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Academiſche
ROMAN,
Das
Studenten-Leben
fuͤrgebildet wird;
Zuſamt allem/
Was auf den Univerſitaͤten paſſi-
ret/ wie dieſe beſtellet werden/ wie die
Profeſſionesund Facultaͤten eingetheilet ſind/
was deß Rectoris Magnifici, Decani, Profeſſoren/ Stu-
denten/ Pedellen/ \&c. Amt und Privilegia, wie und
welcherley Gradus man conferiret/ wie viel Univerſitaͤ-
ten/ hohe und andere beruͤhmte Schulen und Collegia
jetzo in gantz Europa; Wann der Pennaliſmus abge-
ſchaffet; Was fuͤr Exceſſen die Studenten offt begehen/
was die Bachanten fuͤr Leute/ und was man von
dem Academiſchen Leben zu wiſſen
verlangen mag.
Das
Gute zur Lehre/ das Boͤſe aber zur Warnung
der Ehr-liebenden Jugend/ in einer ſchoͤnen
Liebes-Geſchichte
[]
Vorſprach.
NIcht unweißlich hat der verſtaͤndige Plato,
den die Heyden zu ſeiner Zeit Goͤttlich prey-
ſeten/ geredet/ wann er ſpricht/ daß auß einem
wol-erzogenen Juͤngling ein Goͤttliches/ und
auß einem uͤbel-erzogenen ein wildes Thier werde/ und
deſſen Zuhoͤrer/ der Peripatetiſche Printz Ariſtoteles
bekraͤfftiget ſolches/ wann er darfuͤr haͤlt/ daß gar viel
daran gelegen ſey/ von was fuͤr Maͤnnern/ auf was fuͤr
Weiſe/ durch welche Wiſſenſchafften/ in welcher Zeit
und Ort die Jugend unterrichtet werde. Dann auß ſo-
thanen wol-erzogenen Juͤnglingen werden dermahl-
eins ſolche Leute/ die ihrem Vatterland mit groſſem
Nutzen vorſtehen koͤñen/ und wir ſehen es an dem Lande
der Griechen/ welches/ ſo lange die hohe Schulen und
Wiſſenſchafften darinn im Flor geweſen/ an ſich ſelber
bey der gantzen Welt ein Schrecken und Wunder ge-
achtet worden/ ſo bald aber durch die eingeriſſene Bar-
barey die hohe Schulen darauß vertrieben/ uñ alle Loͤbl.
Wiſſenſchafften von dannen verbannet worden/ iſt es
in ſolchen miſerablen Stand gerathen/ daß es eine rech-
te Sclavin unwuͤrdiger Nationen iſt geworden. Sol-
chem nach/ und in Betrachtung deſſen/ ſiehet man un-
ter den wol-beſtelleten Chriſtl. Policeyen (auſſerhalb
Moſcau/) kein einziges Reich noch Land/ oder Reſpu-
bliq, welche nicht ihre feine hohe Schulen fuͤr die Ju-
gend unterhalten; Wie es auf denſelben herzugehen
pflege/ das iſt in gegenwaͤrtigem Roman zur Gnuͤge
beſchrieben/ dann unter ſo viel Studenten findet man
allerhand Gemuͤther/ welche guten Theils/ wann ſie in
die erſte Freyheit gleichſam außgeflogen ſind/ der Buͤ-
cher wenig achten/ ſondern/ zumahlen wann ſie von be-
**mittel
[]Vorſprach.
mittelten Eltern herkommen/ dem Frauenzim̃er nach-
gehen/ theils im Freſſen und Sauffen ſich wuͤhlen/ theils
auf den Kleider-Pracht und Stutzen ſich legen/ andere
balgen und ſchlagen ſich/ in Meynung/ eine ſonderbare
Ehre dardurch zu erwerben/ und was dergleichen Ex-
ceſſen auf Academien mehr ſind/ daß alſo ſchier nur die/
welche armer Herkunfft/ und ſich anders keines Aufent-
halts zu getroͤſten haben/ auß Noth gezwungen auf gu-
te Wiſſenſchafften legen/ welche demnach endlich fuͤr
den auß der Art geſchlagenen Kindern der reichen und
fuͤrnehmen Maͤnner herfuͤr geſuchet/ und zu hohen Eh-
ren befoͤrdert werden. Guͤnſtiger Leſer/ du wirſt aller-
hand Exempla in dieſem Academiſchen Roman finden/
und glaube ich/ es ſey nichts außgelaſſen/ was einiger
Maſſen darzu mag erfordert werden. Cavina zeiget an
ſeiner Perſon ein fleiſſiges Muſen-Kind/ Cerebacchius
einen Debouchanten im Freſſen und Sauffen/ Vene-
reus einen Courtiſan, und Klingenfeld einen Balger/
Troll aber einen halb-Gelehrten/ der immerdar ein
Huͤmpler und Stuͤmpler bleibet/ dieſe Perſonen/ damit
ſie ihre Rolle wol ſpielen/ raͤyſen in Geſellſchafft eines
fuͤrnehmen und reichen Jtaliaͤniſchen Printzen/ der ſie
allenthalben defrayrt/ biß ſie verſchiedene Academien
beſuchet/ und das Studenten-Leben rechtſchaffen præ-
ſentiret haben. Man ſoll aber nicht gedencken/ daß ich
mich gekitzelt/ mit den Haͤndeln derer/ die das Academi-
ſche Leben und Zeit mißbrauchet; Nein/ ich habe ſolche
Voͤgel nur abgemahlet/ damit man ſie an ihren Federn
kenne/ und ſich ihrer zu entſchlagen hingegen dem Je-
nigen zu folgen wiſſe/ was als ruͤhmlich und zur Lehre
iſt vorgeſtellet worden. Lebe wol/ Vielgeneigter Leſer/
und nimm das/ was dir anſtehet/ und nutzlich iſt/ auß
dieſem Buch/ das uͤbrige aber laß dir zur Warnung
dienen/ damit Du und die Deinen dich darnach
zu richten haben moͤgeſt.
[1.[1]]
Deß
Academiſchen Romans
Erſtes Buch.
Das I. Capitul/
Klingenfeld/ ein Adelicher Student/ iſt ungluͤcklich/ uͤberkom̃t
auf der Flucht ein Pferd/ hat ſeltzame Ebentheuren/ und leydet Mangel
an Geld/ kommt nach Bologne/ und ſiehet/ daß ein Student daſelbſt er-
ſtochen worden. Er gehet fort/ und wird von einem hoffaͤrtigen Eyſen-
freſſer angefochten/ den er aber gar bald zu demuͤthigen weiß.
ACh/ ich Ungluͤckſeeliger! was
fange ich doch nunmehr an? Jch huͤte
mich ſo viel fuͤr Uneinigkeit und Streit-
Sachen/ als ein Menſch von der gan-
tzen Welt/ und gleichwol fuͤhret mich
das Geſchick ſo gar unverſehens und tieff hinein/ daß
ich mir nicht wieder herauß zu helffen vermag. Was
ſoll ich nun anfangen? Nach dieſer ungluͤcklichen
That iſt mir die Thuͤre nach Jtalien hinfuͤhro ver-
ſperret/ und/ wo ſoll ich Geld hernehmen/ weiter fort-
zukommen? Ach! ich elender Menſch/ der ſo offtmahl
bey den Haaren in das Ungluͤck gezogen wird! Alſo
redete und klagete Klingenfeld bey ſich ſelber/ da er
gantz allein ohnweit Florentz auf dem Feld fortwan-
derte/ und nicht wuſte/ wohin er ſich hinfuͤhro zu wen-
den hatte. Er gieng ſtaͤts vor ſich hin/ und galt ihm
gleich viel/ wohin er kaͤme/ wann man ihn nur nicht in
dem Gebiet von Toſcanen ertappen moͤchte/ das
Gluͤck fuͤgete es gleichwol alſo/ daß er ſich nach der
lincken Seiten lenckete/ allwo er bald einen angeneh-
men Wald erreichete/ woſelbſt er ſich unter einem
Schatten-reichen Baum bey der warmen Som̃ers-
AZeit
[2]Deß Academiſchen
Zeit niederlegete/ und deß ſuͤſſen Schlaffes genoſſe.
Er hatte weder zu beiſſen/ noch zu brechen/ darzu nur
etliche wenige Pfenninge in ſeiner Taſchen.
Der Schlaff hielte ihn ſo lang in Ruhe/ daß die
Sonne daruͤber nicht allein ſchlaffen gieng/ ſondern
er ſchlieff darzu noch einen guten Theil in die Nacht
hinein/ und ich glaube/ er waͤre von ſich ſelber noch
nicht erwachet/ wo er nicht durch was ſonderliches
waͤre aufgemuntert worden/ nemlich: Es galoppire-
te Jemand auf einem ſchweren Pferd daher/ wor-
durch die Erde erſchuͤtterte/ daß ſie unter ihm bebete/
wannenhero ſich ſeine eingeſchlummerte Sinnen wie-
der ermunterten/ und ſeine Augen erſchloſſen. Da-
mahl hielte der unvermuthliche Reuter ſtill/ ſtieg vom
Pferd ab/ band es an einen Zweigen/ loͤſete die Hoſen/
und verrichtete das Werck der Natur. Klingenfeld
ſahe dem Handel ein wenig zu/ gedachte aber bald bey
ſich ſelber alſo: Dieſer Menſch iſt ſo unverſchaͤmt/
daß er ſich mir bey nahe vor die Naſe ſetzet/ dannen-
hero thue ich ja nicht unrecht/ wann ich mich nach ei-
nem tauglichen Mittel umſehe/ um dieſem unleyd-
lichen Geſtanck mich forderſamſt zu entziehen. Als er
dieſes bey ſich reſolviret/ ſtund er auf/ und ſchlich in
ſanfften Tritten nach dem Roß/ loͤſete es behende/ und
nachdem er ſich darauf geſchwungen/ rieff er Jenem/
dem es gehoͤrete/ zu/ und ſprach: Mein Freund/ es iſt
billich/ daß ich mich behende auß dieſem Geſtanck/ wo-
mit du dieſe Gegend anjetzo erfuͤllet haſt/ erhebe/ folge
mir nur bald nach/ und ſo du mich antriffſt/ wil ich dir
als dann dein Roß unwegerlich wieder zuſtellen. Ob
nun gleich der andere mit Fluchen und Schwoͤren
darwider proteſtirete/ wolte doch Klingenfeld gar
nicht darnach hoͤren/ ſondern eylete mit ſeinem Pferd
fort/ biß er nach etlichen wenigen Stunden in einen
tieffen
[3]Romans I. Buch.
tieffen Moraſt verfiel/ darauß er ſich zwar letztlich mit
groſſer Muͤhe wieder loß machte/ aber das Pferd hat-
te ſich dergeſtalt verarbeitet/ daß es der Ruhe hoͤch-
ſtens benoͤthiget/ und alſo Klingenfeld abſteigen
muſte/ um ſeinem Traͤger die Ruhe/ und etwas
Waͤyde/ zu goͤnnen. Er behielte den Zuͤgel ſtaͤts in
ſeiner Hand/ und ſahe mit Freuden/ wie begierig das
ermattete Thier bey hellem Mond-Schein in dem
fetten Graß waͤydete; Endlich legete ſich das matte
Thier nieder/ und genoſſe der Ruhe/ um ſeine ermuͤ-
dete Glieder wieder ein wenig zu erquicken. Klingen-
feld ſaſſe neben demſelben/ und bewachete es/ wie ſei-
nen Aug-Apffel/ allermaſſen kein Schlaff mehr in
ſeinen Augen Platz finden kunte. Als endlich die
liebliche Morgen-Roͤthe anbrach/ ſtund das Roß
von ſich ſelber auf/ und gab ſeinem neuen Herꝛn
Gelegenheit/ ſich wieder in den Sattel einzuſchwin-
gen. Nachdem er etwa eine halbe Stunde fortgerit-
ten/ kam er auß dem Wald auf ein ebenes Feld/ allwo
er einen Mann erblickete/ der zur Seiten her zu
ihm kam/ und ihm einen freundlichen Morgen wuͤn-
ſchete. Klingenfeld danckete ihm gar freundlich/ und
warte ſeiner ein/ ſo bald aber Jener nahe gnug kom-
men/ griff er dem Pferd in den Zuͤgel/ und bemuͤhete
ſich/ unſern Wandersmann auß dem Sattel zu werf-
fen; dieſer aber zuckete ſeinen Degen/ und gab ihm ei-
nen ſolchen Streich uͤber die Hand/ daß er den Zuͤgel
muſte fahren laſſen/ und damahl erkannte Klingen-
feld allererſt/ mit wem er es zu thun hatte/ nemlich
mit dem/ der ihm vorige Nacht das Pferd zugefuͤhret
hatte. Weil nun dieſer ein groſſes Geſchrey anfieng/
und der andere beſorgete/ es moͤchte Jemand darzu
kommen/ daß er Ungelegenheit darvon haͤtte/ zuckete
er den Hut Spottweiſe vor Jenem/ und ſprach:
A 2Mein
[4]Deß Academiſchen
Mein Freund/ leyhet mir nur noch dieſen Tag euer
Pferd/ Morgen ſollet ihr es gewißlich wieder haben.
Hiermit wartete er nicht auf ſeine Antwort/ ſondern
ſtieß das Roß mit beyden Fuͤſſen/ in Ermanglung der
Spohren/ in die Seiten/ und jagete wie ein Vogel
darvon. Gegen den Mittag erreichete er ein Dorff/ ſo
ziemlich weit von der Land-Straſſen abgelegen war/
daſelbſt nahm er etwas Speiſe zu ſich/ ſetzete ſich aber
bald wieder auf/ und ritte ſeines Weges.
Die einbrechende Nacht zwang ihn/ in einem
Wirthshauß/ ſo gantz allein an dem Weg ſtund/ ein-
zukehren/ er zohe demnach das Roß in den Stall/ ließ
ihm etwas Futter langen/ nahm die geladene Piſto-
len zu ſich/ und gieng in die Stube/ hieſelbſt ward ihm
aufgetiſchet/ und weil er wol gekleidet war/ gedachte
der Wirth/ ſo ein leichtfertiger Vogel war/ ein Stuͤck
Geldes bey ihm zu erhaſchen/ berieff demnach ſeine
Mord-Bruͤder/ und berathſchlagete ſich mit denſel-
ben/ uͤber den/ ihrer Meynung nach/ fetten Braten.
Nach eingenom̃ener Mahlzeit zeigete man dem Gaſt
ein kleines Kaͤmmerlein/ darinn ſeine Nacht-Ruhe zu
nehmen/ derſelbe aber merckete auß allen Umſtaͤnden
den Poſſen/ und gedachte dieſer Gefahr mit Liſt zu
entrinnen. Er wandte vor/ zuzuſehen/ ob dem Pferd
auch wol gewartet ſey/ gieng alſo mit den Piſtolen in
dem Guͤrtel nach dem Stall/ zohe das Pferd/ dem der
Sattel ſchon abgenom̃en war/ mit der bloſſen Halff-
ter herauß/ und wolte es ſelber traͤncken/ wie er aber
ſahe/ daß ihm 3. Baum-ſtarcke Kerls ſtaͤts auf dem
Fuß nachfolgeten/ gedachte er wol/ daß ihm eine uͤbele
Kappe zugeſchnitten ſey/ ſchwung ſich demnach in
aller Behendigkeit auf das Roß/ und jagete mit ihm
darvon/ obgleich der Wirth/ und ſeine Gaͤſte/ die
Zeche von ihm mit Fluchen und bedrohlichen Wor-
ten foderten.
Er
[5]Romans I. Buch.
Er kam 3. Stunden hernach zu einem Dorff/
und traff eine bequeme Herberge an/ er war erfreuet/
als man ihm berichtete/ daß er ſchon in dem Kirchen-
Gebiet ſey/ und das Florentiniſche Land hinter ſich
geleget haͤtte. Man wolte ihm etwas Speiſe vor-
ſetzen/ aber er wuſte/ wie mager ſein Beutel war/ und
in dieſer Gegend hatte er ſich keines Wechſels zu ge-
troͤſten/ dahero wolte er nichts genieſſen/ fuͤrwendend/
daß er vor wenigen Stunden an jenem Ort ſeine
Abend-Mahlzeit zu ſich genommen haͤtte. Dieſe
Nacht geſtattete ihm eine ſanffte Ruhe/ und als er
fruͤhe Morgens erwachete/ fragete der Wirth/ wo er
den Sattel gelaſſen haͤtte? Klingenfeld beredete ihn/
daß in voriger Herberge/ da er kaum abgeſtiegen/ das
Roß ſich in dem gepflaſterten Stall uͤberworffen/ und
den Sattel/ ſamt den Piſtol-Holfftern/ gantz zerbro-
chen/ woruͤber er ſo entruͤſtet worden/ daß er es hart
geſchlagen/ und daruͤber habe das Pferd den Zaum/
mit welchem er es gehalten/ auch zerbrochen. Der
Wirth zeigete ihm einen guten Sattel und Zaum/
und botte ihm ſolche Stuͤck fuͤr einen guten Preiß an/
dieſer war darmit zufrieden/ probirete den Sattel und
Zaum an ſeinem Pferd/ ſetzete ſich hernach auf/ und
warff dem Wirth einen halben Thaler zu/ mit der
Bedeutung/ daß er nicht einen Pfenning mehr Geld
bey ſich haͤtte/ muͤſſe er alſo darmit fuͤr jetzo zufrieden
ſeyn/ biß er in wenigen Tagen wieder komme/ ſo wolle
er ihm den Reſt bezahlen/ damit wandte er das Pferd
um/ und ritte behende zum Hof hinauß/ ſtieß auch das
Roß auf dem Feld ſtarck an/ und weil daſſelbe auf
den Fuͤſſen uͤberauß ſchnell/ verließ er ſich darauf/ und
kam alſo den Bauren/ die ihm nachſetzeten/ gar bald
auß dem Geſichte.
Zwo Stunden hernach erblickete er die Thuͤrne
A 3der
[6]Deß Academiſchen
der groſſen Stadt Bologne, und wie er naͤher hinzu
kam/ ſahe er einen groſſen Hauffen Menſchen auf dem
Feld vor dem Thor/ und darunter einen todten wol-
gekleideten Menſchen/ von welchem man ihm erzeh-
lete/ daß er vor einer halben Stunde von einem fuͤr-
nehmen Cavallier in einer Schlaͤgerey ſey erſtochen
worden. Er wuſte wol/ daß es in den Staͤdten ziem-
lich theuer/ und daß die Gaſtgeber dariñ allwege rich-
tig muͤſten bezahlet ſeyn/ dannenhero ſetzete er ſeinen
Weg fort/ und gelangete um die Mittags-Stunde
zu einem ſchoͤnen Vorwerck/ recht an der Land-Straſ-
ſen/ woſelbſt eine alte Frau ſaß mit gargekochten
Speiſen/ und den allerſchoͤnſten Fruͤchten/ die man
haͤtte wuͤnſchen koͤnnen. Klingenfeld ließ ihm ein gut
Stuͤck Gebratenes reichen/ ſamt einem friſchen Waͤi-
tzen-Brodt/ und etwas Fruͤchten/ noͤthigte hernach
ſein Pferd fortzugehen/ und wieſe die alte Frau dar-
mit ab/ daß er auf dem Weg ſey/ ein Bettel-Muͤnch
zu werden/ worzu ihm die from̃e Alte Gluͤck wuͤnſchete/
und nichts fuͤr ihr Tractament begehrete.
Am Abend kam er zu einem kleinen Staͤdtlein/
und weil ſolches ein Paß/ war es ihm unmoͤglich/ ſel-
biges vorbey zu paſſiren/ ritte demnach hinein/ und
kehrete in einer anſehnlichen Herberge ein/ ob er gleich
nicht wuſte/ mit welchem Contento er von dannen
wieder herauß kommen moͤchte/ dann er hatte nicht
mehr/ als nur noch einen halben Orths-Thaler bey
ſich. Er zohe ſein Pferd in den Stall/ und ließ ihm ein
gutes Futter geben/ ſorgete auch mehr fuͤr ſelbiges/
als fuͤr ſeine eigene Perſon/ und ſich glaube/ er haͤtte es
gerne um ein Stuͤck Geldes verhandelt/ damit er deſto
fuͤglicher haͤtte fortkommen moͤgen/ wann er nur ei-
nen rechtſchaffenen Kauffmann vor ſich gefunden
haͤtte. Uber der Mahlzeit ward er wol tractiret/ und
fand
[7]Romans I. Buch.
fand ſich darbey ein anſehnlicher Menſch ein/ welcher
ſehr hoffaͤrtige Minen hatte. Dieſer blickete unſern
Klingenfeld ſehr unfreundlich an/ und gab gnugſam
zuverſtehen/ daß er ſeiner wenig achtete. Sie redeten
uͤber der Mahlzeit kein Wort mit einander/ als aber
die Speiſen abgenommen worden/ ließ der Fremd-
ling eine Frantzoͤſ. Karte langen/ und noͤthigte unſern
Wandersmann zu einem Spiel. Dieſer betrachtete
zwar ſeines Beutels Kranckheit/ jedoch hoffete er/
durch einen ehrlichen Gewinn/ demſelben etwas wie-
der einzubringen/ ließ ſich demnach nicht lange zum
Spielen noͤthigen/ ſondern band mit ihm an/ aber/
weil Jener die 3. erſte Spiele nach einander verlohr/
ward er zornig/ und warff die Karte untern Tiſch/ be-
ſchuldigte auch den Klingenfeld/ daß er falſch ſpielete.
Dieſer excuſirte ſich Anfangs mit hoͤflichen Worten;
Aber/ als der Wirth herzu kam/ und Jenem hart zu-
redete/ indem er ihm vorwarff/ daß er mit allen Leuten
Haͤndel anfieng/ auch ſchon etliche mahl mit ihm ſel-
ber angebunden/ und ihn deß falſchen Spielens be-
ſchuldiget haͤtte/ da ſprach Klingenfeld auß einem hoͤ-
hern Thon/ und ſagte: Hoͤre Kerl/ du muſt wiſſen/
daß du es nicht mit einem Bernheuter/ ſondern mit ei-
nem rechtſchaffenen Teutſchen aufgenommen haſt/
du beſchuldigeſt mich deß falſchen Spielens/ das iſt
eben ſo viel/ als wann du mich fuͤr einen Betrieger
haͤtteſt außgeſcholten/ darum muſt du das Spiel fer-
ner continuiren/ oder mir andere Revenge geben.
Jener ſprang alſobald hinter dem Tiſch herfuͤr/
langete ſeinen langen Degen/ und ſprach: Kerl/ weiſt
du wol/ wie ich heiſſe? Du magſt Alexander oder
Hannibal heiſſen/ bekam er zur Antwort/ ſo ſolt du
wiſſen/ daß fuͤr deinem Namen ich mich im allerge-
ringſten nicht fuͤrchte. Wolan/ fuhr Jener fort/ ſo
A 4wiſſe/
[8]Deß Academiſchen
wiſſe/ daß ich heiſſe der Cremoniſche Eyſenfreſſer/ und
daß ich zu Padua gantzer 2. Jahre den Namen deß be-
ruͤhmteſten Balgers gehabt; Das ſage ich dir zur
Nachricht/ darum mache dich fertig/ du muſt heute
noch Blut laſſen. Der andere lachete deß Narren/
und ſagte: Es iſt mir lieb/ daß ich mich mit einem be-
ruͤhmten Balger/ wann anders deine Worte mit der
That uͤbereinkom̃en/ herum ſchmeiſſen ſoll/ und heiſ-
ſeſt du Eyſenfreſſer/ ſo bin ich Klingenfeld genannt/
weil ich nichts lieber ſehe/ als eine blancke Degen-
Klinge auf einem Schlag-Feld/ darum ſaͤume nicht
lange/ ſondern halte dich/ wie einem beruffenen Ertz-
Balger gebuͤhret.
Der Eyſenfreſſer zeigete durch ſeine Fertigkeit
in Entbloͤſſung deß Degens/ daß es ihm an guter
Courage nicht ermangele. Klingenfeld war auch nicht
ſaumſeelig/ ſondern zuckete ſeine Klinge/ und darauf
giengen ſie in der Stuben bey Liecht auf einander loß.
