Zwölf

»Das Fischen muss sehr langweilig sein« sagte ein Fräulein, welche davon so viel verstand wie die meisten Fräulein.

»Wenn es langweilig wäre, thäte ich es ja nicht« sagte das Kind mit den braunblonden Haaren und den Gazellenbeinen.

Sie stand da, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Sie nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es zu Boden.

Das Fischlein starb – – –

Der See lag da, in Licht gebadet und flimmernd. Es roch nach Weiden und dampfenden verwesenden Sumpfgräsern. Vom Hôtel her hörte man das Geräusch von Messern, Gabeln und Tellern. Das Fischlein tanzte am Boden einen kurzen originellen Tanz wie die wilden Völker – – – und starb.

Das Kind angelte weiter mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers.

»Je ne permettrais jamais, que ma fille s'adonnât à une occupation si cruelle« sagte eine Dame, welche in der Nähe sass.

Das Kind nahm das Fischlein von der Angel und schleuderte es wieder zu Boden, in die Nähe der Dame.

Das Fischlein starb – – –. Es schnellte empor [6] und fiel todt nieder – – ein einfacher sanfter Tod! Es vergass sogar zu tanzen, es marschierte ohne weiteres ab – – –.

»Oh – – –« sagte die Dame.

Und doch lag im Antlitz des grausamen braunblonden Kindes eine tiefe Schönheit und eine künftige Seele – – –.

Das Antlitz der edlen Dame aber war verwittert und bleich – – –.

Sie wird Niemandem mehr Freude geben, Licht und Wärme – – –.

Darum fühlte sie mit dem Fischlein.

Warum soll es sterben, wenn es noch Leben in sich hat – – –!?

Und doch schnellt es empor und fällt todt nieder – – – ein einfacher sanfter Tod.

Das Kind angelt weiter, mit dem grossen unerschütterlichen Ernst des Fischers. Es ist wunderschön, mit seinen grossen starren Augen, seinen braunblonden Haaren und seinen Gazellenbeinen.

Vielleicht wird es auch einst das Fischlein bemitleiden und sagen: »Je ne permettrais jamais, que ma fille s'adonnât à une occupation si cruelle – – –!«

Aber diese zarten Regungen der Seele erblühen erst auf dem Grabe aller zerstörten Träume, aller getödteten Hoffnungen – – –.

Darum angle weiter, liebliches Mädchen!

Denn, nichts bedenkend, trägst du noch dein schönes Recht in dir – – –!

Tödte das Fischlein und angle!

[7]

Der annotierte Datenbestand der Digitalen Bibliothek inklusive Metadaten sowie davon einzeln zugängliche Teile sind eine Abwandlung des Datenbestandes von www.editura.de durch TextGrid und werden unter der Lizenz Creative Commons Namensnennung 3.0 Deutschland Lizenz (by-Nennung TextGrid, www.editura.de) veröffentlicht. Die Lizenz bezieht sich nicht auf die der Annotation zu Grunde liegenden allgemeinfreien Texte (Siehe auch Punkt 2 der Lizenzbestimmungen).

Lizenzvertrag

Eine vereinfachte Zusammenfassung des rechtsverbindlichen Lizenzvertrages in allgemeinverständlicher Sprache

Hinweise zur Lizenz und zur Digitalen Bibliothek


Rechtsinhaber*in
TextGrid

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2011). Altenberg, Peter. Prosa. Wie ich es sehe. See-Ufer. Zwölf. Zwölf. Digitale Bibliothek. TextGrid. https://hdl.handle.net/11858/00-1734-0000-0001-D842-7