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Lehrbuch
der
Rechtsgeſchichte
bis auf unſre Zeiten,


Berlin,:
bey Auguſt Mylius1790.

[][]

Vorrede.


So wenig man auch bisher Urſache
gehabt hat, uͤber den Mangel
gelehrter Compendien der Rechtsge-
ſchichte zu klagen, ſo glaube ich doch
nicht, daß irgend jemand, der mit die-
ſem hier allenfalls zufrieden waͤre, den
Verfaſſer blos deswegen tadeln wird,
weil andere Buͤcher ſchon eben daſſelbe
enthielten. Die zweyerley Arten von
Rechtsgeſchichten, die ich kenne, wei-
chen im Plane weſentlich von der gegen-
waͤrtigen ab.


Die meiſten beſchaͤfftigen ſich, wie
die von Heineccius, Bach, Selchow
u. a. nur mit der Geſchichte der Quel-
len und der Rechtsgelehrten, ſie laſſen
alſo gerade den Punkt hinweg, welchen
ich uͤberhaupt, und beſonders in Ruͤckſicht
auf meine uͤbrigen Collegien, fuͤr den
allerwichtigſten halte, naͤhmlich die Ge-
ſchichte der Lehren ſelbſt.


Dieſe letztere haben erſt zwey Schrift-
ſteller mit der Geſchichte der Quellen
)(ver-
[]Vorrede.
verbunden, Herr Profeſſor Reite-
meier
in Frankfurt, und ganz neuer-
lich Herr Profeſſor Tafinger in Erlan-
gen. Aber ſie breiten ſich uͤber alle
Theile der Rechtsgelehrſamkeit aus; ſie
ſagen alſo ſchon deswegen ſehr vieles,
was ich nicht ſagen wollte, und als bloſ-
ſer Civiliſt auch nicht ſagen durfte, ſie
uͤbergehen aber nicht weniger Detail,
das ich zu uͤbergehen mir nicht getraute,
wenn meine Zuhoͤrer mit der Geſchichte
des Roͤmiſchen Rechts hinlaͤnglich be-
kannt werden ſollten.


Von dieſer war es meine Abſicht im
Collegium alles vorzutragen, was muͤnd-
lich vorgetragen zu werden verdient,
und im Lehrbuche auf alles dieſes, theils
vorlaͤufig, theils bey der Wiederholung,
aufmerkſam zu machen. Zum Nach-
ſchlagen ſoll dieſes Compendium nicht
ſeyn; dazu empfehle ich einmahl fuͤr al-
lemahl das Bachiſche, und deswegen
habe ich es auch fuͤr ſehr uͤberfluͤſſig ge-
halten, Citaten abzuſchreiben, oder
mich in Fragen einzulaſſen, die in Be-
ziehung auf das Ganze doch nur Micro-
logie
[]Vorrede.
logie geweſen waͤren, ſo angenehm auch
ihre Eroͤrterung ſeyn mag.


Eine Zugabe zu der Geſchichte des
Roͤmiſchen Rechts iſt hier die kurze Ge-
ſchichte der ganzen Rechtsgelehrſamkeit
im heutigen Europa, und dieſe endigt
ſich natuͤrlich mit einer Ueberſicht der
jetzigen Art zu ſtudieren. Aus beyden,
ſowohl aus der juriſtiſchen Litterairge-
ſchichte, als auch aus der Encyclopaͤdie
und Methodologie, kann man eigene
Collegien machen, die vielleicht
nuͤtzlicher ſind, als manche andere. So
lange dieß aber gar nicht oder ſelten ge-
ſchieht, ſo iſt es doch unleugbar ſchon
Gewinn, auch nur einige muͤndliche
Anleitung zum eigenen Studium dieſer
Faͤcher zu erhalten.


Man hat mir geſagt, daß in bey-
den Theilen des Buchs gar manche
Stelle fuͤr Juriſten noch zur Zeit viel
zu freymuͤthig ſey, daß ich von Juſti-
nian und von Leyſer
lange nicht mit
genug Ehrfurcht geredet habe. Theils
kann ich mir aber nicht vorſtellen, daß
die Juriſten die Wahrheit weniger er-
)( 2tra-
[]Vorrede.
tragen ſollten, als die Theologen, bey
denen es doch ſchon lange keine Suͤnde
mehr iſt, Kirchenvaͤter und Verfaſſer
von ſymboliſchen Buͤchern ſo ungenirt
zu beurtheilen, wie andere Menſchen;
theils wenn es wahr waͤre, daß uns
jetzt die Theologen auch hierin beſchaͤ-
men, ſo wuͤßte ich doch kein anderes
Mittel, als mit aller moͤglichen Reſigna-
tion mich darein zu ergeben, weil ich
ſonſt nicht nur gegen meine Ueberzeu-
gung ſprechen, ſondern auch noch die
groͤßte Gefahr laufen muͤßte, es ganz
umſonſt zu thun. Es wird mir niemand
zumuthen, daß ich die Geſchichte Ju-
ſtinians mit Jam noua progenies \&c.
anfangen ſollte, wer je geleſen hat,
oder ſich erinnert, was faſt alle neueren
Hiſtoriker von dem Kaiſer unſerer Com-
pilatoren ſagen. Einige dieſer Aeuße-
rungen ſtehen woͤrtlich hier abgedruckt,
und ſchon gegen dieſe, die gewiß nicht
die ſtaͤrkſten ſind, wuͤrde das Beywort:
der große Juſtinian ſeltſam abſtechen.


Goͤttingen im December 1789.


§. 1.
[[1]]

§. 1.


Da die Rechtswiſſenſchaft ſich nicht blos
mit Geſetzen, ſondern uͤberhaupt mit
Zwangsrechten und Zwangspflichten, ſie moͤ-
gen aus ausdruͤcklichen Geſetzen, oder aus
Gewohnheit, oder Raiſonnement entſtanden
ſeyn, beſchaͤftigt; ſo iſt die Geſchichte des
Rechts auch nicht blos die Erzaͤhlung der Ver-
aͤnderungen, die ſich mit den ausdruͤcklichen
Geſetzen zugetragen haben.


§. 2.


Es ſind vorzuͤglich drey Punkte, die in
der Rechtsgeſchichte verbunden werden koͤn-
nen:


  • 1. Geſchichte der Quellen des Rechts, — von
    wem und wie Veraͤnderungen bewirkt wor-
    den ſind, wohin natuͤrlich auch die Geſchich-
    te des Staats ſelbſt gehoͤrt, ſoweit ſie auf
    das Recht Einfluß hat; gleichſam das
    Aeuſſerliche der Rechtsgeſchichte;

A2.
[2]Vorbereitung.
  • 2. Geſchichte des Rechtsſyſtems, — Inhalt
    der Quellen ſyſtematiſch geordnet.
  • 3. Geſchichte des Studiums, der Bearbei-
    tung durch Rechtsgelehrte.

§. 3.


Eine ſolche Rechtsgeſchichte kann in der
Jurisprudenz gerade eben ſo nuͤtzlich werden,
als die Kirchengeſchichte und die Geſchichte
der Dogmen in der Theologie es iſt. Ohne
ſie laͤßt ſich durchaus kein gruͤndliches Stu-
dium gedenken, aber man kann ſie voͤllig ent-
behren, wenn man nur das lernen will, was
ſich unmittelbar in der Praxis anwenden laͤßt.


§. 4.


Von den in Deutſchland geltenden Rech-
ten iſt die Geſchichte keines einzigen ſo bear-
beitet, und eines juriſtiſchen Vortrags ſo be-
duͤrftig, als die des Roͤmiſchen Rechts. Denn
die Urheber des Canoniſchen und Deutſchen
Rechts hatten entweder gar kein Rechtsſy-
ſtem, oder blos das Roͤmiſche gelernt. Oh-
nehin wird ja auch noch jetzt die meiſte und
die erſte Zeit der academiſchen Jahre auf die-
ſes Recht verwendet, und da man die Rechts-
geſchichte nicht ohne Grund unter die Anfangs-
Collegien rechnet, da man uͤber die Geſchich-
te
[3]Vorbereitung.
te des Deutſchen Staatsrechts ein eigenes
Collegium, die Reichshiſtorie, hoͤrt, da auch
die Geſchichte des Kirchenrechts in Verbin-
dung mit den wichtigſten Lehren deſſelben be-
ſonders vorgetragen werden wird: ſo iſt hier
der erſte Theil, die Geſchichte des Roͤmiſchen
Rechts in ſeinem Vaterlande (Conſtantinopel
als Neu-Rom mit dazu gerechnet) ausfuͤhr-
licher, als der zweyte, der die Geſchichte der
Rechtsgelehrſamkeit von Juſtinian an bis auf
unſere Zeiten enthaͤlt.


Erſter Theil.
Geſchichte
des
Roͤmiſchen Rechts im Roͤmiſchen
Staate.


§. 5.


Jo. Aug. Bach hiſtoria jurisprudentiae Ro-
manae
iſt bey weitem das Hauptwerk, ob er
gleich noch oͤfter und oft auch in wichtigern
Dingen von Brunquell, der ſonſt als Re-
pertorium verſchiedener Vorſtellungsarten ſehr
brauchbar iſt, und von Heineccius haͤtte ab-
gehen koͤnnen und ſollen.


A 2Ter-
[4]Theil I. bis Juſtinian.

Terraſſon hiſtoire de la jurisprudence
Romaine
iſt nicht im Geiſte der alten groſſen
franzoͤſiſchen Civiliſten geſchrieben.


Chriſtian Thomaſius de naevis jurispruden-
tiae Romanae
characteriſirt ſich ſchon durch
den Titel.


Ed. Gibbon’s hiſtoriſche Ueberſicht
des Roͤmiſchen Rechts
ſoll auch Nicht-Ju-
riſten mit den wichtigſten Ideen auf eine an-
genehme Art bekannt machen.


§. 6.


Das Fragment von Pomponius I. 2. fr. 2.
hat, unter Juſtinian und ſeit Juſtinian, eben
die Schickſale gehabt, wie viele andere, d. h.
es iſt falſch excerpirt und falſch erklaͤrt wor-
den. Wer aber ſeinen eigenen Weg ſucht,
der wird mit Vergnuͤgen ſehen, daß Pompo-
nius richtig verſtanden oft eben das ſagt,
was ſich ſchon ohnehin ergab.


Einzele Beytraͤge liefern faſt alle juriſti-
ſchen und nicht juriſtiſchen Claſſiker. Von
den letztern ſind natuͤrlich diejenigen die glaub-
wuͤrdigſten, die in den aͤltern Zeiten nicht am
meiſten wiſſen wollen, alſo Tacitus mehr als
Dionys von Halicarnaß und Plutarch.


Daß hiſtoriſche Ausſpruͤche von Juſtinian
keine Geſetze ſind, giebt man jetzt allgemein
zu.
[5]Theil I. bis Juſtinian.
zu. Aber weit noͤthiger iſt noch in der Rechts-
geſchichte die Warnung: nicht alles Revolu-
tionenweiſe vorgehen zu laſſen
.


§. 7.


Die 1300 Jahre von Roms Erbauung,
bis auf unſer Corpus Juris laſſen ſich fuͤr die
Rechtsgeſchichte ziemlich bequem in vier bey-
nahe gleich lange Abſchnitte vertheilen:

I. Anfang — II. Erweiterung — III.
hoͤchſter Flor — und IV. Verfall des Roͤ-
miſchen Staats, der Roͤmiſchen Litteratur
und des Roͤmiſchen Rechts.


I. Der Staat ziemlich roh und klein, die
Verfaſſung gemiſcht aus Monarchie (bis
250), Erb-Ariſtocratie und Democratie, —
das Recht unausgebildet.


II. Der Staat groͤſſer und maͤchtiger,
die Verfaſſung gemiſcht aus Erb-Ariſtocra-
A 3tie
[6]Theil I. bis Juſtinian.
tie und Democratie, nachher aus Wahl-Ari-
ſtocratie. Das Recht auf geſchriebene Haupt-
punkte gegruͤndet, verbeſſert und practiſch ge-
lernt.


III. Der Staat weltherrſchend und hoch
cultivirt, die Verfaſſung geht von der Re-
publik zur Deſpotie, durch vielfache Abwechs-
lungen voruͤbergehender Tyranney, und blei-
bender gemaͤßigten Monarchie uͤber, die
Jurisprudenz wird von den Claſſikern wiſſen-
ſchaftlich und philoſophiſch bearbeitet.


IV. Der Staat zerſtuͤckt und aus ſeinem
Urlande verdraͤngt, die Verfaſſung ſogar
uͤber Meynungen deſpotiſch, die Jurisprudenz
durch Launen der Deſpoten und durch das er-
ſchwerte mechaniſche Studium zerruͤttet.


Erſte
[7]

Erſte Periode,
von der
Erbauung Roms bis auf die 12 Tafeln.


Quellen des Rechts.


§. 8.

Rom entſtand aus Trojanern, mit denen
ſich alte Einwohner des Landes vermiſch-
ten. Vielleicht legten dieſe ſchon den Grund
zur Stadt, die aber erſt unter Romulus
(400 Jahre nach Troja) durch die Aufnah-
me vieler Fremden ſich betraͤchtlich vergroͤſſer-
te. Es waren zum Theil Exulanten, aber
darum nicht gerade Verbrecher, und zum
Theil Haͤupter von ganzen Staͤmmen *.



§. 9.

Sehr natuͤrlich war alſo Erb-Adel, aus
welchem damahls allein der Senat beſtand,
und das Verhaͤltniß der Clienten zu einem
Patron. Auch gehoͤrte es zur Grundverfaſ-
A 4ſung
[8]Theil I. bis Juſtinian.
ſung des Staats, daß er ſich nicht blos durch
die Geburt, ſondern auch durch Aufnahme
der Fremden, beſonders der Kriegsgefange-
nen, wenn dieſe erſt eingewoͤhnt ſeyn wuͤrden,
vermehren ſollte. Aber eben deswegen paßt
die Unveraͤuſſerlichkeit der Grundſtuͤcke hier
nicht, und eben ſo wenig die vielen Verord-
nungen uͤber das Privatrecht, die Romulus
gemacht haben ſoll. Im Gegentheil laͤßt ſich
einiges daraus erklaͤren, daß man annimmt,
im Hausrechte habe es jeder gehalten, wie
vorher auch, einer ſo, der andere anders.


§. 10.

Eine Eintheilung des ganzen Volks muß-
te ſchon wegen der beſtaͤndigen Kriege ge-
macht werden; wahrſcheinlich war dies eben
die in 30 Curien, wornach das Volk uͤber
einen Antrag ſich erklaͤrte, dieſer mochte ein
ſo genanntes Geſetz, oder einen anderen Be-
fehl betreffen: lex curiata. Es kann ſeyn,
daß man erſt in der Folge, da der Staat ſich
vergroͤſſerte, und da die comitia curiata eine
bloße Ceremonie wurden, die Stadt auch in
tribus eintheilte. Wenigſtens benutzte man
dieſe Eintheilung wohl nicht fruͤher.


§. 11.
[9]Periode 1. Quellen.
§. 11.

Waͤhrend der friedlichen Regierung des
zweyten Koͤnigs Numa wurden genauere re-
ligieuſe Gebraͤuche, Meynungen und Perſo-
nen erfunden, oder vielmehr nach dem Bey-
ſpiele anderer Voͤlker eingefuͤhrt. Wenig-
ſtens ſpaͤtherhin waren beſonders die Auſpi-
cien und das Collegium der Auguren, ein
weſentlicher Beſtandtheil der ganzen Staats-
verfaſſung.


§. 12.

Der Zufluß von Fremden veranlaßte
ſchon den fuͤnften Koͤnig TarquiniusI. neue
Senatoren oder Patricier aufzunehmen. Aber
erſt ſein Nachfolger Servius Tullius richte-
te eine Art, die Stimmen zu ſammeln ein,
wobey der Einfluß jedes Einzelen nicht von
ſeiner Geburt, ſondern von ſeinem jedesmah-
ligen Vermoͤgen, alſo davon, was er mit
dem Staate zu erhalten oder zu verlieren hat-
te, abhing: comitia centuriata nach dem cen-
ſus.
Nun waren alſo nicht mehr blos die
Patricier von den Plebejern, ſondern auch
die Reichern von den Aermern, in der Staats-
verfaſſung getrennt.


A 5§. 13.
[10]Theil I. bis Juſtinian.
§. 13.

Die Vertreibung der Koͤnige war nicht
ſowohl unmittelbar wichtig, denn jeder Con-
ſul war Koͤnig, und auch von den Koͤnigen
hatte man wahrſcheinlich ſollen an das Volk
provociren duͤrfen, wie nun auch von den Con-
ſuln erlaubt ward. Aber die Gewalt des
Senats und des Volks mußte nicht nur ge-
ſichert, ſondern vermehrt werden, als die
Stelle des Oberhaupts gar nicht mehr erblich,
und alle Jahre abwechſelnd ward, und jeder
Conſul einen Collegen hatte. Den Nachtheil,
welcher aus dieſer allmaͤhlichen, aber unaus-
bleiblichen, Schwaͤchung der Gewalt des er-
ſten Staatsbedienten, fuͤr dringende Faͤlle zu
befuͤrchten war, verhuͤtete man durch das
Recht des Conſuls, ſich uͤber die Geſetze weg-
zuſetzen *, und durch das Recht, einen Dicta-
tor zu ernennen.



§. 14.
[11]Periode 1. Quellen.
§. 14.

Das Verfahren der Glaͤubiger gegen ih-
re Schuldner war zwar bey einem Volke, das
Sklaverey aber keine Armenanſtalten hatte,
nichts weniger als auſſerordentlich, aber doch
gerade bey einem kleinen, rohen und kriege-
riſchen Staate ſehr druͤckend. Die Einfaͤlle
der Feinde, die faſt allgemeine Pflicht aller
Buͤrger zu Felde zu ziehen, und die natuͤrlich
hohen Zinſen machten es oft unvermeidlich
nexus zu werden, und das Schickſal eines
nexus hing ganz von ſeinem Glaͤubiger, oder
allenfalls noch vom Conſul ab. Selbſt die
Tribunen, welche ſich der aͤrmere Theil des
Volks erzwang, waren nur in einzelen Faͤllen
unmittelbare Huͤlfe, aber ihre Verſammlun-
gen des Volks nach Tribus * wurden dem
Adel und den Reichen gefaͤhrlich, und veran-
laßten die Abfaſſung eines großen Grundge-
ſetzes.



§. 15.

Auſſer dem Drucke der Erb-Ariſtocraten
wirkte vielleicht auch das Beyſpiel der culti-
vir-
[12]Theil I. bis Juſtinian.
virtern griechiſchen Staaten in Unter-Italien,
daß man in Rom darauf beſtand, die Haupt-
ſache von der ganzen Verfaſſung einmahl zur
Sprache und zur Gewißheit zu bringen. Daß
Geſandte nach Athen geſchickt wurden, iſt
nicht glaublich, und warum die aus den Erb-
Ariſtocraten gewaͤhlten Decemviren zugleich
die einzige und unumſchraͤnkte Obrigkeit ſeyn
ſollten, ſieht man nicht wohl, da ſie doch
bloße legislatores im Roͤmiſchen Sinne des
Worts waren, und alles von dem Gutfinden
des verſammelten Volkes abhing. So wur-
den zu Ende des erſten Jahrs zehn Tafeln
genehmigt. Fuͤr das zweyte Jahr wurden
neue Decemviren, und unter dieſen auch Ple-
bejer, ernannt, aber der geſetzwidrige Aus-
ſpruch des Appius Claudius hatte die Fol-
ge, daß wieder Conſuln die Verſammlung
hielten, worin das große Grundgeſetz der
12 Tafeln ſeine volle Kraft bekam.


§. 16.

Die zwoͤlf Tafeln waren kein Geſetzbuch,
wie man in unſern Tagen Geſetzbuͤcher macht,
um beſtrittene wiſſenſchaftliche Saͤtze, durch
einen Machtſpruch von oben herab, zu be-
ſtimmen. Die Fragmente, wie ſie der juͤn-
gere Godefroi * zuſammengeſtellt hat, ent-
halten, aus ſehr natuͤrlichen Urſachen, bey
wei-
[13]Periode 1. Quellen.
weitem nicht alles, was vom Staatsrechte
in den 12 Tafeln vorgekommen ſeyn muß,
ſondern viel vollſtaͤndiger die erſten und groͤb-
ſten Grundſaͤtze des Privatrechts. Einen
großen Theil der ganzen, an ſich ſehr maͤßi-
gen, Urkunde nahm die Lehre von Verbrechen
und von Polizey-Sachen ein. Es waren
uͤbrigens nicht lauter neue Verordnungen,
ſondern es kam auch vieles, aber nicht gera-
de alles, Alte auch in die zwoͤlf Tafeln, weil
man durch Vergleichung mit dem Griechiſchen
Rechte, das Hermodorus erklaͤrte, darauf
aufmerkſam geworden war.



§. 17.

Die erſte Tafel handelt von der Art,
wie eine Sache vor den Staatsbedienten, der
hier praetor heißt, gebracht werden ſoll,


die zweyte vom Verfahren vor dem Pri-
vatmanne, den der Staatsbediente ernennt,
und ſchwerlich auch vom Diebſtahle,


die dritte von den Rechten gegen Schuld-
ner,


die vie[rt]e von der Ehe und vaͤterlichen
Gewalt,


die
[14]Theil I. bis Juſtinian.

die fuͤnfte von Erbſchaft und Vormund-
ſchaft,


die ſechste vom Eigenthume,


die ſiebende von Verbrechen,


die achte von der Polizey, beſonders bey
Grundſtuͤcken,


die neunte von den Staatsbedienten,


die zehnde von religieuſen Gebraͤuchen,


die elfte und zwoͤlfte ſind Ergaͤnzungen.


Syſtem des Rechts
am
Ende dieſer Periode.


§. 18.

Wenn man das ganze Recht in publicum
und priuatum eintheilt, ſo gehoͤrt die
Lehre von der Religion und von Verbrechen
unſtreitig zu erſterm, bey welchem man auf
die hoͤchſte Gewalt uͤberhaupt, und auf ihre
einzelen Gegenſtaͤnde ſehen kann.


§. 19.

I. Ius publicum.


A. Staatsrecht, oder Grundgeſetze.


Die hoͤchſte Gewalt war beym Senate
und beym Volke.


Der
[15]Periode 1. Syſtem.

Der Senat beſtand aus lauter Erb-Ari-
ſtocraten §. 9. und 12. die nicht einmahl durch
Heyrathen ſich mit den Plebejern, ihren
Clienten verbinden durften; an ſeiner Spitze
waren die zwey Conſuln, welche Quaͤſtoren unter
ſich hatten, oder ein Dictator mit dem magi-
ſter equitum.
Die Conſuln ernannte das
Volk, den Dictator ein Conſul. — Die
Gewalt des Oberhaupts vom Senate begriff
die Rechte, welche ehemahls der Koͤnig ge-
habt hatte, und welche in der Folge zum Theil
fuͤr den Cenſor und den Praͤtor abgeſondert
wurden. Aber eingeſchraͤnkt war ſie der Re-
gel nach durch interceſſio paris poteſtatis, pro-
vocatio
an das Volk oder die Tribunen, die
Auſpicien und die invidia, vor welcher der
kuͤnftige Privat-Mann ſich fuͤrchten mußte. —
Jeder erwachſene Patricier ſcheint Senator
geweſen zu ſeyn. Die Volkstribunen hatten
keine Stimme als ihr Veto.


§. 20.

Das Volk verſammelte ſich nach Centu-
rien, oder nach Curien oder nach Tribus.


Comitia centuriata §. 12. hielt der Chef
des Senats mit Auſpicien §. 11. theils um
uͤber irgend einen Antrag §. 10. ſtimmen zu
laſſen, theils zur Wahl neuer Conſuln, wo-
bey
[16]Theil I. bis Juſtinian.
bey die centuria praerogativa, die wenigſtens
zum Theil durch das Loos beſtimmt ward,
immer den Ausſchlag gab.


Comitia curiata waren wohl ſchon eine
Antiquitaͤt, und 30 Lictoren ſtellten das Volk
vor.


Comitia tributa wurden von den unver-
letzlichen Volkstribunen gehalten, ohne Au-
ſpicien, theils uͤber irgend einen Antrag,
theils um neue Tribunen zu waͤhlen. An die-
ſen Comitien nahmen die Patricier keinen An-
theil, es war alſo nicht populus ſondern nur
plebs beyſammen.


§. 21.

Das Ius ferendi legem (verſchieden von
Geſetzgebung weil lex nicht immer ein Geſetz,
und ferre legem nicht ein Geſetz geben heißt)
hatten nur die obrigkeitlichen Perſonen, die
Volksverſammlungen halten durften. Der
Regel nach ſollte die Sache ſchon im Senate
vorgekommen ſeyn. — Der Ausdruck pri-
vilegia ne irroganto
iſt mit der Verordnung
wie uͤber das caput (Leben, Freyheit, Buͤr-
gerrecht und Familie) eines Buͤrgers votirt
werden ſollte, nicht leicht zu vereinigen.


Die Rechte gegen Auswaͤrtige verwalte-
ten die Oberhaͤupter, der Senat und das
Volk.


§. 22.
[17]Periode 1. Syſtem.
§. 22.

B. Regierungsgeſetze, oder Staats-Polizey-
Recht.


1. Recht der Aemter und Wuͤrden. Je-
ne ertheilte bald das Volk, bald ein vom
Volke gewaͤhltes Oberhaupt. Die Wuͤrden,
den Erb-Adel, ertheilte, aber ſelten, der
Senat.


2. Abgaben wurden nach dem Cenſus von
Senat und Volk aufgelegt.


3. Die Religion war mit dem Staate
innigſt verbunden. Ueber die Begraͤbniſſe
hatte man Aufwandsgeſetze, und die Wei-
hung einer im Proceſſe ſtehenden Sache ward
mit doppeltem Erſatze beſtraft.


4. Militair. Vielleicht waren die aͤrmern
Buͤrger ſchon damahls von den fuͤr ſie ſo
druͤckenden Dienſten frey.


5. Die Civil-Juſtiz adminiſtrirte (jus
dicebat
) der Praͤtor d. h. damahls der Con-
ſul, oder der Dictator, alſo der erſte Mann
im Staate. Eben deswegen konnte dieſer ſich
aber nicht mit der genauern Auseinanderſet-
zung einzeler Proceſſe beſchaͤftigen, ſondern
nur die Sache einleiten und Thaͤtlichkeiten
verhindern. Sehr natuͤrlich war es auch,
daß der Particulier, dem er die naͤhere Unter-
ſuchung auftrug, bald das ganze Urtheil ſchon
Bvor-
[18]Theil I. bis Juſtinian.
vorgeſchrieben erhielt (judex), bald aber ei-
ne ausgedehntere Vollmacht (arbiter), je
nachdem es naͤhmlich, bey dem ganzen Pro-
ceſſe, auf den Beweis einer einzelen That-
ſache ankam, oder nicht. Uebrigens beruhte
die jurisdictio ſehr viel auf Willkuͤhr, der
12 Tafeln ungeachtet, welche nur die aller-
erſten Grundſaͤtze enthielten.


§. 23.

C. Strafgeſetze.


Das Verfahren gegen Verbrecher war
wohl anders im Kriege, als im Frieden,
und wahrſcheinlich nahm ſich im Nothfalle
der Conſul der Sache an, auch wenn kein
accuſator ſondern nur ein index da war, alſo
es hatte wohl zuweilen Inquiſition ex officio
(nach dem unlateiniſchen heutigen Ausdrucke)
Statt. — Die hoͤchſte Inſtanz war beym
verſammelten Volke.


Die Verbrechen, welche als Angelegen-
heit des ganzen Staats betrachtet wurden,
mußten dieſen auch ziemlich unmittelbar ange-
hen: Hochverrath, Conſpiration, Feuer-
anlegen, Ermordung eines Buͤrgers, gericht-
licher Meyneid, Zauberey, Schaden an Ge-
traide, Untreue des Patrons, Pasquill,
und zuweilen Entwendung. Sonſt war es
Geiſt
[19]Periode 1. Syſtem.
Geiſt des Roͤmiſchen Rechts, daß von einer
ſtrafbaren Handlung derjenige Vortheil hat-
te, dem dadurch geſchadet werden ſollte.


Als Strafen kommen mannichfaltige
Hinrichtungen, und Schlaͤge vor; ſie ſind
nach dem Alter und auch darnach verſchieden,
ob der Verbrecher ein Buͤrger oder ein Skla-
ve war.


§. 24.

II.Privatrecht.


Wenn es auf die Vorſtellung des ganzen
Roͤmiſchen Privatrechtsſyſtems ankommt, ſo
laͤßt ſich vermuthen, daß der Plan der juri-
ſtiſchen Claſſiker der beſte ſeyn werde.


A. Perſonen-Recht, oder Verhaͤltniſſe
der Menſchen gegen einander, die ſich geden-
ken ließen, wenn nichts als Menſchen in der
Welt waͤren, ohne Ruͤckſicht auf Mein und
Dein.


Dieſe Verhaͤltniſſe waren alle, wie ſie
bey einer rohen Nation immer ſind, ſich aͤhn-
lich und ſehr ſtrenge, ſo daß ſie beynahe alle
fuͤr Theile des Vermoͤgens galten.


§. 25.

1. Herrn und Sklaven. Der Sklave
hatte, ſo viel man weiß, gar keine Rechte
B 2ge-
[20]Theil I. bis Juſtinian.
gegen ſeinen Herrn, aber dieſer baute mit
ihm das Feld und lief oft Gefahr, auch Skla-
ve zu werden. Nicht blos die Kinder einer
Sklavinn, ſondern alle Kriegsgefangene und
manche verarmte Buͤrger wurden Sklaven.


Der Sklave ward frey, wenn ſein Herr
es zugab, daß ihn das Oberhaupt des Staats
fuͤr frey erklaͤrte: manumiſſio per vindictam,
oder wenn der Herr ihn in das Verzeichniß
der Buͤrger eintragen ließ: per cenſum, oder
wenn er ihm im Teſtamente die Freyheit er-
theilte. Die Freygelaſſenen hatten noch alle
gleiche Rechte, ſie wurden plebejiſche Buͤrger,
aber der Patron konnte Ehrfurcht, und in ei-
nigen Faͤllen ihre Verlaſſenſchaft fordern.


§. 26.

2. Vaͤterliche Gewalt. Sie war beyna-
he unumſchraͤnkt, und das dreymahlige Ver-
kaufen (tres emancipationes), wodurch ſie
aufhoͤrte, war noch kein Spiel, wie manche
glauben, die ſich nicht aus unſern Sitten
heraus, in die Lage des armen Roͤmiſchen
Staats (§. 14.) hineindenken koͤnnen, und die
nicht wiſſen, daß ein in Rom verkaufter Roͤ-
mer immer nur verpfaͤndet war, und wieder
ausgeloͤst werden konnte. — Man ward Vater
durch die eheliche Geburt, aber eben ſo gut
durch
[21]Periode 1. Syſtem.
durch Adoption, bey welcher der Souverain
nur gefragt werden mußte (arrogatio) wenn
ein Familienhaupt weniger werden ſollte.


Daß die vaͤterliche Gewalt nicht aufhoͤrte,
wenn gleich der Sohn heyrathete, war in
Rom gerade ſo wie in jedem Staate, wo es
keine Handwerker ſondern nur Ackerbauer
giebt.


§. 27.

3. Ehe. Es gab wohl noch keine andere,
als die, wodurch die Frau eine Tochter, alſo
beynahe eine Sklavinn, des Mannes ward:
per conventionem in manum mariti. Aber
die Feyerlichkeiten dieſer Ehe waren verſchie-
den, je nachdem religieuſe Gebraͤuche (con-
farreatio)
oder ein bloßer Kauf (cöemptio)
vorging, oder die Frau gar nur, wie anderes
bewegliche Eigenthum, durch jaͤhrigen Beſitz
erworben ward. Von einer dos war noch
keine Rede, aber hoͤchſt wahrſcheinlich von
verbotenen Graden. Die Erb-Ariſtocraten
verbanden ſich weder mit Freygelaſſenen noch
mit andern Plebejern.


Die Scheidung hing vom Manne ab,
ſie war zwar lange nicht ſo haͤufig wie nach-
her, aber doch ſchwehrlich unerhoͤrt.


B 3§. 28.
[22]Theil I. bis Juſtinian.
§. 28.

4. Tutel. Auch dieſes Recht war nicht
blos zum Beſten des Schutzbeduͤrftigen. Es
erſtreckte ſich wohl ſchon damahls nicht blos
uͤber Unmuͤndige, und unter dem Nahmen
cura uͤber Wahnſinnige, und erklaͤrte Ver-
ſchwender, ſondern auch uͤber das ganze weib-
liche Geſchlecht, ſo oft dieſe Perſonen keinen
Vater und keinen Ehemann hatten. Es
kommt nur Tutel aus einem Teſtamente des
Vaters, und kraft der Verwandſchaft vor,
wohin zwar auch Freylaſſung, aber nicht ge-
meinſchaftliche Herkunft durch Weibsperſonen,
gehoͤrte, und das Recht des erſten Staats-
bedienten einen Vormund zu ernennen war
noch unbeſtimmt.


Die Tutel wegen des Alters hoͤrte mit
der Pubertaͤt voͤllig auf, fuͤr welche man aber
noch keine allgemeine Regel hatte.


§. 29.

B. Sachen-Recht, oder Mein und Dein,
und was dazu gehoͤrt.


1. Jus in rem. Viele Sachen konnten
kein Theil eines Privatvermoͤgens werden,
weil ſie einem Gotte gewidmet (ſacrae), oder
ſonſt unverletzlich (ſanctae), oder ein Begraͤb-
niß (religioſae) waren, oder auch nur weil
ſie
[23]Periode 1. Syſtem.
ſie dem ganzen Staate gehoͤrten. Sonſt war
aber die Claſſe der Sachen in ſo ferne groß,
weil auch die Verhaͤltniſſe aus dem Perſonen-
Rechte wenigſtens zu den unkoͤrperlichen Sa-
chen gehoͤrten.


Das ſtrenge Recht des Eigenthuͤmers,
ſeine Sache von jedem, auch dem durch kein
Verſprechen und durch keine von ihm zuge-
fuͤgte Beleidigung verbindlich gemachten, In-
haber zuruͤckzufordern, war wie billig bey den
Roͤmern ſehr eingeſchraͤnkt. Ein ſolches buͤr-
gerliches Eigenthum (dominium quiritarium)
erlangte man an koͤrperliche Sachen und an
Rechte auf Grundſtuͤcke, nur auf folgende
Arten, wenn man die Wirkung vom jus per-
ſonarum
und die Verlaſſenſchaften wegrech-
net:


  • 1. mancipatio, oder mancipium, Uebergabe
    vor 6 Buͤrgern gegen wirkliche oder fingir-
    te Zuwaͤgung des Kaufpreißes; dadurch
    hoͤrte das Recht des wahren Eigenthuͤmers
    nicht auf, aber der, welcher emancipirte,
    mußte den durch die Eviction erlittenen
    Schaden doppelt erſetzen,
  • 2. ceſſio in jure, addictio durch das Ober-
    haupt des Staats,
  • 3. adjudicatio Ausſpruch des von ihm er-
    nannten Theilungs-Commiſſairs,

B 44. vſus
[24]Theil I. bis Juſtinian.
  • 4. vſus oder vſucapio, ununterbrochener Be-
    ſitz einer beweglichen Sache binnen einem
    Jahre, einer unbeweglichen binnen zweyen,
    wenn eine der vorigen Arten nicht mit dem
    wahren Eigenthuͤmer vollzogen worden
    war, oder wenn man die Sache auf der
    Jagd, oder im Kriege, oder durch ſimple
    Uebergabe ex juſta cauſa praecedente, da
    wo Mancipation noͤthig geweſen waͤre, er-
    halten hatte. Die vindicatio einer res fun-
    gibilis
    war alſo nach allem dieſen ſehr
    ſchwer.

Das Recht des Pfandglaͤubigers war noch
einerley mit dem widerruflichen Eigenthume,
fiducia.


Jedes jus in rem ging verloren, theils
durch Abtretung, theils durch Verlaſſung,
theils dadurch, daß die Sache ganz aus dem
commercium kam.


§. 30.

2. Jus in perſonam obligatam. Dies
war natuͤrlich um ſo wichtiger, je ſeltener das
jus in rem zureichte. Die obligatio ging
vor ſich entweder durch eine rechtmaͤßige oder
durch eine unrechtmaͤßige Handlung.


a. Obligatio ex contractu. Die Entſte-
hung eines unwiderruflichen Zwangsrechts
auf
[25]Periode 1. Syſtem.
auf alles, was je ein Anderer zugeſagt hat,
iſt im Natur-Rechte ſo ſchwer zu beweiſen,
daß man es nicht fuͤr unnatuͤrlich oder fuͤr ein
Zeichen eines treuloſen National-Characters
halten ſollte, wenn die Roͤmer, ſo wie faſt
alle andern Voͤlker, zu einer Verabredung,
wodurch jemand ein Zwangsrecht nicht etwa
blos zu modificiren oder aufzuheben, ſondern
ganz erſt von neuem zu gruͤnden ſuchte, noch
entweder eine foͤrmliche Anfrage an den Ver-
ſprecher, oder aber einen wirklichen Verluſt
des Andern, der ſchon etwas gethan oder ge-
geben hatte, erforderten. Der Satz: ex nu-
dis pactis non oritur actio ſed exceptio
waͤre
einer ſehr klugen Geſetzgebung wuͤrdig, wenn
ſich ſolche Dinge durch Geſetze machen ließen,
und nicht faſt immer von ſelbſt machten.


Real-Contracte waren: mutuum bey ei-
ner verbrauchbaren Sache mit hoͤchſtens 8⅓
ProCent (vſura vnciaria), commodatum,
depoſitum
und pignus, und alle ungenannten
Contracte, als zu deren Weſen ein ſchon
vollendetes Geben oder Thun gehoͤrt.


Ob alle andere Contracte durch eine Sti-
pulation geſchloſſen wurden, oder ob Kauf fuͤr
Geld, Miethe, Societaͤt und Mandat ſchon
damahls ausgenommen waren, laͤßt ſich nicht
beſtimmen.


B 5§. 31.
[26]Theil I. bis Juſtinian.
§. 31.

b. Obligatio ex delicto. Sie ging faſt
immer auf mehrfachen Erſatz und ſie konnte
darauf gehen, weil in einem Lande, wo Skla-
verey Statt findet, auch der aͤrmſte Verbre-
cher an ſeinem eigenen Koͤrper ein Capital hat.
Sehr viele unerlaubte Handlungen wurden
gar nicht ſo angeſehen, als ob der Staat un-
mittelbar dabey intereſſirt ſey, es war bloß
Sache des Beleidigten, der daruͤber Verab-
redungen traf, welche er wollte. So bey Dieb-
ſtahl und Raub, (furtum) Verwundung u.
ſ. w. Noxia eines filiusfam. oder Sklaven
und pauperies eines Thiers.


§. 32.

3. Verlaſſenſchaften. Letzter Wille und
geſetzliche Erbfolge waren ſich ſo entgegenge-
ſtellt, daß letztere nicht Statt fand, ſo bald
im mindeſten etwas giltig diſponirt war. Da-
her der Grundſatz: Nemo poteſt pro parte
teſtatus, pro parte inteſtatus decedere,
weil
ſchon nach den Worten der XII Tafeln die
Inteſtaterbfolge bloß ſubſidiariſch war. —
Uebrigens iſt von keinem Erbrechte die Rede,
wenn nicht ein Hausvater geſtorben iſt.


a. Teſtamente. Ueber ihre Form war
gar nichts verordnet, und man weiß nicht, ob
noch
[27]Periode 1. Syſtem.
noch jetzt in comitiis calatis nach Curien, und
in procinctu ein Teſtament gemacht ward.
Aber die Form, welche noch bis auf die ſpaͤthe-
ſten Zeiten, freylich kaum mehr erkennbar
ſich erhielt, hatte zur Grundlage einen wider-
ruflichen Erbvertrag, eine Auflaſſung des
ganzen Vermoͤgens an den Erben, oder bald
nachher an einen Dritten. Der Inhalt des
Teſtaments ſcheint ganz von der Willkuͤhr
des Teſtirers abgehangen zu haben, Enter-
bung und Uebergehung der Kinder ſo gut, als
Tutel der Schutzbeduͤrftigen, die er in ſeiner
Gewalt hatte, Legate, und Freylaſſungen.


§. 33.

b. Geſetzliche Beſtimmung wenn keine in-
dividuelle da war. Erſt der heres ſuus, im
Gegenſatze deſſen, der aus der Familie ſeines
leiblichen Vaters in eine andere uͤber gegangen
war, auch wohl deſſen, der ſchon beym Leben
des Vaters fuͤr ſich Vermoͤgen erworben hat-
te. Vermuthlich ſah man ſchon damahls
hierin nicht auf die Naͤhe des Grades, aber
wohl auf die unmittelbare vaͤterliche Gewalt. —
Sobald kein ſuus vorhanden war, kam es
darauf an, ob der Verſtorbene einſt ſelbſt ein
Sklave geweſen war, oder etwa nur ſeine
Voraͤltern. In jenem Falle ſuccedirte der
Patron, in dieſem, ſo wie wenn gar keine
Skla-
[28]Theil I. bis Juſtinian.
Sklaverey vorkam, der naͤchſte Agnate, oder
die von derſelben gens.


§. 34.

Die Hypotheſe, daß das weibliche Ge-
ſchlecht noch gar nicht geerbt habe, erklaͤrt
vollkommen, warum alle Verwandten durch
Weibsperſonen, alle Cognaten, nicht erbten,
warum ſo ſehr lange das weibliche Geſchlecht
in der Erbfolge dem maͤnnlichen nicht ganz
gleich war, warum die Roͤmerinnen ſich da-
mahls noch zur ſtrengen Ehe entſchloſſen, und
warum von einer Erblaſſerinn gar nichts vor-
kommt. Nimmt man noch die ganze Lage
des weiblichen Geſchlechts bey einem kriegeri-
ſchen und uncultivirten Volke dazu, ſo ſcheint
es dagegen nichts zu beweiſen, daß 700 Jah-
re ſpaͤther die Claſſiker ſagen, der Unterſchied
zwiſchen agnatus und agnata ſtehe nicht in den
12 Tafeln, und daß ein Griechiſcher Kaiſer
im Mittelalter ſich ruͤhmt, er habe eine un-
natuͤrliche und beynahe ſuͤndliche Ungleichheit
abgeſchaft, die auch die 12 Tafeln nicht ge-
kannt haͤtten.


§. 35.

Unter mehrern Erben waren die Activ-
und Paſſivſchulden durch bloße Rechnung ver-
theilt, das uͤbrige Vermoͤgen durch 3 arbitri
fami-
[29]Periode 1. Syſtem.
familiae erciſcundae. Wer das Meiſte er-
hielt mußte auch die gottesdienſtlichen Gebraͤu-
che uͤbernehmen, die der Verſtorbene beobach-
tet hatte.


§. 36.

C. Proceß.


Es iſt ſchon oben erinnert worden, daß
bey eben dem Manne, der auf ein Jahr lang
gewaͤhlt worden war, um die Armee zu fuͤh-
ren, und das Oberhaupt des ganzen Staates
zu ſeyn, auch die Streitigkeiten aus dem Pri-
vatrechte angebracht werden mußten. Das
Roͤmiſche Recht kennt, ſchon in dieſen Zeiten,
die Selbſthuͤlfe ſo wenig, als moͤglich. Ge-
gen dieſen Satz beweißt es gar nichts, daß
jeder Klaͤger den Beklagten auffordern durf-
te, mit ihm vor den Regenten (in jus) zu
gehen, und daß er ihn im Weigerungs-Falle,
mit dem Beyſtande oder in Gegenwart ande-
rer Glieder der geſetzgebenden Gewalt, ſogar
dazu zwingen konnte, ohne erſt eine einſeitige
Anzeige davon gemacht, und dadurch einen
Befehl erhalten zu haben. Der Staat war
noch klein und die Schreibkunſt ſelten, alſo
perſoͤnliches Erſcheinen faſt unumgaͤnglich noͤ-
thig, oder wenigſtens nicht laͤſtig. Der Con-
ſul entſchied den Beſitz bis zu Austrag der
Sache (vindicias dabat) bey Realklagen und
bey
[30]Theil I. bis Juſtinian.
bey Streitigkeiten uͤber Freyheit oder Sklave-
rey. Aber wer den Beſïtz widerrechtlich er-
langt hatte, ſollte die Fruͤchte doppelt erſetzen,
oft ward auch unter den Partheyen eine andere
Strafe, etwa wie unſere Succumbenzgelder,
aber, wie immer, zum Vortheil des Gegners
durch Stipulation (ſtipulatio Praetoria) be-
ſtimmt. Nun reducirte ſich alſo auch die Real-
klage auf eine obligatio, und bey allen perſoͤn-
lichen Klagen, die nicht offenbar ungerecht
waren, gab der Conſul einen Richter, dem er,
je nachdem die Parrheyen ſich gegen einander
erklaͤrt hatten (litis conteſtatio) eine Vor-
ſchrift ertheilte, worauf es hauptſaͤchlich an-
komme, und wie auf jedem Fall geſprochen
werden muͤſſe (actio). Dabey waren denn
bald zum Beſten des Beklagten, bald aber
auch des Klaͤgers * noch modificirende Clau-
ſeln (exceptio, praeſcriptio).



§. 37.

Nun war der Gegenſtand des Proceſſes
res litigioſa, die bey Strafe des doppelten
Erſatzes nicht geweiht werden durfte, und
nun hing es von den Partheyen ab, ob die
Sache gleich vorgenommen werden ſollte, oder
ob
[31]Periode 1. Studium.
ob ſie ſich uͤber Termine verglichen (vadimo-
nium).
Der Auftrag des Particuliers war
zu Ende, ſobald er geſprochen hatte, die Exe-
cution war wieder eine Sache des Regenten,
dem man gerade ſo viel und nicht mehr uͤber-
ließ, als man ihm uͤberlaſſen mußte.


Studium des Rechts.


§. 38.

In dieſer ganzen Periode war zwar Juſtiz
in Rom, aber noch keine Jurisprudenz.
Man dachte ſo wenig daran, Begriffe und
Grundſaͤtze aufzuſuchen und wiſſenſchaftlich zu
bearbeiten, nach welchen ein rechtſchaffener
und vernuͤnftiger Conſul oder Richter handeln
muͤſſe, als man uͤberhaupt an gelehrte Logik
oder Moral dachte. Es gab eben ſo wenig
Juriſten in Rom, als es bey andern rohen
Voͤlkern Juriſten giebt.


Ob Papirius bald nach Vertreibung
der Koͤnige alle ihre Geſetze, oder nur die
Regeln fuͤr den Gottesdienſt geſammelt, ob
er dieſe Sammlung geſchrieben, oder nur
muͤndlich durch Tradition fortgepflanzt habe,
iſt ſehr beſtritten.


Zwey-
[32]Theil I. bis Juſtinian.

Zweyte Periode,
von
den zwoͤlf Tafeln bis auf Cicero
von 300 bis 650.


Quellen des Rechts.


§. 39.

Ueber die Beſtrafung der Verbrechen, uͤber
die Polizey, und uͤber das Privatrecht
hatte man nun einige Beſtimmungen mehr,
und mancher Punkt der alten Staatsverfaſ-
ſung und des alten Privatrechts war nun ge-
gen Zweifel und Widerſpruͤche geſichert. Aber
die Erb-Ariſtocratie, von jeher die verhaßte-
ſte Regierungsform, ward darum den Roͤ-
mern nicht angenehmer, ſie mußte im Gegen-
theil immer druͤckender werden, da die Zahl
der Ariſtocraten vielleicht an ſich, aber ganz
gewiß im Verhaͤltniſſe zu den Plebejern, wo-
hin alle Freygelaſſenen gehoͤrten, immer ab-
nahm; da der Unterſchied immer mehr ver-
altete, und ſehr leicht der Nachkoͤmmling ei-
nes der angeſehenſten Gefaͤhrten des Romu-
lus aͤrmer ſeyn konnte, als mancher, der Ple-
bejer ward und Plebejer blieb, weil die Erb-
Ariſto-
[33]Periode 2. Quellen.
Ariſtocraten zu viel Stolz oder zu wenig Klug-
heit beſaßen, um ihre Parthie oft genug durch
neue Mitglieder zu verſtaͤrken. Die Plebejer
hatten nun ihre Anfuͤhrer, deren ganzes In-
tereſſe auf der Demuͤthigung des Erb-Adels
beruhte; oft war auch ein Patriciſcher Conſul
edel oder niedertraͤchtig genug, ihre Forde-
rungen zu beguͤnſtigen. Kein Wunder alſo,
daß der Zuſatz von Democratie in der Ver-
faſſung immer ſtaͤrker ward, und daß die
Ariſtocratie wenigſtens aufhoͤrte, geſetzmaͤßig
erbliche Ariſtocratie zu ſeyn.


§. 40.

Gleich zu Anfang dieſer Periode mußten
die Erb-Ariſtocraten zugeben, daß ein Schluß,
den die Plebejer auch ohne ſie gefaßt haͤtten
(plebisſcitum) nicht etwa eine lex, — ein
Antrag an das Volk, ſeyn und heißen, ſon-
dern voͤllig eben ſo kraͤftig ſeyn ſollte, als eine
andere lex. Da man dies oͤfters, und noch
zu Ende des fuͤnften Jahrhunderts, wiederhol-
te, und da man doch nicht ſieht, daß die Tri-
bunen mit ihren Volksverſammlungen ohne
Patricier und ohne Auſpicien, alles durchge-
ſetzt haͤtten, was allein den Patriciern unan-
genehm war, ſo iſt es ſchwehr zu entſcheiden,
welche Einſchraͤnkungen den Worten nach,
oder doch dem Herkommen nach, ſich bey die-
Cſem
[34]Theil I. bis Juſtinian.
ſem neuen Grundſatze fanden; und man darf
hier, ſo wie bey andern oft wiederholten Ge-
ſetzen, zweifeln, ob nicht manche Verordnung
uͤber einen einzelen Fall fuͤr eine ganz allge-
meine Regel gehalten worden ſey.


§. 41.

Ein Sieg uͤber die Erb-Ariſtocratie er-
leichterte immer den andern, und nachdem
einmahl die Ehe eines Plebejers mit der Toch-
ter eines Patriciers erlaubt war, ſo konnte
das ausſchließende Recht des Adels, zu den
erſten Staatsbedienungen, ſich nicht mehr
lange erhalten. Aber auch dieſe Veraͤnde-
rung ging Stufenweiſe, und wer das Ende
des vierten Jahrhunderts (387) zur Epoche
machen will, weil da endlich das Conſulat ein
Monopol zu ſeyn aufhoͤrte, der ſollte doch
nicht vergeſſen, daß die Cenſoren, der Praͤ-
tor, die Pontifen und die Auguren noch laͤn-
gere Zeit blos aus den alten Familien gewaͤhlt
werden durften.


§. 42.

