EIN LÆNDLICHES GEDICHT
IN DREI IDYLLEN
bei Friedrich Nicolovius.
LUISE
[[2]][[3]]
VOR GLEIMS HÜTTCHEN.
Mach’ auf, edeler Greis! Wer klopfet
da? Freund’ und Bekannte.
Leiſe klopfet der Freund. Aber du
höreteſt nicht.
Still! ihr weckt mir die Mädchen! Sie
lieben uns. Sollen ſie aufſtehn
Spät in der Nacht? Aufſtehn, und
die Geliebten empfahn.
Welche denn? Kennſt du den Pfarrer
von Grünau? Was! und Luiſe?
Auch ihr Mann. Und wo bleibt Müt-
terchen? Mütterchen auch.
[[4]]Mädchen, heraus! mit dem ſchönſten be-
wirtet ſie! Alter, nur Obdach,
Und ein freundlich Geſicht. Trauteſie,
kommt! denn es friert!
[[5]]
LUISE
ERSTE IDYLLE
DAS FEST IM WALDE
[[6]][[7]]
LUISE
ERSTE IDYLLE
DAS FEST IM WALDE
Drauſsen in dunkeler Kühle der zwo
breitblättrigen Linden,
Welche, die tägliche Stub’ an der Mit-
tagsſeite beſchattend,
Über das moſige Dach hinſäuſelten,
ſchmauſte behaglich
Im Schlafrocke der Pfarrer am ſteinernen
Tiſch auf dem Seſſel,
Den vor dem Winterkamin ſein alter
künſtlicher Hausknecht
[8]LUISE
Heimlich geſchnizt, und mit Weiſs und
glänzendem Grüne bemalet.
Sorglos ſaſs nun der Greis, von Geliebten
umringt, und erfreute
Mit lehrreichem Geſpräche ſein Herz,
und mancher Erzählung.
Küchlein in frohem Gedräng’ und das
Perlhuhn pickten der Jungfrau
Brot aus der Hand; weil ferne der trozi-
ge Hahn mit den Weibern
Harrte des Wurfs, und die trippelnde
Taub’ und der kollernde Puter.
Nachbarlich dort im Schatten des blüten-
doldigen Flieders
Nagte des Feſtmahls Knochen Packan,
und murrete ſeitwärts
Gegen die laurende Kaz’, und ſchnappte
ſich ſumſende Fliegen.
[9]ERSTE IDYLLE
Aber Mama, ſanftlächelnd der wohlbe-
kannten Erzählung,
Zupfte geheim Luiſen, die neben ihr ſaſs,
an dem Ermel,
Neigt’ ihr nahe das Haupt, und begann
mit leiſem Gefliſter:
Gehen wir noch in den Wald, mein
Töchterchen? Oder gefällt dirſ,
Weil die Sonne ſo brennt, in der Geis-
blattlaub’ an dem Bache
Deine Geburt zu feiren? Du blickſt ja
ſo ſcheu, und errötheſt.
Hold erſtaunt antwortete drauf das
roſige Mägdlein:
Nicht in der Laube, Mama! Das Geis-
blatt duftet des Abends
Viel zu ſtreng’, und zumal mit der Lilien
und der Reſeda
[10]LUISE
Dufte vermiſcht; auch ſchwärmen die
Mücken ſo wild an dem Bache.
Lieblich ſcheint ja die Sonn’, und am
waldigen Ufer iſt Kühlung.
Und zu dem Pfarrer begann die alte
verſtändige Hausfrau:
Väterchen, danken wir Gott? Luiſe be-
gehrt den Geburtstag
Lieber im Wald’, als unten am Bach in
der Laube zu feiern.
Lieblich ſcheint ja die Sonn’, und am wal-
digen Ufer iſt Kühlung.
Jetzo mein Rath. Herr Walter, der klei-
ne Graf und Luiſe
Gehn voran, und wählen den Ort, und
ſuchen uns Brennholz.
O der Beſuch auf dem Schloſs! Mit Ama-
lia wäre der Gang doch
[11]ERSTE IDYLLE.
Luſtiger! Aber wir beiden Gemächlichen
fahren den Richtweg
Über den See; der Verwalter, das wiſſen
wir, leihet uns gerne
Seinen Kahn. Doch wünſcht’ ich, daſs
unſer Papa noch ein wenig
Schlummerte. Mittagsſchlaf iſt die ange-
nehmſte Erquickung
Alter Leut’ im Sommer, zumal in der
Blüte der Bohnen.
Drauf antworteteſt du, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau:
Hört er, mein Sohn, wie ſie waltet, die
Herſcherin? Aber ich muſs ſchon
Folgſam ſein; denn es gilt den Geburts-
tag meiner Luiſe.
Kinder, wir beten zu Gott dem unend-
lichen! Betet mit Ehrfurcht.
[12]LUISE
Dieſes geſagt, entblöſste der redliche
Vater die Scheitel,
Glänzend kahl, und umringt von ſchnee-
weis prangendem Haare,
Senkte den Blick demütig, und ſprach,
mit gefalteten Händen:
Lieber Gott, der du alles, was lebt,
mit Freud’ und Erquickung
Sättigeſt, höre den Dank, den deine Kin-
der dir ſtammeln.
Wir ſind Staub. O beſchirme, wenns
frommt, in dem Leben der Prüfung
Uns vor Trübſal und Noth, wie vor üp-
pigem Stolz und Leichtſinn;
Bis wir bewährt aus dem Staube zu dei-
ner Herrlichkeit eingehn.
Meine Kinder, ich wünſch’ euch eine ge-
ſegnete Mahlzeit.
[13]ERSTE IDYLLE
Alſo der Greis; da nahten ſie all’, und
küſsten den Mund ihm
Dankend; es küſst’ ihn umarmend die
roſenwangige Tochter;
Dann an die Wang’ ihm geſchmiegt, lieb-
koſte ſie. Aber mit Inbrunſt
Herzte der Greis ſein freundliches Kind,
auf dem Schooſse ſie wiegend.
Beid’ an der Hand nun faſſend die Fremd-
linge, ſagte die Mutter:
Seid ihr auch ſatt, ihr Lieben? Nur
Baurenkoſt war es freilich,
Und kein gräflicher Schmaus; doch hoffen
wir, Freunde des Hauſes
Werden die That mit dem Willen ent-
ſchuldigen. Trinken wir jetzt noch
Kaffe hier? Vornehme genieſsen ihn gleich
nach der Mahlzeit.
[14]LUISE
Ihr antwortete drauf der edle beſchei-
dene Walter:
Herzlich danken wir, liebe Mama, für
die ſchöne Bewirtung.
Machen Sie Karl nicht roth. Gut ſein
iſt beſſer, denn vornehm.
Säſse bei ſolchem Mahle der Ländlich-
keit ſelbſt auch der Kaiſer,
Unter dem Schatten der Bäum’, in ſo trau-
licher lieber Geſellſchaft;
Und er ſehnte ſich ekel zur Koſt der fran-
zöſiſchen Köche
Und zum Gezier der Höflinge heim; ſo
verdient’ er zu hungern!
Wenn Mama es erlaubt, ſo gehen wir
gleich nach dem Walde;
Und wann der Kahn anlandet, dann ko-
chen wir alle geſchäftig
[15]ERSTE IDYLLE
Unter dem hangenden Grün weiſsſtämmi-
ger Birken den Kaffe.
Karl verbittet den Kaffe ſich ganz; er
macht ihm nur Wallung.
Aber es ſchalt der Vater, und rief die
eifernden Worte:
Ei mit der ungereimten Entſchuldigung!
War denn der Reisbrei
Angebrannt? und der Wein auf dem Reis-
brei nüchtern und kahnig?
Waren nicht jung die Erbſen und friſch,
und wie Zucker die Wurzeln?
Und was fehlte dem Schinken, der Gän-
ſebruſt und dem Hering?
Was dem gebratenen Lamm, und dem
kühlenden röthlichgeſprengten
Kopfſalat? War der Eſſig nicht ſcharf,
und balſamiſch das Nuſsöl?
[16]LUISE
Nicht weinſauer die Kirſche Dernat, nicht
ſüſs die Morelle?
Nicht die Butter wie Kern, nicht zart
die rothen Radieschen?
Was? und das kräftige Brot, ſo locker
und weiſs! Es iſt ſchändlich
Wenn man Gottes Gaben aus Höflichkeit
alſo verachtet!
Lieber Sohn, da nehm’ er die Dirn’ am
Arm, und dann hurtig
Fort in den Wald! Komm her, mein Müt-
terchen, daſs ich dich küſſe!
Ihm antwortete drauf die alte verſtän-
dige Hausfrau:
Schilt nicht, lieber Papa! man ſagt ja
wohl ſo ein Wörtchen.
Schlummre nun kühl und ruhig im Käm-
merlein. Jungfer Suſanna
[17]ERSTE IDYLLE
Hat mit Pfeffer und Milch die Fliegen
getränkt, auch das Mäuschen
Heut in die Falle gelockt, und den Alkov
fleiſsig gelüftet.
Jene ſprachs, und führte den lieben
Gemahl in die Kammer,
Legt’ ihm die Kiſſen zurecht, und ver-
ſchloſs die dunkle Gardine;
Während die Magd des Mahles Geräth
und die feſtlichen Gläſer
Eintrug, ſamt dem Gedeck von ſchönge-
webetem Drillich.
Raſch nun wandelte Hans mit dem Auf-
trag zu dem Verwalter,
Wegen des Kahns, den er neu zum Fi-
ſchen gebaut, und zur Luſtfahrt;
Und willfährig entlieſs der Verwalter ihn.
Aber die Jungfrau
B
[18]LUISE
Ging, von Karl begleitet, am Arm des
beſcheidenen Jünglings,
Fröhlich einher den Weg um die Waſſer-
mühl’ in das Seethal.
Weiſs war ihr Sommergewand mit roſen-
farbenen Schleifen;
Seidener Flor umwallte verrätheriſch Bu-
ſen und Schultern,
Vorn mit der knoſpenden Roſe geſchmückt;
ihr freundliches Antliz
Schirmte, gekränzt mit Tremſen, der fein-
geflochtene Strohut.
Unter ihm ringelte ſanft in den Wind
das bräunliche Haupthaar,
Glänzend im Licht, nachläſſig vom roſi-
gen Bande gefeſſelt.
Zart und rundlich und ſchlank, aus der
Klappe des ſämiſchen Handſchuhs
[19]ERSTE IDYLLE
Blickend, kühlt’ ihr die Rechte mit grü-
nem Fächer das Antliz;
Aber die Linke ruht’ in des Jünglinges
Arm, und es ſpielten
Ihm in der Hand die warmen und nied-
lichen Finger des Mägdleins.
Wonne durchſtrömt’ ihm das Herz, er
athmete bang’, und ſprachlos
Drückt’ er die kleine Hand, mit bebenden
Fingern durchfaltend.
Alſo wandelten beide durch Gras und
blühende Kräuter,
Langſam; heiſere Grillen umſchwirrten
ſie; und wie erblödet
Sannen ſie, flohn den begegnenden Blick,
und redeten wenig.
Als ſie nunmehr, oft ſeufzend, das ſchwü-
lere Thal durchwandert,
[20]LUISE
Unten am Zaun, wo die Quell’ aus dem
Sandberg roth und moraſtig
Zwiſchen binſigen Hügeln und Schafthalm
träger hinabfloſs;
Jezt an der leitenden Hand des Jünglin-
ges hüpfte die Jungfrau
Furchtſam über die Steine, gelegt für die
Schritte des Wandrers,
Trat auf den Steg, und hob das eine Füſs-
chen mit Vorſicht
Über den hohen Zaun; enthüllt bis zur
Blume des Zwickels,
Ordnete ſcheu das Gewand, und ſchwang
wie ein Reh ſich hinüber.
Dann durch Haſelgebüſch den ausgereg-
neten Pfad auf
Stiegen ſie, welcher ſich ſchräg’ hinbog
um den alternden Ahorn.
[21]ERSTE IDYLLE
Dort nun begann tiefathmend das roſen-
wangige Mägdlein:
Stehn wir ein wenig ſtill? Mir klopfet
das Herz! Wie erfriſchend
Über den See die Kühlung heraufweht!
Und wie die Gegend
Ringsum lacht! Da hinab langſtreifige,
dunkel und hellgrün
Wallende Korngefilde, mit farbigen Blu-
men geſprenkelt!
O wie es wühlt, weitſchauernd mit grünli-
chem Dampf durch den Rocken!
Dort das Dorf im Gebüſch, ſo ſtolz und
freundlich gelagert
Am herſchlängelnden Bach, und der Thurm
mit blinkendem Seiger!
Oben das weiſse Schloſs in Kaſtanien
Vorn auf der Wieſe
[22]LUISE
Röthliche Küh’; und der blaue gebogene
See mit der Waldung!
Dort die Schober des Heus, dort Mähen-
de! Aber wir ſelbſt hier,
Von Buchweizen umblüht, im Geſumſ’
eintragender Bienen!
Schaut doch umher, ihr Kinder, und freuet
euch! Hören Sie, Beſter:
Heute bringt uns Mama groſsmächtige
ſpaniſche Erdbeern;
Wohl ſo ſüſs, wie mir deucht, ſind Feld-
erdbeern, und balſamiſch.
Kommen Sie dort in den Buſch; da ſtehen
ſie, röther wie Scharlach.
Alſo Luiſ’, ablenkend zum ſonnigen
Thal des Gebüſches,
Rechts, wo die Hecke das Feld einfrie-
digte. Hurtig vor ihnen
[23]ERSTE IDYLLE
Hüpfte der Knab’, und verlieſs das grün-
liche Himmelspferdchen,
Das mit glänzenden Schwingen auf Far-
renkraut ſich geſezet.
Stehn blieb jezo Luiſ’, und ſprach mit
vertraulichem Fliſtern,
Nah’ an des Jünglinges Wange geneigt
ihr blühendes Antliz:
Sehn Sie, er folgt dem Geruche der Erd-
beern. Lieber, die Hand mir
Nicht ſo gedrückt! Er möchte den Herrn
Hofmeiſter belauſchen.
Aber dem Jünglinge wallte das Herz
vor banger Entzückung,
Als ihr roſiger Mund mit ätheriſchem
Odem die Wang’ ihm
Warm anhaucht’; und er wandte ſich ſanft
und küſste das Mägdlein.
[24]LUISE
Leiſe bebt’ ihr die Lipp’, und wandte
ſich; aber ihr Antliz
Lächelte, hold verſchämt, wie ein Früh-
lingsmorgen erröthend.
Und ſie entſchlüpfte dem Arm, und brach
ein unſcheinbares Blümchen
Seitwärts, ſtand in Gedanken, und ſchaut’
es an, wie bewundernd.
Plözlich erſcholl im Gebüſche die ru-
fende Stimme des Knaben:
Kommt doch, und pflückt Erdbeern! Hier
ſtehen ſie, röther wie Scharlach!
Jubeln wollen wir alle vor Luſt, wenn
wir unſeren Vorrath
Auch in die Kumm’ ausſchütten! Da wird
der Vater ſich wundern!
Felderdbeern, die pflanzte der liebe Gott;
und um vieles
[25]ERSTE IDYLLE
Schmecken ſie köſtlicher noch, in Milch
mit Zucker beſtreuet!
Jene kamen und ſahn die geſchwolle-
nen Beeren, die ringsum
Feuerroth und gedrängt am Sonnenſtral
aus den Kräutern
Schimmerten; und ihr Gedüft durchath-
mete würzig die Gegend.
Freudig rief und erſtaunt der edle be-
ſcheidene Walter:
Wunderbar! es erhebt ſich künſtlicher
Gärten der Reiche,
Welche die Frucht ihm zinſen aus jegli-
chem Sonnenbezirke,
Fröhnend in Zwang; und dem Armen be-
reitete Gott in der Wildnis,
Ohne ſein Thun, Fruchtgärten voll heil-
ſamer Blumen und Kräuter:
[26]LUISE
Arbeitlos dann ſammelt das Kind, und
ſammelt der Greis ein.
Aber es fehlt ein Geſchirr für die ſaftige
Reife der Beeren.
Pflücken wir dort Huflattig, mein Karl,
und die Blätter im Tuche
Tragen wir locker geknüpft? Noch dien-
licher, wenn ich der Haſel
Sauber die Rind’ abſtreift’, und mit äſti-
gem Pflocke zuſammen
Heftete. Oder erſinnt mein Karl noch
ein anderes Mittel?
Zürnend gab ihm darauf der feurige
Knabe die Antwort:
Iſt das Ernſt, Herr Walter: den Buſch,
der die Zweige herabhängt,
Von Nuſstrauben beſchwert, im fröhlich-
ſten Wuchſe zu ſchinden?
[27]ERSTE IDYLLE
Stehn denn am Sumpf nicht Binſen genug?
Wie bald iſt ein kleines
Körbchen gemacht, wenn einer den Grif
nur tüchtig gelernt hat?
Ernſthaft that, ihm erwiedernd, der
edle beſcheidene Walter:
Das hat Schick und Geſtalt! O wie gut,
wenn zween ſich berathen!
Hurtig hinab, und das Körbchen beſchleu-
niget! Hier an der Haſel
Ruhn wir indeſs friedfertig, die voll groſs-
traubiger Nüſſe
Überwölbt ihr Gezweig’; auch pflücken
wir nichts von den Erdbeern,
Auſser ein paar zur Erfriſchung für un-
ſere liebe Gefährtin.
Kaum geſagt, da enteilte zum binſigen
Sumpfe der Knabe;
[28]LUISE
Während ſich jene vertraut in der Haſel
umſchattende Wölbung
Lagerten. Stolz nun kam er herauf mit
dem Körbchen gewandelt.
Alle ſie pflückten darein die ſaftigen Bee-
ren auf Nuſslaub,
In wetteifernder Haſt, und oft mit den
ſchöneren pralend,
Naſchten dabei, und boten Geſchenk; denn
ſie hatten die Auswahl.
Hoch nun ſtrozte der Korb, und hing am
Arme des Knaben.
Als ſie nun wieder den Pfad hinwan-
delten, hörten ſie abwärts
Durch das Thal den Geſang des ſiebzig-
jährigen Webers,
Der, zum Weben zu ſchwach, bei Kir-
chenmuſik und Gelagen
[29]ERSTE IDYLLE
Kräftig den Brummbaſs ſtrich, wie der Or-
ganiſt ihn gelehret.
Selbſtgelehrt auch ſtellt’ er der gnädigen
Gräfin die Schloſsuhr;
Auch bereitet’ er künſtlich aus Spillbaum
allerlei Löffel,
Kellen, wacholderne Querl’, und Vogel-
bauer, und Schaufeln,
Zündenden Schwamm, Waſchklöpfel, und
hölzerne Schuhe dem Marſchland.
Doch war der Sommer ihm mild, dann
ſammelt’ er Beeren des Feldes
Für die benachbarte Stadt, auch Schlehn
und Nüſſ’ und Hambutten,
Flieder, Kamillen und Kreſs, Maililien,
Pilz’ und Morcheln.
Aber zum Jünglinge ſprach die roſenwan-
gige Jungfrau:
[30]LUISE
Lieber, da ſucht auch der Alte ſich Erd-
beern. Wollen wir hingehn?
Eilender gingen ſie beid’, und fanden ihn,
tragend den bunten,
Mächtigen Henkeltopf, halbvoll der erle-
ſenen Erdbeern.
Grüſsend nahte dem Greis der edle be-
ſcheidene Walter:
Guten Tag! So fleiſsig? O ſezt doch,
Vater, die Müz’ auf!
Scheltet ihr auch? Wir haben uns ſelbſt
Erdbeeren in eurem
Garten gepflückt; heut gilts den Geburts-
tag unſrer Luiſe.
Nehmt dies wenige, Vater, und trinkt der
Jungfer Geſundheit.
Alſo ſprach der Jüngling, und wandte
ſich. Aber der Alte
[31]ERSTE IDYLLE
Segnete beiden nach, und es bebte die
Thrän’ an den Wimpern.
Jenem drückt’ im Gehen die roſenwangige
Jungfrau
Schweigend die Hand; und ſobald ſie des
dichteren Thales Umſchattung
Barg, begegnete willig ihr Mund dem
Kuſſe des Jünglings.
Als ſie, das Linſenfeld und die bärtige
Gerſte durchwandelnd,
Jezo dem Hügel am See ſich näherten,
welcher mit dunkeln
Tannen und hangendem Grün weiſsſtäm-
miger Birken gekränzt war;
Blickte zum buſchigen Ufer Luiſ’ hinhor-
chend, und ſagte:
Still! es tönte mir dumpf, wie ein Ru-
derſchlag, von dem Ufer!
[32]LUISE
Aber der fröhliche Karl, der voranlief,
wandte ſich rufend:
Hurtig! da ſeh’ ich den Kahn! Nun
gleitet er hinter das Schilfrohr!
Und mit geflügelten Schritten enteilten
ſie; kühlender Seewind
Hauchte zurück das Gewand, das die trip-
pelnden Füſse des Mägdleins
Rauſchend umwallt’, und es weht’ ihr ge-
ringeltes Haar von den Schultern.
Laut nun rief und winkt’ aus dem ſchwe-
benden Kahne der Pfarrer:
Ehrbar, Kinder, und ſacht! Ihr lauft
ja ſo raſch, wie die Hühnlein
Über den Hof, wenn die Magd an der
Hausthür Futter umherſtreut!
Töchterchen, geh vorſichtig, und ſtrauchle
mir nicht an den Wurzeln!
