[][][][][][][]
Europaͤiſches
Voͤlkerrecht
in Friedenszeiten
nach
Vernunft, Vertraͤgen und Herkommen,
mit Anwendung
auf die

teutſchen Reichsſtaͤnde,


Erſter Theil.

Altenburg,:
in der Richterſchen Buchhandlung.
1787.

[]
Puisque la guerre et la paix imposent aux nations des
devoirs entièrement differens et même opposés, il
eſt indispenſable de diſtinguer ces deux états dans le
raiſonnement auſſi bien que dans la conduite.

(Memoire juſtificatif de la Grande Bretagne
pour ſervir de reponſe à l’ Expoſé de
la Cour de France, du 16. Oct. 1779.
)

[]
Europaͤiſches
Voͤlkerrecht.

Erſter Theil.

[][]

Sr. Excellenz
dem Hochwuͤrdigen und Hochwohlge-
bohrnen Herrn
Herrn
Otto Ferdinand von Loͤben,

Kurfuͤrſtlich Saͤchſiſchem Konferenz-Miniſter und
wuͤrklichem Geheimen Rathe, des Johanniter Ordens
Rittern, Erb-Lehn- und Gerichtsherrn auf Ober-
Gerlachsheim und Nieder-Rudelsdorf ꝛc.


[][]

Hochwuͤrdiger, Hochwohlgebohrner Herr,
Gnaͤdiger und Hoͤchſtzuverehrender Herr,


Keine Zueignungsſchrift kan ie wohl eine gegruͤn-
detere Veranlaſſung gehabt haben: und wenn es
dabey nicht ſowohl auf den Werth der Abhandlung,
als auf die Beweggruͤnde des Verfaſſers ankomt,
ſo werden Ew. Excellenz, wie ich zuverſichtlich
hoffen darf, mir meine Kuͤhnheit gewis gnaͤdig
verzei-
[] verzeihen. Sey es Dankbegierde, Ehrfurcht, oder
die Entſtehungsart einer Schrift, welche ein ſolches
Unternehmen einigermaaßen zu rechtfertigen vermoͤ-
gen; ich kan ſie insgeſamt zu meiner Entſchuldig-
ung anfuͤhren.


Die Menge und Groͤße der von Ew. Excel-
lenz
bisher genoſſenen Gnadenbezeugungen uͤber-
ſteigen zwar meine Kraͤfte des Danks unendlich;
ohnmoͤglich aber kan ich doch auch die Empfindung-
en meines Herzens bergen, von denen ich ſo leb-
haft durchdrungen bin, und ich ergreife daher ohne
Anſtand eine laͤngſt ſchon gewuͤnſchte, aber ſelten
ſich darbietende Gelegenheit, Denenſelben
wenigſtens meine Dankbegier ehrfurchtsvoll oͤffent-
lich an den Tag zu legen. Unvermoͤgen und Furcht
Ew. Excellenz Beſcheidenheit zu beleidigen
erlauben mir keine Lobſpruͤche uͤber Dero erhabenen
Eigenſchaften. Sie ſind algemein bekant und werden
von iedermann bewundert und verehrt: was ſolte
ich
[] ich thun, der ich einige Jahre hindurch das Gluͤck
gehabt, taͤglich einleuchtendere Beweiſe davon an
mir ſelber zu erfahren? Ganz unberuͤhrt weiß ich
indes die gnaͤdige Unterſtuͤtzung nicht zu laſſen,
deren Ew. Excellenz, waͤhrend meines Aufent-
halts in Regensburg, mich wuͤrdigten. Das An-
denken derſelben wird mir iederzeit unvergeßlich
bleiben. Ohne ſie haͤtte ich meinen Lieblingswunſch,
mich den Staatswiſſenſchaften zu weyhen, gewis
aufgeben muͤſſen. Sie allein belebte mich von
neuem und fuͤhrte mich zu dem Entſchluß, der gegen-
waͤrtiger Schrift ihr Daſein gegeben hat.


Doch wozu bedarf es aller dieſer Entſchuldigung-
en! Ew. Excellenz gewohnte grosmuͤthige
Denkungsart allein buͤrgt mir fuͤr die gnaͤdige Auf-
nahme dieſer wenigſtens aus den reinſten Quellen
gefloſſenen Zueignung, und ich unterwerfe mich
getroſt ihrem nachſichtsvollen Ausſpruche.


a 5Waͤ-
[]

Waͤre meine Arbeit ſo gluͤcklich, nur einigen
Beifall Ew. Excellenz zu erhalten, ſo wuͤrde
ich Urſach genug haben, auch das guͤnſtige Urteil des
Publikums mir verſprechen zu duͤrfen.


Mit der unterthaͤnigſten Bitte um die Fortdau-
er Dero gnaͤdigen Wohlwollens vereinige ich die
heiſſeſten Wuͤnſche fuͤr Dero und Dero ganzen
Hauſes beſtaͤndiges Wohlergehen und erſterbe mit
der tiefſten Verehrung


Ew. Excellenz


unterthaͤnigſter Diener
Karl Gottlob Guͤnther.


[]

Vorerinnerung.


Nur ein Paar Worte uͤber die Veranlaſſung und
Einrichtung der gegenwaͤrtigen Schrift. Neigung
ſowohl, als andere Ruͤckſichten machten das Stu-
dium der Voͤlkerrechtswiſſenſchaft ehemals zu einer
meiner Hauptbeſchaͤftigungen. Bey dem bisherigen
Mangel zweckmaͤſiger Vorleſungen uͤber dieſen wich-
tigen Theil der Rechtsgelahrheit auf Univerſitaͤten,
mußte ich meine Zuflucht hauptſaͤchlich zu den dahin
einſchlagenden Schriften nehmen. Allein mein Ver-
langen wurde auch hier nicht ganz befriediget. Wenn
gleich die, meines Lobes gar nicht beduͤrfenden,
Werke eines Grotius, Puffendorf, Ickſtadt,
Wolf, Vattel ꝛc.
in Anſehung des natuͤrlichen
Voͤlkerrechts faſt nichts weiter zu wuͤnſchen uͤbrig
lieſſen; ſo war doch der Mangel an einer hinlaͤngli-
chen Anfuͤhrung zum practiſchen oder ſogenannten
europaͤiſchen Voͤlkerrechte deſto groͤſſer. Auſſer ver-
ſchiedenen kleinen Abhandlungen uͤber einzelne Ma-
terien deſſelben, waren die Moſerſchen Grundſaͤtze
des
[]Vorerinnerung.
des itztuͤblichen europaͤiſchen Voͤlkerrechts in Frie-
dens- und Kriegszeiten die einzigen brauchbaren
Schriften dieſer Art. Aber der Verfaſſer hatte die
Unzulaͤnglichkeit und Unvollkommenheit derſelben
ohne Zuruͤckhaltung ſelbſt eingeſtanden, und ſie
waren bey einem erſten Verſuche beinah unvermeid-
lich. Vornaͤmlich ſchien mir ein gutgeordnetes
Syſtem zu fehlen, weiches beide, das natuͤrliche und
das practiſche Voͤlkerrecht mit einandervereinigte und
deren Abweichungen von einander gehoͤrig bemerkte.
Gern wuͤrde ich, da Zeit und andere Umſtaͤnde mich
beguͤnſtigten, vermoͤge der natuͤrlichen Pflicht: Nuͤz-
lich zu ſeyn ſo viel man kan, den bereits von vielen
geaͤuſſerten Wunſch nach einem brauchbaren europaͤi-
ſchen Voͤlkerrechtsſyſtem, ſchon damals, nach dem
Maas der mir verliehenen Kraͤfte, zu befriedigen
geſucht haben; aber ich fand bey naͤherer Erwegung
eines ſolchen Vorhabens ſo viele Schwierigkeiten,
daß ich es noch nicht wagen konte, mit einem aus-
fuͤhrlichen Syſtem hervorzutreten. Ich entwarf
daher zuerſt blos einen Grundriß, wornach ich
dieſes Werk auszufuͤhren glaubte und legte ihn, vor
nunmehr neun Jahren, ohne Vorſetzung meines
Namens, dem Publikum zur Beurteilung vor.
Dieſer hatte das Gluͤck eine guͤnſtigere Aufnahme zu
erhal-
[]Vorerinnerung.
erhalten, als ich erwartete und mein Entſchluß
gewann dadurch immer mehrere Feſtigkeit.


Meine Beſtimmung wurde iedoch in der Folge
merklich veraͤndert und ich an der Ausfuͤhrung mei-
nes Plans von einer Zeit zur andern gehindert:
gleichwohl konnte ich mich nie entſchließen ihn ganz
aufzugeben. Mein gegenwaͤrtiger Beruf und die
Vorwuͤrfe, welche der Herr Regierungsrath Spieß
an verſchiedenen Orten, beſonders aber in der Vor-
rede zum erſten Theile ſeiner archiviſchen Nebenar-
beiten, den meiſten Archivsperſonen macht, waren
mir zwar Anfeuerung genug, auch meine geſchaͤfts-
freien Stunden vorzuͤglich den noch mancher Ver-
volkommnung faͤhigen Archivswiſſenſchaften zu wid-
men, aber meine etwas beſchraͤnkte Lage in dieſem
Fache hielten mich zur Zeit noch davon zuruͤck. Es
erſchienen indes auch die ſchaͤtzbaren Voͤlkerrechts-
werke des aͤltern Moſer, eines Neyron, von
Ompteda
und Martens. Allein, ohne der aner-
kanten Brauchbarkeit des Moſerſchen Verſuchs ꝛc.
im geringſten zu nahe zu treten, wird ieder Kenner
gewis darinn mit mir uͤbereinſtimmen, daß derſelbe,
wie die meiſten ſeiner Schriften, mehr fuͤr eine
Samlung nuͤtzlicher Materialien, als fuͤr ein ordent-
liches Voͤlkerrechtsſyſtem anzuſehen ſey. Der Ver-
faſſer
[]Vorerinnerung.
faſſer ſelbſt war auch weit davon entfernt, es fuͤr
etwas anders auszugeben. Die Principes du droit
des gens
des Herrn Neyron ſchienen mir dem
Ideal meines Syſtems ebenfals nicht angemeſſen.
Bey Erſcheinung der mit algemeinem Beifall auf-
genommenen Voͤlkerrechts-Literatur Sr. Excellenz
des Kurbraunſchweigiſchen Comitialgeſandten Frei-
hern von Ompteda, und der darinn angekuͤndigten
Bearbeitung eines volſtaͤndigen Syſtems dieſer
Wiſſenſchaft, ſtand die Aenderung meines Ent-
ſchluſſes, leider, nicht mehr in meiner Gewalt;
ſonſt wuͤrde ich ohnfehlbar ſogleich davon abgeſtan-
den ſeyn. Nie wuͤrde ich es gewagt haben, mich
einem Manne an die Seite zu ſtellen, der in iedem
Betracht ſo weit uͤber mich erhaben iſt. Mein ein-
ziger Troſt bey der nun einmal angefangenen Arbeit
war dieſer, daß wichtigere Geſchaͤfte deſſelben ienes
Vorhaben leicht noch einige Zeit verzoͤgern und mei-
ne Bemuͤhungen indes vielleicht doch von einigem
Nutzen ſeyn duͤrften. Die zum akademiſchen Unter-
richt uͤbrigens ſehr brauchbar eingerichteten primae
lineae
des Herrn Profeſſor Martens in Goͤttingen
aber enthalten, wie ſchon der Titel giebt, nur ein
Compendium dieſer Wiſſenſchaft. Solchergeſtalt
halte ich mein Unternehmen auch dermalen eben
noch nicht fuͤr ganz uͤberfluͤſſig.


Ob
[]Vorerinnerung.

Ob aber die Ausfuͤhrung meiner Abſicht und
der Erwartung des Publikums entſpreche? muß
ich der Beurteilung der Kenner uͤberlaſſen. An
meinen Bemuͤhungen hat es indes nicht gefehlt.
Ich habe bey ieder Materie die natuͤrlichen Grund-
ſaͤtze vorausgeſchickt und deren Beſtaͤtigung oder
Abaͤnderung durch das practiſche Voͤlkerrecht be-
merklich zu machen geſucht. Dabey ſind iederzeit
die vorzuͤglichſten Schriftſteller, ſowohl die algemei-
nen als auch die beſondern, ſoviel ich deren habe
erlangen koͤnnen, zu Rathe gezogen worden. Ich
habe ihre Grundſaͤtze mit einander verglichen und die
wichtigſten Abweichungen, wo mir es noͤthig ge-
ſchienen, angezeigt. Zuweilen hielt ich es fuͤr rath-
ſam, die Stellen ihrer Werke ſelbſt woͤrtlich in den
Noten beyzufuͤgen, damit man ihre Meinung deſto
beſſer beurteilen und das oͤftere Nachſchlagen erſpa-
ren koͤnnte. In Anſehung der zu Beſtaͤrkung des
europaͤiſchen Voͤlkerrechts nothwendigen Beiſpiele
habe ich aus den Staatsſchriften und andern Mate-
rialien eine Auswahl gemacht, und nur die merk-
wuͤrdigſten und treffendſten aufgenommen. Etwas
ganz neues kan und wird man in dieſem Werke nicht
erwarten. Das Verdienſt deſſelben ſoll blos in ge-
hoͤriger ſyſtematiſcher Zuſammenſtellung der bereits
vorhan-
[]Vorerinnerung.
vorhandenen Wahrheiten, auf eine moͤglichſt vol-
ſtaͤndige und deutliche Art, beſtehen. Die Ord-
nung der einzelnen Materien weicht in vielen Stuͤck-
en von meinem ehemaligen Plane ab, wie man,
bey angeſtelter Vergleichung, ſofort wahrnehmen
wird. Ich hielt dieſe Abaͤnderung zu mehrerer
Volkommenheit des Syſtems fuͤr nothwendig.


Damit ich auf den Fall, da meine Bemuͤhung-
en den Beifall des Publikums nicht erhalten ſolten,
die Fortſetzung ſogleich abbrechen koͤnne, ohne ie-
doch ein unvolſtaͤndiges Werk zu laſſen, habe ich
das ganze Voͤlkerrechtsſyſtem in verſchiedene allen-
fals fuͤr ſich beſtehende Theile abgeteilt, die auch
einzeln eine volſtaͤndige Abhandlung ausmachen.
Die erſte, davon gegenwaͤrtig der erſte Theil er-
ſcheint, ſoll das Voͤlkerrecht in Friedenszeiten
enthalten. Dieſer erſte Theil begreift blos die al-
gemeinen Verhaͤltniſſe der Voͤlker gegen einander
und die dahin gehoͤrigen Grundſaͤtze in ſich. Ein
zweiter Theil, den ich kuͤnftige Meſſe zu liefern
gedenke, wird ſich uͤber die einzelnen Gegenſtaͤnde
des Voͤlkerrechts in Friedenszeiten erſtrecken und
mit einem Regiſter uͤber beide Theile dieſe Abhand-
lung beſchließen. Die weitere Fortſetzung wird
alsdenn von der Aufmunterung des Publikums
abhang-
[]Vorerinnerung.
abhangen. Wuͤrdigt man den erſten Verſuch eini-
gen Beifals, ſo will ich mit Vergnuͤgen die aͤhnliche
Bearbeitung des Voͤlkerrechts in Kriegszeiten,
des Geſandſchaftsrechts
, der Materie von den
Vertraͤgen des Voͤlkerrechtsceremoniels, der Voͤl-
kerrechtspraxis und was dahin gehoͤret uͤbernehmen.
Bey der Materie von Vertraͤgen habe ich mir vor-
genommen in einem Bande einige, wie ich glaube,
nicht unbrauchbare Regiſter uͤber die vorzuͤglichſten
europaͤiſchen Voͤlkervertraͤge und Urkunden zu ferti-
gen. Die Georgiſchen Regeſta haben zwar ihren
entſchiedenen Werth, allein ſie enthalten, wie ſchon
andere erinnert haben, zu viele in die Voͤlkerrechts-
wiſſenſchaft gar nicht einſchlagende Urkunden und
reichen uͤberdies nicht bis auf unſere Zeiten. Ich
will daher blos die wichtigſten Vertraͤge und andere
voͤlkerrechtliche Urkunden ausheben, und ſie in eine
chronologiſche Ordnung ſtellen, mit Bemerkung des
Orts, wo ſie in den vorzuͤglichſten Samlungen des
Dumont, Schmauß, Lamberty, Rouſſet und
anderer anzutreffen ſind. Dieſem ſoll ein Verzeich-
nis der Nazionen folgen, und bey jeder eine Anzeige
der mit andern errichteten Vertraͤge, nach Claſſifica-
tion der Hauptgegenſtaͤnde, angefuͤgt werden. Den
Beſchluß wird ein ſyſtematiſches Regiſter der Ma-
terien
[]Vorerinnerung
terien machen, das die dahin gehoͤrigen Urkunden
ſaͤmtlicher europaͤiſchen Voͤlker nicht blos nach dem
Hauptinhalt, ſondern, wo es noͤthig, auch nach
den einzelnen Artickeln unter jeder Rubrick bemerket.
Dieſe Arbeit, hoffe ich, ſoll allen, die in Staats-
geſchaͤften zu thun haben, nicht unwilkommen ſeyn.
Der Literatur wegen habe ich meine Erklaͤrung im
Werke ſelbſt ſchon gethan. Nach den ruͤhmlichen
Bemuͤhungen des Herrn Freiherrn von Ompteda
wuͤrde eine neue Bearbeitung dieſes Fachs uͤberflieſ-
ſig ſeyn. Solte ich mich zu etwas entſchließen, ſo
wuͤrde ich ein gehoͤrig geordnetes Verzeichnis der
hauptſaͤchlichſten bey gewiſſen Gelegenheiten gewech-
ſelten Staatsſchriften der europaͤiſchen Nazionen,
nach Art der Luͤnig-Holzſchuerſchen Deductionsbi-
bliothek von Teutſchland, waͤhlen, das fuͤr die Voͤl-
kerrechtswiſſenſchaft gewis einen vielfachen Nutzen
haben koͤnte. Die Ausfuͤhrung aller dieſer Ent-
wuͤrfe beruht jedoch auf dem Schickſal der gegenwaͤr-
tigen Abhandlung. Ich werde jede beſcheidene und
gegruͤndete Erinnerung mit Dank annehmen, be-
nutzen und daraus das Reſultat fuͤr meine weitern
Entſchließungen ziehen. Dresden, am 13ten
September 1786.



[]

Inhalt.


  • Einleitung.
    Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt und dem europaͤi-
    ſchen insbeſondere S. 1.
  • Erſtes Buch.
    Beſtimmung eines freien [ſouverainen] Volks, der
    heutigen ſouverainen Staaten in Europa, und
    ihrer algemeinen Verhaͤltniſſe gegen einander S. 72.
  • Erſtes Kapitel. Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt
    und den europaͤiſchen insbeſondere Ebend.
  • Zweites Kapitel. Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
    der Nazionen S. 147.
  • Drittes Kapitel. Von der urſpruͤnglichen Gleichheit und
    dem nachher eingefuͤhrten Range der Nazio-
    nen S. 198.
  • Viertes Kapitel. Von der Freiheit der Nazionen, ihre
    Handlungen nach eignem Gefallen einzurich-
    ten S. 280.
  • Fuͤnftes Kapitel. Von der Macht der Nazionen und deren
    Gleichgewicht S. 321.
  • Sechſtes Kapitel. Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlker-
    rechts S. 390.
[][[1]]

Einleitung.
Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt und dem europaͤi-
ſchen insbeſondere.


§. 1.
Begrif des Voͤlkerrechts.


Staaten ſind Geſelſchaften von Perſonen und Fa-
milien, welche unter einer Oberherſchaft verei-
nigt, zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfarth auf
einem gewiſſen Erdſtriche beiſammen wohnen. Indem ſie
mit vereinten Kraͤften nach eignen Grundſaͤtzen und Ab-
ſichten handeln, gleichen ſie, als moraliſche Perſonen,
ienen unabhaͤngigen Menſchen im natuͤrlichen Zuſtande a],
und werden in dieſer Ruͤckſicht freie Voͤlker, Nazio-
nen
genant. So wie aber wechſelſeitiges Beduͤrfnis
warſcheinlich die erſte Veranlaſſung zu Staatsvereinen
gab, wenigſtens ihr dauerhafteſtes Band ausmacht; ſo
iſt auch wechſelſeitiges Beduͤrfnis, was mehrere Voͤlker
in beſtaͤndiger Verbindung erhaͤlt. Aus dieſen verſchie-
denen Verhaͤltniſſen entſpringen gewiſſe Grundſaͤtze,
wornach ganze Voͤlker [oder deren Regenten und einzelne
Glieder, wenn ſie aufs Ganze eine Beziehung haben]
ihre Handlungen gegeneinanderb] einzurichten pflegen.
Sie machen, inſofern ſie als Zwangsrechte und Ver-
Abind-
[2]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
bindlichkeiten ſich beſtimmen laſſen c], den Inbegrif des
Voͤlkerrechts im eigentlichen Verſtande aus d].







§. 2.
I.Natuͤrliches oder philoſophiſches Voͤl-
kerrecht
.


Einige dieſer Grundſaͤtze laſſen ſich ſchon aus der
Natur der Voͤlker, aus ihren natuͤrlichen Verhaͤltniſſen
und geſelſchaftlichen Verbindungen gegeneinander herlei-
ten. Sie fuͤhren daher den Namen des natuͤrlichen
Voͤlkerrechts
, das man auch das philoſophiſche und
vernuͤnftige nent, weil es auf Schluͤſſe einer geſunden
Vernunft beruht.



§. 3.
Deſſen Eintheilung in
a] nothwendiges.


Voͤlker, als moraliſche Perſonen, im natuͤrlichen,
unabhaͤngigen Zuſtande betrachtet, ſind ohnſtreitig dem
fuͤr einzelne Menſchen verbindlichen Rechte der Natur
unterworfen. Es erhaͤlt aber von dem Gegenſtande ſei-
ner Anwendung den Namen des Voͤlkerrechts. Die-
ſes auf die Voͤlker angewandte Naturrecht oder natuͤrliche
Voͤlkerrecht muͤſſen die Nationen ohne Ruͤckſicht einer
engern Verbindung unter einander beobachten. Man
nent es ſeiner verbindenden Kraft wegen daher das
nothwendige[neceſſarium] a] oder auch das urſpruͤng-
liche [primarium], weil die Geſetze der Natur unmittel-
bar es begruͤnden, und iſt, wie ſie, unveraͤnderlich.
Die Erlangung einſeitiger Vortheile, ohne Beleidigung
anderer Nazionen macht den Hauptgrundſatz deſſelben
aus. Es wuͤrde zur Entſcheidung der unter Voͤlkern vor-
kommenden Faͤlle hinlaͤnglich ſeyn, wenn ſie alle noch in
einem blos natuͤrlichen Zuſtande ſich befaͤnden. Dahin
gehoͤren unter andern das Recht der natuͤrlichen Freiheit
und Gleichheit, das Erwerbungsrecht, das Recht Ver-
traͤge zu ſchließen u. ſ. w.



§. 4.
b] Freiwilliges Voͤlkerrecht.


Die Voͤlker traten iedoch bald, eben ſo, wie einzelne
Menſchen in naͤhere Verbindungen und Geſelſchaften
zuſam-
[5]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
zuſammen. Waren ſie gleich von der Natur ſelbſt hierzu
nicht gezwungen a]; ſo machten doch die, mit den Fort-
ſchritten der Weichlichkeit und Ausbildung, immer zu-
nehmenden wechſelſeitigen Beduͤrfniſſe und das Verlan-
gen nach einem volkomnern Gluͤcke uͤberhaupt, eine en-
gere Vereinigung unter ihnen nothwendig. Natuͤrlicher-
weiſe waren die Vorſchriften der einfachen Natur nun
nicht mehr hinreichend: man muſte ſolche einigermaßen
abaͤndern und den geſelſchaftlichen Verbindungen anpaſ-
ſen. Statt daß ieder einzelne Menſch, iedes Volk,
ſonſt nur mit ſeinem eignen Wohl ſich beſchaͤftigte, wa-
ren ſie itzt auch auf die gemeinſchaftliche Wohlfahrt,
Ruhe und Sicherheit zu denken, und, was ſie ohne ihren
eignen Nachtheil konnten, dazu beizutragen genoͤthigt.
Daher entſtand, meinem Urteile nach, unter Nazionen
das vom Grotius, Wolf, Vattel und Andern ſogenante
freiwillige Voͤlkerrecht, [ius gentium voluntarium b]
nicht arbitrarium] welches nicht urſpruͤnglich in der Na-
tur, ſondern [ſecundarium] in den Begriffen einer Ge-
ſellſchaft, worein die Voͤlker freiwillig in der Folge ſich
begaben, ſeinen Grund hat. Es iſt gleichſam das na-
tuͤrliche Geſelſchaftsrecht der Voͤlker, oder das auf die
Voͤlkergeſelſchaft angewandte Naturrecht [Jus ſociale
naturale gentium, Jus naturale ſocietatis gentium, Jus
naturale ad ſocietatem gentium applicatum
]. Man zaͤhlt
dahin gewoͤhnlich den Nichtgebrauch vergifteter Waffen,
die Annahme und Unverletzlichkeit der Geſandten u. ſ. w.



A 3b]
[6]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,


§. 5.
Naͤhere Beſtimmung dieſer beiden Gat-
tungen
.


Das nothwendige und freiwillige Voͤlkerrecht ha-
ben alſo beide in der Natur ihren Grund, und laſ-
ſen ſich durch Vernunftſchluͤſſe erweiſen a]. Das erſtere
aus dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande, das andere
aus den geſelſchaftlichen Verhaͤltniſſen der Voͤlker. Je-
nes iſt allen Voͤlkern des Erdbodens gemein, dieſes ver-
bindet nur dieienigen, welche freiwillig in die geſelſchaft-
liche Verbindung der Voͤlker treten. Das nothwendi-
ge
[13]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
ge Voͤlkerrecht, ſagt Vattel, darf nie auſſer Augen ge-
ſezt werden, wenn bey einem Volke die Frage iſt: wie
es ſeinen Pflichten und ſeinem Gewiſſen ein Gnuͤge lei-
ſten ſoll? wenn es aber darauf ankomt: was es von
einem andern Volke fodern koͤnne? alsdann muß das
freiwillige entſcheiden.




§. 6.
Quellen und Huͤlfsmittel des natuͤrlichen
Voͤlkerrechts
.


Da das natuͤrliche Voͤlkerrecht in Anwendung des ur-
ſpruͤnglichen und geſelſchaftlichen Naturrechts auf freie
Voͤlker beſteht, ſo folgt, daß die Grundſaͤtze deſſelben
lediglich auf Schluͤſſe der geſunden Vernunft beruhen,
die aus dem Weſen der Voͤlker und aus den Grundſaͤtzen
ihrer Freiheit, Gleichheit und ihres gemeinſchaftlichen
Wohls ſich herleiten laſſen. Huͤlfsmittel bieten alle na-
tuͤrliche Rechtswiſſenſchaften der einzelnen Menſchen ſo-
wohl, als der Staaten dar: nur muß bey deſſen wuͤrkli-
cher Anwendung hauptſaͤchlich die beſondere Verfaſſung
der Voͤlker zu Rathe gezogen werden.


§. 7.
II.Wilkuͤhrliches oder poſitives Voͤlkerrecht.


Die Voͤlker koͤnnen aber auch noch andere ganz wil-
kuͤhrliche Verbindlichkeiten unter ſich eingehn, wodurch
die oft unzulaͤnglichen Regeln des natuͤrlichen Rechts
theils naͤher beſtimt, theils erweitert oder eingeſchraͤnkt
werden, wenn ſie nur demſelben nicht gerade zuwiderlau-
fen. Daraus entſteht eine beſondere Gattung des Voͤl-
kerrechts, die man das wilkuͤhrliche oder beliebte [arbi-
trarium
] nent, weil deſſen Grundſaͤtze auf die Wilkuͤhr
der Voͤlker beruhen. Den Namen des poſitiven fuͤhrt
es,
[15]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
es, nicht in Ruͤckſicht eines menſchlichen Obern, ſondern
der von den Voͤlkern ſelbſt ſich auferlegten Geſetze. Das
hiſtoriſche wird es endlich zuweilen genant, weil es da-
bey nicht ſowohl auf Vernunftſchluͤſſe, als auf Thatſa-
chen ankomt, die aus der Geſchichte beigebracht werden
muͤſſen.




§. 8.
[16]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,

§. 8.
Quellen deſſelben
a] Vertraͤge.


Die Einwilligung der Voͤlker kan auf beiden Seiten
entweder ausdruͤcklich, durch foͤrmliche Vertraͤge, oder
ſtilſchweigend erteilt werden. Aus den erſtern entſpringt
das Vertragsrecht der Voͤlker oder das verglichene
Voͤlkerrecht
, welches die durch Vertraͤge beſtimten
gegenſeitigen Zwangsrechte und Pflichten enthaͤlt.



§. 9.
b] Herkommen.


Fuͤr eine ſtilſchweigende Einwilligung wird es ange-
ſehn, wenn ein Volk, mit Wiſſen und ohne Widerſpruch
des andern, etwas thut oder unterlaͤßt, dem dieſes,
wenn es nicht einwilligen wolte, zu widerſprechen das
Recht und die Verbindlichkeit hatte. Daraus entſtehen
gewiſſe verbindliche Gebraͤuche und Gewonheiten, die
das Gewonheitsrecht der Voͤlker [jus gentium con-
ſuetudinarium
] das Voͤlkerherkommen, das herkom-
liche
oder praktiſche Voͤlkerrecht ausmachen, und z.
B. in Beſtimmung des Ranges und unzaͤhliger anderer
Vorfallenheiten ein großes Gewicht haben.




§. 10.
c] Analogie.


Geſetze und Vertraͤge ſind oft ſo beſchaffen, daß ſich
noch viele aͤhnliche Faͤlle aus denſelben und ihren Grund-
urſachen herleiten laſſen, die wuͤrklich darinn nicht ent-
halten
[21]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
halten ſind. Eben ſo verhaͤlt es ſich mit dem Herkom-
men. Die aus Vergleichung aͤhnlicher Faͤlle gezogenen
Grundſaͤtze nent man Analogie, welche, wie in allen
Rechtswiſſenſchaften, ſo auch im Voͤlkerrechte alsdann
ihre Anwendung leidet, wenn ein Fall auf beſtimtere Art
nicht zu entſcheiden iſt.



§. 11.
Algemeines und beſonderes Voͤlkerrecht.


Eine der wichtigſten Abtheilungen des Voͤlkerrechts,
worauf man bei Anwendung ſeiner Saͤtze die vorzuͤglich-
ſte Aufmerkſamkeit zu richten hat, iſt in algemeines und
beſonderes, ie nachdem es entweder alle Voͤlker des
Erdbodens, oder nur einige derſelben verbindet. In
Vernachlaͤſſigung dieſes Unterſchiedes liegt die Haupt-
quelle der mehreſten Streitigkeiten der Rechtsgelehrten in
Anſehung der Voͤlkerrechtsbegriffe. Auſſer dem noth-
wendigen natuͤrlichen
laͤßt ſich ein algemein verbindli-
ches Voͤlkerrecht ſchwerlich mit Grunde behaupten. Das
freiwillige kan nur gegen dieienigen eine Kraft haben,
von denen ſich erweiſen laͤßt, daß ſie wuͤrklich in einer
geſelſchaftlichen Vereinigung mit einander leben. Das
wilkuͤhtliche endlich iſt nur denen ein Geſetz, welche
ihre Einwilligung entweder ausdruͤcklich oder ſtilſchwei-
gend auf eine rechtskraͤftige Art gegeben haben. Es laͤßt
ſich alſo ein Voͤlkerrecht denken, das blos unter zwei
Nazionen Statt findet.


B 3*]
[22]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,

§. 12.
Andrer Rechtslehrer Abtheilungen des
Voͤlkerrechts
.


Vorſtehende Voͤlkerrechtseintheilungen haben mir die
weſentlichſten geſchienen. Andre Voͤlkerrechtslehrer be-
dienen ſich deren noch mehrere, die zum Theil blos in der
Benennung abweichen. Ich will wenigſtens die vor-
nehmſten davon bemerklich machen. Nach der Meinung
des Grotius zerfaͤlt das Voͤlkerrecht in zwei Haupttheile
in latius patens, worunter er ſein ſogenantes ius gentium
voluntarium
verſteht, das wieder vniverſale et certarum
gentium
ſeyn ſoll, und in arctius patens, welches blos
das bey mehreren Voͤlkern gleichfoͤrmig angenommene
Privatrecht enthaͤlt. Das natuͤrliche Voͤlkerrecht iſt nach
dem Grotius und andern Philoſophen entweder ein in-
nerliches
oder aͤuſſerliches. Jenes ſoll aus den Grund-
ſaͤtzen beſtehn, welche ich mit Wolfen und andern zu dem
nothwendigen Voͤlkerrechte zaͤhle, weil ſie, wenn auch
nicht aͤuſſerlich, doch fuͤr das Gewiſſen der Voͤlker ver-
bindlich
ſind. Zu dieſen gehoͤren die auch aͤuſſere
Zwangsmittel zulaſſende Pflichten: und weil die Beob-
achtung der innern Obliegenheiten von andern Voͤlkern,
nicht wie die aͤuſſern, mit volkomnen Rechte gefodert
werden koͤnnen; ſo wird das Voͤlkerrecht vielfaͤltig auch
in volkomnes und unvolkomnes eingeteilt. Ferner
unterſcheidet man es in abſolutes [abſolutum connatum,
von einigen auch primarium genant] und hypothetiſches
[hypotheticum, adquiſitum oder auch ſecundarium]. Er-
ſteres iſt dasienige, welches ohne Zuthun einer verbindli-
chen
[23]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
chen Handlung, blos aus dem Weſen der Voͤlker ent-
ſpringt, lezteres ſezt eine verbindliche Handlung, ein ſo-
genantes factum iuridicum, z. B. einen Vertrag, eine
Beleidigung voraus. Zouchaͤus und Mehrere machen
einen Unterſchied zwiſchen ius gentium und jus inter gentes.
Unter ienem verſtehn ſie das natuͤrliche, unter dieſem
das von ihm abgehandelte practiſche Voͤlkerrecht. Sel-
den
endlich theilt das Voͤlkerrecht in Ruͤckſicht der von
Gott dem iuͤdiſchen Volke unmittelbar ertheilten Voͤl-
kergeſetze in ius gentium imperativum und interveniens.



§. 13.
Verſchiedenheit des Voͤlkerrechts vom
Naturrechte
.


Unter dem Ausdruck: Voͤlkerrecht verſtehen Viele
ſogleich ein Recht, welches alle Voͤlker verbinden ſoll:
ſo wie der Name: Staatsrecht, ohne weitern Zuſatz
immer nur das algemeine bezeichnet. Da ſie nun blos
dem Naturrechte eine algemeine Verbindlichkeit zugeſtehn
und ſolches gerade zu auf die Voͤlker angewandt wiſſen
wollen; ſo halten ſie auch den Unterſchied fuͤr unnoͤthig.
Hobbes laͤugnete ihn zuerſt: ihm folgten Puffendorf,
Gundling, Boͤhmer
und Andere. Die gegenſeitige
Meinung hat iedoch triftigere Gruͤnde fuͤr ſich. So ver-
ſchieden das Weſen politiſcher Koͤrper von dem Weſen
wuͤrklicher Perſonen iſt, ſo manchen Abaͤnderungen iſt
nothwendig das Naturrecht in der Anwendung auf freie
Voͤlker unterworfen. Schon das natuͤrliche Voͤlkerrecht
weicht alſo von dem Naturrechte merklich ab: noch ein-
leuchtender alſo wird der Unterſchied bey den poſitiven
Grundſaͤtzen. Puffendorf und ſeine Nachfolger trugen
B 4indes
[24]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
indes die Natur- und Voͤlkerrechtslehren unabgeſondert
vor. Deſto ſorgfaͤltiger ſind Wolf, Vattel, Ickſtadt
und die neuern Gelehrten in deren Auseinanderſetzung
geweſen; und Moſer hat das europaͤiſche Voͤlkerrecht
ohn alle Einmiſchung des Naturrechts vorgetragen.



§. 14.
Exiſtenz eines Voͤlkerrechts.


Mit dem Unterſchiede wird denn auch die Exiſtenz
eines eignen Voͤlkerrechts uͤberhaupt, beſonders aber des
poſitiven abgelaͤugnet. Man wendet ein, daß freie Voͤl-
ker, welche keinen Obern als Gott uͤber ſich erkennen,
an menſchliche Geſetze und Gewonheiten nicht gebunden
ſeyn koͤnten, ſondern lediglich die Vorſchriften des Na-
turrechts befolgen duͤrften. Andere, die allenfals ein
eignes Voͤlkerrecht zugeben, halten doch ſelbſt das natuͤr-
liche darum fuͤr unnuͤtz, weil die Voͤlker zu deſſen Beob-
achtung durch niemanden angehalten werden koͤnten.
Allein nicht blos Geſetze eines Obern, ſondern auch Ver-
traͤge zwiſchen Gleichen ſind vermoͤgend, die Richtſchnur
der Handlungen zu beſtimmen, und ein Recht zu begruͤn-
den. Sind freie Voͤlker gleich keinem menſchlichen
Geſetzgeber unterworfen, ſo koͤnnen ſie doch ſelbſt gewiſſe
Verbindlichkeiten ſich auflegen, welche als Geſetze von
ihnen beobachtet werden, und deren Handhabung gegen
die Uebertreter, ſo wie bey den Vorſchriften der Natur,
dem andern Theile mit Recht gebuͤhrt.


*]
[25]und dem europaͤiſchen insbeſondere.

§. 15.
Verbindung des Voͤlkerrechts mit andern
Staatskentniſſen
.


Das Voͤlkerrecht iſt ein Theil der Staatswiſſen-
ſchaft
. Dieſe begreift alle dieienigen Kenntniſſe in ſich,
welche die moͤgliche und wuͤrkliche Beſchaffenheit der
Staaten und der davon abhangenden Beſtimmungen
zum Gegenſtand haben. Sie wird daher in die philo-
ſophiſche
und hiſtoriſche eingeteilt. Ihre Quellen be-
ſtehen in Rechtsgelehrſamkeit, Politik und Ge-
ſchichtkunde
. Die erſtere lehrt, wie die Staaten von
Rechtswegen ſeyn muͤſſen; die zweite, wie ſie, der
Klugheit gemaͤs, ſeyn koͤnten und ſolten; und die dritte,
wie ſie wuͤrklich ſind, und wodurch ſie ihre gegenwaͤrtige
Geſtalt erlangt haben. Ueberdies kan man die Staaten
entweder nach ihrer innern Einrichtung und Verfaſſung,
oder nach ihrem aͤuſſern Verhaͤltniſſe zu andern Staaten
betrachten. Alle dieſe verſchiedenen Ruͤckſichten ſind der
Grund, aus welchem die Staatswiſſenſchaft in folgende
Haupttheile zerfaͤlt.


  • A] Aus den Rechtslehren fließt:
    • a] Das Staatsrecht, wenn man die innere
      Verfaſſung der Staaten, in Beziehung auf
      Regenten und Unterthanen, nach den Regeln
      des Rechts unterſucht; und zwar
      B 5aa]
      [26]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      • aa] das algemeine, welches in philoſophiſchen Grund-
        ſaͤtzen beſteht, und auf alle moͤgliche Staaten ſich
        erſtreckt.
      • bb] Das beſondere, deſſen Gegenſtand ein einzelner
        wuͤrklicher Staat iſt.
    • b] Das Voͤlkerrecht, welches in den vorherge-
      henden §. §. ausfuͤhrlicher erklaͤrt worden, und
      bey dem die Eintheilung in
      • aa] algemeines und
      • bb] beſonderes z. B. europaͤiſches, davon in der
        Folge gehandelt werden ſoll, ebenfals Statt findet.
  • B] Die Politik lehrt in der Staatsklugheit unter
    mehrern rechtmaͤßigen, die beſten und ſchicklichſten
    Mittel zur geſchwindeſten Erreichung der Abſichten
    des Staats und deſſen Wohlfarth kennen. Es
    giebt auch eine
    • a] algemeine und
    • b] beſondere, in Beziehung der
      • aa] innern und
      • bb] aͤuſſern Verhaͤltniſſe.
  • C] Von der Geſchichtkunde gehoͤren zur Staatswiſ-
    ſenſchaft hauptſaͤchlich
    • a] die Statiſtick, welche von der natuͤrlichen
      und politiſchen Verfaſſung eines Staats,
      von deſſen Groͤße, Producte, Maͤngel, Macht
      und allen uͤbrigen gegenwaͤrtigen Merkwuͤrdig-
      keiten deſſelben Nachricht giebt.
    • b] Die Staatengeſchichte macht die Veraͤnde-
      rungen eines Staats im Ganzen und ſeinen
      Theilen bemerklich, lehrt deren Urſachen und
      Wuͤrkungen, und zeigt uͤberhaupt, wie alles
      nach
      [27]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
      nach und nach ſeine itzige Beſchaffenheit er-
      langt hat.

Uebrigens wird die Staatswiſſenſchaft auch noch in
die theoretiſche und practiſche eingetheilt. Dieſe
lehrt in der Staats- und Voͤlkerprari die Grundſaͤtze
der erſtern auf einzelne Staatsgeſchaͤfte anwenden. —
Alle dieſe verſchiedenen Kenntniſſe ſtehen, als Theile ei-
nes Ganzen, in der genaueſten Verbindung, und bieten
einander, der beſtaͤndigen Beziehung wegen, die unent-
behrlichſten Huͤlfsmittel dar.


§. 16.
Europaͤiſches Voͤlkerrecht.


Die Verbindung der europaͤiſchen Nazionen unter
einander, welche zuſammen gleichſam ein Syſtem aus-
machen, veranlaßt mancherley beſondere Verhaͤltniſſe.
Wenn man auf dieſe die Zwangsrechte und Zwangs-
pflichten des algemeinen Voͤlkerrechts anwendet, und
zugleich die durch Vertraͤge oder Herkommen unter ihnen
beliebten Einſchraͤnkungen und Beſtimmungen bemerkt,
ſo entſteht daraus der Begrif des europaͤiſchen Voͤlker-
rechts
.



§. 17.
Quellen deſſelben
a] Vertraͤge.


Die erſte und zuverlaͤſſigſte Quelle des beſondern
europaͤiſchen Voͤlkerrechts machen die unter den europaͤi-
ſchen Staaten errichteten ausdruͤcklichen Vertraͤge aus
[deren Erforderniſſe weiter unten vorkommen werden].
Da es aber keine algemeinen Vertraͤge giebt, die von
allen, oder auch nur den mehreſten europaͤiſchen Nazio-
nen geſchloſſen waͤren, ſo iſt dieſes Vertragsrecht keines-
weges algemein, ſondern nur fuͤr dieienigen Voͤlker ver-
bindlich, welche dergleichen Vertraͤge errichtet, oder
durch ihren Beitritt anerkant haben.



§. 18.
b] Herkommen.


Die algemeinen Begriffe des Herkommens ſind ſchon
§. 9. feſtgeſezt worden. Die europaͤiſchen Staaten ha-
ben, wie nicht zu laͤugnen iſt, unter ſich gewiſſe Gewon-
heiten eingefuͤhrt, die ſie als Geſetze von allen beobach-
tet
[29]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
tet wiſſen wollen, ob deren algemeine Verbindlichkeit gleich
aus dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nicht allemal zu erwei-
ſen iſt. Da die europaͤiſchen Nazionen keinen menſchli-
chen geſetzgebenden Obern uͤber ſich erkennen, und die
wenigſten Handlungen derſelben gegeneinander durch
ausdruͤckliche Vertraͤge beſtimt ſind; ſo iſt das Herkom-
men, oder das, was in vorigen Zeiten in dergleichen
und aͤhnlichen Faͤllen unter ihnen iſt beobachtet worden,
von deſto groͤßerm Umfange.




  • I] Beſtimmung iſt zu merken:
    • a] Das Herkommen gruͤndet ſich lediglich auf That-
      ſachen, die ſtilſchweigend nach und nach eine geſetz-
      liche Kraft erreicht haben: auch kan es durch Ver-
      traͤge zwiſchen etlichen Voͤlkern veranlaßt worden
      ſeyn, indem die uͤbrigen, ohne ausdruͤcklichen Bei-
      tritt, ſich demſelben gemaͤs benehmen.
    • b] Je mehr Staaten einem Herkommen beigeſtimt,
      oder nur nicht widerſprochen haben, fuͤr deſto ver-
      bindlicher wird es geachtet.
    • c] Je mehr Faͤlle man aufweiſen kan, deſto weniger
      iſt es zu bezweifeln: doch gnuͤgt zuweilen auch nur
      ein einziges Beiſpiel.
    • d] Die Faͤlle muͤſſen gleichfoͤrmig ſeyn.
    • e] Da Gewohnheiten einer oͤftern Abaͤnderung unter-
      worfen ſind, ſo komt es hauptſaͤchlich auf die neu-
      ſten Faͤlle an; nicht ſelten muß man iedoch auf die
      aͤltern Zeiten zuruͤckgehn.

II]
[30]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
  • II] Der Beweis des Herkommens liegt, weil es auf That-
    ſachen beruht, dem, der ſich darauf bezieht, ob, und
    muß entweder a] durch Zeugen, b] oͤffentliche Staats-
    ſchriften, oder c] durch glaubwuͤrdige Geſchichtſchreiber
    gefuͤhrt werden. Zur Erlaͤuterung und Beſtaͤtigung fin-
    den iedoch auch philoſophiſche Beweiſe ſtatt.
    • Dietr. Herm. Kemmerich diß. de probatione con-
      ſuetudinis et obſervantiae tam privatae quam
      publicae. Ienae
      1732. 4.
    • Henr. Bodini disſ. de eo quod juſtum eſt circa teſti-
      monium hiſtoricorum. Halae
      1701. 4.
    • Indes ſchiebt man bey dem Herkommen nicht ſelten die
      Schuld auf die Miniſters, und ſchuͤtzt einen Kanz-
      leyfehler vor.
  • III] Die Rechtskraft eines dergleichen Herkommens unter
    den europaͤiſchen Staaten iſt um ſo weniger zu bezweifeln,
    da ihr eignes Anerkentnis ſolche bewaͤhrt. Sie
    • a] berufen ſich oͤfters auf ein Voͤlkerrecht.
    • b] verſtehen darunter nichts als hergebrachte Gewon-
      heiten,
    • c] legen ihnen eine volkomne Verbindlichkeit bey.
    • Ad. Fr. Glafeys Recht der Vernunft 1. Buch 1. Kap.
      §. 329. S. 205. ed. 1746.
    • J. J. Moſers Verſuch ꝛc. Abhandlung von den Nor-
      men ꝛc. §. 5.
    • Als beym Ryswickſchen Friedenskongreſſe die kaiſerli-
      chen Geſandten durch zu ſtrenge Behauptung der
      Vorzuͤge des Kaiſers mancherley Irrungen veran-
      laßten, aͤuſſerte man von Seiten der vermittelnden
      Geſandſchaft: daß kein einziger Miniſter Sr. Kaiſerl.
      Majeſtaͤt den Rang und Vorzug vor andern Souve-
      rains ſtreitig machte, weil die Poſſeſſion, in
      welcher ſich ein roͤmiſcher Kaiſer diesfals main-
      tenirt
      [31]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
      tenirt habe, zu einer Gewonheit, und folg-
      lich zu einem Geſetze worden ſey, welchem
      niemand derogiren koͤnte
      noch wolte.
  • IV] Wie nothwendig die Kentnis dieſer Gewonheiten ſey,
    ergiebt ſich daraus, daß die europaͤiſchen Souverains oft
    unbeſtimt ſich darauf beziehen. So heißt es z. B. bey
    dem Eingang in die Dardanellen und Haͤfen, ſollen in
    Anſehung der daͤniſchen Schiffe eben die Gewonheiten,
    welche gegen andre freundſchaftliche Nazionen beobachtet
    werden, Statt haben; und anlangend das Gruͤſſen der
    Koͤniglich Daͤniſchen Kriegsſchiffe, ſollen die unter andern
    befreundeten Maͤchten uͤbliche Gewonheiten beobachtet
    werden. Freudſchafts- und Handlungsvertrag zwiſchen
    Daͤnemark und der Pforte von 1756. Art. 1. und 5.
    Wenn die beiderſeitigen Geſchwader oder Kriegsſchiffe ſich
    begegnen, oder ſich mit einander vereinigen ſolten, will
    man wegen des Kommando dasienige beobachten, was
    unter den gekroͤnten Haͤuptern und der Republik
    gewoͤnlich iſt
    . Beitrit der vereinigten Niederlande vom
    5ten Januar 1781. zum Seehandlungstractat zwiſchen
    Rußland und Daͤnemark von 1780. Art. 13.

§. 19.
c] Analogie.


Der Schlus von aͤhnlichen Faͤllen und Grundſaͤtzen
auf andre durch Vertraͤge oder Herkommen ausdruͤcklich
nicht beſtimte Faͤlle, giebt auch im europaͤiſchen Voͤlker-
rechte oͤfters einen Entſcheidungsgrund ab.



§. 20.
Vom Gebrauch der Bibel, der roͤmiſchen
und andrer Privatrechte in den Voͤl-
kerrechtsmaterien
.


Auſſer dem algemeinen natuͤrlichen Voͤlkerrechte hal-
ten J. J. Moſer und andere das goͤttliche Recht der
Bibel a], beſonders neuen Teſtaments, und deſſen
Hauptgrundſaͤtze: 1] Liebe deinen Naͤchſten als dich
ſelbſt; 2] Was ihr wolt, das euch die Leute
thun ſollen, das thut ihr ihnen auch
, fuͤr eine der
erſten Normen, wornach beſonders die europaͤiſchen Na-
zionen ihre Handlungen einrichten ſolten, weil ſie, eini-
ge orientaliſche Staaten ausgenommen, alle zur chriſtli-
chen Religion ſich bekennen. Doch geſteht er ſelbſt, daß
in den Staatshandlungen der Souverains von Gott
und goͤttlichem Rechte ſelten, von der heiligen Schrift
aber faſt nie die Rede ſey, wenn ſchon ein Satz daraus
noch ſo entſcheidend waͤre. So verehrungswuͤrdig die-
ſes goͤttliche Buch in den Augen des wahren Chriſten,
und ſo verbindlich es fuͤr das Gewiſſen chriſtlicher Re-
genten iſt, ſo wenig kan demſelben doch eine volkomne
aͤuſſere Verbindlichkeit im juriſtiſchen Verſtande beige-
legt werden, da die, auſſer den iuͤdiſchen Ceremoniel-
und Privatgeſetzen, in demſelben enthaltene Vorſchrif-
ten
[33]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
ten lediglich auf unſre kuͤnftige Seligkeit abzwecken, wo-
zu Gott mit Gewalt niemanden zwingen will b]. Irri-
gerweiſe bediente man ſich ſonſt auch der roͤmiſchen, ca-
noniſchen und andrer Privatrechte in Beurteilung der
Voͤlkerrechtsmaterien, die man aber, weil ihnen aller
Grund einer Verbindlichkeit fehlt, heutzutage billig ver-
wirft. Doch iſt deren Kentnis, als Huͤlfsmittel, nicht
ganz zu verwerfen, indem aus ienem Gebrauche man-
ches europaͤiſche Voͤlkerherkommen ſich erklaͤren laͤßt c].





§. 21.
Staatsintereſſe.


Erhaltung und Vervolkomnung ſein ſelbſt iſt eine
der vorzuͤglichſten Pflichten und gemeiniglich die Haupt-
triebfeder der Handlungen des Menſchen, einzeln und in
Verbindung mit andern betrachtet. Auch unter Nazio-
nen liegt darinnen der Grund des iedem Volke eignen
ſogenanten Staatsintereſſe, [Intérêt des Etats] unter
welchem der Inbegrif aller Maasregeln verſtanden wird,
Cdie
[34]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
die eine Nazion zur unmittelbaren Erhaltung und Ver-
mehrung der Staatsabſicht annimt, und in vorkommen-
den Staatsgeſchaͤften nach der Staatsraiſon [ratio ſta-
tus, raiſon d’état
] beſtimt a]. Sie haben auf die Hand-
lungen der Souverains gegeneinander oft den ſtaͤrkſten
Einflus, und muͤſſen allerdings in Erwaͤgung gezogen
werden: nur duͤrfen Vergroͤßerungsſucht und Begierde
nach uͤberwiegender Macht, mit Hintanſetzung der Ge-
rechtſame anderer Nazionen, nicht deren Hauptquellen,
und der Grund eines bloßen Konvenienzrechtsb] ſeyn.
Selten gelangen indes die wahren und geheimen Trieb-
federn der Handlungen unter den Souverainen zur Wiſ-
ſenſchaft des Publikums. Daher die Eintheilung in
oͤffentliches und geheimes Staatsintereſſe. Die Kent-
nis davon gehoͤrt in die Staatsklugheit.




§. 22.
Gebrauch der Quellen.


Bei einer vorfallenden Rechtsfrage zwiſchen zwey
Voͤlkern kommen zufoͤrderſt die beſondern Vertraͤge und
Gewonheiten unter ihnen beiden, nebſt deren Analogie
in
[35]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
in Betrachtung. Sind dieſe unzulaͤnglich, ſo folgen
die gemeinen Gewonheiten der uͤbrigen europaͤiſchen Na-
zionen: und wenn der Fall auch daraus nicht zu ent-
ſcheiden iſt, muß man ſeine Zuflucht endlich zum natuͤr-
lichen, zuerſt zum freiwilligen und dann zum nothwendi-
gen nehmen. Zwar haͤlt Moſer dies von ihm ſo betit-
telte Schulvoͤlkerrecht fuͤr ziemlich unnuͤtzes Geſchwaͤtz,
weil deſſen Grundſaͤtze ſehr ungewis und unzureichend
waͤren, auch von den Schriftſtellern und Nazionen wie
eine waͤchſerne Naſe gedreht wuͤrden, indem man, der
Konvenienz nach, bald dieſes bald ienes fuͤr Recht erken-
ne, und den natuͤrlichen Gruͤnden wieder andre entge-
gen ſetze. Die Beziehung auf Schriftſteller des natuͤr-
lichen Voͤlkerrechts ſey daher unnoͤthig in Staatsſchrif-
ten, beruhe blos auf den Geſchmack dieſes oder ienes
Miniſters, und komme ſelten vor, weil ſelbſt auf der
beruͤhmteſten Ausſpruch in Entſcheidung der Voͤlkerſtrei-
tigkeiten nichts ankomme. Allein koͤnten die meiſten die-
ſer Vorwuͤrfe mit gleichem Rechte nicht auch den Grund-
ſaͤtzen des von ihm zuſehr erhobenen practiſchen Voͤlker-
rechts gemacht werden? So lange iene vorzuͤglicheren
Quellen hinreichen, bedarf es des Gebrauchs natuͤrlicher
Voͤlkerrechtsſaͤtze und ihrer Schriftſteller freilich nicht.
Im Gegenfall aber, oder auch blos zu mehrerer Beſtaͤti-
gung der vorgetragenen Meinungen iſt deren Anfuͤhrung
kaum ganz zu verwerfen. Am oͤfterſten muß man auf das
freiwillige Voͤlkerrecht zuruͤckgehen; wo man iedoch nicht
blos bey den algemeinen Geſelſchaftspflichten ſtehen blei-
ben darf, ſondern vorzuͤglich auch auf die Natur der
unter den europaͤiſchen Staaten beſtehenden Verbindun-
gen, die mancherley Zufaͤlligkeiten unter ihnen weſentlich
gemacht haben, Ruͤckſicht nehmen muß.



§. 23.
Geſchichte des europaͤiſchen Voͤlkerrechts.


Die Einſicht und Beurteilung der europaͤiſchen Voͤl-
kerrechtslehren wird durch alle oberwaͤhnte Theile der
Staatswiſſenſchaft nicht wenig erleichtert. Die haupt-
ſaͤchlichſten Huͤlfsmittel aber gewaͤhrt die Kentnis des
Staatsrechts der europaͤiſchen Nazionen, ihrer politi-
ſchen Verfaſſung und beſonders ihres Staatsintereſſe,
die man durch das Studium der Staatengeſchichte und
der Statiſtick mit allen zur Geſchichte gehoͤrigen Huͤlfs-
wiſſenſchaften, als Geographie, Genealogie, Heral-
dick ꝛc. aus bewaͤhrten Quellen, zuweilen auch aus poli-
tiſchen Blaͤttern, durch Reiſen, Umgang mit Staats-
C 3bedien-
[38]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
bedienten und, wo moͤglich, durch eigne Erfahrung zu
erwerben bemuͤht ſeyn muß.



§. 24.
Teutſches Voͤlkerrecht.


Teutſchland als ein einiger Staatskoͤrper, gehoͤrt
ohnſtreitig unter die Zahl der uͤbrigen europaͤiſchen Maͤch-
te, und genießt daher mit ihnen gleiche, zuweilen noch
vorzuͤglichere Rechte. Bekantlich iſt es aber auch ein
Reich, das aus mehreren beſondern, iedoch einer gemein-
ſchaftlichen hoͤhern Gewalt [untergeordneten] Staaten be-
ſteht, die, ihrer Reichsverbindung unnachtheilig, ver-
moͤge der Reichsgrundgeſetze und des Herkommens groͤ-
ſtenteils dieienigen Gerechtſame ausuͤben, welche andern
freien Voͤlkern zuſtehn. Die meiſten Verbindungen der
teutſchen Reichsſtaͤnde mit auswaͤrtigen Maͤchten, viele
der Reichsſtaͤnde unter ſich und nicht wenige mit dem
Kaiſer und Reich muͤſſen daher aus den Grundſaͤtzen des
europaͤiſchen Voͤlkerrechts beurteilt werden. Dieſes auf
die teutſchen Reichsſtaͤnde angewandte Voͤlkerrecht kan
man fuͤglich das teutſche Voͤlkerrecht nennen.




§. 25.
Quellen und Huͤlfsmittel des teutſchen
Voͤlkerrechts
.


Die Quellen des teutſchen Voͤlkerrechts beſtehen, wie
bey dem europaͤiſchen uͤberhaupt, ebenfals in Vertraͤgen,
Herkommen und Analogie, und bey deren Ermangelung
in Grundſaͤtzen des natuͤrlichen Voͤlkerrechts. Nur muͤſ-
ſen die teutſchen Reichsſtaͤnde bei ihren Verbindungen
mit Auswaͤrtigen und unter ſich ſelbſt, die Vorſchriften
des teutſchen Staatsrechts nicht auſſer Augen laſſen.
Die Kentnis dieſes Rechts und der beſondern reichsſtaͤn-
diſchen Verfaſſung iſt auch als das hauptſaͤchlichſte
Huͤlfsmittel des teutſchen Voͤlkerrechts anzuſehn.


§. 26.
Geſchichte des Voͤlkerrechts.


Zur gruͤndlichen Erlernung des Voͤlkerrechts iſt die
Kentnis deſſen Geſchichte und der Gelehrten, welche ſich
um
[41]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
um die wiſſenſchaftliche Bearbeitung deſſelben verdient
gemacht haben, unentbehrlich; weil die Bekantſchaft mit
den Schickſalen, Volkommenheiten und Maͤngeln einer
Wiſſenſchaft die Fortſchritte in derſelben ungemein erleich-
tert. Die eigentliche Geſchichte der Wiſſenſchaft be-
ſchaͤftigt ſich mit Erzaͤhlung der wichtigſten von Zeit zu
Zeit in denſelben aufgeſtelten Grundſaͤtze und deren Ver-
anlaſſung; hingegen die Bemuͤhungen der Gelehrten, ſie
als Wiſſenſchaft in Schriften auszubilden, werden in
der Gelehrtengeſchichte oder ſogenanten Literatur vor-
getragen.


§. 27.
Geſchichte des natuͤrlichen Voͤlkerrechts.


Eine Geſchichte im eigentlichen Verſtande findet beim
natuͤrlichen Voͤlkerrechte, wie man gegen meinen Grund-
ris erinnert hat, zwar freilich nicht Statt, weil deſſen
Grundſaͤtze, eben ſo alt als die Nazionen, unveraͤnder-
lich ſind, und auf Schluͤſſen einer geſunden Vernunft
beruhen. Da iedoch die Art zu ſchluͤſſen nicht immer
die naͤmliche geweſen, die Gelehrten in vielen Saͤtzen
von einander abweichen, und manche derſelben erſt in
neuern Zeiten, bey zunehmender Aufklaͤrung, mehrere
Berichtigung erhalten haben, ſo wuͤrde es wohl mehr
Geſchichte der Wiſſenſchaft, als bloße Literatur zu nen-
nen ſeyn, wenn man hauptſaͤchlich die verſchiedenen
Grundſaͤtze des natuͤrlichen Voͤlkerrechts durchginge, und
zeigte, wie ſie nach und nach entſtanden, abgeaͤndert und
vervolkomnet worden, mit Bemerkung der Gelehrten,
welche dieſer oder iener Meinung zugethan geweſen.
Man kan folgende Epochen annehmen: a] die Zeiten der
alten und ſcholaſtiſchen Philoſophie; b] Grotius und
ſeine Nachfolger; c] neuere Zeiten von Wolf bis itzt.
Die Ausfuͤhrung dieſer Geſchichte wuͤrde fuͤr meine gegen-
waͤrtige Abſicht zu weitlaͤuftig ſeyn. Man kan indes
C 5die-
[42]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
dieienigen Schriftſteller nachſchlagen, welche die Ge-
ſchichte des Naturrechts, gewoͤnlich verbunden mit der
des natuͤrlichen Voͤlkerrechts abgehandelt haben.



§. 28.
Huͤlfsmittel des europaͤiſchen Voͤlkerrechts.


In den aͤltern und ſogenanten mitlern Zeiten ſtanden
die europaͤiſchen Nazionen wenig mit einander in Ver-
bindung. Jede war nur mit ſich ſelbſt und mit ihrer
innern Einrichtung beſchaͤftigt: und ob dieſe ſchon mit
dem vierzehnten Jahrhundert ungefaͤhr bey den mehreſten
Staaten einige Conſiſtenz erlangte, ſo bekuͤmmerten ſie
ſich doch noch ſelten weiter als um ihre naͤchſten Nach-
barn. Seit dem Ende des funfzehnten Jahrhunderts
fing der Zuſammenhang der Staaten an immer ſtaͤrker
und das Intereſſe immer gemeinſchaftlicher zu werden,
bis ſie nach und nach ihre gegenwaͤrtige Verfaſſung erhiel-
ten. Da es unter ihnen anfangs nothwendig an Ver-
traͤgen und Gewonheiten fehlte, und an die Ausbildung
eines Naturrechts noch nicht zu denken war, ſo nahmen
ſie in ſtreitigen Rechtsfaͤllen ihre Zuflucht zu den damals
algemein beliebten roͤmiſchen und paͤpſtlichen Rechtsſaͤ-
tzen. Nicht ſelten wurden ſogar Gutachten und Beden-
ken von Gottesgelehrten eingeholt, die ihre Entſchei-
dungsgruͤnde, wie leicht zu erachten, aus der Bibel
nahmen. Die Aufklaͤrung in den uͤbrigen Wiſſenſchaf-
ten fuͤhrte auch in die Staatsgeſchaͤfte gereinigtere aus
gemeinſchaftlichem Wohl hergeleitete Grundſaͤtze ein,
und veranlaßte nach und nach mehrere Gewonheiten und
Ver-
[43]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
Vertraͤge. Hierzu kamen die Uebermacht einiger Nazio-
nen, verſchiedene Staats- und Handelsvereine, beſtaͤn-
dige Soldaten, ſtehende Geſandſchaften u. dergl. wo-
durch der Umfang des wilkuͤhrlichen Voͤlkerrechts anſehn-
lich erweitert ward. Deſſen Hauptepoche iſt iedoch von
dem weſtphaͤliſchen Frieden an zu rechnen, der faſt uͤber
ganz Europa ſich erſtreckte, und auf deſſen politiſches
Syſtem den wichtigſten Einflus hatte.



§. 29.
Geſchichte des teutſchen Voͤlkerrechts.


Gleiche Bewandnis hat es mit den Grundſaͤtzen,
worauf die Beurteilung der auswaͤrtigen Angelegenheiten
teutſcher Reichsſtaͤnde beruht. Bey dieſen macht der
weſtphaͤliſche Friede eine noch merkwuͤrdigere Epoche.


§. 30.
Literatur des Voͤlkerrechts.


Die Literatur zeigt die Gelehrten und ihre Schriften
an, welche zur Ausbildung einer Wiſſenſchaft beigetra-
gen haben. Sie zerfaͤlt in zwei Hauptſtuͤcke, in die
Gelehrtengeſchichte und Bibliothek. Die erſtere
giebt in chronologiſcher Ordnung von den Schriftſtellern
und ihren vorzuͤglichſten Lebensumſtaͤnden, die beſonders
auf ihre Schriften einigen Einflus gehabt haben, Re-
chenſchaft. In der Bibliothek werden die Schriften
nach einer gewiſſen Klaſſification recenſirt.




§. 31.
[46]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,

§. 31.
Hauptſchriftſteller des natuͤrlichen Voͤlker-
rechts
.


Vor dem ſechszehnten Jahrhundert fehlte es an ei-
ner ſyſtematiſchen Bearbeitung des Natur- und Voͤlker-
rechts gaͤnzlich. Johann Oldendorp legte 1539. ge-
wiſſermaßen den erſten Grund. Das Hauptſyſtem des
Voͤlkerrechts aber fuͤhrte zuerſt Hugo Grotius 1625. in
ſeinem jure belli et pacis auf. Sein Werk macht in al-
lem Betrachte Epoche, und behauptet unter den Voͤlker-
rechtsſchriften noch itzt einen vorzuͤglichen Rang. Nach
ihm zeichneten ſich beſonders Thomas Hobbes und Sa-
muel Puffendorf am meiſten dadurch aus, daß ſie die
Abſonderung des Voͤlkerrechts vom Naturrechte fuͤr un-
noͤthig hielten. Dieſen folgten, iedoch mit richtiger
Unterſcheidung beider Wiſſenſchaften in eignen Abhand-
lungen Glafey, Ickſtadt, Wolf, Rahrel, Real,
Vattel, Schrodt
und mehrere andere.


§. 32.
Hauptſchriftſteller des europaͤiſchen Voͤl-
kerrechts
.


Das poſitive Voͤlkerrecht blieb noch laͤnger vernach-
laͤſſigt. Grotius nahm in ſeinem vorgedachten Werke
zwar vorzuͤglich auch auf die Gewonheiten der Voͤlker
Ruͤckſicht: ſeine Beiſpiele ſind aber meiſtens von den
Griechen und Roͤmern entlehnt. Richard Zouchaͤus be-
nuͤzte hauptſaͤchlich die neuern Staatshandlungen. Seit-
dem aber Hobbes und Puffendorf dem poſitiven und
practiſchen Voͤlkerrechte die Verbindlichkeit abzuſprechen
geſucht hatten, kam es, die Bearbeitung einiger einzel-
nen Materien ausgenommen, in noch groͤßern Verfall.
Erſt zu Anfange dieſes Jahrhunderts ſuchte J. J. Mo-
ſer
dieſe nuͤtzliche Wiſſenſchaft mit algemeinem Beifal
wie-
[47]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
wieder hervor, indem er 1732. zu Tuͤbingen anfangs ein
eignes Kollegium daruͤber laß, und ſie nachher ſyſtema-
tiſch in verſchiedenen Schriften erlaͤuterte. Seine Nach-
folger waren Burkhard Gotthelf Struv, Gottfried
Achenwall, Peter Joſeph Neyron
und Georg Frie-
drich Martens. Indes klagt Moſer bey ſeinem neu-
ſten Verſuche nicht ganz ohne Grund, daß die bisherigen
Schriften entweder zu viel blos moͤgliche oder doch zu
alte Faͤlle, deſto weniger hingegen von denen anfuͤhren,
welche unter den europaͤiſchen Maͤchten in neuern Zeiten
ſich ereignet haben, und in beſtaͤndiger Uebung ſind.
An Materialien hierzu fehlt es uͤbrigens nicht. Die
Samlungen eines Leibnitz, Luͤnig, du Mont,
Rouſſet, Lamberty, Schmaus, Wenk
und andrer
enthalten deren einen reichlichen Vorrath.


§. 33.
Hauptſchriftſteller des teutſchen Voͤlker-
rechts
.


Dieſes hat Moſer zuerſt in zwey beſondern Werken
unter dem Namen des auswaͤrtigen und nachbarlichen
teutſchen Staatsrechts abgehandelt. Der Herr von
Selchov verſprach deſſen Ausarbeitung ebenfals im drit-
ten Theile ſeiner Elementorum Juris Publici: es iſt derſel-
be zur Zeit aber noch nicht erſchienen, dagegen ſind eini-
ge der dahingehoͤrigen Materien in der neuen Ausgabe
von 1782. dem erſten Theile an behufigen Orten einge-
ſchaltet worden.



§. 34.
Voͤlkerrechtsbibliothek.


Die ſaͤmtlichen Voͤlkerrechtsſchriften laſſen ſich fuͤg-
lich unter folgende Klaſſen ordnen:


  • I] Literariſche Werke, davon die vornehmſten
    ſchon oben bey der Literatur des Voͤlkerrechts an-
    gemerkt worden ſind.
  • II] Syſteme und Compendien des natuͤrlichen
    Voͤlkerrechts. Die Autorn, welche das Natur-
    recht abgehandelt haben, tragen gemeiniglich auch
    das Voͤlkerrecht weitlaͤuftiger oder kuͤrzer mit vor.
    Sie alle namhaft zu machen wuͤrde hier der Raum
    nicht geſtatten: ich will daher nur die merkwuͤr-
    digſten und beſonders dieienigen auszeichnen, wel-
    che das natuͤrliche Voͤlkerrecht in abſonderlichen
    Werken gelehrt haben.
  • 1] Io. Oldendorpii Iſagoge ſeu elementaria introductio
    juris naturalis, gentium et civilis. Col. Agripp.
    1539.
    12. auch in ſeinen Opp. und neuerlich von Car. Ant.
    Martini, Viennae
    1759. 8. herausgegeben. Iſt blos als
    das erſte Syſtem zu bemerken.
  • 2] Hug. Grotii Lib. III. de jure belli et pacis. Paris.
    1625. 4. Die beſten Ausgaben ſind cum notis Henr. et
    Sam. L. B. de Cocceji. Lauſannae 1751. V. Tom.
    4.
    und c. n. Barbeyracii et excerptis e comment. Cocce-
    jano
    [49]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
    jano, Amſt. 1754. und Lugd. Bat. 1759. 4. erſchienen.
    Unter den Ueberſetzungen verdient die franzoͤſiſche den
    Vorzug, welche unter dem Titel: Le droit de la guerre
    et de la paix par Hugues Grotius, nouvelle traduction
    par Iean Barbeyrac etc. Amſt.
    1724. 1729. und oͤfters
    2. Vol. 4. herausgekommen. Wer alle verſchiedene Aus-
    gaben, Ueberſetzungen und Kommentatore des Grotius
    kennen lernen will, ſehe Lipenii Bibl. jurid. edit. 1757.
    T. I. p. 562., Meiſteri Bibl. jur. nat. T. I. p. 199.
    ſeq.
    und von Ompteda Litteratur 2. Theil §. 122 u. f.
    Ebenderſelbe liefert einen vortreflichen Auszug des Gro-
    tianiſchen Werks im 1. Th. §. 55. u. f.
  • 3] Rich. Zouchaei juris et iudicii fecialis, ſive juris inter
    gentes et quaeſtionum de eodem explicatio, Oxon.
    1650. 4. Lugd. Bat,
    1651. 8. auch teutſch uͤberſetzt: Al-
    gemeines Voͤlkerrecht, wie auch algemeine Urtheile und
    Ausſpruͤche aller Voͤlker. Frankf. 1666. Enthaͤlt mancher-
    ley Faͤlle der aͤltern und damaligen Zeiten, nach den
    Grundſaͤtzen des Grotius ꝛc. entſchieden. Man kan dies
    Buch beinah als die erſte Ausfuͤhrung eines practiſchen eu-
    ropaͤiſchen Voͤlkerrechts anſehn.
  • 4] Sam. Puffendorffii de jure naturae et gentium Lib.
    VIII. Lund. Scan.
    1672. 4. am neuſten und beſten cum
    comment. Hertii et Barbeyracii
    von Gotfr. Maſcov.
    Francof.
    1743. und 1759. in 2. Tom. 4. edirt. Fran-
    zoͤſiſch par Iean Barbeyrac. Basle, 1732. und oͤfters 2.
    Vol. 4. ſ. Lipenii Bibl. jurid. T. II. p. 230. Iſt fuͤr
    das Voͤlkerrecht eigentlich wenig brauchbar, weil er die
    Abſonderung deſſelben vom Naturrechte verwirft.
  • 5] Io. Wolfg. Textoris Synopſis juris gentium. Baſil.
    1680. 4. baut hauptſaͤchlich auf die Grundſaͤtze des Gro-
    tius, nimt iedoch mehr Beiſpiele aus der neuern Geſchichte.
  • 6] Io. Ad. Ickſtadt Elementa juris gentium diß. resp. S.
    R. I. Comite Carolo de Colloredo. Herbip.
    1740. 4.
    DIſt
    [50]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
    Iſt auf das Naturrecht des Freyherrn von Wolf gegruͤn-
    det, in mathematiſcher Lehrart geſchrieben, und enthaͤlt
    manche eigne Saͤtze.
  • 7] Chriſt. L. B. de Wolf Jus gentium methodo ſcientifica
    pertractatum in quo jus gentium naturale ab eo quod
    voluntarii, pactitii et conſuetudinarii eſt accurate di-
    ſtinguitur, Halae
    1749. 4. und im Auszuge ſ. t. Inſti-
    tutiones juris naturae et gentium. Halae
    1754. 8.
    Zeichnet ſich vorzuͤglich durch die Lehrart und Hypotheſe
    von einer großen Republick unter allen Staaten aus, und
    enthaͤlt ein brauchbares Syſtem.
  • 8] Herm. Friedr. Kahrels Voͤlkerrecht, worinnen die vor-
    nehmſten Verbindlichkeiten und Rechte der Monarchen,
    Regenten und Voͤlker ſowohl nach dem nothwendigen als
    wilkuͤhrlichen und Gewonheitsvoͤlkerrechte entwickelt wer-
    den. Herborn 1750. 8. Von lezterm iſt wenig darin an-
    zutreffen: das erſtere meiſt nach Wolfiſchen Grundſaͤtzen,
    die er aber noch weiter ausdehnt.
  • 9] Ad. Fr. Glafeys Voͤlkerrecht, worinnen die Handlungen
    freyer Voͤlker gegeneinander zu Kriegs- und Friedenszeiten
    nach dem Rechte der Vernunft betrachtet werden. Dritte
    vermehrte Auflage, Nuͤrnb. Frankf. und Leipz. 1752. 4.
    War ſonſt ein Theil ſeines Naturrechts, den er nun beſon-
    ders herausgab. Enthaͤlt nicht den ganzen Umfang des
    Voͤlkerrechts, iſt uͤbrigens ziemlich brauchbar, beſonders
    auch in Anſehung der poſitiven Grundſaͤtze.
  • 10] La ſcience du Gouvernement par Mr. de Real,
    Grand Senechal de Forcalquier à Paris 1754. 8. Tome
    cinquieme
    contenant le droit des gens, qui traite des
    Ambasſades, de la Guerre, des Traités, des Titres,
    des Prérogatives, des prétentions et des droits reſpe-
    ctifs des Souverains.
    Iſt zwar nicht ganz volſtaͤndig,
    die darin enthaltenen Materien ſind iedoch ſehr gut und
    practiſch abgehandelt. Iſt auch von Joh. Phil. Schu-
    lin
    ins Teutſche uͤberſezt.

11]
[51]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • 11] Le droit des Gens, ou principes de la loix naturelle
    appliqués à la conduite et aux affaires des Nations et
    des Souverains. Par M. de Vattel à Londres 1758 2
    Vol.
    8. Am neuſten Neufchatel 1773. und Amſterd.
    1775. 4. Auch teutſch uͤberſezt von Joh. Phil. Schulin.
    Frankf. und Leipzig 1760. 3. Theile 8. Ein in angeneh-
    mern Vortrag eingekleidetes Syſtem der Wolfiſchen Lehr-
    ſaͤtze, von denen er iedoch in manchen Stuͤcken abgeht.
  • 12] [Ios. Franc. Loth. Schrodt] Syſtema juris gentium
    quod ſub directoratu Franc. Wenc. Steph. de Cronen-
    fels
    publicae diſputationi ſubmittit Adalb. S. R. I. Co-
    mes Czernin de Chudenitz Pragae
    1768. 4. und nach-
    her unter des wahren Verfaſſers Namen Bambergae 1780.
    8. Hat ſeine Vorgaͤnger gut benuzt. Beiſpiele werden
    ſelten angefuͤhrt und meiſtens alte. Der Verfaſſer ver-
    wirft das freiwillige und gewiſſermaßen auch das poſitive
    und Gewonheitsrecht der Voͤlker.
  • 13] Car. Ant. de Martini poſitiones de jure civitatis.
    Vindob.
    1768. 8. Der zweite Theil enthaͤlt das jus
    gentium.
    Eine teutſche Ueberſetzung iſt unter dem Titel:
    des Freyherrn von Martini Lehrbegrif des Natur-Staats-
    und Voͤlkerrechts, aus dem Lateiniſchen uͤberſezt. Wien
    1784. 4 Baͤnde gr. 8. erſchienen. Ward zum Lehrbuch
    fuͤr die hohe Schule in Wien geſchrieben, wo man ſich
    ſonſt des Oldendorps, Grotius ꝛc. bediente. Komt dem
    vorigen iedoch nicht bey.
  • 14] Précis du droit des gens, de la guerre, de la paix
    et des Ambasſades par Mr. le Vicomte de la Maillar-
    dière
    . Paris
    1775. 12. Iſt, nach Moſers Zeugnis, theore-
    tiſch und practiſch, aber ſehr kurz und nicht volſtaͤndig
    genug.

D 2III]
[52]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
  • III] Schriften des europaͤiſchen Voͤlkerrechts.
    Dahin gehoͤren zufoͤrderſt:
    • a] Samlungen der Vertraͤge. Auſſer denen, die nur
      einer gewiſſen Gattung, z. B. den Friedensſchluͤſſen ꝛc.
      oder nur einem einzelnen Staate gewidmet ſind, und an
      gehoͤrigem Orte angezeigt werden ſollen, ſind hier folgende
      algemeine Samlungen zu merken:
      • 1] Gotfr. Wilh. Leibnitii Codex juris gentium diplo-
        maticus, in quo tabulae authenticae actorum publi-
        corum, tractatuum, aliarumque rerum maioris mo-
        menti per Europam geſtarum pleraeque ineditae vel
        ſelectae ipſo verborum tenore expresſae ac tempo-
        rum ſerie digeſtae continentur. Hanov. 1693. Guel-
        pherb. 1747. Fol.
        nebſt deſſen Mantißa Codicis juris
        gentium diplomatici continens ſtatuta magnorum
        ordinum regiorum acta vetera electionum regis ro-
        mani. Hanov.
        1700. und Guelpherb. 1747. Fol. ſiehe
        des Freyherrn von Ompteda Literatur 2. Th. §. 159.
        S. 430. u. f.
      • 2] Recueil des traités de paix, de trève, de neutra-
        lité, de ſuſpenſion d’armes, de confédération, d’
        alliance, de commerce, de garantie, et d’autres
        actes publics, comme contracts de mariage, teſta-
        ments, manifeſtes, déclarations de guerre etc.
        faits entre les Empereurs, Rois, Republiques,
        Princes et autres Puisſances de L’Europe etc. Le
        tout redigé par ordre [chronologique] etc. à Amſterd.
        1700. IV. Tom. fol.
        Der bekante Iaques Bernard
        ſoll die Direction daruͤber gefuͤhrt haben. Eine aus-
        fuͤhrliche Beſchreibung dieſer Samlung findet man am
        vorbemeldeten Orte §. 161. S. 433.
      • 3] Corps vniverſel diplomatique du droit des gens;
        contenant un recueil de traités d’alliance, de paix,
        de trève, de neutralité, de commerce, d’echange,

        de
        [53]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
        de proteſtation et de garantie, de toutes les con-
        ventions, transactions, pactes, concordats et
        autres contrats, qui ont été faits en Europe depuis
        le regne de l’ Empereur Charles Magne jusqu’ à
        préſent etc. par Mr. J. Dumont. Amſt. 1726 - 31.
        VIII. Tom. fol.
        nebſt dem
        Supplement au Corps univerſel diplomatique du
        droit des gens de Dumont par Mr. Barbeyrac et
        Mr. Rousſet. Amſt. 1739. V. Tom. fol.
        Umſtaͤnd-
        liche Nachricht von dieſem wichtigen Werke ſiehe am
        angefuͤhrten Orte §. 162. u. f. S. 436.
  • Als Handbuͤcher kan man gebrauchen:
    • 1] Joh. Jac. Schmauſſens Corpus juris gentium aca-
      demicum.
      Leipzig, 1730. 2 Theile gr. 8.
    • 2] Fr. Aug. Guil. Wenckii Codex juris gentium re-
      centiſſimi e tabulariorum exemplorumque fide di-
      gnorum monumentis compoſitus. Tom. I. continens
      diplomata inde ab anno 1735 usque ad an. 1742.
      Lipſ.
      1781. 8.
  • Ueber dieſe Vertraͤge giebt es folgende chronologiſche
    Regiſter:
    • 1] Chronologie des algemeinen Staatsarchivs, worinnen
      die Friedensſchluͤſſe, Neutralitaͤts- und Stilſtands-
      handlungen, Vereinigungen, Verbindniſſe, Kriegs-
      declarationen und andere Manifeſte, wie auch Garan-
      tieen und Handlungstraktaten ſamt Vermaͤhlungsver-
      gleichen, Teſtamenten und andern oͤffentlichen Abhand-
      lungen derer Kaiſer, Koͤnige, Herzoge, Fuͤrſten, Re-
      publicken und uͤbrigen Staͤnde, ſowohl in Enropa als
      andern Theilen der Welt von 1536 bis 1703. angezeigt
      werden. Hamburg, 1704. 8.
    • 2] Regeſta Chronologico-Diplomatica in quibus recen-
      ſentur omnis generis monumenta et documenta pu-

      D 3blica,
      [54]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      blica, vti ſunt tabulae conventionum, foederum,
      pacis, armiſtitiorum, mutuae amicitiae etc. iuxta
      annorum dierumque ſeriem digeſſit Petrus Geor-
      giſch
      Francof. et Lipſ. 1740. IV. Tom. fol.
      Schade
      daß dies brauchbare Werk aus den neuern Schriften
      nicht ergaͤnzt und bis auf unſre Zeiten fortgeſezt wird!
  • Hiſtoriſche Erlaͤuterungen und Auszuͤge findet man in
    nachſtehenden Buͤchern:
    • 1] Hiſtoire des traités de paix et autres negociations
      du XVII. ſiecle depuis la paix de Vervins jusqu’ à
      la paix de Nimegue. Amſt. 1735. 2. Vol. fol.
    • 2] Joh. Jac. Schmauſſens Einleitung zur Staatswiſ-
      ſenſchaft und Erlaͤuterung des von ihm herausgegebe-
      nen Corporis juris gentium 1. Theil. Leipzig, 1741.
      2. Theil ebendaſ. 1747. gr. 8.
    • 3] Droit public de l’ Europe fondé ſur les traités par
      l’ Abbé de Mably à Paris, 1747. 2. Vol.
      8. Am
      neuſten bis auf den Hubertsburger Frieden fortgeſezt.
      Amſt. et Lipſ. 1773. nebſt den principes des nego-
      ciations 3. Vol.
      8. Auch teutſch uͤberſezt unter dem
      Titel: das Staatsrecht von Europa. Frankf. 1749. 8.
    • 4] Gottfr. Achenwals Entwurf der algemeinen europaͤi-
      ſchen Staatshaͤndel des XVII. und XVIII. Jahrhun-
      derts, als der europaͤiſchen Geſchichte zweyter Theil.
      Goͤttingen 1756. und oͤfter, 8.
    • 5] Hiſtoire politique du Siècle où ſe trouvent en or-
      dre et ſous tous les rapports differens les intérêts
      les vues et la conduite des principales puisſances de
      l’ Europe depuis la paix de Weſtphalie jusqu’ à la
      derniere paix d’ Aix la Chapelle incluſivement avec
      le précis de tous les traités negociés entre les
      cours, depuis cent ans. Le tout appuyé des preu-
      ves de fait et de raiſonnement, et de la citation

      des
      [55]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
      des actes, memoires et relations ſur les points con-
      teſtés ou peu connus, à Londres 1754. et 1755. 2
      Part.
      8. Der erſte Theil kam nachher vermehrter her-
      aus. Londr. 1757. 4. und Leipz. 1758. gr. 8.
    • 6] Abrégé des principaux traités conclus depuis le
      14me ſiecle jusqu’ à préſent entre les differentes
      puisſances de l’ Europe diſpoſés par ordre chrono-
      logique par Mr. le Vicomte de la Maillardière à
      Paris, 1783. 2. Vol.
      12.
  • Auch giebt es verſchiedene pragmatiſche Geſchichtbuͤ-
    cher einzelner Friedens- und anderer Vertraͤge,
    davon einige gelegentlich angemerkt werden ſollen.
  • b] Staatsſchriften der europaͤiſchen Souverains, welche
    bey Staatsunterhandlungen auf Friedens- und andern
    Kongreſſen und ſonſt gewechſelt worden, und die beſonders
    zu Berichtigung des Herkommens dienen. Unter der gro-
    ſen Anzahl ſolcher Samlungen ſind die vorzuͤglichſten:
    • 1] Io. Chr. Lunigii literae procerum Europae ab Im-
      peratoribus, Electoribus, Principibus ſtatibusque
      S. Imp. Rom. Germ. ad reges, principes respublicas
      liberas et vice verſa ab an. 1552. usque ad an. 1712.
      lingua latina enaratis, Lipſ.
      1712. 3. Th. 8.
    • 2] Le Mercure françois ou la ſuite de l’hiſtoire de la
      paix commençant l’ an 1605. jusq’ en 1644. à Paris
      1611·48. 25. Vol.
      8.
    • 3] Theatrum Europaeum oder Beſchreibung aller denk-
      wuͤrdigen Geſchichten, ſo hin und wieder, fuͤrnehmlich
      in Europa, hernach auch an andern Orten der Welt,
      ſowohl in Religion als Policeiweſen vom Jahr Chriſti
      1617 bis 1718. ſich zugetragen haben. Frankfurt 1635
      bis 1738. 21. Theile fol. Iſt von verſchiedenen Ver-
      faſſern herausgegeben worden, daher auch die Theile in
      der Guͤte ſehr ungleich ausgefallen. Die darin enthal-
      D 4tenen
      [56]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      tenen Staatsſchriften machen den vorzuͤglichſten Werth
      dieſes Werks aus.
    • 4] L’ Eſpion dans les Cours des Princes Chretiens, ou
      lettres et memoires etc. à Cologne
      1696 - 99. 6.
      Baͤnde, 8. Enthaͤlt die Jahre 1637 - 1682.
    • 5] Joh. Gottfr. von Meiern Acta Pacis Weſtphalicae,
      oder weſtphaͤliſche Friedenshandlungen und Geſchichte ꝛc.
      Hannover 1734. u. f. mit den Nuͤrnbergiſchen Execu-
      tionshandlungen und Univerſalregiſtern von J. C.
      Walther, 9. Baͤnde fol.
    • 6] Philemeri Irenici Eliſii Diarium Europaeum, oder
      kurze Beſchreibung denkwuͤrdigſter Sachen, ſo ſich in
      Kriegs- und Friedensgeſchichten in Europa, fuͤrnemlich
      aber in dem heil. Roͤm. Reich und demſelben nahe an-
      grenzenden Koͤnigreichen, Landen und Herſchaften be-
      geben. Frankf. am Mayn 1659 - 1683. liefert die Be-
      gebenheiten von 1657 - 1681. Die Geſchichtserzaͤhlun-
      gen ſind mehrenteils von geringem Werthe; man findet
      iedoch viele wichtige Staatsſchriften darinn. Der
      Verfaſſer hieß eigentlich Martin Meyer.
    • 7] Io. Chr. Lunigii Sylloge publicorum negotiorum
      ab Imperatore, vniverſis Europae Regibus, S. R. I.
      Electoribus etc. iuxta vincennium latina lingua tra-
      ctatorum, Francof.
      1694. 4. nebſt einem Supplemen-
      to
      und Continuat. ab an. 1674 - 1702. ib. 1702. 4.
    • 8] Mercure hiſtorique et politique contenant l’ état
      préſent de l’Europe, ce qui ſe paße dans toutes les
      cours, l’ intérêt des princes, leurs brigues et gé-
      neralement tout ce qu’ il y a de curieux, à Parme
      [a la Haye]
      1686. u. f. 12. Iſt bis auf gegenwaͤrti-
      ge Zeit fortgeſezt worden, und bereits uͤber 200 Theile
      angewachſen.
    • 9] Das durchlauchtige Archiv, worinnen enthalten vieler
      Kaiſer, Paͤbſte, Koͤnige, Chur- und Fuͤrſten, wie
      auch
      [57]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
      auch anderer hohen Potentaten, Republicken und derer
      Ambasſadeurs nachdruͤckliche und curioſe Reden,
      Sendſchreiben, Verbuͤndniſſe, Tractaten, Gluͤckwuͤn-
      ſchungen ꝛc. Frankf. und Leipz. 1691 - 94. 4. Th. 8.
    • 10] Lettres hiſtoriques contenant ce qui s’ eſt pasſé de
      plus important en Europe depuis 1692 - 1745. à la
      Haye
      1692 - 1745. 12.
    • 11] Monathlicher Staatsſpiegel, worinnen der Kern aller
      Aviſen, ein Begrif der vornehmſten im heiligen roͤmi-
      ſchen Reich vorfallenden Affairen, mit vielen Beylagen,
      ſamt einigen politiſchen Reflexionen vorgeſtelt wird.
      Augsburg 1698 - 1709. 21 Baͤnde 8. Dieſem folgte:
    • 12] Neueroͤfneter Staatsſpiegel, worinnen die in Europa,
      wie auch andern Theilen der Welt, vornehmlich aber in
      Teutſchland vorfallende merkwuͤrdige Begebenheiten
      kuͤrzlich vorgeſtelt werden. Haag [oder vielmehr Leipz.]
      1710 - 1716. 8 Baͤnde, 8.
    • 13] Memoires pour ſervir à l’ hiſtoire du XVIII. ſiecle
      contenant les negociations, traités, reſolutions et
      autres documens authentiques concernant les affai-
      res d’ état; liés par une narration hiſtorique des
      principaux évenemens, dont ils ont été précédés ou
      ſuivis et particulierement de ce qui s’ eſt pasſé à la
      Haye, qui a toujours été comme le centre de tou-
      tes ces negociations par Mr. de Lamberty. à la Haye
      1724 - 1734. 16. Vol.
      4.
    • 14] Die europaͤiſche Fama, welche den gegenwaͤrtigen
      Zuſtand der vornehmſten Hoͤfe entdeckt. [Leipzig] 1702
      bis 1734. 360 Theile in 30 Baͤnden 8. Die Fort-
      ſetzung folgte unter dem Titel: Die neue europaͤiſche
      Fama ꝛc. 1735 - 1756. 192 Theile oder 17 Baͤnde 8.
    • 15] La Clef du Cabinet des Princes de l’ Europe, ou
      recueil hiſtorique et politique ſur les matières du
      tems
      1704. u. f. bis auf gegenwaͤrtige Zeit. Dazu gehoͤrt:
      D 5Sup-
      [58]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      Supplement de la Clef, ou Iournal hiſtorique ſur
      les matières du tems etc. à Verdun 1713. 2 Vol.
      8.
    • 16] Recueil hiſtorique d’ Actes, negociations, me-
      moires et traités, depuis la paix d’ Vtrecht jusqu-
      au ſecond congrès de Cambray incluſivement par
      Mr. Rousſet à la Haye 1728 - 1752. 21. Vol.
      8. Iſt
      gewiſſermaßen als Fortſetzung von Lamberty Memoires
      anzuſehn.
    • 17] Europaͤiſcher Staats Secretarius. Leipzig 1734 bis
      1748. 144 Theile oder 12 Baͤnde 8. und
    • 18] Neuer Europaͤiſcher Staats Secretarius. Ebendaſelbſt
      1749 - 1755 60 Theile in 5 Baͤnden 8.
    • 19] Die neuſten Staatsbegebenheiten mit hiſtoriſchen und
      politiſchen Anmerkungen. Frankfurt am Mayn und
      Maͤynz 1776. u. f. 8.
    • 20] Politiſches Journal nebſt einem gelehrten Anzeiger.
      Hamburg 1781. u. f. 8.
  • c] Ferner gehoͤren hierher die Berichte der Geſandten,
    welche ſie an ihre Hoͤfe erſtatten, und deren verſchiedene
    unter dem Titel: Memoires etc. im Druck erſchienen ſind.
    Eine volſtaͤndige Anzeige davon fehlt noch, und wuͤrde
    ein nuͤtzliches Unternehmen ſeyn. Freilich erinnert der
    Herr von Ludewig nicht ganz ohne Grund, daß die Ge-
    ſandten zuweilen viel Falſches an ihre Hoͤfe berichteten,
    theils um ihre begangenen Fehler zuzudecken, theils le
    bon valet
    zu machen, theils das Anſehen zu haben, als
    ob ſie unermuͤdet und gluͤcklich in ihren Negotiationen waͤ-
    ren. Zu dieſen Berichten gehoͤren z. B.
    • 1] Lettres du Cardinal d’ Osſat au roi Henri le grand
      et à Mr. de Villeroy, depuis 1594 jusqu’ en 1604.
      avec des notes hiſtoriques et politiques par Mr. Ame-
      lot de la Housſaie, nouv. edit. à Amſt. 1732. 5.
      Vol.
      12.
    • 2] Lettres et Negociations du Chevalier Carleton Am-
      basſadeur ordinaire de Iaques I. Roi d’ Angleterre.
      Leyde 1759. 3. Vol.
      12.
    • 3] Ambasſades et Negociations du Comte d’ Eſtrades
      depuis 1637 - 1662. à Amſt.
      1718.
      Lettres, Memoires et Negociations du Comte d’
      Eſtrades en 1663 - 1668. à Bruxelles 1709. 5. Vol.
      nouv. edit. dans laquelle on a retabli tout ce qui
      avoit été ſupprimé dans les précédentes, à Londres
      1743. 9 Vol.
      8.
    • 4] Memoires de M. D. [le Comte d’ Avaux] touchant
      les negociations du traité de paix fait à Munſter en
      1648. à Cologne
      1674. 12.
    • 5] Negociations du Comte d’ Avaux en Hollande
      depuis 1679 - 1688. à Paris 1752. 53. 6. Vol.
      8.
    • 6] Memoires et Negociations ſecretes de Ferdinand
      Bonaventure Comte de Harrach, Ambasſadeur de
      S. M. Imperiale à la Cour de Madrid par Mr. de la
      Torre, à la Haye 1720. 2. Vol.
      8.
  • d] Hiſtoriſche Schriften, die von den Staatsangelegen-
    heiten gewiſſer Perioden oder Regenten aus guten Quel-
    len Nachricht geben, und in Anſehung des Herkommens
    ebenfals nuͤtzlich zu gebrauchen ſind. Deren giebt es eine
    nicht minder betraͤchtliche Anzahl, wovon ich nur folgende
    namhaft machen will:
    • 1] Memorie recondite di Vittorio Siri dall’ anno 1601.
      ſino al anno 1640. 8. Tom.
      4. von 1677 - 79. an ver-
      ſchiedenen Orten gedruckt.
    • 2] Mercurio, ovvero hiſtoria de correnti tempi di
      Vittorio Siri 15. Tom.
      oder 17 Baͤnde 4. von 1644 -
      82. ebenfals an mehrern Orten gedruckt. Enthaͤlt den
      Zeitraum von 1640 - 1655. Beide Werke liefern, auf-
      ſer
      [60]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      ſer den Geſchichtserzaͤhlungen, auch viele ſchaͤtzbare
      Staatsſchriften.
    • 3] Franz Chriſtoph Khevenhuͤllers, Grafen zu Franken-
      burg Annales Ferdinandei, oder wahrhafte Beſchrei-
      bung Kaiſer Ferdinandi II. Regensburg und Wien
      1640 - 46. 9. Baͤnde: aber volſtaͤndiger, Leipzig 1717 -
      1726. 12 Baͤnde fol. wozu auch noch 2 Baͤnde in
      Kupfer geſtochene Bildniſſe großer Herrn, Miniſter ꝛc.
      gehoͤren. Die Geſchichte begreift den Zeitraum von
      1578 - 1637. Ein Auszug iſt unter folgendem Titel
      erſchienen: Des Grafen Franz Chriſtoph Khevenhuͤl-
      ler Ferdinandeiſche Jahrbuͤcher in einen pragmatiſchen
      Auszug gebracht und berichtigt von D. Juſtus Friedr.
      Runde. Leipzig ſeit 1778. 8. iſt noch nicht vollendet.
    • 4] Sam. Puffendorffii Commentariorum de rebus Sue-
      cicis libri XXVI. ab expeditione Guſtavi Adolphi
      regis in Germaniam, ad abdicationem usque Chri-
      ſtinae. Vltraj. 1686. Francof. 1707. fol.
    • 5] Ejusdem de rebus geſtis Friderici Wilhelmi ele-
      ctoris Brandenburgici commentariorum libri XIX.
      Berolini 1695. 1733. fol.
      und aus einer neuerlich auf-
      gefundenen Handſchrift: Ejusdem e rebus geſtis Fri-
      derici III. Electoris Brandenburgici fragmentum
      poſthumum ex authographo autoris. Berol. 1784. fol.
    • 6] Hiſtoire de Charles XII. traduite du Suedois de M.
      I. A. Nordberg. à la Haye 1742 - 48. 4 Vol.
      4. auch
      teutſch uͤberſezt. Hamburg 1745 - 51. 3 Theile, fol.
    • Hierher ſind auch zu rechnen: Joh. Cph. Adelungs
      pragmatiſche Staatsgeſchichte Europens; Geſchichte
      der neuſten Weltbegebenheiten im Großen ꝛc. wovon
      man in der Bibliotheca hiſtorica Struvio-Meuſeliana
      Vol. I. P.
      1. S. 171. u. f. mehrere Nachricht findet.

e]
[61]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • e] Als Wiſſenſchaft iſt das europaͤiſche Voͤlkerrecht zur
    Zeit in nachſtehenden Syſtemen und Kompendien abge-
    handelt:
    • 1] Joh. Jac. Moſers Anfangsgruͤnde der Wiſſenſchaft
      von der gegenwaͤrtigen Staatsverfaſſung von Europa
      und dem unter den Europaͤiſchen Potenzien uͤblichen
      Voͤlker- oder algemeinen Staatsrecht 1. Th. Tuͤbingen
      1732. 8. Mehrere Theile ſind nicht erſchienen. Ent-
      haͤlt mehr Staatsrecht und Statiſtick der europaͤiſchen
      Nazionen als eigentliches Voͤlkerrecht.
    • 2] Ebendeſſelben Entwurf einer Einleitung zum allerneu-
      ſten Europaͤiſchen Voͤlkerrechte in Friedens- und Kriegs-
      zeiten; in deſſen vermiſchten Schriften. Frankf. u. Leipz.
      1733 - 36. 8. 2ter Th. S. 89 - 102.
    • 3] Herrn Fr. Kahrels Europaͤiſches Staats- und Voͤlker-
      recht, worinnen nicht allein das Staatsrecht von
      Teutſchland, ſondern auch die Staatsverfaſſung der
      uͤbrigen vornehmſten Reiche und Republicken von Eu-
      ropa, ſowohl was ihre Regierungsformen, als auch
      was ihre Verbindlichkeiten und Rechte, welche aus
      dem nothwendigen nicht nur, ſondern auch aus dem
      Gewonheits-Voͤlkerrechte, hauptſaͤchlich aber aus den
      Buͤndniſſen und Friedensſchluͤſſen entſpringen, betrift,
      in gruͤndlicher Kaͤrze abgehandelt werden. Herborn
      1750. 8. Iſt ungefaͤhr nach Art der Moſerſchen An-
      faugsgruͤnde no. I. eingerichtet. Er geht die euro-
      paͤiſchen Staaten nach der Reihe durch, und bemerkt
      am Schluſſe ieden Kapitels die unter einander geſchloſ-
      ſenen Buͤndniſſe, Frieden ꝛc.
    • 4] J. J. Moſers Grundſaͤtze des itztuͤblichen Europaͤiſchen
      Voͤlkerrechts in Friedenszeiten. Hanau 1750. Frankf.
      1763. Nuͤrnb. 1777. 8.
    • 5] Ebendeſſelben Grundſaͤtze des itztuͤblichen Europaͤi-
      ſchen Voͤlkerrechts in Kriegszeiten. Tuͤbing 1752.
      Frankf.
      [62]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      Frankf. 1763. Sind die beiden erſten eigentlichen ſy-
      ſtematiſchen Buͤcher vom europaͤiſchen Voͤlkerrechte.
      Doch gehoͤren manche Materien mehr in das Staats-
      recht; weshalb aber der Herr Etatsrath ſich hinlaͤng-
      lich entſchuldiget hat.
    • 6] Gotſr. Achenwalli juris gentium Europaearum pra-
      ctici primae lineae fragmentum libelli ob b. auctoris
      mortem adfecti, nunc tandem in lucem editum.
      Götting
      1775. 8. Iſt ein ſehr unvolſtaͤndiger Ent-
      wurf, der vom Verfaſſer zum Druck noch nicht be-
      ſtimt war.
    • 7] J. J. Moſers Verſuch des neuſten Europaͤiſchen Voͤl-
      kerrechts in Friedens- und Kriegszeiten, vornaͤmlich
      aus den Staatshandlungen der Europaͤiſchen Maͤchten,
      auch andere Begebenheiten, ſo ſich ſeit dem Tode Kay-
      ſer Karls VI. im Jahr 1740. zugetragen haben.
      Frankf. am Mayn 1777. u. f. 10 Theile in 12 Baͤnden
      8. Die Art der Moſerſchen Schriften iſt bekant genug.
      Materialien findet man auch hier in Menge: doch ei-
      gentliches Syſtem ſolte es, nach ſeiner eignen Abſicht,
      noch nicht ſeyn.
    • 8] Pierre Ioſeph Neyron principes du droit des gens
      Européen conventionel et coutumier ou bien Pre-
      cis hiſtorique, politique et iuridique des droits et
      obligations que les Etats de l’ Europe ſe ſont acquis
      et impoſés par des conventions et des uſages reçus
      que l’ intérêt commun a rendu necesſaires. Bronſuic

      1783. 8. Auf franzoͤſiſchen Fuß, beſonders in Allega-
      tionen. Der zweite Theil wird noch erwartet.
    • Im Meßcatalog Michaelis 1785. ſtehen auch G. F. Mar-
      tens primae lineae iuris gentium Europ. practici.
      8.
      die ich aber noch nicht zu Geſichte bekommen.

IV]
[63]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • IV] Schriften zum teutſchen Voͤlkerrechte insbe-
    ſondere gehoͤrig
    . Hierbey muß man die oben an-
    gefuͤhrte Literatur des teutſchen Staatsrechts vom
    Herrn geheimen Juſtitzrath Puͤtter zu Rathe zie-
    hen.
  • a] Unter den vielen Quellen Samlungen an Grundvertraͤgen
    u. ſ. w. merke ich nur an:
    • 1] Joh. Chr. Luͤnigs teutſches Reichsarchiv. Leipzig 1710-
      1722. 24 Baͤnde fol.
    • 2] Joh. Jac. SchmauſſensCorpus juris publici acade-
      micum
      am neuſten von Gottl. Schumann, und nach
      deſſen Tod von Heinr. Gottlieb Franken herausgege-
      ben. Leipzig 1774. gr. 8.
  • b] Teutſchland betreffende Staatsſchriften findet man vor-
    zuͤglich in:
    • 1] Mich. Caſp. Londorps Acta publica etc. Frankf am
      Mayn 1668 - 1719. 18 Baͤnde mit dem Regiſter, fol.
      Dazu gehoͤrt:
      Martin Meyers Londorpius continuatus et ſupple-
      tus.
      Frankf. 1665. Tuͤbing 1739. 4 Baͤnde fol.
    • 2] Anton Fabers Europaͤiſche Staatskanzley ꝛc. Nuͤrn-
      berg. 1697 - 1760. 115 Theile und 8 Baͤnde Hauptre-
      giſter 8. ward fortgeſezt unter dem Titel: Anton Fa-
      bers neue Europaͤiſche Staatskanzley. Ulm 1761 - 1772.
      30 Theile nebſt 2 Baͤnden Hauptregiſter 8. Dann:
      Fortgeſezte neue Staatskanzley. Ulm 1772 - 83. 25
      Theile 8.
    • 3] Electa juris publici, worinnen die vornehmſten Staats-
      affairen in Europa, beſonders in Teutſchland, aus be-
      waͤhrten Actis publicis in forma, oder durch erneuerte
      Extracte recenſirt werden. Jena 1709 - 1724. 20 Theile
      und 1725. 5 Theile Supplementa 8. Darauf folgten:
      Juri-
      [64]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
      Juriſtiſch hiſtoriſche Electa etc. Jena. 1726 - 30. 4.
      Theile 8.
    • 4] Joh. Jac. Muͤllers entdecktes Staatskadinet, darinn
      ſowohl das jus publicum, feudale und eccleſiaſticum,
      nebſt dem Ceremoniel und Curialweſen, als auch die
      Kirchen- und politiſche Hiſtorie erlaͤutert wird. Jena,
      1714 - 1717. 8. Eroͤfnungen 8. nebſt Joh. Volkm.
      Muͤllers Fortſetzung des entdeckten Staatskabinets erſte
      Samlung. Coburg 1738. 8.
    • 5] Selecta juris publici noviſſima, worinnen das Merk-
      wuͤrdigſte, was ſich an großer Herrn Hoͤfen, inglei-
      chen bey algemeinen Reichs- und Kreysverſamlungen,
      oder ſonſt im Heil. Roͤm. Reich vor kurzem zugetragen,
      in ſchicklicher Ordnung vorgetragen wird. Frankf. und
      Leipzig 1740 - 1766. 48 Theile 8. und C. F. H. Sup-
      plementum Selectorum juris publici noviſſimorum.

      Ulm 1769. 70. 3 Theile 8.
    • 6] Samlung einiger Staatsſchriften, a] welche nach Ab-
      leben Kayſer Karls VI. zum Vorſchein gekommen, und
      die gegenwaͤrtigen wichtigen Staatsangelegenheiten von
      Deutſchland betreffen. Frankf. 1741 - 1743. 48 Stuͤck
      oder 4 Theile 8. b] unter Kayſer Karl VII. 1744 -
      47. 3 Theile 8. c] nach Ableben Kayſer Karls VII.
      1745 - 47. 3 Theile. d] unter Kayſer Franz 1749 - 53.
      8 Theile 8.
    • 7] Auserleſene neue Staats-Acta unter der Regierung
      Kayſer Joſephs des II. zum Behuf der Reichshiſtorie
      und der Staatsrechte. Ulm 1767 - 73. 7 Theile 8. und:
      Neue vollſtaͤndige Samlung von Reichs- und Staats-
      verhandlungen 1. Th. 1773. 8.
    • 8] Joh. Aug. Reuß teutſche Staatskanzley. Ulm ſeit
      1783. 8.

c]
[65]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
  • c] Eine ſyſtematiſche Bearbeitung der zum teutſchen
    Voͤlkerrecht
    gehoͤrigen Materien unternahm zuerſt:
    • 1] J. J. Moſer im teutſchen auswaͤrtigen Staatsrecht,
      Frankf. und Leipz. 1772. 4. nebſt deſſen Zuſaͤtzen zu
      ſeinem auswaͤrtigen Staatsrechte; in deſſen Abhand-
      lung verſchiedener Rechtsmaterien XIV. Stuͤck. S. 323.
    • 2] Ebendeſſelben nachbarliches Staatsrecht. Frankf. und
      Leipz. 1773. 4.
    • 3] Io. Heinr. Chriſt. de Selchov Elementa juris pu-
      blici germanici. Götting.
      1772. 8. Der dritte Theil
      ſolte, nach ſeinem damaligen Plane, das jus gentium
      imperii
      enthalten. [§. 33.]
  • V] Schriften uͤber einzelne Materien ſollen im
    Werke ſelbſt, wenigſtens die vorzuͤglichſten, gehoͤ-
    rigen Orts angemerkt werden.
  • VI] Samlungen vermiſchter Aufſaͤtze zur Erlaͤute-
    rung des Voͤlkerrechts:
    • 1] Joh. Chr. Luͤnigs Europaͤiſche Staats-Conſilia, oder
      curieuſe Bedenken, welche von großen Herrn, hohen
      Collegiis, vornehmen Miniſtern und beruͤhmten Maͤn-
      nern in Religions- Staats- und andern wichtigen Sa-
      chen, die ſowohl ganz Europa, als auch vornaͤmlich
      das heil. Roͤm. Reich teutſcher Nation coucerniren und
      zur Illuſtration der neuen geiſt- und weltlichen Hiſtorie,
      ingleichen des juris publici ohneutbehrlich ſind, ſeit
      dem Anfange des 16. Saeculi nach beſchehener Refor-
      mation der Kirche bis auf dieſes 1715 Jahr abgefaßt
      worden. Leipz. 1715. 2 Theile fol.
    • 2] Ebendeſſelben Grundfeſte Europaͤiſcher Potentaten
      Gerechtſame, worinnen durch auserleſene Deductionen
      dargethan wird, wie es um aller Potentaten hohe jura,
      Anſpruͤche und Praͤcedenzſtreitigkeiten eigentlich beſchaf-
      fen ſey. Leipz. 1716. fol.
    • 3] EbendeſſelbenSelecta ſcripta illuſtria, welche viel
      wichtige und auserleſene in cauſis publicis ergangene
      Materien in ſich halten, die nicht alleine des heil. Roͤm.
      Reichs Oberhaupt, ſondern auch deſſen Glieder, inglei-
      chen die freye Reichsritterſchaft betreffen, auch andere
      Curioſa von auswaͤrtigen Puisſancen und ſonſten vor-
      ſtellen, davon die meiſten noch niemals zum Vorſchein
      kommen, die uͤbrigen aber ſehr rar und gar ſchwer zu
      erlangen ſeynd. Leipz. 1723. fol.
    • 4] Chr. Gottl. Buders nuͤtzliche Samlung verſchiedener
      meiſt ungedruckter Schriften, Berichte, Urkunden ꝛc.
      welche zu Erlaͤuterung des Natur- und Voͤlkerrechts,
      beſonders teutſchen Staats- und Lehnrechts dienen koͤn-
      nen; mit noͤthigen Anmerkungen. Frankf. 1735. 8.
    • 5] J. J. Moſers vermiſchte Adhandlungen aus dem eu-
      ropaͤiſchen Voͤlkerrechte, wie auch von teutſchen und
      andern europaͤiſchen Staats- desgleichen von Canzley-
      ſachen zum Gebrauche der Hanauiſchen Staats- und
      Canzley Akademie. Hanau 1750. 3 Stuͤck 8.
    • 6] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem neuſten Europaͤiſchen
      Voͤlkerrecht in Friedenszeiten 1778. u. f. 5 Theile 8.
    • 7] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem neuſten Europaͤiſchen
      Voͤlkerrechte in Kriegszeiten 1779. 3 Theile 8.
    • 8] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem neuſten Europaͤiſchen
      Geſandſchaftsrecht. Frankf. am Mayn 1781. gr. 8.
      Dieſe dreifachen Beitraͤge gehoͤren zur Ergaͤnzung ſeines
      obangefuͤhrten Verſuchs ꝛc. und ſind daher genau mit
      demſelben verbunden.
    • 9] Fr. Carl von Moſers kleine Schriften zur Erlaͤute-
      rung des Staats- und Voͤlkerrechts, wie auch des Hof-
      und Canzleyceremoniels. Frankf. 1751-65. 12 Baͤnd. 8.
    • 10] Ebendeſſelben Beytraͤge zu dem Staats- und Voͤl-
      kerrecht und Geſchichte. Frankf. 1764-72. 4 Baͤnd. 8.
    • 11] Joh. Chr. Wilh. von Steck Verſuche uͤber einige er-
      hebliche Gegenſtaͤnde, welche auf den Dienſt des Staats
      Einfluß haben. Frankf. und Leipz. 1772. 8.
    • 12] Ebendeſſelben Ausfuͤhrungen politiſcher und rechtli-
      cher Materien. Berlin 1776. 8.
    • 13] EbendeſſelbenObſervationum ſubſecivarum ſpeci-
      men. Halae
      1779. 8.
    • 14] EbendeſſelbenEsſais ſur divers ſujets de politique
      et de jurisprudence
      1779. 8.
    • 15] Ebendeſſelben Verſuche uͤber verſchiedene Materien
      politiſcher und rechtlicher Kenntniſſe. Berlin und Stral-
      ſund 1783. 8.
  • Auch iſt noch zu erwaͤhnen:
    • Chr. Fried. Hempels Algemeines Staatsrechts-Lexicon,
      oder Repertorium der wichtigſten Friedens- und andrer
      Haupttractaten, ſo ſeit etlichen Jahrhunderten her ge-
      ſchloſſen worden ꝛc. Frankf. 1751-1755. 9 Theile 4.
      Iſt nach einem ſehr weitlaͤuftigen Plan angefangen,
      aber mit dem Artickel Conſtantin-Orden unterbrochen
      worden.
  • VII] Endlich verdienen in einer Voͤlkerrechtsbibliothek
    noch die Lebensbeſchreibungen ſolcher Staatsmaͤnner
    einen Platz, welche mit Bearbeitung des Voͤlker-
    rechts ſich eigentlich zwar nicht beſchaͤftigt, deren
    Lebensumſtaͤnde iedoch auf daſſelbe einen merklichen
    Einfluß gehabt haben; z. B. das Leben der Kardi-
    naͤle Richelien, Mazarin, Alberoni, ꝛc.

E 2§. 35.
[68]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,

§. 35.
Voͤlkerrechts Studium und deſſen Methode.


Das Studium des Voͤlkerrechts beſchaͤftigt ſich mit
Erkentnis der algemeinen Wahrheiten durch Vernunft-
ſchluͤſſe, mit der richtigen und zweckmaͤßigen Erklaͤrung
der unter den Nazionen geſchloſſenen Vertraͤge, mit Be-
richtigung der zum Herkommen erforderlichen Handlun-
gen und mit Vergleichung aͤhnlicher Faͤlle bey der Analo-
gie. Die Grundſaͤtze des algemeinen Voͤlkerrechts koͤn-
nen, der bisherigen Gewonheit nach, zwar fuͤglich beim
Vortrage des Naturrechts gleich mitgenommen werden;
es wuͤrde aber zu weitlaͤuftig ſeyn, dieſem auch das poſi-
tive, nach ſeinem ganzen Umfange, beizufuͤgen: ſo wie
der Unterricht ſehr unvolkommen waͤre, wenn man, nach
Wolf, Vattels und Andrer Vorſchlaͤge, in Anſehung
des leztern, mit dem ſich begnuͤgen wolte, was in der
Staatenhiſtorie und Statiſtick davon angemerkt wird.
Die beſte Methode des Vortrags ſcheint mir dieſe zu
ſeyn, daß man, nach vorausgeſchickten Grundſaͤtzen
des algemeinen Voͤlkerrechts, die Abweichungen des po-
ſitiven aus den Vertraͤgen und Herkommen der europaͤi-
ſchen Staaten und deren Analogie bemerke. Jenes
bleibt allemal die Regel, welche in Ermangelung einer
Ausnahme, d. i. eines Vertrags oder Herkommens im-
mer ihre Anwendung behaͤlt. Weder die Ausnahme von
der Regel, noch dieſe von iener iſt fuͤglich zu trennen
und eine ohne die andre zu verſtehen.






§. 36.
[71]und dem europaͤiſchen insbeſondere.

