von ihm ſelbſt beſchrieben.
welcher
deſſen Begebenheiten, Erfahrungen und Bemerkungen
waͤhrend des Feldzugs gegen Frankreich von Anfang
bis zur Blokade von Landau enthaͤlt.
in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern.
1796.
[[VI]][[VII]]
ErfahrungenundBemerkungen
waͤhrend
des Feldzugs gegen Frankreich.
von
Anfang deſſelben bis zur Blokade von Landau.
in Commiſſion bey Gerhard Fleiſcher dem Juͤngern.
1796.
An den Leſer.
Da ich den unſeligen Feldzug des Herzogs
von Braunſchweig gegen die Franzoſen
in den Jahren 1792 und 93 mitgemacht, und
hernach vom Monat September 1793 bis in den
Februar 1795 mich in Frankreich herumgetrieben
habe, ſo kann ſich der Leſer ſchon vorſtellen, daß
ich ihm in der Fortſetzung meiner Lebensgeſchichte
Manches liefere, das ihn eben ſowohl unterhal-
ten, als uͤber gar Vieles belehren kann. Schon
dieſes, und dann der Gedanke, daß der Theil
des Publikums, welcher meine Jugendſtreiche,
akademiſche Poſſen und andere Schwindeleyen
nicht ohne Vergnuͤgen geleſen hat, auch das mit
Intereſſe und Nutzen leſen werde, was einer
allgemeinen und hoͤhern Aufmerkſamkeit werth
iſt, mußte mich beſtimmen, meine Lebensge-
ſchichte fortzuſetzen.
Freilich werden Manche es ungern ſehen,
auch wohl gar uͤber mich zuͤrnen, daß ich bey der
Erzaͤhlung meiner und anderer Begebenheiten,
ihrer namentlich gedacht, und vielleicht einiges
von ihnen erzaͤhlt oder uͤber ſie bemerkt habe, das
ſie freilich gern ganz unberuͤhrt wiſſen moͤgten.
Aber wozu dieß in einem Zeitpunkte, wo die
Begebenheiten zuviel Intereſſe haben, um ſich
nicht ſelbſt zu verrathen und zu charakteriſiren!
[X] Und wenn ſelbſt die Staatsſchriften von England,
Frankreich und Deutſchland die Fehler ihrer
Verfaſſung und Verwaltung gegenſeitig haar-
ſcharf durchgehen, und die Handhaber derſelben,
ſie moͤgen auf dem Throne oder im Felde wirken,
zur oͤffentlichen Pruͤfung oft nicht zum ruͤhmlich-
ſten aufſtellen — wie wir dieß entweder in jenen
Staatsſchriften ſelbſt, oder auszugsweiſe in un-
ſern Zeitungen und Journalen: im Moniteur,
im political Magazin, im Londner Chronikel,
in Girtanners und Poſſelts Annalen, in
Archenholzens Minerva, in der neueſten
Geſchichte der Staaten und der Menſchheit, in
der Klio, in den Beytraͤgen zur Geſchichte der
franzoͤſiſchen Revolution und anderwaͤrts fin-
den —: ſo waͤre es thoͤrig, einem einzelnen Re-
ferenten das verargen zu wollen, was der gan-
zen Welt ſchon vor Augen liegt, aber nicht im-
mer unpartheyiſch, und oft ſehr mangelhaft.
Ueberdieß ſind die Begebenheiten, welche ich er-
zaͤhle, groͤßtentheils alle ſo beſchaffen, daß nicht
das geringſte falſche Licht auf die Perſonen fal-
len kann, die ich genannt habe; und wenn ich
die Emigranten und einige Andere ausnehme,
deren ich eben nicht im Beſten gedenke, ſo bin
ich uͤberzeugt, daß alle andere, Große und Min-
dergroße, es mir durchaus nicht verargen koͤn-
nen, daß ich mein Publikum mit dem, was ſie
thaten, bekannt zu machen ſuche.
Kein Menſch hat mehr Urſache, recht zu
thun, und die Regeln der Bravheit genauer zu
[XI] befolgen, als der, welcher irgend eine Rolle auf
dem Kriegstheater zu ſpielen hat: denn da wird
alles, von Freund und Feind, auf die verſchie-
denſte Art erklaͤrt, und der groͤßte Held bringt nur
mit Muͤhe ſeinen ehrlichen Namen aus dem Fel-
de. Im gegenwaͤrtigen Kriege iſt dieſe Wahr-
heit ſehr ſichtbar geworden; und Maͤnner, de-
ren Muth, Gerechtigkeitsliebe und militaͤriſche
Talente noch im Fruͤhling 1792, gleichſam als
ausgemacht angenommen, und allgemein aner-
kannt waren, erſchienen ſchon in ſelbigem Jahre,
nach der ungluͤcklichen Expedition nach Cham-
pagne, in einem ſehr zweydeutigen Lichte, und
alles, was ſie hernach im Felde noch thun konn-
ten, war nicht im Stande, ſie von Vorwuͤrfen
zu retten, welche der Ehre ſolcher Maͤnner
aͤußerſt nachtheilig ſeyn mußten.
Man ſage nicht, daß das einmal erworbene
Anſehen dieſer Verunglimpften hinlaͤnglich ſey,
den Folgen nachheriger ſchiefer Urtheile vorzu-
beugen: denn gegen Urtheile hilft kein Anſehen,
welches ohnehin wechſelt, wie das, worauf es
beruht; und die Nachwelt urtheilt allemal —
nach ſchon gefaͤllten Urtheilen; aber nach Urthei-
len von Sachkundigen und Unpartheyiſchen.
Denn welcher Vernuͤnftige wird den Trajanus
fuͤr das halten, wofuͤr ihn Plinius in ſeinem
Panegyrikus ausgiebt, oder Karl, den Sechs-
ten, ſo nehmen, wie ihn die praͤkoniſirende Bio-
graphie des Hn. von Schirach aufſtellt? Wahr-
[XII] heit entſcheidet am Ende immer; und ſo nuͤtzet
unverdientes Lob eben ſo wenig, als unverdien-
ter Tadel ſchadet. Der ſelbſtſtaͤndige, billige
Mann bleibt alſo um beyde unbekuͤmmert, und
erwartet ſein Recht von der ſichtenden Nachwelt.
Ich glaube, Buͤcher von der Art, wie die
Fortſetzung meiner Biographie iſt, ſind beſonders
ſchicklich, unbefangne Leſer in den Stand zu ſetzen,
richtig und ohne Gefahr, zu irren, uͤber manche
Vorfaͤlle des Krieges gegen die Franzoſen ſich zu
unterrichten, und viele Perſonen, welche daran
Antheil hatten, nach Verdienſt zu wuͤrdigen.
Ich habe kein Intereſſe, jemanden zu loben,
oder zu tadeln. Ich lebe zwar noch im Preu-
ßiſchen: allein keine Seele, die in dieſen Staaten
einiges Gewicht haͤtte, wird von mir, wegen
Wohlthaten, geliebt, oder wegen Beleidigungen,
gehaſſet. Ich ſtehe nicht in der geringſten Verbin-
dung, und kann in einer einzigen Viertelſtunde allen
meinen Verhaͤltniſſen mit den Preußen ein Ende
machen. Ich habe alſo zu Lob und Tadel noch
weniger Urſache, als der ehrliche Tacitus hatte,
welcher (Hiſt. L I. C. II.) bekennen mußte, daß
zwar Galba, Otho und Vitellius ihm weder Gu-
tes noch Boͤſes erwieſen haͤtten (nec beneficio
nec injuria ſibi cognitos), daß er aber unter
Veſpaſianus, Titus und Domitianus immer in
Staatswuͤrden und Aemtern hoͤher geſtiegen ſey.
Aber, ſezt er hinzu, da ich einmal aufrichtig zu
ſeyn verſprochen habe, ſo muß ich jeden ohne
Vorliebe, und ohne Haß nennen.
[XIII]
Ich finde zwar, daß man ſogar in oͤffentli-
chen Schriften ausſprengt: der Kronprinz von
Preußen laſſe mich einen Gehalt genießen, als
eine Belohnung fuͤr meine Miſſion *): allein
man ſprengt gar vieles aus! Freilich wenn es
wahr waͤre, dann haͤtte das Publikum ein Recht
bey mir vorauszuſetzen, daß ich von dieſem Prin-
zen, und von der Armee, bey welcher er eine
Zeitlang ein Kommando gefuͤhrt hat, vielleicht
anders ſprechen moͤgte, als ich nach meiner
Ueberzeugung haͤtte ſollen. Aber ich erklaͤre hie-
mit ganz unbefangen, daß ich nicht die geringſte
Penſion genieße, und daß ich auch ganz und gar
keine Hoffnung habe, jemals von ſeiner Hoheit
im geringſten unterſtuͤzt zu werden: — vielleicht
verſperrte ich mir durch eigne Schuld den Weg
dazu.
Aber ob ich gleich noch immer uͤberzeugt bin,
daß ich nach der Aufopferung deſſen, was ich
hatte, indem ich mich blos um dem Kronprinzen
zu dienen, und mich ſeiner Gnade zu empfehlen,
in die Gefahr begab, mein Leben auf eine ſchimpf-
liche Art zu verlieren, allerdings auf einige
Unterſtuͤtzung zu hoffen das Recht hatte, ſo kann
ich doch dieſem vortrefflichen Herrn die Schuld
nicht beymeſſen, daß ich ohne die verſprochne
Huͤlfe von ſeiner Seite bleibe, und dadurch ge-
noͤthiget bin, Maͤnnern laͤſtig zu ſeyn, welche
[XIV] blos Menſchengefuͤhl veranlaßt, mich in allen
Stuͤcken nach ihrem Vermoͤgen zu unterſtuͤtzen.
Es giebt zwiſchen einem Fuͤrſten, wie der Prinz
von Preußen iſt, und einem armen Teufel, wie
ich bin, eine zu große Kluft: er kann ſich nicht
ſo tief herablaſſen, um meine Lage kennen zu
lernen, und ich kann mich bis zu ihm nicht erhe-
ben, um ihn daruͤber zu belehren.
Ich habe mich alſo uͤber alle wirkliche und
moͤgliche Verhaͤltniſſe hinausgeſezt, und gerade
ſo erzaͤhlt, wie ich die Sachen ſelbſt erfahren habe,
und hoffe, daß meine Leſer hiernach von allen
meinen Nachrichten urtheilen werden.
Vielleicht macht man mir den Vorwurf, daß
ich uͤberhaupt eine gewiſſe Neigung fuͤr das Sy-
ſtem der Neufranken blicken laſſe, und zaͤhlt mich
vielleicht auch zu jenen, welche bey den politiſchen
Kanngießern unſers Vaterlandes unter dem ver-
haßten Namen der Jakobiner oder Patrioten be-
kannt ſind.
Ich geſtehe ganz offen und ohne alle Furcht,
daß ich durch meine Erfahrungen gelernt habe,
von dem Syſtem der franzoͤſiſchen Republik beſ-
ſer und richtiger zu urtheilen, als mancher poli-
tiſche Journaliſt, der aus Eigennutz, Haß oder
Schreibſucht, blos raͤſonniren und ſchimpfen will.
Ich habe von den Franzoſen in ihrem eignen
Lande keine Ungerechtigkeit erlitten; und ob ich
gleich ſchon in Landau als Emiſſaͤr der Preußen
verdaͤchtig war, und hernach in Dijon und be-
ſonders in Macon beynahe voͤllig uͤberfuͤhrt wurde,
[XV] das Werkzeug eines verraͤtheriſchen Anſchlags
gegen die Republik geweſen zu ſeyn, ſo wurde
es mir doch nicht ſchwer gemacht, mich gewiſſer-
maßen zu rechtfertigen, und wurde, wo nicht fuͤr
voͤllig ſchuldlos erklaͤrt, doch ſofern losgeſprochen,
daß ich meine Freyheit wieder erhielt.
Das Verfahren der Franzoſen gegen mich
war alſo edel, und unedel waͤre es nun von mir,
wenn ich von ihren Anſtalten gegen meine Ueber-
zeugung ſchiefe Urtheile auftiſchen und Luͤgen ein-
miſchen wollte, um die ohnehin ſchon ſo verkannte
und verhaßte Nation noch verhaßter zu machen.
Und ſo viel von den oͤffentlichen Nachrichten,
welche ich in meinem Werkchen liefere. Was
die Geſchichte meiner eignen Angelegenheiten be-
trifft, ſo hoffe ich, daß meine Leſer keine Lange-
weile daran haben werden. Meine Lage beſtimmte
mich, ſo zu handeln, wie ich handelte, und der
billige Leſer wird ſich nicht wundern, wenn Lauk-
hard, der ſeit 1775 in ſtaͤtem Wirrwarr des Uni-
verſitaͤten- und Soldatenlebens geweſen iſt, nicht
handeln konnte, wie er wuͤrde gehandelt haben,
wenn ihm das Gluͤck eines ruhigen Lebens zu
Theil geworden waͤre. Es giebt Lagen in der
Welt, die man troz alles guten Willens wenig
aͤndern, und noch weniger verbeſſern kann; und
von dieſer Art iſt die meinige: das fuͤhle, das er-
fahre ich alle Tage. Wozu waͤre nun mein Be-
ſtreben, meine Geſinnungen zu verlaͤugnen, und
eine Maske vorzunehmen, die mich unkenntlich
machte?
[XVI]
Außer dieſem dritten Theile wird naͤchſtens
noch einer erſcheinen, welcher meine Begeben-
heiten in Frankreich, meinen Aufenthalt bey den
Schwaben, und meine Ruͤckkehr nach Halle
enthalten wird. Daß dieſer Theil der vorzuͤg-
lichſte in Ruͤckſicht der Geſchichte, und der Laͤn-
der- und Voͤlkerkunde ſeyn wird, verſteht ſich
von ſelbſt; und wenn das Publikum bisher meine
Biographie mit einiger Theilnahme geleſen hat;
ſo hoffe ich, daß der Schluß derſelben keines Le-
ſers Erwartung taͤuſchen wird.
Mit den Herren Recenſenten habe ich ganz
und gar nichts zu ſchaffen. Die Herren ſind ja
Kunſtrichter, oder wenigſtens wollen ſie es ſeyn:
ich aber ſchreibe weder nach der Kunſt noch fuͤr
die Kunſt: alſo —. Wollen ſie ſich aber dem
ohnerachtet mit mir zu thun machen, je nun,
in Gottes Namen!
Meinen Freunden und Bekannten, deren
ich viele habe, und worunter gewiß viele recht-
ſchaffne Maͤnner ſind, empfehle ich meine Bio-
graphie im beſten. Sie koͤnnen verſichert ſeyn,
daß ſie dadurch, daß ſie den Abſatz derſelben be-
foͤrdern helfen, mir einen weſentlichen Dienſt er-
weiſen.
Geſchrieben zu Halle,
den 29ten September, 1796.
[[1]]
Erſtes Kapitel.
Begebenheiten waͤhrend des Marſches von Halle bis Coblenz.
Am Ende des zweiten Bandes meiner Lebens-
beſchreibung habe ich meinen Leſern berich-
tet, daß ich eben damals, als ich jenen Band en-
digte, beſtimmt war, mit dem Thaddenſchen Re-
giment, worunter ich zu der Zeit noch diente, und
mit den uͤbrigen Preußiſchen Truppen den beruͤhm-
ten und beruͤchtigten Feldzug gegen die Neufranken
mit zu machen: was ich nun ſeit jener Zeit, oder
ſeit dem Fruͤhlinge des Jahres 1792 bis auf meine
Zuruͤckkunft nach Halle im Herbſt 1795, merkwuͤr-
diges mitgemacht und erfahren habe, ſoll den In-
halt der Fortſetzung meiner Lebensgeſchichte aus-
machen.
Es war wirklich ſchade, daß ich auf dem endlich
mit Ernſt angetretenen Wege zu einer regelmaͤßi-
Dritter Theil. A
[2] gern und konſequentern Lebensart, worauf mich
rechtſchaffene Freunde und eigenes Nachdenken uͤber
meine diſſol [...]te Lage gefuͤhrt hatten, durch den Feld-
zug aufgehalten und allen Verfuͤhrungen zu einem
wuͤſten Leben, das mit Feldzuͤgen allemal verknuͤpft
iſt, wieder preis gegeben wurde. So wollte es aber
das Schickſal; und wenn meine Leſer dem ohnge-
achtet ſehen, daß ich — ich will nicht ſagen, beſſer
— doch nicht ſchlimmer geworden bin, als ich zu
der Zeit war, da ich Halle verließ: ſo muͤſſen ſie, wenn
ſie billig ſeyn wollen, doch ſchließen, daß ich noch nicht
ganz verdorben, oder aller und jeder moraliſchen
Empfindung und Beſinnung unfaͤhig geweſen ſey.
Niemand iſt dem Eigenlobe mehr Feind, als
ich: ich fuͤhle zu ſehr meine eigene Unwuͤrdigkeit, und
weiß, wie viel ich von der Achtung Anderer durch
meine ehemalige Lebensart habe verlieren muͤſſen:
ja, ich ſehe das Beſtreben, dieſe Achtung mir wie-
der ganz zu erwerben, beynahe als einen Verſuch
an, das Unmoͤgliche moͤglich zu machen. Ich habe
daher alle Hofnung dazu auch laͤngſt aufgegeben.
Aber, und nicht erſt von heute an, habe ich noch immer
den feſten Vorſatz, mein Betragen ſo einzurichten,
daß es keinen veranlaſſe, mich als einen Menſchen
zu verſchreien, der die oͤffentlichen Sitten beleidige,
und ſchwache Menſchenkinder durch ein boͤſes Bey-
ſpiel zu boͤſen Handlungen verleite. Wie weit ich
[3] dieſes geleiſtet habe, und fernerhin zu leiſten im
Stande ſeyn werde, moͤgen meine Leſer aus dieſer
Fortſetzung ſelbſt abnehmen.
Mein Individuum iſt indeß immer das gering-
ſte, was dieſes Werkchen dem Publikum intereſſant
machen ſoll. Ich war Zuſchauer und Mitakteur,
obgleich einer der geringſten, wenn gleich nicht ge-
rade der kurzſichtigſten, auf einem Theater, worauf
eine der merkwuͤrdigſten Tragikomoͤdien unſers Jahr-
tauſends aufgefuͤhrt worden iſt. Freylich haben
Andre da auch mitzugeſehn; aber da jeder ſeine
eigene Art zu ſehen und zu bemerken hat, ſo will
ich das, was ich geſehen, und wie ich es ge-
ſehen habe, Ihnen, meine braven Leſer, nun herer-
zaͤhlen; und ich hoffe, oder vielmehr, ich weiß es
gewiß, daß Ihnen meine Erzaͤhlung, durch reellen
Unterricht und durch reichen Stoff zum Vergleichen
und Nachdenken, alle Muͤhe hinlaͤnglich erſetzen ſoll,
die Sie Sich nehmen werden, mein Buch durchzu-
leſen, oder — wenn ich nicht aus Duͤnkel ſpreche —
durchzudenken.
Mein Abſchied aus Halle hat mir ſehr wehe ge-
than: ich trennte mich zwar nicht, wie die mei-
ſten Soldaten, von einer Frau, oder, was noch
weher thun ſoll, von einem Maͤdchen; aber ich ver-
ließ Freunde, welche es wahrlich gut mit mir meyn-
ten, und die ihre Freundſchaft mir ſo oft und ſo
[4] thaͤtig bewieſen hatten. Wer den Werth der Freund-
ſchaft nur leiſe fuͤhlt, und von einem wahren Freunde
je geſchieden iſt, der kann ſich vorſtellen, mit wel-
chen bittern Empfindungen ich Halle verlaſſen habe.
Ich hatte mich mit allem Noͤthigen, in ſofern
ein Torniſter es faſſen kann, hinlaͤnglich verſehen;
und durch die Bemuͤhungen des Herrn Bispink,
deſſen große Verdienſte um mein moraliſches und
oͤkonomiſches Weſen ſchon zum Theil aus dem zwey-
ten Bande dieſes Werkchens bekannt ſind, war
meine Boͤrſe in gutem Stande.
Den lezten Abend — es war den 13ten Jun.
1792 — brachte ich in Geſellſchaft einiger andern
Bekannten noch recht vergnuͤgt bey Hn. Bispink
zu: uͤber die Kirſchſuppe, die mir damals, als mein
Leibeſſen, Madame Bispink vorſezte, haben her-
nach unſere Koͤnigliche Prinzen, denen ich davon er-
zaͤhlte, mehrmals mit mir geſpaßt.
Morgens den 14ten Junius zog unſer Regi-
ment von Halle aus. Es ſchwebten allerley Em-
pfindungen auf den Geſichtern der Soldaten: die
wenigſten zogen freudig davon, doch ließen nur we-
nige Thraͤnen erblicken; und die, welche ja naſſe Au-
gen ſehen ließen, wurden von ihren Nachbarn be-
ſtraft, die es fuͤr unanſtaͤndig halten wollten, daß
der Soldat — weine. Viele, gar viele Soldaten ha-
ben aber Weiber: denn bey den Preußen iſt es nicht,
[5] wie bey den Oeſtreichern, wo der Soldat ſehr ſchwer
zum Heurathen gelangt; *) und wenn gleich, aus
bekannten Urſachen, die meiſten verehligten Sol-
daten ohne Erben bleiben: ſo haben doch auch man-
che, beſonders die vom Lande, Kinder, und da haͤlt
es denn hart, ſich von ihnen zu trennen. Wer
keine Frau oder Kinder hat, hat doch eine Lieb-
ſchaft, ſollte ſie auch von der unterſten Gattung und
aus der Klaſſe derer ſeyn, die, nebſt den Soldaten
unſrer Fuͤrſten, ein neuer launiger Schriftſteller
zu den allerverdienteſten Staͤnden rechnet. **) Auch
von ſolchen Liebſchaften trennt man ſich nicht gerne.
Lauter Urſachen, warum unſre Soldaten mit ſchwe-
rem Herzen ihre Garniſon verließen.
Vor dem Thore kam Hr. Bispink noch ein-
mal zu mir, und brachte eine Flaſche Wein mit,
welche wir ausleerten, oder vielmehr, welche ich
in ſeiner Begleitung leerte, und darauf endlich von
[6] dieſem treuen Freunde mit allen Empfindungen
ſchied, deren ich damals im Tumulte faͤhig war.
Unſer erſte Marſch war kurz, doch waren wir,
als wir ins Quartier kamen, durchaus vom Regen
naß, vergaßen aber dieſes kleinen Ungemachs bald,
da die ſaͤchſiſchen Bauern uns nach ihrem Vermoͤgen
gut bewirtheten.
Am andern Tage hatte ich ſchon einen Wort-
wechſel mit einem ſaͤchſiſchen Kandidaten der Theo-
logie. Dieſer ſollte eine halbe Stunde von unſerm
Quartier fuͤr den daſigen Hr. Pfarrer auf den Sonn-
tag predigen. Unterwegs war ihm der Durſt ange-
kommen und ſo kehrte er in eine Schenke ein, wor-
in ich mich gerade auch befand. Ich ſah ihm ſo-
gleich am Aeußern an, daß er ein Kandidat des h.
Predigtamts war, und ließ mich mit ihm in ein
Geſpraͤch ein. Er ſagte mir, daß er nun ſchon
uͤber ſechszehn Jahre Kandidat ſey, weil er kein Geld
habe, um bey dem Konſiſtorium um Freunde zu
werben, wo, wie beynahe uͤberall, Geld das Haupt-
verdienſt ausmache, u. ſ. w.
Ich merkte, daß es in Sachſen gehen mag, wie
in der lieben Pfalz, und daß man durch Geld ſich
auch hier, wie aller Orten, den Weg in den Schaf-
ſtall des Herrn oͤffnen muͤſſe. Beyher erzaͤhlte mir
der Herr Kandidat, der auch zugleich Magiſter
der Philoſophie war, worauf er ſich aber nicht viel
[7] einzubilden ſchien, daß die Herren Prediger in
Sachſen gewaltig kommode Herren waͤren, welche
immer fuͤr ſich von Kandidaten predigen ließen,
und ſelbſt auf ihrem Loderſtuhle ruhig ſitzen blieben,
und ihre Einkuͤnfte bey einem Glaſe Bier oder Wein,
und einer Pfeife Tobak verzehrten.
Ich finde dieſes indeß recht gut; denn waͤren
die Herren nicht ſo kommode: ſo wuͤrde mancher Kan-
didat gar manchesmal ſchmale Biſſen eſſen muͤſſen,
ſo aber wird er ſtattlich traktirt: und einige gute
Mahlzeiten ſind doch immer werth, daß man da-
fuͤr eine halbe Stunde — ſalbadere.
Als wir den dritten Morgen fruͤh das Quartier
verlaſſen wollten, hatte ich meine Uhr auf dem Stroh
liegen laſſen. Meine Kameraden und ich ſuchten
danach, und einer derſelben, Namens Schrader,
dem ich ſonſt manchen Gefallen erzeigt hatte, fand
ſie, gab ſie aber erſt wieder heraus, als ich ver-
ſprochen hatte, dem Finder ein gutes Biergeld zu
reichen. Das war allemal ein ſehr ſchlechtes Stuͤck-
chen von einem Kameraden!
In Weimar hatte ich mein Logis bey einem
Seiler, deſſen Vetter, ein Paſtor vom Lande, in
die Stadt gekommen war, den Preußen mit zu zu-
ſehen. Er ſpeiſete mit uns zu Mittage, und da
er an mir, wie natuͤrlich, nichts anders vermuthete,
als einen Soldaten von gemeinem Schlage: ſo fuhr
[8] er mit einem erbaulichen Sermon uͤber die Kraft des
Gebetes, bey den Gefahren des Krieges, etwas
feierlich heraus. Ich hoͤrte zwar anfangs gelaſſen
zu, konnte mich aber endlich, als er zu theologiſch-
plump ausfiel, nicht laͤnger halten, und ſtellte das
Gebet — in der gewoͤhnlichen Form — als eine im-
pertinente, unſinnige Vorſchrift auf, die man ſich er-
dreiſtete, der Gottheit vorzuwinſeln oder haarklein
vorzumalen: darauf griff ich das an, was man,
meiner Meynung nach, ſehr irrig Vorſehung Gottes
zu nennen pflegt. — Der Hr. Paſtor ſtuzte ge-
waltig, und verlohr gar die Sprache, als ich ei-
nige Wort-Unterſchiede vorbrachte, auf die er wohl
ſchwerlich je ſtudiert hatte.
Auf dem ganzen Marſche bis Gießen habe ich
weiter nichts erfahren, das des Erwaͤhnens werth
waͤre: wir wurden aller Orten, wohin wir kamen,
ſehr gut aufgenommen und behandelt. Bey Wal-
tershauſen, einem Gothaiſchen Staͤdtchen, ſahe ich
die muntern und raſchen Zoͤglinge des Hn. Salz-
mann, und ſprach mit einigen ihrer Lehrer, vor-
zuͤglich mit meinem Freund, Hn. Guͤnther, den
ich ehedem auf Univerſitaͤten gekannt hatte.
In Eiſenach machte ich eine ſehr ange [...]e
Bekanntſchaft mit Hn. Rath Wolff, der mich dem
Hn. Generalſuperintendent Schneider vorfuͤhr-
te. In der Perſon dieſes wuͤrdigen Mannes fand
[9] ich einen Geiſtlichen, der einen wirklich, ſo lange
man bey ihm iſt, die abſcheuliche Seite ſeines Stan-
des vergeſſen macht. Ich habe wenig Maͤnner
kennen gelernt, die mit Herrn Schneider zu
vergleichen waͤren. Seine Gelehrſamkeit iſt be-
kannt, und von ſeinem rechtſchaffenen Betragen
zeugt die allgemeine Hochachtung und Liebe der
Eiſenacher. Ich vermuthete, daß er, weil Herder
ihm vorgezogen war, eben kein Freund von Herdern
ſeyn koͤnnte: ich lenkte alſo das Geſpraͤch abſicht-
lich auf dieſen Mann, und wurde gar angenehm
uͤberraſcht, als ich Hn. Schneider mit Enthu-
ſiasmus von den großen Verdienſten Herders
reden hoͤrte. Nach Hn. Schneiders Zeugniß,
worin freylich das ganze aufgeklaͤrtere Publikum
einſtimmt, iſt Herder die Zierde unſers Vater-
landes, der hellſte Kopf, der groͤßte Kenner des
Guten und Schoͤnen, der lebhafteſte deutſche Stiliſt
und der waͤrmſte Verfechter des Wahren, Guten
und Schoͤnen. Weimar kann ſtolz ſeyn, in ihm
einen der erſten Maͤnner unſrer Nation zu beſitzen. —
Wie geſagt, das, was Hr. Schneider von
Herdern ſagte, hat mich uͤberraſcht; denn ich
wußte, daß beyde einmahl in Wahl-Kolliſion ge-
kommen waren: um deſto mehr aber mußte ich den
Mann ſchaͤtzen, der des andern Verdienſte ſo un-
partheiiſch wuͤrdigte. Uebrigens wird Hr. Schnei-
[10] ber gar wohl zufrieden ſeyn, daß er nicht die Wei-
marſche, ſondern die Eiſenachſche Superintenden-
ten-Stelle erhalten hat. Denn dieſe iſt eintraͤg-
licher und bequemer; und der Superintendent zu
Eiſenach kann in ſeiner Didces weit ungehinderter
und freyer handeln, als der zu Weimar.
In Hersfeld, einer Heſſiſchen Stadt an der Ful-
da, kam es zwiſchen einigen von unſern Soldaten
und einigen Buͤrgern im Wirthshauſe zum Stern
zu Haͤndeln, welche beynahe in Schlaͤgerey aus-
artete. Die Buͤrger ſaßen am Tiſche, tranken ihr
Bier, und beſprachen ſich uͤber die Zeitgeſchichte.
Sie aͤußerten ihr Misvergnuͤgen uͤber das Verfah-
ren ihres Herrn Landgrafen, der nun abermals ſeine
Landeskinder, als Soldaten, zum Behufe des Fran-
zoſenkriegs verhandelte, und fuͤr den Landbau und an-
dere Gewerbe weiter nichts zuruͤckließe, als Kin-
der, Weiber, Kruͤppel und Greiſe. Das fuͤhrte
ſie immer weiter, und da kamen ſie darauf, daß
man uͤberhaupt nicht Urſache haͤtte, die Franzoſen
anzugreifen: dieſe haͤtten ja recht u. ſ. w. Unſre
Soldaten, die freylich damals noch nicht ſo dachten,
wie jezt, legten ſich drein, und behaupteten gerade-
zu, daß die Franzoſen Spitzbuben, ſchlechte Kerls
u. d. gl. ſeyen, daß man ſie vertilgen muͤſſe; und
wer ihnen das Wort rede, ſey gleichfalls ein ſchlech-
ter Kerl, ein Patriot. Dabey ſchlugen ſie — ſie
[11] hatten alle eine Schnurre — mit den Saͤbeln auf
den Tiſch, daß die Splitter davon fuhren. Aber
die Heſſen, die vor Soldaten ſich eben nicht fuͤrch-
ten, verbaten ſich das Schimpfen; und als unſere
Leute dennoch fortmachten, und ſogar einige Kruͤge
und Glaͤſer zerſchmiſſen, griffen die Buͤrger zu,
und es wuͤrde eine derbe Pruͤgeley geſezt haben,
wenn nicht ein Offizier dazu gekommen waͤre, und
den Friedensſtifter gemacht haͤtte. *)
In Nordeck wohnt der Kammerherr von
Rhau auf einem Schloſſe, das einen hohen Berg
bekroͤnt, und eine ganz vortrefliche Ausſicht hat.
Ich beſuchte ihn, und beſſern Rheinwein, als ich
hier trank, habe ich ſeitdem nicht wieder getrunken.
Es war Nierſteiner von 1748. Gute Gaben aus
den Haͤnden guter Menſchen erquicken doppelt.
Wir waren noch eine gute Stunde von Gießen,
als ſchon Studenten und Buͤrger uns haufenweiſe
entgegen zogen. Ohne Ruhm zu melden, muß ich ſa-
gen, daß ich an dieſem Entgegenzuge vielen Antheil
[12] hatte: denn die guten Leute waren begierig, den
Laukhard wieder einmal zu ſehen, der ehedem eine
ſo eklatante Rolle in Gießen geſpielt hatte. — Sie
entdeckten mich bald, und nun war ich wie umringt.
Ich konnte kaum vorwaͤrts: von allen Seiten ertoͤnte:
Da iſt Laukhard! da iſt Laukhard! — Unſre ganze
Kompagnie kam in Unordnung; denn alles ſtuͤrzte
hinein, um den alten Laukhard recht zu begaffen.
Jeder hatte etwas anzubiethen, und wenn ich haͤtte
wollen, wie ſie: ſo waͤre Laukhard wieder à la Gielsen
geworden.
Unter den Neugierigen befand ſich auch Hr.
Chaſte!, Lehrer der franzoͤſiſchen Sprache zu
Gießen: er begleitete mich eine gute Strecke. Er
war immer mein Freund geweſen, und glaubte,
nichts boͤſes zu thun, wenn er die alte Freundſchaft
wieder erneuerte. Koch, der ſeltſame Mann,
fand dieſes, wie ich erſt vor kurzem auf meiner
Ruͤckkehr nach Halle erfahren habe, ſehr unrecht,
und tadelte den Hn. Chaſtel in bittern Vorwuͤrfen:
daß er einen ſo gottloſen Kerl, als Laukhard ſey,
habe begleiten koͤnnen: und ſeit dieſer Zeit iſt Koch
dem ehrlichen Lektor nicht wieder gut geworden.
Wohl ihm, daß, ſeit der jetzigen Regierung, Kochs
Anſehn ſehr geſunken iſt, und daß Hr. von Ga-
tzert ganz anders denkt und handelt, als — Koch.
[13]
Wir maſchirten gerade durch Gießen, und ka-
men auf die naͤchſten Doͤrfer zu liegen, wo wir
den folgenden Tag Raſttag hatten.
Nachmittags kamen viele, wenigſtens uͤber drey-
ßig Studenten zu mir ins Quartier, brachten Wein
und Eßwaaren mit, und wir machten uns nach
Herzensluſt einen frohen Tag. Ich mußte Ihnen
verſprechen, ſie den folgenden Morgen in Gießen
zu beſuchen, und hielt Wort, da ich immer gern
einen Ort wiederſehe, der mir ehedem ſo viel ange-
nehme und unangenehme Stunden gemacht hat.
Ich gieng alſo den andern Tag fruͤhe hinein, und
fand, daß das gute Gießen nichts mehr und nichts
weniger war, als — Gießen. Die Straßen waren
noch eben ſo ſchlecht gepflaſtert, eben ſo ſchmutzig,
als ehedem; und die Buͤrger und Buͤrgerinnen,
ſamt den jungen Burſchen und Maͤdchen, ſaßen noch,
wie ſonſt, in den Bier- und Branteweinsſchenken:
kurz, Alles war noch beym Alten.
Ich erkundigte mich nach der Beſchaffenheit der
Univerſitaͤt; konnte aber nichts erbauliches heraus-
bringen. Die Univerſitaͤt hatte an Studenten ſehr
abgenommen, aber an Profeſſoren gewonnen, we-
nigſtens der Zahl nach, wie in Halle, Leipzig, Jena
und anderwaͤrts. Der Komment der Burſche
hatte zwar jenes alte Rohe nicht mehr, wie ich es
im erſten Theile dieſes Werkchens beſchrieben habe;
[14] er war aber doch eben auch nicht beſſer geworden:
denn ehedem lebten die Herren Gießer wild, jezt
leben ſie — kindiſch. Kinderey iſt aber doch immer
eben ſo ſchlimm, als Wildfaͤngerey.
Meine Lebensbeſchreibung war in Gießen flei-
ßig geleſen worden. Da man vorausſezte, daß ich
ſie zu ſeiner Zeit fortſetzen wuͤrde, ſo entdeckte man
mir Anekdoten und ſkandaloͤſe Hiſtoͤrchen die Menge,
und bat mich, dieſelben dereinſt mit anzubringen.
Aber warum ſollte ich mein Buch von neuem zum
Repertorium der Gießer Skandale machen? Es
ſind, wie die Folge zeigen wird, ganz andere und
weit wichtigere Berichte uͤbrig. Dann liegt ja auch
dem lieben Publikum nicht viel daran, wenn es
weiß, was die unbedeutende Frau Gemahlin dieſes
oder jenes unbedeutenden Herrn zur Beruͤhmtma-
chung ihres Mannes beytrug! Verzeihen Sie mir
alſo meine Herren zu Gießen, daß ich von alle dem,
was ſie mir ſo reichhaltig mittheilten, keinen Ge-
brauch mache!
Von den Profeſſoren beſuchte ich nur die Herren
Koͤſter und Roos: ich fand ſie gegen mich noch
immer ſo gut geſinnt, wie es Maͤnnern anſteht, die
ihre Bekannten nicht nach der Kleidung beurtheilen.
Mit Vergnuͤgen hoͤrte ich, daß die liebe Theo-
logie an dem Doktor Bechtold fuͤr Gießen —
denn außer Gießen iſt Herr Bechtold wenig be-
[15] kannt — eine Stuͤtze verlohren haͤtte. So war es
zwar ſchon 1787, wie ich im I. B. S. 83 erzaͤhlt
habe. Aber ſeit dieſer Zeit hat Hr. Bechtold ſich
noch mehr bekehrt, und 1793 gieng er ſchon ſo weit,
daß er ganz frey erklaͤrte: alle Geheimniſſe, Sakra-
mente, und alle ſogenannten uͤbernatuͤrlichen An-
ſtalten Gottes zum Heile der Menſchen ſeyen Pro-
dukte der Unwiſſenheit, Furcht, Herrſchſ [...]cht, oder
der idealiſirenden Phantaſie; — die Bibel ſey
ein Buch, das die moraliſchen Einſichten der Men-
ſchen durchaus nicht beſtimmen koͤnne: in den Fa-
beln des Aeſopus und in Ovidius Verwandlungen fin-
de man mehr Menſchenverſtand, und beſſere mora-
liſche Maximen, als in den meiſten Gleichnißreden
Jeſu: dieſer ſey zwar ein großer Lehrer fuͤr ſeine
gleichzeitigen Juden geweſen; aber auch ein großer
Schwaͤrmer u. d. gl. — So weit iſt ſelbſt Bahrdt,
als er in Gießen haußte, nicht gegangen; und doch
wurde Bahrdt damals verfolgt, und Hr. Bech-
told bleibt im ruhigen Beſitze ſeiner Aemter als
Superintendent und als Profeſſor. So ſehr aͤndern
ſich Menſchen und Zeiten!
Auf meiner Ruͤckreiſe im October 1795 ſprach
ich bey dem Pfarrer Diefenbach in Reiskirchen
ein: es iſt der Vater meines Freundes, deſſen ich
im I. B. S. 112 gedacht habe. Dieſer Mann,
welcher noch ganz feſt an Doctor BennersNotitia
[16] ſalutis haͤngt, erzaͤhlte mir die Fehden, welche er
mit Bechtold ſchon gehabt haͤtte, und beklagte es
ſehr, daß ein Mann, der ſonſt ein Mann nach dem
Herzen Gottes geweſen waͤre, und die Abhandlung:
Calvinianorum Deus a ſana ratione abhorrens ge-
ſchrieben habe, nun ein voͤlliger Socinianer, wenn
nicht gar noch was aͤrgeres geworden ſey.
Die ſkandaloͤſe Chronik machte ſich damals auch
recht luſtig uͤber einen Geiſtlichen zu Gießen, wel-
cher bey einem Leichenbegaͤngniſſe beſoffen auf die
Kanzel geſtiegen war. Ich mag den Ehrenmann
nicht nennen: in Gießen wiſſen aber die kleinen
Kinder das Hiſtoͤrchen.
So ſehr der ſogenannte Komment auch abge-
nommen hatte, ſo gab es doch noch Orden in Gie-
ßen: ſogar der Orden der Amiciſten war noch da,
hatte aber nicht mehr als drey Anhaͤnger, wovon der
eine Senior, der andere Subſenior und der dritte
Sekretaͤr war. Als wir aus Champagne zuruͤck
waren, und im November 1793 bey Koblenz kan-
tonnirten, ſchrieb der Hr. Landgraf von Darmſtadt
an den Hn. General von Thadden: er habe
meine Hiſtorie geleſen, und daraus erſehen, daß
ich viele Wiſſenſchaft um daß Gießer Ordensweſen
haben muͤßte; der Hr. General moͤchte mich daher
uͤber einen und den andern Punkt befragen laſſen,
u. ſ. w. Dieſes ließ Hr. v. Thadden durch
[17] unſern Auditeur denn thun, und ich benachrichtete
den Fuͤrſten, ſo wie es meine Pflicht mit ſich brachte,
von dem Verfall und der Beſchaffenheit der ganzen
Gießer Univerſitaͤt, und fuͤgte einige unmaßgebli-
che Vorſchlaͤge zu ihrer Verbeſſerung hinzu. Da-
hin gehoͤrte vorzuͤglich die Entfernung der Quodam-
modariorum der Pandediſtaxen und der Quackſalber,
und die Anſtellung braver geſchickter Maͤnner zu
Lehrern. Ich nahm mir auch die Freyheit, Sr. Durch-
laucht manchen Vorſchlag zur Ausrottung der Or-
den anzugeben. Aber ohne Zweifel hat man mei-
nen Plan unausfuͤhrbar gefunden, und ihn als ein
pium deſiderium hingelegt: denn noch im Herbſte
1795 waren die Orden in Gießen, und die Quodam-
modarii dozirten noch nach wie vor. Was dieſe
ſind, ſteht im I. B. S. 81.
Mein Hauptmann, Hr. von Mandelsloh,
war, wegen eines Anfalls von Fieber, in Nordeck
zuruͤckgeblieben; und als er einige Tage nachher uns
durch Gießen folgte, klagte bey ihm der Muͤller im
Einhorn: daß ich ihn in meinen Beytraͤgen zu D.
Bahrdts Lebensgeſchichte einen groben, impertinen-
ten Kerl genannt haͤtte. Er brachte aber die Klage
in einem ſo groben Tone vor, daß Hr. von Man-
delsloh ihm geradezu erklaͤrte: „Wenn Laukhard
Sie einen groben Kerl genannt hat, ſo hat er nicht
Dritter Theil. B
[18] geirrt: ich ſah ſelten einen Menſchen von groͤßerer
Impertinenz, wie Sie.“ Da war denn der grobe
Muͤller abgewieſen, nach dem Spruͤchelchen: Wie
man in den Wald hineinruft, ſo ſchallt es zuruͤck.
Von Gießen bis Koblenz hatten wir gute Quar-
tiere und leichte Maͤrſche. Bey Limburg an der
Lahn ſahe ich das erſtemal Emigranten: ſie waren
praͤchtig bekleidet, auch ſtattlich beritten, und nann-
ten ſich la gendarmerie françoi [...]e oder royale. Dieſe
Gendarmerie beſtand groͤßtentheils aus Edelleuten,
und viele von ihnen trugen das croix de ſaint
Louis.
Zweytes Kapitel.
Koblenz. Manifeſt.
Wir kamen den 9ten Jul. 1793 in Koblenz an,
und hier hoͤrte die Art von Subſiſtenz auf, welche
wir bis dahin genoſſen hatten: denn bishiehin
waren wir von Buͤrger und Bauer ernaͤhrt wor-
den, und hatten kein Kommisbrod erhalten; jetzt
aber erhielten wir dieſes, und mußten fuͤr unſre
Subſiſtenz von nun an ſelbſt ſorgen.
Ich und noch drey Mann wurden in ein Haus
einquartirt, worin weder Tiſch, noch Stuhl, noch
Bank zu ſehen war. Der Hausherr war geſtorben,
[19] und deſſen Erben wohnten weit von Koblenz. Es
war alſo unmoͤglich, da zu bleiben, zumal da auch
weder Stroh noch Holz verhanden war. Ich lief
alſo zum Hauptmann, und dieſer wirkte uns, frey-
lich mit Muͤhe (denn die Herren zu Koblenz auf
der Billetſtube waren gar ungeſchliffene, maſſive
Herren) einen Zettel aus, nach welchem wir in ein
Benediktiner Nonnenkloſter verlegt wurden.
Hier war es nun ganz ertraͤglich; und nachdem
ich mir durch mein biſſel Latein die Gunſt des Hn.
Wolff, als des Oekonomen des Kloſters, erworben
hatte, reichte er mir vom aͤchten Moſelwein mehr
als ich verlangte, wenn er ihn gleich den Uebrigen
ſehr ſparſam mittheilte. Pecu [...] hauriat undam,
ſagte er; aber doctus vina: oder Vinum da Docto;
Laico de flumine cocto — ganz nach der Kirchen-
Oekonomie der katholiſchen Geiſtlichkeit, bey wel-
cher pecus und laicus dem doctus und
clericus gegen-
uͤber ſteht. —
Hr. Wolff war Prieſter, aber nicht der Beicht-
vater des Kloſters, welcher, wie ich merkte, ein
herrſchſuͤchtiger, ſtolzer Pfaffe war. Von den
Wiſſenſchaften hielt Hr. Wolff wenig, und außer
ſeinem Brevier und Meßbuch vergriff er ſich an kei-
nem weiter. Vanitas vanitatum praeter amare
Deum et bonum haultum vini bibere — war ſo
ſein Symbolum; und ſeine ganze Lebensart ſtimmte
[20] damit uͤberein. Die Franzoſen haßte er von gan-
zem Herzen, ſowohl die Patrioten, weil ſie der h.
Kirche ſich widerſezten, als die Emigrierten, weil
ſie ein Wirthshaus, dem Kloſter gegen uͤber, in
ein Bordel verwandelt hatten.
Ein Offizier unſeres Regiments, Hr. Graf von
Einſiedel, der auch in dieſem Barbara- oder Baͤr-
belkloſter logirte, wuͤnſchte meine Biographie zu
leſen, und ich, um ihm zu willfahren, ſuchte dieſelbe
bey dem Buchhaͤndler in Koblenz: denn es iſt nur
Einer da. Der Buchhaͤndler, welcher nicht ein-
mal ein Verzeichniß von ſeinem Buͤchervorrathe
fuͤhrte, ſagte mir kurzum: daß er dergleichen Schrif-
ten gar nicht fuͤhren duͤrfte, ſelbſt auch nicht fuͤhren
moͤchte. Das ſeyen alles gottloſe, gefaͤhrliche Buͤ-
cher, beſonders die von den Proteſtanten, oder wie er
nach der damaligen Koblenzer Art ſagte, von den Un-
katholiſchen. Was von dieſen komme, ſey gar nicht
rathſam, unter die Leute zu bringen: die Welt ſey
ohnehin pfiffig und arg genug! u. ſ. w. —
Der Menſch raͤſonnirte beynahe, wie die Herren
Verfaſſer der Cenſur-Edikte! Ich ließ ihn, und er-
ſtaunte uͤber den Vorrath von den Buͤchern des Pater
Cochem, Aloyſius Mertz und ſolcher mehr.
Da unſere Leute nicht ſo viel Geld hatten,
als die franzoͤſiſchen Emigranten, von welchen ich
[21] bald reden werde, ſo konnten ſie nicht ſo viel ver-
ſchleudern, als dieſe; und wir waren daher bey
den eigennuͤtzigen Koblenzern gar niedrig angeſchrie-
ben. Die Leute ſagten uns unverholen: Wir
waͤren ſchrofe, garſtige Preußen, und haͤtten die
franzoͤſiſche Eleganz ganz und gar nicht. — Ein
Kaufmann, in deſſen Laden ich mich uͤber die ſchlechte
Beſchaffenheit ſeines Tobaks beſchwerte, ſagte mir
gerade heraus: die Emigranten rauchten beynahe
gar nicht; ſonſt wuͤrden die Koblenzer fuͤr guten
Tobak gewiß geſorgt haben: dieſer da — ſey fuͤr die
deutſchen Voͤlker vollkommen gut: die haͤtten ohnehin
nicht viel wegzuwerfen, und koͤnnten den theuren
Tobak nicht bezahlen.
Ich hatte mich uͤber dieſe und andere Imperti-
nenzen der Koblenzer eines Tages ſehr geaͤrgert,
als ich bey meiner Zuhauſekunft alle Urſache fand,
meine muntere Laune zuruͤck zurufen. Der Her-
zog Friedrich von Braunſchweig, jezt re-
gierender Fuͤrſt zu Oels, den ich ſchon im erſten
Bande als einen der erſten Menſchen beſchrieben
habe, und den jederman dafuͤr anerkennt, hatte
fuͤr gut gefunden, mir auf einen lateiniſchen Brief
gleichfalls lateiniſch zu antworten. Dieſen Brief
fand ich in meinem Quartier, und war uͤber die
edlen Geſinnungen dieſes ehrwuͤrdigen Fuͤrſten bey-
nahe außer mir. Es iſt wirklich uͤberaus angenehm,
[22] wenn man erfaͤhrt, daß noch große Maͤnner ſich
unſrer erinnern: man verſoͤhnt ſich dann wieder
mit den Menſchen, und iſt uͤber den Schwaͤchling,
der uns zu verachten meynt, nicht weiter boͤſe, ja,
wir duͤnken uns alsdann viel zu gut, als daß wir
ihn auch nur mit Verachtung beſtrafen ſollten.
Dieß war jezt mein Fall. Der Herzog verſicherte
mich nebenher: daß man mir den ganzen Feldzug
hindurch, auf ſeine Veranſtaltung, doppelte Loͤh-
nung reichen wuͤrde; und dieſe habe ich auch bis zu
meinem Uebergang nach Frankreich im Herbſte 1793
richtig gezogen.
Hier ließ nun auch der Herzog von Braun-
ſchweig, als Generaliſſimus der vereinigten Ar-
meen, jenes Manifeſt an die Bewohner Frank-
reichs ausgehen, welches ſo viel Laͤrmen weit und
breit erregt, den Politikern ſo reichen und mannig-
faltigen Stoff zum Raͤſonniren und Deraͤſonniren
geliefert hat, und eine der Haupturſachen geworden
iſt an dem Verfall des Koͤnigthums in Frankreich,
an dem Ungluͤcke der Preußiſchen Armee, und an
dem Tode des ungluͤcklichen Louis Capet und
ſeiner Familie. — Ich enthalte mich aller An-
merkungen uͤber dieſe Schrift: denn ich bin kein
Politiker, kein Ariſtokrat, kein Demokrat. Doch
muß ich dem Leſer ein Geſpraͤch mittheilen, welches
ich lange Zeit hernach mit einem Buͤrger in Landau
[23] Namens Brion, gefuͤhrt habe. Es enthaͤlt den
Hauptgrund von der Entwickelung und Concentri-
rung der National-Energie der Neufranken.
„Haben ſie hier, fragte ich dieſen einſichtigen
Mann, das Manifeſt des Herzogs von Braun-
ſchweig damals auch angenommen und geleſen?“
Brion: Allerdings! Man hat es hier zwar
nicht annehmen wollen, als es ankam: Einige
wollten es gar oͤffentlich verbrennen laſſen, wie
hier und da ſchon geſchehen war; *) aber alle gutge-
ſinnten Patrioten, welche der Sache tiefer auf den
Grund ſahen, waren dafuͤr, daß das Manifeſt an-
genommen und ſogar oͤffentlich angeſchlagen wer-
den ſollte.
Ich: Und dazu konnten gutgeſinnte Patrioten
rathen?
Brion: Allerdings: nicht um unſern Reſpekt
gegen den Herrn Herzog zu beweiſen: denn der
hat uns nichts zu befehlen, ſondern wegen der Fol-
gen, die dieſes Manifeſt bey unſern Leuten unfehl-
bar haben mußte.
Ich: Eben wegen der Folgen, duͤnkt mich, war
es wohl nicht rathſam, das Ding oͤffentlich bekannt
[24] zu machen. *) Wie, wenn die Leute erſchrocken
waͤren, und ſich vor den angedrohten Strafen ge-
fuͤrchtet hatten, und dann zum Kreuz gekrochen
waͤren?
Brion: So kann doch auch nur ein Preußi-
ſcher Korporal raͤſonniren! Eine Nation, wie un-
ſere, ſollte ſich vor den Drohungen eines kleinen
Reichsfuͤrſten, der nebenher General uͤber eine
maͤßige Armee Preußen und Oeſtreicher war, fuͤrch-
ten und nachgeben? Wenn ſo feige die Franzoſen
haͤtten ſeyn koͤnnen, ſo verdienten ſie wahrlich, von
einem Tyrannen tyranniſirt zu werden, der Beth-
bruͤder, Verſchnittene und Huren zu Vollziehern
ſeiner Befehle machte. Ich glaube nicht, daß der
Herzog, der doch auch Menſchenverſtand haben
wird, dieſes ſelbſt je erwartet habe. Dieſe Folge
konnte man alſo durchaus nicht vorausſetzen, aber
wohl andere und wichtigere.
Ich: Und die waͤren?
Brion: Nicht wahr, Freund, wenn einer, der
Ihnen nicht eine Bohne zu befehlen hat, Befehle
mit Gewalt aufdringen will, Was thun Sie?
Ich: Ich gehorche nicht.
[25]
Brion: Werden ſie nicht auch uͤber die Im-
pertinenz des Befehlers erboßen, und alles aufbie-
then, um ſeiner Uſurpation zu trotzen? *)
Ich: Nicht anders!
Brion: Nun, ſo mußten alle Franzoſen das
auch thun uͤber die Impertinenz und die Uſurpa-
tion eines fremden Generals, der viel zu ſchwach,
und noch weit von ihren Graͤnzen war; und ihrer
ganzen Nation in einem ſo gebietheriſchen Tone
Geſetze vorſchrieb, als wenn er wirklich mit ſeinen
Soldaten zu Halberſtadt, oder mit ſeinen Leibeig-
nen zu thun gehabt haͤtte. Iſt das nicht an dem?
Ich: Ja wohl — aber —
Brion: Ich verſtehe ſchon, wohin das Aber
zielt: doch davon nachher. Unſere Ehre, wie un-
ſer Recht, war durch dieſes widerſinnige und zweck-
widrige Manifeſt vor der ganzen Welt compromit-
tirt. Mußte nun nicht der feſte Vorſatz bey jedem
braven Ehr- und Rechtliebenden Franzoſen rege wer-
den, der Großſprecherey des Herzogs und der dar-
auf folgenden Gewaltthaͤtigkeit aufs thaͤtigſte zu
widerſtehen? Legte alſo nicht ſelbſt das Herzogliche
Manifeſt den haltbarſten Grund zu dem thaͤtlichen
[26] Widerſtande, den er vom 20ten September 1792 an,
immer empfunden hat?
Ich: Alſo war es ja wohl eben ſo unpolitiſch,
als unmoraliſch, ſo ein Manifeſt an Frankreich er-
gehen zu laſſen!
Brion: Das verſteht ſich von ſelbſt, wenn
naͤmlich ſonſt, wie ich vermuthe, kein geheimer
Grund das Manifeſt bewirkt hat. Denn waͤre
der Herzog ohne alles Manifeſt, unter der bloßen
Erklaͤrung, daß er die unterbrochene Ruhe in Frank-
reich mit Huͤlfe aller Ruheliebenden Franzoſen,
wiederherſtellen wollte, zu uns gekommen: ſo haͤtte
man denken koͤnnen, daß aus ſeiner Unternehmung
doch noch etwas Gutes fuͤr den armen bedraͤngten
Buͤrger und Landmann entſpringen duͤrfte. Aber ſo
erklaͤrte er geradehin, daß er kein Geſetz wolle gelten
laſſen, als den unbedingten Willen Ludwigs des
Sechszehnten; und da konnte wohl ein Diſtelkopf
einſehen, daß man uns alsdann wieder unter das
alſo und allgemein verhaßte Joch des Hofes, des
Adels, der Pfaffen, der Finanziers und alles
andern Lumpengeſindels gewaltſam zuruͤckpreſchen
wuͤrde: und da haͤtte man ſollen ruhig ſitzen, oder
gar noch huͤlfreiche Hand mit anlegen?
Ich: Wohl nicht — aber —
Brion: Jezt ein Wort auf Ihr Aber. Nicht
wahr, Sie wollen ſagen, daß der Herzog auf den
[27] Anhang des Koͤnigs und des Adels gerechnet, und
ſo gehofft habe, es werde ihm alles zurennen, ſobald
er ſich ihnen nur naͤhere. Aber wenn er dieſes wirk-
lich gedacht hat, ſo war er von der innern Be-
ſchaffenheit Frankreichs und von dem regen und
allgemeinen Willen des groͤßten Theils der Nation
ſehr ſchlecht unterrichtet. Niemand war mit der
Neuerung unzufrieden, als der Hof, der Adel, die
Pfaffen und die Finanziers: alle andere Franzoſen,
der Soldat, der Bauer, der Buͤrger, der Hand-
werker und ſelbſt der Kaufmann groͤßtentheils
wuͤnſchten die Revolution, und ſahen in derſelben
die wohlthaͤtigſte Anſtalt fuͤr ſich und fuͤr ihr Va-
terland. Was iſt aber der ganze Adel —
Ich: der Adel iſt die Stuͤtze des Staats!
Brion: Der Adel Stuͤtze des Staats? dann
muͤßte wohl auch ein Profeſſor, der keine Kollegia
ließt, Stuͤtze der Univerſitaͤt ſeyn! Nein, nur der
einſichtige und fleißige Buͤrger iſt dem Staate nuͤtz-
lich, und folglich deſſen Stuͤtze. Einſichtig und
nuͤtzlich ſind aber die Herren Adliche ſelten. Die
meiſten von ihnen leben bloß von dem Erwerb der
arbeitenden Klaſſe, und tragen zum gemeinen Be-
ſten großentheils nicht einer Bohne werth bey. Ohne
ſie alſo kann der Staat recht gut beſtehen; aber
nicht ohne den Buͤrger und Bauer; ja, was dieſe
verdienen, verzehren jene, und machen obendrein
[28] noch Schulden. Und wenn die gemeine Klaſſe der
Nationen nur erſt ihr Vorurtheil, ich meyne die blinde
Ehrfurcht fuͤr Pfaffen und Adel, ablegt: dann kann
ſich der Pfaffe und der Edelmann nicht mehr ſtuͤtzen:
er faͤllt von ſelbſt: er kann hoͤchſtens emigriren,
kabaliren und Spektakel machen; aber thaͤtig ſich
und Andern helfen — kann er nicht. Der Herzog
konnte alſo nur hoffen, daß der kleinſte Theil der
Nation auf ſeine Seite treten wuͤrde: den maͤch-
tigern Theil behielt er immer wider ſich. Alſo
war es immer ſehr unklug, auch unter dieſer Vor-
ausſetzung, ein Manifeſt nach Frankreich zu ſchicken,
zumal ein ſolches. —
So Buͤrger Brion in Landau. Einige von
uns ſprachen ſchon damals in Koblenz nicht anders.
Viele fanden den Ton darin zu derbe, und die Aeu-
ßerungen des Verfaſſers zu voreilig.
Uebrigens iſt noch nicht ausgemacht, wer der ei-
gentliche Verfaſſer davon ſey. Der Ton und die
Denkungsart des Calonne iſt mehr als zu ſicht-
bar darin. Was fuͤr Meynungen uͤber die Entſte-
hung und die Abſicht dieſer beruͤchtigten Schrift,
noch zu meiner Zeit, in Frankreich kurſirten, werde
ich an Ort und Stelle anbringen. Der Gang der
Zeit wird noch mehr daruͤber aufhellen. Bis dahin
bleibt es auf Rechnung des Herzogs von Braun-
ſchweig. Ein Fuͤrſt von ſo viel Einſicht und Ruh-
[29] me haͤtte nie einwilligen koͤnnen, daß etwas unter
ſeinem Namen, vor aller Welt, diplomatiſch kur-
ſire, das er nicht von Wort zu Wort gepruͤft und ge-
billigt haͤtte.
Drittes Kapitel.
Franzoͤſiſche Emigranten.
In Koblenz bin ich mit einer großen Menge von
den ausgewanderten Franzoſen ſo genau bekannt ge-
worden, daß ich mich nicht enthalten kann, ihnen ein
eigenes Kapitel zu widmen: dieſes ſchaͤndliche und
ſchreckliche Ungeziefer kann noch immer nicht ge-
nug an den Pranger geſtellt werden.
Diejenigen Deutſchen, welche dieſen Auswurf
der Menſchheit, zur Zeit ihres Sardanapaliſchen
Hochlebens, nicht geſehen haben, koͤnnen ſich ihre
damalige Impertinenz leicht vorſtellen, wenn ſie
nur die betrachten, mit der ein Ludwig der Acht-
zehnte, ſamt Conſorten, durch wiederholte unſin-
nige Manifeſte und Proclamationen, dem geſunden
Menſchenverſtande jetzt noch immer troz biethen,
auch nachdem alle Hoffnung fuͤr ſie verſchwunden,
und ſie ſelbſt aufs aͤußerſte gedemuͤthigt und ver-
aͤchtlich geworden ſind. Noch jezt ſind dieſe cy-
[30] devant abgeſchmackte Großſprecher, voll Dunkel
und dummer Rachſucht.
Wie tief muß dieſen elenden Hof-Inſekten der
alte diplomatiſche Hofſchlamm ankleben, und wie
verpeſtet muß die Luft ehedem um ſie geweſen ſeyn,
da ſie es jezt noch immer iſt! Die haͤrteſten Stoͤße
des Schickſals haben ihre adlichen Halbſeelen noch
nicht zur vernuͤnftigen Beſinnung bringen koͤnnen:
und ſo wandern ſie, wie verdammte Scheuſale,
zur exemplariſchen Belehrung fuͤr alle die, welche
auf Vorrechte des Standes geſtuͤtzet, die Rechte
der Menſchheit ihrer uſurpirten Convenienz auf-
opfern, und alles wie Sklav behandeln moͤgten,
was nicht zum Hof, zum Adel oder zur Soͤldne-
rey gehoͤret.
Vielleicht meynen einige meiner Leſer, daß man
doch nun der Emigrirten ſchonen muͤſſe, da ſie,
von der ganzen Welt verlaſſen, die Strafe ihrer
rachſuͤchtigen oder leichtglaͤubigen Entweichung aus
ihrem Vaterlande nur gar zu ſehr fuͤhlen; und aus
dieſem Grunde verdenkt es mir vielleicht Mancher,
daß ich die aͤrgerliche, empoͤrende Beſchreibung ih-
res Betragens vom Jahr 1792 jezt noch aufſtelle.
Auch iſt der Grund, daß man den Geſtuͤrzten nicht
noch mehr niederdruͤcken muͤſſe, ſtark genug, je-
den, der Gefuͤhl hat, von der Verfolgung eines
Elenden abzuhalten.
[31]
Allein, ſo wahr und ehrwuͤrdig das alles fuͤr
jeden Ungluͤcklichen im allgemeinen iſt, ja, auch
fuͤr manchen Emigrirten im beſondern, ſo wahr iſt
es auch, daß die Haͤupter der Emigrirten, und
deren erſter, thaͤtiger Anhang durchaus es nicht ver-
dienen, unter dieſer menſchenfreundlichen Bemer-
kung mitbegriffen zu werden. Ich muß mich naͤ-
her daruͤber erklaͤren, um den Vorwurf abzulehnen,
daß ich Gefallen an dem Ungluͤcke Anderer finde.
Ich will mich gar nicht auf die Verbrechen ein-
laſſen, welche die ausgewanderten Herren und
Pfaffen in Frankreich vorher begangen, und da-
durch ſich ſowohl an ihrer Nation, als an dem
ganzen Menſchengeſchlechte verſuͤndiget haben.
Dieſe Verbrechen habe ich waͤhrend meines Aufent-
halts in Frankreich von 1793 bis 1795 mehr als
zu viel erfahren, und beſchreibe ſie in den Be-
gebenheiten des Marquis von Vilen-
çon dereinſt ausfuͤhrlich. Ich frage nur: Ob ein
Haufen zuͤgelloſer, deſpotiſcher Menſchen befugt war,
ſich den einhellig-reclamirten und viudicirten Vor-
rechten, der rechtmaͤßigen Gewalt und den gemein-
nuͤtzigen Anordnungen einer gerade durch ſie aufge-
wiegelten Nation nicht nur rebelliſch zu widerſetzen,
ſondern auch dann noch Anſpruch auf das Mitleid
und den Beiſtand anderer Menſchen zu machen,
nachdem ſie alles verſucht haben, und nach Moͤg-
[32] lichkeit noch verſuchen, ihr bedraͤngtes Vaterland
der ſchrecklichen Verwuͤſtung preis zu geben, alle
Maͤchte gegen daſſelbe aufzuhetzen, und ſo Land
und Leute weit und breit den verheerenden Folgen
eines der entſetzlichſten Kriege bloszuſtellen: und
das Alles, um nur ihre uſurpirten und zum Ruin
der Nation misbrauchten Vorrechte wieder zu [...]et-
ten, und dann den alten Despotismus, mit Ein-
ſtimmung aller Despotieluſtigen, ſo zu befeſtigen
und zu verallgemeinen, daß Menſchenrecht bloß ein
leeres Wort, und Fuͤrſtenwille die einzige Richt-
ſchnur unſeres Frohnlebens forthin uͤberall gewor-
den waͤre? Man bedenke dieß reiflich, und uͤber-
ſehe die Folgen nicht, welche die von den Emi-
grirten betriebene gewaltſame Unterdruͤckung der
Franzoͤſiſchen National-Reform, fuͤr alle uͤbrigen
Voͤlker gewiß auch gehabt haͤtte; und ſey alsdann
denen noch hold, welche dieſe Unterdruͤckung haupt-
ſaͤchlich zu bewirken ſtrebten.
Ueberdieß berechne man den ſchrecklichen Scha-
den und das unzaͤhlige, mannigfaltige Elend, wel-
ches die Sittenloſigkeit, die Luͤgen und die Auf-
hetzerey der Emigrirten weit und breit geſtiftet ha-
ben, und frage ſich ſelbſt, was eine Bande werth
ſey, welche das Ungluͤck von Europa, vorzuͤglich
von Deutſchland, am meiſten geſchaffen hat? Man
muͤßte, duͤnkt mich, weder Menſch, noch Deut-
[33] ſcher ſeyn, wenn man ein Geſindel beguͤnſtigen
wollte, welches das Alles verſchuldet hat, und ne-
benher doch noch mit Verachtung auf uns Deutſche
herabblickt, als auf plumpe, unbeholfene Men-
ſchen, welche nicht fuͤr gut fanden, in Maſſe auf-
zuſtehen, um uns fuͤr die Vindicirung ihrer adli-
ſchen und pfaͤffiſchen Vorrechte die Haͤlſe brechen zu
laſſen, und am Ende zum ſchuldigen Dank in ein
Joch hinein zu kriechen, wie ein Calonne, Artois
und Condé es fuͤr die ganze Welt angemeſſen ge-
funden haͤtten. —
Die Fuͤrſten — das will, das muß ich noch
ſagen — welche dieſe cy-devant noch jezt aufneh-
men und beguͤnſtigen, moͤgen immer auf ihrer Hut
ſeyn: denn bey der geringſten unruhigen Begeben-
heit wuͤrden dieſe unſtaͤten, herrſchſuͤchtigen Geiſter
Parthey nehmen, und das Arge aͤrger machen hel-
fen. Auch moͤgen ſie es nicht uͤberſehen oder uͤber-
hoͤren, mit welcher Verachtung man jezt von Fuͤr-
ſten ſpricht, welche den Emigrirten Vorſchub gelei-
ſtet, und dadurch Frankreichs Unwillen gegen
Deutſchland ſo gereizt haben, daß Deutſchland in
Jahrhunderten es nicht vergeſſen wird: daß die
Unklugheit vieler ſeiner Fuͤrſten all das Ach und
Wehe mitverſchuldet hat, das ganz Deutſchland
noch lange fuͤhlen wird.
Dritter Theil. C
[34]
Und welcher einſichtige Unterthan koͤnnte Ach-
tung und Zutrauen zu einem Fuͤrſten hegen, der
Leute beguͤnſtiget oder gar um ſich hat, deren ge-
kraͤnkter Stolz und Egoismus gegen alles, was
Volk heißt, ewig Rache kochen und darum auch
nicht aufhoͤren wird, die hoͤhern Staͤnde gegen die
untern aufzuhetzen! — Aſpekten von dieſer Art
entzweyen immer mehr, heben alles Zutrauen, und
laſſen fuͤr die Zukunft nicht viel Gutes erwarten.
Der Koͤnig in Preußen hat vollends keine Ur-
ſache, dieſen Auswurf der Menſchheit zu hegen oder
zu ſchuͤtzen: ſie haſſen ihn alle, und ſprechen mit
der bitterſten Verachtung von ihm, ſeitdem der
Separatfriede zwiſchen den Neufranken und ihm
geſchloſſen iſt. Sie prophezeihen — wie Schrif-
ten von ihnen ausweiſen — dem Hauſe Preußen
noch obendrein, nach ihrer tollen Emigranten-Po-
litik, viel Uebel und Niederlagen, welche es der-
einſt von Oeſtreich zu befuͤrchten haben ſoll.
Nach dieſer Abſchweifung erlaubte man mir
jezt, die geweſenen Franzoͤſiſchen Herren ſo zu
beſchreiben, wie ich ſie gefunden habe.
Unſer General hatte zwar verbieten laſſen, mit
den Emigranten zu ſprechen, oder uns ſonſt mit
ihnen einzulaſſen: er glaubte naͤmlich, dieſe geſetz-
loſen Herren moͤchten durch ihr Geld unſre Leute
zur Deſertion auffodern, und ſie unter ihr Corps,
[35] welches Einige damals ſchon die franzoͤſiſche Spiz-
buben-Armee nannten, verleiten. Das hatten die
Herren auch ſchon gethan, und manchen, ſogar
von den trieriſchen Soldaten, zu ſich herangekirrt.
Ich gieng aber doch ſchon den erſten Tag in ein
Weinhaus, wo Franzoſen ihr Weſen trieben, und
ließ mich mit ihnen in ein Geſpraͤch ein. Aber ab-
geſchmaktere Großſprecher habe ich mein Tage nicht
gefunden, und ich kann es noch immer nicht ſpitz
kriegen, wie irgend ein Deutſcher fuͤr ſolche
Franzoſen einige Achtung hat haben koͤnnen! Dieſe
elenden Menſchen verachteten uns Deutſche mit
unſrer Sprache und unſern Sitten aͤrger, als irgend
ein Tuͤrk die Chriſten verachtet. Im Wirthshauſe
machte die Haustochter beym Aufwarten ein Verſe-
hen; und — facrèe garce d'allemande (verfluchter
deutſcher Nickel) Chien d'allemand, bête d'alle-
mand, con de garce d'allemande waren die Eh-
rentitel, die dieſe facrès bougres d'émigrés uns
Deutſchen anhaͤngten. Unſre Sprache verſtanden
ſie nicht, und mogten ſie auch nicht lernen: ſie
nannten ſie jargon de cheval, de cochons — Pferde-
und Schweineſprache, u. ſ. f.
Ich ſagte einmal bey Gelegenheit einer ſchoͤnen
Tobaksdoſe, daß ich nicht Geſchmack genug haͤtte,
um von dem darauf gemalten Portraͤt zu urtheilen.
Que dites-vous, Mr. erwiederte ein Emigrant,
[36]c'eſt aſſez que de favoir le françois pour avoir le
gout juſte: un homme qui ſait notre langue ne peut
jamais manquer d'eſprit. Das war doch ein ſehr
anmaßliches Kompliment!
Und doch waren die Deutſchen herablaſſend ge-
nug, dieſen Emigranten zu hofiren und ſie zu un-
terſtuͤtzen. Daruͤber habe ich mich oft recht innig
geaͤrgert, und aͤrgere mich noch, wenn ich bedenke,
wie geringſchaͤtzig uns die Koblenzer, die Trierer
und ſelbſt die Luxemburger gegen die Emigranten-
Kanaille behandelten. Ich bediene mich hier frei-
lich nicht ſehr edler Ausdruͤcke: aber wie das Ori-
ginal, ſo deſſen Copie!
Die Emigranten hatten damals Geld noch voll-
auf, und folglich das Mittel, ſich alles zu ver-
ſchaffen, was ſie geluͤſtete. Aber ſie habens auch
toll genug verſchleudert! Die koſtbarſten Speiſen
und der edelſte Wein, der bey ihren Bacchanalen den
den Fußboden herabfloß, waren fuͤr ſie nicht koſt-
bar und edel genug. Fuͤr einen welſchen Hahn
zahlten ſie fuͤnf große Thaler ohne Bedenken.
Mancher Kuͤchenzettel, nicht eben eines Prinzen,
oder Grafen, ſondern manches ſimpeln Markis
oder Edelmanns, koſtete oft vier, fuͤnf und mehr
Carolins. Die Leute ſchienen es ganz darauf an-
zulegen, brav Geld zu zerſplittern: ſie zahlten ge-
rade hin, was man verlangte. Ich ſagte einmal
[37] zu einem, daß er etwas zu theuer bezahle: le
François ne rabat pas (der Franzoſe zieht nichts ab)
erwiederte er, und gab ſein Geld.
Das ſchoͤne Rockenbrod, welches in Koblenz geba-
cken wird, wollte den edlen Herren nicht behagen:
ſie aßen daher lauter Weitzenbrod, und nur deſſen
Rinde: die Krume kneteten ſie in Kuͤgelchen und
benutzten ſie zu Neckwuͤrfen bey Tiſche. Andere
warfen die Krume geradezu aus dem Fenſter.
Dieſes Benehmen hat jedoch ſelbſt die Koblenzer
geaͤrgert; und ich dachte mehrmals:
Oder: Nur Geduld! es wird ſchon eine Zeit
kommen, wo ihr weder Krume noch Rinde haben
werdet.
Das iſt auch bald hernach eingetroffen: denn
ſchon auf der Retirade, im October 1792, haben
die ſaubern Herren mehr Noth gelitten, als wir
Preußen, wenn gleich auch wir rohen Weitzen da-
mals abbruͤhten und aßen vor lauter Hunger, wie
man dereinſt ſehen wird.
Die Emigranten waren alle — luſtige Bruͤder
und Windbeutel von der erſten Klaſſe. Den gan-
zen Tag ſchaͤkerten ſie auf der Straße herum,
ſangen, huͤpften und tanzten, daß es eine Luſt war,
anzuſehn. Sie giengen alle praͤchtig gekleidet,
und trugen ſchreckliche Saͤbel. Die Saͤbel wur-
[38] den groͤßtentheils in Koblenz verfertiget, und ſo
hatten die daſigen Schwerdfeger Arbeit und Ver-
dienſt genug.
Daß Leute von dieſer Art mir nicht gefielen,
nicht gefallen konnten, iſt fuͤr ſich klar. Ich nannte
ſie, wie ich ſie fand, die Peſt fuͤr unſer Vaterland —
in jeder Ruͤckſicht, phyſiſch, politiſch und moraliſch.
Man widerſprach mir, berief ſich auf die Ausge-
wanderten unter Ludwig, dem Vierzehnten, und
ſchloß von den Vortheilen durch dieſe auf Vortheile
durch jene. Ich verſezte, daß es mit jenen ge-
ruͤhmten Vortheilen nur ſo und ſo ſtuͤnde; daß,
deutſch zu ſprechen, auch jene Emigration fuͤr un-
ſer Vaterland in mancher Ruͤckſicht eher ſchaͤdlich
als nuͤtzlich geweſen ſey, und dieß wohl noch ſey.
Allein auch zugegeben, aber noch lange nicht als
Wahrheit eingeraͤumt, daß jene Hugenotten,
welche nach dem Widerruf des Ediktes von Nantes
nach Deutſchland gewandert ſind, fuͤr Deutſchland
wirklich nuͤtzlich geweſen ſeyen, ſo waͤren doch jene
Emigranten mit den jetzigen im geringſten nicht zu
vergleichen. Jene wanderten aus, weil ſie muß-
ten, weil ihr Gewiſſen ſie druͤckte, und ſie Sankt Cal-
vins Lehre mit der des heiligen Vaters zu Rom nicht
vertauſchen wollten. *) Uebrigens — fuͤgte ich hin-
[39] zu — waren es doch meiſt ehrliche, kunſtvolle, betrieb-
ſame, ſtille Leute, deren Sitten die Sitten unſrer Vor-
fahren nicht ſo ſehr verderbten, als die der jetzigen —
unſere. *) Denn laſſen ſie uns, fuhr ich fort, die Her-
ren einmal recht anſchauen: und wir werden bekennen
muͤſſen, daß ſie uns weiter nicht nuͤtzen, als daß
ſie unſere Kaufleute, Gaſtwirthe, Huren u. dgl.
reicher machen, aber auch alles Uebrige verpeſten
und zu Grunde richten, was nur ihr Hauch beruͤhrt.
Als ich dieſes und mehr anderes geſagt hatte, leg-
ten ſich endlich mehrere von den Anweſenden in
unſer Geſpraͤch, und da wurden denn allerley ſkan-
daloͤſe Hiſtoͤrchen uͤber die Herren Emigrirten auf-
getiſcht. Ich erſpare ſie bis zu den Begebenheiten
des Marki von Vilcuçon.
[40]
Es iſt uͤberhaupt keine laͤppiſchere Kreatur auf
Gottes Erdboden, als ein franzoͤſiſcher Emigrant
dieſer Zeit. Stolz und aufgeblaſen, wie der Froſch
in der Fabel, verachtet er alles, was nicht ſo wie
er, Franzos und von Adel iſt. Die Preußiſchen
Offiziere hatten gar nicht Urſache, den Emigranten
gewogen zu ſeyn: denn dieſe haben ſehr oft erklaͤrt,
daß der preußiſche Adel, wie uͤberhaupt der deutſche
Adel eine nobleſſe de rotare ſey; eine nobleſſe bâ-
taide; daß ein preußiſcher Offizier fût il Colonel,
noch lange nicht aſſez noble waͤre, pour étre Mous-
quetaire dans la maiſon du roi*) u. ſ. w. So
ſprachen die Emigranten von unſern Offizieren,
und doch buhlten dieſe um ihre Freundſchaft, und
waren ſtolz auf die Ehre, mit ſolchen Meſſieurs um-
zugehen. Ueberhaupt haͤtten unſre Deutſche ſich
ſchaͤmen ſollen, daß ſie den franzoͤſiſchen Windbeu-
teln ſo nachliefen, und wohl gar glaubten, daß ſie
von einer naͤhern Verbindung mit ihnen Ehre haͤtten.
Dieſes Geſindel verachtete ja uns, unſre Sprache
und unſre Sitten, und wir haͤtten ſie ehren ſollen? —
Ich habe mich allemal geſchaͤmt, wenn ich ſah,
wie manch ſonſt braver, ehrwuͤrdiger deutſcher Mann
dieſen veraͤchtlichen Poſſenkindern hofirte, und ſich
[41] alle Muͤhe gab, ihre Geberden u. d. gl. affenmaͤ-
ßig nachzumachen. Die Franzoſen — ich rede hier
nur von den emigrirten — verdienen unſern ganzen
Abſcheu, unſere ganze Verachtung, und koͤnnen nicht
einmal auf die Achtung einer Gaſſennymphe, ge-
ſchweige auf die eines einſichtigen braven Mannes
Anſpruch machen.
Unter den Emigrirten gab es jedoch einige, wel-
che ſich mit ihrem Emigriren uͤbereilt hatten, und
gern zuruͤck geweſen waͤren, wenn es ohne Gefahr
und mit Ehren haͤtte geſchehen koͤnnen. Dahin ge-
hoͤrte in Koblenz beſonders der ehemalige franzoͤſi-
ſche Geſandte, Graf von Vergennes, welcher
die heimlichen Anſtalten zu ſeiner Ruͤckkehr nach
Frankreich endlich bloß darum aufgab, weil man
ihm ſeine Privilegien weigerte. Ich habe den Be-
dienten dieſes Grafen oft geſprochen, und einen
Mann an ihm gefunden, welcher von den neufraͤn-
kiſchen Angelegenheiten weit richtiger urtheilte, als
alle Haͤupter und Unterſtuͤtzer der Emigrirten.
Unter andern vernuͤnftigen Aeußerungen dieſes
Mannes war auch dieſe, daß nicht alle Ausgewan-
derte willig und frey ihr Vaterland verlaſſen haͤtten.
Stellen Sie ſich, ſagte er, an die Stelle des Edel-
manns oder des Geiſtlichen, und fragen Sie ſich ſelbſt,
was ſie unter aͤhnlichen Umſtaͤnden haͤtten thun koͤn-
nen oder thun wollen? Die Prinzen, ein Conde,
[42] ein Artois, ein Monſieur fodern den Adel auf,
auszuwandern, um die armée contrerévolutionnaire
formiren zu helfen. Sie ſprechen von einem Ein-
verſtaͤndniß des Hofes mit den Hauptmaͤchten Eu-
ropens, und ſchildern die Wiederherſtellung der al-
ten Verfaſſung, durch deren Huͤlfe, wie gewiß.
Sie erklaͤren alle, welche ſich weigern, hieran Theil
zu nehmen, als infam, als Verraͤther an dem Throne,
und bedrohen ſie mit den ſchrecklichſten Strafen. Was
ſoll der Adliche nun thun, zumal der im Dienſte des
Hofes? Bleibt er zuruͤck, und gelingt das, was ihm
als ſo leicht ausfuͤhrbar geſchildert wird: ſo wird er
ein Opfer der Rache, wird, als ein Feind des Mo-
narchen, entweder gefaͤnglich eingezogen, ſeines
Standes, ſeines Poſtens und ſeiner Guͤter [fiska-
liſch] beraubt, oder uͤber die Graͤnze gejagt; und er,
wie ſeine Familie, iſt beſchimpft, arm und dem
Schickſale preisgegeben. Dies Verhaͤltniß hat
wirklich ſehr viel Adliche angetrieben, ihr Vaterland
zu verlaſſen, und zwar ſolche, welche ſonſt immer
bereit geweſen waͤren, zu bleiben, und auf die Vor-
rechte ihrer Geburt Verzicht zu thun.
„Mit den Geiſtlichen, fuhr er fort, hatte es
eben dieſe Bewandniß. Ein Geiſtlicher, der im
Lande bleiben wollte, mußte der Nation den Eid
der Treue ablegen. Aber ſchon dieſer Eid machte,
daß er von den rechtglaͤubigen Katholiken, deren
[43] es anfaͤnglich noch immer ſehr viele gab, als ein
widerrechtlicher, unregelmaͤßiger Prieſter angeſe-
hen wurde, deſſen geiſtliche Verrichtungen man als
gotteslaͤſterliche Handlungen betrachtet, und ſie
ſelbſt als Gottesſchaͤnder gemieden und, je nachdem
unſer Staats-Looß gefallen waͤre, exemplariſch be-
ſtraft haͤtte. Zwar gab es bey uns, wie in Ita-
lien, Portugal und Spanien, ſehr viel Scheinka-
tholiken; und ich ſelbſt war nur dem Namen nach
katholiſch: meine Voreltern waren naͤmlich refor-
mirt, muſten aber zum katholiſchen Glauben uͤberge-
hen, um ihre politiſche Exiſtenz nicht zu verlieren:
indeſſen blieb die reformirte Lehre in unſrer Fami-
lie: wir haßten die Katholiken, und gingen doch
in ihre Meſſe. So haben es viele Familien der
Hugenotten gemacht. *) Ich wuͤrde jezt, da in
Frankreich jeder ſeine Religion nach Gefallen haben
kann, mich, wie viele Andere oͤffentlich als Refor-
mirt erklaͤrt haben, wenn mich Voltaire nicht
bekehrt haͤtte. Nun aber iſt mir alles gleich viel:
Pabſt, Doktor Luther, Calvin, alles iſt mir eins!
Ich glaube weder dem einen noch dem andern: ſie
alle treiben Hoͤkerey mit Fratzen, und die Pfaffen
aller Religionen ſind immer Pfaffen.“
[44]
„Laſſen wir jetzt, unterbrach ich ihn, die Pfaf-
fen Pfaffen ſeyn: ich bin nur begierig auf die Folge
Ihrer Bemerkung“.
„Ich ſagte, daß, wenn unſre emigrirten Pfaf-
fen im Lande geblieben waͤren, man ſie — wegen ih-
res Eides auf die neue Conſtitution — als irregu-
laͤre, meineidige und gottloſe Pfaffen betrachtet
haͤtte: und nun denken Sie deren Schickſal bey ei-
nem Verfall der Conſtitution, oder auch nur bey ei-
ner Herſtellung der alten Hierarchie in Frankreich!
Es wuͤrde ihnen auf jeden Fall klaͤglich ergangen
ſeyn. Nein, mein Herr, wenn ja jemand mit
Recht Frankreich verlaſſen hat: ſo waren es die
Pfaffen, welche ſich auf ihre Pfafferey ernaͤhren
mußten. Die, welche den Nationaleid geſchworen
haben, um unangefochten in ihrem Vaterlande blei-
ben zu koͤnnen, ſind dennoch immer in Gefahr, und
werden vielleicht noch von ihren eignen Patrioten
abgeſezt. *)“
„Nun ſehen Sie — fuhr er fort — daß nicht
alle Edelleute, auch nicht alle Prieſter, ohne Noth
und ans bloßem Haß gegen die Conſtitution, oder
aus Stolz auf ihre Praͤrogativen, oder aus Leicht-
ſinn fortgelaufen ſind. Viele haben wirklich Urſa-
che dazu gehabt, und unter dieſen verdienen meh-
[45] rere unſer Mitleid.“ — So dieſer fachkundige
Mann.
Auf die Frage, warum man denn uͤberhaupt
emigrirt ſey, erhielt ich groͤßtentheils von allen de-
nen, die ich darum befragte, nur Achſelzucken zur
Antwort; und wenn ich denn ſo meine Anmerkungen
machte, und bewies: daß es doch weit leichter ge-
weſen ſeyn wuͤrde, eine Gegenrevolution alsdann
zu bewirken, wenn die Herren Prinzen, mit ihrem
Anhange in Frankreich geblieben waͤren, gab man
mir meiſtens Recht. Aus allen Geſpraͤchen aber
ſah ich, daß die, freilich mit der politiſchen Lage
von Europa ſehr unbekannten franzoͤſiſchen Prinzen,
feſt darauf gerechnet hatten, daß alle Koͤnige und
alle Maͤchte von ganz Europa zuſammen grei-
fen, und ihnen alle Huͤlfe leiſten wuͤrden. Da
nun dieſes ſofort nicht geſchah, ſo ſchimpften ſie
und die uͤbrigen Emigrirten auch nicht ſchlecht auf
die Hoͤfe unſrer Großen, und ſchrieben hernach all
und jedes Ungluͤck, das die Verbuͤndeten erlitten,
dieſer Saumſeligkeit zur Laſt. — Auch hatten die
Herren Prinzen auf eine weit ſtaͤrkere Emigration
gehofft, und beyher ſogar geglaubt, daß die ſtehende
Armee in Frankreich ſich auf ihre Seite ſchlagen
wuͤrde, und was der Dinge mehr ſind, worauf ein
Prinz rechnet, der wohl den Ton des Hofes, aber
nicht den der Nation kennt, und dann die Welt,
[46] wie die Menſchen darin, als ſein Eigenthum be-
trachtet. —
Viertes Kapitel.
Noch von den Emigranten.
Schon ehe ich von Halle gieng, hatte ich mir von
den Emigranten, ſo wie von der ganzen damaligen
Lage der Dinge einen Begriff gemacht, welchen ich
bis auf dieſe Stunde noch keinen Augenblick Urſache
gehabt habe, zu veraͤndern. Die Emigranten ha-
be ich gleich Anfangs — jedoch wie ſichs von ſelbſt
verſteht, mit Ausnahmen — fuͤr Schufte und Erz-
luͤgner gehalten, und habe ſie von Grund der Seele
gehaßt und verachtet, weil ich uͤberzeugt bin, daß
ſie die Haupturſache des jetzigen Krieges, und des
vielen unbeſchreiblichen Ungluͤcks in Deutſchland
geworden ſind.
Daß ſie ſchon lange die Blutegel geweſen wa-
ren, welche ihren Landsleuten, den Einwohnern
von Frankreich, das Blut ausſaugten, und eine
ihren Regenten, auch dem allerſchwaͤchſten, ich
meyne, einem Ludwig dem Funfzehnten, ſo treu
und bis zum Enthuſiasmus ergebene Nation end-
lich in Harniſch jagten, und folglich die Revolu-
[47] tion gewaltſam herbeyzogen — iſt klar am Tage
und bedarf keines Beweiſes: das geſtehen ſogar
die Herren Girtanner und Conſorten, und dann
muß es doch wohl ſo ſeyn. Die ſchaͤndlichen Menſchen
Artois, Condé, Provence, Lamballe, Po-
lignac und hundert andre traten die Nation ſo lan-
ge mit Fuͤßen, bis dieſe endlich das fuͤrchterliche Joch
abſchuͤttelte, und bis das Gebaͤude des Deſpotis-
mus uͤber dieſe Unmenſchen ſelbſt zuſammenſtuͤrzte.
Nun rennten dieſe elenden Menſchen aus ihrem
Lande und poſaunten in der ganzen Welt herum
aus: Frankreichs Verfaſſung ſey zu Grunde gerich-
tet: in Frankreich herrſche Anarchie; und wenn
nicht alle Monarchen hier haͤlfen Einhalt thun: ſo
ſtaͤnde ihnen das Naͤmliche bevor. — Sie fanden
hin und wieder Gehoͤr, und durch ihre ſcheuslichen
Luͤgen und verdrehte Nachrichten zogen ſie mehrere
Großen in ihre Parthey, bis endlich ihr Zweck er-
reicht war, das iſt, bis ſie einen Krieg angezettelt
hatten, welcher fuͤr ihr Vaterland und fuͤr ganz
Europa ſo ſchrecklich geworden iſt.
Als ich in Koblenz war, fragte ich mehrmals
nach den Angelegenheiten LudwigsXVI. und
der Regierung von Frankreich, bekam aber nirgends
befriedigende Antwort.
Hier iſt mein Geſpraͤch mit Hn. Gronard von
Caen!
[48]
Ich: Aber Herr Gronard, da Sie zugeben, daß
die Bedruͤckung des Volks in Ihrem Lande die
naͤchſte Urſache der Rebellion geweſen iſt: ſo ſagen
Sie mir doch: ſah denn der Koͤnig das Ungewitter
nicht vorher?
Grouard: Niemals!
Ich: Aber man hats ihm doch immer und derb
genug vorhergeſagt.
Er: Und doch hat er es nimmer begreifen
koͤnnen! Der hergebrachte Herrſcherſtolz, von Hoͤf-
lingen unterſtuͤzt, haͤlt dergleichen fuͤr unmoͤglich.
Und dann iſt der Koͤnig ein recht guter Mann,
aber er iſt, wie alle Burbonniſchen Prinzen *) —
ſchwach.
Ich: Aber ein ſchwacher Koͤnig, wohl verſtan-
den ein Koͤnig, nicht ein Menſch, der ſchwach
iſt, iſt allemal ein — ſchlechter Koͤnig.
Er: (Zuckt die Achſeln.) Wahr, Freund! Der
Koͤnig hat ſeine großen Fehler: aber er iſt wahrlich
nicht Schuld an den Unordnungen: er haͤngt zu
ſehr von — ſeiner Gemahlin ab.
Ich: So? Er haͤngt von ſeiner Gemahlin ab?
Und von wem haͤngt denn die ab?
[49]
Er: Von der Spielſucht, vom Stolz, von der
Sucht, ſich Kreaturen zu machen, und vom Wie-
ner Hofe. —
Ich: Weiß man denn in Frankreich, daß Ma-
dam Antoinette vom Wiener Hofe regiert wird?
Er: Leider zu gut! Auch ſind ſelbſt unſre
Prinzen, beſonders Condé, daruͤber laͤngſt aͤrger-
lich geweſen; allein ſie durften dem Unweſen nicht
ſteuren.
Ich: Warum denn nicht? Was konnte Ihnen
der Wiener Hof ſchaden oder nuͤtzen?
Er: Mehr, als Sie ſich vorſtellen. Sehn
Sie, es iſt nicht von vorgeſtern, daß man eine
Revolution in Frankreich befuͤrchtete. Brach dieſe
aus, ſo mußte man einen Hinterhalt haben; und
wer in ganz Europa war wohl beſſer im Stande,
dieſen Hinterhalt zu leiſten, als eben Oeſtreich?
Alſo war es, denk ich, immer klug, einer Perſon
nachzugeben, welche das Haus Oeſtreich in das
Intereſſe der franzoͤſiſchen Herren ziehen, und dar-
in erhalten konnte. Es iſt auch gelungen: Oeſt-
reich hat unſre Hof-Parthey zuerſt ergriffen.
Ich: Ja wohl; aber zu ſeinem eignen Scha-
den, und zum Verderben des koͤniglichen Hauſes
in Frankreich, wie die Zeit lehren wird.
Dritter Theil. D
[50]
Er: Herr, reden Sie doch nicht ſo! Verbun-
den mit Preußen und Oeſtreich werden wir bald
mit de [...]e bellen fertig ſeyn.
Ich: Das wird ſich weiſen! —
Ein andrer Emigrant hatte uns zugehoͤrt, und
fiel ein: „Ja ja, mein Herr, Monſieur Grouard
hat Recht. Sie duͤrfen ja nicht glauben, daß die
elenden Wichter in Frankreich (ces marauts de Fran-
ce) uns was anhaben werden!
Ich: Sie geben ihren Landsleuten ſchoͤne Titel!
Emigrant: Ei, was Landsleute! Schurken ſind
es, eingemachte Baͤrenhaͤuter (gueux fieffés) elendes
Geſindel (canaille); und wer wollte da ſagen, das
ſeyen Landsleute von Maͤnnern unſers Gleichen! —
Der ſaubre Herr ließ ſich noch weiter mit der
frechſten Ausgelaſſenheit uͤber gar viele ſchon da-
mals beruͤhmte Maͤnner in der Nationalverſamm-
lung aus, wie ein Troßbube: beſonders bekam der
geweſene Herzog von Orléans, damals Egalité,
ſeine derben Hiebe. In Abſicht dieſes freylich erz-
abſcheulichen, elenden Menſchen, waren die Emi-
granten an ſkandaloͤſen Hiſtoͤrchen und Schimpf-
woͤrtern ganz unerſchoͤpflich.
Von der Koͤnigin habe ich keinen Emigranten
gut ſprechen hoͤren: uͤberhaupt meynten ſie, ſchick-
ten ſich die oͤſtreichiſchen Maͤdchen (Filles d'Autriche)
nicht auf den franzoͤſiſchen Thron: und ſie fuͤhrten
[51] dabey das Beyſpiel der Anna von Oeſtreich,
LudwigsXIII. Gemalin an. Das Buͤchlein:
Vie privée de la Reine de France und die Mémoire
de M. Lamotte de Valois hatten auch einige geleſen,
und geſtanden gern, daß das meiſte darin wahr ſey;
doch aber ſollen auch viele Unrichtigkeiten mit un-
tergelaufen ſeyn. *)
Dadurch nun, daß die Emigranten die allerluͤ-
genhafteſten Vorſtellungen von der Lage ihres Va-
terlandes verbreiteten, ſind ſie eigentlich die rechten
Stifter, die rechte fax und tuba des fuͤrchterlichen
Krieges und aller ſeiner graͤuelvollen Folgen ge-
worden. Man hat ihnen, leider, auf die unverant-
wortlichſte Art geglaubt; und die abgeſchmackten
Zeitungsſchreiber, beſonders der zu Wien, Bayreuth,
Neuwied und Leipzig, haben die Luͤgen des elenden
franzoͤſiſchen Hofgeſindels nachpoſaunt, und dadurch
unſerm leichtglaͤubigen deutſchen Publikum eine
Brille aufgeſetzt, die jezt viele Provinzen in tiefer
Trauer verwuͤnſchen. Aber ich mag mich nicht
laͤnger bey einer Sache aufhalten, welche, leider,
mehr als zu bekannt iſt.
Von dem traurigen Sittenverderben, welches
die Emigrirten in Deutſchland geſtiftet haben, bin
ich auch Zeuge geworden. „Hier in Koblenz, ſagte
[52] ein ehrlicher alter Trieriſcher Unteroffizier, giebts
vom zwoͤlften Jahre an keine Jungfer mehr: die
verfluchten Franzoſen haben hier weit und breit
alles ſo zuſammen gekirrt, daß es Suͤnde und
Schande iſt.“
Das befand ſich auch in der That ſo: alle Maͤd-
chen und alle noch etwas brauchbaren Weiber, ſelbſt
viele alte Betſchweſtern nicht ausgenommen, wa-
ren vor lauter Liebeley unausſtehlich.
Gerade gegen dem Kloſter uͤber, wo ich im
Quartier lag, war ein Weinhaus, deſſen drey
Toͤchter die Franzoſen haufenweiſe an ſich zogen.
Ich gieng eines Tages auch mit einem Emigrirten
hinein. Il y a la trois couplets, ſagte er, a peux re-
freins.*) Als wir hinkamen, ſaßen die drey Haus-
nymphen den Franzoſen auf dem Schooße, und
hoͤrten ihren unſauberen Reden mit dem groͤßten
Vergnuͤgen zu. Bald hernach fanden ſich noch
mehr Dirnen ein, und es gieng da wenigſtens ſo
arg her, als in der Talgfabrike oder in der Tran-
pulle zu Berlin wohl nimmer: man gieng ab mit
den Menſchern, und kam mit ihnen zuruͤck, mir
nichts, dir nichts. — Mein Begleiter, der ohne
Zweifel glaubte, daß ich kein Geld haͤtte, um eine
[53] Buhldirne fuͤr ihr Verdienſt zu begnuͤgen, erbot ſich,
dreißig ſous fuͤr mich zu zahlen: denn mehr, meynte
er, wuͤrde eine ſolche Mamſell von einem pauvre
pruſſien doch nicht verlangen. Der Ausdruck: pauvre
pruſſien, wuͤrde mich im Munde eines Emigrirten
ſehr geaͤrgert haben, aber wegen ſeiner Gutmuͤthig-
keit lachte ich daruͤber, und nahm das Anerbieten
nicht an.
Der General unſeres Regiments ließ alle Sol-
daten vor dem Umgang mit den Koblenzer Mam-
ſellen ernſtlich warnen: er wußte wohl, daß ſie
von den ausgewanderten Franzoſen ſamt und ſon-
ders mit einem Geſchenke begabt waren, welches
er bey ſeinen Leuten nicht gerne haͤufig geſehen haͤtte.
Indeſſen half doch die Warnung nicht gar viel; denn
ich habe nachher bemerkt, daß viele mit der fran-
zoͤſiſchen Krankheit aus Koblenz gezogen ſind:
manche ſind hernach auch in den Lazarethen daran
geſtorben. Dieſe Erfahrung hat aber manchen Ehe-
mann tolerant gemacht. Denn nach der Zuruͤck-
kunft nach Halle fanden ihrer mehrere ihre Fami-
lie ohne ihr Zuthun vermehrt; druͤckten aber wegen
des Aehnlichen in Coblenz und anderwaͤrts ein Auge
zu, und behielten ihr Hauskreuz in Geduld.
In Coblenz muß die Patrouille die praktiſiren-
den Verliebten, welche ſie in den Winkeln der
Straßen antrift, anhalten, und auf die Haupt-
[54] wache abfuͤhren. Die Geiſtlichen ſind davon aus-
genommen, fuͤr welche — unter dieſen Umſtaͤnden —
eine Wache ein gar zu profaner Aufenthalt ſeyn
wuͤrde. (Man denke!) Anfaͤnglich, wie man mir
geſagt hat, wurden auch viele Franzoſen mit ihren
feilen Liebchen dahin abgefuͤhrt, und troz ihres Fut-
terns, Proteſtirens und Geldbietens bis an den Tag
dort gehalten, und dann an die Polizey gemeldet.
Da aber dieſe fuͤr gut fand, es mit den franzoͤſi-
ſchen Herren nicht gar ſtrenge zu nehmen: ſo wur-
den die Koblenzer Soldaten bald gewitzigt, ließen
ſich bezahlen, und die Winkel-Mosjehs treiben,
was ſie wollten; ja endlich wurden ſie gar ſelbſt ihre
Spediteurs, und hatten an ihrer Caſerne, fuͤr einige
Batzen, Waare von der Art nach Belieben.
Die Maͤdchen zu Coblenz reichten nicht hin fuͤr
die Emigranten, und fuͤr die daſelbſt hernach haͤu-
fig durchziehenden deutſchen Voͤlker: es kam daher
von weit und breit viel Geſindel dorthin zuſammen,
und theilte mit den Koblenzerinnen ihre verdienſtliche
Arbeit. Anfaͤnglich giengen die lockern Thierchen
ſchlecht gekleidet, warfen ſich aber, durch die Frei-
gebigkeit der Franzoſen, bald ins Zeug, und er-
hoͤheten hernach auch, wie billig, den Preis ihrer
Reize, welche zwar an innerer Konſiſtenz durch
den ſtarken Gebrauch ſehr verloren hatten, doch aber
immer mit beſſern Lappen ausſtaffirt wurden.
[55]
So wie in Koblenz hatten es die Emigrirten an
allen Orten gemacht, wohin ſie nur gekommen wa-
ren. Der ganze Rheinſtrohm von Baſel bis Koͤlln
iſt von dieſem Auswurf des Menſchengeſchlechts
vergiftet und verpeſtet, und die Spuren der graͤu-
lichen Zerruͤttung in den Sitten werden in jenen un-
gluͤcklichen Gegenden noch lange erſchrecken. Es
ergiebt ſich daher von ſelbſt, daß alle Landesherren,
welche franzoͤſiſche Emigranten in ihren Laͤndern be-
guͤnſtigten, ſich an ihren Unterthanen ſchaͤndlich und
jaͤmmerlich verſuͤndigt haben. Freylich iſt es hart,
Fluͤchtlingen einen Zufluchtsort zu verſagen: aber
wenn das hart iſt, ſo iſt es im Gegentheil abſcheu-
lich, ein Geſindel einniſten zu laſſen, welche das
biſſel gute deutſche Sitten vollends zu Grunde rich-
tete, und die infame Krankheit, welche man ſchon
in den Rheingegenden Emigranten-Galante-
rie nennt, allgemein machte und allen Staͤnden
mittheilte. Haͤtte auch jeder ausgewanderte Fran-
zoſe ganze Kaſten voll Gold mit nach Deutſchland
gebracht, ſo waͤre das doch lange kein Erſatz fuͤr
das Elend, worin ſie unſre deutſchen Weiber und
Maͤdchen, und durch dieſe einen ſo großen Theil
unſrer luͤſternen Jugend geſtuͤrzt haben. Man gehe
nur an den Rhein und frage: und ich weiß, daß
man uͤber die Antwort erſtaunen und erſchrecken
wird. Schon allein in Koblenz fand man uͤber
[56] 700 infizirte Weibsperſonen, als man ihnen nach-
her unentgeldliche Heilung anboth.
Fuͤnftes Kapitel.
Noch einmal von den Emigranten.
Die Emigranten waren alle gewaltige Windbeutel
und fuͤhrten einen Ton, wie ein Faͤhndrich von vor-
geſtern, doch mit dem Unterſchiede, daß der Herr
Faͤhndrich oft auch noch etwas Baurenflegeley mit
ſeinem Junkerſtolz verbindet, die wenigſtens bey
den Franzoſen nicht iſt, wie ich ihnen zum Ruhme
nachſagen muß. Allein vom Stolz und von der
Bengeley der jungen Faͤhndriche — werde ich wei-
ter unten Gelegenheit zu ſprechen haben: fuͤr jetzt
habe ich mit den Emigranten zu thun.
Alſo dieſe waren ſtarke Windbeutel, prunkten
und prahlten mit Sternen und Ordenskreuzen, oft
unterſchobnen, und ſpielten den Groshans laͤcherlich
— unbeſchreiblich. Wenn man ſie reden hoͤrte,
haͤtte man glauben ſollen, ſie haͤtten alle Reichthuͤ-
mer der Welt, und waͤren aus den groͤßten und
vornehmſten Familien in Frankreich. Mein Vetter
der Duc, meine Baſe die Ducheſſe, mein Onkel der
Comte, mein Schwager der Marquis u. ſ. w. lie-
[57] ßen die Leutchen jedesmal einfließen, wenn ein
Fremder, auch nur ein ſehr geringer z. B. ein Kerl,
wie ich, ihre Gelage beſuchte. Sie hatten es recht
gern, wenn man ſich nach ihrer Familie, und nach
ihren ſonſtigen Verhaͤltniſſen erkundigte: dann er-
goſſen ſie ſich mit thraſoniſcher Beredſamkeit uͤber
ihre und ihrer Vorfahren Heldenthaten: vergaßen
denn auch die nicht, welche aus ihrem Stamme
ehedem Biſchoͤfe, Praͤlaten und Aebte geweſen wa-
ren. Ich habe oft lachen muͤſſen, wenn mir emigrirte
Kaufleute erzaͤhlten, wie ihr Geſchlecht ehedem ſehr
noble*) geweſen, hernach aber durch den großen
Aufwand derer von ihnen, welche im Militaͤrſtande
gedient haͤtten, zur Armuth herabgeſunken, und die
Familie dadurch endlich genoͤthigt worden ſey, ſich der
Kaufmannſchaft zu widmen, nur um Mittel zu fin-
den, dem Hauſe ſeinen alten Glanz (ſon prémier lu-
ſtre) wieder herzuſtellen. So ſtolz waren ſelbſt ver-
loffene Kraͤmer aus Frankreich! Was mag wohl
ein Kerl werth ſeyn, der hauptſaͤchlich arbeitet, um
erſt reich zu werden, und dann — als Edelmann
wieder paradieren zu koͤnnen! — Aber, leider, be-
deutete adelich und geehrt in Frankreich ſonſt
[58] gleichviel, wenn gleich das eine das andere mei-
ſtentheils wirklich aufhob. Dank ſey es der deut-
ſchen Aufklaͤrung, daß adelich bey uns einen ganz
anderen Begriff zu bezeichnen anfaͤngt! Man leſe
den vierten Band von Friedrich Brack, und
erbaue ſich zur Herzſtaͤrkung aller — Edlen!
Mit dem Manifeſte des Herzogs von Braun-
ſchweig waren die Herren gar nicht zufrieden: ſie wa-
ren hier uͤberſehen, die ſich Goͤtter der Erde duͤnkten.
— Daß die Patrioten in Frankreich bald geſtuͤrzt wer-
den wuͤrden, war bey ihnen wie gewiß. Nun fuͤrch-
teten ſie, indem das Manifeſt nichts ausdruͤckliches
von der Wiederherſtellung des Adels enthielt, ſie
moͤgten an ihren cy devant Privilegien, Vorzuͤgen,
Aemtern, Penſionen u. d. gl. verlieren, und wur-
den dem Herzog deswegen gram. Der Aerger dar-
uͤber vermochte ſo viel, daß auch in ihrem Namen
ſie ein Manifeſt nach Frankreich ſchickten, welches
wie der Augenſchein lehrt, ohne Zweifel von einem
ſtolzen Edelmann und einem herrſchſuͤchtigen Pfaf-
fen zuſammengeſtoppelt iſt. Ich habe niemals ei-
nen Aufſaz geleſen, welcher ſo viel edelmaͤnniſche,
[...]pertinente Poltronerie, und ſo viel tollen, pfaf-
fiſchen Aberwitz enthalten haͤtte, als dieß Mani-
feſt der Emigrirten. Der Wiſch verdient keine naͤ-
here Erwaͤhnung. Der Henker hat das Ding hier
und da in Frankreich verbrannt. Der Koͤnig von
[59] Sardinien heißt darin der Neſtor der Koͤnige! —
Guter Neſtor von Pylos, muſt du dich noch mit dem
Viktor Amadeus von Sardinien vergleichen laſſen!
Gorani kannte ihn beſſer. Er ſchildert ihn in
ſeinen Nachrichten von Italien. Aber freilich geht
es dem guten Viktor Amadeus, wie dem Neſtor:
Quisquis adelt ſocio, cur haec in tempora duret.
Obgleich die Emigrirten alle ſchrecklich bra-
marbaſirten, und ganz impertinent enthuſiaſtiſch
fuͤr ihren Koͤnig, ihren Adel, und ihre Pfafferey ſpra-
chen, ſo merkte man doch bald, daß manche gute
Patrioten unter ihnen herumſchlichen. Wie konnte
dieſes auch anders ſeyn! Es war ja ſo leicht, die
Gaͤnge der Emigranten auszuſpaͤhen, und die Na-
tional-Verſammlung oder vielmehr in derſelben
jene, welche eigentlich die Stuͤtzen der Nation wa-
ren, daruͤber zu belehren. Dieſer Gedanke mußte
ſchon den einen und den andern von den Patrioten
anreizen, ſich unter die wahren Emigranten zu
miſchen, und durch Ausſpaͤhung ihrer donquiſchotti-
ſchen Anſtalten dem Vaterlande zu nuͤtzen.
Zu Koblenz gaben die eigentlichen Emigrirten
einige von dieſen an, unter andern den Grafen von
Vinaiſal, Ritter der koͤniglichen Orden und Co-
[60]lonel bey der Maiſon du roi; ſodann den Marquis
von Pontbruiant, Major-géneral. Mein
Hauptmann war gerade damals, als man ſie ein-
zog, auf der Hauptwache, und ich mußte hin, um
mit dieſen Herren zu reden, und den Dolmetſcher
vorzuſtellen. Der Graf war ein alter Wolluͤſtling,
und daher ſchien er mir gleich eben kein ſtarker Pa-
triot zu ſeyn: der Marquis war ein junger feuriger
Mann, der mir als hoͤchſt verſchmizt vorkam. Um
ihn auf die Probe zu ſtellen, — nicht zu verra-
then — fing ich an, Emigrantenmaͤßig aufzuſchnei-
den, und die großen Thaten anzufuͤhren, welche
wir, vereint mit den Emigrirten, gegen die Pa-
trioten verrichten wollten. Der Marquis machte
zu meinem Geſchwaͤtze eine Mine, die mir mehr
ſagte, als Worte je konnten; und ſeine ganze Ant-
wort war: daß man wohl mehr Schwierigkeiten
finden wuͤrde, als man glaubte. Von Mirabeau
ſagte er: er iſt zwar unſer Feind, doch immer ein
großer Kopf. Dieſe Sprache, im Munde eines
Emigranten, zeigte mir den [Mann]; und gerne haͤtte
ich ihm meine Gedanken mitgetheilt, aber die Furcht
vor den — Juden, wie Bahrdt zu ſagen pflegte,
hielt mich zuruͤck. — Beyde Herren ſind hernach
nebſt andern entlaſſen; aber auch Beyde haben ſich
nach ihrem Vaterlande zuruͤckbegeben: das hoͤrten
wir bey Verdun.