[33]ERSTE IDYLLE
Athmend harrten ſie nun, bis der rau-
ſchende Kahn an dem Ufer
Landete; und Willkommen erſcholls, will-
kommen im Grünen!
Hinten hemmte der Knecht, an der Erl’
im Waſſer ſich haltend.
Aber geſtüzt von der Hand des Jünglin-
ges traten die Eltern
Über den wankenden Bord, auf den Sand
voll Kieſel und Muſcheln,
Wellig geformt von der Flut, und umhüpft
mit gehügeltem Seeſchaum.
Schmeichelnd küſste den Greis die blü-
hende Tochter, und fragte:
Väterchen kömmt ja ſo frühe vom Schlaf?
Hat der häſsliche Kater
Wieder gemaut? ein Hühnchen beim Eier-
legen gekakelt?
C
[34]LUISE
Oder Suſanna zu laut mit dem Waffelei-
ſen geklappert?
Drauf antworteteſt du, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau:
Weder gemaut hat ein Kater, mein Kind,
noch ein Hühnchen gekakelt,
Oder Suſanna zu laut mit dem Waffelei-
ſen geklappert.
Unſer Geſpräch, und die Freude, mein
Töchterchen, deines Geburtstags
Machte mein Herz unruhig. Wohlauf nun,
Feuer gezündet!
Flink, und Kaffe gekocht! Die lieben
Kinder ſind durſtig!
Jener ſprach’s; da gebot die alte ver-
ſtändige Hausfrau:
Hans, an den blühenden Genſt das Ge-
päck, und Feuer gezündet;
[35]ERSTE IDYLLE
Daſs uns nicht anwehe der Rauch. Hier,
denk’ ich, am Vorland
Lagern wir uns im Schatten der alten
Familienbuche,
Die vorlängſt uns bekennt mit ſchon aus-
wachſenden Namen.
Hier iſt ſanft die Kühlung, und weich der
Raſen wie Polſter;
Und im Geräuſche der Well’ und des Schilf-
rohrs, labt uns die Ausſicht
Über den See nach dem Dorf und den
Krümmungen fruchtbarer Ufer.
Sammelt nun Holz, ihr Kinder! Wer fiſchen
will, ſcheue kein Waſſer!
Alſo die Frau; und den Hügel ereilten
ſie, welcher mit dunkeln
Tannen und hangendem Grün weiſsſtäm-
miger Birken gekränzt war,
[36]LUISE
Fanden Kien und Reiſer, und ſammelten;
dann zu dem Buchhain
Eilten ſie, links im Thal, wo der Äſt’
ein unendlicher Abfall
Unter Laub und Geſträuch rings moderte.
Aber der Hausknecht
Fing die ſprühenden Funken des Stals
in ſchwammigen Zunder,
Faſst’ ihn in trockenes Laub, und ſchwang
mit Gewalt, bis dem dickern
Qualm aufleuchtendes Feuer entloderte;
häufte geſchickt dann
Reiſer und Kien, daſs die Flamme, des
Harzes froh, durch den Holzſtoſs
Knatterte, finſteren Rauch ſeitwärts auf-
dampfend zum Himmel.
Jezt wo der Wind in die Glut einſauſete,
ſtellt’ er den Dreifuſs
[37]ERSTE IDYLLE
Samt dem verſchloſſenen Keſſel, gefüllt
mit der Quelle des Gartens.
Wehend umleckt’ ihn die Loh’, und es
brauſt’ ausſiedend der Keſſel.
Aber das Mütterchen goſs in die bräun-
liche Kanne den Kaffe
Aus der papierenen Tute, gemengt mit
klärendem Hirſchhorn,
Strömte die Quelle darauf, und ſtellt’ auf
Kohlen die Kanne,
Hingekniet, bis ſteigend die farbige Blaſe
geplazt war.
Schleunig anjezt rief jene, das Haupt um
die Achſel gewendet:
Seze die Taſſen zurecht, mein Töch-
terchen; gleich iſt der Kaffe
Gar. Die Geſellſchaft nimt mit unſerem
täglichen Steinzeug
[38]LUISE
Wohl im Grünen vorlieb, und ungetrich-
tertem Kaffe.
Vater verbot Umſtänd’; und dem Weibe
geziemt der Gehorſam.
Sprachs; und die Tochter enthüllt’ aus
dem Deckelkorbe die Taſſen,
Auch die Flaſche mit Rahm, und die ble-
cherne Doſe voll Zucker,
Ordnend umher auf dem Raſen; und jezt,
da ſie alles durchwühlet,
Neigte das blühende Mädchen ſich hold,
und lächelte ſchalkhaft:
Nehmen Sie mirs nicht übel, Mama
hat die Löffel vergeſſen.
Sprachs; da lachten ſie all’, auch lachte
die gütige Mutter,
Welche die dampfende Kanne dahertrug.
Aber der Jüngling
[39]ERSTE IDYLLE
Eilte zur nahen Birk’, und ſchnitt von
den hangenden Zweiglein
Schöngeglättete Stäb’, und vertheilte ſie
rings der Geſellſchaft.
Freundlich reichte Luiſe dem lieben Papa
und dem Jüngling
Pfeifen dar, und Toback in der fleckigen
Hülle des Seehunds.
Und ſie lagerten ſich im ſchattigen Graſ’:
an des Vaters
Rechte der Knab’ und Mama, die den
klaren Trank in die Taſſen
Rühmend goſs; und zur Linken die ſchöne
Luiſ’ und der Jüngling.
Zwar ſie koſtete ſelten des Kaffees; aber
gefällig
Trank ſie heut ein wenig, und ruſſiſchen
Thee mit dem Kleinen.
[40]LUISE
Liebreich ſprach der Vater, die roſige
Wang’ ihr ſtreichelnd:
Kind, dir brennt ja die Wange wie
Glut! Zwar iſt es nicht übel
Anzuſehn; doch nim mir, mein Töchter-
chen, wegen der Zugluft
Etwas mehr um den Hals. Man erkältet
ſich leicht in der Hize.
Jenem küſste die Hand und erwiederte
freundlich die Tochter:
Zugluft heiſst die Kühlung, die ſanft
durch Erlen des Ufers
Athmet, und kaum ein Band mir bewegt?
Wir gingen ja langſam,
Ruhten auch oft im Schatten. Ich bin
nur ſo fröhlich, mein Vater!
Drauf antworteteſt du, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau:
[41]ERSTE IDYLLE
Ja, du geliebte Tochter, ich bin auch
fröhlich! ſo fröhlich,
Als die ſingenden Vögel im Wald hier,
oder das Eichhorn,
Welches die luftigen Zweige durchhüpft,
um die Jungen im Lager!
Achzehn Jahr ſind es heute, da ſchenkte
mir Gott mein geliebtes,
Jezt mein einziges Kind, ſo verſtändig
und fromm und gehorſam!
Wie doch die Zeiten entfliehn! Zehn
kommende Jahre, wie weithin
Dehnt ſich der Raum vor uns! und wie
ſchwindet er, wenn wir zurückſehn!
Geſtern erſt geſchah es, ſo deucht es mir,
als ich im Garten
Ging, und Blätter zerpflückt’, und betete;
bis nun mit Einmal
[42]LUISE
Fröhlich die Botſchaft kam: Ein Töch-
terchen iſt uns gebohren!
Manches beſchied ſeitdem der Allmäch-
tige, gutes und böſes.
Auch das Böſe war gut! denn Seine Gnad’
iſt unendlich!
Weiſst du, Frau, wie es einſt nach lan-
ger Dürre geregnet,
Und ich, Luiſ’ auf dem Arme, mit dir
in der Friſche des Gartens
Athmend ging; wie das Kind nach dem
Regenbogen emporgrif,
Und mich küſste: Papa! da regnet es Blu-
men vom Himmel!
Streut die der liebe Gott, damit wir Kin-
der ſie ſammeln? —
Ja, vollblühende Segen und himmliſche
ſtreuet der Vater,
[43]ERSTE IDYLLE
Welcher den Bogen der Huld ausſpanne-
te: Blumen und Früchte!
Daſs wir mit Dank einſammeln und Fröh-
lichkeit! Denk’ ich des Vaters,
O dann erhebt ſich mein Herz, und ſchwillt
von regerer Inbrunſt
Gegen unſere Brüder, die rings die Erde
bewohnen:
Zwar verſchieden an Kraft und Verſtand;
doch alle des Vaters
Liebe Kindlein, wie wir! von einerlei
Brüſten genähret!
Und nicht lange, ſo geht in der Dämme-
rung eins nach dem andern
Müde zur Ruh, von dem Vater im küh-
len Lager geſegnet,
Hört ſüſsträumend der Winde Geräuſch
und des tropfenden Regens,
[44]LUISE
Schläft, und erwachet geſtärkt und verſtän-
diger. Kinder, wir freun uns
Alle vereint, wenn Gottes verklärterer
Morgen uns aufweckt!
„Dann erfahren auch wir wahrhaft, daſs
Gott die Perſon nicht
„Anſieht; ſondern in allerlei Volk, wer
ihn fürchtet und recht thut,
„Der iſt ihm angenehm!“ — O Himmels-
wonne! wir freun uns,
Alle, die Gutes gethan nach Kraft und
redlicher Einſicht,
Und die zu höherer Kraft vorleuchteten:
freun uns mit Petrus,
Moſes, Konfuz und Homer, dem lieben-
den, und Zoroaſter,
Und, der für Wahrheit ſtarb, mit Sokra-
tes, auch mit dem edeln
[45]ERSTE IDYLLE
Mendelsſohn! Der hätte den Göttlichen
nimmer gekreuzigt!
Ihm antwortete drauf der edle beſchei-
dene Walter:
Traurig nur, wenn ein Kind, das der bil-
denden Rede des Vaters
Kundiger ſchon aufmerkt, mit Verſtänd-
nis, oder mit Ahndung,
Sich das erwähltere dünkt, das einzige!
wenn es die Brüder,
Die um Sokrates einſt der Menſchlichkeit
Höhen erſtrebet,
Neidiſch entehrt in der Gruft; und die
jüngeren, welche noch lallen,
Oder des Vaters Worte ſich ſelbſt aus-
deuten, voll Hochmut
Schilt und martert und würgt! Man er-
zählte mir neulich ein Mährlein.
[46]LUISE
Einsmals kam ein Todter aus Mainz an
die Pforte des Himmels,
Poltert’ und rief: Macht auf! Da ſchaute
der heilige Petrus
Aus der leiſe geöfneten Thür’, und fragte:
Wer biſt du?
Trozig erwiederte jener, den Ablaſszettel
erhebend:
Ich? ein katholiſcher Chriſt, des allein
heilbringenden Glaubens!
Seze dich dort auf die Bank! antwortete
Petrus verſchlieſsend.
Hierauf kam ein Todter aus Zürch an die
Pforte des Himmels,
Poltert’ und rief: Macht auf! Wer biſt
du? fragte der Jünger.
Ich? ein kalviniſcher Chriſt, des allein
heilbringenden Glaubens!
[47]ERSTE IDYLLE.
Dort auf die Bank! rief Petrus. Da kam
auch ein Todter aus Hamburg,
Poltert’ und rief: Macht auf! Wer biſt
du? fragte der Jünger.
Ich? ein lutheriſcher Chriſt, des allein
heilbringenden Glaubens!
Dort auf die Bank! rief Petrus. Nun ſaſsen
ſie, ſchauten bewundernd
Sonnen und Mond’ und Stern’ in harmo-
niſchem Tanz, und vernahmen
Harfentön’ und Geſäng’, und athmeten
Düfte des Himmels;
Und ihr Herz ward entzückt zum hellen
Geſang: „Wir gläuben
„All’ an Einen Gott!“ — Da mit Einmal
ſprangen die Flügel
Rauſchend auf, daſs umher von des Him-
mels Glanze der Äther
[48]LUISE
Leuchtete. Petrus erſchien, und ſprach
mit freundlichem Lächeln:
Habt ihr euch nun beſonnen, ihr thörich-
ten Kinder? So kommt denn!
Alſo redeten jen’ im vertraulichen
Wechſelgeſpräche,
Unter dem heiteren Blau des allumfaſſen-
den Himmels;
Gottes lebende Wind’ umwehten ſie. Aber
der Alte
Senkte den Blick tiefſinnig, und ſaſs in
ſtarrer Betäubung,
Wie wenn er predigen ſollte, das Herz
voll Worte des Himmels;
Ernſt nun bewegt’ er das Haupt; ihm
drang die Thrän’ aus den Wimpern.
Alle ſchwiegen zugleich, und ſahn auf
ihn mit Bewundrung.
[49]ERSTE IDYLLE
Jezo begann der Vater, und ſprach zu der
roſigen Jungfrau:
Singe den neuen Geſang, mein Töch-
terchen, welchen im Frühling
Unſer Freund in Eutin hier dichtete.
Heimlich entſchlich er
Durch das Gehölz; ihr gingt mit der
freundlichen Erneſtine
Rufend umher, du ſelbſt und Amalia, bis
ihr ihn fandet.
Jener ſprachs; da begann mit ſteigen-
der Röthe die Jungfrau
Sanft den Geſang; ihn verſtärkte, mit
Macht einſtimmend, der Vater.
D
[50]LUISE
Blickt auf, wie hehr das lichte Blau
Hoch über uns ſich wölbet!
Wie fern den grünen Glanz der Au
Die Butterblume gelbet!
Um uns im Sonnenſcheine wehn
Der Buchen zarte Blätter;
Aus tauſend Kehlen ſchallt, wie ſchön!
Vielſtimmiges Geſchmetter!
Ringsum an Bäumen und Gebüſch
Entſchwellen junge Triebe!
Hier ſchattets kühl! Hier athmet friſch,
Und trinkt den Geiſt der Liebe!
Wir beben dir, der Liebe Geiſt,
In dieſer Auferſtehung,
Wie wenn du einſt vom Tod’ erneuſt
Zu ſeliger Erhöhung!
[51]ERSTE IDYLLE
Aus allen Völkern rauſchen dann
Verklärte Millionen,
Die brüderlich geſellt fortan
Den neuen Stern bewohnen!
Durch Farb’ und Glauben nicht getrennt,
An Sinn und Thaten höher,
Sind Ihm, den ſelbſt kein Jubel nennt,
Die Brudervölker näher!
Schon hier vereint in Lieb’ und Recht
Sei aller Welt Gewimmel!
Wir ſind ja Eines Staubs Geſchlecht,
Bedeckt von Einem Himmel!
Wir ſpielen all’ im Sonnenſchein,
Vergnügt gemeiner Gabe;
Wir ruhn, und ſteigen, groſs und klein,
Geſtärkt aus unſerm Grabe!
[52]LUISE
Aus allen Völkern ſchall’ empor
Geſang zum Ungenannten:
Wie jedes ſich den Dienſt erkohr,
Wie ſeinen Gottgeſandten!
Gern hört der Vater Aller ſo
Sich vielfach angelallet,
Wie hier im jungen Laube froh
Der Waldgeſang erſchallet!
Alſo ſangen ſie beid’; und der Wald
war Tempel der Gottheit;
Edeler fühlten ſich all’ und menſchlicher.
Aber die Jungfrau
Eilte, vom Siz aufſtehend, und mühte
ſich huſtend am Feuer,
Daſs ſie des Vaters Pfeif’ anzündete,
welche dem Greiſe
[53]ERSTE IDYLLE
Schon in der heftigen Red’ erloſchen war;
reichte ſie jezt ihm
Brennend, und ſpuckte viel, und macht’
ein krauſes Geſichtchen.
Lächelnd dankte Papa, und küſste das
roſige Mägdlein;
Und ſie lagerte ſich. Da begann die ver-
ſtändige Hausfrau:
Kinder, der Kaffe wird kalt; ihr pre-
diget immer und ewig!
Habt ihr auch Rahm und Zucker genug?
Rührt um mit den Löffeln!
Als ſie nunmehr im Grünen mit Kaffe
und Thee ſich gelabet;
Schenkte Mama auch dem Knechte, der
pfeifend ging an dem Ufer.
Anfangs ſtreubt’ er ſich, etwas beſchämt,
und nahm es doch endlich.
[54]LUISE
Jezo wandelten ſie, von längeren Schat-
ten begleitet,
Auf den duftenden Hügel: wo ſchlankere
Birken zum Himmel
Säuſelten, Tannenſaat ſich erhob mit gelb-
lichem Jahrwuchs,
Und Wacholdergeſträuch um die Hünen-
gräber der Vorwelt
Wuchernd kroch, und ſtechender Hulſt
mit glänzenden Blättern.
Einzeln rauſchten umher auch Maſtbäum’
unter den Wolken,
Oſtwärts alle gebeugt von des ſiebenund-
vierzigſten Jahres
Winterorkan. Sie umſchauten die weit-
hin lachende Landſchaft,
Plauderten viel, und ſangen empfundene
Lieder von Stolberg,
[55]ERSTE IDYLLE
Bürger und Hagedorn, von Claudius,
Gleim und Jacobi;
Sangen: „O wunderſchön iſt Gottes Er-
de!“ mit Hölty,
Welcher den Tod anlacht’, und beklagten
dich, redlicher Jüngling!
Unter den wandelnden ſprach die alte
verſtändige Hausfrau:
Kinderchen, merkt, wie die Sonne hin-
abſinkt, faſt zu den Wipfeln
Jenes Walds, und vom Dorfe die Betglock’
über den See ſummt!
Thau weiſſagt das Gewölk, das duftige:
welcher den Kräutern
Wachsthum bringt, doch leicht den gela-
gerten Menſchen Erkältung!
Unſer Papa iſt alt, und das Jüngferchen
kleidet ſich immer
[56]LUISE
Luftig und kühl; das Ei will klüger ja
ſein, wie die Henne!
Kommt denn, und ſchmauſt, ihr Lieben;
die Feldluft reizet den Hunger.
Sprachs, und führt’ in das Thal; nicht
ungern folgten die andern.
Als ſie den blumigen Raſen des weitum-
ſchattenden Buchbaums
Jezo erreicht; da eilten Mama und die
freundliche Tochter
Schnell zu dem Kahn am Ufer, und brach-
ten im zierlichen Tiſchkorb
Feines Gedeck, Eſslöffel und engliſche
Meſſer und Gabeln;
Brachten das Zuckergeſchirr von violigem
Glaſe, mit Silber
Zierlich gefaſst, wie ein Korb, ein Ge-
ſchenk der gnädigen Gräfin;
[57]ERSTE IDYLLE
Brachten die reinlichen Teller von Stein-
gut, ſpaniſche Erdbeern
Auf eiförmiger Schüſſel, und fette Milch
in geſtülpter
Porzellanener Kumme, geformt wie ein
purpurner Kohlkopf,
Welche mit wärmendem Punſch und Bi-
ſchof füllte der Vater,
Wann ein Freund ihn beſucht’ in den ſau-
ſenden Tagen des Winters;
Brachten mit Eppich umlegt die Bach-
krebſ’, ähnlich den Hummern,
Auch zween kalte gebratne Kapaun’, um-
hüllt vor den Fliegen;
Brachten dann hochgehäuft vielrautige
bräunliche Waffeln,
Auch die duftende Frucht der grünge-
ſtreiften Melone,
[58]LUISE
Gelbe gezeichnete Butter in bläulicher
Doſ’, auf dem Deckel
Lag ein käuendes Rind zum Handgrif;
lieblichen Schafkäſ’
Und holländiſchen Käſ’, und einen gewal-
tigen Rettig
Für Papa; auch Kirſchen und roth’ und
weiſse Johannsbeern.
Aber die Jungfrau neigte ſich hold, und
ſprach zur Geſellſchaft:
Friſch heran, ihr Kinder, und lagert
euch unter dem Baume,
Froh wie der Schnitter im Feld’ und die
Binderin! Seid auch ſo gütig,
Unſer ländliches Mahl zu entſchuldigen.
Schilt nicht, du alter
Lieber Papa! denn heut am Geburtstag’
hab’ ich Erlaubnis,
[59]ERSTE IDYLLE
Recht unartig zu ſein; und du trinkſt doch
meine Geſundheit!
Mutter, du böſe Mutter, du haſt den Wein
ja vergeſſen!
Ihr antwortete drauf die alte verſtän-
dige Hausfrau:
Mädchen, du biſt mutwillig! Ein Glück,
daſs der Dirne Geburtstag
Einmal im Jahre nur kömmt; ſonſt wüch-
ſen die Bäum’ in den Himmel!
Siehe, der ehrliche Hans hat Milch und
Wein uns bedachtſam
Abgekühlt im Schilfe des Sees; da bringt
er den Korb ſchon.
Alſo Mama; und es nahte der redliche
Hans mit dem Weinkorb,
Ehrbar, zuckte den Hut, und redete zu
der Geſellſchaft:
[60]LUISE
Heute fürwahr ein prächtiger Tag!
Gott ſegne die Mahlzeit!
Eilig den Korb ausleerend, erwiederte
jenem der Pfarrer:
Hans, du bringſt ja die Meng’ Herz-
ſtärkungen! Schaue dein Antheil,
Blank wie Gold an der Sonne! Doch trink
auch der Tochter Geſundheit!
Aber der Kleine ſprang zu dem Mai-
buſch, wo er die Erdbeern
Heimlich verſteckt, und ſtellte den duf-
tenden Korb auf den Teppich,
Von dem bedeckenden Laub’ ihn entledi-
gend. Vater und Mutter
Freuten und wunderten ſich, und lächel-
ten ſeiner Erzählung,
Lobten den Korb, und prieſen die ſaftige
Röthe der Erdbeern.