Die Entſtehung neuer Regenten-Aemter
war eine nothwendige Folge von der Ver-
groͤßerung des Staats, wenn gleich die Pa-
tricier ſehr gerne ſolche Gelegenheiten benutz-
ten, um ſich fuͤr dieſe oder jene Aufopferung
we-
[35]Periode 2. Quellen.
wenigſtens eine Zeitlang zu entſchaͤdigen. Be-
ſonders wichtig waren die Aemter, welchen
man theils die Compoſition der regierenden
Corps, die Verpachtung der oͤffentlichen Ein-
kuͤnfte (vectigalia, nicht gerade der Zoͤlle)
an reiche Roͤmer, die keine Senatoren waren
(equites), und die nicht juſtizmaͤßige Beſtra-
fung ſchlechter Buͤrger, theils die Verhuͤtung
von Gewaltthaͤtigkeiten bey Rechtsſachen uͤber-
trug. Die neuen Regenten, welche in jenen
Stuͤcken an die Stelle der Conſuln traten,
hießen von einem ihrer Geſchaͤfte Cenſoren,
und der untergeordnete College der Oberhaͤup-
ter des Staats fuͤr letzteres behielt den allge-
meinen Nahmen eines Praͤtors, nur mit dem
Zuſatze vrbanus, weil ſeine Beſtimmung war,
in der Stadt zu bleiben, wenn die Conſuln
an die Grenze zoͤgen.


§. 43.

Unter den Cenſoren muß man ſich nicht
bloße Sittenrichter denken; ſie hatten das
Recht Senatoren zu ernennen (legere), und
da der Aemter noch ſo wenige waren, welche
Sitz und Stimme im Senat gegeben haͤtten,
ſo war ihre Wahl um ſo weniger eingeſchraͤnkt.
Sie formirten die Centurien, und ſie muͤſſen
ſelbſt die Tribus formirt haben, weil im
ſechsten Jahrhunderte ein Cenſor vielleicht die
C 2Haͤlf-
[36]Theil I. bis Juſtinian.
Haͤlfte aller Buͤrger in vier Tribus zuſam-
menſteckte, die vorher durch alle 35 vertheilt
geweſen waren a). Die Gewalt der Cenſo-
ren war ſehr groß, denn noch zu Cicero’s
Zeiten ſtießen ſie einen geweſenen Conſul aus
dem Senate, und ſehr fruͤh dachte man dar-
auf, ihren Deſpotismus unſchaͤdlich zu machen.



§. 44.

Der neue Praͤtor war ſo wenig, als die
Conſuln ſelbſt, ein Richter wie die unſrigen;
nicht einmahl auf jurisdictio war er einge-
ſchraͤnkt, er konnte in allen Stuͤcken Gehuͤlfe
und Stellvertreter der Conſuln ſeyn, aber
die Conſuln hatten auch ihre jurisdictio nicht
verloren, ob ſie gleich ſeltener Gebrauch da-
von machten. Als der Staat ſich vergroͤßer-
te, ward noch ein Regent (praetor) gewaͤhlt,
der hauptſaͤchlich außerhalb der Stadt ge-
braucht werden ſollte (peregrinus) a). In
der Folge hatte man noch mehr Gouverneure
noͤthig, am Ende dieſer Periode waren es
ſechs, und weil die peinlichen Gerichte ſich
mehr ausgebildet hatten, ſo war es eine weiſe
Einrichtung, daß jeder Buͤrger, indem er
einer entfernten Provinz ihren Regenten waͤhl-
te, nicht wiſſen konnte, ob dieſer nicht durch
das
[37]Periode 2. Quellen.
das Loos praetor vrbanus uͤber ihn ſelbſt wer-
den, oder welches Criminaldepartement er
bekommen wuͤrde. Entweder die jurisdictio
oder eine quaeſtio beſchaͤftigte jeden Praͤtor
ein Jahr lang in der Stadt, ehe er in ſein
Gouvernement abreiſen durfte.



§. 45.

Die neuen, Anfangs blos Patriciſchen
Aedilen (curules, im Gegenſatze derjenigen,
welche ſchon vorher Subalternen der Tribu-
nen geweſen waren) hatten die Polizey unter
ſich, und dazu gehoͤrte auch die koſtbare Ehre,
oͤffentliche Schauſpiele zu beſorgen. Die Zahl
der Quaͤſtoren, die man nicht mit den Quaͤ-
ſitoren oder Inquiſitoren verwechſeln muß,
und die von jeher Adjutanten der Generale
C 3ge-
[38]Theil I. bis Juſtinian.
geweſen waren, vermehrte ſich, und einigen
war das aerarium (nicht blos der Schatz,
ſondern auch das Archiv) anvertraut.


Die Volkstribunen bekamen Sitz und
Stimme im Senate, und mußten nachher
aus den plebejiſchen Senatoren gewaͤhlt wer-
den.


§. 46.

Die theils voruͤbergehenden theils weni-
ger bedeutenden Aemter der tribuni militum
conſulari poteſtate,
und der Triumviri capi-
tales, monetales
u. ſ. w. intereſſiren bey der
Rechtsgeſchichte weniger, als die Privatper-
ſonen, aus welchen die Criminal und Civilge-
richte beſetzt wurden. In peinlichen Sachen
wurden die Urtheiler aus Decurien ausgeſucht,
in welche anfangs nur Senatoren, nachher
gegen das Ende dieſer Periode auch equi-
tes
kamen. Ueber Civilproceſſe, bey welchen
mehr Rechtsſaͤtze, als nur einzele Thatſachen,
oder als der Beſitz, ſtreitig waren, erkannten
Gerichte, die der Praͤtor oder ein Decemvir
litibus judicandis
aus dem Corps der 105
Centumviri beſtellte, oder dirigirte (conſi-
lium, haſta centumviralis).
Es iſt aber in
dieſer ganzen Lehre noch vieles dunkel.


§. 47.
[39]Periode 2. Quellen.
§. 47.

Die meiſten der bisher erzaͤhlten Veraͤn-
derungen gingen durch feyerliche Volksſchluͤſ-
ſe (leges); es iſt alſo kein Wunder, wenn
Livius oder Tacitus von einer ungeheuern
Menge leges ſprechen, die ſeit den zwoͤlf Ta-
feln bis auf ihre Zeit gemacht worden ſeyen.
Aber beynahe unbegreiflich iſt es, wie man
ſolche Stellen anfuͤhren kann, um zu bewei-
ſen: erſt ein Griechiſcher Kaiſer im Mittelalter
habe das Roͤmiſche Privatrecht, — ein Chaos
zur Zeit der ſchoͤnſten Bluͤthe der Litteratur, —
in Ordnung bringen muͤſſen. Eine kurze chro-
nologiſche Ueberſicht aller Volksſchluͤſſe, die
man in dieſer Periode aufuͤhrt, kann am be-
ſten zeigen, wie wenig man ſich in den
Volksverſammlungen mit juriſtiſchen Lehrſaͤt-
zen abgab, und eben dieſe Ueberſicht kann
vielleicht zur naͤhern Kenntniß des Staats
manchen Beytrag liefern.


§. 48.

Aus dem vierten Jahrhunderte kommen
folgende leges vor: 1. allgemeine Verbind-
lichkeit der Plebisſciten, — 2. Verbot je einen
Regenten von der Provocation zu befreyen, —
3. Unverletzlichkeit (ſanctio) der Tribunen,
Aedilen, judices, decemviri, dadurch, daß
C 4der
[40]Theil I. bis Juſtinian.
der Verbrecher ſacer ſeyn ſollte, — 4. Le-
bensſtrafe gegen jeden, der die Ernennung
der Tribunen hindern wuͤrde, — 5. ſie ſol-
len zehen, und lauter Plebejer ſeyn, — 6. Pa-
tricier und Plebejer duͤrfen ſich heyrathen, —
7. die Gewalt der Cenſoren waͤhrt nur 1½
Jahre, — 8. gegen den ambitus, — 9. Ein-
ſchraͤnkung der mulctae dictio, — 10. nie-
mand ſoll uͤber 500 jugera beſitzen, — 11.
gegen den Wucher, eine vermuthlich nur tem-
poraire Verordnung, — 12. Zulaſſung der
Plebejer zu der Stelle eines decemvir ſacro-
rum,
— 13. zum Conſulat 387, — 14.
Rechte des praetor vrbanus, — 15. das
erſte Strafgeſetz gegen unerlaubte Mittel
einer von den Regenten des Staats zu wer-
den, — 16. Zinſen zu 8⅓ Procent beſtaͤtigt, —
17. Abgabe zu 5 Procent von manumittirten
Sklaven, — 18. Verbot bey Lebensſtrafe
keine Volksverſammlung in der Entfernung
von Rom zu halten.


§. 49.

Aus dem fuͤnften Jahrhunderte: 1. tem-
poraire Anſtalten zur Erleichterung der
Schuldner, — 2. uneingeſchraͤnkte Aufnah-
me in den Senat, — 3. vſurae ſemiunciariae
und Termine, alſo vielleicht nur voruͤberge-
hend, — 4. keine Militairperſon ſoll will-
kuͤhr-
[41]Periode 2. Quellen.
kuͤhrlich verabſchiedet werden, und wer ein-
mahl tribunus militum geweſen iſt, darf
nicht als Subaltern dienen, — 5. Zinſen
ganz verboten, — 6. niemand darf zwey Re-
gentenſtellen zu gleicher Zeit, — 7. niemand
dieſelbe Stelle binnen zehn Jahren zweymahl
begleiten, — 8. beyde Conſuln duͤrfen Plebe-
jer ſeyn, — 9. die allgemein verbindliche
Kraft der Plebisſciten beſtaͤtigt, — 10. eine
lex centuriata muß der Senat vorlaͤufig gut
heißen, ſie mag ausfallen wie ſie will, —
11. einer von beyden Cenſoren ſoll ein Plebejer
ſeyn, — 12. das Privatgefaͤngniß der Schuld-
ner hat, der Regel nach, nur noch bey einer
obligatio ex delicto Statt, — 13. der prae-
tor vrbanus
mit Zuziehung der Tribunen,
die aber diesmahl nicht alle uͤbereinzuſtimmen
noͤthig haben, darf Tutoren ernennen: lex Ati-
lia,
— 14. kein Tempel oder Altar ſoll ohne
Einwilligung des Senats und der Pluralitaͤt
der Tribunen geweiht werden, — 15. Zahl
der Pontifen und Auguren vermehrt, und
Zulaſſung der Plebejer zu dieſen Wuͤrden, —
16. wer an das Volk provocirt, darf nicht
hingerichtet werden: lex Valeria, eingeſchraͤnkt
durch die Mutinybill, — 17. allgemeine Ver-
bindlichkeit der Plebisſciten zum letzten mahle
erneuert, — 18. Jurisdiction an nundinis
verordnet, — 19. die Unabhaͤngigkeit der Co-
C 5mitien
[42]Theil I. bis Juſtinian.
mitien vom Senate erneuert, — 20. uͤber
die Zahl der Quaͤſtoren und ihre Geſchaͤfte
(provinciae), — 21. niemand darf zum
zweyten mahle Cenſor werden, — 22. der
Praͤtor ſoll Leute, die zwar puberes ſind,
aber das 25ſte Jahr noch nicht zuruͤckgelegt
haben, gegen nachtheilige Verbindungen in
integrum
reſtituiren: lex Laetoria.


§. 50.

Im ſechsten Jahrhunderte, alſo waͤhrend
der Puniſchen Kriege und waͤhrend der ſchoͤn-
ſten und am Ende ſchon welkenden Bluͤthe
des Freyſtaats: 1. uͤber die Veſtalinnen, —
2. (vielleicht) Aenderungen an den 12 Ta-
feln: lex Aebutia, — 3. gegen Knaben-
ſchaͤnderey, — 4. (vielleicht) uͤber die Se-
natsverſammlungen, — 5. ein Aufwands-
geſetz, — 6. gegen den Seehandel der Se-
natoren und ihrer Soͤhne, — 7. gegen den
Luxus der Roͤmerinnen: lex Oppia, — 8.
gegen die heimlichen Geſchenke: lex Cincia,
die nicht imperfecta war, — 9. gegen die
vſucapio rei furtivae wiederholt, — 10. kein
Roͤmer darf mehr hingerichtet, oder mit
ſklaviſchen Strafen belegt werden: lex Por-
tia,
— 11. Ausdehnung der Wuchergeſetze
auf ſocii und Latini, — 12. gegen den am-
bitus,
— 13. ein Aufwandsgeſetz, — 14.
uͤber
[43]Periode 2. Quellen.
uͤber den Erſatz widerrechtlicher, auch aus Un-
vorſichtigkeit zugefuͤgten, Beſchaͤdigungen: lex
Aquilia, de damno injuria dato,
— 15. uͤber
das erforderliche Alter zu einer Regentenſtel-
le, — 16. Entfernung der Nicht-Roͤmer
aus der Stadt, — 17. kein Roͤmer darf ir-
gend einem Frauenzimmer, auch ſeiner ein-
zigen Tochter nicht, eine Erbſchaft oder ein
ſehr betraͤchtliches Legat im Teſtamente zu-
wenden: lex Voconia, — 18. uͤber Grenz-
ſtreitigkeiten, — 19. ein Aufwandsgeſetz, —
20. gegen den ambitus, — 21. uͤber die Au-
ſpicien, — 22. uͤber die Tage, an welchen dem
Volke ein Antrag gemacht werden duͤrfe.


§. 51.

Aus der erſten Haͤlfte des ſiebenten Jahr-
hunderts, wo der Staat ſich einer Revolu-
tion ſchon unaufhaltſam naͤherte: 1. gegen
Erpreſſungen der Gouverneure (de pecuniis
repetundis),
— 2. gegen den Luxus, — 3.
wer in Staatsangelegenheiten abweſend iſt,
darf nicht angeklagt werden, — 4. geheime
Stimmen oder Ballotiren (lex tabellaria)
bey Wahlen, — 5. bey peinlichen Gerichten,
Hochverrath ausgenommen, — 6. bey jedem
Antrage an das Volk, — 7. eine annalis,
8. die Tribunen erhalten Sitz und Stimme
im Senate, — 9. Heimweiſung der Nicht-
Roͤ-
[44]Theil I. bis Juſtinian.
Roͤmer, — 10. eine agraria (ſo wie die fol-
genden acht, von Gracchus), — 11. Straſ-
ſenbau auf Koſten des Staats, — 12. eine
frumentaria, — 13. Kleidung der Buͤrger
im Kriege auf Koſten des Staats, — 14.
uͤber das caput eines Roͤmers ſoll nicht an-
ders, als auf Befehl des Volks gerichtet wer-
den, — 15. die centuria praerogativa ſoll
aus allen Claſſen herausgeloost werden, —
16. kein Senator ſondern nur Ritter ſollten
in Criminalgerichten ſitzen, — 17. die De-
partemens ſollen beſtimmt werden, noch vor
der Wahl der neuen Regenten, — 18. ge-
gen Complotte in Proceſſen, — 19. Rechte
der Generale gegen die Einwohner des Latium
gemildert, — 20. zwoͤlf neue Colonien, jede
von 3000 Hausvaͤtern, — 21. vectigal nach-
gelaſſen, — 22. gegen den ambitus, — 23.
gegen den Luxus, — 24. Einfuͤhrung wilder
Thiere zu Schauſpielen erlaubt, — 25. de
inceſtu,
— 26. Ballotiren auch bey Hoch-
verrath, — 27. eine agraria, — 28. Be-
ſetzung der Gerichte aus Senatoren und Rit-
tern, — 29. de pecuniis repetundis, — 30.
ſacerdotes aus den Plebejern.


§. 52.

In dieſe Periode gehoͤren noch folgende,
die ſich nicht chronologiſch genau beſtimmen
laſ-
[45]Periode 2. Quellen.
laſſen: 1. Niemand ſoll bey dem Volke dar-
auf antragen, daß man ihn ſelbſt, oder ſeine
Collegen, zu Commiſſarien ernennen moͤchte, —
2. die ſcribae ſollen keinen Handel treiben, —
3. (vielleicht) Cornelia teſtamentaria, das Te-
ſtament des Roͤmers, der in der Kriegsge-
fangenſchaft, als Sklave ſtarb, ſoll gelten, —
4. Fabia de plagiariis, — 5. Furia teſta-
mentaria,
Einſchraͤnkung eines Legats auf
1000 aſſes, doch mit Ausnahmen, — 6.
Remmia de calumniatoribus gegen Chicanen
in Criminalſachen, — 7. gegen Hazardſpie-
le, — 8. de furtis, — mehrere agrariae,
frumentariae, viariae, militares
und trium-
phales.


§. 53.

Es war ſehr weitlaͤuftig und ſogar ge-
faͤhrlich, den Souverain, das heißt, alle
Roͤmer zu verſammeln und ihnen Antraͤge zu
thun. Die Sache ſollte doch wenigſtens vor-
her von dem Corps, das aus den einſichts-
vollſten Buͤrgern beſtand, und deſſen Mey-
nung, zumahl beym Votiren nach Centurien,
faſt immer durchging, vom Senate, uͤberlegt
und genehmigt werden. Aber eben dieſer
Senat hatte auch die Beſorgung ſehr vieler
Regierungsgeſchaͤfte, uͤber welche faſt gar kein
Volksſchluß vorhanden war, und ſchon hier
tritt
[46]Theil I. bis Juſtinian.
tritt der Satz ein, den wir bald noch mehr
brauchen werden: daß jeder, der im einzelen
Falle nach ſeiner Einſicht handeln darf, auch
um ſo mehr das unſtreitige Recht hat, zum
voraus zu erklaͤren, wie er handeln werde.
Alle hoͤhere magiſtratus waren Mitglieder
des Senats, ſeine Schluͤſſe verbanden ſie al-
ſo, ſchon wie die Schluͤſſe und Verabredun-
gen jedes Corps den verbinden, der ſie hat
machen helfen, und ſobald kein Tribun ſich
widerſetzte, ſo haͤtte es ein ſehr verdaͤchtiges
Anſehen gehabt, wenn etwa ein Conſul oder
Praͤtor gegen ein Senatus-Conſult gehandelt
haͤtte, blos deswegen, weil an der Foͤrmlich-
keit etwas fehle, weil es nicht von der Ver-
ſammlung beſtaͤtigt worden ſey, die es hoͤchſt
wahrſcheinlich ohne allen Anſtand beſtaͤtigt
haͤtte. Es iſt alſo wohl kein Zweifel, daß
auch Senatsſchluͤſſe eine Quelle des Roͤmi-
ſchen Staats- und Privatrechts ſchon zu die-
ſer Zeit waren, da Ciceroa) dies ausdruͤck-
lich ſagt, da Pomponiusb) es als eine
Veraͤnderung erzaͤhlt, die lange vor Auguſt
ſich zugetragen habe, und da die entgegenge-
ſetzte Meynung nur auf einem groben Miß-
verſtande deſſen beruht, was mit den Ma-
giſtratswahlen unter Tiber vorging. — Frey-
lich kounte der Senat einſeitig keine Grundge-
ſetze machen, und freylich hielt er es hoͤchſt
ſel-
[47]Periode 2. Quellen.
ſelten fuͤr noͤthig, Saͤtze des Privatrechts zu
beſtimmen. Die Senatus-Conſulte, die Bach,
der Vater der beſſern Meynung, anfuͤhrt,
ſind faſt alle Regierungsgeſetze, aber die le-
ges,
die keine Grundgeſetze waren, enthielten
ja auch faſt alle nur einzele Verordnungen zum
gemeinen Beſten, und nicht blos Saͤtze des
Privatrechts, wobey es nur auf Gewißheit
angekommen waͤre.




§. 54.

Saͤtze des reinen Civilrechts, bey welchen
dem Staate nichts daran liegt wie ſie ſind,
ſondern nur daß ſie ſind, bey welchen das
Hauptverdienſt Gleichfoͤrmigkeit und Zutrauen
zu dieſer Gleichfoͤrmigkeit iſt, kann der Sou-
perain ruhig ihrer natuͤrlichen und wiſſenſchaft-
lichen
[48]Theil I. bis Juſtinian.
lichen Bildung uͤberlaſſen, ohne deswegen ſich
ſelbſt, oder ein ganzes Corps von ſeinen
Stellvertretern, in Bewegung zu ſetzen. Es
iſt immer ſchon Gewinn, wenn nur Gewalt-
thaͤtigkeiten dadurch verhindert werden, daß
ein unpartheyiſcher, zum voraus durch die
Stimmen der Buͤrger ernannter, Dritter da iſt,
an den man ſich wenden kann, und deſſen
Einſicht mehr phyſiſchen Nachdruck hat, als
die Einſicht der Partheyen. Dieſer Dritte
braucht gar keine beſondre Inſtruction; es iſt
nur noͤthig, daß uͤber die ganze Anſtalt, als
Regierungs-Sache, das wichtigſte verabredet
oder feſtgeſetzt werde, z. B. wie man den
Gegner zwingen koͤnne, ſich vor der Obrig-
keit zu ſtellen (de in jus vocando), ob die
Obrigkeit ſelbſt unterſuchen, oder einem Pri-
vatmanne die Unterſuchung auftragen duͤrfe
oder muͤſſe u. ſ. w. Entſtehen Regierungs-
geſetze, Verordnungen, die Einfluß auf die
Civiljuſtiz haben, ſo muß der Richter dieſe
befolgen; aber dies ſind nur einzele Modifi-
cationen, die Regel bleibt immer aequitas,
das was die Nation fuͤr Recht und Unrecht
haͤlt a), dieſe Meynung mag ſich beſtimmt
haben, wie ſie will, nur daß ſie ſich ſehr ſel-
ten durch einen feyerlichen Volksſchluß bilden
wird. Selbſt dazu, daß ein Volksſchluß ſie
beſtaͤtigt, gehoͤrt eine beſondre Veranlaſſung,
wie
[49]Periode 2. Quellen.
wie die, durch welche bey den Roͤmern die
12 Tafeln entſtanden. Dieſe beſtimmten nur
die allererſten Grundſaͤtze, z. B. ſie ſagten,
es ſollte nach Teſtamenten geſprochen werden,
aber wie der Praͤtor dies thun wuͤrde, was
zu einem Teſtamente gehoͤre u. ſ. w., war
dem Menſchenverſtande deſſen uͤberlaſſen, dem
ja noch viel wichtigere Dinge, die Anfuͤhrung
im Kriege und die perſoͤnliche Repraͤſentation
des Souverains in hundert andern Faͤllen
anvertraut war. Im Nothfalle halfen auch
hier die Tribunen. — Da die Billigkeit des
Praͤtors im einzelen Falle entſchied, ſo war
es noch weniger zweifelhaft, daß er zum vor-
aus ſeine Grundſaͤtze bekannt machen, und
ſich darnach richten duͤrfe. Die Zeit und die
naͤhere Veranlaſſung zu dieſer Anſtalt, iſt
unbekannt; aber es laͤßt ſich vermuthen, daß
es nicht ſehr fruͤh geſchah, weil es Mißtrauen
und Cultur vorausſetzt, und daß der Praͤtor
ſich dadurch gegen Vorwuͤrfe von Partheylich-
keit ſichern wollte b). So entſtand das jus
honorarium.




§. 55.

Dieſe Bekanntmachung hatte den allge-
meinen Nahmen aller Bekanntmachungen:
edictum, und geſchah, wie alle, durch Aus-
ruf und Ausſtellung (in albo proponere).
Sie unterſchied ſich aber von andern durch
den Nahmen ordinarium und weil ſie immer
zu Anfang des Jahrs erfolgte. Vor Cicero
kennt man keine Lex daruͤber, und das Sena-
tus-Conſult von 580 iſt unaͤcht. Aber na-
tuͤrlich war es, daß der Nachfolger alles bey-
behielt, was er nicht glaubte viel beſſer ma-
chen zu koͤnnen, (edictum tralalitium) und
natuͤrlich war es ferner, daß das neuere Recht
mehr galt, als das Alte a), und daß man
anfing, nicht mehr die zwoͤlf Tafeln ſondern
das Edict bey dem ganzen Studium zum
Grunde zu legen.



§. 56.
[51]Periode 2. Quellen.
§. 56.

Dies find nicht die Ideen der Leute, wel-
che zum Grundſatze in der ganzen Rechtswiſ-
ſenſchaft annehmen, man muͤſſe nicht nur nie
gegen foͤrmliche Vefehle und Verordnungen,
ſondern auch immer nach ihnen entſcheiden,
hoͤchſtens koͤnne noch das Natur-Recht aus-
helfen, weil dies Verordnungen Gottes ent-
halte, die ſich zu den Geſetzen jedes einzelen
Staats verhalten, wie Reichsgeſetze zu Lan-
desgeſetzen. Da ſie ſahen, daß im praͤtori-
ſchen Rechte nicht blos Lexe und allgemeines
Naturrecht enthalten ſey, und da ſie wiſſen,
daß der Praͤtor nicht das Recht hatte, Grund-
Regierungs- und Strafgeſetze zu machen, ſo
bleibt ihnen kein anderer Ausweg als alle
Praͤtoren fuͤr meyneidige Betruͤger a), und
alle Nicht-Praͤtoren, auch die, welche ſelbſt
es geweſen waren, und auch die Rechtsgelehr-
ten, fuͤr die einfaͤltigſten Kinder zu halten,
die man glauben machen konnte was man
wollte, ſobald man der Sache einen neuen
Nahmen gab, oder eine Fiction brauchte,
oder mit Exceptionen und Reſtitutionen ſie
blendete. Noch ſcharfſinnigere Koͤpfe bemer-
ken, daß eigentlich nur die Plebejer betrogen
wurden, obgleich die 30 erſten, alſo die ein-
zigen blos patriciſchen, Praͤtoren ſchwerlich
ſchon ein edictum ordinarium gehabt haben,
D 2und
[52]Theil I. bis Juſtinian.
und obgleich nicht eine einzige Aenderung des
neuern oder praͤtoriſchen Rechts die Patricier
vorzuͤglich beguͤnſtigt; oder ſie ſprechen vom
Verfalle der alten Tugend, der die alten Ge-
ſetze verhaßt machte.



§. 57.

Doch dies moͤchte alles noch ſo hingehen,
das Edict des Praͤtors moͤchte als Gewohn-
heitsrecht, und als eine ſtillſchweigend geneh-
migte Lex eine Quelle des Privatrechts ſeyn,
aber wie in aller Welt laͤßt es ſich erklaͤren,
daß die Meynungen, die Begriffe und Grund-
ſaͤtze der Rechtsgelehrten, Einfluß auf die
Wiſſenſchaft gehabt haben, daß ſie eine vier-
te Quelle des Roͤmiſchen Rechts ausmachen,
die noch gar vorzugsweiſe jus civile heißt?
Koͤnnen denn Particuliers Geſetze geben?
Die Geſetzgebers-Patente, die Auguſt auszu-
theilen anfing, ſind ſpaͤther, aber die juri-
ſtiſchen Kirchenverſammlungen im Tempel
Apolls (diſputatio fori) gehoͤren hierher,
und
[53]Periode 2. Quellen.
nnd wenn es mit dieſen auch nicht richtig waͤ-
re, ſo iſt ja doch bey jeder lex eine interpreta-
tio
moͤglich und noͤthig. Alſo Ausleger der
Geſetze waren die Rechtsgelehrten, freylich
gewaltthaͤtige Ausleger, daran war aber wie-
der die Tyranney der ErbAriſtocraten Schuld.
Hierher rechnet man die Einrichtung mit dies
faſti
und nefaſti, ſo wie die Foͤrmlichkeiten
bey allen wichtigern Rechtshandlungen. —
Es war aber wohl ohne alle herrſchſuͤchtigen
Abſichten der Vornehmen ſehr natuͤrlich, daß
ſich gewiſſe hergebrachte Gebraͤuche (ſolenni-
tates)
bildeten; es war ſehr vortheilhaft, und
bey den unbezahlten Rechtsgelehrten ganz un-
ſchaͤdlich, daß niemand einen Proceß anfing,
ohne einen Mann von Einſichten, zu dem er
Zutrauen hatte und haben mußte, vorher zu
fragen; es war unumgaͤnglich noͤthig, wenn
ein einzeler Mann mit der jurisdictio in allen
Sachen unter Roͤmern fertig werden ſollte,
daß man ihm den Punkt, worauf es ankam,
ſo kurz als moͤglich vortrug; und endlich
brachte es die ganze Lage des Staats, deſſen
reichſte Buͤrger in der Stadt, die blos wohl-
habenden in Municipien und die Aermſten
wieder in der Stadt lebten, mit ſich, daß
man weder die vom Mittelſtande noch die
Aermſten fragte; jene hatten keine Erfah-
rung, und dieſe waren meiſt gebohrne Aus-
D 3laͤn-
[54]Theil I. bis Juſtinian.
laͤnder. — Nimmt man noch einen gewiſſen
Grad von Pedanterey und Steifheit dazu,
der in dem guten National-Character, der an
ſtrenge Kriegszucht gewoͤhnten, nicht durch
Induſtrie abgeſchliffenen Roͤmer lag, ſo kann
es wohl nicht ſchwer ſeyn, die Entſtehung der
legis actiones zu begreifen, man mag dieſe
mit actus legitimi a) fuͤr gleichbedeutend hal-
ten, oder auf das, was im jus vorgenom-
men werden mußte, einſchraͤnken.



Syſtem
[55]Periode 2. Syſtem.

Syſtem des Rechts
am
Ende dieſer Periode.


§. 58.

I.Staatsrecht.


A.Grundgeſetze, oder eigentliches Staats-
Recht.


Die hoͤchſte Gewalt hatte das Volk, das
nun die Cenſoren componirten, und wozu
nicht mehr alle freye Hausvaͤter im Staate
gehoͤrten, ſondern nur die eigentlichen Buͤrger,
im Gegenſatze von ſocii und nomen Latinum.
Die allgemeine Verbindlichkeit der democrati-
ſchen Volksſchluͤſſe war in dieſer Periode wie-
derholt anerkannt worden, ſo wie uͤber die
Form neuer Antraͤge, z. B. die promulgatio
per trinundinum
und uͤber das Ballotiren,
mehrere Lexe vorkommen.


Der Senat oder der wichtigſte Theil des
Volks hatte an ſeinen Rechten verloren, weil
er immer zum voraus einwilligen mußte (in
incertum comitiorum eventum auctor fiebat).

Aber er hatte gewonnen, ſo wie das Volk
immer groͤßer, alſo deſſen Verſammlungen
D 4im-
[56]Theil I. bis Juſtinian.
immer weitlaͤuftiger, wurden. Die Tribunen
waren nun ordentliche Senatoren, und wenn
ſie nicht widerſprachen, ſo trug man eine Sa-
che dem Volke oft gar nicht vor. Aber alles
konnte vorgetragen und vom Volke geaͤndert
werden, auch die auswaͤrtigen Angelegenhei-
ten nicht ausgenommen. — Noch wichtiger
war aber die Veraͤnderung, daß nun der Se-
nat kein Corps von Erb-Ariſtocraten mehr
war; neben den Patriciern ſaßen nun laͤngſt
auch Plebejer, und unter dieſen waren ſchon
nobiles und novi homines getrennt. — Die
Senators-Wuͤrde hing von den Cenſoren ab.


§. 59.

Die Oberhaͤupter des Volks und des
Senats, alſo ihre Stellvertreter, ſo lange das
Corps nicht verſammelt war, ſind: zwey
Conſuln (oder ein Dictator und ein magiſter
equitum)
zwey Cenſoren, 6 Praͤtoren, 2 ae-
diles curules
(Oberaufſeher der Polizey, die
ſich durch Schauſpiele empfehlen mußten)
mehrere Quaͤſtoren und 10 Tribunen.


§. 60.

B. Regierungsgeſetze.


  • 1. Die Aemter beſetzte das Volk, oder der
    vom Volke Gewaͤhlte. Die Patricier hat-
    ten
    [57]Periode 2. Syſtem.
    ten hier faſt gar keine Vorrechte mehr. Im
    Militair war eine Art von Anciennetaͤt.
  • 2. Die Einkuͤnfte beruhten auf den Abga-
    ben der agri vectigales in den Colonien,
    und auf den Steuern, Zoͤllen u. ſ. w. aus
    den Provinzen. Die Cenſoren verpachte-
    ten ſie an equites. — Die Einwohner
    der Stadt waren nun frey von Abgaben.
  • 3. Die Religion hatte ſich faſt gar nicht ge-
    aͤndert.
  • 4. Beym Militair erhielten die Buͤrger
    Sold und Kleidung, aber ganz Arme nahm
    man, der Regel nach, nicht in Dienſte. Roͤ-
    mer und Nicht-Roͤmer waren bey dem
    Heere nun ſehr verſchieden.
  • 5. Fuͤr die buͤrgerliche Juſtiz, ſowohl juris-
    dictio
    als legis actio waren in der Stadt
    zwey Praͤtoren, vrbanus und peregrinus,
    und in den Provinzen die Gouverneurs.
    Als Ausnahme auch der Conſul ſelbſt.

Der Praͤtor, der ſelten ein eigentlicher
Rechtsgelehrter war, und von dem es al-
lein abhing, ob er Rechtsgelehrte in ſein
conſilium nehmen, und ihren Rath befol-
gen wollte, entſchied uͤber den Beſitz und
leitete den Proceß ein. Die Unterſuchung
der ſtreitigen Thatſachen hatte ein Parti-
D 5culier.
[58]Theil I. bis Juſtinian.
culier. Aber wo weder der bloße Beſitz,
noch das Factum, ſondern die Rechtsfrage
ſtreitig war, da wandte man ſich an die
centumviri und decemviri litibus judican-
dis.


Vervielfaͤltigung der Inſtanzen, dieſes
hoͤchſt unvollkommene Mittel gegen eine
andre Unvollkommenheit, kannte man in
Rom noch wenig. Die appellatio tribuno-
rum
war gar nicht unſre Appellation, ſon-
dern das was in jedem Staate ſeyn muß.


§. 61.

C. Strafgeſetze.


  • 1. Die Strafgewalt war ganz getrennt von
    jurisdictio, ſobald man die Sache criminal
    behandelte; aber viele Vergehen gaben
    noch blos dem Beſchaͤdigten ein Recht.
    Bey Criminalſachen kam es auf imperium
    an, und Sherif war der kuͤnftige Gouver-
    neur, den das Loos gerade dieſer Art von
    Verbrechen getroffen hatte (cui ea quae-
    ſtio obvenerat).
    Die Geſchwohrnen (ju-
    dices)
    waren zahlreich genug, um als Re-
    praͤſentanten des Souverains angeſehen zu
    werden; ſie entſchieden alſo nicht blos uͤber
    das Factum, ſondern ſie begnadigten auch.
    Jede lex uͤber ein judicium publicum be-
    ſtimm-
    [59]Periode 2. Syſtem.
    ſtimmte die Zahl, den Stand und die Ver-
    werfung der Richter. — Der Regel nach
    mußte ein Anklaͤger auftreten, und wenn
    dieſer fuͤr einen Calumnianten erklaͤrt ward,
    ſo beſtrafte man ihn. Aber non probaſti
    und calumniatus es waren immer verſchie-
    den.
    In außerordentlichen Faͤllen nahm ſich
    der Souverain ſelbſt, oder der Senat,
    oder der Conſul, oder der commandirende
    General der Beſtrafung eines Verbrechens
    an. Wenigſtens waren die Cenſoren zur
    Ergaͤnzung der Strafgewalt da.
  • 2. Die Verbrechen waren nun auch noch außer
    den vorigen: ambitus, nefanda venus und
    pecuniae repetundae.
  • 3. Als Strafen waren die Lebensſtrafen ge-
    gen Roͤmer ſeit der lex Porcia abgeſchaft,
    und eine Hinrichtung more majorum war
    ſehr ſelten. Der Verbrecher, der waͤh-
    rend des Proceſſes nie ins Gefaͤngniß ge-
    worfen ward, hatte das Recht, jeder Stra-
    fe durch freywillige Verbannung zu entge-
    hen, und er behielt ſein ganzes Vermoͤgen,
    wenn nicht lis aeſtimabatur und dadurch
    ein Theil abging.

§. 62.
[60]Theil I. bis Juſtinian.
§. 62.

II.Privatrecht.


Meynung der Nation von dem, was Recht
und Unrecht ſey unter ihren einzelen Gliedern.


A. Jus perſonarum. Dieſe Verhaͤltniſſe
hatten ſich mehr entwickelt, und die Abſtu-
fung unter ihnen war nun merklicher.


1. Herren und Sklaven. Dieſes Ver-
haͤltniß war, dem Rechte nach, daſſelbe ge-
blieben, aber in der That bey dem ſteigenden
Luxus, der Menge und dem geringen Preiße
der Sklaven haͤrter geworden. Ergaſtula.


Sklave ward das Kind einer Sklavinn
und der Kriegsgefangene, aber nicht mehr
der Schuldner und noch nicht der Verbre-
cher.


Der Sklave ward frey durch einen Aus-
ſpruch des magiſtratus, durch den Cenſus und
durch das Teſtament ſeines Herren. Eine
ſimple Erklaͤrung des letztern befreyte ihn nur
von ſklaviſchen Arbeiten.


Die Freygelaſſenen hatten noch alle, die
vollen Rechte eines Roͤmers in Privatſachen:
jus Quiritium. Aber in Anſehung der Tri-
bus, der Mißheyrathen und der Regierungs-
ſtellen, waren ſie geringer, und ihr Patron
hatte Succeſſions-Rechte, Geſchenke und meiſt
auch
[61]Periode 2. Syſtem.
auch beſtimmte Dienſte zu fordern, daher
vielleicht ſchon jetzt die aſſignatio libertorum.


§. 63.

2. Vaͤter und Kinder. Den Rechten
nach war dieſes Verhaͤltniß noch ganz das
alte, aber wahrer Verkauf war nun wohl ſo
ſelten, als Hinrichtung. Das Vermoͤgen
des Sohnes gehoͤrte noch ganz ohne Unter-
ſchied dem Vater.


Man erlangte die vaͤterliche Gewalt noch
wie vorher durch eine Roͤmiſche Ehe, und
durch Adoption und Arrogation, aber noch
nicht durch Legitimation. Alumni kommen
noch nicht vor.


Die vaͤterliche Gewalt waͤhrte Zeitlebens,
wenn nicht eine Emancipation, jetzt eine bloße
Ceremonie, ſie endigte; obgleich die natuͤrliche
Veranlaſſung zu der langen Dauer aufgehoͤrt
hatte.


§. 64.

3. Mann und Frau. Die alte ſtrenge
Ehe mußte ſeltener werden, da keine Frauens-
perſon, die eigenes Vermoͤgen hat, bey ver-
derbten Sitten ſich leicht entſchlieſſen wird,
beynahe die Sklavinn ihres Mannes zu ſeyn.
Die Rechte der Ehe wurden nun verabredet,
es
[62]Theil I. bis Juſtinian.
es hing von der Frau ab, wie viel von dem
Ihrigen ſie dem Manne anvertrauen wollte
(dotem dicere). Faſt in jeder Familie wa-
ren zweyerley Guͤter, weil man beynahe dar-
auf rechnen konnte, daß dieſe Verbindung
nicht lebenslaͤnglich ſeyn wuͤrde. Die Ehe
zur linken Hand (concubinatus) war noch
nicht ausgebildet.


Bey dem Anfange der laxen Ehe waren
gar keine Feyerlichkeiten noͤthig.


Eben ſo war die Scheidung eine bloße
Privat-Sache. Nicht ſelten war nun von
Entwendungen (res amotae) und Schenkun-
gen waͤhrend der Ehe, die Rede.


§. 65.

4. Vormund und Schutzbeduͤrftige. Auch
hier hatte das weibliche Geſchlecht nun mehr
Freyheit. Zwar bey ſehr wichtigen Handlun-
gen brauchte jede Frau, die nicht filiafamilias
ihres Vaters oder ihres Mannes war, die
feyerliche Einwilligung (auctoritas) ihres Tu-
tors. Aber oft hatte ſie das Recht, ihn ab-
zudanken und einen gefaͤlligern anzunehmen.


Zu der Ernennung im Teſtamente, oder
in den 12 Tafeln ſelbſt, welche man nicht
nur auf Agnaten, ſondern auch auf Patronen
zog, kam noch die in Gemaͤßheit der lex
Atilia
[63]Periode 2. Syſtem.
Atilia vom Praͤtor und den Tribunen, und
die blos Praͤtoriſche, wenn der Tutor gegen
ſeinen Pflegbefohlnen Parthie war. Die ex-
cuſationes
hatten ſich noch nicht ausgebildet;
aber die ſtipulatio rem pupilli ſaluam fore
war ſchon gewoͤhnlich.


Das Ende der Tutel war die Roͤmiſche
Wehrhaftmachung (toga virilis) bey Manns-
perſonen, doch konnte noch nachher bis nach
zuruͤckgelegtem 25ſten Jahre durch die lex
Laetoria
leicht geholfen werden. Die Rech-
nung legte der Tutor nicht jaͤhrlich, ſondern
nach der pubertas ab. — Die Tutel der
Frauensperſonen konnte durch Ceſſion uͤber-
gehen.


§. 66.

B. Jus rerum.


1. Jus in rem. Die Eintheilungen der
Sachen waren noch dieſelben, der Unterſchied
zwiſchen res mancipii und nec mancipii hatte
ſich nun ganz ausgebildet, und traf noch we-
niger, als vorher, mit unbeweglich und be-
weglich zuſammen, weil auch Grundſtuͤcke res
nec mancipii
waren, ſobald ſie in einer Pro-
vinz lagen. — Agri vectigales oder poſſes-
ſiones
exiſtirten nun, aber durchaus keine
Familienguͤter.


Die
[64]Theil I. bis Juſtinian.

Die Erwerbung des harten Rechts gegen
jeden Dritten, des Roͤmiſchen Eigenthums
(dominium civile, Quiritarium) erforderte
bey den wichtigſten Sachen (res mancipii)
eine Publicitaͤt, die aus feyerlicher Uebergabe
vor einem dazu erbetenen Ausſchuſſe des Volks,
aus Ceſſion vor dem Praͤtor, aus adjudica-
tio,
oder aus langem Beſitze entſtand. Nur
bey einer res nec mancipii war jede traditio
ex cauſa praecedente
hinreichend. In allen
andern Faͤllen, vielleicht donatio ausgenom-
men, bekam man fuͤrs Erſte (bis die vſuca-
pio
verfloſſen war), nur das Recht, was ei-
nige Lehrer des Naturrechts allein ſich ge-
trauen, aus allgemeinen Gruͤnden zu bewei-
ſen, (dominium naturale oder bonitarium).
Von den Servituten wurden Wegegerechtig-
keiten und Graͤben (ſervitutes praediorum ru-
ſticorum)
als res mancipii angeſehen, die
andern gaben kein Recht gegen jeden Beſitzer.
Der vſusfructus verbrauchbarer Dinge fand
noch nicht Statt. Das Pfandrecht war auch
kein Recht, das der Glaͤubiger gegen einen
Dritten verfolgen konnte, wenn es nicht als
Verkauf mit ausbedungenem Wiederkaufe
(emancipatio mit fiducia) eingekleidet war.


§. 67.
[65]Periode 2. Syſtem.
§. 67.

Die Klagen, womit man ſein Eigenthum
verfolgte, waren ſo verſchieden, als das Ei-
genthum ſelbſt. Aus dem Roͤmiſchen Eigen-
thum klagte man gegen jeden Dritten, es
war hauptſaͤchlich um den Beſitz zu thun,
(rei vindicatio) uͤber deſſen Rechtmaͤßigkeit
nachher ein neuer Proceß entſtand, wenn der
Beklagte den vierfachen Erſatz der Nutzun-
gen, oder was ſonſt in der ſtipulatio Praeto-
ria
enthalten war, forderte. Hingegen aus
dem natuͤrlichen Eigenthume entſtand, viel-
leicht ſchon jetzt, eine Klage nach dem neuern
Rechte, eine actio die doch in rem ging, aber
nur gegen denjenigen dritten Beſitzer, der
noch weniger Recht hatte, als der Klaͤger,
mithin nicht gegen den, welchem die Sache
mancipirt worden war. — Wem ſeine Sa-
che evincirt d. h. gerichtlich abgeſprochen ward,
der hielt ſich an ſeinen auctor, und ſehr ge-
woͤhnlich machte ſich dieſer, gleich bey der Ver-
aͤußerung, zum doppelten Erſatze verbindlich
(duplae ſtipulatio). Wenn der Roͤmiſche
Eigenthuͤmer die Sache von demjenigen vin-
diciren wollte, auf welchen er ſelbſt das natuͤr-
liche Eigenthum gebracht hatte, ſo ſtand ihm
exceptio rei venditae et traditae im Wege,
nach der Regel: Quem de evictione tenet
actio, hunc agentem repellit exceptio.
In
Edie-
[66]Theil I. bis Juſtinian.
dieſem Falle ward ſein jus in rem unbrauch-
bar, ohne erloſchen zu ſeyn, denn kein ande-
rer hatte es bekommen, und die Sache war
nicht herrnlos.


§. 68.

2. Jus in perſonam oder ex obligatione.
In Anſehung derjenigen Menſchen, welche
blos in Ruͤckſicht auf einen Dritten, ihren
Herrn oder Vater in Betracht kamen, galten
folgende Regeln: 1. der Sklave und der fi-
liusfam.
koͤnnen dem Herrn und Vater alle
moͤgliche Rechte erwerben. 2. Sie machen
ihn aber nur ſo weit verbindlich, als ihr pe-
culium
reicht, (de peculio und tributoria)
wenn nicht ſein allgemeiner oder beſonderer
Befehl, oder ſein Nutzen bewieſen wird (quod
juſſu, exercitoria
und inſtitoria, und de in
rem verſo),
oder er wegen eines Verbrechens
derſelben, wenigſtens zur noxae datio genoͤ-
thigt werden kann.


Eine obligatio macht ſich:


  • a. ex contractu, wenn zu der Uebereinkunft
    beyder Theile noch eine cauſa kommt: res,
    verba
    und litterae; ausgenommen bey vier
    Geſchaͤften, wo dies nicht weſentlich iſt,
    ſondern der bloße Conſens zureicht.

Con-
[67]Periode 2. Syſtem.

Contractus reales ſind: mutuum (mit den
vielen Zeitgeſetzen uͤber den Zinsfuß) com-
modatum, depoſitum
und pignus. In die-
ſen drey letzten Faͤllen fordert der Eigenthuͤ-
mer auch ſeine Sache mit einer perſoͤnlichen
Klage, weil der Beweis leichter iſt, und das
ganze jus in rem eigentlich nur zur Aushuͤlfe
erfordert wird, wenn der Gegner nicht beſon-
ders verbindlich gemacht iſt. — Ferner ge-
hoͤren hierher alle innominati, wobey aber
der, welcher allein ſeine Verbindlichkeit er-
fuͤllt hat, eben ſowohl die Sache zuruͤckfor-
dern, als die Erfuͤllung des Andern betreiben
kann (condictio ob cauſam datorum, und
actio praeſcriptis verbis).


Contractus verbales, d. h. ſolche, wobey
nothwendig geſprochen werden muß, ſind:
dictio dotis, und ſtipulatio worauf die pro-
miſſio
nicht gerade in continenti folgen darf.
Eine Art davon iſt fidejuſſio, noch ohne Un-
terſchied des Geſchlechts, und noch ohne be-
neficia.


Was zum contractus litteralis gehoͤrt ha-
be, koͤnnen wir kaum errathen, denn die
Schriftſteller, welche von ihm als einer bloßen
novatio ſprechen, lebten zu einer Zeit, wo die
Roͤmiſchen Banknoten eine bloße Antiquitaͤt
waren.


E 2Als
[68]Theil I. bis Juſtinian.

Als Contractus conſenſuales, oder bey
welchen das ganze Geſchaͤft verbindlich iſt,
ſobald beyde Theile einig ſind, kommen jetzt
ſchon vor: Kauf mit den Polizeybeſtimmun-
gen aus dem aedilitium edictum auf redhibi-
tio
und quanti minoris, Miethe und Pacht,
mandatum (vor Gericht noch ſelten) und ſo-
cietas
beſonders fuͤr die Finanzen.


§. 69.

  • b. ex delicto, noch wie vorher, nur mit der
    Ausdehnung durch lex Aquilia auf Beſchaͤ-
    digungen und Verwundungen aus Unvor-
    ſichtigkeit, daß der Beleidigende nie mehr
    Sklave des Andern ward, wie vorher bey
    Dieben geſchehen konnte, und daß Be-
    ſchimpfungen nicht mehr nach der alten
    laͤngſt unbrauchbaren Taxe verguͤtet wur-
    den. Raub ſcheint noch zum furtum ge-
    hoͤrt zu haben.
  • c. ex variis cauſarum figuris. Auf eine ob-
    ligatio,
    die ſich einem Contracte naͤhert,
    geht condictio indebiti, actio teſtamenta-
    ria, tutelae, negotiorum geſtorum
    u. a.
    Mehr Aehnlichkeit mit einem delictum hat
    actio de effuſis et dejectis, de receptis,
    quadrupedaria, noxalis
    u. ſ. w. Pacta
    praetoria
    und legitima waren noch ſehr
    ſel-
    [69]Periode 2. Syſtem.
    ſelten, doch klagte man vielleicht ſchon aus
    einem conſtitutum, und ſogar aus einer
    pollicitatio an eine Gemeinde.

Jede obligatio erloͤſcht durch ſolutio,
compenſatio, acceptilatio
oder mutuus dis-
ſenſus
und novatio, beſonders expromiſſio.
Sie erloͤſcht ipſo jure oder durch eine exceptio.


§. 70.

3. Succeſſion vorzuͤglich Verlaſſenſchaf-
ten, obgleich auch von einem noch Lebenden
das ganze jus in rem, jus in perſonam und
debitum ex obligatione auf einen Andern
uͤbergehen konnte, bey der arrogatio, con-
ventio in manum
und ſectio bonorum. Bey
einem Verſtorbenen, der aber nun nicht ge-
rade ein maͤnnliches Familienhaupt mehr ſeyn
mußte, kommt vor:


a. die allgemeine Succeſſion in alle ſeine
Rechte. Hier ſtoͤßt das Edict des Praͤtors
mit dem alten Syſteme am auffallendſten zu-
ſammen, und nach der gewoͤhnlichen Mey-
nung ſagt man: der Unterſchied zwiſchen bo-
norum poſſeſſor
und heres liege blos im Nah-
men, mit dem der Praͤtor ſein illegales
Verfahren masquirte, und man gibt keine
Regel, was in der Colliſion vorgegangen
ſey, Civil- oder Praͤtoriſches Erbrecht. Aber
es war ein weſentlicher Unterſchied in der Er-
E 3klaͤ-
[70]Theil I. bis Juſtinian.
klaͤrung; denn nach dem Civilrecht war dar-
uͤber gar nichts beſtimmt, den Fall ausge-
nommen, wo der Erblaſſer ſelbſt dies cretio-
nis
verordnet hatte. Nach dem neuern Rech-
te wird jedem Praͤtendenten eine Zeit ge-
ſetzt, innerhalb welcher er ſich bey dem
Praͤtor melden mußte (agnoſcere bonorum
poſſeſſionem)
weil in den meiſten Faͤllen ſein
ganzes Recht, in den uͤbrigen wenigſtens
mancher Vortheil davon abhing, daß kein
Anderer ihm zuvorkam, oder an ſeine Stelle
trat. Es iſt die dreiſteſte Behauptung, die
ſich nur gedenken laͤßt, zu ſagen: die bono-
rum poſſeſſio
habe nur ſolche Perſonen ange-
gangen, die nach dem Civilrechte unfaͤhig ge-
weſen ſeyen. Durchaus niemand konnte je
wirklicher Erbe werden, fuͤr den der Praͤtor
nicht geſorgt hatte; durchaus niemand konn-
te Erbe werden, wenn der Praͤtor ihm in
ſeinem Edicte einen andern vorzog; aber
wenn dieſer Andere zugleich Erbe nach dem
alten Rechte war, ſo konnte er das Vermoͤ-
gen bekommen, ungeachtet nicht er, ſondern
der, welcher im Edicte nach ihm kam, die
bonorum poſſeſſio wirklich geſucht hatte.
Jede bonorum poſſeſſio war unwirkſam, ſine
re,
die ein Erbe nach altem Rechte wuͤrde
haben hindern koͤnnen, ſobald er ſich gemel-
det haͤtte.