Der Erſte wolte dieſem einlauffen/ aber er kam uͤbel
an/ dann Klingenfeld erhaſchete ſeinen Degen beym
Gefaͤß/ riſſe ihm denſelben auß der Fauſt/ warff ihn
mit groſſer Behendigkeit zu Boden/ und ſetzete ihm
ein Knie auf die Bruſt. Damahl tratten etliche feine
Leute auß der Nachbarſchafft herein/ welche den Tu-
mult angehoͤret hatten/ und wolten ſteuren helffen/
aber der Wirth hielte ſie ab/ und ſprach: Es hat keine
Noth/ ihr lieben Leute/ deß Eyſenfreſſers Hochmuth
iſt jetzo gedemuͤthiget/ er wird uns hinfuͤhro nicht
mehr ſolche Haͤndel machen/ hiermit gab er unſerm
Klingenfeld den Rath/ er ſolle jetzo eine freye Zeche
fuͤr dieſe gantze Geſellſchafft auf zukuͤnfftigen Tag
von dem Eyſenfreſſer bedingen/ derſelbe aber wartete
nicht ſo lange/ ſondern offerirte ſich ſelber darzu/ und
bathe den Klingenfeld/ daß er wolle ſein Freund ſeyn.
Alſo
[9]Romans I. Buch.
Alſo war der Streit gehoben/ und da der Niederge-
worffene wieder aufgeſtanden/ kuͤſſete er ſeinen Ge-
genpart/ und ſchwur/ daß er hinfuͤhro ſein getreuer
Diener ſeyn wolte/ inmaſſen noch keiner geweſen/ der
ihm im Degen uͤberlegen/ als er. Sie blieben aber die-
ſen Abend nicht lang mehr beyſammen/ ſondern/ weil
es ſchon ziemlich ſpaͤth in die Nacht/ verfuͤgete ſich ein
Jeder an ſeinen Ort/ um der verlangten Nacht-Ruhe
zu genieſſen. Als aber der folgende Tag anbrach/ be-
fahl der ſo genannte Eyſenfreſſer/ der ſonſt Ferrarius
hieß/ daß der Wirth eine gute Collation anſtellen
moͤchte. Klingenfeld machte ſich auch bey Zeiten in
die Kleider/ ſahe nach ſeinem Pferd/ und ließ ihm ein
gutes Futter reichen. Er hatte zwar keine Luſt/ ſich
laͤnger an dieſem Ort aufzuhalten/ aber Ferrarius, der
nunmehr ſein beſter Freund worden/ noͤthigte ihn/ die
Collation mit verzehren zu helffen. Er erſuchte ihn
aber darneben auch/ ihm den jenigen Vortheil zu zei-
gen/ Krafft deſſen er ihn vorigen Abends ſo behende
unter die Fuͤſſe gebracht haͤtte/ welches der andere
verrichtete/ und war dem Jtaliaͤner dieſe Lection ſo
angenehm/ als wann ihm ein anderer hundert Tha-
ler verehret haͤtte.
Das II. Capitul/
Man diſcurriret allhier von den Academien/ inſonderheit
von denen/ die bey den Alten zu Ninive/ Babylon/ und unter den Kin-
dern Jſrael in ſonderbarem Ruff geweſen.
UM den Mittag ſtelleten ſich die erbettene
Freunde nach einander ein/ und der Gaſtge-
ber hatte auch wacker zugerichtet/ dahero ſich
die Geſellſchafft recht froͤlich bezeigete/ und ließ ihm
ein Jeder den Florentiner-Wein wol ſchmecken/ dan-
nenhero ſie in allerhand Diſcurſe verfielen/ und be-
hauptete der Wirth/ er glaube/ es ſtuͤnde beſſer in der
Welt/ wañ man keine Academien haͤtte/ als worauf/
A 5wie
[10]Deß Academiſchen
wie an Ferrario zu ſehen/ die Jugend zu allerhand Ex-
ceſſen verleitet/ und ſo Duͤnckel-witzig wuͤrde/ daß ſie
ihnen groſſe Streiche einbildeten/ dahero ſie ihre vor-
geſetzte ordentliche Obrigkeit manchmahl wenig ach-
teten/ ſondern vielmehr taͤglich im Sauſſen und
Schmauſſen/ im Spielen und Dobbeln/ im Schla-
gen und Balgen/ oder gar in allerhand Wercken der
Unzucht ſtaͤts lebeten. Es war ein alter Geiſtlicher zu-
gegen/ der klopffete dem Wirth jetzo auf die Schul-
tern/ und ſprach: Holla! mein Freund/ ihr machet kei-
nen Unterſcheid zwiſchen dem Mißbrauch und rech-
ten Gebrauch der Univerſitaͤten/ die jenige Studenten/
welche ſich nach ihren vorgeſchriebenen Regeln ver-
halten/ ſind hoch zu halten/ und aller Befoͤrderung
werth/ inmaſſen die Welt ohne gelehrte Leute nicht
wol mag regieret werden. Hieruͤber ſchuͤttelte der
Wirth den Kopff/ und ſagte: Mein lieber Vatter/
auf ſolche Weiſe ſoltet ihr mir wol einbilden/ weiß
waͤre ſchwartz. Fuͤrs Erſte habe ich noch mein Lebtage
keinen frommen Studenten geſehen/ und zum andern
finde ich weder in der Bibel/ noch ſonſten/ daß man im
Alten Teſtament/ und hernach zu Zeiten Chriſti/ von
Academien gewußt habe.
Der Geiſtliche bedeutete ihm aber das Gegen-
theil/ daß er nemlich hierdurch manchem rechtſchaffe-
nen Studenten zunahe redete; Er ſolle nur nach Bo-
logne gehen/ oder ſeine Obrigkeit und Beicht-Vatter
betrachten/ ſo wuͤrde er ſich an denſelben eines andern
zu beſcheiden wiſſen; Daß auch die Alten von keinen
Academien gewußt/ deſſen wolte er ihm wol das Ge-
gentheil beybringen/ wann er der Geſellſchafft darmit
wolte beſchwerlich fallen. Als aber die andern dieſen
Pater alſo diſcurriren hoͤreten/ noͤthigten ſie ihn/ in ſei-
nem guten Vorhaben ſich nicht aufzuhalten/ aller-
maſſen
[11]Romans I. Buch.
maſſen ihnen dieſer ein ſehr angenehmer Diſcurs ſeyn
ſolte/ wannenhero er ſich in folgende Worte mit ei-
ner anſtaͤndigen Manier herauß ließ: Wir muͤſſen
bekennen/ daß das Menſchliche Geſchlecht bald nach
der Suͤndfluth unglaublicher Weiſe angewachſen/
und den wiederholten Seegen GOttes im 1. Buch
Moſis reichlich erfuͤllet. Es ſchreiben etliche/ es waͤren
immerdar Zwillinge/ ein Maͤnnlein und Fraͤulein ge-
bohren worden. Ein gelehrter Mann/ Auguſtinus
Torniellus, hat außgerechnet/ daß ein Paar Eheleute
innerhalb 250. Jahren/ durch ſich und ihre Kinder/
haben ſechszehen mahl hundert tauſend/ und ſieben
und viertzig tauſend Kinder zeugen koͤnnen. Wir wol-
len ſchweigen von den Ritterlichen Thaten deß Ni-
nus, welche Cteſias beſchreibet/ und auß ihm Diodo-
rus Siculus, welche bekennen/ daß er ſey außgezogen
mit 700000. Fußgaͤngern/ und 200000. Reutern/
10600. Wagen/ die mit krummen und neben ſich
ſchneidenden Eyſen bewahret/ und darauf umſtrei-
chende Schwerdter geweſen/ die/ je feſter die Waͤgen
gelauffen/ je ſchneller die Schwerdter loß geſchlagen.
Eben darum muſten die erſten Monarchen nothwen-
dig hohe und niedrige Schulen anrichten/ damit das
maͤchtige Volck koͤnte regieret/ und die taͤglich-auf-
wachſende Jugend in den Kuͤnſten und Sitten erzo-
gen werden/ welche man durchauß nicht wuſte zu ent-
baͤhren Dazumahl ſeyn die gewaltige hohe Schulen
in der Heydenſchafft aufgangen/ Babylon und Ni-
nive/ inmaſſen der fuͤrtreffliche Henricus bezeuget; ſin-
temahl/ was nur an gelehrten/ erfahrnen und verſuch-
ten Leuten zu ſpuͤren/ muſte dahin/ als in die beruͤhmte
Reſidentzen und Haupt-Staͤdte/ geſammlet werden.
Auch/ wo unter den Handwerckern geſchickte Meiſter
und ſubtile Arbeiter in Metallen/ Holtz und Steinen/
außzu-
[12]Deß Academiſchen
außzuforſchen/ wurden von ihren Eltern und Vatter-
land beruffen/ und in vorgedachte Orte gefuͤhret.
Wolte GOtt/ daß wir die gruͤndliche Beſchrei-
bung der Univerſitaͤt zu Babylon und Ninive ſehen
moͤchten! Fuͤrwahr/ die rechtſchaffene Studenten
duͤrfften ſich mit Beſtuͤrtzung und Luſt verlieben/ an
dem Pracht und Majeſtaͤt ſo vieler Collegien/ an der
wunderbaren Menge der Academiſchen Burger-
ſchafft/ an Fuͤrſtlichen/ herꝛlichen/ auch von Natur
und Mutterleibe/ Adelichen Kindern/ an der Weiß-
heit ſo heilſamer Geſetzen/ an der Zierlichkeit ſo rich-
tiger Ordnung in Facultaͤten/ Diſciplinen und Ubun-
gen/ und an der Strengigkeit der Ritterlichen Spie-
len/ an dem Unterſcheid ſo vieler Voͤlcker und Zun-
gen. Etliches Weniges iſt bewußt/ von der Koͤnigl.
Stifftung/ in welcher die Soͤhne deß Großmaͤchti-
gen Potentaten abſonderlich erzogen/ und neben den
Adelichen Sitten/ in fremden Sprachen/ in nuͤtzlichen
Lehren/ die zu Regimenten und Kriegen dieneten/
Heroiſchen Hiſtorien/ ſchoͤner Wolredenheit/ auch in
der reinen Magia und Chymia, mit ihren Blut-Ange-
hoͤrigen/ unterrichtet worden.
Nicht allein aber unter der Heydenſchafft ſeyn
zur ſelbigen Zeit hohe Schulen aufgangen/ ſondern
auch bey denen/ die GOtt recht erkannt/ und geehret
haben. Wir leſen im 1. Buch Moſis am 25. Cap.
Eſau ward ein Jaͤger und Ackermann/ Jacob aber
ein Fromm-Mann/ und bleib in der Huͤtten. Allhier
ſagen die Juden bey dem Lyranus, Jacob ſey bald ein
Student worden/ Eſau aber ein Walo- und Welt-
ling; Melden zugleich/ es waͤren ſchon allbereit Schu-
len geweſen/ eine deß Sems/ mit dem Zunahmen
Melchiſedech/ die andere deß Heber/ die dritte deß
Abraham. Daher ſtehet in der Chaldæiſchen Dolmet-
ſchung:
[13]Romans I. Buch.
ſchung: Jacob war ein aufrichtiger Mann/ und Die-
ner im Hauß der Lehre. Wann dem alſo/ (wiewol
es im Hebræiſchen anders ſcheinet/) hat der Knabe
Jacob in dieſen Dreyen ſtudiren koͤnnen. Und ſoll
Niemand gedencken/ die Profeſſores haͤtten dazumahl
ſchlechte Dinge von der Religion, von den Tugen-
den/ und noch mehrern irꝛdiſchen und Himmliſchen
Stuͤcken gelehret; Dann je naͤher die Laͤuffte an die
Suͤndfluth reichen/ je herꝛlicher/ weiſer/ geſchwin-
der und keuſcher haben die Wiſſenſchafften gebluͤ-
het/ ſeyn aber nachmahls von mancherley Winden
der Phantaſeyen und Deuteleyen angehauchet wor-
den. Wem beliebet/ kan aufſchlagen von den alten
Egyptern/ und finden das theure Lob/ welches ſie ih-
nen und ihren Nachfolgern in vortrefflichen Wiſſen-
ſchafften erworben. Wer Luſt zu lernen von dem Lauff
der Sternen/ von der Verwandelung der Elementen/
von der Krafft der Gewaͤchſen/ von dem Unterſcheid
der Thiere/ von der Groͤſſe der Felder/ von der Hoͤhe
der Berge/ der Tieffe der Abgruͤnde/ der Ferne der
Laͤnder/ den Heimlichkeiten der Schrifft/ dem Abſtei-
gen der Zeiten/ und noch andern/ zog in Egypten. Un-
terdeſſen bleibet wahr/ die erleuchteten Patriarchen
haͤtten die Schulen daſelbſt gepflantzet/ begoſſen/ und
GOtt das Gedeyen darzu gegeben. Zu dem liget vor
Augen das Kiriath Sepher, die Stadt der Kuͤnſten/
darum genennet/ weil an dem Ort eine fuͤrnehme
Gymnaſtiſche und Academiſche Schul geſtanden.
So bald die Kinder Jſrael in das gelobte Land
eingezogen/ haben/ entweder der Loͤbl. Fuͤrſt Joſua/
oder die tapffern Richter/ die Studien verleget in die
Stadt Abel/ welche zu dem Stam̃ Benjamin gehoͤ-
rete. Solches iſt offenbahr/ auß der Rede der Helden-
Frauen/ die zu Jacob ſagte: Vorzeiten ſprach man/
wer
[14]Deß Academiſchen
wer fragen wil/ der frage zu Abel/ und ſo gienge es
wol auß. Jch bin eine von den friedſamen und treuen
Staͤdten in Jſrael/ und du wilt die Stadt toͤdten/ und
die Mutter in Jſrael? 2. B. Sam. c. 20.
Was die Meynung dieſer Rede ſey/ koͤnnen auch
die Laͤyen leſen in ihren Bibeln/ und ſehen/ daß kluge
und verſtaͤndige Maͤnner darinnen gewohnet/ welche
dem gantzen Volck in zweiffelhafftigen Sachen mit
geſundem Rath helffen koͤnnen. Woher aber dieſes?
Daher/ weil eine hohe Schul daſelbſt geweſen/ gele-
gen an einem ſtillen Ort/ gefaſſet mit heilſamen Ge-
ſetzen/ verſorget mit gnugſamen Guͤthern/ daß auch
deßwegen alle Staͤmme ihre liebſte Kinder gen Abel/
als zu der holdſeeligen Mutter/ ſchicken duͤrffen. Eine
ſolche Stadt war Abel/ und ließ ſich an den freyen
Kuͤnſten erſaͤttigen. Jeruſalem/ Bethlehem/ Ra-
math/ Siloa/ Gibea/ moͤchten prangen wegen der
Koͤnigl. Reſidentz/ Burg und der H. Stiffts-Huͤtte;
Abel war die getreueſte Mutter/ die gelehrteſte Mei-
ſterin/ die fleiſſigſte Pflegerin aller der Edelſten Soͤh-
ne in Jſrael. Zu Abel wurde Urtheil geſprochen in
Weltlichen/ zu Abel wurde Beſcheid gegeben in
Geiſtlichen/ zu Abel wurden ſcharffſinnige Dinge
getrieben in zeitlichen Sachen. Abel blaͤhete ſich
nicht wegen der groſſen Gewalt/ Reichthums/
Schmucks und Vortrefflichkeit/ ſondern danckete
GOtt/ daß die Himmliſche und irꝛdiſche Weißheit
eine koͤſtliche Wohnung zwiſchen ihren Mauren auf-
geſchlagen hatte.
Zuletzt/ als Salomon den praͤchtigen Tempel
gebauet/ und neben demſelbigen eine gewaltige Uni-
verſitaͤt angerichtet/ und ſtattlich eingeweyhet/ auch
mit nachdencklichen Ehren-Tituln oͤffentlich gezie-
ret/ inmaſſen viel Theologen auß den vernuͤnfftigen
Spruͤch-
[15]Romans I. Buch.
Spruͤchwoͤrtern/ und dem Hauſe der Weißheit/ ſo
etlich mahl gelobet wird/ abmercken/ ſeyn die Studia
alle gen Jeruſalem geruͤcket/ und haben ſich in unter-
ſchiedliche Facultaͤten/ nemlich die Moſaiſche/ Pro-
phetiſche/ Levitiſche/ Juriſtiſche/ Mediciniſche/ Philoſo-
phiſche zertheilet/ auch die Juͤnglinge/ welche der-
mahleins die Prieſterſchafft antretten ſolten/ lebeten
gleichfalls in einer ſonderbaren Facultaͤt der Muſica-
liſchen/ und muſten ſich 6. Jahre darinnen uͤben. Jn
Summa/ dazumahl lieſſen ſich zu Jeruſalem hoͤren
verſuchte Leute in der Wolredenheit/ Poeterey/ Aſtro-
nomey/ Arithmeterey/ Metaphyſica, Phyſiologia, und
dergleichen. Hiervon handelt weitlaͤufftiger der Je-
ſuit/ Johannes de Pineda, in dem 3. Buch von den
Geſchichten deß Salomons/ am 12. und folgenden
Capitel. Dazumahl war zu Jeruſalem die Lehrerin
deß gantzen Landes/ in ihr lerneten die Knaben die
verborgene Schrifft/ die Juͤnglinge freye Kuͤnſte/ die
Maͤnner legten auß die faſt Engliſche Geheimnuͤſſe.
Dazumahl wurden zu Jeruſalem vielmehr von Levi-
ten/ Gaditen/ Ephraimiten/ Manaſſiten/ Simeoni-
ten/ Rubeniten/ Sebuloniten/ Jſaſchariten/ Dani-
ten/ Aſſeriten/ Naphthaliten/ als Benjamiten und
Juden gezehlet/ welche alle ſich daſelbſt aufhielten/
faſſeten die Diſciplinen/ ſolche in ihre Heimath zu
bringen. Dazumahl fiengen die Studenten an/ ehe
Profeſſores zu ſeyn/ als Auditores, und begriffen die
ſchwereſten Wiſſenſchafften nicht nach den Jahren/
ſondern nach den Monaten.
Was wollen wir ſagen? dazumahl giengen die
Thore der Gymnaſien zu Jeruſalem zeitlicher auf/ als
die Pforten der Himmel/ und die Studenten erwar-
teten nicht das Licht der Sonnen/ ſondern gebrauch-
ten ſich deß Scheins der Sternen/ auch die Morgen-
roͤthe
[16]Deß Academiſchen
roͤthe muſte ſich ſchaͤmen und erbleichen/ daß ſo wacke-
re Geſellen fruͤher herauß kommen/ auß ihren Ge-
maͤchern/ als ſie von den Enden und Winckeln der
Erden.
Das praͤchtige Collegium ſtunde in der Koͤnigl.
Stadt/ die ſonſt die Burg David heiſſet/ auf der
Hoͤhe/ in geſunder Lufft/ umher wohneten die Pro-
pheten/ die Weiſen/ und alle/ die zu dem Hauſe der
Lehre verordnet/ in der aͤlteſten und ſtaͤrckeſten Ve-
ſtung/ wie es Villalpandus beweiſet. Sieben Saͤu-
len werden zwar nahmhafftig gemacht/ aber es ſeynd
ſieben Stuͤhle/ von welchen die Jugend Lectiones
hoͤrete. Solche Stuͤhle waren auß ſchoͤnen Marmel-
ſteinen zubereitet/ auch in andern Gymnaſien mit
ſtattlicher Arbeit verfertiget/ nach unterſchiedlichen
Facultaͤten und Doctoren/ die darein beſtellet. Und iſt
mit Verwunderung zu mercken/ daß die neue Stu-
denten bey einem Tiſch und guten Trunck Wein in
die Pflicht genommen/ und eingeſchrieben worden/
daher dieſe Gewonheit auf die Griechen kommen.
Optatus Afer Milevitanus Epiſcopus ſchreibet
hiervon: Non autem in Sion, ſed in una ejus valle:
Non in illo monte Sion, quem in Syria Palæſtinæ à
muris Jeruſalem parvus diſterminat rivus; In cujus
vertice eſt magna planities, in qua fuerant ſeptem
Synagogæ, ubi Judæorum populus conveniens, legem
per Moyſen datam diſcere potuiſſet: Ubi nulla lex
audita eſt, nec ab aliquo celebratum judicium, nec
aliqua eſt illic ab ullo judice lata ſententia: Quia lo-
cus erat doctrinæ, non controverſiæ. Poſt doctrinam,
ſi quid agendum erat, intra muros Jeruſalem ageba-
tur, inde ſcriptum eſt in Eſaia Propheta 2. De Sion
exibit lex \& verbum Domini de Jeruſalem. Auf der
Hoͤhe deß Bergs Sion/ iſt gar eine groſſe Ebene ge-
weſen/
[17]Romans I. Buch.
weſen/ und daſelbſt ſeyn geſtanden ſieben Schulen/ in
welchen das Juͤdiſche Volck/ wann es zuſam̃en kam/
koͤnte das Moſaiſche Geſetz lernen. Daſelbſt iſt kein
Buͤrgerlich Geſetz jemahls gehoͤret/ auch niemahls
kein Gericht gehaͤget/ viel weniger ein Urtheil von ei-
nem Richter geſprochen worden/ dann es war ein Ort
der Lehre/ und nicht deß Rechtens. Bißher Optatus.
Und iſt leichtlich zu erachten/ daß ein groſſer Zulauff
auß Arabien/ Syrien Aſſyrien/ und andern Graͤntzen
geweſen/ wegen der durch die gantze Welt beſchreyten
Majeſtaͤt deß Salomonis.
Hiervon zeuget die Schrifft/ die Weißheit/ (der
weiſe Salomon/) er bauete (ihm) ein Hauß/ und
ſandte ihre Dirne/ (ſeine Bottſchafften in die benach-
barten Provincien/) auß/ zu laden oben auf den Pal-
laſt der Stadt/ (zu der neuen Univerſitaͤt/ die mit
Profeſſoren und Præceptoren zum Uberfluß erfuͤllet
war/) wer alber iſt/ (wer nichts hat ſtudirt/ iſt aber der
Kuͤnſten und Sprachen begierig/) der mache ſich hie-
her. Und zum Narren/ (einfaͤltigen und armen Ge-
ſellen/) ſprach ſie: Kom̃et/ zehret von meinem Brodt/
(genieſſet meiner Stipendien und Stifftungen/) und
trincket deß Weins/ den ich ſchencke.
Was iſt erfolget? Es kamen auß allen Voͤlckern/
zu hoͤren die Weißheit Salomonis/ von allen Koͤni-
gen auf Erden/ die von ſeiner Weißheit gehoͤret hat-
ten. Da muß ja eine groſſe Menge der Studenten
geweſen ſeyn/ von Edlen Herren/ Fuͤrſten und Koͤ-
nigs Kindern.
Hieronymus beluſtiget ſich daruͤber/ und ſpricht:
Et quos ad contemplationem ſui Jeruſalem non traxe-
rat, unius hominis ſapientiæ fama perduxit. Habuit
illa ætas inauditum omnibus ſeculis celebrandumq́ue
miraculum, ut tantam Urbem ingreſſi aliud extra ur-
Bbem
[18]Deß Academiſchen
bem quærerent, \& Salomon Hierareham potius, quà
Hyarcham in throno ſedentem aureo: Et de Tantali
fonte potantem inter innumeros diſcipulos de natura,
de motibus ſyderum deque rebus divinis audirent do-
centem. Welche das koͤſtliche Gebaͤu der Stadt
Jeruſalem nicht konte zu ſich ziehen/ hat das beruͤhm-
te Geruͤcht von eines Menſchen Weißheit dahin ge-
fuͤhret. Dieſelbige Zeit hat ein von Anfang unerhoͤr-
tes Wunder-Werck gehabt/ nemlich/ daß die Men-
ſchen in der groſſen Stadt einzogen/ und doch ein an-
ders ſuchten auſſer der Stadt/ viel lieben mehr den
Salomonem einen Hierarcham, als den Hyarchen,
welcher auf einem guͤldenen Stuhl ſaſſe/ und auß deß
Tantalus Brunnen truncke/ und darneben ſeine Juͤn-
ger von der Natur/ den Bewegungen der Sternen/
und Goͤttlichen Dingen lehrete.
Bey waͤhrender anderer Monarchey haben glei-
cher Geſtalt herfuͤr geleuchtet die hohen Schulen/
und lieſet man/ was Crœſus zu Sardis in Lydien geſtiff-
tet. Und wann nichts vorhanden waͤre/ als die einige
Nachrichtung/ daß die Perſier die Soͤhne deß Koͤnigs
unter vier Zuchtmeiſter gethan/ nemlich/ unter den
Froͤmmeſten/ Weiſeſten/ Nuͤchterſten/ und Tapffer-
ſten/ ſcheinet Sonnen-klar/ daß Schulen geweſen.