[61]ERSTE IDYLLE
Alſo ſchmauſeten jen’, in behaglicher Ruhe
vereinigt,
Auf dem blumigen Raſen des weitum-
ſchattenden Buchbaums.
Tiefer ſank nun die Sonn’, und ergoſs
vielfarbige Schimmer
Durch das hangende Laub, oft nöthi-
gend, weiter zu rücken.
Kaum noch wankte das Rohr, und der
See ward glatt wie ein Spiegel.
Raſtlos tönte der Heimen Geſchwirr, und
Vögelein ſangen;
Fernher rief der Kibiz, der Kukuk nahe;
vom Kornfeld
Lockte die ſtreifende Wachtel, die Rin-
geltaub’ in dem Ulmbaum
Gurrt’, und es krächzte der Rak mit him-
melblauem Gefieder.
[62]LUISE
Feierlich öſnete jezt mit dem Pfropfen-
zieher der Vater
Eine Flaſch’, und vertheilte zum Nachtiſch
goldenen Steinwein:
Den ihm die gnädige Gräfin zur Stärkung
ſeiner Geſundheit
Sendete, als ſie im Lenz heimkehrt’ in
ihr grünendes Landgut
Aus der Stadt; doch lang’ unentſiegelt
ſtand er im Keller,
Aufgeſpart für der lieben und einzigen
Tochter Geburtstag.
Hiermit füllte die Gläſer der Greis, und
ſprach zur Geſellſchaft:
Angeklingt! denn es gilt die Geſund-
heit unſrer Luiſe!
Sprachs; und es klangen die Gläſer mit
hellem Gekling’ an einander.
[63]ERSTE IDYLLE
Nur des Jünglinges Glas verſtimmte den
Klang mit taubem
Puf; da ſchüttelte zürnend der Vater das
Haupt, und bedräut’ ihn:
Tauſendmal hab’ ich ihn, Sohn, an die
Erzuntugend erinnert!
Klappt nicht immer ſein Glas wie ein
ſpaltiger Topf, und des neuern
Dichterſchwarms ungeſchlifner Hexame-
ter, welcher daherplumpt
Ohne Takt und Muſik, zum Ärgernis?
Kann er nicht anders,
Oder gefällt es ihm nicht? Ein jegliches
Ding hat doch Regeln!
Kein Vernünftiger faſst an den oberen
Kelch, wenn er anklingt;
Nein, an den Fuſs! Dann klingts, wie Har-
monikaklang in den Glückwunſch!
[64]LUISE
Lächelnd erwiederte drauf der edle
beſcheidene Walter:
Nicht ſo gezürnt, mein Vater! Das roſen-
wangige Mägdlein
Blickte mit ſchelmiſchem Auge mich an;
da vergaſs ich die Regel.
Sprachs; da droht’ ihm Luiſe mit auf-
gehobenem Finger,
Feuerroth; und ſie lachten des hold er-
röthenden Mägdleins.
Aber ſie that nachläſſig, und ſchnellt’ auf
den Knaben den Kirſchkern.
Hans indeſs, dem die Mutter ein klei-
neres Tuch an den Maibuſch
Hingedeckt, und es reichlich mit Trank
und Speiſe belaſtet,
Schenkte ſein Glas voll Weines, und trat
vergnügt zur Geſellſchaft,
[65]ERSTE IDYLLE
Langſam, nicht in das Gras den edelen
Trank zu verſchütten.
Als er genaht, da neigt’ er das Haupt,
und redete alſo:
Nun mit Verlaub! ich trinke des Jüng-
ferchens werthe Geſundheit!
Rückwärts gebeugt dann trank er, und
lächelte. Als er den lezten
Tropfen geſchlürft, da ſchwenkt’ er ſein
Glas, und redete wieder:
Segne der liebe Gott das Jüngferchen!
Hab’ ich ſo manchmal
Doch als lallendes Kind auf meinem Arm
ſie geſchaukelt,
Daſs ſie im Spiegel ihr Bild anlächelte!
Schmuck war ſie immer,
Und wie ein Engel ſo fromm! Ihr Bräu-
tigam preiſe ſich glücklich!
E
[66]LUISE
Schalkhaft ſagte darauf die rosenwan-
gige Jungfrau:
Hänſelchen, willſt du mich frein? Ich
hab’ in der Kiſte ſo manchen
Blanken Thaler geſpart: mein Patenge-
ſchenk, und mein Weihnacht!
Auch verſteh’ ich die Nadel zur Noth,
und die Knütte verſteh’ ich,
Brot zu backen, zu braun, und ein Leib-
gericht zu bereiten!
Aber es redete drein die alte verſtän-
dige Hausfrau:
Traue du nicht der Spötterin, Hans! Zwar
ſtattlich von Gliedern
Iſt ſie dir, aber zu faul, und die ſeidenen
Händchen zu vornehm.
Geh nur, und rüſte den Kahn zu der Ab-
fahrt. Denn wo mir recht iſt,
[67]ERSTE IDYLLE
Feuchtet der Raſen bereits. Wohl ſagt’
ich es! Laſst uns denn aufſtehn;
Oder wir haben zum Lohn vom Geburts-
tag’ Huſten und Schnupfen.
Schmauſt die Kirſchen im Kahn, ihr Kin-
derchen, und die Johannsbeern.
Alſo ſprach ſie, und trieb; und ſie fol-
geten alle gehorſam,
Trugen des Mahles Geräth in den räumi-
gen Kahn des Verwalters,
Traten dann ſelber hinein; und der Knecht
ſtieſs ab von dem Ufer.
Fernher glimmten wie Gold die Fenſter
der Kirch’ und des Schloſſes,
Welche die Sonn’ abſinkend beleuchtete;
rings an den Ufern
Hingen Gebüſch’ und Saaten, von röthli-
chem Scheine beduftet,
[68]LUISE
Umgekehrt in der Flut, und zitterten über
zerſtreutem
Glanzgewölk, und die Heerd’, und die
ſingende Magd bei der Milchkuh.
Langſam ruderte Hans am Geſtad’ hin;
jezt um ein Röhricht,
Und braunkolbiges Ried; Seelilien jezo
durchgleitend,
Gelb von Blumen und weiſs, breitblätte-
rig; jezo den Vorgrund,
Wo hell Muſchel und Kies aufſchimmer-
ten. Häufig ermahnt’ er,
Wann Luiſ’ im wankenden Kahn an den
Jüngling ſich anſchloſs.
Aber es freute ſich Karl der ſchreienden
Waſſervögel
Über dem Holm, und des Hechts, der be-
glänzt vom Abend emporſprang;
[69]ERSTE IDYLLE
Auch wie des Ruders gebrochenes Bild
in der ſanften Umwallung
Schlängelte; laut dann ruft’ er dem Wie-
derhall in des Hügels
Ödem Gemäur, liebkoſt’ ihm und ſchalt,
und lachte der Antwort.
Heiter und ſtill war allen das Herz, wie
die ſpiegelnde Welle;
Während der Vater vergnügt ſein ruhiges
Abendpfeifchen
Raucht’, und ein Wort einſprach, von Ge-
lehrſamkeit, und von der Zeitung.
Oft noch zuckte Luiſ’, an den Jüngling
gelehnt, und drückt’ ihm
Ängſtlich die Hand. Da begann die alte
verſtändige Hausfrau:
Wie das närriſche Mädchen ſich an-
ſtellt! Iſt denn der Kahn nicht
[70]LUISE
Groſs und breit? Sei ruhig, mein Töch-
terchen, oder ich wiege.
Sonſt ſo keck und verwegen, wenns gilt,
in die Bäume zu klettern,
Über die Graben zu ſpringen, und hoch
in der Luft ſich zu ſchaukeln,
Oder auch gleiten zu gehn mit Amalia,
welche dir gleich iſt,
Auf dem gefrorenen Bach und der Gleit-
bahn, recht wie die Kinder!
Schlag’ ein Tuch um den Hals, dies ſei-
dene, das ich dir mitnahm.
Kühl iſts doch auf dem Waſſer, und Vor-
ſicht reuete niemand.
Drauf antworteteſt du, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau:
Sei nicht bange, mein Kind, und verhülle
dich. Beſſer iſt beſſer,
[71]ERSTE IDYLLE
Wenn auch das junge Blut noch freudi-
ger hüpft in den Adern.
Gott ſei Dank für den herlichen Tag, und
den herlichen Abend,
Der uns morgende Heitre verkündiget!
Eben ſo heiter
Meld’ uns den ewigen Morgen der Abend
unſeres Lebens!
Matt ſchon glüht’ im Weſten die Glut;
ein Stern nach dem andern
Trat aus dem Glanz, mit Silber die dun-
kele Bläue durchfunkelnd.
Als der rauſchende Kahn an der krüppli-
chen Eiche des Ufers
Landete. Lieblicher Duft umhauchte ſie;
aber ſie eilten
Durch die geſchorene Wieſ’ und wellige
Schwade des Heues;
[72]LUISE
Und es erhob Luiſe den Saum des wei-
ſsen Gewandes,
Zeigend den Unterrock und ſchimmernde
Strümpf’ in der Dämmrung.
So im Geröchel des Sumpfs und dem ein-
ſamen Surren des Käfers,
Längs dem grenzenden Walle, mit Dorn
umwachſen und Haſeln,
Gingen ſie, wo noch zirpte die Grill’, und
im Kraute der bläulich
Flimmernde Glühwurm lag. Nun ſtiegen
ſie über das Gatter,
Kamen ins Dorf, und grüſsten die ſtille
Schaar vor den Häuſern,
Und des Verwalters Knecht, der die klin-
gende Senſ’ auf dem Ambos
Hümmernd ſchärft’, um morgen die graſi-
ge Wieſe zu mähen.
[73]ERSTE IDYLLE
Abendlich pickte die Uhr, und ſchnob
die Eul’ in dem Kirchthurm;
Und ſie empfing an der Pforte der Hund
mit freundlichem Wedeln.
[][]
LUISE
ZWEITE IDYLLE
DER BESUCH
[][]
LUISE
ZWEITE IDYLLE
DER BESUCH
Roſig ſtralt’ in die Fenſter des Mais auf-
glühender Morgen;
Daſs ihr ſcheibiges Bild mit der Pfirſiche
wankendem Laube
Glomm an der Wand, und hellte des Al-
kovs grüne Gardinen,
Wo dich, redlicher Greis, umſchwebeten
Träume der Ahndung.
Durch den Schimmer geweckt, und den
Schlag des Kanarienvogels,
[78]LUISE
Rieb er froh die Augen ſich wach, und
faltete betend
Seine Hände zu Gott, der neue Kraft
und Geſundheit
Ihm geſchenkt zu Pflicht und Beruf, und
in nächtlicher Stille
Väterlich abgewandt von den Seinigen
Feuer und Diebſtahl.
Jezo empor ſich hebend am Bettquaſt,
dreht’ er ſich langſam
Um, und ſtreckte die Hand, ſein Erneſtin-
chen zu wecken.
Aber die Stätte war leer. Da riſs er den
rauſchenden Vorhang
Auf, und ſah durch die gläſerne Thür’ in
der Stube den Theetiſch
Hingeſtellt, und geſchmückt mit geriefel-
ten dresdener Taſſen:
[79]ZWEITE IDYLLE
Welche die häusliche Frau vornehmeren
Gäſten nur anbot,
Etwa dem Probſt beim Kirchenbeſuch, und
der gnädigen Gräfin,
Und wenn ihr Hochzeitfeſt ſie erfreuete,
und ein Geburtstag.
Auch das ſilberne Kaffegeſchirr, der gnä-
digen Gräfin
Patengeſchenk, mit der Doſ’ und den
ſchöngewundenen Löffeln,
Blinkt’ im röthlichen Glanz hochfeierlich;
und in der Küche
Hört’ er der knatternden Flamme Geſauſ’
und des ſiedenden Keſſels.
Zweimal zog er den Ring, daſs hell in
der Küche das Glöcklein
Klingelte. Siehe da kam, im ehrbaren
Schmucke der Hausfrau,
[80]LUISE
Trippelnd die alte Mama, und ſprach, die
Lippen ihm küſſend:
Väterchen, wachſt du ſchon? Da ich
aufſtand, ſchliefſt du ſo ruhig;
Und ſo lieſ’ entſchlüpft’ ich dem Bett’;
in der Hand die Pantoffeln,
Ging ich auf Socken hinaus, und ſchloſs
den Drücker mit Vorſicht.
Siehe, die Augen wie klar! Doch warte
nur! gegen den Hahnſchrei
Haſt du ſchon wieder im Traum mit ge-
brochener Stimme gepredigt,
Auch geweint. So viel ich verſtand, war
die Red’ an dem Trautiſch.
Freundlich die Hand ihr drückend, be-
gann der redliche Pfarrer:
Richtig! getraut ward eben. Mein Text
war: Willſt du mit dieſem
[81]ZWEITE IDYLLE
Manne ziehn? und die Bilder des Weg-
ziehns machten mich traurig.
Aber ſo innig es kränkt, ein ſolches Kind
zu entlaſſen;
Wohnete nicht die Wittwe das Gnaden-
jahr in dem Pfarrhaus,
Allzuſehr einengend die Kinderchen; oder
ihr Weiber
Hättet nur erſt aus dem Rohen gefertiget
alle die Ausſteur,
Linnen und Schränk’ und Betten, und
anderen Trödel der Wirtſchaft,
Was wohl Kind und Enkel nicht auf-
braucht! heute fürwahr noch
Wollt’ ich ſie traun, und ſagen: Seid frucht-
bar, Kinder, und mehrt euch!
Zeuch in Frieden, o Tochter, und ſei die
Krone des Mannes;
F
[82]LUISE
Denn ein tugendſam Weib iſt edler, denn
köſtliche Perlen!
Thu ihm liebes dein Lebenlang, und nim-
mer kein leides,
Bis euch ſcheide der Tod! — Nun, Müt-
terchen, nicht ſo ernſthaft!
Sieh mich an! Wir ſelber verlieſsen ja
Vater und Mutter.
Hurtig den Schlafrock her, den feſtlichen
neuen von Dammaſt;
Auch die Müze von feinem Batiſt! denn
ich muſs ja geſchmückt ſein,
Wann der Bräutigam kömmt von Seldorf,
jenes berühmten
Hochfreiherrlichen Guts hochwohlehrwür-
diger Paſtor!
Horch! da blies ja die Poſt, und raſſelte
über den Steindamm!
[83]ZWEITE IDYLLE
Lächelnd erwiederte drauf die alte
verſtändige Hausfrau:
Männchen, das war in der Küche; Su-
ſanna windet ihr Garn ab.
Sprachs, und trat zur Kommode, der
blankgebonten von Nuſsbaum,
Welche die Prieſterbeſchen, die Ober-
hemd’ und die Ermel
Ihres Gemahls einſchloſs, und die ſteif-
gefalteten Kragen,
Ihm ein Gräul! auch den ſchönen und
weitbewunderten Taufſchmuck,
Und die flitternden Kronen, gewünſcht
von den Bräuten des Dorfes.
Jezo fand ſie die Müz’, und reichte ſie.
Dann zu dem Schranke
Ging ſie, den Schlafrock holend von
blauem wollenem Dammaſt;
[84]LUISE
Über die Lehn’ ihn breitend des Arm-
ſtuhls, ſagte ſie alſo:
Dehne dich noch ein wenig, mein Vä-
terchen; denn zur Geſundheit
Dienet es, ſaget der Arzt. Dann zieh
mir die weicheren Strümpf’ an,
Welche Luiſe geſtrickt aus Lämmerwolle
des Marſchlands;
Daſs nicht kalte der Fuſs; es iſt noch
kühlig des Morgens.
Auch dies ſeidene Tuch verehr’ ich dir,
welches Luiſe
Sonntags trug um den Hals, und dir ſchon
lange beſtimmte.
Lieſeſt du erſt ein wenig im Bett’? ein
Kapittel der Bibel,
Dort auf der kleinen Riole zur Seite dir;
oder ein Leibbuch
[85]ZWEITE IDYLLE
Jener Zeit, da noch Menſchen wie Waſh-
ington lebten und Franklin;
Oder den alten Homer, der ſo natürlich
und gut iſt?
Daſs du es warm mittheilſt bei dem Früh-
ſtück? Unſere Poſt hat
Zeit! Des Verwalters Georg, der die
Pferde bewacht in der Koppel,
Meldet es, wann er das Blaſen des Poſt-
horns über dem Waſſer
Hört; dann ſchwingt ſich der Weg noch
weit herum nach dem Dorfe.
Dort am Wald’ iſt ein Echo; da bläſt der
fröhliche Poſtknecht
Gerne ſein Morgenlied, und den Marſch
des Fürſten von Deſſau.
So, wohlmeinendes Sinnes, ermahnte
ſie. Aber der Pfarrer
[86]LUISE
Hörete nicht; auf ſtand er, und redete,
raſch ſich bekleidend:
Mutter, wer kann nun leſen! Ich bin
unruhig und luſtig!
Wahrlich, er muſs bald kommen! Georg
hat etwa geſchlummert,
Oder auch ſelber ein Stück auf der Feld-
ſchalmei ſich gedudelt.
Stehet doch feſt der Sand, da es regnete!
Weiſet die Uhr nicht
Funfzig Minuten auf fünf? O wie oft
dann las ich die Zeitung!
Hurtig das Becken gereicht, und das Hand-
tuch! Glüht mir das Antliz
Nicht, als hätt’ ich in Eifer geprediget,
oder mit Walter
Über Europa geſchwazt und Amerika,
jenes im Dunkel,
[87]ZWEITE IDYLLE
Dies im tagenden Lichte der Menſchlich-
keit! Öfne das Fenſter!
Friſche Luft iſt dem Menſchen ſo noth,
wie dem Fiſche das Waſſer,
Oder dem Geiſt frei denken, ſo weit ein
Gedanke den Flug hebt,
Nicht durch Bann und Gewalt zu den
folgſamen Thieren entwürdigt;
Ah! wie der labende Duft da hereinweht!
und wie der Garten
Blühet und blüht, von des Thaus vielfar-
bigen Tropfen umfunkelt!
Schau die Morell’, und die Pflaum’, und
dort an der Planke den kleinen
Apfelbaum, wie gedrängt er die röthli-
chen Knöpfchen entfaltet!
Und den gewaltigen Rieſen, den ſchnee-
weiſs prangenden Birnbaum!
[88]LUISE
Das iſt Segen vom Herrn! Fürwahr, wie
die Bienen und Vögel,
Möchte man ſchwelgen im Duft: Herr
Gott, dich loben wir! ſingend!
Aber die Braut, wo bleibt ſie? die ſonſt
mit dem Hahne mir aufſteht,
Und mir am Pult den Kaffe beſorgt! Nichts
hört’ ich noch trippeln
Über mir! Ganz gewiſs, ſie verſchläft des
Bräutigams Ankunft!
Ihm antwortete drauf die alte verſtän-
dige Hausfrau:
Mann, wie du reden kannſt! Sie verſchläft
des Bräutigams Ankunft?
Unſere raſche Luiſe? Gewiſs, ſie ſteht
vor dem Spiegel,
Kleidet ſich, ordnet ihr Haar in ſchlau
erkünſtelter Einfalt,
[89]ZWEITE IDYLLE
Ordnet die Lillaſchleifen, das ſeidene
Tuch, und den friſchen
Blumenſirauſs, holdlächelnd, und gern noch
ſchöner ſich machend.
Oder ſie ſchlich in den Garten hinab, und
beſchaut die Aurikeln,
Unruhvoll, und roth im Geſicht, wie die
Gluten des Himmels;
Blickt oft über den Zaun, und hört die
Nachtigall ſchmettern
Unten am Bach, und hört, o mit klopfen-
dem Herzen! das Poſthorn.
Holla, wie lermt Packan! Unfehlbar wird
es Georg ſein.
Kaum war geredet das Wort; da klin-
gelt’ es raſch, und Suſanna
Öfnete; plözlich erſchien im Reiſemantel
der Eidam.
[90]LUISE
Aber vor Freude beſtürzt und Verwunde-
rung, eilten die Eltern,
Und: Willkommen, mein Sohn! willkom-
men uns! riefen ſie herzlich,
Feſt an die Bruſt ihn gedrückt, und Wang’
und Lippen ihm küſſend.
Sorgſam eilt’ ihn Mama aus dem Reiſege-
wand zu enthüllen,
Nahm ihm den Hut, und ſtellte den kno-
tigen Stab in den Winkel,
Samt dem türkiſchen Rohr, das er mitge-
bracht für den Vater.
Thränend begannſt du anizt, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau:
Gott ſei gelobt, mein Sohn, der groſse
Dinge gethan hat,
Und wie die Waſſerbäche das Herz der
Gemeine gelenket;
[91]ZWEITE IDYLLE
Daſs ihn all’ einmütig erwähleten, Predi-
ger Gottes
Ihnen zu ſein, der Natur und der Menſch-
lichkeit weiſer Verkünder,
Die Abſchattungen ſind uns Endlichen,
endloſer Gottheit!
Üb’ er denn ſeinen Beruf mit Freudigkeit,
ſtets wie Johannes
Lehrend das groſse Gebot: „Liebt, Kin-
delein, liebt euch einander!“
Nicht durch eitelen Zank um Geheimnis,
oder um Sazung,
Nahen wir Gott; nur Liebe, des Endlos-
liebenden Ausfluſs,
Schaft uns Vertraun und Glauben zum Heil
des geſendeten Helfers,
Der ſein Wort mit dem Tode verſiegelte!