[61]
Als der Herzog von Braunſchweig inne ward,
was er leicht voraus haͤtte ſehen koͤnnen, daß ſich
unter den Ariſtokraten Patrioten aufhielten, befahl
er: Niemanden in Coblenz ein- oder auszulaſſen,
ohne einen Paß entweder vom franzoͤſiſchen Kom-
mandeur oder von dem Preußiſchen General Cour-
biere. Allein dieſes half wenig: denn Paͤſſe wa-
ren bald nachgemacht. Man griff daher zu andern
Mitteln, und ließ alle in Coblenz befindliche Emi-
granten namentlich aufſchreiben. Ich habe dieſes
Geſchaͤft einige Male mitverrichtet. Die Emigran-
ten gaben zwar, weil es einmal ſo ſeyn mußte,
ihre und ihrer Weiber und Toͤchter Namen an:
allein ſie wurden uͤber dieſes Aufſchreiben, als et-
was, das ſie erniedrige, ſehr erboßt.
Bey dieſer Gelegenheit habe ich bemerkt, daß
manche Franzoͤſiſche Schoͤnen mehr Einſicht ver-
riethen, als mancher deutſche Offizier — Lebens-
art. Ein Graf naͤmlich — deſſen Namen ich ver-
geſſen bin — logirte gerade gegen einem Hauſe
uͤber, worin einige Offiziere unſeres Regiments
ihr Quartier hatten. Dieſe Offiziere vigilirten,
wie man in Halle ſpricht, oder nach einem andern
Dialekt, glimmerten von fruͤh bis auf den Abend
nach den beyden ſehr ſchoͤnen Toͤchtern dieſes Gra-
fen. Als ich nun, meinem Auftrage gemaͤß, die
[62] Namen dieſer Familie verzeichnet hatte, fragte die
eine Dame: „wer ſind denn die Herren dort druͤ-
ben im Fenſter?“
Ich. Das ſind Offiziere von unſerm Regi-
ment.
Dame. Das muͤſſen Leute ſeyn, die nicht
zu leben wiſſen. Den ganzen Tag liegen ſie im
Fenſter und gucken nach uns.
Ich. Ohne Zweifel, meine Damen, um Ihre
Schoͤnheit zu bewundern.
Dame. So? Iſts denn vielleicht in Deutſch-
land Mode, daß man nach dem Frauenzimmer
mit Lorgnetten hinblickt, dann unter ſich lacht,
und allerley poͤbelhafte Geberden macht, als wenn
man, wer weiß, was laͤcherliches oder auffallen-
des geſehen haͤtte? Nein wahrlich, das iſt grob
und ſehr ſchlechte Lebensart.
Graf. Meine Tochter, wenn es dir nicht
anſteht, von den Offizieren begafft zu werden, ſo
bleib vom Fenſter weg.
Dame. Nein, Papa, den Herren zum Troz
will ich und die Schweſter uns hinſtellen, und uns
ſtundenlang begaffen laſſen. Die Leute werden
vielleicht doch dadurch ſehen, daß wir ſie fuͤr Ge-
[...]e halten.
[63]
Ich. Madame *), thun Sie das nicht: die
Herren denken ſonſt gar, Sie und Ihre Schweſter
ſeyen in ſie verliebt.
Dame. (lachend) Ah, les bêtes, les bêtes!
(Sie ſtellt ſich wirklich mit ihrer Schweſter ans
Fenſter, lacht, und laͤßt ſich von den Offizieren
nach Herzensluſt begaffen. Die Offiziere nehmen
das fuͤr ein Zeichen der Gewogenheit, und ſpren-
gen nun uͤberall aus: die franzoͤſiſchen Maͤdel mit
den niedlichen Geſichtchen ſeyen verliebte — Luder-
chen.) Offiziere ſollten doch ſo poͤbelhaft weder
handeln, noch ſprechen.
Das Aufzeichnen der Namen war auch frucht-
los: alſo befahl der Herzog, daß ſich alle Emi-
granten, ihre Kranken allein ausgenommen **),
ſofort aus Coblenz und allen Orten, wo Preußen
waͤren, wegbegeben ſollten. Einen aͤhnlichen Be-
fehl gab auch der Kurfuͤrſt von Trier; aber der Be-
[64] fehl von dieſem haͤtte ohne den des Herzogs wenig
gefruchtet. *)
Der ernſtliche Befehl des Herzogs machte
gleichfalls viel Bewegung unter den Emigranten;
aber vergebens. Selbſt die Herren Coblenzer woll-
ten es hoͤchſt unbillig finden, daß man ſo viel
brave, um das Trierland (durch ihre Verſchwen-
dungen) ſo wohlverdiente Leute fortjagen wollte.
Die Emigranten ſchwuren hoch und theuer, daß es
hoͤchſt ſchimpflich ſey, von den Preußen vertrieben
zu werden, aber jezt muͤſſe man ſich in die Zeit
ſchicken. Sie ſchienen ſogar zu glauben, daß es
eigentlich auf ſie haͤtte ankommen ſollen, ob deut-
ſche Truppen uͤberhaupt, alſo ob auch wir Preu-
ßen, in Koblenz ſeyn duͤrften oder nicht. Dieſer
Wahn plagte ſie, weil ihnen der Kurfuͤrſt von
Trier, als der Herr Vetter von ihren Prinzen, ſo-
wohl in Civil- als Militaͤrſachen alle Gewalt uͤber-
laſſen und beſtaͤtigt hatte. Sie waren eben darum
in ihrer uͤbertriebnen Impertinenz anfaͤnglich ſoweit
[65] gegangen, daß ſie ſogar foderten: der Herzog ſolle
den Rapport jeden Tag an ihre Prinzen einſchicken,
wie wenn der Herzog von Braunſchweig
Subalterngeneral des Artois oder des Pro-
vence geweſen waͤre.
Nach langem Zaudern alſo — denn der Befehl
des Herzogs wurde nicht ſtraks befolgt — zogen
die Emigranten endlich aus Koblenz. Es waren
ihrer mehrere tauſend. Der Abzug geſchahe des
Nachts, weil ſie ſich ſchaͤmten, am hellen Tage
eine Stadt zu verlaſſen, wo ſie ſo lange den Mei-
ſter geſpielt hatten. Ihnen folgte vieles Lumpen-
geſindel, beſonders weiblichen Geſchlechts, aus
Koblenz nach. Sie nahmen ihren Weg nach Neu-
wied, Limburg, Bingen und ſonſt wohin, wo vor-
her ſchon alles von ihnen vergiftet worden war,
und nun noch weit mehr vergiftet wurde.
Man haͤtte denken ſollen, die Koblenzer wuͤrden
nach dem Abzuge der Franzoſen hoͤflicher gegen uns
geworden ſeyn: aber ſie blieben grob, ja ſie wurden
noch groͤber; denn ſie ſahen uns als die Urſache von
der Entfernung von [Leuten] an, die zwar ihre Wei-
ber und Toͤchter mit der veneriſchen Krankheit nach
allen Graden angeſteckt, aber zur Schadloshaltung
doch brav Geld in die Stadt und in die umliegende
Gegend geſchleppt hatten.
Dritter Theil. E
[66]
Die Geſchichte der Emigranten muß ich leider
in der Folge noch mehrmals beruͤhren: und darum
mags fuͤr dießmal hier davon genug ſeyn. Ich ſage
nur noch: Wehe allen denen, welche ihren Aufent-
halt in Deutſchlamd beguͤnſtigten! —
Sechſtes Kapitel.
Begebenheiten in Koblenz und im Lager bey Koblenz.
Ich — denn mein theures Individuum laſſe ich
niemals aus den Augen: was waͤre das auch fuͤr
eine Biographie von mir ſelbſt, wenn ich nicht im-
mer auf dem Theater bliebe, oder doch hoͤchſtens nur
dann und wann hinter die Kuliſſen traͤte? — Alſo
ich befand mich in Koblenz ganz gut, und da ich
meinem Hauptmann und andern Offizieren als Dol-
metſcher diente, ſobald man mit Franzoſen zu thun
hatte, ſo war ich von allen Dienſten frey, und
konnte meine Zeit nach Wohlgefallen anwenden.
Meiſtens ſaß ich bey Emigranten im Weinhauſe
oder bey einem gewiſſen Preußiſchen Feldjaͤger,
welcher ein ganz heller Kopf und braver Mann
war.
Eines Tages erlebte ich in Koblenz eine uner-
wartete Schnurre. Ich kam fruͤh aus meinem
[67] Quartier und wollte aus einem Laden an der Moſel-
bruͤcke Tobak holen. Eine Frau von wenigſtens
40 Jahren lag am Fenſter und rief mir zu: Wo-
hin Mosjeh?
Ich: Tobak holen, Madam!
Sie: Ei, und das ſo eilig?
Ich: Allerdings, ich habe kein Korn mehr.
Sie: Kommen Sie doch ein wenig herein!
Ich thats, um zu ſehen, was Madame wollte:
und da gieng unſer Geſpraͤch folgender Geſtalt fort.
Sie: Haben Sie denn keinen Schatz zu Koblenz?
Ich: Bewahre mich der Himmel vor den Koblen-
zer Schaͤtzen: die Menſcher ſind ja alle veneriſch!
Sie: Das iſt auch wahr: aber es giebt doch noch
welche, die nicht ſo ſind: das koͤnnen Sie mir
glauben.
Ich: Ja wohl: aber wer noch nicht ganz und gar
des Teufels iſt, haͤngt ſich nicht an einen Soldaten.
Sie: Warum denn nicht? — Ich ſelbſt bin keine
Feindinn von den Herren Preußen.
Ich ſtuzte, ſchaute der Dame ins Geſicht, und
bemerkte, daß ſie beynahe keine Zaͤhne mehr hatte;
folglich phyſiſch eben ſo haͤßlich war, als moraliſch:
ich griff alſo nach der Thuͤre, und wollte fort, er-
hielt aber nicht eher die Erlaubniß dazu, bis ich ihr
verſprochen hatte, noch denſelben Tag zu ihr zuruͤck
zu kommen. Ich hielt indeß mein Wort nicht,
[68] erzaͤhlte aber dieſen Vorfall einem Burſchen von
unſerer Kompagnie, der gleich nachher hingegan-
gen war, ſie aufzuſuchen, um die Stelle bey ihr
einzunehmen, welche ſie mir zugedacht hatte. Der
Burſche hat ſich, wie er mir eingeſtand, recht gut
dabey befunden. So arg war die Delikateſſe der
Koblenzer Damen abgeſtumpft! —
Ueberhaupt war es ſehr leicht, bey den dortigen
Damen und Mamſellen anzukommen: durch die
Zuͤgelloſigkeit der Emigranten ſelbſt zuͤgellos ge-
macht, trieben ſie ihre Frechheit und Unverſchaͤmt-
heit ins Wilde. Eine Kaufmannstochter — ich
meyne hier das pockige Maͤdchen neben dem Bar-
barakloſter — ſagte ganz oͤffentlich, daß ſie ihre
Jungferſchaft fuͤr 6 Carolins, oder 39 Thlr. an
einen Franzoſen verkauft haͤtte: andere geſtanden
eben ſo frey heraus, daß ſie ſo und ſo viele Lieb-
haber unter den Emigrirten zugleich gehabt haͤt-
ten. Nein, ſo verdorben waren die deutſchen Maͤd-
chen ſonſt nie! — Doch genug davon!
Nach ohngefaͤhr zwoͤlf Tagen ruͤckten wir in
ein Lager, eine Stunde von Koblenz, wo der Koͤ-
nig ſeine Armee muſterte. Bey dieſer Muſterung
aͤußerten die groben franzoͤſiſchen Prinzen, daß
dieſe Parade fuͤr Deutſche ſchon ganz gut ſey.
— Ich wundre mich, daß der Herzog von
Braunſchweig, gegen welchen der Graf von
[69]Provence ſo geſprochen hat, dieſem Poltron
nicht auf der Stelle eine derbe Ruͤckantwort gegeben
hat: aber er ſtrafte ihn nur mit Verachtung. Man
ſieht indeß, wie hoch dieſe Leutchen ſich und ihre
Horde taxirten! Und doch waren eben ſie es mit,
um derer willen wir uns zur Schlachtbank anſchick-
ten!
Ueber den geringen Aufwand, den der Herzog
machte, raͤſonnirten die Emigranten auch nicht we-
nig. Sie meynten, er muͤſſe ein ſehr armer Teu-
fel von Fuͤrſten ſeyn, daß er nicht mehr aufgehen
ließe. Aber ſo urtheilten Menſchen, denen weiſe
Sparſamkeit ganz fremde war, und die ihr Lob
und ihre Groͤße in der unſinnigſten Verſchwendung
ſuchten.
Der Marketender unſers Bataillons war ein
Jude, der aber gar nicht anſtand, am Schabes
Geld einzunehmen, Speck zu verhandeln, und
was der ſieben Sachen mehr ſind, die das Moſai-
ſche Geſetz den Juden unterſagt. Seine Toleranz
gieng gar ſo weit, daß er nichts dawider hatte,
wenn ſeine junge Ehehaͤlfte fuͤr ſechs Batzen auch
einen Chriſten ihrer Reize genießen ließ. Dieſer
Jude aus Neuwied hat uns indeß jaͤmmerlich ge-
prellt; und zum Dank dafuͤr wurde ein Lied auf
ihn anfaͤnglich ſchriftlich herumgetragen, hernach
aber zu Frankfurt gedruckt, und ihm zum Schimpf
[70] oft vorgeſungen. Folgende Stelle zeugt von deſſen
Gehalt:
Ueberhaupt war man dießmal bey der Preußi-
ſchen Armee fuͤr gute Marketen derey gar zu wenig
beſorgt. Bey den Neufranken habe ich nachher
dieſen Punkt weit beſſer gefunden: da hat man
ordentlich angeſtellte Marketender; und ihr Ge-
ſchaͤft (die Vivanderie) iſt ein Gegenſtand der
Sorge des Kommiſſaͤrs. Die Waaren ſind alle
taxirt, und niemand darf hoͤher verkaufen, als der
geſezte Preis iſt. Man ſorgt dort auch fuͤr die
Herbeyſchaffung aller benoͤthigten Waaren. Aber
bey den Preußen bekuͤmmerte ſich dießmal keine
Seele darum, ob ein Marketender da war, und
wie er ſeine Sachen trieb. Da wurde denn der
arme Soldat geſchunden, und geprellt zum Erbar-
men. An dem ſchurkiſchen Patron von Neuwied
haben wir die Probe mehr als zuviel gehabt. Bey
unſrer jaͤmmerlichen Retirade aus Champagne iſt
der Erzbetruͤger von den Franzoſen zwar ertappt,
[71] und rein ausgepluͤndert worden: allein dieß half
der Prellerey im Ganzen nicht ab.
Ich ſagte dem Schuft einmal ſo meine Mey-
nung, daß er das Bier fuͤr 12 Kreuzer verkaufte,
und gab ihm die Titel, welche er verdiente. Da
lief er hin zum Hn. von Mandelsloh, meinem
Hauptmann, fand aber kein Gehoͤr, weil dieſer
brave Mann recht wohl wußte, daß der Jude ein
abgefeimter Schurke war. Alſo uͤberlief er gar den
Obriſten von Hunt, welcher mir denn befehlen
ließ, den ſchuftigen Juden ferner nicht mehr Schuft
zu heißen. Aber wie konnte ich wider die Wahr-
heit!
Im Lager bey Koblenz beſuchte mich auch Hr.
Prediger Schellenberg aus Neuwied, Verfaſ-
ſer einiger philologiſcher und paͤdagogiſcher Schrif-
ten, und ein wuͤrdiger Schuͤler des braven Herrn
Profeſſors Wolff zu Halle. Ich [habe] einige
recht vergnuͤgte Stunden in Geſellſchaft dieſes ehr-
lichen Freundes zugebracht. Hr. Schellenberg hatte
ganz andre Gedanken von der franzoͤſiſchen Revo-
lution, als ſein Landsmann, der Neuwieder Zei-
tungsſchreiber, ein rechtes Pendant von dem Herrn
von Schirach und von Aloyſius Hofmann zu Wieu.*)
[72]
Bisher war das Wetter ziemlich gut geweſen,
nun aber fieng es an, immer zu regnen, und das
hat beynahe nicht nachgelaſſen, bis zum Winter-
quartier.
An unſerm Preußiſchen Gelde haben wir den
ganzen Krieg hindurch viel verloren. Wir wurden
in Behmen und Sechſern bezahlt, und litten an
den leztern immer. Der Behm galt z. B. im Trie-
riſchen 3½ Kreuzer trieriſch; der gemeine Mann
hatte daher 35 Kreuzer; an Sechſern aber nur 32
Kreuzer, denn der Sechſer galt dort nur 2 Kreuzer.
Das ganze oder große Geld allein war ohne Ver-
luſt; aber wer gab es uns! Die Herren Regiments-
quartiermeiſter haben die Sechſer und Behmen im-
*)
[73] mer durch Juden und andre Helfershelfer fleißig
einwechſeln laſſen, und dabey anſehnlich gewon-
nen. Man hat das Unweſen wohl bemerkt, aber
nicht geſteuert. Als daher im folgenden Winter
bey Frankfurt am Mayn einem gewiſſen Herren
Quartiermeiſter eine ſehr anſehnliche Summe ge-
ſtohlen ward, ſagte ſelbſt ein General: „er kann
das ſchon verſchmerzen: hat er uns doch, wer
weiß um wie viel, beſch—en!“
Frauenzimmer kamen ſehr haͤufig aus Koblenz,
und beſuchten ihre Bekanntſchaften im Lager: vor-
nehmere die Offiziere und gemeine die Soldaten. Da
iſt es denn manchmal hergegangen, wie es konnte.
Einſtens kam auch ein Koblenzer Kanonikus
zum Herrn Major von Wernsdorff, welcher
mich kommen ließ, um da bey einem Glaſe Wein
mit dem Hn. Kanonikus latein zu reden. Dieſer
Hr. Kanonikus war ein wahrer Bon-vivant, der
blos fuͤr ſeinen Bauch ſorgte, und auch nicht das
geringſte auf Wiſſenſchaften oder Litteratur hielt.
Si ſemel habemus praebendas, ſagte er, tunc non
magis cogitamus de libri: quid enim bonum Cano-
nico eſt, ſtudere? ſumus ſemel proviſi, et ſtudia
ſinimus pendere in elavo. Sehr erbaulich! Doch
wußte der Herr Kanonikus, daß Doktor Bahrdt
ein Erzketzer und Atheiſt geweſen ſey, und machte
große Augen, als ich ihm ſagte, daß Bahrdt,
[74] nach meiner Meynung, noch zu orthodox und zu
glaͤubig geweſen waͤre. Als ich ihm dieß beweiſen
wollte, verbath er alles Disputiren, unter dem
Vorwande: daß er einmal den feſten Vorſaz gefaßt
habe, niemals, unter keinerley Umſtaͤnden, uͤber
Religionsſachen zu ſtreiten. Bravo fuͤr alle Eſel
in den Kirchen-Muͤhlen! — Er hatte einen Be-
kannten in Paris, an welchen er mir einen Brief
mitgeben wollte; aber der Brief iſt nicht geſchrie-
ben worden: es war auch ſchon ſo recht: denn in
Paris haͤtte ich ihn doch nicht abgeben koͤnnen.
Was und wohin die vielen Blinden damals nicht
alles dachten!
Von dem beruͤhmten und beruͤchtigten Eulo-
gius Schneider erzaͤhlte er allerhand ſkandaloͤſe
Anekdoten, die aber beym rechten Lichte betrachtet,
nichts weniger als ſkandaloͤs waren. Doch ich
wußte recht gut, wie und wofuͤr ich die Erzaͤhlun-
gen eines Koblenzer dickbaͤuchigen Kanonikus von
einem Ketzer und Apoſtaten zu nehmen hatte *)
Das Volk im Trierlande iſt uͤberhaupt kein Volk,
bey welchem ich leben moͤchte. Das ganze Land
iſt katholiſch, und zwar recht jeſuitiſch-katholiſch;
daher alle Ketzerey — folglich auch alle Vernunft und
[75] Wahrheit, als die erſte und aͤrgſte — darin wie
Gift verhaßt iſt, und der Proteſtant gilt dort we-
niger, als der Jude. Der Kurfuͤrſt hat zwar einige
Anſtalten zur Verbeſſerung des Schulweſens tref-
fen laſſen; aber die Buͤcher des Martin von Cochem
und deſſen gleichen ſind noch immer die Hauptquel-
len, woraus der Trierer ſeine Weisheit ſammelt.
Daher ſind die Trierer abſcheulich aberglaͤubig,
rennen in alle Meſſen und fuͤrchten ſich ſchrecklich
vor Geſpenſtern, Kobolden und Hexen. Beyher
ſind ſie alle grob und maſſiv im hoͤchſten Grade,
und haben auch eine ihren derben Sitten ganz ange-
meßne Sprache. Eich ſeyn, mer ben, dan hoſcht,
eich hun, ehr ſan, ſe gihn *) u. d. gl. iſt recht Trie-
riſch. Ich habe ſogar Leute von Erziehung, und
vornehme Frauenzimmer ſo ſprechen hoͤren. Derley
grober Dialekt verſtellt aber gewiß den ſchoͤnen
Mund einer Fraͤulein von Sparr, und einer
Mamſell Vola. Sie ſollten ſich doch eine feinere
Sprache angewoͤhnen — rathe ich ohnmaßgeblich.
Ich hatte im Lager bey Luxemburg ein Lied —
ſo nach meiner Art — auf die Trierer und das
Trierland geſudelt, welches die Soldaten auswen-
dig lernten, und auf dem Marſche herſangen. Ein
gewiſſer Soldat, Schneider, hatte das Ding, das
[76] wirklich ein elendes Ding war, abgeſchrieben, und
ſeiner Frau nach Halle geſchickt. Dieſe hatte es
da einer Papierkraͤmerin uͤbergeben, und dieſe hatte
es dort drucken-laſſen, aber ſo ſchnitzerhaft, daß
man es kaum verſtehen konnte. Ich erſchrack ſehr,
als ich das Ding gedruckt ſah, und mußte nachher
ſogar bey einer Warnung hoͤren, daß ſelbſt der Kurfuͤrſt
von Trier ſich in Gegenwart unſers Koͤniges dar-
uͤber beſchwert habe. So kann ein elender Sudel,
von gewinnſuͤchtigen Blaͤtter-Troͤdlern benutzt,
Gelegenheit zu unangenehmen Auftritten geben!
In Frankfurt am Mayn hat man es in die uͤber
allen Glauben elende Sammlung ſogenannter
preußiſcher Kriegslieder aufgenommen. Ich ſchaͤ-
me mich noch, daß ich mich zur Baͤnkelſaͤngerey,
wie Hr. Bispink dieſe meine Sudeley nachher
ganz recht benannte, herabgelaſſen habe, da ich gar
keine Anlage zum Versmachen in mir bemerke.
[77]
Siebentes Kapitel.
Marſch von Koblenz nach Trier.
Unſer Weg von Koblenz nach Trier war ſehr be-
ſchwerlich: wir mußten uͤber Berg und Thaͤler,
deren einige von unglaublicher Hoͤhe und Tiefe ſind.
Die Sonnenhitze hat uns auf dieſem Marſche recht
gemartert, aber deſto angenehmer waren uns die
vielen Roͤhrbrunnen, mit dem ſchoͤnſten Waſſer,
an dem dortigen Chauſſée.
Ich habe mich dann und wann nach den Ge-
ſinnungen der Trierer in Ruͤckſicht der franzoͤſiſchen
Haͤndel erkundiget, und jedesmal gefunden, daß
ſie alles billigten, was die Franzoſen zu ihrer
Selbſthuͤlfe vornahmen, und blos das tadelten,
was in Abſicht der Pfafferey geſchehen war. So
hatten doch die Leute, troz der großen Finſterniß,
die ihre Augen benebelt hielt, eingeſehn, daß
der Unterthan mit Recht verlangen koͤnne, nicht
lebendig geſchunden zu werden. Eben dieſer Mey-
nung waren ſogar Geiſtliche.
Auf dieſem Marſche beſuchten mich einige von
meinen alten akademiſchen Freunden: ich war wirk-
lich, wie im Himmel, als ich die lieben Bruͤder,
[78] den Hn. Amtsrath Heusner von Thronecken und
den Hn. Pfarrer und Rektor Pfaͤnder von Trar-
bach wieder um mich hatte. Letzterer war ehedem
in Halle unter dem Beynamen Till Eulenſpie-
gel bekannt, zu der Zeit naͤmlich, wo jeder Stu-
dent einen Beynamen hatte, ohne dadurch beſchimpft
zu ſeyn. Wir erinnerten uns beym Moſelwein
an unſre Wanderſchaft im Lande der Philiſter, und
erfreuten uns gar ſehr uͤber ſo manchen alten Auf-
tritt. Die Schweſter des Hn. Amtsraths, ein
ſchoͤnes bluͤhendes Maͤdchen, machte ſtarken Ein-
druck auf einen unſrer Offiziere; und dieſer pflegte
nachher noch oft, mit allem verliebten Enthuſias-
mus, von ihr zu ſprechen.
Von dieſen Herren hoͤrte ich beyher, daß meine
mir ehedem ſo liebe Thereſe geſtorben waͤre.
Dieſe Nachricht war, wie ich unten melden werde,
zwar falſch, aber das konnte ich damals nicht wiſ-
ſen, und dachte mir alſo das gute Maͤdchen im
Grabe, und war viele Tage niedergeſchlagen und
traurig: denn ich machte mir den Vorwurf, daß
der Grund ihres fruͤhen Todes vielleicht zum Theil
in meinem Betragen gegen ſie gelegen ſey.
In Trier trafen wir wieder viele Emigranten
an, die nun aber auch bald fort mußten. Trier
war von dieſem Geſindel eben ſo, wie Koblenz
vergiftet.
[79]
Daß ich uͤber dieſe Leute nicht zu viel geſagt
habe, moͤgen meine Leſer nach Stellen beurtheilen,
welche ich aus einer Apologie fuͤr die Stadt
Koblenz und das Trieriſche Land nachher
bemerkt habe, um meine Privatbehauptung durch
ein oͤffentliches Dokument hier mitzubeſtaͤtigen.
Die Apologie war dem Nationalkonvente von einem
Buͤrger in Koblenz zugeſchrieben, und enthaͤlt, wie
man gleich ſehen wird, noch manch andern wichti-
gen Aufſchluß.
„Koblenz — heißt es darin — hat den er-
ſten Zunder zum Kriege gegeben. Es war der
Sammelplatz der Koͤnigsfreunde und der Ariſtokra-
ten: Monſieur und Graf Artois hatten hier
ihr Hoflager aufgeſchlagen. Hier war die Zuſam-
menkunft der ausgewanderten Adlichen, die nur
zuſammentraten, um Frankreichs alte Regierungs-
form wieder herzuſtellen, und die muthigen Ver-
theidiger der Revolution zur Strafe zu ziehen.“ —
Kaum war es bekannt, daß Monſieur und
Graf Artois in Koblenz eingetroffen waͤren, ſo
ſtroͤhmten die Ausgewanderten aus allen Gegenden
in unglaublicher Menge dahin: Nur wenige Wo-
chen, und ihre Anzahl belief ſich auf mehrere Tau-
ſende. — Nur wenige Monathe, und kaum ein
Dachſtuͤbchen war mehr in Koblenz zu haben.“
Von nun an war ſelbſt unſer Fuͤrſt kaum mehr
[80] Herr in ſeinem eignen Lande, er mußte ſich ge-
wiſſermaßen leidend verhalten, ſo lange dieſe un-
gebetenen Gaͤſte ihr Unweſen nicht zu weit trieben.
Allein war wohl zu erwarten, daß dieſer Fall lange
ausbleiben wuͤrde?“
„Buͤrger und Volksrepraͤſentanten, ihr kennet
ja am beſten den Charakter dieſer elenden Hoch-
verraͤther ihres Vaterlandes — dieſe Wuͤſtlinge
ohne Erziehung, ohne alles ſittliche Gefuͤhl, ohne
Menſchengefuͤhl — dieſen Auskehricht der Menſch-
heit, dem jede Tugend laͤcherlich, und der Tugend-
hafte und Rechtſchaffene ein Dummkopf iſt — der
nur das glaͤnzende Laſter als das erſte Idol anbe-
tet — deſſen Sinn und Streben einzig auf Be-
friedigung ſeiner unbaͤndigen und abſcheulichen Lei-
denſchaften, auf Tyranniſirung und Unterdruͤckung
ſeines Mitbuͤrgers gerichtet iſt — dem die unna-
tuͤrlichſten Ausſchweifungen, die graͤßlichſten Bu-
benſtuͤcke nur Spielwerk ſind!... Ihr kennet
die Prinzen, die durch ihre unſittliche Lebensart,
ihre Verſchwendungsſucht und Schlemmerey ſich
ſelbſt zu den verworfenſten Geſchoͤpfen herabſetzen,
und wegen ihres Hanges zum Despotismus vom
Fluch der Menſchheit gedruͤckt werden. Ihr wiſ-
ſet, daß ihre Verachtung des ungeadelten aber
nuͤtzlichen Buͤrgers, ihr dummdreiſter Stolz, der
mit dem gaͤnzlichen Mangel reeller und ſolider Kennt-
[81] niſſe, den man uͤberall an ihnen wahrnahm, den
ſeltſamſten Kontraſt machte — daß ihre Vorliebe
zu Ausſchweifungen jeder Art, ihre empoͤrende
Immoralitaͤt, die alle ihre Handlungen bezeichnete,
ihr Ingrimm und Blutdurſt gegen die ſogenannten
Patrioten — daß, mit einem Worte, dieß alles
zuſammen genommen, ſie in den Augen eines jeden
unbefangenen, rechtſchaffenen und Sittlichkeit-lie-
benden Mannes zu den vollkommenſten Taugenicht-
ſen brandmarkte.“
„So war das allgemeine Urtheil der Einwoh-
ner von Koblenz und des Erzſtifts uͤber den groͤßten
Theil der Ausgewanderten: Wie haͤtte ihr Betra-
gen gegen dieſelben anders, als kalt, abgebrochen
und zuruͤckhaltend ſeyn koͤnnen?“ *)
„Zur Wiedervergeltung wurden wir dem Kur-
fuͤrſten als Erzpatrioten geſchildert und ſo lange
verleumdet und verſchrieen, bis es ihnen gelang,
Dritter Theil. F
[82] denſelben gegen ſeine eignen Unterthanen, insbeſon-
dere aber gegen die Einwohner von Koblenz, mis-
trauiſch zu machen.“
„Dieſes Mistrauen, das man tagtaͤglich mehr
und mehr anzufachen nicht unterlaſſen hatte, ſtieg
bis zum hoͤchſten Grade, als endlich die Staͤnde
des Landes der Stimmung des Volkes beytraten.“
„Schon vorher hatten ſie dem Kurfuͤrſten ihren
allgemeinen Entſchluß vorgelegt: daß keine Aus-
gewanderte anders, als nach den Geſetzen der ſtreng-
ſten Neutralitaͤt im Erzſtifte geduldet werden moͤg-
ten.... Sobald ſie nachher wahrnahmen, daß der
Hof in Behandlung der Ausgewanderten allzu-
nachſichtig verfahre, und die Vorſchriften einer
unverfaͤnglichen Neutralitaͤt nicht genau und feſt
beobachte — baten ſie in einer zweckmaͤßigen Vor-
ſtellung den Kurfuͤrſten von neuem aufs dringend-
ſte: „von dem Wege der ſtrengſten Neutralitaͤt,
„als dem einzigen Mittel, die guten Geſinnungen
„und das friedfertige Benehmen der maͤchtigen
„franzoͤſiſchen Nation gegen das unmaͤchtige und
„wehrloſe Erzſtift fuͤr die Zukunft zu ſichern, nicht
„im mindeſten abzuweichen, noch weniger zu ge-
„ſtatten, daß von den Prinzen und ihren Anhaͤn-
„gern einige Maasregeln ergriffen oder ausgefuͤhrt
„werden moͤgten, welche von der Franzoͤſiſchen
[83] „Nation zu feindſeligen Vorkehrungen ausgedeutet
„werden koͤnnten.“
„Und welchen Erfolg hatten ſowohl dieſe als
die vielen nachfolgenden Vorſtellungen, deren jede,
ſo wie die Gefahr des Landes ſtieg, immer frey-
muͤthiger, dringender und flehender entworfen und
uͤbergeben wurde?“
„Clemens (der Kurfuͤrſt von Trier) gehoͤrt
nicht in jene Klaſſe der Regenten, die mit eindrin-
gendem Blicke das Ganze einer Sache, mit ihren
Verkettungen, ihren nahen und entfernten Ver-
haͤltniſſen, ihren natuͤrlichen, wahrſcheinlichen und
moͤglichen Folgen durchſchauen, und dieſemnach
die zweckmaͤßigſten Maaßregeln ſelbſt ergreifen. —
Clemens legte die Sache ſeinem damaligen Mi-
niſterio vor; und die Hauptperſon, die an der
Spitze deſſelben ſtand, war — im Solde der Prin-
zen, war ihr erſter Anhaͤnger.“
„Ach, waͤre unſer Kurfuͤrſt durch kluge, ein-
ſichtsvolle, ſeines Vertrauens wuͤrdige Maͤnner
geleitet worden; — ganz Europa wuͤrde ihm viel-
leicht Ruhe und Gluͤck zu danken haben! Jener
Krieg, einzig in ſeiner Art, wogegen die verderb-
lichſten und moͤrderiſchten Kriege des Alterthums
und der neuern Zeiten, als Knabenſpiele anzuſehen
ſind, wuͤrde vielleicht im Keime erſtickt worden
ſeyn.“
[84]
„Aber der nichtswuͤrdigſte, der verworfenſte
aller Menſchen, der feilſte Sklave des Laſters und
der Wolluſt, fand Gelegenheit, ſich des Vertrauens
des Kurfuͤrſten in ſo hohem Grade und ſo ausſchlie-
ßend zu bemaͤchtigen, daß er ſchnell von Stufe zu
Stufe ſtieg und endlich den oͤberſten Poſten eines
geheimen Staats- und Kabinetsminiſters erhielt.“
„Von nun an hatte die Wohlfahrt des Trie-
riſchen Landes den Todesſtoß empfangen; von nun
an wurde unſer — Fuͤrſt auf alle Art unter al-
len nur moͤglichen Larven aufs ſchaͤndlichſte betro-
gen; von nun an darbte das verwaiste Verdienſt;
beklagte der wahre Patriot das Schickſal ſeines
Vaterlands!“
„Und wer iſt dieſer Schaͤndliche?“
„Duminique iſt ſein Name!“
„Dieſer elende Wicht, deſſen ganzes Verdienſt
in einem geſchmeidigen Ruͤcken und in einer gelaͤu-
figen Zunge beſteht, ſollte die Geißel des Trieriſchen
Landes, ſollte die Geißel von ganz Europa wer-
den!“
„Was konnte fuͤr einen ehemaligen Edelknaben
erwuͤnſchter ſeyn, als die Ankunft der Prinzen?
Was konnte dieſen kriechenden Wurm mehr kitzeln,
als ihnen tagtaͤglich beym Aufſtehen die Cour zu ma-
chen? Tagtaͤglich unter ihrem glaͤnzenden Gefolge
einherzutreten? ſich zu ſonnen im Nimbus ihrer
[85] Herrlichkeit? mit Theil zu nehmen an ihren ſchwel-
geriſchen Gaſtmalen und Feſten?“
„So was iſt ſchon allein fuͤr eine Sklavenſeele
das non plus ultra des menſchlichen Gluͤcks. Aber
welche blendende, welche bezaubernde Ausſicht both
ihm zugleich die Zukunft dar, wenn es ihm ge-
lingen ſollte, ſich in das Vertrauen der Prinzen
einzuſtehlen, und ihre Gunſt in ſo hohem Grade
zu feſſeln, daß er zur Ausfuͤhrung ihrer chimaͤri-
ſchen Entwuͤrfe als Mitwerkzeug gebraucht wuͤrde!“
„Seine Parthie war auf der Stelle genommen.
Von erſter Jugend auf, zu der Kunſt angefuͤhrt,
ſich ja der Gnade ſeines Fuͤrſten auf alle nur moͤg-
liche Weiſe zu verſichern — es ja nie an ſklaviſchen
Verbeugungen, kriechenden Ehrfurchtsbezeugungen
und uͤbertriebnen Schmeicheleyen fehlen zu laſſen
— vor allem die ſchwache Seite des Fuͤrſten aus-
zuſpaͤhen; ſeine Geſinnungen, Neigungen, Launen
und Leidenſchaften zu ſtudiren, um ihnen zu lieb-
koſen — und nun endlich zu einem vollkommnen
Hoͤfling gereift, was war leichter fuͤr einen Du-
minique, als die Prinzen, beſonders den Artois,
der als die Seele des in der Geburt begriffnen Rieſen-
werks der Gegenrevolution anzuſehen war, in kur-
zem ganz fuͤr ſich einzunehmen, ganz zu gewinnen,
beſonders, da es ſein Poſten mit ſich brachte
deſſen taͤglicher Geſellſchafter zu ſeyn; und da —
[86] um ja die Hauptſache nicht zu vergeſſen — ihre
Charaktere, ihre Geſinnungen, ihre ganze Denk-
und Lebensart aufs harmoniſchte zuſammenſtimm-
ten?“
„Duminique erſchwang ſich ohne Muͤhe zum
Guͤnſtling des Artois. — Er ſicherte den Prin-
zen vor allem einen bequemen Aufenthalt, eine
reichlich beſezte Tafel, und die damals nicht un-
anſehnliche Kaſſe des Kurfuͤrſten zu ihrer Dispoſi-
tion. Er ſpiegelte dem Leztern vor, daß die bruͤ-
tende Gegenrevolution unmoͤglich mislingen koͤnnte
— daß in kurzem die Nationalverſammlung aus-
einander geſprengt, und der Koͤnig und die koͤnig-
liche Familie in ihre ehemaligen Rechte wieder ein-
geſezt ſeyn wuͤrde — machte ihn taub gegen die
Stimme, die Wuͤnſche und die Beſorgniſſe des
Volks; taub gegen die angehaͤuften Vorſtellungen,
Bitten und Beſchwoͤrungen der Landſtaͤnde.“
„Hiebey blieb Duminique nicht ſtehen.
Wurde die Gegenrevolution ausgefuͤhrt, welches
unuͤberſehbare Gluͤck bluͤhte dem Lieblinge des
Artois! Hatte er nicht Hoffnung, der erſte
Miniſter Frankreichs zu werden? Und er ſollte
nicht alle Kraͤfte anwenden, nicht alle Triebe und
Raͤderwerke anſpannen, um dieſes große Werk in
Gang zu bringen? Er ſollte nicht Himmel und
Hoͤlle aufbiethen, um es zu vollenden?“
[87]
„Da war auch nicht ein Faͤſerchen in ſeinem
ganzen konfiscirten Koͤrper, das nur in irgend eini-
ger Verbindung mit ſeinem waͤſſrigen Gehirne ſtand,
das nicht aufſtrozte und ſich anſtrengte — um
das Hirngeſpinnſt der Gegenrevolution aufzuſtutzen,
und die Ausfuͤhrung derſelben nicht nur als moͤg-
lich, ſondern als leicht den erſten Maͤchten Deutſch-
lands vorzuſchildern.“
„Er war's, der in Verbindung mit dem Prin-
zen von Naſſau, und dem beruͤchtigten Calonne,
zum Vortheile der Prinzen, an allen Hoͤfen Eu-
ropa's Subſidiengelder auszumitteln ſuchte, um
ihre Anhaͤnger aufnehmen, beſolden und bewaffnen
zu koͤnnen. Er war's, der im Namen und als
Bevollmaͤchtigter der Prinzen, die Hoͤfe von Ber-
lin, Wien und Petersburg bereiste, da-
ſelbſt geheime Unterhandlungen eroͤffnete, alle nur
moͤglichen Ueberredungskuͤnſte und Verſprechungen
anwandte, um dieſe Hoͤfe fuͤr die Sache der Prin-
zen zu gewinnen, und zu einer gemeinſamen Be-
waffnung gegen Frankreich zu vermoͤgen. —
„Mit einem Worte: dieſer Schandbube war's,
der zuerſt die unſelige Fackel zu dem Holzſtoße
trug, der ganz Europa in lichte, alles verheerende
Flammen ſetzen ſollte: — dieſer Schandbube, der
vielleicht in dieſem Augenblicke in allen Wolluͤſten
ſich waͤlzt, und in den Armen ſeiner Luſtdirnen
[88] ſchwelgt — indeß der irregefuͤhrte, betrogene Cle-
mens ſeine Lagerſtaͤtte mit blutigen Thraͤnen nezt,
mit blutigen Thraͤnen zu dem hoͤchſten Weſen um
das Ende der angehaͤuften Leiden ſeiner ehemaligen
Unterthanen flehet!“ —
„Buͤrger und Volksrepraͤſentanten, jezt ſpre-
chet unſer Urtheil! Erwaͤget, daß wir, als un-
maͤchtige und huͤlfloſe Opfer, mit Gewalt ins Ver-
derben geſchleppt wurden — da wir durch die
Raͤnke, Kabalen und Machinationen eines treu-
loſen, verabſcheuungswuͤrdigen Miniſters in den
Abgrund des Verderbens geſtuͤrzt worden ſind — da
durch dieſen Abſchaum aller Schurken die Wohl-
fahrt des Landes von Grund aus zertruͤmmert, und
alle Huͤlfsquellen, um ſich endlich nach langen
Jahren erholen und die ungeheuren Schulden, wo-
mit das Land belaſtet iſt, tilgen zu koͤnnen, ver-
trocknet ſind: — entſcheidet Buͤrger und Volks-
repraͤſentanten, welches Loos verdienen wir?“ —
Das Loos der Selbſtherrſchung — antwortet
der Widerhall aus Gallien — um durch kurzſichtige,
ſchwache Fuͤrſten, und deren verſchmizte Miniſter
nicht dereinſt wieder huͤlflos ins Verderben geſtuͤrzt
und dann gleichguͤltig verlaſſen zu werden. Mieth-
linge ſind und bleiben Miethlinge; und die Vor-
mundſchaft hoͤrt auf, ſobald der Bevormuͤndete
majorenn iſt, ja, majoremier, als ſein Vormundt,
[89] und doch dieſer, wie deſſen Sachwalter, es wa-
gen, ganz nach ſyſtematiſchem Fuͤrſten-Egoismus
zu des Muͤndels Untergang zu handeln.
Dieß war der Fall im Erzſtifte Trier. Die
Staͤnde hier, von Clemens und Duminique
nicht erhoͤrt, wendeten ſich an das Reichskammer-
gericht, um ein Mandatum de abducendo milite
Gallico gegen ihren Landesherrn auszuwirken. Sie
ſchritten hier zur zweyten Inſtanz aus Noth, und
waren dazu, nach der Reichsverfaſſung, be-
rechtiget, indem dieſe den Unterthanen erlaubt,
von den Austraͤgen der Fuͤrſten, troz ihres Privile-
giums de non appellando, ſich an die Reichsge-
richte um Huͤlfe wider ſie zu wenden. Was that
nun Duminique! Man denke!
Gerade damals, 1790, ſtand LeopoldII.
auf der Kaiſerwahl; und da dieſe Wahl ſchon lange
gedient hat, das Recht der Wahlherren uͤber das
Recht des Gewaͤhlten und deſſen Untergebene kapi-
tulationsmaͤßig hinauszuſetzen: ſo trug Kurtrier
darauf an, daß das kurfuͤrſtliche Collegium dem
kaiſerlichen Wahlkandidaten es zur Wahlbedingung
machen moͤgte, Rekurſe von der eben erwaͤhnten
Art abzuweiſen. Das Collegium ließ ſich bereit
finden, und ſchon hieß es im 6ten § des 19ten Art.
der Leopoldiſchen Wahlkapitulation: „Wenn auch
Landſtaͤnde und Unterthanen wider ihre Obrigkeiten
[90] in Privatſachen, welche die landesfuͤrſtliche Kam-
mer betreffen, Klage fuͤhren: ſo ſollen und wollen
wir (Kaiſer) dieſe bey ihren ordentlichen Landesge-
richten entſcheiden laſſen, und (NB!) den Reichs-
gerichten nicht geſtatten, uͤber ſolche Klagen, in
lezter Inſtanz, wenn privilegia de non appellando
vorhanden ſind, — zu urtheilen.“
Dieſem nach ſollte alſo der Landesherr und deſ-
ſen Gerichte, in Sachen der Landesſtaͤnde und der
Unterthanen gegen ihn, — Beklagter und Richter
zugleich ſeyn. Der Weg zum Rechte waͤre dem-
nach geſperrt geweſen: denn welches Landesgericht
haͤtte es wagen duͤrfen oder moͤgen, einem Landes-
herrn, in deſſen Hand ihr Schickſal ſteht, Recht
abzuſprechen? Die Landesherren haͤtten folglich
das Recht erhalten, den Sultan ungehindert zu
ſpielen, und den Fiskal zu machen fuͤr ihre Kam-
mer nach Belieben, und doch von Rechtswegen.
Der Zuſtand dieſer Laͤnder waͤre dadurch rechtlos,
und Selbſthuͤlfe ihr erſtes Beduͤrfniß geworden.
Dann aber gute Nacht Landfriede, und es lebe das
Faͤuſtrecht! —
Wohl indeſſen uns, daß Deutſchland in dem
Reichs-Kammergerichte noch Maͤnner zaͤhlt, welche
konſtitutionsmaͤßiger und konſequenter denken, als
ein Duminique und ſeines Gleichen. „Ich
muß geſtehen — erklaͤrte einer dieſes Areopags [...]
[91] gen Kurtrior — daß ich nicht begreife, wie man
heutzutage auf dem Rechte, in eigner Sache Rich-
ter zu ſeyn, und keinem Oberrichter davon Rechen-
ſchaft geben zu wollen, beſtehen kann, und da-
durch dem deutſchen Buͤrger ſein edelſtes Kleinod,
gegen ſeinen Landesherrn, in jedem Falle, bey ei-
nem Oberrichter Huͤlfe finden zu koͤnnen, ſo offen-
bar entziehen will. Hieraus koͤnnen gerade in un-
ſern Zeiten am allererſten und haͤufigſten Unruhen
entſtehen.“
So dieſer Edle! Ehrwuͤrdiger wird er, wenn
man das weiter lieſt, was Schmelzer in der
Ausgabe der erwaͤhnten Wahlkapitulation S. 153
ausfuͤhrlicher davon anfuͤhrt.
Aber nun weißt Du, lieber Deutſcher, welcher
Hof und welcher Mann es war, der uns den Fran-
zoſenkrieg hauptſaͤchlich zuzog: und dieß iſt hiſto-
riſch- und politiſch-wichtig; — Du ſiehſt, daß
ich den Emigrirten nicht zu nahe trat; — Und
was mancher Fuͤrſ. oder Miniſter hinter dem Vor-
hange, zum groͤßten Nachtheile ganzer Voͤlker zu-
weilen durchſetze oder vorhabe — daruͤber ſeufze
und bedaure die Blindheit der Menſchen und Un-
menſchen! Die Geſchichte aller Zeiten und Voͤlker
— meynt Schloͤzer — iſt ja eine Leidensgeſchichte
der von den verworfenſten, oft ſtupideſten Boͤſe-
wichtern am Narrenſeil herumgefuͤhrten Nationen.
[92] Der Forſcher dieſer Graͤuelthaten laͤuft ja Gefahr,
daß ihm daruͤber die ganze Menſchheit veraͤchtlich
werde. Denn wer begreift es, daß ſich Millionen
Menſchen von einzelnen Wuͤtrichen haben ſchlach-
ten, von einzelnen Raͤubern haben pluͤndern laſſen!
Die Feigheit dieſer Elenden iſt ja noch raͤthſelhaf-
ter, als die Unmenſchlichkeit ihrer Tyrannen. *) —
So wahr iſt es naͤmlich, wenn der Dichter aus-
ruft:
Verzeihung fuͤr dieſe Epiſode!
Eine Stunde von Trier wurde unſer Lager auf-
geſchlagen nahe an der Moſel, da, wo die Saar
in dieſen Fluß einfaͤllt. In ganz Deutſchland,
ſo weit ich wenigſtens darin herum geweſen bin,
giebt es wohl keine ſchoͤnere Gegend, als da, wo
hier unſer Lager ſtand; aber leider machte die ent-
ſetzliche Hitze, daß wir den Anblick der ſchoͤnen
Natur beynahe gar nicht genießen konnten. Ich
erinnere mich nicht, von der Sonne jemals mehr
gebrannt worden zu ſeyn, als damals; und wenn
wir noch gutes Waſſer gehabt haͤtten, ſo haͤtten
[93] wir die Leiden der Hitze mindern koͤnnen. Aber
da wurde alles Waſſer zum Kochen und Trinken
aus der Moſel geholt, und dieſes war bis zum
Eckel ſchlammig und unrein. Das Waſſer dieſes
Fluſſes iſt an ſich ſchon ein ſchlechtes, garſtiges
Waſſer, und wurde durch das ſtaͤte Pferdeſchwem-
men, das Baden und Waſchen darin, noch mehr
verdorben. Man denke ſich ein Waſſer, worauf
der Pferdemiſt uͤberall herumſchwimmt; worin die
Soldaten haufenweiſe ſich baden, und wo deren
Weiber und Menſcher die ſchmutzigen Hemden aus-
waſchen. Solches Waſſer kann niemand ohne
großen Eckel trinken: und eben in dieſer Sauferey [...]
vermehrt durch jene entſetzliche Hitze, liegt wohl
die erſte Urſache von der fuͤrchterlichen Ruhr, wel-
che ſo viele Menſchen in der preußiſchen Armee
weggerafft hat.
In Trier bin ich einige Male geweſen, und
habe mich nach dem Zuſtande der daſigen Univer-
ſitaͤt erkundigt, ſie aber in einer ſehr traurigen
Lage angetroffen. Ehemals ſtudierten hier Viele
aus den oͤſtreichiſchen Niederlanden, aber ſeit der
Verordnung Kaiſer Joſephs II, nach welcher alle
Landeskinder kaiſerliche Akademieen beſuchen muͤſ-
ſen, leidet Trier gar ſehr. Der Ton der Trieri-
ſchen Studenten hat von dem gewoͤhnlichen Univer-
ſitaͤten-Ton nicht das Mindeſte: die Leute beneh-
[94] men ſich wie kopfhaͤngeriſche Kloſterſchuͤler. Ich
habe mit einigen dieſer Herren geſprochen, aber
alles, was ſie ſagten, machte mir keine vortheil-
hafte Idee von der antiquiſſima Trevirenſi. Da ich
nach dem beruͤhmten Hn. von Hontheim fragte,
wußten zwar einige ſo halb und halb den Namen
Febronius, aber was Febronius eigentlich gelehrt
habe, das wußten die guten Leutchen nicht. Doch
welcher Prophet gilt in ſeinem Vaterlande! Und
ſo konnte auch der große Febronius die kirchliche
Aufklaͤrung ſeiner Landsleute wenig befoͤrdern.
Wenn aber die Trierer durch den jetzigen Zeitton
nicht geſcheuter geworden ſind, dann iſt an ihnen
Hopfen und Malz verlohren. Indeß ich denke doch,
ſie werden jezt nicht mehr ſo pfaffiſch und unwiſ-
ſend ſeyn, als 1792.
Zum Beweiſe, daß das Trierland ein Haupt-
pfaffenland ſonſt war, will ich nur anfuͤhren, daß
in einem Bezirke von einer einzigen Stunde drey
ſehr reiche Benediktiner Abteyen liegen. Dieſe wa-
ren den Cuͤſtinianern eine ſehr willkommne Beute.
Im Lager bey Trier erhielt ich ein Liebesbrief-
chen von einem Nymphchen aus Koblenz, mit der
ich ſo zum Spaß und Zeitvertreib dort geſchaͤckert
hatte, und die hernach wohl zehnmal zu mir ins
Lager kam, und mir mit ihrer zudringlichen Zaͤrt-
lichkeit ſehr laͤſtig ward. Das Maͤdchen muß nicht
[95] gewußt haben, wohin es ſich ſonſt wenden ſollte.
Daß ich ihre Schreiberey ohne Antwort liegen ließe,
verſteht ſich von ſelbſt.
Fuͤr unſre Seelen ſorgte man in dieſem Lager
auch. Wir hatten naͤmlich lange keinen Gottes-
dienſt gehabt, und die Herren Feldprediger der
meiſten Regimenter hatten eben nicht ſehr darauf
gedrungen. Aber nun ſollten auch unſre Seelen
einmal wieder erquickt werden: und ſo mußten die
Feldprediger an einem Sonnabend eine Predigt hal-
ten, wobey man das Lied: Was Gott thut, das
iſt wohl gethan — abſang. Es war gegen Abend
an einem hoͤchſt ſchwuͤlen Tage, und dieß machte,
daß alle Soldaten alle Donnerwetter zuſammen-
fluchten, daß man ſie um der ſakkermentſchen Pre-
digt willen *) gezwungen haͤtte, ſich anzuziehen,
und da in der groͤßten Hitze eine Stunde lang hin-
zuſtehen. Die Predigten handelten von der Er-
gebung in den goͤttlichen Willen, und man merkte
es bald, daß ihre Kompoſition in die Hundstage
fiel. — Das war aber auch der erſte und der lezte
Gottesdienſt fuͤr dieſen Feldzug.
[96]
An Singſang hat es uns auch nicht gefehlt:
denn Hr. Doſt, ein Antiquar aus Halle, fiel auf
den Gedanken, der Armee mit Geſangbuͤchern reli-
gioͤſen Inhalts, und mit Kriegsliedern, wie auch
mit einer hoͤchſt undeutſchen Ueberſetzung des braun-
ſchweigiſchen Manifeſtes nachzuziehen. Die Ge-
ſangbuͤcher habe ich nicht geſehen, wohl aber die in
allem Betracht elenden Kriegslieder, welche er
obendrein fuͤr die Arbeit unſers Feldpredigers La-
fontaine ausgab, um den Wiſchen nur Kurs zu
ſchaffen. Bey Luxemburg kaufte er ſich gar einen
Eſel, lud dieſem ſeinen Singſang auf, und zog ſo
mit nach la Lune und von da wieder zuruͤck, und
ſchlief oft, wie er ſelbſt erzaͤhlt hat, mit ſeinem
Brodtgefaͤhrten in den franzoͤſiſchen Schwein [...]aͤl-
len. Zu Koblenz verkaufte er nachher ſein laſtbares
Thier, ward krank, und kehrte um nach Halle, mit
dem feſten Vorſatz, niemals wieder als geiſtlicher
Makulaturtroͤdler einer Armee nachzuziehen. Jezt
iſt er akademiſcher Liquermeiſter zu Halle.
Ich habe oft lachen muͤſſen uͤber die Geruͤchte,
die man immer auspoſaunte und gern fuͤr baare
Wahrheit gelten ließ. Bey Trier hoͤrten wir der-
gleichen viele; und wenn ich mich dann, wie man
ſpricht, an den Laden legte, und den Ungrund oder
die Unmoͤglichkeit ſolcher Sagerey aufdeckte: ſo
hieß es gleich: ich ſey ein Patriot. Aber ich freue
[97] mich in gewiſſer Ruͤckſicht noch, daß ich mich gleich
von allem Anfang in Abſicht des Ganges dieſes trau-
rigen Krieges nicht geirrt habe: einen Vorbeweis
dazu findet man ſchon im II. B. S. 393 unten in
der Anmerkung. Ich ſchloß damals und nachher
immer nach Gruͤnden, welche mir meine geringe
Kenntniß der Geſchichte an die Hand gab, und ſo
mußte ich wohl richtig ſchließen: denn in der Po-
litik, wie in der Natur, bringen aͤhnliche Urſachen
auch aͤhnliche Wirkungen hervor; und die Men-
ſchen im 14ten, 16ten und 18ten Jahrhunderte ſind
ſich im Grunde gleich: man ſetze ſie alſo in gleiche
Lagen, und ihre Handlungen werden auch gleich
ſeyn.
Achtes Kapitel.
Emigranten-Heer. Luxemburg. Briefe. Spionen. Pluͤnderung.
Die Emigranten hatten ihr Heldenheer nun auch
zuſammengeſtoppelt, und vereinigten ſich mit uns
bey Trier. Wie ſtark ſie wirklich geweſen ſind,
hat man nie mit Gewißheit ſagen koͤnnen: wenig-
ſtens haben ſie ſich immer ſtaͤrker angegeben, als ſie
Dritter Theil. G
[98] in der That waren. Sie ſelbſt haben die Menge
ihrer Leute wohl nie recht gewußt wegen des ewigen
Ab- und Zulaufens. Schon bey Trier riſſen ihre
Soldaten haufenweiſe aus, und das nach Frank-
reich, wo man ſie damals noch ohne weiteres auf-
nahm: nachher haben ſie noch weit mehr verlohren:
endlich nach dem Ruͤckzuge aus Champagne
verliefen ſie ſich beynahe ganz ſo, daß ſie im Fruͤh-
linge 1793 wieder ſo zu ſagen von neuem errichtet
werden mußten.
Gegen die Mitte des Auguſtes brachen wir von
Trier auf und lagerten uns nach einigen ſchweren
Maͤrſchen bey dem Dorfe Montfort, welches
wegen verſchiedner daherum vorgefallner merk-
wuͤrdiger Bataillen bekannt iſt. Ich hatte hier
Gelegenheit, die nahgelegene Stadt und Feſtung
Luxembourg zu beſehen.
Das Volk in dieſer Gegend ſchien mit der oͤſt-
reichiſchen Regierung eben nicht ſonderlich zufrieden
zu ſeyn, und haſſet ſeine nahen Nachbaren, die
Franzoſen weit weniger, als die Trierer: ſonſt aber
ſind die Leute noch ſehr aberglaͤubiſch, grob und
ungeſchliffen. Das Land an ſich iſt uͤbrigens vor-
treflich und mit allem verſehen, was man zur Un-
terhaltung des Lebens bedarf: unſere Lebensart
ward daher jezt auch etwas beſſer und wohlfeiler,
als bisher. —
[99]
Die veneriſche Krankheit war hier ſehr im
Gange. Sonderbar, daß man in katholiſchen Ge-
genden der Liebe weit zuͤgelloſer froͤhnet, als in
proteſtantiſchen. Aber die Natur will ihr Recht
haben, und koͤmmt ſie erſt zur Reife, dann holt ſie
das unbaͤndig nach, was vorher, als ſie noch un-
reif war, die Kloſter-Aſcetik zwar zuruͤckhielt,
aber nicht unterdruͤckte. Dieß gilt auch fuͤr aſce-
tiſche Proteſtanten.
Bisher hatte man immer gehofft, das Mani-
feſt des Herzogs von Braunſchweig wuͤrde eine
gute Wirkung auf die Franzoſen haben, und uns
der Muͤhe uͤberheben, in ihr Land ſelbſt einzudrin-
gen. Dieſes war ſo zu ſagen, die allgemeine Er-
wartung faſt aller Offiziere und Soldaten: denn
dieſe alle waren ſchon jezt des Krieges muͤde.
Aber wie ſehr ſehen ſich die guten Leute in ihrer
Erwartung betrogen, als ſie von der maͤchtigen
Veraͤnderung hoͤrten, welche am 10ten Auguſt in
Paris vorgefallen war! Die Begebenheit dieſes
fuͤr Frankreichs und ſeines Koͤniges Schickſal
ſo merkwuͤrdigen Tages zerſtoͤrte alle ihre Erwar-
tungen; und nun hieß es: „Jezt iſt kein Mittel:
wir muͤſſen geradesweges nach Paris! die verfluch-
ten Hunde, die Patrioten, muͤſſen aufgehaͤngt und
geraͤdert werden.“ — Das war nun ſchon ſo ge-
[100] wiß, wie Amen in der Kirche: mir aber fielen
dabey immer die Nuͤrnberger ein, welche wie man
ſagt, niemanden haͤngen, den ſie nicht erſt haben. —
Hier erhielt ich auch Briefe aus Halle, wovon
der eine mich ſehr erfreute, der andre aber auch
deſto mehr aͤrgerte. Herr Bispink hatte mir
naͤmlich auf einen Brief, den ich von Koblenz aus
an ihn ſchickte, geantwortet, und das Schreiben
dieſes edlen Freundes hatte eben den Stempel von
redlicher Geſinnung, von welcher alle ſeine Handlun-
gen gegen mich voll waren, und noch voll ſind.
Es hat mir, ſo wie jeder Brief, den ich von ihm
bekommen habe, einen recht guten Tag und recht
frohe Stunden gemacht, und dieß noch aus dem
Grunde, daß Hr. Bispink ſo gern mit mir ein-
ſtimmte, wenn ich die Lage der Dinge und den
Krieg gegen die Neufranken mit etwas andern Au-
gen anſah, als man ihn damals anzuſehen gewoͤhnt
war.
Der andre Brief war von einem Halliſchen
Buͤrger. Es geſchah mir aber recht, daß ich auch
einen ſolchen erhielt. Ich hatte lange vor meiner
Abreiſe aus Halle in einer gewiſſen Kneipe *) in Ge-
ſellſchaft des mehrmals erwaͤhnten Bartolini
Bekanntſchaft gemacht, und manchmal mit
[101] Jungfer Rieckchen, der Tochter im Hauſe, ge-
ſchaͤkert. Bey meinem Abzuge mußte ich dem
Maͤdchen verſprechen, dann und wann aus dem
Felde an ſie zu ſchreiben; und das that ich aus
dem Koblenzer Lager. Indeſſen aber hatte ſich ein
gewiſſer Buͤrger aus Halle auch in derſelben Kneipe
zuweilen eingefunden; und die guten Leute moch-
ten glauben, das ſey ſo ein Stuͤck von Freyer fuͤr
ihre Tochter. Als nun mein Brief ankam, und
der Vater dieſe Correſpondenz inne ward, ſchrieb er
mir in einem zwar nicht groben, aber doch etwas der-
ben Tone, und verbot mir, ferner an ſeine Tochter
zu ſchreiben, damit meine Briefe ihr an ihrem Gluͤcke
nicht hinderlich werden moͤgten. Ich aͤrgerte mich
anfangs ein wenig, nachher aber ließ ich es gut
ſeyn. Allein nach unſerm Ruͤckzuge aus Cham-
pangne ſchrieb mir Jungfer Rieckchen ſelbſt, ent-
ſchuldigte die Grobheit ihres Vaters, und verſi-
cherte mich, ich weiß nicht weſſen. Nun zog ich
ſo unter der Hand einige Erkundigung ein, und ſiehe
da, ich erfuhr, daß der praͤtendirte Herr Freyer
abgegangen war, wie die Katze vom Taubenſchlag,
und daß ich jezt gut genug ſeyn ſollte, meinen al-
ten Platz in Jungfer Rieckchens Gunſt wieder
einzunehmen. Das Ding gefiel mir nicht ſehr:
ich antwortete alſo nicht, und der ganze Kohl hatte
ein Ende.
[102]
Hier bey Luxemburg wurde ein Spion aufge-
knuͤpft: man ſagte die Franzoſen haͤtten ihn abge-
ſchickt, um unſer Lager auszuſpaͤhen.
Ich habe uͤber die Spionen und deren Beſtra-
fung ſo meine ganz eignen Gedanken, und es koͤmmt
mir vor, als wenn das Geſetz, welches die Spio-
nen ſo geradeweg zum Strange verdammt, ſehr
ungerecht ſey. Denn wenn man einen General,
der ſich aller Kriegsliſte bedient, deßwegen nicht
fuͤr unehrlich, und ihn noch weniger fuͤr ſtrangfaͤhig
erklaͤrt, weil er durch Liſt dem Feinde zu ſchaden
trachtet: warum ſoll man einen armen Teufel auf-
knuͤpfen, der ſich zur heimlichen Entdeckung der
Abſichten des Feindes bereden oder gebrauchen laͤßt?
Man muß alles nur ſo einrichten, daß kein Spion
uns durch Entdeckung deſſen, was er ſieht oder
hoͤrt, ſchaden koͤnne: und dann hat die Spionerie
keine boͤſe Folgen. Da gefaͤllt mir der franzoͤſiſche
General Moncey, welcher die Neufranken in die-
ſem Kriege gegen die Spanier anfuͤhrte, beſſer. Als
dieſem 2 ſpaniſche Spionen vorgefuͤhrt wurden, ſagte
der edle Mann zu ihnen: „Hoͤrt ihr Leute, ich koͤnnte,
wenn ich nach der gemeinen Art mit euch verfahren
wollte, euch alle beyde gleich haͤngen laſſen; aber
ich verachte einen Spion zu ſehr, als daß ich den-
ken ſollte, aus ſeiner Hinrichtung Vortheil zu zie-
hen. Geht hin zu eurem General und ſagt ihm,
[103] ich ſey 32000 Mann ſtark, und erwartete blos noch
Verſtaͤrkung; ſobald ich die wuͤrde erhalten haben,
wuͤrde ich ihn angreifen, ſchlagen, und dann Na-
varra erobern. Das ſind meine Anſchlaͤge, welche
euer General ohne Zweifel durch euch hat erfahren
wollen. Nun koͤnnt ihr ſie ihm berichten, und ihm
noch ſagen, daß wenn er kuͤnftig etwas von meinen
Abſichten wiſſen wolle, er ſich nur an mich wen-
den duͤrfe: ich wolle ihm allemal richtige Nachricht
geben. Jezt packt euch!“ — Ich glaube, daß
der brave Moncey Recht hatte, wenigſtens handelte
er edel, und es waͤre Schade, wenn dieſe edle
Handlung vergeſſen wuͤrde. Es war freylich nur
ein franzoͤſiſcher General; aber der Herzog von
Braunſchweig hat, wie ich zu ſeiner Zeit erzaͤhlen
werde, eine aͤhnliche edle Handlung ausgeuͤbt.
Von Luxemburg bis auf die franzoͤſiſche Graͤnze
hatten wir noch zwey Maͤrſche, die aber gut ge-
meſſen waren. Wir pluͤnderten unterwegs die Erb-
ſen- und Kartoffel-Aecker, ob dieſe gleich noch im
Kaiſerlichen lagen, und ruͤckten am 19ten Auguſt
1792 uͤber die Graͤnzen in Waͤlſchlotharingen ein.
Daß man uns den Tag vor unſerm Einmarſche
in Frankreich es noch erlaubte, die in der Naͤhe
des Lagers befindlichen Aecker der oͤſtreichiſchen Un-
terthanen, wenn gleich ihr Landesherr mit uns
verbuͤndet war, auszupluͤndern, war mir eine
[104] ſeltſame Erſcheinung. Um den Grund davon [...]-
zufinden, legte ich mich auf Erkundigung, und
hoͤrte: daß die Bewohner jener Gegend Neufraͤn-
kiſch geſinnet ſeyen, ob ſie gleich Unterthanen des
Kaiſers waͤren; und da waͤre es ſchon recht, daß
man ſie etwas zuͤchtige und die Folgen des Krieges
mitempfinden laſſe. Die Angabe dieſes Grundes
ſchien mir damals nur ſo erſonnen; aber in der
Folge habe ich gefunden, daß ſie nur gar zu ge-
gruͤndet war. Auch die Unterthanen in dieſen Ge-
genden litten vielen willkuͤhrlichen Druck, wie bey-
nahe alle auf den Graͤnzen Frankreichs. Es war
alſo natuͤrlich, daß das Entgegenſtreben dieſes Lan-
des ſich zunaͤchſt auf alle die Graͤnznachbarn ver-
breitete, welche den Grund des allgemeinen Auf-
ſtandes in Frankreich durch eigne Erfahrung in
ihrem Lande kennen gelernt hatten. Es konnte
demnach nicht anders ſeyn, als daß man auch aͤhn-
liche Wirkung da finden mußte, wo aͤhnliche Ur-
ſache vorausgegangen war. — Und wer ſteht uns
da [...]r, daß dieß nicht noch weiter greifen wird!
Den Krieg der Neufraͤnkiſchen Waffen kann man
beendigen, aber nicht den Krieg ihres Syſtems.
Dieß hat ſo viel unverſoͤhnliche Verbuͤndete, als
es Deſpotiſch-Bedruͤckte giebt, und helle warme
Menſchenfreunde, zumal in Laͤndern von Fuͤrſten,
welche es behaglicher finden, den Schlendrian des
[105] Orientaliſchen und Longobardiſchen Deſpotismus
unbekuͤmmert fortzuſetzen, ohne die fuͤr ihr eignes
Intereſſe ſo wichtige Wahrheit einzuſehen: Daß
kein Fuͤrſt groß, maͤchtig, gluͤcklich und ſicher
ſeyn kann, wenn er nicht vernuͤnftige Voͤlker
gerecht regiert. *)
Neuntes Kapitel.
Einfall in Frankreich. Anfang alles Elendes.
Der 19te Auguſt war der Tag, an welchem wir
in Frankreich einruͤckten: und dieſen Tag werde ich
nicht vergeſſen, ſo lange mir die Augen aufſtehen.
Als wir fruͤhe aus unſerm Lager aufbrachen, war
das Wetter gelinde und gut; aber nach einem
Marſche von zwey Meilen mußten wir Halt ma-
[106] chen, um die Kavallerie und Artillerie vorzulaſſen;
und waͤhrend dieſes Halts fieng es an, jaͤmmerlich
zu regnen. Der Regen war kalt und durchdrin-
gend, ſo daß wir alle rack und ſteif wurden. End-
lich brachen wir wieder auf, und poſtirten uns
naͤchſt einem Dorfe, das Brehain la ville hieß,
eine gute Meile von der deutſchen Graͤnze.
Der Regen waͤhrte ununterbrochen fort, und
weil die Packpferde weit zuruͤckgeblieben waren,
indem ſie wegen des gewaltig ſchlimmen Weges
nicht voran konnten, ſo mußten wir unter freyem
Himmel aushalten und uns bis auf die Haut durch-
naͤſſen laſſen. Da haͤtte man das Fluchen der
Offiziere und Soldaten hoͤren ſollen!
Endlich wurde befohlen, daß man einſtweilen
fuͤr die Pferde furaſchiren und aus den naͤchſten
Doͤrfern Holz und Stroh holen ſollte.
Das Getraide ſtand noch meiſtens im Felde,
weil dieſes Jahr wegen des anhaltenden Regens
die Ernte ſpaͤter, als gewoͤhnlich, gefallen war.
Das Furaſchiren gieng ſo recht nach Feindes Art:
man ſchnitt ab, riß aus und zertrat alles Getreide
weit und breit, und machte eine Gegend, worauf
acht bis zehn Doͤrfer ihre Nahrung auf ein ganzes
Jahr ziehen ſollten, in weniger als einer Stunde
zur Wuͤſteney.
[107]
In den Doͤrfern gieng es noch abſcheulicher her.
Das unſerm Regimente zunaͤchſt liegende war das
genannte Brehain la ville, ein ſchoͤnes, großes
Dorf, worin ehedem ein ſogenannter Bailli du roi
ſeine Reſidenz gehabt hatte. Um durch Laufen mich
in Waͤrme zu ſetzen, lief ich mit vielen andern
auch nach dieſem Dorfe, wo wir Stroh und Holz
holen ſollten. Ehe aber dieſe Dinge genommen
wurden, durchſuchten die meiſten erſt die Haͤuſer,
und was ſie da anſtaͤndiges vorfanden, nahmen ſie
mit, als Leinwand, Kleider, Lebensmittel und
andere Sachen, welche der Soldat entweder ſelbſt
brauchen, oder doch an die Marketender verkaufen
kann. Was dazu nicht diente, wurde zerſchlagen
oder ſonſt verdorben. So habe ich ſelbſt geſehen,
daß Soldaten vom Regimente Woldeck in eben
dieſem Dorfe ganze Service von Porcellan im
Pfarrhofe und anderwaͤrts zerſchmiſſen: alles Toͤ-
pferzeug hatte daſſelbe Schickſal. Aufgebracht uͤber
dieſe Barbarey, ſtellte ich einen dieſer Leute zur
Rede: warum er einer armen Frau, troz ihres bit-
tern Weinens und Haͤnderingens, das Geſchirr zer-
ſchmiſſen und ihre Fenſter eingeſchlagen habe? Aber
der unbeſonnene, wuͤſte Kerl gab mir zur Antwort:
was Sakkerment, ſoll man denn hier ſchonen?
Sinds nicht verfluchte Patrioten? Die Kerls ſind
ja eigentlich Schuld, daß wir ſo viel ausſtehen
[108] muͤſſen! Und damit giengs mit dem Ruiniren im-
mer vorwaͤrts. Ich ſchwieg und dachte ſo mein
Eignes uͤber das Wort: Patriot in dem Munde
eines — Soldaten. —
Die Maͤnner aus dieſen Doͤrfern hatten ſich alle
wegbegeben, und blos ihre Weiber zuruͤckgelaſſen,
vielleicht, weil ſie glaubten, daß dieſe den ein-
dringenden Feind eher beſaͤnftigen koͤnnten. Aber
der rohe Soldat hat eben nicht viel Achtung fuͤr
das ſchoͤne Geſchlecht uͤberhaupt, zumal bey Feind-
ſeligkeiten, und es giebt wuͤſte Teufel unter dieſen
Leuten, welche einem Frauenzimmer allen Drang
anthun koͤnnen, die aber vor jedem Mannsgeſicht
aus Feigheit gleich zum Kreuze kriechen. Ich habe
davon einmal eine Probe geſehen bey Homburg an
der Hoͤhe, in einem Dorfe. Es kam hier naͤmlich
ein Offizier vom Regiment Hohenlohe in ein Haus,
worein ich getreten war, um Waſſer zu trinken.
Mit dem groͤßten Ungeſtuͤm foderte er Butter oder
Kaͤſe, und als ihn das Maͤdchen verſicherte, daß
ſie weder das eine, noch das andere haͤtte, ward
er grob, und ſagte: Euer Haus ſollte man Euch
anſtecken, ihr verfluchtes Patrioten-Grob! u. ſ. w.
— Dieß hoͤrte des Maͤdchens Bruder vor der
Thuͤre, trat hinein und ſchaute dem Hn. Leutnant
ins Geſicht: „Herr, was raͤſonnirt Er da von Pa-
trioten-Grob? Den Augenblick zur Thuͤr hinaus,
[109] oder ich ſchwuppe ihn hier herum, wie einen Tanz-
baͤr!“ Dieß ſagte er, und der Hr. Leutnant ſchob
ab, und ſagte kein Wort. Mich hatte er nicht be-
merkt, denn ich ſaß hinterm Ofen. Dieß im Vor-
beygehen!
Unſere Leute hatten auf den Doͤrfern die Schaf-
huͤrden und Schweinſtaͤlle geoͤfnet; und ſo ſah man
auf den Feldern viele Schaafe und Schweine herum
laufen. Dieſe wurden, wie leicht zu denken ſteht,
haufenweiſe aufgefangen und nach dem Lager ge-
ſchleppt. Ich muß geſtehen, daß ich mich auch
unter den Haufen der Raͤuber miſchte, und ein
Schaaf, nach meinem Zelte brachte: ich dachte,
wenn du's nicht nimmſt, ſo nimmt es ein anderer
oder es verlaͤuft ſich: und dieſer Grund beſtimmte
mich, an der allgemeinen Pluͤnderey Theil zu neh-
men. Der rechte Eigenthuͤmer, dachte ich ferner, ge-
winnt doch nichts, wenn auch ich ſein Eigenthum
nicht beruͤhre; ja, ich werde alsdann noch oben-
drein fuͤr einen Pinſel gehalten, der ſeinen Vortheil
nicht zu benutzen wiſſe. Kurz, alle Imputabilitaͤt des
Pluͤnderns gehoͤrt, wie mich duͤnkt, fuͤr die Aufſeher
uͤber die Disciplin und den Lebensunterhalt: dieſe
haben zunaͤchſt alles zu verantworten.
Das Haͤmmel- und Schweinefleiſch wurde ge-
kocht, oder an den Saͤbel geſteckt, und ſo in der
Flamme gebraten, und hernach ohne Brod und ohne
[110] Salz verzehrt; denn das Brod war uns auch aus-
gegangen; und zwar hier zum erſtenmal fuͤhlten
wir Brodmangel, der uns nach dieſer Zeit noch
oft betroffen und bitter gequaͤlt hat, wie die Folge
dieſer Erzaͤhlung ausweiſen wird.
Das Dorf Brehain la ville, und alle
andre in deſſen Naͤhe, ſahen bald aus, wie Raͤu-
berhoͤlen; ſelbſt das Dorf nicht ausgenommen,
worin unſer Koͤnig logirte.
Endlich, als es bald dunkel war, kamen die
Zelter an, worin wir uns durchnaß und uͤberaus
beſudelt niederlegten, und auf dem naſſen Boden
und Stroh eine garſtige Nacht hinbrachten. Die
Burſche, welche auf der Wache waren, gingen
des Nachts von ihrem Poſten in die Doͤrfer auf
Beute.
Das abſcheuliche kaͤltende Wetter und das
ſchlechte naſſe Lager hatten die Folge, daß ſchon
am andern Tage gar viele Soldaten zuruͤck in
die Spitaͤler gebracht werden mußten, weil ſie
das Fieber hatten, und nicht mehr mitmarſchieren
konnten.
Ob unſre Vorgeſezten das Rauben und Pluͤn-
dern nicht verboten, und dieſem Unweſen nicht Ein-
halt gethan haben? Allerdings haben das viele
gethan, aber nicht alle, und die, welche es noch
thaten — je nun, die ſahen nicht alles, oder ſie
[111] wollten nicht alles ſehen. Es hieß: „wir ſind ja
einmal in Feindes Landen: wer etwas erwiſchen
kann, dem iſts nicht groß zu verargen, zumal beym
Mangel. Ueberdieß iſt's ja ein Wetter zum Kre-
piren: wer kann da uͤber den Soldaten zuͤrnen,
wenn er boͤſer Laune wird!“ u. ſ. w.
Die armen Leute in den Doͤrfern, welche ſich
nun ihres Auskommens auf lange Zeit beraubt ſahen,
ſchlugen die Haͤnde zuſammen und jammerten er-
baͤrmlich: aber unſre Leute ließen ſich von dem
Angſtgeſchrey der Elenden nicht ruͤhren, und lachten
ihnen ins Geſicht, oder ſchalten ſie Patrioten und
Spizbuben.
Ein Offizier von dem Regimente Romberg,
hatte es ſogar gern geſehen, daß ſein Calefactor *)
einem franzoͤſiſchen Bauer deſſen Pferd genommen
hatte. Es gefiel ihm, und er nahm es gegen ein
kleines Gratial zu den ſeinen. Er glaubte, das
Pferd gehoͤre auch zu den Kriegsgeraͤthſchaften;
und da nun befohlen ſey, daß man den franzoͤſiſchen
Landleuten und uͤberhaupt allen dortigen Einwoh-
nern alle Munition nehmen ſollte, ſo meynte er,
koͤnnte er ja auch das Pferd mit dazu rechnen, und
es — behalten. Aber der Herzog von Braun-
ſchweig ließ den Syllogismus des Hn. Leutnants
[112] nicht gelten, und zwang ihn, nicht nur das Pferd
dem Bauer zuruͤck zu geben, ſondern er ließ ihn noch
obendrein in die Wache ſtecken. Doch wurde die
Logik mancher Herren dadurch nicht viel geaͤndert:
denn in der Folge haben Einige noch gar manches
Pferd auf dieſe Art ſich zugeeignet.
Wegen des Pluͤnderns hoͤrte ich noch am naͤm-
lichen Tage zwey Offiziere — es war ein Kapitaͤn
und ein Major — dieß mit einander reden:
Major: Aber, bey Gott, es iſt doch eine
Schande, daß gleich am erſten Tage unſers
Einmarſches ſolche Graͤuel veruͤbt werden!
Kapitaͤn: O verzeihen ſie, Hr. Obriſtwacht-
meiſter, das iſt eben unſer Hauptvortheil, daß
dieſes gleich geſchieht.
Major: Nun, laſſen ſie hoͤren, wie und
warum!
Kapitaͤn: Sehn ſie, das geht heute vor, und
zwar etwas ſtark, ich geſtehe es: aber nun macht
das auch einen rechten Laͤrm in ganz Frankreich.
Jeder ſpricht: ſo machens die Preußen! So pluͤn-
dern die Preußen! So ſchlagen die Preußen den
Leuten das Leder voll!
Major: Das iſt eben das Schlimme, daß
man nun ſo in ganz Frankreich herumſchreyen wird!
Das wird uns warlich wenig Ehre machen.
Kapitaͤn: Ey was Ehre! Es ſchreckt doch die
[113] Patrioten ab. Sie werden denken: Machen's die
Preußen ſchon am erſten Tage ſo: was werden
ſie noch thun, wenn ſie weiter kommen? Da wer-
den die Spitzbuben deſto eher zum Kreuze kriechen.
Major: Meynen Sie? Nein, mein Lieber,
es wird die Nation erbittern, und ſelbſt die wider
uns aufbringen, die es bisher noch gut mit uns
gemeynt haben. Und wirklich, das heißt doch
nicht Wort halten!
Kapitaͤn: Wie ſo, Hr. Obriſtwachtmeiſter?
Major: Hat nicht der Herzog im neulichen
Manifeſte den Franzoſen verſprochen, daß er als
Freund kommen, und blos die Herſtellung der
innern Ruhe zum Zweck haben wollte? Das heißt
aber ſchoͤn als Freund kommen, wenn man die
Doͤrfer auspluͤndert, die Felder abmaͤhet, und Leu-
ten, die uns nichts gethan haben, das Fell aus-
gerbt! Pfuy, Pfuy!
Kapitaͤn: Das iſt aber doch Kriegsmanier!
Major: Der Teufel hole dieſe Kriegsmanier!
Ich ſage und bleibe dabey: das heutige Benehmen
unſrer Truppen und ihr verdammtes Marodiren
wird uns mehr ſchaden, als wenn wir eine Schlacht
verloren haͤtten.
Kapitaͤn: Herr Obriſtwachtmeiſter, inner-
halb drey Wochen iſt die ganze Patrioterey am Ende:
Dritter Theil. H
[114] in drey Wochen iſt Frankreich ruhig, und wir haben
Friede. Wollen Sie wetten? Ich biethe 10 Louis-
d'Or.
Major: Topp: wenn in drey Wochen Friede
iſt, ſo haben Sie gewonnen!
Der Hauptmann ſchlug ein, und — zahlte
hernach bey Luxemburg auf dem Ruͤckzuge — zehn
Louis d'Or.
Der Herzog erfuhr die Pluͤndereyen nicht ſo bald,
als er ſie gleich aufs ſchaͤrfſte unterſagen ließ.
Allein was halfs! Anfangs folgte man; aber her-
nach, beſonders auf dem Ruͤckzuge, gings, troz man-
cher exemplariſcher Beſtrafung, oft ſehr arg.
Sogar Weiber ließen ſich beygehen, in die Doͤr-
fer zu laufen und da zu marodiren. Wir hatten naͤm-
lich einige ſolcher Kreaturen — denn Kreaturen
ſind es immer, und zwar von der allerverworfen-
ſten Claſſe, welche ſich entſchließen, einer Armee
nachzurennen: wer ihrem Unweſen nur je zuſah,
weis gleich, warum. — Alſo ſolche Kreaturen, groͤß-
tentheils unverehlichte Menſcher, welche ſich an
Soldaten gehenkt hatten und ſo mitzogen, maro-
dirten derb, und dieß ſchon in den Trieriſchen und
Luxemburgiſchen Doͤrfern und Feldern. Da be-
fahl denn der Herzog, daß ſie kuͤnftighin jedesmal
von den Profoſen der Regimenter gefuͤhrt werden
ſollten.
[115]
Ein Preußiſcher Profos iſt aber eine gar traurige
Perſonnage. Der Kaiſerliche Profos iſt ein ange-
ſehener Mann, welchen die Soldaten und Offiziere
ihren Herr-Vater heißen. Ich habe einige von
dieſen kennen lernen, und beſonders an dem Hn.
Vater des Regiments Terzi, welches im Winter
1795 in Freyburg ſtand, einen ſehr artigen feinen
Mann gefunden, der etwas ſtudirt, und den Kopf
auf dem rechten Fleck ſitzen hatte. So ein Profos
hat auch gutes Traktament, und artige Kleidung.
Hingegen ein Preußiſcher — iſt gewoͤhnlich ein alter
Invalide, der ſchlechten Sold erhaͤlt, und eine aus-
gezeichnete Uniform traͤgt, grau mit gruͤner Gar-
nitur; auch keinen Steckenjungen hat, der die Ge-
fangnen ſchließe, oder die Stecken und Ruthen
ſchneide u. dgl. das muß der preußiſche Profos
alles ſelbſt thun. Daher iſt er auch bey jedem Sol-
daten verachtet und verſpottet; keiner trinkt mit ihm,
und er darf ſich nicht unterſtehen, in ein Wirths-
haus, oder in eine Marketenderhuͤtte zu kommen,
wo Soldaten ſind: ſogar die Packknechte wollen
den Profos nicht um ſich leiden. So warf einſt
unſer Packknecht Rohkohl unſern Profos bey Landau
aus der Bierbude, mit dem Zuſatz: der Kerl will
ſich unter honette Leute miſchen! — Wenn man
endlich weiß, daß auch die Packknechte von den
Soldaten verachtet, und bey jeder Gelegenheit mis-
[116] handelt werden, ſo kann man ſich ſo ziemlich den
Begriff machen, was der arme Profos bey den
Preußen gelten muͤſſe.
Die Weiber, oder vielmehr die Menſcher der
Armee wollten nun ſchlechterdings das Kommando
der Profoſe nicht anerkennen, und widerſezten ſich
ihnen aufs thaͤtigſte: kurz, ſie betrugen ſich ſo, daß
man genoͤthigt war, das Kommando uͤber ſie einem
Unteroffizier aufzutragen. Aber auch dieſe Anſtalt
ging bald wieder ein, und die Nickel marodirten
wieder, wo und wie ſie wollten.
Ich ſehe in Halle jezt noch oͤfters eine von
dieſen Kreaturen, welche ehedem als ein rechter
Teufelsbeſen alle Loͤcher und Hurenkeller durchkro-
chen iſt. Dieſe hing ſich beym Ausmarſche nach
Frankreich an einen Soldaten, und verdiente ſich
durch ihre Induſtrie, welche ſie beſonders im Ma-
rodiren bewies, ſo viel, daß ſie jezt eine vollſtaͤndige
Wirthſchaft beſizt, und einen ihrer Galane hat heu-
rathen koͤnnen. Daß ich dieſem abgefeimten Nickel
nicht zu viel thue, will ich nur durch einen Vorfall
erhaͤrten, wobey ich Zeuge war. Ich befand mich
mit einem ſehr braven Offizier ohnweit Grand-
pre in einem Dorfe, wo ich dieſes Menſch einem
armen Maͤdchen von 10-12 Jahren die Schuͤrze
und das Mieder mit Gewalt ausziehen ſah. Ich
wollte abwehren, aber die Niedertraͤchtige hatte
[117] Unterſtuͤtzung von einigen Soldaten des Regiments
von Woldek: ich rief daher den Offizier, welcher
dieſe Natter mit derben Hieben zwang, dem Maͤd-
chen, das jaͤmmerlich ſchrie, ſeine Sachen zuruͤckzu-
geben.
Wie hier, ſo hat dieſe Verſchmizte ihr raͤube-
riſches Handwerk faſt uͤberall getrieben, nebſt jenen
andern, welches ſich denken laͤßt: und ſo koſtet es
ihr noch keinen Heller, wenn ſie dieſen oder jenen
Nebengalan mit Zeug zu Kleidungsſtuͤcken und
dergleichen verſieht, oder nichts an ſich ſpahrt, um
wenigſtens durch Kleider, Gang und Koketten-
mine noch etwas zu gelten.
So alſo trieben es unſere Soldaten, ſo auch
deren Weiber und Menſcher! Auftritte von dieſer
Art waren daher nicht ſelten, und ich werde nicht
ermangeln, ſie in der Folge gehoͤrigen Orts anzu-
bringen, und dieß, damit man wiſſe, daß die
Deutſchen in Frankreich das erſt thaten, was die
aufgebrachten Franzoſen nachher in Deutſchland
dafuͤr wieder thaten. Haͤtten die meiſten unſerer
deutſchen Zeitungsſchreiber, Journaliſten und Al-
manachsſchmierer das Betragen der Neufranken
nach dem gleichartigen Betragen der Deutſchen
etwas kaͤlter gewuͤrdiget und ſie anfaͤnglich nicht
immer wie blinde Kanibalen zu tief herabge-
ſezt: ſo haͤtten die meiſten unſrer deutſchen Fuͤr-
[118] ſten, wie ihre Miniſter, wohl etwas heller drein
geſehn, und haͤtten dann es gewiß nie ſo weit kom-
men laſſen, daß ſie, meiſt fluͤchtig, und nach dem
Ruin ihrer Laͤnder, endlich ſich genoͤthigt ſehen,
unter jeder, auch noch ſo nachtheiligen oder ſchimpf-
lichen Bedingung, in aller fuͤrſtlichen Herablaſſung
und Bloͤße, um Frieden gleichſam zu betteln bey
denen, welche ſie vorhin, wer weis wie tief, ver-
achteten. Und das waren denn die Fruͤchte von
der verteutſchten Deutſchheit! —
„ Ich bedaure, daß ſelbſt einer meiner Freunde,
Hr. Braun, Pfarrer zu Oppenheim, in einem
ziemlich dicken Buche, unter dem Titel: Das
Betragen der Franzoſen in der Rheini-
ſchen Pfalz — die Neufranken aufs haͤßlichſte
geſchildert hat. Ich will gern glauben, daß Hr.
Braun, deſſen Wahrheitsliebe und Ehrlichkeit
mir bekannt iſt, ſeine Nachrichten von glaubwuͤr-
digen Maͤnnern erhalten, und keine Erdichtungen
eingemiſcht hat: dennoch blickt eine gewiſſe Ani-
moſitaͤt gegen die Frankreicher, wie er die Franzo-
ſen, nach Girtanner, nennt, aller Orten durch. *)
[119] Das aber wuͤrde nicht geſchehen ſeyn, wenn Hr.
Braun auch das vorhergegangene Benehmen der
Deutſchen gegen die Frankreicher genauer gewußt
oder gewuͤrdiget haͤtte. Da wuͤrde er nach dem
Spruch des Horatius geſehen haben, wie
Illiacos intra muros peccatur et extra,
und dann haͤtte er gewiß minder ſtreng von Leuten
geſchrieben, welche von den Deutſchen ja erſt auf
mehr als eine Art arg gekraͤnkt waren. Ich haſſe zwar
die franzoͤſiſchen Raͤuber und ihre Barbareien in
der Pfalz ſo ſehr, als Hr. Braun: denn ich bin
ja ſelbſt ein Pfaͤlzer: aber die Invaſion und die
Raͤubereien der Deutſchen in Lotharingen und in
Champagne kann ich auch nicht loben. Man muß
jedem ſein Recht wiederfahren laſſen, dem Deut-
ſchen und dem Franzoſen, und das darum, damit
wir ſelbſt billiger und toleranter werden, und uns
ſo gegenſeitig deſto eher wieder ausſoͤhnen. Wenn
ich alſo dann und wann auf Hn. Brauns Buch
Ruͤckſicht nehme, ſo wird der brave Mann dieß
mir nicht verargen: denn es geſchieht gewiß nicht
*)
[120] aus Geringſchaͤtzung ſeiner Abſicht oder ſeiner
Arbeit, ſondern blos, um den uͤbertriebnen, gehaͤſ-
ſigen Eindruck etwas zu mildern, welchen ſein
aufgeſtelltes Gemaͤlde bey allen nicht recht unter-
richteten Leſern vielleicht gemacht hat.
Zehntes Kapitel.
Beſitznehmung von Longwy.
Am 20ten Auguſt hatten wir ſchoͤnes Wetter:
allein wir wurden doch erſt gegen Abend voͤllig
trocken, weil wir den Tag vorher gar zu naß ge-
worden waren.
Der Herzog befahl, erſt Brod herbey zuſchaf-
fen, ehe das Lager aufgebrochen werden ſollte; und
dieſes hinderte uns, fruͤh aufzubrechen.
Als wir das Lager geraͤumt hatten, lag alles
voll Schafshaͤute und Kaldaunen von Schafen und
Schweinen, welche den Tag vorher geſchlachtet
waren; eben ſo verhielt es ſich mit den Federn
von den geraubten Huͤnern und Gaͤnſen.
An eben dieſem Tage forderte der Herzog von
Braunſchweig mit einer nicht ſtarken Avantgarde
[121] die Feſtung Longwy auf. Dieſes Staͤdtchen iſt
ſehr artig gebaut, und hat treffliche große Haͤuſer
und einige ſchoͤne oͤffentliche Gebaͤude. Die Be-
feſtigungswerke ſind von dem beruͤhmten Vauban.
Longwy iſt betraͤchtlicher als Verdun, ob es
gleich viel kleiner iſt.
Bey der erſten Auffoderung weigerte ſich der
Kommandant, das Staͤdtchen aufzugeben; als aber
das grobe Feuren hinzukam, da drang die Buͤrger-
ſchaft auf die Uebergabe, damit das Oertchen nicht
ganz zerſchoſſen werden moͤgte: und ſo kam dieſe
Feſtung in die Haͤnde der Preußen. Longwy haͤtte
ſich zu der Zeit ohnehin ſchwerlich ſo lange halten
koͤnnen, bis Entſatz gekommen waͤre. Die Ueber-
gabe dieſes Platzes, und der Feſtung Verdun ha-
ben indeß eigentlich viel Ungluͤck uͤber die deutſchen
Armeen verhaͤngt: denn waͤren die Franzoſen hier
nur ſtandhafter geblieben, und haͤtten ſie uns mehr
dabey beſchaͤftiget, ſo waͤren wir nicht ſo weit vor-
gedrungen, und haͤtten wenigſtens beſſere Anſtalten
fuͤr unſre Erhaltung getroffen.
Wir hatten unſer Lager an einem ſchoͤnen Ge-
hoͤlze, aber innerhalb 8 Tagen war das ganze Holz
zuſammengehauen, und verbrannt. Es hatte ehe-
mals zu einer Abtey gehoͤrt.
In die umliegenden Doͤrfer wurden zwar Sal-
vegarden gelegt: dieſes aber hinderte nicht, daß
[122] auch ſie nicht rein ausgepluͤndert wurden. Die
Felder wurden obendrein weit und breit furaſchirt.
Das Wetter war die ganze Zeit uͤber, als wir
bey Longwy ſtanden, ſchlecht: es regnete ohne Un-
terlaß; und der Boden, welcher in Lotharingen oh-
nehin uͤberall ſteif und leimigt iſt, war beinahe ganz
ungangbar: er hing ſich an, wohin man nur trat.
Die Lebensmittel waren hier ſehr theuer, und das
Brod, welches die franzoͤſiſchen Bauern uns zu-
ſchleppten, muſte faſt mit Geld aufgewogen wer-
den.
Dem wuͤrdigen Herrn von Hunt, Obriſten un-
ſers Regiments, muß ich es hier nachruͤhmen, daß
er bey uns gute Mannszucht hielt in Ruͤckſicht auf
das Furaſchiren. Es wurde uns ſchlechterdings
nicht geſtattet, die Felder auszupluͤndern, oder in
den Doͤrfern auf Beute auszugehen. Der Herr
Major von Wedel trug das Seinige auch redlich
bey, den armen Landleuten Schonung zu verſchaf-
fen: Beyde hatten mehrere gutdenkende Offiziere
dabey zu Gehuͤlfen. Andre Regimenter nahmen das
Ding doch ſo genau nicht; und die Felder ſind den-
noch geleert worden, obgleich ein und das andre
Regiment keine Kartoffel, Moͤhre u. d. gl. beruͤh-
ren durfte.
Unſer Hauptmangel war an gutem Waſſer.
In dieſen Gegenden iſt das Waſſer uͤberhaupt
[123] ſchlecht; und die elende Koſt mit dem Mangel an
gutem Getraͤnke verbunden, dann das traurige
Wetter, nebſt der anhaltenden Kaͤlte, vermehrten
die Krankheiten ohne Aufhoͤren: tagtaͤglich brachte
man von unſern Kameraden mehrere ins Lazareth
nach Longwy, von welchen aber nur wenige zuruͤck
gekommen ſind.
Die Emigrirten hatten unter andern uns vorge-
ſchwazt, daß die Franzoſen vor lauter politiſchem
Trubel den Ackerbau faſt gar nicht mehr betrieben.
— Daß aber dieſes eine offenbare Luͤge war, habe
ich ſelbſt bald geſehen, wie alle unſre Leute. Das
ganze Land in Lotharingen, und in dem kleinen
Laͤndchen Clermontois, ja ſogar in dem armen un-
fruchtbaren Champagne zeigte das Gegentheil:
Der Ackerbau bluͤhte hier ſichtbar; die Gaͤrten wa-
ren gut angelegt, und die Doͤrfer verriethen den
Fleiß und den Wohlſtand ihrer Bewohner.
Ich habe mich mit Lotharingern mehrmals un-
terhalten, und mit Vergnuͤgen vernommen: daß
ſie durch die Revolution von jeder Seite durchaus
gewonnen haͤtten. Die ſchrecklichen Abgaben, ſag-
ten ſie, waͤren nicht mehr; jezt koͤnnten ſie auch an
ſich denken, bauen, Andern aushelfen, ihres Le-
bens, wie ihrer Arbeit froh werden, einen Noth-
pfennig erſparen; die vielen Acciſen haͤtten aufge-
hoͤrt; das grobe Wild verwuͤſtete ihre Fruchtfelder
[124] nicht weiter: kurz, ſie fuͤhlten jezt, daß ſie Men-
ſchen waͤren, und nicht mehr Sklaven des Edel-
manns und der Prieſter. etc. etc.
Man muß, duͤnkt mich, bey einer Revolution
nicht die vornehmen Kaſten der Staͤdter, noch weni-
ger, die Kaufleute, Juden, Wucherer, beſoldete
Gelehrte, und Dienſtleute, am allerwenigſten dieje-
nigen fragen, welche blos vom alten Syſteme, von
den Vorurtheilen, dem Aberglauben und von dem
Luxus der Nation ſich zu naͤhren vorher gewohnt
waren. Dieſe Leute ſind alle nicht in der Lage, ei-
nen richtigen Begriff von der Staatsaͤnderung an-
zugeben: denn ſie haben dabey verlohren, und ihr
Verluſt hindert ſie, den Gewinn des Ganzen gehoͤ-
rig zu wuͤrdigen. Man frage den Landmann, den
Handwerker, der noͤthige Sachen macht; kurz, die
erwerbende Klaſſe, nicht die verzehrende, nicht den
Hoͤfling, den Prieſter, den Friſeur oder das Mode-
maͤdchen: und man wird von der Revolution rich-
tiger urtheilen lernen. Dabey aber denke man ja
beſtaͤndig, daß man eine Revolution vor Augen ha-
be, und daß bey einer Revolution, beſonders wenn
ſie von allen Seiten her durch in- und auslaͤndiſche
Angriffe beſtuͤrmt wird, gar viel Abſcheuliches und
Grauſendes vorfallen muͤſſe. Dieß nebenher!
Die Lotharinger ſind im Ganzen groͤber, als
die andern Franzoſen, daher fuͤhren dieſe auch aller-
[125] hand Spruͤchwoͤrter von den Lotharingern. Doch
ſind die Leute gutmuͤthig. Ehemals war dieſes
Volk gar ſehr orthodox oder jeſuitiſch-katholiſch,
und trieb alle Art von Aberglauben. Als wir aber
dahin kamen, war ihre Einſicht ganz anders, und
die Leute betrachteten das Pfaffenhandwerk eben
nicht mehr, als eine unter dem unmittelbaren
Schutz des heiligen Geiſtes ſtehende Innung.
In Longwy ſah ich ein Leichenbegaͤngniß, wo-
bey der Sarg von ſechs Frauenzimmern in drunter-
her gezogenen Tuͤchern, ohngefaͤhr einen Schuh
hoch uͤber der Erde getragen wurde. Ich erkundigte
mich uͤber dieſe ſeltne Beſtattung und erfuhr, daß
die Leiche eine Jungfer *) ſey: dieſe wuͤrde nur von
Jungfern getragen, wie Weiber von Weibern,
Maͤnner von Maͤnnern und ledige Mannsleute von
ledigen Burſchen: das ſey ſo ihre Gewohnheit, und
die naͤchſten Verwandten und Bekannten des Ver-
ſtorbenen verrichteten dieſen traurigen Dienſt. Ich
ſah auch, daß die ſchoͤnen Traͤgerinnen wirklich
weinten.
[126]
Mein Hauptmann ſchickte mich einigemal nach
Longwy, um allerhand fuͤr ihn einzukaufen. Ich
benuzte dieſe Gelegenheit, mich auch hier nach der
neuen Lage der Dinge in Frankreich zu erkundigen,
und hoͤrte, ſobald die Leute vertraut wurden, mehr,
als ich erwartete. — Das Hans des geweſenen
Kommandanten von Longwy und das Gemeinhaus
(Maiſon Commune) wurden zu Lazarethen einge-
richtet, ſahen aber ſchon bald nachher aus, wie
die Moͤrdergruben.
Ich weis nicht, wer anders, als das alte bar-
bariſche Vorurtheil, ſeinem Feinde alles moͤgliche
Boͤſe zuzufuͤgen, und die uͤbertriebene Furcht, die-
ſes vom Feinde bewerkſtelligt zu ſehen, das Geruͤcht
von Vergiften, auch waͤhrend dieſes Krieges, ver-
breitet haben mag. Mehr als einmal habe ich es
bey uns aͤußern hoͤren, und ſah ſehr viele ſich aͤngſt-
lich danach richten. Daß es bey dem Eindringen
der Franzoſen in unſere Gegenden vielleicht von
ihren kurzſichtigen deutſchen Anhaͤngern auch bey
ihnen in Gang gebracht ſey, laͤßt ſich denken; und
man hoͤrte es, als ſie in die Pfalz eindrangen.
Bey uns wenigſtens war es hier gang und gaͤbe,
und viele unſerer Leute waren ſehr auf ihrer Hut,
wenn ihnen ein Franzoſe etwas Gekochtes anbot:
denn vor den ungekochten franzoͤſiſchen Kuͤhen, Scha-
fen, Schweinen, Gaͤnſen, Huͤnern und Feldfruͤch-
[127] ten hat ſich keiner gefuͤrchtet: jeder hat ſie zurechte
gemacht, und hernach mit dem beſten Appetit ver-
zehrt.
Eines Tages nahm mich, als Dolmetſcher,
Hr. von Soyazinsky, unſer Oberleutnant, mit
nach einem Dorfe, wo er die Schutzwache machen
ſollte. Wir traten in ein Haus, wo ſich der Haus-
herr zwar anfangs verlaͤugnen ließ, hernach aber
erſchien, als ich die Frau im Namen des Leut-
nants verſicherte, daß er ſich nicht zu fuͤrchten haͤtte,
und daß wir ihn nicht im geringſten kraͤnken, viel-
mehr uͤberall ſchuͤtzen wuͤrden. Unſer gutes Be-
nehmen erwarb uns endlich Zutrauen, und der
Wirth, nebſt ſeiner Frau, welche in mich, als
ihren Vermittler, viel Vertrauen ſetzten, reichten
mir Brodſuppe und Speck. Ich both meinen hungri-
gen Kameraden davon an, aber ſie dankten, weil
ſie fuͤrchteten, die Speiſen moͤgten vergiftet ſeyn:
ſie riethen mir ſogar, ja nicht davon zu koſten,
denn es ſey den Patrioten auf keinen Fall zu trauen.
Aber ich aß unbekuͤmmert, und als die Leute her-
nach ſahen, daß mir wohl blieb, ſo verzehrten ſie,
was ich uͤbrig gelaſſen hatte. — Man hat ſogar
von Vergiften der Brunnen radotirt; aber wer
koͤnnte das veranſtalten! Kein mineraliſches Gift,
auch in noch ſo großer Quantitaͤt in einen Brun-
nen geworfen, kann, wie ich gehoͤrt habe, das
[128] Waſſer inficiren; und wie viel Pflanzengift muͤßte
man haben, um einen Brunnen voll Waſſer
ſchaͤdlich zu machen! Gift, in einen Brunnen ge-
worfen, ſoll vielmehr das Waſſer verbeſſern. —
Freilich, wenn man vorzeiten an die Juden wollte,
gab man ihnen das Brunnenvergiften Schuld.
Aber was that man vorzeiten nicht alles!
Die franzoͤſiſchen Magazine zu Longwy waren
recht gut verſehen: da ſie nun in die Haͤnde der
Preußen fielen, ſo ließ der Herzog uns einigemal
Tobak, Brantewein, geſalznes Fleiſch, Speck u.
dgl. daraus reichen. Aber, leider, wurde der
Wille dieſes vortrefflichen Mannes nur halb aus-
gefuͤhrt: denn manches, was zum Austheilen mit-
beſtimmt war, wurde an die Marketender verkauft,
und zwar von Herren, welche die Aufſicht uͤber die
Magazine fuͤhren ſollten. Die Marketender ver-
kauften alles uns armen Teufeln hernach wieder
fuͤr ſchwere Muͤnze.
Noch mehr habe ich mich geaͤrgert, als ich
ſehen mußte, daß Struͤmpfe, welche der Herzog
auch unter die Soldaten vertheilt wiſſen wollte,
theils in den Haͤnden der Offiziere blieben, theils
nach Luxemburg an Kaufleute verhandelt wurden.
Das war doch auf jeden Fall unanſtaͤndig; und ich
wundre mich ſehr, daß es nicht zu den Ohren des
Herzogs gekommen iſt, der in ſolchen Faͤllen kei-
[129] nen Spaß zu verſtehen pflegt. Alle Offiziere,
welche davon hoͤrten, haben die Koͤpfe geſchuͤttelt
mit einem: pfuy Teufel!
Unſre Herren Hauptleute fanden um dieſe
Zeit auch ein Mittel, ſich Milch zum Kaffee zu
verſchaffen, welche wegen der haͤufig geſchlachteten
Kuͤhe nun ſelten und theuer war. Sie ſchafften
Ziegen dazu an. Dieſe Thierchen fraßen Heu,
Stroh u. dgl.; und ſehr viele ſind mit nach Deutſch-
land gekommen. Vielleicht dankt mancher Offizier
der Ziegenmilch ſein Leben. Mein Hauptmann
hatte deren zwey, welche er erſt im Winterquar-
tiere zu Nied verkaufte, weil er nun keinen wei-
tern Gebrauch davon machen konnte.
Eilftes Kapitel.
Einnahme von Verdun.
Wir brachen nach einem ohngefaͤhr zehntaͤgigen
Aufenthalte aus dem Lager bey Longwy auf, und
marſchierten queerfeld ein auf Verdun zu. Der
Boden war ſehr feiſte, hing an, und wir ſahen aus,
wer weis wie! Schon bey Luxemburg hatte die
Preußiſche Reinlichkeit ein Ende: jeder puzte ſich,
Dritter Theil. I
[130] wie er fuͤr gut fand, und niemand ſagte was, wenn
auch einer einhertrat, wie es ging.
Unterwegs hier ſah ich die ehemals beruͤhmte
Abtey Chatillon, welche die Nation damals ſchon
verkauft und die Guͤter dazu, die gar betraͤchtlich
waren, unter die Nachbarn vertheilt hatte. Die
Abtey ſelbſt nebſt der Kirche wurde ſchon zuſam-
mengeriſſen und aus den Steinen und dem Bau-
holze wurden Haͤuſer und Scheunen erbaut.
Unſre Maͤrſche von Longwy nach Verdun wa-
ren ſehr ſtark, das Wetter war heiß und daher ſind
ſogar einige Soldaten hier liegen geblieben, und ge-
ſtorben.
Eine Stunde von Verdun ſah ich einen Auftritt,
der mich gar nicht erbaute. Ein Offizier, der ar-
gen Durſt haben mogte, foderte von einem Weibe,
welches zur Thuͤre heraus ſah, Waſſer zum Trin-
ken. Das Weib hatte keins, und ſagte das mit
Bedauren. Verfluchte Hexe, ſchrie der Offizier,
hole dich der Teufel, mit allen Patrioten; und ſchlug
ihr mit ſeinem Stock ins Geſicht, daß das Blut
heraus ſprang. — Im naͤmlichen Dorfe verging
ſich auch ein Unteroffizier, von unſrer Kompagnie,
Namens Wernike, an einem Maͤdchen durch Ohr-
feigen, weil es ihm nicht ſchnell genug Waſſer her-
ausbrachte. — Maͤnner ſah man in dieſen Doͤr-
fern beynahe gar nicht.
[131]
Der Herzog ließ, nachdem wir unſer Lager vor
Verdun aufgeſchlagen hatten, auch dieſe Stadt ſo-
fort zur Uebergabe auffodern: allein hier wuͤrde er
weit mehr Widerſtand gefunden haben, als bey
Longwy, wenn anders der brave Beaurepaire nach
ſeinen patriotiſchen Empfindungen haͤtte handeln
koͤnnen. Beaurepaire erklaͤrte gleich anfangs:
Er koͤnne mit dem Herzog ſich nicht einlaſſen, noch
weniger die Stadt uͤbergeben; denn eine Feſtung
ſey das Eigenthum nicht derjenigen Buͤrger allein,
welche ſie bewohnten, ſondern der ganzen Nation,
und duͤrfe daher blos im Falle der hoͤchſten Noth
dem Feinde uͤbergeben werden.
Nach dieſer deutlichen Erklaͤrung ließ der Her-
zog auf einem Weinberge, gerade der Citadelle ge-
genuͤber, Schanzen aufwerfen, und die Stadt be-
ſchießen. Dieſes hatte die Folge, daß einiger
Brand entſtand; und nun foderten die Buͤrger, oder
vielmehr der Buͤrgerausſchuß, daß Beaurepaire
die Stadt durchaus oͤffnen ſollte.
Als Beaurepaire ſah, daß fuͤr ihn nichts
mehr zu thun ſey, erklaͤrte er, daß wenigſtens er
frey ſterben wolle, und erſchoß ſich in Beyſeyn
mehrerer Buͤrger und Offiziere.