Zu dem/ wo nur heroiſche Voͤlcker geweſen und ge-
herꝛſchet/ daſelbſt ſeyn nutzliche Schulen angeordnet
worden/ dargegen haben die Weibiſchen Nationen
ſolch Werck verlaſſen.
Bey den Uhr-alten Teutſchen ſeyn hohe Schu-
len geweſen/ und darinnen die angehende junge Hel-
den/ Fuͤrſten und Hertzogen/ von Unſterblichkeit der
Seelen/ von dem Lohn der Tugenden/ von den freu-
digen Thaten ihrer Vorfahren/ biß an den Groß-
Vatter Japhet/ durch die Treuen/ (ſonſt Truiden/
waren
[19]Romans I. Buch.
waren Lehrer/) in lieblichen Geſaͤngen und klugen
Sprachen/ zu einem unerſchrockenen und glorwuͤrdi-
gen Tode unterrichtet und gewoͤhnet worden; Und
iſt zu beklagen/ daß von dieſen theuren Maͤnnern das
verteuffelte Hexen-Volck den Namen bekommen/
und nunmehr Treutener und Truten heiſſen. Ebe-
nermaſſen ſeyn bey den Uhr-alten Schweden/ die
auch Teutſche/ herꝛliche Schulen/ und in den Schulen
ſehr theure Kuͤnſte und Schrifften geweſen/ welche
Schrifften ein Naſen-kluger Biſchoff verbrennet/
und die Nachkommen auß tollem Eyfer ſolcher
Stuͤcke beraubet/ welche heutiges Tages auf der
gantzen Welt nicht zu finden.
Bey der dritten Monarchey haben die hohen
Schulen durch den weiten Erden-Craͤyß zugenom-
men in den Volck-reicheſten Staͤdten/ Jnſuln und
Laͤndern/ zu Alexandrien/ Rhodien/ Corinthen/
Athen/ Rom/ wiewol bey vielen die hohen Schulen
fruͤher geſtanden/ und darff derohalben es keinen
Beweiß/ wie auch von den hohen Schulen bey der
vierdten Monarchey.
Ehe wir dieſe Rede ſchlieſſen/ ſeyn etliche Dinge
zu erinnern. Auß der Salomoniſchen Univerſitaͤt zu
Jeruſalem ſeyn viel andere hohe Schulen fortge-
pflantzet worden. Pythagoras iſt bekandt/ der eine
hohe Schule in Jtalien angefangen/ und meynet
Ambroſius, er ſey ein gebohrner Jud geweſen/ in der
Epiſtel/ da Ambroſius die Pythagoriſche Satzungen
mit den heiligen Geboten vergleichet. So lauten die
Wort deß Ambroſius: Cum ex populo Judæorum
(ut pleriq́ arbitrantur,) genus auxerit, ex ejus diſci-
plina derivarunt etiam magiſterii præcepta, meritoq́;.
Magnus apud eos Philoſophus habitus, æqualem (ut
ajunt,) vix reperit. Weil Pythagoras auß dem Juͤ-
B 2diſchen
[20]Deß Academiſchen
diſ. Volck buͤrtig geweſen/ wie ſie faſt alle dafuͤr hal-
ten/ haben (die Gelehrte/) auß ſeiner vorgeſchriebenen
Lehre entlehnet die Geſetze ihrer Meiſterſchafft/ und
wird nicht unbillich groß unter den Philoſophen ge-
achtet/ und der ihm gleich/ nicht gefunden. Alexander
in Libro de Symbolis Pythagoricis refert, Pythago-
ram fuiſſe diſcipulum Nazareti Aſſyrii, quidam eum
exiſtimant Ezechielem, ſed non eſt, ut oſtendetur
poſteà. Der gelehrte Mann Alexander in dem Buch
von den Pythagoriſchen Geheimnuͤſſen erzehlet/ Py-
thagoras ſey ein Schuͤler geweſen deß Nazareten auß
Aſſyrien. Laërtius geſtehet/ aber etwas dunckel/ Py-
thagoras ſey beſchnitten geweſen/ gewiß iſt es/ Pytha-
goras hat zur Zeit der Babyloniſchen Gefaͤngnuͤß
gelebet. Socrates iſt auch ein Nachfolger der He-
breiſchen Weißheit/ und hat eine abſonderliche hohe
Schul angefangen. Plato, wie Numenius Pythagori-
cus betheuret/ iſt in der Moſaiſchen Diſciplin hefftig
geuͤbet geweſen/ daher ihn Juſtinus nennet einen Mo-
ſes, der mit Attiſcher Zungen rede. Ambroſius ſaget/
Plato habe ſeine Buͤcher/ und die Gaͤrten deß Jupi-
ters (darvon Plato erzehlet/) auß den Liedern Salo-
monis genommen. Letztlich/ Ariſtoteles ſelbſten hat
ſeine groͤſte Kunſt/ wie es Clearchus, ein Juͤnger deß
Ariſtotelis, darthut/ von einem Juden erlernet. Euſe-
bius beruffet ſich auf die Wort deß Clearchus, bey
dem Ariſtoteles alſo ſchreibend: Judæus erat ex Cœle-
Syria, qui ſunt Calcani ex India; Judæi autem à loco,
quem habitant, appellati ſunt, urbs eorum aſperrimo
quodam nomine Jeruſalem nuncupatur. Hic ab altio-
ribus Aſiæ Locis verſaremur, Philoſophiæ amore ad
nos ſpontè venit, qui multò plura nobis attulit, quàm
accepit. Das iſt: Es war ein Jude auß Cœle-Syria,
welche ſeyn Calcanier auß Jndia; Die Juden aber
ſeyn
[21]Romans I. Buch.
ſeyn von dem Ort/ welchen ſie bewohnen/ genennet
worden. Jhre Stadt wurde mit einem haͤrteſten
Namen Jeruſalem genennet. Dieſe kam hernieder
von den hohen Orten in Aſien zu den Meer-Staͤdten/
und wurde ſo wol mit der Sprach/ als mit dem Ge-
muͤth/ ein Griech; Und nachdem es ſich zugetragen
hatte/ daß wir zur ſelbigen Zeit eben in denen am
Meer gelegenen Orten waren/ iſt er auß Liebe der
Philoſophey zu uns freywillig kommen/ und hat uns
weit mehr bracht/ als er von uns empfangen. Das
bekennet Ariſtoteles; Salomon aber bekennet etwas
beſſer: Er ſey ein Meiſter vieler Philoſophen/ die ihm
folgen werden/ wann er ſpricht in dem Prediger:
Derſelbige Prediger war nicht allein weiſe/ ſondern
lehret auch das Volck gute Lehre/ und mercket/ und
forſchet/ und ſtellet viel Spruͤche. Er ſuchet/ daß er
fuͤnde angenehme Worte/ und ſchreibe recht die Wor-
te der Warheit: Dieſe Worte der Weiſen ſind
Spieſſe und Naͤgel/ geſchrieben durch die Meiſter
der Verſam̃lungen/ und von einem Hirten gegeben.
Das III. Capitul/
Allhier wird noch mehr von den Juͤdiſchen hohen Schulen/
und von der Zucht der Studenten geredet. Cavina kommt unter die
Geſellſchafft der Gaudieben/ da es wunderlich hergehet/ und werden ſie
beſchrieben.
AN dieſem Diſcurs hatten alle Anweſende ein
ſonderbares Vergnuͤgen/ der Muͤnch aber hiel-
te jetzo ein wenig auf/ und nachdem er von Fer-
rario ein groſſes Glaß Wein bekom̃en/ und ſelbiges/
um die ermattete Zunge zu erquicken/ in den Schlund
lauffen laſſen/ da reuſperte er/ und ſprach: Jhr/ meine
lieben Freunde/ wir haben noch etwas Weniges zu
erinnern/ welches ich nicht gern wolte ungeſaget laſ-
ſen. Es beſcheuſt der Prophet Zacharias das 12. Cap.
ſeiner Weiſſagung mit folgenden Worten: Zu der
B 3Zeit
[22]Deß Academiſchen
Zeit wird groſſe Klage ſeyn zu Jeruſalem/ wie die
war bey Hadadrimon/ im Feld Megiddo. Und das
Land wird klagen/ ein jeglich Geſchlecht beſonders/
das Geſchlecht deß Hauſes Davids beſonders/ und
ihre Weiber beſonders. Das Geſchlecht deß Hauſes
Nathans beſonders/ und ihre Weiber beſonders.
Das Geſchlecht deß Hauſes Levi beſonders/ und ihre
Weiber beſonders. Alſo alle uͤbrigen Geſchlechte/ ein
Jegliches beſonders/ auch ihre Weiber beſonders.
Allhier iſt eine Frage entſtanden/ wer doch der
Simei ſey? Dann ja ein anderer iſt Simeon/ der
Sohn deß Patriarchen Jacobs/ ein anderer Simei.
Lyranus berichtet/ es ſey ein vortrefflicher Mann/ vor-
trefflich an dem Leben/ und an der Weißheit geweſen/
und habe eine Schul angerichtet/ und beſondere
Secten gefuͤhret. Hieronymus erzehlet/ daß der Naza-
reer Zunfft die 2. Haͤuſer von 2. Geſchlechten außle-
gen/ nemlich das Sammai und Hilles, von denen die
Schrifftgelehrten und Phariſeer entſprungen waͤ-
ren/ nicht weit zuvor/ ehe Chriſtus gebohren/ und in
dieſe Welt gelanget/ und ſolche Schul habe Akibas
hernach regieret/ aber die beyden Geſchlechte haͤtten
den rechten Meſſias gantz nicht annehmen wollen.
Dieſes laſſen wir billich beruhen/ und ſagen allein/
daß nach Wiederkehrung auß der Babyloniſchen Ge-
faͤngnuͤß die Juden ihre hohe Schulen bey dem Thor
deß Tempels gegen Aufgang gebauet/ und daſelbſt
die fuͤrnehmſte Meiſter und Außleger deß Geſetzes
gelehret/ auch der Gamaliel ſelbſten/ welchen Paulus
anzeucht/ und lobet. Von dieſer hohen Schul/ wie ſie
in dem Umkraͤyß deß Tempels geſtanden/ ſeyn außzu-
legen die Worte auß der Apoſtel-Geſchichte/ cap. 24.
Sie haben mich/ ſpricht Paulus/ nicht funden im
Tempel mit Jemand reden/ oder/ nach dem Griechi-
ſchen
[23]Romans I. Buch.
ſchen Grund-Text/ mit Jemand diſputiren. Ambro-
ſius uͤber die 1. Ep. an die Corinther bejahet/ die El-
teſten an der Wuͤrde haͤtten auf erhabenen Cantzeln
geſeſſen/ nach ihnen die andere auf niedrigen Baͤn-
cken/ und die ſtudirende Jugend auf gelegten von
Bintzen/ oder dergleichen geflochtenen Materien und
Decken an der Erden/ daher ſaſſen die Studenten zu
den Fuͤſſen ihrer Doctoren und Meiſtern/ deſſen ſich
Paulus nicht ſchaͤmet/ und ſpricht: Jch bin ein Juͤ-
diſcher Mann/ geboren zu Tarſen in Cilicia, und er-
zogen in dieſer Stadt/ (Jeruſalem/) zu den Fuͤſſen
Gamalielis, gelehret mit Fleiß in dem Vaͤtterlichen
Geſetz. Philo berichtet/ die Eſſeer/ ſo offt ſie in den
Schulen zuſammen kom̃en/ haͤtten ſie eine feine Ord-
nung gehalten/ und die jungen Geſellen ſich zu den
Fuͤſſen der Alten geſetzet/ und zu fleiſſiger Aufmer-
ckung ihre Sinne bereitet. Das iſt eine ehrbare und
liebliche Zucht geweſen/ und ſcheinet auß dem Evan-
gelio deß H. Knabens JEſu/ weil er nicht auß der
Doctoren und Profeſſoren der Schulen Mittel gewe-
ſen/ habe ſich/ nach ſeiner gewoͤhnlichen Demuth/ auch
neben andere auf die Matten geſetzet/ mit Ehrerbie-
tung die Elteſten gefraget/ die Antwort ſittiglich an-
gehoͤret/ und darauf ſeine Gegen-Rede abgeleget/ daß
ſie ſich ſelbſt verwundern muͤſſen/ uͤber den hohen
Verſtand/ und ſcharffen Antwort.
Ferner ſchreibet Athenæus von den Gaſt-Mahlen
der Philoſophen zu Athen/ welchen Theophraſtes zu
dem Ende eine merckliche Summa Goldes im Teſta-
ment verſchaffet/ nicht/ daß ſie in ſolcher Zuſammen-
kunfft geiler und leichtfertiger Weiſe Muthwillen
treiben ſolten/ ſondern/ ſo ſie in den ſparſamen Wol-
leben Geſpraͤche unter ſich haͤtten/ dieſelbige beſchei-
dener/ nuͤchterer und gelehrter Maſſen vollfuͤhreten.
B 4Er
[24]Deß Academiſchen
Er ſchreibet weiter/ den Philoſophen haͤtte obgelegen/
mit denen vor ſich beruffenen Juͤnglingen zu eſſen
und zu trincken nach geordnetem Geſetze/ welche Xe-
nocrates in ſeiner Academia, auch Ariſtoteles in ſeiner
Schul/ von Regierung der Nuͤchterkeit/ eingefuͤhret.
Wann dann dem alſo/ iſt klar/ wie hefftig die Al-
ten auf die ehrbare Zucht unter den Studenten geſe-
hen/ beydes in oͤffentlichen Collegien/ und haͤußlichen
Wohnungen. Wem beliebet/ mag aufſuchen alle
Stifftungen der hohen Schulen in der gantzen Chri-
ſtenheit/ er wird in Warheit keine finden/ die nicht auf
ehrbare Zucht und Adeliche Sitten dringe; Ja/ alle
Facultaͤten ſeyn dermaſſen gefaſſet/ daß immerdar ein
Capitel zum wenigſten von der erbarn Zucht handelt.
Die frommen Alten wuſten wol/ wie ſehr noͤthig
die Nuͤchterkeit/ und angenehm die Unmaͤſſigkeit den
Studenten waͤre. Dann ſie iſt der Adamitiſchen
Natur faſt angebohren/ und nahe befreundet/ erwuͤr-
get doch geſchwinde die Seelen/ und machet auß den
Menſchen Beſtien Darum befohlen die Alten/ Stu-
denten ſolten die Unmaͤſſigkeit fliehen/ und weil ſie ein
ſuͤſſes/ aber heimliches und gefaͤhrliches Gifft/ bald
im Anfang meyden/ und den Feind nicht ſo redlich
achten/ daß ſie mit ihm ſtreiten wolten. Die frommen
Alten wuſten wol/ wie die boͤſe Gelegenheit muſte ge-
meydet/ und das Auge von der Uppigkeit abgewendet/
verdaͤchtige Oerter verlafſen/ und Schand-Buͤcher
niemahls angeſchauet/ ruchloſe Geſellſchafft gantz
verachtet/ betriegliche Freuden außgeſchlagen/ leicht-
fertige Schau-Spiele nimmermehr beſuchet/ und
der faule Muͤſſiggang mit Fuͤſſen getretten werden.
Hinwieder wuſten die frommen Alten wol/ die
Keuſchheit waͤre eine ſchoͤne Tugend/ eine theure Tu-
gend/ und ſchmuͤckete die ſtudirende Jugend vor allen
andern
[25]Romans I. Buch.
andern Dingen mit Weißheit an dem Gemuͤthe/ mit
friſchen Kraͤfften an dem Leibe/ mit lebendigen Gei-
ſtern an dem Gedaͤchtnuͤß. Die from̃en Alten wuſten
wol/ was die Gottesfurcht/ die Andacht im Gebette/
bey der Predigt/ an den Faſten/ auch der Gehorſam
gegen die Obrigkeit/ Niedertraͤchtigkeit/ Sittſam-
keit/ Lindigkeit/ Friede/ und dergleichen/ bey den Stu-
denten ſchaffete. Daß aber die Alten ſtreng uͤber der
ehrbarn Zucht gehalten/ erſcheinet daher/ weil ſie den
Liebhabern derſelbigen groſſe Belohnungen/ und den
Verbrechern harte Straffe bewiedmen/ wie mit vie-
ler hohen Schulen Exempel koͤnte bewieſen werden/
zu Pariß/ Bononien/ und ſonſten. Wer wolte auch ſo
thoͤricht und toll ſeyn/ den unſaubern Voͤgeln/ ſtin-
ckenden Hunden/ raſenden Panther-Thieren/ und
bruͤnſtigen Wald-Ochſen/ eine Univerſitaͤt aufzu-
richten? Jener Soldan in Egypten ſtifftete eine ho-
he Schul/ und befahle/ daß die Religions-Gelehrten
den Alcoran deß Mahummeds auf derſelbigen leſen
ſolten. Sie unterwunden ſich der Sachen/ aber/ weil
der Alcoran ein Luͤgen- und Laſter-Geſchmeiß/ und
dem Chriſtenthum zuwider iſt/ was geſchahe? Die
neue Profeſſores, weil ſie in dem Alcoran ſo ſeltzame/
falſche und unerfindliche Greuel funden/ geriethen
ohne Verzug in verbittere Zaͤnckereyen/ und waͤre
der gantze Saraceniſche Glaube verworffen worden/
wofern der Soldan nicht die gantze hohe Schul zer-
trennet/ und verjaget haͤtte. Unterdeſſen iſt zu loben/
daß dieſer Heyde in ſeinen Schul-Geſetzen nach der
ehrbarn Zucht bey den Studenten getrachtet/ und
ernſtlich anbefohlen. Warum ſolten dergleichen nicht
gethan haben unſere Vorfahren/ die Chriſten?
Kuͤrtzlich/ bey den alten Univerſitaͤten kunte kei-
ner/ der ein aͤrgerliches Leben fuͤhrete/ und nicht/ wie
B 5einen
[26]Deß Academiſchen
einen redlichen Studenten ziemete/ zu den Ehren-
Graden gelangen/ und Baccalaureus, Magiſter, Licen-
tiatus und Doctor werden/ auch wann man einen
Studenten zu Kirchen-Dienſten gebrauchen wolte/
ließ man ſeinen Namen zuvor an die Tafel hefften/
damit/ wann irgend Leute die Perſon deß aͤrgerlichen
Lebens/ welches ſie auf Univerſitaͤten gefuͤhret/ be-
ſchuldigen Vorhabens/ und zu beweiſen haͤtten/ der-
ſelbe mit leeren Faͤuſten abziehen muſte.
Als der Geiſtliche ſeinen Diſcurs hiermit geen-
diget/ muſte der Haußwirth bekennen/ daß er uͤbel ge-
than/ indem er von allen und jeden Studenten eine
gleich uͤbele Opinion gefaſſet/ und werde er hinfuͤhro
dieſelben/ aber nicht ohne Unterſchied/ ſondern die ſich
bey ihm wol/ und nicht/ wie dieſer Ferrarius bißhero
gethan/ anſtelleten/ gebuͤhrend zu ehren wiſſen. Un-
terdeſſen lieff die Mahlzeit zum Ende/ und Klin-
genfeld hatte keine Luſt/ ſich laͤnger an dieſem Ort
aufzuhalten/ aber der Wirth lag ihm ſehr an/ nur
noch dieſen Tag bey ihm zu verziehen/ weil Ferrarius
reſolviret waͤre/ am folgenden Tage gleicher Geſtalt
fortzugehen/ und ſich nach Boulogne zu verfuͤgen/ er
verſprach ihm auch/ ihm keine Rechnung zu machen/
ſondern alles auf deß Cremoners Brett zu ſchreiben/
weßfalls der Teutſche ſich bald bereden ließ/ und/
nachdem die andern Gaͤſte mit einander wieder weg-
gegangen waren/ ſtunden Klingenfeld/ Ferrarius und
der Haußwirth am Fenſter/ da dann alſobald ein an-
ſehnlicher junger Menſch/ wol gekleidet/ auf einem
muntern Hengſt vorbey trabete. Jene fragten/ was
dieſer fuͤr ein Mann/ aber der Wirth ließ ſich verneh-
men/ daß er gezwungen wuͤrde/ ſich niederzulaſſen/
wann er das alles erzehlen ſolte/ was er bey dieſem
Mann zu erinnern haͤtte. Solchem nach ward ihm
kein
[27]Romans I. Buch.
kein Friede gelaſſen/ ſondern die andern ſetzten ſich ne-
ben ihn/ und noͤthigten ihn zu folgender Erzehlung:
Cavina, war ein Juͤngling von einem guten
Geſchlecht/ und die Klugheit/ welche er in ſeiner Ju-
gend blicken ließ/ gab Jedermann eine gute Hoffnung
von ihm. Er hatte aber das 16. Jahr ſeines Alters
kaum hinter ſich geleget/ als er ſchon anders Sinnes
ward/ indem er ſich an etliche leichtfertige Burſch
hieng/ unter denen einer war/ Namens Levion, ein
durchtriebener Menſch/ welcher ſich anſtellete/ als ha-
be er ihn in dem Frantzoͤſiſchen Lager geſehen/ und ihn
gruͤſſete mit dem Namen la Breche, darfuͤr dieſer ger-
ne paſſiren wolte/ als ein Mann/ der ſich bey ſchoͤnen
Occaſionen zu Felde ſchon habe legitimirt/ unterdeſ-
ſen bemuͤheten ſich dieſe Leute/ ihn in ihre Geſellſchafft
zu bekommen/ noͤthigten ihn deßwegen etliche mahl zu
Gaſt/ und thaten ihr aͤuſſerſtes/ ihn zu ihrem unge-
bundenen Leben zu bringen. Ein groſſer Kerl/ ein
leichtfertiger Mann/ Cajo genannt/ der lange Zeit
unter den Teutſchen Truppen gedienet hatte/ war
Vorſteher dieſer Schelmen/ ſo bald dieſer den Cavina
geſehen/ rieff er Levion an die Seite/ und forſchete/ ob
ſich dieſer Juncker unter ihre Compagnie wolte ein-
ſchreiben laſſen? Und als dieſer Anzeige gethan/ daß
Cavina ſich leicht ſolte bequemen/ auf ihre Seite zu
tretten/ da ſprach Jener: So traget dann Sorge/
daß er wol unterwieſen werde/ dann ich hoffe/ er werde
noch ein wackers Mitglied unſerer loͤblichen Zunfft
werden.
Hierauf wandte er ſich gegen unſerm Neuling/
und gruͤſſete ihn auf eine ſehr hoͤfliche Weiſe/ er noͤ-
thigte ihn gegen den andern Morgen/ da ſie Ver-
ſammlung halten wolten/ zum Fruͤhſtuͤck/ welches
Cavina, dem wir den Namen la Breche eine Zeitlang
goͤnnen
[28]Deß Academiſchen
goͤnnen wollen/ williglich zuſagte/ auch mit Levion zu
beſtim̃ter Zeit dahin verfuͤgete. Er fand dieſen Vor-
ſteher der Gaudieben mitten unter verſchiedenen
wolgemachten und anſehnlichen Perſonen/ die mit
dem Hut in der Hand zu ihm ſprachen/ und ihm Re-
chenſchafft thaten uͤber das/ ſo er von ihnen forſchete.
Es waren etliche darunter/ die ihm vielerhand Juwe-
len/ wie auch eine gute Sum̃e von gemuͤntztem Gold
und Silber zur Hand ſtelleten; Aber Cajo wolte die
Zeit nicht nehmen/ ſolche Sorten richtig abzuwiegen/
wolwiſſend/ daß ſeine Cameraden dieſelbe ohne Be-
ſichtigung angenommen/ und alſo nicht gehalten
waͤren/ ihm dieſelbe nach dem vollen Gewicht einzu-
lieffern. Hernach ward von dem Fruͤhſtuͤck geredet/
da dann keiner deß Magens und Kehl verſchonete/
ſondern ein Jeder langte hurtig zu/ und der Wein-
Becher gieng ohne Unterlaß herum. Als ſie aber am
embſigſten ſich hierbey bezeigeten/ wurden ſie geſtoͤret
durch einen Burger/ welcher ſich zu Cajo lenckete/
und ihm einen Brieff einhaͤndigte/ darinn folgende
Worte zu leſen:
ZEiger dieſes Brieffs iſt ein feiner Mann/ der wol verdie-
net/ daß man ihm eine Freundſchafft erweiſe; Jch ver-
ſichere euch/ daß er ſich gebuͤhrlich wird zu bedancken wiſſen/
nach dem er einen Dienſt wird haben genoſſen/ weßfalls ich
vor ihn bitte/ nemlich/ daß ihr durch eure Sorgfalt ihn wie-
der wollet ſtellen in den Beſitz eines Mantels/ von ſchwartzem
Spaniſchem Tuch/ beſetzet mit ſeidenen Spitzen von derſel-
ben Farbe. Deßgleichen eines Smaragden/ der in einem
guͤldenen Ring ſtehet/ und noch etwa [...]5. Gulden an Geld.