§. 71.
[71]Periode 2. Syſtem.
§. 71.

Die Ordnung des Edicts iſt alſo die wah-
re Regel:


1. contra tabulas fuͤr einen ſuus oder
emancipatus, der im Teſtamente ſtillſchwei-
gend uͤbergangen war. Der ſuus war Civil-
Erbe, der emancipatus nicht; dieſer durfte
alſo nicht, wie jener, die bonorum poſſeſſio
verſaͤumen. Wer ausdruͤcklich enterbt war,
focht das Teſtament mit der querela inoffi-
cioſi
an, uͤber welche die centumviri erkann-
ten. Auf jeden Fall war der Emancipirte
ſchuldig, wenn er die Nachtheile der Eman-
cipation nicht dulden wollte, auch die Vorthei-
le aufzugeben, und ſeinen Bruder an allem,
was er ſich erworben hatte, Theil nehmen
zu laſſen (Collatio).


2. ſecundum tabulas, auch wenn keine
mancipatio familiae vorgegangen war, ſo-
bald ſich ſo viele Siegel fanden, als das Ge-
ſetz, man weiß nicht welches? erforderte.
Ein ſolches Teſtament konnte nur ein Roͤmer,
ein paterfamilias pubes machen, oder eine
Roͤmerinn mit Zuziehung ihres Tutor’s. Auf
die lex Voconia, alſo auf das Geſchlecht des
Erben, ſah man nicht mehr.


3. ab inteſtato.


Vnde liberi, wie contra tabulas.


E 4Vnde
[72]Theil I. bis Juſtinian.

Vnde legitimi, welche die 12 Tafeln fuͤr
ſich hatten, alſo ſuus noch einmahl, agnatus
proximus
aber ſchwerlich gentiles. Jede ca-
pitis deminutio
hob dieſes Erbrecht auf, und
von der alten Ausſchließung der Frauensper-
ſonen war noch das Ueberbleibſel, daß keine
agnata zugelaſſen ward, die nicht conſangui-
nea
geweſen waͤre. Ohne conventio in ma-
num
beerbten auf dieſe Art ſelbſt Muͤtter
und Kinder einander nicht.


Vnde cognati alle Blutsverwandte, ohne
Ruͤckſicht auf capitis deminutio, der Naͤchſte,
der ſich melden wollte. Die Naͤhe hing, bild-
lich zu reden, blos davon ab, wie kurz der
Weg von einer Perſon zur andern war; ob
er ſteil ſey oder nicht, machte nichts aus.


Vnde vir et vxor, bey der laxen und
kurzen Ehe.


§. 72.

War der Verſtorbene ein Freygelaſſener,
ſo hatte ſein Patron jetzt mehr Rechte, als
nach den 12 Tafeln, und ſelbſt die Cognaten
und der Patron des Patrons wurden zuge-
laſſen.


Die bonorum poſſeſſio, in quam quis
mittitur,
entweder ventris nomine oder ex
edicto Carboniano,
gehoͤrt in den Proceß.


Die
[73]Periode 2. Syſtem.

Die laͤſtigen ſacra gingen noch auf den
Erben uͤber; als ein Ausweg dagegen kom-
men ſenes coëmptionales vor, die man noch
nicht erklaͤren kann. — Sonſt war die An-
tretung einer Erbſchaft noch immer gar ſehr be-
denklich, weil der Erbe auch diejenigen Schul-
den bezahlen mußte, wozu das Vermoͤgen nicht
hinreichte. Daher die weitlaͤuftigen Lehren
von der Annahme, der Subſtitution u. ſ. w.


Erbvertraͤge kannte das Roͤmiſche Recht
auch jetzt noch nicht. Man hielt ein Rechts-
geſchaͤft fuͤr aͤußerſt unſchicklich, das ſo offen-
bar nur darauf gegangen waͤre, den jetzigen
guten Willen eines Roͤmers zu benutzen, zu
machen, daß er dieſen nicht aͤndern koͤnnte,
auch wenn man ihn weit nicht mehr verdiene.


§. 73.

b. Andere Verordnungen hingen davon
ab, daß das Teſtament ganz foͤrmlich gemacht
war, und daß ſich ein Erbe dazu fand. Co-
dicilli
waren noch bloße Billets, und was
der Generoſitaͤt des Erben uͤberlaſſen war
(fidei commiſſum) darauf konnte man nicht
klagen. Außer den Befehlen uͤber die Tutel,
auch des weiblichen Geſchlechts, und außer
den Manumiſſionen enthielt ein Teſtament
gewoͤhnlich auch Legate, und ſo lange das Recht
E 5noch
[74]Theil I. bis Juſtinian.
noch nicht weitlaͤuftig war, ſo lange blieb man
ſehr genau bey den Ausdruͤcken:


per vindicationem — das Recht zu vin-
diciren, das Roͤmiſche ſtrenge Eigenthum,
konnte der Teſtirer nur geben, wenn er es
ſelbſt gehabt hatte.


ſinendi modo — dieſer Ausdruck begriff
auch die Sachen des Erben und erforderte
kein Roͤmiſches Eigenthum.


per damnationem — ein jus in perſo-
nam
gegen ſeinen Erben konnte der Teſtirer
auf alle moͤglichen Dinge und auf Handlungen
geben.


per praeceptionem — was einer der
Miterben voraus haben ſollte.


Das legatum per damnationem war in
ſo ferne dem Legatar weniger vortheilhaft,
weil er nur eine Forderung gegen den Erben
dadurch erhielt; aber vortheilhafter war es
wegen ſeines weiten Umfangs, und weil zwey
verſchiedene Legatarien dieſelbe Summe oder
dieſelbe Sache jeder ganz fordern, aber nicht
beyde zugleich jeder ganz vindiciren oder
wegnehmen konnten.


§. 74.
[75]Periode 2. Syſtem.
§. 74.

C. Proceß.


Die Vorladung geſchah noch ohne den
Staatsbedienten zu fragen, ausgenommen
wo venia noͤthig war. Einen Andern ſtatt
ſeiner zu ſchicken hatte noch Schwierigkeiten,
der procurator war wohl meiſt der Inten-
dant.


Was in der Folge actio praejudicialis
und realis hieß, war meiſt noch keine actio,
ſondern vindiciae, wobey der Praͤtor ſelbſt
den Beſitz beſtimmte, doch ſo daß der, wel-
cher ihn erhielt, ſeinem Gegner, durch eine ſti-
pulatio praetoria,
Succumbenzgelder verſpre-
chen mußte. Daraus entſtand denn, wie aus
jeder obligatio, eine actio perſonalis oder ei-
ne wahre actio, eine Inſtruction, die der Praͤ-
tor einem oder mehrern Particuliers gab,
mit Clauſeln (exceptiones oder praeſcriptio-
nes
). Jede reſtitutio in integrum, durch
die allein ſchon der Praͤtor einen Vorwand
gehabt haͤtte, ganz willkuͤhrlich zu verfahren,
und jedes interdictum ertheilte er ebenfalls
ſelbſt (decernebat). Uebrigens waren die
ſo genannten actiones perpetuae es noch wirk-
lich, doch muß man an die Dauer der Klage
ex contractu Italico ſich erinnern, und die
praetoriae gingen wohl ſchon alle von einem
Jah-
[76]Theil I. bis Juſtinian.
Jahre in das andere, von einem Praͤtor auf
ſeinen Nachfolger, uͤber.


Die Execution beſorgte auf jeden Fall der
Praͤtor, und dahin gehoͤrt pignora capere,
mittere in poſſeſſionem ex primo et ſecundo
decreto
und addicere, weil das beneficium
ceſſionis bonorum
noch ein beneficium war.


Bey dem Praͤtor, bey dem judex und bey
den Centumviren ward alles muͤndlich ver-
handelt. Der Sachwalter (orator, patronus)
war meiſt kein Rechtsgelehrter, und oft ſo-
gar vornehmer, als der Praͤtor ſelbſt, ſo
wie oft auch bey uns der, welcher Gruͤnde
vortraͤgt was man thun ſolle, vornehmer iſt,
als der welcher die Entſchließung darnach
faßt. Advocatus hieß ein Juriſt, den man
perſoͤnlich fuͤr ſeine Meynung aufuͤhrte.


§. 75.

Es laͤßt ſich durchaus nicht erklaͤren,
wie der Praͤtor, der nicht jeden Tag ſeine
Tribuͤne beſteigen durfte, und auch nicht im-
mer wollte, wenn er durfte, der Praͤtor,
der noch oft durch Senatsgeſchaͤfte abgehalten
ward, doch Zeit fand, alle Proceſſe unter
Roͤmern einzuleiten. Es laͤßt ſich ſelbſt da-
durch nicht erklaͤren, daß ihm dieſe Einlei-
tung durch die vorhergehenden Anfragen bey
Rechts-
[77]Periode 2. Syſtem.
Rechtsgelehrten ſehr erleichtert wurden.
Aber da man einmahl wußte, der Praͤtor
wuͤrde einen judex in einer Sache geben,
ſo gehoͤrte eben nicht viel Maͤßigung von
beyden Seiten dazu, daß ſich die Partheyen
lieber ſelbſt ihren Richter waͤhlten, als es
auf den Zufall ankommen ließen, wer ihr
Richter werden ſollte. Sehr viele Proceſſe
wurden alſo abgethan, ohne daß der Praͤtor
damit ſich beſchaͤftigte, und da er keine
Sporteln dabey verlor oder gewann, ſo be-
guͤnſtigte er die Compromiſſe, die Unterwer-
fung unter einen Schiedsrichter mit einer
conventionellen Strafe (compromiſſa pecu-
nia)
auch dadurch, indem er den, der das
arbitrium uͤbernommen hatte, zwang einen
Ausſpruch zu thun (de receptis).


Studium des Rechts.


§. 76.

Um die Geſchichte der Rechtsgelehrſamkeit
bey den Roͤmern vernuͤnftiger zu finden,
als wenn man von nichts als Tyranney der
Ariſtocraten ſpricht, muß man den Character
der Nation nicht vergeſſen, bey welchem eine
gewiſſe Pedanterey unumgaͤnglich noͤthig war,
um
[78]Theil I. bis Juſtinian.
um irgend Grundſaͤtze gegen die Schaaren
von Auslaͤndern, die der Staat von jeher
aufgenommen hatte und noch immer aufnahm,
zu behaupten. Man muß die Lage und Cul-
tur nicht vergeſſen, mit welcher in dieſer Pe-
riode die weſentliche Veraͤnderung vorging,
daß nun auch abſichtlicher und ſchriftlicher Un-
terricht an die Stelle der bloßen Erfahrung
trat *. Bey jener ward eine groͤßere Verbrei-
tung unvermeidlich, da bey dieſer auch Kennt-
niſſe in Familien beynahe erblich hatten ſeyn
koͤnnen. Man muß endlich den Sturz der
Erb-Ariſtocratie nicht vergeſſen, der dieſe
Periode auszeichnet. Alsdann wird es ſehr
begreiflich, wie zur Zeit der 12 Tafeln der
gemeine Mann, der Plebejer, von den Vor-
nehmen, die noch das Monopol aller Kennt-
niſſe hatten, von den Pontifen, von den Pa-
triciern, auch im Civilrechte abhing, theils
wegen des religieuſen Unterſchieds von dies
faſti
und nefaſti, theils wegen der erheblich-
ſten Rechtsgeſchaͤfte (actiones legis), die man,
ohne die aͤußerſte Verwirrung, nicht jeden
zum Roͤmer gewordenen Auslaͤnder nach ſei-
ner vaͤterlichen Sitte vornehmen laſſen konn-
te. Es wird begreiflich, warum dieſe Ab-
haͤugigkeit nicht druͤckender oder gefaͤhrlicher
war, als das Patriciat uͤberhaupt, warum
man ſie aber, ſo wie dieſes, in der Folge un-
ange-
[79]Periode 2. Studium.
angenehmer fuͤhlte, und warum die Bekannt-
machung des Calenders und einiger Formula-
re zu Contracten, Teſtamenten, Klagen u.
ſ. w. (jus Flavianum um 450.) ſo wichtig
war. Man wird begreifen, daß Cicero
nicht von Hieroglyphen verſtanden ſeyn wollte,
die man nachher erfunden habe, und daß,
wenn er von abſichtlichen Dunkelheiten und
Formalitaͤten ſpricht, dies nur fuͤr ſein Ta-
lent beweist, jede Sache ſo vorzuſtellen, wie
er ſie gerade brauchte. Die Notariatskunſt
mußte weitlaͤuftiger und mannichfaltiger wer-
den, wie ſich die Sitten verfeinerten und das
Verkehr zunahm. Aelius Catus konnte um
550. der erſte ſeyn, der noch mehr Formula-
re niederſchrieb, ſo wie jetzt uͤberhaupt das
Buͤcherſchreiben in Rom anfing; aber darum
waren die Rechtsgelehrten um nichts entbehr-
licher, es entſtanden ganz unabſichtlich immer
neue Clauſeln (leges, actiones **, formulae,)
und man mag ſchreiben ſo viel man will, ſo
wird doch nicht jeder Laye ein Juriſt.




§. 77.

Merkwuͤrdiger als das erſte Buch uͤber
Civilrecht iſt vielleicht die Veraͤnderung um
500, da zuerſt ein Plebejer, der alſo keine
eigentlichen Clienten hatte, der aber Conſul
und ſiegreicher Feldherr geweſen war, Tib.
Coruncanius
anfing, jedem ſeiner Mitbuͤrger
Belehrungen uͤber Rechtsſachen zu geben
(publice jus profeſſus eſt). Natuͤrlich ließ
dieſer Plebejer leichter andere Plebejer, die
ſich bilden wollten, zuhoͤren, als die Ariſto-
craten vorher gethan hatten, und natuͤrlich
brauchte auch nicht mehr jeder Plebejer einen
Patron aus den Ariſtocraten, weil man eben
ſo leicht und eben ſo nuͤtzlich an jeden Juris-
conſultus
ſich wenden konnte, da dieſe an
oͤffentlichen Orten (in transverſo foro ambu-
lantes
) oder zu Hauſe (in ſolio ſedentes) im-
mer ſehr gerne ſich fragen ließen, um ſich da-
durch faſt eben ſo viele Glieder des Souverains
verbindlich zu machen, als wenn ſie im Krie-
ge, oder als Redner ſich hervorthaten. Fuͤr
Rechtspflege und Rechtsgelehrſamkeit hatte
dies die gluͤcklichſten Folgen, und es iſt einer
der
[81]Periode 2. Studium.
der Nachtheile der monarchiſchen Verfaſſung,
daß es ſich bey uns ſo ſehr geaͤndert hat.


§. 78.

Bey den einzelen Beſchaͤftigungen der Ju-
riſten: reſpondere, ſcribere, cavere (denn
poſtulare und judicare gehoͤrte, vielleicht zum
Gluͤcke, noch nicht dazu) war der Anfragen-
de (conſultor) entweder die Parthey, oder
der Redner, oder der Richter, oder ſelbſt
der Praͤtor. Daß der Jurisconſultus meiſt
nur entſchied, ohne uͤber ſeine Gruͤnde eine
Diſſertation zu halten, daß er den Menſchen-
verſtand brauchte oder extenſive erklaͤrte, was
offenbar ſo erklaͤrt werden mußte, daß ſeine
Antwort nicht eigentlich verband, aber doch
von Gewichte war, daß auch bey dieſer Wiſ-
ſenſchaft, wie bey jeder noch nicht gefeſſelten,
verſchiedene Meynungen und Streitigkeiten
vorkamen, dies alles verſteht ſich wohl ziem-
lich von ſelbſt. Das Notariatsweſen war
noch nicht von den edlern Arbeiten getrennt,
und es erſtreckte ſich auch auf das, was eine
Parthey nach der alten nicht unvernuͤnftigen
Sitte muͤndlich herſagen mußte.


§. 79.

Die Art zu ſtudieren war noch nicht wiſ-
ſenſchaftlich, denn die Bekanntſchaft mit der
Fgrie-
[82]Theil I. bis Juſtinian.
griechiſchen Litteratur machten die Roͤmer
uͤberhaupt erſt kurz vor dem Ende dieſer Pe-
riode. Anfangs lernte man die 12 Tafeln
auswendig, nachher ſtudirte man nur das
Edict des Praͤtors, weil die 12 Tafeln nun
ſchon gar zu ſehr ſchienen, ſich von ſelbſt zu
verſtehen. Auch das Auswendiglernen der
Formulare war eine Hauptſache; dies geſchah,
indem der junge Rechtsgelehrte zuſah und es
ſich merkte, wie der alte Jurisconſultus ſeine
Beſcheide und ſeinen Rath gab. Es war
die einzige Wiſſenſchaft, die man lernte,
denn in der Beredſamkeit ward noch wenig
nach Regeln unterrichtet, und hoͤchſtens tha-
ten es griechiſche Rhetoren; hingegen hier
lernte man von den erſten Staatsmaͤnnern.
Die meiſten Juriſten dieſer Periode hatten
wenigſtens ein Jahr lang das Volk regiert,
von deſſen Gnade ſo mancher Koͤnig abhing.
Waͤre dies nicht geweſen, ſo waͤre die Kunſt
gewiß zu ſchulgerecht und ſpitzfindig geworden,
zu einer Zeit wo man ſeine Begriffe noch ſo
wenig durch Lectuͤre erweiterte.


§. 80.

Uebrigens dachte man nicht daran, einen
Jurisconſultus zu fragen, wenn von der Ver-
faſſung, der Religion (jus pontificium und
augurale) oder von Beſtrafung der Verbre-
chen
[83]Periode 2. Studium.
chen die Rede war; oder vielmehr man dach-
te nicht daran, daß ein Jurisconſultus dies
beſſer wiſſe, als ein anderer Staatsmann.
Privatrecht, eigentliches jus civile, war al-
lein ihr Monopol, obgleich ſchon damahls es
Juriſten gab, die behaupteten, das Civilrecht
ſey zu allen Dingen nuͤtze. In dieſem glaͤnz-
ten um 450. Appius Claudius Coecus, der
erſte, der Formulare aufſchrieb, bekannt
durch Flavius und Pyrrhus, — um 500.
Coruncanius, — um 550. S. Aelius Catus
deſſen tripertita die zwoͤlf Tafeln, eine Erklaͤ-
rung davon, und ein Formularbuch enthiel-
ten, — Cato Cenſor, der Rechtsfaͤlle mit
den Nahmen der Partheyen herausgab, und
ſein Sohn, dem man die bekannte Regel zu-
ſchreibt, — nach 600. die 3 großen Juriſten
P. Mucius Scaevola, Junius Brutus und Ma-
nilius,
— ein Scaevola von welchem Cicero
lernte, — und der Redner Craſſus.


  • Pompon. § 35. Juris civilis ſcientiam pluri-
    mi et maximi viri profeſſi ſunt: ſed qui
    eorum maximae dignationis apud populum
    Romanum fuerunt, eorum in praeſentia
    ratio habenda eſt, vt appareat a quibus et
    a qualibus haec jura orta et tradita ſint.

F 2Dritte
[84]Theil I. bis Juſtinian.

Dritte Periode,
von
Cicero bis auf Alexander Sever
von 650 bis 1000,
oder
von 100 vor Chriſtus bis 250 nach Chriſtus.


Quellen des Rechts.


§. 81.

Die ungeheure Ausdehnung, welche der
Staat theils ſchon zu Ende der Perio-
de hatte, theils zu Anfang der gegenwaͤrti-
gen erhielt, war allein ſchon hinlaͤnglich, ei-
ne Revolution zur Monarchie erſt nothwendig
zu machen, und dann wirklich hervorzubrin-
gen. Eben daraus entſtand, und eben dahin
wirkte, die Cultur und das Sittenverderbniß,
denn ein Freyſtaat muß, ſich ſelbſt uͤberlaſſen,
zu Grunde gehen, ſobald ſeine vornehmſten
Glieder eine Menge Beduͤrfniſſe und Vergnuͤ-
gungen kennen, welche von dem Flore des
Staats und von der Achtung ihrer Mitbuͤr-
ger ganz unabhaͤngig ſind.


In der erſten Haͤlfte des ſiebenten Jahr-
hunderts wurden in Rom gewaltſame Ver-
ſuche
[85]Periode 3. Quellen.
ſuche gemacht, dem großen und uͤppigen Frey-
ſtaate ſeine vorige Tugend wieder zu geben;
aber in der zweyten Haͤlfte eben dieſes Jahr-
hunderts gelangen die noch gewaltſamern
Verſuche weit beſſer, welche einzele Große
machten, ſelbſt Monarchen oder Deſpoten des
Volks zu werden, das Monarchen wuͤnſchen
und anfangs Deſpoten bekommen mußte.


Sulla erhielt durch eine foͤrmliche lex die
deſpotiſche Gewalt, aber ſo wie man oft mehr
thut, als man thun darf, ſo darf man auch
oft mehr thun, als man thun mag oder kann.
Sulla’s Dictatur ging voruͤber, ohne daß
der Staat wieder frey geworden waͤre. Nur
kaͤmpften jetzt wieder mehrere Partheyen ge-
gen einander, aber die Coalition zwiſchen
Pompejus und Caͤſar gab dem Staate
zwey Herren, bis endlich Caͤſar durch den
buͤrgerlichen Krieg der Einzige ward. Nach
ſeinem Tode waͤre die Wiederherſtellung der
Republik doch nicht mehr, als ein ſchoͤner
Traum geweſen, wenn auch Anton ſeinen
Dictator, ſeinen Koͤnig, nicht uͤberlebt, und
den Senat nicht genoͤthigt haͤtte, ihm den
jungen Caͤſar Octavian entgegenzuſetzen.
Dieſer war als triumvir reipublicae ordinan-
dae
weit mehr Deſpot, als nach der Schlacht
bey Actium.


F 3§. 82.
[86]Theil I. bis Juſtinian.
§. 82.

Daß in dieſem Zeitraume da die Demo-
cratie in Monarchie durch ſolche Gaͤhrungen
uͤberging, mehr Antraͤge an das Volk ge-
macht und genehmigt wurden, als in irgend
einem andern, iſt ſehr natuͤrlich, denn gerade
dies war der Beweggrund zu jedem buͤrgerli-
chen Kriege, daß man im Stande ſeyn woll-
te, das Staatsrecht und die einzelen Anſtal-
ten nach Willkuͤhr und ohne Widerſpruch zu
aͤndern, und nach jedem buͤrgerlichen Kriege
mußte dem Sittenverderbniſſe, das er ver-
mehrt, der Zerruͤttung, die er hervorge-
bracht hatte, durch Strafgeſetze und durch
Verordnungen zum Beſten der verarmten
Buͤrger einigermaßen abgeholfen werden. So
wichtig ſolche leges fuͤr die politiſche Geſchich-
te dieſer Zeiten ſind, ſo ruhig kann man doch
in der Rechtsgeſchichte faſt alle diejenigen
uͤbergehen, die gleich nachher abgeſchaft, oder
durch die Monarchie unbedeutend wurden.
Alſo ſelbſt die Revolution die mit dem Tribu-
nate vorging, gehoͤrt nicht hierher, und die
erſte lex majeſtatis wird nur durch die Be-
merkung intereſſant, wie entfernt dieſer Be-
griff damahls noch von dem war, was ihn
nachher ſo ſehr ausgezeichnet hat. Drey
Strafgeſetze von Sulla:Cornelia de ſica-
riis, de falſo
und de injuriis kommen noch
in
[87]Periode 3. Quellen.
in unſern Fragmenten claſſiſcher Juriſten vor,
und es kann ſeyn, daß die bekannte fictio le-
gis Corneliae
im zweyten voruͤbergehend er-
waͤhnt war. Spaͤther, und nicht von Sulla
iſt eine Cornelia, welche die Praͤtoren an ihr
Edict bindet, aber alles, was ſie gewiß ver-
ordnet, ſcheint ſich ſchon von ſelbſt verſtanden
zu haben. Von der lex Pompeja de parrici-
diis
wiſſen wir auch nur, daß ſie die letzte
uͤber dieſen Gegenſtand war, aber nicht wel-
che neue Beſtimmungen ſie enthielt. Die lex
Scribonia
uͤber den Straßenbau iſt wahrſchein-
lich dieſelbe, welche, auch wieder im Vorbey-
gehen, die vſucapio ſervitutum verbot. Caͤ-
ſar’s
Strafgeſetze zeichnen ſich durch die Ein-
ziehung wenigſtens eines Theils vom Vermoͤ-
gen der Verbrecher aus, eine Neuerung, die
bey den ſeltenen Todesſtrafen eben ſo vernuͤnf-
tig war, als ſie in der Folge unnoͤthig hart
geworden iſt. Die Patricier, welche durch
die lex Caſſia gemacht wurden, erhielten faſt
nur einen hoͤhern Titel. Die lex Falcidia iſt ei-
ne von den wenigen, die faſt reines Privatrecht
enthielten, ſie ſollte blos den letzten Willen
des Roͤmers ſichern, der Vermoͤgen hinter-
ließ, aber durch Legate es ganz oder beynahe
erſchoͤpft hatte. Eben die politiſche Abſicht,
wie bey der Furia und Voconia war hier wohl
nicht mehr. Die lex Julia et Titia erſtreckte
F 4die
[88]Theil I. bis Juſtinian.
die Sorgfalt des Staats, fuͤr Schutzbeduͤrf-
tige ohne Tutoren, auch auf die Provinzen.


Der wichtigſte Senatsſchluß in dem An-
fange dieſer Periode war die Abſchaffung der
Dictatur. Welche Stellen in das Edict zu-
erſt eingeruͤckt wurden, welche Saͤtze des Pri-
vatrechts ſich jetzt gerade ausbildeten, [wiſſen]
wir nicht.


§. 83.

Daß Caͤſar Octavian in der ununter-
brochenen Reihe der Monarchen der Erſte
ward, daran hatte der Zufall vielleicht den
meiſten Antheil. Haͤtte er die Schlacht bey
Actium nicht um 42 Jahre uͤberlebt, oder
waͤre er unter andern Umſtaͤnden geſtorben,
ſo wuͤrde jetzt ſchwerlich daruͤber geſtritten
werden, in welchem Jahre denn eigentlich,
und durch welche Begebenheit Rom aufgehoͤrt
habe, eine Democratie zu ſeyn. Man wuͤrde
nicht ſo aͤngſtlich die Epoche ſuchen, von wel-
cher an Octavs Herrſchaft geſetzlich geworden
ſey. Man wuͤrde bemerken, daß ſein Nah-
me Auguſt (729, der einzige neue und aus-
ſchließende Titel der Monarchen Roms, dazu
kaum weniger hinreichte, als irgend eine an-
dere einzele Bewilligung des Senats. Aber
weil das Kind am Leben blieb, ſo moͤchte
man nun gerne die Minute wiſſen, in der es
zuerſt
[89]Periode 3. Quellen.
zuerſt lebte: weil durch die Laͤnge der Zeit
und die vielen beguͤnſtigenden Umſtaͤnde die
lebenslaͤngliche hoͤchſte Gewalt der Auguſte ſo
rechtmaͤßig ward, als die hoͤchſte Gewalt der
meiſten Regenten uͤber ein Volk, das nicht
immer Regenten hatte; ſo will man wenig-
ſtens das Jahr wiſſen, in welchem die Ge-
walt des erſten Auguſts anfing, rechtmaͤßig zu
ſeyn, oder dafuͤr gehalten zu werden. Bach
der die lex regia in das Jahr 727 ſetzt, und
doch geſteht, daß der Nahme viel juͤnger ſey,
ſcheint darin zu fehlen, daß er glaubt Tribo-
nians
Zeugniß beweiſe, ſobald Tribonian
keine Abſicht, die Unwahrheit zu ſagen, ge-
habt habe, daß er bey der Einwilligung des
Senats und Volks gerade an foͤrmliche
Schluͤſſe denkt, daß er den alten Sinn von
imperium vergißt, und daß er imperium und
cuncta principibus ſolita unterſcheidet, die
bey Tacitus nicht verſchieden ſind. Mancher
mag auch bey der poteſtas leges, quas vellet,
ferendi
gar an die geſetzgebende Gewalt ge-
dacht haben. Die ſogenannte lex regia zu
Gunſten Veſpaſians iſt ein Senatsſchluß,
und uͤbertraͤgt lauter einzele Rechte zugleich,
welche Octav, Tiber und Claudius nach
und nach erhalten hatten.


F 5§. 84.
[90]Theil I. bis Juſtinian.
§. 84.

So viel iſt gewiß, der erſte Auguſt be-
kam, oder eigentlich behielt noch vom Trium-
virate her, ein ganz uneingeſchraͤnktes Mili-
tair-Commando uͤber ſeine 44 Legionen Ve-
teranen, er bekam oder behielt es ſelbſt in
Rom, wo er ſeine Garde hatte, und der gan-
ze Senat legte den militairiſchen Eyd ab.
Jeder Senator hatte von jeher Dienſte neh-
men muͤſſen, und nun war im ganzen Staate
nur einimperator, nur ein General, der
nicht von einem andern abhing. Bey Au-
guſts
Tode konnte kein Senator gedient ha-
ben, als unter ihm, und warum haͤtte man
den Dienſt verlaſſen ſollen, da man daſſelbe,
als Urlaub, eben ſo leicht haben konnte?
Man erneuerte den Eyd jedem neuen Augu-
ſte; man erneuerte ihn ſo oft derſelbe Auguſt
alle 5 oder alle 10 Jahre ſein Commando aus
der Urſache niederlegte, weil ehemahls faſt
keine Gewalt laͤnger als ein Jahr gedauert
hatte.


Der erſte Auguſt bekam, oder eigentlich
behielt noch vom Triumvirate her, das ober-
ſte Gouvernement uͤber alle Provinzen, und
daß er die Haͤlfte davon dem Senate oder
dem Volke uͤberließ, war eine Großmuth,
die ihn nicht viel koſten konnte. Seine Caſſe
(fis-
[91]Periode 3. Quellen.
(fiscus) hatte natuͤrlich mehr Ausgaben, und
brauchte mehr Zufluͤſſe, als die Caſſe irgend
eines andern Roͤmers, aber ſie war noch
nicht daſſelbe mit der Staats-Caſſe (aera-
rium
), und auch noch nicht wichtiger, als
dieſes.


Sehr fruͤh hatte er als Cenſor das Recht
bekommen, den Senat, ſeinen Reichsrath
zu formiren, und eben ſo erhielt er wie Caͤſar
die tribunitia poteſtas, weil er als Patricier
nicht Tribun ſeyn konnte.


Der Staat war nun unſtreitig keine Re-
publik mehr, aber die meiſten deutſchen
Schriftſteller ſollten doch an die Verfaſſung
ihres Vaterlandes und an die Rechte ihres
gnaͤdigſten Herrn denken, ehe ſie ſo republi-
caniſch ſchon den erſten Auguſt einen Deſpo-
ten nennen, und den deſpotiſchen Staat doch
noch nachher mehr als einmahl erſt deſpotiſch
werden laſſen.


§. 85.

Die Regierungsform, die unter Auguſt
ſich bildete, erhielt ſich meiſt bis in das dritte
Jahrhundert, wo militairiſcher Deſpotismus
und die orientaliſchen Sitten ſie verdraͤngten,
noch ehe Conſtantin die ſeinige einfuͤhrte.


Die
[92]Theil I. bis Juſtinian.

Die alten magiſtratus blieben, nicht weil
Auguſt die Roͤmer wollte glauben machen,
es ſey noch ganz die alte Verfaſſung, ſondern
weil er keinen Grund hatte, alles zu aͤndern.
Selbſt die Wahl derſelben (comitia) ließ er
dem Volke, und obgleich ſeine Empfehlung
eben ſo viel vermochte, als ſeines Groß-
Oncle’s Empfehlung vermocht hatte, ſo uͤber-
ließ er doch auch manches dem guten Willen
des Volks, bey dem jeder Candidat ſich noch
wie ehemahls beliebt machen mußte a). Je
wichtiger die Rechte einer Stelle geweſen wa-
ren, deſto mehr verlor ſie durch den Monar-
chen b).


Die Conſuln wurden nun faſt immer noch
waͤhrend des Jahrs, das von ihnen den Nah-
men hatte, durch ſuffecti abgeloͤst; wohl
nicht deswegen weil Auguſt ſich fuͤrchtete, je-
mand, deſſen Wahl er dirigirt hatte, ein
Jahr lang im Senate praͤſidiren zu laſſen,
ſondern weil er deſto mehr Gnadenbezeugun-
gen austheilen konnte; eben dadurch entſtan-
den ja auch die bloßen ornamenta conſularia.
Uebrigens hatten jetzt die Conſuln mehr Zeit,
ihre jurisdictio und legis actio auszuuͤben.


Schon weniger ſanken die Praͤtoren, weil
ſie nicht ſo hoch ſtanden. Ihrer wurden meiſt
zwoͤlf ernannt, und zur jurisdictio und quae-
ſtio
bekamen ſie auch das aerarium.


Die
[93]Periode 3. Quellen.

Die Cenſoren waren nicht mehr dazu da,
den Senat zu formiren; dies that Auguſt
ſelbſt.


Die Volkstribunen behielten ihre Rech-
te c), aber dieſe gegen den Willen des Mo-
narchen auszuuͤben war freylich nicht rathſam.


Die erſte Wuͤrde fuͤr junge Vornehme
war Vigintiviratus, wozu auch die Decemvi-
ri litibus judicandis
gehoͤrten. Die decuriae
judicum
machte Auguſt.





§. 86.

Die neuen Chargen waren noͤthig, ſo bald
mehr fuͤr die oͤffentliche Ruhe und Sicherheit
geſorgt werden ſollte, als in der Republik
moͤglich geweſen war. Sie entſtanden meiſt
in den buͤrgerlichen Kriegen, der Auguſt er-
nannte dazu, und es war nun keine Gefahr
mehr dabey, ſie auf Lebenszeit zu ertheilen.


Der
[94]Theil I. bis Juſtinian.

Der Gonverneur der Hauptſtadt (prae-
fectus vrbi
) immer ein ehemahliger Conſul,
hatte eine Gewalt in Polizey-Sachen, die
ſich ſogar auf Criminal-Unterſuchungen er-
weiterte, worin er mit den Praͤtoren und dem
Senate, der nun auch ein Criminalgericht
ward, concurrirte.


Die Commandeurs der Garde (praefecti
praetorio
) waren urſpruͤnglich nur zwey equi-
tes.
Aber Tiber’s Favorit Sejan war ei-
ner von dieſen Officieren; dieſer Umſtand
fing an, die Gewalt der Praͤfecten zu ver-
groͤßern, und je mehr der Staat ſich in der
Folge zum militairiſchen Deſpotismus neigte,
deſto wichtiger waren die Garderegimenter,
und deſto natuͤrlicher war es, ihren Chef als
Premier-Miniſter anzuſehen. Papinian,
Ulptan
und Paulus erhielten dieſe gefaͤhrli-
che Stelle.


Minder wichtig ſind der neue praefectus
vigilum, praefectus annonae,
und die Adju-
tanten des Auguſts Quaeſtores candidati prin-
cipis
.


In den Provinzen waren entweder noch
Proconſules im Nahmen des Volks, oder
Legati im Nahmen des Auguſts. Neben
beyden Arten von Gouverneurs war noch ein
Intendant: procurator. Egypten hatte Au-
guſt
[95]Periode 3. Quellen.
guſt erſt erobert, dahin ſchickte er keinen Se-
nator, ſondern nur einen praefectus Auguſta-
lis,
und fuͤr die ehemahlige Reſidenz den ju-
ridicus Alexandrinus
.


§. 87.

Daß der Auguſt eben ſo viele Rechte hat-
te, als irgend ein magiſtratus, daß er juris-
dictio
ausuͤben konnte, und daß er dabey,
wie ein anderer magiſtratus, den Rath ſeiner
Freunde oder anderer Maͤnner von Anſehen
ſich ausbat (conſilium woraus nachher ein
foͤrmlicheres conſiſtorium und auditorium
principis
ſich bildete) iſt wohl ſehr natuͤrlich.
Und eben ſo wenig braucht es eine eigene lex
regia
um zu erklaͤren, wie es kam, daß ſeine
Urtheile, ſeine Cabinetsſchreiben, ſeine In-
ſtructionen und ſeine Bekanntmachungen (de-
creta, reſcripta, mandata, edicta
) ſo viel
und mehr noch galten, als aͤhnliche Dinge
von Seiten eines Oberhaupts der Republik
ſchon ehemahls gegolten hatten. Aber es
gehoͤrten Jahrhunderte dazu, ehe ſolche con-
ſtitutiones principis
die einzige neue Rechts-
quelle wurden, und noch mehr Jahrhunderte,
ehe man behauptete, jede conſtitutio ſey eine
Rechtsquelle, ſobald ſie dies ſeyn koͤnne.
Daß die conſtitutiones erſt unter Hadrian an-
gefangen haben, weil im Codex keine aͤltere
ſtehen,
[96]Theil I. bis Juſtinian.
ſtehen, folgt gerade eben ſo, wie wenn man
aus Cicero’s Briefen beweiſen wollte, in
Rom habe man vorher keine Briefe geſchrie-
ben.


Aber ausgelernte Politiker waren die
Auguſte, denn daß ſie keine conſtitutiones
machten, haͤlt ein Compendienſchreiber fuͤr Po-
litik, wenn der andere eine noch groͤßere darin
ſieht, daß ſie welche machten, und gerade
ihre haͤrteſten Aenderungen ſo einkleideten.
Wer keinen ſo uͤbermaͤßig feinen politiſchen
Tact hat, der kann etwa glauben, Auguſt
habe viele Veraͤnderungen gemacht, weil er
lange regierte, und weil er uͤber ein cultivirtes
und verdorbenes Volk regierte; er habe den
Geiſt der Monarchie zuweilen befolgt, ſo wie
ihn die meiſten Monarchen befolgen, d. h.
ohne es deutlich zu wiſſen; vor das Volk
ſeyen die wichtigſten neuen Verordnungen ge-
bracht worden, und nicht blos die angenehm-
ſten, ſo wie man von jeher die wichtigſten
Verordnungen vor das Volk gebracht habe,
ohne deswegen gar keine andere zu machen.


§. 88.

Die Volksſchluͤſſe unter Auguſt ſind fuͤr
uns, beſonders wegen der vielen Commenta-
re, welche im zweyten Jahrhundert daruͤber
ge-
[97]Periode 3. Quellen.
geſchrieben wurden, merkwuͤrdig, weil wir
aus dieſen Commentaren noch ſo herrliche
Bruchſtuͤcke haben. Hierher gehoͤrt die lex
Julia de adulteriis
wodurch die Anklage wegen
Verfuͤhrung, und nicht wegen Ehebruchs im
heutigen Sinne, ſo beſtimmt ward, wie die
alten Strafgeſetze jede einzele Art von Ankla-
ge beſtimmten. Die Untreue eines Ehemanns
war kein adulterium, aber jede Verfuͤhrung
einer Ehefrau, oder einer vidua, im Roͤmi-
ſchen Sinne, oder eines freyen Knaben konn-
te, nur von keiner Weibsperſon, zur Unter-
ſuchung gebracht werden. Die Perſonen,
welchen Selbſtrache zuſtand, der Ehemann
und der Vater, hatten auch ein vorzuͤgliches
Klag-Recht, und dieſes war in ſo ferne aus-
ſchlieſſend, daß dem Ehemanne erſt ein leno-
cinium
bewieſen werden mußte. Die Natur
des Verbrechens machte haͤusliche Zeugen,
alſo Anſtalten fuͤr ihre Wahrhaftigkeit noͤthig.
Die Strafe beſtand in Verbannung auf eine
Inſel, die jetzt ſehr gewoͤhnlich ward, und
der publicatio (nicht Confiſcation) eines
Theils vom Vermoͤgen. Vielleicht um letzte-
res immer anwendbar zu machen, verbot daſ-
ſelbe Geſetz die Veraͤußerung eines fundus
dotalis,
die uͤberhaupt mit der Sorge fuͤr die
Befoͤrderung der Ehen damahls beſſer be-
Gſtand,
[98]Theil I. bis Juſtinian.
ſtand, als die neuern Privilegien mit dem
Geiſte des chriſtlichen Rechts.


§. 89.

Die lex Aelia Sentia athmete den aͤchten
Geiſt der Monarchie, im Gegenſatze des al-
les gleichmachenden Deſpotismus. Den Fall
der Republik hatten die Heere freygelaſſener
Sklaven, unter denen ſo viele ſchlechte Men-
ſchen Roͤmer wurden, gewiß beſchleunigt.
Jetzt ſollte ein vinctus und propter noxam tor-
tus
nur ein dedititius werden, — ein Sklave
unter 30 Jahren nur nach vorgaͤngiger Un-
terſuchung die Rechte eines Roͤmers erhal-
ten, — die Kinder der aͤrgern Hand folgen, —
ein Herr unter 20 Jahren nicht ohne Unter-
ſuchung, — ein Banqueroutier nicht anders,
als um einen Erben zu haben, durch den ſein
Teſtament beſtehe, manumittiren, — die
Freylaſſungen auf Speculation kein Patronat-
recht geben, — ein Freygelaſſener die Rechte
ſeines vorigen Herrn nicht verkuͤrzen. Außer-
dem ward das Strafrecht des Patrons be-
ſtimmt, und fuͤr den Unterhalt der armen Frey-
gelaſſenen geſorgt.


Die lex Julia de viceſima hereditatum
war eine Abgabe zu 5 ProCent auf den Fuß
unſerer Lach-Erbengelder, zum Beſten der
neu-
[99]Periode 3. Quellen.
neuerrichteten Kriegs-Caſſe, aus der nun ſo
große Armeen, ohne Proſcriptionen, unterhal-
ten werden mußten.


Die lex Fuſia Caninia beſtimmte die An-
zahl der Sklaven, die in einem Teſtamente
freygelaſſen werden durften, nach Verhaͤltniß
derjenigen, welche der Herr hatte, ſehr weiſe
und ſorgfaͤltig.


§. 90.

Die lex Julia et Papia Poppaea de mari-
tandis ordinibus
und de caducis iſt bey wei-
tem die wichtigſte unter allen, welche Quellen
des Rechts zur Zeit der Claſſiker waren, und
die, welche ſich Auguſt am meiſten angelegen
ſeyn ließ. Sie betraf die zwey Hauptgegen-
ſtaͤnde ſeiner Regenten-Sorgfalt: Bevoͤlke-
rung und Einnahme fuͤr die Kriegs-Caſſe.
Deswegen hielt ihn auch der mißlungene erſte
Verſuch nicht ab, ſie von neuem einzubringen,
und die Unzufriedenheit ſeiner Unterthanen
veranlaßte nur Modificationen, aber durchaus
nicht die Abſchaffung, dieſes Volksſchluſſes.
Die einzelen Verordnungen haben Godefroi,
Ramos
, und Heineccius aus den vielen
Bruchſtuͤcken von Commentaren der Claſſiker
geſammelt und geordnet. Ihre Werke enthal-
ten herrliche Materialien fuͤr einen kuͤnftigen
philoſophiſchen Bearbeiter.


G 2Je-
[100]Theil I. bis Juſtinian.

Jeder Roͤmer, der das 60ſte, und jede Roͤ-
merinn, die das 50ſte Jahr noch nicht zuruͤck-
gelegt hat, ſoll heyrathen, ſonſt trifft ihn
die Strafe der Eheloſigkeit, ausgenommen
wenn er zu jung oder unvermoͤgend, oder
nicht blos zum Scheine verlobt iſt. Aber
die Strafe der Eheloſigkeit bleibt, wenn die
Ehe ſchimpflich iſt, und dies geſchieht leich-
ter bey Senatoren und Senatormaͤßigen, als
bey andern. Wo keine Ehe Statt findet, da
iſt Ehe zur linken Hand (concubinatus) er-
laubt, ſonſt nicht. Eine Freygelaſſene darf
ihren Patron weder als Frau noch als concu-
bina
wider ſeinen Willen verlaſſen. Heyrathet
ſie mit ſeiner Erlaubniß, ſo iſt ſie von allen
verſprochenen Dienſten frey.


Die Zahl der Kinder gibt dem Conſul und
jedem Candidaten ein Vorrecht; 3, 4 oder 5
Kinder am Leben befreyen von perſoͤnlichen
Laſten. Eines oder mehrere macht den Lati-
nus
zum Roͤmer mit vollem Rechte, ver-
ſchafft dem Freygelaſſenen einen allgemeinen
Nachlaß der Dienſte, die ſein Patron zu for-
dern hatte, und einem Frauenzimmer, ſelbſt
einer Freygelaſſenen, die Unabhaͤngigkeit von
ihrem Vormunde.


Ein Ehegatte kann von dem andern im-
mer 1/10 erben, und jedes lebende Kind aus
einer
[101]Periode 3. Quellen.
einer andern Ehe macht noch eines Zehntels
faͤhig, eben ſo ein verſtorbenes Kind aus
derſelben Ehe. Ferner kann immer ⅓ zum
lebenslaͤnglichen Genuß hinterlaſſen werden,
und, ſind Kinder erzeugt, ſogar als Eigen-
thum.


Eheleute koͤnnen alles von einander erben,
wenn ſie noch zu jung ſind, oder ſehr lange
verehelicht waren, oder als nahe Verwandte,
oder wenn der Mann im Dienſte des Staats
verreist, oder wenn aus dieſer Ehe ein Kind
am Leben, oder als ſchon erwachſen geſtorben
iſt u. ſ. w.


§. 91.

Wer Vater iſt kann von jedem Fremden
alles erben; eben ſo eine Frau mit 3 oder 4
Kindern. Ein coelebs gar nichts, als von
Verwandten, und wer in kinderloſer Ehe
lebt, nur die Haͤlfte.


Die Bedingung und der Eyd nicht zu
heyrathen ſchaden nichts. — Der praetor
vrbanus
kann Aeltern zur Verheyrathung ih-
rer Kinder zwingen.


Wer die Scheidung durch mehr oder min-
der ſchlechte Auffuͤhrung veranlaßt hat, wird
durch fruͤhere oder im Gegentheil durch ver-
minderte Herausgabe der dos beſtraft.


G 3Je
[102]Theil I. bis Juſtinian.

Je mehr ein Freygelaſſener Kinder hat,
deſto weniger iſt er, auch bey einem anſehnli-
chen Vermoͤgen (centenarius) durch das Sur-
ceſſionsrecht des Patrons genirt. Durch
Kinder wird die Patroninn einem Patron,
die Tochter einem Sohne gleich.


Von dieſer lex kann diſpenſirt werden,
man kann das jus liberorum erhalten, oder
das Recht jemand zu heyrathen, den man
ſonſt nicht heyrathen duͤrfte.


Wenn einer Perſon mehr hinterlaſſen iſt,
als ſie nach dieſer lex erhalten kann, oder
wenn eine Erbſchaft oder ein Legat anfangs
giltig iſt, aber ohne daß der Teſtirer ſeinen
Willen aͤndert, zur Zeit der Eroͤfnung des
Teſtaments nicht mehr Statt findet, oder
ausgeſchlagen wird, oder wegfaͤllt, weil man
die Bedingung nicht erlebt hatte, oder weil
man indignus wird, ſo kommt es darauf an,
ob ſonſt der Erbe eines von den Kindern oder
Aeltern des Erblaſſers iſt, oder auch nur
uͤberhaupt Kinder habe, oder nicht. In die-
ſem letzten Falle wird das Vermaͤchtniß oder
der Antheil der Erbſchaft vom aerarium weg-
genommen (caducum, in cauſa caduci, bo-
num vacans
) jedoch mit allen darauf haften-
den Laſten. Hingegen jene privilegirten Per-
ſonen haben jus antiquum in caducis.


Wer
[103]Periode 3. Quellen.

Wer ein tacitum fideicommiſſum uͤber-
nimmt, d. h. wer ſich dazu gebrauchen laͤßt,
dieſe lex zu eludiren, der verliert auch was
er ſelbſt aus dem Teſtamente haͤtte bekommen
ſollen.


Wer ein caducum angibt, bekommt ei-
nen Theil davon zur Belohnung.


§. 92.

Durch die lex Junia Velleja ward die
Einſetzung eines noch nicht gebornen Kindes
in manchen Faͤllen erlaubt, und in manchen
fuͤr geſchehen angenommen. Aus einem te-
ſtamentum ruptum
fielen ja keine caduca ab.


Die lex Julia de vi publica ſchraͤnkte wahr-
ſcheinlich die Roͤmiſche Mutinybill, nach wel-
cher die lex Porcia bey der Armee wegfiel,
ein, um die Provocation zu beguͤnſtigen.


Die lex Julia Majeſtatis ward ſchon unter
Auguſt auch auf Pasquillanten angewendet
durch welche ſehr vornehme Perſonen ange-
griffen worden waren a).



G 4§. 93.
[104]Theil I. bis Juſtinian.
§. 93.

Auguſt ſetzte noch mehrere Antraͤge an
das Volk durch, die Senatsſchluͤſſe waren
noch nicht haͤufiger, als ſie, aber auch nicht
ſelten. Die Volksverſammlungen mußten
nach und nach unter den Kaiſern aufhoͤren,
denn wozu dieſe Weitlaͤuftigkeit, wenn der
Senat mit dem Monarchen einig war? Die
Senatsſchluͤſſe mußten eben deswegen mehr
emporkommen, es war das Corps, von wel-
chem jeder Auguſt ſich ſeine Rechte ertheilen
ließ, das Corps, das im Interregnum re-
gierte, das Corps, welches den vorigen Kai-
ſer zum Divus machen, aber auch alle ſeine
Befehle vernichten konnte. Man muß wenig
Schriftſteller dieſer Zeit geleſen haben, wenn
man ein Senatus-Conſult immer nur fuͤr ei-
nen masquirten Befehl des Auguſts halten
will.


Das erſte Senatus-Conſult, welches ſei-
nen Nahmen vom Conſul erhielt, war das
Silanianum um die Ermordung des Herrn
auch an denjenigen Sklaven zu raͤchen, die ſie
nicht gehindert hatten. Es ward noch oft
naͤher beſtimmt.