Religion ſei
[92]LUISE
Uns zum Gedeihn, und nicht unthätiger
Religion wir!
Solches aus Schrift und Vernunft einpre-
digend, ſelber ein Beiſpiel,
Leucht’ er zu irdiſchem Wohl und himm-
liſchem! — Nun was ich ſagen
Wollte: das Pfarrhaus, ſchreibt er, iſt
hübſch, mit bequemen Gemächern;
Aber das Obſt nur gemein, und der Kü-
chengarten voll Unkraut.
Was die Menſchen doch wunderlich ſind!
Wie leicht iſt ein Fruchtbaum
Hingepflanzt, der ſo reichlich die wenige
Pflege belohnet!
Glaubt er? ich löſe des Jahrs an hundert
Thaler aus Backobſt,
Und aus feinerem Obſt, aus Pſirſichen,
Pflaumen und Äpfeln,
[93]ZWEITE IDYLLE
Pflänzlingen auch, und Spargel, und Blu-
menkohl und Melonen!
Was? und den baaren Gewinn, wie erhöht
ihn die Luſt, durch Beiſpiel,
Rath und That, zum Fleiſse das willige
Dorf zu ermuntern!
Sohn, er ehrt mein Geſchenk: als Braut-
ſchaz nehm’ er den Lüder!
Freundlich die Wang’ ihm klopfend, be-
gann die verſtändige Hausfrau:
Vater, du kommſt auch ſogleich mit der
Wirtſchaft! War es die Nacht kalt,
Lieber Sohn? Wie verdrieſslich ſein Pre-
digeramt ihn einſchränkt!
Nachts fünf Meilen zu fahren durch Thau
und kältende Nebel,
Seiner Braut zum Beſuch, wie gewiſſen-
haft! Konnte der Küſter
[94]LUISE
Doch zur Noth die Gemein’ aus dem red-
lichen Brückner erbauen!
Trinkt mein Sohn auch ein Gläschen fürs
nüchterne? oder nur Kaffe?
Ihr antwortete drauf der edle beſchei-
dene Walter:
Kaffe nur, liebe Mama. Mir iſt ſchaude-
rig; war es die Nacht gleich
Heiter und ſchwül, und lockte die Nach-
tigall aus den Gebüſchen,
Während am Rande der Mond blutroth
in Gedüſt hinabglitt,
Und vor dem Wetterleuchten die Pferd’
oft ſtuzten am Wagen.
Doch als eben der Tag andämmerte, weht’
es empfindlich
Über den See, bis die Sonne, mit liebli-
chen Stralen ſich hebend,
[95]ZWEITE IDYLLE
Grünaus Dächer beſchien, den ſpizigen
Thurm, und das Pfarrhaus.
Langſam karrt’ indeſſen der unbarmher-
zige Schwager
Durch den Kies; denn ein wenig zu ſtark
aus dem Glaſe vernüchtert,
Nickt’ er beſtändig das Haupt; und zu-
lezt noch tränkt’ er die Pferde.
Auch der ſinnige Schäfer, der dort die ge-
hürdeten Schafe
Weidete, kroch nun erwacht aus dem
bretternen Hüttchen auf Rädern;
Und wie dem belfernden Fix er nachſah,
über die Augen
Deckend die Hand; laut rief er, und ja-
gete ſcheltend den Hund weg:
„Gott zum Gruſs, Herr Walter! Wie gehts?
Willkommen in Grünau!“
[96]LUISE
Riefs, da er über die Brach’ anrennete,
drückte die Hand mir
Kraftvoll, fragete viel, und freute ſich,
minder geſchlank mich
Wiederzuſehn, und erzählte von Frau
und Schafen und Kindern,
Und von der neulichen Oſtermuſik, wo
ich leider gefehlet.
Kaum ging weiter der Zug; da begegnete
ſingend der Jäger,
Stuzt’, und begann auflachend: „Aha!
der liſtige Waidmann,
„Der uns das niedliche Reh wegbirſcht,
die behende Luiſe!
„Ganz im Vertraun! wir ſandten ein ſchön
Rehziemer dem Paſtor,
„Das ſich herübergewagt von der Zucht
des eutiniſchen Landes!“
[97]ZWEITE IDYLLE
Fern dann grüſste der Fiſcher vom Bach,
und zeigt’ aus dem Kahne
Einen gewaltigen Aal, der hell an der
Sonne ſich umwand.
Dicht am Dorfe begegneten noch auszie-
hende Pflüger,
Otto Rahn mit dem klugen Geſicht, und
der jüngere Geldo,
Gruſs und Geſpräch anbietend. Doch
ſchnell auf dem raſſelnden Steindamm
Flog ich vorbei, und enteilt’, abſpringend
am Krug’, um den Kirchhof.
Hier ein türkiſches Rohr, und ächter Vir-
giniaknaſter,
Lieber Papa, der wie Balſam emporwallt.
Schaun Sie, das Rohr iſt
Roſenholz, und der Kopf aus Siegelerde
von Lemnos.
G
[98]LUISE
Jener ſprachs; und der Vater bewun-
derte, freudig empfangend,
Wie ſo lang und gerade der Schoſs des
Roſengebüſches,
Blank von bräunlichem Lack, aufſtieg mit
der Mündung des Bernſteins.
Laut nun erhobſt du die Stimm’, ehrwür-
diger Pfarrer von Grünau:
Welch ein Rohr! O gewiſs von dem
Freund’ aus Konſtantinopel
Mitgebracht! Wie gewaltig! Bei Maho-
med! über die Scheitel
Raget es! Aber, mein Sohn, zu der Pfeif’
Anzündung bedarf es
Einer Cirkaſſerin wohl; und er raubet mir
meine Luiſe!
Auch in dem Lehnſtuhl muſs ich geſtreckt
ausruhn, wie ein Mufti,
[99]ZWEITE IDYLLE
Und ein Vezier im Kaftan auf damaſceni-
ſchem Sofa!
Raſch, den Virginiaknaſter geprüft! Weib,
rufe Suſanna,
Daſs ſie den Trank der Levant’ einbring’,
und den brennenden Wachstock.
Wecke mir auch die Luiſe! Das wittere
ja der Probſt nicht,
Daſs ein Prieſter die Lippen entweiht
mit dem türkiſchen Gräuel!
Drauf mit ängſtlicher Stimme begann
der verlobete Jüngling:
Liebe Mama, ob Luiſe nicht wohl iſt?
Frühe ja pflegt ſie
Aufzuſtehn, und Kaffe dem Väterchen
einzuſchenken.
Lächelnd erwiederte drauf die alte ver-
ſtändige Hausfrau:
[100]LUISE
Faul, mein Sohn! Ich wette, ſie ſteckt
noch tief in den Federn.
Sprachs, und eilte hinaus, und rief der
treuen Suſanna,
Die an dem Brunnenſchwengel den tröp-
felnden Eimer heraufzog:
Hole die ſilberne Kann’, und ſpute
dich, liebe Suſanna,
Daſs du den Kaffe geklärt einbringſt, und
den brennenden Wachsſtock.
Nicht zu ſchwach, wie geſagt! der levan-
tiſche haſst die Verdünnung.
Seze die Kann’ auf Kohlen mit Vorſicht,
wenn du ihn trichterſt.
Flugs dann ſtich mir im Garten die neu-
geſchoſſenen Spargel,
Schneid’ auch jungen Spinat; wir nöthi-
gen, denk’ ich, die Herſchaft.
[101]ZWEITE IDYLLE
Käme nur Hedewig bald von den Milch-
kühn, ohne zu plaudern;
Daſs ſie ſogleich die Karauſchen und
Hechtlein holte vom Fiſcher,
Und mir die Laub’ ausharkt’ und den Gang!
Leicht ordnet die Mahlzeit
Heute Papa dorthin, wo der Quell von
gelegeten Steinen
Niederrauſcht in den Bach, und vorn die
Kaſtanie blühet,
Und noch glänzet das Laub des geboge-
nen Erlenganges.
Siehe, wie rennend der Hahn vom geſta-
pelten Holz mit den Weibern
Futter ertrozt, und die Enten vom Pfuhl,
und die Glucke mit Küchlein!
Habt doch Geduld! gleich bring’ ich euch
Haber und Klei’ in der Wanne!
[102]LUISE
Aber was ſchimmerte da ſo geſchwind an
dem Zaune vorüber?
Schon ein Beſuch? Ja wahrlich! Amalia
kommt mit dem Kleinen!
Sprachs, und zur Pforte des Hofes ent-
eilte ſie; unter dem Schauer
Hüpfte Packan frohknurrend hervor; und
ſie wehrte dem Schmeicheln.
Alſo rief ſie entgegen, die alte verſtändige
Hausfrau:
Kinder, ſo früh in die Luft? O den-
ken Sie! meine Luiſe
Schläft noch feſt wie ein Dachs; und der
Bräutigam iſt in der Stube!
Treten Sie ein; ich wecke. Wie wird
ſich das Töchterchen ſchämen!
Alſo Mama; da klopft’ in die Händ’
Amalia lachend.
[103]ZWEITE IDYLLE
Aber ſie dämpfte die Stimm’, und redete,
fröhliches Mutes:
Ach unſchuldiges Ding! ſchlaflos an
den Bräutigam denkend
Lagſt du; da ſchwand der Gedank’ in des
lieblichen Traumes Betäubung,
Unter den Brautmelodieen der Nachtigall!
Mütterchen, laſs mich!
Leiſe mit Kuſs und Gelispel erweck’ ich
ſie; und wenn ſie aufſtarrt:
Schmücke dich, ſpott’ ich, mein Kind! dein
Bräutigam harret mit Inbrunſt!
Ihr mit drohendem Wink antwortete
alſo die Mutter:
Wo mir Amalia wagt, mein armes Kind
zu verſpotten!
Flink in die Stube hinein, und gegrüſst
das junge Paſtörchen!
[104]LUISE
Denn ihn gilt der Beſuch doch eigentlich.
Nicht zu geſchäftig
Liebgekoſt um den Walter, ich red’ im
Ernſte, mein Mädchen;
Daſs ſich die Braut an der Freundin nicht
ärgere! Seid ihr vernünftig,
Kinder, ſo kommt arglos auf ein Stück
Rehbraten zu Mittag,
Und auf ein freundlich Geſicht; ich werd’
auch die gnädige Gräfin
Nöthigen. Dann mir gelacht nach Her-
zensluſt, und geplaudert:
Seis in der Laub’ am Bach, ſeis unter
dem blühenden Birnbaum,
Der beim leiſeſten Wind’ uns weiſs die
Schüſſel beregnet.
Aber, in aller Welt! was tragen Sie unter
dem Mantel?
[105]ZWEITE IDYLLE
Und die geprieſene Gräfin Amalia sagte
dagegen:
Eya, wüſsten Sie das, mein Mütterchen;
gerne vielleicht wohl
Würde die Luſt mir gegönnt, die Luiſ’
aus dem Bette zu holen.
Einen Talar voll Würde, zur Feſtſamarie,
bring’ ich,
Aus gewäſſertem Taft, und zwölf anſehn-
liche Befchen.
Anziehn ſoll er es heut’, um recht amts-
mäſsig und ehrbar
Auszuſehn. Nur Schad’ um die fehlende
Prieſterperrüke,
Und das gekräuſelte Rad! Gar lächerlich
ſchreitet ein Neuling
Unter dem langen Gewand’, und hebt den
hindernden Saum auf.
[106]LUISE
So die fröhliche Gräfin Amalia; ſchnell
dann entflog ſie
Leichteres Gangs in die Stube, wo ſchon
mit dem Greiſe der Jüngling
War in tiefem Geſpräch von Gelehrſam-
keit, und von der Zeitung.
Leiſe die Thür’ aufſchlieſsend, wie abge-
wendet ſie ſtanden,
Sprang ſie hinan, und grüſste den froh
umſchauenden Jüngling.
Aber das Mütterchen ſtieg die Treppe
hinauf nach der Kammer,
Wo die raſche Luiſe noch ſchlummerte;
trat dann behutſam,
Auf den Zehn ſich wägend, damit nicht
knarrte der Boden.
Und ſie erblickt’ im Bette die roſenwan-
gige Tochter,
[107]ZWEITE IDYLLE
Welche ſich über der Deck’ in völligem
Schmucke gelagert,
Weiſs, wie den geſtrigen Tag, im röthen-
den Glanz der Gardine.
Jezo, wie ſanft ihr Kind aufathmete,
ſtand ſie betrachtend,
Neigte ſich, küſste die Wang’, und begann
mit leiſem Gefliſter:
Was? unartiges Kind, Langſchläſerin!
träumſt du noch jezo,
Daſs die Wangen dir glühn? und ſogar
in völligem Anzug?
Wahrlich allzu bequem! Hoch ſteht an
dem Himmel die Sonne;
Längſt auch zirpte die Schwalb’, und der
Sauhirt tutet im Dorf um;
Kinderchen, glaub’ ich ſogar, mit dem
Frühſtück gehn in die Schule.
[108]LUISE
Mädchen, heraus! und muſtre die friſch
entfalteten Blumen;
Auch ob die Roſ’ in dem Topf am Mor-
genſtral ſich geöfnet.
Binde den thauigen Strauſs, und leg’ ihn
behend’ in den Alkov;
Daſs dein Vater ſich freu’ und wundere,
wann er erwachet,
Dann nach der Thäterin frag’, und, wie
artig du ſeiſt, dir erzähle.
Dein geperletes Hühnchen hat ſchon im
Stalle gekakelt;
Eil’, und ſuche das Ei, eh dirs abhole
der Iltis.
Aber du ſchläfſt mir, Dirne, mit duften-
den Blumen im Zimmer!
Schädlich ja ſind ſie dem Haupte, zumal
die Muskathyacinthen!
[109]ZWEITE IDYLLE
Alſo redete jene; da fuhr aus dem
Schlafe die Jungfrau,
Blickte verſtört umher, und ſeufzete tief
aus dem Herzen.
Jezo die glühende Wange dem Arm auf-
ſtüzend, begann ſie:
Biſt du’s, liebe Mama? O wie kam
das? Hat denn der böſe
Blumenduft mich betäubt? Ein Strauſs
am offenen Fenſter,
Meint’ ich, ſchadete nicht; und es ſind
faſt lauter Aurikeln.
Geſtern ſtörte die Schwül’ am Schlafe mich.
Als nun der Wächter:
Ein iſt die Glock’! ausrief; mit Verdruſs
nun ſprang ich vom Lager,
Kleidete mich, und ſahe die funkelnden
Stern’ aus dem Fenſter,
[110]LUISE
Vom anhauchenden Winde gekühlt, und
die Gegend im Mondſchein:
Wo der Nachtigall Lied ringsum wettei-
fernd ertönte,
Und der Geſang auf der Bleich’, und die
einſame Flöte des Schäfers;
Sahe des Thals grau ziehenden Duft, und
des plätſchernden Baches
Helle Flut, und den Himmel von Wetter-
leuchten durchſchlängelt.
Endlich nahte der Schlaf; und niederge-
legt in den Kleidern,
Schlummert’ ich ein allmählich, und hört’
im Traume noch immer
Nachtigallengeſang, und der wehenden
Linde Geſäuſel.
Aber ein ſehr unruhiger Schlaf! O du
beſte der Mütter,
[111]ZWEITE IDYLLE
Sage mir, ob an dem Walde Georg ſchon
blaſen gehöret!
Lag ich zu tief mit dem Haupte? Mir
ſchlägt das Herz ſo gewaltig!
Lächelnd erwiederte drauf die alte ver-
ſtändige Hausfrau:
Schlägt dir das liebe Herz, mein Töch-
terchen? Klas hat die Zeitung
Eben gebracht. Sie erzählt von Amerika,
und von Gibraltar,
Auch von dem Parlement, und der Reiſe
des heiligen Vaters.
Eiferig lieſt der Papa, und vergaſs, ſich
die Pfeife zu ſtopfen.
Auch iſt unten ein Brief an die Jungfrau
Anna Luiſe;
Walters Hand, wie ich glaube; doch geb’
ichs nicht für Gewiſsheit.
[112]LUISE
Wieder begann liebkoſend die freund-
liche ſchöne Luiſe:
Wirklich ein Brief? Du lächelſt. O Müt-
terchen, ſei nicht grauſam!
Denke, was ſoll ich doch mit Amerika,
oder Gibraltar,
Oder dem Parlement, und der Reiſe des
heiligen Vaters?
Sage, du warſt auch Braut! o ſage mir,
iſt er ſchon unten?
Ihr antwortete drauf die alte verſtän-
dige Hausfrau:
Tochter, ich will dirs ſagen, auf Ehrlich-
keit. Eben beſucht’ uns
Einer im Reiſegewand’, und bracht’ ein
türkiſches Rohr mit,
Roſenholz, und den Kopf aus Siegelerde
von Lemnos,
[113]ZWEITE IDYLLE
Unſerem Vater zur Luſt: ein wohlgearte-
ter Jüngling,
Hoch und ſchön von Geſtalt, der gar
nicht prieſterlich ausſieht.
Dieſer erkundigte ſich, wie Gebrauch iſt,
nach der Geſundheit
Unſerer lieben Mamſell; auch Amalia,
welche hereintrat,
Grüſst’ er, wie lange bekannt. Komm ſelber,
mein Kind, und betracht’ ihn.
Alſo Mama; und im Taumel entſprang
dem Lager die Jungfrau,
Schmiegte die Arm’ ihr feſt um den Hals,
und mit feurigen Küſſen
Unterbrach ſie die Red’, in dem Laut der
Begeiſterung rufend:
Mütterchen, freue dich doch! Du ſollſt
auch die beſte Mama ſein!
H
[114]LUISE
Sollſt auch die Braut aufpuzen, und tan-
zen auf unſerer Hochzeit!
Sollſt auch ſelber noch Braut, und Bräu-
tigam werden der Vater!
Hurtig hinab, ihn zu ſehen, den wohlge-
arteten Jüngling!
Ihr antwortete drauf die alte verſtän-
dige Hausfrau:
Mädchen, du biſt wahnſinnig! Zum Bräu-
tigam geht man ehrbar,
So wars Sitte vordem, mit niedergeſchla-
genen Augen!
Schwärmerin, willſt du auf Socken hinab-
gehn? Ziehe die Schuh’ an!
Und wie das Halstuch hängt! Fi, ſchäme
dich, garſtige Dirne!
Alſo ſchalt die Mama; und das Töch-
terchen, lieblich erröthend,
[115]ZWEITE IDYLLE
Hüllete ſchnell in die Seide den ſchön
aufwallenden Buſen;
Schnallte ſich dann, oft fehlend, mit zit-
ternden Händen die Schuhe
Feſt um die zierlichen Füſs’, und entei-
lete. Bange vor Sehnſucht
Flog ſie die Stufen hinab; und die Trep-
penthüre ſich öfnend,
Kreiſchte ſie auf; denn begrüſst von der
wartenden Freundin Gelächter,
Sank ſie, ach! in die Arme des überseli-
gen Jünglings.
[][]
LUISE
DRITTE IDYLLE
DER BRAUTABEND
[][]
LUISE
DRITTE IDYLLE
DER BRAUTABEND
Wer den redlichen Pfarrer von Grünau
neulich beſucht hat,
Kennt die geräumige Stube, wo ſonſt ein
thönernes Eſtrich
Schreckt’, und ein luftiger groſser Kamien,
rundſcheibige Fenſter,
Blind vor Alter und Rauch, voll farbiger
Wapen der Vorzeit,
Auch altfränkiſche Thüren, und mancher
beſchimmelte Wandſchrank.
[120]LUISE
Aber des frommen Greiſes Ermahnungen
rührten das Kirchſpiel
Endlich: da ward ſie gebaut zu edlerer
Gäſte Bewirtung,
Rings mit Tapeten geſchirmt, mit wär-
menden Bohlen gepflaſtert,
Einem zierlichen Ofen geſchmückt, und
engliſchen Fenſtern,
Nach dem Garten hinaus und des Sees
hochwaldiger Krümmung.
Wer ihn jezo beſucht, dem zeiget er ger-
ne die Ausſicht,
Jede Bequemlichkeit und Verſchönerung,
ſchäzet des Baues
Koſten, und rühmt die Häupter des Kirch-
ſpiels. Rings an den Wänden
Hangen die Bilder umher der Familie, je-
des nach alter
[121]DRITTE IDYLLE
Sitte geſchmückt: die Männer mit aufge-
ſchlagener Bibel;
Und den Fraun in der Hand ein Röſelein
oder ein Pfirſich.
Hier, von der herbſtlichen Flur voll
ſchimmerndes Mettengewebes
Heimgekehrt, verweilten in Ruh die gnä-
dige Gräfin,
Und die geprieſene Tochter Amalia, Karl
und der Jüngling,
Welcher an Walters Statt ihn lehrete.
Horchend umringten
Dieſe das helle Klavier; denn der Bräuti-
gam ſang in der Saiten
Bebenden Ton, o Schulz, die Begeiſte-
rung deines Geſanges.
Oft auch miſchten Luiſ’ und Amalia fröh-
lich die Stimmen
[122]LUISE
In den Geſang; und den Baſs, wo es nö-
thig war, brummte der Vater.
Jezo kam aus der Küche die alte verſtän-
dige Hausfrau,
Nahte sich, klopfete ſanft auf Amaliens
Schulter, und ſagte:
Buch zu! Weiſs nicht die Jugend, man
kuckt ſich blind in der Dämmrung?
Und noch lange bedarf ſie der Äugelein.
Reiche den Fruchtkorb,
Liebes Kind, und ſchäle mit deinem ſil-
bernen Meſſer.