Dieſe heldenmuͤthige Aufopferung des braven
Commendanten brachte die Verduͤner nicht zur Be-
[132] ſinnung; und ſo wurde die Stadt von dem nachher
auch emigrirten Nyont, den Preußen uͤbergeben.
Es gab unter unſern Offizieren Einige, welche
meynten, daß man Beaurepaire's Koͤrper auf den
Schindanger werfen muͤſſe: aber zur Ehre aller uͤbri-
gen muß ich ſagen, daß alle edeldenkende unter ih-
nen laut bekannten, daß der Tod dieſes wirklich
großen Mannes, auf welchen man anwenden kann,
was Lucanus von Cato ſagt:
Victrix cauſſa Diis placuit, ſed victa Catoni,
Mitleid, Bewundrung, und, im aͤhnlichen Falle,
Nachahmung verdiente. — Beaurepaire wur-
de demnach ganz ehrlich begraben, und iſt hernach
zu Paris auf dem Nationaltheater apotheoſirt wor-
den.
Alſo wurde Verdun von den Preußen beſezt,
und die franzoͤſiſche Garniſon, welche, wie die zu
Longwy, groͤßtentheils aus damals noch ungeuͤb-
ten Nationalgarden beſtand, erhielt freyen Abzug.
Herr von Mandelsloh, mein Hauptmann,
ſchickte mich gleich am folgenden Tage nach Ver-
dun, und ich begab mich recht gern dahin, weil ich
begierig war, dieſe alte, beruͤhmte Stadt naͤher
kennen zu lernen.
Verdun liegt an der Maas, welche dadurch
fließt, und war ehemals des deutſchen Reiches.
Aber HeinrichII, jener erzorthodoxe katholiſche
[133] Koͤnig, welcher ſich mit den Proteſtanten in
Deutſchland verbunden hatte, ob er gleich die Pro-
teſtanten in Frankreich verfolgte, riß Metz, Toul
und Verdun, die drey beſten Staͤdte im damaligen
Lotharingen, von Deutſchland ab, und behielt ſie
nachher im Friedensſchluß. CarlV. hat ſich uͤber
keinen ſeiner Ungluͤcksfaͤlle mehr geaͤrgert, als uͤber
die Trennung dieſer drey Bisthuͤmer vom Reiche.
In den Hugenotten-Kriegen iſt Verdun von den
Ketzern belagert, und — nach einer alten Sage —
von der heiligen Jungfrau ſichtbarlich beſchuͤzt wor-
den. Seitdem hat aber die heilige Jungfrau ent-
weder ihre Wunderkraft verlohren, oder ſie iſt ſelbſt
eine Ketzerin geworden: denn die Franzoſen ma-
chens mit ihr und ihrer ganzen heiligen Sippſchaft
doch wahrlich aͤrger, als es die Ketzer, ſelbſt die
Manichaͤer und die beruͤchtigten Ikonoklaſten oder
Bilderſtuͤrmer, nimmermehr gemacht haben. Aber
ſo iſt es! Wenn die Sonne der Vernunft hoͤher
heraufſteigt, ſinken die Nebel einer verpfafften
Phantaſie; und die Producte von dieſer verſchwin-
den, ſobald der Glaube an ſie laͤcherlich wird.
Nur Geduld: die Zeit giebt alles!
Die Feſtungswerke von Verdun ſind eben nicht
ſehr betraͤchtlich: deswegen hat man Longwy und
Thionville, nach unſerm Heimgehen, mehr befe-
ſtiget, aber Verdun liegen laſſen, weil es von ei-
[134] nigen Bergen kommandirt wird, von welchen her
es leicht zu beſchießen iſt.
Die Stadt ſelbſt hat mir ſehr, und ihre Ein-
wohner noch mehr gefallen. Es waren gute offene
Leute. Ich machte einſt, beym Zuruͤckgehen, vor
dem Thore Bekanntſchaft mit einer gewiſſen Ju-
liette Jally, der Tochter eines Rothgießers, und
dieſe bath mich, wenn ich wieder in die Stadt kaͤ-
me, ſie zu beſuchen. Ich that dieſes gleich den
folgenden Tag, und hatte ein rechtes Feſt. Jally,
ein lebhafter muntrer Mann, wußte es ſeiner Toch-
ter noch Dank, daß ſie mich hingebeten hatte.
Mamſell Juliette war ebenfalls munter, aber mit
allem Anſtand. Ueberhaupt waren die Frauenzim-
mer in Verdun geſittete Geſchoͤpfe, jedoch ohne
Ziererey oder aͤngſtliche Mumen-Etikette. Aus-
nahmen giebt es uͤberall, alſo auch hier.
Verdun ſtand ehedem in Kirchenſachen unter dem
Erzbiſchofe von Trier. Koͤnig Heinrich hatte zwar die
vorhin erwaͤhnten Bisthuͤmer der weltlichen Juris-
diktion des deutſchen Reichs entriſſen, aber ſie doch
unter der geiſtlichen Bormaͤßigkeit der deutſchen
Erzbiſchoͤfe gelaſſen, z. B. Strasburg unter Mainz,
Verdun, Metz und Toul unter Trier, und Cam-
bray unter Mecheln. Aber bey der Revolution er-
klaͤrten die Franzoſen, daß ihre Biſchoͤfe ferner nicht
mehr unter Erzbiſchoͤfen, am wenigſten unter aus-
[135] laͤndiſchen, ſtehen ſollten; und da erklaͤrte denn
auch der Hr. Kurfuͤrſt zu Trier, daß er die konſti-
tutionellen Biſchoͤfe in Frankreich nicht fuͤr recht-
maͤßige Seelenhirten halten koͤnnte: denn die ehe-
maligen, nach den Geſetzen des geiſtlichen Rechts
ordinirten Herren waren meiſtens ausgewandert.
Die Franzoſen kehrten ſich aber ſo wenig hieran,
als an die Bulle des Papſtes von 1792, wodurch
er alle konſtitutionellen Biſchoͤfe fuͤr unrechtmaͤßig-
und apoſtatiſch erklaͤrte. Die neuen Biſchoͤfe wur-
den eingeſezt, und verwalteten ihr Amt nach der
Vorſchrift der Nation. Es ſind von dieſen Bi-
ſchoͤfen mehrere Hirtenbriefe herausgekommen, von
welchen ich ſelbſt einige geleſen habe. Sie betrafen
die Einrichtung und Verbeſſerung des Schulunter-
richts, und waren durchaus der Wichtigkeit dieſes
Gegenſtandes angemeſſen. Theologiſche Fratzen,
wie man dieſe anderwaͤrts, ſelbſt bey Proteſtanten,
in neuern Religionsverfuͤgungen noch antrifft, wa-
ren ſchon damals in Frankreich veraͤchtlich. Auf-
helfen will man da die Menſchen und veredeln,
nicht noch mehr herabſetzen und verhunzen.
Geiſtliche gad es zu der Zeit in Frankreich noch
aller Orten, aber keine Moͤnche und keine Nonnen
mehr. Die vielen Kloͤſter in Verdun waren zer-
ſtoͤhrt, und bey der Raͤumung derſelben iſt, wie man
mir erzaͤhlt hat, und wie ich ganz gern glaube,
[136] großer Unfug getrieben worden. Man hat hier und
da die heiligen Bilder zerſchmiſſen und ſogar der
geweihten Hoſtien nicht geſchont.
Unſer Koͤnig erlaubte den ausgewanderten oder
vertriebenen Moͤnchen, ihre Kloͤſter wieder zu be-
ziehen; aber ſie bezohen ſie nicht, wahrſcheinlich,
weil ſie befuͤrchteten, ſie moͤgten abermals ver-
jagt werden, und dann das Lezte aͤrger finden, als
das Erſte.
Von dem Zuſtande der Religion und den Schick-
ſalen der Pfafferey in Frankreich ſpreche ich wei-
terhin ausfuͤhrlich, und laſſe hier dieſe Dinge
ruhen.
Wir fanden auch in Verdun recht gut verſehene
Magazine an Heu, Stroh, Mehl, Wein, Speck,
Brandtewein, Erbſen, Kaͤſe u. ſ. w.; ferner vielen
Vorrath an Kleidungsſtuͤcken und Pferdegeſchirr.
Von dieſen Vorraͤthen haben unſere Leute ſich man-
ches zugeeignet, beſonders von den Lebensmitteln.
Dieſe wurden unter die Soldaten vertheilt, und
von dem hier vorgefundnen Mehle haben wir lange
Kommißbrod gegeſſen. Aber dieſes Kommißbrod,
welches aus geſchrotenem Waizen gebacken ward,
wollte unſern Leuten nicht recht behagen: es ſtaͤnde
nicht ſo gut wider, ſagten ſie, als das deutſche; und
dann ſchmecke es zu weichlich.
[137]
Da ich ſehr oft, beynahe taͤglich, nach Verdun
geſchickt wurde, ſo hatte ich Gelegenheit, auch fuͤr
mich manches aus dem Magazine mitzunehmen.
Oft habe ich meine Zeltburſche mit Schnapps und
Wein verſehen, und einmal habe ich ſogar einen
ſchoͤnen neuen Offiziermantel mitgebracht: Ich ließ
ihn einem Leutnant fuͤr 14 Thaler, obgleich die
goldne Treſſe darauf allein mehr werth war. Ich
dachte, nimmſt du ihn nicht, ſo nimmt ihn ein An-
derer; und nach dieſer Regel beſtimmte ich damals
manche individuelle Handlung.
Es iſt uͤberhaupt — um noch einmal davon zu ſpre-
chen — im Kriege eine ganz eigne Sache um das
Mein und Dein. Wenn man gewiß wuͤßte, daß der
wahre Eigenthuͤmer eines Dinges im Beſitze deſ-
ſelben bleiben wuͤrde, wenn man ihm daſſelbe ließe,
ſo waͤre es oft ein Schuftſtreich, es wegzunehmen.
Aber da man gewiß vorausſetzen kann, daß es doch
Andern zu Theil wird, wenn wir es liegen laſſen,
ſo daͤchte ich, verliert die Handlung viel von ihrer
Haͤßlichkeit. Und das iſt im Kriege ſehr oft der
Fall. Ich weiß zwar, daß die Herren Moraliſten
dieß nicht werden gelten laſſen: aber es kaͤme auf
eine Probe an, was ſelbſt ſie thun wuͤrden, wenn
ſie ſich im Falle der Soldaten befaͤnden! Wer
indeß uͤber eine Handlung urtheilen will, muß ſich
in die Lage des Handelnden verſetzen: und wenn
[138] er das nicht kann, ſo wird er immer raͤſonniren,
wie der Blinde von der Farbe.
Nach dem Buͤcherweſen erkundigte ich mich in
Verdun, wie in Longwy, und hoͤrte faſt nichts
weiter ſchaͤtzen, als die Nationalblaͤtter, nebſt Ma-
bly, Voltaire, Rouſſeau und andern, wel-
che gegen den Deſpotismus und die Pfafferey ge-
ſchrieben haben.
Auf die eifrigen Vertheidiger der Freiheit hat
man hier auch ſtark Jagd gemacht, und unter an-
dern den Praͤſidenten des Diſtrikts von Varenne,
einem kleinen, etwan vier Stunden von Verdun ge-
legnen Staͤdtchen, gefaͤnglich hingeſezt. Das Ver-
brechen dieſes wuͤrdigen Mannes beſtand meiſt
darin, daß er ſein Vermoͤgen hingab, um einige
Anſtalten durchzuſetzen, fuͤr welche er ehemals in
Paris geſtimmt hatte. Der Herzog ließ ihn an-
faͤnglich ſehr hart an, aber George, ſo hieß der
Praͤſident, benahm ſich ſo edel und freymuͤthig,
daß der Herzog ſelbſt endlich ſchwieg. Die Emi-
granten haͤtten ihn gern zernichtet, und gaben ihm
Schuld, daß er an der Arretirung ihres fluͤchtigen
Koͤniges zu Varennes Theil gehabt habe: aber
die Preußen ſchuͤzten den George, und er wurde
bald darauf ausgewechſelt.
Die gefangnen Franzoſen ſaßen auf der Ci-
tadelle, wo man ſehr leicht mit ihnen ſprechen
[139] konnte. Ich benuzte dieſe Gelegenheit, und fand,
daß die Leute den Muth noch gar nicht verlohren
hatten. Les ennemis ſe retireront, et nous voilà
libres, riefen ſie und pfiffen eins dazu.
Der Verfaſſer der Briefe eines Preußiſchen
Augenzeugen, welcher eben ſo, wie ich, den Feldzug
des Herzogs von Braunſchweig mitgemacht hat,
erwaͤhnet im erſten Packt einer ſehr ſchoͤnen Kauf-
mannsfrau in Verdun. Dieſe Dame habe ich auch
mehrmals geſehen, welches ſehr leicht war, da ſie
gewoͤhnlich am Fenſter paradirte. Sie war, wie
mich duͤnkt, und wie ſie auch vielen andern vorge-
kommen iſt, eine vollendete Schoͤnheit, aber auch
eine tuͤchtige Kokette. Anfangs flatterten unſere
jungen Offizierchen um ſie herum, aber bald fan-
den ſich recht große junge Herren — ich ſage,
junge Herren — bey der Madame ein, und die
Offizierchen fuhren ab. — Wie herablaſſend Ma-
dame geweſen ſey — weis ich nicht, ſie hatte aber
recht viel Preußiſches Gold. Ihr Mann hat als
Kaufmann das Ding ſo genau nicht genommen.
Andre Frauenzimmer in Verdun waren auch
nicht unerbittlich, ob ich gleich ihnen uͤberhaupt
zur Ehre nachſagen muß, daß unter ihnen viele
Sittſamkeit herrſchte.
[140]
Zwoͤlftes Kapitel.
Das ſogenannte Drecklager.
Im Lager bey Verdun hatten wir noch immer ſo
halb und halb zu leben, aber von nun an litten wir
auch Elend und Mangel, bis wir auf die deutſche
Graͤnze zuruͤckkamen. Unſer Erzſpizbube von Jude
war endlich dem Hn. Major von Wedel als ein in-
famer Betruͤger bekannt geworden; und dieſer brave
Offizier jagte ihn denn vom Bataillon, und nahm
einen andern Juden an, welcher uns bey Verdun
die vierzehn Tage uͤber, die wir ohngefaͤhr da ſtehen
blieben, beſſer verſah, und nicht ſo arg betrog, als
der erwaͤhnte.
Wir brachen von Verdun mitten im Regen auf,
und marſchierten den erſten ganzen Tag im Regen
fort. Unſer Brod hatten wir groͤßtentheils im La-
ger liegen laſſen, weil wir ohnehin genug belaſtet
waren, und durch den abſcheulichſten Koth waten
muſten.
Den zweyten Tag kamen wir der franzoͤſiſchen
Armee, oder vielmehr einem Korps derſelben nahe.
Wir marſchirten zwar den ganzen Tag, aber ſo
jaͤmmerlich, daß wir jedesmal eine halbe Stunde
[141] vorwaͤrts machten, und hernach wieder eine
Stunde, auch wohl laͤnger, im Kothe herum ſtille
lagen, wie die Schweine. Ich wurde, ſo wenig
mich ſonſt Strapatzen niederbeugen, auf dieſem
elenden Marſche ſo unmuthig, daß ich meine Lage
verwuͤnſchte, und gewiß, waͤre ich nicht ſo erſchoͤpft
geweſen, zu den Franzoſen uͤbergangen waͤre, ſo
ſehr ich die Deſertion ſonſt auch haſſe.
Endlich erreichten wir ein Dorf, l'Entrée ge-
nannt, worin der Koͤnig ſein Hauptquartier nahm,
und wobey wir unſer Lager aufſchlagen ſollten. Aber
unſre Packpferde waren aus Furcht vor den Fran-
zoſen zuruͤckgeblieben, und wir mußten nun da un-
ter dem freyen Himmel liegen bleiben bis Nachts
zwoͤlf Uhr. Wir machten freilich Feuer an und
holten dazu aus dem Dorfe l'Entrée heraus, was
wir in der finſtern Nacht von Holz finden konnten
— Stuͤhle, Baͤnke, Tiſche und anderes Geraͤthe.
Aber dieſe Feuer, ſo hoͤllenmaͤßig ſie auch ausſahen,
waren doch nicht hinlaͤnglich, uns gegen den fuͤrch-
terlichen Wind, und den abſcheulichen Regen zu
ſichern.
Dieſer Regen fing ſogleich an, als wir die Zelter
aufgerichtet, und uns auf die blanke Erde — denn
Stroh konnten wir in der Nacht doch nicht holen —
hineingelegt hatten, und er wurde ſo heftig, daß
das Waſſer von allen Seiten in die Zelter eindrang
[142] und uns alle durchnezte. Niemand konnte liegen
bleiben, noch weniger ſchlafen: man ſezte ſich
alſo auf die Torniſter und Patrontaſchen, und je-
der fluchte auf ſein Schickſal. Man denke uns in
dieſer Gruppe! Sogar hoͤrte man die graͤßlichſten
Laͤſterungen auf Gott, und ſein Regenwetter. Es
iſt Strafe Gottes, ſagten die Vernuͤnftigern: Gott
hat keinen Gefallen an unſerm Kriege! Er will
nicht, daß wir ſein Werk in Frankreich ſtoͤhren ſollen:
die Revolution iſt ſein Werk, die Patrioten thun
ſeinen Willen, und die Emigranten ſind Spizbuben:
es hole ſie alle der Teufel! —
Unſre Munition an Pulver wurde ſelbige Nacht
groͤßtentheils naß, und zum Schießen unbrauchbar.
Einige warfen auch ſchon bey ihrem Ausmarſche
aus dieſem Lager ihre Patronen weg, und ließen
ſich hernach bey der Retirade, als wir ſogar mehrere
Pulverwagen verbrannten, andere geben.
Endlich ward es Tag, und die Soldaten kro-
chen aus ihren Zeltern, wie die Saͤue aus ihren
Staͤllen, ſahen auch aus, wie dieſe Thiere, wenn ſie
aus Staͤllen kommen, welche in ſechs Wochen
nicht gereinigt ſind. Der Koth, worin man ſofort
patſchen mußte, wenn man aus den Zeltern heraus
trat, lief gleich in die Schuhe: denn er war duͤnn
und tief, woruͤber denn einige Soldaten dumpf
brummten, andre laut fluchten, alle aber darin
[143] uͤbereinkamen, daß dieſes abſcheuliche Lager ſofort
Drecklager heißen ſollte.
Nun wurde befohlen, oder vielmehr angeſagt,
daß Stroh ſollte gelangt werden. Stroh holen
hieß aber damals, den ungedroſchnen Weizen —
Roggen waͤchſt in Champagne nicht, wenig-
ſtens hab ich keinen geſehn: in Lotharingen war Rog-
gen anzutreffen — Alſo man holte den ungedroſch-
nen Waizen aus den Scheunen, warf ihn, wer weis,
wie hoch, ins Zelt, und legte ſich dann auf ihn
hin. Dieſes konnte um ſo viel leichter geſchehen,
da einem jeden erlaubt war, ſo viel Stroh d. i.
Waizen zu nehmen, als er gerade wollte, oder konnte.
Da nun auch die Kavalleriſten ihre Furaſche aus
den Scheunen der Bauren holten; auch die Pack-
und andre Pferde daraus verſehen wurden, ſo kann
man leicht denken, daß in den Doͤrfern, in deren
Naͤhe unſer Lager ſtand, nichts uͤbrig blieb, als
Jammer und Leere. In l'Entrée war nach drey
Stunden keine Waizengarbe mehr anzutreffen. Und
das gieng eben ſo in den uͤbrigen Doͤrfern. Daß
alle Haͤuſer obendrein rein ausgepluͤndert wurden,
verſteht ſich von ſelbſt.
Ich haͤtte bey dieſem Stroh- oder Garbenholen
beynahe den Hals zerbrochen: denn ich fiel in einer
Scheune von einem hohen Geruͤſte, jedoch ohne
Schaden. — Das Schickſal hat mich noch immer
[144] ſo ziemlich geſchont, wie man in der Folge einige
auffallende Beiſpiele davon ſehen wird, aber viel-
leicht, um mich noch einmal weit haͤrter mitzuneh-
men. Indeß mori nolo, ſagt ein Philoſoph, [...]ed
me mortuum eſſe, nihil curo; und der Mann hatte
wohl recht. Warum ſollte ich es denn fuͤr ein Gluͤck
halten, daß ich in l'Entrée den Hals nicht brach
— in Landau oder Mâcon nicht guillotinirt wurde,
oder daß mich der Franzoſe in Lyon — wie die Folge
lehren wird — nicht niederſtach? Ich ſehe das noch
nicht recht ein: aber ſo viel iſt gewiß, daß wenn
einer von dieſen Faͤllen mich weggerafft haͤtte, ich
nachher mancher truͤben und kummervollen Stunde
uͤberhoben geblieben waͤre. —
Ich habe in dieſem Sumpflager oͤfters an einen
Vorfall gedacht, der mir in Gießen ſchon ſechs-
zehn Jahre vorher begegnet war. Ich hatte naͤm-
lich einſt den armen Eulerkapper mitperirt, und
war auf dem Ruͤckſprung, weil Eulerkapper mich
verfolgte, in eine Miſtgrube gefallen, und ab-
ſcheulich beſudelt. Damals lachte ich recht ſehr
uͤber meinen komiſchen Zufall, und ruͤhmte mich
deſſelben hernach mehrmals. Jezt aber war ich
mismuthig, da man mich zwang, in Champagne
im Kothe herum zu patſchen! —
Die Bauren in l'Entrée hatten ihre Kirche
abgetragen, und neues Holz zur Erbauung einer
[145] andern herbeygeſchafft. Dieſes neue Holz, ſamt
dem alten holte man ins Lager und verbrannte es,
mit unter auch Kanzel und Orgelgeſchniz, Kruzi-
fixe u. dgl. Dabey wurde nun brav gelacht und
Spaß getrieben, und noch jezt ſprechen die Solda-
ten vom franzoͤſiſchen Kirchenholz im Drecklager.
Die Lebensmittel waren hier entſezlich rar und
theuer: ich zwar fuͤr meine Perſon litt von hier an
— die beyden Naͤchte bey der Kanonade nur aus-
genommen — bis nach Grandpré zuruͤck, keinen
eigentlichen Mangel, bey weitem naͤmlich den
nicht, welchen andre Soldaten ertragen mußten.
Ich hatte bey der Kompagnie einen guten Freund
an dem Furierſchuͤtzen Lutze, welchen ich ſeit lan-
ger Zeit als einen ehrlichen Mann kannte. *) Die-
ſer gab mir, als die Lebensmittel ſeltner wurden,
den Anſchlag, mich zu ihm ins Zelt zu legen, weil
er als Furierſchuͤtze doch immer eher im Stande
ſey, etwas herbeyzuſchaffen, als die andern. Ich
that das, und Lutze hat mich, ſo lange ich bey
ihm im Zelte war, oder vielmehr, ſo oft er da
war — denn auf der unſeligen Retirade mußte er
Dritter Theil. K
[146] oft fuͤnf bis ſechs Tage abweſend ſeyn — immer
mit allerley Lebensmitteln und andern Sachen, als
Tobak u. dgl. verſehen, und ſelten ſich dafuͤr zahlen
laſſen; wenigſtens gab er allemal das umſonſt her,
was er umſonſt bekommen hatte. Ich halte es fuͤr
Pflicht, dem ehrlichen Lutze dieſe Freundſchaft
nachzuruͤhmen, und ihm dafuͤr hier oͤffentlich zu
danken. Schade nur, daß ich manch braven
Manne nur blos woͤrtlich danken muß, dem ich
ſonſt nichts vergelten kann; und daß Andre, fuͤr
die ich gern alles gethan, ja mein Leben gewagt
haͤtte, nichts mehr fuͤr mich thun. — Aber ſo geht
es gemeiniglich, und ich kenne die Menſchen zu
gut, als daß ich mich daruͤber weiter wundern
ſollte. —
Der Mangel an Lebensmitteln konnte auch
durch die wirklich große Menge von Kuͤhen, welche
man den Landleuten dortherum genommen und der
Armee nachgetrieben hatte, nicht ſehr erleichtert
werden. Was war auch ein halb Pfund elendes,
altes Kuhfleiſch fuͤr den Soldaten, der kaum in
drey Tagen fuͤr einen Tag Brod hatte? Da
mußte er ja doch hungern! — Zudem wurde das
beſte Vieh von den angeſezten Treibern an die
Bauren, welche von weitem herbeyſchlichen, ver-
kauft. Ich kenne einen gewiſſen Treiber dieſer Art,
vom Regiment Thadden, Namens H— von
[147] R — — — bey Kalbe, einen ſonſt kreuzdummen
Eſel, welcher ſich durch dieſen Handel ein artig
Suͤmmchen erworben hat. Der ſchon mehrmals
genannte fatale Jude hat auf dieſe Art auch Vieh-
handel getrieben. Das beſte Fleiſch, wie auch al-
les Schwein- und Hammelfleiſch war uͤbrigens fuͤr
die Offiziere und ihre Bediente: davon bekam der
Soldat nichts.
Ich kann nicht begreifen, wie man damals ein
ſo abſurdes Geruͤcht, als das war, was man von
der Annaͤherung des armen LudwigsXVI. aus-
ſprengte, fuͤr wahr halten konnte: und doch war es
lange Zeit, ſchon von Verdun her, allgemein, und
wurde ſogar von den Offizieren geglaubt, die großen
ausgenommen, welche recht gut wußten, daß Lud-
wig Capet zu Paris, ſeit ſeiner Flucht, in ei-
ner ſchrecklichen Sklaven-Lage gehalten wurde.
Ich widerſprach ſolchen Geruͤchten immer, gab
ſie hoͤchſtens fuͤr erdichtet zu unſerm Troſte aus,
und wendete alle meine Beredſamkeit an, meine
Kameraden, auch unſre Offiziere, welche ſich
gern mit mir abgaben, von der augenſcheinlichen
Abſurditaͤt ſolcher Geſchwaͤtze zu uͤberzeugen. Aber
ſtatt meinen Gruͤnden Gehoͤr zu geben, nannten
mich Viele einen Patrioten oder Jakobiner, und
meynten, daß ich bald ſehen wuͤrde, wie die Fran-
zoſen ſich trollen ſollten. Doch fand ich auch da-
[148] mals ſchon mehrere, ſogar unter den gemeinen Sol-
daten, welche nichts Gutes mehr erwarteten, und
mehr Ungluͤck als Gluͤck prophezeihten.
Bisher waren wir in der Waͤſche noch ziemlich
rein geblieben: aber nun, da ſich nicht mehr wa-
ſchen ließ, da ſogar das Leinenzeug im Torniſter
vermoderte, fanden ſich auch ſehr unangenehme
Thierchen, dieſe ſchreckliche Plage des Soldaten im
Felde, bey uns unertraͤglich ein. Selbſt die Offi-
ziere konnten ihnen nicht mehr entgehen, und lern-
ten nun auch erſt recht das volle Elend des Kriegs
erkennen.
Aber nichts nahm unſere Leute aͤrger mit, als
der Durchfall, der allgemeine Durchfall, und dann
die darauf folgende fuͤrchterliche Ruhr. Delikate
Leſer wuͤrde es aufbringen, und ihren Eckel rege
machen, wenn ich uͤber dieſen Gegenſtand alles ſa-
gen wollte. Aber fuͤr delikate Leſer iſt dieſer Theil
meiner Schrift nicht, ſondern fuͤr Maͤnner, deren
Abſicht es iſt, das Elend unſrer Feldzuͤge gegen
die Neufranken in ſeiner wahren Geſtalt kennen zu
lernen: und dieſe ſuchen nur Wahrheit, auch ekel-
hafte Wahrheit, wenn ſie nur Reſultate daraus
ziehen koͤnnen. Alſo — die Abtritte, wenn ſie
gleich taͤglich friſch gemacht wurden, ſahen jeden
Morgen ſo moͤrderiſch aus, daß es jedem uͤbel und
elend werden mußte, der nur hinblickte: alles war
[149] voll Blut und Eiter, und einigemal ſah man ſo-
gar Ungluͤckliche darin umgekommen. — Eben
ſo lagen viele blutige Exkremente im Lager herum
von denen, welche aus nahem Drange nicht an den
entfernten Abtritt hatten kommen koͤnnen.
Ich bin verſichert, daß nicht drey Achtel der
ganzen Armee von dem fuͤrchterlichen Uebel der
Ruhr damals frey waren, als wir das Sumpfla-
ger verließen. Die Leute ſahen alle aus, wie Lei-
chen, und hatten kaum Kraͤfte, ſich fortzuſchleppen;
und doch klagten nur wenige uͤber Krankheit — aus
Furcht vor den Lazarethen, oder vor jenen Mord-
loͤchern, worin man die Erkrankten ſchleppte, und
worin ſo viele — viele um ihr trauriges Leben noch
trauriger gekommen ſind. Es wurden alſo nur die
dahin gebracht, welche gar nicht mehr fort konnten;
und deren war eine ſehr große Menge.
[150]
Dreyzehntes Kapitel.
Unſer Marſch nach den Hoͤhen von
La Lune oder Balmy.
Aus dem Sumpflager hatten wir ohngefaͤhr noch 16
Stunden nach La Lune, wobey die bekannte Kanonade
vorfiel, jene naͤmlich, welche das Ziel unſrer Hel-
denthaten in Frankreich geweſen iſt: denn nach die-
ſer Zeit bis auf unſern Separat-Frieden iſt gegen
die Franzoſen auf franzoͤſiſchen Boden von uns
beynahe nichts mehr gethan worden; und was die
Kaiſerlichen darauf thaten, iſt eben auch nicht
weit her.
Wir machten dieſen Weg, troz unſrer ausge-
maͤrkelten Koͤrper, in wenig Tagen, und hatten
immer mit Mangel zu kaͤmpfen, weil der Feind uns
hier in der Naͤhe war, und kein Marketender uns
zu folgen ſich getraute. Einige Weiber und Men-
ſcher zogen zwar mit, aber die hatten leider ſelbſt
nichts, konnten alſo auch nichts verkaufen.
Am 19ten September mußten wir Nachmittags
noch ſpaͤt aufbrechen, und vorwaͤrts marſchiren bis
Nachts um 9 Uhr; und hernach brachten wir ohne
[151] Zelter, und beynahe ohne Infanteriewachen die
Nacht unter offnem Himmel zu.
Auf dem Wege dahin ſagte ein Offizier zum an-
dern: „Hoͤre Bruder, Morgen giebts was! die
Franzoſen werden angegriffen; und wenn ſie nur
ſtehen, ſo ſind ſie Morgen Abend alle in un-
ſrer Gewalt.“ Sch — auch! — fing ein Soldat
aus dem Trupp an — ſeht ihr nur zu, daß ſie
Euch nicht kriegen; Sie — kriegt ihr gewiß
nicht! — Darauf fing der Offizier an zu fluchen,
und wollte mit Gewalt wiſſen, wer ſo geſprochen
haͤtte, um ihn zu beſtrafen; da aber Niemand die-
ſen verrieth, ſo ſchwur er bey ſeiner hohen Ehre,
und daß ihn der Teufel in tauſend Fetzen zerreißen
ſollte, wenn Morgen die Spizbuben nicht alle ent-
weder todt oder gefangen waͤren!
Der Wind braußte dieſe Nacht fuͤrchterlich,
und es war gewaltig kalt. Waldung war dort in
der Naͤhe nicht: wir liefen alſo ſchaarenweiſe in die
Doͤrfer, und hohlten, was wir vorfanden, Stuͤhle,
Tiſche, Bettſtellen, Faͤſſer, Thuͤren, Wagen,
Karren; kurz, wir ſchleppten, was von Holz
uns in die Haͤnde fiel, ins Lager, und machten
Feuer wie in der Hoͤlle. In den Doͤrfern ſelbſt
wurde Feuer in die Bauerhoͤfe getragen, und man
zuͤndete mit Strohfackeln in den Scheunen und
Staͤllen herum.
[152]
Was von Vieh noch uͤbrig war, wurde mitge-
ſchleppt, und im Lager in Toͤpfen und Keſſeln, die
man gleichfalls in den Doͤrfern gelangt hatte, ge-
kocht und verzehrt. Unter allen zeichneten ſich die
Soldaten vom Regimente Romberg als brave
Beutemacher und Koͤche aus.
Einer unſrer Offiziere, der Hr. Major von
Maſſow, wollte dem graͤulichen Pluͤndern und
Anzuͤnden ſteuren, aber ſeine Bemuͤhungen waren
fruchtlos: man ſtellte ihm vor, daß eben jezt, den
Tag vor einem wahrſcheinlichen Angriffe auf den
Feind, ein ſcharfes Verfahren wider die Beute-
macher am unrechten Orte ſeyn wuͤrde.
So dachten alle: denn ich ſahe die Generale
ſelbſt ganz ruhig am Feuer ſitzen, und den Solda-
ten, als ſie ihre geraubten Huͤner u. ſ. w. zurecht
machten, zuſehen, ohne ein Wort daruͤber zu ſagen.
In ſolchen Tagen kann man ihnen das auch gar
nicht zumuthen, ob ich gleich uͤberzeugt bin, daß
die wenigſten von ihnen dieſe Graͤuel billigten.
Mehrere Doͤrfer ſind in dieſer garſtigen Nacht
durch den Brand ſehr beſchaͤdiget worden, und eins
derſelben ſtand noch in vollen Flammen, als wir
den andern Morgen um 9 Uhr vorbeymaſchierten.
Vorfaͤlle von dieſer Art, welche unſerm Mili-
taͤr eben keine Ehre machen, berichte ich ſehr un-
gern: aber ich muß einmal ſchreiben, was ich geſe-
[153] hen habe; und dann ſollen meine Berichte auch zum
Einſchaͤrfen des wichtigen Satzes dienen: daß man
von Menſchen nicht mehr erwarten muͤſſe, als ſie
nach ihrer Lage leiſten koͤnnen; daß man folglich bil-
lige Urtheile faͤllen muͤſſe von Freund und von Feind;
daß man alſo auch jene Nachrichten, welche Herr
Girtanner, Herr Paſtor Braun und andre
uͤber die Franzoſen ſo reichlich in Deutſchland ver-
breitet haben, wuͤrdigen muͤſſe, wie ſie nur gewuͤr-
diget werden koͤnnen nach der Natur einer Armee,
welche in allerley Umſtaͤnde geraͤtht, und daher al-
lerley thun muß, was freilich mit den Regeln der
Moral, und den Geſetzen nicht uͤbereinſtimmt.
Doch davon weiter unten in einem eignen Kapitel,
indem dieſe Sache gar ſehr wichtig iſt.
Sobald der Tag anbrach, wurde abmarſchiert.
Es hatte erſt geſchienen, als wenn das Wetter ſich
halten wuͤrde, aber gegen 7 Uhr fing es heftig an
zu regnen, und wir wurden bis auf die Haut naß.
Dennoch ging der Zug weiter bis gegen die Hoͤhen
von Dampierre, worauf Dumouriez ſich poſtirt
hatte; und hier fiel die bekannte Kanonade vor,
von welcher, glaube ich, Nachricht genug gege-
ben iſt.
Warum wir bey dieſer Kanonade keinen Vortheil
erhielten, iſt handgreiflich. Der Feind hatte mehr
Volk, mehr und beſſeres Geſchuͤtz und eine weit beſ-
[154] ſere Stellung als wir: beſonders machte eine Bat-
terie an einer Windmuͤhle, wenn dieſe gleich von
unſerm Geſchuͤtz und auffliegenden Pulverkarren
zuſammen geſchmiſſen wurde, es voͤllig unmoͤglich,
den Feind mit Infanterie anzugreifen.
Der Verfaſſer der Briefe eines Preußiſchen
Augenzeugen uͤber dieſen Feldzug, ſagt im zweyten
Packt, S.88 und 89 etwas von todtblaſſen Ge-
ſichtern an Haupt- und Unterleuten waͤhrend dieſer
Kanonade; vom Buͤcken vor Kanonenkugeln, und
dergleichen: und dieſes hat der Recenſent dieſer
Briefe in dem Magazin der neueſten Kriegsbege-
benheiten (I. B. S. 267.) ſehr uͤbel aufgenommen,
und verſichert bey ſeiner Ehre *): daß Er (auf
ſeinem Poſten) weder Buͤcken noch Blaͤſſe, ſondern
alten aͤchten Preußiſchen Muth gefunden habe.
„Alle Soldaten, ſezt er hinzu, waren luſtig, und
freuten ſich ſogar, den ſo lange verfolgten (?)
Feind endlich einmal in Schlachtordnung aufmar-
ſchirt zu ſehen. Alles avancirte mit frohem Muthe
und der feſten Ueberzeugung, den Feind zu ſchla-
gen, und alles murrte, da Halt kommandirt
[155] wurde. Auch den Tag, als die Armee auf die
Hoͤhen neben Valmy anmarſchirte, erwartete und
wuͤnſchte Offizier und Soldat mit Vergnuͤgen eine
Bataille, und alles war misvergnuͤgt, da man,
ohne etwas unternommen zu haben, ein Lager be-
zog. — Es wuͤrde ewige Schande uͤber Preußiſche
Truppen bringen, wenn es auch nur halb wahr
ſeyn koͤnnte, was der Verfaſſer davon aufgezeich-
net hat.“
Wie aber, wenn es wirklich ganz wahr iſt?
Oder ſoll darum etwas nicht wahr ſeyn, weil es
mit der lieben Ehre nicht ſo recht beſteht? Dann
ließe ſich unſer ganze Feldzug nach Champagne
rein wegdemonſtriren, und gar viel Anderes, was
doch weltkundig wahr iſt. Der Ehrenritterliche
Recenſent wird demnach einſehen: daß Zuvielbe-
weiſen mit Recht Nichtsbeweiſen heißt. Ueber-
dieß iſt Wahrheit doch auch gut Ding, welcher man
nicht zu nahe treten muß, wenn ſie Zeugen zu Tau-
ſenden hat; und wenn die arge Welt auf das Ver-
tuſchen und erkuͤnſteltes Selbſtlob wenig noch
achtet.
Alſo, was das Erblaſſen und das Buͤcken be-
trift, ſo verſichere ich den Herrn gegenſeitig — zur
Ehre der Wahrheit: daß ich auf meinem Stand-
punkte eben das geſehn und bemerkt habe, was der
Verfaſſer der Briefe daruͤber erzaͤhlt hat. Ich kann
[156] ihm namentlich die Offiziere nennen, die ihren
Trupp zum Buͤcken ſogar ermahnten. *) Und wer
koͤnnte Offiziere und Andere tadeln, die nach dem
Geſetze der Sparſamkeit, Klugheit und wahren
vernuͤnftigen Tapferkeit, wie auch nach dem na-
tuͤrlichen Selbſterhaltungstriebe, ausweichbaren
Gefahren ausweichen, um Sich ſich, den Ihrigen
und dem Staate, der doch die Menſchen zum Sol-
datwerden, und was zu deren Unterhalte und Be-
waffnung gehoͤrt, hergeben muß, zu erhalten?
Dieß zu thun, denk' ich, iſt Pflicht; und es gethan
haben, koͤnnte alſo uͤber Preußiſche Truppen ewige
Schande nur dann bringen, wenn die Ehre der
Preußen es mit ſich braͤchte, nicht nach weiſer zweck-
maͤßiger Tapferkeit, ſondern nach unweiſer Toll-
kuͤhnheit jeder, auch ausweichbaren, Gefahr ſich preis
zu geben. Menſchen ſind doch keine Fuͤrſten-Nie-
ten? —
Fuͤr das Erblaſſen ſpricht ſchon unſre vorherge-
gangene elende Lage, die allein hinreichend geweſen
waͤre, auch dem tapferſten und geuͤbteſten Soldaten,
zu deſſen Wollen doch auch das Koͤnnen hinzu-
[157] kommen muß, den Muth zu laͤhmen, und ihn,
wenn auch nicht zur Verzweiflung, doch zum Ver-
zagen und Erblaſſen zu ſtimmen, zumal im Ange-
ſichte einer toſenden feindlichen Kanonade. Unſere
Leute waren ja meiſtens ſchon krank; alle waren
ermattet und bis auf die Haut durchnaͤſſet; der
groͤßte Theil hatte ſeit dem Mittage des vorigen
Tages nichts gegeſſen; weit uͤber die Haͤlfte —
denn aus dem ſiebenjaͤhrigen Kriege zaͤhlen wir nicht
viel brauchbare Soldaten mehr — trat hier zum
erſten Male vor feindliche Kanonen: iſt es nun
uͤberhaupt glaublich, daß ſolche Leute unter ſolchen
Umſtaͤnden ſich des nahen Feindes freuen, mit fro-
hem Muthe gegen ihn avanciren, und uͤber ein
kommandirtes Halt murren werden? Das wird
ſich ſchwerlich jemand einbilden, der da weiß, wel-
chen Eindruck neue und große Gefahren auf unge-
wohnte und ſonſt ſchon leidende Gemuͤther machen.
— Auf dem Anmarſche gegen den Feind wurden
erſt die Gewehre geladen, welche vorher immer ku-
gelleer geblieben waren: und waͤhrend dieſes La-
dens konnte man die Todtenblaͤſſe auf den meiſten
Geſichtern nicht der Soldaten allein, ſondern auch
der Offiziere, deutlich bemerken. Die Aengſtlich-
keit gieng ſo weit, daß, wer Spielkarten bey ſich
hatte, ſie wegwarf, aus Furcht, der liebe Gott
moͤgte nun ihn ſtrafen wegen eines ſo gottloſen Ge-
[158] raͤthes, als eine Spielkarte iſt. etc. etc. etc. Wenn
vielleicht der Herr Recenſent, als geuͤbter Offizier,
muthig war: ſo gereicht ihm das zur Ehre, ob es
gleich nicht ſehr ruͤhmlich iſt, den Muth Anderer
auf Koſten der Wahrheit laut zu ruͤhmen, um ſeinen
eignen ſo nebenher mitzuruͤhmen.
Recenſent will nicht einmal zugeben, daß der
Verfaſſer der Briefe Soldat war: er will ihn nur
mit zu der Equipage der Armee gerechnet wiſſen:
und das ſoll man jedem ſeiner gefaͤllten Urtheile an-
ſehen!! — Sehr hoͤflich von einem Offiziere;
aber auch ſehr natuͤrlich fuͤr einen Offizier, vielleicht
vom Regimente Romberg, der es dann frey-
lich unverdaulich finden mußte, daß der Verfaſſer
der Briefe die Leute dieſes Regiments nicht zum
erbaulichſten anfuͤhrte, und gar von Bauchphiloſo-
phen unter demſelben etwas fallen ließ. Aber wer
kann wider die Wahrheit, zumal, wenn Tauſende
als Zeugen fuͤr ſie da ſind!
Soll man aber gefaͤllten Urtheilen es anſehn
koͤnnen, ob jemand wirklich Soldat ſey, oder ob
er zur Equipage der Armee gehoͤre: ſo koͤnnte Re-
cenſent ſelbſt Gefahr laufen, vielleicht auch zur
Equipage mitgerechnet zu werden. Denn was
und wie qualifizirt dazu, er uͤber den Feldzug von
1792 urtheile, lehrt der Augenſchein im II. B.
S. 68 u. ff. Ich will einiges zur Probe anfuͤhren.
[159]
Nach S. 73 im II. B. der erſten Ausgabe, „ha-
ben die franzoͤſiſchen Prinzen den Operationsplan
(fuͤr den erſten Feldzug) entworfen, und der Her-
zog von Braunſchweig hat bloß die Ausfuͤhrung
verſucht. — Wenn er gleich ſelbſt uͤberzeugt war,
nicht nach Paris zu kommen, ſo mußte er doch im-
mer das Gegentheil laut behaupten, ſo lange der
entworfene Plan durchgeſezt werden ſollte.“ —
Alſo war der Herzog der exequirende General der
franzoͤſiſchen Prinzen! Alſo wollte er bloß die
Ausfuͤhrung von etwas verſuchen, das Andere ent-
worfen, er aber weder gebilliget, noch fuͤr moͤglich
gehalten hat — naͤmlich nach Paris zu kommen!
Alſo machte er den militaͤriſchen Marktſchreyer und
Renomiſten! Quot verba, tot abſurda! Recenſent
giebt auf dieſe Art dem Kupferſtiche ja noch Ge-
wicht, worauf die franzoͤſiſchen Prinzen, Generale
und Biſchoͤfe, mit Laternen in der Hand, dem Preu-
ßiſchen Heere vorleuchten; das Heer ſchon bis uͤber
die Knoͤchel im Sumpfe wanket, mit Manifeſten,
Ludwigskreuzen und Roſenkraͤnzen auf dem Ruͤcken,
und welchem der Anfuͤhrer mit verbundenen Augen
und gezucktem Degen nachreitet, mit den Worten
vor dem Munde: Marſch, nach Paris!
„Was die Manifeſte anbelangt, heißt es S. 75,
ſo braucht man den großen Mann nur zu kennen,
um zu wiſſen, daß er ſeinen Namen unterſchrieb,
[160] und ſie verlachte, ſich ihrer aber als ein Mittel be-
diente, um zu wirken, weil 40000 Stimmen ſag-
ten auf dieſe Art muͤſſe gewirkt werden, und ſo wuͤrde
die Wirkung ihren Zweck nicht verfehlen.“ —
Alſo handelte der große Mann hier wieder nach der
Auctoritaͤt Anderer und nach Mehrheit, vergaß
daruͤber reifliche Selbſtpruͤfung und Erforſchung
durch Emiſſaire u. dgl. und bediente ſich eines
Mittels auf fremde Rechnung, das er auf eigne
verlachte. Schade um die Profanierung des hoch-
beruͤhmten Namens! —
„Der Zweck der Kanonade, faͤhrt unſer Herr
S. 87 fort, war, der Franzoͤſiſchen Armee ſich ein-
mal gegen uͤber zu zeigen, um zu ſehen, in wie
ferne die Ausſage der Emigrirten: daß der groͤßte
Theil (der franzoͤſiſchen Armee) uͤbergehen wuͤrde,
wahr ſey oder nicht. — Um dieſem Zeigen mehr
Nachdruck zu geben, ſtellte der Herzog ihr allent-
halben Truppen entgegen. — (S. 88.) So blieb
man dem Feinde gegen uͤber ſtehen, und hoffte ver-
gebens auf den Uebergang der Franzoͤſiſchen Trup-
pen. Der Glaube der Emigrirten daran war ſo
ſtark, daß einige aus dem Gefolge des Koͤnigs nur
noͤthig zu haben waͤhnten, ſich zu zeigen, und des-
halb auf der Chauſſee vorritten, und mit ihren
weißen Tuͤchern winkten... (S. 89.) Allein —
keine Seele kam! Die entſcheidende Begebenheit
[161] alſo, die mit ſo vieler Gewißheit von den Emigrir-
ten vorher verkuͤndet ward, worauf der ganze Plan
der Campagne und alle bisherigen Schritte calculirt
waren, war geſcheitert, und ſo der ganze Feldzug
mit einem Male — zu Waſſer geworden.“ —
Ewige Schande uͤber das Vercalculiren nach dem
Calcul unſers Recenſenten! Hatten denn die Fran-
zoſen in Landau, als ſie den Trompeter, welchen
Fuͤrſt von Hohenlohe im Vorbeygehen an ſie ab-
ſchickte, erſchoſſen, nicht ſchon handgreiflich genug
bewieſen, daß die Emigrirten — Erzluͤgner wa-
ren? *) — Nein der Verfaſſer der Briefe — cal-
culirte wahrlich weit richtiger, und der ganze Er-
folg hat ſeinem Calcul entſprochen. Bey der Equi-
page gab es alſo einen, der unbefangener und rich-
tiger vorherſah und urtheilte, als Mancher an der
Spitze. Aeſopus und Plautus waren indeß
auch keine Centurionen, und ſagten doch manch
wahres und brauchbares Wort, auch noch fuͤr un-
ſere Zeiten. — Und waͤre der Hr. Recenſent ein
Julius Caͤſar, ſo haͤtte er dennoch ſehr geirrt, daß
er dem Glauben an die Behauptung und den
Dritter Theil. L
[162] Plan der Exprinzen und ihres Anhangs mehr zu-
ſchreibt, als unſere Ehre und eine geſunde und ehr-
liche Politik es je haͤtten erlauben koͤnnen — oder
er muͤßte recht auffallend haben zeigen wollen: daß
der Glaube im Politiſchen eben ſo wenig ſelig ma-
che, als im Theologiſchen, und daß eben diejenigen,
die man im Herrſcherduͤnkel fuͤr die erſten Stuͤtzen
des Staates haͤlt, oft gerade die lezten ſind, und,
wenn ſie ihn gleich am meiſten untergraben, doch
am wenigſten recht kennen. —
„Haͤtten, ſagt ein geuͤbter Seher unſrer Zei-
ten *), die Fuͤrſten, Miniſter und Raͤthe, welche
die neuern Begebenheiten Europas herbeigezogen
haben, weniger ihren Einſichten getrauet, weniger
ihren Leidenſchaften und Vorurtheilen Gehoͤr gege-
ben, und dagegen mehr die Geſchichte, mehr die
Menſchen, und inſonderheit mehr die Werke des
unſterblichen Friedrichs ſtudiert: ſo wuͤrden ſie nicht
ſagen duͤrfen: ſie haͤtten nicht vorausſehen koͤnnen,
was in der Folge geſchehen iſt. Daß ſie es vor-
ausſehen konnten, iſt unlaͤugbar, da es voraus-
geſehen iſt. Vorwuͤrfe deshalb helfen freilich nichts
mehr, da geſchehene Dinge ſich nicht aͤndern laſſen;
aber die Fehler zu bemerken, iſt ſehr heilſam, um
Regenten zu uͤberzeugen, welchen Irrthuͤmern ſie
[163] ausgeſezt ſind, wenn ſie ihre Miniſter allein hoͤ-
ren. So wahr iſt die Bemerkung eines vernuͤnfti-
gen Mannes: Daß in unſern Zeiten die groͤßte
Weisheit nicht in den Kabinettern geweſen iſt, und
daß Buͤcher-Gelehrte den Lauf der Dinge beſſer be-
urtheilt und richtiger vorausgeſehen haben, als —
die handelnden Staatsmaͤnner.“
„Bis dahin, faͤhrt Recenſent S. 89 fort, und
meynt bis zur Kanonade, hatte die Politik den
Krieg allein gefuͤhrt; jezt erſt trat die Kriegskunſt
wieder in ihre Rechte. — S. 90. Durch jene
Spekulation war die Armee in der traurigſten Lage.
— S. 91. Ich habe keine Worte fuͤr das Ge-
maͤlde unſeres Ruͤckzuges! In dieſer ſchrecklichen
Lage konnte nicht die Frage ſeyn: Wie heraus-
kommen? — ſondern alles kam nur auf das Her-
auskommen ſelbſt an. — S. 92. Es blieb
nur das uͤbrig, den Feind ſelbſt zu gewinnen.
Daher entſtanden jene Unterhandlungen, die der
Welt ſoviel Kopfbrechens gemacht haben. — Der
Herzog hatte durch eine Unterredung die franzoͤſi-
ſchen Generale ſo fuͤr ſich eingenommen, daß ſie
feſt glaubten, wir wuͤrden die Oeſtreicher verlaſ-
ſen, und ihre Parthey ergreifen: und in dieſer
Hoffnung gingen ſie einen ſtillſchweigenden Waffen-
ſtillſtand mit den Preußen ein, wofuͤr ihnen die
Zuruͤckgabe von Verdun verſprochen ward. In
[164] dieſem Waffenſtillſtand waren jedoch die Oeſtreicher
und Emigrirten nicht mitbegriffen; und als der
Ruͤckzug geſchah, ſuchten die Franzoſen ſelbige
allenthalben, um ſie anzugreifen und zu Grunde
zu richten. Dieſe aber brachen immer einen Tag
fruͤher auf, und ſo wurden ſie von der Preußiſchen
Armee masquirt. — S. 93. Alles, außer der
Raͤumung von Verdun und Longwy, beruhte indeß
nur auf muͤndlichen Vertraͤgen: und ſo wie man
uͤber die Graͤnze war, nahm man die Masque ab,
und die Feindſeligkeiten fingen wieder an.“ —
So alſo trieben es die Preußen? Ihre Kriegs-
kunſt, wie ihre Politik behaͤlfe ſich alſo mit Mas-
ken? Ein muͤndlicher Vertrag waͤre ihnen nicht eben
ſo heilig, als ein ſchriftlicher? — Dann haͤtten
ja diejenigen ſo groß Unrecht nicht, die das punica
fides mit der boruſſica jezt vertauſchen wollen! —
Doch genug, um den Leſern ſelbſt es zu uͤber-
laſſen, weit von beyden ſie bey der Equipage der
Armee ſuchen wuͤrden, den Verfaſſer der Briefe,
oder den Recenſenten derſelben in dem Magazin?
Der Verfaſſer der Briefe iſt ſeiner Wahrheit und
Wahrhaftigkeit, ſowohl in hiſtoriſcher als politi-
ſcher Ruͤckſicht, auch bey der Nachwelt ſicher ge-
nug, um keiner weitern Rechtfertigung vor ſeinen
Zeitgenoſſen gegen einen hofierenden Recenſen [...]
noch zu beduͤrfen. Sein Hauptverdienſt iſt, daß
[165] er den Geiſt des Krieges und deſſen naͤchſter Theil-
nehmer unter Soldaten, Buͤrger und Bauer ge-
treu ſchildert, und alles, was hierauf Bezug hat,
und ſoweit ſein Bemerkungskreis reichte, offenher-
zig vorerzaͤhlt, dann aber den Standpunkt und die
Grundſaͤtze mit edler Freymuͤthigkeit angiebt, nach
welchen man das Erzaͤhlte bald a priori, bald a
poſteriori, entweder einzeln oder im Zuſammen-
hange, nach Urſache und Wirkung, oder nach
Grund und Folge ſelbſt uͤberſehen kann. Das Hi-
ſtoriſche diente ihm alſo zum Vehikel des Politi-
ſchen; und dadurch unterhielt und belehrte er den
gemeinen Leſer, wie den hoͤhern. —
Ob der Recenſent, wie die Hn. Mitverfaſſer
des Magazins, ſich dieſes Verdienſtes auch ruͤh-
men koͤnnen, das moͤgen Andere entſcheiden. Doch
haben ſie das Verdienſt vor ihm voraus, daß ſie
mehr, als er, das Taktiſche des Feldzuges be-
merkten, und alſo mehr fuͤr den Soldaten, aber
auch weniger, als er, fuͤr den Weltbuͤrger ſchrie-
ben. Ganz in ſeiner Manier iſt indeß der zweyte
Aufſatz im III. Bande S. 19 *), der auch in kos-
mopolitiſcher Ruͤckſicht allein mehr werth iſt, als
[166] die ganze Haͤlfte aller uͤbrigen. Indeß einem jeden
das Seine; und was ich von beyden hier nebenher
bemerkte, ſey ſalvo meliori bemerkt. Beyde inter-
eſſiren mich nur in ſofern, als ſie, wie ich, eine
Sache behandeln, auf deren wahre und richtige
Darſtellung es fuͤr die Zukunft, in praktiſcher Ruͤck-
ſicht, viel ankommt. Uebrigens moͤgen beyde ſich
ſelbſt weiter wuͤrdigen und vertheidigen: ich kehre
zu meiner Geſchichte zuruͤck, und hoffe wegen die-
ſes Nebenſprunges um ſo eher Nachſicht, da er zu-
gleich eine ganz eigne Anſicht des Feldzuges von
1792 dem Leſer eroͤffnet. —
Unſern Koͤnig ſah ich hier in Begleitung einiger
Generale, mitten unter den feindlichen Kugeln hin-
reiten, und freute mich eben ſo ſehr uͤber das herr-
liche Beyſpiel, welches dieſer muthvolle Monarch
ſeinen Soldaten gab, als ich mich uͤber folgendes
aͤußerſt dummes und abgeſchmacktes Geſpraͤch
zweyer alter Unteroffiziere aͤrgerte. Ich will ſie
A und B nennen:
A. Siehſt du den Alten *) dort?
[167]
B. Seh'n wohl: ſchau, wie die Kugeln ihm
um den Kopf fliegen!
A. Wenn er nur nicht getroffen wird!
B. Narre, denkſt du denn, daß er das koͤnne?
A. Warum nicht? Wenn ihm eine Kugel an
den Kopf faͤhrt, iſt er weg.
B. Ah, warum nicht gar! Eine eiſerne Ku-
gel trifft den Koͤnig nicht.
A. Und wie das?
B. Schau, Bruder, das will ich dir ſagen:
ich bin ein alter Soldat, und hab den ſiebenjaͤhri-
gen Krieg mitgemacht; du kannſt mir alſo glauben,
daß ich's verſtehe. Ein gekroͤntes Haupt wird von
keinem Bley oder Eiſen getroffen: das faͤllt weg,
und wenn der Koͤnig gerade unter die Batterie dort
ritte!
A. Aber es ſind doch ſchon, wie man ſo hoͤrt,
Koͤnige vom Feinde erſchoſſen worden.
B. Ja, wohl Bruder, aber das waren auch
andre Kugeln; es waren Kugeln von Silber! Und
ſiehſt du, Bruder, wenn die Franzoſen unſern Al-
ten treffen wollen, ſo muͤſſen ſie ſilberne Kartaͤtſchen
einladen, und dann wird er bald weg ſeyn.
A. Wenn das ſo iſt, dann hat der Alte gut
dahin reiten!
B. Freilich wohl! Zudem haben die Koͤnige
von Preußen das Privilegium, daß ihnen weder
[168] Hieb noch Schuß ſchaden kann. Deßwegen hat
der alte Fritz im ſiebenjaͤhrigen Krieg oft ganze
Haͤnde voll Bleykugeln aus ſeinen Ficken geholt,
und die Kanonenkugeln mit dem Hut aufgefangen.
A. Hoͤre Bruder, du kannſt Recht haben!
Drum gehn die Koͤnige in Preußen wohl auch nur
noch allein ins Feld: ſie wuͤrden aber wohl huͤbſch
zu Hauſe bleiben, wenn ſie ſich vorm Todtſchießen
fuͤrchten muͤſten. Dann wuͤrden ſie's machen, wie
der Kaiſer, der Koͤnig in Spanien und die andern
Koͤnige. Die bleiben alle huͤbſch zu Hauſe, und
laſſen ihre Leute fuͤr ſich todt, krum oder lahm
ſchießen. —
Durch ſolche abſurde aberglaͤubige Ideen entkraͤf-
tet ein ſolcher Maͤhrchentroͤdler ein Beiſpiel von
Tapferkeit, welches der Koͤnig ſeinem Heere giebt,
und das fuͤr ſich ganz unwiderſtehlich wirken wuͤrde.
[169]
Vierzehntes Kapitel.
Begebenheiten nach der Kanonade bey Valmy.
Es iſt hier der Ort nicht, zu beweiſen, daß der da-
malige franzoͤſiſche General Dumouriez weder uns
noch ſeiner Nation ganz gewogen war. Daruͤber
mag der Leſer in andern Buͤchern Auskunft ſuchen.
Dumouriez haͤtte uns noch am Tage der Kanonade
viel ſchaden koͤnnen, wenn er gewollt haͤtte: das
iſt eine Wahrheit, welche unſre eignen Befehlsha-
ber gerne eingeſtanden, und die auch aus der Natur
unſrer Lage deutlich genug erhellet.
Nach einem wechſelſeitigen Feuer von ohnge-
faͤhr vier Stunden wurde abmarſchiert, und wir
zogen uns auf verſchiedne Huͤgel, welche wir be-
ſezten. Der Koͤnig nahm ſein Quartier auf dem
Vorwerke La Lune, welches vorher einem Emigrir-
ten gehoͤrt hatte, damals aber ſchon an Bauren
verkauft war.
Unſer Verluſt an Todten und Bleſſirten belief
ſich auf 166 Mann: freilich ein ganz geringer Ver-
luſt bey einer vierſtuͤndigen Kanonade, aber alle-
mal groß genug, bey einer Kanonade, welche nach
[170] dem Zeugniß aller verſtaͤndigen Kriegsmaͤnner, ganz
ohne alle Hoffnung eines Sieges oder reellen Vor-
theils, unternommen war. Dieſen Verluſt wird
der vorhin zurechtgewieſene Recenſent unmoͤglich
laͤugnen koͤnnen; und nun moͤgte ich wiſſen, wie
er ihn mit der von ihm angegebnen Abſicht der Ka-
nonade reimen wolle. Schon die Kanonade ſelbſt
widerſpricht ihr: denn welcher Kluge ſchießt auf
Leute, auf deren Heruͤberkunft er wartet? —
Die Verwundeten wurden auf ein Vorwerk ge-
bracht, wo ſie wegen der elenden Pflege ſchon mei-
ſtens in der erſten Nacht unter den heftigſten Qua-
len hinſturben. Gar wenige von allen bey La Lune
verwundeten Soldaten ſind mit dem Leben, und
kein einziger iſt mit geraden Gliedern davon gekom-
men. Das iſt freilich ſchrecklich, aber daran war
auch meiſtens unſre mediziniſche Anſtalt Schuld,
welche bey keiner Armee elender ſeyn kann, als ſie
damals bey unſrer war. Das machte aber, weil
man ſteif und feſt geglaubt hatte, die Franzoſen
wuͤrden uns keinen Finger entzwey ſchießen. Man
hatte ſich aber verrechnet, und das garſtig! —
Ich werde in einem eignen Kapitel von den Graͤu-
eln der mediziniſchen Pflege unſrer braven Krieger
in dieſem Feldzuge reden, unpartheiiſch zwar, aber
doch ſo, wie ich dieſe Graͤuel ſelbſt geſehen habe.
Es war entſetzlich kalt den Abend nach der Ka-
[171] nonade: der Wind ging ſcharf, und mit Regen
vermiſcht — und wir muſten da unter freiem Him-
mel ſtehen, bis den andern Tag gegen Abend, aus
Furcht, Dumouriez moͤgte ſich ſeines Vortheils
bedienen, und uns angreifen. Zum Feuermachen
fehlte es an Holz, alſo lief man in die hinten liegen-
den Doͤrfer, und holte da, was man von Holz vor-
fand, hieb die Baͤume im Felde nieder, und machte
große Feuer. Unſer Bataillon war ſo gluͤcklich,
einige Wagen Brennholz zu erbeuten, welche fuͤr
die franzoͤſiſche Armee beſtimmt waren.
Der Hunger quaͤlte uns alle: denn unſer Brod
war ſchon lange verzehrt; und wenn man ſo unter
freiem Himmel in Kaͤlte und Naͤſſe kampiren muß,
hat man immer mehr Appetit, als in der warmen
Stube. Eben ſo fehlte es uns an Waſſer: die Naͤhe
des Feindes ließ es nicht zu, es herbey zu holen,
und ſo litten wir auch gewaltigen Durſt. Einige
Burſche, welche mehr Herz hatten, als andre, gin-
gen aber doch hin und holten welches, das ſie her-
nach theuer genug verkauften. Einmal wurde ein
ſolcher Trupp Waſſerholer von einer feindlichen
Patrouille aufgefangen, entging ihr aber wieder,
weil die Finſterniß ſie beguͤnſtigte.
Gegen Tag ſorgte der Himmel ſelbſt fuͤr Waſ-
ſer: denn es regnete gewaltig, und die Graͤben
fuͤllten ſich. Da aber haͤtte man die durchnaͤßten,
[172] hungrigen und ſchmutzigen Soldaten hinrennen und
trinken, oder vielmehr ſaufen ſehen ſollen!
Als es Tag wurde, verbreitete ſich Angſt und
Schrecken in der ganzen Armee von neuem: jeder-
man vermuthete, daß nun abermals ein neuer
Angriff auf die Franzoſen wuͤrde gemacht werden.
Ich fuͤr mein Theil glaubte das nicht, und war in
dieſer Ruͤckſicht ruhig, ob ich es gleich nicht fuͤr un-
moͤglich hielt, daß der Feind uns angreifen koͤnnte:
und dann verſprach ich uns nichts weniger, als ei-
nen gluͤcklichen Ausgang der Sache. Aber die
Herren Franzoſen poſtirten ſich blos vortheilhafter
und verſchanzten ſich nur noch beſſer, als den Tag
vorher.
Jezt lief, wer laufen konnte und wollte, in die
Doͤrfer, und holte Holz d. i. Thuͤren, Wagen,
Faͤſſer, Leitern, Breter, Tiſche, Stuͤhle, kurz,
was man an Holzwerk finden und fortbringen konnte.
Die Baͤume, beſonders die ſchoͤnen Pappeln an den
Wegen — denn Champagne hat nur wenig Obſt-
baͤume — wurden weit und breit niedergehauen,
um durch hinlaͤngliche Feuer einem zahlreichen
Volke, das in Wind und Wetter unter freiem Him-
mel ſtand, und noch immer einen Angriff befuͤrch-
tete, hinlaͤngliche Waͤrme zu verſchaffen. Gegen
Abend zuͤndeten die Oeſtreicher ein Doͤrfchen an,
nachdem ſie daſſelbe erſt voͤllig gepluͤndert hatten.
[173] Das arme Doͤrfchen brannte bald ganz und gar
nieder, weil der Wind unaufhoͤrlich braußte.
Dieſer Tag war zwar unſer Brodtag, aber wir
hofften vergeblich auf Speiſe: unſre Brodwagen
waren aus Furcht vor den Franzoſen zuruͤckgeblie-
ben, und kamen erſt ſpaͤt am Abend. Der Hunger
quaͤlte uns jedoch nicht ſo ſehr, als die immerwaͤh-
rende Furcht uns aͤngſtigte, der Feind moͤgte uns
angreifen. Ich ſuchte auf alle Art meinen Kame-
raden dieſe Furcht zu benehmen, und nicht ohne Er-
folg; und nachdem ſie mit der Zeit ſahen, daß ich
Recht hatte, hielten ſie mich von nun an fuͤr einen
Propheten, und fragten mich in Zukunft uͤber alle
Vorfaͤlle, welche ſie befuͤrchteten oder wuͤnſchten.
Gegen Abend ſtießen die Oeſtreicher zu uns.
Man hatte, ich weis nicht, warum? ausgeſprengt,
daß ihre verſpaͤtete Ankunft eigentlich Schuld an
unſerm ſchlechten Erfolg bey der Kanonade geweſen
ſey: So raͤſonnirten ſogar viele Offiziere: aber
jezt weis man das anders.
Gegen ſechs Uhr ſchlugen wir endlich unſre
Zelter auf, erhielten Brod, und ruheten nun von
den großen Strapatzen aus. Ich habe niemals
erquickender geſchlafen, als dieſe Nacht. Lutze ver-
ſorgte unſer Zelt am andern Tage mit guten V [...]-
tualien, und ſo waren wir in unſerm Zelte, waͤh-
rend die meiſten andern weiter nichts hatten als
[174] ihr Biſſel Kommißbrod, auf einige Tage geborgen.
Ich muß es nochmals wiederholen, daß ich dem
braven Lutze manche Saͤtigung verdankte, wo
die uͤbrigen, ſogar die Offiziere, hungern muſten.
Am dritten Tage nach der Kanonade aͤnderten
wir die Stellung unſers Lagers.
Als der Brodtag wieder kam, war kein Brod
da. Man gab vor, die Wagen koͤnnten nicht vor-
waͤrts wegen des entſetzlichen Kothes; und da wir
den Weg, welchen die Wagen von Grandprée
kommen mußten, ſehr wohl kannten, ſo beruhigten
ſich die Leute. Die wahre Urſache aber war, daß
die Franzoſen viele Wagen weggenommen hatten,
und die andern ſich nun nicht getrauten, vorwaͤrts
zu fahren, und alſo liegen blieben. Man hatte
zwar in den umliegenden Doͤrfern alles ausge-
pluͤndert, und daſelbſt allerley Eßwaaren noch vor-
gefunden: allein das war doch fuͤr eine ſolche
Menge wie nichts! Wenige hatten etwas erhaſcht,
und die meiſten hatten gar nichts.
Es wurde daher bey der Parole — man denke
doch an die Fuͤrſorge! — befohlen, Waizen zu
dreſchen, ihn bis zum Zerplatzen zu ſieden mit
Butter und Speck zu ſchmaͤlzen, und dann zu
eſſen. Das war nun ſo ein Stuͤck von Parole-
befehl, deren es in der Art mehrere gab — ein
[...]ausfuͤhrlicher Befehl!
[175]
Waizen war zwar noch in den Doͤrfern, aber
wo ſollte man den dreſchen? Der Koth war Knie-
tief, und darin driſcht ſichs gar uͤbel! Und woher
ſollte man Speck, Butter und Salz nehmen, wel-
ches alles in der ganzen Armee nicht zu haben war?
Kein Marketender war da, ſogar der Jude war
bey Grandprée zuruͤckgeblieben: wer alſo ſollte
uns da das Noͤthige zum Schmaͤlzen beſorgen? —
Einige ſotten jedoch Waizenkoͤrner und aßen ſie ohne
Salz und Schmalz vor lauter Hunger hinein.
Optimum ciborum condimentum fames!
Es gab zwar dort herum auf einigen Aeckern
noch Kartoffeln, welche man auch holte und kochte:
aber leider war dieſes eine gar zu geringe Huͤlfe!
die Aecker waren gar bald leer, und zudem waren
die Kartoffeln von der Art derer, die man in Deutſch-
land dem Viehe giebt: ſie vermehrten auch noch
die damals alles zerſtoͤrende Ruhr.
Selbſt im koͤniglichen Hauptquartiere zu Hans
war Mangel uͤber Mangel: auch da war kein Brod,
und an Leckerſpeiſen war vollends gar nicht zu den-
ken. Dieſer Mangel ward indeß dem franzoͤſiſchen
Generale bekannt, welcher dann friſches Obſt und
andre Dinge ins Hauptquartier ſchickte, um we-
nigſtens den Koͤnig von Preußen, ſeinen Feind, und
deſſen hohe Generalitaͤt vor Hunger zu ſichern.
Dieſer Zug von Edelmuth vermehrte bey unſern
[176] Soldaten die gute Idee, welche ſie ſeit der Kano-
nade von den Franzoſen ſchon hatten. Von nun
an hoͤrte man auch faſt allgemein auf, ſie Spiz-
buben, Racker, dumme Jungen u. dgl. zu ſchelten.
Man hatte auch von allen Orten her ſo viel Vieh
zuſammen getrieben, als man nur konnte, und da er-
hielt denn freylich der Soldat auch Fleiſch, aber
mageres elendes ſtatt des Brods: und Brod muß
der Soldat haben, wenn er nicht hungern, oder an
Nebenſpeiſen nicht erkranken ſoll.
Als am 27ten endlich das Brod ankam — der
25te und 26te war ausgefallen — ſo befahl der
Koͤnig, daß die Kompagnien dereinſt, aber doch
bald, die ausgefallnen Brodtage den Soldaten
bezahlen ſollten, oder vielmehr, er verſprach, ſie
ſelbſt zu bezahlen. Aber dieſe Zahlung blieb aus!
Ohne Zweifel hat der gutmuͤthige Monarch, der
das Elend ſeiner Soldaten, welche uͤber 59 Stunden
ohne alle Speiſe ſeyn mußten, wohl ſelbſt fuͤhlte,
dieſen armen Leuten einen kleinen Erſatz an Gelde
fuͤr dieſen Hunger beſtimmt: Aber wo das Geld
blieb — iſt eine andre Frage. Ohne Muͤhe ſieht
man ein, daß ein ſolcher Betrug leicht zu begehen
war: aber eben ſo leicht ſieht man ein, daß ein
Betrug von der Art unter allen Schurkereien die
allerſchaͤndlichſte, obgleich nicht die ungewoͤhn-
lichſte iſt.
[177]
Am allerlaͤcherlichſten war der Parolebefehl
wegen der Kreide. In Champagne giebt es
ihrer viel, und nachdem man auf einem Huͤgel,
recht ſchoͤne entdeckt hatte, mußten Leute hin, ſie
auszugraben, und nun wurde befohlen, daß man
dieſe Kreide unter die Soldaten vertheilen ſollte,
mit dem Zuſatz: Se. Majeſtaͤt, der Koͤnig, ſchenke
dieſe Kreide den Soldaten! In Champagne, dort
bey Hans, war freylich der Ort, wo man Hoſen
und Weſten mit Kreide weißen ſollte! Ja, wenn
der Herr Jeſus da geweſen waͤre, und aus Kreide
haͤtte Brod machen wollen! —
Funfzehntes Kapitel.
Fortſetzung des vorigen.
Der Herzog von Braunſchweig machte gleich ei-
nige Zeit nach der Kanonade einen Waffenſtillſtand
mit dem General der Franzoſen, Kraft deſſen alle
Hoſtilitaͤten vor der Hand unterbleiben ſollten.
Unſre Vorpoſten fanden waͤhrend dieſer Zeit
aller Orten Zettel, welche die franzoͤſiſchen Pa-
Dritter Theil. M
[178] trouillen ausſtreuten, um unſre Leute zur Deſertion
aufzumuntern. Ich werde hier mit des Leſers Er-
laubniß einen ſolchen Zettel in deutſcher Sprache —
ſie waren deutſch und franzoͤſiſch — mittheilen,
und das vorzuͤglich deswegen, weil ich in der Folge
ein Mehreres von der Lage der deutſchen De-
ſerteurs in Frankreich erwaͤhnen muß. Ich ſchreibe
zwar nicht gerne ab, weil das das Anſehen hat, als
wollte man mit fremden Sachen die Bogen fuͤllen,
aus Mangel an eignen: aber dann und wann iſts
doch auch noͤthig, daß man ſchon gedruckte Dinge
nochmals herſetze. Die Zettel hatten folgenden
Inhalt:
An die
Oeſtreichiſchen und Preußiſchen Soldaten.
Kameraden,
Eure Offiziere hintergehen euch immer, erzaͤh-
len euch nichts als Unwahrheiten von dem Kriege,
welchen wir wider den Kaiſer und den Koͤnig von
Preußen fuͤhren. Vernehmet hiemit die wahre
Urſache deſſelben!
Es ſind nunmehro drey Jahre verfloſſen, ſeit-
dem die Franken, muͤde ihres Elendes und der un-
aufhoͤrlichen Drangſale, welche der Adel und die
Hofſchranzen ſie fuͤhlen ließen, und entſchloſſen,
ſich zu raͤchen, die Waffen ergriffen, und feyerlich
[179] erklaͤrt haben: daß ſie keinen Adelſtand mehr dul-
den wollen, und daß ſie, weil alle Menſchen Bruͤ-
der und Kinder der naͤmlichen Mutter ſind, alle
gleich ſeyn, und die Freyheit haben wollen, ſich
nach ihrem Gutduͤnken zu regieren. Sie haben
ihre Regierungsverfaſſung veraͤndert und ihrem
Koͤnig die Macht benommen, ihnen Boͤſes zu thun.
Zu gleicher Zeit hat man in allen Kantons des
franzoͤſiſchen Reichs Maͤnner ernannt, deren Be-
ſtimmung es iſt, ihnen gute Geſetze zu machen.
Dieſe Buͤrger haben ſich verſammelt und erklaͤrt,
daß die Franzoſen frey ſind, daß ſie alle gleich
ſind, daß ein jeder nach ſeinem Verdienſte und ſei-
nen Talenten zu allen Aemtern und Ehrenſtellen,
ſowohl in der Armee, als in der Kirche und den
Gerichtshoͤfen gelangen koͤnne: Sie haben die Fel-
der von aller Knechtſchaft freygeſprochen: Sie ha-
ben alle Auflagen, welche die Armuth druͤcken,
aufgehoben: Sie haben die Kriegszucht angenehm
gemacht, den Sold der Soldaten erhoͤht, und den
Kriegsdienſt mit Vergnuͤgen und Ehre verbunden:
Sie haben, mit einem Worte, ſo viel Gutes ge-
ſtiftet, als ihnen moͤglich war. Alle Franzoſen,
nur die Edelleute ausgenommen, waren mit dieſer
Veraͤnderung zufrieden. Dieſe Edelleute ſind aus
dem Reiche gegangen, und haben ſich bisher in den
benachbarten Laͤndern aufgehalten. Sie haben
[180] alles gethan, was ſie konnten, um die auslaͤndi-
ſchen Fuͤrſten zu Feinden der Franzoſen und ihres
Vaterlands zu machen. Der Koͤnig von Frank-
reich, welcher den Adel liebt, und unzufrieden iſt,
einen Theil ſeiner Macht verlohren zu haben, kei-
ne Taxen mehr auflegen und die Soldaten nicht
mehr ſchlagen laſſen zu koͤnnen, hat gleich alles
Moͤgliche gethan, die uͤbrigen Koͤnige zu vermoͤgen,
uns den Krieg anzukuͤndigen. Der Kaiſer und der
Koͤnig von Preußen haben die Waffen wider uns
ergriffen, und wollen uns ſchlagen, um den Adel
wieder herzuſtellen, und den Koͤnig wieder in den
Stand zu ſetzen, alles zu thun, was er will. Sie
ſind beſorgt, daß ihre Voͤlker es eben ſo, wie die
Franzoſen machen, und gleich ihnen, Freiheit und
Gleichheit verlangen moͤgen. Sie ſollen uns in-
deſſen nicht hindern, andre Nationen an unſerm
Gluͤcke Theil nehmen zu laſſen. Wir ſind Nie-
manden feind.
Die Franzoſen ſind Bruͤder aller derer, welche
frey ſeyn wollen, wie ſie. Es haͤngt von euch ab,
uns nachzuahmen, und das iſt es, wozu wir euch
einladen.
Unſere Nationalverſammlung, die aus recht-
ſchaffenen Maͤnnern beſteht, welche wir ernannt
haben, unſere Geſetze zu machen, will, daß alle
oͤſtreichiſche und preußiſche Soldaten, welche ihren
[181] Dienſt verlaſſen, und nach Frankreich kommen, ſo
lange ſie leben, einen Gehalt von 100 Livres ge-
nießen, welcher ſich bis auf 500 Livres vermehren
kann. So, wie einige derſelben ſterben, ſollen die
uͤbrigen dabey gewinnen; und im Fall einer verhei-
rathet iſt, ſoll die Wittwe nach ſeinem Tode den
Gehalt genießen.
Sehet, Kameraden, wie wir die Soldaten
behandeln, welche zu uns kommen, um unſre Frey-
heit zu vertheidigen, und ſich derſelben mit uns zu
erfreuen. Kommt alſo hin nach Frankreich, ins
Land der Gleichheit und der Freude. Verlaßt die
Edelleute und die Koͤnige, fuͤr welche ihr, wie eine
Heerde Schafe, zur Schlachtbank geht, und
kommt zu uns, euren Bruͤdern, ein Gluͤck zu ſu-
chen, welches der Menſchen wuͤrdig iſt! Wir ſchwoͤ-
ren es euch, daß wir euch hernach helfen wollen,
eure Weiber, eure Kinder, eure Bruͤder, eure
Schweſtern aus der Sklaverey zu retten, und ihr
ſollt mit uns den Ruhm theilen, allen Voͤlkern von
Europa die Freiheit zu ſchenken.“
Dieſe Zettel, ob ſie gleich im Lager und in der
ganzen Armee ſtark zirkelten, machten doch nur ſchwa-
chen Eindruck, und verleiteten nicht viel Soldaten
zur Deſertion: wenigſtens ſind von unſerm Regi-
mente kaum 30 Mann in Frankreich vermißt wor-
den. Das kam aber aus der ganz natuͤrlichen Ur-
[182] ſache, weil jederman glaubte, der Friede ſey im
Werke, und darum denn hoffte, bald wieder zu
Hauſe bey den Seinigen zu ſeyn. Haͤtten die guten
Leute damals ſchon wiſſen ſollen, daß ſie erſt noch
einige Jahre herumziehen muͤßten, ſo will ich das
Leben verwetten, das Drittel der Armee waͤre bey
Hans ausgeriſſen. Man ſah dieß im Jahre 1793
bey der Retirade, im Herbſt! Doch davon zu ſei-
ner Zeit!
Das Wetter war die ganze Zeit uͤber, die wir bey
Hans im Lager ſtanden, abſcheulich: es regnete
ohne Unterlaß, und dabey war es ſehr kalt. Alle Tage
mußte friſches Stroh, oder vielmehr ungedroſchner
Waizen aus den Doͤrfern geholt werden, wodurch
denn alle Doͤrfer im Umkreiſe weit und breit leer
wurden. Das Waſſer lief immer in die Zelter,
und machte das Lagerſtroh zu Miſt: Alſo fri-
ſches! —
Sollte nach Waſſer oder Holz gegangen, oder
das elende Kommißfleiſch gekocht werden, ſo zankte
man ſich erſt eine halbe Stunde in den Zeltern her-
um, wer gehen ſollte? an wen die Reihe waͤre?
denn das Waſſer ſowohl, als das Holz muſte eine
gute halbe Stunde vom Lager gelangt werden; und
bis dorthin muſte man bis an die Knie im Kothe
kneten. Feuer zum Kochen war ſehr ſchwer anzu-
machen, weil man, nach geſchloßnem Waffenſtill-
[183] ſtande, kein duͤrres Holz aus den Doͤrfern mehr
nehmen durfte, folglich mit gruͤnem Weiden- und
Pappelholz ſich behelfen muſte. Dieſer Umſtand
machte, daß, als das Brod ankam, die Burſche
in zwey Tagen gar kein Kochfeuer machen wollten.
Die Preußiſche Reinlichkeit hatte zwar ſchon
laͤngſt aufgehoͤrt: aber bey Hans haͤtte man die
Herren Preußen, die ſonſt ſo gepuzten Preußen,
Offiziere und Soldaten, ſchauen ſollen! Die weiſ-
ſen Weſten und Hoſen waren uͤber und uͤber voll
Schmutz, und noch obendrein vom Rauche gelb
und ruſig: die Kamaſchen ſtarrten von Koth, die
Schi [...]waren groͤßtentheils zerfezt, ſo daß man-
che ſie mit Weiden zuſammen binden mußten: die
Roͤcke zeigten allerley Farben von weiſſem, gelbem
und rothem Lehm, die Huͤte hatten keine Form mehr,
und hingen herab, wie die Nachtmuͤtzen; endlich
die graͤßlichen Baͤrte — denn wer dachte da ans
Raſiren! — gaben den Burſchen das leidige An-
ſehen wilder Maͤnner. Kurz, wenn die Hottentotten
zu Felde ziehen, ſo muͤſſen ihre Soldaten reinlicher
ausſehn, als damals wir. Die Gewehre waren
voll Roſt, und wuͤrden gewiß verſagt haben, wenn
man haͤtte ſchießen wollen.
Der Herzog von Braunſchweig hatte indeſſen
immer Unterhandlungen mit dem General Dumou-
riez, wobey Hr. von Mannſtein als Geſchaͤfts-
[184] traͤger gebraucht wurde. Als ich von dieſen Unter-
handlungen hoͤrte, machte ich einmal in Beyſeyn
einiger Offiziere Bemerkungen daruͤber, und ſagte
auf die Aeußerung eines gewiſſen Hr. Leutnants:
„Daß der General Dumouriez um Schonung baͤte“
ganz hitzig, daß die Reihe, um Schonung zu bit-
ten, jezt an uns waͤre — daß unſer Karren ſo
tief im Kothe ſtaͤcke, daß wir Muͤhe haben wuͤr-
den, ihn nur halbweg mit Ehren heraus zu ziehen
u. ſ. w. Der Offizier hinterbrachte dieſe und andre
meiner Aeußerungen meinem Hauptmann, und
dieſer brave Offizier warnte mich nur unter vier
Augen vor aͤhnlichen — Aeußerungen. Er wollte,
ſagte er, mit mir zwar nicht diſputiren, ob ich
Recht oder Unrecht haͤtte; aber geſezt auch, ich haͤtte
Recht, ſo waͤre doch hier der Ort nicht, ſo zu ſpre-
chen, da ohnehin die Leute ſchwierig und deſperat
waͤren.
Meines Hauptmanns Rede war ſehr vernuͤnf-
tig: aber es geht einem doch auch hart ein, eine
Wahrheit, eine intereſſante Wahrheit, die uns zu-
naͤchſt angeht, bey ſich zu verbergen, und Lum-
pereien mit anzuhoͤren, uͤber die man nicht lachen
kann, weil ſie unſer Gefuͤhl empoͤren, um ſo mehr,
da das Uebel, das aus dieſen Lumpereien ent-
ſpringt, uns ſelbſt niederbeugt. Wenn einer z. B.
uͤber 20 Jahre Hn. Schirachs politiſches Journal
[185] oder die Neuwieder Zeitungsſudelei u. dgl. nach-
lieſt — wenn naͤmlich dieſe und aͤhnliche Wiſche
nicht alle ſammt und ſonders dann laͤngſt verlacht
und vergeſſen ſind — ſo wird er freilich uͤber die
große Dummheit und Unverſchaͤmtheit dieſer Skri-
bler lachen: aber jezt, wer bedenkt, daß dieſe
Schreier zum allgemeinen Elende ſo vieler Laͤnder
und Menſchen, und zum phyſiſchen und morali-
ſchen Verderben unſers lieben Vaterlandes auch ihr
verfluchtes Schaͤrflein beygetragen, und geblendete
Gruͤzkoͤpfe noch mehr verblendet haben, der kann
die Wiſche von Neuwied, die des Hn. Schirach
und von Goͤchhauſen nicht ohne Eckel und Abſcheu
in die Hand nehmen. Ich bedaure daher auch je-
den ehrlichen Mann, der dieſe Schmiralien leſen
muß, und geſtehe gern, daß ich lieber Pater Ko-
chems Legende, Oswalds Unterhaltungen und
den Kaiſer Oktavianus leſen wollte, als die politi-
ſchen Siebenſachen eines Schirach, Goͤchhauſen,
Reichards in Gotha, und anderer ihres Gelichters.
Ich habe dringende Wahrheiten nie ganz in
Petto halten koͤnnen, und da ich immer nicht gleich-
geſinnte Menſchen um mich hatte, ſo wurde ich
bald als ein Patriot, bald als ein Jakobiner, dann
als Demokrat, und wer weis, was noch alles,
ausgeſchrieen. Aber geſchadet hat mir mein freies
Gerede niemals: denn im Preußiſchen Heere ſind
[186] Maͤnner genug, die auch wiſſen, wo Barthel Moſt
holt; und bey dieſen, und durch dieſe, war ich im-
mer ſicher.
Es iſt ganz gewiß, daß der Herzog von Braun-
ſchweig, nothgedrungen, den erſten Vorſchlag zum
Waffenſtillſtand gethan hat. Dumouriez nahm
dieſen Vorſchlag aus Gefaͤlligkeit gegen uns an,
und hatte, wie mich duͤnkt, hinlaͤngliche Urſache
dazu. Er konnte naͤmlich hoffen, daß der Koͤnig
von Preußen Friede mit den Franzoſen machen
wuͤrde, und ſo hatte die Republik — denn Frank-
reich war damals ſchon eine — einen maͤchtigen
Feind vom Halſe. In dieſer Abſicht ſchickte er
eine Erklaͤrung ins Preußiſche Lager, worin er mit
den beſten Gruͤnden und ſtarker maͤnnlicher Bered-
ſamkeit die Vortheile darlegte, den Preußen aus
dem Frieden mit Frankreich ziehen koͤnnte. Ob man
aber Dumouriez's Gruͤnde fuͤr guͤltig anſah,
oder nicht, kann ich nicht ſagen: genug, der Her-
zog ſchickte, ohne auf des franzoͤſiſchen Generals
Vorſtellungen zu achten, demſelben am 28ten
September abermals ein Manifeſt, welches zwar
den gebieteriſchen Ton des Koblenzer Aufſatzes nicht
fuͤhrte, doch aber noch immer die Herſtellung Lud-
wigs XVI. und des erblichen Koͤnigthums erwaͤhnte.
Und dieſem Manifeſte, welches zu gar nichts
nuͤtzen konnte, iſt denn auch der tragiſche Ruͤckzug
[187] der Deutſchen, der Einfall des Cuͤſtine in die
dießſeitigen Rheinlaͤnder und das daraus entſtandene
Elend ſo vieler Tauſenden von Menſchen zuzurech-
nen!
Es iſt unbegreiflich, wie ein Fuͤrſt, ein ſo hell-
ſehender Fuͤrſt, als der Herzog von Braunſchweig
iſt, es uͤberſah, daß er mit einem Feinde zu thun
hatte, den er mit Gewalt nicht mehr zwingen konnte:
und daß Er, troz unſrer jaͤmmerlichen Lage, es den-
noch wagte, dieſem Feinde eine abermalige Kriegs-
erklaͤrung zuzuſchicken! — Ich mag dieſen Punkt,
deſſen Reſultate von ſelbſt in die Augen fallen,
nicht weiter verfolgen, glaube aber immer, daß
dieſes Manifeſt dem weiſen Fuͤrſten neuerdings extor-
quirt iſt. —
Dumouriez indeß nahm das Manifeſt auf,
wie er mußte. Er erklaͤrte in einem Briefe an den
General Mannſtein: daß nun aller Waffen-
ſtillſtand aufgehoben ſey, und daß die Feindſelig-
keiten ihren Anfang wieder nehmen muͤßten. Der
General Mannſtein, ein kluger, erfahrner Mann,
fuͤhlte ſchon im Voraus die traurigen Folgen einer
abermaligen Feindſeligkeit, und ſuchte daher den
General der Franzoſen auf jede glimpfliche Art zu
beſaͤnftigen: allein Dumouriez blieb unerbittlich,
bis endlich der Hr. Graf von Kalkreuth nach
ſeiner ihm ganz eignen Klugheit durch ſeine uͤber-
[188] zeugende und gewandte Beredſamkeit bey Duͤ-
mouriez und den uͤbrigen fraͤnkiſchen Heerfuͤh-
rern ſo viel bewirkte, daß man die Preußen — ab-
ziehen ließ.
Es ſtand wahrlich bey den franzoͤſiſchen Gene-
ralen, ob ſie die Preußen abziehen laſſen, oder ob
ſie dieſelben gefangen nehmen wollten. Warum
ſie das lezte nicht thaten, oder wenigſtens den
Ruͤckzug nicht noch mehr erſchwerten, iſt mir ein
Raͤthſel, welches aber zu ſeiner Zeit vielleicht noch
geloͤßt werden duͤrfte. Hr. Graf von Kalkreuth
koͤnnte den beſten Schluͤſſel dazu hergeben. Nie-
mals aber iſt die Preußiſche Armee und ihr guter
Koͤnig in groͤßerer Gefahr geweſen; als am 29ten
September, 1792.
Sechszehntes Kapitel.
Jaͤmmerlicher Abzug aus Frankreich.
Am 29ten September, alſo an eben dem Tage —
man merke das Dringende! — wo der Herr Graf
von Kalkreuth mit Dumouriez Traktaten ge-
macht hatte, brach unſre Armee ſchon auf, und
ruͤckte zuruͤck, oder vielmehr ſie aͤnderte nur ihre Po-
[189] ſition ruͤckwaͤrts, und am 30ten gings wirklich —
zuruͤck.
Das Wetter war Anfangs recht gut, naͤmlich
vom 29ten an: allein am dritten October fiel wieder
das Regenwetter ein, und nahm kein Ende, ſo
lange wir noch in Frankreich uns ſchleppten.
Man hatte in der ganzen Armee ausgeſprengt:
der Friede mit Frankreich ſey gewiß, und die Fran-
zoſen haͤtten ſich gegeben d. i. den alten Deſpotis-
mus wieder angenommen; wir haͤtten alſo in Frank-
reich nichts weiter zu ſchaffen, und waͤren darum
jezt auf dem Wege nach Hauſe. — Mir kam das
Ding gleich ſpaniſch vor, weil ich nicht begreifen
konnte, wie eine Nation, welche einen 10ten Auguſt
und einen 2ten, 3ten und 4ten September mit
Schrecken gehabt und gefoͤrdert hatte, ſich haͤtte
geben koͤnnen, zumal da die Armee, welche ſie
hatte demuͤthigen wollen, damals ſelbſt gedemuͤ-
thiget, und ihr alſo nicht mehr fuͤrchterlich war,
auch es nicht mehr werden konnte. Ich theilte
meine Bedenklichkeiten einigen Maͤnnern im Regi-
mente mit, welche auch Selbſtdenken gelernt hat-
ten, und dieſe gaben mir, nachdem ich ihnen alle
meine Gruͤnde vorgelegt hatte, Recht. Beſonders
erinnere ich mich der guten und geraden Einſicht
des Herrn Leutnants von Drygalsky, der ſchon,
ehe wir aus dem Lager bey Hans aufbrachen,
[190] einen Einfall der Franzoſen in Deutſchland mit
mir gleichſam als gewiß vermuthete. Es wurde
uns zwar ſtark widerſprochen, aber, leider; bald er-
fuhr man, daß wir uns nicht geirrt hatten. Ueber-
haupt muß man bemerken, daß der Preußiſche
Offizier ſich es erlaubt, uͤber dergleichen oͤffent-
liche Gegenſtaͤnde ſelbſt frey zu denken, und ſich nicht
ſcheut, ſeine Gedanken auch zu ſagen, geſezt auch,
er vermuthe eben nicht viel Gutes. Der Oeſtreicher
iſt hierin anders geſinnt: der glaubt ſteif und feſt,
ſein gnaͤdigſter Kaiſer muͤſſe halter gewinnen:
der ſey halter unuͤberwindlich! — Und ſo was
macht ſicher und lehrt nicht raffiniren!
Den vierten Oktober war ein ganz abſcheulicher
Marſch. Wir waren ſchon ſehr fruͤhe aufgebrochen,
aber der jaͤmmerliche Weg hinderte das Geſchuͤtz,
vorwaͤrts zu kommen: alſo mußten wir den gan-
zen Tag, bis in die ſpaͤte Nacht unterwegs bleiben,
und uns von dem unaufhoͤrlichen kalten Regen bis
auf die Haut netzen laſſen. Spaͤt in der Nacht,
ohngefaͤhr nach zehn Uhr, kamen wir auf dem Platze
bey Beſancy an, wo wir unſer Lager ſchlagen
ſollten, oder vielmehr, es kam nur ein großer Theil
unſrer Armee dort an: denn gar ſehr viele waren
zuruͤck geblieben, theils weil ſie nicht mehr fortkonn-
ten, theils auch, weil ſie ſich in der ſtockfinſtern
Nacht verirrt hatten.
[191]
Hier ſah ich ein graͤßliches Schauſpiel. Der
Packknecht des Hn. Leutnants von Baſchwitz
war vor Mattigkeit in einen Weinberg gekrochen,
und dort eingeſchlafen. Ein Offizier vom Regimente
Woldeck ritt eben auch da durch, und ſein Pferd
trat dem armen Kerl auf die Bruſt, daß ihm das
Blut zum Munde herausquoll. Wahrſcheinlich
hatte der Offizier dieſen Unfall nicht bemerket. Der
Packknecht wurde unter unaufhoͤrlichem Jammern
eine Strecke vorwaͤrts getragen, um ihm Huͤlfe zu
ſchaffen; aber vergebens: es fehlte an Wagen,
worauf man Kranke haͤtte legen koͤnnen. Man
ſezte ihn alſo ab, und ließ ihn ohnweit dem Wege
liegen, wo er wahrſcheinlich geſtorben iſt; wenig-
ſtens hat man ihn nicht mehr geſehen.
Ein anderes Ungluͤck traf auf demſelben Marſche
einen Artilleriſten, dem beyde Beine durch das
Umwerfen einer Kanone zerſchmettert wurden: auch
dieſer iſt im Kothe liegen blieben, und geſtorben. —
Den Tag nach dieſem ſcheußlichen Marſche war
Ruhetag: man mußte naͤmlich Halt machen, um
den zuruͤckgebliebnen Leuten Zeit zu laſſen, ſich wie-
der zu ſammeln. Hier ſah man das erſte Mal Viele
ohne Gewehr und Patrontaſche ankommen. Die
armen Leute hatten ſchon vollauf Muͤhe, nur ihren
Koͤrper fortzuſchleppen, warfen alſo die Waffen
weg, unter deren Laſt ſie ſonſt haͤtten erliegen muͤſ-
[192] ſen. Einige ſchmiſſen ſogar ihre Torniſter fort.
Der Koͤnig ſelbſt hat auf dieſem jaͤmmerlichen Ruͤck-
zuge allen Soldaten, die er durch Hunger, Kaͤlte,
Regen und Ruhr abgemattet, und wie Skelette
geſtaltet, einzeln unterwegs autraf, den Rath ge-
geben, ihr Gewehr wegzuwerfen, mit dem Zuſatz:
er wollte ihnen ſchon wieder andere ſchaffen. Eben
dieſes riethen den abgematteten Kriegern alle Ge-
nerale und Offiziere, in deren Buſen noch Menſch-
lichkeit rege war.
An dieſem Ruhetage nahm Hr. von Man-
delsloh mich mit in das Dorf Beſancy, um
einigen Vorrath aufzuſuchen, der jezt aͤußerſt ſelten
geworden war. Ich war hier ſo gluͤcklich, das
Haus eines ehrlichen Bauers, durch des Hn. von
Mandelsloh nachdruͤckliches Verwenden, gegen
die Anfaͤlle der Soldaten vom Regimente Woldeck
vor der Pluͤnderung, und deſſen Scheune vor dem
Furaſchiren zu ſchuͤtzen; und dieſes verſuͤßte mir
nachher die Beſchwerlichkeit des aͤußerſt kothigen
Weges, wenn ich ſo gieng und dachte an das:
homo homini lupus. —
Der Soldat im Lager iſt gewoͤhnlich lebhaft
und munter: er ſingt, und treibt ſonſt allerley,
um die Zeit hinzubringen, und das Laͤſtige ſich zu
vergeſſen. Aber in den Laͤgern, welche wir, be-
ſonders auf dem Ruͤckzuge aus Frankreich, auf-
[193] ſchlugen, herrſchte Todtenſtille: kein lautes Wort
hoͤrte man, wenn nicht hie und da einer fluchte,
oder mit ſeinem Kameraden zankte. Freundlicher
Zuſpruch war ganz außer Mode. —
Von da marſchirten wir einige Tage hinter ein-
ander, oder vielmehr wir wateten durch Waſſer und
Koth bis auf den 9ten October. — Wegen der
gewaltigen Wege und des beynahe immer anhal-
tenden Regens konnte man nur ganz kleine Maͤrſche
von 3, 4 hoͤchſtens 5 Stunden machen, und doch
brach man jedesmal mit dem Tage, oft auch noch
vor Tage auf, und marſchirte bis zur ſinkenden
Nacht. Kamen wir dann endlich an den Ort, wo
das Lager ſeyn ſollte, ſo wurden die Zelter auf-
geſtellt, freylich nicht ſo, wie bey der Revuͤe zu
Magdeburg oder zu Berlin, ſondern, wie man nur
konnte. Oft legten ſich die Soldaten aus mehrern
Zelten zuſammen in Eins, und ließen die andern
unaufgeſchlagen im Kothe liegen.
Waren die Zelter aufgeſchlagen, ſo giengs in die
Doͤrfer nach Stroh und Holz, und nach Futter fuͤr
die Pferde: beyher wurde mitgenommen, was noch da
war, und die entflohnen Einwohner nicht vergraben
oder verſteckt hatten. Alle Doͤrfer, bey denen die
Armee geſtanden hatte, wurden wuͤſt und oͤde.
Fand man in den Gaͤrten noch Gemuͤſe, ſo mach-
Dritter Theil. N
[194] ten die hungernden Soldaten ſie ſich zu Nutze und
kochten ſie zum Kommißfleiſch. In dieſen Gegen-
den giebt es ſtarke Bienenzucht: aber die Bienen-
ſtoͤcke, welche in den Doͤrfern, die wir paſſirten, an-
zutreffen waren, wurden alle verdorben und beraubt.
Manche Soldaten wurden dabey oft ſo von den
Bienen zerſtochen, daß ſie ganz unkenntliche Larven
hatten. Der Anblick dieſer im Geſicht und an den
Haͤnden dickgeſchwollner Bienenſtuͤrmer hat Manche
lachen gemacht.
Das Elend wurde taͤglich groͤßer: die Wege wur-
den immer ſchlechter, und die Mannſchaft, wie die
Pferde, matter und kraͤnker. Von Hans an bis
nach Luxembourg war der Marſch der Preußen
mit todten Pferden wie angefuͤllt: alle fuͤnf Schritte
lag ſo ein Thier, entweder ſchon todt oder doch dem
Tode nahe. Manche hatte man auch, weil ſie
gar nicht mehr ziehen konnten, laufen laſſen und
ſie dem Hungertode preis gegeben. Vielleicht ha-
ben nach unſerm Abzuge die Bauren ſie aufgefan-
gen oder aus Mitleid getoͤdtet. Es war wirklich
ein ſchrecklicher Anblick, ſo viel armes Vieh daherum
liegen zu ſehen, das zum Theil noch lebte, und
uͤber deren Koͤrper Wagen, andre Pferde und Men-
ſchen quatſchten. Aber fuͤr Pferde durfte man
damals kein Mitleid haben: man konnte es nicht
'mal fuͤr Menſchen! —
[195]
Die Kranken — mir ſchaudert noch die Haut,
wenn ich an das Uebermaaß alles des Elends denke,
welches unſre armen Kranken auf dieſer verfluchten
Retirade uͤberſtehen mußten! — Die Kranken
alſo mehrten ſich jeden Tag, ſo, daß endlich kaum
Fuhren genug zu haben waren, ſie wegzubringen.
Das Uebel, welches unſer Heer ſo ſchrecklich zer-
ſtoͤrte, war, wie wir wiſſen, beſonders die Ruhr: es
lagen aber auch ſehr viele an Gicht und andern arthri-
tiſchen Zufaͤllen. Die Ruhr mehrte ſich durch den
Nothgenuß des unreifen Obſtes und Weins.
Unſre Laͤger ſahen bey unſerm Aufbruch auch
hier noch immer aus, wie Begraͤbnißſtaͤtten, oder
wie Spitalhoͤfe. Die eckelhaften blutigen Exkre-
mente machten einen ſcheußlichen, und die da und
dort liegenden Kranken und mit dem Tode erbaͤrm-
lich Ringenden einen ſchrecklichen Anblick. Jeden
Tag hatte ich den deutlichſten Beweis fuͤr meinen
alten Satz: daß der Menſch — nach unſrer jetzi-
gen buͤrgerlichen Einrichtung — eigentlich wie
beſtimmt ſey, laſterhaft und ungluͤcklich zu werden,
und daß wenigſtens gewiſſe Vorſchriften der Mo-
ralphiloſophie ſich jezt oft nicht anwenden laſſen,
folglich jezt nichts weniger, als allgemein ſind. *)
[196]
Wie viel laſterhafte Menſchen und wie viel
Elende und Ungluͤckliche hat der jetzige Krieg gegen
die Franzoſen nicht ſchon gemacht! Und doch iſt
der Krieg ſelbſt, laut aller Buͤcher uͤber theologiſche
und philoſophiſche Moral, von Hugo Grotins
bis auf Goͤchhauſens hochadliche Schriften, kein
Laſter fuͤr ſich, ja, er muß wohl noch eine edle Hand-
lung ſeyn nach den hohen und vielen Lobſpruͤchen,
die wir in unſern Dedikationen, Gedichten und
Predigten auf die Helden antreffen. Die Laſter
und das Elend, welches der Krieg mit ſich bringt,
ſind freylich Accidenze, wie die Herren Jeruſa-
lem, Herder, Iſelin und andre große Maͤnner
ſprechen. Aber es ſind doch Accidenze, welche
aus dem Weſen des Kriegs ſelbſt fließen, folglich
davon unzertrennlich ſind. Da nun der Krieg
nicht nur nicht unerlaubt, ſondern ſogar in gewiſſen
[vo]llen Pflicht iſt (nach Grotins und Paf-
fendorf): ſo muß man oft aus Pflicht etwas un-
ternehmen, wovon Elend und Laſter unzertrennlich
*)
[197] ſind, ja, wodurch beyde vermehrt und da, wo ſie
noch nicht ſind, nothwendig erzeugt werden. Folg-
lich hat die Natur, oder das, was ſonſt dieſe gegen-
waͤrtige Einrichtung der Dinge gemacht hat, ſehr
uͤbel fuͤr das menſchliche Geſchlecht geſorgt, indem
ſie uns Pflichten auferlegt, deren Erfuͤllung Elend
und Laſter verbreitet, und uns zur Erfuͤllung andrer
Pflichten, und zum Genuß der gemeinſchaftlichen
Guͤter unfaͤhig macht. — Das ſind freylich abſcheu-
liche Wahrheiten, aber es ſind doch Wahrheiten,
welche ſich leider bey der Betrachtung ſolcher ab-
ſcheulicher Gegenſtaͤnde, wie der Krieg iſt, von ſelbſt
aufdringen. Ich will ſie nicht weiter ausfuͤhren,
und wuͤnſche alle meinen Leſern, daß ſie durch eigne
Erfahrung nie davon moͤgen uͤberzeugt werden. *)
Kants philoſophiſcher Entwurf zum ewigen Frie-
den waͤre freilich das beſte Praͤſervativ dawider:
aber dieſer philoſophiſche Erloͤſer der Welt prediget
jezt noch in der Wuͤſte. —
Die Todten, welche im Lager geſtorben waren,
ſind dort liegen blieben, und man uͤberließ ihr
[198] Begraͤbniß den Franzoſen, welche allemal uͤber die
Stellen uns nachzogen, wo unſre Laͤger geſtanden
waren. Dieſe, ob ſie gleich als Franzoſen unſre
Feinde haͤtten ſeyn ſollen, hatten doch als gutmuͤ-
thige Menſchen, Mitleid mit unſerm Elende, und
bedaurten die armen Ungluͤcklichen, die ſo jaͤmmer-
lich um ihr Leben kommen mußten. Als ich im
J. 1794 im Sommer, auf Robespierre's Be-
fehl, zu Mâcon im Gefaͤngniß ſaß, ſprach ich
mit einem Chaſſeur, welcher zur Zeit unſrer Reti-
rade bey der Armee des Generals Duͤmouriez
geweſen, und unſrer Armee mitnachgezogen war.
Dieſer verſicherte mich, und ich konnte es gar leicht
glauben, daß ſie mehrmals Halbtodte angetroffen
haͤtten, zuruͤckgelaſſen von den Preußen in ihren
Laͤgern. — Daß man wirklich Todte unbegraben
liegen ließ, entſchuldiget unſere damalige Lage: daß
man aber auch unvermoͤgende lebendige Menſchen
dahinliegen ließ, war doch ſchrecklich und grauſam!
Der Koͤnig hat von dieſer Barbarey gewiß nichts
gewußt, vielleicht wußten es nicht einmal die hohen
Generale: aber einzelne Offiziere haͤtten es wiſſen
muͤſſen, und dieſe haͤtte man zu ſchwerer Verant-
wortung ziehen ſollen. Doch — wo kein Klaͤger
iſt, da iſt auch kein Richter; und wer verklagt
gern ſeinen Hauptmann? — Daß indeß dieſer
Anblick den Franzoſen gedient hat, ſich in ihrem
[199] Abſcheu gegen alles, was Monarch und Monarchie
heißt, noch mehr zu befeſtigen, laͤßt ſich denken,
und der Chaſſeur erzaͤhlte mir ſehr viel davon.
Auf den Wagen, worauf die Kranken transpor-
tirt wurden, fehlte es an aller Bequemlichkeit:
die armen Leute wurden drauf geworfen, wenn ſie
ſich nicht ſelbſt noch helfen konnten, wie man die
Kaͤlber auf die Karren wirft, und damit war es
dann gut. Niemand bekuͤmmerte ſich, ob ſo ein
Kranker etwas unter dem Leibe oder dem Kopfe
hatte, ob er bedeckt war, oder nicht: denn die, welche
ſich um dergleichen haͤtten bekuͤmmern ſollen, wa-
ren meiſtens ſelbſt krank, und hatten kaum Kraͤfte
genug, ſich fortzuſchleppen. Starb einer unterwegs,
ſo warf man ihn von dem Wagen auf die Seite,
und ließ ihn unbegraben liegen. Oft warf man
noch Lebende mit herunter, die dann aufs jaͤmmer-
lichſte im Schlamme verrecken mußten *). Meine
Leſer muͤſſen hier nicht an Uebertreibung denken:
ich wuͤrde, wenn ich auch noch abſcheulicher ſchil-
derte, doch lange nicht genug ſagen. **).
[200]
Auf allen Doͤrfern blieben Kranke zuruͤck, die
denn meiſtentheils aus Mangel an Pflege und
Nahrung jaͤmmerlich umkamen.
Siebzehntes Kapitel.
Fortſetzung des vorigen.
Den 8ten Oktober mußte der Befehl gegeben wer-
den, die Doͤrfer in der Gegend auszupluͤndern.
Viele unſrer Leute glaubten, das ſey die Folge ei-
nes geringen Angriffs der Franzoſen auf die Oeſt-
reicher, und meynten, daß man auf dieſe Art je-
nes Unrecht (man denke doch!) durch Pluͤnderung
der armen Bauren raͤchen wollte. Allein dieſer
Gedanke war falſch: denn blos der große Mangel
an Nahrung fuͤr Menſchen und Vieh, und beſon-
ders fuͤr das Hauptquartier, noͤthigte den Herzog
von Braunſchweig, dieſen ſonſt menſchenfreundlich
denkenden Fuͤrſten, die Auspluͤnderung von etwa
neun Doͤrfern zu befehlen, welche auch durch meh-
rere Bataillons Jufauterie und Huſaren ausge-
fuͤhrt wurde.
Der Herzog hatte zwar befohlen, daß man
ſtrenge Mannszucht halten, und beym Pluͤndern
niemand beleidigen ſollte. Aber man bedenke, ob
[201] ein ſolcher Befehl wohl, als zur rechten Zeit gege-
ben, angeſehen werden koͤnne? Einem Soldaten,
welcher pluͤndern ſoll, welcher in Feindes Landen
zu ſeyn glaubt, welcher ſeit zwey Monaten alles
Elend ausgeſtanden hat, und darum vor lauter
Erbitterung grollſinnig einherſchleicht, dem will
man befehlen, beym Pluͤndern menſchlich zu ſeyn?
Aber die Herren waren es auch nicht im gering-
ſten: die Pferde, Ochſen, Schweine, Huͤner,
Gaͤnſe, kurz, alles, was man nur von Vieh fin-
den konnte, ſogar Hunde, trieb man zuſammen.