Welche Dinge man ihm geſtern Abend bey der Herberge zum
weiſſen Falcken abgenommen. Jch bitte/ ihr wollet hierinn
nichts ermangeln laſſen/ und verſichert glauben/ ob ich gleich
mich anjetzo nicht zu erkennen gebe/ daß ich euch kan Nutzen
und Schaden thun.
Nachdem Cajo dieſen Brieff geleſen/ ſaſſe er ein
wenig
[29]Romans I. Buch.
wenig in Gedancken/ und bildete ihm ein/ dieſer Bur-
ger haͤtte den Brieff etwa ſelber geſchrieben/ um die
Beute/ die ein anderer verlohren/ und darvon er etwa
moͤchte haben ſprechen hoͤren/ ſolcher Geſtalt liſtiglich
an ſich zu ziehen. Anderſeits dachte er wieder/ daß
es all zu verwegen vor einen Burger/ ſich ſo liederlich
unter ſo viel Feinde zu wagen/ im Fall er nicht von ei-
ner hoͤhern Macht unterſtuͤtzet waͤre. Weiter bedach-
te er/ daß es ein gefaͤhrliches Werck ſeyn koͤnte/ ſich in
ſothanen Faͤllen zu entdecken/ und daß die Leute/ wel-
che verordnet/ ihre Geſellſchafft in das Gefaͤngnuͤß/
und alsdann auf das Schavot zu bringen/ ihnen ge-
meiniglich Honig an den Mund ſtreichen/ um ſie ſol-
cher Geſtalt deſto ehe in das Netz oder Fallſtrick zu
bringen. Dieſe verſchiedene Betrachtungen machten
den Cajo gantz beſtuͤrtzt/ nichts deſtoweniger hielte er
ſich lieber an den Jnnhalt deß Brieffs/ als an ſeine
zweiffelhaffte Einbildungen/ und reſolvirte/ einem
unbekannten/ der ihn wol mehr/ als zu viel kennen
moͤchte/ einen Gefallen zu erweiſen. Dannenhero
kehrete er ſich nach dem Burger/ und ſprach mit ſanff-
ter Stimme zu ihm: Was die zween erſten Puncten
eurer Forderung belanget/ darzu koͤnnen wir euch
vielleicht verhelffen/ aber das dritte iſt Trinckgeld vor
die Meſſieurs, dann gemuͤntzt Gold wird man im Fall
der Wiedergebung niemahlen bey uns finden. Jch
ſchencke euch/ ſprach der Burger/ dieſes von Hertzen
gerne/ und wann ich das andere nur wieder bekom̃e/
gebe ich noch ein mehrers darzu. So gehet dann jetzo/
verfolgete Cajo, nach euren Geſchaͤfften/ und wann
es euch uͤber 2. Stunden wieder zu kommen beliebet/
ſolt ihr haben/ was ihr verlanget/ ich wil eurenthal-
ben ſorgen. Jnmittelſt/ ſo fern man einmahl trin-
cken koͤnte auf die Geſundheit eines Unbekandten/
wolte
[30]Deß Academiſchen
wolte ich es jetzo gerne thun/ in Entſtehung deſſen
aber/ wil ich auf eure Geſundheit trincken/ und ihr
werdet mir Beſcheid thun. Darauf ließ er 2. groſſe
Glaͤſer voll ſchencken/ welche an beyden Seiten auß-
geleeret wurden. Der Burger gieng darauf nach ab-
geſtatteter gebuͤhrlichen Danckſagung ſeines Wegs/
um ſich zu beſtimmter Zeit wieder einzufinden.
So bald dieſer Mann ſeinen Abtritt genom-
men/ redete Cajo ſeine Leute gantz authoritaͤtiſch an/
und ſagte: Wer gibt mir Nachricht von dem/ das
geſtern bey der bezeichneten Herberge erbeutet wor-
den/ darvon man mir noch keine Rechenſchafft ge-
than hat? Bißhero hatte ein Jeder ſeinen Diſcurs
gefuͤhret/ aber jetzo ſchwiegen ſie mit einander auf ein-
mahl Baumſtill. Die Schuldigen wolten ſich nicht
offenbaren/ und die Unſchuldigen hatten/ um Ver-
dacht zu meyden/ das Hertz nicht/ ſich mit ſonderba-
rem Ernſt weiß zu brennen. Cajo begunte hierauf
graͤßliche Gebaͤrden zu machen/ er ſtieß den Rand deß
Huts in die Hoͤhe/ und ſagte: Was ſoll das bedeuten/
ſind einige Schurcken in dieſer Geſellſchafft/ die ſich
unterſtehen/ mich zu affrontiren? Wo iſt der Briga-
dier? Sa! Wie waren die Winckel geſtern einge-
theilet? Welche ſind es/ die jenen Poſt gehabt haben?
Aber was iſt diß! Niemand antwortet/ gleichwol/
waͤret ihr auch allzuſammen ſtumm und taub gewor-
den/ muß ein gewiſſer Mantel und Ring hier zum
Vorſchein kommen/ haͤtte man auch von dem einen
ſchon Struͤmpffſohlen/ und von dem andern Platt-
Gold gemacht. Zum Zeichen/ daß ich/ ſprach er wei-
ter/ nicht ohne Grund rede/ ſehet da! Hiermit warff
er den eingehaͤndigten Brieff auf die Tafel/ dieſes
Schreiben kommet ungezweiffelt von einem Mann/
den wir ehren oder fuͤrchten muͤſſen. Laſſet uns dem-
nach
[31]Romans I. Buch.
nach auf unſere Erhaltung gedencken/ und dieſes un-
bekannten Manns Begehren ein Genuͤgen thun.
Hierauf tratten Levion, und ein anderer/ Onnoma ge-
nannt/ zur Kammer hinauß/ um deß Cajo Befehl zu
gehorſamen. Welches la Breche hoͤchſt verwunderte/
ſehend/ daß ein Mann/ der kaum gehen kunte/ als mit
Huͤlffe eines Stabs/ ſo ſtarcke Leute fort zu lauffen
zwang.
Der Jenige/ der dort mit Levion hinauß gehet/
ſagte Cajo zu la Breche, iſt einer der Behaͤndeſten von
unſerer Compagnie, der uns groſſen Profit zubringet.
Auf den Marckt gehet er in Bauren-Kleidung/ im
Pallaſt/ wie ein Advocat, bey Groſſen/ wie ein Edel-
mann/ und ſo bald er etwas findet/ ſo ihm anſtehet/
wirfft er ſo bald die Hand/ als das Auge darauf/ ja er
wirfft nimmer ſeinen Angel vergebens auß. Er ver-
ſorget ſeine Cameraden mit Degen/ dann er gehet
mit einer ledigen Scheiden an der Seiten zu einem
Schwerdtfeger/ wann inzwiſchen dieſer geſchaͤfftig
iſt/ ihm allerhand Gewoͤhr zu zeigen. Er tritt in die
Haͤuſer/ und ſo ihm Niemand begegnet/ nimmt er zu
ſich/ was ihm anſtehet/ und kehret mit einem ſachten
Schritt wieder zuruͤck/ und gehet alsdann gar das
vorige Hauß wieder vorbey/ wordurch die Leute ver-
leitet werden/ daß ſie den nicht finden/ der mit einem
unverzagten Gelaß ihnen ſchon begegnet iſt. Manch-
mahl kleidet er ſich in Frauens-Kleidung/ zancket ſich
alsdann mit ſeinen Cameraden auf der Straſſen/
und fordert Geld von den Leuten/ welche meynen/ ſie
ſeyen Eheleute/ und die Frau fodere Geld zu ihrer
Haußhaltung. Deß Abends ſetzet er zwo groſſe
Scheuſeln oder Poppen/ als Menſchen gekleidet/ auf
die Ecken der Straſſen/ alsdann fodert er den vorbey-
gehenden den Beutel ab/ welche ſolchen leicht her-
reichen/
[32]Deß Academiſchen
reichen/ dann ſie achten ſich zu ſchwach wider drey
ſtarcke Maͤnner zu ſtreiten/ inmaſſen ſie die Scheu-
ſeln fuͤr dergleichen halten muͤſſen.
Einer von der Geſellſchafft/ Barillon genannt/
der lange Zeit vor einen Capitain auf einer Toſcani-
ſchen Galleere gedienet/ fragte den Cajo, wo etliche
ihrer Bruͤder waͤren/ die er nicht ſehe? Worauf ihm
Jener antwortete: Euer guter Freund/ la Boulina,
der in der Stadt allzuviel bekandt iſt/ hat ſich hinauß
auf das Land begeben/ mit einem groſſen beſiegelten
Brieff/ und Allmoſen zu ſammlen vor eine Kirch/ die
gleichſam verbrandt iſt/ worbey er ſich wunderwol zu
verhalten weiß. Gleichwol/ weil es nicht allemahl
gluͤcket/ hat man unlaͤngſt einen Wapentraͤger deß
Koͤnigs auß ihm gemacht. La Foreſt und du Buiſſon,
nachdem ſie eine Zeitlang im Milaneſiſchen geſtreifft/
wurden an einem Jnſtrument von 3. Hoͤltzern gezuͤch-
tiget/ und ſind an der Wunden geſtorben. Langevyn,
la Jeuneſſe und la Fleur, ſind zur See geſandt/ um mit
hoͤltzernen Degen gegen die Wellen zu fechten. S. Yon,
S. Charles und S. Andre la Balaffre, ſind als Martyrer
auf einem Creutz geſtorben/ und la Rameè hat ſich
nicht weit von den Florentiniſchen Graͤntzen zwiſchen
Himmel und Erden befeſtigen laſſen.
Jm uͤbrigen fuhr Cajo fort/ meine Leute moͤgen
gehen/ wohin ſie wollen/ gebe ich ihnen allemahl die
Lehre/ daß ſie mit den Buͤtteln und Scharffrichtern
gute Freundſchafft halten. Es iſt wahr/ antwortete
Beaulieu mit einem lachenden Mund/ daß ſothane
Leut einem/ der verwieſen iſt/ gehangen zu werden/ das
Leben koͤnnen erhalten/ indem ſie die Roͤhre von einem
Blaſe-Balg in den Halß ſtecken/ daß ihm die Kehle
nicht zugehe. Das iſt es nicht/ was ich meyne/ ſagte
Cajo, ſie koͤnnen einem ein Stuͤck Speck auf den
Ruͤcken
[33]Romans I. Buch.
Ruͤcken legen/ und alsdann das Brandmarck oder
Koͤnigs Wappen darauf drucken/ und ſie koͤnnen ei-
nem ſonſten auf allerhand Weiſe favoriſiren.
Als Cajo dieſes ſagte/ ward der bezeichnete Man-
tel hergebracht/ und dem rechten Herꝛn/ der auch bald
anlangete/ wieder gegeben. Man uͤberreichte ihm
auch ſeinen Ring/ aber er verehrete ihn dem Cajo, der
nicht wuſte/ ob er ihn annehmen koͤnte/ inmaſſen er
nicht gewohnet war/ ſich ſolcher Sachen zu bedienen/
die man ihm ſo gutwillig uͤberließ. Gleichwol nahm
er ihn an/ ehe der Burger ihn wieder zuruͤck moͤchte
ziehen.
Das IV. Capitul/
Jn der Gaudieben-Zunfft wird eine Hochzeit gehalten/ da
die Gaͤſte beſchrieben/ und uneins unter ſich werden. Haben ſonſten
ſeltzame Poſſen und Diſcurſen unter einander.
KUrtz darnach kam herein getretten ein altes
Weib/ Angilbeida genannt/ vergeſellſchafft
von einem alten groſſen Kerl/ der ſo mager
und duͤrꝛ/ wie ein Stockfiſch/ dieſen hatte ſie beredet/
ihme eine reiche Jungfrau zu zufreyen. Allhier ſprach
ſie zu ihm offentlich/ daß ſeine ihm zugedachte Liebſte
ſchon eine Zeitlang gedienet haͤtte/ das Menſchliche
Geſchlecht fortzupflantzen/ und als ſich Lucas, (der
magere Kerl/) hieruͤber unwillig bezeigete/ ſprach
Rogier, eine von der Geſellſchafft zu ihm/ daß eine
ſolche Dame, die der Kinder gewohnet/ bequemer ſey
zur Haußhaltung/ als eine unerfahrne Jungfrau.
Cajo, als Vetter der Jakelyne, (ſo hieß dieſe ehrliche
Dame,) nachdem er den Willen deß Lucas verſtanden/
und ihn ein wenig beſſer/ als gemein/ gekleidet ſehend/
ſprach zu ihm: Mein alter Freund/ es iſt warlich die
Gewonheit der verliebten Hertzen/ ſich ſchoͤn aufzu-
putzen/ um anſehnlich vor ihren Matreſſen zu erſchei-
Cnen.
[34]Deß Academiſchen
nen. Aber gewißlich/ ob gleich ein langer breiter
Barth/ der vor kurtzer Zeit nur Wangen und Bruſt
bedeckete/ euch abgenommen/ mag er doch nicht eine
Viertel-Uhr eures Alters wegnehmen/ als welches ſo
beſchaffen/ daß nach dem Lauff der Natur ihr wol
bald zum Abzug eures Lebens blaſen werdet/ ohne/
daß ihr vonnoͤthen habt/ euch zu beladen mit einiger
Equipage, die euch nicht dienen kan/ als eure Sachen
etwas fruͤher in die andere Welt zu bringen. Die
Dirne/ die ihr zum Weib verlanget/ dienet beſſer vor
einen Mann/ deſſen Jahr ſich ſo hoch nicht belauffen/
als die Eurigen. Eine junge Frau iſt gleich einer al-
ten Uhr/ die allezeit unrichtig gehet/ wann man ſie
nicht zum oͤfftern aufwindet/ und eine alte Frau iſt
ein Faß Wein/ welches ſauer wird. Eure Locken ſind
ſo duͤnne/ daß man wol Nuͤſſe dardurch moͤchte lauf-
fen laſſen/ und eure kahle Scheitel gleichet ſehr wol
einem Calotſchen/ oder ledernen Muͤtzlein von Fleiſch-
farbe. Eure Naſe deſtilliret ſo viel Troͤpfflein/ daß
man ſie mit Fug dem Helm eines Deſtillir-Kolbens
vergleichen kan/ und man ſiehet ſo viel Feuchtigkeit
auf eurer Bruſt/ als haͤtte es darauf geregnet. Jhr
ſtehet an dem Ufer deß Fluſſes der Vergeſſenheit/
und habt ein groſſes Stuͤck Weges zuruͤck zu wan-
deln/ um zugelangen zu dem Brunnen der Jugend/
und uͤber dem wuͤrdet ihr euch trefflich koͤnnen betrie-
gen/ wofern ihr eine Frau/ die gewohnet iſt/ andern
zu dienen/ vor euch allein prætendiret zu haben. Was
duͤncket euch? fuhr er fort/ indem er ſich zu der Rogier
kehrete; Mich beduͤncket/ antwortete dieſer luſtige
Kump/ daß es Lucas machen wil/ wie die verzagten
Soldaten/ die ſich nicht erkuͤhnen/ einen Sturm zu
lauffen/ wann vorhin die Breche nicht groß gnug ge-
macht iſt/ und daß hingegen Jakelyne den Woͤlffinnen
nach-
[35]Romans I. Buch.
nachartet/ welche allemahl das garſtigſte Maͤnnlein
erkieſen.
Aber ohngeachtet aller dieſer Diſcurſen/ verlob-
ten ſich doch beyde Perſonen mit einander/ und man
bedung vor die Braut eine Morgengabe von 1000.
Reichsthalern. Was die Guͤther der Jakelyne belan-
get/ die beſtunden in guter Bekandtſchafft/ von wel-
cher ſie betheurete/ daß ſie groſſen Gewinnſt darvon
haͤtte. Sie trug die Bruͤſte ziemlich bloß/ welches Lu-
cas nicht gerne zu ſehen ſchiene/ aber Rogier bildete
ihm ein/ das ſolches gemaͤchlich waͤre/ weil ſie nun
nicht ſo viel Muͤhe haben wuͤrde/ ſich zu entkleiden.
Man machte endlich Anſtalt zur Copulation, und
darauf verfuͤgte ſich die Geſellſchafft nach dem Hauß
einer alten Kuplerin/ Ragonda genannt/ dieſes Weib
war ein Außbund/ als die ſich mit Wahrſagen zu be-
helffen wuſte/ die thaͤte Geld auf Wucher/ kuppelte
Eheleute/ und verkauffte Jungfrauſchafft von jungen
Dirnen/ worvon ſie groſſen Gewinn hatte.
Als Ragonda dieſes Paar Verehelichte herein
tretten ſahe/ gieng ſie ihnen entgegen/ und wuͤnſchete
ihnen Gluͤck. Die jenige leichtfertige Perſonen/ ſo
bey ihr im Hauß waren/ hatten ſich noch nicht ange-
kleidet; Eine hatte das gantze Hauß mit Eyerdottern
beſchmieret/ um die Fettigkeit auß den Haaren zu
bringen. Eine andere machte ſich blanck/ und riebe
Schmincke auf die Wangen. Zwo andere/ die ihre
Haͤnde uͤberall mit Mandelbrodt beſtrichen hatten/
reichten den Neu-getraueten die Spitze vom Finger/
um ſie nicht zu beſudeln. Und eine Jede dieſer garſti-
gen Haͤmmel zeigete ein Paar platte Fleiſch-Lappen
an der Bruſt/ welche/ wann ſie angekleidet waren/ in
die Hoͤhe geruͤcket wurden/ jetzo aber auf den Bauch
hinunter hiengen. Aber uͤber eine kurtze Zeit præſentir-
C 2ten
[36]Deß Academiſchen
ten ſich dieſe Dames in einer gantz andern Geſtalt/
nemlich/ als ſchoͤne Jungfrauen/ die wol werth wa-
ren/ mit ehrlichen Leuten umzugehen.
Die zu dieſer Hochzeit Geladene/ waren lauter
ſolche Leute/ die durchs Gluͤck dahin gefuͤhret wor-
den/ dann allhier ward ein Jeder ſo wol empfangen/
als in ſeinem eigenen Hauß/ und Ragonda noͤthigte
ſie mit einander an eine lange Tafel. Man fieng an
zu eſſen/ ſonder vorher ein Gebet zu verrichten. Cajo
erinnerte ſie deſſen zwar/ aber es fand ſich nur ein ei-
niger/ der ein Creutz machte/ und ſolches mit dem
Wort Benedicite begleitete/ darbey fuͤgend/ daß er
ſein Lebtage von keinem andern Gebet gewuſt haͤtte.
Und ich glaube/ ſprach Rogier, ihr haͤttet auch dieſes
nicht behalten/ im Fall es nicht jedes mahl mit der
Speiſe begleitet waͤre. Uber der Mahlzeit kam ein
artig Huͤrlein neben la Breche zu ſitzen/ zu welcher er
ſich ſtaͤts hielte/ und darauf nahm ſie Gelegenheit/
dieſe Worte zu ihm zu ſagen: Mich duͤncket/ mein
Engel/ daß das Eheband zwiſchen uns Beyden ſich
weit beſſer ſchicken ſolte/ als zwiſchen jenen zween al-
ten Boͤcken. La Breche gab zur Antwort: Daß er
darbey keine ſonderbare Beſchwerlichkeit ſehe/ dann
ich habe euch/ ſagte er/ allbereit ſo lieb/ als ich ſelber
wil. Rogier hatte ſich zu den zwo Schoͤnſten von der
Geſellſchafft verfuͤget/ zu denen er ſagte/ daß ſie wol
thaͤten/ indem ſie ſich ihrer Jugend bedieneten/ in-
maſſen bey den alten Rumpelflaſchen ſelten eine na-
tuͤrliche Schoͤnheit zu finden. Ragonda befand ſich
durch dieſe Worte am meiſten beſchimpffet/ griff
demnach Rogiern nach den Schultern/ und bemuͤhe-
te ſich/ ihn auß dem Hauß zu ſtoſſen/ ſagend/ daß ſie in
ihrem Hauß wolte gereſpectiret werden. Aber eine
andere alte Trom̃el mit einem Barth/ wie ein Juͤng-
ling
[37]Romans I. Buch.
ling von 18. Jahren/ Quintina genannt/ ſtellete ſie
wieder zufrieden/ indem ſie ihr vorhielt/ daß ſie Beyde
annoch jung genug/ die dritte Generation von Lucas
Hochzeit zu ſehen. Hierauf nahm Rogier einen Be-
cher/ und wolte auf der Ragonda Geſundheit trin-
cken/ aber/ als er denſelben an den Mund ſetzete/ hoͤre-
te man ein groſſes Geraſſel auf der Straſſen. Ra-
gonda meynete/ es waͤre der Schultz mit ſeinen Apo-
ſteln/ welche kaͤmen/ ihr Hauß zu beſichtigen/ erſuchte
demnach die Manns-Leute/ um ſich was trutzig an-
zuſtellen/ aber ſie hoͤreten nicht lange nach ihren Wor-
ten/ ſondern ein ploͤtzlicher Schrecken uͤberfiel ſie mit
einander/ daß ſie ſich alle in einem Augenblick von der
Tafel/ etliche auf den Boden/ andere in den Keller
verſteckten/ etliche lieffen nach dem Secret. Jnzwi-
ſchen klopffete man mit groſſer Gewalt an die Thuͤr/
worauf Ragonda zum Fenſter herauß guckete/ aber ſie
kam in einem Augenblick wieder in den Saal gelof-
fen/ und rieff: Hochzeit/ Hochzeit. Sie ſandte ihre
Magd herunter/ und ließ die Thuͤr aufmachen/ dann
es waren Onnoma, Levion, Beaulieu, und andere all-
zumahl ihre Freunde/ welche einen Brat-Spieß con-
voyrten/ der voll Schafs-Keulen ſtack/ die ſie einem
Koch entwendet hatten.
Alſo kamen die zerſtreuete Gaͤſte bald wieder
herzu/ und gleich wie die Tafel mehr Speiſe bekam/
alſo verfuͤgten ſich auch mehr Gaͤſte daran. Man
legte zu/ und ließ mehr Wein holen/ und alſo wurden
die Becher weydlich gebraucht. Jn dieſer Verſamm-
lung waren weiſſe und braune Jungfrauen/ (vel
quaſi,) Buͤrgers-Kinder/ Gaudiebe/ leichtfertige Ge-
ſellen/ kahle Schufften und Huren-Haͤngſte derge-
ſtalt unter einander vermenget/ daß es ſchiene/ als
wann/ nach Soeratis Zeugnuͤß/ alle Maͤñer die Frauen/
C 3und
[38]Deß Academiſchen
und alle Frauen die Maͤnner gemein haͤtten. Eine
dicke Bum̃el/ eine der Luſtigſten von allen/ ſahe rund
umher/ und ſprach endlich mit lachendem Mund:
Dafern eine Platthoſe unter dem Hauffen/ muͤſſe
man ihn hinauß ſtoſſen/ als ein verdorbenes Glied/
dardurch die andern leicht koͤnten angeſteckt werden.
