[][][][][][][[I]]
Die Jobſiade.

Ein
komiſches Heldengedicht
in
drei Theilen


Zweiter Theil.

Dortmund:
in der Buchhandlung der Gebruͤder Mallinckrodt.
O. M. 1799.

[[II]][[III]][[IV]]

Herr Hieronimus Jobs,
ehemals verſtorbener Nachtwaͤchter zu Schild-
burg, jetzt wohlverdienter Pfarrer zu
Ohnewitz.


[[V]]
Leben, Meinungen
und
Thaten
von
Hieronimus Jobs
weiland
Kandidaten,

Der zwar als Nachtwaͤchter zu
Schildburg ſtarb,
Doch endlich die Ohnwitzer Pfarre
erwarb.

Zweiter Theil.

Ebenfalls ſo gut es konnte geſchehen,
Durchgehends mit Holzſchnitten verſehen,
Zum Theil neu und zum Theil alt,
Sauber gemacht und wohlgeſtalt.

Dortmund:
in der Buchhandlung der Gebruͤder Mallinckrodt.
O. M. 1799.

[[VI]][[VII]]
In-
[[IX]]

Inhalt.


  • Erſtes Kapitel.
    Wie der Autor ſich und die Leſer zum zweiten
    Theile praͤparirt mit Komplimenten und et
    cetera’s. Als eine Vorrede anzuſehen.
  • Zweites Kapitel.
    Wie der zweite Theil des Lebens von Hieroni-
    mus Jobs, ſich mit ſeinem Leichenbegaͤngniſſe
    anhebt.
  • Drittes Kapitel.
    Worin die Frau Nachtwaͤchterin Jobs ploͤtzlich
    ſtirbt, aber Hieronimus ſelbſt ſich wohl befin-
    det.
  • Viertes Kapitel.
    Allerlei Bewegungen und Reden, welche nach
    dieſen Begebniſſen entſtanden, und von der
    Verordnung, welche der Magiſtrat herausgab:
    niemanden zu begraben, als wenn er todt ſey,
    bei 14 Goldgulden Bruͤchte, zum Behuf der
    Kaͤmmerei.
  • Fuͤnftes Kapitel.
    Wie dieſe Wundergeſchichte vom Magiſtrat
    protocollirt ward; item gelehrte Nachricht von
    der Schildburgiſchen Chronik.
  • Sechſtes Kapitel.
    Beſchreibet die Verdienſte des Herrn Schnellers.
  • Siebentes Kapitel.
    Wie Hieronimus Verdruͤßlichkeiten bekam, we-
    gen ſeines Auflebens, mit dem Todtengraͤber
    und ſeinem Amtsſucceſſor.
  • Achtes Kapitel.
    Charakter und Portraͤt der Herren Advokaten
    Schluck und Schlauch.
  • Neuntes Kapitel.
    Wie der Jobſiſche Proceß gefuͤhret ward. Ein
    Kapitel, welches man uͤberſchlagen kann, weil
    es nur den gewoͤhnlichen Weg Rechtens ent-
    haͤlt.
  • Zehntes Kapitel.
    Enthaͤlt finalem Sententiam in Cauſa des Tod-
    tengraͤbers zu Schildburg, qua Klaͤgers eines
    Theils; contra und gegen den weiland todtge-
    weſenen und nun wieder lebendigen Nacht-
    waͤchter Hieronimus Jobs, qua Beklagten
    andern Theils; worin abſeiten des letztern ſuc-
    cumbirt wird, cum omnibus Expenſis; mit
    Rationibus dubitandi et decidendi gehoͤrig
    bekraͤftigt.
  • Eilftes Kapitel.
    Lobrede auf die verſtorbene Frau Jobs; ſehr be-
    weglich zu leſen.
  • Zwoͤlftes Kapitel.
    Wie Hieronimus der Witwer ſich ſehr vernuͤnf-
    tig betrug. Ein rares Kapitel.
  • Dreizehntes Kapitel.
    Potz Blitz! da kommt der Herr von Ohnewitz.
  • Vierzehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus, dem Herrn von Ohnewitz ſeine
    Geſchichte treulich erzaͤhlet, mit Uebergehung
    desjenigen was ihm unerheblich duͤnkte.
  • Funfzehntes Kapitel.
    Scharfe Gerechtigkeitspflege in Ohnewitz.
  • Sechszehntes Kapitel.
    Bei welcher guten Gelegenheit Herr von Ohne-
    witz nach Schildburg gekommen, thut der
    Autor hier aufrichtig erzaͤhlen.
  • Siebenzehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus mit dem Herrn von Ohnewitz
    reiſet und ſein Abſchied von ſeinen Freunden
    in Schildburg, item vom Herrn Judex
    Squenz.
  • Achtzehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus mit dem Herrn von Ohnewitz
    auf der Reiſe iſt, und was ſich da zugetragen
    hat, weil er vernuͤnftig beſunden ward.
  • Neunzehntes Kapitel.
    Wie Hieronimus zu Ohnewitz ankam, und wie
    er mit dem jungen Herrn als Hofmeiſter nach
    der Univerſitaͤt reiſet, und ſo weiter.
  • Zwanzigſtes Kapitel.
    Seine diesmalige Studia und gluͤckliche Beendi-
    gung derſelben.
  • Ein und zwanzigſtes Kapitel.
    Ein braves Kapitel; enthaltend Geld und einen
    Brief des Hieronimi an ſeine Mutter.
  • Zwei und zwanzigſtes Kapitel.
    Worin laͤnglich die Antwort der Frau Witwe
    Schnaterin Jobs zu leſen, auf den Brief ih-
    res Sohnes.
  • Drei und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie der junge Herr mit Hieronimus die Welt
    beſehen ſoll und der Schulmeiſter Loci einen
    unvorgreiflichen Reiſeplan uͤberreichen that.
  • Vier und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimo aufgetragen ward, zum Spaß
    eine Reiſekarte nach dem Plan des Schulmei-
    ſters anzufertigen; welche hier im ſaubern
    Kupferſtich mitgetheilet wird.
  • Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.
    Hieronimus ſoll Paſtor werden. Item, Be-
    ſchreibung ſeiner Pfarre.
  • Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus in dem Examen gut beſtund
    und mehr wuſte als ſeine Examinaters.
  • Sieben und zwanzigſtes Kapitel.
    Wie Hieronimus nun Paſtor ward und fuͤr kuͤnf-
    tigen Sonntag auf ſeine Antrittspredigt ſtu-
    dirte, welche im neun und zwanzigſten Kapitel
    zu leſen ſeyn wird.
  • Acht und zwanzigſtes Kapitel.
    Unruhe der Ohnewitzer Gemeinde uͤber die Anſtel-
    lung des neuen Paſtors.
  • Neun und zwanzigſtes Kapitel.
    Eintrittspredigt des neuen Herrn Pfarrers; ſehr
    erbaulich, aber doch abgebrochen, damit der
    Leſer nicht einſchlafe.
  • Dreißigſtes Kapitel.
    Was dieſe Rede fuͤr Senſation machte, und die
    Wirkung welche ſie hervorbrachte.
  • Ein und dreißigſtes Kapitel.
    Der neue Pfarrer ſchreibet mit frohem Sinn,
    ſeiner Mutter noch einen Brief hin.
  • Zwei und dreißigſtes Kapitel.
    Hier werden die ſeltenen Verdienſte eines Herren
    Dorfpfarrers beſchrieben.
  • Drei und dreißigſtes Kapitel.
    Wie ſich Ehren Jobs im guten Wohlſtande bis
    dato
    [[XVI]]Inhalt.
    dato befindet, und wie ſeine Mutter ſtarb,
    und wie ſeine Schweſter ihm gut haushaͤlt.
  • Vier und dreißigſtes Kapitel.
    Zeiget kuͤrzlich, wie ſich alles weit beſſer hier ge-
    reimet habe, als im erſten Theil.
  • Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.
    Hier folgt zum Beſchluß die Moral und das
    Buch nimmt ein trocknes Ende.

Erſtes[[1]]

Erſtes Kapitel.


Wie der Autor ſich und die Leſer zum zweiten
Theile praͤparirt mit Komplimenten und et ce-
tera’s. Als eine Vorrede anzuſehen.


[figure]
1. Haͤtte es nie koͤnnen ahnden noch glauben,

Daß mir Zeit und Umſtaͤnde wuͤrden erlauben,

Von Hieronimus Jobs einen zweiten Band

Einem ehrſamen Publikum zu machen be-

kannt.

Jobſiade 2ter Thl. A2. Denn
[2]
2. Denn die Herren Kritiker und Recenſenten

Machen heuer mit ſolchen Produkten kein’

Komplimenten,

Und verfahren uͤberhaupt bunt und kraus,

Wenn ein Autor giebt ein Buͤchlein ’raus.

3. Drum war auch mir ſchon bei dem erſten

Gange

Schier nicht gut zu Muth, ſondern herzlich

bange,

Und ich zoge, ſo gut es konnte ſeyn,

Das Aushaͤngeſchild der Autorſchaft ein.

4. Mochte auch eben niemanden groß flattiren,

Noch gelehrten Journaliſten die Haͤnde ſchmie-

ren;

Denn ich dachte: es falle wie es faͤllt,

Ich ſchreibe incognito und behalte mein

Geld;

5. Und, poſito! mein Buͤchlein wuͤrde tuͤchtig

gepeitſchet,

Weil es ſo erbaͤrmlich gereimet und gedeutſchet;

So gehe es doch nach loͤblichem Brauch,

Nicht anders beſſern Schriftſtellern auch.

6. Indeß iſt es meinem Kindlein beſſer ergangen,

Als ichs jemals haͤtt’ koͤnnen wuͤnſchen und ver-

langen,

Denn ſelbſt große Leute haben oft und viel

Damit gehabt ihre Luſt und ihr Spiel.

7. Ein
[3]
7. Ein und andrer gab ihm zwar kleine Stoͤße

Und hier und da etwas vor ſeine Bloͤſſe;

Jedoch fuͤr muthwillige Kinder klein

Muß ja billig gute Zucht und Strafe ſeyn.

8. Ich weiß doch, man iſt ſo artig geweſen,

Hat meinen Hieronimus Jobs weit und breit

geleſen,

Und uͤber den Spaß, den er gemacht,

Das Zwerchfell geſchuͤttelt und oft gelacht.

9. Man ſagt ſogar, er wuͤrkte beſonder

Als ein Specificum gegen das Hypochonder,

Und waͤre ſo gut als das beſte Laudan

Bei dem, der fuͤr Sorge nicht ſchlafen kann.*)

10. Das will nun, warlich! in unſern Tagen

Die ſo aufgeklaͤrt ſind, viel ſagen;

Denn manches Buch in Proſe und Gedicht,

Hat bekanntlich ſo viele Verdienſte nicht.

11. Ich bin dergeſtalt, auf vielfaͤltiges Bitten,

Zur Ausgabe eines zweiten Theiles geſchritten,

Und behalte drin die gewohnte Reimerei

Nach Hans Sachſens ſchoͤner Manier, bei.

12. Es werden zwar in den Reimen manche

Strophen

Auf zu wenigen Fuͤßen hinkend angetroffen;

Es
A 2
[4]
Es ſind aber auch manche Strophen wieder

dafuͤr

Laͤnger, und mit zu viel Fuͤßen laufend all-

hier.

13. Darob macht vielleicht mancher Herr Kunſt-

richter

Zwar Grimaſſen und ſaure Amtsgeſichter;

Ich kehr mich aber dermal wenig oder gar

nicht

An ein ſolches ernſthaftes Kunſtgeſicht.

14. Es werden auch die vornehmſten Geſchichten

und Dinge,

Welche ich alhier bekannt mache und beſinge,

Wie gebraͤuchlich im ſaubern Holzſchnitt,

Zur Anſchaulichkeit getheilet mit.

15. Ob Herr Unger in Berlin, oder wer ſonſt,

ſie geſchnitten,

Dies zu unterſuchen, will ich mir ſehr verbitten;

Iſt die Arbeit nur gut, ſo liegt nichts dran

Was fuͤr ein Holzſchneider ſie gethan.

16. Zwar hatte ich dieſen Theil ſchon laͤngſt ge-

ſchrieben

Der Druck iſt aber verſaͤumet und unterblieben;

Denn ich litte, leider! auch manchen Ver-

druß

Ob des Buͤchleins, welches ich klagen muß.

17. Nem-
[5]
17. Nemlich, man hat mir boshafter Weiſe

Schuld gegeben,

Als wenn ich in des Hieronimus Jobs Thaten

und Leben

Ueberall haͤtte ſatyriſirt,

Oder gar perſonaliſirt.

18. Nun kann ich aber, bei meiner Treu und

Ehren!

Jedermaͤnniglich laut und offen erklaͤren,

Daß ich von perſoͤnlicher Beleidigung frei,

Und fuͤr niemand das Buͤchel anſtoͤßig ſey.

19. Wer ſich alſo in Zukunft etwa wuͤrde ver-

geſſen

Und mir abſurde Abſichten beimeſſen,

Den erklaͤre ich hiemit rund

Fuͤr einen et cetera und boͤſen Leumund!!

20. Ich hoffe der hochgeneigte Leſer nimmt dieſe

Ganz gehorſamſte Proteſtation und Exkuͤſe

Guͤtig auf, und ſo ſchreite ich dann

Weiter, und fange die Geſchichte an.

Zwei-
[6]

Zweites Kapitel.


Wie der zweite Theil des Lebens von Hieroni-
mus Jobs, ſich mit ſeinem Leichenbegaͤng-
niſſe anhebt.


[figure]
1. Hat man wohl je irgend gehoͤrt und geleſen,

Daß ein Lebensbeſchreiber in der Welt geweſen,

Welcher den zweiten Theil der Lebensge-

ſchichte anhebt,

Da, wo der Held der Geſchichte nicht mehr

lebt?

2. Den-
[7]
2. Dennoch ſoll dieſes, wie wir nun werden

ſehen,

Von mir ohne alles Bedenken geſchehen;

Ich paſſire folglich in dieſem Fall

Fuͤr ein leibhaftes Schriftſtelleroriginal.

3. Alles, was ich in den folgenden Jahren

Von Hieronimus Jobs ferner gehoͤrt und

erfahren,

Das erzaͤhl ich ohne Umſtaͤnde getreu,

Und thue davon weder etwas ab, noch bei.

4. Indeſſen was ich nun von ihm ſinge und ſage

Geſchiehet freilich nicht immer und alle Tage;

Doch iſts auch uͤberall nicht ſo beſtellt

Wie im Lande Schwaben und in der Welt.

5. Es gingen faſt alle Buͤrger, arme und reiche

Mit dem wohlſeligen Hieronimus in Schild-

burg zur Leiche,

Und es ſchallte traurig aufs ofne Grab

Glockengelaͤute vom Kirchthurm herab.

6. Hinter dem geiſtlichen Herrn im Trauerornate,

Folgten ſaͤmtliche Glieder vom Magiſtrate;

Jeder Mann, und noch mehr jede Frau

Beobachtete Rang und Etikette genau.

7. Der Pfarrer ſchien noch waͤhrend dem Mar-

ſchiren

Seinen wohlgewaͤhlten Leichtext zu ſtudiren,

Und
[8]
Und Kuͤſter und Schulkinder ſangen jaͤm-

merlich

Das bekannte Lied: Herzlich thut mich ꝛc.

8. Die Reihe der Leidtraͤger war ungewoͤhnlich

Lang, und der Zug traurig und anſehnlich;

Faſt jeder weinte und manchen Flor

Sah man flattern vom langen Ohr.

9. Denn kein Nachtwaͤchter ſeit undenklichen

Zeiten,

War ſo beliebt geweſen bei allen Leuten,

Und jeder, der ihn kannte, behauptete kuͤhn:

Daß er geſtorben, ſey Mordſchade um ihn.

10. Der armen Wittwe ihr Leid ſchien am groͤßten

Und man vermochte kaum ſie zu troͤſten;

Obgleich ſie noch war geſund, friſch und

jung

Und allenfalls zur dritten Ehe gut genung.

11. So kam der Leichenzug im langſamen Trabe,

Zum Kirchhofe bei dem ſchaudervollen Grabe,

Und man [...]achte feierlich alſobald

Zur Einſenkung des Sarges die Anſtalt.

12. Da hub der Pfarrer im Peroriren nicht bloͤde,

Erſt an zu ſagen eine ſtattliche Leichenrede,

Worin er, wie Recht iſt, mit großem Lob

Anfangs die Verdienſte des Sel’gen erhob:

13. „Wie
[9]
13. „Wie daß er in ſeinem ganzen Wandel und

Weſen,

„Ein getreuer Nachtwaͤchter des Staͤdtleins

geweſen

„Und daß er dafuͤr im Grabe nun

„Nach ſo langem Wachen, koͤnne friedlich

ruhn.“

14. Er hatte aber noch gar nicht lange geſprochen,

Da wurde er durch ein Geraͤuſch unterbrochen,

Und ehe er mit dem Exordium

Zu Ende kam, ward er ploͤtzlich ſtumm.

15. Das Geraͤuſch, ein Stoͤhnen, Pochen und

Prallen,

That aus dem Sarge des weiland Jobs

ſchallen;

Jeder ſtutzte und ſpitzte das Ohr

Und manches Haar ſtraͤubte ſich hoch empor.

16. Himmel, was gab dies fuͤr ein Spektakel!

Alles ſchrie laut: Mirakel, Mirakel!

Alt und jung, Kuͤſter und geiſtlicher Herr,

Flohn als ob Feuer hinter ſie waͤr.

17. Alle und jede erſchreckte die Meinung:

Es ſpucke hier eine Geſpenſtererſcheinung;

Denn im Schwabenland war man in dem

Stuͤck

Der Aufklaͤrung noch etwas weit zuruͤck.

18. Da
[10]
18. Da flogen im Fliehen Floͤre und Tuͤcher,

Trauermaͤntel, Alongeperucken und Buͤcher,

Hauben, Haarbeutel, Handſchuh umher,

Und ploͤtzlich wurde der Kirchhof ſchier leer.

19. Aber Herr Schneller, ſeit geraumen Jah-

ren

In Heilkunde und Phyſik weidlich erfahren,

Welcher zum Gluͤcke dem Sarge nah ſtand,

Merkte ſogleich, wie die Sache bewandt.

20. Er ſchrie laut zu dem fliehenden Haufen,

Man moͤchte nicht ſo erſchrecken, noch weg-

laufen,

Denn das Ding waͤre nicht ſo arg.

Er warf indeſſen den Deckel vom Sarg.

21. Alsbald dieſes von Herrn Schneller geſchehen,

Hat man mit großer Verwunderung geſehen,

An Bewegung der Haͤnde, des Leibes und

Kopfs,

Den wieder auflebenden Nachtwaͤchter

Jobs.

22. Dieſer Vorfall iſt zwar ſonderbar zu hoͤren,

Indeß laͤßt er ſich ganz natuͤrlich erklaͤren,

Weil der gute Hieronimus zwar

Todt ſchien, aber nicht eigentlich todt war,

23. Jener Doktor hatte ihm auf Tod und Leben

Ein ſeynſollendes Lebenselyxir eingegeben,

Welches
[11]
Welches aber, als ein ſtarkes Opiat,

Drei Tage lang ſeine Wuͤrkung that.

24. Man hatte ihn alſo und dergeſtalten

In ſeinem Schlafe fuͤr wuͤrklich todt gehalten.

Dieſes Beiſpiel lehret nun jedermann,

Wie leicht man ſich am Tode irren kann.

25. Man ſagt, es haͤtte ſchon andre Faͤlle gegeben,

Daß man ohnmaͤchtige Menſchen, bei noch

leben-

digem Leibe, aus Irrthum hab

Zu fruͤhzeitig gebracht in die Erde hinab.

26. In unſern Tagen iſts alſo ’ne ruͤhmliche

Mode,

Daß man vorſichtig iſt bei der Menſchen Tode,

Und daß nun niemand mehr in die Erde

ſinkt,

Bis er, ſalva venia, faul iſt und ſtinkt.

27. Beilaͤufig fuͤhr ich dies jedem zu Gemuͤthe,

Damit man uͤberall ein Ungluͤck verhuͤte;

Denn ein jeder ehrlicher Biedermann

Koͤnnte ſonſt mal erſchrecklich laufen an.

28. Auf Herrn Schnellers Veranſtaltung faßten

Nun die Traͤger den Sarg mit dem weiland

Erblaßten,

Trugen ihn geſchwinde ins naͤchſte Haus,

Zogen die Todtenkleider ihm aus,

29. Und
[12]
29. Und Herr Schneller der ruͤſtige Bader,

Schlug ihm drauf tuͤchtig eine Ader,

Rieb Stirn und Schlaͤfe mit Salmiak,

Und ſetzte ein Klyſtier von Rauchtaback.

30. Der Leib ward mit warmen Tuͤchern frottiret,

Die Naſe mit Eſſig und Spirituſſen geſchmieret

Und ſo kehrte Hieronimus zum Gluͤck,

Bald wieder ganz ins Leben zuruͤck.

31. Er hat ſich darauf ſeit dieſen Stunden,

Voͤllig gut und geſund befunden,

Und des Herren Schnellers Arzenei

Truge dazu augenſcheinlich bei.

32. Nur behielt er noch lange eine blaſſe Farbe

Und am Kopf vom Stoßen im Sarge eine

Narbe,

Wurde jedoch von ſolcher Zeit an

Ein ſehr vernuͤnftiger und braver Mann.

33. Ob etwa die Herren Pſychologen

Die Urſach einer ſo guͤnſtigen Aenderung er-

wogen,

Und ob davon mehr Exempel ſeyn,

Dieſes zu erfahren ſollte mich freun.

Drit-
[13]

Drittes Kapitel.


Worin die Frau Nachtwaͤchterin Jobs ploͤtzlich
ſtirbt, aber Hieronimus ſelbſt ſich wohl
befindet.


1. Nach dem gemeinen Spruͤchwort iſt große

Freude

Gemeiniglich gemiſcht oder befolgt mit Leide,

Und vom luſtigen Hopſa und Froͤlichkeit

Iſt Jammer, Auweh und Trauer nicht weit.

2. Dies Spruͤchwort hat auch, leider! bald nach

dieſen,

Geſchichten, in Hieronimi Hauſe als wahr ſich

gewieſen,

Wo nur ein Schritt, ja nur ein Haar,

Zwiſchen dem Tode und Leben war.

3. Denn kaum war Hieronimus wieder aufer-

wecket,

So ward ſeine Frau davon ſo heftig erſchrecket,

Daß alles Blut im Leibe bei ihr erſtarrt

Und ſie plotzlich eine Leiche ward.

4. Da half weder Aderlaſſen noch Klyſtiren;

Sie blieb todt, ohne einmal ſich zu ruͤhren,

Und Herrn Schnellers erhabene Kunſt

Erſchoͤpfte ſich an ihr ganz umſunſt.

5. Ob
[14]
5. Ob etwa die ſchnelle Freude ſie ſo verdorben,

Daß ſie davon ſo geſchwinde geſtorben,

Dieſes, ſo wohl als anders noch mehr,

Genau zu eroͤrtern, gehoͤrt nicht hieher.

6. Einige haben wollen behaupten und ſagen,

Als ob Frau Jobs ſchon in den erſten zwei Tagen

Der Wittwenſchaft, mit einem andern ſich

Haͤtte verlobt und eingelaſſen ehelich;

7. Des erblaßten Gatten Auferſtehung aber waͤre

Nun bei ihr gekommen in die Quere,

Und dieſer unvermuthete große Schmerz

Haͤtte ihr gebrochen das empfindliche Herz.

8. Allein, es iſt Suͤnde ſich ſo zu uͤbereilen

Und von armen jungen Wittwen ſo lieblos

zu urtheilen;

Das ſicherſte, was man davon ſagen kann,

Iſt: der Tod will eine Urſache han.

9. Sie ward nach vier Tagen zur Erde be-

ſtattet,

Und Hieronimus, zwar noch etwas ermattet,

Gab doch mit aller Zaͤrtlichkeit

Ihr zur Ruheſtatt das Geleit.

10. Froh, daß er diesmal dem Grabe entnommen

Und mit dieſer Kleinigkeit gluͤcklich davon ge-

kommen;

Denn er dachte, beſſer heißts: Heute dir

Und nach Gelegenheit erſt morgen mir.

Vier-
[15]

Viertes Kapitel.


Allerlei Bewegungen und Reden, welche nach
dieſen Begebniſſen entſtanden, und von der
Verordnung, welche der Magiſtrat herausgab,
niemand zu begraben, als wenn er todt ſey;
bei 14 Goldgulden Bruͤchte zum Behuf der
Kaͤmmerei.


1. Das Geruͤcht von dem geſchehenen Abenteuer

Verbreitete ſich uͤberall wie ein laufend Feuer,

Und ward bald durch ganz Schwabenland,

Theils mit, theils ohne Zuſatz bekannt.

2. Mancher hielt es fuͤr eine erſonnene Maͤhre,

Was da in Schildburg neulich geſchehen waͤre,

Und jeder nach ſeiner beſondern Manier,

Disputirte davon, theils wider, theils fuͤr.

3. Andre erzaͤhlten, daß man letzthin habe

In Schildburg gebracht einen Mann zu

Grabe,

Welcher nunmehr in Geſpenſtergeſtalt

Herumging und erſchreckte Jung und Alt.

4. Andre haben ſo gar behauptet und geſprochen,

Er habe als Geiſt, ſeiner Wittwe den Hals

gebrochen,

Weil ſie einen jungen Menſchen gekuͤßt;

Und was des dummen Zeugs mehr iſt.

5. Aber
[16]
5. Aber vor allen andern betrug ſich

Der Magiſtrat von Schildburg ſehr kluglich;

Denn ſo bald der erſte Schrecken verſchwand

Nahm man das wichtige Geſchaͤft zur Hand,

6. Und that in Pleno deliberiren,

Damit nicht kuͤnftig was aͤhnlich’s moͤge paſſi-

ren,

Und machte sub Dato den 21ten Hornung

Von Wort zu Wort folgende Verord-

nung:

7. Sintemal und alldieweil in dieſen Tagen

Sich der beſondere Caſeus zugetragen,

Daß man jemand beinahe mit Haut und

Haar

Begraben haͤtte, der noch lebendig war;

8. Alſo findet ein hochweiſerMagiſtratus

Schildburgenſis,daß es ein fuͤrchterlicher

Status

Sey, wenn man jemanden ſteckt ins Loch,

Welcher bei dieſemActulebet noch.

9. Dergleichen Exceſſen nun kuͤnftig vorzubeugen

Wollen wir alle obrigkeitliche Muͤhe bezeigen,

Und geben hiemit das ernſtliche Gebot:

Niemanden zu begraben, er ſey dann todt.