§. 36.
Nutzen und Nothwendigkeit des Voͤlker-
rechts Studiums
.


Viele halten das Studium des Voͤlkerrechts fuͤr un-
nuͤtz, weil ſie die meiſten Grundſaͤtze fuͤr ungewis, ſtrei-
tig und wilkuͤhrlich anſehn, und glauben, daß es in den
mehreſten Faͤllen auf die Leidenſchaften großer Herrn und
ihrer Miniſter, auf Macht und dergleichen Zufaͤlligkeiten
ankomme. Es iſt nicht zu laͤugnen, daß dieſe Umſtaͤnde
auf die Handlungen der Nazionen oft nicht geringen
Einflus haben; aber auch alsdann wollen ſie ihren Maas-
regeln wenigſtens den Anſtrich der Gerechtigkeit geben,
und das Recht auf ihrer Seite haben. Sehr oft iſt dies
der Fall iedoch nicht. Die Kentnis des Voͤlkerrechts
bleibt daher allen Regenten und denen, die ſich den
Staatsgeſchaͤften, welcher Art es ſey, widmen, unent-
behrlich, auch vielen andern, beſonders Officiers in
Kriegszeiten nuͤtzlich, fuͤr ieden Weltmann aber lehrreich
und angenehm.


  • Io. Ad. Ickſtadt Progr. de neceſſitate ſtudii juris naturae
    et gentium. Wurceb.
    1732. 4.

J. J. Moſers Verſuch ꝛc. in der Vorrede §. 4.


Erſtes
[72]

Erſtes Buch.
Beſtimmung eines freien [ſouverainen] Volks,
der heutigen ſouverainen Staaten in Europa
und ihrer algemeinen Verhaͤltniſſe gegen-
einander.


Erſtes Kapitel.
Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt, und den
europaͤiſchen insbeſondere.


§. 1.
Das Voͤlkerrecht iſt nur auf freie Voͤlker
anwendbar
.


In den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts ſind die Regeln
enthalten, nach welchen ganze Nazionen, oder de-
ren Repraͤſentanten, ihre Handlungen gegeneinander ein-
richten ſollen und wornach dieſe beurteilt werden muͤſſen.
Aber nur freie, unabhaͤngige Voͤlker koͤnnen dieſes Rechts
ſich bedienen: Oberherſchaft und Unterwuͤrfigkeit ſind
Gegenſtaͤnde, deren Eroͤrterung zum Staats- und buͤrger-
lichen Rechte gehoͤrt. Es iſt daher vor allen Dingen der
Begrif eines freien Volks und derienigen Nazionen feſt-
zuſetzen, auf welche die in dieſer Abhandlung vorzutra-
genden Rechtslehren anwendbar ſind. Zwar werden die
Grundbegriffe dieſer Materie eigentlich auch ſchon im al-
gemei-
[73]Von den ſouverainen Staaten ꝛc.
gemeinen Staasrechte gelehrt, und ich ſetze deſſen Kentnis
billig voraus; doch will ich, ſoviel davon zu beſſerer Ein-
ſicht des Folgenden noͤthig iſt, hier bemerken.


§. 2.
Begrif der Souverainetaͤt und eines freien
Volks
.


Unter einem Staate oder Volke verſteht man, wie
obgedacht, eine Geſelſchaft von Perſonen und Familien,
welche zu Befoͤrderung gemeinſchaftlicher Wohlfart unter
einer Oberherſchaft, auf einem gewiſſen Erdſtriche bei-
ſammen wohnen. Ein ſolcher politiſcher Koͤrper iſt, als
moraliſche Perſon betrachtet, wie ieder einzelne Menſch,
von Natur frey und unabhaͤngig. Derſelbe bleibt es auch,
ſo lange er, durch ſeinen eignen Regenten die Mittel zur
gemeinen Gluͤckſeligkeit, in Beziehung auf alle innern
und auswaͤrtigen Angelegenheiten a] nach eignem Gut-
duͤnken
[den aufhabenden natuͤrlichen und andern Ver-
bindlichkeiten gemaͤs verſteht ſich] beſorgen zu laſſen be-
rechtigt iſt. Die unmittelbare Gewalt, ſich ſelbſt, nach
eigenen Geſetzen zu regieren, ohne einer andern auswaͤrti-
gen hoͤhern Macht davon Rechenſchaft geben, oder ſonſt
auf deſſen Vorſchriften Ruͤckſicht nehmen, oder die
Genehmigung der unternommenen Handlungen von ihm
erwarten zu duͤrfen, kurz, wie die Franzoſen zu ſagen
pflegen, ohne, auſſer Gott und dem Degen iemand uͤber
ſich zu erkennen b], macht den Hauptbegrif der Souverai-
netaͤt und das erſte Erfordernis eines freien unabhaͤngigen
Volks aus c], das auf den Namen, und die Gerechtſa-
me eines ſouverainen Staats, nach dem heutigen
Sprachgebrauch, Anſpruch machen will d].







§. 3.
[76]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 3.
Urſprung der Souverainetaͤt.


Die Rede iſt hier nicht von dem Urſprung der Staa-
ten uͤberhaupt und von den verſchiedenen Vertraͤgen,
welche zu Begruͤndung der Oberherſchaft zwiſchen Regen-
ten und geſamter Buͤrgerſchaft erforderlich ſind, ſondern
es iſt nur zu bemerken, daß ein Volk entweder urſpruͤng-
lich frey iſt, wenn es keines andern Oberherſchaft vorher
erkant hat, oder daß es die Freiheit durch Aufhebung ſei-
ner bisherigen Unterwuͤrfigkeit unter einer hoͤhern Macht
erlangt. Das letztere geſchieht, wenn die herſchende Na-
zion, um Beendigung eines Krieges, oder anderer Ur-
ſachen willen, ſich ihrer Hoheitsrechte uͤber einen Theil
des Staats begiebt und ihm die Unabhaͤngigkeit zugeſteht,
oder wenn dieſer ſeinem bisherigen Oberhaupte den Ge-
horſam aufkuͤndigt, und ſich ſelbſt fuͤr frey und unab-
haͤngig erklaͤrt.


Von der urſpruͤnglichen Errichtung der Staaten
fehlen uns hinlaͤngliche hiſtoriſche Beweiſe, daher auch
die Meinungen uͤber deren Entſtehung ſo geteilt ſind.


Faſt alle heutige ſouveraine Voͤlker in Europa haben
auf die letztere beiden Arten ihr Daſein erlangt.


So erhielt z. B. Preuſſen 1657 in dem Welauer
Vertrage von der Krone Polen ſeine Unabhaͤngigkeit, und
Neapel nebſt Sicilien, ingleichen Sardienien kamen
durch den Utrechter Frieden von 1713 [vergl. Quadru-
pelallianz von 1718, und Wiener Friede von 1735] von
der ſpaniſchen Oberherſchaft ab, und erlangten von
neuen die Rechte unabhaͤngiger Staaten.


Noch anſehnlicher iſt die Liſte ſolcher Staaten, die
durch Empoͤrung ihre Freiheit ſich erworben haben. Ich
will nur die neuſten Beiſpiele davon anfuͤhren.


Die vereinigten Niederlande legten durch die
Utrechter Union von 1579 den Grund zu ihrer Freiheit,
und
[77]und den europaͤiſchen insbeſondere.
und kuͤndigten unterm 26. Jul. 1581 der Krone Spa-
nien den Gehorſam foͤrmlich auf, indem ſie ſich fuͤr einen
unabhaͤngigen Staat erklaͤrten.






§. 4.
Anerkennung der Unabhaͤngigkeit.


Ein freier Staat, der ſeine Unabhaͤngigkeit auf eine
rechtmaͤßige Art erlangt hat, muß, vermoͤge der unter
allen Nazionen von Natur zu beobachtenden Gleichheit,
auch von den uͤbrigen dafuͤr erkant werden; und es pfle-
gen gewoͤnlich keine Schwierigkeiten deshalb gemacht zu
werden. Allein iene eigenmaͤchtige Anmaßung der Sou-
verainetaͤt iſt zu Begruͤndung der Unabhaͤngigkeit keines-
weges hinlaͤnglich, und kan nicht eher fuͤr rechtmaͤßig
ange-
[78]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
angeſehn werden, bis der vorige Oberherr den abgefalle-
nen Theil ſeines Staats von der bisherigen Verbindung
und Unterwuͤrfigkeit loszaͤhlt und deſſen Freiheit entweder
freiwillig, oder durch die Gewalt der Waffen genoͤthigt,
endlich anerkennt. Wird ein ſolches Volk a] eher von
andern Staaten als unabhaͤngig erkant und behandelt, ſo
kan die Nazion, deren Gehorſam es ſich entzogen, dieſes
mit Recht fuͤr eine Beleidigung anſehen b], weil kein
Staat befugt iſt, ſich zum Richter uͤber die Irrungen zwi-
ſchen Regenten und Unterthanen andrer Staaten aufzuwer-
fen, und dieſe ihres bisherigen Gehorſams fuͤr erledigt zu
erklaͤren. Eine dergleichen Anerkennung fremder Nazio-
nen iſt auch der vormaligen Oberherſchaft auf keine
Weiſe nachtheilig, wenn es ihr gluͤcken ſolte, die ſich
ſelbſt losgeriſſenen Unterthanen wieder zum Gehorſam zu
bringen: ſo wie dieſelbe den leztern nur in Ruͤckſicht des
anerkennenden Staats, und zwar nur ſo lange einigen
Vortheil verſchaffen kan, als ſie ihre vermeintliche Frei-
heit zu behaupten im Stande ſind.


Die europaͤiſchen Nazionen haben in dieſer Materie
nicht immer einerley Grundſaͤtze befolgt, wie ſolches be-
ſonders bey Gelegenheit der vereinigten Niederlande und
den vereinigten Nordamerikaniſchen Staaten ſich gezeigt
hat: wovon ich einiges hier anfuͤhren will.


In Anſehung der vereinigten Niederlande heißt
es in einer neuern Staatsſchrift: La conduite qu’ a te-
nue à leur égard la reine Eliſabeth merite d’ être deve-
loppée. —— Enfin
[nach einigen geheimen Vertraͤgen
mit England] les Conféderés declarerent leur indépen-
dance en 1585; cette demarche fut promptement ſui-
vie d’ une nouvelle alliance defenſive: elle eſt du 10.
Août de la même année. Les Hollandois alleguèrent
dans leurs pleins pouvoirs la circonſtance, qu’ ils avoient
entièrement ſecué le joug de l’ Eſpagne, et qu’ ils ſ’
etoient declarés libres et independans de ſa ſouverai-

neté.
[79]und den europaͤiſchen insbeſondere.
neté. Pour juſtifier ce dernier traité Eliſabeth publia
un manifeſte, dans lequel Elle rapella les cruautés que
les Gouverneurs Eſpagnols avoient commiſes dans les
Pays-bas, et le projet formé par la cour de Madrid de
detruire leurs franchiſes. Elle declara en même tems,
qu’ Elle étoit obligée de ſoutenir les Provinces-unies
par la defenſe de leur liberté, parceque c’ étoit là
l’unique moyen de conſerver aus Anglois la liberté du
commerce avec les Pays-bas, et de garantir l’ Angleter-
re des invaſions que l’ Eſpagne auroit les plus grandes
facilités d’ y faire, ſi une fois elle avoit reduit ces pro-
vinces ſous ſon obeißance abſolue. Enfin Eliſabeth ob-
ſerva que les traités qui ſubſiſtoient anciennement entre
l’ Angleterre et les ſouverains des Pays-bas avoient été
conclus non ſeulement entre ces princes, mais auſſi en-
tre leurs états reſpectifs pour leur defenſe mutuelle et
qu’ ainſi en protegeant les Provinces-unies contre un
injuſte deſpotisme, Elle ne faiſoit exactement que rem-
plir la dernière partie de ſes engagemens, ſans contre-
venir en aucune manière à ce qu’ Elle devoit au Souve-
rain de ces provinces. Il eſt à remarquer que la publi-
cation de ce manifeſte n’occaſionna pas le rappel des Am-
baßadeurs reſpectifs et que trois années après ſa publica-
tion, c’ eſt ‒ à ‒ dire en 1588 Eliſabeth remplit encore,
à la requiſition de Philippe II., l’ office de mediatrice
entre ce Prince et les Provinces-unies au Congrès de
Bourbourg. Cet abrégé fidèle de la conduite de la rei-
ne Eliſabeth à l’ égard des Pays-bas convaincra ſans dou-
te tout le monde, que cette Princeße a reconnu le droit
qu’ a tout ſouverain d’ accueillir un peuple qui ſ’ eſt de-
claré independant.
Man ſehe die franzoͤſiſchen Obſerva-
tions ſur le Memoire juſtificatif de la Cour de Londres

von 1780. in Dohms Materialien zur Statiſtick 4te
Lieferung, S. 33. u. f.


Portu-
[80]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

Portugal ward, als es 1640 der Spaniſchen
Herſchaft ſich entzog, noch vor dem Frieden von 1668,
von Frankreich, England, Holland und Schweden fuͤr
unabhaͤngig erkant, daher man auch deſſen Geſandte
annahm.


Als die vereinigten Staaten von Nordameri-
ka
durch die Akte vom 4. Jul. 1776 ihrem Mutterlande
den Gehorſam aufkuͤndigten und ſich fuͤr unabhaͤngig er-
klaͤrten, ſuchten anfangs die mehreſten Staaten von Eu-
ropa die Anerkennung deren angemaßten Souverainetaͤt
auf irgend eine Art zu vermeiden. Nur Frankreich
ſchloß unterm 6. Februar 1778 zu Paris einen foͤrmli-
chen Freundſchafts- und Allianztractat c] mit ihnen, und
verſprach, die Freiheit, Souverainetaͤt und abſolute un-
begraͤnzte Unabhaͤngigkeit der dreizehn Nordamerikani-
ſchen Staaten, ſowohl in Regierungs-, als Handlungs-
ſachen aufrecht zu erhalten, Art. 2. Wenn deshalb
Krieg zwiſchen Frankreich und England entſtehen ſolte,
nicht eher Friede zu machen, bis ſie von England dafuͤr
anerkant worden, Art. 8. und dieſe Unabhaͤngigkeit ge-
gen alle Beeintraͤchtigungen zu garantiren. Art. 11.


Hiervon gab Frankreich in einer Declaration vom
13. Maͤrz 1778 dem Londner Hofe Nachricht, der die-
ſen Tractat fuͤr eine der heftigſten Beleidigungen und
fuͤr eine offenbare Kriegserklaͤrung anſah. Ich will
die Hauptgruͤnde beider Theile aus den gewechſelten
Staatsſchriften kuͤrzlich anfuͤhren, die fuͤr das Voͤlker-
recht gewis nicht unwichtig ſind.


England behauptete: La première decouverte, la
poßeſſion non interrompuë de deux cent ans et le con-
ſentement de toutes les nations ſuffiſent pour conſtater
les droits de la Grande-Bretagne aux terres de l’ Ame-
rique ſeptentrionale et ſa ſouveraineté ſur le peuple,
qui y avoit formé des etablißemens avec la permiſſion
et ſous le gouvernement des prédéceßeurs du Roi. Si

ce
[81]und den europaͤiſchen insbeſondere.
ce peuple même a oſé ſecouër le joug de l’ autorité au
plutôt des loix, ſ’ il a uſurpé les provinces et les pré-
rogatives de ſon ſouverain, et ſ’ il a recherché l’ allian-
ce des étrangers pour appuier ſon independence pre-
tenduë; ces etrangers ne peuvent accepter ſon alliance,
ratiſier ſes uſurpations et reconnoitre ſon independance,
ſans ſuppoſer que la revolte a des droits plus etendus
que ceux de la guerre et ſans accorder aux ſujets rebel-
les un titre legitime aux conquêtes qu’ ils n’ avoient pu
faire qu’ au mepris de la juſtice et des loix. Les enne-
mis ſecrets de la paix de la Grande-Bretagne et peut-
être de la France même, eurent cependant l’ addreße
criminelle de perſuader à S. M. T. C. qu’ Elle pouvoit,
ſans violer la foi de traités, declarer publiquement, qu’
Elle recevoit au nombre de ſes alliés les ſujets revoltés
d’ un roi ſon voiſin et allié. Jamais le Roi n’ a reconnu
l’ independance d’ un peuple, qui avoit ſecoué le joug
de ſon prince legitime, et il eſt triſte ſans doute que les
Miniſtres de S. M. T. C. aient ſurpris la religion de leur
ſouverain pour couvrir d’ un nom auſſi reſpectable des
aßertions ſans fondement et ſans vraiſemblance qui ſont
dementies par le ſouvenir de l’ Europe entière. — Le
retablißement de ſa dependance legitime étoit poſé com-
me la condition indispenſable de la paix que la Grande-
Bretagne offroit à des ſujets revoltés, dont elle reſpe-
ctoit les droits, les interêts et même les prejugés.

Man ſeheMemoire juſtificatif de la Grande-Bretagne du
15. Oct.
1779. in Dohms Materialien 3. Lieferung.


Die Aeuſſerungen des franzoͤſiſchen Hofes aber gin-
gen dahin: La declaration de France à la Cour de Lon-
dres du 13 Mars 1778. que le Roi d’ Angleterre denonça
à ſon Parlement comme une declaration de guerre, avoit
pour baſe deux verités inconteſtables; la 1re qu’ à l’ épo-
que du 6. Fevrier 1778. Les Americains avoient la poßes-
ſion publique de leur independance;
la 2de que le roi a été

Fle
[82]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
le maitre de regarder cette independance comme exiſtante,
ſans être obligé d’ en examiner la legalité,
et qu’ aucune
loi ne lui interdiſoit la faculté de former des liaiſons avec
les Americains. Pour demontrer ces deux verités, que
la Cour de Londres conteſte, on n’ invoquera que des
principes reconnus de tout tems par toutes les nations
policées. —— Il étoit inutile de reclamer l’ ancienne
poßeſſion, e’ eſt ‒ a ‒ dire une poßeſſion reconnuë et
avouée par toutes les puißances, puisqu’ il n’ eſt jamais
venu dans la penſée au roi de la conteſter; et le Mini-
ſtère anglois auroit ſans contredit mieux defendu ſa cau-
ſe, ſ’ il eut prouvé qu’ une poßeſſion legitime ne ſau-
roit ſe perdre dans aucun cas: mais comment auroit-il
oſé entreprendre cette preuve ſans vouloir démentir les
annales de toutes le contrées de l’ Univers? Il doit
donc demeurer pour conſtant, que quelque legitime,
quelqu’ ancienne et quelqu’ avouée qu’ ait eté la poßes-
ſion de l’ Angleterre à l’ égard de ſes anciennes Colo-
nies, elle a pu la perdre; qu’ elle l’ avoit effectivement
perdue an 4. Juillet 1776. et qu’ elle ne l’ a point re-
couvrée depuis cette époque. Il reſulte de là que la
France a pu dire avec verité, qu’ au moment de la ſi-
gnature du traité de 1778. les Etats-unis de l’ Amerique
ſeptentrionale etoient en pleine poßeſſion de leur in-
dependance. Le Miniſtère Anglois croit detruire les con-
ſequences qui derivent de cette verité en ſoutenant que
la poßeſſion des Americains eſt illegitime, qu’ elle n’ a
jamais été ni pu être validée, qu’ elle eſt une veritable
felonie: mais en avancant cette propoſition, il avoit
ſans doute oublié la conduite qu’ il a tenue lui même
à l’ égard des Americains depuis la publication de l’ acte
de l’ independance. On ſe rappelle que les creatures de
la Cour ont conſtamment crié à la rebellion — cepen-
dant malgré toutes ces clameurs, le Miniſtère Anglois a
ceſſé, après la publication de l’ independance, de pour-

ſuivre
[83]und den europaͤiſchen insbeſondere.
ſuivre les Americains comme des rebelles; il obſerva et
obſerve encore à leur égard les regles de la guerre uſit es
parmi les Nations independantes; les priſonniers Ameri-
cains ont été echangés en vertu des Cartels ſignés par
des Commißaires du Congrès; les troupes Angloiſes ont
capitulé et leurs capitulations ont été reſpectées, la Cour
de Londres a reconnu l’ autorité de la nouvelle Republi-
que en autoriſant Commißaires pacificateurs à traiter d’
égal à égal avec les Commißaires Americains [actes qui
tiennent à la Souveraineté]. Au ſurplus, que les Etats
unis aient eu ou non le droit d’ abiurer la Souveraineté
de l’ Angleterre; que la poßeſſion où ils ſont de leur in-
dependance ſoit legitime où non: ce n’ eſt point à la
France à diſcuter ces deux queſtions. Le roi n’ eſt point
le juge des querelles domeſtiques de l’ Angleterre: ni le
droit des gens, ni les traités, ni la morale, ni la politi-
que ne lui impoſent l’ obligation d’ être le gardien de
la fidelité que les ſujets Anglois peuvent avoir à leur
Souverain: il ſuffit pour la juſtification de Sa Majeſté,
que les Colonies, qui forment une Nation conſiderable
tant par le nombre de leurs habitans que par l’ étendue
de leurs domaines, aient établi leur independance, non
ſeulement par un acte ſolemnel, mais auſſi par le fait, et
qu’ elles l’ aient maintenue contre les efforts de leur
Mère-patrie. Telle etoit en effet la poſition des Etats-
unis, lorsque le roi a commencé à negocier avec eux:
Sa Majeſté avoit une entière liberté de les regarder ou
comme independans ou comme ſujets de la Grande-Bre-
tagne; Elle a choiſi le premier parti parceque ſa ſureté,
l’ intérêt de ſes peuples et ſurtout les projets ſecrets de
la Cour de Londres lui en impoſoient imperieuſement
l’ obligation. Cependant c’eſt cette même couduite que
le Miniſtère Anglois ſoutient être inconciliable avec la
verité des faits et les principes du droit des gens, qu’ il
préſente comme incapable de voir le grand jour, qu’ il

F 2denonce
[84]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
denonce à toutes [...]es nations comme une violation du
droit des gens, comme une injurie faite à tous les Sou-
verains et à l’ humanité. —— Avant — le Miniſtère
Anglois auroit du examiner avec un eſprit de juſtice et
d’ impartialité, les droits et les devoirs des ſouverains;
il auroit du ſurtout conſulter les faſtes de presque tous
les Empirs et principalement ceux de la Grande-Breta-
gne. L’ independance des Nations les unes à l’ égard
des autres, eſt la baſe primitive et fondamentale du
droit des gens; elle eſt abſoluë, illimitée et elle n’ ad-
met de modifications et de reſtrictions, que celles qui
ſont fondées ſur des engagemens ou que preſcrit la
conſcience, ou enfin qu’ exige l’ intérêt de l’ Etat. Dans
le premier cas, une nation ſ’ eſt donnée un contradi-
cteur legitime; mais dans les deux autres ſes determina-
tions et ſa conduite ne peuvent dependre que de ſon
propre jugement, et quiconque entreprendroit de la
guerre à cet égard, porteroit atteinte à ſon indepen-
dance et lui feroit injure. — La France eſt indepen-
dante de la Couronne Britannique: aucun engagement
n’ oblige le roi de maintenir cette couronne dans l’ in-
tegrité de ſes poßeſſions, et encore moins de contenir
ſes ſujets dans l’ obeißance: ainſi S. M. n’ a eu aucune
eſpèce de devoir à remplir en faveur de l’ Angleterre
relativement à l’ Amerique ſeptentrionale; ainſi S. M. n’
a été obligée ni d’ aſſiſter l’ Angleterre contre ſes colo-
nies, ni de repoußer ces Colonies lorsqu’ elles ſe ſont
preſentées à Elle comme un peuple independant. ̀A en
croire l’ auteur du Memoire juſtificatif le Roi étoit tenu
à ces divers devoirs en vertu du dernier traité de Paris;
mais il eſt viſible, que pour ſoutenir une pareille pro-
poſition, il a fallu meconnoitre le ſens, l’ eſprit et le
but d’ un ſimple traité de paix et confondre un traité de
cette nature avec un traité d’ alliance. Celui de Paris
n’ impoſoit au roi d’ autre obligation, que celle de vi-

vre
[85]und den europaͤiſchen insbeſondere.
vre en paix et en bonne amitié avec la Grande-Bretagne:
vouloir étendre cette obligation c’ eſt ignorer ou me-
priſer les premières notions de la diplomatique et le
ſentiment de toutes les nations. Le Roi n’étoit pas
plus gêné par ſa conſcience, qu’ il ne l’étoit par ſes en-
gagemens. —— Il ſuffit que S. M. ſe croie exempte
de tout reproche, qu’ Elle puiße ſe dire, qu’ en re-
gardant les Americains comme independans, Elle n’ a
violé ni la loi de Dieu ni celle des Nations: ſi la Cour
de Londres oſe contredire cette morale, on lui deman-
de, qui, ſur la terre, eſt le juge des Souverains? qui
a le droit de les forcer à les ſuivre? — Le Roi a eu le
droit de regarder comme independans les habitans re-
unis d’ un immenſe continent, qui ſe ſont preſentés à
lui avec ce caractère, ſur-tout après que leur ancien
ſouverain eut demontré par des efforts auſſi longs que
penibles, l’ impoſſibilité de les ramener à l’ obeißance.

S. Obſervations ſur le Memoire juſtificatif de la Grande
Bretagne.
Fevr.
1780. in Dohms 4. Lieferung.


Spanien trat, vermoͤge des burboniſchen Familien-
vertrags von 1761 zur franzoͤſiſchen Parthey, und gruͤn-
dete ſich hauptſaͤchlich auf die eigne Grosbritanniſche An-
erkennung der Unabhaͤngigkeit der nordamericaniſchen
Staaten, durch Handlungen. La Convention de Sara-
toga,
heißt es in der ſpaniſchen Hauptdeduction vom 7.
Sept. 1779, le Général Bourgoyne conſidéré comme
priſonnier legitime pour ſuspendre ſon procès, l’échan-
ge et la liberté d’ autres priſonnièrs Colons, la nomina-
tion de Commißaires pour aller chercher les Americains
chex eux, l’ acte de leur avoir demandé la paix et de
traiter avec eux ou avec le congrès, et cent autres faits
de cette nature autoriſés par la Cour de Londres, ont
été de vrais ſignes de reconnoißance de l’ independance
des Colonies.
Dohms Materialien 3. Lief. S. 46. u. f.


F 3Die
[86]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

Die vereinigten Niederlande ſagen in ihrem
Kriegs-Manifeſt gegen Grosbritannien vom 12. Maͤrz
1781. L. H. P. envoyerent les ordres les plus precis à
tous les Gouverneurs, pour qu’ ils eußent à ſe garder
ſoigneuſement de ne rien faire vis-à-vis du pavillon
du congrès Americain, dont on peut inferer ou deduire
legitimément un aveu de l’independance des ſusdits
Colonies.
Dohm 4, S. 157. Als ihnen aber von
Grosbritannien der Krieg angekuͤndigt wurde, reſolvirten
ſie am 19. April 1782 die Unabhaͤngigkeit der nordame-
rikaniſchen Staaten zu erkennen und den Herrn Adams
als bevolmaͤchtigten Miniſter derſelben anzunehmen;
ſchloſſen auch darauf unterm 8. Oct. gedachten Jahres
einen foͤrmlichen Freundſchafts- und Handlungstractat
mit ihnen. Politiſches Journal, April 1782. S.
408. u. f. Novbr. 82. S. 418. u. f. Man vergleiche
Moſers Verſuch 6. Buch, 7. Kap. §. 13. u. f.






§. 5.
[87]und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 5.
Ausdruͤcklich oder ſtilſchweigend.


Die Anerkennung der Unabhaͤngigkeit kan entweder
ausdruͤcklich, durch foͤrmliche Vertraͤge, Friedensſchluͤſſe
ꝛc. oder auch durch ſolche Handlungen geſchehen, welche
die Anerkennung der Freiheit nothwendig vorausſetzen;
wohin z. B. die Annehmung foͤrmlicher Geſandten von
einem ſolchen Volke ꝛc. zu rechnen. Beide Arten finden
ſowohl von Seiten des die Oberherſchaft bisher behaup-
tenden Staats, als auch der uͤbrigen dabey beſonders
nicht intereſſirten Nazionen Statt.


Eine ausdruͤckliche Anerkennung erfolgte unter
andern bey den


Vereinigten Niederlanden, welche nicht nur
durch den Waffenſtilſtand vom 9. April 1609. mit
Spanien und dem Hauſe Oeſterreich, ſondern auch
hauptſaͤchlich im Muͤnſterſchen Frieden zwiſchen Spanien
und den vereinigten Niederlanden vom 30. Jannuar
1648. Art. 1. fuͤr einen freien und unabhaͤngigen Staat
erklaͤrt wurden.


Der Krimm geſtand die ottomanniſche Pforte
im Frieden zu Kaingard mit Rußland vom 10/21. Jul.
1774. Art. 3. die Unabhaͤngigkeit zu. Mercure hiſt.
Oct. 1774. p.
443.


Die vereinigren Staaten von Nordameri-
ka
erhielten in den Friedens-Praͤliminarien vom 30.
Novbr. 1782 und in dem Definitiv. Frieden vom 3.
Sept. 1783 mit Grosbritannien Art. 1. ihre Freiheit
und die Rechte eines freien, unabhaͤngigen und ſouve-
rainen Staats.


Stilſchweigend geſchah die Unabhaͤngigkeits-
Erkennung


Der Eidgenoſſenſchaft vom teutſchen Reiche
im weſtphaͤliſchen Frieden 1648. [Muͤnſter. Art. 8. Oß-
F 4nabr.
[88]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
nabr. Art. 6]. Es wird darinn zwar nur der Befreiung
von der Gerichtsbarkeit der Reichsgerichte erwaͤhnt; al-
lein die gaͤnzliche Loszaͤhlung von der Oberherſchaft des
Reichs iſt, wie Moſer und von Steck bemerken darun-
ter ſtilſchweigend begriffen. v. Steck am ang. O. S. 52.


In Anſehung der vereinigten Niederlande
erfolgte von Seiten des teutſchen Reichs, in Gemaͤsheit
des muͤnſterſchen Friedensſchluſſes Art 53. zwar auch nur
eine Erklaͤrung, gegen dieſelbe die Neutralitaͤt, gute
Nachbarſchaft und Freundſchaft zu erhalten, ſolche iſt
iedoch fuͤr eine Anerkennung der Freiheit ebenfals zu
achten. Von Steck am ang. O.


Hat der ehemals herſchende Staat die Unabhaͤn-
gigkeit einmal geſetzmaͤſig zugeſtanden, ſo bedarf es der
ausdruͤcklichen Anerkennung der uͤbrigen weiter nicht,
weil dieſe bey vorkommenden Gelegenheiten, ſolche als-
denn ohnedies nicht verweigern duͤrfen, indem ſie kein
Recht haben, zu verlangen, daß ein Volk, dem das
Mutterland die Freiheit eingeraͤumt hat, ſich von neuem
unterwerfe; es muͤſte denn eine Nazion ſelbſt noch An-
ſpruͤche der Bothmaͤßigkeit zu machen ſich berechtigt
glauben.


§. 6.
Heutige ſouveraine Staaten in Europa.


Europa beſtand von ieher aus verſchiedenen von ein-
ander unabhaͤngigen Staaten, deren Anzahl und Um-
fang ſich durch mancherley Revolutionen bald vermehrte
bald verminderte. Die Herſchaft der Griechen und
nachher der Koͤmer war die ausgebreiteſte. Die leztere
teilte ſich endlich in zwey Kaiſerthuͤmer, in das morgen-
laͤndiſche und abendlaͤndiſche. Dieſes ward im fuͤnften
Jahrhundert von den damals herumwandernden nordi-
ſchen Voͤlkern zerſtoͤrt, und es entſtanden daraus nach
und
[89]und den europaͤiſchen insbeſondere.
und nach die mehreſten heutigen Nazionen Europens;
aber ſie waren bis ins dreizehnte Jahrhundert beſtaͤndigen
Zerruͤttungen unterworfen. Im vierzehnten und folgen-
den Jahrhundert erhielten beinah die meiſten derſelben
ihre Hauptbeſtimmung, Grenzen, Namen ꝛc. und tra-
ten nachher, beſonders ſeit dem ſechszehnten Jahrhundert,
immer in naͤhere Verbindung. Ich will hier die merk-
wuͤrdigſten Schickſale der itzigen europaͤiſchen Staaten
kuͤrzlich beruͤhren, nicht in Abſicht ihrer volſtaͤndigen
Geſchichte uͤberhaupt, ſondern nur um den Urſprung der-
ſelben und ihrer heutigen Unabhaͤngigkeit zu zeigen.



§. 7.
Portugal.


Portugal, ſonſt Luſitanien genant, war bis zu An-
fang des zwoͤlften Jahrhunderts ein Theil Spaniens,
und hatte mit dieſem Reiche einerley Schickſale. Hein-
rich, ein Burgundiſcher Prinz, erhaͤlt 1109 durch ſeine
Gemalin Thereſie, einer natuͤrlichen Tochter Koͤnig Al-
fonſus VI. von Kaſtilien, aus deſſen Teſtamente die
noͤrdliche Haͤlfte von Portugal, die er Anfangs als
Statthalter regiert hatte, erb- und eigenthuͤmlich. Sein
Sohn Alfonſus I. nimt, wiewohl mit Widerſpruch der
Koͤnige von Kaſtilien, 1139 den Koͤniglichen Titel an,
den Pabſt Alexander III. nachher 1179 beſtaͤtigt. Al-
fonſus III. vereinigt das kleine Koͤnigreich Algarbien
1251 mit der Krone. Nach gaͤnzlichem Abgange des
koͤniglichen Mannsſtams mit Heinrichs Tode 1580 hat,
unter andern Praͤtendenten, Philip II. Koͤnig von Spa-
F 5nien,
[90]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
nien, wegen ſeiner Mutter Iſabelle, des lezten Koͤnigs
von Portugal aͤlteſten Schweſter, das Gluͤck, die Her-
ſchaft uͤber das Koͤnigreich Portugal zu erlangen und zu
behaupten. Aber die ſpaniſche Tiranney veranlaßt 1640
den Abfall der Portugieſen, die in dem Herzog Johann
von Braganza ſich einen eignen Koͤnig waͤhlen. Spa-
nien bemuͤht ſich lange vergeblich um deren Wiederunter-
iochung, und muß endlich im Frieden zu Liſſabon vom
13. Februar 1668 Portugal als ein unabhaͤngiges Reich
behandeln, und auf die dazugehoͤrigen Lande, Ceuta
ausgenommen, Verzicht thun. Seitdem genießt das
Koͤnigreich Portugal die voͤllige Souverainetaͤt.



§. 8.
Spanien


Beſtand, als die Phoͤnizier es kennen lernten, aus
mehrern kleinen Staaten, welche die Karthager meiſt
unteriochten. Von dieſen kam es als eine Provinz an
die Roͤmer. Seit dem fuͤnften Jahrhundert ward es
nach und nach von den Alanen, Vandalen, Sueven,
Weſtgothen und Mauren beherſcht. Den leztern entzo-
gen die in die aſturiſchen und biscayſchen Gebuͤrge gefluͤch-
teten Weſigothen, unter ihren gewaͤhlten Koͤnig Pela-
gius im Anfange des achten Jahrhunderts, ein Stuͤck
nach dem andern wieder: ein gleiches thaten die Franken
unter Karl dem Großen. Daraus entſtand eine Menge
beſonderer Reiche, deren Hauptvereinigung endlich durch
die Vermaͤhlung Ferdinands von Arragonien mit Iſa-
belle von Kaſtilien, nach ſeines Vaters Johann II. To-
de, 1479 erfolgte. Dieſe machten mit Eroberung von
Gre-
[91]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Grenada der mauriſchen Herſchaft vollends ein Ende,
und ſtifteten eins der maͤchtigſten Reiche in Europa.
Ihre Nachfolger erweiterten ſolches noch mehr durch die
Erwerbungen der Koͤnigreiche Neapel, Navarra, der
Niederlande und anderer Beſitzungen in den uͤbrigen
Theilen der Welt, die nachher iedoch groͤſtenteils wieder
verlohren gingen. Daß Spanien, wie einige behaupten
wollen, dem eigentlich teutſchen Reiche ie unterworfen
geweſen ſey, iſt unerweißlich.



§. 9.
Frankreich


War unter den Celten oder Galliern ebenfals in ver-
ſchiedene Staaten zerteilt, welche Julius Caeſar ſaͤmt-
lich unter der Roͤmer Bothmaͤßigkeit brachte. Zur Zeit
der algemeinen Voͤlkerwanderungen im fuͤnften Jahrhun-
dert ließen ſich Gothen, Burgunder und Franken darinn
nieder. Die leztern ſtifteten, nach gaͤnzlicher Ueberwaͤl-
tigung der Roͤmer, unter ihrem Koͤnige Clodowich 486
wiederum ein maͤchtiges Reich. Unter den Beherſchern
dieſer neuen fraͤnkiſchen Monarchie zeichneten ſich beſon-
ders die anſehnlichen Eroberungen Karls des Großen
aus. Durch die bekante Theilung, welche ſeine Enkel
843 zu Verdun vornahmen, zerfielen deſſen weitlaͤuftige
Staaten in drey beſondere Koͤnigreiche. Zwar haben
dieſelben in der Folge noch manche Veraͤnderung erlitten,
Frankreich hat iedoch von dieſer Zeit an, beſonders nach-
dem es unter den Kapetingiſchen Koͤnigen, von ſeiner
vorigen Schwaͤche ſich wieder erhohlte, unter den ſouve-
rainen Staaten in Europa iederzeit eine der vorzuͤglich-
ſten Rollen geſpielt.


*]
[92]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 10.
Teutſchland


Hatte in den aͤlteſten Zeiten, die wir kennen, eine
Menge beſonderer in keiner Hauptverbindung ſtehender
Voͤlker zu Bewohnern. Einige derſelben ſuchten, bey
der algemeinen Voͤlkerwanderung, ſich neue Wohnplaͤtze,
und wurden von andern ſlaviſchen Nazionen erſetzt,
andere beſonders die Sachſen, Thuͤringer, Bayern, Frie-
ſen und Franken blieben in ihrem Vaterlande. Das
Gluͤck der fraͤnkiſchen Waffen unteriochte die uͤbrigen
Voͤlker, und ſo entſtand die maͤchtige Monarchie der
Franken, die zu Karls des Großen Zeiten, der die vor-
laͤngſt erloſchene Kaiſerwuͤrde des zertruͤmmerten abend-
laͤndiſchen roͤmiſchen Reichs wieder annahm, im hoͤchſten
Flor ſtand. Die vorerwaͤhnte Theilung ſeiner Enkel zu
Verdun 843 war der eigentliche Urſprung des heutigen
teutſchen Reichs das Ludewig dem Teutſchen zufiel.
Unter den verſchiedenen anſehnlichen Erwerbungen der
nachfolgenden Beherſcher iſt Ottos des Großen Ver-
einigung Italiens und der roͤmiſchen Kaiſerwuͤrde mit
Teutſchland 961 und 962 eine der merkwuͤrdigſten.
Haben gleich in der Folge die Staͤnde dieſes Reichs durch
Erlangung der vorzuͤglichſten Maieſtaͤtsrechte gewiſſerma-
ßen zu eignen Staaten ſich gebildet; ſo hat man doch
Teutſchland, unter ſeinem Oberhaupte, dem Kaiſer, bis-
her iederzeit fuͤr einen einzigen Staatskoͤrper angeſehen.



§. 11.
Grosbritannien.


In Britannien befanden ſich ehemals viele kleine von
einander unabhaͤngige Staaten, welche nach langen Krie-
gen ſaͤmtlich der Roͤmer Herſchaft erkennen muſten; Bey
dem Verfall des roͤmiſchen Reichs im fuͤnften Jahrhun-
dert ward dieſe Provinz 426 von den Roͤmern verlaſſen
und eine Beute der Schotten und Picten. Unvermoͤgend
ſich ſelbſt gegen dieſelben zu ſchuͤtzen wurden von den Brit-
ten die Sachſen und Angeln 449 aus Teutſchland zu
Huͤlfe gerufen, die, nach Unterdruͤckung der alten Ein-
wohner, ſieben beſondere Koͤnigreiche daſelbſt errichteten.
Dieſe brachte Koͤnig Egbert von Weſtſex 818 unter ſeine
Herſchaft zuſammen, und ſie erhielten den Namen Eng-
land
. Edred, Eduards I. dritter Sohn, nimt in der
Mitte des zehnten Jahrhunderts zuerſt den koͤniglichen
Titel davon an. Heinrich II. ein Sohn des Grafen von
Anjou, Gottfried Plantagenet erobert, mit paͤpſtlicher
Verguͤnſtigung 1172 die Inſel Irland, davon Koͤnig
Heinrich VIII. erſt 1542 den Titel eines Koͤnigs ſich
beilegt. Nach dem Tode der Koͤnigin Eliſabeth komt
England 1603 an Jakob Stuart Koͤnig von Schottland
als naͤchſten Erben, wodurch der Grund zur Verbindung
dieſer beiden Reiche gelegt wird. Jedoch erfolgte die
voͤllige Vereinigung in einen Staatskoͤrper, unter der
Benennung von Grosbritannien, nach mancherley
Revolutionen, erſt unter der Koͤnigin Anna durch den
Unionstractat vom 6. Aug. 1706 a]. Die Einverleibung
Irlands iſt bisher vergeblich verſucht worden: Es iſt
vielmehr nach den neuſten Staatsverhandlungen, ein
abge-
[94]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
abgeſondertes Reich geblieben, das mit Grosbritannien
nur iederzeit ein gemeinſchaftliches Oberhaupt erkent.




§. 12.
Die vereinigten Niederlande.


Auch ſie erkanten der Roͤmer Herſchaft, machten
dann einen Theil der fraͤnkiſchen Monarchie aus, und
kamen, nach deren Zertheilung unter die Bothmaͤſigkeit
Teutſchlands, auſſer Flandern und Artois. Das iuͤn-
gere Haus Burgund gelangte durch Heirath, Erbfolge
und andere Vertraͤge nach und nach zum Beſitz der mei-
ſten dieſer 17 vormaligen beſondern Staaten. Mit
dem Tode Herzog Karls des Kuͤhnen 1477 ſtarb der
burgundiſche Mannsſtamm aus, und deſſen Lande fielen
durch Erbrecht an den Erzherzog, nachherigen Kaiſer
Maximilian. Deſſen Enkel, Kaiſer Karl V. brachte die
Niederlande an Spanien, vereinigte durch den Madri-
ter Frieden 1526 die bisher unter Frankreichs Hoheit ge-
ſtandenen Grafſchaften Flandern und Artois damit, und
verband hierauf die ſaͤmtlichen Niederlande, unter dem
Namen des burgundiſchen Kraiſes, mit dem teutſchen
Reiche, ohne ſie iedoch deſſen Gerichtsbarkeit zu unter-
werfen. Die heftigen Bedruͤckungen, welche die Nie-
derlaͤnder, der Religion wegen, durch Einfuͤhrung der
Inquiſition, von Spanien erdulden muſten, brachte ſie
endlich dahin, dieſem Reiche den Gehorſam voͤllig auf-
zukuͤndigen, und ſich, nach verſchiedenen Buͤndniſſen
unter den einzelnen Provinzen und mancherley abwech-
ſelnden Schickſalen, 1581 fuͤr einen freien Staat zu
erklaͤren. Dieſe Unabhaͤngigkeit ward auch, wie obge-
dacht,
[95]und den europaͤiſchen insbeſondere.
dacht, von Spanien und Teutſchland in der Folge foͤrm-
lich anerkant.



§. 13.
Die Eidgenoſſenſchaft.


Das ehemalige Helvetien war aus verſchiedenen
kleinen Staaten zuſammengeſezt, kam unter Julius Cae-
ſar an die Roͤmer, und blieb bis ins fuͤnfte Jahrhundert
eine roͤmiſche Provinz. Bey der großen Voͤlkerwande-
rung bemaͤchtigten Burgunder und Alanen ſich derſelben,
muſten aber, unter Chlodowich und deſſen Soͤhnen, die
Herſchaft der Franken erkennen. In der Theilung die-
ſes Reichs 843 bekam Lothar den burgundiſchen, Lude-
wig der Teutſche aber den alemanniſchen Theil der
Schweitz. Lezterer brachte iedoch beide wieder zuſammen.
In der Folge zerfiel dies Land abermals in mehrere be-
ſondere Theile, die bald eigne Herrn hatten, bald dem
teutſchen Reiche unmittelbar unterworfen waren, und
von Statthaltern regiert wurden. Zur Zeit des Inter-
regnums begaben die meiſten ſich unter den Schutz des
maͤchtigen Grafen Rudolphs von Habsburg, nachmali-
gen Kaiſers. Aber das widerrechtliche Verfahren ſeines
Sohns Herzog Albrechts von Oeſterreich und die Haͤrte
der Kaiſerlichen Voigte empoͤrte die Schweitzer, und
veranlaßte zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame und zu
Behauptung der Freiheit 1307, den erſten Bund der
drey Waldſtaͤdte Uri, Schweitz und Unterwalden,
der 1315 durch ein ewiges Buͤndnis erneuert ward.
Dieſer Verbindung traten nach und nach 1332 Luzern,
1351 Zuͤrich und Glarus, 1352 Zug, 1353 Bern,
1481
[96]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
1481 Freyburg und Solothurn, 1501 Baſel und
Schafhauſen, und 1513 Appenzell bey. Nach vie-
len blutigen Kriegen behaupteten ſie endlich wuͤrklich ihre
Freiheit, und wurden ſowohl von dem Hauſe Oeſter-
reich in verſchiednen Vertraͤgen, als auch von Teutſch-
land beym Weſtphaͤliſchen Frieden 1648 fuͤr einen freien
Staat erkant, der nachher noch verſchiedene Bundsge-
noſſen und Zuſaͤtze erhielt.



§. 14.
Der Kirchenſtaat.


Nicht die Entſtehung des Papſts und ſeiner unbe-
ſchraͤnkten Gewalt, durch die er vom Pfarherrn bis zum
Monarchen ſich emporgeſchwungen, ſondern nur der
Theil Italiens, den er als ſouverainer Fuͤrſt beherſcht,
komt hier in Betrachtung. Pipin und Karl der Große,
die bey ihren Eroberungen in Italien vorzuͤglich des
ſchon damals großen Anſehes der Paͤbſte ſich bedienten,
theilten den longobardiſchen Raub mit Stephan II. und
Hadrian I. 754. 787. ſchenkten ihnen die meiſten zum
griechiſchen Exarchat gehoͤrigen Laͤnder und legten da-
durch den Grund des Kirchenſtaats. Zwar fehlte den
Paͤpſten anfangs die Oberherſchaft uͤber iene Laͤnder; aber
ſie wuſten ſolche bald an ſich zu bringen, und ihren
Staat durch verſchiedne ſouveraine Provinzen zu vermeh-
ren. Einen betraͤchtlichen Zuwachs erhielt derſelbe durch
die reiche Erbſchaft der Graͤfin Mathildis 1105. und
andere
[97]und den europaͤiſchen insbeſondere.
andere Schenkungen, zum Theil auch gewaltſame Erwerb-
ungen, beſonders zu Zeiten der Kreuzzuͤge. Rom
ward erſt von Innocenz III. 1393 voͤllig unteriocht.
Im zwoͤlften, dreizehnten und vierzehnten Jahrhundert
gingen viele Beſitzungen verlohren, doch wurden ſie
nachher meiſtens wieder zuſammengebracht; beſonders
unter dem kriegeriſchen Papſt Julius II. der dem Kir-
chenſtaate groͤſtenteils ſeinen heutigen Umfang und ſeine
Beſtimmung gab.



§. 15.
Venedig


War zu der Roͤmer Zeiten unter dem Namen Vene-
tien
bekant, und gehoͤrte ehemals zum abendlaͤndiſchen
Kaiſerthum. Bey dem Umſturz dieſes Reichs durch die
Vandalen, Heruler und Oſtgothen, ſuchten die Vene-
ter, gegen das Ende des fuͤnften Jahrhunderts ſich von
aller Unterwuͤrfigkeit loszumachen, und es gluͤckte ihnen
auch, ihre voͤllige Freiheit zu erlangen, und unter man-
cherley Veraͤnderungen bis itzt zu erhalten. Die Ober-
haͤupter dieſes Freiſtaats hieſſen bis ins ſiebente Jahr-
hundert Tribunen: allein die zwiſchen ihnen und dem
Volke entſtandenen Uneinigkeiten veranlaßten 697 die
Wahl eines algemeinen Oberhaupts unter der Benen-
nung des Doge oder Herzogs, dem die Tribunen auf den
einzelnen Inſeln untergeordnet wurden. Im Jahr 1172
kam noch eine Verſammlung von Nobili dazu. Durch
dieſe und mehrere nachherige Revolutionen erhielt endlich
Venedig, beſonders unter dem Herzog Peter Gradeni-
Ggo
[98]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
go II. im Jahr 1298 dieienige ariſtokratiſche Verfaſſung
die es groͤſtentheils noch gegenwaͤrtig hat.



§. 16.
Genua.


Die Republick Genua machte in den aͤlteſten Zeiten
einen Theil Liguriens aus, und ſtand mit demſelben un-
ter roͤmiſcher Hoheit. Alsdann kam ſie nach und nach
unter die Bothmaͤßigkeit der Oſtgothen, Longobarden
und des teutſchen Reichs, von dem ſie durch Statthalter
regiert ward. Nachdem die Stadt von den Sarazenen
groͤſtenteils war verwuͤſtet worden, warfen einige angeſe-
hene Familien ſich zu Herren uͤber dieſen kleinen Staat
auf. Seit der Zeit ward derſelbe durch beſtaͤndige inner-
liche Zwiſtigkeiten zerruͤttet, und muſte bald den Schutz,
bald die wuͤrkliche Herſchaft auswaͤrtiger Maͤchte, beſon-
ders Frankreichs erkennen, bis Andreas Doria 1527
die Franzoſen gaͤnzlich vertrieb und ſeinem Vaterlande
die voͤllige Freiheit und Unabhaͤngigkeit nebſt der Regie-
rungsverfaſſung verſchafte, die es noch gegenwaͤrtig
genießt.


§. 17.
[99]und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 17.
Lucca.


Dieſe ehemalige roͤmiſche Kolonie kam, nach dem Um-
ſturz des abendlaͤndiſchen Kaiſerthums an das longobar-
diſche, fraͤnkiſche und endlich an das teutſche Reich, und
ward ebenfals durch Kaiſerliche Statthalter regiert.
Daß dieſe Stadt ihre Freiheit von Kaiſer Rudolph I. fuͤr
zwoͤlf tauſend Dukaten erkauft habe, iſt noch ſehr zwei-
felhaft. Wenigſtens hat ſie ſeitdem wieder des Reichs
und andrer Bothmaͤßigkeit erkannt. Endlich gelangt
dieſelbe unter Kaiſer Karl IV. 1370 zur Freiheit, die ſie
unter Paolo Giuniſi auf eine kurze Zeit zwar wieder ver-
loren, nach Abwerfung deſſen Herſchaft aber fortwaͤhrend
behauptet hat. Wird ſie gleich vom Kaiſer noch des
heiligen Roͤmiſchen Reichs Stadt genent, ſo hat dieſelbe
dagegen ſich doch in dem Beſitz der Unabhaͤngigkeit er-
halten.


§. 18.
Raguſa.


Dieſer kleine Staat ſoll aus den Truͤmmern der alten
Stadt Epidaurus erbaut ſeyn. Er ſteht unter dem Schutz
verſchiedener Maͤchte, und hat daher den Namen Heca-
mopolis
bekommen. Ungeachtet der Papſt und die
Republik Venedig dieſer Stadt die Souverainetaͤt nicht
zugeſtehn wollen, und ſie nur la Communità di Raguſa
nennen, ſo iſt ihr doch die Unabhaͤngigkeit mit Grunde
nicht abzuſprechen.


G 2§. 19.
[100]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 19.
San-Marino.


Der kleinſte Staat des Erdbodens: die Italiener
nennen ihn nur la Republichetta. Der heilige Marinus,
der bey Erbauung der Stadt Arinimi gebraucht ward,
und nachher, als Einſiedler, durch ſeinen Eifer in Be-
kehrung der Heyden ſich bekant machte, gab ihm den Ur-
ſprung. Man baute naͤmlich an dem Orte ſeines Auf-
enthalts eine Kapelle und ein Kloſter, bey denen ſich
verſchiedene Perſonen nach und nach niederlieſſen, und
gegen das Ende des ſechſten Jahrhunderts die Stadt
San-Marino errichteten, die ſich bisher in beſtaͤndiger
Unabhaͤngigkeit erhalten hat.



§. 20.
Beide Sicilien.


Aus den dahin geſchickten ehemaligen Pflanzſtaͤdten
Griechenlands bildeten ſich verſchiedene Staaten, die
nachher unter die Bothmaͤßigkeit der Roͤmer geriethen.
Beim Untergange des abendlaͤndiſchen Reichs bemaͤchtig-
ten die Heruler und dann die Oſtgothen ſich dieſer Laͤnder,
muſten ſie aber, unter Juſtinian, dem griechiſchen Kai-
ſerthum uͤberlaſſen. In der Folge entſtanden verſchiede-
ne Fuͤrſtenthuͤmer, unter eignen Oberherrn daraus, wel-
che die Soͤhne des normaͤnniſchen Grafen Tankreds von
Hauteville, durch Eroberungen, wieder vereinigen. Ro-
ger II. wird vom Papſt Anaklet II. zum Koͤnig beider
Sicilien gekroͤnt und empfaͤngt ſie als paͤpſtliches Lehn.
Nach-
[101]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Nachher kommen beide Reiche an Regenten aus verſchie-
denen Haͤuſern, und zuletzt an Herzog Karl von Anjou,
Koͤnigs Ludwig IX. in Frankreich Bruder. Unter ihm
reißt Sicilien 1282 ſich los, und unterwirft ſich dem
Koͤnig Peter von Arragonien. Drauf ſteht dieſes Koͤnig-
reich theils unter arragoniſchen, theils unter eignen Koͤni-
gen. Ferdinand der Katholiſche von Spanien bringt
auch Neapel an ſich, und vereinigt beide Reiche wieder,
die ſeitdem durch Statthalter regiert werden. Bei dem
bekannten ſpaniſchen Erbfolgskriege komt durch den
Urrechter Frieden 1713 Neapel an das Haus Oeſter-
reich, Sicilien aber, als ein beſonderes Koͤnigreich an
den Herzog von Savoyen, jedoch wird lezteres, nach-
dem es von Spanien wieder erobert worden, ebenfals an
Oeſterreich uͤberlaſſen. Im Wiener Frieden 1736 behaͤlt
endlich der ſpaniſche Infant Karl dieſe bey Gelegenheit
der ſtreitigen Koͤnigswahl in Polen, dem Hauſe Oeſter-
reich abgenommenen beiden Reiche, deſſen Nachfolger
ſich noch gegenwaͤrtig auf dem Thron befinden.


§. 21.
Sardinien


Stand nach und nach unter der Herſchaft der Kar-
thager, Roͤmer, Vandalen, der griechiſchen Kaiſer und
der Araber. Den Leztern ward dieſe Inſel, vermoͤge
einer paͤpſtlichen Schenkung, von den Piſanern entriſſen,
und in vier Fuͤrſtenthuͤmer geteilt. Die Haͤupter derſel-
ben ſuchten ſich unabhaͤngig zu machen, und geriethen
deshalb unter ſich und mit den Piſanern in Streit, dem
Kaiſer Friedrich II. dadurch ein Ende machte, daß er ſei-
nen natuͤrlichen Sohn Heinz zum Koͤnig von Sardinien
erklaͤrte, und es mit Teutſchland vereinigte. Zur Zeit
des Interregnums nahmen die Piſaner wiederum Beſitz
davon. Papſt Bonifaz VIII. ſchenkt Sardinien dem
G 3Koͤnig
[102]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
Koͤnig Jokas II. von Arragonien, wodurch es nachher
mit Spanien verbunden wird. Durch den Utrechter Frie-
den kam Sicilien an Kaiſer Karl VI. ward aber nach-
her, vermoͤge der Quadrupelallianz, ſtatt des an Oeſter-
reich abgetretenen Siciliens, dem Herzog von Savoyen
als ein eignes Koͤnigreich uͤbertragen.


§. 22.
Malta.


Dieſe Inſel hatte verſchiedene Beſitzer nach einander,
ehe die Roͤmer im zweiten puniſchen Kriege ſie von den
Karthagern an ſich brachten. Dieſelbe kam hierauf an
die Gothen, Griechen und Araber, welchen Letztern Graf
Roger von Sicilien 1090 ſie entriß und mit ſeinen Be-
ſitzungen vereinigte. Kaiſer Karl V. uͤberließ ſolche als
ſicilianiſches Lehn nebſt noch einigen kleinen Inſeln 1529
dem aus Rhodus vertriebenen Johanniterorden. Seit-
dem iſt Malta, als ein unabhaͤngiger Staat, der beſtaͤn-
dige Sitz des Großmeiſters dieſes Ordens geweſen.


§. 23.
Daͤnemark und Norwegen.


Die aͤlteſte daͤniſche Geſchichte iſt ziemlich dunkel und
fabelhaft. Der daͤniſche Staat ſelbſt ſoll ſchon vor
Chriſti Geburt von den Cimbern geſtiftet ſeyn. Ge-
woͤnlich wird Skiold ein Sohn Odins, in der Mitte
des dritten Jahrhunderts nach Chriſti Geburt, fuͤr den
erſten Koͤnig von Daͤnemark ausgegeben. Zwar entſte-
hen nachher wieder mehrere unabhaͤngige Staaten dar-
aus, die aber Ivar Vidfathmi im ſiebenten Jahrhun-
dert von neuem zuſammenbringt und auch Schweden
erobert, das iedoch nachher wieder abkomt. Juͤtland,
ehemals ein eignes Reich, ward ums Jahr 863 von
Gorm
[103]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Gorm dem Alten mit Daͤnemark vereinigt. Ebender-
ſelbe aber muſte, als er ſeine Eroberungen gegen Kaiſer
Heinrich den Vogler auch in Teutſchland erſtrecken wol-
te, ein anſehnliches Stuͤck von ſeinen Laͤndern dem teut-
ſchen Reiche uͤberlaſſen. Unter den Ottonen fuͤhlte Daͤ-
nemark die Uebermacht der teutſchen Kaiſer noch mehr,
indem es denſelben ſogar zinsbar werden muſte. Indes
ſoll Kaiſer Otto der Große den Beherſchern Daͤnemarks
die Koͤnigliche Wuͤrde erneuert haben, welches auch unter
den nachherigen Kaiſern mehrmals geſchehen. Allein die
Gerechtſame Teutſchlands uͤber Daͤnemark kamen nach
und nach wieder in Abgang, beſonders ſeitdem Knud VI.
ſich den Anmaſſungen Kaiſer Friedrichs I. welcher Daͤne-
mark zum Lehen Teutſchlands machen will, mit Nachdruck
entgegenſetzt. Norwegen komt unter Knud II. 1028
auf eine Zeitlang an Daͤnemark, wird aber, nachdem es
bald eigne Regenten gehabt, bald mit dem erſtern Rei-
che verbunden geweſen, ſeit 1387 auf immer damit verei-
nigt. Die Koͤnigin Margaretha bringt 1388 auch
Schweden dazu: und dieſe drey Reiche ſolten, vermoͤge
der bekanten Kalmariſchen Union von 1397, unter ein
regierendes Haupt auf ewig vereinigt bleiben, unbeſcha-
det uͤbrigens der beſondern Rechte und Freiheiten eines
ieden Reichs. Gleichwohl reißt ſich Schweden, nach
verſchiedenen vergeblichen Verſuchen, endlich los, und
hebt durch Erwaͤhlung eines eigenen Koͤnigs 1523 die
vorgedachte Vereinigung auf.



§. 24.
Schweden.


Der Urſprung dieſes Reichs iſt eben ſo ungewiß als
des Daͤniſchen und als die Erzaͤhlung von einem andern
Sohne Odins, Namens Vnge, welcher Schweden und
Gothland bekommen haben ſoll. Indes war das ſchwe-
diſche Reich ſchon zu den Zeiten des Tacitus bekant.
Es ward nachher in mehrere Fuͤrſtenthuͤmer zerteilt, die
Ingiald Illraͤde unteriochte, indem er zugleich das
bisher verfallene koͤnigliche Anſehn wieder herſtelte. In
der Folge war Schweden zuweilen mit Daͤnemark, Ruß-
land und andern Reichen bis ins zehente Jahrhundert
verbunden. Zu Ende deſſelben erſcheint Olav, als der
erſte chriſtliche Koͤnig von Schweden. MagnusI.
Ladulaͤs nimt den Titel Koͤnig der Schweden und Go-
then an. Nach verſchiedenen Revolutionen wird dieſes
Koͤnigreich, wie im vorigen §. gedacht worden, durch die
kalmariſche Union mit Daͤnemark zwar auf immer ver-
bunden, ſchuͤttelt iedoch 1520 das daͤniſche Joch ab,
und macht ſeit der Wahl Guſtavs Waſa im Jahr 1523
ein von eignen Koͤnigen regiertes Reich aus.


§. 25.
[105]und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 25.
Polen


War ehemals ein Theil von Sarmatien. Die Er-
zaͤhlung von einem Stifter des Koͤnigreichs, Namens
Lech im ſechſten Jahrhundert, iſt noch großen Zweifeln
unterworfen. Wahrſcheinlicher entſtand dieſer Staat
im neunten Jahrhundert unter Piaſt, einem vormaligen
Ackermann. Die Beherſcher aus dem piaſtiſchen Stam-
me hießen Anfangs nur Herzoge und ſtanden, wenig-
ſtens ſeit Miezislav oder MieskoI. unter dem teutſchen
Reiche, dem die Polen einen iaͤhrlichen Tribut bezahlen
muſten. Boleslav der erſte, aber noch mehr ſein Sohn
MiezislavII. fingen im eilften Jahrhundert an, ſich von
der Verbindung mit dem teutſchen Reiche loszureiſſen.
Erſterer nahm 1025 den Koͤniglichen Titel an, gerieth
aber mit dem teutſchen Reiche deshalb in Krieg. Nach-
dem BoleslavII. vom Papſt in den Bann gethan,
und des Throns entſetzt worden war, begnuͤgten ſich deſ-
ſen Nachfolger eine zeitlang wieder mit dem Herzoglichen
Titel, aber Premislav erneuerte 1294 den Koͤniglichen
abermals. Seit Vladislav Lokietek, der Gros- und
Klein-Polen auf immer vereinigte, iſt Polen iederzeit
fuͤr ein unabhaͤngiges Koͤnigreich angeſehen worden.



G 5§ 26.
[106]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 26.
Preuſſen


Beſtand in den aͤlteſten Zeiten aus verſchiedenen klei-
nen Voͤlkerſchaften, die mit den Polen in beſtaͤndigen
Kriegen lebten. Dieſe riefen daher die teutſchen Ritter
zu Huͤlfe, welche ſich daſelbſt niederlieſſen, und ganz
Preuſſen, das ſie von Kaiſer Friedrich II. und Gregor IX.
geſchenkt bekamen, binnen einigen funfzig Jahren voͤl-
lig unter ihre Bothmaͤſigkeit brachten. Der Orden
gerieth hierauf ſelbſt mit den Polen in oͤfteren Krieg und
muſte endlich im Frieden zu Thorn 1466 ganz Vorder-
Preuſſen, als einen Reichsſtand, der Kron Polen uͤber-
laſſen, Hinter-Preuſſen aber von ihr zu Lehn empfangen.
Durch den Krakauer Frieden 1525 ward der Orden in
Preuſſen gaͤnzlich aufgehaben und Hinter-Preuſſen dem
letzten Hochmeiſter Albrecht Marggrafen von Branden-
burg und ſeinen Erben, als ein weltliches Herzogthum
von Polen zu Lehn gereichet, ungeachtet der Kaiſer und
der teutſche Orden ſich dagegen ſetzten. In der Folge
erlangte das Kurhaus Brandenburg die Mitbelehnſchaft,
und nach Abſterben Herzog Albrecht Friedrichs ohne Er-
ben 1618 den Beſitz des Herzogthums Preuſſen. Chur-
fuͤrſt Friedrich Wilhelm von Brandenburg erklaͤrt ſich
in dem Kriege zwiſchen Polen und Schweden gegen ſei-
nen Lehnsherrn und erkent 1656 Preuſſen fuͤr ein Lehn
der Kron Schweden, die in dem Vertrage zu Labiau dies
Herzogthum fuͤr einen unabhaͤngigen Staat erklaͤrt.
Allein Preuſſen wird von Polen wieder unterwuͤrfig ge-
macht, Kurbrandenburg erhaͤlt iedoch endlich auch von
dieſer Krone in dem Welauer Vertrage vom 19. Septem-
ber 1657, Art. 5. 6. die voͤllige Unabhaͤngigkeit des
Herzogthums Preuſſen, welche im Frieden zu Oliva 1660
beſtaͤttigt wird. Sein Nachfolger FriedrichI. erhebt
das nunmehr freie Preuſſen 1701 zu einem Koͤnigreich,
wofuͤr
[107]und den europaͤiſchen insbeſondere.
wofuͤr es auch die uͤbrigen Maͤchte in Europa nach und
nach anerkennen.




§. 27.
Hungarn


Ward ſonſt unter dem Koͤnigreich Pannonien begrif-
fen, zu Kaiſer Tibers Zeiten beſiegt und zur roͤmiſchen
Provinz gemacht. Drauf kam es an die Gothen und
Hunnen, welche Leztern dieſem Reiche den heutigen Na-
men gaben. Dieſe lebten mit den griechiſchen Kaiſern
in beſtaͤndigen Kriegen, wurden von den Oſtgothen und
Longobarden auf eine zeitlang wieder vertrieben und von
Karl dem Groſſen uͤberwaͤltigt, riſſen ſich gleichwol
abermals los, und machten nachher den teutſchen Kai-
ſern, die iedoch nicht ſelten die Oberhand uͤber ſie behiel-
ten, viel zu ſchaffen. Otto III. ſoll im Jahr 1001 dem
Hungariſchen Herzoge StephanI. die koͤnigliche Wuͤrde
erneuert haben, die ſchon Attila der Hunnen Koͤnig fuͤhr-
te. Zwar unterwarf Kaiſer Heinrich III. Hungarn als
eine Provinz dem teutſchen Reiche dergeſtalt, daß es
demſelben einen iaͤhrlichen Tribut bezahlen muſte; aber
dieſe Verbindung dauerte nicht lange. Schon Koͤnig
Andreas ſing am 1052 an, die Abtragung des Tributs
zu unterlaſſen: und obwohl die folgenden Kaiſer um die
Wiederherſtellung des Reichs Oberherſchaft uͤber Hungarn
bemuͤht
[108]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
bemuͤht waren, und Friedrich II. daſſelbe lehnbar mach-
te; ſo ſind dieſe Gerechtſame doch ſeitdem voͤllig in Ab-
gang gekommen, und Hungarn die Rechte eines unab-
haͤngigen Staats zugeſtanden worden. Nach mehrern
Regenten aus verſchiedenen Haͤuſern gelangt das Haus
Oeſterreich 1526 zum Beſitz dieſes Koͤnigreichs.


§. 28.
Rußland.


In den aͤlteſten Zeiten bewohnten verſchiedene Voͤlker
dieſe Lande, beſonders Slaven, welche im neunten Jahr-
hundert in Novgorod den Grund zu einem neuen Staat
legten. Innerliche Uneinigkeiten dieſes anfaͤnglichen
Freiſtaats veranlaßten die Wahl mehrerer Regenten,
unter welchen Kurick der Stifter eines ziemlich weit-
laͤuftigen Reichs ward: Daſſelbe zerfiel nachher wieder
in kleine Fuͤrſtenthuͤmer, deren Oberhaͤupter Kneeſen,
d. i. Grafen und Herrn hieſſen, und im dreizehnten
Jahrhundert groͤſtenteils den Tatarn lehn- und zinnsbar
werden muſten. IvanI.Waſiljewitſch brachte waͤh-
rend ſeiner Regierung von 1462 bis 1505 dieſe kleinen
Staaten wieder zuſammen, machte der tatariſchen Her-
ſchaft 1477 ein Ende, und begruͤndete dadurch das heu-
tige Rußland nach ſeinem Hauptumfange. IwanII.
Waſiljewitſch nimt den Titel Zaar, d. i. Koͤnig oder
Herzog an, den Peter I., bey Gelegenheit des Nyſtaͤdter
Friedens, mit der Kaiſerwuͤrde vertauſcht.



§. 29.
[109]und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 29.
Die ottomanniſche Pforte.


Die aſiatiſchen Provinzen des ottomanniſchen Reichs
wurden in den aͤltern Zeiten ebenfals von verſchiedenen
Voͤlkerſchaften bewohnt, unter denen die Tuͤrken, wel-
che im ſechſten Jahrhundert zuerſt vorkommen, die merk-
wuͤrdigſten ſind. Ihr Reich machte bald einen eignen
Staat aus, bald ſtand es unter der Herſchaft andrer
Nazionen. Osmann oder OttomannI. ſtiftete im
Jahr 1300 das gegenwaͤrtige ottomanniſche Reich, und
nahm zugleich den Titel eines Sultans an. Orchan
erſtreckt durch ſeinen Sohn Soliman ſeine Eroberungen
1355 zuerſt bis nach Europa, und MohamedII. ero-
bert endlich 1453 Conſtantinopel, die Hauptſtadt des
ehemaligen griechiſchen Kaiſerthums, welche ſeitdem die
Reſidenz der tuͤrkiſchen Kaiſer geblieben iſt. Die Beſitz-
ungen in dieſem Welttheile ſind es allein, um derent-
willen die Pforte zu den europaͤiſchen Staaten gerechnet
wird.


§. 30.
Verſchiedene Klaſſen der europaͤiſchen Na-
zionen
.


Die vorgenanten Staaten laſſen ſich, in Ruͤckſicht
ihrer Groͤſe, Lage, Regierungsform ꝛc. in verſchiedene
Klaſſen theilen, indem einige entweder Land- oder See-
maͤchte, Reiche oder Republiken, Erb- oder Wahlrei-
che ꝛc. ſind. Dieſe mannichfaltigen Beſtimmungen lernt
man in der Geographie und Statiſtick kennen. Keine
derſelben aber vermehrt oder vermindert die Eigenſchaft
eines freien Volks oder den Gebrauch des Voͤlkerrechts,
die einem ieden, nach Verſchiedenheit ſeiner natuͤrlichen
und politiſchen Verfaſſung und der daraus entſpringen-
den Verhaͤltniſſe, gebuͤhren.


§. 31.
[110]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 31.
Streitige ſouveraine Staaten.


Auſſer dieſen giebt es noch verſchiedene andere Staa-
ten, die theils von ihren Beſitzern ſelbſt, theils nur von
einigen Schriftſtellern fuͤr ſouverain ausgegeben werden,
deren Unabhaͤngigkeit aber bey den uͤbrigen europaͤiſchen
Nazionen ſelten oder gar nicht in Betrachtung kommt a],
mit unter auch noch manchen Zweifeln unterworfen, oder
wohl gar ungegruͤndet und daher nicht durchgaͤngig aner-
kant iſt. Zu den Letztern gehoͤren die meiſten italiaͤniſchen
Fuͤrſten, die der Herſchaft des reutſchen Reichs ehemals
ohnſtreitig unterworfen geweſen, und noch zur Zeit durch
nichts davon losgezaͤhlt ſind, die ihre Lande iedoch groͤ-
ſtenteils als ſouveraine Staaten regieren, weil die Gele-
genheiten ſelten vorkommen, wo die Gerechtſame des
Reichs auf einleuchtende Art geltend gemacht werden
koͤnten b].




Ich will wenigſtens die vornehmſten ſtreitigen ſouve-
rainen Staaten kuͤrzlich anfuͤhren. Man rechnet dahin:


1] Das Koͤnigreich Boͤhmen, das zwar ſchon
722 einen ſouverainen Herzog, Namens Przemyſl ge-
habt haben ſoll, aber nachher unter Kaiſer Ludwig dem
Teutſchen dem Reiche unterworfen wurde. Wenigſtens
iſt deſſen Verbindung mit Teutſchland ſeit den Kaiſern
Heinrich III. und IV. nicht zu bezweifeln. Letzterer ſoll
dem boͤhmiſchen Herzog Wratislav 1086 die koͤnigliche
Wuͤrde ertheilt haben, die ſchon Herzog Wenzel Heinrich
dem Vogler ausſchlug. Sie wurde 1158 erneuert und
ſeit 1292 von allen Beherſchern Boͤhmens gefuͤhrt.
Zwar erlangte das Koͤnigreich Boͤhmen in der Folge an-
ſehnliche Vorrechte und Befreiungen vom teutſchen Rei-
che, beſonders von deſſen Gerichtsbarkeit, dem ungeachtet
iſt der iedesmalige Koͤnig von Boͤhmen, als Churfuͤrſt,
wegen dieſes Reichslandes noch ein unſtreitiger Stand
des teutſchen Reichs: welche Eigenſchaft die Kron Boͤh-
men im Jahr 1708 aufs neue anerkant und durch Ueber-
nehmung eines Matricular-Anſchlags befeſtigt hat. Auſ-
ſer der Verbindung mit Teutſchland wird Boͤhmen uͤbri-
gens von ſeinen Regenten mit ziemlich unbeſchraͤnkter
Gewalt beherſchet. In den 1756. und folgenden Jahren
kam es, wegen der Abhaͤngigkeit Boͤhmens vom teutſchen
Reiche zwiſchen Preuſſen und dem Hauſe Oeſterreich zur
Spra-
[112]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
Sprache und letzteres ward von erſterm beſchuldigt, daß
es zwar unter dem Schutz des Reichs ſtehn, aber deſſen
Grundgeſetze nicht anerkennen wolle.



2] Das Preuſſiſche Schleſien. Schleſien, ſonſt
ein Theil Polens, bekam ſeit 1140 eigne Regenten,
meiſtens aus dem piaſtiſchen Hauſe, die dem teutſchen
Reiche iedoch zinsbar waren. In den Kriegen zwiſchen
Polen und Boͤhmen, begaben ſich dieſe Herzoge gewoͤn-
lich unter Boͤhmiſchen Schutz. So kam Schleſien end-
lich an das Haus Habsburg. Kaiſer Karl IV. erhielt
den ſchleſiſchen Tribut zum Geſchenk vom Reiche, und
vereinigte Schleſien, mit Bewilligung der Kurfuͤrſten,
im Jahr 1355 auf immer mit Boͤhmen. Dadurch ſoll,
dem Vorgeben nach, die Verbindung mit dem teutſchen
Reiche aufgehaben worden ſeyn, weil Schleſien ſeitdem
nichts mehr zu den Reichsanlagen beitragen oder an den
uͤbrigen Reichsangelegenheiten Theil genommen habe.
Andere hingegen behaupten, daß die damalige Einverlei-
bung ohne Loͤſung des bisherigen Bandes zwiſchen Teutſch-
land geſchehen, zumal da Boͤhmen ſelbſt ein Reichsland
ſey. In dem Breslauer Frieden 1742, Art. 5. ward
indes ein großer Theil Schleſiens mit voͤlliger Souverai-
netaͤt an den Koͤnig von Preuſſen abgetreten, und ſolches
in dem Dresdner Frieden 1745 beſtaͤttigt. Der Koͤnig
nahm hierauf auch den Titel eines ſouverainen Herzogs
von Schleſien an, und erhaͤlt denſelben von dem Hauſe
Oeſter-
[113]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Oeſterreich und den uͤbrigen Maͤchten. Die Garantie
iener Friedensſchluͤſſe vom Reiche erfolgte 1751, iedoch
ſalvis juribus imperii. Allein der Koͤniglich Preuſſiſche
Hof hielt es 1757 fuͤr eine Verwegenheit, zu behaupten,
daß dieſe Reſervation der Souverainetaͤt nachtheilig ſey,
weil dem teutſchen Reiche kein weiteres Recht dadurch
zuwachſen koͤnne, als es vorher gehabt.



3] Die Grafſchaft Glatz. Mit dieſer Grafſchaft,
die ehemals verſchiedene Herren, die bald mehr, bald we-
niger mit Teutſchland in Verbindung ſtanden, hatte,
ſeit 1561 aber beſtaͤndig bey der Kron Boͤhmen geblieben
war, hat es eben die Beſchaffenheit wie mit Schleſien.
Sie ward nebſt demſelben 1742 mit voͤlliger Unabhaͤngig-
keit gleichfals an den Koͤnig von Preuſſen abgetreten,
der auch davon die Titulatur einer ſouverainen Grafſchaft
annahm.



4] Die zugewandten Orte der Schweitz. In
dem weſtphaͤliſchen Frieden 1648 [Oßnab. Art. 7.] wur-
den eigentlich nur die dreizehn Cantons der Schweitz fuͤr
ſouverain erklaͤrt. Gleichwohl gehoͤren auſſerdem noch
eilf ſogenannte zugewandte Orte, oder kleine Staa-
ten, die entweder mit geſamter Eidgenoſſenſchaft, oder
nur mit einigen Cantons derſelben im Buͤndnis ſtehn,
zu dem ſchweitzeriſchen Staat, oder Helvetien. Unter
dieſen Orten befinden ſich ohnſtreitig verſchiedene Lehen
und andere Stuͤcke, welche des Reichs Oberherſchaft
ehemals anerkant haben, und zur Zeit davon ausdruͤck-
lich noch nicht befreit worden ſind, weil der vorerwaͤhnte
HFriedens-
[114]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
Friedensſchlus auf ſelbige nicht fuͤglich zu erſtrecken iſt.
Die iedoch groͤſtentheils im Beſitz der Souverainetaͤt ſich
befinden.



5] Dahin gehoͤrt beſonders die Stadt Genf. Die-
ſe kleine Republik war, als eine freie Reichsſtadt, wie
einige vorgeben, ehemals der Hoheit des teutſchen Reichs
allerdings unterworfen, die auch noch Kaiſer Karl V. zu
behaupten ſuchte. Sie muſte iedoch oͤfters die Regierung
anderer Herrn, vorzuͤglich der Herzoge von Savoyen und
der Biſchoͤfe zu Genf erkennen. Sie trat deshalb mit
einigen Schweitzer-Cantons im Bund, und vereitelte
nicht nur den Unteriochungsverſuch Herzog Karl III. von
Savoyen im Jahre 1521, ſondern entledigte ſich auch
1533 der biſchoͤflichen Gewalt, durch Annehmung der
reformirten Religion. Seit der Zeit ſoll Genf die Sou-
verainetaͤt erlangt haben. Nachher begab die Stadt
1579 ſich in franzoͤſiſchen Schutz, erneuerte auch die
Buͤndniſſe mit den Schweitzer-Cantons, beſonders Zuͤrch
und Bern oͤfters; weshalb ſie itzt den zugewandten
Orten
beigezaͤhlt wird. Das Reich hat ſich ſeiner An-
ſpruͤche nun zwar freilich noch nicht begeben, indes befin-
det ſie ſich, wie Zech im europaͤiſchen Herold ſagt, in
posſeſſione vel quaſi
der Souverainetaͤt, und ſtehet da-
hin, ob ſie nicht, gleich den ſchweitzeriſchen Cantons,
durch den weſtphaͤliſchen Frieden der Dependenz von des
Reichs Gerichtsbarkeit erlaſſen zu ſeyn vorgeben moͤchte?



6] Das Grosherzogthum Toſcana. Daſſelbe
machte ehemals einen Theil Hetruriens aus, und hatte
mit den uͤbrigen italiaͤniſchen Staaten gleiches Schickſal.
Bey
[115]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Bey der Abnahme des kaiſerlichen Anſehens in Italien
bildeten ſich daraus verſchiedene Freiſtaaten, die nachher
in das Herzogthum Florenz oder Toſcana zuſammen-
ſchmolzen. Dieſes in der Folge durch Papſt [1569]
und Kaiſer [1576] zum Grosherzogthum erhabene Land
war der Oberherſchaft des Reichs ohnſtreitig unterwor-
fen, obgleich nicht Florenz ſelbſt, ſondern nur einige
Nebenſtuͤcke von demſelben zu Lehen gingen. Johann
Gaſto
, der letzte Grosherzog aus dem Hauſe Medicis,
wolte iedoch Toſcana fuͤr unabhaͤngig vom Reiche ausge-
ben, weil die Kaiſer ſeit Jahrhunderten kein Hoheits-
recht daruͤber ausgeuͤbt haͤtten, aber Kaiſer Karl VI. be-
hielt die Oberhand, und das Grosherzogthum Toſcana
wurde in der ſogenanten Quadrupelallianz 1718, Art 5.
fuͤr ein unbezweifeltes Lehen des teutſchen Reichs aner-
kant, das auf den Abgang des mediceiſchen Stams an
den ſpaniſchen Prinzen zweiter Ehe PhilipV. fallen ſol-
te. Das Reich gab auch, unter dieſen Bedingungen,
am 9. December 1722 ſeine Einwilligung dazu. Ver-
geblich proteſtirte Herzog Gaſto 1723 wider dieſe Lehns-
eigenſchaft ſeines Grosherzogthums. In den Wiener
Friedenspraͤliminarien 1735 hingegen wurde die vorige
Diſpoſition geaͤndert, und Toſcana, auf obigen Fall, dem
Herzoge von Lothringen, ſtatt der an Frankreich abzutre-
tenden Herzogthuͤmer Lothringen und Aar, zugeſichert,
ohne einer Lehnbarkeit oder Unabhaͤngigkeit zu gedenken.
Jedoch verſicherte der Kaiſer, in dem desfals ans Reich
erlaſſenen Commiſſions-Decret vom 25. Maͤrz 1736, daß
die Gerechtſame des Reichs in Anſehung Toſcana, Par-
ma und Piacenza bey dieſem neuen Syſtemate keine wei-
tere Gefahr und Anſtoß wie ehedeſſen zu befahren. Gleich-
wohl geſchah der Lehnseigenſchaft im Definitiv-Frieden
weiter keine Erwaͤhnung. Der Herzog Franz Stephan
von Lothringen erhielt hierauf 1737 die Eventualbelehn-
ung uͤber Toſcana und gelangte noch in demſelben Jahre
H 2zum
[116]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
zum Beſitz des Grosherzogthums. Seit der Zeit iſt von
einer Reichs-Belehnung nichts weiter zu hoͤren geweſen,
und die Grosherzoge beherſchen ihre Lande groͤſtentheils
als ſouveraine Herrn. Daß aber die wuͤrkliche Souve-
rainetaͤt aus vorgedachten Friedensſchluſſe herzuleiten
ſey, wie Neyrona] und Andere vorgeben, iſt ſchwer-
lich zu behaupten, weil das Reich ſeine diesfalſigen
Anſpruͤche keinesweges aufgegeben zu haben ſcheint, in-
dem ſeit 1742 und noch in der neuſten Wahlcapitulation
Art. X. §. 10. verſehen wird, daß der Kaiſer die Reichs-
lehen in Italien, beſonders nach Maasgabe des obangezo-
genen Reichsgutachtens vom 9. Dec. 1722 worinn die
Lehnbarkeit von Toſcana ausdruͤcklich bedungen, aufrecht
erhalten ſolle.




7] Die Herzogthuͤmer Parma und Placenz.
Aehnliche Beſchaffenheit hat es mit dieſen beiden Her-
zogthuͤmern. Sie waren in den aͤltern Zeiten zwey
anſehn-
[117]und den europaͤiſchen insbeſondere.
anſehnliche Staͤdte Galliens, kamen nach und nach an
die Roͤmer, Longobarden, Franken und endlich an das
teutſche Reich. Im mitlern Zeitalter aber ſuchten ſie
ſich loszureiſſen, und erkanten bald dieſen bald ienen Herrn.
Am meiſten behaupteten die Paͤpſte die Hoheit daruͤber.
PaulIII. belehnte 1545 ſeinen natuͤrlichen Sohn, Peter
Aloyſius Farneſe
damit, und erhob, wiewohl mit groſ-
ſen Widerſpruch Kaiſer Karls V. dieſe beiden Staͤdte
ſogar zu Herzogthuͤmern. Doch gab Karl in der Folge
einigermaaßen nach, als Herzog Oetavius, des vorigen
Sohn, ſich mit des Kaiſers natuͤrlichen Tochter Marga-
rethe, Grosherzog Alexanders zu Florenz Witwe ver-
maͤhlte. In der Quadrupelallianz Art 5. wurden dieſe
beiden Herzogthuͤmer fuͤr unſtreitige Reichslehen erklaͤrt,
und die Erbfolge darinn, nach Abſterben des damals
regierenden Hauſes, dem ſpaniſchen Infanten Don Car-
los
, wegen der Anſpruͤche ſeiner Mutter, als naͤchſten
Anverwandtin, darauf bedungen. Zwar proteſtirte der
Papſt 1723 dagegen, und es entſtanden, als 1731 die-
ſer Fall mit dem Tode Herzog Anton Farneſe eintrat,
weitlaͤuftige Irrungen deshalb zwiſchen dem kaiſerlichen
und paͤpſtlichen Hofe: doch ſiegte der erſtere, und Don
Carlos wurde mit Parma und Piacenza wuͤrklich belie-
hen. Gleichwohl verſuchte eben dieſer Don Carlos nicht
lange darnach dieſen Landen auf alle moͤgliche Art eine
Unabhaͤngigkeit beizulegen. Als derſelbe aber durch den
Wiener Frieden zu den Beſitz beider Sicilien gelangte,
erhielt das Haus Oeſterreich dagegen, mehrgedachte Her-
zogthuͤmer [des beym Grosherzogthum Toſcana erwaͤhn-
ten Reichsgutachtens von 1722 und kaiſerlichen Com-
miſſions-Decrets von 1736, ungeachtet] avec le plein
droit de proprieté.
[Wien. Friede 1738 Art. 7.] End-
lich kamen ſie im Aachner Frieden 1748 Art. 4. ohne
weitere Erwaͤhnung ihrer Eigenſchaft, an den ſpaniſchen
Infanten Don Philip, Bruder des Koͤnigs beider Si-
H 3cilien.
[118]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
cilien. Herzog Philip behauptete daher, als er, auf
Verlangen des Kaiſers, die Lehen befolgen ſolte, er habe
die Herzogthuͤmer ohne die geringſte Meldung einer Lehn-
barkeit, als unabhaͤngige Staaten bekommen. Dies
ſcheint iedoch, nach dem obangefuͤhrten 10. §. der Wahl-
capitulation, die Meinung des teutſchen Reichs nicht
geweſen zu ſeyn. Auch hat der Papſt ſeine Anſpruͤche
darauf ſeitdem mehrmalen zu erneuern geſucht.



8] Guaſtalla. Mit dieſem kleinen Herzogthum hat
es faſt gleiche Bewandnis. Es war ehedem ein unſtrei-
tiges Reichslehn. Nach Abſterben des letzten Herzogs aus
dem Hauſe Gonzaga-Mantua 1746, nahm es Oeſter-
reich, als ein Pertinenzſtuͤck von Mantua in Beſitz,
trat es aber, nebſt Parma und Piacenza im Aachner
Frieden an den ſpaniſchen Infanten Don Philip ab.
Wurde dabei gleich der Lehnseigenſchaft nicht gedacht,
ſo folgt doch daraus die Unabhaͤngigkeit eben ſo wenig,
zumal das Reich eigentlich gar keine Notiz davon nahm.



9] Einige wollen ſogar das Herzogthum Savo-
yen
fuͤr ſouverain ausgeben; aber es iſt ohnſtreitig ein
Reichslehn, und der Koͤnig von Sardinien hat als Her-
zog von Savoyen noch itzt das Sitz- und Stimmrecht
auf
[119]und den europaͤiſchen insbeſondere.
auf Reichstaͤgen, ob er es gleich nicht ausuͤbt, auch von
ſeinem Matrieularanſchlage und an Kammerzielern nichts
bezahlt. Die Entfernung vom Reiche macht die Ver-
bindung mit demſelben indes freilich faſt unmerkbar, und
die Unabhaͤngigkeit deſto ſcheinbarer.



10] Der Republik Genua pflegt die Souveraine-
taͤt gewiſſermaaßen auch beſtritten zu werden; wiewohl
aus minder triftigen Gruͤnden. Zwar ſtand dieſelbe in
aͤltern Zeiten allerdings unter der Oberherſchaft des
Reichs. Die Kaiſer ſuchten auch in neuern Zeiten zu-
weilen noch einige Gerechtſame uͤber die Republik auszu-
uͤben; demungeachtet hat ſie ſich im Beſitz der Unabhaͤng-
igkeit behauptet, ſolche wird von den uͤbrigen europaͤi-
ſchen Maͤchten erkant und von Teutſchland dermalen un-
angefochten gelaſſen.



Neyrona] rechnet unter die ſtreitigen Souverains
auch noch den Papſt, den Grosmeiſter des Malthe-
ſerordens
und die Kurfuͤrſten: ſo wie er hingegen den
Herzog von Modena fuͤr unabhaͤngig ausgiebt. Von
den erſtern beiden iſt ſchon oben die Rede geweſen, von
den uͤbrigen wird weiter unten noch etwas vorkommen.
H 4End-
[120]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
Endlich ruͤgt Moſerb], daß in der Buͤſchingſchen Geo-
gravhie von Italien, 1] Bozzolo, 2] Sabionetta,
3] Mirandola, 4] Novellara, 5] Maſſa-Carrara,
6] Maſſerano, 7] Caſtiglione und 7] Solferino
als ſouveraine Fuͤrſtenthuͤmer ausgegeben wuͤrden, da ſie
doch, auſſer Maſſerano, von dem er keine Nachricht
habe, als Reichslehen, ſaͤmtlich unter teutſcher Oberher-
ſchaft ſtuͤnden. So viel ich aber gefunden, iſt ihre Ei-
genſchaft von dem Herrn O. C. R. Buͤſching meiſtens
richtig angegeben worden.




§. 32.
Halbſouveraine Staaten.


Ferner giebt es gewiſſe Staaten, die zwar nicht voͤl-
lig ſouverain und unabhaͤngig ſind, weil ihre Regenten
in der That noch ein Oberhaupt uͤber ſich erkennen, die
im uͤbrigen aber, beſonders in Beziehung gegen andere
ſouveraine Staaten, alle eigentlich nur aus der Unab-
haͤngigkeit flieſſende Gerechtſame ausuͤben und ſelbſt in
Ruͤckſicht des Oberhaupts ſolche Vorrechte genieſſen, die
mit den Begriffen der Unterthaͤnigkeit ſich nicht wohl
vereinbaren laſſen, die ihre Lande auch nicht in des
Obern, ſondern in ihrem eignen Namen regieren: alles
iedoch in Gemaͤsheit der zwiſchen ihnen und dem Ober-
haupte verhandenen Grundvertraͤge. Man kann dieſe
Staaten fuͤglich halbſouveraine nennen.



§. 33.
Dahin gehoͤren die teutſchen Reichsſtaͤnde.


Zu den ſogenanten halbſouverainen Staaten werden
vorzuͤglich die teutſchen Reichsſtaͤnde gerechnet. Die ſon-
derbare und eigne Verfaſſung des teutſchen Reichs hat,
ſeiner maͤchtigen und angeſehenen Reichsſtaͤnde wegen,
in Beſtimmung der Regierungsart deſſelben, den Staats-
rechtsgelehrten von ieher viel zu ſchaffen gemacht. Sie
haben ihm die monarchiſche, ariſtokratiſche, demokrati-
ſche, oligarchiſche und alle moͤgliche Regierungsformen
anzupaſſen geſucht. Es iſt dies auch ohnſtreitig eine der
verwickelteſten Materien des teutſchen Staatsrechts, de-
ren grundgeſetzmaͤſige Eroͤrterung aber nicht ohne Nutzen
iſt. Hier iſt der Ort nicht, die unendlich verſchiedenen
Meinungen davon anzufuͤhren und zu unterſuchen. Es
gnuͤgt uns, dermalen zu beſtimmen: ob die teutſchen
Reichsſtaͤnde den ſouverainen Staaten in Europa beizu-
H 5zaͤhlen
[122]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
zaͤhlen und ob ihre Verhaͤltniſſe gegen einander, gegen
das Oberhaupt des Reichs und gegen andre unabhaͤngige
Nazionen nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts zu beur-
theilen ſind? Zwar haͤngt die Beantwortung dieſer
Frage großenteils von Beſtimmung der Regierungsform
ab; man mag indes deren eine annehmen, welche man
will, ſo beruht das Hauptwerk auf folgende Punkte:


I.Die teutſchen Reichsſtaͤnde ſind nicht voͤllig
ſouverain. Leibnitz
und Andere a] haben ſich zwar vie-
le Muͤhe gegeben, zu beweiſen, daß die Souverainetaͤt
ihnen zukomme, und ſie von auswaͤrtigen Maͤchten die-
ſen Titel erhalten, dieſe auch mit comme de ſouverain à
ſouverain
gehandelt haben. Wenn man die reichsſtaͤndi-
ſche Verfaſſung an ſich und gegen andere Staaten, auſ-
ſer der Verbindung mit dem Reiche, betrachtet, ſo fin-
det man allerdings bey den meiſten faſt alle Erforderniſſe
unabhaͤngiger Staaten. Dem ungeachtet iſt aber auch
nicht abzulaͤugnen, daß die Reichsſtaͤnde nach dem aus-
druͤcklichen Inhalt der Reichsgrundgeſetze [Reichs-Abſchied
von 1566, §. 6. und an mehrern Orten] den roͤmiſchen
Kaiſer, als das Oberhaupt im Reiche uͤber ſich erkennen,
dem ſie in gewiſſen Stuͤcken Rechenſchaft von ihrer Re-
gierung geben muͤſſen. Folglich mangelt ihnen, in Ruͤck-
ſicht dieſer Verbindung mit dem Reiche, deſſen Theile
ſie ausmachen, eine Haupteigenſchaft der Unabhaͤngigkeit,
die, auſſer Gott, keinen Hoͤhern auf Erden uͤber ſich zu
haben, und ſie beſitzen daher die Souverainetaͤt wenig-
ſtens nicht nach ihrem ganzen Umfange b]. Der Kaiſer
will auch nicht zugeben daß die Staͤnde des Reichs ſich
den Titel ſouverainer Herrn von Reichslanden beilegen,
wiewohl es zuweilen dennoch geſchieht c].


II.Die Reichsſtaͤnde koͤnnen aber auch nicht
nach den gewoͤnlichen Begriffen der Unabhaͤngig-
keit beurteilt werden
d]. Wiewohl die Ausdruͤcke:
Gehor-
[123]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Gehorſam und Unterthaͤnigkeit in den Reichsgrund-
geſetzen von den Reichsſtaͤnden nicht ſelten gebraucht wer-
den, ſo zeigt doch ſchon der faſt immer dabei befindliche
Zuſatz: des Reichs [z. B. Unſern und des Reichs
Unterthanen, bey den Pflichten, Eiden und Gehorſam,
ſo ſie uns und dem heil. Reiche gethan] daß ſie nicht
als gemeine Unterthanen des Kaiſers anzuſehen ſind, und
daß man, wie die Staͤnde des Reichs gegen Kaiſer Karl
V. bey Gelegenheit der Achtserklaͤrung der Kurfuͤrſten
von Sachſen, aͤuſſerten, mit gebohrnen und von Gott
geſetzten Reichsfuͤrſten nicht wie mit roͤmiſchen Untertha-
nen verfahren koͤnne. Dieſe Unterthaͤnigkeit bezieht ſich
hauptſaͤchlich auf die Verbindung der Reichsſtaͤnde in
einen politiſchen Koͤrper. Das Recht, einen Staat
nicht als Beamter, ſondern als Eigenthuͤmer, in eignem
Namen, zu regieren, die Rechte der Geſandſchaften,
der Buͤndniſſe, des Kriegs und Friedens ſind unſtreitige
Souverainetaͤtsgerechtſame: und wenn dergleichen einem
vorher wuͤrklichen Unterthanen gegen andere Staaten und
zum Theil gegen das Oberhaupt ſelbſt zugeſtanden wer-
den, ſo faͤlt die damit nicht wohl zuvereinbarende Unter-
thaͤnigkeit beinah von ſelbſt weg e], oder wenn eine Ab-
haͤngigkeit dennoch ausdruͤcklich beibehalten wird, kann
ſolche, iener vorzuͤglichern und uͤberwiegendern Rechte
wegen, in der Anwendung ſelten einige Wuͤrkung haben.
Dies duͤrfte auch der Fall wenigſtens in Anſehung der
vornehmſten teutſchen Reichsſtaͤnde ſeyn.


III.Die Regierungs- und Hoheitsrechte der
teutſchen Reichsſtaͤnde werden, den Grundgeſetzen
gemaͤs, die Landeshoheit
[ſuperioritas territo-
rialis
] und die Regenten Landesherrn genant.


A.Der Name: ſuperioritas territorialis [Lan-
deshoheit
] iſt neuern, und, wie Treuer f] gezeigt hat,
franzoͤſiſchen Urſprungs. Er hat ſeine Entſtehung haupt-
ſaͤch-
[124]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
hauptſaͤchlich dem weſtphaͤliſchen Frieden zu danken. Die
ehemaligen gleichbedeutenden Benennungen waren: Lan-
desobrigkeit, Landesfuͤrſtliche Obrigkeit, Ober-
herlichkeit, Oberbothmaͤßigkeit, Hoheit
, lat. ban-
num, omnimoda jurisdictio, merum et mixtum imperium,
regalia,
auch ſuperioritas etc. Nach der Meinung des
Leibnitz und einiger Andrer ſoll der Ausdruck: ſuperiori-
tas territorialis
eins ſeyn mit der Souverainetaͤt. Hoc
quod nos vocamus ſuperioritatem territorialem,
ſagt Er-
ſterer [in Caeſ. Fürſtenerio de ſuprem. c. X.] idem cum
eo eße videtur, quod Galli etiam vocant la ſouveraineté
etc.
Aus triftigern Gruͤnden aber behauptet Thoma-
ſius
g], daß man zuweilen faͤlſchlich einen Unterſchied
zwiſchen ſuperioritas und ſuperioritas territorialis mache,
wenn man unter erſterer die Souverainetaͤt, unter letzte-
rer aber nur die Landeshoheit verſtehen wolle; weil der
Zuſatz: territorialis die Sache keinesweges verringere,
beyde Ausdruͤcke auch im weſtphaͤliſchen Frieden ohne
Unterſchied von den Reichsſtaͤnden gebraucht wuͤrden.


B.Der Begrif der Landeshoheit wird von den
Staatsrechtslehrern gar verſchieden angenommen, je
nachdem ſie die Souverainetaͤt der Reichsſtaͤnde mehr
oder weniger beguͤnſtigen. Der Reichsverfaſſung am
gemaͤßeſten wird die Landeshoheit als der Inbegrif aller
Regierungsrechte beſchrieben, welche ein Reichsſtand,
gleich andern Souverainen, zum Wohl ſeiner Lande und
Unterthanen ausuͤben kan, inſofern er durch die Reichs-
oder Landesgrundgeſetze darin nicht eingeſchraͤnkt iſt. Sie
enthaͤlt im Grunde alle Gerechtſame der Souverainetaͤt,
nur daß ſolche der Reichsverbindung zum Nachtheil und
den Grundgeſetzen des Reichs zuwider nicht ausgeuͤbt
werden duͤrfen. Jedoch iſt dieſe Landeshoheit, nach des
Herrn Etatsrath Moſers Erinnerung, von der wahren
Souverainetaͤt noch weit unterſchieden h].


C.
[125]und den europaͤiſchen insbeſondere.

C.Der Urſprung und Grund der Landeshoheit,
die groͤſtenteils auf dem Herkommen beruht, durch den
weſtohaͤliſchen Frieden, beſonders Art. VIII. §. 1. u. 2.
des Oßnabruͤckſchen und Art. IX. §. 62. u. 63. des Muͤn-
ſterſchen Inſtruments aufs kraͤftigſte beſtaͤtigt und in
neuern Zeiten immer mehr erweitert worden iſt, werden
in den Schriften des teutſchen Staatsrechts eroͤrtert i].


Aus dieſem allen erhellet, daß die teutſchen Reichs-
ſtaͤnde, ob ſie gleich nicht fuͤr voͤllig unabhaͤngig zu ach-
ten, weil ſie den Kaiſer uͤber ſich haben, dennoch in denen
durch die Reichsgrundgeſetze nicht beſchraͤnkten Stuͤcken,
alle Souverainetaͤtsgerechtſame, beſonders auch in aus-
waͤrtigen Beziehungen, als des Kriegs und Friedens,
der Geſandſchaften und Buͤndniſſe, ſowohl gegen ande-
re ſouveraine Nazionen, als zum Theil gegen einander und
gegen das Oberhaupt des Reichs auszuuͤben befugt ſind,
daß ſie folglich in dieſen Materien nothwendig nach den
Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts beurteilt werden muͤſſen k].


Worauf die Landeshoheit hafte und welcher Gattung
von Reichsſtaͤnden ſie zukomme? gehoͤrt ebenfals fuͤr die
Staatsrechtslehre l]. Uebrigens wuͤrde es hier zu weit-
laͤuftig ſeyn, die ziemlich an dreihundert ſich belaufende
Staaten, woraus das teutſche Reich beſtehet, einzeln zu
beruͤhren. Ich ſetze deren Kentnis daher aus der teut-
chen Reichsgeſchichte und dem Staatsrechte voraus m].





d]
[126]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,






k]
[127]und den europaͤiſchen insbeſondere.



§. 34.
Uebrige halbſouveraine Staaten.


Dahin gehoͤren ferner:


1] ſaͤmtliche vom teutſchen Reiche abhaͤngige
und zu Lehn gehende Fuͤrſtenthuͤmer in Italien
a].
Auſſer den ſchon oben bey den ſtreitigen Souverainetaͤten
angefuͤhrten, die, ſo lange deren Unabhaͤngigkeit nicht
foͤrmlich anerkant iſt, billig hieher zu rechnen, ſind vor-
naͤmlich noch die Herzogthuͤmer Mayland, Mantua,
Modena
b] nebſt Mirandola, Maſſa-Carrara und
Novellara, ingleichen Montferrat zu merken c].


2] Die Herzogthuͤmer Curland und Semigal-
lien
, welche ehemals zu Liefland gehoͤrten, ſei: 1561
aber einen beſondern Staat ausmachen. Sie ſind Lehen
der Kron Pohlen, und vermoͤge der ſogenanten Pacto-
rum ſubjectionis
von derſelben in vielen Stuͤcken ab-
haͤngig d].


3] Die Hospodaren der Moldau und Walla-
chey
. Sie werden von dem tuͤrkiſchen Kaiſer gewoͤnlich
alle drey Jahr veraͤndert oder von neuem beſtaͤttigt, und
ſind demſelben zinsbar. Die Gewalt Geſetze zu geben
und ſolche durch Strafen zu handhaben, Steuern aus-
zuſchreiben ꝛc. ſteht ihnen zwar zu, aber die auswaͤrtigen
Hoheitsrechte in Anſehung des Kriegs, Friedens, der
Buͤndniſſe und Geſandſchaften haben ſie keinesweges.
Man hat Beiſpiele, daß dieſe Hospodaren auf Befehl
der Pforte den Kopf verlohren e].


4]
[129]und den europaͤiſchen insbeſondere.

4] Die Staͤdte Danzig und Thoren im pohlni-
ſchen Preuſſen, welche zwar der Kron Pohlen unmittel-
bar gehoͤren, aber doch viele Gerechtſame der Freiſtaaten
ausuͤben f].







Jf]
[130]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,


§. 35.
Unnachtheilige Abhaͤngigkeit der Souve-
rainetaͤt
.


Die Souverainetaͤt kan uͤbrigens, unbeſchadet derſel-
ben, durch verſchiedene gleiche und ungleiche Verbindun-
gen, bey welchen leztern, wie Ariſtoteles ſagt, dem
Maͤchtigern mehr Ehre, dem Schwaͤchern aber mehr
Huͤlfe zugeſtanden wird, auf mancherley Art von einer
auswaͤrtigen Macht, entweder in Anſehung der Maie-
ſtaͤtsrechte ſelbſt, oder in der Art ſie auszuuͤben abhaͤngig
gemacht und eingeſchraͤnkt werden a]. Wenn der Staat
durch einen ſolchen Vertrag ſich nur nicht voͤllig unter-
wirft, ſondern das Recht in einheimiſchen und auswaͤrti-
gen Verhaͤltniſſen ſich ſelbſt zu regieren behaͤlt, ſo iſt er
dem ungeachtet als ein freier unabhaͤngiger Staat anzu-
ſehn und nach den Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts zu beur-
teilen. Denn es iſt ein großer Unterſchied, ob man aus
dem Grunde der Unterthaͤnigkeit uͤberhaupt gehorchen
muß, oder ob man nur in einzelnen Faͤllen etwas beob-
achtet, wozu man ſich ſelbſt freiwillig verbindlich gemacht
hat b]. Jeder Staat mag in auſſerordentlichen Faͤllen,
wo die Wohlfarth des Ganzen anders nicht erhalten wer-
den
[131]und den europaͤiſchen insbeſondere.
den kan, dergleichen Verbindungen eingehn. Die vor-
nehmſten davon ſind folgende.




§. 36.
Schutzbuͤndnis.


Eine Nazion, die zu ſchwach gegen auswaͤrtige Ge-
walt, durch freiwillige Vertraͤge unter den Schutz einer
angeſehenen Macht ſich begiebt und dafuͤr gewiſſe Oblie-
genheiten uͤbernimt, hoͤrt darum nicht auf ein freier un-
abhaͤngiger Staat zu ſeyn, wenn er uͤbrigens nur das
Recht der Selbſtregierung dabey nicht aufgiebt. Der
dem mindermaͤchtigen Volke zu leiſtende Schutz fließt in
dieſem Falle nicht aus einer Oberherſchaft, ſondern aus
dem eingegangenen Buͤndniſſe; der Beſchuͤtzte iſt dem
Schutzherrn zwar vorzuͤgliche Achtung aber keine Unter-
thaͤnigkeit ſchuldig. Daher man auch im Sprichwort
ſagt: Schutz und Schirm geben keine Obrigkeit.
Jedoch erinnert Moſera] mit Recht, daß unter den
groͤſſern Staaten in Europa kein Beiſpiel eines ſolchen
Schutzes vorhanden ſey. Derſelbe kan aber auch, der
J 2Natur
[132]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
Natur der Sache nach, meiſt nur bey kleinen Staaten,
die eines maͤchtigern Schutzes beduͤrfen, ſtatt finden.
So ſtehn z. B. Monaco, wie vorerwaͤhnt, unter fran-
zoͤſiſchen, San-Marino unter paͤpſtlichen, und Raguſa
unter tuͤrkiſchen und mehrerer anderer Nazionen Schutz.
Alle Biſchoͤfe, Aebte ꝛc. begaben ſich ehemals, weil es
ihnen an weltlicher Gewalt fehlte, unter den Schutz
eines maͤchtigen Fuͤrſten. Der roͤmiſche Kaiſer verſpricht
in der Wahlcapitulation Art. I. §. 1. den Stuhl zu
Rom und paͤpſtliche Heiligkeit, als derſelben Advocat zu
ſchuͤtzen b]. Im teutſchen Reiche ſtehen ebenfals ver-
ſchiedene Reichsſtaͤnde, ohne Nachtheil ihrer Landesho-
heit, unter dem Schutze ihrer Mitſtaͤnde, beſonders die
Stifter und Reichſtaͤdte. Der Schutz auswaͤrtiger Maͤch-
te uͤber Glieder des Reichs iſt nach der Wahlcapitulation
Art. 27. eigentlich verboten und daſelbſt §. 3. geordnet,
daß maͤnniglich in des Kaiſers und heil. Roͤm. Reichs
Schutz und Vertheidigung — ohne Imploration in- und
auswaͤrtigen Anhangs und Aſſiſtenz ſtehen ſolle; “die
uͤbrige Reichskundige Praxis und das algemeine Reichs-
herkommen belehren hingegen,” ſagt Moſer c] “daß ein
unſchuldiger Schirmsvertrag gar wohl erlaubt ſeye;
wie es dann auch eine natuͤrliche und nothwendige Folge
des allen Reichsſtaͤnden in dem weſtphaliſchen Frieden
und der Kaiſerlichen Wahlcapitulation zu ihrer Sicher-
heit und Wohlfahrt, unter ſich und mit Auswaͤrtigen
zugeſtandenen Buͤndnisrechts iſt.” Uebrigens misbraucht
der maͤchtigere Schutzherr freilich ſein vertragsweiſe er-
langtes Recht nicht ſelten ſo, daß der Schutz zuweilen
in eine wahre Oberherſchaft ausartet und man nicht ohne
Grund ſagen kan: Sich in fremden Schutz begeben,
iſt die erſte Staffel zur Dienſtbarkeit
.






J 3§. 37.
[134]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 37.
Zinsbarkeit.


Gleiche Bewandnis hat es mit den Staaten, welche
wegen Abwendung eines zu befuͤrchtenden Unrechts a],
oder aus Erkentlichkeit fuͤr den genuͤſſenden Schutz, oder
aus andern Urſachen, zu Entrichtung eines gewiſſen Tri-
buts an auswaͤrtige Maͤchte ſich verſtehn. Dieſe Zins-
zahlung iſt gewoͤnlich allerdings ein Geſtaͤndnis von
Schwaͤche b], vermindert die Einkuͤnfte und das Anſehen
des zinſenden Staats und ſeinen Einflus in die Angele-
genheiten der uͤbrigen Nazionen, macht ihn iedoch an
und fuͤr ſich der Souverainetaͤt nicht verluſtig, und hin-
dert keinesweges an Ausuͤbung der Regierungsrechte. Die
angeſehenſten Koͤnigreiche wurden in den aͤltern Zeiten
hauptſaͤchlich dem paͤpſtlichen Stuhle lehn- und zinsbat,
z. B. Portugal 1179, Irland 1155, Sardinien
1297 c], und noch heutzutage entrichtet Neapel dem Pap-
ſte, wegen der Lehnsverbindung, iaͤhrlich eine Summt
Geldes. Man kan die unter den Souverainen derma-
len uͤblichern Penſionen und Subſidiengelder fuͤglich hie-
her rechnen, die jedoch meiſtens der Maͤchtigere, ſeines
Vorteils wegen, an den Geringern bezahlt; die erſtern
auf Lebenszeit, die letztern gewoͤnlich nur auf beſtimte
Jahre.





§. 38.
[135]und den europaͤiſchen insbeſondere.

§. 38.
Lehnsverbindung.


Die Lehnsverbindung thut der Souverainetaͤt und
dem Rechte eines Volks ſich ſelbſt zu regieren ebenfals
weiter keinen Abbruch, als daß ſie, wie Real ſagt,
hoͤchſtens ihren Glanz in etwas vermindert. Durch die
Belehnung wird blos eine verſchiedene Beſitzungsart er-
zeugt. Wenn gleich der Vaſall in Anſehung ſeines
Lehns nicht ſo ganz freie Gewalt, beſonders in deſſen
Veraͤuſſerung ꝛc. hat, er ſich auch zu Ehrerbietung, Treue
und Leiſtung gewiſſer Dienſte im Kriege dem Lehnherrn
verpflichtet und in dieſen Stuͤcken deſſen Lehngerichtsbar-
keit anerkent, ſo ſind dies doch keine Folgen der Unter-
thaͤnigkeit, ſondern allein des Lehnsvertrags. Regiert
er dieſem gemaͤs ſeine Lande, ſo hat der Lehnherr ihm
weiter nichts zu befehlen. Deſſen vorzuͤglichſte Rechte
aͤuſſern ſich gemeiniglich erſt bey dem Abgange des ganzen
regierenden Hauſes in Beſtimmung des neuen Regenten.
Meiſtens weichen dieſe Souverainetaͤtslehen von den
gewoͤnlichen Lehen noch darin ab, daß weder bey Veraͤn-
derungsfaͤllen des Lehnherrn, noch des Vaſallen, eine
beſondere Belehnung vorzugehn, oder ein Lehnbrief ausge-
fertigt zu werden pflegt, ſondern die Lehnbarkeit wird
mehrenteils zu gewiſſen Zeiten, blos durch einige Feier-
lichkeiten oder andere Entrichtungen erkant a].


Ehemals war dieſe Lehnsverbindung unter den euro-
paͤiſchen Nazionen haͤufiger als ietzt. In den Zeiten,
wo die Paͤpſte noch mit unbeſchraͤnkter Gewalt uͤber die
Fuͤrſten in Europa herſchten, rechneten die meiſten es ſich
zur Ehre, dem Papſte lehnbar zu ſeyn, oder wurden auf
andere Art genoͤthiget, ſeine Lehnsherſchaft zu erkennen b].
Portugal, Spanien, Arragonien, Frankreich, England,
Irland, Sicilien, Sardinien, Corſica, Polen, Ungarn
und mehrere Staaten gingen vom paͤpſtlichen Stuhle zu
J 4Lehn.
[136]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
Lehn. Sonſt waren unter andern auch Portugal, wegen
des kleinen Koͤnigreichs Algarbien ein Vaſall von Kaſti-
lien, Preuſſen ein Lehn der Kron Pohlen c].


Darneben ſind nur noch zu merken:


1] Neapel als ein Lehn des Papſts. Daſſelbe wird
dadurch erkant, daß der Koͤnig beider Sicilien iaͤhrlich
ein weiſſes Pferd und 11548 Scudi durch einen auſſer-
ordentlichen Ambaſſadeur zu Rom offentlich uͤberreichen
laͤßt. Uebrigens hat der Papſt, als Lehnherr bey allen
ſeit etlichen Jahrhunderten in den regierenden Familien
vorgegangenen Veraͤnderungen weiter keinen ſonderlichen
Einflus gehabt. Jedoch iſt die Lehnbarkeit bisher immer
noch erkant worden.


2] Die Inſel Malta iſt ſeit 1529 ſicilianiſches
Lehn, und muß von dem Grosmeiſter, durch Ueberreich-
ung eines Falken iaͤhrlich erkant werden.


Einzelner Provinzen und Orte, die ein Souverain
von dem andern zu Lehn empfaͤngt, giebt es mehrere,
dieſe kommen aber hier nicht in Betrachtung.


Mit den Reichslehen in Teutſchland hat es eine
etwas andere Bewandnis. Wiewohl einige Staats-
rechtslehrer, die teutſchen Reichsſtaͤnde, ihrer Lehnsver-
bindung wegen, weiter nicht fuͤr abhaͤngig anſehn wollen,
weil dieſelbe an und fuͤr ſich keine Unterthaͤnigkeit be-
wuͤrkt d], ſo halten doch weit Mehrere das Gegentheil
der Reichsverfaſſung und den Reichsgrundgeſetzen fuͤr an-
gemeſſener, indem die Reichsſtaͤnde, bey Ablegung der
Lehnspflicht, bekantermaßen zugleich verſprechen, dem
Kaiſer und Reiche treu, hold, gehorſam und gewaͤrtig
zu ſeyn, welches mehr, als die bloße Lehnſchaft erheiſcht,
in ſich begreife, und eine wahre Unterwuͤrfigkeit begruͤn-
de e]. Auch auswaͤrtige Koͤnige, welche zugleich Reichs-
ſtaͤnde ſind, muͤſſen dieſelbe Pflicht ablegen und ſich in
Ruͤckſicht ihrer beſitzenden Reichslande derſelben gemaͤs
bezei-
[137]und den europaͤiſchen insbeſondere.
bezeigen. Weitlaͤuftiger wird von dieſer Materie in den
teutſchen Staatsbuͤchern gehandelt.


Die Reichslehen in Italien hat man mit mehrerem
Scheine von der weitern Unterwuͤrfigkeit vom teutſchen
Reiche freizuſprechen geſucht, weil ſie in einer unmerkli-
chern Verbindung mit demſelben ſtehen: aber man haͤlt
im Reichshofrathe aus triftigern Gruͤnden dafuͤr, daß
die italiaͤniſchen Lehnleute in Anſehung des Gehorſams
den Vaſallen des teutſchen Reichs voͤllig gleich zu achten,
und die Unabhaͤngigkeitsanmaſſungen einiger derſelben
billig zu ahnden ſind f].