Dann nahm man aus den Doͤrfern, was nur noch
zu nehmen war, beſonders den ungedroſchnen Wai-
zen fuͤr die Pferde, und pruͤgelten die Bauren nud
die Weiber, welche nicht noch entflohen waren,
gar jaͤmmerlich. Es waren aber zn der Zeit wenige
noch entflohen, weil ſie glaubten, Preußen und
ihre Nation habe einen friedlichen Traktat abge-
ſchloſſen, und erſtere zoͤgen als ihre Freunde jezt
zuruͤck. Man hat fuͤr gewiß verſichert, daß bey
dieſer Pluͤnderung mehrere Bauren todtgeſchlagen
oder todtgehauen ſeyen; und ich mag dieſes gar
nicht in Zweifel ziehen: ich weis, wie ſehr unſer
Volk litt, und wie ſehr es eben darum gegen die
Franzoſen, die ein großer Theil noch immer als
die Urheber alles ihres Ungluͤcks anſah, aufge-
bracht war.
[202]
Alle Furage; alles Gemuͤſe u. ſ. w. wurde am
Hauptquartier zu Conconvoix in Empfang genom-
men. Daruͤber entſtand ein graͤuliches Murren,
beſonders unter den Huſaren, welche nun nichts
fuͤr ihre Pferde zu fuͤttern hatten: dieſes Murren
aber legte ſich, als man ihnen verſprach, ſie den
andern Tag abermals pluͤndern zu laſſen.
Es war wirklich ſonderbar anzuſehen, wenn
ein Bauer, dem ſein Pferd oder ſeine Ochſen,
Kuͤhe u. ſ. w. genommen waren, ins Lager kam,
und ſich beſchwerte. Man befahl ihm, das ent-
wendete Stuͤck Vieh aufzuſuchen, fuͤhrte ihn aber
nicht dahin, wo er es haͤtte treffen koͤnnen; und
traf er es von ungefaͤhr, ſo ſchwur gleich ein Hu-
ſar oder ſonſt jemand Stein und Bein zuſammen,
daß ſich der Bauer irrte, und dann mußte dieſer
abfahren, auch wohl, wenn er ſich nicht gleich
fuͤgte, noch eine Tracht Hiebe mit nach Hauſe
nehmen. Doch muß ich dem Herzog und dem Ge-
neral Kalkreuth nachruͤhmen, daß ſie entwen-
detes Vieh einigemal wirklich haben zuruͤckgeben
laſſen.
Am 9ten Oktober wurde alſo abermals gepluͤn-
dert oder, wie man es nannte, furaſchiert. —
Mir iſt nicht ſelten der Gedanke eingefallen, daß,
wenn die Franzoſen das dortige flache Land auf
fuͤnf Meilen im Umkreiſe zerſtoͤrt und die Doͤrfer
[203] abgebrannt haͤtten, die Preußiſche Armee in die
aͤußerſte Hungersnoth gerathen waͤre. —
Um dieſe Zeit fing man auch an, die Munitions-
wagen zu verbrennen und die Kanonen einzugra-
ben. Viele unſrer Offiziere haben, vor uͤbertrieb-
ner Ehrbegierde, dieſes zwar nirgends gern einge-
ſtanden, und ich habe ſelbſt einige dreuſt behaupten
hoͤren, daß die Preußen niemals Kanonen einge-
graben haͤtten, und daß es Laͤſterung ſey, ihnen
dergleichen Schuld zu geben. Aber dieſer Einrede
ungeachtet, muß ich hier bekennen, und jeder Au-
genzeuge wird es mit mir bekennen, daß dieſe
Sage ihre Richtigkeit hat. Eben in der Gegend
von Conconvoix wurde eine Haubitze verſenkt und
hernach mit todten Koͤrpern uͤberdeckt, damit das
Grab der Haubitze fuͤr ein Grab menſchlicher Leich-
name angeſehen, und von den Franzoſen nicht un-
terſucht werden moͤgte. In der Folge ſind aber,
um einer Peſt vorzubeugen, von den Franzoſen
alle Leichen der Preußen in tiefe Loͤcher vergraben
worden; und da haben ſie denn alles eingegrabne
Geſchuͤtz entdeckt und zu ihrem Gebrauch umge-
goſſen.
Die meiſten Soldaten leerten auch ihre Patron-
taſchen aus, und warfen die Patronen weg; und
dieſes war ihnen um ſo weniger zu verdenken, da
ſchon alles Pulver durch die anhaltende Naͤſſe
[204] ganz verdorben, und unwirkſam geworden war.
Ich ſelbſt habe meine Munition weggeworfen, und
bin bis Monthabaner ohne alle Munition gegangen.
Am 10ten kamen wir bey Lauremont ins
Lager, aber man konnte hier kein Stroh bekom-
men, uns drauf zu legen: die Doͤrfer waren ſchon
vorher durch die Kavallerie von allem Stroh be-
raubt worden. Wir mußten daher auf der bloßen
naſſen Erde in den Zeltern herum liegen; und da
es noch obendrein die Nacht ſtark regnete, und das
Waſſer auch hier wieder in unſre Zelter eindrang,
ſo brachten wir abermals eine ganz abſcheuliche
Nacht hier zu.
Die Maͤrſche an den folgenden Tagen waren
alle gleich abſcheulich: die Pferde ſtuͤrzten ſchreck-
lich zuſammen, und konnten das Geſchuͤtz nicht
mehr fortbringen. Da man aber daſſelbe nicht alle
vergraben wollte, ſo mußten die Kavalleriſten ihre
Pferde dazu hergeben. Dieß geſchah, und die
Reuter, welche hatten abſitzen muͤſſen, warfen
nun ihre Gewehre auch weg: und ſo ſah man Ka-
rabiner, Piſtolen, Saͤttel und Kuͤraßierſaͤbel haͤu-
fig im Kothe herumliegen.
Am 13ten Oktober war ein noch ſchrecklicherer
Marſch. Wir konnten kaum in einer Stunde 200
Schritte vorwaͤrts kommen: ſo ganz abſcheulich
war der Weg, und ſo ſehr hielt uns die Artiller[ie]
[205] und Bagage auf. Als wir bis auf den Abend ge-
gangen, oder vielmehr gekrochen waren, erreich-
ten wir endlich die Stelle, wo wir lagern ſollten.
Aber kaum hatten wir abgelegt, als wir ſofort
Order bekamen, vorwaͤrts zu marſchiren. Der
kaiſerliche General Hohenlohe hatte ſeinen Ab-
marſch von Stenay verfruͤht, und dadurch unſre
rechte Flanke entbloͤßt.
Man marſchirte fort bis des Nachts um eilf
Uhr, oder vielmehr, die Leute tappten herum in
der ſtockfinſtern Nacht, bis man endlich in einem
Hochwalde Halt machte. Hier ſtanden wir nun
bis den 17ten ohne Zelter, weil die Bagage un-
moͤglich hatte vorwaͤrts koͤnnen. Kaum waren
einige elende Zelter fuͤr den Koͤnig und die Prinzen
aufzubringen. Es regnete dieſe ganze Zeit uͤber
erbaͤrmlich, und unſre Armee befand ſich in den
klaͤglichſten Umſtaͤnden. Die hohen Eichbaͤume
wurden abgeſaͤgt, geſpalten und verbrannt. Die
Feuer waren zwar auch hier hoͤlliſch groß, doch
aber kaum hinlaͤnglich, uns zu erwaͤrmen. Ich
entſinne mich nicht, jemals in einer elendern Lage
geweſen zu ſeyn.
Wir fanden auf den Feldern einige Kartoffeln,
welche denen, die ſie fanden, zur Nahrung dien-
ten. Aus den Doͤrfern wurden auch noch einige
Lebensmittel herbeygeſchafft: auch ſchlachtete man
[206] das noch vorhandene Vieh, und theilte das Fleiſch
unter die Soldaten.
Es wurde waͤhrend unſers Stillſtands im Walde
alles angewandt, das Geſchuͤtz und die Wagen
fortzubringen: man ließ noch mehr Kavalleriſten ab-
ſitzen, und ihre Pferde vor die Kanonen ſpannen.
Ein Korporal kam hier ganz krumm nach dem
koͤniglichen Zelte, und ſah wegen ſeiner Ruhr aus,
wie ein Gerippe. Der Koͤnig ſtand da, und ſah mit
mitleidig-gebeugtem Blick dem uͤbergroßen Elende
ſeines Volkes zu. Als er den Unteroffizier erblickte,
ſagte er zu ihm: Wie gehts, Alter?
Unteroffizier. Wie Sie ſehen, Ihre Ma-
jeſtaͤt, ſchlecht!
Koͤnig. Ja wohl, ſchlecht! daß Gott er-
barm! (lange Pauſe) Die Spitzbuben!
Unteroff. Ja wohl, die Spitzbuben, die
Patrioten!
Koͤnig. Ey was, Patrioten! Die Emigran-
ten, das ſind die Spitzbuben, die mich und euch
ins Elend ſtuͤrzen. Aber ich wills ihnen ſchon ge-
denken!
So ſah alſo der gutmuͤthige Koͤnig jezt beſſer
ein, wer ihn misleitet hatte. Er hatte das naͤm-
liche ſchon dem Monſieur (dem Grafen von
Provence) und dem General Clairfait zu Hauſe
geſagt. Ihr habt, waren ſeine Worte, mich alle
[207] beyde hintergangen: dießmal will ich euch noch aus
der Noth helfen, worin ihr ſtecket, aber ihr ſollt an
mich denken. *)
Dieſe Geſinnung des Koͤnigs, welche nur zu
gut gegruͤndet war, — ward nun auch die der gan-
zen Armee, und jeder Preuße haßte alle Emigrir-
ten mit dem groͤßten Recht von der Welt. Ihren
luͤgenhaften und herrſchſuͤchtigen Vorſtellungen
hatten wir all unſer Elend urſpruͤnglich zu dan-
ken. —
Verdnn wurde indeſſen am 14ten Oktober
dem General Kellermann von uns wieder uͤber-
geben. Ob die Franzoſen die dabey gemachten
Bedingniſſe gehalten haben, iſt eine Frage, die Hr.
von Beulwitz in dem Magazin der neueſten
Kriegsbegebenheiten in Ruͤckſicht der Kranken ver-
neinet. Ich halte die Nachrichten dieſes braven
Offiziers, den ich ſelbſt kenne, und deſſen Recht-
ſchaffenheit ich eben ſo ſehr, als ſeine Kenntniſſe
ſchaͤtze, fuͤr wichtig, und eben daher will ich in ei-
nem der folgenden Kapitel meine Bemerkungen dar-
uͤber anbringen.
Den 17ten October brachen wir aus dem Walde
von Chatillon — einer ehemals ſchoͤnen, jezt
aber gaͤnzlich zerſtoͤrten Abtey — auf, und mar-
[208] ſchirten vorwaͤrts auf Longwy zu. Auch dieſer
Marſch war, wie alle vorhergehende und folgende,
abſcheulich.
Das Gewehr, welches unſre Kavalleriſten wegge-
worfen hatten, machten ſich an dieſem Tage die zuſam-
mengerotteten Bauren zu Nutze, fielen unſern Nach-
trab an, ſchoſſen einen Huſaren todt, und nahmen an-
dere noch gefangen. Die Bauren wollten ſich wegen
ihrer ausgepluͤnderten Doͤrfer, und wegen ihres
geraubten Viehes raͤchen. Ces mâtins de pruſſiens,
riefen ſie, payeront de leurs têtes nos vache et nos
oignons; und damit ſchoſſen ſie los. Die Arriere-
garde der Preußen kam dadurch in große Unordnung.
So ſehr war unſer Muth und Anſehn geſunken,
daß elende Lotharinger Bauren uns angreifen und
zerſtreuen konnten. Aber die franzoͤſiſchen Huſaren
befreyten unſre Gefangne aus den Haͤnden ihrer
Bauren, und ſchickten ſie uns zuruͤck. — Dieſer
Umſtand iſt zwar an ſich geringfuͤgig, er dient aber
doch, die traurige Lage zu beweiſen, worin ſich da-
mals unſere Armee befand. Haͤtten die Franzoſen
uns damals ernſtlich angegriffen, als wir im Walde
bey Charillon ſtanden, ich glaube, wir waͤren
verlohren geweſen.
Daß aber ſelbſt die Franzoſen unſere damalige
Lage genau gekannt haben, erhellet aus Folgendem.
Eine Heſſiſche Patrouille wurde von einer Franzoͤ-
[209] ſiſchen attakirt. Die Heſſen wehrten ſich verzwei-
felt, doch wurde ihr Offizier, Hr. Leutnant von
Lindau, gefangen. Der General Dillon ſchickte
dieſen Braven an den Landgrafen zuruͤck, mit einem
Schreiben, welches ich, ſeiner Merkwuͤrdigkeit we-
gen, hier einruͤcke:
„Ich habe die Ehre, Sr. Durchlaucht, dem
Landgrafen von Heſſen-Caſſel, den Leutnant Lin-
dau zuruͤckzuſchicken. Aus dem Zeugniß, das ich
dieſem Offizier habe geben laſſen, werden Sie erſehen
koͤnnen, daß die allezeit große, allezeit großmuͤthige
franzoͤſiſche Nation eine ſchoͤne That zu ſchaͤtzen
weis, und auch an ihren Feinden Tapferkeit hoch-
ſchaͤzt. Ich ergreife dieſe Gelegenheit, Sr. Durch-
laucht einige Gedanken vorzulegen, welche Ver-
nunft und Menſchenliebe eingeben. Sie koͤnnen
nicht in Abrede ſeyn, daß eine ganze zuſammenge-
nommene Nation das Recht habe, ſich diejenige
Regierungsform, die ſie fuͤr rathſam haͤlt, zu geben,
und daß folglich kein Privatwille, den Willen der
Nation hemmen koͤnne. Die freye und auf ewig
ganz unabhaͤngige franzoͤſiſche Nation, hat ihre
Rechte wieder an ſich genommen, und ihre Regie-
rungsform abaͤndern wollen: das iſt in wenig Wor-
ten der Inbegriff desjenigen, was in Frankreich vor-
geht. Sr. Durchlaucht von Heſſen-Caſſel haben
Dritter Theil. O
[210] auch ein Corps Truppen nach Frankreich gefuͤhrt.
Als Fuͤrſt opfern Sie ihre Unterthanen fuͤr eine Sache
auf, die Sie nichts angeht, und als Krieger muͤſſen
Sie die Lage einſehen, worin Sie ſich izt befinden.
Sie iſt gefaͤhrlich fuͤr ſie: Sie ſind umringt: ich
rathe Ihnen, Morgen fruͤh den Ruͤckweg nach ihrem
Lande anzutreten, und das franzoͤſiſche Gebiet zu
raͤumen. Ich will Ihnen die Mittel verſchaffen,
ſicher an den franzoͤſiſchen Armeen vorbeyzukommen,
die ſich verſchiedner Poſten, wo Sie durch muͤſſen,
bemaͤchtiget hat. Dieſer Antrag iſt freymuͤthig:
ich verlange eine kategoriſche und foͤrmliche Ant-
wort. Die franzoͤſiſche Republik entſchuldigt ei-
nen Irrthum: Sie weis aber auch einen Einbruch
in ihr Gebiet und die Pluͤnderung deſſelben, ohne
Erbarmen zu raͤchen.
Dillon
N. S. Ich ſende Ihnen dieſen Brief durch mei-
nen Generaladjutanten Gobert, der auf Ihre
Antwort warten wird. Ihre Beſchleunigung iſt
dringend nothwendig: ich bin im Begriff, zu mar-
ſchiren.“
Dieſes Schreiben beweiſet hinlaͤnglich, daß
Dillon die uͤble Lage der deutſchen Voͤlker genau
kannte. Das Schreiben war aber in einem
Tone abgefaßt, welcher einem Fuͤrſten, wie der
Hr. Landgraf von Heſſen iſt, unmoͤglich gefallen
[211] koͤnnte. Nachdem alſo deſſen Inhalt durch einen
Zufall bekannt geworden war, ſo wurde auf Be-
fehl des Landgrafen ausgeſprengt: es ſey er-
dichtet, oder doch wenigſtens nicht in die Haͤnde
Sr. Durchlaucht gekommen, noch weniger aber
habe er es beantwortet. — General Dillon
erfuhr dieſes, und ließ nun unter ſeiner Buͤrg-
ſchaft das Schreiben, nebſt der Antwort, welche
auf Befehl des Hn. Landgrafen darauf gegeben,
und freylich eines auf ſeine Fuͤrſten-Ehre hoͤchſt
eiferſuͤchtigen Mannes wuͤrdig war, durch den
Druck und durch Zuſchreiben an Preußiſche Gene-
rale bekannt machen.
Ich uͤberlaſſe es meinen Leſern, die hieher ge-
hoͤrigen Anmerkungen ſelbſt zu machen — einmal
uͤber unſre damalige Lage, dann uͤber den offnen und
edlen Republikaner-Sinn, und endlich uͤber die di-
plomatiſchen Kunſtgriffe des Duͤnkels, der Macht
und des Schlendrians.
[212]
Achtzehntes Kapitel.
Fortſetzung. Ankunft auf deutſchen Boden.
Es war ſchon, ehe wir die Standquartiere verlie-
ßen, befohlen worden, daß man beſonders fuͤr gutes
Schuhwerk der Soldaten ſorgen, und hinlaͤnglich
dazu mitnehmen ſollte, um die abgehenden gleich
wieder erſetzen zu koͤnnen. Aber unſre Herren hatten
ſo fuͤr ſich auskalkulirt, daß der ganze Krieg wohl
nur ein Vierteljahr dauern koͤnnte, und waren eben
darum auch in Befolgung dieſes Befehls ſehr nach-
laͤßig geweſen. Die Folgen der Fahrlaͤßigkeit in
einem ſo aͤußerſt wichtigen Punkte zeigten ſich bald.
In der ganzen Armee fingen die Schuhe, bey dem
ſcheußlichen Ruͤckzuge aus Champagne, auf
einmal ſo an zu reißen, daß beynahe kein einziger
Soldat gutes Schuhwerk noch hatte. Sogar die
Offiziere trugen zerrißne Stiefeln, und die armen
Packknechte gingen vollends gar barfuß.
Es war ſchaͤndlich anzuſehen, wie die Preußen
da ohne Schuhe durch den Koth zerrten und ihre
Fuͤße an den ſpitzigen Steinen blutruͤnſtig aufriſ-
ſen. Viele hatten ihre zerrißnen Schuhe auf die
Gewehre gehaͤngt, andere trugen ſie in [...],
[213] manche hatten Lappen und Heu um die Fuͤße ge-
wickelt, um ſie vor den kleinen ſcharfen Steinen zu
ſichern.
Freilich wurde befohlen, daß alle Soldaten,
welche das Schuhmacher-Handwerk verſtuͤnden,
und deren es bey allen Regimentern giebt, arbei-
ten, und die zerrißnen Schuhe wieder ausbeſſern
ſollten. Aber da war was auszubeſſern! Es fehlte
ja bey den meiſten an Leder, Hanf und Pech!
Ueberdieß denke man ſich einen Schuſter, der im
Schlamme und in der Kaͤlte arbeiten ſoll! Unſer
Hauptmann gab zwar ſein eignes Zelt fuͤr die Schuh-
macher her, und ließ ſie darunter arbeiten, nur
damit ſie Platz haben ſollten; und doch fehlten in
unſrer Kompagnie die Schuhe eben ſo ſehr als in
andern. Der Feldwebel Gruneberg hatte im-
mer ſeine wahre Noth, wenn er die Wache kom-
mandiren ſollte: von vier Mann hatten allemal
drey keine Schuhe, und konnten doch barfuß nicht
aufziehen! Marſchiren durfte man wohl barfuß,
aber nicht barfuß auf die Wache ziehen!
Der ſchlechte Zuſtand des Schuhweſens machte
mehr ſcharfe meuteriſche Reden bey der Armee rege;
als ſelbſt der Hunger. Die Soldaten klagten laut;
und brachen in Aeußerungen aus, welche zu jeder
andern Zeit waͤren beſtraft worden; aber auf einem
Ruͤckzuge, wie unſer Ruͤckzug aus Frankreich war
[214] mußten unſre Offiziere ſchon ſchweigen, und die
Leute murren und ſchimpfen laſſen nach Belieben.
Bey der oͤſtreichſchen Armee war es eben nicht
beſſer: da hatten die meiſten auch keine Schuhe,
und liefen barfuß. Auch die Herren Emigrirten
mußten barfuß mit hermpatſchen, eben jene große
Herren, welchen kurz vorher die Koblenzer, Worm-
ſer, Bingner und andere Schuſter die Schuhe nicht
leicht und niedlich genug machen konnten!
Wie die Schuhe, ſo war auch die ganze uͤbrige
Montur: ein Haufen herumziehender Zigeuner
ſieht eben ſo reinlich und ſo ganz aus, als damals
wir Preußen. Man beſang uns ſogar in einem
Schimpfliede.
Ich habe oft in deutſchen Buͤchern geleſen, daß
die franzoͤſiſchen Volontaͤrs oder Sanscuͤlotten,
elend ſeyen gekleidet geweſen: das iſt ſehr wahr:
aber kein Deutſcher haͤtte uͤber den ſchlechten Auf-
zug der fraͤnkiſchen Volontaͤrs ſpotten ſollen, da
die Herren Preußen ja auch zigeunermaͤßig genug
aus Frankreich zogen, und die Herren Oeſtreicher
und Meſſieurs les Emigrés nicht minder. Hierin
waren wir ihnen einſt ja gleich; aber wann in ih-
ren Thaten? Und Thaten machen den Mann; nicht
die Kleidung.
Doch es iſt Zeit, meine Erzaͤhlung fortzuſetzen.
Alſo —
[215]
Nachdem wir den 18ten geraſtet hatten d. i.
ſtille gelegen waren, weil alle unſre Wagen im
Kothe waren ſtecken blieben, ſo brachen wir am
19ten wieder auf, und ſchleppten uns noch zwey
gute Stunden ins Lager dicht bey Longwy. Man
hatte die ſchlechten Zelter weggeworfen, und Brod-
und Bagagewagen zuruͤckgelaſſen; und doch wa-
ren kaum ſo viel Pferde da, als erfodert wurden,
die wenigen Wagen weiter zu bringen, die uns
noch uͤbrig waren.
Der Flecken Longuion war von den Kaiſerlichen,
ſo wie alle andre Oerter ihres Durchmarſches in
ſelbiger Gegend, aufs abſcheulichſte gepluͤndert
worden. Auch hatten einige unwuͤrdige Menſchen
dieſer ſtolzen Armee, die aber ihren Stolz mehr
durch Aufſchneiderey und Haͤrte gegen Wehrloſe,
als durch Siege uͤber den bewaffneten Feind zu naͤh-
ren gewohnt iſt, ſich an den Einwohnern vergrif-
fen, und ſie aufs ſchaͤndlichſte mishandelt. Sie
hatten auch Feuer angelegt, und ſelbſt die Eiſen-
huͤtten zu Longuion in Brand geſteckt.
Ich muß es nochmals erinnern, was nicht zu
oft erinnert werden kann, daß man die von den
deutſchen, beſonders von den oͤſtreichiſchen, und
nachher von den engliſchen Truppen, und die von
dem Auswurf aller Nationen, von der Armee der
Emigrirten, begangnen Graͤuel vor Augen haben
[216] muͤſſe, wenn man von dem Betragen der Franzo-
ſen in der Pfalz und anderwaͤrts ein richtiges Ur-
theil faͤllen will. Und doch iſt an dieſem richtigen
Urtheil fuͤr jezt, wie fuͤr die Zukunft, uͤberall ſehr
viel gelegen, ſowohl in Ruͤckſicht auf den National-
duͤnkel, als in Ruͤckſicht auf die Moralitaͤt nach
dieſer oder jener Regierungsform.
Bey Longuion war die Paſſage weit abſcheu-
licher noch, als alle abſcheuliche Paſſagen, welche
wir bisher gehabt hatten. Der Koth ging bis an
die Knie, und hin und wieder mußte man durch
Wieſen gehen, welche wie ein See unter Waſſer
ſtanden. Todte Pferde und todte Menſchen lagen
in Menge unten an einem Berge, uͤber welchen der
Marſch gieng: denn da hatte man die ganz Todten
und die halb Todten von den Wagen herabgewor-
fen, um dieſe zu erleichtern. Es wurden hier
abermals viele Wagen verbrannt, weil man ſie
durch den Moraſt nicht bringen konnte.
Gegen Nacht kamen wir endlich muͤde und
hungrig bey Longwy an. Ich hatte hier ſo meine
eignen Betrachtungen, welche ich meinen Kame-
den mittheilte. Heute, ſagte ich, iſt der 19te
Oktober: am 23ten September haben wir Longwy
in Beſitz genommen, und hofften damals ſo leicht,
wie Longwy, ganz Frankreich zu erobern: und
ſchon jezt muͤſſen wir Longwy zuruͤckgeben, und
[217] haben Spott und Schande und unerſezlichen Scha-
den von unſerm Einmarſch in Frankreich! So ſehr
hat ſich unſer Stolz und Manifeſten-Anſpruch in
acht Wochen demuͤthigen muͤſſen! Ich bedaure hie-
bey keinen mehr, als unſern gutmuͤthigen Koͤnig
wegen der vielen Opfer, die er an Geld, Men-
ſchen und Vieh den Emigrirten gebracht hat, nicht
nur ohne Nutzen fuͤr jezt, ſondern auch mit, wer
weis, wie noch langem Verluſt fuͤr die Zukunft.
Ach, Preußens Ehre geht mir nahe, und vielleicht
zittern wir bald vor denen, die ſonſt vor uns zit-
terten!! So ſprach ich damals, und bald hieß
es im ganzen Regiment: Laukhard iſt ein Patriot,
ein Franzoſe! Und doch hat — die Folge wird es
zeigen — es wohl ſchwerlich jemand mit den Preu-
ßen beſſer und ehrlicher gemeynt, als Laukhard.
Es geht aber uͤberhaupt ſo! die Leidenſchaften
der Menſchen wollen geſchmeichelt ſeyn, ſonſt iſt
es nicht recht. Wer einem Kranken ſagt, daß er
ſterben werde, daß er gefaͤhrlich danieder liege,
macht ſich den Kranken und deſſen Freunde zu Fein-
den. Selbſt Locke, der große Locke ward boͤſe
uͤber ſeinen Arzt, als er ihm ſagte, daß er nicht
24 Stunden mehr leben wuͤrde. Es kann wahr
ſeyn, ſagte der Philoſoph; aber mir haͤtte er es
doch nicht ſagen ſollen. Ueberhaupt
[218]
Freilich was ſie wuͤnſchen! denn gerade dieſes glau-
ben ſie am erſten, und ſind dadurch am leichteſten
zu beruͤcken. Dieß lehrt die neuere Geſchichte,
leider, bis zu Thraͤnen. Die Emigrirten, ganz
in die empfohlne Hofkunſt eingeweiht, ſtellten den
großen Herren die Eroberung und Unterdruͤckung
Frankreichs ſo leicht, und ſo bald thunlich vor, daß
es ihnen gelang, den gutmuͤthigen Koͤnig von Preu-
ßen und den Kaiſer in den ſchrecklichen Krieg zu
verwickeln, der eben jenes Elend uͤber Deutſchland
brachte, welches ehemals ein aͤhnlicher Krieg des
Darius und Xerxes uͤber Perſien und uͤber-
haupt uͤber ganz Aſien gebracht hat. Man kann
leicht darthun, daß die Eroberung von Perſien
durch Alexander den Großen eine Folge der
Unternehmungen der alten Perſiſchen Tyrannen ge-
gen die Freyheit der Griechen war: und ſo wiſſen
unſre Herren gar nicht, was ſie wollen, wenn ſie
[219] drauf beſtehen, Frankreich einen Koͤnig jezt wieder
aufzudringen. Das freye Griechenland wuͤrde
Perſien niemals erobert haben; aber ein Griechi-
ſcher Koͤnig konnte dieſes thun, und that es. Wird
einſt Frankreich einen Alexander haben, ſo iſt
Deutſchland ſeine Eroberung! Dieß merke man ſich
in Wien und in Regensburg.
Man wird daher, nach ſo vielen harten Erfah-
rungen, doch endlich einmal klug werden, und ein-
ſehen, daß die ariſtokratiſirenden politiſchen Kann-
gießer, die nach Emigrantenart alles, Groß und
Klein, gegen Frankreich aufhezen, die aͤrgſten
Feinde der Großen, und ihrer Unterthanen waren,
und noch ſind, und daß die braven Maͤnner, welche
den Großen und dem Publikum die Augen oͤffnen
wollten, allerdings als ihre erſten und wahren
Freunde einer Buͤrgerkrone werth ſind. Es koͤmmt
hiebey nichts an auf gehaͤſſige Namen von Patrio-
ten, Demokraten, Jakobinern u. dgl.: es koͤmmt
nur auf Wahrheit an, und dieſe Wahrheit — wer
ſagte ſie? Ein Schirach, ein Girtanner, ein Goͤch-
hauſen, ein Jung, ein Reichard in Gotha; oder
—? Doch ich will nur weiter erzaͤhlen!
Am 20ten war Ruhetag, und wir erhielten aus
dem Magazin von Longwy Fleiſch, Wein, Brannt-
wein und Zwieback. Das war denn wieder zum
erſtenmal gehoͤrig gegeſſen, und gelabt!
[220]
Hier wurden auch die Soldaten wieder munter:
denn nun hieß es: noch einen Marſch, und wir ſind
aus Frankreich! Die guten Leute bildeten ſich ein,
daß, wenn ſie nur aus Frankreich waͤren, alles
Elend gleich ein Ende haben wuͤrde, und bedach-
ten nicht, daß der Same zu unbeſchreiblichem Un-
gluͤck, welches in der Folge auf unſer liebes Va-
terland fallen mußte, ſchon ausgeſtreut war, und
ſchon Keime gewonnen hatte.
Mein Hauptmann ſchickte mich nach Longwy,
um einiges fuͤr ihn bey einem Tiſcher machen zu
laſſen. Ich ſuchte in dem dort angelegten Preu-
ßiſchen Lazarethe einen meiner Freunde, fand ihn
aber nicht, aber das Lazareth hatte ich Gelegen-
heit genauer zu beobachten. Ich werde in einem eig-
nen Kapitel von dem unbeſchreiblichen Elende reden,
das in den Preußiſchen Lazarethen damals herrſchte,
und laße alſo hier weg, was ich in der Moͤrder-
grube zu Longwy geſehn habe.
Der Tiſcher war ein geſcheider Mann, und
ſprach von den Angelegenheitn der Zeit recht artig
und beſcheiden; aber ſein Schwager, ein Gerber,
welchem die Preußen ſein Leder genommen und
nicht bezahlt hatten, raͤſonnirte bitter und ſchalt
auf die Preußen derb, noch derber aber auf die Oeſt-
reicher. Ich remonſtrirte dem Menſchenkinde,
daß es unklug ſey auf die Preußen zu ſchimpfen,
[221] da ſie noch Longwy in Beſiz haͤtten. Wie, er-
widerte er, was haben die Preußen in Beſitz?
Aus Gnade und Barmherzigkeit laſſen wir ſie hier
durch, und da duͤrfen ſie ſich nicht dick machen!
Ich will den ſehen, der einem Franzoſen ein Haar
kruͤmmen ſollte: der wuͤrde ſchoͤn ankommen, waͤr
es auch Ener Braunſchweig ſelbſt. Es iſt nicht
mehr, wie's vor ſechs Wochen war.“ Ich merkte,
daß der Mann Recht hatte, und zuckte die Achſeln.
Sontags den 21ten October verließen wir das
Lager bey Longwy, und marſchirten aus dem
franzoͤſiſchen Gebiete ab.
Ehe ich dieſes Kapitel ſchließe, will ich den
Leſer noch auf eine Bemerkung aufmerkſam machen
und die die iſt: daß gerade zu der Zeit, als die ver-
buͤndete Armee ihre Operationen gegen Frankreich
betrieb, die franzoͤſiſche Nation ihre monarchiſche
Staatsform in eine republikaniſche veraͤnderte,
und daß eben dieſe Veraͤnderung im Manifeſte des
Herzogs von Braunſchweig, und in dem Anfall
der deutſchen Armee auf Frankreich, ihren Grund
gehabt hat; daß folglich eben die Mittel, welche
dienen ſollten, dem Koͤnige, LudwigXVI. ſeine
alte deſpotiſche Gewalt wieder zu erringen, gerade
dieſe Gewalt zernichtet, und den Grund zur nach-
herigen Hinrichtung dieſes Fuͤrſten gelegt haben.
[222]
Hieraus folgt nun unwiderſprechlich, daß eben
der Krieg der fremden Potentaten gegen Frankreich
die Freyheit dieſes Reichs gegruͤndet hat, daß folg-
lich dieſe Freyheit ſo lange beſtehen muß, als der
Krieg waͤhret: denn im Kriege liegt ja ihre Ent-
ſtehung, oder der zureichende Grund ihres erſten
Daſeyns. Da nun, wie aus der Geſchichte aller
Zeiten erhellt, die Freiheit im Kriege ( [...]-
[...] [...], wie Plutarchus ſagt) alle-
mal Enthuſiasmus iſt, Enthuſiasmus aber ent-
weder erſt mit ſeinen Helden zu Grunde geht, wie
dort mit Leonidas und ſeinen braven Bruͤdern
bey Thermopylaͤ, oder ſeinen Feind muthig beſiegt,
wie im Miltiades bey Marathon: ſo iſt es nicht
nur eine gefaͤhrliche Sache, den Krieg mit einem
freygewordenen Volke fortzuſetzen, wie die Bege-
benheiten von 1792, 93, 94, 95 und 96, nebſt der
Geſchichte der Griechen, Schweizer, Niederlaͤn-
der und Nordamerikaner beweiſen, ſondern es iſt
auch ſelbſt fuͤr das Intereſſe der Koͤnige eine hoͤchſt-
abſurde, zweckwidrige Sache: denn eben dadurch,
daß man das freye Volk bekriegt, macht man es
aufmerkſamer, einiger, muthiger, trotziger, folg-
lich tapferer, kraͤftiger, ſelbſtſtaͤndiger, und zum
Widerſtande faͤhiger — die andern Folgen nicht
einmal mitzuzaͤhlen, wie da ſind, daß die Herren
Potentaten ſich vergebens erſchoͤpfen, ſich der Be-
[223] ſchimpung und Verachtung preisgeben, dadurch
ſelbſt bey ihren Unterthanen immer mehr an Anſehn
verlieren, laͤcherlich werden, ja, nach und nach
bey ihnen den Gedanken und den Muth erregen, es
der bekriegten aber freyen Nation nachzumachen,
und ſich von der oft beſchimpfenden und widerſin-
nigen Vormundſchaft eines Menſchen zu befreyen,
der wohl leicht ſelbſt mehr als ſie eines Vormunds
zuweilen noch beduͤrfte. u. dgl.
Frankreich hat das alles klar und maͤchtig be-
wieſen, wenn gleich einige politiſche Queerſeher
haben ihres Gleichen weis machen wollen: daß
Belladonna und die Guillotine die franzoͤſiſchen
Soldaten habe die Gefahren verachten und den
Feind uͤberall tapfer angreifen machen. Aber wehe
uͤber das Hirn dieſer armſeligen politiſchen Schlu-
cker! Tyranney ſoll tapfer machen!! — Braver
Moncey, und du ehrwuͤrdiger Dampier, edler
Beaurepaire, und all ihr wuͤrdigen Vertheidiger
eures Vaterlandes gegen ſo viel Feinde, — Ihr,
deren Blut fuͤr das hohe Kleinod der Freyheit verſprizt
iſt, Ihr alſo habt euer Leben aufgeopfert aus Furcht
vor der Guillotine? Das koͤnnen nur die Philo-
ſophen, die Hoͤflinge und die Miniſter zu Schilda
glauben! Aber ein Menſch, der Menſchenverſtand
hat, und nur etwas hiſtoriſche Kenntniſſe beſizt, hat
hier andre Gedanken: er denkt, daß Druck und Drang
[224] von inkompetenten oder deſpotiſchen Richtern noth-
wendig Freyheitsſinn erzeugt; daß Krieg dieſen
Freyheitsſinn vermehrt, und bis zum Enthuſias-
mus erhebt, und daß dann eine freye Nation we-
nigſtens ſo lange frey ſeyn muß, als der Krieg
waͤhrt, oder als ſie noch befuͤrchten kann, daß man
ihr die Freyheit rauben wolle.“ Dieſes iſt eine
goldne Wahrheit, die allen wahren Weiſen laͤngſt
eingeleuchtet hat, und endlich auch noch denen in
England einleuchten wird, von welchen Cicero
weißagt, wenn er ſpricht: Eventus ſtu torum ma-
giſter. Man hat das ja ſchon geſehen!
Was hoffte man nicht alles im Jul, 1792! Man
hoffte, daß Frankreich ſich ſofort geben d. i. den
Koͤnig als ſuveraͤn wieder anerkennen wuͤrde. Man
ruͤckte deswegen ſo ſchlecht vorbereitet an. Allein
je naͤher die Gefahr fuͤr Frankreich erſchien, deſto
mehr hob ſich jener Freyheitsſinn, der den Republi-
kanern allein eigen iſt. Die graͤßlichſten Blut-
ſcenen machten den Anfang. Man denke an den
10ten Auguſt! Die Alliirten erobern Longwy
und Verdun, und ſiehe da in Paris den Auftritt
vom 2ten September! Endlich erklaͤrt ſich, die
Nation fuͤr frey, und ſetzt ihren Koͤnig gaͤnzlich ab,
und das gerade damals, als man zu einem ent-
ſcheidend ſeyn ſollenden Treffen Anſtalt machte.
Ergo hat ja der Krieg ſelbſt, und zwar der Krieg
[225] allein, den Gedanken der Nation rege gemacht:
„wir wollen frey ſeyn, und fuͤr unſre Freyheit leben
oder ſterben!“ —
Neunzehntes Kapitel.
Anmerkungen uͤber eine Relation des Hn. Hauptmanns
von Beulwitz.
Als die Feſtung Verdun den Franzoſen wieder
uͤbergeben wurde, ſo blieb noch ein preußiſches
Lazareth daſelbſt zuruͤck, und Herr von Beulwitz,
damals von dem Schenkiſchen Bataillon, erhielt
das Kommando uͤber dieſes Spital. Was er da
hat ausſtehen muͤſſen, hat er ganz artig beſchrieben
und unter dem Titel: „Mein Aufenthalt in Verdun
im Herbſte 1792: ein kleiner Beytrag zur Dar-
ſtellung des damaligen franzoͤſiſchen Nationalkarak-
ters“ in dem Magazin der neuſten Kriegsbegeben-
heiten (B. III S. 226-277 und B. IV. S. 241
-312.) aufgeſtellt.
Hr. von Beulwitz hat in Verdun viel er-
fahren, aber daß er die uͤble Behandlung, welche
ihm von dem dortigen aufgebrachten Jan Hagel
widerfahren iſt, benuzt, um den damaligen fran-
Dritter Theil. P
[226] zoͤſiſchen Nationalkarakter danach zu ſchildern, daran
thut er wirklich zuviel. Ich muß mich naͤher er-
klaͤren.
Die Preußen hatten bey ihrem Aufenthalte in
Verdun zwar keine groben Exzeſſe in der Stadt
veruͤbt, aber auf dem Lande, in den Weinbergen,
Gaͤrten und Feldern hatten ſie ſich etwas ſehr un-
ſaͤuberlich benommen, und hier und da recht
deutliche Spuren ihrer Beutemacherey hinter-
laſſen. Dieſes und dann auch das, was in der
Stadt ſchon vorgieng, machte die Preußen eben
nicht ſehr beliebt. Es iſt auch uͤberhaupt der Na-
tur der Sache gemaͤß, daß man den Feind unſers
Volkes nicht liebt, zumal wenn er allerley unter-
nimmt, woraus man ſehen kann, daß er unberufen
den Herrn ſpielen und Geſetze geben will. Ver-
dun war ganz paſſiv geweſen vor der Ankunft der
Preußen. Das Syſtem des Mirabeau hatte
ruhigen Eingang gefunden, und man hatte gar
nicht noͤthig gehabt, jemanden pour la loi, wie man
ſagte, einzuſtecken, oder gar hinzurichten, wie in
Metz und an andern Orten. Nachdem aber der Koͤnig
von Preußen Verdun weg hatte, ſo zerſtoͤrte er zwar
die Einrichtung nicht voͤllig, aber er gab doch ſo viel
Befehle aus eigner Macht, daß man wohl ſahe, er
wolle einſtweilen Ludwigs XVI. Stelle einnehmen.
Es war vieles vorgefallen, womit die Buͤrgerſchaft
[227] eben nicht ſehr zufrieden ſeyn konnte. Man hatte
in Verdun einige Buͤrger eingeſteckt, und ſie mit
Stockſchlaͤgen regalirt, weil ſie die weiße Kokarde
nicht hatten tragen wollen, und geſagt hatten: qu'il
n'étoit pas encore, ſoir pour tous les jour! —
Schon genug, um in Verdun nicht gut Preußiſch
ſeyn zu koͤnnen!
Außer dieſem muß man nicht vergeſſen, daß
Verdun wegen der ſchnellen Uebergabe durch Nyont
an die Preußen, gar uͤbel bey dem Konvente ange-
ſchrieben war, und daß nun gleichſam das Intereſſe
der Buͤrger es erfoderte, durch Haͤrte gegen den
Feind ihren Patriotismus zu beweiſen. Dieſen
Umſtand fuͤhrt Hr. von Beulwitz ſelbſt an, und
er verdient es. Man weiß ja, daß gleich nach dem
Ausmarſche der Preußen aus Frankreich das Sy-
ſtem ſchaͤrfer ward und daß die Guillotine gleich
mehr zu thun bekam. Es war damals zwar noch
kein Robespierriſcher Rigorismus, doch aber konnte
es ſchon jemanden zu ſchaffen machen, wenn man
ihn wegen eines Einverſtaͤndniſſes mit dem Feinde
der Republik anklagte oder in Verdacht hatte.
Daher geſchah es denn, daß der Poͤbel in Verdun
die zuruͤckgebliebenen Preußen beleidigte, und daß
Maͤnner, welche haͤtten helfen und ſchuͤtzen ſollen,
dazu ſtillſchwiegen, aus Furcht, als Ariſtokraten
und Beguͤnſtiger der Feinde angeſehen zu werden.
[228]
Hr. von Beulwitz iſt groͤßtentheils vom
Poͤbel und von den Sanscuͤlottes beleidigt wor-
den: aber der Poͤbel iſt aller Orten Poͤbel, zu Ber-
lin und zu Frankfurt am Mayn, wie zu Verdun und
zu Paris. Man denke nur, wie der Jan Hagel zu
Frankfurt die Klubbiſten von Maynz behandelt hat!
Alſo wegen des Poͤbels waͤren wir aufs Reine.
Hr. von Beulwitz ſagt am angefuͤhrten Orte
S. 229: die Einwohner von Verdun haͤtten ſich
erdreiſtet, noch bey Anweſenheit der Preußi-
ſchen Truppen, die Nationalkokarden aufzuſtecken.
Aber das war doch wohl keine Beleidigung fuͤr die
Preußen! Dieſe muſten ja Verdun der franzoͤſiſchen
Konſtitution wieder uͤberlaſſen, und folglich hatten
die Einwohner auch das Recht, die Kokarden wie-
der zu tragen, woran man den Anhaͤnger der Kon-
ſtitution erkennt, und dieß gleich, ſobald die Herr-
ſchaft der Konſtitution wieder eintrat.
Er klagt ſehr uͤber den Maire der Stadt, Ci-
toyen Câret Fils. Ich glaube gern, daß Caret nicht
allzuhoͤflich gegen ihn geweſen iſt: aber ſein Betragen
hatte in dem Betragen der Preußen gegen ihn ſeinen
hinlaͤnglichen Grund. Caret war ſehr uͤbel behan-
delt worden: man hatte ihm ſogar mit 50 Stock-
ſchlaͤgen gedroht, wenn er nicht denjenigen herbey-
ſchaffen wuͤrde, welcher einige Tage nach der Ein-
nahme einen Preußiſchen Offizier des Abends auf
[229] der Straße erſchoſſen hatte. Man denke ſich deut-
ſche Feinde und einen franzoͤſiſchen Maire, und
urtheile dann, was dieſer Mann waͤhrend der An-
weſenheit der Preußen habe ausſtehen muͤſſen, und
wie ſehr Widerwillen und Rachſucht in ihm muͤſſe
gekocht haben!
Ich will gern glauben, daß die preußiſchen
Kranken und beſonders Hr. von Beulwitz, von
den durchmarſchierenden Volontaͤrs und andern
Truppen oft ſind angetaſtet worden. Aber iſt das
wohl ein Wunder? Die Leute waren damals alle
hoͤchſt aufgebracht; und dann muß ich geſtehen,
daß das Andenken an das Coblenzer Manifeſt, und
der Anblick der Doͤrfer und der Staͤdte, wodurch
dieſe Leute eben gekommen waren, und welche die
Deutſchen kurz vorher ruinirt hatten, ſehr unvor-
theilhaft fuͤr die Preußen auf ſie wirken mußte.
Die Sache iſt klar, und bedarf keiner weitern Er-
oͤrterung.
Ueber die Deſertion kann ich mich nicht wun-
dern, vielmehr wundere ich mich, daß nicht noch
weit mehr Preußen deſertirt ſind. Ihre dama-
lige Lage war eben nicht ſehr erbaulich, und da
ſie dieſe durchs Weglaufen verbeſſern konnten, ſo
iſt das eben nicht unnatuͤrlich.
Den Witz des General Lingueville findet Hr.
von Beulwitz beleidigend. Lingueville hatte zu
[230] ihm geſagt: es ſchiene ihm, daß das nicht mehr
die alten Preußen waͤren, welche ſich ehedem ſo be-
ruͤhmt gemacht haͤtten. Der Aide de camp erwie-
derte: „O ja, mein General, es ſind wohl noch
die alten Preußen, aber es ſind nicht mehr die al-
ten Franzoſen! Lingueville's Rede iſt nicht belei-
digend, und die Antwort des Adjutanten enthaͤlt
ja ein wahres Lob auf die Preußen! Sollte das Hr.
von Beulwitz nicht gefuͤhlt haben?
Die 13 Emigrirte, welche im Spital zu Ver-
dun gefunden wurden, verlohren hernach ihr Leben
(nach S. 249) auf der Guillotine. Da man die-
ſes leicht vermuthen konnte, indem man die ſchar-
fen Geſetze der franzoͤſiſchen Nation gegen die Emi-
grirten kannte, ſo haͤtte man dieſe armen Teufel
fortſchaffen ſollen, und ſie dadurch dem Tode ent-
ziehen. Es ſind gar viel Emigrirte durch die Nach-
laͤßigkeit der deutſchen Truppen den Franzoſen in
die Haͤnde gefallen, und haben als Hochverraͤther
an ihrer Nation ihr Ende auf dem Blutgeruͤſte ge-
funden.
Dem General Dupuch laͤßt Hr. von Beul-
witz alle Gerechtigkeit wiederfahren, wird aber
boͤſe, daß der Kommiſſaͤr Chuppi, der Sohn
eines Schuſters (wie wenn der Sohn eines Schu-
ſters nicht eben ſo gut, wenn nach neuerer Erfah-
rung nicht noch beſſer, eine militaͤriſche Stelle be-
[231] kleiden koͤnnte, als ein Herr von!) dem General
zugeordnet worden iſt. Wenn ich nicht ſehr irre,
ſo iſt Dupuch ſchon 1793 hingerichtet worden, we-
gen Verraͤtherey: da war es denn doch ſehr rath-
ſam, ihm einen Mann zuzuordnen, welcher, wie
Hr. von Beulwitz ſelbſt geſteht, voller Eifer fuͤr
die entſtehende Republik gluͤhte.
Die Guillotine nennt auch Hr. von Beul-
witz S. 255 die Mutter der franzoͤſiſchen Repu-
blik. O ſancta —! Er erzaͤhlt, daß wenigſtens
15 Minuten waͤren erfodert worden zu den Vorbe-
reitungen zum Kopfabſchlagen. Ich habe nachher
gewiß weit mehr guillotiniren ſehen, als Hr. von
Beulwitz: aber ſo viel Zeit koſtete das Anbin-
den etc. nie: das Haar wird auch nicht immer ab-
geſchnitten. Das Beil ſoll auch den Kopf niemals
haben ganz abgeſchlagen: der mußte nachher noch
mit einem Meſſer abgekrazt werden. Vielleicht
war das in Verdun ſo; aber die Koͤpfe, die ich
in Lyon und anderwaͤrts habe abſchlagen ſehen,
fuhren ſchnell genug in den Kaſten, und brauchten
nicht erſt mit Meſſern abgemetzelt zu werden.
Daß auch damals die Sanscuͤlottes nicht ſo
ganz ohne alle Diſciplin waren, beweiſet die Genug-
thuung, welche Hr. von Beulwitz wegen einer
Beleidigung erhielt, die er S. 259 ff. beſchreibt.
So erhielte er auch ſeine geſtohlnen Pferde wieder,
[232] und die Diebe wurden hinlaͤnglich beſtraft. Nicht
ſo immer bey uns!
Ueberhaupt iſt der ganze ſonſt ſchaͤtzbare, und
ſchoͤn geſchriebne Aufſatz des Hn. von Beulwitz
nichts weniger als ein Beytrag zur Darſtellung
des damaligen Nationalkarakters der Franzoſen.
Dieſen Nationalkarakter darf man in einer Stadt
nicht ſuchen, welche erſt ſeit einigen Tagen vom
Feinde geraͤumt iſt, und worin ein feindlicher Offi-
zier auf Kommando zuruͤck bleibt. Haͤtte Hr. von
Beulwitz ſich die Muͤhe genommen, die Geſin-
nungen der Buͤrger fuͤr ihre eigne Sache zu unter-
ſuchen, ſo wuͤrde er uns vielleicht einen fruchtba-
rern und vollſtaͤndigern Beytrag haben liefern koͤn-
nen, als jezt, da er gerade nur das Betragen der
Franzoſen gegen ihn und ſeine Leute ſchildert.
Das iſt ſonnenklar, und daher halten die gruͤnd-
lichen und beſcheidnen Bemerkungen eines gefan-
genen preußiſchen Offiziers aus Dijon, welche
Hr. von Beulwitz zu widerlegen zwar unter-
nimmt, aber nicht widerlegt, noch immer ihren
Werth. Kurz, haͤtten wir die Franzoſen humaner
und ſanfter behandelt, haͤtten wir ihre Felder nicht
verheert, ihre Doͤrfer nicht verwuͤſtet und ihre Leute
nicht mishaudelt, ſo wuͤrde wahrſcheinlich auch Hr.
von Beulwitz ein beſſeres Schickſal in Verdun
gehabt haben.
[233]
Uebrigens bekenne ich, daß ich dieſe wenigen
Anmerkungen uͤber den Aufſatz des Hn. Haupt-
manns blos deswegen gemacht habe, um ihm zu
beweiſen, daß ich ihn fuͤr das halte, was er iſt,
fuͤr einen braven, rechtſchaffnen und getreuen Offi-
zier, der eben ſo liebenswuͤrdig wegen ſeines vor-
trefflichen Herzens, als ſchaͤtzbar wegen ſeiner
Talente und Kenntniſſe iſt. Selbſt ſein Aufſatz iſt
ſeiner wuͤrdig, gereicht aber der franzoͤſiſchen Na-
tion mehr zur Ehre als zur Schande, und beweißt,
daß der Hauptmann ein billiger und — einige Ti-
raden ausgenommen — auch ein unpartheiiſcher
Richter iſt, ganz von einem andern Karakter, als
der elende Hr. von Schirach und alle andern Skri-
bler und Sudler von der politiſchen Apokalypſe und
Hermandade.
Noch eine kleine Nutzanwendung aus dem Vor-
hergehenden fuͤr Soldaten und ihre Befehlshaber
moͤgte hier nicht am unrechten Orte ſtehen. Naͤm-
lich:
1) Im Gluͤcke ſeinen Feind nie zu mishandeln,
um im Ungluͤcke von ihm das wieder zu erwarten,
was im Gluͤcke wir ihm leiſteten: denn das Heute
mir, Morgen dir, iſt das Stichblatt aller menſch-
lichen Dinge, zumal der politiſchen; und — wie
man in den Wald hineinruft, ſo ſchallt es zuruͤck.
2) Aufhetzerey gegen den Feind durch Mani-
[234] feſte, Predigten, Zeitungen, Gedichte, Schim-
pferey u. dgl. bezahlt der Feind mit gleicher Muͤn-
ze, und beyde Theile erſchweren ſich dadurch die
Erreichung deſſen, warum ſie kriegen — den Frie-
den.
3) Alle Garniſon- und Feldpredigten ſollten
durchaus militaͤriſch-praktiſch ſeyn, und das
Hauptthema der chriſtlichen Moral nach Vernunft
und Erfahrung einſchaͤrfen, um zur Zeit des Krie-
ges den Menſchen und die Menſchlichkeit uͤber den
Nationalen und die Politik nie zu uͤberſehen. Man
gewinnt hiedurch auf der einen Seite das doppelt,
was man auf der andern vielleicht nur im Scheine
verliert. Denn Zahn um Zahn, auch außer Reih'
und Glied, erbittert, und der Erbitterte denkt nicht
daran: daß man Andern das thun und nicht thun
ſolle, was man von ihnen in der Art ſich wieder
wuͤnſcht. Die Rheingegenden, zumal Frankfurt
— doch, die weitere Entwicklung iſt ja hand-
greiflich! —
[235]
Zwanzigſtes Kapitel.
Ankunft auf deutſchem Boden. Lager bey Luxemburg.
Unſre Armee kam den 21ten Oktober auf deutſchen
Boden zuruͤck, aber auch hier hatte das Elend und
die Noth noch kein Ende. Wir lagerten uns in
den Koth, und zwar ohne Lagerſtroh, und doch
ſollten wir hier auf Ordre ſtehen bleiben!
Am erſten Ruhetage, den 22ten, deſertirten
einige Soldaten vom Regiment Woldeck. Man
ſetzte ihnen nach, weil man ihre Spur wußte, aber
die Nachſetzenden mogten ſich wohl etwas zu weit
verlaufen haben, und uͤber die Graͤnze gekommen
ſeyn. Genug, ſie ſtießen auf eine franzoͤſiſche
Patrouille, welche ſie angriff und gefangen nahm.
Einer von ihnen kam dabey ums Leben, und die
andern wurden nach Longwy, welches den folgen-
den Tag gaͤnzlich geraͤumt wurde, uͤberbracht,
aber bald zuruͤckgeſchickt, jedoch mit dem Vermel-
den des franzoͤſiſchen Generals: daß man kuͤnftig,
wenn wieder ſo ein anomaliſches Verfolgen der
Deſerteurs ſtatt haben ſollte, die Nachſetzer nicht
als Preußen, ſondern als Stoͤhrer der allgemeinen
[236] Sicherheit und Ruhe anſehen, und als ſolche be-
handeln wuͤrde. Das war freilich derbe, und dient
als Wink uͤber die Qualitaͤt unſeres Ruͤckzugs. —
Unſer Lager ſtand dicht an einem Dorfe, wo-
hin wir giengen, um uns Kartoffeln, Birnen und
andere Lebensmittel einzukaufen: denn im Lager
war noch immer Mangel an allem, ſogar an Brod.
Der Pfarrer des Dorfes hatte beſonders gute Bir-
nen, die er ſelbſt ausgab, und das Geld dafuͤr
einnahm. Ich gieng hin, konnte aber wegen der
Menge nicht zum Herrn gelangen. Als mir nun
die Zeit lang ward, rief ich ihm auf latein zu, er
moͤgte mir doch auch Obſt geben fuͤr Geld und gute
Worte. Mein Latein that treffliche Dienſte: denn
Seine Hochwuͤrden gaben mir nicht nur Birnen und
Kartoffeln genug und ohne Geld, ſondern ſpeiſten
mich noch obendrein mit Speck und Weißbrod, und
traͤnkten mich mit Wein. Das war ein herrlicher
Tag fuͤr mich, desgleichen ich ſeit langer Zeit nicht
gehabt hatte! Der geiſtliche Herr ſprach viel mit
mir, auch uͤber die Religion, und meynte, die
Franzoſen muͤßten allerdings zu Grunde gehen, da
ſie keine rechten Prieſter mehr haͤtten, und ein
Land ohne kanoniſch geweihte Prieſter nicht beſtehen
koͤnnte. Navita de ventis! —
Auch in dieſem Lager war das Wetter abſcheu-
lich, denn es regnete beynahe noch immer ohne Un-
[237] terlaß: aber der Gedanke, daß wir doch wieder auf
deutſchem Boden waͤren, verſuͤßte den Meißten alles
Elend, und ſtellte ihre Munterkeit einigermaßen
wieder her. Man hoͤrte wieder frohere Geſpraͤche,
und die armen Teufel von Soldaten freuten ſich,
daß ſie bald wieder in ihre Heimat kehren wuͤrden.
Mir ſchien dieſe Hoffnung ſchlecht gegruͤndet, ob
es mir gleich nicht ganz unglaublich vorkam, daß
der Koͤnig von Preußen mit den Franzoſen habe
Frieden machen koͤnnen. Ihre Nachſicht mit uns
auf unſerm Ruͤckmarſche ſchien mir dieß zu beſtaͤti-
gen. Man wollte damals ſogar die Artikel dieſes
geheimen Friedens wiſſen, aber es ging hier wie
aller Orten: die politiſchen Kanngießer wiſſen alles,
nur das nicht, was die Hauptſache iſt, und —
ſehen vor lauter Baͤumen den Wald nicht.
Den 24ten kamen wir bey Luxemburg an, wo
wir bis den 29ten ſtehen blieben. Hier erholten
wir uns wenigſtens wieder mit Eſſen und Trinken,
obgleich das Wetter auch hier ſchrecklich und ab-
ſcheulich war. Wir waren indeß an das ſchlimme
Wetter ſchon gewoͤhnt, und da wir hier in dieſem
Lager hinlaͤnglich zu eſſen haben konnten und hatten,
ſo waren wir wenigſtens wieder munterer als vorher.
Die Luxemburger brachten uns allerley Viktua-
lien, auch Branntwein und Wein ins Lager, und ich
hatte Gelegenheit, einigemal in dieſe ſchoͤne Stadt zu
[238] wandern, und mir daſelbſt einen guten Tag zu
machen. Bisher hatten die Soldaten wenig kaufen
koͤnnen, weil nichts zu kaufen da war, und ſo
konnten ſie ihre Loͤhnung aufſparen, und hatten
daher alle Geld mehr als gewoͤhnlich. Aber im
Lager bey Luxemburg war das Geld bald alle;
indeß man hatte Erſatz dafuͤr. Es iſt eine herrliche
Sache, wenn man ſich nach ausgeſtandner großer
Noth und Mangel endlich einmal wieder ſaͤtigen
und pflegen kann!
In dieſem Lager wurde nun auch die Nachricht
allgemein bekannt, daß der General Cuͤſtine in
Deutſchland eingefallen waͤre, und Maynz erobert
haͤtte. Daraus ſchloſſen nun die Verſtaͤndigern, daß
der Krieg noch kein Ende haben wuͤrde; und unſer
ganzes Volk wurde mit Schreck und Entſetzen er-
fuͤllt: die Fortſetzung des Krieges, beſonders ei-
nes Krieges gegen die Franzoſen, war in den Au-
gen der kluͤgern Preußen nun das hoͤchſte Uebel.
Ehe ich weiter gehe, moͤgte ich hier fragen: ob es
nicht rathſamer geweſen waͤre, wenn die Preußen
damals die Niederlande beſezt, und dieſe gegen
Duͤmouriez thaͤtiger beſchuͤzt haͤtten, als her-
nach die Kaiſerlichen es konnten? Das deutſche
Reich war zwar von Cuͤſtine angegriffen, aber
der Einfall, den man von Duͤmouriez zum Vor-
aus ſehen konnte, war, wegen der Naͤhe an Frank-
[239] reich, wichtiger, als die Gefahr, welche Deutſchland
bedrohte. Doch hier iſt der Ort nicht, dieſe Sache
politiſch und militaͤriſch zu unterſuchen! Mir koͤmmt
es aber noch immer ſo vor, daß wenn es damals
ſchon entſchieden war, den Kriegsplan gegen Frank-
reich noch fortzuſetzen, man die Niederlande beſſer
haͤtte beſchuͤtzen muͤſſen.
In Luxemburg hatte ich eines Tages einen Zank
mit einem Kaiſerlichen Unteroffizier, einem recht
argen, politiſchen Kanngießer, welcher gradezu im
Weinhauſe behauptete: die Preußen haͤtten falſch
geſpielt. Unſer Streit erhizte ſich ſo, daß wir bald
handgemein geworden waͤren — wenn ich gleich
recht gut wußte, daß unſere Leute eben das von den
Oeſtreichern behaupteten. — Schon damals alſo
waren die Gemuͤther der Oeſtreicher und der Preu-
ßen, durch gegenſeitige Beſchuldigung und Verdacht,
von einander entfernt, und dieſe Animoſitaͤt hat ſich
hernach immer noch vermehrt. Die Vermuthung
einſichtiger Maͤnner, daß eine Allianz zwiſchen dem
Hauſe Oeſtreich und Preußen nicht Beſtand haben
koͤnnte, beſtaͤtigte ſich alſo ſchon damals mehr als
zu ſehr.
Fuͤr meine Perſon hatte ich indeß hier ziemlich
gute Zeit: denn ich hatte Geld, und konnte mir
das Noͤthige einkaufen. Mein rechtſchaffener Bis-
pink hatte mir durch einen Soldaten-Boten auch
[240] Waͤſche geſchickt, und ſo war ich im Stande, mich
hier zu reinigen, und wenigſtens ſauberer zu kleiden,
als ſo mancher Andere, der vor Schmutz und Un-
geziefer ſta[rr]te.
Am 29ten October brach endlich unſre Armee
von Luxemburg auf. Es war eben wieder ein ab-
ſcheulicher Tag, kalt und naß, wie wir ſo viele
ſchon gehabt hatten. Die Zelter ließ man groͤßten-
theils liegen, weil ſie ganz unbrauchbar geworden
waren, und was man davon noch mitnahm, muſte
man doch hernach bald wegwerfen, weil alles ver-
morſcht war. Die Zeltſtangen wurden alle nebſt
den Kaͤmpirpfaͤhlen und anderm Geraͤthe rein ver-
brannt; auch manche Keſſel u. dgl. wurden weg-
geworfen.
Der Weg von Luxemburg bis Trier war ſo elend,
als irgend einer in Frankreich geweſen war. Un-
terwegs lagen wir zwar in den Doͤrfern und durften
uns nicht mehr in Schlamm und Waſſer auf dem
freyen Felde herumſudeln: aber da wir immer gar
zu dicke gelegt wurden, ſo fehlte alle Bequemlich-
keit. Anch konnte man, da jene Doͤrfer von allem
Vorrath entbloͤßt waren, nur ſelten einmal Kartoffeln
bekommen.
In Trier langte unſer Regiment erſt Nachmittags
um vier Uhr an: es war aber nicht moͤglich, fuͤr
alle Soldaten Quartiere in dieſer Stadt aufzubrin-
[241] gen: es draͤngte ſich hier gar zu viel Volk zuſam-
men. Alle Kompagnien waren in dem traurigſten
Zuſtande, und erſt am folgenden Tage ſammelten
ſie ſich gehoͤrig: ſehr viele Burſche waren wegen
ihres elenden Schuhwerks zuruͤckgeblieben, und
andre konnten wegen des Durchfalls, und andrer
Krankheiten ſich nur mit Muͤhe voranſchleppen.
Ich ſelbſt kam erſt den andern Tag Nachmittags
zur Kompagnie. Ich hatte ohngefaͤhr drey Maͤrſche
ohne Schuhe barfuß gehen muͤſſen, und ſo waren
meine Fuͤße verdorben, und ſehr aufgeſchwollen.
Ich machte daher auf einem kaiſerlichen Dorfe
Quartier bey einer alten Witwe, deren Tochter
mich ſehr gut verpflegte. Die Alte konnte nicht
mehr fort, die guten Leute verlangten fuͤr alles
nicht mehr, als 4 Behmén. Sie wuͤrden mir auch
dieſe laſſen, ſagten ſie, wenn ſie nicht Oehl in Trier
holen muͤßten *) Die guten Leute!
Meine Fuͤße wurden immer ſchlimmer, und ich
mußte mich von Trier bis Binningen, einem ohn-
weit Koblenz gelegnen Badiſchen Staͤdtchen, mit
fahren laſſen. Der ganze Ruͤckmarſch durchs Trier-
land war eben ſo elend und noch elender, als unſer
Dritter Theil. Q.
[242] Hinmarſch geweſen war. Sogar geſellte ſich jezt
noch der Spott der Einwohner zu dem Elende,
welches uns druͤckte. Es iſt wirklich eine penible
Sache fuͤr einen Soldaten, in einem Trupp zu ſeyn,
der beſiegt, oder mit einer langen Naſe, vom
Feinde zuruͤckkommt: er muß ſogar vom Janhagel
Spott einſtecken; und der Janhagel im Trierlande
wußte ſeine Grobheiten ſo ſatyriſch und ſo beißend
einzurichten, daß er dem Jan Hagel in unſern flie-
genden Blaͤttern nichts nachgab.
Vinningen iſt ein ſchoͤner Flecken an der Moſel,
wo der beſte Moſelwein waͤchſt. Der Ort iſt ganz
lutheriſch; und eben deswegen ſind die Einwohner,
weil alles rundum mit Katholiken beſezt iſt, in
einer uͤblen Lage. Sie muͤſſen immer in ihrem
Neſte konzentrirt bleiben: niemand heurathet ihre
Maͤdel, und niemand zieht zu ihnen: deswegen iſt
auch das ganze Vinningen eitel Schwager, Schwaͤ-
gerinn, Schwiegervater und Schwiegermutter.
Ich dachte, wir wuͤrden hier Raſttag halten, da
aber der Abmarſch gleich auf den andern Tag be-
fohlen wurde, ich indeß noch nicht gehen konnte,
ſo mußte ich mich zu den Kranken und Maroden
geſellen, welche die Menge in mehrern Schiffen
nach Nenwied gefahren wurden. Hier wollte ich
meinen Freund, den Hn. Magiſter Schellenberg,
beſuchen, er war aber verreiſet.
[243]
Ich traf hier einen Aventurier aus meiner Ge-
gend an, den Sohn des verſtorbenen Amtmanns
Rupp von Jugenheim ohnweit Mainz. Dieſer
Menſch lief ſchon mehrere Jahre in ganz Deutſch-
land herum, gab ſich allerhand Namen und Wuͤrden,
und betrog und prellte, wo er nur konnte. Seine
Prellereien betrafen nicht allein Gaſtwirthe und Kauf-
leute; ſondern auch vornehme Maͤnner, ſogar Fuͤr-
ſten. Auf meiner lezten Ruͤckreiſe nach Halle er-
fuhr ich, daß er endlich wegen eines großen Betru-
ges, wobey große Maͤnner kompromittirt waren,
eingeſteckt ſey. Damals war Herr Rupp, als
kurpfaͤlziſcher Regierungsrath in Neuwied, und
zehrte auf gute Rechnung.
Von Neuwied ging ich uͤber Koblenz allein nach
Faltern immer zu Fuße, wenn gleich jaͤmmerlich,
weil die Kranken von hier aus keinen Wagen weiter
hatten, und ich mich nicht dazu verſtehen wollte,
mich in die Moͤrdergrube zu Koblenz, das iſt, ins
Lazareth, zu legen.
[244]
Ein und zwanzigſtes Kapitel.
Beſchreibung der Feldlazarethe.
Die unendlichen Krankheiten, beſonders die Ruh-
ren, welche unſer ungluͤckliches Militaͤr auf dieſem
unſeligen Feldzuge befielen, machten die Anlegung
vieler Feldlazarethe noͤthig. Zu Grandpré,
Verdun, Longwy, Chatillon, Luxemburg,
Trier, Coblenz, Weſel, Neuwied, Uſin-
gen, Frankfurt am Mayn, Hoͤchſt, Hom-
burg, Friedberg, Gieſſen und noch an viel
mehr Orten waren preußiſche Feldlazarethe, welche
alle mit Kranken vollgeſtopft waren. Ich habe
mehrere dieſer Moͤrdergruben ſelbſt beobachtet, und
was ich da geſehen habe, will ich dem Leſer ehrlich
mittheilen, jedoch mit dem Bedinge, daß der zu
delikate Leſer dieſes Kapitel uͤberſchlage.
Ich hoͤrte, daß mein Freund, der Unteroffizier
Koggel, zu Longwy im Lazarethe krank laͤge: ich
wollte ihn alſo beſuchen, und ging hin und hinein,
ohne von der Schildwache angehalten oder nur uͤber
etwas befragt zu werden. Dieſes ließ mich gleich
anfangs nicht viel Ordnung im Lazarethe ſelbſt er-
[245] warten. Aber wie entſezte ich mich, als ich gleich
beym Eingange alles von Exkrementen blank ſah,
und nicht einmal ein Fleckchen finden konnte, um
unbeſudelt hinzutreten. Der gemeine Abtritt reichte
fuͤr ſo viele ruhrhaften Kranken unmoͤglich zu, auch
fehlte es den meiſten an Kraͤften, ihn zu erreichen,
und Nachtſtuͤhle ſah ich beynahe gar nicht. Die
Ungluͤcklichen ſchlichen alſo nur bis vor die Stube,
und machten dann alles hin, wo und wie ſie konnten.
Es iſt abſcheulich, daß ich ſagen muß, daß ich ſo-
gar todte Koͤrper in dieſem Unflate liegen ſah.
Ich ſchluͤpfte ſchnell durch ins erſte beſte Zim-
mer, aber da draͤngte ſich mir auch ſogleich ein
ſolch abſcheulicher mephytiſcher Geſtank entgegen,
daß ich haͤtte moͤgen in Ohnmacht ſinken. Es war
der Duft viel aͤrger, als wenn man ein Privet aus-
raͤumt, oder uͤber einen vollen Schindanger des
Sommers geht. An Raͤuchern dachte man gar
nicht; auch wurden die Fenſter niemals geoͤffnet,
und wo hie und da eine Scheibe fehlte, da ſtopfte
man die Oeffnung mit Stroh und Lumpen zu.
Das Lager der Kranken war dem Vorigen ganz
angemeſſen: die meiſten lagen auf bloßem Stroh,
wenige auf Strohſaͤcken, und viele lagen gar auf
dem harten Boden. An Decken und andere zur
Reinlichkeit dienliche Dinge war vollends nicht
zu denken. Die armen Leute mußten ſich mit
[246] ihren elenden kurzen Lumpen zudecken, und da dieſe
ganz voll Ungeziefer waren, ſo wurden ſie von die-
ſem beynahe lebendig gefreſſen.
Ich ſtund da, und wußte nicht, was ich vor
Mitleid und Aerger ſagen ſollte. Ich fragte end-
lich nach der Krankenpflege, erfuhr aber, daß hier
außer ein biſſel Kommißbrod nichts vorfalle. An
Arzney fehlte es beynahe ganz!
Ich wollte, wie man weiß, den Unteroffizier
Koggel ſehen, aber weder Feldſcheer noch Kran-
kenwaͤrter konnte mir ſagen, in welchem Zimmer
ich ihn treffen koͤnnte. So ſehr fehlte es an aller
beſondern Aufſicht! Sogar hoͤrte ich einen ſagen:
„Wen hier der Teufel holt (er wollte ſagen: wer
hier ſtirbt), iſt geliefert: kein Guckuck fraͤgt wei-
ter nach ihm.“ *)
[247]
Voll Eckel und Abſcheu gieng ich fort, und ver-
wuͤnſchte das Schickſal der Krieger, welche bey
einer eintretenden Krankheit oder Verwundung in
ſolche Mordloͤcher geſteckt, und ſo ſchlecht verpflegt
werden, daß ſie ihr Achtgroſchen-Leben elender
aufgeben muͤſſen, als das elendeſte Vieh.
Aber bald bedachte ich, daß dort in Longwy
vielleicht die Noth ſelbſt eine ſolche elende Lage der
armen Leute noͤthig machte. Ich wußte, daß der
Koͤnig Befehl gegeben hatte, die Kranken gut zu
behandeln, und fuͤr ihre Wiederherſtellung, und
wenn es des Monats 1000 Thaler mehr koſten
ſollte, gehoͤrig zu ſorgen. Ich beſchloß daher,
mehrere Feldlazarethe zu unterſuchen, um ein rich-
tiges Urtheil daruͤber faͤllen zu koͤnnen.
Ich that dieß ſchon in Trier; aber da ſah ich
noch mehr Graͤuel! Die Lazarethe waren eben ſo
ſchmutzig, die Pflege eben ſo elend, und die Lager-
ſtaͤtten eben ſo abſcheulich, als in Longwy. Außer-
*)
[248] dem mußten noch vom 30ten bis zum 31ten Okto-
ber mehr als 280 Kranke in Trier unter freyem
Himmel auf der Gaſſe liegen bleiben: in den Hoſpi-
taͤlern war fuͤr ſie kein Platz mehr, und niemand
wollte ſie in die Haͤuſer aufnehmen, weil es allge-
mein hieß: die Preußen haͤtten die Peſt. Es kre-
pirten, ja, es krepirten dieſe Nacht mehr als 30
auf der Gaſſe. Seht Menſchen, ſoviel gelten Eu-
res Gleichen im Kriege! —
Die andern Lazarethe, die ich weiter ſah, wa-
ren alle von dieſer Art. — Woher koͤmmt aber die-
ſes ſchreckliche Uebel, wodurch der Koͤnig, oder
vielmehr der Staat, ſo viel Leute verliert? Denn
in dieſem Feldzuge ſind ſehr wenig Preußen vor
dem Feinde geblieben, aber mehrere Tauſend ſind
in den Hoſpitaͤlern verreckt, deren meiſte man ge-
wiß haͤtte retten koͤnnen, wenn man ihnen gehoͤrige
Pflege haͤtte koͤnnen oder wollen angedeihen laſſen?
Der Hauptfehler der Preußiſchen Lazarethe iſt,
wie mich duͤnkt, in der Anlage ſelbſt zu ſuchen.
Die Aufſeher ſind lauter Leute vom Militaͤr, ohne
angemeßne Erfahrung und Kenntniſſe, und meiſt
lauter ſolche, die ſich da bereichern wollen. Ihre
Beſoldung iſt ſchlecht, und doch kommen ſie, wenn
ſie auch nicht lange darin ſind, und blutarm hin-
einkamen, allemal mit vollem Beutel heraus. Es
muß alſo an der Subſiſtenz der Kranken defrandirt
[249] und die ganze Einrichtung ſo konfus und unordent-
lich gemacht oder gefuͤhrt werden, daß man die
Defraudation nicht ſo leicht entdecken kann.
Bey dergleichen Einrichtungen pflegt alles zu-
ſammenzuhaͤngen, und fuͤr den gemeinſchaftlichen
Vortheil gemeinſchaftliche Sache zu machen. Sel-
ten findet ſich ein Mann von Rechtſchaffenheit, der
ſeinen Einfluß zur Verbeſſerung thaͤtig machen
moͤgte; und wenn er ſich findet, ſo wird er bald
unterdruͤckt. Hr. von Soyacziusky, Leutnant
bey unſerm Regimente, wollte einige gute Anſtal-
ten in Frankfurt fuͤr das Lazareth durchſetzen, aber
er hatte ſo viel Verdruß dabey, daß ſeine ohnehin
ſchwache Geſundheit noch mehr dadurch litt, und
er bald verſtarb. Er beſuchte uns einſt bey Maynz.
„Nun, Herr Leutnant, fragte ich ihn, wie ſchlaͤgt
Ihnen das Lazareth zu?“ „Ach, war die Antwort,
die Fickfackereien, die ich da ſehen muß, und nicht
hindern kann, bringen mich noch um!“
Dem Koͤnige wird freilich genug angerechnet;
aber fuͤr die Kranken wird das wenigſte verwendet.
Ich habe geſehen, daß Feloſcheere und Kranken-
waͤrter den Wein fortſoffen, der fuͤr die Kranken
beſtimmt war, und die guten Eſſenzen ſelbſt ver-
ſchluckten. Zwey Menſcher in Koblenz, welche
den Feldſcheerern zur Liebſchaft dienten, verkauf-
ten den Reis aus dem Hoſpital, und die Kranken
[250] muͤßten hungern. Zu Frankfurt am Mayn kaufte
man Reis, Graupen, gedoͤrrtes Obſt u. dgl. im
Spital ſehr wohlfeil. So war es auch in Gießen.
Um nun den Betrug nicht ſo ſehr ſichtbar zu ma-
chen, geht alles myſterioͤs und unordentlich in den
Lazarethen zu.
Die Krankenwaͤrter ſind Soldaten, welche bey
den Kompagnieen nicht mehr fortkoͤnnen, alte ſteife
Kruͤppel, die ſich zum Krankenwaͤrter ſchicken, wie
das fuͤnfte Rad am Wagen. Dieſe, deren theil-
nehmender Menſchenſinn durch den militaͤriſchen
Korporalsſinn abgeſtumpft iſt, laſſen den armen
Kranken eine Pflege angedeihen, daß es eine
Schande iſt. Daß ſie ſich mit den Feldſcheerern
und den andern Meiſtern, die in den Lazarethen
etwas anzuordnen haben, allemal einverſtehen,
verſteht ſich von ſelbſt! denn auf die geringſte Vor-
ſtellung des Feldſcheers oder eines andern Vorge-
ſezten, wuͤrde der Herr Krankenwaͤrter weggejagt.
Ein Oberkrankenwaͤrter, wie ich ſie in den franzoͤ-
ſiſchen Hoſpitaͤlern zu Dijon und anderwaͤrts ge-
funden habe, iſt gar nicht da.
Fuͤr Reinlichkeit, dieſes erſte Hauptſtuͤck der
Krankenpflege, worauf mehr ankommt, als ſelbſt
auf die mediziniſche Verpflegung, wird ſo wenig
geſorgt, daß ich Kranke weiß, denen die Hemder
an dem Leibe verfault, und ſie ſelbſt von den Laͤu-
[251] ſen dergeſtalt zugerichtet worden ſind, daß ſie tiefe
Loͤcher am Leibe hatten. Freilich ſollen die Kran-
kenwaͤrter entweder ſelbſt waſchen, oder waſchen
laſſen, aber das geſchieht nicht. Ferner ſehen die
Stuben aus, wie die Spelunken; und der mephy-
ſiſche Geſtank verpeſtet die Luft aufs abſcheulichſte.
Wer in eine ſolche Krankenſtube hereintritt, ver-
liehrt den Appetit zum Eſſen wenigſtens auf einen
Tag.
Die Feldſcheere, oder wie man ſie ſeit einigen Jah-
ren nennen ſoll, die Chirurge, ſind meiſtens Leute,
welche gar wenig von ihrem Handwerke inne haben,
und daher das Elend in den Spitaͤlern durch ihre
Unwiſſenheit und Unerfahrenheit noch vergroͤßern.
Fuͤr die Beſetzung der Regimenter durch Oberchi-
rurgen iſt ziemlich gut geſorgt, ob es gleich auch
da Leute giebt, welche nicht viel mehr wiſſen, als
jeder gemeine Bartkratzer. Die Generalchir[ugi]
ſind Maͤnner von Einſicht und Verdienſt; aber die
gemeinen oder Kompagniechirurgen ſind gr [...]
theils elende Stuͤmpfer, die bey ihren Lehrherrn
nicht mehr gelernt haben, als raſiren und aderlaſ-
ſen, beydes elend genug noch obendrein. Wer
freilich ſein Brod ſonſt verdienen kann, und nicht
fuͤr das kindiſche Vergnuͤgen iſt, in Uniform ein-
herzuſchreiten, und ein Spießding an ſeiner Pfu-
ſcherſeite her [...]ſchleppen, wird ſich huͤten, [...]?
[252] den geringen Gehalt, den ſo ein Menſch zieht,
den beſchwerlichen Feldſcheerdienſt bey einer Kom-
pagnie zu uͤbernehmen. Herr Thede hat dieſer
Leute Elend und Unwiſſenheit lebhaft genug geſchil-
dert; und dieſer Schilderung wird jeder gern bey-
ſtimmen, der unſre Herren nur ein wenig naͤher
kennen lernt.
Bey unſerm Regimente zeichnete ſich beſonders
einer durch Unwiſſenheit, Grobheit, Naſchhafrig-
keit, Unreinlichkeit und Faulheit aus. Man war
von dem großen Elende dieſes Freundes unterrich-
tet, und doch blieb er vor wie nach, was er
war! —
In die Feldlazarethe nimmt man zwar dann
und wann die geſchickteſten, welche man noch bey
den Regimentern findet, aber eben dadurch ent-
bloͤßet man die Regimenter ihrer brauchbarſten
Wundaͤrzte. Was kann aber Einer von dieſer
Art allein ausrichten, ſobald ihm alle uͤbrigen Mit-
offizianten entgegen ſind, oder entgegen handeln!
Ob man aber gleich, der Regel nach, nur brauch-
bare Aerzte in die Feldlazarethe nehmen ſollte, ſo
geht doch hier auch ſehr vieles nach Gunſt, und ſo
werden ſehr viel elende, unwiſſende, traurige Wichte
angeſtellt.
Die Oberchirurgi, welche die Aufſicht uͤber die
Lazarethe fuͤhren, koͤnnen theils jeden Kranken nicht
[253] ſelbſt unterſuchen und behandeln, wegen der Menge,
theils ſind ſie dazu zu kommode oder zu delikat.
Sie ſchauen daher nur dann und wann, und zwar
nur ſo obenhin, in die Krankenſtuben, laſſen ſich
vom Feldſcheer, ſehr oft auch nur von dem Kranken-
waͤrter referiren, verordnen dann ſo was hin im All-
gemeinen, werfen — um ſich reſpectabel zu machen
— mit einigen fehlerhaften lateiniſchen Woͤrtern
und Phraſen umher, uͤberlaſſen hierauf alles den
Unterchirurgen, und gehen — in Offiziersgeſell-
ſchaften, l'Hombre zu ſpielen, oder ſich ſonſt zu
vergnuͤgen.
Mir ſind ganz ſchaͤndliche Beyſpiele bekannt
geworden, wie ſelbſt Oberchirurgi die mediziniſche
Pflege deswegen vernachlaͤßigten, weil ſie das
Geld, das fuͤr Arzney, Eſſig, Wein u. dgl. be-
ſtimmt war, an die Offiziere, die in den Lazarethen
als Inſpektoren angeſtellt waren, verſpielt hatten,
und folglich dieſe Sachen nicht mehr kaufen konnten.
Die Offiziere haͤtten freilich nach ihrer Pflicht darauf
inquiriren, und den Chirurgus zur Herbeyſchaffung
der Arzney anhalten ſollen: aber eben ſie hatten ja
das Geld gewonnen, welches ſie, im Fall das Ding
zur Sprache gekommen waͤre, haͤtten herausgeben
muͤßen: ſie ſchwiegen alſo, und die armen Leute
waren geprellt.
[254]
Zwey und zwanzigſtes Kapitel.
Noch uͤber das Elend in den Feldlazarethen.
Meine Leſer muͤſſen es zu gute halten, daß ich
von den preußiſchen Feldlazarethen etwas mehr an-
bringe, als man ſonſt in dieſer Biographie erwar-
tet haͤtte. Ich bin Soldat geweſen, und habe
das Elend mit angeſehen, welches meine Bruͤder
in dieſen ſcheußlichen Mordkluͤften ertragen muß-
ten. Ich moͤgte alſo gerne, ſo viel als in meinen
Kraͤften ſteht, zur Verbeſſerung dieſes abſcheulichen
und ſchrecklichen Unweſens beytragen. Vielleicht
lieſt e [...]wan ein Mann von Gutſinn und Einfluß
meine Schrift, und lernt daraus dieſe Gattung
menſchliches Elendes naͤher kennen, und hilft es viel-
leicht bey einem kuͤnftigen Feldzuge lindern. Viel-
leicht leſen einige, die dereinſt uͤber Lazarethe die
Aufſicht fuͤhren oder in denſelben als Feldſcheere
oder Krankenwaͤrter dienen ſollen, dieſes Buch und
lernen ſich ſchaͤmen, und ihre Schuldigkeit, welche
nirgends heiliger ſeyn kann, als hier, beſſer beobach-
ten. Und wenn dieſes ſeyn ſollte, ſo haͤtte ich fuͤr
leidende und von den Ihrigen verlaßne Menſchen
[255] mehr Nutzen geſtiftet, als mancher Poſtillen-
ſchmierer, oder Geiſter- und Dogmen-Kraͤmer.
So ungeſchickt die preußiſchen Feldſcheerer ge-
woͤhnlich zu ſeyn pflegen, ſo wenige ſind noch oben-
drein in den Spitaͤlern angeſtellt: zwey, drey ſol-
cher aͤskulapiſchen Buͤffel ſollen eine Anzahl von
200, 300 und mehrerer ſchwerkranker Perſonen
pflegen, wie dieſes in dem jetzigen Kriege gar oft der
Fall war.
Ich kam einſt nach Bingen am Rhein ins
dortige Hoſpital, um die bey der Belagerung von
Maynz Bleſſirten und Krankgewordenen aufzuneh-
men. Auch hier lief mir die Galle gar aͤrgerlich
uͤber. Da lagen Leute, die ſchon ſeit vier und mehr
Tagen hieher gebracht, und noch nicht verbunden
waren. Dem einen war der Arm, dem andern
der Fuß entzwey geſchoſſen, u. ſ. w. und die Leute
jammerten, daß einem die Bruſt vor Theilnahme
beklommen [...]rd. Aber die Herren Feldſcheere und
die buͤbiſchen Krankenwaͤrter ſprachen den armen Leu-
ten nur mit Fluͤchen und Verwuͤnſchungen zu. Kann
ich was dafuͤr, hoͤrte ich einen Feldſcheer fragen,
daß Ihr bleſſirt ſeyd? Ich wollte daß dem Teu-
fel die Kugel in den A — gefahren waͤre, ſo haͤtte
ich jezt keine Scheererey mit Euch. Ich will Euch
ſchon verbinden; aber warten muͤßt Ihr! Sak-
kerment, ich habe mehr zu thun! — Und damit
[256] ging der Bube zur Thuͤr hinaus. Ich ſagte zum Kran-
kenwaͤrter Muͤller, vom Halliſchen Regimente: das
ſey doch abſcheulich: ob denn das ſo geſchehen duͤrfte?
Er antwortete mir: die Feldſcheere waͤren nun ein-
mal nicht anders, beſonders dieſer; der ſitze den
ganzen Tag im Wirthshauſe zum wilden Mann
und trinke. Ich gleich hin, und fand den un-
menſchlichen Firlefanz wirklich bey einer Flaſche
Wein. Ich ſezte mich ihm gegenuͤber, und redete
ihn an. Herr Chirurgus, ſagte ich, wie koͤnnen
Sie aber die armen Leute ſo unverbunden liegen
laſſen? die Kerls jammern einen ja in der Seele!
Er. Hab heute ſchon Sechſe verbunden; will
auch einen Augenblick Ruhe haben!
Ich. Aber wenn ihre Kranken ſo ſchrecklich
leiden, und obendrein den kalten Brand befuͤrchten
muͤſſen: ſo muͤßten ſie, denk ich, bis ſie ihnen Huͤlfe
geſchafft haben, gar nicht an Ruhe denken!
Er. So? Wer nicht warten will, mag hin-
laufen!
Ich. Ja, wenn das die armen Leute koͤnnten,
dann wollt' ich's Ihnen verdenken, wenn ſie nicht
laͤngſt aus dem Mordloche gelaufen waͤren!
Er. Mordloch? Herr, das iſt zuviel geſprochen!
Wenn ich das dem Offizier ſage, kommt der Herr in
Arreſt: verſteht mich der Herr?
[257]
Ich. O ja, ich verſtehe den Herrn, und ſehe
wohl, daß der Herr eben ſo boͤsartig als unwiſſend
iſt: verſteht mich der Herr auch?
Er. Tauſend Sakkerment: ich glaube gar, der
Herr will mich tuſchiren! Weiß der Herr, wer ich bin?
Ich. O ja, ich weiß und ſehe, daß der Herr
weiter nichts iſt, als ein gefuͤhlloſer Bartkratzer.
Wenn uns die Franzoſen unſre Feldſcheere vorgeſchla-
gen haͤtten, um unſere Truppen durch ſie zu ruini-
ren, ſo haͤtten ſie uns keine angemeßnere geben
koͤnnen, als der Herr iſt.
Er. (aufſtehend) Nun, ins drey — — Na-
men, der Hacke will ich ſchon einen Stiehl machen,
oder mein Name ſoll nicht ehrlich ſeyn! Ich gehe
hin, und ſags dem Offizier: der ſoll mir ſchon Sa-
tisfaktion ſchaffen!
Er gieng wirklich, aber dabey blieb es auch.
Ich indeß blieb ruhig: denn ich traute keinem Offi-
zier zu, daß er dem Unmenſchen Recht haͤtte geben
ſollen. — Nun, was fuͤhlen meine Leſer? Doch
erſt noch weiter!
Da man in Verpflegung der Lazarethkranken
ſchon ohnehin ſehr oͤkonomiſch zu Werke geht, und
da noch obendrein jeder von dieſer Subſiſtenz das
Seine ziehen will, ſo kann man leicht denken, daß
die Diaͤt der armen Kranken ſehr ſchlecht ſeyn muß.
Dritter Theil. R
[258] An zweckmaͤßige Einrichtung der Speiſen wird gar
nicht gedacht, noch weniger an deren zweckmaͤßige
Vertheilung. Etwas elende Bruͤhe, Bruͤhe groͤß-
tentheils, die kaum ein Windſpiel freſſen moͤgte,
iſt die Suppe, worin dann und wann ein biſſel
Graupen, Mehl, Gruͤtze oder Brod gethan wird.
Die Krankenwaͤrter wiſſen alles ſchon ſo einzurichten,
daß nicht Ein Auge Fett darauf zu ſehen iſt, und
daß die Bruͤhe ausſieht und ſchmeckt, wie die elen-
deſte Gauche.
Das Fleiſch in den Lazarethen iſt ſchon das elen-
deſte, das man finden kann, und nicht ſelten ſtinkt
es ſchon und hat Maden gezogen. Dieſes elende
Luder wird nun auf die elendeſte Art zurecht ge-
macht, ganz unſauber in die Keſſel geworfen, und
oft kaum halb gar gekocht. Eben ſo ſteht es mit
dem Zugemuͤſe: und was fuͤr Zugemuͤſe? Ein we-
nig Reis und Gerſte, nebenbey auch Ruͤben, Kar-
toffeln, Linſen, Erbſen, Bohnen u. dgl. fuͤr tod-
kranke Menſchen! —
„Wer in den Lazarethen nichts zuzuſetzen hat,
muß drin krepiren“ iſt ein ſo b[ek]annter Satz bey
der preußiſchen Armee, daß jeder Soldat entweder
durch eigne Erfahrung, oder doch durch die Erfahrung
vieler Anderer davon uͤberzeugt iſt, und an deſſen
Wahrheit im geringſten nicht zweifelt. Das mag
aber doch eine treffliche Einrichtung ſeyn, wo der
[259] kranke Feldſoldat Geld haben muß, um im Lazarethe,
wo ſeine Geſundheit, die er fuͤr ſeinen Herrn zugeſezt
hat, hergeſtellt werden ſoll, nicht Hungers zu krepi-
ren! — Ich kenne Feldſcheere, welche ſich Geld ge-
ben ließen, damit ſie dem gebenden Kranken die
noͤthige Huͤlfe leiſten moͤgten, und welche den, der
nichts geben konnte, liegen und krepiren ließen.
Aufſicht uͤber die Kranken ſelbſt fehlt eben ſo,
wie die uͤber die Feldſcheere und Krankenwaͤrter.
Sie koͤnnen beynahe thun, was ſie wollen. Daher
ſaufen ſie denn Branntwein, freſſen Haͤringe und
was ſie ſonſt haben koͤnnen, und machen durch dieſe
uͤble Diaͤt die wenige Huͤlfleiſtung an ſich noch vol-
lends vergeblich.
Von den vorfallenden Diebereyen in den Laza-
rethen mag ich gar nicht reden. Genug, wer et-
was hineinbringt, muß wohl darauf Acht haben,
daß es ihm nicht von den Krankenwaͤrtern oder von
den andern Kranken gemauſet wird.
So ſehen die Feldlazarethe der Preußen aus:
aber die der Oeſtreicher ſind um kein Haar beſſer!
Auch da herrſcht der naͤmliche Geiſt, die naͤmliche
Unordnung, der naͤmliche Mangel. — Und hier-
aus laͤßt ſich nun erklaͤren, warum ſo viele Men-
ſchen in den Hoſpitaͤlern ſo elend umkommen, und
warum die Armeen durch dieſe Mordloͤcher ſo ſchreck-
lich leiden!
[260]
Ich bin weit entfernt, den Monarchen und de-
ren Generalitaͤt Mangel an Fuͤrſorge fuͤr die armen
Kranken Schuld zu geben. Ich kenne die Befehle,
wenigſtens des Koͤnigs von Preußen, in dieſer
Hinſicht, und weiß, daß dieſer gutmuͤthige Fuͤrſt
nichts vaͤterlicher wuͤnſcht, als Huͤlfe fuͤr Leidende.
Die Schuld faͤllt auf die allein, oder gewiß vor-
zuͤglich, welchen der Koͤnig die Sorge fuͤr die Hoſpi-
taͤler in vollem Zutra[u]en aufgetragen hat: Wie
ſchaͤndlich aber wird dieſes Zutrauen misbraucht!
Der Koͤnig kann die Lazarethe unmoͤglich ſelbſt
nachſehen, und muß ſich auf Andre verlaſſen —
und dieſe Andere —? Hier iſt eine Thatſache, welche
viel Licht uͤber dieſen Umſtand verbreiten kann.
In Gießen war ein Hoſpital fuͤr die Preußen
angelegt, in welchem es eben ſo kauderwaͤlſch zu-
gieng, als in den uͤbrigen anderwaͤrts. Dem Hn.
Profeſſor Muͤller wurde aufgetragen, eine Nach-
richt von dem Zuſtande dieſes Hoſpitals dem Publi-
kum vorzulegen. Herr Muͤller, ein ſonſt gelehr-
ter Mann und gluͤcklicher Arzt, ließ ſich, Gott
weiß, von wem, die Augen blenden, und verfer-
tigte eine Nachricht, worin er, gegen ſeine eigene
beſſere Einſicht — denn er muͤßte ja ſonſt blind ge-
weſen ſeyn! — die Einrichtung des Gießer Hoſpi-
tals lobte, und demſelben Vorzuͤge zuſchrieb, welche
nie irgend ein preußiſches Hoſpital gehabt hat.
[261]
Herr Muͤller mag mir dieſe Kritik nicht uͤbel
nehmen! Ich verehre ſeine Kenntniſſe, und ſchaͤtze
ſein Herz; aber eben dieſen Kenntniſſen und dieſem
guten Herzen haͤtte er die Schande nicht zufuͤgen
muͤſſen, eine Relation auszuſtellen, die nichts we-
niger als wahr war, und die ihn bey jedem Beſſer-
unterrichteten damals ſehr zweydeutig erſcheinen
ließ. Es haͤtte ihn doch befremden muͤſſen, daß
man ihm zumuthete, als Profeſſor der Arzneykunde
ein Zeugniß uͤber eine Anſtalt auszuſtellen, die er
ſchon tadeln mußte als Mann mit nur geſunden
Augen! Und doch lobte er ſie als Profeſſor der Me-
dicin, folglich als Mann in ſeinem Fache; kom-
promittirte ſich aber dadurch nicht wenig, und
ſchadete mehr als tauſend und uͤbertauſend Ungluͤck-
lichen.
Dieſes wird Hr. Muͤller jezt vielleicht ſelbſt
einſehen. Denn wenn zum Beyſpiel der Koͤnig
durch einen Zufall, der freilich ſelten, aber doch
nicht ganz unmoͤglich geweſen ſeyn mag, von der
heilloſen Zucht in den Lazarethen gehoͤrt haͤtte, ſo
haͤtte es ja geſchehen koͤnnen, daß er gewiſſe Leute
zur Verantwortung ziehen ließ. Dieſe gewiſſen
Leute konnten aber das Teſtimonium eines Hn.
Muͤllers, Profeſſors der Medicin zu Gießen,
vorzeigen; der Monarch konnte dem Relator glau-
ben und ſo war ein Hauptweg, dem Unweſen zu
[262] ſteuren, abermals verſperrt. — Und wenn auch
der Fall nicht eintratt, aber jemand ſonſt willens
war, das Oberkriegskollegium auf die Maͤngel der
Lazarethe merkſam zu machen: ſo mußte er als
kluger Mann es unterlaſſen, weil er vorausſehen
konnte, daß Muͤllers Zeugniß gegen alle Be-
ſchwerden deckte, und gleichſam der Schutzbrief
aller Theilnehmer war und blieb, es ungehindert
forthin zu treiben, wie vorher. — Wenn Hr. Muͤl-
ler das alles bedenkt, ſo geht er vielleicht in ſich,
und bekennt, daß er damals, wer weiß aus wel-
chen Urſachen, eine ungegruͤndete Nachricht von
unſern Lazarethen gegeben und ſich dadurch am
menſchlichen Geſchlecht groͤblich verſuͤndiget habe.
Sed Medici non poſſunt diccre verum,
ſagt Juvenalis, und dabey wird es auch in
dieſem Falle leider wohl bleiben!
Wenn aber einige Aerzte die Wahrheit nicht
gern bekennen, ſo bekennt ſie ein Anderer, wenn
gleich in einer andern Ruͤckſicht; und ſo einen finden
wir an dem Verfaſſer der Schilderung der
jetzigen Reichsarmee, nach ihrer wahren
Geſtalt. *) Auch dieſer klagt ſehr uͤber das Elend
in den Lazarethen auch bey den Reichstruppen.
[263] Man fuͤrchtet ſich bey dieſen, ſchreibt er S. 186 ff.,
vor den Spitaͤlern eben ſo ſehr, wie bey den Preu-
ßen und Oeſtreichern, und das aus demſelben
Grunde, weil man denkt, daß ein Menſch, der
in ſo ein Kurirloch geſchleppt wird, allemal auch,
bey einer ſonſt unbedeutenden Krankheit, Gefahr
laufe, nimmermehr wieder herauszukommen.
„Es iſt doch ſchrecklich, fuͤgt er hinzu, daß man fuͤr
das Leben und die Geſundheit der Menſchen ſo we-
nig Sorge traͤgt, und vornehmlich ſolcher Men-
ſchen, die man ſo noͤthig hat im Kriege! Aber der
Soldat iſt bey uns, und ſogar von ſeinen eignen
Vorgeſezten meiſt uͤberall zu ſehr verachtet, als daß
man im Ernſte fuͤr ihn und ſeine Erhaltung ſorgen
ſollte.“
„Die Schuld davon liegt einmal an ſehr vielen
Soldaten ſelbſt, und dann an unſerer hergebrachten,
militaͤriſchen Verfaſſung. Was nirgends taugen will,
laͤuft zu den Soldaten, oder wird ihnen zur Zuͤch-
tigung uͤbergeben. *) — Selten beſſern ſich dieſe
Leute, ja, ſie werden durch den Umgang mit noch
Mehreren ihres Gleichen gewoͤhnlich aͤrger, beſonders
im Felde, wo ihnen, um die Ueberlaͤuferey durch
Strenge nicht zu foͤrdern, manches uͤberſehen wird,
was man in der Garniſon ſtreng ahnden wuͤrde.
[264] Sie betragen ſich alſo oft nicht wie Menſchen, ſon-
dern wie unvernuͤnftiges, wildes Vieh, treten ihre
Menſchenwuͤrde mit Fuͤßen, und erregen bey ihren
Vorgeſetzten ſehr oft den Wunſch, ihrer mit guter
Manier je eher je lieber los zu werden.“
„Faͤllt nun einer von dieſen in eine Krankheit,
oder wird er verwundet, und dann dem Lazarethe zur
Kur uͤbergeben: wie kann ſo ein Menſch bey jeman-
den den Wunſch rege machen, ihn wieder zu ſeiner
Geſundheit zu verhelfen, oder ihn zu heilen? Wer
weiß, wie ſehr lange ſchon er ſeinen Vorgeſezten oder
den Chirurgen zur Laſt geweſen iſt, um ihm das
ewige Leben nicht laͤngſt zu wuͤnſchen! Dieſe alſo
haͤtten die ſchlechte Behandlung, die ihnen in den
Lazarethen widerfaͤhrt, großentheils ſelbſt verſchul-
det, und faͤnden dann, daß es geht, wie mans treibt
— zur Warnung fuͤr ſich auf die Zukunft, und zum
Beyſpiel fuͤr Andere auf immer.“
„Eine andere Urſache der ſchlechten Behandlung
der Soldaten in den Lazarethen liegt in unſrer her-
gebrachten militaͤriſchen Verfaſſung. Unſere mei-
ſten Soldaten ſind wie paſſive Maſchinen, Soͤld-
ner, oder auf altdeutſch, Landknechte, beſtimmt,
um nach den Winken ihrer Fuͤrſten Laͤnder zu er-
obern oder Andern erobern zu helfen, oder zur Er-
ringung irgend einer Donquixotiade von Helden-
ſchaft Leib und Leben aufzuopfern. Sie ſind alſo
[265] großentheils Menſchen, welche dumm oder nieder-
traͤchtig genug ſind, auf ihre perſoͤnliche Subſiſtenz
Verzicht zu thun, und ſich gegen einen Blutſold als
ein ſachliches Werkzeug zu verdingen, die Rechte
anderer Voͤlker willkuͤhrlich zu verletzen und dadurch
den Deſpotismus mitzuverbreiten, oder auf den
Thron zu heben, oder in ihrem eignen Vaterlande
ihn fernerhin zu ſichern. *) Ein Menſch aber,
der auf ſeine Menſchenrechte, Wuͤrde, Pflicht und
Beſtimmung Verzicht thut, der nicht wie der jetzige
Franzoſe, als aktiver Vaterlaͤnder, bloß zu den
Waffen greift, um ſeine Nation und deren Rechte
gegen jeden ungerechten Machtanfall zu vertheidi-
gen, — der wirft ſich in den Koth: und wer kann
ihn achten?“
„Hiezu koͤmmt, daß die Oberleute den Mann,
der ſtirbt, oder als Kruͤppel verabſchiedet und aufs
[266] Herumbetteln fortgeſchickt wird, nicht zu erſetzen
verbunden ſind, und alſo ſich wenig oder gar nicht
darum bekuͤmmern, wenn ein Soldat, nach dem
ſchoͤnen und gewoͤhnlichen Ausdruck vieler Herren
Offiziere, verreckt, krepirt, vom Teufel geholt
wird; oder als ein unverſorgter Kruͤppel zur
Schande des Herrn und des Korps, dem er ge-
dient hat, im Lande herumfaͤhrt, bettelt oder ſtiehlt
und in allen Schenken uͤber ſeinen Dienſt flucht,
und auf ſeine ehemaligen Vorgeſezte derbe los-
zieht.“ —
Was der angefuͤhrte ſcharfſinnige Verfaſſer, fuͤr
eine gewiſſe Klaſſe von Leſern, vielleicht zuviel oder
zu wenig angiebt, wird man dereinſt in einer klei-
Schrift uͤber die wahre Wuͤrdigung des
Soldaten und des Soldatenſtandes durch
eine genauere Beſtimmung berichtiget finden: ich
fand aber dem ohngeachtet fuͤr gut, ſeine Mey-
nung uͤber die Urſache der ſchlechten Behandlung
der Soldaten in den Lazarethen hier mit ſeinen eig-
nen Worten ganz anzufuͤhren, um auf die Quellen
dieſes großen Uebels diejenigen von jeder Seite mehr
merken zu machen, deren Pflicht oder Wunſch es mit
ſich bringt, dieſe Quellen fuͤr die Zukunft entweder
zu reinigen oder zu verſtopfen. Findet man in des
Verfaſſers Meynung Einiges, was auf dieſe oder
jene Art hiezu dienen kann: ſo war es der Muͤhe
[267] werth, ſie hier mitaufzuſtellen, und ich bin der
Nachſicht ſachkundiger Leſer ohne Weiteres wohl
gewiß; irre ich aber in dem einen oder andern:
ſo veranlaßte ich wenigſtens eine genauere und aus-
gebreitetere Pruͤfung einer Sache, an deren richti-
ger Behandlung dem Fuͤrſten als Fuͤrſten eben ſo
viel liegen muß, wie ſeinen Unterthanen als Men-
ſchen.
Jezt finde ich nur noch noͤthig, noch eine Erin-
nerung zu dem vorigen hinzuzufuͤgen, und dieſe be-
ſteht darin: daß man jede Sache, die man nach
Belieben und ohne vielen Aufwand leicht und bald
haben kann, eben darum meiſt gleichguͤltig behan-
delt *). Und dieß ſcheint mir eine von den Haupt-
[268] urſachen mit zu ſeyn, warum man ſich die Geſund-
heit der Soldaten, zumal der fernerhin fuͤr ihren
Beruf unbrauchbaren; ſo wenig ernſtlich angelegen
ſeyn laͤßt. Ob man aber hieran politiſch und mo-
raliſch recht thue, moͤgen die entſcheiden, welche
wiſſen, wie ſehr viel bey jedem Militaͤr darauf an-
komme, die unbrauchbargewordenen Krieger ſtaͤts
ſo zu behandeln, daß die noch brauchbaren an ihnen
nicht lernen, ſich fein klug zu ſchonen, und alles
das zu meiden, wodurch ſie eben ſo ungluͤcklich wer-
den koͤnnen, als ihre abgenuzten traurigen Vor-
bilder.
Drey und zwanzigſtes Kapitel.
Faltern, Monthabauer, Limburg u. ſ. w.
In Faltern hatte ich ein gutes Quartier, aber eine
ſehr ſchlimme Nacht. Ich lag mit einem Scharf-
ſchuͤtzen, Namens Seydling, bey einem bra-
ven Schloͤſſer, der uns mit gutem Eſſen und Wein
*)
[269] labte, und dann ein gutes Bette beſteigen ließ.
Der Schuͤtze hatte die Ruhr im hoͤchſten Grade,
wollte aber, weil er die abſcheulichen Feldlazarethe
kannte, in keins derſelben. Des Nachts kam ihm
das Stuhlgehen an: da er aber ein ſehr aberglaͤu-
biger Menſch war, ſo fuͤrchtete er ſich vor Geſpen-
ſtern, und getraute ſich nicht, die Treppe herab in
den Hof allein zu gehen. Er weckte mich alſo, und
bat, daß ich ihn doch begleiten moͤgte. Ich that
es, wiewohl etwas unwillig, uͤber ſeine kindiſche
Furcht. Kaum aber waren wir wieder im Bette,
als mein Seydling von neuem noͤthig fand, auf
den Hof zu gehen: ich ſchlug ihm die Begleitung
ab, und ſchalt ſeine pinſelige Furcht, die einem
Soldaten gar uͤbel anſtehe. Aber der gute Kerl
machte lieber ſeine Nothdurft in die Kammer, wor-
in wir lagen, als daß er hinab gegangen waͤre.
Zur Strafe fuͤr dieſe Unart ließ ich ihn lange nicht
wieder ins Bette, und drohte ihm, ihn zu verkla-
gen, wenn er am folgenden Morgen nicht gleich
alles wieder rein machte. Er verſprachs und hielt
Wort.
Fruͤh um halb Sechſe wurde ſchon Marſch ge-
ſchlagen: denn es war Befehl zum Aufbruch ge-
kommen: die Franzoſen hatten unſre Leute aus
Limburg gejagt, und man befuͤrchtete, ſie moͤgten
weiter herunter dringen. In Limburg waren zwar
[270] mehrere Preußen geblieben, aber ſie hatten doch
auch gezeigt, daß ſie ſich nicht ungerochen uͤber-
fallen laſſen. In Frankreich haͤtte ſo ein Ueberfall
boͤſe Folgen haben koͤnnen, aber in Deutſchland
war er nicht ſo gefaͤhrlich. Die Huſaren waren an
dem Ueberfalle Schuld geweſen, weil ſie nicht hin-
laͤnglich patrouillirt hatten: aber auch dieſe ver-
theidigten ſich nachher brav. Die Franzoſen legten
den Limburgern eine kleine Brandſchatzung auf, und
zogen ab.
Unſer Regiment marſchirte den 10ten Novem-
ber nach Monthabauer, einem ganz mit Pfaffen
und Kloͤſtern angefuͤllten trieriſchen Staͤdtchen; ich
aber konnte wegen meiner Fuͤße nicht nachkommen,
mußte daher in einem Dorfe, Neuhaͤuſel, uͤber
Nacht bleiben, und mir da ganz allein bey einem
armen Grobſchmidt Quartier machen. Der Grob-
ſchmidt und ſeine Frau waren brave Leute, die mir
viel Gutes thaten und mich wegen meiner ſehr an-
geſchwollnen Fuͤße herzlich und theilnehmend be-
daurten.
Den folgenden Tag ſchlich ich nach Montha-
bauer, wo man mich noch gar nicht vermißt hatte:
ſo ſehr war man noch der Unordnung gewohnt.
Hier trug man ſich damals mit einer ſchaͤnd-
lichen Geſchichte. Ein Emigrant hatte ſich laͤngſt
vorher mit einem Maͤdchen aus der Stadt, von
[271] guter Herkunft, bekannt und beliebt gemacht. Die
Vertraulichkeit gieng ſo weit, daß das Maͤdchen
endlich ſchwanger ward. Der Emigrant — ein
franzoͤſiſcher Graf — war unterdeſſen mit ſeinen
Spießgeſellen mit nach Champagne gezogen; und
ſo war die Gute der Schande und der Verzweif-
lung uͤberlaſſen. Schon vor uns war er aber mit
den uͤbrigen Emigrirten nach Koblenz zuruͤckgekom-
men, wo er wahrſcheinlich auch huͤbſche Bekannt-
ſchaften mag gehabt haben. Als das Maͤdchen
ſeine Ruͤckkehr dahin erfuhr, machte ſie ſich auf,
und erinnerte ihn an ſein Verſprechen, ſie zu heu-
rathen. Aber der Niedertraͤchtige hatte dazu jezt
keine Ohren, jagte ſie fort, und verfolgte ſie noch
mit Schimpfreden. Die Ungluͤckliche getraute ſich
nun ihren Eltern und Bekannten nicht mehr unter
die Augen zu kommen, und begab ſich nach An-
dernach zu ihrer Mutter Schweſter. Dieſe nahm
ſie aber nicht auf, ſondern drohete ihr noch oben-
drein, ſie einſtecken zu laſſen, wenn ſie ſich unter-
ſtehen wuͤrde, noch eine Stunde in Andernach zu
bleiben: ſie ſey eine Vettel, welche die Familie
beſchimpfe u. ſ. w. Nun gerieth das arme Maͤd-
chen in Verzweiflung, und erſaͤufte ſich im Rhein.
