Hausball
Christiane

Sonst tanzte sie ein bischen schwerfällig, so für sich– – –.

Mit »Ihm« wurde sie »Eins« – –!

Der starke schöne Wille, der in ihr lebte, gab ihr Leichtigkeit, fast Grazie – –.

»Ich schwebe – –« fühlte sie. Und das las man auf ihrem Antlitz. »Ich schwebe – – –.«

Dann sass sie wieder wie zusammengekauert in ihrem Fauteuil –.

Hie und da kam Einer und griff in die Saiten dieses schweren dumpfen Instrumentes »Christiane«.

Etwas Unverständliches, Trostloses kam dabei heraus – – –.

Denn nicht Alle sind heitere Schalmeien, kichernde Clarinetten –.

»Er« aber sass da und sprach gar nichts – –.

Da begann das dunkle Instrument leise zu tönen, zu singen, zu klingen, wie die Aeolsharfe im Abendwinde – – –.

Das war wirklich rührend.

Wenn »Er« wegging, hörte das Musikstück auf. Man vernahm fast deutlich das Einschnappen der Walze. Oder das Springen der Saiten –.

[150] Ein Herr sagte zu ihr: »Fräulein kommen mir vor wie ein auf Moll gestimmtes Instrument – – –.«

»Ah – –« sagte das Fräulein. Wie wenn man sagte: »Rede doch keinen Unsinn, mein Lieber – –!«

»Sie sind wie ein auf Moll gestimmtes Instrument– – –« sagte »Er.«

Sie wurde ganz roth. Sie schauerte fast zusammen – – –.

»Wie tief er ist – – –!« fühlte sie.

Willy Rose

»Führen Sie mich zu dem kleinen Franzi – – –« sagte das junge Mädchen zu dem jungen Hausherrn.

»Pst – – –« sagte er und öffnete die Kinderstubenthüre – –.

Das Fräulein ging unhörbar in ihren zarten Pantöffelchen aus Goldlack – – –.

Die Stube war ganz dämmerig-dumpfig.

In dem Bettchen lag Franzi und hielt mit den Fäustchen die Decke fest – – –,

Das Fräulein mit den Goldlackpantöffelchen blickte sanft zu dem Kinde herab.

Dann sagte der Hausherr: »Kommen Sie – –.«

Sie machte lange leise Schritte und grüsste an der Thüre das Kindermädchen –.

»Ich habe dem Fräulein meinen Herrn Sohn gezeigt – – –« sagte der Hausherr zur Hausfrau, als sie in den hellen Ballsaal traten.

Das verstand die Hausfrau gar nicht – – –.

[151] »Wen kann es interessiren – – –?!« dachte sie und sah ihren Gatten an wie Einen, der die Menschen noch nicht kennt, die sich doch nur amüsiren wollen und gut ist es.

Aber das Fräulein dachte: »Diese Kinderstube ist poetisch – –.«

Sie war ganz weich.

Der Hausherr kam und tanzte mit ihr eine Tour.

»Monsieur votre fils est un ange – –« sagte sie.

Der Hausherr drückte sie sanft an sich.

Die Hausfrau dachte; »Er glaubt, dass die Anderen ihn verstehen – – –!?«

Aber sie verstanden ihn – – –!

Maud

Sie war gar nicht auf dem Balle.

»Gnädige Frau, warum ist Maud nicht da?!«

»Die arme Maud ist krank – –.«

Der junge Mann trank Chartreuse verte et jaune, rauchte, stand herum, spielte Bézigue und verlor hundert Kronen wie nichts.

Weil Maud nicht da war – – –

Also war sie doch da!

Gertrude

Manchesmal sass sie ganz allein im Salon in einem Fauteuil und war gar nicht genirt dabei.

[152] »Ich bin nichts Besonderes, warum soll man mit mir tanzen –?!« fühlte sie.

Sie hatte schöne gesunde ruhige Nerven und war schlank wie ein Bub.