Uebrigens beſitzen auch verſchiedene Reichsſtaͤnde ein-
zelne Lehnſtuͤcke von auswaͤrtigen Maͤchten und verleihen
dergleichen wieder an dieſelben: noch haͤufiger aber ſind
die Lehen, welche die Staͤnde des teutſchen Reichs von
einander empfangen. Jedoch gehoͤren dieſe ſaͤmtlich
eigentlich nicht hieher, wo die Rede nur von ganzen lehn-
haren Staaten iſt.








§. 39.
Vereinigung mehrerer ſouverainen Staa-
ten unter einen Regenten
.


Es koͤnnen auch mehrere ſouveraine unabhaͤngige
Staaten, ohne Abbruch ihrer Souverainetaͤt, durch
Heirath, Erbſchaft, Wahl, Eroberung und andere We-
ge unter einen Regenten vereinigt werden, wenn ieder
nur ſeine eigne Regierungsverfaſſung behaͤlt und einer
dem andern nicht einverleibt wird. Zwar kan im Rei-
che der Natur ein Haupt nicht mehrere beſondere Koͤrper
beſeelen, wohl aber kan ein Regent, nach verſchiedenen
Geſichtspunkten betrachtet, mehrern moraliſchen Geſel-
ſchaften vorſtehn, ohne daß ſie deswegen von einander
abhaͤngig wuͤrden. Jede Nazion iſt in dieſem Falle ohn-
ſtreitig fuͤr einen beſondern Staat anzuſehn, und der
Regent, nach dem Unterſchied ſeiner Handlungen, als
Souverain dieſes oder ienes Staats zu beurteilen. Die
Unabhaͤngigkeit zeigt ſich hauptſaͤchlich auch beym Abſter-
ben
[139]und den europaͤiſchen insbeſondere.
ben des zeitigen Oberhaupts oder des ganzen regierenden
Hauſes, und in allen den Faͤllen, wo der Grund der
Vereinigung aufhoͤrt; da dann iede Nazion, nach Ver-
ſchiedenheit ihrer Grundverfaſſung, ihren eigenen Regen-
ten wieder erlangen kan a].


So iſt z. B. das Koͤnigreich Irland dermalen mit
Grosbritannien vereinigt. Es ward durch Koͤnig Hein-
rich II. von England 1172 erobert und ſeitdem als ein
durch die Waffen erworbenes, der Kron England unter-
wuͤrſiges Reich betrachtet, auch 1719 durch eine Parle-
mentsacte fuͤr abhaͤngig vom Grosbritanniſchen Parle-
ment und deſſen Geſetzen erklaͤrt. Im Jahr 1782 ſah
Grosbritannien, in Ruͤckſicht der nordamerikaniſchen
Angelegenheiten, ſich genoͤthigt, iene Acte zu widerru-
fen und Irland fuͤr ein freies und unabhaͤngiges Reich zu
erkennen; iedoch dergeſtalt mit Grosbritannien verbun-
den, daß es iederzeit einen und ebendenſelben Koͤnig
erkent b].


Auch verſchiedene andere europaͤiſche Souveraine beſi-
tzen, auſſer ihren Hauptſtaaten, zuweilen noch kleine ſou-
veraine Provinzen, die mit ienen in keine weitere Ver-
bindung ſtehen, und von denen ſie insbeſondere den Titel
ſouverainer Herrn fuͤhren. Zwar kommen dergleichen
Souverainetaͤten unter den uͤbrigen europaͤiſchen Nazio-
nen ſelten in Betrachtung, doch koͤnnen ſich Faͤlle ereig-
nen, wo auf deren Unabhaͤngigkeit Ruͤckſicht genommen
werden muß. Der Koͤnig von Preuſſen iſt z. B. auch
ſouverainer Fuͤrſt von Neufchatel in der Schweitz.


Ferner werden von einigen Souverainen in Europa
zugleich halbſouveraine Reichslande in Teutſchland und
von mehrern Reichsſtaͤnden verſchiedene von einander ab-
geſonderte Reichsterritoria beſeſſen.




§. 40.
[140]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 40.
Souverainetaͤt der in ein Syſtem vereinig-
ten Staaten
.


Mit gleichem Rechte koͤnnen diejenigen Staaten auf
Unabhaͤngigkeit Anſpruch machen, welche durch ein ewi-
ges Buͤndnis zu gemeinſchaftlicher Wohlfahrt ſich verei-
nigt haben, ohne ihre uͤbrigen Rechte und vornemlich
die Eigenſchaft eines beſondern Staats dabey aufzuge-
ben. Man nent eine ſolche Vereinigung mehrerer Staa-
ten ein Staatenſyſtem. Die Einrichtung dieſer poli-
tiſchen Koͤrper kan ſehr verſchieden ſeyn, und muß nach
dem unter den einzelnen Staaten errichteten Buͤndniſſe
beurteilt werden. Die Haupterforderniſſe ſind, daß
Gegenſtaͤnde, welche das gemeinſame Wohl betreffen,
auch in gemeinſchaftliche Berathſchlagung gezogen wer-
den muͤſſen, und daß uͤbrigens ieder Staat die zu ſeiner
Aufrechterhaltung insbeſondere noͤthigen Maasregeln nach
eignem Gutfinden ergreifen und in dieſer Ruͤckſicht alle
Souverainetaͤtsrechte ausuͤben kan, ob iene Verbindung,
in der er ſteht, gleich zuweiln einige Einſchraͤnkung
noͤthig macht a].


Ein ſolches Staatenſyſtem machten ehemals die
Staͤdte Griechenlands unter den Amphictyonen und die
Heptarchie in England aus. Gegenwaͤrtig rechnet man
die vereinigten Niederlande und die ſchweitzeriſche
Eidgenoſſenſchaft
dahin.


Viele Staatsrechtslehrer geben auch das teutſche
Reich fuͤr einen dergleichen zuſammengeſetzten Staat aus.
Dieſe Behauptung ſcheint mir unter den mancherley
Meinungen uͤber Teutſchlands Regierungsform der Sache
beinah am angemeſſenſten und mit der Reichsverfaſſung,
ohne irgend einem Theile zu nahe zu treten, gar wohl
vereinbarlich zu ſeyn. Man mag der Regierungsform
einen Namen geben, welchen man will, ſo duͤrfen die
vor-
[141]und den europaͤiſchen insbeſondere.
vorhandenen Reichsgrundgeſetze nicht auſſer Augen gelaſ-
ſen werden, ob ſie gleich in die von den Syſtematikern
angenommenen Formen nicht immer ſo genau paſſen.
Den teutſchen Reichslanden iſt die Eigenſchaft der Staa-
ten nicht fuͤglich ganz abzuſprechen. Von den Einwuͤr-
fen, welche gegen das Syſtem verbundener Staaten in
Teutſchland gemacht zu werden pflegen, duͤrften die
hauptſaͤchlichſten wohl darin beſtehn, daß dieſes Reich
ein wuͤrkliches Oberhaupt habe, und daß die Geſchichte
von keinem Buͤndnis etwas wiſſe, wodurch die Reichs-
ſtaͤnde, als Beſitzer freier Staaten, in eine ſolche Ver-
einigung zuſammengetreten. Aber warum ſolten die alſo
verbuͤndeten Staaten, unbeſchadet der beſondern Staats-
eigenſchaft eines ieden, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung
und volkomnerer Erhaltung ihrer Vereinigung, nicht
einen Obern waͤhlen koͤnnen, unter deſſen Direction die
vorfallenden gemeinſchaftlichen Staatsgeſchaͤfte, mit
Theilnehmung der uͤbrigen Staatsregenten, behandelt
werden muͤſſen? Da dieſer fuͤr die Handhabung der zur
gemeinſchaftlichen Wohlfarth von ienen ſelbſt mit feſtge-
ſetzten Einrichtungen zu ſorgen hat, ſo iſt es billig, daß
ihm hierinn Gehorſam geleiſtet werde, und der Ausdruck
von Unterthaͤnigkeit in Ruͤckſicht der gemeinſchaftlichen
Verbindung widerſtreitet der Souverainetaͤt [oder viel-
mehr Landeshoheit nach der Sprache der Reichsgrundge-
ſetze] der einzelnen Staaten gegen einander und gegen
Auswaͤrtige eben nicht. Die ehemalige Heptarchie in
England giebt einigermaſſen ein Beiſpiel aͤhnlicher Ver-
faſſung. Der in teutſchen Staatsangelegenheiten bey
Erwaͤhnung des Kaiſers meiſtens gewoͤhnliche Zuſatz:
und des Reichs zeigt nicht undeutlich, die Beziehung
auf den zuſammengeſetzten Staatskoͤrper. Ob uͤbrigens
eine ausdruͤckliche Verabredung noͤthig ſey, wo die Sache
ſelbſt deutlich genug ſpricht, will ich hier nicht unterſu-
chen. Die Behauptung dieſer Meinung wuͤrde wenig-
ſtens
[142]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
ſtens den ſtilſchweigenden Vertraͤgen ſehr nachtheilig ſeyn.
Waͤren die teutſchen Reichsſtaͤnde und Lande dem Kaiſer
allein auch noch ſo unterthaͤnig geweſen, ſo haben ſie mit
Genehmigung deſſelben doch nach und nach wahre Sou-
verainetaͤtsrechte erlangt, und koͤnnen nunmehr kaum
anders als ein unter kaiſerlicher Hoheit vereinigtes Staa-
tenſyſtem betrachtet werden, welchem die Beobachtung
der Grundgeſaͤtze und Vertraͤge demungeachtet heilig blei-
ben muß b].




§. 41.
Perſoͤnliche Souverainetaͤt.


Die Beherſcher ſouverainer Staaten werden deshalb
auch Souveraine genant, ob dieſer Ausdruck in der
perſoͤnlichen Bedeutung gleich mehr die innere Unabhaͤn-
gigkeit von Reichsgrundgeſetzen bezeichnet. Sie ſind,
nach Beſchaffenheit der beſitzenden Staaten, auch fuͤr
ihre Perſon mehr oder weniger unabhaͤngig. Die Re-
genten lehn- zinsbarer und anderer ſolcher abhaͤngiger
Staaten bleiben, wie Real a] erinnert, nichts deſtowe-
niger Souveraine, wenn ſie nur fuͤr ihre Perſon nicht
unter der Gerichtsbarkeit eines andern Fuͤrſten ſtehn und
die oͤffentliche und abſolute Macht uͤber ihre Unterthanen
haben. Und da eine Perſon mehrere Verbindlichkeiten
uͤbernehmen und nach verſchiedenen Ruͤckſichten betrachtet
werden kan, ſo ſchaden auch diejenigen Abhaͤngigkeits-
verbindungen, welche Beherſcher voͤllig unabhaͤngiger
Staaten, ohne deren Einmiſchung, entweder blos fuͤr
ihre
[143]und den europaͤiſchen insbeſondere.
ihre Perſon, oder wegen des Beſitzes andrer halbſouve-
rainer ꝛc. Lande eingehn, iener Souverainetaͤt keineswe-
ges. Man hat Beiſpiele, daß ſouveraine Koͤnige bey
andern Nazionen Staats- und Kriegsbedienungen beklei-
det haben. Verſchiedene Souveraine in Europa beſitzen
zugleich halbſouveraine Lande in Teutſchland, als Gros-
britannien, Sardinien, Daͤnemark, Schweden,
Preuſſen
, und legen, unbeſchadet ihrer Souverainetaͤt,
bey Empfahung der Reichslehen, eben den Eid der
Treue, wie die uͤbrigen Reichsſtaͤnde ab; denen ſie uͤber-
haupt, als Beſitzer dieſer Lande, voͤllig gleich zu achten,
ob ſie wohl in verſchiedenen Stuͤcken einiger Vorrechte
ſich angemaſt, ſolche zum Theil auch erhalten haben b].
Freilich iſt es oft ſchwer die Eigenſchaft zu unterſcheiden,
in welcher ein Regent, der ſouveraine und abhaͤngige
Staaten zugleich beſitzt, handelt.




§. 42.
Garantie der Souverainetaͤt.


Ein Volk, das die Souverainetaͤt einmal rechtmaͤßig
erlangt hat, kan, ohne Verletzung des Voͤlkerrechts,
von andern Nazionen darin nicht beeintraͤchtiget werden.
Doch laſſen zuweiln Staaten, deren Unabhaͤngigkeit
leicht Gefahr laufen koͤnte, zu deſto ſtaͤrkerer Befeſtigung
derſelben, ſich ſolche von andern Maͤchten garantiren.
Die Souverainetaͤt der Schweitz ward z. B. von Frank-
reich im Buͤndniſſe von 1777, Art. 4. und die Unab-
haͤngigkeit der vereinigten nordamerikaniſchen Staaten
ebenfals von Frankreich in dem Tractat zwiſchen dieſen
beiden Nazionen von 1778, Art. 11. garantirt.


§. 43.
[144]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,

§. 43.
Verluſt der Souverainetaͤt.


Die Souverainetaͤt einer Nazion kan indes, mit oder
wider Willen derſelben, verlohren gehn, wenn entweder
ein Staat, der die gemeinſchaftliche Wohlfahrt allein zu
befoͤrdern und gegen auswaͤrtige Gewalt ſich ſelbſt zu ver-
theidigen und zu erhalten nicht vermag, ſich einer andern
Macht freiwillig unterwirft, oder von derſelben unter-
iocht wird. Dies kan auf verſchiedene Art geſchehen,
indem der ſchwaͤchere Staat noch einige Souverainetaͤts-
rechte behaͤlt, oder als ein Haupttheil, die Souveraine-
taͤt des groͤßern Staats erkent, oder demſelben gaͤnzlich
einverleibt wird a]. Kurz alles, was das Recht eines
Volks ſich ſelbſt zu regieren zernichtet, ihm ſeine eigne
Staatsverfaſſung nimt, und daſſelbe der Wilkuͤhr und
Bothmaͤßigkeit eines Andern unterwirft, hebt deſſen
Souverainetaͤt und den Gebrauch des Voͤlkerrechts auf b].


Dergleichen Beſchaffenheit hatte es ehemals mit den
meiſten von den Roͤmern eroberten Provinzen, ſelbſt mit
verſchiedenen ihrer Bundsgenoſſen. Ließ man ihnen
gleich zum Theil ihre eigenen Geſetze, ſo bedienten ſie ſich
deren doch nicht aus eigner Macht, ſondern aus Nach-
ſicht des hoͤhern Staats.


In den aͤltern Zeiten ward die Anzahl der ſouverai-
nen Staaten in Europa mehrmalen vermindert. Das
neuſte Beiſpiel eines Staats der ſeine Unabhaͤngigkeit
ſehr kurze Zeit genoß, giebt die Krim. Sie ſtand,
nach verſchiedenen vorherigen Beherſchern, ſeit 1473 un-
ter der Bothmaͤßigkeit des tuͤrkiſchen Kaiſers, der ihre
Regenten die Chans, beſonders ſeit 1584 nach Gefallen
ein- und abſetzte. Als in dem 1768 zwiſchen Rußland
und der Pforte ausgebrochenen Kriege, erſteres die Krim
1771 eroberte, und der Chan entflohe, kuͤndigten die
Krimmiſchen Tataren, auf Rußlands Veranlaſſung,
der
[145]und den europaͤiſchen insbeſondere.
der Pforte alle vorige Verbindung auf und erklaͤrten ſich
fuͤr unabhaͤngig. Dieſe Unabhaͤngigkeit ward in dem drauf
folgenden Frieden zwiſchen Rußland und der Pforte zu
Kainardge 1774 Art. 3. beſtaͤttigt und die Krimm ꝛc.
fuͤr einen ſouverainen Staat erklaͤrt c]. Da derſelbe aber
von der Pforte zu mancherley Misbraͤuchen ſeiner Unab-
haͤngigkeit ſich verleiten und gegen Rußland ſich aufwie-
geln ließ, nahm dieſes die Krimm mittelſt Manifeſts
vom 8. April 1783 d] in Beſitz. Der Grosſultan mu-
ſte dieſe Beſitznehmung auch gutheißen und die ruſſiſche
Souverainetaͤt uͤber die Krimm, Kuban und Inſel Ta-
man, mit Vernichtung der vorigen darauf ſich beziehen-
den Tractaten, in einer beſondern Akte vom 8. Jaͤnner
1784 e] foͤrmlich anerkennen.


Zu den eingegangenen kleinern Souverainetaͤten ge-
hoͤrt vornaͤmlich das in Frankreich gelegene Fuͤrſtenthum
Dombes, das ſeit vielen Jahren von verſchiedenen Be-
ſitzern als ein ſouverainer Staat regiert und noch 1681
vom Koͤnig Ludwig XIV. zu Gunſten ſeines natuͤrlichen
Sohnes, des Herzogs von Maine, fuͤr unabhaͤngig
erklaͤrt ward: aber deſſen Sohn, der Graf von Eu,
uͤberließ es 1762 an die Krone Frankreich, worauf deſſen
Einverleibung erfolgte f].


Die zur Grafſchaft Mempelgard gehoͤrigen vier Her-
ſchaften Hericourt, Chatelot, Blamont und Cler-
mont
wurden von Wuͤrtenberg ehemals fuͤr unabhaͤngig
ausgegeben; allein Frankreich behauptete die Souverai-
netaͤt daruͤber. Erſteres gab in einem Vergleiche 1748
endlich nach, erkante die franzoͤſiſche Hoheit und leiſtete
auf die angemaſte Unabhaͤngigkeit Verzicht g].





Kd]
[146]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,




Zwei-
[147]

Zweites Kapitel.
Von den geſelſchaftlichen Verbindungen der
Nazionen.


§. 1.
Hauptbegriffe der geſelſchaftlichen Verbin-
dungen
.


Aus der Vereinigung mehrerer Perſonen zu einem fort-
dauernden gemeinſchaftlichen Endzweck entſtehen
Geſelſchaften. Dieſe ſind entweder durch Geſetze beſtimt,
oder durch freiwillige Vertraͤge der Mitglieder errichtet.
Die erſtern nent man nothwendige, die andern frei-
willige
Geſelſchaften. Bleiben alle Glieder derſelben
einander gleich, dergeſtalt, daß ſie wechſelſeitig gleiche
Rechte und Verbindlichkeiten behalten, ſo heiſſen ſie glei-
che
Geſelſchaften, hingegen ungleiche, wenn ihre
Handlungen den Vorſchriften einer Oberherſchaft unter-
worfen ſind.


§. 2.
Natuͤrliche Geſelſchaft unter allen Men-
ſchen
.


Nach der Meinung des Grotius und vieler aͤltern
und neuern Philoſophen iſt den Menſchen nicht nur ein
Trieb zur Geſelligkeit von der Natur eingepflanzt, ſon-
dern auch die geſellſchaftliche Verbindung unter ihnen
von ihr ſelbſt vorgeſchrieben. Niemand, ſagen ſie, kan
die mannichfaltigen Beduͤrfniſſe, welche das natuͤrliche
Verlangen eines ieden nach Gluͤckſeligkeit und Vervol-
K 2kom-
[148]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
komnung erheiſcht, allein durch ſich ſelbſt ſattſam befrie-
digen, noch entbloͤßt von allen Vertheidigungsmitteln
ſich allein gegen die vielen Gefahren des menſchlichen
Lebens hinlaͤnglich ſchuͤtzen. Ein offenbarer Beweis,
daß wir der Huͤlfe und Unterſtuͤtzung anderer beduͤrfen,
und ſie, der Abſicht unſers Urhebers gemaͤs, ſuchen ſol-
len! a] Aber aus dieſen und allen andern Gruͤnden, die
gewoͤnlich hierbey angefuͤhrt werden, ſo ſcheinbar ſie auch
ſind, laͤßt ſich eine algemeine Geſelſchaft unter allen
Menſchen gleichwohl ſchwerlich erweiſen. Der vorgeb-
liche Geſelligkeitstrieb erſtreckt ſich, wenn man ihn genau
unterſucht, kaum weiter, als auf eheliche und haͤußliche
Verbindungen, und dieſe wuͤrden auch, wenn man ſich
mit der einfachen Natur begnuͤgt haͤtte, zu Befoͤrderung
unſrer wahren Gluͤckſeligkeit hinlaͤnglich geweſen ſeyn b].
Da aber mit zunehmender Verderbtheit der Menſchen,
theils ihre wenigſtens eingebildeten Beduͤrfniſſe immer
groͤßer wurden, theils die blos haͤußlichen Verbindungen
gegen die ſich mehrenden Gefahren und Beſorgniſſe nicht
mehr Sicherheit genug gewaͤhrten; ſo muſten die Men-
ſchen freilich zu ausgebreitetern und engern Verbindungen
ihre Zuflucht nehmen: und der eignen Wohlfahrt und
Vortheile wegen durften ſie einander ihre Huͤlfe nicht
verſagen. Alſo wird von der Natur unmittelbar nicht
eine algemeine Geſelſchaft befohlen, ſondern nur die Lei-
ſtung wechſelſeitigen Beiſtands zu Abhelfung der zufaͤlli-
gen nach und nach entſtandenen Beduͤrfniſſe angerathen.





§. 3.
Unter den Nazionen.


Wenn man annimt, daß alle Menſchen von Na-
tur zu einer Geſelſchaft verpflichtet ſind, ſo folgt aller-
dings, daß auch alle Voͤlker des Erdbodens, als morali-
ſche Perſonen, gleiche Verbindlichkeit haben muͤſſen, weil
ſie aus einzelnen Menſchen beſtehen, die ſich den von
Natur ihnen obliegenden Pflichten durch den Eintrit in
eine buͤrgerliche Geſelſchaft nicht entziehen koͤnnen a].
Allein bey dieſen iſt die unbedingte Nothwendigkeit dazu
ohnſtreitig noch weit geringer, als bey einzelnen Men-
ſchen, indem Staaten durch die Vereinigung mehrerer
Familien gewis in den Stand geſetzt werden, ſich ihre
unentbehrlichſten Beduͤrfniſſe zu verſchaffen und gegen
die meiſten auswaͤrtigen Anfaͤlle zu ſchuͤtzen. Freilich
haͤtte alsdann, ohne naͤhere Verbindung mit andern,
ieder mit den Erzeugniſſen ſeines Landes zufrieden ſeyn
muͤſſen, welche die Natur iedoch ſehr verſchieden ausge-
teilt hat. Allein die Verzaͤrtelung der einzelnen Staats-
glieder hatte auch die natuͤrliche Folge, daß ganze Voͤl-
ker Dinge, die bei andern anzutreffen waren, ihnen aber
mangelten, fuͤr unentbehrlich hielten, ob ſie gleich blos
K 3zur
[150]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
zur Bequemlichkeit und zum Vergnuͤgen gehoͤrten. Da-
her ſuchten ſie blos ihres Nutzens wegen, die Verbindung
anderer.



§. 4.
Groſſer algemeiner Weltſtaat.


Wenn man aber auch zugiebt, daß die Natur ſelbſt
die Geſelſchaft einzelner Menſchen und politiſcher Koͤr-
per nicht nur anempfehle, ſondern auch gebiete, ſo folgt
doch daraus bey weitem noch nicht, wie einige vorgeben,
die Nothwendigkeit der buͤrgerlichen oder Staatsverbind-
ungen, am wenigſten unter ganzen Nazionen, da der
anarchiſche Zuſtand, wo die geſelſchaftliche Vereinigung,
ohne gemeinſchaftliche Oberherſchaft, blos auf gleiche
Rechte beruht, ienen Vorſchriften ſchon ſattſam Gnuͤge
geleiſtet haben wuͤrde a]. Bey einzelnen Menſchen und
kleinen Familien laͤßt ſichs allenfals einraͤumen, daß ſie
wegen Unvermoͤgenheit von andern die Erfuͤllung einge-
gangener Vertraͤge zu erlangen, und um den deshalb oͤf-
ters vorgekommenen Streitigkeiten und daraus zu befuͤrch-
tenden Gefahren vorzubeugen, ſich bewogen gefunden,
ihrer Freiheit und Gleichheit zu entſagen, und freiwillig
oder gezwungen ein gemeinſchaftliches Oberhaupt zu erken-
nen; aber dies iſt, wie ſchon gedacht, der Fall zwiſchen
mehrern Staaten nicht, die durch Vereinigung einer
Menge von Menſchen und Familien gegen iene Ungemaͤch-
lichkeiten weit mehr geſichert ſind. Indes haben doch
ſchon verſchiedene aͤltere und neuere Philoſophen b] den
Begrif von einem großen Weltſtaat, worinn die Voͤlker
nur als Familien zu betrachten, ſich gebildet, und der
ſcharfſinnige Wolf hat ihn mit vielen ſcheinbaren Gruͤn-
den vorzutragen geſucht c]. Jedoch faͤlt die Unrichtigkeit
ſeiner Beweiſe, wenn man ſie genau unterſucht, leicht
in
[151]der Nazionen.
in die Augen. Voͤlker, ſagt er, ſind wie einzelne Men-
ſchen von Natur zur Geſelſchaft verbunden, und eine
Geſelſchaft, die zum gemeinſchaftlichen Wohl ſich verei-
nigt, iſt eine buͤrgerliche oder Staatsgeſelſchaft d].
Hier fehlt offenbar das Haupterfordernis eines Staats,
das gemeinſchaftliche Oberhaupt, denn ſonſt wuͤrde
iede Geſelſchaft ein Staatskoͤrper ſeyn. Zwar ſchreibt
Wolf dieſem Weltſtaate eine demokratiſche Regierungs-
form zu, und legt den geſamten Voͤlkern eine gewiſſe
Oberherſchaft [Speciem quandam imperii civilis] uͤber
einzelne, die regierende und geſetzgebende Gewalt aber
demienigen bey, der durch richtige Vernunftſchluͤſſe die
Vorſchriften der Natur beſtimmt e]. Da aber alle Ober-
herſchaft und Unterwuͤrfigkeit nicht von der Natur, ſon-
dern von freiwilligen Vertraͤgen ihren Urſprung hat, ſo
wuͤrde die Annahme einer ſolchen Regierungsform, wie
Schrodt f] ſehr richtig erinnert, der natuͤrlichen Freiheit
und Unabhaͤngigkeit der Voͤlker geradezu widerſtreiten.






K 4e]
[152]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen


§. 5.
Freiwillige Geſelſchaft der Voͤlker.


Sind nun gleich nicht alle Voͤlker von Natur unmit-
telbar zur Geſelſchaft unter einander verbunden, ſo er-
zeugte doch die nachherige Verfeinerung oder Verderbt-
heit der Menſchen ſo mannichfaltige zum Theil blos ein-
gebildete Beduͤrfniſſe, daß nach und nach mehrere Voͤl-
ker, beſonders die benachbarten, ihrer Vortheile wegen,
freiwillig in naͤhere Vereinigung und Geſelſchaft zuſam-
mentraten, die mit der Zeit ſich immer weiter ausgebrei-
tet hat. Aber dieſe gleichen Verbindungen machen noch
eine Voͤlkerrepublick aus.


§. 6.
Beitrit zur Voͤlkergeſelſchaft.


Wenn die Geſelſchaft unter den Voͤlkern nicht von
der Natur ſelbſt herruͤhrt, ſo iſt zu Errichtung derſelben
ein Vertrag, naͤmlich ihre ausdruͤckliche oder ſtilſchwei-
gende Einwilligung noͤthig. In Anſehung der ausdruͤck-
lichen hat es kein Bedenken; aber die Moͤglichkeit einer
ſtilſchweigenden Geſelſchaft wollen einige bezweifeln,
weil doch ein gemeinſchaftlicher Endzweck erforderlich ſey,
der
[153]der Nazionen.
der nicht wohl anders, als ausdruͤcklich feſtgeſetzt werden
koͤnne. Dies lieſſe ſich allenfals von Geſelſchaften be-
haupten, die einen beſondern Zweck zur Abſicht haͤtten,
den man aus bloſſen Handlungen nicht errathen koͤnnte.
Wenn aber bey dem iedem einzelnen Menſchen und gan-
zen Voͤlkern natuͤrlichen Triebe nach Vervolkomnung,
dieſe in mehrern vorfallenden Beduͤrfniſſen Huͤlfe bey
einander ſuchen und ſolche wechſelſeitig einander leiſten,
ſolte man da wohl noch zweifeln, daß ſie, auch ohne
ausdruͤckliche Erklaͤrung, zu Befoͤrderung des gemein-
ſchaftlichen Wohls ſich vereinigt haben? Und wenn nun
ein ander Volk an den Vortheilen dieſer geſelſchaftlichen
Verbindung Theil nimt und gleiche Wilfaͤhrigkeit bezeigt,
ſo iſt deſſen Beitritt daraus billig zu folgern.


Schwerlich aber kan man mit Grunde vorausſetzen,
daß ein Volk, welches zuerſt, in freundſchaftlichen oder
feindlichen Verhaͤltniſſen, mit andern etwas zu ſchaffen
bekomt, geſelſchaftlich leben wolle, weil ſein eigner Nu-
tzen es erfordert. Gleichwohl gruͤnden verſchiedene Voͤl-
kerrechtslehrer das geſelſchaftliche Benehmen der Voͤlker
auf eine ſogenante praͤſumtive Einwilligunga]. Achen-
wall hingegen erinnert gar wohl: quoniam ſocietas quae
pacto duntaxat praeſumto nititur, jus et obligationem
ſocialem producere nequit
, ideoque non eſt ſocietas in-
trinſece et per ſe ſpectata b
]. —


Wer einmal in die Geſelſchaft getreten iſt, muß ſich
uͤbrigens ihren Geſetzen unterwerfen, und kan ſich, ohne
Einwilligung ſaͤmtlicher Glieder, davon nicht trennen.
Zu Vernichtung der ſtilſchweigenden Geſelſchaftserrich-
tung behaupten daher die Gegner, daß diejenigen, wel-
che nur ſtilſchweigend auf einerley Zweck arbeiteten, wil-
kuͤhrlich ſich trennen koͤnnten, weil ſie durch nichts zur
Geſelſchaft ſich verbindlich gemacht. Allein zween oder
mehrere, die zufaͤlligerweiſe zuſammenkommen, und blos
ieder fuͤr ſich auf einerley Zweck arbeiten, machen frei-
K 5lich
[154]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
lich noch keine Geſelſchaft aus; die Handlungen muͤſſen
gemeinſchaftlich und wechſelſeitig geſchehen: und als-
dann kan derienige der zeithero ſtilſchweigend ſich als ein
Glied der Geſelſchaft betragen, eben ſo wenig, als der-
ienige, der ausdruͤcklich ſich dazu bekant hat, eigenwillig
ſich trennen, weil er ſonſt den uͤbrigen, die vermoͤge des
vorigen Benehmens, auf ſeinen Beiſtand rechneten,
vielleicht einen unerſetzlichen Schaden und alſo die ſtaͤrkſte
Beleidigung zufuͤgen wuͤrde.




§. 7.
Zweck dieſer Geſelſchaft.


Der Menſch iſt mit dem Triebe nach Gluͤckſeligkeit
und Vervolkommung gebohren. Die Bemuͤhungen dar-
nach ſind im urſpruͤnglich natuͤrlichen auſſergeſelſchaftli-
chen Zuſtande blos einſeitig: ieder ſorgt nur fuͤr ſich und
ſeine eignen Beduͤrfniſſe. Er muß, will er andere zu
ſeinem Vortheil vermoͤgen, mit ihnen in naͤhere Verbin-
dung d. i. in Geſelſchaft treten. Die Natur ſelbſt zeigt
ihm die erſte und einfachſte Geſelſchaft in der ehelichen
und daraus entſpringenden haͤußlichen Verbindung. Da
aber der Menſch in dieſer allein noch nicht alle ihm moͤg-
liche
[155]der Nazionen.
liche Vollkommenheiten zu finden glaubte, ſuchte er die
Befriedigung ſeiner Wuͤnſche und immer zunehmenden
Beduͤrfniſſe in der Geſelſchaft mit andern Familien.
Daraus entſtanden theils durch Unteriochung, theils
durch freiwillige Unterwerfung mit der Zeit buͤrgerliche
Geſelſchaften, deren ſcheinbare Vortheile einer geordne-
tern noch volkomnern gemeinſchaftlichen Unterſtuͤtzung,
die urſpruͤngliche Freiheit vergeſſen machten. Aber auch
dieſe politiſche Vereinigung gnuͤgte dem raſtloſen Vol-
kommenheitstriebe der Menſchen noch nicht. Um auch
an denienigen Vergnuͤgen Theil zu nehmen, welche ſie
bey andern Nazionen ſahen, oder um die ihrigen wenig-
ſtens ruhiger und ſicherer zu genieſſen, hielten ſie die ge-
ſelſchaftliche Verbindung mehrerer Voͤlker fuͤr nothwen-
dig. Dieſe erfolgte daher in keiner andern Abſicht, als
um ſich wechſelſeitigen Beiſtand zu leiſten, und
ihre gemeinſchaftliche Wohlfahrt mit vereinig-
ten Kraͤften zu befoͤrdern
.



§. 8.
Grundgeſetze der Voͤlkergeſelſchaften.


Jede Geſelſchaft muß ihre dem gemeinſchaftlichen
Zweck angemeſſenen Geſetze haben. Einzelne Menſchen
und Voͤlker, im natuͤrlichen Zuſtande, ohne geſelſchaft-
liche Verbindung, waren nur fuͤr ſich und fuͤr ihr eignes
Wohl beſorgt: um ſich die Beihuͤlfe anderer zu verſichern,
traten ſie in eine Geſelſchaft. Hier muͤſſen ſie daher
alles, was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemein-
ſchaftlichen Wohlfahrt und Volkommenheit bei-
tragen, ſo weit die Pflichten gegen ſich ſelbſt es
erlauben
a]. Dies iſt der algemeinſte, der Natur einer
ſolchen Vereinigung angemeſſenſte Grundſatz, daraus
muͤſſen die Regeln in einzelnen Faͤllen hergeleitet werden,
auch
[156]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
auch wenn ſie durch eine Zuſammenkunft ſaͤmtlicher in
Verbindung ſtehender Voͤlker zu beſtimmen waͤren b].
Da dieſe Zuſammenkunft aber nicht wohl thunlich, ſo
ſind die blos aus dem Zweck der Geſelſchaft hergeleiteten
Grundſaͤtze die ſicherſten.




§. 9.
[157]der Nazionen.

§. 9.
Rechte und Verbindlichkeiten der Voͤlker,
welche in einer geſelſchaftlichen Ver-
bindung ſtehn
.


Wenn mehrere Perſonen oder Voͤlker in eine Geſel-
ſchaft zuſammentreten, ſo iſt iedes Mitglied verbunden,
das zu thun, was der gemeinſchaftliche Zwek erfordert,
und zu unterlaſſen, was demſelben zum Nachtheil gerei-
chen koͤnte, ſo wie es berechtigt iſt, von den uͤbrigen ein
gleiches zu verlangen. Sie haben in Abſicht des gemein-
ſchaftlichen Wohls alle gewiſſe beiahende und volkomne
Rechte und Verbindlichkeiten gegen einander und zwar
alle gegen eins und eins gegen alle a]; dergeſtalt, daß
ſie, im Fall ſie ihren Pflichten kein Gnuͤge thun, zu
deren Beobachtung durch Zwangsmittel wechſelſeitig genoͤ-
thigt werden koͤnnen. Dieſe Gerechtſame flieſſen unmit-
telbar aus dem geſelſchaftlichen Vertrage. Es bedarf
daher keiner buͤrgerlichen Regierung unter den Voͤlkern,
dergleichen Wolf bey ſeinem großen Weltſtaat in demo-
kratiſcher Form annimt. Warum ſoll man eine dem
Begriffe freier Voͤlker nachtheilige Oberherſchaft ſich ein-
bilden, da der gleiche Vertrag eben dieſelbe Wuͤrkung
hervorbringt b].




*]
[158]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen

§. 10.
Geſelſchaftliche Verbindung der europaͤi-
ſchen Nazionen
.


Laͤßt ſich, nach Moſers Urteil, gleich nicht behaup-
ten, daß Europa als ein einiger Staatskoͤrper, oder als
eine große Republick anzuſehn, und daß ſamtliche euro-
paͤiſche
[159]der Nazionen.
paͤiſche Voͤlker ein Syſtem verbundener Staaten [ſyſte-
ma civitatum, corpus confoederatarum rerumpublicarum
]
ausmachten, ſo kan man doch eben ſo wenig ſagen, daß
ſie an und fuͤr ſich auſſer aller Verbindung ſtuͤnden a].
Ich halte daher die Meinung des Herrn Meyronb], der
den Voͤlkern Europens, ihrer allerſeitigen Verbindung
wegen, ein gewiſſes gemeinſchaftliches Intereſſe beilegt,
fuͤr vorzuͤglicher. Die europaͤiſchen Nazionen ſtanden
von den aͤlteſten Zeiten her, beſonders ſeitdem die meiſten
derſelben die roͤmiſche Oberherſchaft erkennen muſten, in
Verbindung. Zwar ward dieſelbe mit dem Umſturz des
abendlaͤndiſchen Kaiſerthums groͤſtenteils zerriſſen, es
entſtand iedoch, bey Wiederauflebung dieſes Kaiſerthums
in den Fraͤnkiſchteutſchen Regenten, hauptſaͤchlich unter
Karl und Otto dem Großen, ein ander Syſtem, das
alle Nazionen in Europa beinah noch enger, und gleich-
ſam in einen Staat unter ein zwiefaches Oberhaupt den
Papſt und roͤmiſchen Kaiſer verband; wie aus den folgen-
den §. §. mit mehrerm zu erſehen ſeyn wird. Auch dieſe
oberherſchaftliche Vereinigung nahm mit der Zeit ein
Ende; aber die Glieder dieſes ehemaligen großen Staats-
koͤrpers behielten, ihrer eignen Vortheile wegen, die
freien geſelſchaftlichen Bande dennoch bey und knuͤpften
ſolche, in Anſehung der Handlung und der wechſelſeiti-
gen Vertheidigung, immer enger, und es giebt ietzt we-
nig europaͤiſche Staaten mehr, die durch Freundſchafts-
Handlungs- und andere Tractaten nicht mit einander
verbunden waͤren, die gewoͤhnlich eine wechſelſeitige
Freundſchaft und Unterſtuͤtzung als den Hauptgrund vor-
ausſchicken. Sind gleich nicht alle durch einen aus-
druͤcklichen
Vertrag vereinigt, ſo giebt es deren doch
viele unter einzelnen Nazionen, und der ſtilſchweigenden
Anerkentniſſe einer unter ihnen verhandenen algemeinen
Verbindung noch mehrere. Dahin gehoͤren beſonders die
faſt von allen Hoͤfen bey den andern befindlichen beſtaͤn-
digen
[160]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
digen Geſandſchaften, gewiſſe algemeine angenommene
Grundſaͤtze bey entſtehenden Kriegen unter einander ꝛc.
Es iſt daher kaum zu bezweifeln, daß die europaͤiſchen
Nazionen, ihres gemeinſchaftlichen Intereſſe wegen, zu
Beobachtung des geſelſchaftlichen oder freiwilligen Voͤl-
kerrechts verbunden ſind c]. Selbſt die Vorſchriften der
chriſtlichen Religion, zu der ſie, auſſer der Pforte, alle
ſich bekennen, thun in ihrer Maaße hierbey das ihrige.


Dieſes gemeinſchaftliche Intereſſe und geſelſchaftliche
Band wird unter denen Voͤlkern allerdings ſichtlicher,
welche an einander grenzen, oder an der See liegen, und
dadurch mehr Gelegenheit haben mit den uͤbrigen Glie-
dern durch Handlung, Krieg und andere Vorfallenheiten
zuſammenzutreffen. Nur muß man bey dieſer Verbind-
ung kein eigentliches Staatenſyſtem, das eine Art ge-
meinſchaftlichen Oberhaupts haͤtte, ſondern lediglich eine
gleiche Geſelſchaft annehmen.



b]
[161]der Nazionen.


L§. 11.
[162]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen

§. 11.
Die europaͤiſchen Nazionen aber haben
weder ein geiſtliches Oberhaupt
;


In den ſogenanten mitlern Zeiten, wo Unwiſſenheit
und Aberglauben uͤberall das Ruder fuͤhrten, erſann die
Verſchlagenheit der Paͤpſte und der Kleriſey, die noch
allein in dem Beſitz einiger Aufklaͤrung ſich befand, ein
ihrer Herrſch- und Habſucht voͤllig angemeſſenes Syſtem.
Sie gaben das roͤmiſch-teutſche Reich fuͤr die vierte und
letzte bis aus Ende der Welt dauernde Monarchie aus a],
welche auf goͤttlichem Befehl vom Papſte den Beher-
ſchern des fraͤnkiſch-teutſchen Reichs uͤbertragen worden.
Dieſe war fuͤr das Reich Chriſti anzuſehn, — ob er
gleich ſelbſt erklaͤrt hatte, daß ſein Reich nicht von dieſer
Welt ſey, — in welcher alle chriſtliche Voͤlker gleichſam
in einer Republick begriffen waͤren. Man ſuchte zu bewei-
ſen, daß es eine zwiefache von Gott ſelbſt geordnete
ſichtbare hoͤchſte Gewalt auf Erden gaͤbe, die als Statthal-
ter Chriſti iene chriſtliche Republick regieren ſolten, naͤm-
lich der Papſt im Geiſtlichen und der Kaiſer im Weltli-
chen. Dieſe wurden bald mit zwey Schwerdtern, bald
mit den beiden großen Lichtern, Sonne und Mond ver-
glichen, iedoch muſte die geiſtliche Gewalt uͤber die welt-
liche wie die Seele uͤber den Leib und die Sonne uͤber
den Mond erhaben ſeyn b].


Es iſt erſtaunend, welche Herſchaft die Paͤpſte aus
dieſen Grundſaͤtzen, durch allerhand erkuͤnſtelte Folgerun-
gen uͤber die chriſtlichen Voͤlker in Europa ſich angema-
ßet, und ſolche theils durch Nachgiebigkeit ihrer Regen-
ten, weil ſie ihnen oͤfters Kron und Reich verdankten,
theils durch deren Unvermoͤgen, Unwiſſenheit und Aber-
glauben wuͤrklich erlangt und wie weit ſie ihren Stolz
uͤberhaupt getrieben haben c]. Wo nicht Gott gleich,
doch wenigſtens uͤber die Engel erhaben d] zu ſeyn waͤh-
nend,
[163]der Nazionen.
nend, ſchalteten ſie uͤber Fuͤrſten und Laͤnder wie uͤber ihr
Eigenthum, und ſetzten die Regenten nach Gefallen ein
und ab e]. Am weiteſten ging hierinn der herſchſuͤchtige
Papſt Gregor VII. deſſen abſcheuliche Grundſaͤtze bekant
genug ſind f].


Faſt alle Regenten Europens muſten in ienen dunkeln
Zeiten ſich dem Joche der paͤpſtlichen Hierarchie nicht nur
im Geiſtlichen, ſondern auch im Weltlichen g] mehr oder
weniger unterwerfen. Nachdem man den Paͤpſten ein-
mal die hoͤchſte Gewalt im Geiſtlichen eingeraͤumt hatte,
ſo fiel es ihnen nicht ſchwer auch in weltlichen Angelegen-
heiten immer eine Beziehung darauf zu finden. Sie
konten auch auf die Wilfaͤhrigkeit der Fuͤrſten um ſo eher
rechnen, da die Erziehung der Prinzen gewoͤhnlich den
Geiſtlichen anvertraut ward, welche ihnen die hierzu
dienlichen Grundſaͤtze zeitig genug beizubringen nicht ver-
gaſſen. Selbſt von den roͤmiſchen Kaiſern, welche doch
die zweite Statthalterſtelle Chriſti auf Erden bekleiden
ſolten und den hauptſaͤchlichſten Grund zum paͤpſtlichen
Anſehen gelegt hatten, verlangten die Paͤpſte kindlichen
Gehorſam h], Vaſallenpflicht i], ia ſogar Tribut und
Unterwerfung. Verſchiedene Kaiſer muſten wuͤrklich
nachgeben, als Heinrich IV. k] und V. Friedrich I. l],
Philip von Schwaben, Otto IV., Friedrich II. und meh-
rere. Doch hatten auch andere und beſonders die folgen-
den Kaiſer Muth und Entſchloſſenheit genug, ſich den
uͤbertriebenen Foderungen der Paͤpſte ſtandhaft zu wider-
ſetzen m] und ihre Abſichten zu vereiteln. Gleichwohl
waren ſie damals noch nicht vermoͤgend, das paͤpſtliche
Joch gaͤnzlich abzuſchuͤtteln n].


Auf gleiche Art verfuhren die Paͤpſte mit den uͤbrigen
Koͤnigen und Fuͤrſten in Europa. Die meiſten derſelben
waren, wie ich ſchon im vorigen Kapitel gedacht, dem
paͤpſtlichen Stuhle lehn- oder zinsbar oder auf andere Art
von ihm abhaͤngig: ſie muſten ihren Befehlen gehorchen,
L 2und
[164]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
und die vorfallenden Regierungsſtreitigkeiten ihrer Ent-
ſcheidung uͤberlaſſen o]. Die Geſchichte iſt voll von Bei-
ſpielen der paͤpſtlichen Herſchaft in Portugal, Arrago-
nien, Spanien, Frankreich, England, Sicilien, Daͤ-
nemark, Ungarn und andern Reichen p].


Dieſe paͤpſtliche Gewalt fing iedoch an ſich zu vermin-
dern, ſobald die Aufklaͤrung in Europa ein wenig be-
gann. Den gefaͤhrlichſten Stoß aber erlitt ſie durch die
1517 angefangene Reformation q]; und ſeitdem iſt ſie
taͤglich mehr in Verfall gekommen. Zwar lieſſen es die
nachherigen Paͤpſte, bis in die neuern Zeiten an Verſu-
chen nicht fehlen, ihre ehemalige Macht wieder geltend
zu machen; aber ohne ſonderlichen Erfolg r].


Dermalen handelt iede europaͤiſche Nazion im Geiſt-
lichen und Weltlichen nach eignem Gutduͤnken, ohne
um den Papſt ſich viel zu bekuͤmmern s]. Zwar raͤumen
die der catholiſchen Religion zugethanen Regenten ihm
noch verſchiedene Vorzuͤge ein, aber die ehemaligen ihm
als Statthalter Chriſti und ſichtbares Haupt der Chri-
ſtenheit gebuͤhrenden Gerechtſame haben groͤſtenteils ihr
Ende erreicht. Werden dem Papſte auch in dieſem oder
ienem Reiche noch einige Rechte zugeſtanden, ſo gruͤnden
ſich dieſe doch nicht auf eine vermeintliche Oberherſchaft
ſondern auf Vertraͤge oder Herkommen unter beiden
Theilen.









L 4h]
[168]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen












§. 12.
Noch ein weltliches.


Noch aͤlter iſt das Vorgeben von einer Oberherſchaft
der roͤmiſchen Kaiſer uͤber die ganze Welt. Der bluͤhen-
de Zuſtand der Roͤmer, die ihre ſiegreichen Waffen faſt
uͤber alle damals bekante Welttheile verbreiteten, ſezte
beſonders die Dichter in ſolchen Enthuſiasmus, daß ſie
Rom nur das caput mundi und dominam orbis terrarum
nanten a]. Die nachherigen Kaiſer waren eitel genug,
den von Schmeichlern ihnen beygelegten Titel: mundi
et totius orbis dominus
nicht nur anzunehmen, ſondern
ſich deſſen auch ſelbſt zu bedienen b]. Es iſt aber nicht
wahrſcheinlich, daß ſie im Ernſt geglaubt haben, oder
ſich uͤberreden laſſen, daß ihnen dieſer Titel wuͤrklich ge-
buͤhre, da ſie auch nicht einmal Herrn der damals bekan-
ten Welt waren c].


Nach der Theilung des roͤmiſchen Reichs in das mor-
gen- und abendlaͤndiſche, und des letztern Zertruͤmmerung
durch die Gothen, Vandalen, Longobarden und andere
fremde Nazionen, lieſſen die Kaiſer dergleichen hochmuͤthi-
ge Gedanken ſich vergehn. Auch bey der Erneuerung des
roͤmiſchen Kaiſerthums unter Karl dem Großen, war
deſſen Umfang noch in zu enge Grenzen eingeſchloſſen,
als daß man daran haͤtte denken ſollen. Almaͤhlig aber
und
[176]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
und beſonders bey der abermaligen Wiederherſtellung der
kaiſerlichen Wuͤrde in Otto dem Großen, begann der
alte Stolz wieder aufzuleben. Die Ehrentitel des vor-
maligen roͤmiſchen Reichs, fuͤr deſſen Fortſetzung man
das teutſche anſahe, wurden von neuem hervorgeſucht
und die Kaiſer daher fuͤr Beherſcher aller Voͤlker und
Erdſtriche ausgegeben d]. Aus dieſem Grunde gebrauch-
ten ſie auf ihren Inſiegeln, den ſogenanten goldenen Bul-
len, die Aufſchrift: Roma caput mundi, regit orbis fre-
na rotundi
und die Weltkugel oder den Reichsapfel zum
Inſigne e]. Dieſes Vorgeben erhielt durch die Stelle
des Evangeliſten Lucas 22, 1. wo er ſagt, daß vom
Kaiſer Auguſtus alle Welt [verſteht ſich die der roͤmi-
ſchen Herſchaft unterworfene] geſchaͤtzet worden, ein gewiſ-
ſes religioͤſes Gewicht; ſo, daß man beinah eine Glau-
bens-Sache daraus machte, und den fuͤr einen Ketzer
hielt, der es wagte daran zu zweifeln f].


An der Erneuerung dieſes uͤbertriebenen Hochmuths
hatten die Paͤpſte wohl den meiſten Antheil. Sie bedurf-
ten zu ihrer Erhebung des kaiſerlichen Anſehens in mehr
als einer Ruͤckſicht g]. Haͤtten ſie die Herſchaft der Welt
ſich allein zuſchreiben wollen, ſo wuͤrden ſie von den
Kaiſern, vermoͤge des Wahns ihrer vorigen Hoheit, zu
viel Widerſpruch zu fuͤrchten gehabt haben. Sie brach-
ten daher, obgedachtermaaßen, eine doppelte ſichtbare
Oberherſchaft der Welt auf die Bahn, und raͤumten dem
Kaiſer ebendieſelben Vorzuͤge uͤber andere Koͤnige und
Fuͤrſten ein, welche die Paͤpſte uͤber die Patriarchen,
Biſchoͤfe ꝛc. behaupteten; iedoch unbeſchadet der Gerecht-
ſame der Kirche und des den Paͤpſten gebuͤhrenden Vor-
ranges. Zur Entſchaͤdigung aber trugen dieſe den Kai-
ſern den Schutz uͤber die chriſtliche Kirche und den paͤpſt-
lichen Stuhl h] auf; wodurch die vermeintliche Ober-
herſchaft des Kaiſers vorgeblich einen deſto groͤßern Glanz
erlangen ſolte, im Grunde aber blos eigner Vortheil
abge-
[177]der Nazionen.
abgezweckt war. Denn vermoͤge dieſer uͤbernommenen
Advocatie muſten die Kaiſer die chriſtliche Religion, alle
Kirchen, Kloͤſter ꝛc. gegen innere und aͤuſſere Anfaͤlle
der Unglaͤubigen und Ketzer, ſelbſt mit gewafneter Hand,
wenn es noͤthig war, vertheidigen und andere chriſtliche
Regenten zu gleicher Beihuͤlfe anhalten. Eben dadurch
aber ward die kaiſerliche Herſchaft mit der paͤpſtlichen
zugleich immer weiter ausgebreitet i].


Die Kaiſer haben iedoch ihre angebliche Herſchaft
uͤber die Welt, oder wenigſtens uͤber die Chriſtenheit nie
ſo weit getrieben, als die Paͤpſte k]. Daß ſie vielmehr
ſelbſt an der Richtigkeit dieſes Vorgebens zuweilen noch
gezweifelt, erhellet aus der Frage Kaiſer Fridrich I. an
die beiden Rechtsgelehrten Martin und Bulgarusl].
Auch wolte Letzterer keinesweges ein Eigenthumsrecht dar-
unter verſtanden wiſſen. Daher ſchrenkte man auch in
der Folge dieſe Herſchaft gewoͤnlich blos auf Schutz und
algemeine Regierung ein, die aber alles umfaſſen ſolte,
nicht nur die wuͤrklichen Lande des teutſchen Reichs, ſon-
dern auch alle dieienigen, worauf daſſelbe iemals ein
Recht gehabt, oder noch haͤtte m].


Indes wurden dieſe Vorrechte den Kaiſern von den
uͤbrigen chriſtlichen Regenten Europens faſt durchgaͤngig
zugeſtanden. Laͤßt ſich gleich wider die Meinung des
Grotius, daß die chriſtlichen Nazionen den Kaiſer zu
ihrem Oberhaupt durch Vertrag erwaͤhlt haͤtten n], noch
manches erinnern; ſo iſt doch deren damalige ſtilſchwei-
gende Anerkennung deſſelben nicht zu bezweifeln. Einige
Regenten hatten den Kaiſern die koͤnigliche oder andere
Wuͤrde zu verdanken und muſten daher aus Dankbarkeit
ſich wilfaͤhrig bezeigen: Andere, welche von dem Kaiſer
uͤberwunden und dem Reiche gewiſſermaaßen verbindlich
waren, als Daͤnemark, Polen, Ungarn ꝛc. durften eben
ſo wenig ſich widerſetzen, und die uͤbrigen wurden theils
durch die paͤpſtliche und kaiſerliche Macht, theils durch
Mden
[178]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
den Strom der damaligen algemeinen Vorurtheile mit
hingeriſſen. Die Beiſpiele ausgeuͤbter und anerkanter
Oberherſchaft des Kaiſers uͤber andere chriſtliche Regen-
ten ſind in der Geſchichte nicht ſelten o]. Am einleuch-
tendſten ward dieſelbe bey ſolchen Vorfaͤllen, woran
die ganze Chriſtenheit Theil zu nehmen und gleichſam
einen Koͤrper auszumachen pflegte, als: bey Kreutzzuͤgen,
algemeinen Koncilien ꝛc.


Die hauptſaͤchlichſten Folgen hiervon waren, daß
die Kaiſer von den uͤbrigen Fuͤrſten Gehorſam in denieni-
gen Stuͤcken verlangten, welche das gemeine Wohl der
Chriſtenheit betrafen: daß dieſe auf Erfordern zum Krie-
ge wider die Unglaͤubigen ꝛc. erſcheinen, Huͤlfsvoͤlker,
Koſten ꝛc. hergeben und bey dieſen Gelegenheiten uͤber-
haupt alles thun muſten, was der Kaiſer ihnen gebot p].
Sie maßten ſich ferner eine gewiſſe Art von Gerichts-
barkeit uͤber die chriſtlichen Fuͤrſten an, wurden auch von
ihnen ſelbſt zuweilen zu Entſcheidung ihrer Streitigkeiten
aufgefodert q]. Sie verſuchten es einigemal ſogar, die
Reichsacht auſſerhalb dem teutſchen Reiche zu erſtrecken r].
Nicht weniger ſahe man die Kaiſer als die Quelle aller
Wuͤrden, ſelbſt der koͤniglichen an s], und die Standes-
erhebungen faſt in allen Reichen geſchahen durch ſie, ſo
wie die Ertheilung der akademiſchen Grade, die Creirung
der Notarien ꝛc.


Aber dieſe auf irrige Grundſaͤtze beruhende Oberher-
ſchaft der Welt fing mit der paͤpſtlichen, mit der ſie ſo
genau verbunden war, beſonders ſeit der Reformation
an, in Abnahme zu kommen, und verfiel immer mehr,
nachdem man durch die Wiederherſtellung der Wiſſen-
ſchaften reinere Begriffe vom Voͤlkerrechte bekam und
richtigere Grundſaͤtze darin aufſtelte. Kaiſer Karls V.
Bemuͤhungen, die vormalige Hoheit wiederherzuſtellen,
waren fruchtlos t]: und ſeit dem weſtphaͤliſchen Frieden
iſt es wohl keinem Kaiſer im Ernſte mehr eingefallen,
ſich
[279[179]]der Nazionen.
ſich eine ſolche Oberherſchaft zuzuſchreiben. Die in neuern
Zeiten etwa noch vorkommenden Anſpielungen darauf
ſind als ein leeres Ceremoniel zu betrachten u]. Jedoch
aͤuſſern ſich noch verſchiedene Ueberbleibſel des Alterthums,
beſonders in Abſicht der kaiſerlichen Praͤcedenz vor andern
europaͤiſchen Nazionen x].










i]
[181]der Nazionen.














§. 13.
Verſuche und Vorſchlaͤge, die europaͤiſchen
Voͤlker in eine Republick zu vereinigen
.


Weder im natuͤrlichen Zuſtande, noch in gleichen
Verbindungen findet eine Art von Oberherſchaft ſtatt.
Ein ieder muß darin ſeine urſpruͤnglichen und erworbenen
Rechte, ſo viel er vermag, durch guͤtliche, und wenn
dieſe nichts fruchten, am Ende durch gewaltſame Mittel
geltend zu machen ſuchen. Da aber die Erfuͤllung der
Vertraͤge nicht allemal puͤnctlich erfolgt und der Ausgang
der feindlichen Unternehmungen oͤfters ſehr ungewis iſt,
ſo haben die buͤrgerlichen Vereinigungen, wo durch das
Anſehn und die Gewalt eines Oberhaupts in beſtimten
Geſetzen und Ordnungen fuͤr die Aufrechterhaltung der
allerſeitigen Gerechtſame, Ruhe und Eintracht geſorgt iſt,
in dieſer Ruͤckſicht allerdings gewiſſe Vorzuͤge. Die
Nazionen befinden ſich in der naͤmlichen Lage. Sie muͤſ-
ſen ihre Rechte, ſo gut als moͤglich, ſelbſt handhaben;
und koͤnnen die daruͤber unter ihnen entſtehenden Strei-
tigkeiten in der Guͤte nicht beigelegt werden, ſo bleibt
nichts als Gewalt und endlich der Krieg uͤbrig. Aber dies
iſt leider! ein ſehr beſchwerlicher und ſchluͤpfriger Weg.
Hierzu koͤmmt noch, daß manche Voͤlkergeſetze zweifel-
haft und die Voͤlker Richter ihrer eignen Handlungen
ſind, folglich nicht allemal die ſtrengſte Unparthei ichkeit
beobachten.


Allein
[188]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen

Allein dieſen Ungemaͤchlichkeiten waͤre vielleicht da-
durch abzuhelfen, wenn die Nazionen in eine Art von
buͤrgerlicher Geſelſchaft ſich vereinigten, oder, nach
Wolfs Meinung, ſchon von Natur wuͤrklich vereinigt
waͤren, und zu Unterſuchung und Entſcheidung der unter
ihnen vorfallenden Streitigkeiten einen gemeinſchaftlichen
Gerichtshof anerkennten. Der Einwurf, daß dies dem
Begriffe freier Voͤlker entgegen ſey, deren Haupteigen-
ſchaft darinnen beſtehe, daß ſie keinen Hoͤhern weiter uͤber
ſich haben, faͤllt weg, weil hier oben nicht von einer
Univerſalmonarchie oder Vereinigung der Voͤlker unter
ein gemeinſchaftliches Oberhaupt die Rede iſt. Die
Nazionen duͤrften nur einen gemeinſamen Gerichtshof
niederſetzen, der unbeſchadet im uͤbrigen der Unabhaͤng-
igkeit einer ieden einzelnen, blos als Schiedsrichter, zu
Beſtimmung der zweifelhaften wechſelſeitigen Rechte
und Verbindlichkeiten und zu Beilegung der aus deren
Nichtbeobachtung entſpringenden Beſchwerden mit hin-
laͤnglicher Gewalt verſehen waͤre. Eine aͤhnliche Ein-
richtung war ehemals das Gericht der Amphyctionen
bey den griechiſchen Staaten.


Im vorigen Jahrhundert hatte Koͤnig Heinrich IV.
von Frankreich, durch die Koͤnigin Eliſabeth von Eng-
land veranlaßt, den Plan, Europa in ungefehr funf-
zehn an Macht einander ziemlich gleiche Staaten zu zer-
teilen, und dieſe in eine Art von chriſtlicher Republick
oder Staatenſyſtem zu vereinigen. Dazu ſolten gehoͤren,
a] 5 Erbreiche, als: Spanien, Frankreich, Eng-
land, Schweden
und das aus den Herzogthuͤmern
Savoyen, Mayland und Montferrat zu errichtende lom-
bardiſche Reich
. b] 6 Wahlreiche, naͤmlich: Teutſch-
land
, der Kirchenſtaat nebſt Neapel, Daͤnemark,
Polen, Boͤhmen
nebſt incorporirten Landen, Ungarn
nebſt Siebenbuͤrgen und den eigentlichen oͤſterreichiſchen
Provinzen. c] 5 Republicken und zwar 2 demokratiſche,
die
[189]der Nazionen.
die vereinigten Niederlande nebſt der ganzen Juͤlich-
Cleviſchen Erbſchaft, und die Lidgenoſſenſchaft nebſt
der Grafſchaft Burgund, Elfaß, Tyrol und Trident,
ingleichen 2 ariſtokratiſche: Venedig nebſt der Inſel
Sicilien und Florenz wozu Genua, Mantua, Parma
und Modena, mit Beibehaltung ihrer beſondern Regier-
ungsformen geſchlagen werden ſolten. Aus den Abge-
ordneten dieſer Staaten waͤre ein Senat zuſammenge-
ſetzt worden, der die gemeinſchaftlichen Angelegenheiten
nach der Mehrheit der Stimmen beſorgt und entſchie-
den haͤtte. Jedoch lagen nicht ſowohl die hieraus zu
hoffenden gemeinnuͤtzigen Folgen, als vielmehr die Ab-
ſicht, die damalige Macht des Hauſes Oeſterreich zu
ſchwaͤchen, zum Grunde a]. Heinrich hatte bereits alle
zu dieſen Behuf dienliche Anſtalten vorgekehrt und ſtand,
bey Gelegenheit des Juͤlichſchen Succeſſionsfalls, eben
im Begrif ſeine Kraͤfte zu verſuchen, als durch deſſen
Ermordung dies ganze Vorhaben vereitelt ward.


In der Folge haben verſchiedene Privatſchriftſteller,
beſonders der beruͤhmte Abt St. Pierre und neuerlich ein
Herr von Lilienfels, ein lieflaͤndiſcher Edelmann, wel-
cher der Verfaſſer des Neuen Staatsgebaͤudes ꝛc. ſeyn
ſoll, ienen Plan wieder in Vorſchlag gebracht und aus-
zubilden geſucht. Die Hauptſache beruhet, nach dem
Inhalt der letztern Schrift, ungefaͤhr darauf: Die Ge-
ſetze, ſagt man, wornach freie Voͤlker ihre Handlungen
gegen einander einrichten ſollen, ſind meiſtens ſehr
ſchwankend. “Was Grotius, Barbeyrac, Puffendorf,
Hobbes, Selden und die Neuern davon geſchrieben ha-
ben, heißt es daſelbſt [1 Buch 3. Abth. §. 59. S. 130.]
iſt zerſtreut, abweichend und erſchoͤpft nicht alles. Ihre
Meinungen ſind keine Orakelſpruͤche. Sie ſind nicht
durchgaͤngig practiſch und mit dem Buͤrgerrechte bekleidet.
Sie haben nicht alle Faͤlle bemerkt, auch die bemerkten
nicht gleich gruͤndlich eroͤrtert, den eroͤrterten aber kein
Ge-
[190]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
Gepraͤge der algemeinen und heiligen Geſetze aufdruͤcken
koͤnnen. Zu dieſer Unzulaͤnglichkeit hat ſich noch ein un-
beſtimtes Herkommen geſellet. Beyde zuſammen, ſowohl
das geſchriebene, als ungeſchriebene Geſetz, ſind noch
unzuſammenhaͤngende und unvolkommne Theile eines
Ganzen, dem die Klarheit, Ordnung, der gehoͤrige Um-
fang und das Anſehen fehlen. Man fuͤhret neue Regeln
und Gewohnheiten ein und deutet und wendet die alten
an, wie es eines ieglichen Macht, Gelegenheit und Wohl-
gefallen bequem iſt. Die Zuſaͤtze, Ausdehnungen, Ein-
ſchraͤnkungen, Ausnahmen, Verbeſſerungen verewigen
ſich. Die neuen Erfindungen, vorleuchtenden Beiſpiele
der Maͤchtigſten, Vorfaͤlle und Gebraͤuche gehen ins Un-
endliche, und ſetzen neue Rechte, bis dieſe wiederum durch
neuere verdrungen werden. Dennoch bleiben eine Menge
zweifelhafter und verſtrickter Faͤlle zum Zankapfel der
Nachkommenden unausgemacht uͤbrig. — Die haͤufigen
Widerſpruͤche und Streitigkeiten, die aus der Gelegenheit
dieſes Rechts, in Anſehung deſſen Verletzung, oder Aus-
legung, oder Erweiterung entſproſſen ſind, zeugen allein,
daß es ihm annoch an eigener Volkommenheit und frem-
der Achtung fehle.“ Dieſe Streitigkeiten koͤnnen in dem
freien Zuſtande der Voͤlker nicht anders als durch Ver-
traͤge beigelegt werden, welche iedoch nicht ſelten erſt die
Frucht vieliaͤhriger koſtbarer und verherender Kriege zu ſeyn
pflegen. Bey dieſem allen lehrt die Erfahrung, daß die
feierlichſten Vertraͤge und Friedensinſtrumente mit der
Zeit durchloͤchert werden. Die zahlreichen neuen Tra-
ctaten [S. 118] die auf die alten gefolgt ſind, zeugen
von der Unzulaͤnglichkeit, Baufaͤlligkeit, und kurzen
Epoche der letztern, die gleichwohl das Siegel der Ewig-
keit aufgedruckt hatten. — Es moͤgen Uebereilung, Un-
aufmerkſamkeit oder Metapher, oder die Ungewisheit der
Zukunft, oder die engen Grenzen der menſchlichen Einſicht
und Sprache, oder ein heimlicher Vorſatz oder eine andere
Un-
[191]der Nazionen.
Unvollkommenheit verſchiedene Deutungen zulaſſen; ſo
iſt es ausgemacht, und durch die Erfahrung beſtaͤttigt,
daß die nachfolgenden critiſchen und politiſchen Umſtaͤnde
den buchſtaͤblichen in figuͤrlichen Sinn der Worte drehen
koͤnnen, und dieſer ſich nach ienen richten muß. Die
neue Auslegung wird durch das neue Intereſſe beſtimmt
und hiermit ſind alle Tractaten unterſiegelt. Da nun
[S. 194.] die Weltbeherſcher keine Obrigkeit uͤber ſich
erkennen, folglich ohne die freiwilligen Vertraͤge nicht
anders als durch ſelbſt erwaͤhlte Schiedsrichter friedlich
und billig auseinander kommen koͤnnen; ſo gleicht, um die
Zwiſtigkeiten und Beſchwerden der Potentaten unter ein-
ander auf eine ſo gerechte als friedſame auch geſchwinde
und unfehlbare Weiſe abzuſtellen, nichts einem unpar-
theiiſchen, klugen, gelehrten, beſtaͤndigen und guͤltigen
Schieds- oder Friedensgerichte. Ein ſeichter Einwurf,
daß die unabhaͤngigen Maͤchte in einem freien natuͤrlichen
Zuſtande ſind und keinen Richter uͤber ſich erkennen.
Selbſt die Beiſpiele des buͤrgerlichen Zuſtandes erweiſen,
daß die Partheien nicht die Richter, die oft viel geringer
als iene ſind, ſondern blos die Geſetze uͤber ſich erkennen.
Die Urſachen des Krieges wuͤrden alſo wegfallen, wenn
der natuͤrliche Zuſtand weniger unumſchraͤnkt, und das
Voͤlkerrecht ſo vollkommen und den Fuͤrſten ſo verbindlich
waͤre, als ihren Unterthanen das buͤrgerliche Recht iſt.
Zu dieſem Ende muͤſten alle Potentaten, durch eine freie
und einmuͤthige Einſtimmung, auf einem algemeinen
Kongres, fuͤr ſich und alle folgende Zeiten feierlichſt ein
hoͤchſtes Nazionen Tribunal und Friedensgerecht nie-
derſetzen und anerkennen. Das hieruͤber ausgefertigte
Inſtrument, das die Kraft und Natur eines ewigen
Compromiſſes und Fundamentalgeſetzes aller Reiche an
ſich haͤtte, und wozu ein ieder Landesherr und ſeine Unter-
thanen, beim Antritt einer ieglichen neuen Regierung
ſich verpflichteten, wuͤrde im Tribunalarchive aufbehalten
Da-
[192]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
Damit das Recht des Krieges und das ganze Natur- und
Voͤlkerrecht hinfuͤhro keinen Chamaͤleon mehr aͤhnlich
waͤren, duͤrfte durch die geſchickteſten Maͤnner ein kurzes
und reines Geſetzbuch zuſammengetragen und ausgear-
beitet werden, das nichts als die moͤglichen Faͤlle und
Nationalſtreitigkeiten beruͤhrte, den Namen eines Na-
zionen
- oder Fuͤrſtenrechts annaͤhme und aus den vor-
treflichſten Natur-Voͤlker- und buͤrgerlichen Rechten den
Koͤrper erbauet haͤtte, deſſen Seele die gelaͤuterte und
friedſame Vernunft der Friedensrichter waͤre. Dieſes
Buch koͤnte ebenfals auf einem algemeinen Kongres beſtaͤ-
tigt, auch kuͤnftig dergeſtalt verbeſſert und erweitert wer-
den, und wuͤrde die Grundſaͤule der Gluͤckſeligkeit der
Voͤlker und die Zierde des Tribunalarchivs ſeyn. Da-
ſelbſt muͤſten ferner ſowohl die dienlichen alten, als alle
neuern und kuͤnftigen Tractaten, Friedensſchluͤſſe, Buͤnd-
niſſe, Vergleiche, Anſpruͤche, Verſchenkungen, Ver-
pfaͤndungen, Kauf- und Lehnbriefe, Teſtamente, Ceſſio-
nen, Anwartſchaften, Erbfolgen, Erbverbruͤderungen,
Erb- und Familienvertraͤge, Erbvereinigungen und ande-
re wichtige Urkunden, Rechte und Erweiſe aller europaͤi-
ſchen Maͤchte, dann die Grundverfaſſungen, Privile-
gien, Freiheiten, Herkommen ꝛc. der Staaten und end-
lich die beſten Natur- Voͤlker- Staats- und gemeinen
Rechte und Statuten aufbewahret werden. Nach den in
dieſen Sammlungen enthaltenen Grundſaͤtzen entſchiede
nun das Friedensgericht alle Arten der Misverſtaͤndniſſe,
Rechte, Anſpruͤche und Uneinigkeiten unter den chriſtlichen
Maͤchten in Europa in allen Vorfaͤllen ohne Ausnahme, die
ſonſt Unruhen, Hader und Kriege zu erwecken geſchickt
waͤren, ſie geſchehen in welchem Theile der Welt ſie wollen.
Dadurch wuͤrde alle Gelegenheit zu kuͤnftigen Kriegen ab-
geſchnitten und die beſchwerliche Unterhaltung zahlreicher
Armeen unnoͤthig gemacht. Zugleich werden weitlaͤuftige
Vorſchlaͤge uͤber die Einrichtung und das Verfahrer des
Frie-
[193]der Nazionen.
Friedensgerichts gethan, in Anſehung Gelehrſamkeit,
Verſtand, Erfahrung, Tugend, Alter und unpartheii-
ſcher Gerechtigkeit der Friedensrichter, der Art ſie zu
ernennen, ihres Ranges, ihrer Anzahl ꝛc. Der ganze
Senat ſoll z. B. aus 69 Perſonen, und zwar 1 Praͤſiden-
ten, 8 Oberraͤthen, 20 Raͤthen und 40 Beiſitzern beſtehen
und dabey eine Kanzley von 6 Oberſekretarien, 20 Sekre-
tarien, 1 Oberarchivar und 4 Archivarien nebſt hinlaͤngli-
chen Actuarien, Notarien ꝛc. angeſtelt ſeyn, die, nach
der entworfenen Bilance von Einnahme und Ausgabe,
alle gut bezahlt wuͤrden. Dem ganzen Tribunal geſtuͤnde
man die hoͤchſte Souverainetaͤt zu; iedoch muͤſte derſelbe
einem algemeinen Kongres, der allemal, erforderlichen
Fals, von den Deputirten aller Maͤchte gehalten werden
koͤnte, unterworfen ſeyn. Bey dieſem Gerichtshofe, der
ſeinen Sitz in Teutſchland, als dem Mittelpunkt von
Europa, haben koͤnte, unterhielte iede chriſtliche Macht
ihren beſtaͤndigen Geſandten oder Reſidenten zu Beſorg-
ung ihrer Angelegenheiten und Uebergebung der noͤthigen
Schriften. Es folgen ſodann Gedanken uͤber die Be-
weisfuͤhrung, Stimmordnung und Volſtreckung der Aus-
ſpruͤche. Nach allen vergeblich verſuchten freundſchaftlichen
Erinnerungen und Warnungen muͤſten naͤmlich ſaͤmtliche
Nazionen zufoͤrderſt alle Gemeinſchaft mit dem widerſpen-
ſtigen Volke aufheben, ihre Geſandten von demſelben
zuruͤckberufen ꝛc; am Ende aber bliebe nichts uͤbrig, als
den Regenten ſeiner Regierung zu entſetzen und ſie dem
naͤchſten Nachfolger zu uͤbertragen. Hierzu waͤre denn
allerdings eine anſehnliche Armee noͤthig. Endlich kommt
noch die Errichtung eines Ritterordens gegen die Barbaren
und die Unterhaltung gewiſſer Kriegsheere gegen dieſelben
in Vorſchlag.


„So glaͤnzend nun aber auch ein ſolcher Entwurf
ins Auge faͤlt,” erinnert der Freyherr von Bielefeld in
ſeiner Staatskunſt 2. Th. 4. Hauptſt. §. 30, und mit
Nihm
[194]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
ihm der groͤſte Theil der Politiker; „ſo hat er doch den
großen Fehler, daß er nicht ins Werk zu richten ſteht.
Man muͤſte ſich Europa als ganz platoniſch vorſtellen,
um zu glauben, daß alle Landesherrn einen Theil ihres
hoͤchſten Anſehns in die Haͤnde eines algemeinen Senats
uͤbergeben wuͤrden, daß die Gebieter der groͤſten Staaten
ſich nicht auch zu Herrn der Rathſchlaͤge dieſes Senats
machen ſolten, daß die Schwaͤchſten nicht eben ſowohl
Geſetze von ihnen erhalten wuͤrden.“ Der Verfaſſer des
neuen Staatsgebaͤudes ſieht dieſen Punkt auch ſelbſt
[S. 338.] als die groͤſte und einzige Schwierigkeit ſei-
nes Plans an und ſagt ſehr richtig, daß, wenn man
Europa unter dem Bilde eines einzigen Staatskoͤrpers,
als ein Ganzes darſtellen wolte, das durch Religion,
Intereſſe, Buͤndniſſe, Sitten, Nachbarſchaft, Bluts-
und andere Freundſchaft, Negociationen, Handel,
Schiffahrt, Poſten, Politick und Voͤlkerrecht zuſam-
mengeknuͤpft iſt, man es gewis mit keiner Demokratie,
ſondern am aͤhnlichſten mit einer Art von Ariſtokratie
vergleichen wuͤrde, wo Dictators, Triumvirs ꝛc. keine
andere Geſetze als ihr Wohlgefallen kennen, die immer
Recht haben, weil ſie maͤchtig ſind und deren letzter Ver-
nunftſchlus donnernd iſt. Jedoch macht er zuletzt noch
viele gutgemeinte Bemerkungen, daß ein ſolcher Plan
den Regenten Ehre und ihren Staaten Gluͤck bringen
wuͤrde, und hoft die Ausfuͤhrbarkeit deſſelben vielleicht
einmal in der Zukunft. Wer von dieſen Vorſchlaͤgen
weitlaͤuftiger unterrichtet zu ſeyn wuͤnſcht, dem werden
die nachher angefuͤhrten Schriften ein Gnuͤge leiſten.




§. 14.
Verbindung der teutſchen Reichsſtaͤnde.


Weit enger als alle uͤbrige europaͤiſche Nazionen ſind
die Staͤnde des teutſchen Reichs mit einander verbunden:
ſie ſtehen in einem wuͤrklichen Staatsvereine. Zwar
enthaͤlt Teutſchland, nach des Herrn Geheimen Juſtitz-
rath Puͤtter a] Urteile, wie ich bereits oben gezeigt,
„allerdings ſo viele eigne beſondere Staaten, als es
„Kurfuͤrſtenthuͤmer, Fuͤrſtenthuͤmer, Grafſchaften und
„Reichsſtaͤdte in ſich faſſet, auch das Gebiet eines ieden
„Reichspraͤlaten und Reichsritters in ſeiner Art nicht
N 2„ausge-
[196]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
„ausgeſchloſſen. Ein ieder dieſer beſondern Staaten hat
„ſeine eigne, der Regel nach und im Ganzen mit allen
„Hoheitsrechten begabte Regierung; ein ieder ſeine eigne
„innere Verfaſſung, ein ieder ſogar gegen auswaͤrtige
„Maͤchte ſolche Rechte, die ſonſt nur unabhaͤngige Maͤch-
„te gegeneinander in Uebung haben; auch Krieg und
„Frieden, Buͤndniſſe und Geſandſchaften nicht ausge-
„ſchloſſen. —— So ſehr aber auch dieſe Regierungs-
„verfaſſung der einzelnen Laͤnder von einander abgehet;
„ſo iſt doch nichts gewiſſer, als daß dennoch alle ohne
„Ausnahme noch als Theile eines einzigen Ganzen in
„gleichmaͤßiger Verbindung unter dem teutſchen Rei-
„che
ſtehen; und zwar nicht etwa nur in einer ſolchen
„Verbindung, wie die ſieben niederlaͤndiſchen Provinzen,
„oder die dreizehn Schweitzercantons, ohne weiter eine
„gemeinſame hoͤhere Gewalt uͤber ſich zu erkennen, ſich
„unter einander verbunden haben, — ſondern unter
„einem gemeinſamen hoͤchſten Oberhaupte, dem die per-
„ſoͤnliche Maieſtaͤt und Unabhaͤngigkeit ſo wenig als
„einem Koͤnige in Frankreich oder irgend einem andern
„Monarchen beſtritten werden kann. Auch nicht eine
„blos perſoͤnliche Verbindung iſt es, die alle beſondere
„teutſche Staaten unter dem Kaiſer vereiniget, etwa
„wie Ungarn, Boͤhmen und die uͤbrigen oͤſterreichiſchen
„Erblande, oder wie England und Hannover einerley
„Herrn haben; ſondern eben die Realverbindung, wor-
„auf die Einheit eines ieden andern Staats beruht, haͤlt
„auch noch alle beſondere teutſche Staaten in dem Bande
„eines einigen Reichs beiſammen. —— Kurz Teutſch-
„land iſt ein Reich, das in lauter beſondere Staaten
„eingetheilt iſt, die iedoch alle noch unter einer gemeinſa-
„men hoͤchſten Gewalt in der Geſtalt eines zuſammen-
„geſetzten Staats vereinigt ſind.


Die teutſchen Reichsſtaͤnde ſind daher nicht nur zu
Beobachtung des aus der geſelſchaftlichen Verbindung
uͤber-
[197]der Nazionen.
uͤberhaupt flieſſenden freiwilligen Voͤlkerrechts verbunden,
ſondern die Vereinigung in einen Staatskoͤrper ſchreibt
ihnen auch verſchiedene andere theils natuͤrliche theils po-
ſitive Grundgeſetze vor, deren Befolgung bey den uͤbri-
gen ganz unabhaͤngigen europaͤiſchen Staaten lediglich
freiwillige Vertraͤge vorausſetzt b]. So haben die teut-
ſchen Reichsſtaͤnde z. B. zwar das voͤllige Recht der
Buͤndniſſe, des Krieges und Friedens unter ſich, und
mit Auswaͤrtigen, nur duͤrfen ſie daſſelbe nicht wider den
Kaiſer, das Reich und ihre Mitſtaͤnde ausuͤben.


Im Verhaͤltnis gegen andere europaͤiſche Nazionen
koͤnnen die teutſchen Reichsſtaͤnde uͤbrigens nicht anders,
als nach der algemeinen engern oder weitern Verbindung,
welche unter den uͤbrigen europaͤiſchen Staaten uͤberhaupt
Statt findet, beurteilt und auch in dieſem Falle die frei-
willigen Voͤlkerrechtsſaͤtze auf ſie angewandt werden.




§. 15.
Gleichheit der Glieder in der europaͤiſchen
Staatenverbindung
.


Aus dem Vorhergehenden erhellet, daß man zwiſchen
den unabhaͤngigen Staaten in Europa zwar eine gewiſſe
geſelſchaftliche Verbindung annehmen koͤnne, daß bey
derſelben iedoch keine Art von Oberhaupt Statt finde,
ſondern iedes Glied die voͤllige Gleichheit behalte. Von
dieſer Gleichheit ſoll im folgenden Kapitel weitlaͤuftiger
gehandelt werden.


N 3Drit-
[198]

Drittes Kapitel.
Von der urſpruͤnglichen Gleichheit und dem nach-
her eingefuͤhrten Range der Nazionen.


§. 1.
Natuͤrliche Gleichheit der Rechte.


Freie Voͤlker ſind, als moraliſche Perſonen, ſo wie
einzelne Menſchen, im natuͤrlichen Zuſtande einan-
der volkommen gleich. Die Unabhaͤngigkeit, ihr weſent-
liches Erfordernis, ſchließt die Gleichheit nothwendig
in ſich und giebt allen gleiche Rechte und Verbindlichkei-
ten gegen einander. Keines kan dem andern befehlen,
Rechenſchaft von ſeinen Handlungen fodern, oder irgend
einen Vorzug vor ihm verlangen. Sie muͤſſen alle glei-
che Rechte der Unabhaͤngigkeit genieſſen. Dieſe Gleich-
heit geht keinesweges verlohren, wenn auch mehrere Voͤl-
ker in eine Geſelſchaft zuſammentreten; es muͤſte denn
durch eine ungleiche Verbindung das Gegentheil ausdruͤck-
lich bedungen ſeyn. Unter den europaͤiſchen Nazionen
iſt dergleichen Buͤndnis wenigſtens nicht vorhanden.
San-Marino, der kleinſte Staat in Europa, iſt in
Anſehung der Unabhaͤngigkeitsgerechtſame dem groͤſten
ſouverainen Staate gleich. Kein Souverain, er ſey
Kayſer oder Koͤnig, maͤchtig oder nicht, darf dem an-
dern von Natur nachgeben, da der eine in ſeiner Art
eben ſo unabhaͤngig iſt, als der andere.



§. 2.
[199]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ꝛc.

§. 2.
Zufaͤllige Vorzuͤge der Nazionen.


Jedoch kan ein Volk allerdings, durch verſchiedene
natuͤrliche und politiſche Urſachen, an der Ausuͤbung
aller in der Souverainetaͤt eigentlich begriffenen Rechte
gehindert werden; es kan auf der andern Seite gewiſſe
Eigenſchaften und Volkommenheiten haben, welche dem
andern abgehn; es kan maͤchtiger an Laͤndern, uneinge-
ſchraͤnkter in der Regierungsform ꝛc. ſeyn. Aber dies
ſind zufaͤllige Vorzuͤge, welche auf die weſentlichen Rech-
te gegeneinander keinen Einflus haben. Sie werden ihm
zwar bey innern und aͤuſſern Verhaͤltniſſen mehr Anſehn
und Achtung verſchaffen, auch wohl Gelegenheit geben,
bey den uͤbrigen Voͤlkern mehrere Vorzuͤge zu erwerben,
nur iſt es nicht berechtigt, ſolche deshalb zu fodern.



§. 3.
Deren Rang.


Der Vorrang oder der erſte und vorzuͤglichſte Platz
im Gehen, Stehen, Sitzen ꝛc. bey Zuſammenkuͤnften,
wird, nach der Einbildung der Menſchen, fuͤr einen
der groͤſten Vorzuͤge geachtet. In ſofern man ihn als
ein Recht anſieht, das gewiſſer zufaͤlliger Volkommen-
heiten wegen, bey allen Gelegenheiten verlangt wird,
kan ein Vorrang unter freien Voͤlkern, vermoͤge der vol-
komnen Gleichheit ihrer Rechte, aus natuͤrlichen Grund-
ſaͤtzen keinesweges Statt finden. Doch hat der Stolz
der Nazionen von ieher, durch allerhand Mittel derglei-
chen Vorrechte vor andern zu erhalten geſucht. Die Gele-
genheiten hierzu aͤuſſern ſich entweder bey perſoͤnlichen
Zuſammenkuͤnften der Beherſcher freier Staaten, als
N 4Repraͤ-
[200]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Repraͤſentanten des ganzen Volks, oder ihrer Bothſchaf-
ter, d. i. Geſandten mit repraͤſentirenden Karacter, oder
endlich bey ſchriftlichen Unterhandlungen und Vertraͤgen
die im Namen mehrerer Nazionen abgefaſt werden.



§. 4.
Urſprung und Gruͤnde deſſelben.


Die Natur kent alſo kein Recht des Vorranges.
Sie hat iedem Menſchen, iedem Volke gleiche Rechte
zugeteilt und es iſt daher keine Verbindlichkeit vorhan-
den, warum ein Volk dem andern, das ihm nichts zu
befehlen hat, nachſtehn ſolte. Bey einer Zuſammen-
kunft mehrerer iſt es freilich natuͤrlich, daß eine gewiſſe
Ordnung beobachtet werden und eins das erſte ꝛc. ſeyn
muͤſſe. Aus dieſem Grunde leiten auch einige Voͤlker-
rechtslehrer a] die Rangordnung unter den Voͤlkern aus
der Natur ſelbſt her. Aber iene Ordnung kan fuͤglich
beſtehen und auf verſchiedene Art alſo eingerichtet wer-
den, daß die natuͤrliche Gleichheit deshalb nicht aufgeho-
ben, oder einem Volke ein Vorrecht eingeraͤumt werden
darf. Durch wen, und nach welchem Maasſtabe von
Vorzuͤgen ſolte auch dieſer Vorrang beſtimt werden?
Allein nicht zufrieden mit der natuͤrlichen Gleichheit,
nahmen die Nazionen, weil ſie bey der Natur die Befrie-
digung ihrer Eitelkeit nicht fanden, zu mancherley zufaͤl-
lig erworbenen Eigenſchaften b] ihre Zuflucht, und glaub-
ten im Alter ihres Reichs, des angenommenen Chriſten-
thums, in der Macht, Erhabenheit der Wuͤrde und
dergleichen, Urſach genug zu finden, ſich uͤber andere
N 5zu
[202]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
re zu erheben. Da aber dieſe auch nicht nachgeben wol-
ten, ſondern gleiche Vorzuͤge verlangten, ſo muſten
nothwendig tauſenderley Streitigkeiten entſtehen, welche
die Unterhandlungen der Nazionen mit einander gar ſehr
erſchwerten c]. Ich will die Gruͤnde, derer man ſich
zu Behauptung des Vorranges gewoͤnlich bedient hat,
kuͤrzlich anfuͤhren, und fuͤr dieienigen, welche eine weit-
laͤuftigere Behandlung dieſer Gegenſtaͤnde wuͤnſchen,
die Stellen der vorgenanten Hauptſchriftſteller in dieſem
Fache anmerken, wo ſie deshalb Raths ſich erhohlen
koͤnnen.





§. 5.
a] Alter der Unabhaͤngigkeit des Reichs.


Einer der erſten Gruͤnde fuͤr den Vorrang der Nazio-
nen wird von dem Alter der Unabhaͤngigkeit eines Volks
hergenommen. Die meiſten und angeſehenſten Voͤlker-
rechtslehrer, ein Grotius a] Ickſtadt, Vattel, Real,
legen ihm eine entſcheidende Kraft bey und glauben, daß
ein
[204]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
ein neuer Ankoͤmling den unterſten Platz einnehmen muͤſ-
ſe, weil dieſer niemanden aus dem Beſitz der Ehre ver-
draͤngen koͤnne, die er einmal genießt. Der lange Beſitz,
ſagen ſie, legt den Fuͤrſten einen Glanz bey, der ſich
auf dem Haupte derjenigen nicht befindet, welche dieſe
Ehre zu genieſſen erſt angefangen haben, und es iſt bil-
lig, daß die Wuͤrde des Ranges denen vorbehalten wird,
welche das Vorrecht deſſelben eher erlangt haben. Allein
die Zeit kan an und vor ſich keine Ungleichheit des Vor-
zugs und der Rechte bewuͤrken. Die vortreflichſte Sache
kan von der geringſten in Anſehung der aͤltern Dauer
uͤbertroffen werden. Zu Erlangung gleicher Rechte iſt
der wuͤrkliche Beſitz der Souverainetaͤt hinlaͤnglich: Wie
lange man ſolche beſitze, darauf komt es nicht an. Dies
haͤngt blos vom Gluͤck und der guten Staatsverfaſſung
ab.


Ueberdies wird dieſer Grund durch den ungewiſſen
Urſprung der meiſten Reiche entkraͤftet. Faſt alle Na-
zionen ſuchen, wie Privatperſonen, in dem Alter der
Herkunft und des Adels eine beſondere Ehre. Sie gehn
daher in ihrem Urſprunge ſo weit als moͤglich zuruͤck.
Jedes Volk will das aͤlteſte ſeyn und ihre Geſchichtbuͤcher
ſind uͤber dieſen Punct gewoͤnlich mit den fabelhafteſten
Hiſtoͤrchen angefuͤllt. So fangen manche Hiſtoriker eini-
ger europaͤiſchen Reiche ihre Geſchichte mehrere Jahrtau-
ſende vor Chriſti Geburt, vom babiloniſchen Thurmbau
oder gar von der Suͤndfluth an. Wer ſoll nun dieſe
Nebel der Dunkelheit zerſtreuen und den erſten Urſprung
der Reiche in ein ſolches Licht ſetzen, daß ihr Alter hin-
laͤnglich eroͤrtert und der davon abhangende Rang mit
Grunde beſtimmt werden koͤnte?


Indes haben Teutſchland, Frankreich, Daͤnemark,
Schweden und andere Staaten dieſen Grund oͤfters fuͤr
ſich angefuͤhrt; und noch 1742 verlangte Grosbritannien,
des Alters halber, den Rang vor Preuſſen b].


Wenn
[205]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

Wenn uͤbrigens ein gewiſſer Vorrang Statt finden
muͤſte, und das Alter der Unabhaͤngigkeit einer ieden
Nazion genau angegeben waͤre, ſo wuͤrde dieſes, der
Billigkeit nach, freilich wohl den natuͤrlichſten Ent-
ſcheidungsgrund an die Hand geben.





§. 6.
b]Alter des regierenden Hauſes.


Bey Behauptung des Ranges unter den Voͤlkern
wird ſich nicht ſelten auch auf das hohe Alter der regie-
renden Familie bezogen. Es hat aber damit eben die
Bewandnis wie mit dem Alter der Nazion. Dieſe zu-
faͤllige Eigenſchaft und die Vorzuͤge des regierenden Hau-
ſes uͤberhaupt koͤnnen einer Nazion kein vorzuͤglicheres
Recht vor der andern geben.



§. 7.
[206]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 7.
c]Alter des Chriſtenthums.


Die haͤufigſte Gelegenheit zu Zuſammenkuͤnften der
europaͤiſchen Nazionen waren ehemals die algemeinen
Kirchenverſamlungen. Da hier das Wohl der geſamten
Chriſtenheit in Erwaͤgung gezogen werden ſolte, ſo
ſahen die Paͤpſte, welche nebſt dem Kaiſer das groͤſte
Gewicht und vorzuͤglichſte Intereſſe dabey hatten, bey
Anweiſung der Plaͤtze hauptſaͤchlich auf den mehrern oder
mindern Antheil, den die Voͤlker an dem Beſten der
chriſtlichen Kirche nahmen und auf ihre fruͤhere oder ſpaͤ-
tere Bekehrung zur chriſtlichen Religion a]. Aber auſ-
ſerdem, daß dies auch nur zufaͤllige Eigenſchaften ſind,
lief hierbey, wie bey dem Urſprunge der Reiche, viel
Fabelhaftes mit unter. In dem einen Staate ſolte
ſchon Joſeph von Arimathias, in dem andern Petrus
und Paulus die chriſtliche Religion gepredigt und einge-
fuͤhrt haben. Es iſt daher leicht abzunehmen, wie unzu-
verlaͤſſig und ſtreitig die Entſcheidung des Ranges daraus
geweſen ſeyn muͤſſe. Ueberdies konte dieſe aus beſondrer
Ruͤckſicht in ienen Verſamlungen beliebte Ordnung uͤber-
haupt nicht fuͤglich auf andre Faͤlle angewandt werden,
wiewohl die Nazionen ſie auch ſonſt haͤufig als Richt-
ſchnur anzufuͤhren pflegten. Auf dieſe fruͤhere Bekehr-
ung zum Chriſtenthum bezogen ſich ehemals hauptſaͤchlich
Spanien, Frankreich und England.




§. 8.
[207]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 8.
d]Macht der Nazionen.


Der groͤßere Umfang des Staats, die Mehrheit der
Reiche und die ſtaͤrkere Anzal von Unterthanen, welche
ein Souverain beherſcht, geben an und vor ſich ebenfals
kein Recht des Vorrangs. Der Rieſe und der Zwerg
ſind als Menſchen einander volkommen gleich, und der
kleinſte freie Staat hat eben ſo viel Rechte als der groͤſte;
denn dieſe flieſſen nicht aus der Macht, wie Fuͤrſtenerius
lehrt, ſondern aus der Unabhaͤngigkeit, die, wenn ſie
volkommen ſeyn ſoll, bey allen Nazionen gleich ſeyn
muß. Allein der große und maͤchtige Staat, ſagen
Ickſtadt a], Vattel b], Real c] und andere, kan in der
Voͤlkergeſelſchaft eine weit anſehnlichere Rolle ſpielen
und den Zweck derſelben, die gemeinſchaftliche Sicher-
heit und Ruhe in einem weit ſtaͤrkern Grade befoͤrdern,
als ein kleiner. Es iſt daher vernuͤnftig und billig, daß
iener auch mehrere aͤuſſerliche Vorzuͤge genieße, und
daß dieſer ihm bey Gelegenheiten weiche, wo einer nach-
geben muß. Allein Billigkeit iſt noch kein Recht. In-
des iſt der Unterſchied der groͤßern und kleinern Reiche
freilich von ieher ſehr auffallend geweſen, und die Macht
hat ohnſtreitig die erſte Gelegenheit gegeben, ſich einen
Vorrang bey den uͤbrigen Nazionen, beſonders bey den
Mindermaͤchtigen zu verſchaffen d]. Aus Furcht vor der
Maͤchtigen Rache raͤumten ſie ihnen die verlangten Vor-
rechte willig ein. Eine Verbindlichkeit dazu iſt iedoch
nicht vorhanden. Eine Nazion, welche ihr Reich ſelbſt
hinlaͤnglich zu beſchuͤtzen und zu vertheidigen im Stande
iſt, folglich die uͤberwiegende Macht einer Groͤßern we-
der fuͤrchten noch ſuchen darf, hat nicht Urſach, dieſem
aus dem Grunde der Uebermacht irgend ein Vorrecht
einzuraͤumen,


Auch
[208]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Auch die europaͤiſchen Staaten haben zu Behauptung
des Vorranges am meiſten auf die Macht ſich geſtuͤtzt,
und ſie war ein Hauptgrund, deſſen Peter I. von Ruß-
land ſich bey Annehmung des kaiſerlichen Titels bedien-
te, indem er zu erweiſen ſuchte, daß Rußland im Um-
fange ſelbſt das roͤmiſch-teutſche Kaiſerthum uͤbertreffe.


Da aber die Macht eine ſehr zufaͤllige Sache iſt und
leicht ſich vermindern kan; ſo entſteht die Frage, ob ein
Volk mit der Abnahme der Macht auch einen geringern
Platz einnehmen muͤſſe? Hier entſcheiden faſt alle Voͤl-
kerrechtslehrer, wie billig, fuͤr den Beſitz des einmal
erlangten Ranges.







§. 9.
e]Vorzuͤglichere Regierungsform.


Die monarchiſche Regierungsform wird, nach dem
gemeinen Wahne, der republikaniſchen vorgezogen, weil
bey iener der Glanz der Maieſtaͤt in einem Subiecte ver-
einigt
[207[209]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
einigt weit heller in die Augen faͤlt, als wenn derſelbe
unter mehrere verteilt iſt. Dieſer Glanz, glaubt man,
muͤſſe den Monarchien vor den Republicken nothwendig
mehr Achtung und einen hoͤhern Rang verſchaffen a],
zumal da die Beherſcher der monarchiſchen Staaten per-
ſoͤnlich zuſammenkommen, die Republicken hingegen nur
durch Geſandte erſcheinen koͤnten, welche ienen ohnſtrei-
tig nachſtehn muͤſten.


Nun iſt dieſer Vorzug zwar in der Natur keineswe-
ges gegruͤndet, weil iede Regierungsform eines freien
Volks gleichwohl die Unabhaͤngigkeit in ſich begreift, und
wenn auch bey perſoͤnlichen Zuſammenkuͤnften der Mo-
narchen die Gleichheit wegfaͤlt, ſolche doch unter allerſei-
tigen Geſandſchaften fuͤglich Statt findet. Demunge-
achtet hat das Herkommen allen gekroͤnten Haͤuptern,
wenn ſie auch erſt neuerlich die koͤnigliche Wuͤrde ꝛc. wie
z. B. Preuſſen erlangt haben, den Vorrang vor den
Republicken zugeſtanden b].


Den Grund hiervon ſetzt Vattel c] in der Ueberlegen-
heit der Monarchien Europens, die mehrenteils blos mit
geringen Republicken zu thun gehabt, und daher zu ſtolz
geweſen ſind, denſelben Gleichheit zuzugeſtehn. Eine
Haupturſach liegt aber wohl auch in dem Aberglauben
des Papſtthums. Die Monarchen lieſſen ſich gewoͤnlich
vom Papſte oder doch der Geiſtlichkeit kroͤnen und ſalben.
Dieſe mehr zu Erhaltung des paͤpſtlichen Anſehns, als
zu Beſtaͤtigung der koͤniglichen Wuͤrde noͤthige Handlung
gab den Monarchen bey dem aberglaͤubiſchen Haufen ein
weit ehrwuͤrdigeres Anſehn und viel erhabnere Vorzuͤge,
deren die Republicken ſich nicht theilhaftig machen konten.


Indes wollen die Republicken, indem ſie den gekroͤn-
ten Haͤuptern weichen, dadurch nicht fuͤr geringer gehal-
ten ſeyn, ſondern die Monarchien nur als die erſten un-
ter Gleichen anſehn. Man hat auch einigen Republicken
die ſogenanten koͤniglichen Ehrenbezeigungen, vermoͤge
Owel-
[208[210]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
welcher ihre Geſandten den koͤniglichen gleich behandelt
werden, zugeſtanden.


Es fragt ſich uͤbrigens: welchen Rang ein Staat
einnehmen muͤſſe, welcher aus der Monarchie in eine
Republick und umgekehrt verwandelt worden iſt? Da
die Regierungsform in Ruͤckſicht der aͤuſſern Verhaͤltniſſe
einige Rechte weder geben noch nehmen kan, ſo wird er
fuͤglich ſeinen alten Platz behaupten d]. Das that auch
England, als es unter Cronwell eine Art von Repulick
formirte e]. Doch duͤrfte heutzutage, bey dem durch das
Herkommen einmal eingefuͤhrten Grundſatze, daß die
Republicken den Monarchien weichen, vielleicht daruͤber
Streit entſtehen. Ickſtadt glaubt daher auch, daß eine
Republick, welche einen Monarchen bekomt, den uͤbri-
gen Republicken nunmehr vorgehn muͤſſe f].


Warum ein Erbreich dem Wahlreiche vorgehn ſolte,
ſehe ich keinen Grund. Gleichwohl ſcheint Real dieſer
Meinung zu ſeyn, indem er, bey Gelegenheit des kaiſer-
lichen Ranges aͤuſſert, daß der Kaiſer ein Wahlfuͤrſt
ſey, welcher eigentlich ſchon aus dieſem einzigen Grunde
mit einem Erbfuͤrſten von gleicher Wuͤrde keinen Rang-
ſtreit haben ſolte.


Die mehr oder minder eingeſchraͤnkte Gewalt, wor-
auf einige Nazionen und Schriftſteller ſich beziehen, und
den Souverainen, welche damit begabt ſind, darum einen
hoͤhern Rang anweiſen, weil ſie Gott am naͤchſten kom-
men, giebt dem Regenten zwar ein groͤßeres Anſehn und
mehrere Rechte gegen die Unterthanen; aber der Rang
iſt nicht nach den Gerechtſamen des Regenten uͤber ſeinen
Staat, ſondern nach den Verhaͤltniſſen gegen Auswaͤr-
tige zu beurteilen.


Von gleichem Werth iſt der Grund des Vorranges,
den man aus dem Anſehn der Staͤnde nimt, welche ein
Regent beherſcht. Er diente hauptſaͤchlich um den Vor-
rang des roͤmiſchen Kaiſers zu beſtaͤrken, weil die teut-
ſchen
[209[211]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
ſchen Reichsſtaͤnde theils den koͤniglichen Titel fuͤhren,
theils den Koͤnigen gleich geachtet werden, und iedes
ſtaͤndiſche Gebiete einen eignen kleinen Staat ausmacht.
Aber andere, beſonders Real, haben dagegen nicht ohne
allen Grund erinnert, daß das Anſehn des Regenten
vielmehr verringert werde, ie groͤßer die Macht ſeiner
Staͤnde iſt g].










O 2§. 10.
[210[212]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 10.
f]Hoͤhere Wuͤrde und Titel.


Die Natur kent dergleichen Unterſcheidungszeichen
nicht. Es ſind leere Worte, deren Werth blos in der
Einbildung der Menſchen beſteht und wodurch der gemeine
Haufe ebenfals ſich blenden laͤßt. Indes hat das Her-
kommen freilich verſchiedenen Ehrenwoͤrtern eine vorzuͤg-
lichere Bedeutung beigelegt und gewiſſe hoͤhere Vorzuͤge
damit verbunden. Doch haben ſolche auf die Unabhaͤng-
igkeit und deren Rechte keine weitere Beziehung. So
wenig man von der urſpruͤnglichen Gleichheit der Nazio-
nen auf eine Gleichheit der Wuͤrde folgern darf, indem
unter zweien an Unabhaͤngigkeit und Macht einander glei-
chen Staaten, einer doch gar fuͤglich mit einer hoͤheren
Wuͤrde bekleidet ſeyn kan, ſo lehrt auch die Erfahrung,
daß die Ungleichheit der Rechte nicht allemahl eine Un-
gleichheit der Wuͤrde nach ſich zieht, und daß ein halb-
ſouverainer Regent zuweilen einen hoͤhern Titel fuͤhrt, als
ein wuͤrklich ſouverainer Herr a]. Die Titel koͤnnen alſo
nicht wohl den Rang freier Voͤlker beſtimmen b].


Das große Anſehn und die Macht, welche die roͤmi-
ſchen Kaiſer in aͤltern Zeiten ſich erworben hatten, legten
dem kaiſerlichen Titel den ſie in Europa allein fuͤhrten,
einen ſolchen Glanz bey, daß man ihn fuͤr erhaben uͤber
alle andere Wuͤrden hielt. Dieienigen Monarchen, wel-
che den Kaiſertitel in der Folge fuͤhrten und annahmen,
ſcheinen dies auch ſelbſt geglaubt zu haben c] und an dem
tuͤrkiſchen und andern aſiatiſchen Hoͤfen hegt man noch
heutzutage dieſe Meinung, daher verſchiedene europaͤiſche
Koͤnige in Unterhandlungen mit denſelben, ſich den Titel:
Kaiſer beilegen. Dieſes vermeintlichen Vorzugs wegen
und aus dem irrigen Wahne eines Anſpruchs auf das roͤ-
miſche Kaiſerthum ſuchten auch einige Koͤnige von Spa-
nien im zwoͤlften Jahrhundert, ſich die kaiſerliche Wuͤrde
mit
[211[213]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
mit Beihuͤlfe der Paͤpſte zu verſchaffen; doch ſtunden ſie
bald wieder davon ab d]. Aus dem naͤmlichen Vorzugs-
grunde geſchah es auch wahrſcheinlich, daß Peter I. von
Rußland 1721 den Titel: Czaar mit dem Kaiſertitel
vertauſchte. Allein obgleich die uͤbrigen europaͤiſchen
Maͤchte dieſen Titel nach und nach anerkanten, ſo ward
doch von den meiſten dabey bedungen, daß daraus kein
weiterer Vorzug, oder Vorrang vor andern Koͤnigen gefol-
gert werden ſolte e]


So iſts auch mit dem Vorrange der uͤbrigen Regen-
ten beſchaffen, welche den Koͤniglichen, Herzoglichen,
Fuͤrſtlichen und andere Titel fuͤhren. Obſchon Rouſſet
in der mehrangefuͤhrte Introduction behauptet: On eſt
convenu en général d’ une certaine préſéance entre ces
diverſes ſortes de Souverains. Les Empereurs précédent
les rois, les rois vont avant les princes; ceux-ci avant
les Ducs, les Marquis ſuivent ceux-ci et précédent les
Comtes, auxquels les Barons cedent le pas. Ainſi toute
la difficulté conſiſte à decider du rang entre ceux du
même ordre comme entre les Empereurs, entre les rois,
entre les Princes etc.;
ſo kan doch dieſe Klaſſification
der Wuͤrden zum Range ganzer Voͤlker nichts thun und
die in neuern Zeiten zu behaupten angefangene Gleichheit
unter den Nazionen, ohne Ruͤckſicht auf Wuͤrde oder
Titel, iſt der Natur ohnſtreitig viel angemeſſener.


Die Vielheit der Titel, worinn verſchiedene Souve-
rains einen Vorzug ſuchen, giebt auch keine mehrere
Rechte: ein Souverain iſt nicht minder ſouverain, wenn
er nur einen Titel fuͤhrt, als wenn er deren eine ganze
Seite voll ſeinem Namen nachzuſetzen vermag. Dies
gab Franz I. Koͤnig von Frankreich ſehr wohl zu verſtehn,
als er in einer Antwort an Kaiſer Karl V. als Koͤnig von
Spanien, der in einem Schreiben alle Titel ſeiner Rei-
che und Provinzen beigefuͤgt hatte, ſich blos Koͤnig von
O 3Frank-
[212[214]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Frankreich und Herr von Goneſſe [ein geringes Dorf in
der Gegend von Paris] nante.








§. 11.
g]Auszeichnende Thaten.


Den Vorrang der Nazionen auf ihre Heldenthaten
und andere ruͤhmliche Handlungen zu bauen iſt eine ſehr
mißliche Sache. Die Geſchichtbuͤcher der meiſten Voͤlker
haben dergleichen aufzuweiſen; und wer ſoll uͤber den vor-
zuͤglichern Werth derſelben urteilen und entſcheiden? Ehe-
mals, als man auf den Ausſpruch der Paͤpſte noch eini-
ge Ruͤckſicht nahm, konten die Verdienſte um die Kirche
und den paͤpſtlichen Stuhl allenfals wohl einigen Vorzug
bewuͤrken.



§. 12.
b.]Lehns- Schutz- Zins- und andere Verbin-
dungen
.


Daß die Verbindung mit andern angeſehenen und
maͤchtigen Nazionen durch Blutfreundſchaft oder Buͤnd-
niſſe weiter kein Vorrangsrecht geben koͤnne, wie einige
gleichwohl behaupten a], bedarf, glaube ich, keines weit-
laͤuftigen Beweiſes.


Weit ſcheinbarer aber iſt die Meinung, daß ein Volk
welches mit andern in ungleichen Verbindungen ſteht,
O 4dem-
[214[216]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
demienigen nachgehn muͤſſe, dem die Ungleichheit zum
Vorteil gereicht b]. Der Vaſall ſoll alſo ſeinen lehns-
herrn, der Schutzverwandte ſeinem Schutzherrn und der
zinſende Staat, zumal wenn er durch Eroberung im
Kriege dazu iſt gemacht worden, dem Zinsherrn wei-
chen c]. Es iſt allerdings nicht zu laͤugnen, daß der
Vaſall in Anſehung ſeines Lehns in gewiſſen Stuͤcken
nicht ganz ſo freie Haͤnde hat, als ein Regent, deſſen
Staat nicht lehnbar, und daß die Annahme fremden
Schutzes und Zahlung des Zinſes ein Geſtaͤndnis von
Schwaͤche ſind. Da aber alle dieſe Verbindungen, wie
oben gezeigt worden, der Unabhaͤngigkeit nicht nachthei-
lig ſind und im uͤbrigen die Gleichheit der Rechte nicht
aufheben, ſo folgt die Einraͤumung des Vorranges daraus
keinesweges unmittelbar. Sie koͤnnen nicht weiter er-
ſtreckt werden, als die deshalb errichteten Vertraͤge aus-
druͤcklich es erlauben.





§. 13.
I].Unvollkommenheit der Souverainetaͤt.


Der natuͤrlichſte und triftigſte Grund des Vorzugs
wird wohl von der Unabhaͤngigkeit eines Staats herge-
nommen und der Rang von Rechtswegen demienigen
Staate, welcher die voͤllige Souverainetaͤt beſitzt, vor
den ſogenanten Halbſouverainen eingeraͤumt, die auſer
Gott und dem Degen noch ein wuͤrkliches Oberhaupt ha-
ben. Doch iſt auch dieſe Regel nicht ohne Ausnahme,
und die volkomne Unabhaͤngigkeit giebt nicht allemal einen
untruͤg-
[215[217]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
untruͤglichen Beweis des Vorranges. Es koͤnnen, wie
die Erfahrung lehrt, auch halbſouveraine Staaten ſich
durch Vertraͤge und Herkommen einen Rang vor den
ganz ſouverainen erwerben, wie dies der Fall in Anſeh-
ung der Kurfuͤrſten des teutſchen Reichs und der Repu-
bliken in Europa iſt.


§. 14.
Einraͤumung des Ranges durcha] ausdruͤck-
liche Vertraͤge
.


Alle vorgedachten zufaͤlligen Eigenſchaften der Nazio-
nen geben, wie gedacht, zwar Gelegenheit vor andern
einen Vorrang zu behaupten, aber kein Recht: was
blos billig und ſchicklich iſt, — Gruͤnde deren man
ſich ſehr haͤufig in dieſer Materie bedient — gehoͤren
nicht in das Voͤlkerrecht. Ueberhaupt laufen dieſe ver-
meintlichen Gruͤnde ſo oft gegeneinander, daß darauf
ohnmoͤglich zuverlaͤſſige Regeln gebaut werden koͤnnen.
Bald ſoll die Regierungsform entſcheiden, bald, wenn
dieſe geaͤndert wird, der Beſitz, oder die Macht, und
ieder Staat hat doch immer wenigſtens eine dieſer Eigen-
ſchaften aufzuweiſen. Es muͤſten ſolche alſo zufoͤrderſt
gehoͤrig und mit Einverſtaͤndnis der Nazionen klaſſificirt
werden, weil die Natur keine Regeln dazu an die Hand
giebt. Das einzige rechtmaͤſſige Mittel ſich den Rang
zu verſichern ſind ausdruͤckliche oder ſtillſchweigende Ver-
traͤge, wodurch alle Streitigkeiten, die aus ienen Gruͤn-
den nothwendig entſtehen muͤſſen, aufgehoben werden.
Einige europaͤiſche Nazionen haben, wie man in der
Folge ſchen wird, dergleichen Vertraͤge unter ſich errich-
tet; aber die Anzahl derſelben iſt noch zur Zeit ſehr gerin-
ge. Die uͤbrigen ſuchen dermalen bey Anmaſſung des
Ranges hauptſaͤchlich ſtilſchweigende Vertraͤge und den
Beſitz zu erweiſen.


O 5§. 15.
[216[218]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 15.
b].Stilſchweigende Vertraͤge.


Der Exiſtenz ſtilſchweigender Vertraͤge iſt ſchon in
der Einleitung einige Erwaͤhnung geſchehen, und ſie ſoll
bey der Materie von Vertraͤgen noch einleuchtender gezeigt
werden. Auf dieſe komt bey dem Range das meiſte an.
Die ſtilſchweigende Einwilligung muß hierbey iedoch, wie
in allen Faͤllen deutlich und keiner andern Auslegung un-
terworfen ſeyn. Wenn z. B. ein Regent, welcher weiß
und ſieht, daß ein anderer von Natur ihm Gleicher einen
Vorrang uͤber ihn ſucht und einnimmt, dazu ſtilſchweigt,
und ſeine Rechte der Gleichheit durch nichts ſicherſtellt,
welches er doch thun konte und ſolte, iſt da wohl an deſſen
Einwilligung zu zweifeln? Ein durch Gewalt oder Liſt —
deren man ſich hierbey zu bedienen ehemals kein Beden-
ken trug a] — erlangter Beſitz hingegen kan keinesweges
ein Recht hervorbringen.


Die meiſten europaͤiſchen Nazionen haben den Beſitz
auch als den Hauptgrund des Vorranges angeſehn. Die
franzoͤſiſchen Geſandten gaben auf dem Niemwegiſchen
Friedenskongreß den uͤbrigen zu erkennen, daß es bey
dem Ceremoniel nicht auf Raiſon, Macht und Wuͤrde,
ſondern einig und allein auf den Beſitz ankomme, und
die ſchwediſche Mediateurs aͤuſſerten beim Ryßwikiſchen
Frieden ein Gleiches b].


Der heutige Beſitz des Ranges unter den Maͤchten in
Europa ſchreibt ſich groſſenteils noch von den ehemaligen
Kirchenverſamlungen her. Der daſelbſt, nach den Ver-
dienſten um die Kirche und dem Erkentnis des Papſtes,
genommene Sitz ward ſehr oft auch bey andern Gelegen-
heiten beobachtet, woraus durch mehrmalige Wiederho-
lung nach und nach ein Beſitzrecht entſtand.


Der Beſitz iſt auch, obgedachtermaſſen, der einzige
rechtmaͤſſige Entſcheidungsgrund bey dem Range eines
Staats,
[217[219]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
Staats, deſſen Regierungsform geaͤndert, ſo wie auch
desienigen, der durch einen Regenten von niedrigerm
Range beſiegt worden iſt c].


Freilich wird der Beſitz von andern Nazionen zuweiln
angefochten, fuͤr gewaltſam oder durch Liſt erlangt aus-
gegeben und veranlaßt mancherley Streitigkeiten. Rouſ-
ſet ſagt daher in der Introduction zu ſeinen Memoires ſur
le rang des ſouverains
ſehr richtig: L’ usage ſeul y a pour-
vu, mais chacun d’ eux respectivement fait difficulté
dans l’ occaſion de ſe ſoumettre à ſa déciſion, ce qui
fait naitre des embarras et des difficultés ſouvent inſur-
montables.






§. 16.
Rangordnung der europaͤiſchen Staaten.


Da die Nazionen keinen Obern erkennen, der den
Rang unter ihnen beſtimmen koͤnte, es auch an algemei-
nen Vertraͤgen und unbezweifeltem Herkommen hierunter
noch gar ſehr fehlt; ſo iſt leicht abzunehmen, daß es keine
entſchiedene Rangordnung unter den Staaten in Euro-
pa gebe, wornach ſie ſaͤmtlich ſich zu richten verbunden
waͤren. Jedoch haben verſchiedene Paͤpſte ehemals der-
gleichen Rangordnungen aufgeſetzt und mehrmalen abge-
aͤndert. Dieienige, welche Julius II. durch ſeinen Ce-
remonienmeiſter Paris de Craßis 1504 bekant machen ließ,
iſt
[219[221]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
iſt die vorzuͤglichſte. Nach dieſer folgen die europaͤiſchen
Nazionen alſo auf einander:


  • 1] Der roͤmiſche Kaiſer.
  • 2] Der roͤmiſche Koͤnig.
  • 3] Der Koͤnig von Frankreich.
  • 4] Der Koͤnig von Spanien.
  • 5] Der Koͤnig von Arragonien.
  • 6] Der Koͤnig von Portugal.
  • 7] Der Koͤnig von England.
  • 8] Der Koͤnig von Sicilien.
  • 9] Der Koͤnig von Schottland.
  • 10] Der Koͤnig von Ungarn.
  • 11] Der Koͤnig von Navarra.
  • 12] Der Koͤnig von Cypern.
  • 13] Der Koͤnig von Boͤhmen.
  • 14] Der Koͤnig von Pohlen.