Rogier antwortete: Ein ſolcher Menſch dienet wol
zu einem Deckel/ es regnet nicht/ da ſie arbeiten. Je-
ner aber ſprach: Gleichwol ſeynd ſie auch ſchlechte
Rechenmeiſter/ dann ſie koͤnnen nicht multipliciren/
und ſind verdrießlich in ihren Conferentzen/ inmaſſen
ſie langſam zu einem Schluß gelangen. Dieſer
dreckichte Knecht/ der allezeit trachtete/ die Leber zu
kuͤhlen/ lenckete ſich zu einem Maͤgdlein/ die erſt neu-
lich in ihre Geſellſchafft ſich begeben/ und converſirte
mit ihr/ ſie aber ſprach: Jſt es moͤglich/ daß mein ver-
aͤnderter Sinn ſchon ruchbar worden/ dann ich habe
mich mit dergleichen Arbeit noch nicht lange bemuͤ-
het? Er fragte ſie: Wo ſoll ich euch folgende Woche
beſuchen? Jhr ſollet ſagen/ innerhalb 2. oder 3. Ta-
gen/ excipirte ſie/ und ſagen/ welchen Namen ich zu-
kuͤnfftige Woche fuͤhren ſoll. Dann die Jungfraͤu-
lein von meiner Sorte veraͤndern den Namen und
Wohnung ſehr offt. Rogier machte ſich alſobald an
eine andere/ weil ihm die Vorige zu liſtig/ zu dieſer
aber/ die Diana hieß/ ſprach er/ daß eine von ihren
Schweſtern ihm erzehlet/ wie ſie noch vor kurtzer Zeit
mit Bohnen pfluͤcken bemuͤhet geweſen/ und mit
Kraut auf der Straſſen herum zu gehen/ daß ſie mit
Schuhen/ ſo hohe Abſaͤtze hatten/ nicht gehen koͤnte/
weil ſie niemahl anders/ als Pantoffeln getragen.
Aber eine andere/ Dibberiga genannt/ die ſich Silvia
nennete/ nahm das Wort vor Jene auf/ und ſchwur/
daß die/ ſo ſolcher Geſtalt von ihr redeten/ ſie nicht
recht
[39]Romans I. Buch.
recht kenneten. Daß ſie von Kind an eine Jungfrau
geweſen/ welches ſie mit Brieffen und Zeugen gnug-
ſam erweiſen koͤnte. Es iſt wahr/ ſprach Rogier, daß
etliche Perſonen geſaget/ daß ſie ſich fuͤr eine Adeliche
Dame außgegeben/ und dafern ſolche Zeugen nicht
ſuffiſant ſind/ kan ſie leicht ein groſſes Paquet Liebes-
Brieffe aufweiſen/ die von trefflichen Herren an ſie
geſchrieben ſind/ mit der Aufſchrifft: An meine
Jungfrau/ JungfrauDibberiga,wohnend
auf dem Kraut-Marckt/ da der junge Gaͤrt-
ner außhaͤnget. Aber Dibberiga gab dem Rogier
keine Antwort/ ſondern machte ihm nur eine ver-
drießliche Mine.
Diana wolte inzwiſchen wiſſen/ woher ſolche Re-
den entſprungen/ fieng derowegen mit Simonetta ein
Gezaͤncke an/ hierzu fuͤgete ſich alſobald die argwoͤh-
niſche Silvia, die ſich in dieſer Sache intereſſirt befand/
und weil ſie alle drey den Magen ziemlich uͤberladen
hatten/ entſtunde ein wuͤrcklicher Streit darauß. Sie
ergriffen einander bey den Koͤpffen/ und riſſen alles
an Stuͤcken/ was ſie erhaſchen kunten/ alſo daß man/
da die Partheyen wieder geſchieden waren/ eine ſel-
tzame Vermengung von Haarlocken/ Stuͤcken von
Kappen/ Leinen-Tuͤchern/ und anderm Zeug/ ligen ſa-
he die vorhin gedienet hatten/ dieſe ſaubere Perſonen
zu zieren. Sie muſten Pflaſter auf die Geſichte legen/
um die Naͤgelmahl zu bedecken. Cajo ſtund auf/ dieſen
Streit zu ſchlichten/ aber Ragonda nahm das Werck
auf ſich/ und bewog ſie allerſeits/ einander die Haͤnde
zu geben/ mit dem Beding/ daß ſie alle drey fuͤr Jung-
fern von einerley Qualitaͤt paſſiren ſollen. Rogier
ſprang ins Mittel/ und begunte hertzlich zu lachen als
ein Urheber dieſes Zwiſtes/ und ein Zeuge der Ver-
C 4ſoͤhnung.
[40]Deß Academiſchen
ſoͤhnung. Flora, die eine angenehme Stimme/ und
gnugſamen Rauſch hatte/ ſang hierauf/ nachdem ſich
die Gaͤſte wieder an die Tafel verfuͤget/ ein Liedlein
auf ihre Weiſe/ und als ſolches zu Ende/ ſprach ſie zu
Rogier: Mein Herꝛ Bruder/ wie gefaͤllet euch dieſes?
Jungfrau von Qualitaͤt/ antwortete dieſer/ dieſes Lied-
lein kom̃t mir vor/ wie eure Perſon/ dann es iſt ſchon
laͤngſt uͤber die Straſſen gelauffen/ und wird wieder
neu von hohem Alter. Jch kan es außwendig/ und
wolte wol mit euch eingeſtim̃et haben/ wofern meine
Stimme mit der Eurigen nur haͤtte uͤberein kommen
koͤnnen/ aber jetzo bin ich unbequem/ ein Concert zu
machen/ oder den Tact zu halten. Ey lieber/ ſprach ſie
hierauf zu ihm/ beſehet mir doch diß Juͤnckerchen ein-
mahl/ (auf la Breche zeigend/) der ſie mit einem ver-
buhleten Angeſicht anblickete/ ich wolte lieber ein
Liedlein mit ihm anſtimmen. Aber wie/ ſtummer
Menſch/ ſprach ſie zu la Breche ſelber/ ihr ſprechet ja
nicht ein einziges Woͤrtlein/ oder lauret ihr/ um einige
Streiche von unſerm Handwerck zu lernen? Man
hat/ gab la Breche zur Antwort/ nicht viel Zeit noͤthig/
ein Handwerck zu lernen/ darinn der Lehrling den
Meiſter uͤbertrifft. Wann gefaͤllet es euch/ daß ich
euch die verkehrete Metamorphoſin lehre? Jch wil
Andromeda, und ihr ſollet Perſeus ſeyn. Das iſt ein
loſer Schelm/ war ihre Antwort/ und lachete/ daß ſie
den Bauch muſte halten. Jm Anfang ſaß er/ als koͤn-
te er nicht drey zehlen/ und ich wil mich geiſſeln laſſen/
wann er nicht der Allerdurchtriebenſte von uns allen/
der einen Jeden unter uns vexiren kan.
Jnzwiſchen ſaß Lucas, als ein Block/ an der Ta-
fel/ ohne ein einziges Woͤrtlein zu ſprechen/ oder einen
Lach auß ſeinem Mund gehen zu laſſen/ welches Ra-
gonda merckend/ ihn etliche mahl beym Ermel zog/
mit
[41]Romans I. Buch.
mit den Worten: Mich duͤncket/ ihr ſeyd allein be-
quem/ uns mit einander in den Schlaff zu bringen.
Jhr Kinder/ was iſt dieſer fuͤr ein froͤlicher Braͤuti-
gam? Sa/ laſſet einmahl einen Becher uͤber die Lip-
pen lauffen/ und careſſiret eure Braut ein wenig/ oder
wollet ihr/ daß ſie euch um den Halß fliege? Nein/
nein/ Bruͤderchen/ das iſt die Mode in unſerm Land
nicht/ ſie iſt viel zu beſcheiden darzu/ und nun ſie ge-
trauet iſt/ darff ſie keine Manns-Perſon/ ſonder roth
zu werden/ anſehen. Jch zweiffele daran gar nicht/
ſprach Lucas, indem er mehr/ als anderthalb Dutzet
Runtzeln in die Stirn zog/ dann er hatte ſie allwege
mit dem einen oder mit dem andern diſcurriren ſe-
hen/ woruͤber er eyfferſuͤchtig worden. Jch ſehe wol/
fuhr er fort/ daß ſie ſehr eingezogen iſt/ dann ſie wil
mit Niemand zu thun haben/ als dem ſie nicht obligi-
ret iſt. Es ſind/ meine Freundin/ mehr Tage/ als Wo-
chen/ darum muß man es fein ſacht laſſen ankommen/
um ſich nicht zu ſehr zu verarbeiten. Es iſt wahr/ repli-
cirte Ragonda, aber euch gebuͤhret/ dahin zu trachten/
daß ein Platz/ der nicht wol verſorget iſt/ und da man
nicht ſtaͤts Hand anſchlaͤget/ vom Feind nicht erobert
werde. Aber ſie bekam keine andere Antwort darauf/
als daß er nimmer ein Liebhaber vom Wein geweſen/
und daß er ſich in den Eheſtand begeben/ ſey mehr ge-
ſchehen/ um Geſellſchafft von einer Frau zu haben/ als
fleiſchliche Luſt mit ihr zu treiben/ und daß er ſeine
Frau viel zu weiß achte/ daß ſie ihm eine Reinigkeit/
die er alle Wege behalten/ mit Gewalt nehmen wol-
te; Woruͤber Ragonda, und die gantze Geſellſchafft/
von Lachen ſchier geborſten waͤren. Jene aber ſang
darauf ein beſonder Liedlein/ welches noch ein groͤſſe-
res Gelaͤchter verurſachte.
Kleine/ Kleine/ ſagte Rogier hierauf zu einer an-
C 5dern
[42]Deß Academiſchen
dern Jungfrauen von ihrer Sorte, ihr habt mir mein
Hertz geſtohlen/ ich muß einmahl nach eurem Leibe
greiffen/ um daſſelbe wieder zu bekommen. Aber Ra-
gonda zuͤrnete/ daß er ſothane Reden in Gegenwart
junger Jungfrauen zu fuͤhren ſich nicht entbloͤdete.
Dargegen fragete Rogier, ob auch etliche darunter/
denen die Ohren keuſcher/ als der uͤbrige Leichnam?
Und Ragonda antwortete lachend hierauf/ daß ſie
lauter ehrliche Toͤchter unterhielte/ obgleich die Lehr-
meiſterin nicht allzuſauber fiele.
Hierauf erluſtigte ſich ein Jeder/ entweder mit
Tantzen/ oder mit Singen/ außgenommen Levion,
welcher den Mund ſtaͤts voll hatte/ worauf eine an-
dere Acht hielte/ und ihm deßwegen vorhielte/ daß er
vergeblich ſo lange Medicinam ſtudiret/ indem er den
Leib ſo gewaltig voll propffete/ ſtatt/ daß er die Geſell-
ſchafft ſolte erluſtigen helffen/ man hat euch/ ſprach
ſie/ ja wol auf eine andere Zeit ſingen und tantzen ſe-
hen/ da Meiſter Hanß auf eurer Hochzeit ſpielete.
Levion, der wol wuſte/ daß er anfaͤnglich ein Student
zu Siena geweſen/ hernach aber/ als ſeine Eltern ver-
ſtorben/ auß Mangel der Mittel/ ſich zu einem Quack-
ſalber in Dienſten begeben/ und deſſen Policinello
agiret/ von welchem er ſich wieder ab- und zu einem
ſolchen Handwerck begeben/ deſſen er ſich zu ſchaͤmen/
inmaſſen man ihn einsmahls daruͤber ertappet/ und
die Fliegen deßwegen tapffer vom Ruͤcken abgefeget
hat. Dieſer Levion, ſage ich/ befand ſich zum hoͤchſten
affrontiret/ flog derowegen von der Tafel auf/ ihr die
Ohren zu zauſſen/ ſie gieng zwar durch/ aber er erha-
ſchete ſie beym Rock/ griffe ihr nach den Ohren/ aber/
ach Jammer! er kunte keine finden/ darauf kehrete er
wieder zur Geſellſchafft/ und erzehlete/ was ihm be-
gegnet/ daher Rogier Anlaß nahm/ zu ſagen: Das
kommt
[43]Romans I. Buch.
kommt wol zu Paß/ fuͤrnemlich im Kaͤmmen/ da man
leicht ſonſten mit dem Kamm auf die Ohren faͤllet.
Ein anderer rieth ihr/ ſie ſolte ein Paar gemahlete
papierene Ohren machen laſſen/ ſich aber darbey vor-
ſehen/ daß ſie nicht abfielen/ ſonſt duͤrfften die Jungen
auf der Straſſen ihr nach lauffen/ und ruffen: Jung-
frau/ nehmet eure Ohren mit. Ragonda tratt zu die-
ſem unbeohreten Geſchoͤpff/ und rieth ihr/ daß ſie ſich
nicht auf die neue Mode bekappen/ ſondern nur eine
Cornet-Haube aufſetzen ſolte. Dieſes hoͤrete ein an-
derer/ der Cornet zu Feld geweſen war/ ſprach dem-
nach: Holla! halt ein/ was habt ihr uͤber die Cornet-
ten zu diſponiren/ ſolche Autoritaͤt geſtehe ich euch
keines Weges/ dann ich habe mein Wort ſchon an-
derweit gegeben. Bekuͤmmert euch nicht zu ſehr uͤber
eure Jungferſchafft/ ſprach Jungfer ohne Ohren/
dann ich meyne in wenigen Tagen nach Parma zu fah-
ren. Haha! ließ ſich Rogier vernehmen/ auſſer Zweif-
fel meynet ihr daſelbſt wunderliche Dinge außzurich-
ten/ dann ihr werdet wol wiſſen/ daß der Außſchuß
allhier zu Parma fuͤr etwas ſonderliches geachtet wird.
Aber bey dem Bahrt meines Ober-Elter-Vatters/
bekommen die Parmenſer nur zu wiſſen/ daß eure
Ohren ihren Wohn-Platz verlohren/ werdet ihr ſie
ehe verjagen/ als zu euch locken.
Das V. Capitul/
Die Zunfft der Gaudieben wird noch eigentlicher abgemah-
let. Sie kommen alle in Vngelegenheit. Ein Amtmann wird hart
geſtraffet/ wegen ſeiner mißbrauchten Gewalt.
JNdem dieſe Dame alſo vexiret ward/ machte
einer/ Tiboud genannt/ der ſich vollgeſoffen
hatte/ mit der Quintina ein Gezaͤncke/ und nañ-
te ſie eine alte Pulver-Flaſche. Daran leugſt du die
Helfft nicht an/ du alter Horn-Traͤger/ gab ſie ihm
zur
[44]Deß Academiſchen
zur Antwort. Welche Worte ihn zu ſolchem Eyfer
reitzeten/ daß er zu ihr tratt/ um ſie mit Ohrfeigen ab-
zuzahlen; Aber Ragonda ſtieß ihn zum Hauß hin-
auß/ um dergleichen Inconvenientien vorzubeugen.
Tiboud ſtund vor der Thuͤr/ und taumelte von einer
Seiten zur andern/ wannenhero einer von der Geſell-
ſchafft auß Mitleyden zu ihm tratt/ und ihn wieder
ins Hauß leiten wolte/ zu welchem Rogier ſprach:
Sehet euch fuͤr/ mein Freund/ daß der volle Zapff
nicht auf euch falle/ und euch mit ſeinen Hoͤrnern ei-
nen gefaͤhrlichen Stoß anbringe. Jnzwiſchen tratt
Ragonda zu unſerm la Breche, und wolte ſich bey ihm
einflechten; Aber dieſer woͤhrete mit beyden Haͤnden
von ſich/ und ſagte/ daß ihr ſtinckender Athem capabel
waͤre/ ihm das Leben zu nehmen/ wofern der Seinige/
als verſtaͤrcket durch die Menge deß eingezogenen
Weins/ dieſen Gifft nicht zuruck triebe. Man kunte
ſonſt an ihr/ uͤber den ſtinckenden Athem/ auch thraͤ-
nende Augen/ und eine rinnende Naſe ſehen/ daß es
das Anſehen/ hatte/ als wann alles Eſſen und Trin-
cken keinen andern/ als dieſen Außgang haͤtten. Die
Artigſte von allen Frauens-Perſonen dieſer Geſell-
ſchafft war eine/ Namens Clytia, aber dieſe verließ
die Compagnie bald/ und folgete einer Frauen/ die im
Vorbeygehen ihr einen Winck gegeben hatte. Man
verſtund in ihrem Abweſen/ daß ſie vor wenigen Mo-
naten eine arme Dirne geweſen/ welche in der Wein-
leſe-Zeit auf die Doͤrffer war außgangen/ um einen
Pfenning zu verdienen/ bey welcher Gelegenheit ſich
ein gewiſſer Herꝛ in ſie verliebet/ dem ſie die beſte Fe-
dern außgerupffet habe. Darauf habe ſie ſich praͤch-
tig gehalten/ und ſey in dem Liebes-Spiel ſo hoch ge-
ſtiegen/ daß ihr keine von der Geſellſchafft zu verglei-
chen/ als gnugſam verſehen mit Anreitzungen/ welche
kraͤfftig
[45]Romans I. Buch.
kraͤfftig ſind/ die unempfindlichſte Maͤnner aufzu-
muntern/ ſonder Jndianiſche Nuͤſſe/ eingemachten
Jngber/ oder Diaſatyrion zu gebrauchen. Daß dem-
nach Hofleute/ Kauffleute/ Advocaten/ Burger/ \&c.
ihr allemahl willkommen/ daß auch ihr Hauß nicht
weniger mit gallanten Leuten/ als eine Brandtweins-
Bude mit alten Maͤhrlein/ angefuͤllet waͤre/ ja/ daß
man nicht in der Stadt muſte wohnen/ wann man
ſie nicht wolte kennen.
Unterdeſſen hatte Jakelyne vor ihrem Lucas ei-
nen Abſcheu bekommen/ ſtellete ſich/ als wolte ſie et-
was anders thun/ blieb aber weg/ und gieng ihres
Weges/ und er kunte nicht wiſſen/ wohin ſie geſtoben/
oder geflogen waͤre. Er bekuͤmmerte ſich auch ſo viel
nicht darum/ uñ als er ſahe/ daß man ihn darzu vexir-
te/ gieng er ſtillſchweigend fort/ und ſprach nicht ein
einziges Woͤrtlein darzu. Nachdem nun endlich der
Abend eingefallen/ giengen ihrer etliche zu Bett/ an-
dere aber begaben ſich auf die Straſſen/ um ihr Heil
zu verſuchen. Die Jenigen/ ſo in der Ragonda Hauß
blieben waren/ oͤffneten bey aufgehender Sonne mit
den Augen zugleich den Magen/ ſam̃leten dahero die
uͤbrigen Brocken/ und brieten ſolche auf dem Roſt.
Levion, der mit 3. oder 4. Maͤnteln umhangen/ damit
er nicht erfriere/ ins Hauß tratt/ ſtoͤrete die Geſell-
ſchafft/ dann ſein Geiſt war ſehr unruhig/ weil ſeine
3. Cammeraden/ mit welchen er am vorigen Abend
außgegangen war/ noch nicht wieder kommen waren.
Aber endlich kamen ſie gleichwol zum Vorſchein/ der
eine zwar beladen mit einem Sack voll Kleider/ und
dergleichen Dingen/ welche er im Abgehen einer
Kutſchen ertappet hatte/ indem er ſich zu den Paſſagi-
rern geſellet/ als wann er einer von ihrer Geſellſchafft
waͤre. Der andere hatte das Hinterſtuͤck eines Man-
tels/
[46]Deß Academiſchen
tels/ welches er in einem Spiel-Hauß laͤngſt dem
Rucken abgeſchnitten hatte. Aber der Letzte bezeugete
ſich am froͤlichſten/ dann er war auß dem Lufft-Loch ei-
nes Kellers/ darinn man ihn geſchloſſen hatte/ außge-
brochen/ man hatte ihn ertappet/ da er ein Hauß viſiti-
ren wolte/ und am folgenden Morgen nach dem Rich-
ter begleiten wollen. Levion war nun wieder gutes
Muths/ diſcurrirte demnach von den Rittern von der
Linie, und von ihren verſchiedenen ſubtilen Griffen.
Unſere Verſammlung/ ſprach er/ beſtehet meiſten-
theils in aufgerafften Leuten/ darvon etliche Solda-
ten/ andere Studenten/ etliche auch gar nichts vorher
geweſen/ dieſe erlernen ihr Amt/ indem ſie hin und
wieder ſtreiffen/ die Beutel abſchneiden/ und derglei-
chen Dinge verrichten. Sie gehen auf die Spiel-
Bahnen/ und wann ſie etliche Spiele gethan/ neh-
men ſie einen guten Mantel/ und laſſen einen alten
Lumpen ligen/ werden ſie daruͤber ertappet/ iſt es
gleichſam ein Jrꝛthum/ und entſchuldiget man ſich
mit einem Bauch voll Complimenten. Jm Sommer
enthalten ſie ſich an den Stroͤhmen/ und nehmen den
Schwimmenden ihre Kleider weg/ und darauf ma-
chen ſie ſich zu wichtigern Dingen bequem/ alsdann
nennen wir ſie Feldſchwaͤrmer/ oder Finſtermaͤnner.
Einer darvon gewan im verwichenen Winter mehr/
als 6. andere in 2. Jahren haͤtten thun moͤgen. Er
gienge bey Abend-Zeit mit einer brennenden Fackel
in der Hand/ und wann ihm Jemand folgete/ ſich ſei-
nes Liechts zu bedienen/ langete er/ wann ſie auf einen
einſamen Platz kom̃en/ eine Buͤchſe auß der Taſchen/
und loͤſchete die Fackel auß/ fiel hernach dem Men-
ſchen ploͤtzlich auf den Leib/ und ließ ſich die Muͤhe/ zu
leuchten/ rechtſchaffen bezahlen. Aber/ wir haben die-
ſen guten Kerl verlohren/ man hat ihm die Seele auß
dem
[47]Romans I. Buch.
dem Leibe/ gleich dem Waſſer auß einem Brunnen/
geholet/ und der Wind waͤhet jetzo unter ſeinen Fuͤſ-
ſen hin. Ein anderer/ der jetzo im Feld iſt/ und den man
den hurtigen Springer nennet/ wird ein anderer
Hector in unſerm Amt werden. Wir haben auch
Frauen/ die man die Marckgaͤnger nennet. Jhr mei-
ſtes Werck iſt/ den Marck/ und andere Verſam̃lungs-
Plaͤtze/ zu beſuchen/ allwo ihnen das Gedraͤnge gemei-
niglich Gelegenheit ertheilet/ etwas zu erſchnappen.
Sie gehen bißweilen hin/ eine Kohl Feuers zu holen/
in ein Hauß/ bey welchen ſie ſich zu wohnen ſtellen/
oder geben fuͤr/ diß oder das zu verkauffen zu haben/
oder ſie beſehen eine Feuer-Kammer/ und wann ſie
ihre Gelegenheit erſehen/ nehmen ſie mit/ was ſie er-
ſchnappen koͤnnen.
Dieſe ſind nicht allein die getreueſte Bewahre-
rinnen/ ſondern auch die hurtigſte Veraͤnderinnen
unſerer Beute/ und ſo behende/ das Jenige/ ſo man
ihnen zugeſtellet/ zu verwechſeln/ oder veraͤndern/ daß
die Eigener ſolcher Sachen dieſelbe hernach nicht
mehr kennen/ und ſolten ſie ſolche auch von Stuͤck zu
Stuͤck aufs Genaueſte beſichtigen/ das habe ich ſel-
ber geſehen/ dann kurtz zuvor/ ehe ich in dieſe Geſell-
ſchafft angenom̃en worden/ und eben mit einem mei-
ner Cam̃eraden neben einer ſolchen hurtigen Frauen
ſaſſe/ und diſcurrirte/ bathe ich ſie/ weil ich mit ihr be-
kandt/ meinem Mantel/ den ich taͤglich trug/ ein we-
nig zurecht zu helffen. Jch meynete/ ſie ſolte ihn ſchoͤn
machen/ und etliche Loͤchlein daran zuſtopffen. Aber/
am folgenden Tag fand ich ihn gefuͤttert/ mit einem
andern Stoff/ und das vorige Futter war weg/ der
Kragen war unterſt zu oberſt gekehret/ und ſie hatte
ſeidene Knoͤpffe an ſtatt der ſilbernen Poſamenten ge-
ſetzet. Jch haͤtte ihn nimmermehr gekannt/ wann ſie
mir
[48]Deß Academiſchen
mir nicht auß dem Traum geholffen haͤtte. Aber/ die
Principaleſte unter allen von unſern Schweſtern iſt
die/ welche man die durſtige Schweſter nennet. Sie
gehet durch die Stadt mit einem Sack voll Heu/ und
wann ſie ihre Gelegenheit erblicket/ tritt ſie in ein
Hauß/ und vertauſchet ihren Buͤndel mit einem beſ-
ſern. Neulicher Tagen ließ ſie bey einem Seiden-
Kramer ein Kind ligen/ und nahm darfuͤr ein Stuͤck
Satyr hinweg.