10. Wer
[17]
10. Wer ſich das Gegentheil laͤßt kommen zu

Schulden,

Soll geſtraft werden um 14 Goldgulden,

Und dieſes verwuͤrkte Strafgeld ſey

Dann fuͤrsAerariumder Kaͤmmerei.

11. Damit es zu jedermanns Kenntniß moͤg

gelangen

Soll man dies ander Rathhausthuͤr feſthangen,

Imgleichen noch ſonſt hier und dort,

An den Kirchen und andern oͤffentlichen Ort.

12. Auf daß jeder Buͤrger daſſelbe ſehe

Und ſich nach dem Inhalte puͤnktlich begehe,

’S findet folglich bei dieſem Plakat

Keine Exkuͤſe der Unwiſſenheit ſtatt.

13. Datum im voͤlligen pleniſſimo magiſtratu

Coram ſaͤmmtlichen gegenwaͤrtigen Senatu.

Affigatur et bublicetur

Et ad Prutacollum notetur.
[figure]
Fuͤnf-
[18]

Fuͤnftes Kapitel.


Wie dieſe Wundergeſchichte vom Magiſtrate
protokolliret ward. Item gelehrte Nachricht
von der Schildburgiſchen Chronik.


1. Anfangs vermochte niemand es zu errathen

Was die Herren ohnedem noch vorhatten und

thaten,

Denn ſie hielten nicht lange nachher,

Eine Rathsverſammlung extraordinaͤr.

2. Drin wurde der Vorfall protokolliret

Und von Wort zu Wort geregiſtriret,

Damit dereinſt Kind und Kindeskind

Dies Wunder zum ewigen Andenken fuͤnd.

3. Nemlich, zwiſchen manchem von Maͤuſen zer-

nagten Briefe,

Lag wohlverwahrlich im Stadtsarchive

Ein beſonders ehrwuͤrdiges Stuͤck,

Genannt Schildburger Chronik.

4. Die Dinte war vor Alter ſehr erbleichet,

Das Papier von Naͤſſe durch und durch er-

weichet,

Wobei auch der ſtarke ſchweinslederne Band

Sich wurmſtichicht und gar zerlumpt befand.

5. Der
[10[19]]
5. Der Titel, welcher noch halb gut geblieben,

Zeigte, wer ehmals den Anfang davon ge-

ſchrieben,

Nemlich Meiſter Lolf Didrich Lax,

Schildburger Hiſtoriograph und Scribax.

6, Von wannen und in welchem Jahr der Autor

geweſen,

Das konnt man auf’m Titel, leider! nicht

mehr leſen,

Auch Joͤchers Gelehrten Lexikon

Welches ich nachſchlug, meldet nichts davon.

7. Darf ich indeß bei dieſer dunkeln Sache es

wagen,

Meine unmaßgebliche Meinung zu ſagen;

So lebte Meiſter Lolf Didrich Lax, um

S’ funfzehnte, ſechszehnte oder ſiebenzehnte

Sekulum.

8. Man wird es mir auch hoffentlich erlauben,

Vor der Hand zu behaupten und feſt zu glau-

ben,

Wegen der Deutſchen Schreiberei,

Daß er ein Deutſcher geweſen ſey.

9. Wahrſcheinlich hat der, der die Chronik ge-

ſchrieben,

Zugleich das loͤbliche Schuſterhandwerk ge-

trieben;

B 2Denn
[20]
Denn dieſe rare Antiquitaͤt

War mit Pechdrath geheftet und genaͤht.

10. Er war uͤbrigens ein Erzſpasvogel;

Denn er fuͤhrte bald vom Pabſt, bald vom

Großmogel,

Bald von Knipperdoͤlling, bald vom Sul-

tan,

Anekdoten bunt durcheinander an.

11. Weiters wird man ſchwerlich von ihm was

erfahren,

Bis vielleicht andre geſchickte Antiquaren

Des Autors genaue Biographie

Unterſuchen und beſchreiben ſpaͤt oder fruͤh.

12. Der Schreibſtil war zwar in den meiſten

Stuͤcken

Elendig wie in andern alten Chroniken,

Auch war nur drin zu ſehn hie und da ’ne

Spur

Einer mit Dinte gemahlten Figur;

13. Aber es war doch drin ausfuͤhrlich zu leſen:

Was in Schildburg von Anfang der Welt

merkwuͤrdig’s geweſen,

Und wie die Arche Noaͤh nach der Suͤnd-

fluth

Auf dem Alpengebirge Ararat geruht,

14. Und
[21]
14. Und wie die Deutſchen von Japhet ab-

ſtammen,

Und zum Theil nach dem Staͤdtchen Schild-

burg kamen,

Als zur babiloniſchen Thurmzeit

Sich die Nationen hin und her zerſtreut;

15. Auch von Nimrod dem gewaltigen Jaͤger,

Und Goliath dem renomirten Philiſter und

Schlaͤger;

Ferner von Abraham, Iſaak und Jakob

Und vom geduldigen Mann Hiob;

16. Die Bauzeit der aͤgyptiſchen Pyramiden;

Nachricht von den Alrunen und Druiden;

Und mehr Dinge bald aus alter, bald neuer

Zeit,

Nach der Umſtaͤnde und des Reims Gele-

genheit;

17. Der Kinder Iſraels Marſch durch das rothe

Meer;

Und wie Pharao drin erſoff mit ſeinem ganzen

Heer,

Da doch einige Zeit hernach der große

Chriſtoph

Durch eben dies Meer ging und nicht erſoff;

18. Der Juden in Aegypten erlittenes Bedraͤng-

niß;

Ihre nachherige babyloniſche Gefaͤngniß;

Salo-
[22]
Salomons Tempelbau, und wie nach der

Hand

Jeruſalem wurde vom Titus verbrannt;

19. Noch ſonſt viel merkwuͤrdiges von den He-

braͤern

Und von den Wundern unter den Makkabaͤern,

Und was ſonſt alles noch unbeſchwert

Genau zur Schildburger Chronik gehoͤrt.

20. Daß lange die Tuͤrken und Huͤnen das Land

beſeſſen

Welche Heiden geweſen und Menſchen ge-

freſſen,

Bis der heil’ge Bonifaz rund herum

Die Schildburger gebracht zum Chriſten-

thum;

21. Auch daß Karl der Große ſie vollends be-

kehret,

Indem er das Land uͤberall verheeret;

Auch wie ſein Vetter der große Roland,

Das Fechten aus dem Fundament verſtand;

22. Auch wie zur Zeit der leidigen Kreuzzuͤge,

Unter Gottfried von Bouillon im heiligen

Kriege,

Aus Schildburg und dem benachbarten Land,

Sich mancher Kaͤmpe beim Heer befand;

23.
[23]
23. Wie bald darauf, vor ein paar hundert

Jahren,

Die Kirchen in Schildburg gebauet waren,

Und wer darin, genau Jahr vor Jahr,

Kuͤſter, Schulmeiſter und Pfarrer war;

24. Auch was zur Reformationszeit paſſiret,

Wie man ſich da gepruͤgelt und disputiret,

Und wie drauf mancherlei Kezzerei

Erreget oͤfters Laͤrm und Geſchrei;

25. Auch wann das Rathhaus zu Schildburg

aufgefuͤhret

Und man drin zum erſtenmal konſultiret,

Nebſt Rechnung der gehabten Koſten bei

Der damals geſchehenen Schmauſerei;

26. Wie der Ort ſelbſt nur im Anfange

Ein Dorf geweſen, und erſt lange

Nach Chriſti Geburte, erhalten da:

Vom Fuͤrſten Stadtsprivilegia,

27. Nebſt einem Galgen fuͤr arme Suͤnder

Zum Behuf ihrer und ihrer Kinder,

So daß man zu ewigen Zeiten dran

Nur Schildburger Buͤrger haͤngen kann,

28. Auch ſonſt der lieben Buͤrgerſchaft zum

Guten

Unverbruͤchliche beſondere Statuten.

Welche durch die Laͤnge der Zeit

Gekommen auſſer Gebraͤuchlichkeit.

29. Es
[24]
29. Es war ferner in dem Buche beſchrieben

Was ſonſt in Schildburg geſchehen und betrie-

ben,

Alles mit Tag und Datum aufgefuͤhrt,

Und durch fremde Haͤnde kontinuirt.

30. Zum Exempel: Blutige Balgereien,

Beſtechungen und andere Teufeleien

Bei Rathmannswahlen; item Hagelſchlag;

Stadtsproceſſe und ſonſtige Landplag;

31. Die Erſcheinung furchtbarer Kometen

Mit ehlenlangen Schwaͤnzen, welche als

Propheten,

Krieg, Peſt, Seuchen und theure Zeit,

Den armen Schildburgern geprophezeit;

32. Viele ſchreckliche Sonn- und Mondfin-

ſterniſſe,

Windſtuͤrme, Waſſerfluthen und Regenguͤſſe,

Erdbidem, Miswachs an Korn und Wein,

Erzaͤhlte die Chronik umſtaͤndlich und haar-

klein.

33. Auch waren darin keinesweges vergeſſen,

Alle Schildburgiſche Kriminalproceſſen,

Beſonders wie viel Unholdinnen und Hexen

man

Nach gehoͤriger Waſſerprobe verbrann;

34. Merkwuͤrdige Todesfaͤlle und Ungeluͤcken,

Reparirung der Kirchen, Thoren und Bruͤcken;

Verſtor-
[25]
Verſtorbener Betſchweſtern fromme Stif-

tung;

Der boͤſen Juden Brunnenvergiftung.

35. Mißgeburten, rathhaͤusliche Dekreten,

Kluge Anſtalten in allgemeinen Noͤthen,

(Doch letztere eben nicht intereſſant)

Machte die Chronik gleichfalls bekannt.

36. Auch Scheibenſchieſſen und feierliche Aufzuͤge,

Klagen uͤber erlittenes Drangſal im Kriege;

Feindliche Durchmaͤrſche und Einquartirung

Kontributionen und Fouragirung;

37. Auch Nachrichten von erfolgten Feuersbruͤn-

ſten,

Und beruͤhmten Schildburgern, und erfund’-

nen Kuͤnſten;

(Doch von letzten war Verzeichniß und

Bericht

Weder lang, noch von ſonderbarem Gewicht.)

38. So ward dann auch, wie ich oben that

ſagen,

Das erwaͤhnte Wunder in die Chronik einge-

tragen,

Woſelbſt es jeder neugierige Mann

Noch jetzt folgendermaßen leſen kann;

39. „Im
[26]
39. „Im tauſend ſiebenhundert und drei und

achtzigſten Jahre

„Starb ein Mann hieſelbſt und war auf der

Bahre,

„Woſelbſt er bis an den dritten Tag

„Als eine leibhafte Leiche lag;

40. „Man war ſchon mit ihm auf dem Gottes-

acker,

„Da wurde er wieder lebendig und wacker,

„Und ward drauf voͤllig geſund, durch

„Einen geſchickten hieſigen Chirurg.

41. „Die klare Wahrheit dieſer Begebniſſen

„Bezeugen unterzeichnete Subſcripti auf

Pflicht und Gewiſſen.

Lippel Schnack, erſter Burgermeiſter und

Schenkwirth.

Kunz Jack, zweiter Burgermeiſter und

Schweinhirt.

42. „Goͤrgel Peter, erſter Rathsherr und Blau-

faͤrber.

Michele Krummholz, zweiter dito und Ger-

ber.

Haͤnnsle Damm, Hopfenhaͤndler und Ka-

merar.

Max Grunz, Lumpenſammler und Ar-

chivar.

43. „Nota
[27]
43. „Nota bene! es ware hiebevoren

Altiſſimum Silentium bei allen Autoren,

Von dieſer hoͤchſtſchaͤtzbaren Antik,

Der noch ungedruckten Schildburger

Chronik;

44. Ich habe alſo bei dieſer Gelegenheit geeilet

Und der gelehrten Welt Nachricht davon

ertheilet;

Vielleicht macht nun kuͤnftig ein Verleger

ſein Gluͤck

Mit dem Drucke der Schildburger Chronik.

Sechſtes
[28]

Sechſtes Kapitel.


Beſchreibet die Verdienſte des Herrn Schnellers.


1. Ehe wir nun weiter zur Geſchichte ſchreiten,

Iſt es noͤthig den Leſer zu bedeuten,

Was Herr Schneller geweſen fuͤr ’n Mann,

Durch den Hieronimus dem Tode entrann.

2. Er hatte, wie geſagt, viel und große Ver-

dienſte,

War erfahren und kannte alle Heilkuͤnſte,

Uebte ſie immer gar fleiſſig, und

Machte Geſunde krank und Kranke geſund.

3. Er hatte in Strasburg die Baderkunſt ſtudi-

ret,

Und daſelbſt, qua talis cum Applauſu kur-

ſiret;

Auch manches pergament’ne Teſtimonium

Mit Siegeln dran, erhoͤhte ſeinen Ruhm.

4. Er war ungemein beruͤhmt im praktiſiren,

Durch vomiren, purgiren, klyſtiren,

Skarificirn und kauteriſirn,

Akkuſchirn und amputirn,

5. Saliviren, fomentiren, anatomiren,

Pflaſterſchmieren, und andere iren,

Und
[29]
Und dieſes machte ihn durch ganz Schwa-

benland

Als einen Wunderdokter bekannt.

6. Keiner that ſich ſo, wie er, auf den Puls ver-

ſtehen,

Keiner konnte, ſo wie er, das Waſſer beſehen,

Und keiner ſagte ſo gewiß, wie er,

Geſundheit, oder vielmehr den Tod vorher.

7. Keiner war mit der Saͤge und dem Meſſer

Bei chirurgiſchen Operationen fixer und beſſer,

Und er nahm bei jedem ſchicklichen Umſtand

Sofort die Sektion vor die Hand.

8. Gluͤcklicher als mancher promovirter Doktor

Steckte er oft dem Freund Hein den Stock vor,

Und machte alſo mit aller Gewalt,

Durch ſchoͤne Mittel in der Krankheit Halt.

9. Denn entweder den einen Weg oder den an-

dern,

Muſten die Patienten in weniger Zeit wan-

dern,

Und ſie wurden, wie ſichs gebuͤhrt,

Sicher zur Behoͤrde expedirt.

10. Fie-
[30]
[figure]
10. Fieber, Schwindſucht, anſteckende Seuchen,

Waſſerſucht, Schlag, Laͤhmung und derglei-

chen,

Kraͤtze, Wahnſinn, Stein und Skorbut,

Kurirte er alle, meiſt kurz und gut.

11. Eine ſeiner Pillen that mehr Zeichen

Als zehn andre Pillen ihres gleichen;

Und was er gewoͤhnlich den Kranken gab

Das fuͤhrte nach allen Seiten ſchnell ab.

12. Kurz! ſeine Arzneien waren durchgehend

kraͤftig,

Purgirten wenigſtens 40 mal heftig

Und
[31]
Und wer ſie nahm morgens nuͤchtern und

friſch,

Dem ward Magen und Darm ſo rein wie

ein Fiſch.

13. Seine Arcana pflegte er ſelbſt zu bereiten,

Und verkaufte ſie theuer, doch nur reichen

Leuten;

Von Armen nahm er nur maͤß’gen Profit

Als ein gewiſſenhafter Mann beilaͤufig mit.

14. Und weil ſich auch in benachbarten Landen

Kaͤufer fuͤr ſeine herrliche Kompoſita fanden,

So gab er ſie erga 50 pro cent davon,

Andern zu verhandeln in Kommiſſion.

15. Er erſann ſchlau fuͤr ſeine Arzneimittel

Des mehrern Abgangs wegen, praͤchtige Titel,

Obgleich ſich meiſtens es ſo befand,

Daß alles aus ſimpeln Sachen beſtand.

16. Eine Unze vom Pulvis aureus Doctoris

Schneller

Koſtete bei der Anlage nicht mal ’nen Heller;

Denn es war Salz mit Ziegelſtein,

Zu einem Pulver gerieben gar fein.

17. Sein Praeſervans contra alle Krankheiten,

Beſtand aus Honig und einigen Kleinigkeiten;

Und etwas Eichenrinde mit Fliedermuß war

Das Koͤnigliche Reſtaurativ Electuar.

18. Sein
[32]
18. Sein Elixir tonicum univerſale

Beſtund aus Weineſſig und gefeiltem Stahle,

Und ſeine Eſſentia stomachalis pretioſa

Aus Waſſer mit abgekochter Menta.

19. Die Pilulae purgantes miraculosae

Beſtunden aus Aloe, nebſt einer guten Doſe

Von Jalappenharz und Gummigutt,

Elaterium und Semen Cataput:

20. Sein beruͤhmter Trank die Lebensgeiſter zu

wecken

War der Abſud von Haberkoͤrnern und Quecken,

Und das Decoct ad omnes morbos pec-

toris,

War eine Bruͤhe von Suͤßholz und Anis.

21. Das Specificum infallibile contra Fieber-

hitze,

War eine Mixtur von Salpeter und Gerſten-

gruͤtze,

Und die Tinctura contraGicht und Stein,

War Terpentinoͤl mit Brandewein.

22. Das Extract imperiale die Ausduͤnſtung

zu mehren

Beſtand aus Bier gekocht mit Wachholderbee-

ren,

Und ſein Balsam vulnerar fuͤr Leib und

Seel

War etwas Kampfer mit Ruͤboͤl.

23. Seine
[33]
23. Seine Species nobiles confortantes,

Waren gleichfalls etwas ganz bekanntes;

Sie beſtanden aus Kreide, Salbei,

Und etlichen Koͤrnern von Karwei.

24. Seine incomparable visceralTropfen,

Waren ein Extrakt von Wermuth und Hopfen,

Und ſein Unguent nervin war Theer

Stark vermenget mit Schweineſchmeer.

25. Sein Emplastrum summum fuͤr Hauen

und Stechen

Beinbruͤche und aͤhnliche Gebrechen,

Beſtand, ſo viel ich mich erinnern kann,

Aus Schuhpech, Bleiglaͤtte und Fiſchthran.

26. Sein egregium Linimentum zum Schmie-

ren beim Anwachſen,

Und in Sugillationen vom Stoßen, Fallen

oder Baxen,

Oder wenn etwa der Unterleib ſchwall,

War gruͤne Seife und Ochſengall.

27. Sein Cataplasma gegen alte Geſchwuͤre

und Scirrhen

War Mehlkleiſter mit etwas Aſa und Myrrhen,

Und ſein Spiritus magnus resolvens war

Bierhefen mit ana Urin gar.

28. Sein Arcanum arcanorum Supracoeleste,

War, trotz des hohen Titels, auch nicht das

beſte,

Jobſiade 2ter Thl. CWeil
[34]
Weil es aus geraspelten Knochen und

Gedoͤrretem Hammelblute beſtund.

29. Sein Lapis excellens et divinus

Beſtund aus etwa zwei Theilen plus minus,

Von Alaun, und von Zucker einem Thei!;

Das ſtopfte jeden Blutſturz in Eil.

30. So war auch weder mehr noch minder,

Seine Emulſio nobilis fuͤr kleine Kinder,

Bei Verſtopfung, Wuͤrmern und ſchweren

Noth,

Ziegenmilch mit zerriebenem Maͤuſekoth.

31. Sein Antidotum Dominae Principiſſae,

Waren zerquetſchte unreife welſche Nuͤſſe,

Und ſeine Orientalis Confectio,

War Syrup mit zermalmtem Bohnenſtroh.

32. Es fanden ſich salva venia in ſeiner Apothecke

Noch mehr Buͤchſen mit aͤhnlichem Drecke,

Von dem ich die Bereitung, nebſt dem

Preis,

Nicht ſo genau mehr kenne noch weiß.

33. Lange hatte er vormals in fremden Landen

Oeffentlich als ein leibhafter Doktor ausgeſtan-

den,

Wo-
[35]
[figure]
Wodurch er ſich, obgleich mancher Kranker

ſtarb,

Doch ein ziemliches Vermoͤgen erwarb.

34. Endlich ließ er ſich in Schildburg nieder

Legte flot daſelbſt alle ſeine Kollegen und

Bruͤder,

Und fand auf Koſten der Kranken alsbald

Reichlich allda ſeinen Unterhalt.

C 235. Denn
[36]
35. Denn er war der ganzen Gegend Orakel,

In ſeinem Hauſe war immer Gewuͤhl und

Spektakel,

Reiche und Arme, groß und klein,

Draͤngten ſich beſtaͤndig aus und ein.

36. Geluͤckte eine Heilung unter ſeinen Haͤnden,

So war ein Poſaunen hier und an allen Enden,

Und es hieß: da hat der hochberuͤhmte

Mann

Abermal eine treffliche Kur gethan;

37. Hingegen, wenn ſeine Patienten verdarben;

Oder gar bald in ſeiner Kur ſtarben;

So hieß es: je nun mein lieber Chriſt!

Fuͤr’m Tod kein Kraͤutlein gewachſen iſt.

38. Er pflegte auch wohl zu thun kleine Reiſen

Und ſeine Huͤlfe dringend anzupreiſen,

Und keiner dem etwas fehlte nur

War ſicher vor ſeinen Pillen und Kur.

39. Auch junge Weibchen, denen was quaͤlte,

Oder Maͤdchen, denen es heimlich wo fehlte,

Gingen weit und breit, mit frohem Sinn,

Zu niemand als zu Dokter Schneller hin;

40. Denn ſie konnten in jedem weiblichen An-

liegen

Immer bei ihm ſichre Specifika kriegen,

Dabei
[37]
Dabei unterhielt er gewoͤhnlich ſich

Als ein artiger Mann mit ihnen vertraulich.

41. Auch fuͤr Maͤnner, die ihre ehliche Pflichten,

Wegen ihrer Jugendſuͤnden, nicht konnten

verrichten,

Hatt’ er ein geheimes Aphrodiſiak,

Von herrlicher Wuͤrkung und gutem Ge-

ſchmack.

42. Das wachſame Collegium medicum des Lan-

des

Welches viel von ihm hoͤrte, verſtand es

Unrecht und nannte es Pfuſcherei,

Weil er nicht rite promotus ſey,

43. Und ließ ihn oft zur Verantwortung citiren;

Er blieb aber vor wie nach beim Praktiſiren

Und nannte dieſe Zudringlichkeit,

Offenbare Misgunſt und Nahrungsneid.

44. Er wuſte uͤbrigens weder Latein noch andre

Sprachen,

Und was ſollte er auch eigentlich damit

machen?

Denn mit Griechiſch und Lateiniſch wird

Doch nie, ſondern mit Arzneien kurirt.

45. Er haßte alle ſogenannte Methoden und

Sekten,

Wuͤnſchte gar daß alle Dogmatiker verreckten,

Und
[38]
Und verließ ſich einzig im Kuriren, nur

Auf Erfahrung und des Kranken ſtarke Na-

tur.

46. Von mediciniſchen Buͤchern ſo wohl neuen

als alten,

Pflegte er ebenfalls gar nichts Geſcheutes zu

halten;

Nur beſaß er ein geheimes Manuſkript

Und war in deſſen Lektuͤre geuͤbt.

47. Zwar war’s ſchon alt, ohne Namen und

Titel,

Doch zeigte es lauter ſchoͤne Hausmittel,

Und enthielte fuͤr allerlei Weh,

Manch ſicheres Geheimniß und Recipe.

48. Es will mir uͤbrigens hier nicht geziemen

Dieſen Wundermann laͤnger zu preiſen und

zu ruͤhmen;

Genug, er war der Retter des Hieronimus,

Es lebe Herr Schneller, der Medikus!

Sieben-
[39]

Siebentes Kapitel.


Wie Hieronimus Verdruͤßlichkeiten bekam, we-
gen ſeines Auflebens, mit dem Todtengraͤber
und ſeinem Amtsſucceſſor.


1. Als Hieronimus wieder zu Kraͤften gekommen,

Hat er ſein altes Amt wieder uͤbernommen,

Jedoch bei dieſer Gelegenheit

Gerieth er in bittre Verdruͤslichkeit.

2. Denn ſchon gleich nach ſeinem vermeinten

Ableben,

Wurde der Waͤchterdienſt einem andern uͤbergeben,

Folglich hatte dieſer etliche Tage ſchon

Das Nachtwaͤchter Horn in Poſſeſſion.

[figure]
[40]
3. Dieſes aber bei Hieronimi neuem Leben,

So mir nichts, dir nichts, ihm wieder abzu-

geben,

Ginge freilich in der Guͤte nicht;

Drum kam die Sache vor Gericht.

4. Jeder ſuchte ſich alſo einen Advokaten,

Um in dieſer kritiſchen Sache ihm zu rathen,

Und vor der Hand ward rechtlich dekretirt:

Daß das Wachteramt entweder wuͤrd’ ſus-

pendirt,

5. Oder, weil die Unterlaſſung der Nachtwache

Eine gar zu hochbedenkliche Staatsſache

Und bei Feuersbrunſt und Dieberei

Fuͤr das Staͤdtlein gefaͤhrlich ſey;

6. So koͤnnten beide Kompetenten gebuͤhrlich,

Des Nachts jeder fuͤr ſich u[n]praͤjudicirlich,

So daß darin keine Verwirrung ſey,

Anſtimmen ihre naͤchtliche Melodei.

7. Das Gehalt aber koͤnnte pendente Lite,

Unter ihnen getheilet werden in Guͤte;

Allenfalls koͤnnten auch um die andre Nacht

Sie abwechſelnd halten die gewohnte Wacht.

8. Dies
[41]
8. Dies war nun zwar ſchon eine verdruͤsliche

Geſchichte,

Doch eben nicht von ſo gar großem Gewichte;

Indeſſen kommt ſelten ein Uebel allein,

Und wo Kreutz iſt, findet ſich Plage leicht ein.

9. Denn auch der Todtengraͤber hob wegen ſeiner

Gebuͤhren,

Mit Hieronimus Jobs an zu queruliren,

Und verlangte von ihm auſſer Jura und

Lohn,

Noch beſondre Abbitte und Satisfaktion.

10. Da gienge es nun von beiden Seiten

An ein heftiges Proceſſiren und Streiten,

Weil der Fall ſo ſehr ſonderbar,

Ja gar einzig in ſeiner Art war.

11. Keine Parthei wollte der andern weichen,

Kein Advokat verlangte auch ſie zu vergleichen;

Denn jedem Kuͤnſtler, Kraͤmer und Dieb,

Iſt ſein Verdienſt und ſeine Nahrung lieb.

Achtes
[42]

Achtes Kapitel.


Charakter und Portraͤt der Herren Advokaten
Schluck und Schlauch.


[figure]
1. Im Staͤdtchen Schildburg wohnten zwei

treffliche Maͤnner

Mit beiden Rechten wohlgeruͤſtete Kenner

Die beſten Advokaten im Schwabenland,

Einer Schluck, der andre Schlauch ge-

nannt.

2. Herr
[43]
2. Herr Schluck war ein Mann von hohen

Jahren,

In allen Kuͤnſten der Themis ſehr erfahren,

Und hatte lange mit Haar und Haut,

Das Korpus Juris ſamt den Pandekten,

verdaut.