Hierzu kommen nachher ferner:


  • 15] Der Koͤnig in Daͤnemark.
  • 16] Die Republick Venedig.
  • 17] Der Herzog von Bretagne.
  • 18] Der Herzog von Burgund.
  • 19] Der Kurfuͤrſt von Bayern.
  • 20] Der Kurfuͤrſt zu Sachſen.
  • 21] Der Kurfuͤrſt von Brandenburg.
  • 22] Der Erzherzog in Oeſterreich.
  • 23] Der Herzog von Savoyen.
  • 24] Der Grosherzog zu Florenz.
  • 25] Der Herzog von Mayland.
  • 26] Der Herzog in Bayern.
  • 27] Der Herzog zu Lothringen ꝛc.

Allein nicht zu gedenken, daß dieſe Rangordnungen
mehrenteils ſehr unvollkommen waren, ſo konten ſie
ſich eigentlich nicht weiter, als auf die paͤpſtliche Kapel-
le erſtrecken. Sie wurde auch von ſaͤmtlichen europaͤi-
ſchen
[220[222]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
ſchen Regenten nie algemein anerkant, obgleich verſchie-
dene derſelben, zu deren Vorteil ſie entſchieden, bey an-
dern vorkommenden Gelegenheiten ſolche als eine Grund-
regel wolten angeſehn wiſſen. Heutzutage aber kommen
ſie in keine Betrachtung mehr a].


Der Rang der Staaten in Europa iſt daher noch
groͤſtenteils unentſchieden. Nachdem ich in den vorher-
gehenden §. §. die algemeinen Gruͤnde des Vorranges
angefuͤhrt habe, will ich nun die einzelnen europaͤiſchen
Staaten, hauptſaͤchlich nach Ordnung ihrer geographi-
ſchen Lage durchgehen und ihre vornehmſten Anſpruͤche
auf Vorrang oder Gleichheit nebſt den beſondern Gruͤn-
den und daruͤber entſtandenen Streitigkeiten kuͤrzlich
bemerken.


Ich hatte es faſt fuͤr unnoͤthig mit Paradiſi und
Rouſſetb] hierbey ausdruͤcklich zu erinnern, daß ich
keinesweges die Abſicht habe, irgend einer Nazion zum
Vorteil oder Nachtheil zu ſchreiben, ſondern blos die
gegenſeitigen Gruͤnde und Handlungen hiſtoriſch anzufuͤh-
ren. Solte ein Privatſchriftſteller auch wuͤrklich aus
Partheilichkeit dieſer oder iener Nazion das Wort reden,
ſo glaube ich, daß die uͤbrigen Staaten nicht Urſach ha-
ben, ſich daruͤber zu entruͤſten b], weil die Urteile und
Meinungen der Privatſchriftſteller ihren Rechten ganz
und gar nichts vergeben oder ſie dadurch zu etwas ver-
binden koͤnnen.





§. 17.
Papſt.


Ich ſetze dieſen geiſtlichen Monarchen, der als Bi-
ſchof ehemals gaͤnzlich vom Kaiſer und deſſen Beſtaͤtig-
ung abhing, nach und nach aber alle Koͤnige und Fuͤrſten
ſich unterwarf, und beſonders ſeit Gregor VII. Zeiten
beinah unumſchraͤnkt beherſchte, billig zuerſt, weil er,
als vermeintlicher Statthalter Chriſti und Haupt der
Chriſtenheit nicht nur in aͤltern Zeiten den Rang vor
allen chriſtlichen Nazionen behauptete, ſondern ihm ſol-
cher auch noch heutzutage, wenigſtens von allen catho-
liſchen Maͤchten, zugeſtanden wird. Dieſer Vorrang,
ſagt Real, hat weiter keine Folgen. Die Haͤupter aller
Reli-
[222[224]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Religionen haben geſucht, ſich ein gewiſſes Anſehn und
einen erhabnern Rang zu verſchaffen, und kein catholi-
ſcher Fuͤrſt haͤlt es fuͤr eine Erniedrigung, ſeinem geiſtli-
chen Vater dieſe Ehre zu erzeigen.


Der roͤmiſche Kaiſer geſteht dem Papſte, der Regel
nach, den Rang ebenfals zu a]. Joſeph II. erwieß auch
dem 1782 in Wien ihn beſuchenden Papſt alle Ehrenbe-
zeigungen, die ein ſouverainer Fuͤrſt dem andern bey
Beſuchen zu erzeigen pflegt; als aber der Papſt bey der
großen Feierlichkeit am erſten Oſtertage verlangte, daß
ſein Thron in der Kirche eine Stufe hoͤher als der kaiſer-
liche zubereitet werden muͤſſe, weil er das Oberhaupt
der Kirche ſey, enthielt der Kaiſer ſich der ganzen Feier-
lichkeit und ließ ſeinen Thron wieder wegnehmen b].


Die proteſtantiſchen Maͤchte, welche bey Gelegenheit
der Lutheriſchen Reformation vom paͤpſtlichen Stuhle
ſich losgeriſſen haben, als Grosbritannien, Daͤnemark,
Schweden, Sachſen, Brandenburg, Braunſchweig und
die vereinigten Niederlande erkennen den Pabſt nicht
nur nicht mehr fuͤr das Haupt der Chriſtenheit, ſondern
behandeln ihn auch blos als einen Biſchof der Kirche und
des Kirchenſtaats wegen als einen angeſehenen Fuͤrſten
in Italien. Sie geſtehn ihm daher weder den Rang
uͤber dem Kaiſer noch uͤber ſich ſelbſt zu, indem die Koͤni-
ge, als gekroͤnte Haͤupter, dem Kaiſer unmittelbar nach-
gehn, die Kurfuͤrſten ſich dieſen anſchließen und alsdann
die vereinigten Niederlande folgen wollen.


Die ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Kaiſer haben eben ſo
wenig Urſach dem Papſt im Range zu weichen. In
Anſehung der uͤbrigen proteſtantiſchen Fuͤrſten befindet
ſich derſelbe iedoch meiſt im Beſitz des Vorrangs.




*]
[225]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 18.
Der roͤmiſche Kaiſer.


Nach dem im vorigen Kapitel geſchilderten Anſehn
des Kaiſers in aͤltern und mitlern Zeiten faͤlt von ſelbſt
in die Augen, daß er, als weltliches Haupt der Chri-
ſtenheit und oberſter Voigt derſelben den naͤchſten Platz
nach dem Papſt eingenommen habe. Dieſen hat er auch,
obgleich die uͤbrigen Vorzuͤge des Mittelalters groͤſtenteils
weggefallen, bis itzt behauptet; und der Beſitz von meh-
reren Jahrhunderten ſtelt dieſen Rang auch gegen alle
Widerſpruͤche ſicher a]. Jedoch wollen die europaͤiſchen
Maͤchte dadurch keine Ungleichheit zugeben, ſondern ſehen
den Kaiſer nur gleichſam als den aͤlteſten Bruder, oder
den erſten unter Gleichen an b].


Die tuͤrkiſchen Kaiſer erregten ehemals gegen den
Vorrang des roͤmiſchen Kaiſers mancherley Streitigkei-
ten. Endlich verglichen beide Theile ſich einer voͤlligen
Gleichheit c].






P1]
[226]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit


§. 19.
Roͤmiſcher Koͤnig.


Der roͤmiſche Koͤnig verlangt zwar den Rang unmit-
telbar nach dem Kaiſer uͤber alle andere wuͤrklich regieren-
de Koͤnige, aber dieſe, und beſonders Frankreich, wider-
ſetzen ſich den desfalſigen Anmaſſungen moͤglichſt. Die
meiſten franzoͤſiſchen Schriftſteller reden von dieſem an-
geblichen Range in einem ſehr ſpoͤttiſchen Tone. Reala]
ſagt, es ſey ſonderbar, daß ein Titularkoͤnig, ein Wahl-
koͤnig, den der Kaiſer nur Ew. Lbden nenne, und der
von einem Reichsfuͤrſten nicht unterſchieden ſey, einen
ſolchen Vorrang verlange; der als Koͤnig weder ein
Koͤnigreich, noch Unterthanen, noch Einkuͤnfte, noch
Anſehn, noch Macht habe; der nur in Abweſenheit des
Kaiſers Stelle vertrete, und deſſen Titel keinen andern
Vorzug, als das Anwartſchaftsrecht auf die ſchwache
Wuͤrde des Oberhaupts einer Republick erweiſe. Wen
muͤſſe es nicht befremden, einem ſolchen Koͤnig den Vor-
zug vor andern Koͤnigen zuzuſchreiben, welche maͤchtige
Monarchien, Erbkoͤnigreiche, von denen einige faſt ſo
alt als das Chriſtenthum ſind, beherſchen?


Kaͤme es hierbey auf Gruͤnde vorerwaͤhnter Art an,
ſo ließen ſich iene Einwuͤrfe leicht beantworten. Der
roͤmiſche Koͤnig iſt keinesweges als ein bloßer Titular-
koͤnig oder gewoͤhnlicher Thronfolger und Erbprinz in
andern Reichen zu betrachten b]. Denn nach den teut-
ſchen Reichsgrundgeſetzen c] ſoll kein roͤmiſcher Koͤnig bey
Lebzeiten des Kaiſers erwaͤhlt werden, es waͤre denn,
daß der Kaiſer ſich aus dem roͤmiſchen Reiche begeben
und
[227]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
und beſtaͤndig oder alzulang aufhalten wolte, oder der-
ſelbe, wegen ſeines hohen Alters oder beharrlicher Unpaͤß-
lichkeit, der Regierung nicht mehr vorſtehen koͤnte, oder
ſonſten die Nothdurft des Reichs es erforderte. In die-
ſen Faͤllen aber vertrit er mehr die Stelle des wuͤrklichen
Regenten, ob er gleich ohne ausdruͤcklichen Auftrag
und Einwilligung des lebenden Kaiſers ſich keiner Regier-
ung unterziehn darf d]. Die uͤbrigen Vorwuͤrfe treffen
den roͤmiſchen Kaiſer zugleich mit, wider deſſen Vorrang
man gleichwohl nichts einzuwenden vermag.


Der Grund, welchen Schmidt e] aus dem paͤpſtli-
chen Ceremonielbuche zur Entſcheidung fuͤr den roͤmiſchen
Koͤnig hernimt, iſt freilich ſehr ſeichte; und Selchov
fragt billig, wer den Papſt zum Oberceremonienmeiſter
unter den chriſtlichen Fuͤrſten gemacht habe? Aber eben
ſo wenig iſt deſſen Rang, wie Selchov glaubt, durch
den Beſitz entſchieden f]. Die Faͤlle, welche man des-
halb anzufuͤhren pflegt, ſind ſo unbezweifelt nicht. Daß
z. B. der roͤmiſche Koͤnig Joſeph I. 1703 am kaiſerlichen
Hofe den Rang uͤber ſeinen Bruder Koͤnig Karl III. von
Spanien genommen, duͤrfte, wie Moſer ſehr richtig
erinnert, von andern Maͤchten allerdings blos fuͤr eine
Familienſache angeſehn werden. Es fehlt auch an Bei-
ſpielen nicht, welche die uͤbrigen europaͤiſchen Koͤnige fuͤr
ſich entgegenſetzen. Der Rang des roͤmiſchen Koͤnigs iſt
alſo wohl fuͤr noch unentſchieden anzuſehn.








P 2*]
[228]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 20.
Portugal


Hat mit dem roͤmiſchen Koͤnig, Frankreich, Gros-
britannien, Polen und andern Reichen ehedem mehrmals,
beſonders auf den Kirchenverſamlungen, Rangſtreitigkei-
ten gehabt und keinem nachgehn wollen. Die Schrift-
ſteller fuͤhren, auſſer der ſonſtigen Weitlaͤuftigkeit des
Reichs, noch zween ſehr wichtige Gruͤnde an, weil naͤm-
lich Alfonſus I. auf Chriſti Befehl die Krone angenom-
men habe, und dieſer daher fuͤr den Stifter des Reichs
anzuſehen ſey, und weil Portugal an der Jungfer, un-
ter welcher man Europa gewoͤnlich vorſtelt, die Stirn
einnehme.


Mit den Geſandten des roͤmiſchen Koͤnigs Ferdi-
nands wolten die portugieſiſchen auf der Kirchenverſam-
lung zu Trident alterniren. Da iene aber, weil ſie das
paͤpſtliche Ceremonielbuch fuͤr ſich hatten, nicht wichen,
ſetzten dieſe ſich auf die geiſtliche Bank zu den Biſchoͤfen
und geiſtlichen Kurfuͤrſten, die Geſandten Ferdinands
aber blieben auf der weltlichen Bank ſitzen.


Frank-
[229]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

Frankreich will, auſſer dem teutſchen Reiche, kei-
nem, alſo auch Portugal nicht weichen.


Der heftigſte Streit war mit England. Portugal
fuͤhrte die Rangordnung Papſt Julius II. von 1504 fuͤr
ſich an. England aber ſetzte das Alter der koͤniglichen
Wuͤrde, ſeine Herſchaft uͤber drei Koͤnigreiche, die ruͤhm-
lichen Thaten der Nazion und das groͤßere Anſehn derſel-
ben bey den uͤbrigen Maͤchten in Europa dagegen. Als
Portugal 1763 dem Pariſer Frieden zwiſchen Frankreich
und Grosbritannien beitrat, wurde in den Beitritsur-
kunden unter dieſen drey Kronen zwar gewechſelt, doch
muſte Portugal unterm 10ten Februar eine beſondere
Erklaͤrung ausſtellen a], daß es dieſe Abwechſelung blos
fuͤr eine Nachgiebigkeit Grosbritanniens und Frankreichs
zu Beſchleunigung des Friedens erkenne, und ſolche gegen
dieſe kuͤnftig zu keinem Beiſpiele anfuͤhren, noch unter
einigerley Vorwand irgend einen Anſpruch daraus herlei-
ten wolle.


Der Krone Spanien ſoll Portugal, dem Verneh-
men nach, den Rang willig zugeſtehn b].


Mit Pohlen hatte es ehedem ſelten Gelegenheit zu
Rangſtreitigkeiten. Den Vorfall zwiſchen den beiderſei-
tigen Geſandten in der Kirche habe ich ſchon oben beruͤhrt.
Auf der Tridentiniſchen Kirchenverſamlung wurden die
pohlniſchen Anmaſſungen durch den Papſt zum Vorteil
Portugals entſchieden.





P 3§. 21.
[230]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

§. 21.
Spanien.


Dieſes Reich verlangte ehemals den Rang vor allen
chriſtlichen Nazionen. Beſonders hatte es mit Frank-
reich unaufhoͤrliche Rangſtreitigkeiten. Spanien gruͤnde-
te ſich zwar, beſonders unter Kaiſer Karl V. auf die
Groͤße der Monarchie und die Vielheit der Koͤnigreiche,
die ſo weitlaͤuftig waͤren, daß auch die Sonne nie dar-
inn unterginge; auf den von Papſt Alexander VI. dem
Koͤnige Ferdinand I. und ſeinen Nachfolgern ertheilten
Titel eines catholiſchen Koͤnigs; auf Kaiſer Maxi-
milians, als Haupt der Chriſtenheit, Entſcheidung zu
Spaniens Vorteil und auf den Beſitz zu der Koͤnige
Karl I. und Philip II. Zeiten. Allein Frankreich wolte
dieſe Gruͤnde nicht gelten laſſen und es kam daher zwi-
ſchen den beiderſeitigen Geſandten mehrmalen zu blutigen
Auftritten, weil ieder den Rang mit Gewalt zu behaup-
ten ſuchte.


Als in der Folge die Kron Spanien in Philip V.
an einen Prinzen aus dem Hauſe Burbon gelangte, ſuch-
ten beide Theile alle Rangſtreitigkeiten moͤglichſt zu ver-
meiden. So nahm z. B. 1726 der franzoͤſiſche Bot-
ſchafter in Wien an eben dem Tage ſeine Abſchieds-Au-
dienz, als der Spaniſche ſeinen Einzug hielt, und 1742
auf dem Wahltage zu Frankfurt reißte der ſpaniſche Ge-
ſandte, um den Rangſtreitigkeiten mit dem franzoͤſiſchen
bey den Kroͤnungsfeierlichkeiten auszuweichen, unter
einem ſchicklichen Vorwande weg a]. Im Jahr 1761
erfolgte endlich der in folgendem §. zu erwaͤhnende Ver-
gleich.




§. 22.
Frankreich.


Einige franzoͤſiſche Privatſchriftſteller z. B. Aubery
Sorel
ꝛc. wollen den Koͤnigen von Frankreich ſogar den
Rang vor dem roͤmiſch-teutſchen Kaiſern beilegen; aber
die Koͤnige ſelbſt haben dergleichen Anſpruͤche wohl nie
gemacht, ſondern laſſen dem Kaiſer, als erſten unter
Gleichen, willig den Vorrang, verlangen iedoch im
uͤbrigen durchaus gleiches Ceremoniel, und haben es auch
an den meiſten Hoͤfen dahin zu bringen gewuſt. So er-
hielt unter andern 1682 der franzoͤſiſche Geſandte bey der
Pforte auch den ſonſt dem roͤmiſchen kaiſerlichen allein
geſtatteten Vorrang, daß man ihm bey der Audienz einen
etwas erhoͤhten Sitz zugeſtand a].


Nach dem Kaiſer aber verlangt Frankreich unmittel-
bar den Rang vor allen chriſtlichen Maͤchten in Europa
und dieſer ſoll ihm, nach Reals Meinung b] darum ge-
buͤhren, weil der Koͤnig von Frankreich alle bey den uͤbri-
gen Staaten nur einzeln anzutreffende Vorzuͤge in ſich
vereinige. Er ſieht den franzoͤſiſchen Vorrang daher
auch als entſchieden an. Ob dieſer nun gleich ſo ganz
ausgemacht noch nicht iſt, ſo hat doch Frankreich bey
allen Gelegenheiten, beſonders auch auf dem Niemwegi-
P 4ſchen
[232]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
ſchen und Ryßwickſchen Friedenskongreſſen einige Vorzuͤge
zu erhalten geſucht, und in manchen Stuͤcken auch wuͤrk-
lich erlangt.


Die heftigſten Widerſpruͤche wurden dieſer Krone,
wie im vorhergehenden §. gedacht, von Spanien erregt,
denen aber Frankreich nebſt dem Alter der Monarchie,
Papſt Julius II. Rangordnung und die von den Paͤpſten
erhaltenen Titel eines erſtgebohrnen Sohnes der
Kirche
und des allerchriſtlichſten entgegenſetzte. Den
angeblichen ſpaniſchen Beſitz unter Kaiſer Karl V. ſuchte
es durch das Vorgeben zu zernichten, daß den Geſandten
nicht in Ruͤckſicht des Koͤnigreichs Spanien, ſondern
der kaiſerlichen Wuͤrde der Vorrang eingeſtanden worden
ſey, und dieſes, nach deren Wegfall aufgehoͤrt habe.
Man bezog ſich vielmehr ſelbſt auf den Beſitz von undenk-
lichen Jahren, beſonders auf den Kirchenverſamlungen;
wogegen aber Spanien wiederum manches erinnerte.
Da kein Theil nachgeben wolte, ſo kam es zwiſchen den
Geſandten oͤfters zu Streitigkeiten, beſonders 1555 zu
Venedig, 1558 zu Rom, 1563 und 64 zu Trident,
1657 zu Frankfurt, 1663 zu Koppenhagen c].


Am merkwuͤrdigſten iſt der oben ſchon erwaͤhnte Vor-
fall zu London 1661 beim Einzuge des ſchwediſchen Ge-
ſandten Grafen von Brahe. Frankreich fand ſich dadurch
aͤuſſerſt beleidigt und der Koͤnig von Spanien ſah ſich ge-
noͤthigt, um unangenehmern Folgen vorzubeugen, durch
einen auſſerordentlichen Geſandten, den Marqvis de la
Fuente
eine oͤffentliche Erklaͤrung deshalb am franzoͤſiſchen
Hofe zu thun. Sie wurde anfangs ſchriftlich verlangt,
man begnuͤgte ſich aber nachher mit der muͤndlichen.
Der Marqvis de la Fuente muſte ſolche am 24. Maͤrz
1662 in Gegenwart vieler franzoͤſiſchen Prinzen vom Ge-
bluͤte und des ganzen Corps Diplomatique ablegen und
der Koͤnig von Frankreich ließ ſie durch Notarien auf-
zeichnen. Der Hauptinhalt ging dahin; que le roi d’
Eſpagne
[233]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
Eſpagne avoit envoyé ſes ordres à tous ſes Ambaßadeurs
et Miniſtres tant en Angleterre comme en toutes Cours
et lieux où reſident et reſideront les dits Miniſtres et où
ſe pourront préſenter de pareilles difficultés pour raiſon
de competence àfin qu’ils abſtiennent et ne concourent
point avec les Ambaßadeurs et Miniſtres de V. M. en
toutes les fonctions et cérémonies publiques auxquelles
les Ambaßadeurs et Miniſtres de V. M. aſſisteront.
Ob
nun dieſe Erklaͤrung gleich, den Worten nach, blos ſo
viel ſagen wolte, daß die ſpaniſchen Miniſter kuͤnftig die
Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vermeiden ſolten, ſo
nahm ſie der Koͤnig von Frankreich doch fuͤr ein deutliches
Geſtaͤndnis des franzoͤſiſchen Vorrangs an und ſagte zu
den Anweſenden: Vous avez ouï la déclaration que
l’ Ambaßadeur d’ Espagne m’ a faite: je vous prie de
l’ ecrire à vos maitres, afin qu’ils ſachent que le roi ca-
tholique a donné ordre à tous ſes Ambaßadeurs de ceder
le rang aux miens en toutes occaſions d]
.


Daß dies aber die Meinung des Spaniſchen Hofes
nicht geweſen ſey, zeigte die Folge klar, indem er ſich,
bey vorkommenden Gelegenheiten, dem franzoͤſiſchen
Vorrange nach wie vor widerſetzte.


Endlich verglichen ſich beide Hoͤfe in dem Familien-
vertrage von 1761 Art. 27. dahin: An den Familienhoͤ-
fen, dergleichen gegenwaͤrtig Neapel und Parma ſind,
ſoll unter den Miniſtern von gleichem Range der des
aͤlteſten Monarchen vom Hauſe in allen Ceremonielange-
legenheiten den Vorrang haben, und dieſes Recht als
ein Vorzug der Geburt angeſehn werden. An allen uͤbri-
gen Hoͤfen aber ſoll der zuletztangekommene Miniſter,
[er ſey von Frankreich oder Spanien] oder derienige,
welcher ſich noch nicht ſo lange an dem Hofe aufhaͤlt,
dem Miniſter der andern Nazion von gleichem Range,
der eher angekommen und laͤnger daſelbſt iſt, weichen;
dergeſtalt, daß kuͤnftig eine beſtaͤndige bruͤderliche Ab-
P 5wech-
[234]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
wechſelung Statt finde. An dieſer Einrichtung aber kan
keine andre Macht weiter Theil nehmen, und der Ver-
trag hoͤrt auf, wenn eins von beiden Reichen nicht mehr
von der burboniſchen Familie beherſcht werden ſolte. In
dieſem Falle leben alle dermalige Rechte und Anſpruͤche
wieder auf. Kommen zufaͤlligerweiſe beide Miniſters
zu gleicher Zeit an, ſo ſollen auch auſſer den Familienhoͤ-
fen die aͤltern Regenten den iuͤngern vorgezogen werden.


Auch Grosbritannien hat den Anmaßungen des
franzoͤſiſchen Vorranges mehrmalen widerſprochen, ob
Frankreich ſchon den erlangten Beſitz vorwandte, und
hauptſaͤchlich auf die perſoͤnliche Zuſammenkunft der Koͤ-
nige Karl IV. von Frankreich und Richard II. von Eng-
land 1559 zwiſchen Calais und Andres. Bey den Ehe-
pacten aber zwiſchen dem Prinzen Karl I. von Wallis und
der franzoͤſiſchen Prinzeſſin France Henriette Marie kam
man uͤberein, daß in den engliſchen an Frankreich abzuge-
benden Urkunden, der Name und Titel des Prinzen von
Wallis und in den franzoͤſiſchen Exemplarien fuͤr Eng-
land, Frankreich vorgeſetzt werden ſolte. Dieſer Abwech-
ſelung ſoll man ſich auch nachher iederzeit bedient haben.


In Tractaten mit Portugal, verſichert Real, wer-
de der allerchriſtlichſte Koͤnig iederzeit zuerſt genant.
Widerſpraͤchen die Portugieſen auch ſchon immer dabey,
ſo wolte doch ein Widerſpruch gegen eine freiwillige
Handlung nichts ſagen e].


Was die Koͤnigreiche Hungarn und Boͤhmen anbe-
trift, ſo ward bey Gelegenheit der Allianz zwiſchen der
Kaiſerin-Koͤnigin und Frankreich 1756, wo im dritten
Artickel die Kaiſerin-Koͤnigin, im vierten aber Frankreich
genant waren, in einem Separatartickel feſtgeſetzt, daß
die Ordnung des 3. und 4. Artickels der ſonſt zwiſchen
beiden Maͤchten beliebten Alternative nicht praͤiudiciren
ſolte f].


a]
[235]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.





f]
[236]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit


§. 23.
Grosbritannien.


Daß Grosbritannien der Kron Frankreich den Rang
ſtreitig gemacht habe iſt im vorhergehenden §. gedacht wor-
den. Mit noch mehrerem Grunde glaubte es den Rang
vor Spanien verlangen zu koͤnnen. Das hohe Alter des
Reichs und der angenommenen chriſtlichen Religion,
verſchiedene paͤpſtliche Entſcheidungen und der Beſitz auf
einigen Kirchenverſamlungen ſolten dieſen Vorzug begruͤn-
den; aber Spanien ſetzte die Macht, die vielen Titel,
die uneingeſchraͤnktere Regierungsform und Englands
ehemalige Abhaͤngigkeit vom paͤpſtlichen Stuhle entgegen,
und ſuchte dieſe Gegengruͤnde beſonders unter Ferdinand
dem
[237]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
dem Catholiſchen und Kaiſer Karl V. geltend zu machen.
England wolte damals zwar Karls V. Geſandten nach-
gehn, aber nicht in Anſehung Spaniens, ſondern der
kaiſerlichen Wuͤrde. Am heftigſten ward auf dem Kon-
greſſe zu Boulogne unter franzoͤſiſcher Vermittelung,
uͤber den Vorrang geſtritten. Beyde Theile ſuchten alle
Gruͤnde hervor; da aber, aller guͤtlichen Vorſchlaͤge un-
geachtet, keiner nachgeben wolte, ſo ward der ganze
Kongreß zerriſſen und die Sache blieb unentſchieden.



§. 24.
Sicilien.


In der paͤpſtlichen Rangordnung ſteht es gleich nach
England. Da es ehemals meiſt mit andern Koͤnigrei-
chen verbunden geweſen, ſo ſind die Gelegenheiten zu
Rangſtreitigkeiten, ſelten vorgekommen. Seit ſeiner
neuen Darſtellung als ein beſonderes Koͤnigreich unter
eignen Regenten wird der Koͤnig die Gleichheit mit an-
dern ohnſtreitig zu beobachten ſuchen.



§. 25.
Sardinien.


Bey dem Koͤnige von Sardinien muß man billig den
Rang unterſcheiden, der ihm in Ruͤckſicht des Koͤnigreichs
Sardinien und den, welcher ihm als Herzog von Savo-
yen
[238]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
yen gebuͤhrt. Rouſſets Behauptung iſt daher nicht ganz
richtig, wenn er ſagt, daß aller ehemaliger Streit dieſes
Hauſes entſchieden ſey, nachdem es 1720 das Koͤnigreich
Sardinien erlangt habe. Beide Eigenſchaften ſind zwar
in der Perſon des Koͤnigs vereinigt, ſo daß ſich die Ver-
ſchiedenheit nicht bey allen Handlungen genau beſtimmen
laͤßt, doch ſind auch Faͤlle moͤglich, wo beſonders deſſen
Geſandte blos als herzoglich ſavoyſche betrachtet werden
muͤſſen z. B. auf den teutſchen Reichstagen ꝛc. Hier iſt
die Rede blos von dem Koͤnigreich Sardinien.


Rouſſet glaubt, daß es als ein neues Koͤnigreich vor
keiner Krone den Rang verlangen koͤnne, weil die regie-
rende Familie ehemals nur den koͤniglichen Titel in gewiſ-
ſem Betracht gefuͤhrt hatte. Einen Vorrang vor andern
Koͤnigen zu behaupten wird Sardinien ſelbſt ſich wohl
nicht beigehn laſſen, die Gleichheit mit ihnen kan man
demſelben aber mit Recht ſchwerlich abſprechen.


Als Sardinien indes 1748 dem Aachner Frieden bei-
trat, ward in den Acceſſions- und Acceptationsurkunden
mit der Kaiſerin-Koͤnigin in Ungarn und Boͤhmen
zwar gewechſelt, weil dies aber zwiſchen den uͤbrigen
Maͤchten, naͤmlich Frankreich, Grosbritannien und Spa-
nien in Ruͤckſicht Sardiniens nicht war beobachtet wor-
den; ſo traten die Kaiſerlich-Koͤniglichen Miniſter nach-
her unterm 6. December mit einer Declaration und Ver-
wahrung hervor, daß dieſe ihre Alternation mit Sardi-
nien zu ganz und gar keiner Folge gereichen moͤge, weil
die Kaiſerin-Koͤnigin von Ungarn und Boͤhmen dieſelbe
blos zu Beſchleunigung des Friedensgeſchaͤfts beliebt habe.
Allein Sardinien erklaͤrte dieſe Declaration, zumal da
man vorher nichts erinnert haͤtte, in einer Gegennote vom
9. December fuͤr null und nichtig, indem dieſe Abwech-
ſelung gar nichts Auſſerordentliches, ſondern dem Herkom-
men mehrerer Tractaten gemaͤs ſey. Kaiſerl. Koͤniglicher
Seits aͤuſſerte man unterm 11. December noch, daß
die
[239]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
die obige Declaration allerdings vor der Unterzeichnung
muͤndlich geſchehen, und Sardinien entgegnete am 13.
December, daß auch damals ſchon erklaͤrt worden, es
wuͤrde und koͤnne darauf keine Ruͤckſicht genommen
werden a].


Aus dieſem laͤßt ſich zugleich abnehmen, daß Sardi-
nien, da es mit Frankreich, Grosbritannien und Spa-
nien nicht gewechſelt, dieſen den Vorrang eingeraͤumt
habe b].


Von den alten Rangſtreitigkeiten wegen des Herzog-
thums Savoyen wird weiter unten noch etwas zu ſagen
ſeyn.





§. 26.
Großmeiſter des Johanniterordens.


Da er ſich, wie oben gedacht worden, im Beſitz der
Unabhaͤngigkeit wegen der Inſel Malta befindet, ſo kan
er, dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nach, zwar die voͤllige
Gleichheit mit den uͤbrigen europaͤiſchen Nazionen verlan-
gen; doch weicht derſelbe, vermoͤge Herkommens, wie
Moſer a] verſichert, allen Koͤnigen, der Republick Vene-
dig und nunmehr auch dem Großherzog von Toscana.
Der Republick Genua aber, wie auch den teutſchen und
italiaͤniſchen Fuͤrſten will er den Rang nicht zugeſtehn
und zwar wegen des Alters des Ordens und wegen der
ihm gebuͤhrenden Souverainetaͤt. Auch Papſt Leo X.
hatte ihm ehemals in der paͤpſtlichen Kapelle einen Rang
unter den Koͤnigen angewieſen, es wurden ihm aber nach-
her
[240]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
her ebenfals durch paͤpſtliche Decrete andere Fuͤrſten, als
Savoyen und Florenz wiederum vorgezogen.




§. 27.
Daͤnemark.


Das Koͤnigreich Daͤnemark hat in aͤltern Zeiten mit
Schweden und Polen um den Rang geſtritten. Es
gruͤndete ſich hauptſaͤchlich auf ſein fabelhaftes hohes Al-
ter der Monarchie und des Chriſtenthums, ingleichen auf
ſein ehemaliges Anſehn und ſeine Macht in Norden.
Schweden hingegen habe als eine von Daͤnemark abhaͤng-
ige Provinz, ihm oͤfters gehorcht und ſein gegenwaͤrtiges
Daſein erſt 1640 erhalten.


Aus dem, was 1742 auf dem Kaiſerwahltage zu
Frankfurt vorgefallen, da beim Einzuge des franzoͤſiſchen
Ambaſſadeurs die Caroſſe des Daͤniſchen Geſandten nach
des von Blondel ſeiner, der an einige teutſche Hoͤfe von
Frankreich accreditirt geweſen, gefolgt, laͤßt ſich faſt ab-
nehmen, daß Daͤnemark der Kron Frankreich den Vor-
rang zugeſtehe a].




§. 28.
Schweden


Hat von den aͤlteſten Zeiten her weder Frankreich,
noch England, noch ſonſt einem Koͤnige in Europa a]
am wenigſten Daͤnemark weichen wollen, und iſt eins
der erſten Reiche geweſen, welche die Gleichheit unter
den Nazionen wiederherzuſtellen und zu behaupten geſucht
haben.


Gegen Frankreich erklaͤrten die ſchwediſchen Geſand-
ten auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongreß: que leur
reine et la couronne de Suede étoient en poßeſſion réel-
le de la même dignité dont un roi de France jouißoit,
que par conſequent les deux couronnes étoient tout-à-
fait égales entr’ elles pour le rang; et que la couronne
de Suede ne cederoit pas la moindre choſe à celle de
France in praecedentia et in praerogativa b].
Die Fran-
zoſen muſten auch nachgeben und ihnen die Gleichheit in
den Conferenzen, am dritten Orte und in den Unterſchrif-
ten zugeſtehn. Als auch 1742 auf dem Wahltage zu
Frankfurt, beim Einzuge des franzoͤſiſchen Bothſchaf-
ters, man der Caroſſe des ſchwediſchen Geſandten eben
den Platz anweiſen wolte, welchen der daͤniſche, wie im
vorigen §. erinnert worden, einnahm, ſo ſchickte iener
ſolche gar nicht hin c].


Auch den engliſchen Geſandten machen die ſchwedi-
ſchen den Rang ſtreitig d].


Gegen die daͤniſchen Anſpruͤche auf Vorrang behaup-
tete Schweden ein gleiches Alter der Monarchie, von
Qder
[242]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
der Zeit an gerechnet, als es zuerſt Koͤnige gehabt; denn
daß es nachher wieder einigemal unteriocht geweſen, ſey
ienem Alter nicht nachtheilig. Nicht minder bezog es
ſich auf ſeine Freundſchaft mit Kaiſern und Koͤnigen und
auf die uͤberall bekanten Heldenthaten der ſchwediſchen
Nazion.







§. 29.
Polen.


Die Kron Polen nimt zwar in der paͤpſtlichen Rang-
ordnung den letzten Platz unter den Koͤnigen ein, ſie will
ſich iedoch damit nicht begnuͤgen, und auch aus der
Urſach nicht die ſchlechteſte ſeyn, weil dieſes Reich von
den Roͤmern nie bezwungen worden, ſondern ſeine Frei-
heit iederzeit behalten. Sie hat daher ehemals beſonders
mit Portugal, Schweden, Hungarn und Boͤhmen ꝛc.
um den Rang geſtritten.


Den
[243]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

Den Vorfall zwiſchen den portugieſiſchen und pol-
niſchen Geſandten habe ich ſchon oben erzaͤhlt.


Gegen Schweden hat Polen nicht viel ausrichten
koͤnnen, indem ienes das hoͤhere Alter ſeines Reichs und
der Souverainetaͤt, die groͤßere Macht und die Erbei-
genſchaft gegen die gar ſehr eingeſchraͤnkte Regierungs-
form in Polen und die Wahleigenſchaft dieſes Reichs,
vermoͤge welcher auch Perſonen aus dem niedrigſten
Stande zur Krone gelangen koͤnten, zu erheben geſucht.


Auch Hungarn ſetzt den polniſchen Anmaßungen ein
hoͤheres Alter des Reichs und der chriſtlichen Religion,
die Mehrheit der Reiche, woraus es beſteht, und die
daher entſpringende Macht entgegen.


In Anſehung Boͤhmens hingegen ſchien Polen den
Vorzug zu behaupten. Es hatte das Alterthum der
Wuͤrde, eine volkomne Unabhaͤngigkeit und ein groͤßeres
Anſehn uͤberhaupt vor ſich.



§. 30.
Preuſſen.


Preuſſen iſt zwar ein neues Koͤnigreich, — denn daß
ſchon im vierzehnten Jahrhundert einige Beherſcher Preuſ-
ſens den koͤniglichen Titel gefuͤhrt haben ſollen, komt
hierbey nicht in Betrachtung — und ſolte daher, nach
einiger Meinung, den aͤltern nachgehn; allein die preuſ-
ſiſchen Monarchen ſuchen die Gleichheit zu behaupten.
Denn als 1742 die grosbritanniſchen und preuſſiſchen
Miniſter im Haag den Generalſtaaten ein Memoire we-
gen Garantirung des zwiſchen Oeſterreich und Preuſſen
eben geſchloſſenen Breßlauer Friedens uͤbergeben wolten,
Q 2ver-
[244]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
verlangten die Grosbritanniſchen zwar den Vorrang im
Unterzeichnen, mit Beziehung auf das Alter der Krone,
aber preuſſiſcher Seits widerſprach man wegen natuͤrli-
cher Gleichheit der Koͤnige. Da kein Theil nachgeben
wolte, ward beliebt, daß ieder Miniſter ein beſonderes
Memoire uͤbergeben ſolte a].




§. 31.
Hungarn


Iſt iederzeit fuͤr eins der anſehnlichſten Koͤnigreiche
in Europa gehalten worden, und hat beſonders uͤber
Polen den Vorrang verlangt, auch mit Boͤhmen ſonſt
darum geſtritten. Es gruͤndet ſich hauptſaͤchlich auf
das Alter des Reichs und will ſchon im vierten und fuͤnf-
ten Jahrhundert maͤchtige Koͤnige gehabt haben: auch
hat es die paͤpſtliche Rangordnung fuͤr ſich. In Anſe-
hung Boͤhmens iſt ſein Rang ziemlich entſchieden, da
die gegenwaͤrtigen Beſitzer beider Koͤnigreiche die Kron
Hungarn in der Titulatur iederzeit vorſetzen.



§. 32.
Rußland.


Dieſes Reich hatte in aͤltern Zeiten mit den chriſtli-
chen Maͤchten in Europa wenig zu thun. Es war in zu
viel kleine Regierungen zerſtuͤckt, von denen Rouſſet ſagt:
qu’ il ne leur étoit pas poſſible d’ aller de pair avec des
états plus puißans ou avec les têtes couronnées.
Nach-
dem aber Iwan I. Waſiliewitſch durch Unteriochung die-
ſer
[245]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
ſer kleinen Fuͤrſten den Grund zur heutigen ruſſiſchen
Monarchie gelegt und deſſen Nachfolger den Titel: Czar
angenommen hatten, fing Rußland immer mehr und
mehr an, ſich uͤber andere europaͤiſche Nazionen zu erhe-
ben. Man wolte dem Titel: Czar, der eigentlich nichts
mehr als Koͤnig ſagen will, die Bedeutung: Caeſar,
Imperator,
beilegen, und deshalb kaiſerliche Ehrenbezei-
gungen verlangen. Die ruſſiſchen Geſandten wurden
auch an einigen Hoͤfen wuͤrklich vorzuͤglicher als andere
koͤnigliche behandelt. Durch die Annahme des Kaiſer-
titels
im Jahr 1721 glaubte Rußland wahrſcheinlich
den Vorrang vor allen uͤbrigen Koͤnigen zu erlangen;
aber die meiſten bedungen, bey Anerkennung dieſes Ti-
tels, daß derſelbe nicht das geringſte Vorrecht weiter
bewuͤrken ſolte a].


Demungeachtet verlangte der ruſſiſche Geſandte bey
der Pforte 1742 die Audienz vor allen andern Geſand-
ten, den roͤmiſch-kaiſerlichen ausgenommen b], und 1769
geſchah von den ruſſiſchen Miniſtern an den europaͤiſchen
Hoͤfen die Erklaͤrung: daß ſie von ihrer Monarchin be-
fehligt waͤren, keinem Geſandten andrer Maͤchte, auſſer
dem Roͤmiſch-kaiſerlichen, nachzuſtehn; welches beſon-
ders auf dem Reichstage zu Regensburg 1770 große
Bewegungen verurſachte c]. Aber verſchiedene Hoͤfe
ließen dagegen ausdruͤcklich erklaͤren, daß ſie dieſen Vor-
rang nicht geſtatten wuͤrden.


Gegen Frankreich hatte Rußland ſchon 1701 Rang-
anſpruͤche, die iedoch ohne oͤffentliche Streitigkeiten ab-
liefen d]. Im Jahr 1784 entſtanden deshalb neue Irr-
ungen zwiſchen den beiderſeitigen Geſandſchaften zu
Wien. Der ruſſiſche erklaͤrte bald nach ſeiner Ankunft
dem kaiſerlich-koͤniglichen Staatskanzler Fuͤrſten von
Kaunitz ſchriftlich, daß er den burboniſchen Miniſtern
nicht mehr den Vorrang laſſen wuͤrde e]. Dies war um
ſo auffallender, da Frankreich, als es den ruſſiſchen Kai-
Q 3ſer-
[246]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
ſertitel 1745 zuerſt erkante und denſelben 1763 der itzigen
Kaiſerin von neuem zuſicherte, die Bedingung hinzuge-
fuͤgt hatte, daß dieſer Titel keinen Unterſchied oder irgend
eine Abaͤnderung in dem bisherigen Ceremoniel zwiſchen
den beiderſeitigen Hoͤfen machen ſolte: und ebenderglei-
chen Erklaͤrung hatte auch Spanien unterm 15. Februar
1763 gethan f]. Allein Rußland bediente ſich eines ganz
eignen Grundes. Es berief ſich auf die zwiſchen Frank-
reich und Spanien verglichene Gleichheit des Ranges,
und ſagte, es habe Spanien niemals den Rang zugeſtan-
den, und da Frankreich ſich Spanien gleich geſetzt, muͤſ-
ſe Rußland auch uͤber dieſe Krone den Rang haben g].
Auf alle Faͤlle beſtand es auf die Gleichheit mit den fran-
zoͤſiſchen und ſpaniſchen Hoͤfen. Der roͤmiſche Kaiſer
ſtelte uͤbrigens deshalb den ſonſt gewoͤhnlichen Cercle bey
Hofe ein und ſuchte die beiderſeitigen Geſandten dadurch
aus der Verlegenheit zu ziehn, daß er erklaͤrte: es beſtehe
an ſeinem Hofe keine Etiquette und habe niemaln beſtan-
den h].










*]
[247]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 33.
Die Pforte.


Die tuͤrkiſchen Kaiſer wolten Anfangs ſogar den
roͤmiſchen den Rang ſtreitig machen, und dieſen, ſo wie
allen chriſtlichen und heidniſchen Regenten vorgehn.
Aber die roͤmiſchen Kaiſer verweigerten ihnen dafuͤr ſelbſt
den Kaiſertitel, den die Sultans, nach Zerſtoͤrung des
orientaliſchen Kaiſerthums angenommen hatten, bis
Rudolph II. und Achmet einander als Kaiſer erkanten,
und zwar mit der Erklaͤrung, daß Achmet den Rudolf
Vater, Rudolf aber den Achmet Sohn nennen ſolte.
Aber dies war mehr ein perſoneller Vergleich a]. Im
Paſſarowitzer Frieden 1718, Art. 17. verſprachen beide
Kaiſer einander und ihren Geſandten voͤllige Gleichheit
im Ceremoniel und dieſe wird bey vorkommenden Gele-
genheiten aͤuſſerſt genau beobachtet. Als z. B. 1737
auf dem Kongreß zu Nimirov zwiſchen Rußland, der
Pforte und dem roͤmiſchen Kaiſer iedes der beiden erſtern
drey, der roͤmiſche Kaiſer aber nur zwey Geſandte geſchickt
hatte, berief der tuͤrkiſche Kaiſer ſeinen dritten wieder
zuruͤck b]; ia als einſt bey Auswechſelung der beiderſeiti-
gen Geſandten auf der Grenze, der tuͤrkiſche etwas eher
aus dem Steigbiegel war, hielten ſeine Leute ihn ſo lange
ſchwebend, damit er mit dem roͤmiſch-kaiſerlichen zugleich
auf die Erde ſteigen moͤchte. Sie gingen einander mit
gleichen Schritten entgegen ꝛc. c].


Ueberhaupt aber kommen die Gelegenheiten zu Rang-
ſtreitigkeiten mit der Pforte nicht oft vor, weil die Er-
ſcheinung tuͤrkiſcher Geſandten an den europaͤiſchen Hoͤfen
eine ſeltne Sache iſt. In ſchriftlichen Verhandlungen
Q 4wird
[248]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
wird iedoch, wie Moſer meint, im Range auch mit den
uͤbrigen chriſtlichen Maͤchten gewechſelt d].







§. 34.
Die vereinigten Niederlande.


Da die Republicken, obgedachtermaaßen, den ge-
kroͤnten Haͤuptern ohne Schwierigkeiten weichen, ſo ha-
be ich auch kein Bedenken getragen, ſie ihnen nachzuſe-
tzen. An Rangſtreitigkeiten unter ſich und mit den fuͤrſt-
lichen Haͤuſern in Teutſchland ꝛc. fehlt es uͤbrigens nicht.


Die vereinigten Niederlande laſſen den gekroͤnten
Haͤuptern zwar den Rang, genießen uͤbrigens aber koͤnig-
liche Ehrenbezeigungen.


Ueber Venedig verlangen ſie, der Uebermacht wegen,
den Vorrang, aber dieſe Republick geſtehet ihnen ſol-
chen, wegen hoͤhern Alters und ſonſtigen Anſehens,
nicht zu.


Der Republick Genua und den teutſchen Kur- und
Reichsfuͤrſten wollen ſie auch nicht nachgehn.



§. 35.
[249]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 35.
Die Eidgenoſſenſchaft


Genießt ebenfals koͤnigliche Ehre, und laͤßt zwar den
vereinigten Niederlanden den Rang, will aber der Repu-
blick Genua vorgehn.


Auf der Kirchenverſamlung zu Trident wolte ſie,
noch vor voͤlliger Anerkennung ihrer Souverainetaͤt, den
Großherzoglich-Florentiniſchen und den Herzoglich-Baye-
riſchen Geſandten den Rang ſtreitig machen; aber dieſe
gaben nicht nach und ſie konte nicht einmal die Alterna-
tion mit ihnen erhalten.


Eben ſo wenig will dieſe Republick den teutſchen Fuͤr-
ſten, auſſer Oeſterreich, ingleichen ehemals Burgund
und Lothringen, weichen.



§. 36.
Venedig.


Die Republick Venedig will als eine der aͤlteſten und
erſten, denen man die koͤniglichen Ehrenbezeigungen zu-
geſtanden hat, allen uͤbrigen Republicken in Europa vor-
gehn. Allein dieſer Vorrang wird ihr von den verei-
nigten Niederlanden
ſtreitig gemacht. Die erſtere
gruͤndet ſich aufs Alter, die letztere auf Macht.


Ueber die Kurfuͤrſten ſuchte Venedig ebenfals den
Rang zu behaupten, ob das paͤpſtliche Ceremoniel gleich
fuͤr iene entſchied. Zwar beguͤnſtigten die Kaiſer Ferdi-
nand II. und III. dieſe Republick am kaiſerlichen Hofe;
aber die Kurfuͤrſten lieſſen nicht nach, bis die Kaiſer
ihnen die Abſtellung aller nachtheiligen Verfuͤgungen und
den ausdruͤcklichen Rang vor allen Republicken in der
Wahlkapitulation zuſicherten.


Q 5End-
[250]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Endlich hat Venedig auch noch mit den teutſchen
Reichs- und italiaͤniſchen Fuͤrſten, beſonders chemals
mit Savoyen, mancherley Rangſtreitigkeiten gehabt.



§. 37.
Genua


Hat ſich, zumal waͤhrend des Beſitzes von Corſica,
um die koͤniglichen Ehrenbezeugungen ſehr viel Muͤhe ge-
geben, ſolche aber nicht erhalten koͤnnen. Demungeach-
tet verlangt dieſe Republick gleichen Rang mit Venedig,
und will den vereinigten Niederlanden, der Eidgenoſſen-
ſchaft, dem Johannitermeiſter und andern Fuͤrſten vor-
gehn. Jedoch weichen dieſe keinesweges, indem ſie Ge-
nua uͤberhaupt nur fuͤr quaſi ſouverain anſehn wollen,
weil das teutſche Reich noch mancherley Hoheitsanſpruͤ-
che darauf zu machen berechtigt ſey.


Dagegen erwidert Genua, daß es in Anſehung der
vereinigten Niederlande und der Eidgenoſſenſchaft wenig-
ſtens laͤnger im Beſitz der Souverainetaͤt ſey, und vor
letzterer uͤberall mehr Ehre genieße; denn die ſchweitzeri-
ſchen Bothſchafter duͤrften z. B. bey den Audienzen am
franzoͤſiſchen Hofe ſich nicht einmal bedecken, welches
doch den Geſandten der italiaͤniſchen Fuͤrſten und uͤbrigen
Republicken verſtattet wuͤrde.


Als im Definitivfrieden zu Aachen 1748 Genua dem
Herzog von Modena nachgeſetzt worden war, proteſtirte
die Republick unterm 28. October dagegen; weshalb die
fran-
[251]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
franzoͤſiſchen Geſandten an dem naͤmlichen Tage eine
Erklaͤrung ausſtelten, daß die im Friedensinſtrumente
gebrauchte Rangordnung den beiderſeitigen Gerechtſamen
und Anſpruͤchen in Ruͤckſicht des Vorranges unnachthei-
lig ſeyn ſolte a].




§. 38.
Die kleinen italiaͤniſchen Republicken Luc-
ca, Raguſa und San-Marino
.


Lucca haͤlt ſich als eine unabhaͤngige Republick zu
gleichem Range und Tractamente mit Genua berechtigt,
hat es aber noch nicht dahin bringen koͤnnen. Schwer-
lich wird ein teutſcher oder italiaͤniſcher Fuͤrſt ihr den
Rang laſſen.


Raguſa und San-Marino ſtehn in gleichem Ver-
haͤltniſſe. Ueberhaupt aber finden bey dieſen kleinen
Republicken die Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten ſelten
Statt.



§. 39.
Rang einiger ſtreitigen ſouverainen
Staaten
.


Unter den Staaten, deren voͤllige Souverainetaͤt,
wie oben, im erſten Kapitel gezeigt worden, noch zwei-
felhaft iſt, nimt das Koͤnigreich Boͤhmen den vor-
zuͤglich-
[252]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
zuͤglichſten Platz ein. Ob der Koͤnig aber gleich ein
Vaſall und Kurfuͤrſt des teutſchen Reichs iſt, — welcher
Eigenſchaft halber deſſen Rang in Reichsangelegenheiten
unter den uͤbrigen Kurfuͤrſten durch die Reichsgrundge-
ſetze beſtimmt iſt — ſo behauptet er doch, auſſer der Reichs-
verbindung, als gekroͤntes Haupt, unter den uͤbrigen
Koͤnigen in Europa eine Stelle. Die paͤpſtliche Rang-
ordnung weißt ihm den vorletzten Platz zwiſchen Cypern
und Polen an: letzteres Reich will iedoch, vorerwaͤhn-
termaaßen, den Vorrang haben.


Seitdem das Koͤnigreich Boͤhmen keine eigne Regen-
ten mehr hat, ſondern nebſt Hungarn von dem erzherzog-
lich-oͤſterreichiſchen und gewoͤnlich zugleich auch kaiſerli-
chen Hofe mit beſeſſen wird, fallen die Rangſtreitigkei-
ten mit andern europaͤiſchen Maͤchten ziemlich weg, weil,
auſſer auf den Reichstag und zu Kaiſerwahlen, keine
beſondere koͤniglich-boͤhmiſche Geſandten geſchickt zu
werden pflegen.



Der Republick Genf wuͤrde, wenn ſich Gelegenhei-
ten darbieten ſolten, wo ihr Rang in Frage kaͤme, als
einem freien Staat wenigſtens vor den halbſouverainen
Reichsſtaͤdten der Rang gebuͤhren, und ihr und ihren
Abgeordneten gleiche Behandlung mit den einzelnen
Schweitzercantons zuzugeſtehn ſeyn.



Von Savoyen, Toſcana ꝛc. will ich weiter unten
bey den italiaͤniſchen Reichsfuͤrſten noch etwas weniges
ſagen.


§. 40.
[253]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 40.
Rang der halbſouverainen Regenten.


Dem natuͤrlichen Voͤlkerrechte nach ſind die halbſou-
verainen Staaten und Regenten ohnſtreitig verbunden,
den ganzſouverainen zu weichen, weil keine voͤllige Gleich-
heit der Rechte bey ihnen Statt findet. Jedoch koͤnnen
Vertraͤge und Herkommen hierunter gar fuͤglich ein ande-
res beſtimmen. Alle europaͤiſche Halbſouverains laſſen
auch den gekroͤnten Haͤuptern willig den Rang; nur wol-
len ſie den Republicken ſolchen nicht zugeſtehn und einige
haben ſich auch den Vorrang vor ihnen wuͤrklich zu ver-
ſchaffen gewußt.



§. 41.
Rang der teutſchen Reichsſtaͤnde.


Der Rang der teutſchen Reichsſtaͤnde hat ſchon unzaͤh-
lige Streitigkeiten veranlaßt. Die Gelegenheiten hierzu
ſind um deſto haͤufiger, ie groͤßer die Anzahl und die
Verſchiedenheit dieſer Staaten iſt a]. Man muß dabey
hauptſaͤchlich dreierley Verhaͤltniſſe unterſcheiden, 1] den
Rang der Reichsſtaͤnde, nach ihren Klaſſen, gegen ande-
re europaͤiſche Nazionen, 2] der verſchiedenen Klaſſen
unter einander und 3] der einzelnen Glieder einer ieden
Klaſſe unter ſich. In Anſehung der letztern beiden Rang-
verhaͤltniſſe komt es wiederum darauf an, ob die Konkur-
renz in Reichsangelegenheiten, oder auſſer der Reichs-
verbindung ſich ereignet b].


Alle Reichsſtaͤnde laſſen, als halbſouveraine, die
den Kaiſer als ihr Oberhaupt erkennen, nach dem vor-
hergehenden §. den gekroͤnten Haͤuptern in Europa den
Rang; die meiſten aber wollen den Republicken vorgehn,
wie ich bey ieder Klaſſe nachher bemerken werde.


Der
[254]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Der Rang der verſchiedenen Reichsſtaͤndiſchen Klaſ-
ſen gegen einander und der einzelnen Glieder unter ſich
in Reichsverhaͤltniſſen richtet ſich nach den auf Reichs-
taͤgen und bey andern Zuſammenkuͤnften durch die
Reichsgrundgeſetze, Vertraͤge oder Herkommen beſtimten
Ordnungen.


Auſſer dem Reiche pflegt man zwar ſehr oft auch die
Ordnung der Reichsverſamlungen beyzubehalten; iedoch
haben verſchiedene Reichsſtaͤnde, bey dergleichen Gele-
genheiten, ſchon mehrmalen nicht ohne Grund eine Gleich-
heit zu behaupten geſucht: denn von Natur ſind dieſe
Staaten einander ohnſtreitig gleich, und es iſt, ohne be-
ſondere Uebereinkunft, keine nothwendige Folge, daß der
in einer beſondern Verbindung beliebte Rang auch auſſer
derſelben beobachtet werden muͤſſe. Auf dem Teſchner
Friedenskongreß z. B. verlangte zwar Kurpfalz in beiden
Exemplarien der Convention mit Kurſachſen vorausge-
ſetzt zu werden, weil ihm der Vorrang auf Reichstagen
zuſtehe; aber Kurſachſen beſtand auf die Alternation,
indem beide Kurfuͤrſten hier nicht in einer Reichsangele-
genheit, ſondern als Gleiche mit einander tractirten.
Da kein Theil nachgeben wolte, ward beliebt, daß der
contrahirenden Theile in der Convention namentlich keine
Erwaͤhnung geſchehn, ſolche doppelt gefertigt und iedes
Exemplar nur von dem bevolmaͤchtigten Miniſter des
einen Theils unterſchrieben und alſo ausgewechſelt werden
ſolte. Die 1731 zwiſchen den Hoͤfen zu Dresden und
Hannover geſchloſſene Allianz diente hierbey zum Muſter.


Auch die alternirenden altweltfuͤrſtlichen Haͤuſer wol-
len, wie Moſer bezeugt, an dritten Orten an die auf
Reichstaͤgen beliebte Ordnung nicht gebunden ſeyn c].






§. 42.
Rang der Kurfuͤrſten.


Den wuͤrklich regierenden Koͤnigen weichen die Kur-
fuͤrſten auſſerhalb den Reichsangelegenheiten willig. In
der Wahlcapitulation Art. III. §. 20. heißt es ausdruͤck-
lich: waͤre es Sache, daß neben denen kurfuͤrſtlichen
Geſandten derer recht titulirten und gekroͤnten regieren-
den auslaͤndiſchen Koͤnigen, koͤniglichen Wittwen oder
Pupillen [denen die Regierung, ſobald ſie ihr gebuͤhren-
des Alter erreicht, zu fuͤhren zuſtehet, und immittels in
der Tutel oder Curatel begriffen ſeynd] Bothſchafter zu-
gleich vorhanden waͤren, ſo moͤgen und ſollen dieſelben
— denſelben churfuͤrſtlichen Geſandten — ohne Unter-
ſchied vorgehn.


Bey
[256]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Bey Reichsſolennitaͤten hingegen behaupten die Kur-
fuͤrſten, vermoͤge der goldenen Bulle a] und des alten
Herkommens, auch vor den Koͤnigen den Rang. So
wolte der Kurfuͤrſt von Brandenburg auf dem Reichs-
tage zu Regensburg 1556 dem damaligen Koͤnige von
Hungarn, nachherigen Kaiſer Rudolf II. nicht weichen b].
In Anſehung der Geſandten auswaͤrtiger Maͤchte auf
Reichs- und Wahltaͤgen haben die Kurfuͤrſten verſchie-
dene Kollegialſchluͤſſe auch noch neuerlich bey der roͤmi-
ſchen Koͤnigswahl Joſeph II. 1764 abgefaßt, die bey
einer andern Gelegenheit angefuͤhrt werden ſollen.


Bloßen Titularkoͤnigen, die keine Lande zu regieren
haben, dergleichen ehemals z. B. Savoyen wegen der
Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, ingleichen Koͤnig
Stanislaus von Polen waren, wollen die Kurfuͤrſten
iedoch keinesweges den Vorrang einraͤumen c].


Eben ſo wenig wollen ſie den Republicken nachgehn,
ſondern haben den Rang iederzeit uͤber ſie zu behaupten
geſucht. Die Eidgenoſſenſchaft und Genua machen des-
halb keine Schwierigkeit d], Venedig und die vereinig-
ren Niederlande aber haben ſich heftig dagegen geſetzt.
Venedig erhielt auch vom Kaiſer Ferdinand II. ein den
kurfuͤrſtlichen Vorrechten nachtheiliges Dekret am kaiſer-
lichen Hofe und auf Reichstaͤgen. Allein die Kurfuͤr-
ſten brachten es durch Vorſtellungen und Proteſtationen
endlich dahin, daß Koͤnig Ferdinand IV. 1653 und Kai-
ſer Leopold 1658 in der Wahlkapitulation ihnen den
Rang vor allen Republicken ausdruͤcklich zugeſtehn und
ſich verbindlich machen muſten: “was hiebevor per De-
creta
und abſonderlich anno 1636, oder ſonſt vorgenom-
men oder verordnet, ſoll foͤrderlichſt abgeſtellet und kraft-
los ſeyn.” Seitdem wird in allen kaiſerlichen Wahlca-
pitulationen feſtgeſetzt: [Art. III. §. 20. und 21. Joſephs
II.] “Nachdemmahlen ſich auch eine Zeitlang zugetra-
gen, daß auslaͤndiſcher Potentaten, Fuͤrſten und Repu-
blicken
[257]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
blicken Geſandte, und zwar dieſe unter dem Namen und
Vorwand, als waͤren die Republicken vor gekroͤnte
Haͤupter, und alſo denenſelben in Wuͤrden gleich zu ach-
ten, an denen kaiſerlichen und koͤniglichen Hoͤfen und
Kapellen die Praͤcedenz vor denen churfuͤrſtlichen
Geſandten praͤtendiren wollen; ſo ſollen und wollen wir
inskuͤnftige ſolches weiter nicht geſtatten ꝛc.” Die ver-
einigten Niederlande erregten den Kurfuͤrſten auch oͤftere
Rangſtreitigkeiten, beſonders auf dem weſtphaͤliſchen
Frieden, doch ſuchten dieſe ihre Gerechtſame iederzeit
ſtandhaft zu verwahren. Die obige Diſpoſition der
Wahlcapitulationen kann, auſſer dem Kaiſer, zwar
eigentlich keinen auswaͤrtigen Staat weiter verbinden,
indes haben die Kurfuͤrſten an den meiſten Hoͤfen ſich
den Vorrang vor den Republicken verſchaft, wenigſtens
1671 den 24. Aug. zu deſſen Behauptung unter einan-
der ſich verbunden e]. Die Republicken, welche den
Kurfuͤrſten den Rang iedoch noch nicht foͤrmlich zugeſtan-
den haben, ſuchen daher die Gelegenheiten zum Streite
moͤglichſt zu vermeiden, welches um ſo leichter iſt, da die
Kurfuͤrſten ſelten Geſandte vom erſten Range zu ſchicken
pflegen.


Die ehemaligen Rangſtreitigkeiten der Kurfuͤrſten mit
den Herzogen von Lothringen und Burgund fallen derma-
len gaͤnzlich weg f].


Im Verhaͤltniſſe zu den uͤbrigen Klaſſen der Reichs-
ſtaͤnde iſt der Kurfuͤrſten Vorrang dermalen entſchieden.
Sie behaupten ſolchen auch auſſer den Reichsgeſchaͤften g].
Auf dem weſtphaͤliſchen Friedenskongreß maßten die Erz-
herzoge von Oeſterreich wegen der von Kaiſer Ferdinand
II. erhaltenen koͤniglichen Ehrenzeichen und als Erbprin-
zen der Koͤnigreiche Hungarn und Boͤhmen, ſich zwar
eines Vorranges uͤber die Kurfuͤrſten an, und die Vene-
zianer, die den letztern nicht weichen wolten, gingen ihnen
nach. In neuern Zeiten iſt iedoch von dieſem Streite
Rnichts
[258]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
nichts weiter zu hoͤren geweſen h]. Der herzoglich
ſavoyiſchen Widerſpruͤche gegen den kurfuͤrſtlichen Vor-
rang ſoll nachher noch einige Erwaͤhnung geſchehen.


Der Rang der Kurfuͤrſten unter ſich in Reichsangele-
genheiten war ehemals zuweilen auch ſtreitig. Gegen-
waͤrtig iſt er durch Grundgeſetze und Vertraͤge nach der
Lineal-, Lateral- und Proceſſionsordnung auf alle
Faͤlle entſchieden, wohin hauptſaͤchlich die Tit. III. IV.
XXI.
und XXII. der goldnen Bulle, der Kollegialſchluß
vom 11. Maͤrz 1653 und einige neuere Concluſa zu
rechnen, deren umſtaͤndlichere Erwaͤhnung aber mehr ins
teutſche Staatsrecht gehoͤrt. Nur ſo viel will ich noch
bemerken, daß die koͤnigliche Wuͤrde, womit einige Kur-
fuͤrſten zugleich bekleidet ſind, auf Wahl-, Reichs-,
Kreis-, Deputations-, Kollegial- und andern Taͤgen,
auch Friedens- und dergleichen Konventen, wo die
Koͤnige blos als Kurfuͤrſten und ihre Geſandte als Kur-
fuͤrſtliche erſcheinen, keinen Vorrang oder Vorrecht weiter
bewuͤrke. Dahin muſte nicht nur Kurbrandenburg bey
Annehmung der preuſſiſchen Krone, ſondern auch Boͤh-
men bey ſeiner Readmiſſion 1708 ſich verbinden i], und
in der Wahlkapitulation verſpricht der Kaiſer Art. III.
§. 21.: “nirgendwo zwiſchen denen Kurfuͤrſten unter
einander in Ceremoniali einen Unterſchied einzufuͤhren,
noch einfuͤhren zu laſſen.


Auſſer der Reichsverbindung beobachten die Kurfuͤr-
ſten unter ſich, nach Moſers Meinung, bey Zuſamen-
kuͤnften zwar gemeiniglich auch den in kurfuͤrſtlichen Kol-
legien eingefuͤhrten Rang, iedoch erhellet aus dem oben-
angefuͤhrten, daß man dieſen Satz nicht als eine alge-
meine Regel annehmen koͤnne. Uebrigens iſt kein Zwei-
fel, daß die Kurfuͤrſten, welche zugleich Koͤnige ſind, und
als ſolche erſcheinen, den uͤbrigen vorgehen.


Vermoͤge uralten Herkommens genießen endlich ſaͤmt-
liche Kurfuͤrſten, ſie moͤgen zugleich Koͤnige oder nicht
ſeyn,
[259]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
ſeyn, uͤberall koͤnigliche Ehrenbezeigungen, ſowohl bey
Auswaͤrtigen als innerhalb des Reichs, vom Kaiſer und
ihren Mitſtaͤnden k].














§. 43.
Rang der teutſchen Reichsfuͤrſten.


In den aͤltern Zeiten hatten auch die altweltfuͤrſtli-
chen Haͤuſer, beſonders Pfalz-Neuburg, Braunſchweig-
Zelle, ingleichen Oeſterreich oͤftere Rangſtreitigkeiten mit
den Republicken, welche iedoch dermalen wegfallen, weil
iene zur Kurwuͤrde erhaben worden, von Oeſterreich aber,
auſſer auf dem Reichstage, ſelten bloße Erzherzogliche
Geſandten erſcheinen a].


R 3Im
[262]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Im Verhaͤltnis zu den uͤbrigen Reichsſtaͤnden folgen
die Fuͤrſten den Kurfuͤrſten unmittelbar, verlangen uͤbri-
gens aber groͤſtenteils gleiches Ceremoniel.


Der Rang der Reichsfuͤrſten unter ſich auf Reichs-
verſamlungen hat im Sitzen und Votiren mit Abwech-
ſelung von der geiſtlichen zur weltlichen Bank und Alter-
nirung einiger Haͤuſer nach gewiſſen Strophen, Mate-
rien oder Tagen groͤſtenteils ſeine durch Vertraͤge und
Herkommen beſtimte Ordnung, welche in den Staats-
rechtsſyſtemen ausfuͤhrlich anzutreffen iſt b].


Auſſer den Reichsangelegenheiten und an dritten
Orten wollen die geiſtlichen und weltlichen Fuͤrſten, be-
ſonders aus alten Haͤuſern, einander nicht weichen c].


Endlich ſtreiten die alten Fuͤrſten des teutſchen Reichs
auch noch mit den italiaͤniſchen Fuͤrſten z. B. mit Toſca-
na, Savoyen ꝛc. um den Rang, und wollen dieſen dar-
um vorgehn, weil ſie groͤſtenteils von koͤniglichen, kur-
fuͤrſtlichen und andern alten Familien abſtammen, die
italiaͤniſchen hingegen meiſtens nur graͤflichen und gerin-
gern adelichen Herkommens waͤren, die ihre Wuͤrde erſt
im vierzehnten und folgenden Jahrhunderten erlangt haͤt-
ten, Italien uͤberhaupt aber nur eine neuere Erwerbung
des teutſchen Reichs ausmache.






§. 44.
Reichspraͤlaten und Grafen Rang.


Der Rang der zum fuͤrſtlichen Kollegio gehoͤrigen
Reichspraͤlaten und Reichsgrafen, ſo wie der noch uͤbri-
gen Klaſſen teutſcher Reichsſtaͤnde komt im Verhaͤltnis
zu den europaͤiſchen Staaten nicht in Betrachtung und
wird ſchwerlich Gelegenheit zu Streitigkeiten geben.


Auf Reichsverſamlungen wechſeln die Praͤlatenbaͤnke
und Grafenkollegia im Range ab. Auſſerdem aber wol-
len die evangeliſchen regierenden Grafen aus alten Haͤu-
ſern den catholiſchen Praͤlaten nicht weichen a].


Den Rang der Immediat-Reichs-Grafen, die Sitz
und Stimme im Fuͤrſtenrath haben, bey Reichsſolenni-
taͤten und am kaiſerlichen Hofe ꝛc. beſtimt die Wahlka-
pitulation Art. III. §. 22.




§. 45.
Reichsſtaͤdte und Reichsritterſchaft.


Die Reichsſtaͤdte ſtreiten mit der Reichsritterſchaft
um den Rang und behaupten ihn darum vor dieſer, weil
ſie wuͤrkliche Reichsſtaͤnde ſind; die Reichsritterſchaft
aber nur zu den unmittelbaren Reichsunterthanen gehoͤrt.
Dieſe wendet dagegen ein, daß der Adel den buͤrgerlichen
Kollegien uͤberall vorgehe und die Reichsritterſchaft ehe-
R 4mals
[264]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
mals den Grafen und Herrn unmittelbar gefolgt ſey.
Am meiſten war dieſe Rangſtreitigkeit auf dem weſtphaͤ-
liſchen Friedenskongres rege.


Unter ſich haben die Reichsſtaͤdte allerhand Rangir-
ungen, die aber hier nicht angefuͤhrt werden koͤnnen.



§. 46.
Italiaͤniſcher Reichsfuͤrſten Rang.


Die Fuͤrſten des unter kaiſerlicher Oberherſchaft mit
Teutſchland verbundenen italiaͤniſchen Koͤnigreichs haben
von allen Zeiten her mit einigen Republicken, beſonders
aber mit den Kurfuͤrſten und Fuͤrſten des teutſchen Reichs
und unter ſich ſelbſt um den Rang geſtritten. Die Teut-
ſchen verlangen deshalb vor den Italiaͤnern den Vorzug,
weil ſie Teutſchland fuͤr den Hauptſtaat und Italien nur
fuͤr
[265]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
fuͤr eine von erſterm eroberte Provinz anſehn, welche
demienigen Kaiſer gehorchen muͤſſe, welchen die Kurfuͤr-
ſten des teutſchen Reichs erwaͤhlen. Die italiaͤniſchen
Fuͤrſten hingegen geben Italien fuͤr den edlern Theil des
roͤmiſch-teutſchen Reichs und fuͤr den Sitz des Kaiſer-
thums aus, indem die Beherſcher deſſelben wegen Ita-
lien roͤmiſche Kaiſer, wegen Teutſchland aber nur teut-
ſche Koͤnige
genant wuͤrden. Indes kommen derglei-
chen Rangſtreitigkeiten dermalen wenig mehr vor, da
einige italiaͤniſche Haͤuſer gaͤnzlich ausgeſtorben und ihre
Lande an Regenten hoͤhern Ranges gekommen ſind, ande-
re ſelbſt eine hoͤhere Wuͤrde erlangt haben, und die Gele-
genheiten dazu uͤberhaupt ſelten Statt finden. Ich will
daher nur etwas weniges von den gegenwaͤrtig noch regie-
renden fuͤrſtlichen Haͤuſern in Italien anfuͤhren.


1] Savoyena], welches dermalen zugleich die Wuͤr-
de eines Koͤnigs von Sardinien bekleidet, hatte, wie
obgedacht, ehemals haͤufige Rangſtreitigkeiten mit der
Republick Venedig, die aber itzt wegfallen.


Den Kurfuͤrſten wolte es auf dem weſtphaͤliſchen
Friedenskongres und oͤfters, hauptſaͤchlich in Ruͤckſicht
ſeiner Anſpruͤche auf das Koͤnigreich Cypern, weshalb
es auch den Titel: koͤnigliche Hoheit annahm und an
den meiſten europaͤiſchen Hoͤfen koͤnigliche Ehren erhielt,
vorgehn. Endlich verglichen ſich beide Theile 1666 in
beſondern Vertraͤgen dahin, daß die Kurfuͤrſten dem
Herzog von Savoyen den Titel: koͤnigliche Hoheit zuge-
ſtanden und dieſer verſprach, den Kurfuͤrſten allenthal-
ben, es ſey wo es wolle, den Rang zu laſſen und ihren
Geſandten an ſeinem Hofe koͤnigliche Ehre zu erzeigen.


Mit noch groͤßerm Rechte glaubt Savoyen den teut-
ſchen Reichsfuͤrſten vorgehn zu koͤnnen. Da es zugleich
ein Stand des teutſchen Reichs iſt, auch Sitz und Stim-
me im Fuͤrſtenrath zwiſchen Holſtein-Gottorp und Leuch-
tenberg hat, ſo findet dieſe Rangſtreitigkeit auf den
R 5Reichs-
[266]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
Reichsverſamlungen, wo blos die herzogliche, nicht aber
die koͤnigliche Wuͤrde dieſes Hauſes in Betrachtung komt,
noch gegenwaͤrtig ſtatt. Seit langer Zeit aber hat Sa-
voyen, wegen Niedrigkeit des Ranges, die Reichsver-
ſamlungen nicht mehr beſchickt, oder die daſelbſt ange-
langten bevolmaͤchtigten Geſandten haben doch von dem
Sitz- und Stimmrecht keinen Gebrauch gemacht.


2] Der Grosherzog von Toſcanab], welcher am
paͤpſtlichen, kaiſerlichen und verſchiedenen andern euro-
paͤiſchen Hoͤfen koͤnigliche Ehre genießt, will dem Gros-
meiſter des Johanniterordens und der Eidgenoſſenſchaft
im Range nicht weichen.


Vor den Kurfuͤrſten wird derſelbe den Rang ſchwer-
lich behaupten c]; indes wird er am kaiſerlichen Hofe
ihnen gleich gehalten.


Am wenigſten will er den uͤbrigen teutſchen und ita-
liaͤniſchen Fuͤrſten nachgehn.


3] Die Herzoge von Parma und Piacenza haben
ſonſt den Rang vor Toſcana geſucht und mit Mantua
und Modena deshalb geſtritten. Itzt werden ſie dem
letztern gleich geachtet; alle aber haben Rangſtreitigkeiten
mit den teutſchen Fuͤrſten d].






§. 47.
[267]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.

§. 47.
Curland ꝛc.


Von Rangſtreitigkeiten der uͤbrigen europaͤiſchen halb-
ſouverainen Regenten, z. B. des Herzogs von Curland,
der Hospodare der Moldau und Wallachey iſt zur Zeit
wenig vorgekommen. Doch pflegen ſie, beſonders der
erſtere, den teutſchen Reichsfuͤrſten, die nicht aus kur-
fuͤrſtlichen Stamme entſproſſen, gleichgeachtet zu werden.



§. 48.
Entſcheidung der Rangſtreitigkeiten.


Da die unabhaͤngigen Nazionen hier auf Erden kei-
nen obern Richter haben, ſo kan auch Niemand von
Rechtswegen die Rangſtreitigkeiten unter ihnen beurtei-
len und entſcheiden. In denen Zeiten, wo die roͤmiſchen
Kaiſer und Paͤpſte ſich eine Herſchaft uͤber die ganze
Chriſtenheit einbildeten, maßten die letztern beſonders
ſich zuweilen eines ſolchen Entſcheidungsrechts an. Die
Streitenden, zumal der beguͤnſtigte Theil, ließen ſich
den Ausſpruch auch oͤfters gefallen, und er ward, wenig-
ſtens auf den Kirchenverſamlungen, befolgt. Dieſe ent-
ſchieden auch zuweilen ſelbſt. Auf der Kirchenverſam-
lung zu Baſel legte iede Macht die Gruͤnde ſeines Vor-
ranges den heiligen Vaͤtern dar; und zu Trident ſahen
dieſe ebenfals ſich fuͤr Richter in dergleichen Streitigkei-
ten an.


Das einzige rechtmaͤßige Mittel ſind Vertraͤge zwi-
ſchen den ſtreitigen Maͤchten, die aber ſelten zu Stande
kommen. Eine Vermittelung wird, weil der Punkt der
vermeintlichen Ehre gar zu bedenklich iſt, von dritten
Nazionen hierunter ſelten uͤbernommen, oder iſt doch
mehren-
[268]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
teils ohne Erfolg. Papſt Pius IV. erbot ſich 1564 zwar
mit Beiſtand der Kardinaͤle zu Beilegung der Rangſtrei-
tigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien; aber beide
Staaten ſchlugen ſie aus. Auch die von Frankreich den
Kronen England und Spanien angetragene Vermittelung
auf dem Kongres zu Boulogne 1600 war fruchtlos.


Man muß daher, ſo lange nichts entſchieden, allen
Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten moͤglichſt ausweichen,
weil ſonſt der maͤchtigere und angeſehenere oͤfters mit
Gewalt den Beſitz zu behaupten ſucht.


In Rangangelegenheiten der teutſchen Reichsſtaͤnde
ſehen einige Staatsrechtslehrer das geſamte Reich, ande-
re die Austraͤge, und noch andere die Reichsgerichte fuͤr
die rechtmaͤßige Inſtanz an. Coccejusa] legt das Ent-
ſcheidungsrecht, vermoͤge der Reichsabſchiede von 1555,
1567, 1570, 1576, 1582, 1594 und 1654 b] dem
Kaiſer bey, und Moſerc] iſt gleicher Meinung. Doch
werden die, nach Beſchaffenheit, den ſtreitenden Thei-
len zuſtaͤndigen Austraͤge nicht zu uͤbergehen ſeyn, wor-
auf man auch 1703 in der ehemaligen Sachſen-Weimar
und Eiſenachiſchen Rangſtreitigkeit ſich bezog. Moſer d]
fuͤhrt noch ein Beyſpiel neuerer Zeiten an, da ſeit 1738
ein Rangſtreit zwiſchen den graͤflichen Haͤuſern Solms,
Stolberg und Yſenburg vor dem Reichshofrath verhan-
delt worden, ſezt aber hinzu, man werde bey Kur- und
Fuͤrſten in den lezten hundert Jahren dergleichen nicht
antreffen.


In Anſehung der geiſtlichen Reichsſtaͤnde wolte zu
Anfang dieſes Jahrhunderts der Papſt einen Rangſtreit
zwiſchen den Praͤlaten zu Petershauſen und Creutzlingen
entſcheiden; aber das ſchwaͤbiſche Praͤlatenkollegium
brachte die Sache ans Reich, und man beſchloß mittelſt
Reichsgutachten vom 3. Maͤrz und kaiſerl. Ratification
vom 16. Jun. 1714 dieſe paͤpſtlichen Eingriffe in des
Reichs Gerechtſame ernſtlich zu ahnden e].


a] Henr.
[269]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.






§. 49.
Benehmen dritter Maͤchte dabey.


Ein Souverain iſt allerdings Herr in ſeinem Lande,
und kann daher einem fremden Volke und deſſen Repraͤ-
ſentanten an ſeinem Hofe einen Rang anweiſen, welchen
er will. Wenn aber zwey bey ihm zuſammentreffen,
deren Rang durch Vertraͤge oder Herkommen entſchieden
iſt, ſo wuͤrde es eine offenbare Beleidigung ſeyn, wenn
er dieſe Ordnung zum Nachtheil des einen umaͤndern,
oder zwiſchen Streitigen einem geradezu den Vorrang
bey ſich zuerkennen wolte. Er iſt zwar Herr in ſeinem
Lande, aber keinesweges Richter uͤber die Streitigkeiten
von ihm unabhaͤngiger Maͤchte; wozu er ſich doch auf-
werfen wuͤrde, wenn er dem einen Theile den Rang ein-
raͤumte a].


Will alſo ein Hof ſich nicht Repreſſalien in aͤhnlichen
Faͤllen zuziehn, ſo muß er neutral bleiben, und ſich in
dergleichen Streitigkeiten gar nicht miſchen. Jedoch
ſteht ihm frey, ſolche Maasregeln zu nehmen, wodurch
den
[270]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
den Gelegenheiten zu Rangſtreitigkeiten vorgebeugt wird,
z. B. dem zuerſt angekommenen Geſandten zuerſt Audienz
geben; befehlen, daß beide bey oͤffentlichen Feierlichkeiten
ꝛc. nicht erſcheinen, oder, wie der Kaiſer bey den neu-
ſten Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Rußland,
bis zu Ausgleichung derſelben, die gewoͤhnlichen Cirkel
bey Hofe gaͤnzlich einſtellen b].


Indes haben verſchiedene europaͤiſche Nazionen ſich
berechtigt geglaubt, die durch Blutsfreundſchaft oder auf
andere Art mit ihnen verbundenen Maͤchte im Range vor
andern, mit denen dieſe ſtreitig, zu beguͤnſtigen. So
ward ehemals am paͤpſtlichen Hofe, bey der Pforte und
zu Venedig der Krone Frankreich, am kaiſerlichen Hofe
hingegen Spanien der Vorrang eingeraͤumt.


Im Jahr 1558 ließ die Republik Venedig in den
Rangſtreitigkeiten zwiſchen Frankreich und Spanien, auf
Zudringen des Geſandten der erſtern Macht, ein Decret
ergehen, worinn Frankreich der Vorrang zugeſprochen
ward. Der Rath entſchuldigte ſich, auf die drohenden
Vorſtellungen Spaniens, damit: er wolle dadurch kei-
nesweges die Macht und das Anſehn weder des aller-
chriſtlichſten noch des catholiſchen Koͤnigs entſcheiden; es
faͤnde ſich aber in den Archiven, daß die franzoͤſiſchen
Geſandten bey allen und ieden oͤffentlichen Vorfaͤllen den
Rang iederzeit vor den ſpaniſchen ohne Widerrede behaup-
tet haͤtten, daher der Rath auch beſchloſſen, dasienige
mit Gefahr nicht zu aͤndern, was jederzeit ganz friedlich
waͤre beobachtet worden. Spaniens Lage litt es damals
nicht, die Drohungen in Erfuͤllung zu bringen c].


Bey der Pforte bedung Frankreich ſich den Rang vor
Spanien und alle uͤbrige Koͤnige in den Tractaten von
1604, Art. 20. und 1673, Art. 19. d]


Im Frieden zu Kaingerd 1774 verſprach die Pforte,
dem ruſſiſchen Geſandten den Rang unmittelbar nach
dem roͤmiſch kaiſerlichen und vor allen uͤbrigen Maͤchten
einzu-
[271]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
einzuraͤumen, bey Geſandten von ungleichem Range aber,
ſolle der ruſſiſche dem hollaͤndiſchen, und in deſſen Abwe-
ſenheit, dem venezianiſchen folgen e].


Uebrigens koͤnnen alle ſolche Verfuͤgungen, als
Handlungen zwiſchen einem dritten, den intereſſirten Thei-
len keinen Nachtheil bringen, oder andere Maͤchte zur
Nachfolge verbinden, obgleich eine oder die andere ſtreitige
Nazion zuweilen als einen Grund des Vorranges anfuͤhrt,
daß ihr an dieſem oder ienem Hofe der Vorzug einge-
raͤumt werde.







§. 50.
Auskunftsmittel bey Rangſtreitigkeiten.


Koͤnnen die Rangſtreitigkeiten unter den Nazionen
nicht in Guͤte foͤrmlich beigelegt werden, ſo muß man
entweder alle Ceremonielle und andere Gelegenheiten, wo
der Rang in Frage kommt, gaͤnzlich vermeiden a], oder
ſich gewiſſer Auswege bedienen, wodurch keinem Theile
mehrere Vorzuͤge eingeraͤumt werden, als dem andern,
z. B. eine ſolche Eintheilung des Ranges, daß in einem
Stuͤcke dieſem, im andern ienem Theile der Vorrang
gelaſ-
[272]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
gelaſſen wird, voͤllige Gleichheit in allen Stuͤcken, Ab-
wechſelung nach dem Alter, der Zeit, dem Looſe, Unter-
laſſung alles Ceremoniels ꝛc. Bey dieſen und aͤhnlichen
Auskunftsmitteln komt es hauptſaͤchlich auf die verſchie-
dene Konkurrenz der ſtreitenden Nazionen an.


1] Die perſoͤnliche Zuſammenkunft ihrer Regen-
ten an dritten Orten wird, wo moͤglich, ganz unterlaſ-
ſen, oder geſchieht ohne alles Ceremoniel, entweder in-
cognito,
unter einem andern geringern Karacter, — wel-
ches heutzutage am gewoͤnlichſten — oder mit Beobach-
tung gewiſſer Formalitaͤten. So veranſtalteten z. B.
die Koͤnige von Spanien und Frankreich 1660 an der
Grenze ihrer Reiche, auf der ſogenanten Conferenzinſel,
eine Zuſammenkunft, wobey in der Mitte des Confe-
renzſaals eine Linie, die Grenze bedeutend, gezogen war,
welche keiner von beiden uͤberſchritt. Sie kamen und
gingen mit gleichen Schritten ꝛc. b] Auf dem Wahltage
zu Frankfurt kamen der Koͤnig von Ungarn, nachheriger
Kaiſer, Leopold, vor der Wahl, und Kur Mainz eini-
gemal, mit Unterlaſſung aller Ceremonien, dergeſtalt
zuſammen, daß ſie ſich gar nicht niederließen, ſondern
im Zimmer blos auf und abgingen und die Oberhand
unentſchieden blieb. Das naͤmliche geſchah auch bey glei-
cher Gelegenheit zwiſchen dem nachmaligen Kaiſer Joſeph
I. und dem Kurfuͤrſten von Baiern c].


Es giebt iedoch auch Beyſpiele von dem Gebrauche
anderer zu Ausgleichung des Ranges, mit Beibehaltung
des Ceremoniels, dienlicher Mittel. Die Koͤnige von
Daͤnemark und Polen hatten bey ihrer Reiſe nach Berlin
1709 gelooſt, daß ſie wechſelsweiſe den Rang haben
ſolten d].


2] In Anſehung der Geſandten mehrerer um
den Rang ſtreitenden Maͤchte hat man ebenfals verſchie-
dene Auskunftsmittel, beſonders an dem Hofe einer
dritten Nazion. In den ehemaligen Rangſtreitigkeiten
zwi-
[273]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
zwiſchen Spanien und Frankreich richtete man es an dem
Hofe Papſt Pius des V. alſo ein, daß beide Bothſchaf-
ter ihren Einzug zu gleicher Zeit hielten, und ieder eine
beſondere Stunde zur Audienz bekam, wo er allein war e].
Wenn Prozeſſionen oder andere Feierlichkeiten vorfielen,
wobey Frankreich mehrern Antheil hatte, erſchien der
franzoͤſiſche, und bey denen, wo Spanien mehr inter-
eſſirt war, der ſpaniſche allein. In Privatbeſuchen aber
behandelten die Bothſchafter einander gleich. Einer der
gemeinſten Auswege, wenn kein Theil im geringſten
nachgeben will, iſt, daß der eine einen Geſandten von
niedrigerm Karacter ſchickt, der vermoͤge ſeines Ranges
nachgeht.


Mit weit mehrern Schwierigkeiten ſind die Rang-
ſtreitigkeiten der Geſandten auf Friedens- und andern
Kongreſſen verknuͤpft, indem dieſe dadurch ſchon mehr-
malen auſſerordentlich verlaͤngert, oder wohl gar zertrent
worden ſind. Doch giebt es auch hier der Auswege noch
mehrere.


a] Die bevolmaͤchtigten Miniſter der kriegfuͤhrenden
Maͤchte vermeiden alle foͤrmliche Zuſammenkuͤnfte, und
unterhandeln in Schriften, welche durch Mediateurs
dem andern Theile iedesmal zugeſtelt werden. Dieſen
Weg ſchlugen ſchon die franzoͤſiſchen Mediateurs auf dem
Kongreſſe zu Boulogne 1600 den engliſchen und ſpani-
ſchen Geſandten vor.


b] Die Geſandten nehmen den Rang nach der Zeit
ein, wie ſie in den Verſamlungsort oder den Conferenz-
ſaal ankommen.


c] Man ſezt ſich in einem Zimmer, wo eigentlich
kein vorzuͤglicherer Platz ſtatt findet, an eine runde Tafel.
Als auf dem Kongreſſe zu Carlowitz 1698 die Geſand-
ten des roͤmiſchen Kaiſers, der Pforte, Rußlands, der
Kron Polen, der Republik Venedig und Grosbritan-
niens, als vermittelnder Macht, des Ranges wegen ſich
Snicht
[274]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
nicht vereinigen konnten, ließen ſie einen runden Saal
und fuͤr ieden Geſandten eine Thuͤr in denſelben erbauen.
Vor den Thuͤren waren die Zelter derſelben, iedes nach
der Gegend ſeines Landes aufgeſchlagen. Bey der Zu-
ſammenkunft gingen ſie mit gleichen Schritten aus ihren
Zelten, kamen zu gleicher Zeit in den Saal, bewilkom-
ten einander auf einmal, und ieder nahm den Stuhl ein,
den er ſeiner Thuͤr gerade gegenuͤber fand. Zu Nimirov
wurden 1737 die Zuſammenkuͤnfte zwiſchen den roͤmiſch-
kaiſerlichen, ruſſiſchen und tuͤrkiſchen Geſandten auf aͤhn-
liche Art in einer Art von Scheune gehalten, welche drey
Thuͤren hatte, wodurch ieder Geſandte aus ſeinem von
dem Conferenzort ziemlich entfernten Quartier zu gleicher
Zeit eingieng f].


d] In neuern Zeiten hat man ſich uͤber ſolche die
Unterhandlungen aͤuſſerſt erſchwerende Rangſtreitigkeiten
mehrenteils weggeſezt. Die Zuſammenkuͤnfte werden
gewoͤnlich ohne alles Ceremoniel gehalten, indem die
Geſandten den erſten beſten Platz einnehmen, und wider
alles Nachtheilige, welches in Anſehung des Ranges dar-
aus gefolgert werden koͤnte, proteſtiren, oder vorher des-
halb gewiſſe Abrede mit einander nehmen. Lezteres ge-
ſchah auf den Kongreſſen zu Utrecht, Cambrai, Soiſſons
und Aachen, wo man unter andern guten Policeyveran-
ſtaltungen dahin uͤbereinkam: “Alle Conferenzen ſollen
ohne Ceremoniel gehalten werden, ſo, daß die Bevol-
maͤchtigten ſich an einen runden Tiſch ſetzen, an welchem
weder ein oberes noch unteres Ende ſich befindet. Sie
werden ſich an ſelbigen, ſo wie ſie in den Saal hinein-
kommen, niederſetzen, und daſelbſt ſich mit einander ohne
Unterſchied und Rang befinden.” g]


3] Bey ſchriftlichen Unterhandlungen, Aus-
fertigung der Vertraͤge, Friedens- und andrer Inſtru-
mente pflegen beide Theile, wenn der Vorrang nicht ent-
ſchieden iſt, abzuwechſeln. Jeder ſezt naͤmlich in dem
Exem-
[275]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
Exemplar, das er ausfertigt und ihm verbleiben ſoll, ſich
zuerſt, und ſein Geſandter unterzeichnet ſich am erſten
Platze. Doch will zuweilen auch dieſe Abwechſelung
nicht einmal zugeſtanden werden; alsdann ſtelt ieder
Theil eine von ihm allein unterzeichnete beſondere Urkun-
de aus. Auf dem Utrechter Friedenskongres z. B. uͤber-
gab der franzoͤſiſche Geſandte dem Grosbritanniſchen die
von ihm allein unterzeichneten Praͤliminarartickel, und
dieſer ſtelte dagegen eine Genehmigungserklaͤrung aus.
So ward es auch auf dem Aachner Friedenskongres mit
der Erklaͤrung vom 31. May 1748 zwiſchen Frankreich,
Grosbritannien und den vereinigten Niederlanden gehal-
ten. Nur ein Geſandter unterzeichnete iedes Exemplar,
ſtelte ſolche den uͤbrigen Geſandten zu, und erhielt von
ihnen ein gleiches. Mit den andern Friedensinſtrumen-
ten hielt man es alſo: Es wurden vier Exemplarien
des Tractats gefertigt, zwey, in welchen der Koͤnig von
Frankreich, zwey, in welchen Grosbritannien zuerſt ge-
nant war: der franzoͤſiſche Geſandte unterſchrieb ſich in
ienes, der grosbritanniſche in dieſen am erſten Orte.
Die Geſandten der vereinigten Niederlande ſezten ihren
Namen in allen vier Exemplarien zulezt. Frankreich
bekam eins von denen, worinnen es zuerſt genant, Gros-
britannien eins, wo dieſe Krone vorgeſezt war; die ver-
einigten Niederlande behielten die beiden uͤbrigen, um
beiden Maͤchten durch Abwechſelung den Vorrang zu laſ-
ſen. Bey dem Beytritte der Kaiſerin Koͤnigin von Hun-
garn und anderer Maͤchte, wurden iederzeit eben ſo viel
Exemplarien auf gleiche Art gefertigt, unter iedes die
Beitritsurkunde geſchrieben, und ſie obgenanten Haupt-
contrahenten zugeſtelt, wogegen ieder Beitretende wie-
derum vier Acceptationsurkunden erhielt h].


Der Streitigkeiten, welche bey Gelegenheit des Aach-
ner Friedens, der Abwechſelung halber in den Urkunden
S 2zwi-
[276]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
zwiſchen Sardinien und Hungarn, Genua und Modena
entſtanden, iſt bereits oben Erwaͤhnung geſchehen.










§. 51.
Gegenwaͤrtige Grundſaͤtze der europaͤiſchen
Staaten
.


In neuern Zeiten haben die europaͤiſchen Nazionen
den Grundſatz der natuͤrlichen Gleichheit unter ſich immer
mehr einzufuͤhren geſucht. Guſtav Adolph von Schwe-
den war einer der erſten, der ſowohl gegen den franzoͤſi-
ſchen Geſandten an ſeinem Hofe in Geſpraͤchen, als be-
ſonders auf der weſtphaͤliſchen Friedensverſamlung dieſe
Gleichheit behauptete a]. Sein Ehrgeitz, ſagt Real b],
konte ſich nicht entſchluͤßen, irgend iemand uͤber ſich zu
erkennen, oder ihm einen Vorrang einzuraͤumen. Es
kam ihm ſonderbar vor, daß unter Koͤnigen, die einan-
der
[277]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
der Bruͤder nennen, einige als die Erſtgebohrnen, die
uͤbrigen aber als die Juͤngern behandelt werden ſolten.
In der Vorausſetzung, daß man blos die koͤnigliche
Wuͤrde in Betracht ziehe, das Alter, die Macht ꝛc. hin-
gegen bey Seite ſetzen muͤſſe, glaubte er, daß ihnen allen
einerley Rang gebuͤhre.


Dermalen iſt,


1] auſſer dem roͤmiſchen Kaiſer, beinahe keine Frage
mehr vom Vorrange, ſondern alle europaͤiſche Maͤchte
wollen, ienem Beiſpiel zu Folge, einander gleich behan-
delt werden. Nach Neyrons Meinung ſollen ſie auch,
bey Gelegenheit der Quadrupelallianz 1718, und Spa-
niens Beitritt zu derſelben 1720, dieſe Regel im algemei-
nen feſtgeſezt haben c]. Indes ſuchen der roͤmiſche Koͤ-
nig, Frankreich, Spanien und Rußland immer noch
einigen Vorzug zu behaupten.


2] Jedoch gehen alle gekroͤnte ganz ſouveraine Haͤup-
ter allen Republiken und den halbſouverainen Regenten
ohne Widerrede vor.


Wenn gekroͤnte Haͤupter einander beſuchen, laͤßt der
Wirth dem Gaſt gewoͤnlich den Vorrang. Dies geſchah
unter andern z. B. bey der Zuſammenkunft der Koͤnige
in Schweden und Daͤnemark zu Friedrichsburg 1658.
Der Koͤnige von Spanien und Portugal zu Liſſabon
1704. ꝛc. d]


Nur der roͤmiſche Kaiſer will auch in ſeiner Behau-
ſung keinem andern Monarchen die Oberhand geben, da-
her dieſe einen ſolennen Beſuch bey ihm vermeiden e].
Aus dieſem Grunde kamen Kaiſer Leopold und Koͤnig
Johann der III. von Polen 1683 auf freiem Felde im
Lager zu Pferde zuſammen, erſchien der Czaar Peter I.
incognito
zu Wien, und ſprachen der Kaiſer und Koͤnig
von Preuſſen 1732 einander ohne ſolennes Ceremoniel
bey Carlsbad auf einer Landpartie.


S 3Vor
[278]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit

Von dem gleichen Verlangen des roͤmiſchen Koͤnigs
iſt ſchon oben Erwaͤhnung geſchehen.


Die Koͤnige nehmen ebenfals in ihrem eignen Quar-
tier den Rang vor den Kurfuͤrſten. Dies hat z. B.
1681 Koͤnig Chriſtian IV. von Daͤnemark gegen Kuͤrfuͤrſt
Fridrich Wilhelm zu Brandenburg, der Koͤnig von Hun-
garn nachheriger Kaiſer Joſeph I. vor der Wahl zu
Augsburg 1689 gegen Kurmainz ꝛc. gethan f].


Die Kurfuͤrſten laſſen einander bey Beſuchen die
Oberſtelle; ſo auch den altweltlichen Fuͤrſten, die Sitz
und Stimme haben, aber keinesweges den neuen Fuͤr-
ſten, oder denen, die nicht Sitz und Stimme haben g].


Die altweltliche Fuͤrſten wollen den geiſtlichen, den
neuen Fuͤrſten, wenn ſie gleich Sitz und Stimme haben,
und noch weniger den Titularfuͤrſten den Vorrang auch
im eignen Hauſe nicht zugeſtehn h].


3] Auf Congreſſen gehen die Geſandten der ſtreitigen
Theile den Miniſtern der vermittelnden Maͤchte ohne
Bedenken nach, wenn dieſe auch ſonſt wuͤrklich von ge-
ringerer Wuͤrde und niedrigerm Range waͤren.








g] Mo-
[279]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.



S 4Vier-
[280]

Viertes Kapitel.
Von der Freiheit der Nazionen, ihre Handlungen
nach eignem Gefallen einzurichten.


§. 1.
Dieſe Freiheit fließt aus der Unabhaͤngig-
keit und Gleichheit der Nazionen
.


Da die Voͤlker von Natur unabhaͤngig und einander
volkommen gleich ſind, alſo keine Oberherſchaft,
kein Gebot oder Verbot, noch Strafen unter ihnen ſtatt
findet a], ſo folgt daraus vorzuͤglich der Grundſatz, daß
iedes ſouveraine Volk und deſſen Regent, der Regel nach,
das Recht habe, ſeine Handlungen und die Regierung
des Staatskoͤrpers nach eignem Gutduͤnken einzurichten b],
ohne daß eine andere Nazion befugt iſt, ſich darein zu
miſchen, das handelnde Volk deshalb zur Rede zu ſtellen,
ſich zum Richter daruͤber aufzuwerfen, oder eine Abaͤnde-
rung der getroffenen Veranſtaltungen zu verlangen.
Folglich iſt auch keine Nazion verbunden, dergleichen
Einmiſchung von andern zu leiden, ihnen von ihrem
Thun und Laſſen Rede und Antwort zu geben c], noch
deren Gebote oder Verbote anzunehmen. Ein Grund-
ſatz, den alle freie Voͤlker, ihres eignen Vorteils wegen,
ohne Widerrede anerkennen.



b]
[281]Von der Freiheit der Nazionen, ꝛc.



§. 2.
Darf iedoch die Rechte der uͤbrigen Nazio-
nen nicht verletzen
.


Bey alle dem iſt die Wilkuͤhr in den Handlungen der
Nazionen iedoch dergeſtalt zu maͤßigen, daß die gleichen
Rechte und Freiheiten der uͤbrigen dadurch nicht verletzt
werden.


S 5*]
[282]Von der Freiheit der Nazionen, ihre

§. 3.
Noch ihre geſelſchaftliche Verbindung
ſtoͤren
.


Die genaue Verbindung, in welcher die europaͤiſchen
Nazionen heut zu Tage ſtehen, indem ſie gewiſſermaaſſen
und beſonders in den Faͤllen, wo es auf ein gemeinſchaft-
liches Intereſſe ankomt, als Glieder einer großen glei-
chen Geſelſchaft zu betrachten ſind, [2. Kap.] erfordert,
nach den Grundſaͤtzen des freiwilligen Voͤlkerrechts, daß
eine Nazion bey ihren Handlungen auch Ruͤckſicht auf
die geſelſchaftlichen Pflichten nehme, und ihre Freiheit
hierinn nicht zum offenbaren Nachtheil fuͤr die Ruhe und
Erhaltung dieſer großen Geſelſchaft misbrauche a], oder
den uͤbrigen Gliedern dadurch gegruͤndete Urſache zu
Mistrauen und Unruhe gebe b].




§. 4.
Dieſe Freiheit kann auch durch Vertraͤge
oder Herkommen eingeſchraͤnkt werden
.


Ein Volk kann ferner durch Vertraͤge oder auch
durchs Herkommen der Freiheit nach eignem Gutduͤnken
zu handeln ſich begeben. Dahin gehoͤren alle zum Theil
oben ſchon erwaͤhnte Buͤndniſſe, wodurch die Souverai-
netaͤt uͤberhaupt in einigen Stuͤcken beſchraͤnkt wird, z.
B. Lehns-, Schutz- und andere Buͤndniſſe; ingleichen
die Vertraͤge, vermoͤge welcher man dieſer Freiheit in
ein-
[283]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
einzelnen Faͤllen entſagt, oder die ſogenanten Staats-
rechts-Servituten [ſervitutes juris publici] wovon in der
Folge Beiſpiele vorkommen werden. Das Herkommen
ſezt einen ſtilſchweigenden Vertrag zum Grunde, und
kann alſo auch hierinn gleiche Wuͤrkung hervorbringen a].




§. 5.
Unrechtmaͤßige Einſchraͤnkung.


Macht und Anſehen koͤnnen von Rechtswegen auf die
Freiheit der Handlungen unter den Nazionen eben ſo
wenig Einflus haben, als auf ihre Unabhaͤngigkeit uͤber-
haupt. Der Staͤrkere hat kein Recht, dem Minder-
maͤchtigen vorzuſchreiben, oder zu verbieten. Dies ge-
ſchieht zwar auch gewoͤnlich eben nicht gerade zu; indes
wird ein ſchwaͤcherer Staat, aus Furcht vor dem ſtaͤr-
kern Nachbar, oͤfters genoͤthigt, etwas zu thun oder zu
laſſen, wozu er ſich auſſerdem nicht entſchloſſen haben
wuͤrde, und wozu er, nach dem ſtrengen Rechte, nicht
verbunden geweſen waͤre. Dahingegen unternimt der
Maͤchtige gemeiniglich, ohne weitere Ruͤckſicht, alles,
was er ſich durchzuſetzen getraut. Der Schwaͤchere kan
dies zwar auch; doch rather die Klugheit allerdings, dem
Staͤr-
[284]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
Staͤrkern, ſo viel moͤglich, nachzugeben, und in den
Handlungen ſich alſo zu benehmen, daß dieſer keine
Urſach habe, ienem ſeinen Unwillen fuͤhlen zu laſſen a].





§. 6.
Keine Nazion iſt befugt, ſich in die Hand-
lungen der andern zu miſchen
.


Kein Volk kann daher auf irgend eine Art, oͤffent-
lich oder heimlich, ſich in die Staatsangelegenheiten der
uͤbrigen miſchen, ohne ihre Rechte zu beleidigen a].


Die
[285]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.

Die leider nur zu oͤftere Uebertretung dieſes natuͤrli-
chen Geſetzes und die haͤufigen Klagen daruͤber b] haben
deshalb verſchiedene beſondere Vertraͤge unter den euro-
paͤiſchen Nazionen veranlaßt, worinn ſie einander ver-
ſprochen, ſich in die Regierungshaͤndel gewiſſer Staaten
nicht zu miſchen.


Frankreich z. B. will nach dem pyrenaͤiſchen Frie-
den von 1659, Art. 60. ſich der Einmiſchung in die por-
tugieſiſchen Haͤndel enthalten.


Der roͤmiſche Kaiſer ſoll, vermoͤge des Luͤbecker
Friedens mit Daͤnemark 1629, Art. 2. 3. eben ſo wenig
an der Regierung in Daͤnemark, als dieſe Krone an der
Regierung des Kaiſers im Reiche etwas zu verbeſſern
ſuchen, oder erſtere ſich in die teutſchen Sachen uͤberhaupt
weiter, als wegen Holſtein miſchen.


Rußland verſprach, in die innern Angelegenheiten
des Koͤnigreichs Schweden, inſonderheit was die von
den Staͤnden des Reichs einhellig beliebte Regierungs-
form und Succeſſionsart betrift, ſich weder directe noch
indirecte zu miſchen. Neuſtaͤdter Friede 1721 Art. 7.


Ein gleiches ſicherte eben dieſe Macht in Anſehung
der polniſchen Staatsſachen zu, im Frieden mit der
Pforte zu Conſtantinopel 1712, Art. 1. und zu Adria-
nopel 1713, Art. 1.


Zuweilen verbinden auch wohl die Staͤnde eines
Reichs ihren Regenten, nicht zuzugeben, daß auswaͤr-
tige Nazionen ſich in die Staatsgeſchaͤfte miſchen, wie
z. B. die teutſchen Reichsſtaͤnde den Kaiſer, welcher
Art. 28. §. 1. der Wahlcapitulation verſpricht: Wir
ſollen und wollen [zu Verhuͤtung allerhand Simultaͤten
und daraus entſtehender gefaͤhrlichen Weiterung] nicht
geſtatten, daß die auswaͤrtigen Gewaͤlte oder deren
Geſandte ſich heim- oder oͤffentlich in die Reichsſachen
miſchen.


Auch
[286]Von der Freiheit der Nazionen, ihre

Auch dritte Maͤchte ſuchen, wie aus dem vorſtehen-
den ſchon erhellet, mehrmalen den alzugroßen Einfluß
eines Staats auf die Regierung des andern zu verhuͤten.
So ließ ebenfals Rußland in dem Kriege zwiſchen Gros-
britannien und den vereinigten Niederlanden den leztern
erklaͤren: daß es, in Verbindung mit einer andern Macht
[Oeſterreich] niemals zugeben wuͤrde, daß Frankreich auf
die Entſchluͤſſe der Generalſtaaten einen Einflus habe c].





§. 7.
Am wenigſten in die innere Staatsverfaſ-
ſung
.


Die vorzuͤglichſte Freiheit hat eine Nazion in Anſe-
hung ihrer innern Angelegenheiten, welche zunaͤchſt blos
die eigne Staatsverfaſſung des Volks, die Regierungs-
form, die Staatsverwaltung, die Gerechtſame des Re-
genten, der Reichsſtaͤnde und Unterthanen, und uͤber-
haupt das eigne Wohl der Staaten betreffen a]. Da
alle dieſe Gegenſtaͤnde auf andere Nazionen gewoͤhnlicher-
weiſe keine Beziehung haben; ſo duͤrfen ſie auch einander
hierinn nichts vorſchreiben oder unterſagen. Wenn gleich
ein Regent ſeine Unterthanen auf irgend eine Art beſchwert,
ſo
[287]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
ſo hat doch kein Volk das Recht, ihm Einhalt zu thun,
oder iene zu Klagen zu veranlaſſen b].


Als daher Rußland 1747 von Schweden die Ent-
fernung des Grafen von Teßin von den Regierungsge-
ſchaͤften verlangte, aͤuſſerte der Reichsſenat: Sie hiel-
ten es vor ſchimpflich, daß ſich ein freies Koͤnig-
reich in dergleichen Domeſtique-Affairen von einer
andern Potenz ſolte Geſetze vorſchreiben laſſen
;
und der Bauernſtand ließ ſich dahin vernehmen: Man
koͤnte keinen Miniſter abſetzen, ohne daß die Potenz,
welche ſich uͤber ihn beſchwerte, die Beſchuldigungen dar-
gethan haͤtte. Weil ſich aber dieſe Potenz in ihrer Mei-
nung gar ſehr betruͤgen koͤnte, ſo muͤſte ſie ihr Vorgeben
mit den klaͤrſten Beweisgruͤnden unterſtuͤtzen, ſonſt wuͤr-
de man ſich voͤllig von derſelben dependent machen,
welches doch einer freien und ſouverainen Nazion
nachtheilig waͤre
c].





§. 8.
Es muͤſten denn Vertraͤge dazu berechtigen.


Jedoch leidet dieſes eine Ausnahme, wenn eine Na-
zion durch Friedensſchluͤſſe, Vertraͤge ꝛc. dazu berechtigt
iſt a], wie z. B. Frankreich und Schweden als Garants
des
[288]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
des weſtphaͤliſchen Friedens und der Staatsverfaſſung
von Teutſchland; Rußland, Preuſſen und Oeſterreich in
Anſehung Polens. Nur muͤſſen dieſe Vertraͤge aller-
dings nicht weiter ausgedehnt werden, als der deutliche
und woͤrtliche Inhalt derſelben es mit ſich bringt b]. Aber
die Klagen uͤber den Misbrauch ſind mehrenteils nicht
ſelten.




§. 9.
Oder auf Erſuchen der intereſſirten Theile.


Zuweilen veranlaßt ein Staat ſelbſt den andern, ſich
ſeiner innern Staatsgeſchaͤfte anzunehmen, und erſucht
ihn, beſonders bey Entſtehung innerer Unruhen und Par-
theien, um Vermittelung und Beiſtand. Jedoch muß
dann, wenn die Einmiſchung der auswaͤrtigen Macht
rechtmaͤßig ſeyn ſoll, das Anſuchen mit beider intereſſir-
ten Theile Einwilligung geſchehen, damit iener Vorkeh-
rungen nicht der Vorwurf der Partheilichkeit gemacht
werden koͤnne a].




§. 10.
[289]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.

§. 10.
Ingleichen des dabey habenden Intereſſe
wegen
.


Nazionen, welche bey den Handlungen eines andern
Volks ein Intereſſe, d. i. einigen Nutzen oder Schaden
daraus zu gewarten haben, koͤnnen auch, nach Beſchaf-
fenheit der Umſtaͤnde, mehr oder weniger ſich dagegen
regen a]. Zwar iſt kein Volk verbunden, ſeine Freiheit
zum Nutzen der uͤbrigen zu beſchraͤnken, oder eine zum
Vortheil des Staats gereichende Einrichtung darum zu
unterlaſſen, weil andern einiger Nutzen dadurch entzo-
gen, folglich mittelbar Schaden zugefuͤgt wird b]; iedoch
erfordern die Pflichten der geſelſchaftlichen Verbindung,
den unmittelbaren Nachtheil der uͤbrigen Nazionen ſo viel
moͤglich zu vermeiden, und alles aus dem Wege zu raͤu-
men, wodurch beſonders die Nachbarn beſtaͤndiger
Gefahr und Unruhe ausgeſetzt werden c].


Auch dem dritten Staate, der durch das Intereſſe
ſeiner Bundsgenoſſen hierzu veranlaßt, oder vermoͤge
der mit dieſen errichteten Vertraͤge dazu genoͤthigt wird,
kann es nicht fuͤglich verargt werden, wenn er ſich, zu
Gunſten derſelben, bey gewiſſen Gelegenheiten in die
Staatsgeſchaͤfte fremder Maͤchte miſcht d].





d]
[291]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.

§. 11.
Aus Freundſchaft und Bundsgenoſſenſchaft.


Wenn aber auch in denen zwiſchen den Nazionen
vorhandenen Vertraͤgen hieruͤber ausdruͤcklich nichts be-
ſtimt iſt, ſo halten dieienigen Staaten, welche uͤber-
haupt mit einander in Buͤndnis und Freundſchaft ſtehen,
ſich oͤfters berechtigt, ihre willigen Dienſte bey innern
Angelegenheiten dem andern Staate anzutragen. So
ließ Frankreich bey den gegenwaͤrtigen Uneinigkeiten in
den vereinigten Niederlanden den Generalſtaaten durch
ſeinen Geſandten in einem Memoire vom 21. Apr. 1786
erklaͤren: “Der unterzeichnete Ambaſſadeur hat die Ehre
E. H. M. die ſtaͤrkſten Zeugniſſe von der Zuneigung und
Freundſchaft zu ertheilen, welche der Koͤnig ſein Herr
gegen ſie hege, und ihnen die Verſicherung der unveraͤn-
derlichen Anhaͤnglichkeit Sr. Maj. an die Allianz, wel-
che zwiſchen ihnen und den vereinigten Staaten Statt
findet, zu erneuern.


“Als eine Folge dieſer Geſinnungen aͤuſſert der
Koͤnig den Wunſch, daß man zu einer Verbeſſerung der
Misbraͤuche kommen moͤge, welche in der Republick
innerliche Uneinigkeiten veranlaßt haben koͤnnen, und
daß ihre Ruhe auf Gruͤnden moͤge hergeſtelt werden, die
in dem Weſen ihrer wahren Conſtitution liegen.


Indem der Koͤnig E. H. M. dieſe Wuͤnſche
zu erkennen giebt, ſo verlangt er keinesweges ſich

T 2in
[292]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
in die Direction der innerlichen Affairen der
Republick
zu miſchen; weit entfernt dieſe Abſicht zu
haben, wuͤrde im Gegentheil Sr. Maj., wenn es noͤthig
waͤre, die thaͤtigſten Bemuͤhungen anwenden, um zu
verhindern, daß J. H. M. darinn von innen oder von
auſſen geſtoͤhrt wuͤrden. Sr. Maj. haben bey dieſem
Schritte keine andre Abſicht, als gegen J. H.
M. die Pflichten eines Freundes und Bundsgenoſ-
ſen zu erfuͤllen
, und ihnen dadurch eine neue Probe des
aufrichtigen Anteils zu geben, welchen der Koͤnig an dem
Gluͤck und Wohlergehn der vereinigten Provinzen nimt.”


Geſchieht die Einmiſchung wuͤrklich aus guter Abſicht
und zum Nutzen des Staats, in deſſen Angelegenheiten
dieſelbe unternommen wird, ſo kann der ſich einmiſchende
Staat allenfals auf eine feierliche und foͤrmliche Dank-
ſagung von dieſem Anſpruch machen; ſonſt aber wird
ſolche wohl eine ſeltne Erſcheinung ſeyn, wie Moſer
bemerkt und zum Beiſpiel die polniſche Dankabſtattung
an Rußland 1776 anfuͤhrt a].



§. 12.
Erlaubte Maasregeln beider Theile hierbey.


Wird den natuͤrlichen oder erworbenen Rechten eines
Volks durch die innern Einrichtungen des andern nicht
zu nahe getreten, ſondern etwa nur ein gehofter Nutzen
vereitelt, oder ein zufaͤlliger vielleicht gar entfernter,
blos moͤglicher Schaden bewuͤrkt, ſo darf die Einmi-
ſchung nicht fuͤglich anders als durch freundſchaftliche
Vorſtellungen und bittweiſe a], oder auch weiter, als
man durch Vertraͤge oder auf andere Art dazu berechtigt
iſt, geſchehen. Geht eine Nazion hierinn zu weit, ſo
giebt ſie der andern, in deren Staatsverfaſſung ſie ſich
miſcht,
[293]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
miſcht, Anlas zu gegruͤndeten Beſchwerden, die durch
nachdruͤckliche Vorſtellungen, Anrufung der Bundsge-
noſſen und andere ſchaͤrfere gegen verlezte Rechte uͤber-
haupt erlaubte Mittel, z. B. Wegſchaffung ihres Ge-
ſandten vom Hofe ꝛc. geahndet werden koͤnnen b].




§. 13.
Recht der Nazionen, einander ihrer Hand-
lungen wegen zu Rede zu ſtellen
.


So wenig ein Volk das Recht hat, ſich in die Regie-
rung des andern uͤberhaupt zu miſchen, eben ſo wenig iſt
T 3es,
[294]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
es, aus dem naͤmlichen Grunde, befugt, daſſelbe, ſei-
ner Handlungen wegen, zu Rede zu ſtellen.