Mit einem Wort/ wir leben auf die Weiſe der
Heyden/ welche/ ſonder etwas zu kauffen/ alles haben/
was ihnen noͤthig iſt. Und obgleich die Geſellſchafft
an verſchiedenen Orten vertheilet wird/ haben wir
doch richtige Correſpondentz. Noch haben wir etliche
unter uns/ Degenmaͤnner genannt/ etliche derſelben
machten juͤngſtens ſich bekandt/ mit etlichen jungen
Leuten/ von gutem Herkommen/ die bequem waren/
ſie uͤberal frey zu halten/ und die ſich auf ihren Beu-
tel verlaſſend/ mit Jedermann Krakeel anfiengen/ in
Hoffnung/ ſolchen zu ſchlichten durch den Arm dieſer
Degenmaͤnner/ weiche von nichts ſprachen/ als von
Niederſtoſſen/ Kopff-abhauen/ Arm-zerſtuͤcken/ \&c.
waͤre auch der Gegenpart ſo groß und maͤchtig gewe-
ſen/ als der groſſe Mogol/ oder zum wenigſten wolten
ſie ihn zu einem ehrlichen Vertrag zwingen. Aber dieſe
Advocaten funden die Practic ſo gut/ daß ſie ſich nicht
zu ſehr uͤbereyleten/ die Partheyen zu einem Accord
zu bringen/ im Gegentheil hiengen und verhetzeten ſie
dieſelbe unter der Hand heimlich mehr und mehr wi-
der einander/ um deſto mehr mit ihnen zu zechen. Die-
ſe Leute haben das Hertz nicht/ einen blancken Degen
zu ſehen/ aber ihre Courage beſtehet in Worten/ und
wann ſie ja fechten ſollen/ geſchiehet es mit Trinck-
Glaͤſern. Jnzwiſchen meyneten dieſe reiche Cayalliers,
ihre
[49]Romans I. Buch.
ihre Feinde bald aufgeopffert zu ſehen/ durch Leute/
die ihrer nur ſpotteten/ und die unterdeſſen auf ihre
Unkoſten den Beutel und Magen fuͤlleten/ und man-
che ſchoͤne Gelegenheit verkundſchafften/ darvon ſie
unſern Bruͤdern getreue Nachricht ertheileten/ um
unſern Vortheil nicht zu verſaͤumen.
Nachdem Levion ſo weit gekommen mit ſeiner
Erzehlung/ begunte er auch von ſeinen Kriegs-Tha-
ten zu reden/ und erzehlete unter andern/ daß ein be-
ruffener Negromanticus ihm prophezeyet haͤtte/ wie
er in einem groſſen Gedraͤng von Menſchen endlich
ſterben/ und das Feld zum Grab uͤberkom̃en wuͤrde.
Er betrog ſich darinn nicht/ dann er iſt nicht lange
hernach zu Milan gefangen/ und auf dem groſſen
Marckt aufgehangen/ unter einer groſſen Menge
Zuſchauer/ hernach iſt er neben die Land-Straſſe be-
graben worden.
Endlich begunten die Nachbarn zu mercken/ was
vor liederliche Quanten bey der Ragonda auß- und
eingiengen/ wannenhero ſie gezwungen ward/ ihr
Hauß vor den Feldſchwermern/ Degenmaͤnnern/ und
andern/ zu zuſchlieſſen/ und alſo ſahe man hernach in
demſelben/ darinn ehemahl mehr Boͤſes/ als in der
Schachtel der Pandora, beſchloſſen geweſen/ nichts
anders/ als Aminten/ Marien/ Clorinden/ und der-
gleichen Damen/ die allein beſucht wuͤrden von einigen
jungen Rabſchnaͤbeln/ die niemahl mit einem Maͤgd-
lein courtiſirt hatten. Dieſe hatten auß den Roma-
nen einige Lehre empfangen/ und wolten lieber cour-
tiſiren/ als heyrathen/ und ſolcher Geſtalt redete man
hiervon nichts/ als von thoͤrichten Wercken der Liebe.
Und Ragonda mit allen dieſen Miraculen der Natur
aufgeſchloſſen in ihrem kleinen Serrail/ war ſtaͤts
geſchaͤfftig/ dieſelbe zu unterrichten/ damit ſie der-
Dmahleins
[50]Deß Academiſchen
mahleins bequem ſeyn moͤchten/ indem/ daß ſie zu er-
lernen verlangeten/ nemlich das Haar auf verſchie-
dene Weiſe zu ſcheiteln/ die Pflaͤſterlein wol aufzule-
gen/ ſich in die Lippen zu beiſſen/ und in die Wangen
zu reiben/ damit eine angenehme Roͤthe hernach fol-
gete/ man vergaſſe auch nicht der wolriechenden Po-
maden/ Waͤſſerlein/ falſchen Perlen/ ſeidenen Baͤn-
dern. Die Jungfrauen nenneten einander allzumahl
Schweſtern/ und die fromme Ragonda ward von ih-
nen allen ihre getreue Mama genannt.
Cavina, der mit Jungfer Flora Freundſchafft
gemacht hatte/ beſuchte ſie taͤglich in der Ragonda
Hauß/ und lebete mit ihr/ und andern ihres gleichen/
in einer taͤglichen Ubermaaß von Exorbitantien/ wel-
ches eine gute Zeit waͤhrete/ ohngeachtet aller guten
Vermahnungen ſeiner Freunden. Aber/ es fielen viel
Sachen vor/ welche ihm erwieſen/ daß die Jenigen/
die gegen Wind und Sturm-Wellen anſeegeln/ ge-
faͤhrlichen Klippen zu begegnen pflegen/ daß die De-
bouche ein verguͤldeter Pfeil iſt/ und daß der/ ſo ſich
darzu verleiten laͤſſet/ nothwendig am Ende die Bit-
terkeit derſelben koſten muß. Endlich kamen die
Gerichts-Diener hinter dieſe ehrbare Geſellſchafft/
welche ſo groß war/ daß etliche Gefaͤngnuͤſſe damit
angefuͤllet worden/ und darvon Ragonda ſelber mit
den Meiſten ihrer Brodt-Eſſern nicht befreyet wa-
ren. Man hat nicht lange hernach dieſe unzuͤchtige
Weibs-Bilder/ fuͤrnemlich die Jungen/ mit einander
nach Livorno, und von dannen nach Marſilien ge-
ſandt/ woſelbſt ſie ſolten eingeſchiffet/ und nach den
Weſt-Jndiſchen Jnſeln/ die der Frantzoͤſiſche Herꝛ
de la Sale vor einiger Zeit entdecket/ und im Namen
ſeines Koͤnigs Poſſeſſion darvon genommen/ geſchickt
werden/ um zu einer neu-angelegten Frantzoͤſiſchen
Colonie
[51]Romans I. Buch.
Colonie gebraucht zu werden. Die Gaudiebe aber
hat man groͤſten Theils geradbrechet/ gekoͤpffet/ oder
gehangen/ und weil man dem Cavina noch nichts ſon-
derliches erweiſen kunte/ derſelbe auch gute Baar-
ſchafften hatte/ und der Hertzog von Mantua ihm gar
gnaͤdig war/ wegen ſeines unſchuldigen Vatters/ der
ſo unſchuldig hingerichtet worden/ als iſt er perdon-
nirt worden/ unter dem Beding/ daß er nimmermehr
ſeine Gedancken zu dergleichen Leichtfertigkeiten rich-
ten/ ſondern allſtaͤts ſich aller Tugend und eines ehr-
baren Wandels befleiſſen ſolte. Dieſes hat er zuge-
ſaget/ und redlich gehalten/ inmaſſen er ſich kurtz her-
nach nach Bononien erhoben/ und den Studien mit
ſothanen Ernſt obgelegen/ daß man ihn jetzo unter
die gelehrteſten und ehrbareſten Leute dieſes Landes
zehlet.
Hiermit endigte der Wirth ſeine Erzehlung/ und
Klingenfeld begehrte zu wiſſen/ warum dann dieſes
Cavina Vatter ſo unſchuldig hingerichtet ſey? Der
Wirth gab ihm hierauf folgenden Beſcheid:
Dieſes Cavina Vatter war ein feiner Burger zu Caſal,
und ſeine Mutter war in ihrer angehenden Ehe ſo ſchoͤn/ daß
man ſie auch noch lange Zeit hernach unter die Schoͤnften deß
Landes gezeblet hat. Es begab ſich aber/ daß der Mantuaniſche
Amtmann/ oder Podeſtà zu Caſal, in dieſe Frau ſich verliebete/
und weil er mit Liebkoſung und guten Worten nichts gewinnen
konte/ ſo dachte er der Sache auf andere Weiſe zu ratben/ aber
zu ſeinem groſſen Verderben. Dann er gab vor/ dieſer ſchoͤnen
Frauen Ebemann haͤtte Verraͤtherey vorgehabt/ und ließ ihn
alſo in das Gefaͤngnuͤß ſetzen. Das Weib bemuͤhete ſich/ ſolchen
wieder loß- und in Sicherheit zu bringen/ welches ihr auch der
Amtmann endlich verwilligte/ doch mit dieſer Condition, wann
ſie ihn zuvor in ſeinen verliebten Begierden zufrieden ſtellen
wuͤrde. Was wolte das gute Weib machen/ ihre Ehre war ihr
zwar lieb/ aber ihres Manns elender Zuſtand gieng ihr noch
mehr zu Hertzen. Der Amtmann/ der dieſen Zweiffel an ihr
wol mercren kunte/ bedienete ſich deſſen zu ſeinem vermeynten
D 2Vortheil/
[52]Deß Academiſchen
Vortheil/ und brachte ſie alſo mit einer kleinen Liebes-Gewalt
auf das Bette/ allwo er die bitter-ſuͤſſen Venus-Fruͤchte in ſol-
chem Uberfluß koſtete/ daß ſie ihm hernach nothwendig uͤbel be-
kommen muſten. Dann/ als er ſich von den verwirꝛten Banden
dieſer anmuthigen Schoͤnheit nunmehr beſtrickt ſahe/ war ihm
unmoͤglich/ ſich deren wieder zu entſchlagen/ und da er ſich in ſei-
nen Gedancken dahin verleiten lieſſe/ den armen gefangenen
Actæon, als ſeine einzige Hindernuͤß in dieſer Sache/ anzu-
ſchauen/ ſo nahm er ihm vor/ denſelben gar auß dem Wege zu
raumen/ maſſen dann alſobald das Urtheil uͤber ihn geſprochen/
und er in dem Gefaͤngnuͤß enthauptet wurde.
Die Frau/ als ſie ſolches mit hoͤchſter Wehemuth erfabren/
lieff vor ven Amtmann/ und hielt ihm vor/ wie untreulich er an
ihr gehandelt/ und da er verſprochen/ ihr ihren lieben Ehe-Ge-
mahl wieder außzuantworten/ ſolchen nun gar Moͤrderiſcher
Weiſe um das Leben gebracht haͤtte. Der Amtmann entſchul-
digte ſich ſchlimm genug/ indem er vorgab/ daß zwar die Auß-
antwortung deß Gefangenen bewilliget/ von ſeinem Leben aber
nichts gedacht worden/ und alſo waͤre er erboͤtig/ ſeiner Zuſage
nach zukommen/ und ihr deſſen entleibten Coͤrper verabfolgen zu
laſſen/ zu dem wolte er ſie von nun an uͤber dieſen Verluft derge-
ſtalt troͤſten/ daß ſie ſich deß Wechſels halber nicht zu beſch weren
haben ſolte/ kurtz/ er wolle ſich ihrer gantz und gar ergeben/ und
ſie kuͤnfftig als ſeine Liebfte tractiren. Das gute Weib wolte ſich
darmit nicht zufrieden geben/ ſondern gieng gerades Fuſſes zu
ihren naben Freunden/ und erzehlete ihnen mit hoͤchfter Wehe-
muth/ wie der Amtmann mit ihr und ihrem Ehe-Gemahl ſo
grauſam verfahren/ die dañ unanimiter ſchloſſen/ die Sach muͤſte
man bey dem Hertzog klagbar machen/ der/ als ein Gerechrigkeit-
liebender Fuͤrſt/ dieſer armen unſchuldigen Wittwen ſchon Recht
verſchaffen wuͤrde. Und das geſchahe auch/ dann/ ſo bald der Her-
tzog dieſen erſchroͤcklichen Handel vernom̃en/ ließ er den Amtmañ
vor ſich kommen/ ſtellete ihm die Klaͤgerin vor Augen/ und fra-
gete: Ob er dieſes Weib kenne/ und was er vermeyne/ daß ihr
Vorbringen ſey/ welches zumahl ſo wichtig/ daß er gern ſehe/
wann es nicht wahr waͤre? Man kan leicht erachten/ wie dem
guten Kerl allhler zu Muth geweſen/ inmaſſen auch der Hertzog
auß ſeiner Beſtuͤrtzung bald merckete/ daß deß Weibs Anklage
nicht vergeblich/ und alſo drang er deſtomehr in den Beklagten/
mit der Warheit herauß zu geben/ und durch boßhafftiges Laͤug-
nen ſich nicht gar um die jenige Gnade zu bringen/ ſo ihm auf
dem
[53]Romans I. Buch.
dem Fall freywilliger Bekaͤnntnuͤß widerfahren koͤnte. Da fiel
nun dieſer boͤſer Haußhalter ſeinem Herꝛn zu Fuͤſſen/ bekennete
die That umſtaͤndig/ und bate um Gnad und Barmhertzigkeit/
ſolche auch deſto eher zu erhalten/ erbote er ſich/ den zwiſchen ihm
und dem Weib vorgegangenen aͤrgerlichen Handel mit der oͤf-
fentlichen Vermaͤhlung zu purgiren/ und gut zu machen. Der
Hertzog ſchien hierauf in etwas beſaͤnfftiget zu ſeyn/ und das
Weib/ ob ſie wol Anfangs ſich hier zu nicht verſtehen wolte/ ſtelle-
te ſie doch endlich alles zu deß Hertzogs Willen und Außſchlag.
Darauf wurden nun dieſe Beyde oͤffentlich mit einander ge-
trauet/ und muſte hierbey der ungluͤckſeelige Braͤutigam ſeine
Braut/ auf den Fall/ da er vor ihr ohne Kinder ſterben ſolte/
zu einem Erben aller ſeiner Guͤter/ deren in Warheit ſehr viel
waren/ ordentlich einſetzen. Als ſolches geſchehen/ fragte der
Hertzog die Klaͤgerin: Ob ſie nunmehro ihrer Klage und An-
ſpruchs halber voͤllige Befriedigung erlanget? Sie bejahete
ſolches/ und ſagete noch darzu dem Hertzog vor ſo gnaͤdigſte
Huͤlffe unterthaͤnigſten Danck. Jch aber/ ſagte er/ kan mich deß
von GOtt mir anbefohtenen Obrigkeitlichen Amts wegen/ mit
allem dieſem noch nicht vergnuͤgen laſſen. Hieß auch hierauf das
Weib einen Abtritt nehmen/ den Amtmann aber in eben das Ge-
ſaͤngnuͤß bringen/ allwo er vorhin den unſchuldigen Mann hin-
richtenlaſſen/ und ihm auf gleiche Art den Kopff vor die Fuͤſſe/
beyde Coͤrper aber neben einander in einen Sarck legen. Die
Frau/ ſo hierum keine Wiſſenſchafft hatte/ wurde darauf in das
Gefaͤngnuͤß gelaſſen/ welche uͤber dieſem unverhofften Spectacul,
und daß ſie ſich zweyer Ehe-Gatten ſo kurtz nach einander auf
einerley ſchmaͤhliche Todes-Art beraubet ſahe/ dergeſtalt er-
ſchrocken/ daß ſie bald hernach in eine ſchwere Kranckheit gefal-
len/ und damit dieſes Zeitliche geſegnet. Wiewol ſie endlich
auß der letzten Verebcligung noch dieſen Vortheil hatte/ daß ſie
ihren auß erſter Ehe erzeugten Kindern eine reiche Erbſchafft/
die ihr durch deß andern Manns Tod an- und zugefallen/ hinter
ſich verlieſſe.
Das VI. Capitul/
Ferrariusmacht Geſellſchafft mit einer verſchlagenenDame,
die ihn aber haͤßlich bezeucht. Cavina erzehlet die beruͤhmteſten Kunſt-
und Raritaͤten-Kam̃ern in gantz Europa/ ſo viel derſelben bekandt ſind.
CAvina iſt eines von den Kindern der erſten Ehe/
und weil ſeine zwo Schweſtern vor 3. Jahren
geſtorben/ hat er alle Guͤther allein geerbet/
D 3daß
[54]Deß Academiſchen
daß er ſich jetzo in den Adelichen Stand kauffen wil.
Klingenfeld bekam hierauf Luſt mit dieſem Mann
bekannt zu werden/ aber Ferrarius bezeugete/ daß er
keine Luſt haͤtte/ mit ihm umzugehen/ inmaſſen er
verſchiedene mahl Haͤndel mit ihm gehabt/ welche
nimmer auß dem Grunde geſchlichtet worden. Dieſe
Worte gefielen dem Gaſtgeber ſehr wol/ dann/ weil
er deß Ferrarii gern loß geweſen/ war er bemuͤhet/ den
Cavina an ſich zu ziehen. Nachdem er alſo Abſchied
mit Klingenfeld genommen/ ſandte er Jemand zu
ihm/ und ließ ihn zu ſich noͤthigen. Er kam nicht lange
hernach/ aber Ferrarius verſchloſſe ſich in ſeine Kam-
mer/ und kam nicht wieder zum Vorſchein. Klingen-
feld fand an dem Cavina einen uͤberauß hoͤf- und ma-
nierlichen Mann/ dannenhero lebeten ſie vertraͤulich
dieſen uͤbrigen Tag mit einander/ und als ſie von Fer-
rario zu reden kamen/ ſprach Cavina, daß er ein Prah-
ler ſey/ und gar keine Courage habe/ dahero er auch zu
Padua nimmer in einige Conſideration gekommen.
Er bekenne zwar/ daß er etliche mahl in Action mit
ihm geweſen/ die er aber ſo liederlich ligen laſſen/ daß
er ſich ſelber ſchaͤmen muͤſte/ mit einem ſolchen lieder-
lichen Tropffen es aufgenommen zu haben. Sie fuͤh-
reten noch ein und andern Diſcurs mit einander/ und
funden ſothane innerliche Einigkeit ihrer Hertzen und
Gemuͤther/ daß es ihnen ſchwer ward/ dieſen Abend
wieder von einander zu gehen. Cavina nahm endlich
Abſchied/ und kehrete nach ſeinem Verwanthen/ und
als am folgenden Tag Klingenfeld aufbrechen wol-
te/ ſich nach den Schweitzeriſchen Alpen zu wenden/
da kam Cavina zu ihm/ und noͤthigte ihn/ nur dieſen
Tag zu verziehen/ ſo wolte er am folgenden Tag mit
ihm auf Mantua raͤyſen. Aber Klingenfeld ſchwur/
daß er keine Zeit habe/ laͤnger zu verziehen/ ſondern/
daß
[55]Romans I. Buch.
daß er noch dieſen Tag zu Mantua ſeyn muͤſſe. (Er
gedachte aber/ wegen Mangel deß Geldes/ welches er
an gemeltem Ort zu uͤberkommen hoffete/) ſolchem
nach wolle er ſich auf den Weg dahin voran machen/
und ſeiner allda in einer gewiſſen Herberge erwarten.
Hiermit war Cavina endlich zufrieden/ und nach-
dem ſie mit einander gefruͤhſtuͤcket/ zog Klingenfeld
ſeines Weges/ welchen wir bald wieder finden wer-
den/ nachdem wir vorhero angehoͤret/ was fuͤr eine
poſſierliche Sache ſich gleich hierauf mit dem Ferra-
rio begeben. Dieſer Menſch ſtahl ſich heimlich auß
der Herberge/ ließ den Gaſtgeber zu ſich in ein ander
Hauß holen/ und nachdem er ihn daſelbſt bezahlet/
auch eingewandt/ wie es ihm ſo gar unmoͤglich ſey/
den Cavina vor ſeinen Augen zu leyden/ nahm er Ab-
ſchied/ und ſetzete ſich auf eine Jtalianiſche Chaiſe mit
2. Raͤdern/ die von einem ſtarcken Hengſt gezogen
ward/ und nach Ferrara lauffen wolte. Der Gaſtgeber
war froh/ daß er dieſes Prahlers loß worden/ und al-
ſo fuhr Jener fort/ da er vor einem andern Hauß eine
ſchoͤne junge Dame mit einem zarten Kindlein zu ſich
in die Chaiſe bekam/ welche gleicher Geſtalt dieſes
Weges/ wie ſie vorgab/ ziehen wolte. Am folgenden
Mittag kam der Fuhrmann wieder zuruck/ kehrete
bey dem Gaſtgeber ein/ bey welchem ſich eben Cavina
befand/ um dem Klingenfeld zu folgen/ und als er in
die Stuben kommen/ ſetzete er ſich nieder/ und fienge
ſo hertzlich an zu lachen/ daß er bey nahe im Athem
waͤre ſtecken blieben. Endlich ſprach er zu ihnen: Ach!
ihr lieben Herren/ ſpendiret mir nur eine Kanne von
dem beſten Verdè-Wein ich wil euch eine ſolche Kurtz-
weil darfuͤr erzehlen/ daß ihr bekennen ſollet/ ihr habt
euer Lebtage deßgleichen nicht gehoͤret.
Cavina ließ ihm eine Kanne fuͤr ſein Geld holen/
D 4welche
[56]Deß Academiſchen
welche er an den Mund ſetzete/ und nachdem er einen
hertzlichen Zug gethan/ nahm er ſich ſelber in die Ar-
me/ und fieng noch einmahl an dergeſtalt zu lachen/
als wann man ihn kitzelte. Endlich hielte er auf/ und
ſagte: Jhr Herren habt geſtern geſehen/ was fuͤr ei-
nen anſehnlichen Ferrarienſer und eine junge ſchoͤne
Dame ich weggefuͤhret habe/ von denſelben muͤſſet ihr
wiſſen/ daß Ferrarius ſich unter Weges gar fleiſſig zu
der jungen Frauen hielte/ und er befand ſie ſo ver-
ſchlagen in allen Reden/ daß er ſich daruͤber verwun-
derte und zugleich ihre Schoͤnheit hoch æſtimirte. Als
ſie uͤber die erſte Bruͤcke fuhren/ kuͤſſete er ſie/ nach der
Weiſe hoͤflicher und lieblicher Cavallier, und befand
ſie recht fuͤr ſich/ auch leicht dahin zu bringen/ was er
von ihr verlangete. Er kitzelte ſie bißweilen/ und ſie/
damit ſie ihn zu mehrer Kuͤhnheit veranlaſſete/ druͤ-
ckete ihm ſeine Haͤnde gantz freundlich/ wordurch ſie
ihm den Mund ſo waͤſſericht machte/ daß er ſich nicht
zu behalten wuſte. So viel Bruͤcken/ ſo viel Kuͤſſe/
und ſo viel Funcken/ das Feuer anzuzuͤnden/ welches
ſich ſolte bey der erſten Gelegenheit loͤſchen. Er bath
ſie heimlich um die Schlaff-Geſellſchafft/ darzu ſie
ſich dann gar gern verſtunde; Und damit ſie ihrer Be-
gierde/ unter einem Schein der Ehrbarkeit/ moͤchten
eine Genuͤge thun/ beſchloſſen ſie bey ſich/ ſie wolten
ſagen/ ſie waͤren Mann und Weib zuſammen. Jn
der erſten Nacht-Herberg gab Herꝛ Urian ſein Fell-
Eyß dem Wirth aufzuheben/ und befahl/ man ſolte
ein Bett und Zimmer fuͤr ſich und ſein Weib zurich-
ten laſſen. Nach der Mahlzeit giengen ſie mit einan-
der ſchlaffen/ und legten das kleine Kind zu ihren Fuͤſ-
ſen. Was nun nach dieſem zwiſchen ihnen vorgan-
gen/ weiß ich nicht. Das aber wol/ daß die Frau dem
Kind in der Wiegen endlich einen Stoß gegeben/
daruͤber
[57]Romans I. Buch.
daruͤber ſolches aufgewachet/ und jaͤmmerlich zu
ſchreyen angefangen. Ob ſie nun wol ſolches mit
Fleiß gethan/ ſtund ſie doch von ihrem entlehnten
Mann auf/ und verſprach/ ſo baiden wieder zu kom̃en/
als ſie nur ihr Kind geſtillet haben wuͤrde. Er war
muͤde/ und beſande dieſen Stillſtand zu ſeiner Ruhe
ſehr noͤthig/ ſchlieff auch ein/ und bedurffte keines
Wiegens darzu/ fragete auch nichts mehr nach ihr/
nachdem er ſeine Luſt gnug gebuͤſſet. Sie ſchuͤret ein
Feuer/ und begehret vom Wirth/ der ſich vom Ge-
ſchrey deß Kindes aufmachte/ er ſolte ihr ihres Man-
nes Felleyß geben/ vorwendend/ es ſey ein ſtiberner
Loͤffel darinnen/ den ſie haben muͤſte. Er brachte ihr
ſolches/ und legete ſich wieder nieder/ auf ihr Wort/
daß ſie das Feuer wieder wol verwahren wolte/ ſo
bald ſie ihrem Kind den Brey wuͤrde gegeben haben.