Man fand ihren Koͤrper einige Tage hernach weit
unter Andernach: ſie war ſeit ſechs Monaten
ſchwanger. — Dieſe und aͤhnliche Begebenheiten
[272] haben nicht wenig beygetragen, die ſchon damals
ſo verhaßten Emigranten noch verhaßter zu machen.
Als wir den folgenden Tag von Monthabauer
weg und naͤher nach Koblenz zu ruͤckten, wurden
die Schuhe aller Regimenter nachgeſehen von eini-
gen vom Koͤnige dazu beſtimmten Majoren, welche
allen Oberſten, Majoren und Hauptleuten erklaͤren
mußten, daß Se. Majeſtaͤt durchaus verlangten,
daß den Leuten gute Schuhe gegeben werden ſoll-
ten, welches nun eher geſchehen koͤnnte, als vor
kurzem. Aber auch dieſer gewiß ernſtlich und gut-
gemeynte Befehl iſt doch auch nur zum Theil be-
folgt worden: denn ſo lange ich wenigſtens bey der
Armee geweſen bin, hat man fuͤr Schuhe und
Montirung nicht ſo geſorgt, als man haͤtte ſollen
und koͤnnen: und daß auch dieſes waͤhrend der fol-
genden Feldzuͤge nicht geſchehen ſey, habe ich nach-
her von Andern erfahren.
Die Regimenter wurden ſehr aus einander ge-
zogen, und in die Gegenden an der Lahne in Kan-
tonnirung gelegt. Das Dorf, worin unſre Kom-
pagnie lag, hieß Edelborn. Weit und breit
habe ich nichts roheres und aberglaͤubigers ange-
troffen, als die gemeinen trieriſchen Bauren, und
doch liebten ſie ihren Erzbiſchof nicht, und waren
der neufraͤnkiſchen Revolution gar gewogen. —
Da wir hier eine Zeitlang blieben, ſo konnten die,
[273] welche Freunde der Reinlichkeit waren, ihre Sa-
chen wieder in guten Stand ſetzen. Bey Ems
wurde der Lahnpaß ſtark beſezt, weil man da einen
Ueberfall von Seiten der Franzoſen befuͤrchtete.
Cuͤſtine hatte indeſſen, zur Schadloshaltung
ſeiner Nation, nicht nur jenſeits des Rheins ge-
hauſet; er hatte auch Frankfurt weggenommen,
die Saline bey Friedberg zu Nauheim gepluͤndert,
und dem Fuͤrſten von Weilburg ſtarke Kontribution
aufgelegt: aber die Bauren und Buͤrger waren uͤber-
all verſchont worden, und eben dieſe Schonung
machte, daß dieſe Leute die Franzoſen eben nicht
fuͤr gar zu ſchlimm hielten. Damit aber der Fort-
gang der fraͤnkiſchen Waffen nicht noch weiter um
ſich reißen moͤgte, beſchloß unſer Koͤnig, ſobald es
moͤglich ſeyn wuͤrde, die Gaͤſte uͤber den Rhein zu-
ruͤck zu treiben, und ihnen die beſezten Plaͤtze wie-
der wegzunehmen. Aber unſere Leute waren zu
muͤde, zu ſehr abgemattet; man mußte alſo Halt
machen, und ſie ruhen laſſen; auch mußte friſche
Munition herbeygeſchafft werden: denn die, welche
wir mitgenommen hatten, war, wie ich mehrmals
geſagt habe, voͤllig verdorben.
Endlich am 25ten November brachen wir auf
und zogen nach der Lahn zu auf der Frankfurter
Straße. Die Wege waren hier zwar gut, das
Dritter Theil. S
[274] Wetter aber kalt und die Luft rauh und voll Schnee.
Auf dieſem Marſche haben wir abermals ſehr viel
ausgeſtanden, und nicht wenig Noth gelitten an Le-
bensmitteln. Es ſollte aber einmal vorwaͤrts ge-
hen; und ſo geſtattete man uns nicht einmal einen
Raſttag.
Den 29ten kamen wir vor Homburg an der
Hoͤhe, mußten aber, weil alles ſich dahin zuſam-
men gedraͤngt hatte, die Nacht unter freyem Him-
mel zubringen. Es war ſehr kalt und windig, und
Holz fehlte: man gieng daher in die nahen Doͤrfer,
holte heraus, was von Holz da war, und machte
ſtarke Feuer. Eins dieſer Doͤrfer, welches mit
franzoͤſiſchen Koloniſten beſezt iſt, und dem Land-
graf von Heſſen-Homburg gehoͤrt, wurde bey die-
ſer Gelegenheit ſehr uͤbel mitgenommen.
Am 30ten November erhielt unſer Regiment in
Homburg Quartier, und ich bey dem Schulmeiſter
der franzoͤſiſchen Kolonie. Dieſer Mann war, wie
beynahe alle franzoͤſiſchen Koloniſten, aus angeerb-
tem Widerwillen gegen den ehemaligen franzoͤſiſchen
Thron, ganz enthuſiaſtiſch fuͤr die neue Verfaſſung
Frankreichs eingenommen. Als er merkte, daß ich
derſelben auch nicht abgeneigt war, ſo hatte ich
ſeine ganze Gunſt. Fruͤh am andern Tage kam
ein Bekannter des Schulmeiſters, ein Schuſter,
der mich mit zum Fruͤhſtuͤck nahm, und mir ver-
[275] ſprach, daß er mich, wenn ich Luſt haͤtte, ins
Land der Freyheit zu treten, ſicher und unentgeld-
lich nach Frankfart bringen wollte, von woher ich
gar leicht uͤber den Rhein, und wohin es mir be-
liebte, weiter kommen koͤnnte. Ich weiß wahrlich
nicht recht zu ſagen, warum ich dieſes gewiß gut
gemeynte Anerbieten damals nicht annahn: ich
glaube, daß ich es noch angenommen haͤtte, wenn
wir laͤnger in Homburg geblieben waͤren: denn da-
mals war ich des ganzen Soldatenlebens wegen
der Soldaten-Graͤuel recht herzlich muͤde. Allein
noch in ſelbiger Nacht um 10 Uhr wurde Marſch
befohlen, und wir brachen wirklich nach Frankfurt
auf.
Vier und zwanzigſtes Kapitel.
Einnahme von Frankfurt am Mayn. Folgen davon.
Der Herzog eroberte am 2ten December die Stadt
Frankfurt am Mayn. Ich habe dieſer Wiederero-
berung nicht mitbeygewohnt; ich uͤberlaſſe es alſo
meinen Leſern, die davon noch nicht aͤcht unterrich-
tet ſeyn moͤgen, anderwaͤrts ſelbſt Auskunft daruͤber
[276] einzuholen. Einer Bemerkung kann ich mich je-
doch hier nicht enthalten.
Cuͤſtine, deſſen ſonderbares Benehmen man
durch van Heldens Briefe in Girtanners poli-
tiſchen Annalen ziemlich kennen lernt, hat dem
Nationalkonvente zu Paris eine falſche, meiſt un-
gegruͤndete Nachricht von dem Betragen der Frank-
furter Buͤrger gemacht, indem er ſie beſchuldigte,
daß ſie, waͤhrend der Wiedereroberung, drey Ba-
taillons Franzoſen mit gewiſſen, dazu beſonders
gemachten Meſſern ermordet haͤtten. Das that
Cuͤſtine, um ſein Verſehen der Frankfurter Buͤr-
gerſchaft zuzuſchieben. Aber obgleich der Bericht
des Cuͤſtine hier und da falſch iſt, ja, obgleich
van Helden und einige ſeiner Offiziere, durch
ihren Unwillen uͤber Cuͤſtine, und die Lage ihrer
Gefangenſchaft, vielleicht auch durch ihre Unwiſſen-
heit in dieſem Punkte beſtimmt, Cuͤſtinen wider-
ſprachen, und die Frankfurter zu rechtfertigen ſchie-
nen: ſo iſt doch auch gewiß, daß der Bericht, wel-
chen die Frankfurter zu ihrer Vertheidigung an den
Konvent nachſchickten, auch nicht ganz richtig iſt,
und es ſind, wie mir ſelbſt Frankfurter Augenzeugen
erzaͤhlt haben, und ich erſt noch vor kurzem auf
dem Weidenhofe zu Frankfurt hoͤrte, viele Barba-
reyen ſelbſt von Buͤrgern, folglich nicht allein von
Handwerksburſchen, gegen die Franzoſen veruͤbt wor-
[277] den. Auch habe ich von der damaligen Frankfur-
ter Beſatzung Einige in Frankreich geſprochen,
welche eben dieſes verſicherten: und ſo laͤßt ſich
die Furcht erklaͤren, in welcher die Frankfurter ſeit
jener Zeit vor einem neuen Beſuche der Republikaner
ſchwebten, wie auch die ſtarke Kontribution, welche
dieſe nachher eintrieben. Hieraus mag denn jeder
Nichtſoldat lernen, daß es zur Zeit des Krieges
ſehr klug iſt, den Feind nie zu inſultiren oder zu
reizen, weder durch Handlungen, noch durch Worte,
geſchrieben oder geſprochen.
Unſer Bataillon wurde nur gebraucht, um die
Franzoſen bey Eſchersheim wegzutreiben, wo ſie
noch um zwey Uhr Nachmittags Stand hielten.
Bey dieſer Aktion haben wir einen Kanonier und
vier Mann eingebuͤßt. Die Franzoſen ließen uns
das Dorf bald uͤber: denn ein paniſcher Schrecken
ſchien ſie ergriffen zu haben.
Nun war Frankfurt wieder im Beſitz der Deut-
ſchen, und unſer Regiment ruͤckte Abends um 10
Uhr in Vibel, wo wir 14 Tage ſtehen blieben.
Frankfurt war, ſo lange die Franzoſen darin
waren, von dieſen wenig oder gar nicht gekraͤnkt
worden; und wenn Cuͤſtine, zur Entſchaͤdigung
fuͤr unſere Invaſion nach Frankreich, nicht eine ſo
ſtarke Contribution gefodert haͤtte, ſo wuͤrde die
Stadt noch Vortheile von ſeiner Gegen-Invaſion
[278] gehabt haben. Aber dennoch war gleich nach der Wie-
dereinnahme auf einmal alles wieder deutſch, was
vorher franzoͤſiſch in Frankfurt geweſen war! Sogar
die Markoͤrs auf den dortigen Kaffeehaͤuſern ma [...]kir-
ten auf deutſch; die Mamſellen hießen Jungfern,
ohne es jedoch immer zu ſeyn; aus Toilette ward
Putztiſch, aus Pique Schipp [...], aus Coͤttr Herz
und aus Carreaux Eckſtein u. ſ. w. Dieſes laͤp-
piſche Zeug ſollte, wie viel Anderes von eben der
Art, Beweis des deutſchen Patriotismus ſeyn,
und die Frankfurter trieben es, bis ſie endlich ſelbſt
Preußiſche Offiziere franzoͤſiſch ſprechen hoͤren,
wo ſie ſich denn ſchaͤmten, und die Jungfer wieder
in Mamſell umtauften u. ſ. w.
Die Frankfurter Zeitungen, beſonders die Reichs-
Ober-Poſtamts-Zeitung — denn in dem Einen
Frankfurt kommen mehrere heraus — waren waͤh-
rend des Aufenthalts der Franzoſen in Frankfurt
ganz auf ihrer Seite, und nahmen alles dienſtwil-
lig auf, was Cuͤſtine, van Helden, und an-
dre dem Publikum mittheilen wollten. Es ſtehen
daher auch ſelbſt von Cuͤſtine und Boͤhmer
viele grelle Aufſaͤtze in dieſen Zeitungen, beſonders
das beruͤchtigte Proklama an den Landgrafen von
Heſſen-Kaſſel, worin er aufs gehaͤſſigſte benannt
und angegriffen wird. Die Herren Zeitungsſchrei-
ber waren aber keineswegs von den Franzoſen ge-
[279] zwungen worden, ſo oder ſo zu ſchreiben; Cuͤſtine
hatte ihnen vielmehr ausdruͤcklich ſagen laſſen: daß,
wenn man ſeine Aufſaͤtze nicht fuͤr wahr hielte, oder
ſonſt Anſtand naͤhme, ſie einzuruͤcken, man ſie im-
merhin hinlegen koͤnnte. Sobald aber die Preußen
Frankfurt inne hatten, lautete das Ding aus einem
andern Tone: die Zeitungsſchreiber erklaͤrten ein-
hellig in ihren erſten Blaͤttern, daß ſie von den
Franzoſen gezwungen, und aus Furcht vor der
Guillotine (ohe!) eins und's andre gegen ihre Ueber-
zeugung und gegen ihren deutſchen Patriotismus —
gerade als wenn ein deutſcher Zeitungsſchreiber
deutſchen Patriotismus haben koͤnnte! — in ihre
oͤffentlichen Blaͤtter aufgenommen haͤtten, welches
den Neufranken zu favoriſiren ſchiene: nun aber,
da dieſe Tyranney aufhoͤrte, wuͤrden ſie ſich auch
als wahre deutſche Patrioten zeigen u. ſ. w.
Wer aber die Zeitungsſchreiber nur von Ferne
kennt, der weiß gar wohl, daß dieſes ſaubere Volk
ſammt und ſonders allemal den angeſtimmten Ton
nachſtimmt, und daß es ihnen um nichts weniger
zu thun iſt, als um Wahrheit und Publizitaͤt.
Wenn aber uͤbrigens die Verbreitung der groͤbſten
und gefaͤhrlichſten Luͤgen zu Gunſten der deutſchen
Armeen, und ſchaamloſes, haͤmiſches Herabſetzen
der feindlichen — Beweiſe des deutſchen Patriotis-
mus ſind, ſo muß ich den Frankfurter Zeitungs-
[280] ſchreibern das Lob zugeſtehen, daß ſie große Patrio-
ten ſind.
Ich befand mich indeſſen ganz ertraͤglich im
Flecken Vilbel, gieng einigemal nach Frankfurt,
meine Verwandten und Freunde dort zu beſuchen,
und genoß bey dieſen Gelegenheiten allemal ein
Vergnuͤgen, welches mir ſeit meines Abſchiedes
aus Halle ganz unbekannt geworden war. Mit
meinem Wirthe in Vilbel hatte ich manches Ge-
ſpraͤch, politiſchen Inhalts, erfuhr aber kein Wort
zum Nachtheil der Franzoſen: uͤberhaupt wurde
damals das Betragen derſelben allgemein geruͤhmt.
Sie giengen mit den Landleuten friedlich um, fluch-
ten und ſchalten nicht, foderten nichts umſonſt, und
zahlten alles mit baarem Gelde. Freilich haͤtten
ſie die Herren, die Pfaffen, Edelleute und Fuͤrſten
mitgenommen; aber die meiſten Bauren und Buͤr-
ger waren Vielen von eben dieſen Herren ſchon
lange nicht gut, und freuten ſich, daß auch ſie
einmal gezuͤchtiget wuͤrden.
Cuͤſtine hatte auf der beruͤhmten Salzſiederey
Nauheim eine ſehr große Menge Salz vorgefun-
den, und beſchloſſen, es zu verkaufen, um durch
deſſen Ertrag die franzoͤſiſche Republik dafuͤr in
etwas zu entſchaͤdigen, daß der Landgraf von Heſ-
ſen, dem eben dieſes Salzwerk gehoͤrt, in Frank-
reich miteingefallen war, und ſich in die Angele-
[281] genheiten einer Nation miſchte, die ihn eben ſo
wenig angiengen, als die National-Reform in Po-
len. Cuͤſtine traf alſo die Verfuͤgung, daß nur
Heſſiſche Unterthanen das Salz gegen einen Schein
von ihren Schulzen, daß ſie wirklich Heſſen waͤ-
ren, fuͤr die Haͤlfte des gewoͤhnlichen Preiſes er-
hielten. Ich habe keinen Bauer dieſes Benehmen
Cuͤſtine's je tadeln hoͤren, aber in kleinern und
groͤßern Schriften nannte man es — Salzdiebe-
rey! Sonderbar aber, daß die Vaͤter aller dieſer
Schriften nachher nicht auch ein Woͤrtchen fallen
ließen von Landdieberey, und an Sachſens Schick-
ſal im ſiebenjaͤhrigen Kriege gar nicht mehr dach-
ten, noch weniger an die hergebrachte Verfahrungs-
art aller Kriegfuͤhrenden Maͤchte, nach welcher ſie
ſich berechtigt duͤnken, Gleiches mit Gleichem zu
vergelten.
Gleich nach der Einnahme von Frankfurt ließ
der Prinz von Hohenlohe die Gebirgsfeſtung Koͤ-
nigſtein angreifen: das Staͤdtchen unten am Fuße
litt gar ſehr bey dem Bombardement, aber die Fe-
ſtung ſelbſt nichts: dieſe mußte erſt lange nachher
durch Hunger zur Uebergabe gezwungen werden.
Nirgends hatte man die Franzoſen beſſer und
freudiger aufgenommen, als in den Maynziſchen
Dorfſchaften am Mayn. Man muß naͤmlich wiſ-
ſen, daß die dortigen Leute gewaltig ſteif noch
[282] paͤpſteln, dabey aber von der wahren Beſchaffen-
heit der Neufraͤnkiſchen Haͤndel gar nicht unterrich-
tet waren. Sie glaubten daher, die jetzigen Fran-
zoſen wuͤrden das Spiel bey ihnen wieder ſpielen,
was die ehemaligen dort herum ſpielten, wenn ſie
Krieg im Reiche fuͤhrten, d. i. alle Ketzer zur Roͤ-
miſchen Religion zwingen. Alſo ſahen ſie im Geiſte
ſchon das ganze Darmſtaͤdter, Weilburger und
Anderer Land, an welches ſie graͤnzen, zum wah-
ren Glauben durch die Franzoſen gezwungen. Als
aber die garſtigen Leute bey ihrer Dahinkunft ſich
um nichts weniger bekuͤmmerten, als um die ver-
ſchiedenen Abſtiche im An- und Ausputzen der Ge-
hirn-Idole: ſo ſah man veraͤchtlich von ihnen weg,
haßte ſie, und dieß um ſo mehr, je greller ihnen
ihre Pfaffen den Graͤuel der Neufraͤnkiſchen Ein-
richtung beſchrieben und verdammten.
Der Paſtor von Wickert, einem Dorfe zwey
Stunden von Maynz, hatte ſich hierin vorzuͤglich
ausgezeichnet. Er hatte in der chriſtlichen Lehre
unter andern auch die große Wahrheit abgehandelt,
daß man ohne Beichte nicht ſelig werden koͤnne, daß
aber die Beichte bey einem ordentlich geweihten
Prieſter geſchehen muͤſſe, weil, wer bey einem
apoſtatiſchen oder gar unrecht geweihten beichte,
ein Sakrilegium begienge, und dann, wenn er
ſtuͤrbe, geradezu zur Hoͤlle hinabfuͤhre, und ewig
[283] verdammt wuͤrde. Nachdem er dieſe wichtige
Wahrheit ausfuͤhrlich bewieſen hatte, ſo fragte er die
Kinder alſo, und dieß (man bewundere ſeine Tau-
ben-Einfalt und Schlangen-Klugheit!) in Gegen-
wart einiger Franzoſen:
Paſtor. Sage mir mein Sohn, haben denn
die jetzigen Franzoſen ordentliche Prieſter?
Junge. Das weiß ich nicht.
Paſtor. Nein, mein Kind, die haben ſie
nicht: denn ihre Prieſter ſind nicht von rechten Bi-
ſchoͤfen geweiht, folglich ſind ſie Beliaskinder und
keine Prieſter. Was ſind alſo ihre Sakramente?
Junge. Gotteslaͤſterung und Gottesſchaͤn-
dung.
Paſtor. Schoͤn, mein Kind! Wenn alſo ein
Franzos ſeinem Prieſter beichtet, was begeht er?
Junge. Eine Todtſuͤnde.
Paſtor. Recht ſo! Wenn nun ſo ein Franzos
ſtirbt, wo faͤhrt er hin?
Junge. Zum Teufel in die Hoͤlle.
Paſtor. Wofuͤr ſind denn die Franzoſen zu
halten?
Junge. Fuͤr boͤſe Chriſten, fuͤr Ketzer.
Paſtor. Ja, wollte Gott, daß ſie nichts
aͤrgers, als boͤſe Chriſten, als Ketzer waͤren! Sie
ſind noch viel mehr: Sie ſind verruchte, exkom-
municirte und uͤberteufelte Teufel, die ſich an der
[284] heiligen Kirche verſuͤndigt, das Evangelium ver-
laͤngnet, die Sakramente geſchaͤndet, die Heiligen
gelaͤſtert und ſogar die Mutter Gottes verſpottet
haben. Aber ſie werden ihren Lohn ſchon bekom-
men: der Herr wird ſie ausrotten, wie die Rotte
Core u. ſ. w.
Einige franzoͤſiſche Soldaten, Deutſche von
Geburt, hatten dieſe Poſſen mitangehoͤrt, und ſie
ihren Kameraden wieder erzaͤhlt. Dieſe wurden
uͤber des Pfaffen unbeſonnene Frechheit raſend, lie-
fen hin ins Pfarrhaus, und wuͤrden den geiſtlichen
Herrn da gleich hergenommen haben, wenn dieſer
nicht gleich nach der Kirche zu einem aͤchtgeweihten
Saufbruder nach Wallau gegangen waͤre. Sie
paßten ihm daher im Felde auf, und ſtellten ihn,
als er zuruͤckkam, zur Rede. Der Herr Paſtor,
von Wein erhizt, ward aber grob, und erklaͤrte,
daß er von dem, was er an heiliger Staͤtte lehrte,
keiner gottloſen Rotte, wie ſie und alle Franzoſen
waͤren, Rechenſchaft zu geben haͤtte. Die Unglaͤu-
bigen ergriffen ihn indeß, und wackelten ihn, troz
ſeiner uͤberſeligen Rechtglaͤubigkeit, wacker herum.
Da aber nur wenige Franzoſen damals in Wickert
lagen, ſo wurden die Thaͤter bald entdeckt, und
von ihrem Offizier mit Priſon beſtraft. Wahr-
ſcheinlich wollte der Offizier einen Bauernaufſtand
verhindern: denn dieſe ſind, um in ſolchen Faͤllen
[285] ſtill zu ſitzen, von den Privilegien ihrer Pfaffen zu
gut unterrichtet; und die Pfaffen ermangeln noch
weniger, den loͤblichen Satz des Kirchenrechts: ſi
quis ſuadente diabolo percuſſerit clericum, und wie
es weiter heißt, zu ihrem Vortheil fein huͤbſch zu
erklaͤren.
Fuͤnf und zwanzigſtes Kapitel.
Die Winterquartiere oder Quaſiwinterquartiere.
Die Preußiſchen Truppen wurden dort in der
ganzen Gegend am Mayn und am Gebuͤrge in die
Winterquartiere verlegt. Unſer Regiment bezog
Hoͤchſt, Nied und Griesheim: unſre Kompagnie
lag in Nied ganz allein mit den Beckerknechten,
und ich hatte meine Wohnung bey einem recht bra-
ven Manne, dem Fiſcher Rhein. Dieſer Mann
war proteſtantiſch, und konnte gar kein Ende finden,
wenn er von den Bedruͤckungen anfing, womit
man im Maynziſchen die Proteſtanten verfolgt haͤtte.
Es geht, wie ich merkte, in dieſem Laͤndchen eben ſo
arg zu, wie in der Pfalz oder auch wohl noch aͤrger.
Jeder ſchlechte Kerl, der nur katholiſch iſt, gelangt
dort zu Aemtern und Ehren, und kein Proteſtant,
[286] und waͤre er noch ſo ehrlich und noch ſo geſchickt,
wird je befoͤrdert.
Ich wunderte mich ſehr uͤber dieſes Unweſen,
und erwiederte: daß ja doch der Kurfuͤrſt, ſelbſt in
Maynz, Proteſtanten angeſtellt habe. Aber Rhein
ſtach mir den Staar: „Man wollte, ſagte er, to-
lerant ſcheinen; daher hat man Einige, aber doch
nur ſolche Proteſtanten angeſtellt, welche Aufſehen
gemacht hatten und das gerade nur in Maynz.“
An allen andern Orten, fuͤgte er hinzu, ſey und
bleibe der Katholik im Alleinbeſitz aller Gunſt und
aller Rechte, und der Proteſtant habe immer das
Nachſehen. Das moͤgte, fuhr Rhein fort, noch
hingehen: daß man aber allemal dem Katholiken
Recht giebt, wenn er gleich handgreiflich Unrecht
hat, und daß der Proteſtant beym ſonnenklarſten
Rechte dennoch allemal verlieren muß, das iſt ab-
ſcheulich. Rhein hat mir mehrere Faͤlle dieſer Art
mitgetheilt, welche ich indeß hier uͤbergehe. Derglei-
chen Dinge aber beweiſen hinlaͤnglich, daß man
ſich eben nicht ſehr wundern muͤſſe, wenn die Fran-
zoſen in der Pfalz und im Maynzerlande bey den
Proteſtanten mehr Eingang gefunden haben, als
bey den Katholiken: denn wer iſt wohl gern wegen
ſeiner Meynungen, Religion u. dgl. in ſeiner buͤr-
gerlichen Exiſtenz zuruͤckgeſezt und geneckt?
[287]
Dieſen Umſtand belieben doch die ja in Acht
zu nehmen, welche, aus der groͤßern Anhaͤnglich-
keit der dortigen Proteſtanten an die Franzoſen,
haben folgern wollen: der Proteſtantismus an
ſich fuͤhre zum Aufruhr, wenigſtens mehr als der
Katholicismus. Dieß heißt Urſache und Wir-
kung verwechſeln, und jemanden das Brandloͤſchen
uͤbelnehmen, deſſen Haus wir erſt ſelbſt in Brand
ſteckten! Doch hieruͤber dereinſt ausfuͤhrlicher in
einer andern Schrift; oder man vergleiche Frank-
furt und Maynz in dieſer Ruͤckſicht vor der Hand
ſo, wie es in der Vorrede zu der mehrmals er-
waͤhnten Sammlung erbaulicher Gedichte
— S. LXXXV geſchehen iſt. Und dann: was war
Frankreich? —
Daß Ein Theil der Katholiken am Rhein dem
alten Staatsſyſteme damals treuer blieb, machte
weniger ihr Kirchenſyſtem, als die vielen, reichlich
und bequem naͤhrenden Praͤbenden, oder Faulthiers-
ſtellen, deren heilige Fruͤchte ſie entweder ſelbſt
ſchon zogen, oder fuͤr ihre Bruͤder, Vetter u. dgl.
zum Troſte ganzer Familien erwarteten. Man
ſah dieß ja aus den Hauptgruͤnden mit, welche
man oͤffentlich an den Tag gab, um die Leute da
herum von dem Franzoſen-Syſteme abzuhalten.
Schafft ihr, hieß es darin, euren Kurfuͤrſten, das
hohe Domkapitel, den Adel, die Kloͤſter u. dgl.
[288] ab: was ſoll, was kann aus all den Tauſenden
werden, welche von denſelben Brod, Ehre und Be-
dienung haben? *) — Doch, wie geſagt, davon
zu einer andern Zeit!
Am 6ten Jaͤnner 1793 ſchlugen die Preußen die
Franzoſen bey Hochheim, und von dieſer Zeit an
wurde Hochheim von unſern Truppen beſezt. Die
gefangnen Franzoſen wurden mit Trommeln und
Pfeifen durch die Doͤrfer und Staͤdte bis nach
Frankfurt gebracht; und dem Jan Hagel ſtand es
aller Orten frey, dieſe Gefangnen mit Schreyen und
Schimpfen zu inſultiren. Die Frankfurter, eine
aͤußerſt neugierige und faſelhafte Nation, zogen ih-
nen zu mehrern Tauſenden entgegen, und beglei-
teten ſie mit unbaͤndigem Geſchrey und Jubel bis
in die Stadt. Einige ſchmiſſen ſogar mit Steinen
und Koth auf ſie. **) Ich war ſelbigen Tag ge-
[289] rade in Frankfurt bey meinem Freunde, dem Herrn
Dambmann, und aͤrgerte mich recht ſehr uͤber den
Unfug, den der vornehme und geringere Frankfur-
ter Poͤbel an den Kriegsgefangnen begieng. —
Hr. Dambmann, Hr. Hofrath Stiehl, Hr.
Prediger Suſſenbeth und mein Vetter, der
Kaufmann Dietſch, erwieſen mir damals ſehr
viele Freundſchaft, und dieſes machte, daß ich
Frankfurt den Winter uͤber von Nied aus fleißig
beſucht habe. Dank noch einmal den guten Seelen!
In Nied lernte ich zwey ſchnurrige Menſchen
kennen, den katholiſchen Schulmeiſter, und einen
Schneider, der zugleich Branntweinbrenner war.
Der erſte war ehedem Huſar geweſen, hatte nach-
her fromme Gedanken bekommen, und war Einſied-
ler geworden. Als aber der Kurfuͤrſt alle Einſie-
deleyen aufhob, gieng auch ſeine Klauſe zu Ende.
Seine Landsleute die Nieder-Bauren, nahmen ihn
zum Schulmeiſter an, er behielt aber troz des Be-
fehls des Vikariats ſeinen Habit oder die Kutte
bey. Der andre war proteſtantiſcher Religion und
ein guter Freund des Schulmeiſters, und beyde arbei-
**)
Dritter Theil. T
[290] teten ſchon lange gemeinſchaftlich an der Vereinigung
der Proteſtanten und Katholiken. Sie ſitzen daher,
wenn ſie ſonſt nichts zu thun haben, beyſammen,
unterſuchen die Unterſcheidungslehren beyder Kir-
chen, und ſchließen bey jeder: „Man koͤnne ſie
ohne Schaden fahren laſſen, und muͤſſe dieſes thun,
um der Kirche ihre Einigkeit wieder zu verſchaf-
fen.“ —
Ich habe einigemal ihren Diſputationen bey-
gewohnt und bemerkt, daß ſie allemal damit en-
digten, daß das Korpus der Lehren, ſo wie dieſe
jezt waͤren, ſchlechterdings nicht die Lehre der wah-
ren oder der katholiſchen Kirche ſeyn koͤnnte: dieſe
ſey allgemein, das heißt, habe lauter ſolche Lehren,
welche von jederman ohne Unterſchied angenom-
men, und nur von Narren oder Boͤſewichtern ver-
worfen werden koͤnnten. Dieß ſey ſo die Religion
des ehrlichen Mannes, und darin faͤnde ſich kein
Papſt, keine Transſubſtantiation, keine Beichte,
keine Meſſe u. dgl. das ſeyen lanter Zuſaͤtze, die
niemand baͤnden, geſezt auch, ſie ſeyen wahr:
denn es koͤnne in der Theologie manches wahr ſeyn,
das doch bey weitem nicht zur Religion gehoͤrte. —
Die Leute raͤſonnirten ſo unrecht nicht, aber
daran thaten ſie unrecht, daß ſie die Katholiken
mit den Proteſtanten vereinigen wollten. Da ſie
mit dieſem Vereinigungsplane ſchon lange um-
[291] giengen, ſo mußten ſie nothwendig den Pfaffen,
ſowohl der Katholiken als der Proteſtanten, oft
vor den Kopf ſtoßen, und daher hatte beſonders der
gute Schulmeiſter Haͤndel mit den geiſtlichen Her-
ren zu Hoͤchſt. Als die Franzoſen dahin kamen,
waren beyde recht froh, und dachten, nun ſey es
Zeit, ihren Plan auszufuͤhren. Sie warfen ſich
alſo oͤffentlich zu Apoſteln der chriſtlichen Freyheit
auf, und wollten wenigſtens in ihrem Zirkel Eine
Heerde unter Einen Hirten zuwegebringen. Aber
die baldige Retirade der Franzoſen machte ihrem
Apoſtolat ein Ende; ſie hofften aber dennoch immer
daß noch in Zukunft etwas zu machen ſeyn duͤrfte.
Ich war anfaͤnglich bey beyden gut gelitten, weil
ich auf die Franzoſen nicht ſchimpfte, und auch, wie
ſie, alle theologiſche Kazbalgereien fuͤr Lumpen-
dinge erklaͤrte. Als ich aber anfing, uͤberhaupt
unvortheilhaft von ihrer heiligen Grille zu ſprechen,
ſo ſank ich bey ihnen ſehr, und ſie wurden viel
zuruͤckhaltender. Das war mir auch nicht ſehr
unangenehm: denn nun durfte ich ihre langen
Predigten von der Religionsvereinigung, und der
Katholiſation der Chriſtenheit nicht mehr ſo anhoͤren,
als zuvor.
Das Regiment von Thadden hatte noch immer
beſſere Winterquartiere, als die meiſten andern.
Zu Wickert, Wallau, Delkenheim, Mos-
[292]bach, Wisbaden und an allen Orten von
Hochheim bis nach Hoͤchſt war alles ſo ſtark uͤber-
legt, daß in einem Hauſe oft 20, 30 und mehrere
Mann Quartier hatten. Unſer Dienſt war indeß
ſehr geringe, wenn man die laͤſtigen Commandos,
die nach Hochheim gegeben wurden, und die ich
ſelbſt viermal mitgemacht habe, davon ausnimmt.
Bey dieſen Umſtaͤnden erholten ſich unſre Soldaten
auch nach und nach und gelangten wieder zu ihrer
ehemaligen Munterkeit.
Die Buͤrger zu Halle, durch Privatbriefe, welche
in unzaͤhlbarer Menge, wegen der Poſtfreyheit,
dahin geſchrieben wurden, von dem Elende und
dem Mangel der Soldaten unterrichtet, ließen ſich
durch eine Gutmuͤthigkeit von beſonderer Art — be-
wegen, dem Regimente von Thadden, welches
ſchon ſeit 1665, alſo ſchon uͤber 122 Jahre, in ihrer
Stadt in Garniſon gelegen hatte, ein Praͤſent von
Branntwein, Speck und Tobak zu ſchicken. Der
Wille an ſich war gut und loͤblich; nicht ſo das
Werk: denn der Branntwein war verdorben, weil
er in unreine Gefaͤße gefuͤllt war, und der Tobak
war ſcheußlich: der Speck aber war zu genießen.
Beſſer haͤtten die Hallenſer immer gethan, wenn
ſie den Soldaten das zuſammengebrachte Geld ge-
ſchickt haͤtten. Wenigſtens waͤren dann weder ſie,
[293] noch wir geprellt worden; und an Fuhrlohn haͤtte
man vieles erſpart.
Ein luſtiger Bruder machte auf dieſes Geſchenk
ein Gedicht in Knittelverſen, welches ſogar gedruckt
wurde. Es war aber ein ſehr maſſives Ding, wel-
ches unter der Aufſchrift: Dankſagung der
Soldaten vom Thaddiſchen Regiment
an die halliſchen Philiſter — lauter Sar-
kasmen auf die Hallenſer enthielt. Ich wuͤrde mich
ſchaͤmen, hier auch nur eine Strophe davon anzu-
fuͤhren. Es kam bald nach Halle, und erregte,
als etwas ganz Unerwartetes, nicht wenig Auf-
ſehen. Ein gewiſſer Mann in Halle verfiel auf
mich, und gab meine Wenigkeit in einer Klage an
unſern General geradezu als Verfaſſer an. Ich
weiß nicht, was den guten Mann berechtigt haben
mag, ſich als Sprecher fuͤr Halle aufzuwerfen! —
Allein da man bey den Soldaten eben nicht gewohnt
iſt, einer ſolchen Sache wegen, Unterſuchung an-
zuſtellen, ſo wurde die Klage hingelegt, und blieb
ohne alle Ruͤckſicht. Die Hallenſer haben es indeß
recht gut gemeynt, und dieſer guten Meynung we-
gen gebuͤhrt ihnen aller Dank der Soldaten, und
auch der meinige: denn auch ich habe Antheil an
ihren Gaben gehabt. Ich erklaͤre ihnen daher, daß
ich das Pasquill — denn das iſt es allemal — nicht
gemacht habe, und das mag ihnen genug ſeyn.
[294]
Erſt auch in Vilbel konnte ich wieder einmal
an meinen redlichen Bispink ſchreiben. Seit
unſers Einmarſches in Frankreich war mir auch
dieſe, mir ſonſt ſo angenehme, Beſchaͤftigung, ihm
und einigen andern erprobten Freunden, welche ſich
aber jezt leider auf ſehr wenige beſchraͤnken, von
meinen Umſtaͤnden Nachricht zu geben, gaͤnzlich
vergangen. Hr. Bispink antwortete mir bald wie-
der, ſchickte mir auch wieder Geld, Kleidungs-
ſtuͤcke und Waͤſche. Ich habe ſeit dieſer Epoche
bis auf meinen Uebergang nach Frankreich ſehr oft
an dieſen Braven geſchrieben, und hatte keine an-
genehmere Beſchaͤftigung, als ſeine Briefe zu le-
ſen, und einige fuͤr ihn aufzuſetzen. Er unterhielt
mich mit Nachrichten uͤber die gelehrte Welt, theilte
mir manche Gedanken- und Troſtreiche Stelle aus
aͤltern und neuern Schriftſtellern mit, und ließ es
an guten und bruͤderlichen Winken ſelten erman-
geln.
[295]
Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
Fortſetzung des vorigen.
Die Luͤgen uͤber unſre und der Franzoſen Lage
wurden ſo allgemein bey uns, daß man alle Tage
widerſprechende Nachrichten hoͤrte, welche von
kurzſichtigen muͤßigen Koͤpfen erfunden, und von
andern eben ſo verſchraubten Maͤhrchenbruͤtern ver-
breitet, und geglaubt wurden. Ich widerſezte mich
immer, ſo viel an mir war, dieſen elenden Erdich-
tungen, und ſuchte meinen Bekannten nach meiner
Einſicht, wahrere und gruͤndlichere Vorſtellungen
von den verſchiednen Verhaͤltniſſen beyzubringen,
welche ich damals zwiſchen uns und den Franzoſen
bemerkte. Da ich bey dieſen Gelegenheiten man-
ches Wort zu Gunſten der Neufranken, ihrer Kon-
ſtitution und des Muthes ihrer Soldaten fallen ließ,
ſo wurde ich auch jezt wieder allgemein Patriot ge-
nannt, und fuͤr einen Anhaͤnger der Franzoſen aus-
geſchrieen. Aber, wie ich ſchon oben ſagte, meine
Vorgeſezten, beſonders der Hr. Major von Wedel
und der Hr. Hauptmann von Mandelsloh wa-
ren einſichtige, brave Maͤnner, welche ſelbſt ein-
[296] ſahen, daß unſre Lage ſo gut eben nicht, und die
der Franzoſen bey weitem nicht ſo ſchlimm war, als
man ſie in den Zeitungen ausſchrie. Sie ermahn-
ten mich daher, nur behutſamer im Reden zu ſeyn,
und jedesmal zu unterſuchen, mit wem ich zu ſchaf-
fen haͤtte. Dieſer Rath war klug, und ich habe
ihn auch meiſtens befolgt; aber dann und wann riß
mich das Feuer der Diſpuͤte, und meine Ueberzeu-
gung dennoch ſo hin, daß ich ſogar in Wirthshaͤu-
ſern oͤffentlich die Parthey der Franzoſen nahm:
doch habe ich meiner Freymuͤthigkeit wegen bey den
Preußen eben keine unangenehme Folgen empfun-
den. Die preußiſchen Offiziere, ich wiederhole es,
haben uͤberhaupt mehr Einſicht und Freymuͤthigkeit,
als die der anderen Truppen. Ich kenne deren
viele, und beſonders habe ich den jungen Grafen
von Herzberg auf dieſem Feldzuge kennen lernen,
welcher damals (1792) noch Generaladjutant bey
dem Regiment von Schoͤnfeld war. Es giebt
wohl wenig junge Maͤnner, welche mit ſo vieler
Einſicht und wirklich gelehrten Kenntniſſen, einen
ſo liebenswuͤrdigen Karakter verbinden, als dieſer.
Er iſt ein großer Kenner der Geſchichte in ihrem
ganzen Umfange, aus welcher er ſehr treffende
praktiſche Schluͤſſe auf die neuen Begebenheiten
zu ziehen weiß. Mit innigſtem Vergnuͤgen hoͤrte
ich ihn die ehemaligen republikaniſchen Vorfaͤlle in
[297] Griechenland, Rom, der Schweiz, Holland und
Amerika mit den neuen Auftritten der fraͤnkiſchen
Revolution vergleichen, dieſe vollſtaͤndig aus jenen
erklaͤren, und richtige Prognoſtika fuͤr die Zukunft
aufſtellen. Außer der Geſchichte und der Mathe-
mathik, welche ſein Lieblingsſtudium iſt, hat ſich
der Herr Graf auch in den alten und neuen Spra-
chen und in der ſchoͤnen Litteratur umgeſehen; aber
ſein edler Karakter, ſein aͤußerſt humanes, libe-
rales Weſen und ſeine Theilnahme an allen Schick-
ſalen ſeiner Bruͤder macht, daß man in ihm —
nicht den geſchickten Offizier, ſondern den wuͤrdigen
guten Menſchen ſieht, liebt und verehrt. In Ge-
ſellſchaft und im Geſpraͤche mit dieſem biedern deut-
ſchen Manne vergaß ich mehr als einmal auf den
beſchwerlichſten Maͤrſchen von Koblenz nach Frank-
furt, daß es mir uͤbel gieng.
Unter anderm Troß, welcher, um etwas zu
verdienen, der Armee nachgezogen war, befand
ſich auch eine Bande Marionettenſpieler, welche
dort herum den hohen und niedern Poͤbel mit Fra-
tzen amuͤſirte. Das Meiſterſtuͤck dieſer Bande,
deren Director der Sohn des ehemaligen Maynzi-
ſchen Hofraths Schott war, war eine Farce,
betitelt: der betrogne Cuͤſtinus (Cuͤſtine).
In dieſem Dinge beging Cuͤſtine mit ſeinem Be-
dienten, dem Hanswurſt, allerhand Graͤuel! Da
[298] ſah man Morden, Brennen, Sengen, Nothzuͤch-
ten, ſchwangern Weibern den Bauch aufſchneiden
u. ſ. f. Hierauf erſchien ihm ein Engel, und er-
mahnte ihn, Buße zu thun, und den Roſenkranz
zu beten: Cuͤſtine aber laͤßt den Engel zur Thuͤre
hinausſchmeißen: eben dieſes wiederfaͤhrt dem Tode.
Endlich kommt der Teufel, macht burr, burr, und
zerreißt den Cuͤſtine in tauſend Fetzen. Dieſes
elende Zeug, und mehreres von derſelben Art,
deſſen Gegenſtand aber allemal die Franzoſen wa-
ren, wurde in Frankfurt, Hoͤchſt, Roͤdelheim
und an andern Orten haͤufig geſpielt, und von
Herren und Damen, von Mamſellen und Huren
beklatſcht und belacht, bis endlich einige Herren
Generale, worunter auch Hr. von Thadden war,
das Unanſtaͤndige dieſer oͤffentlichen Beſchimpfung
eines feindlichen Generals und ſeiner Nation fuͤhl-
ten, und den Spaß verboten. Die Marionetten-
ſpieler ließen nun den Cuͤſtinus, und legten ſich
aufs Zotenreißen, welches ihnen nicht minder ein-
brachte.
Seitdem wir Koblenz und Verdun verlaſſen,
zum erſtenmal verlaſſen hatten, hatten unſre Leute,
ſo wie unſre Offiziere, ſich um das liebe Frauen-
zimmer wenig bekuͤmmern koͤnnen, aber jezt, nach-
dem ſie ſich nach und nach erholt hatten, regte ſich
auch das Geſchlechts-Beduͤrfniß wieder bey ihnen,
[299] und dazu fanden ſie in und um Frankfurt Nahrung
genug. Dem Hochweiſen Magiſtrate dieſer Reichs-
ſtadt muß man es zwar nachruͤhmen, daß er die
Hurerey unter dem Schutz der Geſetze nicht ſo er-
laubt, wie z. B. Berlin, wo noch 1792 eine Ver-
ordnung, die Lohnhuren betreffend, herauskam:
aber demohnerachtet hat es in Frankfurt an feilen
Schweſtern niemals gefehlt. Seit der Emigran-
tenzeit war auch dort in der ganzen Gegend das
Sittenverderben ſehr [eingeriſſen] und das Frauen-
zimmer, welches ohnehin in den Rheingegenden
fuͤrchterlich verliebt iſt, hatte nun alle Schaam und
Scheu abgelegt, und war fuͤr jeden. Frankfurt
war beſonders der Sammelplatz feiler Menſcher
von hohem Kaliber und niedrer Ordnung, wie man
ſie haben wollte, von ſechs Kreuzern an bis zu
ſechs Thalern Rheiniſch. Auf den Doͤrfern liefen
auch Nymphchen dieſer Art in Menge herum, welche
meiſt aus dem Darmſtaͤdtiſchen hinkamen: ſelbſt
Baurenweiber und Baurenmaͤdel machten ſich kein
groß Gewiſſen daraus, einem luͤſternen Kerl aus
der Noth zu helfen.
Aus dieſem liederlichen Weſen entſtanden nun
haͤufige veueriſche Krankheiten, welche bisher lange
unbekannt bey uns geweſen waren, und gaben den
Feldſcheeren, welche ſich ſeither nur mit der Ruhr
und dem Durchfall beſchaͤftiget hatten, neue Arbeit.
[300]
Bey keinem Stande iſt das Spruͤchwort: ein
ander Staͤdtchen, ein ander Maͤdchen, mehr wahr,
als bey den Soldaten: wo [nur] 100 Mann vier
Tage liegen, giebt es gewiß ſchon 25 Soldaten-
ſchaͤtzchen, freilich lauter leichte, verdorbne Waare,
aber doch auch mitunter ſolche, welche wohl auf
etwas Beſſeres, als auf einen Kerl in der Uniform,
haͤtten Anſpruch machen koͤnnen. In den Rhein-
gegenden hatten die Emigranten, und nach ihnen
die Patrioten, das ſchoͤne Geſchlecht ſchon vorbe-
reitet und zugeſtuzt, und ſo war es unſern Leuten
gar leicht, Liebſchaft anzuzetteln, wo ſie nur woll-
ten. Die Herren Hauptleute ſehen dergleichen un-
gern: denn es hindert gewoͤhnlich die Deſertion,
wenn es auch nicht dieſelbe gleich zuweilen befoͤr-
dert, indem Burſche und Liebchen mit einander ab-
fahren. Bey den Preußen iſt das indeß der Fall
nicht ſo oft, wie bey den Oeſtreichern: denn bey
dieſen haͤlt das Heurathen haͤrter. Daher laufen
auch weit mehr Oeſtreicher mit ihren Liebchen von
dannen, als Preußen. In den Ordonanzhaͤuſern
kann man den Beweis davon augenſcheinlich finden.
Aber warum ſollte der Soldat ſich nicht auch
einen Zeitvertreib mit dem Frauenzimmer ma-
chen, da er große Herren es nicht beſſer machen
ſieht, ſogar ganz große Herren! In Frankfurt
laufen noch auf die Stunde Hiſtoͤrchen von allerley
[301] Art herum, worunter auch einige nicht ſehr erbau-
liche ſind, beſonders die von einer gewiſſen reichen
und ſchoͤnen Mamſell, welche aus bloßer Eitelkeit
— denn weder Liebe noch Eigennutz konnte ſie be-
wogen haben, die traurigen Reſte einer ruͤſtigen
Konſtitution zu genießen — alſo aus bloßer Eitel-
keit einem jungen, reichen und ſchoͤnen Liebhaber,
mit dem ſie verſprochen war, und von dem ſie aufs
zaͤrtlichſte geliebt wurde, Hoͤrner aufſezte. Ob
man alle Frauenzimmer durch Wolluſt verfuͤhren
koͤnne, weiß ich nicht: daß aber alle der Eitelkeit
und dem Eigennutz weichen, davon belehrt uns, au-
ßer der alten und neuen Geſchichte, die taͤgliche
Erfahrung. —
Daß die verliebten Spaͤße unſern Herren die
Beutel derb geleert haben, verſteht ſich von ſelbſt.
Den Schoͤnen zu gefallen, mußten Baͤlle gegeben
und andre Luſtigkeiten angeſtellt werden; und da-
mals durfte kein Hr. Offizier, wie zu Halle, mit
12 gl. zu Balle kommen: das Ding koſtete un-
gleich mehr. Wer uͤberhaupt dort herum brilliren
wollte, mußte ſchwer Geld haben.
Die Herren Regimentsquartiermeiſter muͤſſen
oͤfters den Offizieren aushelfen, wenn die Kaſſe
leer iſt. Der koͤnigliche Befehl will freylich, daß
ſie keinem Offizier etwas vorausgeben, und wenn
ſie es thun, ſie ſich hernach nicht an den Gehalt
[302] des Offiziers halten ſollen. Dennoch koͤnnen die
Herren Regimentsquartiermeiſter ihren Regiments-
Offizieren allemal, ohne Gefahr angefuͤhrt zu wer-
den, Geld vorſtrecken. Freylich muͤſſen ſie ihre
Leute kennen: denn mancher Offizier wuͤrde ſich
des koͤniglichen Privilegiums bedienen, einige Wo-
chen in Arreſt gehen, und den Quartiermeiſter prel-
len. Aber ein ehrliebender Offizier thut ſo was
nicht, und der Quartiermeiſter iſt ſeiner Zahlung
wegen in Sicherheit. Da aber doch die Sache
immer gefotzwidrig iſt, ſo wiſſen die Herren ſich
[auc]h gegen die Gefahr der Verantwortung dadurch
zu ſichern, daß ſie ſehr ſtarken Abzug machen, ſo
oft ſie Geld verſchießen: denn eigentliche Intereſſe
moͤgen ſie doch nicht fodern.
Ein Offizier wurde von Hn. Ruff zu Hoͤchſt
zu einem Ball nach Frankfurt eingeladen. Der
Offizier hatte nicht ſo viel Geld, als hiezu erfo-
dert wurde, er ſchickte alſo ſeinen Bedienten zum
Regimentsquartiermeiſter, welcher zwey Stunden
davon war. Er hatte ihm eine Quittung auf
20 Thaler mitgegeben, und der Bediente brachte
ihm 3 Fridrichsd'Or, oder damals 17 Thlr. 6 gl.
Ich war eben in der Schnallenfabrike, wo Hr. Ruff
Factor iſt, als der Bediente zuruͤckkam. „Nun
das geht noch, ſagte der Offizier, heute zieht mir
der Quartiermeiſter doch nur 2 Thlr. 18 gl. an 20
[303] ab: neulich hat er mir, hols der Teufel, 4 Thlr. an
20 abgezogen.“
Es verſteht ſich, daß durch dieſe Oekonomie die
oͤkonomiſchen Umſtaͤnde mancher Offiziere ſich merk-
lich verſchlimmern, die der Quartiermeiſter ſich
aber ſehr beſſern. Wenn daher leztere einmal eine
Schlappe bekommen, ſo bedaurt ſie keine Seele. —
Da ich in jener Gegend vorzeiten ſehr bekannt
geweſen war, ſo kamen viele Leute zu mir, und
unter dieſen manche, welche blos die Neugierde an-
trieb, einen Menſchen zu ſehen, welcher bisher die
Rolle eines Aventuͤriers geſpielt hatte, und dieſe
Rolle vielleicht noch laͤnger und bedeutender in Zu-
kunft ſpielen wuͤrde. Daß mir dieſe Beſuche alle-
mal hoͤchſt unangenehm waren, wiſſen die, welche
mich kennen. Von meinen neuen Bekanntſchaften,
die ich waͤhrend meines Aufenthalts zu Ried machte,
war mir keine lieber, als die mit Hn. Ruff,
Factor der beruͤhmten Schnallenfabrik zu Hoͤchſt:
ein junger einſichtsvoller Mann, der mir ſehr viel
angenehme Stunden gemacht hat. Er hat mir
auch einen Vorſchlag gethan, der vielleicht zu mei-
nem Gluͤck haͤtte ausſchlagen koͤnnen, aber ich
traute meinen Kraͤften zu wenig, als daß ich ihm
haͤtte folgen moͤgen.
Dem Herrn Amtmann Keil von Roͤdelheim,
dem Hn. R. Rath Buff, dem Bruder der durch
[304] den Tod des armen Werthers ſo beruͤhmten
Lotte*) und dem Hn. Jung, Pfarrer zu Praun-
heim, danke ich hier nochmals oͤffentlich fuͤr die
Freundſchaft, die ſie mir, ihrem alten Univerſitaͤts-
kumpan, erwieſen haben. Ich hatte ſie in Gießen
und Halle ſehr genau gekannt, und freue mich,
daß es ihnen wohl geht. Wer beſonders eine Frau
hat, wie Hr. Keil, kann ſich Gluͤck wuͤnſchen.
Sieben und zwanzigſtes Kapitel.
Fortſetzung des vorigen.
Die Hinrichtung des armen LudwigsXVI ver-
breitete, ſobald ſie bekannt wurde, und das wurde
ſie ſehr bald, in der ganzen Armee anfaͤnglich
Schreck und Unwillen gegen ein Volk, welches ſo-
gar ſeinen Koͤnig haͤtte hinrichten koͤnnen. Nun,
hieß es, kann es den Franzoſen nicht mehr gut ge-
hen, nun muß Gottes Zorn und Rache ſie verfol-
gen: man wird das bald genug ſehen! — In allen
[305] Geſellſchaften, in allen Wirthshaͤuſern und Schen-
ken wurde von nichts geſprochen, als von der ab-
ſcheulichen Hinrichtung des armen Koͤnigs von
Frankreich. Aber jemehr man von dieſer unge-
woͤhnten Trauerſcene ſprach, jemehr man das Grau-
ſende derſelben ruminirte, deſto mehr verſchwand
das Graͤßliche derſelben, und die ruhige Unterſu-
chung daruͤber folgte auf die Deklamationen. Viele
meynten, die Franzoſen muͤßten doch wohl Urſache
gehabt haben, ſo was vorzunehmen: es muͤßten
doch auch geſcheide und gewiſſenhafte Leute in
Paris ſeyn. —
Waͤhrend dieſer Epoche war ich einſt im Schwan,
einem Gaſthofe zu Hoͤchſt, mit Herrn Ruff. Das
Geſpraͤch kam von Ludwig XVI. auf die je hinge-
richteten Koͤnige. Ich ſprach, daß ihrer nur drey
bekannt waͤren, welche durch das Geſetz ſeyen hin-
gerichtet worden: Agis von Lacedaͤmon, CarlI.
von Großbritannien und LudwigXVI von Frank-
reich. Tauſend Monarchen ſeyen zwar ermordet
worden nach dem bekannten Spruch des Juve-
nalis:
Deſcendunt reges, et ſicca morte tyranni;*)
Dritter Theil. U
[306]
mir ſey aber doch kein Exempel von geſetzlich
hingerichteten Koͤnigen weiter bekannt, als von
den drey angegebnen. Was den Lacedaͤmonier be-
langt, fuhr ich fort, ſo war der ein Unterthan der
Geſetze, und folglich auch der Poͤnalverordnungen.
Seine Hinrichtung war zwar hoͤchſt ungerecht, denn
Agis war unſchuldig, aber es war doch keine
Frage in jener Republik: ob man den Vorſteher
derſelben, welchem man ſehr uneigentlich den
Namen Koͤnig gab, hinrichten koͤnnte, ſobald er
nach den Geſetzen des Todes ſchuldig waͤre erkannt
worden. Zu Lacedaͤmon wurde Agis durch ein
altes Geſetz verurtheilt, und nicht durch eine Ver-
ordnung, welche erſt bey einer Volksrevolution waͤre
gemacht worden.
Koͤnig CarlI. in England, wurde zwar un-
ter gerichtlicher Form getoͤdtet, aber die, welche
ſich uͤber ihn zu ſprechen erkuͤhnten, waren nicht die
engliſche Nation: es waren die Anhaͤnger des
Cromwels, und ſeiner Parthey. Die Nation
hatte dieſe Faction nicht als eine Vertreterinn ihrer
Rechte aufgeſtellt, folglich konnte dieſelbe auch
nicht das Todesurtheil uͤber CarlI. ſprechen;
ihr Spruch war folglich ungerecht; und ſo ſchul-
dig dieſer Prinz auch ſeyn mogte, ſo war [...] ſeine
Ermordung eine grauſame Ungerechtigkeit, und ein
ſchroͤcklicher Eingriff in die Rechte des engliſchen
[307] Volkes. Aber mit LudwigXVI, fuhr ich weiter
fort, ſcheint mir das Ding ein ganz anderes Be-
wandniß zu haben. Der Nationalkonvent oder
die Nationalverſammlung vertrat wirklich die ganze
Nation, und hatte folglich das Recht, Geſetze zu
machen, ohne jemand, ſelbſt den Koͤnig nicht
ausgenommen, um Rath zu fragen. Dieſes Ge-
ſetz, daß das Volk, durch die Nationalverſamm-
lung repraͤſentirt, eine Aenderung in der Regie-
rungsform machen koͤnnte, hatte ſelbſt der Koͤnig
angenommen und ſanktionirt. Von nun an war
alſo die Suveraͤnitaͤt des Koͤnigs aufgehoben d. i.
er wurde dem Geſetz, oder allen aus dem Rechte
der Natur und der Menſchheit hergeleiteten und
herzuleitenden unmittelbaren Regeln des oͤffent-
lichen Guvernements unterworfen.
LudwigXVI. war alſo damals, was eigent-
lich jeder wahre Koͤnig nur ſeyn ſollte, geſetzlicher
Verwalter der Nationalkraft nach dem National-
willen, oder nach den Geſetzen, welche die Nation
ſelbſt entworfen und gutgeheißen hatte. Verwal-
tete er nun ſein Ober-Staatsamt nach dem allge-
meinen Staatswillen, ſo that er ſeine Pflicht, und
war des Gehorſams, der Ehre und ſeiner Beſol-
dung bey der franzoͤſiſchen Nation ſicher und werth:
denn [...] erfuͤllte er den National-Contrakt und
war das, was er nach demſelben der Nation zu
[308] ſeyn, feyerlich geſchworen hatte. Handelte er aber
dawider, beſoldete er nach der Civilliſte, wie man
ihn beſchuldiget, die rebelliſchen Emigrirten, und
war er mit den Feinden der Nation gegen die Na-
tion ſogar einverſtanden: — ſo war er der erſte,
der den National-Contract brach, der ſich ſelbſt ſei-
ner Vorzuͤge nach demſelben, verluſtig machte,
der als der aͤrgſte Meineidige und Hochverraͤther
an der Nation dieſer fuͤr ſeine geſetzwidrige Hand-
lungen verantwortlich blieb; der alſo den Natio-
nal-Repraͤſentanten es zur Pflicht machte, ihn vor
ihr Gericht zu ziehen, die Nation vor ihm zu
ſichern, ſeine Handlungen zu unterſuchen und ſeine
Vergehungen, nach dem Nationalwillen, zu be-
ſtrafen.
Ich weiß zwar recht wohl, ſezte ich hinzu, daß
1789 ein Geſetz in Frankreich gemacht iſt, nach
welchem der Koͤnig unverletzbar ſeyn ſollte: allein
dieſes Geſetz koͤnnte allemal, wie jedes andere, ge-
aͤndert und abgeſchafft werden, ſobald die Nation,
als die eigentliche und rechtmaͤßige Geſetzgeberin,
einſah, daß es dem oͤffentlichen oder allgemeinen
Wohl zuwider war. Hieraus ergiebt ſich nun von
ſelbſt, daß LudwigXVI. vor das Gericht des
Nationalkonvents gehoͤrte, und die einzige Frage
waͤre noch aufzuloͤſen: ob er wirklich Staatsver-
brechen begangen habe, welche den Tod verdienten,
[309] um auch ſeine Hinrichtung vollkommen zu recht-
fertigen. Ich will dem armen Ludwig keine Ver-
brechen Schuld geben, denn ich habe die Akten
ſeines Prozeſſes nicht geleſen *): aber behaupten
muß ich, daß der Konvent das forum competens
war, wovon er gerichtet werden mußte; und da
dieſer die Nation vertrat: ſo wiſſen die, welche
von einer Appellation an das Volk reden, nicht
recht, was ſie wollen.
Ueberhaupt: ob ein Volk ſeinen Souverain rich-
ten koͤnne, fuͤgte ich zum Schluß hinzu, ſcheint
ſogar zu den deſpotiſchen Zeiten der roͤmiſchen Kai-
ſer kein Problem geweſen zu ſeyn. Der roͤmiſche
Senat, oder die Repraͤſentanten des roͤmiſchen
Volkes erklaͤrten den Claudius Nero fuͤr einen
Feind des Vaterlands und beſtimmten ihn zum
Tode. Nero entgieng der geſetzlichen Hinrichtung
durch eine Entleibung. Man ſehe den Suero-
[...]ius uͤber Nero. Veſpaſianus, Nero's
Nachfolger, billigte dieſes Verfahren des roͤmiſchen
Senats, welches ſein Sohn Domitianus bey-
nahe ſelbſt erfahren haͤtte. Die Deutſchen haben
[310]Karl, den Dicken, abgeſezt, und kein Kluger
hat es misbilliget. Die Daͤnen foderten von ihrem
Chriſtiern dem Zweyten Rechenſchaft, und
ſezten ihn ab. — Kurz, die Geſchichte, wie der
geſunde Menſchenverſtand lehrt, daß bey jeder wohl
und rechtmaͤßig eingerichteten Menſchenregierung
der Regent ſeinen Untergebnen verantwortlich blei-
ben muß, indem es wider die Pflicht eines jeden
und aller ſeyn wuͤrde, ſich unbedingt und wider das
natuͤrliche Recht zur Freyheit jemanden zur will-
kuͤhrlichen Behandlung ohne alle Ruͤckſprache zu
unterwerfen *).
Ich ließ mich damals noch weitlaͤufiger uͤber dieſe
wichtige und zu der Zeit ſehr intereſſante Materie
aus. Ein Offizier von der Kavallerie, ein Ritt-
meiſter, ſaß in einiger Entfernung von mir und
ſchien eben auf meine Reden nicht ſehr zu merken.
Einige Tage hernach kam ein Reuter und bat mich,
zu ſeinem Herrn nach Roͤdelheim zu kommen. Hier
fand ich meinen Rittmeiſter, den ich nicht nennen
will, um ihn nicht in den Verdacht der Jakobinerey
[311] zu bringen, nebſt noch einigen andern Offizieren.
Dieſen Herren mußte ich mein ganzes Syſtem, ſo
wie ich mir es damals geformt hatte, weitlaͤufig
bey einem Glaſe Rheinwein erklaͤren. Sie ſchie-
nen mit meiner Behauptung und Auseinanderſetzung
zufrieden, nur warnten ſie mich, behutſam damit
zu ſeyn: denn von preußiſcher Seite, meynten ſie,
muͤſſe man ſich wenigſtens noch immer ſtellen, als
wenn man ſchrecklich boͤſe auf die Buben waͤre,
welche ihren Koͤnig hingerichtet haͤtten u. ſ. w. —
Unſere Armee hatte, wie ich ſchon geſagt habe,
an allem entſetzlichen Verluſt gelitten, beſonders
an Mannſchaft. Der Verfaſſer der Briefe uͤber
unſern Feldzug berechnet den Verluſt eines einzigen
Regiments (Packt 4. S. 136 ff.) und giebt ihn
vom 14ten Jul 1792 bis den [1]ten Maͤrz 1793 auf
369 Todte an. Dieſes Regiment hatte aber, wie
ich weiß, unter allen beynahe noch am wenigſten
gelitten. Geht man nun die ganze preußiſche Ar-
mee gegen die Neufranken durch, ſo kann man ſich
ohngefaͤhr einen Begriff von dem ungeheuren Ver-
luſte machen, welchen dieſe Armee innerhalb zehn
Monaten gelitten hat.
Man mußte daher ſchlechterdings die Regimen-
ter wieder ſuchen vollzaͤhlig zu machen, und dazu
wurden die jungen Leute von den Depots genom-
men. Dieſe Depots ſind, ſo zu ſagen, die Pflanz-
[312] ſchulen der Regimenter, und dienen zugleich zum
Unterbringen der Soldaten, welche nicht mehr die-
nen koͤnnen. Dieſe Einrichtung war vor der Re-
gierung des jetzigen Koͤnigs unbekannt, und hat ſo-
wohl ihre Vortheile, als ihre Nachtheile.
Die Depots reichten nicht hin, den Regimen-
tern alle abgegangne Mannſchaft zu verſchaffen,
doch aber erſezten ſie den Abgang ziemlich. Bey-
her iſt es aber auch unbeſchreiblich, welch ſchlech-
tes Zeug von den Depots zu den Regimentern ge-
ſchickt wurde. Daß man im Kriege annimmt, was
man haben kann, iſt eine alte bekannte Sache.
Dieſe Leute werden dann bey den Depots gar nicht
ſo gezogen, wie es eigentlich der Dienſt erfodert:
ſie exerziren ſchlecht, und ſind an Disciplin wenig
gewoͤhnt. Kommen ſie nun zu den Regimentern,
ſo wollen ſie das Depotsweſen fortſetzen, und da
man das nicht zugeben kann und ſie ſchaͤrfer haͤlt,
ſo reiſſen ſie aus, und laufen dahin.
Recht eifrig ſorgte unſer Koͤnig fuͤr anſtaͤndige
Kleidung des Heeres, und fuͤr Wiederanſchaffung
aller verdorbiter und zu Grunde gegangner Geraͤth-
ſchafren. Auch wurden die Pferde wieder erſezt,
welche theils auf dem Feldzuge geblieben, theils
den Winter uͤber ſo zahlreich nachkrepirt waren.
Schade war es fuͤr unſere Leute, daß die neue
Montur gerade erſt den Tag vor dem Abmarſch
[313] ausgegeben wurde: denn die alte konnte man doch
nicht mitnehmen, und zum vortheilhaften Anbrin-
gen war keine Zeit mehr: man mußte ſie alſo an
die Juden verkaufen, wie man nur konnte.
Als unſre Leute wieder gekleidet, und mit ihrem
Zubehoͤr hinlaͤnglich verſehen waren, ſo ſchien es,
daß ſie wieder neuen Muth bekommen hatten. Nun
ſind wir gekleidet, hieß es, jezt koͤnnen wir die
Franzoſen nur wieder angreifen. Aber die Kluͤgern
unter uns meynten, daß die neuen Roͤcke auch wie-
der alt werden wuͤrden, und daß man die Gewehre
wohl abermals von ſich werfen koͤnnte. Das Ende
eben des Jahres 1793 hat dieſe traurige Weißagung
wahr gemacht.
Man vergebe mir, wenn ich hier der Regen-
deckel erwaͤhne! Man hat bey der Armee Maſchi-
nen von Leder, womit man die Schloͤſſer an den
Gewehren bey ſchlechtem Wetter bedecken, und
doch ſchießen kann. Sie ſind eine Erfindung eines
preußiſchen Offiziers, womit ſich dieſer bey dem
verſtorbenen Koͤnige ſehr beliebt gemacht haben ſoll.
Aber dieſe Maſchinen haben ſo viel Unbequemes,
daß man ſich derſelben bisher noch nicht bedient hat,
auch wahrſcheinlich niemals bedienen wird; und
doch mußten dieſes Jahr uͤberall neue gegeben wer-
den, weil die alten alle zerbrochen oder verlohren
waren. Das hat ſehr viel Geld gekoſtet und doch
[314] — nichts geholfen. Der Burſche, welcher der-
gleichen unnuͤtzes Geraͤthe mit herumſchleppen muß,
iſt nur geplagt, und es waͤre, ſelbſt nach dem Ge-
ſtaͤndniß aller Offiziere, beſſer, dieſe Dinge gar
nicht mehr zu haben.
Ich muß meine Leſer um Verzeihung bitten,
daß ich von unſern Winterquartieren ſo viel und
doch ſo wenig vollſtaͤndig erzaͤhlt habe: Ich weiß
das alles recht gut ſelbſt: weiß, was ich ausließ,
weis auch, was ich noch mehr haͤtte auslaſſen koͤn-
nen. Da ich aber kein Zeitungsſchreiber bin, ſo
liegt mir die Pflicht der Vollſtaͤndigkeit nicht ob,
und als mein eigner Memoriſt habe ich die Wahl,
welche Begebenheit ich der Erzaͤhlung werth halte,
und welche nicht. Es iſt hier gar vieles relativ. —
Ich hatte dieſen Winter uͤber keine Noth gelit-
ten: einmal hatte ich durch die Großmuth des Her-
zogs Friedrich von Braunſchweig doppeltes
Traktament, und dann hatte Hr. Bispink mich
reichlich mit Gelde verſehen, wobey er, weil die
Poſt in Halle kein baares Geld zur Armee annahm,
eben ſo viel Muͤhe, als Koſten gehabt hat. Der
Leſer wird noch in der Folge ſehen, daß ich auf der
ganzen Erde niemandes Schuldner mehr bin, als
dieſes rechtſchaffnen Mannes.
Mein beſter Zeitvertreib dieſen Winter uͤber, in
der immer gut geheizten Stube meines Wirthes,
[315] war Leſen und Schreiben: lezteres beſtand in aller-
hand Aufſaͤtzen, welche ich an meinen rechtſchaff-
nen Bispink ſchickte, und welche er unter den
Materialien ſeiner eignen Lebensgeſchichte, nebſt
den Bahrdtianis, unter der Ueberſchrift: Laucar-
diana noch aufhebt. Es iſt eine herzerquickende
Sache, etwas aufs Papier zu ſetzen, was ein uns
theurer abweſender Freund leſen wird; und ein
noch groͤßeres Vergnuͤgen iſt es, es dereinſt, nach
uͤberſtandenen tauſend Gefahren, ſelbſt wieder zu
leſen. — Fuͤr meine Leſerey ſorgte Hr. Factor
Ruff: er gab mir Buͤcher, ſo gut er ſie hatte —
und er hatte recht gute —. Auch borgte er fuͤr
mich einige, welche er nicht hatte, z. B. David
Hume's Geſchichte von England. Die-
ſes koſtbare Werk habe ich den Winter uͤber fleißig
geleſen, und nicht wenig geſcheides daraus gelernet.
Darf ich hier eine Anmerkung machen, Leſer, uͤber
das Lernen aus der Geſchichte?
Man arbeitet heut zu Tage an hiſtoriſchen Sy-
ſtemen, und unter andern an einem, welches von
dem Gedanken ausgeht: daß das Menſchenge-
ſchlecht immer und immer in ſeiner Kultur
und Verbeſſerung vorwaͤrts ſchreite, u. ſ. w. Die-
ſes hat beſonders der franzoͤſiſche Buͤrger Coudor-
cet zu behaupten und zu beweiſen geſucht, und nach
Kants Idee unter den Deutſchen zu gleicher Zeit
[316] Hr. Poͤlitz. Herzerhebend ſind freylich ſolche Ver-
ſuche immer; aber wohl leicht auch mehr idealiſch,
als hiſtoriſch wahr.
Durch ſie wird die Geſchichte weiter nichts als
eine Darſtellung des minder kultivirten Menſchen-
geſchlechts; und je weiter man in derſelben zuruͤck-
geht, deſto gothiſcher erſcheint dieſes. Es findet
folglich keine andre Vergleichung der aͤltern Zeiten
mit den neuern Statt, als die, welche ſich von dem
Geringern zum Groͤßern machen laͤßt. Es fallen
folglich alle analogiſchen Schluͤſſe weg, welche
man von den alten Begebenheiten auf das machen
kann, was unter unſern Augen vorgeht: denn wir
ſind mehr kultivirt, als man ſonſt war, haben mehr
Gewandheit der Kraͤfte u. ſ. w. Allein eben die
analogiſchen Schluͤſſe von alten Begebenheiten auf
neuere ſind die Philoſophie der Geſchichte, die wahre
aͤchte hiſtoriſche Weisheit, und ohne ſie iſt die Ge-
ſchichte ein bloßer Zeitvertreib, und dient dem Ken-
ner blos zu kritiſchen Unterſuchungen. Dieſes ſcheint
mir aus dem Syſtem des Condorcet und des
Hn. Poͤlitz zu folgen: es macht die Geſchichte
und ihr genaueres Studium uͤberfluͤßig, und zwingt
den Geſchichtsſchreiber, nur fuͤr das Vergnuͤgen ſei-
ner Leſer zu ſorgen. Kurz, die Begebenheiten wer-
den einer allgemeinen Idee nachgemodelt, und er-
halten eine waͤchſerne Naſe. —
[317]
Die Geſchichte beweiſet uͤberdieß den ewigen
Zirkel der Dinge. Kultur und Barbarey folgen
aufeinander wechſelsweiſe, zum Beweiſe des gro-
ßen Satzes: daß nichts neues geſchehe unter der
Sonne! Daher iſt ſie auch die ergiebigſte Quelle
aller moraliſchen und politiſchen Bemerkungen,
und der rechte magiſche Spiegel, woraus der den-
kende Kopf weiſſagen kann fuͤr die Zukunft. Doch
wo gerathe ich hin! Ich will meine Begebenheiten
erzaͤhlen, und ſchweife in Behauptungen aus, die
mir die Ungnade der Herren Recenſenten, welche
ſich nun einmal fuͤr gedachte Syſteme erklaͤrt haben,
nothwendig zuziehen muͤſſen.
Acht und zwanzigſtes Kapitel.
Unſer Zug uͤber den Rhein.
Den 21ten Maͤrz brachen wir endlich auf,
und marſchirten abwaͤrts, um den Rhein bey Caub
zu paſſiren. In Wisbaden, wo wir Raſttag hielten,
lernte ich den Hn. R. Rath Neidhardt kennen,
einen trefflichen Mann, und gelehrten Philologen,
welcher ſich mehr mit der griechiſchen und roͤmi-
ſchen Litteratur, als mit der Juriſterey abgiebt,
und doch im Rufe eines großen Rechtsgelehrten
[318] ſteht, weil er die kauderwaͤlſchen Geſetze des dort
noch immer geltenden juſtinianiſchen Geſetzbuchs
oder Geſetzkompilation, nach Vernunft und Billig-
keit anzuwenden weiß. Dieſer brave Mann hat
mir einen recht guten Tag gemacht.
Von Wisbaden bis Caub muß man eine Strecke
von Heſſenland durchwandern, wo auch das Elend
des Landmannes allen Glauben uͤberſteigt, und
wo die Leute an nichts genug haben, als — an
Holz. Hr. von Goͤchhauſen weiß in ſeinen
Wanderungen*) S. 57. ff. und ſonſt hin und
wieder, gar vieles von der Liebe der Heſſen gegen
ihren Landgrafen aufzutiſchen: Aber das iſt mit
der gnaͤdigen Erlaubniß des Herrn Exleutnants
auch nicht von ferne wahr. Die Heſſen dort, wo
ich war, klagten einhellig alle uͤber Bedruͤckungen
und insbeſondere uͤber das uͤbertriebne Soldaten-
weſen; und wenn man je in einem Lande uͤber den
Landesfuͤrſten frey raͤſonniren kann, ohne von Buͤr-
ger oder Bauer beeintraͤchtigt zu werden — Ein
heſſiſcher Amtmann handelt freylich nach dem:
manus manum fricat! — ſo iſt es in Heſſenland.
Hr. von Goͤchhauſen haben wahrſcheinlich
den heſſiſchen Buͤrger S. 62., der vielleicht ein Jaͤ-
[319] gerburſche war, in einer Kneipe angetroffen, und
ihm, damit er Dero gnaͤdiges ariſtokratiſches Queer-
gewaͤſche geduldig anhoͤren moͤgte, tuͤchtig mit
Schnapps aufwichſen laſſen. Da hat denn der
ſchlaue Burſch gemerkt, was bey Seiner Gnaden
ſaß, und hat, wie billig, in den Ton miteingeſtimmt,
den Seine Gnaden angaben. Ich muß aber die Ehre
haben, zu ſagen, daß noch im vorigen Jahre, nach
dem Frieden der Heſſen mit den Franzoſen, ein ge-
wiſſer Mann durch Heſſen reißte, und in einer
Schenke ohnweit Hersfeld einkehrte, wo er einige
Kruͤge Bier geben ließ, welche er mit zwey Buͤr-
ger aus Heſſenland trank, und dabey einen ganz
demokratiſchen und obendrein noch ſarkaſtiſchen Ton
abſichtlich anſtimmte. Den Augenblick ſtimmten
beyde Heſſen ein, und hielten ihrem Landgrafen
ſolche Elogen, bey denen dem Hn. Exleutnant die
Ohren, auf Ehre, gegellt haͤtten. Wenn ich bald
wieder durch Heſſen reiſe, will ich des Hn. von
Goͤchhauſens Wanderungen mitnehmen, und
dann giebts in den heſſiſchen Gaſthoͤfen gewiß was
zu lachen u. ſ. w.
Caub iſt eine alte roſtige Stadt, und gehoͤrt
dem Kurfuͤrſten von Pfalzbaiern. Sie iſt beruͤhmt
wegen ihrer Schiefergruben und beſonders wegen
des dortigen guten Weinwuchſes. Die Einwohner
zu Caub ſind aber grobe, ungeſchliffene Menſchen,
[320] ſprechen eine Sprache, aͤrger als die Hundsruͤcker,
und haſſen einander gar maͤchtig wegen der Ver-
ſchiedenheit ihres Glaubens. Die Preußen, welche
bey Lutheranern einquartiert waren, hatten es gut:
diejenigen aber, welche bey Katholiken lagen,
wurden von dieſen als Ketzer angeſehen und ſchlecht
behandelt. Es giebt aber unter den Weibsleuten
zu Caub, wie uͤberhaupt dort in den gebuͤrgigen
Gegenden, ganz artige Geſichter.
Bey Bacharach war eine Schiffbruͤcke uͤber
den Rhein geſchlagen, die wir paſſirten. Eine an-
dere war bey St. Goar, aber wegen der Franzoſen
konnten wir dieſe zum Uebergehen nicht benutzen.
Auch haͤtten ſie uns bey Bacharach den Weg ver-
ſperren koͤnnen, wenn ſie aufmerkſam genug gewe-
ſen waͤren. Aber unſer Gluͤck wollte, daß ſie in
den Gebuͤrgen die Paͤſſe nicht beſezten, durch welche
unſer Zug nothwendig gehen mußte: und ſo kamen
wir binnen einigen Tagen gluͤcklich auf die Hoͤhen
jenſeits des Rheins.
Bacharach iſt eben, wie Caub, eine uralte
ſchmutzige Stadt, und eben ſo beruͤhmt wegen ih-
res vortrefflichen Rheinweins. Gleich neben der
Stadt ſtand vorzeiten die Reſidenz der alten Pfalz-
grafen am Rhein, und eine Strecke unten, mitten
im Fluß, ſteht auf einer Inſel ein Wachtthurm,
welcher den Namen, die Pfalz, noch fuͤhrt, und
[321] ſonſt der Wittwenſitz der Pfalzgraͤfinnen war. Der
verſtorbene Heidelberger Rektor Andreaͤ hat eine
leſenswuͤrdige Abhandlung, Baccararum palatinum
geſchrieben, worin der Liebhaber der Alterthuͤmer
und der Naturgeſchichte manches zu ſeinem Unter-
richte und Vergnuͤgen finden kann.
Ich kann mir es noch nicht recht erklaͤren, war-
um die Franzoſen uns ſo ganz ungehindert uͤber
den Rhein gehen, und bis Kreuznach und Strom-
berg vorruͤcken ließen. Es war wohl blos Sorglo-
ſigkeit ihrer Anfuͤhrer, und gar zu großes Zutrauen
des Generals Neuwinger auf ſeine Schanze bey
Kreuznach und auf die Poſtirungen bey Stromberg
und Bingen. Bey Stromberg und Bingen koſtete
es den Preußen wenig Muͤhe, die Franzoſen weg-
zujagen: ein paniſcher Schreck hatte ſie einmal be-
fallen.
Der Leutnant Govin vom Bataillon Schenk,
jezt Wedel, den ich von Halle aus perſoͤnlich
kannte, verlohr ohnweit Stromberg ſein Leben.
Er haͤtte ſich durch die Flucht oder durch Ergebung
an die Franzoſen retten koͤnnen, aber er wehrte ſich,
bis er der Uebermacht erlag. Selbſt der Feind hat
von dieſem jungen Helden mit Achtung und Be-
wunderung geſprochen. Ich erzaͤhlte lange hernach
die bewieſene Tapferkeit dieſes Offiziers in Gegen-
Dritter Theil. X
[322] wart eines franzoͤſiſchen Hauptmanns in Lion, und
der ſagte: Une belle mort, vraiment! mais plus belle
encore, s'il, avoit peri pour une meilleure cauſe,
oder: Wahrlich, das war ein ſchoͤner Tod; aber er
wuͤrde ſchoͤner ſeyn, wenn der Offizier fuͤr eine beſſere
Sache geſtorben waͤre — gerade wie es von dem
Tode des Catiliana heißt: pulcherrima equidem
morte, ſi pro patria occubuiſſet: Doch dieſes ohne
Vergleich! Catiliana war ein Feind ſeines Va-
terlandes; Govin ein getreuer Verfechter der
Ehre ſeines Koͤnigs!
Bey Kreuznach an der Nahe oder Nohe wichen
die Franzoſen bald, ſo ſehr ſich auch Neuwinger
bemuͤhte, ſie zum Stehen zu bringen. Er ſelbſt
wurde gar ſehr und gefaͤhrlich mit Saͤbelhieben
verwundet, und fiel ſo in unſre Haͤnde. Unſre
Huſaren konnten dieſes Generals Tapferkeit und un-
erſchrocknen Muth nicht genug ruͤhmen, meynten aber
doch, wenn er ein Franzoſe geweſen waͤre, ſo haͤtte
er wohl ſo brav nicht gethan, aber ein Deutſcher,
das waͤre eine andre Sache! Die guten Huſaren
lernten aber noch vor dem Ende der dießjaͤhrigen
Kampagne auch die Franzoſen kennen!
Neuwinger wurde nach Stromberg gebracht,
und daſelbſt ſogar wider ſeinen Willen verbunden
und recht gut beſorgt. Unſer Koͤnig, der jede Tu-
gend ſchaͤzt, er finde ſie an Freund oder Feind, be-
[323] fahl, daß man den braven Neuwinger, das
waren ſeine eignen Worte, eben ſo behandeln ſollte,
als wenn Er es waͤre. — Cuͤſtine hat dieſen
Mann hernach zu Paris angeſchwaͤrzt, und beſon-
ders den Verluſt der Kreuznacher Schanze ihm zuge-
ſchoben; aber ſelbſt der Konvent hat Neuwin-
gern das Verdienſt um ihr Vaterland eingeraͤumt.
Unſer Regiment hatte den 28ten Maͤrz in Strom-
berg Ruhetag. Stromberg iſt eine alte, unanſehn-
liche Stadt, worin man a[n] [...]ellem Tage den Hals
brechen kann: ſo bergig, klippig und uneben iſt
alles. Das dabey ſtehende alte Schloß, woſelbſt
ſich die Franzoſen poſtirt hatten, war ehedem der
Siz des Fuſt von Stromberg, welchen mein
Landsmann, der Hofgerichts-Rath Meier, durch
ein treffliches Schauſpiel unſterblicher gemacht hat,
als eine gewiſſe hiſtoriſche Sudeley den braven Her-
mann Riedeſel je machen kann. Doch zum
Schreiben dicker Baͤnde gehoͤrt oft weit weniger
Genie, als zu Einer Scene in einem guten Drama.
Waͤhrend unſers Aufenthalts in Stromberg
haͤtte ich meinen Bruder ſprechen koͤnnen, welcher
nur eine halbe Stunde davon, zu Seyffersbach,
Pfarrer iſt. Aber wenn meine Leſer wiſſen, was
ich von meinem Verhaͤltniſſe gegen ihn im andern
Bande dieſes Werkchens geſagt habe, ſo koͤnnen ſie
die Urſache leicht errathen, warum ich weder zu
[324] ihm ging, noch ihm von meiner Naͤhe Nachricht
geben ließ. Ich zweifle nicht, daß man mir dieſes
inoffizioͤſe Benehmen [vergeben] wird.
Die von einem paniſchen Schrecken ergriffnen
Franzoſen fluͤchteten ſich von Kreuznach nach Al-
zey zu: bey Wendelsheim, eben dem Orte, wo ich
gebohren bin, holten unſre Huſaren ſie ein, und
jagten ſie weiter. Es liegen dort herum viele
Franzoſen, aber auch mehr als ein Preuße be-
graben.
Ich uͤbergehe alle Vorfaͤlle, wodurch wir Mei-
ſter des ganzen Rheinſtroms in ſo kurzer Zeit ge-
worden ſind: ſie ſind hinlaͤnglich beſchrieben, und in
allen Zeitungen ſo ſehr auspoſaunt worden, daß ſelbſt
Preußen, die dem ganzen Kazenjagen beygewohnt
hatten, laͤchelten, wenn man Kleinigkeiten z. B.
die Bagatelle bey Odernheim, den winzigen Anfall
auf dem Rindertanz ohnweit Steinbockenheim, das
Plackern bey Flonheim u. dgl. fuͤr große ſignaliſirte
Viktorien ausgab. Man muß aus dergleichen
Dingen nicht viel Aufhebens machen, weil ſie es
nicht verdienen, indem ſie nichts entſcheiden, und
doch immer Menſchen koſten.
Die Franzoſen zogen ſich in aller Eile zuruͤck,
und warfen auch noch mitunter ihre Gewehre und
anderes Geraͤthe weg. Sie waren ſchlecht ange-
[325] fuͤhrt, hatten keinen Plan *) und konnten auf alle
Faͤlle — nichts verlieren. Blieb ihnen nur Maynz,
oder konnten ſie es dereinſt entſetzen, ſo mußten die
Preußen alle wieder uͤber den Rhein, und die Fran-
zoſen waren wieder Meiſter des Stroms und des
ganzen Landes.
Unſer Regiment, welches zu keiner eigentlichen
Attake gekommen war, ob es gleich, wie die an-
dern alle, dem Feinde mitnachrennen mußte, kam
den 30ten Maͤrz nach Framersheim, wo wir uͤber
Nacht blieben. In dieſem Orte iſt mein Vetter
Laukhard Pfarrer, eben der, welcher ehedem mit
Doctor Bahrdt zu Heidesheim in Verbindung ge-
ſtanden war. Ich war recht froh, dieſen ehrlichen
Mann, der ſich immer als mein Freund bewieſen
hatte, wieder zu umarmen. Er lebt recht gluͤcklich
mit einer ſchoͤnen, ehrwuͤrdigen und vernuͤnftigen
Frau, welche den Beyfall aller unſrer Compagnie-
Offiziere, beſonders meines Hauptmanns, des Hn.
von Mandelsloh, in allen Ehren erhalten hat.
Sie ſtrafte mich im Scherze, daß ich in meinen Bey-
traͤgen zu D. Bahrdts Lebensbeſchreibung ihren
Vater, den Superintendenten von Duͤrkheim,
[326] Bahrts Vorfahr, Lucerner genannt haͤtte, da
doch ſein Name Luerne geweſen waͤre. Als ich
ihr aber ſagte, daran ſey nicht ich, ſondern der Kor-
rektor Schuld, ſo gab ſie ſich zufrieden. Sie be-
wirthete meinen Hauptmann, deſſen Compagnie-
Offiziere und mich ſehr vornehm und koͤſtlich.
In Framersheim hatte ich ehedem mehrmals ge-
predigt, und da ich fixweg perorirte, was ich in
einem alten oder neuen Kanzeltroͤſter auswendig ge-
lernt hatte, dabey auch ſtattlich auf die Kanzel ſchlug,
und nicht aus dem Buche ablas, ſo hatte ich mich
bey den Leuten dort in nicht uͤblen Credit geſezt.
Als ſie nun hoͤrten, daß ich bey den Preußen ſey,
und in ihrem Orte Quartier habe, kamen ſie hau-
fenweiſe zu mir, begaften mich, und wunderten ſich
hoͤchlich: „daß ein ſo grauſam, ſo abſcheulich und
eutſetzlich gelehrter Menſch koͤnnte Soldat ſeyn!“
Ein alt Muͤtterchen druͤckte mir herzlich die Hand,
und ſagte: „ach lieber Herre, was hat er mei'm
Hans Kaſchper aͤ erſchrecklich huͤbſch Leichpredig ge-
hall! Eich dank ehm noch tauſendmol devor.“
Ich bin auch bey dieſen guten Leuten recht vergnuͤgt
geweſen.
[327]
Neun und zwanzigſtes Kapitel.
Was vor der Belagerung von Maynz herging.
Der Koͤnig hatte zu Alsheim am Alt-Rhein, ohn-
weit Gundersblum, ſein Quartier genommen, nach-
dem ſich der franzoͤſiſche General Houchard end-
lich auch von Alzey wegretirirt hatte: denn nun
hielt man ſich vor den Franzoſen ganz ſicher. Al-
lein es ſtand noch ein Haufen bey Oppenheim, wel-
cher zu Cuͤſtines Armee gehoͤrte, und in der Nacht
vom 30 zum 31ſten Maͤrz durchbrechen und eine An-
zahl von Koſtbarkeiten aus Maynz nach Landau
bringen wollte. Als ſie vollends erfuhren, daß der
Koͤnig von Preußen ſein nur ſchwach beſeztes Haupt-
quartier in Alsheim habe, ſo wurden ſie voll Muth,
und beſchloſſen, daſſelbe anzugreifen, und den Koͤ-
nig gefangen zu nehmen. Dieſe Abſicht haͤtten ſie
auch erreichen koͤnnen, wenn nicht Merlin, der
Repraͤſentant, dem General Blou das Kom-
mando genommen haͤtte. Dadurch naͤmlich ent-
ſtand Zwiſt unter den Nationalgarden und Linien-
truppen, wie die franzoͤſiſchen Truppen damals
[328] und noch lange hernach hießen; und dieſer Zwiſt
verdarb den ganzen Plan. So ſtark die Franzoſen
anfaͤnglich auch marſchiert waren, ſo laß wurden
ſie jezt und ließen ſich auch noch zu einer Kanonade
gegen eine in aller Eile bey Hangen-Wohlheim
aufgeworfnen Batterie verleiten, und drangen nicht
vor. Sie hatten aber auch nicht Raum, ſich aus-
zudehnen, und wichen ſehr bald nach Maynz zuruͤck,
ob ſie gleich 8000 Mann ſtark geweſen ſeyn ſollen,
da gewiß noch keine 2000 Preußen, alles mitgerech-
net, gegen ſie da waren.
Bey dieſem gefaͤhrlichen Anfall bewies ſich un-
ſer Koͤnig, wie ſich ein Koͤnig beweiſen muß, der
Soldaten im Kriege anfuͤhrt. Bey der Nachricht,
daß er uͤberfallen ſey, erblaßte er zwar etwas,
und ſagte: Hm, hm, das iſt doch des Teufels!
Aber ſogleich gab er Befehle zur Vertheidigung, und
zwar ſo treffend, und anwendbar, daß ſeine Anſtal-
ten den erwuͤnſchten Erfolg haben mußten. Das
Regiment Wolfrath, oder die braunen Huſaren
haben ſich bey dieſer Gelegenheit beſonders gut aus-
gezeichnet: Die Franzoſen aber haben auch nicht
viel Verluſt gehabt.
Wir lagen indeſſen in guter Ruhe in den Doͤr-
fern, und erfuhren erſt den andern Tag, in wel-
cher Gefahr unſer Koͤnig geweſen war. „Gott, was
waͤre das ein Ungluͤck geweſen, ſagte ein Offizier
[329] ganz laut, wenn der Koͤnig waͤre gefangen worden!“
Ein alter Major erwiederte hierauf: „Wer weiß auch,
Herr Leutnant, obs ein großes Ungluͤck geweſen
waͤre! Waͤre der Koͤnig gefangen und nach Lan-
dau gebracht worden, ſo haͤtte der Krieg in kurzem
ein Ende. Wer weiß, ob die Fortdauer deſſelben
nicht noch tauſend Elend uͤber Deutſchland und
uͤber die ganze Welt bringt!“ Der gute Mann
hatte nicht uͤbel geſprochen.
Den 31ten bezogen wir Kantonnirungsquartiere,
und unſer Regiment kam in Oppenheim zu liegen.
Oben auf dem Berge wurden von drey Regimen-
tern die Zelter aufgeſchlagen, aber nicht belegt:
nur eine Wache blieb bey dieſem Scheinlager.
Man denkt leicht, daß ich ſehr zufrieden war,
nach Oppenheim zu kommen, wo ich mehrere Be-
kannte, und Freunde hatte, beſonders den Herrn
Pfarrer Braun, den ich ehedem in Halle unter
meine ganz ſpeciellen Freunde zaͤhlen konnte. Der
brave Mann kam unſerm Regimente, blos um mich
zu ſprechen, bis beynahe Gundersblum entgegen,
und bat mich aufs dringendſte, gleich bey meinem
Eintritt in ſeinen Wohnort ihn zu beſuchen. Das
konnte ich erſt den andern Tag, aber das war denn
auch ein Feſttag fuͤr mich, wie ich dort deren meh-
rere gehabt habe! Durch Pfarrer Brauu lernte
ich auch den Herrn Inſpektor Abbeg von Lam-
[330] pertsheim kennen. Wenn mehrere Maͤnner, wie
dieſe beyde, in der Pfalz waͤren, ich ſoͤhnte mich,
wie ich glaube, mit der reformirten Geiſtlichkeit
dort am Rhein ganz wieder aus. Ich wuͤßte nicht,
was ich darum gaͤbe, daß Paſtor Braun das
Betragen der Franzoſen — Doch wir ſind und blei-
ben deswegen doch Freunde.
Weil ich ſo nahe an meinem Geburtsorte war,
wollte ich einmal dahin gehen und meine gute Mut-
ter beſuchen. Es war zwar aufs ſchaͤrfſte verboten,
jemand aus den Kantonuirungsquartieren heraus
zu laſſen weiter als eine halbe Stunde: allein mein
Hauptmann wirkte mir die Erlaubniß, meine Mut-
ter zu beſuchen, bey dem General Wolfframs-
dorf aus, und ich lief noch in der Nacht, ſo daß
ich gegen zwey Uhr in Wendelsheim ankam. Ich
hatte den Schulmeiſter Forcher herausgepocht,
um von dieſem zu erfahren, wo meine Mutter wohl
wohnte. Dieſe ehrliche Haut und mein ehemali-
ger Kumpan bey meinen Jugendſtreichen war herz-
lich froh, daß er mich wieder ſah, und begleitete
mich zu meiner Mutter. Die gute Alte konnte an-
faͤnglich vor Thraͤnen nicht reden, als ſie aber der
Sprache wieder maͤchtig ward, bewies ſie mir ihre
Freude uͤber meinen Beſuch durch tauſend Manie-
ren. Auch meine alte Tante lebte noch. Man er-
ſtickte mich beynahe mit Fragen; und wenn ich alles
[331] haͤtte erzaͤhlen und erklaͤren ſollen, was man wiſ-
ſen wollte, ich glaube, ich haͤtte 14 Tage bleiben
muͤſſen.
Meine Mutter hatte meine Lebensgeſchichte ge-
leſen, und da war ihr denn beſonders aufgefallen,
daß ich da ſo oͤffentlich hingeſchrieben haͤtte, daß
mein Vater nach ſeinem Tode ſpuken ginge. Ich
machte ihr begreiflich, daß die Schande dieſes
Maͤhrchens gar nicht auf den braven Vater fiele:
denn dieſer ginge eben ſo wenig ſpuken, als Sa-
muel, Lazarus, der Juͤngling zu Nain, oder ſelbſt
Chriſtus der Herr jemals nach ihrem Tode geſpukt
haͤtten: kein vernuͤnftiger glaube an Geſpenſter:
die Schande falle vielmehr auf den Pfarrer
Schoͤnfeld zu Wendelsheim, welcher aus Feind-
ſchaft gegen ſeinen wuͤrdigen Vorfahr und aus
Dummheit ſolche naͤrriſche Spukerey ausgebruͤtet
haͤtte. Hiermit ſchien die gute Frau ſich zu beruhi-
gen. Bey dieſer Gelegenheit erkundigte ich mich
auch nach unſern alten Dorfgeſpenſtern, und hoͤrte
zu meiner großen Erbauung, daß der Schlapp-
ohr, der alte Schulz Hahn, das Muhkalb, der
feurige Mann, der Sanktornus und alle andre Ge-
ſpenſter ihr Unweſen noch immer ſo gut trieben, als
vorzeiten; ja, bey der Invaſion der Franzoſen
ſollte der Schlappohr ſogar am hellen Tage ſicht-
[332] bar geweſen ſeyn. So finſter iſt's noch in der Pfalz,
ſelbſt unter Proteſtanten!
Meines Vaters Bibliothek, und alle ſeine Brief-
ſchaften hatte mein Bruder ſich zugeeignet, doch
hatte er meiner Mutter verſprechen muͤſſen, im Fall
ich dereinſt das eine oder das andere davon haben
wollte, er mir es verabfolgen laſſen wuͤrde. Uebri-
gens habe ich mich ſehr gefreut, daß ich meine
Alte in gutem Wohlſtande und ohne alle Sorgen
der Nahrung antraf. Gebe der Himmel, daß es
ihr gut gehen mag, bis an ihr Ende!
Meinen ehrlichen Stuber zu Flonheim habe
ich auf dem Ruͤckwege beſucht, und von ſeinen
Toͤchtern, beſonders von Mamſel Dortchen, ge-
waltige Vorwuͤrfe hoͤren muͤſſen, weil ich einmal
geſchrieben hatte, daß das Pfaͤlzer Frauenzimmer
dem Weinſaufen ſtracks ergeben ſey.
Meine alte, damals ſchon 87jaͤhrige Tante beglei-
tete mich wohl eine gute halbe Stunde, und weinte
bittere Thraͤnen, als ſie mich verließ: ſie hat mich
hernach in Alzey nochmals beſucht. Ich vergebe
herzlich gern der guten Tante, daß ſie mich ſo
ſchlecht erzogen hat: ihre Affenliebe gegen mich hat
ſie dazu verleitet.
Mein Vater hatte ehedem dem Grafen Em-
merich von Leiningen-Gundersblum 800
Gulden Rheiniſch geliehen. Der Graf hatte ſich
[333] hernach erſchoſſen, und ſein Herr Nachfolger,
Graf Friedrich, wurde auf Betrieb ſeines Vet-
ters, des Herrn Grafen, hernach Fuͤrſten von Lei-
ningen-Dachsburg, der Regierung unfaͤhig
erklaͤrt, und als ein Wahnſinniger eingeſperrt.
Unter den Verbrechen, deren man ihn beſchuldigte,
war beſonders, daß er die heil. Jungfrau, im
Wilden Mann zu Oppenheim, eine Hure genannt,
und vom Kaiſer veraͤchtlich geſprochen haͤtte. Die
wahre Urſache der Regierungsunfaͤhigerklaͤrung aber
war, daß Graf Friedrich eine Rheingraͤfin von
Grumbach heurathen wollte, und der Herr Graf
von Leiningen-Dachsburg dann Nachkommen und
Verluſt der Erbſchaft befuͤrchtete. Daher wuſte er
die Sache ſo einzuleiten, beſonders durch Vor-
ſprache ſeines Freundes, des Kurfuͤrſten von der
Pfalz, daß der Graf eingeſteckt wurde, und bald
darauf, Gott weiß, an welcher Krankheit, oder
an welchem Traͤnkchen im Gefaͤngniß ſtarb.
Mein Vater wendete ſich ſchon damals an den
neuen Regenten von Gundersblum, welcher als
Erbe die Schulden des Grafen Emmerich haͤtte
zahlen muͤſſen: aber er erhielt kein Geld, weil
Ruͤhl, eben der Ruͤhl, welcher die h. Salbungs-
Flaſche fuͤr die Koͤnige von Frankreich zu Rheims
1794 zerbrochen und ſich 1795 zu Paris erſchoſſen
hat, ihm bedeutete, daß die beyden Grafſchaften,
[334] Gundersblum und Heidesheim, noch im Proceß laͤ-
gen, und ſein Herr eher nichts bezahlen koͤnnte,
bis er im rechtlichen Beſitz derſelben ſeyn wuͤrde.
Endlich verlohr der Fuͤrſt — denn er hatte ſich be-
fuͤrſten laſſen — ſeinen Rechtshandel gegen die ſo-
genannten Linanges d'Italie, welche nun Herren zu
Gundersblum und Heidesheim wurden. Mein Va-
ter foderte jezt von dieſen ſein Geld, und da ers
nicht erhielt, verklagte er ſie zu Wetzlar: aber in
Wetzlar bleiben alle Proceſſe haͤngen, wie bekannt iſt.
Meine Mutter ſezte den Proceß, der ihr viel koſtete,
freilich fort, ſie gewann aber nichts, das heißt, ſie
konnte die mandata ſine clauſula oder die Befehle
ohne Kraft, nicht wirkſam machen. Daher wen-
dete ſie ſich nun durch mich an die Preußen und
wuͤrde auch ohnfehlbar ihr Geld, welches ſich nun
ſeit 1760 mit den Intereſſen auf eine ziemliche
Summe belaͤuft, erhalten haben, wenn die Preu-
ßen jenſeits des Rheins alles haͤtten ruhig machen
koͤnnen. Aber ſo war auch auf dieſem Wege fuͤr ſie
keine Huͤlfe.
Indeſſen iſt das Geld doch noch nicht verloren:
denn bleiben die Gegenden jenſeits des Rheins
in den Haͤnden der braven Franzoſen, wie es im-
mer wahrſcheinlicher wird, ſo muͤſſen, nach dem
Geſetz der Republik, alle Schulden der cy-devant-
Herren richtig bezahlt werden, weil ſie keine Guͤter
[335] durchaus nicht eher publiciren laſſen, als bis alle
darauf haftende Schulden bezahlt ſind.
Eine wahre Freude machte mir auch Hr. Si-
mon, Pfarrer zu Dahlheim bey Oppenheim, durch
ſeinen Beſuch mit ſeiner ſchoͤnen braven Schweſter.
Dieſes iſt noch einer von den wenigen ſoliden Maͤn-
nern in der Pfalz, welche das Herz haben, anders
zu denken, als es in der Augſpurgiſchen Konfeſſion,
oder im Katechismus ſteht. Ehedem war Simon
einer meiner vertrauteſten Freunde, und wuſte um
alle meine Hiſtorien, ohne ſie jemals zu meinem
Nachtheile zu benutzen. Ich habe ihn auch in Dahl-
heim beſucht, und recht ſelige Stunden bey ihm
zugebracht.
Eines Tages ſaß ich in einem Hauſe der Apo-
theke gegen uͤber, als ein Menſch, den ich nach
ſeinem Anzuge fuͤr einen Pfaffen hielt, heraus kam.
Zwey gutgekleidete Maͤnner ſtanden auf der Gaſſe,
und einer davon fing an: „Seht doch da, wer
iſt das?
B. Ei, kennen Sie den nicht!
A. Nein: mein Seel', ich kenn' ihn nicht.
B. Sonderbar! Der iſt ja doch weit und breit
bekannt genug: Das iſt ja der Magiſter Weit-
maul von Udenheim!
A. Iſt das der Magiſter Weitmaul, von dem
Laukhard ſo viel ſchreibt?
[336]
B. Freilich: aber Laukhard haͤtte von dem Ge-
neralwindſack noch mehr ſagen ſollen: der Kerl haͤtt'
es verdient. Es iſt doch ein Generalwindbeutel
und des heiligen roͤmiſchen Reichs Obermaͤhrchen-
traͤger. — Die Herren gingen weiter, und un-
terhielten ſich wahrſcheinlich noch von den Wind-
beuteleien des Magiſters Weitmaul.
Wenn meine Leſer ſich aus dem erſten Theile
dieſes Werkchens noch erinnern, daß Wagner,
Pfarrer zu Udenheim, ohnweit Maynz, ſonſt Ma-
giſter Weitmaul im ganzen Lande zubenahmt,
mein Hauptantagoniſt ehedem war, ſo koͤnnen ſie
leicht denken, daß dieſer kurze Dialog mich nicht
wenig ergoͤzt habe. — In der Pfalz hat von mei-
ner ganzen Geſchichte nichts mehr gefallen, als
das, was ſich von und uͤber Magiſter Weitmaul
darin befindet. So war er: und ſo ſind einmal
die — Pfaͤlzer! —
[337]
Dreißigſtes Kapitel.
Klubbiſten-Jagd jenſeit des Rheins.
Das Wort Klubbiſt, ſo fern ich es brauche,
hat eine zweyfache Bedeutung. Ich merke dieſes
an, wegen der kuͤnftigen Vollſtaͤndigkeit des deut-
ſchen Woͤrterbuchs. Einmal im engern Verſtande
bedeutet es ein Mitglied irgend eines Klubbs d. i.
einer zur Verbreitung der franzoͤſiſchen Grundſaͤtze
von Freyheit und Gleichheit errichteten Volksgeſell-
ſchaft. Im weitern Sinne bezeichnet es jeden,
der dem neufraͤnkiſchen Syſteme hold iſt, oder ein
Vertheidiger irgend eines Menſchenrechts. Im
lezten Sinne hat alſo das Wort Klubbiſt mit den
Woͤrtern Demokrat, Jacobiner, und andern aͤhn-
lichen, beynahe gleiche Bedeutung.
Wir lernten dieſes Wort, das in England jedes
Mitglied einer geſchloßnen Geſellſchaft ebenfalls
anzeigt, erſt am Rheine kennen, nachdem wir vom
Maynzer Klubb naͤhere Nachricht einzogen. Wie
verhaßt die Klubbiſten bey den Preußen groͤßten-
theils geweſen ſind, laͤßt ſich leicht denken.
Dritter Theil. Y
[338]
Ich bin uͤberzeugt, es wuͤrde unſerm guten Koͤ-
nige niemals eingefallen ſeyn, Jagd auf Klubbiſten
zu machen, wenn nicht uͤbelgeſinnte, herrſchſuͤch-
tige, Rachekochende, haͤmiſche Menſchen, deren
es dort uͤber dem Rhein nur gar zu viele giebt, auf
eine recht teufliſche Art ihre Mitbuͤrger und Lands-
leute denunziirt haͤtten.
Man weiß, daß gleich nach Cuͤſtine's An-
kunft in Maynz die ganze dortige Gegend — Kur-
pfalz ausgenommen — durch den Repraͤſentant
Merlin und ſeine Anhaͤnger, beſonders durch
Georg Forſter, zur Theilnahme an einer neuen
Verfaſſung entweder beredet oder gezwungen wurde.
Man mußte, man mogte wollen oder nicht, zur
Freyheitsfahne ſchwoͤren, Freyheitsbaͤume errichten,
und ſich bis dahin dem neuen Syſteme gemaͤß or-
ganiſiren. Ich verabſcheue dieſe praͤcipitirte Or-
ganiſation ſo ſehr, als der aͤrgſte Ariſtokrat, und
weiß, daß eben dieſe viel Ungluͤck uͤber jene
Laͤnder gebracht hat, und daß beſonders Ge-
org Forſters hitzige Afterpolitik vorzuͤglich
Schuld am Verderben ſo Vieler geweſen iſt. Die-
ſer ſonderbare und uͤberreife Mann ſchien ordentlich
zur Geiſel der Maynzer und uͤberhaupt der Rhein-
laͤnder gebohren zu ſeyn. Es gab unter den Klub-
biſten in Maynz wirklich große Maͤnner, aber auch
raſende! Die Vornehmen der leztern waren Ge-
[339]org Forſter, Wilhelm Boͤhmer, Pape
und noch einige, welche durch ihre Freyheitswuth,
alles unter und uͤber kehrten, und dem ganzen Lan-
de großes Elend zuzogen. Doch das alles gehoͤrt
nicht hieher, und darum ſey es verſchoben.
Man hatte dem Koͤnige den Wiſch eines Mayn-
zer Klubbiſten gezeigt, mit der Ueberſchrift: An
Friedrich Wilhelm Hohenzollern. — Der guͤtige
Monarch lachte daruͤber, und legte das unſinnige,
kindiſche Geſchwaͤtz ruhig auf den Tiſch. Aber nach-
her hat man dem Koͤnige ſtaͤrker zugeſezt, und auf
alle Weiſe geſucht, ihn wider die Klubbiſten aufzu-
bringen. Von allen Seiten her kamen Libelle und
Denunziationen, welche entweder an den Koͤnig
ſelbſt, oder an unſre Generale gerichtet waren.
Die Herren Grafen, Fuͤrſten, Edelleute, Dom-
pfaffen u. dgl. in der dortigen weiten Gegend er-
mangelten nicht, ſeiner Majeſtaͤt vorzuſtellen,
wie die infamen Kerls, die Klubbiſten, die Rechte
der Fuͤrſten zernichtet und allerhand demokratiſchen
Unfug getrieben haͤtten. Sie foderten daher im
Namen aller deutſchen Fuͤrſten den Koͤnig auf, die
beleidigte Hoheit zu raͤchen. Der Koͤnig, umgeben
von rechtſchaffnen, einſichtigen Maͤnnern, verſi-
cherte Anfangs, daß er ſich mit dergleichen Unterſu-
chungen nicht befaſſen koͤnnte. Aber die Herren
verlangten ja auch keine geſetzliche Unterſu-
[340]chung, ſondern faktiſche militaͤriſche Pro-
ceduren!