Unter Auguſts Edicten §. 87. ſind die
merkwuͤrdigſten: Wer verdiene Soldat zu
ſeyn, koͤnne nicht mit Recht enterbt werden,
und
[105]Periode 3. Quellen.
und die Buͤrgſchaft einer Frau fuͤr ihren Mann
ſey ſehr mißlich. Die Abolition der alten
Eriminalſachen war nach den buͤrgerlichen Krie-
gen ſehr weiſe.


Woͤhl ſchwerlich durch irgend einen aus-
druͤcklichen Befehl, ſondern nach und nach
durch beguͤnſtigende Umſtaͤnde und Herkom-
men a) erhielten unter Auguſt die bloßen Bil-
lets eines Verſtorbenen (codicilli) und ſeine
bloßen Bitten (fidei commiſſa) eine verbin-
dende Kraft. Bisher gehoͤrte zu der gering-
ſten Verordnung ein foͤrmliches und durch
keinen Zufall unkraͤftig gewordenes Teſtament,
und manche Verordnung war doch gar nicht
moͤglich. Die ganze Jurisprudenz hatte einen
Hang, von der aͤngſtlichen Beobachtung der
Foͤrmlichkeiten ſich zu entfernen, und wo der
Staat keine Abſichten hatte, da ward man
immer geneigter, jede Willensaͤußerung des
Verſtorbenen gelten zu laſſen. Dies war der
Geiſt der lex Junia Velleja, des SCtum Ne-
ronianum,
und der Beraͤnderung, daß derje-
nige, zu deſſen Vortheil der Erbe einen Be-
fehl erhalten hatte, ſich immer haͤufiger und
immer gluͤcklicher an den Auguſt oder an einen
Conſul wandte, um den Erben “bey dieſen
Umſtaͤnden” zur Erfuͤllung ſeiner Pflicht zu
zwingen.


G 5a)
[106]Theil I. bis Juſtinian.

§. 94.

Man erzaͤhlt gewoͤhnlich noch eine Ein-
richtung die Auguſt getroffen haben ſoll, und
die man fuͤr einen aͤußerſt ſchlauen Kunſtgriff
haͤlt, durch welchen er, ohne daß ein Menſch
es gemerkt habe, Geſetzgeber geworden ſey.
Das Recht, auf civiliſtiſche Anfragen zu ant-
worten, habe von dem Auguſte geſucht und
erhalten ſeyn muͤſſen, und dieſer habe es nur
denjenigen ertheilt, deren Meynungen mehr
monarchiſch als republicaniſch geweſen waͤren.
Bis unter Hadrian ſey dieſe Nothwendigkeit
eines kaiſerlichen Patents, um Jurisconſultus
zu ſeyn, geblieben. — Nach Andern ſchaff-
te Auguſt nicht die Privat-Juriſten ab,
ſondern er machte nur ſeine patentirten zu un-
truͤglichen Orakeln aller Magiſtrate und aller
Richter. Allein kein gleichzeitiger Geſchicht-
ſchreiber bemerkt dieſe Veraͤnderung; in den
Fragmenten der elaſſiſchen Civiliſten wird von
einem reſponſum nie anders geſprochen, als
man zur Zeit der Republik auch davon haͤtte
ſprechen koͤnnen; man hat keine Spuhr im
Pri-
[107]Periode 3. Quellen.
Privatrechte von royaliſtiſchen Grundſaͤtzen;
die Pflicht der Richter, einen Ausſpruch zu
befolgen, erzaͤhlt blos Juſtinian, und ſelbſt
dieſer nur vielleicht, und wenn man dieſe
Idee nicht zu der Stelle des Pomponius mit-
bringt, ſo ergibt ſich daraus nur ſo viel,
daß ein gar nicht vornehmer Rechtsgelehrter,
der ſogar erſt in ſeinem Alter Ritter ward,
eine beſondre Aufmunterung oder Erlaubniß
vom Auguſt erhielt, um deſto mehr Zutrauen
bey dem Publicum zu finden. Es mag in
der Folge ein ſehr gewoͤhnliches Compliment
geweſen ſeyn, das auch Senatoren dem Au-
guſte, ohnehin ihrem Chef, machten, wenn
ſie bey ihm anfragten, ob er ſie zu dieſer Be-
ſchaͤftigung geſchickt genug finde; aber daß
ſelbſt ehemahlige Praͤtoren dies als eine Gna-
de ſuchten, war, wie Hadrian ſagt, ſchon
vor ihm ungewoͤhnlich, und ward alſo nicht
erſt unter ihm uͤberfluͤſſig a).



§. 95.

Die Gewalt Tiber’s war unſtreitig groͤſ-
ſer und feſter, als die ſeines Vorgaͤngers,
die Garde ward von den Buͤrgern abgeſon-
dert und in weitlaͤuftige Caſernen (caſtra prae-
toriana
) zuſammengezogen, die Majeſtaͤts-
verbrechen wurden viel haͤufiger; aber auch
Tiber war nicht nur in der erſten Haͤlfte ſei-
ner Regierung kein Deſpot, ſondern ſelbſt
als ſein ſtolzer und finſterer Character, durch
Sejans Einfluß und durch Sejans Treulo-
ſigkeit, zur Grauſamkeit geſtimmt, und durch
ein, ſogar in dieſen Zeiten, ſchaͤndliches Pri-
vatleben verſchlechtet worden war, ſelbſt da
blieb die Conſtitution, und mancher Senator
freute ſich des Winkes, den etwa Tiber zum
Todesurtheile uͤber beneidete Große gegeben
hatte. — Gleich nach dem Tode Auguſts
wurden die Magiſtrats-Comitien dem Volke
entzogen, und welche Rivalitaͤt der Kaiſer
nicht entſchied, daruͤber cabalirte man nun
nur im Senate. Auf die Verſammlungen
uͤber neue Antraͤge an das Volk geht die
Stelle in Tacitus gewiß nicht a), obgleich
ſelbſt Bach ſie davon verſteht, der doch ſchon
vorher Senatsſchluͤſſe, als Rechtsquellen,
und
[109]Periode 3. Quellen.
und noch nachher Volksſchluͤſſe, als Rechts-
quellen, ſo vortreflich bewieſen hat. Aber
ſehr natuͤrlich war es wohl, daß man von
den Verſammlungen des Volks immer mehr
entwoͤhnt ward; eine lex war nur eine Cere-
monie mehr als ein Senatsſchluß, und die
Zeit, wenn dieſe zum letzten mahle mitge-
macht worden ſeyn mag, iſt unwichtig und
ungewiß. —



§. 96.

Als foͤrmlicher Volksſchluß kommt unter
Tiber vor die lex Junia Norbana, um die
Rechte derer zu beſtimmen, welche bisher
durch eine Art von Manumiſſion nur von
Sklavendienſten befreyt waren. Sie erhiel-
ten beynahe ganz den Stand eines andern
Latinus, und nur in Anſehung des Teſta-
ments war der Latinus Junianus zuruͤckgeſetzt,
aber auch ſie konnten jus Quiritium als Gna-
de erhalten, oder, beſonders durch Beytraͤge
zur Bevoͤlkerung, verdienen. Auch die lex
Viſellia
enthaͤlt eines dieſer Mittel. Eine
lex uͤber den flamen Dialis intereſſirt uns
nur wegen des offenbaren Unterſchieds von
einem Senatsſchluſſe a).


a) Tac.
[110]Theil I. bis Juſtinian.

§. 97.

Die wichtigſten Senatsſchluͤſſe unter Ti-
ber
betreffen theils, wie das SC. Libonia-
num
und noch andere, eine Ausdehnung der
lex Cornelia de falſis auf andre Urkunden,
als Teſtamente, und auf falſche Zeugniſſe,
theils eine Einſchraͤnkung des Rechts, ſich
der lex Julia de adulteriis durch Angabe bey
der Polizey zu entziehen, theils das peinliche
Verfahren gegen Sklaven, die hierin voͤllig
den Roͤmern gleich geſetzt wurden, theils die
Friſt von 10 Tagen nach jedem Todesurthei-
le, wie nach jedem andern Schluſſe des Se-
nats, theils die Verantwortlichkeit der Gou-
verneurs fuͤr ihre Gemahlinnen, theils die
Befreyung eines kaiſerlichen Gouverneurs
(legatus Caeſaris) von Anklagen, theils daß
eine Ehe nach dem 60ſten und 50ſten Jahre
nicht mehr die rechtlichen Vortheile der Ehe
verſchaffen ſollte — SC. Perſicianum. End-
lich ward der quaſi vſusfructus durch ein Se-
natus-Conſult beſtimmt. — Erhebliche con-
ſtitutiones
kommen nicht vor.


§. 98.
[111]Periode 3. Quellen.
§. 98.

Cajus Caͤſar war den groͤßten Theil ſei-
ner kurzen Regierung hindurch wirklich ver-
ruͤckt, und deswegen iſt weder ſein Project,
dem Volke ſein Stimmrecht bey den Wahlen
wieder zu geben, noch ſeine Verſicherung,
keine Appellation anzunehmen, ſehr wichtig.
Daß er der einzige Juriſt in ganz Rom wer-
den wollte, darf man nicht fuͤr einen raſenden
Einfall halten, ſo lange man ganz aͤhnliche
Grundſaͤtze ſehr natuͤrlich findet oder gar be-
wundert. Caligula ſah die Nothwendigkeit
einer beſtaͤndigen Ergaͤnzung und Feſtſetzung
des Rechts von oben herab — —.


§. 99.

Claudius war im Senate nicht ſo ver-
aͤchtlich, als in ſeiner Familie. Er gab das
erſte Beyſpiel eines Auguſts, der alles was
ſein Vorgaͤnger gethan hatte, caſſiren ließ.
Unter ihm ſtieg die Zahl der Praͤtoren auf 18,
weil zwey fuͤr Fidei-Commiſſe in Rom hin-
zukamen. Die Senatsſchluͤſſe unter ihm ſind:
Largianum uͤber die Erbfolge in das Vermoͤ-
gen eines Latinus, — eines uͤber die aſſigna-
tio libertorum,
— ein oft widerholtes ne
aediſicia negotiationis cauſa diruerentur,

ein Claudianum, daß ein Sachwalter, der
nun
[112]Theil I. bis Juſtinian.
nun nicht mehr auf die Stimme ſeines Clien-
ten rechnen konnte, dena ſeſtertia (etwa
500 Thaler) fuͤr einen Proceß annehmen
duͤrfe, — SC. Macedonianum, — eines uͤber
die Ehe mit des Bruders Tochter durch die
letzte Vermaͤhlung des Auguſts veranlaßt,
ſo wie vielleicht ein Claudianum, daß die Ehe
eines Mannes uͤber 60 Jahre, wenn nur die
Frau juͤnger ſey, Belohnung verdiene, —
noch ein Claudianum uͤber Ausſchweifungen
mit einem fremden Sklaven, vielleicht auch
uͤber den betruͤgeriſchen Verkauf eines freyen
Menſchen, — uͤber die Kraft der Ausſpruͤche
eines kaiſerlichen Finanzbedienten (procurator
Caeſaris),
— uͤber die Belohnungen der, we-
gen des Getraides ſo wichtigen, Schiffarth, —
und das Vellejanum gegen alle interceſſiones
mulierum
. Vielleicht war die lex Claudia,
welche allem Anſehen nach, die Vormund-
ſchaft der Agnaten uͤber eine freygebohrne
Roͤmerinn aufhob, auch nur ein Senatus-
Conſult.


Durch Edicte gab er ausgeſetzten kranken
Sklaven die Freyheit, und ſeinen Truppen
das jus liberorum. Vielleicht war auch die
Veraͤnderung mit dem Conſenſe des Curators
bey der Arrogation, und das Vorrecht des
peculium, wenn der fiſcus das Vermoͤgen
wegnahm, ein Edict.


§. 100.
[113]Periode 3. Quellen.
§. 100.

Nero hob durch ein Senatus-Conſult,
das unter ſeinem Vater gemachte, uͤber die
Bezahlung der Sachwalter, wieder auf, und
eben ſo durch das Calviſianum die Rechte der
ungleichen Ehe eines alten Mannes oder ei-
ner alten Frau. Durch das Piſonianum ward
das Silanianum ausgedehnt. Zu Ehren des
Senats ſollte eine ungegruͤndete provocatio
an ihn a privatis judicibus ſo gefaͤhrlich ſeyn,
als eine appellatio an den Kaiſer. Das Tur-
pillianum
beſtrafte Chicanen und Praͤvarica-
tionen. Das Trebellianum machte, daß
[auch] der heres fideicommiſſarius Schulden
uͤbernehmen mußte. Das Neronianum hob
den Unterſchied in den Ausdruͤcken der Legate
nur in ſo weit auf, als er unbillig ſcheinen
konnte. — Nero’s Edicte betreffen meiſt
nur Polizey-Sachen.


§. 101.

Nachdem, etwa 100 Jahre nach der
Schlacht bey Actium, der letzte Nachkomme
Auguſts, um dem gegen ihn ausgeſproche-
nen Todesurtheile zu entgehen, ſich ſelbſt
entleibt hatte, entſtand der erſte buͤrgerliche
Krieg in Rom, bey welchem niemand leugne-
te, daß es nur darauf ankomme wer Mo-
Hnarch
[114]Theil I. bis Juſtinian.
narch ſeyn ſollte. Mit Veſpaſian bekommt
der Staat wieder eine regierende Familie.
Die beyden erſten Flavier waren wuͤrdige
Nachfolger Auguſts, unter dem Vater er-
holte ſich der Schatz nach den verſchwenderi-
ſchen und pluͤndernden Regierungen wieder,
und der Bau des Capitols beweist, daß
Veſpaſian nicht geizig war. Das SC. Pega-
ſianum
fuͤhrte das ein, was wir quarta Tre-
bellianica nennen
, der fideicommiſſarius ward
einem legatarius partiarius gleichgeſetzt. Ein
Plancianum beſtrafte die fideicommiſſa tacita.
Ein anderes Plancianum ſorgte fuͤr die Aecht-
heit eines nach der Scheidung gebohrnen Kin-
des. Unter Titus ward die Vervielfaͤltigung
einer Criminalanklage unter andern Nahmen
verboten, und zur Unterſuchung des ſtatus
eines Verſtorbenen ein Termin geſetzt. Dies
wiederholte und beſtimmte man noch oft,
eben ſo wie das Edict uͤber die Teſtamente
der Militair-Perſonen.


§. 102.

Domitian iſt nicht ſowohl wegen des
SC. Junianum gegen Betruͤgereyen in cauſis
ingenuitatis,
oder wegen ſeiner Edicte merk-
wuͤrdig, als weil er nun bis auf Commodus,
d. h. bis gegen das Ende des folgenden Jahr-
hunderts der letzte ſchlechte Kaiſer war. Es
folgt
[115]Periode 3. Quellen.
folgt nun einer der ſchoͤnſten und ſeltenſten
Anblicke in der Geſchichte, 5 Regenten hin-
ter einander, welche gar nicht unumſchraͤnkt
regieren, ob ſie gleich die Macht dazu, und
das Beyſpiel mancher von ihren Vorgaͤngern
fuͤr ſich gehabt haͤtten. Dies iſt der Zeit-
raum wo das menſchliche Geſchlecht das Gluͤck
einer ſanften und weiſen Staatsverwaltung
im vollſten Maaße genoß, der Zeitraum,
dem wir die letzte Ausbildung des Roͤmiſchen
Rechts verdanken.


§. 103.

Von Nerva, dem Sohne und Enkel
großer Rechtsgelehrten, kommt eine lex agra-
ria
vor, gegen Verfaͤlſchung der Grenzſteine,
und ein Edict, wodurch das Teſtament uͤber
das peculium caſtrenſe geſtattet ward.


Sein adoptirter Sohn Vlpius Trajanus
war der letzte Auguſt, der ganz neue Pro-
vinzen eroberte, und ſein Nahme blieb noch
nach Jahrhunderten das hoͤchſte Ideal eines
guͤtigen Monarchen. — Unter ihm machte
der Senat drey Schluͤſſe uͤber fideicommiſſa-
riae libertates,
einen uͤber fideicommiſſa civi-
tati relicta,
einen uͤber die ſubſidiariſche Klage
gegen die Obrigkeit, welche einen Vormund
ernannt hat, und wahrſcheinlich die lex Ve-
H 2ctibu-
[116]Theil I. bis Juſtinian.
ctibulici uͤber die Manumiſſion durch eine
Landſtadt. Vielleicht gehoͤren auch die un-
gewiſſen Senatsſchluͤſſe gegen inſtitutiones
captatoriae,
und daß ein Pasquillaut inteſta-
bilis
ſeyn ſollte, hierher. — Durch ein Edict
wurden diejenigen gelinder beſtraft, die ſich
freywillig angaben, daß ſie dem aerarium et-
was ſchuldig ſeyen, die alſo das verhaßte
Geſchlecht der Delatoren entbehrlich mach-
ten, — und das jus Quiritium, das ein La-
tinus
ohne Einwilligung ſeines Patrons als
Gnade erhielt, ſollte dieſem nichts ſchaden.
Wegen des teſtamentum militare kam von
nun an eine eigene Stelle in alle Inſtructio-
nen.


§. 104.

Eben ſo lange als Trajan regierte auch
ſein angenommener Sohn Hadrian, der die
neuen Eroberungen jenſeits des Euphrats
freywillig verließ, und ſeine Thaͤtigkeit mehr
in ſorgfaͤltiger perſoͤnlichen Aufſicht uͤber die
Gouverneurs und uͤber die Profeſſoren, und
in neuen Anſtalten im Innern des Staats
aͤußerte. Er ernannte zuerſt einen eigenen
advocatus fiſci, da ſchon Nerva einen prae-
tor fiſcalis
aufgeſtellt hatte. Italien, außer
Rom, das ſonſt uͤber ſeine MunicipalObrig-
keiten niemand hatte, als den Kaiſer und
Se-
[117]Periode 3. Quellen.
Senat, theilte er unter vier Conſularen. Als
ſchoͤner Geiſt war er der erſte Auguſt, deſſen
Briefe in haͤuslichen und Regierungsangele-
genheiten man ſammelte, und davon haben
wir noch Ueberbleibſel im Doſitheus und im
Codex. Aber daß er der erſte Kaiſer gewe-
ſen ſey “welcher voͤllig ſouverain und deſpotiſch
regierte” folgt daraus noch nicht, und wird
im Gegentheil durch das den Senatoren ver-
ſicherte Recht, von niemand, als von ihren
Mitbruͤdern, gerichtet zu werden, durch die
Achtung welche er dieſer Wuͤrde beſtaͤndig be-
wies, durch den ganzen Ton ſeines Hofes,
wo ein Secretaͤr aus dem Ritterſtande noch
etwas neues war, durch das Verbot vom
Senate an ihn zu appelliren, und viel-
leicht am meiſten dadurch widerlegt, daß der
Senat ſeinem Sohne und Nachfolger die
Apotheoſe Hadrians wegen einzeler verhaß-
ten Schritte ſo ſehr erſchwerte.


§. 105.

Hadrian ſoll als ein zweyter Numa eine
allgemeine Geſetzgebung vollendet haben, die
man den 12 Tafeln an die Seite ſetzt. Aus
allen bisherigen Edicten habe er, ſagt man,
dieſes neue Rechtsſyſtem ſammeln und aus-
waͤhlen laſſen, um das Jahr 131 ſey dieſe
Arbeit von Salvius Julianus zu Stande ge-
H 3bracht
[118]Theil I. bis Juſtinian.
bracht worden, und von nun an haͤtten neue
Rechtsſaͤtze nicht mehr vom Praͤtor ſondern
nur vom Kaiſer beſtimmt werden duͤrfen.
Allein Spartian, der ausfuͤhrliche Biograph
Hadrians, weiß von dieſer, fuͤr ſo wichtig
gehaltenen, Veraͤnderung nichts, und Eu-
trop
erwaͤhnt ſie nur bey Didius Julianus.
Pomponius, der von Hadrian und Salv.
Julianus
ſpricht, vergißt das edictum perpe-
tuum,
und in den Fragmenten der ſpaͤthern
Claſſiker iſt eine einzige gewiſſe Spuhr eines
Zuſatzes, den Julian zum Edicte gemacht ha-
be, XXXVII. 8. fr. 3. denn IV. 2. fr. 1.
und XIII. 6. fr. 1. §. 1. koͤnnen gar wohl
auf etwas anderes gehen. Und doch, wenn
die Veraͤnderung ſo wichtig geweſen waͤre,
wie oft wuͤrde ein ſpaͤtherer Claſſiker, der ei-
nen fruͤhern citirte und widerlegte, ſich auf
das Edict berufen haben, wie nur XLIX. 14.
fr.
1. §. 1. geſchieht, und wie zum Gerichts-
gebrauche ganz uͤberfluͤſſig waͤren dieſe fruͤ-
hern Claſſiker, die wir ſogar in den Pandecten
haben, geworden? Es kam gar nicht darauf
an, aus mehreren vorhandenen Edicten (wenn
man nicht einzele Stellen des Edicts edicta
nennen will) eines zu machen, denn da ſchon
zu Cicero’s Zeit der groͤßte Theil des Edicts
laͤngſt hergebracht war, ſo konnten wohl unter
den Auguſten ſchwerlich die Edicte der ver-
ſchie-
[119]Periode 3. Quellen.
ſchiedenen Jahre merklich von einander ab-
weichen, und der neue Praͤtor Julian nahm
bey ſeinem Edicte wohl nur das ſeines unmit-
telbaren Vorgaͤngers zu Huͤlfe, es war die
neuſte Ausgabe, die natuͤrlich alles enthielt,
was in den vorigen neues und brauchbares
ſich fand. Die Beſtaͤtigung des Edicts durch
den Kaiſer und Senat haͤngt vielleicht mit
den vier Conſularen zuſammen, und perpe-
tuum,
wenn auch dieſes Beywort nicht blos
den alten Gegenſatz von extraordinarium oder
repentinum ausdruͤckte, waͤre alsdann von
allen Orten, und nicht von ewigen Zeiten,
zu verſtehen. Wenigſtens iſt es ganz unwi-
derſprechlich bewieſen, daß Hadrian neue
Zuſaͤtze der Magiſtrate nicht verbot, ſondern
erwartete a). Von einem ganz neuen voll-
ſtaͤndigen Rechtsſyſteme iſt gar keine Rede,
da im Edicte keine Grund-Regierungs- oder
Criminalgeſetze enthalten waren, ſondern
bloßes Civilrecht, und auch dieſes bey weitem
nicht vollſtaͤndig, ſondern mit ſehr haͤufiger
Verweiſung auf die andern Rechtsquellen.
Es war eine gar nicht ſehr weitlaͤuftige, kaum
von neuem revidirte Proceßordnung.


Die Veraͤnderungen, welche man dieſem
Edictum perpetuum zuſchreibt, ſind theils
fruͤher, theils haben ſie andere Urſachen.
So ſchrieb man ſchon vor Hadrian Commen-
H 4tare
[120]Theil I. bis Juſtinian.
tare uͤber das Edict, ſo war es ſchon zu Ci-
cero’s
Zeit die naͤchſte Quelle des Privat-
rechts. Daß die Secten ſich einander naͤher-
ten, war eine Folge der eclectiſchen Lehrart,
die ſich damahls auch in der Philoſophie aͤuſ-
ſerte, und keine Folge der Arbeit Julians,
denn in dieſer waren die meiſten Streitigkei-
ten doch nicht entſchieden. Daß man in den
folgenden Jahrhunderten ſich haͤufiger auf
die Rechtsgelehrten nach Hadrian, als vor
ihm, berief, war ſehr natuͤrlich; noch 100
Jahre lang waren die Claſſiker ihrer Lehrer
werth, und in jeder Wiſſenſchaft muß, bey
uͤbrigens gleichen Umſtaͤnden, derjenige
Schriftſteller der brauchbarere ſeyn, der die
Entdeckungen des andern benutzen und erwei-
tern kann.



§. 106.
[121]Periode 3. Quellen.
§. 106.

Ob nun aber gleich was unter Hadrian
geſchah, dieſem nach weit weniger wichtig iſt,
als es den Schriftſtellern ſcheinen mußte, die
bis auf dieſe Zeit das ganze Edict fuͤr ein
Werk der Uſurpation halten, und obgleich
kein eigenes edictum perpetuum provinciale
und aedilitium gemacht ward, ſo verdiente
doch die Ordnung des Edicts, wie es zuletzt
war, ſorgfaͤltiger ſtudirt zu werden. Man
ſollte ſich nicht mit Godefror’s Verſuche be-
gnuͤgen, und das Project von He neccius
haͤtte durch ſeinen Tod nicht auf ſo lange Zeit
hin unterbrochen werden muͤſſen. Die Ord-
nung iſt keine metaphyſiſchſyſtematiſche, ſon-
dern die ganz ſimple und ſchon von den 12
Tafeln her jedem Praͤtor gelaͤufige, daß auf
die allgemeinen Lehren von der jurisdictio
die Contracte, dann Ehe, Vormundſchaft
und Verlaſſenſchaften folgen, und endlich ein
Anhang von Interdicten, Exceptionen und
Cautionen den Beſchluß macht.


§. 107.

Neue Rechtsſaͤtze ließ Hadrian, wie an-
dre Kaiſer, auch durch den Senat beſtimmen,
oder er beſtimmte ſie ſelbſt. Von der erſten
Art iſt eine Ergaͤnzung des Geſetzes uͤber ca-
H 5duca,
[122]Theil I. bis Juſtinian.
duca, in Anſehung des Zuwachſes und der
Zinſen einer Erbſchaft, — das Tertullianum
zum Beſten einer Mutter mit jus liberorum,
deren Kinder nicht teſtirt hatten, und auch
oft nicht teſtiren konnten, — das Kind eines
Latinus und einer Roͤmerinn ward ein Roͤ-
mer, — die Staͤdte konnten Legate erhalten.
Unter ſeine merkwuͤrdigern conſtitutiones ge-
hoͤrt das bekannte Edictum D. Hadriani, daß
der Teſtaments-Erbe einſtweilen in Beſitz
geſetzt werden ſoll, — das Verbot Guͤter der
Schiffbruͤchigen zu pluͤndern, — die Strafen
der relegati und deportati, die vor der Zeit
wieder kaͤmen, — das beneficium diviſionis
unter Buͤrgen, — der Zwoͤlftel fuͤr die Kin-
der eines proſcriptus, — das Recht des the-
ſaurus,
— und die Sicherung der Sklaven
vor willkuͤhrlicher Hinrichtung oder Mißhand-
lung.


§. 108.

Die 22 Jahre der Regierung von Anto-
ninus Pius
waren ſo gluͤcklich, daß ſie zur
Geſchichte wohl wenig Stoff lieferten, auch
wenn unſre Nachrichten beſſer waͤren. Se-
natus-Conſulte wurden unter ihm gewiß ge-
macht, weil wir wiſſen, daß er die Rechte
des Senats noch vermehrte. Aber wir ba-
ben nur Edicte von ihm, eines uͤber die arro-
gatio
[123]Periode 3. Quellen.
gatio eines Unmuͤndigen, eines wodurch un-
ter nahen Verwandten, ſelbſt bey wichtigen
Schenkungen, keine Foͤrmlichkeit erfordert
ward, und eines, das alle legata poenae no-
mine relicta
verbot.


§. 109.

Marc Aurel, ſein adoptirter Sohn, war
das erſte Beyſpiel eines Augnſts, der die
hoͤchſte Wuͤrde voͤllig mit einem andern theil-
te. Er und Lucius Verus heißen Divi
fratres;
eine Zeitlang regierte er nach des
letztern Tode allein, und zuletzt nahm er ſei-
nen unwuͤrdigen Sohn zum Mitregenten an.
So viel Ehre als Marc Aurel der ſtoiſchen
Philoſophie machte, hatte ſie nicht von allen
ihren Zoͤglingen, wenigſtens wird es aus den
Spoͤttereyen der Juriſten wahrſcheinlich, daß
es nun am Hofe eben ſo gut philoſophiſche
Scheinheilige gab, als es von jeher Henchler
unter einem religieuſen Monarchen gegeben
hat. — Durch Senatsſchluͤſſe, die auf einen
Antrag (ad orationem) des Auguſts erfolg-
ten, ward Sicherheitsleiſtung auch bey ſol-
chen Tutoren noͤthig, die eine Obrigkeit er-
nannte, die Ferien wegen der wichtigſten Ge-
ſchaͤfte des Landbaus wurden beſtimmt, zu
einem Vergleiche uͤber Alimente gehoͤrte ge-
richtliche Beſtaͤtigung, Sklaven durſte man
uͤber-
[124]Theil I. bis Juſtinian.
uͤberall auch in den Landguͤtern des Auguſts
oder eines Senators auſſuchen, eine Schuld
wegen der Reparatur eines Hauſes erhielt
eine ſtillſchweigende Hypothek, die Kin-
der ſollten nun auch von ihrer Mutter ohne
Teſtament erben (Orphitianum), und einige
Mißheyrathen wurden null und nichtig. —
Durch ein Edict beſahl er allen Minderjaͤhrigen
Curatoren zu geben, ſobald ihr Gegner darum
bitte, auch wenn er gar keine beſondere Ur-
ſachen anfuͤhre, er verordnete regelmaͤßige
Geburtsregiſter, und befoͤrderte den beſtaͤn-
digen Hang des Rechts, von dem, was nur
einen hiſtoriſchen Grund hatte, abzuweichen.
Seine Beſtrafung der Selbſthuͤlfe, die unter
dem Nahmen des decretum D. Marci ſo be-
kannt iſt, enthielt nichts neues.


§. 110.

Ueber 80 Jahre lang hatte der Roͤmiſche
Staat das Gluͤck einer ununterbrochenen Rei-
he vortrefflicher Regenten ſo genoſſen, wie
wohl nie ein Reich in der Welt. Dieſes
Gluͤck mußte aufhoͤren; es war in der Regel,
daß es gerade bey einem zum Throne gebohr-
nen Auguſte, eher als bey einem andern,
aufhoͤrte, und wenn man vom Sohne Marc
Aurels
nicht erwartet haͤtte, daß er ein zwey-
ter Nero ſeyn wuͤrde, ſo vergißt man, daß
Commodus auch der Sohn von Fauſtina
war.


§. 111.
[125]Periode 3. Quellen.
§. 111.

Nach 12 Jahren einer, erſt aus Schwaͤ-
che und dann aus Gewohnheit, grauſamen
Regierung ward er ermordet, und nun muß-
te wieder ein buͤrgerlicher Krieg entſcheiden
wer Auguſt werden ſollte, denn von dem
Stamm der Antonine war niemand mehr
uͤbrig. Pertinar und Didius Julianus,
der praefectus urbis und der reichſte Senator
fallen beyde durch die Praͤtorianer. Septi-
mius Severus
uͤberwindet zwey Nebenbuler,
tyranniſirt uͤber den Senat, der ihm abge-
neigt geweſen war, und vernichtet die alte
Garde. Von den Legionen aller Provinzen
hebt er die tapferſten Veteranen aus, und
ſie bilden die neue Garde von 50000 Mann,
da die alte nur den vierten Theil ſo ſtark ge-
weſen war. Er bereitete das Ungluͤck ſeiner
Nachfolger durch ſeinen Grundſatz, nur den
Truppen zu ſchmeicheln, nur ſie, durch Ge-
ſchenke und ausſchweifende Nachſicht, fuͤr
ſich zu gewinnen, vor. Es iſt weit richtiger,
mit den Hiſtorikern bey ihm die Epoche des
militairiſchen Deſpotismus zu ſetzen, als mit
den heutigen Juriſten bey Auguſt oder Sa-
drian
. Auch ein Großvezir erſcheint jetzt;
der neue praefectus praetorio bekam auch die
Finanzen und die Juſtiz unter ſich, und die
perſoͤnlichen Verhaͤltniſſe von Plautian hat-
ten
[126]Theil I. bis Juſtinian.
ten Aehnlichkeit mit Sejan. Aber die ganze
Verfaſſung von Algier war in Rom noch
nicht; mit wenigen deutſchen Regenten, zu-
mahl wenn ſie Juriſten waͤren, wie Septi-
mius Severus
es war, duͤrfte ein Juſtiz-
Miniſter ſo frey ſprechen, als Paullus mit
dieſem ſprach. Der vierte nach ihm war wie-
der der Antonine wuͤrdig, aber dies war
auch der letzte etwas anhaltende Schimmer
der alten Freyheit. Neue Rechtsſaͤtze wur-
den noch vom Senate beſchloſſen, ſo daß die
Veraͤuſſerung der ſichern Grundſtuͤcke eines
Minderjaͤbrigen nicht blos von ſeinem Vor-
munde abhaͤngen ſollte; ſo das SC. ad ora-
tionem Antonini,
welches Schenkungen un-
ter Eheleuten nicht verbot, ſondern vielmehr
wieder etwas beguͤnſtigte.


§. 112.

Dieſer Antoninus Baſſianus, den die
Nachwelt unter dem Nahmen Caracalla ver-
abſcheut, ermordete ſeinen Bruder Geta,
und ließ den Freund ſeines Vaters, ſeinen
Vormund Papinian hinrichten. Durch
bloße Edicte ertheilte er allen Freygebohrnen
im ganzen Staate das Roͤmiſche Buͤrger-
recht, um ſie einer Abgabe zu unterwerfen;
ſetzte er die viceſima hereditatum auf die de-
cima,
und wandte er alle caduca aus dem
aera-
[127]Periode 3. Quellen.
aerarium ſeinem fiſcus zu. Die Inteſtaterb-
folge ſchraͤnkte er auf diejenigen ein, welche
von der decima frey ſeyen, aber man kennt
die Form und den Inhalt dieſer Veraͤnderung
nicht genug.


§. 113.

Macrin ſein Nachfolger wollte dem, mit
dem Deſpotismus immer hoͤher ſieigenden,
Anſehen kaiſerlicher Cabinetsſchreiben ſteuern;
aber wenn alle reſcripta von Commodus und
Caracalla ſo waren, wie die, welche von ih-
nen noch uͤbrig ſind, ſo war ſeine Verbeſſe-
rung ſehr unnoͤthig.


§. 114.

Der kurzen und unſinnigen Regierung ei-
nes jungen Aſiatiſchen Prieſters, Elagaba-
lus,
eines entfernten Verwandten, und,
wie er ſagte, eines Baſtards von Caracalla,
verdanken wir es, daß ſie den Tugenden von
Alexander Sever den Weg zum Throne
bahnten. Ulpian war beynahe Vormund,
und nach ihm Paullus erſter Miniſter dieſes
vortrefflichen Regenten; des letzten, unter dem
der Senat ſeine Rechte ausuͤbte, und des
letzten, unter dem claſſiſche Juriſten lebten.
Wahrſcheinlich gehoͤrt unter dieſe Regierung
noch ein Senatsſchluß uͤber fugitivi, und ei-
ner
[128]Theil I. bis Juſtinian.
ner uͤber die Adoption ex tribus maribus;
vielleicht auch der, woraus die ſogenannte
lex Julia Miſcella zum Theil beſtand. Ale-
xander
ward von den Soldaten 235 ermor-
det, ſo wie vor ihm Ulpian.


Syſtem des Rechts
gegen das Ende dieſer Periode.


(ſiehe Lehrbuch des Pandecten-Rechts.)


Studium des Rechts.


§. 115.

In dieſen vierthalb Jahrhunderten lebten
alle wiſſenſchaftliche Bearbeiter des Roͤ-
miſchen Rechts, alle die Staatsmaͤnner, durch
deren Bemuͤhungen es mehr ausgebildet ward,
als je das Recht irgend eines andern Volks
ſich ausbildete, alle die Schriftſteller, (ſpaͤ-
there Excerptenmacher ſind keine Ausnah-
me) deren Bruchſtuͤcke man jetzt Geſetze
nennt.


Der Aelteſte von ihnen iſt Cicero’s Leh-
rer Mucius Scaevola, von dem die cautio
Muciana
den Nahmen hat.


Aqui-
[129]Periode 3. Studium.

Aquilius Gallus erfand die Stipulation,
wodurch jede Schuld ſich in eine Schuld ex
ſtipulatione
verwandeln ließ, er ſetzte zuerſt
in die Contracte Clauſeln auf den Fall, daß
ein Theil einen dolus malus begehe, und in
ein Teſtament des Großvaters eine Verord-
nung zum Beſten der nachgebohrnen Enkel
(ſtipulatio Aquiliana, formulae doli mali
Aquilianae, poſtumi Aquiliani
).


§. 116.

Cicero ſelbſt war kein Jurisconſultus,
aber ein Juriſt; die Stellen in ſeinen Reden
koͤnnte er andern zu danken haben, und in
ſeinen Buͤchern de leg bus ſpricht er von leges
im Roͤmiſchen Sinne, d. h. meiſt nur von
Grund-Regierungs- und Strafgeſetzen. Aber
man ſieht, daß er ſtolz auf ſeine civiliſtiſchen
Kenntniſſe war, in ſeinem Werke de oratore
erfordert er ſie zum Ideale eines großen Red-
ners; ſeine topica ad Trebatium ſollen einem
großen Juriſten die erſten Grundſaͤtze der
Logik mit Beyſpielen aus ſeiner eigenen Wiſ-
ſenſchaft begreiflich machen, und das Syſtem
des Civilrechts, das Cicero geſchrieben hat-
te, rechnet man unter die vor Juſtinian
mißlungenen Verſuche.


J§. 117.
[130]Theil I. bis Juſtinian.
§. 117.

Der erſte Juriſt, dem Cicero ſelbſt das
Lob der wiſſenſchaftlichen Bearbeitung gab,
war Servius Sulpicius, und es iſt ein ſonder-
barer Zufall, daß ſchon damahls die Juris-
prudenz dem Gelehrten am meiſten verdaukte,
der nicht von Jugend auf ſich ihr gewiedmet
hatte, weil er ganz ungewoͤhnlich viele andre
Kenntniſſe in der ganzen Litteratur mit ihr
verband. Daß er ſehr oft von ſeinen Vor-
gaͤngern, beſonders von Scaͤvola abwich,
und daß er uͤber das Edictum commentirte,
iſt beydes ſehr natuͤrlich, obgleich jenes nicht
vor Auguſt, und dieſes erſt ſeit Hadrian
Mode geworden ſeyn ſoll.


Unter ſeinen vielen Schuͤlern iſt der be-
ruͤhmteſte Alfenus Varus, der zweyte Juriſt
nach Scaͤvola, von welchem uns Juſtinion
Fragmente gerettet hat, weil Paullus ihn
epitomirte. Das Werk hieß Digeſta, ein
nachher ſehr gewoͤhnlicher Titel fuͤr ausfuͤhr-
liche Syſteme uͤber das Civilrecht.


Trebatius Teſta ward zwar nicht Conſul
wie Alfenus, aber Auguſt fragte ihn in Rechts-
ſachen um ſeinen Rath. Trebatius war ein
Epicuraͤer und Stifter einer juriſtiſchen Schu-
le, da er doch nach den Compendien weder zu
jenem noch zu dieſem ein Recht hatte.


§. 118.
[131]Periode 3. Studium.
§. 118.

Die Standhaftigkeit, die Cascellius im
Triumvirate bewies, ſollte alle Juriſten be-
ſchaͤmen, die jeden Deſpotismus befoͤrdert
haben oder noch befoͤrdern. Nach denſelben
Grundſaͤtzen, aber unter Umſtaͤnden, wo
dieſe Grundſaͤtze nicht ſo unbedingtes Lob ver-
dienten, handelte Antiſtius Labeo, der be-
ruͤhmteſte von allen aͤltern Rechtsgelehrten.
Seine republicaniſchen Geſinnungen zeigte er
zuweilen noch weniger edel, als da er das
Conſulat, welches Auguſt ihm anbot, aus-
ſchlug, aber nicht gerade darin, daß er im
Civilrechte kein Nachbeter war. Freylich po-
litiſcher und litterariſcher Muth haͤngen zu-
ſammen, aber Labeo haͤtte nach ſeiner An-
haͤnglichkeit an die alte Verfaſſung, auch
Neuerungen in ſeiner Wiſſenſchaft verwer-
fen koͤnnen. Daß er es nicht that iſt Zufall,
und daß ſein Nebenbuler um deſto mehr auf
das ſtrenge Recht hielt erklaͤrt ſich natuͤrlicher
daraus, daß er der Gegner von Labeo, als
daß er ein Freund von Auguſt war. Noch
weniger laͤßt ſich behaupten, Patriotismus
und Gefuͤhl fuͤr Billigkeit ſey beſtaͤndig das
Characteriſtiſche der Schuͤler Labeo’s gewe-
ſen, und ihre Gegner haͤtten ſich immer
durch Sclaverey und Haͤrte ausgezeichnet.
Der naͤchſte Schuͤler von Labeo war der
J 2Ver-
[132]Theil I. bis Juſtinian.
Vertraute Cibers; von ſeinen beruͤhmte-
ſten Gegnern kam einer erſt ſpaͤth nur in den
Ritterſtand, und der andre war ein erklaͤr-
ter Republicaner. Aber man ſtellt ſich die
ganze Trennung der beyden Schulen viel zu
gefaͤhrlich vor, von keinem einzigen Juriſten
laͤßt es ſich auch nur aus ſeinen Fragmenten
beweiſen, daß er zu der einen oder der an-
dern Seite geſchwohren gehabt habe. Alle
treffen eine Auswahl, lange vor der Zeit
wo man erſt angefangen haben ſoll, eine
Auswahl zu treffen. Schon dieß iſt ein Be-
weis gegen ihre Nachbeterey, daß jede Schu-
le nicht von ihrem erſten Stifter, ſondern
von einem ſeiner Nachfolger benennt wird,
und daß der Nahme ſich zuweilen aͤndert[.]
Labeo’s Schuͤler hieſſen Proculejani, aber
der wahre Sinn dieſes Worts iſt wohl nur:
Proculus und die welche hierin ſeiner Mey-
nung ſind. Daß in den Anmerkungen zum
Hauptſchriftſteller der Gegenpartie oft ſeine
harten Saͤtze naͤher beſtimmt werden, iſt ſehr
natuͤrlich, weil ja die Commentatoren ſpaͤ-
ther lebten, als der Verfaſſer des Textes,
und weil das Roͤmiſche Recht, ſo wie jedes
Recht in der Welt, einen Hang hatte, ſich
vom bloß poſitiven zu entfernen, und der na-
tuͤrlichen Billigkeit zu naͤhern. — Aus La-
beo’s
Schriften haben wir Excerpten, viel-
leicht
[133]Periode 3. Studium.
leicht deswegen weil aus ſeinen libri πειϑανων
Javolenus, und aus ſeinen libri poſteriores
Paullus einen Auszug gemacht hatte. Sei-
ne libri praetoris vrbani waren entweder
Rechtsfaͤlle, oder ein Commentar uͤber das
Edict.


§. 119.

Atejus Capito war zuverlaͤſſig ein Freund
Auguſts, der ihn zum Conſul machte, und
ein Rival von Labeo, aber daß er auch ein
niedertraͤchtiger Menſch geweſen ſey, wuͤr-
de daraus noch nicht folgen, wenn man nicht
naͤhere Nachrichten haͤtte, die ihm freylich
keine Ehre machen.


Wichtiger als Aelius Gallus iſt Capi-
to’s
Schuͤler Maſurius Sabinus, zwar we-
der durch ſeinen Reichthum, da er meiſt nur
von dem Danke ſeiner Zuhoͤrer lebte, noch
durch die Wuͤrde, die er bekleidete, denn er
ward erſt ſehr ſpaͤth eques, und brauchte
deswegen Cibers Empfehlung um als Iuris-
conſultus
Zutrauen zu finden; aber durch ſei-
ne libri 3 de jure ciuili, deren Ordnung ſo
viele andre Schriftſteller befolgt haben. Sein
Syſtem war, die Rechte welche Verlaſſen-
ſchaften angingen, ganz zu trennen und vor
den andern, welche keinen Todesfall voraus-
ſetzen, abzuhandeln. Auſſer dieſem Werke
ſchrieb er auch uͤber das Edict.


J 3§. 120.
[134]Theil I. bis Juſtinian.
§. 120.

Coccejus Nerua war von Labeo’s Par-
tie, aber dieß hinderte ihn nicht Conſul und
der ganz ausgezeichnete Vertraute Cibers
zu werden. Sein Sohn gleiches Nahmens
war der Vater des Kaiſers Nerva, und
ſeine Schriften werden oft von Andern an-
gefuͤhrt.


Von Proculus, einem Schuͤler des aͤl-
tern Nerua hat eine eigene Schule den Nah-
men, die alſo zuletzt die Schule Labeo’s
war.


Eben dieſe Ehre, einer Schule den Nah-
men zu geben, genoß auch Caſſius Longinus,
von dem damahls wohl niemand gedacht
haͤtte, daß man ihn einſt fuͤr einen ſehr mo-
narchiſch geſinnten Rechtsgelehrten halten
wuͤrde, weil er ein Zuhoͤrer von Maſurius
Sabinus
geweſen war.


Domitius Afer iſt mehr als Redner be-
kannt, aber unter der Flaviſchen Familie ge-
langten Coelius Sabinus und Pegaſus zu den
hoͤchſten Wuͤrden, ohne daß jenem die An-
haͤnglichkeit an Maſurius Sabinus geholfen,
oder dieſem der Vorzug den er oft den Mey-
nungen Labeo’s gab, geſchadet haͤtte.


§. 121.
[135]Periode 3. Studium.
§. 121.

Unter Trajan lebte Juuentius Celſus,
der Sohn, von welchem wir Fragmente aus
ſeinen Digeſta haben, und deſſen Antwort
an Domitius, als Motto zu mancher Preiß-
fragenbeantwortung, zu empfehlen iſt.


Auch Neratius Priscus ſtand in ſehr groſ-
ſem Anſehen, ſo daß ein Geruͤcht ihn ſogar
zum Auguſt beſtimmte.


Aus einer Anecdote, die Plinius von
Iauolenus Priscus erzaͤhlt, hat man ſo tri-
umphirend bewieſen, der Verfaſſer ſo man-
cher Stelle in den Pandecten ſey von jeher
verruͤckt geweſen, daß mehr als ein Verthei-
diger des Roͤmiſchen Rechts die ganze Stel-
le verdrehen zu muͤſſen geglaubt hat.


Ariſto, den Plinius ſo ſehr lobt, muß
auch den Fehler gehabt haben, die Ausſpruͤ-
che keiner Partie fuͤr untruͤglich zu halten;
wenigſtens ſchrieb er Anmerkungen, das
heißt Berichtigungen zu Labeo, wie zu Sa-
binus
.


§. 122.

Dieß ſind die wichtigſten unter denjenigen
Rechtsgelehrten, welche vor Hadrian leb-
ten, welche alſo faſt ganz unbrauchbar haͤt-
ten werden ſollen, wenn Hadrians Veraͤn-
derung ſo wichtig geweſen waͤre, und welche
J 4doch
[136]Theil I. bis Juſtinian.
doch verhaͤltnißmaͤßig eben ſo gangbar blie-
ben, als die Erſten nach dem edictum per-
petuum.
Erſt denen, welche zwiſchen Ha-
drian
und Alexander lebten, wirft man
vor, daß ſie Auslaͤnder geweſen ſeyen, und
ſchlechtes Latein geſchrieben haͤtten, aber erſt
an ihnen lobt man auch, daß ſie zwiſchen
den Secten eine Mittelſtraße trafen. Jene
Vorwuͤrfe ſind wohl ſo ungegruͤndet, als die-
ſes Lob, denn auch von den bisher Ange-
fuͤhrten verdienen viele oder gar alle den
Nahmen Miſcelliones oder Herciscundi,
den erſt wir und zwar Letztern aus einem au-
genſcheinlichen Mißverſtaͤndniſſe, erfunden
haben. Wenn nun viele Juriſten keine ge-
bohrnen Italiaͤner waren, wenn man die Wor-
te: vnde mihi origo eſt vom Geburtsorte
verſteht, ſo beweist dieß doch weiter nichts,
als was man ſchon lange weiß, naͤhmlich
daß die Roͤmiſche Litteratur nun auch in die
Provinzen verpflanzt war. Ueber das La-
tein dieſer Schriftſteller haben wir das ganz
beſtimmte Zeugniß eines voͤllig competenten
und ſo unpartheyiſchen Richters, daß man
gewoͤhnlich die Juriſten gegen ihn vertheidi-
gen zu muͤſſen glaubt. Laurentius Valla
ſagt von den Autoren der Pandecten: His[__]
nihil eſt, mea ſententia, quod addi adimiue
poſſe videatur non tam eloquentiae (quam

qui-
[137]Periode 3. Studium.
quidem materia illa non magnopere pati-
tur) quam Latinitatis atque elegantiae
. Es
laͤßt ſich auch ſehr wohl erklaͤren, warum ſie
weit beſſer ſchrieben als ihre Zeitgenoſſen;
ſie waren die erſten Koͤpfe, die angeſehenſten
Staatsmaͤnner ihrer Nation, denn durch
Kriegsruhm konnte man ſich unter den ruhi-
gen Regierungen weniger auszeichnen, und
Beredſamkeit, die Wiſſenſchaft, welche ſonſt
der Jurisprudenz noch vorging, war nur im
Freyſtaate ganz unentbehrlich geweſen. Die-
ſe Maͤnner nun bearbeiteten einen Theil der
Gelehrſamkeit, der allein das Latein zu ſei-
ner Mutterſprache hatte, waͤhrend daß alle
andere wenigſtens eben ſo gut aus Griechi-
ſchen Werken ſtudiert werden konnten, und
wenn ſchon damahls eine gewiſſe Anhaͤnglich-
keit an das Alte zur Jurisprudenz gehoͤrte,
ſo mußte gerade die Urſache, wegen welcher
in unſern Zeiten die Rechtsgelehrten meiſt
ſchlechter ſprechen, als ihre Zeitgenoſſen,
bey einer Sprache, die im Sinken war, da-
zu beytragen, daß die Juriſten beſſer ſchrie-
ben, als ihre Zeitgenoſſen.


§. 123.

Saluius Julianus, der zweymahl das Con-
ſulat bekleidete, war entweder ein Nachfol-
ger der alten Decemviren, oder er war nur
J 5der
[138]Theil I. bis Juſtinian.
der letzte Praͤtor, der am Edicte etwas aͤn-
derte. Er ſchrieb Digeſta daruͤber in 90
Buͤchern, und die Art, wie er oft von ſpaͤ-
thern Schriftſtellern citirt wird, ſcheint nicht
zu beweiſen, daß er als ihr Geſetzgeber an-
geſehen worden ſey.