3. Er war kinderlos und unbeweibet,

Und darum wohlbewadet und ſtark beleibet;

Denn er aß und trank taͤglich gut

Und alles ward bei ihm zu Fett und Blut.

4. Das Podagra und die blinden Haͤmorrhoiden

Ließen zu gewiſſen Zeiten ihn nicht mitfrieden,

Welches Leid doch meiſtens anfing

Wenn er ſich manchmal in der Diaͤt verging.

5. Er ſuchte durch alle Wege ſeinen Zweck zu

erreichen

Und ſeinen Vortheil meiſterlich zu erſchleichen,

Es ſey nun der ihm vorkommende Fall

Legal, oder auch illegal

6. War etwa eine Erbſchaft oder dergleichen zu

haſchen,

So flog dies alles in ſeine hung’rige Taſchen,

Und er dachte weislich: es kuͤmmert mich

nicht,

Was die Welt von mir urtheilt, denkt

oder ſpricht.

7. Bei
[44]
7. Bei Kontrakten und gerichtlichen Verkaͤuffen

Pflegte immer fuͤr ihn was abzutraͤuffen;

Er ſchmiedete manch nuͤtzliches Doku-

ment,

Und manches ihm heilſame Teſtament.

8. Er ſchonte weder ſeine Goͤnner noch Freunde,

Sondern behandelte ſie als ſeine aͤrgſten Feinde;

Denn um ſeinen ſelbſt eigenen Vortheil

War ihm alles in der Welt feil.

9. Auch wußte er mit manchen Nebenſachen

Seinen Schnitt nach Herzensluſt zu machen;

Zum Exempel: er half oft ſchlau

Manch Maͤdchen zum Mann und manchen

Mann zur Frau.

10. In jedem ihm vorkommenden Rechtshandel

Ging er den gewoͤhnlichen Kurialwandel,

Weshalb dann auch ſein Advokatenſtil

Sprachkennern eben nicht ſehr gefiel.

11. Jedoch wußte er ſeine Gegenpartheien

Durch manche Chikane weidlich zu kaſteien,

Und wer ihn perſoͤnlich griffe an

Dem wieſe er keck die Fauſt und den Zahn.

12. Er pflog uͤbrigens tuͤchtig zu ſportuliren

Und ſeine Klienten lang herum zu fuͤhren;

Denn mit jeglichem neuen Termin

Gingen ihm leicht etliche Thaler in.

13. War
[45]
13. War gleich die Sache eine faule oder ſchlechte,

So verfochte er ſie doch fuͤr Geld mit dem

Rechte

Denn er verſtund die herrliche Kunſt,

Zu machen dem Richter ’nen blauen Dunſt.

14. Hatte Klient nicht viel einzubrocken,

So ließ er den Rechtshandel meiſtens ſtocken,

Und ſelbſt die gerechteſte Sache kam

Dadurch in leidige Contumaciam.

15. Er hatte zwar, wie geſagt, keine Leibes-

erben,

Doch war’s auch ſein Wille nicht, ſo bald zu

ſterben;

Denn er gedachte in jener Welt

Waͤr’ ihm die Kuͤche vielleicht ſchlecht be-

ſtellt.

16. Auch Herr Schlauch verſtund alle Rechts-

pfiffe,

War ein Genie und ſteckte voller Kniffe,

Und feuerte bei jeder Gelegenheit

Seine Partheien an zu Proceß und Streit.

17. Er war zwar am Koͤrper duͤrre und hager,

Aber im Beutel und am Verſtande nicht mager,

Lebte gleichfalls im Junggeſellenſtand

Mit einer Jungfer, wobei er ſich wohlbe-

fand.

18. Er
[46]
18. Er wuſte auch artig durch mancherlei Ma-

nieren

Die Partheien am großen Seil herum zu fuͤh-

ren,

Und wenn er den Proceß auch nicht ge-

wann,

So ſprach er doch: ich hab das meinige

gethan.

19. Er konnte die geradeſte Sache ſtattlich ver-

drehen,

Und wuſte klug ſich in allem zu begehen,

Und mancher Caſus ſehr krumm und ſchlecht,

Ward unter ſeinen Haͤnden grade und recht.

20. In ſeinen Schriften und Libellen verſtand er

Die Zeilen zu ſetzen drei Zoll von einander,

Und er citirte, als waͤre er toll,

Manchen Autor aufs Gerathewohl.

21. Denn er ließ ſich von den Partheien jedesma-

len

Seine Schriften bogenweiſe bezahlen,

Und jedes wohl angebrachte Citat

Koſtete beſonders einen viertels Dukat.

22. Er wuſte trefflich ſeinen Beutel zu ſpicken

Und durch Sporteln ſeine Klienten zu zwicken,

Nahm aber als ein genuͤgſamer Mann

Nicht nur große, ſondern auch kleine Praͤ-

ſente an.

23. Er
[47]
23. Er ließ ſich auch zu den meiſten Zeiten

Im voraus bezahlen ſeine Arbeiten;

Dieſes belief ſich meiſtens ſchon hoch,

Ohne was er forderte extra noch.

24. So bekam er fuͤr auſſerordentliche Muͤhe,

Kaͤlber, Hammel, oder gar melke Kuͤhe;

Auch Korn, Baͤume, und ſo weiter, nahm

er mit,

Denn er hatte zu allem Ap’tit.

25. Andre Kleinigkeiten, zum Exempel: Eier,

Butter,

Gaͤnſe, Huͤner und dergleichen Kuͤchenfutter,

Nahm noch obendrein die Jungfer Koͤchin

Quaſi ohne ſein Vorwiſſen hin;

26. Von ſolchem uͤberfluͤſſigen Kuͤchenſegen

Konnte ſie fuͤr ihn manchen Thaler zuruͤcklegen;

Denn ſie trieb damit anderwaͤrts

Einen vortheilhaften Handel und Kommerz.

27. So begab ſichs, daß den Klienten, eh ſie

kaum anfingen,

Schon die Augen fuͤr Angſt uͤbergingen,

Und wenn einer auch endlich den Streit ge-

wann,

So war er doch geworden ein armer Mann.

28. Denn
[48]
28. Denn obgleich der Proceß war gewonnen,

So war doch das Vermoͤgen ſchier dabei zer-

ronnen,

Und Herr Schlauch nahm das Reſtchen vom

Gewinn

Pro Studio et Labore flugs hin.

29. Gern haͤtt’ mancher ſich Anfangs wollen ver-

gleichen,

Herr Schlauch wuſt’ aber demſelben auszuweichen,

Und ſchwur, die Sache ſtuͤnde trefflich und gut;

Das machte der Parthei dann neuen Muth.

30. Da trank er dann mit ſeinen Klienten

Schnaps, Punſch, oder was ſie ihm ſonſt

goͤnnten;

Beſonders kam ihm beim edlen Wein

Manch ſchoͤner Einfall aus’m Korpus Juris ein.

[figure]
[49]
31. Er war ſtark beleſen in allen juriſtiſchen iſten,

Civiliſten, Kriminaliſten, Publiciſten,

Und ſo weiter; uͤbrigens hielt ſich der

Mann

An den gewoͤhnlichen Rechtsſchlendrian.

Neun-
[50]

Neuntes Kapitel.


Wie der Jobſiſche Proceß gefuͤhret ward. Ein
Kapitel, welches man uͤberſchlagen kann, weil
es nur den gewoͤhnlichen Weg Rechtens ent-
haͤlt.


1. Dieſe waren dann die beiden Advokaten,

Welche die Jobſiſche Proceſſe fuͤhren thaten.

Sein Aſſiſtent war Herr Schluck, der Dick-

bauch,

Und ſeiner Gegner Aſſiſtent war Herr

Schlauch.

2. Die Sachen wurden getrieben anfangs ſehr

hitzig;

Die Gruͤnde pro et contra waren erbaulich und

witzig,

Und vielleicht giebt Herr Schlauch oder

Herr Schluck

Einſt noch den ganzen Proceß im Druck.

3. Beide Herren waren im Grunde gute Freunde,

Nur in ihren Schriften agirten ſie als Feinde;

Fochte dann einer recht mit Chikane und

Grimm

So dacht der Klient froh: Ha ſeht, der

kanns ihm!

4. Es war eine Luſt zu ſehn in den Akten,

Wie ſich beide Gegner biſſen und packten.

Ich
[51]
Ich fuͤhre nur hier, ſo gut ich es kann,

Eines und anderes in der Kuͤrze an.

5. Doch will ich die eigentlichen Chikanen uͤberge-

hen,

Denn ich thu mich als juriſtiſcher Laye drauf

nicht verſtehen,

Und halte mich alſo, ſo gut als es geht,

Bloß an des Proceſſes Realitaͤt.

6. Ich erzaͤhle auch nicht in der Advokaten

Sprache,

Weil das nur moͤchte verwirren die ganze

Sache,

Und vom ſogenannten Stilus Curiaͤ

Thun ohnehin dem Leſer leicht die Ohren weh.

7. So ſagte klagend, zum Exempel, der Todten-

graber:

„Das Grab und die uͤbrigen Anſtalten hab er

„Fuͤr niemand als Hieronimo gemacht, fuͤr-

wahr

„Das Faktum ſey notoriſch und ſonnenklar.

8. „Ferner, wie jedem bekannt ſey, leb er

„Bloß von ſeinem Metier als Todtengraͤber;

„Ihm competire alſo, ohn Contradiction,

„Fuͤr ſeine Arbeit der verdiente Lohn.

9. „Zudem hab Beklagter, ſtatt ſich zu laſſen

verſcharren,

„Ihn Klaͤgern oͤffentlich gehabt fuͤr ’n Narren;

D 2Denn
[52]
„Denn jedermann habe ihn ausgelacht,

„Weil er das Grab vergeblich gemacht.

10. „Klaͤger glaub’ alſo es ſey hoͤchſt gerecht und

billig,

„Daß Beklagter die Begraͤbnißkoſten willig

„Auskehre, oder allenfalls jetzt noch,

„Kriech in das fuͤr ihn gemachte Loch.

11. „Daneben ihm oͤffentlich und foͤrmlich erklaͤre:

„Wie es ihm hoͤchſt verdroͤße und leid waͤre,

„Daß er ihn Klaͤgern als ’nen ehrlichen

Mann,

„So getaͤuſchet und ſchrecklich gefuͤhret an.

12. Dieſe Klaggruͤnde lieſſen ſich nun zwar gut

hoͤren,

Allein Hieronimus ließ in Termino dagegen

erklaͤren:

„Daß pro Primo alles was geſchehn,

„Von ihm weder gebilligt ſey, noch geſehn;

13. „Hoffe alſo, er habe nicht noͤthig dermalen

„Die vergebliche Muͤhe des Todtengraͤbers zu

bezahlen.

„Pro Secundo ſey es ſo klar als das Licht,

„Daß er Beklagter, ſey todt geweſen nicht;

14. „Nun aber ſtreite es wider alle Gebraͤuche

„Zu begraben eine noch lebendige Leiche;

Ex
[53]
Ex eo ipſo gebuͤhre alſo davon

„Ihm Klaͤgern kein Todtengraͤberlohn.

15. „Pro Tertio ſey noch zu bedenken: es habe

„Klaͤger ihn ja nicht wuͤrklich geſcharret im

Grabe;

„Folglich falle das weſentlichſte Stuͤck

„Der Klage, in Nullitaͤt zuruͤck.

16. „Pro Quarto ſey Klaͤger ja ſchadlos auf alle

Faͤlle,

„Indem er Beklagtens Frau begraben an ſei-

ner Stelle,

„Und er wolle ihm herzlich gerne davon

„Ueberfluͤſſig geben den Begraͤbnißlohn.

17. „Auch koͤnne man in keinem Geſetzbuche den

Fall leſen,

„Daß man Abbitte thun ſolle, weil man nicht

todt geweſen.

„Uebrigens proteſtire er dagegen hoch,

„Daß er jetzt gar ſollte noch kriechen ins

Loch.“

18. Dies ſind nun ohngefaͤhr kuͤrzlich die wichtig-

ſten Gruͤnde,

Die ich in Actis hujus Cauſae, pro et contra,

finde;

Es verſteht ſich aber, daß mancher Punkt

dabei,

Als unerheblich, von mir uͤbergangen ſey.

19. Ich
[54]
19. Ich habe ex poſt erfahren und gehoͤret,

Daß der Proceß lange habe gewaͤhret;

Denn erſt nach der dritten Rechtsinſtanz

Endigte ſich dieſer verdruͤßliche Tanz.

20. Denn in dieſer Sache ein paſſend Urtheil zu

ſprechen,

Verurſachte dem Richter gewaltiges Kopfbre-

chen,

Bis ſie doch endlich zu Ende kam

Durch folgende Final Sententiam.

Zehn-
[55]

Zehntes Kapitel.


Enthaͤlt finalem Sententiam in Cauſa des Tod-
tengraͤbers zu Schildburg, qua Klaͤgers eines
Theils; contra und gegen den weiland todtge-
weſenen und nun wieder lebendigen Nacht-
waͤchter Hieronimus Jobs, qua Beklagten
andern Theils; worin abſeiten des letztern ſuc-
cumbirt wird, cum omnibus Expenſis; mit
Rationibus dubitandi et decidendi gehoͤrig
bekraͤftigt.


1. „In Sachen Klaͤgers und Beklakten,

„Erkennet man nach durchgeſehenen Akten,

„Mit Vernunft und Billigkeit fuͤr Recht:

„Daß Beklagter Hieronimus ſchlecht-

2. „erdings dem Klaͤger ſatisfacire

„Und den Begraͤbnißlohn ohn Verzug abfuͤhre;

„Jedoch bleibt ihm bei dieſem Proceß

„Vorbehalten an Herrn Schnellern der Re-

greß.

3. „Auch in alle muthwillig verurſachte Koſt und

Gebuͤhren

„Thut man Beklagten dabei condemniren;

„Jedoch kann er erga condignum, davon

„Bei uns nachſuchen erſt rechtliche Mode-

ration.

4. Uebri-
[56]
4. Uebrigens will man aus Schonung und an-

dern Gruͤnden,

„Ihn von Abbitte und Ehr’nerklaͤrung dis-

mal entbinden;

„Jedoch gibt man die Warnung fuͤr kuͤnf-

tig ihm mit:

„Wenn er wieder ſtirbt, den Todtengraͤber

zu foppen nit.

5. „Denn obgleich Beklagter das Begraͤbniß

nicht gebilliget,

„Und in dem, was Klaͤger gethan, nicht einge-

williget,

„So hat doch dieſe Einwendung nicht,

„Das erforderliche rechtliche Gegengewicht.

6. „Sintemal alle geſittete Voͤlker haben,

„So viel conſtirt, ihre ehrliche Todten immer

begraben,

„Und man braucht, wenn dieſer Actus geſchicht

„Dazu den Conſens des Verſtorbenen nicht.

7. „Auch obgleich er nicht wuͤrklich todt geweſen,

„Sondern aus dem Sarge wieder lebendig ge-

neſen,

„So konnte doch der Todtengraͤber nicht

„Davor, ſondern war willig zur Pflicht.

8. Succumbens hat auch damals als Todter

wuͤrklich gehandelt,

„Und war ſtill, als man mit ihm zum Kirch-

hofe gewandelt;

„Folg-
[57]
„Folglich alterirt es nichts, obſchon

„Die Einſcharrung nicht gediehn zur Exku-

tion.

9. „Von Abbitte, Ehr’nerklaͤrung u. ſ. w. ihn

zu dispenſiren,

„Will ſich aber darum geziemen und gebuͤh-

ren,

„Weil’s ihm billig nicht kann werden ver-

dacht,

„Daß man fuͤr ihn vergeblich das Grab ge-

macht.

10. „Zudem war ja Klaͤgers Arbeit nicht gar

verdorben,

„Sintemal Beklagtens Frau bald darauf ge-

ſtorben,

„So daß man ſie folglich an ſeiner Statt hab

„Verſenkt in das ſchon fertige Grab herab.

11. „Billig iſt auch der Punkt des zu habenden

Regreſſes

„An Herrn Schneller, wegen aller Koſten des

Proceſſes;

„Denn dieſer hat ihn wieder zur Geſund-

heit gebracht,

„Und alſo die ganze Unordnung verurſacht.

12. Dieſerwegen hat man dann dismal nicht

koͤnnen

„Anders in dem wichtigen Handel erkennen;

„Bleiber
[58]
„Bleibet es alſo bei der Sentenz.

Von Rechtswegen.

Judex Peter Squenz.

13. „Pro Abfaſſung der Sentenz ſind judici ohn Be-

ſchweren

„Vom Succumbenten 20 Thaler auszukehren.

„Auch muß er erlegen noch 4 Thaler von

„Der Sententiae Publication.

14. Pro communicatione ſententiae an beide

Parthien

„Muß er noch 3 Thaler hervorziehen.

„Item pro duplo mundo et Kopei

„Noch Gulden 7 und Groſchen drei.

15. „Pro decreto ad audiendum publicare

„Bezahlt er noch extra gleich 4 baare

„Gulden, und fuͤr die Regiſtratur

„Rechnet man ſieben dito nur.

16. „Noch 3 Thaler und 4 Groſchen fuͤr die Geſchaͤf-

ten

„Die Akten gehoͤrig zu ordnen und zu heften.

Similiter drittehalb Thaler fuͤr

„Dinte, Oblaten und Stempelpapier.

17. „Fuͤr ſchleunige Expedition ſind dermalen

„5 Thaler und 8 Groſchen zu bezahlen,

„Und fuͤr dieſer Rechnung Specifikation

„Sind 1 Thaler und 12 Groſchen der Lohn.

18. „Dem Gerichtsdiener beſonders, kompetieren

„22 Groſchen fuͤr Inſinuationsgebuͤhren.

Nota bene! alle dieſe benannten Sumtus

„Betreffen nur lediglich den Sentenzſchluß;

19. Denn
[59]
19. „Denn die eigentlichen Sporteln bei der Proceßfuͤh-

rung

„Werden beſtimmt bei beſonderer Specificirung,

„Und die Gelder alle deponirt Succumbens

„Bei dem Herren Richter Peter Squenz.

20. Dem Herrn Schluckpro Defenſione et Labore

„Werden vorlaͤufig zuerkannt 8 Luisd’ore,

„Und des Triumphanten Advokaten Herrn

Schlauch

„Paſſiren 4 Luisd’ore auch.“

21. Ob Succumbenten hier Recht oder Unrecht

geſchehen,

Das ſind Dinge welche nur Juriſten verſtehen;

Ich finde noch immer ein Spruͤchwort be-

waͤhrt,

Es heißt: Wer gut ſchmieret, gut faͤhrt.

22. Daß Hieronimus bei der Behoͤrde

Ueber die Sportelrechnung gefuͤhret Beſchwerde,

Und daß man da ein Weniges wegſtrich

Und moderirte, verſteht von ſelbſt ſich.

23. Mit dem andern Proceß, wogen dem neuen

Nachtwaͤchter,

Waͤr es vermuthlich gegangen noch ſchlechter,

Wenn nicht durch ein beſonders Ohngefaͤhr

Die Sache gluͤcklich beendigt waͤr;

24. Und
[60]
24. Und man wuͤrde vielleicht nach ſehr langen

Jahren

Erſt davon das Ende haben erfahren;

Oder ſogar waͤre bei Herrn Juder Squenz

Noch jetzt, da ich dies erzaͤhle, Lis pendens.

Eilf-
[61]

Eilftes Kapitel.


Lobrede auf die verſtorbene Frau Jobs; ſehr be-
weglich zu leſen.


1. Von welcher Art jenes Ohngefaͤhr geweſen

Das ſoll man erſt im 17ten Kapitel leſen,

Denn ich bringe vorher noch ein und an-

derlei

Was zur Nebengeſchichte gehoͤret, herbei.

2. Wir haben im dritten Kapitel ſchon vernom-

men,

Wie Hieronimus um ſeine Frau gekommen,

Und daß ihm ſolche Freund Hein geraubt,

Welches er ſo bald nicht gehofft noch ge-

glaubt.

3. Er empfand ihren Verluſt eben nicht ſchmerz-

lich,

Denn dies Ehepaar liebte ſich nie herzlich;

Die Urſache aber davon zu verſtehn,

Wollen wir die ſeelige Frau etwas naͤher

beſehn.

4. Die war von einem wohlehrwuͤrdigen Stande,

Die Tochter eines braven Pfarrherren vom

Lande,

Welcher bei ſeinen Einkuͤnften klein

Doch lehrte und lebte orthodox und rein.

5. Gleich-
[62]
5. Gleichwie nun gemeinlich die Landpfarrer

haben

Wenig Buͤcher und Geld, aber viel Maͤdchen

und Knaben;

So traf auch dies bei ihren Eltern ein,

Denn ſie war das Kind an der Numero neun.

6. Sie lernte fruͤhzeitig beten, leſen und ſchrei-

ben

Und allerlei nuͤtzliche Hauskuͤuſte treiben;

Sie naͤhte, ſtrickte, wuſch und ſpann

Und nahm ſich der Kuͤche und des Stalles

an.

7. Sie wurde ſogar von ihren lieben Alten

Fleiſſig zu Landarbeiten angehalten,

So daß ſie des Morgens ſo fix und raſch

Wie ein gelernter Dreſcher draſch.

8. Sie beſaß dabei die ruhmwuͤrdige Tugend,

Daß ſie gerne ſchon fruͤh in der Jugend

Mit den Dorfjungen ſchaͤkern that;

Denn ſie war nicht ſtolz noch delikat.

9. In der Erndte und beim Weinleſen

Hatte ſie recht ihr Treiben und Weſen,

Ueberwarf ſich mit manchem Buben zum

Spaß

Und waͤlzte ſich herum im Heu und Gras.

10. Sie
[63]
10. Sie uͤbertraf in Staͤrke der Knochen und

Glieder

Alle ihre uͤbrigen Schweſtern und Gebruͤder;

Und darum nannte man ſie allgemein

Des Herrn Pfarrers ſtarke Katharein.

11. Sie war mit Schoͤnheit zierlich ausgeruͤſtet,

Bei guter Taille und ziemlich bebruͤſtet,

Und darum brauchte ihr Mieder und Geſicht

Falſche Aufſtopfung und Schminke nicht.

12. Bis ins achtzehnte Jahr iſt ſie Jungfer

geweſen,

Da ſie dann eines kleinen Kindleins geneſen,

Welches aber gleich nach der Geburt ſtarb,

Folglich nichts ſonderliches an ihr verdarb.

13. Sie haͤtte bei dermaß bewandten Sachen

Wohl einmal ihr Gluͤck durch Heirathen koͤnnen

machen,

Wenns ihr nur nicht am Gelde gefehlt,

Welches man beim Heirathen fuͤrs noͤthigſte

haͤlt.

14. Ihr iſt dabei noch das Ungluͤck begegnet,

Daß ihr Vater bald drauf das Zeitliche geſegnet,

Und da fand ſich beim Inventar

Daß wenig oder nichts vorhanden war.

15. Denn
[64]
15. Denn auſſer einigen alten Perruͤcken und

Poſtillen,

Abgetragnen Roͤcken, zerbrochnen Stuͤhlen und

Brillen,

War beim Nachlaß des Seeligen

Kaum etwas zu finden noch zu ſehn.

16. Dabei ergaben ſich noch einige Schulden

Von etwa 120 bis 130 Gulden,

Drum ſo hieß es bei Wittwe und Kindern

dann:

Jedes helfe ſich, ſo gut es kann.

17. Die Wittwe blieb bis an ihr Ende im Dorf

wohnen,

Naͤhrte ſich redlich von Buttermilch, Pfann-

kuchen und Bohnen,

Und was ſonſt die Bauern ihr noch, aus

Reſpekt

Fuͤr den Wohlſeligen, kuͤmmerlich darge-

ſtreckt.

18. Mit unſrer Katharine ging es etwas beſſer;

Denn Schildburgs Nachtwaͤchter des Hieroni-

mi Anteceſſer,

Der ſie nach ſeinem Geſchmacke befand,

Knuͤpfte mit ihr das ehliche Band.

19. Er braucht, gar nicht lange um ſie zu freien,

Denn ſie that ihn gleich mit ihrer Hand er-

freuen,

Und
[65]
Und eh er ſich ihrer Einwilligung verſah

Sprach ſie uͤber Hals und Kopf: Ja!

20. Aber ſchon in den erſten Ehſtandstagen,

Wollte ihm dies Buͤndniß ſo recht nicht mehr

behagen,

Denn des Olim Pfarrers Katharin

Fuhr beim geringſten Anlaß her uͤber ihn,

21. Und die ſonſt uͤblichen Flitterwochen

Wurden wider alle Gewohnheit ſchnell abge-

brochen,

So daß der arme junge Mann da

Eigentlich nicht wuſte, wie ihm geſchah.

22. Ueberall that ſie den Herrn im Hauſe ſpie-

len,

Und ließ es ihn tagtaͤglich empfinden und

fuͤhlen,

Daß ſie die Tochter einer Dorfpfarrei,

Er aber nur ein Holunke von Nachtwaͤchter

ſey.

23. Indeſſen muſte er ſich in die Umſtaͤnde fuͤgen,

Und unter ihrem großen Pantoffel geduldig

ſchmiegen,

Bis ihn endlich von allem Kreuz und Leid,

Der ſo oft gewuͤnſchte Tod befreit.

Jobſiade 2ter Theil. E24. Wie
[66]
24. Wie nachher Hieronimus Jobs gekommen

Und ſie mit dem Nachtwaͤchterdienſt zugleich-

uͤbernommen,

Dieſes wiſſen wir allerſeits

Aus dem 36ten Kapitel des erſten Theils

bereits.

25. Ihm gings mit ihr nicht beſſer als ſeinem

Anteceſſer;

Ja ſein Elend war gewiſſermaßen ſchier groͤßer;

Denn es ging faſt kein Tag vorbei

Ohne Haarkollation und Pruͤgelei.

26. Sie verſtund ſich trefflich aufs Beiſſen und

Kratzen,

Uebertraf in dieſer Kunſt manche Hunde und

Katzen,

Machte oft die Augen geblaut und blund

Und des armen Mannes Naſe und Haut

wund.

27. Auch alle Einkuͤnfte und geringe Gewinnſte

Von ſeinem blutſauern Nachtwaͤchterdienſte,

Verſoff Olim Pfarrers Katharein

Theils in Kaffe, theils in Brandewein.

28. Und
[67]
[figure]
28. Und wenn er dem naͤchtlichen Berufe nach-

ginge,

Trieb ſie manche ſich nicht geziemende Dinge,

Und gleichwie in einem Taubenhaus

Flog einer ein und der andre aus.

29. Da brauchte dann vom Abend bis zum lich-

ten Morgen,

Hieronimus fuͤr keine Hoͤrner zu ſorgen;

Denn es verſtrich keine einzige Nacht,

Oder es wurde ihm ein neues gemacht.