Gieb Amalien dort den geſprenkelten Gra-
venſteiner,
Welchen ſie liebt; auch denk’ ich, die
Bergamott’ iſt nicht übel,
Und die franzöſiſche Birne, die weiſse
ſowohl wie die graue.
[123]DRITTE IDYLLE
Schön ſind die Trauben dies Jahr und die
Pfirſiche, groſs und balſamiſch!
Aber wiſchen Sie, Karl, den blauen Duft
von den Pflaumen;
Fühlen Sie ſolche heraus, die vom Steine
los und am Stengel
Runzelich sind: friſch hat ſie mein Hans
von dem Baume geſchüttelt.
Töchterchen, ſchaff’ auch Licht, und den
grünen Schirm für die Gräfin.
Denn ich darf doch hoffen, ſie gönnen
uns ihre Geſellſchaft
Heute bei Butterbrot; wir gebens ſo gut
wir es haben.
Jene ſprachs; ihr erwiederte drauf die
geſellige Gräfin:
Selber uns einzuladen, gedachten wir.
Aber kein Aufwand!
[124]LUISE
Jezo redeteſt du, ehrwürdiger Pfarrer
von Grünau:
Mutter, man teuſcht ſich leicht mit Er-
wartungen; rede die Wahrheit.
Butterbrot bedeutet ein Paar Kramsvögel
und Droſſeln,
Etwa mit Apfelmus; nach dem Sprich-
wort muſs es dabei ſein.
Ferner klatſcht’ in dem Zuber ein ſchwärz-
liches Ding wie ein Sandart,
Oder auch zween, wie mir dauchte; doch
das iſt bloſse Vermutung.
Aber für Karl erſcheinet ein irdener Napf
mit Kartoffeln,
Klar wie Kriſtall, in der Hülſ’, an Ge-
ſchmack den Kaſtanien ähnlich,
Aus holländiſcher Saat. Auch ein Marſch-
käſ’ ohne Vergleichung
[125]DRITTE IDYLLE
Ladet den Durſt. Dann plötzlich erfreut
uns der purpurne Kohlkopf,
Unſer Freund! zur Ehre des Prieſterthu-
mes mit Biſchof
Angefüllt. O wie kommts? mir iſt heute
ſo wohl und behaglich,
Als wenn man irgend was gutes vollen-
dete, oder auch vorher!
Alſo der feurige Greis, und verſchob
das ſamtene Käppchen,
Welches die Glaz’ ihm hüllt’ in des hei-
ligen Amtes Verwaltung,
Wann er im grauenden Haar dir glich,
mildredender Spener.
Zwar die Gräfin begehrt’, und Amalia,
töchterlich ſchmeichelnd,
Daſs er die wärmende Müz’ aufſezt’ als
Vater des Hauſes,
[126]LUISE
Und ſich den Feſtſchlafrock anlegete; doch
er verſagt’ es.
Aber nachdem Luiſe das Obſt geſchält
und genöthigt;
Raſch enteilte ſie nun zum Schrank in
der täglichen Stube,
Nahm die ſilbernen Leuchter, und fügt’
auf jeden ein Wachslicht:
Welche die häusliche Frau vornehmeren
Gäſten nur anbot,
Etwa dem Probſt beim Kirchenbeſuch,
und der gnädigen Gräfin,
Und wann ihr Hochzeitfest ſie erfreuete,
und ein Geburtstag.
Dieſe nahm ſie heraus, und die ſtälernen
Schneuzen mit Federn,
Eilete dann in die Küch’, und ſprach zu
der treuen Suſanna:
[127]DRITTE IDYLLE
Zünde die Lichter mir an, und trage
ſie, liebe Suſanna,
Flugs in die Stub’, auch bringe den grü-
nen Schirm für die Gräfin.
Ich nun ſteig’ in den Keller hinab, und
hole zum Biſchof
Rothen Wein, Pomeranzen, und unſeren
purpurnen Kohlkopf.
Zucker ſteht in der Kammer genug; und
das übrige weiſst du.
Ihr antwortete drauf die gefällige treue
Suſanna:
Gleich, mein Jüngferchen, gleich! Nur
erſt die reinliche Schürze
Bind’ ich vor; ſonſt könnte mich leicht
auslachen die Herſchaft.
Als nun Luiſ’ aus dem Keller empor-
ſtieg, ſchwer belaſtet;
[128]LUISE
Kam die fröhliche Gräfin Amalia hinter
Suſanna
Schnell aus der Thür’, und begann zu der
rosenwangigen Jungfrau:
Komm ein wenig hinauf in das Kämmer-
lein! Dir ja geziemt nicht,
Uns in der Küche das Mahl zu beſchleu-
nigen, gute Luiſe!
Schau, wie die Sichel des Mondes, die
blank hinſchwebet wie Silber,
Grad’ in die Fenſter dir blinkt; es plau-
dert ſich lieblich im Mondſchein.
Drinnen halten ſie Rath, den verödeten
Garten in Seldorf
Anzubaun. Trit leiſe; der Bräutigam
möchte dir nachgehn.
Jene ſprachs; da reichte die Braut der
treuen Suſanna,
[129]DRITTE IDYLLE
Was ſie trug, in die Händ’ und ermahnte
ſie. Jezo der Freundin
Folgte ſie, leiſ’ auftretend, und ſchalt die
knarrenden Stufen.
Als ſie nunmehr eingingen zur traulichen
Kammer im Mondſchein,
Hand in Hand, wo ſie oft des gemeinſa-
men Werks ſich gefreuet,
Oder des geiſtigen Buchs, und des ſtille-
ren Mädchengeſpräches;
Jezo begann Luiſe, gewandt zu der trau-
ten Geſpielin:
Seze dich hier in den Seſſel, Amalia,
wo ich ſo manchmal
Neben dir ſaſs. Bald trennt uns die bit-
tere Stunde des Abſchieds!
Alſo ſprach wehmütig die Braut, und
drückte die Hand ihr,
I
[130]LUISE
Innig. Da trat an das Fenſter Amalia,
blickte den Mond an,
Und das Gewölk, das flüchtig mit wech-
ſelndem Glanz ihn vorüber
Wallete, jezt ihn enthüllt’, und dunkeler
jezo dahinzog;
Und wie der Wind auf dem Hofe das
gelbe Laub von den Bäumen
Wirbelte, wogt’ und zerſtreute, mit ſchau-
erlichem Geraſſel:
Sinnend ſtand ſie, und ſchwieg; und der
Mond beglänzte die Thräne,
Die auf roſiger Wang’ ihr zitterte. Aber
ſie hielt ſich,
Wandt’ ihr Geſicht ins Dunkel, und ſprach
mit erzwungenem Leichtſinn:
Rede, wie Bräuten geziemt, was fröh-
liches, nicht von dem Abſchied,
[131]DRITTE IDYLLE
Trautes Kind! und zumal am heiligen Pol-
terabend,
Da ſchon Kammer und Bette zur Hoch-
zeitfeier geſchmückt iſt!
Schad’ um die kleine Luiſe, das jugend-
lich hüpfende Mägdlein,
Daſs es ſo bald Hausmütterchen wird,
und dem Manne gehorſam!
Männer küſſen nicht mehr mit Beſchei-
denheit, oder erröthend;
Herriſch umarmt die Gattin der Herr Ge-
mahl, und zerküſst ihr,
Oft mit ſtechendem Kuſſe, die Wängelein,
wann es ihm einfällt:
Alles nach Pflicht und Geſez, und endlich
muſs ſie noch wiegen.
Sage, wie bogſt du den Nacken ſo willig
ins Joch, da du ſchön biſt?
[132]LUISE
Drohend erwiederte drauf die freund-
liche ſchöne Luiſe:
Spötterin, nicht ſo getrozt! Dir glühn
die ſchelmiſchen Äuglein
Nicht umſonſt; und ich fühle, wie mäch-
tig es hier in dem warmen
Wallenden Buſen dir pocht. Ein Jüng-
ferchen ſtreubet ſich minder,
Und ein anderes mehr; doch folgen ſie
alle nicht ungern.
Warum hülfe man doch ſo ämſiglich, um
der Geſpielin
Ihr hochzeitlich Gewand zu fertigen, oder
den Brautkranz
Froh, mit leiſem Geſang’ und Seufzerchen,
und mit Gelächter?
Aber du muſst doch ſehen, wie unſere
ſchöne Beſezung
[133]DRITTE IDYLLE
Von natürlichem Mooſ’ und taftenen Pur-
purroſen
Auf dem ſchimmernden Atlas ſich aus-
nimt. Heut in der Frühe
Hab’ ich geheim vollendet, damit nicht
Walter mich ſtörte.
Alſo Luiſ’, und erhob das milchweiſs
ſchimmernde Brautkleid
Aus der Kommod’, und zeigt’ es am mat-
teren Strale des Mondes.
Lange beſah es entfaltend Amalia; jezo
begann ſie:
Kind, ich beneide die Pracht! Nun
danke du meiner Erfindung!
Aber wir ſollten doch ſehn, wie es aus-
ſieht, wann dich der Vater
Morgen bei uns antraut, in dem ſtattli-
chen Ehrengewande.
[134]LUISE
Steht nicht dort am Fenſter ein Myrten-
bäumchen zum Brautkranz?
Lächelnd erwiederte drauf die roſen-
wangige Jungfrau:
Was du für Tand ausſinnſt, Mutwillige!
Soll ich zulezt noch
Mädchenhaft mit meiner Amalia spielen
und albern?
Krampe die Thüre nur zu; der Bräuti-
gam möchte mir nachgehn.
Sprachs, und nahm von dem Haupte
den ſchöngeformeten Filzhut,
Weiſs und ſamtener Weiche, mit bräun-
lichen Zotten gerändet;
Löſete dann ihr Kaſtanienhaar, das in glän-
zenden Ringeln
Über die Schulter ſich goſs, unentſtellt
vom Staube des Mehles.
[135]DRITTE IDYLLE
Aber Amalia ſtand, und ſchlichtete ſanft
ihr die Locken
Mit weitzahnigem Kamm, und freute ſich
ihres Geringels;
Ordnete dann und flocht, nach der Sitte
der attiſchen Jungfraun:
So wie Praxiteles einſt und Phidias Mäd-
chen des Himmels
Bildeten, oder ſich ſelber die Muſ’ An-
gelika mahlet:
Alſo ſchuf ſie das lockre Geflecht, das,
in Wellen ſich blähend,
Mit nachläſſiger Schwingung zurück auf
die Scheitel gerollt war.
Aber des Nackens Weiſs’ umflatterte zar-
tes Gekräuſel,
Gleichſam entflohn; und vorn, um Hals
und Schulter ſich windend,
[136]LUISE
Schlängelten ihr zwo Locken hinab auf
den wallenden Buſen.
Jezo brach ſie Geſproſs von der Myrten-
ſtaud’ an dem Fenſter,
Band es ründend mit Seid’, und kränzte
dich, edle der Jungfraun,
Selber würdig des Kranzes, dich würdige!
ſanft nun umſchlang ihn
Welliges Haar ringsum, es verbarg ihn
hinten die Flechte.
Und Amalia neigte ſich hold, anredend
die Jungfrau:
Bräutchen, das Haupt iſt geſchmückt, wie
den Grazien, und wie der Hebe,
Wenn ſie im Frühlingstanz ſich vereini-
gen um Afrodite.
Jezt mit dem ſchönen Gewand’ umhülle
dich. Aber zum Brautſchmuck
[137]DRITTE IDYLLE
Stünden ein feineres Hemd und ſeidene
Strümpfe nicht unrecht.
Nickend erwiederte drauf das roſen-
wangige Mägdlein:
Groſsen Dank! ich trage mein Hemd, wie
es wackeren Jungfraun
Ziemt, beſtändig von feiner und ſelbſtge-
ſponnener Leinwand!
Schaue nur hier am Halſe! Wozu denn
das ſaubere Spinnrad,
Welches Papa mir geſchenkt, die zarte-
ſten Flocken zu ſpinnen,
Während er lieſt im Geſurr am heimlichen
Winterabend,
Oder Geſchichten erzählt! Dein Scherz
mit den ſeidenen Strümpfen
Ginge noch wohl, wenn dirs, Brautjüng-
ferchen, alſo gelüſtet.
[138]LUISE
Sprachs, und holte die Strümpf’, und
die feſtlichen Schuhe von Atlas,
Wandte ſich weg, und ſtreifte der Baum-
woll’ helles Gewirk ab,
Hüllete flugs in die Seide die zartgerün-
deten Füſschen,
Sittſam, nahete dann; und die ſilbernen
Schnallen im Mondſchein
Funkelten. Raſch nun warf ſie das leichte
Gewand von der Schulter,
Fein und olivengrün, umglänzt von ſtä-
lernen Knöpfen,
Über die Lehne des Stuhls; und nahm
aus den Händen der Freundin
Ihr hochzeitlich Gewand, mit Moos um-
bordet und Rosen:
Welches den lieblichen Wuchs nachah-
mete, ſanft anſchlieſsend;
[139]DRITTE IDYLLE
Nicht mit der gaukelnden Mod’ unförm-
lichem Wulſte die Hüften
Laſtete. Eilig bedient von Amalia, ſchlüpf-
te die Jungfrau
In das Gewand; mit Gerieſel hinab zu den
Ferſen entwallt’ es,
Hell vom Monde beglänzt; und ſie ſchnürt’
es behend’ um den Buſen,
Welcher, des Zwangs unwillig, ſich hob
voll üppiger Jugend;
Und wie ein flieſsender Duft umhüllt’
ihn der florene Schleier:
Alſo ſchwebt in Nächten des Mais um
die Scheibe des Mondes
Oft ein dünnes Gewölk, den äuſseren
Rand nur enthüllend.
Aber Amalia küſste die Braut, und ſagte
mit Inbrunſt:
[140]LUISE
Du holdſeliges Mädchen! Wie ſchlank
und erhabenes Wuchſes
Wandelt ſie, anmutsvoll, als ſchwebte ſie!
Und o wie lieblich
Dieſes Engelgeſicht, und die Roſenwange
voll Unſchuld,
Und dies glänzende Blau der Äugelein!
Willſt du mich anſehn!
Komm und ſchau in den Spiegel, und ſchä-
me dich, daſs du ſo ſchön biſt!
Trauteſte, nim das Gehenk, noch warm
vom Buſen der Freundin,
Zum Andenken von mir: mein Nam’ aus
eigenem Haar iſt
Vorne geſchränkt, und hinten die ſchön-
geflochtene Locke:
Daſs du, den Schmuck anlegend, auch
fern dich meiner erinnerſt.
[141]DRITTE IDYLLE
Sprachs, und band der Freundin das
ſchöne Gehenk um den Nacken,
Das, den goldenen Bord eirund mit Per-
len umringet,
Unter geſchlifnem Kriſtalle das Haar und
den Namen beſchirmte.
Und ſie umarmten einander, die zwo
gleichherzigen Jungfraun,
Heftig mit langem Kuſs, und gelobeten
ewige Freundſchaft;
Heiſs vordringende Zähren vermiſchten
ſich. Aber mit einmal
Klopfte der Bräutigam an, und aufzu-
ſchlieſsen verſuchend,
Rüttelt’ er. Siehe da ſprang Amalia ſchnell
nach der Thüre
Lachend, und krampte ſie auf; und der
Bräutigam trat in die Kammer.
[142]LUISE
Jene nun faſste die Braut, wie ſie bebend
ſtand und erröthend,
Wild an der Hand, und ſtellte ſie dar
dem erſtaunenden Jüngling.
Jezo begann, ſich neigend, Amalia, fröh-
liches Mutes:
Bräutigam, ſo wird morgen Luiſ’ aus-
ſehen im Brautſchmuck.
Macht’ ich es recht? Aufmerkſam geſchaut,
ob das Mädchen auch ſchön iſt!
Jene ſprachs; doch der Bräutigam ſtand
ſprachlos und verſtummend.
So wie ein ländlicher Mann, dem das
Herz mit ſüſser Entzückung
Menſchlichkeit nährt’ und Natur, und der
Kunſt nachahmende Schönheit,
Fröhlich den Apfelbaum in voller Blüte
betrachtet,
[143]DRITTE IDYLLE
Welchen er ſelber gepflanzt an der Lieb-
lingsſtelle des Gartens;
Lange freut’ er ſich ſchon, wie er knoſ-
pete; plözlich entrief ihn
Fern in die Stadt ein Geſchäft; doch den
heimgekehrten Vollender
Führt ſein Weib in den Garten, und zeigt
ihm den blühenden Fruchtbaum,
Der voll röthlicher Sträuſse, beglänzt vom
Golde des Abends,
Daſteht, ſchauernd im Weſt, und mit lieb-
lichem Duft ihn umwehet;
Staunend betrachtet er lang’, und umarmt
die liebende Gattin:
Alſo ſtaunt’ auch der Jüngling dem An-
blick ſeiner geſchmückten
Blühenden Braut; es empört’ ihm das Herz
bangathmende Wolluſt.
[144]LUISE
Aber die Arm’ ausbreitend mit Innigkeit,
ſank ihm die Jungfrau
Schnell an die Bruſt; und die Seelen der
Liebenden floſſen, von Himmels-
Wonne berauſcht, im langen und beben-
den Kuſs in einander.
Endlich begann die schöne Luiſ’, auf-
ſchauend zum Jüngling:
Aber du haſt mich doch lieb, mein Bräu-
tigam? Steht mir der Anzug
Gut? und bin ich auch hübſch? Amalia
hat mich verleitet!
Alſo die Braut; da begann mit herzli-
cher Stimme der Jüngling:
Schön iſt meine Luiſ’, und hold, wie ein
Engel des Himmels!
Wende den ſchmachtenden Blick, du Her-
liche! oder ich küſſe
[145]DRITTE IDYLLE
Dir die Äugelein zu, die mir die Seele
bezaubern!
O du mein auf ewig! Nur wenige Stun-
den, und ewig
Sind wir vereint; und der Segen des red-
lichſten unter den Vätern
Folgt uns nach, und der Segen der red-
lichſten unter den Müttern!
Aber komm doch hinunter, du ſüſse Braut!
Dein liebes
Väterchen muſs ſich ja freun, und Müt-
terchen, daſs du ſo ſchön biſt!
Alſo ſprach der Jüngling, und ahndete
nicht, was bevorſtand.
Schnell dann am Arme gefaſst entführt’
er ſie, welche vergebens
Schuz von Amalia flehte, mit ſanfter Ge-
walt aus der Kammer.
K
[146]LUISE
Als nun ſcherzend’ der fröhliche Zug die
Treppe hinunter
Polterte, eilt’ aus der Küche Mama zu
ſehn, was da wäre.
Voll Verwunderung rief die alte verſtän-
dige Hausfrau:
Seht doch in aller Welt! was mir das
mutwillige Kinder
Sind! Juchheien ſie nicht, wie die Vöge-
lein, wann ſie im Frühling
Neſter baun? Nur Geduld! du kömmſt
noch früh aus dem Brautkranz
Unter die Haube, mein Kind! Dann ſizt
man ruhig, und brütet!
Geht nun verſtändig hinein, Unartige!
daſs ſich der Vater
Freu’, und die gnädige Gräfin, wie ſchmuck
das Töchterchen ausſieht,
[147]DRITTE IDYLLE
Unter dem Ehrenkranz! Der Bräutigam
führe ſie ehrbar!
Ihr antwortete drauf die roſenwangige
Tochter:
Schilt die Amalia doch, die Verführerin!
Mutter, ſie taugt nicht!
Aber das Mütterchen drehte den Grif
von blinkendem Meſſing,
Lieſs vor ſich die Kinder hineingehn,
folgte dann selber.
Plözlich entflog aus des Bräutigams Hand
die blühende Jungfrau,
Hüpfte hinan, und ſchlang ſich mit bei-
den Armen dem Vater
Feſt um den Hals, und küſste den Mund,
und küſste die Wang’ ihm,
Auch die Stirn’, und ruhte, mit unaus-
ſprechlicher Regung,
[148]LUISE
Heiſs die Wang’ und bethränt, an der
Wange des ſtaunenden Greiſes.
Sprachlos drückte der Greis an das klop-
fende Herz ſein geliebtes
Töchterchen; laut nun rief er im ſtam-
melnden Ton der Entzückung:
Gottes Segen mit dir, holdſeliges, al-
lerliebſtes
Töchterchen; Gottes Segen auf dieſer Erd’
und im Himmel!
Ich bin jung geweſen, und alt geworden’;
und vielfach
Hab’ ich Freude von Gott, und vielfach
Kummer geſchmecket,
Im abwechſelnden Leben, und Gott ge-
danket für beides!
Gerne will ich nunmehr mein graues Haupt
zu den Vätern
[149]DRITTE IDYLLE
Niederlegen ins Grab: denn meine Toch-
ter iſt glücklich!
Glücklich, weil ſie es weiſs, daſs unſer
Gott, wie ein Vater,
Seiner Kindelein pflegt, durch Freud’ und
Kummer uns ſegnet!
Wunderbar regt ſich mein Herz beim An-
blick einer geſchmückten
Jungen Braut, wie ſie hüpfend, in holder
kindlicher Einfalt,
An des Bräutigams Hand den Pfad durchs
Leben beginnet:
Alles zu tragen gefaſst in Einigkeit, was
auch begegnet,
Ihm mitfühlend die Luſt zu erhöhn, zu
erleichtern die Unluſt,
Und, wills Gott, von der Stirne den lezten
Schweiſs ihm zu trocknen!