Von Aburnus Valens und Caecilius Afri-
canus
haben wir mehr Fragmente, als Nach-
richten: Terentius Clemens und Junius Mau-
ricianus
ſchrieben uͤber die lex Julia \& Papia
Poppaea, Taruntenus Paternus,
ſo wie nach-
her Arrius Menander, uͤber das Kriegsrecht,
Papirius Juſtus ſammelte die Entſcheidungen
MarcAurels und ſeines Bruders. Sextus
Pomponius
iſt der Verfaſſer der erſten Rechts-
geſchichte, aber keiner hat ſo lange auf das
ganze juriſtiſche Studium ſo vielen Einfluß
gehabt, als Cajus, nicht wegen ſeines δωδε-
καδελτον uͤber die zwoͤlf Tafeln, ſondern we-
gen ſeines kleinen Lehrbuchs, von welchem
Juſtinian den Titel Inſtitutiones, den Plan und
ſehr viele Stellen geborgt hat. Dieß iſt zu-
gleich das erſte Werk wovon ſich noch ſehr
betraͤchtliche Fragmente zwar auch nicht we-
nig vermehrt und verbeſſert, aber doch nicht
durch Juſtinian, erhalten haben.


§. 124.
[139]Periode 3. Studium.
§. 124.

Voluſius Maecianus war der Lehrer Marc
Aurels
, und Ceruidius Scaeuola der Lehrer
von Septimius Severus. Vlpius Marcel-
lus
wird fuͤr einen ſcharfen Proculejaner aus-
gegeben, ein Umſtand der wenigſtens beweist,
daß nicht alle Streitigkeiten durch das Edic-
tum perpetuum
beygelegt waren, wenn es
anders eines Beweiſes fuͤr das bedarf, ohne
was Juſtinian keine 50 Deciſiones gemacht
haͤtte.


Aemilius Papinianus war der zweyte
Großvezier, denn nach Plautian ward er
Chef der neuen großen Garde, und nach
dem Tode ſeines Freundes des Kaiſers Sep-
timius Severus
, Vormund Caracalla’s
und Geta’s. Er hielt die Probe aus, in
welcher Seneca untergelegen war, und er
verdiente alſo auch von Seiten des Characters
die Ehre, die ihm 200 Jahre nach ſeinem
Tode widerfuhr, daß ſeine Stimme entſchei-
dend ſeyn ſollte, und die Ehre, daß ange-
hende Juriſten ſtolz darauf waren, ſich nach
ihm zu nennen. — Seine Grabſchrift iſt
unaͤcht.


§. 125.

Tertullianus, Tryphoninus und die bey-
den Saturnine, Venulejus und Claudius
die beyde uͤber das peinliche Recht ſchrieben,
Furi-
[140]Theil I. bis Juſtinian.
Furius Anthianus und Rutilius Maximus,
intereſſiren uns alle weit weniger, als Do-
mitius Vlpianus,
denn von keinem Schrift-
ſteller haben wir ſo viele Fragmente in den
Pandecten, von keinem haben wir ein ſo
großes gar nicht interpolirtes Werk, und
keiner hat im Staate ſo lange eigentlich re-
giert, als er. Ulpian war von einer Phoͤ-
niciſchen Familie, wie Papinian, und viel-
leicht trug bey beyden eine Verwandtſchaft
mit der Gemahlinn von Septimius Seve-
rus
zu ihrem Gluͤcke bey. Ulpian ward
erklaͤrter Premier Miniſter des 17jaͤhrigen
Alexander Sever, aber in den Armen ſei-
nes Kaiſers ward er von den Soldaten er-
mordet, wie von nun an beynahe alle [tugend-]
hafte Regenten. Er hatte ein Werk von 80
Buͤchern uͤber das Edict, eines von 50 ad
Sabinum,
eines von 20 ad leges, viele be-
richtigende Anmerkungen ſelbſt zu Papi-
nian
, und viele Anweiſungen fuͤr einzele
obrigkeitliche Stellen geſchrieben. Von ſei-
nem liber ſingularis regularum haben wir
Fragmente, die gewiß nicht von Anian oder
Gojarich excerpirt, gewiß nicht von Si-
chard
ſondern von du Teil (Tilius) zuerſt
herausgegeben worden ſind, mit dem ganz
falſchen Titel: Tituli ex corpore Vlpiani
XXIX.
Cujas hat den Text verbeſſert,
aber
[141]Periode 3. Studium.
aber auch Conjecturen gewagt, die erweis-
lich falſch ſind, und in einigen Ausgaben,
doch gar nicht von dem aͤchten Ulpian ge-
trennt werden. Hoͤchſt wahrſcheinlich mach-
te aus demſelben Werke ein griechiſcher Sprach-
meiſter Doſitheus eine Ueberſetzung, von
welcher ein Fragment unter dem Titel de
juris ſpeciebus \& manumiſſionibus
zuerſt von
Pithou und am beſten von Roͤver heraus-
gegeben worden iſt.


§. 126.

Vielleicht iſt es bey einem Juriſten, der
in allen damahls gangbaren Arten von civi-
liſtiſchen Schriften ſich verſucht hat, nicht un-
ſchicklich, dieſe Arten ſelbſt zuſammenzuſtel-
len. Sammlungen von Rechtsfaͤllen, Ab-
handlungen uͤber einzele Materien oder Com-
mentare uͤber einen Volksſchluß intereſſiren
uns nicht ſo ſehr, als die Ordnung der gan-
zen Syſteme, wenigſtens uͤber das Privat-
recht, denn man weiß kein Werk, worin
auch zngleich alle Theile des ius publicum ab-
gehandelt worden waͤren. Der Syſteme uͤber
das Privatrecht waren drey: das aͤlteſie war
dasjenige, welches aus dem Edicte kam,
und welches nach dem Zwecke des Edicts
hauptſaͤchlich auf das Verfahren vor dem
Praͤtor ging. Proceß war der Anfang und
das
[142]Theil I. bis Juſtinian.
das Ende, an dieſen Faden ward alles an-
geknuͤpft z. B. die ganze Lehre von legitimi
heredes
an das Edict vnde legitimi.
Das zweyte Syſtem hatte Sabinus einge-
fuͤhrt, die ganze erſte Haͤlfte betraf die Leh-
ren, welche einen Todesfall vorausſetzen,
aber hier war CivilRecht und Praͤtoriſches
Recht getrennt. Die uͤbrigen Materien ſtan-
den in einer Ordnung, wozu wir wenigſtens
den Schluͤſſel nicht mehr haben, geſetzt auch,
daß Sabinus nicht blos zufaͤllig erſt von
Sclaverey und vaͤterlicher Gewalt, dann von
einigen Contracten, der dos, der Tutel, den
Vergehungen, nachher erſt vom Eigenthume
und der Stipulation, endlich von den In-
terdicten geredet, und zuletzt noch etwas vom
ius publicum angehaͤngt haͤtte. Dieſe bey-
den Syſteme ſind in unſern Pandecten com-
binirt, das Erſte ſchlaͤgt vor, aber es iſt
nicht das Einzige. — Das dritte Syſtem,
unſtreitig das genauſte, begriff nichts als
Privatrecht, alſo ſelbſt das gerichtliche Ver-
fahren nur ſehr unvollſtaͤndig, und ward,
wie es ſcheint, nur bey kurzen Grundriſſen,
wie wir ſagen wuͤrden nur bey Compendien,
in der damahligen Sprache Inſtitutiones, li-
bri Regularum
u. ſ. w. befolgt. Hatten et-
wa ſchon die Roͤmer die Idee, daß bey groͤſ-
ſern Werken eine weniger metaphyſiſche Ord-
nung
[143]Periode 3. Studium.
nung hinreiche, [wenn] nur jede einzele Ma-
terie ungetrennt bleibe? Dieſes dritte Sy-
ſtem iſt in unſern Inſtitutionen angenom-
men, und einige Neuere haben geglaubt,
daß ſich auch das Staatsrecht nicht anders
vortragen laſſe, waͤhrend daß andere es noch
lange nicht abgezirkelt genug finden. Be-
kanntlich geht das ius perſonarum voraus,
aber zu dieſem rechnete ein Schriftſteller bald
mehr bald weniger von den Lehren, die ſchon
Mein und Dein vorausſetzen, z. B. von der
dos. Ob unter dem Nahmen res und actio-
nes
das ganze ius rerum vom Proceſſe, oder
nur das ius in rem, wohin auch Verlaſſen-
ſchaften gerechnet wurden, von dem ius in
perſonam
getrennt waren, iſt ſtreitig; je-
nes hat die meiſten Stimmen, und dieſes
die meiſten Gruͤnde fuͤr ſich.


§. 125.

Ulpians Zeitgenoſſe und Nachfolger,
vielleicht auch ſein Rival war Julius Faullus,
dem man es zum Fehler anrechnet, daß er
auch von den beruͤhmteſten ſeiner Vorgaͤnger
abzugehn ſich erlaubte. Wenn man die ein-
zelen Buͤcher ſeiner Werke zuſammenzaͤhlt,
ſo kommen bey 300 heraus, ein kurzer und
ein ausfuͤhrlicherer Commentar uͤber das
Edict, einer uͤber die leges, ein Auszug aus
Labeo
[144]Theil I. bis Juſtinian.
Labeo, und 6 Buͤcher facta, oder Erzaͤh-
lungen von Rechtsſachen, die im hoͤchſten Ge-
richte, unter Direction des Kaiſers ſelbſt,
unterſucht und entſchieden worden waren.
Seine 5 Buͤcher receptae ſententiae ſchraͤnk-
ten ſich auf ausgemachte Rechtsſaͤtze ein, und
deswegen wurden ſie nachher allgemein als
Entſcheidungs Norm vorgeſchrieben. Wir ha-
ben noch Fragmente davon mit Gojarichs
Paraphraſe, von Sichard, Cujas, Rit-
tershuſen
und Schulting bekannt gemacht.


§. 128.

Auch Calliſtratus, Aelius Marcianus,
Florentinus, Licinius Rufinus, Aemilius
Macer,
und Herennius Modeſtinus, ein
Schuͤler Ulpians, von welchem wir auch
griechiſche Fragmente haben, lebten vor und
unter Alexander, denn nach ſeiner Zeit
kommt kein großer Rechtsgelehrter mehr vor.
Die Urſache, dieſes Phaͤnomens hat man
darin geſucht, daß nun die Auguſte ſo haͤu-
fig die Stelle der Juriſten vertreten, und
auf juriſtiſche Anfragen geantwortet haͤtten.
Allein wenn es auch wahr waͤre, daß die
Auguſte, welche ſo gerne neue Geſetze ga-
ben, auch fuͤr Privatleute in einzelen Sa-
chen ſich am zugaͤnglichſten zeigten, ſo koͤnn-
te doch ein neuer oder gewoͤhnlicherer Weg,
Beleh-
[145]Periode 3. Studium.
Belehrungen zu erhalten, ein Mann mehr,
der jus reſpondirte, unmoͤglich andere Conſu-
lenten entbehrlich gemacht haben. Der wah-
re Grund des Verfalls liegt wohl eher darin,
daß wirklich Papinian, Ulpian und Pau-
lus
ihre Wiſſenſchaft bis auf einen ſo hohen
Grad der Vollkommenheit cultivirt hatten,
von welchem ſie nun nach dem Verhaͤltniſſe
zu andern Theilen der menſchlichen Erkennt-
niß nicht mehr ſteigen konnte, ſondern von
welchem ſie eben deswegen wieder ſinken muß-
te. Der hoͤchſte moͤgliche Grad von Voll-
kommenheit war erreicht, wenigſtens hat nie
ein Volk ſein Privatrecht ſchoͤner ausgebil-
det, und es iſt noch nicht im Reinen, ob die
Vorzuͤge, worin viele Neuere die Claſſiker
zu uͤbertreffen glauben, auch wahre Vorzuͤge
ſind, ob es z. B. wirklich beſſer geweſen waͤ-
re wenn der praefectus praetorio, als Chef
der Geſetz Commiſſion, ſeine Meynung be-
fohlen haͤtte, als da er ſie wie ein Privat-
ſchriftſteller vortrug. Es fanden ſich wenig-
ſtens in den zahlreichen civiliſtiſchen Schrif-
ten ſo unzaͤhlige Faͤlle entſchieden, daß ſchwa-
che Menſchen ſehr natuͤrlich glauben mußten,
es komme nun nur darauf an, im Nachſchla-
gen recht geuͤbt zu ſeyn, ſo koͤnne man das
eigene Nachdenken und die Muͤhe, aus
Grundſaͤtzen zu ſchließen gar wohl entbehren.
KEnd-
[146]Theil I. bis Juſtinian.
Endlich beſchaͤfftigten ſich ſeit Conſtantin die
thaͤtigſten und beſten Koͤpfe nicht mehr mit
der Jurisprudenz ſondern mit der Theologie,
denn dieſe ſchien ſich in dieſer und in jener
Welt weit beſſer zu belohnen. Kurz man
ſollte eigentlich eher fragen, wie es kam, daß
das Roͤmiſche Recht noch ſo lange ſich bluͤ-
hend erhielt, als warum es endlich, wie alle
andre Wiſſenſchaften und Werke des Ge-
ſchmacks, in dem undankbaren Boden, zu der
Zeit da nur Biſchoͤfe und Verſchnittene Mi-
niſter wurden, verwelkte. Viele guͤnſtige
Umſtaͤnde hatten zuſammengewirkt, es noch
bisher zu erhalten, faſt alle Umſtaͤnde tru-
gen in der folgenden Periode dazu bey, es zu
unterdruͤcken.


Vierte Periode,
von
Alexander Sever bis Juſtinian
Jahr Roms 1000 — 1300,
nach Chriſtus 250 — 550.


§. 129.


So elend die Quellen fuͤr dieſe Periode
ſind, ſo angenehm iſt es unter den
Bear-
[147]Periode 4. Quellen.
Bearbeitern Gibbon’s hiſtory of the decline
and Fall of the Roman empire
und die be-
ſten Werke uͤber die Kirchengeſchichte anfuͤh-
ren zu koͤnnen.


Quellen des Rechts.


§. 130.

In den 50 erſten Jahren dieſer Periode
wechſeln die Kaiſer ſo ſchnell, daß die-
ſes allein hinreichend geweſen waͤre, man-
ches in Verwirrung zu bringen, und doch
waren uͤberdieß meiſt noch zu gleicher Zeit
mehrere Auguſte neben einander und ſogar
gegen einander. Die Regierung von Ma-
ximin
, den beyden Gordianen, und von
Maximus und Balbinus ſind nur voruͤber-
gehend, aber Gordian 3 regiert wieder vol-
le ſechs Jahre. Nicht viel kuͤrzer, aber viel
ſchlechter regiert, Philipp, der Roms zehn-
tes Jubileum feyerte. Decius blieb bald
gegen die Gothen, und nach dem ſchnellen
Sturze von Gallus und ſeinen Collegen,
ward zwar Valerian von Senate anerkannt,
aber bey weitem nicht von allen Souverneuren.
Ihrer warfen ſich ſo viele zu Kaiſern auf,
daß man den Nahmen der 30 Tyrannen,
was die Zahl betrifft nicht ganz ſo ungluͤck-
K 2lich,
[148]Theil I. bis Juſtinian.
lich, wie in jeder andern Ruͤckſicht, auf ſie
anwendete. Gallien ließ ſeinen Vater in
der Perſiſchen Sclaverey ſterben, und re-
gierte 7 Jahre allein, wie er 7 Jahre mit
ihm regiert hatte. Auf Claudius folgte
Aurelian, der Ueberwinder der Zenobia.
Viel gelinder und menſchlicher, als er, wuͤr-
de wohl Tacitus regiert haben; ihn erſetz-
te Probus ziemlich, auf welchen, nachdem
Carus und ſeine Soͤhne Carin und Nu-
merian
abgetreten waren, endlich wieder ei-
ne bleibende Regierung folgte, die in man-
cher Ruͤckſicht Epoche macht.


§. 131.

Diocletian naͤhmlich iſt der erſte Kaiſer,
der orientaliſche Etiquette an ſeinem Hofe
bleibend einfuͤhrte; er ließ die Praͤtorianer
eingehen und erhob die Jouiani und Hercu-
liani
an ihre Stelle; er nahm nicht nur ei-
nen Collegen in der Perſon Maximians,
ſondern auch zwey Unterkaiſer und Thronfol-
ger (Caeſares) Galerius und Conſtantius
ab, und mit dieſen theilte er die Geſchaͤfte
nach den Provinzen; er entfernte ſich von
Rom, und waͤhrend daß er in Nicomedien
reſidirte, erwaͤhlte ſein College Mayland;
endlich gab er das erſte Beyſpiel eines Au-
guſts, der die Krone ganz niederlegte. Se-
verus
[149]Periode 4. Quellen.
verus und Maximin, Maxentius und
Licinius regieren in mannichfaltigen Combi-
nationen mit den vorigen Caͤſaren, mit dem
Ex- Auguſte Maximian und mit dem, der
endlich ſie alle uͤberlebt oder uͤberwindet, mit
dem, durch welchen die chriſtliche Religion
herrſchend und bald auch verfolgend wird,
mit Conſtantin.


§. 132.

Wer weiß es nicht, daß er NeuRom,
oder Conſtantinopel baute, in einer Lage die
fuͤr die Hauptſtadt der Welt nicht beſſer ge-
waͤhlt werden konnte, naͤher der Grenze, wel-
che damahls, ſeitdem das Parthiſche Reich
durch das Neu-Perſiſche geſtuͤrzt war, weit
mehr ausgeſetzt ſchien, als die, von welcher
die Sieger nachher einbrachen? Die Roͤmi-
ſche Sprache und das Roͤmiſche Recht muß-
ten darunter leiden, das Roͤmiſche Recht
mußte nun ſchneller als ſonſt aufhoͤren, Roͤ-
miſches
Recht zu ſeyn, ſchneller als ſonſt
mehr dem vermeynten Vernunftrechte ſich
naͤhern, denn die Reſidenz war in einer Grie-
chiſchen Provinz, die neue Religion, von
nun an fuͤr den Kaiſer die Hauptſache, kam
aus griechiſchen Provinzen. Der Senat in
Rom verlor nun vollends allen Einfluß, ſie
waren ja Heyden, und wenn Rom noch im-
K 3mer
[150]Theil I. bis Juſtinian.
mer die groͤßte Stadt im Reiche war, ſo
lag dieſe nun doch in einer Provinz, und
gar nicht in der wichtigſten, ſondern in der,
welche am meiſten entvoͤlkert, doch ihre Ein-
wohner nicht naͤhren konnte. Der Senat in
Conſtantinopel war folgſamer; faſt alle ſeine
Mitglieder nahmen die Religion an, welche
ohne die Lehre vom paſſiven Gehorſam ſich
ſchwerlich ſo lange unter dem Drucke erhal-
ten haͤtte, und welche Einbildungskraft ge-
hoͤrte nicht dazu, dieſe [Verſammlung] fuͤr
dieſelbe zu halten, deren erſte Bevollmaͤchtig-
ten die Antonine hatten ſeyn wollen, oder
gar fuͤr dieſelbe, welche ehemahls ſo manchen
Koͤnig gemacht oder geſtuͤrzt hatte! — Con-
ſtantin
behielt die Eintheilung des Staats
bey, welche Diocletian gemacht hatte, aber
jeder der Theile ſtand nur unter einem prae-
fectus praetorio,
dem ſogar das Commando
der Truppen entzogen ward, um 30 kuͤnſti-
ge Tyrannen unmoͤglich zu machen. Er er-
nannte Patricier, als eine blos perſoͤnliche
Wuͤrde, mit welcher zwar oft, aber nicht
immer, auch ein Gouvernement verbunden
war. Sein Hofſtaat glich immer mehr der
Pracht eines orientaliſchen Deſpoten: der
Intendant des erſten Auguſts war ein Frey-
gelaſſener geweſen, jetzt ragte der quaeſtor
palatii
uͤber die meiſten Generale und Mini-
ſter
[151]Periode 4. Quellen.
ſter hervor, und es waͤhrte nicht ſehr lange
bis die Stelle des praepoſitus ſacri cubiculi
zu den allererſten im Staate gehoͤrte. Eine
Folge der Pracht die bey Hofe herrſchte,
waren wohl die neuen Abgaben, deren eini-
ge z. B. das aurum luſtrale die Induſtrie ſo
gedruͤckt haben ſollen.


§. 133.

Erſt kurz vor ſeinem Tode nahm Conſtan-
tin die Taufe an, und wenn man die Vor-
urtheile ſeines Zeitalters und die Flecken ſei-
nes Characters kennt, ſo muß man es aller-
dings billigen, daß er recht ſicher gehen woll-
te. Aber ſchon als Catechumen hatte er ei-
ne neue Branche von Geſetzgebung entdeckt,
womit alle ſeine Nachfolger ſich weit mehr
und eifriger beſchaͤfftigten, als Auguſt ſich
mit der Bevoͤlkerung und dem Flore des
Reichs beſchaͤfftigt hatte. Es war nicht ge-
nug, die chriſtliche Religion zur herrſchenden
und bald beynahe zur einzigen zu machen;
noch wichtiger war es feſtzuſetzen, welche
Meynungen man haben muͤſſe, um bey der
chriſtlichen Religion nicht noch mehr Gefahr
zu laufen, als bey der heidniſchen. Einen
Anhaͤnger der alten Gebraͤuche des Landes
dultete man viel eher, als einen Ketzer, aber
wer gerade unter dieſer Regierung das Recht,
K 4ſei-
[152]Theil I. bis Juſtinian.
ſeine Gegner als Ketzer zu verfolgen genießen,
wer in Hoffnung beſſerer Zeiten ſich von den
ſogenannten Rechtglaͤubigen verfolgen laſſen
ſollte, — dieß entſchied nicht immer der
Kaiſer fuͤr ſich, ſondern meiſt ein Senat von
Biſchoͤfen, und kein Menſch ſtieß ſich daran,
daß ſo was vorgeſchrieben ward, denn fuͤr
ein entnervtes Zeitalter iſt freye wiſſenſchaft-
liche Unterſuchung ſo laͤſtig in jedem Zweige
der menſchlichen Erkenntniß, als fuͤr ein
ſchwaches Individuum. Weit weniger wich-
tig ſchienen nicht nur faſt dem ganzen Zeit-
alter, ſondern waren auch ſchon allein des-
wegen die nicht theologiſchen Gegenſtaͤnde der
Regierung, und die Zweifel oder Streitig-
keiten der Rechtsgelehrten. Dieſe entſchied
der Kaiſer allein, und von nun an erſt iſt
beynahe jede conſtitutio eine Verordnung,
waͤhrend daß ſelbſt Diocletian faſt immer nur
erklaͤrt hatte, was, ſeiner Einſicht nach,
ohnehin Rechtens (manifeſti juris) ſey. Con-
ſtantin
verbot die alte Landesreligion, aber
ohne ſie gleich auszurotten, er befahl die Fey-
er des Sonntags, er geſtattete die Kirchen
im Teſtamente zu bedenken, und in den Kir-
chen Sclaven frey zu laſſen, er ſchraͤnkte den
Concubinat ein, und ſuchte, durch die Vor-
theile der vaͤterlichen Gewalt, zur Verwand-
lung deſſelben in eine vollkommene Ehe zu be-
wegen
[153]Periode 4. Quellen.
wegen. Die Fechterſpiele ſollten aufhoͤren,
und die Einſchraͤnkung der Veraͤuſſerung von
Pupillenguͤtern ward auf alle liegende Gruͤn-
de, und ſelbſt auf koſtbare bewegliche Dinge
ausgedehnt. Eine Folge und ein Beweis
des Drucks durch die neuen Abgaben ſind
die Verordnungen uͤber den Verkauf der neu-
gebornen Kinder, uͤber das was dem Land-
manne duͤrfe weggenommen werden, vielleicht
auch uͤber die lex commiſſoria.


§. 134.

Die drey Soͤhne Conſtantins, Con-
ſtantin, Conſtans
und Conſtantius wer-
den oft verwechſelt, und die Aehnlichkeit in
ihren Nahmen iſt kaum groͤßer, als die
Aehnlichkeit ihrer ſchwachen, argwoͤhniſchen
und theologiſirenden Regierungen. Der letz-
tere, der anfangs nur den Orient erhalten
hatte, blieb allein uͤbrig, aber er war ein
Arianer und verdient alſo kein Mitleiden,
daß er auf dem Zuge gegen den Ueberwin-
der der Deutſchen ſtarb. Die erneuerten Be-
fehle gegen die alte Religion ſollen den Nah-
men pagani veranlaßt haben, und die Stel-
le von Conſtantius II. 58. conſt. 1. wird an-
gefuͤhrt um die Epoche zu beſtimmen, von
welcher an die genaue Beobachtung herge-
brachter Ausdruͤcke unnoͤthig geworden ſey.
K 5Aber
[154]Theil I. bis Juſtinian.
Aber wahrſcheinlich kam dieſe Zeile nur ge-
legentlich vor, und der Kaiſer erinnerte ei-
nen Gouverneur nur an das, was nach dem
ganzen Geiſte des Zeitalters, zumahl in
Aſien, ſich von ſelbſt zu verſtehen ſcheinen
mußte.


§. 135.

Julian der Neffe Conſtantins war ein
Gegner der chriſtlichen Religion, vielleicht
weil es die Religion ſeiner Verfolger gewe-
ſen war, vielleicht aus Eitelkeit, aber ge-
wiß aus Aberglaube. Daß er ſeine Meynung
ausbreiten wollte, kann niemand, ohne in-
conſequent zu ſeyn, an ihm tadeln, wer die
Verordnungen Conſtantins fuͤr die ſeinige
lobt, und daß ſelbſt Julians, des gelehr-
ten und tapfern Julians Meynung ſo un-
vernuͤnftig war, iſt ein deutlicher Beweis,
wie viel mehr das Zeitalter auf das Chri-
ſtenthum, als dieſes auf jenes nachtheiligen
Einfluß gehabt hatte. Julian konnte die
Erfahrung nicht vollſtaͤndig machen wie we-
nig ſich durch Befehle erzwingen laſſe, was
in der gedruͤckten Kirche von ſelbſt entſtanden
war, z. B. Armenanſtalten und Unterricht
der Jugend; er blieb nicht ganz zwey Jahre
nach dem Tode ſeines Vetters gegen die
Perſer.


§. 136.
[155]Periode 4. Quellen.
§. 136.

Die Familie Conſtantins war nun wie-
der erloſchen, und Jovian ſtarb bald nach
dem erſten Frieden, worin die Grenzen des
Reichs verengt wurden. ValentinianI. und
ſein Bruder Valens, dem Eutrop ein ſo
naives Compliment macht, zeichnen ſich etwa
durch ihre Grauſamkeit aus. Letzterer re-
gierte mit ſeinen Neffen Gratian und Va-
lentinian
II. bis in der Schlacht bey Adria-
nopel, die er gegen die Gothen verlor, die
Kirche von dem Arianer befreyt ward, und
bis Theodos den Thron beſtieg, um das
Reich zu retten. Theodos, der zuletzt nach-
dem er mehrere voruͤbergehende Gegenkaiſer
uͤberwunden hatte, allein regierte, und ſeine
Soͤhne zu Mitregenten annahm, Theodes,
der orthodoxe und folgſame Verehrer der Bi-
ſchoͤfe, verdient den Beynahmen des Großen
in keiner Ruͤckſicht beſſer, als wenn man ihn
mit ſeinen Nachfolgern vergleicht, denn eine
ſolche Reihe der duͤrftigſten Regenten, die
nun im Oriente den Feinden des Reichs die
ſchoͤnſten Provinzen und Rom ſelbſt preiß
geben ließen, — eine ſolche Reihe von Re-
genten, deren Nahmen nur dazu dienen wuͤr-
de, die Zeitrechnung zu beſtimmen, wenn
ihre Guͤnſtlinge nicht ſo viele Conſtitutionen
uͤber Rechtsſaͤtze gemacht haͤtten, — eine
ſolche
[156]Theil I. bis Juſtinian.
ſolche Reihe von Regenten, wo immer der
Nachfolger noch ſchwaͤcher war, als ſein aͤuſ-
ſerſt ſchwacher Vorgaͤnger, — iſt ein ſelte-
nes Schauſpiel in der Geſchichte.


§. 137.

Die Theilung des Reichs zwiſchen Ar-
cadius
und Honorius, zwiſchen dem Muͤn-
del von Rufinus und dem von Stilicho iſt
keine ſehr wichtige Epoche, denn getheilt
ward ſchon vorher ſehr oft eben ſo, und ei-
ne Theilung auf ewig war auch dieſe nicht.
Auf Arcadius folgte ſein Sohn Theodos
der Juͤngere
, und dieſer konnte, als ſein
Oheim, der Moͤrder Stilicho’s, den Ala-
rich
dafuͤr gezuͤchtigt hatte, ſtarb, ſeinen ei-
genen Schwiegerſohn Valentian 3 zum Au-
guſt im Occident machen. Beyde veranſtal-
teten eine authentiſche Sammlung der Con-
ſtitutionen der chriſtlichen Kaiſer d. h. der
Kaiſer, deren Conſtitutionen nicht mehr meiſt
nur Urtheile des hoͤchſten Richters waren.
Die aͤltern ſtanden ſchon in zwey Sammlun-
gen, (Codex Gregorianus und Hermogenia-
nus
) die wahrſcheinlich von Zeitgenoſſen Con-
ſtantins
gemacht worden waren, ohne hoͤ-
hern Befehl, weil es keinen braucht um Ur-
kunden zuſammen abzuſchreiben, die man
bisher einzeln abgeſchrieben hat. Auch der
Co-
[157]Periode 4. Quellen.
Codex Theodoſianus ſollte eine bloße Samm-
lung ſeyn und die Compilatiren nahmen ſich
nicht mehr Freyheit, als wohl jeder Compi-
lator ſich erlaubt, der nicht alles in extenſo
abſchreibt; ſie kuͤrzten ab, und machten aus
einerconſtitutio ſo viele Stuͤcke als ſie
glaubten zum bequemen ſyſtematiſchen Ordnen
noͤthig zu haben. 438 ward dieſe Samm-
lung in 16 Buͤchern fertig, wovon nur etwa
das 2te bis 5te eben die Gegenſtaͤnde, wie
das Praͤtoriſche Edict behandeln, ſie iſt ſtu-
fenweiſe durch die Bemuͤhungen von Si-
chard
, du Teil und Cujas faſt ganz wieder
hergeſtellt, und die Ausgabe, welche der
juͤngere Godefroi ausarbeitete und Mar-
ville
beſorgte, Ritter aber noch mit Zu-
ſaͤtzen bereicherte, iſt ganz ſo, wie ſie ſeyn
mußte, um dieſe Quelle der Geſchichte und
des Rechts fuͤr alle, die ſie brauchen wollen,
recht brauchbar zu machen.


§. 138.

Durch den Codex Theodoſianus war
nur eine Entſcheidungsquelle etwas be-
richtigt, aber die Rechtsſaͤtze, die nicht auf
Conſtitutionen beruhten, haͤtten noch wie vor-
her wiſſenſchaftlich bewieſen werden ſollen,
und wurden es durch bloßes Citiren, weil
man ſchon damahls Autoritaͤten bequemer
und
[158]Theil I. bis Juſtinian.
und ſicherer fand, als Gruͤnde. Ungluͤckli-
cherweiſe wichen aber die Autoritaͤten oft von
einander ab, wie dieß wohl bey allen Schrift-
ſtellern uͤber Wiſſenſchaften der Fall ſeyn
wird, und dann behauptete der Gegner auch
ſehr oft, das Citat ſey vtelleicht unaͤcht, das
Original gar zu alt, und durch die immer
unwiſſendern Abſchreiber gar zu oft veraͤn-
dert. Wahrſcheinlich hatten ſchon vorher-
gehende Kaiſer hierauf Ruͤckſicht genommen,
aber die wichtigſte Verordnung hieruͤber im
Codex Theodoſianus I. 4. conſt. vn. iſt von
ValentinianIII. Fuͤnf Claſſiker: Papi-
nian, Paulus, Cajus, Ulpian
und Mo-
deſtin
ſollten citirt werden duͤrfen auf das
Anſehen einer einzigen Handſchrift hin; hin-
gegen die Schriftſteller, welche ſie anfuͤhren,
gelten in andern Stellen nur, wenn mehre-
re Handſchriften uͤbereinſtimmen. Unter die-
ſen iſt Sabinus genannt ganz an der Seite von
Julian. Wenn nun die Meynung jedes an-
gefuͤhrten Claſſikers mit oder ohne Verglei-
chung von Handſchriften klar iſt, und ſie wei-
chen unter ſich von einander ab, ſo ſollen die
receptae ſententiae von Paulus immer be-
folgt werden, weil ſie nur ausgemachtes
Recht enthalten; entſcheiden dieſe nicht ſo
zaͤhlt man nicht die Stellen, ſondern die Au-
toren, ihre Majoritaͤt entſcheidet, bey glei-
chen
[159]Periode 4. Quellen.
chen Stimmen gibt Papinian den Aus-
ſchlag; ſonſt ſteht es dem Richter frey, wel-
cher Meynung er beytreten will, [nur] die No-
ten von Ulpian oder Paulus uͤber Papi-
nian
gelten gar nicht a). Dieſer Verord-
nung merkt man das fuͤnfte Jahrhundert an,
ſie war eine Folge des tiefen Verfalls der
Litteratur und des Roͤmiſchen Rechts, das,
noch hundert Jahre weiter ins Mittelalter
hinein, die hoͤchſte Stufe der Vollkommen-
heit erreicht haben ſoll.



§. 139.

Von den beyden Kaiſern, deren Nah-
men dieſe Verordnung traͤgt, von dem Kai-
ſer Martian im Orient, von Majorian,
Severus
und Anthemius im Occident ſind
auch Verordnungen vorhanden, welche in
Ruͤckſicht auf den Codex Theodoſianus neu
ſind, und Nouellae Conſtitutiones oder kurz
Nouellae heißen. Die Kaiſer in Ravenna
waren ein Spiel der Deutſchen, welche als
Feinde oder als Miethſoldaten ſo lange die-
jenigen abſetzten, welchen ſie ſelbſt oder der
Griechiſche Hof die Krone gegeben hatten,
bis endlich um 476 Odoaker der Meynung
war, wenn er Koͤnig ſey, ſo brauche man
keinen andern Kaiſer, als den in Conſtanti-
nopel.


§. 140.

Alle abendlaͤndiſchen Provinzen, ſelbſt
Italien nicht ausgenommen, das unter der
Anfuͤhrung der Roͤmer die Welt ſich unter-
worfen hatte, waren nun von Deutſchen ero-
bert und wurden von Deutſchen regiert. Die
Menſchen, welche nun bey einander wohnten
machten den ſeltſamſten Contraſt; die alten
Einwohner (Romani) hatten alle Stufen der
Cultur durchlaufen und waren eben deswe-
gen
[161]Periode 4. Quellen.
gen ſo entnervt, als je eine Nation geweſen
iſt; die Eroberer (Barbari) brachten ihre al-
te Tapferkeit, aber auch faſt ganz ihre alte
Roheit und Unwiſſenheit mit. Unmoͤglich
konnten ſo ſehr verſchiedene Menſchen in po-
litiſcher und juriſtiſcher Ruͤckſicht einander
gleich geſetzt werden, ehe die Zeit und der
taͤgliche Umgang ſie veraͤhnlicht, die Roͤmer
noch unwiſſender aber ſtaͤrker, die Barba-
ren laſterhafter aber etwas cultivirter ge-
macht hatte. Anfangs war es wenigſtens
eben ſo weſentlich zu wiſſen, ob jemand ein
Gothe oder ein Roͤmer ſey, als zu welchem
Geſchlechte man gehoͤre; nachher wurden es
zwey verſchiedene Staͤnde, die man ſich waͤhl-
te wie man den geiſtlichen oder den weltlichen
Stand ſich waͤhlt, der jure Romano viuens
war nicht in allen Stuͤcken ſchlechter, als der
jure Salico viuens, und am Ende amalga-
mirte ſich das Recht, im ganzen Umfange
des Worts, wie die Sprache, die Religion,
und die Sitten. Von dieſen Beſtandthei-
len bekam keiner das Uebergewicht ganz, es
war ja auf der einen Seite zwar das Recht
und die Sprache des Siegers, der herrſchen-
den gluͤcklichen Nation, aber das Recht und
die Sprache der Ueberwundenen war aus-
gebildeter und geſchrieben, es war das Recht
und die Sprache bey weitem des groͤßern,
Lzahl-
[162]Theil I. bis Juſtinian.
zahlreichern einheimiſchen Theils der Mi-
ſchung, und beydes war endlich der Reli-
gion, welche die Sieger ſchon angenommen
hatten oder doch gleich annahmen, viel gemaͤß-
er.


§. 141.

Sehr natuͤrlich mußte das Roͤmiſche
Recht, welches mit dem Deutſchen kaͤmpfte,
dasjenige ſeyn, welches die Roͤmer zuletzt
gehabt hatten, alſo die 3 Sammlungen von
Conſtitutionen und die Schriften beſonders
der ſpaͤthern Claſſiker. Aber wenn ſchon zu
Anfang des fuͤnften Jahrhunderts, ſchon un-
ter ValentinianIII. der Verfall der Littera-
tur eigene Maaßregeln noͤthig gemacht hatte,
ſo konnte es nun wohl nicht anders kommen,
als daß man unter einem Gothiſchen Koͤnige
im ſechsten Jahrhundert das dringendſte Be-
duͤrfniß fuͤhlte, die Quellen des Studiums
reducirt, und die Sprache der Claſſiker durch
Ueberſetzungen in damahls gangbares Latein
erlaͤutert zu haben. Dazu gab Koͤnig Ala-
rich
in Toulouſe einem Gojaricus Comes den
Auftrag, aber der arme Gojarich hat nicht
nur die Ehre, ſeinem Auszuge den Nahmen
zu geben, an den Canzler Anian verloren,
ſondern kein Menſch denkt [auch] nur daran,
vielleicht blos weil Gojarich ſelbſt nicht dar-
an dachte, von ihm oder ſeinem Koͤnige zu
ruͤh-
[163]Periode 4. Quellen.
ruͤhmen, daß durch ſie ausgefuͤhrt worden
ſey, was Cicero, Caͤſar und Pompejus ver-
geblich gewuͤnſcht haͤtten, wie von ihren juͤn-
gern Zeitgenoſſen Juſtinian und Tribonian
beynahe in allen Compendien geruͤhmt wird.
Es war daſſelbe Beduͤrfniß und man ſchlug
denſelben Weg ein: auch Gojarich ſorgte
fuͤr das Practiſche und nicht fuͤr die Gelehr-
ſamkeit, auch er verbeſſerte die Claſſiker ſo
gut er es verſtand. Daß er nicht ganz ſo
viele vor ſich hatte, als Tribonian, ſetzt ihn
noch nicht ſo ſehr zuruͤck, denn auch dieſer
hatte wahrſcheinlich nicht alle, die er citirt,
und ſonſt unterſcheidet ſich Gojarich nur
durch die Interpretation, die wohl kein Feh-
ler iſt, und durch die Sorgfalt, jeden Schrift-
ſteller beyſammen zu liefern. Es iſt merk-
wuͤrdig, aber ſehr erklaͤrbar, daß auch hier
das gewoͤhnliche Compendium, die Inſtitu-
tionen von Cajus, am meiſten verbeſſert
oder doch veraͤndert wurden. Auf allen Fall
verdient Gojarich wohl den Dank eines je-
den, der nicht die Claſſiker uͤber Juſtinian ver-
gißt; und wer weiß, ob wir nicht eher den
Griechiſchen als den Gothiſchen Compilator
miſſen koͤnnten, wenn letzterer ſo vollſtaͤndig,
als jener, auf uns gekommen waͤre. Min-
der wichtig iſt die Burgundiſche Sammlung,
L 2wel-
[164]Theil I. bis Juſtinian.
welche von dem erſten Excerpte Papiani (Pa-
piniani) responſa
heißt.


  • Interpretatioad C. Th. I. 4. conſt. vn. ‒ ‒
    Scaeuola, Sabinus, Julianus atque Marcel-
    lus in ſuis corporibus non inueniuntur,
    ſed in praefatorum opere tenentur inſer-
    ti. ‒ ‒ Sed ex his omnibus juris conſulto-
    ribus, ex Gregoriano, Hermogeniano, Gajo,
    Papiano \& Paulo quae neceſſaria cauſis
    praeſentium temporum videbantur, elegi-
    mus.
    Von Ulpian iſt gar keine Rede.

§. 142.

Waͤhrend der Revolutionen im ehemah-
ligen abendlaͤndiſchen Reiche, und wahrſchein-
lich eben deswegen, weil der Sturm dieſes
traf, hatten die Kaiſer in Conſtantinopel
Muße, juriſtiſche und theologiſche Geſetze zu
machen. [Auf]TheodosII war Martian,
der TitularGemahl Pulcheriens gefolgt;
nach 6 Jahren kam LeoI.aus Thrazien
an ſeine Stelle, der befahl, wer kein catho-
liſcher Chriſt ſey, ſollte auch nicht advociren
duͤrfen. Eben ſo lange, als er, d. h. 17
Jahre regierte Zeno, anfangs als College
ſeines Sohns Leo’sII, dann 27 Jahre
Anaſtas, deſſen Finanzen wenigſtens ſehr
gut waren. Nach ſeinem Tode erkaufte mit
fremden Gelde ein Thrazier JuſtinI. den
Thron. Er hob die Geſetze gegen die Miß-
hey-
[165]Periode 4. Quellen.
heyrathen auf, als ſeiner Schweſter Sohn,
der ſein Nachfolger ward, im 40ſten Jah-
re die Tochter eines der Leute bey der Thier-
hetze ſich zur Gemahlinn erwaͤhlte. Dieß iſt
Juſtinian unſer großer Geſetzgeber, von
deſſen langer Regierung von 527 — 565 ſo
viele Geſetze im CorpusJuris, und ſo viele
Rechtsgelehrte, alles moͤgliche Gute ſagen,
daß es kaum erlaubt iſt, an die abweichen-
den Nachrichten gleichzeitiger Schriftſteller,
und an das Urtheil der juriſtiſchen Ketzer und
der nicht juriſtiſchen Hiſtoriker zu erinnern.


§. 143.

Uprauda, ſo hieß er mit ſeinem erſten
Nahmen, war der Sohn eines Illyriſchen
Bauers, aber dieß hatte auf ſeine Erzie-
hung keinen Einfluß. Vermuthlich ſorgte
ſein Oheim, ſchon damahls einer der erſten
Officiere, dafuͤr, daß Uprauda oder Ju-
ſtinian
alles lernte, was man damahls zu
einem Gelehrten von Stande erforderte, und
wahrſcheinlich las er eben ſo lehrbegierig theo-
logiſche Polemiken, als er die Vorleſungen
uͤber ſeinen Cajus anhoͤrte. Es that ihm
wehe, wenn der Profeſſor ſich mit dem leidi-
gen alten Rechte aufhielt, und im vſus mo-
dernus
ſagte, dieß ſey alles unbrauchbar;
es that ihm wehe, auch wenn man es uͤber-
L 3ſchlug,
[166]Theil I. bis Juſtinian.
ſchlug, denn wofuͤr ſtand es im Compendium,
und warum machte man den alten Plunder
nicht ganz entbehrlich? Wie er dieß auszu-
fuͤhren ſuchte, als er Kaiſer ward, werden wir
gleich ſehen, jetzt fuͤrs Erſte die nicht-juri-
ſtiſchen Begebenheiten ſeiner Regierung.


§. 144.

Er ließ ſeiner Gemahlinn ſchwoͤhren,
wie ſich ſelbſt, und wenn Theodora gleich,
als Befoͤrderinn der Ketzerey, einen uͤblen
Nahmen hat, ſo verdiente ihr Muth im
Nika-Tumulte dieſe Belohnung; denn ſie
war es, die den Kaiſer rettete, als er aus
Furcht vor der zur Verzweiflung getriebenen
gruͤnen Faction fliehen wollte. Dieß iſt frey-
lich nicht die glaͤnzendſte Stelle in Juſtinians
Leben und der ſchreckliche Druck mit Aufla-
gen war noch trauriger, als Erdbeben und
Peſt. Dagegen verewigte ſich aber auch der
Kaiſer durch die noch jetzt bewunderte So-
phienkirche, und durch eine Menge Feſtungen
an der Grenze. Sein Gluͤck gegen auswaͤr-
tige Feinde iſt faſt unerklaͤrbar, denn blin-
des Gluͤck, ſelbſt nur im Auffinden mehrerer
großen Feldherren hinter einander, muß man
ſo ſelten als moͤglich annehmen, und Juſti-
nian
aͤrndete doch auch eben nicht was ganz
vortreffliche Regenten vor ihm geſaͤet gehabt
haͤt-
[167]Periode 4. Quellen.
haͤtten. Der elende Zuſtand der Staaten,
die er erobern ließ, that freylich ſehr viel,
denn CosroesI oder Nushirvan erhielt doch
in jedem Frieden Tribut, aber es waͤre un-
gerecht daraus dem Kaiſer einen Vorwurf
zu machen, der weder wenn er ſchlug, noch
wenn er geſchlagen ward, ſich perſoͤnlich bey
der Armee befand. An dem kurzen gluͤckli-
chen Kriege gegen die Vandalen, und an dem
hartnaͤckigen gegen die Oſtgothen, wodurch
znm letzten mahle der Roͤmiſche Kaiſer Herr
von Rom und Carthago ward, hatte Ju-
ſtinian
nicht einmahl allen den Antheil,
welchen er, ſeiner Entfernung ungeachtet,
haͤtte haben koͤnnen, und Beliſars uner-
ſchoͤpfliches Talent, Huͤlfsquellen zu entdek-
ken, ſeine raſtloſe Thaͤtigkeit, Rebellionen
zu daͤmpfen, wuͤrde ſich weniger glaͤnzend aus-
zeichnen, wenn er von ſeinem Hofe z. B. bey
der Belagerung Roms durch die Gothen beſ-
ſer unterſtuͤtzt, wenn die neue Eroberung
durch habſuͤchtige Gouverneurs weniger miß-
handelt worden waͤre. Schon im Novem-
ber 533 konnte Juſtinian ſich Vandalicus
nennen, aber Gothicus beruhte noch auf bloſ-
ſen Projecten und Hoffnungen, und wie konn-
te er ſchon damahls auch nur hoffen, daß nach
zwanzig Jahren der Sieg bey Caſilinum,
L 4den
[168]Theil I. bis Juſtinian.
den Narſes erfocht, ihm einiges Recht zu
Francicus und Alemannicus geben wuͤrde?


§. 145.

Die Eroberungen der Generale Juſti-
nians
muͤßten ſeine Regierung fuͤr Hiſtori-
ker wichtig machen, aber daß auch Perſo-
nen, die von der Geſchichte ſonſt ſo wenig
wiſſen, doch ſeinen Nahmen mit Ehrfurcht
nennen, kommt daher, weil unter ihm die
Sammlungen gemacht wurden, woraus wir
jetzt das Roͤmiſche Recht am meiſten ſtudie-
ren ſollten, und oft ganz allein, mit Zuruͤckſet-
zung reinerer Quellen, ſtudieren. Eben die
Urſachen naͤhmlich, welche ValentiniansIII.
Citirgeſetz veranlaßt, und welche das Breuia-
rium Alaricianum
noͤthig gemacht hatten,
wirkten noch jetzt: Verfall der Litteratur
uͤberhaupt und des Roͤmiſchen Rechts insbe-
ſondre, die Seltenheit der claſſiſchen Werke,
und die Ungewißheit bey ihrer Anwendung,
nach ſo vielen Conſtitutionen der Kaiſer ſeit
Conſtantin, und bey dem Abſtande, den
man in ſo vielfacher Ruͤckſicht zwiſchen der
Lage des Volks, bey welchen dieſes Recht
ſich gebildet hatte, und des Volks, welches
nun darnach leben ſollte, findet. Die aͤltere
ConſtitutionenSammlung war 200 Jahre,
die neuere 100 Jahre alt; war es nicht eine
Idee,
[169]Periode 4. Quellen.
Idee, die bey einiger Thaͤtigkeit mehr als
einem Privatſchriftſteller haͤtte kommen ſol-
len, aus dieſen Sammlungen das Brauch-
bare, um dieſes bekuͤmmerte man ſich da-
mahls doch allein, herauszuheben und durch
die ſpaͤthern Verordnungen zu ergaͤnzen?
Juſtinian war kaum 6 Monathe Kaiſer,
als er zu einem ſolchen Werke den Befehl
gab. Vier Patricier, vier der vornehmſten
Juſtizbedienten und zwey Advocaten ſollten es
verfertigen, unter dieſen hatte Tribonian
nicht den erſten, ſondern den ſechsten Platz.
Er, deſſen Nahmen ſo bekannt iſt, als der
Nahme Juſtinians, vereinigte mit der Ge-
lehrſamkeit eines Polyhiſtors, mit der ſchoͤn-
ſten juriſtiſchen Bibliothek im ganzen Reiche,
nicht nur die Gabe, bey ſeinen Herrn ſich be-
liebt zu machen, ſondern, wenn dazu ſeine
ganz unglaubliche Schmeicheley hingereicht
haͤtte, auch die Kunſt, ſeine Mitbuͤrger durch
Herablaſſung mit ſeiner niedertraͤchtigen Hab-
ſucht beynahe auszuſoͤhnen, darin ganz das
Gegentheil ſeines Collegen Johanns von
Cappadocien,
der zugleich mit ihm beym
Nikatumult abgeſetzt werden mußte. Haͤtte
Tribonians Entfernung laͤnger gewaͤhrt, ſo
wuͤrden wir vielleicht weniger Verordnungen
Juſtinians haben, die nicht blos aus Un-
L 5wiſ-
[170]Theil I. bis Juſtinian.
wiſſenheit, ſondern ſelbſt abſichtlich zweydeu-
tig und unbillig ſind.


§. 146.

Daß Juſtinian ſeinen Leuten erlaubte,
nach Willkuͤhr an den Conſtitutionen der alten
Kaiſer zu aͤndern, hielt er gewiß fuͤr den
groͤßten Beweis, den er von ſeiner Sorgfalt,
nicht dlos ſie zu ſammeln, ſondern auch zu
verbeſſern, geben koͤnnte, und vielleicht wa-
ren in ſeinem ganzen Reiche kaum zwey Ge-
lehrte, denen die Conſtitutioneu auch ohne
Ruͤckſicht auf das Practiſche intereſſant ge-
ſchienen haͤtten. Wie ſchlecht wuͤrde aber
der Hauptzweck Juſtinians, die Eintracht
in der Lehre, der Vortheil, fuͤr welchen er
weit mehr Sinn hatte, als fuͤr wiſſenſchaft-
liche Unterſuchung, wie aͤußerſt ſchlecht wuͤr-
de dieſer erreicht worden ſeyn, wenn nun
den alten unveraͤnderten Editionen ihr gericht-
licher Gebrauch geblieben waͤre? Dieſen ver-
bot er dießmahl, und bey ſeinen nachherigen
Sammlungen, wo immer dieſelben Gruͤnde
eintraten; er drohte die Strafe der Falſarien
jedem, der vor Gerichte von dem, was nicht
von ihm ſelbſt edirt ſey, Notitz nehmen wuͤr-
de, und er fuͤgte dadurch der Litteratur we-
nigſtens mittelbar einen unerſetzlichen Scha-
den zu. Es war gerade eben der Erfolg, wie
wenn
[171]Periode 4. Quellen.
wenn er die aͤchten Schriften haͤtte verbren-
nen laſſen, denn ſeine Zeitgenoſſen ſtudirten
nun die Quellen auch nicht einmahl mehr fuͤr
ſich, was ſie doch ohne Falſum thun durften.