30. Wenn er ſich dann durſtig und muͤd geſungen

und gewachet

Und nunmehro ſich wieder nach Hauſe gemachet,

Fand er zur Erquickung, Gott erbarms!

Weder Thee, Kaffe, noch ſonſt was Warms.

E 231. Wollte
[68]
31. Wollte er etwa zuweilen bei hellem Tage,

Ein wenig ausruhn von ſeines Amtes Plage,

So hieß es: Heraus aus dem Schlaf und

der Ruh,

Du infamer fauler Raͤkel und Schlingel du!

32. Und ſo war in dieſem Hauſe gewoͤhnlich

Ein Tag dem andern, wie ein Ey einem Ey

aͤhnlich,

Und des Pantoffels monarchiſches Regiment

Hielte weder Maaß, Ziel, noch End.

33. Doch lief auch dem Hieronimus zuweilen die

Galle uͤber

Und dann gings kraus und bunt, drunter und

druͤber,

Und die Frau bekam dann oft ein Bagatell

Von ihrem Ehemann wieder aufs Fell.

34. Denn zuweilen dacht er an des Pfarrers

Lehre

Bei der Kopulation: daß der Mann Herr

waͤre,

Und ſo uͤbte er das gebuͤhrliche Recht im

Haus

Nebſt dazu gehoͤriger Exekution aus.

35. Aber niemals konnte es ihm doch gelingen,

Seine theure Ehehaͤlfte ganz zur Raiſon zu

bringen

Und
[69]
Und der Handel lief immer ſo ab,

Daß er wieder die erſten guten Worte gab.

36. Mancher andrer haͤtte indeß, ohne zu erkal-

ten,

Dieſe Lebensart ſo lange nicht ausgehalten,

Denn es weiß, leider! mancher Ehemann,

Wie eine boͤſe Frau einen quaͤlen kann.

37. Es war dem Hieronimo folglich nicht zu ver-

denken,

Daß ſeiner Frauen Tod ihn nicht thaͤte kraͤnken,

Er war vielmehr herzlich erfreuet und froh

Und ſunge darob: in dulci jubilo.

Zwoͤlftes
[70]

Zwoͤlftes Kapitel.


Wie Hieronimus der Wittwer ſich ſehr vernuͤnf-
tig betrug. Ein rares Kapitel.


1. Wittwer Hieronimus lebte nun auf dieſe

Weiſe,

Wie in Abrahams Schooße und im Paradeiſe,

Suchte anderswo ſeinen Zeitvertreib,

Aß, trank und pflegte ſeinen Leib.

2. That auch ſeit ſeinem damaligen Auferſtehen,

In allen Stuͤcken ſich ſehr vernuͤnftig begehen,

Und erlangte im ganzen Lande herum

Wegen ſeines Abenteuers Bekanntſchaft

und Ruhm.

3. Er blieb auch bei dem eiſenfeſten Fuͤrnehmen

Alle Begierde zur neuen Heirath zu bezaͤhmen;

Denn er dachte: Wer ſich einmal verbrannt,

Kennet das Feuer und huͤtet die Hand.

4. Zwar ſchien es ihm an Gelegenheit nicht zu

fehlen,

Sich eine neue Gattin zu auserwaͤhlen,

Denn er war ledig und kinderlos

Und dabei ruͤſtig, ſtark und groß;

5. Auch erſt alt etwas uͤber 40 Jahre,

Jetzt auch geſcheuter als er vormals ware,

Uebri-
[71]
Uebrigens befand ſich Hals, Kehle und Lung,

Zum Singen und Blaſen noch kraͤftig und

jung;

6. Hatte folglich alle Eigenſchaften und Quali-

taͤten,

Welche Wittwen und Maͤdchen beim Heirathen

vonnoͤthen;

Allein vergeblich war jeder Verſuch,

Er blieb Wittwer und dran that er vernuͤnf-

tig und klug.

7. Nun verrichtete er auch mit dem andern Waͤch-

ter, ſeinem Kollegen,

Sein Amt cum Applauſu, mit Frucht und

mit Segen;

Zuweilen aber machte der Nahrungsneid

Eine kleine Kolliſion und Uneinigkeit.

8. Er ſang vor wie nach: Bewahrt das Feuer,

das Licht und eure Toͤchter;

Allein ſein Kollege, der andre Nachtwaͤchter,

Stimmte aus Kapriſe einen andern Ton,

Und machte folgende Variation:

9. Hoͤrt ihr Herren, was ich euch hiemit ſage,

Verwahrt des Nachts ſowohl als bei Tage,

Das Feuer, das Geld und eure Weiber

wohl,

Sonſt geht es uͤberall ſchlecht und toll,

10. Und
[72]
10. Und es entſtehen Feuersbruͤnſte und Hoͤrner,

Konkurſe, Bankerotte, und was ferner

Alles daraus fuͤr Unheil erwaͤchſt — —

Das uͤbrige ließ er beim alten Text.

11. Doch um dergleichen geringe Kleinigkeiten

Sich ernſtlich zu haſſen und mit einander zu

ſtreiten,

Waͤre, traun! geweſen ganz uͤberlei,

’S geſchah ja doch alles zum Frommen der

Buͤrgerei.

Drei-
[73]

Dreizehntes Kapitel.


Potz Blitz! da kommt der Herr von Ohnewitz.


1. Es kamen faſt taͤglich viele Damen und Her-

ren

Gen Schildburg hin, aus der Naͤhe und von

ferren,

Um den beſondern Mann perſoͤnlich zu ſehn,

An welchem jenes Wunder geſchehn.

2. Da bekam er dann, wie leichtlich zu gedenken,

Von ihnen manche anſehnliche Geſchenken,

Und dies brachte ihm weit mehr Gewinnſt

Als der karge halbe Nachtwaͤchtersdienſt.

3. Er lebte alſo ſehr reputirlich,

Aß, trank und kleidete ſich manierlich,

So daß er ſich dabei ſo gluͤcklich befand,

Als ein Buͤrger im Prieſter Johannisland.

4. Einsmal ließ ſich bei unſerm Geſchichtshelden

Ein hochanſehnlicher reiſender Herr melden,

Und ſo bald ſie einer den andern ſahn,

Himmel, wie ſtaunten ſie beide ſich an!

5. Der Herr ſah hier vor ſich ſeinen ehmaligen

Retter,

Hieronimus vice verſa, ſeinen alten Wohlthaͤter;

Da
[74]
Da hieß es: Iſt ers, Herr Hieronimus?

Potz Blitz! —

Ja ich bins! Sind Sie’s Herr von Ohne-

witz? —

6. Ueber 16 Jahre waren ſchon verſtrichen,

Seitdem Hieronimus von Ohnwitz war ent-

wichen,

Und es hatte ſeit dieſer Zeitſtation,

Sich manches veraͤndert in beider Perſon.

7. Dennoch erkannte man ſich ploͤtzlich jetzunder,

Und da ſahe man recht ſeinen blauen Wunder,

Denn wer haͤtte jemals kaum

So etwas zu denken gewagt im Traum?

8. Den eigentlichen Willkomm hab ich nicht ge-

ſehen,

Will alſo ſeine Beſchreibung uͤbergehen,

Und melden im folgenden Kapitel nur

Wie die Hauptgeſchichte ferner fortfuhr.

Vier-
[75]

Vierzehntes Kapitel.


Wie Hieronimus dem Herrn von Ohnewitz ſeine
Geſchichte treulich erzaͤhlet, mit Uebergehung
desjenigen, was ihm unerheblich duͤnkte.


1. Erſt hub an Hieronimus ſeine Geſchichten

Dem Herrn Patron ganz unterthaͤnig zu berich-

ten,

Und machte den erſten Anfang von

Der Ohnewitzer Rebellion:

2. Wie da ſowohl die Alten als die Jungen

So unſaͤuberlich mit ihm umgeſprungen,

Und er mit großer Lebensgefahr,

Den wuͤtigen Bauern entgangen war.

3. Ferner, wie er auf der Reiſe zum Herrn Pa-

tron nach Baiern

Herumgetrieben ſey von manchen Abenteuern,

Und wie er demnaͤchſt auf ſeiner Flucht

Manchen Unbill erlitten und verſucht.

4. Doch die Geſchichte mit Amalien uͤberging er

Als ganz unerheblich, dagegen fing er

Ferner von ſeinem Theaterſtand an

Zu erzaͤhlen, und was er dann weiter ge-

than.

5. Wie
[76]
5. Wie er nemlich nach ſeiner Heimath gekom-

men,

Den vakanten Nachtwaͤchterdienſt uͤbernommen

Und gewacht und geſungen fruͤh und ſpat;

Item von ſeiner Heirath.

6. Auch von ſeinem Abſchiede von der Erden,

Und wie er habe ſollen wirklich begraben wer-

den,

Aber wie ihn aus Freund Heins Klauen noch

haͤtt’

Herrn Schnellers Geſchicklichkeit errett’t.

[figure]
7. Wie drauf ſeine Frau vom Schreck erblaſſet,

Welche Sentenz im Proceß man abgefaſſet

Und
[77]
Und dieſer traurigen Dinge noch mehr.

Die Erzaͤhlung ſelbſt ging ohne Thraͤnen

nicht her.

8. Als er nun damit war gekommen zu Ende,

Schlug Herr von Ohnwitz fuͤr Erſtaunen in

beide Haͤnde,

Und erzaͤhlte im folgenden Kapitel drauf

Von der Ohnwitzer Geſchichte den weitern

Verlauf.

Funf-
[78]

Funfzehntes Kapitel.


Scharfe Gerechtigkeitspflege in Ohnewitz.


1. Als er von der Reiſe damals zuruͤckgekommen,

Habe er des Breitern mit Unwillen vernommen,

Was da in ſeiner Abweſenheit

Geweſen fuͤr Unordnung und Streit;

2. Darauf alle Ohnwitzer laſſen foͤrmlich citiren,

Und durch Fiscum genau inquiriren,

Welche da alle an dem großen Unheil

Gehabt haͤtten Part und Antheil.

3. Habe demnaͤchſt uͤber Junge und Alten

Ein unbarmherziges Gerichte gehalten

Und den Ohnewitzer unerhoͤrten Fall

Durchaus behandelt als kriminal.

4. Man habe ihn durch vielfaͤltiges Suppliciren

Zwar verſucht zu beſaͤnftigen und zu ruͤhren;

Allein er waͤre, vor wie nach, die Bahn

Der ſtrengſten Gerechtigkeit gegahn.

5. Denn bei ſolchen und derlei Revolutionshaͤn-

deln

Lange zu zaudern und aͤngſtlich zu taͤndeln,

Halte er gar nicht fuͤr dienlich und gut;

Beſſer ſey Entſchloſſenheit und ernſter Muth.

6. Er
[79]
6. Er haͤtte gern geſehn, daß man nach aller

Strenge

Die allerſchlimmſten Bellhaͤmmel aufhaͤnge,

Und nach dem peinlichen Halsgericht

Den Handel mit Strick und Schwert ge-

ſchlicht’t.

7. Aber um die Scharfrichterkoſten zu erſparen

Habe er wollen etwas gelinder verfahren,

Weil doch ohnehin zu dieſer Friſt

Das Haͤngen faſt aus der Mode iſt.

8. Indeſſen habe er die Auktores Rixaͤ

Tuͤchtig laſſen blaſen in die Buͤchſe,

Und mit dieſer Uebung der Gerechtigkeit

Zugleich das Intereſſe Fisci erfreut.

9. Auch weil alle uͤbrigen Socil Rixaͤ

Verdient haͤtten, daß Fiscus ſie brav wixe,

So haͤtte auch jeder von ihnen den Lohn

Erhalten, nach gehoͤriger Proportion.

10. Um die noͤthigen Exempel zu ſtatuiren,

Habe er die aͤrmeren Teufel laſſen incarceriren,

Und ſolche zehn Wochen bei Waſſer und

Brod

Hungern laſſen faſt bis auf den Tod.

11. Die Schlimmſten waͤren mit Willkomm und

Abſchied entlaſſen,

Und, jedoch salva fama, gejagt auf fremde

Straßen,

Und
[80]
Und ihr ganzes Gut und Vermoͤgen ſey

Kaſſirt zum Behuf der Kaſſe der Kanzlei.

12. Denn ſie auf die Veſtung zu kondemniren,

Habe ſich nicht koͤnnen fuͤgen noch gebuͤhren,

Weil im ganzen Ohnwitzer Land

Sich weder Stadt, geſchweige Veſtung be-

fand.

13. Nachdem aber jeder gebuͤhrliche Strafe er-

halten,

Habe er wieder ſeine Gnade laſſen walten,

Und mit landesvaͤterlicher Hulde ſie

Erfreuet durch voͤllige Amneſtie.

14. Einige wuͤrden’s jedoch lebenslang fuͤhlen

Und nie wieder ſo ſtrafbare Rollen ſpielen;

Denn manche Familie waͤre herab

Durch Fiscum gebracht an den Bettelſtab.

15. Nach einigen publicirten Warnungsmanda-

ten,

Waͤre nun wieder in den Ohnewitzer Staaten

Alles in Ordnung, Friede und Ruh.

Ich der Autor wuͤnſche Gluͤck dazu.

Sechs-
[81]

Sechszehntes Kapitel.


Bei welcher guten Gelegenheit Herr von Ohne-
witz nach Schildburg gekommen, thut der
Autor hier aufrichtig erzaͤhlen.


1. Gleich darauf iſt auf des Herrn Patrons Ver-

langen,

Hieronimus mit ihm in ſein Logis gegangen,

Um daſelbſt bei einem Glaͤslein Wein

Sich des Widerſehns deſto mehr zu freun.

2. Denn gemeinlich laͤßt ſich unterm Trinken und

Zechen

Vernuͤnftiger und vertraulicher mit einander

ſprechen

Und mancher ſonſt gar trockne Diskur

Bekommt da gleichſam eine andre Natur.

[figure]
F3. Herr
[82]
3. Herr von Ohnewitz ſagte, mit der gegenwaͤrt’-

gen Reiſe

Verhalte es ſich eigentlich auf folgende Weiſe:

Eine alte Tante im Schwabenland

Welche ſich ſehr ſchwach und kraͤnklich be-

fand,

4. Wollte noch vor ihrem Gott gefaͤlligen Ab-

ſterben,

Herrn von Ohnwitz, ihren Pathen, einſetzen

zum Erben,

Entbote alſo ſchleunig den Herrn Kuſin

In dieſer Abſicht nach dem Schwabenland

hin.

5. Sobald nun die gedachte liebe Tante

Dieſe Nachricht ihrem lieben Kuſin ſandte,

So ermangelte derſelbe nicht

Ihr zu entrichten die chriſtanverwandtliche

Pflicht,

6. Um zu erhalten ihren frommen letzten Segen;

Denn ſie beſaß ein großes Vermoͤgen,

Theils in Natura, theils aufm Papier,

Nebſt Moͤblen, Juwelen und Silbergeſchirr.

7. Nun lauerten zwar lange auf ihr Abſterben

Im Schwabenlande andre Kollateralerben;

Jedoch der Herr Pathe von Ohnwitz allein

Sollte nach ihrem letzten Willen der Erbe

ſeyn.

8. Er
[83]
8. Er hatte ſie hoͤchſt ſchwach angetroffen,

So gar daß ſie, wider alles verhoffen,

Drei Tage nach gemachtem Teſtament,

Heimfuhre aus dieſem Elend.

[figure]
9. Herr von Ohnwitz, den ihr Betragen ſehr ruͤhrte,

Beſonders als er ſah, daß ſie agonizirte,

Druͤckte ihr perſoͤnlich die Augen zu

Und wuͤnſchte ihr eine angenehm ewige Ruh.

10. Nachdem er drauf im Kurzen alles das Seine

Von dieſer Erbſchaft gebracht hatte ins Reine,

Kehrte Hochgedachter Herr von Ohnewitz

Wieder zuruͤck nach ſeinem freiherrlichen

Sitz.

F 211. Und
[84]
11. Und da muſte, zu beiderſeitigem Vergnuͤgen,

Es das Schickſal ſo wunderbar drehen und

fuͤgen,

Daß Herr von Ohnwitz in ſeiner Retour,

Durch Schildburg bei dieſer Gelegenheit

fuhr.

12. Weil nun bekanntlich die Gaſtwirthe in

Schwaben

Beſondre Fertigkeit im Schneiden und Erzaͤh-

len haben,

So machte auch Herrn von Ohnwitz Wirth

zur Hand

Ihn mit des Hieronimi Geſchichte bekannt.

13. Folglich laͤßt ſich nun ohne Luͤgen und Muͤhe,

Die im dreizehnten Kapitel erzaͤhlte Entrevuͤe

Erklaͤren, und daß ſolche geſchehen ſey

Ohne Wunderwerk und ohne Hexerei.

Sieben-
[85]

Siebenzehntes Kapitel.


Wie Hieronimus mit dem Herrn von Ohnewitz
reiſet und ſein Abſchied von ſeinen Freunden
in Schildburg, item vom Herrn Judex
Squenz.


1. Nachdem nun dieſe Erzaͤhlung war abgebro-

chen

Und man noch manches andre geſagt und ge-

ſprochen,

Legte der reiche Herr Patron folgenden Plan

Zu Hieronimi kuͤnftigem Gluͤcke an:

2. Vorab ſollte er wieder mit ihm nach Ohnwitz

reiſen,

Bei ihm auf dem Schloſſe wohnen und ſpeiſen,

Und dann koͤnnte man ferner warten und

ſehn,

Was zu ſeiner Verſorgung moͤchte geſchehn.

3. Dieſe Offerte that Hieronimo gaudiren;

Denn ohne lange zu komplimentiren,

Empfahl er ſich zur hohen Gewogenheit

Und war zu allem unterthaͤnigſt bereit.

4. Nun
[86]
4. Nun war am Reiſewagen was zu beſſern und

zu putzen;

Dieſen Aufenthalt ſuchte Hieronimus zu be-

nutzen.

Er ging vorerſt fort und nahm mitlerweil

Abſchied von ſeinen Freunden in der Eil.

5. Um ſich aber zur Abfahrt deſto beſſer zu be-

rathen,

Schenkte ihm der Herr Patron einen Beutel

voll Dukaten;

Dieſen ließ aber der gute Hieronimus

Halb ſeiner Mutter und juͤngſten Schweſter

zum Abſchiedsgruß;

6. Gab auch der Mutter noch alle ſeine Haabe

zum Erbe.

Der Abſchied war uͤbrigens traurig, bitter

und herbe;

Sie hing lange weinend an ſeinem Hals

Und ſeine Schweſter Eſther ebenfalls.

7. Den Proceß mit dem Nachtwaͤchter, ſeinem

Kollegen,

Schlug er nieder und wuͤnſchte ihm allen Se-

gen,

Und
[87]
[figure]
Und in ſeinem Beruf Wachſamkeit und

Geduld;

Bezahlte auch den groͤſten Theil der Proceß-

ſchuld.

8. Auch Herrn Schneller that er freundlich begeg-

nen,

Unterließ nicht ihn nochmals fuͤr ſeine Rettung

zu ſegnen,

Und dieſer gab ihm auf der Reiſe noch mit

Eine große Flaſche voll Aquavit.

9. So
[88]
9. So letzte er ſich zaͤrtlich mit allen ſeinen

Freunden,

Vergab ſeinen ehmals naͤchrlichen Schwaͤgern

und allen Feinden;

Aber dem Herrn Judex Peter Squenz

Wuͤnſchte er doch heimlich die Peſtilenz.

10. Nunmehr hat er ſich hoͤchlich vergnuͤget

Wieder zum Herrn Patron ins Quartier ver-

fuͤget.

Alles war fertig, man trank noch ein Glas,

Stieg ein in den Wagen und reiſete fuͤrbas.

Acht-
[89]

Achtzehntes Kapitel.


Wie Hieronimus mit dem Herrn von Ohnewitz
auf der Reiſe iſt, und was ſich da zugetragen
hat, weil er vernuͤnftig befunden ward.


1. Auf der Reiſe iſt ihnen nichts ſonderliches

paſſiret,

Auſſer was jedem Reiſenden durch Deutſchland

arriviret,

Und was zu bemerken die Muͤhe nicht lohnt,

Weils laͤngſt ſo jeder Paſſagier gewohnt.

2. Nemlich hier und da bei Nacht leuchtende Irr-

geiſter,

Und bei Tage viele grobe Poſtmeiſter;

Meiſt ſchlechte Wege und langſame Poſt;

In den Quartieren mag’re doch theure Koſt;

3. Verfallene Nachtherbergen, aber drinnen

Gutherzige Maͤgde und freundliche Wirthin-

nen,

Wo man um manchen baaren Thaler Geld

Auf feine und grobe Art wird geprellt;

4. Kalte Stuben; alte Schlafſtaͤtten;

Znr naͤchtlichen Ruhe unreine Betten,

Wornach, wenns ſonſt nicht ſchlimmer noch

geht,

Doch ein wenig Jucken der Haut entſteht;

5. Statt
[90]
5. Statt guter Pferde elende Schindmaͤhren;

[figure]
Ueberall Zoͤlle, Schlagbaͤume und Barrieren;

Scharfer Kraͤtzer, ſtatt gutem Wein;

Und was derlei Kleinigkeiten mehr ſeyn.

6. Sie vertrieben ſich auf die beſtmoͤglichſte Weiſe

Die Zeit auf ihrer langwierigen Reiſe,

Und ein gut gefuͤlltes Flaſchen Futt’ral

Kam ihnen dabei zu ſtatten mannichmal.

7. Ueber viele ihnen vorkommende Sachen

Wuſte Hieronimus ſeine Anmerkungen zu ma-

chen;

Und
[91]
Und der ſtaunende Herr von Ohnewitz fand

Darin uͤberall großen Witz und Verſtand.

8. Einmal that er den Finger an die Naſe legen

Und ſchien lange genau etwas zu erwegen,

Bis er ploͤtzlich das Stillſchweigen brach

Und folgendes zum Hieronimo ſprach:

9. „Lieber Hieronimus! hoͤre Er, was ich von Ihm

halte:

„Ich ſehe Er iſt vernuͤnftig und nicht mehr der

Alte,

„Und finde Ihn im Gehirn und Verſtand

„Ganz und gar gleichſam umgewandt;

10. (Hieronimus machte hier ſehr ehrerbietig

Einen Buͤckling und erwiederte: „Sie ſind

ſehr guͤtig!“

Doch dieſen Umſtand erzaͤhle ich hie

Nur gleichſam als in Parentheſi.)

11. „Der Himmel gebe ferner dazu ſein Gedei-

hen,

„So wird mich ſolches ſehr herzlich erfreuen!

„Denn ich bin von feſt entſchloßnem Sinn

„Noch etwas Rechtes zu machen aus Ihn.

12. „Meinen Sohn, den ich will laſſen ſtudiren

„Soll Er auf die Univerſitaͤt als Hofmeiſter

fuͤhren,

„Ich
[92]
„Ich ſchieſſe gerne die Koſten all’ her

„Und geb Ihm 400 Gulden und mehr.

13. „Indem Er dann dieſe Bedienung verwaltet,

„Kann Er, denn Er iſt noch nicht veraltet,

„Allda das Studium theologicum dann

„Wieder anfangen gleichſam von vorne an;

14. Und wenn Er einſt, wie ich hoffe, hochgeleh-

ret,

„Wieder von der Akademie zuruͤcke kehret,

„So gebe ich, bei meiner hochadlichen ar-

men Seel!

„Ihm zu Ohnwitz die erſte vakante Pfarr-

ſtell.“

15. Hier wollte Hieronimo fuͤr Freude das Herz

brechen;

Nur ſtammelnd vermochte er folgendes zu

ſprechen:

Tauſend Dank — Ach ja — gnaͤdiger

Herr Patron!

Will gern Hofmeiſter ſeyn bei Ihrem Herrn

Sohn.

Neun-
[93]

Neunzehntes Kapitel.


Wie Hieronimus zu Ohnewitz ankam, und wie
er mit dem jungen Herrn als Hofmeiſter nach
der Univerſitaͤt reiſet, und ſo weiter.


1. Ich habe von der Reiſe nichts weiter zu ſagen,

Als daß man ohne Anſtoß nach einigen Tagen

Ins Ohnewitzer Territorium kam

Und die Reiſe ein gluͤckliches Ende nahm.

2. Als ſie aber beide dem Dorf waren nahe

Und Hieronimus den Kirchthurm zu Ohnewitz

ſahe,

Liefe ihm uͤber die Haut der Schweiß

Kalt wie im Wintermonate das Eis.

3. Denn er erinnerte ſich mit erneuerten Schmer-

zen,

Wie ſehr ihm das Exil damals gegangen zu

Herzen,

Und was er alles ſeit ſeiner Flucht

Sonſt noch erfahren hatt’ und verſucht.

4. An ſeinem Beiſpiel laͤßt ſich greifen mit beiden

Haͤnden

Wie wunderlich die menſchlichen Fata ſich oft

wenden;

Vormals jug man ihn mit Pruͤgeln fort

Und nun erſcheint er als Hofmeiſter dort.

5. Als
[94]
5. Als ſie endlich in den Schloßplatz gefahren,

Demnaͤchſt aus dem Wagen geſtiegen waren,

Und Herr von Ohnwitz ſeine Dame em-

braſſirt,

Hat er ihr ſeinen Gaſt bald praͤſentirt.

6. Sie hat ihn beim erſten Anblick wieder er-

kennet,

Ihn ihren alten Freund und Erretter genennet,

Und ließ hierauf den frohen Hieronimus

Allerhoͤchſtgnaͤdigſt zum Rockkuß.

7. Aber nun gings aufs neue an ein Fragen

Was ſich wohl alles mit ihm habe zugetragen?

Wo er geſtecket, und warum er

Nicht eher nach Ohnwitz gekommen waͤr?

8. Man ſagt, Damen waͤren uͤberhaupt neugie-

rig,

Drum war auch dieſe Dam’ alles zu wiſſen be-

gierig,

Und wuͤrklich erfuhr auch die gnaͤdige Frau

Von ihm alle paſſirte Dinge genau.

9. Sie hat ihn herzlich ob ſeinen Schickſalen be-

dauert,

Beſonders uͤber die Flucht von Ohnewitz ge-

trauert,

Und daß man mit ſo grobem Ungeſtuͤm

So unſchuldig damals begegnet ihm.

10. Aber
[95]
10. Aber uͤber einige ihm arrivirte Sachen

Wollte ſie auch faſt ſich zu Tode lachen;

Beſonders machte es ihr große Luſt

Daß ſeine Frau die Zeche bezahlen gemußt.

11. Uebrigens hat ſie von ihrem Gemahl ver-

nommen,

Daß Hieronimus nach ſeinem Tode mehr Ver-

ſtand bekommen,

Und deswegen ſtimmte ſie auch gerne bei

Daß er Hofmeiſter des jungen Herren ſey.