[150]LUISE
Eben ſo wallete mirs von Ahndungen, als
nach der Hochzeit
Ich mein jugendlich Weib heimführete.
Freudig und ernſtvoll
Zeigt’ ich ihr am Moore die Grenzſtein’
unſeres Feldes,
Jezo den Kirchenthurm und die Wohnun-
gen, jezo das Pfarrhaus,
Wo uns beiden ſo manches bevorſtand,
gutes und böſes!
Du, mein einziges Kind! denn in Weh-
muth denk’ ich der andern,
Wann mein Gang zur Kirch’ an der blu-
migen Gruft mich vorbeiführt!
Bald, du Einzige! wirſt du auf jenem We-
ge dahinziehn,
Welchen ich kam; bald ſteht mir des Töch-
terchens Kammer verödet,
[151]DRITTE IDYLLE
Und des Töchterchens Stelle bei Tiſch;
ich horche vergebens
Ihrer Stimm’ in der Fern’, und ihrem kom-
menden Fuſstritt.
Wenn du mit deinem Mann auf jenem
Wege dahinziehſt;
Schluchzend werd’ ich und lange mit hei-
ſsen Thränen dir nachſehn!
Denn ich bin Menſch und Vater, und habe
mein Töchterchen herzlich,
Herzlich lieb! und mich liebt mein Töch-
terchen eben ſo herzlich!
Aber ich werde getroſt mein Haupt auf-
heben zum Himmel,
Trocknen mein Angeſicht, und, feſt die
Hände gefaltet,
Mich im Gebete vor Gott demütigen, der,
wie ein Vater,
[152]LUISE
Seiner Kindelein pflegt, durch Freud’ und
Kummer uns ſegnet!
Sein iſt auch das Gebot, des Liebenden:
„Vater und Mutter
„Soll verlaſſen der Menſch, daſs Mann
und Weib ſich vereinen.“
Geh denn in Frieden, mein Kind; vergiſs
dein Geſchlecht, und des Vaters
Wohnungen; geh an der Hand des Jüng-
linges, welcher von nun an
Vater und Mutter dir iſt! Sei ihm ein
fruchtbarer Weinſtock
Um ſein Haus; die Kinder um euren Tiſch,
wie des Ölbaums
Spröſslinge! So wird geſegnet ein Mann,
der dem Herrn vertrauet!
Lieblich und ſchön ſein iſt nichts; ein
gottesfürchtiges Ehweib
[153]DRITTE IDYLLE
Bringet Lob und Segen! Denn bauet der
Herr das Haus nicht,
Dann arbeiten umſonſt die Bauenden! …
Mutter, was ſagſt du?
Soll ich ſie traun? Nicht beſſer ja iſt der
morgende Tag uns!
Alſo der Greis; laut weinte, die Händ’
auffaltend, die Mutter;
Laut auch weinte Luiſ’, und barg an dem
Vater das Antliz;
Auch der Bräutigam weint’; es weint’ Ama-
lia ſeitwärts.
Selbſt die alternde Gräfin bezwang nicht
länger die Thräne,
Eingedenk des guten Gemahls, und wie
viel ſie erduldet.
Endlich begann aufſchluchzend die alte
verſtändige Hausfrau:
[154]LUISE
Traue ſie, Mann, im Namen des all-
barmherzigen Vaters.
Jezo erhob ſich vom Size der würdige
Prediger Gottes,
Feierlich; hieſs die Braut, wie ſie bebend
ſtand und erröthend,
Ihm zur Rechten ſich ſtellen, und links
den ſtaunenden Jüngling;
Wandte ſich drauf zu dem Jüngling, und
ſprach mit erhobener Stimme:
Lieber Sohn, ich frage vor Gott und
dieſer Verſammlung.
Wählt er mit ernſtem Bedacht zur ehli-
chen Gattin die Jungfrau
Anna Luiſe Blum? Verſpricht er, als
chriſtlicher Ehmann,
Freude mit ihr und Kummer, wie Gott
es fügt, zu ertragen,
[155]DRITTE IDYLLE
Und ſie nicht zu verlaſſen, bis Gott euch
väterlich ſcheidet,
Unter den Seligen euch zu vereinigen
immer und ewig?
Alſo der Greis; und Ja antwortete
freudig der Jüngling.
Drauf zu der blühenden Braut, die an-
noch ihr thränendes Antliz
Trocknete, wandt’ er die Red’, und ſprach
mit erhobener Stimme:
Tochter, ich frage dich auch vor Gott
und dieſer Verſammlung.
Wählſt du mit ernſtem Bedacht zum ehli-
chen Gatten den Pfarrer
Arnold Ludewig Walter? Verſprichſt du,
als chriſtliches Ehweib,
Freude mit ihm und Kummer, wie Gott
es fügt, zu ertragen,
[156]LUISE
Und ihn nicht zu verlaſſen, bis Gott euch
väterlich ſcheidet,
Unter den Seligen euch zu vereinigen
immer und ewig?
Alſo der Greis; und Ja antwortete leiſe
die Jungfrau.
Weiter redeteſt du, ehrwürdiger Pfarrer
von Grünau:
Kinder, gebt euch die Hand; die ge-
wechſelten Ringe der Treue
Habt ihr ſeit der Verlobung bereits in
Liebe getragen.
Jener ſprachs, und legt’ auf des Jüng-
linges Hand und der Jungfrau
Seine bebende Hand, und ſprach mit er-
hobener Stimme:
Kinder, ich ſegne hiemit als Diener
des göttlichen Wortes,
[157]DRITTE IDYLLE
Segne mit allen Segen des allbarmherzi-
gen Gottes,
Euren ehlichen Bund! Euch hat der Va-
ter im Himmel
Beide zuſammengefügt; kein Menſch ver-
mag euch zu ſcheiden.
Segn’ und behüt’ euch der Herr! der Herr
erleuchte ſein Antliz
Gnädig euch! es erhebe der Herr ſein
Antliz, und geb’ euch
Seinen Frieden alhier, und dort in Ewig-
keit! Amen.
Alſo rief er, und ſchloſs die erſchrok-
kene Braut und den Jüngling
Beide zugleich in die Arme, ſein Herz
voll ſtürmiſcher Wehmut,
Hielt ſie lange verſtummt, und herzte ſie.
Aber die Mutter
[158]LUISE
Nahete jetzt, und im Laute der innigſten
Rührung begann ſie:
Väterchen, haſt du genug? Mir her!
Sie gehören mir auch zu!
Sprachs, und entriſs die Kinder dem Arm
des liebenden Vaters;
Und an die Bruſt ſie drückend mit Hef-
tigkeit, eins nach dem andern,
Küſste ſie Stirn’ und Wangen und Mund,
ausrufend den Glückwunſch:
Trauteſte, kommt an mein Herz! Gott
ſegne dich, trauteſte Tochter!
Trauteſter Sohn! Gott ſegn’ euch! der
Stifter des heiligen Ehſtands!
Wachſet und grünt, wie die Bäum’ an
Waſſerbächen, und bringet
Früchte zu ſeiner Zeit. Der gute Geber
beſcher’ euch,
[159]DRITTE IDYLLE
Was euch frommt: im Glücke genügſame
Herzen und Demut,
Troſt und Geduld in der Noth, und Ei-
nigkeit! Alles verſüſst ja
Uns einmütiger Sinn, Hausfried’ und die
liebe Geſundheit!
Nehm’ er ſie hin, mein Sohn! Das Kind
iſt ſanfter Gemütsart,
Mein Augapfel! mein Herz! die Gefällig-
keit ſelber, und Unſchuld!
Die wohl keinen gekränkt, mit Vorſaz!
Gott und den Menſchen
Angenehm! Seid glücklich, und liebt;
bis im ruhigen Alter
Gott verhängt, daſs einer die Augen ſchlie-
ſse dem andern!
Sprachs, und bot die Tochter, im ro-
ſigen Lichte der Unſchuld
[160]LUISE
Jugendlich ſchön, zum Kuſſe dem überſe-
ligen Jüngling.
Jezo kam auch die Gräfin des Guts, glück-
wünſchend dem Brautpaar,
Herzlich und viel, und umarmte die hold
liebkoſende Patin;
Fröhlich kam auch ihr Karl; es kam ſein
liebender Lehrer.
Aber Amalia ſtand abwärts am Geſimſe
des Fenſters,
Trocknend das Aug’, und blickt’ in die
mondumdämmerte Gegend,
Starr und gedankenlos; und des Grams
vordringende Schauer
Zwang ſie zurück, tiefathmend. Heran
nun hüpfte Luiſe,
Faſste ſie wild an der Hand, und drohete,
alſo beginnend:
[161]DRITTE IDYLLE
Komm doch, Glück mir zu wünſchen,
Amalia! Schämſt du dich jezo,
Daſs du mich alſo beliſtet? Geduld! wir
ſprechen uns weiter!
Sprachs; und Amalia lacht’ ein unauf-
haltſam Gelächter,
Thränen im Aug’; es lachte das Mägde-
lein unter dem Brautkranz;
Lachend umarmten ſich beid’, und ruhe-
ten ſo an einander.
Laut nun redeteſt du, ehrwürdiger Pfar-
rer von Grünau:
Werdet ihr bald auslachen, Amalia,
und du Luiſe?
Trefliche Mädchenkünſte: geweint und
gelacht durch einander,
Recht wie die Sonn’ im April! Leichtfer-
tige, ſchien euch die Trauung
L
[162]LUISE
Wunderlich? Arme Luiſe, das hat dir
ſchwerlich geahndet,
Als du den Schmuck anlegteſt! Ein ander-
mal ſcherzt mit dem Brautkranz!
Richtig getraut, das biſt du, mein Töch-
terchen! Wollte nunmehr dich
Selber der Herr Generalſuperintendent
aus den Formeln,
Die dich verſtrickt, loswinden; getroſt
antwortet’ ich alſo:
Würdigſter Herr Generalſuperintendent,
ich verharre
Voll Ergebenheit ſtets Ihr ganz gehorſa-
mer Diener;
Aber ich nehme mir doch die Erlaubnis,
Sie zu verſichern,
Daſs nach meinem Erachten die Kinder-
chen richtig getraut ſind.
[163]DRITTE IDYLLE
Jener ſprachs; da begann die gnädige
Gräfin des Gutes:
Kurz war und bündig die Trau; kein Kun-
diger möchte ſie tadeln!
Und aus dem Hochzeittage bei uns wird
trockener Nachſchmaus!
Aber der Bräutigam nahm die ſchöne,
vor Freud’ und Beſtürzung
Schwindelnde Braut an der Hand, und
ſprach, zu dem Greiſe ſie führend:
Einziger alter Papa! noch einmal kom-
men die Kinder!
Wir unartigen Leute vergaſsen den Dank
für die Trauung,
Die den Himmel auf Erden uns öfnete!
Noch in Verwirrung
Sind wir, dem Träumenden gleich, der
mit Engelſchwingen zum Himmel
[164]LUISE
Auffliegt, oder den langen und ſehnlichen
Wunſch nun vollendet
Schaut, voll banger Begierde, mit dunke-
ler Furcht des Erwachens.
Aber zu froherem Schauen erwachen wir!
Sein wir ſo glücklich,
Als der redlichſte Vater es war, und die
redlichſte Mutter!
Jener ſprachs; und ſie ſchlangen den
edelen Greis in die Arme
Feſt; von Freude zugleich und Wehmut
ſchwoll ihm die Seele.
Aber die Jungfrau klopft’ ihm die Wang’,
und ſchmeichelte kindlich:
Vater, du böſer Vater! dein Töchter-
chen ſo zu erſchrecken!
War das recht? Ich komme ſo ganz un-
ſchuldig und arglos,
[165]DRITTE IDYLLE
Und vermut’ in der Welt nichts weniger,
als die Hochzeit!
Aber mit einmal geräth er in Zorn; und
eh ich mich umſeh,
Bin ich getraut! Du ſollteſt doch Scherz
verſtehen, mein Vater!
Jezo ging aus der Stube die alte ver-
ſtändige Hausfrau,
Nahm aus dem Schrank ein feines Gedeck,
und ſah nach der Wanduhr,
Eilete dann in die Küch’, und ſprach zu
der treuen Suſanna:
Decke den Tiſch, Suſanna; den Heerd
indeſſen beſorgt wohl
Hedewig. Seht einmal, wie geſchmückt
iſt unſre Suſanna,
Und mein ehrlicher Hans; auch Hedewig
geht ja, wie Sonntags!
[166]LUISE
Welch ein Puz wohl morgen zum Hoch-
zeittanze hervorkommt!
Lange den Tiegel vom Bord’, und, He-
dewig, reiche die Butter;
Daſs zum Senf ſie ſchmelze; der Sandart
könnte wohl gar ſein.
Flink mir die feſtlichen Gläſer geſpült,
und das groſse des Vaters,
Das ins helle Gekling’ einbummt, wie die
Glocke vom Kirchthurm.
Fülle die Schal’ in der Kammer mit Sülz-
milch, welche die Gräfin
Gerne mag, und den gläſernen Korb mit
geſtoſsenem Zucker.
Haſt du zum Apfelmus auch Kaneel ge-
ſtoſsen im Mörſer?
Gut, daſs der Haſ’ im Keller noch hing!
Es wäre ja ſchimpflich,
[167]DRITTE IDYLLE
Wenn wir mit Fiſchen allein und Vögel-
chen dieſen Abend
Feierten; und, ich ſchäme mich faſt, mit
gebrühten Kartoffeln!
Hans, nur tüchtig den Braten gedreht;
heut Abend iſt Hochzeit!
So wie ein Mann, der am Abend vom
Feld’ heimkehrt in Gedanken,
Heiter des Tagewerks, und die ſinkende
Sonne betrachtend,
Freudig erſchrickt, wenn hinter dem Ha-
ſelgebüſch an dem Fuſsſteig
Plözlich das freundliche Weib vorſpringt
mit den jauchzenden Kindern:
Alſo erſchrak auch Hans, da er plözlich
das Wort von der Hochzeit
Hörte der lieben Mamſell, die er oft auf
den Armen geſchaukelt.
[168]LUISE
Haſtiger dreht’ er den Wender, und re-
dete, laut ausrufend:
Herzensfrau, was ſagt ſie? Getraut iſt
das Jüngferchen wirklich?
Jezt in der Stube getraut? Das hätt’ ich
nimmer vermutet!
Als ſie vorher mit der Braut hinſchäker-
ten: Spielt nur, ihr Leutlein!
Dacht ich bei mir einfältig; es kälbert
ſich wohl in der Jugend!
Hüpft doch das Lamm auf der Weid’, und
ſtampft das Füllen, und walzet!
Aber wie ſteht der Jungfer das Hochzeit-
kleid und der Brautkranz?
Alſo Hans; und lächelnd zu Hedewig
ſagte die Mutter:
Wie ſie da gaſt, und die Augen vor gro-
ſser Verwunderung aufſperrt!
[169]DRITTE IDYLLE
Plagt dich ſo ſehr Neugierde; ſo laſs die
Gläſer nur warten.
Trage die Teller hinein, und meld’ es
der guten Suſanna
Sacht; dann frage die Braut, ob ſie nicht
ein wenig herauskommt.
Alſo gebot die Mutter; und Hedewig
folgte nicht ungern,
Trug die Teller hinein, und ziſchelte, was
ſich ereignet,
Sacht der Genoſſin ins Ohr; zur Braut,
dann ſagte ſie heimlich:
Jungfer, mich ſendet Mama, ob ſie nicht
ein wenig hinauskommt.
Aber die Braut, ausgehend mit Hedewig
und mit Suſanna,
Trat in die Küch’, und lieſs im flattern-
den Scheine des Feuers
[170]LUISE
Ihre ſchöne Geſtalt von Haupt zu Fuſse
bewundern,
Mit handſchlagendem Lob’, und lächelte
Dank bei den Wünſchen.
Alſo des ehrlichen Hans wohlmeinender
kräftiger Glückwunſch:
Jüngferchen, geb’ ihr Gott ein Gedeihn,
als gölt’ es auf ewig!
Segen die Füll’ in Boden und Fach, und
die Bäume voll Obſtes,
Halme ſo dicht und ſo hoch, mit nieder-
hangenden Ähren,
Glattes Vieh in die Ställ’, und friſch an-
wachſende Jungen:
Daſs, wer vorübergeht, es mit Luſt an-
ſieht und Verwundrung!
Aber zu allem ein Neſt rothbackiger wäh-
liger Kinder,
[171]DRITTE IDYLLE
Wie aus dem Teige gewälzt; und immer
noch eins in der Wiege!
Drauf begann zu der lieben Mama das
blühende Mägdlein:
Mütterchen, denke daran; mein guter
Hans und die Jungfern
Freuen ſich auch des Schmauſes, und klin-
gen dabei, wie natürlich,
Auf der wackeren Braut und des Bräuti-
gams werthe Geſundheit.
Freundlich erwiederte drauf die alte
verſtändige Hausfrau:
Kümmre dich nicht um Eier, mein Töch-
terchen, eh ſie gelegt ſind!
Aber der ehrliche Hans antwortete,
laut ausrufend:
Ja, wir wollen uns freun, und brav an-
klingen und jubeln
[172]LUISE
Auf der wackeren Braut und des Bräuti-
gams werthe Geſundheit!
Meinen Pferden ſogar will ich heut die
Krippe voll Haber
Schütten, und unſere Kühe mit ungedro-
ſchenen Garben
Sättigen, auch Packan mit reichlichen Biſ-
ſen verſorgen:
Daſs wir all’ uns freuen am Ehrentage
der Jungfer!
Ihm antwortete drauf die freundliche
ſchöne Luiſe:
Hänſelchen, gieb mir die Hand; du biſt
mein ehrlicher Alter!
Alſo ſprach ſie bewegt; da ſchlug den
erſchallenden Handſchlag
Hans, und umſchloſs treuherzig die zarte
Hand, und begann ſo:
[173]DRITTE IDYLLE
Jungfer, ich bin nur ſchlecht und ge-
mein, und verſtehe den Schick nicht;
Aber ich wollt’ an das Ende der Welt
durch Feuer und Waſſer
Laufen für ſie! Gott lohn’ es dem Jüng-
ferchen, daſs ſie ſo gut iſt!
Kaum geſagt; da erſchien, ſein Mägde-
lein ſuchend, der Jüngling,
Trat in die Küchenthür’, und begann mit
zürnendem Lächeln:
Was hat Hans mit der Jungfer zu
thun? Ein tröſtlicher Anblick!
Ziemt es ſich, Hans, liebkoſend mit Hän-
dedrücken und Äugeln
Mir die Braut zu bethören, da wir nur
eben getraut ſind?
Ihm antwortete drauf die alte verſtän-
dige Hausfrau:
[174]LUISE
Hat er nimmer gehört, Herr Bräutigam,
daſs man die Männer,
Welche dem Heerde ſich nahn, mit der
Küchenſchürze bekleidet?
Hurtig hinein mit der Dirne! Sie bringt
mir den Hans ſo in Aufruhr,
Daſs der Haſ’ am Wender nicht immer
geht, wie er ſollte.
Aber du ordne den Tiſch, und ſpute dich,
liebe Suſanna!
Alſo gebot die Mama; und der Bräu-
tigam, gerne gehorchend,
Faſste die Braut in den Arm, und küſste
ſie, eh er hineinging.
Schnell dann folgte Suſanna, des Tiſches
Gedeck zu vollenden,
Ordnete wohl, und ſtellte die lieblichen
Speiſen und Gläſer.
[175]DRITTE IDYLLE
Aber nachdem ſie alles beſchleuniget; kam
auch die Mutter,
Roth im Geſicht von der Glut, und nö-
thigte, alſo beginnend:
Euer Geſpräch iſt wichtig, mein Vä-
terchen; aber ich ſtör’ euch;
Denn ſchon warten die Fiſch’ und die
hochzeitlichen Kartoffeln.
Her aus der Ecke, Luiſ’ und Amalia! Im-
mer geplaudert,
Immer gelacht, wie die Kinder! Wohlan
denn! Iſt es gefällig?
Jene ſprachs; da betete laut der red-
liche Vater,
Weniges; alle nun kamen, und ſezten ſich,
wie es die Mutter
Mit nachſinnendem Geiſt anordnete. Unter
dem Spiegel
[176]LUISE
Saſs der Braut zur Linken der Bräutigam;
neben dem Jüngling
Saſs die gnädige Gräfin, und ihr zur Lin-
ken der Vater;
Aber der Braut zur Rechten Amalia, wel-
che der Freundin
Nicht von der Seite wich; denn es dro-
hete nahe die Trennung!
Weiter rechts an die ſchöne Amalia ſezte
die Mutter
Karls treuherzigen Lehrer; und neben ihm
wählte ſie klüglich
Ihren Plaz, wie des Mahls Vorlegerin,
nahe dem Schenktiſch,
Welcher mit Obſt anlacht’ und der pur-
purnen Kumme voll Biſchof.
Endlich der fröhliche Karl ſaſs feierlich
neben dem Vater,
[177]DRITTE IDYLLE
Als ſein ſchmeichelndes Kind, und der
wohl verſorgenden Hausfrau.
Alſo ſchmauſeten jen’, in behaglicher Ru-
he vereinigt,
Um den ſchimmernden Tiſch, und tran-
ken des köſtlichen Biſchofs,
Plauderten viel, und lachten des Bräuti-
gams viel, und der Jungfrau.