Da nun das Kind wieder eingeſchlaffen war/ legete
ſie es fein ſanffte wieder nieder bey dem Feuer/ machet
die Thuͤr auf/ und bekommt mit dem Felleyß den
Schluͤſſel zum freyen Feld. Monſieur ſtunde fruͤhe
auf/ bezahlete ſeine Zeche/ und forderte ſein Felleyß
wieder. Der Wirth antwortet/ er habe es ſchon ſeiner
Liebſten zugeſtellet. Man ſuchte ſie uͤberal/ aber verge-
bens/ ſie hatte in der Nacht ein Loch gefunden/ wor-
durch dieſer uͤber die Maſſen ungedultig worden/ und
die Hur verfluchte; Machte alſo durch ſeinen Zorn
offenbahr/ daß dieſes ſein Weib nicht geweſen. Der
Wirth faͤnget auch Haͤndel mit ihm an/ und ſchilt
ihn/ daß er ſein Hauß ſo verunehret/ mit Bedrohung/
ihn bey der hohen Obrigkeit deßhalben zu verklagen.
Der Domine gab es genauer/ bath den Wirth/ er ſolte
ſtillſchweigen/ und ließ das Kind auf ſeine Koſten zu
einer Pfleg-Mutter thun. Alſo ward der Eyſen-
freſſer betrogen/ die Dirne um ihre Dienſte reichlich
D 5beloh-
[58]Deß Academiſchen
belohnet/ und von der ſchweren Kindes-Laſt zugleich
entlediget. Wiewol nicht unmoͤglich iſt/ daß ſie wie-
der ein anders darfuͤr bekommen/ welches ihr eben ſo
beſchwerlich mag geweſen ſeyn/ als das Erſte/ deſſen
ſie ſich durch ihre Verſchlagenheit entlediget hat.
Als der Fuhrmann ſeine Erzehlung vollendet/
da begunten ſie nun alle 3. von neuem rechtſchaffen
zu lachen/ welches mit ſolcher Vehementz geſchahe/
daß ſie ſchier Schaden daruͤber genommen haͤtten.
Endlich ſetzete ſich Cavina zu Pferde/ und ritte/ nach
genommenem Abſchied/ ſeines Weges. Er war aber
kaum auf das Flache gekommen/ als er einen Mann
zu Pferd hinter ihm herkom̃en ſahe/ weil er nun gantz
allein/ hoffete er einen Gefaͤhrten an dieſem zu erlan-
gen/ dannenhero hielte er ſein Pferd/ und ritte ſacht-
muͤthig/ biß Jener zu ihm kam/ ſie gruͤſſeten einander
hoͤflich/ und weil dieſer Mann/ als ein Teutſcher Kauff-
mann/ der in ſeinen Geſchaͤfften an verſchiedenen Or-
ten in Jtalien geweſen/ auch nach Mantua gedachte/
hielten ſie ſich zuſammen/ und weil es ſchon ſpaͤth in
den Tag hinein/ hatten ſie gnug zu thun/ daß ſie den
Po-Fluß paſſirten/ da ſie an der andern Seiten ſich in
eine Herberge legeten/ und ihnen etwas zu eſſen lan-
gen lieſſen. Uber der Mahlzeit diſcurrirten ſie von den
Academien/ oder hohen Schulen/ und als der Kauff-
mann bemuͤhet war/ zu erweiſen/ daß die Teutſchen
weit mehr auf die Wiſſenſchafften ſpendirten/ als die
Jtaliaͤner/ indem ſie ſo viel Academien aufgerichtet
haͤtten/ da bezeugete ihm hingegen Cavina, ob es gleich
auch Jtalien an wol-beſtelleten Academien nicht er-
mangele/ ſo glaube er doch/ daß ſeine Lands-Leute ein
weit mehrers auf ſchoͤne Wiſſenſchafften/ Bibliothe-
ken/ und Kunſt- oder außlaͤndiſche Raritaͤten-Kam-
mern/ ſpendirten/ als die Teutſchen. Was die Kunſt-
Kammern
[59]Romans I. Buch.
Kammern curieuſer und wolhabender Leute anlan-
get/ ſprach der Kauffmann/ habe ich allemahl ein ſon-
derbares Belieben getragen/ ſolche genau zu beſichti-
gen/ moͤchte aber wol wiſſen/ wo man die Schoͤnſten
anzutreffen haͤtte. Anjetzo ertheilete ihm Cavina dieſe
Antwort: Mein Freund/ darvon wil ich euch ein gan-
tzes Regiſter geben/ inmaſſen ich mich ſonderlich be-
muͤhet/ die principaleſten Kunſt-Kammern von Eu-
ropa aufzuzeichnen/ um dieſelbe/ wofern es mir die
Gelegenheit etwa dermahleins goͤnnen moͤchte/ in
Perſon zu beſichtigen.
Die Oerter/ darinn man ſolche ſchoͤne Sachen
finden wil/ ſeynd nachfolgende: Jn der Jnful Maltha
iſt die Kunſt- und Raritaͤten-Kam̃er deß Herꝛn Fran-
ciſci Habelæ, Ritters und Vice-Cantzlers/ eines ſehr
fleiſſigen Antiquarii, auch wol-beguͤterten und curieu-
sen Mannes/ ſo ums Jahr 1630. daſelbſt reſidiret.
Jm Koͤnigreich Sicilien zu Meſſina deß weit-be-
ruͤhmten Medici, Petri Caſtelli.
Zu Neapolis in Campanien/ deß Fuͤrſten Tiberii
Caraffæ, Vincentii Cioffi Marii Scipiani, und ſonderlich
Ferrantis Imperati.
Zu Rom deß Guilandini, Franciſci Angeloni und
Thomæ Aldini, vorauß aber deß hoͤchſt-begabten/ und
denen Gelehrten ſehr affectionirten/ Edlen Herꝛn
Caſſiani à Puteo, Franciſci Gualdii, wie nicht minder
deß Welt-bekandten Athanaſii Kircheri, und am aller-
meiſten in dem allerpraͤchtigſten Pallaſt und Luſt-
Garten deß Cardinals Barberini Cæſii, der Burg
Heſiorum, Farneſiorum, welche der Farneſiorum koͤſt-
liche Gaͤrten/ vor dieſem Palatini genennet worden
ſind. Item, der Mathæjorum, Maffæorum, Ludovi-
ſiorum, und vieler anderer.
Zu Piſa, das Raritaͤten-Gewoͤlbe/ oder Porticum
der
[60]Deß Academiſchen
der Mediciniſchen Facultaͤt/ dero zu Gefallen im uͤbri-
gen auch/ und zu deſto beſſerer Aufnahm deß Studii
daſelbſt/ ſonderlich ein bequemer Garten/ mit darzu
gehoͤrigen jaͤhrlichen Unterhaltungs-Koſten/ vom
Groß-Hertzogen Ferdinando Mediceſ, darbey ver-
ordnet iſt.
Und zu Florentz ſelbſt das Gazophylacium deß
Fuͤrſten/ von groſſer Koſtbarkeit/ Menge und Kunſt
darinn enthaltener Dinge. Wie ſonderlich dann in
dem auſſer der Stadt nicht weit abgelegenen Luſt-
Hof der Groß-Hertzogen/ genannt Pratolino, die
gar admirablen Ergoͤtzlichkeiten und Pracht/ an allen
erdencklichen Fuͤrſtlichen Curioſitaͤten/ faſt nirgend
auf Erden ihres gleichen haben/ und etlicher maſſen
von Johann Sommern/ groͤſſern Theils aber von
Johann Heinrich Pflaumern/ und am allerumſtaͤnd-
lichſten in einem abſonderlichen Jtaliaͤniſchen kleinen
Tractat, von Franciſco Vieri, nach der Ordnung be-
ſchrieben werden.
Zu Bononien das Cabinet eines dem Auguſtiner-
Orden zugethanen Antiquitaͤten Liebhabers/ Angeli
Aproſii Ventimiglia, und ſonderlich deß in offentli-
chem vielfaͤltigem Druck hochberuͤhmten/ und in Er-
forſch- und Colligirung natuͤrlicher Dinge biß auf
ſein Alter/ ja faſt biß in ſein aͤuſſerſtes Armuth und
Tod unerſaͤttlichen Medici, Ulyſſis Aldrovandi.
Zu Mantua das Muſeum deß Fuͤrſten Ferdinan-
di Gonzagæ.
Zu Veron der Edlen von Muſellis, Franciſci Cal-
ceolarii, weyland eines fuͤrnehmen Apotheckers da-
ſelbſt/ und Ludovici Maſcardi, gleichfalls eines An-
ſehnlichen und Gelehrten von Adel/ und Academici
Philarmonici, der ſein Muſeum, reich an trefflichen
Antiquitaͤten/ Kunſt-Stuͤcken/ und vielerley Gaben
der
[61]Romans I. Buch.
der Natur/ in ſeiner Mutter-Sprache ſelbſt beſchrie-
ben/ und Hertzog Frantzen von Modena dedicirt.
Wie nicht minder zu Venedig ſo mancher Fuͤr-
treſflicher von Adel und Senatoren/ benahmentlich
Andr. Vendrameni, Joh. Grimani Roſini, Joh. Franc.
Lorendani, \&c. und den Schatz der gantzen Sereniſſi-
men Republicq, der in der Baſilica zu S. Marco befind-
lich/ vor Alters groſſen Theils von Stamato, einem
Griechen auß Candia buͤrtig/ durch offt-widerholten/
argliſtigen/ naͤchtlichen Einbruch entfuͤhret/ doch wie-
der bekommen/ und biß anhero um ſo viel veſter ver-
wahret/ zum oͤffterſten den Fremden gezeiget/ und
nicht ohne hoͤchſtes Verwundern geſehen wird.
Zu Padua, deß Aloyſii Coradini, JCti, und Pan-
dectarum Lectoris daſelbſt/ Speroni Speronii, Marci
Mantuæ Bena Vidii, Urſati ab Urſatiſ, Sertorii Urſati.
deß beruͤhmten Medici, Johann Dominici Salæ, Ed-
mundi Bruzi, \&c. Und zu Milan, oder Maͤyland/ deß
Edlen Herꝛn Manfredi Septalæ, Canonici daſelbſt/
von deſſen gar koͤſtlicher Gallerie vor weniger Zeit in
Jtaliaͤniſcher Sprache eine umſtaͤndliche Beſchrei-
bung in Druck gegangen.
Ferner zu Jnſpruck/ der uͤberauß luſtig-gelege-
nen ſchoͤnen Haupt-Stadt in Tyrol/ der Durch-
leuchtigſten Ertz-Hertzogen von Oeſterreich/ woſelbſt
dann auſſer den trefflichen Luſt-Garten/ Kunſt- und
Silber-Kam̃er/ Schatz-Gewoͤlbe/ Bibliothek, Ruͤſt-
Kammer/ \&c. auf oͤffentlicher Straſſen in der Stadt/
unten an der aͤuſſerlichen Wand eines Hauſes/ zu ſe-
hen iſt ein abhaͤngend/ von gediegenem feinem Gold
gemachtes Daͤchlein/ und auſſer dem Thor/ unweit
darvon/ bey einem Dorff/ oben an den hohen ſpitzigen
Bergen/ der gefaͤhrliche Ort und Klippe/ da weyland
der Loͤbl. Ertz-Hertzog Maximilian ſich auf der Gem-
ſen-
[62]Deß Academiſchen
ſen-Jagd verſtiegen/ welcher Ort hernachmahls mit
Hinſetzung eines Crucifixes von 40. Fuß zu ewigem
Angedencken bemercket/ und auf dem Titul-Blatt
eines curieuſen Tractaͤtleins D. Georgii Hieronymi
Velſchii, Augſpurgiſchen Medici, in Kupffer-Stuͤck
gar klein/ doch ſehr wol und accurat præſentiret iſt.
Zu Wien in Oeſterreich/ der Allergroßmaͤchtig-
ſten Roͤmiſchen Kaͤyſer/ derer Schaͤtze und koſtbarſte
Raritaͤten taͤglich mehr und mehr vermehret werden.
Zu Breßlau/ oder der Haupt-Stadt Schleſiens/
ein und andere Raritaͤten-Gemaͤcher und Scrinia cu-
rieuser Medicorum und Apotheker/ benamentlich deß
ſeel. D. Laureæ, deſſen Rariora Exotica und ſchoͤne Bi-
bliothek noch heutiges Tages bey den Herꝛn Voll-
gnaden gar ſauber und in gutem Eſſe erhalten wer-
den. D. Laurentii Scholtzii, der ſonderlich in Schriff-
ten/ und wegen ſeines Gartens beruͤhmt. Herꝛn Ca-
lenbergers/ oder ſeel. Herꝛn Jacob Kruſens/ deme der
Sinn-reiche Andr. Gryphius die Materie zum Buch/
de Mumiis Vratiſlavienſibus, hat zu dancken/ wiewol
nicht alles unwiderſprechlich iſt/ was er darinn ſetzet.
Zu Prag/ der vorigen Kaͤyſer und Koͤnige in
Boͤhmen. Woſelbſt die vor Alters befindliche herꝛ-
liche Bibliothec, nebſt der Heydelbergiſchen/ ſind
gleichſam die Maſſa geweſen/ auß welcher die Jetzige
im Vatican zu Rom gebildet.
Zu Nuͤrnberg/ in der viel-belobten Reichs-Stadt/
deß D. Michael Rupert Beßlers/ weyland Phyſici da-
ſelbſt/ welcher auch einen Theil ſeiner Raritaͤten auf
eigene Unkoſten/ in 35. Kupffer-Platten in Median,
der Welt vor Augen geleget/ die biß dato einen ge-
ſchickten Interpretem beduͤrffen/ und inzwiſchen gnug-
ſam erweiſen/ welcher Geſtalt gemelten Autoris Cu-
rioſitaͤt ſonder Zweiffel ein weit Mehres mag haben
im
[63]Romans I. Buch.
im Hinterhalt gehabt. Und iſt von Nuͤrnberg bey-
laͤufftig auch diß nicht unannehmlich in Erinnerung
zu ziehen/ das Wahrzeichen der Stadt/ ein in Stein
gehauener Ochs/ uͤber der Pforte deß Fleiſch-Hauſes.
Jn welches Anſehung der Glorwuͤrdige Koͤnig in
Schweden/ der Groſſe Guſtav, einmahl im vorbey-
Reiten ein wenig ſtill gehalten/ und nicht ohne merck-
ſame Ergoͤtzung/ darbey gefuͤgetes Hypogramma
gantz außgeleſen:
Quem cernis, nunquam, Bos, fuit, hic Vitulus.’
Zu Muͤnchen in Baͤyern/ in dem daſelbſt befind-
lichen allerpraͤchtigſten Schloß/ als in Teutſchland
zu finden iſt/ die Raritaͤten der Durchleuchtigſten
Chur-Fuͤrſten von Baͤyern.
Zu Zuͤrch (Tiguri,) in der Schweitz/ deß be-
ruͤhmt und uͤberfleiſſigen Geſneri.
Zu Baſel/ deß Plateri, welchen deßwegen Marti-
nus Schookius, Profeſſor zu Groͤningen/ Medicum
Summum, \& Naturæ Ruſpatorem Diligentiſſimum,
das iſt/ einen allerfuͤrtrefflichſten Artzt/ und fleiſſigſten
Durchwuͤhler oder Durchſucher der Natur/ nennet.
Zu Straßburg/ in Elſaß/ im Barfuͤſſer-Kloſter.
Zu Stuttgardt/ im Wuͤrtemberger-Land/ der
Herren Hertzogen daſelbſt.
Zu Ulm/ Herꝛn Chriſtoph Weickmanns/ deß
Geheimen Raths/ ꝛc. rare Kunſt- und Natural-Kam-
mer/ dero Beſchreibung er ſelbſt A. 1659. in Druck
herauß gegeben/ ſo aber anjetzo/ nach ſeinem ſeel. Hin-
tritt/ auß gewiſſen Urſachen/ von wenigen geſehen
wird.
Zu Hanau/ (nahe bey Franckfurt/) Herꝛn Fri-
derich Caſimirs/ Grafen zu Hanau.
Zu Leipzig/ weyland Herꝛn D. Eliæ Sigismundi
Rein-
[64]Deß Academiſchen
Reinhards/ hoch-meritirten/ Treu-eyferigen Superin-
tendenten daſelbſt. Herꝛn Burgermeiſters und zu-
gleich Chur-Saͤchſiſchen Raths/ Herꝛn Chriſtian Lo-
rentzen/ und Herꝛn D. Boſens/ gleichfalls fuͤrnehmen
Theologi deß Orts.
Zu Dreßden auf dem Stall/ der Chur-Fuͤrſten
von Sachſen.
Zu Berlin/ oder Coͤlln/ deß Chur-Fuͤrſten zu
Brandenburg/ deſſen Raritaͤten aber vor etlichen
Jahren in klaͤglicher Fcuers-Brunſt groſſen Scha-
den gelitten.
Zu Magdeburg/ Herꝛn Burgermeiſter Otto
Guerikens/ ſo neulich in Hamburg geſtorben/ wiewol
deſſen Recipienten/ Lufftzieher/ und Tubuli, ledige
Heb-Kugeln/ Electriſche Kugel/ Vorſpiel eines Per-
petui Mobilis, Aëroſcopia, und andere curieuſe Dinge
mehr/ (deren groͤſten Theil er dem arbeitſamen
Wuͤrtzburgiſchen Jeſuiten/ P. Caſparo Schotten/ in
Schrifften bekandt zu machen vergoͤnnet/) mehr ad
Experimenta ſumptuoſa, als ſpontè obvenientia;
Mehr ad Cornu Copiæ, aliquod Rerum Artificialium,
als Sylvam aliquam Sylvarum Verulamii, oder deſſen
fuͤrnehmſten Einhalts; Jch ſage mehr ad Mechani-
cam, Magneticam, Pnevmaticam und Hydraulicam,
als ſolam Phyſicam gehoͤren/ und deßwegen bey an-
derer Gelegenheit etwan um ſo viel umſtaͤndlicher in
Conſideration zu ziehen ſind.
Zu Hildesheim/ das Cabinet, Dactylothecam,
und andere Scrinia, Herꝛn D. Friderich Lachmunds/
Medici Ordinarii daſelbſt/ als welcher mit eigenen
Koſten und groſſem Fleiß vor ohngefaͤhr 15. oder 18.
Jahren in den fuͤrnehmſten Orten Jtaliens/ ſonder-
lich und zuforderſt aber zu Venedig/ Florentz/ Neapo-
lis und Rom/ mancherley feine Antiquitaͤten und Na-
turalia
[65]Romans I. Buch.
turalia Selectoria ihm colligiret/ dann nachgehends
auch/ als ein getreuer Plinius, den Bezirck erwehnten
ſeines Vatterlandes faſt unablaͤſſig und gar genau
durchſuchet/ und der Poſteritaͤt hierdurch zu dienen/
gleich wie vor wenigen Jahren nunmehr die um ſein
Hildesheim und an dem Hartz befindliche Foſſilia in
ein gewiſſes Verzeichnuͤß gebracht/ alſo kuͤnfftig auch
einen Catalogum Subterraneorum ad Lap. Judaicum
Spectantium, ruͤhmlich geſonnen iſt zu ediren.
Zu Sachſen-Lauenburg an der Elbe/ den in dem
Schloß ſtehenden Raritaͤten-Schranck deß Hertzo-
gen/ woſelbſt auch unterſchiedliche von Helffenbein
ſchoͤn-und ſubtil-gedrehete Kunſt-Stuͤcke zu ſehen/
von einem blinden oder tauben Meiſter/ welches um
ſo viel mehr zu verwundern iſt/ gemacht.
Und zu Gottorff vorauß die treffliche viel-belobte
Kunſt Kammer deß Durchl. Regierenden Hertzogen
von Hollſtein/ \&c. Hertzogen Chriſtian Albrechts/
welche vor vielen Jahren ſchon/ durch hoch-ruͤhmliche
Speſen ſeines Durchl. Herꝛn Vatters/ Hertzog Fri-
derichs/ Chriſt-milder Gedaͤchtnuͤß/ anſehnlich gnug/
und mit darzu erkaufften Antiquitaͤten/ und ſchoͤnen
Naturalien-Kammern Bernh. Paludani, weyland fuͤr-
nehmen Medici zu Enckhuſen/ und dann fuͤrter von
Zeiten zu Zeiten vermehret/ nunmehro zum dritten
oder mehren mahl eine neue Diſpoſition erfordert/
und A. 1666. zwar etlicher Maſſen in einer abſonder-
lichen gelehrten Teutſchen Schrifft von dem Welt-
beruͤhmt-ja faſt ein groͤſſers Theil der Welt in eige-
ner Perſon umgefahrnen Herꝛn/ Adamo Oleario, er-
oͤffnet worden/ als welcher derſelben Kunſt-Kam̃er/
zuſamt der koͤſtlichen Bibliothec, groſſer Metallenen
Sphæræ Armillari Copernicanæ, und deme nicht weit
darvon befindlichen admirablen/ kuͤnſtlichen/ groſſen/
Evon
[66]Deß Academiſchen
von Waſſer getriebenen Erd- und Himmels-Globo,
biß auf ſein graues Alter nun eine geraume Zeit mit
groſſein Nutzen und Ruhm vorgeſtanden; Aber
vollends und um ſo viel mehr gantz umſtaͤndlich von
Stuͤck zu Stuͤck gelehrter Welt vorgeſtellet worden
waͤre/ ſo fern ihm/ wie zu hoffen und zu wuͤnſchen/
der Hoͤchſte ſein Leben noch laͤnger friſten wollen.
Ferner/ zu Coppenhagen in Daͤnnemarck/ deß
Glorwuͤrdigſt-Loͤblichſt- und groſſer Geheimnuͤſſe
der Natur hoch-erfahrneſten Koͤnigs Friderici III.
deſſen faſt-unvergleichliche Kunſt-und Schatz-Kam-
mer/ wo nicht ihren Anfang/ doch mercklichen Wachs-
thum genommen/ durch geſchehene Hinzufuͤgung der
ſchoͤnen Raritaͤten D. Olai Wormii, geweſenen Koͤnigl.
Profeſſoris daſelbſt/ die er mit groſſer Sorgfalt colli-
giret/ hernachmahls gar accurat, A. 1655. beſchrie-
ben/ und von ſeinem Sohn Wilhelm an Jhro Koͤ-
nigl. Maj. dediciret. Jngleichem von Privat-Perſo-
nen/ das Muſeum Petri Chariſii, mit dem Licetus zu
Padua in Antiquitaͤt-Sachen correſpondiret/ und deß
hoch-begabten/ Welt-beruffenen Herꝛn Thomæ Bar-
tholini, der zwar nicht alle ſeine/ jedoch meiſtentheils
zur Anatomie gehoͤrige gar nachdenckliche Curioſitaͤ-
ten an einem Ort ſelbſt erzehlet. Sonderlich aber
deß weyland nunmehr auch ſehr ſchaͤtzbaren Medici,
D. Henrici Fuirenii, welcher als ein Valetudinarius
meiſtentheils und fuͤr ſich wol beguͤtert/ nicht noͤthig
gehabt/ die beſte Zeit ſeines Lebens in oͤffentlichem
Amt/ oder beſchwerlicher Praxi Medica hinzubringen/
und vielmehr vor tauſend andern Medicis in der
Welt von GOtt das hoch-deſiderable Gluͤck gehabt/
in taͤglicher Converſation mit den fuͤrtrefflichſten ge-
lehrten Maͤnnern und Kuͤnſtlern/ auch erheiſchender
Gelegenheit nach/ unter ſo manchen ſchoͤnen Experi-
menten/
[67]Romans I. Buch.
menten/ ſeinen gelehrten Speculationibus nach freyem
Belieben nachhaͤngend/ gleichſam ein im̃er-gruͤnen-
des Paradieß der Kunſt und Natur vor Augen und
Gemuͤth zu ſehen; Und ligende alſo in der allerhold-
ſeeligſten Muſen-Schoß/ ein koͤſtlich Muſeum, deſſen
Verzeichnuͤß A. 1663. gedruckt/ geſtifftet/ welches er
hernach bey Erb-loſem ſeel. Hintritt/ dem Anatomie-
Hauß in der Koͤnigl. Univerſitaͤt deß Orts/ wie auch
ſeine uͤbrige Barſchafft ad pias Cauſas legirt/ und ſol-
cher Geſtalt als ein rechtſchaffener/ gelehrter/ wei-
ſer Mann/ und guter Chriſt/ ſein ruͤhmlich-gefuͤhrtes
Leben zu treuem Angedencken der Nach-Welt/ auch
nach ſich immortaliſiret.