12. Er ward noch baß auf dem Schloſſe von

Jungen und Alten,

Als im 27ten Kapitel des erſten Theils, Vers

9 und 10 gehalten,

Und er hatte niemals, weder vorher noch

hernach

In ſeinem Leben, ſo gute Tag’.

13. Aber mancher Ohnwitzer Flegel von Bauer

Sah uͤber ſeine Ankunft ſehr ſcheel und ſauer,

Denn ſie dachten aufs neue daran

Was ihnen Fiscus ſeinetwegen gethan.

14. Der brave Hieronimus aber ſchlug ſich

Alle ehmalige Schmach aus dem Sinn und

betrug ſich

Gegen Reiche und Arme, Alt und Jung,

Vor wie nach mit Klugheit und Maͤßigung.

15. Der
[96]
15. Der junge Herr Baron ward ihm bald ge-

wogen,

Denn er war ſehr artig und gut erzogen

Und hatte dabei weit mehr Verſtand

Als ſonſt meiſtens ein junger Herr vom Land.

16. Auch hatten, ſowohl ſein nicht ungelehrter

Herr Vater,

Als auch ſein bisheriger geſchickter Informater,

Mit Ernſt auf ſeine Bildung bedacht

Ihm alle feine Kenntniſſe beigebracht.

17. Nun ließ ſich Hieronimus von dem jungen

Herren

In vielen noͤthigen Sachen unvermerkt beleh-

ren,

[figure]
Alſo
[97]
Alſo legte er nach und nach, in Sprachen

und

Humanioribus, einen guten Grund.

18. Auch ſo lang ſein Aufenthalt zu Ohnwitz ge-

waͤhret,

Hat er fleißig mit allerlei Buͤchern verkehret,

Und manchesmal die ganze liebe Nacht

Auf der Schloßbibliothek ſtudirt und ge-

wacht.

19. Zur Erholung ſpazierte er dann und wann

mit ſeinem Eleven,

In Feld, Wald, oder nach den Bauerhoͤfen,

Und da lernte er beilaͤufig noch manches

Stuͤck

Aus der Oekonomie und der Phyſik.

20. Mit dem jungen Herrn von Ohnwitz zu ziehen

Abgeredetermaßen nach Akademien,

War endlich die beſtimmte Zeit da

Und man machte die Praͤparatoria.

21. Weſten, Nachtmuͤtzen, Struͤmpfe, Hals-

tuͤcher,

Hemden, Schlafpelze und mancherlei Buͤcher,

Packte man ein im Ueberfluß,

So wohl fuͤr den jungen Herrn als Hiero-

nimus.

Jobſiade 2ter Theil. G22. Kiſten
[98]
22. Kiſten und Koffer waren faſt ſchier zu enge,

Denn von allem war da die ſchwere Menge,

Doch billig zieh ich allem uͤbrigen vor

Die mitgegebenen 500 Louisd’or.

23. Ein Lakei muſte ſie zur Bedienung begleiten.

Wir laſſen ſie nun in Gottes Namen fahren

oder reiten,

Genug, Baron, Hieronimus und der Lakei

Kamen gluͤcklich an auf der Akademei.

Zwan-
[99]

Zwanzigſtes Kapitel.


Seine diesmaligen Studia und gluͤckliche Beendi-
gung derſelben.


1. Diesmal hat Hieronimus ſich trefflich aufge-

fuͤhret,

Tag und Nacht emſig gelernet und ſtudiret,

Und er verſaͤumte in ſeinem Studium

Nicht ein einziges Kollegium.

2. Er hat ſogar oft Trinken und Eſſen

Und andre Beduͤrfniſſe vernachlaͤſſigt und ver-

geſſen,

Saß manchmal da, hoͤrte und ſahe nicht,

So ſehr war er aufs Studiren erpicht.

3. Er ward zwar oft von andern Studenten vexi-

ret,

Bei Gelegenheit auch wegen ſeines Alters ku-

joniret;

Allein, er als ein vernuͤnftiger Mann

Achtete das nicht, und that gar nicht uͤbel

dran.

4. Wenn aber einige die ſeinen ehmaligen Stand

kannten,

Ihn den Nachtwaͤchter von Schildburgs Zion

nannten,

G 2So
[100]
So aͤrgerte er ſich doch heimlich oft drob,

Denn er fand den Spaß zu gemein und zu

grob.

5. Die Beſchreibung ſeines Studirens will ich

unterlaſſen

Und nur hiemit in Kuͤrze alles zuſammenfaſſen:

Er lebte ganz nach dem Gegenfuß

Des vormaligen ſidelen Burſchen Hieroni-

mus.

6. Er hatte den Beifall aller ſeiner Lehrer,

War von allen ihr fleiſſigſter Zuhoͤrer,

Und nach weniger Jahre Muͤh

War er wuͤrklich viel gelehrter als ſie.

7. Auch an ſeinem Eleven ſah er nichts als

Freude;

Und ſo endigten, nach drei Jahren, ruͤhmlich

beide,

Der eine das Studium juridicum,

Der andre das theologicum.

8. Ich mag es diesmal nicht weitlaͤuftig beſchrei-

ben

Wie es dagegen viel andre Studenten thaten

treiben;

Denn dies iſt alles ſchon, wie man nach

kann ſehn,

Im 13ten Kapitel des erſten Theils g[e-]

ſchehn.

9. Mit
[101]
9. Mit den lobvolleſten Teſtimoniis verſehen

Endigten ſie nun in Geſundheit und Wohler-

gehen

Den wohlgefuͤhreten Burſchenlauf

Und machten ſich beide gen Ohnewitz auf.

10. Sie langten daſelbſt an wohlbehalten,

Fanden alles und jedes noch bei dem Alten,

Nicht das geringſte war veraͤndert alldo

Sondern alles wie vorher in ſtatu quo.

11. Aber ſie wurden ſtattlich aufgenommen und

empfangen,

Denn die gnaͤdige Frau Mama trug laͤngſt Ver-

langen

Nach ihrem ſo zaͤrtlich geliebteſten Sohn,

Den ſeit drei Jahren nicht geſeh’nen Baron.

12. Weder ſeine Geſundheit noch ſeine Sitten

Hatten ſich verſchlimmert noch ſonſt gelitten,

Wie’s doch meiſt auf der Univerſitaͤt

Bekanntlich den jungen Leuten ſonſt geht.

13. Es war vielmehr ſeine Statur etwas vergroͤſ-

ſert

Und ſein aͤuſſerer Anſtand verſchoͤnert und ver-

beſſert,

Und die gnaͤdige Frau Mama konnte, traun!

Sich kaum ſatt an ihn lecken, kuͤſſen und

ſchaun.

14. Auch
[102]
14. Auch der alte Herr war voll Entzuͤcken

Ueber ſeinen Sohn in allen und jeden Stuͤcken;

Beſonders fand er ihn hochgelehrt und klug,

Denn er ſprach uͤberall wie ein Buch.

15. Daß Hieronimus an dieſem freundlichen

Willkommen

Auch einen nicht geringen Antheil genommen,

Weil er den jungen Herrn gehofmeiſtert ſo,

Das verſteht ſich ex eo ipſo.

16. Da war im freiherrlichen Schloſſe ein praͤch-

tiges Leben;

Ein Traktament ward fuͤrſtlich angerichtet und

gegeben

Und gleichſam wie zu Frankfurt bei der Kai-

ſerwahl,

Sprang roth und weiſſer Wein im Speiſe-

ſaal.

17. Ja es ging, ſans comparaiſon, dem jungen

Barone,

Wie in der Geſchichte jenem verlornen Sohne,

Als dieſer wiederkam mit reuigem Muth

Aus dem Bordel und von der Schweinehuth.

Ein
[103]

Ein und zwanzigſtes Kapitel.


Ein braves Kapitel; enthaltend Geld und einen
Brief des Hieronimi an ſeine Mutter.


1. Ich laſſe Hieronimum nun auf’m Schloſſe

weilen und walten,

Denn er kann es da recht gut aushalten,

Und mache aus ſeinem letzten Studenten-

ſtand

Noch etwas ruͤhmlich’s von ihm bekannt.

2. Er konnte in gedachten ſeinen Studierjahren,

Vieles vom Hofmeiſtergehalte erſparen,

Und hatte ſicher alle Quartal

Uebrig ein 60 Gulden Kap’tal.

3. Dieſes wuſte er nicht beſſer anzuwenden,

Als es ſeiner Mutter nach Schildburg zu ſen-

den,

Und ſolches thate er dann auch baar

Richtig und rein alle Vierteljahr.

4. Aus dem Inhalte vom folgenden Briefe,

Welcher mir von ohngefaͤhr in die Haͤnde liefe,

Erhellt es dem geneigten Leſer zur Genuͤg’,

Daß ich die Wahrheit rede und nicht luͤg’.

5. „Ge-
[104]
[figure]
5. „Geliebte Mutter!

meine kindlichen Pflichten

„Schuldigermaßen gegen euch zu verrichten,

„Sende ich gegenwaͤrtig abermal

„60 Gulden zum gewohnten Quartal.

6. „Wollte Euch herzlich gerne mehr ſenden

„Habe aber diesmal nichts weiter in Haͤnden

„Und bin ſelber bis aufs naͤchſte Kap’tal,

„Das ich von Ohnwitz erhalte, ſchier kahl.

7. „Hoffe jedoch, es werde heut oder morgen

„Der Himmel mich irgendwo als Pfarrer ver-

ſorgen,

„Und
[105]
„Und dann ſollt Ihr, geliebte Mutter

mein!

„Lebenslang bei mir zugleich verſorget ſeyn.

8. „Ihr koͤnnt nicht glauben, wie ſehr mich’s

noch kraͤnke,

„Wenn ich meinen vormaligen Jugendlauf be-

denke,

„Und wie ich Euch dadurch gar zuletzt

„In die ſchofelſten Umſtande verſetzt.

9. „Gott halte Euch geſund und bei langem Leben,

„Da will ich dann alles Ernſtes mich beſtreben,

„Daß alles wieder werde gut gemacht,

„Was ich verdorben und durchgebracht.

10. „Mit meinem Studiren gehts, Gott lob!

ziemlich,

„Auch mein Eleve betraͤgt ſich hoͤchſt ruͤhmlich;

„Herr von Ohnewitz freuet ſich ſehr darob

„Und giebt uns beiden oft ſchriftlich fein

Lob.

11. „Neuigkeiten wollte ich Euch gerne ſchreiben;

„Allein, was die Muſenſoͤhne hier machen

und treiben

„Iſt meiſtens nicht von gar großem Ge-

wicht

„Und intereſſiret Euch ſonderlich nicht.

12. „Ich
[106]
12. „Ich bin immer geſund am Leib und Ge-

muͤthe

„Und erhalte von des alten Herrn von Ohne-

witz Guͤte,

„Zu jeder vierteljaͤhrigen Friſt,

„Was mehr als zum Beduͤrfniß hinreichend

iſt.

13. „Ich mache mir alſo noch die kleine Freude

„Und ſende, etwa zu einem neuen Kleide,

„Beiliegende 2 Louisd’or fuͤr

„Schweſter Eſther, im beſondern Papier.

14. „Uebrigens beharre ich bis an mein Ende

„Nebſt einem großen und zaͤrtlichen Kompli-

mente

„An meine Schweſter vom jungen Baron,

Euer treuer und gehorſamer Sohn.

15. Auf die vor gedachten ruͤhrenden Zeilen

Schrieb ohne lange damit zu verweilen,

Die alte Frau Jobs, die Senatorin

Ihrem guten Sohne folgende Antwort hin.

16. Sie enthaͤlt gar viel und mancherlei Sa-

chen;

Will drum draus ein neues Kapitelchen ma-

chen,

Man wuͤrde ſonſt, weil der Brief etwas

lang,

Beim Durchleſen deſſelben muͤde und bang.

Zwei
[107]

Zwei und zwanzigſtes Kapitel.


Worin laͤnglich die Antwort der Frau Witwe
Schnaterin Jobs zu leſen, auf den Brief ih-
res Sohnes.


[figure]
1. Mein geliebtſter Sohn!

An dich zu ſchreiben

Konnte ich nicht laſſen unterbleiben,

Beſonders ruͤhrte es mich, daß du

Mir wieder 60 Gulden ſandteſt zu.

2. Alles
[108]
2. Alles iſt mir richtig gekommen zu Handen,

Und ich habe aus deinem Briefe verſtanden

Deine Herzensguͤte und Zaͤrtlichkeit,

Und das hat mich mehr als das Geld er-

freut.

3. Zwar iſt mir letztes ſehr gut zu ſtatten gekommen,

Denn Geld gereicht immer zum Nutzen und

Frommen;

Aber deine gutartige Kindlichkeit

Geht, ſo wahr ich ’ne ehrliche Wittfrau bin!

weit.

4. Ich hab mich vormals freilich ſehr muͤſſen behelfen

Und nach dem noͤthigſten Unterhalt kuͤmmerlich

gelfen,

Und, wahr iſts, aus Ungeduld

Gab ich dir davon oft alleine die Schuld.

5. Allein, alles iſt laͤngſt vergeſſen und vergeben,

Denn erleichterſt du mir und unſrer Eſther das

Leben,

Schickſt uns ſo viel Geld und ſeitdem

Leben wir gemaͤchlich und ſehr bequem.

6. Ehmals ſchmachteten wir in Froſt und Hitze,

Aſſen kaum ſatt Waſſerſchnell, Brei und Gruͤtze,

Trunken nur Kofent und kahlen Thee,

Und in der Haushaltung war lauter Weh.

7. Uns borgte weder Schuſter, Weber, noch

Schneider

Die noͤthigen Schuhe, Leinwand und Kleider,

Und
[109]
Und in unſrer Wohnung uͤberall

Wars durchlauchtig wie in ’nem Nothſtall.

8. Zwar ſuchten deine Schweſter und ich uns mit

Ehren

Durch fleiſſige Handarbeiten zu ernaͤhren,

Allein, wir kamen damit nicht weit

In dieſer ſo hoch ſchwer theuern Zeit.

9. Eſther haͤtte zwar extra was koͤnnen acquiriren,

Denn viele junge Herren ſuchten ſie zu verfuͤh-

ren,

Doch weil ſie ihnen keine Audienz gab,

So zogen ſie mit der langen Naſe ab.

10. Nun aber ſind wir frei von Nahrungsſorgen,

Brauchen nicht mehr zu darben und zu borgen,

Und danken den frohen Lebensgenuß

Dir. Mein geliebter Hieronimus!

11. Der Himmel wolle ferner dich begluͤcken

Und dir einſt eine fette Pfarre zuſchicken;

Dann beſchließ ich, wie du es ſchreibeſt mir,

Meine alten Tage, ſo Gott will, bei dir.

12. Deine Schweſter gruͤßt dich zu hunderttauſend

malen,

Denn ſie kann deine bruͤderliche Lieb nicht an-

ders bezahlen,

Und ſie bedankt ſich hiemit herzlich vor

Die ihr geſandte zwei ſchoͤne Louisd’or.

13. A
[110]
13. A propos! was ſoll ich eigentlich daraus

ſchlieſſen,

Daß der junge Herr Baron ſie ſo zaͤrtlich laͤßt

gruͤßen?

Ich hoffe er hat doch wohl auf ſie nicht

Eine beſondre unlautere Abſicht?

14. Nun will ich zu verſchiedenen Neuigkeiten

Welche hieſelbſt vorgefallen ſind, ſchreiten;

Sie ſind zwar meiſt unangenehm und ſchlecht.

Aber doch alle authentiſch und aͤcht.

15. Das Gewitter hat vor etwa 14 Tagen

In Herrn Advokaten Schlucks Garten einge-

ſchlagen,

Davon ſind viele Baͤume zerknikt,

Und das Luſthaus iſt gleichfalls zerſtuͤckt.

16. Man hat dies als eine Vorbedeutung ange-

ſehen

Deſſen, was drei Tage hernach geſchehen,

Da der liebe Mann, geſund und guter Ding,

Ploͤtzlich den Weg ab Patres ging.

17. Er hat zwar keine Kinder, die um ihn trauern,

Auch glaub ich nicht, daß ſeine Erben ihn be-

dauern,

Denn er ſaß ſehr warm in der Woll

Und hat ſeine Kiſten von Thalern voll.

18. Man
[111]
18. Man hat ex poſt vieles geſagt und geplaudert

Wofuͤr einem die Haut grauſet und ſchaudert,

Nemlich es ginge gedachter Herr Schluck

Bei hellem Mittag herum als Spuck.

19. Einige haben ihn geſehn durch dem Fenſter-

glaſe.

Mit ſeiner Brille auf der großen Naſe,

Und ſein Advokatengewand

Leuchtend wie hoͤlliſcher Feuerbrand;

20. Und in ſeinem Hauſe hoͤret man Jammer

und Gepolter,

Als laͤg einer auf der peinlichen Folter;

Und er raſſelt mit Ketten an der Thuͤr;

Gott bewahr jeden Chriſtenmenſchen dafuͤr!

21. Man hat einen Waͤhrwolf hier kuͤrzlich ge-

ſehen

In Geſtalt eines großen Hundes herumgehen;

Auch ſpricht man von mancher Behexerei,

Welche hieſelbſt geſchehen ſey.

22. Ich aber wollte ſchier gewiß darauf wetten,

Daß die Seher und Erzaͤhler ſich geirret haͤt-

ten;

Denn in Schildburg trau ich keinem einzi-

gen Mann

Es zu, daß er die Kunſt des Hexens kann.

23. Der
[112]
23. Der vorige Winter war hieſelbſt ſehr ſtrenge,

Es gab Schnee, Schloſſen und Eis in Menge;

Melde mir, ob vielleicht dorten bei dir

Der Winter gleichfalls ſo ſtreng war als hier.

24. Man hat auch damals mit Schrecken ge-

ſehen

Am Himmel ungewoͤhnliche Zeichen ſtehen,

Und es ſchoſſe daſelbſt wunderlich uͤberall

Am Firmamente heftiger Feuerſtrahl;

25. Davon glauben nun billig die Schildburger

Leute,

Daß es ein Ungluͤck fuͤr unſer Staͤdtlein be-

deute;

Doch Herr Schneller ſagt, es bedeute dies

nicht,

Sondern das Ding wuͤrde genannt Nord-

licht.

26. Indeß hat man doch aus der Zeitung geſehen,

Daß vielleicht ein Krieg werde entſtehen;

Und, gieb Acht, ſo wahr ich ehrlich bin!

Unſer Schildburg kommt dann auch mit drin.

27. Die Erndte iſt dies Jahr ſehr gut gediehen,

Weil der Himmel guͤnſtiges Wetter dazu ver-

liehen;

Hoffentlich wird dann der liebe Brandwein

und s’ Brod

Wohlfeil und mindert die Hungersnoth.

28. Aber
[113]
28. Aber dagegen ſind die Weinleſen

Deſto kuͤmmerlicher in dieſem Herbſt geweſen;

Denn die Stoͤcke ſtanden meiſtens kahl

Und der Moſt iſt theils ſauer, theils ſchaal.

29. Dieſes macht denn nun wohl, leider! heuer

Den guten Wein noch ſelt’ner und theuer,

Und die vielen luſtigen Zecher allhier

Muͤſſen ſich dann helfen mit Waſſer und

Bier.

30. Den hieſigen Kirchthurm will man aus-

beſſern

Und die Kirche ſelbſt etwas vergroͤſſern;

Denn man ſagt unſers Staͤdtleins Chriſten-

heit

Habe ſich vermehret ſeit kurzer Zeit.

31. Einige hartnaͤckichte Herren Konſiſtorialen

Wollen aber nicht einwilligen, vielweniger

was zahlen,

Man hofft aber die Koſten zu bringen herbei

Durch eine Kollektenſammelei.

32. Freilich, der Kirchthurm iſt ſehr verfallen

und zerborſten,

So daß Eulen und Dohlen drin hauſen und

horſten,

Aber fuͤr die wahre Chriſten, die hier ſeyn

Iſt, wie mir deucht, die Kirche ſelbſt, nicht

zu klein.

Jobſiade 2ter Theil. H33. Seit-
[114]
33. Seitdem unſre Herren jene Verordnung gaben,

Hat man keinen lebendigen Menſchen wieder

begraben;

Da ſieht man, was ein geſcheutes Mandat

Fuͤr wohlerſpriesliche Folgen hat.

34. Sonſt, wenn unſre Herren was kommandi-

ren

Pflegt niemand den Befehl zu vollfuͤhren,

Weil ihre Obrigkeitsauthoritaͤt

Nicht gar weit bei der Buͤrgerſchaft geht.

35. Unſer Fuͤrſt iſt neuerdings durchs Staͤdtel

paſſiret,

Da hat die Buͤrgerſchaft das Gewehr gepraͤ-

ſentiret

Und mit Trommel und Fahne und großer

Pracht

Einen koſtſplitterlichen Aufzug gemacht.

36. Nur ein einziger that beim Feuern und

Schieſſen

Unvorſicht’gerweiſe ſein Leben einbuͤſſen;

Sonſt ging alles zu Schildburgs Ehr,

Ohne ſonderliches Ungluͤck her.

37. Der kathol’ſche Pfarrer hat’s Zeitliche ge-

wechſelt

Und man hat ’nen neuen herausgedrechſelt;

Doch dieſer gewiß recht brave Mann

Stund erſt einigen Gemeinsgliedern gar

nicht an.

38. Man
[115]
38. Man hatte zwar einen andern in der Waſche,

Der wollte aber ſo recht nicht in die Taſche,

Und war dabei auch etwas zu kommod,

Denn er hatte ſchon anderweitig ſein Brod.

39. In der Stadt und auf’m Lande herrſcht eine

Seuche,

Da gibt es alſo natuͤrlich manche Leiche;

Doch an Oertern, wo keine Aerzte ſind,

Sterben ſie nicht ſo haͤuffig noch ſo g’ſchwind.

40. Im vor’gen Jahr hat ſichs Ungluͤck zugetra-

gen,

Daß ein Menſch jaͤmmerlich ward todtgeſchla-

gen,

Und der ergriffene Thaͤter kam

Dafuͤr ein Vierteljahr zur Veſtung lobeſam.

41. Es iſt alles jetzt ſehr duͤrftig und theuer,

Dennoch ſinnet man auf Vermehrung der

Steuer;

Denn man verſteht ſich hieſelbſt eben ſo

Aufs leidige Plusmachen als anderswo.

42. Nachbars Minchen hat einen kleinen Knaben,

Ich hab ihn als Pathin aus der Taufe geha-

ben,

Wer ſie eigentlich gebracht hat zu Fall

Erzaͤhlt man ſich ſub Roſa uͤberall;

H 243. Es
[116]
43. Es iſt als waͤr’s Ungluͤck in unſerm Staͤdt-

chen

Mit den jungen mannbaren Dirnen und Maͤd-

chen;

Denn es traͤgt ſich zu faſt alle Monat,

Daß eins eine Tochter oder ’nen Sohn hat.

44. Man haͤlt fleißig hier Baͤlle und Aſſambleen

Und thut ſich da recht herrlich und luſtig bege-

hen;

Doch vielleicht folgt einſt dieſer freudigen

Sach

Bei manchen der hinkende Bote nach.

45. Man hat das Rathhaus kuͤrzlich renoviret

Und in der Policei manches repariret;

Zum Exempel: man iſt nun von Bettelei,

Doch weiß Gott, wie lange es dauert, frei.

46. Auch hat man ſehr lange nichts gehoͤret,

Daß irgend die Nachtruhe waͤre geſtoͤret,

Durch Einbruch oder naͤchtliche Dieberei;

Das macht gleichfalls die gute Policei.

47. Item, man gibt fleiſſig Acht auf Maaß und

Gewichte,

Nimmt Becker, Kraͤmer und Brauer in

Bruͤchte,

Wenn etwa Brod und Waare nicht gehoͤrig

ſchwer

Oder das Bier zu leicht und zu duͤnne waͤr.

48. Man
[117]
48. Man hat auch durchgehends die Stadtſtraſſen

Mit neuen Steinen wieder pflaſtern laſſen,

Weil das neue Pflaſter vom vorigen Jahr

Nicht zum Beſten gerathen war.

49. Die Stadtthore hat man abgebrochen

Und ſolche aufs neue kuͤnftig zu bauen ver-

ſprochen;

Man kaufte auch gern eine neue Kirchuhr,

Haͤtte man dazu das Geld nur.

50. Die Schloßwarte will man demoliren,

Und die Steine anderweitig emploiren,

Und damit das Obere von ſelbſt folgen kann,

Faͤngt man mit der Abbrechung von unten

an.

51. Einige andre noͤthige Ausbeſſerungen

Hat man dem Meiſtfordernden verdungen;

Denn es ſieht, leider! elend und kraus

Mit andern oͤffentlichen Gebaͤuden aus.

52. Man probiret bei dieſer greulichen Hitze

Sehr oft unſre große Brandſpruͤtze;

Denn man hat geſunden, wenn Brand ent-

ſteht,

Daß ſie meiſtens nicht richtig geht.

53. Man hat noch kuͤrzlich in dieſen Tagen

Einige junge Maͤnner zu neuen Buͤrgern ge-

ſchlagen,

Und
[118]
Und fuͤr die uͤbermorgende Nacht

Oeffentlich angeſagt eine Gaudiebsjagd.

54. Neulich fiel ein Kind in den großen Stadts-

brunnen

Und iſt drin kaum dem Ertrinken entrunnen;

Da hat man nun gleich die Cautel erdacht,

Und den Brunnen vernagelt und zugemacht.

55. Weil man ſich im Finſtern auf der Straße

leicht verletzet

So hat man alle ſechs Schritt, Nachtlaternen

geſetzet;

Aber, noch zur Zeit, fehlet es an

Dem noͤthigen Fond zu Oel oder Thran;

56. Denn aus den ehmaligen publiken Kapitalen

Laͤßt ſich ſeit langen Jahren nichts bezahlen;

Man ſagt, es waͤre alles Stuck vor Stuck,

So wohl Kapitale als Zinſen caduck.

57. Man hat der Buͤrgerei zum Beſten vor 14

Tagen

Die Stadtsbleiche verkaͤuflich losgeſchlagen,

Und das Plaͤtzchen, wo ſonſt der Galgen ſtand

Iſt gemacht zu ſchoͤnem Ackerland.

58. Das Rathhaus wird an den, der ’s Meiſte

bietet

Naͤchſtens verpachtet oder auf 8 Jahr vermie-

thet;

Nur
[119]
Nur ein Zimmerchen bleibt vakant davon

Um drin zu verrichten die Seſſion.

59. Man bezeiget vielen guten Willen

Die Stadtgraͤben zu verſchuͤtten und auszufuͤl-

len,

Weil doch ohnehin ein jedermann

Ins of’ne Staͤdtel ’reinkommen kann.