§. 147.

In Zeit von einem Jahre war die Samm-
lung von Conſtitutionen fertig, das Werk,
welches der Kaiſer des Nahmens Codex Ju-
ſtinianeus
wuͤrdig hielt, weil noch nie ein
Codex alles Brauchbare aus den Conſtitutio-
nen vereinigt, und doch nur das Brauchbare,
Nahmen und Datum allein waren eine Zu-
gabe, enthalten haͤtte. Der Kaiſer mochte
ſehen, daß eine ſolche Hercules-Arbeit im
Grunde leichter ſey, als man glauben ſollte,
znmahl da nie ein Schloſſer ihm die Freu-
de verdarb; Er ſelbſt kam auf die Idee,
oder Tribonian, der ſich bey der erſten Ar-
beit ausgezeichnet haben muß, und der keine
Leidenſchaft ſeines Herrn ſo gut benutzen konn-
te, als dieſe Juriſtiſche, brachte ihn darauf,
es ſey gar nichts unmoͤgliches, wenigſtens
unter einer ſo augenſcheinlich vom Himmel
geſegneten Regierung, auch die andern Ge-
ſetze in einen ſolchen vermehrten und verbeſ-
ſerten Auszug zu bringen. So ſehr war die
Latinitaͤt und die Jurisprudenz geſunken, daß
man nun ſchon laͤngſt auch das ein Geſetz
nann-
[172]Theil I. bis Juſtinian.
nannte, was doch in jeder Ruͤckſicht von ei-
ner alten lex ſo weſentlich verſchieden war:
ein Allegat aus einem claſſiſchen Juriſten.
Aus dieſen koͤnnte man ein großes Geſetz
machen, ohne Wiederholungen und ohne Wi-
derſpruͤche, und dagegen muͤßten natuͤrlich die
zwoͤlf Tafeln und das Edictum perpetuum
wahre Kinderſpiele ſeyn. Aber Gehuͤlfen ge-
hoͤrten dazu, und Zeit, und eine ausgedehn-
te Vollmacht, — Tribonian erhielt 16
Rechtsgelehrte, worunter 4 Profeſſoren, aber,
eben nicht zum Ungluͤcke, keiner aus Rom,
und auch nicht der geſchmackloſe Sylbenſte-
cher Priscian, ſich befanden; er erhielt ei-
ne Friſt von 10 Jahren und die Conſtitu-
tion: Deo auctore, welche Valentinians
Citirgeſetz, wenn es damahls noch galt, in
Anſehung der Pluralitaͤt und der Vorrechte
Papinians vernichtete. Die Arbeit ward frey-
lich dadurch ungemein erleichtert, daß man
nicht immer die Quellen ſelbſt, ſondern oft
nur einen Epitomator z. B. Hermogenian
excerpirte, in ſolchen Buͤchern fand man die
Auszuͤge aus Claſſikern ſchon nach den Ma-
terien zuſammengeſtellt, und vielleicht ſchon
mit Weglaſſung mancher Antiquitaͤt. In-
deſſen Juſtinians Leute hatten noch vieles
zu aͤndern, und es iſt keine Eitelkeit des Kai-
ſers, wenn er ſagt, es ſeyen multa \& nu-
me-
[137[173]]Periode 4. Quellen.
meratu non facilia nicht blos abgeſchrieben,
ſondern auch nach beſter Einſicht corrigirt
worden, es iſt aber auch keine leere Einbil-
dung, wenn man von vielen Emblemen Tri-
bonians
ſpricht. Um davon uͤberzeugt zu
ſeyn, darf man nur an die Muͤhe denken,
welche Tribonians Gehuͤlfen ſich gaben und
geben ſollten, alle Spuhren von dominium
Quiritarium,
und alle von den caduca zu ver-
tilgen; man darf nur an die 50, mehr oder
weniger, Deciſionen denken, wozu Juſti-
nian
durch ſeinen treuen Exquaͤſtor Gelegen-
heit erhielt, ſo oft in den Schriften der Claſ-
ſiker etwas aufſtieß, was durch eine recht
prunkvolle [Conſtitution] entſchieden werden
konnte. Die Ehre der kleinern Verbeſſerun-
gen behielt Tribonian doch noch fuͤr ſich.


§. 148.

Dieſe Sammlung von Excerpten, die
denn freylich manchmahl etwas enthielten,
woran der Claſſiker, deſſen Nahmen gerade
uͤber dieſer Stelle ſich findet, nicht gedacht
hatte, obgleich auch das Werk und die Zahl
des Buchs ausgedruͤckt ſind, ward ohngefaͤhr ſo
wie die 12 Tafeln, wie das Edict und wie
ſo mancher Commentar daruͤber geordnet,
Erſt kam die Lehre vom Gerichtsweſen und
Proceß, dann die Contracte, nachher Ehe
und
[174]Theil I. bis Juſtinian.
und Tutel, und auf die ganze Materie von
Verlaſſenſchaften folgt die Theorie des Ei-
genthums. Eine Art von Anhang enthaͤlt,
noch vom Edicte her, die Stipulationen und
Interdicte, und was dort nicht vorkam: das
Criminalrecht und die Appellationsordnung.
Dagegen waͤre nun nichts zu crinnern, denn
theils braucht es keine metaphyſiſche Tabelle,
theils laͤßt ſich dieſe allenfalls doch daraus
machen. Aber Juſtinian begnuͤgte ſich nicht
mit dem von ihm gleich anfangs gegebenen
Befehle, es muͤßten gerade 50 Buͤcher wer-
den, ſondern aus wichtigen Gruͤnden a) ver-
theilte er dieſe wieder in 7 Theile, und um
ſie einander gleich zu machen, ward hier und
da eine Lehre untergeſteckt, ſo daß man jetzt
noch allgemeiner uͤber die Ordnung dieſes
Werkes klagt, als man ſie befolgt. Cujas
lobt ſie zwar ſehr kraͤftig, aber was lobte
Cujas nicht, wenn ſeine Gegner es tadelten
oder beſſer machen wollten?



§. 149.

Weder das Excerpirenlaſſen ſo vieler
Schriften, noch die Entſcheidung ſo mancher
Streitfrage von oben herab, genuͤgte dem
Kai-
[175]Periode 4. Quellen.
Kaiſer” deſſen Eitelkeit in jeder Regentenbe-
ſchaͤfftigung Nahrung fand.” Selbſt das
Compendium fuͤr die erſten Anfaͤnger ſollte
ſein Werk ſeyn, dieß war ſein Project, als
man die ExcerptenSammlung anfing a),
und noch ehe ſie vollendet war, fuͤhrte er es
aus. Auch dieſe Arbeit dirigirte Tribo-
nian;
er hatte zwey Profeſſoren Theophi-
lus,
den Verfaſſer der griechiſchen Para-
phraſe, und Dorotheus unter ſich. Die an-
gehenden Juriſten ſollten nicht nur das Gluͤck
haben, gleich im erſten Jahre uͤber eine con-
ſtitutio,
und nicht blos uͤber einen Claſſiker
zu hoͤren, ſondern ob die Verfaſſer gleich
bey jeder Lehre auch das alte Recht hiſtoriſch
erzaͤhlten, weil ein altes Compendium zum
Grunde lag, ſo ließen ſie doch dasjenige ganz
weg, was gar keinen practiſchen Nutzen hat-
te, weil ſie glaubten fuͤr den erſten Unter-
richt tauge nur das Practiſche, weil nur das
Practiſche ſchon an ſich intereſſire b). Waͤ-
ren zur Zeit von Juſtinian keine Sklaven
mehr geweſen, ſo wuͤrde von dieſen gewiß
nichts in den Inſtitutionen ſtehen, den Fall
ausgenommen, daß erſt der Kaiſer die Skla-
verey abgeſchafft haͤtte, denn die Verſuchung
von ſich ſelbſt zu ſprechen, machte ihn oft ſei-
nem Grundſatze ein wenig ungetreu, und
freylich am Ende ſeiner geſetzgeberiſchen Re-
gie-
[176]Theil I. bis Juſtinian.
gierung war manches Antiquitaͤt, was im
Jahre 533 practiſch war. Die Inſtitutio-
nen ſind nach dem Plane der Claſſiker, der
am meiſten ſyſtematiſch war, gearbeitet, aber
ſie enthalten, den letzten Abſchnitt de publi-
cis judiciis
ausgenommen, nichts als Privat-
recht, die Rechtsgeſchichte und das chriſtliche
Kirchenrecht fehlt ganz, manche Lehre, welche
im Syſteme des alten Recht gar nicht ent-
behrt werden kann, iſt abſichtlich weggelaſſen,
und manche, die noch immer ſehr practiſch
war, iſt vergeſſen z. B. Transaction, Re-
ſtitution, Eid, Zeugen, Urkunden, Appel-
lation, Concurs, das SC. Vellejanum, das
Meiſte von der dos, collatio bonorum, Zin-
ſen, aedilitium edictum, Evictionsleiſtung
u. ſ. w.




§. 150.
[177]Periode 4. Quellen.
§. 150.

Die Inſtitutionen wurden fruͤher fertig,
als die Pandecten oder Digeſten, aber auch
dieſe konnten ſchon 3 Jahre nachdem ſie an-
gefangen worden waren, zugleich mit jenen
confirmirt werden. Um die Wiſſenſchaft
recht zu fixiren, oder um zu machen, daß
ſie keine Wiſſenſchaft mehr ſey, verbot Ju-
ſtinian alle Commentare, damit nicht wieder
das Geſetz unter den Schriften der Gelehr-
ten begraben werde. Er ſorgte fuͤr die Un-
veraͤnderlichkeit ſeines Werks durch Befehle
an alle Abſchreiber; indeſſen erfuhr er doch
ſelbſt, daß es mit der ewigen Dauer aller
menſchlichen Anſtalten nicht ſo leicht gehe,
als mit ihrer Veraͤnderung. Der codex Ju-
ſtinianeus
war noch 529 ſo vortrefflich ge-
weſen; ſchon 534 geſtand Juſtinian, daß
erſt die zweyte Ausgabe, (Codex repetitae
praelectionis)
welche Tribonian, der nun
auch Ex-Conſul heißt, Dorotheus, der zu
ſeinerProfeſſur auch den Character und Rang
als Quaͤſtor erhalten hatte, und drey Ad-
vocaten, beſorgten, ganz vollſtaͤndig und
fehlerlos ſey, und daß, wer die erſte Ausga-
be anfuͤhre, auch als falſarius beſtraft werden
muͤſſe, weil in derſelben viele Conſtitutioneu
fehlten, manche, die er jetzt ſelbſt fuͤr uͤber-
fluͤſſig halte, ſtuͤnden, und weil uͤberhaupt
Mſie
[178]Theil I. bis Juſtinian.
ſie den Pandecten und Inſtitutionen oft wi-
derſpreche.


§. 151.

Ungluͤcklicher Weiſe hat man aber ge-
funden, daß ſelbſt die zweyte Ausgabe, die
voͤllig mit den Pandecten und Inſtitutionen
uͤbereinſtimmen ſollte, hier und da von ih-
nen abweiche, und daß auch Inſtitutionen
und Pandecten unter einander zuweilen unei-
nig ſeyen. Mannichfaltige Regeln hat man
aufgeſtellt, um zu beſtimmen, was vorgehe,
wenn ein Regent bey der Abſicht daſſelbe zu
ſagen, was er ſchon geſagt hat, aus menſch-
licher Schwachheit gerade das Gegentheil er-
klaͤrt. Juſtinian ſelbſt ſagt N. 89. C. 7.
es ſtuͤnden Conſtitutionen im Codex blos we-
gen der alten Proceſſe, und N. 158. C. 1.
ſcheint er doch vorauszuſetzen, daß alles, was
in derſelben Sammlung enthalten ſey, gleiche
Kraft habe. So viel iſt wohl gewiß, daß
eine Abhandlung uͤber die Rangordnung die-
ſer drey Werke nicht das Mittel geweſen waͤ-
re, bey Juſtinian ſich zu empfehlen, ſo we-
nig als eine Abhandlung uͤber die Frage,
ob nun alles lauter Geſetze ſeyen was er hat-
te ſammeln laſſen.


§. 152.

Klar iſt die Abſicht zu aͤndern bey denje-
nigen Verordnungen Juſtinians, welche er
nach
[179]Periode 4. Quellen.
nach geſchloſſenem Corpus juris bekannt mach-
te. Fuͤr ſeine Unterthanen waren dieſe un-
ſtreitig von der groͤßten Wichtigkeit, denn
erſt wenn keine neue Verordnung die Sache
entſchied, galt das aͤltere in den drey Samm-
lungen enthaltene Recht. Aber in Ruͤckſicht
auf ihren innern Werth ſind die Novellen
ſchlechter, als alles vorhergehende, nicht
blos wegen ihrer aͤußerſt ſchwuͤlſtigen Spra-
che, ſondern auch ſchon deswegen weil die feh-
lerhaften Anſtalten darin nicht durch den
Gebrauch und das Nachdenken mehrerer
Jahrhunderte gepruͤft und abgeſchliffen wa-
ren. Bey dieſen Umſtaͤnden kann man ſich
daruͤber troͤſten, daß geſtritten wird ob alle
168 Novellen (nicht alle ſind von Juſtinian,
und nicht alle von Juſtinian ſind darunter be-
griffen) oder nur die 98 gloſſirten bey uns
gelten; ob das griechiſche Original oder die
elende, nur von Cujas gelobte Ueberſetzung
vorgehe; und ob endlich in der Colliſion nicht
die Novelle dem Auszuge daraus, welcher
noch ſpaͤther im Mittelalter gemacht ward,
weichen muͤſſe.


§. 153.

Es kann nun nicht ſchwer ſeyn zu beſtim-
men, in welcher Ruͤckſicht das Juſtinianeiſche
Rechtsbuch ein Meiſterſtuͤck des menſchlichen
Verſtandes, und in welcher es ein warnen-
M 2des
[180]Theil I. bis Juſtinian.
des Beyſpiel fuͤr alle, welche Geſetzbuͤcher
machen wollen, genennt zu werden verdie-
ne. Die eigenen Geſetze Juſtinians ſind viel-
leicht am beſten dadurch characteriſirt, wenn
man die Worte eines Kirchenhiſtorikers auch
aus dieſen Theil ſeiner Regierung anwendet:
“Ein ſolcher halbgelehrter Theologe, wie
der Kaiſer nothwendig ſeyn mußte, war eben
daher von beyden Partheyen zu lenken, und
aus Liebe zum Kirchenfrieden wurde er der
Orthodoxie ſchaͤdlich, aus Eifer fuͤr Ortho-
doxie dem Kirchenfrieden nachtheilig.” Als
halbgelehrter Juriſt waren ſeine zwey Zwecke
Simplicitaͤt und Billigkeit: Bald opferte er
dieſe jener, bald jene dieſer am unrechten Or-
te auf.


Syſtem des Rechts
am Ende dieſer Periode.


§. 154.

I. Ius publicum


A. Eigentliches StaatsRecht oder Grund:
geſetze.


Der Staat voͤllig deſpotiſch in der Art
wie die Kaiſerliche Wuͤrde erlangt ward, und
in der Kraft jeder Willenserklaͤrung des Kai-
ſers,
[181]Periode 4. Syſtem.
ſers, ſelbſt in Religions- und Rechts-Saͤt-
zen. Die Religion war noch keine ſehr be-
deutende Einſchraͤnkung; denn obgleich der
Kaiſer in Glaubens-Sachen nur der Inte-
rims-Repraͤſentant der Kirche und der Stell-
vertreter der Concilien war, ſo hing es doch
von ihm ab, dieſe zu verſammeln, und ſelbſt
der Biſchof von Rom konnte noch, wie Vi-
gilius
erfuhr, vom Kaiſer mißhandelt wer-
den. Der Senat war ein bloßer Gerichts-
hof.


§. 155.

B. Staats Policey-Recht oder Regierungs-
geſetze


1. Aemter. Im Senate, der in der
hoͤchſten Inſtanz Rechtsſachen unterſuchte,
um dem Kaiſer einen Antrag zu thun,
votirte erſt der praefectus vrbi, dann alle
Patricier, hernach die Conſulen, und zu-
letzt alle uͤbrigen praefecti, magiſtri mili-
tum
und illuſtres. Das Conſulat war
ſehr koſtbar, daher die Zeitrechnung nach
den letzten vorhergehenden Conſulen. Un-
ter Juſtinian erhielt zum letzten mahle
ein Particulier dieſe theure und [unnuͤtze]
Ehre. — Bey Hofe der quaeſtor ſacri
palatii, magiſtri libellorum
u. ſ. w. —
In den Provinzen praeſides welche zwar
M 4einen
[182]Theil I. bis Juſtinian.
einen fuͤrchterlichen Eid ablegen ſollten,
daß ſie ihre Stelle nicht gekauft haͤtten,
aber dieß ging nur auf außerordentliche Be-
zahlung, nicht auf den gewoͤhnlichen ſelbſt
geſetzlich beſtimmten Preiß. Sie mußten
auch, und vielleicht war dieß die Haupt-
ſache, fuͤr die Revenuͤen ſtehen, und hatten
die allgemeine Gerichtbarkeit in der Pro-
vinz und ſelbſt das Commando uͤber die
Truppen; ihre Subalternen waͤhlten ſie ſich.
50 Tage nach niedergelegtem Amte konn-
ten ſie in der Provinz vor ihrem Nach-
folger belangt werden, ſo lange mußten
ſie noch bleiben, denn waͤhrend ihrer Ge-
walt war die Anklage ſogar nur ſelten er-
laubt. Ihre Controle waren die Biſchoͤffe. —
Die Municipalobrigkeit in den Staͤdten hat-
ten die decuriones, aber ihre Stelle war
viel laͤſtiger, als man einſieht daß ſie haͤtte
ſeyn muͤſſen.


§. 156.

2. Einkuͤnfte. Bey den Verſchwen-
dungen Juſtinians ward nicht nur der
Schatz, den Anaſtas geſammelt hatte, er-
ſchoͤpft, ſondern es waren auch eine Menge
neuer Quellen noͤthig. Abgaben der man-
nichfaltigſten Art, ſogar das Aërion ein
jaͤhrliches Praͤſent, das der praefectus
prae-
[183]Periode 4. Syſtem.
praetorio dem Kaiſer machen, und wofuͤr
er ſich wieder zu entſchaͤdigen ſuchen mußte,
ein neuer Zoll im Haſen der Hauptſtadt,
Monopolien, Reductionen bey Hofe und
bey der Armee, ſelbſt die Municipal- Caſ-
ſen fuͤr Poſten, Aerzte und Erleuchtung
mußten dem Geldmangel abhelfen. Da-
hin gehoͤrten auch die immer ſteigenden
Privilegien des Fiscus im Privatrechte.


§. 157.

3. Religion. Dieß iſt ſo ſehr der
LieblingsGegenſtand der Geſetzgebung Ju-
ſtinians, daß ein Syſtem des Juſtinia-
neiſchen Rechts, worin das ReligionsRecht
ganz uͤbergaugen wird, wohl nicht vollſtaͤn-
dig ſeyn kann.


In der Religion uͤberhaupt verbot Ju-
ſtinian, wie ſchon ſeine Vorgaͤnger gethan
hatten, alle Abweichungen von ſeiner eige-
nen Meynung, und gar ſehr oft hat es
auf Mein und Dein Einfluß, ob jemand ein
Ketzer oder ein Rechtglaͤubiger ſey. Indeſ-
ſen war Juſtinian nicht intoleranter, nur viel-
leicht offenherziger, als manche andere: ſo
ſagt er Nou. 144. er nehme die Bauern von
einem Strafgeſetze gegen gewiſſe Ketzer aus
idque non ipſorum gratia ſed propter con-
M 4flitu-
[184]Theil I. bis Juſtinian.
ſtitutionem praediorum quae ab ipſis colun-
tur, propterque reditus \& tributa, quae ex-
inde inferuntur publico.
— Die Sacra-
mente ſollten nicht in Privathaͤuſern admini-
ſtrirt werden, und uͤber die Betgaͤnge (lita-
niae
) machte er eine genaue Verordnung,
wie ſie ſeyn muͤßten, um dem Himmel wohl
zu gefallen.


Von den Perſonen, welche ſich mit der
Religion beſchaͤfftigten wurden die Moͤnche,
noch keine wohlthaͤtigen Benedictiner, nicht
ſo eingeſchraͤnkt, wie es geſchehen muß, wenn
man die Anhaͤufung des Vermoͤgens in der
toden Hand hindern will. Das Kloſter be-
erbte ſie, und zum Beſten des Kloſters erb-
ten ſie noch immer fort: oft mußte man zur
Strafe ins Kloſter gehen, und ein entlaufe-
ner Moͤnch ward das zweytemahl zum Recru-
ten genommen. Die Biſchoͤfe mußten aus
den Geiſtlichen oder Moͤnchen gewaͤhlt wer-
den, 35 Jahre alt und keine curiales ſeyn,
auch keine Frau noch Kinder mehr haben.
Die Wahl hing von der Gemeinde ab, we-
nigſtens wurden die Vornehmſten noch zuge-
zogen, aber Simonie war ſtreng verboten.
Der Biſchof war von der vaͤterlichen Gewalt
frey, er ſtand, ohne beſondre Ordre vom
Hofe, nicht unter dem Gouverneur, vor
ihm
[185]Periode 4. Syſtem.
ihm mußten ſeine Geiſtlichen und Moͤnche,
und durften auch andre Perſonen belangt
werden (episcopalis audientia). Aber er
durfte nur uͤber ſein voriges Vermoͤgen te-
ſtiren, das Uebrige gehoͤrte der Kirche, er
durfte nie uͤber ein Jahr abweſend ſeyn, oh-
ne Urlaub vom Patriarchen nicht nach Hof
kommen, ſeine jaͤhrliche Synode nicht unter-
laſſen, kein Frauenzimmer bey ſich haben,
keine Vormundſchaft uͤbernehmen, keinem
Candidaten, der ihm vom Patron praͤſentirt
ward, ohne Urſache die Ordination verwei-
gern, ohne Unterſuchung niemand excommu-
niciren u. ſ. w. Die Rechte und Pflichten der
uͤbrigen Geiſtlichen ſind im Kleinen dieſen
aͤhnlich. Sie duͤrfen nach der Ordination
nicht mehr heyrathen.


Die der Religion gewidmeten Sachen,
wohin auch das Vermoͤgen der Spithaͤler
u. ſ. w. gehoͤrte, konnten nur in ſeltenen Faͤl-
len, wegen Schulden und zu Werken der
Barmherzigkeit, nur auf beſtimmte Art und
nicht an beſtimmte Perſonen veraͤußert wer-
den.


§. 158.

4. Das Militair hatte ſinken muͤſſen,
denn die Zahl und das Anſehen der
Moͤnche war geſtiegen, verlaufene Moͤnche
wurden zum Dienſte gezwungen und doch
M 5droht
[186]Theil I. bis Juſtinian.
droht Juſtinian zuweilen mit dem Abſchie-
de. Die beſten Truppen waren die per-
ſoͤnlich an einen Paſcha z. B. an Beli-
ſar
und nicht an den Kaiſer oder den
Staat attachirten. Zu dem Militair kann
man auch die vielen Arſenaͤle unter den
ſcholae fabricenſium und dem magiſter offi-
ciorum
rechnen. Gegen die Erpreſſungen
der Generale ſind Geſetze gemacht, von
welchen es ungewiß iſt ob ſie dem Uebel ab-
halfen, welche aber die Exiſtenz deſſelben
ſicher beweiſen.


5. Die Gerichtbarkeit verwalteten nun im-
mer die vom Hofe ernannten Perſonen, wel-
che aber ihren Gehuͤlfen nicht ganz das uͤber-
laſſen durften, was ehemahls der magiſtratus
dem Judex uͤberlaſſen hatte. — Die ver-
ſchiedenen Inſtanzen, wovon der Kaiſer ſelbſt
die letzte war, ſind nun voͤllig beſtimmt.


§. 159.

C. CriminalRecht oder Strafgeſetze.


Durch die argwoͤhniſchen und furchtſa-
men Deſpoten war das CriminalRecht erſtau-
nend hart geworden, und es erſtreckte ſich
auf alles, was die Obrigkeit beſtrafen woll-
te, ohne Ruͤckſicht ob ein Anklaͤger auftrat
oder nicht. Juſtinian hat das Verdienſt hier
mil-
[187]Periode 4. Syſtem.
mildere Grundſaͤtze befolgt zu haben, wenig-
ſtens in Anſehung der ehemahligen Crimi-
nalSubalternen (violentiae inhibitores) der
Confiscation, und der Strafe des Diebſtahls.
Manche ſeiner Novellen ſind wahre Bußpre-
digten, ſo z. B. die gegen Blasphemie und
Knabenſchaͤnderey. Ueberhaupt wurden die
Vergehungen aus Wohlluſt hart beſtraft,
der Ehebrecher ward hingerichtet, und die
Selbſtrache des Ehemanns ging weiter als
vorher. Caſtration ward verboten, aber die
Caſtraten am Hofe blieben und mußten blei-
ben. Ausſetzung der Kinder und muͤßiges
Herumſtreichen ſind nun auch ein Gegenſtand
der Strafgewalt.


§. 160.

II. Jus priuatum.


A. PerſonenRecht


1. Die Sclaverey, ſo wenig ſie auch zur
chriſtlichen Religion paßte, war noch ziem-
lich dieſelbe, wie unter den Antoninen.
Man erwarb dieſes Recht auf das Kind der
Sclavinn, auf den gefangenen Feind, auf
den freyen Menſchen, der ſich um zu betruͤ-
gen hatte verkaufen laſſen, aber nicht mehr
auf die Liebhaberinn des Sclaven oder auf
ein ausgeſetztes und aufgenommenes Kind,
obgleich dieſes ſeine Schuld abverdienen muß-
te. Man verlohr ſie durch Ausſetzung, zur
Stra-
[188]Theil I. bis Juſtinian.
Strafe daß man eine Bedingung nicht erfuͤll-
te, zur Belohnung des Sclaven fuͤr Ver-
dienſte, und durch Manumiſſion im Teſta-
mente, wo nun die Einſchraͤnkungen wegfie-
len, in der Kirche, und unter Particuliers.
Alle Freygelaſſene waren ſich gleich, und al-
le waren ſo gut wie Freygebohrne, bis auf
das Verhaͤltniß zum Patron, welches nur
etwas gemildert ward.


§. 161.

2. Die vaͤterliche Gewalt hatte unter
den Deſpoten, die noch dazu eine neue Reli-
gion befoͤrdern wollten, ſehr abgenommen,
obgleich im Sachenrechte die Wirkungen z. B.
die vnitas perſonae, die ſubſtitutio pupilla-
ris
blieben. Das Vermoͤgen des filius fa-
milias
war iſein Eigenthum, ſobald es nicht
vom Vater herkam, und hoͤchſtens hatte die-
ſer die Adminiſtration und die Nutznießung.
Dem peculium caſtrenſe war nun auch das
quaſi caſtrenſe gleich geſetzt. — Man er-
warb die vaͤterliche Gewalt auf Kinder aus
einer rechtmaͤßigen Ehe, aber nicht einmahl
auf naturales, ferner durch Arrogation beym
Kaiſer, aber nicht immer durch Adoption
bey der Obrigkeit, nicht wenn man ein Frau-
enzimmer oder nur kein Aſcendente des Adop-
tirten war, endlich Legitimation des Kindes
einer
[189]Periode 4. Syſtem.
einer Concubine indem man ihre Mutter hey-
rathete, die Kinder zu curiales machte, oder
indem der Kaiſer die Gnade erwies. Man
verlohr ſie nun auch durch hohe Wuͤrden des
Sohnes, ſobald dieſe von der Gefahr de-
curio
zu werden befreyten, durch Emancipa-
tion bey dem Kaiſer oder der Obrigkeit, wo-
bey nun erſt von Belohnung des Vaters und
hoͤchſt wahrſcheinlich auch nun erſt von Ein-
willigung des Sohnes die Rede ſeyn konn-
te, — nicht immer durch geſtattete Adop-
tion und noch nie durch bloße Trennung des
Haushaltes.


§. 162.

3. Die Ehe ward nach den mißverſtan-
denen Religionsbegriffen nicht mehr beguͤn-
ſtigt; an die Stelle der lex caducaria trat
die Verordnung, daß wer zweymahl heyra-
the nicht Biſchof werden koͤnne, und daß wer
es thue, wenn er ſchon Kinder habe, auch
ohne Ruͤckſicht auf das Trauerjahr, die freye
Diſpoſition uͤber ſein eigenes Vermoͤgen zum
Theil, und das Eigenthum an dem, was
vom verſtorbenen Gatten herruͤhrte, ganz
verlieren ſollte. Das Verhaͤltniß beyder Ehe-
leute gegen einander war nun beynahe unauf-
loͤslich, und doch behielt Juſtinian im Sa-
chenrechte die Grundſaͤtze, welche bey der
willkuͤhrlichen Scheidung conſequent geweſen
wa-
[190]Theil I. bis Juſtinian.
waren, er uͤbertrieb die Beguͤnſtigung der
dos ganz unvernuͤnftig, und nur in der Suc-
ceſſion aͤnderte er ein wenig. — Eine Ehe
konnten nur freye Menſchen, und ſolche die
die Pubertaͤt erreicht hatten, eingehen; die
Unfaͤhigkeit zur Zeugung war nur bey einem
Caſtraten ein Hinderniß. Einander durften nicht
heyrathen der Tutor und ſeine Pupille, der
Gonverneur und ſeine Provinzialinn, der
[Taufzeuge][und] ſeine Pathe, Buͤrger und
Nicht- Buͤrger, Chriſten und Juden, der
Ehebrecher und ſeine Mitſchuldige, der Ent-
fuͤhrer und die Entfuͤhrte, wohl aber Per-
ſonen ungleichen Standes. Die verbotenen
Grade waren noch faſt ganz die vorigen.
Außer der Einwilligung eine Ehe ſchon jetzt
einzugehen, denn Sponſalien geben kein
Klagrecht, gehoͤrt zum Weſen der Ehe bey
einem illuſtris, wenn er kein Auslaͤnder iſt,
auch eine Eheſtiftung; aber die kirchliche Ce-
remonie war noch willkuͤhrlich, ſo lange ſo-
gar der Concubinat nicht verboten, ſondern
von den Geſetzen bey der Succeſſion bemerkt
ward. — Die Trennung der Ehe erſchwer-
te Juſtinian ſehr, ſelbſt mit Einwilligung
beyder Theile erlaubte er ſie nur, wenn Ur-
ſachen da waren, wegen welcher ohnehin der
eine Ehegatte ſich, ohne daß der Andere ein
Verbrechen begangen hatte, trennen durfte
(bona
[191]Periode 4. Syſtem.
(bona gratia) d. h. wenn man ins Kloſter ge-
hen wollte, wenn der Mann drey Jahre lang
zum Beyſchlafe unfaͤhig geweſen war, wenn
man von einem Gatten in der Gefangenſchaft
5 Jahre lang nichts hoͤrte, und wenn er ein
Sklave ward. Die Urſachen, welche zu ei-
ner Scheidung als Strafe berechtigten, ſuch-
te Juſtinian genau zu beſtimmen, ohne im
mindeſten zu ahnden, daß ſie ſich vielleicht
nach der Natur des Gegenſtandes nicht ge-
nau beſtimmen ließen. Zuletzt konnten bey-
de wegen MajeſtaͤtsVerbrechen und Lebens-
gefaͤhrlicher Nachſtellungen, die Frau auch
noch wegen Ehebruchs, verdaͤchtigen Um-
gangs mit Mannsperſonen bey Gaſtmaͤhlern
und im Bade, wegen naͤchtlicher Abweſen-
heit von Hauſe, und wegen der Beſuchung
der oͤffentlichen Schauſpiele; der Mann aber
wegen Debauchen mit oͤffentlichen Maͤdchen
in Gegenwart der Frau, wegen Verkuppe-
lung derſelben, weil er ſie eines Ehebruchs
vorſaͤtzlich falſch anklagte, und weil er den
Umgang mit einer fremden Ehefrau aller
Warnungen ungeachtet, fortſetzte, verſtoßen
werden. Der Verſtoßene verlor die dos oder
die donatio propter nuptias, die Ehebreche-
rinn noch ⅓ weiter aus ihrem uͤbrigen Ver-
moͤgen; der Mann, welcher ſeine Frau miß-
handelte verlor ebenfalls ein ſolches Drittheil,
ob
[192]Theil I. bis Juſtinian.
ob dieß gleich keine Urſache zur Scheidung
mehr war. Der unſchuldige Ehegatte er-
hielt entweder das Eigenthum oder die Nutz-
nießung an dieſem Vermoͤgen.


§. 163.

4. Die Tutel war noch nicht viel mehr,
als vorher, unter der Aufſicht der Obrigkeit;
die Erlaubniß zur Veraͤußerung war bey al-
len Immobilien noͤthig, aber jaͤhrliche Rech-
nung und allgemeine Beſtaͤtigung kennt das
Juſtinianeiſche Recht nicht. Ueber die An-
wendung des baaren Geldes machte der Kai-
ſer ein wunderliches Geſetz. Die feyerliche
Einwilligung des Tutors (auctoritas) und
die Tutel wegen des Geſchlechts waren Anti-
quitaͤten. Der Anfang der Tutel beruhte
noch auf drey Gruͤnden; ein Glaͤubiger oder
Schuldner des Pupillen konnte nicht Vor-
mund werden; Geiſtliche nie oder ſelten,
aber nun ſogar die Mutter oder Großmutter
der Pupillen, wenn nur jene nicht wieder
heyrathet. Die Tutel endigte ſich mit der
Pubertaͤt, und ob man bis ins 25te Jahr
oder bis zur venia aetatis einen Curator hat-
te, hing noch immer von dem Zufalle ab,
daß man ihn ſelbſt oder daß ihn jemand der
nicht traute, z. B. der geweſene tutor ſich
ausbat.


§. 164.
[193]Periode 4. Syſtem.
§. 164.

B. Sachenrecht


I. Jus in rem.


Von den verſchiedenen Eintheilungen der
Sachen waren nun die res ſacrae nicht mehr
ſo ganz von den uͤbrigen getrennt, als ehe-
mahls. Der Unterſchied zwiſchen res man-
cipii
und nec mancipii hatte ſich verlieren
muͤſſen, ſo wie ſich der Roͤmiſche Staat aus
Italien in ehemahlige Provinzen hinzog. Die
Stelle dieſes ſo weiſen Unterſchieds ward
durch einzele Verordnungen, worin bewegli-
che und unbewegliche Guͤter getrennt waren,
ſchlecht erſetzt. Eine eigene Art von Guͤtern
waren die verkaͤuflichen MilitairChargen
(militiae).


§. 165.

1. Das Eigenthum war von einerley
Art, und mit dem Unterſchiede zwiſchen do-
minium bonitarium
und Quiritarium verlo-
ren auch die Erwerbungsarten ex jure gen-
tium
und ex jure ciuili ihre weſentliche Un-
aͤhnlichkeit.


Man erwarb das Eigenthum noch im-
mer durch occupatio, die nicht durch fiscali-
ſche Grundſaͤtze eingeſchraͤnkt war, obgleich
kein Jaͤger Juſtinians Entſcheidung uͤber Jagd-
ſtreitigkeiten billigen wird, durch Beute noch
wie vorher, durch die mancherley Arten von
Nacceſ-
[194]Theil I. bis Juſtinian.
acceſſio, durch traditio ex cauſa praeceden-
te,
welche nun immer ſo gut war, als man-
cipatio,
durch vſucapio und longi temporis
poſſeſſio
wobey nun 3, 10 oder 20 Jahre,
mit Ruͤckſicht auf den Aufenthalt beyder Par-
theyen in verſchiedenen Gouvernements, feſt-
geſetzt wurden, durch donatio, wobey keine
obligatio praecedens iſt, aber ſtatt der man-
cipatio
erfordert Juſtinian bey wichtigen
Schenkungen Inſinuation, — durch Arten,
die einen Todesfall vorausſetzen, denn SC.
Claudianum
und die adquiſitio per arroga-
tionem
fallen weg, durch einen rechtskraͤftigen
Ausſpruch des Richters bey Theilungen oder
Realklagen, oder auch unmittelbar durch ein
Geſetz; eine Art, die Juſtinian mehr liebte,
als man ſie ehemahls geliebt hatte. — Man
erwirbt das Eigenthum durch ſich ſelbſt oder
durch die Perſonen, welche man in poteſtate
hat, wenn nicht bey dem filiusfamilias das
peculium es hindert.


Man verfolgt ſein Eigenthum durch rei
vindicatio
und publiciana in rem actio.
Beyde [werden] noch verſchieden vorgetragen,
aber zwiſchen beyden iſt im Proceſſe kein Un-
terſchied mehr, und man erlangt durch er-
ſtere nichts, was letztere nicht auch verſchaffte.


Man verliert ſein Eigenthum wenn man
die Sache veraͤußert oder herrnlos macht.
Die
[195]Periode 4. Syſtem.
Die Veraͤußerung der unbeweglichen Dotal-
guͤter iſt eingeſchraͤnkt, obgleich der Ehe-
mann noch Eigenthuͤmer heißt. Die Ver-
aͤuſſerung der Pupillenguͤter und der Pfaͤn-
der geht auch nach eigenen Regeln.


§. 166.

2. Die Servituten ſind nicht veraͤndert,
als daß zu den weſentlich perſoͤnlichen auch
eine eigene unter dem Nahmen habitatio
kommt. Bey ihrer Erwerbung iſt der ge-
ſetzliche vſusfructus aͤußerſt haͤufig; bey ih-
rem Verluſte iſt confuſio und non vſus dem
Rechte an eine fremde Sache eigen.


3. Das Pfandrecht entſteht aus dem
RealContracte (pignus) aus der bloßen Ver-
abredung (pactum hypothecae) und wieder
ſehr haͤufig durch ausdruͤckliche Verordnun-
gen. Juſtinian machte auch einige uͤber die
Verpfaͤndung einer militia und der Grund-
ſtuͤcke eines Bauern.


§. 167.

II. Jus in perſonam.


Es entſteht durch eine obligatio


1. aus einem Contract.


Die RealContracte, ſowohl die benannten
als unbenannten, ſind noch wie vorher. Nur
das mutuum erhielt neue Beſtimmungen we-
N 2gen
[196]Theil I. bis Juſtinian.
gen der Zinſen, nach der Perſon des Capi-
taliſten 4, 6, oder 8 ProCent, nach der
gegebenen Sache aber und nach der uͤbernom-
menen Gefahr zuweilen 12. Selbſt die ein-
zeln bezahlten Zinſen duͤrfen das Capital nicht
uͤberſteigen, aber ein einzeler Fall ward aus:
genommen, weil es da annui reditus ſeyen.
Das depoſitum ward vom Privatarreſte frey;
beym pignus fiel lex commiſſoria weg. Der
contractus innominatus ſuffragii characteri-
ſirt den Hof zu Conſtantinopel. — Von den
VerbalContracten war weder dictio dotis noch
jurata promiſſio operarum, aber, nicht voͤl-
lig conſequent, die ſtipulatio noch uͤbrig.
Bey der Buͤrgſchaft durch Stipulation (ſide-
juſſio
) machte Juſtinian durch das beneficium
excuſſionis
zur Regel, was vorher bey dem
fidejuſſor indemnitatis nur als etwas beſon-
deres Rechtens geweſen war. Das benefi-
cium diuiſionis
dehnte er auf alle correi aus.
Das SC. Vellejanum, welches von jeher
nicht blos auf Verbal- Contracte ging, ſchaͤrf-
te er beſonders auf den Fall, daß der Ehe-
mann den Vortheil von der interceſſio habe,
und er dachte wohl nicht daran, daß man ſei-
ne weiſe Sorgfalt einſt eludiren wuͤrde. —
An die Stelle des alten contractus litteralis
kam ein neuer, der blos aus den Beſtim-
mungen, wie lange exceptio non numeratae
pecu-
[197]Periode 4. Syſtem.
pecuniae Statt finde, entſtand. — Die
Conſenſual Contracte waren geblieben, nur
hatte ſich, nach den Beduͤrfniſſen vorzuͤglich
der Kirchen und Kloͤſter, zwiſchen dem Kaufe
und der Pacht der contractus emphyteutica-
rius
ausgebildet, und ſelbſt der KaufCon-
tract erforderte nun oft zu ſeinem Weſen ei-
nen ſchriftlichen Aufſatz.


§. 168.

2. Aus einem Vergehen.


Auch dieſe Quelle der obligatio blieb un-
veraͤndert, obgleich ſchon zu dem Criminal-
Rechte dieſer Zeit einfacher Erſatz viel beſſer
gepaßt haͤtte, als die PrivatPoͤnalklagen.


3. Ex variis cauſarum figuris.


Die quaſi ex contractu und quaſi ex de-
licto
blieben, eben ſo die ex pacto praeto-
rio,
und die aus Urtheilen und Befehlen.
Die pollicitatio war nun auch bey der dos
verbindlich, die pacta legitima wurden mit
dem pactum de donando, und dem pactum
de vſuris
bey einem argentarius, vermehrt,
und die obligationes immediatae ex lege wur-
den auch haͤufiger, wie die juriſtiſchen Geſetze
ſelbſt es wurden.


Auch ein jus in perſonam konnte man
durch ſeinen Sklaven oder filiusfamilias er-
werben: aber fuͤr ihre Verbindlichkeiten brauch-
N 3te
[198]Theil I. bis Juſtinian.
te man, ſo wenig als vorher, immer zu ſte-
hen.


Ein jus in perſonam erloͤſcht noch eben
ſo wie nach dem Pandectenrechte, entweder
ipſo jure oder durch eine exceptio; aber der
Unterſchied war wegen des alten Proceſſes
wichtig, und der alte Proceß hatte aufge-
hoͤrt.


§. 169.

III. Verlaſſenſchaften.


Dieß iſt die einzige Art von ſucceſſio vni-
verſalis
welche Juſtinian abhandeln laͤßt,
und man ſieht es wohl an der Menge Streit-
fragen, welche man in dieſer Lehre hat, daß
ſie ein Lieblingsgegenſtand ſeiner Geſetzge-
bung war.


Die delatio und adquiſitio hereditatis
gehen noch nach dem alten Rechte, nur daß keine
cretio mehr vorkommt, und daß die bonorum
poſſeſſio
am Ende der Regierung Juſti-
nians
wohl ſchwerlich mehr eine, ihrer Form
nach verſchiedene, Art Erbe zu werden war.
Die transmiſſio der noch nicht acquirirten
Erbſchaft iſt etwas erleichtert, aber lange
nicht ſo ſehr, als nach der neuen, wirklich
weiſen, Verordnung Juſtinians uͤber das
beneficium inuentarii, nun ohne Nachtheil
haͤtte geſchehen koͤnnen.


In
[199]Periode 4. Syſtem.

In der Inteſtat Erbfolge wird das weib-
liche Geſchlecht dem maͤnnlichen, und die Cog-
naten werden den Agnaten voͤllig gleichgeſetzt.
Die vaͤterliche Gewalt hat wenig Einfluß
mehr, und die collatio, welche auch bey Te-
ſtamenten Statt finden ſoll, bezieht ſich nicht
mehr auf ſie. Alle Deſcendenten conferiren,
aber nur dasjenige, was ſie von dem Ver-
ſtorbenen erhalten haben. Uebrigens wird
wahrſcheinlich nicht darauf geſehen, wo das
Vermoͤgen dieſes Letztern herruͤhre. Juſti-
nian
vermuthet auch noch, daß jedermann
ſeine Deſcendenten vor allen andern liebe;
die Aſcendenten und vollbuͤrtigen Geſchwiſter
ſtellt er zuſammen, und die halbbuͤrtigen Ge-
ſchwiſter kommen nur vor den uͤbrigen Sei-
tenverwandten. Aber die Frage, ob das
Vorwegſterben ſchaden ſoll oder nicht, ob
auf die Naͤhe des Grades der noch Lebenden,
oder auf die Naͤhe derer, von welchen ſie
abſtammen, zu ſehen ſey, hat Juſtinian gar
nicht gleichfoͤrmig beantwortet. Bey Deſcen-
denten bewirkt das Vorwegſterben gar nichts;
bey Aſcendenten bewirkt ein entfernterer Grad
Ausſchließung durch einen Naͤhern, aber nicht
Ungleichheit der Theile nach der ungleichen
Zahl der Großaͤltern; bey Bruͤdern macht
das Vorwegſterben nicht, daß ihre Kinder
ausgeſchloſſen werden, aber wohl ihre Enkel,
N 4und
[200]Theil I. bis Juſtinian.
und ihre Kinder allein ſuccediren nach ihrer
Anzahl, und nicht nach ihrer Abſtammung.
Bey den uͤbrigen Seitenverwandten iſt gar
kein Repraͤſentations Recht mehr. Der Ein-
fluß der [L]egitimation iſt bey einer Art nicht
wie bey der andern; uneheliche Geburt ſcha-
det, der Regel nach, nur in Anſehung des Va-
ters, und die Adoption verliert zuweilen durch
Emancipation ihre Kraft. — Das Erb-
recht der Ehegatten iſt lange nicht ſo geaͤn-
dert, als es die Unaufloͤslichkeit dieſer Ver-
bindung zu verlangen ſcheint. — Ein Frey-
gelaſſener hat nach ſeinen Kindern nur den
Patron zum Inteſtaterben.


§. 170.

Die letzten Willen werden, vielleicht aus
Religionsabſichten, immer mehr beguͤnſtigt.
Der Patron ſchraͤnkt dieſe Freyheit nur in
Anſehung eines Drittheils, und nur bey ei-
nem betraͤchtlichen Vermoͤgen, ein. Nahe
Verwandte haben zwar [eine] groͤßere legitima,
als vorher, bey welcher Verordnung nicht
bedacht worden iſt daß 1/10 mehr ſey als 1/12;
die Urſachen der Enterbung ſind genau, nach
der Natur des Gegenſtandes, wo es auf
Schaͤtzung der Moralitaͤt ankommt, wohl
zu genau beſtimmt, und muͤſſen ausdruͤck-
lich im Teſtamente benannt ſeyn; aber ſehr
haͤu-
[201]Periode 4. Syſtem.
haͤufig kann nur auf Ergaͤnzung des Pflicht-
theils geklagt werden, und das ganze Te-
ſtament ſoll deswegen, was die Legate be-
trifft, ſeltener oder vielleicht nie ſeine Kraft
verlieren. Die legitima viuentis, welche bey
der inofficioſa donatio oder dos vorkommt,
iſt wohl kein Vorzug des ſpaͤthern Rechts
vor dem zur Zeit der Claſſiker. — In An-
ſehung der einzelen Verordnungen eines letz-
ten Willens ſchien der Unterſchied zwiſchen
Legaten und Fidei Commiſſen, und zwiſchen
den Legaten nach den gebrauchten Ausdruͤk-
ken und der Natur der vermachten Sache, ei-
ne unnoͤthige Spitzfindigkeit. Juſtinian
ſchaffte beydes ab, und in der Verordnung,
worin er bey jedem Legate ſo freygebig mit
dem ſtillſchweigenden Unterpfande iſt, und
die Eigenthumsklage verſtattet, liegt die Ein-
ſchraͤnkung nicht, womit man ſie verſteht,
um ſie nicht hoͤchſt unvernuͤnftig zu finden. —
Den Abzug der quarta Falcidia kann der Erb-
laſſer verbieten, eine Neuerung, die wegen
der geringen Gefahr bey Antretung einer
Erbſchaft, nicht inconſequent iſt.


§. 171.

C. Proceß.


Die vocatio in jus geſchah nun nie mehr
ohne beſondern Befehl der Obrigkeit, alſo
was
[202]Theil I. bis Juſtinian.
was vorher Ausnahme geweſen war, ward
nun Regel. Der magiſtratus iſt nun auch
Judex, denn der Judex pedaneus, welcher
noch unter und nach Juſtinian vorkommt,
iſt ein wahres Untergericht, von welchem an
den, welcher ihn gegeben hat, appellirt wird,
und deſſen Ernennung ganz von dieſem ab-
haͤngt. Es fallen nun alſo eine Menge ge-
nauer Beſtimmungen des Pandecten Rechts
weg; jede vindicatio und ſelbſt jedes Inter-
dict iſt nun eine actio, wie eine perſoͤnliche
Klage, und wird im Weſentlichen eben ſo
behandelt. Das Juſtinianeiſche Recht kennt
noch keine Patrimonialgerichte, aber obgleich
die relationes verboten wurden, und wohl
nur dann erlaubt blieben, wenn man die Sa-
che auf Ungewißheit in den Geſetzen reducir-
te, ſo ſind dagegen die Hofcommiſſionen in
Juſtizſachen deſto haͤufiger, und es wird ge-
nau beſtimmt, wie von dieſen appellirt wer-
den ſoll. Die Friſt von 10 Tagen zur Ap-
pellation wird nun eingefuͤhrt. Sonſt unter-
ſcheidet ſich der Proceß in dieſem Zeitraume
durch die ungeheure Menge von Eiden, die
jede Parthey und jeder Zeuge ſchwoͤren muß.
Zum Zeugenbeweiſe ſind nicht immer zwey
Perſonen genug, und bey Urkunden kommen
nun Notarien vor. Des Schreibens iſt bey
Proceſſen mehr als ſonſt, aber der muͤndli-
che
[203]Periode 4. Studium.
che Vortrag bleibt doch daneben. Die togati
oder ſcholaſtici ſind mehr unſern Advocaten
als den ehemahligen Rednern aͤhnlich; die
Procuratoren werden in vielen Faͤllen ſogar
erfordert.


Studium des Rechts.


§. 172.

In dieſer Periode des Verfalls der Juris-
prudenz ſind die drey juriſtiſchen Univer-
ſitaͤten zu Rom, Conſtantinopel und Beryt
merkwuͤrdig, denn aͤhnliche Anſtalten, von
Hadrian an, waren vielleicht noch nicht ſo aus-
gebildet. Daß Beryt bald nach Alexander
Sever
empor kommt, koͤnnte auf die Ver-
muthung leiten, daß dieſer Kaiſer der Stif-
ter von etwas ſey, was ſein Vaterland Sy-
rien auszeichnet; aber ſchon vor ihm waren
ja Papinian und Ulpian eben daher, und
es ſcheinen alſo unbekannte kleine Umſtaͤnde
zuſammengewirkt zu haben, um gerade dieſe
Provinz zum Sitze der Jurisprudenz zu ma-
chen.