Herr P. hatte die Idee, der Tanz müsse wieder »kindlich« werden. Das Ideal sei das Ringe ringe reia, wobei man sich nur bei den Händen fasse. Da habe man die Freiheit der Bewegung. Daraus entspränge die Grazie, die süsse Heiterkeit und so weiter – – –.

Kurz, er wollte eigentlich den Sachen ihre sinnliche schwere Seite nehmen, sie in griechischen Frohsinn tauchen – – –.

Da sah er die Schlanke wie ein Bub und engagirte sie zum Ringe ringe reia.

Anfangs sahen Alle zu und lächelten.

Einer begann zu singen: «– – – sitzen unter'm Hollerbusch, machen Alle husch, husch, husch!«

»Husch – – –!« sagte die ganze Gesellschaft und lachte.

Aber das genirte das kindliche Paar nicht.

Sie machten wunderschöne Schwingungen und sahen sich in's Auge – – –.

Plötzlich jedoch nahm er sie in seine Arme und drückte sie sanft an sich und tanzte wie die Anderen.

Aber so tanzten die Anderen gar nicht. Die spürten ja keinen Gegensatz.

Er hielt sie zärtlich in seinen Armen und berührte fast ihr rosiges Gesicht.

[153] Sie schmiegte sich an ihn – –.

Als sie in den Salon traten, sagte eine Dame: »Die herzigen Babies kommen!«

Und Einer begann zu singen: «– – – sitzen unter'm Hollerbusch, machen Alle husch, husch, husch – – –.«

»Es ist doch das Ideal des Tanzes« sagte der »Revolutionär«.

Das Fräulein war ganz rosig und dachte: »Jawohl – – –!«

Was giebt es für komische Ballgespräche!

Was giebt es für komische Ballgespräche! Einer sprach über den Namen »Mizi« und sagte: »Sie müssen ›Maria‹ werden – – –!«

Dieses schöne einfache Thema kam immer wieder, die ganze Nacht hindurch – –.

Zuerst kam es glatt und präcise und Niemand konnte sich denken, wie diese Einfachheit von allen Instrumenten der Seele und des Geistes aufgenommen, individualisirt, organisirt und verwoben werden würde zu einem zarten leuchtenden Gespinnste – – –. Und dennoch war es die Quelle einer Symphonie »Mizi–Maria«.

Beim Souper klang das brutale Orchester von Porzellan, Glas und Stahl und das Trommeln, Trompeten und Clarinettiren der Gespräche – – –.

Da ging die feine einfache Melodie unter und verschwand. – –.

[154] Sie flüchtete in die Augen, dieses zarteste Instrument der Seele, tauchte hier wieder auf und wurde gespielt wie sordinirte Arpeggien –.

Die Idee des Componisten war: »Entwicklung von dem kindlichen reizenden Thierchen ›Mizi‹ aus, über den Lebensmenschen ›Marie‹, zur Vollendung ›Maria‹, zum Ideale!«

Und je nachdem das junge Mädchen so war oder so, das sagte oder das, das that oder das, erklangen bei dem jungen Manne die Stücke des Hauptthema's in eigenthümlichen, scherzhafternsten und auch süssen traurigen Verschlingungen: Mizi–Marie–Maria!

Einmal spielten alle Flöten und Clarinetten: »Sie sind doch nur ein Mizerl – –!«

Das war ein banales, leichtes, graziöses, tändelndes Musikstück –.

Die Kritiker würden schreiben: »Diese Melodie dürfte bald populär werden – – –.«

Aber plötzlich brach da Alles ab – – –. Das Fräulein erbleichte, lehnte sich zurück.

Und dann kam Etwas in einer ganz anderen Tonart, die gar nicht hereinpasste.

Es war schwer, da den Uebergang zu componiren – – –.

Aber das Genie »Freundschaft« kann Alles. Er sagte: »Verzeihen Sie mir, Marie – – –.«

Es kamen übrigens auch »öde Strecken« vor, wie die Kritiker sich ausdrücken, wo Niemand wusste, wo man hinaus wollte – – – echte Ballgespräche. Etwas Ciselirtes.