§. 14.
Schuldigkeit, deshalb Rechenſchaft zu
geben
.


Keine Nazion iſt folglich, der Regel nach, ſchul-
dig, der andern, oder irgend iemand von ihrem Thun
und Laſſen Rechenſchaft zu geben: und man ſchuͤzt ſolche
gemeiniglich alsdenn vor, wenn man auf beſchehene An-
frage eine beſtimtere Antwort ſeiner Konvenienz nicht
gemaͤs findet. Der ruſſiſche Groskanzler entgegnete
1748 dem franzoͤſiſchen Chargé d’ affaires zu Petersburg,
der ſich wegen der, dem Vernehmen nach, zum Dienſt
der Seemaͤchte beſtimten ruſſiſchen Truppen erkundigte:
Que Sa Maj. Imp. étant Souveraine, elle n’avoit beſoin
de rendre compte à aucune puißance de la terre de la
marche des ſes troupes a
].




§. 15.
Finden nur bey algemeinen bedenklichen
Unternehmungen ſtatt
.


So lange die Handlungen eines Volks hauptſaͤchlich
nur das innere Wohl des Staats betreffen, haben die
uͤbrigen Nazionen, auſſer den obbemerkten Faͤllen weder
Recht noch Urſach ſich darum zu bekuͤmmern. Wenn
aber deſſen Veranſtaltungen unmittelbar auf die große
Staatsgeſelſchaft, deren Mitglied es iſt, ſich beziehen,
und von der Art ſind, daß die Beſorgniß fuͤr die alge-
meine Ruhe und Sicherheit erwecken; ſo muͤſſen die
andern Staaten nothwendig aufmerkſam werden; zumal
wenn die etwas dergleichen unternehmende Nazion ſchon
durch aͤhnliche Faͤlle zu Mistrauen Anlas gegeben hat.
Sie ſind daher, beſonders die zunaͤchſt intereſſirten,
nach dem freiwilligen ſowohl, als dem herkomlichen
Voͤlkerrechte, gar wohl befugt, eine Erklaͤrung uͤber die
Abſicht ſolcher Handlungen und die Hebung des Beſorg-
niſſes hierunter zu fodern a].



T 4§. 16.
[296]Von der Freiheit der Nazionen, ihre

§. 16.
Deren Beſtimmung.


Bey Beſtimmung dieſer fuͤr die algemeine Ruhe der
großen Voͤlkergeſelſchaft beſorglichen Handlungen komt
es zuweilen blos auf gewiſſe angenommene Syſteme und
beſondere, bald auf laͤngere, bald auf kuͤrzere Zeit, ge-
ſchloſſene Verbindungen unter den Hauptnazionen Euro-
pens an. Es giebt aber auch Unternehmungen, welche
durch ein beſtaͤndiges Herkommen von den europaͤiſchen
Maͤchten zu allen Zeiten und unter allen Umſtaͤnden dem
gemeinſchaftlichen Intereſſe und der algemeinen Geſel-
ſchaft fuͤr nachtheilig angeſehn worden ſind a].



§. 17.
Dahin gehoͤren: Verletzung der Gerecht-
ſame anderer Nazionen
.


Die erſte und rechtmaͤßigſte Urſach, eine Nazion,
ihrer Handlung wegen, zur Rede zu ſtellen, iſt alsdann
vorhanden, wenn dieſelbe dadurch den Rechten einer
andern zu nahe tritt, oder wenigſtens zu nahe zu treten
ſcheint; wenn ſie den unter ihnen vorhandenen Vertraͤ-
gen geradezu oder unmittelbar zuwiderhandelt a], und
Schuldigkeiten unterlaͤßt, die auf Vertraͤge b], oder
auch nur auf ein guͤltiges Herkommen beruhen.




§. 18.
Freundſchaftswidriges Benehmen.


Vermoͤge des freiwilligen Voͤlkerrechts muͤſſen die
in geſelſchaftlicher Verbindung ſtehenden Voͤlker, wenn
ſie auch keine volkomne Verbindlichkeit haben, ihr
wechſelſeitiges Wohl zu befoͤrdern, wenigſtens alles
dasienige vermeiden, was die Eintracht unter ihnen ſtoͤ-
ren, oder dieſe Bande ganz zerreiſſen koͤnnte. Wenn
daher eine, dem Vorgeben nach, freundſchaftliche Na-
zion mit den oͤffentlichen oder heimlichen Feinden einer
andern in Buͤndnis trit oder ſonſt ſich einlaͤßt; mittel-
oder unmittelbar die Anſchlaͤge und Abſichten dieſer Na-
zion erſchwert oder gar vereitelt; Hoͤflichkeiten oder Ge-
faͤlligkeiten gegen dieſelbe unterlaͤßt oder verweigert, wel-
che dieſe von allen uͤbrigen erhaͤlt, und iene allen andern
erweißt; wenn endlich ein Volk, das bisher in gutem
T 5Ver-
[298]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
Vernehmen mit ihnen geſtanden, uͤberhaupt ein bedenkli-
ches Betragen annimt, und Dinge ſich erlaubt, welche
mit der guten Nachbarſchaft und Geſelligkeit nicht beſte-
hen koͤnnen, ſo ſind dies fuͤr einen ruheliebenden Staat,
der keine Gelegenheit dazu gegeben, gerechte Veranlaſ-
ſungen genug, den andern um die Abſicht ſolcher auffal-
lenden Handlungen zu befragen.



§. 19.
Anſtalten, welche feindſelige Abſichten
gegen andre Nazionen vermuthen laſſen
.


Es kann zwar keinem Volke gemisdeutet werden,
wenn es ſowohl zu Handhabung der innern Ruhe, als
zu Vertheidigung gegen auswaͤrtige Anfaͤlle, die noͤthi-
gen Anſtalten trift; iedoch erfordern die geſelſchaftlichen
Pflichten, daß es die Wahrſcheinlichkeit dieſer Abſicht,
durch gar zu ungewoͤnliche und bedenkliche Ruͤſtungen
nicht uͤberſchreite, und Beſorgniſſe fuͤr die Sicherheit der
uͤbrigen Nazionen errege: oder es iſt verbunden, dieſe
durch Darlegung ſeines dabey habenden Endzwecks, zu
beruhigen, und ihnen ihr Mistrauen zu benehmen. Zu
dergleichen auffallenden Handlungen rechnet man gemei-
niglich: Die Befeſtigung gewiſſer Plaͤtze, beſonders an
den Grenzen; ungewoͤnliche Werbung ſtarker Armeen a];
Maͤrſche der Truppen, vornaͤmlich nach den Grenzen b];
Zuſammenziehung derſelben in Laͤger, die zuweilen unter
dem Schein der Waffenuͤbungen angeordnet werden;
Zufuhr von Kriegsmunition und Anlegung von Magazi-
nen an den Grenzen c]; bey Seemaͤchten: das unerwar-
tete Auslaufen der Kriegsflotten ꝛc. d]





d]
[301]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.

§. 20.
[302]Von der Freiheit der Nazionen, ihre

§. 20.
Beurteilung der auffallenden und bedenk-
lichen Handlungen
.


Ob ein Unternehmen wuͤrklich bedenklich und fuͤr die
Sicherheit der uͤbrigen Nazionen gefaͤhrlich ſey? Dar-
uͤber entſteht nicht ſelten Streit zwiſchen den handelnden
und fragenden Theilen. In dieſem Falle hat iedoch das
zunaͤchſt intereſſirte Volk bey der Anfrage ohnſtreitig
mehr fuͤr ſich, weil dieſes am beſten beurteilen muß,
was ihm Bedenklichkeiten erregt, und ienes durch eine
befriedigende Antwort ſehr leicht heben kann. Jedoch
darf die fragende Nazion nicht ohne Grund bey ieder
Gelegenheit ihr Mistrauen aͤuſſern. Auf den Anſpruch
der, wegen Leiſtung der verſprochenen Huͤlfe bey entſte-
henden Streitigkeiten, dabey hauptſaͤchlich intereſſirten
Bundsgenoſſen und uͤbrigen Theilhaber komt vieles an a].
Uebrigens iſt es eben nicht noͤthig, daß die nachtheilige
Handlung wuͤrklich ſchon erfolgt ſey. Zuweiln ſind auch
ein gegruͤndetes Beſorgniß b], ein hoͤchſt wahrſcheinlicher
Verdacht, oder eine zweideutige Lage der Sachen uͤber-
haupt hinlaͤnglich zur Anfrage c].





§. 21.
Freiwillige Erklaͤrung.


Bey Handlungen, welche Mistrauen und Beſorg-
niſſe bey andern erwecken koͤnnten, erklaͤren die Nazio-
nen, wenn ſie aufrichtig und den geſelſchaftlichen Pflich-
ten gemaͤs zu Werke gehen wollen, gewoͤnlich ſelbſt,
ohne weitere Veranlaſſung, den uͤbrigen, beſonders den
Nachbarn und denen, die zunaͤchſt dabey intereſſirt ſind,
daß darunter keine nachtheilige Abſicht gegen dieſelben
verborgen ſey. Wenn z. B. auſſerordentliche Veraͤnde-
rungen in der Regierungsverfaſſung, oder auch nur im
Miniſterio vorgenommen werden, pflegt man allen an-
dern Hoͤfen, zumal den freundſchaftlichen, zu verſichern,
daß dieſes keine Veraͤnderung in den Tractaten oder der
guten Freundſchaft und Nachbarſchaft uͤberhaupt mit
ihnen, nach ſich ziehen ſolle a]. Dies geſchieht auch,
wenn ein Volk veranlaßt wird, ſich in Vertheidigungs-
ſtand zu ſetzen, gewiſſe bedenkliche Buͤndniſſe mit andern
zu ſchließen ꝛc. b]


a]
[304]Von der Freiheit der Nazionen, ihre


§. 22.
Anfragen deshalb.


Unterlaͤßt aber auch ein Staat dieſe freiwillige
Erklaͤrung, ſo iſt er doch, den geſelſchaftlichen Pflich-
ten und dem Herkommen gemaͤs, verbunden, wenig-
ſtens auf die deshalb an ihn ergehende Anfrage, eine be-
friedigende Antwort zu erteilen, wenn ihm anders daran
gelegen iſt, die bisherige Freundſchaft mit der fragenden
Nazion zu unterhalten.


§. 23.
Wer das Recht hat zu fragen?


Aus den vorhergehenden §. §. worinn gezeigt worden,
wer uͤberhaupt einiges Recht habe, ſich um die Handlun-
gen eines unabhaͤngigen Staats zu bekuͤmmern, laͤßt
ſich auch leicht abnehmen: wer den Souverain deshalb
zu Rede ſtellen koͤnne? Jede Nazion naͤmlich, die mit-
tel- oder unmittelbar dabey intereſſirt iſt. Bey Unter-
nehmung-
[307]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
nehmungen in auswaͤrtiger Beziehung inſonderheit, die
naͤchſten Nachbarn, auch deren Bundsgenoſſen a] und
andere, denen aus den Veranſtaltungen eines Staats
gegen dritte einiger Nachtheil zuwaͤchſt b]. In Faͤllen,
wo das eigentlich blos auf ein einzelnes Volk gerichtete
Benehmen nachtheilige Folgen fuͤr die große Voͤlkerge-
ſelſchaft Europens haben koͤnte, halten ſich ſaͤmtliche
Mitglieder derſelben berechtigt, deshalb anzufragen c].





§. 24.
Nothwendigkeit zu fragen.


Wenn eine Nazion dergleichen verdaͤchtige, oder
den Gerechtſamen anderer wuͤrklich nachtheilige Hand-
lungen unternimt, ſo verlangt das von den meiſten
Voͤlkern Europens behauptete Herkommen, daß die
dabey intereſſirten Staaten, bevor ſie weitere Vorkeh-
rungen treffen, ſich mit iener daruͤber vernehmen und
Sicherſtellung oder Genugthuung fodern a]; wohin
U 2auch
[308]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
auch verſchiedene Buͤndniſſe lauten b]. Wird die
Anfrage oder Beſchwerde aber unterlaſſen und ſogleich
zu Thaͤtigkeiten geſchritten, ſo hat man es gemeinig-
lich fuͤr Beleidigung angeſehn c].





§. 25.
Art der Anfrage.


Die Anfrage kan entweder ſchriftlich oder muͤndlich,
theils von dem zunaͤchſt intereſſirten Souverain ſelbſt,
durch den an ſeinem Hofe befindlichen Geſandten des
freundſchaftswidrig handelnden Staats, oder durch ſei-
nen bey dieſem ſich aufhaltenden Geſandten, theils
mittelſt der Bundsgenoſſen eines oder des andern Volks,
oder auch durch einen mit beiden in Freundſchaft ſtehen-
den Staat geſchehen. Die Art der Anfrage muß uͤbri-
gens allerdings, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde,
algemeiner oder beſtimter, und, nach der Groͤße der
Gefahr und des Intereſſe, auch nach dem Verhaͤltniſſe,
in welchem man mit dem andern Hofe bis dahin geſtan-
den, beſcheidener oder ernſtlicher eingerichtet werden.
Zuweilen fuͤgt der fragende Staat gleich die Erklaͤrung
der, im Fall einer unzulaͤnglichen Antwort, zu ergrei-
fenden Maasregeln bey.



§. 26.
Antwort darauf.


In den vorbemerkten Faͤllen leidet die Regel des
natuͤrlichen Voͤlkerrechts: daß kein freies Volk ſchuldig
ſey, dem andern von ſeinen Handlungen Rechenſchaft
zu geben, eine Ausnahme. Wird hierinn, auf geziemen-
de Anfrage, entweder keine hinlaͤngliche, oder auch gar
keine Antwort gegeben, ja ſolche, unter Beziehung auf
iene Regel ausdruͤcklich verweigert, und die diesfalſige
Anfrage fuͤr Beleidigung geachtet, ſo ſieht man dies
gemeiniglich fuͤr ein ſtilſchweigendes Geſtaͤndnis der
beſchuldigten Abſichten an, wodurch die fragende Na-
zion alle dagegen zu ergreifende Sicherheitsvorkehrungen
gerechtfertigt glaubt a]. Ein freundſchaftlich geſinnter
Staat, der die geaͤuſſerten Beſorgniſſe des andern unge-
gruͤndet findet, ſucht den fragenden daher auf alle Art
zu beruhigen und ſicher zu ſtellen. “Die Kaiſerin von
Rußland, hieß es 1784, hat auf die Anfrage wegen
einiger Ruͤſtungen in Schweden von dem Miniſter Gra-
fen von Kreutz die Verſicherung erhalten, daß der Koͤnig
von Schweden nicht die geringſte Abſicht habe, die
freundſchaftliche Eintracht in Norden zu unterbre-
chen b].”


Die Antwort kan durch eben die Wege wie die An-
frage geſchehen, muß uͤbrigens, ſo viel moͤglich klar und
befriedigend ſeyn c], und da die muͤndlichen oft aller-
hand Zweideutigkeiten unterworfen ſind; ſo werden ſie
mehren-
[311]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
mehrenteils ſchriftlich verlangt d]. Zuweilen hat der
fragende Souverain auch ſchon dem andern vorgeſchrie-
ben, wie die Erklaͤrung eingerichtet werden ſolle e].
Dieſe Antwort pflegt dann den uͤbrigen freundſchaftlichen
Hoͤfen mitgeteilt zu werden, damit ſie aus dem Erfolg
die Zuverlaͤſſigkeit der Verſicherungen ienes Staats in
aͤhnlichen Faͤllen beurteilen koͤnnen f].






U 4e] Der
[312]Von der Freiheit der Nazionen, ihre


§. 27.
Streit uͤber die Hinlaͤnglichkeit der
Erklaͤrung
.


In wiefern die ertheilte Antwort befriedigend ſey
oder nicht? daruͤber entſtehen mehrmalen Streitigkeiten.
Dem antwortenden Theile ſcheint oft etwas hinlaͤnglich,
was der fragende dafuͤr nicht anſehen will. Jener
beſchuldigt dieſen daher der Ungenuͤgſamkeit a], glaubt
ſich wohl gar beleidigt, daß man zu ſeinen Verſicherun-
gen nicht mehr Vertrauen hat, oder haͤlt es doch ſeiner
Unab-
[313]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
Unabhaͤngigkeit fuͤr nachtheilig, ſich in weitere Erklaͤrun-
gen deshalb einzulaſſen b]. Indes ſind die durch das
Betragen einer andern Nazion in Unruhe verſetzte und
ſonſt dabey intereſſirte, oder dritte freundſchaftliche
Staaten allerdings guͤltigere Richter uͤber die Hinlaͤng-
lichkeit der erfolgten Antwort, als derienige, welcher
ſolche ertheilt hat c].





U 5§. 28.
[314]Von der Freiheit der Nazionen, ihre

§. 28.
Maasregeln des fragenden Theils hierbey.


Finden die intereſſirten Nazionen die Antwort des
andern Souverains nicht deutlich oder nicht hinlaͤnglich
genug, ſo koͤnnen ſie nicht nur eine befriedigendere Erklaͤ-
rung, ſondern auch, nach Beſchaffenheit der Umſtaͤnde,
mehrere Sicherheit durch Abſtellung der beſorglichen
Handlungen a] oder ſonſtige Garantie b] verlangen,
auch die Erklaͤrung ernſtlicher Gegenvorkehrungen beifuͤ-
gen. Werden iene abgeſchlagen, ſo bleibt nichts uͤbrig,
als ſich in erfoderlichen Vertheidigungsſtand zu ſetzen,
Obſervationskorps, Flotten ꝛc. auszuruͤſten und andere
noͤthige Anſtalten zu treffen c]. Der Theil, ſagt Mo-
ſer d], welcher durch eine unzulaͤngliche Antwort und
Erklaͤrung in unnoͤthige Sorgen, Koſten und Gegenver-
faſſung geſetzt worden iſt, kan von ienem eine billigmaͤſi-
ge Entſchaͤdigung fodern, wie z. E. der Kaiſer von
Spanien, als dieſe Krone einen Einfall in Italien
beſorgen ließ. Er bemerkt aber auch an einem andern
Ort e] ſehr wohl, daß es etwas rares ſey, wenn eine
Potenz von der andern in ſolchem Falle Schadloshaltung
bekomme. Hat uͤbrigens eine Nazion uͤberzeugende Be-
weiſe von den feindlichen Abſichten der andern, ſo kan
es ihn keinesweges verargt werden, wenn ſie dieſer
zuvorzukommen, ſich dadurch Sicherheit zu verſchaffen
und die ihr gedrohte Gefahr abzuwenden ſucht f].


Auch die Bundsgenoſſen und andere vermittelnde
Maͤchte pflegen, wenn ihren guͤtlichen Vorſtellungen
kein Gehoͤr gegeben werden will, oͤfters zu erklaͤren, daß
ſie, im Fall es zum Ausbruch oͤffentlicher Feindſeligkei-
ten kommen ſollte, die Parthie des Beleidigten ergreifen
wuͤrden.








§. 29.
Ob eine Nazion gewiſſe Vorrechte verlan-
gen koͤnne
?


So wie unabhaͤngige Nazionen, der Regel nach,
kein Recht haben, einander in ihren Handlungen Ein-
halt zu thun, ſo gehoͤrt es auch zu ihrer natuͤrlichen Frei-
heit, nach Gefallen, einem Volke gewiſſe Vorrechte im
Ceremoniel, in der Handlung ꝛc. vor andern zu geſtat-
ten, ohne daß dieſe, wenn ſonſt ihren Rechten dadurch
nicht zu nahe getreten wird, befugt waͤren, ein Glei-
ches zu verlangen
: denn die Nazionen ſind zwar ein-
ander gleich; aber dieſe Gleichheit erſtreckt ſich nicht
weiter, als auf die natuͤrlichen Rechte. Jeder iſt es
uͤbrigens unverwehrt, ſolche durch Vertraͤge ꝛc. zu erwei-
tern
[317]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
tern und zu vermehren, wenn die andern ihm dergleichen
geſtatten wollen. Nur kan dies mit vollkomnen Rechte
eben ſo wenig verlangt, als, ohne beſondere Verguͤn-
ſtigung gehindert werden, daß eben dieſe erworbenen
Rechte nicht auch den uͤbrigen Nazionen zugeſtanden
werden.



§. 30.
Rechte und Verbindlichkeiten der halbſou-
verainen Staaten
.


Die in den vorhergehenden §. §. aufgeſtelten Grund-
ſaͤtze des nothwendigen, freiwilligen und poſitiven Voͤl-
kerrechts ſind groͤßtenteils auch auf die halbſouverainen
Staaten, beſonders auf die teutſchen Reichsſtaͤnde
anwendbar a]. Nur muͤſſen dieſe bey allen ihren Hand-
lungen, auſſer ienen Ruͤckſichten auch die Verfaſſung
und Grundgeſetze des Staats, deſſen Mitglieder ſie ſind,
ſich zur Richtſchnur dienen laſſen, und dieſelben alſo
einrich-
[318]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
einrichten, wie ſie ſolche nicht blos vor Gott, ſondern
auch vor dem Reiche zu verantworten ſich getrauen, weil
ſie, widrigenfals auf gerichtliche oder andere Weiſe,
vor dem Oberhaupte zur Verantwortung gezogen werden
koͤnnen; dahingegen die ganz ſouverainen Nazionen, im
uͤbrigen der Regel nach, in allen Stuͤcken, nach einer
uneingeſchraͤnkten Freiheit handeln, und niemand des-
halb Rechenſchaft geben duͤrfen b].


Jedoch findet dieſe Einſchraͤnkung bey den teutſchen
Reichsſtaͤnden nur in Abſicht auf das Oberhaupt, dem
ſie untergeordnet, und auf ihre Mitſtaͤnde ſtatt, und
zwar nicht weiter, als die Grundgeſetze und das Her-
kommen des Reichs es erfodern. Auſſerdem und im
Verhaͤltniß gegen Auswaͤrtige haben ſie obgezeigterma-
ßen die voͤllige Uebung der Souverainetaͤtsrechte, folg-
lich auch voͤllige Freiheit der Handlungen c].


Selbſt der roͤmiſche Kaiſer, als Oberhaupt des
teutſchen Reichs, kan die Freiheit der Reichsſtaͤnde in
ihren innern Angelegenheiten nicht wilkuͤhrlich ein-
ſchraͤnken, ſondern deſſen Gerechtſame in den reichsſtaͤn-
diſchen Landen beruhen groͤßtenteils auf beſtimte Grund-
vertraͤge und Herkommen. Derſelbe verbindet ſich in
der Wahlcapitulation Art. I. §. 8. ausdruͤcklich: „Wir
wollen weder denen Reichsgerichten, noch ſonſt iemand,
wer der auch ſeye, geſtatten, daß denen Staͤnden in
ihren Territoriis in Religions- Politiſchen- Juſtitz- Ca-
meral- und Criminalſachen ſub quaeunque praetextu,
wider die Reichsgeſetze, den Friedensſchluß, oder
aufgerichtete, rechtmaͤſige und verbindliche
Pacta
vor- oder eingegriffen werde;“ ingleichen Art. XII. §. 4.
„daß denen Reichsgerichten keinesweges geſtattet werde,
in die innern Kriegs- Civil- und Oekonomiſche Verfaſ-
ſungen derer Reichskreiſe Hand einzuſchlagen, daruͤber
auf einigerley Weiſe zu erkennen, oder wohl gar Proceſſe
ausgehen zu laſſen.“ Bey Handlungen in auswaͤrtiger
Be-
[319]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
Beziehung iſt blos die angezogene Vorſchrift des §. 4.
Art. VI. der Wahlcapitulation zu befolgen d]. Die Art
der Zuredeſtellung, oder vielmehr Ahndung, bey einem,
ienen Grundſaͤtzen zuwider laufenden Unternehmen, geben
die Reichsgeſetze ſattſam an die Hand.


Auch kein Mitſtand iſt befugt ſich in die innere
Regierungsverfaſſung des andern zu miſchen, ſondern
ieder handelt hierin frey, in ſoweit ihm, ſo wie iedem
andern ſouverainen Staat, durch Vertraͤge, ſogenante
Staatsrechtsſervitute, Garantien der Landesvertraͤge,
Herkommen ꝛc. die Haͤnde nicht gebunden ſind und den
uͤbrigen kein Nachtheil dadurch zuwaͤchſt e]. Die engern
geſelſchaftlichen Bande, welche ſaͤmtliche Staͤnde in
einen Staatskoͤrper vereinigen, erfodern hierin allerdings
mehrere Behutſamkeit, als unter ganz ſouverainen Na-
zionen f]. Die Maasregeln der Reichsſtaͤnde gegen
einander im Falle eintretender Beſchwerden, ſind in dem
Landfrieden und andern Reichsgrundgeſetzen ebenfals
beſtimt. In Anſehung des Reichs, einander zu Rede
zu ſtellen, ahndete der Kaiſer in einem Commiſſionsde-
kret vom 12. April 1720, “daß die Reichsſtaͤnde bey
dem Reichsconvent einander unter ſich, nach kaum an-
gebrachten Klagen, ohne Richter oder Mittler,
gleichſam zu Rede ſtellen und bedrohen wolten, da doch
der Kaiſer nicht glauben koͤnne, daß ein Stand oder ein
Theil des Reichs den andern eigenmaͤchtig zu Rede zu
ſtellen befugt ſey g].


Auswaͤrtige Nazionen haben eben ſo wenig Recht,
ſich in die Staatsgeſchaͤfte der teutſchen Reichsſtaͤnde,
als in die Angelegenheiten irgend eines ganz ſouverainen
Staats zu miſchen, oder ſie deshalb zu Rede zu ſtellen,
ob es gleich bey der Mindermaͤchtigkeit vieler Reichsſtaͤn-
de, freilich nicht ſelten geſchieht h]. Dieienigen indes,
deren Verfaſſung es zulaͤßt, koͤnnen dagegen aller einem
ſouverainen Staate erlaubten Vorkehrungen ſich bedienen.


a]
[320]Von der Freiheit der Nazionen, ihre









Fuͤnf-
[321]

Fuͤnftes Kapitel.
Von der Macht der Nazionen und deren
Gleichgewicht
.


§. 1.
Recht der Nazionen ſich zu vergroͤßern.


Das Verlangen nach Gluͤckſeligkeit iſt, wie ſchon
oben [2. Kap. §. 8.] gedacht worden, die Haupt-
triebfeder menſchlicher Handlungen, der Grund der
Staatsvereine ſowohl, als der geſelſchaftlichen Verbin-
dung der Voͤlker. Dieſer Trieb iſt von der Natur ſelbſt
eingepflanzt. Ihm zu Folge ſind einzelne Menſchen und
ganze Nazionen verbunden, fuͤr ihre Erhaltung und
Vervollkomnung moͤglichſt zu ſorgen, und berechtigt
aller erlaubten Mittel ſich zu bedienen, welche dieſer
Abſicht entſprechen a]. Macht und Anſehn ſind Haupt-
vollkommenheiten eines Volks und die vorzuͤglichſten
Mittel zu Befoͤrderung ſeiner Erhaltung, Sicherheit und
Ruhe, indem ſie es nicht nur gegen innere Zerruͤttungen,
ſondern auch gegen aͤuſſere Anfaͤlle und Unterdruͤckung in
erfoderlichen Vertheidigungsſtand ſetzen. Das Beſtre-
ben nach Vergroͤſſerung der Macht iſt daher ohnſtreitig
eine der erſten Pflichten der Voͤlker gegen ſich ſelbſt: und
vermoͤge der algemeinen Freiheit, ihre Handlungen nach
Gefallen einzurichten, iſt keine Nazion befugt, der
andern hierunter Einhalt zu thun, ſo lange iene ſich
rechtmaͤſiger dieſer unſchaͤdlicher Mittel bedient.



X§. 2.
[322]Von der Macht der Nazionen

§. 2.
Misbrauch deſſelben.


Die Regeln, welche im vorigen Kapitel bey dem
Gebrauche der natuͤrlichen Freiheit der Voͤlker uͤberhaupt
feſtgeſetzt worden, finden auch hier bey der Vergroͤſſe-
rung ihrer Macht ſtatt. Im urſpruͤnglich natuͤrlichen
Zuſtande duͤrfen die Nazionen, nach dem nothwendigen
Voͤlkerrechte in der Wahl der Mittel blos darauf Ruͤck-
ſicht nehmen, daß die Gerechtſame einzelner Voͤlker
dadurch nicht beleidigt werden: aber die geſelſchaftliche
Verbindung der Nazionen erfodert auch eine dergeſtalti-
ge Maͤſſigung der Vergroͤſſerungsbegierde, damit die
algemeine Sicherheit und Ruhe dieſer großen Geſelſchaft
weder durch die anzuwendenden Mittel, noch durch die
erlangte Macht ſelbſt geſtoͤrt und dieſe auf den Ruin
anderer gebaut werde. Die Voͤlker haben um ſo mehr
Urſache, deshalb auf ihrer Hut zu ſeyn, da die Erfahrung
aller Jahrhunderte lehrt, daß, ſo wenig auch die zufaͤl-
lige Eigenſchaft der Macht irgend einen rechtlichen Vor-
zug zu gewaͤhren im Stande iſt, die maͤchtigern Staaten
dennoch, unter einigen Schein, ein gewiſſes Recht des
Staͤrkern
auszuuͤben und ſich auf Kaſten der Schwaͤ-
chern immer mehr zu vergroͤſſern geſucht haben a].



§. 3.
Abſichten verſchiedener Nazionen auf eine
Univerſalmonarchie
.


Einige Fuͤrſten aͤlterer und neuerer Zeiten ſind, ſtolz
und zutrauensvoll auf ihre bereits erlangte Macht, in
ihrem Vergroͤſſerungsſyſtem ſo weit gegangen, daß ſie
nichts
[323]und deren Gleichgewicht.
nichts geringeres zur Abſicht gehabt, als ſich, wenn auch
nicht zu Monarchen der ganzen Welt, doch wenigſtens
zu Beherrſchern des betraͤchtlichſten Umfangs dieſes oder
ienes Welttheils zu erheben. Einer ſolchen weitumfaſ-
ſenden Herrſchaft hat man den Namen der Univerſal-
monarchie
beigelegt. Sie laͤßt ſich in einem doppelten
Verſtande nehmen: entweder es muͤſten die uͤbrigen
Nazionen nur einen algemeinen Regenten fuͤr ihren
Beherrſcher erkennen und wie z. B. Teutſchland unter
ein einiges Oberhaupt vereinigt ſeyn; oder man kan
auch das billig fuͤr eine Univerſalmonarchie anſehn,
wenn ein Staat durch Schwaͤchung der uͤbrigen ſich in
ſolche Verfaſſung ſetzt, daß dieſe aus Furcht oder andern
Beweggruͤnden in allen Stuͤcken dem Verlangen iener
Macht ſich fuͤgen und ihre Handlungen deren Abſichten
gemaͤß einrichten muͤſſen a]. Eine Univerſalmonarchie
der erſtern Art war wohl hauptſaͤchlich das Werk der
aͤltern Welteroberer b], wohin man die Chaldeer, Aſſy-
rer, Perſer, Meder, Griechen c] und Roͤmer d] zaͤhlt.
Nach dem Untergange des weitlaͤuftigen roͤmiſchen
Reichs wagte lange kein Volk dieſen ſtolzen Gedanken
wieder. Die Abſichten Karls des Großen und ſeiner
Nachfolger wurden durch die paͤpſtliche Hierarchie zu ſehr
beſchraͤnkt e]. In neuern Zeiten f] waren die Tuͤrken g]
eine zeitlang furchtbar durch ihre Eroberungen: beſonders
aber hat man Frankreich und dem Spaniſch-Oeſterreicht
ſchen Hauſe hauptſaͤchlich eine zwar nicht ſo auffallende,
iedoch eben ſo gefaͤhrliche Vergroͤſſerungsabſicht, naͤmlich
das Beſtreben nach einer Univerſalmonarchie im zweiten
Verſtande beigemeſſen. Dieſe zuweilen oͤffentlich dar-
gelegte Abſichten ſind mehrenteils mit dem Deckmantel
der Religion oder anderer guten Abſichten beſchoͤnigt
worden h]. Die Univerſalmonarchie im erſtern Verſtan-
de wuͤrde, wenn ſie moͤglich waͤre, vielleicht noch den
weſentlichſten Nutzen ſtiften, weil ſie durch oberſtrich-
X 2terliche
[324]Von der Macht der Nazionen
terliche Entſcheidungen den Kriegen ein Ende machte.
Allein der Abt St. Pierre urteilt ſehr richtig, wenn er
ſagt: L’idée de conquerir L’ Europe eſt une idée par-
faitement chimerique i
].











§. 4.
Vereitelung derſelben durch das Syſtem
des Gleichgewichts
.


Bisher hat es iedoch noch keinem Volke gegluͤckt,
eine eigentliche unmittelbar beherſchte Univerſalmonarchie
zu errichten: und dieſe wird, nach dem Urteile der ein-
ſichtsvolſten Politiker a] wahrſcheinlich nie zu Stande
kommen. Ein Fuͤrſt, der einen ſolchen Plan auszufuͤh-
ren unternaͤhme, wuͤrde, beſonders nach der heutigen
X 3Ver-
[326]Von der Macht der Nazionen.
Verfaſſung, gegen die ungerechten und gewaltſamen
Schritte, die dabey unvermeidlich waͤren, zu vielen
Widerſtand finden. Geſetzt aber auch, daß er das Ziel
ſeiner Wuͤnſche erreichte, ſo wuͤrde dieſes ungeheuere
Gebaͤude, ſeiner eignen Groͤße wegen, von ſelbſt bald
wieder zerfallen, da es nothwendig beſtaͤndigen innern
Gefahren und Erſchuͤtterungen ausgeſetzt ſeyn muͤſte.
Von ieher ſuchten aber auch die Nazionen, theils aus
Neid, theils um ihrer eignen Erhaltung und Sicherheit
willen b] zu verhindern, daß ein Staat zu einer Macht
anwachſe, die ihnen ſaͤmtlich den Untergang zu drohn im
Stande waͤre c]. Sie befolgten hierin den ſehr ver-
nuͤnftigen Grundſatz, welcher in neuern Zeiten das
Syſtem des Gleichgewichts erzeugt, Benennung und
mehrere Ausbildung erhalten hat.






§. 5.
Begrif des Gleichgewichts.


In Beſtimmung des Begrifs vom Gleichgewichte
kommen nicht alle Voͤlkerrechtslehrer uͤberein, wie wohl
ſie im Hauptwerke ziemlich einig ſind a]. Einer unſerer
groͤſten Staatsmaͤnner, der Herr Staatsminiſter von
Herzberg giebt uns eine Beſchreibung davon b], die ich
mit algemeinem Beifal hier aufnehmen zu duͤrfen mit
Grunde hoffen kan. “Das politiſche Gleichge-
wicht
,” ſagt derſelbe, “iſt nichts anders, als eine
ausdruͤckliche oder ſtilſchweigende Vereinigung gewiſſer
mindermaͤchtiger Staaten, um ihre Erhaltung, ihre
Freiheit und ihr Eigenthum zu ſichern, und mit vereinig-
ten Kraͤften die weitern Vorſchritte und ſehr weit um ſich
X 4grei-
[328]Von der Macht der Nazionen
greifenden wuͤrklichen, oder moͤglichen Abſichten irgend
einer Macht zu hindern, die durch mancherley Gluͤcks-
faͤlle und Ereigniſſe ſchon uͤberwiegend geworden iſt, oder
es noch mehr zu werden ſucht.” Es komt dabey nicht
eben auf eine phiſiſche Gleichheit iedes einzelnen Volks
in Vergleichung zum andern an, wie es einige und
beſonders auch der Verfaſſer der Erinnerungen gegen
Herrn Kahle genommen zu haben ſcheint c], ſondern es
muß iederzeit das Ganze gewiſſer in geſelſchaftlicher
Verbindung ſtehender Nazionen in Betrachtung gezogen
werden. Keine aus dieſer Geſelſchaft ſoll, nach dem
Syſtem des Gleichgewichts, ſich zu einer ſolchen Ueber-
macht erheben und ein ſolches Uebergewicht erlangen;
daß die uͤbrigen, wenn dieſe Nazion ihre Macht zu
deren Unterdruͤckung misbrauchen wolte, mit vereinten
Kraͤften nicht vermoͤgend waͤren derſelben Widerſtand zu
thun. Die einzelnen Staaten gegen einander koͤnnen
und moͤgen an Macht noch ſo ungleich ſeyn, oder es
durch neue Erwerbungen oder Verminderungen werden.
Uebrigens folgt ſehr natuͤrlich, daß das Gleichgewicht
mancherley Veraͤnderungen unterworfen ſeyn muͤſſe,
nachdem die Macht der einen oder andern Parthey durch
Erwerbungen oder Buͤndniſſe ſich vergroͤſſert d].



b] Am
[329]und deren Gleichgewicht.



§. 6.
Beſtimmung der Uebermacht.


Macht und Uebermacht ſind ſehr relative Begriffe,
die blos in Vergleichung mit Mindermaͤchtigen beſtimt
werden koͤnnen. Der Maasſtab, wornach man die
vermeintliche Uebermacht einer Nazion aus der großen
Voͤlkergeſelſchaft beurteilen muß, ſind die Kraͤfte der
uͤbrigen mindermaͤchtigen Staaten, deren Erhaltung,
Freiheit und Sicherheit erfodert, gemeinſchaftliche
Sache gegen iene zu machen, wenn Gefahr der Unter-
druͤckung ihnen bevorſtehn ſolte. Uebertrift die Macht
der erſtern Nazion und ihrer Bundsgenoſſen die verei-
nigte Macht mehrerer geringern Voͤlker dergeſtalt, daß
ſie bei einem ienſeitigen gewaltſamen Angriffe nothwen-
dig unterliegen muͤſten, ſo iſt das Gleichgewicht aufge-
hoben und offenbar eine Uebermacht vorhanden. Die
Gegner dieſes Syſtems nehmen von den Schwierig-
keiten in Beſtimmung der Machtverhaͤltniſſe einen
Haupteinwand her, der iedoch auf irrigen Vorausſetz-
ungen beruht a].


X 5Die
[330]Von der Macht der Nazionen

Die wahre Macht eines Staats beſteht zwar, wie
der Herr von Juſti b] behauptet, eigentlich nicht blos in
einem weitlaͤuftigen Umfange von Laͤndern, ſtarker Be-
voͤlkerung, anſehnlichen Reichthuͤmern, zahlreichen
Kriegsheeren, vielen und ſtarken Feſtungen, und was
man ſonſt gewoͤnlich dahin rechnet, ſondern hauptſaͤch-
lich in dem zweckmaͤſigen Gebrauche und der innern
guten Einrichtung aller dieſer Stuͤcke; beſonders auch in
einer weiſen und volkomnen Regierungsverfaſſung;
iedoch wird bey dem politiſchen Gleichgewichte nicht
ſowohl auf dieſe innere Vergroͤſſerung, wodurch den
uͤbrigen Staaten geradezu nichts abgenommen wird, als
auf die aͤuſſere in Erweiterung der Grenzen, Ruͤckſicht
genommen c]. Anſehnliche, wohlgelegene Lande bleiben
immer ein Hauptzweig der Macht, weil ſie, wenn ſie
ſich auch nicht in dem bluͤhendſten Zuſtande befinden,
doch durch die guten Anſtalten des Erwerbers vielleicht
einer beſſern Einrichtung faͤhig ſind, und weitlaͤuftige
Staaten gemeiniglich auch mehrere Mittel zur innern
Vergroͤſſerung gewaͤhren.


Nicht ieder geringe Zuwachs eines Maͤchtigen aber
iſt dem Gleichgewicht allemal nachtheilig. Es komt
meiſtens auf die iedesmaligen dabey obwaltenden Um-
ſtaͤnde an. Zuweilen kan die Erwerbung eines geringen
Landes oder Vortheils das Gleichgewicht aufheben; zu-
weilen ſchadet eine betraͤchtliche Vergroͤſſerung der Macht
demſelben nicht d]. So lange die uͤbrigen Nazionen
dem maͤchtigen Volke, im Nothfall, durch Verbindun-
gen und gemeinſchaftliche Kraͤfte noch gleiche Gewalt
entgegenſetzen koͤnnen, iſt noch keine Uebermacht vor-
handen e].


Uebrigens wird niemand zweifeln, daß auch die
Erlangung gewiſſer Gerechtſame, Buͤndniſſe mit andern
maͤchtigen Staaten, zumal mit denen, die ein beſtaͤndi-
ges oder langwieriges, gemeinſchaftliches Intereſſe
haben,
[331]und deren Gleichgewicht.
haben, das Gleichgewicht zu zerruͤtten im Stande
ſey.


Allerdings iſt iedoch die Beantwortung der Frage:
ob eine Verletzung des Gleichgewichts wuͤrklich vorhan-
den ſey? in einzelnen Faͤllen mit mancherley Bedenklich-
keiten verknuͤpft, weil es an einem unpartheiiſchen Rich-
ter fehlt, welcher den Ausſpruch thun koͤnte. Dem
mit Vergroͤſſerungsabſichten befangenem Staate kan die
Beurteilung eben ſo wenig uͤberlaſſen werden, als einem
oder dem andern einzelnen Volke, das vielleicht blos
ſeines Privatnutzens wegen die Macht ſeines Nachbars
fuͤr zu gefaͤhrlich anſieht. Es muß hier ohnſtreitig auf
das Urteil und den Ausſpruch ſaͤmtlicher uͤbrigen Nazio-
nen oder, wo moͤglich, eines dritten dabey am wenigſten
intereſſirten vermittelnden Volks ankommen f]. Da
man heutzutage die Staͤrke und Schwaͤche der Voͤlker in
Anſehung ihrer Einkuͤnfte, Kriegsheere und uͤbrigen
Verfaſſung ziemlich genau anzugeben weiß, ſo duͤrfte
das iedesmalige Machtverhaͤltnis minder ſchwer zu
beſtimmen ſeyn.








§. 7.
Grund des Gleichgewichts.


In dem urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande findet
freilich kein Syſtem des Gleichgewichts Statt. Im
Verhaͤltnis der einzelnen Nazionen gegen einander ſorgt
iede nur fuͤr ſich und ihre Vergroͤſſerung, ohne irgend
eine andere zu beleidigen: ihnen ſaͤmtlich iſt er nichts
weiter ſchuldig. Dieſe koͤnnen daher ſeinem Anwuchs
mit Grunde keine Hinderniſſe in den Weg legen. Eben
ſo wenig iſt dieſes Syſtem aber auch eine nothwendige
und unmittelbare Folge der geſellſchaftlichen Verbindung.
Die Voͤlker ſind zwar ſchuldig, hier nicht blos auf ihr
eigenes, ſondern auch auf das Wohl des Ganzen Be-
dacht zu nehmen, und keiner ſolchen Maasregeln ſich zu
hedienen, wodurch der Erhaltung und Sicherheit der
uͤbrigen insgeſamt zu nahe getreten wird; Allein die
Macht an und fuͤr ſich ſchließt keinen Eingrif in die
Gerecht-
[333]und deren Gleichgewicht.
Gerechtſame anderer in ſich. Hat der Maͤchtige gleich
mehr Kraͤfte zu ſchaden, ſo iſt doch der Grundſatz des
Hobbes und ſeiner Anhaͤnger: daß der, welcher die
Kraͤfte zu ſchaden habe, ſolche gewis auch dazu anwen-
den werde, aus der Vernunft unerweislich a]. Viel-
mehr ſollte man folgern, daß eine Nazion, die der
gemeinſchaftlichen Gluͤckſeligkeit halber mit andern in
Verbindung getreten iſt, ihre Macht auch dieſem edlen
Zwecke gemaͤs gebrauchen werde. Was ſolten die uͤbri-
gen alſo fuͤr Grund haben, ſich der Vergroͤſſerung einer
andern zu widerſetzen?


Da iedoch die Erfahrung aller Zeiten bewaͤhrt hat,
daß maͤchtige Staaten ihre Kraͤfte leider! nur zu oft zur
Unterdruͤckung ihrer Mitſtaaten gemisbraucht haben, ſo
erfoderte auch die Klugheit der Mindermaͤchtigen dagegen
alle zu ihrer Erhaltung erfoderlichen Anſtalten zu treffen:
und da, wie ſchon in der Einleitung §. 22. erinnert
worden, bey den geſelſchaftlichen Pflichten der Voͤlker
auch nothwendig auf die nach und nach entſtandenen
Zufaͤlligkeiten Ruͤckſicht zu nehmen iſt, ſo kan man den
Grund des Syſtems vom Gleichgewichte fuͤglich in dem
freiwilligen Voͤlkerrechte ſuchen. Hauptſaͤchlich aber
beruht es theils auf ſtilſchweigende, theils auf ausdruͤck-
liche Vertraͤge der Nazionen b], wodurch ſie ihrer na-
tuͤrlichen Vergroͤſſerungsfreiheit, zum Beſten des Gan-
zen, Schranken zu ſetzen fuͤr gut befunden haben c].
Ehemals gruͤndete ſich daſſelbe groͤßtentheils auf ſtil-
ſchweigende durch Handlungen an den Tag gelegte Ein-
willigung d], und erſt in neuern Zeiten hat man dieſe
auch durch ausdruͤckliche Vertraͤge zu beſtaͤtigen geſucht,
wie aus der folgenden Geſchichte erhellen wird.






§. 8.
Urſprung und Geſchichte des Gleichge-
wichts
.


Einige Schriftſteller wollen dem Syſtem des Gleich-
gewichts kein gar hohes Alter zugeſtehn. Sie halten es
fuͤr eine neue Erfindung und glauben, daß man damit
uͤber das funfzehnte Jahrhundert nicht hinausgehn koͤn-
ne a]. Andere im Gegentheil leiten es von dem Urſprun-
ge der Staaten und ihrer geſelſchaftlichen Verbindung
her b]. Die Gruͤnde der letztern ſind ohnſtreitig uͤber-
wie-
[335]und deren Gleichgewicht.
wiegender. Wir finden, wie ſchon gedacht, von ieher
in der Geſchichte Beiſpiele von ſtolzen und herſchſuͤchti-
gen Nazionen, deren Vergroͤſſerungsabſichten andere
nach allen Kraͤften ſich widerſetzt haben; ob es ſchon
nicht zu leugnen iſt, daß man in aͤltern Zeiten deshalb
weniger gemeinſchaftliche Sache gemacht habe, indem
ieder Staat hauptſaͤchlich fuͤr ſeine eigne Erhaltung ſorg-
te. Auch hat daſſelbe freilich zu einer Zeit ſich nicht ſehr
aͤuſſern und zu Streitigkeiten Anlaß geben koͤnnen, wo
alle Nazionen ziemlich in einer ſolchen Verfaſſung ſich
befanden, daß keine an Unteriochung der andern denken
konte c]. Der Herr Staatsminiſter von Herzberg hat in
der vorangefuͤhrten Abhandlung d] einen kurzen Abris
der Geſchichte des Urſprungs und Fortgangs des Gleich-
gewichts entworfen, den ich hier mittheilen will, weil
ich mir nicht getraue den Gegenſtand dieſes §. auf eine
wuͤrdigere Art zu bearbeiten. “Das politiſche Gleich-
gewicht
,” ſagt derſelbe, “iſt ſo alt, als die Geſel-
ſchaften und Staaten, und erhaͤlt ſich mit ihnen fort.
Ein ſcharfſinniger Beobachter wird es in der Geſchichte
aller Zeiten und Nazionen entdecken; wovon man in den
Verſuchen des beruͤhmten Hume und in den beſondern
Abhandlungen, welche die teutſchen Gelehrten Leh-
mann, Huldenburg, Schmaus, Kahle, Benzel

und andere von dem Gleichgewichte in Europa geſchrie-
ben haben, die auffallendſten Beweiſe antreffen kan.
Hier will ich nur ein kleines hiſtoriſches Gemaͤlde von
dem Daſein des politiſchen Gleichgewichts in allen Jahr-
hunderten vorlegen. Nach dem Thucidides hatte der
beruͤhmte Peloponneſiſche Krieg keinen andern Urſprung,
als die Eiferſucht der griechiſchen Freiſtaaten gegen Athen.
In der Folge ſuchte dieſe Republik ein Gleichgewicht
zwiſchen Sparta und Theben zu erhalten. Sogar die
maͤchtigen Koͤnige von Perſien trugen, auf Alcibiades
Anrathen, das Ihrige zu Aufrechterhaltung des Gleich-
gewichts
[336]Von der Macht der Nazionen
gewichts unter den verſchiedenen Republicken Griechen-
lands bey. Demoſthenes machte in ſeinen Reden die
Nothwendigkeit des Gleichgewichts gegen Philip von
Macedonien einleuchtend, und man behauptete es bis
zum Treffen bey Chaͤronea. Philip und Alexander
hoben alles Gleichgewicht in Europa und Aſien auf,
beſonders der letztere durch ſeine ſo erſtaunenden als
unaufhaltſamen Siege und Eroberungen. Nachdem
ſeine Generals ſich in deſſen weitlaͤuftige Staaten geteilt
hatten, ſtritten die nachfolgenden Koͤnige von Macedo-
nien, Aſien und Egypten lange um das Gleichgewicht
der Macht, bis Rom, dieſer beruͤhmte Freiſtaat, der
einzige, welcher wider das Beiſpiel und die Natur der
Republicken das Eroberungsſyſtem annahm, die Unei-
nigkeit und Unfaͤhigkeit der benachbarten Koͤnige ſich zu
Nutze machte, und ſie zu vertilgen und ganz Griechen-
land, Aſien und Afrika zu erobern das Gluͤck hatte.
Einige von ihnen, als Philip und Perſeus von Mace-
donien, Pyrrhus Koͤnig von Epirus und Hiero Koͤnig
von Sicilien verſuchten einige Zeitlang, das Gleichge-
wicht zwiſchen den Roͤmern und Karthagern, dieſer bei-
den wetteifernden Maͤchte, die ſo lange um die Herſchaft
der Welt geſtritten haben, aufrecht zu erhalten. Aber
es geſchah mit eben ſo wenig Erfolg, als Geſchicklich-
keit; und einige dieſer aſiatiſchen und afrikaniſchen Koͤni-
ge z. B. Pruſias, Attalus und Maſiniſſa waren unuͤber-
legterweiſe ſelbſt Schuld, daß die Wage auf Seiten
Roms uͤberſchlug, indem ſie ſich, aus Nebenabſichten,
mit dieſem ohnedies ſchon uͤbermaͤchtigen Staate verban-
den; und zwar wider alle Regeln einer geſunden Staats-
klugheit, welche iederzeit mindermaͤchtige Staaten von
der Verbindung mit einer uͤbermaͤchtigen Nazion abzu-
lenken und ſie in das Intereſſe nicht ſo maͤchtiger ihnen
aͤhnlicher Staaten zu ziehn ſucht. Als endlich die Roͤ-
mer, dieſe ſtolzen Eroberer, durch die Ueberlegenheit
ihrer
[337]und deren Gleichgewicht.
ihrer Tactick die bekanten und geſitteten Reiche der drey
Welttheile unteriocht hatten, ward das politiſche Gleich-
gewicht ganz aus der Welt verdraͤngt, und man kante
vier Jahrhunderte hindurch, ſo lange das roͤmiſche Reich
theils in der Form eines Freiſtaats, theils als Monar-
chie dauerte, bis zum vierten Jahrhundert der chriſtli-
chen Zeitrechnung weder die Sache, noch den Namen.
Bey aller dieſer Ueberlegenheit des roͤmiſchen Reichs
gluͤckte es den tapfern teutſchen Voͤlkerſchaften, welchen
die roͤmiſchen und neuern Schriftſteller ohne Grund den
Namen der Barbaren aufbuͤrden wollen, dennoch, nicht
etwa durch eine Verbindung unter ihnen, ſondern blos
durch vorzuͤglichen Muth, den roͤmiſchen Koloß uͤber den
Haufen zu werfen und auf ſeinen Truͤmmern alle neuere
Reiche Europens zu errichten und zu gruͤnden. Jede Na-
zion dieſer nordiſchen Eroberer war uͤbrigens zufrieden,
ſich in dem Beſitz der eingenommenen roͤmiſchen Provinz
zu erhalten, ohne daß eine von ihnen an eine Univerſal-
monarchie, oder an ein Gleichgewicht haͤtte denken ſollen.
Karl der Große, Otto der Große und die beiden Frie-
driche, teutſche Koͤnige und Kaiſer aus dem ſchwaͤbiſchen
Hauſe, richteten zwar ihr Abſehn auf eine algemeine
Herſchaft, und glaubten das große roͤmiſche Reich wie-
derhergeſtelt zu haben; aber es beſtand blos im Namen.
Das Lehnsweſen und die darauf ſich gruͤndende Kriegs-
verfaſſung, die tiefe Unwiſſenheit in der Staatskunſt,
die Anarchie und die unaufhoͤrlichen innern Kriege, wel-
che eine Folge dieſer Verfaſſung waren, veranlaßten
zwar oͤfters unter den Nazionen Uneinigkeiten und entge-
gengeſeztes Intereſſe, welche zuweiln ein beſonderes und
voruͤbergehendes Gleichgewicht bewuͤrkten; aber auf eine
dauerhafte und gruͤndliche Art konte weder von einer Uni-
verſalmonarchie, noch von einem dieſer entgegenzuſetzen-
den Gleichgewicht die Frage entſtehn.”


Ya]
[338]Von der Macht der Nazionen




§. 9.
Europaͤiſches Gleichgewicht.


Die heutigen europaͤiſchen Nazionen, die nach und
nach immer in eine engere geſelſchaftliche Verbindung zu-
ſammengetreten ſind, haben den Grundſatz des Gleichge-
wichts ihrem gemeinſchaftlichen Wohl dergeſtalt ange-
meſſen gefunden, daß ſie ihn nicht nur in ihren Hand-
lungen iederzeit befolgt, ſondern ihn auch ausdruͤcklich
und oͤffentlich anerkant, ihm den Namen des europaͤi-
ſchen Gleichgewichts
gegeben und ein eignes Syſtem
daraus gebildet haben. Daſſelbe muß iedoch nicht, wie
ehedem meiſtens geſchah, blos auf die beiden Maͤchte
Frankreich und Oeſterreich eingeſchraͤnkt werden, die man
gleichſam fuͤr ein paar Wagſchaalen anſahe, woran die
uͤbrigen Staaten bald auf dieſer, bald auf iener Seite
ſich hingen a]: es iſt wider die gefaͤhrlichen Vergroͤſſe-
rungsabſichten aller europaͤiſchen Staaten gerichtet, und
der im 5. §. feſtgeſezte algemeine Begrif des Gleichge-
wichts iſt, nach ſeinem ganzen Umfange, auch auf die
Nazionen Europens anwendbar. Man hat es ſeit Jahr-
hunderten als den Grund der Ruhe von Europa und als
die algemeine Regel des Krieges und Friedens angeſehen,
zu deren Befolgung die Staaten nicht nur aus geſelſchaft-
licher Pflicht, ſondern auch vermoͤge ausdruͤcklicher Ver-
traͤge verbunden ſind b].




§. 10.
[339]und deren Gleichgewicht.

§. 10.
Geſchichte des heutigen europaͤiſchen Gleich-
gewichts
.


Der mehrgedachte große Staatsminiſter Herr von
Herzberg faͤhrt in der oben [§. 8.] abgebrochenen Geſchich-
te alſo fort a]:


Die Ruͤckkehr dieſer beiden großen Syſteme [der
Univerſalmonarchie und des Gleichgewichts] war dem
funfzehnten und ſechszehnten Jahrhundert vorbehalten,
als es den oͤſterreichiſchen Fuͤrſten gluͤckte, durch vortheil-
hafte Heirathen und eine wohldurchdachte Staatskunſt
die reiche burgundiſche Erbſchaft, die Koͤnigreiche Spa-
nien, beide Sicilien, Hungarn und Boͤhmen nebſt an-
dern großen Provinzen in Teutſchland und Italien, in-
gleichen die ſehr reichen Beſitzungen in beiden Indien in
ihrem Hauſe zu vereinigen. Itzt dachten und arbeiteten
Karl V., Philip II. und Ferdinand II. im Ernſt daran,
den großen Staat zu bilden, den man die Univerſalmo-
narchie zu nennen pflegt. Den Anfang machten ſie mit
dem Vorſatz, Teutſchland, Italien und die Niederlande
zu unteriochen, weil es die ſchicklichſten zu dieſem Zweck
waren, da ſie nach ihrem politiſchen und geographiſchen
Verhaͤltniſſe im Mittelpunkt von Europa liegen. Nun-
mehr ſahen die Koͤnige von Frankreich und England ſich
genoͤthigt, das Gleichgewicht von Europa durch Buͤnd-
niſſe, die ſie von Zeit zu Zeit unter ſich, und nach Erfor-
dernis der Umſtaͤnde, mit den teutſchen und italiaͤniſchen
Fuͤrſten, der neuen Republick Holland und dem Koͤnige
von Schweden errichteten, aufrecht zu erhalten. Waͤh-
rend dieſer Wetteiferung, waͤhrend dieſer unaufhoͤrlichen
Erſchuͤtterung der Macht der beiden Haͤuſer Frankreich
und Oeſterreich, welche laͤnger als zweihundert Jahre
dauerten, aͤuſſerte ſich das Gleichgewicht von Europa auf
Y 2die
[340]Von der Macht der Nazionen
die einleuchtendſte Art. Aus dieſem anhaltenden Strei-
te zwiſchen den beiden Syſtemen, der großen oͤſterreichi-
ſchen Monarchie und dem entgegengeſezten Syſtem des
Gleichgewichts entſprangen die beſtaͤndigen Kriege zwi-
ſchen Karl V. und Franz I., zwiſchen Philip II. auf einer
und den Franzoſen, Hollaͤndern und Englaͤndern auf
der andern Seite, und endlich iener bekante teutſche, oder
dreiſſigiaͤhrige Krieg, den die beiden Linien des Hauſes
Oeſterreich gegen die teutſchen Fuͤrſten, Schweden,
Frankreich und Holland fuͤhrten. Waͤhrend dieſer wichti-
gen Epoche des ſechszehnten und ſiebzehnten Jahrhunderts
errichteten die Fuͤrſten Teutſchlands im Jahr 1530 den
beruͤhmten ſchmalkaldiſchen Bund, und 1610 und 1633
die beiden Unionen zu Halle und Heilbrunn, und zwar
die leztere unter ſchwediſcher Beguͤnſtigung: im Jahre
1690 endlich, bey Gelegenheit der Cleviſchen Erbfolge,
erſann Heinrich IV. Koͤnig von Frankreich den beruͤch-
tigten Plan einer algemeinen Republick von Europa,
der aber mit der Ermordung dieſes großen Fuͤrſten ein
Ende nahm. Alle dieſe Plane wurden lediglich entwor-
fen, um das Gleichgewicht in Europa und Teutſchland
gegen die gar zu große Macht und gegen die wuͤrklichen
oder vermeintlichen Abſichten des Hauſes Oeſterreich zu
erhalten: Jedoch erduldeten nicht eben die beiden großen
Monarchien Oeſterreich und Frankreich die heftigſten
Stoͤſſe; es waren vielmehr die Fuͤrſten von mitler Macht,
welche durch ihre Kraͤfte und perſoͤnliche Faͤhigkeiten in
entſcheidenden Zeitpunkten das bereits auf oͤſterreichiſche
Seite uͤberſchlagende Gleichgewicht wiederherſtelten. Der
muthige Moriz, Herzog und Kurfuͤrſt von Sachſen, war
es, der mit einer Handvoll ſeiner Vaſallen Karl V. zu
rechter Zeit in Tyrol angrif, ihm 1552 den Paſſauiſchen
Vertrag und den erſten Religionsfrieden, nebſt der Frei-
heit ſeiner beiden erlauchten Gefangenen, des Kurfuͤrſten
Johann Friedrich von Sachſen und des Landgrafen von
Heſſen,
[341]und deren Gleichgewicht.
Heſſen, abnoͤthigte, und dadurch die Freiheit Teutſch-
lands raͤchte und befeſtigte, welche durch den uͤbeln
Erfolg des ſchmalkaldiſchen Bundes beinah ganz zernich-
tet worden war. Der große Guſtav Adolph, ein Fuͤrſt
eben ſo ſtark an Muth und Geiſt, als ſchwach an Macht,
war es, der mit dreiſſigtauſend Schweden nach Teutſch-
land kam, und im Stande war, mit Beihuͤlfe einiger
ſchwachen teutſchen Fuͤrſten, die uͤberwiegende Macht
Ferdinands II. zu beſiegen, Germanien gegen eine unum-
ſchraͤnkte Herſchaft zu ſchuͤtzen, und dieſe große verbuͤnde-
te Republick zu retten. Nachdem ein zu fruͤher Tod die-
ſen Helden weggeraft hatte, ward die naͤmliche Rolle
mit eben ſo maͤſigen Kraͤften durch ſeine großen Generals,
beſonders durch den erhabenen Bernhard von Weimar
ausgefuͤhrt, deſſen Name in den Jahrbuͤchern der Welt
neben einen Hermann, Moriz, Guſtav und Friedrich
unter den Namen der Helden und Erhalter teutſcher Frei-
heit iederzeit glaͤnzen wird. Die Fuͤrſten von Naſſau
und Oranien, Schoͤpfer der niederlaͤndiſchen Republick,
deren Groͤße, bey ihrer geringen Macht, blos in Tapfer-
keit und tactiſcher Kentnis beſtand, waren es endlich,
welche die große ſpaniſche Monarchie aus dem Grunde
zu erſchuͤttern vermochten. Durch dieſe unglaubliche,
vereinigte und ſo lange ausgehaltene Anſtrengung der
Fuͤrſten Teutſchlands, der Kronen Schweden und Frank-
reich, ingleichen der Hollaͤnder, war man am Ende im
Stande, den beiden oͤſterreichiſchen Monarchen den
beruͤhmten weſtphaͤliſchen Frieden von 1648 abzunoͤthi-
gen. Dieſer Friede, der erſte, welcher nach den Regeln
einer geſunden Staatskunſt verhandelt und geſchloſſen
worden, hat nicht nur die vorher ſo ſchwankende Ver-
faſſung des weitlaͤuftigen teutſchen Reichs auf einen regel-
maͤſigen und feſten Fuß geſetzt, ſondern auch, vermoͤge
der Garantieen der beiden Kronen Frankreich und Schwe-
den, einen dauerhaften Grund zum Gleichgewicht nicht
Y 3blos
[342]Von der Macht der Nazionen
blos von Teutſchland, ſondern zugleich von ganz Europa
gelegt, und er wird noch heutzutage mit Recht fuͤr das
erſte geheiligte Geſetz aller europaͤiſchen Nazionen ange-
ſehn, welche, ſelbſt ohne eine gluͤckliche Ausfuͤhrung der
Plane Heinrich IV. und des Abt St. Pierre, eine alge-
meine Republick des weitlaͤuftigen europaͤiſchen Welt-
theils ausmachen, die ſtilſchweigend durch das große
wechſelſeitige Intereſſe, ein rechtmaͤſiges Gleichgewicht
der Macht unter ſich zu erhalten, zuſammen verbunden
iſt. Nachdem die Macht der beiden Linien des Hauſes
Oeſterreich durch dieſe langen ungluͤcklichen Kriege und
durch den ſchwachen Karakter der Regenten aͤuſſerſt ver-
mindert worden war, die franzoͤſiſche hingegen durch die
geſchickte Staatskunſt und Staatsverwaltung der Kardi-
naͤle Richelieu und Mazarin und nachher Ludwig XIV.
verhaͤltnismaͤſig zugenommen hatte, richtete dieſer Mon-
arch furchtbare und zalreiche Kriegsheere auf einen be-
ſtaͤndigen Fuß ein, und wandte bey dem Einfall in die
ſpaniſchen Niederlande, in Holland und in die Pfalz
ſowohl, als durch die algemein bekante Reunionskam-
mer ſeine Macht dergeſtalt an, daß er faſt durchgaͤngig
dafuͤr angeſehn ward, als trachte er, an die Stelle des
Hauſes Oeſterreich, nach der Univerſalmonarchie. Nun-
mehr kehrte man gegen ihn den Namen und die Waffen
des Gleichgewichts. Daher hatten alle die großen Buͤnd-
niſſe, welche gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts
wider ihn geſchloſſen wurden, ingleichen die Kriege, die
ſich 1679 durch den Nimweger und 1697 durch den Rys-
wicker Frieden endigten, ihren Urſprung. Man beſchleu-
nigte den leztern, weil die nahe Erloͤſchung der oͤſterrei-
chiſch-ſpaniſchen Linie vorauszuſehen war. Die beiden
Seemaͤchte, England und Holland, deren Vereinigung
Koͤnig Wilhelm, ein Prinz von Oranien, bewuͤrkt hat-
te, die eben damals den Namen und die Rolle der See-
maͤchte annahmen, und das Gleichgewicht von Europa in
Haͤnden
[343]und deren Gleichgewicht.
Haͤnden hatten b], hielten es itzt fuͤr ihre Pflicht, daſ-
ſelbe durch den berufenen Partagetractat zu erhalten.
Dieſer ſolte verhindern, damit nicht die ganze Macht
des Hauſes Oeſterreich, durch Einverleibung Spaniens
und der indiſchen Beſitzungen, in der iuͤngern Linie ver-
einigt wuͤrde. Als dieſer Theilungsplan aber durch den
Tod des bayriſchen Prinzen und durch das Teſtament,
welches Koͤnig Karl II. von Spanien zu Gunſten des
Herzogs von Anjou machte, vereitelt worden war, ſa-
hen die naͤmlichen Seemaͤchte ſich genoͤthigt, der Abſicht
des Gleichgewichtsſyſtems gemaͤs, ſich mit dem Hauſe
Oeſterreich und den teutſchen Fuͤrſten gegen Frankreich zu
verbinden, um dieſer Krone die ſpaniſche Monarchie zu
entreiſſen; die man dem Erzherzog Karl, zweiten Sohne
Kaiſer Leopolds zutheilte. Daraus entſtand der lange
und blutige ſpaniſche Erbfolgskrieg, welcher 1701 be-
gann, und 1713 mit dem Utrechter Frieden ſich endigte.
In dieſem raͤumte man die ſpaniſche Monarchie dem
Herzog von Anjou ein, weil Kaiſer Joſeph ohne maͤnn-
liche Erben geſtorben, und ſein Bruder Karl, unter dem
Namen Karl VI., ihm gefolgt war. Aus abermaliger
Furcht vor der Vereinigung der ſpaniſchen Monarchie
mit der oͤſterreichiſchen Linie, uͤberließ man ſie lieber einer
iuͤngern Linie des Hauſes Bourbon, unter der Beding-
ung, daß die Reiche Frankreich und Spanien nie mit
einander verbunden werden ſolten. Solchergeſtalt hat
man bey der ſpaniſchen Erbfolge und dem ganzen Kriege
ſowohl als dem draufgefolgten Frieden, das Syſtem
des Gleichgewichts theils nach richtigen, theils nach fal-
ſchen Grundſaͤtzen, wie die verſchiedenen Zeitumſtaͤnde es
mit ſich brachten, zur Richtſchnur genommen.


In dem Zeitraum vom Utrechter Frieden 1713 bis
auf den Tod Kaiſer Karls VI. hat das Gleichgewicht
von Europa durch kurze und particulaͤre Kriege keine nach-
theilige Veraͤnderung gelitten, weil die drey Monarchieen
Y 4Oeſter-
[344]Von der Macht der Nazionen
Oeſterreich, Frankreich und Spanien durch die vorherigen
Kriege zu ſehr erſchoͤpft und von friedliebenden Fuͤrſten
beherſcht waren. Die beiden Seemaͤchte hatten in die-
ſem Zwiſchenraum keine weitere Gelegenheit von dem
Namen und der Rolle des Gleichgewichts Gebrauch zu
machen, als in Unterhandlungen, Vermittelungen und
Buͤndniſſen z. B. dem Barrieretractat, der Quadrupel-
allianz, der Hannoͤveriſchen, Wuſterhauſiſchen und an-
dern Allianzen. Man glaubte durch die Garantie der
pragmatiſchen Sanction, welche die Erbfolge der ganzen
oͤſterreichiſchen Monarchie, der Tochter Kaiſer Karls VI.
verſichern ſolte, fuͤr die Erhaltung des Gleichgewichts
hinlaͤnglich geſorgt zu haben. Indes gab die 1740 mit
dem Tode dieſes Fuͤrſten erfolgte Erloͤſchung des oͤſterrei-
chiſchen Mannsſtammes dem Gleichgewicht von Europa
eine andere Geſtalt. Der Kurfuͤrſt von Bayern machte
Anſpruͤche auf die ganze bayeriſche Erbſchaft, und ward
von Frankreich und Spanien unterſtuͤzt. Die Tochter
Kaiſer Karls VI., welche die beiden Seemaͤchte, vermoͤge
des Syſtems der pragmatiſchen Sanction und des Gleich-
gewichts von Europa auf ihrer Seite hatte, uͤberſtand
den Krieg von 1740 bis 1748, und behielt im Aachner
Frieden endlich die ganze oͤſterreichiſche Monarchie, das
Herzogthum Schleſien ausgenommen, welches dem Koͤnig
von Preuſſen, beſonderer Anſpruͤche wegen, auf eine
rechtmaͤſſige Art in dem Breslauer Frieden 1742 uͤber-
laſſen ward, den die Friedensſchluͤſſe zu Dresden und
Hubertsburg in der Folge beſtaͤtiget haben. ——


Die innerlichen Unruhen in Pohlen gaben den drey
benachbarten Maͤchten Gelegenheit, gewiſſe Anſpruͤche
auf einige polniſche Provinzen geltend zu machen, und
es erfolgte 1772 deren Theilung nach den Grundſaͤtzen
eines Gleichgewichts, woruͤber dieſe drey Maͤchte ſich mit
einander vereinigt hatten.”


Zwar
[345]und deren Gleichgewicht.

Zwar behaupten einige c], daß ſeit der Mitte dieſes
Jahrhunderts, nachdem Grosbritannien das Ueberge-
wicht zur See an ſich geriſſen, beſonders auch ſeit der
großen Allianz wider den Koͤnig von Preuſſen 1756 und
den verſchiedenen in Europa noch beſtehenden Buͤndniſſen
zwiſchen einigen Hoͤfen, der Grundſatz des Gleichgewichts
keine Regel unter den europaͤiſchen Nazionen mehr ſey:
ia ſie halten d] Gleichgewicht und Univerſalmonar-
chie
fuͤr laͤngſt veraltete Schreckworte einer grostoͤnenden
Politik. Allein ſowohl der leztere nordamerikaniſche
Krieg, als auch noch neuerlich das beruͤhmte Aſſociations-
buͤndnis der teutſchen Fuͤrſten haben die fortdauernde
Anwendbarkeit derſelben nicht nur in Teutſchland, ſon-
dern auch in Europa bewaͤhrt; und ihre Guͤltigkeit iſt in
der Koͤnigl. Preuſſiſchen Beantwortung der Wiener
Pruͤfung e] einleuchtend gezeigt worden.







Y 5§. 11.
[346]Von der Macht der Nazionen

§. 11.
Anerkennung des Gleichgewichts unter den
europaͤiſchen Maͤchten
.


Da das Gleichgewicht hauptſaͤchlich auf die ausdruͤck-
liche oder ſtilſchweigende Einwilligung der Voͤlker beruht,
ſo iſt es, um das Daſein eines ſolchen Syſtems unter
den europaͤiſchen Nazionen zu erweiſen, noͤthig, deren
Anerkennung beizubringen. Schon aus der vorhergehen-
den Geſchichte, und noch mehr aus den bey Gelegenheit
der daſelbſt angefuͤhrten Kriege und Friedensſchluͤſſe ge-
pflogenen Unterhandlungen und gebrauchten Maasregeln
wird man ſich von der wenigſtens ſtilſchweigenden Befolg-
ung der Grundſaͤtze des Gleichgewichts unter den Staa-
ten Europens uͤberzeugen koͤnnen. Zu mehrerer Beſtaͤ-
tigung dieſes Syſtems will ich aber auch noch einige der
vornehmſten Vertraͤge anfuͤhren, worinn ſie daſſelbe aus-
druͤcklich anerkant haben.


  • Frankreich,
  • Grosbritannien und
  • die vereinigten Niederlande ſchloſſen 1698 den 11ten
    October den ſogenanten Partagetractat uͤber die ſpa-
    niſche Erbfolge unter nachfolgenden Aeuſſerungen:
    „Und nachdem gemeldte zwey Koͤnige und die Herrn
    Generalſtaaten vor allen Dingen die Erhaltung
    der algemeinen Ruhe
    verlangen, und dahin
    trachten, damit durch Beilegung derer Irrungen
    und Differenzien, welche um beſagter Succeſſion
    willen, oder auch aus ſchoͤpfenderOmbrage,
    wenn allzuviel Laͤnder unter eines einigen
    Fuͤrſten Botmaͤſigkeit vereinigt wuͤrden
    , re-
    ſultiren, und ſich hervorthun ſolten, ein neuer
    Krieg
    [347]und deren Gleichgewicht.
    Krieg unterbleiben und vermeidet werden
    moͤchte
    ; ſo haben ſie vor gut angeſehen, bey Zei-
    ten nothwendige Meſſures zu faſſen, um demienigen
    Unheil, welches die traurige Begebenheit, wenn
    der catholiſche Koͤnig ohne Leibeserben mit Tod ab-
    gehen ſolte, nach ſich ziehen wuͤrde, zu begegnen
    und vorzubiegen;” Art. 3.
    … „iedoch allemal mit der Bedingung, daß beſag-
    tes Antheil [des durchlauchtigſten Erzherzogs] nie-
    mals vereiniget werden noch bleiben moͤge auf der
    Perſon desienigen, welcher Kayſer oder roͤmiſcher
    Koͤnig ſeyn, oder der auch ein oder anderes gewor-
    den ſeyn wird, es geſchehe gleich durch Succeſſion,
    Teſtament, Heyrathscontract, Schenkung, Ver-
    tauſchung, Ceſſion, Appellation, Aufruhr, oder
    in andere Wege: Und ingleichen ſoll auch beſagter
    Theil des durchlauchtigſten Erzherzogs niemals fal-
    len noch bleiben koͤnnen auf der Perſon eines Fuͤr-
    ſten, welcher Koͤnig in Frankreich oder Dauphin
    ſey; oder einer oder anderes geworden ſeyn wird,
    es geſchehe gleich durch Succeſſion, Teſtament ꝛc.“
    Art. 9.
    „Und damit die Ruhe in Europa noch beſ-
    ſer verſichert und feſtgeſtelt ſeyn moͤchte
    , ſo
    werden beſagte Koͤnige, Fuͤrſten und Staͤnde,
    [welche hiemit einſtimmen wollen, und admittirt
    werden ſollen] nicht nur allein invitirt werden, die
    Garants zu ſeyn, uͤber die Execution dieſes Tra-
    ctats und uͤber die Guͤltigkeit der darinnen enthalte-
    nen Verzichten, wie hieroben ſchon gedacht worden
    iſt; ſondern wenn einer von denen Potentaten,
    welchen zum Beſten dieſe Abtheilungen geſchehen,
    in das kuͤnftige, die in dieſem Vergleich feſtgeſtelte
    Ordnung troubliren und verwirren, neue und ſelbi-
    gem zuwiderlaufende Unternehmungen vor die Hand

    neh-
    [348]Von der Macht der Nazionen
    nehmen, und ſich alſo einer dem andern zum
    Schaden und Nachtheil
    , unter was fuͤr Praͤtext
    es auch ſeyn moͤchte, groͤßer machen wolte, ſo
    ſoll es dafuͤr gehalten werden, daß ſich eben dieſe
    Garantie auch auf dieſen Fall erſtrecke, dergeſtalt,
    daß die Koͤnige, Fuͤrſten und Staͤnde, ſo ſolche
    auf ſich nehmen, ſchuldig ſeyn ſollen, ihre Kraͤfte
    anzuwenden, um ſich dergleichen Unternehmungen
    zu widerſetzen ꝛc.” Art. 12. a]
    Hierauf folgte zwiſchen den naͤmlichen Maͤchten
    der zweite Partagetractat vom 13. Maͤrz 1700,
    der durch den Tod des Kurprinzen von Baiern ver-
    anlaßt ward, und auf gleichen Grundſaͤtzen be-
    ruhte b].
  • Das Haus Oeſterreich ging die ſogenante große Allianz
    mit ein, welche die Seemaͤchte, nach dem Tode
    Koͤnig Karls II. von Spanien, gegen Frankreich,
    das aus einem Teſtamente dieſes Koͤnigs der ſpani-
    ſchen Erbſchaft ſich anmaßte, 1701 den 7. Sept.
    zu ſchlieſſen ſich genoͤthigt ſahen. Der Eingang
    derſelben lautet alſo:
    „Quandoquidem mortuo ſine liberis non ita pri-
    dem glorioſiſſimae memoriae Carolo Secundo, Hi-
    ſpaniarum rege, ſacra ſua Caeſarea Maieſtas ſucces-
    ſionem in regna et provincias regis defuncti Domui
    ſuae Auguſtae legitime deberi aſſeruerit; Rex autem
    chriſtianiſſimus pro nepote ſuo Duce Andegavenſi
    eandem ſucceſſionem ambiens et ius illi ex teſta-
    mento quodam regis defuncti natum eſſe praeferens,
    pro modo dicto Duce Andegavenſi poſſeſſionem uni-
    verſae haereditatis ſive Monarchiae Hiſpanicae arri-
    puerit, provincias Hiſpano-Belgicas — armis occu-
    paverit — atque hoc modo, aliisque plurimis,
    regna Galliarum et Hiſpaniarum tam arcte inter ſe
    uniantur et coaleſcant, ut poſthac non aliter quam

    pro
    [349]und deren Gleichgewicht.
    pro uno eademque regno conſideranda eſſe videan-
    tur; adeo ut niſi proſpectum fuerit, ſatis appareat,
    Caeſareae Suae Maieſtati abiiciendam eſſe omnem
    ſpem unquam ſibi de praetenſione ſua ſatisfactum
    iri, Sacrum Romanum Imperium iura ſua in feuda,
    quae ſunt in Italia et in Belgio Hiſpanico, perdi-
    turum Britannis et Belgis foederatis liberum navi-
    gationis et commerciorum uſum in mare mediter-
    raneum, in Indias et alibi funditus periturum, Uni-
    tumque Belgium deſtitutum in ſecuritate quam ex
    interpoſitis inter ſe et Gallos provinciis Hiſpano-
    Belgicis, vulgo Barrière, tenebat; denique Gallos
    et Hiſpanos ita coniunctos adeo omnibus formidan-
    dos brevi evaſuros, ut totius Europae imperium facile
    ſibi vindicaturi ſint
    . Quum autem ob hunc proce-
    dendi modum Regis Chriſtianiſſimi Caeſareae Suae
    Maieſtati neceſſitas impoſita fuerit exercitum in Ita-
    liam mittendi, ad conſervanda tam iura ſua privata,
    quam feuda Imperii, Rex Magnae Britanniae neces-
    ſarium exiſtimaverit, copias ſuas auxiliares mitten-
    di Belgio Foederato, cuius res eo loco ſunt, ac ſi
    reipſa iam aggreſſum foret, et Domini Ordines Ge-
    nerales Uniti Belgii, quorum fines undique fere
    patent, effracto et remoto obire, vulgo Barrière,
    qui Gallorum vicinitatem arcebat, coacti ſint ea
    cuncta pro ſecuritate et ſalutae Reipublicae ſuae
    facere, quae bello impetiti facere debuiſſent vel
    potuiſſent; Quumque tam anceps rerum conſtitutio
    ipſo bello periculoſior ſit, et hoc rerum ſtatu Gallia et
    Hiſpania abutantur ut ſe magis et magis inter ſe
    devinciant ad opprimendam Europae libertatem et
    tollendum commerciorum uſum:
    His rationibus ad-
    ducti S. S. Caeſ. Maj. S. S. Reg. Maj. Magnae Bri-
    tanniae et Celſi et Praepotentes Domini Ordines
    Generales Vniti Belgii tantis malis hinc ſurrecturis

    obviam
    [350]Von der Macht der Nazionen
    obviam tendentes, et pro viribus remedia afferre
    cupientes, arctam inter ſe coniunctionem et con-
    foederationem pro depellenda communis periculi
    magnitudine, neceſſariam eſſe exiſtimaverunt etc. c]

    Auch verdient noch die Stelle des Grosbritanni-
    ſchen Kriegsmanifeſts gegen Frankreich und Spa-
    nien bemerkt zu werden: „Gleichwie es dem Aller-
    hoͤchſten gefallen, uns zu Beherſchung dieſer Koͤnig-
    reiche zu einer ſolchen Zeit zu berufen, als unſer
    Vorfahr, der Koͤnig William, glorwuͤrdigſten An-
    denkens, vermoͤge des von dem Parlament dieſes
    Koͤnigreichs oft wiederhohlten Verlangens, mit
    dem teutſchen Kaiſer, denen Generalſtaaten der
    vereinigten Niederlande und andern Puiſſanzen, zu
    Erhaltung der Freiheit und des Gleichge-
    wichts von Europa, auch damit der auſſer-
    ordentlichen großen Macht von Frankreich
    rechtmaͤſſige Grenzen geſezt werden moͤchten
    ,
    ſich in Alliance eingelaſſen ꝛc.” d]
  • Portugal und
  • Savoyen traten, erſteres unterm 16. May 1703, e]
    lezteres unterm 25. October eben deſſelben Jahres f]
    der großen Allianz ebenfals bey.
  • Spanien muſte, vermoͤge des Utrechter Friedens zwi-
    ſchen Grosbritannien und Frankreich vom 11. April
    1713, g] durch ſeinen neuen Koͤnig Philip V.
    aus dem Grunde des Gleichgewichts auf das Koͤnig-
    reich Frankreich Verzicht leiſten. Der 6. Art. deſ-
    ſelben iſt dieſes Inhalts: „Quemadmodum fune-
    ſtiſſima belli flamma hac pace reſtinguenda, exinde
    praeprimis orta ſit, quod Europae ſecuritas et liber-
    tates
    , unionem regnorum Galliae et Hiſpaniae,
    ſub uno eodem rege, omnino ferre nequiverint,
    idque tandem Divini numinis auxilio effectum
    ſit, inſtante plurimum Sacra Regia Maieſtate Ma-

    gnae
    [351]und deren Gleichgewicht.
    gnae Britanniae et conſentientibus tam Chriſtianis-
    ſimo quam Catholico rege, quo huic malo obviam
    omni tempore in poſterum eatur per renunciatio-
    nes optima forma conceptas, et modo quam maxi-
    me ſolenni perfectas, quarum tenor ſequitur.”

    In der Renunciation Koͤnig Philip V. von Spa-
    nien vom 7. November 1712 wird ausdruͤcklich ge-
    ſagt: „weil eines der vornehmſten Fundamenten
    der aufzurichtenden Friedenstractaten zwiſchen der
    Kron Spanien und Frankreich einer Seits, und
    zwiſchen der Kron England andern Theils, um ſol-
    che zu befeſtigen, zu beſtaͤtigen und dauerhaft zu
    machen, und dadurch zu einen algemeinen Frieden
    zu gelangen, geweſen, daß man zu Beſtaͤtigung
    der algemeinen Wolfahrt und Ruhe von Eu-
    ropa, ein gleiches Gewicht zwiſchen den Po-
    tenzen ſetzen und veranſtalten muͤſſe
    ; ſolchem-
    nach, damit nicht erfolge, daß — die gleichhan-
    gende Waageſchale — uͤberſchlage ꝛc. ſey nach
    denen Fundamental- und immerwaͤhrenden
    Maximen einer Gleichheit der europaͤiſchen
    Potenzen, das Maas und Ziel genommen
    und geſtecket worden ꝛc.

    Eben ſo merkwuͤrdig ſind die Verzichtsurkunden
    der Herzoge von Barry und Orleans auf die ſpani-
    ſche Krone. Die erſtere vom 24. November 1712
    hat folgenden Eingang: „Toutes les puiſſances de
    l’ Europe ſe trouvant presque ruinées à l’ occaſion
    des préſentes guerres, qui ont porté la deſolation
    dans les frontières et pluſieurs autres parties des
    plus riches monarchies et autres Etats, on eſt con-
    venu
    dans les congrès et traités de paix qui ſe ne-
    gocient avec la Grande-Bretagne, d’ établir un equi-
    libre et des limites politiques entre les royaumes dont
    les intérêts ont été et ſe trouvent encore le triſte ſujet

    d’ une
    [352]Von der Macht der Nazionen
    d’ une ſanglante diſpute; et de tenir pour maxime
    fondamentale de la conſervation de cette paix, que
    l’ on doit pourvoir à ce que les forces de ces royaumes
    ne ſoient point à craindre, et ne puiſſent cauſer au-
    cune jalouſie; ce que l’ on a crû ne pouvoir établir
    plus ſolidement qu’ en les empêchant de ſ’ étendre et
    en gardant une certaine proportion; afin que les plus
    foibles etant unis puiſſent ſe defendre contre de plus
    puiſſans et ſe ſoutenir reſpectivement contre leurs
    égaux etc.
    und in der zweiten vom 19. deſſelben
    Monats heißt es: — „on a poſé pour fondement
    de la paix, que l’ on traite preſentement, et qu’ on
    eſpère cimenter de plus en plus, pour le repos de
    tant d’ etats qui ſe ſont ſacrifiés, comme autant de
    victimes, pour ſ’ oppoſer au peril dont ils ſe cro-
    yoient menaces, qu’ il falloit établir une eſpèce d’
    égalité et d’ equilibre entre les princes qui étoient en
    diſpute — il eſt certain que ſans cet équilibre, les
    états ſouffrent du poids de leur propre grandeur;
    ou que l’ envie engage leurs voiſins à faire des allian-
    ces pour les attaquer et pour les reduire au point,
    que ces grandes puiſſances inſpirent moins de crainte
    et ne puiſſent aſpirer à la monarchie univerſelle
    .”

    Hiermit koͤnnen auch noch die uͤbrigen Friedens-
    ſchluͤſſe zu Utrecht zwiſchen Spanien und den andern
    Maͤchten verglichen werden. In dem mit Grosbri-
    tannien wird ein juſtum potentiae aequilibrium,
    optimum et maxime ſolidum mutuae amicitiae et
    duraturae undiquaque concordiae fundamentum

    genant.
    Die nachherigen haͤufigen Tractaten, worinn
    eben dieſelben Razionen das Syſtem des Gleichge-
    wichts zum oͤftern anerkant haben, uͤbergehe ich.
    Es gehoͤren dahin hauptſaͤchlich die bekante Londner
    Quadrupelallianz vom 2. Aug. 1718 h] und die da-

    durch
    [353]und deren Gleichgewicht.
    durch veranlaßten fernern Tractaten. Nur der
    Anfang des zweiten Artickels derſelben iſt noch zu
    bemerken: „Quandoquidem unica quae excogitari
    potuit ratio ad conſtituendum duraturum in Europa
    aequilibrium
    ea viſa fuerit, ut pro regula ſtatuatur,
    ne regna Galliae et Hiſpaniae ullo unquam tempore
    in unam eandemque perſonam nec in unam ean-
    demque lineam coaleſcere unirique poſſent, iſtae-
    que duae Monarchiae, perpetuis retro temporibus
    ſeparatae remanerent etc.”
  • Sardinien trat aus Liebe zum Gleichgewicht der Qua-
    drupelallianz unterm 18. November 1718 ebenfals
    bei i].
  • Preuſſen verband ſich mit Grosbritannien und Frank-
    reich in der hannoͤverſchen Allianz vom 3. Septem-
    ber 1725 k], Art. 4. dahin: Et comme les dits
    trois ſereniſſimes roix ſont reſolus de reſerrer de
    plus en plus l’ étroite union, qui regne entr’ eux —
    ils ſont convenus reciproquement non ſeulement
    de n’ entrer dans aucun traite — mais même de
    ſ’ entrecommuniquer fidelement les propoſitions
    qui pourroient leur étre faites et de ne prendre
    ſur ce qui leur ſeroit propoſé aucune reſolution
    que de concert et apres avoir examiné conjointe-
    ment ce qui ſeroit convenable à leurs intérêts com-
    muns et propre à maintenir l’ equilibre de l’ Europe,
    qu’ il eſt ſi neceſſaire de conſerver pour le bien de la
    paix générale
    .

    Unter andern erklaͤrte auch der koͤnigl. preuſſiſche
    Geſandte im Haag, Graf von Podewils, 1742
    nach dem Breslauer Frieden: Sein Herr werde
    niemals von der verſprochenen Neutralitaͤt abgehen,
    wofern er nicht ſaͤhe, daß die Freiheit des Reichs
    und Europens Gefahr laufe
    . Wenn ſich auch
    der Koͤnig entſchlieſſen koͤnte, einen neuen Krieg zu

    Zunter-
    [354]Von der Macht der Nazionen
    unternehmen; ſo ſolte es blos zur Vertheidigung
    des Gleichgewichts
    und der evangeliſchen Reli-
    gion geſchehen l].
  • Das teutſche Reich im Ganzen ſowohl, als ſeine ein-
    zelnen Staͤnde haben ihre Genehmigung eines poli-
    tiſchen Gleichgewichts in Europa bey mehr als einer
    Gelegenheit, beſonders aber auch bey Gelegenheit
    der pragmatiſchen Sanction uͤber die Erbfolge des
    Hauſes Oeſterreich deutlich an den Tag gelegt. Von
    dieſem Erbfolgsgeſetz wird in dem zwiſchen Sr.
    Maj. dem Kaiſer Karl VI. und Grosbritannien ge-
    ſchloſſenen Tractat vom 16. Maͤrz 1731 geſagt:
    „Quandoquidem nomine Sacrae Caeſareae Catholi-
    cae Maieſtatis ſaepius expoſitum fuit, haud diu pu-
    blicam tranquillitatem vigere et conſtare, nec ſecu-
    ram pro conſervando duraturo in Europa aequilibrio
    rationem excogitari poſſe
    , niſi ſibi generalis tuitio,
    ſponſio ac evictio, ſeu, uti vulgo vocant Guaran-
    tia illius ſuccedendi ordinis praeſtetur, qui iuxta
    declarationem anno 1713 emanatam in Sereniſſima
    Domo Auſtriaca obtinet, Sacra Regia Maieſtas Bri-
    tanniae et Celſiae potentes ordines generales uni-
    tarum Foederati Belgii Provinciarum tam eo ſtudio
    ducti, quo in tranquillitatem publicam tuendam et
    aequilibrium conſervandum in Europa feruntur,
    quam — vigore praeſentis Articuli guarantiam mo-
    do dicti ſuccedendi ordinis generalem in ſe ſuſci-
    piunt etc.”
    Dieſen Artickel haben die Reichsſtaͤnde
    in dem Reichsgutachten vom 11. Januar 1732 m]
    nicht nur wuͤrklich eingeruͤckt, und demſelben gemaͤs
    die Garantie uͤbernommen, ſondern ſie ſagen auch
    ſelbſt noch ausdruͤcklich: „und dann hiebey in ſon-
    derbare Conſideration kommen, daß die unzer-
    trennte ungeſchmaͤlerte Erhaltung aller von
    Gott Ihrer Kaiſerl. Maj. durchlauchtigſten

    Erz-
    [355]und deren Gleichgewicht.
    Erzhauß verliehenen und dermaln beſitzenden
    Erbkoͤnigreich und Landen
    , und deren ſaͤmtlich
    große Macht ſowohl fuͤrterhin vor eine Vormauer
    der Chriſtenheit und dazu dienen wuͤrde, die Wag-
    ſchale in Europa zu erhalten
    , als die Freiheit
    des teutſchen Vaterlandes, und deſſen mit der alge-
    meinen Reichsſicherheit und Frieden in Europa ver-
    knuͤpfter Wohlfarth, beſonders aber auch des roͤmi-
    ſchen Reichs Hoheit, Anſehn, Gerechtſame und
    Reichsverfaſſung gegen alle feindliche Eingriffe und
    Unternehmungen kraͤftigſt zu vertheidigen und zu
    mainteniren ꝛc.
    Die Garantie dieſer das Gleichgewicht von Eu-
    ropa zum Grunde ſetzenden pragmatiſchen Sanction
    ward faſt von allen europaͤiſchen Maͤchten ſowohl,
    als von den vornehmſten einzelnen Reichsſtaͤnden
    insbeſondere nach und nach uͤbernommen und mehr-
    maln wiederholt. Dieſe haben denn das Gleichge-
    wichtsſyſtem zugleich mit anerkannt. Dahin gehoͤ-
    ren unter andern auch
  • Daͤnemark und
  • Rußland, welche im Coppenhagner Tractat mit dem
    Kaiſer vom 26. May 1732 zur Garantie der San-
    ction ſich verbanden n]. Die letztere Macht hat auch
    der Erklaͤrungen mehrere gethan, woraus ihre Ein-
    ſtimmung in das Syſtem des Gleichgewichts erhel-
    let. Eine davon ging dahin: Qu’ Elle avoit reſolu
    d’ employer toutes ſes forces pour maintenir l’ Equi-
    libre en Europe, qu’ on avoit pris à tâche d’ ébran-
    ler et de renverſer, et pour empêcher toute puis-
    ſance etrangère d’ inſulter la couronne et les etats
    des princes qui en ſont legitimes poſſeſſeurs o
    ].
    Zu denen, welche ein Gleichgewicht bey Gelegen-
    heit der oͤſterreichiſchen pragmatiſchen Sanction an-
    erkant haben, gehoͤrt auch noch die Republick

Z 2Genua,
[356]Von der Macht der Nazionen
  • Genua, welche deren Garantie nebſt andern Maͤchten
    im Aachner Frieden 1748, Art. 21. uͤbernommen.
  • Schweden trat dem vorangefuͤhrten hannoͤverſchen Tra-
    ctat zwiſchen Grosbritannien, Frankreich und Preuſ-
    ſen nach ſeinem ganzen Inhalt und alſo auch in
    Abſicht auf die Erhaltung des Gleichgewichts un-
    term 14. Maͤrz 1727 bey p]; und hat auch ſonſt,
    beſonders in Anſehung des nordiſchen Gleichgewichts,
    ſeine Geſinnungen fuͤr dieſes Syſtem an den Tag
    gelegt.

Jedoch es wuͤrde viel zu weitlaͤuftig ſeyn, hier alle
die Staatsſchriften auszuziehn, worinn die vorbenanten
und zum Theil auch wohl noch andere Nazionen das Sy-
ſtem des europaͤiſchen Gleichgewichts zur Richtſchnur
ihrer Handlungen ausdruͤcklich angenommen haben.


Es laͤßt ſich dagegen zwar einwenden q], daß dieſe
Anerkennung nur in beſondern Faͤllen und doch keines-
weges von allen europaͤiſchen Nazionen geſchehen ſey.
Allein es iſt auch nicht zu laͤugnen, daß man eben in
dieſen Faͤllen, vornaͤmlich in der ſpaniſchen Erbfolgsan-
gelegenheit, das Syſtem des Gleichgewichts fuͤr einen
algemeinen Entſcheidungsgrund angeſehen habe, der
nothwendig auch in aͤhnlichen Umſtaͤnden, zumal gegen
dieienigen, die ſich deſſen zu ihrem Vortheil wider andere
Staaten bedient haben, anwendbar ſeyn muß. Zudem
gehoͤren die genanten Nazionen ohnſtreitig zu denen, wel-
che die meiſten Kraͤfte zu Erlangung eines Uebergewichts
beſitzen, die ſich folglich im gleichen Falle, ienes Geſetz
auch wider ſich gelten zu laſſen, nicht entbrechen koͤnten.
Die uͤbrigen Staaten haben das Syſtem des Gleichge-
wichts zu Zeiten groͤſtentheils wenigſtens ſtilſchweigend
befolgt, und wuͤrden, ihres eigenen Nutzens wegen, bey
erforderlichen Umſtaͤnden, ſich ausdruͤcklich dazu zu beken-
nen gewis kein Bedenken tragen. Herr Martensr] ur-
theilt daher ſehr richtig, daß zwar nicht alle europaͤiſche
Na-
[357]und deren Gleichgewicht.
Nazionen es iederzeit anerkant, ſolches aber doch auch
nicht ganz aufgehoben haben.



















Z 3§. 12.
[358]Von der Macht der Nazionen

§. 12.
Endzweck des Gleichgewichts.


Das Syſtem des Gleichgewichts hat die Erhaltung
der Freiheit, Sicherheit und Ruhe nicht nur der einzel-
nen Nazionen, ſondern auch der großen Voͤlkergeſel-
ſchaft Europens zur Abſicht a]. Das Wohl der leztern
muß iedoch das vorzuͤglichſte Augenmerk dabey ſeyn,
und den Privatvortheilen einzelner Glieder vorgehn.
Dieſes Gleichgewicht ſoll die Macht der Nazionen und
ihr Verhaͤltnis dergeſtalt gegeneinander abwaͤgen, daß
keine unter ihnen zu einer uͤberwiegenden Groͤße anwach-
ſe, welche die ganze Geſelſchaft der beſtaͤndigen Gefahr
ausſetzen koͤnte, unterdruͤckt und verſchlungen zu werden,
ſobald iene Macht fuͤr gut faͤnde, ſich zum Beherſcher
und Geſezgeber uͤber ſie aufzuwerfen, weil es dieſer an
Kraͤften fehlte, ihre Gerechtſame und Freiheit gegen der-
gleichen Beeintraͤchtigungen auf irgend eine Art zu ver-
theidigen.



§. 31.
Nuzzen und Nothwendigkeit des Gleichge-
wichts
.


Schon der Umſtand, daß man, vorgezeigtermaaſſen,
den Grundſaz des Gleichgewichts faſt zu allen Zeiten be-
folgt hat, bewaͤhrt einigermaaſſen deſſen Guͤte. In
einer gleichen Geſelſchaft, wie die Geſelſchaft freier Voͤl-
ker ſeyn muß, wo keine Oberherſchaft Statt findet, der
die Handhabung der Geſetze und die Ahndung gegen deren
Uebertreter, in Abſicht auf gemeinſchaftliche Sicherheit
und Wohlfahrt, oblaͤge, ſondern wo ieder Beleidigte
ſelbſt,
[359]und deren Gleichgewicht.
ſelbſt, und allenfalls mit Beihuͤlfe anderer, fuͤr ſeine
Genugthuung zu ſorgen hat, iſt es gewis keine uͤberflieſ-
ſige Vorſicht, darauf Bedacht zu nehmen, daß die Mit-
glieder an Macht einander ſo viel moͤglich gleich, wenig-
ſtens nicht gar zu ſehr uͤberlegen ſind. Dieienigen, wel-
che wiſſen, daß ſie einander gewachſen ſind, werden ſo
leicht keine wechſelſeitigen Feindſeligkeiten unternehmen,
weil ſie ſchwerlich einigen Vortheil, vielmehr die nach-
theiligſten Folgen fuͤr ihr Wohl zu erwarten haben, wenn
der Beleidigte, zumal mit Beihuͤlfe der uͤbrigen, billige
Genugthuung an ihm nehmen koͤnte. Im Gegentheil iſt
nichts gewoͤnlicher, als daß ein zu uͤbermaͤchtiges Volk,
ſeine Kraͤfte zum Schaden und zur Unterdruͤckung ande-
rer misbraucht, weil es keinen Nachtheil und Widerſtand
zu befuͤrchten hat. Wie ſoll aber einer Nazion in ihren
unrechtmaͤſſigen Unternehmungen Einhalt gethan und die-
ſelbe zu Beobachtung der nothwendigen und freiwillig
uͤbernommenen Pflichten gebracht werden, die an Macht
nicht nur ihrem Gegner, ſondern den ſaͤmtlichen Gliedern
einer Voͤlkergeſelſchaft uͤberlegen iſt? Das gemeine Beſte
und die Sicherheit der einzelnen Nazionen erfordern es
daher, ihrer Macht gewiſſe Schranken zu ſetzen, zu hin-
dern, daß keine nach Belieben andre beleidigen koͤnne,
und dafuͤr zu ſorgen, daß ſie im Stande ſind, iedem
gewaltſamen Schritte gleichen Widerſtand zu thun a],
damit ieder freie Staat ſicher und unbeſorgt neben dem
andern beſtehen koͤnne, indem die beſtaͤndige Furcht der
Unterdruͤckung allerdings uͤbler als der Krieg ſelbſt ſeyn
muß. Schraͤnkt das Gleichgewicht ſchon die Pflicht und
das Recht der Vergroͤſſerung einigermaaſſen, mit zuwei-
liger Aufopferung rechtmaͤſſiger Vortheile ein, ſo iſt doch
dieſer Verluſt ſehr geringe gegen den großen Nutzen, wel-
cher der ganzen Voͤlkergeſelſchaft daraus zuwaͤchſt b].


Z 4a]
[360]Von der Macht der Nazionen


§. 14.
Rechtmaͤſſigkeit des Gleichgewichts.


Eine andere wichtige Frage iſt es, ob das Syſtem
des Gleichgewichts ſich mit den Grundſaͤtzen der Gerech-
tigkeit vertrage? Daſſelbe ſoll den allzugroßen Anwuchs
einer Macht, ſelbſt wenn ſie auf die rechtmaͤſſigſte Art
erlangt werden koͤnte, einſchraͤnken, da doch die Geſetze
der Natur iede ohne Beleidigung anderer zu erlangende
Vergroͤſſerung nicht nur erlauben, ſondern ſogar verlan-
gen. Nun beleidigt aber die Erweiterung der Macht
einer Nazion an und vor ſich die Gerechtſame anderer
nicht, weil man von der Kraft zu ſchaden noch nicht auf
die Wuͤrklichkeit ſchlieſſen kan. Allein die Nazionen
haben auch noch eine andere wichtige Pflicht, die Sorge
fuͤr ihre Erhaltung und Sicherheit auf ſich, die, wenn
ſie mit der Vergroͤßerungspflicht zuſammentrift, ohnſtrei-
tig die Oberhand behalten muß. Sie iſt ſowohl im ur-
ſpruͤnglich natuͤrlichen, als im geſelſchaftlichen Zuſtande
das erſte Geſetz der Voͤlker, welches ſie berechtigt und
verbindet, ſelbſt gegen eine gegruͤndete Furcht und ge-
gen den hoͤchſten Grad der Wahrſcheinlichkeit dienliche
Vorkehrungen zu treffen, die iedoch, ſo lange als es auf
irgend eine Art moͤglich, keinem andern Rechte der Na-
zionen zu nahe treten duͤrfen. Beſonders iſt in einer
engern Verbindung mehrerer Voͤlker auf die Erhaltung
der gemeinſchaftlichen Sicherheit und Ruhe hauptſaͤchlich
Ruͤckſicht zu nehmen und alles aus dem Wege zu raͤumen,
was dieſem Zwecke der Geſelſchaft entgegen iſt. Daß
eine uͤberwiegende Macht nur zu oft zum Schaden und
zur
[361]und deren Gleichgewicht.
zur Unterdruͤckung anderer gemisbraucht werde, lehrt die
Erfahrung aller Zeiten: die Nazionen muͤſſen daher bey
dem zu großen Anwuchs eines Staats in nicht ungegruͤn-
dete Beſorgniß ihrer Sicherheit wegen verſezt werden.
Alle Anſtalten wuͤrden fruchtlos dagegen ſeyn, wenn die
ſaͤmtlichen uͤbrigen Glieder der Geſelſchaft nicht Kraͤfte
genug haͤtten, der Gewalt eines Uebermaͤchtigen Wider-
ſtand zu thun. Es iſt alſo kein wuͤrkſameres Mittel,
dieſer Gefahr vorzubeugen, als die Einſchraͤnkung der zu
ſehr uͤberhandnehmenden Macht eines Einzigen a]. Folg-
lich ſind die Nazionen zu Erhaltung des Gleichgewichts
berechtigt und verbunden. Die Rechtmaͤſſigkeit einer
ſolchen Einrichtung iſt auch um ſo weniger zu bezweifeln,
wenn die Nazionen, wie in Europa, die Nothwendig-
keit der zum Wohl des Ganzen einzuſchraͤnkenden Macht
freiwillig anerkennen.


Im natuͤrlichen Zuſtande einzelner Menſchen wuͤrde
es freilich ungerecht ſeyn, wenn man [wie von einigen
zu Entkraͤftung des Gleichgewichts eingewand wird] b]
einem vorzuͤglich Starken Arme oder Beine zerbrechen ꝛc.
wolte, damit er andern nicht ſchaden koͤnte. Dieſe Vor-
ſicht waͤre hier ganz unnoͤthig, weil den uͤbrigen, durch
Vereinigung, gewis immer noch Kraͤfte genug zum Wi-
derſtand bleiben. In buͤrgerlichen Geſelſchaften iſt eine
ſolche Einrichtung ebenfals minder nothwendig, weil da
die Oberherſchaft den Ausſchweifungen der Maͤchtigen
leicht Ziel ſetzen kann. Solte aber gleichwohl, beſon-
ders in demokratiſchen und ariſtokratiſchen Staaten, ein
Buͤrger durch ſeine Macht dem Staate zu gefaͤhrlich wer-
den, und dieſer Gefahr durch kein anderes Mittel vorzu-
beugen ſeyn; ſo rechtfertigt das algemeine Beſte allerdings
eine Einſchraͤnkung iener Macht und eine Art von Athe-
niſchen Oſtraciſmus c].



Z 5b]
[362]Von der Macht der Nazionen


§. 15.
Erlaubte Mittel zu Erhaltung deſſelben.


Es bedarf ohnſtreitig vieler Behutſamkeit in Beſtim-
mung der gehoͤrigen Grenzen des Gleichgewichts und der
zu Erhaltung deſſelben erlaubten Mittel a], damit ſol-
ches, anſtatt die Gerechtſame und Freiheit der Nazionen
zu ſichern, dieſelben nicht noch mehr beleidige. Ueber-
haupt iſt zu merken, daß, da das Gleichgewicht die Ab-
ſicht hat, zu verhindern, daß kein Volk eine Ueber-
macht erlange, die den mit ihm verbundenen Nazionen
gefaͤhrlich werden koͤnte, man mehr vertheidigungs- als
angrifsweiſe zu Werke gehen, und ſich ſo viel moͤg-
lich aller beleidigenden und gewaltſamen Mittel dabey
enthalten muͤſſe.


Eine große Republick, wie Heinrich IV. von Frank-
reich ꝛc. ſie ſich dachte, oder eine von mehrern Nazionen
bereits geſuchte Univerſalmonarchie b] wuͤrden, obgedach-
termaaſſen, dem Syſtem des Gleichgewichts vielleicht
am zutraͤglichſten ſeyn; aber ſie duͤrften, wie bis itzt, ſo
noch ferner eine Chimaͤre bleiben.


So lange die Macht einer Nazion noch nicht uͤber-
wiegend wird, [§. 6.] deren Anwuchs iedoch Beſorg-
niſſe zu erregen im Stande iſt, ob der ſich vergroͤßernde
Staat gleich noch keinen Anlas zu Mistrauen gegeben
hat, koͤnnen die uͤbrigen Nazionen keine andern Maas-
regeln ergreifen, als daß ſie durch Verbeſſerung ihrer
eignen Kriegsverfaſſung, Anlegung von Feſtungen ꝛc.
durch Buͤndniſſe mit andern, ſich auf alle Faͤlle in guten
Vertheidigungsſtand ſetzen c]. Faͤngt die Macht an
uͤber-
[363]und deren Gleichgewicht.
uͤberwiegend zu werden, kann man bey Erwerbung noch
mehrerer Laͤnder, allenfals hinlaͤngliche Sicherheit fo-
dern d]. Bloſſe Verſicherungen, ſelbſt durch Eide beſtaͤ-
tigt, duͤrften aber dafuͤr kaum anzuſehn ſeyn, ſondern
z. B. die Beſetzung der feſten Plaͤtze in den neuerworbe-
nen Provinzen durch andere Nazionen ꝛc. e].


Ob und wenn zu Erhaltung des Gleichgewichts Krieg
und andere gewaltſame Mittel Statt finden? iſt eine
von den Voͤlkerrechtslehrern aͤuſſerſt beſtrittene Frage.


Einige glauben mit Kahlenf], alle Nazionen,
denen es um ihre Erhaltung zu thun waͤre, muͤſten dieie-
nigen ſogleich fuͤr ihre Feinde anſehn, welche die
Schranken einer gemaͤſſigten Macht uͤberſchritten, und
nach einer Herſchaft ſtrebten, wodurch ienen fruͤher oder
ſpaͤter der Untergang bereitet wuͤrde. Sie ſehen gute
Kriegsanſtalten, Feſtungen, Vertheidigungsbuͤndniſſe
ꝛc. fuͤr weiſe Maasregeln an, deren man ſich zufoͤrderſt
bedienen muͤſſe; aber auſſerdem daß die Unterhaltung
zahlreicher Armeen ꝛc. und die Schlieſſung der Buͤnd-
niſſe mit vielen Koſten und oft nicht mit geringen
Schwierigkeiten verknuͤpft ſind g], ſey es noch ſehr un-
gewis, ob der maͤchtige Feind ſeinen Gegnern zu allen
dieſen Vorkehrungen Zeit genug laſſen, oder ſie viel-
mehr unvermuthet uͤberfallen werde. Es ſey daher beſ-
ſer, zuvorzukommen, und iede uͤberhandnehmende Macht
mit Gewalt einzuſchraͤnken. Folge gleich nicht, daß
der Maͤchtigere den Schwaͤchern allezeit unterdruͤcke, ſo
muͤſſe dieſer doch in beſtaͤndiger Furcht deshalb leben,
weil, wenn auch der itzige Regent tugendhaft waͤre,
man doch nicht wiſſe, was man von ſeinen Nachfolgern
zu erwarten habe. Es wuͤrde unverantwortlich ſeyn,
wenn eine Nazion ihrem Untergang geduldig entgegen
ſehn wolte, bis er unvermeidlich waͤre. In Faͤllen,
wo es unmoͤglich oder zu gefaͤhrlich ſey, eine voͤllige Ge-
wisheit abzuwarten, muͤſſe man auch nach einer ver-
nuͤnf-
[364]Von der Macht der Nazionen
nuͤnftigen Muthmaßung und Wahrſcheinlichkeit zu Wer-
ke gehn h].


Andere hingegen nehmen die Parthey des Grotius i],
und misbilligen alles feindſelige Unternehmen gegen eine
Nazion, die bey aller ihrer uͤberwiegenden Macht, durch
ein gerechtes und vorſichtiges Betragen, andern doch
keine Urſach zu Mistrauen giebt. Der Krieg, ſagen
ſie, ſetze eine wuͤrkliche Beleidigung oder wenigſtens die
moraliſche Gewisheit von der Abſicht zu beleidigen vor-
aus, wofuͤr die Vergroͤßerung der Macht allein nicht
anzuſehn, ob ſie gleich Furcht zu erregen vermoͤge. Das
Gleichgewicht habe blos den Vortheil zur Abſicht, daß
bey entſtehendem Kriege einer ungerechten Gewalt gleiche
Macht entgegengeſezt werden koͤnne. Weder Furcht noch
Nutzen berechtigten iedoch zum Kriege k]. Indes erlau-
ben ſie den Krieg zu Erhaltung des Gleichgewichts gleich-
wohl in gewiſſen Faͤllen, und zwar:


1] Wenn die Macht einer Nazion der ganzen Voͤl-
kergeſelſchaft ſo furchtbar wird, [tremenda] daß man
von der bevorſtehenden Beleidigung durch aufgefangene
Briefe ꝛc. oder ſonſt, die klaͤrſten Beweiſe, wenigſtens
eine moraliſche Gewisheit hat. Dieſe Nazion muß
nicht allein durch ſtarke Ruͤſtungen, Truppenvermeh-
rung ꝛc., ſondern auch durch deutliche Merkmale von
Ungerechtigkeit, Habſucht, Stolz, Ehrgeiz und Herſch-
begierde ſich verdaͤchtig gemacht haben l].


2] Wenn man einem rechtmaͤſſig kriegenden Bunds-
genoſſen gegen einen uͤbermaͤchtigen Staat, aus Furcht
vor Unterdruͤckung, beiſteht m], oder deſſen Feinden auf
andere Art Vorſchub thut n].


3] Wenn bey Vergroͤßerung der Macht die deshalb
verhandenen Vertraͤge verlezt werden.


Unter dieſen Umſtaͤnden haͤlt man es fuͤr erlaubt, der
Gefahr zuvorzukommen, oder auch eine ſchon gar zu
maͤch-
[365]und deren Gleichgewicht.
maͤchtige Nazion an der vielleicht eben vorhabenden Er-
werbung mehrerer Laͤnder mit Gewalt zu hindern o].


Meinem Ermeſſen nach iſt des Gleichgewichts wegen
kein anderer, als vertheidigender Krieg, und zwar nur
in dem Falle zu unternehmen, wenn eine ſchon maͤchtige
Nazion von Erlangung einer Uebermacht durch neue
Erwerbungen, auf keine andere guͤtliche Art abzubrin-
gen iſt.


Der Krieg ſetzt allerdings entweder eine ſchon wuͤrk-
lich zugefuͤgte, oder doch die moraliſche Gewisheit einer
bevorſtehenden Beleidigung voraus. Die Moͤglichkeit
derſelben und die Furcht davor ſind allein keinesweges
hinlaͤngliche Urſachen, ſo lange der Gegentheil im Noth-
fall noch Kraͤfte genug zum Widerſtande hat. Wenn
daher unter dieſen Umſtaͤnden ein Volk ſeine bereits
erlangte Macht
zum Nachtheil anderer nicht mis-
braucht, und den uͤbrigen keine Gelegenheit zu gerechten
Beſchwerden giebt, ſo wuͤrde ieder angreifende Krieg
wider daſſelbe ungerecht ſeyn. Laͤßt es ſich aber Belei-
digungen anderer zu Schulden kommen, ſo iſt die dage-
gen erlaubte Ahndung durch vertheidigenden Krieg nicht
ſowohl eine Folge des Gleichgewichts, als der zugefuͤg-
ten oder noch vorhabenden Beleidigung; wiewohl die
Groͤße der Macht, als eine der haͤufigſten Quellen der
Beleidigungen, zuweilen anrathen kan, die Waffen,
zugleich zu Verringerung derſelben, eher, als ſonſt
geſchehen ſeyn wuͤrde, zu ergreifen, damit man ſich deſto
mehrere Sicherheit fuͤr die Zukunft verſchaffe.


Im Gegentheil handeln mindermaͤchtige Staaten den
Grundſaͤtzen ihrer eignen Erhaltung und der Sicherheit
der ganzen Voͤlkergeſelſchaft gemaͤs, wenn ſie die Ver-
groͤßerungsabſichten einer ſchon gar zu maͤchtigen Nazion,
ſelbſt die ſonſt rechtmaͤſſigen Erweiterungen ihrer
Reiche und Provinzen
durch Erbfolge, Heirath p],
Wahl, Entdeckung, Eroberung, Tauſch q], oder auf
an-
[366]Von der Macht der Nazionen
andere Art, aus dem Grunde des Gleichgewichts ſo viel
moͤglich zu vereiteln, und noͤthigen Fals mit Gewalt
der Waffen zu verhindern ſuchen r]. Die geſelſchaft-
liche Verbindung, beſonders der europaͤiſchen Nazionen,
macht eine ſolche Vorſicht nothwendig [§. 13. u. 14.]
und die meiſten derſelben haben dieſe Nothwendigkeit
nicht nur ſtilſchweigend, ſondern auch ausdruͤcklich aner-
kant. [§. 11.] Wenn daher eine ſchon maͤchtige Na-
zion, die neue Erwerbungen zu machen vorhabens iſt,
welche alles Gleichgewicht aufheben wuͤrden, nach deut-
licher Ueberfuͤhrung von der dadurch unvermeidlichen
Zerruͤttung dieſes Syſtems und erfolgter Abmahnung,
von ihren Vergroͤßerungsabſichten dennoch nicht abſtehn
wolte, ſo wuͤrde ſie die Vorſchriften des freiwilligen ſo-
wohl, als des poſitiven Voͤlkerrechts beleidigen und den
uͤbrigen Staaten zu Vertheidigung ihrer Gerechtſame
durch Waffen die gegruͤndetſte Veranlaſſung geben.