Dort auch ſaſsen derweil, im Geſinde-
ſtübchen verſammelt,
Hans und die treue Suſanna und Hede-
wig, fröhlich des Mahles,
Und des Geſprächs; denn ſie feirten des
freundlichen Jüngferchens Hochzeit,
Ach der ſchönen Luiſe: denn nur beim
Namen genannt ſein
Wollte ſie, ſchlecht und recht, in edler
Beſcheidenheit ehrvoll.
M
[178]LUISE
Auch des Bräutigams Tugend, des wohl
anſehnlichen Pfarrers,
Lobten ſie, welcher ſo gerne Geſchenk
gab, und ſo erbaulich
Predigte, daſs hell tönte die Ausred’ auch
in die Winkel.
Ihnen hatt’ in der Eile Mama den Bra-
ten vom Mittag
Aufgewärmt in der Pfann’, und gewürzt
mit kräftigen Zwiebeln;
Auch die übrigen Speiſen bewilliget, wel-
che Suſanna
Trüge vom bräutlichen Tiſch, und dabei
hochſchäumendes Feſtbier,
Noch von der Ernte gespart, und die lok-
kende Flaſche voll Biſchof.
Zitternd ſtärkte ſich Hans mit Speiſ’ und
Getränk; denn es wallt’ ihm
[179]DRITTE IDYLLE
Von unruhiger Freude das Herz; und er
konnte nicht eſſen.
Raſch nun verlieſs er den Stuhl, und be-
deckte das Haupt mit der Müze,
Warm, von ſtreifichter Woll’, und hob
aus dem Winkel die Leuchte
Von durchſichtigem Horn, bei deren Schein
er des Abends
Droſch, und Häckerling ſchnitt, und den
Pferden die Raufe voll Heu trug:
Dieſe hob er vom Nagel herab; in die
Tülle dann ſtellt’ er
Einen brennenden Stumpf, und verſchloſs
die Thüre des Hornes.
Gegen ihn wandte ſich jezt die gefällige
treue Suſanna:
Hans, warum ſo geeilt? Du ſiehſt ja
ſo wild aus den Augen!
[180]LUISE
Komm doch her, und trinke des Braut-
paars werthe Geſundheit.
Sprachs, und reichte das Glas ihm ge-
füllt dar; alle nun klingend,
Wünſchten ſie tauſendmal Glück dem neu-
vermähleten Brautpaar.
Aber der ehrliche Hans antwortete ſeiner
Genoſſin:
Iſs dich ſatt, Suſanna, mit Hedewig;
nehmt die geſpickte
Haſenkeule für euch; mich hungert nicht!
Aber den Biſchof
Hebe doch auf; das iſt ein geſundes und
liebliches Tränkchen!
Jezo geh’ ich zum Schmiede, dem Zaude-
rer! ob er nicht endlich
An die zerbrochene Lünſe mir neu den
Nagel geſchweiſst hat.
[181]DRITTE IDYLLE
Aber der Weg iſt weit und holperich, daſs
man im Dunkeln
Wohl der Leuchte bedarf; denn die Pfla-
ſterer haben ihn garſtig
Aufgewühlt, von der Schenke bis gegen
den Hof des Verwalters.
Eben hat auch der Mond ſich beurlaubt;
nach dem Kalender,
Glaub’ ich, haben wir heute das erſte
Viertel des Mondes.
Alſo redete Hans; doch ein anderes
dacht’ er im Herzen:
Hinzugehn, und zu ordnen, daſs ſchöne
Muſik bei der Hochzeit
Tönte der lieben Mamſell, die er oft auf
den Armen geſchaukelt;
Und er enteilt’ aus der Thüre, geſtüzt
von dem knotigen Dornſtab.
[182]LUISE
Als nun fern aus dem Hauſe des Organi-
ſten der Schimmer
Leuchtete, hört’ er den mutigen Hall der
Trompeten und Hörner
Und hellklingender Geigen, durchtönt von
dem polternden Brummbaſs.
Jener übt’ an den Pulten die ſchwereren
Tänz’ und Sonaten
Für das morgende Feſt, dem Pfarrer zu
Lieb’ und der Tochter:
Er, und der trefliche Sohn, der jüngſt aus
der Fremde gekehrt war,
Nur zum Beſuch, denn er dient’ in der
ſchulziſchen Kammerkapelle;
Auch der ſinnige Schäfer des Dorfs, den
er einige Winter
Selbſt gelehrt, ſein Gehülf bei Kirchen-
muſik und Gelagen;
[183]DRITTE IDYLLE
Auch der Jäger mit drei tonkundigen Söh-
nen, gebürtig
Aus dem Thüringerlande, wo jeglicher
Bauer Muſik weiſs;
Endlich ſein Jugendfreund, der ſiebzigjäh-
rige Weber,
Welcher, wenn Noth eintrat, ihm gern
aushalf mit dem Brummbaſs,
Jugendlich froh der Muſik, taktfeſt und
von kräftigem Anſtrich.
Hans nun klopft’ an die Thür’, und pol-
terte, bis man geöfnet,
Eilete dann in die Stub’, und ermahnete,
deutend und nickend:
Still doch, und hört, Kunſtpfeifer, ihr
Fiedeler, und ihr Trompeter!
Packt nur ein! Die Mamſell iſt getraut;
und die gnädige Herſchaft
[184]LUISE
Speiſet bei uns, zur Ehre des Brautpaars.
Aber was dünkt euch,
Liebe Herrn, wenn ihr ihnen ein luſtiges
Stück zu der Mahlzeit
Dudeltet? Schmaus ohne Klang iſt grade
wie Glock’ ohne Klöppel!
Alſo Hans; und beſtürzt in Verwunde-
rung hielten die Männer.
Doch ſie erwogen den Rath, und billig-
ten. Raſch ſich erhebend,
Eilten ſie, unter dem Arme die Inſtru-
ment’ und die Noten.
Und ſie begleiteten Hans, der dem wan-
kenden Greiſe den Brummbaſs
Gern abnahm, und, ihn führend, mit trü-
ber Leuchte voranging.
Dort noch ſchmauſeten jen’, in behag-
licher Ruhe vereinigt,
[185]DRITTE IDYLLE
Um den ſchimmernden Tiſch, und tranken
des köſtlichen Biſchofs,
Plauderten viel, und lachten des Bräuti-
gams viel, und der Jungfrau.
Jezo begann in der fröhlichen Schaar die
gnädige Gräfin:
Wie mir da ſchon wieder die kleine
Luiſ’ in Gedanken
Sizt! Du ſcheinſt mir traurig, mein Töch-
terchen, daſs du ſo plözlich
Durch den böſen Papa den Kranz vom
Haupte verliereſt,
Den, wie ein Roſenmädchen, du ſtets ge-
tragen mit Anſtand.
Oder ſtarren von Schlaf die niedergeſchla-
genen Äuglein?
Schäme dich, Kind! Ein Bräutchen, das
nachdenkt, hält ſich beſtändig
[186]LUISE
Munter und wach, wenn gleich bis zum
hellen Morgen getanzt wird,
Und die Muſik ihr die Seel’ in ſanft be-
täubenden Schlummer
Einwiegt! Böſer Papa! daſs keine Muſik
bei der Hochzeit
Unſeres Töchterchens tönt: wo zulezt im
Getümmel des Tanzes
Weiber die Braut wegraffen, mit lautem
Gekreiſch ſie entführend
Ins kranzloſe Gemach! Doch tröſte dich,
arme Luiſe!
Morgen im prunkenden Zug der Geladenen
kommſt du zum Nachſchmaus
Stattlich als junge Frau, obgleich in be-
ſcheidener Haube;
Dann ſoll luſtig die Fiedel mit Zink’ und
Trompete vorangehn!
[187]DRITTE IDYLLE
Drauf antworteteſt du, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau:
Freilich arg, wenn heute Geſang und
Klang bei der Hochzeit
Unſeres Töchterchens fehlte! Muſik iſt
die Krone des Gaſtmahls!
Zauberiſch dämpft die Muſik Anfechtun-
gen ſelber des Satans,
Lange Weil’, und Geklätſch, und Läſte-
rung, leidigen Zwang auch;
Fröhlich ſtimmt ſie das Herz, und erhebt
zu entſchloſſener Tugend!
Auf denn! die Gläſer gefüllt, und laut
zum kriſtallenen Klingklang
Angeſtimmt den Geſang, den unſer Voſs
in Eutin uns
Dichtete! Raſch ans Klavier, Amalia!
Kommt er im Frühling;
[188]LUISE
Gieb ihm, Luiſe, mein Kind, den bedun-
genen Kuſs, und noch einen.
Alſo der feurige Greis; und das Müt-
terchen füllte die Gläſer
Allen umher; auch die Braut und Amalia
reichten ihr Glas dar,
Weniges nur zu empfahn. Dann huben
ſie froh den Geſang an,
Unter dem Schall des Klaviers; doch am
jauchzenden Schluſſe des Liedes
Schwieg ſein Getön, und es klingt’ Ama-
lia mit in den Glückwunſch.
Wohl, wohl dem Manne für und für,
Der bald ſein Liebchen findet!
Er findet groſses Gut in ihr,
Wie Salomon verkündet.
Sie tröſtet ihn mit Rath und That,
Und ſtreut ihm Roſen auf den Pfad.
[189]DRITTE IDYLLE
Sie ſucht des Mannes, wie ſie kann,
Zu pflegen und zu warten;
Sie ſpinnt und näht für ihren Mann,
Beſtellt ihm Haus und Garten,
Und ſcheuet weder Froſt noch Glut,
Beſtändig flink und wohlgemut.
Sie ſinnt und weiſs, was Männchen liebt,
Und macht es ihm noch lieber;
Kommt auch einmal, was ihn betrübt,
Sie ſchwazt es bald vorüber:
Nicht lange bleibt die Stirn’ ihm kraus,
Das Liebchen ſieht ſo freundlich aus.
Auch ungeſchmückt iſt Liebchen ſchön,
Des Mannes Augenweide;
Doch läſst ſich Liebchen gerne ſehn
Im wohlgewählten Kleide,
Und naht ſich dann mit holdem Gruſs,
Und bringt ihm einen warmen Kuſs.
[190]LUISE
Er dehnt ſich nach des Tages Mühn
In Liebchens weichem Bette;
Und Liebchen kommt, und ſchmiegt an ihn
Sich feſt wie eine Klette,
Und wünſcht ihm küſſend gute Nacht,
Und fragt oft leiſ’, ob Männchen wacht.
Wenn noch ſo wild der Sturmwind ſauſt,
Vom Dach der Regen praſſelt,
Der Schornſtein heult, die Woge brauſt,
Und Schnee und Hagel raſſelt;
An Liebchens Buſen ruht er warm,
Und lauſcht dem Sturm in Liebchens Arm.
Auch ſtöhnt das Liebchen wohl zur Zeit,
Und nichts will ihr behagen;
Doch lacht ſie ſeiner Ängſtlichkeit,
Und ſchämt ſich es zu ſagen:
Sie wanket ach! ſo müd’ und ſchwer,
Auf ihren Mann geſtüzt, einher.
[191]DRITTE IDYLLE
Bald legt ſich Liebchen ganz vergnügt,
Und läſst ihr Kindlein ſaugen;
Der Vater ehrbar ſizt und wiegt,
Bekuckt ihm Naſ’ und Augen,
Und freut ſich, daſs der kleine Chriſt
Mama und ihm ſo ähnlich iſt.
Wohl dir, o Mann! wohl, Liebchen,
dir!
Ihr ſeid euch ſchon begegnet!
Euch ſegne Gott vom Himmel hier,
Bis er euch droben ſegnet!
Klingt an, ihr Freund’, und ſinget laut:
Es lebe Bräutigam und Braut!
Als nun hell im Geſange der Gläſer
Gekling’ an einander
Klingelte; plözlich erſcholl mit ſchmettern-
dem Hall vor dem Fenſter
[192]LUISE
Geig’ und Horn und Trompete, durchtönt
von dem polternden Brummbaſs,
Ungeſtüm und betäubend: als kracht’ ein-
ſchlagender Donner
Aus dem Gewölk, als brauſt’ ein Orkan
in zerſplitterte Tannen;
Gellend dröhnte die Stub’, und es ſummt’
im Klaviere der Nachklang.
Jene vor Luſt frohlockten, und klingelten
alle noch einmal
Jauchzend, vor allen der Vater, und ſein
lautbrummendes Kelchglas.
Jezo riefſt du entzückt, ehrwürdiger Pfar-
rer von Grünau:
Ja, Gott ſegn’ euch, Kinder, in Ewig-
keit! Das war ein Glückwunſch,
Kräftig und laut aus dem Herzen, der mu-
tiger, als der Kanonen
[193]DRITTE IDYLLE
Jubelgetön, in das Dorf zu dem äuſser-
ſten Ende hinabſchallt!
Das hat Hans mir gemacht, kein anderer!
Solcher Erfindung
Freut er ſich immer, der Schalk! Mein
Töchterchen, klopf’ an das Fenſter,
Daſs ſie herein doch kommen; ſie ſind uns
liebe Geſellſchaft.
Jener ſprachs; da enteilte das roſen-
wangige Mägdlein
Fröhlich, und klopft’ an das Fenſter mit
Macht; und es hielten die Männer
Mitten im Takt, und lauſchten, wie hold
und freundlich ſie einlud:
Dank, ihr Herrn, für die ſchöne Muſik!
Wie gerufen zum Glückwunſch
Kamt ihr! Aber bedenkt die Abendluft
des Oktobers!
N
[194]LUISE
Scharf iſt drauſsen der Wind, und dem
alten Manne nicht heilſam!
Kommt doch herein, ihr Herren; ihr ſeid
uns liebe Geſellſchaft!
Alſo Luiſ’ anmutig; und jenen gefiel,
was ſie ſagte.
Lobend das ſchöne Geſicht, den melodi-
ſchen Laut, und den Anſtand,
Gingen ſie, herzlich vergnügt, und prieſen
den Bräutigam ſelig.
Alſo redete mancher der tonverſtändigen
Männer:
Wahrlich ein Engel von Weib! Wie ge-
rad’ und behend’, und wie blühend
Unter dem Kranz! Ihr Lächeln verjüngt
wohl greiſendes Alter!
Wieder ein anderer ſprach der tonver-
ſtändigen Männer:
[195]DRITTE IDYLLE
Sage mir einer hinfort, zur Harmonika
klinge Geſang nicht!
Sänge die Kehl’ in der Oper, ſie trillerte
alles in Aufruhr!
Alſo redeten jen’, um das Haus ſich
wendend zur Thüre,
Eilten hinein, und grüſsten mit mancher-
lei ſcharrendem Bückling,
Segen und Heil anwünſchend dem neu-
vermähleten Brautpaar.
Ihnen folgete Hans, und trug ſchwerfäl-
lig den Brummbaſs,
Schlau, mit verbiſſener Lache. Doch ernſt-
haft ſagte der Vater:
Hans, du giebſt mir den Leuten ein Är-
gernis! Voller Verwundrung
Werden ſie, alt und jung, aus den Wohnun-
gen rennen, und fragen:
[196]LUISE
Horch! was bedeutet der Lerm! Iſt nun
der Pfarrer ſo weltlich,
Daſs er den Abend ſogar vor dem Hoch-
zeittage die Tochter
Fiedelt zu Bett’ und trompetet? Wie wird
wohl morgen gejubelt,
Wann ſie im Kranze die Braut mit Muſik
hinführen zur Trauung!
Doch gut war es gemeint; ich danke dir.
Schaffe nur hurtig
Gläſer und Wein auf den Tiſch; und Müt-
terchen macht es im Winkel
Dort ein wenig bequem für unſere liebe
Geſellſchaft.
Alſo der Greis; nichts redete Hans,
und lachte ſo ſchämig,
Ging dann hinaus zu beſtellen; und flugs
bracht’ alles Suſanna,
[197]DRITTE IDYLLE
Pfefferkuchen dabei und Pfeffernüſſ’ auf
dem Teller,
Süſs und ſprock und gewürzt, für unver-
mutete Gäſte.
Noch beſann ſich Mama des Geſchenks
von der neulichen Hochzeit,
Eilte zur Kammer hinaus, und bracht’ ein
groſses Gebacknes,
Butterkringel im Dorfe genannt, von dem
Thüringer Brezel;
Füllete dann die Gläſer umher, und nö-
thigte freundlich:
Nehmt heut Abend vorlieb, als gute
Freund’ und Gevattern;
Denn heut waltet bei uns recht eigent-
lich Polterabend!
Morgen wird erſt hochzeitlich geſchmauſt
bei der gnädigen Gräfin.
[198]LUISE
Aber die Gräfin begann zu den ton-
verſtändigen Männern:
Brav, daſs ihr wackeren Leute daran denkt,
unſerer Jungfrau
Hochzeitfeſt, obgleich es unangekündiget
einfiel,
Durch die edle Muſik zu erfreun. Un-
billig ja wär’ es,
Hätten wir ſolchen Kranz nicht einmal zu
Grabe geläutet!
Meine Patin, die Braut iſt, wie wenige,
züchtig und ehrbar;
Auch, ſo weit ich ihn kenne, der Bräuti-
gam. Kinder, ich ſag’ euch,
Spielt, wenn ihr morgen ſie bringt, den
auserwählteſten Brautmarſch!
Eiferig ſagte dagegen des Chors ton-
kundiger Meiſter:
[199]DRITTE IDYLLE
Gräfin, ſie braucht kein Lob; wir kennen
ſie! Unſerer Freundin
Ehre zu thun nach Vermögen, das ſtärkt
und leichtert den Athem
Selbſt engbrüſtigen Greiſen, und ſchmei-
diget Finger und Arme!
Aber der Pfarrer begann zu dem ſieb-
zigjährigen Weber:
Vater, ihr hattet doch nicht Einwendun-
gen wider die Hochzeit?
Jezo kämt ihr zu ſpät. Ich hab’ euch ein
paarmal betrachtet,
Wann ich meine Luiſ’ abkündigte, wie
ihr an eurem
Pfeiler die Müz’ abnahmt, und die zit-
ternden Hände mit Inbrunſt
Faltetet. Schien es doch faſt, ihr nähmt an
dem Töchterchen Antheil.
[200]LUISE
Ihm antwortete drauf der Alte mit blü-
hendem Haupthaar:
Herr, nicht trüg’ ich mit Ehren ein graues
Haar auf der Scheitel,
Wäre mein Herz ſo verſtockt, und nähm’
an der Jungfer nicht Antheil,
Welche ſo tugendſam iſt, ſo gottesfürch-
tig und liebreich!
Fragt nur jeglichen Menſchen im Dorf;
ihr ſollt euch verwundern,
Was man euch alles erzählt von dem Jüng-
ferchen! wie ſie gefällig
Uberall mit den Frohen ſich freut, mit
den Traurenden trauert;
Dürftige ſpeiſet und tränkt, den Nacken-
den wärmt und bekleidet,
Arm’ und verwaiſete Kinder zur Schul’
anhält und verſorget,
[201]DRITTE IDYLLE
Mädchen in Handarbeit und Sittigkeit
übet durch Umgang,
Und das Lager der Kranken beſucht mit
Troſt und Erquickung!
Herr, und den heimlichen Armen, den kläg-
lichſten! wie ſie ihn ausforſcht,
Und Barmherzigkeit übt, daſs einer nicht
weiſs, wo es herkommt!
Kaum daſs ſie ſelber es weiſs! Vollbrachte
ſie eben ein Stückchen,
Daſs die Engel ſich freun; dann gehet
ſie, mir nichts, dir nichts!
Ebenen Gang, und ſcheint nur ein hüb-
ſches und luſtiges Mägdlein!
Nun der alles vergilt, vergelt’ es ihr im-
mer und ewig!
Ihr herzlieber Gemahl iſt ein chriſtlicher
Mann, der gewiſs ihr
[202]LUISE
Stets mit Vernunft beiwohnt, nie bitter
iſt, noch ſie verſchüchtert:
Eine Seele mit ihr! Man wird euchs
morgen ſchon kundthun,
Ob wir die Heirat im Dorf misbilligen.
Nehmt es nicht übel,
Herr: wir lieben euch ſehr, nichts weni-
ger aber die Tochter!
Alſo der Greis; und es bebte die Thrän’
an den grauenden Wimpern.
Ernſtvoll nahm er das Glas, und leerete.
Aber die Jungfrau
That, als hörte ſie nicht; und gewandt
ihr erröthendes Antliz,
Sprach ſie ein albernes Wort zu Amalia,
lachte dann laut auf.
Als ſich der Organiſt mit den Seinigen
jezo gelabet,
[203]DRITTE IDYLLE
Theilt’ er die Stimmen umher; und mit
einmal floſſen harmoniſch
Liebliche Saitentöne, zu wolluſtathmen-
der Flöten
Süſsem Geſang’, und dem Laute des ſanft
einhallenden Waldhorns.
Wie im blumigen Mai, wann die Abende
heiter und ſchwül ſind,
Spät in die Nacht auf den Bänken am
Eingang Männer und Weiber
Lauſchen den Zwillingstönen des Wald-
horns, welche vom See her,
Mit dem Geröchel des Sumpfs und Nachti-
gallſtimmen im Mondſchein,
Nah und entfernt anwehn, daſs leiſ’ ant-
wortet der Buchwald:
So voll Anmut klangen auch dort Wohl-
laute des Waldhorns,
[204]LUISE
Lieblich gedämpft von zween tonkundi-
gen Söhnen des Jägers.
Jezo gellt’ auch Hoboengetön, gleich Stim-
men der Sänger,
Samt dem ernſten Fagott, von rauſchen-
den Saiten umjubelt.