Sie ſteckten ſich daher, nebſt ihrem ariſtokrati-
ſchen Anhange, hinter die preußiſchen Offiziere,
ja, ſogar hinter Unteroffiziere und Soldaten, und
ließen die Demokraten oder die Klubbiſten (denn das
war ihnen alles eins) gegen alle Form Rechtens,
nach welcher auch der aͤrgſte Boͤſewicht erſt gehoͤrt,
und dann nach den Geſetzen gerichtet werden muß,
militaͤriſch aͤngſtigen und verfolgen. Wie barba-
riſch man hiebey verfahren ſey, moͤgen einige Bey-
ſpiele von der erſten Jagd auf die armen Klubbi-
ſten in der Pfalz lehren.
Der Loͤwenwirth in Wendelsheim, Namens
Brandenburger, wurde wegen ſeines Reich-
thums und Anſehens damals zum Maire erwaͤhlt,
als Georg Forſter und ſeine Kommiſſarien
dort herum Freyheitsbaͤume errichten ließen.
Brandenburger beredete ſich nun mit dem damali-
gen Schulzen Hahn, und verſprach, ſo viel es
moͤglich ſeyn wuͤrde, fuͤr das Intereſſe des Grafen
zu ſorgen, weil man doch nicht wiſſe, was aus
der Sache werden wuͤrde. Das war nicht ſehr ja-
kobiniſch. Als aber am Charfreytage, den 29ſten
Maͤrz, die braunen Huſaren dort ankamen, de-
nunziirten einige Bauren, welche den Branden-
burger ſchon lange haßten, bey dem Huſaren-Leut-
[341] nant: der Leutnant aber, welcher mehr zu thun ha-
ben mogte, befahl den Bauren, ſich zum Teufel
zu ſcheeren. Er ritt darauf nach Erbesbudesheim,
und ließ einen Wachtmeiſter mit ohngefaͤhr zwoͤlf
Mann im Dorfe, um zu patrouilliren. Die Schlin-
gel von Bauren wendeten ſich nun an den Wacht-
meiſter und dieſer — man denke doch! — erklaͤrte
das Haus des Brandenburgers fuͤr pluͤnderungs-
faͤhig, und nahm ihn ſelbſt in Verhaft. Man fing
wirklich an zu pluͤndern, aber nicht ſowohl die Hu-
ſaren, als vielmehr die Bauren, bis endlich ein
redlicher Huſar, der gerechter und menſchlicher
dachte, als ſein Herr Schlingel von Wachtmeiſter,
ſeinen Saͤbel zog, und bey hundert tauſend Schock
Teufel verſicherte, daß er dem erſten, beſten den
Kopf ſpalten wuͤrde, der noch einen Fuß zum
Pluͤndern ins Haus ſetzen wuͤrde. Wer war froher,
als die Frau des Brandenburgers: — ſie hat mir
das alles ſelbſt erzaͤhlt. — Sie druͤckte und kuͤßte
den ehrwuͤrdigen Huſaren, und bath ihn, ihren
Mann doch zu befreyen, der ſchon nach Budesheim
NB! von Bauren abgefuͤhrt war. Der Huſar beſann
ſich kurz, und bath den Wachtmeiſter, ihn nach Bu-
desheim zu ſchicken, wohin eben doch eine Ordo-
nanz rei[z]en muͤßte. Ungern, aber doch willigte
der Wachtmeiſter ein, weil ihn ſeine Uebereilung
ſchon reuete, und der Huſar verſprach, reinen
[342] Mund zu halten. Dieſer ritt fluchs dahin. Kurz
darauf kamen noch andere Huſaren ins Dorf, und
pluͤnderten den Keller des Brandenburgers noch
mehr. Freilich konnten ſie allein nicht viel Wein
trinken, aber die Bauren halfen ihnen, und was
nicht geſoffen wurde, trugen dieſe nach Hauſe, ſo
daß Brandenburger an ſeinem Weinlager wenig-
ſtens 200 Thaler Schaden gelitten hat. Man leſe
weiter, und erſtaune!
Brandenburger wurde nach Budesheim,
eine halbe Stunde von Wendelsheim gebracht, und
da als ein Erzjakobiner in die Haͤnde eines preu-
ßiſchen Huſarenoffiziers abgeliefert. Er war faſt
halb todt von den vielen Schlaͤgen und Stoͤßen,
die ihm die Bauren unterwegs gegeben hatten:
denn dieſe glaubten gewiß, daß er wenigſtens ge-
henkt werden muͤßte. Er beſchwerte ſich bey dem
Offizier, welcher ihm mit zorniger Stimme ant-
wortete: Halt's Maul, verfluchter Patriot, oder
ich laſſe dich gleich aufknuͤpfen! Weißt du Spiz-
bube, daß ich dich kann in Stuͤcken zerhauen laſſen,
wenn ich will?
Brandenburger ſchwieg.
Offizier: Rede, Hunzfott! Glaubſt du,
Kanaille, daß ich dich kann haͤngen laſſen, wenn
ich will?
[343]
Brandenburger: Herr Offizier, ich bin
unſchuldig. Laſſen ſie mich zum Koͤnig fuͤhren, —
laſſen Sie meine Sache unterſuchen! Ich weiß,
daß ich fuͤr unſchuldig erklaͤrt werden muß! Ich
habe nichts gethan, das einer ſolchen barbariſchen
Behandlung wuͤrdig waͤre.
Offizier: Der Kerl raͤſonnirt noch! Den ſoll
ja das heilige Wetter erſchlagen! Allons Unter-
offiziere, Stoͤcker los!
Die Unteroffiziere gehorchten, und fiengen an
loszuſchlagen, als gerade der ehrliche Huſar, und
der katholiſche Pfarrer des Ortes, Herr Hoff-
mann, *) nebſt dem erwaͤhnten Schulzen Hahn
hereintraten. Der Pfarrer, durch die barbariſche
Pruͤgeley aufgebracht, trat mit entſchloßnem Muthe
den Offizier an, und ſagte zu ihm: „Aber Herr
Leutnant, was machen Sie da? Koͤnnen Sie es
verantworten, daß Sie einen unſchuldigen Mann
zerpruͤgeln laſſen?
Offizier: Wer iſt der Herr?
Hoffmann: Ich bin der katholiſche Geiſtli-
che von hier. Ich habe heute verſchiedene preu-
ßiſche hohe Offiziere bey mir zu Hauſe gehabt —
[344] das waren Maͤnner von Empfindung und Men-
ſchenliebe.
Offizier: Herr, was will Er aber hier?
Hoffmann: Einen Unſchuldigen retten,
welcher —
Offizier: (erboßt) Himmel tauſend Saker-
ment: iſt der Spizbub' da nicht ein Klubbiſt, ein
Patriot, ein verfluchter, verdammter, ein — ein
—? (ſpukt aus.)
Hoffmann: Herr Schulz, reden Sie!
Welches Zeugniß geben Sie dem Brandenburger?
Schulz Hahn: Herr Leutnant, ich bezeuge
vor Gott, daß Brandenburger unſchuldig iſt: man
hat ihn mit Gewalt zum Maire gemacht, und als
Maire hat er nichts gethan, was dem Intereſſe un-
ſers Rheingrafen zuwider waͤre: mit einem Wort,
ich und er waren einverſtanden, bis die Sache auf
einen oder andern Weg gehen wuͤrde.
Offizier: (beſchaͤmt) Unteroffiziers, geht
nur!
Hoffmann: Sehen Sie, Herr Leutnant,
wie Sie Sich uͤbereilten! Wenn das der Koͤnig,
oder nur ihr General wuͤßte! Sie, als Kriegsmann,
ſollten bloß im Fall der Noth die exekutive Gewalt
unterſtuͤtzen helfen, und handeln gegen die konſti-
tituve Gerechtigkeit! Brandenburger iſt kein Unter-
gebner von Ihnen, und doch behandeln Sie ihn
[345] militaͤriſch exekutiviſch! Brandenburger iſt un-
ſchuldig, und doch beſtrafen Sie ihn ohne Verhoͤr
und Vertheidigung! Heißt das nicht die ariſtokra-
tiſche oder monarchiſche Anarchie mit der demokra-
tiſchen vertauſchen wollen? Das iſt der Wille ih-
res Monarchen gewiß nicht. Ihr Monarch iſt guͤ-
tig und gerecht: Sie aber, als der Diener ſeiner
Macht, zeigen ihn als einen gekroͤnten Wuͤrg-En-
gel, der Gewalt vor Recht ergangen wiſſen wolle.
Als Mann von Delikateſſe fuͤr die Ehre ihres Mo-
narchen, ſollten Sie vorſichtiger und gerechter ver-
fahren, zumal in ſo politiſch-kritiſchen Tagen, wo
die Diener der Monarchen die Klugheit haben ſoll-
ten, die an ihnen geruͤgten Fehler eher zu vermei-
den als ſie zu wiederholen. Was wuͤrde Ihr Koͤ-
nig ſagen, was uͤber Sie verfuͤgen, wenn die ganze
Dorfſchaft ihn mit einer Klage gegen Sie anginge
und auf Genugthuung beſtaͤnde? Doch es mag
darum ſeyn: wir wollen nicht klagen; aber wir wuͤn-
ſchen zu wiſſen: Iſt Brandenburger jezt frey?
Offizier: (unwillig immer auf- und abge-
hend) Er kann in's Dreyteufels Namen ſich an
den Galgen ſcheeren!
Hoffmann: Kommt Kinder! (zum Huſaren)
Komm alter braver Schnurrbart! Komm, trink ein
Glaß Wein mit mir! Du biſt ehrwuͤrdiger, mehr
Menſch, als mancher General und Erzbiſchof!
[346]
Man muß wiſſen, daß der ehrliche Hahn,
ſobald er erfahren hatte, daß Brandenburger
nach Budesheim in Verhaft gebracht ſey, dahin lief,
und, weil er ſich nicht traute, den Offizier allein anzu-
gehen, den Pfarrer Hoffmann bath, ſich des ar-
men Unſchuldigen anzunehmen. Dieſer rechtſchaffne
Mann war auch ſofort dazu erboͤtig. Unterwegs
begegnete ihnen der alte Huſar, welcher ihnen er-
zaͤhlte, was in Wendelsheim vorgefallen war.
Brandenburger kam zu Hauſe, und fand ſeinen
Keller — ausgeleert. Er uͤberreichte nachher eine
Bittſchrift dem Grafen von Kalkreuth, worin
er ſich uͤber die barbariſche Art beſchwerte, womit
man ihn und ſein Haus behandelt hatte. Der Ad-
jutant des Grafen gab ihm aber die troͤſtende Ant-
wort: „Es iſt Krieg!“
In Flonheim wurde Diel, ebenfalls ein beguͤ-
terter Gaſtwirth, als Klubbiſt angegeben, von den
Preußen gepruͤgelt, beraubt, und ſeine huͤbſche
Frau — auf die ſchaͤndlichſte Art misbraucht.
In Woͤllſtein, einem ſchoͤnen großen Flecken,
war die Unterſuchung gegen die Klubbiſten noch
ſchaͤrfer. Dieſer Flecken gehoͤrt theils dem Kurfuͤr-
ſten von Maynz, theils dem Fuͤrſten von Naſſau-
Saarbruͤcken. Viele von den Buͤrgern hatten, theils
aus Unwiſſenheit, theils verleitet, theils, um groͤ-
ßern Uebeln zu [ent]gehen, an der Klubbiſterey Theil
[347] genommen, wurden nun angegeben, und von den
Ariſtokraten und Preußen aufs ſchroͤcklichſte mis-
handelt. Einer wurde auf der Stelle mit Stock-
ſchlaͤgen ermordet, und drey andere ſturben einige
Tage nach der Huroniſchen Behandlung.
Aehnliche Auftritte gab es in der Rheingraf-
ſchaft, im Weilburgiſchen, Speyriſchen u. ſ. w.
Die winzigen Monarchen in der Pfalz — den
einzigen Fuͤrſten von Naſſau-Weilburg aus-
genommen — die Fuͤrſten von Leiningen, von
Uſingen, der Biſchof von Speier, die Beamten des
Kurfuͤrſten von Maynz, die Rheingrafen zu Greh-
weiler und Grumbach, und noch viele ſolcher Sul-
tane jenſeits des Rheins machten nun, unter dem
Schutz der Preußen, Jagd auf Klubbiſten, verfolgten
und draͤngten ſie bis aufs Blut. Nur noch einige
Beyſpiele von den vielen, welche zu beſchreiben
waͤren — bis zum Entſetzen.
Mein Freund, der redliche Pfarrer Leopold
von Ungſtein bey Duͤrkheim an der Haard, ein
Mann, deſſen heller Kopf ſchon daraus abzuneh-
men iſt, daß er, als lutheriſcher Pfarrer, das
Herz gehabt hat, ſein Maͤdchen zu heurathen, ob
es gleich katholiſch war, hatte bey dem Einfall des
Cuͤſtine in Deutſchland, und der darauf erfolg-
ten Revolution in der Pfalz, verſchiedne Grund-
ſaͤtze geaͤußert, welche Goͤchhauſen und Compagnie
[348] fuͤr Jakobinismus oder Illuminaterey ausgeben.
Er hatte ſeinen Bauren ſelbſt auf der Kanzel gera-
then, ſich in die Zeit aus Klugheit zu ſchicken,
und das ſogenannte ferment démocratique zu lei-
ſten, um ſchon einen Fremden nicht mit Gewalt,
zu ihrem groͤßern Nachtheil, zum Maire zu be-
kommen, oder ſich feindſeligen Handlungen nicht
laͤnger auszuſetzen, oder gar von Haus und Hof
vertrieben zu werden, u. dgl. So lange Cuͤſtine
jene Gegenden behauptete, ging es gut, und Leo-
pold hatte keine Anfechtung; aber kaum waren
die Preußen da, ſo foderte der Großinquiſitor des
Fuͤrſtenthums Leiningen, Hr. Kleveſahl, Su-
perintendent zu Duͤrkheim, ehemals zu meiner
Zeit Profeſſor der Philoſophie in Gießen, wo
ihm die Studenten, wegen ſeiner großen Armſelig-
keit, den Beynamen Bararraphus gaben, der Nach-
folger des Doctors Bahrdt, der aber gerade ſo
neben Bahrdten unter den Superintendenten zu
Duͤrkheim paradirt, wie ein Schirach neben Poſ-
ſelt oder ein Brumbey neben Schulz, ehedem
in Gielsdorf. — Kleveſahl, ein grober, aufgebla-
ſener, unwiſſender und katechismusmaͤßiger Pfaffe,
von welchem ich noch einiges anfriſchen werde, denn
ich ſelbſt habe das pecus campi in ſeinem Hauſe ge-
ſehen — alſo Meiſter Kleveſahl, der Großinqui-
ſitor, foderte, daß nun der Jakobinismus des
[349] Pfarrers Leopold ſollte unterſucht werden. Leo-
pold aus Furcht, verkannt und eingeſteckt zu wer-
den — denn der ſanftmuͤthige Großinquiſitor Kle-
veſahl hatte hierauf angetragen — fluͤchtete nach
Landau zu dem damaligen Kommendanten Gillot,
welcher ihn aufnahm, und mit Paͤſſen nach Stras-
burg verſah. Ehe er aber dorthin abging, erhielt
er von ſeiner guten Frau ein Schreiben, daß ſie
mit dem Fuͤrſten geredet, und dieſer ihr verſprochen
habe, ihren Mann wenigſtens nicht einzuſtecken.
Leopold kam nun zuruͤck, wurde aber ſuſpendirt,
und ſein Proceß gieng an. Er mußte Kaution ſtel-
len. Der Pfarrer Braun von Duͤrkheim erhielt
den Auftrag, die geiſtlichen Verrichtungen in
Ungſtein ad interim zu uͤbernehmen. Leopold
wendete ſich an den Herzog von Braunſchweig,
und dieſer menſchenfreundliche Fuͤrſt brachte es end-
lich dahin, daß man ihn wieder einſezte. Der
Proceß hat ihm aber mehrere tauſend Gulden ge-
koſtet!
Pfarrer Chelius von Ilbesheim war auch
mit unter denen, welche ſich zum Syſteme der
Neufranken gleich anfangs bekannt hatten. Er war
ſelbſt ein Vertrauter des Generals Wimpfen
und Georg Forſters. Bey der Ankunft der
Preußen packte er auf, und gieng nach Landau
und von da nach Strasburg, wo er die Stelle eines
[350] Kriegskommiſſaͤrs uͤbernahm. Sein Haus wurde
gepluͤndert und ſeine Frau, ein junges huͤbſches
Weib, aufs aͤrgſte mishandelt. Kaum ließ man
ihr ſo viel, daß ſie ſich decken und nach Alzey fluͤch-
ten konnte. Hier nahm ſich Herr Walther, der
Alzeyer reformirte Pfarrer, ihrer au, ließ ſie bey
ſich wohnen und pflegte ihrer wie Bruder. Wahr-
ſcheinlich iſt ſie nach der ſchimpflichen Retirade der
Deutſchen aus jenen Gegenden, wieder zu ihrem
Mann gekommen, und wahrſcheinlich haben die
Franzoſen ſich gegen meinen Freund, den recht-
ſchaffnen Walther, gut benommen wegen der
Sorge fuͤr die Frau eines Mannes, der ſein Gluͤck
ihrem Syſteme opferte.
Pfarrer Heres von Bechtheim, ein Vertrau-
ter Bahrdts, und der dortige Amtmann Suſſe-
miehl, einer von den wenigen Juriſten in der
Pfalz, die das Hirn nicht erfroren haben, waren
auch unter den Klubbiſten: Suſſemiehl hatte ſogar
die Lieferung fuͤr Cuͤſtine uͤbernommen. Sie
giengen beyde nach Frankreich, nahmen aber ihre
Weiber mit. Was ſie hinterlaſſen mußten, fiel
den Pluͤnderern in die Haͤnde.
Wer den Hirten hat, hat die Heerde, dieß iſt
die Maxime, deren Befolgung das Befremden
mindert: warum auf dem Lande am Rhein gerade
die anſehnlichſten Klubbiſten Pfarrer waren, oder
[351] Amtleute und Wirthe. Daß aber proteſtantiſche
Pfarrer, und uͤberhaupt Proteſtanten, wie oben
beruͤhrt iſt, am erſten und meiſten demokratiſirten,
lag theils an dem tiefen Gefuͤhl, wie deſpotiſch
man ſie immer und uͤberall behandelte, und dann
an der groͤßern Gewandtheit und Klugheit, ſich in
Zeit, Ort und Perſonen zu ſchicken, welche Ge-
wandtheit man um ſo mehr lernet, jemehr man ge-
neckt, und je aͤrger einem das Auskommen er-
ſchwert wird. Alle Graßfreſſende Thiere, wie
Gaͤnſe, Schafe und Kuͤhe, ſind dumm und traͤge;
aber der Fuchs iſt ſchlau, weil er wacker raffiniren
muß, um ſein Federvieh ergiebig zu haſchen. Wer
von Groͤſus Schaͤtzen reichlich hat, deſſen Einſicht
und Gewandtheit ſteht der Einſicht und der Ge-
wandtheit der aus Noth, wegen der uͤbrigen chriſt-
lichverſperrten Nahrungswege, herumſchachernden
Iſraeliten gemeinhin nach. Freilich, was gar
keine Anlage hat, bleibt meiſt, was es iſt; und
daher ſchreibt ſich das einzige Verdienſt des Vege-
tirens bey ſo vielen armſeligen proteſtantiſchen Pfar-
rern in der Pfalz auf ihren noch armſeligern Pfar-
ren, die nur einem Taugenichts oder Dummkopf
ſchmecken koͤnnen.
Die weitern Gruͤnde, warum auch manch ſonſt
heller, braver Rheinlaͤnder demokratiſirt hat, ent-
haͤlt ein Stuͤck von dem Geſpraͤche, welches ich
[352] mit Hn. Koͤſter, Pfarrer zu Niederfaulheim, ei-
nem Vetter von mir, deſſen ich im I. Th. gedacht
habe, fuͤhrte, als er mich waͤhrend der Blokade
von Maynz beſuchte. Was bewog ſie denn, fragte
ich ihn, den Neufraͤnkiſchen Grundſaͤtzen beyzu-
treten?
Koͤſter: Nicht ihr Glanz, auch nicht ihre
Neuheit, eben ſo wenig ihre Kuͤhnheit und Groͤße:
aber, wenn es unſern Fuͤrſten erlaubt war, ſich
durch die Flucht zu retten: warum ſollte es uns
nicht erlaubt ſeyn, uns durch Klugheit zu ret-
ten? Und blos Klugheit war es, daß ich und tau-
ſend Andere uns lieber fuͤgten, als uns unnuͤtzer
Weiſer necken, oder gar ohne Sack und Pack fort-
jagen ließen. Freilich, wenn wir, wie unſre
Herren, Geld und Credit genug gehabt haͤtten, um
nach ergriffner Flucht unſer Brod und unſere Be-
quemlichkeit uͤberall zu finden; und waͤren uns,
wie ihnen, Land und Leute zu Gebot geſtanden,
um unſere Wohnungen und unſern gewoͤhnten Wohl-
ſtand aus ihrem Beutel und Ertrag dereinſt wieder
herzuſtellen: o dann waͤre es fuͤr die Meiſten Thor-
heit geweſen, ſich durch Flucht nicht eben ſo zu
retten, wie ſie. Aber hier, lieber Vetter, lag der
Knoten, und Schande wars fuͤr die Klubbiſten-
Profoſe, daß ſie auf dieſen Knoten ſo wenig Ruͤck-
ſicht nahmen! Retten mußten wir uns einmal ſelbſt,
[353] ſo gut es gieng: denn unſere Herren ließen uns im
Stich, und hatten an unſern Schutz vorher bey-
nahe gar nicht gedacht, ſo daß es einem maͤßigen
Haufen Franzoſen eine Kleinigkeit war, eine Haupt-
reichsfeſtung, die Feſtung Maynz, nebſt der an-
graͤnzenden Gegend, ohne vielen Widerſtand in
Beſitz zu nehmen. Wir waren wie eine res dere-
licta, und die iſt, wie die Juriſten ſagen, primo
occupantis. Die Franzoſen, als feindliche Erobe-
rer, maßten ſich, zum Erſatz fuͤr die Invaſion in
ihr Gebieth, des Heldenrechts an, hoben die Her-
ren-Verfaſſung auf, und fuͤhrten eine neue, nach
ihrer in Frankreich, ein: und nun hatten wir nur
die Alternative: entweder als durch Eroberung in
Beſitz genommenes Volk uns unter der Gewalt und
den Verfuͤgungen der neuen Beſitzer zu fuͤgen *),
Dritter Theil. Z
[354] oder als ſtandhafte Anhaͤnger der Herren-Verfaſ-
ſung uns als Rebellen zur Schanzarbeit abfuͤhren
zu laſſen, oder unſer Vermoͤgen fuͤr die Republik
konfiscirt werden zu ſehen, und dann als Bettler
auszuwandern. Haͤtte alſo Keiner ſich fuͤgen ſollen
oder wollen: ſo waͤren alle beraubt und vertrieben
worden; und was haͤtte einem Landesherrn an ei-
nem verwuͤſteten und Menſchenleeren oder verarm-
ten Lande dann noch groß liegen koͤnnen! Fuͤgte
man ſich aber, und nahm man neueingefuͤhrte
Stellen an: da blieb man bey dem Seinigen, ver-
huͤtete Anarchie, beugte der Beſetzung der oͤffent-
lichen Stellen durch raubgierige Boͤſewichter oder
Unkundige der Landesſitten u. dgl. vor, hielt
die oͤffentliche Ordnung, ungeſtoͤhrte Geſchaͤftig-
keit und den davon abhaͤngenden Wohlſtand auf-
recht: und Volk und Fuͤrſt waren gerettet, wenn
es den leztern gelang, ihr occupirtes Land zu via-
diciren.
[355]
Sie koͤnnen — fuhr mein Vetter fort, den ich
nicht unterbrach, weil alles, was er vortrug, ſich
hoͤren ließ, — mir ſagen: Die Rheinlaͤnder hat-
ten kein Recht, ihre pa [...]ta publica aufzuheben, oder
das Band zu loͤſen, wodurch ſie an ihren Herren
und dem Reiche gebunden waren: und hierin ſollen
Sie Recht haben, wenn Sie eine dauerhafte, unge-
zwungene und freywillige Hebung oder Loͤſung die-
ſes Bandes, ohne hinlaͤngliche Urſache und gegen-
ſeitige Einwilligung, meynen; aber nicht, wenn
das Gegentheil auch nur des erſten Punktes, we-
nigſtens auf ein ad interim, ſtatt hat. Und, lieber
Vetter, wie konnte man fodern, daß wehrloſe Un-
terthanen das haͤtten hindern oder unwirkſam ma-
chen ſollen, was ihre wehrhaften Herren ſelbſt nicht
konnten, oder wenigſtens nicht thaten? Was ver-
diente der Hirt, der erſt Woͤlfe herbeylockte, oder
ſorglos ſie herankommen ließe, dann davon liefe,
und nachher es den Schafen verargen wollte, daß
ſie eine gute Seite mit den Woͤlfen gemacht und da-
durch ſich gerettet haͤtten, und nicht ſich den Woͤlfen
ſo und ſo lange widerſezt haͤtten, bis ſie von ihnen
alle zerriſſen oder zerſtreut geweſen waͤren? Wer
Anhaͤnglichkeit und Gehorſam von Unterthanen fo-
dern will, muß ſie vor der Lage huͤten, worin ih-
nen beydes unmoͤglich wird; und ſtraft er hernach
dennoch, ſo verfaͤhrt er nach dem Harpienſyſtem,
[356] und iſt mehr als Tyrann. Ich hoffe, lieber Vet-
ter, Sie und Vernunft und Recht auf meiner Seite
zu haben, und nun moͤgt' ich wohl wiſſen, wie
unſere Herren ihre Regentenklugheit bey der Mit-
und Nachwelt retten werden, oder jene des Ge-
gentheils uͤberfuͤhren, welche das gewoͤhnlichlinki-
ſche Benehmen der Fuͤrſten, oder vielmehr ihrer
Raͤthe und Miniſter, zumal in dieſer Zeit, als
Grunds genug anfuͤhren, warum man den Herren-
ſtand ganz und gar abſchaffen ſolle, um fuͤr ſeine
Sicherheit auf alle Zeiten und auf alle Faͤlle ſelbſt
zu ſorgen, und dieſe Sorge nicht denen zu uͤber-
laſſen, welche in Friedenszeiten den großen Herrn
ſpielen und ſich fuͤttern und hofiren laſſen, zur Zeit
der Gefahr aber davon laufen, ihre Unterthanen
preisgeben, und ſie hernach noch gar ſtrafen, wenn
ſie ſich, nach dem Rechte der Selbſt- und Noth-
huͤlfe, waͤhrend der Zeit ihrer Verlaſſenheit, hal-
fen, ſo gut es ging!
Ich: Als Paſtor wiſſen Sie, was die Mieth-
linge im Evangelio ſagen wollen; und das ſind die
Herren mit dem Krummſtabe beynahe immer: dieſe
alſo moͤgten immerhin abfahren. Fuͤr die uͤbrigen
aber iſt eine vernuͤnftige Conſtitution, auf deren
Exekution die Nation durch Volksſtaͤnde aufmerk-
ſam mitwacht, noch ein Mittelweg.
[357]
Paſtor: Conſtitution? Du lieber Gott: wir
hatten gar eine doppelte: eine des Landes und eine
des Reiches; und doch — was halfen ſie!
Ich: Und eben, weil ſie nichts halfen, beduͤr-
fen wir einer wirkſamern und angemeßnern; und
dieſe, hoffe ich, wird die Zeit herbeyfuͤhren: nur
Geduld! —
Als ich ihn fragte: ob er nicht gehofft oder ge-
fuͤrchtet haͤtte, daß wir oder jemand anders uͤber
kurz oder lang das Land reinigen und alles auf den
alten Fuß zuruͤckbringen wuͤrden, ſagte er: das
wohl, aber gewiß nicht auf lange. Sie kennen
die Franzoſen: ihr Enthuſiasmus hat keine Graͤnzen,
und ihr Enthuſiasmus geht jezt auf Freyheit oder
Tod. Sie wiſſen aus der Geſchichte, daß ein Volk
frey iſt, ſobald es frey ſeyn will. Und nun ein Volk,
wie die Franzoſen! Vetter, ſie ſind wie die Kie-
ſel: jemehr Schlaͤge, deſto mehr Funken! Geben
Sie Acht: ſie laͤutern ſich, concentriren ſich, kom-
men zuruͤck und ſtuͤrmen halb Europa!
Genug, Koͤſter, ein heller einſichtiger Mann,
ſah damals ſchon ein, daß die Franzoſen wieder
vordringen und alles zerſtoͤren wuͤrden, was die
Preußen und Oeſtreicher dort auch machen moͤgten.
Er hatte ſich aber in die Zeit geſchickt. Weil er al-
ſo gefuͤrchtet hatte, es moͤgten ihm wegen ſeiner
Klubbiſterey, denn ſo hieß, wie ich ſchon geſagt
[358] habe, aller Schein von Anhaͤnglichkeit am franzoͤ-
ſiſchem Syſteme, Haͤndel gemacht werden, ſo ver-
traute er ſich dem General von Wolfframsdorf,
erklaͤrte ihm alle Umſtaͤnde, und dieſer ſonſt eben
gegen Klubbiſten nicht gutgeſinnte Offizier, ſagte
ihm: er moͤgte nur ruhig ſeyn, er habe ganz und
gar nichts zu befuͤrchten.
Ich weiß nicht, ob ich meine Behauptung, daß
Hr. von Wolfframsdorf ein Feind der Klub-
biſten geweſen ſey, beweiſen ſoll. Ein Beyſpiel
iſt mir bekannt, welches ihm eben nicht viel Ehre
macht. Hier iſt es!
Als der ungluͤckliche Kanonikus Winkelmann,
geweſener Maire zu Worms, deſſen traurige Ge-
ſchichte hinlaͤnglich bekannt iſt, durch Oppenheim
gefuͤhrt wurde, ſo wurde er dem General Wolff-
rammsdorff, welcher da das Kommando hatte,
vorgeſtellt. Dieſer fuhr den guten, wuͤrdigen
Winkelmann, den jeder Vernuͤnftige bedaurte,
wie raſend an, und bediente ſich der niedrigſten
Ausdruͤcke, ſprach von verfluchten franzoͤſiſchen Pa-
trioten, die gehenkt, geraͤdert u. ſ. w. werden muͤß-
ten. Und doch hatte der Koͤnig dem ungluͤcklichen
Winkelmann Schutz verſprochen! Solche ei-
genmaͤchtige, geſetzwidrige Auftritte ſind empoͤrend,
und reizen den Feind allemal noch mehr gegen uns
ſelbſt. Ich verſtehe gar nicht, was fuͤr Urſache
[359] man gehabt haben mag, den Feind und deſſen con-
ſtituirten Anhang durch unedle Behandlungen ſei-
ner Gefangnen, durch niedriges Schimpfen und
kleinliches Spotten, noch mehr aufzubringen!
Die uͤblen Folgen von dieſem Benehmen hat man
leider auch bald empfunden. Mich wundert, daß
mein guter Braun auch hierauf keine Ruͤckſicht
genommen hat! Doch es iſt Zeit, daß ich meine
andere Erzaͤhlung fortſetze!
Ein und dreyßigſtes Kapitel.
Belagerung der Feſtung Maynz.
Wenn ich dieſes Kapitel ſo uͤberſchreibe, ſo bin
ich keinesweges geſonnen, eine vollſtaͤndige Be-
ſchreibung von der Belagerung dieſer Feſtung zu lie-
fern: das iſt ſchon von Andern geſchehen, freilich
immer ſo oder ſo, und ſelten ausfuͤhrlich, und noch
ſeltner zuverlaͤßig. Ich fuͤr mein Theil erzaͤhle
hier, was mich betrifft; und uͤber die Begebenhei-
ten ſelbſt mache ich nur hie und da Anmerkungen,
welche dem Leſer, wie ich hoffe, nicht misfallen
werden, wenn er ſonſt Einſicht und Kenntniß von
militaͤriſchen Operationen hat.
[360]
Ich habe einmal einen ganz naͤrriſchen Grund-
ſatz, nach welchem ich uͤberall und in allen Stuͤcken
zu Werke gehe. Ich glaube naͤmlich, daß jeder
Menſch, dem die Natur Augen, Ohren und Naſe
gegeben hat, darum mit ſeinen Augen auch ſehen,
mit ſeinen Ohren auch hoͤren, und mit ſeiner Naſe
auch riechen muͤſſe, und daß er fremder Sinne nicht
noͤthig habe, wenn ſeine eignen noch in brauchbarem
Stande ſind. Gern rede ich mit Maͤnnern von
Erfahrung und Kenntniſſen, aber das iſt auch alles:
ich laſſe mir von Keinem etwas aufbinden oder auf-
dringen. Ich weiß, daß die groͤßten Feldherren
von Agamemnon an bis auf den Herzog von
Braunſchweig und den Prinzen von Co-
burg gewaltige Schnitzer begangen haben im Krie-
ge, Schnitzer, woruͤber ſich jezt der geringſte Kor-
poral wundert. Daher habe ich folgenden Grund-
ſatz niemals als unumſtoͤßlich annehmen koͤnnen:
Was dieſer oder jener große General that, das
war recht gethan:
Denn ſonſt muͤßte ich ja auch die Belagerung von
Maynz fuͤr ein Meiſterſtuͤck halten; und das war
ſie doch wohl nicht!
Was die Herren Philoſophen betrift, die allein
weiſe ſind, wie ſie meynen: ſo bin ich uͤberzeugt,
daß Marcus Tullius recht hat, wenn er
ſpricht: es ſey nichts ſo abgeſchmackt, das nicht
[361] dieſer oder jener Philoſoph behauptet habe. Und
die Theologen! — Wahr und wahrhaftig, kaͤme
Chriſtus zuruͤck, er machte es den meiſten von ih-
nen, wie ehedem den Schriftgelehrten und Phari-
ſaͤern; und ſie, verwaͤrfe er ihre ſymboliſchen Buͤ-
cher, kreuzigten ihn ohne Erbarmen von neuem!
Ich gehe demnach meinen Gang fuͤr mich — unbe-
kuͤmmert um den gebahnten Gang Dieſes oder
Jenes, er heiße Held, Philoſoph, Theolog, Sul-
tan oder Papſt. Iſt mein Gang nicht der rechte
Gang: je nun, ſo iſt er wenigſtens der Gang, den
ich mir wohlbedaͤchtig waͤhlte, und dieß — weil
Freyheit und Selbſtſtaͤndigkeit das hoͤchſte Gut auf
der Welt ſind, oder zu ſeyn ſcheinen. —
Wir ruͤckten am 14ten April ins Lager vor
Maynz, welches aber nur von weitem, jenſeits
des Rheins, uͤber eine ſtarke Stunde, beynahe ge-
gen zwey Stunden, eingeſchloſſen wurde. Es war
an einem Sonntage; und der Poͤbel, groß und klein,
aus der ganzen dortigen Gend kam heran, uns und
unſer Lager zu beſehen. Unter dieſen waren viele
meiner Bekannten, welche ſich bemuͤhten, mir ihre
Anhaͤnglichkeit und Freundſchaft zu beweiſen.
Lange ſtanden wir ziemlich ruhig. Man machte
zwar hie und da einige Schanzen zur Vertheidigung,
hatte aber noch kein Geſchuͤtz, um einiges von Er-
folg gegen die Feſtung vorzunehmen.
[362]
Das preußiſche Hauptquartier der Belagerung
war in Marienborn, und Herr Graf von Kalk-
reuth fuͤhrte das Oberkommando uͤber die ganze
Belagerung. In Maynz kommandirte d'Oyré,
ein Mann von vielen militaͤriſchen Kenntniſſen und
zweckmaͤßiger Thaͤtigkeit. Dieſer Mann hat ſich
gegen das Ende des Jahres 1794, durch Hn. Bis-
pinks Vermittelung, um mich ſelbſt ſehr verdient
gemacht, wie ich in der Folge erzaͤhlen werde. Der
Repraͤſentant Merlin von Thionville — denn
es giebt noch einen von Douay — war nach Maynz
geſchickt worden, um da das Intereſſe der Franken-
Republik zu beſorgen. Dieſer Merlin iſt ein
fataler Rabuliſt, welcher gern alles nach ſeinem
Kopf geformt haͤtte, wenn nur d'Oyré die Haͤnde
dazu haͤtte bieten wollen. Er ſchien ganz gewaltig
patriotiſch geſinnt zu ſeyn, und war doch, wie es
ſcheint, die Haupturſache, daß Maynz ſo bald
erobert oder vielmehr uͤbergeben wurde.
Die Maynzer-Beſatzung war damals 18000
Mann ſtark. Dieſes war wirklich fuͤr eine Aus-
dehnung, wie damals die Maynzer Werke ſie hat-
ten, wozu noch Caſtel und die Petersaue, eine
Rheininſel, und noch verſchiedne andre Inſeln zu
der Zeit gehoͤrten, viel zu ſchwach. Cuͤſtine hatte
hier einen argen Fehler begangen, daß er ſich mit
ſeinem Korps, welches nach Germersheim zog
[363] nicht in Maynz warf. Den Deutſchen war es uͤbri-
gens zu verzeihen, daß ſie im Anfang der Bela-
gerung nur langſam zu Werke giengen: es fehlte
ihnen an Allem — an Geſchuͤtz und an Mann-
ſchaft. Damals, als wir anruͤckten, war unſre
Belagerungsarmee am linken Rheinufer hoͤchſtens
16000 Mann ſtark. Freilich kamen hernach, aber
ziemlich ſpaͤt erſt, die Koͤnigl. Garden, mehrere
Bataillons kaiſerlicher Truppen, dann Darmſtaͤd-
ter und Pfaͤlzer dazu, wodurch denn 37000 Mann
herauskamen.
An Reuterey hatten wir wirklich zu wenig: das
Reuterregiment des Herzogs von Weimar,
die Saͤchſiſchen Dragoner und Huſaren waren jen-
ſeits des Rheins; und dieſe Kavallerie reichte, wie
mich duͤnkt, nicht hin, beſonders da die Saͤchſi-
ſchen Huſaren ihr Handwerk noch nicht recht ver-
ſtanden. Man nehme mir das nicht uͤbel, und die
Herren werden jezt wohl ſelbſt einſehen, daß ſich
Huſaren nicht ſofort aus Dragonern machen laſſen,
und daß zu einer aͤhnlichen Organiſation etwas
mehr noͤthig ſey, als der Pelz und der Saͤbel.
Deswegen hat man nachher noch Huſaren von
Wurmſer hinzugenommen.
Das Wetter war waͤhrend der ganzen Belage-
rung groͤßtentheils gut und den Schanzarbeiten
guͤnſtig, welche denn auch ſtark betrieben wurden.
[364] Zu dieſen Arbeiten brauchte man Soldaten und die
Bauren aus der dortigen ganzen Gegend. Es iſt,
duͤnkt mich, fuͤr dieſen Punkt im Kriegsweſen noch
ſehr viel zu verbeſſern, und der Vorſchlag Eines
der Mitarbeiter an dem Magazin der neuſten
Kriegsbegebenheiten, ein ſtehendes Korps
Arbeiter zu errichten, ſcheint mir nicht ſehr Unrecht:
denn ſowohl die Soldaten, als die Bauren ſchicken
ſich zu ſolchen Arbeiten gar ſchlecht.
Der Soldat arbeitet uͤberhaupt nicht gern.
Wenn ich haͤtte arbeiten wollen, ſpricht er, waͤre
ich nicht Soldat geworden. Und wahrlich, ein
Graben, woran 150 Mann zwey volle Tage ar-
beiten, kann in Einem gar fuͤglich durch 30 oder
40 ordentliche Schaffer fertig werden.
Die Bauren ſind bey militaͤriſchen Werken eben-
falls ſchlechte Arbeiter. Einmal ſind die Leute im-
mer gezwungen, und da ſchicken ſie Kreti und Pleti,
Kinder, Weiber, Maͤdchen, kurz alles, was nur
gehen kann. Bey der Arbeit ſelbſt wird entweder
geflucht, oder gekackelt und wenig oder nichts aus-
gefuͤhrt.
Es ſcheint auch nicht ſehr billig zu ſeyn, den
armen Bauren, welche ohnehin ihre liebe Noth
mit Lieferungen, Fuhren u. dgl. haben, auch noch
die Laſt der Schanzarbeiten aufzulegen. Man be-
denke, wie der arme Landmann bedraͤngt wird,
[365] wenn ſo ein Ungewitter in ſeiner Naͤhe ſchwebt, be-
ſonders die, welche auf 6, 8, 10 bis 12 Stunden
von einer belagerten Feſtung zu Hauſe ſind. Soll-
ten ſie aber demohngeachtet doch arbeiten, ſo ſollte
man den armen Leuten wenigſtens Tagelohn geben.
Ich habe bey Maynz und bey Landau arme Leute
arbeiten ſehen, welche in 24 Stunden nichts eſſen
konnten, weil ihr Vorrath alle war, und ſie keinen
Kreuzer Geld hatten.
Daß man die armen Bauren bey ſolchen Arbei-
ten auch noch mishandelt, davon bin ich ſelbſt Zeuge
geweſen: dumme, unverſtaͤndige Korporaͤle, und
unmuͤndige Offiziere ſchlugen die armen Leute, daß
es eine Schande war.
Barbariſch iſt es vollends, daß man Landleute
da arbeiten laͤßt, wo Gefahr iſt, verwundet oder
erſchoſſen zu werden. Gefaͤhrliche Arbeiten muͤſſen
blos dem Soldaten, der einmal fuͤr dergleichen ge-
faͤhrliche Poſten beſoldet wird, uͤberlaſſet w [...]:
aber auch dieſer muͤßte nebenher dafuͤr belohnt wer-
den. Ueberhaupt aber ſcheint der erwaͤhnte Vorſchlag
zur Errichtung eines eignen militaͤriſchen Arbeiter-
korps vom groͤßten Nutzen, beſonders bey Belage-
rungen zu ſeyn.
Daß wir, waͤhrend der ganzen Belagerung, ſehr
ſtark geplagt wurden, laͤßt ſich denken. Tag fuͤr
Tag beynahe im Dienſte, und Nacht fuͤr Nacht
[366] faſt in die Schanzen: das war [...]reilich hart, aber
wegen der uͤberall zu ſchwachen Belagerungsarmee
nothwendig.
Einſtens — es war in der Nacht vom 8 — 9ten
Junius — fiel es dem Prinzen Louis, Sohn des
Prinzen Ferdinand von Preußen, ein, ei-
nige Schanzen auf der Anhoͤhe oberhalb Zahlbach
zu demoliren. Die Franzoſen bedienten ſich der-
ſelben, die Gegend um Bretzenheim unſicher zu
machen, fuͤhrten aber alle Abend ihre Kanonen her-
aus. Dieſes wußte der Prinz nicht, und ihm war
es doch eigentlich darum zu thun, die Kanonen zu
vernageln, oder wegzufuͤhren, und dann die Schan-
zen zu zerſtoͤren. Ich befand mich mit unter der
Zahl der mitgenommenen Arbeiter. Wir griffen
die Schanzen an, jagten die Beſatzung, welche
nichts weniger erwartete, als einen Anfall dieſer
Art, heraus, und machten dann alles der Erde
gleich. Da wir ſehr nahe unter den franzoͤſiſchen
Kanonen waren, ſo ſchadeten uns dieſe wenig.
Dieſer Coup hat der militaͤriſchen Geſchicklichkeit
und noch mehr dem Muthe des Prinzen Ehre ge-
macht. Es war ſchon Tag, als wir abzogen, und
wir wuͤrden uͤbel weggekommen ſeyn, wenn nicht
erfahrne Offiziere, beſonders der Herr Major von
Griesheim, die ſchicklichſten Anſtalten zur Re-
tirade zu treffen gewußt haͤtte. Aber ſchon den
[367] andern Morgen um 9 Uhr bewieſen uns die flinken
Franzoſen, daß wir uns vergebens bemuͤht hatten:
ihre Kanonen donnerten um dieſe Zeit ſchon wieder
aus den friſch aufgeworfenen Schanzen.
Zwey und dreyßigſtes Kapitel.
Fortſetzung des vorigen.
Unter den vielen Beſuchen, welche ich im Lager
bey Maynz erhielt, war auch ein ſehr unerwar-
teter, naͤmlich der von meinem Bruder. Man
ſtellt ſich vor, daß unſre Zuſammenkunft eben nicht
herzlich war: man denke an das, was ich im zwey-
ten Theil uͤber unſre bruͤderliche Liebe geſagt habe.
Mein Bruder, um ſich mit mir nicht vis-à-vis zu
ſetzen, hatte noch einen Herrn und einige Frauen-
zimmer mitgebracht, worunter auch ſeine Liebſchaft
war, mit welcher er ſich, wie ich ihm nicht ver-
denken kann, mehr abgab, als mit mir. Wir
ſprachen blos uͤber Angelegenheiten der Zeit, und
vermieden alles, was uns auf unſre Familienange-
legenheiten haͤtte leiten koͤnnen.
Mein Bruder beſchwerte ſich unter andern ſehr
uͤber das barbariſche Betragen des Oberſten Sze-
[368]kuly in ſeiner Gegend, und auf dem Hundsruͤck.
Er hatte meinen Bruder mit Hieben gedroht, hatte
ſelbſt die Bauren und andre Leute gepruͤgelt, und
von nichts als von Patrioten radotirt. Dieſer toll-
kuͤhne Mann, dem man das Fleiſcherhandwerk ſei-
ner Vorfahren noch anſah, nahm, wo er konnte,
beſchenkte damit ſeine Leute, und fuͤhrte unter deren
dadurch willigem Beyſtand Einiges aus, das ihm
Ruf erwarb, ſchickte aber auch — Man denke
ſich den unruhigen und ruhmſuͤchtigen Renommiſten
zu Pferde! — den Zeitungsſchreibern das ſelbſt zu,
was er durch ihre Luͤgentrompete uͤber ſeine Tha-
ten und ſich auspoſaunt wiſſen wollte. Er erwarb
ſich alſo einigen Soldaten-Ruf; aber den Ruhm
der Menſchlichkeit erwarb er ſich nicht. Ich kenne
einen vornehmen preußiſchen Offizier, welcher keine
große Thaten gethan hat, weil ihm die Gelegen-
heit dazu abgieng, und weil da, wo er wirkſam
ſeyn ſollte, die Ueberlegenheit des Feindes ihn hin-
derte, etwas von Belang auszufuͤhren. Helden-
thaten ruͤhmten alſo die Zeitungen an ihm nicht,
aber alle Landleute und Staͤdter ſegnen ihn uͤberall,
wo er mit ſeinen Leuten geweſen iſt: und dieſer Edle
heißt — Thadden.
Mein Bruder verließ mich nach einem Beſuche
von einer halben Stunde, und verſprach, den fol-
genden Tag wieder zu kommen. Ich hoffte nicht,
[369] ihn wieder zu ſehen, und doch hielt er Wort: ich
hatte aber die Anſtalt getroffen, daß man in mei-
nem Zelte ſagen mußte, ich ſchliefe, und duͤrfte
jezt nicht geweckt werden. Er mogte merken,
daß dieſes abſichtlich geſagt wurde, und fuͤhrte ſich
ab. Nach dieſer Zeit habe ich nichts mehr von ihm
gehoͤrt. Auch meine gute Mutter, die mich bald
hernach auch im Lager bey Maynz beſuchte, er-
waͤhnte ſeiner mit keinem Worte: Sie wußte unſer
Verhaͤltniß. — Es iſt ſehr traurig fuͤr mich, daß
ich ſo iſolirt in der Welt ſeyn muß! Doch
Tu ne cede inalis, ſed contra audentior ito!
Iſt gleich meine ganze Verwandtſchaft, ſo zu
ſagen, fuͤr mich wie todt, ſo giebt es doch noch
Maͤnner, die es ſchmerzt, wenn mir es uͤbel geht,
und die ſich mehr als bruͤderlich freuen wuͤrden,
wenn wahres dauerhaftes Gluͤck fuͤr mich noch moͤg-
lich waͤre. Das aber iſt immer Troſt fuͤr mich,
und erleichtert mir die kummervollen Augenblicke,
welche mir die Betrachtung meiner Schickſale und
meiner verduͤſternden Verirrungen verurſacht, und
welche weit haͤufiger ſeyn wuͤrden, wenn ich nicht
mit Fleiß, und ſo gut es gehen will, alle, leider,
nichts fruchtende Betrachtungen entfernte, wodurch
die Seele nur kraͤnker wird. Ich habe durch vieler-
ley Zufaͤlle, die mich betroffen haben, und in ſehr
Dritter Theil. Aa
[370] verſchiednen Lagen, doch ſo viel gelernt, daß der
Menſch nimmermehr ganz ungluͤcklich iſt, wenn er
nur nicht ſelbſt den Urſachen des ihn druͤcken-
den Uebels nachſpuͤhrt. Denn finden wir die Ur-
ſache davon in uns, ſo werden wir nothwendig mit
uns ſelbſt unzufrieden, und dann gute Nacht Ru-
he auf geraume Zeit: finden wir ſie an Andern, ſo
fuͤllt ſich unſer Herz mit Zorn, Rachgierde und an-
dern unangenehmen Gefuͤhlen, und wir ſind eben-
falls ungluͤcklich. Dieß iſt eine von meinen [e-
bens-Maximen], die freilich ihr Schiefes hat und
etwas egoiſtiſch iſt; aber der Gerade geht ohne
Kruͤcken, und nur der Beinbruͤchige bedarf ihrer,
um durchzukommen, ſo gut es geht. Genug, fuͤr
Patienten von meiner Art hatte jener wohl recht,
welcher ſagte:
Drum kann mir's auch nicht fehlen.
In der Folge mehr uͤber dieſen Gegenſtand.
Die preußiſche, ſonſt ſo hochberuͤhmte, Genauig-
keit im Dienſte hat bey Maynz ein gewaltiges Ar-
gument gegen ſich bekommen durch den Ueberfall
bey Marienborn. Die Sache iſt bekannt; alſo
nur einige Bemerkungen!
Da das ganze Feld von Maynz bis an Marien-
born voll hohes Getraides war, und da folglich
Spionen, ohne bemerkt zu werden, ganz nahe her-
[371] anſchleichen konnten, ſo haͤtte man ſowohl am Tage
als beſonders bey der Nacht, vom Chauſſee-Hauſe
an bis nach Bretzenheim eine ſtarke Wachtlinie zie-
hen ſollen, und daſelbſt fleißig patrouilliren. Aber
freilich, man fuͤrchtete keinen Ausfall, und zog
daher auch ſogar ein Piket, welches gleich von An-
fang der Blokade in die Kapelle zwiſchen Marien-
born und Bretzenheim geſtellt war, als unnoͤthig
und uͤberfluͤßig ein. Jederman, der von dieſem
Ueberfall gehoͤrig unterrichtet iſt, und nur einige
taktiſche Kenntniſſe hat, muß geſtehen, daß dabey
von unſrer Seite eine arge Nachlaͤßigkeit begangen
iſt, wenn man auch annimmt, daß man ſich durch
keine Art von Furcht von der Sicherheit abbringen
ließ, worin man in Abſicht der Franzoſen und ih-
rer Thaͤtigkeit ſtand. Denn Furcht und Wachſam-
keit iſt im Kriege, zumal bey einer Belagerung,
die Mutter der Sicherheit fuͤr ſich und ſeine Plane.
Um dieſen Fehler von uns abzuwaͤlzen, heißt es
im I. B. des Magazius der neueſten Kriegsbe-
gebenheiten S. 60: „Der kommandirende Gene-
ral, Graf von Kalkreuth befahl, daß eine
verhaͤltnißmaͤßige Anzahl Bauren in dieſer Nacht
vorangehen und das Getraide abmaͤhen ſollten;
den Kavallerie-Feldwachten wurde ſogleich ange-
deutet, dieſe Leute ohne Geraͤuſch paß [...] und repaſ-
ſiren zu laſſen, damit kein feindliches Feuer NB! auf
[372] ſie gezogen wuͤrde. Die feindlichen Kolonnen (wel-
che zum Ausfall beſtimmt waren) wurden nun bey
finſtrer Nacht fuͤr dieſe Arbeiter gehalten, und ſo
gelang es ihnen, unſere aͤußere Vorpoſten unentdeckt
zu paſſiren.“
Jederman ſieht, daß hier ein Galimathias
geſchrieben iſt: Denn wenn Kalkreuth wollte,
daß Bauren das Getraide abmaͤhen ſollten: ſo hat
er fuͤr dieſe Bauren gewiß auch eine militaͤriſche
Bedeckung verordnet: denn auch auf ſie mußte
Acht gegeben werden, damit keiner von ihnen, oder
nicht jemand anders als Spion durch und in die
Feſtung hereinſchliche. Dieſe Bedeckung blieb
dann gewiß in der Naͤhe der Bauren, und war al-
ſo im Stande, heranſchleichende feindliche Kolon-
nen von ihnen zu unterſcheiden, und auf den er-
ſten Anblick alles zu allarmiren. Ließ man aber
die Bauren ohne alle Bedeckung hinziehen, ſo war
das ein neuer Fehler, der den andern ſo wenig ent-
ſchuldiget, daß er ihn vielmehr verdoppele.
Die Vorpoſten ſahen die Franzoſen auch nicht
fuͤr Bauren an, ſondern fuͤr Soldaten, aber fuͤr
Freunde, weil ſie NB! das Feldgeſchrey wußten, und
es ordentlich angaben. Die Franzoſen ſind daher
auch bis in Marienborn vorgedrungen, ohne daß
man ihrer gewahr wurde; und wenn ſie nur nicht
ſo voreilig geweſen waͤren, ſo haͤtten ſie [...],
[373] als man wohl denken moͤgte, ihr Vorhaben ausfuͤh-
ren, und die Generale, Kalkreuth, Wolff-
ramsdorf und Mannſtein, nebſt dem Prin-
zen Louis, aufheben koͤnnen. Laßt uns doch
lieber geſtehen, daß wir auch Menſchen waren,
und hier einen recht derben militaͤriſchen Schnitzer
gemacht haben. Ich mag den aͤrgerlichen Vorfall
nicht weiter analyſiren. In allen Kriegen ſind aͤhn-
liche vorgefallen, und die groͤßten Helden aller
Zeiten waren von ſolchen Fehlern nicht frey. Uebri-
gens hat man die Wichtigkeit dieſes Ueberfalls da-
durch zu verringern geſucht, daß man unſern Ver-
luſt, der doch immer betraͤchtlich war, als ganz
unbedeutend angab.
Der bey dieſem Vorgang von den Franzoſen
als Wegweiſer gebrauchte Gerichtsſchreiber Lutze
von Oberolm wurde aufgefangen, und einige Tage
nachher am Chauſſeehauſe aufgeknuͤpft. Er ging
mit der groͤßten Gleichguͤltigkeit zum Tode, und
ſchlng den Beyſtand des katholiſchen Pfarrers von
Oberolm aus. Merlin hatte ihn mit Gewalt zum
Wegweiſen gezwungen, wie dieß nachher ſelbſt
mehrere Franzoſen ausſagten: und doch henkte man
ihn als Spion! — Die Franzoſen in Maynz
haͤtten ſich in dieſer Ruͤckſicht raͤchen koͤnnen, aber
ſie handelten menſchlich. Sie hatten einen Main-
zer Profeſſor, der, wie ich meyne, Schaber
[374] hieß, als wirklichen Spion ertappt, und doch ſteck-
ten ſie ihn blos ein, um ſich vor ihm, waͤhrend
der Belagerung, zu ſichern. Er ſaß uͤberdieß ſo
leidlich, daß er, waͤhrend er ſaß, ſo ein Ding von
Tagebuch uͤber die Mainzer Belagerung ſchrieb,
und es nachher, nach der Uebergabe herausgab.
Indeß wie die Henne, ſo das Ey — elend! Der
arme Lutze hinterließ eine Frau mit fuͤnf Kin-
dern. —
Unſere militaͤriſche Strenge hielt aber nicht
uͤberall gleichen Schritt: denn als ein gewiſſer
Leutnant auf dem rechten Rheinufer, wohin er
auf die Maynſpitze kommandirt war, das Ungluͤck
hatte, daß die Franzoſen ihn in einer Redoute
uͤberfielen, und die Kanonen vernagelten, nachdem
ſie die Beſatzung theils getoͤdtet, theils verjagt
hatten, und als man dieſen Ueberfall dem Leut-
nant vorzuͤglich Schuld gab, weil man einſah,
daß bey groͤßerer Wachſamkeit dergleichen ſo leicht
nicht haͤtte geſchehen koͤnnen — denn die Preußen
merkten die Franzoſen nicht eher, als bis dieſe
ſchon voͤllig in der Schanze waren — ſo wurde er
deswegen nur mit vier Wochen Arreſt beſtraft! —
Eben dieſer Herr Leutnant erhielt hernach, als er
bey einer ganz unbedeutenden Gelegenheit ſeine un-
bedeutende Schuldigkeit nicht ganz verſaͤumte, den
preußiſchen Orden pour le mérite, der freilich mul-
[375] titudine compotum laude fruſtratur, wie Livius
uͤber die ſpolia opima ſich ausdruͤckt.
Weil ich doch hier von Orden rede, ſo will ich
zugleich der Medaillons gedenken, welche bey
Maynz anfingen ausgetheilt zu werden. Es wa-
ren goldene und ſilberne Denkmuͤnzen, mit der
Aufſchrift: Verdienſt um den Staat, und
ſollten jenen Unteroffizieren und Soldaten zu Theil
werden, welche ſich beſonders auszeichnen wuͤrden.
Die Oeſtreicher hatten ſchon ſeit dem Tuͤrkenkriege,
wo Kaiſer JoſephII. das Ding aufbrachte, der-
gleichen Medaillen, aber mit vermehrtem Trakta-
ment: allein bey den Preußen bleibt ein ſo bezier-
ter Achtgroſchen-Mann, wie einſt ein Soldat ſich
daruͤber ausdruͤckte, immer ein Achtgroſchen-Mann
wie vorher: da ſoll blos die Ehre gelten, und das
Verdienſt belohnen.
Ueberhaupt haben dieſe Medaillons wenig ge-
nuzt, aber durch erregte Eiferſucht und Uneinig-
keit deſto mehr geſchadet. Es war dieſes ganz na-
tuͤrlich. Mancher oder vielmehr die meiſten erhiel-
ten die Medaillen aus Gunſt; weil ſie bey den Of-
fizieren gut ſtunden, ihnen kalefakterten, u. dgl.
wie der Majors-Bediente, der bald nachher doch
zum Henker lief. Dieſer Umſtand brachte indeß
ſo viel zu Wege, daß die bemedaillirten Burſche
von den Uebrigen verachtet und gehaßt wurden.
[376] Man gab dem Dinge ſogar allerhand unedle Bey-
namen; und noch jezt in Halle mokiren ſich ſogar
die Soldatenweiber daruͤber. So hoͤrte ich noch
neulich eine zu ihrem Kinde auf dem Arme ſagen,
als gerade ein Bemedaillirter ihr voruͤber ging:
„Sieh Frizchen, auch ein Kamerad mit einem
Pfennig zur Semmel!“
In Frankreich gab man ehedem das Zeichen
des langen Dienſtes, und das war mit gewiſſen
Vortheilen verknuͤpft. Ein ſolcher Ancien militaire
— denn ſo hießen die mit dem Zeichen beehrten Sol-
daten — durfte mit dem Stock nicht mehr geſchla-
gen werden, ſo ſehr dieſes damals auch noch bey
den Franzoſen graſſirte. Aber bey den Preußen
ſah ich Einige, troz ihrem ſilbernen Medaillon,
dennoch tuͤchtig durchpruͤgeln: ſogar Unteroffiziere
mit dem goldnen Pfennig erhielten nach Umſtaͤnden
ihre derben Fuchtel. Der Orden pour le mérite
und das Medaillon ſind demnach keinesweges Be-
weis, daß der, welcher ſie traͤgt, wirklich Ver-
dienſt beſitze: ſie zeigen blos an, daß er, wer weiß
wodurch, die Gunſt ſeiner Vorgeſezten gehabt ha-
be. Auch will Mancher von dieſen durch den
Schimmer ſeiner Untergebnen ſelbſt gern mitſchim-
mern.
Lange hatte unſer Bataillon auf der linken
Rheinſeite geſtanden; und ruͤckte den 17ten Jun
[377] auf die andre Seite ins Lager ohnweit Biſchofs-
heim, wo der damalige Oberſte von Ruͤchel das
Oberkommando hatte. Hier war unſer Dienſt weit
ſchwerer und gefaͤhrlicher, als auf der linken Seite.
Doch, ich wuͤrde wohl unrecht thun, wenn ich die
Vorfaͤlle alle erzaͤhlen wollte, von welchen ich hier
Augenzeuge geweſen bin. Leſer vom kriegeriſchen
Handwerk moͤgen das alles anderswo ſuchen; und
die uͤbrigen werden ſich mit dem begnuͤgen, was
ich der allgemeinen Aufmerkſamkeit werth halte.
Eine vollſtaͤndige, aber unpartheyiſche Beſchrei-
bung der Maynzer Belagerung haben wir ohnehin
wohl ſchwerlich je zu erwarten. Ich ſprach noch im
verwichnen Sommer mit einem Ingenieur-Offizier
der Oeſtreicher, und dieſer Mann, welcher mir
Kenner zu ſeyn ſchien, verſicherte mich, daß auch
aus der allergenaueſten Angabe aller Operationen
gegen Maynz wenig zu lernen, und noch weniger
Ehre zu ernten ſey: denn es ſeyen unzaͤhlige Fehler
vorgefallen, welche bey andern Gelegenheiten ſehr
viel Ungluͤck uͤber die Belagerer haͤtten bringen koͤn-
nen u. ſ. w. Ganz Unrecht ſchien mir der Inge-
nieur nicht zu haben: denn wenn ich ſo uͤberlege,
wie man gegen die Feſtung verfuhr, ſo duͤnkt mich
ſelbſt, daß man manche mislungne Verſuche haͤtte
ausfuͤhren koͤnnen, wenn man die Sache ſelbſt nur
beſſer eingeleitet haͤtte.
[378]
Man wollte z. B. einmal ein tranchée eroͤffnen,
woruͤber ein emigrirter Ingenieur die Aufſicht hatte.
Man beorderte eine gewaltige Menge Arbeiter,
und eine eben ſo ſtarke Bedeckung, hatte aber ſo
elende Anſtalten zur Verſammlung der Arbeiter ge-
troffen, daß die kaiſerliche Bedeckung die Preußi-
ſche fuͤr Franzoſen in der finſtern Nacht anſah, und
auf ſie feuerte. Die Preußen erwiederten das
Feuer, und die Franzoſen, dadurch aufmerkſam
gemacht, begruͤßten beyde mit Kartaͤtſchen und
kleinen Kugeln. Hiedurch ward die Verwirrung
allgemein: die Arbeiter ſchmiſſen das Schanzzeug,
und die Burſche die Gewehre weg; viele verloren
Hut und Saͤbel, und alles lief, um ſich zu retten.
Fruͤh holten die Franzoſen das deutſche Schanz-
zeug, und die weggeworfnen Flinten und Patron-
taſchen. Dergleichen Dinge ſind mehrmals vor-
gefallen.
[379]
Drey und dreyßigſtes Kapitel.
Noch uͤber die Maynzer Belagerung.
Wir hatten unter andern ſchlimmen Poſten auch
die ſogenannte Leimgrube, dicht an einer Rhein-
inſel, zu beſetzen Dieſe Grube wurde von unſern
Leuten bald die Mordgrube genannt, weil alle Ta-
ge Mehrere daſelbſt erſchoſſen wurden: denn auf
der Inſel, welche nur durch einen ſchmalen Kanal
davon getrennt war, ſtunden die Franzoſen, und
ſobald ſich nur einer von uns uͤber den aufgeworf-
nen Damm mit dem Kopfe erhob, ſchoſſen ſie ſo
gewiß, daß ſie ihm allemal das Hirn zerſchmet-
terten. In dieſem Mordloch liegen viele von den
Unſrigen begraben: von unſerm Bataillon allein
buͤßten mehr als 30 Mann ihr Leben da ein.
Die Franzoſen waren, wie geſagt, nur durch
einen ſchmalen Kanal von unſerm Poſten getrennt,
und ſonach konnte man gegenſeitig alles hoͤren, was
auf dieſer oder jener Seite geſprochen wurde, wenn
man nur vernehmlich ſprach. Merkten nun die
Deutſchen, daß auch Deutſche unter den Franzoſen
waren, ſo gieng ſofort das Geſchimpfe an, wel-
ches zuweilen viele Stunden immer im naͤmlichen
[380] Tone fortgieng, endlich bloß zum Spaße. Ich
will fuͤr gewiſſe Leſer einen ſolchen Schimpfdialog
hier anfuͤhren, nur um zu zeigen, daß auch die
kuͤhnſten Ideen ohne Wirkung bleiben, ſobald ſie
familiaͤr werden, zumal Ideen vom Feinde.
Preuße. Hoͤr du, ſakkermentſcher Patriot,
wirſt du bald die Schwerenoth kriegen?
Franzoſe. Elender Tyrannenknecht, ſag,
wird dich dein Korporal bald lahm oder todtpruͤ-
geln muͤſſen?
Pr. Du verfluchter Koͤnigsmoͤrder!
Fr. Du niedertraͤchtiger Sklav!
Pr. Ihr Spizbuben habt euren Koͤnig ermor-
det, und dafuͤr muͤßt ihr alle zum Teufel fahren.
Fr. Wenn ihr keine Hunzfoͤtter waͤret, ſo
wuͤrdet ihr es allen Tyrannen eben ſo machen!
Wenn ihr das thaͤtet, ſo waͤret ihr noch Menſchen,
ſo aber ſeyd ihr Tyrannenſklaven, und verdient alle
Pruͤgel, die ihr bekommt.
Pr. Ihr habt noch alle eure Strafe vor euch.
Die ganze Chriſtenheit wird euch angreifen, und
eure gottloſe Thaten beſtrafen.
Fr. Laß ſie doch kommen, die ganze Chri-
ſtenheit mit dem ganzen Heer des Teufels und mit
der Armee des Erzengels Michael: wir fuͤrchten
uns nicht!
[381]
Pr. Aber Maynz muͤßt ihr hergeben: das ſoll
euch der Teufel nicht danken.
Fr. Laß auch Maynz zum Teufel fahren:
glaubt ihr denn, wir ſcheeren uns um ſo ein Ra-
ckerneſt, wie Maynz iſt? Da ſteckt noch alles voll
Pfafferey und Adel. Aber ſo leicht ſollt ihrs doch
noch nicht kriegen.
Pr. Wenn ihr nur euren Koͤnig nicht umge-
bracht haͤttet —
Fr. Kamerad, ſey kein Narr! Es iſt nun ein-
mal ſo, und weils einmal ſo iſt, daß wir keinen
Koͤnig mehr haben, ſo wollen wir auch dafuͤr ſor-
gen, daß weder euer Koͤnig, noch der Kaiſer, noch
der Teufel uns einen wieder geben ſoll.
Pr. Aber wo kein Koͤnig iſt, da ſind auch
keine Soldaten —
Fr. O du armer Kerl du, wie raͤſonnirſt du
ſo dumm! Ja freilich, ſolche Soldaten giebt es
dann nicht, wie du und deines Gleichen. Ihr
ſeyd Sklaven, leibeigne Knechte, die einen Tyran-
nen uͤber ſich haben muͤſſen, der ihnen kaum halb
ſatt zu eſſen giebt, und ſie pruͤgeln, ſpiesruthen-
laufen und krummſchließen laͤßt, wenns ihm ein-
faͤllt. Solche Soldaten ſind wir nicht; wir ſind
freye Leute, republikaniſche Krieger.
Pr. Das iſt aber bey uns anders; wir haben
einen Herrn, dem wir gehorchen muͤſſen.
[382]
Fr. Weil ihr gehorchen wollt. u. ſ. w.
Solche Geſpraͤche fielen oft zwiſchen unſern
Leuten und den Deutſchen unter den Franzoſen vor,
und man hatte ſeinen Spaß daran und lachte dar-
uͤber. Aehnliche und noch derbere Ausdruͤcke uͤber
Tyrannen und Tyrannenſklaven u. dgl. haben uns
unſre Zeitungsſchreiber, Journaliſten und andere
Zeitſchriftſteller in ihren Auszuͤgen aus den Volks-
und Conventsverhandlungen der Franzoſen, wie
auch aus den Invectiven der engliſchen Oppoſitions-
parthey aufgehoben: und was hats geſchadet! Der
Menſch, im Durchſchnitt, iſt eine paſſive Ge-
wohnheitsmaſchine, der endlich — ſo lange es ihm
bey heiler Haut nur halbweg ertraͤglich geht — ſich
an Mordſcenen und den Zeitungsberichten daruͤber
gewoͤhnt, ohne davon nur noch menſchlich geruͤhrt
zu werden: warum denn nicht auch an Schimpfen
und Brandmarken! Man muß die Menſchen gar
wenig kennen, wenn man glaubt, daß Schrift-
ſteller auf ſie bis zum Aufſtand wirken koͤnnen: dieß
iſt nur der Erfolg von dem Harpienſyſtem der Fuͤr-
ſten oder ihrer Finanzminiſter. Eberhard und
Tieftrunk haben recht, wenn ſie ſagen: Fuͤrſten
ſeyd gerecht: und eure Throne ſtehen unerſchuͤt-
terlich!
Wie geſagt, unſre Soldaten lachten uͤber die
Invectiven der Franzoſen, und reizten ſie oft dazu,
[383] blos nur zum Spaß. Als endlich die oͤftere Wie-
derholung das Intereſſe daran ſchwaͤchte, wurden
ſie gegenſeitig ſanfter, und nannten ſich zulezt gar
Kamerad oder Bruder. Sie machten oft ſogar
Kartel unter ſich, verſprachen, ſich nicht zu ſchie-
ßen, und traten ſodann auf die Verſchanzung, wo
ſie ſich ganz freundſchaftlich mit einander unter-
hielten.
Einmal hatte ein Soldat von unſerm Regiment
mit den Franzoſen auf der Inſel, auch auf die er-
waͤhnte Art, Kartel gemacht. Waͤhrend deſſelben
ſtellten wir den Weg durch das Waſſer wieder her,
der ganz unbrauchbar geworden war, und die Fran-
zoſen brachen ihr Wort nicht, ſondern ließen uns
unter ihren Augen den Weg ohne Hinderniß aus-
beſſern.
Hr. von Ruͤchel verſprach einmal einem Bur-
ſchen einen Thaler, wenn er den Franzoſen, nach
Koſtheim zu, den bloßen Hintern weiſen wollte.
Herr von Ruͤchel war damals von Wein etwas
beſcheniert. Der Burſche ſagte ganz kalt: „Gern
verdiente ich den Thaler: aber es ſchickt ſich doch
nicht, den Feind ſo zu behandeln.“ Herr von
Ruͤchel, ſtatt das zu fuͤhlen, ſuchte fluchs einen
andern, welcher fuͤr den Thaler, den Hintern ent-
bloͤßen, ihn den Franzoſen hinweiſen, und dazu
rufen mußte: „Hier leckt mich im A—, ihr hunz-
[384] foͤttiſchen Patrioten! kommt her, leckt! — Von
dieſem unanſtaͤndigen Verfahren hat man ſogar in
Frankreich geſprochen. Auch iſt es richtig, daß
man durch dergleichen mehr ſich als den Feind be-
ſchimpft. —
Anekdoten von dieſer und weit aͤrgerer Art wer-
den wir gewiß bald aus Frankreich mehr als zuviel
erhalten. Ich weiß, daß Franzoſen bey der Rhein-
armee ſich ein eignes Geſchaͤft daraus gemacht haben,
ſich allenthalben nach dem Betragen der Oeſtreicher
und der Preußen zu erkundigen, und in ein eignes
Buch das einzutragen, was zur Charakteriſtik von
beyden dient. Ich habe ein Buch dieſer Art in
Haͤnden gehabt; und koͤmmt es heraus: wehe
Manchem!
Unter andern mislungenen Verſuchen auf die
Feſtung war auch die Errichtung gewiſſer ſchwim-
mender Batterien, wozu, ich weiß nicht, welcher
unerfahrne Menſch, den Anſchlag gegeben hatte.
Selbſt unſre Offiziere erklaͤrten das ganze Unter-
nehmen fuͤr ein unausfuͤhrliches Hirngeſpinſt: allein
einige Herren waren davon eingenommen (embêtés
wuͤrde ich auf franzoͤſiſch ſagen) und es mußte we-
nigſtens ins Werk geſezt werden. Aber leider, es
gieng ſchief: das ganze Ding fuhr den Rhein hin-
ab, und wurde von den Franzoſen an der Bruͤcke
aufgefangen. Sechs und ſiebzig Mann und meh-
[385] rere Offiziere wurden gefangen. Die Franzoſen
behandelten alle recht artig, nahmen ihnen nichts,
als ihre Waffen, ließen aber den Offizieren die
Degen, und nachdem ſie alle gut bewirthet hatten,
brachten ſie dieſelben den andern Tag wieder zu den
Preußen. Ein Offizier von uns wollte, daß man
die franzoͤſiſchen Soldaten, welche die gefangnen
Preußen aus der Feſtung gebracht hatten, behal-
ten und zu Kriegsgefangnen machen moͤgte: aber
der brave General Kalkreuth widerſezte ſich die-
ſem undankbaren und aͤußerſt unanſtaͤndigen Vor-
ſchlag.
Ehe ich meine Erzaͤhlung von der Maynzer Be-
lagerung ſchließe, muß ich noch etwas von der Huren-
wirthſchaft im Lager anfuͤhren. Daß dahin von
allen Orten her feile Dirnen heranſchlichen, ver-
ſteht ſich von ſelbſt: das iſt in den Standlagern
nicht anders. Schon zur Zeit des dreyßigjaͤhrigen
Krieges ſagte jemand:
Praebet militibus gaudia clara piis.*)
Dritter Theil. Bb
[386]
Eben ſo war es in dieſem Kriege bey Maynz. Bey
unſerm Regimente gab es eine ordentliche Huren-
wirthſchaft, das heißt, ein ordentliches Bordelzelt,
worin ſich vier Dirnen aufhielten, welche, um doch
einen Vorwand zu haben, Kaffee ſchenkten, und
dann jedem zu Dienſte waren. Sie hatten ſich
foͤrmlich taxirt, und
Lieschen, die ſchoͤnſte, galt 45 Kreuzer,
Hannchen — — — 24 —
Baͤrbelchen — — — 12 —
Die alte Katherine — 8 —
Ein Pfaffe aus der dortigen Gegend beſuchte
mich eines Tages, und da ich von ſeiner Orthodoxie
uͤberzeugt war, ſo wollte ich doch auch eine Probe
machen, ob er das donum continentiae haͤtte. Ich
fuͤhrte ihn alſo ins Bordelzelt, und wir fingen an
*)
[387] zu zechen. Nachdem ſein Kopf nur etwas heroiſch
geworden war, ward ſchoͤn Lieschen ſeine einzige
Unterhaltung: er ſchaͤkerte mit ihr auf die unan-
ſtaͤndigſte Art in Beyſeyn der Soldaten, welche
ſich uͤber den unverſchaͤmten Pfaffen theils aͤrger-
ten, theils freuten. Endlich ging er fort, und
Lieschen folgte ihm — ins nahe Getraide. —
Da hatt' ich denn neuen Zunder fuͤr meinen Haß
gegen die gleisneriſche Froͤmmigkeit aller orthodoxen
Pfaffen, welche, wenn ſie die Orthodoxie nicht
erheucheln, meiſt durch die Bank eben ſo große
Ignoranten, als Suͤnder ſind, nur daß ſie den
Schein ſcheinheiliger vermeiden.
Loripedem rectus derideat, aethiopem albus:
Quis tulerit Gracchos de ſeditione querentes!
Unſer Oberſte, der Herr von Hunt, machte
endlich dem Skandal des Bordelzeltes ein Ende,
und jagte die Menſcher fort: ſie zogen darauf zu
den Saͤchſiſchen Dragonern, wo ſie ihr Weſen
weiter trieben. Bey den andern Regimentern wa-
ren die Bordelzelte nicht minder. Ich war, damit
ich doch auch wieder etwas von mir erzaͤhle, die
ganze Zeit der Maynzer Belagerung uͤber munter
und geſund, und freute mich meines Daſeyns erſt
recht, als ich ſah, daß unſere Leute die Franzoſen
von Tag zu Tag naͤher kennen und hoͤher achten
lernten. Meine Zeit, die ich vom Dienſte uͤbrig
[388] hatte, vertrieb ich mit Buͤcherleſen und in der Ge-
ſellſchaft meiner Freunde, deren ich eine Legion in
jener Gegend habe. Alle Tage hatte ich Zuſpruch,
aber nicht allemal war mir der Zuſpruch erfreulich.
Viele kamen nur aus Neugierde, um den Kerl zu
ſehen, welcher ſo mancherley Ebentheur beſtanden
hatte. Solche Menſchen ſind wirklich unertraͤglich,
aber ich wußte auch allemal ihre Neugierde mit
Sarkasmen abzuſpeiſen: mit Pfaffen ſprach ich
von der Pfafferey — nach meiner Art; mit Juriſten
kommendirte ich uͤber die Hure Jurisprudenz, und
den Medizinern erklaͤrte ich das goldne Spruͤch-
lein:
Hiedurch ſcheuchte ich die Eulen von mir. Aber
allemal war mir es herzlich lieb, wenn ich ſo ei-
nen alten ehrlichen Bruder wieder zu ſehen bekam,
wie z. B. Herrn Stuber von Koͤnigsſtetten.
Das Schickſal dieſes Mannes geht mir noch jezt
ſehr nahe. Seine Frau naͤmlich ward, wie er
mir im Sommer 1795, als ich bey den Schwaben
Korporal war, ſchrieb, wegen der Buͤbereyen und
Bedruͤckungen der Kaiſerlichen tiefſinnig. Das
mag doch ein großes, großes Elend ſeyn!
[389]
Leſer, welche hier einige Bemerkungen uͤber die
endlich erfolgte Uebergabe der Feſtung Maynz an
die Preußen, — uͤber das Benehmen des Repraͤ-
ſentanten Merlin von Thionville und des Gene-
rals d'Oyré u. ſ. w. erwarten, koͤnnen ſie finden
in den Briefen eines preußiſchen Augenzeugen uͤber
den Feldzug des Herzogs von Braunſchweig gegen
die Neufranken; und in dieſen vorzuͤglich: denn
was die andern Herren uͤber dieſen Punkt geſagt
haben, iſt, ſo weit ich ihre Schreiberey bis jezt
kenne, ſchief und partheiiſch.
Genug, Maynz wurde den 23ten Jul 1793
an die Deutſchen uͤbergeben; aber, wahrlich, dieſe
Uebergabe war nicht ſo ſehr die Folge der Deut-
ſchen Tapferkeit, oder der Noth der Franzoſen;
als vielmehr Folge gewiſſer geheimer Unterhand-
lungen, bey denen Merlin vorzuͤglich intereſſirt
war. Das Geſetz ſeiner Republik erlaubt erſt dann
die Uebergabe einer Feſtung, wenn es ihr an den
Lebensmitteln mangelt, oder wenn der Feind eine
brauchbare Breſche geſchoſſen hat. Keins von bey-
den war in Maynz der Fall, und doch ließ Mer-
lin es fahren. Merlin hatte alſo offenbar ge-
gen das Geſetz geſuͤndiget; und daher nachher ſeine
Schwindeley und Luͤgen in ſeinen Berichten uͤber
Maynzens Uebergabe; daher das Entfernthalten
der militaͤriſchen Geißeln, d'Oyré, Duͤpont
[390] und anderer, wie auch der buͤrgerlichen Geißel,
oder der Klubbiſten, welchen leztern er den ſo feier-
lich verſprochnen Nationalſchutz nicht einmal in der
Kapitulation foͤrmlich bewirkt hatte, und dieß, um
ſich gegen ihre Beſchwerden uͤber ſeine Unterſchleife,
geheime Unterhandlungen u. dgl. vor Robespierre
zu ſichern. Es wird bald die Zeit kommen, wo
wir uͤber alles das naͤhern Aufſchluß nach Belegen
erhalten werden: ich weiß das gewiß, und gehe
darum weiter.
Man hatte unter den Preußen ausgeſprengt,
daß die Eroberung von Maynz die lezte That dieſer
Armee ſeyn ſollte. Ich glaubte das nicht, und
zog mir durch meine Remonſtrationen, wie ge-
woͤhnlich, allerley Vorwuͤrfe und Verdruß zu.
Eben ſo viel Verdruß machten mir meine Kritiken
uͤber eine gewiſſe poetiſche Sudeley, Preußiſche
Bravourlieder oder Bravourgeſaͤnge
genannt: ich glaube, der Verfaſſer hieß Reichard.
Dummeres Zeug kann man ſchwerlich je finden:
das ganze Ding war eine jaͤmmerliche Dichterey
von Schimpfwoͤrtern und Drohungen uͤber und an
die Franzoſen. Der Autor hatte mehrere Exemplare
an unſre Offiziere geſchickt, mit der Bitte, das
Sudelzeug zur Aufmunterung und A [...]zung des
Muths gegen den Feind herum zu geben. Ich
ſahe dem elenden Wiſch, der ohngefaͤhr das in Ver-
[391] ſen war, was Goͤchhauſens Wiſche in Proſa ſind,
bald, wie man ſpricht, auf den Magen, und kri-
tiſirte es derb. Da hieß es denn: „ja, ſo machts
Laukhard!“ u. ſ. w. Aber zum guten Gluͤck, wie
Laukhard es hier machte, machten es alle Kluge.
Wie barbariſch man die Klubbiſten behandelt
habe, gleich nach unſrer Ankunft in die Rheinge-
genden, davon ſprach ich oben. Mich grauet noch
immer bey jedem Andenken an dieſen Adels- Pfaf-
fen- und Soldaten-Robespierismus in Deutſch-
land. Wer die Kannibaliſchen Graͤuelſcenen, die
dabey vorfielen, naͤher betrachten will, findet ſie
in den erſten Kapiteln der Ruͤckerinnerungen
auf einer Reiſe durch einen Theil von Deutſchland
— in dem zweyten Stuͤck des Neuen grauen
Ungeheuers, und in den Bittſchriften im I. B.
von den Annalen der leidenden Menſch-
heit. —
Daß es unter dieſen Ungluͤcklichen Maͤnner gab,
wie vorzeiten Griechenland und Rom ſie zur allge-
meinen Bewunderung aufſtellte, und daß es ihnen
nicht an Muth fehlte, ihre und aller Menſchen
Rechte ungeſcheut, auch vor einer Regierung, in
deren grauſender Gewalt ſie waren, laut zu be-
haupten, zeigen folgende Belege. *)
[392]
I.
An
die Kurfuͤrſtl. Maynziſche Regierung in
Erfurt.
‘„Wahrheit gegen Freund und Feind!“’
(Schiller.)
Daß unſere, bey verſchiedenen Gelegenheiten
einer hohen Kommiſſion gegen das Benehmen des
Hn. Generals und hieſigen Feſtungskommandan-
*)
[393] ten, Freiherrn von Knorr, in Anſehung unſerer
Verwahrung vorgetragene Beſchwerden ſo ganz un-
unterſucht, ſo ungeglaubt und ohne Wirkung ſeyn
wuͤrden: konnten wir nicht denken, obſchon es be-
greiflich iſt, daß Wir gegen einen hieſigen Hn.
General kein Recht bekommen koͤnnen: wir wiſſen
naͤmlich, daß bey dergleichen Faͤllen die Perſonen,
nicht die Sache, in Anſchlag genommen werden,
weil es ſo herkoͤmmlich iſt. —
[394]
Wir ſind auf die ungerechteſte Art arretirt, auf
eine unmenſchliche Weiſe und zwar ſo mishandelt
worden, wie es in Afrika und bei Oſt- und Weſt-
Indiens Wilden zu geſchehen pflegt. — Das Alles
noch nicht genug! Entweder auf Geheiß oder doch
gewiß mit vollem Vorwiſſen einer Maynzer Regie-
rung mußten wir (26 Wochen lang) eine Kerker-
Einſperrung auf Ehrenbreitſtein ausſtehen, die
ſonſt Verbrechern erſter Klaſſe, und in menſchlichen
Verfaſſungen nicht einmal zu Theil wird. Von
einigen Einzelnen von uns wurde laut und mit ei-
nem durch ſolche Grauſamkeit empoͤrten Gefuͤhle,
beſtimmt gefodert, daß man uns den Prozeß ma-
chen moͤchte, um eines Lebens los zu werden, wel-
ches mit jedem Tage haͤrter, ja, ein erneuerter
Tod war. — Aber keine Antwort, keine Abaͤnde-
rung der ſchauderhaften Lage — das war die Folge.
Es iſt wahr, daß wir hier (in Erfurt) viel we-
niger hart, als auf Ehrenbreitſtein, gehalten wer-
den; es iſt aber auch wahr, daß erſt hier wir
legal erfuhren, daß wir unter der Rubrik von
Franzoͤſiſchen Geißeln verwahrt werden ſollten *)
[395] Wir wiſſen nicht, was fuͤr ein Reglement fuͤr die Be-
handlung der Geißeln exiſtire; aber das wiſſen wir,
daß ſie nicht als Verbrecher behandelt werden duͤrfen:
wir wiſſen, was das Voͤlkerrecht hier feſtſetzet: wir
fuͤhlen es leider zu ſehr, daß man es uns hart ent-
gelten macht, daß wir Grundſaͤtzen anhiengen, die
man unſers Wiſſens mit Grundſaͤtzen noch nicht
widerlegt hat – nur es uns entſetzlich hart fuͤhlen
macht, daß Umſtaͤnde, die Wir nicht herbey-
lockten — Eroberungen, gemacht von einer Na-
tion, die ſelbige bekannte und mit Gut und Blut
vertheidigte — uns nicht nur zum Bekenntniß ſol-
cher Grundſaͤtze auffoderten, ſondern uns ſelbſt
noͤthigten, zu deren Ausuͤbung zu ſchreiten, weil
wir damals die Auswanderung nicht waͤhlen moch-
ten, wenn gleich die Eroberer ſie uns frei ließen.
— Und warum ließ der Wiedereroberer uns nicht
eben das Recht einer freien Auswanderung, das
ſonſt in jeder Ruͤckſicht ein Naturrecht iſt, und hier
wegen des Reciproken noch viele Billigkeit haͤtte
erhalten ſollen.
Daß wir gar kein Verbrechen begangen hatten,
indem wir voͤllig geſetzlich und nach der
*)
[396] Grundverfaſſung Frankreichs gehandelt hatten, das
wußten wir; ja, wir wußten es, daß kein unpar-
theiiſcher Rechtsgelehrter uns etwas zur Laſt legen
wuͤrde, daß ſelbſt mit Recht uns kein Hinderniß zu
unſerer etwan zu erfolgenden Auswanderung in den
Weg gelegt werden konnte. Allein wir wußten
auch, daß bey einer etwan erfolgenden Uebergabe
der Feſtung Maynz die kalte, unpartheiiſche und
rachloſe Gerechtigkeit uns nicht zu Theil werden
wuͤrde. Unter dieſen Umſtaͤnden wurden Geißeln
von Maynz — Leute, die ſich als Anhaͤnger der
vorigen Herrſchaft bekannten — nach Frankreich
geſchickt, die in allem Betracht, aber auch einzig
nur fuͤr die Ungerechtigkeit, die man an uns begehen
wuͤrde, haften muͤſſen. Die Franken nahmen die
von uns ergriffne, gerechte Maaßregel auf die
Geißeln an, und haben ſo Sanction der Sache ge-
geben.
Dieſes und das Grundgeſetz ihrer Verfaſſung:
daß die ganze Nation die Rechte und Sicher-
heit eines jeden ihrer Buͤrger gegen auswaͤrtige
Angriffe mit all der Macht vertheidigen werde, die
die Nation in Haͤnden hat, laͤßt uns, die wir
geſetzlich Buͤrger dieſer Nation ſind, ungezwei-
felt hoffen, daß wir einſt die gebuͤhrende Genug-
thuung erhalten werden und muͤſſen. — Es ſind
demnach weit hoͤhere Gruͤnde, als die Gegen-
[397] geißeln in Frankreich, die uns mit Muth beleben,
um ſtandhaft jeder Mißhandlung entgegen zu ſte-
hen. Es kommt freilich darauf an, ob die Nation
die noͤthige Kraft in Haͤnden behalten wird; ihren
gedachten Grundſaͤtzen den Na[c]hdruck zu geben.
Sollte dieß nicht der Fall ſeyn: — was wohl[m]oͤg-
lich, aber nicht ſehr wahrſcheinlich [...] — ſo [...]
den wir ein Opfer unſerer Grundſaͤtze w[erd]en [...]
Und hierin liegt eine Staͤrke, die uͤber Miß [...]
lungen weit erhebt!
Es wuͤrde ungerechter Vorwurf und daher große
Beleidigung ſeyn, wenn wir alles Zutrauen auf
Ihre Gerechtigkeits- und Billigkeits-Liebe aufge-
ben, und uns den Gedanken erlauben wollten; als
wenn Sie den Ausgang [d]es Kriegs zur Norm ge-
ſezt haͤtten, wie wir jezt und kuͤnftig behandelt w[e]r-
den ſollen: nein, ſo ſpielt man nicht mit Gerech-
tigkeit, wenn man uns gleich mehrmale[n] ſagte:
„wir moͤchten nur nicht vergeſſen, daß der Krieg
noch nicht geendigt ſey!“ wie wenn wir je auf die-
ſen Ausgang gepocht haͤtten — wie wenn Maͤu-
ner keine Staͤrke anderswoher nehmen koͤnnten;
als vom Ohngefaͤhr! Wir ſind vielmehr ſehr in die
traurige Vermuthung verſezt, und in dieſer be-
ſtaͤrkt, daß der gegenwaͤrtige Krieg einem Duelle
auf Tod und Leben gleiche, der, leider, vielleicht
[398] keine zeitliche Auseinanderſetzung vermuthen
laͤßt. —
Die Hn. Kommiſſarien Strecker und von
Piper ſind Zeugen, wie ſich obgedachter Hr. Gene-
ral theils bei Gelegenheit des Abnehmens der Bret-
ter von zwei Fenſtern, theils bei einer andern Ge-
legenheit benahm, damals naͤmlich, als diejeni-
gen von uns, welche nach Vorſchrift des Arztes
Molken zur Kur tranken, um taͤgliche Bewegung
zu dieſem Behufe in freier Luft anſuchten: denn
dieſes Anſuchen, auch wiederhohlt, wurde abge-
ſchlagen, und ſogar geſagt: „Arreſtanten gehoͤre
keine Kur: wenn es auf ihn angekommen waͤre, ſo
haͤtte er ſie nicht erlaubt.“ — Die Hn. Kommiſ-
ſarien wiſſen es, wie unbillig, wie hart, wie un-
gerecht, wie allein-machthaberiſch ſich der Hr.
General bei der Klagſache Levers darſtellte:
dieſe Herren und wir alle wiſſen es, daß der Hr.
General mehrmals ſagte: „und ich thue es nicht!
— Es geſchieht nicht, weil — Ich nicht
will!“ —
Wir ſind weit entfernt, Maaßregeln zu ta-
deln oder laͤſtig zu finden, die nicht nur zu unſerer
Verwahrhaltung, ſondern auch dazu genommen
werden, daß wir keine muͤndliche oder ſchriftliche
Unterredung mit hieſigen Einwohnern oder andern
Teutſchen, ohne die gehoͤrige Einſchraͤnkung und
[399] Aufſicht, haben duͤrfen, weil fuͤr den leztern Fall
die Klugheit es raͤtht, uns nicht zu trauen und zu
befuͤrchten, daß wir noch jezt, wie ehemals unter
der Franken-Regierung, unſere Grundſaͤtze laut
an Tag geben moͤchten. — So willig wir uns
Befehlen und Einſchraͤnkungen unterwerfen, die
mit der Vernunft und den obigen Zwecken verein-
barlich ſind, ſo ſehr fuͤhlen wir die Haͤrte und Un-
gerechtigkeit ſolcher Einſchraͤnkungen, die ſichtbar-
lich nur zu unſerer Plage und Herabwuͤrdigung da
ſind. Das Phyſiſche unſerer Lage iſt in ſehr vie-
len Ruͤckſichten hart; und wenn auch Gemuͤthsſtaͤrke
alles uͤbertragen macht: ſo kann ſie doch das Ge-
fuͤhl der Leiden nicht unterdruͤcken, am wenigſten
dann, wenn Willkuͤhr nur ſprechen darf und ein
Heer zweckloſer Neckereien auf uns ſtuͤrmt, deren
Ende und Zahl nicht abzuſehen iſt, weil Laune
keine Graͤnzen hat. — Doch zur Sache!
Bei unſrer Ankunft (auf den Petersberg bei
Erfurt) wurde eine Separation in verſchiedene Zim-
mer und Lagerſtaͤtten mit Einigen von uns gemacht,
die nur ihren Grund in der ganz leidenſchaftlichen
Empfehlung des Ehrenbreitſteiner Komman-
danten hatte. — Eben dieſer Empfehlung hatten
wir es zu danken, daß wir zu Hirſchfeld, wo
uns das hieſige Militaͤr von der Preußiſchen Es-
korte uͤbernahm, ein Hundequartier erhielten, das
[400] wegen ſeiner Enge — denn kaum konnten wir auf-
recht darin ſtehen, und nur krumm darin liegen —
ein wahres Marter-Lager war, von außen mit
Brettern und Wachen ſo verrammelt und beſezt,
als wenn wir Verbrecher von der verworfenſten
Klaſſe geweſen waͤren. Auch von daher kam es,
daß der hieſige Hr. General eine ſchoͤne Quant[i]taͤt
Ketten dem hieſigen Hn. Obriſten von Taufen-
berg nach Hirſchfeld mitzunehmen befahl, mit dem
Bedeuten, uns ſolche bei dem geringſten Anſtand
anlegen zu laſſen. Sehr wahrſcheinlich wuͤrden
wir mit einer ſolchen Grauſamkeit heimgeſchickt wor-
den ſeyn, wenn nicht der Preußiſche Obriſtleutnant,
Hr. von Schwerin, deſſen Andenken wir wegen
ſeiner ungeheuchelten Menſchenfreundlichkeit auf
immer verehren werden, es nicht hintertrieben haͤtte,
durch die Vorſtellung: „daß wir Menſchen,
vernuͤnftigen Gehorſams gewohnt, aber unge-
wohnt einer erniedrigenden Behandlung waͤren.
Selbſt dieſer Herr von Schwerin rieth uns, daß
im Fall wir Mißhandlungen zu ertragen haben ſoll-
ten, wir uns geradezu an das Koͤnigliche Preußi-
ſche Gouvernement in Mainz wenden moͤchten:
denn er wuͤßte, daß man uns von dort aus mit
aller Schonung behandelt wiſſen wolle; und es ſey
gewiß, daß unſer auf Ehrenbreitſtein ausgeſtan-
denes Elend unbekannt geblieben ſey: ſonſt haͤtte
[401] man demſelben abgeholfen: man moͤchte das nur
nicht auf Rechnung des Koͤniglichen Preußiſchen
Gouvernements ſchreiben. —
Die ſorgfaͤltige Verbretterung der Fenſter bei
der ungewoͤhnlichen Hoͤhe im dritten Stock dahier —
bei uͤberall bis an den Abtritt ausgeſtellten Wachen;
noch mehr das Verbot, welches zwei Monate und
noch daruͤber dauerte, niemals nahe an einem Fen-
ſter zu ſtehen, oder auf Stuͤhle zu treten, um durch
die geoͤffneten obern Fenſter ſehen zu koͤnnen; fer-
ner das beſtaͤndige und laͤſtige Begleiten einer
Schildwache auf den Abtritt, wo doch gerade vor
demſelben ein Poſten ſteht, der alles beobachten
kann: — was waren dieſe Reglements anders,
als Erſinnungen, uns wehe zu thun! Doch, die
bei unſrer Ankunft uns durch den Auditeur vorgele-
ſene Inſtruction — ſie ſey abgefaßt, von wem ſie
wolle — ſagt es nur in andern Worten, daß wir
alle die damals ſchon gegebnen Reglements als —
Gnade — als Wohlthaten und Beguͤnſtigungen an-
ſehen muͤßten, und man erwarte es von uns, daß
wir durch gutes Betragen beweiſen wuͤrden, daß
wir dieſe Wohlthat zu ſchaͤtzen wuͤßten.
Wir haben dieſe, wie noch mehr andere Ernie-
drigungen gefuͤhlt und — ſie gehoͤrig gewuͤrdigt.
Nein, Gnade und Wohlthaten nehmen Maͤnner
Dritter Theil. C c
[402] von unſrer Denkart nicht an: es muß ihnen alles
wenigſtens mit dem Namen von Recht gegeben
werden: denn man verſuche es wenigſtens an uns
Unterſchriebene, ob wir aus Gnade leben wol-
len. —
Als wir uns aͤußerten: daß es dem groͤßten
Theil von uns hart falle, das monatliche Aufwar-
tegeld zu bezahlen: ſo eroͤffnete der Hr. General
die Thuͤr, als wenn er fortgehen wollte, ſprach
aber an der Thuͤrſchwelle ſtehend und halb zur Wache
ſich wendend: „die Kleinigkeit muͤßt ihr
bezahlen: auf Ehrenbreitſtein habt ihr
den Profos und Steckenjung auch zahlt
(bezahlt)!“ — Freilich, ſollten die gegenwaͤrti-
gen Soldaten hoͤren und wiſſen, daß wir Leute waͤ-
ren, die ſchon von Profos und Stockjungen be-
dient worden! — Der Hr. Obriſt von Ame-
lungs aͤußerte bei Gelegenheit nach ſeiner Ma-
nier — das heißt, in einem auffallenden, gebiete-
riſchen Ton —: daß wir, um das Barbiergeld zu
ſparen, die Baͤrte ſollten wachſen laſſen: das ſchicke
ſich ohnehin beſſer fuͤr Arreſtanten, u. dgl. —
Dieſe und noch einige folgende Vorgaͤnge . .
. . zeigen klar: daß das hieſige Militaͤr in dem
Wahne ſtehe, oder etwan die Weiſung habe, uns
zum Theil als Verbrecher zu behandeln. Un-
ter dieſen Umſtaͤnden fodern wir, daß man mit ei-
[403] ner Inquiſition vorſchreite, ohne eben damit die
Vorfrage einzuraͤumen: ob wir hier kompetende
Richter anerkennen muͤſſen.
Da endlich die Bewegung in freier Luft und
zugleich die Entbretterung eines Fenſters in jedem
Zimmer, und zwar lezteres unter der Bedingung
geſtattet wurde, daß ſaͤmtliche Geißeln fuͤr ihr
Geld eiſerne Stangen vor dieſe zwei Fenſter machen
ließen: ſo fing man an, nebſt dieſem Lebensgenuß
uns noch den Zuſammentritt aus beiden Zimmern
zu zulaſſen und die laͤcherliche Begleitung nach dem
Abtritt einzuſtellen. — Mehrere von uns beſchaͤf-
tigten ſich mit Muſik, und die gewoͤhnliche Abends-
erholung war eine Art Konzert. Dieß dauerte
fort, bis Lever ſeine Beſchwerden wegen erlit-
tener mehrerer Kraͤnkungen am 19ten vorigen Mo-
nats uͤbergab. Eine hohe Regierung wird aus dem
Inhalt dieſer Beſchwerden, und aus den beigefuͤg-
ten Beweiſen, die an die Kurfuͤrſtliche Regierung
in Mainz geſtellt war, erſehen haben, daß Kraͤn-
kungen von der Art nur von Leuten koͤnnen ertra-
gen werden, die entweder des Hudelns gewohnt
ſind, oder denen Vertheidigung zum Verbrechen an-
gerechnet wird, und die in dieſer Hinſicht das
Schweigen dem lauten, aber vergeblichen Anruf
der Gerechtigkeit vorziehen. — Im Vorbeigehen
wird hier erinnert, daß Lever auf vier Vorſtel-
[404] lungen, worin er ſich immer auf Schutz und An-
wendung geſetzlicher Ordnung berief, noch keine
Antwort erhalten hat. —
Der Hr. General ſchickte den hieſigen Hn. Au-
diteur, nebſt mehrern Offizieren, um ſeinen An-
ſtalten ein drohendes Gewicht zu geben, in die bey-
den Zimmer, Num. I und 2, und ließ nach Ab-
leſung der Leverſchen Schrift umfragen: ob wir
Antheil an Levers Schrift und Sache naͤhmen?
Metternich ſprach im Zimmer Num. I zuerſt,
und ſagte: ſo ſehr er auch zweifle, ob er unter die-
ſen Umſtaͤnden und vom Hn. General — der nur
die Verwahrung zu beſorgen, aber keine Juris-
diction uͤber uns auszuuͤben hatte, wie er vor eini-
gen Wochen ſelbſt erklaͤrte, als er dem Lever
ſechs Bogen von ſeinen Schriften und Auszuͤgen
aus Tieftrunk, Ardinghello, Dahlberg
u. a. konfisciren ließ — gefragt werden koͤnne: ſo
trage er doch kein Bedenken, ſeine Meynung zu
aͤußern, und erklaͤre: daß, wenn Lever ſeine
angefuͤhrten Beſchwerden beweiſe, er deſſen An-
ſuchen um Genugthuung unterſtuͤtze. Uebrigens
ſey es unter Geißeln herkoͤmmlich, daß Unterneh-
mungen, die einer allein, oder mehrere Einzelne
in ihrer Sache machten, auch bloß auf Rechnung
der Unternehmer geſchrieben werden muͤßten. Der
Meynung Metternichs traten die uͤbrigen mit
[405] ihren Unternehmungen bei. Es ward in wenig Ta-
gen von dem Hn. General ſelbſt Levern ange-
deutet: daß er bei den naͤchſten zwei Spatziergaͤngen
zu Hauſe bleiben, und ſtark bewacht werden ſollte.
Dieſe Ankuͤndigung des Hn. Generals geſchah in
einer Hitze, die ihn auch noch zu dem Befehle ver-
leitete, den er auf der Stelle der Wache gab:
„Ich ſage euch, den Lever nur ſtreng bewacht,
wenn die andern ſpatzieren gehen, und in Zukunft
nur rauhe Worte gegeben!“ Auch wurde dem Hn.
Offizier von der Inſpection angedeutet, bei der ge-
ringſten lauten Aeußerung des einen oder des an-
dern, denſelben ſogleich ins Stockhaus zu fuͤhren
und kreuzweiſe ſchließen zu laſſen!!! —
Wir aͤußerten bald dem Inſpections-Offizier,
dem Hn. Faͤhndrich Buchholz: daß, im Fall
Lever nicht mit den uͤbrigen zum Ausgang zuge-
laſſen wuͤrde, auch wir uͤbrige nicht ausgehen wuͤr-
den. Das hatte die Folge, daß in 13 auf einan-
der folgenden Tagen kein Ausgang geſtattet
wurde. —
Die im Zimmer N. I. machten deshalb eine
Vorſtellung an den Hn. General, worin ſie ſich
auf das an die fraͤnkiſchen Kommiſſarien ausgeſtellte
Zeugniß beriefen, in deſſen Gemaͤßheit der woͤ-
chentliche Spatziergang wenigſtens zweimal zuge-
ſtanden ſey, und foderten den Hn. General auf,
[406] baldige Abhuͤlfe in dieſem, wie noch in einigen
andern Punkten, zu treffen, damit ſie nicht genoͤ-
thigt ſeyn moͤchten, ihre Klage lauter werden zu
laſſen. — Der Hr. General erklaͤrte: dieſe Schrift
ſey zwar ſehr ſpitzfindig abgefaßt; doch habe ſie
viel Schein von Wahrheit und Gerechtigkeit!!! —
Alle in dieſem Zimmer, nur Metternich nicht,
waren unterſchrieben: lezterer wollte naͤmlich, man
ſolle noch eine kurze Zeit warten, und dann nicht
zu einem Palliativ, ſondern zu einem Mittel grei-
fen, welches auf gaͤnzliche Befriedigung oder gaͤnz-
liche Unterdruͤckung unſerer Foderungen gehe: denn
es war damals ſchon alle vorhin gehabte Gemein-
ſchaft in beiden Zimmern unterſagt — Schildwa-
chen mußten wieder auf den Abtritt begleiten —
die in jedem Zimmer Verwahrten wurden allein zur
Bewegung ausgefuͤhrt — die abendliche Unterhal-
tung mit Muſik war geſtoͤhrt — der Geſang fran-
zoͤſiſcher Lieder war unterſagt... Rompel hatte
auch in der Sache Levers, ſo wie uͤberhaupt ge-
gen einige harte Verfuͤgungen zu laut und zu frei-
muͤthig geſprochen; daher ihm auch die Separation
mit zu Theil geworden ſeyn mag.
Als am dritten Morgen nach der obigen uͤber-
gebenen Vorſtellung der Hr. Offizier ankuͤndigte,
daß man ſich bereit halten ſolle, nach etwan einer
halben Stunde ausgehen zu koͤnnen, ſo [...]
[407]Metternich: daß er nicht ausgehe, und ſo lange
nicht ausgehen wuͤrde, bis vorerſt gewiſſe Dinge
ins Reine gebracht waͤren. Der Hr. Offizier, der
uͤber dieſe Aeußerung vermuthlich Rapport gemacht
hatte, kam in einer halben Stunde wieder, und
ſagte zu Metterich in dem einen, und zu Le-
vern und Rompel in dem andern Zimmer:
daß ſie ſich ſogleich ankleiden ſollten, um anders-
wohin gebracht zu werden. Auf die Frage: wo-
hin denn? antwortete derſelbe: daß wir das ſchon
erfahren wuͤrden: er habe keine Erlaubniß, es zu
ſagen. So wurden nun wir Drey in die untere
Kaſerne, in eben das Quartier gebracht, wo meh-
rene von uns ſich ſchon die Verwahrung neben zwei
angeblichen Spionen gefallen laſſen mußten: und
eben hier ſind wir noch.
Wir haben hier nicht weniger, wohl mehr Ge-
maͤchlichkeit, und ein geſunderes Quartier von
zwei Zimmern, als oben im Kloſterbau. Nur tra-
fen wir beim Eintritt eine ziemliche Menge Floͤhe
an, die wie Ameiſen an uns herumkrochen, und
noch jezt uns viel Ungemaͤchlichkeit verurſachen.
Die ſo auffallende, diktatoriſche Wegfuͤhrung von uns
hat vermuthlich, mit noch einer Doſis Anſtiftung
nach dem bekannten Calumniare audacter: ſemper
aliquid haeret, zu einem ſehr allgemein gewordenen
Geſpraͤche in der Stadt Anlaß gegeben: daß Met-
[408]ternich und Boͤhmer vor der Hauptwache
Stockſchlaͤge bekommen haͤtten, und ein Dritter
noch zu Spiezruthen verurtheilt waͤre, weil dieſe
und noch andere haͤtten durchbrechen wollen.
Was hieruͤber die Buͤrger und angeſehene Maͤn-
ner in der Stadt und in Hochheim geſprochen, und
wie Einige derſelben ihre Meynung gegen den Hn.
General geaͤußert haben, wird noch zur Zeit ver-
ſchwiegen. — Wir beklagten uns bei dem erſten
Beſuch des Hn. Commiſſarius von Piper uͤber
die unbillige Separation, uͤber die Art, wie ſie ge-
ſchehen, und vorzuͤglich, daß die Willkuͤhr des Hn.
Generals hier und zwar eigenmaͤchtig zu ſeiner an
uns ſelbſtgenommenen Satisfaction entſchieden
habe; daß dieſe Separation uns dem Publikum in
ein gehaͤſſiges Licht habe ſtellen muͤſſen, und baten
um eine rechtliche Unterſuchung, worin uns ge-
ſtattet werden moͤchte, eine faktiſche Darſtellung
unſerer Kraͤnkungen zu uͤbergeben.
Dieſe Darſtellung waͤre nun hiermit gegeben;
nur muͤſſen wir noch bemerken, daß die ſtrenge
Aufſicht auf Druckſchriften, die wir zur Lectuͤre
oder zum Ankauf verlangen, und die doch als kaͤuf-
liche oder gangbare Waare geduldet werden, nur
fuͤr den Herrn, der die Cenſur daruͤber hat, ermuͤ-
dend und ſonſt ganz ohne Zweck iſt. Der einzige
Fall, der eine vernuͤnftige Billigung dieſer Vor-
[409] ſicht denkbar macht, iſt, wenn man glaubt, wir
wuͤrden unſern Aufenthalt je wieder in einem Lande
nehmen, wo Alleinherrſchaft die Grundverfaſſung
waͤre, und da moͤchten wir aus Buͤchern Grund-
ſaͤtze entlehnen, die mit ſolchen Verfaſſungen un-
vereinbarlich ſind. Allein dieſe Vorausſetzung iſt
wohl, wo nicht fuͤr Alle, doch fuͤr den bei weitem
groͤßern Theil ganz ungegruͤndet: und die, welche
koͤnnten hier bleiben wollen, wuͤrden die ſogenann-
ten verbothenen Schriften ohnehin wohl nicht leſen.
Auch glauben wir, daß unſere neulich an den
Hn. General uͤbergebne Denkſchrift in Anſehung
der uns geſtatteten, aber wirklich laͤſtigen Bewe-
gung in der freien Luft, hier einen Platz verdiene:
ſie folgt alſo hier woͤrtlich.
P. P.
„Wir haben Ihnen ſchon einmal melden laſſen,
daß wir Unterſchriebne durch einen Revers, worin
einer fuͤr alle, und alle fuͤr einen zu haften verſpra-
chen, Sie ſicher zu ſtellen, und uns von einem
Zwange bei dem Spatziergange zu befreien gedach-
ten, der uns mehr laͤſtig, als die Erholung guͤn-
ſtig ſeyn kann. Wir verbuͤrgen auf alles, was
uns heilig iſt, daß ein ſolcher Revers in Paris nicht
nur angenommen, ſondern eben die Kraft haben
wuͤrde, welche das gegebne Ehrenwort der franzoͤ-
ſchen Militaͤr-Geißeln hier in Erfurt hat.
[410]
Entweder iſt es Ernſt, oder es ſoll dem Publi-
kum nur ſo was gezeigt werden, was uns als ge-
faͤhrliche Waghaͤlſe darſtellt, wenn man gewoͤhn-
lich vier, auch zuweilen fuͤnf Poſten ausſtellt, wo
noch der Korporal und der Offizier von der Inſpe-
ction zugleich gegenwaͤrtig ſind, und dieß alles auf
einem bis auf drei Ausgaͤnge an ſich ſchon ganz
geſperrten Platz, den Umfang der Feſtung noch
unerwogen.