60. Ein fremder Spitzbub ward geſtern atrapiret,

Den hat man zur Strafe durch alle Straßen

gefuͤhret

Mit einer großen Kappe mit Schellen dran,

Und ihn dann wieder ſeines Wegs laufen

l’an.

61. Einige Buͤrger gehn Nachts fleißig patrolli-

ren

Um etwa verborgene Diebe aufzuſpuͤren,

Und melden es immer durch der Klapper-

Getoͤn,

Woher ſie kommen und wohin ſie gehn.

62. Es iſt befohlen, daß jeder vor ſeiner Thuͤr

fleißig putze,

Weil die Straßen beſtaͤndig ſtinken von Miſt

und Schmutze;

Denn es gibt, wie dir bekannt iſt, allhie

Viele Kuͤhe, Schweine und anders Vieh.

63. Man
[120]
63. Man ſpricht von noch mehr Projekten im hie-

ſigen Staate,

Allein ſie beruhn noch bloß heimlich im Senate,

Welcher mit aller Anſtrengung und Macht

Aufs Wohl der Buͤrger tagtaͤglich bedacht.

64. Hier iſt angekommen eine Puppenſpielerbande,

Die ſchleppet gewaltig viel Geld aus dem Lande,

Vornehme und Geringe gehen taͤglich viel

Um zu beſehen das herrliche Spiel;

65. Vorgeſtern haben ſie Doktor Fauſts Leben,

Geſtern die heilige Genofeva gegeben,

Und am heutigen Abend gibt man

Die graͤßliche Tragoͤdie von Don Juan.

66. Was nun noch betrifft deine hieſigen Ver-

wandten,

Freunde, oder ſonſtigen Bekannten,

So iſt da des Dinges noch mancherlei,

Was dir zu wiſſen angenehm ſey.

67. Deinen Succeſſor den bewußten Nachtwaͤch-

ter

Findet die ganze Buͤrgerſchaft je laͤnger je

ſchlechter,

Denn er thut meiſtens die naͤchtliche Pflicht

So recht, wie es ſich gehoͤret, nicht.

68. Er
[121]
68. Er kann lange nicht ſo gut, wie du ehmals,

blaſen,

Singet auch etwas undeutlich durch die Naſen,

Deswegen ſpricht man durchgehends hier

Noch immer mit allem Ruhme von dir.

69. Herr Schneller pflegt ſich oft bei mir zu er-

kuͤnden

Wie es ſtehe mit deinem Wohlbefinden;

Er kurirt noch immer friſch drauf los

Und purgirt mit ſeinen Pillen klein und groß.

70. Vetter Kaspar hat geſtern den Ehbund er-

neuert

Und ſeine goldne Hochzeit hoch gefeiert,

Doch uͤber die Freude die da regiert

Haben ſich viele Buͤrger moquirt;

71. Weil mancher guter Ehemann wohl eben

Solche Jubelei nicht verlangt zu erleben,

Denn die Zeit kam ihm zu lang an

Mit ſeinem theuren Ehegeſpann.

72. Der junge Kunz hat ’ne Erbſchafft erworben

Von ’nem reichen Onkel, welcher geſtorben,

Und was dieſer geizig zuſammen geſcharrt

Verzehrt jener nun mit guter Art:

73. Er haͤlt Kutſchen, Pferde und Maitreſſen,

Beſchaͤftigt ſich taͤglich mit Spielen, Trinken

und Eſſen,

Und
[122]
Und iſt fuͤr 100 Reichsgulden baar

Neulich geworden ein Hofrath gar.

74. Ich leide zuweilen mancherlei Schmerzen

Bald im Kopf, bald im Magen, bald am

Herzen,

Bald gehts mir im Leibe rundherum,

Herr Schneller nennts: Malum hiſtoricum;

75. Ich kann aber gemeinlich dieſe Plagen

Mit ’nem Schluͤckchen Kuͤmmel oder Anis ver-

jagen,

Deswegen nehm ich Abends und Morgens

davon

Gewoͤhnlich eine etwaige Portion.

76. Dein zweiter Bruder zieht fleißig auf Kirm-

ſen und Meſſen,

Ihm fehlt es nicht am noͤth’gen Unterhalt und

Eſſen;

Denn er fuͤhret noch immer lobeſam

Seinen kleinen Nuͤrnberger Puppenkram.

77. Er hat ſollen Rathmann hieſelbſt werden,

Fuͤrchtet aber die rathshaͤuslichen Beſchwerden,

Denn man geht alle 14 Tage drauf,

Und ſitzt da und ſperrt das Maul weit auf;

78. Und die etwa damit verbundne Ehre

Lohnet kaum, daß man ſich drum beſchwere,

Denn
[123]
Denn auſſer einem Haſen und ’nen Viertel

Wein,

Bringet der ganze Dienſt nichts ein.

79. Dein aͤlt’ſter Bruder mit dem haͤßlichen

Weibe

Sucht ſich auswaͤrtig allerlei Zeitvertreibe;

Denn er hat zu Hauſe ſein Kreuz

An ſeines Weibes Geſicht und Geiz.

80. Was betrifft deine aͤlt’ſte Geſchwiſter

So lebt dieſe mit ihrem Gatten, dem Kuͤſter,

Noch immer in ehlicher Einigkeit,

Ausgenommen dann und wann ’ne Kleinig-

keit.

81. Er hat andershin einen Ruf bekommen

Aber denſelben weißlich nicht angenommen,

Denn ſein hieſiger Dienſt naͤhrt ihn treu

Und er wird reich und porkulent dabei.

82. Deiner Schweſter Gertrud ihren wackern

Knaben

Vom Prokrater Geier, hat man vor Kurzem

begraben;

Uebrigens lebt beſagte Schweſter Gertrud

Als Putzmacherin hieſelbſt wohlgemuth.

83. Schade, daß der Junge nicht mehr am Leben!

Er haͤtte auch einſt ’nen guten Prokrater ab-

gegeben;

Denn
[124]
Denn er war an Einfaͤllen ſehr ſchlau

Und im Fordern und Nehmen fix und gau.

84. Die andre Schweſter hat noch beim alten

Wittwer treulich bisher ausgehalten,

Und als eine wack’re Haushaͤlterin

Pflegt ſie ihn noch immer und waͤrmet ihn.

85. Was endlich betrifft deine juͤngſte Schwe-

ſter,

So iſt ſie noch immer die vorige gute Eſther,

Sie nimmt vorlieb mit geringer Koſt

Und gereichet mir zur Stuͤtze und zum Troſt.

86. Moͤchte wuͤnſchen, daß n’ reicher und vorneh-

mer Mann kaͤme

Und das Maͤdel zu ſeiner Ehegattin naͤhme;

Denn, findet ſich nicht eine gute Parthie,

So heirathet ſie, wie ſie verſichert, nie.

87. Denn ſie iſt gar nicht aufs Mannsvolk be-

fliſſen,

Haͤlt nicht von Tanzen, Pfaͤnderſpielen und

Kuͤſſen,

Iſt auch, wie ſonſt die meiſten Maͤdchens,

nicht

Aufs leidige Romanenleſen erpicht.

88. Judex Squenz iſt vom Fuͤrſten kaſſiret

Weil er oft zu partheiiſch hat judiciret;

Hier
[125]
Hier truͤgt alſo vom Krug das Sprichwort

nicht;

Er geht ſo lange zu Waſſer, bis er bricht.

89. Ich haͤtte dir zwar gern mehr wollen ſchrei-

ben,

Laſſe es aber bei dieſen paar Zeilen dismal ver-

bleiben;

Vielleicht, ob Gott will, ſchreibe ich ſchier-

kuͤnftig etwas ausfuͤhrlicher Dir.

90. Alle Freunde und Lieben laſſen Dich herzlich

gruͤßen,

Und weil die Poſt abgeht

[figure]
will ich eilig ſchlieſſen.

Ich
[126]
Ich verbleibe immer mit dem zaͤrtlichſten

Sinn,

Deine liebe Mutter

Wittwe Jobs Schnaterin.

91. Ich muß noch eben zu deinem Ergetzen

Ein kleines Poſtſkriptchen hier nachſetzen,

Denn es fehlet mir, dem Himmel ſey Dank!

hier

Weder an Zeit, noch Dinte, noch Papier

92. Gevatter Theis iſt vor anderthalb Wochen

In den Ehſtandskittel foͤrmlich gekrochen,

Die Hochzeit war luſtig, doch hoͤre ich heut,

Die ganze Affaire ſey ihm ſchon leid.

93. Nichte Trine hat von ihrem lieben alten

Kobus neulich ein Kind erhalten,

Doch durchgehends glaubet und denket man,

Daß er ſelbſt wenig darzu gethan.

94. Herrn Thums ſeine Porzellanfabrikaten

Wollen bisher noch nicht recht gerathen,

Denn es fehlet an guter Erde nicht nur,

Sondern auch an Arbeitern und Glaſur;

95. Ueberhaupt ſcheinen vernuͤnftige Dinge und

Fabriken

In unſerm Staͤdtlein nicht recht zu geluͤcken;

Obs
[127]
Obs am Klima, oder ſonſt wo fehlt

Laſſe ich an ſeinen Ort geſtellt.

96. Man will eine Leſegeſellſchaft hier errichten

Von Hiſtorien und anmuthigen Gedichten,

In dem Verzeichniß finde ich mit

Den Eulenſpiegel und gehoͤrnten Siegfried.

97. Der alte Schmudel aus dem Hebraͤerorden

Hats Judenthum quittirt und iſt Chriſt ge-

worden;

Dagegen bei uns manch ſogenannter Chriſt

Ein unbeſchnitt’ner Jude laͤngſt war und iſt.

98. Der Kaffe iſt im Preiſe ſehr hoch geſtiegen,

Dies erregt allgemeines Mißvergnuͤgen,

Denn in dieſem auslaͤnd’ſchen Produkt

Wird hier mancher Gulden verſchluckt.

99. Ich hoͤre man will deine Thaten und dein

Leben

In Dortmund verbeſſert und vermehrt heraus-

geben,

Denn ſowohl luſt’ge als ernſthafte Herrn

Leſen von dir und deinen Thaten gern.

100. Herr Schlauch wird, wie ich von Herrn

Schneller vernommen,

Bald die Schwindſucht an den Hals bekommen.

Ich ſchlieſſe nunmehr vergnuͤgt und bin

Ut ſupra

deine Mutter Schnaterin.

Drei
[128]

Drei und zwanzigſtes Kapitel.


Wie der junge Herr mit Hieronimus die Welt
beſehen ſoll und der Schulmeiſter Loci einen
unvorgreiflichen Reiſeplan uͤberreichen that.


1. Jetzt iſt es wieder hohe Zeit zu beſehen,

Wie die Affairen auf dem Schloſſe zu Ohn-

witz ſtehen,

Und was nach einigen Tagen allda

Weiter wegen Hieronimus geſchah.

2. Daß ihn die gnaͤdigſte Herrſchaft aufs beſte

traktirte

Und auf alle menſchmoͤgliche Weiſe flattirte,

Wer das nicht ohne mein Erinnern ſaͤhe ein

Der muͤßte ein Einfaltspinſel ſeyn.

3. Auch will ich nichts von den Geldgeſchenken,

Welche ihm der alte Herr machte, gedenken,

Auch nicht ſagen, daß er davon in Eil

Seiner Mutter geſandt einen anſehnlichen

Theil.

4. Ich will vielmehr ad Rem fortfahren und ſa-

gen,

Daß man nach verſtrich’nen Willkommstagen,

Faßte einen ganz nagelneuen Entſchluß,

Wegen des jungen Barons und Hieronimus.

5. Den
[129]
5. Den jungen Herren in ſeinen Vollkommen-

heiten

Noch zu verfeinern und weiter auszubreiten,

Beſchloß deſſen gnaͤdiger Herr Papa,

Mit Konſens der gnaͤdigen Frau Mama:

6. Ihn einige Zeit durch die Welt zu laſſen rei-

ſon,

Hieronimus koͤnnt dann ihn ferner begleiten und

unterweiſen,

Und Deutſchland, Frankreich, Italien,

Engelland, und ſo weiter, beſehn.

7. Die Sache wurde mit Muſſe erwaͤget,

Und der Reiſeplan ſehr herrlich angeleget,

Vom Hofmeiſter Hieronimus, ſo wie auch

von

Dem alten und jungen Herren Baron.

8. Auch im Dorfe entſtund viel vernuͤnftiges

Diskuriren

Ueber dieſe Reiſe und wie ſolche zu vollfuͤhren;

Unter andern gab der Schulmeiſter einen

Plan

Sonntags Nachmittags in der Schenke an.

9. Der ward bald von einem Viertelhundert

Bauern angeſtaunt und als gelehrt bewundert;

Doch ob er ſo ganz nach der Geographie

Richtig ſey geweſen, behaupte ich nie.

Jobſiade 2ter Theil. J10. „Erſt
[130]
10. „Erſt ſollte der junge Herr Franken und

Schwaben beſehen,

„Von da weiter ins heilige roͤmiſche Reich ge-

hen

„Durch die Moldau und Wallachey

„Bis an die Grenze der Tuͤrkey.

11. Ferner ſeine Route durch die Schweiz neh-

men

„Nach Siebenbuͤrgen, Polen, Schweden

und Boͤhmen,

„Und forgen, daß er von da aus, bequem

„Durch Daͤnnemark, weiter ins Ungerland

kaͤm.

12. „Von da nach Norwegen, Preußen und

Weſtphalen,

„Aber zu Waſſer von da nach Frankreich der-

malen,

„Und nehmen dann in Hamburg oder Calais

„Nach England hin ’ne Chaiſe und neues

Relais.

13. „Von England koͤnne er nach einigen Zeiten

„Ein Bischen hinuͤber nach Spanien reiten

„Und er ſaͤhe dann auf dieſen Fall

„Noch unterwegens das Land Portugall.

14. „Von da muͤſſe er nach Venedig kutſchiren,

„Und wenn er da ſey, weiter ſpatziren

„Nach
[131]
„Nach Moskau, queer durch Sicilia,

„Von da nach Schottland und Hibernia.

15. „Von da koͤnne mit Extrapoſtpferden

„Die Reiſe leicht fortgeſetzt werden

„Nach Italien bis zur Stadt Rom,

„Um zu beſehen den Sankt Peters Dohm.

16. (Aber dem heilgen Vater den Pantoffel zu

kuͤſſen,

Davon wollte der Schulmeiſter durchaus nichts

wiſſen,

Weil er, als ein noch craſſer Proteſtant,

Im Pabſte den leidigen Antichriſt fand.)

17. Von Rom aus koͤnne er nach Liefland gehen

„Und bei dieſer Gelegenheit Malta beſehen:

„Von da fuͤhr er mit der Poſt nach Lappland

„Und von da auf einige Tage nach Braband.

18. „Er koͤnne en paſſant bei der ottomanniſchen

Pforten

„Eben anklopfen, aber dann bald von dorten

„Nach Holſtein und Neapolis reiſen thun

„Und daſelbſt einige Tage ausruhn.

19. „Aber alsdenn etwa nach Siberien wandern

„Und von da aus uͤber Wien zu Schiffe nach

Flandern

„Und ſo haͤtte er dann, auf die kuͤrzeſte

Weiſe, beinah

„Beſehen das ganze Europia.

J 220. Wenn
[132]
20. „Wenn er nun auf dickbeſagte Weiſe

„Vollbracht haͤtte die vorhabende Reiſe,

„So kaͤm er durch den großen Ocean

„Endlich zu Ohnewiz wieder an.“

21. Es iſt aber nicht bloß beim muͤndlichen Vor-

trag geblieben,

Sondern der Schulmeiſter hat den Plan ſauber

abgeſchrieben;

(Die Beſchreibung ſelbſt in Kurrentſchrift

nur,

Aber Laͤnder und Staͤdte mit großer Fraktur.

22. Demnaͤchſt dem gnaͤdigen Herrn, der eben

zur Tafel ſaße

Und gerade damals den dritten Ortolan aße,

Ueberreichet in eigener Perſon

Mit unterthaͤnigſter Devotion.

32. Man hat daruͤber allerlei Gloſſen gemachet,

Sich faſt das Zwerchfell zerſchuͤttelt und zer-

lachet,

Und jeder der den Plan laß, nahm

Davon abſchriftliche Kopiam.

24. Die Reiſe ſelbſt ward jedoch nicht vorgenom-

men,

Weil ein maͤchtiges Hindernis dazwiſchen ge-

kommen,

Was aber dies fuͤr ein Hindernis war

Macht das 25te Kapitel klar.

Vier-
[133]

Vier und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimo aufgetragen ward, zum Spaß
eine Reiſekarte nach dem Plan des Schulmei-
ſters anzufertigen; welche hier im ſaubern
Kupferſtich mitgetheilet wird.


1. Hierauf wurde Hieronimo aufgetragen

Den Homannſchen Atlas nachzuſchlagen,

Und zum Spaß, nach des Schulmeiſters

Plan,

Eine Reiſekarte zu fertigen an.

2. Sobald man ſich alſo von der Tafel erhube

Ging Hieronimus auf ſeine Studierſtube,

Verfertigte die Zeichnung ohne Muͤh

Und uͤberreichte des andern Morgens ſie.

3. Herr von Ohnwitz ward davon auſſerordent-

lich munter

Und ſein Fruͤhſtuͤck ging deſto beſſer herunter;

Ich aber habe dies ſaubere Stuͤck

Ex poſt erhalten im Original, zum Gluͤck.

4. Ich will ſie im Kupferſtiche beifuͤgen,

So wohl zum Nutzen als auch zum Vergnuͤ-

gen

Aller etwa kuͤnftig Reiſenden,

Welche Europia wollen beſehn.

5. Sie
[134]
5. Sie zeiget, trotz den beſten Poſtkarten,

Die kuͤrzeſten Wege und leichteſten Fahrten,

Wie man von jedem Orte gleich,

Reiſen kann aus einem ins andere Reich.

6. Sie iſt ſehr gemaͤchlich zn verſtehen;

Denn der große Fleck den wir in der Mitte ſe-

hen,

Iſt Deutſchland, und der dicke Punkt drein,

Soll dermalen der Ort Ohnewitz ſeyn.

7. Hieraus kann man nun ohne Kopfbrechen

Die Lage der uͤbrigen Laͤnder leicht berechnen;

Zum Exempel: die 3 Klexe oben gegen lin-

ker Hand,

Bedeuten Irrland, Schottland und Eng-

land.

8. Das Land unten gegen der linken Seiten,

Sollen die Reiche Spanien und Portugall be-

deuten,

Und der Stiefel faſt unten da

Iſt das beruͤhmte Italia.

9. Oben gegen rechts iſt’s Land der Siberiter,

Drunter gegen das Mittel wohnen die Mosko-

witer,

Und noch drunter ſieht man zierlich und ſchoͤn

Die Ottomanniſche Pforte ſtehn.

10. Die vornehmſten hierauf verzeichnete Laͤnder

Haben zierlich und akkurat punktirte Raͤnder,

Und
[135]
Und um die Jungfer Europa rund her

Siehet man nichts als Himmel und Meer.

11. Um dieſe Karte noch nuͤtzlicher zu machen

Haͤtte man zwar noch allerlei noͤthige Sachen

Darauf gerne wie ſich’s gebuͤhrt,

Zum Behuf der Reiſenden gezeigt und no-

tirt;

12. In Specie deutliche Handweiſer

Auf die vorzuͤglichſten Wirthshaͤuſer,

Und wie der brave Mann jedes Orts heißt,

Wo man fuͤr ſein Geld beſtens trinkt und

ſpeißt.

13. Denn den meiſten Herren Paſſagieren

Pflegt dieſes am mehreſten zu intereſſiren;

Denn ſie nehmen ſich ja ſelten die Zeit

Zu unterſuchen andre Merkwuͤrdigkeit.

14. Indeſſen habe ich von ſolchen ſchoͤnen Din-

gen

In der Karte nichts koͤnnen anbringen,

Denn der Stich davon iſt gar zu ſein

Und der Raum ſelbſt dazu zu klein.

Fuͤnf
[136]

Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.


Hieronimus ſoll Paſtor werden. Item, Be-
ſchreibung ſeiner Pfarre.


1. Siehe da! es ſtarb der Pfarrer zu Ohnwitz

ploͤtzlich.

Dieſer Vorfall iſt zwar ganz entſetzlich

Unglaublich und ſehr kurios,

Aber doch in Romanen kein Wunder groß.

2. Der Ehrenmann hatte noch Abends vorher ge-

halten

Eine gute Mahlzeit, von Schinken und kalten

Hammelbraten, mit Salat von Selerei,

Und ein Rebhuͤhnle verzehrt dabei.

3. Auch ſeine taͤglich gewohnte zwei Raſtadter

Maͤaͤßle,

Getrunken aus dem alten Rheinweinfaͤßle;

War alſo, Gott lob! weder krank noch voll,

Sondern befand ſich bis dahin geſund und

wohl;

4. Und ſeine Konſtitution ſchien verſprechen zu

wollen

Daß er ein alter Mann haͤtte werden ſollen;

Denn er war ſehr ſtark und korpulent,

Und dacht’ an nichts weniger als an ſein

End.

5. Er
[137]
5. Er hatte erſt kaum 4 oder 5 Jahre

Lang, genoſſen die Ohnwitzer Pfarre

Und dieſe ſchlug bei dem lieben Mann,

Ratione ſeiner Geſundheit, trefflich an;

6. Um ſo mehr da er vorher auf dem Lande

Lange in einer ſchmaͤchtigen Pfarre ſtande,

Dabei blieb dann ſein Bauch und Kinn,

Wie leicht zu ſchlieſſen iſt, mager und duͤnn.

7. Aber ſo bald er nach Ohnwitz gekommen

Hat er augenſcheinlich zugenommen,

Und die Naſe, vorher blaß und ſpitz,

Ward bald roth und rund zu Ohnewitz.

8. Schade alſo, daß ſo ſchnell und behende

Der Tod mit ihm machte ein Ende

Und ihn aus dieſem Jammerthal

Transportirte in den Freudenſaal!

9. Die gnaͤdige Herrſchaft lag noch im tiefen

Schlafe,

Als dieſe Nachricht im Schloſſe eintrafe,

Denn es war noch fruͤh und hoͤchſtens nur

Des Morgens um 9 oder 10 Uhr.

10. Doch der junge Herr und Hieronimus waren

ſchon lange

Auf einem unterhaltenden Spaziergange;

Denn ſie glaubten dem Spruͤchwort feſt:

Aurora muſis amica est.

11 Sie,
[138]
11. Sie fanden nach geendigtem Spazieren

Um halb 12 Uhr die Herrſchaft dejeuniren,

Und Herr von Ohnwitz, als er Hieronimum

ſah,

Rief ihm laut zu; „Viktoria!

12. „Ich gratulire Ihm zur Ohnwitzer Pfarre!“

Hieronimus ſtund da vor Erſtaunen wie ein

Narre,

Und wuſte nicht eigentlich, ob dies da

Aus gnaͤdigem Spaß oder Ernſt geſchah.

13. Aber er ließ ſich bald naͤher uͤberfuͤhren

Daß es Ernſt ſey mit dem gratuliren,

Und fuͤr Spaß ihm hier nicht Noth ſey,

Sintemal der Pfarrer wirklich todt ſey.

14. Nun uͤberlege einmal der Leſer mit kaltem

Blute,

Wie da dem Hieronimus geworden zu Muthe,

Als er ſo urploͤtzlich unverhoft da

Zum Paſtor ſich metamorphoſirt ſah.

15. Denn dieſe Pfarrei war eintraͤglich und wich-

tig

Und trug jaͤhrlich ganz gewiß und richtig,

Ohne die Accidentien, rein

Blanke 900 Gulden ein.

16. Die Accidentien waren gleichfalls anſehnlich,

Etwa 100 Gulden pro Jahr gewoͤhnlich;

Alſo
[139]
Alſo kamen nach der Summa Summarum

draus

Des Jahrs circa 1000 Gulden zu Haus.

17. Davon ließ ſich nun ſehr gemaͤchlich leben

Auch zum Sparpfenning noch etwas aufheben;

So daß ſich kein Pfarrer im ganzen Land

So reputirlich als der Ohnwitzer ſtand.

18. Wenn etwa andre Dorfgeiſtliche Herren

Sich von ihrem kleinen Dienſtchen mußten kuͤm-

merlich naͤhren

Und bei Waſſer, oder hoͤchſtens Koventbier,

Krumm liegen und verdurſten ſchier,

19. Und kaum hatten was ſie am noͤthigſten

brauchten

Aus kurzem Tabackspfeiffen ihren Kneller

rauchten,

Und bei Sauerkohl, Kartoffeln und Erbſen-

brei,

Sungen die erbaͤrmlichſte Litanei;

20. Da befand ſich hingegen ein Ohnwitzer Pa-

ſter,

Bei ſeiner langen Pfeiffe mit virginiſchem

Knaſter,

Und einem gut gefuͤllten Weinfaß,

Und Schinken, Braten und Wildpret, baß.

21. Da-
[140]
21. Dabei thaͤt er in maͤchtig großem Anſehen,

Wie ein Kloſtergardian, bei ſeinen Amtsbruͤ-

dern ſtehen,

Und bei der Synode, oder bei dem Kon-

vent,

Bekam er das groͤßte Kompliment.

22. Selbſt, wenn er auf dem freiherrlichen

Schloſſe

Viſiten gab und Mahlzeiten genoſſe,

So ſaß er aus Regard, waͤhrend der Mahl-

zeit,

Der gnaͤdigen Frau immer nahe zur Seit.

23. Der vorige Pfarrer wuſte ſowohl Junge als

Alten

Vorzuͤglich in Furcht und Reſpekt zu halten,

Und behauptete uͤberall, ſpat und fruͤh,

Seine Oberauthoritaͤt in der Parochie,

24. Und bei vorfallenden Kindtaufenſchmaͤuſen,

Oder bei Hochzeiten, oder bei Leichenſpeiſen,

Saß er oben an und fuͤhrte immerfort,

Als waͤr er in der Kirche, das große Wort.

25. Wer nicht wollte ganz nach ſeiner Pfeiffe

tanzen,

Den pflegte er verbluͤmt auf der Kanzel zu

kuranzen,

So daß ihm Hoͤren und Sehen verging,

Und er aus Angſt ein neues Leben anfing.

26. Er
[141]
26. Er befand ſich zwar weder kraͤnklich noch ge-

brechlich,

Sondern gut bei Leibe, war aber ſehr gemaͤchlich

Drum hielt er ſich einen Kandidat als Kap-

lan,

Welcher die Pfarrdienſte fuͤr ihn gethan;

27. Aber Kopulationen, Taufen und derlei

Pflichten,

Pflegte er doch gewoͤhnlich in Perſona zu ver-

richten;

Wenigſtens wohnte er der Schmauſerei

Welche dabei vorfiele, bei.