Das Auskunftsmittel, wenn die Vereinigung meh-
rerer Reiche oder Provinzen, die einem Fuͤrſten ſonſt
von Rechtswegen gebuͤhrten, dem Gleichgewicht nach-
theilig erachtet wird, pflegt zu ſeyn, daß man ſolche
einem Prinzen, oder einer andern Linie des regierenden
Hauſes, mit der Bedingung uͤberlaͤßt, daß ſie mit dem
Hauptlande nie vereinigt werden duͤrfen; welches in der
bekanten ſpaniſchen Erbfolgsangelegenheit geſchah. Eini-
ge rathen bey dergleichen Ereigniſſen lieber einen Frem-
den, der auch nur das entfernteſte Recht dazu hat, zu
waͤhlen, weil Regenten, die aus einem Hauſe entſproſ-
ſen, durch Buͤndniſſe leicht ſich vereinigen, und ihre
Macht zu Unterdruͤckung anderer misbrauchen koͤnten s].


Daß uͤbrigens ein Volk dem Rechte, ſich der Ver-
groͤßerung eines andern zu widerſetzen, entſagen koͤnne,
leidet keinen Zweifel t].

















A aq]
[370]Von der Macht der Nazionen




§. 16.
Einwuͤrfe gegen das Syſtem des Gleichge-
wichts
.


Die hauptſaͤchlichſten Einwendungen, welche man
gegen das Gleichgewicht zu machen pflegt, ſind ſchon
beilaͤufig mit angefuͤhrt und beantwortet worden. Vie-
le a]
[371]und deren Gleichgewicht.
le a] erklaͤren es fuͤr weiter nichts, als fuͤr eine Chimaͤre,
und glauben, daß, wenn es auch gerecht und den Nazio-
nen zutraͤglich waͤre, es doch nicht wohl zu erlangen und
zu behaupten ſey, weil die Macht und die Verbindungen
der Voͤlker ſo vielen Veraͤnderungen durch innere und
aͤuſſere Revolutionen unterworfen waͤren. Selbſt bey
einer gleichen Laͤndermacht hange die vorzuͤglichſte Groͤße
von der innern Regierungsverfaſſung ab; es muͤſte daher,
den Geſetzen der Freiheit zuwider, erlaubt ſeyn, ſich in
die innern Angelegenheiten der Voͤlker zu miſchen, damit
man die Uebermacht daraus zu beſtimmen im Stande
waͤre. Allein eben dieſer oͤftern Veraͤnderungen wegen
iſt das Gleichgewicht noͤthig und unter den Nazionen
eingefuͤhrt, um zu verhindern, daß bey ſolchen Gelegen-
heiten kein Volk eine Uebermacht erlange. Dieſe aber
iſt, wie ſchon oben erinnert worden, nicht ſowohl nach
der innern Einrichtung, als vielmehr nach dem Umfan-
ge der Laͤnder zu beurteilen. Auch iſt es, dem Inhalt
des vorigen Kapitels gemaͤs, in gewiſſen Faͤllen gar
nicht unerlaubt, ſich um die Handlungen der uͤbrigen
Nazionen zu bekuͤmmern.


Der Einwurf, daß das Syſtem des Gleichgewichts,
welches Sicherheit und Ruhe befoͤrdern ſolle, wie die
Erfahrung lehre, oͤfters eine Quelle ungerechter Kriege
werde b], iſt zwar nicht ganz ungegruͤndet; allein der
Misbrauch hebt den rechten Gebrauch nicht auf: die be-
ſten und gemeinnuͤtzigſten Anſtalten muͤſſen zuweilen zu
Ausfuͤhrung der unrechtmaͤſſigſten Privatabſichten dienen.
Bey der heutigen Verfaſſung der meiſten europaͤiſchen
Staaten, darf es iedoch auch keine Nazion ſo leicht wa-
gen, ihre Macht, unter dem Schein des Gleichgewichts,
auf Unkoſten anderer vergroͤßern zu wollen.


Endlich wird dieſes Syſtem von manchen noch dar-
um verworfen, weil es wider die Grundſaͤtze des Chri-
ſtenthums ſtreite c]. Was in der Einleitung vom Gebrau-
A a 2che
[372]Von der Macht der Nazionen
che der Bibel in der Voͤlkerrechtswiſſenſchaft uͤberhaupt
geſagt worden, dient auch hier zu Beantwortung dieſes
Einwands. Nach deſſen Vorſchriften faͤnde ſelbſt gegen
offenbare Feinde der Krieg nicht ſtatt.





§. 17.
Verſchiedene Gattungen des Gleichge-
wichts
.


Das Gleichgewicht findet zwiſchen allen Nazionen
ſtatt, die in einer gewiſſen engern geſelſchaftlichen Ver-
bindung leben, wie z. B. die ſaͤmtlichen Staaten in
Europa, die in Aſien ꝛc. Da aber auch in dieſen Welt-
theilen einige Voͤlker wiederum entweder in Anſehung
ihrer benachbarten Lage nach einer beſondern Gegend,
oder in anderer Ruͤckſicht, in noch naͤherem Verhaͤltnis
ſtehen, ſo nimt man nicht nur ein algemeines europaͤi-
ſches, ſondern auch ein nordiſches, ein italiaͤniſches ꝛc.
ſowohl als ein Gleichgewicht der Schiffahrt und Hand-
lung an.



§. 18.
[373]und deren Gleichgewicht.

§. 18.
Gleichgewicht in Weſten.


Hier haben Frankreich und Spanien auf einer, Gros-
britannien und Portugal auf der andern Seite eine Art
von Gleichgewicht gegen einander zu erhalten geſucht.



§. 19.
Gleichgewicht in Norden.


Die nordiſchen Nazionen, Daͤnemark, Schweden,
Polen, Preuſſen und Rußland haben beſonders in aͤltern
Zeiten mehr unter ſich, als mit den uͤbrigen europaͤiſchen
Nazionen in Verbindung geſtanden. Bis in die Mitte
des vorigen Jahrhunderts entſtand des Gleichgewichts
wegen unter ihnen eben keine Frage, bis Schweden an-
fing ſich uͤber ſeine Nachbarn zu erheben, und beſon-
ders den Reichen Daͤnemark und Polen gefaͤhrlich zu
werden. Gegen Ende dieſes Zeitpunkts fand dieſes
Reich an Rußland ſeinen vorzuͤglichſten Gegner, wel-
ches ſich auf Schwedens Unkoſten gros zu machen ſuchte.
Jeder Theil hatte ſeine Anhaͤnger und Bundsgenoſſen.
Karl XII. von Schweden hatte Frankreich, die Pforte
und zum Theil Grosbritannien und die vereinigten Nie-
derlande, Peter der Große hingegen Daͤnemark, Polen,
Preuſſen und Oeſterreich auf ſeiner Seite a]. Es ent-
ſtanden in Beziehung auf das nordiſche Gleichgewicht
verſchiedene Kriege unter dieſen Maͤchten, welche durch
die Nyſtaͤdter, Stockholmer, Belgrader und Aboer
Friedenſchluͤſſe ſich endigten. Der leztere hauptſaͤchlich
verſchafte Rußland eine gewiſſe Uebermacht, welche mit
A a 3der
[374]Von der Macht der Nazionen
der Zeit durch Erlangung immer mehrerer Vortheile,
den uͤbrigen nordiſchen Nazionen Beſorgniſſe erregte b].
Die nun hervorwachſende preuſſiſche Macht allein war
vermoͤgend ihr einigermaaſſen das Gleichgewicht zu
halten, ſo daß Rußland es in der Folge fuͤr noͤthig hielt,
ſich deren ferneren Ausbreitung zu widerſetzen c]. In
neuern Zeiten haben beide Nazionen durch die polniſche
Theilung und andere vortheilhafte Ereigniſſe anſehnliche
Vergroͤßerungen ihrer Macht erhalten, die iedoch ver-
moͤge der Aufmerkſamkeit der uͤbrigen europaͤiſchen Staa-
ten, den Nachbarn nicht ſo leicht gefaͤhrlich werden
kan d].





d]
[375]und deren Gleichgewicht.


§. 20.
Gleichgewicht im Orient.


Ehedem, und beſonders im ſechszehnten und ſieb-
zehnten Jahrhundert war man im Orient wegen der uͤber-
handnehmenden Macht der Pforte ſehr in Sorgen, und
die benachbarten Staaten lagen deshalb beſtaͤndig mit
ihr im Kriege. Sie iſt aber nach und nach ziemlich ein-
geſchraͤnkt worden, und gegenwaͤrtig halten ihr Rußland
und Oeſterreich dergeſtalt das Gleichgewicht, daß von
ihrer Uebermacht wenig zu fuͤrchten ſteht.



§. 21.
Italiaͤniſches Gleichgewicht.


Die Erhaltung des Gleichgewichts in Italien hat in
aͤltern Zeiten oͤftere Unruhen, hauptſaͤchlich zwiſchen
Spanien und Frankreich erregt, bis Kaiſer Karl V. die
Oberhand behielt, indem er zum Beſitz von Neapel,
Sicilien, Sardinien, Mayland ꝛc. gelangte. Dieſe
Uebermacht verſchwand iedoch, als nach deſſen Tode
1558 die Kaiſerwuͤrde von Spanien getrennt ward.
Nach dem Abgange der oͤſterreichiſchen Linie in Spanien
1700 entſtanden neue Streitigkeiten, aber das Haus
A a 4Oeſter-
[376]Von der Macht der Nazionen
Oeſterreich blieb im Beſitz des groͤſten Theils der ſpani-
ſchen Lande in Italien, Sicilien ausgenommen, welches
an Savoyen kam. In der Folge erwarb die ſpaniſche
Linie des Hauſes Burbon in der Quadrupelallianz, dem
Wiener und Aachner Frieden ꝛc. anſehnliche Lande, als
Neapel, Sicilien und Parma. Im Jahr 1752 errichte-
ten Spanien, Sardinien und Oeſterreich des Gleichge-
wichts und der Ruhe in Italien wegen einen Tractat a],
und der Koͤnig von Sicilien ſtelte, als er 1759 die Kron
Spanien erhielt, und erſteres Reich ſeinem dritten Prin-
zen abtrat, zugleich feſt, daß dieſe beiden Koͤnigreiche
in Zukunft iederzeit von einander getrennt und von ver-
ſchiedenen Regenten beherſcht werden ſolten. Itzt iſt
ſeit langer Zeit von einer Gefahr in Anſehung dieſes
Gleichgewichts nichts zu vernehmen geweſen b].




§. 22.
Gleichgewicht im teutſchen Reiche.


Teutſchland komt in Ruͤckſicht des Gleichgewichts
doppelt in Anſchlag. Einmal traͤgt die conſtitutions-
maͤſige Fortdauer dieſer aus mehrern obgleich nicht voͤllig
ſouverainen Staaten zuſammengeſezten ſonderbaren Mo-
narchie zu Erhaltung des algemeinen Gleichgewichts in
Europa nicht wenig bey; wie dies die uͤbrigen Nazionen
bey verſchiedenen Gelegenheiten erkant haben. Dann
aber haͤngt iene Fortdauer ſelbſt von einem gewiſſen
Gleichgewichte der Macht unter den einzelnen Gliedern
dieſes Staatskoͤrpers gegeneinander und gegen deſſen
Oberhaupt ab. Je enger die Verbindung iſt, worinn
mehrere Staaten leben, [und] ie nothwendiger die Be-
ob-
[377]und deren Gleichgewicht.
obachtung der feſtgeſezten wechſelſeitigen Verbindlichkei-
ten zu Erhaltung des gemeinſamen Bandes iſt, deſto
groͤßer muß die Sorgfalt der ſaͤmtlichen Mitglieder
ſeyn, daß keins derſelben ſeine Macht zum Nachtheil
der Freiheit und Gerechtſame der uͤbrigen zu ſehr erwei-
tere. Das teutſche Reich iſt ein aus mehrern groͤßern
und kleinern Staaten zuſammengeſezter Staatskoͤrper,
deſſen Oberhaupt in Ausuͤbung der hoͤchſten Gewalt, ſo
wie den ſtaͤndiſchen Freiheiten dabey durch Grundgeſetze
zwar gewiſſe Grenzen vorgezeichnet ſind, die iedoch von
beiden Seiten leicht uͤberſchritten werden koͤnten, wenn
nicht eine gewiſſe Gleichheit der Macht ſowohl zwiſchen
Haupt und Gliedern, als unter den leztern ſtatt faͤnde;
zumal da das Staatsintereſſe die Wahl eines maͤchtigen
Standes zum Oberhaupt erfodert. Es iſt daher eine
beſtaͤndige Aufmerkſamkeit noͤthig, damit iedes Mitglied
bey dem freien und geruhigen Genuß ſeiner Lande, Be-
ſitzungen und Rechte erhalten, und an ieder widerrechtli-
chen und willkuͤhrlichen Unternehmung gehindert wer-
de a]. Dies iſt der Grund des Gleichgewichts im
teutſchen Reiche
. Bey Gelegenheit der Streitigkei-
ten uͤber den baierſchen Laͤndertauſch waren die Meinun-
gen uͤber den Begrif des Gleichgewichts in Teutſchland
getheilt. Kaiſerlicher Seits behauptete man b]: „Das
wahre Gleichgewicht der Gewalt in Anſehung der Staͤn-
de unter ſich, haͤngt nach der teutſchen Verfaſſung nur
allein davon ab, daß ein Stand gegen den andern ſich
gar keiner Gewalt anmaße, ſondern daß ieder derſelben
der beſtelten geſetzmaͤſigen Obergewalt untergeordnet blei-
be: So wie auch das Gleichgewicht der Gewalt in An-
ſehung des Reichsoberhaupts gegen die derſelben unterge-
bene Staͤnde einzig darauf beruht, daß die leztern an
der Geſetzgebung und an einigen andern in den Geſetzen
benanten Hoheitsrechten Theil haben, daß die exekutivi-
ſche Gewalt durch die dazu beſonders geordnete Staͤnde
A a 5vol-
[378]Von der Macht der Nazionen
volbracht und dazu in der Regel nur die von den Staͤn-
den geſtelte Manſchaft gebraucht werde. Dieſem einzi-
gen wahren und weſentlichen Gleichgewichte im teutſchen
Reiche ſtehet keinesweges die allen Staͤnden deſſelben
gebuͤhrende Befugnis entgegen, ſo viele Reichslande an
ſich zu bringen, als ihnen verliehen werden, oder in
rechtlicher Ordnung an ſie fallen, oder ſonſt auf eine
den Geſetzen gemaͤße Art, durch Tauſch und andere er-
laubte Wege von ihnen erworben werden koͤnnen. Nur
iene Staͤnde zerſtoͤren dieſes Gleichgewicht, welche ein-
ſeitige Buͤndniſſe gegen andere errichten, uͤber Dinge,
die nur der Erwegung und Entſcheidung aller vorbehal-
ten ſind, wilkuͤhrlicher Urteile ſich anmaßen, ſogar zu
derer bewafneter Behauptung ſich unter einander vereini-
gen, und ſolchergeſtalt allen uͤbrigen eine ganz unbefugte
Obergewalt aufdringen wollen.” Dagegen aber wurde
von koͤniglich preuſſiſcher Seite geaͤuſſert c]: „Nach die-
ſen hier wilkuͤhrlich und ohne Beweis angenommenen
groͤſtenteils unaͤchten Grundſaͤtzen wuͤrde das Gleichge-
wicht der Gewalt im teutſchen Reiche faſt ganz in der
Wilkuͤhr der hier ſogenanten Obergewalt, worunter man
den Kaiſer zu verſtehen ſcheint, beruhen, und wuͤrde
das Schickſal der vermeintlich untergebenen Reichsſtaͤnde
ſehr mißlich ſeyn. Zum Gluͤck fuͤr den konfoͤderirten
Staat von Teutſchland hat deſſen gewaͤhltes Oberhaupt
keine andere Obergewalt, als welche die Erbfuͤrſten, die
es gewaͤhlt, ihm durch die von ihm beſchworne Wahlka-
pitulation aufgetragen haben. Nach ſolcher beruhet die
geſetzmaͤſige Obergewalt nicht bey dem Kaiſer allein,
ſondern fuͤr die Geſetzgebung, bey dem Kaiſer und den
Staͤnden zuſammen; in Anſehung der exekutiviſchen
Gewalt, allein auf die dazu beſonders geordneten Staͤn-
de. Wenn ſie der Kaiſer, als ſolcher, fuͤr ſich allein,
oder als ein dazu nicht verordneter Reichsſtand, aus-
uͤben will, wenn er ſeinen ſchwaͤchern Mitſtaͤnden Kon-
ven-
[379]und deren Gleichgewicht.
ventionen, nach einſeitiger Konvenienz, oder widerrecht-
liche und ihnen nachtheilige Tauſchhandlungen abzudrin-
gen ſucht; wenn er die groͤſten Reichslande ohne Ein-
ſtimmung aller dazu gehoͤrigen Erbfuͤrſten und des ge-
ſamten Reichs, wider deſſen Syſtem und poſitive Geſe-
tze, durch ungeſetzmaͤſſige Mittel an ſich zu bringen ſucht,
ſo zerſtoͤrt er dadurch allerdings das Gleichgewicht des
Reichs; ſo misbraucht er dadurch die Gewalt, welche
die Wahlfuͤrſten ihm aufgetragen haben, und alsdann
tritt das Recht ein, welches das alte Herkommen, der
Osnabruͤckiſche Friedensſchlus Art. 8. §. 2. und die
Wahlkapitulation Art. 3. §. 6. und Art. 6. §. 4. ihnen
zugeeignet haben, Buͤndniſſe unter ſich und mit Aus-
waͤrtigen, zu Erhaltung ihrer Rechte und Sicherheit zu
ſchlieſſen; ſie ſchlieſſen ſolche dadurch nicht gegen den
Kaiſer und das Reich, ſondern gegen einen ſeine Macht
misbrauchenden Mitſtand; ſie zerſtoͤren dadurch nicht,
ſondern erhalten das Gleichgewicht, ſie dringen nie-
manden eine unbefugte Obergewalt auf, ſondern ſie
ſuchen ſie nur abzuwenden; ſie maſſen ſich keine wilkuͤhr-
liche Beurtheilung uͤber Dinge an, die nur der Erwaͤg-
ung und Entſcheidung Aller vorbehalten ſind ꝛc. ——
Die geſunde Vernunft und die geſchichtmaͤſige Erfahr-
ung beweiſet auch genugſam, daß in einem, ſo wie das
teutſche Reich, verbundenen Freiſtaat, das aus ſo vie-
len maͤchtigen, mittelmaͤſigen und ſchwachen Staͤnden
beſteht, auſſer der an ſich wenig wirkſamen Macht der
Geſetze, ein wahres Gleichgewicht der Macht zwiſchen
dem Kaiſer und Staͤnden, und den Staͤnden unter ſich,
ſeyn und dadurch erhalten werden muß, daß ein ieder
Stand und ein iedes erbfuͤrſtliches Haus bey ſeinen alt-
erblichen Beſitzungen erhalten, und die mindermaͤchtige
nicht von den Maͤchtigern durch allerhand zweideutige
von den leztern leicht zu erſindende Mittel verdrungen
wer-
[380]Von der Macht der Nazionen
werden, ſonſt wuͤrde das geſetzmaͤſige Gleichgewicht bald
und oft aufhoͤren und verſchwinden.” ꝛc. d]


Iſt der Ausdruck: Gleichgewicht von Teutſch-
land
auch neuern Urſprungs e]: ſo findet man doch von
der Sache ſelbſt ſchon Spuren in den aͤlteſten Zeiten.
Von ieher haben ſowohl Kaiſer, als Staͤnde, ihr An-
ſehn und ihre Gewalt uͤber die vorgeſchriebenen Grenzen
zu erweitern geſucht. Indes hat die Freiheit der leztern
immer maͤchtige Vertheidiger ſowohl unter den Mitſtaͤn-
den, als unter auswaͤrtigen Nazionen gefunden. Der
Einflus der leztern in die teutſchen Reichshaͤndel wird be-
ſonders ſeit den Zeiten Kaiſer Friedrichs I., der die Unter-
druͤckung der Staͤnde zur Hauptabſicht hatte, merklicher.
Die auswaͤrtigen Koͤnige, ſagt Olenſchlagerf], fin-
gen ſeit dieſer Zeit an, ihre eigne Freiheit nach dem
Schickſale der teutſchen Staͤnde zu ſchaͤtzen. Jedoch
war damals noch nicht ſo viel zu befuͤrchten, weil das
Unvermoͤgen der meiſten Staaten keine gar zu gefaͤhrli-
chen Unternehmungen verſtattete. Als ſie aber im funf-
zehnten und ſechszehnten Jahrhundert almaͤhlig ſich zu
erheben begannen, und beſonders das Haus Oeſterreich,
deſſen Regenten ſich ſeit einer langen Reihe von Jahren
im Beſitz der Kaiſerwuͤrde befanden, zu einer fuͤrchterli-
chen Macht emporwuchs, die den Staͤnden zu manchen
nicht ungegruͤndeten Beſchwerden Anlas gab, ward die
Sorge fuͤr das Gleichgewicht zwiſchen der kaiſerlichen
Macht und den Reichsſtaͤndiſchen Freiheiten immer noth-
wendiger. Die Staͤnde ergriffen nicht nur ſelbſt die
erforderlichen Maasregeln hierunter, indem ſie den wil-
kuͤhrlichen Anmaſſungen der Kaiſer durch Wahlkapitula-
tionen ꝛc. zuvorzukommen bedacht waren, ſondern erhiel-
ten auch hauptſaͤchlich Frankreichs Unterſtuͤtzung, das
ſich der teutſchen Reichsſtaͤnde meiſtens annahm, zumal
da Kaiſer Karl V., unter dem Schein der Religion,
die Zernichtung der teutſchen Freiheit unternahm. Hier
trift
[381]und deren Gleichgewicht.
trift das Gleichgewicht von Teutſchland mit dem Gleich-
gewicht von ganz Europa zuſammen, deſſen Geſchichte,
ſo wie die zwiſchen den Staͤnden unter ſich und mit aus-
waͤrtigen Maͤchten deshalb geſchloſſenen Vertraͤge ſchon
oben [§. 10.] erzaͤhlt worden ſind. Der dreiſſigiaͤhrige
Krieg und daraufgefolgte weſtphaͤliſche Friede von 1648
machen die Hauptepochen im teutſchen Gleichgewichte aus,
und der leztere wird noch itzt als die Grundlage deſſelben
betrachtet, worauf faſt alle folgende Friedensſchluͤſſe
und Vertraͤge im teutſchen Reiche gebaut ſind.


In Anſehung der neuern Zeiten heißt es in der oban-
gefuͤhrten fuͤrtreflichen Abhandlung des Herrn Staats-
miniſters von Hertzbergg]: „Das Gleichgewicht von
Teutſchland waͤre in dem Kriege, welcher 1756 unver-
muthet ſich entſpann, in Gefahr geweſen, gaͤnzlich zer-
ruͤttet zu werden, wenn die preuſſiſche Monarchie von
ihren Feinden vernichtet worden waͤre. Zum Gluͤck hielt
der große Koͤnig dieſen Krieg ſieben Jahr lang wider die
vornehmſten Maͤchte von Europa aus, auf eine Art, die
in der Geſchichte ohne Beiſpiel iſt, und das Gleichge-
wicht von Teutſchland ward durch den Frieden, welchen
ich 1763 zu Hubertsburg nach Grundſaͤtzen eines gerech-
ten, dauerhaften und ehrenvollen Frieden, ſo wie man
deshalb zuvor uͤbereingekommen war, zu ſchlieſſen die
Ehre hatte, wiederhergeſtelt.


Als das Kurhaus Baiern 1778 erloſch, ſchien das
Gleichgewicht der Macht in Teutſchland durch die An-
ſpruͤche, welche der Wiener Hof auf Nieder-Baiern
machte, in Gefahr zu ſeyn. Der Koͤnig von Preuſſen
widerſezte ſich denſelben als ein Mitſtand des Reichs
nicht nur, um das Erbfolgsrecht des Haufes Pfalz auf
ganz Baiern zu behaupten, ſondern auch, um das
Gleichgewicht der Macht in Teutſchland zu vertheidigen.
Daraus entſtand ein Krieg, den der Friedensſchlus zu
Teſchen 1779 gluͤcklich beendigte. Durch demſelben
ward
[382]Von der Macht der Nazionen
ward das teutſche Gleichgewicht erhalten und dem Hauſe
Pfalz der groͤſte Theil der baieriſchen Erbſchaft, unter
Garantie zwey großer Hoͤfe, gelaſſen.


Das Syſtem des Gleichgewichts in Teutſchland er-
regte neue Beſorgniſſe, als zu Anfang des Jahres 1785
der Vorſchlag eines Austauſches von Baiern gegen die
Niederlande auf die Bahn gebracht wurde. Der Koͤnig
von Preuſſen nebſt dem Herzoge von Zweibruͤcken zog
die Vertraͤge von Teſchen und Pavia ſowohl, als das
teutſche Gleichgewicht als unerſchuͤtterliche Geſetze gegen
alle Veraͤuſſerung Baierns an. Der kaiſerliche Hof
verſicherte in oͤffentlichen Erklaͤrungen, daß er nie an
einen gewaltſamen Tauſch von Baiern denken wuͤrde,
und erneuerte dadurch das Zutrauen, das man iederzeit
in ſeine Gerechtigkeitsliebe und Grosmuth geſetzt hat.
Die vornehmſten Glieder des pfaͤlziſchen Hauſes erklaͤr-
ten ihrer Seits, daß ſie ſich nie zu einen freiwilligen
Austauſch von Baiern verſtehen wuͤrden. Durch dieſen
Zuſammenflus beſonderer Umſtaͤnde und oͤffentlicher auf
einander ſich beziehender Erklaͤrungen iſt nun, ohne einen
foͤrmlichen Vertrag, eine neue, feierliche im Angeſicht
von Europa volzogene Verbindung der vornehmſten inter-
eſſirten Theile entſtanden, welche die Sicherheit und das
Gleichgewicht von Teutſchland auf lange Zeit befeſtigt.
Indes gaben dieſe Unruhe und Beſorgniſſe, welche der
bloße Name eines ſolchen Vorhabens nothwendig erwek-
ken muſte, zu der conſtitutionsmaͤſigen Aſſociation
Anlas, welche den 23ſten Julius [1785] zu Berlin zwi-
ſchen den drey Kurfuͤrſten von Sachſen, Brandenburg
und Braunſchweig geſchloſſen ward h]. Als eine Erneu-
erung der alten Verbindung der erlauchten contrahirenden
Haͤuſer iſt ſie blos vertheidigend, und hat lediglich die
Erhaltung des conſtitutionsmaͤſigen Syſtems des teut-
ſchen Reichs ſowohl, als der Beſitzungen und Rechte
aller ſeiner Glieder zum Gegenſtand i]. —— Man
kan
[383]und deren Gleichgewicht.
kan ſich mit einigem Grunde ſchmeicheln, daß dieſe an-
fangs verkante und verdaͤchtig geſchienene Aſſociation
mit der Zeit zur neuen Grundlage des Wohls und der
Sicherheit Teutſchlands werde dienen, und den Gedan-
ken des ehemaligen Gleichgewichts der Macht erneuern
koͤnnen, das in einer verbuͤndeten Monarchie, wie das
teutſche Reich, durchaus nothwendig iſt, und ohne wel-
ches die Geſetze und Vertraͤge dieſes Reichs nicht lange
ihre Kraft behalten, ſondern ſie fruͤher oder ſpaͤter ver-
lieren wuͤrden.” k]


Unter den Staͤnden hat das Kurhaus Brandenburg,
indem es der kaiſerlichen Macht das Gegengewicht zu
halten ſich bemuͤht, beſonders ſeit ſeinem Anwachs durch
die Erwerbung von Schleſien und andere betraͤchtliche
Erweiterungen ſeiner Laͤnder, bey andern zuweilen ſelbſt
den Verdacht gefaͤhrlicher Abſichten erregt l]. Daß aber
die Unterdruͤckung teutſcher Freiheit, wenn ſie auch zu
Preuſſens vermeintlichen Vorteile moͤglich waͤre, dem
wahren Intereſſe dieſes Hauſes nicht angemeſſen ſey,
iſt in der Dohmiſchen Abhandlung ſehr einleuchtend ge-
zeigt worden m]. Vielmehr ſcheint es ſeine Aufmerk-
ſamkeit auf die Erhaltung des nordiſchen und teutſchen
Gleichgewichts geteilt zu haben n].





d]
[384]Von der Macht der Nazionen










B b§. 23.
[386]Von der Macht der Nazionen

§. 23.
Gleichgewicht der Religion.


Seitdem durch Luthers Reformation die Staͤnde des
teutſchen Reichs, in Anſehung der Religion, in zwey
Corpora, naͤmlich den Evangeliſchen und Catholiſchen
Reichstheil ſich abgeſondert haben, ſind der Religion
halber, wohin man den meiſten Reichsgeſchaͤften eine
Beziehung zu geben geſucht hat, mancherley Streitigkei-
ten unter ihnen entſtanden. Jeder Theil war bemuͤht,
die Oberhand uͤber den andern zu gewinnen. Durch
den Religions- und weſtphaͤliſchen Frieden iſt, ſo viel
moͤglich, eine voͤllige Gleichheit der Rechte unter beiden
Theilen eingefuͤhrt worden, die ieder bey aller Gelegen-
heit ſorgfaͤltig zu erhalten und dem andern keine Art von
Uebergewicht einzuraͤumen bedacht iſt.




§. 24.
[387]und deren Gleichgewicht.

§. 24.
Gleichgewicht der Schiffahrt und Hand-
lung
.


Die Vorzuͤge, welche Grosbritannien in Anſehung
der Schiffahrt und Handlung vor andern Nazionen zu
erwerben gewuſt hat, haben ſchon laͤngſt deren Eiferſucht
erregt. Beſonders aber iſt von Seiten Frankreichs, ſo-
wohl in Staatsverhandlungen a] als von franzoͤſiſchen
Privatſchriftſtellern b] oͤfters die Nothwendigkeit eines
Gleichgewichts der Macht zur See einleuchtend zu ma-
chen geſucht worden, weil alle handelnde Nazionen die
grosbritanniſche Macht zur See zu fuͤrchten haͤtten, in-
dem dieſer Staat von ieher eine unumſchraͤnkte Herſchaft
zur See an ſich zu reiſſen und den Handel aller uͤbrigen
Nazionen zu verſchlingen trachte. Da aber, wie unten
gezeigt werden wird, die Erweiterung der Herſchaft zur
See nicht ſo leicht wie die zu Lande geſchehen kan, die
innern Vergroͤßerungen der Macht durch Handlung und
andere gute Anſtalten, inſofern dadurch den Gerechtſa-
men anderer nicht zu nahe getreten wird, das Gleichge-
wicht auch nicht aufheben, [§. 6.] ob ſie gleich keinen
geringen Einflus darauf haben c], ſo kann man das
Gleichgewicht der Schiffahrt und Handlung
mit
Recht eine ungereimte Chimaͤre nennen d], deſſen Noth-
wendigkeit und Bewuͤrkung der Neid gegen die uͤberwie-
gende brittiſche Handlung und Schiffahrt den uͤbrigen
europaͤiſchen Nazionen vorgepredigt und empfohlen hat e].


Auch von einem Gleichgewicht auf dem baltiſchen
Meere insbeſondere, deſſen Erhaltung Daͤnemark ſich
angelegen ſeyn laſſe, iſt ſchon die Rede geweſen f].









B b 3Sech-
[390]

Sechſtes Kapitel.
Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts
.


§. 1.
Die Nazionen muͤſſen ihrer Natur gemaͤs
handeln
.


Jedes vernuͤnftige Weſen fuͤhlt in ſich den Beruf, ſei-
ne Handlungen ſeiner Natur gemaͤs einzurichten.
Die Voͤlker ſind aus einzelnen Menſchen zuſammenge-
ſezt, welche durch den Eintritt in einen Staatsverein
der von Natur aufhabenden Pflichten keinesweges entle-
digt werden. Ein ſolcher Staatskoͤrper hat daher, als
moraliſche Perſon, nicht nur eben dieienigen Obliegen-
heiten auf ſich, welche die einzelnen Glieder im natuͤrli-
chen Zuſtande verbanden, ſondern er muß auch noch uͤber-
dies bey allen Handlungen die Natur und die Abſicht ſei-
ner Verbindung zu Rathe ziehen.


Natuͤrliche Freiheit und Gleichheit ſind die Hauptei-
genſchaften eines Volks. Verlangen nach Gluͤckſelig-
keit iſt die vorzuͤglichſte Triebfeder aller menſchlichen
Handlungen im auſſergeſelſchaftlichen Zuſtande ſowohl,
als in Verbindung mit andern. In der gemeinſchaft-
lichen Gluͤckſeligkeitsbefoͤrderung beſteht auch der Haupt-
grund und die Abſicht der Staatsvereine und der geſel-
ſchaftlichen Verbindung mehrerer Voͤlker. Sie gehoͤrt
daher zum Weſen der Nazionen. Wenn ſie darauf alle
ihre Handlungen abzielen laſſen, ſo leben ſie ihrer Na-
tur gemaͤs: dies iſt die erſte Pflicht, welche ſie ſich ſelber
ſchul-
[391]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
ſchuldig ſind, und woraus alle Rechte und Verbindlich-
keiten gegen einander ſich herleiten laſſen.



§. 2.
Sich erhalten und vervolkomnen.


Die Gluͤckſeligkeit der Nazionen begreift die politi-
ſche Freiheit und Unabhaͤngigkeit von andern, hinlaͤng-
lichen Lebensunterhalt, und eine anſehnliche Macht, da-
mit ſie dieſe in Ruhe und Sicherheit genieſſen, und ſich
gegen alle Anfaͤlle ſchuͤtzen und vertheidigen koͤnnen, in
ſich. Die dahin gehoͤrigen Pflichten laſſen ſich fuͤglich
alle auf den Grundſatz zuruͤckfuͤhren: Erhalte und ver-
volkomne dich.



§. 3.
Erhaltung.


Die Erhaltung beſteht in der Fortdauer nicht nur
des ganzen Staatsvereins, ſondern auch aller einzelner
Theile und Glieder deſſelben. Dieſe haben ſich zu Be-
foͤrderung des gemeinſchaftlichen Wohls gegen einander
verbunden, welche aber unmoͤglich ſeyn wuͤrde, wenn
iene Vereinigung getrent werden ſolte. Sie erfodert
zuerſt die Handhabung aller Beſitzungen und Rechte des
Ganzen, beſonders auch der Regierungsverfaſſung als
der Seele des Staats, und dann die Sorge fuͤr das
Leben, die Guͤter und Gerechtſame der einzelnen Buͤrger,
fuͤr ihre Beduͤrfniſſe, Bequemlichkeit, Vergnuͤgungen
und Gluͤcksmittel.



B b 4§. 4.
[392]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 4.
Vervolkomnung.


Das Vermoͤgen, den Zweck der Staatsvereinigung
zu erhalten, macht die Volkommenheit einer Nazion
aus, und dieienige befindet ſich in einem volkomnen Zu-
ſtande, der nichts zu Erreichung dieſes Endzwecks man-
gelt a]. Je genauer alle Theile zur Befoͤrderung der
Gluͤckſeligkeit, als der Hauptabſicht der Staatsvereinig-
ung [§. 1.] uͤbereinſtimmen, deſto volkomner iſt ein
Volk zu nennen.



§. 5.
Verbindlichkeit der Nazionen deshalb ge-
gen ſich ſelbſt
.


Die Pflichten eines Volks gegen ſich ſelbſt ſchreiben
ihm die Handlungen vor, welche es, ſeiner Natur nach,
zu thun und zu laſſen verbunden iſt. Da der Hauptzweck
der Nazionen in Gluͤckſeligkeit oder in Erhaltung und
Vervolkomnung beſteht, ſo ſind ſie auch verbunden,
alles zu thun, was ihre Erhaltung befoͤrdern,
und alles zu unterlaſſen, was ihren Untergang
nach ſich ziehen kan
a]. Sie muͤſſen fuͤr ihre Freiheit
und Sicherheit ſorgen, damit andere Nazionen ſich nicht
zuviel uͤber ſie herausnehmen, oder ihnen ungeahndet
Beleidigungen zufuͤgen. Gleiche Aufmerkſamkeit erfo-
dert die Vervolkomnung ihres Zuſtandes. Sie muͤſſen
alles thun, was dieſelbe befoͤrdert, und alles un-
terlaſſen, was derſelben zuwider iſt
, um nicht nur
ihren eignen Endzweck deſto geſchwinder erreichen, ſon-
dern
[393]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
dern auch die Gluͤckſeligkeit anderer mit ihnen verbun-
denen Voͤlker, nach Vermoͤgen befoͤrdern zu koͤnnen c].





§. 6.
Ihre Rechte.


Wer eine Verbindlichkeit zu etwas hat, dem muß
auch das Recht zuſtehen, ſich aller derienigen Mittel zu
bedienen, ohne welche er ſeine Pflichten zu erfuͤllen nicht
im Stande iſt, weil er ſonſt zu etwas unmoͤglichen
verbunden waͤren. Jedoch muß durch Ausuͤbung dieſes
Rechts, die Freiheit und Gleichheit anderer nicht verlezt
werden: denn zu einem erlaubten Endzweck darf man
doch keinesweges unerlaubte Mittel gebrauchen a]. Je-
des Volk iſt daher berechtigt, ſeine Gluͤckſelig-
keit auf alle erlaubte Art und ohne Nachtheil der
algemeinen Wohlfahrt zu befoͤrdern.
Die Mittel
richten ſich nach der Beſchaffenheit der Nazionen, und
muͤſſen bey maͤchtigen natuͤrlicherweiſe anders als bey
mindermaͤchtigen ſeyn b].




§. 7.
Verbindlichkeiten und Rechte der Nazio-
nen gegen einander und deren verſchie-
dene Gattungen
.


Aus den Pflichten und Rechten der Nazionen gegen
ſich ſelber, ſind auch ihre Verbindlichkeiten gegen einan-
B b 5der
[394]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
der leicht abzunehmen. Dieſe ſind iedoch nicht alle einer-
ley Art. Einige derſelben flieſſen unmittelbar aus der
Natur und dem Weſen der Voͤlker, und heiſſen daher
unbedingte [officia abſoluta] oder ſie ſetzen eine wilkuͤhr-
liche Einrichtung, einen Vertrag, oder ſonſt eine ver-
bindende Handlung voraus, und werden beſondere,
bedingte
[hypothetica] genant. Die erſtern ſind wie-
derum entweder verneinende Pflichten [officia negativa]
oder beiahende [affirmativa]. Jene verlangen die Unter-
laſſung ſolcher Handlungen, welche die Gluͤckſeligkeit
anderer hindern oder ſtoͤren koͤnten; dieſe erſtrecken ſich
auch auf deren Befoͤrderung durch werkthaͤtige Beihuͤlfe.
Nazionen, welche die negativen Pflichten beobachten,
nent man gerecht [juſtae], dieienigen, welche auch in
Anſehung der affirmativen ſich nichts zu Schulden kom-
men laſſen, billig [aequae]. Ferner theilt man die un-
bedingten Verbindlichkeiten in volkomne [officia perfe-
cta
] und unvolkomne [imperfecta], nachdem ſie, im
Nichtbeobachtungsfall, einen Zwang, ſelbſt mit Gewalt
der Waffen, zulaſſen oder nicht.



§. 8.
Volkomne Verbindlichkeit, die Gluͤckſelig-
keit anderer nicht zu ſtoͤren
.


Im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande haben die
Voͤlker, ſo wie einzelne Menſchen, lauter verneinen-
de Verbindlichkeiten gegeneinander, zu deren Beobach-
tung ſie mit volkomnem Rechte angehalten werden koͤn-
nen. Sie ſind verbunden, die Erhaltung und Vervol-
komnung anderer weder zu hindern, und ihnen die da-
zu erforderlichen Mittel und deren Gebrauch zu ent-
ziehn,
[395]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
ziehn, noch ſie ſonſt im Genus ihrer Rechte zu ſtoͤren.
Sie muͤſſen iedem das Seine laſſen, kein Volk beleidi-
gen, und wegen zugefuͤgten Schadens Genugthuung ver-
ſchaffen.



§. 9.
Recht gegen Beleidigungen.


Ein Volk, das die Erhaltung und Volkommenheit
anderer hindert, oder deren Zuſtand unvolkomner macht,
daß ſie den Endzweck der Staatsvereinigung nicht errei-
chen koͤnnen, beleidigt ihre Gerechtſame. Kein Volk darf
daher leiden, daß es von andern beleidigt werde. Daſ-
ſelbe hat ein Recht, dieienigen Nazionen, welche ihm
ſeine Gerechtſame nicht zugeſtehn oder entziehn wollen,
mit Gewalt anzuhalten, ſeine Rechte zu vertheidigen,
den Beleidigungen mit Gewalt zu widerſtehen, und we-
gen des wuͤrklich erlittenen Unrechts Entſchaͤdigung und
Genugthuung zu fodern, auch im Weigerungsfall ſich
ſolche ſelber zu verſchaffen.



§. 10.
Befoͤrderung der Gluͤckſeligkeit.


Einzelne Menſchen und ganze Voͤlker haben mit den
Fortſchritten der Verfeinerung die Erforderniſſe ihrer
Gluͤckſeligkeit dergeſtalt erweitert, daß ihre eignen Kraͤf-
te nicht mehr hinreichen, alle dazu gehoͤrige Beduͤrfniſſe
ſich ſelbſt allein zu verſchaffen, wenn ſie auch alle nega-
tive und volkomne Verbindlichkeiten gegen einander be-
obachteten. Sie beduͤrfen daher der thaͤtigen Unterſtuͤtz-
ung
[396]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
ung und wechſelſeitigen Beihuͤlfe anderer. Daraus iſt
eine naͤhere geſelſchaftliche Verbindung unter ihnen ent-
ſtanden, welche die gemeinſchaftliche Befoͤrderung der
Gluͤckſeligkeit zum Endzweck hat, die von der Natur un-
mittelbar zwar nicht befohlen, durch die in der Folge
entſtandenen zufaͤlligen Beduͤrfniſſe iedoch nothwendig
gemacht worden. [Kap. 2.]


§. 11.
Quellen derſelben.


Die Hauptquelle, woraus die geſelſchaftliche Ver-
bindung und gemeinſchaftliche Befoͤrderung der Gluͤckſe-
ligkeit anderer flieſſen, iſt daher ohnſtreitig in dem eig-
nen Vervolkomnungstriebe zu ſuchen. Ein Volk, das
die Beduͤrfniſſe anderer, ſo viel in ſeinem Vermoͤgen
ſteht, befriedigt, darf in aͤhnlichen Faͤllen gleiche Unter-
ſtuͤtzung hoffen a]. Was ihr wolt, das euch ande-
re thun, das thut ihr ihnen auch
, muß ihm hier zur
Vorſchrift dienen. Dieſe kann iedoch ohne wechſelſeitige
Liebe und Wohlwollen nicht fuͤglich beſtehen b]. Durch
ſie werden die geſelſchaftlichen Bande erſt feſter geknuͤpft:
denn wer den andern liebt, wird gewis alles zu deſſen
Erhaltung und Vervolkomnung beitragen c], und die
Gelegenheiten um ſo williger ergreifen, welche ſich zu
Ausuͤbung der geſelſchaftlichen Pflichten darbieten.





§. 12.
[397]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 12.
Liebespflichten und deren Eintheilung.


Die Geſelſchaftspflichten, welche Nazionen einander
aus gegenſeitiger Liebe zu Befoͤrderung ihrer Gluͤckſelig-
keit leiſten, werden Liebespflichten [officia humanita-
tis
] genant, und in verſchiedene Klaſſen getheilt. Sie
ſind entweder unbeſtimte [indefinita], welche ein Volk
ohne Ruͤckſicht auf eine beſondere Nazion, oder beſtim-
te
[definita], welche es bey wuͤrklich vorkommenden Ge-
legenheiten ausuͤbt. Nazionen z. B. welche auf anſehn-
liche Getraidevorraͤthe bedacht ſind, um andere beduͤrfen-
den Fals damit zu unterſtuͤtzen, erfuͤllen die erſtern, und
wenn ſie einem eben nothleidenden Volke damit aushel-
fen, die leztern. Ferner werden ſie theils ohne, theils
mit eigner Beſchwernis geleiſtet. Jene insbeſondere
heiſſen Pflichten unſchaͤdlicher Gefaͤlligkeit [innoxiae
utilitatis
], und man theilt ſie gemeiniglich auch in beia-
hende
[affirmativa] und verneinende [negativa], ienach-
dem ein Volk ſeine Kraͤfte zum Nutzen des andern ſelbſt
anwendet, oder nur zulaͤſt, daß etwas zu deſſen Vor-
theil geſchehe. Der noch vorzuͤglichern Liebespflichten,
welche mit Aufopferung irgend eines Eigenthums ver-
knuͤpft ſind [noxiae utilitatis ſ. humanitatis eminentioris]
giebt es wiederum verſchiedene Gattungen. Sie ſind
theils Pflichten der Wohlthaͤtigkeit [liberalitatis ſ.
beneficentiae
], wenn ein Volk dem andern etwas von
dem Seinigen entweder zum voͤlligen Eigenthum, oder
nur zum Gebrauch einraͤumt; theils Pflichten der
Dienſtfertigkeit
[officioſitatis], wenn ein Volk fuͤr
das andre eine beſchwerliche Verrichtung z. B. das Amt
eines Mitlers zwiſchen kriegfuͤhrenden Maͤchten uͤber-
nimt; oder endlich Pflichten der Dankbarkeit [grati-
tudinis
], vermoͤge welchen ein Volk Wohlthaten mit
Wohlthaten vergilt.


*]
[398]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 13.
Leiſtung derſelben ohne Nachtheil der
Pflichten gegen ſich ſelbſt
.


Die geſelſchaftliche Vereinigung und wechſelſeitige
Liebe unter den Nazionen verlangen, daß ſie alles,
was in ihrem Vermoͤgen ſteht, zur gemeinſchaft-
lichen Gluͤckſeligkeit beitragen, ſo weit die Pflich-
ten gegen ſich ſelbſt es erlauben.
[K. 2. §. 8.] Was
in ihrer Gewalt nicht ſteht, wenn ſie gleich wolten, da-
zu koͤnnen ſie nicht verbunden werden. Dieſe Verbind-
lichkeit hoͤrt auch auf, wenn die Huͤlfsleiſtung nicht an-
ders, als mit Aufopferung der Pflichten gegen ſich ſelbſt
geſchehen koͤnte; denn wenn man ſeine Kraͤfte zum eignen
Beduͤrfnis braucht, iſt es eben ſo viel, als haͤtte man ſie
nicht. Man muß, vermoͤge der natuͤrlichen Verbind-
lichkeit gegen ſich ſelbſt, zuerſt fuͤr ſich und dann fuͤr an-
dre ſorgen. Wenn beiderlei Pflichten mit einander ſtrei-
ten, behalten die erſtern ohnſtreitig den Vorzug a].


Die Beurteilung, ob ein Volk im Stande ſey,
die Gluͤckſeligkeit andrer, ohne Verletzung ſeiner eignen
Pflichten, zu befoͤrdern, iſt, vermoͤge der natuͤrlichen
Freiheit, dem Volke uͤberlaſſen, welches die Liebespflich-
ten ausuͤben ſoll. Eben ſo hat es auch das Recht, zu
unterſuchen, ob das andere Volk der Unterſtuͤtzung wuͤrk-
lich beduͤrfe b].




§. 14.
[399]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

§. 14.
Verbindlichkeit dazu.


Alle Verbindlichkeiten zu Geſelligkeit und Liebe ſind
im urſpruͤnglich natuͤrlichen Zuſtande unvolkommen, und
deren Erfuͤllung kann durch aͤuſſere Zwangsmittel nicht
erlangt werden. Sie enthalten beiahende Pflichten,
wobey es, vermoͤge der natuͤrlichen Freiheit, auf das
Ermeſſen des Leiſtenden ankomt, ob die Gelegenheit da-
zu vorhanden iſt. Auſſerdem iſt die Liebe, als eine
Hauptquelle derſelben, eine innerliche Regung, die ſich
durch aͤuſſere Gewalt nicht erzwingen laͤßt. Ein Volk,
das dem andern dergleichen Pflichten abſchlaͤgt, wenn
es ſchon ſie leiſten koͤnte, beleidigt daſſelbe daher nicht,
ob es gleich gegen die Billigkeit handelt.



§. 15.
Rechte darauf.


So unvolkommen die Verbindlichkeit zu Leiſtung der
Liebespflichten auf der einen Seite iſt, ſo unvolkom-
men iſt auch das Recht, dergleichen mit Gewalt zu er-
zwingen, auf der andern Seite. Indes hat das beduͤr-
fende Volk, in Ruͤckſicht ſein ſelbſt, doch das Recht,
dieſelben von andern zu begehren a], dergeſtalt, daß es
niemand daran hindern, oder die Forderung fuͤr eine
Beleidigung aufnehmen darf; denn es iſt verbunden,
ſeine
[400]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
ſeine Gluͤckſeligkeit auf alle Art zu befoͤrdern, und muß
daher am beſten wiſſen, ob es der Huͤlfe und Unterſtuͤtz-
ung anderer dabey bedarf b]. Im Verweigerungsfall
kann es ſich auch daruͤber beſchweren, und bey aͤhnlicher
Gelegenheit das naͤmliche Betragen gegen das unbillige
Volk annehmen. Am wenigſten kann aber auch eine
Nazion gezwungen werden, die Leiſtung der Liebespflich-
ten von andern anzunehmen c].





§. 16.
Sie erlangen eine volkomne Verbindlich-
keit
a] durch Vertraͤge.


Dieſe von Natur unvolkomnen Pflichten koͤnnen
iedoch durch die ſtilſchweigende oder ausdruͤckliche Ein-
willigung der Nazionen die Kraft der volkomnen erlan-
gen. In beiden Faͤllen iſt die Verbindlichkeit aber
nicht weiter zu erſtrecken, als die Natur und der Inhalt
dieſer Vertraͤge es mit ſich bringt. Zu der ſtilſchweigen-
den Einwilligung in die volkomne Verbindlichkeit der
Geſelſchafts- und Liebespflichten rechne ich die, ohne
ausdruͤckliche Uebereinkunft, unter mehrere, beſonders
den europaͤiſchen Nazionen beſtehende Geſelſchaft [K. 2.]
welche ihnen die Pflicht auflegt: Alles zu thun, was
das gemeinſchaftliche Wohl der Geſelſchaft noth-
wendig
erfodert.
Die unbedingte Befoͤrderung
der Gluͤckſeligkeit einzelner Glieder derſelben bleibt dem-
ungeachtet blos unvolkomne Verbindlichkeit.


Durch
[401]Algemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.

Durch ausdruͤckliche Vertraͤge haben verſchiedene
europaͤiſche Nazionen zu Leiſtung wechſelſeitiger Liebes-
pflichten ſich anheiſchig gemacht a]. So verbinden
ſich z. B.


Spanien und die Vereinigten Niederlande,
daß beide Theile hinfuͤhro einander mit Rath und That
bey allen Gelegenheiten zu Nutzen ſeyn ſollen. Utrech-
ter Friede
1714. Art. 9.


Frankreich, Spanien und Grosbritannien:
Einer des andern Beſtes und Sicherheit eben ſo wie ſeine
eigne zu Herzen zu nehmen, ſich wegen der Gefahr deſ-
ſelben zu erkundigen und ſolcher mit allen Kraͤften ſich
zu widerſetzen. Geheimer Garantietractat 1721
Art. 1.


Kaiſer und Reich mit Frankreich: Beide Theile
den Nutzen, die Ehre und Vortheile des andern ernſt-
lich zu befoͤrdern. Wiener Defin. Friede 1738. Art. 1.


Die Bourboniſchen Maͤchte: Die contrahirenden
Theile wollen einander ihren Splendeur, Ehre und
Rechte zu erhalten ſuchen. Jede Macht deren Regent
aus dem maͤnnlichen Blute entſproſſen, ſoll ſich bey
allen Gelegenheiten des Schutzes und Beiſtandes der
drey Kronen zu verſprechen haben. Bourb. Familien-
vert.
1761. Art. 20.


Frankreich und die Vereinigten Niederlande:
Beide Theile ſollen einander mit Rath und That unter-
ſtuͤtzen und keine Negociation eingehen, die der andern
nachtheilig ſeyn koͤnnte ꝛc. Allianztract. von 1785.
Art. Sep. 3.



§. 17.
Im Nothfall.


Vermoͤge der natuͤrlichen Verbindlichkeit der Voͤlker,
fuͤr ihre Erhaltung zu ſorgen, haben ſie allerdings auch
das Recht, gewiſſe Liebespflichten mit Gewalt zu fodern,
wenn ſie, ohne dieſelben, ihren Untergang vor Augen
ſehen a]. Jedoch iſt bey dergleichen Nothfaͤllen zu mer-
ken, daß man 1] alle moͤgliche Mittel vorher verſuchen
muͤſſe. Denn wenn noch irgend ein Ausweg moͤglich
iſt, ſo faͤllt die Colliſion weg; 2] das andere Volk darf
nicht in dem naͤmlichen Zuſtande ſich befinden und 3]
wenn der Nothſtand aufhoͤrt, muß der Erſatz oder die
Genugthuung ſo viel moͤglich erfolgen.



§. 18.
Friedlicher Zuſtand unter den Nazionen.


Ein Volk, das alle Pflichten beobachtet, wozu es
gegen andere verbunden iſt, lebt mit ihnen in Frieden
und es findet keine Gewaltthaͤtigkeit unter ihnen ſtatt.
Die allgemeinen Grundſaͤtze von der Verbindlichkeit mit
andern in Friede und Eintracht zu leben, ſind in den
Vorhergehenden beſtimmt worden. Wie alle dieſe Rech-
te und Pflichten, beſonders die volkomnen, denen im
Voͤlkerrechte vor allen andern ein Platz gebuͤhrt, ange-
wandt werden muͤſſen, ſoll nunmehro in den folgenden
Buͤchern umſtaͤndlicher auseinander geſetzt werden.


[]

Appendix A Druckfehler
und
Verbeſſerungen
.


  • Seite 8 Zeile 18. ſtatt on lies ont
  • — 19 — 3 von unten: ihre — ſeine
  • — 20 — letzte: wuͤrklich — woͤrtlich
  • — 23 — vorlezte: alſo — aber
  • — 33 — 12. Kyhnieri — Ryhnieri
  • — 37 — 21. Geſchichte — Huͤlfsmittel
  • — 61 — 15. Herrn — Herm.
  • — 102 — 1. Jokas — Jakob
  • — 112 — 16. ſtatt: So kam Schleſien endlich an das
    Haus Habsburg, lies: und entzo-
    gen ſich nach und nach der polni-
    ſchen Herſchaft, welcher Koͤnig Ka-
    ſimir III. von Polen endlich 1339
    ſich begeben und die ſchleſiſchen
    Herzogthuͤmer dem Koͤnige Johann
    von Boͤhmen, gegen Entſagung des
    Titels eines Koͤnigs von Polen, den
    die Koͤnige von Boͤhmen ſeit Wenzes-
    laus Regierung gefuͤhrt hatten, gaͤnz-
    lich uͤberlaſſen muſte.
  • — — — 23. ſtatt: beitragen lies: beigetragen
  • — 115 — 25. — Aar — Bar
  • — 122 — 12. nach: mit, ſetze hinzu: ihnen
  • — — — vorletzte, ſtatt: Unabhaͤngigkeit, lies: Unterthaͤ-
    nigkeit
  • — 136 — 4. ſtatt: darneben lies: dermalen
  • Seite 137 Zeile 2. ſtatt Staatsbuͤchern lies Staatsrechts-
    buͤchern
  • — 155 — 11. — Vergnuͤgen — Vorzuͤgen
  • — 188 — 1. — Allein — allen
  • — — — 10. — oben — eben
  • — 210 — 5. — ebenfals — allenfals
  • — 220 — 15. — hatte — halte
  • — 255 — 13. — auch — mich
  • — 295 — 17. — die — ſie
  • — 299 — 13. — ſurprice — ſurpriſe
  • — 302 — 12. — Anſpruch — Ausſpruch
  • — 305 — 2. — dieſer — dieſe

Ende des erſten Theils.

[][][][][]
Notes
a]
Frid. Alex. Künhold de ſtatu naturali rerumpublicarum
Lipſ.
1723. 4.
b]
Die Pflichten der Nazionen gegen ſich ſelbſt gehoͤren in
die Voͤlkermoral, und erhalten im Voͤlkerrechte nur in ſo
weit einen Platz, als ſie zur beſſern Erkentnis der Ver-
bindlichkeiten gegeneinander dienen.
c]
In einer weitlaͤuftigern Bedeutung rechnet man auch wil-
kuͤhrliche
Handlungen, welche blos auf Billigkeit und
Wohlſtand, folglich auf unvolkomnen Verbindlichkeiten,
beruhen, zum Voͤlkerrechte. Io. Krugii diß. de obliga-
tione decori Lipſ.
1711. 4. Joh. Jac. Moſers Verſuch
des neuſten europaͤiſchen Voͤlkerrechts 1. Theil, in der
vorlaͤufigen Abhandlung §. 1. u. a. O.
d]
Sam. Rachelii diß. II. de jure nat. et gentium Kilon.
1673. und 1696. 4.
Io. Wolfg. Iaegeri diß. de jure gentium, Tubing.
1686. 4.
Ern. Tenzelii progr. de juris gentium vera indole
Erf.
1719. 4.
Joh. Jac. Moſers Abhandlung von dem Voͤlkerrecht uͤber-
haupt und dem europaͤiſchen insbeſondere; in ſeinen
Moſerianis, Leipzig 1739. 8. Nr. 4. S. 72:91. in-
gleichen deſſen uͤbrige weiter unten vorkommende
Schriften vom Voͤlkerrecht.
*]
Die roͤmiſchen Rechtsgelehrten verbanden mit dem Aus-
druck: Voͤlkerrecht [Jus Gentium] ganz andere Begriffe.
Mehrentheils verſtanden ſie darunter gewiſſe buͤrgerliche
Einrichtungen, die, aus der Natur der Sache ſelbſt her-
geleitet, faſt allen Voͤlkern gemein waren, §. 2. Inſt. de
J. N. G. et C. §. 1. 2. Inſt. de rer. divis. l. 5. π. de
juſt. et jur. l. 15. π. de interd. et releg.
zuweilen das
bloſſe
[3]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
bloſſe Naturrecht §. 1. Inſt. de J. N. G. et C. l. 1. §. 3.
und l. 9. π. de J. et J. l. 1 π. de acq. rer. dom. Cicero
de offic. Lib. III. c.
5. nur ſelten ſcheinen ſie den heutigen
Begriffen ſich zu naͤhern, pr. Inſt. de libertin. l. 4. π. de
J. et J. Cf. Io. Cor. Naevii diß. de jure gentium Juſti-
nianeo Viteb. 1676. 4. G. Ch. Nelleri juris naturae et
gentium definitio Vlpianea vindicata et exemplis illuſtra-
ta, Aug. Trev.
1751. 4. Der groͤſte Theil unſrer gegen-
waͤrtigen Voͤlkerrechtsmaterien war bey den Roͤmern, beſon-
ders zur Zeit der freien Republik, ein Gegenſtand des ju-
ris fecialis. Cf. Io. Dan. Ritteri diß. de fecialibus popu-
li Romani, Lipſ. 1732. 4. Franc. Car. Conradi de fe-
cialibus et jure feciali populi Romani, Helmſt.
1734. 4.
[Joh. Heinr. Stuß] Gedanken von den Fecialen des alten
Roms, Goͤtting. 1757. 8. Von allen dieſen Gegenſtaͤnden
wird ausfuͤhrlicher gehandelt in Diedr. Heinr. Ludw. Freyh.
von Ompteda Literatur des Voͤlkerrechts 1. Th. §. 33. u. f.
*]
Der Herr Etatsrath Moſer unterſcheidet iedoch das na-
tuͤrliche
Voͤlkerrecht; dem er den veraͤchtlichen Namen
des Schulvoͤlkerrechts beilegt, von dem philoſophi-
ſchen
. „Ich ſchreibe,“ ſagt er in der angefuͤhrten vor-
laͤufigen Abhandlung §. 1. „kein Schulvoͤlkerrecht, naͤm-
„lich was von ieher natuͤrlichen Rechtens geweſen, und
„ſich auf ganze Nazionen, als moraliſche Perſonen anwen-
A 2den
[4]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
„den laſſen moͤchte; auch kein philoſophiſches, wie ein
„ieder, der ſich duͤnkt, ein Weltweiſer zu ſeyn, nach der
„ſich eingebildeten und ſelbſt formirten Geſchichte und Na-
„tur
der Menſchheit etwa thun koͤnte und wuͤrde.’ ’ Indes
kan ich den Unterſchied hiervon nicht einſehn.
a]
Wolf I. G. Proleg. §. 3. 4. Vattel Prélim. §. 6. 7. etc.
a]
Henr. de Cocceji Prodromus juſtitiae gentium, ſ. ex-
ercitationes duae, quarum Ima ſocialitatem Gratianam
principium neque eſſendi neque cognoſcendi eſſe, evin-
cit etc. Frcf. ad Viadr.
1719. 4.
Sam. L. B. de Cocceji de jure naturae ſociali diß. prooem.
I. Introd. ad Henr. de Cocceji Grotium illuſtr. Sect. II.
§. 24. ſeqq.
b]
Ern. Aug. Bertling diß. de jure gentium voluntario
Götting.
1745. 4.
*]
Die Rechtsgelehrten haben ſo mancherley zum Theil wi-
derſprechende Begriffe von dieſer Gattung des Voͤlkerrechts,
daß deren Anfuͤhrung und Auseinanderſetzung hier zuviel
Platz wegnehmen wuͤrde. Ich merke daher nur folgen-
des an:
I] Die hergebrachte Benennung: jus gentium vo-
luntarium
wird im Teutſchen, wiewohl ſehr unſchick-
lich, meiſtens durch wilkuͤhrliches Voͤlkerrecht uͤber-
ſezt; da doch, wie der Freyherr von Ompteda in
der Litteratur des Voͤlkerrechts §. 94. not. d. ſehr
richtig bemerkt, der Wilkuͤhr der Voͤlker durchaus
nichts dabey uͤberlaſſen iſt, [auſſer dem Eintritt in
die Voͤlkergeſelſchaft]. Er nent es daher das mo-
difizirte natuͤrliche Voͤlkerrecht
, weil durch daſ-
ſelbe theils die urſpruͤnglichen Geſetze des natuͤrlichen
Voͤlkerrechts erweitert oder eingeſchraͤnkt, theils die
Haͤrte von deſſen Grundregeln und Verwilligungen in
vielen Stuͤcken gemildert wuͤrden. Mir ſcheint iedoch
der Ausdruck: freiwilliges, iener lateiniſchen ein-
mal faſt durchgaͤngig angenommenen Benennung am
meiſten zu entſprechen. Uebrigens iſt nicht zu leug-
nen, daß der vom Grotius und Wolf gewaͤhlte et-
was zweideutige Name des juris gentium volunta-
rii
zu vielen Misverſtaͤndniſſen Anlas gegeben hat.
II] Die Quellen des freiwilligen Voͤlkerrechts will ich
zuerſt mit den eignen Worten der drey Hauptlehrer
des Voͤlkerrechts herſetzen. Grotius ſchreibt [Pro-
leg.
§. 17.] alſo davon: Sicut cuiusque ciuitatis
jura vtilitatem ſuae civitatis reſpiciunt; ita inter
civitates aut omnes aut plerasque ex conſenſu
jura quaedam naſci potuerunt et nata apparet,
quae vtilitatem reſpicerent non coetuum ſingu-

lo-
[7]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
lorum, ſed magnae illius vniverſitatis — et hoc
jus eſt, quod gentium dicitur, quoties id nomen
a jure naturali diſtinguimus. cf. L. II. c. VIII.
§. 1. n.
2. Wolf ſagt: [in praef. ad jus Gent.]
Enimvero quemadmodum ea eſt hominum con-
ditio, vt in civitate rigori juris naturae per omnia
ex aſſe ſatisfieri non poſſit, ac propterea legibus
poſitivis opus ſit, quae neque in totum a natu-
rali jure recedunt, nec per omnia ei ſerviunt,
ita ſimiliter gentium ea eſt conditio, vt rigori
juris gentium naturali per omnia ex asſe ſatisfieri
nequeat, atque ideo jus iſtud in ſe immutabile
tantisper immutandum ſit, vt neque in totum a
naturali recedat, nec per omnia ei ſerviat. Quo-
niam vero hanc ipſam immutationem ipſa gen-
tium communis ſalus exigit; ideo quod inde pro-
dit jus non minus gentes inter ſe admittere te-
nentur, quam ad juris natur alis obſervantiam
naturaliter obligantur
, et non minus iſtud,
quam hoc ſalva juris conſonantia pro jure omnium
gentium communi
habendum. Hoc ipſum autem
jus cum Grotio, quamvis ſignificatu non pror-
ſus eodem, ſed paulo ſtrictiori, jus gentium vo-
luntarium
appellare libuit. Abſit vero vt exiſti-
mes, ius gentium voluntarium ab earum volun-
tate ita proficiſci, vt liberae ſit earum in ea-
dem condendo voluntas
et ſtet pro ratione, ſola
voluntas, nulla habita ratione juris naturalis. —
Jus gentium voluntarium non a libera gentium
voluntate dependet, ſed ipſum jus naturale
praeſcribit modum, quo ex naturali efficien-
dum ſit voluntarium
et non admittatur, niſi
quod neceſſitas imperat. —— Ea de cauſa jus
gentium quod voluntarium dicimus, non quem-
admodum Grotio viſum eſt, ex factis gentium

A 4pro-
[8]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
probandum, quaſi inde colligatur communis ea-
rum conſenſus, ſed ex fine civitatis maximac.

Vattel endlich giebt [Prélimin. §. 21.] folgende
Erklaͤrung davon: Les nations étant libres, inde-
pendantes, égales et chacune devant juger en ſa
conſcience de ce qu’elle a à faire pour remplir
ſes devoris; l’effet de tout cela eſt d’opérer,
au moins exterieurement et parmi les hommes,
une parfaite égalité de droits entre les nations.
Il eſt donc necesſaire, en beaucoup d’occaſions,
que les nations ſouffrent certaines choſes, bien
qu’injuſtes et condamnables en elles mêmes,
par ce qu’elles ne pourroient ſ’y oppoſer par la
force, ſans violer la liberté de quelqu’ une et
ſans detruire les ſondemens de leur ſociété natu-
relle
. Et puisqu’ elles ſont obligées de culti-
ver cette ſociété, on preſume de droit, que tou-
tes les nations on conſenti
au principe que nous
venons d’ établir. Les regles qui en decoulent,
forment ce que M. Wolf appelle Le droit des
gens volontaire
.
Aus allen dreien ergiebt ſich im
Hauptwerke ſoviel, daß die Grundſaͤtze des frei-
willigen Voͤlkerrechts aus einer unter den Voͤlkern
beſtehenden Geſelſchaft hergeleitet werden muͤſſen.
Dieſer Meinung pflichte ich volkommen bey. Da
aber die vorgenanten Schriftſteller den Nazionen ſchon
von Natur eine Verbindlichkeit zur Geſelſchaft aufle-
gen; ſo weiß ich nicht, warum ſie noch eine praͤ-
ſumtive Einwilligung [deren Verbindungskraft ohne-
dies auf ſehr ſchwankenden Gruͤnden beruht] bey ie-
nem Voͤlkerrechte annehmen. Es ſcheint mir daher
etwas widerſprechend, wenn Wolf in der Vorrede
behauptet: ius gentium, quod voluntarium dici-
mus, — probandum ex fine civitatis maximae,
quam perinde ac ſocietatem inter omnes homines

inſti-
[9]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
inſtituit ipſa natura, vt in jus iſtud conſentire
debeant
gentes, non vero libertati earum reli-
ctum ſit
, vtrum conſentire malint an nolint,
und
Prolegom. §. 22. und 28. daſſelbe doch zum poſiti-
ven Voͤlkerrechte, quod a voluntate gentium or-
tum trahit
zaͤhlt, und hinzuſezt, niti conſenſu gen-
tium praeſumto.
Wo Natur die Freiheit zu waͤh-
len verſagt, iſt die Einwilligung und deren Praͤſum-
tion wohl ziemlich uͤberfluͤſſig. Sehr richtig urteilt
daher Schrodt in ſeinem Jure Gent. wenn er §. 9.
Proleg. ſagt: Et ſane quum ſocietas vniverſalis
gentium ex ipſa natura fluat, ideoque ſit abſoluta
et neceſſaria, conſequens eſt, vt jus gentium,
quod determinat primario jura et obligationes ſo-
ciales huius ſocietatis perfectas negativas, non ſit
voluntarium aut poſitivum, ſed ſit jus gen-
tium naturale ſociale latius dictum et necesſa-
rium
.
Deſto weſentlicher aber iſt dieſe Einwilligung
der Voͤlker zu Begruͤndung eines freiwilligen Voͤlker-
rechts, wenn man nach richtigern Gruͤnden annimt,
daß die unter den Menſchen und Nazionen beſtehen-
de Geſelſchaften nicht von der Natur unmittelbar,
unter allen, ſondern unter mehreren oder wenigern
aus freien Willen errichtet worden. Eben ſo ſonder-
bar iſt es, daß Grotius und Wolf dieſer Voͤlkerge-
ſelſchaft die Form eines buͤrgerlichen Vereins, un-
ter dem Namen eines großen Weltſtaats [civitatis
maximae
] andichten, da dieſe doch eine unter den
Nazionen nicht zu erweiſende menſchliche Oberherr-
ſchaft erfodert. Nicht iede Geſelſchaft, die ihrer
gemeinſchaftlichen Wohlfarth wegen ſich vereinigt,
iſt ein Staat. Es giebt bekantlich auch gleiche Ge-
ſelſchaften, [ſocietates aequales] in welchen die
Mitglieder, ihrer natuͤrlichen Freiheit im uͤbrigen
unbeſchadet, dennoch, in Abſicht der Erfuͤllung des

A 5ge-
[10]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
gemeinſchaftlichen Zwecks, gewiſſe Zwangsrechte
und Verbindlichkeiten gegen einander haben. Achen-
wall Jus N. et G. Lib. II. Sect. I. t. 1. §. 11. ſeqq.

Eine andre Geſelſchaft kan man unter freien Voͤl-
kern mit Grunde nicht fuͤglich annehmen. Ihr Zweck
iſt uͤbrigens die Befoͤrderung des gemeinſchaftlichen
Wohls, weil das Verlangen nach Vervolkommnung
zur Weſenheit des einzelnen Menſchen ſowohl, als
der Staatsverbindungen gehoͤrt, und der Geſelſchaft,
als einem myſtiſchen Koͤrper, ordentlicherweiſe eben
die Rechte und Verbindlichkeiten zuſtehn, welche
die ſaͤmtlichen einzelnen Glieder hatten. Der Bei-
tritt zu dieſer Geſelſchaft iſt, meines Erachtens, ie-
doch nicht aus einer blos praͤſumtiven oder vermuth-
lichen, ſondern wenigſtens aus einer ſtilſchweigenden
Einwilligung zu folgern. Von der Wuͤrklichkeit ei-
ner ſolchen unter den europaͤiſchen Nazionen be-
ſtehenden Vereinigung und dem Beweiſe des Beitrits
zu derſelben, werde ich weiter unten mehr zu ſagen
Gelegenheit finden.
III] Die Verbindlichkeit des freiwilligen Voͤlkerrechts
liegt in der Natur der Geſelſchaft, und haͤngt nicht
weiter von dem Willen der Voͤlker ab, ſobald ſie
einmal freiwillig in die Geſelſchaft getreten ſind.
Jedoch kan es natuͤrlicherweiſe auch nur auf dieieni-
gen Voͤlker ſich erſtrecken, welche wuͤrklich in einer
geſelſchaftlichen Verbindung mit einander ſtehen,
weil eine algemeine von der Natur ſelbſt errichtete
Geſelſchaft unerweißlich iſt. Die meiſten Vertheidi-
ger und Gegner des freiwilligen Voͤlkerrechts ſcheinen
dadurch auf Irrwege gerathen zu ſeyn, daß ſie ſich
ein algemeines Recht darunter vorgeſtelt haben.
IV] Der Unterſchied zwiſchen dem freiwilligen und
dem Gewonheits-Voͤlkerrechte wird von den wenig-
ſten Voͤlkerrechtslehrern genug beſtimt und beobach-

tet.
[11]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
tet. Die mehreſten verwechſeln oder vermiſchen bei-
de Begriffe mit einander. Selbſt Grotius, der
Schoͤpfer des erſtern, war oft zweideutig hierin.
Glafey und unzaͤhlige Andere hielten beide fuͤr einer-
ley. Der Freyherr von Ompteda ſieht es zwar auch
nicht fuͤr ſo aͤuſſerſt nothwendig an, ſie von einander
abzuſondern, doch ſezt er ſehr richtig hinzu, daß,
wenn man die Sache mit philoſophiſchem Auge be-
trachtet, ein merklicher Unterſchied zwiſchen denſelben
vorhanden ſey. Der Unterſchied ſcheint mir aller-
dings ziemlich betraͤchtlich, indem das freiwillige
aus bloßen Vernunftſchluͤſſen, das Gewonheits-
Voͤlkerrecht aber aus lauter Thathandlungen zu er-
weiſen iſt. Perperam, ſagt Wolf in Proleg. §. 25.
not. ad conſuetudines refertur, quod inſtar juris
obſervandum esſe inter gentes ipſa ratio dictitat.
V
] Die Exiſtenz eines ſolchen Voͤlkerrechts wird von
Vielen ganz gelaͤugnet. Unrichtige Begriffe davon
ſind gemeiniglich die Urſach. Ihre Haupteinwuͤrfe
gehen wider die algemeine Verbindlichkeit deſſelben.
Die Einwilligung aller Voͤlker, ſagen ſie, iſt uner-
weislich. Sie ſind weder iemals zuſammengekom-
men, um ein ſolches Recht feſtzuſetzen, noch laͤßt
ſich deren ſtilſchweigende Genehmigung als moͤglich
denken. Dieſe Gruͤnde fallen aber ſogleich uͤber den
Haufen, wenn man ihnen zugiebt, daß das freiwil-
lige Voͤlkerrecht keinesweges alle Voͤlker des Erdbo-
dens, ſondern nur dieienigen verbinde, welche wuͤrk-
lich geſelſchaftlich mit einander leben. Uebrigens
glauben dieſe Laͤugner ganz unrichtig, daß die Ein-
willigung der Voͤlker zu iedem einzelnen Geſetze ienes
Rechts noͤthig ſey, und vermiſchen es hierinn mit den
Voͤlkergewonheiten. Der Beitrit zur Geſelſchaft al-
lein verbindet die Voͤlker zur Beobachtung der dar-
aus flieſſenden Grundſaͤtze hinlaͤnglich. Dieienigen,

welche
[12]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
welche das freiwillige Voͤlkerrecht als Gewonheiten oder
ſtilſchweigende Vertraͤge nicht wollen gelten laſſen,
brauche ich nicht zu widerlegen, weil es zu dieſen
nicht gehoͤrt. Wenn endlich Schrodt und Andere,
welche eine natuͤrliche Verbindlichkeit zur Geſelſchaft
annehmen, die Grundſaͤtze des von Wolf und ſeinen
Anhaͤngern aus dem Begriffe eines großen Welt-
ſtaats oder einer Geſelſchaft uͤberhaupt hergeleiteten
freiwilligen Voͤlkerrechts lieber zum natuͤrlichen Voͤl-
kerrechte zaͤhlen wollen, [Non deſunt, ſagt ſelbſt
Wolf in praef. J. G., qui cum jus gentium volun-
tarium damnent, id pro jure naturali venditant,
vt in verbis disſentire ſaltem, in re autem con-
venire videantur.
] ſo habe ich nichts dagegen, da
ich es ſelbſt fuͤr eine Gattung des leztern halte, die
iedoch von dem nothwendigen unterſchieden wer-
den muß. Weitlaͤuftig findet man die Gruͤnde ge-
gen das freiwillige Voͤlkerrecht abgehandelt in Sam.
L. B. de Cocceji disſ. prooem. IV. de jure gen-
tium voluntario — vbi — probatur, tale jus non
exiſtere etc. in Introd. ad Henr. de Cocceji
Grot. illuſtr.
und in I. F. L. Schrodt Syſtema
Juris Gentium Prolegom. §. 7. ſeqq.
a]
Faͤlſchlich behauptet daher Grotius von dem freiwilligen
Voͤlkerrechte, das er gemeiniglich ſchlechtweg jus gentium
nent, — quod ex certis principiis, certa argumenta-
tione deduci non poteſt
, et tamen vbique obſervatum
apparet, ſequitur vt ex voluntate libera ortum habeat.
Proleg.
§. 40. Richtiger und meiner Meinung angemeſ-
ſener urteilen Wolf und beſonders Vattel. Habemus
itaque,
ſchreibt Erſterer, fundamentum certum atque
immotum juris gentium voluntarii et ſunt principia
certa, vi quorum ex notione civitatis maximae jus iſtud
derivari poteſt, vt non coeco impetu ſtandum ſit factis
et moribus atque iudiciis gentium moratiorum ac inde
inferendus quaſi vniverſalis quidam omnium conſenſus,
quemadmodum Grotius ſenſisſe videtur. —— Enim-
vero tutiorem viam ingredimur, ſi oſtendamus gentes
ratione vtentes in hoc vel iſtud conſentire debuisſe,
quod pro jure inter ipſas valuit vel hodienum valet:
id quod ex notione civitatis maximae non minus evi-
denter demonſtrari poteſt, quam jus gentium neces-
ſarium ſeu naturale
. Proleg.
§. 20. und 22. not.
Le droit des gens necesſaire,
ſagt endlich Vattel in der
Vorrede, et le droit des gens volontaire ſont donc éta-
blis l’ un et l’ autre par la nature; mais chacun à ſa
manière: le premier comme une loix ſacrée, que les
nations et les ſouverains doivent reſpecter et ſuivre dans
toutes leurs actions; le ſecond comme une règle que
le bien et le ſalut communs les obligent d’ aumettre
dans les affaires qu’ils ont enſemble. Le droit neces-

ſaire
[14]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
ſaire procède immediatement de la nature; cette mère
commune des hommes recommende l’ obſervation du
droit des gens volontaire, en conſideration de l’ état
où les nations ſe trouvent les unes avec les autres et
pour le bien de leurs affaires. Ce double droit fondé
ſur des principes certains et conſtans eſt ſuſceptible de
demonſtration
.
b]
Prélim. §. 28.
*]
Sa Majeſté [Britanique] heißt es in der Grosbritanni-
ſchen Antwort vom 1ſten April 1780 auf die Ruſſiſche
Declaration vom 28ſten Febr. in Betref der bewafneten
Neutralitaͤt, a réglé ſa conduite envers les puisſances
amies et neutres, d’ après la leur à ſon égard, la con-
formant aux principes les plus clairs et les plus géné-
ralement reconnus du droit des gens qui eſt la ſeule
loi entre les nations qui n’ont point de traité, et à la
teneur de ſes differens engagemens avec d’autres puis-
ſances, lesquels engagemens ont varié cette loi primi-
tive
par des ſtipulations mutuelles et l’ ont varié de
beaucoup, de manières differentes ſelon la volonté et
la convenance
des parties contractantes. ——
**]
Wolf, Vattel und Andere zaͤhlen zu dem poſitiven oder
wilkuͤhrlichen Voͤlkerrechte auch das freiwillige, weil es
eine vermeintliche Einwilligung [conſenſum praeſumtum]
der Voͤlker vorausſetze. Dieſer Meinung kan ich iedoch,
wie ſchon aus dem Vorhergehenden erhellet, nicht beitre-
ten, da nach meinen Begriffen das wilkuͤhrliche oder poſi-
tive Voͤlkerrecht ein Gegenſatz des natuͤrlichen iſt. Unter
dieſem verſtehe ich naͤmlich dieienigen Grundſaͤtze, welche
aus einer algemeinen Quelle durch natuͤrliche und vernuͤnf-
tige Schlusfolgen ſich herleiten laſſen; [unter] ienem ſolche
Geſetze, deren iedes einer beſondern Publikation durch
Thathandlungen erfordert. Aus erſtern, nicht aus leztern
fließt obgedachtermaaßen das freiwillige Voͤlkerrecht, ob
deſſen Verbindlichkeit gleich den freiwilligen Beitrit zur
Voͤlkergeſelſchaft vorausſezt.
*]
Huld. ab Eyben disſ. de jure inter et intra gentes ſcri-
pto et non ſcripto Giesſ.
1661. 4. und in Opp. T. I. n. 2.
*]
Iac. Geringii disſ. quantum gentes moribus ſuis obli-
gentur Lipſiae.
1716. 4.
Io. Wilh. de Goebel diß. de obſervantia gentium et
imperii. Helmſt.
1732. 4.
Io. Wilhelm Hoffmann de obſervantia gentium 1736.
rec. Franc. ad Viadr.
1758. 4.
Heur. Chr. de Senckenberg de jure obſervantiae ac
conſuetudinis in cauſis publicis privatisve. Giesſ.
1743. 4.

Joh.
[17]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
Joh. Heinr. Balecke wahrer Begrif des Herkommens,
als ein in den Rechten gegruͤndeter Titel ein Recht
zu beſitzen. Roſtock 1751. 4
**]
Die Verbindlichkeit dieſer Gewonheiten beruht freilich
auf etwas ſchwankenden Gruͤnden, ſo daß auch einige mit
Schrodt [Proleg. §. 8.] ſie ad meram rationem decori
zaͤhlen. Eine fingirte aus gemeinſamer Nothwendigkeit
und Wohlfarth hergeleitete Einwilligung, oder ein ſo
genannter Quaſicontract, den einige hierbei annehmen,
iſt kaum vermoͤgend, ein verbindliches Recht unter freien
Voͤlkern zu bewuͤrken. Sam. Gottl. Treueri progr. de
commento obligationis perfectae gentium quaſi ex con-
tractu, Götting
1740. 4. Die Veriaͤhrung, woraus
andere die Rechtskraft herleiten, iſt, wenigſtens nach den
gewoͤnlichen Begriffen des Privatrechts, im Natur- und
Voͤlkerrechte ebenfals unerweislich.
Andr. Wilh. Pagenſtecher de fundamento praeſcri-
ptionis in iure gentium poſitivo, non naturali
quaerendo. Marb.
1748. 4.
Chr. Henr. Breuningii disſ. de praeſcriptione liberis
gentibus incognita. Lipſ.
1752.
Chr. Nic. Carſtens comment. de praeſcriptione inter
gentes locum non habente. Ien.
1758.
Iac. Fr. Roennberg [ſub praeſ. Siegfr. Caeſ. ab
Aeminga] disquiſitio quaeſtionis: num praeſcri-
ptio ſit iuris naturalis vel gentium nec ne, ſed
mere civilis? Gryphisw.
1764.
Die Meinung des Grotius und anderer von einer ſtilſchwei-
genden
durch Handlungen an den Tag gelegten Einwil-
ligung
hat zwar auch ihre Schwierigkeiten, dennoch be-
hauptet ſie vor den uͤbrigen ohnſtreitig den Vorzug.
Magn. Crackan de ſilentio principibus praeiudicante.
Alt.
1705. 4.

BA.
[18]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
A. F. Reinhardt von den Wuͤrkungen der ſtilſchwei-
genden Einwilligung zwiſchen freyen Voͤlkern; in
deſſen Samlung iuriſtiſch-philoſophiſcher und kriti-
ſcher Aufſaͤtze. Buͤtzow und Wismar 1775. 8. 5.
Stuͤck. n. 1. S. 307-326.
Es ſind hauptſaͤchlich folgende Punkte dabey in Acht zu neh-
men:
a] Die Handlungen und das Betragen der Voͤlker,
zwiſchen welchen ein Herkommen eingefuͤhrt werden
ſoll, muͤſſen ſo beſchaffen ſeyn, daß deren gegenſei-
tige Einwilligung daraus deutlich erhellet.
b] Die ſtilſchweigende Abſicht des handelnden oder un-
terlaſſenden Theils, ein Recht zu erwerben, wird
eben nicht nothwendig erfordert, weil ein Herkom-
men oft zufaͤlligerweiſe entſtehen kann.
c] Die That muß zur Wiſſenſchaft des andern Theils
gelangt oder wenigſtens oͤffentlich und dergeſtalt ge-
ſchehen ſeyn, daß ein Volk, deſſen Souverain oder
Staatsbediente fuͤglich davon haͤtten Nachricht haben
koͤnnen.
d] Der Gegentheil muß das Recht ſich dagegen zu re-
gen gehabt, den Widerſpruch aber entweder gaͤnzlich
unterlaſſen, oder, nach einiger Widerſetzung, bey
fernern Anmaſſungen, dennoch geſchwiegen, oder
wohl gar etwas unternommen haben, woraus die
Einwilligung offenbar folgt.
e] Wer das Recht zu widerſprechen hat, iſt deshalb
in Zeiten dazu verbunden, weil der Gegentheil, das,
was ſonſt geſchehn, aus vernuͤnftigen Gruͤnden, als
gewoͤnlich, vermuthend, leicht Gefahr laufen koͤnte,
wenn er erſt in nachherigen Faͤllen einen Widerſpruch
leiden ſolte.

f]
[19]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
f] Wenn ein Beiſpiel hinlaͤnglich entſcheidet, iſt eine
oͤftere und ſeit langen Jahren erfolgte Wiederhohlung
der Handlung oder Unterlaſſung nicht ſchlechterdings
noͤthig; doch wird bey mehreren Faͤllen Einfoͤrmig-
keit und uͤberhaupt ſo viel Zeit erfordert, damit der
andere Theil hinlaͤngliche Wiſſenſchaft davon erlan-
gen koͤnne.
g] Gemeiniglich fodert man auch, daß eine Gewon-
heit, welche zum Voͤlkergeſetz werden ſoll, einen
Grund in der Wohlfarth, Ruhe und Sicherheit der
Voͤlker habe, und auf vernuͤnftigen Handlungen be-
ruhe.
h] Das Herkommen muß von demienigen Volke, wel-
ches ſich darauf bezieht, erwieſen werden.
i] Eigentlich verbindet das Herkommen, gleich den
ausdruͤcklichen Vertraͤgen nur dieienigen Voͤlker, wel-
che ihre Einwilligung ſtilſchweigend dazu gegeben
haben.
k] Die uͤbrigen Voͤlker koͤnnen daher nicht gezwungen
werden, ſich nach einer Gewonheit zu richten, die
vielleicht aus beſondern Verhaͤltniſſen etwa nur zwi-
ſchen ein und dem andern Volke eingefuͤhrt iſt.
l] Wenn aber eine Gewohnheit unter mehrern oder gar
den meiſten Voͤlkern angenommen iſt, und auf
Grundſaͤtze beruht, welche das gemeinſchaftliche
Wohl unter ihnen zur Abſicht haben, folglich unter
gleichen Verhaͤltniſſen, auch auf die uͤbrigen anwend-
bar ſind, ſo verlangen die geſelſchaftlichen Pflichten
die Beobachtung einer ſolchen Gewohnheit allerdings,
wenn nicht beſondere Umſtaͤnde dagegen eintreten.
Aber alsdann gehoͤrt ein dergleichen Herkommen,
das etwa nur in einer unbedeutenden Zufaͤlligkeit ihre
Beſtimmung aus der Wilkuͤhr einiger Voͤlker erhalten
hat, auch mehr zum freiwilligen Voͤlkerrechte.

B 2*]
[20]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
*] Kahrel leitet in ſeinem Voͤlkerrechte die algemeine Ver-
bindlichkeit einiger Gewohnheiten aus dem, bey Gelegen-
heit des freiwilligen Voͤlkerrechts, fingirten Begriffe eines
unter allen Regenten der Erde beſtehenden großen Welt-
ſtaats her. „Es kan keine Gewonheit“ ſchreibt er §.
524. „ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz zuwegebringen als ver-
mittelſt des muthmaßlichen Willens aller oder doch der
mehreſten Regenten der Erde, inſoweit ſolche zuſammen-
genommen den Regenten des großen Weltſtaats ausma-
chen. Bew. Denn ein Gewonheitsvoͤlkergeſetz iſt ein
wilkuͤhrliches Voͤlkergeſetz. Solchergeſtalt haͤngt es von
dem Willen aller oder der mehreſten Regenten, in ſoweit
ſie einen großen Weltſtaat ausmachen, ab, und kan, weil
ſich die Regenten, als Mitglieder des großen Weltſtaats
einzeln keinem, als allen oder doch den mehreſten zu-
länglich verbunden haben, nirgends andersher, als von
dieſem vereinigten Willen die Verbindlichkeit bekommen.“
Nur Schade, daß dieſer große Weltſtaat auf ſo hinfaͤlligen
Gruͤnden beruht, und die verbindende Kraft des mehrern
Theils, nach dem ſtrengen Rechte, unbedingt nicht zu
erweiſen iſt!
m] Das Herkommen findet gewoͤhnlich zwar nur in
ſolchen Faͤllen Statt, wo keine ausdruͤcklichern Vor-
ſchriften entſcheiden; doch koͤnnen zuweilen auch dieſe
durch neue Gewonheiten vernichtet werden. Beide
haben einerlei Wuͤrkung. Das Herkommen fuͤhrt ent-
weder neue Grundſaͤtze ein, oder aͤndert und erlaͤutert
die bisherigen; ſo wie ein neuer Vertrag das aͤltere
Herkommen aufhebt.
*]
Io. Georg Kulpis orat. de analogia iuris; in disſ. acad.
p.
1011-1034.
Dan. Nettelbladt de deciſione caſuum ſecundum ana-
logiam. Halae
1751. 4.
Car. Henr. Geiſleri progr. de analogia iuris publici.
Viteb.
1784. 4.
*]
Io. Ad. Ickſtadt in Elem. jur. gentium L. I. c. II. §. 2.
Schol.
theilt auch das natuͤrliche, naͤmlich das nothwendige,
in algemeines und beſonderes. Erſteres ſoll die alge-
meinſten Regeln, lezteres dieienigen Grundſaͤtze enthalten,
welche die Natur eines ieden Staats insbeſondere erheiſcht.
*]
Man ſehe von dieſen und mehrern zum Theil unſchickli-
chen Eintheilungen Sam. Rachelii disſ. IIdam de J. N.
et G.
beſonders §. 17-22.
*]
Io. Car. Durrius de juris gentium cum jure naturae
conſenſu. Alt.
1671. 4.
Io. Dan. Schwertneri disſ. de diſcrimine juris gentium a
jure naturae. Lipſ.
1685. 4.
Dav. Frid. Kappeine disſ. an et quatenus jus gentium a
jure naturae differat? Lugd. Bat.
1741. 4.
*]
Nic. Andr. Pompeji disſ. de exiſtentia juris gentium.
Alt.
1688. 4.
Ierem. Eberh. Linckii quaeſtiones IV. 1] an jus gen-
tium recte dicatur jus aut lex etc. Argent.
1742. 4.
Io. Ioach. Zentgravii diſquiſitio de origine, veritate et
obligatione juris gentium. Argent.
1684. 4.
P. B. van Wydenbrugh disſ. ſ. t. datur ſed nondum ha-
betur jus gentium. Götting.
1783. 4.
*]
Der Freyherr von Ompteda, in ſeiner Litteratur des Voͤl-
kerrechts 1. Th. §. 5. misbilligt zwar, daß man den
Vortrag des Voͤlkerrechts gemeiniglich nur unter dem
Namen des europaͤiſchen beſchraͤnke, da es doch auch
auſſer Europa laͤngſt ſchon geſittete Voͤlker gebe, deren
Anzahl durch die vereinigten Staaten von Amerika neuer-
lich vermehret worden. Ich glaube iedoch, daß die euro-
paͤiſchen Nazionen das vorzuͤglichſte Augenmerk verdienen,
da ſie ohnſtreitig in weit genauern und haͤufigern Verbin-
dungen unter einander als mit den Voͤlkern der uͤbrigen
Welttheile ſtehen, deren Grundſaͤtze mit dem europaͤiſchen
Voͤlkerrechte ohnedies oft ſchwer zu vereinbaren ſind.
Man
[28]Von dem Voͤlkerrecht uͤberhaupt,
Man erwaͤge z. B. das marokkauiſche Verbot von 1780.
gegen England und andere chriſtliche Nazionen Europens,
Spanien und Frankreich ausgenommen, wegen des Einlau-
fens ihrer Schiffe in die Haͤfen, und deſſen Abaͤnderung
zum Nachtheil Spaniens im folgenden Jahre; Hyder-Ali’s
Kriegsmanifeſt gegen England von 1780; die Behandlung
des Deys zu Algier gegen den tuͤrkiſchen Geſandten 1782.
u. ſ. w. Das natuͤrliche nothwendige Voͤlkerrecht bleibt
indes auch auf dieſe anwendbar, und das freiwillige eben-
fals, wenn ſie mit andern in geſelſchaftlichen Verbindun-
gen ſtehen.
*]
Io. Aug. Hellfeld de fontibus iuris, quo illuſtres vtun-
tur
vor Struvii Jurisprudentia heroica.
*]
Joh. Jac. Moſer in Moſerianis 1779. 1. Stck. n 4. S. 72.
**]
Hier iſt nicht ſowohl von einem beſondern, etwa nur
zwiſchen zwey oder einigen wenigen Nazionen eingefuͤhrten
Herkommen, ſondern hauptſaͤchlich von ſolchen Gewon-
heiten die Rede, welche ſie insgeſamt verbinden ſollen.
Bey deren
*]
Aus dem Vorhergehenden ergiebt ſich uͤbrigens, daß auch
das europaͤiſche Voͤlkerrecht in das algemeine, welches
ſaͤmtliche oder doch die mehrſten europaͤiſchen Souverains
befolgen, und groͤſtenteils in dem Herkommen beſteht,
und in das beſondere ſich eintheilen laͤßt, welches zwi-
ſchen zwei Voͤlkern insbeſondere obwaltet, und hauptſaͤch-
lich
[32]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
lich auf Vertraͤge oder ſpecielle Gewonheiten beruht. Am
31ſten December 1782. erklaͤrte der engliſche Miniſter dem
hollaͤndiſchen Geſandten zu Paris, daß England alle vori-
gen beſondern Verbindungen mit Holland als aufge-
hoͤrt betrachte, und nun nur ſchlechterdings und einzig
nach den algemeinen Grundſaͤtzen des Voͤlkerrechts
gegen die Republik verfahren koͤnne; doch fragten die hol-
laͤndiſchen Geſandten in der Antwort vom 5ten Januar
1783., was der Londner Hof durch die Grundſaͤtze dieſes
Voͤlkerrechts verſtehe?
a]
Io. Seldeni de jure naturae et gentium iuxta diſcipli-
nam Hebraeorum Libri VII. Argent.
1665. 4.
b]
Petr. Kyhnieri disſ. de fundamento juris naturae et
gentium, quod continetur Matth. VII. 12. Baſil.
1727.
J. J. Moſers Verſuch ꝛc. Vorlaͤufige Abhandlung §. 2.
Io. Aug. Hellfeld l. c. §. XVIII.
c]
Io. Werlhoffii diß. de vſu juris Romani aliorumque
privatorum jurium in decidendis controverſiis liberarum
gentium. Helmſt.
1692. 4.
Der bekante Joh. Otto Tabor ſoll den Rath gegeben ha-
ben, den Koͤnig in Frankreich, der einem teutſchen
Reichsſtand ins Land gefallen, actione legis aqui-
liae
zu belangen. Moſers teutſches Staatsrecht 2.
Th. S. 214.
a]
Herm. Conringii diß. de ratione ſtatus. Helmft. 1651.
4. und in Opp. T. IV. p. 549-580.
Iac. Thomaſius de ratione ſtatus. Lipſ. 1665. 4.
Iac. Brunnemanni diß. VI. de ratione ſtatus. Halae
1701. 4. und in Ej. jurispr. publ. n. 12.
b]
J. J. Moſers Beytraͤge zum E. V. R. in Friedenszeiten
1ſter Th. S. 8. Sehr oft wird dies ſogenante Konvenienz-
recht ein Gegenſtand der Beſchwerden. Das Kabinet von
St. James, das keine andern Regeln anerkante, als das
vermeintliche Recht der temporellen Konvenienz, be-
fand fuͤr gut ꝛc. heißt es unter andern in dem Gegenma-
nifeſt der vereinigten Niederlande wider Grosbritannien
vom 12. Maͤrz. 1781.
*]
Einen Beweis, daß der Gebrauch des natuͤrlichen Voͤlker-
rechts unter den europaͤiſchen Souverainen nicht ganz unge-
C 2woͤnlich
[36]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
woͤnlich ſey, geben unter vielen andern folgende neuere
Beiſpiele. In dem Seehandlungstractat zwiſchen Ruß-
land und Daͤnemark vom 28ſten Jun. 1780. heißt es im
Eingange: … So haben Ihro — zu Folge ihrer ſteten
Aufmerkſamkeit, ihre eigne Wuͤrde, und ihre Sorgfalt
fuͤr die Sicherheit und das Wohl ihrer Unterthanen, mit
ihrer ſo oft bezeigten Achtung fuͤr das algemeine Voͤl-
kerrecht
zu verbinden, unter den gegenwaͤrtigen Umſtaͤn-
den fuͤr noͤthig gefunden, ihr Betragen nach dieſen Geſin-
nungen einzurichten. Ihro Maj. die Kaiſerin von Ruß-
land hat durch ihre Erklaͤrung an die kriegfuͤhrenden Maͤchte
d. d. 28ſten Febr. 1780. ganz Europa die Grundſaͤtze vor
Augen gelegt, welche aus dem urſpruͤnglichen Voͤlker-
rechte
herfließen, die ſie reklamirt und zur Regel ihres
Betragens in dem gegenwaͤrtigen Kriege angenommen
hat. Die hollaͤndiſchen Geſandten zu Bruͤſſel erklaͤrten
1784. in einem Memoire an den Kaiſerlichen Miniſter, in
Betref der auf die Kaiſerlichen Schiffe, welche die Schelde
befahren ſolten, gethanen Schuͤſſe: daß die Generalſtaaten
keine andre Abſicht gehabt haͤtten, als ihre billigen Rechte
zu handhaben. — Die Republick bliebe noch bey ihrer
friedlichen Neigung, und ſolte dieſes nicht auf den Geiſt
Sr. Majeſtaͤt wuͤrken, ſo wuͤrde ſich die Republick, wider
ihren Willen genoͤthigt ſehen, von den Mitteln Gebrauch
zu machen, wozu ſie durch das Natur- und Voͤlker-
recht
zur geſetzmaͤßigen Vertheidigung ihrer unbezweifelten
Rechte bevolmaͤchtigt ſey; Von der Anwendung der uͤbri-
gen Hauptgattungen des Voͤlkerrechts zeugt, wenn Gros-
britannien und Schweden ſich verbinden zur Defenſion ihrer
Koͤnigreiche, Lande, Unterthanen, Rechte und Freiheit der
Schiffahrt und Handlung in der Oſtſee, Belt, Nordſee
und dem Canal und andrer Privilegien und Vorzuͤge, die
ihnen durch Vergleiche, Gewonheiten, Voͤlker- und
Erbrecht zuſtehen ꝛc. Stockholmer Allianz vom 21ſten
Jan, 1740, Art. 4.
Oft
[37]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
Oft wird in den Staatshandlungen der europaͤiſchen
Souverains der Ausdruck: Voͤlkerrecht ohne weitern
Zuſatz gebraucht, und dann darunter gemeiniglich das
natuͤrliche und Gewonheitsrecht verſtanden, zumal wenn
es, wie nicht ſelten geſchieht, den Tractaten entgegen
geſezt iſt. So ſagen z. B. die vereinigten Niederlande in
ihrem Kriegsmanifeſte gegen Grosbritannien 1781. Sie
waͤren der bewafneten Neutralitaͤt beigetreten, um mit
andern nordiſchen Maͤchten die Neutralitaͤt und Rechte der
Neutralen, die ihnen nach dem Voͤlkerrechte und den
vorwaltenden Tractaten zukommen, mit geſamter Hand
zu vertheidigen. Ingleichen: Die Entſcheidung uͤber die
Prieſen und Beſitznehmungen, welche vor Anfang der
Feindſeligkeiten gemacht worden, ſoll an die resp. Gerichts-
hoͤfe beyder Nazionen gewieſen werden, ſo daß ihre Recht-
maͤßigkeit nach dem Voͤlkerrechte und den Tractaten
vor den Juſtizhoͤfen der Nazion ſoll entſchieden werden,
welche die Prieſen gemacht oder die Beſitznehmungen an-
befohlen hat. Def. Friede zwiſchen Frankreich und Gros-
britannien 1783. Art. 21.
*]
Die hier einſchlagenden Schriften findet man in den hiſto-
riſchen Bibliotheken aufgezeichnet, unter andern in
Georg. Wilh. Zapfs Litteratur der alten und neuen Ge-
ſchichte. Lemgo 1781. 8.
Burc. Gotth. Struvii Bibliotheca hiſtorica aucta a Chr.
Gottl. Budero noviß. edita a Io. Georg. Meuſelio
Lipſ. 1782. ſeqq.
8.
*]
Dan. Nettelbladt von dem rechten Gebrauche des na-
tuͤrlichen und gemeinen europaͤiſchen Voͤlkerrechts in der
beſondern europaͤiſchen Voͤlkerrechtsgelahrheit der teutſchen
Nazion; in deſſen Eroͤrterung einiger einzelnen Lehren des
teutſchen Staatsrechts n. 3. ingleichen deſſen Abhandlung
uͤber
[39]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
uͤber die rechte Einrichtung eines Lehrbuchs der Staats-
rechtsgelahrheit der Teutſchen. Er giebt dieſer Wiſſen-
ſchaft den Namen der beſondern europaͤiſchen Voͤlker-
rechtsgelahrheit der teutſchen Nazion
und behauptet
in der leztern Abhandlung §. 8. mit guten Gruͤnden, daß
ſolche abgeſondert vom teutſchen Staatsrechte vorgetragen
werden muͤffe.
I. A. Ickſtadt Elem. Jur. Gent. L. I. c. I. praecogn.
§. 1. Schol. II.
**]
Von dieſen Gerechtſamen der teutſchen Reichsſtaͤnde
wird unten bey Beſtimmung der Souverainete mehr zu
ſagen ſeyn. Hier will ich nur noch ſo viel gedenken, daß
alle Klaſſen der Reichsſtaͤnde in ihren Staatsſchriften ſelbſt
ſich auf das Voͤlkerrecht beziehn. So heißt es in der De-
claration Sr. Majeſtaͤt des Koͤnigs in Preuſſen gegen das
Wiener Kreiscirculare von 1785 in Betref der von dem
Koͤnige veranlaßten Verbindung einiger Reichsſtaͤnde zur
Aufrechthaltung der Conſtitution des teutſchen Reichs: in-
dem ſie es durch Maasregeln thun, die dem Voͤlker-
recht
und den Rechten des teutſchen Reichs gemaͤs ſind.
Das Corpus Evangelicorum ſagt in einem Vorſtellungs-
ſchreiben an Sr. Kaiſerl. Majeſtaͤt vom 16. Nov. 1720.
Beyl. M. in Betref der Beſchwerden gegen das Kurmayn-
ziſche Reichs Directorium: aus was fuͤr einem Vorrecht
Kur Maynz ſolches [NB. die Anweſenheit beym Votiren in
eignen Angelegenheiten] wider aller Voͤlker Gebrauch praͤ-
tendire ꝛc. Fabers Staatskanzley 38. Th. S. 299. Wuͤr-
tenberg erwiederte unterm 10ten Jun. 1710. auf ein Kai-
ſerl. Reſcript in Poſtſachen: Meine Vorfahren haben von
etlichen hundert Jahren her nicht allein vi libertatis natu-
ralis et juris gentium,
ſondern auch des teutſchen Fuͤr-
ſtenrechts ꝛc. ſolches jus mittendorum nunciorum ge-
habt. — Moſers teutſches Staatsrecht 5. Th. S. 226.
Die Reichsſtaͤdte bezogen ſich 1687 9/19 Oct. und oͤfter in
C 4Anſe-
[40]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
Anſehung ihrer Gerechtſame beim Bothenweſen auf das
jus gentium. Ebendaſ. S. 170. Doch hat der Kaiſer
den Gebrauch des Voͤlkerrechts bey innern Staatsangele-
genheiten des teutſchen Reichs zuweilen nicht wollen gelten
laſſen. „Ein Voͤlkerrecht“ ward 1757. in einer Kaiſerli-
chen Schrift gegen Preuſſen behauptet, „kent man keines-
weges bey teutſchen Fuͤrſten unter ſich, ſondern ein Haupt,
den Kaiſer, — man weiß Reichsſatzungen, Reichsge-
richte, Reichsgeſetze und Gewonheiten, — man braucht
demnach bey der innern Verfaſſung des Reichs kein ſoge-
nantes Voͤlkerrecht.“ — Moſer von Teutſchland und deſ-
ſen Staatsverfaſſung Kap. 26. §. 5. S. 530. Der aber
auch zugleich erinnert, daß dies zuweit gegangen und das
Voͤlkerrecht, wo Reichsgeſetze und Gewonheiten den Aus-
ſchlag nicht geben, allerdings anwendbar ſey.
*]
Ad. Fr. Glafeys volſtaͤndige Geſchichte des Rechts der
Vernunft nebſt einer Bibliotheca juris naturae et gen-
tium.
verb. Aufl. 1739. 4.
Kurzer Entwurf einer Hiſtorie des Natur- und Voͤlker-
rechts. Leipzig 1759. 8.
*]
Godofr. Achenwalli Juris gentium Europ. Pract. pri-
mae lineae. Götting. 1775. 8. Sect. I. §. I. ſeqq.

Hellfeld l. c. §. XX. ſeqq.
*]
Die Literatur iſt bei ieder Wiſſenſchaft ein weſentliches
Stuͤck. Das vortreflichfte und nachahmungswuͤrdigſte
Muſter hat der verdienſtvolle Herr geheime Juſtitzrath
Puͤtter
[44]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
Puͤtter zu Goͤttingen, in ſeiner Literatur des teutſchen
Staatsrechts gegeben. Bisher fehlte es leider! an einer
zweckmaͤſſigen Literatur des Voͤlkerrechts, beſonders des
europaͤiſchen noch ganz. Ich war daher Willens, nach
Vollendung meines gegenwaͤrtigen Siſtems, einen Ver-
ſuch hierinn zu machen, und hatte indes in denen zum Ab-
druck bereits fertig liegenden Bogen bey ieder Materie we-
nigſtens die vorzuͤglichſten Schriften angefuͤhrt, und in
einigen §. §. die Hauptſchriftſteller ieder Klaſſe uͤberhaupt
bemerklich gemacht. Waͤhrend der Zeit erſchien zu meiner
nicht geringen Freude die iedem Kenner gewis bekante vor-
trefliche Voͤlkerrechtsliteratur des Koͤniglich Grosbritanni-
ſchen und Kurfuͤrſtlich Braunſchweigiſchen Comitialgeſand-
ten zu Regensburg ꝛc. Freyherrn von Ompteda, ein
Werk, das nicht nur meine literariſchen Bemuͤhungen
uͤberfluͤſſig machte, ſondern auch zu Aufgebung meiner
ganzen gegenwaͤrtigen Bearbeitung der Voͤlkerrechtswiſſen-
ſchaft mich beſtimt haben wuͤrde, haͤtte ich hierunter
noch freiere Gewalt gehabt. Aber das Loos war einmal
geworfen! und das Publikum wird es mir daher verzeihn,
wenn ich es noch wage, mit meinem Verſuche hervorzu-
treten, da eben die Ankuͤndigung ienes durch Rang und
Kentniſſe ſo erhabenen Gelehrten eins der volkommenſten
Werke in dieſem Fache hoffen laͤßt. Von dem verehrungs-
wuͤrdigen Herrn Verfaſſer darf ich mir gewis eben das
ſchonende und nachſichtsvolle Urteil ſchmeicheln, deſſen
derſelbe meine erſten geringen Proben bereits gewuͤrdigt
hat. Wenigſtens hoffe ich, wird man meinen guten Wil-
len, ſo viel mir moͤglich, nuͤtzlich zu werden, nicht ver-
kennen, der mir zur Zeit, als ich den Entſchlus zu die-
ſem Werke faßte, nicht uͤberfluͤſſig ſchien. — Ob ich
nun gleich, nach Erſcheinung der vorgedachten von mir
moͤglichſt noch benuzten Literatur des Freyhern von Om-
pteda, die vorgehabte Ausarbeitung einer eignen Voͤlker-
rechts Literatur dermalen aufgegeben habe, ſo wird es
doch
[45]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
doch manchen Leſern vielleicht nicht unangenehm ſeyn,
wenn ich, beſonders zur Bequemlichkeit derer, welche ie-
nes ausfuͤhrliche Werk nicht immer bey der Hand haben,
die wenigen §. §. von den Hauptſchriftſtellern des Voͤlker-
rechts, und dann die einmal angefangene Methode mit
Anfuͤhrung der vornehmſten Schriften ieder Materie beibe-
halte.
**]
Auſſer den algemeinen literariſchen Werken und denen
von der Philoſophie und Rechtsgelahrheit uͤberhaupt, ſind
dem Voͤlkerrechte insbeſondere folgende gewidmet.
1] Io. Groeningii Bibliotheca juris gentium Euro-
paea. Hamb.
1703. 8.
2] [Io. Fr. Wilh. de Neumann] Bibliotheca juris
imperantium quadripartita, ſeu commentarius de
ſcriptoribus juris naturae et gentium, publici
vniverſalis et principum privati. Norimb.
1727. 4.
3] Ad. Fr. Glafeys Bibliotheca juris naturae et
gentium;
bey der obenangefuͤhrten Geſchichte des
Rechts der Vernunft.
4] Chr. Fr. Georg Meiſters Ausbeſſerungen und Zu-
ſaͤtze zu Herrn Hofrath Glafeys Bibliothecam juris
naturae et gentium
1. Stuͤck. Goͤtting 1740. 2.
Stck. 1741. 4.
5] Ebendeſſelben Bibliotheca juris naturae et gentium
P. I. Götting 1749. P. II. 1756. P. III.
1757. 8.
6] Died. Heinr. Ludw. Freyh. von Ompteda Litera-
tur des geſamten ſowohl natuͤrlichen als poſitiven
Voͤlkerrechts; nebſt vorangeſchickter Abhandlung von
dem Umfange des geſamten ſowohl natuͤrlichen als
poſitiven Voͤlkerrechts und Ankuͤndigung eines zu
bearbeitenden volſtaͤndigen Syſtems deſſelben. Re-
gensburg 1785. 2 Theile 8.
*]
In Anſehung einzelner Gegenſtaͤnde kau man das ſchaͤtz-
bare Werk des Herrn geheimen Juſtitzrath Puͤtter: Lite-
ratur des teutſchen Staatsrechts, Goͤtting 1776. u. f. 3.
Theile gr. 8. mit Nutzen gebrauchen, zumal da der Frey-
herr von Ompteda auf dieſen Zweig der Voͤlkerrechtswiſſen-
ſchaft in ſeiner Literatur weniger Ruͤckſicht genommen.
Von denen zwiſchen den teutſchen Hoͤfen in einzelnen Faͤl-
len
[48]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
len gewechſelten Streitſchriften leiſtet die Deductionsbi-
bliothek von Teutſchland, nebſt dazugehoͤrigen Nachrich-
ten, welche Chriſtian Sigmund von Holzſchuer Frankf.
und Leipzig 1778. herauszugeben anfing, und nunmehr
von dem Herrn Profeſſor Johann Chriſt. Siebenkees
zu Altorf fortgeſezt wird, und wovon 1783. bereits 4
Baͤnde erſchienen, gute Dienſte.
*]
Die Grundſaͤtze des algemeinen und europaͤiſchen Voͤlker-
rechts koͤnnen und ſollen, nach dem Urteile des Herrn
Etatsrath Moſers in theſi zwar beiſammenſtehen, collidi-
ren aber in praxi oft mit einander: Daher ſeine Gering-
ſchaͤtzung des natuͤrlichen Voͤlkerrechts! Sind aber gleich
manche Saͤtze deſſelben ungewis, ſo iſt doch deshalb die
ganze
[69]und dem europaͤiſchen insbeſondere.
ganze Wiſſenſchaft nicht zu verwerfen. Was hier zweifel-
haft und uneroͤrtert bleibt, iſt, wo moͤglich, aus dem po-
ſitiven Voͤlkerrechte zu beſtimmen. Waͤre aus dem natuͤr-
lichen alles zu entſcheiden, ſo beduͤrfte man des leztern nicht.
**]
Ferner haͤlt Moſer dafuͤr, man muͤſſe blos Thatſachen
anfuͤhren, ohne daruͤber zu urteilen, weil Privatperſonen
ſolches nicht zukomme, und deren Meinung die Sache doch
nicht entſcheide. Dieſen Grundſatz hat er auch in ſeinen
europaͤiſchen Voͤlkerrechtsſchriften, beſonders in ſeinem neu-
ſten Verſuche, treulich befolgt. “Ich ſchreibe,” ſagt er
in der vorlaͤufigen Abhandlung, “kein politiſches Voͤl-
kerrecht; wie ein Raiſoneur, der die Handlungen derer
Souverainen nach dem Maasſtab ſeiner kurz- oder weit-
ſichtigen Begriffe von Staatsſachen abmiſſet und beurtei-
let.” Er giebt ſeine Arbeit daher blos fuͤr eine politiſche,
in eine gewiſſe Ordnung gebrachte Reiſebeſchreibung durch
ganz Europa aus, wo der Reiſende ſich begnuͤgt, zu beob-
achten und anzumerken, was er geſehen hat, ohne dar-
uͤber zu gloſſiren; die er, wie ſeine eignen Worte lauten,
in der Abſicht aufgeſetzt hat, um den Leſer die Welt ken-
nen zu lehren, und ihn ein bischen durch Europa ſpazieren
zu fuͤhren. In der That iſt dies Werk auch faſt lediglich
ſyſtematiſche Staatengeſchichte von Europa. Nicht ohne
Grund aber klagt Kaſpar Calvoͤr [in dialog. iren. de
pace religioſa
] daß die Staatsrechtsgelehrten mehr den
Geſchichtſchreiber als Rechtsgelehrten und Philoſophen
machten, und nur den Geſchichts- aber nicht den Rechts-
punkt eroͤrterten. Schon oft iſt dieſer Moſerſchen Lehrart
daher der Vorwurf gemacht worden, daß man ſolcherge-
ſtalt nicht wiſſe, was unter den europaͤiſchen Nazionen
recht oder unrecht ſey? Zwar entgegnet derſelbe, daß es
im europaͤiſchen Voͤlkerrechte viele gleichguͤltige Handlun-
gen gebe, und hier auf Erden Niemand Richter uͤber die-
ſelben ſey, ſondern ſie dem großen algemeinen Gerichtsta-
ge Gottes anheimgeſtellt blieben: Allein die gleichguͤltigen
E 3Hand-
[70]Von dem Voͤlkerrechte uͤberhaupt,
Handlungen gehoͤren eigentlich gar nicht ins Voͤlkerrecht,
und in Anſehung der uͤbrigen komt es nicht darauf an, iede
insbeſondere zu richten, ſondern nur uͤberhaupt zu zeigen:
was Recht oder Unrecht ſey? Das Urteil fließt aus den
vorangeſchickten Grundſaͤtzen ſodann von ſelbſt. Moſer
begnuͤgt ſich, dem Leſer die Welt kennen gelehrt zu haben,
und uͤberlaͤßt iedem, ſeine Maasregeln darnach zu neh-
men, wie er will, und wie er es ſich vor Gott und ſei-
nem Gewiſſen zu verantworten getraut. Iſt dies dem
Souverain oder Staatsmann aber moͤglich, wenn er nicht
weiß, was recht oder unrecht iſt? Die Staatsrechts-
ſchriftſteller ſind eben ſo wenig Richter uͤber die Angelegen-
heiten der teutſchen Reichsſtaͤnde, und doch werden taͤglich
rechtliche Unterſuchungen von ihnen angeſtellt.
***]
Die Anfuͤhrung der Beiſpiele, deren Nothwendigkeit
einige bezweifeln wollen, iſt beim natuͤrlichen Voͤlkerrechte
zu Beſtaͤtigung der aufgeſtelten Grundſaͤtze eben nicht un-
umgaͤnglich erforderlich, weil die Beiſpiele vielmehr nach
dieſen beurteilt werden muͤſſen; doch dienen ſie ſehr zur
Erlaͤuterung. Im practiſchen Voͤlkerrechte hingegen ſind
die Beiſpiele deſto weſentlicher, weil daraus die Grundſaͤtze
erſt abgezogen werden muͤſſen. Sehr richtig urteilt Gla-
fey, daß man bey ieder Materie eigentlich ſaͤmtliche euro-
paͤiſche Nazionen durchgehn und unterſuchen ſolte, ob ſie
dieſen oder ienen Gebrauch mitgehalten oder nicht? Da
man beim zuſammenſummiren finden wuͤrde, daß in den
meiſten die ſaͤmtlichen europaͤiſchen Voͤlker uͤbereintreffen.
Glafeys Recht der Vernunft 1. Kap. §. 325. Moſers
Verſuch ꝛc. vorlaͤufige Abhandlung §. 6.
****]
Die Klagen uͤber bisherige Vernachlaͤſſigung dieſes
wichtigen Theils der Rechtswiſſenſchaft auf Univerſitaͤten
verdienen allerdings beherzigt zu werden.
a]
Der Etatsrath Moſer haͤlt in ſeinem neuſten Verſuche zu
Begruͤndung eines freien Volks fuͤr hinlaͤnglich, daß kein
andrer Staat oder Herr in weltlichen Sachen ihm etwas
E 5zu
[74]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
zu befehlen habe, weil die der Roͤmiſch. Catholiſchen Reli-
gion zugethanen Staaten dem Papſt in Glaubens und Kir-
chenſachen eine gewiſſe Art der Oberherſchaft zugeſtehen.
Wahrſcheinlich ward er zu dieſen Beiſatz veranlaßt, weil
ich in meinem kurz zuvor herausgegebenen Grundriſſe, zu
Behauptung der reichsſtaͤndiſchen Freiheit anfuͤhrte, daß
die eingeſchraͤnkte Ausuͤbung der Hoheitsrechte, der Souve-
rainetaͤt keinesweges nachtheilig ſeyn koͤnnte, weil ſelbſt
die unbezweifelt ſouverainen Maͤchte in Europa roͤmiſchka-
tholiſcher Religion in Anſehung ihrer geiſtlichen Gerecht-
ſame von dem Papſte in vielen Stuͤcken abhingen. Allein
iener Zuſatz; in Weltlichen ſcheint mir dieſen Einwurf kei-
nesweges zu heben, indem, wie ich ſchon damals erin-
nerte, kein Grund vorhanden, warum die Hoheitsrechte im
Geiſtlichen geringer als die im Weltlichen ſeyn, und die
Einſchraͤnkung der erſtern durch eine auswaͤrtige Macht der
Souverainetaͤt nichts ſchaden ſolten.
b]
Den Sinn dieſer Redensart erklaͤrt der Herr von Real in
ſeiner Science du Gouvernement T. IV. C. II. Sect. II.
§. 11.
c]
Weder die Art, wie und durch wen die Hoheitsrechte aus-
geuͤbt werden d. i. die Regierungsform, noch der groͤßere
oder kleinere Umfang eines Staats kommen bey Beſtim-
mung der Freiheit und Unabhaͤngigkeit eigentlich in Be-
trachtung; ob der letztere gleich, natuͤrlicherweiſe, auf
das ſtaͤrkere oder mindere Gewicht in den Staatsgeſchaͤften
der uͤbrigen Maͤchte einen großen Einflus hat. Der unter
dem Namen Caeſarini Furſtenerii verſteckte groſe Leibnitz
will daher in der bekanten Abhandlung de ſuprematu prin-
cipum etc.
die Souveraineté, oder ſeinen ſogenanten Su-
prematum
nur denienigen Staaten beilegen, welche einen
weitlaͤuftigen Umfang haben, Krieg fuͤhren, Buͤndniſſe
ſchlieſſen und zur Entſcheidung der Staatsangelegenheiten
anderer Voͤlker uͤberhaupt etwas beitragen koͤnnen. Prae-
ter
[75]und den europaͤiſchen insbeſondere.
ter libertatem, ſagt er Cap. XII. et in ſe poteſtatem,
aliud praeterea vſu requiri videtur ad ſuprematum,
nimirum potentia quae apud exteros quoque auctorita-
tem conciliare poſſit. Suprematum ergo illi tribuo qui
non tantum domi ſubditos manu militari regit, ſed
qui etiam exercitum extra fines ducere, et armis,
foederibus, legationibus ac caeteris juris gentium
ſanctionibus aliquid momenti ad rerum Europae gene-
ralium ſummam conferre poteſt [in praef].
Dieſe al-
lerdings wilkuͤhrlich angenommene Meinung iſt indes ſo
ganz verwerflich nicht. Man kan den kleinern Staaten
die Rechte der Souverainetaͤt zwar nicht geradezu abſpre-
chen; da es ihnen aber an der Moͤglichkeit fehlt, durch
Handlungen, welche ein freies Volk am meiſten auszeich-
nen, ihr Daſein andern Nazionen bemerklich zu machen,
ſo iſt ihre Souverainetaͤt, wie Moſer ſagt, freilich mehr
eine titulare als wuͤrkliche.
d]
In einer etwas andern Bedeutung wird der Ausdruck Sou-
verain
genommen, wenn die Rede von dem Regenten
des Staats iſt: er bezeichnet alsdann einen ſolchen, der in
Ausuͤbung der Hoheitsrechte durch Reichsgrundgeſetze nicht
eingeſchraͤnkt iſt. Die lateiniſchen Schriftſteller bezeichnen
die Souverainetaͤt mit den Namen: Suprematus, poten-
tatus, libertas etc.
Die mit der Souverainetaͤt verwand-
ten Begriffe von Majeſtaͤt, Majeſtaͤts- und Hoheits-
rechte, Regalien
ꝛc. werden uͤbrigens ſchon aus dem
Staatsrechte bekant ſeyn, und weiter unten noch mit we-
nigen beruͤhrt werden.
*]
Man ſehe uͤber dieſe Materie Grot. de J. B. et P. L. I.
C. III §. 6. 7. Puffend. J. N. et G. L. VII. c. VI.
und
Henr. Cocceji Autonomia juris gentium, vbi natum
inde inter gentes diſcrimen civitatis mediatae liberae
et non liberae etc. pleniſſime eruitur. Frcof.
1719. 8.
*]
Du Mont Corps diplom. T. X. P. I. n. 158. p. 322.
T. V. P. I. n. 175. p.
368.
Portugal riß ſich 1640 von der ſpaniſchen Her-
ſchaft los.
*]
Luſitania liberata ab iniuſto Caſtellanorum dominio re-
ſtituta legitimo principi Iohanni IV. Lond. 1645. fol.

