender Schafe, die euch nie verstehen werden und von euch nichts profitieren als einen öden Religionskultus! Meine alte Wirtschafterin stopft mir meine Zigaretten und meine Strümpfe, und die Probleme der Welt sind mir nichts, je tiefer ich sie erkannt habe! Bismarck hat Deutschland geeinigt – aber China, Japan und Amerika können dieses Werk in wenigen Monaten zunichte machen! Jeder Mensch baut sich sein Nestchen. Daß ich mir keines baue, ist meine tiefste Größe! Ich lache über [220] nichts, ich weine über nichts und nichts kann mich rühren. Ich sehe nur die schauerliche Herrschaft der Unvollkommenheiten in allem und in jedem! Da putze ich mir dann mein Schildkrotmonocle und lasse die Leute über meinen angeblich komplizierten Charakter sich ihre Köpfe zerbrechen. Vielleicht habe ich dann doch den Rebbach, daß irgend jemand mich für eine nicht ganz unbedeutende Persönlichkeit hält. Das bin ich in der Tat, denn die andern nehmen die Dinge des Lebens blöd ernst, während ich sie weise lächerlich finde!«

Der Dichter allein in diesem einsamen Park nimmt die Leiden der Menschen religiös und ernst, und indem er weder sich noch ihnen helfen kann, erlebt er die Martyrien der Gefolterten und der Gekreuzigten. Ihm fehlt sowohl der Wahn als der Skeptizismus, und er geht an der Hoffnung und an der Hoffnungslosigkeit in gleicher Weise schmählich zugrunde!


Der Dichter küßte jedesmal beim Abschied den Knaben Hans Otto Erik auf die Stirn, und dieser machte dabei ein verlegenes und geschmeicheltes Gesicht.

»Mademoiselle, pourquoi ce monsieur m'embrasse-t-il toujours si tendrement sur le front avant de partir?«

»C'est un poète, mon enfant, c'est à dire il voit en toi des choses que personne ne voit que Dieu et peut-être ta petite gouvernante –«


Die Besitzerin des Parkes hatte ihre edlen Kräfte ausgegeben in Gattenliebe und Kindersegen. Oft [221] dachte sie an ihre süße Achtzehnjährigkeit, da ihr wie einem braunen Engel im weißen Mousselinekleid die goldenen Tore des Lebens weit offen standen. Was sah sie da alles, und was sah sie da alles nicht! Aber jetzt sagte sie: »Ich lasse mich nie mit meinen beiden Knaben photographieren. Es ist, wie wenn man lichte Blüten mit ihren dunklen schweren Wurzeln, an denen düstere Erdklumpen hängen, voll Kraft und unbekannten Salzen mitphotographierte. Lassen wir die Wurzeln versteckt im Erdreich, und wenn es jemand ahnt, so wollen wir ihm dankbar sein und ihm einen verständnisvollen Blick geben!«

Aber der Dichter blickte sie an und sagte: »Gnädige Frau, eine adelige Frauenseele altert nie! Sie verjüngt sich, aber niemand merkt es. Die Stunden der Nacht, in denen sie keinen Schlaf mehr findet, die allein wissen davon zu erzählen.« –

Während dieses Gespräches ging der alte Fürst mit seinen eiligen Schritten vorüber und berührte mit seinen Händen flüchtig jeden erreichbaren Baumstamm. Damit waren für ihn alle geheimnisvollen Rätsel des Lebens gelöst, und eine seltene Ruhe kam über ihn infolge seiner segensreichen Tätigkeit – –

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Märchen des Lebens. Zyklus »Sanatorium I.«. Der einsame Park. Der einsame Park. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-DBB2-2