28. Er war uͤbrigens in der Lehr weder Hetero-

doxe,

Noch im gemeinen Umgang ein knurrender

Ochſe,

Sondern fuͤhrte ſeine Ohnwitzer Schaͤfelein

Auf ’ner Weide vom ketzeriſchen Unkraut

rein,

29. Und ſeine Gemeinsgliederinnen,

Beſonders junge, wurden oft innen

Seiner guten Laune, denn der loſe Paſtor

Machte ihnen manch Spaͤschen, doch in

Ehren, vor.

30. Kurz!
[142]
[figure]
30. Kurz! ein Ohnwitzer Pfarrer lebt wie ein

Engel,

Hat wenig Arbeit denn ſein Kirchenſprengel

Iſt nicht weitlaͤufig, ſondern klein und eng,

Und der Kommunikanten iſt ’ne geringe Meng.

31. Er kann im Schlafrock, Pantoffeln und

Nachtmuͤtzen

Im Großvaterſtuhl, faſt den ganzen Tag

ſitzen,

Und verrichten gewiſſenhaft alleſamt

Was da vorfaͤllt in ſeinem Pfarreramt.

32. Nur des Sonntags einmal zu kanzliren,

Alle Vierteljahr ein Paar zu kopuliren,

Nebſt
[143]
Nebſt Taufen, Begraben und ein Bischen

Kinderlehr,

Dieſes iſt alles und ſonſt kein Haar mehr.

33. Das Dorf ſelbſt iſt ſehr herrlich gelegen,

Ueberall bluͤhet und lachet der Segen,

Und alles was die laͤndliche Natur

Schoͤnes hat, zieret Ohnwitzens Flur.

34. Weiden, Waͤlder, Gebuͤſch [und] Geſtraͤuche,

Schattichte Haine, glatte Baͤche und Teiche,

Wieſen, Obſtgaͤrten, Huͤgel und Thal,

Garten und Feld, wechſelt ab uͤberall.

35. Da kann mit Voͤgelfangen und Fiſchereien,

Sich der Pfarrer nach Gefallen zerſtreuen,

Wenn ihn etwa ein ſauers Amtsgeſchaͤft

Zu ſehr angegriffen und entkraͤft’t;

36. Oder auch manchem Kirſchvogel, Rebhuhn

und Haſen,

Das Lebenslicht auf der Jagd ausblaſen;

Denn er hat Vogelfang, Jagd und Fi-

ſcherei,

Nebſt Taubenflug, bei ſeiner Pfarre frei.

37. Wenn
[144]
37. Wenn er ſich dabei gut inſinuiret

Und die Bauern nicht zu ſehr kujoniret,

So kann er mit Frau und Kinderlein,

Bei einem oder andern taͤglich Gaſt ſeyn.

38. Wir wollen alſo, was wir ohn unſern Scha-

den auch koͤnnen,

Dem Hieronimus ſein kuͤnftiges Gluͤcke goͤnnen

Und in dem folgenden Kapitelchen

Mit ihm ins geiſtliche Examen gehn.

Sechs
[145]

Sechs und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus in dem Examen gut beſtand
und mehr wuſte als ſeine Examinaters.


1. Ehe er die Pfarre wuͤrklich konnte antreten,

War der Ordnung wegen, ein Examen vonnoͤthen,

Und er meldete ſich bald darum

Beim hochwuͤrdigen Miniſterium.

2. Es geſchah mit allen Umſtaͤnden, wie ſonſt

braͤuchlich.

Hieronimus betrug ſich dismal unvergleichlich

Und beantwortete Augenblicks,

Jeden Artikel frei und fix.

3. Das erregte nun bei ſaͤmmtlichen Examina-

toren

Ein maͤchtiges Spitzen ihrer anſehnlichen Na-

ſen und Ohren,

Weil ihnen noch nie ein Fall war bekannt,

Daß ein Ordinandus ſo gut beſtand.

4. Die Herren konnten ihn nichts mindeſte fragen,

Oder er wuſt’ ihnen gleich alles vollkommen zu

ſagen,

Ja, es fand ſich, daß er weit mehr verſtund,

Als jeder von ihnen ihn fragen kunt.

5. Keiner brauchte nun nach der Antwort auf

die Fragen,

So wie ehmals im Examen, Hem! Hem! zu

ſagen;

Jobſiade 2ter Theil. KSon-
[146]
Sondern es hieß nun: Domine Hieronime!

Respondiſti bene beniſſime!

6. Sie fragten zwar mitunter einfaͤltige Fragen,

Worauf ein Schulkind haͤtte Antwort koͤnnen

ſagen,

Wies wohl mal im Examen ergeht

Wenn man beim Examnator gut ſteht.

7. Doch einige wuͤnſchten ihn zu fangen durch

verfaͤngliche Fragen,

Sie konnten ihn aber dadurch nicht ins Bocks-

horn jagen;

Gaben ihm alſo ſaͤmmtlich den Ruhm

Als ’nen hochgelehrten Theologum.

8. Das Teſtimonium ward foͤrmlich koncipiret,

Mit dem großen Miniſterialſiegel ſigilliret,

[figure]
Alsdenn ihm uͤberreicht und jeder hat

Ihm gratulirt vorerſt als Kandidat.

Sieben
[147]

Sieben und zwanzigſtes Kapitel.


Wie Hieronimus nun Paſtor ward und fuͤr
kuͤnftigen Sonntag auf ſeine Antrittspredigt
ſtudirte, welche im 29ten Kapitel zu leſen
ſeyn wird.


1. Daß er ſo gut hatte thun beſtehen,

Gab ihm auf dem Schloſſe ein wichtiges An-

ſehen,

Und Herr von Ohnewitz hieß hinfort Hie-

ronimum nicht mehr Er, ſondern Sie.

2. In folgenden Zeiten und Tagen heckte

Man noch aus fuͤr ihn manche gute Pro-

jekte,

Beſonders wie er huͤbſch einrichten koͤnnt

Sein zukuͤnftiges Etabliſſement.

3. Unter andern wollte man ihm nebenbei rathen,

Die Wittwe des Seligverſtorbenen zu heira-

then,

Allein, als man ihm dieſes kund gab,

Schlug er dieſen Antrag rund ab.

K 24. Zwar
[148]
4. Zwar war die Wittwe ein herzensgutes Weib-

chen,

[figure]
Noch jung und liebevoll wie ein Turteltaͤub-

chen;

Hatt’ nur ein einzigs Kind, dies aber gab,

Weils kraͤnkelte, Hoffnung zu ſterben bald,

ab.

5. Sie hatte ſich manches Kapitaͤlchen erſparet

Und zum Nothpfennig, dafuͤr ſich aufbewah-

ret,

Wenn
[149]
Wenn etwa ihres Herren Mannes Tod

Sie ſetzte auſſer Nahrung und Brod.

6. Sie wuſte aus Butter, Kaͤſe und viel andern

Sachen,

Sich manchen Extragroſchen zu erwerben und

zu machen,

Verkaufte jaͤhrlich viel Honig und Wachs,

Und ſpann fleißig aus ſelbſt gezogenem

Flachs.

7. War auch ſehr beliebt in der ganzen Gemeinde,

Alle Bauern waren ihre Goͤnner und Freunde,

Und ſonntaͤglich trug manche Baͤuerin

Ihr Geſchenke fuͤr die Kuͤche hin:

8. Sie beſaß uͤbrigens viel Herzensguͤte,

War gar nicht von zankſuͤchtigem Gemuͤthe,

Und kurzum, in ſo weit waͤre ſie

Wohl geweſen fuͤr Hieronimum ’ne gute Par-

thie.

9. Aber er hielt es fuͤr Unrecht, durch eine Quarre

Anzutreten eine geiſtliche Bedienung oder

Pfarre,

Er dachte auch ohnehin noch immer dran

Wie’s ihm mit der erſten Ehe gegahn.

10. Zum Beweis aber, daß er uneigennuͤtzig ver-

fahre,

Verglich er ſich mit der Wittwe wegen dem

Nachjahre,

Und
[150]
Und ſicherte aus den Pfarreinkuͤnften ihr

Jaͤhrlich 100 Gulden dafuͤr;

11. Jedoch nur ſo lange als ihr Wittwenſtand

beſtehe

Und ſie nicht ſchritte zu einer neuen Ehe

Sollte beſtehen dieſer Packt;

Aber es endigte ſich bald der Kontrakt.

12. Denn es hat kaum anderthalb Jahr gewaͤh-

ret,

Da ſie ſchon wieder zu heirathen begehret

Und genommen einen andern Mann;

Ich fuͤhre ſolches nur beilaͤufig an.

13. Hieronimus ward bald drauf als Paſter ord-

niret,

Und hat auf eine feine Antrittsrede ſtudiret,

Und man machte fuͤr naͤchſtkuͤnftigen Sonn-

tag ſchon

Anſtalten zur Introduktion.

Acht
[151]

Acht und zwanzigſtes Kapitel.


Unruhe der Ohnwitzer Gemeinde uͤber die Anſtel-
lung des neuen Paſtors.


1. Aber die Ohnwitzer Koſſaten und Bauern

Wollten hieruͤber fuͤr Aerger faſt verſauern,

Und wo ſie einer den andern ſahn,

Stieſſen ſie brummend die Koͤpfe an:

2. „Da ſchickt uns nun der gnaͤdige Herr wieder

den Narr her

„Und gibt uns denſelben gar zum Pfarrherr! —

„Nein, das ſoll durchaus nit geſchehn,

„Und ſollte es auch drunter und druͤber gehn.

3. „Denn es iſt ja ein unerhoͤrtes Exempel

„Daß ein Nachtwaͤchter in der Kirche oder

im Tempel

„Weder in Ohnewitz, noch in der Welt,

„Als Paſtor oder Prieſter ward angeſtellt.“

4. Eine Supplik, welche der Schulmeiſter vom

Dorfe

In der Schenke, vigore commiſſionis, ent-

worfe,

Nebſt foͤrmlicher Erklaͤrung der Proteſtation,

Ware das Reſultat davon.

5. Als
[152]
5. Als nun ſolche in geziemenden Ausdruͤcken

fertig,

Waren des andern Tages alle Bauern gegen-

waͤrtig,

Und damit wallte der ganze Troß

Durch dick und duͤnne zum Herren aufs

Schloß.

6. Aber der gnaͤdige Herr auf dem Schloſſe

Fuͤrchtete ſich nicht vor dieſem großen Troſſe,

Nahm zwar die Supplik an mit Freund-

lichkeit,

Gab ihnen aber muͤndlich folgenden Be-

ſcheid:

7. „Ihr Ochſen, ihr Raͤckel, ihr Eſel, ihr Fle-

gel!

„Nehmt einmal fuͤr allemal euch dies zur

Regel:

„Herr Hieronimus ſoll euer Pfarrer doch

ſeyn,

„Oder ich laß euch alle ſperren ins Hunde-

loch ein!

8. Da hingen nun auf einmal die armen Troͤpfe

Ihre breiten Maͤuler und dicken Koͤpfe,

Sagten: Ach ja, lieber gnaͤdiger Herr!

Und gingen hin, wo ſie gekommen her.

9. Aber
[153]
9. Aber einige von ihnen nahmen, aus Rache

Gegen den neuen Pfarrer, hoch und theuer

Abſprache,

Seiner kuͤnftigen Predigt und Lehr

Nicht zu geben das mind’ſte Gehoͤr;

10. Auch von allem, was er aus Gottes

Worte

Ihnen vortruͤg an dieſem oder jenem Orte

Zu ihrem Seelenheile, kurzum,

Immer zu thun das Kontrarium;

11. Ihn auch ſonſt auf alle Weiſe zu kraͤnken,

Nie ihm etwas in die Kuͤche zu ſchenken,

Selbſt jedes pflichtſchuld’ge Accidens ſo

klein

Und ſo knapp, als moͤglich ſey, zu richten

ein.

12. Als man indeß Sonntags die Glocke ge-

laͤutet

Und zur Antrittspredigt alles war vorberei-

tet,

Fanden ſich alle Ohnwitzer groß und klein,

Hoͤchſt zahlreich in die Kirche hinein.

13. Selbſt
[154]
13. Selbſt die, welche vorher das Gegentheil

abgeſprochen,

Haben aus Neugier ihren Vorſatz gebrochen,

Und ſagten: Ich will doch einmal ’neingehn,

Und, was der Kerl da ſaget, beſehn.

14. Der neue Herr wieß recht ſeine Rednertalente

In der Oration. Ich zeige die Hauptcontente,

So viel ich davon mich erinnern kann,

Im folgenden neuen Kapitel an.

Neun
[155]

Neun und zwanzigſtes Kapitel.


Eintrittspredigt des neuen Herrn Pfarrers; ſehr
erbaulich, aber doch abgebrochen, damit der
Leſer nicht einſchlafe.


1. „Geliebteſten Freunde und Zuhoͤrer! ich be-

trete

„Hiemit zum erſtenmal dieſe geweihte Staͤtte,

„Und zeige euch heute oͤffentlich,

„Als euern rechtmaͤßigen Seelſorger, mich.

2. „Der Himmel hat dieſes ohn alles mein

Denken,

„Ohne mein Suchen und Zuthun, alſo wol-

len lenken,

„Indem er mich zum Prediger ſchuͤf

„Und mich zu euch nach Ohnewitz rief.

3. „Zwar weiß ich, meine Hochtheuer- und Viel-

geliebte!

„Daß manchen von euch dieſer Ruf herzlich

betruͤbte,

„Sintemal ich in euerm Sinn

„Nur eine Aergerniß und Thorheit bin.

4. „Weil ich vorher euer ſimpler Schulmeiſter

geweſen,

„Ja gar zu Schildburg als Nachtwaͤchter ge-

blaͤſen,

„Dar-
[156]
„Darum nun glaubet und denket ihr,

„Es ſteckte kein rechtſchaff’ner Lehrer in mir.

5. „Allein ich will euch aus alten Geſchichten

„Viele auffallende Beiſpiele berichten,

„Daß oft aus einem ſimpeln Ding und

ſchlechten Mann,

„Was Rechtſchaff’nes und Großes werden

kann.

6. „Ihr koͤnnt ſelbſt gehoͤrigen Ortes nachſchlagen

„Alles, was ich euch hier werde vortragen.

„Wer war unſer erſter Stammvater Adam?

„Wars nicht, ein Erdenkloß, wovon er her-

kam?

7. „Abram ging als Exulant aus Haran,

Jakob huͤtete die Schafe bei Laban;

„Und dennoch wurden ſie beide nachher

„Hochberuͤhmete Erzvaͤter.

8. „Jsmael muſt’ als Jungfernkind faſt todt duͤrſten

„Und ward doch ein Vater von 12 Fuͤrſten.

Joſeph erſt Sklave und Arreſtant,

„Ward Großvizir in Aegyptenland.

9. „Moſes lag als Fuͤndling am Ufer im Schilfe,

„Waͤre ertrunken ohne ohngefaͤhre Huͤlfe,

„Und dennoch wurde er hernachmal

„Der große Iſraeliten General.

10. Gi-
[157]
10. „Gideon erſt Dreſcher, ſchlug die Midiani-

ter.

Jephthah ein Hurkind und ſimpler Gilea-

diter,

„Schlug die Kinder Ammon und war

„Richter in Iſrael ſechs Jahr.

11. „Saul triebe zuerſt die Langohren

„Ward doch hernaͤchſt zum Koͤnig erkoren,

„Und David mit ſeinem Hirtenſtab

„Ward Koͤnig, that auch den Goliath ab.

12. „Hiob ward vom Satan arm geſchlagen

„Aber doch reich in ſeinen alten Tagen,

„Und Ruth die Aehrenleſerin

„Wurde die reiche Frau Boaſin.

13. „Jehu bedeutete erſt als Kapitain wenig,

„Ward doch nachher in Iſrael ein Koͤnig,

„Und rottete des gottloſen Ahabs Haus,

„Bis zum letzten, der an die Wand pißt,

aus.

14. „Nebucadnezar gieng eine Zeitlang auf allen

vieren

„Und fraß Graß und Heu wie andre Thiere,

„Und man nahm ihm Purpur und Koͤnigs-

kron,

„Doch beſtieg er nachher den verlornen

Thron.

15. Eſther
[158]
15. „Eſther ein blutarmes Waiſenwichtchen,

„Das nichts hatte als ein huͤbſches Geſicht-

chen,

„Ward doch eine große Koͤnigin

„Und des Ahasverus liebe Gemahlin.

16. „Auch unter den Propheten und Apoſteln wa-

ren Leute

„Von geringer Abkunft und wenigem Bedeute:

„Hirten, Zoͤllner, Fiſcher, ein Teppichfa-

brikant,

„Und von anderm ſchlechten Gewerbe und

Stand.

17. „Ich gehe, zur mehrern Erweckung, lieber,

„Meine Geliebten! zur Profangeſchichte hin-

uͤber;

„Ob ich gleich, aus altem und neuem Te-

ſtament,

„Euch viele Exempel noch nennen koͤnnt.

18. „Der allgemein bekannte große Artaxerxes,

„Jeder von euch, meine theuern Zuhoͤrer! merk

es,

„Stand erſt in ſehr geringem Anſehn

„Und ward doch Koͤnig in Perſien.

19. „Darius war gar nur ein ehrlicher Buͤttel,

„Bekam doch den Perſerthron und Koͤnigs-

titel,

„Und
[159]
„Und Agathokles eines Toͤpfersſohn,

„Beſtieg den Sicilianiſchen Thron.

20. „Telephanes, ein Wagner, legte das Hand-

werk nieder,

„Und ward ein großmaͤchtiger Koͤnig der Lyder.

„Hyperbolus fabricirte Leuchten zum Sehn,

„Und ward hernaͤchſt Fuͤrſt zu Athen.

21. „Vom beruͤhmten Phocion kann man leſen,

„Daß er eines Loͤffelmachers Sohn geweſen,

„Und Aegyptens große Rhodopin,

„Ward aus ’ner Bordelſchweſter, Koͤnigin.

22. Romulus und Remus zwar vom Goͤtter-

ſtamme,

„Hatten als Fuͤndlinge eine Woͤlfin zur Amme,

„Da doch Roma, die große Stadt,

„Von ihnen den erſten Urſprung hat.

23. Vom Koͤnig Tullius Hoſtiius melden

die Schreiber,

„Er ſey geweſen ein lumpichter Kuͤhtreiber,

„Und vom Boͤhmer Koͤnig Primislas

„Melden die Chroniken eben das.

24. „Kaiſer Valentian drehte Anfangs Seiler

und Stricke;

„Den Kaiſer Probus hob aus dem Gaͤrtner-

ſtaub das Gluͤcke;

Bono-
[160]
Bonoſus und Johann Zimisces waren

vorher

„Schulmeiſter, und hernach Kaiſer.

25. „Kaiſer Aurel war ein Bauernbube vom

Lande

„Der große Tamerlan gleichfalls vom Bauern-

ſtande,

„Kaiſer Mauriz der Kappadozier,

„War gar, wie ich ehmals, Nachtwaͤch-

ter.

26. Pabſt Niklas quintus war erſt Mediciner;

„Der große Fuͤrſt Narſes ein verſchnittener

Diener;

„Kaiſer Juſtin, und Galer, und Pabſt

Sixt, alle drei,

„Huͤteten in ihrer Jugend die Saͤu.

27. „Lutherus ein armer Auguſtiner Pater

„Ward nachher der ſo große Reformater,

„Schaffte das Faſten ab und machte die

Kleriſei

„Vom beſchwerlichen Caͤlibate frei.

28. „Auch hat man viel alte Poeten und Philo-

ſophen,

„Welche blutarm waren, angetroffen:

„Plautus muſte die Muͤhle drehn,

„Arm waren Codrus, Epiktet, Demoſthen.

Euri-
[161]
29. „Euripid, Aeſop, Horaz und andre Poeten

„Waren anfangs arme Schlucker und in Noͤ-

then;

„Und es geht auch noch in der neuern Zeit,

„Meiſt den Philoſophen und Poeten nicht

breit.

30. „Ich koͤnnte noch gar leicht aus unſern Ta-

gen,

„Euch nicht nur viele Exempel, ſondern auch

Beiſpiele ſagen,

„Wie das Gluͤcksrad ſich wunderlich dreht

„Und Geringe aus dem Staube erhoͤht.

31. „Mancher anfaͤnglich elender Schuhputzer

„Iſt jetzt ein anſehnlicher Herr und Stutzer,

„Und ihr muͤßt, nolens volens, fuͤr ihn

„Eure Muͤtze und Hut tief abziehn.

32. „Auch manche Frau thut mit Titeln ſtolzie-

ren,

„Und mit ſeidenen Kleidern ſchwenzeliren,

„Und iſt, obgleich vom Miſtfinken-Stamm,

„Nunmehr eine großherrliche Madam.

33. „Wenn ihr die angefuͤhrten Exempel genau

betrachtet

„Und mich dann noch wegen meines vorigen

Zuſtandes verachtet,

„So wuͤrde das, ihr ſehet es ſelbſt ein,

„Hoͤchſt ungerecht und unbillig ſeyn.

Jobſiade 2ter Theil. L34. „Ihr
[162]
34. „Ihr ſollt’s in der Folge finden und erleben

„Daß ich mir alle Muͤhe werde geben,

„Fuͤr euch alle, klein und groß insgeſamt,

„Redlich zu fuͤhren mein Pfarreramt.

35. „Ich liebe euch alle hochtheuer und herzlich,

„Und wuͤrde es empfinden hoͤchſt ſchmerzlich,

„Wenn ich einen von euch dereinſt ſollte

ſehn

„Zur Linken unter den Boͤcken ſtehn.

36. „Auch meinen Feinden will ich gerne verge-

ben,

„Und ihr wahrer Freund zu ſeyn, mich beſtre-

ben“ — —

Den Reſt der ſchoͤnen Predigt uͤbergeh ich,

Als hieher eigentlich nicht gehoͤrig.

Dreißig-
[163]

Dreißigſtes Kapitel.


Was dieſe Rede fuͤr Senſation machte, und
die Wuͤrkung, welche ſie hervorbrachte.


1. Was dieſe Rede fuͤr Senſation machte,

Und die Wuͤrkung, welche ſie hervorbrachte,

Das uͤberſteigt gewißlich hoch und weit

Alle menſchliche Begreiflichkeit.

2. Alle Bauern ſaßen da ſtumm und ſtarr wie

Pfeiler,

Sperrten thuͤrweit auf, Augen, Naſen und

Maͤuler;

Und die Baͤurinnen, als von ſenſiblerer

Haut,

Weinten Thraͤnen und ſchluchzſten laut.

3. „Nun warlich! wir muͤſſen es bekennen und

ſagen,

„Wir haben doch in allen unſern Lebenstagen,

„Keine Predigt ſo gelehrt und ſchoͤn,

„Als dieſe, vom neuen Herrn Pfarrer, ge-

ſehn!

4. „Das iſt ein Mann, ein Mann ohne Glei-

chen,

„Der kann einem ’s harte Herz recht erweichen,

L 2„Und
[164]
„Und weiß, von Adam an bis zu dieſer

Friſt,

„Alles was in der Welt paſſiret iſt.

5. „Alles, was er ſagt, kann [man] begreifen und

verſtehen,

„Dabei thut er ſich ſo ſanftmuͤthig begehen,

„Und erſpricht und redet kein einziges Wort

„Ueberfluͤſſig und am unrechten Ort.

6. „Unſer vor’ger Ehrnpfarrer konnte zwar auch

gut fegen

„Und den Text ſtattlich ſagen und auslegen,

„Und fuͤhrte als ein ſehr gelehrter Mann

„Manchen uns unbekannten Spruch an;

7. „Allein er konnte bei allem Ermahnen und

Schendiren

„Uns doch nie ſo das Herz prickeln und ruͤhren,

„Und ihn uͤbertrifft an Gelehrſamkeit,

„Unſer lieber neuer Herr Pfarrer weit“.

8. So lautete ohngefaͤhr der Ohnwitzer jetzige

Sprache,

Und es hatte ſich veraͤndert der ganze Status

der Sache,

So daß, wer ihn vorher am meiſten ge-

haßt,

Jetzt fuͤr ihn war der groͤßte Enthuſiaſt.

9. Kurz,
[165]
9. Kurz, nie war eine Predigt, wie dieſe ſo

allgewaltig,

Nie der Beifall ſo groß und ſo mannichfaltig,

Und nie hat je eine ſolche Frucht und Kraft,

Als dieſe Antrittsrede verſchafft.

10. Das konnte ſchon ſo fort an Thaten und Wer-

ken

Herr Hieronimus bei der neuen Gemeine ſehn

und merken;

Denn man ſchleppte reichlich allerlei

Geſchenke fuͤr ihn ins Pfarrhaus herbei:

11. Tiſche, Baͤnke, Spiegel, Kaſten, Stuͤhle,

Oefen, Bettſtellen, Betten, Polſtern, Pfuͤhle,

Werg, Baumwolle, Leinewand, Flachs,

Holz, Kohlen, Oel, Unſchlitt, Schmalz,

Wachs,

12. Kaffekannen, Theepoͤtte, Doſen, Toͤpfe,

Teller, Schuͤſſeln, Loͤffel, allerlei Naͤpfe,

Speck, Schinken, Fleiſch, und was ſonſt

zur Noth

Zur Haushaltung gehoͤrt unters taͤgliche

Brod.

13. Gerſten, Hafer, Rocken, Weizen, fuͤr den

Soͤller,

Wein, Bier, und dergleichen fuͤr den Keller,

Schweine, Kuͤhe, Haͤmmel fett und ſchoͤn,

Tauben, Enten, Huͤhner, Gaͤnſe, Trut-

haͤhn.

14. Das
[166]
14. Das Pfarrhaus war ſchoͤn getuͤnchet und

gezieret,

Vor der Thuͤr ein gruͤner Bogen aufgefuͤhret,

Und ſo fuͤhrte man unter Jubel und Juchein,

Ihn ins Ohnewizer Pfarrhaus hinein.

15. Auch machten dabei ein Paar Muſikanten,

Die ſich als Virtuoſen im Dorfe befanden,

Mit ihrer Leyer und Schalmey

Ein ſehr anmuthiges Dudeldumdei.

16. Es haben auch die Herren Konſiſtorialen

Zu Ohnewitz angerichtet damalen,

Eine herrliche Mahtzeit mit Koſten und

Muͤh,

Wozu Herr von Ohnwitz ſeinen Pariſer

Koch lieh.

17. Auch ward in der ganzen Ohnwitzer Gemeine,

(Und jeder gab dazu reichlich das Seine)

Eine Kollekte von baarem Geld

Fuͤr den neuen Herrn Pfarrer angeſtellt.

Ein
[167]

Ein und dreißigſtes Kapitel.


Der neue Pfarrer ſchreibet mit frohem Sinn
ſeiner Mutter noch einen Brief hin.