Die krimmiſchen und nogaiſchen Tatarn entzo-
gen ſich 1772 der Bothmaͤßigkeit der ottomanniſchen
Pforte, und erklaͤrten ſich fuͤr ein freies Volk.
*]
Mercure hiſt. et polit. T. I. Fevr. 1773. p. 218.
Moſers Verſuch des europ. Voͤlker, 6. Th. 7. Kap. §. 12.
S. 127.
Die nordamerikaniſchen Staaten endlich fielen
von ihrem Mutterlande England ab, und verbanden ſich
unterm 4. Jul. 1774. zu Behauptung ihrer Freiheit und
Unabhaͤngigkeit.
*]
Mercure hiſt. Oct. 1776. p. 435.
Moſers Verſuch am ang. O. S. 131.
a]
Die Frage: in wiefern auswaͤrtige Nazionen die rebelli-
renden Unterthanen eines andern Volks, die Empoͤrung
mag recht- oder unrechtmaͤßig ſeyn, auf irgend eine Art
beguͤnſtigen duͤrfe, wird weiter unten eroͤrtert werden.
b]
Nach Moſers Meinung haͤngt es von eines ieden Staats
Wilkuͤhr ab, ob er, noch waͤhrenden Streits, es mit dem
Oberherrn, oder den rebellirenden Unterthanen halten, oder
auch ganz neutral bleiben will? Moſers Verſuch 6. Buch
7. Kap. §. 5. 6. 7.
c]
Politiſches Journal Jun. 1782. S. 577. und an ver-
ſchiedenen andern Orten.
*]
Joh. Chr. Wilh. von Steck von Erkennung der Unabhaͤn-
gigkeit einer Nation und eines Staats; in deſſen Verſuche
uͤber verſchiedene Materien politiſcher und rechtlicher
Kentniſſe. Berlin 1783. 8. S. 49-56.
*]
Man ſehe Gabr. Schweder de inſignibus imperiorum et
regnorum Europae revolutionibus et mutationibus.
Tubing.
1710. und die aus der hiſtoriſchen Literatur bekan-
ten Staatengeſchichtſchreiber uͤberhaupt, zu deren Anfuͤh-
rung hier der Platz nicht iſt.
*]
La liberté du Portugal 1641. 12.
Hiſtoire des revolutions de Portugal par l’ Abbé de
Vertot. à Paris
1711. 12.
*]
Hiſtoire des revolutions d’ Eſpagne [par l’ Abbé de
Vayrac] à Paris 1726. 5. Vol.
12.
*]
Carol. Molinaeus de origine et excellentia Monar-
chiae Francorum. Frf. 1597. ſol.
1610. u. oͤft. 4.
*]
Iac. Brunneman diſſ. de origine, finibus et praeten-
ſionibus Imperii Rom. Germ. Hal.
1701. 4.
Io. Steph. Pütteri ſpecimen iuris publ. et gent. medii
aevi de inſtauratione Imperii Rom. ſub Carolo M. et
Ottone M. facta ejusque affectibus. Goͤtting
1784. 8.

Ulr.
[93]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Ulr. Obrecht [resp. Jo. Geo. Kulpis] diſſ. de vnitate
reipublicae in S. R. I. Argent
1676. 1705. 4.
*]
Alb. Gentilis de vnione regnorum Britanniae, Hanov.
1605. Helmſt.
1669. 4.
a]
Schmauß Corp. Jur. Gent. II, S. 1193.
*]
Ioan. L. B. de Meermann ſpecimen juris publici de
ſolutione vinculi, quod olim fuit inter S. R. Imp. et
foederati Belgii respublicas. Lugd. Bat.
1774. 4.
*]
Franz Michael Bueller Tractat von der Freyheit, Sou-
verainetaͤt und Independenz der loͤblichen 13 Orte der Eid-
genoſſenſchaft. Baden 1689. 8.
Jo. Jac. Moſer gerettete voͤllige Souverainetaͤt der Schwei-
tzeriſchen Eidgenoſſenſchaft. Tuͤbing 1731. 4. auch unter
dem Titel: Commentarius ad artic. VI. Inſtr. Pacis
Weſtph.
Frankf. 1731. 4.
*]
Della origine del dominio et della ſouvranità de Roma-
ni Pontefici ſopra gli ſtati loro temporalmente ſoggetti,
Dißertazione di F. G. A. Orſi dell’ ordine di Predica-
tori, in Roma
1742. 12.
*]
Examen de la liberté originaire de Veniſe, traduit
d’Italien avec une harangue de Louis Helian Ambaßa-
deur de France contre les Venetiens traduite de Latin
et des remarques hiſtoriques, ſur la copie de Ratis-
bonne,
1677. 12.
Theod. Graswinckel de libertate Veneta. Lugd. Bat.
1634. 4.
*]
Von dem mislungenen Verſuche des Cardinals Alberoni,
dieſe kleine Republick dem paͤpſtlichen Stuhle zu unterwer-
fen, ſehe man Moſers Beytraͤge zum E. V. R. in Frie-
denszeiten 1. Th. 1. Buch 1. Kap. §. 12.
*]
Teutſchlands ehemalige Herſchaft uͤber Daͤnemark wird
von den Daͤnen beſtritten, wie man aus folgenden Ab-
handlungen erſehen kan.
Georg. Aug. Detharding de Dania Germaniae nunquam
ſubjecta. Hamb.
1744. 4.
Joh. Wilh. Franz Freyh. von Krohne Daͤnemarks beſtaͤn-
dige Unabhaͤngigkeit, oder gruͤndlicher Beweis, daß

G 4Daͤne-
[104]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
Daͤnemark niemals dem teutſchen Reiche unterwuͤrfig
oder zinsbar geweſen ſey, aus unverwerflichen hiſtori-
ſchen Zeugniſſen dargethan. Hamburg 1777. 8.
Chr. Lud. Scheidt demonſtratio quod Dania imperio
Germanico nexu feudali nunquam fuerit ſubiecta, in
ſcriptis ſociet. Hafnienſis Part. I. n. 5. p. 87. P. II.
n. 7. p.
177.
*]
In Anſehung der ehemaligen Reichsverbindung ſehe man:
Io. Schultzii tract. hiſt. polit. de Polonia nunquam
tributaria. Gedani
1694. 4.
Georg. Dav. Alandi diß. de Imperii Rom. Germ. re-
gnante ſtirpe Salica habitu et praeſertim erga Polo-
niam. Lipſ.
1752. 4.
*]
Joh. Pet. v. Ludewig von dem allzeit ſouverainen Preuſ-
ſen: in deſſen gelehrten Anzeigen, 3. Th. S. 156.
Io. Gottl. Heineccii Pruſſiae in libertatem adſertae ſpe-
cimen, quo probatur eam nullo vnquam titulo Im-
perio Germanico fuiße ſubiectam. Halae
1740. 4.
**]
Von Teutſchland und des teutſchen Ordens vermeintli-
chen Gerechtſamen an das Koͤnigreich Preuſſen, ſehe man
Moſers Tr. von Teutſchland 4. Kap. §. 18. S. 111.
*]
Chr. Schoettgenii diß. VII. de originibus Ruſſicis.
Dresd. et Lipſ.
1729 ‒ 31. 4.
a]
Es giebt, ſagt Loyſeau im traité des Seigneuries c. 2.
n.
95. kleine ſouveraine Herſchaften, deren Fuͤrſten, ob ſie
ſich gleich eben der Gewalt wie die Monarchen bedienen,
doch auſſer ihrem Territorium ganz und gar keinen Ehren-
rang unter andern Souverainen haben: und Real rechnet
dahin z. B. den Herzog von Bouillon, den Fuͤrſten von
Monaco und den Grafen von Orval-Bethuͤne, wegen des
Fuͤrſtenthums Henrichemont. Science du Gouv. T. V.
C. I. Sect. VI.
Das Vorgeben von dem ehemals zum
Koͤnigreich erhoben ſeyn ſollenden freien Erbgut Yvetot in
Frankreich erklaͤren die neueſten franzoͤſiſchen Schriftſteller
ſelbſt fuͤr eine Fabel. Real am ang. O. Cap. IV. Sect. 8.
b]
Man ſehe hieruͤber:
Gottfr. Ruͤhlmanns unwiederrufliches Recht, welches
Sr. Kaiſerl. Maj. von wegen des heil. roͤm. Reichs teut-
ſcher Nation nicht nur an Parma und Placenz, ſon-

dern
[111]und den europaͤiſchen insbeſondere.
dern auch ganz Italien, die Stadt Rom und das Pa-
trimonium St. Petri
haben. Jen. 1709. 4. nebſt 2.
Fortſetzungen.
La liberté de l’ Italie demontrée à ſes Princes et à ſes
peuples, traduite de l’ Italien de l’ Abbé Toſini.
Amſt.
1718. 8.
Moſers auswaͤrtiges Staatsrecht, 5. B. 3. K. S. 398.
u. f.
*]
Ant. Viriheri Vindiciae Bohemicae, ſive compendioſa
deductio famoſae queſtionis ſuper nexu S. R. I. ger-
manicum et inclytum regnum Bohemiae intercedente,
Nor. et Prag.
1740. 8.
Ioh. Nic. Hertii diſſ. de renovato S. R. I. G. et regni
Bohemici nexu. Gieß.
1709. und in ſeinen Opuſc. 4.
J. J. Moſer von Teutſchland, 2 Kap. §. 5. S. 25.
*]
Moſer von Teutſchland, 2. Kap. §. 8. S. 32. Verſuch
des neuſten europ. Voͤlkerr. 1. B. 1. Kap §. 8. S. 13.
Beitraͤge in Friedenszeiten 1. B. 1. K. §. 7. S. 18.
*]
Moſer von Teutſchland, S. 36. Verſuch S. 14.
*]
Moſer am angef. O. §. 13. S. 40. Verſuch S. 18.
*]
Moſer von Teutſchland, 4. Kap. §. 25. S. 143. Bei-
traͤge in Friedenszeiten 1. B. 1. K. §. 10. S. 31.
a]
Neyron principes du droit des gens, Ch. V. Art. 3.
§. 139.
*]
Memoire ſur la liberté de l’ Etat de Florence, 1721. 4.
Fr. Lud. N. D. de Berger Vindicatio juris imperialis
in magnum Tuſciae ducatum, ſive confutatio Scrip-
tionis cui titulus: Memoire etc.
1723 4.
Notizia della vera liberta Florentina conſiderata ne’ ſuoi
giuſti limiti per l’ ordine de ſecoli con la ſincera
Diſamina, e Confutazione delle Scritture e Teſi,
che in varj tempi ed a’ noſtri dì ſono ſtate publicate
per negare ed impugnare i Sovrani Dritti degli Au-
guſtiſſimi Imperadori e del Sacro Romano Imperio
ſovra la Città e lo ſtato di Firenze e il Gran Du-
cato di Toſcana P. III. Mediol. 1724-26. fol.

Moſers auswaͤrtiges Staatsrecht, 5. B. 3. Kap. §. 24.
S. 412. Verſuch ꝛc. 1 B. 1. K. §. 8. S. 15.
*]
J. H. G. Juſti Abhandlung von Abtretung eines Reichs-
lehns in dem Frieden mit auswaͤrtigen Maͤchten, worinn
zugleich erwieſen wird, daß die Herzogthuͤmer Parma,
Piacenza
und Guaſtalla noch wuͤrkliche Reichslehen ſind.
Frankf. und Leipz. 1758, 4. und in Select. Jur. Publ.
Novifſ. p. XXX. p.
220.
Moſers Auswaͤrt. Staatsrecht, 5. Buch 3. K. S. 410.
Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 8. §. 17. Beitraͤge in Frie-
denszeiten ꝛc. 1. B. 1. K. §. 8. S. 21.
*]
Moſers Beitraͤge, am ang. O. S. 30.
*]
Moſer von Teutſchland, 1. B. 2. K. §. 16. S. 46.
*]
Chr. Gottl. Reinhard Genuenſium libertatis non ſu-
premae juris gentium ſed Caeſari atque Imperio ſubor-
dinatae brevis adumbratio. Ien.
1746. 4.
Memoires touchant la Superiorité imperiale ſur les
villes de Genes et de St. Remo ainſi que ſur toute
la Ligurie, 2 Parties, Ratisbonne
1768. 8.
Eßai ſur l’ origine et le progrès de la pretenduë inde-
pendence Genoise,
1769. 8.
Moſers ausw. Staatsrecht. 6. B. 15. K. §. 1. u. f. S.
462. Beitraͤge am ang. O. S. 31.
a]
Principes du droit des gens, L. I. C. 3. Art. 1. §. 67.
C. 4. Art.
3. §. 139.
b]
Beitraͤge in Friedenszeiten, 1. B. 1. K. §. 14. S. 39.
*]
Dieſe Benennung iſt zwar hauptſaͤchlich nur in den Schrif-
ten des Herrn Etatsrath Moſer angenommen und in den
europaͤiſchen Staatsſchriften noch nicht gewoͤnlich, ſie
ſcheint mir indes der Sache gut zu entſprechen [Moſers
Bei-
[121]und den europaͤiſchen insbeſondere.
Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 508.] J. N. Herzin
Diß. de diviſione regnorum vel quaſi
giebt dieſen Staa-
ten Sect. I §. 2. den Namen quaſi regna nach der Ana-
logie von Quaſi-Contracten ꝛc. Real nent mit Loyſeau
[des Seigneuries] dergleichen Regenten abhaͤngige
Fuͤrſten, [princes ſujets] die zwar Souverainetaͤtsrechte
uͤber das Volk, nicht als Beamte, ſondern eigenthuͤmlich
als Herrn haben, die aber nichts deſtoweniger einen Obern
erkennen, dem ſie unterworfen ſind. [Science du Gou-
vern. T. 4. C.
2. §. 19.] Neyronprincipes du D. d. G.
§. 65. ſagt: Actuellement l’ on a deux ſortes d’ Etats
principaux nommés Etats du prémier et du ſecond
ordre
. Diſtinction priſe de l’ entière independance, ou
de la liaiſon féodale dans laquelle ſe trouvent quelques
uns, qui d’ ailleurs jouiſſent auſſi de tous les droits de
ſuperiorité territoriale.
a]
Caeſarinus Fürſtenerius de jure ſuprematus ac legationis
principum Germaniae, Norimb.
1678. 8. und oͤfter.
Jo. Wilh. de Goebel diß. de juribus procerum imperii
majeſtaticis. Helmſt.
1718. 4.
b]
Real Science du Gouvernement T. IV. Ch. II.
Sect. III.
§. 19.
c]
Moſers Verſuch des europ. V. R. 1. B. 1. K. §. 11.
S. 27.
d]
Io. Klein diß. de praerogativa principum imperii
Roſt.
1698. 4.
Ch. Hoffmann diß. de ſtatibus imperii liberis non ſub-
ditis. Viteb.
1706. 4.
Io. Theod. Scheffer diß. de inſigni praeeminentia prin-
cipum imperii maiorum prae principibus et ſtatibus
aliorum Europae regnorum. Tubing
1732. 4.
e]
Vattel [1. B. 1. K. §. 11.] ſieht die Hoheitsgerechtſame
gegen Auswaͤrtige nicht ohne Grund fuͤr ein vorzuͤgliches
Kenzeichen der Unabhaͤngigkeit an, und behauptet daher,
daß die von den Roͤmern eroberten Provinzen, ſelbſt die
meiſten ihrer ſogenanten Freunde und Bundsgenoſſen, ob
ſie ihnen gleich ihre eigne Regierung und Geſetze gelaſſen,
doch nicht fuͤr frey zu halten geweſen, weil ſie in auswaͤr-
tigen Staatsgeſchaͤften voͤllig von den Befehlen Roms ab-
hingen.
f]
Gottl. Sam. Treuer de origine nominis ſuperioritatis
territorialis e Gallia arceßenda. Helmſt.
1732. 4.
g]
Chr. Thomaſii diß. de injuſta oppoſitione jurium maje-
ſtaticorum ſuperioritatis territorialis et reſervatorum
Imperatoriorum. Halae
1696. 4.
h]
J. J. Moſers Tr. von der Landeshoheit derer teutſchen
Reichsſtaͤnde uͤberhaupt, Frankf. und Lpz. 1773. 4.
Joh. Steph. Puͤtter von beſondern Beſtimmungen der Lan-
deshoheit in ſofern ſie noch eine hoͤhere Gewalt vom
Kaiſer und Reich uͤber ſich hat; in deſſen Beitraͤgen
zum teutſchen Staats- und Fuͤrſtenrechte 1. Th. n.
XVIII.
S. 299-316.
i]
Ernſt. Ioachim Weſtphal Diß. de genuina origine
potentatus principum in Imperio Rom. Germ. Ien.

1721. 4.
Puͤtter von dem Urſprunge der Landeshoheit; in deſſen
Beitraͤgen zum teutſchen Staats- und Fuͤrſtenrecht,
1. Th. S. 107. u. f.
k]
Pleno jure gentium frui, quod in legatis, bello,
pace, foederibus conſiſtit. Fürſtenerius cap. XXXIII.
l]
Man hat hieruͤber eine Menge einzelner Schriften, davon
ich nur etliche anfuͤhren will.
Jo. Zach. Gleichmann al. Helmond, de ſuperioritate
territoriali et de praerogativis ducum in Imp. Rom.
Germ. Erf.
1748. 4.
Io. Heinr. Boeckler de ſuperioritate territoriali comi-
tum imperii. Arg.
1710. und in Luͤnigs Theſauro juris
der Grafen und Herrn p. 752.
Io. Dauthii hypotheſis: utrum civitates Imp. librae
jura principis in ſuis rebus publicis obtineant. Han-
nov.
1607. 4.
Chr. Wildvogel diß. de ſuperioritate territoriali civita-
tum imperialium. Ien.
1709. 4.
Io. Henr. Felz diß. ſuperioritatis territorialis S. R. I.
nobilitati immediatae denuo aßerta. Arg.
1725. 4.
Steph. Chr. Harprecht de Harprechtſtein diß. de
Sacri Rom. Imp. liberae et immediatae nobilitatis
jure ſtatus imperialis et ſuperioritatis territorialis.
Kilon.
1727. 4.
m]
Da bey dem teutſchen Neiche und deſſen Staͤnden ſo
mancherley Verhaͤltniſſe, auch in auswaͤrtigen Beziehungen,
vorkommen, indem man Teutſchland entweder unter ſeinen.
Oberhaupt dem Kaiſer, als einen Staatskoͤrper, oder nur
gewiſſe Gattungen der Staͤnde z B. die Staͤnde eines Krai-
ſes, das Kurfuͤrſtliche, Fuͤrſtliche ꝛc. Kollegium, das Cor-
pus Evangelicorum
und Catholicorum oder einzelne Staͤn-
de, und zwar wieder nach ihren verſchiedenen Klaſſen, als
Kurfuͤrſten, Fuͤrſten, Grafen, Reichsſtaͤdte ꝛc. insgeſamt
aber nach dem Unterſchiede des Verhaͤltniſſes gegen Aus-
waͤrtige, gegen das geſamte Reich, gegen den Kaiſer, roͤ-
miſchen Koͤnig, die Vikarien und gegen einander ſelbſt
betrachten kan, ſo will ich kuͤnftig in Behandlungen der
ein-
[128]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
einzelnen Materien, dieſes teutſche Voͤlkerrecht nach
ſeinem ganzen Umfange jederzeit erſt dann abhandeln,
wenn die uͤbrigen europaͤiſchen Staaten durchgegangen
ſind; ungeachtet Teutſchland, als ein einiger Staat,
ſchon unter den erſtern einen vorzuͤglichen Platz verdienet.
a]
Moſers auswaͤrt. Staatsrecht, 5. B. 3. K. S. 399. u. f.
b]
Viele geben das Herzogthum Modena fuͤr ſouverain aus,
und der Herzog ſelbſt behauptete ehemals gegen den Reichs-
hofrath, in bloßer Lehnsverbindung mit dem Reiche zu
ſtehen; aber dieſes hat bey mehrern Gelegenheiten die
Oberherſchaft auf eine unzubezweifelnde Art daruͤber aus-
geuͤbt. Uebrigens wird dieſes Herzogthum, wie mehrere,
aus obangefuͤhrten Gruͤnden, freilich ziemlich ſouverain
regiert. Man ſehe God. Dan. Hoffmann jus Imperato-
ris et Imperii Germ. in Mutinam. Tubing.
1771. 4.
Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 11. S. 28.
c]
Moſer [am ang. O.] zaͤhlt auch das kleine Fuͤrſtenthum
Monaco unter die halbſouverainen Staaten in Italien.
Zwar hat es eigentlich wohl einen ſouverainen Herrn, der-
ſelbe iſt aber um ſo weniger vermoͤgend, die als einem ſol-
chen ihm zuſtehenden Rechte auszuuͤben, da er ſeine ein-
zige Feſtung dem Koͤnige in Frankreich, als Schutzherrn,
uͤberlaſſen und ihm zugleich Tribut und Gehorſam verſpre-
chen hat. „Wenn der im Schutz ſtehende Fuͤrſt dem
Monarchen ſeine feſten Plaͤtze einraͤumt,“ ſagt Real nicht
ohne Grund, „ſo iſt er in der That ſein Unterthan, ob er
ſich gleich mit den ausdruͤcklichſten Worten die Souveraine-
taͤt vorbehaͤlt. Er kan hinfort nicht mehr anders, als nach
dem Belieben des Potentaten, welcher ſeine Feſtungen in
Haͤnden hat, regieren.“ Real ſcience du Gouvernement,
T. IV. C. II. Sect. III.
§. 21. vergl. Fürſten. de ſup. c. XII.
d]
Moſers Verſuch, 1. B. 1. K. §. 11. und 2. B. 1. K.
§. 20. S. 142. u. f.
e]
Buͤſchings Magazin ꝛc. 3. Th. S. 3. u. f.
f]
Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 510.
Ioach. Guil. Weickhmann diß. I. qua civitas Gedanen-
ſis neque olim in regni germanici fuiffe, neque hodie
in Imp. R. G. eße poteſtate ejusque formula conti-
neri vincitur. Viteb.
1766. 4.
*]
Neyron nimt noch eine dritte Klaſſe von europaͤiſchen
Staaten an, und rechnet die aus dem alten Hanſeebunde
noch uͤbrigen Staͤdte dahin. Au reſte, ſagt er, il y a
encore une eſpece de tiers ordre d’ Etats ißus de l’ anti-
que ſocieté hanſéatique L. I. Ch. III. Art. I.
§. 68.
a]
Real ſcience du Gouv. T. IV. C. II. Sect. III. §. 17.
nent dieſe Staaten unvolkomne Souverainetaͤten.
b]
Qui tanquam ex lege et imperio magiſtratus tenetur
haud dubie inferior eſt, at proprio ſuo facto et con-
ventione qui ſe obligat alii, etſi imperata ſe factu-
rum promittat, obligatur non ut inferior altero, ſed
ut par:
non quia altero alter plus poteſtatis et imperii
habet, ſed quia utrique paciſcenti aequalis eſt poteſtas
de re ſua diſponendi. —— Huius ergo obligationis
caußa non eſt poteſtas ſuperior ſed ipſorummet par-
tium et paciſcentium aequalis. Henr. Cocceji diß. de
imperio in pares. Frcf. ad Viadr.
1697. 4. und in Exer-
cit. T. II. p.
3. Man vergl. Grotii J. B. et P. L. I.
C. III. §. XXI. ſeqq.
a]
Beitraͤge in Friedenszeiten, 1. B. 1. K. §. 6. S. 18.
b]
Petr. Fr. de Hohenthal diß. de nationis Germanicae
in
[133]und den europaͤiſchen insbeſondere.
in Curia Romana protectione ſub praeſ. Joh. Gottl.
Boehmii. Lipſ.
1763. 4.
Chr. Gottl. Bieners Abhandlung von der kaiſerlichen
Advocatie uͤber den Stuhl zu Rom, paͤpſtliche Heilig-
keit und chriſtliche Kirche, zur Erlaͤuterung der kaiſerli-
chen Wahl C. Art. I. §. 1. 10. und 11. Art. XIV. und
anderer Reichsgeſetze, auch Beſtimmung der Rechte
und Pflichten, welche nach der Staatsverfaſſung des
teutſchen Reichs, und dem heutigen europaͤiſchen Voͤl-
kerrechte daher erwachſen. Leipzig 1783. 8.
c]
Nachbarliches Staatsrecht, Z. B. 16. K. beſ. §. 15.
*]
Dergleichen Schutzbuͤndniſſe waren unter den aͤlteſten Voͤl-
kern, beſonders auch bey den Roͤmern ſehr gewoͤnlich. Die
Formel, womit dieſe einige von ihnen beſiegte Koͤnige und
Voͤlker zu Bundsgenoſſen aufzunehmen pflegten, war:
imperium majeſtatemque populi Romani comiter con-
ſervet.
Die Bedeutung derſelben erklaͤrt Cicero in Orat.
pro L. Corn. Balbo c.
3. Sie verband zu Ehrerbietung
und Beiſtand im Kriege von Seiten des Beſchuͤtzten. Aber
auch die roͤmiſchen Rechtsgelehrten erklaͤrten dieſe Verbuͤn-
deten billig fuͤr frey. Liber populus eſt is, ſagt Procu-
lus l.
7. π. de captiv. et poſtlim. rev., qui nullius alte-
rius populi poteſtati eſt ſubiectus ſive is foederatus eſt:
item ſive aequo foedere in amicitiam venit, ſive ſoe-
dere comprehenſum eſt, ut is populus, alterius populi
maieſtatem comiter conſervaret: hoc enim adjicitur,
ut intelligatur alterum populum ſuperiorem eße: non
ut intelligatur alterum non eße liberum. Et quemad-
modum clientes noſtros intelligimus liberos eße, etiam-
ſi neque auctoritate neque dignitate neque viribus no-
bis pares ſunt, ſic eos, qui maieſtatem noſtram comi-
ter conſervare debent, liberos eße intelligendum eſt.

Man ſehe auch Grot. L. I. c. III. §. 21.
a]
So wird zur Sicherheit des Handels von der Republick
Venedig dem Kaiſer von Marokko iaͤhrlich eine anſehnliche
Summe uͤberſchickt: Grosbritanien, die vereinigten Nie-
derlande ꝛc. thun ein gleiches gegen Algir.
b]
Schon Salomo ſagt in ſeinen Sprichwoͤrtern 12, 24.
Fleißige Hand wird herſchen; die aber laͤßig iſt, wird
muͤſſen zinſen.
c]
Io. Georg Neumann diß. de regnis Pontificis Romani
ſtipendiariis. Viteb.
1685. 4.
a]
Heinr. Gottfr. Scheidemantel diß. de nexu feudali inter
gentes. Ien.
1767. 4.
Moſers Verſuch, 1. B. 1. K. §. 6. S. 7.
b]
I. P. de Ludewig Jura feudorum, L. I. C. XI. quaeſt. II.
p.
572.
c]
Dieſe Lehnſchaft iſt in dem Welauer Vertrage 1657 aufge-
hoben worden. Preuſſen ſoll dafuͤr dem Koͤnige und der
Krone Pohlen mit beſtaͤndigem und unverbruͤchlichem
Buͤndnis zugethan bleiben, Art. 10.
d]
Traug. Thomaſii Problema Jur. Publ. an ſtatus Imperii
R. G. ob nexum feudalem ſint ſubditi atque Vaſalli
Imperatoris? Lipſ.
1733. 4.
e]
Itter de feudis imperii C. XIX. §. VI. ſeqq. Indes
ſcheint mir dieſe mit der Lehnspflicht verbundene Huldig-
ungsformel, woraus die meiſten Schriftſteller den Haupt-
J 5grund
[138]Von den ſouverainen Staaten uͤberhaupt,
grund fuͤr die Unterwuͤrfigkeit der Reichsſtaͤnde hernehmen,
ſo gar uͤberwiegend nicht zu ſeyn. Sie war in den aͤltern
Zeiten auch bey andern gleichwohl ſouverainen lehnbaren
Reichen nicht ungewoͤnlich. Der Eid, welchen z. B.
Koͤnig Peter von Arragonien, als ein Vaſall des Papſts
1204 ablegte, lautete alſo: Ego Petrus Rex Arragonum
polliceor quod ſemper fidelis ero et obediens domino
meo papae Innocentio etc. Oderic. Raynaldus in
Annal. eccleſ. ad an.
1204. §. 72. 73. Von den ver-
ſchiedenen Arten der ehemaligen Huldigungs- und Vaſallen-
pflicht giebt Real Science du Gouvern. T. IV. C. II
Sect. III.
§. 20. eine ziemlich ausfuͤhrliche Nachricht.
f]
Real l. c. Moſers auswaͤrtiges Staatsrecht, 5. B. 3. K.
§. 27. S. 415.
a]
Puffendorff Jus Nat. et Gent. L. VII. c. V. §. 16. ſeqq.
b]
Politiſches Journal, Julius 1782. S. 1. u. f.
a]
Grotius de J. B. et P. L. I. C. III. §. 7. n. 2. Puffen-
dorf
de J. N. et G. L. VII. c. V.
§. 18.
b]
Traug. Thomaſii Problema Jur. Publ. an forma Imperii
Rom. Germ. ſit Syſtema civitatum compoſitarum?
Lipſ.
1737. 4.
a]
Am ang. O. T. IV. C. II. Sect. III. §. 17.
b]
Io. Mart. Paſtorii Comm. de praerogativis principum
Imperii regum ex ipſis legibus et conſtanti gentium
ac Imperii obſervantia. Baſil.
1752. 4.
a]
Vattel L. 1. C. 16. §. 194.
b]
Man vergl. Furſten. de jure ſuprem. c. XII.
c]
Hauſens Staats-Materialien 1. B. 3. Stck. S. 381. u. f.
d]
Hauſen a. a. O. 4. St. S. 408. Polit. Journal Auguſt
1783. S. 771.
e]
Polit. Journal Februar 1784. S. 145. u. 153.
f]
Real Science du Gouv. T. II. C. VII. Sect. I. §. 6.
Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 10. S. 26. Beitraͤge
in Friedensz. S. 38.
g]
Moſers Beitraͤge ꝛc. 1. B. 1. K. §. 3. S. 15.
a]
Grotius Proleg. §. 6. 7. 14. etc. Real T. I. p. 2. u. f.
Vattel prélim. §. 10. u. f.
b]
Die Unerweißlichkeit der algemeinen Naturgeſelſchaft zeigt
weitlaͤuftig Sam. L. B. de Cocceji in Grot. illuſtr. diß.
prooem. I. de jure naturae ſociali,
beſonders c. I.
Sect. II. §. XI.
Zugleich bemerkt er c. II. Sect. I. §. 19.
u. f. daß die Meinung von einer unter allen Menſchen von
Natur
[149]der Nazionen.
Natur errichteten Geſelſchaft ſich aus den Lehren der alten
ſtoiſchen und neuern ſpinoziſtiſchen Philoſophie herſchreibe,
welche das ganze Weltall fuͤr die Gottheit ausgiebt, deſ-
ſen Theile nothwendig in einer natuͤrlichen algemeinen Ver-
bindung ſtehen muͤſſen.
*]
Eine ausfuͤhrliche Schilderung des natuͤrlichen Zuſtandes,
den einige als den unruhigſten und gefaͤhrlichſten, andere
als den friedlichſten und gluͤcklichſten abbilden, findet man
beim Puffendorf im J. N. et G. L. II. c. II. und in
den meiſten uͤbrigen Schriften des Natur- und algemeinen
Staatsrechts.
a]
Vattel préf. und prélim. §. 11. Real am a. O.
a]
Geſelſchaft iſt eine Folge unſrer Beduͤrfniſſe, Regie-
rung
eine Folge unſerer Verderbtheit. Geſelſchaft, wie
ſie auch eingerichtet ſeyn mag, iſt allemal ein Gluͤck, aber
Regierung, wie ſie auch aufs volkommenſte eingerichtet
iſt, allemal ein nothwendiges Uebel. Ueber den Ur-
ſprung und die Abſicht der Regierung uͤberhaupt in
Dohms Material. 1. Lief. S. 9. u. f.
b]
Seneca de otio ſap. c. 31. Grotius proleg. §. 18. Man
vergl. Real T. V. im Anf.
c]
l. G. Proleg. §. 7. u. f.
d]
Ipſa enim natura inſtituit inter omnes gentes ſocieta-
tem et ad eam colendam eas obligat communis boni
conjunctis viribus promovendi cauſa. Quamobrem
cum ſocietas hominum communis boni conjunctis viri-
bus promovendi cauſa contracta civitas ſit, ipſa natura
in civitatem conſociavit gentes.
Am a. O. §. 9.
e]
Quia in civitate maxima pro voluntate omnium gen-
tium habendum in quod conſentire debebant ſi ductum
naturae ſecutae ratione recte utantur — fingi poteſt
rector civitatis maximae qui ductum naturae ſecutus
recto rationis uſu definit quaenam gentes inter ſe pro
jure habere debeant, etſi Gentium juri naturali non
per omnia ſerviat nec in totum ab eo recedat.
Eben-
daſ. §. 21.
f]
Proleg. I. G. §. X.
a]
Wolf gruͤndet ſeinen von der Natur hergeleiteten großen
Weltſtaat ebenfals auf die vermeintliche Einwilligung
[quaſi pacta] der Voͤlker, weil ſie gewis einwilligen wuͤr-
den, wenn ſie ihren wahren Nutzen kennten. Quoniam
itaque gentes,
ſagt er am ang. O. §. 9. quae commo-
da inde naſcentia norunt, impetu naturali in hanc con-
ſociationem feruntur, quae genus humanum, ſeu gen-
tes omnes inter ſe colligat, ceterae autem in eam con-
ſenſurae praeſumuntur, ſi bona ſua noßent; quidni
quaſi pacto etiam in ſocietatem coaluiße dicendae ſunt?
b]
Jus Naturae L. II. S. I. T. 1. §. 9.
*]
Wolf proleg. §. 8. Vattel prélim. §. 12.
a]
Einige Voͤlkerrechtslehrer unterſcheiden, nicht ganz ohne
Grund, die geſelſchaftlichen Pflichten in volkomne [jus
ſociale neceſſitatis
] und unvolkomne [jus ſociale huma-
nitatis
]. Aus den erſten fließt der Grundſatz: Thue das,
was das gemeine Wohl der Geſelſchaft nothwen-
dig
erfordert; aus den letztern: Suche auf alle Art
und Weiſe das gemeinſchaftliche Wohl
der Geſel-
ſchaft zu befoͤrdern
. Nur iene duͤrften ein Zwangs-
recht zulaſſen und im eigentlichen Voͤlkerrechte Platz finden.
b]
Wolf laͤßt die Geſetze ſeines algemeinen demokratiſchen
Weltſtaats durch die Mehrheit der Stimmen beſonders der
geſitteten Voͤlker feſtſetzen. Der große Weltſtaat, ſagt er,
erfordert gewiſſe Geſetze. Dieſe koͤnnen und muͤſſen durch
den Willen der Glieder beſtimt werden. Da aber nicht
alle Voͤlker des Erdbodens zuſammen kommen koͤnnen, ſo
gilt dasienige, worein die Voͤlker willigen ſolten, wenn ſie
den Vorſchriften einer geſunden Vernunft folgten: Cum —
in ſtatu populari neceſſe ſit, ut ſinguli in certo loco
conveniant et ſuam de eo, quod fieri debet voluntatem
declarent, gentes autem omnes per totum terrarum or-
bem disperſae inter ſe convenire nequeant, quod per
ſe patet, pro voluntate omnium gentium habendum,
in quod conſentire debent, ſi ductum naturae ſecutae
ratione recte utantur, conſequenter patet, quatenus ad-
mittendum id eße juris gentium, quod gentibus mora-
tioribus placuit.
Der Ungrund dieſer Behauptungen wird
ſich jedoch aus den vorhergehenden und folgenden Erinne-
rungen ſattſam ergeben.
a]
Wolf proleg. §. 12. u. f.
b]
Wolfs nachdruͤcklicher Aeuſſerung ungeachtet, indem er
ſagt: Paradoxon nonnullis videbitur imperium iſtud.
Sed hi erunt, qui civitatis maximae notionem diſtinctam
non habent, nec utilitatem perſpiciunt cui natura pro-
videt, dum civilem quandam ſocietatem inſtituit inter
gentes. Proleg. §. 15. not.
bekenne ich mich gleichwohl
zu denen, welche den Nutzen dieſer buͤrgerlichen Voͤlkerge-
ſelſchaft nicht einſehn.
*]
Daß der Umfang dieſer geſelſchaftlichen Rechte und Ver-
bindlichkeiten, inſofern ſie aus der Natur einer geſelſchaft-
lichen Vereinigung und der mit der Zeit dabey weſentlich
gewordenen Nebendinge durch Vernunftſchluͤſſe ſich herlei-
ten laſſen, das von vielen misverſtandene freiwillige Voͤl-
kerrecht
ausmache, habe ich ſchon oben in der Einleitung
§. 4. u. 7. gezeigt, auch dabey erinnert, daß, auſſer dem
freiwilligen Beitrit der Voͤlker zur Geſelſchaft, es keiner
weitern praͤſumtiven Einwilligung in die Vorſchriften dieſes
freiwilligen Voͤlkerrechts, oder einer beſondern Errichtung
dahin gehoͤriger Geſetze uͤberhaupt, durch die geſitteten Na-
zionen, wie Wolf behauptet, beduͤrfe. Denn wodurch ha-
ben einige wenige Voͤlker dieſe Gewalt erlangt, und wozu
iſt ſie noͤthig, da dieſelben, nach Wolfs eigner Meinung,
nichts weiter feſtſetzen ſollen, als was die Natur vorſchreibt?
Iſt das, was mehrere geſittete Voͤlker unter ſich eingefuͤhrt
haben, den Vorſchriften der Natur nicht durchaus gemaͤs,
ſondern aus wilkuͤhrlichen Grundſaͤtzen hergeleitet, ſo kan
es ohnmoͤglich fuͤr ein freiwilliges Voͤlkergeſetz angeſehen
werden, das die uͤbrigen, mit denen ſie in Verdindung
ſtehn, noch weniger alle Voͤlker des Erdbodens verbinden
muͤſte. Stimt es hingegen mit der Natur uͤberein, ſo iſt
es nicht darum verbindlich, weil geſittete Voͤlker es befol-
gen, ſondern weil die Natur es gebeut. Uebrigens wir-
die Verbindlichkeit des freiwilligen Voͤlkerrechts fuͤr die
europaͤiſchen Nazionen daraus erhellen, daß ſie durch ge-
ſelſchaftliche Bande mit einander verknuͤpft ſind.
a]
Der Etatsrath Moſer ſagt in ſeinem Europ. Voͤlkerrecht
in Friedenszeiten 1. B. 1. K. §. 1. Die europaͤiſchen
Nazionen ſtuͤnden an und fuͤr ſich auſſer aller Verbin-
dung; iedoch haͤtten ihre natuͤrliche Lage, die den meiſten
gemeinſchaftliche chriſtliche Religion und die Vorſorge fuͤr
ihre Aufrechterhaltung gegen die Uebermacht anderer, eine
gewiſſe Art von Verbindung
unter ihnen eingefuͤhrt,
und in dem Verſuche 1. B. 1. C. §. 14. S. 33. ſie waͤren
in keiner voͤlligen und eigentlichen Verbindung, iedoch
in einer freiwilligen mehreren, als alle andere Staaten der
uͤbrigen Welttheile. Wenn er damit ſo viel ſagen will,
daß die europaͤiſchen Nazionen weder von Natur zur Geſel-
ſchaft verbunden, noch in einen einigen Staatskoͤrper, wo
gewiſſe Regierungsgegenſtaͤnde von gemeinſchaftlicher Ent-
ſchließung abhangen, vereinigt ſind, wohl aber in einer
freiwilligen durch das gemeinſchaftliche Intereſſe erzeugten
gleichen Verbindung ſtehn, ſo pflichte ich ihm volkommen
bey; auſſerdem ſcheinen mir dieſe Ausdruͤcke etwas dunkel.
b]
Les nations de l’Europe, ſagt er, étant toutes alliées
entre elles, agißent en vertu de l’ intérêt commun,
qui eſt plus ou moins etendu, ſelon la plus ou moins
grande etendue des alliances qu’ elles ont reſpective-
ment entre elles. Princip. du D. de G. L. I. c. I.
Art. I.
§. 5. vergl. §. 23.
c]
Verſchiedene europ. Nazionen haben auch, nicht blos eine
geſelſchaftliche Verbindung unter den Voͤlkern in Europa,
ſondern auch iene algemeine obwohl unerweißliche Voͤlkerge-
ſelſchaft in oͤffentlichen Staatsſchriften anerkant und ſolche
als die Quelle gewiſſer einander ſchuldiger Pflichten ange-
ſehn. Schon Koͤnig Eduard IV. von England ſagt in
einem Schreiben an alle Koͤnige, Fuͤrſten, Herrn und
Richter des Erdbodens vom 14. Maͤrz 1553, das er
denen auf Entdeckungen im weiſſen Meere ausgehenden
engliſchen Kaufleuten mitgab: Da der allerhoͤchſte Gott
unter allen lebenden Creaturen dem Menſchen ein ſehnliches
Verlangen mitgetheilt hat, daß er gern mit andern im
Umgang lebe, auch wechſelsweiſe einer dem andern Gefaͤl-
ligkeiten und Gutthaten zu erzeigen und zu erwiedern ſich
beſtrebe. — Denn Gott des Himmels und der Erden
hat zum algemeinen Beſten der Menſchen geordnet, daß
nicht ein iedes Land eine iedwede Sache hervorbringe, da-
mit iedes Land und iedes Volk eines des andern benoͤthigt
ſey und auf dieſe Weiſe eine algemeine Freundſchaft in der
Welt errichtet werde. In der Wiener Convention vom
28. Auguſt 1736, zwiſchen dem Kaiſer und Frankreich
wegen Lothringen heißt es Art. 7. auch: Les droits qui
dans la ſociété des Nations ſont reconnus et admis
pour des attributs et des appartenances de la qualité
et du rang de Souverain etc.
a]
I. St. Puͤtteri Specimen juris publici et gentium medii
aevi de inſtauratione Imperii Romani ſub Carolo M. et
Ottone M. facta ejusque effectibus. Goetting 1784. 8.
cap. VI.
b]
Duo ſunt, ſagt dem Vorgeben nach, Papſt Gelaſius in
einem Briefe an den Kaiſer Anaſtaſius 494, [oder, wie
erweislicher, Papſt Gregor VII. im Jahr 1080] quibus
principaliter hic mundus regitur: auctoritas ſacra, pon-
tificum et regalis poteſtas. Can. 10. diſt.
96. und Papſt
Inno-
[165]der Nazionen.
Innocenz III. ſchreibt 1198 an den Kaiſer zu Konſtantino-
pel: — Fecit Deus duo magna luminaria in firma-
mento coeli: luminare majus, ut praeeßet diei, et
luminare minus, ut praeeßet nocti. Vtrumque magnum
ſed alterum maius. Ad firmamentum igitur coeli, hoc eſt,
univerſalis eccleſiae, fecit Deus duo magna luminaria,
id eſt, duas inſtituit dignitates, quae ſunt pontificalis
auctoritas et regalis poteſtas. Sed illa, quae praeeſt die-
bus, i. e. ſpiritualibus, major eſt, quae vero carnalibus,
minor: ut quanta eſt inter ſolem et lunam, tanta inter
pontifices et reges differentia cognoſcatur. cap. 6. §. 4.
X. de maioritate et obedientia.
Man vergl. Gerohus de
corrupto eccl. ſtatu ap. Baluz. Miſcel. T. V. p.
65. Das
Gleichnis der Schwerdter braucht Kaiſer Friedrich I. in einem
Briefe an die italiaͤniſchen Biſchoͤfe bey Gelegenheit der,
nach Hadrians IV. Tode, ſpaltigen Papſtwahl 1162, mit
folgenden Worten: Quod Deus in paſſione Chriſti ſilii ſui
duobus gladiis contentus fuit, hoc in romana eccleſia
et in imperio credimus mirabili providentia declaraße,
quum per haec duo rerum capita et principia totus
mundus tam in divinis quam in humanis
ordinetur.
Quumque unus Deus, unus Papa, unus imperator
ſufficiat, et una eccleſia Dei eße debeat etc. Radevi-
cus
lib. II. cap. 56. ap. Murator Script. Ital. T. 6.
p.
833. Man vergl. den Sachſenſpiegel 1. B. 1. Art. nebſt
der Gloſſe.
c]
Rhegino ſagt vom Papſt Nikolaus I. Regibus ac tyran-
nis imperavit eisque ac ſi Dominus orbis terrarum,
authoritate praefuit ad an.
868. Kaiſer Friedrich II.
ließ ſich in ſeinen Streitigkeiten mit dem Papſt, in einem
Schreiben an die teutſchen Reichsſtaͤnde alſo heraus: Pon-
tifices Romanos auctos divitiis et dignitate a ſe atque
ceteris imperatoribus, aemulos eße pertinaciſſimos
omnium regum et principum, neque parem vltro ferre
poße. Manibus pedibusque noctes diesque id eos

L 3conari
[166]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
conari, vt non tam ſe quam ſacro ſancto Romanorum im-
perio, tanquam capite oppreßo, facile ceteris membris
omnibus ſervitutem imponant: affectare eos dominatio-
nem atque divinitatem, nempe vt ab omnibus haud
aliter, imo magis quam Deus timeantur. Aventini
Annal. Boic. L. VII. p.
416. Noch verdient die Schilde-
rung ſelbſt eines Erzbiſchofs von Salzburg, Eberhard,
in einer Rede an die bayerſchen Staͤnde, von den Aus-
ſchweifungen der Paͤpſte bemerkt zu werden: Sub pontifi-
cis maximi titulo, paſtoris pelle, lupum ſaeviſſimum,
niſi caeci ſumus, ſentimus. Romani flamines arma in
omnes habent Chriſtianos, audendo, fallendo et bella
ex bellis ſerendo magni facti, oves trucidant, occi-
dunt, pacem concordiam terris depellunt, inteſtina
bella, domeſticas ſeditiones ab inferis eliciunt in dies
magis atque magis omnium vires debilitant, ut omnium
capitibus inſultent, omnes devorent, univerſos in ſer-
vitutem redigant. —— Ferre parem non poßunt,
non deſiſtent, donec omnia pedibus ſuis conculcave-
rint, atque in templo Dei ſedeant, extollanturque
ſupra omne id, quod colitur: fames opum, ſitis hono-
rum inexplebilis eſt: quo plura avido conceßeris, eo
plura appetit: porige digitum et manum concupiſcet.
Licentia omnes ſumus deteriores. Qui ſervus ſervo-
rum eſt, Dominus Dominorum, perinde ac ſi Deus
foret, eße cupit. Aventin
. Annal. p.
420.
d]
Auguſtinus Triumphus ein Auguſtinermoͤnch im vierzehn-
ten Jahrhundert beweißt, in ſeiner Abhandlung de pote-
ſtate eccleſiaſtica quaeſt. IX.
daß der Papſt den Vorzug
vor den Engeln habe. Nulli angelo, ſagt er, commißa
eſt jurisdictio et cura totius orbis; ſed Papae totius
orbis jurisdictio et cura eſt commißa.
e]
Papſt Hadrian IV. trug kein Bedenken, den teutſchen
Reichsſtaͤnden zu ſchreiben: — Ecce in poteſtate noſtra
eſt, ut demus imperium, cui volumus. Propterea

con-
[167]der Nazionen.
conſtituti a Deo ſuper gentes ac regna, ut deſtruamus
et vellamus et aedificemus et plantemus. Aventin.
Annal. l. 6. c. 5. p. 607. Novum eſt autem,
wendet
ſogar ein Biſchof von Verdun dem Papſt Gregor VII. in
einem Schreiben ein, et omnibus retro ſaeculis inaudi-
tum pontifices regna gentium tam facile velle dividere.
Nomen regum inter ipſa mundi initia repertum, a Deo
poſtea ſtabilitum repentina factione elidere, Chriſtos
domini, quoties libuerit, plebeia ſorte ſicut villicos
mutare, regno patrum ſuorum decedere jußos, niſi
confeſtim adquieverint anathemate damnare. Epiſtola
Theodorici Virdun Epiſc. ad Gregor. VII. apud Mar-
tone T. I. p.
224. Bellarmin endlich Lib. V. de Roma-
no pontif. C. I.
verdamt dieienige Meinung als eine Ketze-
rey, quae negat, Pontificem, ut pontificem et ex jure
divino habere poteſtatem temporalem et principibus
ſecularibus imperare poße eosque regnis et principatu
privare, etiamſi
illo privari alioquin mereantur.
f]
Man findet ſie beim Roußet Suplément au Corps di-
plom. de Dumont T. 2. p.
30. und anderen Orten. Iſt
es gleich noch nicht ganz ausgemacht, daß die ſogenauten
Hildebrandiſchen Dictata auf der geiſtlichen Verſamlung zu
Rom 1076 wuͤrklich feſtgeſetzt worden, ſo hat doch der
paͤpſtliche Hof ſolche in ſeinem Benehmen ſattſam fuͤr guͤl-
tig erkant.
g]
Auf dem lateraniſchen Concilio 1515, ging man ſo weit in
einer Rede an den Papſt Leo X. die Worte Pſalm 72, 11.
auf ihn alſo anzuwenden: Alle Koͤnige auf Erden werden
ihn anbeten und alle Voͤlker ihm dienen, mit dem Zuſatz:
non ignari ſunt homines, omnem tibi uni in coelo et
in terra traditam a Domino poteſtatem, ut non ſpiri-
tualibus tantum viris, ſed terrenis quoque huius ſecu-
li poteſtatibus, in cauſa communis boni, jus dicere
non pertimeſcas.
h]
Quis dubitet, ſagt Gregor VII. ſacerdotes Chriſti regum
et principum omniumque fidelium patres et magiſtros
cenſeri? Nonne miſerabilis inſaniae eße cognoſcitur,
ſi filius patrem, diſcipulus magiſtrum ſibi conetur ſub-
iugare, et iniquis obligationibus illum ſuae poteſtati
ſubjicere, a quo credit non ſolum in terra, ſed etiam
in coelis ſe ligari poße et ſolvi? Can. 9. diſt.
96.
i]
Die Formel, welche Gregor VII. dem Kaiſer Heinrich IV.
deshalb vorſchrieb, und welche, oder eine aͤhnliche, er
und einige ſeiner Nachfolger ablegen muſten, lautete fol-
gendergeſtalt: Ab hac hora et deinceps fidelis ero per
rectam fidem B. Petro apoſtolo ejusque vicario papae
Gregorio — et quodcunque mihi ipſe papa praeceperit
ſub his videlicet verbis: per veram obedientiam fideli-
ter ſicut oportet Chriſtianum, obſervabo. — Et eo
die, quando illum primitus videro, fideliter per manus
meas miles ſancti Petri et illius efficior.
Kaiſer Otto
IV. ſchwor alſo: Tibi etiam Domino meo Innocentio
papae et ſucceßoribus tuis omnem obedientiam et ho-
norificentiam exhibebo, quam devoti et catholici Impe-
ratores conſueverunt ſedi apoſtolico exhibere. Regiſtr.
Innocent. III. Ep.
77.
k]
Die ſchimpfliche Reiſe dieſes Kaiſers nach Rom und ſeine
dortige Aufnahme beim Papſt ſind bekant genug.
l]
Dieſer Kaiſer muſte dem Papſt Hadrian IV. als dieſer
ienen im Lager beſuchte, wiewohl nach einigen Streitigkei-
ten, unter andern auch den Steigbiegel halten, wie Kaiſer
Lothar dem Papſt Innocenz ebenfals gethan haben ſolte.
Die Erzaͤhlung, daß Papſt Alexander III. dem Kaiſer,
als er ſich ihm zu Fuͤſſen geworfen, auf den Kopf getreten
habe, iſt iedoch laͤngſt fuͤr eine Fabel erklaͤrt. Von dem
Steigbiegelhalten findet ſich in dem paͤpſtlichen Ceremo-
nienbuche lib. I. Sect. 2. cap. 3. folgende ſchoͤne Verord-
nung: Cum papa per ſcalam, quam ſuperius diximus,
aſcendit equum, maior princeps, qui praeſens adeſt,

etiamſi
[169]der Nazionen.
etiamſi rex eßet aut imperator, ſtapham equi papalis
tenet, deinde ducit equum per frenum aliquantulum.
Si imperator aut rex ſoli eßent, id eſt, non eßet
alius rex, ſoli equum ducerent cum dextra manu, ſin
vero eßet alius rex, dignior a dextra, alius a ſiniſtra
frenum teneret. —— Si vero pontifex non equo ſed
ſella veheretur, quatuor maiores principes, etiamſi
inter eos imperator aut quivis maximus princeps ades-
ſet, in honorem ſalvatoris Chriſti, ſellam ipſam cum
pontifice humeris ſuis portare aliquantulum debent.
m]
Schon als nach Lothars II. Tode Papſt Hadrian II. ſich
in die Erbfolgsſtreitigkeiten wegen Lothringen miſchte, ant-
wortete ihm Karl der Kahle: omne regnum ſaeculi huius
bellis quaeritur, victoriis propagatur et non apoſtoli-
cis vel Epiſcoporum excommunicationihus obtinetur.

Auch Kaiſer Friedrich I. ſchrieb an Hadrian IV. Qum per
electionem principum a ſolo Deo regnum et imperium
noſtrum ſit, — quicumque nos imperialem coronam
pro beneficio a domino papa ſuscepiße dixerit, divinae
inſtitutioni et doctrinae Petri contrarius eſt et menda-
cii reus erit. Radevic. ap. Murator. T. 6. p.
749. und
Kaiſer Heinrich VII. entgegnete auf das paͤpſtliche Anſin-
nen, das teutſche Reich von ihm zu Lehn zu nehmen:
Novi exempli res eſt, nec uſurpata anteceßorum meo-
rum temporibus principem principum ac orbis terrarum
dominum ſervo ſervorum fidelitatis juramento obſtringi.

Die Streitigkeiten Kaiſer Ludewigs des Baiern mit dem
Papſt Johann XXII. hauptſaͤchlich uͤber die Beſtaͤttigung
der Kaiſerwahl, und die von beiden Theilen, beſonders
auch von Seiten der teutſchen Reichsſtaͤnde, geaͤuſſerten
Geſinnungen ſind ebenfals merkwuͤrdig, aber fuͤr dieſen
Ort zu weitlaͤuftig.
n]
Die Gewonheit der Regenten des roͤmiſch-teutſchen Reichs,
die bis auf Maximilian I. in Uebung blieb, ſich nicht eher,
als nach der roͤmiſchen Kroͤnung: roͤmiſche Kaiſer zu
L 5nen-
[170]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
nennen, war ein Hauptgrund von den Anmaſſungen der
Paͤpſte. Sie ſahen dies als eine Beſtaͤttigung der Kaiſer-
wahl an, und leiteten das Recht daraus her, die erwaͤhl-
ten Kaiſer nach Gefallen anzunehmen oder zu verwerfen.
Hadrian IV. ſagt in einem Schreiben an die teutſchen Erz-
biſchoͤfe ſehr freimuͤthig: Romanum imperium a Graecis
translatum eſt ad Alemannos ut rex Teutonicorum non
ante, quam ab apoſtolico coronaretur, imperator voca-
retur. Ante conſecrationem rex, poſt imperator. Vnde
igitur habet imperium, niſi a nobis?
ex electione
principum ſuorum habet nomen regis, ex conſecra-
tione noſtra habet nomen imperatoris et Auguſti et
Caeſaris. Ergo per nos imperat. etc. Aventin. Annal.
Boic. l. 6. c. 5. p.
609. Dagegen machten endlich Kai-
ſer Ludewig IV. von Baiern und die Staͤnde des Reichs
die bekante Conſtitution von 1338, quod Imperator ex
ſola electione eorum, ad quos pertinet, verus efficitur
Imperator, nec alicujus alterius eget confirmatione ſeu
approbatione, quoniam in terris quoad temporalia non
habet ſuperiorem, ſed eidem gentes ſubſunt et natio-
nes.
Schmauß Corp. I. P. Acad. S. 9.
o]
B. G. Struvii Jurisprud. heroica P. I. c. I. de obſer-
vantia, iudicio et arbitrio inter gentes.
§. 44. u. f.
p]
Aus der großen Menge von Beiſpielen will ich nur einige
wenige beruͤhren. AlphonsI. von Portugal machte,
nachdem er 1139 den koͤniglichen Titel angenommen, ſein
Reich dem paͤpſtlichen Stuhle lehn- und zinsbar, und erhielt
dafuͤr die Beſtaͤttigung der koͤniglichen Wuͤrde. PeterII.
von Arragonien bewilligt dem Papſt Innocenz III. 1204
fuͤr die koͤnigliche Kroͤnung ebenfals Zins. Spanien ſolte
nach der Meinung Papſt Gregor VII. [Lib. I. epiſt. 7.]
zum rechtmaͤßigen Eigenthum des heiligen Petrus gehoͤren.
Papſt Zacharias ſetzte den fraͤnkiſchen Koͤnig Childe-
rich
751 ab, ſchickte ihn in ein Kloſter und erhob an deſ-
ſen Stelle den Pipin auf den Thron; wenigſtens gab er
den
[171]der Nazionen.
den Unternehmungen des letztern durch ſeinen Beifall den
Schein der Gerechtigkeit. Bonifaz VIII. gerieth mit Koͤ-
nig Philip dem Schoͤnen von Frankreich
in heftigen
Streit, wobey erſterer eine Oberherſchaft im Geiſtlichen
und Weltlichen zu behaupten ſuchte. Papa excommuni-
cavit Philippum regem Franciae quod pecuniam extra
regnum ſuum portare non permiſit et Alberti regis
Romanorum electionem admiſit ſubjiciens ſibi regnum
Franciae. Annal. H. Steronis Contin. ad an.
1302.
KarlVIII. von Frankreich zog 1494 nach Italien und
bezeigte dem Papſt durch einen Fußkuß ſeine Obedienz:
Sainct père, ſagt er, je ſuis venu pour faire obedience
et reverence à voſtre ſainctété comme ont accoustumé
de faire mes predeceßeurs Roys de France.
England
muſte dem Papſte ſchon ſeit 725 Zins bezahlen: derſelbe
wurde aber einigemal, beſonders unter Koͤnig Heinrich II.
bey Gelegenheit des ermordeten Erzbiſchofs von Canterbury
Thomas Becket erhoͤht. Dieſes Mordes wegen muſte
Heinrich vor den paͤpſtlichen Geſandten ſchwoͤren: mortem
Thomae martyris glorioſi nec voluntate nec conſcien-
tia ſua perpetratam fuiße nec ſuo artificio perquiſitam.
Sed quoniam malefactores ex verbis, quae rex — pro-
tulerat — occaſionem virum Dei ſumpſerunt perimendi,
rex cum ſumma humilitate abſolutionem poſtulans im-
petravit etc. Matth. Paris. ad an. 1172. p.
88. Ebender-
ſelbe Heinrich II. ſuchte auch zur Eroberung Irlaͤnds Er-
laubnis beim Papſt. Johann ohne Land ward vom
Innocenz III. der ſtreitigen Erzbiſchofswahl von Canterbury
halber in den Bann gethan und ſah ſich genoͤthigt, England
als ein zinsbares Lehn des Papſtes zu erkennen. Von
den Koͤnigen in Daͤnemark verlangten die Paͤpſte Zins,
blos weil ihnen einige Koͤnige etwa freiwillige Opfer ge-
bracht hatten, und Koͤnig ChriſtophI. ward, weil er
den Erzbiſchof von Lunden, Jakob Erlandſon ins Gefaͤng-
nis geſetzt, vom Papſt Alexander III. mit ſamt dem Rei-
che
[172]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
che in den Bann gethan. Dergleichen Beiſpiele lieſſen ſich
auch von andern Reichen mehrere anfuͤhren.
q]
Io. Guil. Iani diß. de dominatu pontificio in reges et
principes poſt reformationem diminuto. Viteb.
1717. 4.
r]
Papſt Klemens VII. Unternehmungen gegen Kaiſer Karl
V. in Neapel brachten ihn um die meiſten Gerechtſame in
Spanien. Ebenderſelbe verlohr durch ſein uͤbereiltes Urteil
gegen Koͤnig Heinrich VIII. von England ſein Anſehn und
ſeine Einkuͤnfte in England. Vbi ſententiam contra ſe
latam cognovit, graviſſimum odium in pontiſicem con-
cipit, et continuo decretum facit, quo ſe per Angliam
eccleſiae caput proximum a Chriſto pronunciat, et pon-
tificatum plane proiicit, et capitis poenam conſtituit,
ſi quis epiſcopo Romano ſupremam poteſtatem adſcri-
bat: tributum etiam annuum Romani pontificis quae-
ſtori dari ſolitum denegat etc. Sleidanus Lib. IX. ad
an.
1534. Koͤnig Heinrich von Navarra und nachher der
Vierte dieſes Namens in Frankreich, ließ, wie Thuanus
erzaͤhlt, 1585 ſeine Appellation gegen die Excommunica-
tionsbulle Papſt Sirtus V. worinn er und der Prinz
Heinrich von Conde fuͤr unfaͤhig zum Thron erklaͤrt wur-
den, in Rom oͤffentlich anſchlagen und nante den Papſt
darin einen Luͤgner, Ketzer und Antichriſt, ſo lange er die
Beſchuldigungen gegen ihn nicht erwieſe. Die Monito-
rien, welche der Papſt Gregor XIV. 1591 wider ihn erge-
hen ließ, wurden in den Parlamentsſitzungen zu Tours und
Chalons fuͤr nulla, ſeditioſa, impietatis et impoſtura-
rum plena
erklaͤrt und zum Feuer durch die Hand des
Scharfrichters verurteilt. Paul V. muſte in den Streitigkei-
ten mit der Republick Venedig zu Anfang des ſiebzehnten
Jahrhunderts ſogar bewilligen, ut — interdictum Papae
Venetiis — coram principe et XXV. primariis ſenatori-
bus, valvis clauſis, voce praeconis revocaretur, etc.
Thuan. lib.
137. Noch weit mehr demuͤthigte Frankreich
den Papſt Alexander VII. wegen der Beleidigungen, welche
der
[173]der Nazionen.
der franzoͤſiſche Geſandte zu Rom, Herzog von Creqvi
1662 erduldet hatte. Der Papſt muſte, nach langem
Weigern, endlich 1664 zur Abbitte durch eine ſolenne
Geſandſchaft, den Kardinal Chigi ſich verſtehn, und in
Rom oͤffentlich eine Piramide aufrichten laſſen, worauf
die Genugthuungsartickel befindlich waren. Zu gleicher
Zeit 1663 gab die Sorbonne ihre Erklaͤrung uͤber die Gewalt
der Paͤpſte dahin: I] Facultatis doctrinam non eße,
quod ſummus Pontifex aliquam in temporalia regis
Chriſtianiſſimi autoritatem habeat. II] Doctrinam facul-
tatis eße, quod rex Chriſtianiſſimus, nullum omnino
agnoſcat, nec habeat, in temporalibus ſuperiorem,
praeter Deum etc.
Dieſe ward zur kuͤnftigen Richtſchnur
allen Kollegien und Kirchſpielen zugefertigt, und durch ein
koͤnigliches Edikt 1682 noch mehr beſtaͤttigt. Noch in die-
ſem Jahrhundert ließ Klemens XI. es ſich einfallen, der
von Friedrich I. angenommenen koͤniglichen Wuͤrde von
Preuſſen zu widerſprechen, weil es ohne ſeine Bewilligung
geſchehen. Er ſandte deshalb Brevia an alle catholiſche
Koͤnige und ermahnte ſie, den neuen Koͤnig dafuͤr nicht
zu erkennen. Aber Erſtere achteten wenig darauf und Letz-
terer gar nicht. Der Kanzler Ludewig zeigte die Unuͤber-
legtheit des paͤpſtlichen Benehmens in einer Schrift: Nae-
niae pontificales etc.
oder teutſch: Paͤpſtlicher Unfug Cle-
mentis XI. ꝛc. Halle 1701. Eben dieſer Papſt wolte ſogar
den Kaiſer Joſeph I. wegen Behauptung deſſen Gerechtſa-
me uͤber Parma und Placenz in den Ban thun; aber die
kaiſerliche Macht bewog ihn bald zum Nachgeben. In
dem Edikt vom 26. Jun. 1708 wider die erſchienenen
paͤpſtlichen Bullen bezeigt der Kaiſer ſeine Verwunder-
ung: Daß die Miniſtri des Roͤmiſchen Hofes ſich ſo weit
vergangen, daß ſie ſich unterſtanden, zum Erſtaunen der
ganzen Welt und algemeinen Aergernis der ſaͤmtlichen
Chriſtenheit, wider die weltlichen Geſchaͤfte die geiſtlichen
Waffen zu gebrauchen, und nachſtehende Schrift in die
Welt
[174]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
Welt ausfliegen zu laſſen: Nullitaͤts-Erklaͤrung ꝛc.
Derowegen heißt es am Schlus, aboliren, caſſiren Wir
zernichten zugleich und erklaͤren fuͤr ungerecht alles dasje-
nige, was in mehrangezogener paͤpſtlichen Schrift —
unſerm und des h. R. Reichs hohen Rechte einigen Nach-
theil bringen moͤchte. Wir gebieten zugleich Allen ꝛc. daß
bey unnachbleiblicher Unſerer und des Reichs Ungnade,
Confiscation aller Guͤter und unfehlbarer Leibesſtrafe, ſie
ſich in keinen Stuͤcken nach demienigen richten ſollen, was
in oftangefuͤhrten Scripto enthalten ꝛc. Fabers Staats-
kanz. T. XIII. S. 548. Eben ſo ſtandhaft haben die euro-
paͤiſchen Regenten bekantlich auch in den neuſten Zeiten
den paͤpſtlichen Anmaßungen vermeintlicher Gerechtſame
ſich widerſetzt.
s]
Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 1. K. §. 12. S. 31.
*]
Ueber die Rechtmaͤßigkeit und Grenzen der paͤpſtlichen
Gewalt in weltlichen Dingen ſind mehrmalen verſchiedene
Schriften gewechſelt worden, von denen ich nur die vor-
zuͤglichſten auszeichnen will.
1] Io. Zanger de excommunicatione maiore qua Pon-
tifices in principes abuſi fuerunt. Viteb.
1607. 4.
2] Guil. Barclaji tract. poſthumus de poteſtate papae
an et quatenus in reges et principes ſaeculares jus
et imperium habeat? Frncf. 1609. Colon.
1610. 8.
3] Rob. Bellarminus de poteſtate Papae in temporalibus
contra Barclajum. Colon.
1610. 8.
4] Ejusd. Libr. V. de Romano pontifice. Colon. 1610. 8.
5] Io. Barclaji Vindiciae pro regibus contra Bellarmi-
num de poteſtate papae in rebus temporalibus.
Paris
1612.
6] Henn. Arniſaeus de poteſtate pontificis temporali in
principes. Frcf.
1612. 1624. 4.
7] Les droits des ſouverains defendus contre les ex-
communications et les intérêts des Papes, par Fr.
Paolo Sarpi, II. Vol. à la Haye 1721. Amſt.
1743. 12.

8]
[175]der Nazionen.
8] Io. Fr. de Beulwitz comment. de excommunica-
tionis in Electorem S. R. I. eccleſiaſticum a Pontif.
Rom. decretae effectibus civilibus. Halae
1743. 4.
In neuern Zeiten hat das beruͤhmte Werk: Iuſtini Febro-
nii
de ſtatu eccleſiae et legitima poteſtate Romani
Pontificis etc.
viel Aufſehn und Streitigkeiten erregt,
hauptſaͤchlich aber in Ruͤckſicht der geiſtlichen Gewalt.
Die verſchiedenen Ausgaben, Ueberſetzungen ꝛc. findet
man in A. Fr. Schott Suppl. Bibl. Jurid. Lipp. p. 385.
a]
Martial giebt Rom den Beinamen: terrarum Dea gen-
tiumque
und Petronius bedient ſich folgender Ausdruͤcke:
orbem iam totum victor Romanus habebat, qua mare,
qua terrae, qua ſidus currit utrumque.
b]
Antonin der Fromme ſagt l. 9. π. ad leg. Rhod. de
iactu
von ſich: Ego quidem mundi dominus. Man
hat Muͤnzen vom Kaiſer Julian, worauf er ſtehend eine
Weltkugel in der rechten Hand haͤlt, mit der Aufſchrift:
Rector orbis.Juſtinian ſchreibt l. un. C. de Iuſtin.
Cod. fac. — felix Romanorum genus omnibus ante-
poni nationibus omnibusque gentibus dominari;
und
wird von Biſchoͤfen totius orbis poſt Deum dominus
genant.
c]
Quirin Cubach in diß. an imperator Romanus recte
dicatur dominus totius mundi? in Arumaei diſc. de
jure publ. Vol. 4. diſc. 22. p.
94. ſcheint mir hieruͤber am
richtigſten zu urteilen, wenn er ſagt: dici imperatorem
dominum mundi, non quod ſit, vel umquam fuerit
totius mundi dominus; ſed quod vel eius potiſſimam
partem habuerit, vel toti mundo timorem ſuam ob po-
tentiam invictam incuſserit.
d]
Wippo de vita Conradi Salici nent ſchon den Kaiſer
Heinrich III. in der Zuſchrift: huius orbis dominum do-
minantium;
beim Piſtorius in ſcript Rer Germ. Kon-
rad III. und die nachherigen Kaiſer wurden gewoͤnlich nur
urbis et orbis domini genant.
e]
Pfalzgraf Ludewig uͤberreichte dem Grafen Wilhelm von
Holland bey der Kroͤnung zum roͤmiſchen Koͤnig den Reichs-
M 2apfel
[180]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
apfel mit den Worien: Accipe globum ſphaericum, ut
omnes terrae nationes Romano imperio ſubjicias.
Mo-
ſers
teut. Staatsrecht 3. Th. S. 76.
f]
Et forte, ſagt Bartolus ad l. 24. π. de captiv. et poſt-
lim. rev., ſi quis diceret imperatorem non eße domi-
num et monarcham totius orbis, eßet haereticus, quia
diceret contra determinationem eccleſiae.
g]
Kaiſer Heinrich III. ſahe dies gar wohl ein, und gab es
denen zu Florenz 1055 verſamleten Kirchenvaͤtern deutlich
zu verſtehen, indem er ſie alſo anredete: Omnem orbem,
quam late imperium Chriſtianorum patet, reſpicite,
cuius incolumitas ſtare non poteſt, niſi ſit unus, cuius
auctoritatem cuncti reſpiciant, cuius imperio devincti
ſint, obtemperent voluntati. Reſpicite ſacroſanctam
pontificum maieſtatem, quorum fluxa auctoritas eſt,
niſi imperatorum armis et potentia muniatur.
Moſers
Staatsrecht 3. Th. S. 27.
h]
Die Kaiſer begnuͤgten ſich auch damit um ſo mehr, und
uͤbernahmen den angetragenen Schutz um deſto williger,
da ſie den Paͤpſten die kaiſerliche Wuͤrde gewiſſermaaſſen
verdankten. Kaiſer Ludewig laͤßt ſich in einem Schrei-
ben an den griechiſchen Kaiſer Baſilius 871 daruͤber alſo
heraus: Mirari ſe dilecta fraternitas tua ſignificat, quod
non Francorum ſed Romanorum imperator appellemur;
ſed ſcire te convenit, quia, niſi Romanorum impera-
tor eßemus, utique nec Francorum. A Romanis
enim hoc nomen et dignitatem aßumſimus
, apud quos
profecto primo tantae culmen ſublimitatis et appella-
tionis effulſit, quorumque gentem et urbem divinitus
gubernandam et matrem omnium eccleſiarum Dei de-
fendendam atque ſublimandam ſuscepimus, ex qua et
regnandi prius et poſtmodum imperandi auctoritatem
proſapiae noſtrae ſeminarium ſumſit. Baronius tom. 10.
ad an.
871. §. 67.
i]
Ein ſehr richtiges Urteil findet ſich hieruͤber in einem Gut-
achten, welches uͤber die kaiſerliche Advocatie bey Gele-
genheit der Bulle: Vnigenitus 1722. abgefaßt worden in
Lunigii Script. ſelect. illuſtr. p.
117. “Nachdemmalen
auch die Roͤmiſch-Catholiſche Religion, heißt es daſelbſt,
welche zu Zeiten Caroli M. ſich faſt innerhalb der Grenzen
der fraͤnkiſchen Monarchie endigte, ſich auſſerhalb dieſes
Reichs ausbreitete, und die Paͤpſte, durch welche dieſe
Religion eben fortgepflanzt wurde, ihr Anſehen und geiſt-
liche Oberherſchaft auch in andere Reiche erſtreckten, iſt
die kaiſerliche Auctoritaͤt immer mit nebenher gewandert,
und eo ipſo in andere Reiche introducirt worden, maſſen
den Kaiſern, als Schutzherrn, Voͤigten und Patriciis
allerdings Sorge zu tragen oblag, daß die roͤmiſche Kirche
nicht nur innerhalb des Kaiſerthums, in Ruhe verbleibe,
ſondern auch in auswaͤrtigen Landen, oder durch auswaͤr-
tige Streitigkeiten keinen Schaden leide. Wie dann auch
die Paͤpſte die Kaiſer gar fleiſſig um Beiſtand und Vermit-
telung angeſprochen und ihnen ihr kaiſerlich Amt der Ober-
Voigtey oder advocatiae eccleſiae Romanae vorzuhalten
gewuſt, wenn ihr Anſehen in den auswaͤrtigen Reichen zu
Grunde gehen und allerhand Mishelligkeit unter den Kir-
chen entſtehen wollen.
k]
Vom Kaiſer Ludewig dem Baier erzaͤhlt man gleichwohl,
daß er, nach dem Beiſpiel der Paͤpſte, vom Koͤnige Edu-
ard III. in England, bey ihrer Zuſammenkunft zu Koͤln
1338, verlangt habe, er ſolle ihm die Fuͤſſe kuͤſſen; wel-
cher ſich aber hauptſaͤchlich damit entſchuldigt, daß er ein
geſalbtes Haupt ſey, und ſich nicht wie ein anderer unge-
ſalbter Koͤnig erniedrigen koͤnte.
l]
Otto Morena apud Murator. T. IV. p. 1018. erzaͤhlt dieſe
Geſchichte alſo: Quum dominus imperator ſemel equita-
ret, ſuper quodam ſuo palafreno in medio DD. Bulgari
et Martini, exquiſivit ab eis: vtrum de jure eßet do-
minus mundi
? et dictus dominus Bulgarus reſpondit,

M 3quod
[182]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
quod non erat dominus, quantum ad proprietatem;
dominus vero Martinus dixit, quod erat dominus, et
tunc imperator, quum deſcendiſset de palafreno, ſuper
quo ſedebat, fecit eum praeſentari dicto Martino;
Bulgarus autem hoc audiens dixit haec elegantia ver-
ba: Amiſi equum, quia dixi aequum, quod non fuit
aequum.
m]
Pütter de inſtauratione Imperii Romani etc. c. XI.
§. 115. 116. p.
192.
n]
Grotius in J. B. et P. l. II. c. 15. §. 12. ſagt: foedus
iam olim initum eſt,
[naͤmlich von den chriſtlichen Voͤl-
kern und Regenten:] et princeps eius creatus conſenſu
communi Romanorum imperator.
o]
Unter andern ſchreibt auch Konrad III. ſelbſt an den
griechiſchen Kaiſer Johann: Francia et Hiſpania, Anglia,
Dania caeteraque regna imperio noſtro adiacentia quo-
tidiana legatione ſua cum debita reverentia et obſequio
nos frequentant, ad ea, quae imperii noſtri mandata
ſunt, ſe promtas eße tam obſidibus quam ſacramentis
adfirmantes. Otto Freiſing de Frid. I. lib. I. cap. 23.
in Murator. T. 6. p.
657. Koͤnig Heinrich II. in Eng-
land ſagt in einem Briefe an Kaiſer Friedrich I.: Regnum
noſtrum — veſtrae committimus poteſtati.
Koͤnig
Richard von England, der als ein Gefangener vom Herzog
Leopold zu Oeſterreich dem Kaiſer Heinrich VI. uͤberliefert
ward, uͤbergab ſein Reich dem Kaiſer, ſicut univerſorum
domino.
Papſt Bonifaz VIII. nent in einem Schreiben
an Koͤnig Philip in Frankreich den Kaiſer monarcham
omnium regum et principum terrenorum
und ſetzt hinzu:
nec inſurgat hic ſuperbia gallicana, quae dicit, quod
non recognoſcat ſuperiorem. Mentiuntur, quia de ju-
re ſunt et eße debent ſub rege Romanorum.
Alphons
Koͤnig von Neapel und Arragonien antwortete, als man
ihn erinnerte, dem Kaiſer nicht zu viel Achtung zu bezei-
gen: Nos reges omnes debemus reverentiam im era-
tori
[183]der Nazionen.
tori tanquam ſummo regi. Ille eſt caput et dux regum.
Man ſehe Pütter am ang. O. cap. XI. §. 119. p. 197.
vergl. Fürſtenerius de ſuprem. c. XXXII.
p]
Pütter am ang. O. §. 114. p. 190. Sogar die Kurfuͤr-
ſten werden in der goldenen Bulle cap. 12. §. 1. ermahnt,
ſich fleiſſig zu verſamlen, ad tractandum de imperii orbis-
que ſalute.
q]
So ward z. B. der vorgenante Koͤnig Richard von Eng-
land vor denen zu Hagenau verſamleten Reichsſtaͤnden,
verſchiedener Puncte wegen foͤrmlich angeklagt. Pütter
p.
198. Koͤnig Eduard verklagte den Koͤnig Philip von
Frankreich 1438 beim Kaiſer Ludewig dem Baier. Ludo-
vico pro tribunali ſedenti,
heißt es beim Continuator
Martini Poloni ap. Eccard in Corp. hiſt. Med. aev., prae-
ſentibus quaſi omnibus principibus Alamanniae quam
eccleſiaſticis tam etiam ſecularibus, coram eis propo-
ſuit, quod Philippus rex Franciae contra Deum et
juſtitiam in ſui praejudicium non ſolum Normandiae et
Aquitaniae ducatum, — ſed etiam coronam regni
Franciae — retineret, propter quod ab ipſo Ludovico,
quem judicem et juſtitiae defenſorem interpellabat,
de praedictis ſibi juſtitiam fieri poſtulabat, — igitur
a principibus communi omnium ſententia eidem regi
adclamabatur juſtitia et patrum hereditas adjudicaba-
tur. Pütter p.
201.
r]
Puͤtter am mehrangefuͤhrten Orte S. 202. fuͤhrt einen
merkwuͤrdigen Fall davon an, wo Kaiſer Maximilian I.
auf Anſuchen Koͤnigs Johann von Daͤnemark, die Reichs-
acht wider einige Schwediſche Staͤnde und Unterthanen
am 2. October 1506 erkant hat.
s]
Kaiſer Sigismunds Grafen-Diplom fuͤr Kaſpar Schlick
vom Jahr 1437 erlaͤutert die ehemaligen Grundſaͤtze hier-
uͤber gar ſchoͤn. Als der almaͤchtige Gott, heißt es dar-
inn, Schoͤpfer Himmels und der Erde, durch ſeine unaus-
ſprechliche Weisheit — das oberſte Firmament, den Lauf
M 4der
[184]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
der Planeten — geſchicket, und ieglichem ſeine Handlung
und Amt zugeeignet hat; doch, — daß alle Klarheit,
die ſie haben, von einem Urſprunge kommen, d. i. von
der Sonne, die ihrer ieglichem ſein Licht reichet und doch
an ihrem Glanze und Scheine keine Minderung empfin-
det; Alſo zum Ebenbilde und Gleichnis hat auch ſeine
goͤttliche Vorſehung auf Erden eine oberſte Gewalt allein
geordnet, d. i. die kaͤiſerliche Maieſtaͤt, die unter
allen Gewalten der Welt die Hoͤhe behaͤlt, und
allen anderen Geſetze, Wuͤrdigkeit und Ehren hand-
langet; alſo, daß von dem Throne Kaiſerlicher Maieſtaͤt
aller Adel koͤmt und Urſprung nimt, gleich von der Sonnt
der Glanz. Und iſt auch kein Adel noch Wuͤrde zu rech-
nen, er ſey von Koͤnigen, Fuͤrſten, Herren oder anderen,
der ſeinen Anfang anders habe, denn von dem heiligen
Roͤmiſchen Reiche, als von einem Grunde alles Adels.
Kulpis Script. Rer. Germ. p. 85.
t]
Die Propoſition, welche er 1521 auf dem Reichstage zu
Worms that, lautet unter andern alſo: “Das haylich
Raich, das das wurdgiſte in der ganzen Welt, Gott ſelbs
gewurdiget, geeret vnnd hinder Ime gelaſſen, das etwann
gar nah die gan̄z Wellt vnnder ſich gebracht vnnd regiert
hat; — dergleichen Monarchia, Kayſerthumb und Koͤn̄ig-
reich aff Erdtrich nit geweſen; aber mit der Zeit allſo in
Abfall gekommen, daß es ſeinen Schein und die groſſe
Macht verlaſſen ꝛc. — mit Gottes Hillfe — gar oder zum
tayl wieder zu bringen in ſein Glori, Ere und Wurde zu
erſetzen, das nit allein Irer Mayeſtat, als in der Weltlichait
ainem Hawbte der Chriſtenheit, chriſtlicher Kirchen Advoca-
ten, Schutzer und Schirm̄er paͤpſtlicher Heyligkeit und der
ganzen Kirchen und Geiſtlichkait — beſonder tetwſcher Na-
tion — auch gemeinem Nutz — wol dienſtlich ſein mag ꝛc.
— ſo nuer die Stende des Reychs vnns trewlich helffen und
beyſten̄dig ſein wollen — damit vnnſere Hohait, Obrigkait
Reputation vnnd Autoritet nit allein bey Inen, beſon̄der
bey
[185]der Nazionen.
bey frembden Nation alſo bedacht werden ꝛc. Olenſchlager
Erlaͤut. der gold. Bulle. Urkundenbuch S. 15. In dem
zwiſchen Kaiſer Karl V. als Koͤnig von Spanien und der
Kron Frankreich 1526 zu Madrit geſchloſſenem Frieden
wird iedoch Art. 26. noch feſtgeſetzt daß der Kaiſer und
Koͤnig von Frankreich den Papſt erſuchen ſollen, daß er
an alle Koͤnige und Fuͤrſten der Chriſtenheit eine algemeine
Kreutzfahrt gegen den Tuͤrken zu Waſſer und zu Land ver-
kuͤndige, welcher der Kaiſer als Haupt der weltlichen
Fuͤrſten der Chriſtenheit, dem vornemlich die Be-
ſchuͤtzung derſelben zuſtehet — perſoͤnlich beiwohnen
oder einen Generalkapitaͤn hiezu beſtellen wird
.
u]
So heißt es z. B. in einem Patent Kaiſer Karls VI. vom
28. Jun. 1716 in Betref des Marquis de Langallerie:
Nachdem uns — von des Marquis de Langallerie Vor-
haben umſtaͤndliche Nachricht zugekommen, daß er ſich in
Gott- und Ehrvergeſſene Anſchlaͤge gegen die werthe Chri-
ſtenheit vertiefe und zu deren Ausfuͤhrung mit dem Erbfeinde
des chriſtlichen Glaubens und Namens gewiſſe Buͤndnis er-
richtet, wir als Haupt der Chriſtenheit aus unſerer der-
ſelben ſchuldigen vaͤterlichen Vorſorge und Beſchuͤtzung ‒ die
Kaiſerliche Verordnung ergehen laſſen ꝛc. Fabers Staats-
kanzl. T. XXVII. p. 815. Noch ietzt ſchwoͤren zwar die
Kurfuͤrſten, vermoͤge der goldenen Bulle, vor der Wahl
eines roͤmiſchen Koͤnigs: Daß ſie ein weltliches Haupt
dem chriſtlichen Volke
, d. i. einen roͤmiſchen Koͤnig in
kuͤnftigen Kaiſer zu erheben waͤhlen wollen; allein die Kai-
ſer ſelbſt maſſen ſich aus dieſer von ienen Zeiten uͤbriggeblie-
benen Formel keine weitere Rechte deshalb an, und die
uͤbrigen chriſtlichen Nazionen haben nicht Urſach Notitz da-
von zu nehmen. In dem vorangefuͤhrten Gutachten beim
Luͤnig p. 120. werden dem Kaiſer, vermoͤge ſeiner Advo-
catiae in eccleſiam Romanam,
auch noch heutzutage gewiſ-
ſe Gerechtſame in andern Staaten zugeſchrieben. “Obwohl
verſchiedene Reiche und Lande, heißt es, von dem roͤmi-
M 5ſchen
[186]Von den geſelſchaftlichen Verbindungen
ſchen Reiche, nachdem daſſelbige an die Teutſchen gelangt,
wieder abgeriſſen worden, und in die Souverainetaͤt getre-
ten; ſo haben doch die roͤmiſchen Paͤpſte in ſelbigen ihre
geiſtliche Oberherſchaft vor wie nach behalten, welche zu
handhaben, und vertheitigen zu helfen der Kaiſer in
Kraft ſeiner
Advocatias in eccleſiam Romanamſchul-
dig und befugt iſt,
daß daher die Wirkung dieſer kaiſer-
lichen Obervoigtey, ſich in alle dieienige Lande erſtrecket,
welche des roͤmiſchen Stuhls geiſtliche Oberherſchaft erken-
nen, ob ſie gleich ſonſten in temporalibus mit dem Teut-
ſchen Kaiſer nichts zu thun haben. Da es aber dermalen
mit der paͤpſtlichen Oberherſchaft ſehr mislich ausſieht,
ſo ſtehen auch dieſe kaiſerlichen Gerechtſame auf ſehr ſeichten
Gruͤnden. Ueberhaupt iſt, wie der Herr geheime Juſtitz-
rath Puͤtter [am ang. O. c. VII. §. 59. p. 95. erinnert,
der beſondere Schutz des katholiſchen Reichstheils in
Teutſchland nicht mit der Advokatie der roͤmiſchen Kirche
und der ganzen Chriſtenheit zu vermiſchen. Man vergl.
auch D. C. G. Bieners obenangefuͤhrte Abhandlung von
der kaiſerlichen Advocatie ꝛc.
*]
Die vorzuͤglichſten Schriften uͤber dieſe Materie ſind:
1] Henr. Cocceji diſs. de dominio ſeu imperio orbis ad
leg.
9. π. de lege Rhodia. Francof. 1711. 4.
2] Jo. Schuback von dem Anſehn des Kaiſers bey auswaͤr-
tigen Reichen in mittlern Zeiten; in den Hannoͤver. gel.
Anz. v. 1750. S. 105-107. und in A. F. Schotts iuriſt.
Wochenblatte I. Jahrg. S. 817-824.
3] Io. Steph. Pütteri Specimen Jur. Publ. et Gentium
Medii aevi de inſtauratione Imperii Romani ſub Carolo
M. et Ottone M. facta ejusq. effectibus Goetting.
1784.
8. beſonders cap. XI. Aus dieſer fuͤrtreflichen Abhandlung
habe ich dieſen §. groͤſtentheils nur ausgezogen.
**]
Einigen Leſern werden die in den vorhergehenden beiden
§. §. befindlichen Allegaten und Ausſchweifungen in die mit-
lere Geſchichte vielleicht nicht unangenehm ſeyn. Dieienigen
aber
[187]der Nazionen.
aber welchen ſie zu weitlaͤuftig duͤnken moͤchten, wollen
mich durch die Abſicht fuͤr entſchuldigt halten, daß ich einen
algemeinen Abris des Zuſtandes der europaͤiſchen Nazionen
im mitlern Zeitalter in Ruͤckſicht der voͤlkerrechtlichen
Grundſaͤtze, zu geben wuͤnſchte, woraus ſich die einzelnen
Materien in der Folge deſto leichter beurteilen lieſſen.
a]
Schmauß Einleitung zur Staatswiſſenſchaft oder Erlaͤu-
terung ſeines Corp. J. G. 1. Th. S. 53, u. f.
Mably principes de negociat. p. 51. ed. 1773.
*]
Hierher gehoͤrige beſondere Schriften ſind vorzuͤglich:
Idea pacis generalis inter orbis chriſtiani principes.
Antw. 1644. 8.

Pro-
[195]der Nazionen.
Projét de traité pour rendre la paix perpetuelle entre
les ſouverains Chretiens, pour maintenir toujours
le commerce entre les nations et pour affermir beau-
coup d’ avantage les maiſons ſouveraines ſur le thro-
ne; propoſés autrefois par Henri le Grand, Roi de
France, agréé par la Reine Eliſabeth, par Jacques I.
ſon ſucceßeur Roi d’ Angleterre et par la plûpart
des autres Potentats d’ Europe etc. nov. 1747 8.
Abrégé du projet de paix perpetuelle par Saint-Pierre.
à Roterd.
1729. 8.
Die algemeine chriſtliche Republick in Europa nach den
Entwuͤrfen Heinrichs IV. Koͤnigs in Frankreich, des
Abts von St. Pierre und anderer vorgeſtelt, nebſt eini-
gen Betrachtungen uͤber dieſe Staatsverfaſſung. Goͤt-
ting, 1752. 8.
Extrait du projet de paix perpetuelle de Mr. l’ Abbé
St. Pierre par M. J. J. Roußeau. Amſt.
1761. 8.
Der ewige und algemeine Friede in dem chriſtlichen Euro-
pa nach dem Entwurf Heinrich IV. von St. Pierre,
Goͤtting. 1763. 8.
Neues Staatsgebaͤude, in drey Buͤchern von L***, Leip-
zig, 1767. gr4.
a]
Beitraͤge zum teutſchen Staats- und Fuͤrſtenrecht 1. Th.
n. II. von der Regierungsform des teutſchen Reichs.
b]
Man ſehe die Abhandlung: Von beſondern Beſtimmun-
gen der Landeshoheit aus der gemeinſamen Verbindung,
worinn alle Reichsſtaͤnde mit einander ſtehen. Ebendaſelbſt
n. XVII.
*]
Puffendorf J. N. L. VIII. c. 4. §. 15. u. f. Wolf J. G.
c. II.
§. 237. u. f. Vattel L. II. c. 3. Schrodt P. I.
c. II.
§. 3. u. f.
*]
Ickſtadt L. II. c. VI. §. 10. u. f.
*]
Man hat eine Menge Schriftſteller, die theils vom Ran-
ge der Voͤlker uͤberhaupt, theils in Ruͤckſicht einzelner
Staaten gehandelt haben. Agaſtino Paradiſi in ſeinem
Atteneo dell’ uomo nobile. Venet. 1731. fol. deſſen
ganzer fuͤnfter Theil von dieſer Materie handelt, fuͤhrt
deren bey 1600 an. Die vorzuͤglichſten von der erſten
Gattung ſind:
1] Iac. Andr. Cruſii tractatus politico-juridico-hiſto-
ricus de praeeminentia, ſeſſione, praecedentia et
univerſo jure proedrias magnatum in Europa etc.
quatuor libris abſolutus. Bremae
1665. 4.
2] Balth. Sigism. von Stoſch von dem Praͤcedenz- oder
Vorderrecht aller Potentaten und Republiquen in Euro-
pa; Breslau 1677. 8.
3] Zach. Zwanzig Theatrum praecedentiae, oder eines
Theils illuſtrer Rangſtreit, andern Theils illuſtre Rang-
ordnung; wie naͤmlich die conſiderablen Potenzen und
Grandes in der Welt, nach Qualitaͤt ihres Standes,
Stammes, Dignitaͤt und Characters ſammt und ſonders
in der Praͤcedenz, in dem Range und Tractamente
ſtreitig ſeynd und competiren. Frankf. 1709 fol. Vor
der erſten Ausgabe, die 1706 erſchien, nante der Ver-
faſſer ſich: Ehrenhart Zweyburg.
4] Gottfr. Stievens europaͤiſches Hofceremoniel, in
welchem Nachricht gegeben wird, was es fuͤr eine
Beſchaffenheit habe mit der Praerogativa und dem aus
ſelbiger flieſſenden Ceremoniel etc. Leipz. 1715. 1723.
8. Das erſte Buch giebt im Auszuge ziemlich volſtaͤn-
dige Nachricht von dem Range der europaͤiſchen Staaten.

5]
[201]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
5] Memoires ſur le rang et la préſéance entre les ſou-
verains de l’Europe et entre leurs Miniſtres repre-
ſentans ſuivant leurs differens caractères. Par Mr.
Roußet pour ſervir de ſupplement à l’ Ambaßadeur
et ſes fonctions de Mr. de Wicquefort. à Amſterd.

1746. 4. Sind eigentlich blos eine Ueberſetzung der
vornehmſten Kapitel des Zwanzig, aber in einer etwas
geaͤnderten Ordnung. Selten ſind einige Zuſaͤtze von
dem, was ſeit 1709 vorgefallen, hinzugekommen.
a]
L’ordre et le rang, heißt es beim Rouſset [memoires
ſur le rang Introd.] ſont fondés ſur les loix mêmes de
la nature. Sine ordine omnia confunduntur dit un
grand Pape. — Enfin on peut dire, que toute la ſo-
ciété ne ſubſiſte que par l’ ordre et la diſtinction des
rangs, ſans quoi elle retomberoit bientot dans un
affreux chaos. Si cet ordre eſt neceſsaire dans la
ſociété en général, il ne l’eſt pas moins entre les dif-
ferentes ſociétés particulières et dans chacune de ſes
ſocietés qui forment ce qu’on appelle des empirs ſous
differens noms; enſorte que par une ſuite neceſsaire il
doit y avoir d’abord un certain ordre des rangs entre
les chefs de ces ſociétés particulières, ſans lequel ils
ne pourroient communiquer enſemble ſ’ils preten-
doient tous avoir le premier rang. Ainſi perſonne ne
nie la neceſſité de la diſtinction des rangs. Tous les
ſouverains reconnoiſsent la neceſſité de cet ordre eux
mêmes, l’établiſsent parmi leurs ſujets, mais ils ne
reconnoiſsent plus de même des qu’on parle de l’établir
entr’ eux.
Auch Real [Science du Gouvernem. T. V.
c. 4. Sect. 3. p.
963. der teutſchen Ueberſetzung, die ich
blos zu benutzen Gelegenheit gehabt] ſagt, es ſey nichts
vernuͤnftiger, als der [aͤuſſerliche] Unterſchied unter den
Sou-
[203]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
Souverainen, weil es Gelegenheiten gebe, bey welchen
einer von beiden nothwendig dem andern nachgehen muͤſſe.
So nothwendig aber eine gewiſſe Ordnung dabey iſt, ſo
natuͤrlich ſcheint es mir doch auch, daß unter Gleichen
nicht einer oder mehrere den Vorrang, als ein Recht auf
immer verlangen koͤnnen, ſondern daß im Vorgehn, Sitzen
ꝛc. entweder gewechſelt, oder ein ſolches Auskunftsmittel
getroffen werde, wodurch aller Vorrang wegfaͤlt, z. B.
das Sitzen an einer runden Tafel, Einnehmen der Plaͤtze
nach Ordnung der Ankunft ꝛc.
b]
Mehrere Voͤlkerrechtslehrer haben dieſe Zufaͤlligkeiten als
hinlaͤngliche Gruͤnde des Vorranges vertheidigt. Ickſtadt
z. B. ſagt: [L. II. c. I. §. 22. Schol.] Neque aliunde
quam ex diverſis gentium qualitatibus et adfectionibus
extrinſecus advenientibus, abſtrabendo a pactis uſuque
recepto, de praecedentia inter gentes populosque libe-
ros rectum formari poſse judicium infra monſtrabimus.

Man vergl. L. II. c. 6. §. 15. Real am ang. O. meint:
Der weite Umfang der Staaten, welche den Kaiſern und
Koͤnigen gehorchen, die Anzahl ihrer Unterthanen, ihre
Reichthuͤmer, ihre Truppen, der Glanz ihres Hofes, das
Alterthum ihres Koͤnigreichs, der alte Urſprung ihres regie-
renden Hauſes, alles dieſes giebt ihnen in der Welt einen
merklichen Vorrang.
c]
Wicquefort Ambaſsadeur L. I. c. 24. 25.
a]
Naturalis ordo inter ſocios hic eſt, ſagt Grotius L. II.
c. V. §. 21. prout quisque in ſocietatem venit. Sic
inter fratres is ſervatur ordo, ut qui primus natus eſt,
reliquos praecedat atque ita deinceps, reiectis aliis omni-
bus qualitatibus,
und bezieht ſich zum Beweis auf den
Ausſpruch der Kaiſer Theodos und Valentinian l. I. C. de
conſul. quis enim in uno eodemque genere dignitatis
prior eße debuerat niſi qui prior meruit dignitatem?

Man vergl. Roußet Memoires etc. c. VI. p. 58. Vat-
tel
L. II. c. 3. §. 37. Real T. V. c. 4. Sect.
3.
b]
Moſers Beitraͤge zum europ. Voͤlkerrecht in Friedensz.
1. Th. S. 45.
**]
Cruſius l. c. cap. VI. §. 37. p. 61. Stoſch S. 867.
Stiev S. 10-37. geht die vornehmſten Reiche durch und
zeigt ihren wahrſcheinlichen Urſprung.
*]
Stoſch S. 858.
a]
Grotius ſcheint dieſen Grund zu billigen, indem er, nach
der obigen Vergleichung der Nazionen mit aͤltern und iuͤn-
gern Bruͤdern hinzufuͤgt: atque hic mos antiquitus in
Chriſtianorum quoque regum ac populorum ſocietate
obtinuit, ut qui primi Chriſtianismum profeſſi ſunt in
conciliis ad rem chriſtianam pertinentibus praecedant
caeteros.
*]
Cruſius c. VI. §. 44. p. 63. Stiev, S. 37-56.
a]
L. II. c. VI. §. 13.
b]
L. II. c. 3. §. 37.
c]
Tom. V. c. 4. Sect. 3.
d]
Au commancement, wird beim Rouſſet am ang. Orte
hiervon ſehr richtig geurteilt, lorsqu’ on établit dans le
monde, en partie par une force ſuperieure, en partie
par un conſentement libre et unanime, premierement
les familles, et avec le tems les ſociétés, les republi-
ques, les royaumes et d’ autres états, on ne regla pas
la préſéance et le rang ſuivant l’ ancienneté de ces états
reſpectifs en ſuivant l’ ancienneté et les merites du priu-
ce regnant et de ſa famille, mais ſuivant la puißance
et les forces dont un chacun jouißoit, et celui qui
étoit ſuperieur en force à un autre prit ſans ſcru-
pule le pas devant lui. Introd.
*]
Cruſius, VI. §. 47. p. 64. Stiev, S. 65-69.
a]
Ickſtadt, L. II. c. 6. §. 14.
b]
In Anſehung des teutſchen Reichs, welches ohne ſeinem
Oberhaupt, dem Kaiſer, eine Art von Republick vorſtelt,
iſt kein beſtimtes Herkommen vorhanden. Man hat es
den Monarchien zuweilen nach, doch aber oͤfter vorgeſetzt.
S. Moſers auswaͤrtiges Staatsr. 2. B. 2. K. §. 8. 9.
S. 50. und 51. desgleichen Verſuch des europ. Voͤlkerr.
S. 50.
c]
L. II. c. 3. §. 38.
d]
Grotius, L. II. c. 9. §. 8. n. 3.
e]
Vattel, am ang. O. §. 39.
f]
Ickſtadt, L. II. c. 6. §. 14. coroll. Doch nimt er den
Fall aus, wenn die Macht fuͤr den Vorrang der Repu-
blick entſcheidet. Man ſieht hieraus, wie dieſe zufaͤlligen
Eigenſchaften oͤfters einander entgegen laufen.
g]
Real, T. V. c. 4. Sect. 13. S. 966. ſagt: Je weniger
Große ſich in einem Staate finden, deſto maͤchtiger iſt der
Fuͤrſt; und wenn alle dieienigen, welche, wie man in
Teutſchland redet, die Landeshoheit haben, wuͤrkliche
Souverainen waͤren, ſo muͤſte man eben daraus nothwen-
dig ſchlieſſen, daß der Kaiſer der geringſte unter allen
Koͤnigen waͤre.
*]
Stoſch, S. 865. 866. Stiev, S. 70. 71.
a]
Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 2. K. §. 3. S. 38.
b]
Real, V, 4, 3. haͤltjes zwar fuͤr billig, daß ein aͤlterer
Staat, oder Fuͤrſt, welcher niemals mit einem großen Titel
geziert geweſen, einem ſolchen den Rang nicht ſtreitig mache,
welcher zwar neuer iſt, der aber durch die Bewilligung
der Menſchen zu einer groͤſſern Wuͤrde, welche eine Macht
von einem weiten Umfange zum Grunde ſetzt, erhoben
worden iſt. Er ſetzt daher die Regel feſt, daß ein Staat
von geringerer Wuͤrde dem hoͤhern nachgehn muͤſſe. Doch
widerſpricht er ſich ſelbſt, wenn er weiter unten bey Unter-
ſuchung des kaiſerlichen Vorranges glaubt, daß die Urſa-
chen davon keinen Grund haͤtten. Der Kaiſertitel, ſagt er,
kan es nicht ſeyn, denn was hat dieſer Titel Hoͤheres in
ſich, als der Titel Koͤnig?
c]
Dieſen Grundſatz nahm nicht nur Kaiſer Karl V. in ſeiner
Erklaͤrung vom 5. Sept. 1519 zu Barcellona [Ceremoniel
diplomatique T. l. p.
580.] an, als er ſeinen Vorzug vor
ſeiner Mutter feſtſetzte, ſondern auch im Belgrader Frie-
den 1739. Art. 21. legten der roͤmiſche und tuͤrkiſche Kaiſer
dieſem Titel gewiſſe Vorrechte bey. Aber einige Schrift-
ſteller wollen den Vorzug des Kaiſertitels ſelbſt aus der hei-
ligen Schrift entkraͤften und ihm eher den koͤniglichen vor-
ziehn, weil Gott Koͤnige aber nicht Kaiſer eingeſetzt, weil
es ſchon zu Abrahams Zeiten Koͤnige aber keine Kaiſer gege-
ben und weil endlich Chriſtus ſich nicht einen Kaiſer, ſon-
dern Koͤnig aller Koͤnige genant. ſ. Moſers Staatsrecht.
3. Th. S. 22.
d]
Stiev, am angef. O. S. 85.
e]
Spanien aͤuſſerte in ſeiner Erklaͤrung vom 5. Febr 1763.
ganz richtig: Le roi ſachant que le titre d’ Imperial
ainſi que tout autre n’ abolit ni ne fixe le rang des
Monarchies, lorsque quelque Souverain ſe l’ attribue de

ſon
[213[215]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
ſon propre mouvement etc. Gleichwohl verlangte 1742
der Rußiſche Reſident an der Pforte die Audienz bey dem
neuen Großvezier darum vor allen andern Reſidenten, den
Roͤmiſch-Kaiſerlichen ausgenommen, weil ſeine Principa-
lin den kaiſerlichen Titel fuͤhrte, ſ. Moſers auswaͤrt.
Staatsv. 1. B. 1. K. §. 10. S. 17. und Ebendeſſ. Bei-
traͤge zum europ. V. R. in Friedensz. S. 41.
*]
Cruſius, c. VI. §. 33. p. 61. Stoſch, S. 5. 865. 866.
Stiev, S. 69.
*]
Cruſius, c. VI. §. 45. p. 64. Stiev, S. 71.
a]
Cruſius, c. VI. §. 73. p. 70.
b]
Is eo ipſo alterius dignitatem eminentiorem fatetur
ſagt Puffendorf L, VIII. c. 5. §. 15. ſeq. Man vergl.
Real T. V. c. 4. p. 976.
c]
Stiev, S. 56. u. f.
a]
Man hat auffallende Beiſpiele hiervon. Ich will nur ein
Paar der merkwuͤrdigſten anfuͤhren. Auf der Kirchenver-
ſamlung zu Coſtanz gab Spanien ſich alle Muͤhe den Rang
uͤber England zu erhalten. Die ſpaniſchen Geſandten wa-
ren: Diego de Anaga Erzbiſchof von Sevilien und Diego
Fernandes de Cordua Alcayde de los Donzellas
Pagen-
hofmeiſter. Als ſie mit Worten in Guͤte ihre Abſicht nicht
erreichen konten, nahm der dicke Erzbiſchof den engliſchen
Geſandten, einen kleinen ſchmaͤchtigen Mann von ſeinem
Platz, ſchlepte ihn, der dem Erzbiſchof nach dem Barte
grif, zum Conferenzſaal hinaus, trug ihn bis zur Kirche
und warf ihn in eine offne Gruft. Triumphirend kehrte er
dann zur Verſamlung mit den Worten zuruͤck. “Ich
habe gethan, was ein Pfaf und Prieſter thun kan; nun
thue der Herr Kollege auch, was ein ſpaniſcher Cavallero
thun ſoll.” Die Verſamlung gerieth daruͤber in nicht
geringe Verwirrung und der Erzbiſchof ſah ſich genoͤthigt,
Sicherheit in ſeiner Wohnung zu ſuchen. ſ. Zwanzig 1. Th.
Tit. 9. Roußet c. XI. p. 68. Der pohlniſche Geſandte
machte es an dem Hofe Kaiſer Karl V. oder wie andere ſa-
gen, auf einer Kirchenverſamlung feiner, um den Vorrang
vor dem portugieſiſchen zu erlangen. Als dieſer bey einer
gewiſſen Feierlichkeit in der Kirche den Sitz uͤber ienen genom-
meu
[218[220]]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
men hatte, ſtand der pohlniſche Geſandte auf und reichte
dem Portugieſen die Hand, als ob er ihm etwas zu ſagen
haͤtte. Indem der portugieſiſche Geſandte, keine Argliſt
befuͤrchtend, ebenfals aufſtand und ſich zu dem Pohlen
neigte, ſchluͤpfte dieſer hurtig herum auf deſſen Platz, zu
großem Misfallen des anweſenden Kaiſers. Zwanzig
1 Th. Tit. 10. der ſpaniſche Geſandte Baron Batteville zu
Londen ließ 1661 bey Einhohlung des Schwediſchen Both-
ſchafters dem franzoͤſiſchen Geſandten Grafen von Eſtrades
die Strenge am Wagen zerſchneiden, damit ſeine Caroſſe
dieſem vorfahren und den Rang behaupten moͤchte, an ſei-
nen Wagen aber waren ſubtile Ketten mit Leder uͤberzogen
befeſtigt, damit ihm nicht ein Gleiches widerfahren konte.
Dieſes Auftrits wegen, der ohne Blutvergieſſen nicht ablief,
muſte der Koͤnig von Spanien nachher die bekante, weiter
unten zu erwaͤhnende Erklaͤrung am franzoͤſiſchen Hofe thun
laſſen. Lünig theatrum ceremoniale T. I. S. 421.
b]
Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 127.
c]
Grotius L. II. c. 5. §. 21.
*]
Cruſius L. I. c. 5. §. 3. ſeq. p. 54. Stoſch S. 867. u. f.
a]
Die Rangordnung Papſt Julius II. ſoll, dem Vorgeben
nach, auch am paͤpſtlichen Hofe nur noch in Anſehung der
vier erſtern Monarchen beobachtet, dem roͤmiſchen Koͤnige
iedoch nicht der Rang vor Spanien und Frankreich einge-
raͤumt, ſondern er dieſen nur gleich tractirt werden, Lünig
Theat. Cerem. t. I. p.
9.
b]
Rouſſet rukte vor ſeinen Memoires, ſur le rang etc. fol-
gende Erklaͤrung ein: Je ſoußigné declare, qu’ en publiant
ces
[221[223]]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
ces Memoires ſur le rang et la préſeance entre les ſou-
verains et entre leurs Miniſtres Repreſentans
etc. je
n’ ai eu aucune intention de m’ ingerer à decider dans
un ſujet ſi delicat: je n’ ai écrit qu’ hiſtoriquement,
raportant les faits et les ſentimens ſur differens cas, tels
que je les ai trouvés dans d’ autres Ecrivains, non
dans l’ intention de les faire paſſer pour inconteſtables,
mais uniquement relata referendo. C’ est pourquoi
j’ ai eu ſoin de citer les auteurs que l’ on pourra con-
ſulter, enſorte que je ne pretends faire tort aus droits
de qui que ce ſoit. Roußet.
c]
Gleichwohl befahl der Koͤnig in Frankreich, daß den Erem-
plarien des Ceremonial diplomatique von Rouſſet, welche
nach Paris gebracht wurden, ein Vorbericht beigefuͤgt
werden muſte, worinn fuͤr den erſten Fehler, welche dieſes
zuſammengetragene Werk verunſtalteten, dieſer angegeben
wird, daß man den roͤmiſchen Kaͤiſern und Koͤnigen uͤber-
haupt den Rang vor dem Koͤnige von Frankreich und allen
andern Koͤnigen darinn zuſchreibe.
a]
Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 86. Grundſaͤtze des europ.
V. R. in Friedenszeiten S. 28.
b]
Politiſches Journal, April 1782. S. 383.
*]
Cruſius Lib. II. c. 1. p. 129. Stoſch, S. 6. Zwanzig,
1. Th. Tit. 17. und 18. Roußet c. I.
a]
Real giebt ſich viel Muͤhe die Gruͤnde des Kaiſerlichen
Vorranges zu widerlegen, muß iedoch am Ende eingeſtehn,
daß derſelbe durch den Beſitz hinlaͤnglich entſchieden ſey.
b]
Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 79.
c]
Paſſarowitzer Friede 1718. Art. 17. und oͤfter.
*]
Auſſer dem, was beim Cruſius L. III. c. 1. et 2. p. 339.
365. Stoſch, S. 120. u. f. Europ. Herold, 1. Th.
S. 84. Zwanzig, 1. Th. Tit. 1. Stiev, S. 73. und
Roußet c. II. p. 11. c. III. p. 15. von dem Range des
Kaiſers vorkomt, hat man noch einige beſondere Abhand-
lungen daruͤber, z. B.
1].
Dietr. Wilh. Matthiae diſs. de praeeminentia Impe-
ratoris Germanici. Erf.
1677. 4.
2].
Franz Lambert Humler von dem allerhoͤchſten Range,
Titel und Wapen des roͤmiſchen Kaiſers. Frankf. 1770. 8.
a]
Real, T. V. c. 4. Sect. 3. S. 971.
b]
Moſers Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz. 1. B.
2. K. §. 9. S. 24.
c]
Wahlkapitulation, Art. III. §. 11.
d]
Ebendaſ. Art. XXX. §. 3.
e]
Principia juris publ. Ingolſt. 1768. 8. p. 163.
f]
Moſers auswaͤrt, Staatsrecht, 1. B. 2. K. §. 5. S. 40.
*]
Man vergl. Cruſius. III., c. 3. p. 401. Stoſch, S. 381.
Zwanzig, 1. Th. Tit. 7. Roußet, c. IX. p. 65. ingleichen:
Anton Quett a Rex Romanorum et rex Francorum vter
alterum praecedat? Francof.
1614. und in Goldaſti
Polit. Imp. P. XI. n.
3.
Heinr. Friedr. Chriſt. von Luͤncker von den Vorzuͤgen und
der Titulatur eines roͤmiſchen Koͤnigs und deſſelben Er-
hoͤhung zum kaiſerlichen Thron. Halle 1767. 8.
Dan. Nettelbladt Beweis, daß dem roͤmiſchen Koͤnige
der Rang vor allen auswaͤrtigen regierenden Ober-
haͤuptern der europaͤiſchen Nazionen zuſtehe; in deſſen
Eroͤrterungen einig. einz. Lehren des t. Staatsrechts.
Halle 1773. 8. n. 5. S. 87.
a]
Moſers Beitraͤge zum europ. V. R. in Friedenszeiten.
1. B. 2. K. §. 6. S. 43.
b]
Ebendeſſelben Grundſaͤtze des e. V. R. in Friedensz. 1. B.
5. K. §. 22.
*]
Cruſius, L. III. c. 7. p. 488. Stoſch, S. 447. Zwan-
zig
, 1. Th. Tit. 10. Stiev, S. 123. Roußet, c. XII.
p.
69.
a]
Moſers Verſuch des europ. V. R. 1. B. 3. K. §. 6.
S. 55.
*]
Cruſtus, L. III. c. 4. p. 415. c. 5. p. 451. Stoſch, S.
383. Zwanzig, 1. Th. Tit. 5. Europaͤiſcher Herold,
2.
[231]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
2. Th. S. 32. Stiev, S. 79. Roußet, c. VIII. p. 61.
Insbeſondere handelt davon:
Iac. Valdeſii Praerogativa Hispaniae; hoc eſt de digni-
tate et praeeminentia Regum regnorumq. Hispaniae
et honoratiori loco ac titulo eis eorumq. legatis à
conciliis nec non romana ſede jure debito etc. Gra-
natae 1602. f. Frcf.
1626. 4. Dagegen aber erſchien:
Sentence du Prévôt de Paris contre un mechant et
pernicieux livre imprimé à Francfort intitulé: Prae-
cedentia Hispaniae
etc. à Paris
1626. 8.
a]
Real, T. V. 4. 3. S. 973. behauptet, in Conſtantinopel
ginge der Ambaſſadeur des Koͤnigs in Frankreich ſogar dem
Ambaſſadeur des teutſchen Kaiſers vor, und zwar vermoͤge
der mit der Pforte geſchloſſenen Tractaten von 1604,
1673 und 1740. Ich habe dergleichen Vorzug darinne
nicht finden koͤnnen. Zwar bedingt ſich Frankreich 1604,
Art. 20. que ſon Ambaßadeur qui reſide à la Porte ait
la préſeance ſur l’ Ambaßadeur d’ Eſpagne et ſur ceux
des autres rois et princes etc.
und 1673, Art. 19. im
algemeinen den Rang ſur tous les Ambaßadeurs des
autres rois et princes
[1740 werden die erſtern hierinn
nur beſtaͤtigt]. Aber dieſe Diſpoſitionen koͤnnen, wie
beſonders aus der erſtern erhellet, ohnmoͤglich mit auf den
Kaiſer gehn, dem der Koͤnig von Frankreich den Rang
willig zugeſteht.
b]
Am ang. O. S. 971.
c]
Man ſ. Luͤnigs Theatrum Cerem. T. I. S. 14. u. f. ꝛc.
d]
Procès verbal, contenant la declaration que le Mar-
quis de la Fuente, Ambaßadeur extraordinaire du roi
catholique près du roi a faite à ſa Majeſté etc.
in Du-
mont
Corps diplomat. T. VI. P. 2. p.
403. Schmauß
Corp. J. G. T. I. p. 760. Fuͤr wie wichtig man dieſe
Erklaͤrung gehalten, iſt daraus zu erſehn, daß Ludewig
XIV. eine große Medaille praͤgen ließ, worauf die dem
Marqvis de la Fuente ertheilte Audienz vorgeſtelt iſt.
Der Koͤnig ſteht mit bedecktem Haupte auf einem erhabe-
nen Boden; hinter ihm ein Lehnſeſſel. Ihm gegenuͤber
ſieht man den ſpaniſchen Geſandten, wie er bedeckt, aber
halbgebuͤckt redet. Der paͤpſtliche Nuntius und die uͤbri-
gen Ambaſſadeurs ꝛc. ſtehen herum, mit der Aufſchrift:
Jus praecedendi Gallo aßertum, und darunter in einem
kleinen Raume: Hiſpanorum excuſatio coram XXX.
leg. Princ. MDCLXII.
ſ. Real S. 973.
e]
Am angef. O. S. 985.
f]
Moſers Verſuch 8. Th. 15. B. 2. K. §. 4. S. 74.
g]
Cruſius, III. c. 4. p. 415. Stoſch, S. 463. Zwanzig,
1 Th. Tit. 5 8. Europ. Herold, 2. Th. S. 32. Stiev,
S. 89. Roußet, c. VIII. p. 61. Auſſer dieſen Stellen
giebt es noch eine Menge beſonderer Abhandlungen, deren
ich nur einige anfuͤhren will:
Ierome Bignon traité de l’ excellence des rois et du
royaume de France traitant de leur préſéance et
prérogative par deßus les autres. à Paris
1610. 8.
iſt beſonders dem Valdeſius fuͤr Spanien entgegen-
geſetzt.
Ant. Aubery de la préeminence des rois de France et
de leur préſéance ſur l’ Empereur et le roi d’ Eſpa-
gne. Paris
1680. 4.
Ch. Bulteau de la préſeance des rois de France ſur les
rois d’ Eſpagne. à Paris
1674. 4.
Fr. Wilh. von Piſtorius von Praͤeminenz des Koͤnigs in
Frankreich uͤber andere Koͤnige auf Erden; in Amoeni-
tat hiſt. jurid.
7. Th. S. 1937-48.
*]
Cruſius, III. c. 5. p. 451. Stoſch, S. 585. Zwanzig,
1. Th. Tit. 8. und 9. Stiev, S. 109. Roußet. c. X. u.
XI. p. 66. 67. u. f. Man vergl. auch James Howell of
the precedency of Kings. Lond. 1664. fol.
und lateiniſch:
de praecedentia regum Franciae, Hiſpaniae, Angliae.
Lond.
1665. 8.
*]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 20. Roußet, c. XIX. p. 82.
a]
Moſers Beytraͤge zum europ. V. R. in Frz. S. 45. u. f.
b]
Ebendeſſelben Verſuch 1. B. 3. K. §. 12. S. 64.
*]
Roußet, c. XXIV. p. 100.
a]
Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz. 1. B. 5. K. §.
53. S. 45. doch bemerkt derſelbe an einem andern Orte,
daß 1749 bey Anweſenheit eines Bothſchafters vom Groß-
meiſter zu Wien, der venetianiſche Abgeſandte ſich der
gewoͤhnlichen Begleitung des Kaiſers in die Kapelle enthalten
habe, um wahrſcheinlich den Rangſtreitigkeiten auszuwei-
chen. Verſuch des europ. V. R. 1. B. 3. K. §. 12. S. 65.
*]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 45. Rouſſet, c. XXXIV. p. 166.
a]
Moſers Beitraͤge in Friedz. 1. Th. S. 41.
*]
Cruſius, L. III. c. 7. p. 490. Stoſch, S. 670. Zwan-
zig
, 1. Th. c. 11. Stiev, S. 127. Rouſſet, c. XII. p. 70.
Eigne Abhandlungen hieruͤber haben geſchrieben:
Ioan.
[241]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
Ivar. Herzholmius de praecedentia regni Daniae. Hafn.
1562. fol.
Guil. Schinmeier diſcours ſur la prééminence du roi de
Danemarc audeßus des autres rois de l’ Europe.