Junge Juriſten fingen mit der Advoca-
tur an, und gelangten noch immer, und faſt
noch ausſchließender als vorher, zu Gouver-
ne-
[204]Theil I. bis Juſtinian.
nements. Aber dieſe Aufmunterung konnte
nicht laͤnger der einreiſſenden allgemeinen
Varbarey widerſtehen, da jetzt Gelehrſam-
keit zum roͤmiſchen Rechte weit noͤthiger war,
als da man noch manches alle Tage ſah,
was man jetzt nur aus Buͤchern lernen konn-
te, und meiſt gar nicht lernte. Eine Men-
ge Schriftſteller, mehr als ein Kaiſer, und
ſelbſt Juſtinian bemerkt den elenden Zuſtand
des ganzen Studiums. In ſeiner Conſtitu-
tio de ratione \& methodo jus docendi ad An-
teceſſores
beruft er ſich auf ihr eigenes Zeug-
niß, ob man von ſo vielen juriſtiſchen Schrif-
ten, die doch bisher lauter leges geweſen
ſeyen, mehr als ſechs Buͤcher deutlich erklaͤrt
habe, ob es nicht Sitte ſey, ſelbſt in dieſen
vieles zu uͤberſchlagen, und ob von den uͤbri-
gen Schriften ein Menſch etwas leſe, wenn
nicht etwa gerade die Praxis darauf fuͤhre,
oder wenn nicht ein Profeſſor Luſt habe, doch
ein wenig mehr zu wiſſen, als ſeine Schuͤler a)?



§. 173.

Dieſem klaͤglichen Zuſtande des juriſti-
ſchen Studiums glaubte Juſtinian mit ei-
nem mahle abzuhelfen, wie er ſo vielem durch
eine einzige Verordnung abzuhelfen glaubte,
nicht wenn er die alte Litteratur befoͤrderte,
ſondern indem er ſie durch ſein Corpus juris
entbehrlich machte, und den juriſtiſchen Cur-
ſus von 5 Jahren darnach einrichtete. Im
erſten Jahre ſollten die Studierenden uͤber
ſeine Inſtitutionen (natuͤrlich uͤber den Text,
denn das Compendienſchreiben war ja, aus
Liebe zur Einigkeit im Glauben, unterſagt)
und uͤber die 4 erſten Buͤcher ſeiner Excerp-
tenſammlung (Prota) hoͤren, vor allen Din-
gen aber ſollten ſie nicht Dupondii ſondern
Juſtinianiſtae heißen. Im zweyten Jahre
hoͤrten ſie, als Edictales, entweder das 5 te bis
11te Buch (de judiciis), oder das 12te bis
19te (de rebus), wie es die Reihe, die ſchon
vorher eingefuͤhrt war, mit ſich bringe, und
außerdem immer auch das 23te, 26te, 28te
und 30te Buch (1 von den 3 de dotibus, 1
von den 2 de tutelis, 1 von den 2 de teſta-
mentis,
1 von den 7 de legatis). Im drit-
ten
[206]Theil I. bis Juſtinian.
ten Jahre kam nun das Penſum, welches im
zweyten nicht geleſen worden war, und zu-
dem das 20te, 21te und 22te Buch (de hy-
pothecaria actione, de aedilitio edicto
und
de fructibus). Darin ſtuͤnde viel von Pa-
pinian
, ſie koͤnnten alſo immer hin ſich Pa-
pinianiſten nennen, und das hergebrachte
Feſt feyern, wenn gleich das Beſte aus dem
ganzen Papinian in alle Buͤcher zerſtreut
ſey. Im vierten Jahre hießen ſie lytae und
hoͤrten nicht mehr uͤber den Paulus, ſon-
dern uͤber die 10 Buͤcher, welche im zwey-
ten Jahre [zuruͤckgeblieben] waren. Damit
kamen ſie nun bis an das 37te Buch, das
Uebrige, (die ganze Lehre von der bonorum
poſſeſſio,
von der Verjaͤhrung, das ganze
Criminalrecht u. ſ. w.) koͤnnten ſie fuͤr ſich
ſtudieren, wenn ſie nur im fuͤnften Jahre
als Prolytae noch uͤber den Codex Conſti-
tutionum
hoͤrten, ſo koͤnne es nicht fehlen, ſie
muͤßten juuenes perfecti \& noſtro tempore
non indigni
werden. Und wirklich leidet das
letztere keinen Zweifel.


Uebrigens ward Beryt durch ein Erdbe-
ben zerſtoͤrt, hingegen ſorgte Juſtinian von
neuem fuͤr die Juriſtenfacultaͤt in Rom.


§. 174.
[207]Periode 4. Studium.
§. 174.

Die merkwuͤrdigern Rechtsgelehrten zwi-
ſchen Alexander und Juſtinian ſind die bey-
den Sammler von conſtitutiones, aber nicht
einmahl ihr Nahme iſt außer Streit, ob ſie
ſelbſt Gregorius oder Gregorianus, Hermo-
genes
oder Hermogenianus geheißen haben,
und ihre Anhaͤnglichkeit an die alte Landesre-
ligion iſt gar mit nichts bewieſen. Letzterer
hatte auch in ſeinem Epitome den Compila-
toren der Pandecten vorgearbeitet. Julius
Aquila,
von welchen wir einige Zeilen haben,
gehoͤrt vielleicht auch in dieſe Periode, und
mit mehr Gewißheit Aurelius Arcadius Cha-
riſius,
der Letzte welcher excerpirt ward Wich-
tiger ſind zwey Werke ungenannter Verfaſſer,
nicht wegen des Aufwands an Genie und
Fleiß, den ſie gekoſtet haben moͤgen, als
vielmehr deswegen, weil ſie uns unveraͤnderte
Fragmente gerettet haben, von Werken, die
leider nicht ganz gerettet worden ſind. Die
collatio legum Moſaicarum \& Romanarum
iſt nichts weniger, als eine philoſophiſche
Vergleichung des Geiſtes der Geſetze beyder
Voͤlker, unter eine Stelle aus Moſes ſind
blos Stellen aͤhnlichen Inhalts aus Claſſikern
abgeſchrieben. Von Licinius Rufinus iſt die-
ſe Compilation nicht, denn ſie enthaͤlt Ver-
ordnungen chriſtlicher Kaiſer. Die erſte Aus-
gabe
[208]Theil I. bis Juſtinian.
gabe hat Pithou beſorgt, und Schulting
hat ſie, ſowohl als ein von Cujas bekannt
gemachtes Stuͤck: Conſultatio veteris ICti
de pactis,
eigentlich eine kleine Sammlung
mehrerer Gutachten, wie billig aufgenom-
men.


§. 175.

Unter den Zeitgenoſſen Juſtinians ver-
dienten hier alle diejenigen, welche am Cor-
pus juris
arbeiteten, genannt zu werden. Am
meiſten zeichnet ſich aber noch außerdem Theo-
philus
aus, deſſen griechiſche Ueberſetzung
der Inſtitutionen ſo frey iſt, und bey man-
chen ſchaͤtzbaren Nachrichten doch auch ſo vie-
le Fehler enthaͤlt, daß es lange zweifelhaft
ſchien, ob dieß eben der Theophilus ſeyn
koͤnne, der einer der Verfaſſer des lateini-
ſchen Textes geweſen war. Die beſte Ausga-
be hat man von Reiz. Von der Ueberſet-
zung der Pandecten ſind nur Bruchſtuͤcke auf
uns gekommen. — Die Fragmente von
Thalelaͤus und Stephanus hat Ruhn-
ken
edirt.


Des Verbots von Juſtinian ungeach-
tet, konnte man ſich nicht mit dem bloßen
Ueberſetzen und Citiren begnuͤgen; manche
ſeiner Aenderungen mußte ſich erſt noch aus-
bilden, und dazu waren Schriftſteller noͤthig,
etwa wie Theodorus Hermopolites, und
man-
[209]Periode 4. Studium.
mancher der noch in den Bibliotheken begra-
ben liegt, oder wie Philoxenus, deſſen Gloſ-
ſae Nomicae
ein juriſtiſches Woͤrterbuch ſeyn
ſollten. Die Epitome Nouellarum von Julia-
nus Anteceſſor,
welche lange Zeit die Stelle
des Texts vertrat, iſt wohl erſt nach Juſti-
nians
Tode gemacht, aber was hindert uns
als Anhang hier gleich die Schickſahle des
Roͤmiſchen Rechts bis zum Umſturze des
griechiſchen Kaiſerthums mitzunehmen, die
uns doch nicht weiter, als wegen einiger Schrif-
ten wichtig ſind? Hierher gehoͤrt nicht blos
der Brachylogus legum, den Senkenberg
drucken ließ, ſondern ſelbſt die Baſiliken,
das neue Corpus juris, welches etwa 300 Jah-
re nach Juſtinians Tode von Baſilius Mace-
do
angefangen, von ſeinem Sohne Leo So-
phus
zu Stande gebracht, und von Conſtan-
tinus Porphyrogeneta
revidirt ward. Aus
den Inſtitutionen, Pandecten, dem Codex,
und den vielen Novellen machte man ein ein-
ziges Werk von 60 Buͤchern oder 6 Theilen,
das zur Ergaͤnzung manches Titels, und noch
mehr zur Bezaͤhmung der Emendatoren ge-
dient hat, das aber auch wieder mißbraucht
worden iſt, wenn man vergaß, daß die Ue-
berſetzung gar nicht woͤrtlich ſeyn ſollte. Die
Baſiliken ſind nach und nach gedruckt wor-
den, die große Ausgabe von Fabrot ent-
Ohaͤlt
[210]Theil I. bis Juſtinian.
haͤlt nur 41 Buͤcher vollſtaͤndig, dieſe hat
Meermann noch mit 4 andern ergaͤnzt;
aber von 15 ſind blos Auszuͤge uͤbrig. — Die
Novellen eben dieſes Kaiſers Leo ſtehen in
vielen Ausgaben des Juſtinianeiſchen Cor-
pus juris,
und wenn es Rechtsgelehrte gibt,
die dieß tadeln, ſo gibt es dagegen andere,
welche behaupten, daß ſie in den Gerichten
zum Theil angewendet wuͤrden. Auch von
Leo iſt ἐκλογη των νομων, die nicht mit ſei-
nes Vaters Procheiron verwechſelt werden
duͤrfen. Den Baſiliken fehlt es nicht an
Scholien, zumahl da fruͤhere Anmerkungen
uͤber Juſtinians Compilationen dazu abge-
ſchrieben ſind, aber den Scholiaſten fehlt es,
ſo wie den Gloſſatoren, gar ſehr an den noͤ-
thigen Kenntniſſen. Aehnliche Werke ſind
die Gloſſae Baſilicorum und die Synopſis oder
Ecloga Baſilicorum. In den letzten Zeiten
des Griechiſchen Reichs kann man noch un-
ter die Juriſten rechnen: Photius, den Ver-
faſſer eines Nomocanon, woruͤber Balſa-
mon
eommentirte, Pſellus und Attaliata,
die in Verſen ſchrieben, und Conſtantinus
Harmenopulus
aus dem 14ten Jahrhundert.


Zwey-
[211]

Zweyter Theil.
Geſchichte des Rechts
im
heutigen Europa
.


§. 176.


Hier iſt die Geſchichte des Studiums ei-
gentlich allein unſer Gegenſtand,
und von den Quellen oder dem Syſteme,
der nun erſt ſich bildenden nicht-Roͤmiſchen
Rechte, ſoll nur ſo viel hier vorkommen, als
fuͤr jene Abſicht unentbehrlich iſt. Alſo ſelbſt
die Nachrichten von den aͤltern deutſchen Ge-
ſetzbuͤchern, den Capitularien u. ſ. w. koͤnnen
andern Theilen der Geſchichte uͤberlaſſen wer-
den, weil ſie auf den heutigen Zuſtand der
Jurisprudenz keinen directen Einfluß haben.


Bach verlaͤßt uns hier voͤllig, und Net-
telbladt
(Initia hiſtoriae litterariae juridicae
uniuerſalis
) kann ihn allein ſchon deswegen
noch nicht erſetzen, weil es hier erſt darauf
ankam, die Faͤcher zu machen, welche in
Zukunft die pragmatiſchen Bemerkungen,
welche ſich zum Theil aus Schmidts Ge-
O 2ſchich-
[212]Theil II. ſeit Juſtinian,
ſchichte der Deutſchen, oder Spittlers Kir-
chengeſchichte nehmen laſſen, enthalten ſollen.


§. 177.


Man koͤnnte folgende Perioden machen:


I. Geſchichte des Nichtroͤmiſchen Rechts
bis zum Anfang des zwoͤlften Jahrhunderts
d. h. bis zur Entſtehung der Univerſitaͤten,
nm die Materialien zu kennen, welche man
zu bearbeiten anfing, als das Roͤmiſche Recht
wieder auflebte.


II. Geſchichte der Rechtsgelehrſamkeit
bis ins 16te Jahrhundert, d. h. bis zur
Wiederherſtellung der alten Litteratur. Wenn
man Nahmen haben will: Zeitalter der
Scholaſtiker und Gloſſatoren, von Irnerius
und Gratian, bis Luther und Cujas.


III. Geſchichte der Rechtsgelehrſamkeit
von der Reformation an bis auf unſre Zeiten.


Aber die letzte kuͤrzeſte Periode iſt, nach
unſerer Abſicht, bey weitem die wichtigſte.


§. 178.


Das Roͤmiſche Recht erhielt ſich, wie
wir geſehen haben, auch unter der Herrſchaft
der Deutſchen, aber das Juſtinianeiſche Recht
konnte ſich nicht erhalten, es haͤtte erſt muͤſ-
ſen eingefuͤhrt werden, und dieß geſchah nur
in Italien. Die Eroberungen der Longobar-
den
[213]bis auf unſere Zeiten.
den verdraͤngten es hier nicht mehr, als die
Eroberungen der Gothen das Theodoſia-
niſche verdraͤngt hatten. Aber durch die bis
ins 11te Jahrhundert immer ſteigende Bar-
barey mußte ein ſo ausgebildetes, ſo viele
Gelehrſamkeit erforderndes Recht faſt ganz
unbrauchbar machen. Hingegen das Cano-
niſche und Lehen Recht war gegenwaͤrtiges
Beduͤrfniß.


Die chriſtliche Kirche, eine zum Bekennt-
niß und zur Ausbreitung gewiſſer Lehrſaͤtze
geſchloſſene, vom Staate gedruͤckte Geſell-
ſchaft, war ein ſo ganz neues Phaͤnomen, daß
ſehr bald eine Menge neuer Grundſaͤtze und
Vorſchriften nothwendig werden mußte. Die
Lehrſaͤtze ſelbſt, die Art ſie vorzutragen, die
Perſonen, welche dazu beſtimmt wurden,
die Annahme neuer Mitglieder, die Beſtra-
fung der Gefallenen, die Ausſchließung der
Unwuͤrdigen, alles dieſes waren Gegenſtaͤn-
de, die ſchon deswegen weſentlichen Einfluß
auf das Gluͤck ſo vieler Menſchen hatten,
weil ſo viele dieſen Einfluß glaubten, und
doch waren weder daruͤber, noch uͤber die Ehe-
ſachen, welche ſehr bald, zum Theil natuͤr-
lich zum Theil zufaͤllig, hieher gezogen wur-
den, genug Beſtimmungen vorhanden. Auß-
er der Bibel hielt man ſich an das, was die
Lehrer der Gemeinden einer Provinz oder des
O 3gan-
[214]Theil II. ſeit Juſtinian
ganzen Reichs in ihren Verſammlungen (Sy-
noden, Concilien) beſchloſſen hatten (Cano-
nes);
oder an die Belehrungen einzeler ehr-
wuͤrdigen Biſchoͤfe, welche in ihren Decreta-
len, ſo wie die Auguſte in ihren conſtitutio-
nes
anfangs ſelten etwas neues vorſchrieben,
und noch ſeltener etwas neues vorſchreiben
wollten. Solche Vorſchriften ſammelte man,
um ſie allgemeiner brauchbar zu machen: ent-
weder ſchrieb man einen bloßen Codex Ca-
nonum,
wie Dionys der Kleine, ein Zeit-
genoſſe Juſtinians, oder man ſtellte in ei-
nem Nomocanon auch die Geſetze des Re-
genten daneben.


§. 179.


Je mehr die Geſellſchaft ſich bildete, de-
ſto mehr entſtanden neue Fragen, deren
Entſcheidungen das Canoniſche Recht aus-
machen. Die Subordination der Biſchoͤfe
unter die Erzbiſchoͤfe, der Erzbiſchoͤfe unter
die Patriarchen, ward immer merklicher, und
nach manchem Wechſel gluͤcklicher und un-
gluͤcklicher Begebenheiten, erhob ſich der Pa-
triarch von Rom zum Pabſte, zum Herrn
der Kirche, und zum unabhaͤngigen Regen-
ten. Wirkungen der Hierarchie waren Ap-
pellationen und Abſetzungen, die Lehre von
Legaten und dem Pallium. Als Benedict
von Nurſia
, auch ein Zeitgenoſſe Juſti-
nians
[215]bis auf unſere Zeiten.
nians, das Moͤnchsweſen nach dem Occident
verpflanzte, und zu einem der wohlthaͤtigſten
Inſtitute umſchuf, fingen nach und nach die
verſchiedenen Reformationen an, welche aus
den erlangten Reichthuͤmern und dem einge-
riſſenen Verfall der Kloſterzucht entſpran-
gen, und wieder neue Reichthuͤmer und neuen
Verfall nach ſich zogen: daher Exemptionen
und Privilegien. Auch der Biſchof ſollte
mit ſeinen Clerus ſo ordentlich, wie ein Abt
mit ſeinen Moͤnchen, leben, Chrodegang
von Metz
gab das erſte Beyſpiel, das im
Fraͤnkiſchen Reiche allgemein befolgt ward,
aber bald fanden dieſe Canonici es beque-
mer, ſich nicht wechſelſeitig zu geniren, und
die Einkuͤnfte nur unter die aͤlteſten zu ver-
theilen. Die Praͤbenden, ihre Verleihung
und Reſignation, die Wahl der Biſchoͤfe
waren ſo wie die Kirchenguͤter, beſonders
die Zehnden, die Grenzen der Dioͤceſen und
Parochien, das Patronatrecht u. ſ. w. Ge-
genſtaͤnde genug, die erſt nach und nach ihre
Regeln bekamen. Unter dieſen Regeln iſt
die untergeſchobene Sammlung von Iſidor
beſonders deswegen wichtig, weil ſie dazu
beytrug, eine Quelle von Regeln, die Be-
lehrungen der Paͤbſte, ſo viel ergiebiger und
unverletzlicher zu machen. In der Maynzer
Dioͤceſe fuͤhlte jemand ein Beduͤrfniß, mehr
unter dem Pabſte, als unter dem Erzbiſcho-
O 4fe
[216]Theil II. ſeit Juſtinian,
fe zu ſtehen, weil jener entfernt, und dieſer
nahe war. Deswegen gab er ſich die Muͤhe,
im Nahmen der aͤlteſten Biſchoͤfe von Rom
Decretalen zu ſchreiben, und darin dieſe Saͤt-
ze vorzutragen. Der Betrug war handgreif-
lich, aber man ſollte ſich nicht wundern wie
das Publicum ſo lange ſich taͤuſchen ließ:
gibt es doch noch jetzt Gelehrte, die es frey-
lich den Centuriatoren nachſagen, das ganze
Werk ſey untergeſchoben, die es aber nicht
ins 9te Jahrhundert ſetzen laſſen wollen,
weil ja der Betruͤger in der Vorrede ganz deut-
lich ſelbſt ſagt, es ſey ſchon im achten be-
kannt geweſen!


§. 180.


Die Lehen waren eine Einrichtung im Mili-
tair, die ſich nach und nach, bey den Eroberungen
Roͤmiſcher Provinzen, zum Landeigenthum bil-
dete, bey dem Verfalle des Heerbanns um ſo noͤ-
thiger ward, und wo Erblichkeit nach und nach,
und nicht durch eine einzele Verordnung Con-
rads
II., aufkam. Sie vermehrten ſich ins Un-
endliche wegen der Afterlehen, und wegen der
durch Aberglauben veranlaßten, oder durch das
Beduͤrfniß nach einem maͤchtigen Beſchuͤtzer
nothwendig gemachten Anerkennung eines Le-
heusherrn uͤber Guͤter, die man ſchon beſaß. Ob
das Lehnsſyſtem und die damit zuſammenhaͤn-
genden Privatkriege ein ſo großes Ungluͤck wa-
ren,
[217]bis auf unſere Zeiten.
ren, als wir glauben, oder ein ſo großes
Gluͤck, als die damahligen Ritter glaubten,
gehoͤrt nicht hierher, wo es nur darauf an-
kommt, die vielen Fragen zu bemerken, aus
deren hergebrachter Entſcheidung das Lehen-
recht ſich bildete. Sie betrafen die Perſon
eines tuͤchtigen Lehnfolgers, die Ausſchließung
oder Zulaſſung der Toͤchter und Geiſtlichen,
die Verwaltung des Lehens waͤhrend der Un-
muͤndigkeit, die Belehnungen, damit der Herr
ſeine Recruten oder der neue Herr ſeine Sol-
daten kennen lernte, die Diſpoſition uͤber das
Lehen, den Verluſt deſſelben wegen Felonie,
die Pflicht zu dienen und das Mannengericht,
weil immer auch die Anſtalt, um Streitigkei-
ten auszumachen, eine Quelle von neuen wird.


§. 181.


Ueber das Lehnrecht ſchrieb man ſpaͤter,
als uͤber das Canoniſche, weil jenes nicht ſo
eigenthuͤmlich die Sache derer war, die al-
lein leſen und ſchreiben konnten. Aber ehe
eines von beyden, und ehe auch wieder das
Roͤmiſche Recht, muͤndlich vorgetragen wer-
den konnte, mußten Univerſitaͤten entſtehen,
denn die bloßen Dom- und Kloſterſchulen wa-
ren dazu nicht geſchickt. Das neue Inſtitut
bildete ſich, wie die wichtigſten Inſtitute ſich
bilden; aus kleinen unmerklichen Anfaͤngen,
O 5wel-
[218]Theil II. ſeit Juſtinian,
welchen endlich der Geiſt des Zeitalters auf-
half, welchen beſonders der Conſociations-
geiſt ihre Form und Haltbarkeit gab. Als
zu Anfange des zwoͤlften Jahrhunderts die
weſtlichen Europaͤer ihren Verſtand zu Spe-
culationen zu gebrauchen lernten, war eine
Sucht zu diſputiren und zu ſubtiliſiren bey
ihnen characteriſtiſch, weil dieſes uͤberhaupt
eine nur der unterſten Stufen von Geiſtesbil-
dung iſt. Sollte davon die Rechtsgelehrſam-
keit ausgeſchloſſen bleiben, ſie die recht eigent-
lich aus entgegengeſetzten Intereſſen und Mey-
nungen entſteht? Aber wenn man uͤber Rechts-
fragen ſpeculiren und ſtreiten wollte, ſo muß-
te man erſt eine Entſcheidungsquelle haben,
die den Gelehrten leichter bekannt, und an
ſich mehr ausgebildet waͤre, als das bloße
GewohnheitsRecht das nur die Schoͤffen
wußten, und die Schoͤffen doch nicht docirten.
Aeußerſt natuͤrlich fiel man alſo, zumahl da
die Univerſitaͤt, welche neben der Pariſer
ſich am meiſten hob, die zu Bologna in Ita-
lien
war, darauf, das alte, in Italien ent-
ſtandene, in Italien ſo wenig und noch weni-
ger als in andern Laͤndern je ganz vertilgte
und unbekannte, ſondern von den Geiſtlichen
von Zeit zu Zeit fuͤr ſich benutzte, Roͤmiſche
Recht vorzutragen. Niemand dachte wohl
daran, daß dieß mehr ein neues Recht ſey,
als
[219]bis auf unſere Zeiten.
als man in der ſcholaſtiſchen Theologie eine
Neuerung ſah; man war uͤberzeugt, es ge-
ſchehe jetzt was von jeher haͤtte geſchehen ſol-
len, und was ohne die allgemeine Unwiſſen-
heit ſchon laͤngſt geſchehen ſeyn wuͤrde. Fuͤr
die einzige Norm hielt niemand das Roͤmi-
ſche Recht, aber in dem, was die Kirchen-
ſchluͤſſe und die Gewohnheiten nicht deutlich
anders entſchieden, in dem, wovon das Roͤ-
miſche Recht doch offenbar die Quelle ſey
wie z. B. von den Teſtamenten, in dem was
das Roͤmiſche Recht gerade ſo beſtimme, wie
ein ſcharfſinniger und unpartheyiſcher Dritte
es von ſelbſt beſtimmt haͤtte, warum ſollte
man es darin nicht als Regel gelten laſſen?
Hatten es denn nicht die Roͤmiſchen Kaiſer
gemacht, waren dieſe nicht die Oberherrn
von Italien geweſen, und erkannte Italien
nicht noch jetzt einen Roͤmiſchen Kaiſer?


§. 182.


Wenn dieſe natuͤrliche Zuſammenſtellung
mehrerer Umſtaͤnde die Geſchichte vom Wie-
deraufleben des Roͤmiſchen Rechts iſt, ſo
kann man errathen, daß der groſſe Haufe
ſic uͤberſehen, und dagegen eine ſchneidendere
und Revolutionenartigere geſucht und gefun-
den haben wird. So trug man ſich lange
mit der Nachricht, unter Lothar 2. ſeyen
zu
[220]Theil II. ſeit Juſtinian,
zu Amalphi die Pandecten, wohl gar das
Original Juſtinians, entdeckt worden, und
gleich habe der Kaiſer befohlen, uͤber ſie zu
leſen und kein anderes Recht mehr zu gebrau-
chen. Auch als dieſes Maͤhrchen unter an-
dern von Calixt in ſeiner theologiſchen Mo-
ral widerlegt war, vergaß man lange den
ehrlichen Pepo, der in Bologna das Roͤ-
miſche Recht erklaͤrte, noch ehe Irnerius
aufhoͤrte, die artes uͤberhaupt zu lehren. Die
Reiſe dieſes Letztern nach Conſtantinopel, der
Streit uͤber das Wort as, die Aufmunte-
rung von Seiten der Markgraͤfinn Mathil-
de
, alles dieſes ſind hoͤchſtens kleine Ancc-
doten, durch die allein das Studium des Roͤ-
miſchen Rechts nicht entſtanden, und ohne
die es doch entſtanden waͤre. Die Fragmen-
te eines unſtreitig unaͤchten Calendarium
archigymnaſii Bononienſis
beweiſen gar
nichts, weder hier noch in der Geſchichte des Ca-
noniſchen und Lehenrechts, und wir Deutſche
waͤren doch faſt zu gutmuͤthig, wenn wir
uns laͤnger auf eine Urkunde beriefen, die
in Deutſchland ſo vortrefflich widerlegt, und
von den neuſten Geſchichtſchreibern der Uni-
verſitaͤt und der StadtBologna keiner Widerle-
gung wuͤrdig gehalten worden iſt.


§. 184.
[221]bis auf unſere Zeiten.

§. 183.


Die ſcholaſtiſchen Civiliſten, die ſogenann-
ten Gloſſatoren, haben daſſelbe Schickſahl
gehabt, wie die ſcholaſtiſchen Philoſophen
nnd Theologen; ſie ſind oft von Leuten am
meiſten verachtet worden, die nichts von ih-
nen geleſen hatten, und um gar weniges beſ-
ſer waren, als ſie. Jetzt iſt man darin ei-
nig, daß es ihnen nicht an Scharfſinn und
nicht an Fleiß fehlte, ſondern nur an Kennt-
niß der uͤbrigen alten Litteratur und an Ge-
ſchmack, ein nur, deſſen Wichtigkeit nicht
uͤberall fuͤr gleich groß gehalten wird. — In
ihrem Corpus juris waren keine Griechiſche
Novellen, ſondern eine lateiniſche elende,
aber von Cujas gelobte Ueberſetzung ward
um dieſe Zeit gemacht, und Auszuͤge daraus
ſetzte zum Theil Irnerius ſelbſt unter die
abgeaͤnderten Stellen im Codex, ſie hießen
Authenticae, weil man die Novellen ſelbſt
ſo nannte, und mit ihnen trug man auch ei-
nige Verordnungen der Hohenſtaufiſchen Kai-
ſer ein. — Wenn uͤbrigens die Exemplare
von den Sammlungen Juſtinians, deren
ſich die Gloſſatoren bedienten, nicht gleichfoͤr-
mig abgetheilt waren, ſo hatten ſie einen
Grund mehr, nicht nach Zahlen ſondern nach
Ueberſchriften und Anfangsworten zu citiren,
eine Gewohnheit die dadurch verbeſſert wor-
den
[222]Theil II. ſeit Juſtinian,
den iſt, daß man angefangen hat, die Zahlen
damit zu verbinden, und die endlich ganz
aufhoͤren wird, wenn es erſt allgemeiner Mo-
de iſt, das Corpus juris nicht aͤngſtlicher zu
citiren, als irgend ein anderes Buch, und
mit Citaten aus dem Corpus juris nicht mehr
Staat zu machen, als mit Citaten aus irgend
einem andern Buche.


§. 184.


Zu eben der Zeit als Vorleſungen uͤber
das Roͤmiſche Recht wieder anfingen, und
die Buͤcher, welcher man ſich nach der Ab-
ſicht Juſtinians dabey zu Compendien bedien-
te, in die Gerichte brachten, zu eben der
Zeit, alſo ſchwerlich ſchon aus Furcht vor
den im Grunde doch eben nicht ſo gefaͤhrlichen
Folgen, die das Kaiſerliche Recht fuͤr die
Verfaſſung des Staats und der Kirche haben
wuͤrde, ſondern wohl mehr aus Nachah-
mung und weil dieſelbe Veranlaſſung auch
hier war, entſtanden auch in Bologna Colle-
gien uͤber das Canoniſche Recht. Der Leh-
rer mußte ſich aber ſein Buch erſt ſelbſt com-
piliren, und daher bekam hier das Compen-
dium aus der erſten Haͤlfte des 12ten Jahr-
hunderts beynahe ſo großes Anſehen, als die
Compilationen Juſtinians. Grattan, kein
Camaldulenſer und wohl auch kein Benedicti-
ner
[223]bis auf unſere Zeiten.
uer Moͤnch, ſchrieb, nicht auf Anrathen
Bernhards von Clairvaux ein Werk, das
wahrſcheinlich nicht er ſelbſt Concordia dis-
cordantium Canonum
nannte, ſo paſſend
auch der Nahme wenigſtens fuͤr ſeine Abſicht
war, uͤber welches aber wahrſcheinlich er ſelbſt
Vorleſungen hielt, ohne eine Erlaubniß des
Pabſtes dazu zu gebrauchen. Dieß iſt das
Decretum Gratiani, deſſen Lehrer, die De-
cretiſten, doch durch die dem Pabſte angeneh-
mere Decretaliſten nicht ganz verdraͤngt wur-
den, obgleich im Anfange des 13ten Jahr-
hunderts Gregor 9. durch ſeinen Tribonian
Raymund von Pennaforte 5 Buͤcher Ex-
travaganten ſammeln ließ, und Bonifaz 8
ſeinen nachher ſo genannten liber ſextus, ſo
wie ClemensV ſeine Clementinen den Univer-
ſitaͤten beſtens empfahl.


§. 185.


Nicht viel ſpaͤther, als Gratians Decret,
wurden die libri feudorum aus fruͤhern Wer-
ken uͤber das Longobardiſche LehenRecht com-
pilirt, um ſie wenigſtens als vſus modernus
der Lehre von der Emphytenſe zu erklaͤren.
Sie bekamen ihre Stelle hinter dem Roͤmi-
ſchen Rechte, als die 10te Sammlung von
Novellen.


§. 186.
[224]Theil II. ſeit Juſtinian.

§. 186.


Sehr natuͤrlich war es, daß die Grund-
ſaͤtze des Roͤmiſchen, Canoniſchen und Longo-
bardiſchen Rechts von allen denen angewen-
det wurden, welche, vielleicht auch nur des-
wegen, weil ſonſt ſo viel in Bologna zu ler-
nen ſey, dahin reisten, dieſe Vorleſungen
etwa mitnahmen, und an welchen nun geiſt-
liche und weltliche Regenten die Leute gefun-
den hatten, die ihre gegenſeitigen Anſpruͤche
recht gelehrt vertheidigen konnten. Der aͤlteſte
Ritter, der erfahrenſte Schoͤffe mochten
noch ſo viel davon ſprechen, daß es von jeher
nicht ſo geweſen ſey, wie der Italiaͤniſche
Rechtslehrer oder Rechtsgelehrte ſage, daß
es ſeyn muͤſſe, bey jedem Streite zogen ſie
nothwendig den Kuͤrzern, ſie waren keine
Gelehrte, ſie kannten die Diſputierkuͤnſte
nicht, und wenn gar der Doctor ſie fragte,
was denn zur conſuetudo gehoͤre, und wie
ſie einen rechtskraͤftigen Beweis davon fuͤh-
ren wollten, ſo konnten ſie ihm vollends nicht
antworten. Ein Gluͤck war es noch fuͤr ſie,
daß, damahls noch weniger als jetzt, im-
mer das Recht behielt, deſſen Deduction nicht
widerlegt worden war.


§. 187.
[225]bis auf unſere Zeiten.

§. 187.


Sehr natuͤrlich war es auch, daß die
Collegien-Hefte oder die ſchriftlichen Anmer-
kungen eines gelehrten, oder fuͤr gelehrt ge-
haltenen Profeſſors noch mehr galten, als
der Text ſelbſt, zumahl als der Text des
Roͤmiſchen Rechts, das ſo alt war, daß
gar manches nicht mehr geradezu angewendet
werden konnte. In der Gloſſe war immer
der neuſte Gerichtsgebrauch, und wer Latein
ſprach, wie dieſes Malo pro me gloſſam quam
textum, quia ſubtilis ratio non ita intrat in
caput iudicis ſicut gloſſa,
der mußte ſchon
deswegen mehr mit den Gloſſatoren, als mit
den Claſſikern, ſympathiſiren, weil er jene
allein verſtand. Daher kam es denn auch,
daß der Gerichtsgebrauch oͤfter mit dem Ca-
noniſchen Rechte uͤbereinſtimmte, es war das
neuere Recht aus demſelben Zeitalter, und
die Gloſſatoren konnten vom Pabſte, aber
nicht von Juſtinian gefragt werden.


§. 188.


Noch ehe man im 14ten Jahrhundert
auch in Deutſchland ſelbſt Univerſitaͤten be-
kam, fing man an, deutſche Rechtsgewohn-
heiten zu ſammeln, auch wieder vielleicht
mehr aus Nachahmung, weil man nun haͤu-
figer ſchrieb, als um dem einreißenden frem-
Pden
[226]Theil II. ſeit Juſtinian,
den Rechte ſich entgegenzuſetzen. So ent-
ſtanden im 13ten Jahrhundert der Sachſen-
ſpiegel Epko’s von Repkow, und die bey-
den unter dem nicht ganz richtigen Nahmen
Schwabenſpiegel und Kaiſerrecht bekannten
Werke. Wichtiger und zum Theil auch aͤl-
ter ſind die Stadtrechte, denn hier ſammel-
te nicht immer nur ein Privatmann was oh-
nehin Rechtens war, ſondern man machte
auch abſichtlich neue Beſtimmungen uͤber Ge-
genſtaͤnde, die man vorher nicht gekannt hat-
te, weil die Staͤdte ſich jetzt erſt recht hoben,
ihr Verhaͤltniß zum Herzoge oder Biſchofe,
ihr Privatrecht uͤber Zuͤnfte, Brauerey,
Handlung u. ſ. w. nun erſt ſich bildete. Es
war viel gewonnen, wenn eine Stadt von
ihrem Herrn eben die Privilegien erhielt,
die etwa Magdeburg hatte. Das Privat-
recht nahm man als Zugabe mit, und frey-
lich paßte es zu dieſer Verfaſſung; ſo ent-
ſtanden die Oberhoͤfe, und ſo ward das Mag-
deburgiſche Weichbild, das Soeſtiſche und
Luͤbeckiſche Stadtrecht, das Muſter ſehr vie-
ler andern. Die Rechtsgeſchichte der einze-
len deutſchen Staaten iſt uͤbrigens noch ſo we-
nig pragmatiſch bearbeitet, als die uͤbrige
Geſchichte derſelben, und die Mannichfaltig-
keit und Kleinheit dieſer Theile, welche daran
Schuld iſt, hinderte auch ſo ſehr lange den
Vor-
[227]bis auf unſere Zeiten.
Vortrag des deutſchen Rechts auf Univerſi-
taͤten.


§. 189.


Unſtreitig war der Mangel an einem
academiſchen Vortrage des einheimiſchen
Rechts, ein Hauptumſtand, um den fremden
Rechten das Uebergewicht deſto leichter zu
verſchaffen. Faſt ganz eben ſo ging es auch
im uͤbrigen ſuͤdweſtlichen Europa. Aber ob
die Einfuͤhrung eines alten, gelehrten Rechts
ein Gluͤck oder ein Ungluͤck fuͤr uns war,
laͤßt ſich ſo leicht nicht entſcheiden, als dieje-
nigen wohl glauben, welche es ſtoͤßt, daß
nicht jedermann ein Juriſt ſeyn kann, und
welche den Vortheil fuͤr gering ſchaͤtzen, den
die ganze alte Litteratur davon gehabt hat,
daß doch bisher fuͤr eine ſehr zahlreiche Claſ-
ſe unter den hoͤhern Staͤnden, das Latein ei-
ne von den Sachen war, deren Nutzen man
mit Haͤnden greifen konnte. — Alles be-
rechnet moͤchte es doch wohl nicht zu wuͤnſchen
geweſen ſeyn, daß FriedrichIII. das Roͤmi-
ſche Recht verdraͤngt haͤtte, und Maximi-
lian
I. konnte immerhin dem Cammergerich-
te befehlen, auch nach des Reichs und ge-
meinen Rechten zu urtheilen, weder er noch
die Staͤnde dachten daran, hier etwas neues
zu verordnen, und die geſetzliche Kraft je-
der einzelen Entſcheidung Juſtinians blieb
P 2da-
[228]Theil II. ſeit Juſtinian,
damit doch noch unausgemacht. Eine Wiſ-
ſenſchaft iſt noch nie durch einen Reichsſchluß,
und nie durch eine Cabinets: Ordre, verbeſſert
worden, ſo wenig als die Theologie durch
ein Concilium. Der Geiſt des Zeitalters
macht alle Befehle entweder unwirkſam oder
entbehrlich.


§. 190.


Zu Ende des 15ten und zu Anfang des
16ten Jahrhunderts fing endlich die Gaͤh-
rung an, welche ſchon vorher einzele Gelehr-
te ſo ſehnlich gewuͤnſcht hatten. Nicht die
Erfindung der Buchdruckerey allein, die
ſchon 1499 ein ganzes Corpus iuris lieferte,
nicht die fluͤchtigen Griechen allein, die die
Baſiliken und andere juriſtiſche Schriften ih-
rer Landsleute mitbrachten, waͤren im Stan-
de geweſen, uns dem Ideale Valla’s naͤher
zu bringen; aber tauſend kleinere Umſtaͤnde
erweckten einen allgemeinern Eifer fuͤr die al-
te Litteratur, die beſten Koͤpfe waren uͤberall
auf der Seite der Humaniſten, und wenn
ein Humaniſt an das Roͤmiſche Recht gerieth,
ſo konnte es nicht fehlen, er mußte die Claſ-
ſiker verehren, und uͤber die Gloſſatoren und
Bartoliſten ſpotten.


Gewoͤhnlich ſetzt man die Epoche der beſ-
ſern Jurisprudenz erſt bey Alciati, aber es
waͤre
[229]bis auf unſere Zeiten.
waͤre doch ungerecht, Maͤnner wie Zaſius
und Haloander und die erſten Herausgeber
der nicht durch Juſtinian auf uns gekomme-
nen Fragmente Bouchard und Sichard,
mit Martinus, Bulgarus, Azo, Accur-
ſius, Barrolus, Baldus, Jaſon
und
den andern Verfaſſern der Gloſſe oder des
Tractatus Tractatuum in eine Reihe zu ſtel-
len. Beſonders Hofmann (Haloander) hat
dieß nicht um uns verdient, der zuerſt die
Pandecten mit Auswahl der Lesarten und
ohne ſclaviſche Anhaͤnglichkeit, weder an ei-
ne ſogenannte nirgends exiſtirende Vulgata,
noch an das Manuſeript zu Florenz, edirte,
und der zuerſt den griechiſchen Text der No-
vellen mit einer beſſern Ueberſetzung drucken
ließ.


§. 191.


Hingegen die peinliche Gerichtsordnung
CarlsV. verdiente nicht in einer hellern Pe-
riode erwaͤhnt zu werden, auch wenn ſie chro-
nologiſch nicht ſo ſehr entſchieden fruͤher waͤ-
re, als der Einfluß der neuen Art die Wiſ-
ſenſchaft zu behandeln. Sie ſollte die Schoͤſ-
fen in Ordnung bringen, das heißt ihnen
das, was gemeines Recht ſey, bekannt ma-
chen, oder ihnen zeigen, wenn und wo ſie
darnach anfragen muͤßten. Der Vorwurf iſt
alſo wohl ſehr ungerecht, den man ihr we-
P 3gen
[230]Theil II. ſeit Juſtinian,
gen ihrer Unbeſtimmtheit, in Anſehung der
Strafen ſelbſt, gemacht hat, denn welche
Proceßordnung enthaͤlt ein Rechtsſyſtem?
und gewiß wuͤrde Johann von Schwar-
zenberg
ſich eben ſo ſehr wundern, wenn er
hoͤrte, daß nun die Rechtsverſtaͤndigen ſelbſt
jedes ſeiner Worte abwaͤgen, und gerne noch
aus der Bambergiſchen Gerichtsordnung Be-
lehrung ſchoͤpfen, ſo ſehr als CarlV. ſich
wundern muͤßte, daß von allen ſeinen Anſtal-
ten faſt keine ſich erhalten habe, als dieſe.
Kann man die Haͤrte der Halsgerichtord-
nung tadeln, da ſie ſo weiſe dem Einfluſſe
anderer Sitten und anderer Meynungen Platz
ließ? So wie die Rechtsverſtaͤndigen ſpraͤ-
chen, ſo ſollte es Recht ſeyn, weſſen Schuld
iſt es nun, wenn dieſe ſich nur mit Chi-
canen zu helfen wiſſen, um die Faͤlle der
poena extraordinaria recht haͤufig zu machen?


§. 192.


Es iſt ſchwer, die Menge der Rechtsge-
lehrten, die wir aus der letzten Periode ſeit
dem Winderaufleben der alten Litteratur ken-
nen, ohne große Unbequemlichkeiten zu ord-
nen. Weder das Vaterland, noch die Jahr-
zahl, noch das Fach ſind ganz beſtimmte Cha-
ractere, und am ſchwerſten muͤßte es ſeyn,
ſie nach den Methoden zu ſtellen. Was iſt
wich-
[231]bis auf unſere Zeiten.
wichtiger, der Ort der Geburt, oder der
Ort wo man wirkt? Soll das erſte oder das
letzte Lebensjahr entſcheiden, da oft eines ſo
unwichtig als das andere iſt? Und wie we-
nige Rechtsgelehrte waren von jeher ſo be-
ſcheiden, nur ein Fach ſich zu waͤhlen, oder
wie wenige ſo gluͤcklich, dieß zu duͤrfen?


Allenfalls kann man aus den Rechtsge-
lehrten, die bis in die Mitte des ſiebzehnten
Jahrhunderts gelebt haben, einen eigenen
Abſchnitt machen, und weil dieß die Fran-
zoͤſiſche
Periode iſt, ſo nimmt man die ſpaͤ-
thern Schriftſteller dieſer Nation auch mit.
Die Periode der Hollaͤnder (im weiten Sin-
ne) kann man auch bis auf unſre Zeiten her-
abfuͤhren, nur muß man die deutſchen Rechts-
gelehrten des 18ten Jahrhunderts trennen,
die beſonders das Nicht- roͤmiſche Recht cul-
tivirten. Fuͤr die Jetztlebenden muß ich es
der Nachwelt uͤberlaſſen, eine eigene Epo-
che anzunehmen.


§. 193.


Alciati verdient es an der Spitze der
glaͤnzendſten Periode der Jurisprudenz zu ſte-
hen, weil er ſchon fruͤh Gefahr lief, ein
Maͤrtyrer ſeines Eifers zu werden. Bour-
ges nahm ihn auf, die bluͤhendſte Univerſi-
taͤt unter den bluͤhenden franzoͤſiſchen. Bu-

[232]Theil II. ſeit Juſtinian,
war mehr Humaniſt als Rechtsgelehrter,
Ferret, auch ein nationaliſirter Franzoſe,
iſt der Lehrer Govea’s, den Cujas ſo ſehr
erhebt. Ant. Auguſtinus, Erzbiſchof von
Tarragona that im Roͤmiſchen Rechte ſo viel
als im Canoniſchen. Connan, Baron,
Tiraqueau
ſind nicht ſo merkwuͤrdig als
Duaren, Alciati’s Nachfolger in Bourges,
oder als Dumolin, der ſtolze Ausleger der
einheimiſchen Provinzialrechte, oder der Me-
taphyſiker Matth. Weſembek, deſſen Me-
thode in Deutſchland mehr Nachfolger fand,
als Baudouins hiſtoriſche Unterſuchungen
uͤber Tribonians Fehler. Die beyden Cau-
relli
thaten mehr fuͤr das Florentiniſche, von
ihnen ſo verehrte Manuſcript, als Le Con-
te
, den erſt ſeine Streitigkeiten zum Ge-
lehrten machten. Unſre Landsleute Schnei-
dewin, Gail
und Mynſinger hatten Hot-
man’s
Kenntniſſe von der alten Litteratur
nicht, ſie ſtellten aber auch keine Paradoxen
auf, wie er.


§. 194.


So viele große Rechtsgelehrte hatte Cu-
jas
zu Zeitgenoſſen oder zu Vorgaͤngern, denn
er ſtarb erſt 1590: der Ruhm gebuͤhrt ihm
alſo nicht, daß er die beſſere Behandlungs-
art der Wiſſenſchaft erſt eingefuͤhrt habe,
und wenn er der groͤßte unter dem gelehrten
Juri-
[233]bis auf unſere Zeiteu.
Juriſten war, wenn man ſeine Thaͤtigkeit in
Benutzung unbekannter Quellen ſo hoch an-
rechnen will, ſo kann man es doch nicht lo-
ben, daß er einem Robert, Hotmann,
Doneau
ſo heftig, und ſich ſelbſt, wie Me-
rille gezeigt hat, ſo oft widerſprach, daß er
ſo verwegen einendirte, und ein Syſtem fuͤr
ein ſo unnuͤtzes Werk hielt. Auch Grego-
rius von Toulouſe
ſchrieb eines, aber
weder dieſes noch Mercier’s Emendationen
noch Loͤwenklau’s Ueberſetzungen noch ſelbſt
Labitte’s Verzeichniß laſſen ſich mit Briſ-
ſons
unſterblichen Werken, beſonders dem Le-
xicon vergleichen, das ſein gewaltſamer Tod
unterbrach, ohne daß Tabor, oder Itter, oder
Heineccius im Stande geweſen waͤren, es
ganz zu vollenden. Jul. Pacius, Panzi-
volli, Menochius, Mantica, Farina-
cius
lebten in Italien waͤhrend daß von Gif-
fen
an Conr. Rittershuſen in Altdorf ei-
nen Schuͤler hatte, der nicht nur die No-
vellen ſyſtematiſch erlaͤuterte, ſondern auch die
Fragmente der zwoͤlf Tafeln und des Julius
Paulus herausgab. Denys Godefroi, der
Vater, iſt durch ſein Corpus iuris, mit den
Noten aus den Gloſſatoren und ſeinen Lands-
leuten, beruͤhmt. Es ward ſo oft nachge-
druckt, daß man ſeine Lesart fuͤr die vul-
gata
haͤlt, ob er gleich die Abweichungen von
P 5der
[234]Theil II. ſeit Juſtinian,
der vulgata ſelbſt bemerkt. Die beyden Pi-
thou
bearbeiteten das Canoniſche Recht,
und der aͤltere Bruder edirte die Collatio.
Oiſel, Labbé, Maran, Gurhier, a Co-
ſta, Herault, Anton Favre
, der Praͤſi-
dent in Savoyen (Peter, der Verfaſſer der
ſemeſtria war es in Toulouſe) Merille ge-
hoͤren alle zu dem zahlreichen Corps der großen
franzoͤſiſchen Civiliſten, das noch recht wuͤr-
dig mit Jacob Godefroi, dem Sohne (ein
Genfer iſt in Deutſchland doch ein Franzoſe)
und mit Fabrot aufhoͤrt. Selbſt der ſpitz-
ſindige Galvani bewunderte ſie, und ſie
ſtellte er ſeinen Landsleuten zum Muſter
auf, obgleich Perez, Ramos del Manza-
no, de Retes
und der Commentator der
Decretalen Gonzalez Tellez, durch ihre Ge-
lehrſamkeit, auch Spanien Ehre machten.


§. 195.


Unter den neuern Franzoͤſiſchen Rechts-
gelehrten verdienen Doujat, Domat, der
in Deutſchland faſt gar nicht gekannte Ver-
faſſer der loix civiles dans leur ordre natu-
rel,
des Handbuchs aller ſeiner Landsleute,
die beyden Ferriere und Bouhier genannt
zu werden. Das große Syſtem des Letztern
wird nun wahrſcheinlich gedruckt. So lan-
ge aber die Franzoͤſiſchen Univerſitaͤten das
blei-
[235]bis auf unſere Zeiten.
bleiben, was ſie jetzt ſind, ſo lange die ſonſt
recht gut eingerichtete practiſche Bildung der
jungen Rechtsgelehrten ſo ſehr die Hauptſa-
che iſt, ſo lange wird man auch mehr auf
das unmittelbar zu gebrauchende, als auf
diejenigen Kenntniſſe ſehen, deren Vernachlaͤßi-
gung ſich zwar unausbleiblich, aber erſt in der
Folge, raͤcht. Es wird ein Verdienſt ſeyn,
auch nur ſeinen Terraſſon zu ſtudieren.


§. 196.


In dieſer erſten Periode der neuern Ju-
risprudenz gewann unſtreitig das Roͤmiſche
Recht am meiſten durch die wieder aufleben-
de alte Litteratur, und ob man gleich criti-
ſche Reinigung des Textes vielleicht zu ſtark
trieb, ſo vernachlaͤßigte man doch das Sy-
ſtem nicht, man wuͤrde auch wohl in den Geiſt
des Rechts eingedrungen ſeyn, wenn damahls
ſchon ein Montesquieu auf den Geiſt des
Rechts aufmerkſam gemacht haͤtte. — Das
Canoniſche Recht verlor durch die Reforma-
tion ſehr viel von ſeinem Anſehen bey den
Proteſtanten, und es wuͤrde auch in den
Sachen, welche nicht durch Kirchenordnun-
gen beſtimmt ſind, weit mehr verloren ha-
ben, wenn man den Gerichtsgebrauch, der
in das Canoniſche Recht gekommen iſt, nicht
fuͤr eine bloße Folge des Canoniſchen Rechts
und
[236]Theil II. ſeit Juſtinian,
und fuͤr einen Beweis von dem Anſehen deſ-
ſelben hielte. Das Corpus iuris Canonici
ward durch die Correctores Romani revidirt,
aber Lancellotti’s Inſtitutionen waren nicht
ſo gluͤcklich als die von Tribonian verfertig-
ten. Auch die neue Eintheilung des Lehen-
rechts von Cujas kam nun zu ſpaͤth. Die
Quellen des einheimiſchen Rechts wurden nun
bekannter und es entſtanden immer neue,
aber es war was unerhoͤrtes, wenn Godenius
ſeinen Zuhoͤrern uͤber die Kaiſerwahl etwas
vortrug “vt discant aliquid de curſibus mun-
di.”