[155] Aber plötzlich rauschte dann wieder das Hauptthema daher, in göttlicher Kraft, gleichsam mit weiten brausenden Flügelschlägen und machte die Seele erschauern – – –.

Beim Abschiede aber raffte sich ein Stück des Hauptthema's allein zu einer unergründlichen Sehnsucht und Tiefe zusammen und klang wie ein Violinsolo, unisono gespielt von tausend italienischen Geigen –.

Er sagte; »Adieu – – – Maria!«

Violette

»Bleibt noch da – – –« sagte die junge Hausfrau um fünf Uhr Früh zu ihrer wunderschönen Nichte und den beiden Neffen.

»Darf ich auch noch bleiben – – –?!« sagte ganz keck ein junger Mann und legte sich in den Fauteuil des Salons.

Blaulichte Dämmerung schimmerte zwischen den Brettchen der Fensterrouleaux. Der Tanzsaal sah ganz verschwitzt aus, erschöpft, und der Boden wie eine Eisbahn, Streifen und Bogen und ganz komische Linien.

Der schöne Luster aus getriebenem Eisen mit glänzendem Kupfer brannte hell und die weissblau getäfelte Zimmerdecke schimmerte.

Die Herren zündeten sich Cigaretten an.

Die Hausfrau und die schöne Nichte assen Orangen und andere gute Sachen.

[156] »Es war riesig gemüthlich – – –« sagte der eine Neffe.

Der kecke junge Mann sagte: »Fräulein, schenken Sie mir diese verwelkten Violetten!«

Plötzlich fühlte er aber, dass er in einem »Familienkreise« sei und das einzige »fremde Element«.

Er klammerte sich daher an den todmüden Hausherrn an und versuchte es, ihn um fünf Uhr Früh für sich zu gewinnen.

Aber dieser stand gleich auf und löschte im Tanzsaale vorsichtig die Lichter aus.

Der junge Mann, der nicht zur »intimen Familie« gehörte, hatte eine ganz verlorene Position.

Aber auf der Stiege sammelte er sich wieder und sagte: »Fräulein, schenken Sie mir diese verwelkten Veilchen – – –!«

Die beiden Brüder dachten: »So machen wir es Alle. Pfui wie fad – – –!«

Brüder haben nicht sehr viel Poesie. Sie sind immer gleich fertig und was sie sonst darüber denken, ist mit den Worten auszudrücken: »Larifari – – –.«

Die Schwester aber löste langsam die Veilchen von ihrem Kleide – – –.

Da blies der kecke Jüngling Fanfare – – Sieg!

Lisette

Das Kindermädchen sang die ganze Nacht »psch, psch, psch, psch – –.«

[157] Denn der kleine Franzi schlief sehr unruhig – –.

Es war nicht jene dicke feste gute Stille der Nacht – –.

Man hörte Nichts und dennoch Alles – – –. Es war die »Brandung des Ballgewoges«. Sie wälzte sich daher und brach sich an den Thüren des kleinen Salons, des Rauchzimmers und des Kinderzimmers und rauschte – –.

Hie und da drehte sich Lisette um den Tisch herum und tanzte ein Solo – – –.

Um halb fünf Uhr Früh schlich Fräulein Willy Rose auf ihren Goldlackpantöffelchen herein und küsste den Kleinen auf die Haare –.

Er seufzte auf wie im Traume – – –: »Mama – – –.«

»Leider nicht – –« fühlte Willy Rose und machte: »psch, psch, psch – – –.«

Um fünf Uhr Früh kam die Hausfrau und brachte Beaux-Restes.

»Psch – – –« machte Lisette.

Dann sass sie bei dem Scheine eines armseligen Nachtlichtes da und ass Lachs und Compot und trank Bordeaux aus einem Wasserglase –.

Hie und da sang sie: »psch, psch, psch – –.«

Wie man es auch betrachten mag, sie hatte auch den Hausball mitgemacht und sich ganz gut amüsirt – – –.

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Was der Tag mir zuträgt. Hausball. Hausball. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D9AA-6