1731.
a]
Als auf der Kirchenverſamlung zu Baſel ieder Staat ſeine
Gruͤnde des Ranges vorlegen muſte, that es auch der
ſchwediſche und ſchloß mit den Worten: Speramus reve-
rendiſſimi patres, judicabitis in ordine ſedium, noſtrum
regnum primum, et ſi non primum, tamen primo pro-
ximum locum ſibi vindicare.
Zugleich uͤbergab der Ge-
ſandte eine Proteſtation gegen alles den Rechten und Vor-
zuͤgen ſeines Principals nachtheilige, wenn man ihm kei-
nen dem Range ſeines Koͤnigs angemeſſenen Platz anwei-
ſen ſolte, den er, blos um die Verſamlung nicht zu ſtoͤren,
einnehmen wuͤrde. ſ. Roußet.
b]
Roußet, c. VII. p. 59.
c]
Moſer am ang. O.
d]
Real, V. 4. 3. p. 976.
*]
Cruſius, III. c. 6. p. 466. Stoſch, S. 675. Zwanzig,
1. Th. Tit. 11. und 12. Stiev, S. 118.
*]
Cruſius, III. c. 6. p. 466. Stoſch, S. 617. Zwanzig,
1. Th. Tit. 12. 13. Stiev, S. 126. Roußet, c. XV.
und XVI. S. 74. 75.
a]
Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 44.
*]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 15. Stiev, S. 131. Roußet,
c. XVIII. p.
27.
*]
Cruſius, III. c. 8. p. 495. Stoſch, S. 607. Zwanzig,
1, Th. Tit. 13. Roußet, c. XIV. p. 73.
a]
Mercure hiſt. 1744. T. I. p. 199. 1763. T. I. p. 106.
141. Die itzige Kaiſerin von Rußland ließ unterm 21.
Nov. 1762 allen auswaͤrtigen Miniſtern erklaͤren: que le
titre d’ Imperial n’ aportera aucun changement au
Cérémoniel ufité entre les cours, lequel reſtera ſur le
même pied.
Moſers ausw. Staatsrecht 1. B. 1. K.
§. 10. S. 17.
b]
Moſers Beitr. in Friedensz. 1. Th. S. 41.
c]
Ebendeſſelben Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 7. S. 57.
d]
Luͤnig Theat. Cerem. Tom. I. S. 435.
e]
Politiſches Journ. May 1784. S. 518. 541.
f]
Fabers Neue Staatskanzley 10. Th. S. 6.
g]
Polit. Journ. Junius 1784. S. 650.
h]
Ebendaſelbſt Auguſt 1784. S. 818.
*]
Stoſch, S. 127. Zwanzig, 1. Th. Tit. 19. Stiev,
S. 130. Roußet, c. V. p. 45.
a]
Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 87.
b]
Ebendaſ. S. 106.
c]
Luͤnig, am ang. O. T. II. p. 1438.
d]
Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 5. S. 53.
*]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 11. Roußet, c. III. p. 15.
*]
Cruſius, III. c. 13. p. 539. Stoſch, S. 710. Zwanzig,
1. Th. Tit. 28. und 39. Luͤnigs Europaͤiſche Staats-Con-
ſilia T. II.
S. 793. u. f.
*]
Cruſius, III. c. 14. p. 456. Zwanzig, 1. Th. Tit. 47. u.
48. Roußet, c. XXXVIII. p. 173.
*]
Cruſius, III. c. 12. p. 519. Stoſch, S. 684. Zwanzig,
1. Th. Tit. 27. 39. und 50. Roußet, c. XXVI. p. 145.
c. XXXV. p. 168. XXXVI. p.
169 ingleichen:
Theod. Graswinckel de jure praecedentiae inter Vene-
tam Rempublicam et Sabaudiae Ducem. Lugd. Bat.

1644. 8.
a]
Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. B. 2. K. §. 9. S. 50.
*]
Cruſius, III. c. 13. p. 539. Stoſch, S. 744. Zwanzig,
1. Th. Tit. 45. 46. und 47. Roußet, c. XXXVII. p. 170.
c. XXXVIII. p.
173.
Petr. Bapt. Burgus de dignitate Genuenſis reipublicae
diſceptatio. Genev.
1646. 8.
*]
Zwanzig, 1. Th. c. 76. und 77.
*]
Cruſius, III. c. 8. p. 495. Stoſch, S. 683. Zwanzig,
1. Th. Tit. 14. und 16. Roußet, c. XVII. p. 76.
*]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 76.
*]
Moſers Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 11. S. 60.
a]
Es ſtreiten die geiſtlichen Kurfuͤrſten unter ſich, die weltli-
chen unter ſich und geiſtliche und weltliche mit einander;
ſo auch die Fuͤrſten, beſonders die altweltfuͤrſtlichen mit
den
[255]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
den neuen, die Reichspraͤlaten und Reichsgrafen, die
Grafenkollegien unter einander, die Reichsſtaͤdte unter ſich
und mit der Reichsritterſchaft ꝛc. Dabey fielen zuweilen
ſehr ernſtliche Auftritte vor. Die Biſchoͤfe von Eichſtaͤdt
und Speier foderten ſogar deshalb einander einſt in Gegen-
wart des Kaiſers auf Kugeln heraus, ſo, daß der Kaiſer
endlich Frieden gebieten muſte. Moſers nachbarl. Staatsr.
1. B. 1. K. §. 10. S. 11.
b]
Alle dieſe Rangverhaͤltniſſe koͤnnen hier ohnmoͤglich ausein-
andergeſetzt werden: ich will mich daher vorzuͤglich auf den
Rang der Reichsſtaͤnde gegen andere europaͤiſche Staaten
einſchraͤnken, von den uͤbrigen aber blos die algemeinſten
Grundſaͤtze anfuͤhren und in Anſehung des weitern auch auf
die Staatsrechtslehrbuͤcher und andere Schriften davon
beziehen.
c]
Moſers nachbarl. Staatsr. 1. B. 1. K. §. 10. S. 12.
*]
Zwanzig, 2. Th. Tit. 1. Roußet, c. XL. p. 184.
a]
In der goldnen Bulle cap. VI. heißt es: Decernimus, ut
in celeberacione Imperialis Curie quocienscunque illam
deinceps perpetuo celebrari contigerit, antedicti prin-
cipes Electores, Eccleſiaſtici et ſeculares, iuxta pre-
ſcriptum ordinem atque modum, à dextris et a ſiniſtris
immutabiliter teneant loca ſua eisque vel eorum alicui,
in quibuscunque actibus ad Curiam ipſam ſpectanti-
bus
, eundo, ſedendo vel ſtando, nullus princeps alius
cuiuscunque ſtatus, dignitatis, praeeminencie, vel con-
dicionis exiſtat nullatenus preferatur. Eo ſignanter
expreßo quod nominatim Rex Boem. in celebracione
Curiarum huiusmodi, in omnibus et ſingulis locis et
actibus
antedictis, quemcunque Regem alium, qua-
cunque eciam ſingulari dignitatis prerogativa fulgen-
tem, quem quouis caſu ſeu caußa venire vel adeße for-
te contigerit immutabiliter antecedat.
Die Meinungen
der Ausleger, ſind uͤber dieſes Kapitel geteilt und einige fin-
den auſſerordentliche Schwierigkeiten darinn. Es iſt naͤm-
lich die Frage: ob der Vorrang vor auswaͤrtigen Koͤnigen
bey Reichshoͤfen allen Kurfuͤrſten, oder nur dem Koͤnige
in Boͤhmen darinnen zugeſtanden ſey? Einige ſagen nur
dem Koͤnige in Boͤhmen, weil der erſtere Satz deutlich nur
von Fuͤrſten rede und die beſondere Benennung des Koͤnigs
in Boͤhmen uͤberflieſig geweſen waͤre, wenn deſſen Vorrang
ſchon ſo wie der uͤbrigen Kurfuͤrſten im vorhergehenden ent-
ſchieden waͤre. Olenſchlager Erlaͤut. der G. B. §. 72.
S. 283. Andere z. B. Ludwig uͤber die G. B. 1. Th.
S. 618. ſehen dies fuͤr eine auf alle Kurfuͤrſten gehende
Vorſchrift an, und glauben daß ſolche blos aus Vorliebe
fuͤr Boͤhmen vom Kaiſer Karl IV. namentlich wiederholt ſey;
denn zugeſchweigen, daß den Kurfuͤrſten im uͤbrigen gleich-
R 2wohl
[260]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit
wohl einerley Rechte zugeſtanden wuͤrden, ſo koͤnnte eine
dergleichen Boͤhmen allein angehende Verfuͤgung mit dem
Verlangen des Kaiſers nicht beſtehn, daß die Kurfuͤrſten in
unzertrennter Ordnung einander folgen ſolten, welches aber
nicht moͤglich waͤre, wenn die fremden Koͤnige zwar nicht
dem Koͤnige von Boͤhmen aber den uͤbrigen Kurfuͤrſten vor-
gehn duͤrften. Mir ſcheint in dieſem Kapitel allerdings
dem Koͤnige in Boͤhmen ein gewiſſer Vorzug, aber nur
nicht ihm allein der Rang vor den Koͤnigen zugeſtanden
zu ſeyn. Den ziemlich klaren Worten nach glaube ich iſt
ſaͤmtlichen Kurfuͤrſten der Vorrang vor allen Koͤnigen und
Fuͤrſten nur in quibuscunqe actibus ad Curiam ipſam
ſpectantibus
[die unmittelbar zum Reichshofe gehoͤren]
dem Koͤnige in Boͤhmen aber auch noch vorzugsweiſe in
omnibus ſingulis locis
[bey andern Vorfallenheiten, die
gelegentlich in celebracione Curiarum huiusmodi ſich
ereignen koͤnnen] et actibus antedictis [und wie ſchon ge-
dacht, bey den Solennitaͤten, die unmittelbar zum Reichs-
hofe gehoͤren.] Ich zweifle, ob ſich gegen dieſe ungekuͤn-
ſtelte Auslegung erhebliche Einwendungen machen laſſen.
b]
Moſers auswaͤrt. Staatsr. 3. B. 4. K. §. 7. S. 216.
c]
Ebendaſ. S. 217.
d]
Ebendaſ. S. 236.
e]
Schmauß Corp. Jur. Publ. Acad. 2. Th. S. 1080.
f]
Moſer am ang. O. S. 236. Man vergl. Speners teut-
ſches Staatsrecht 7. Th. 5. B. 1. K. §. 2. Not. n. S. 16.
g]
Wie in aͤltern Zeiten ein Erzbiſchof von Magdeburg, ein
Herzog von Bayern, ſich zuweilen den Kurfuͤrſten vor-
draͤngen wolten. ſ. Spener am angef. O. S. 20. u. f.
h]
Jedoch ſchreibt man es dieſer Rangdifferenz zu, daß 1695
der Erzherzog von Oeſterreich, bey Anweſenheit des Kur-
fuͤrſten von Sachſen zu Wien, die Zuſammenkunft am drit-
ten Orte vermieden habe. Zwanzig 1. Th. Tit. 51. Auch
ſoll
[261]Von der urſpruͤnglichen Gleichheit ꝛc.
ſoll Joſeph II. bey ſeiner Anweſenheit als Erzherzog von
Oeſterreich auf dem Wahltage, den Zuſammenkuͤnften mit
den Kurfuͤrſten ausgewichen ſeyn. Moſer vom Rom. Kai-
ſer S. 74.
i]
Reichsgutachten vom 30. Jun. 1708 beim Schmauß am
ang. O. S. 1133.
k]
Aug. Fr. Schott ſ resp. Aug. Polyc. Leyſer diſs. de
honoribus regiis principum Electorum. Lipſ.
1771. 4.
*]
Cruſius, IV. c. 2. p. 571. c. 3. p. 585. Stoſch, S. 720.
Zwanzig, 1. Th. Tit. 21. 27. u. 28. Europ. Herold,
1. Th. S. 190. Luͤnigs Europ. Staats-Conſilia T. 2. p.
374. Stiev, S. 135. Roußet, c. XX. p. 87. c. XXIV.
p. 139. c. XXV. p. 143. c. XXXIX. p.
175. Moſers
teutſches Staatsrecht 33. Th. 162. K. Sect. 1. S. 262.
Ingleichen:
Iac. Andr. Cruſii de jure proedriae S. R. I. Electorum
nec non Seren. Dom. Neoburgicae diſquiſitio.
Mindae.
1678. 4.
Anon. de praerogativis principum electorum ante alios
principes Imperii contra Caeſ. Fürſtenerium
1743.
**]
Die Rangſtreitigkeiten der Kurfuͤrſten mit den Kardinaͤlen
gehoͤren, weil letztere keine Souverains ſind, nicht hieher,
ſondern ſollen bey dem Ceremonielweſen mit beruͤhrt werden.
a]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 48. 51. 54. und 55.
b]
Moſers Staatsrecht 35. Th. K. 170. Sect. I. S. 485.
u. f. ingleichen deſſen Tract. von den teutſchen Reichsſtaͤn-
den ꝛc. S. 660. u. f. Majers weltliches Staatsrecht
1. Th. S. 439.
c]
Ebendeſſelben Nachbarl. Staatsrecht 1. B. 1. K. §. 10.
S. 11.
*]
Man vergleiche ferner: Cruſius, L. II. c. 8 ‒ 19. p. 212.
295. L. IV. c. 6 ‒ 20. p.
619 ‒ 747. Zwanzig, 2. Th.
Tit. 1. u. f. Luͤnigs europaͤiſche Staats-conſilia T. II.
S.
[263]und dem eingefuͤhrten Range der Nazionen.
S. 892. Grundfeſte europaͤiſch. Potenz. Gerechtſame T. I.
S. 239. u. f. T. II. S. 105.
a]
Moſers nachbarl. Staatsrecht am ang. O. S. 12.
*]
Man ſehe mehreres in Cruſius, L. IV. c. 20. und 21.
p. 747. Stoſch, S. 830. und 842. Zwanzig, 2. Th.
Tit. 22. 53-90. Moſers Staatsrecht, 37. Th. S. 356.
38. Th. K. 183. Sect. I. S. 251.
*]
Cruſius, L. IV. c. 22-28. p. 757. u. f. Stoſch, S. 847.
Zwanzig, 2. Th. Tit. 91. u. f. Luͤnigs europ. Staats-
Conſilia T. II. S. 1104. und 1473. Ebendeſſ. Grundfeſte
europ. Potenz. Gerechtſame T. II. S. 629. 634. 636.
Moſers Staatsrecht 40. Th. K. 190. Sect. II. S. 427.
An beſondern Abhandlungen ſind noch zu merken:
a] Zum Vorteil der Reichsſtaͤdte: Io. Lud. Winckler
de praecedentia liberarum civitatum S. R. Imperii
prae nobilitate immediata. Argent.
1720. 4. und in
Moſeri Rynt. diſs. I. P. p.
853.
b] Fuͤr die Reichsritterſchaft: Steph. Chr. Harprecht de
Harprechtſtein liberae et immediatae nobilitatis prae
civitatibus imperialibus jus ſeſſionis et praecedentiae.
Hamb. et Lipſ.
1727. 4.
Iac. Ioſ. Kirſchbaum praeſ. Io. Phil. Hahn diſs. de
proedria prae liberis Imperii civitatibus compe-
tente immediatae Imperii nobilitati.
1746.
a]
Cruſius, L. III. c. 10. und 11. p. 510. Stoſch, S. 756.
Zwanzig, 1. Th. Tit. 24. 42. 43. und 50. Roußet,
c. XXIV. p. 100. c. XXIX. p.
153.
b]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 44. Roußet, c. XXXI. p. 159.
c]
Moſers Grundſaͤtze des europ. Voͤlkerr. in Friedensz.
S. 46.
d]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 43. und 49. Roußet, c. XXXII.
p.
162.
*]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 58. und 75. Roußet, c. XXXIII.
p.
164. Moſers Anfangsgruͤnde des europ. V. R. S. 195.
a]
Henr. Cocceji diſs. de praecedentia 1681. 4.
b]
Daſelbſt heißt es §. 196. — und ſeynd wir des gnaͤdig-
ſten Erbietens, nach Befindung eines jeden Gerechtigkeit,
ſie wegen ſolcher Irrung der Seſſion auf ziemliche leidliche
Weg zu vereinigen und zu vertragen, oder ſonſten nach
Billigkeit der Sachen zu entſcheiden.
c]
Im Tractat von den kaiſerlichen Regierungsrechten und
Pflichten, S. 13.
d]
Im nachbarlichen Staatsrecht, S. 13.
e]
Fabers Staatskanzley 23. Th. S. 602-639.
*]
Man ſehe uͤbrigens: Chr. Godofr. Hoffmann diſs. de
fundamento decidendi controverſias de praecedentia
inter liberas gentes, Lipſ.
1721. 4.
a]
Wiquefort in ſeinem Ambaßadeur L. I. Sect. 22. p. 208.
iſt ebenfals dieſer Meinung. Dahingegen behaupten ande-
re, als Moſer im Verſuch ꝛc. 1. B. 3. K. §. 13. S. 65.
beſonders Ickſtadt, L. II. c. 6. §. 16. p. 137. das Gegen-
theil, und glauben, es ſey iedem Souverain erlaubt, einer
Nazion den Vorrang einzuraͤumen, ohne daß die andere
ſich daruͤber beſchweren koͤnne.
b]
Politiſches Journal, May 1784. S. 518.
c]
Luͤnigs Theatrum Cerem. T. I. S. 14.
d]
Schmauß Corp. Jur. Gent. T. I. S. 433.
e]
Moſers Beitraͤge in Frz. 1. Th. S. 42.
a]
Real am a. O. S. 964. behauptet zwar, daß ein jeder
Fuͤrſt, welcher den Gelegenheiten zu einem Rangſtreit
ausweicht, dadurch unmittelbar nachgebe; aber ich kann
keinen Grund hiervon finden.
b]
LuͤnigsTheat. Cerem. T. I. S. 199. u. f.
c]
Speners teutſches Staatsrecht 7. Th. S. 12.
d]
Luͤnig am a. O. S. 211.
e]
Auf aͤhnliche Art ſoll auch der ſicilianiſche Miniſter zu Con-
ſtantinopel 1742 es alſo eingeleitet haben, daß der neue
Großvezier, um allen Rangſtreit zu vermeiden, ihm zehn
Tage nach allen andern Geſandten Audienz ertheilte.
Moſers Beitraͤge in Friedz. 1. Th. S. 52.
f]
Real am a. O. S. 978.
g]
Ebendaſelbſt S. 981.
h]
Ebendaſ. S. 986 u. f. Man vergl. Moſers Verſuch
1. Th. S. 59. u. Beitr. in Frz. 1. Th. S. 43. u. f.
a]
Er aͤuſſerte einſt gegen die franzoͤſiſchen Geſandten aus-
druͤcklich: que toutes les têtes couronnées etoient éga-
les. Memoires du Chev. Temple p.
220. Man vergl.
Zwanzig 1. Th. Tit. 4.
b]
T. V. S. 960.
c]
Principes du droit des gens T. I. p. 107. Man vergl.
Rouſſet, c. VII. p. 59. XXVIII. p. 152.
d]
LuͤnigsTheat. Cerem. T. I. S. 199. u. f.
e]
Moſers Staatsrecht 3. Th. S. 8. ingl. deſſen auswaͤr-
tiges Staatsrecht 1. B. 1. K. §. 8. S. 14.
f]
Zwanzig, 1. Th. Tit. 21. Moſers ausw. Staatsr.
3. B 4. K. §. 8. S. 218. Speners teutſches Staatsr.
7. Th. S. 12.
g]
Moſers nachbarl. Staatsr. 1. B. 1. K. §. 10. S. 11.
h]
Ebendaſelbſt S. 12.
*]
Der Rang wird hauptſaͤchlich in der Verſchiedenheit des
Ceremoniels bemerkbar. Dieienigen Materien, welche
man hier etwa vermißt, ſollen daher in der Ceremoniel-
wiſſenſchaft noch nachgeholt werden, z. B. der blos per-
ſoͤnliche Rang der Kron- und anderer apanagirten Prinzen,
der Vormuͤnder eines Regenten ꝛc., weil hier verzuͤglich
nur von dem Range ganzer Staaten und ihrer Repraͤſen-
tanten die Rede geweſen.
a]
Fr. Carl von Moſer Abhandlung von dem Recht eines
Souverains und freien Volks den andern wegen ſeinen
Handlungen zu Rede zu ſtellen; in deſſen kleinen Schrif-
ten ꝛc. 6. B. n. VI. S. 287. beſonders §. 8. S. 289.
b]
Vattel Droit des gens L. I. c. IV. §. 54. 55.
c]
Wolf J G. c. II. §. 256. 269. Schrodt Syſt. J. G. P. I.
c. II.
§. 12. J. J. Moſers Verſuch 1. B. 2. K. §. 2.
S. 36.
d]
Ebenderſelbe Verſuch ꝛc. 8. B. 3. K. §. 2. S. 399. [6. Th.]
Als 1728 Daͤnemark die oſtindiſche Compagnie zu Altona
octroyrte, thaten die grosbritanniſchen und niederlaͤndiſchen
Miniſter zwar Vorſtellungen dagegen, aber man bezog ſich
Daͤniſcher Seits auf einen mehr als hundertiaͤhrigen Beſitz.
Dennoch wurden ſolche, aus Eiferſucht uͤber den immer
mehr emporſteigenden Daͤniſchen Handel nach Oſtindien
1730 nochmals wiederholt. Darauf erklaͤrte Daͤnemark:
Daß Sr. Maj. noch des feſten Entſchluſſes waͤren, ihren
treuen Unterthanen alle nur moͤgliche Vorteile zu verſchaf-
fen, indeſſen aber verlangten ſie nichts zum Nachtheil der
Gerechtſame anderer Nazionen vorzunehmen. Wie ſie
denn, allen Vorwurf deshalb zu verhuͤten, den Schiffen
unterſagen laſſen, in keinem Hafen von Oſtindien einzu-
laufen, wo die Engell- und Hollaͤnder bereits ihre Hand-
lung errichtet haͤtten, und glaubten demnach Ihro Maj.
daß, ſo lange ſie dieſes beobachteten, man ſich mit Recht
daruͤber nicht beſchweren koͤnte, wenn Sie die Handlung
in Dero Staaten immer mehr in Aufnahme zu bringen
ſuchten. v. Moſer am ang. O. S. 313.
*]
Car. Ant. de Martini Poſit. de jure civitatis c. XVI.
§. 535.
a]
Fr. Carl v. Moſer am a. O. §. 4. u. 11. S. 288.
b]
J. J. Moſers Verſuch ꝛc. 8. B. 3. Th. §. 3. S. 399.
[6. Theil.]
a]
J. J. Moſers Verſuch am ang. O. S. 316.
*]
Nie und nirgends, heißt es unter andern in dem Kriegs-
manifeſt der vereinigten Niederlande gegen Grosbritannien
von 1781, haben J. H. M. durch einige Tractaten
der Unabhaͤngigkeit des Staats entſagt, und ihr Intereſſe
dem Intereſſe Grosbritanniens ſo weit aufgeopfert, — daß
ſie zu einem Schritt gekommen ſeyn ſollten, wodurch ſie
auf irgend eine Weiſe fuͤr verbunden gehalten wer-
den koͤnten, ſich dem Gutduͤnken des Grosbritanniſchen
Hofes unterwerfen zu muͤſſen. Politiſches Journ. April
1781. S. 352.
a]
Moſers Verſuch 1. B. 2. K. §. 2. u. 5. S. 37. u. f.
*]
Der Herr von Linden, welcher von den Generalſtaaten
der vereinigten Niederlande zum Geſandten nach Wien
ernant war, dieſen Poſten aber ausſchlug und ſeinen Ab-
ſchied verlangte, aͤuſſerte in einem Memoire an die Gene-
ralſtaaten bey Gelegenheit der Uneinigkeiten und Beſchuldi-
gungen gegen den Herzog Feldmarſchall 1781: daß er
ſowohl durch das Recht ſeiner Geburt, als ſeiner Charge
ein Glied der Regierung der freien Republik ſey, und da-
her die Pflicht habe, allen Einflus von Fremden, ſo
glaͤnzend ihre Geburt, oder ſo maͤchtig ihr Anſehn
auch ſey, abzuhalten, und ſich ihm zu widerſetzen
.
Polit. Journ. 1781. Sept. S. 263.
**]
Die Geſinnungen der ruſſiſchen Kaiſerin in dieſem Punkte
gingen 1767 bey den Unruhen in Polen dahin: L’amour
de l’humanité ſi profondement gravé dans le coeur de
l’Imperatrice ne lui permet point au delà des limites
de ſon empire d’autre uſage de la puiſſance et des
moyens que Dieu lui a mis en main
, que de contri-
buer au bienêtre réel des nations voiſines, de mainte-
nir la ſureté et la tranquillité chez elles et de les aider
à rétablir le bon ordre interrompu dans leur gouverne-
ment
. Moſers Verſuch 6. Th. S. 345.
a]
Moſers Verſuch 8. B. 2. K. §. 1. S. 318. [6. Th.]
b]
Am haͤufigſten ſind immer die Klagen uͤber die Einmiſchung
auswaͤrtiger Staaten, beſonders Frankreichs, in die teut-
ſchen Reichshaͤndel geweſen, welches auch die Einruͤckung
des nachher zu erwaͤhnenden §. in die kaiſerliche Wahlcapi-
tulation bewuͤrket. Man ſehe hieruͤber weitlaͤuftiger Mo-
ſers
auswaͤrtiges Staatsrecht 2. B. 6. K. beſond. §. 13.
u. f. ingl. deſſen Verſuch 8. B. 2. K. §. 11. S. 326.
u. f. [6. Theil.]
c]
Polit. Journ. Julius, 1781. S. 77.
a]
J. J. Moſers Grundſaͤtze des europ. V. R. in Friedensz.
10. B. 4. K. §. 1. S. 520. F. C. Moſer am ang. O.
§. 32. S. 312.
b]
Vattel L. II. C. 4. §. 55. Im vorangefuͤhrten Luͤbecker
Frieden 1629, Art. 7. heißt es: Nachdem der Koͤnig von
Daͤnemark dieſem Tractat einzuruͤcken begehrt, daß die
Staͤnde des teutſchen Reichs nicht wider Recht und Billig-
keit beſchwert werden moͤchten, und dieſes auch Sr. Kaiſerl.
Maj. Meinung nicht iſt; ſo begnuͤgt ſich der Koͤnig von
Daͤnemark mit dieſer Erklaͤrung.
c]
F. C. v. Moſer am a. O. §. 34. S. 315. u. f.
a]
Rußland erklaͤrte 1751 gegen Schweden: Daß man nicht
geneigt ſey, ſich in die ſchwediſchen Angelegenheiten wei-
ter zu miſchen, als Ihro Kaiſerl. Maj. durch die Trac-
taten und das Intereſſe der guten Nachbarſchaft dazu ver-
bunden waͤren. F. C. v. Moſer §. 20. S. 296.
b]
Vattel L. XII. c. 4. §. 57.
a]
Moſers Verſuch 8. B. 2. K. §. 5. S. 323. [6. Th.]
*]
Klagen des Kaiſers und der Reichsſtaͤnde gegen einander,
daß der eine Theil auswaͤrtige Staaten zur Ungebuͤhr und
Unzeit in die innerlichen Reichs- und Staatsangelegenhei-
ten zu mengen ſuche, findet man in Moſers auswaͤrtigen
Staatsrecht S. 112. u. f.
a]
Moſers Verſuch 8 B. 1. K. §. 5. 2 K. §. 2. S. 316.
319. u. f. [6. Th.] Bey dem 1749 ſich verbreiteten
Geruͤchte, daß man die Regierungsform in Schweden ab-
zuaͤndern gedenke, ergriffen Rußland und Daͤnemark alle
Maasregeln dagegen, und thaten deshalb verſchiedene
Erklaͤrungen an Schweden. Der daͤniſche Geſandte erklaͤr-
te unter andern: Que quoique le roi ſon maitre ne pen-
ſe à rien moins qu’à ſe mêler des affaires domeſtiques
du royaume de Suede, S. M. ne pouvoit néanmoins
ſe diſpenſer de faire declarer, qu’ au cas qu’ on medi-

Ttât
[290]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
tât de changer la preſente forme de regence en Suede,
ſoit par artifice, ſoit par force, ainſi que le bruit ſ’en
eſt généralement rependu, S. M. ſe trouveroit obligée
de ſ’y oppoſer par des meſures efficaces tant pour ſes
propres intérêts
que rélativement au maintien de la
tranquillité dans le Nord. Merc. hiſt. 1749 T. I. p.
504.
und in Moſers Verſuch 6. Th. S. 385.
b]
Moſer am ang. O. beſonders S. 319.
c]
Der ruſſiſche Groskanzler Graf von Beſtuſchef-Rumin gab
den Geſandten der Hoͤfe zu Wien und London, die eine
Vermittelung zwiſchen Rußland und Schweden zu bewuͤr-
ken ſuchten, 1750 in einer Conferenz zu erkennen: Que
l’Imperatrice n’avoit pour objet que d’aßurer de plus
en plus la paix du Nord, ſur les fondemens les plus
ſolides et de contribuer par là au repos et à la proſpe-
rité de la Nation Suedoiſe; ainſi que S. M. I. ſ’y tient
obligée en vertu des traités et en conſequence des loix
du bon voiſinage. Merc. hiſt. 1750
. T I. p.
563.
Moſer 6. Th. S. 394. Bey Gelegenheit der Unruhen
in Polen aͤuſſerte der ruſſiſche Miniſter auf dem polniſchen
Reichstage 1774: Que les nations voiſines avoient
trop ſouvent été troublées par les deſordres inteſtins
de la Pologne;
qu’il etoit tems de prevenir les mêmes
inconveniens par l’établißement d’une conſtitution
ſolide et durable. Merc. hiſt. 1774. T. I. p.
593.
Moſer 6. Th. S. 359. und die Miniſter der drey ver-
bundenen Maͤchte, Oeſterreich, Preuſſen und Rußland
erklaͤrten in eben dieſer Angelegenheit unterm 4. Nov.
1776. nach Endigung des Reichstages: Apres un ouvra-
ge enfin [le Conſeil permanent] auquel, independam-
ment du bien qui en reſulte, pour la republique, les
puiſſances voiſines attachent tout l’intérêt de leuv
propre paix et harmonie
. Moſer S. 382.
d]
Verſchiedene Staaten haben theils beſtaͤndige, theils zeit-
liche Buͤndniſſe unter einander, daß ſie auch an dem Inter-
eſſe der Bundsgenoſſen Antheil nehmen, und ſich in der-
gleichen Faͤllen fuͤr ſie verwenden wollen, wie z. B. die
bourboniſchen Maͤchte. Ueberhaupt iſt dies ein Gegenſtand
der meiſten Allianzen. Moſers Verſuch am angef. O.
S. 321.
a]
Verſuch 8. B. 2. K. §. 9. S. 326. [6. Th.]
a]
F. C. v. Moſer am ang. O. §. 35. S. 317.
b]
Als 1748 der engliſche Miniſter bey der Eidgenoſſenſchaft
in Anſehung des dem Praͤtendenten nicht zu geſtattenden
Aufenthalts ſich in etwas heftigen Ausdruͤcken gegen den
Canton Freyburg herausließ, antwortete derſelbe: “Dero
Schreiben, ſo ſie ſich die Muͤhe genommen, an unſern
kleinen und großen Rath abzulaſſen, hat uns, den Aus-
druͤckungen nach, ſo unbehutſam und gegen einen ſouverai-
nen Staat ſo unanſtaͤndig geſchienen, daß wir davor hal-
ten, wir duͤrften nicht darauf antworten, um ſo mehr, da
die Art, womit ſich ſelbiges ausdruͤckt, uns keinesweges
dahin vermdgen wird, Sie, mein Herr, uͤber die Verfaſ-
ſung dieſes Staats und deſſen Souverainetaͤt zu Rath zu
ziehen.” Schweden fuͤhrte in dem Kriegsmanifeſt gegen
Rußland 1741 unter andern an, daß dieſe Macht, dem
8. Art. des Nyſtaͤdter Friedens zuwider, in die inner-
lichen Regierungsangelegenheiten, beſonders die Succeſ-
ſion des Reichs belangend, ſich gemiſcht habe. Auch die
Pforte kuͤndigte 1768 Rußland deswegen den Krieg an,
weil es ſich in die innerlichen Haͤndel Polens gemengt
hatte.
*]
Hiervon handelt weitlaͤuftig die ſchon oben angefuͤhrte Fr.
C. von Moſers Abhandlung von dem Recht eines Souve-
raius und freien Staats, den andern wegen ſeiner Hand-
lungen zur Rede zu ſtellen, ingl. J. J. Moſers Verſuch
ꝛc. 8. B. 3. K. S. 397. u. f. [6. Th.]
a]
Merc. hiſt. 1748. T. I. p. 194. Moſers Verſuch 6. Th.
S. 408.
*]
Jedoch pflegen die Souverains, bey entſtehenden Strei-
tigkeiten, freiwillig die, wenigſtens angeblichen, Gruͤnde
ihrer Handlungen dem Publikum zur Beurtheilung vorzu-
legen, und zu verſichern, daß ſie dieſelben alſo eingerich-
tet haben, wie ſie ſolche vor Gott und der Nachwelt zu
verantworten ſich getrauen; wohin die meiſten Manifeſte ꝛc.
lauten. In dem franzoͤſiſchen Kriegsmanifeſt gegen Spa-
nien
[295]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
nien 1718 heißt es: Les rois ne ſont comptables de
leurs demarches qu’à Dieu même dont ils tiennent leur
autorité. —— Mais dès qu’il importe à leur gloire
et à la tranquillité de leurs peuples, qui n’en peut
être ſeparée, que les motifs de leurs reſolutions ſoient
connus, ils doivent agir à la face de l’univers et faire
éclater la juſtice qu’ils ont conſultée dans le ſecret.

F. C. v. Moſer am a. O. §. 6. S. 289.
a]
Moſers Verſuch 8. B. 3. K. §. 3. S. 399. [6. Th.]
a]
F. C. v. Moſer am a. O. §. 15. u. f. S. 292.
a]
F. C. v. Moſer am a. O. §. 22. S. 297. Als in der
ſpaniſchen Kriegserklaͤrung gegen Grosbritannien 1739
einige dem franzoͤſiſchen Hofe bedenkliche Stellen eingefloſ-
ſen waren, gab derſelbe Spanien in einem Memorie zu
erkennen: Nachdem in der — publicirten Kriegsankuͤndi-
gung ſich Stellen finden, welche den zwiſchen Frankreich
und
[297]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
und Spanien beſtehenden Tractaten durchaus entgegen
waͤren; und gleichwie nicht nur die bekante Gerechtigkeit
Sr. Catholiſchen Majeſtaͤt, ſondern auch die Verſicherung,
die Sie an verſchiedenen Orten dieſer Declaration davon
gethan, zu erkennen gaͤben, daß Dero Meinung nicht ſey,
in Anſehung der freundſchaftlichen und alliirten Puiſſancen,
die alten Gebraͤuche und Vertraͤge zu uͤbertreten; alſo ſey
man verſichert, daß die Anzeigung dieſer Orte der Decla-
ration, wie ſie von Wort zu Wort lauten, hinlaͤnglich
ſeyn werde, Seine Catholiſche Majeſtaͤt zu bewegen,
Erlaͤuterungen daruͤber zu geben, welche die franzoͤſiſchen
Negocianten auſſer Sorgen ſtellen. Ebendaſ. S. 304.
b]
Aus dem Grunde beſchwerte ſich Preuſſen uͤber Oeſterreich,
daß es die im Tractate ſelbſt verſprochene Befoͤrderung der
Reichsgarantie des Dresdner Friedens zu verzoͤgern ſuche.
Ebendaſ. S. 306.
*]
F. C. v. Moſer am ang. O. §. 23-28. S. 297. u. f.
a]
Als 1721 die Pforte verſchiedene bedenkliche Bewegungen
mit den Truppen vornahm, auch die Grenzen an der Wal-
lachey
[299]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
lachey und Moldau befeſtigen ließ, muſte der kaiſerliche
Reſident dieſelbe deshalb zur Rede ſtellen. Sie erklaͤrte
darauf: Die Vermehrung ihrer Truppen an den Grenzen
haͤtte keineswegs die Abſicht, Teutſchland, Ungarn, oder
die Staaten des Kaiſers zu beunruhigen, ſondern betreffe
die Tripolitaner und Maroccaner. Die Befeſtigung der
Grenzplaͤtze geſchehe blos vertheidigungsweiſe und wolte ſie
uͤbrigens den Frieden mit dem Kaiſer, Rußland und Vene-
dig heilig halten. F. C. v. Moſer am a. O. §. 20.
S. 293. Der neapolitaniſche Conſul zu Livorno that,
wegen der Truppenvermehrung im Toſcaniſchen, 1741
zu Florenz die Erklaͤrung: Que S. Maj. Sicil. n’avoit pu
apprendre ſans beaucoup de ſurprice qu’ on augmentoit
les trouppes Allemandes dans l’ état de Sienne: qu’
elle ne concevoit pas ce qui pouvoit donner lieu à cette
augmentation: et qu’ainſi on ne devoit point étre ſur-
pris, qu’ elle eut renforcé de quelques regimens les
trouppes qui ſont dans l’ Etat des Garniſons;
und erhielt
zur Antwort: Qu’ on avoit außi été fort ſurpris en cet-
te cour des bruits qui ſ’ étoient repandus, que l’ arme-
ment auquel on travailloit à Naples menaçoit la Toſca-
ne, qu’ on n’ avoit pu ſ’ imaginer qu’ il y eût aucune
raiſon qui pût autoriſer une entrepriſe de cette nature:
qu’ on avoit cependant jugé à propos de ſe précaution-
ner à tout événement, et que c’ étoit là l’unique rai-
ſon de l’ augmentation des troupes dans l’ état de Sien-
ne. Merc. hiſt. 1741. T. I. p.
493. Moſers Verſuch
6. Th. S. 406.
b]
Im Jahr 1747 ließ der kaiſerlich-koͤnigliche Hof ſich
abermals bey der Pforte erkundigen: warum man Trup-
pen gegen die Wallachey und Servien defiliren lieſſe?
Die Antwort ging dahin: daß man eine Parthie derer
Truppen, deren man ſich bis dato gegen Perſien bedient,
zuruͤck zu ziehen beſchloſſen haͤtte: der kaiſerliche Hof duͤrf-
te ſich aber dieſes nicht verdaͤchtig vorkommen laſſen, in-
dem
[300]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
dem der Grosſultan uͤberhaupt alle Tractaten, welche er
mit den chriſtlichen Potenzien haͤtte, beobachten wuͤrde.
Ebendaſ. S. 294.
c]
Die Beſchaffenheit der Sachen und deren Wichtigkeit,
heißt es in dem P. M. des preuſſiſchen Miniſters an die
Kaiſerin-Koͤnigin vom 18. Auguſt 1756 wegen der dama-
ligen Kriegsruͤſtungen, erfodere eine deutlichere Antwort,
[in der erſtern erklaͤrte ſie, daß die gemachten Anſtalten
blos zu ihrer Sicherheit und zur Vertheidigung der Bunds-
genoſſen, aber zu Niemands Nachtheil abzwecke] weder
die Staaten der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. noch dieienigen
von ihren Bundsgenoſſen waͤren mit irgend einem Ueberfall
bedroht, wohl aber die Staaten Sr. Maj. des Koͤnigs in
Preuſſen, der von der zwiſchen der Kaiſerin-Koͤnigin und
Rußland geſchloſſenen Offenſivallianz gegen ihn zuverlaͤſſig
unterrichtet ſey. — Da nunmehr Se. Preuſſiſche Maj.
von allen Seiten her vernehmen, wie der Kaiſerin-Koͤni-
gin Maj. Dero vornehmſte Macht in Boͤhmen und Maͤh-
ren zuſammenziehen, wie die Truppen ganz nahe an den
Grenzen des gedachten Prinzen campiren, wie man Ma-
gazine errichtet, und einen anſehnlichen Vorrath von aller-
hand Kriegs- und Lebenserforderniſſen zuſammenbraͤchte,
wie man laͤngs den Grenzen des benanten Fuͤrſten Cordons
von Huſaren und Croaten ziehe, nicht anders, als ob der-
ſelbe bereits mit der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. in oͤffentlichen
Krieg begriffen waͤre; ſo glaubte der Koͤnig berechtigt zu
ſeyn, von Derſelben eine foͤrmliche und deutliche Erklaͤ-
rung zu fordern, welche in der Verſicherung zu beſtehen
haͤtte: daß Ihro Maj. die Kaiſerin-Koͤnigin auf keine Art
geſonnen, des Koͤnigs in Preuſſen Maj. weder in dieſem
Jahre noch in dem folgenden feindlich anzugreifen. Die-
ſem Fuͤrſten ſey hoͤchſt daran gelegen, zu wiſſen, ob er
mit der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. Krieg oder Frieden habe?
und er uͤberlaſſe von beyden die Wahl dieſer Fuͤrſtin.
Moſers Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 415.
d]
Bey Gelegenheit der ruſſiſchen Kriegsruͤſtungen 1726 ließ
Daͤnemark durch ſeinen Geſandten vorſtellen: “Die großen
Kriegsruͤſtungen, welche Rußland ſeit einigen Jahren auf
der Oſtſee gemacht habe, ſezten alle Benachbarte in Un-
ruhe. — Weil annebſt der Ruf durchgehends erſchollen,
daß alle dieſe Kriegsruͤſtungen auf Daͤnemark angeſehen
ſeyn; ſo habe der Koͤnig nicht umhin gekont, ſeine Bey-
ſorge hieruͤber zu erkennen zu geben, anbey zu verſichern,
daß er der ewigen Allianz von anno 1709 in allen Stuͤcken
getreulich nachzuleben geſonnen ſey, und ſich zu erkundi-
gen, ob die Czaarin gleicher Meinung ſey?” Dieſe aber
antwortete: Daß die an die Czaarin geſchehene An-
frage ihr ſehr fremd und unter gekroͤnten Haͤuptern
ganz ungewoͤnlich vorkomme. Gleichwie ſie es vor
unanſtaͤndig halte, den Koͤnig in Daͤnemark um die Urſa-
che zu befragen: warum er alle ſeine Zuruͤſtungen mache?
alſo glaubte ſie auch nicht ſchuldig zu ſeyn, weder dem
Koͤnig in Daͤnemark, noch andern, von ihrem Vorneh-
men Rechenſchaft zu geben. Sie wolte indeſſen dennoch
dem Koͤnig die Nachricht geben, daß Ihre Kriegsruͤſtun-
gen auf der Oſtſee keinen andern Endzweck haͤtten, als
nach dem Exempel ihres verſtorbenen Gemals, ſich in dem
Stand zu erhalten, ihren Alliirten, denen mit ihnen ge-
troffenen Verbindungen gemaͤs, beizuſtehen, wie auch ſich
und ihre Lande und Unterthanen gegen alle feindliche Un-
ternehmungen zu ſchuͤtzen, und ſich denienigen, welche
Haͤndel mit ihr anfangen wolten, zu widerſetzen. Sie
faͤnde ſich im uͤbrigen veranlaßt, den Koͤnig in Daͤnemark
hinwiederum zu fragen: ob ſie es nicht fuͤr eine oͤffentliche
Ruptur anzuſehen habe, daß er eine Eſcadre Kriegsſchif-
fe bis an die Rheede von Reval ſchicke, und mit der eng-
liſchen vereinigt habe? F. C. v. Moſer a. a. O. S. 301.
a]
F. C. v. Moſer am a. O. §. 36. 37. S. 318.
b]
Ebendaſ. §. 31. S. 309. Die Verbreitung des Geruͤchts
1738, daß der Kaiſer mit Frankreich in geheimen Tracta-
ten wegen Abtretung eines Theils der Niederlande ſtuͤnde,
veranlaßte die Erklaͤrung der Generalſtaaten an den kaiſer-
lichen Bothſchafter im Haag: Ihro Hochmoͤgenden wolten
gebeten haben, daß Ihro Kaiſerl. Maj. hieruͤber ſich ge-
nauer erklaͤren moͤchten, datait, wenn etwas in dieſen von
allen Orten her zu verſchiedenen mahlen erſchollenen Ge-
ruͤchten wuͤrklich waͤre, die Herrn Generalſtaaten bey guter
Zeit ihre Anſtalten darnach treffen, oder wenn alles ohne
Grund
[303]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
Grund ſey, wie man faſt zu hoffen haͤtte, — ſich aller
Furcht entſchlagen koͤnten.
c]
Aus dieſem Grunde haͤlt man auch alsdann eine Anfrage
fuͤr erlaubt, wenn ein Souverain uͤberhaupt zu erfahren
wuͤnſcht, was er von dem andern zu erwarten habe? So
ließ Grosbritannien 1739 beim Ausbruch des Krieges
gegen Spanien den franzoͤſiſchen Hof befragen: weſſen
man ſich zu ihm wegen der Neutralitaͤt zu verſehen habe?
“Der Allerchriſtlichſte Koͤnig, war die Antwort, wuͤrde
nicht das geringſte vornehmen, ſo lange der Krieg auf die
Weiſe, wie bisher geſchehen, gefuͤhrt wuͤrde. F. C. v.
Moſer am a. O. S. 309.
a]
Schweden ließ nach Endigung des Reichstags 1748 allen
fremden Miniſtern erklaͤren, daß die daſelbſt abgefaßten
Schluͤſſe nur dahin abzweckten, die mit ihren Hoͤfen pfle-
gende Freundſchaft und das gute Einverſtaͤndnis ohnver-
bruͤchlich zu beobachten: und bey der großen Veraͤnderung
im daͤniſchen Miniſterio 1770 ſchickte der Koͤnig einen
General-Adjutanten mit einem Schreiben nach Petersburg,
worinn er die Kaiſerin von Rußland verſicherte: daß dieſe
Veraͤnderung nicht nur keinen Einfluß auf die zwiſchen den
beyden Hoͤfen beſtehende Freundſchaft haben, ſondern ſolche
im Gegentheil noch mehr befeſtigen wuͤrde. Moſers Ver-
ſuch 6. Th. S. 407. u. 408.
b]
Moſers Verſuch am a. O. S. 402. Daͤnemark aͤuſſerte
in der oben §. 19. Not. d. angefuͤhrten Vorſtellung gegen
Rußland 1726 unter andern: Die vorige Allianz zwiſchen
Daͤnemark und Rußland von 1709 gebe zwar dem Koͤnig
große Urſach, von der Czaarin alle Proben der Freund-
ſchaft zu erwarten, weil ſie ihm aber von der auſſerordent-
lichen Ausruͤſtung der Kriegsſchiffe ꝛc., von dem Marſch
unterſchiedener Regimenter, und von den andern vielen
Praͤparatorien, auch was ſie dazu bewegt, noch keine
Nachricht mitgeteilt habe, wie doch zwiſchen Nach-
barn, die in Freundſchaft leben wollen, gebraͤuch-
lich, und Alliirte unter einander ſchuldig ſeyn ꝛc.
Allein Rußland beſchuldigte Daͤnemark hingegen ebenfals,
daß es eine Eſcadre von Kriegsſchiffen — mit der engli-
ſchen vereinigt habe, ohne Rußland vorher die geringſte
Nachricht davon zu geben, welches doch nach aller
Vernunft und Gewohnheit billig haͤtte geſchehen
ſollen, um nicht eben ſowohl, wie die engliſche Eſcadre
vor feindlich angeſehen zu werden. Fr. C. v. Moſer am
a. O. S. 301. u. 303.
Als 1751 Schweden 8000 Mann nach Finland mar-
ſchiren ließ, geſchah dem ruſſiſchen Miniſter zu Stockholm

die
[305]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
die Erklaͤrung: daß der Koͤnig hoffe, die Kaiſerin werde
dadurch keinen Argwohn bey ſich erwecken laſſen. Dieſer
antwortete: Es kaͤme nichts darauf an, ob 8000 Mann
mehr oder weniger in Finnland ſtuͤnden, doch erkenne
man es fuͤr eine beſondere Aufmerkſamkeit, daß
man Ihro Rußl. Kaiſerl. Maj. davon Part geben wollen.
Ebendaſ. S. 295.
Noch verdienen die wechſelſeitigen Erklaͤrungen Daͤne-
marks und Schwedens vom Jahre 1772 bemerkt zu
werden. Als man, der ſtarken Kriegsruͤſtungen wegen,
von beiden Seiten einen Ausbruch von Feindſeligkeiten
befuͤrchtete, that leztere Macht zuerſt die Erklaͤrung:
S. M. eſt informée par des avis certains et reiterés,
que les armemens en tous genres, qui avoient d’abord
commencé dans la Norwegue, continuent à ſe faire
avec une progreſſion redoutable, au point même que
S. M. ne ſçachant contre qui on les deſtine, ſe trouve
dans la neceſſité de ſonger à ſa propre ſureté et à la
defenſe de ſes frontières. Elle a pourtant de la pei-
ne à croire que S. M. Danoiſe veuille ſans aucune cauſe
et ſans la moindre raiſon attaquer les Etats du Roi,
et commencer une guerre qui entraineroit des ſuites
funeſtes pour le repos et la tranquillité de l’Europe.
Mais comme il eſt eſſentiel de ſ’en aſſurer par des ex-
plications ſincerement amiables entre deux princes
voiſins
et parens, S. M. ne balance pas de declarer de
la manière la plus ſolemnelle que ſon intention eſt et
ſera de maintenir, autant qu’il eſt en Elle, la paix,
l’ union et l’ amitié les plus parfaites avec S. M. Danoi-
ſe; et ſi le roi de Danemarc ſe trouve animé du même
deſir, il ſera ſans doute également diſpoſé à donner
des eclairciſſemens ſur ce ſujet, propres à convaincre
le roi de la ſincerité de ſon amitié, en éloignant tous
les ſoupçons et toutes les méfiances que S. M. cherche
ſoigneuſement de ſon coté à écarter. Merc. hiſt.

U1772.
[306]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
1772 T. II. p. 661. Moſers Verſuch 6. Th. S. 410.
Daͤnemarks Gegenerklaͤrung lautete dahin: Que S. M.
n’ hefite pas un inſtant à declarer de la manière la plus
ſolemnelle et la plus ſincère que tous les arrange-
mens militaires et ceux faits en Norwegue, dont il
eſt fait mention dans la ſurdite declaration de S. M.
Suedoiſe, n’ont et n’ont jamais eu d’autre but et objet
que la ſureté de ſes propres états et que S. M. n’a et
n’ a jamais eu le moindre deſſin d’attaquer ou d’ offen-
ſer ceux de S. M. Suedoiſe ni d’aucune manière trou-
bler le repos ou interrompre la paix et la bonne har-
monie qui ſubſiſtent ſi heureuſement entre les deux
cours et dont Elle deſire fincerement la perpetuité.

Ebendaſ.
a]
In einigen Buͤndniſſen iſt dies ausdruͤcklich bedungen.
Z. B. in einem Separatartickel des Freundſchaftstractats
zwiſchen Grosbrittannien und den vereinigten Niederlanden
von 1716 heißt es: pro caſu foederis habitum iri non
tantum ſi alteruter foederatorum vi armata hoſtiliter
impetitus fuerit, verum etiam ſi quisquam e vicinis
arma in unum vel alterum foederatorum paraverit,
minasque illi intentaverit, ſive id fiat dum apud vici-
nos delectus militum extraordinarii habentur etc.
Fr.
C. v. Moſer a. a. O. S. 306. Auch die burboniſchen
Maͤchte haben ſich, ſchon oberwaͤhntermaßen, dahin ver-
bunden. Moſers Verſuch 6. Th. S. 321.
b]
F. C. v. Moſer §. 25. S. 303.
c]
Ebendaſ. §. 13. S. 291.
a]
Fr. C. v. Moſer a. a. O. §. 40. u. f. S. 324.
b]
Ebendaſ. S. 325.
c]
Im Jahr 1674 aͤuſſerten die Generalſtaaten der verei-
nigten Niederlande gegen Schweden, in Anſehung der
zwiſchen lezterer Macht und Kurbrandenburg obſchweben-
den Irrungen: Wann nun unter allen, inſonderheit
chriſtlichen Potentaten, von Alters her, iederzeit,
um unwiderſprechlicher Urſachen willen, gebraͤuch-
lich geweſen iſt, daß wenn einer oder anderer belei-
digt worden zu ſeyn vermeynet, der Beleidigte,
ehe und bevor er zu den Waffen gegriffen, von
demienigen, welcher die Beleidigung ihm zugefuͤgt,
Satisfaction begehrt hat ꝛc. Ebendaſ. S. 308.
Als bey Gelegenheit der Wiener Allianz Grosbritannien
eine Flotte in das Baltiſche Meer ſchickte, um das Aus-
laufen der Ruſſiſchen Eſcadre zu verhindern, antwortete
die Kaiſerin unterm 25. Jun. 1726 auf das deshalb
erhaltene Schreiben: Nous ne deſavouerons pas, que
nous avons été bien ſurpriſes de ne recevoir votre
lettre qu’au même inſtant, que votre flotte parût ſur
nos côtes, et après qu’elle eut jetté l’ancre devant
Reval, puisqu’ il auroit été plus conforme à l’uſage,
etabli parmi les ſouverains
, et plus conciliable avec
l’amitié qui a ſubſiſté ſi long-tems entre nos Roiau-
mes et la Couronne de la Grande-Bretagne, ſi v. M.
avoit trouvé bon de ſ’expliquer avec nous ſur l’om-
brage, que lui pouvoit donner notre armement, et
d’ attendre là-deſſus nôtre reponſe
, avant que d’ en
venir à un pas ſi offenſant.
S. 327.

Auf
[309]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
Auf dieſe Art beſchwerte ſich Rußland auch 1741 uͤber
die Schwediſche Kriegserklaͤrung. C’ eſt une choſe
inouïe,
hieß es in dem Gegenmanifeſt, dans la Chre-
tienté et même parmi les nations les plus ſauvages et
les payens, qui n’ ont aucune connoiſſance du vrai
Dieu, qu’on declare la guerre, comme la Suede vient
de le faire, avant que d’ avoir fait connoitre le ſujet
de mecontentement et expoſé des griefs fondés pour
en demander ſatisfaction.
Ebendaſ. S. 330.
*]
Fr. C. v. Moſer am a. O. §. 44. u. f. S. 330. Bey
Gelegenheit der leztern Irrungen zwiſchen dem Kaiſer und
den vereinigten Niederlanden, wurde gemeldet: Der fran-
zoͤſiſche Geſandte habe in einer Audienz bey dem Staats-
ſekretaͤr Lord Sidney foͤrmlich die Frage zur Beantwortung
U 3der
[310]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
der Regierung vorgelegt: ob, im Fall es zum offenbaren
Bruch zwiſchen der Republick und dem Kaiſer kommen
ſollte, Grosbritannien, den Tractaten gemaͤs, den Hol-
laͤndern beiſtehn, oder ein muͤſſiger Zuſchauer bey einem
Kriege verbleiben wolle, in den das Intereſſe aller euro-
paͤiſchen Staaten verwickelt ſey?
a]
Fr. C. v. Moſer §. 63. u. 66. S. 339. u. 344. ingl. J.
J. Moſers Verſuch, 6. Th. S. 402. Die Ruſſiſchen
Antworten auf die Daͤniſchen und Franzoͤſiſchen Anfragen
von 1726 und 1748 ſind ſchon oben angefuͤhrt worden.
In der preuſſiſchen Anfrage an den Kaiſerl. Koͤnigl. Hof
von 1756 hieß es unter andern: Wenn man Sr. Preußl.
Maj. eine ungewiſſe und unſchluͤſſige Antwort ertheilen
werde, ſo habe ſich der Kaiſerin-Koͤnigin Maj. alle die
Folgen beizumeſſen, welche dieſe Art des Stilſchweigens
nach ſich ziehen wird; Hoͤchſt Dieſelben wuͤrden dadurch
das gefaͤhrliche Vorhaben eingeſtehen, welches mit Ruß-
land wider beſagte Preußl. Maj. waͤre beſchloſſen worden.
J. J. Moſers Verſuch 6. Th. S. 416.
b]
Politiſches Journal, Julius 1784 S. 760. Auguſt
S. 902.
c]
Der Ruſſiſche Geſandte erwiederte 1749 auf die von
Schweden in Anſehung der, dem Geruͤchte nach, im
Werke ſtehenden Veraͤnderung der Regierungsform ertheilte
Erklaͤrung: Die Ruſſiſche Kaiſerin koͤnne nicht finden,
daß dieſe Verſicherungen wichtig genug waͤren, um ſich
gaͤnzlich darauf zu verlaſſen, und es muͤſte bey einer
Sache von ſolcher Wichtigkeit auch ſogar der Schatten
einer Zweideutigkeit vermieden werden. J. J. Moſers
Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 388.
d]
Fr. C. v. Moſer a. a. O. §. 60. S. 336.
e]
Der Koͤnigl. Preußl. Miniſter aͤuſſerte 1756 in einer
nochmaligen Vorſtellung an den Kaiſerl. Koͤnigl. Hof:
daß das vorige Memoire ein Begehren in ſich enthalte,
welches des Koͤnigs in Preuſſen Maj. an der Kaiſerin
Koͤnigin Maj. gelangen laſſen zu koͤnnen ſich berechtigt
geglaubt, naͤmlich die Erteilung einer foͤrmlichen und
deutlichen Erklaͤrung, welche in der Verſicherung beſtehe:
daß der Kaiſerin Koͤnigin Maj. nicht geſonnen ſeyn, des
Koͤnigs in Preuſſen Maj. weder in dieſem noch im fol-
genden Jahre anzugreifen. — Der Endesbenante Mini-
ſter erwartet demnach von der Kaiſerin Koͤnigin Maj. eine
nach denen oben vorgeſchriebenen Worten eingerich-
tete Antwort. J. J. Moſers Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 419.
Als 1732 Spanien zu Beſetzung des Toſcaniſchen Ge-
bietes 6000 Mann debarqvirte und zu Wien die Ver-
mehrung dieſer Anzal beſorgt ward, ließ letzterer Hof das
Formular einer Declaration aufſetzen, welches die ſpani-
ſchen Miniſter zu Wien und in Italien unterſchreiben
ſolten, daß man naͤmlich uͤber iene 6000 Mann keine
weiter ins Florentiniſche einfuͤhren wolle. Der ſpaniſche
Miniſter in Italien unterſchrieb ſolches auch wuͤrklich. F.
C. v. Moſer §. 62. S. 338.
f]
Fr. C. v. Moſer §. 57. u. 58. S. 336.
a]
In einem Schreiben, welches der Koͤnig von Preuſſen
an Grosbritannien 1749 wegen der von Rußland und
andern Maͤchten beſorgten Regierungsveraͤnderung in
Schweden, erließ, heißt es: Mich duͤnkt, daß die Er-
klaͤrung, welche der Prinz, [Thronfolger in Schweden]
und der Senat letzthin dem Ruſſiſchen Hofe dieſes Punkts
wegen gethan, ſo deutlich, ſo gemeſſen und ſo weißlich
ſey, daß ſie denen Maͤchten, welche ſich fuͤr die Beibehal-
tung der gegenwaͤrtigen Regierung dieſes Reichs intereſſi-
ren, nicht das geringſte mehr zu verlangen uͤbrig laͤßt.
Fr. C. v. Moſer ꝛc. §. 61. S. 338. Im Jahr 1756
aͤuſſerte die Kaiſerin Koͤnigin, als man ſich Preuſſiſcher
Seits mit der Verſicherung: daß die getroffenen Kriegs-
anſtalten blos ihre und ihrer Bundsgenoſſen Vertheidigung
zur Abſicht haͤtten, nicht begnuͤgen wollte: Ihre Kaiſerl.
Koͤnigl. Majeſtaͤt haben ohne Zweifel das Recht, die
Umſtaͤnde der Zeit nach eignem Gutduͤnken zu beurteilen,
und niemand andern komt es zu, die Beſchaffenheit der
Gefahr zu beſtimmen, welche Allerhoͤchſtdieſelben zu beſor-
gen haben. Auſſerdem iſt allerhoͤchſt dero erwaͤhnte Er-
klaͤrung ſo deutlich, daß man ſich nie vorgeſtellt, daß
ienſeits eine Dunkelheit darin gefunden werden koͤnte. J.
J. Moſers Verſuch ꝛc. 6. Th. S. 417.
b]
Ebendaſ. S. 404.
c]
Fr. C. v. Moſer a. a. O. S. 337.
a]
Der Koͤnigl. Preuſſiſche Miniſter von Klinggraͤf that 1756
wiederhohlte Vorſtellungen bey der Kaiſerin Koͤnigin Maj-
wegen
[315]Handlungen nach ihrem Gefallen einzurichten.
wegen der zu ertheilenden oberwaͤhnten beſtimten Erklaͤrung.
Ungeachtet, aͤuſſerte derſelbe unterm 2. Sept., dem Koͤnige
nichts mehr uͤbrig bleibe, als die zu ſeiner Sicherheit
benoͤthigte Maasregeln zu ergreifen; ſo hat demungeach-
tet dieſer Fuͤrſt, um ſein aufrichtiges Verlangen zu Erhalt-
ung des Friedens und der gemeinſchaftlichen Ruhe zu
erkennen zu geben, ſich entſchloſſen, abermalen dem En-
desbenannten Miniſter aufzutragen, nunmehro zum drit-
tenmale von der Kaiſerin Majeſtaͤt die Verſicherung zu
verlangen: daß ꝛc. und ſchon vorher erklaͤrte derſelbe, daß,
wenn man gegenſeitig von dieſem zur Zeit eines vollkom-
nen Friedens gemachten Zuruͤſtungen nicht abſtehen wuͤr-
de, Sr. Preußl. Maj. ſolches nicht anders als eine offen-
bare Declaration feindſeliger Abſichten anſehn koͤnten.
Moſers Verſuch 6. Th. S. 413. u. 419.
b]
So verlangte Rußland 1750, daß andere Maͤchte die
Verſicherung der Krone Schweden, wegen Beibehaltung
der bisherigen Regierungsform, garantiren ſolten. Merc.
hiſt.
1750 T. I. p.
304. u. Moſers Verſuch a. a. O.
S. 391. u. f.
c]
Die Ruſſiſche Kaiſerin erklaͤrte 1749 in eben dieſer Ange-
legenheit, als ihr die ſchwediſche Verſicherung nicht zuver-
laͤſſig genug ſchien: daß Sr. Kaiſerliche Majeſtaͤt aller
Reußen ſich bemuͤßiget ſaͤhen, Trouppen nach Finnland
marſchiren zu laſſen, die ſo lange daſelbſt verbleiben ſolten,
bis ein neuer Koͤnig ausgerufen und von demſelben der
Eid abgelegt worden, daß er die gegenwaͤrtige Regier-
ungsform handhaben und die Tractaten, namentlich den
zu Neuſtadt, beobachten wolle. Ebendaſ. S. 388.
d]
Ebendaſ. S. 405.
e]
Verſuch ꝛc. 3. B. 3. K. §. 9. S. 257. [Th.]
f]
Als Frankreich 1741 wegen der von Grosbritannien ihm
zugefuͤgten Beleidigungen in Amerika, nach vergeblichen
Vor-
[316]Von der Freiheit der Nazionen, ihre
Vorſtellungen, ſeine Eſcadern zu Breſt und Toulon aus-
laufen ließ, ward in der Anzeige der Urſachen ꝛc. geaͤuſ-
ſert: weil der grosbritanniſche Abgeſandte keine Antwort
auf eine ſo wichtige Sache gab, erachtete der Koͤnig fuͤr
noͤthig, es nicht laͤnger zu verſchieben, ſeine Schiffe aus-
zuruͤſten, um ſich in den Stand zu ſetzen, einer Gefahr
zuvorzukommen, die alle Tage dringender ward. Fr. C.
v. Moſer a. a. O. S. 345. In dem letztern Kriege
zwiſchen Frankreich und Grosbritannien gab erſterer Hof in
dem Expoſé des motifs etc. vom 13. Jul. 1779 zu
erkennen: La Cour de Londres faiſoit dans ſes Ports
des préparatifs et des armemens, qui ne pouvoient
avoir l’ Amerique pour objet. Leur but etoit par
conſequent trop determiné, pour que le roi put ſ’y
meprendre; et dès-lors il devint d’ un devoir rigou-
reux pour S. Majeſté de faire des diſpoſitions ca-
pables de prevenir les mauvais deſſins
de Son ennemi
et des depredations et des inſultes pareilles à celles
de
1755.
*]
J. J. Moſers Verſuch 8. B. 4. K. S. 420. u. f.
[6. Th.] Spanien ließ ſich 1726 in Betref der Oſtin-
diſchen Compagnie, gegen die vereinigten Niederlande alſo
heraus: Il eſt évident, que l’ independance ſouveraine
ſeroit bleſſée, ſ’ il falloit rendre compte à quelque
Potentat que ce fut, des privilèges ou autres facilités
pour le commerce, qu’ un Monarque accorde dans ſon
royaume à quelque nation ou ſujets d’ un autre mo-
narque ou prince, comme perſonne n’ ignore, que cela
eſt du Domaine abſolu de Souveraineté, et que cela
depend de ſon libre arbitre, on ſcait auſſi, que ſa Ma-
jeſté n’a ſigné aucun traité et ne ſ’eſt engagée de refu-
ſer aux uns les faveurs qu’elle donne aux autres, par-
ce qu’elle ſe priveroit par là de cette liberté abſolue fi
eſſentielle aux Souverains.
Fr. C. v. Moſer a. a. O.
S. 314.
a]
Moſers Nachbarliches Staatsr. 2. B. 1. K. §. 7. S. 79.
b]
Ebendeſſelben Verſuch ꝛc. 1. Th. S. 37.
c]
Daß iedoch, wie Art. VI. §. 4. der Wahlcapit. in An-
ſehung der Buͤndniſſe bedungen, alles unverletzt des Eides
geſchehe, womit ein ieder Stand dem regierenden roͤmi-
ſchen Kaiſer und dem heiligen roͤmiſchen Reich verwandt
iſt.
d]
Man vergl. Inſtr. Pac. Oſn. Art. VIII. §. 2.
e]
So heißt es z. B. in der Wahlcapit. Art. XV. §. 8.
Immaſen denn auch Churfuͤrſten, Fuͤrſten und Staͤnden
ꝛc. zugelaſſen und erlaubt ſeyn ſoll, ſich nach der Verord-
nung der Reichsconſtitutionen bey ihren hergebrachten und
habenden landesfuͤrſtl. und herrlichen Juribus ſelbſten und
mit Aſſiſtenz derer benachbarten Staͤnden wider ihre Un-
terthanen zu manuteniren, und ſie zum Gehorſam zu
bringen, iedoch andern benachbarten oder ſonſt in-
tereſſirten Staͤnden ohne Schaden und Nachtheil.
vergl. Moſers Nachbarl. St. R. S. 249. u. f.
f]
Man ſehe J. St. Puͤtters Abh. von beſondern Beſtim-
mungen der Landeshoheit aus der gemeinſamen Verbin-
dung, worinnen alle Reichsſtaͤnde unter einander ſtehn;
in deſſen Beitr. zum teut. Staats- und Fuͤrſtenr. 1. Th.
S. 293. u. f.
g]
Moſers nachbarl. Staatsr. 2. B. 1. K. §. 7. S. 78.
h]
Ebendeſſelb. ausw. Staatsr. 2. B. 13. K. §. 4. S.
161. u. 4. B. 3. K. S. 292. u. f.
*]
Einigermaſen gehoͤren hierher:
Nic. Eph. Lyncker diſſ. de libertate ſtatuum imperii,
Ien.
1678 und
Ejusdem diſſ. de his quae principum ſtatuumve impe-
rii libertati perperam accenſentur, ib. eod.
a]
Wolf. J. G. c. I. §. 35. u. 70. c. VI. §. 640.
a]
Semper ita moris fuit, inferiorem a potentiore ſubiu-
gari
ſagt Thucidides im erſten Buche.
a]
J. J. Schmauß in der Einleitung zur Staatswiſſen-
ſchaft ꝛc. 1. Th. Anhang: Raiſonnement uͤber den
gegenwaͤrtigen Zuſtand der Balance von Europa
ſagt: Der gemeine Haufe ſtelt ſich bey der Univerſalmo-
narchie vor, ein ſolcher Monarch wuͤrde immediate in
allen Laͤndern von Europa das Regiment fuͤhren, alle
andere Regenten veriagen, die Unterthanen um alle Rech-
te, Freiheiten, Geſetze und Gewohnheiten bringen, und
dergleichen. So lange nun dieſes nicht geſchieht; ſo
lange ſie ſehen, daß in Spanien, Sardinien, Neapel,
Engelland, Holland, Teutſchland ꝛc. noch abſonderliche
Regenten vorhanden ſind, und dieſe Reiche nicht unter
einem Haupte ſtehen, ſo laſſen ſie ſich bethoͤren, es
waͤre alles in genugſamer Sicherheit. Sie bedenken nicht,
daß es einem Univerſalmonarchen unmoͤglich ſey, ſelbſt in
Perſon ein iedes Reich in Europa zugleich und immediate
zu regieren; daß er ſeine Oberherrſchaft nothwendig durch
ſubalterne Regierungen fuͤhren muͤſſe: daß es ia gleichguͤl-
tig ſey, ob die Subalternen den Titel von Amtleuten,
oder Gouverneurs, oder Vice-Ré, oder Koͤnigen fuͤhren;
daß alſo eine veritable Univerſalmonarchie und Oberher-
ſchaft uͤber viele Koͤnigreiche zugleich ſeyn koͤnne, wenn
gleich dieſe nicht immediate unter einem Haupte ſtehen,
ſondern iedes Koͤnigreich ſeinen beſondern ſubalternen Re-
genten unter dem aͤuſſerlichen Schemate eines Koͤnigs
behaͤlt.
b]
L. M. Kahle de trutina Europae §. 1.
c]
Curtius L. IX. c. 6. erzaͤhlt uns, daß Alexander der
Große ſelbſt einſt gegen ſeine Freunde geaͤuſſert: Orſus a
Macedonia imperium, Graeciam teneo, Thraciam et

Illy-
[325]und deren Gleichgewicht.
Illyricos ſubegi: etc. — iamque haud procul abſum
a fine mundi, quem egreſſus aliam naturam alium
orbem aperire mihi ſtatui.
d]
Die Herſchaft der Roͤmer war ohnſtreitig eine der weit-
laͤuftigſten; in wiefern ſie aber den Titel: Herrn der
Welt verdient, davon iſt ſchon oben im 2. Kap. etwas
geſagt worden.
e]
Neyron principes L. I. c. 2. Art. 2. §. 31—36.
f]
Kahle a. a. O. §. 2. 3. 4. Man vergl. Moſers
Grundſaͤtze des europ. V. R. in Frz. 1. B. 7. Kap. Von
dem Project einer Univerſalmonarchie in Europa S. 61.
u. f.
g]
Sie hatten, beſonders unter Solimann II. bereits den
groͤßten Theil von Aſien im Beſitz, und anſehnliche Erobe-
rungen in Europa gemacht. Haͤtten ſie, wie Stiſſer in
den Erinnerungen uͤber Kahlens Abhandlung bemerkt,
nicht eine unmittelbar beherſchte Univerſalmonarchie zum
Endzweck gehabt, ſo wuͤrden ihre Abſichten in der Folge
vielleicht weniger vereitelt worden ſeyn. Erinnerungen ꝛc.
S. 52.
h]
Kahle a. a. O. §. 21.
i]
Huldenburg de Aequilibrio, C. I. §. 4. u. 5.
a]
ſ. des Freiherrn von Bielefeld, Lehrbegriff der Staats-
kunſt 2. Th. 4. Hauptſt. §. 19. und Ad. Rechenberg
diſſ an monarchia uniuerſalis in Europa ſit expectan.
da?
in ſeiner diſſ. hiſt. n. XII.
b]
Cette balance politique nait naturellement de la jalou-
ſie reciproque, iuſte et raiſonnable des ſocietés et des
nations, v. Herzberg
am nachher angefuͤhrten Orte.
c]
Beiſpiele aus den aͤltern Zeiten findet man in Teſmari
not.
und Cocceji Comment. ad Grot. J. B. et P. L. II.
c. I.
§. 17.
*]
Es giebt eine Menge beſonderer Schriftſteller uͤber das
Gleichgewicht. Die vorzuͤglichſten ſind:
Io. Iac. Lehmanni trutina vulgo bilanx Europae nor-
ma belli pacisque hactenus a ſummis imperantibus
habita etc. Ienae
1716 8.
Ge. Lud. Erasm. de Huldenberg diſſ. de aequilibrii
alioque legali juris gentium arbitrio in gentium

con-
[327]und deren Gleichgewicht.
controuerſiis pacis tuendae cauſa interponendo,
Helmſt.
1720 1748. 4.
Lud. Mart. Kahle diſſ. de trutina Europae quae vulgo
appellatur
die Balance von Europa, praecipua belli
et pacis norma, Goetting.
1744. Auch franzoͤſiſch
unter dem Titel: La balance de l’ Europe etc. à Ber-
lin
1744. 8.
Daruͤber kamen: Freimuͤthige und beſcheidene Erin-
nerungen ꝛc. Leipzig 1745 u. 1746. und dagegen;
Neue Erlaͤuterungen ꝛc. Hannov. 1746. 8. heraus.
J. J. Schmauſſens Einleitung zu der Staatswiſſen-
ſchaft ꝛc. enthaͤlt im erſten Theile hauptſaͤchlich. Die
Hiſtorie der Balance von Europa ꝛc.
Sur la veritable richeſſe des états, la balance du com-
merce et celle du pouvoir. Diſſertation, qui a été
lue dans l’ aſſemblée publique de l’ Académie des
ſcences et des Belles-lettres à Berlin par M. de
Herzberg
1786.
a]
Z. B. Kahle a. a. O. ſagt: Eſt trutina ſeu bilanx
gentium
, vulgo die Balance inſtitutum gentium, quo
imperia ita confirmantur, ut proportio virium determi-
nata ſervetur; ne in damnum aliorum nimis augeatur,
ſed ſalus communis populorum commode ſuſtineatur.
Ickſtadt L. IV. c.
7. §. 6. giebt davon dieſen Begrif:
Aequilibrium inter gentes dicitur talis populorum
plurium ad ſe invicem relatorum ſtatus atque conditio,
ut increſcenti unius vel quorundam potentiae aequale
ſemper virium robur opponi atque ita, ne nocere poſ-
ſit, effici valet,
womit auch Wolf C. VI. §. 642.
groͤßtentheils einſtimt.
b]
Am ang O. S. 9. heißt es: Cette balance politique
n’ eſt autre choſe que l’ union contractée ſoit formelle-
ment ſoit tacitement entre certains Etats d’une moin-
dre puiſſance, pour mettre en ſûreté leur exiſtence,
leur liberté et leurs poſſeſſions en empêchant par leurs
forces réunies les progrès ulterieurs et les deſſins trop
vaſtes, réels ou poſſibles, de telle autre puiſſance qui
eſt déja devenue preponderante par toutes ſortes de
chances et d’ événemens, ou qui veut le devenir
encore davantage.
c]
S. 141. u. f.
d]
Neyron L. I. c. 2. Art. 3. §. 37. u. f.
a]
Der Verfaſſer der Erinnerungen [S. 131. u. f.] hat ſich
viele Muͤhe gegeben deshalb den Kahliſchen Begriff vom
Gleichgewichte zu verwerfen. Aber immer nimt er nur
auf das Verhaͤltnis eines einzelnen Staats zum andern
einzelnen Ruͤckſicht; woraus natuͤrlich folgt, daß ein
Gleichgewicht unter ihnen nicht fuͤglich Statt finde; daß
es moͤglich ſey, daß ein Staat zum Schaden des andern
ſeine Kraͤfte gar zu ſehr vermehre und ſolche Vermehrung
doch die Staatswage im mindeſten nicht verruͤcke ꝛc. Je-
doch ſieht er gar wohl ein, worauf es ankomme, indem
er ſagt: “In der That aber iſt die Balance der Voͤlker
entweder eine leere Erfindung muͤſſiger Koͤpfe, deren An-
wendung in den oͤffentlichen Kriegs- und Friedensgeſchaͤf-
ten weder Nutzen ſchaft, noch Statt findet, oder ihr
weſent-
[332]Von der Macht der Nazionen
weſentlicher Vorwurf muͤſſen die großen Vermehrungen der
Macht ſeyn, wozu ein Volk von Gott und Rechtswegen
befugt iſt, deren Erlangung aber andere Nazionen der
Gefahr einer kuͤnftigen Unterdruͤckung ausſetzt, ohne ihnen
die Ueberzeugung zu geben, daß ſie dieſem itzo noch kuͤnf-
tigen Uebel, bey deſſen wuͤrklichem Einbruch werden
widerſtehn koͤnnen. S. 154.
b]
In der Chimaͤre des Gleichgewichts von Europa 2.
Hauptſt. S. 27. u. f.
c]
Lehmann c. III. §. 8. Neyron L. I. c. 2. Art. 3.
§. 37.
d]
Kahle §. XVI.
e]
Ickſtadt L. IV. c. 7. §. 7. u. 9.
f]
Lehmann a. a. O. §. 16.
a]
Nic. Hier. Gundlingii ſtatus naturalis Hobbeſii in Cor-
pore I. C. defenſus et defendendus, Halae
1706. 4.
Viele Voͤlkerrechtslehrer nehmen dieſen als den Haupt-
grund-
[334]Von der Macht der Nazionen
grundſatz des Gleichgewichtsſyſtems an, als Kahle §.
6. etc.
Ihn widerlegt beſonders v. Juſti a. a. O. S.
88. Man vergl. auch Glafeys Voͤlkerr. c. II. §. 78. u. f.
b]
Kahle §. IV. u. V.
c]
Glafey am a. O. §. 77.
d]
Jedoch fehlt es auch an Beiſpielen nicht, wo die aͤltern
Nazionen daſſelbe ausdruͤcklich zur Richtſchnur angenom-
men haben. Merkwuͤrdig iſt die Erzaͤhlung des Poly-
bius
1. B. 83. K. vom Sicilianiſchen Koͤnige Hiero:
Hiero autem animum ad eam rem advertens, toto
quidem belli tempore ſtudioſe quicquid rogaverant ipſis
contulerat: tum vero impenſiore etiam ſtudio in eam
curam incumbebat: perſuaſus expedire ſibi cum ad
ſuum in Sicilia dominatum firmandum, tum ad Roma-
norum amicitiam, ſaluti Carthaginenſium eſſe conſul-
tum: ne in poteſtate praepotentium penitus foret,
quicquid libuiſſet nemine aduerſante facere, prudenter
omnino et ſapienter rem putans: nunquam enim ejus-
modi principia comtemnere oportet, neque tanta cui-
quam aſtruenda eſt potentia, ut cum eo poſtea de tuo
quamuis manifeſto iure diſceptare ex aequo non queas.

Man vergl. Kahle §. XIII.
a]
von Juſti a. ang. O. 1. Hauptſt. S. 18. u. f.
b]
Kahle §. I. u. XIII.
c]
Ebendaſelbſt §. X.
d]
S. 9. der franz. Ausgabe. Man vergl. Huldenburg
C. V.
u. f.
a]
von Juſti 1. Hauptſt. S. 25. u. f.
b]
Kahle §. XIV.
a]
Am ang. O. S. 12. u. f. Es findet ſich auch eine
Geſchichte des Gleichgewichts von Europa bis auf
das Abſterben Kaiſer Karls
VI. in Adelungs Staaten-
geſchichte Europens ꝛc. 1. Band, S. 337. u. f. Man
vergl. ferner: von Juſti Chimaͤre ꝛc. 1. Hauptſt. S. 18.
u. f. v. Bielefeld Staatskunſt 4. Haupſt. §. 28.
b]
J. J. Moſers Beitraͤge in Frz. 1. Th. S. 53. ſagt, es
habe England ſich von ieher die Erhaltung des Gleichge-
wichts in Europa ſehr angelegen ſeyn laſſen, und gleichſam
das Zuͤnglein in der Wage ſeyn wollen.
c]
Politiſches Journal, Januar 1781. S. 17.
d]
Otto Reichsfreiherr von Gemmingen uͤber die koͤnigl. preuſ-
ſiſche Aſſociation zu Erhaltung des Reichsſyſtems.
e]
Polit. Journal, December 1785. S. 1244. u. f.
a]
Dumont Corps diplomat. T. VII. P. II. p. 442. Ich
bediene mich hier der teutſchuͤberſezten Stellen, wie ſie beim
Lehmann a. ang. O. S. 15. u. f. anzutreffen.
b]
Corps diplom. a. ang. O. p. 477.
c]
SchmauſſensCorp. Jur. Gent. Acad. T. II. S. 1153.
d]
Lehmann S. 26.
e]
Corps diplom. T. VIII. P. I. p. 127.
f]
SchmaußC. J. G. T. II. S. 1160.
g]
Ebendaſelbſt S. 1312. Die erſte Renunciation iſt in
ſpaniſcher Sprache abgefaßt. Die hier angefuͤhrten teut-
ſchen Puncte habe ich aus dem Lehmann S. 30. genom-
men.
h]
SchmaußT. I. S. 1722.
i]
Ebendaſ. S. 1740.
k]
Ebendaſ. S. 2012.
l]
Moſers Beitr. zum europ. Voͤlkerr. in Friedensz. 1. Th.
S. 68.
m]
SchmauſſensCorpus Jur. Publ. Acad. S. 1400.
n]
Recueil hiſtorique etc. de Rouſſet T. VII. p. 464.
o]
Moſer am ang. O. S. 70.
p]
SchmaußCorp. J. G. T. II. S. 2077.
q]
Glafeys Voͤlkerr. c. II. §. 86. ingl. Erinnerungen uͤber
KahlensBalance S. 27.
r]
Martens Prim. lin. jur. gent. L. IV. c. I. §. 94. [die ich
ſo eben erhalte.]
a]
Lehmann am ang. O. c. III. §. 8. u. 9.
a]
Wolf J. G. c. VI. §. 643. Huldenburg am ang. O.
c. III. §. 9. 10.
b]
Lehmann c. II. §. 52. u. 55.
a]
Lehmann c. II. §. 60.
b]
Erinnerungen uͤber Kahlens Balance ꝛc. S. 165. u. f.
c]
Man vergl. Wolf J. G. c. VI. §. 649. und Glafeys Voͤl-
kerr. c. II. §. 9. 9. u. f.
a]
Io. Geo. Neureuter de juſtis aequilibrii finibus Mo-
gunt.
[367]und deren Gleichgewicht.
gunt. 1746. 4. Man vergl. Huldenburg am ang. O.
C. IV. von Bielefeld 4. Hauptſt. §. 29.
b]
v. Bielefeld a. a. O. §. 30.
c]
Puffendorf J. N. et G. L. II. c. 5. §. 6. L. III. c. 6.
§. 5. Wolf c. VI. §. 641. Vattel L. III. c.
3. §. 48.
d]
Cocceji in Comment. ad Grot. L. II. c. 1. §. 17. be-
zweifelt iedoch, daß eine Nazion von der andern derglei-
chen Sicherheit fodern koͤnne: dieſe haͤtte vielmehr Urſach,
eine ſolche Zumuthung als eine ſelbſt durch Krieg zu raͤchen-
de Beleidigung anzuſehn.
e]
Ickſtadt Elem. Jur. Gent. L. IV. c. 7. §. 9. Coroll.
et Schol.
f]
Kahle a. a. O. §. VI.
g]
Lehmann c. II. §. 54.
h]
Vattel L. III. c. 3. §. 44. Kahrels Europ. Staats-
und V. R. S. 20.
i]
Illud vero minime ferendum eſt, ſagt derſelbe, quod
quidam tradiderunt, jure gentium arma recte ſumi ad
imminuendam potentiam creſcentem quae nimium au-
cta nocere poſſet. Fateor in conſultationem de bello
et hoc venire, non ſub ratione juſti, ſed ſub ratione
utilis: ut ſi ex alia cauſa juſtum ſit bellum, ex hac
cauſa prudenter quoque ſuſceptum judicetur: nec aliud
dicunt, qui in hanc rem citantur auctores. Sed ut
vim pati poſſe ad vim inferendam jus tribuat, ab omni
aequitatis ratione abhorret. Ita vita humana eſt, ut
plena ſecuritas nunquam nobis conſtet. Adverſus in-
certos metus a divina providentia et ab innoxia cautio-
ne, non a vi praeſidium petendum eſt. L. II. c.
2.
§. 17. und: Metum ergo ex vicina potentia non ſuf-
ficere ſupra diximus. Vt enim juſta ſit defenſio, ne-
ceſſariam eſſe oportet, qualis non eſt niſi conſtet, non
tantum de potentia, ſed et de animo, et quidem ita

con-
[368]Von der Macht der Nazionen
conſtet, ut certum id ſit ea certitudine quae in mora-
li materia locum habet. Lib. II. c.
22. §. 5. Man
vergl. Wolf c. VI. §. 640. u. 651.
k]
Wolf a. a. O. §. 646.
l]
Ickſtadt a. a. O. §. 10. Quodſi, heißt es daſelbſt,
per acquiſitiones iſtas, a populo uno, aut etiam pluri-
bus nexu perpetuo inter ſe confoederatis, eademve
fors familia regnatrice gubernatis factas, aequilibrium
ita tollatur, ut nullis amplius in contrarium ictis foe-
deribus reduci queat: quodſi familia regnans atque
gens acquiſitura affectati praedominii ambitaequae ſu-
perioritatis in populos reliquos manifeſta huiusque in-
dicia dederit; quodſi aliunde, praepotentiam in rerum-
publicarum aliarum ruinam verſum iri, probabile ad-
modum, vel certum plane exiſtat, neque tamen ſecu-
ritatem cautionemque idoneam eadem praeſtare parata
ſit; quin ſub his circumſtantiis, ex una parte aequi-
pondii ſublatio, et ex altera idem integrum ſervandi
obligatio juſtam bello cauſam praebeat, dubitari ne-
quit.
m]
Cocceji ad Grot. L. II. c. 1. §. 17.
n]
Frankreich aͤuſſerte daher 1739 bey Gelegenheit des Krie-
ges zwiſchen Grosbritannien und Spanien, auf die An-
frage der erſtern Macht wegen der Neutralitaͤt: Dafern
die Englaͤnder, wie ihre Abſicht zu ſeyn ſchiene, ſich eines
oder des andern Platzes in dem ſpaniſchen Weſtindien be-
maͤchtigten, ſo koͤnte man alsdenn nicht umhin, zu Er-
haltung des Gleichgewichts die Parthey der Kron Spa-
nien zu ergreifen. Fr. C. von Moſers kleine Schriften
6. Th. S. 309. Als ferner Frankreich mit den Nord-
amerikanern waͤhrend ihres Krieges mit Grosbritannien,
ſich in ein Buͤndnis einlies, und ſie fuͤr unabhaͤngig erkan-
te, entſchuldigte es dies Verfahren damit: En traitant
avec
[369]und deren Gleichgewicht.
avec les Americains devenus independans, le Roi n’a
exercé un droit inhérent à la ſouveraineté que pour
faire ceſſer une prepotence dont l’ Angleterre abuſoit
dans les quatre parties du monde
. Ainſi bien loin
que le Roi ait eu à craindre de pêcher contre l’ inté-
rêt de ſon état, dans la ſuppoſition qu’il pourroit nui-
re à celui des autres Souverains de l’ Europe — il a
au contraire veillé eſſentiellement à l’ intérêt de tous
en concourant à reſtreindre une puiſſance qui a tou-
jours porté jusqu’ à l’ excès l’ abus de ſes moyens
. —
La Cour de Londres préſente Sa Maj. comme n’ ayant
eu d’ autre objet que de ſatisfaire ſon ambition immo-
derée — mais on n’ y decouvrira rien autre choſe, en
dernière analyſe, ſi ce n’ eſt une diminution de cette
même puiſſance, diminution que l’ Angleterre a Elle-
même provoquće par la conduite la plus injuſte et la
plus inconſequente et que la tranquillité et le bonheur
de l’ Europe demandent depuis long-tems: on en ap-
pelle à cet égard au jugement de toutes les nations
qui ont la moindre relation ſoit politique ſoit mercan-
tile avec la Grande-Bretagne. Obſervations ſur
le Memoire juſtificatif de la Cour de Londres
.
o]
Wolf c. VI. §. 640. 650. 651. Vattel L. III. c. 3.
§. 44. 45. 49. Schrodt Syſt. J. G. P. III. c. II.

§. 20-22.
p]
Die vereinigten Niederlande bedungen in einem Separat-
artickel ihres Beitritts zum Wiener Frieden, daß die Ga-
rantie der Erbfolge des Hauſes Oeſterreich, nach der
pragmatiſchen Sanction, alsdenn nicht Statt haben ſolte,
wenn dieienige von den Erzherzoginnen, auf welche ſolche
fiele, einen ſo maͤchtigen Herrn heirathen ſolte, daß da-
durch das Aequilibrium von Europa in Gefahr kaͤme;
es ſey denn, daß dieſer Herr, in dieſem Fall, ſeine ihm
vor der Heirath zugehoͤrig geweſenen Lande an ſeine naͤch-
ſten Aguaten abtreten wolte.
q]
Die Streitigkeiten uͤber das unlaͤngſt vorgeweſene Aus-
tauſchungsgeſchaͤft Baierns gegen die oͤſterreichiſchen Nie-
derlande und der dadurch veranlaſte teutſche Fuͤrſtenbund
koͤnnen hierbey zum erlaͤuternden Beiſpiel dienen.
r]
Lehmann a. a. O. C. III. §. 25. nimt zu einer Grund-
regel des Syſtems vom Gleichgewicht an: Eum, qui
inſtitutum aequilibrii evertere conatur, omnibus me-
diis revocandum; ſi haec non admittat, bello adigen-
dum eſſe.
Das Gegentheil behauptet Wolf c. VI. §. 647.
u. 648. Die Vergroͤßerung der Macht, ſagt er, gehoͤrt
zur Erhaltung und Vervolkomnung, welche das Recht
der Natur iedem Volke vorſchreibt und erlaubt. „Quan-
do gens jure ſuo utitur, nullam tibi injuriam facit.
Quamdiu igitur gens aliqua non agit niſi id, quod
jure ſuo agere poteſt, utrum idem alteri utile ſit nec
ne, attendere non tenetur.
Dieſe Regel duͤrfte iedoch
in einer geſelſchaftlichen Verbindung der Voͤlker, welche
die gemeinſchaftliche Sicherheit zur Abſicht hat, ſchwerlich
anwendbar ſeyn.
s]
Lehmann c. III. §. 7. 22. u. 23. Kahle §. XXVIII.
t]
So macht Frankreich im Raſtaͤdter Frieden Art. 30. ſich
gegen Oeſterreich verbindlich de ne ſ’ oppoſer à la poſſes-
ſion, que la maiſon d’ Autriche a ou pourra avoir à l’
avenir, ſoit par negociation, traité, ou autre voye le-
gitime et paiſible, en ſorte toute fois, que la Neutra-
lité d’ Italie n’ en ſoit point troublée.
a]
Joh. Heinr. Gottlob von Juſti Chimaͤre des Gleichge-
wichts von Europa, Altona 1758. 8. Man vergl. Real
Science du Gouv.
6. Th. S. 587. der teutſchen Ueberſ.
Hingegen heißt es in der mehr angezogenen Schrift des
Herrn Staatsminiſter von Herzberg: Une telle balance,
qui eſt fondée ſur le juſte deſir et ſur la loi de ſa pro-
pre conſervation, n’ eſt ni chimerique, ni impoſſible,
ni injuſte.
S. 9.
b]
Hüldenburg c. III. §. 3. u. 11.
c]
Kahle §. XII.
*]
Moſers Grundſaͤtze des Europ. V. R. in Frz. 1. B. 6. K.
§. 5. S. 50.
*]
Moſers erſte Grundlehren des Europ. V. R. 2. K.
§. 52. S. 31.
a]
Neyron principes L. I. c. 2. Art. 3. §. 39.
b]
Moſers Grundſaͤtze in Frz. 1. B. 6. K. §. 24. u. f.
S. 56.
c]
Im Jahre 1751 erklaͤrte die Kaiſerin in Rußland: Alle
ihre Bemuͤhungen gingen nur dahin, den wichtigen Punkt
wegen Erhaltung der Ruhe und des Gleichge-vichts in
Norden ſicher zu ſtellen. Sie ſuchte deshalb die 1719 in
Schweden eingefuͤhrte Regierungsform zu handhaben, und
den Anwachs der preuſſiſchen Macht auf alle Art zu hin-
dern. Es wurde auch 1755 in einer Verſamlung des
ruſſiſchen großen Raths zu einer beſtaͤndigen Staatsmaxime
des ruſſiſchen Reichs feſtgeſezt: ſich nicht allein allem
fernern Anwachs der preuſſiſchen Macht zu widerſetzen,
ſondern auch alle Kraͤfte anzuwenden, um das Haus
Brandenburg in ſeinen vorigen mittelmaͤſigen Stand zu
verſetzen; und daß man ſolches nicht allein thun wolte,
wenn Hannover von Preuſſen angegriffen wuͤrde, ſondern
auch, wenn man ſelbſt vor noͤthig faͤnde, den Krieg gegen
Preuſſen zu erklaͤren und anzufangen; welche Entſchlieſung
in der Folge mehrmalen beſtaͤtigt ward. Moſers Bei-
traͤge zum Europ. V. R. in Frz. 1. Th. S. 73 u. 74.
d]
Moſers Verſuch 1. Th. S. 72.
*]
Die Geſchichte des nordiſchen Gleichgewichts bis 1740 iſt
enthalten in Schmauſſens Einleitung zur Staatswiſſen-
ſchaft ꝛc. 2. Theil, die Hiſtorie aller zwiſchen den nordi-
ſchen Potenzen ꝛc. geſchloſſenen Tractaten in ſich haltend,
Leipzig 1760. 8.
*]
Moſers Grundſaͤtze in Frz. 1. B. 6. K. §. 27. u. f.
S. 57.
a]
Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 79.
b]
Ebendeſſelben Verſuch 1. Th. S. 73. u. f.
a]
Koͤnigl. preuſſiſche Erklaͤrung der Urſachen ꝛc. in Betref
des Baieriſchen Tauſches vom Auguſt 1785. im polit.
Journal, September 1785. S. 887. u. f. Man ver-
gleiche C. W. Dohm uͤber den teutſchen Fuͤrſtenbund,
1785. 8. S. 15. u. f.
b]
Kaiſerliche Pruͤfung der Urſachen einer Aſſociation ꝛc. im
polit. Journ. November 1785. S. 1111.
c]
Beantwortung der zu Wien herausgekommenen ſogenanten
Pruͤfung der Urſachen ꝛc. Polit. Journal, December
1785. S. 1244.
d]
Man vergl. von Herzberg a. a. O. S. 22.
e]
Dohm a. a. O. S. 18.
f]
Erlaͤuterung der goldenen Bulle S. 92. u. 100.
g]
S. 18.
h]
Die bey dieſer Aſſociation eintretenden Umſtaͤnde hat der
Herr Geheimerath Dohm in der vorangezogenen Schrift
ſehr gruͤndlich eroͤrtert; wo auch die Gruͤnde der Gegen-
ſchrift: Ueber die koͤniglich-preuſſiſche Aſſociation ꝛc.
von Otto von Gemmingen, Reichsfreyherrn, ge-
pruͤft werden.
i]
In der koͤniglich-preuſſiſchen Erklaͤrung der Urſachen ꝛc.
heißt es: Es faͤlt in die Augen und Sinne, daß, wenn
dem Hauſe Oeſterreich frey ſtuͤnde, den ſo weitlaͤufti-
gen — Staat von Baiern, gegen ein ihm entlegenes
dreifach kleineres — Land zu vertauſchen, ſeine mit Bai-
ern grenzenden Staaten damit zu vereinigen, und da-
durch ſeinen ſchon ſo uͤberwiegenden Staatskoͤrper auf eine
ſo uͤbertriebene als unbillige Art zu verſtaͤrken, alsdenn
das Gleichgewicht der Macht in Teutſchland ſich gaͤnzlich
verlieren, und ſowohl die Sicherheit und Freiheit aller
uͤbrigen Reichsſtaͤnde blos von der Maͤſigung des Hauſes
Oeſterreich abhaͤngen wuͤrde. Dieſes ſchon ſo große und
uͤbermaͤchtige Haus ſolte ſich doch an ſeiner ſo weitlaͤufti-
gen Monarchie begnuͤgen, und nicht an neue, an ſich
nicht rechtmaͤſige Erwerbungen gedenken, welche nicht
allein Teutſchland, ſondern auch ganz Europa beunruhigen
muͤſſen. — Da nun — Se. Koͤnigl. Maj. von Preuſ-
ſen — bey einer ſo widerrechtlichen als wilkuͤhrlichen Ver-
groͤßerung ihres Nachbarn nicht gleichguͤltig ſeyn
koͤnnen, — da Sie als Kur- und Reichsfuͤrſt und als
Contrahent und Garant des weſtphaͤliſchen und teſchniſchen
Friedens ſo berechtigt als intereſſirt ſind, darauf zu wa-
chen, und mit allen Kraͤften darauf zu halten, daß das
ganze
[385]und deren Gleichgewicht.
ganze teutſche Reich in ſeinem conſtitutionsmaͤſigen Syſtem
und Gleichgewicht erhalten, und beſonders, daß nicht
eines der groͤſten und aͤlteſten fuͤrſtlichen Haͤuſer, das zu
dieſem Gleichgewichte noͤthig iſt, faſt aus dem Reiche ver-
trieben werde; ſo haben Sie geglaubt, fuͤr Ihre und des
ganzen teutſchen Reichs Sicherheit und Wohlfahrt nicht
weniger thun zu koͤnnen, als daß Sie Ihren hohen Mit-
ſtaͤnden eine Vereinigung antragen, welche — keinen
andern Endzweck hat, als die gegenwaͤrtige geſezmaͤſige
Verfaſſung des Reichs zu erhalten ꝛc. — die alſo weder
gegen den Kaiſer, noch das Reich, noch gegen einigen
Reichsſtand gerichtet iſt, die den Rechten und der Wuͤrde
Ihrer Kaiſerl. Majeſtaͤt gar nicht zu nahe tritt, und den
Wiener Hof weder beleidigen, noch beunruhigen kann,
wenn ſeine Abſichten und Geſinnungen fuͤr die Erhaltung
des Reichs-Syſtems ſo beſchaffen ſind, wie man von der
Grosmuth und Rechtſchaffenheit des Reichsoberhaupts er-
warten kan und auch zuverſichtlich erwartet.
Die Aſſociation ward Anfangs zwiſchen den drey Kur-
fuͤrſten Sachſen, Brandenburg und Braunſchweig geſchloſ-
ſen. Ihr traten aber nachher, auf preuſſiſche Einladung,
der Kurfuͤrſt von Mainz, Sachſen Weimar, Heſſen ꝛc.
bey. v. Herzberg am a. O. S. 21. u. 22. Politiſches
Journal,
December 1785. S. 1311.
k]
Eine Samlung der vorangefuͤhrten Staatsſchriften, den
baieriſchen Laͤndertauſch und Fuͤrſtenbund betreffend, findet
man auch in Reuß teutſcher Staatskanzley 12. Th.
S. 193-354.
l]
Moſers Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 77.
m]
Dohm am a. O. S. 41.
n]
Neyron principes du droit de G. L. I. c. 2. art. 3. §. 40.
*]
J. J. Moſers teutſche Religionsverfaſſung 1. B. 11. K.
§. 10. u. f. Joh. Chriſt. Quiſtorp von den vornehm-
ſten Faͤllen, in welchen ſich die durch teutſche Reichsgrund-
geſetze der evangeliſchen Religion zugeſicherte Gleichheit am
meiſten zeigt. u. Beitraͤge zur Erlaͤuterung unentſchiedener
Rechtsmaterien 1780. 8. 1. B. Nr. 4.
**]
In einer zu Wien 1785 erſchienenen Schrift: Poli-
tiſche Betrachtungen
und Nachrichten ꝛc. werden die
ſaͤmtlichen proteſtantiſchen Reichsſtaͤnde ſogar wahre Anti-
poden des Reichsoberhaupts und der alten geſetzmaͤſigen
Reichsverfaſſung genant, und von dem Corpore Evan-
gelicorum
eine Revolution fruͤher oder ſpaͤter prophezeit,
die dem roͤmiſch-teutſchen Reiche ein Ende machen werde.
Dohm am a. O. S. 137.
a]
Bey Gelegenheit des Krieges zwiſchen Spanien und Gros-
britannien aͤuſſerte Frankreich 1742. L’ eſcadre que le
roi avoit envoyée, ne commit aucune hoſtilité contre

B b 2l’ Ang-
[388]Von der Macht der Nazionen
l’ Angleterre et ne troubla ſon commerce en rien du
monde, tandis que les Anglois, bien loin de ſuivre
cet exemple de modération, ne reſpectèrent ni l’ inde-
pendance de notre Pavillon, ni la liberté de la naviga-
tion, ni le droit des gens et de neutralité. Ils forme-
rent à leur gré, comme s’ ils étoient Souverains des
Mers, un nouveau Code de Marine et viſiterent tous
les Bâtimens Etrangers, même ceux des Hollandois
et ſe crurent en droit de confisquer touts les effets
qu’ ils pretendoient ſous des prétextes ſupoſés appar-
tenir aux Eſpagnols. — Ils ont ajouté depuis une
infinité d’ inſultes de toute eſpèce, par lesquelles on
peut juger ce qu’ on auroit à craindre d’ eux, ſ’ ils par-
venoient enfin au ſuccès du projet, qu’ils ont tant de
fois annoncé à l’ Europe, de ſe rendre les maitres de
la Mer et du commerce.

Auch heißt es 1758 in einer oͤffentlichen Schrift des
franzoͤſiſchen Geſandten am ruſſiſchen Hofe: Toutes les
nations commerçantes devroient bien enfin ouvrir les
yeux ſur leur intérêt le plus eſſentiel, et réunir leurs
forces avec les nôtres, pour prevenir le Deſpotiſme
abſolu que l’ Angleterre va exercer ſur toutes les Mers,
ſi l’ on ne met pas inceſſement un frein à ſon ambition
et à ſa cupidité.
Le mot de raliement de preſque toutes les puiſſan-
ces de l’ Europe contre la France, a été pendant un
Siècle l’ Equilibre de pouvoir à maintenir ſur le Con-
tinent; mais tandis que les Anglois preſentoient ce
fantôme pour faire illuſion à la credulité publique,
ils travailloient ſans relâche [et ils n’ ont malheureuſe-
ment que trop reuſſi] à detruire abſolument l’ Equili-
bre de puiſſance ſur Mer, ſans lequel cependant il n’
eſt pas poſſible que celui ſur terre ſubſiſte: C’ eſt à
quoi les autres Peuples doivent faire la plus ſerieuſe
attention, puisqu’ il ne ſ’ agit de rien moins que de

l’ en-
[389]und deren Gleichgewicht.
l’entière deſtruction de leur Navigation et de l’ uſurpa-
tion de tout le Commerce par les Anglois.
Moſers
Beitraͤge in Friedensz. 1. Th. S. 72. u. 79.
b]
Real Science de Gouvernement Tom. VI. S. 588.
der teutſchen Ueberſetzung.
c]
La balance du commerce a une influence eſſentielle et
même decidée ſur la balance du pouvoir. — Une
Nation qui jouit d’ une balance de commerce également
favorable et aſſurée — peut aſpirer au titre et aú role
de puiſſance reſpectable. — Elle peut et elle doit
méme, ſelon ſes grands intérêts prendre toujours part
à l’ équilibre et à la balance politique du pouvoir pour
ſ’ aſſurer une exiſtence permanente et floriſſante.

v. Herzberg a. a. O. S. 9.
d]
von Steck Verſuch uͤber die Handels- und Schiffahrts-
vertraͤge, Halle 1782. 8. S. 10.
e]
Die Grundſaͤtze der bewafneten Neutralitaͤt, welche die
vornehmſten europaͤiſchen Nazionen in Abſicht auf die Frei-
heit der Schiffahrt und Handlung neutraler Voͤlker im
Kriege bey Gelegenheit des leztern Krieges zwiſchen Frank-
reich und Grosbritannien angenommen haben, kommen
weiter unten vor.
f]
Moſers Beitraͤge in Frz. 1. Th. S. 77.
*]
Joh. Heinr. Gottl. von Juſti Chimaͤre des Gleichgewichts
der Handlung und Schiffahrt, Altona 1759. 4.
*]
Vattel L. I. c. 2. §. 1.
*]
Wolf J. G. c. 2. §. 177. Schrodt Syſt. J. G. P. I. c. 1.
§. 8.
*]
Wolf c. I. §. 28. u. 30.
a]
Wolf c. I. §. 29. u. f.
a]
Wolf, c. 1. §. 33. 34.
b]
Wolf, c. 2. §. 188. 254.
c]
Wolf, c. 2. §. 180.
a]
Wolf c. 1. §. 71.
b]
Schrodt P. I. c. I. §. 9. 18.
*]
Ickſtadt Elem. J. G. L. 2. c. 1. §. 1. u. 2. Schrodt
P. I. c.
2. §. 1.
*]
Schrodt l. c. §. 22.
*]
Wolf c. 2. §. 179. 252. 265. 271. u. f.
a]
Schrodt P. I. c. 1. §. 1.
b]
Wolf c. 2. §. 164.
c]
Vattel L. 2. c. 1. §. 2.
*]
Schrodt P. I. c. 3. §. 6. u. f.
a]
Wolf c. 2. §. 206.
b]
Schrodt P. I. c. 3. §. 51.
*]
Grotius L. 2. c. 2. §. 11. giebt die Pflichten unſchaͤdli-
cher Gefaͤlligkeit zwar fuͤr volkomne an, weil bey ihnen
die urſpruͤnglichen Gemeinſchaftsrechte wieder auflebten;
aber Puffendorf und andre rechnen ſie mit mehrerm Fug
zu den unvolkomnen, weil iedes freie Volk das Recht
hat, uͤber ſein einmal erworbenes Eigenthum zu ſchalten.
Schrodt P. I. c. 3. §. 10.
a]
Genti quoque uni ab altera officia humanitatis non
quidem exigere tandem petere licet. Wolf c. 2.
§. 170. not.
b]
Schrodt l. c. c. 3. §. 5.
c]
Vattel L. 2. c. 1. §. 7.
b]
La bienveillance mutuelle ou le penchant à ſe procu-
rer mutuellement autant de bons offices que l’ on peut
ſans nuire à ſes veritables intérêts eſt un principe que
l’ esprit de commerce et de religion ont fait valoir et
qui fait actuellement la maxime de tous les premiers

C carti-
[402]Allgemeine Grundſaͤtze des Voͤlkerrechts.
articles généraux des traités. De-là ſont iſſus pluſi-
eurs uſages reçus en paix comme en guerre entres
Europééns contre la rigueur des droits eto. Neyron
principes du D. de G. L. 1. c. 1. a.
5. §. 23.
a]
Ickſtadt L. 2. c. 8. §. 8. Schrodt P. I. c. 3. §. 4.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


Holder of rights
Kolimo+

Citation Suggestion for this Object
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Europäisches Völkerrecht in Friedenszeiten nach Vernunft, Verträgen und Herkommen, mit Anwendung auf die teutschen Reichsstände. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq9z.0