§. 197.


Die zweyte, Niederlaͤndiſche Periode
mag mit Hugo Grotius anfangen, nicht
wegen ſeines Werks uͤber das Hollaͤndiſche
Recht, ſondern weil das Buch, worin er
nur die Abſicht hatte, ungerechte Kriege zu
verhindern, die Veranlaſſung zu einer neuen,
nach und nach immer mehr [ausgebreiteten],
Branche der Jurisprudenz geworden iſt.
Nur freylich verſtand ſich Grotius nicht ge-
nug auf das Demonſtriren, um die Geſchich-
te entbehren zu koͤnnen. Groͤnewegen iſt
dadurch bekannt, daß er ſehr leicht einzele
Saͤtze des Roͤmiſchen Rechts fuͤr nicht ange-
nommen hielt. Vinnius ſoll der erſte von
den großen humaniſtiſchen Juriſten in Hol-
land
[237]bis auf unſere Zeiten
land geweſen ſeyn, er verſetzte die nicht mehr
ſchwache Pflanze in einen ſehr guͤnſtigen Bo-
den. Um eben dieſe Zeit ſtritt Conring ge-
gen die erdichtete Verordnung Lothars, ge-
gen die Anwendbarkeit des Roͤmiſchen Staats-
rechts in Deutſchland, und dafuͤr daß unſre
Regenten das Roͤmiſche Recht aͤndern duͤrf-
ten und ſollten. Er haͤtte voͤllig frey von
Irrthuͤmern daruͤber ſeyn koͤunen, und waͤre
doch fuͤr den großen Haufen lange nicht ſo
wichtig geweſen, als Mevius, deſſen Bey-
nahine fabricator praxeos jeden Juriſten vor
ſklaviſcher Anhaͤnglichkeit an den Gerichts-
gebrauch bewahren muß, oder als Brun-
nemann
, der das Anſehen Carpzov’s
ſchwaͤchte, oder gar als die Compendien-
ſchreiber Lauterbach und Struv. Der
Plan des letzteren war gewiß zu einer Zeit,
da man weder uͤber das germanicum noch
uͤber das Criminalrecht hoͤrte, da die latei-
niſche Sprache noch die Sprache aller Vor-
leſungen war, und auf einer Herzoglich-Saͤch-
ſiſchen Univerſitaͤt, ſo uͤbel nicht. Aber Struv,
der die Unvollkommenheit ſeines Werks mit
ſeinen uͤberhaͤuften Geſchaͤfften entſchuldigte,
wuͤrde ſich gewiß freuen, wenn er wuͤßte,
daß jetzt dieſes alles ſich geaͤndert habe, nur
nicht der academiſche Gebrauch der iurispru-
dentia Romano-Germanica.
Wiſſenbach
war
[238]Theil II. ſeit Juſtinian,
war auch von Geburt ein Deutſcher, man
nimmt ihm ſeine Meynung von dem Emble-
men mehr uͤbel, als daß er die obligatio zum
ius perſonarum rechnete. Sein Schuͤler
Ulr. Huber ruͤhmte von ſich, daß er die
ſterilen Unterſuchungen uͤber das alte Recht
aufgegeben habe. Die poſitiones, woraus
ſein Commentar erwuchs, waren wohl an-
fangs auch nur einige Bogen, man ſieht
darin, daß Grotius ſchon geſchrieben, und
Pufendorf das Naturrecht ſchon zum eige-
nen Collegium gemacht hatte. In den Haͤn-
deln mit ſeiner Facultaͤt war Huber’s Geg-
ner der viel juͤngere van Eck, deſſen Pan-
decten Compendium doch wenigſtens beque-
mer war, als Vorleſungen uͤber den Text
ſelbſt. Die beyden Voer ſtehen in Holland
noch in großem Anſehen und uͤber Boͤkel-
manns
Inſtitutionen liest man dort noch jetzt.
Noodt, und ſein Vetter Schulting gehoͤren
zu den verdienteſten Rechtsgelehrten, aber die
Sammlung, wodurch der Nahme des Letz-
tern mehr bekannt iſt, als durch ſeinen vor-
trefflichen Beweis, daß die Jurisprudenz
nicht bloße Speculation ſondern eine hiſtori-
ſche Wiſſenſchaft ſey, und durch mehrere ihm
ganz eigene Schriften, dieſe Sammlung muͤß-
te jetzt ſehr leicht uͤbertroffen werden koͤnnen,
weil man bey der Bearbeitung der Alten
uͤber-
[239]bis auf unſere Zeiten.
uͤberhaupt jetzt manchen neuen Vortheil an-
wendet. Brencmanns Wallfarth zu dem
Florentiniſchen Manuſcripte wird wohl die
letzte dieſer Art ſeyn. Weſtenberg war
auch ein Deutſcher; d’ Arnaud lebte zu kurz,
um je das Gewicht von Bynkershoek zu
bekommen, der durch ſeinen Streit mit Pa-
genſtecher ſich ſehr fruͤh, aber nicht ganz
zu ſeinem Vortheile, bekannt machte, und der
unter uns vielleicht deswegen ſo viel genannt
wird, weil er ein Zeitgenoſſe unſerer Com-
pendienſchreiber war. Wieling iſt einer
der letzten großen Rechtsgelehrten in den
Niederlanden, denn Meermann war meiſt
nur Sammler, und aus Dank fuͤr manches
ſchaͤtzbare ſpaniſche oder franzoͤſiſche Werk,
darf man es nicht zu ſehr ruͤgen, daß bey
weitem nicht alles, was er abdrucken ließ, den
wahren Reichthum ſeines Schatzes vermehr-
te, ſo wie man bey ſeiner Schrift, worin er
die Lehre von den res mancipii zum Theil
durch die Chemie erlaͤutert, und worin er,
wie es ſcheint, gerade die Hauptſache uͤber-
ſieht, nicht vergeſſen muß, daß es ſeine
Doctordiſputation war, und daß eine ſolche
doch ſelten ſo viel zuſammengetragene Mate-
rialien liefert. Ruͤcker und Voorda wuͤrden
durch ihre Emendationen beruͤhmter gewor-
den
[240]Theil II. ſeit Juſtinian,
den ſeyn, wenn man jetzt dadurch ſo beruͤhmt
wuͤrde, als ehemahls.


§. 198.


Im Roͤmiſchen Rechte iſt dieſe Periode
von der vorhergehenden nicht ſehr unterſchie-
den, wenigſtens nicht ſehr zu ihrem Vorthei-
le, denn die Blicke auf das Ganze ſind bey
den Hollaͤndern beynahe ſeltener, als bey den
großen franzoͤſiſchen Civiliſten. Aber ein
Vortheil war es immer, daß ſie blos Civi-
liſten waren, und daß die Profeſſoren nicht
durch Facultaͤtsarbeiten in ihren gelehrten
Unterſuchungen geſtoͤhrt wurden. Die alte
Literatur trieb man uͤberhaupt mit vielem
Fleiße, obgleich oft mit wenig Geſchmack;
und das Roͤmiſche Recht iſt ja doch nichts
anders, als ein Theil der alten Litteratur.


In Deutſchland blieb alles ſo ziemlich
wie vorher, es bildete ſich ein Gerichtsge-
brauch, den die ſogenannten accuraten Ju-
riſten erſt nachher aus den Schriften der Hol-
laͤnder verbeſſerten; das Naturrecht ward
eine eigene Diſciplin, und ſeit dem Weſtfaͤ-
liſchen Frieden fehlte es nun gar nicht an
Publiciſten, die die deutſche Freyheit gegen
den Kaiſer muthig vertheidigten. Doch ge-
wann dabey der Deſpotismus der Landes-
herrn oͤfter, als die Freyheit der Untertha-
nen.


§. 199.
[241]bis auf unſere Zeiten.

§. 199.


Von den Rechtsgelehrten des achtzehn-
ten Jahrhunderts ſind die franzoͤſiſchen und
hollaͤndiſchen ſchon als Anhang zu ihren Lands-
leuten erwaͤhnt, wenn man alſo von den Ita-
liaͤnern den einzigen Gravina, vorzuͤglich
wegen ſeiner Latinitaͤt, ausnimmt, ſo blei-
ben nur Deutſche uͤbrig. Bey aller Aus-
wahl, die hier um ſo noͤthiger iſt, je mehr
wir noch die ganze Menge von Nahmen
uͤberſehen, darf doch Schilter nicht vergeſ-
ſen werden, der in ſo vielen Faͤchern Ver-
dienſte hat, daß man es ihm verzeihen muß,
wenn er die Ordnung des Roͤmiſchen Privat-
rechts, aus metaphyſiſchen Gruͤnden, auch im
Staatsrechte fuͤr die beſte hielt. Beyer iſt
als der Erſte merkwaͤrdig, der uͤber das deut-
ſche Privatrecht las, hingegen Samuel
Strvk
, der erſte von den Halliſchen Juri-
ſten, trug das Deutſche Provinzialrecht als
vſus modernus der Pandecten vor. Sein
Sohn Joh. Samuel hat ihn nicht uͤbertrof-
fen, wie Henrich Cocceji, der im Natur-
rechte arbeitete, und das Deutſche Staats-
recht in der aͤlteſten Geſchichte fand, von
dem ſeinigen an Ruhme uͤbertroffen worden
iſt. Ludovici verdankt ſeinen Ruf einem
Pandecten-Compendium und einer Einlei-
tung in die verſchiedenen Arten des Proceſſes.
QVon
[242]Theil II. ſeit Juſtinian,
Von Lynker in Jena, dem heftigen Gegner
der Halliſchen Profeſſoren, haben wir eine
Biographie, worin nichts vergeſſen iſt, als
was Schroͤckh bey ſeinem Leben des Thoma-
ſius
wiſſen wollte und nicht erfuhr, die Fra-
ge: was der Mann fuͤr Einfluß auf ſeine
Wiſſenſchaft gehabt habe. Bey dieſem letz-
tern war ihre Beantwortung um ſo ſchwe-
rer, da noch jetzt viele und wohl die meiſten
anderer Meynung uͤber den Gerichtsgebrauch
des Roͤmiſchen Rechts ſind, als er, ob es
gleich auf der andern Seite nicht an ſolchen
fehlt, die mit ihm uͤber die Annahme des
Roͤmiſchen Rechts, das von jeher nichts ge-
taugt habe, klagen, und die ſich mit einem
Naturrecht behelfen wollen, das ſie erſt aus
dem Roͤmiſchen bereichern. Uebrigens ſchraͤnk-
te auch Thomaſius ſich bey weitem nicht auf
ein beſtimmtes Fach ein, ſo wie auch Gund-
ling
nicht blos Publiciſt ſeyn wollte. Pfef-
fingers
Excerpte werden noch lange und oft
die Stelle der Quellen ſelbſt vertreten muͤſſen,
und Bergers Oeconomie wird noch lange
und oft zum Muſter dienen. Griebner las
zuerſt uͤber das Privatrecht der Fuͤrſten;
Brunquell ſtarb zu fruͤh, um in Goͤttingen
Schuͤler zu hinterlaſſen. Burcard Gott-
helf Struv
zeichnet ſich in der deutſchen Ge-
ſchichte und dem Privatrechte der Fuͤrſten
aus,
[243]bis auf unſere Zeiten.
aus, aber durch ſeine Bibliothek werden ei-
gene Werke uͤber die publiciſtiſche, civiliſti-
ſche ꝛc. Litteratur, nichts weniger als entbehr-
lich.


§. 200.


Ludolph in Wetzlar konnte durch ſeine
Verdienſte um das CameralRecht lange nicht
ſo beruͤhmt werden, als Heineccius, denn
ſo viele Compendien als dieſer, ſchrieben wohl
wenige ſeiner Zeitgenoſſen. Daß er ſich durch
ſeinen Styl von den meiſten Juriſten vor-
theilhaft unterſchied, leugnen ſelbſt diejenigen
nicht, die doch auch ihn nicht zum Fuͤhrer
haben moͤgen; daß er ganze Werke und vie-
le einzele Ideen der Auslaͤnder in Circulation
brachte, iſt ein eben ſo unbeſtrittenes Ver-
dienſt. Hingegen ſeinen Antiquitaͤten wirft
man vor, daß ſie aus Sigonius und Schul-
ting compilirt, und in einer fuͤr dieſen Zweck,
wie der appendix zeigt, ganz unſchicklichen
Ordnung compilirt ſeyen. Daß der Unter-
richt im alten Rechte aber viel nuͤtzlicher und
leichter werde, wenn man einen beſtimmten
Standpunkt, die Zeit der juriſtiſchen Claſ-
ſiker waͤhle, hat ſein Nebenbuler auch nicht
gefuͤhlt, ſonſt haͤtte man nicht uͤber ein Com-
pendium der Rechtsalterthuͤmer, die Antiqui-
taͤten fuͤr Humaniſten leſen koͤnnen. Ob
Heineccius in ſeinen Inſtitutionen wohl ge-
than
[244]Theil II. ſeit Juſtinian,
than habe, ſich der axiomatiſchen Methode
zu bedienen, und ob er ſich ihrer ſo haͤtte
bedienen ſollen, daruͤber iſt jetzt Streit zwi-
ſchen denen, die uͤber den veraͤnderten, und
denen, die uͤber den aͤchten Heineccius leſen.
Er ſelbſt aͤnderte bey neuen Auflagen faſt
nichts. Seine Pandecten haben weniger
Gluͤck gemacht, und ſeine Rechtsgeſchichte iſt
jetzt nur wegen Kitters berichtigender An-
merkungen ſchaͤtzbar. Auch im germanicum
mußte er, und zwar hier ohne ſeine Schuld,
verdraͤngt werden, aber ſein Commentar
uͤber die lex Julia \& Papia Poppaea iſt noch
nicht uͤbertroffen, ſo wie der uͤber das Edict
noch nicht vollendet. Wernher hat ſein An-
ſehen unter den Practikern beſſer behauptet,
als Kreß das ſeinige im Criminalrecht, oder
der Kanzler von Ludewig ſeine Hypothe-
ſen in der Lehre von der deutſchen Staatsver-
faſſung. Die Urkunden, die letzterer heraus-
gab, ſind wohl ſein bleibendſtes Verdienſt,
eben dieſes machte ſich auch von Meiern.
Schaumburg
ſchrieb ein PandectenCompen-
dium, Hombergk uͤberſetzte die Novellen,
Kopp ſtellte im Germanicum, Conradi im
alten Roͤmiſchen Rechte, und Claproth im
NaturRecht Unterſuchungen an. Der Kanz-
ler J. H. Boͤhmer wuͤrde, wenn er auch
nicht vor 85 Jahren das noch jetzt gangbare
Pan-
[245]bis auf unſere Zeiten.
PandectenCompendium geſchrieben haͤtte,
nicht nur wegen ſeiner andern Schriften, als
der gelehrteſte Canoniſt unter den Proteſtan-
ten, ſondern auch wegen ſeiner Soͤhne un-
vergeßlich ſeyn, von welchen hier aber nur
Samuel Friedrich von Boͤhmer, der
claſſiſche Schriftſteller im peinlichen Rechte,
angefuͤhrt werden kann.


§. 201.


Es verdient eine eigene Unterſuchung,
warum Auguſtin von Leyſer ſo beruͤhmt ge-
worden iſt. Gewiß nicht durch ſeine juriſti-
ſche Orthodoxie, denn ſo verwegen hat wohl
noch niemand den Vorurtheilen oder den beſ-
ſern Einſichten ſeines Zeitalters Hohn ge-
ſprochen, als er; auch nicht durch ſeine Schuͤ-
ler, denn wer den ganzen juriſtiſchen Curſus
von 1½ Jahren bey ihm machte, der hatte
von dem alten Rechte gar nichts gehoͤrt; viel-
leicht eher dadurch, daß er ſo viele Anecdo-
ten und ſo wenig civiliſtiſche Gelehrſamkeit
hat, daß er ſich uͤber alle Theile der Juris-
prudenz verbreitet, und daß der Index von
Jenichen ſo vollſtaͤndig iſt. Glafey, Knor-
re, Engau
, und Wahl haben ſeinen Ruhm
lange nicht erworben, aber Sam. v. Coc-
ceji
ward Preußiſcher Großkanzler, wenig-
ſtens ſo lange er lebte mußten ſeine Controver-
Q 3ſen
[246]Theil II. ſeit Juſtinian,
ſen ſo gut als ſeine Juſtizreformen gelobt
werden. Otto iſt nicht blos als Sammler
merkwuͤrdig, und eben dieſes gilt auch in
ganz andern Faͤchern von Schmauß. Das
gruͤndliche Studium des Roͤmiſchen Rechts
haͤtte gewiß dabey gewonnen, wenn Bach
nicht ſchon im 37ten Jahre geſtorben waͤre,
von mancher Entdeckung wuͤrde er noch ſelbſt
die natuͤrlichen Folgen fuͤr andere Saͤtze ge-
ſehen haben; doch vielleicht haͤtten auch ihn
practiſche Beſchaͤfftigungen der Gelehrſam-
keit entzogen. Ritter, ſein wuͤrdiger Vor-
gaͤnger im Streite gegen Heineccius, uͤber-
lebte ihn noch lange. Solche Civiliſten wur-
den nun immer ſeltener, Heumann, Jo-
hann Jacob Maſcov, Scheid, Buri

bearbeiteten das deutſche Staats- und Privat-
Recht, und wenige verbanden damit ſo viel
Kenntniß des alten Roͤmiſchen, als Grupen.
Er widerlegte Senkenbergs Ideen vom ſo-
genannten Kaiſerrechte, aber Cramer war
in ſeiner Controvers fuͤr die Regredient-Erb-
ſchaft weniger gluͤcklich, und ſelbſt ſeine Ver-
ſuche, die Wolfiſche Lehrart in der Juris-
prudenz einzufuͤhren, wuͤrden ihn nicht der
Vergeſſenheit entreiſſen, wenn er nicht Ver-
faſſer der Wetzlariſchen Nebenſtunden waͤre!


§. 202.
[247]bis auf unſere Zeiten.

§. 202.


Um dieſe Zeit ſtarb Seyberth zu fruͤh,
als daß er die Hoffnungen, wozu ſeine Thaͤ-
tigkeit und ſein Eifer fuͤr die alte Litteratur
berechtigte, haͤtte erfuͤllen koͤnnen. Den Nah-
men Gebauers wird das hieſige Corpus iu-
ris
auf die Nachwelt bringen, aber Ayrer
waͤre wohl vergeſſen worden, auch wenn er
den Ruf zum Geſetzgeber Rußlands ange-
nommen haͤtte. Riccius war im deutſchen
Rechte ſo beruͤhmt, als Meiſter im peinli-
chen, oder Guſtav Bernhard Becmann
in den Pandecten. Dieſer eifrige Cruſianer,
der nur deswegen durchaus nichts von der
demonſtrativen Methode wiſſen wollte, weil
ſie nicht die ſynthetiſche hieß, — zeichnete
ſich weit mehr durch muͤndlichen Unterricht,
als durch Schriften aus. Auch der ange-
fangene Commentar uͤber Boͤhmer beweißt,
daß ſeine Staͤrke in Diſtinctionen und Tabel-
len, uͤberhaupt in der aͤußerſten Genauigkeit
des Details, und nicht in einer großen Ue-
berſicht des Ganzen beruhte. Habernickel
wuͤrde fuͤr Verbeſſerung des Studiums mehr
geleiſtet haben, wenn er das academiſche
Leben nicht ſo bald verlaſſen, wenn er den
Sprachgebrauch der Claſſiker mehr ſtudirt,
und nicht nur das Roͤmiſche Recht vom Nicht-
roͤmi-
[248]Theil II. ſeit Juſtinian,
roͤmiſchen, ſondern auch in jenem die verſchie-
denen Perioden abgeſondert haͤtte.


Aus dem neuſten Necrolog anderer Uni-
verſitaͤten iſt in Jena Hellfeld merkwuͤrdig,
weil er ein neues Compendium nach einem
laͤngſt fuͤr fehlerhaft erkannten Plane ſchrieb;
in Marburg Eſtor, in Tuͤbingen Hofmann,
in Helmſtaͤdt Eiſenhard, und der volumi-
neuſe Haͤberlin, und in Leipzig, wo wegen
mancher LocalUrſachen die Roͤmiſche Juris-
prudenz noch Freunde behalten mußte, als
ſie ſonſt hier und da vergeſſen zu werden
ſchien, Carl Ferd. Hommel, der alle Frag-
mente der claſſiſchen Juriſten eigentlich nicht
herausgab, ſondern herausgeben ließ. Jo-
hann Jacob Moſer
, der ſo viele Buͤcher
geſchrieben, und ſo mancherley Schickſahle
erfahren hat, macht im Staatsrechte, durch
ſeine Freymuͤthigkeit, und durch die Tren-
nung des Practiſchen vom bloß Gelehrten,
Epoche.


§. 203.


Alle Juriſten ſind darin einig, daß die
Rechtsgelehrſamkeit noch nie in dem Grade
gebluͤht habe, wie in unſern Tagen. Von
dem Roͤmiſchen Rechte wuͤrde man dieß nicht
vermuthen, wenn man nur darauf ſaͤhe, wie
viele und wie erhebliche civiliſtiſche Schriften
in [Deutſchland] erſcheinen, oder wenn man
die
[249]bis auf unſere Zeiten.
die juriſtiſchen Diſſertationen auf den meiſten
Univerſitaͤten laͤſe, die freylich meiſt von ei-
ner traurigen Vernachlaͤßigung ſelbſt der
Sprache, worin das Roͤmiſche Recht geſchrie-
ben iſt, zeugen. Die neuen Geſetzbuͤcher
ſind vielleicht auch ein Beweis, daß die ge-
lehrte Kenntniß des Rechts in eben dem
Maaße abgenommen hat, in welchem das
Raiſonniren uͤber Rechtsſaͤtze allgemeiner
ward, denn ſonſt haͤtte man kein Beduͤrfniß
nach ihnen gefuͤhlt, und ſonſt wuͤrden ſie auch
anders ausgefallen ſeyn. Selbſt dieß koͤnn-
te eine nachtheilige Vermuthung bewirken,
daß gerade das Roͤmiſche Recht von derjeni-
gen Nation nicht bearbeitet wird, nach de-
ren Beyſpiele die deutſche Litteratur ſich ſeit
einem halben Jahrhundert am meiſten ge-
bildet hat. Auf der andern Seite iſt es doch
aber auch beynahe unmoͤglich, daß das Roͤmi-
ſche Recht keinen Vortheil davon haben ſoll-
te, wenn die alte Litteratur mit unendlich
mehr Geſchmack unter uns getrieben wird,
als ehemahls; wenn die Philoſophie frey
von allem Sectengeiſte und ganz auf Beob-
achtungen gegruͤndet iſt; und wenn man in
der Geſchichte ſo viel pragmatiſchen Zuſam-
menhang, und ſo pſychologiſche Entwicklung
der Charactere findet, daß diejenigen geneigt
ſeyn koͤnnen, ſie fuͤr einen Roman zu halten,
Rdie
[250]Theil II. ſeit Juſtinian,
die nicht wiſſen, wie unermuͤdete Geſchichtfor-
ſcher gerade auch unſre beſten Geſchichtſchrei-
ber ſind, und daß oft die Zeile, die man
nur fuͤr einen glaͤnzenden Einfall haͤlt, das
Reſultat von zwanzig Urkunden iſt. Alles
dieſes mußte nothwendig auch auf das Ci-
vilrecht den gluͤcklichſten Einfluß haben, wenn
man gleich den Weg, den Montesquieu
zeigte, lange nur im Staats- und Criminal-
Recht betrat, wo ſo viele gelehrte Data nicht
noͤthig ſind, und wenn gleich Michaelis ſehr
lange alle Juriſten beſchaͤmte.


§. 204.


Deſſen ungeachtet behaupten einigeSchrift-
ſteller noch immer “daß gerade das Civilrecht
die Wiſſenſchaft ſey, die in unſern Zeiten
durch die Begierde nach blos unmittelbar
Practiſchen und Geldverdienſt Erzeugendem
am meiſten zu ſinken, und am meiſten Koͤpfe
zu verderben ſcheine,” oder “daß gerade die
beſſern Koͤpfe, der Regel nach, den groͤß-
ten Ekel daran haͤtten.” Sie erinnern,
daß dieß doppelt ſchaͤdlich ſey, einmahl weil
in Deutſchland ſo viele politiſche Bedienungen,
wo die Juſtiz gar nicht, oder doch nicht als
Hauptſache vorkommt, mit Juriſten beſetzt
wuͤrden, und dann weil ſelbſt in Civilproceſ-
ſen ein Streit uͤber die Thatſachen und die
ver-
[251]bis auf unſere Zeiten.
vernuͤnftige Auslegung der Worte weit haͤu-
figer vorkomme, als ein Streit uͤber Rechts-
ſaͤtze, alſo oft ein wiſſenſchaftlich gebildeter
Verſtand weit noͤthiger ſey, als Tabellen
und Autoritaͤten. Sie gehen den ganzen ci-
viliſtiſchen Curſus durch, die Antiquitaͤten
enthalten ihrer Meynung nach zu vieles aus
den Zeiten der Republik, das ſo ausfuͤhrlich
wohl zur alten Litteratur uͤberhaupt, aber
nicht gerade zunaͤchſt fuͤr die Jurisprudenz nuͤtz-
lich ſey; die Rechtsgeſchichte iſt als bloße
Geſchichte der Geſetze nicht wichtig genug,
und wenn man die Geſchichte aller Rechte
verbinde, ſo lerne man manches zu fruͤh,
und von der Geſchichte des Roͤmiſchen Rechts
zu wenig. Das InſtitutionenCollegium
tadeln ſie deswegen, weil ſo vielerley Rechte
darin vorkommen, und doch von keinen ein-
zigen ein vollſtaͤndiges Syſtem, es ſey gar
keine Grenzlinie zwiſchen dieſen Vorleſungen
und dem Unterrichte, der die Ordnung der
Pandecten befolge, ſogar altes Recht kom-
me ja auch in dieſen letztern vor, z. B. die
Lehre vom Proceſſe, weil Juſtinian darauf
rechnete, daß neben ſeinen Inſtitutionen auch
noch die vier erſten Buͤcher der Pandecten im
erſten Jahre erklaͤrt werden ſollten. Dieſe
Unordnung erſchwehre das Lernen außeror-
dentlich, daher komme es, daß man ſo oft
fuͤr
[252]Theil II. ſeit Juſtinian,
fuͤr noͤthig finde, daſſelbe Collegium von neu-
em zu hoͤren, und am Ende noch aus dem
ſogenannten kleinen Struv Troſt zu holen.


§. 205.


Der Erfolg muß lehren, ob dieſe Kla-
gen gegruͤndet ſind, und ob ein Verſuch ei-
nes civiliſtiſchen Curſus gelingen wird, wodurch
man ihnen abzuhelfen ſucht. Dieſer Curſus
beſteht aus drey oder vier einfachen Colle-
gien, womit man alſo die gewoͤhnlichen In-
ſtitutionen und Pandecten verbinden, und
doch fuͤr die immer haͤufiger und unentbehr-
licher werdenden andern Wiſſenſchaften noch
Zeit gewinnen kann. Der erſte civiliſtiſche
Unterricht wuͤrde das heutige Roͤmiſche
Recht
begreifen, alles was vom Roͤmiſchen
Rechte anwendbar iſt, und alles Anwend-
bare, was aus dem Roͤmiſchen Rechte kommt.
Die Geſchichte und der Beweis jedes einzelen
Satzes bleibt hier noch weg. Dieſen Vorle-
ſungen zur Seite laͤuft die Rechtsgeſchichte
nach dem Plane des gegenwaͤrtigen Lehrbuchs,
alſo neben der Geſchichte der Quellen auch ei-
ne hiſtoriſche Ueberſicht des Syſtems ſelbſt,
zur Zeit der zwoͤlf Tafeln, Cicero’s und Ju-
ſtinians. Das Syſtem zur Zeit der claſſi-
ſchen Juriſten, aus deren Schriften die Pan-
decten gezogen ſind, oder das Pandecten-
Recht
[253]bis auf unſere Zeiten.
Recht verdient einen eigenen und ausfuͤhrli-
chen Vortrag, und nun erſt koͤnnen exegeti-
ſche Vorleſungen uͤber eine Chreſtoma-
thie
der wichtigſten Texte von Nutzen ſeyn,
wenn man nicht mehr Gefahr laͤuft, einer
Stelle einen ganz andern Sinn beyzulegen,
als der iſt, den ſie nach der Verbindung mit
dem ganzen Syſteme des Rechts hatte.


§. 206.


Das deutſche Staatsrecht wird jetzt auf
allen beſſern Univerſitaͤten fuͤr unentbehrlich
angeſehen, denn obgleich das Band, welches
alle deutſche Staaten wieder zu einem Staa-
te verbindet, immer loſer, alſo das Staats-
recht des ganzen Reichs weniger wichtig wird;
ſo verdient das Staatsrecht der einzelen Laͤn-
der nur um ſo mehr ſtudiert zu werden, und
bisher verbindet man noch beydes. Die Ge-
genſtaͤnde ſind hier wieder die Regierungsge-
walt uͤberhaupt, und ihre einzelen Rechte.
Jene ſteht in den Laͤndern entweder einem
erblichen oder gewaͤhlten, durch Landſtaͤnde
eingeſchraͤnkten oder uneingeſchraͤnkten Mo-
narchen, oder einem ariſtocratiſchen Corps,
oder der ganzen Gemeine zu. Die Lehre von der
Erbfolge in dieſen Monarchien iſt ein Haupt-
ſtuͤck des ius priuatum principum, und die
von der Wahl eines Monarchen oder ſeines
kuͤnf-
[254]Theil II. ſeit Juſtinian,
kuͤnftigen Nachfolgers traͤgt man im ius Ca-
nonicum
vor. Deſto ausfuͤhrlicher iſt man
bey dem Wahl-Monarchen uͤber das ganze
Reich, ſeinem Thronfolger, ſeinen Vica-
rien, und den langweiligen Deliberationen ſei-
ner Staͤnde. Die einzelen Rechte: Aemter
und Wuͤrden, Finanzrechte, (Steuern,
Muͤnzen, Poſten) die Civil- und Criminal-
juſtiz, und das Militair werden einzeln durch-
gegangen, und das Verhaͤltniß zwiſchen der
Reichsregierung und Landesregierung, dem
Reichsregenten und den Reichsſtaͤnden, dem
Landesregenten und den Landſtaͤnden gezeigt.
Einiges davon kommt aber in dem Reichs-
proceſſe
vor. Eine Ruͤckſicht, die durch
das ganze Staats-Recht großen Einfluß hat,
iſt die Religion, das im Ganzen gleiche Ver-
haͤltniß der Catholiken und Proteſtanten,
welches in jedem einzelen Falle vom Normal-
tage und Normaljahre abhaͤngt, und die
Verfaſſung jeder Kirche fuͤr ſich, wo man
bey den Proteſtanten zwiſchen dem Episco-
pal- und dem CollegialSyſteme, bey den Ca-
tholiken zwiſchen den Erzbiſchoͤfen auf der ei-
nen, und dem Pabſte mit den Biſchoͤfen auf
der andern Seite, waͤhlen kann.


§. 206.
[255]bis auf unſere Zeiten.

§. 207.


Ein Collegium, deſſen Exiſtenz nicht aͤl-
ter iſt, als der Anfang dieſes Jahrhunderts,
auf welches alſo in den uͤbrigen noch nicht vie-
le Ruͤckſicht genommen wird, und welches
ſeinen verhaͤltnißmaͤßigen Umfang noch nicht
erhalten hat, iſt das deutſche Privatrecht,
theils das allgemeine ohne naͤhere Ruͤckſicht
auf einen beſtimmten Theil von Deutſchland,
theils das beſondere Landrecht der meiſten
Studierenden gerade auf dieſer Univerſitaͤt.
In dem SachenRechte ſind beſonders dieje-
nigen Dinge wichtig, bey welchen Privat-
Eigenthum und Landeshoheit collidiren,
Fluͤſſe, Straßen, Waldungen, Bergwerke
u. ſ. w.; von den uͤbrigen aber kommen theils
neue Contracte (Lotterien, Leibrenten, Ster-
bethaler u. a.) und neue Beſtimmungen der
Roͤmiſchen (Abtrieb, gerichtliche Auflaſſung,
Dienſtboten u. a.) theils auch beſonders neue
Servituten, die Zwang Gerechtigkeiten, vor.
Im PerſonenRechte machen die buͤrgerlichen
Verhaͤltniſſe des Judigenats, des Adels, des
BuͤrgerRechts und der mannichfaltigen Ar-
ten von Bauern, eine Menge Rechtsſaͤtze
noͤthig; in den Familienverhaͤltniſſen hat die
Ehe, in ihrer Entſtehung, ihren Rechten
und ihrer Trennung, vieles gar nicht Roͤmi-
ſche; bey der aͤlterlichen Gewalt verdienen
die
[256]Theil II. ſeit Juſtinian,
die unehelichen Kinder eine eigene Ruͤckſicht,
und die Vormundſchaft geht mehr nach Reichs-
und Landesgeſetzen, als nach dem Roͤmiſchen
Rechte, aus welchem die Lage verſchiedener
Religionsverwandten wohl auch nicht beur-
theilt werden darf. In der Erbfolge erſchei-
nen die Erbvertraͤge, neue Beſtimmungen
uͤber Teſtamente und InteſtatErbrecht vor-
zuͤglich den Ehegatten, und die Stammguͤ-
ter. Im Proceſſe muß ſowohl die Gerichts-
verfaſſung, als die Art des Verfahrens,
hier gelehrt werden, wenn man ſie nicht
hoͤchſt unſchicklich unter die Roͤmiſche miſchen
will.


§. 208.


Das Lehenrecht iſt, ſo wie das Cano-
niſche
, noch immer im Beſitze, ein eigenes
vollſtaͤndiges Collegium auszumachen. Ge-
gen letzteres, unter welchem man jetzt Ca-
tholiſches und Proteſtantiſches Kirchenrecht
begreift, hat man erinnert, daß es fuͤr Ca-
tholiken nicht befriedigend ſey, und daß Pro-
teſtanten mehr Nutzen davon haben wuͤrden,
wenn man es mit einem Unterrichte in der
Kirchenhiſtorie verbaͤnde. Dieſe mehr hi-
ſtoriſche Behandlung iſt auch fuͤr das Cri-
minalrecht
vorgeſchlagen worden, ſtatt daß
es jetzt nur philoſophiſche Lehren uͤber die
Moralitaͤt der menſchlichen Handlungen, ei-
ne
[257]bis auf unſere Zeiten.
ne genaue Claſſification jedes Verbrechens, und
den peinlichen Proceß enthaͤlt. [Characteriſtiſch]
ſind fuͤr den neuſten Zuſtand der Rechtsgelehrſam-
keit die vielen ſpeciellen Collegien, welche jaͤhrlich
entſtehen, wovon mehrere ſich mit der Bildung
kuͤnftiger Staatsmaͤnner beſchaͤfftigen, und die
practiſchen Uebungen, welche ſich nicht mehr blos
auf Proceßſchriften, oder auf bald concentrirte
bald weitlaͤuftige Relationen in JuſtizSachen, ſon-
dern auf alles, was je einem Geſchaͤfftsmanne
vorkommt, erſtrecken ſollen.


§. 209.


Die Huͤlfswiſſenſchaften werden auf den beſſern
deutſchen Univerſitaͤten jetzt eifriger getrieben, als
je, und es iſt wohl nicht wahrſcheinlich, daß die
Coexiſtenz nicht auch am Ende ſich in wahren Ein-
fluß verwandeln ſollte. Den Einfluß der Philoſo-
phie wuͤrde es gewiß erleichtern, wenn die ſchola-
ſtiſche Methode, mit ihr den Anfang zu machen
ſich noch mehr verloͤre, denn eine Logik, die nicht
bloße Terminologie iſt, paßt wohl beſſer fuͤr Zuhoͤ-
rer welche im Nachdenken ſchon mehr geuͤbt ſind.
Auch das NaturRecht ſcheint dadurch, daß es
recht practiſch werden ſollte, eine ganz falſche Stel-
le erhalten zu haben. Seine wichtigſten Lehren,
von den letzten Gruͤnden des Zwangsrechts und von
den Rechten und Pflichten der hoͤchſten Gewalt,
koͤnnen wohl, ſo wenig als die Politik, welche man
ſehr ſchicklich damit verbindet zur Vorbereitung
auf das RoͤmiſcheRecht dienen, und wenn man al-
le Definitionen aus dieſem oder gar aus allen
Theilen des poſitiven Rechts unter dem Nahmen
des NaturRechts vorausſchicken will, ſo kann dieß
einmahl den Nachtheil haben, daß man manches
blos zufaͤllige fuͤr allgemein nothwendig haͤlt, und
R 5dann
[258]Theil II. ſeit Juſtinian, ꝛc.
dann iſt es wohl vernuͤnftiger, Ordnung und Rai-
ſonnement in das poſitive Recht ſelbſt zu bringen,
als beydes abzuſondern. Man kann im Natur-
Rechte viel gruͤndlicher beweiſen, wenn man nicht
das ganze Roͤmiſche Recht darin beweiſen ſoll, und
fuͤr den erſten Unterricht wird immer das Hiſtori-
ſche leichter ſeyn, als das Abſtracte.


§. 210.


Keine Art von Kenntniſſen, die [zur] Ausbil-
dung des Geiſtes beytraͤgt, iſt fuͤr die Jurispru-
denz ganz gleichgiltig, und bey ſehr vielen Bedie-
nungen wird der Unterricht uͤber Oeconomie und
Cameralwiſſenſchaften ein ganz vorzuͤgliches Be-
duͤrfniß. Aber ſo innig iſt doch mit dem Studi-
um des Roͤmiſchen Rechts durchaus nichts ver-
bunden, als Roͤmiſche Sprache, Geſchichte und
Litteratur. Von dem Grade des Eifers, womit
dieſe unter uns getrieben werden, haͤngt zuverlaͤſ-
ſig die Stelle ab, welche uns die Nachwelt ein-
mahl in der Litterairgeſchichte des Rechts einraͤu-
men wird, und wer den Unterricht im Lateini-
ſchen nur auf das ſchlechterdings unentbehrliche
einſchraͤnkrn will, ſollte doch nie vergeſſen, daß
wenigſtens fuͤr einen Juriſten recht ſehr viel La-
kein ſchlechterdings unentbehrlich iſt.

Appendix A Druckfehler und Verbeſſerungen.


  • S. 5. Z. 11. 13. 15. u. 17. ſtatt Jahr lies Jahre.
  • S. 47. Z. 13. iſt nach iuris peritorum auctoritate aus-
    gelaſſen edictis magiſtratuum.
  • S. 64. Z. 20. muß der Satz: “die andern gaben kein
    Recht gegen jeden Beſitzer” ausgeſtrichen werden.
    Es ergibt ſich ſchon aus dem vorhergehenden, daß
    er falſch iſt, denn das Roͤmiſche Eigenthum geht
    ja auch auf res nec mancipii.

[][][]
Notes
*
Tacit. Ann. IV. 65. dux gentis Etruſcae —
ſedem eam acceperat.
Svet. in Tib. I. Romam recens conditam
cum magna clientum manu commigravit.
*
Illis ſalus reip. ſuprema lex eſto. Cic. de
Leg. III.
Auf dieſen ſo ſehr mißverſtande-
nen Satz gruͤndete ſich der Ausſpruch des
Senats, nun ſey dieſer Nothfall vorhan-
den: Videant Conſules ne quid detrimenti
capiat respublica.
Der Senat allein konnte
den Conſuln kein neues Recht uͤber das Volk
geben, aber die invidia (ich weiß kein deut-
ſches Wort fuͤr dieſen Begriff, den wir in
Deutſchland nicht haben) der Conſuln war
kleiner, wenn ſie den Senat fuͤr ſich anfuͤh-
ren konnten.
*
Die Eintheilung in Curien, die auch, wie
dieſe anfangs, nur nach den Koͤpfen war,
ſcheint in Verfall gerathen zu ſeyn, da man
ſie nicht auf die tribus ruſticae ausdehnte,
und eine Curie ein zu kleiner Theil des Volks
geweſen waͤre.
*
Fontes quatuor juris civilis auctore Jacobo
Gothofredo.
*
Cic. de Oratore I. 37. — — vetus atque
vſitata exceptio — — quod petitoris cauſa
comparatum eſſe non intelligebat.
a)
Cic. de Oratore I. 9.
a)
I. 2. fr. 2. §. 27. — — qui vrbanus ap-
pellatus eſt quod in vrbe jus redderet. §.
28. — — non ſufficiente eo Praetore, quod
multa turba etiam peregrinorum in civita-
tem
veniret: creatus eſt et alius Practor,
qui peregrinus appellatus eſt, ab eo quod
plerumque inter peregrinos jus dicebat.

Gewoͤhnlich verſteht man in civitatem wie
wenn es hieße in vrbem. Indeſſen iſt frey-
lich ein eigenes Gaſtgericht der Analogie
nicht ganz zuwider, und in der Folge we-
nigſtens kommt ein eigener Praͤtor vor, cui
inter cives et peregrinos jurisdictio evene-
rat. Tac.Ann. I. 15.
a)
Cic. Top. ad Trebat. 5. — ſi quis jus ci-
vile dicat id eſſe, quod in legibus, ſenatus-
conſultis
, rebus judicatis, juris peritorum
auctoritate, more, aequitate conſiſtat.
b)
I. 2. fr. 2. §. 9. Deinde quia [difficile]
plebs convenire coepit, populus multo dif-
ficilius in tanta turba hominum: neceſſitas
ipſa curam reip. ad ſenatum deduxit. Ita
coepit ſenatus ſe interponere, et quidquid
conſtituiſſet obſervabatur, idque jus appel-
labatur ſenatusconſultum. §. 10. Eodem
tempore
die edicta magiſtratuum und erſt
§. 11. Noviſſime der erſte Auguſt.
a)
Cic. de Or. I. 34. Sit ergo in jure civili
finis hic, legitimae atque vſitatae in rebus
cauſisque civium aequabilitatis conſervatio.
b)
I. 2. fr. 2. §. 10. Eodem tempore et ma-
giſtratus jura reddebant, et vt ſcirent cives
quod jus de quaque cauſa quisque dicturus
eſſet, ſeque praemuniret, edicta proponebant,

Dquae
[50]Theil I. bis Juſtinian.
quae edicta praetorum jus honorarium con-
ſtituerunt.
a)
I. 1. fr. 7. (Papinian.) §. 1. Jus praeto-
rium eſt, quod praetores introduxerunt ad-
juvandi vel ſupplendi vel corrigendi juris
civilis gratia propter vtilitatem publicam. —
fr. 8. (Marcian.) nam et ipſum jus hono-
rarium viva vox eſt juris civilis.
Etwa eine
Proceßordnung. Der Praͤtor befiehlt nicht,
er ſagt nur was er thun werde: dabo, ſer-
vabo, Praetor pollicetur.
a)
Alle Praͤtoren gaben Edicte, wenn ſie an-
ders jurisdictio hatten; nicht Einer wollte
ſich dadurch beym Volke empfehlen, daß er
keines machte. Die ſchlechten Leute unter
ihnen brauchten gerade das Edict, und ſogar
alte vergeſſene Volksſchluͤſſe, zum Vorwan-
de. So Verres mit der lex Voconia.
a)
In einem andern Sinne wird actio legis
ſehr haͤufig fuͤr das Recht genommen (wie
jurisdictio, teſtamenti factio) gewiſſe Hand-
lungen zu autoriſiren, oder etwas anzuord-
nen, was eine Lex von gewiſſen Regenten
angeordnet haben will. Es fragt ſich als-
dann: ob ein magiſtratus gerade dieſe oder
jene legis actio habe. Briſſon ſel. antiqu.
IV.
20. — Wer legis actio dem actus legi-
timus
zu ſehr entgegenſetzt, der ſcheint lege
und judicio agere zu verwechſeln, was die
Alten unterſcheiden Vlpian. XI. §. 27.
und die actio, die der Praͤtor gibt, fuͤr ei-
nerley zu halten, mit dem, was man bey
ihm ſelbſt braucht.
*
Vortrefliche Bemerkungen uͤber die Wichtig-
keit dieſes ſo klein ſcheinenden Umſtands
ſiehe bey Mendelsſohn uͤber rel. Macht
und Judenthum
, II. S. 60 u. f.
**
Zum Beweiſe, daß actio auch fuͤr ein Con-
tracts-Formular gebraucht ward, iſt die
Stelle bey VarroR. R. II. 5. 11. hinrei-
chend wo die leges Manilianae, die gewiß
keine
[80]Theil I. bis Juſtinian.
keine Klagen waren, actiones heißen. Eben
ſo waren die actiones Hoſtilianae bey Cic.
de Or. I.
57. Formulare zu Teſtamenten.
Erneſti hat dies in der clau. Cic. bemerkt,
aber nicht benutzt. Beydes iſt ſehr oft ſein
Fall.
a)
Tac. Ann. I. 15. Etſi potiſſima arbitrio
principis, quaedam tamen ſtudiis tribuum
fiebant. — Largitionibus ac precibus ſordi-
dis —.
b)
Tac. Ann. IV. 6. ſua conſulibus, ſua prae-
toribus ſpecies: minorum quoque magiſtra-
tuum exercita poteſtas.
c)
Tac. Hiſt. IV. 9. tribunus pl. interceſſit.
Ann. XVI. 27. ſe interceſſurum SCto: nam
tribunus plebis erat. Plin. I. Ep. 23. IX.
Ep. 13.
a)
Tac. Ann. I. 72. Primus Auguſtus cogni-
tionem de famoſis libellis ſpecie legis ejus
tractavit
— nicht Tiber.
a)
Inſt. II. 23. §. 1. Quod quia juſtum vi-
debatur et populare erat, paulatim conver-
ſum eſt in aſſiduam jurisdictionem — 25.
pr. Cum et Labeo codicillos feciſſet, jam
nemini dubium erat, quin codicilli jure
optimo admitterentur.
a)
I. 2. fr. 2. §. 47. Primus D. Auguſtus
vt major juris auctoritas haberetur, conſti-
tuit vt ex auctoritate ejus reſponderent, et
ex illo tempore peti hoc pro beneficio coe-
pit: et ideo optimus princeps Hadrianus
cum ab eo viri praetorii peterent, vt ſibi
liceat reſpondere, reſcripſit eis, hoc non
peti ſed praeſtari ſolere. — Ergo Sabino
conceſſum eſt a Tiberio Caeſare vt populo
reſponderet, qui in equeſtrem ordinem jam

gran-
[108]Theil I. bis Juſtinian.
grandis natu et annorum fere quinquaginta
receptus eſt
.
a)
Tac. Ann. I. 15.
a)
Tac. Ann. IV. 16. de roganda nova le-
ge diſſeruit Caeſar — Medendum ſenatus
decreto aut lege — placitum — ſed lata
lex
. —
a)
I. 17. conſt. 3. §. 18. Divus Hadrianus
piae memoriae, quando ea quae a praetori-
bus quotannis edicta fuerant, brevi com-
plexus eſt libello, adſumpto ad id optimo
Juliano, in oratione, quam in commune
habuit in ſeniore Roma, hoc ipſum quoque
ait: ut ſi quid praeter id quod jam ordina-
rum eſt emerſerit, conveniens eos, qui in
magiſtratu ſunt, illud conari decidere et re-
medium imponere ſecundum eorum quae jam
ordinata ſunt conſequentiam
.
a)
Papiniani, Pauli, Gaji, Vlpiani atque
Modeſtini ſcripta vniuerſa firmamus ita,
vt Gajum atque Paulum, Vlpianum \& cae-
teros comitetur auctoritas lectionis, quae
ex omni opere recitatur. Eorum quoque
ſcientiam, quorum tractatus atque ſenten-
tias praedicti omnes ſuis operibus miscue-
runt, ratam eſſe cenſemus, vt Scaeuolae,
Sabini, Juliani atque Marcelli, omnium-
que quos illi celebrarunt: Si tamen eorum
libri propter antiquitatis incertum, codi-
cum collatione firmentur. Vbi autem di-
uerſae ſententiae proferuntur, potior nu-
merus vincat auctorum: vel ſi numerus
aequalis ſit, ejus partis praecedat auctori-
tas, in qua excellentis ingenii vir Papi-
nianus emineat, qui vt ſingulos vincit ita
cedit duobus. Notas etiam Pauli atque
Vlpiani in Papiniani corpus factas (ſicur
dudum ſtatutum eſt
) praecipimus infirmari.
Vbi autem pares eorum ſententiae recitan-
tur, quorum par cenſetur auctoritas, quod

ſequi
[160]Theil I. bis Juſtinian.
ſequi debeat eligat moderatio judicantis,
Pauli quoque ſententias ſemper valere \&
caetera: (426).
a)
Conſt. Dedit nobis §. 1. '‒ ‒ idque non
perperam neque ſine ratione, ſed ad nu-
merorum naturam atque harmoniam res-
picientes. ‒ ‒
a)
Conſt. Deo auctore §. 11. Ideo jubemus
duobus iſtis codicibus omnia gubernari:
uno conſtitutionum, altero juris enuclea-
ti ‒ ‒ ‒ vel ſi quid aliud fuerit, a nobis
promulgatum inſtitutionum vicem obtinens,
vt rudis animus ſtudioſi ſimplicibus enu-
tritus \&c.
b)
VII. 25. eonſt. vn. ‒ ‒ ‒ per quod ani-
mi juuenum, qui ad primam legum veni-
unt audientiam, perterriti ex primis eorum
cunabulis inutiles legis antiquae dispoſitio-
nes accipiunt. Prooem. Inſt. §. 3, nihil
inutile, nihilque perperam poſitum, ſed
quod in ipſis rerum obtinet argumentis, ac-
cipiant.
a)
§. 1. Et antea quidem, quemadmodum
\& Veſtra ſeit prudentia ex tanta legum mul-
titudine, quae in librorum quidem duo mil-
lia ‒ ‒ ‒ extendebatur, nihil aliud niſi
ſex tantummodo libros \& ipſos confuſos \&
jura vtilia in ſe perraro habentes a voce ma-
giſtra ſtudioſi accipiebant, caeteris jam de-
ſuetis jam omnibus inuis ‒ ‒ ‒ ‒ \& tunc-
tantummodo ex aliqua minima parte reci-

tan-
[205]Periode 4. Studium.
tandis, quoties vel judiciorum vſus hoc
fieri coegerit, vel ipſi magiſtri legum ali-
quid ex his perlegere feſtinabatis, vt ſit vo-
bis aliquid amplius discipulorum peritia.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Hugo, Gustav. Lehrbuch der Rechtsgeschichte bis auf unsre Zeiten. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq9s.0