Einzeln darauf erhub ſich des Organiſten
berühmter
Vielgewanderter Sohn; denn Manheim,
Wien und Venedig
Hatt’ er beſucht, und dient in der ſchul-
ziſchen Kammerkapelle:
Dieſer entlockte gemach der Kremonagei-
ge melodiſch-
Rieſelndes Silbergetön; ihm ſchlug des
Klaviers Generalbaſs
Karls treuherziger Lehrer; und horchen-
der ſchwieg die Verſammlung,
[205]DRITTE IDYLLE
Selbſt die Genoſſen der Kunſt, wie klar
ihm die Tön’ und geründet
Rolleten unter dem Bogen, wie voll ein-
ſchmeichelnder Wehmut.
Alle Weiſen des Klangs wetteiferten, an-
dre mit andern;
Vielgewandt, tiefſtrömend ergoſs ſich der
lebende Wohllaut:
Donnerte bald, wie, geſtürmt vom Orkan
am Geſtade die Brandung
Hoch aufbrauſt, wann das Krachen zer-
ſcheiterter Kiel’, und der Männer
Jammerndes Angſtgeſchrei in den grauſen
Tumult fern hinſtirbt;
Wallete dann, wie ein Bach, der über ge-
glättete Kieſel
Rinnt durch Blumen und Gras und Um-
ſchattungen, wo ſich die Hirtin
[206]LUISE
Gerne legt, aufhorchend im lieblichen
Traum dem Gemurmel.
Aber der Pfarrer begann zu des Chors
tonkundigem Meiſter:
Bravo, mein Herr Gevatter! wir hangen
noch ſteif an der alten
Kernmuſik, und glauben, Muſik ſei Spra-
che des Herzens:
So wie ein edel empfindender Geiſt, nicht
kundig des Wortes,
Etwa in hellem Geſang’ und geſangnach-
ahmenden Tönen
Gott anſtaunt, und die ſchöne Natur, in
Lieb’ und Entzückung
Hinſchmilzt, klagt und erſchrickt, in Ver-
zweifelung ſinkt, und ſich aufhebt.
Auch iſt jedem, der fühlt, die Herzens-
ſprache verſtändlich:
[207]DRITTE IDYLLE
Stimme von Gott, wie Donner und Sturm,
und Geſäuſel des Frühlings,
Und wie des Thiers vielredender Laut,
des gebietenden Löwen
Machtausruf in der Wüſt’, und des hoch
anſchwebenden Adlers,
Oder das Muttergetön der freundlichen
Kuh und des Schafes,
Liebender Tauben Geſeufz’, und der Gluck’
anlockendes Schmeicheln.
Auch wie die Stimmen von Gott, unwan-
delbar tönt ſie und ewig,
Allen Landen und Zeiten die ſelbige;
nicht wie des Puzes
Eigenſinn, den wir geſtern bewunderten,
morgen verabſcheun;
Oder die Aftermuſik, die, der üppigen
Laune gehorſam,
[208]LUISE
Sinnlos prunkt und gaukelt, im Kälber-
tanz und im Bocksſprung.
Aber ſo laut das Gefühl in Stimm’ und
Tönen uns zuruft,
Hallt es doch lauter ins Herz und er-
ſchütternder, wenn des Geſanges
Wort einſtimmt, die eigne vertrauliche
Sprache der Menſchen.
Spielt mir denn jezo ein Lied zur Verän-
derung, etwa von Hendel,
Reichardt, Gluck und Emanuel Bach, und
dem treflichen Meiſter,
Unſerem Schulz, dem Luther noch ſelbſt
nachſäng’ an der Orgel.
Singt mir: Ich danke Gott! und die Wald-
ſerenat’ und das Tiſchlied.
Alſo gebot der Vater; es folgeten wil-
lig die andern.
[209]DRITTE IDYLLE
Aber zuvor erhub ſich die alte verſtändige
Hausfrau,
Ging, und neigend das Haupt an die blü-
hende Wange der Tochter,
Sagte ſie leiſ’ ins Ohr, doch ſo daſs die
anderen hörten.
Nicht zu heiſs dich geſungen, mein
Töchterchen! Alles mit Maſse:
Warn’ ich immer umſonſt, und zumal bei
den ſchulziſchen Liedern.
Brennt doch ſchon dein liebes Geſicht
mir die Wange, wie Feuer!
Allzu hiziges Mädchen! es möcht’ am
Schlafe dich hindern!
Dann ſind morgen die Äugelein wüſt; dann
lachen die Spötter!
Jezo ſchmück’ ich dir ſauber das Braut-
bett! Bin ich dann artig?
O
[210]LUISE
Drauf mit leiſerer Stimme begann das
roſige Mägdlein:
Mütterchen! — ſenkte den Blick, und
wandt’ ihr liebliches Antliz,
Feuerroth; und ſie lachten des hold errö-
thenden Mägdleins,
Alle, das Mütterchen auch; und der Bräu-
tigam neckte ſie heimlich.
Lächelnd ging nun die Mutter, und rief
der treuen Suſanna:
Laſs die Teller nur ſtehn; auch Hede-
wig wäſcht ſie allein wohl.
Komm du, liebe Suſanna, und leuchte
mir. Haſt du den Kater
Reichlich vom Tiſche verſorgt, und den
guten Packan, der ſo kläglich
Knurrt in dem Schauer und heult? Ihm
gefällt wohl unſre Muſik nicht.
[211]DRITTE IDYLLE
Komm, und hilf mir bereiten das Braut-
bett unſerer Tochter.
Alſo Mama; und es folgte mit eiſer-
nem Leuchter Suſanna.
Jezo nahm aus dem Schranke die alte ver-
ſtändige Hausfrau
Feinere Laken und Bühren, die glatt von
der Mangel und ſchneeweiſs
Schimmerten, wählte mit ernſtem Bedacht,
und ſprach vor ſich ſelber;
Stieg dann die Treppe hinauf zur düſte-
ren Kammer voll Hausrath,
Die dort unter dem Namen der Polter-
kammer berühmt iſt;
Wählt’ aus dem Schlüſſelgebund, das ihr
zur Seite herabhing,
Öfnete dann vorſchauend, und trat vor
die eichene Lade,
[212]LUISE
Die, von den Ahnen geerbt, mit alter-
thümlichem Schnizwerk
Prangete, groſs und geräumig: am Schloſs
war Jakob gebildet,
Seine Rahel umarmend, die Schäferin;
neben dem Brunnen
Stand ein Lamm auf dem Stein, und es
drängte ſich trinkend die Heerde.
Dieſe nunmehr aufſchlieſsend, erhob ſie
das köſtliche Bettzeug,
Lange geſpart für die Braut, die leichte
Deck’ und die Kiſſen,
Welche von Eiderdunen ſich bläheten;
aber Suſanna
Gab ihr das Licht, und trug die ſchwel-
lenden Betten geſchäftig
Hin zur Kammer der Braut; ihr folgete
leuchtend die Mutter.
[213]DRITTE IDYLLE
Als nun weich und ſauber das Hochzeit-
bette geſchmückt war,
In dem Geſtell mit hohem und ſchönge-
bogenem Himmel,
Und zwei trauliche Kiſſen ſich wohlge-
paart an einander
Dehneten: brachte Mama den ſtattlichen
Bräutigamsſchlafrock,
Fein von Kattun, kleeröthlich, mit farbi-
gen Blumen geſprenkelt;
Brachte für jeden ein Paar hochzeitliche
grüne Pantoffeln,
Prunkend von Saffian, und ſtellte ſie ne-
ben einander;
Brachte die weiſse Haub’ und das Leib-
chen mit roſigen Bändern;
Brachte dann auch die Müze von feinem
Batiſt, die, mit rothem,
[214]LUISE
Flammig gekräuſeltem Band’ und dem
Quaſt von Kanten gezieret,
Urgroſsväterlich ſtrozt’; und das Mütter-
chen lachte behaglich.
Als ſie nunmehr vollendet, enteilten ſie:
Jungfer Suſanna
Kehrte zurück an ihr Werk, und Mama
zu der lieben Geſellſchaft.
Lächelnd ging ſie alsbald zum Bräutigam,
der am Klaviere
Singend ſtand mit der Braut und Amalia,
legt’ auf die Achſel
Ihm ſanftklopfend die Hand, und begann
mit leiſem Gefliſter:
Jezo, mein Sohn, nach Belieben; das
Brautbett haben wir fertig.
Sprachs; und mitnichten verdroſs es den
Bräutigam; froh in Beſtürzung
[215]DRITTE IDYLLE
Drückt’ er die Hand der lieben Mama; und
ſie küſsten ſich herzhaft.
Aber die Gräfin begann zu dem redlichen
Pfarrer von Grünau:
Vater, ſie halten da Rath um das Töch-
terchen. Wo du mir durchgehſt,
Kleine Luiſ’! Erſt knixt man herum, und
wünſcht der Geſellſchaft
Gute Nacht! freimütig, und nicht ſo bang’
und erröthend.
Halte ſie feſt am Ermel, Amalia! morgen
gehört ſie
Uns, die Ehegemahlin des würdigen Pfar-
rers von Seldorf!
Dann wird weder gehüpft noch gelacht;
dann wandelt man ehrbar!
Dann wird die Wiege beſtellt! dann ſingt
man: Eyo Popeyo!
[216]LUISE
Seht, wie das ſchelmiſche Bräutchen da
hohnlacht! Trozeſt du, Bübin,
Daſs der Wächter im Dorf zwölf ruft, und
der Wagen ſchon wartet?
Drauf antworteteſt du, ehrwürdiger
Pfarrer von Grünau:
Hurtig noch eins! Vollauf bis zum ober-
ſten Rande die Gläſer!
Daſs hoch lebe die Braut und der Bräu-
tigam! Alle geklingt nun!
Alle mit voller Muſik! daſs nicht in der
bräutlichen Kammer
Hämiſch ein Nachtgeſpenſt ſie beleidige,
oder Asmodi!
Sprachs, und winkte zur Seite dem
Bräutigam; dieſer verſtand ihn.
Aber da rings die Gläſer mit hellem Ge-
kling’ an einander
[217]DRITTE IDYLLE
Klingelten, rings in den Klang wie Triumf
lautjauchzender Glückwunſch
Tönte, da Geig’ und Trompet’ und Horn
und der polternde Brummbaſs
Wild mit betäubendem Hall einſchmetter-
ten: raſch in dem Aufruhr
Flog mit der Braut aus der Thüre der
Bräutigam; lautes Gelächter
Schallte den fliehenden nach, und Hän-
deklatſchen und Jubeln.
[[218]][[219]]
ANMERKUNGEN.
ERSTE IDYLLE.
- V. 11. Puter, Truthühner, Kalekuten.
- V. 74. Wurzeln, auch gelbe Wurzeln,
nennt man in der Haushaltung vorzugsweiſe die
gelben Möhren oder Karotten:daucus ca-
rota. - V. 75. Gänſebruſt, hier eine geräucherte,
auch Spickgans oder Flickgans genannt. - V. 78. Die Dernatkirſche, iſt eine frühe
Weinkirſche. Unter Morellen oder Amarellen
begreift man bei uns alle edlen Frühkirſchen von
ſaftiger Süſsigkeit. - V. 101. Tremſen, blaue Kornblumen.
- V. 115. Schafthalm, Schachthalm, Schaff-
ruſch:equisetum.
[220]ANMERKUNGEN
- V. 141. Himmelspferdchen, Gottespferd,
Heupferd:libellula grandis. - V. 170. Huflattig, ein groſsblättriges Kraut,
in Geſtalt eines Roſshufs:tussilago. - V. 173. Das gewöhnliche Geſchirr der ſich
ſelbſt überlaſſenen Landleute für wilde Bee-
ren. - V. 197. Spillbaum, Spindelbaum, Pfaffen-
hütlein, Zweckholz:evonymus europaeus. - V. 198. Querl, um Mehlbrei und Eierſpei-
ſen zu bereiten. Querlen ſtammt von werlen,
umdrehen, wie quellen von wallen. Daher iſt
Werld oder Welt eigentlich der Erdkreis, als
Scheibe gedacht. - V. 202. Maililie, Maiblume, liligm con-
vallium: convallaria maialis. Pilze, eine Art
eſsbarer Erdſchwämme. Morcheln, eine andere
Art. - V. 248. Genſt, Ginſter, Bram.
- V. 332. Worte des vormals unduldſamen
Petrus, Apoſtelgeſch. X. 34. 35. - V. 378. Erneſtine, des Dichters Gattin.
[221]ANMERKUNGEN
- V. 438. Hünengräber, die Grabhügel der
alten Deutſchen vor der Einführung des Chriſten-
thums. Hüne wird noch für Rieſe gebraucht. - V. 439. Hulſt, Stechpalme, ilex aquifo-
lium. - V. 467. Eppich, der edlere Geſchlechtsna-
me von Scleri und dem undichtriſchen Peterſilie. - V. 505. Ulme, anderswo Ilme, Rüſter;
Iper. - V. 506. Rak, Racker, Roller, Mandelkrä-
he:coracias garrula. - V. 563. Röhricht, ein Rohrdickicht.
- V. 564. Kolben, Narrenkolben:typha.
Seelilien, Mümmelchen:nymphaea. - V. 569. Holm, kleine Inſel, auch Halbin-
ſel, und Werder. - V. 600. In Holſtein ſind die Felder durch
bebüſchte Wälle mit Graben herum in Koppeln
getheilt, deren Einfahrt durch ein breites Gat-
ber verſchloſſen wird. - V. 602. Glühwurm, Feuerwurm, Gleim-
chen, Johanniswurm:cantharis noctiluca.
[222]ANMERKUNGEN
ZWEITE IDYLLE.
- V. 47. Batiſt, die feinſte weiſse Leinwand
aus den Niederlanden. - V. 53. Bonen, mit Wachs glänzend rei-
ben. - V. 54. Befchen oder Böfchen, zwei vier-
eckte Streifen von feiner Leinwand, welche die
Geiſtlichen vorn am Halſe tragen; Adelung nennt
ſie das Läppchen. Das bremiſche Wörterbuch
erklärt Bofken durch Amtskragen: welches für
Holſtein und Mecklenburg falſch iſt. - V. 55. Kragen oder Krauſe nennen wir das
krausfaltige Rad um den Hals der Geiſtlichen
und der Rathsherren in Reichsſtädten. - V. 64. Kühlig, etwas kühl, vom nieder-
fächſiſchen kölig. - V. 68. Riole, ein Bord oder Fach, beſon-
ders für Bücher. - V. 93. Planke, ein Zaun von Planken oder
ſtarken Brettern.
[223]ANMERKUNGEN
- V. 144. Lüder vom Küchengarten.
- V. 150. Brückners Predigten für Unge-
lehrte. - V. 174. Wegbirſchen, wegſchieſsen.
- V. 175. Ziemer, das Rückenſtück, beſonders
das hintere. Wir kennen dies Wort nur ge-
ſchlechtlos; bei Adelung iſt es männlich. - V. 195. Kaftan, ein langer und weiter Ober-
rock der Morgenländer. - V. 207. Sich ſputen, eilen; vom niederſäch-
ſiſchen ſpoden, im Engliſchenspeed. Geſchwin-
digkeit und Glück im Ausführen heiſst Spood;
wovon ſpodig, betriebſam. Das griechiſche σπȣδη
ſtammt aus der ſelbigen Wurzel der gemeinſa-
men Urſprache. - V. 215. Harken, rechen.
- V. 240. Gelten für betreffen erfodert den
vierten Fall: es gilt mein Leben, es gilt mich.
Ein anderes iſt: die Entſchuldigung gilt mir,
ſtatt, ich laſſe ſie gelten. Unſere beſten Schrift-
ſteller erwogen dieſen Unterſchied nicht immer. - V. 252. Samarie, die lange vorn geſchloſſe-
ne Amtskleidung der Geiſtlichen. Ehmals war
[224]ANMERKUNGEN
Summarie eine Tracht der Vornehmen; und
Simarre, Cimarre, Samare, bedeutet in den be-
nachbarten Sprachen ein langes, von den Per-
ſern, wahrſcheinlich in den Kreuzzügen, entlehn-
tes Weibergewand. - V. 282. Iltis, Illing, Ilk, ein ſchwarzgelbes
Raubthier von der Gröſse einer Kaze:muste-
la Putorius. - V. 284. Muskathyacinthe, wohlriechende
Traubenhyacinthe:hyacinthus muscari.
DRITTE IDYLLE.
- V. 17. Metten, die fliegenden Spinneweben
im Herbſte, Marienfäden, Sommerfäden, Gras-
weben, der fliegende Sommer, der Altweiberſom-
mer, Metkenſommer, Slammetjenſommer: von
Meddik oder Metje, Made, und Slammeddik,
Regenwurm. Der veränderliche Volksglaube hält
ſie für ein Geſpinnſt von Elfen und Zwergen,
von der Mutter Maria, und von Erdwürmern. - V. 30. Gravenſteiner, ein edlerer Apfel in
Holſtein, der nach dem fürſtlichen Schloſſe Gra-
[225]ANMERKUNGEN
venſtein, wie man ſagt, aus Italien gebracht
wurde. - V. 46. Sandart oder Sander, ein ſchmack-
hafter Fiſch aus dem Barſchgeſchlecht:perca
lucioperca. - V. 105. Polterabend oder Brautabend, die
Zurüſtung zur morgenden Hochzeit, oft mit
einer Luſtbarkeit der Jünglinge und der Mädchen. - V. 144. Praxiteles und Phidias, griechiſche
Bildner aus der ſchönſten Zeit. - V. 145. Angelika Kaufmann, eine deutſche
Mahlerin in Rom. - V. 412. Zorn für Eifer und heftige Bewe-
gung, wie das griechiſche οζγη. - V. 425. Sülzmilch, dicke geſäuerte Schaf-
milch. Im Herbſte wird die abnehmende fettere
Milch jeden Morgen dick gekocht, in das Ge-
fäſs zugeſchüttet, und durch häufiges Umrühren
zähe gemacht. Man giebt ſie den Winter hin-
durch auf den Tiſchen der Vornehmen mit Zuk-
ker beſtreut zum Braten. - V. 464. Wählig, aus dem Niederſächſi-
ſchen, wohlgemut, üppig; von Wähl oder Weel,
P
[226]ANMERKUNGEN
Wohlſein, Uppigkeit: Engliſchweal, wealth,
Überfluſs, Reichthum. - V. 465. Das Kind iſt ſchier oder glatt,
als wäre es aus dem Teige gewälzt: ein nie-
derſächſiſches Sprichwort. - V. 471. Ein Sprichwort, womit man vorei-
lige Sorge abweiſet. - V. 541. Raufe, eine längs über der Krippe
befeſtigte Leiter, durch welche das aufgeſteckte
Futter vom Viehe gerauft wird. - V. 542. Tülle, die Röhre des Leuchters
und der Laterne. Adelung ſchreibt Dille, und
erklärt jenes für die gröbere Ausſprache. - V. 554. Lünſe, der breitköpfige Achsna-
gel, das Rad zu halten. Schweiſsen, zwei Stücke
Eiſen, die in der Schweiſshize flieſsen, mit dem
Hammer vereinigen. - V. 580. Kunſtpfeifer, im gemeinen Leben
ein Muſiker. - V. 597. Das Mädchen, das am Roſenfeſt
einiger Gegenden, als das tugendhafteſte des
Dorfes, mit dem Roſenkranze geſchmückt wird,
[227]ANMERKUNGEN
heiſst das Roſenmädchen. Die Sitte iſt aus
Frankreich entlehnt. - V. 726. Sprock, ſpröde, zerbrechlich.
- V. 831. Aus Schulzens Liedern im Volkston.
- V. 854. Bühre, der Überzug eines Kiſſens:
in Oberſachſen die Züge. - V. 866. Eiderdunen, die zarteſten Dunen
oder Flaumfedern, welche der Eider, oder die
Eidergans,anas mollissima, ein nordiſcher Kü-
ſtenvogel zwiſchen Gans und Ente, ſich ſelbſt
aus der Bruſt rupfet, und zum Schuze der Eier
in den Neſtern aufhäuft, woraus man ſie ein-
ſammelt, und wegen ihrer Weiche und Leich-
tigkeit theuer verkauft. - V. 878. Kanten, im Niederſächſiſchen, die
Spizen, wegen ihres eckigen geſpizten Randes.
Das Wort Kante, Ecke oder Seite, brachten
ſchon die älteſten deutſchen Eroberer nach Ita-
lien und Frankreich. - V. 895. Eyo Popeyo, oder Eya Popeya,
wird häufig im Wiegengeſange gehört. Hier
bezieht es ſich zugleich auf ein Lied von Göthe
mit ſchulziſcher Muſik, das eben geſungen worden.
[228]ANMERKUNGEN
- V. 902. Asmodi, der Eheteufel der jüdi-
ſchen Mythologie, der ſelbige, der, wie das
Büchlein von Tobias III, 8 bezeuget, in der
Brautkammer der ſchönen Sara, der Tochter
Raguels, ſieben junge Männer nach einander
tödtete; bis ihn der junge Tobias mit Fiſchleber
wegräucherte, und der Engel Rafael in der
Wüſte Egyptens band. In Grünau ſind ſchon
Jäger und Hirten ſo weit aus der Kindheit, daſs
ihr Pfarrer durch ſcherzhafte Erwähnung ſolcher
Teufeleien, die Milton im verlorenen Paradies
IV, 168 noch ernſthaft behandelte, nicht anſtö-
ſsig zu werden fürchtet.
Appendix A
Berlin, gedruckt bei J. G. Langhoff.
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Luise. Luise. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bqf7.0