[figure]
1. Alsbald nun Ehren Jobs dergeſtalten

Seinen Einzug ins Pfarrhaus hatte gehalten,

So ſchriebe er mit ganz frohem Sinn,

Seiner Mutter folgenden Brief hin.

2. „Meine theure Mutter!

Ich eile Euch zu ſagen,

„Was ſich mit mir kuͤrzlich hat zugetragen;

„Erſchrecket nur nicht zu ſehr davor,

„Ich bin zu Ohnwitz geworden Paſtor.

3. „Nach
[168]
3. „Nach meiner Retour von Akademien

„Dachte ich zwar mit dem jungen Herrn auf

Reiſen zu ziehen,

„Aber der Himmel disponirt,

„Wenn gleich der Menſch proponirt.

4. „Denn als ſchon alles zur Reiſe war veran-

ſtaltet,

„Hat das Gluͤck ſo uͤber mich gewaltet,

„Daß der hieſige Pfarrer den Schlagfluß

bekam

„Und aus dieſer Welt ſein Adieu nahm.

5. „Herr von Ohnwitz, qua Patron der Pfarreie,

„Bezeigte nun fuͤr mich die Gnade und Treue,

„Daß er mir bald und alſofort

„Die Pfarre ertheilte an dieſem Ort.

6. „Es ſetzte zwar unter den hieſigen Leuten

„Anfangs einige Haͤndel und Schwierigkeiten,

„Wie dann gemeinlich Zank und Geſchrei

„Entſteht bei Beſetzung einer Pfarrei.

7. „Allein es iſt bald alles nach Wunſch und

Verlangen

„Bei dieſer mir intereſſanten Sache gegangen,

„Ich bin als Pfarrer geordinirt

„Und wuͤrklich ins Pfarrhaus eingefuͤhrt.

8. „Die ganze liebe Ohnwitzer Gemeine,

„Reiche und Arme, Große und Kleine,

„Freuen
[169]
„Freuen ſich, ehren und lieben mich,

„Als ihren neuen Pfarrer zaͤrtlich.

9. „Man hat mich reichlich mit Hausrath ver-

ſehen,

„Das ſollt Ihr ſelbſt kuͤnftig finden und ver-

ſtehen,

„Auch in Soͤller, Keller, Kuͤche und Stall

„Sind Lebensmittel in großer Zahl

10. „Die Pfarre ſelbſt iſt ſehr eintraͤglich

„Und fuͤr ihren Beſitzer nicht ungemaͤchlich,

„Sie bringt gewoͤhnlich Jahr aus, Jahr

ein,

„Reine 1000 Gulden baar ein.

11. „Meine Wuͤnſche ſind alſo alle geſtillet,

„Nur ein einz’ger noch iſt bisher unerfuͤllet,

„Nemlich Euch bald im Wohlergehn,

„Nebſt Schweſter Eſther bei mir zu ſehn.

12. „Ich bitte Euch alſo, nicht zu verweilen,

„Sondern je eher, deſto lieber zu mir zu ei-

len,

„Und dann lebenslaͤnglich bei mir

„Zu nehmen Euer kuͤnftig Quartier.

13. „Man ging im Dorf kollektiren herumme

„Und ſammelte fuͤr mich eine artige Summe;

„Dieſes Geld ſende ich euch allhier,

„Um die Reiſekoſten zu beſtreiten dafuͤr;

14. „Denn
[170]
14. „Denn ich habe ohnehin zu meiner Etabli-

rung

„Und der vorlaͤufig noͤthigen Regulirung,

„Nebſt zu einem Alltags- und Sonntags-

kleid,

„Geld genug, von des gnaͤdigen Herrn Ge-

wogenheit.

15. „Mit Euern dortigen Moͤbeln und ſonſtigen

Sachen

„Koͤnnt Ihr meinen andern Geſchwiſtern ein

Geſchenk machen;

„Weil, ſo lange mir ſelbſt nichts gebricht,

„Euch ſoll bei mir nichts gebrechen nicht.

16. „Denn ich will ſtets im Wittwerſtande blei-

ben

„Und niemals eine neue Heirath treiben,

„Nur Ihr und mein liebes Schweſterlein

„Sollt meine Haushaͤlterinnen ſeyn.

17. „Und thaͤte ich etwa fruͤher als Ihr ſterben,

„So werdet Ihr doch deswegen nicht verder-

ben,

„Denn Herr von Ohnwitz hat auf dieſen

Fall ſchon

„Mir fuͤr Euch verſprochen ’ne Penſion.

18. „Euch die Reiſe deſto beſſer zu bequemen

„Koͤnnt Ihr eine kommode Extrapoſt nehmen.

„Ich erwarte mit kindlicher Sehnſucht Euch,

„Und meine juͤngſte Schweſter zugleich.“

19. Um
[171]
19. Um nun deſto eher das Vergnuͤgen zu ge-

nieſſen

Seine Mutter und Schweſter in die Arme zu

ſchließen,

Ward vorgedachtes Schreiben, zur Hand,

Durch einen Expreſſen abgeſandt.

20. Daß Frau Jobs ſich ſehr gefreut und gelachet

Und mit Eſtherchen ſich bald aufgemachet,

Und die kommode Extrapoſt nahm,

Und ſo endlich bei ihrem Sohn ankam;

21. Das laͤßt ſich alles wohl von ſelbſt verſtehen.

Wir wollen nun weiter ſchreiten und ſehen,

Wie der Herr Pfarrer ſich fein und klug

In ſeinem neuen Amte betrug.

Zwei
[172]

Zwei und dreißigſtes Kapitel.


Hier werden die ſeltenen Verdienſte eines Herren
Dorfpfarrers beſchrieben.


1. Es war ein Plaͤfir Sonntags anzuhoͤren

Seine vortrefflichen Predigten und Lehren;

Auch ſeine uͤbrigen Amtsgeſchaͤfte all

Hatten hoͤchſtwohlverdienten Beifall.

2. Auch in allen uͤbrigen Stuͤcken wuſt’ er

Zu geben allen ſeinen Amtsbruͤdern ein Muſter

Der Tugend und der Rechtſchaffenheit,

Der Weisheit und der Gelehrſamkeit.

3. Er ſuchte auch in andern Nebenfachen,

Sich ſeiner Gemeinde hochnuͤtzlich zu machen,

Und war als allgemeiner Geheimerath

Ihnen erſprieslich mit Rath und That.

4. Waren etwa irgend Streitigkeiten,

So ſuchte er gleich Frieden zu verbreiten,

Schlichtete Proceſſe bald, und ſo entriß

Er den Advokaten manchen fetten Biß.

5. Auch in manchen oͤkonomiſchen Affaͤren

Suchte er ſie zu leiten und zu belehren,

Und wer ſeinen Vorſchlaͤgen Gehoͤr gab,

Mit dem lief es immer erwuͤnſcht ab.

6. Die
[173]
6. Die Kranken ſuchte er beſtmoͤglichſt allenthal-

ben

Abzuhalten von Pfuſchern und Quakſalben,

Gab oft ſelbſt Huͤlfe durch Diaͤt an,

Oder wieſe ſie zu ’nem ſtudirten Mann.

7. Noch in mehr andern Sachen und Dingen

Wuſte er ihnen aufgeklaͤrte Begriffe beizubrin-

gen,

Ueber Kalenderſachen, Jahrswechſel, Wit-

terung,

Und was man laſe in der Zeitung.

8. Vom Aberglauben und Alfanzereien

Suchte er die Ohnwitzer beſonders zu befreien,

Und es waͤhrte daſelbſt keine volle zwei Jahr,

Daß weder Hexe noch Geſpenſt mehr da war.

9. Saßen ſie zur Erholung in der Schenke beim

Biere

So verſchaffte er ihnen daſelbſt nuͤtzliche Lektuͤre;

Fuͤhrte Fauſtens Katechismus ein

Und Beckers Noth- und Huͤlfsbuͤchlein.

10. Auch Kortums Geſundheitsbuͤchlein fuͤr

Bergleute,

Theilte er aus in der Naͤhe und in der Weite;

Weil in Ohnwitz und benachbartem Land

Sich manches gefaͤhrliche Bergwerk befand.

11. Aber
[174]
11. Aber nicht nur um Alte, ſondern auch nicht

minder

Um die ehmals verwahrloſete Jugend und

Kinder,

Gab er ſich unbeſchreibliche Muͤh

Und bildete zur Tugend und Weisheit ſie.

12. Unterdeſſen, in einem einzigen Stuͤcke,

Hatte er bei der Gemeine anfangs kein Gluͤcke;

Ich meine das neue Geſangbuch

Welches er einzufuͤhren vorſchlug.

13. Laͤnger als andre Gemeinden, hatten beim

alten

Geſangbuche die Ohnwitzer feſtgehalten,

Denn ſie ſagten oͤffentlich, ’s ſey

Das neue Geſangbuch voll Ketzerei;

14. Ihren Eltern und Großaͤltern waͤr es ge-

lungen,

Daß ſie ſich ſelig aus’m alten Geſangbuch geſungen,

Und darum hielten ſie auch beim Spruche ſich:

Altes Geſangbuch, dir leb ich, dir ſterb ich!

15. Dieſen Starrſinn ihnen aus den Koͤpfen zu

bringen

Und ſie einmal vernuͤnftig zu lehren ſingen,

War freilich Arbeit eines Herkules,

Es gelang dem Herren Pfarrer Jobs indeß.

16. Denn
[175]
16. Denn er zeigte ihnen ſonnenklar und deutlich

Aber doch geziemendlich und beſcheidlich,

Daß in dem alten Geſangbuch weit mehr

Von Ketzerei anzutreffen waͤr.

17. Ein gar frommer Arzt im benachbarten Lande,

Der ſich etwas auf derlei Sachen verſtande,

Half ihm darin getreulich und klug

Und ſchrieb daruͤber ein kleines Buch.

18. (Denn die eigentlichen geiſtlichen Amtsbruͤder

In der Naͤhe, kuͤmmerten ſich nicht um die

Lieder,

Sondern ihnen war es vielmehr lieb

Wenns fein beim alten Geſange blieb.

19. Denn da brauchten ſie nicht ſich zu inkommo-

diren,

Das neue Geſangbuch durchzuſtudiren,

Und ſie ſtießen ſo auch beim gemeinen Mann

Nicht wegen vermeinter Ketzerei an;

20. Weil man ſchon in einigen Gemeinden ge-

ſehen

Daß dadurch viele Unruhen geſchehen

Und man ſich manches Geſchenk entzog

Was ſonſt fuͤr den Pfarrer in die Kuͤche flog.)

21. Da hat ſich endlich die Gemeinde gereſolviret

Und zu Ohnwitz das neue Geſangbuch einge-

fuͤhret,

Und die ganze Sache nahm behend

Ein vergnuͤgtes und vernuͤnftiges End.

Drei
[176]

Drei und dreißigſtes Kapitel.


Wie ſich Ehren Jobs im guten Wohlſtande bis
dato befindet, und wie ſeine Mutter ſtarb,
und wie ſeine Schweſter ihm gut haushaͤlt.


1. Ehren Jobs befand ſich immer im Wohlſtande

Und ward bald beruͤhmt im ganzen Lande,

So daß manche anſehnliche Stadt

Ihn zum Pfarrer verlanget hat.

2. Aber er ſchlug aus alle Vokationen,

Entſchloß ſich bis ans Ende zu Ohnwitz zu

wohnen,

Und bleibet auch, ſeinem Entſchluſſe getreu,

Bis auf die jetzige Stunde dabei.

3. Er haͤtte auch ſchon koͤnnen werden Profeſſer,

Aber er ſteht ſich als ſchlichter Pfarrer weit

beſſer,

Weil meiſtens ein Profeſſoriat

Viel Arbeit und wenig Einkuͤnfte hat.

4. Auch einige anſehnliche Provinzen ernennten

Ihn ſchon lange zum Superintendenten;

Allein er zieht wieder den ſimpeln Paſtor

Jedem großen Superintendenten vor.

5. In
[177]
5. In manchem gedruckten gut recenſirten Werke

Bewieß er in der Gelehrſamkeit ſeine Staͤrke;

Jedoch ſchrieb der Author Hieronimus

Aus Beſcheidenheit immer als Anonymus.

6. Von ſeinem ehmaligen A B C buche waren

In Ohnwitz noch hier und da Exemplaren;

Dieſe kaufte er, wo er ſie fand

Und opferte ſie dem Vulkan zur Hand.

7. Wollten manche Autoren ſich dies wohl mer-

ken

Und eben ſo thun mit ihren fruͤhern Werken;

So handelten ſie, warlich! weislich und

klug,

Denn man hat der elenden Buͤcher genug.

8. Viele Geſellſchaften nuͤtzlicher Kuͤnſte,

Nahmen ihn wegen ſeiner großen Verdienſte,

Auf, in ihre hochgelehrte Zahl,

Und machten ihn foͤrmlich zu ihrem Sodal.

9. Auch eine der beruͤhmteſten Akademien

Kroͤnte gratis ſein gelehrtes Bemuͤhen,

Und ſandte ihm, mit großem Kompliment,

Das Doctoris Theologiae Patent.

10. Auch hat der Fuͤrſt, ohne ſein Wiſſen und

Begehren,

Ihn mit Konſiſtorialrathstitel thun beehren;

Jobſiade 2ter Theil. MEr
[178]
Er hat zwar alle dieſe Ehren nicht veracht’t,

Aber doch davon nie Gebrauch gemacht.

11. Seine Mutter hat, leider, nur vier Jahre

Vergnuͤgt durchlebt bei ihm auf der Pfarre,

Und er hat immer als ein treuer Sohn ſie

Geliebt und gepfleget ſpat und fruͤh.

12. Sie war ſehr geplagt mit hyſteriſchen Schmer-

zen,

Hatte oͤfters Druͤcken am Magen und Herzen,

Und laͤngſt ſchon traf man kein’n einzigen

Zahn,

In ihrem Munde zum Beiſſen mehr an.

13. Drum verſchlang ſie meiſt die Speiſen un-

gekauet,

Dieſe wurden alſo nicht gehoͤrig verdauet;

Das erregte nun manche Indigeſtion,

Und Waſſerſucht war endlich die Folge da-

von.

14. Auch ward die Frau leicht zum Aerger bewe-

get

Und ſo die Galle heftig oft erreget,

Denn um ’ne Nadel oder ein Ei,

Erhub ſie manchmal Zetergeſchrei.

15. Der Kuͤmmelbrandwein konnt’ zwar oft lin-

dern,

Und ihr Magen- und Herz-Weh augenſchein-

lich mindern,

Denn
[179]
Denn er trieb die Winde, ſalva venia, in

die Hoͤh,

Und kurirte, wie ſie ſagte, das hiſtoriſche

Weh.

16. Drum machte ſie’s, wie viel andre alte

Frauen,

Welche ſich oft aͤrgern und nicht gut verdauen,

Nemlich, weil ſie ſich dabei ſo wohl befand,

Hatte ſie den Brandweinskrug immer zur

Hand.

17. Sie haͤtte gerne noch laͤnger hier geweilet,

Aber der Senſenmann hat mit ihr geeilet,

Und weil es dann nicht anders konnte ſeyn,

So ſchlief ſie als ’ne gute Chriſtin ein.

18. Man wollte ſie in der Kirche bei der Orgel

begraben,

Das wollte Herr Hieronimus aber abſolut

nicht haben;

Denn er glaubt, der Kirchhof ſey ſchicklicher

zu

Der abgeſtorbenen Leiber Ruh.

19. Er hat deswegen auch nachdruͤcklich befoh-

len,

Daß, wenn Freund Hein ihn dereinſt wuͤr-

de abholen,

M 2Man
[180]
[figure]
Man auch an ihn gleichfalls bei Leibe!

nicht

In der Kirche vollſtrecke die letzte Pflicht.

20. Darin iſt er nun billig hoch zu ruͤhmen;

Denn fuͤr ein Gotteshaus will’s ſich nicht ge-

ziemen,

Daß darin garſtiger Leichengeſtank

Die Zuhoͤrer mache uͤbel und krank.

21. Er hat ſogar gethan vernuͤnftige Vorſchlaͤge,

Daß man den Kirchhof auswaͤrts des Dorfs

verlege,

Damit nicht etwa ’ne zu nahe Gruft

Seuchen bringe und verpeſte die Luft.

22. Be-
[181]
22. Beſonders pflag er noch immer dran zu den-

ken,

Daß man ihn einſt hatte wollen lebendig ver-

ſenken,

Er war alſo fleißig daruͤber aus

In Ohnwitz zu errichten ein Leichenhaus.

23. Weil aber ſolches Gebaͤude gegenwaͤrtig

Wegen allerlei Hinderniß ſchwerlich wird fertig,

So macht er ſich es zur ſtrengſten Pflicht,

Die Todten vor’m fuͤnften Tag zu begraben

nicht.

24. Sintemal wir vom Erzbiſchof Willigis leſen,

Welcher eines Rademachers Sohn geweſen;

Daß er zum Andenken ein Wagenrad,

Zu Mainz ſich zum Wappen gewaͤhlet hat;

25. So ließ auch er, um des vorigen nicht zu

vergeſſen,

Noch ſich ſeines jetzigen Standes zu uͤbermeſſen,

In ſeinem Muſaͤs uͤber der Thuͤr vorn,

Mahlen ein großes Nachtwaͤchter Horn.

26. Damit hat er andern ein Exempel gegeben,

Daß man ſich im Gluͤcke nicht muͤſſe uͤberheben;

Denn gewoͤhnlich thut einer groß und dick

Wenn ihn aus dem Staube hebet das Gluͤck.

27. Seine Schweſter geht jetzt im 23ten Jahre

Und iſt noch immer bei ihm auf der Pfarre,

Sie
[182]
Sie liebt ihn und haͤlt ihm trefflich Haus,

Sieht auch noch immer ſchoͤn bluͤhend aus;

28. Iſt gefolglich zum Heirathen nicht verdorben,

Deswegen haben viel Freier um ſie geworben,

Aber ſie fand noch keinen bequem,

Daß ſie ihn zu ihrem Manne naͤhm.

29. Einige wollen unmaßgeblich meinen,

Als thaͤt es manchmal nicht undeutlich ſcheinen,

Daß der junge Herr Baron von Ohnewitz

haͤtt

Abſicht auf ſie fuͤrs Ehebett.

30. Wenigſtens iſt ſie ſehr gut von ihm gelitten,

Und hat wegen ihrer Artigkeit und guten Sit-

ten,

Es auf dem freiherrlichen Ohnwitzer Schloß

Auch beim Herrn und der gnaͤdigen Frau

gar groß.

31. Alle Ohnwitzer moͤgen ſie gut leiden,

Denn ſie behandelt ſie freundlich und beſcheiden,

Erkundigt ſich bei ihnen nach Kindern und

Vieh,

Nach Knechten und Ochſen, und Maͤgden

und Kuͤh.

32. Bauern, welche fuͤr die Kuͤche was praͤſentiren

Pflegt ſie mit Taback und Schnaps zu regali-

ren

Und
[183]
[figure]
Und die Baͤurinnen bekommen den Thee,

Oder, wenns Praͤſent der Muͤh werth iſt,

Kaffee,

33. Uebrigens iſt gewiß, daß in keinem Dorfe

nirgends,

Weder im roͤmiſchen Reiche noch ſonſt irgends,

So gute und vernuͤnftige Leute ſind,

Als man ſie jetzt zu Ohnewitz findt.

34. Da ſieht man, wie ſchoͤn eine geiſtliche Heerde

Unter guter Anfuͤhrung gebildet werde;

Indeme hier das Spruͤchwort eintraf:

Wie der Hirte iſt, ſo iſt das Schaaf.

Vier
[184]

Vier und dreißigſtes Kapitel.


Zeiget kuͤrzlich, wie ſich alles weit beſſer hier ge-
reimet habe, als im erſten Theile.


1. Ich kann mich mit der Geſchichte von Hiero-

nimi Leben,

Dermalen nun nicht weiter abgeben,

Sondern laſſe ihn im vergnuͤgten Beſitz

Der ſchoͤnen Pfarre zu Ohnewitz.

2. Sintemal wider jedes Denken und Verhoffen,

Im zweiten Theile alles beſſer eingetroffen,

Als es vormals im erſten Theile geſchah;

Denn nun iſt die Erfuͤllung von allem da,

3. Was der Traum der Frau Jobs ihr geprophe-

zeiet,

[figure]
[185]
Und Frau Schnepperle gephyſionomeiet,

[figure]
Und Frau Urgalindine geſaget wahr;

An allem fehlt nicht ein einziges Haar.

4. Indeſſen muß man doch darum nicht trauen

Und auf dergleichen Vorbedeutungen bauen;

Denn ich ſage es und bleibe dabei,

Es iſt Aberglauben und Dummerei.

5. Wir wollen uns vielmehr zum Beſchluß be-

muͤhen,

Aus der Geſchichte einige Lehren zu ziehen;

Denn ein ſolch Buͤchlein ohne Moral

Schließt ſich zu trocken und ſchmecket zu

ſchaal.

6 Ob
[186]
6. Ob noch ein dritter Theil kuͤnftig werde er-

ſcheinen,

Will ich weder bejahen noch verneinen,

Doch glaub ich, ein geehrtes Publikum hat

An den zwei Theilen ſchon genug und ſatt.

7. Sonſt laͤßt ſich von Herrn Jobs kuͤnftigem

Betragen

Noch manches, theils Luſtig’s, theils Ernſt-

haftes, ſagen,

Welches ich mir dann auch in der Still

Zum moͤglichen Gebrauch notiren will.

8. Da koͤnnte es mir dann auch vielleicht gelin-

gen

Seine Schweſter Eſther gut unterzubringen;

Auch machte vielleicht der Franken Revolu-

tion

Bei ſeinem Schickſal eine Diverſion.

9. Kurz! an Stoff zum Luͤgen und zum Erzaͤhlen,

Wuͤrde es mir ſchwerlich auch kuͤnftig nicht

fehlen,

Und zu einem ſolchen Knuͤttelgedicht

Gehoͤrt auch eben kein Kopfbrechen nicht.

Fuͤnf
[187]

Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.


Hier folgt zum Beſchluß die Moral und das
Buch nimmt ein trocknes Ende.


[figure]
1. Pro primo kann man uͤberhaupt hieraus

ſehen,

Daß oftmals ſonderbare Dinge geſchehen,

Und es auf unſerm Lumpenerdenplanet

Kraus und bunt durcheinander geht.

2. Denn wenn wir die ſaͤmmtlichen Avantuͤren

Des Hieronimi vernuͤnftig ponderiren,

So finden wir, daß in keinem Roman

Etwas kurioſers geſchehen kann.

3. Pro
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3. Pro secundo kann man hier erfahren

Den Unterſchied der juͤngern und aͤltern Jah-

ren,

Und wie wahr das gemeine Spruͤchwort

ſpricht:

Der Verſtand kommt oft vor dem Alter nicht.

4. Denn Hieronimus war vormals in ſeiner Ju-

gend

Eben kein Liebhaber der Gelehrſamkeit und Tu-

gend,

Bis er, als Schwabe, nach 40 Jahr,

Ein vernuͤnft’ger und gelehrter Mann erſt

war.

5. Pro tertio muß man niemals verzagen

In truͤben und finſtern Elendstagen,

Weil im kuͤnftigen Lebenslauf

Die Gluͤcksſonne ſich oft klaͤret auf.

6. Denn als Hieronimus im Nachtwaͤchterſtande

Ja gar als Todter im Sarge ſich befande,

Ging es ihm traurig und ſchlecht, nachher

Ging es ihm deſto angenehmer.

7. Pro quarto wuͤrkt ein vermeintes Ungeluͤcke

Manchmal guͤnſtige Aenderung im Menſchen-

geſchicke,

Und aus Dornen ſprieſſen ſehr oft

Gleichſam Roſen hervor gar unverhofft.

8. Denn
[189]
8. Denn der Schlaf, drin Hieronimus drei Tage

gelegen,

Gereichte ihm zu ſeinem Gluͤcke und Segen,

Und ſein ganzer Charakter und Verſtand

Wurde dadurch gleichſam umgewandt.

9. Pro quinto notiren wir uns hier die Lehre,

Daß Wohlſtand, Reichthum, Gluͤck und Ehre,

Oft von einer ohngefaͤhren guten That,

Ungeſucht ihren erſten Urſprung hat.

10. Denn haͤtte Hieronimus auf der Reiſe den

reichen Herren

Nicht gefunden ſich gegen die Raͤuber wehren

Und ihm ſeinen Beiſtand geleiſtet darob,

So waͤr er vielleicht jetzt noch ſo arm wie

Job.

11. Pro sexto muß man die große Pflicht be-

trachten,

Daß man keinen Menſchen duͤrfe verachten,

Wenn ihn auch das Schickſal veraͤchtlich

neckt,

Weil man nicht weiß, was hinter ihm ſteckt.

12. Denn wer haͤtte im erſten Theil es ſagen

wollen,

Daß Hieronimus der Mann haͤtte werden

ſollen,

Der er, wie ich hoffe mit guter Art,

Im jetzigen zweiten Theile ward.

13. Pro
[190]
13. Pro septimo laͤßt ſich nicht undeutlich mer-

ken,

Groß Gluͤck ſey nicht immer Folge von Muͤh

und Werken,

Sintemal es oft mancher im Schlaf

Ohn alles ſein Zuthun und Muͤhe antraf.

14. Denn haͤtte Hieronimus kein Opiat genom-

men

Und waͤre nicht dadurch im Todesſchlaf gekom-

men,

So waͤr auf ihn von niemand reflektirt,

Noch Herr von Ohnewitz zu ihm gefuͤhrt.

15. Pro octavo laͤßt ſich finden und verſtehen

Wie gut und erſprießlich alle Sachen ergehen,

Wenn man nicht nur in Wort ſondern auch

That,

Reiche Patronen und Freunde hat.

16. Denn waͤre Herr von Ohnewitz, wie wir

geleſen

Nicht ſein wahrer Goͤnner und Freund gewe-

ſen,

So bekleidete er jetzt nicht im Wohlſtand

Die reichſte Pfarrſtelle im ganzen Land.

17. Pro
[191]
17. Pro nono iſt es eine ſehr geringe Muͤhe,

Daß man daraus noch manche andre Lehre

ziehe,

Und das moͤgen nach beſtem Gefallen nun

Die hochgeehrten Leſer allenfalls ſelbſt thun.

18. Pro decimo will ich nur noch den Rath

ertheilen,

Sich nie im Urtheilen zu uͤbereilen,

Sondern daß jeder das Reſpice Finem

So wie ich jetzt, ſich zur Regel hinnehm.

[[192]][]
[figure]
[]
Notes
*)
Siehe den Reichsanzeiger 1797 No. 123. pag. 1331.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Die Jobsiade. Die Jobsiade. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bqf0.0