Da kein Verdacht erdichtet werden kann, als
habe einer von uns je einen Schritt zu ſeiner Be-
freiung und Flucht gewagt, troz aller Auslegungen
unſerer Handlungen: ſo koͤnnen wir in keinem die-
ſer Faͤlle die Rolle uͤbernehmen, die man uns et-
wan vor dem Publikum will ſpielen laſſen. — —
Da ferner der Platz der hieſigen Kaſerne ein
wahrer Keſſel iſt, ohne reine Luft, wenn kein
Wind wehet; da er auf der einen Seite zum Aus-
klopfen der Deckbetten, und folglich den Floͤhen
gewidmet, auch mit Kindern angefuͤllt, und ohne
Ausſicht, alſo in keinem Fall geeignet iſt, Erho-
lung da zu haben: ſo muͤſſen wir uns unter dieſen
Umſtaͤnden alles weitere Ausgehen verbitten. Kann
uns daher unter Ausſtellung des obigen Reverſes,
und unter Begleitung eines Ober- oder Unteroffi-
[411] ziers nicht geſtattet werden, auf der hieſigen Fe-
ſtung uͤberall, wo ſonſt Leute gehen duͤrfen, auch
die freye Luft durch einen ſogenannten Spatzier-
gang zu genießen: ſo werden wir nicht mehr wuͤn-
ſchen, vor die Thuͤre gelaſſen zu werden.
Dieſes alles glauben wir aus dem Geſichts-
punkte vorſtellen zu duͤrfen, da unſer Begehren ſich
in weit engern Schranken haͤlt, als man dieſe ei-
gentlich gegen Geißeln zu beobachten pflegt.
Wir hoffen nicht, daß man uns vorwerfen
werde: Andere haͤtten mit eben dem und mit noch
Wenigerm fuͤrlieb genommen, und naͤhmen noch
damit fuͤrlieb: denn das Betragen Anderer kann
fuͤr uns keine Regel werden.
Petersberg d. 14ten Jul, 1794.
Metternich,
Rompel,
Lever.“
Der Herr General ließ uns hierauf ſagen:
„daß die Geſtattung unſeres Geſuchs von ihm nicht
„abhaͤnge; daß er unſere Vorſtellung der hohen
„Kommiſſion vorlegen werde, und dieſelbe dann
„weiter nach Mainz geſchickt werden muͤſſe, um
„daruͤber Verhaltungen abzuwarten.“ —
[412]
Wir werden das wohl abwarten; wuͤnſchen
aber, daß die Mainzer Regierung, oder wer ſonſt
unſere Sache verwaltet, einmal aus dem Irrthum
komme, als koͤnne man ſich gegen Gefangene, die
nach ihrer Verfaſſung und Grundſaͤtzen wohl belei-
diget, niemals aber deswegen ſtraͤflich vor dem
teutſchen Richterſtuhle werden koͤnnen, alles erlau-
ben, in ſofern man bei dem auch aufgereizten und
nicht klar und unpartheiiſch ſehenden Publikum nur
Recht erhaͤlt.
Wir koͤnnen keinen andern Weg zur Ausglei-
chung der vorhandenen Irrungen und zu einer er-
traͤglichen Lage fuͤr uns angeben, als daß man
uns erlaube, monatlich einen getreuen Rapport an
das fraͤnkiſche pouvoir exécutif abzuſchicken, worin
wir getreu und wahr unſere Lage darſtellen wollen,
ſo daß eine hohe Kommiſſion ſelbſt die aͤchte Eigen-
ſchaft des Rapports nicht verkennen wird. — Wenn
von daher die Behandlung, die uns hier zu Theil
wird, gebilliget, ja, wenn Winke von daher ge-
geben werden ſollten, daß man ſie noch mehr ſchaͤr-
fen moͤge: ſo werden wir uns dieſer Nothwendig-
keit ohne Murren unterwerfen. Wir ſind ſo feſt
entſchloſſen, auf dieſem Geſuch ſtehen zu bleiben,
als wir umwankelbar ſind, keinen Fuß auf franzoͤ-
ſiſchen Boden zu ſetzen, wenn es einmal zur Geißel-
Auswechſelung kommen ſollte, bis wir hinlaͤngliche
[413] Genugthuung fuͤr alle ausgeſtandene Mißhandlun-
gen und Ungerechtigkeiten werden erhalten haben.
Feſte Petersberg bei Erfurt,
den 18ten Jul, 1794.
Lever.
Metternich.
Rompel.
An
Hn. Coadjutor, Freyherrn von Dahlberg
in Erfurt.
Wenn wir Unterſchriebene uns die Freyheit neh-
men, Ew. — die anliegende, der hieſigen Regie-
rung uͤbergebene Denk- und Beſchwerde-Schrift zu
uͤberreichen: ſo haben wir dabey den einzigen Zweck,
die Sache zu Dero hohem Wiſſen gelangen zu
laſſen.
Wenn die franzoͤſ. Republik ihre Exiſtenz be-
hauptet: ſo iſt nichts gewiſſer, als daß unſere in
Teutſchland erlittene Mißhandlungen einſt zur
Sprache und zur endlichen Genugthuung kommen
werden: und in dieſer Ruͤckſicht ſchein: es allerdings
noͤthig, daß unſere Lage auch den reſpektiven hohen
Stellen dahier foͤrderſamſt bekannt werde. Wir
ſind weit entfernt, Hoch-Ihnen mit irgend einer
Bitte beſchwerlich zu fallen. Was auch Hochden-
ſelben Menſchen- und Gerechtigkeits-Liebe in der
[414] Sache etwan zu thun rathen mag: ſo wuͤnſchen wir
doch mit allem verſchont zu werden, was nur einer
einſtweiligen Ausmittelung gleich ſieht. Nichts
kann unſern Zuſtand dahier dauerhaft ertraͤglich ma-
chen, als die Gewaͤhrung des in der Anlage ge-
machten Antrags. Wir ſind u. ſ. w.
Petersberg, den 18ten Jul, 1794.
Lever.
Metternich.
Rompel.
II.
An die hohe Regierungs-Commiſſion
in Erfurt.
Ich mache die Anfrage, ob ich auf meine
Denkſchrift vom 20ten, auf den Nachtrag vom
23ten und auf die Beweisſchrift vom 25ten vorigen
Monats Gerechtigkeit, in ſpecie den anverlangten
geſezlichen Schutz gegen die Drohungen, Mishand-
lungen und Neckereyen des Hn. Generals von
Knorr erhalten werde oder nicht? Im leztem
Fall wird mir das Recht, an den Hn. Coadjutor
und an das koͤnigl. Preußiſche Gouvernement in
Maynz eine verſchloßne Vorſtellung abſchicken zu
duͤrfen, nicht verſagt werden. Wird auch dieſes
nicht geſtattet oder verhindert, ſo behalte ich mir
die Gerechtigkeit und Billigkeit auf jene Zeit vor,
[415] wo, um grad aus durchdringen zu koͤnnen, mich
keine kuͤnſtliche Kluft von Schranken oder Schlag-
baͤumen hindern wird; wo keine Einlaßzetteln,
keine Denkſchrift und Vorſtellungen noͤthig ſeyn
werden, um Menſchen mit zwey Worten ihrer
Pflichten zu erinnern: Seyd gerecht! —
Feſte Petersberg bey Erfurt,
den 11ten Jul, 1794.
Lever, aus Worms.
III.
Churfuͤrſtliche Mainziſche Regierung!
Schon im December vorigen Jahrs uͤbergab ich
eine Denkſchrift an die kurfuͤrſtl. M. Regierung,
worin ich, wenigſtens fuͤr jezt, ſoviel von meinem
ſequeſtrirten Eigenthum verlangte, als ich zu den
unnachlaͤßlichſten Beduͤrfniſſen brauchte. Ich
glaubte, Gruͤnde dargelegt zu haben, die nicht aus
der Luft gegriffen waren. Ich hatte noch den gu-
ten Glauben, daß Geſezlichkeit doch noch wohl be-
ſtehen koͤnne, obſchon das Verfahren gegen mich
und andere bey unſrer Gefangennehmung zu Mainz,
und nachher waͤhrend unſrer Gefangenſchaft auf
Ehrenbreitſtein, Koͤnigſtein und Erfurt mich uͤber-
zeugen mußte, daß baare Rache uns bisher ver-
folgte.
[416]
Ich hatte es der Unterſtuͤtzung meiner Mitge-
faugnen zu danken, daß ich auf Ehrenbreitſtein
kein Opfer des Hungers und der Nacktheit gewor-
den bin: es war kein geringes Stuͤck von Grau-
ſamkeit, daß man meinem Geſchwiſter aufs ſchaͤrf-
ſte unterſagte, mich mit Geld zu unterſtuͤtzen....
Soviel aber die Pflicht der Selbſterhaltung mir zu
gebieten ſcheint, andere ſcheinbar erlaubte Verſuche
zu dieſem Zwecke zu machen, als da iſt — ſuppli-
cando wegen einer Zulage einzukommen, ſo ſehr
wuͤrde das wider die naͤmliche Selbſterhaltung ſtrei-
ten: denn ein durch Herabwuͤrdigung erhaltenes
Leben iſt lange nicht von dem Werth, als der Tod,
der der Entehrung trozt.
Nicht ich kann und darf den Wahn beſtaͤrken,
als wenn es Menſchen gezieme, um Gnade zu
kriechen, und Menſchenwuͤrde zum Fußſchemel der
Willkuͤhr zu entheiligen da, wo Rechte und Ge-
ſetze entſcheiden ſollten. Das Betragen der Tau-
ſende und Millionen, die anders handeln, kann
fuͤr mich kein geltendes Beyſpiel ſeyn, da ich —
dem Himmel ſey's gedankt! — aus jenen Ver-
haͤltniſſen ausgetreten bin, und [nun] nach den
Grundſaͤtzen der Menſchenwuͤrde handeln muß....
Petersberg, den 27ten Jun, 1794.
Metternich, Franzoͤſ. Geißel.
[417]
IIII.
Churfuͤrſtliche Hochpreisliche Regierung zu
Erfurt!
Endlich iſt das ſchon lang gefaͤllte Strafurthel
gegen Metternich vollzogen: er ſizt bey Waſſer und
Brodt ſeit geſtern Nachmittag fuͤnf Uhr auf drey
Tage im Stockhauſe, zwar ſeit einigen Tagen un-
paͤßlich, aber noch muthig genug, um dieſes Un-
gemach zu erdulden. *) Die ihm angetragne
Hundekoſt hat er nach ſeinen Grundſaͤtzen mit ge-
buͤhrender Verachtung ausgeſchlagen, weil ſie die
Menſchheit ſchaͤndet, und den Karakter eines freyen
Buͤrgers entehrt.
Dritter Theil. Dd
[418]
Noch vor wenig Jahren war man bey derglei-
chen Strafen nicht ſo ſtreng in Mainz. Selbſt der
Falſchmuͤnzer Hazfeld — der Herr Vetter des
Friedrich Carls — erhielt dort ſeine ſtandesmaͤßige
Verpflegung im Arreſt: aber der fraͤnkiſche Staats-
buͤrger ſoll in ſeinem engern Arreſt nur Brodt und
Waſſer haben! Freilich iſt dieſer nur Menſch, und
jener von hohem Adel! Da liegt der Hund begra-
ben, ſagt Wieland. —
Waͤren unſere Pro-Memorien, Denk- und
Schlußſchriften vom 18ten, 21ten und 25ten Jun,
vom 18ten Jul, vom 22ten und 27ten Auguſt, und
vom 17ten und 22ten September l.J. nach Mainz,
wie man vorgiebt, wirklich eingeſchickt, und dort,
wie die Gerechtigkeit es fodert, nach der Gerech-
tigkeit gewuͤrdigt worden; ſo wuͤrden unſere neuere
Beſchwerden nicht erfolgt ſeyn, und dann auch
nicht das Straf-Dekret.
Es iſt ein bekannter Rechtsſatz, daß mein
Gegner kein Richter in meiner Sache ſeyn kann,
noch weniger die Erzfeinde der franzoͤſiſchen Re-
publik, ich meyne die Mainzer Pfaffen. Gerech-
tigkeit iſt alles, was wir zu fodern berechtigt ſind;
und wo Recht iſt, muß auf der andern Seite auch
Pflicht ſeyn: das lehrte mich die Schule. — Ge-
rechtigkeit iſt alles, was wir zum leztenmal fodern.
Den unter uns treffe die Rache der beleidigten
[419] Menſchheit, der die Wuͤrde des Menſchen vergißt, *)
die beſchwornen Grundſaͤtze der Freiheit in der Ge-
fangenſchaft verlaͤugnet, die menſchliche Hoheit ent-
heiliget und ſich vor einem politiſchen Phantom ernie-
driget, indem er das die Schoͤpfung entehrende Wort
Gnade in ſeinen Mund aufnimmt und das er-
bettelt, was jeder gerechte Regent nach den Ge-
ſetzen im Wege Rechtens zu geben ſchuldig iſt.
Wir ſind Weltbuͤrger, Republikaner, franzoͤ-
ſiſche Geißeln, nicht von jenen Viehmenſchen, die
ein deutſcher Dichter beſingt **) und von denen man
fuͤhlloſen Gehorſam erzwingen kann. Dem Geſetz
der Vernunft und dem allgemeinen Voͤlkerrecht,
das auch die ungeſitteſten Voͤlker in Afrika zu ver-
ehren anfangen, ſind wir Gehorſam, aber nicht
den Menſchen ſchuldig. —
Voß.
[420]
Wo der Weg zur unpartheyiſchen Juſtiz ganz
verſperrt iſt, da tritt das Recht der Selbſthuͤlfe
und der Nothwehr ein: und das iſt hier der Fall,
der dem hellſehenden Publikum ausfuͤhrlich vorge-
legt werden wird. — Ich erwarte alles und fuͤrchte
nichts, beſtehe aber ein fuͤr allemal auf mein
Recht. —
Petersberg d. 24ſten Sept.
1794.
Lever, franzoͤſ. Buͤrger u. Geißel.*)
V.
An
die Churmainziſche Regierungs-Commiſſion
in Erfurt.
Als ich, um mir durch mich ſelbſt eine Unter-
ſtuͤtzung zu verſchaffen, ein Adagio oder Klagen
der Klubiſten zu Ehrenbreitſtein nebſt Variationen
[421] fuͤr die Floͤte verfertigte, wurde mir dieſe Arbeit
von dem ehemaligen Commiſſarius, Hn. Regie-
rungsrath Streker, in derben Ausdruͤcken ver-
wieſen, und bedeutet: man habe ſolches nach
Mainz eingeſchickt. Ich habe dies mein Eigen-
thum nie zuruͤck erhalten.
Als Metternich in der naͤmlichen Abſicht
eine Abhandlung uͤber Holz-Erſparniß fuͤr Prof.
Grens Journal der Phyſik bearbeitete, und ſie
der Commiſſion uͤbergab, erhielt er ſie mit der Er-
klaͤrung zuruͤck: daß die Churfuͤrſtl. Regierung in
Mainz hierauf erklaͤrt habe, wie es Arreſtanten
nicht gebuͤhre, Abhandlungen zu ſchreiben und ſolche
in Druck zu geben.*)
[422]
Darf man fragen: welcher Lehrer des Men-
ſchen- und Voͤlker-Rechts hat je behauptet, daß
Geißeln — Arreſtanten im eigentlichen Ver-
ſtande ſeyen? Und warum werden wir Arreſtan-
ten genannt, wenn wir Wahrheit ſchreiben und
Gerechtigkeit fodern, aber franzoͤſiſche Geißeln,
wenn man ein Atteſtat von uns nothwendig hat,
um es nach Paris ſchicken zu koͤnnen? Das iſt ei-
gentlich das Spiel, welches man nach dem einge-
drungenen Syſtem von Convenienz mit uns ſeit ei-
nem Jahr geſpielt hat und noch ferner ſpielen will.
Das iſt das fuͤrchterliche Reſultat jenes politiſchen
Grundſatzes, welchen allgemein bekannte Manifeſte
in ganz Europa verkuͤndiget haben — Wer nicht
mit uns iſt, iſt gegen uns. Die Zahl der leztern
beſteht aber aus Millionen Menſchen und wird —
man merke dies wohl! — bei der mit Gewalt
unterdruͤckten Wahrheit, und bey den fortdauern-
den Leiden der Menſchheit unermeßlich werden.
Die Behauptung: Arreſtanten oder Geißeln ge-
gebuͤhre es nicht, ihr Schickſal durch ihre Talente
ſelbſt zu erleichtern — Abhandlungen zu ſchreiben
— Wahrheiten durch die Publicitaͤt zu verbreiten
— die Cultur der Nation und die Vervollkommnung
der Wiſſenſchaften zu befoͤrdern, iſt gegen die
Menſchheit, gegen Vernunft und Recht, und be-
[423] gruͤndet ſich nur in dem grand Rien der Politik zu
Ende des 18ten Jahrhunderts. —
Wo die Wahrheit freyen Lauf hat, da nehmen
die Kenntniſſe und Einſichten der Menſchen taͤglich
zu: wo ſie aber als Monopol taxirt und verkauft
wird, und wo nur gewiſſe hoͤchſtprivilegiirte Leute
die Wahrheit allein ſagen duͤrfen, da ſinken die
Wiſſenſchaften, die Menſchheit iſt gedruͤckt, und
Aberglaube und Barbarey fangen wieder an, das
Volk zu beherrſchen und elend zu machen, aber zum
Nachtheil der Fuͤrſten ſelbſt, wie dies die Geſchichte
der Menſchheit uͤberzeugend darthut. Der gute
Fuͤrſt hat nie Urſache, die Wahrheit zu ſcheuen,
und je freiern Lauf er ihr laͤßt, deſto ſicherer weiß
er ſich, und zeigt, daß er Einſicht und guten Wil-
len genug hat, das Wohl ſeiner Untergebnen zu
ſchaͤtzen und zu foͤrdern. Aber der ſchlechte, der
kurzſichtige! — etc. etc.*)
Aufm Petersberg an Erfurt,
im Sept. 1794.
Lever,
franzoͤſ. Geißel aus Worms.
[424]
Vier und dreyßigſtes Kapitel.
Marſch von Maynz nach dem Gebuͤrge.
Den 27ten Jul, Nachmittags, brachen wir von
Mainz auf, marſchierten die Nacht durch, und
kamen den andern Morgen, fruͤh um 8 Uhr, nach
Alzey. Es war damals ſehr heißes Wetter, und
daher fand der General von Mannſtein, wel-
cher unſre Kolonne anfuͤhrte, fuͤr gut, uns des
Nachts gehen und am Tage ruhen zu laſſen. Es
war nicht ſehr dunkel und guter Weg, wie die
Wege in der Pfalz uͤberhaupt ſind; und ſo war
dieſe Anſtalt heilſam und loͤblich.
In Alzey beſuchte ich meinen Freund, den ſchon
oben erwaͤhnten Pfarrer Walther, einen ſehr lie-
*)
[425] benswuͤrdigen Geiſtlichen. Als ich wieder in mein
Quartier zum Juden kam, hoͤrte ich, daß ein
Maͤdchen ſchon zweymal da geweſen waͤre, welches
mich in den Ochſen haͤtte rufen ſollen, wo ein Herr
mit mir zu ſprechen wuͤnſchte. Ich lief hin, und
fand in der obern Stube — meine mir ewig theure
Thereſe! Das edelmuͤthige Maͤdchen war allein;
ſie kam mir entgegen, und nahm mich bey der
Hand. Ich konnte kein Wort herausbringen. Gott,
ſagte ſie endlich, was habe ich Ihnen gethan, daß
ſie, in Ihrer Lebensgeſchichte, mich und meine
Schwachheit gegen Sie, der Welt ſo oͤffentlich be-
kannt gemacht haben? Habe ich, hat meine Liebe
das um Sie verdient?
Ich: Sie ſind ja nicht mit Namen genennt!
Thereſe: Was thut mein Familien-Name
zur Sache! Sie haͤtten mich jezt immer auch nen-
nen koͤnnen: Jedermann weiß doch, wen Sie mit
Thereſen meynen! Ihr Buch iſt hier in jedermans
Haͤnden, und wohin ich komme, ließt man mir
die Stellen uͤber mich daraus vor. Doch, was hilfts!
ich habe Ihnen vergeben.
Ich: Gute, edle Thereſe!
Thereſe: Sie ſind ungluͤcklich, aber wahr-
lich nicht durch meine Schuld: wenn ich Sie haͤtte
gluͤcklich machen koͤnnen: Sie waͤren es gewiß;
[426] aber ach, Sie haben Sich und mich auf immer
ungluͤcklich gemacht!
Nein, ich kann, ich will dieſen Punkt nicht wei-
ter beruͤhren: Er zerreißt! — Thereschen war
immer noch, wie ehedem, im Jahr 1775, das gut-
muͤthige, treuherzige, ſanfte Maͤdchen. Ihr Ge-
ſicht war nicht viel veraͤndert, doch waren die Zuͤge
auf demſelben ſchwermuͤthiger, und die Farbe et-
was blaͤſſer. Sie wohnte damals noch in ihrem
Geburtsorte. Ihr Vater, der redliche Amtmann,
war laͤngſt geſtorben, und nach deſſen Tode hatte
ſie manche Freier gehabt, wie ich von andern hoͤrte
— Thereschen ſelbſt ruͤhmte ſich der Freiereyen nie-
mals — hatte ſie aber alle abgewieſen. Warum?
Das weiß ich nicht. Genug von der Unvergeß-
lichen! —
Gegen Abend beſuchte mich auch meine alte
Tante, mit welcher ich aber nicht viel ſprechen
konnte, weil wir bald marſchieren mußten.
Im Wirthshauſe zu Alzey hoͤrte ich viele ſcan-
daloͤſe Hiſtoͤrchen von dem geheimen Rath von Koch,
ſonſt genannt der große Mogul, und von ſeinem
Schwager, dem R. Rath Schlemmer. Solche
Leute muß man in einem Lande anſtellen, wie
Koch und Schlemmer in Alzey, Schweikart
in Kreuznach, Albertino in Bacharach, Fa-
bel in Grehweiler, Vola in Flonheim, und wie
[427] das juriſtiſche Geſindel in der Pfalz, dort uͤberm
Rhein, mehr heißt, wenn man Volksaufſtand be-
foͤrdern will. Dergleichen Schufte koͤnnen den
Unterthanen alle Liebe zu ihrer Herrſchaft und ihren
Beamten fein huͤbſch beybringen. Die Leute in
der Pfalz raͤſonnirten entſetzlich, und lobten bey-
nahe oͤffentlich das Revolutionsſyſtem der Franzo-
ſen. Daher ſahen auch die Preußen alle Pfaͤlzer
fuͤr Patrioten an; aber die guten Preußen wußten
nicht, wo der Schuh die armen Pfaͤlzer druͤckte:
und hienach haͤtten ſie ſich doch erkundigen ſollen,
ehe ſie zugriffen, ſchlugen und pluͤnderten. —
Gebe nur der Himmel, daß die Neufraͤnkiſche Ver-
faſſung auch auf die gute Pfalz einen guten Einfluß
haben moͤge! Und wenn nur die Juſtizverwaltung
beſſer, die Duldung gemeiner, und Tyranney der
Miniſter, der Pfaffen und des Adels zerſtoͤrt wird,
ſo iſt das reichlicher Erſatz fuͤr all das Ungluͤck
und den Schaden, den die Franzoſen zur Wieder-
vergeltung — dem Lande zufuͤgten. Herr Paſtor
Braun iſt hier gewiß meiner Meynung.
Wir brachen, wie geſagt, auch hier des Abends
auf und marſchierten in der Nacht. Unſer Batail-
lon kam nach Kerzernheim, wo der Geiſtliche Herr
mein Vetter iſt. Sein Hauslehrer war ein Can-
didat, zu Tuͤbingen im Kloſter erzogen, der mich
wegen der Ketzereyen in meiner Lebensgeſchichte
[428] vornahm, und mir haarſcharf beweiſen wollte,
daß nur die in der h. Schrift geoffenbarte Lehre die
einzige wahre Religion ausmache. Als ich nun
bey dem Worte Religion und h. Schrift das
anmerkte, was jeder Kluge und Sachkundige dabey
nicht uͤberſieht: ſo fuhr er ſchnell auf, und ſagte
mir recht barſch: „Herr, ich habe Sie ſonſt be-
daurt, und habe Mitleid gehabt mit Ihren Schick-
ſalen, aber jezt wuͤrde ich mich an Gott und an der
geſunden Vernunft verſuͤndigen, wenn ich noch
ferner gut von Ihnen denken wollte. Sie verdie-
nen Ihr Schickſal: (heftiger) Ja, wahrlich, Sie
verdienen es, und ich goͤnne es Ihnen von Grund
meiner Seele.“ Ich bedaurte den kuͤnftigen Leh-
rer der chriſtlichen Sanftmuth und Duldung, der,
wie die meiſten Pfaffen, den lieben Gott, und die
geſunde Vernunft fuͤr einerley mit ſeinen Traͤumen,
Phantaſien und Einfaͤllen gehalten wiſſen wollte.
Sonſt ſchien mir der Herr Kandidat kein Feind des
Frauenzimmers zu ſeyn, und fleißig mit der Mam-
ſell Tochter des Pfarrers zu — ſympathiſiren.
Auf dem Marſch von Tiefenthal nach Forſt,
am 28ten Jul, hatte ich bei Neuleiningen das Un-
gluͤck, in der ſtockfinſtern Nacht, meinen rechten
Fuß zu vertreten, und mußte daher auf einem
Bauerkarren gefahren werden. Ein barmherziger
Bruder von Deidesheim gab mir recht guten Spiri-
[429] tus, und in drey Tagen war mein Fuß wieder
hergeſtellt. Dieſe Moͤnche ſtehen dort in der Ge-
gend in ſehr großem Anſehn, und ſind mit Recht
beliebt, wenn anders Moͤnche beliebt ſeyn ſollen.
Sie ſind gut fundirt, und wenden ihr meiſtes Ein-
kommen auf die Pflege der Kranken, die in ihr
Spital ohne Anſehen, ſelbſt der Religion, aufge-
nommen werden, nur nicht die Veneriſchen, wahr-
ſcheinlich, weil dieſe Krankheit den Herren unbe-
kannt oder ein Graͤuel iſt.
Forſt iſt ein ſehr ſchoͤnes Dorf, wo ein Wein
waͤchſt, der ſelbſt dem Nierſteiner oder Hochheimer
nicht viel nachgiebt, wenigſtens iſt er der beſte in
der ganzen dortigen Gegend. Von Forſt aus be-
ſuchte ich meine Freunde in Duͤrkheim an der Haart,
den Hn. R. Rath Laukhard, den Hn. Pfarrer
Braun und mehrere. Ich ſah auch da den vor-
hinerwaͤhnten Superintendenten Kleveſahl, der
ſich ſo weit herabließ, daß er mich armen preußi-
ſchen Musketier eines Geſpraͤches wuͤrdigte. Er
war noch wie ehedem in Gießen, wohlgemaͤſtet,
ſtolz, grob, unwiſſend und intolerant. Ich ſprach mit
ihm in Beyſeyn des Marcheſe Luccheſini, ſo wie
man mit einem Pfaffen von Kleveſahls Art ſpre-
chen muß: und der Hr. Marcheſe ſagte mir hernach,
daß er ſich uͤber meine Freymuͤthigkeit gefreut habe.
Der abſurde Wicht ſprach unter andern von ſeinem
[430] Vorfahr, dem D.Bahrdt und ſchimpfte: ich
nahm, wie natuͤrlich, Bahrdts Parthey, ruͤhmte
ſeine guten Seiten und ſeine Verdienſte; und mo-
kirte mich ſofort uͤber die Dummkoͤpfe, die Into-
leranz, Unwiſſenheit und Stolz gleich ſtark verbin-
den, und ſo dem Menſchengeſchlechte immerhin
ſchaden.
In Forſt lernte ich einen ſehr intereſſanten Mann
kennen, den Rektor Simon von Neuſtadt an der
Haart. Wenn mehr ſolche Schulleute in der
Pfalz waͤren, ſo muͤßte das Schulweſen in ſelbi-
gen Gegenden weit beſſer ſtehen. Hr. Simon iſt
ein geſchickter Philologe, ein heller Kopf, und da-
bey ein junger Mann von reinen, gefaͤlligen Sitten.
Ueber die franzoͤſiſchen Angelegenheiten waren wir,
nach Pſychologie und Geſchichte, ganz einerley
Meynung. Hr. Simon machte mir wegen der
Beſchreibung, die ich im I. B. meiner Lebensge-
ſchichte von der Univerſitaͤt zu Heidelberg habe,
und beſonders wegen der Anekdoten von D. Hed-
daͤus einige Vorwuͤrfe. Er beſchrieb mir den
Ehrenmann als einen ſehr toleranten, braven, hell-
denkenden Gelehrten. Aber ſo gern ich erkanntes
Unrecht zuruͤcknehme, ſo kann ichs doch hier nicht:
Denn noch im October 1795, wo ich durch Heidel-
berg kam, fand ich bey neuer und genauer Erkun-
digung, die Sagen von Heddaͤus Intoleranz
[431] und kalviniſtiſcher Rechthaberey und beſonders von
ſeiner Impertinenz gegen die Lutheraner noch im-
mer in ungeſegnetem Andenken.
Man hatte mich auch, wie ich in Forſt hoͤrte,
und wie man mir hernach in Heidelberg beſtaͤtigte,
wegen meiner Aeußerungen uͤber die Pfaͤlziſche Re-
formirte Geiſtlichkeit, und beſonders uͤber die Hei-
delbergiſche Quaſi-Univerſitaͤt bey dem Herzog
von Braunſchweig verklagen und fuͤr die —
Injurien Genugthuung fodern wollen. Die Her-
ren trugen das Geſchaͤft dem ehrlichen Kirchenrath
Mieg auf, der aber die ganze Sache nicht nur
ablehnte, ſondern auch ſelbſt ganz widerrieth. Er
hatte gemeynt: ich haͤtte ſie bey dem Publikum be-
langt, und nun muͤßten ſie auch hier ihre Sache
ausmachen, dabey aber nicht vergeſſen, daß Lauk-
hard repliciren wuͤrde, und daß das Lezte alsdann
aͤrger werden koͤnnte, als das Erſte. Der Unſchul-
dige koͤnne ſich mit ſeiner Unſchuld troͤſten, und der
Schuldige — mit einem, Vater, ich habe geſuͤndi-
get! beſſern! — Die Herren koͤnnen froh ſeyn, daß
noch Einer unter ihnen ſo geſcheid war, als Herr
Mieg: denn wenn ſie geklagt haͤtten, ſo wuͤrden
ſie durch neue Thatſachen nur noch mehr ſeyn be-
ſchimpft und belacht worden. Der Herzog von
Braunſchweig iſt uͤberdieß viel zu klug, als
daß er eine Klage von dieſer Art haͤtte annehmen und
[432] eine Unterſuchung daruͤber verfuͤgen ſollen. Genug,
ich bin nicht verklagt, und bey meiner Durchreiſe
durch Heidelberg, im October 1795, auch nicht
angehalten oder befehdet worden. Das zeigt denn
doch noch von einigem bon ſens der Herren Heidel-
berger; und ſo moͤgen ſie fuͤr dießmal, troz allem,
was ich von neuem uͤber ſie in Petto herumtrage,
in Frieden ſeyn und bleiben. Aber eins muß ich
hier aufs Reine bringen, weil ich verbunden bin,
die Ehre eines braven jungen Mannes zu retten,
der meinetwegen in der Pfalz als eine Frau Baſe
oder Klatſchſchweſter verſchrieen iſt.
Man glaubt daſelbſt durchgaͤngig — ich hab's
wohl an zwanzig Orten gehoͤrt — Herr Winkel-
blech aus Arnsheim, der von 1790 bis auf den
Herbſt 1791 in Halle ſtudiert, und da meinen
Unterricht benuzt hatte, habe mir die Nachrichten
von der Heidelberger Univerſitaͤt und von der Pfaͤl-
zer Pfafferey mitgetheilt. Man hat dieſes uͤberall
ausgeſprengt, und der gute Winkelblech iſt
deswegen ſehr ins ſchwarze Buch gekommen. Man
hat ihm gedroht, ihn bey dem Kirchenrath deshalb
zu belangen. Aber ich erklaͤre hier oͤffentlich, daß
die Quelle, woraus ich jene Nachrichten geſchoͤpft
habe, ganz und gar nicht Hr. Winkelblech iſt;
vielmehr hat dieſer, wenn ich manchmal ſo im trau-
lichen Geſpraͤche uͤber die Pfaͤlzer Bonzen und uͤber
[433] die antiquiſſima Rupertina loszog, ſich im Ernſte
erhizt, und die Apologie ſowohl der Bonzen, als
der Gelehrten-Zunft zu Heidelberg uͤbernommen.
Kurz, ich habe, was ich erzaͤhlte, theils ſelbſt
erlebt, theils von Leuten gehoͤrt, die Glauben ver-
dienen, die ich aber den Herren in der Pfalz nicht
noͤthig habe bekannt zu machen. Uebrigens ver-
ſpreche ich den Herren — damit ſie doch ſehen,
daß auch mir das Suum Cuique noch heilig ſey —
das, was ich von wirklicher Verbeſſerung der
Schulen in der Pfalz, beſonders durch einige
Schuͤler des Profeſſors Wolff zu Halle, geſehen
und erfahren habe, dereinſt treufleißig anzugeben.
In Forſt mußten wir Viktoriſiren, oder das
Gewehr einigemal losſchießen, weil ein General
unſrer Verbuͤndeten einigen Vortheil uͤber den Feind
gewonnen hatte. Die Siege waren groͤßtentheils
unbedeutend, und ſo war denn auch das Viktori-
ſiren — unbedeutend, und des Pulvers nicht werth.
Die Franzoſen mokirten und erboßten ſich allemal
daruͤber, und ihre Ehrbegierde wiegelte ſie reger
gegen uns auf; bey uns aber erregte es Verdruß
und Murren, weil die Soldaten hernach ihre Ge-
wehre fuͤr nichts und wieder nichts putzen mußten.
Man ſollte billig bis auf den Frieden warten, und
Dritter Theil. Ee
[434] dann zuſehen, ob die Goͤttin Viktoria uns oder
dem Feinde guͤnſtiger geweſen ſey.
Vosne velit, an me regnare hera, quidve ferat fors,
Virtute experiamur,
ſagt Pyrrhus von Epirus beym Eunius.
In Frankreich habe ich hernach oft die bitter-
ſten Sarkasmen uͤber das Viktoriſiren der Verbuͤn-
deten hoͤren muͤſſen, und konnte ſie nicht widerle-
gen, weil die Citoyens immer die wohlgegruͤndete
Bemerkung machten, daß ein und der andre winzige
Vortheil uͤber den Feind immer eine Kleinigkeit
bleibe, ſo lange man nicht dauerhaften Nutzen dar-
aus ziehen koͤnnte: und von dieſer Art waͤren die
Vortheile der kombinirten Maͤchte nie geweſen.
Wie geſagt, man haͤtte billig bis zum Frieden,
oder bis zur gaͤnzlichen Entkraͤftung der Franzoſen
warten ſollen. Jezt ſchoſſen wir heute Voctoria,
und in kurzer Zeit wußten wir vor Angſt und Schre-
cken nicht zu bleiben!
In Forſt hatte der Zoͤllner, welcher auch Kraͤ-
mer war, und Wein ſchenkte, eine lutheriſche Bi-
bel. Er durfte ſie zwar nicht oͤffentlich zeigen,
denn ſonſt wuͤrden ihm die Pfaffen — Forſt gehoͤrt
dem Biſchof von Speier — ihre ſchwere Hand ge-
wiß haben fuͤhlen laſſen. Der Mann war aͤchtka-
tholiſch, doch war ihm die lutheriſche Bibel des-
wegen lieb, weil er die ganze Franzoͤſiſche Revo-
[435] lution darin fand, und zwar in der Offenbarung
Johannis und dem Propheten Ezechiel vorzuͤglich.
Unſre Soldaten hatten ihm geſagt, daß ich ſo ein
Stuͤck von einem Studierten ſey: er machte mir
alſo ſeine Weisheit bekannt, und fragte mich um
mein Gutachten. Da ich ihm aber nach meiner
Einſicht antwortete, erboßte er heftig, und ſagte
mir gerade ins Geſicht: daß er gar nicht verſtuͤnde,
wie man ſo einen gottloſen Freygeiſt bey der Armee
leiden koͤnnte! Dann koͤnnte freilich Gott der Herr
kein Gluͤck und Seegen geben, wenn dergleichen ab-
ſcheuliche Menſchen, die gar nichts glaubten, und
die Bibel fuͤr ein heilloſes Schwaͤrmerbuch hielten,
bey dem Heere geduldet wuͤrden! — Ich ſchmun-
zelte, und ließ ihn nach dem praktiſchen Spruch:
[436]
Fuͤnf und dreyßigſtes Kapitel.
Niederkirchen. Maykammer.
Nach acht Tagen veraͤnderten wir das Kantonni-
rungsquartier, und unſer Bataillon kam nach Nie-
derkirchen, einem Speieriſchen Dorfe, wo ich mein
Lager bey einem Schuſter bekam, welcher ein ſehr
poſſirlicher Menſch war. Seine Frau zankte und
noͤrgelte den ganzen Tag, er aber lachte nur, wenn
ſie ihre Stimme fuͤrbaß hoͤren ließ. Daruͤber er-
boßte das Weib gewoͤhnlich ſo ſehr, daß ſie dem
guten Kerl in die Haare fiel. Geſchah dieſes, ſo
packte er ſie an, und fuͤhrte ſie, mir nichts dir
nichts, ordentlich zur Hausthuͤre heraus, und
ſchloß dieſe dann zu. „Warte Karnudi, du ſollſt
nicht wieder 'rein!“ war alles, was er hinzufuͤgte.
Darauf ſezte er ſich an ſeine Arbeit, und machte
nicht eher auf, als bis die Tochter, ein Maͤdchen
von 17 Jahren, ans Fenſter kam und im Namen der
Mutter Beſſerung und Gehorſam verſprach. Das
ging alle Tage ſo, und einigemal paſſirte es gar
zu Mitternacht.
Von hier aus beſuchte ich dann und wann den
Pfarrer Leopold zu Ungſtein. Dieſer bekannte
[437] mir, daß er die ſogenannte Genugthuungslehre nir-
gends beſſer erklaͤrt geleſen haͤtte, als in dem Bahrdti-
ſchen Roman — Paſtor Rindvigius. Das
mag wohl ſeyn in Beziehung auf den Hn. Pfarrer:
aber mich duͤnkt, daß das Dogmatiſiren in einem
Buche, wie Rindvigius iſt — der ſchon deswegen
dem D. Bahrdt zuzuſchreiben waͤre, weil darin
einer Autonianiſchen Chrie Meldung geſchieht
— wenig guten Eindruck machen muͤſſe. Spotten
uͤber Thorheiten und Fratzen thut in Romanen vor-
treffliche Wirkung, ſo wie das durch Handlung mo-
tivirte Aufſtellen moraliſcher Wahrheiten: aber
Dogmata — laſſen ſich da nicht recht behandeln.
Loͤffler that es an einem ſchicklichern Orte.
Auch hier erhielt ich Geld von meinem recht-
ſchaffnen Bispink, welcher mich, wie man weiß,
den ganzen Feldzug uͤber, mit Geld und andern
Nothwendigkeiten immer bruͤderlich verſehen hat.
Seinem Briefe waren mehrere Recenſionen meiner
Biographie beygeſchloſſen, welche ich, ſo ſehr mich
die Herren in Jena und Goͤttingen herunterge-
macht hatten, doch mit Wohlgefallen durchlas.
Ich konnte mir dieſes leicht vorher denken, ſagte
es am Ende des zweyten Bandes ja auch vorher,
und hatte nun das Vergnuͤgen, zu ſehen, wie die
Erfahrung mein Urtheil uͤber den Ton und den Cha-
rakter der meiſten Zunftgelehrten beſtaͤtigte. Daß
[438] ich nicht ruhmſuͤchtig bin, denk' ich, wird man
meiner ganzen Lebensgeſchichte anſehen: und ſo
will ich mich allen Witzkumpans mit ihren flet-
ſchenden Zaͤhnen und Federn auch hier ganz erge-
benſt neuerdings auf Diskretion ergeben, und ihre
Recenſionen ohne alle Gegenruͤge ruhig mit ins Ma-
culatur wandern laſſen. Uebrigens danke ich den
Herren, vorzuͤglich dem in der allgemeinen Litera-
tur-Zeitung, den ich ſchon in Gießen an ſeiner
Tatze laͤngſt erkannte, daß ſie es der Muͤhe werth
gefunden haben, die Aufmerkſamkeit auf meine
Wenigkeit per fas et nefas vermehren zu helfen,
und will ihnen nur noch ſagen, daß man herzlich
gelacht hat, als ich ihre Recenſionen im Wirths-
hauſe zu Duͤrkheim einer Geſellſchaft von Offizie-
ren und andern Kriegsbedienten vorlas. Kaltes
Blut und guter Ton, meynte man, ſey nicht die
Sache aller Gelehrten.
Den 14ten Auguſt ruͤckte unſer Bataillon nach
Maykammer, eine gute Stunde von Edinghofen,
wo damals das Koͤnigl. Hauptquartier ſtand, wel-
ches vorher in Duͤrkheim geweſen war. Wir bra-
chen Abends auf, marſchierten durch Renſtadt und
kamen fruͤh gegen 4 Uhr in Maykammer an.
Es war gerade das Feſt der Himmelfahrt Ma-
riaͤ. Ich ging in die Kirche, blos zum Zeitver-
treib, und um die huͤbſchen Geſichter der dortigen
[439] katholiſchen Maͤdchen anzuſehen, welche bey der
Andacht [...]innehmender werden ſollen. Ueberhaupt
hat jene Gegend auffallend ſchoͤne Maͤdchen, ſchoͤ-
nere wirklich als Sachſen. Die Pfalz, beſonders
am Gebuͤrge, Schwaben und der Breisgau zeigen
Geſichter, wie man ſie in Sachſen ſelten antrifft.
Ich Maͤdchen bin aus Schwaben,
Schwarzbraun iſt mein Geſicht —
dieß hat gewiß jemand geſchrieben, der wohl nie ein
huͤbſches Schwabenmaͤdchen geſehen hat. Die Schoͤ-
nen in Schwaben haben gewiß keine ſchwarzbraune
Geſichter. Man frage nur unſre Herren Offiziere
und Soldaten. — Dort oben am Gebuͤrge hat-
ten die Anbeter des Schoͤnen noch den Vortheil,
daß die Emigranten dahin nicht ſo wie an andre
Orte gekommen waren; folglich waren die Maͤd-
chen noch unverdorben, und unſre Leute riskirten
doch nicht, von ihnen gleich ins Lazareth zu wan-
dern, wie dieſes der Fall gar oft an andern Orten
geweſen iſt. Sonſt ſind die Maͤdchen dort herum,
wie uͤberhaupt in allen Weinlaͤndern, jovialiſch,
intereſſant, nehmen nichts uͤbel, haſſen alle Cere-
monien, und ſind durchaus keine Freundinnen von
den Maͤnnern. Sie haben im lezten Stuͤcke große
Vorzuͤge vor den Maͤdchen in Sachſen, und ver-
dienen die Achtung, und die Liebe der Maͤnner in
weit hoͤherm Grade, als dieſe. Ein ſaͤchſiſches
[440] Maͤdchen haͤngt ſich leicht an jeden, der ihren Ei-
gennutz und ihre Putzſucht befriedigen kann: fuͤr
Geld und ſchoͤnen Putz ſind die meiſten feil; aber
ein Maͤdchen aus der Pfalz oder aus Schwaben —
von denen rede ich freilich nicht, welche von den
franzoͤſiſchen Peſtkindern, den Emigranten, ver-
giftet ſind — liebt ihren Hans um Seinetwillen.
Dort denkt man noch immer: ein braver Kerl ſey
eines guten Maͤdchens werth: in Sachſen aber,
und da herum, ſoll das Maͤdchen blos dem gehoͤ-
ren, der brav geben kann: auro conciliatur amor.
Hier iſt Liebe — Kunſt; dort — Natur.
Ich ging alſo in die Kirche, und ſah dem Spe-
ctakel der Proceſſion, und der Weihe der Kraͤuter
und Blumen zu, welche an dieſem Tage fuͤr das
ganze Jahr zur Verjagung der Geſpenſter, Hexen
und alles Zaubers, wie auch der Krankheiten und
andrer Uebel geweihet werden. Waͤhrend des Hoch-
amts oder der feierlichen Meſſe, praͤſentirten die
Bauren einigemal die Gewehre in der Kirche, nah-
men ſie nach Tempos bey Fuß, knieten nieder nach
Tempos, zogen die Huͤte nach Tempos ab, und
ſezten ſie eben ſo regelmaͤßig wieder auf: Alles
waͤhrend der Meſſe! Endlich beſtieg der Kaplan
die Kanzel, und ich erwartete nun auch eine aͤhn-
liche Predigt, voll katholiſcher Salbung, das heißt,
eine magere, jaͤmmerliche Abhandlung, uͤber die
[441] unbefleckte Jungfrau, und ihre Himmelfahrt.
Allein ich fand auf eine ſehr angenehme Art, daß
ich hierin geirrt hatte. Der junge Geiſtliche ſprach
kein Wort von der allerſeligſten Jungfrau, ſondern
hielt mit vielem Anſtand und Beredſamkeit eine Pre-
digt uͤber die Troſtgruͤnde, welche der Leidende aus
der Hoffnung eines kuͤnftigen beſſern Lebens ſchoͤpfen
koͤnnte. Er ſchraͤnkte ſich blos auf die Ungluͤckli-
chen ein: denn die Gluͤcklichen, ſagte er, ſehnen
ſich nach dem Ziele ihres Daſeyns nicht, und be-
wies, daß dem mancher Troſtgrund fehlen muͤßte,
welcher an der Unſterblichkeit ſeiner Seele, und an
dem kuͤnftigen Leben zweifelte. Ich muß geſtehen,
daß der Mann ſeine Sachen recht ſchoͤn machte;
und dieſes Bekenntniß von meiner Seite muß um
ſo unpartheiiſcher ſcheinen, da ich ſchon ſeit langer
Zeit Gruͤnde zu haben glaube, auf alles Ultra-
mundaniſche nicht ſo recht zu rechnen, und das
Meiſte davon der Ungenuͤgſamkeit der Menſchen,
und ihrer kaufmaͤnniſchſpielenden Phantaſie zuzu-
ſchreiben.
Nach der Kirche gieng ich ins Weinhaus, wo
mehrere Buͤrger ſich verſammelten. Ich ruͤhmte
hier den Hn. Kaplan oͤffentlich, fand aber, daß
die Leute nicht ſehr mit ihm zufrieden waren, und
hoͤrte, daß ſein Herr Pfarrer ihm gar nicht guͤn-
ſtig ſey. Den Bauren predigte der Mann nichts
[442] von alten Heiligen-Geſchichten, Legenden u. dgl.
und dem Pfarrer misfiel er deswegen, weil einige
vornehme und einſichtsvolle Katholiken, ſogar auch
Proteſtanten, ſeine Predigten vorzogen. Alles
dieſes empfahl mir den Mann noch mehr, und ich
ſuchte nun ſeine Bekanntſchaft, welche gar leicht
zu machen war, da er alle Tage ins Feld ſpatzie-
ren geht und ein ſehr leutſeliger Mann iſt. Er
hatte ſchon vorher von mir gehoͤrt, und nahm mich
geradesweges mit auf ſeine Stube, zeigte mir ſeine
Bibliothek, und ſprach recht vernuͤnftig ſowohl uͤber
litteraͤriſche Gegenſtaͤnde, als uͤber die Angelegen-
heiten der Zeit. Er war der erſte katholiſche Geiſt-
liche, den ich ſagen hoͤrte, daß er noch viel Gutes
von der Franzoͤſiſchen Revolution auch fuͤr die Re-
ligion erwarte. Unter ſeinen Buͤchern fand ich
Zollikofers und Spaldings Predigten, auch
Niemeyers Karakteriſtik, u. dgl.
Um dieſe Zeit kamen viele Geſandten im Haupt-
quartier zu Edinghofen an, welche aber zum Theil
in Maykammer logirten, weil es an Platz in Eding-
hofen fehlte. — Die Naͤhe des Hauptquartiers iſt
fuͤr die Armee allemal eine fatale Sache. Sie ver-
theuert die Lebensmittel gar ſehr, denn wer etwas
zu verkaufen hat, traͤgt es hin, wo die Leute Geld
genug geben koͤnnen; und der arme Soldat kann
mit ſeinem wenigeren Gelde zu Hauſe bleiben. In
[443] Maykammer war z. B. Milch genug, aber wir
hatten große Muͤhe, etwas zu bekommen, weil
ſie alle ins Hauptquartier getragen wurde. Das
war eine von den Urſachen, warum wir hier viele
Noth litten.
Eine andere Urſache ſchrieb ſich vom Brode her.
Ich weiß nicht, welcher gottloſe Daͤmon den Vor-
ſchlag gethan haben mag, dem Soldaten 6 Pfund
Brod, welches doch nur auf drey Tage reichen
ſollte, auf vier Tage zu langen. Den Abgang
auf den vierten Tag wollte man mit etwas Reis
erſetzen. Wir bekamen auch Reis, hatten aber
nun nicht hinlaͤnglich Brod. Daruͤber wurde ſtark
gemurrt und geflucht, und der Erfinder dieſer An-
ſtalt in den Abgrund der Hoͤlle verwuͤnſcht. Wahr-
ſcheinlich war der Urheber einer von dem Kriegs-
kommiſſariate, welcher bey dem Reishandel ſeine
Beutel ſpicken wollte. — Und doch fraͤgt man noch,
warum wir vis-à-vis der Franzoſen die Fluͤgel haͤn-
gen ließen! — Der Soldat muß ſich ſatt eſſen,
ſonſt iſts aus mit ihm: und wenn er vollends merkt,
daß man ihm das verkuͤrzen will, was man ihm
ſchuldig iſt, ſo faͤngt er an zu knurren, welches
man ihm um ſo weniger verdenken kann, da der-
gleichen Verfuͤgungen nicht vom Koͤnige, ſondern
von gewiſſen Schurken abhaͤngen, die ſich auf ſeine
und ſeiner Soldaten Koſten bereichern wollen.
[444]
Die Geſandten ließen ſehr viel aufgehen, und
beſonders die der franzoͤſiſchen Prinzen, welche,
nebſt ihren Leuten, eine unbaͤndige Ueppigkeit ſehen
ließen. Sie hatten ihre Maͤtreſſen mit; und ihre
Bediente ſchlichen den Bauermaͤdeln nach, kamen
aber einigemal in Kolliſion mit unſern Soldaten,
und der Buckel wurde ihnen derbe ausgegerbt.
Was die Geſandten eigentlich wollten? Je nun,
man wollte einen Plau machen, wie von nun an,
die Franzoſen angegriffen, geſchlagen und hernach
regiert werden ſollten: — auch, wie man Frank-
reich beſchraͤnken, und ein gut Stuͤck davon reißen
wollte u. dgl. — Man hatte aber die Rechnung
auch hier, wie im vorigen Jahre, ohne den Wirth
gemacht!
Eines Tages ſaß ich in einem gewiſſen Dorfe
vor der Thuͤre und rauchte mein Pfeifchen. Ein
recht großer Herr ritt voruͤber, gruͤßte mich, ſprach
mit mir — wir kannten uns ſchon lange — und da
es heiß war, bath er um Milch. Ich rief die
Hausfrau, und dieſe, weil es ein Herr mit einem
Stern war, erboth ſich, ſogleich welche herzugeben.
Der Herr ſtieg ab, und gieng in die Stube. Die
Hausfrau war recht derbe, ich meyne im Phyſiſchen;
der Herr ſchaͤkerte mit ihr immer traulicher, und be-
fahl mir denn endlich, ſein Pferd ins Wirthshaus zu
fuͤhren, und mir da auf ſeine Rechnung eine Bouteille
[445] vom Allerbeſten geben zu laſſen. Ich verſtand den
Wink, und fuͤhrte mich ab. Lange hernach kam
der Herr ins Wirthshaus, lachte ſchelmiſch, fragte
mich: ob wir wohl Schwaͤger ſeyn moͤgten, zahlte
die Zeche, gab mir noch einen Laubthaler und da-
hin ritt er. Ich fragte hernach die Gefaͤllige: wie
ihr der Herr mit dem Stern gefallen haͤtte? Sie
konnte des Lobens und Ruͤhmens kein Ende finden:
da wars ein ſchoͤner, allerliebſter Herr! u. ſ. w.
Endlich ruͤhmte ſie ſich ſogar der Vertraulichkeit,
womit er ſie beehrt haͤtte, u. dgl. So ſind die
Weiber! meiſt eitle Dinger, und was ihrer Eitel-
keit ſchmeichelt, iſt ihnen willkommen. Was alſo
Wunder, daß eine Bauerfrau, ſogar eine katho-
liſche, die Umarmungen eines hohen, mit einem
großen Stern prangenden Herrn fuͤr hohe Ehre
ſchaͤzte, zumal da der Herr obendrein nicht geizig
war! —
Ein andermal nahm mir ein aͤhnlicher Herr ein
Buch aus der Hand, worin ich vor dem Wirths-
hauſe zu Maykammer las. Es war Bahrdts
Nachlaß, unter dem Titel: Anekdoten und
Charakterzuͤge aus der wahren Geſchichte, fuͤr
Liebhaber des Vademekums und ernſthafte Leſer.
Ich war gerade an der Stelle, wo es heißt:
„Waͤre der Haͤuſeler unſeres gottſeligen Ludwigs ein
Chapeau geweſen: ſo haͤtte der Herr Jeſus die Ehre
[446] gehabt, von ihm zu einer Erſcheinung vorgefuͤhrt
zu werden. Eine Hure (die Maintenon) hielt
ſich aber an ihres Gleichen (an die h. Jungfrau.)
Was ihm die Pfaffen ſagten, glaubte er u. ſ. w.
S. 35.“ — Der Herr las das gleich auch, lachte
laut auf, und fragte, was ich vor das Buch ha-
ben wollte. Ich antwortete, daß es mir jezt noch
nicht feil ſey, daß er es aber in einigen Tagen ha-
ben koͤnnte: denn ich haͤtte mir vorgenommen, es
dem Kaplan zu leihen. Ey was, erwiederte er,
ich behalt' es, das iſt ein exellentes Buch! Hier
nehm' er: und ſofort warf er mir zwey Thaler hin,
und galoppirte mit dem Buche weiter. Dieſes
Buch iſt nachher im Hauptquartier geleſen und be-
lacht worden: ſogar dem Koͤnige hat der Prinz
Louis daraus vorgeleſen. — Und ſo kommt man-
chesmal durch einen Zufall etwas vor die Ohren
der Fuͤrſten, und ſtiftet da vielleicht Gutes. Man
nehme dieß merkwuͤrdige Buͤchlein zur Hand; und
meine Leſer werden ſich uͤber dieſen Zufall freuen,
wie ich.
Einen recht feſtlichen Tag hatte ich, als mich
der jezt regierende Herzog von Pfalzzweybruͤcken,
damals noch Pfalzgraf Maximilian, oder
Prinz Max zu ſich kommen ließ. Er logirte in
Maykammer. Dieſer menſchenfreundliche Fuͤrſt
iſt ganz das Gegentheil von ſeinem verſtorbenen
[447] Bruder, dem Herzog. Dieſer war, was wir
wiſſen, ein Freund der Jaͤger, der Jagdhunde, der
Frauenzimmer, der Katzen und der Eulen, aber
ein Feind ſeiner Unterthanen, und eben dadurch
eine der Haupturſachen des Partheygeiſtes, der
das arme Zweybruͤcker Land ſo elend gemacht hat.
Herzog Maximilian ſagte mir, daß er von
mir gehoͤrt habe, und mich gern perſoͤnlich kennen
moͤgte. Ich mußte mich niederſetzen, Wein trin-
ken und erzaͤhlen. Ich erzaͤhlte ohne Winkelzuͤge,
ganz frey, und ruͤgte alles gerade heraus, was
ich an dem Pfaͤlziſchen Weſen zu tadeln fand. Ich
weiß es, fuhr ich fort, daß ich mit dem kuͤnftigen
Kurfuͤrſten von Pfalzbayern rede, und eben des-
wegen rede ich frey. Gott gebe, daß Ew. Durch-
laucht die Wunden heilen moͤgen, welche ein anar-
chiſch-ariſtokratiſch-pfaffiſch-deſpotiſches Regie-
rungsſyſtem dem guten Vaterlande geſchlagen hat!
Der Herzog laͤchelte, wendete ſich etwas zur Seite,
kehrte dann wieder freundlich zu mir, und ſagte:
Wenn die Vorſehung mich dereinſt regieren laͤßt, ſo
ſollen Sie gewiß nicht mehr ſo bitter zu klagen fin-
den. — Man muß wiſſen, daß der Herzog mit
Leuten, die er ſeiner Unterredung wuͤrdiget, nicht
parEr oder Ihr ſpricht. Das thun nur die,
welche die Menſchheit und ſich in Andern nicht zu
ehren wiſſen, z. B. ein Kleveſahl, Superin-
[448] tendent zu Duͤrkheim an der Haart, und dann ge-
woͤhnlich alle kurzſichtige, ſtolze und neugebackne
Edelleute. — Der edle Fuͤrſt unterhielt ſich lange
mit mir, und nachdem ich mich beurlaubt hatte,
erhielt ich von ſeiner Hand folgendes Billet, mit
einem Goldſtuͤck: C'eſt pour ſoulager un peu Votre
ſituation que je Vous prie de recevoir ce petit pré-
ſent. Si un jour Vous trouvez que je puis Vous
être utile, comptez ſur l'amitié de Votre — Ma-
ximilien.*)
Als ich nachher nach Lindau kam, ſo konnten
ſelbſt die Republikaner, ſelbſt der vortreffliche
Brion, ſich nicht enthalten, den Edelmuth und
die Gefaͤlligkeit gegen Jederman zu ruͤhmen, welche
der Pfalzgraf waͤhrend ſeines Aufenthalts in dieſer
Stadt — er war Oberſter des Regiments cy devant
Alſace — durchgaͤngig bewieſen hatte.
[449]
Sechs und dreyßigſtes Kapitel.
Bisthum Speier. D. Bahrdt.
Es iſt allemal meine Gewohnheit, wenn ich durch
ein Land komme, mich nicht ſowohl um deſſen
Produkte, und die Kleidungen der Einwohner zu
bekuͤmmern, als vielmehr nach der Art der Regie-
rung zu fragen, und dann uͤber den Wohl- oder
Wehſtand eines Landes mein Urtheil zu faͤllen.
Die Produkte ſtehen in allen geographiſchen
Notizen, aber von den Regierungen ſchweigen die
Herren Geographen ſehr weislich; doch wiſſen wir
die Namen, und die Geburtstage, u. dgl. von
allen Hoͤchſt-Dero — aus hundert und neun
und neunzig Taſchenkalendern und großen, dick-
leibigten genealogiſchen Handbuͤchern.
Ich hatte mir ſchon ſeit dem vorigen Jahre ei-
nen Hauptſatz ſo aus der Erfahrung gebildet, nach
welchem ich ſo zu ſagen a priori d. i. ohne weiter
ins Einzelne zu gehen, von der Beſchaffenheit der
Landes-Regierungen urtheilte. Mein Oberſatz
war dieſer: Wenn in einem Lande das franzoͤſiſche
Syſtem leicht Eingang findet, ſo taugt die Regie-
Dritter Theil. Ff
[450] rung dieſes Landes nicht viel. War nun das Land
gar katholiſch, ſo folgerte ich, daß die Regierung
vollends gar nichts taugen muͤſſe, und dieß deß-
wegen, weil ſich dieſe Leute, nur durch die hoͤchſte
Noth gedrungen, entſchließen koͤnnen, ihrem hei-
ligen Glauben Eintrag zu thun, und ſich zu einem
zu bekennen, der jenen ganz aufhebt.
Das war nun leider der Fall im Bisthum Speier,
welches bisher von keiner Ketzerey war beſudelt
worden, wohin — die Reichsſtadt Speier ausge-
nommen, wo aber der Biſchof nichts zu ſagen hat —
die Lehre des Luthers und des Calvins, welche
doch das ganze umliegende Land, die ganze Pfalz
und den Elſaß infizirt hatte, nicht hatte dringen
koͤnnen. Und doch iſt da der franzoͤſiſche Freyheits-
baum ohne alle Muͤhe gepflanzt worden!
Ich fragte nach den Urſachen, und hier ſind ſie.
Der vorige Biſchof war zugleich Kardinal der
roͤmiſchen Kirche, und ein inniger Freund des
Kurfuͤrſten von der Pfalz, und war, wie dieſer, ein
Freund der Pracht und des Aufwands. Das Land
iſt klein, traͤgt alſo nicht viel, und doch trieb der
Herr Biſchof einen Staat, wie ein Kurfuͤrſt! Er
hielt Soldaten, ſtellte Parforçejagden an — und
das in einem Lande, wo es beynahe nur Haſen und
Rebhuͤner giebt — unterhielt Komoͤdianten, ließ
Opern ſpielen, und verſchwendete anſehnliche Sum-
[451] men an Gebaͤuden und nichtseintragenden Berg-
werken. Uebrigens waren ſeine Eminenz ſehr or-
thodox und haßten daher auch Dero ketzeriſchen
Weihbiſchof Seelmann, einen Mann, der wie
Hontheim das katholiſche Kirchenweſen zu beſ-
ſern ſuchte. *)
Bey dieſer Haushaltung wurde nun der Land-
mann und der Staͤdter nicht nur gewaltig bedruͤckt,
ſondern es mußten auch anſehnliche Schulden ge-
macht werden. Man borgt aber den Herren Bi-
ſchoͤfen nicht anders, als wenn das Domkapitel
einwilliget, um ſich an dieſes, als eine moraliſche
Perſon, halten zu koͤnnen, auf den Fall, daß die
phyſiſche Perſon ſeiner Biſchoͤflichen Gnaden als
inſolvent — abfaͤhrt. — Und ſo war viel geborgt.
Nach dem Tode dieſes Kardinals kam der da-
malige Domdechant, Graf von Styrum, an
die Regierung. Dieſer hatte das Unweſen unter
der vorigen Regierung eingeſehn, und machte gleich
Anſtalten, die alten Schulden abzutragen. Neue
Auflagen waren das Mittel dazu. Anfaͤnglich
machte man den Bauren und Buͤrgern weis, die
Auflagen ſollten nur ſo lange waͤhren, als noch
Schulden auf dem Lande hafteten: aber die Schul-
[452] den wurden nicht nur nicht abgetragen, ſondern
noch anſehnlich vermehrt; und die Auflagen blie-
ben. Beyher wurden von Seiten des Stifts große
Proceſſe mit den Unterthanen gefuͤhrt, welche dann,
wie ſichs fuͤr dieſe Gegenden verſteht, allemal zum
Nachtheil der leztern entſchieden wurden.
Außerdem klagten die Speieriſchen Leute gar
ſehr daruͤber, daß der Hr. Biſchof alle Aemter
mit Auslaͤndern, und groͤßtentheils mit ſolchen
beſezte, welche vom Pfaͤlziſchen und Maynziſchen
Hofe empfohlen wuͤrden. An dieſen Hoͤfen wolle
naͤmlich der Hr. Biſchof gern hoch angeſehen ſeyn, —
ſuche alſo ſo viel von den daſigen Lieblingen unter-
zubringen, als er koͤnne. Alle Hofbedienungen,
alle Civilſtellen und andre waͤren demnach mit Aus-
laͤndern beſezt. Um aber doch auch von ſeinen Un-
terthanen Einige zu Brod zu verhelfen, ſchenke
der Hr. Biſchof von Zeit zu Zeit dem Kurfuͤrſten
von der Pfalz ſo und ſo viel junges Bauervolk zu
Soldaten. Aus der Pfalz nehme man uͤberfluͤßige
Kammerdiener, Jaͤger, Advokaten u. dgl. ins Land,
und verſorge ſie ſtattlich. Damit aber die Volks-
menge nicht zu groß werde, ſo ſchicke man arbeit-
ſame Landeskinder des geringern Standes weg, und
laſſe ſie bey fremden Fuͤrſten die Muskete tragen.
Wer ſich im Speieriſchen unterſtehe, außer der Ehe
zur Bevoͤlkerung beyzutragen, der muͤſſe entweder
[453] eine große Geldbuße abtragen, oder ohne Barm-
herzigkeit zu Mannheim Soldat werden. Aus
Sankt Martin iſt auf dieſe Art ein Burſche mit
Gewalt nach Mannheim geſchleppt worden, weil
es ſich fand, daß das Maͤdchen, mit welchem er
verlobt war, vor der prieſterlichen Einſegnung
ſchwanger ging. Er war der einzige Sohn einer
alten Wittwe, welche er ernaͤhren mußte, und
welche jezt, da ihr ihre Stuͤtze fehlt, betteln geht.
Hier zu Lande beſteht auch noch die allerliebſte
Verordnung, wie in allen katholiſchen Sultaneyen
jenſeits des Rheins, daß zwey Perſonen, welche
die Ehe vor der Ehe treiben, einander nachher nicht
eher heurathen duͤrfen, bis ſie die Diſpenſation
mit ſchwerem Gelde erkauft haben. Ich ſprach we-
gen dieſer erzdummen, laͤppiſchen Verordnung mit
dem Oberkellner von Speier, und bewies ihm, daß
man vielmehr ſorgen ſollte, daß ſolche Leute je eher
je lieber zuſammen kaͤmen. Aber der Hr. Oberkellner
erwiederte: dieſes Geſetz ſey gegeben, um Leute,
welche ſich einander liebten, und ſich zu verbinden
daͤchten, deſtomehr von aller Unzucht abzuhalten,
weil ſie bedenken muͤßten, daß die Folgen der An-
ticipation ihrer Verbindung Hinderniſſe in den Weg
legten. Ah was, fing der Schreiber des Hn.
Oberkellners an, die Paͤpſte haben ſo ein dummes
Geſetz eingefuͤhrt, weil ſie wußten, daß derley
[454] Faͤlle oft genug kommen wuͤrden, und daß ſie alſo
brav Geld fuͤr Strafen und Diſpenſationen ſchnei-
den koͤnnten!
Ein biſchoͤflicher Beamter ſizt weit feſter, als
einer, der unter einem Fuͤrſten ſteht. Der prin-
cens ſecularis wie es in der kauderwaͤlſchen Sprache
heißt, kann ſeine Spitzbuben zum Teufel jagen,
wenn er will; aber der geiſtliche Fuͤrſt muß doch
erſt das liebe hochwuͤrdige Domkapitel zu Rathe
ziehen: und da hat denn ein ſolcher Blutegel im-
mer ſchon Freunde, und folglich das Privilegium,
zu ſchinden und zu rauben bis an ſein Ende.
Da alle Unterthanen des Hochſtifts leibeigen
ſind — man denke ſich die Leibeigenſchaft unter ei-
nem Biſchof mit den alten Kirchengeſetzen und dem
Geiſte des Chriſtenthums vereinbar! — ſo iſt ih-
nen nicht nur uͤberall verboten, ins Ausland zu
heurathen, ſondern ſie duͤrfen nicht einmal ſich an
einem andern Orte niederlaſſen, wenn er gleich eben
biſchoͤflich iſt. Nur mit ſchwerem Gelde kann die
Erlaubniß dazu erlangt werden.
Ueberdieß iſt das ganze Hochſtift voller Pfaffen
und Edelleute, welche ihre Tyrauney uͤben nach
Herzensluſt. Ueberhaupt haben die Pfaffen und
die Adelichen in den Bisthuͤmern mehr Gewalt und
mehr Anſehen, als in andern Laͤndern. Die adeli-
chen Familien ſind allemal mit dieſem oder jenem
[455] Dommherrn, oft auch mit dem Herrn Biſchof ſelbſt
vervettert oder verſchwaͤgert, und da koͤnnen ſie
denn thun, was ſie wollen; und die Pfaffen vol-
lends — ſind unter pfaͤffiſcher Regierung allmaͤch-
tig! Man hoͤre und richte!
Ohnweit Bruchſal, der Reſidenz des Fuͤrſtbi-
ſchofs, war ein Pfarrer, welcher mit dem Muͤller
des Ortes, wegen vertauſchter Kleien, proceſſirte.
Die Sache, ſo unwichtig ſie auch war, artete in
einen Injurienproceß aus, und beyde Partheien
ließen ſich durch ihre Advokaten derb und weidlich
ſchimpfen. Einige Zeit hernach begegnete der
Pfarrer dem Muͤller auf der Straße, und fing an
heftig zu ſchelten. Der Muͤller vom Pfaffen aufs
aͤußerſte gebracht, gab ihm einen Stoß, daß er
ruͤcklings hinſtuͤrzte. Es kamen Leute dazu, und
der Muͤller wurde arretirt, — entfloh aber nach-
her, und kam gluͤcklich nach Karlsruhe. Nun
wurde ſein ganzes Vermoͤgen konfiscirt, ſeine Frau
und Kinder ins Elend geſtuͤrzt, und er des Landes
verwieſen — alles nach Anwendung des: ſiquis
ſuadente diabolo u. ſ. w. — Dem Pfaffen ge-
ſchah nichts!
Man kann im Speieriſchen fragen wo man will:
wem das oder jenes ſchoͤne Gut, Schloß, Haus
u. ſ. w. gehoͤre; und die Antwort iſt allemal; dem
[456] Herrn von, dem Kloſter, dem Praͤlaten, dem
Pfaffen. u. ſ. f.
Nachdem ich dieſe Kundſchaften eingezogen
hatte, ſo fand ich einen neuen Grund, jenen er-
waͤhnten Hauptſatz fuͤr wahr und richtig zu hal-
ten: aber nicht allein ihn ſelbſt, ſondern auch ſei-
nen ſchlichtweg umgekehrten, naͤmlich: wo die
Regierungsform ſchlecht und unzweckmaͤßig und
fuͤr den Unterthanen druͤckend iſt, da muß das fran-
zoͤſiſche Syſtem Beyfall finden. Warum z. B. iſt
man im Speieriſchen, das doch ſo erzkatholiſch iſt,
ſo gut patriotiſch, und warum iſt man im Badi-
ſchen, das proteſtantiſch iſt, mit der fuͤrſtlichen Re-
gierung ſo zufrieden, daß man ſich ganz und gar
keine Veraͤnderung wuͤnſchet?
Antwort: weil der Markgraf von Baden
ein Fuͤrſt iſt, der ſeine Unterthanen liebt, fuͤr ihr
Wohl ſorgt, und ſie nicht ausſaugt. Das iſt das
ganze Geheimniß, ein Geheimniß, das jeder
Fuͤrſt praktikabel finden koͤnnte, wenn er nur wollte,
oder wenn das Intereſſe der politiſchen Unter-Vam-
pyrs es nicht hinderte. — Ich habe auf meiner
Reiſe im Herbſte 1795, in Durlach mit einigen
Buͤrgern recht frey und unbefangen uͤber die Ange-
legenheiten der Zeit geſprochen, und nirgends hoͤrte
ich freyere Urtheile als da; und doch bezeigten alle,
wie ſie da waren, eine unerſchuͤtterliche Anhaͤng-
[457] lichkeit an ihrem Fuͤrſten. Die Badenſer haſſen
alle Tyranney, und lieben ihren Herrn doch auf-
richtig. [...] Oderint, dum metuant iſt gewiß ein
ſcheuslicher, und dem Regenten ſelbſt gefaͤhrlicher
Grundſatz, zumal heutzutage. Die freyen Grund-
ſaͤtze thun's wahrlich nicht: die machen keinen Auf-
ruhr; ja, gerade ſie — halten ihn, nach der Engli-
ſchen Kunſtpolitik, durch die Oppoſitionsparthey, in
England zuruͤck. — Und wird wohl jemand von
den Pocken angeſteckt, der keinen Stoff dazu im
Koͤrper hat? Man gehe doch ins Gothaiſche, oder
Braunſchweigiſche und predige da das Freyheits-
ſyſtem von nun an bis in Ewigkeit: die Gothaer und
Braunſchweiger werden zuhoͤren, ſelbſt miteinſtim-
men und doch ihren Herzogen treu bleiben. Aber
in Heſſen, und in andern paralytiſchen Laͤndern
und Laͤndchen moͤgten freilich jene Grundſaͤtze zuͤn-
den, nicht fuͤr ſich, ſondern nach dem Stoff, den
die Regierung ſelbſt dazu hergiebt.
Und daß viele Regierungen dieß thuen, und
uͤberhaupt, damit man ſehe, daß ich von den uͤber-
rheiniſchen Gegenden nichts erdichte oder zuviel
ſage, ſo will ich ein Zeugniß beybringen, dem man
nicht widerſprechen wird. Es iſt eine getreue Ab-
ſchrift von (NB. nur) einigen patriotiſchen Wuͤn-
ſchen, welche die ſaͤmtliche Buͤrgerſchaft der Stadt
Weilburg dem regierenden Fuͤrſten zu Naſſau-Weil-
[458] burg vorlegte, als Cuͤſtine 1792 von ihm die
Brandſchatzung foderte.
„Je mehr — ſagt die Buͤrgerſchaft — es in den
jetzigen Zeiten gewoͤhnlich zu werden ſcheint, die
Bande zwiſchen Regenten und Unterthanen zu er-
ſchuͤttern; je mehr das Beyſpiel — zu aͤhnlichen
Unternehmungen aufzufodern ſcheint, deſto mehr
wird es Pflicht zwiſchen Regenten und Untertha-
nen, ſolchen gewaltſamen Ausbruͤchen und ihren
betruͤbten Folgen durch wechſelſeitige Auf-
richtigkeit in Zeiten vorzubeugen. Jeder Weil-
burger und jeder redliche Unterthan iſt von dem
tiefſten Schmerz uͤber das Ew. Durchlaucht, bey
dem Ueberfall der Franken, widerfahrne Ungluͤck,
aber auch mit gerechtem Unwillen gegen diejenigen
(Miniſter und Raͤthe) durchdrungen, die es wagen
mogten, gegen die Stimme aller Klug-
heit Hoͤchſtdieſelben zu vermoͤgen, ſich ohne
Anlaß, durch Abſchickung der Kreiskompagnie
nach Mainz, zu einem Feind einer maͤchtigen Na-
tion, noch dazu in dem Augenblick, aufzuwerfen,
als dieſelbe aufrichtige Proben ihrer nachbarlichen
Geſinnung abgelegt hatte, und dadurch das ganze
Land den traurigen Folgen eines verheerenden
Kriegs bloszuſtellen — Folgen, die man ſich da-
mals um ſo ſchrecklicher vorſtellen mußte, als man
von der ſtrengen Mannszucht bey den franzoͤſiſchen
[459] Armeen, und ihrer großmuͤthigen Behandlung der
feindlichen Unterthanen noch keine Probe hatte.“ *)
„Von Ew. Hochfuͤrſtl. Durchlaucht angeſtamm-
ter Herzensguͤte und vaͤterlichen Geſinnungen ge-
gen das Land voͤllig uͤberzeugt, ſind wir weit ent-
fernt, Ihnen zu einer Zeit Vorwuͤrfe zu machen,
wo uns vielmehr die Nothwendigkeit zu thaͤtiger
Huͤlfe auffodert: — Allein eben dieſe vaͤterliche
Geſinnungen machen uns ſo kuͤhn, unſre Klage ge-
gen eine Klaſſe von Menſchen vorzutragen, die wir
nicht anders, als fuͤr die Quelle ſowohl dieſes, als
des meiſten andern Ungluͤcks anſehen koͤnnen.“
„Waͤhrend dem der groͤßte Theil der Untertha-
nen im Schweiß ſeines Angeſichts ſich abmuͤden
muß, ſein Leben kuͤmmerlich hinzubringen; waͤh-
rend dem vorzuͤglich in unſrer Stadt alle fleißige
Buͤrger uͤber Mangel der Nahrung und des Ver-
dienſtes und uͤber die immer zunehmende Steige-
rung der noͤthigſten Lebensbeduͤrfniſſe ſeufzen, —
ſehen wir einen Haufen muͤßiger Edelleute
ſich um Ew. Durchlaucht lagern, das Mark und
den Schweiß des Landes durch ungeheure Beſol-
[460] dungen und Penſionen wegfreſſen, ſich ſchnell be-
reichern, das Geld aus dem Lande ziehen, und zu
unnuͤtzen, die Kraft des Landes uͤberſteigenden
Prachtanfwand, zu einer Menge Unterbedienun-
gen, Equipagen u. dgl. Gelegenheit geben, ohne
doch nur im geringſten dem Staat nuͤtz-
lich zu ſeyn.“
„Nicht zufrieden hiermit, maßen ſie ſich noch
an, diejenige Klaſſe, die ſie doch ernaͤhren muß,
mit Verachtung anzuſehen, unwuͤrdig zu behan-
deln, durch ihren eitlen (verdienſtloſen) Stolz
jederman zu empoͤren, und dieſe feinen Grundſaͤtze
dem Heere ihrer Untergebnen und Anhaͤnger mitzu-
theilen. Beyſpiele hiervon koͤnnen wir, erforder-
lichen Falls, in Menge anfuͤhren.“
„Das Militaͤr, dafuͤr da, die Ordnung im
Staate zu erhalten, war unter dieſer Zucht in ei-
nen Haufen ſittenloſer Menſchen ausgeartet,
der nicht nur ungeſcheut alle Schaamhaftigkeit bey
Seite ſetzen, die Sitten der Unſchuld und vorzuͤg-
lich der Dienſtboten zu verderben, ſondern auch je-
den, der nicht zum Hof gehoͤrt, mit Verachtung
und Grobheit zu behandeln, ſich berechtigt hielt,
und ungeſtraft, ja, auf ausdruͤcklichen Befehl
wuͤrdige Diener und Buͤrger aufs auffallendſte in-
[461] ſultiren durfte. *) Daneben ſcheute man ſich nicht,
ohne Noth Juͤnglinge, die einzige Stuͤtze ihrer al-
ten abgelebten Eltern, dem Pflug zu entreißen, die
Capitulation zu uͤberſchreiten, die ſich hieruͤber Be-
ſchwerende mit Pruͤgeln zu beſtrafen — und uͤber-
haupt die Leute wie Thiere zu behandeln.“ —
„Wir enthalten uns uͤbrigens aller Anmerkun-
gen uͤber die großen und mancherley Bedruͤckungen
und ſchreienden Ungerechtigkeiten ſolcher Leute, —
welche zu weiter nichts dienten, als alte Wunden
wieder aufzureißen, und den Unwillen gegen dieſe
groͤßten Feinde des Vaterlands weiter anzufachen.
Man verzeihe uns dieſe harte Aeußerung des nur
zulange zuruͤckgehaltenen Unwillens gegen Leute,
die unſern geliebten Landesvater — und das ganze
Land, ohne eine nur ſcheinbare Nothwendigkeit,
gegen die Stimme aller Klugheit, vielleicht blos
aus Rachſucht gegen eine große Nation, die ihre
nichtigen Privilegien zerſtoͤhrte, in die augenſchein-
lichſte Gefahr des gaͤnzlichen Verderbens gefuͤhrt
haben, — die eine Kette um denſelben ziehen, da-
[462] mit er nicht einmal die Stimme eines aͤchten Pa-
trioten hoͤren moͤge, und die von jeher in allen Laͤn-
dern, wo ſie Fuß gefaßt haben, die Geißel der
Voͤlker geweſen ſind.“ —
Meine Leſer werden hieran genug haben, oder
wer mehr davon leſen moͤgte, der leſe die kleinen
politiſchen Schriften, welche uͤber eben dieß Thema,
wie uͤberhaupt uͤber die ganze Regierungskunſt, bey
Macklot in Carlsruhe heraus ſind: und ich bin
verſichert, man wird einſehen, daß ich uͤber die
politiſche Lage der jenſeitigen Rheingegenden eher
zu wenig, als zuviel geſagt habe. Was fuͤr Ein-
fluß auf das Ach und Wehe der dortigen katholi-
ſchen Gegenden das Regiment der hoͤhern und nie-
dern Pfafferey, nebſt dem Monachismus, gehabt
habe, zeigen Metternichs Reden, und Meuths
Buͤrgerfreund. Nirgends in Deutſchland hat der
kirchliche und politiſche Deſpotismus aͤrger gewuͤ-
thet, als jenſeit des Rheins: gebe der Himmel,
daß Frankreichs Exorzismus ihn endlich vertreibe!
Jezt muß ich noch Einiges von D.Bahrdt
hier ſagen, oder vielmehr von ſeinen Verdienſten
um jene Gegenden. Dieſer Mann hat, wie man
weiß, eine Zeitlang in Duͤrkheim als Superinten-
dent geſtanden, und hatte in Heidesheim ein Phi-
lanthropin. Wer Bahrdten gekannt hat, der
weiß, wie liberal er zu reden pflegte, und wie
[463] gern er ſeine beſſere Einſicht jederman ohne Ruͤck-
halt mittheilte. Noch jezt ſind die Spuren dieſer
Mittheilung in jenen Laͤndern ſichtbar, nicht nur
unter Proteſtanten, ſondern ſogar auch unter Ka-
tholiken. Ich weiß und kenne ſelbſt viele, welche
dem Doktor die Richtung ihrer Aufmerkſamkeit auf
die wahren und erſten Elemente der hoͤhern und ed-
lern Humanitaͤt danken, ihm, wie ihrem Vater,
noch jezt kindlich gewogen ſind, und ſeine wirklich
großen Verdienſte ſchaͤtzen. Moͤgten dieſe Edlen
ihre Achtung fuͤr die Verdienſte dieſes Mannes
durch Unterſtuͤtzung ſeiner Kinder, welche nicht ſo
ſehr durch den Leichtſinn ihres Vaters, als viel-
mehr durch ſeine Aufopferung fuͤr die Wahrheit,
ſich in duͤrftigen Umſtaͤnden befinden, ſichtbar ma-
chen! Bahrdt war immer auch bey allen ſeinen
Schwaͤchen ein Mann, auf den unſre Nation mit
Recht ſtolz iſt. Was Flecken war, vermodert,
ſagt Buͤrger, aber die Verdienſte bleiben ewig!
— Genug, haͤtte Bahrdt laͤnger in der Pfalz
bleiben, und mehr und ungehinderter da wirken
koͤnnen, haͤtte ein Ruͤhl ihn nicht gehaßt, und
haͤtte der Weihbiſchof von Scheben ihn nicht ver-
folgt, ſo wuͤrde die Pfalz durch Ihn und durch
ſeine Bemuͤhungen merklich gewonnen haben. Man
haͤtte durch ihn an Einſicht zugenommen, waͤre
toleranter geworden, haͤtte den Amtleuten genauer
[464] auf die Finger ſehen lernen, haͤtte ſie dadurch ge-
noͤthiget, ehrlicher und menſchlicher zu ſeyn; dieß
haͤtte eine gerechtere Behandlung der Unterthanen
nach ſich gezogen, haͤtte mehr Zufriedenheit mit
der Regierung bewirkt, und man waͤre ohne Frey-
heitsbaͤume frey geworden nach einer geſetzmaͤßigen
und vernuͤnftigen Behandlung. Aber Maͤnner,
welche durch Verbreitung einer beſſern Einſicht hie-
zu beytragen, belegt man mit Schimpfnamen, will
ſie nicht: alles ſoll militaͤriſch gehen; und dann
gehts, wie dort druͤben am Rhein! Bahrdt ward
verketzert, verfolgt, vertrieben, ſtarb in Duͤrftig-
keit; und Kleveſahl, ſein Nachfolger, ein duͤ-
ſterer, intoleranter Gruͤtzkopf, iſt reich, angeſehn,
bey ſeines Gleichen, und lebt gluͤcklich! Nun
dann — ſo bitte du fuͤr uns, du liebe, heilige
Dummheit! —
Dem Fuͤrſtbiſchof von Speier muß ich indeß
noch nachruͤhmen, daß er alle Erbauungsbuͤcher, wo-
durch der Aberglaube befoͤrdert wird, in ſeinem Stift
verboten hat. Namentlich ſind hier die Legende,
der große und der kleine Baumgarten des Paters
Martin von Cochem, die goldene Andacht zum
Herzen Jeſu, und andere ſolche Fratzenbuͤcher verbo-
ten und die Pfaffen angewieſen worden, das Schaͤd-
liche und Unanſtaͤndige von derley Andachten oͤffent-
lich auf der Kanzel vorzutragen, und dieſen Vor-
[465] trag oͤfters zu wiederholen. Der Katechismus des
Abts Felbiger hat aber doch nicht ohne Unru-
hen eingefuͤhrt werden koͤnnen: die Moͤnche hatten
den Leuten weis gemacht: das ſey ein nach Ketze-
rey ſchmeckendes Buch! — Daß in dem ganzen
Bisthum praͤchtig gezierte Kirchen und viele Kloͤſter,
nebſt andern Stiftungen fuͤr den geiſtlichen Stand
ſich befinden, bedarf keiner Erwaͤhnung.
Sieben und dreyßigſtes Kapitel.
Patrioten-Jagd im Speieriſchen. Anſtalten
gegen die Franzoſen.
Sobald die Franzoſen aus dem Speieriſchen Di-
ſtrikt — Merlin von Thionville und Georg For-
ſter hatten dieſes Land jenſeits des Rheins zu ei-
nem Diſtrikt formirt und organiſirt — weggezogen
waren, erhob ſich ein gewaltiger Sturm gegen alle
Franzoͤſiſchgeſinnte, oder Patrioten. Man kann
leicht denken, daß bey dem Daſeyn der Franzoſen
manches von den Einwohnern war gethan und ge-
ſprochen worden, welches der alten Obrigkeit, be-
ſonders den Beamten, den Pfaffen und dem Adel
nicht gefallen konnte. Als daher die Franzoſen
Dritter Theil. Gg
[466] weg waren, dachte man, ſie wuͤrden in alle Ewig-
keit nicht wieder kommen, und man fing an, ihre
verlaßnen Anhaͤnger auf das grimmigſte zu verfol-
gen. Ich muß dergleichen Dinge anbringen, weil
die Patriotenjagd allerdings eine Haupturſache je-
ner Verwuͤſtungen geweſen iſt, womit im Anfange
des Jahres 1794 die Franzoſen jene Gegenden heim-
ſuchten.
Der Magiſtrat der Reichsſtadt Speier zeigte
ſich ganz beſonders wuͤthend gegen die armen Pa-
trioten. Es giebt wohl ſchwerlich in der ganzen
deutſchen Anarchie ein elenderes Gouvernement,
als in den Reichsſtaͤdten, beſonders in den kleinen
unbedeutenden: da geht es abſcheulich her! Dieſe
fuͤhren zwar den Titel einer freyen Stadt des h.
R. Reichs; aber die Buͤrger darin ſind eben ſo frey,
als etwan ein Schuſter oder Schneider zu Venedig
auf den ſtolzen Namen eines Republikaners An-
ſpruch machen kann. Die Nobili ſind Herren zu Ve-
nedig; in den Reichsſtaͤdten ſind es die Patricier
und die dem Rath einverwebte Familien: der Poͤ-
bel iſt Sklav, und denkt doch, wie frey er ſey!
Zu Frankfurt am Mayn geſtattet man den Frem-
den alle Freyheit; zu Worms, Speier u. ſ. w.
hat der Fremde kaum das Recht, Luft zu ſchoͤpfen:
warum? Zu Frankfurt denkt man gut merkanti-
liſch, und kann ohne Fremde nicht ſchachern; zu
[467] Speier lebt man fuͤr ſich, und verachtet alles, was
nicht aus Speier iſt.
Als demnach die Herren zu Speier wieder in
Aktivitaͤt waren, und das ganze Frankenſyſtem
auf immer, wie ſie waͤhnten, vernichtet ſahen,
fielen ſie gar moͤrderlich uͤber die her, welche den
Franzoſen guͤnſtig geweſen waren, oder geweſen zu
ſeyn ſchienen. Dieſe wurden nun eingezogen, und
ihre Guͤter ſequeſtrirt, mehr als 230 an der Zahl!!
Damals lagen die vom Korps des Prinzen von
Condé in Speier: es waren aber gerade zum Un-
gluͤck die ſogenannten ſchwarzen Maykaͤfer d. h.
die Soldaten des Kardinals von Rohan, darun-
ter, eine zuſammengelaufene ſchaͤndliche Canaille,
deren Offiziere lauter Emigrirte waren. Selbſt die
Oeſtreicher und Preußen konnten das verdammte
Geſindel durchaus nicht leiden. Dieſe Buben ver-
uͤbten nun, auf Anſtiften ihrer Anfuͤhrer und des
elenden ariſtokratiſchen Geſindels in Speier, allen
Muthwillen an den ſogenannten Patrioten. Sie
pluͤnderten ihre Haͤuſer, mishandelten ihre Anver-
wandte, indeß die Ungluͤcklichen ſelbſt in den ſchaͤnd-
lichſten Loͤchern ſchmachten mußten.
Der Magiſtrat ließ es aber bey dem bloßen Ein-
ſperren nicht bewenden, ſondern er befahl noch,
daß die Patrioten die oͤffentlichen Arbeiten verrich-
ten ſollten: und dabey hatten dann Unteroffiziere
[468] von der Robanſchen Bande die Aufſicht. Da wur-
den denn die armen Leute aufs haͤrteſte und ſchimpf-
lichſte mishandelt, muſten hart arbeiten und er-
hielten nichts, als Pruͤgel, Waſſer und Brod.
Die Wuth der ariſtokratiſchen Kanaille ging ſo
weit, daß ſie ſogar den Unteroffizieren Geld und
Wein gaben, damit ſie dieſen oder jenen recht mis-
handeln und ſchlagen moͤgten.
Ich kenne einen gewiſſen Loͤw, von dem ich
weiterhin mehr ſagen werde, der ſich als Sergeant
bey der Kondéiſchen Horde Beſſel nannte. Die-
ſer wurde von einem Speieriſchen Advokaten auf-
gefodert, einen Kaufmann, der gleich damals zur
Schanzarbeit verdammt war, gegen ein Geſchenk
tuͤchtig durchzupruͤgeln.
„Aber“ fragte Beſſel, warum ſoll ich denn
den Mann durchpruͤgeln?
Advokat: Das iſt einer von den Hauptſpitz-
buben, ein rechter Patriot —
Beſſel: Ja, dann muͤßte ich ja die andern
wohl alle durchpruͤgeln: die ſind ja auch Pa-
trioten!
Advokat: Wohl wahr: aber der da — iſt der
Hauptſpitzbube.
Beſſel: Mein Herr, Sie ſcheinen mir ein be-
ſonderes Intereſſe an den Pruͤgeln fuͤr dieſen Kauf-
mann zu haben.
[469]
Advokat: Das eben nicht —
Beſſel: ( [...]) Man hat doch manches-
mal ſo ſeine beſondern Ruͤckſichten: es thut ja nichts
zur Sache: wenn ich ſehe; daß Sie gegruͤndete
Urſache haben, dem Manne eine Tracht Schlaͤge
zu goͤnnen: nun ja —
Advokat: O, die hab' ich laͤngſt!
Beſſel: Nun?
Advokat: Der Spitzbube hat mich graͤulich
beleidigt.
Beſſel: Wie ſo?
Advokat: Er hat eine huͤbſche Tochter, und
iſt reich. Ich hielt um die Tochter an, um Geld
zu bekommen, damit ich mir ein Amt kaufen
koͤnnte.
Beſſel: Und der Kaufmann verſagte ſie Ih-
nen?
Advokat: Nicht allein das: er ſagte mir noch
ins Geſicht, ich haͤtte nichts gelernt und ſey ein
Taugenichts; und einem ſolchen koͤnne er ſeine
Tochter nicht geben.
Beſſel: Dafuͤr moͤgten Sie ihn nur durch-
pruͤgeln ſehen?
Advokat: Ja, rechtſchaffen, lieber Herr
Sergeant, nur derbe, derbe! Hier iſt etwas fuͤr
ihre Muͤhe. (will ihm Geld geben.)
[470]
Beſſel: Ey, du infamer Schlingel, kannſt
du mir ſo was zumuthen? Warte! Warte! (Er
haut ihn durch, und giebt ihm einen Tritt vor den
Hintern.) Da haſt du deinen Lohn, niedertraͤch-
tiger Buͤffel!
Der Advokat kam Abends in eine Geſellſchaft
von Rohaniſchen Offizieren, erzaͤhlte ihnen den
Vorfall, und dieſe denunz[i]irten den Sergeanten
Beſſel als einen Freund und Goͤnner der Patrioten
bey ſeinem Major. Fruͤh ließ der Major Beſſeln
kommen, klozte ihn an, und ſprach:
„Beſſel: was hat Er geſtern mit dem Advo-
katen vorgehabt?“
Beſſel: (unerſchrocken) Ich habe dem Nichts-
wuͤrdigen die Haut ausgegerbt, Herr Major!
Major: Warum aber?
Beſſel: Der Kerl wollte mir Geld geben,
daß ich einen Gefangnen pruͤgeln ſollte.
Major: Was waͤre denn daran gelegen ge-
weſen, wenn Er einen Spitzbuben von Patrioten
gepruͤgelt haͤtte?
Beſſel: Aber, mein Gott, um ſo eines in-
famen Bengels Willen, welcher mich mit Geld be-
ſtechen will, ſoll ich einen Gefangnen mishandeln?
Thue das, wer da will, ich nicht; Gott ſtrafe mich,
ich nicht!
[471]
Major: Iſt ſchon gut, geh Er nur! Ich
hab's ihm lange angemerkt, daß Er dem verfluch-
ten Lumpengeſindel hold iſt. Das macht, Er iſt
in Preußen geweſen, da ſind die meiſten ſo! Aber
es wird ſich ſchon eine Gelegenheit zeigen, ihm ſeine
Patrioterey fuͤhlbar zu machen. Denke Er an
Mich!
Wirklich ſuchte der Major, (es war ein Prinz
von Montbuiſſou) an dem guten Beſſel Urſache,
und ließ ihn bald hernach 48 Stunden krumm
ſchließen.
Dergleichen Barbareyen uͤbte der Magiſtrat zu
Speier aus, und ließ ſie ausuͤben, ohne daß es
irgend einem Zeitungsſudler eingefallen waͤre, ſei-
nen Schildbuͤrgern davon Nachricht zu geben.
Im ganzen Bisthum Speier wurde die Patrio-
tenjagd aͤußerſt ſtreng betrieben, und beynahe in
allen Doͤrfern wurden Leute eingeſteckt, und ihre
Haͤuſer der Wuth der ſchmuzigen Ariſtokraten preis-
gegeben. Viele Bauren waren bey dieſer Gelegen-
heit weit wuͤthender, als ſelbſt die Preußen und
Oeſtreicher, welche denn doch nach und nach ein-
ſahen, daß die Leute bey ihren Umſtaͤnden unmoͤg-
lich anders hatten handeln koͤunen.
Der Herzog von Braunſchweig machte endlich
dem abſcheulichen Unweſen der Patriotenjagd ein
Ende, und verbot, denen weiter nachzuſpuͤren
[472] welche, zur Zeit der franzoͤſiſchen Domination,
derſelben das Wort geſprochen hatten. Aber was
half das denen, die einmal ſchon eingezogen und
in Verh [...] waren! Dieſe mußten ihr elendes Leben
im Ker [...] hinziehen, Schuldige und Unſchuldige,
ſogar Weber mit Kindern. Aus allen Gegenden
zuſammengeſchleppt, aufeinander gehaͤuft, und
wie Todte der Vergeſſenheit uͤbergeben, ſchrieen
ſie endlich, nach vier Monaten, um das erſte
Gebot der Gerechtigkeit fuͤr Gefangene — um Un-
terſuchung und Verhoͤr. Ihre Geſundheit war durch
die elende Arreſtantenkoſt, durch den Mangel an
Bewegung, die Plagen des Ungeziefers, und
durch die noch zehnmal haͤrtern Qualen des Kum-
mers um Weib und Kinder und zerruͤttete Nah-
rung langſam zernagt: und nun die anſteckenden
Seuchen bey der durch die zuſammengeſperrte Menge
vergifteten Luft! — Ihr Zuſtand war mehr als
ſchrecklich, aber der Gedanke an den Zuſtand ihrer
verwaisten Familien, welche in der Verzweiflung
die Haͤnde wund rangen und vergebens nach ihren
Naͤhrern ſeufzten, war noch ſchrecklicher. Und
doch nach vier Monaten noch immer kein Verhoͤr!
„Die Gerechtigkeit, ſchrieen ſie, iſt die erſte Stuͤtze
des Staats. Gerechtigkeit gehoͤrt nicht allein dem
Schuldigen zur Strafe, ſie gehoͤrt vorzuͤglich dem
Unſchuldigen zum Schutze. Aber ohne Unterſu-
[473] chung, ohne Verhoͤr, ohne Vertheidigung iſt keine
Gerechtigkeit moͤglich: ohne Unterſuchung, ohne
Urtheil leiden, iſt nicht gerecht leiden. Dem Schul-
digen kann die Gerechtigkeit ſeine erduldeten Qualen
an der Strafe zu gut rechnen; aber wie will ſie
den Unſchuldigen fuͤr die Plagen der Gefangen-
ſchaft, fuͤr den Verluſt des Vermoͤgens und der
Nahrung, fuͤr den noch groͤßern Verluſt der Ge-
ſundheit und fuͤr alle namenloſe Leiden ſeiner gan-
zen Familie entſchaͤdigen?“ — So ſchrieen ſie;
aber die Oberpfaffen am Rhein blieben taub!
Und nun wundern Sie ſich gewiß nicht mehr,
meine Leſer, daß die Franzoſen, nachdem ſie zu
Ende des Jahres 1793 und im Anfange 1794 die
Deutſchen zuruͤckgejagt, und die Rheinlaͤnder wie-
der in Beſitz genommen hatten, nun auch raubten;
pluͤnderten und die ariſtokratiſchen Einwohner mis-
handelten. Man darf nur glauben, daß die Fran-
zoſen von dem unmenſchlichen Verfahren der Deut-
ſchen gegen die Vertheidiger und Anhaͤnger des
Freyheitsſyſtems genau unterrichtet waren, und
dadurch aͤußerſt aufgebracht ſo verfuhren. Nun
fraͤgt ſichs, wer denn hauptſaͤchlich an dem Un-
gluͤcke Schuld war; und die Antwort iſt nicht
ſchwer. Im Kriege — ich wiederhole es — iſt
nichts mehr zu empfehlen, als ein vernuͤnftiges
Betragen gegen den Feind, und deſſen Anhaͤnger.
[474] Wer dieſes hintanſezt, ſchadet ſich ſelbſt am mei-
ſten. Spotten, Schimpfen und Verfolgen iſt nicht
nur fuͤr ſich ſchon unanſtaͤndig, ſondern es erbit-
tert den Feind noch mehr, und macht, daß er ſich
aufs haͤrteſte raͤchet, ſobald er nur kann. Und wer
ſteht fuͤr das Nichtkoͤnnen! Freilich dachte man da-
mals, die Franzoſen koͤnnten nun und nimmermehr
zuruͤckkehren, und handelte dieſer ſtolzen Voraus-
ſetzung gemaͤß: aber ganz auf ſich deutſch — ich
meyne: altgothiſch-plump. Ueberhaupt waren die
Deutſchen, zu Anfange dieſes Krieges, in der
Staatswiſſenſchaft noch am weiteſten zuruͤck. Gute
Staatskundige fuͤr einzelne Laͤnder, fuͤr Oeſtreich,
fuͤr Preußen oder Sachſen hatten ſie wohl, aber
Staatsmaͤnner fuͤr ganz Deutſchland, wie den jezt
exulirenden Riem, hatten wir wenig. „Deutſch-
land wuͤrde, ſagte ſchon 1792 der Verfaſſer der
Briefe eines Englaͤnders uͤber den gegen-
waͤrtigen Zuſtand der deutſchen Litteratur, (S. 14)
in die allergroͤßte Verwirrung gerathen, wenn auf
einmal alle Fuͤrſten einig wuͤrden: ſich der einzel-
nen Regierungen zu begeben, und ein einziges Reich
aus den zerſtuͤckelten Provinzen zu bilden: es wuͤrde
kein eluziger da ſeyn, der Kenntniß genug haͤtte,
ein ſolches Ganze einzurichten. Ich habe nicht
einmal die Idee zu einer ſolchen Einrichtung in ir-
gend einem deutſchen politiſchen Schriftſteller ge-
[475] funden. Und dennoch ſcheint es allein dieſe Idee
zu ſeyn, von welcher man ausgehen muß, wenn
je ein Syſtem der deutſchen Staaten zu Stande
kommen, und — die einzelnen Fuͤrſten ſich nicht
mehr durch unverſtaͤndigen Eigennutz ſelbſt zu Grun-
de richten ſollen. — In Deutſchland bringt die
kleinſte Veraͤnderung die groͤßten Unordnungen her-
vor.“ Das haben wir in dieſem Kriege, leider,
gefuͤhlt, ohne aber endlich eben ſo klug geworden
zu ſeyn als Preußen. Indeß, wenn es uns an
Maͤnnern fehlte, welche ganz Deutſchland in ſta-
tiſtiſcher Ruͤckſicht haͤtten uͤberſehen, wuͤrdigen und
einrichten koͤnnen: wo ſollten wir die Staats-
maͤnner gefunden haben, welche Frankreichs Macht-
und Kraftverhaͤltniß gegen Deutſchland genau ab-
gewogen, und dadurch Deutſchlands Gewinn oder
Verluſt von daher beſtimmt haͤtten! Wir hatten ſie
nicht, und darum machten wir, nach unſerm dum-
men und plumpen Stolz, unſere Rechnung uͤberall
ohne den Wirth. Unſere Zeche ſieht aber jezt enorm
und blutig genug danach aus! — *)
[476]
Indeſſen hatte der Herzog von Braun-
ſchweig einige Vortheile bey Trippſtadt um Pir-
maſens uͤber die Franzoſen erfochten, auch einige
gefangen gemacht. Zwey und ſechszig kamen durch
Maykammer. Ich habe niemals offnere und feſtere
Geſichter geſehen, als die dieſer Gefangnen. Sie
ſangen, tanzten und ſprangen, als wenn ſie zur
Hochzeit gehen ſollten. An der Wache mußten ſie
Halt machen. Ich naͤherte mich und redete einen
von ihnen an. „Du ſprichſt franzoͤſiſch? fragte
er zur Antwort: du biſt wohl gar ein Franzoſe!“
Ich. Nein, ich bin ein Deutſcher: viele
Deutſche ſprechen franzoͤſiſch.
Er. (reicht mir die Hand) Willkommen Ka-
merad! Aber waͤrſt du ein Franzoſe, ein Emigrant,
ein foutu chien d'ariſtocrate: ſieh an (er hob einen
Stein auf) mit dieſem Stein zermalmte ich dir
dein Gehirn.
[477]
Ich. Und das haͤtteſt du das Herz, hier zu
thun?
Er. Allerdings! Ein Emigrant muß mir kre-
piren, wo ich ihn nur finde: das ſind die Boͤſe-
wichter, die unſer und Euer Vaterland ins Verder-
ben geſtuͤrzt haben.
Hierauf ſangen alle das bekannte Lied, deſſen
Refrain jedesmal iſt:
Selbſt ein Goͤchhauſen geſteht in ſeinen Wan-
derungen den unbezwinglichen Muth, der franzoͤ-
ſiſchen Gefangnen; und iſt ein um ſo unpartheii-
ſcherer Zeuge, da er bey den Franzoſen ganz und
gar nichts Gutes zu finden gewohnt iſt. Aber per-
ſoͤnliche Unerſchrockenheit war, wie ich ganz zuver-
laͤſſig weiß, in den Augen des blinden Goͤchhau-
ſen niemals eine Tugend.
Sehr bedenklich fuͤr uns hielt jeder Kenner die
in jener Gegend befindliche Bergkette, welche der
Feind immer durchbrechen konnte, weil wir nicht
im Stande waren, dieſes ungeheure Gebuͤrge ganz
zu beſetzen, und weil die Franzoſen beſſer Beſcheid
darin wußten, als wir. Deshalb wurde ſo viel,
als man konnte, fuͤr die Verhinderung eines Durch-
bruchs geſorgt; und da zu dieſem Behufe immer
[478] ſtarke Kommandos ins Gebuͤrge geſchickt werden
mußten, ſo wurde der Dienſt hier ſehr erſchwert.
Man that aber alles gern, weil man immer mit
der baldigen Uebergabe von Landau und mit guten
Winterquartieren im Elſaß ſchmeichelte.
Viele von unſern Offizieren waren hier neuer-
dings von dem gaͤnzlichen Ruin der Franzoſen ſo
gewiß, daß ſie ſogar Wetten anſtellten, daß in ſo
und ſo viel Zeit die Deutſchen in Paris ſeyn, Lud-
wig XVII einſetzen, die Glieder des Nationalkon-
vents aufhaͤngen, den Adel herſtellen, und den
Pfaffen ihre alte Pfafferey wieder verſchaffen wuͤr-
den. Die Einnahme von Toulon durch die Eng-
laͤnder, und die Rebellion in Lyon, der Tod der
Repraͤſentanten le Pelletier, Chailler und
Marat, die Fortſchritte der ſogenannten armée
royale in der Vendée und mehrere ſolche Begeben-
heiten waren die Anlage zu dieſer Rechnung.
Aber nun kam die Trauerpoſt von der Hinrich-
tung der Koͤnigin Antoinette, des Generals
Cuͤſtine und vieler andrer, auf welche man ge-
rechnet hatte; die Schlappe der Englaͤnder bey
Duͤnkirchen, und die Fortſchritte der Franzoſen in
den Niederlanden, nebſt denen gegen die Spanier
und Sardinier: dieſe unangenehme Nachrichten
ſchlugen unſern Muth ſehr wieder nieder, ſo, daß
[479] man ſogar verbot, davon zu reden: aber je mehr
man dieß verbot, deſto mehr geſchah es und ſo wur-
den dieſe unangenehmen Dinge immer bekannter.
Acht und dreyßigſtes Kapitel.
Belagerung von Landau.
Wir zogen den 18ten September ins Lager bey
Landau, und ſchloſſen es jezt rund um vollends
ein. Dieſer Platz iſt eine von den Feſtungen, wel-
che der beruͤhmte Vauban angelegt hat: ſie iſt treff-
lich verwahrt, hat ein Fort und ein Hornwerk,
und kann ſich unter Waſſer ſetzen, welches aber
die Ingenieurs in Landau dießmal nicht fuͤr noͤthig
fanden.
Ohnerachtet Landau ſchon ſeit langer Zeit von
den Deutſchen blokirt war, ſo hatte man doch zu
einer ernſthaften Belagerung ſich wenig angeſchickt.
Es waren noch keine Schanzen aufgeworfen: aber
wozu haͤtten auch dieſe nuͤtzen ſollen, da man kein
Geſchuͤtz hatte! Es iſt ganz unbegreiflich, wie
man nur den Gedanken hat faſſen koͤnnen, das mit
Feſtungen gleichſam angefuͤllte und ganz umzingelte
Frankreich ohne hinlaͤngliches Geſchuͤtz anzugreifen.
[480]
Schon im Sommer hatte der General Wurm-
ſer, welcher in der dortigen Gegend ſein Weſen
trieb, mit dem franzoͤſiſchen General Gillot un-
terhandelt, und von ihm die Uebergabe der Feſtung
erwartet; aber vergebens. Eben ſo gieng es un-
ſerm Kronprinzen auch mit dem neuen Landauer
Kommandanten Laubadere. Dieſer war als
ein guter, ehrlicher Republikaner bekannt, und eben
darum ließ ihn der Kronprinz anfaͤnglich nur ein-
mal aufbieten.
Die Stadt war ſo eingeſchloſſen, daß nichts
herein, nichts heraus konnte, und da man ſich vor-
ſtellte, daß die Garniſon und die Buͤrgerſchaft
nicht gut mit Proviant verſehen waͤren, ſo hoffte
man, daß die Uebergabe ſich hoͤchſtens bis gegen
das Ende des Novembers verziehen koͤnnte, und
erwartete nichts weniger, als daß die Republika-
ner die Feſtung entſetzen wuͤrden.
Inzwiſchen veruͤbten die Oeſtreicher in den dort-
herumliegenden Franzoͤſiſchen Oertern alle moͤgli-
chen Graͤuel. In Langenkandel und an mehrern
Orten bey Landau ſind ihre Barbareyen uͤber allen
Glauben gegangen. In dem erſten Orte ermorde-
ten ſie ein kleines Maͤdchen, weil es in ſeiner Ein-
falt gerufen hatte: Es lebe die Republik. Einem
Schulmeiſter hackten ſie beyde Haͤnde ab, weil er
ein Vertheidiger der Patrioterey war. Eine Frau
[481] ſamt ihrem Kinde, das ſie an der Bruſt ſaͤugte,
verlohr das Leben, weil ſie den Unmenſchen
Menſchlichkeit predigte. etc. etc. — Als ich nach
Landau und Strasburg kam, fand ich aller Orten
Zettel angeſchlagen, worauf dergleichen Graͤuel-
thaten angezeigt waren, um deren willen die Na-
tion gegen dieſe Veraͤchter aller Rechte aufgerufen
wurde.
Ich bin voͤllig uͤberzeugt: daß der Kaiſer der-
gleichen Graͤuel nicht allein nicht billigt, ſondern
daß er ſie aufs ſchaͤrfſte ahnden wuͤrde, wenn ſie
ihm bekannt waͤren. Aber wie dringt die Stimme
der Unſchuld und der bedraͤngten Menſchheit zu
den Ohren der Monarchen! Und wie iſt es moͤg-
lich, daß Unmenſchlichkeiten verhindert werden,
wenn man ſie oͤffentlich predigt, wenn man die
Franzoſen d. h. alle Einwohner dieſes Landes als
den Auswurf der Menſchheit beſchreibt, gegen den
man von aller Verbindlichkeit los ſey? So war es
der Fall im vorigen Jahrhunderte bey den Verfol-
gungen der Hugenotten: aber dieſe waren unbe-
waffnete Leute, außer Stande, ſich zu wehren;
allein die Franzoſen jezt, konnten das ihnen ange-
thane Unrecht raͤchen, und haben es auch an ihren
Henkern, aber leider auch an den unſchuldigen Be-
Dritter Theil. Hh
[482] wohnern jener Laͤnder, wohin ſie gedrungen ſind,
maͤchtig und ſtrenge genug geraͤcht.
