Reporter und Dichter
Reporter.

»Einen besonderen Anziehungspunkt der gestrigen Vorstellung des – bildete die Hof-Loge, in welcher die 7 liebreizenden Töchterchen des – – sich befanden und mit regem Verständnisse den Vorgängen auf der Bühne folgten und sich ausgezeichnet zu unterhalten schienen. Das Publikum – – –.«

Dichter.

Hof-Loge. Les sept princesses in hellblau, Sührah. Sechs waren aber gar keine Prinzessinnen. Panoptikum-Prinzessinnen. Sie plauderten intim und lauschten »mit gespannter Aufmerksamkeit und regem Verständnisse den Vorgängen auf der Bühne.«

Die siebente sass in der äussersten linken Ecke.

Offene braune Haare hatte sie. Nichts sprach sie. Selten blickte sie auf die Bühne. Wohin blickte sie denn?! Niemand könnte es bestimmen. Sie war vielleicht 12, 13, 14 Jahre alt. Oder 11 oder sogar schon 15.

Sie sass da, aus einer anderen Welt, in einer anderen Welt, für eine andere Welt – – –.

»Kaiserliche Hoheit, nun, nicht prächtig?! Das[248] Alles hat ein Mensch gemacht – – – Je m'en doutai que ce serait quelque chose pour notre petite princesse.«

Das kleine Mädchen fühlte: »He, ich möchte Etwas schauen, was ein Gott gemacht hätte. Diese Cartonnage-Waare?! Wie unsere Puppen-Zimmer. Etwas müsste es geben, was ausserhalb der Welt läge, die allen zur Verfügung steht, diesem Publikum und mademoiselle. Wie eine Puppe, die wirklich Milch trinken könnte und denken!«

»Kaiserliche Hoheit, dieser Johannes von Leyden nämlich ist eine wirkliche Persönlichkeit der Historie – – –«

»Kaiserliche Hoheit, jetzt kommt der berühmte Krönungsmarsch. Fräulein von S. wird Ihnen denselben morgen am Klavier vorspielen – – –«

Die Prinzessin sass da, mit dem geschlossenen Herzen des Kindes Julia, des Kindes Leonore, des Kindes Iphigénia, welches sich nie öffnen wird in dieser kaiserlichen Höhen-Luft, jetzt aber unstatthafte Entwicklungs-Möglichkeiten in sich trug wie die Keimblättchen von Yggdrasil, der Welten-Esche!

Der Saal war für sie nur eine dunkle goldigrothe Ausbuchtung, die Bühne ein Gemengsel von offenen Mäulern, Trachten und gemalten Bäumen, die Musik ein windähnliches Durcheinander-Rauschen wie am Morgen vor den Fenstern im Park-Walde.

Hehre! Wärest Du ein kleines Mäderl wie die Anderen, Du würdest »mit gespannter Aufmerksamkeit und regem Verständnisse« dasitzen und [249] Alles verstehen und begreifen, denn Du würdest in Demuth versuchen, auf die armseligen Darbietungen des Alltages und des Kunst-Lebens einzugehen! Wie ein gedrücktes Menschenkind, das Grenzen ahnt und sich bescheidet.

Du aber bist kaiserlich!

Aus einer anderen Welt, in einer anderen Welt, für eine andere Welt bist Du!

Ohne Concessionen möchtest Du sein!

Dich sollte man führen in die Opern des Kaisers Wagner! Zu seinen kaiserlichen Enuntiationen: »Tetralogie« und »Tristan«.

Ein Kind?! Jawohl, ein Kind!

Da würdest Du fühlen: »O schrecklich ist es, grässlich räthselvoll und voller Wirrniss. Aber meine Welt ist es. Wieso, verstehe ich nicht. Wie wenn diese wahnsinnig leidenden Instrumente, diese zur Zerstörung blasenden Trompeten, diese grenzenlosen Wirbel der Pauken alle Lektionen in Englisch und Ungarisch hinwegschwemmen würden und die Geographie und die Gobelin-Säle und die Damen, welche mich betreuen, und die Thürsteher und die Glas-Service. Wie ein Sturm, welcher Tischtücher hinwegraffte, während man speiste. Wie wenn diese dunklen sanften Oboën uns gemahnen würden in milder Weise, die unerbittlichen Violinen hingegen nicht nachgeben würden, um uns zum Letzten zu geleiten!«

So würdest Du empfinden, Kaiserliche, beim [250] Kaiser Wagner! In deinem sanften Antlitz liegen die Züge des Kindes Julia, des Kindes Leonore und des Kindes Iphigénia – –. Aber diese Cartonnage-Waare?!

Und der Prophet, der Mann aus der wirklichen Historie, welchen man morgen am Klavier wieder hören würde, erkannte seine Mutter an und die Säulen begruben Alle.

– – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – – –

Kaiserliche Hoheit könnten mir für die morgige Stunde einen kleinen Aufsatz schreiben: »Mein erster Besuch im Opern-Hause mit meinen Schwestern.«

Die Prinzessin begann: »Ein geräumiger Saal – – Unsere Loge – – Als der Vorhang aufging, erblickte man – – Wir Alle amüsirten uns sehr gut – –«

Sie war ein ganz gewöhnliches »kleines Mäderl« geworden!

Und die Gouvernante sagte: »Von allen sieben Aufsätzen ist der von Prinzessin – – der schlechteste. Kein Schwung. Keine Begeisterung. Kein Verständnis. Man sollte wirklich meinen, kaiserliche Hoheit – –«

Nein, sie war doch eine Prinzessin geblieben!

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Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Wie ich es sehe. Reporter und Dichter. Reporter und Dichter. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D890-8