In der oͤſtreichiſchen Armee giebt es, außer
den Kroaten, noch anderes Volk, welches Frey-
korps ausmacht, und als ſolche glauben, es ſtehe
ihnen alles frey. Dieſes Volk iſt aller Orten, bey
Freund und Feind, ſogar bey ihren eignen Leuten,
verhaßt und verachtet. Die Unthaten der Herren
von Ottonelli, von Mahony, von Michalowitz
und von andern ſind ſo verſchrieen, als die Hel-
denſtuͤckchen des bayeriſchen Huͤſels oder des
Cartouches. Nirgends haben ſich die Franzoſen
ſo arg betragen, als dieſe, die ſogar bey Freunden
und Bundesgenoſſen ihres Herren ſich betrugen,
als haͤtte man ſie auf Exekution hingelegt. Mich
wundert nur, daß Reichard in Gotha, Goͤchhau-
ſen, Girtanuer und Braun nicht auch die Graͤuel-
ſcenen von dieſen zu Kupferſtichen gewaͤhlt haben! —
Ich werde weiterhin von dem ſcheußlichen Betra-
gen dieſer Quaſi-Soldaten mehr erzaͤhlen, und
verweiſe bis dahin auf eine Schrift, betitelt: Die
Reichsarmee in ihrer wahren Geſtalt,
worin auch einiges von dieſen Freykorps vorkoͤmmt.
Dieſen Kroaten hatte man einen Dukaten fuͤr
jeden Franzoſenkopf verſprochen, den ſie einliefern
wuͤrden. Das Verſprechen ſelbſt war ſchon abſcheu-
lich an ſich; denn es ſezte einen Krieg ad intern [...]-
[483] cionem voraus, und machte ſchonende Menſchlich-
keit gegen die, die ſich ergaben, oder die vor Ver-
wundung nicht mehr ſchaden konnten, unmoͤglich:
aber was kuͤmmert ſich ein Kroat um Menſchlich-
keit, zumal wenn ſeine Vorgeſezten ſelbſt ſo un-
menſchlich ſind, ihn, der ſich auf eigne Fauſt er-
naͤhren muß, gegen einen Blutſold zu Unmenſch-
lichkeiten aufzufodern! Um dieſen Sold treufleißig
zu verdienen, toͤdteten die Kroaten hie und da Bau-
ren, weckten ſie des Nachts auf, um nach dieſem
oder jenem zu fragen; und wenn die Ungluͤcklichen
ihre Thuͤr oder Fenſter oͤffneten, um ihnen Aus-
kunft zu geben, ſo ergriffen ſie dieſelben, ſchnitten
ihnen den Kopf ab, und ließen ihn als einen San-
kuͤllottenkopf ſich bezahlen. — Und nun wollen
wir noch fragen, lieben Leſer, warum ſo viele
Barbareyen von den Franzoſen in Deutſchland her-
nach begangen wurden?
Der Pfarrer zu Nußdorff, eine halbe Stunde
von Landau, hat ſich auch ſehr an ſeiner Gemeinde
verſuͤndiget. Dieſer Menſch war, wie alle Pfaf-
fen in ganz Frankreich, der neuen Einrichtung feind,
ob er gleich lutheriſch war: es aͤrgerte ihn ſein Ver-
luſt des Dezems und der Sporteln. Es mogten
auch mehrere von ſeinen Bauren etwas hart und
derb mit ihm geſprochen haben. Er zeigte alſo dieſe
bey den deutſchen Offizieren an, und die armen
[484] Leute wurden aufs groͤbſte mishandelt, wenn gleich
Nußdorff nicht zu Deutſchland gehoͤrt, und es
demnach hoͤchſt ungerecht war, hier Jagd auf Pa-
trioten zu machen. Alle Einwohner mußten ja,
vermoͤge ihres gemeinſchaftlichen National-Geſetzes,
Patrioten ſeyn! — Der Herr Pfarrer ließ auch eine
goldne Lilie uͤber das Zifferblatt am Kirchthurme
anbringen, welche aber freilich nicht lange figurirt
hat. — Die kaiſerlichen und preußiſchen Offiziere
kehrten bey dieſem theologiſchen Altflicker gern und
fleißig ein — wegen ſeiner huͤbſchen Schwaͤgerinnen.
Wie es ihm bey der Ruͤckkunft der Franzoſen er-
gangen ſey, laͤßt ſich denken.
Als wir um Landau ſtunden, waren eben die
Trauben zeitig. Da es nun dortherum gar viele
Weinberge giebt, ſo konnten ſich unſre Leute recht
daran ergoͤtzen. Dieß thaten ſie: aber die Wein-
berge wurden auch ſo mitgenommen, daß, wenn
die Einwohner mit der Weinleſe, oder dem Herb-
ſten, wie man dort ſagt, nicht geeilt haͤtten, ſie
auch keinen Tropfen Wein ins Faß bekommen haͤt-
ten. Die Soldaten machten Exkurſionen bis bey-
nahe vor Landau, und trafen da mehrmals Nym-
phen aus dieſer Stadt an. Dieß Hinlaufen der
Frauenzimmer nach den Weinbergen dauerte noch
fort, als ich ſchon in Landau war, bis endlich der
General Laubadere es gaͤnzlich unterſagte.
[485]
Der Koͤnig machte indeſſen Anſtalt zu ſeiner
Abreiſe nach Berlin: die polniſchen Haͤndel noͤthig-
ten ihn, ſich an Oerter zu verfuͤgen, wo er denſel-
ben naͤher ſeyn konnte. Er iſt auch wirklich den
30ten September von uns abgefahren.
Hier im Lager lernte ich den bekannten Magiſter
Heller kennen, welcher Verfaſſer von allerley
kleinen Schriften mit und ohne Namen iſt. Man
nennt ihn dort herum Hr. Profeſſor: warum?
Das weis ich ſelbſt nicht. Er ſagte zu mir, daß
wir mit einander bekannt werden muͤßten, weil
unſre Fatalitaͤten viel Aehnliches haͤtten. Bey ei-
nem Glaſe Wein legten wir denn einander eine all-
gemeine Beichte ab. — Hr. Heller lebt zu Fran-
kenthal, wo er in allerley Dingen Unterricht giebt,
und ſich ſo durchbringt. Er hat da ein blutarmes
Maͤdchen geheurathet, mit welchem er, wie er ſagte,
ganz gut lebt. D[ie] Schweizer Kantons haben ihm
ſchon einigemal fuͤr ein Gedicht auf ſie ein Praͤſent
gemacht: er hoffte eben auch ein Praͤſent vom un-
ſerm Koͤnige und beverſificirte denſelben. Aber der
Koͤnig ſah mehr auf Polen; und der Dichter erhielt
nichts. Das war aber auch ſchon recht: denn
nichts iſt verdaͤchtiger und gerade darum nichts elen-
der, als das Lob der Dichter und der Verſifexe;
und wer nur durch ſie denkt beruͤhmt zu werden,
hat gewiß nichts lobenswuͤrdiges an ſich. Die
[486] ganze Welt kennt den poetiſchen Schnickſchnack,
und weis, warum die Dichterlinge loben. Von
Horatius, dem groͤßten und feinſten aller Paraſi-
ten an, bis auf die Herren N. N. hat keiner ſeinen
Held unſterblich gemacht. Die Namen, welche
uͤber den Oden z. B. des Horatius ſtehen, thun
ſchon lange gar nichts mehr zur Sache: wir be-
wundern die Schoͤnheit des Gedichtes, und kuͤm-
mern uns wenig um den, auf welchen es gemacht
iſt. Blos die Geſchichte kann loben oder tadeln:
denn ob wir gleich ſehr elende Wichte in der Welt
ſind, ſo haben wir doch noch das Gute an uns,
daß allgemeine Saͤtze keinen Eindruck auf uns ma-
chen: wenigſtens keinen bleibenden; und daß wir
nicht eher geruͤhrt werden, oder glauben, bis wir
den Beweis irgend einer allgemeinen Behauptung
aus einzelnen Thatſachen ſelbſt ſammeln und faſſen.
Ein Fuͤrſt thut darum ſehr klug, wenn er ſich nie
bedichten oder beſingen laͤßt, und noch kluͤger, wenn
er ſeine Lobhaͤnſe nicht belohnt: denn ſonſt ſtuͤrmt
dieſes Sillben-Geſindel auf ihn zu, und belobt ihn
dergeſtalt, daß er ſich endlich fuͤr untadelhaft haͤlt,
und fuͤr wahres Verdienſt Augen und Empfindung
verliehrt.
Ich fuͤr meine Perſon befand mich im Lager ſo
ziemlich wohl. Ich hatte beynahe taͤglich Beſuch
von Bekannten aus der der daſigen weiten und brei-
[487] ten Gegend, und von dieſen erfuhr ich die ganze
Litaney von allem, was ſeit meiner Abweſenheit
aus der Pfalz, vorgefallen war, aber ich erfuhr
ſelten etwas erfreuliches. Alles war ſo beym Alten
geblieben, und wenn ja der eine und der andre etwas
hatte beſſern wollen, ſo hatte er es ſofort zu thun
mit den Pfaffen, Edelleuten und Beamten, welche
ihn an allen Unternehmungen hinderten. Alle hoff-
ten eine Generalreforme nach dem Ende des Krie-
ges. Gebe ſie der Himmel!
Alle Tage hoͤrten wir, daß die Franzoſen da
und dort vor den Deutſchen wichen, und nun ſa-
hen die meiſten nichts ſicherer entgegen, als Lan-
daus Einnahme, und der Eroberung von ganz El-
ſaß. Einige radotirten ſchon von Strasburgs wirk-
licher Einnahme! Dieſe Nachricht verbreitete ſich
deswegen, weil wirklich in Strasburg ein Kom-
plot exiſtirte, welches die Feſtung den Deutſchen
in die Haͤnde ſpielen wollte. Die vornehmſten
Mitglieder des Komplots waren mehrere von der
Strasburger Municipalitaͤt, und einige reiche Ju-
den. Aber Eulogius Schneider, der da-
mals oͤffentlicher Anklaͤger war, entdeckte durch
ſeine Emiſſaͤrs den Anſchlag: die Verſchwornen
wurden eingezogen und fanden ihr Ende auf der
Guillotine. Dabey war auch der geweſene Maire,
Hr. von Dietrichs.
[488]
Den Weg der Verraͤtherey hat man in keinem
Kriege mehr eingeſchlagen, als in dem gegenwaͤr-
tigen: ein wahres Zeichen, daß man ſich zu ſchwach
fand, der verachteten Nation ins Angeſicht zu wi-
derſtehen. Gegen uns haben die Franzoſen ſich ſel-
ten der Verraͤther oder der Spionen bedient. Doch
fand ſich bey Landau ein reformirter Kandidat,
welcher wegen ſeines artigen Benehmens die Gnade
des Herzogs von Braunſchweig auf eine vorzuͤgliche
Art genoſſen hatte. Dieſer zeichnete aus eignem
Antrieb den Plan der ganzen Stellung des Deut-
ſchen Heeres ab, und ſchickte ihn in die Feſtung.
Die Sache wurde entdeckt und der Kandidat arre-
tirt. Er hatte allerdings ſo nach dem Herkom-
men, den Tod verdient, aber der Koͤnig und der
Herzog verwandelte die Todesſtrafe in Baugefan-
genſchaft.
Neun und dreyßigſtes Kapitel.
Ich werde endlich noch gar — geheimer Geſandter.
Ich habe in der ganzen bisherigen Erzaͤhlung keine
Rolle von Bedeutung geſpielt, und hatte nur ſel-
ten Gelegenheit, dem Leſer von meinem kleinen Ich
etwas zu ſagen, das ſeiner Aufmerkſamkeit werth
[489] geweſen waͤre. Man kann daher das, was ich
bis jezt geliefert habe, mehr fuͤr hiſtoriſche Bruch-
ſtuͤcke uͤber den Feldzug und die Operationen, wel-
chen ich beygewohnt habe, anſehen, als fuͤr meine
eigne Geſchichte. Von nun an aber erzaͤhle ich
hauptſaͤchlich wieder von mir, und da man immer
an ſich mehr Intereſſe nimmt, als an allem, was
uns umgiebt, ſo hoffe ich, daß meine Nachrich-
ten von nun an fuͤr den Leſer intereſſanter ſeyn werden,
beſonders fuͤr diejenigen meiner Leſer, welche In-
tereſſe an mir finden; und die Anzahl dieſer iſt, wie
ich zu meiner Beruhigung weiß, nicht gering.
Die Veraͤnderung meiner Lage, welche hier bey
Landau vorging, hat auf alle meine nachherigen
Schickſale Einfluß gehabt, und wird ihn wahr-
ſcheinlich auch auf meine zukuͤnftigen haben, ſo
daß ich unverzeihlich handeln wuͤrde, wenn ich
nicht alles, was dahin einſchlaͤgt, genau und um-
ſtaͤndlich beſchreiben wollte. Man wird mir alſo
verzeihen, wenn ich hier gegen meine bisherige Ge-
wohnheit, weitlaͤufiger werde, und Kleinigkeiten
anfuͤhre, ſobald dieſe meine Geſchichte in ein hel-
leres Licht ſtellen.
Ich war unſern Prinzen und den großen Ge-
neralen ſchon lange dem Namen nach bekannt, aber
viele von ihnen hatten auch ſchon mehrmals mit
mir geſprochen. Ich muß oͤffentlich geſtehen, daß
[490] ich von dieſen Herren immer human und freundlich
bin behandelt worden, und kann mich insbeſondre
ruͤhmen, daß der Prinz Louis von Preußen, der
Herzog von Weimar, die Generale, Prinz
von Hohenlohe und deſſen Vetter, der Prinz
von Hohenlohe, Oberſter bey Wolfframsdorff,
die Hn. Generale von Mannſtein, von Kalk-
reuth und mehr andere mir ganz beſonders gut
begegnet ſind.
Der Prinz von Hohenlohe, ich meyne den
damaligen Oberſten bey dem Regiment von Wolff-
ramsdorff, hatte in Duͤrkheim gehoͤrt, daß ich
mit dem Buͤrger Dentzel, Volksrepraͤſentant,
und zu der Zeit in Miſſion bey der Rheinarmee,
ehemals bekannt geweſen ſey. Dieſe Nachricht
war ihm aufgefallen, und er beſchloß, deswegen
mit mir zu ſprechen.
Ich war eben auf einer Schanze, als man mir
ſagte, der Prinz von Hohenlohe wolle mich ſpre-
chen. Da ich ſeine Art, Leute zu behandeln kannte,
ſo lief ich mit Freuden hin, wie ich war. Ihre
Durchlaucht, ſagte ich, muͤſſen mir verzeihen,
daß ich komme, wie ich war, als ich hoͤrte, daß Sie
mich ſprechen wollten. Ich konnte mich nicht uͤber-
winden, durch Anziehen und Putzen einen Augen-
blick zu verlieren. „Das war recht, mein Lieber,
[491] erwiederte der Prinz, nur herein: bey mir muß
man keine Komplimente machen.
Ich trat ins Zelt, und fand da mehr Geſell-
ſchaft, welche recht munter war. Ich mußte mit
Taback rauchen, und Wein trinken, welchen der
Prinz ganz trefflich hatte, da er ein Liebhaber
von gutem iſt. Der Prinz war, wie immer, ſehr
aufgeraͤumt, und erzaͤhlte einige Anekdoten vom
alten Koͤnig, z. B. daß er ſelbſt mehrmals laͤchelnd
bek[a]nnt haͤtte, wie er ſich in ſeiner Jugend vor den
Hexen gefuͤrchtet habe, daß er aber nachher bald
von dieſer thoͤrigen Vorſtellung abgekommen ſey u.
dgl. — Unſer Geſpraͤch fiel bald auf die Franzo-
ſen, und ich freute mich recht uͤber die geſunden
Urtheile des Prinzen: er war ſelbſt ehemals in Frank-
reich geweſen, hatte da ganzer zehn Jahre gedient,
und verſtand alſo den Handel beſſer, als mancher
Andere. Endlich fragte er mich, was ich von
den franzoͤſiſchen Angelegenheiten daͤchte? Aber ehe
ich antworten konnte, fiel ein Offizier von unſerm
Regimente laͤcheld ein: ah, Gnaͤdigſter Herr, den
da muͤſſen Sie nicht fragen: das iſt ein Patriot!
Prinz: So? Iſt's wahr, Laukhard?
Ich: Verzeihn Sie, Monſeigueur! ich bin kein
Patriot, im gehaͤſſigen Sinn: ich liebe den Koͤnig,
und die Deutſchen, aber ich liebe auch die Men-
ſchen, und muß daher oft anders denken, als die
[492] zu denken gewohnt ſind, welche nichts ſehen und
hoͤren wollen, als Fuͤrſten und Sklaven.
Pr: Schoͤn, das iſt brav! Aber glaubt Er
denn, daß die Franzoſen jezt auf dem lezten Loche
blaſen?
Ich: Nein, das glaube ich nicht. Die Fran-
zoſen haben noch zu viele Huͤlfsmittel, ſich zu be-
haupten, und es wird noch ſchwer halten, ſie zu
bezwingen, geſchweige denn, ihre Macht ganz und
gar zu tilgen.
Pr: Er hat doch die roͤmiſche Hiſtorie ſtudiert,
Laukhard?
Ich: Ja, gnaͤdigſter Herr!
Pr: Nun, ſo weis Er ja auch, daß die Sol-
daten, welche an der Wohlfahrt des Vaterlandes
zweifelten, geſtraft wurden.
Ich: Ey, gnaͤdigſter Herr, ich zweifle an der
Wohlfahrt des Vaterlandes gar nicht; ich wuͤnſche
und hoffe, daß es Deutſchland und beſonders Preu-
ßen recht gut gehen moͤge: aber ich kann doch auch
nicht behaupten, was unmoͤglich, und was un-
wahrſcheinlich iſt: und von dieſer Art waͤre die
gaͤnzliche Niederlage der Franzoſen durch uns.
Pr: Laſſen wir das jezt. Es denkt ein jeder,
was er will; man muß nur ein ehrlicher Mann
ſeyn. — Aber à propos Laukhard, ich habe gehoͤrt, Er
kenne den Repraͤſentant zu Landau, den Dentzel?
[493]
Ich: Ja, Ihre Durchlaucht, den kenne ich
ſchon ſeit vielen Jahren.
Pr: Genau?
Ich: So ziemlich: wir haben manchesmal mit
einander gezecht, und ſonſt Abentheuer beſtanden.
Ich glaube gar, daß wir noch Vetter ſind.
Pr: Was iſt denn das fuͤr ein Mann?
Ich: Gnaͤdigſter Herr, in der Lage, worin ich
und Dentzel uns befanden, habe ich ſeinen Ka-
rakter nicht kennen lernen: ich habe mich auch nicht
einmal drum bekuͤmmert. Es iſt, ſoviel ich weis, ein
unternehmender Kopf, und ſonſt kein falſcher Kerl.
Pr: Je nun, wir ſprechen vielleicht ein ander-
mal mehr davon. Jezt getrunken und luſtig!
Es wurde getrunken aus großen Glaͤſern ſcharf,
und die Zotologie wurde ziemlich herumgeholt.
Gegen Abend ging ich in mein Zelt, und fand eben
einen Brief von meinem redlichen Bispink,
welcher das Vergnuͤgen dieſes Tages kroͤnte.
Gleich am folgenden Morgen ſchickte der Hr.
Hauptmann von Nieweſchuͤtz, welcher die Kom-
pagnie des Prinzen damals kommandirte, zu mir,
und ließ mich holen. Dieſer edle Mann, der mir
ſehr viel Freundſchaft in der kurzen Zeit, die wir
noch zuſammen waren, erwieſen hat, traktirte mich
mit Malaga; und nach einem langen Geſpraͤche
uͤber dieſen und jenen Gegenſtand aus den Wiſſen-
[494] ſchaften, worin ſich der Hauptmann ruͤhmlich um-
geſehen hat, wurde das Geſpraͤch, ganz unmerk-
lich wieder auf Deutzel gelenkt. Ich ſagte ihm,
was ich wußte. Hoͤren Sie, ſagte der Haupt-
mann, Sie koͤnnen ihr Gluͤck machen: der Prinz
wird mit Ihnen ſprechen, und dann machen Sie
Ihre Sachen klug. — Ich ſtuzte, und drang in
den Hauptmann, ſich naͤher zu erklaͤren; aber er
ſagte, daß er nichts mehr ſagen koͤnne: ich ſollte
nur klug ſeyn. Ich verſprach ihm, mich allen Be-
fehlen des Prinzen zu unterziehen.
Ich war kaum wieder bey meiner Kompagnie,
als ich aufs neue gerufen wurde. Es war zum
Prinzen Louis von Preußen, welcher hinter der
Brandwache auf mich wartete. Hier hatte ich fol-
gende merkwuͤrdige Unterredung.
Prinz Louis: Guten Tag, Laukhard! ich
hab' ein Wort mit Ihm zu ſprechen.
Ich: Bin immer Ew. Hoheit zu Dienſten!
Pr: Eh bien; aber jezt fodre ich keinen Dienſt
im eigentlichen Sinn: ich fodre was, das Uns
und Ihm großen Vortheil bringen ſoll. Er kennt
Dentzel zu Landau?
Ich: Ja, Ihre Koͤnigliche Hoheit.
Pr: Glaubt Er wohl, dem Manne beyzu-
kommen?
Ich: Ich verſtehe Sie nicht ganz.
[495]
Pr: Ich werde mich erklaͤren. Seh Er, Den-
zel iſt Répréſentant do peuple bey der franzoͤſiſchen
Rheinarmee: der Mann hat alſo vielen Einfluß,
der dann erſt recht ſichtbar ſeyn wird, wenn von
der Uebergabe der vor uns liegenden Feſtung die
Rede ſeyn ſoll. Dieſe Uebergabe kann nicht lange
mehr anſtehen allein ſie wird und muß auf alle
Faͤlle noch viel Blut koſten: wir haben alſo einen
Plan erdacht, wie wir ohne Blutvergießen zu un-
ſerm Zweck gelangen koͤnnten.
Ich: Das waͤre ja herrlich!
Pr: Ja, ſieht Er: Und dazu ſoll er nun helfen!
Ich: Und wenn ich mein Leben dabey aufopfern
ſollte, gern!
Pr: Schoͤn! So ſpricht ein braver Soldat.
Laukhard, es iſt beſchloſſen, Ihn nach Landau zu
ſchicken.
Ich: (betroffen) Nach Landau, mich?
Pr: Ja, Ihn nach Landau, lieber Laukhard.
Sieht Er: Er kennt den Repraͤſentant Dentzel:
dieſer vermag alles: kann Er ihn gewinnen, ſo iſt
ſein und unſer Gluͤck gemacht.
Ich: Aber auch mein Ungluͤck, Ihre Hoheit,
wenn ich entdeckt werde.
Pr: Ah, Er muß ſich nicht fuͤrchten! pardieu,
die Franzoſen werden Ihm den Hals nicht brechen!
[496]
Ich: Aber die Franzoſen ſind Vokativuſſe,
Ihre Hoheit: die Kerls ſpaßen eben nicht viel.
Pr: Ueberleg Er die Sache, lieber Laukhard!
Findet Er, daß es nicht geht, à la bonne heure, ſo
haben wir geſpaßt, und alles bleibt entre nous;
findet Er aber, daß Er Muth genug hat, die Ge-
fahr nicht zu achten, und ſein Gluͤck zu befoͤrdern,
ſo entſchließe Er ſich, und ſage mir Beſcheid. Adieu!
Aber alles bleibt noch unter uns! (geht ab)
Ich ſchlich unruhig und muͤrriſch ins Lager zu-
ruͤck: tauſend Ideen, tauſend Grillen liefen mir
durch den Kopf, und ich war doch nicht im Stande,
einen feſten Entſchluß zu faſſen. Die Sache ſchien
mir zu wichtig.
Einmal war es mir freilich erwuͤnſcht, endlich
einmal eine Gelegenheit zu bekommen, mich mit
Ehren von den Soldaten loszuwickeln. Bisher
naͤmlich hatte ich das Laͤſtige und Druͤckende dieſes
Standes mehr als zu viel erfahren und empfunden.
Davon kam ich alſo weg, wenn ich den Vorſchlag
Seiner Hoheit annahm: und dann hatte ich mit
Herren zu thun, welche mir eine Laufbahn eroͤffnen
konnten, worauf ich wenigſtens eher und beſſer fuͤr
mich ſorgen konnte, als bey den Soldaten. Herr
Bispink hatte mir zwar, als wir vor Maynz
ſtanden, angetragen, daß er mich, ſobald ich nur
einwilligte, von dem Regimente entweder loskau-
[497] fen, oder einen Rekruten von meiner Groͤße fuͤr
mich ſtellen wollte. Er hatte dieſen lezten Punkt
mit dem Hn. von Patzensky, Hauptmann bey
unſerm Depot in Halle, ſchon beſprochen; auch
uͤber die ganze Sache an unſern Feldprediger, Hn.
Lafontaine geſchrieben, und ihn um ſeine Ver-
mittelung erſucht. Aber ich konnte mich durchaus
nicht uͤberwinden, eine Guͤte von dieſer Art von
einem Manne anzunehmen, der mich ſchon lange
mehr als bruͤderlich unterſtuͤzt hatte, und die ich
ihm vielleicht nie haͤtte vergelten koͤnnen. Ich lehnte
alſo ſein Anerbieten unter dem Vorwande ab: daß
der Krieg gegen die Franzoſen mich zu ſehr inter-
eſſirte, als daß ich nicht wuͤnſchen ſollte, ihm bis
zu Ende mitbeyzuwohnen, u. ſ. w. Im Grunde
aber hatte ich des Soldatenlebens herzlich ſatt; und
ſo war es mir lieb, hier endlich eine Gelegenheit
vor mir zu ſehen, meinen Abſchied durch eine ekla-
tante Dienſtleiſtung ſelbſt zu verdienen. Da-
durch erwuͤrbe ich mir, dachte ich damals, auch
zugleich ein Recht auf eine ſorgenloſe Exiſtenz im
Preußiſchen, und waͤre nicht genoͤthigt, mich auf
eine prekaͤre Lebensart dereinſt irgendwo einzulaſſen.
Freilich war viel Gefahr bey der ganzen Unterneh-
mung, allein wenn ſie gelang, ſo war auch viel
Vortheil auf meiner Seite zu erwarten.
Dritter Theil. Ii
[498]
Auf der andern Seite mogte ich den Vorſchlag
auch deswegen nicht verwerfen, weil ich dadurch
Urſache werden konnte, daß eine blutige Belage-
rung in eine friedliche Uebergabe verwandelt wuͤrde,
wodurch das Leben vieler Menſchen, ſowohl bey
den Unſrigen als bey den Franzoſen gewann.
Freilich haͤtte ich den Salto mortale niemals ge-
wagt, wenn ich den Geiſt der Nation ſchon damals
ſo gekannt haͤtte, wie ich ihn bald darauf kennen
lernte, und welcher vorzuͤglich dahin geht, daß dem
Feinde nicht eine Spanne breit Platz in der Repu-
blik eingeraͤumt werde, oder bleibe. Das erſte
Grundgeſetz der Nation iſt die Untheilbarkeit des
Reichs: dieſe muß erhalten oder die Nation muß
vernichtet werden. Aber ich kannte die Franzoſen
damals von dieſer Seite eben ſo wenig, als der
Koͤnig von Preußen und alle koaliſirten Maͤchte
ſie auch noch nicht kannten, und Viele, leider! noch
immer nicht zu kennen ſcheinen.
Aber die Gefahr, welcher ich mich nothwendig
ausſetzen mußte, ſchreckte mich immer nicht wenig.
Ich hatte gehoͤrt, daß die Franzoſen einige Tage
vorher einen Emigrirten, welcher von den Kaiſer-
lichen deſertirt war, in Landau aber als franzoͤſi-
ſcher Fluͤchtling erkannt wurde, ohne langen Pro-
ceß hatten todtſchießen laſſen. Was einem Spion
und einem Emiſſaͤr gebuͤhrte, war mir lange be-
[499] kannt: ich hatte die Praxis davon bey Luxemburg,
und bey Maynz geſehen. Ueberdieß verdammten
meine eignen Grundſaͤtze die mir zugedachte Un-
ternehmung: auch erinnerte ich mich recht lebhaft
an das, was Pyrrhus ehedem zu den Roͤmern
ſagte:
Ferro, non auro vitam cernamus utrique. —
Spionerey habe ich uͤberhaupt immer fuͤr etwas
ſehr unanſtaͤndiges gehalten, und Verraͤtherey fuͤr
das abſcheulichſte Verbrechen. Denn was kann
fuͤrchterlicheres gedacht werden, als der Misbrauch
des Vertrauens, welches das Vaterland auf uns
ſezt, und was iſt ſchaͤndlicher, als der Gewinn,
den wir von dem verkauften Intereſſe unſrer Nation
ziehen? Daher kamen mir auch jene Generale,
welche dem Intereſſe ihrer Nation untreu geworden
waren, beſonders ein Lafayette und ein Duͤmouriez,
als die abſcheulichſten Menſch vor. — Und dennoch
ſollte ich mich in die augenſcheinlichſte Gefahr ſtuͤr-
zen? Dennoch gegen meine eigne Ueberzeugung
handeln, weil ich mir dadurch Nutzen ſchaffen
konnte, wenn ich mit heiler Haut davon kam?
Was das lezte, oder die Ueberzeugung von
Recht und Unrecht betrifft, ſo waͤre das die geringſte
Frage geweſen: denn ich hatte Beyſpiele genug zu
meiner Rechtfertigung. Der Eigennutz iſt das
[500] große Triebrad der menſchlichen Handlungen: da-
von zeugt die Geſchichte aller Zeiten und aller Voͤl-
ker; und alle wahre Biographien ſind davon der
klaͤrſte Beweis. Ein Herr Philoſoph kennt und
ruͤhmt die Wahrheit, und iſt uͤberzeugt, daß dieſe,
verbunden mit einer ihr wuͤrdigen Lebensart, die
hoͤchſte Wuͤrde des Menſchen ausmacht: er lehrt
dieſes in allen ſeinen Buͤchern; und ſeine Hand-
lungen ſind gewoͤhnlich das Gegentheil von ſeiner
Lehre. Auch der groͤßte Philoſoph kalkulirt meiſten-
theils à la Pitt, und iſt Kaufmann auf Geld, Ehre
und Gewiſſen, wie dieſer. — Mit den Herren Mo-
raliſten konnte ich alſo bald fertig werden.
Aber die Gefahr, welcher ich mich unterziehen
ſollte, lag mir mehr im Sinne. Ich mußte be-
fuͤrchten, daß Dentzel meinen Antrag mit Ver-
achtung verwarf, und mich in Unterſuchung neh-
men ließ. Auch liefen taͤglich Deſerteurs nach Lan-
dau uͤber: konnte die Sache nun nicht durch ſo ei-
nen dahin gebracht und verrathen werden? Und
wo blieb dann Laukhard? Dieſe Gedanken bekuͤm-
merten mich Tag und Nacht, und raubten mir alle
Ruhe.
[501]
Vierzigſtes Kapitel.
Fortſetzung des vorigen.
Den Tag nach meiner Unterredung mit dem
Prinzen Louis kam der Adjutant des Kronprinzen
zu mir, nahm mich mit hinter die Brandwache,
und fragte mich: ob ich dem Antrag des Prinzen
Louis nachgedacht haͤtte? Ich bejahte.
Adjutant: Nun, was denkt Er davon?
Ich: Ich denke, daß es ein ſehr gefaͤhrliches
und halsbrechendes Stuͤck Arbeit iſt.
Adj: Weiter nichts?
Ich: Das aber doch fuͤr mich und fuͤr uns alle
nuͤtzlich werden koͤnnte.
Adj: Das auf alle Faͤlle nuͤtzlich werden muß:
denn geſezt auch, Er richtet nichts aus, ſo lernen
wir doch die Geſinnungen der Leute kennen, und
das iſt ſchon viel: verſteht Er mich?
Ich: O ja, ich verſtehe Sie wohl! Alſo wenn
ich nichts ausrichte, ſo ſehen die Preußen, daß auf
dieſe Art dem Repraͤſentanten nicht beyzukommen
war, und nehmen ihre Maaßregeln auf eine andere
Art. Ich zahle indeß mit meinem Leben, und
die Herren haben einen Maßſtaab ihrer Unterneh-
mungen mehr: Allerliebſt!
[502]
Adj: Ey, lieber Laukhard, ich meyne das
nicht ſo! Wenn Er auch nichts ausrichtet, ſo iſt Er
deswegen doch noch nicht verlohren. Er muß nur
ſeine Sachen geſcheid anfangen; und kommt Er
wieder aus Landau zu uns, ſo iſt ſein Gluͤck auf
alle Faͤlle gemacht.
Ich: Ja, wenn die Feſtung durch mich in
unſre Haͤnde kommt!
Adj: Und wenn das auch nicht geſchieht: Er
iſt auf alle Faͤlle gedeckt, und ſeiner Belohnung
ſicher. Das waͤre ſchoͤn, die Uebergabe der Fe-
ſtung zur Bedingung ſeiner Belohnung zu machen!
Er wird auf alle Faͤlle koͤniglich belohnt, und auf
immer vor Armuth und Noth in Sicherheit geſezt.
Aus einem Mann, wie Er iſt, muß noch einmal
was in der Welt werden: pardieu!
Ich: Alles gut, Herr Adjutant, aber das
Ding bleibt immer kuͤtzlich.
Adj: Freilich wohl! Aber was iſt Er denn,
Laukhard? Iſt Er nicht Soldat, und muß ein bra-
ver Soldat nicht vor die Kanonen gehen?
Ich: Natuͤrlich!
Adj: Iſt Er noch nicht vor den Kanonen ge-
weſen?
Ich: O ja, ſchon mehr als einmal.
Adj: Hat Er da ſich wohl gefuͤrchtet und ge-
aͤngſtet?
[503]
Ich: Herr Adjutant, wenn mir ein Andrer
dieſe Frage vorlegte, ich weiß nicht, ich —
Adj: Ich ſchmiß ihm hinter die Ohren, nicht
wahr? — Das iſt recht geſprochen, mein Lieber:
ſo hoͤr' ichs gern. Nun ſieht Er, wenn Er ohne
Furcht vor die Kanonen ging, wo Er doch nicht
viel thun konnte, warum wollte Er jezt eine Gele-
genheit vorbey laſſen, wo weniger Gefahr iſt, und
wo Er Viel thun kann?
Dieſer Grund beſtimmte mich beynahe: ich ſagte
dem Adjutanten, daß ich fuͤr den Kronprinzen alles
zu wagen und alles zu thun bereit waͤre. Er moͤgte
alſo Seiner Hoheit meinen Entſchluß melden, und
Sie verſichern, daß ich nur ihren Befehl erwartete.
Es war mir, wie es ſich verſteht, verboten
worden, dieſe kuͤtzliche Sache irgend jemanden be-
kannt zu machen; aber dieß foderte ſchon meine
eigne Sicherheit. Ich hatte nicht einmal das Herz,
ſie meinem Hauptmann anzuvertrauen: dieſer fragte
auch ganz und gar nicht, was die großen Herren
mit mir geſprochen haͤtten.
Es war bey der Kompagnie ein Franzoſe, Na-
mens Gautier, ein eingemachter Windbeutel, der
beynahe kein Wort deutſch wußte. Aber en révanche
friſirte und raſirte er, wie ein Meiſter, und war
immer guter Dinge. Seines jovialiſchen Weſens
und ſeiner Schnurren wegen war er bey jederman,
[504] ſogar bey den vornehmſten Offizieren, wohl gelit-
ten, welche ihn ſo zu ſagen zum Haͤnschen brau-
chen wollten, die er aber ſelbſt nicht ſelten tuͤchtig
haͤnſelte.
Dieſer Gautier hatte bey den ehemaligen Na-
tionalgarden in Frankreich gedient, kannte die Ge-
nerale Lafayette, Duͤmouriez, Anſelme und andre,
hatte die Preußen aus Champagne verfolgen helfen,
und war im Fruͤhling des Jahres 1793 bey Trier
deſertirt. Weil er nun ſehr viel zu erzaͤhlen wußte,
ſo machte ich mir gern mit ihm zu ſchaffen. Sonſt
war er auch ein ehrlicher Kerl, mit welchem ſichs
gut umgehen ließ.
Den Abend, als der Adjutant des Kronprinzen
bey mir geweſen war, ſaß ich in der Marketeuder-
Huͤtte, und dachte uͤber mein Schickſal ernſthaft
nach. Gautier naͤherte ſich mir traulich, und
fragte mich, warum ich ſo trauig ausſaͤhe? Ich
ſagte ihm, der Kopf thaͤte mir wehe: er war aber
mit meiner Entſchuldigung nicht zufrieden, und
ſagte mir gerade heraus, daß er glaube, die Un-
zufriedenheit mit meiner Lage verurſache nur Nach-
denken. Nun, ſagte ich, wenn auch das waͤre!
Er: Je nun, ſo mußt du deine Lage aͤndern.
Ich: Ja, aber wie?
Er: Hoͤre, Bruder, ich kenne dich, du wirſt
mich nicht verrathen.
[505]
Ich: Nein, bey Gott, das thue ich nicht.
Er: Nun, ſo hoͤre! Schon lange waͤre ich gern
wieder bey den Franzoſen geweſen —
Ich: Du? Du biſt ja von ihnen deſertirt;
und wenn ſie dich jezt haſchen, ſo ſchießen ſie dich
todt!
Er: Wenn ich vorgebe, die Preußen haͤtten
mich aufgefangen, und mit Gewalt unter ihre
Leute geſteckt: ſo bin ich frey. Und da du immer
gut von den Patrioten geſprochen haſt: wie waͤr's,
wenn wir beyde nach Landau gingen?
Ich: Bruder, Bruder, was mutheſt du mir
da zu! Bedenke, wenn ſo was heraus kaͤme!
Nein, nimmermehr! Laß uns abbrechen; kein
Wort hievon weiter!
Er: Du verraͤthſt mich doch nicht?
Ich: Sey unbeſorgt: ich werde alles verſchwei-
gen. —
Die ganze Sache war mir indeß bedenklich, und
wenn ich ſo haͤtte handeln wollen, wie es die Klugheit
hier fuͤr meine kuͤnftige Sicherheit foderte, ſo haͤtte
ich den Gautier angeben muͤſſen: denn es war nichts
ſicherer zu vermuthen, als daß er, ſobald er meine
Deſertion vernahm, auch fortlaufen wuͤrde: und
was hatte ich da zu befuͤrchten! Aber ich wollte
ſein Zutrauen nicht misbrauchen, und ſchwieg.
Er hat hernach doch fortlaufen wollen, iſt aber un-
[506] gluͤcklicher Weiſe erhaſcht worden. Erſt bey der
Retirade ging er zuruͤck nach Frankreich; aber nach
welcher Gegend — weiß ich nicht.
Ein und vierzigſtes Kapitel.
Meine Inſtruction vom Kronprinzen.
Am 25ten September wurde ich aufs Piket nach
Nußdorf geſchickt. Hier hatten die Leute gerade
Herbſt oder Weinleſe, welche ſie, nach Obigem,
nothwendiger Weiſe ſchon ſo fruͤhe anfangen muß-
ten, weil ſonſt die deutſchen Soldaten auch keine
Beere in den Weinbergen gelaſſen haͤtten. Unſre
Leute gingen ſchaarenweiſe hinein, und holten ganze
Brodſaͤcke voll Trauben, welches ihnen um ſo we-
niger verboten war, da man die Trauben als ein
Praͤſervativ gegen die Ruhr anſah.
Ich war kaum in Nußdorf, ſo kam ſchon ein
Bote aus dem Lager mit dem Befehl, daß ich ſo-
gleich zuruͤckkommen ſollte. Ich lief nach meiner
Kompagnie, und fand da jemand, der mich nach
dem Zelte des Kronprinzen begleitete. Der Kron-
prinz empfing mich, nach ſeiner edlen Gewohnheit,
freundlich, druͤckte mir die Hand, und fragte mich:
ob ich dem Vorſchlag nachgedacht haͤtte? Ich be-
jahete dieſes, und verſicherte Seine Hoheit, daß
[507] ich alles fuͤr die Ehre und den Vortheil der preußi-
ſchen Waffen thun wuͤrde. Ich habe ſchon viel
Gutes durch meinen Vetter (den Prinzen Louis,
Sohn des Prinzen Ferdinand von Preußen)
von Ihm gehoͤrt, lieber Laukhard, und hatte mir
vorgenommen, fuͤr ſeine Loslaſſung von den Sol-
daten zu ſorgen. Nun zeigt ſich aber eine Gelegen-
heit, wobey Er dem Staate noch nuͤtzlich ſeyn kann,
und bey dieſer denke ich auch Sein Gluͤck zu ma-
chen. Er iſt frey: von dieſem Augenblick an iſt
Er kein Soldat mehr. Jezt erklaͤre Er, ob Er
das noch thun will, wovon die Rede iſt?
Ich: Ja, Gnaͤdigſter Herr: ich werde mein
Moͤglichſtes thun, den Auftrag Ew. Koͤnigl. Ho-
heit puͤnktlich auszufuͤhren.
Kronprinz: Nun wohl, in Gottes Namen!
Er ſoll ſehen, daß ich nicht undankbar bin, und,
daß ich Wort halte. Morgen fruͤh um 7 Uhr komme
Er zu mir, dann ſoll Er Seine Inſtruktion haben.
Ich ging: der Adjutant folgte mir, und gab
mir einen Louisd'or; um mir mit meinen Kamera-
den, wie er ſagte, einen guten Tag zu machen.
Als ich ihm aber vorſtellte, daß es nothwendig
Aufſehen machen muͤßte, wenn ich heute luſtig
lebte, und die Nacht zum Feinde uͤberginge, ſo
gab er mir Recht, und ich ging mismuthig nach
der Kompagnie.
[508]
Wir hatten einen Burſchen, welcher gar nichts
verſchweigen konnte. Dieſen nahm ich mit zum
Marketender, war aber immer ſtill und unruhig.
Auf ſein Befragen, was mir denn waͤre, ant-
wortete ich: daß er mir ja doch nicht helfen koͤnnte.
Er: Wer weiß auch, Bruder!
Ich: Nein, du kannſt mir nicht helfen, aber
wenn du mich nicht verrathen willſt, ſo kann ich
dir wohl ſagen, was mir eigentlich iſt.
Er: Gott ſtrafe mich, Bruder, wenn ich ein
Wort ſage!
Ich: Sieh, du weißt, daß ich immer gut pa-
triotiſch war!
Er: Ja, mein Seel', du haſt oft geſchwazt,
wie ein Franzos.
Ich: Nun ſchau, das Ding hat der Kronprinz
erfahren, und laͤßt nun Unterſuchung anſtellen. Er
meynt gar, ich habe mit den Patrioten zu Neu-
ſtadt unter der Decke geſteckt.
Er: [...] deshalb ſind die Herren immer bey
dir geweſen!
Ich: Freilich! Glaub nur, das Ding geht mir
hoͤlliſch im Kopf herum. Aber daß du ja nichts
ausplauderſt!
Er: Der Teufel ſoll mich holen, Bruder!
Nein, was ich weiß, erfaͤhrt kein Menſch: da ſoll
mir lieber die Zunge erlahmen.
[509]
Ich hatte dem Menſchen den Unterricht von
meiner Lage blos in der Abſicht gegeben, daß er
das Ding unter den Soldaten verbreiten ſollte, und
hatte mich nicht betrogen: denn ehe eine Stunde
verging, wußte die ganze Kompagnie, daß ich der
Patrioterey wegen angeklagt ſey, und nun ſchwere
Strafe zu erwarten haͤtte. Einige behaupteten, ich
muͤßte Gaſſen laufen, andre aber, welche das Ding
beſſer wiſſen wollten, ſagten, daß ich gar koͤnnte
gehenkt werden, wenigſtens muͤßte ich zeitlebens in
die Karre. Ich hoͤrte die laͤppiſchen Urtheile, und
freute mich baß daruͤber. Denn nun fand das Vor-
geben von meiner Deſertion Glauben; und kam
dann ein wirklicher Deſerteur von uns nach mir
nach Landau, ſo war ich vor ihm auch da ſicher.
Mein Hauptmann wußte das alles, ſprach aber
mit mir nicht ein Wort davon.
Die Nacht brachte ich ſehr unruhig hin: fruͤh
ſchrieb ich noch einen Brief an Hn. Bispink,
worin ich ihm meldete, daß man etwas Wichtiges
mit mir vorhabe, woruͤber ich ihm, ſobald es ſich
thun ließe, naͤhern Aufſchluß geben wollte: nur
moͤgte er bis dahin meinetwegen ganz unbekuͤmmert
ſeyn. — Allein Hr. Bispink hatte ſchon einem
Regimentsbothen etwas fuͤr mich mitgegeben; und
nun hatte ihm mein Hauptmann zu ſeiner Beruhi-
gung einige Auskunft mitgetheilt. Auch vorher
[510] hatte ſchon ein Unteroffizier von unſrer Compagnie,
Namens Jakob, ihm geſchrieben: ich haͤtte ihm
aufgetragen, dem Hn. Bispink zu melden, daß ich die
Nacht vom 26—27ten Sept. von der Piketwache
nach Landau deſertiren wuͤrde, u. ſ. w. Dieſen
Kunſtgriff hatte der Unteroffizier zwar nur ergriffen,
um Hn. Bispinks Guͤte auf meine Rechnung zu
benutzen; aber gerade weil ein Unteroffizier ihm
dieß gemeldet hatte, deutete er meine Deſertion
ganz richtig, jedoch mit vielem Befremden. Nichts
hat mich nachher mehr geſchmerzt, als daß ich die-
ſen braven Mann meinetwegen ſo lange in Unge-
wißheit laſſen mußte.
Um 7 Uhr ging ich zum Prinzen von Hohen-
lohe, der mich erſt mit Malaga traktirte, und her-
nach zum Kronprinzen fuͤhrte. Hier erhielt ich
meine Inſtruction. Da es meinen Leſern gleich
viel gelten kann, worin die Natur dieſer Inſtruction
beſtanden habe, ſo werden ſie ſich begnuͤgen, wenn
ich ihnen ganz kurz melde, daß mein Auftrag da-
hin ging, die Feſtung Landau ohne militaͤriſche An-
griffe an die Preußen zu bringen, und zwar — durch
Geld. — Ob ich gleich viel Vertrauen auf den
Muth und die Ehrlichkeit der Republikaner hatte,
ſo wußte ich doch auch, daß Geld alles vermag,
und daß der Dichter recht ſagt:
[511]
Und da man eine ſehr große Summe beſtimmt
hatte, um zum Ziele zu gelangen, ſo verzweifelte
ich nicht ganz an dem guten, das heißt, gewuͤnſch-
ten Ausgang meines Auftrags.
Der Kronprinz ſprach weitlaͤufig, uͤber zwey
gute Stunden, waͤhrend ich mit ihm fruͤhſtuͤckte,
uͤber die Angelegenheiten, welche mich zunaͤchſt an-
gingen, und dann uͤber das Allgemeine. Alle ſeine
Urtheile waren richtig und beſtimmt, und man
merkte wohl, daß er ſich in den oͤffentlichen Ge-
ſchaͤften fleißig umgeſehen hatte. Beſonders hat
mich der herablaſſende, ſanftmuͤthige, von allem
Stolz entfernte Karakter dieſes Fuͤrſten entzuͤckt.
„Wir ſehen uns gewiß noch vor Weinachten wie-
der, ſagte er zu mir, und dann reiſet Er mit mir
nach Berlin, und geht dann nach Halle, wenn Er
will.“ Der treffliche Prinz konnte nicht voraus ſe-
hen, daß ich von damals an 18 Monate in der Ge-
walt der Franzoſen wuͤrde bleiben und unter ſtaͤter
Todesgefahr herumirren muͤſſen.
[512]
Nachdem ich uͤber den ganzen Inhalt meiner
geheimen Sendung unterrichtet war, empfahl ich
mich, und ging. Der Prinz von Hohenlohe be-
gleitete mich, und haͤndigte mir eine Hand voll
Gold ein, wovon ich in Landau leben ſollte. Ich
ging mit dem Prinzen nach ſeinem Zelte, wo er mir
ein Billet einhaͤndigte, welches ich an den Hn. Major
von Wedel, der damals unſer Bataillon kom-
mandirte, abgeben ſollte.
Dieſer rechtſchaffne Mann ſah mich ſehr mitlei-
dig an, als er das Billet geleſen hatte, und ſagte
woͤrtlich weiter nichts, als: wenns dann ſo ſeyn
muß, ſo mag es ſo ſeyn! Guter Laukhard, Er
geht dieſen Abend nach Nußdorff; es wird Ihn nie-
mand aufhalten: das uͤbrige werd' ich ſchon be-
ſtellen.
Den Tag uͤber hielt ich mich ſehr ruhig: gegen
Abend ging ich aus dem Lager mit Sack und Pack:
denn ich gab vor: ich muͤßte jemand auf dem Piket
abloͤſen. Man ließ mich ohne Umſtaͤnde paſſiren.
In Nußdorf fand ich meinen Hauptmann, den Hn.
von Mandelsloh, welcher durch den Hn. Ma-
jor von Wedel von allem unterrichtet war. Er
zog mich auf die Seite: ich weiß alles ſagte er,
alſo brauchen wir nicht viel Erklaͤrung. Jezt geh
Er nur nach der untern Wache, und bleib Er da,
bis ich komme.
[513]
Unſre Leute hatten eben einen Keller aufgewittert,
worin noch Wein war, und holten dieſen in großen
Haͤfen auf die Wache, wo er unmaͤßig geſoffen
wurde: ich aber hatte nicht das Herz, einen Tro-
pfen mitzutrinken, ging daher in ein Nebenhaus,
wo ich nur eine Moſ [...]brockel machen ließ. Von
meinen Sachen wollte ich nichts mitnehmen, als
meine Waͤſche und einen hebraͤiſchen Pſalter, welchen
mir Herr Bispink auf mein Bitten geſchickt hatte.
Ich habe dieſen Pſalter hernach auf meinen Turen
durch Frankreich immer mit herumgetragen, und
erſt bey meiner [Zuruͤckkunft] aus dieſem Lande einem
Freunde geſchenkt. Die hebraͤiſche Sprache hat
mir immer gefallen, nicht wegen des in derſelben
verfaßten alten Teſtaments, wo freilich manche
huͤbſche Urkunde, vermiſcht mit unzaͤhligen Fra-
tzen und Thorheiten vorkommt, ſondern wegen der
großen Simplicitaͤt derſelben.
Gegen 12 Uhr des Nachts kam Hr. von Man-
delsloh, mein Hauptmann und noch ein Major
von dem Regiment von Wolffmansdorff. „Lauk-
hard kann mit uns gehen, ſagte der Hauptmann:
er kann Ordonnanz machen: wir wollen ein wenig
die Poſten viſitiren.“ Ich legte meine Taſche ab,
nahm nichts als Torniſter und Seitengewehr, und
[begleitete die] Herren. Wir gingen gerade zum
Dritter Theil. Kk
[514] Dorf hinaus auf die Landauer Straße, und mei-
nem braven, mitleidigen Hauptmann war das Herz
ſo beklommen, daß er kaum reden konnte. Der
Major fuͤhrte alſo das Wort, und ſprach ſehr viel
uͤber die Schuldigkeit des Soldaten, ſein Le-
ben fuͤr ſeinen Herrn zu wagen. Ich fand dieſes
Geſpraͤch fuͤr mich damals eben nicht ſehr paſ-
ſend, und remonſtrirte ſo lange, bis der Major
mir zugab: daß der Soldat erſt dann ſein Leben
nach Recht und Pflicht wagen muͤſſe, wenn er
ſelbſt einſehe, daß ſein Herr fuͤr eine durchaus ge-
rechte Sache mit den Waffen auftrete. — Auch
wollte der Hr. Major nicht zugeben, daß ein Herr
eben darum gehalten ſey, ſeinen Soldaten die Ur-
ſachen anzugeben, warum er Krieg anfange, oder
warum er dieſem oder jenem Huͤlfsvoͤlker gebe.
Allein ich verſezte, daß der Soldat, der ohne zu
wiſſen, warum, in den Krieg ziehen muͤſſe, nie-
mals mit ſoviel Muth und Zutrauen fechte, als
der, welcher von der Gerechtigkeit und Nothwen-
digkeit des Krieges uͤberzeugt ſey.
Major: Ja gut; aber wer, beym Henker,
kann denn jedem Soldaten das vordemonſtriren?
Ich: Es iſt gar nicht noͤthig, daß man jeden
gemeinen Soldaten, oder auch nur jeden Offizier
von den Urſachen des Krieges uͤberzeuge: das muß
einigemal oͤffentlich geſchehen, und dann wird es
[515] ſich bis zum Tambour und zum Packknecht bald
und pfeilſchnell verbreiten.
Major: Aber wie ſoll denn die oͤffentliche An-
zeige geſchehen?
Ich: Einmal durch ein Manifeſt an die Armee,
worin die Gruͤnde, welche den Fuͤrſten zum Krieg
bewegen, enthalten waͤren. Dieſe muͤßten genau
und deutlich aus einandergeſezt und ſo dargeſtellt
werden, daß ſie allgemein einleuchteten, und dann
an ſich ſchon ſo beſchaffen ſeyn, daß ſie auch Eindruck
auf den Soldaten machen koͤnnten: Bey jeder Kom-
pagnie muͤßten eins oder zwey Exemplare vertheilt
werden, und dann lernten die Soldaten ſie, nach
ihrer bekannten Neugierde in ſolchen Dingen, gewiß
bald auswendig. Hernach hat man ja auch die
Herren Feldprediger, die doch mit ihren gewoͤhnli-
chen Predigten wenig Nutzen ſtiften. Dieſe Her-
ren muͤßte man anhalten, uͤber die Pflicht, ta-
pfer, beherzt und treu zu ſeyn, oͤfters Reden zu hal-
ten: die Beweggruͤnde dieſer Reden muͤßten nicht
hergenommen werden aus der Bibel, oder aus der
allgemeinen Pflicht, ſeinem Eyde treu zu ſeyn,
ſondern aus der Natur des jedesmaligen Krieges,
und aus den Urſachen, warum man gerade jezt
Krieg fuͤhren wolle. Freilich muͤßten die meiſten
Herren Feldprediger alsdann mehr ſtudiren, als
ſie jezt thun; auch muͤßten die Gruͤnde nicht nach
[516] der gewoͤhnlichen Herrſcher-Diplomatik riechen,
ſondern gerecht, und wahr ſeyn, ſo daß ein [...]-
cher Mann ſie ehrlich vortragen, und von ihrer mo-
tivirten Darſtellung das erwarten koͤnnte, was Viele
nach dem hergebrachten Herrſcherwahn entweder
von dem Nimbus ihrer Macht, oder von der Rhe-
torik des Korporalſtocks ſich verſprechen, aber ge-
woͤhnlich ſo finden, wie bisher. Auch der ge-
meinſte Mann iſt mehr als Maſchine, zumal jezt
unter der Gegenfeile der Franzoſen. Die Zeit wird
mich rechtfertigen.
Major: Er kann recht haben, Laukhard, —
aber die Kriegsplane duͤrfen doch niemals bekannt
gemacht werden.
Ich: Das verſteht ſich allein: die Urſachen,
warum man Krieg fuͤhrt und die Art, wie man
ihn fuͤhrt oder fuͤhren will, ſind ſehr verſchieden.
Jene muͤſſen jedem Soldaten genau bekannt ſeyn
d. h. jeder Soldat, der halbwege Nachdenken hat,
muß einſehen, daß er fuͤr die gerechte Sache ins
Feld zieht: aber die Plane — darf nur der Feld-
herr wiſſen. u. ſ. w.
Unter dieſem Geſpraͤche kamen wir eine gute
Strecke von Nußdorff ab. Es begegnete uns eine
Patrouille, welche uns berichtete, daß in der Tiefe
alles ruhig ſey. Nun, ſagte Hr. von Mandels-
loh, ſo begleiten wir unſern Laukhard noch eine
[517] Strecke. Die Franzoſen werden uns nicht gleich
haſchen. — Es war herrliches Wetter und licht-
heller Mondſchein. Wir gingen ſachte weiter.
Endlich ermahnte ich die Herren ſelbſt, zuruͤckzuge-
hen, indem man nicht wiſſen koͤnne, was hie oder
da aufſtoße, oder im Hinterhalte laure. Die Her-
ren ſahen die Nothwendigkeit, zuruͤckzukehren, ſelbſt
ein, gaben mir noch manch nuͤtzlichen Rath,
wuͤnſchten mir gute Verrichtung und damit Gott
empfohlen. Der lezte Handdruck meines biedern
Hauptmanns war herzig, aber noch herziger ſein
Antrag, hier noch mitumzukehren, wofern ich in
meinem Entſchluſſe nur das mindeſte wankte, oder
ihn bereute. Allein meine Antwort war eben ſo
kurz als entſchloſſen dieſe: „Ein ehrlicher Mann
haͤlt Wort, und wenns ſein Leben koſten ſollte!“
Zwei und vierzigſtes Kapitel.
Mein Uebergang zu den Franzoſen.
Kaum war ich dreißig Schritte vorwaͤrts gegan-
gen, als eine franzoͤſiſche Patrouille von drey Dra-
gonern auf mich zukam, und mir ihr qui vive?
(wer da?) zurief. Ich gab mich ſofort fuͤr einen
preußiſchen Deſerteur an. Sois le bien venu! rief
[518] ein Dragoner: komm naͤher! Aber Kerl, Du ſprichſt
franzoͤſiſch: biſt wohl gar ein Franzoſe?
Ich: Warum nicht gar: ich bin ein Deutſcher!
Drag: Aber ſacré mâtin,*) Du ſprichſt ja fran-
zoͤſiſch: wo haſt Du das gelernt?
Ich: Meint Ihr denn, daß die Deutſchen
nicht auch franzoͤſiſch koͤnnen?
Drag: Vi[v]e la Nation! Kamerad, Du mußt
Du ſagen! fouttre! Du biſt bey Republikanern;
die ſagen alle Du. Alſo Du biſt kein Franzos?
Ich: Nein! ich hab's ja ſchon geſagt.
Drag: Gut! Du biſt ein braver Junge, daß
Du deinen Tyrannen verlaſſen haſt. (d'Avoir
foutu le camp à ton tyran) Aber wo ſind denn
Deine Kameraden?
Ich: Was fuͤr Kameraden?
Drag: Sacré mâtin, ich habe doch welche
ſprechen hoͤren!
Ich: Ich habe ſo fuͤr mich getrallert.
Drag: Nein: es waren mehrere Stimmen.
Ich muß wohl nachſuchen.
[519]
Zwey Dragoner ſprengten wirklich fort, und
ſuchten, ob noch jemand in der Naͤhe waͤre. Man
ſtelle ſich meine Angſt vor: denn es war ja leicht,
ſehr leicht moͤglich, daß mein Hauptmann und der
Major erhaſcht, und eingebracht wurden, und dann
— war Laukhard geliefert. Ein Dragoner blieb in-
zwiſchen bey mir, und ſprach ſehr freundlich. End-
lich nach langem Hin- und Herſuchen kamen die bey-
den andern zuruͤck, und verſicherten, daß doch
nichts da waͤre: es muͤßte vielleicht eine feindliche
Patrouille geweſen ſeyn. Nach meiner Zuruͤckkunft
nach Halle erfuhr ich von dem Hn. Hauptm. von
Mandelsloh, daß ihnen die Dragoner wirklich
auf den Hals gekommen waͤren, daß ſie ſich aber
in die Weinberge verſteckt haͤtten, um nicht ent-
deckt zu werden. Sie waren beyde unbewaffnet,
hatten nichts als ihre Degen, und waͤren da ohne
Umſtaͤnde gezwungen geweſen, ſich nach Landau
fuͤhren zu laſſen. Gut nur, daß dieſes nicht ge-
ſchehen iſt!
Meine Dragoner fuͤhrten mich auf die kleine
Schanze vor dem deutſchen Thore, wo ein Haupt-
mann und ein Leutnant das Kommando hatten,
und wo 50 Mann zur Wache waren. Der Haupt-
mann war froh, daß ich mit ihm reden konnte —
er war vom zweyten Bataillon La Correze — und
unterhielt ſich mit mir die ganze Nacht. Der Leut-
[520] nant ſaß da, und las in der franzoͤſiſchen Ueber-
ſetzung des Fraͤuleins von Sternheim. Die Sol-
daten legten mir hundert Fragen vor, welche ich
beantworten mußte, die ich aber ſo beantwortete,
wie es mir zutraͤglich ſchien. Ich bediente mich hier
der Ausdruͤcke, Monſieur, Meſſieurs, avoir la grace,
la bonté, de ermettre u. dgl. aber der Hauptmann
bath mich, alle Freyheitstoͤdtende Ausdruͤcke (termes
[...]erticides) nicht mehr zu gebrauchen. „Du biſt
jezt, ſagte er, im Lande der Freyheit, mußt alſo
auch reden, wie ein freyer Mann.“
Ich: Das iſt wohl wahr: aber Dir z. B. bin
ich doch Reſpekt ſchuldig.
Er: Gerade ſo viel als ich Dir. Bin ich Dein
Herr? Oder hab' ich Dir zu befehlen?
Ich: Du biſt aber doch Hauptmann!
Er: Und Du biſt Menſch, und das iſt hinlaͤng-
lich, um frey zu ſeyn, und von Niemanden abzu-
haͤngen. Aber ich merke lieber Freund, Du haſt
noch keinen Begriff von der Freyheit. Wenn Dir's
nicht zuwider iſt, ſo will ich Dir hieruͤber einige
Auskunft geben. Sag mir einmal, darfſt Du ſteh-
len?
Ich: Bewahre! Stehlen darf Niemand.
Er: Warum nicht?
Ich: Weils nicht recht iſt.
Er: Gut: woher weißt Du, daß es nicht recht iſt?
[521]
Ich: Weil es der Vernunft und dem natuͤrli-
chen Geſetz zuwider iſt.
Er: Das iſt nicht richtig geſprochen: Es muß
heißen: weil es dem geſchriebnen Geſetz zuwider iſt.
Verſtehſt Du mich?
Ich: O ja, aber das Naturgeſetz muß doch
die Grundlage aller geſchriebnen Geſetze ſeyn.
Er: Das gehoͤrt alleweile nicht hieher, ſo wahr
es ſonſt iſt. Das Naturrecht bildet keine Geſell-
ſchaft: wo aber Geſellſchaft iſt, da giebt es poſi-
tive Geſetze, und es muß ſie geben: und was dieſe
befehlen, das iſt recht und erlaubt und was ſie ver-
bieten, iſt unrecht, und nicht erlaubt. Jezt will
ich Dir auch ſagen, was Freyheit iſt. Freyheit
heißt das Vermoͤgen, blos nach ſolchen Geſetzen zu
leben, welche vernuͤnftig und dem gemeinen We-
ſen nuͤtzlich ſind. Sklaverey hingegen heißt von
Geſetzen abhaͤngen, welche abſurd, unbillig, un-
gerecht u. ſ. w. ſind. Haſt Du mich verſtanden?
Ich: O ja, ich bitte, nur fortzufahren.
Er: Du ſiehſt alſo, daß Freyheit keine Geſetz-
loſigkeit iſt, und nichts weniger mit ſich bringt,
als das Vermoͤgen, willkuͤhrlich zu handeln, oder
ſeinen beſondern Willen dem allgemeinen Willen
vorzuziehen: jeder muß ſich dem allgemeinen Wil-
len unterwerfen.
[522]
Ich: Was verſtehſt Du unter allgemeinem
Willen?
Er: Darunter verſtehe ich den Willen der Na-
tion, auf dieſe oder jene Art als Nation zu exiſti-
ren. Die Modifikation dieſer Exiſtenz macht den
Grund aller Geſetze aus: ſie iſt die Grundlage der
oͤffentlichen Ruhe, und darf folglich von keinem
einzelnen Mitgliede uͤbertreten, veraͤndert, oder
verdreht werden. Nun glaube ich, haſt Du eini-
gen Begriff von der Freyheit, welche die Franzo-
ſen einfuͤhren wollen.
Ich: Aber ſeyd Ihr denn jezt frey?
Er: Wie man es nehmen will. Unſre geſetz-
gebende Macht hat die Nothwendigkeit eingeſehen,
Geſetze und Verordnungen zu machen, welche mit
der vernuͤnftigen Freyheit der Buͤrger nicht beſtehen
koͤnnen. Dergleichen Verordnungen haben wir viele.
Ich: Alſo ſeyd Ihr ja nicht frey!
Er: Hoͤre, Freund, wenn Du das Fieber haſt,
und wirklich Koͤnig biſt: biſt Du da frey? Antwort:
nein! Frankreich hat jezt das Fieber: Frankreich
liegt im ſchrecklichſten Paroxismus, deſſen Kriſis
ſich fuͤrchterlich aͤußert: und nun uͤberlege, ob da
die friedliche Lage der Freyheit in vollem Maaße,
ſo wie wir ſie wuͤnſchen, und mit der Zeit haben
werden, jezt ſchon Statt haben koͤnne?
Ich: Da Ihr aber dieſe ſchreckliche Kriſen, die-
ſen Paroxismus zum voraus ſehen konntet, warum
finget Ihr Eure Revolution an?
Er: Dieſer Paroxismus iſt nicht ganz Folge
der Revolution. Warum kamen Eure Fuͤrſten, uns
[523] zu ſtoͤhren, und dadurch unſern Zuſtand zu ver-
ſchlimmern und zu verlaͤngern? Warum mußten
unſre Großen, unſer Capet, unſre Adlichen, unſre
Pfaffen Rebellion und Blutvergießen ſtiften, unter
der Hand unterhalten und dadurch die Revolutions-
geſetze, die tribunaux révol[u]tionnaires, die Gillo-
tine, die Fuͤſeliaden und andre ſcheusliche Auftritte
nothwendig machen? Die Revolution an ſich war
an dem großen Ungluͤck, das unſer Land betroffen
hat, und das wahrſcheinlich noch einen großen
Theil von Europa niederdruͤcken wird, nicht allein
Schuld.
Ich: Du bekennſt alſo doch, daß die Revolu-
tion gelegentlich großes Ungluͤck uͤber Frankreich
gebracht hat: alſo iſt ſie gegen Eure Erwartung
anders ausgefallen, als ſie ſollte.
Er: Ganz und gar nicht. Man hat, wenig-
ſtens haben geſcheide Koͤpfe dieſe Folgen groͤßten-
theils voraus geſehn. Aber es mußte einmal bre-
chen. Wir ſind nicht allein fuͤr uns da; wir muͤſ-
ſen auch auf unſre Nachkommen bedacht ſeyn. Ein
Volk iſt anzuſehen, wie Ein Koͤrper, der viele
Jahrhunderte lebt. Wenn daher an dieſem Koͤrper
brandartige Glieder ſind, ſo muß man dieſe weg-
ſchaffen, geſezt auch, es muͤſſe friſches Fleiſch mit
abgeſchnitten werden.
Ich: Ich verſtehe Dich: Du meynſt den Adel —
Er: Nicht den Adel allein; ich meyne alle die,
welche an der unrechtmaͤßigen Obergewalt unſrer
Tyrannen Theil hatten, und ihre Buͤbereyen unter
dem Schutz der willkuͤhrlichen Einrichtung eines
[524] Einzigen veruͤbten. Und dieſe waren vorzuͤglich die
Pfaffen, die Edelleute, die Paͤchter, die Mono-
poliſten und anderes unzaͤhliges Geſindel, welches
nun zerſtoͤhrt und zertruͤmmert iſt.
Ich: Und Ihr fuͤrchtet Euch nicht, daß alles
dieſes wieder hergeſtellt werden koͤnne? Ihr be-
denkt nicht, daß Ihr alsdann noch weit mehr ge-
druͤckt ſeyn werdet, als Ihr es jemals unter Euren
Ludwigen waret?
Er: Eben weil wir dieſes denken, bieten wir
alles auf, um jenem vorzubeugen, feſt entſchloſſen,
entweder Alles zu verlieren oder Alles zu gewinnen:
ein Mittelweg iſt fuͤr uns ſchon unmoͤglich gewor-
den, und dieß vorzuͤglich durch das Verſehen Eurer
Fuͤrſten. Dieß ſieht der groͤßere und edlere Theil
unſerer Nation lange ein; und darum bemuͤhen ſich
Eure Fuͤrſten zu ihrem eignen Ruin ſehr thoͤrigt,
uns wieder zu irgend einer Art von willkuͤhrlicher
Tyranney zuruͤckzubringen.
Ich: Man iſt aber im Kriege niemals wegen
des Erfolges ſicher: es koͤnnte doch geſchehen, daß
die vereinigte Macht ſo vieler Fuͤrſten endlich eine
allgemeine Veraͤnderung in Eurem jetzigen Syſteme
hervorbraͤchten. Denn erſtlich —
Bisher hatten alle Soldaten geſchwiegen, und
aufmerkſam zugehoͤrt; aber bey meiner lezten Aeuße-
rung fingen alle an zu murren, und ein ganz junger
Volontaͤr ſagte mir in recht barſchem Ton: „Du
ſollſt ſehen, Citoyon, daß alle Koͤnige und alle
Pfaffen und alle Edelleute nicht im Stande ſeyn
werden, uns zu beſiegen. Frey wollen wir blei-
[525] ben, oder ſterben.“ Ja das wollen wir, riefen alle.
— Wer uns beſiegen will, fuhr der Volontaͤr fort,
muß unſer ganzes Volk ausrotten, aber das ſoll
und kann weder der Teufel, noch der Papſt, noch
ſonſt ein Tyrann! Ich fand nicht fuͤr gut, den
Volontaͤrs die Moͤglichkeit einer gaͤnzlichen Nieder-
lage von ihrer Seite weiter zu zeigen, und ver-
ſicherte ſie, daß ich ſelbſt nichts ſehnlicher wuͤnſchte,
als daß das angefangne gute Werk Beſtand haben
und alle ſeligen Fruͤchte bringen moͤgte, welche
Frankreich davon erwartete. Ich nehme Dir's nicht
uͤbel, verſezte der Volontaͤr, daß Du ſo ſprichſt,
wie Du geſprochen haſt: Du kommſt von den Tyran-
nen her, und wie kann man in der Sklaverey ler-
nen, vernuͤnftig und frey zu denken!
Der Hauptmann fragte mich, ob ich Hunger
haͤtte. Ich verneinte es. Nun trinken wirſt Du
doch eins, nicht wahr? Kameraden, fuhr er fort,
indem er ſich zu den Soldaten wendete, geh doch
einer, wer will, hin und hole eine Feldflaſche voll
Wein!
Ich habe noch eine hier, ſchrie ein Volontaͤr:
die ſteht Dir zu Willen. *) Er brachte ſie, und
wir fingen an zu trinken.
Ich mußte mich beſonders uͤber das anſtaͤndige
Betragen dieſer Leute wundern. Es herrſchte un-
ter ihnen die trefflichſte Ordnung, und die ſtrengſte
Diſciplin. Ganz anders hatte man uns die fran-
[526] zoͤſiſche Zucht vorgeſchildert: da waren es Leute,
welche von gar keiner Subordination wuͤßten; die
thaͤten, was ſie wollten, die auf den Befehl ihres
Offiziers nicht hoͤrten und was des albernen Vor-
gebens mehr war. Allein hier ſahe ich zum erſten-
mal, gegen meine Erwartung, wie es wenigſtens
im Dienſte ſo ordentlich bey den Franzoſen zuging,
als es bey den Preußen je zugehen kann. Ich
werde in der Folge von der Subordination und dem
patriotiſchen Dienſteifer der Franzoſen noch mehr
reden, und einige ſpecielle, ſehr intereſſante, That-
ſachen davon anbringen. Hier bemerke ich nur noch
ſo viel, daß im Dienſt alle Subordination im aller-
ſtrengſten Verſtande ausgeuͤbt wird, und daß doch
dabey der Offizier nicht im geringſten den Tyran-
nen machen kann. Ich weiß es noch gar gut, daß
man bey den Preußen einen gewaltigen Unterſchied
zwiſchen guten und boͤſen Offizieren macht;
aber in Frankreich iſt dieſer Unterſchied nicht ein-
mal denkbar. Hier findet gar keine Willkuͤhr ſtatt:
uͤberall herrſcht und entſcheidet das Geſetz. Das
Geſetz kennen alle: alle finden es gut und nothwen-
wendig; und ſo beeifert ſich jeder, dem Geſetz zu
gehorchen. Aber unter dem Geſetz ſteht der Offi-
zier ſo gut, als der Volontaͤr: was das Geſetz
vorſchreibt erkennen beyde fuͤr Recht und Pflicht;
und uͤber dieß hinaus vermag die Willkuͤhr nichts.
Was kuͤmmert's alſo den Soldaten in Frankreich,
ob ſein kommandirender Offizier ein Iſegrimm oder
ein Engel iſt! Der Soldat muß ſeine Pflicht thun:
davon kann ihn der Offizier nicht freyſprechen; und
[527] als Patriot im aͤchten Wortverſtand thut er ſie gern.
Erlaubte Dinge duͤrfen ihm uͤbrigens nicht verbo-
ten, und unerlaubte nicht geſtattet werden: und
damit iſt's alle.
Die Strenge der preußiſchen Diſciplin, vor-
zuͤglich in Weſel, muß den Franzoſen uͤberhaupt
ſcheuslich genug beſchrieben ſeyn: denn hier fragten
ſie mich fleißig, wie viel Hiebe der preußiſche Sol-
dat taͤglich bekomme? Ob denn ihr Kommißbrod in
der That uͤber allen Glauben ſchlecht ſey? u. ſ. w.
— Ich mußte die ganze Nacht herhalten und plau-
dern; aber ich that das gern, indem ſchon hier mir
manches Vorurtheil verſchwand, welches ich in
Abſicht der Franzoſen noch hatte.
Fruͤh ſagte mir der Hauptmann ſeinen Namen,
bath mich, ihn zu beſuchen, wenn er abgeloͤßt ſeyn
wuͤrde, und darauf ließ er mich durch einen Vo-
lontaͤr, aber ohne Gewehr, zum General Laubadere,
dem Volksrepraͤſentanten Dentzel und dem Kriegs-
kommiſſarius, deſſen Namen ich vergeſſen bin, ab-
fuͤhren. Wie ich dieſe Leute gefunden, wie meine
Miſſion abgelaufen, in welche Gefahren und Ge-
genden ſie mich getrieben, kurz, wie es mir 18
Monate hindurch in Frankreich ergangen; was ich
da gehoͤrt und geſehen; wie die Nation ſich ver-
aͤndert und von neuem organiſirt habe im Buͤrger-
lichen, Militaͤriſchen, Wiſſenſchaftlichen, Oeko-
nomiſchen, Merkantiliſchen und Moraliſchen; —
wie und wodurch ich aus Frankreich befreyet, was
fuͤr Schickſale mich auf meiner Reiſe nach Deutſch-
land, und bey den Schwaͤbiſchen Kraistruppen be-
[528] troffen; wie ich auch von dieſen losgekommen und
endlich wieder nach Halle zu meinem ehrlichen, b [...]e-
dern Bispink gewandert bin; was ich da jezt
treibe — das alles iſt ſchon beſchrieben, und er-
ſcheint naͤchſtens im folgenden Bande.
Ende des dritten Theils.
Appendix A Verbeſſerungen der Druckfehler.
Seite 10 Zeile 11: ausarteten.
— 21 — 18: zu rufen.
— 24 — 3: haͤtten.
— 30 — 1: Dunkel.
— 32 — 2: der ſchrecklichſten
— 52 — 14: à deux.
— 58 — 9: uberſehen, ſie, die ſich.
— = — 11: Nur.
— 59 — 4: G [...]ani kannte dieſen.
— 96 — 20: Lig [...]urmeiſter.
— 186 — 16: welche Preußen.
— 192 — 25: Laͤ [...]tige zu
— 195 — 2: all des Elend.
— 197 — 14: allen.
— 221 — 15: und die iſt.
— 223 — 12: ihres Gleichen haben.
— = — 14: die Gefahren habe.
— 227 — 5: encore ſoir pour tous les Jours.
— 230 — 15: armen Leute.
— 231 — 17: ganz abg[e]ſchlagen haben.
— 266 — 14: in einer kleinen.
— 280 — 20: gezuͤchtigt worden waren.
— 300 — 13: dergleichen gern.
— = — 15: wenn es dieſelbe auch gleich
— 319 — 13: Buͤrge [...]n.
— 321 — 2: Baccaracum.
— 323 — 15: Maper.
— 335 — 6: Dieſer.
— 336 — 3: Er iſt.
— 383 — 21: beſche [...]iret.
— 388 — 11: kommentirte.
zoͤſiſchen Freyheitskriegs, S. 25.
Verehligte; aber nicht, als ob es dem republikaniſchen Sol-
daten verboten ſey, zu heurathen, ſondern weil man nur Le-
dige, als andere, ausgehoben, und die Verheuratheten zu
Hauſe gelaſſen hat.
ſchen Revolution, iſt (Stuck 3. Seite 572) ein artiger
bibliſch-politiſch-ekkleſiaſtiſch-oͤkonomiſcher Beweis zu finden:
daß die Toͤchter der Freude, oder nach bibliſchem Ausdruck [...]
die Huren, außer dem edlen Soldatenſtande, den verdienſtlichſten
Stand ausmachen.
in ſeiner abgeſchmackten Sudeley von Wanderungen, ſo viel
Aufhebens macht von der Anhaͤnglichkeit der Heſſen an ihrem
Landgrafen, und von der Billigung, womit ſie alles guthei-
ßen ſollen, was er unternehme, u. ſ. w. um ſich vom Gegen-
theile zu uberzeugen, darf man nur das erſte beſte Wirths-
haus in Heſſenland beſuchen. Satyren oder Ironien von Goͤch-
hauſens Art — wen treffen die am ſchimpflichſten? Ein edler
Mann verabſcheuet die Hohl- und Krummwege des [...]-
[...]en. —
fuhr, in Metz und auch in Strasburg geſchehen: im in-
nern Frankreich hat man daruͤber gelacht.
als dieſe Unterredung vorfiel, in den Haͤnden der Franzoſen war,
folglich den preußiſchen Ton nicht fuͤhren durfte.
ſie nie: ſagt Sekretaͤr Wurm in Kabale und Liebe von Schiller.
Warum große Herren auf einige Wahrheiten der Natur nicht
mehr Ruͤckſicht nehmen moͤgen! Uebertriebne Kunſt faͤllt doch
durch und wird veraͤchtlich, oder empoͤrt.
des St. Calvins nachzukommen, ſuchte vorzeiten darzuthun
es iſt wirklich an dem, wie Geſchichtkundige wiſſen, daß man
ſeit dem unſeligen Widerrufe des Nanteſer Edikts eine Epoche
in der Geſchichte der Sitten mancher deutſcher Provinzen machen
kann. Frivolitat, Luxus und Ausſchweifungen aller Art kamen
mit vielen von den damals ausgewanderten Franzoſen nach
Deutſchland: und da, wohin ihr Fuß nicht gekommen iſt,
ſind die Sitten noch weit deutſcher, einfacher, biederer und
liebenswuͤrdiger, als dort wo die Re [...]igi [...]s ihre franzoͤſiſchen
Kuͤnſte, Gewandheit, Moden, Grillen und Poſſen mithinbrach-
ten. Oeſtreich, Bayern, Schwaben, Weſtphalen und andere
Laͤnder ſind freylich durch die fremden Sittenlehrer nicht viel
feiner geworden, aber in Bayern z. B. iſt vielleicht auf einem
Dorfe mehr achter Biederſinn und altdeutſche Tugend, als in
mancher andern vor Feinheit ſtrozenden Provinz: es iſt naͤm-
lich nicht alles Gold, was glaͤnzt. —
ruͤhmten Baylr zugeſchrieben hat.
Adel. Jetzt hat dieſer Popanz ein Ende.
fig erfahren. Wozu alſo Religionszwang! —
eingetroffen
IV. troz ſeiner Pan [...]airiſten, waren ſchwache Koͤpfe. Man
leſe Eloge hiſtorique de l'Abbé Mably.
dernier — Paris in 12. (3 Theile) rede ich weiter unten.
eines ſchluͤpfrigen Franzoſen witzig klingt.
che ſo viel als liederlich, veraͤchtlich u. ſ. w. Von dieſer merk-
wuͤrdigen Veraͤnderung der Wortbedeutungen in Frankreich
rede ich an einem andern Orte weitlaͤufiger.
in der Anrede an [...] Maͤdchen Mode. Jedes Frauenzim-
mer, das nur ein wenig mehr war, als eine Kammerjungfer,
hieß Madame – verſteht ſich bey d [...] Em [...]n. In
Frankreich iſt Mademoiſelle ohnehin jezt Ko [...]bande: denn
alles heißt jezt dort Bu [...]ger oder Bu [...]gerin.
veneriſch.
Herren um ſo mehr, da er, aller Orten angeſchlagen, all-
gemein zu leſen war. Dieß brachte einige von ihnen ſo ſehr
in Harniſch, daß ſie geradesweges auf das Rathhaus liefen,
und daſelbſt ſo viel Aufhebens daruͤber machten, daß man —
aus Furcht vor ihnen — den Befehl endlich abriß. Ohne
die ernſtliche Dazwiſchenkunft des Herzogs haͤtten ſie alſo ihr
unweſen in Koblenz gewiß noch weiter getrieben.
210 u. 239 wie auch Beſchreibung der Univerſitaͤt zu Schildau
zum Troze herausgegeben von M. Franz Caſpar Cr [...]pus,
Hiſtoriarum profeſſor et lib [...]orum Cenſor zu Schilda,
worin von Herrn von Schirach und Aloyſius Hofmann, als
ehemaligen Stockmeiſtern zu Schilda, viel Nachricht vor-
koͤmmt. — Der Neuwieder Zeitungsſchreiber, nebſt dem
dortigen Poſtmeiſter, [...] den im [...]rtinenten Einfall gehabt
haben, an den Praͤſidenten des National-Convents eine
Schachtel mit einem Strick nach Paris zu ſchicken, und ihn
aufzufodern, ſich daran zu hangen, bevor die — damals —
anruͤckenden Oeſtreicher und Preußen Paris unterjochten. —
Daß dieſer Einfall einem Henkersgeſellen allerdings aͤhnlich
ſieht, ſieht man gleich ein, aber auch, daß er ſehr erbittern
mußte, und daß es folglich weit deutſch-patriotiſcher, oder
uͤberhaupt kluͤger geweſen waͤre, ihn nicht auszufuͤhren. Wer
weiß, ob dieſer Einfall nicht noch vorigen Herbſt auf das
harte Schickſal der Neuwieder einigen Einfluß gehabt hat.
Bubenſtreiche von der Art ſollten zur Zeit d [...] Krieges durch-
aus nicht geſtattet werden.
habe, wo er 1794 guillotinirt wurde, erzaͤhle ich in der Folge.
tzen als Gold, oder welche als Stube [...], Speiſewirthe,
Weinſchenker, Geldwechsler, Wucherer, Kaufleute, Balbierer,
Haarkraͤuſeler, Putzmacherinnen, Schuſter, Schneider, Kuppler,
Luſtdirnen u. d. gl. von den Emigrirten nichts zu erwarten
hatten. Bey welchen das Gegentheil von dieſem eintraf, die
urtheilten und betrugen ſich anders, und zwar nach dem
Grundſatz von Virus poſt numos. Wir haben es erfah-
ren. Doch die franzoͤſiſche Nation denkt jezt wohl weniger
an Koblenz noch, als an Pilnitz und Wien, oder an ein voll-
guͤltiges, klingendes Suͤhnopfer von daher. —
allgem. Staatsrecht S. 103.
Aufenthalt in Frankreich komme, eine noch derbere Sprache
nachſprechen: alſo wird man mir auch dieſen Ausdruck, den
ich aus dem Munde der Soldaten anfuͤhre, zu gute hal-
ten.
Sammlung erbaulicher Gedichte fuͤr alle die,
welchen es Ernſt iſt, das Wohl ihrer Unterthanen, Unter-
gebnen und Mitmenſchen nicht nach dem wankenden Tiger-
und Fuchs-Geſetze des Staͤrkern oder Liſtigern zu untergraben,
ſondern nach dem ewigfeſten und ewigheiligen Geſetze der
Gerechtigkeit und der Menſchenliebe vaterlich und bruͤderlich
zu foͤrdern, und dadurch Zutrauen, Ruhe und Menſchenwohl,
ſowohl von Seiten der Obern als der Unterthanen, in Friede
und Einigkeit gemeinſchaftlich zu begruͤnden und zu erhalten. –
Altona, 1796.
auf Vorſchrift der Regierung, den Bauren-Aufſtand mitge-
prediget. Er fand es daher, als die Neufranken die Pfalz
occupirten, nicht heilſam, in Oppenheim zu bleiben, und fluͤch-
tete uͤbereilt nach Hanau. Hier war ſeine Lage kuͤmmerlich,
alſo nicht die heiterſte; und in dieſer Lage ſchrieb er das vor-
hin erwaͤhnte Buch, nebſt jenen Briefen uͤber die Frankrei-
in den Revolutions-Charakteren geliefert hat. Ließt man —
damit ich das nebenher erinnere — hier die Vorrede, ſo ſieht
man, daß Girtanner recht gut wußte, wie ein hiſtoriſcher
Schriftſteller ſeiner Art zu verfahren habe: ließt man aber
ſeine Produkte in dieſem Fache ſelbſt, ſo ſieht man, daß der
Koburgiſche Herr Hofrath die Hofmanier nicht unter der Wuͤrde
eines — Schweizers fand.
fille, Tochter, Maͤdchen. Eine e [...]ge [...]tliche Jungfer nennen
ſie vierge, oder pucelle. Aber ſelten bedienen ſie ſich die-
ſes Ausdrucks. Die ſogenannte Mutter Gottes hieß ſonſt
la vierge, per eminentiam, und die Jéanne d'Are
hieß die Pucelle per eminentiam.
den Soldaten losgekommen, und hat Recht gehabt: man
hatte ihn auch durch Pfiffe dazu gebracht.
Aber nicht alles, was auf Ehre verſichert wird, iſt darum
wahr. Man denke an die hohen Verſicherungen der ausge-
wanderten franzoͤſiſchen Prinzen, Generale, Edelleute, Prie-
ſter u. dgl.! —
nicht; aber Peltier ſagt es in ſeinem Dernier tableau de
Paris. Man ſehe den II. B. des angefuͤhrten Magazins S. 85.
— Wenn keine ſich nirgends gebuͤckt haͤtten; woher dann
dieſe Nachricht?
und der Moſel — I. B. S. 13. Dieß Werkchen verdient vor
vielen aͤhnlichen den Vorzug.
gleich mit dem jetzigen der Alliirten gegen Frankreich. —
Dieß war ein Wort ganz fuͤr den Macht- und Schwach-
[...] unſerer Zeit! —
komplimentvollern Ausdrucken: da ſagt man: der gnaͤdigſte
Kurfuͤrſt, Ihre Durchlaucht der Landgraf, Ihre Erzbiſchoͤfliche
Gnaden u. ſ. w. Hingegen der Preuße ſagt ſchlechtweg: der
Alte und legt auf dieſe Benennung doch mehr, als der Sachſe,
der Heſſe und der Maynzer auf ſeine prunkvollen Titulaturen.
ſenſchaften zur Laſt gelegt hat, iſt bekannt: aber die Englaͤnde-
rin, M. Wollſtone[c]raft, ſah tiefer und [...]. Die
in mehr als einer Ruͤckſicht die Beachtung aller Maͤnner, wel-
chen Menſchempohl warm am Herzen liegt. Man findet ſie
in der Rettung der Rechte des Weibes, mit Be-
merkungen uͤber politiſche und moraliſche Gegenſtaͤnde, — Aus
dem Engl. mit Anmerkungen von Salzmann. Man ſehe nur
die erſten Kapitel des I. Bandes durch, um ſelbſt zu ſehen, ob ich
zuviel ſage.
lichkeit des Krieges, naͤher kennen zu lernen, leſe man den
II. B. des goldnen Romans: Tra[ſ]imor, S. 157 u. ff.:
dann den Aufſatz uͤber den Krieg im II. Th. der Briefe
uͤber die wichtigſten Gegenſtaͤnde der Menſchheit,
S. 147 ff. Wen hier nicht ſchaudert und dieß nicht antreibt,
mit ganzer Seele in meinen Wunſch einzuſtimmen, iſt mehr
als Unmenſch.
vollkommen, die Todesart unſrer Bruder auf dem Ruͤckzuge
aus Frankreich zu bezeichnen. Quid ſumus! —
reich, von Naue, B. II. S. 191.
und ſo halfen ſich die armen Leute auch hier durch Contrebandiren
im Anslande.
In der Gegend von Mans [...]ld erfaͤhrt eine Mutter mehrerer
Kinder, ihr Mann ſey im Lazarethe verſtorben. Nicht mehr
im Stande, ihre Kinder allein zu ernahren, klagt ſie ihre
Noth einem Gevatter und Betreundeten ihres Verſtorbenen.
Dieſer durch Mitleid geruͤhrt, und aus Freundſchaft gegen
den als todt Erſa ollnen, erbietet ſich, ſie zu heurathen, und
dann mit ihr fuͤr ihre Kinder zu ſorgen. Man ſchreibt um
den Todtenſchein, erhaͤlt ihn, und die Heurath geht vor ſich.
Ueber Jahr und Tag ſteht die Mutter an der Waſchwanne,
hoͤrt Yochen an der Thur, geht hin, und — Gott, mit
welcher Beſtuͤrzung! — erblickt ihren als todtbeſcheinigten
Mann an einer Kruͤcke als Kruppel. Biſt du's? —
Iſt's dein Geiſt? — Er war's — hoͤrt, was vorgegangen
war, lobt den braven, mitleidigen Gevatter, la [...] [...]n voll
ger ſtummer Ruͤhrung, koͤmmt endlich zu Worten, dankt ihm
wegen des guten, chriſtlichen Werkes an ſeiner Frau und Kin-
dern, wuͤnſcht ihm Gluͤck zu dem Beſitz ſeines guten Weibes,
thut Verzicht auf ſie, und bittet: man wolle ihn als Kruͤp-
pel, ſein Leben bey ihnen hinbringen und ihnen in ihren
Hausarbeiten nach Vermoͤgen helfen laſſen. — Herzlich gern!
— Und ſo leben dieſe Guten in Fried und Einigkeit jezt
beyſammen. Ich weiß der Beyſpiele von dieſer Art mehrere:
und nun denke man! — nein, man fuͤhle!
bey Peter Hammer, 1796.
dgl. hat, wie die Sachſen und Preußen.
vor der Rom ſonſt zitterte, — er wuͤrde ausrufen: Schande
fuͤr Deutſchland! Das ſind keine Teutonen mehr: — Die fech-
ten um Sold, nicht mehr fuͤr Freyheit und Vaterland!“ —
Man ſehe Leben und Thaten des Freyherrn Quin-
etius Heymeran von FlamingII. Th. S. 261.
Berlin bey Voß. — „Bey der Verdingung der Truppen ei-
nes Staats (oder eines Furſten) an einen andern, gegen einen
nicht gemeinſchaftlichen Feind (z. B. der Heſſen, Braunſchwei-
ger und Hannoveraner gegen Nordamerika u. ſ. w.) werden
die Unterthanen als nach Belieben zu handhabende Sachen
gebraucht und verbraucht (und nicht behandelt als ſelbſtſtaͤndige
Perſonen nach unveraͤußerlichen Rechten.)“ — So Kane
im philoſ. Entwurf zum ewigen Frieden, S. 8
gendwo Friedrich der Zweite, ſo ſind die Menſchen ihre
Niethen; und wenn dieſe zu Hunderttauſenden verloren gehen,
ſo werden weder die Menſchen, noch die Fuͤrſten kluͤger. Sie ſpie-
len immer von neuem; und von neuem fehlts me an Niethen.“ —
So machte Friedrich d. G. als Philoſoph ſelbſt auf ein
Menſchenſpiel aufmerkſam, das er, als Koͤnig, nicht min-
der tapfer mitſpielte!“ — Schilderung der Reichs-
armee, S. 195. — „Allein das Menſchengeſchlecht, ſagt
Kant im III. Th. der Lebenslaͤufe nach aufſtei-
gender Linie, S. 432, ſucht alles auf dem unrechten Wege,
und das kommt, weil es nicht zuſammenhaͤlt: da es nicht Gott
(dem Urheber der Moral) treu iſt, wie kann es Menſchen den
Urhebern der Politik treu ſeyn? Gott hat alles dabey ge-
than und den Menſchen den Trieb der Geſelligkeit ſo gar tief
ins Herz gelegt; allein noch ſtoßen ſie ſich von einander. Wie
ſehr in weitem Felde liegt nicht alles, und wie nahe koͤnnt' es lie-
gen, wenn Gottes Wille geſchaͤhe!“ — Wohl denn uns, wenn
der Wille einiger Menſchen es dereinſt nicht mehr hindert, daß alle
der XXI. S. in der Vorrede zu der Sammlung erbau-
licher Gedichte u. ſ. w.
nicht erſt ſelbſt von uns hatten! — ſagte mir einſt ein katho-
liſcher Kaufmann, der ſich uͤber den Trubel des Rheiniſchen Na-
tional-Convents mit mir unterhielt. „Was aus all den
Tauſenden werden ſoll? fuhr er fort: je nun, was aus den
uͤbrigen wird, die ohne Praͤbenden, Bedienungen und Hofbrod
ihr Auskommen im Schweiße ihres Angeſichts verdienen. Fuͤr
dieſe kann man unbeſorgt ſeyn: aber nicht ſo fuͤr das Auskommen
der einigen Hunderte, die ihr Herrenweſen auf Koſten des Schwei-
ßes von mehreren Tauſenden treiben!
nachherigen franzoͤſiſchen Kriegsgefangnen iſt nicht nur bis
zu ihrer Armee, ſondern auch bis zu allen Departements, die
laͤßt ſich denken und mich duͤnkt, man hat ſie erfahren, und er-
faͤhrt ſie noch. Aber wahrlich, die Franzoſen ſind gutmuͤthig
und groß; und dieß wird die Nachwelt gerechter erkennen, als
viele von uns.
in Wetzlar.
Sat. X.
Winter 1793 vortrug: folglich von dem noch nicht Gebrauch
machen konnte, was ich nachher in Frankreich uͤber Ludwig
XVI. erfuhr.
lehrt jezt auch der Antimachiavel, oder uͤber die
Graͤnzen des buͤrgerlichen Gehorſams, von Pro-
feſſor Jakob, (Halle in der Renaerſchen Buchhandlung,
zweyte Aufl. 1796.) nebſt deſſen Auszug aus Sidneys Be-
trachtungen uͤber die Regierungsformen —
(Erfurt, bey Bollmer, 1795.)
im Februar, 1794.
und dann noch viel anderes zum Aufſchluß uͤber das Misgluͤck
der Franzoſen in ihrem erſten Feldzuge am Rhein.
Ich habe ſeiner im erſten Theile, als eines Feindes des Aber-
glaubens, gedacht: hier ſehen wir ihn als edlen Menſchen-
retter!
nicht Unrecht; und ein Weſtpreuße kann den Beweis dafuͤr
a poſteriori, der Zeit nach, wegen einer Parallele von der
Fuͤgung der Unterthanen in Polen unter der neuemgefuͤhrten
Verfaſſung fuͤr Sudpreußen nicht gut leugnen, oder er muͤßte
denken, wie der Verfaſſer von der Unterſuchung uͤber
die Rechtmaͤßigkeit der Theilung Polens.
(Warſchau, 1795.) Denn die Franzoſen hatten nach dem
Kriegsrechte oder nach dem Rechte des Staͤrkern Recht, damals
als Eroberer daß in den Rheingegenden zu thun, was Preußen
nachher in Polen that; und wie Preußen mit Gewalt ſich Ge-
horſam in Suͤdpreußen erzwang, ſo erzwangen ihn ſich die
Franzoſen in dem neuacquirirten Rheindepartement. Aber ge-
dern neuorganiſirten gehorſamen Unterthanen des Neufraͤnki-
ſchen Rheindepartements eben den erzwungenen oder freiwillig
geleiſteten Gehorſam beſtrafen halfen, den ſie in Suͤdpreußen
mit Gewalt noch erzwingen, und, wenn ſie ihn erreicht ſehen,
gutheißen und loben. Wo iſt hier politiſche Konſequenz!
Was ſagen hier die, welche vor lauter lieber Deutſchheit, ihres
poͤbelhaften und unſinnigen Schnatterns uͤber Frankreich kein
E [...]e finden koͤnnen!
auf die Deutſchen, fuͤr eins. Er macht ihnen Vorwuͤrfe, daß
ſie den damaligen Krieg gegen ihr eignes Intereſſe haͤtten fuͤh-
ren helfen, und ſagt, um ihr inkonſiſtentes und paſſives We-
ſen bildlich zu ruͤgen:
Ducimur ut nervis alienis mobile lignum.
Neuen grauen Ungeheuers S. 129: „Hoher Sinn
und Freyheit liegen nicht in unſerm Charakter, wohl aber
kleinliche Schmeicheley und niedrige Rachſucht. — Der
Deutſche iſt uͤberall veraͤchtlich geworden: der Franzoſe nennt
ihn lourd Allemand, der Englaͤnder German dogg, der
Ruſſe Iwan Iwanowitſch, und der Italiaͤner hat eine
laͤcherliche Ma[r]ke, die il Tedesco heißt. Warum? weil in
allen dieſen Laͤndern der Deutſche ſich zu jedem Geſchaͤfte
brauchen ließ, wozu auch der unehrlichſte Eingebohrne zuviel
Ehre hatte. Alle Voͤlker haben etwas fuͤr die Freyheit ge-
than, nur der Deutſche nicht: im Gegentheil, wo es auf Un-
terdruͤckung ausging, waren deutſche Lohnknechte die Werk-
zeuge — in Amerika, u. ſ. w.
darf die Publicitaͤt und folglich die Aushebung und Mitthei-
viel: wohlan das Publikum hat auch Augen und Ohren fuͤr ſie.
Auch der groͤßte Boͤſewicht ſteht unter dem Schutz der Ge-
ſetze; und wer Recht und Unrecht nach Rachſucht und Laune
behandelt, verdient keine Schonung. Dadurch hat der Un-
recht-L[ei]dende, nach den Geſetzen des natuͤrlichen Rechts- und
Billigkeitsgefuͤhls uns gleich auf ſeiner Seite. Smith be-
weißt es in ſeiner Theorie der moraliſchen Empfindungen,
und Home in ſeinen Grundſaͤtzen der Kritik. Warum ſteht
man beym Behandeln der Menſchen auch nach buͤrgerlichen
Geſetzen, uͤberhaupt ſo wenig auf die natuͤrlichen! Dadurch
verliehrt man auch bey der anſcheinendgerechteſten Sache den
Beyfall der [B]illigen, und emport: und eben dieß hat mir
dieſe Belege verſchafft. Daß ſie durch keine gemeinen Haͤnde
gegangen ſind, geben die Umſtaͤnde. Die Zeit wird mehr leh-
ren. – Ulvian rieth nicht umſonſt, lieber zehn Schuldige
zu entſchuldigen, als einen [Un]ſchuldigen zu verdammen: und
was zuviel geſchieht, iſt uͤber die Schuld, und fallt dem Rich-
ter anheim. Ueberhaupt frage ich mir: handelte die Main-
zer und Trieriſche Regierung klug, daß ſie in ihrer eignen Sa-
che ſolche und ſoviel Bloͤßen gab, oder geben ließ, wie wir
hier ſie ſehen? – Waͤre es nicht Pflicht fuͤr Recht und
Wuͤrde geweſen – auch von allen nachtheiligen Folgen ei-
ner aufgewiegelten Rachſucht die Gegengei[ß]eln abgeſehn –
durch das nachherige Benehmen gegen die Klubiſten deren vor-
herige Klagen und Sch [...]gen uͤber die [...] Juſtiz-
verfaſſung und Verwaltung [geiſtlichen] [...] vor dem na-
Wahrheit dieſer Klagen nicht vielmehr oͤffentlich beſtaͤtigt?
Oder haben die geiſtlichen Gerichtsſtellen ein kirchliches und
uͤbernatuͤrliches Privilegium, der burgerlichen und natuͤrlichen
Gerechtigkeit Hildebrandiſch zu trotzen? Kurz, ich wuͤnſchte,
daß irgend ein ſachkundiger Mainzer oder Trierer, zur Ehre
der allgemeinen Gerechtigkeit, dieſe Fragen ehrlich, kalt und
unpartheyiſch pruͤfe und dadurch das Publikum in den Stand
ſetze, ſelbſt zu entſcheiden, auf weſſen Seite hier mehr Wahr-
heit und Recht ſey. Sonſt ſind wir befugt zu denken: wer
ſchweigt, ſagt, ja! und dann Ach und Wehe uͤber eine Ju-
ſtiz, die am Pranger ſtehen bleibt! Dann fragte man noch,
wie es kam, daß die Neufranken, troz ihres ſeltſamen Betra-
gens, dennoch in dortiger Gegend ſoviel Anhang fanden, und
vorzuͤglich unter den dortigen hellen Koͤpfen, die jede Unord-
nung um ſo balder wegwuͤnſchen mußten, je lebhafter, druͤ-
ckender und entehrender ſie ſie fuhlten, ſowohl fuͤr ſich als fuͤr
Andere, und dieß ohne Hoffnung des Beſſerwerdens auf dem
Wege Rechtens. Herren, die das nun tadeln, belieben erſt
zu uͤberlegen: ob der mehr fehle, der den Grund zu einem
Abfall und Aufſtand deſpotiſch le [...]t, oder der durch die Folgen
dieſes Grundes wie im Strudel mitfortgeriſſen wird, und es
fuͤr ſich nicht heilſam oder gar unmoͤglich findet, gegen den
Strohm an zu ſchwimmen? Wer ſein Haus vor Brand
ſichern will, muß nicht ſelbſt Feuerbraͤnde hineinwerfen, zumal
bey vielem und ausgedoͤrrtem Holze nicht. Auch Bienen ha-
ben ihre Stachel; und nun ergiebt ſich die Anwendung von
ſelbſt.
Groſchen, da ſie vorhin NB! nach Abzug der Aufwartungs-
und andern Koſten, taͤglich nur 1 Gr. 9 Pf. erhalten hatten.
So ſchwer halt es, Gerechtigkeit und Menſchlichkeit in Pfaf-
fen-Staaten zu finden. Wie billig rief Friedrich der
Dahlberg haͤtte gern geholfen; aber es ſtand nicht bey ihm,
Menſchen- und Voͤlkerrecht zu ehren.
gierung, als zugellos und wider Ihre Wuͤrde, ihm [...]iſſen
zuruckgeben ließ. Und doch hatte eben dieſe Regierung ſich im
Dezember 1793 ungeahn et ſagen laſſen: „Daß an ihr der
Ruf der deutſchen Gerechtigkeit ſcheitere, weil ſie bey den
grauſamſten Mißhandlungen der arretirten Geißeln, und bey
mehrmaligem Anrufen mehrerer Mitglieder um Gerechtig-
keit, ſie ſchwiege und nichts entſchiede, nichts linderte.“ —
Auf Ehrenbreitſtein ſchrieb Metternich: „Gerechtigkeit,
Gerechtigkeit, und wenns der Tod iſt! Ich trotze allen Grau-
ſamkeiten, ſelbſt dem Tode, wenn man Muth genug hat, die
Haͤnde in dieſer Abſicht nach mir auszuſtrecken!“ — Lever
ſchrieb: „Er koͤnne das Maximum der vorſichtigen Weisheit,
womit auch deutſche Regierungen ſich auszeichnen wollten, nicht
ergruͤnden, und er wundre ſich ſehr, daß wenn die Klubbiſten
die großen Verbrecher waͤren, wie ſie der Mainzer und andere
Zeitungsſchreiber dem Publikum beſchrieben, ſein Kopf noch
auf ſeinem Rumpf ſtehe, und man mit der Inquiſition nicht
ſchleunigſt vorfahre!“ —
zur Zeit der Cuſtiniade, und auf Boͤhmer, der ſich erklart
hatte, in Deutſchland bleiben zu wollen, der Collegen denun-
[z]iirt und eine Unterſuchungs-Commi[ſ]ſion verlangt, aber nicht
erhalten hatte.
ßeln in der Mitte des Monats Maͤrz noch uͤbel auf, und gab
Levern ſeine Briefe an die neufraͤnkiſchen Volksrepraͤſentan-
ten Merlin und Hausmann, nebſt denen an Hn. Grafen
von Kalkreuth mit dem Verweis zuruͤck: daß es Arreſtan-
ten nicht gebuͤhre, ſo zu ſchreiben. Als er einige Tage dar-
auf die Atteſte der Geißeln nach Frankreich foderte, fragte ihn
Lever: Ob man ſich fraͤnkiſche Geißeln unterſchreiben
duͤrfe? Ja, freylich, antwortete er, das ſind Sie ja! —
Da ſtand nun der inkonſequente Hofmann und Doctor der
Rechte!
ken menſchlicher. Es iſt weltkundig, daß D. Bahrdt waͤh-
rend ſeiner einjaͤhrigen Gefangenſchaft auf der Citadelle [...]
Magdeburg mit Erlaubniß der Regierung ſeine Lebens- und
ſelbſt ſeine Gefaͤngniß-Geſchichte ſchrieb, wie auch,
außer Alvaro und Ala Lama, das Wort, deutſch
geſprochen mit dem Ritter von Zimmermann.
Das alles war fuͤr Bahrdts Oekonomie und mehr zur Un-
terhaltung als Belehrung, und doch goͤnnten die hoͤchſten Ge-
richtsſtellen in Preußen das eine dem Verfaſſer, und das
andere dem Publikum, ohne die mindeſte Beſchraͤnkung der
Publicitaͤt und der Preſſe. Und eine Churmainziſche Regie-
rung, die ſoviel von Patriotismus ſpricht, eine erzbiſchoͤfliche,
die auch keine Spur von Chriſtus-Sinn zu haben ſcheint, haͤlt
eine aͤußerſt gemeinnuͤtzige Abhandlung fuͤr eine Arbeit, die
einem Arreſtanten nicht gebuͤhre? — Gott behuͤte uns fuͤr
ſolche Convenienz-Richter!!! Ein Mehreres, was hiehin ge-
hoͤrt, findet man in der Vorrede zu der Sammlung er-
baulicher Gedichte — S. 82. ff.
„Was an ſich offenbar iſt, und wenns noch ſo einleuchtend
dargeſtellt wuͤrde, kann auf die gutmuͤthigſten Fuͤrſten, zumal
wenn ſie zu wenig ſelbſtſtaͤndig ſind, nicht wirken, ſobald ein
Anhang von herrſchſuͤchtigen, heuchelnden, oder ſchwaͤrmen-
oder den Geſichtskreis vernebelt, um die Majeſtaͤt ihrer Phan-
taſie der Majeſtaͤt des Staates ganz ſachte, aber recht dichte
anzuſchmiegen, und nolens volens die eine durch die andere
vor den Augen der ganzen vernuͤnftigen Welt ſchrecklich zu
proſtituiren. Hr. Zimmermann in Hannover, Hr. Gru-
ner in Jena, Hr. Jung in Marburg, Hr. Reichard in
Gotha und Hr. von Goͤchhauſen in E [...]nach wuͤrden uͤber
die Beweggruͤnde dieſer hochheiligen Majeſtaͤten in Cognito
und Incognito, die beſte Auskunft geben koͤnnen, wenn's der
Muͤhe werth waͤre, ſich um die Collegen und Raͤthe eines
E [...] [...], des Unausſprechlichen, auch nur einen Augen-
blick zu bekuͤmmern.“
Kleinigkeit anzunehmen. Kann ich Ihnen dereinſt nuͤtzlich wer-
den, ſo rechnen Sie auf die Freundſchaft Ihres — Maximi-
lians.
luͤgenhaften Zeitungsſudler; und daß die Franzoſen das nicht
blieben, an wem lag das?
muß ſich gegen ſeinen Brodherrn dankbar betragen, alſo auch
artig. Und wiſſen Sie, wer unſer eigentliche Brodherr iſt?
Der Buͤrger und der Landmann: denn was uns unſer Koͤnig,
als Titulaͤr-Brodherr, giebt, giebt ihm der Landmann und
der Buͤrger fuͤr uns zuerſt. Alſo forthin nie wieder weder
Buͤrger noch Bauer inſultirt!
folgende Anekdote. Der Kurfuͤrſt von Koͤlln geht vor einigen
Tagen — wie man in Halle jezt erzaͤhlt — einfach geklei-
det, aus einem Thore zu Leipzig, in Begleitung einiger der
dortigen Honoratioren. Die Schildwache erkennt ihn nicht,
und macht ihm alſo auch nicht die ſonſt gewoͤhnlichen Hon-
neurs. Einer aus der Begleitung macht die Wache unbemerkt
geſſen, im Falle ſie in das naͤmliche Thor zuruckkommen ſoll-
ten. Die Wache ſpricht daruͤber, und einer von ihr ſagt:
„Was doch die Kurfuͤrſten hier wohl machen moͤgen! Erſt
neulich war der von Trier hier, und jezt der von Koͤlln.“
Dieſer, der nicht weit davon, aber außer den Augen der
Wache, eine Anlage betrachtete, hoͤrt das, tritt hervor und
ſagt: „Ihr lieben Leute, Ihr wißt doch, daß die Kurfuͤrſten
am Rhein viele dumme Streiche gemacht haben: und darum
[...]en ſie jezt die Univerſitaͤt, um kluge zu lernen.“
ſoutage, ſacrée merderie, und tauſend andere Floskeln
ſind die Wuͤrze fuͤr die republikaniſche Sprache des gemeinen
Volks in Frankreich. Im Jahr 1793 und 1794 waren dieſe
Floskeln mit ein Beweis des [...]hten robespierriſchen Patriotis-
mus. Ich liefre weiterhin uͤber dieſe unanſtaͤndige Verbraͤ-
[...]ung der franzoͤſiſchen Sprache ein eignes Kapitel.
à votre ſervice, ſondern à la volari [...]
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CC-BY-4.0
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Laukhard, Friedrich Christian. F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bqc0.0