Auf der Uranienburg/ (gleichfalls in Daͤnne-
marck/) das Muſeum und die Obſervatoria deß Welt-
beruͤhmten Tichonis de Brahe, wiewol ſolches mehr
wegen kuͤnſtlicher Mathematiſchen Inſtrumenten und
ſchoͤner Structur, als bloſſer Natural-Sachen/ be-
ruͤhmt.
Zu Amſterdam hingegen/ und um ſo viel mehr/
ſo manche koͤſtliche Cabinette und Raritaͤten-Gemaͤ-
cher unterſchiedener theils hoch-gelehrten Maͤnner/
Apotheker und Materialiſten/ theils ſonſt beguͤterter
fuͤrnehmer Leute.
Zu Leyden/ das mit curieus- und außlaͤndiſchen
Dingen gezierete Ambulacrum deß Mediciniſchen
Gartens bey der Univerſitaͤt.
Und zu Enckhuſen das Muſeum vorhin gedach-
ten fuͤrtrefflichen Medici Paludani, als welcher durch
Antrieb angebohrner hitzigen Liebe/ zu gruͤndlicher
Erforſchung der Wunder-Thaten der Natur/ nicht
allein viel ſchoͤne Plaͤtze Europæ durchſuchet/ ſondern
biß in Eaypten/ und andere Auſtraliſche/ auch Orien-
taliſche Orte der Welt/ durchwandert.
E 2Nicht
[68]Deß Academiſchen
Nicht minder zu Pariß/ oder viel beſſer zu reden/
in der kleinen Welt der Kron Franckreichs/ das koͤſt-
liche Conclave deß Cardinal Richelieu, und eines rei-
chen Kauffmanns daſelbſt/ genennet Prete Segle.
Zu Arle, Aix, oder Aquis Sextiis, (in der Pro-
vence,) deß Hoch-Edlen/ hoch-begabt- und Koͤnigl.
Senatoris daſelbſt/ Herꝛn Nicolai Claudii Fabricii
Peireskii.
Zu Mompellier, (in Languedock,) weyland ei-
nes fuͤrnehmen Medici, Jauberti, wie auch nach ihm
eines Apothekers daſelbſt/ Laurentii Catellani, auß
deſſen Muſeo aber nach ſeinem Tod die Sachen meiſt
diſtrahiret worden.
Und dann zu Poictiers, oder Pictaviâ, in der Graf-
ſchafft dieſes Namens/ das ſchoͤne Gazophylacium,
gleichfalls eines Apothekers/ Pauli Contanti; Wie
dann dieſe Standes-Leute/ nebſt den Materialiſten/ ſo
ſonſt Aromatarii, Simpliciſten/ (zum Theil auch Se-
plaſiarii genennet werden/) hierzu die beſte Gelegen-
heit/ wegen ihrer Handlung/ und gemeiniglich beſte
Unkoſten haben.
Item, es gedencket der Edle Herꝛ/ D. Sachſius, ei-
nes Engellaͤnders/ genannt Herꝛ von Forges, Amphi-
Theatri Naturæ, ſo A. 1651. mit hoͤchſter Gemuͤths-
Luſt zu Leipzig ſoll zu ſehen geweſen/ dann nach Ham-
burg/ unwiſſend aber/ wo weiter hin/ und ob wieder
nach Engelland/ verfuͤhret worden ſeyn.
Es iſt aber unmoͤglich/ alle andere (noch mehrere/)
Raritaͤten/ Kunſt-Kam̃ern/ Muſea, \&c. nach der Ord-
nung nahmhafftig zu machen/ die im uͤbrigen noch
hin und wieder in Landſchafft-und Staͤdten der alten
fuͤnff-theiligen Welt/ bey ſo wol Koͤnigen/ Chur-
Fuͤrften/ Cardinaͤlen/ Ertz-und Biſchoͤffen/ Fuͤrſten/
Grafen/ Freyherren/ Rittern/ Staͤdt- und andern
Staͤnden/
[69]Romans I. Buch.
Staͤnden/ als abſonderlich auch unterſchiedenen Ed-
len und Unedlen/ Geiſt- und Weltlichen/ Gelehrt-
und halb-Gelehrten/ Kauſſleuten/ Burgern/ und an-
dern Privat-Perſonen/ befindlich ſind/ angefuͤllet mit
ſo mancherley Berg-Art-und Ertzen/ Corallen/ und
was darvon gemacht/ ſeltzam gebildet oder formirten
Steinen und Edelgeſteinen/ ſo theils roh/ theils ſchoͤn
geſchliffen/ polirt/ außgegraben/ und eingefaſſet; Rar-
und curieuſen Stuͤcken Agtſtein/ in haͤrteſten Stein
unter der Erden verwandelten/ wol hunderterley Art/
Coͤrpern; Außlaͤndiſchen Baͤum- und Fruͤchten/
Samen/ Zweigen/ Hoͤltzern/ Wurtzeln; Fremden/
theils durchgetrocknet-theils außgeſtopfften Thieren/
auch dero Sceletis, oder etlichen von dero Gliedern;
Ungeheuren und ſeltzamen Meer-Wundern/ See-
Fiſchen und Muſchel-Werck; Schwaͤmmen/ Voͤ-
geln/ dero Klauen/ Koͤpffen und Federn; Sonderba-
ren Gebuhrt- und Mißgebuhrten; Jn Bergen und
Sand gefundenen Rieſen-Schaͤdeln/ Zaͤhn- und
Ribben; Egyptiſchen Mumien/ und bedencklichen Si-
gillis darauß; Oder auf neue Art balſamirten Coͤr-
pern; Uhr-alten Urnis, auß Heydniſchen Graͤbern/
Thraͤnen-Glaͤſern/ und ruckſtaͤndigen Lampen/ die
viel hundert Jahr/ ohne Zuthuung einigen Oehls/
unter der Erden in Gruͤfften gebrennet; Statuen/ und
außgehauenen/ gegoſſen- oder kuͤnſtlich-geſchnitzten
kleinen Bildern; Alten Griechiſchen/ und ſonſt fuͤr-
trefflichen Europæiſchen Gemaͤhlden/ Tafeln von
ſchoͤnſtem polirten Marmor, oder auch wunderſam
zuſam̃en geſetzter Moſaiſcher Arbeit; Inſcriptionen/
Medaglien/ und andern dergleichen Antiquitaͤten;
Papier und Buͤchern/ auß heutiges Tages gantz un-
gewoͤhnlicher Materie; Geſchirren/ Meſſern/ Waf-
fen/ Geſchmeiden und Kleinodien; Kuͤnſtlich-ge-
E 3wuͤrckten
[70]Deß Academiſchen
wuͤrckten Tapeten/ fremden Trachten; Uhrwercken/
Muſicaliſchen Inſtrumenten/ Machinulis und Model-
len; Brenn und Reflexion-Glaͤſern/ gegoſſenen ſchoͤ-
nen Spiegeln/ und anderer zur Optica gehoͤrigen Cu-
rioſitaͤt/ auch Chymiſchen Geheimnuͤſſen/ und vielen
andern Experimental- und Kunſt-Stuͤcken mehr.
Derg eichen Raritaͤten-Gemaͤcher denen Liebhabern/
die etwa nicht wol bemittelt/ und deßwegen nicht fuͤg-
lich in fremden Landen/ die Gebuhrts- und Ruh-
Stadt dero durch die Welt ungleich-außgetheileten
Schaͤtze der Natur/ perſoͤnlich oder ſelbſt in Augen-
ſchein nehmen koͤnnen/ zu beſehen/ ſehr nutzlich und
bequem; Ja/ es ſind ſolche zu Philoſophiſcher Be-
luſtigung gemeynete Muſea etlicher Maſſen ſchon
vor Alters im Gebrauch geweſen/ oder die und jene
Rariora zum wenigſten in Bibliotheken aufgehaben
worden/ deſſen Exempel geweſen ein Wunder-ſeltza-
mer Drachen-Darm/ 120. Schuhe lang/ in der weit-
und breit-beruͤhmten/ hoch ſchaͤtzbaren/ aber in klaͤg-
lichem Rauch hernach aufgegangenen Bibliothek zu
Alt-Byzanz/ auf welchem gar kuͤnſtlich das Poëma
Homeri mit guͤldenen Buchſtaben ſoll geſchrieben
geweſen ſeyn/ und iſt ſonderlich vom Kaͤyſer Auguſto
auß dem Suetonio bekandt/ daß er ſeinen Pallaſt auſ-
ſer der Stadt/ oder ſein Prætorium, nicht ſo wol mit
koſtbaren Statuen und Gemaͤhlden/ als aͤuſſerlich mit
Buſchwerck und Schatten-Gaͤngen/ inwendig aber
mit Koͤpffen und andern Gliedmaſſen ungeheurer
groſſer Thiere/ Rieſen-Gebeinen/ Waffen der Uhr-
alten Helden/ und andern nachdencklichen Dingen
von Alter und Raritaͤt/ außgezieret gehabt habe/ da
hingegen von andern zu Rom/ zu deß erwehnten Au-
guſti Zeit/ oder nachgeherds/ gewiſſe anſehnliche Pi-
nacothecæ, Gallereyen und Repoſitoria geſtifftet/ und
darinn
[71]Romans I. Buch.
darinn allerhand koͤſtliche Gemaͤhlde/ Tafeln/ Sta-
tuen/ kuͤnſtliches Silberwerck/ ſchoͤne Decken/ Klei-
der/ Signa, und andere Galantereyen/ zur Pracht/ zu
Denck-wuͤrdigem Beybehalten der Antiquitaͤt/ und
zu Beluſtigung curieuſer Gemuͤther/ mit Fleiß ſind
aſſerviret worden.
Hiermit beſchloſſe Cavina ſeinen Diſcurs, der
Teutſche Kauffmann aber ſagte: Jhr habt mir zwar/
mein Herꝛ/ deſſen ich euch hertzlichen Danck weiß/ ei-
ne gute Verzeichnung ſothaner Kunſt-Kammern ge-
geben/ unter welche ich aber meines Erachtens mit
hoͤchſtem Fug zehlen koͤnte/ die Raritaͤten-Kam̃er deß
Edlen Herꝛn Michaelis Bertoldi de Gileno, eines be-
ruͤhmten Medici und fuͤrtrefflichen Chymici zu Haar-
burg/ und dann gerade gegen dieſem Ort uͤber/ nem-
lich zu Hamburg/ das uͤberauß koͤſtliche und Preiß-
wuͤrdige Nummophylacium Lüderianum, oder die
wol-verſehene Medaillen-Kammer derer vom Ge-
ſchlechte Luͤders/ die wol/ was rare Schau-Pfenninge
belanget/ ihres Gleichen wenige hat/ als darinn 568.
guͤldene/ 5328. ſilberne/ und 2599. kupfferne rare Me-
daillen zu finden ſind/ welche eine Sum̃a von 8492.
Pfenningen außmachen.
Cavina merckete wol/ daß der Kauffmann in ſei-
ner Jugend ſich muͤſſe auf die Studia geleget haben/
inmaſſen es derſelbe mercklich blicken ließ/ dañenhero
vertieffeten ſie ſich weiter in ihrem Diſcurs, und kamen
auf ſonderbare Collegia fleiſſiger und kluger gelehr-
ter Leute/ welche hin und wieder in Europa aufgerich-
tet worden/ oder von ſich ſelber zuſammen geſchlagen
haͤtten.
Das VII Capitul/
Allhier werden die beruͤhmteſte ſonderbareCollegiagelehr-
ter Leute in Europa/ fuͤrnemlich aber in Jtalien/ eingefuͤhret.
E 4Damit
[72]Deß Academiſchen
DAmit aber der Kauffmann mercken ließ/ was er
in dieſer curieuſen Materie ſein Lebtage ange-
mercket hatte/ ließ er ſich in folgenden Diſcurs
anjetzo herauß: Es iſt unmoͤglich/ daß ein Jeder alle
Bibliotheken/ Academien und Kunſt-Kammern be-
ſehen oder beſuchen koͤnne/ dannenhero haben uͤber
dem/ um die Schaͤtze der Natur zu erforſchen/ und
guten Theils darvon frey und ungehindert zu Philo-
ſophiren/ oder auch ſonſt die gewoͤhnliche Mutter-
Sprachen zur Perfection zu bringen/ in Muſicaliſcher
Luſt/ Virtueuſen Diſcurſen und Actionen/ Hiſtorien/
guter Beredtſamkeit/ \&c. ſich zu uͤben/ gleichwie in
Franckreich das gelehrte Collegium, genennet la Con-
ference, und in Teutſchland die Hoch-Edle A. 1617.
geſtiſſtete Frucht-bringende Geſellſchafft/ als ſonder-
lich/ ja uhrſpruͤnglich/ oder kurtz vor dieſen/ zu unſerer
Zeit bey Hoch-Edlen/ Edlen/ hoch-gelehrt-ja theils
Fuͤrſtl. Perſonen/ Senatoren und Eſtats-Leuten in
Jtalien/ gewiſſe Societaͤten ſich entſponnen/ in wel-
chen/ was etwa einem Mitglied/ Zeit waͤhrender
Collation, von vorgenommener Materie nicht bey-
fallen moͤchte/ von dem Andern/ Dritten/ \&c. eroͤrtert
wird/ und ein Jeder ſein Befinden und Experience
darbey in vergnuͤglichſter Freund-Willigkeit beyfuͤ-
get; Welches heutiges Tages in kochender Grund-
Suppe der Welt von mißguͤnſtigen Ignoranten nur
geneydet und verfolget/ von Hochtrabenden andern
aber/ und welche den allerwenigſten Theil der Himm-
liſchen Suͤſſigkeit deß warhafftigen Philoſophirens
nie geſchmecket/ hoͤhniſch gehalten/ und wol fuͤr
Schulfuͤchſerey gelaͤſtert wird.
Jmmittelſt haben die ihnen gelaſſene/ Lehr-
ſuchende Geſellſchaffter/ in Jtalien um und an/ zu
Beſtaͤrckung ihrer Lob-wuͤrdigen Verbuͤndnuͤſſen
unter
[73]Romans I. Buch.
unter ſich/ und zum Unterſcheid vom gemeinen Poͤbel/
oder Mercenariis Philoſophis ac Medicis, die nur um
bloſſen Gewinn/ unter der aͤuſſerlichen Larve ver-
meynter Wiſſenſchafft ihr Weſen treiben/ im uͤbri-
gen ihnen belieben laſſen/ ſolche ihre Societaͤten/ ſo ſie
Academien nennen/ gleichwie mit gewiſſen weit beſ-
ſern Tituln zu belegen/ alſo ein Sinn-reiches Emble-
ma und na[ch]dencklichen Wahl-Spruch darbey zu
erkieſen. Solche Academien benamentlich waren
eine Zeitlang/ oder ſind noch/ De gli Accenſi zu Sena;
De gli Affidati zu Pavie, oder Ticino; Anhelantium
oder Aſpirantium zu Padua; Apathiſtarum zu Flo-
rentz/ derer Mitglied der beruͤhmte Medicus, Joh.
Nardius, geweſen/ deſſen gar curieuſe Tractaͤtlein/ de
duplici Calore, Noctes Geniales, de Igne Subterraneo,
de Lacte, de Rore, in oͤffentlichen Druck gelanget.
De gli Ardenti zu Neapolis, deren Mitglied einer/
Namens Academicus Ardens Æthereus, ſonſt der Pro-
feſſion ein Caſineſer-Moͤnch/ in ſeiner Sprache gar
fleiſſig und fein von Edelgeſteinen geſchrieben.
De gli Auvalorati zu Sena, alſo tituliret von dem
Wort Valore, das iſt/ Krafft/ Staͤrcke und Beſtaͤn-
digkeit/ (in Tugend und Wiſſenſchafften/) dero zum
Zeichen ſie einen Eich-Baum fuͤhren/ mit dieſer Uber-
ſchrifft: Adverſantibus Invaleſcit! und ſol-
ches darum/ alldieweil ſolche Societaͤt daſelbſt/ nahe
an Sena, auf einem luſtigen Vorwerck Matthæi Ami-
dei, la Quercia Groſſa, oder zur groſſen Eyche genen-
net/ ihren Urſprung genommen/ wie jetzt-gedachter
Amideus, ein Apotheker oder Speciarius ſelbigen
Orts/ doch von fuͤrnehmerer Extraction, mit Umſtaͤn-
den ſelbſt berichtet.
Clavigerorum, an einem Ort in der Lombardie.
Conſtantium zu Verona und Padua, woſelbſt dieſe
Geſellſchafft ſchon A. 1556. aufgerichtet worden iſt.
E 5Degli
[74]Deß Academiſchen
De gli Corteſii zu Sena, della Cruſca zu Florentz/
De gli Deſidioſi zu Sena, De gli Eccitati in der gar alten
Stadt Ravenna; Elevatorum zu Padua; Errantium
zu Neapolis De gli Eterei, und Furfuriariorum zu
Florentz.
Humoriſtarum, (oder der Befeuchtenden/) zu
Rom/ fuͤhrenden zum Sinn-Bild/ einen herab fallen-
den Regen/ auß den Wolcken/ ſo von der See entſtan-
den/ mit dieſer Uberſchrifft: Redit Agmine Dulci.
Illuſtrium in Caſale, in der Lombardie; Imma-
turorum zu Padua; Incognitorum zu Venedig/ wor-
innen der Welt-bekandt- und hoch-begabte Herꝛ Jo-
hann Franciſcus Loredan, fuͤrnehmer Senator der
Reſpublic, geweſen.
Indomitorum zu Bononien; De gli Ineguali zu
Florentz; Inflammatorum zu Padua; Informium zu
Ravenna; Inquietorum an einem andern Ort Jta-
liens De gli Inſtancabili zu Venedig; Intentorum
zu Meyland.
Intrepidorum zu Ferrara, derer Sinn-Bild eine
Buchdrucker-Breſſe/ mit dieſem Denck-Spruch:
Premat Dum Imprimat!
De gli Intronati zu Sena, von deren Collegio und
Gebraͤuchen Herꝛ D. Sachſius umſtaͤndlich handelt/
und derer Sinn-Bild ein außgehoͤhleter Kuͤrbs/ wor-
innen die Bauren Saltz enthalten/ mit dieſer Bey-
ſchrifft: Meliora Latent!
De gli Invaghiti zu Mantua; Sonderlich aber
der Lynceorum zu Rom/ welche Academie daſelbſt
von dem hoch-begabten Fuͤrſten Friderico Cæſio ge-
ſtifftet/ und von den erleuchteſten Ingeniis und beſten
Profeſſoribus in allen Wiſſenſchafften und Facultaͤ-
ten/ außgenommen Theologis, jederzeit frequentiret/
zum Sinn-Bild traͤget einen in Porphyr gegrabenen
Luchs/
[75]Romans I. Buch.
Luchs/ anzuzeigen/ die Scharffſinnigkeit der Gemuͤ-
ther/ viel verborgene Dinge in dem Abgrund der Na-
tur zu erblicken/ und getreulich der Welt darzuthun;
Als auch benamentlich gedachter Fuͤrſt Cæſius in Phi-
loſophicis, Galilæus à Galilæis in Aſtronomicis, und
der hoch-gebohrne ſehr curieuſe Fabius Columna
gleichfalls in Phyſiognomicis viel gethan; Item, in
Zoologicis, durch Beſchreibung etlicher Merck-wuͤr-
digſten Thiere/ zu Land und Waſſer; Worunter er
auch noch abſonderlich ein klein Tractaͤtlein von der
Purpur- und andern darzu gehoͤrigen Schnecken-
Arten/ Gloſſopetris, oder (dem Anſehen nach/) in
Stein verwandelten Maltheſichen Schlangen-Zun-
gen/ ſamt ihrer Minerâ, oder Terra di San Paolo, und
andern dergleichen Curioſitaͤten mehr/ zu Rom ver-
fertiget. Ferner/ die Academie der Nobilium zu Bo-
nonien; Dero in Venedig hell-leuchtenden della
Notte, und dero/ dem Namen nach/ Occultorum zu
Breſcia; Olympicorum zu Vicentz und Verona;
Ocioſorum zu Neapolis; Obtuſorum zu Spoleto;
Academicorum della Penna zu Bergamo; Peregrino-
rum zu Florentz und Venedig; Philarmonicorum zu
Vicentz/ oder vielmehr zu Verona, woſelbſt der Edle
Herꝛ Ludovicus Maſcardi ein Mitglied geweſen/ als
oben bereit/ bey Benennung etlicher Kunſt-Kam-
mern deß Orts/ Meldung geſchehen.
Die Geſellſchafft della Pittura zu Florentz; De
gli Refloridi zu Verona; De gli Ricoverati zu Padua;
De gli Rifioriti zu Vicentz; Serenorum zu Neapolis.
Sitientium zu Padua, oder Bononien/ woſelbſt
dieſe Academie mehr ſich auf Juriſtiſche Sachen/ als
etwa Philoſophiam Naturalem, beziehend/ fuͤhret den
Helicon, mit deſſen Caſtaliſchem Brunn zum Wap-
pen/ und folgende Uberſchrifft: Non Diu Sitient
Sitienteſ.
Solli-
[76]Deß Academiſchen
Sollicitorum zu Treviſi; Sperantium zu Padua,
und Eſte, in der Lombardie; De gli Suegliati, an ei-
nem andern Jtaliaͤniſchen Revier; Temperatorum
zu Veron; De gli Travagliati zu Sena, gleichſam als
die durchs Sieb getrieben/ wie ſie dann zu ihrem
Kennzeichen fuͤhren ein Sieb/ mit dieſem Wahl-
Spruch: Donec Impurum! Und endlich De gli
Velati, an einem Ort; Venatorum zu Venedig;
Unitorum, an einem Ort der Lombardie, \&c.
Es iſt auch an Seiten beſagter hoch-ruͤhmlicher
Societaͤten/ bey dero bloſſen Speculationibus und
muͤndlichen Conferencen allezeit nicht geblieben/ ſon-
dern/ gleichwie in der Medicin Galenus zu ſeiner Zeit
in Rom einen allgemeinen Frieden zu ſtifften genoͤ-
thiget ward/ zwiſchen den damahls hefftig-ſtreiten-
den Secten/ der Empiricorum und Rationaliſten/ und
Beyde darum mit einander vereiniget/ weil er befun-
den/ daß Raiſon ohne Experience, und Experience oh-
ne Raiſon nicht beſtehen kan/ (oder/ man bringet die
Patienten meiſtentheils um den Halß/) und ein pur-
lauterer/ ſo genannter/ raiſonirender Medicus, von
ſich ſtoſſende alle Experience, anders nichts ſey/ als
ein ungluͤcklicher Reuter im Truͤbſand/ ohne Sattel/
Zaum und Sporen; Hingegen ein bloſſer Experien-
cen-Schreyer auch/ der alles blind hinein/ ohne Ver-
ſtand/ am Menſchlichen Coͤrper waget/ weil es ihm
etwa dritthalb mahl vorher bey andern durch plum-
pen Fall gelungen/ mit gutem glimpfflichen Recht ei-
nem Leb-loſen Coͤrper ohne Seele/ einer groſſen La-
ternen ohne Liecht/ und einem Gicht-bruͤchtigen Weg-
weiſer/ dem die Augen verbunden/ verglichen werden
koͤnne. Alſo haben mehr-erwehnte Academici, oder
Geſellſchaffter/ wie auch ſonſt inn- und auſſerhalb
Jtalien/ unzehlich viel andere Medici, Mathematici,
und
[77]Romans I. Buch.
und Phyſici mehr/ von Jahren zu Jahren/ nach Gele-
genheit der Zeit/ erheiſchender Occaſion, und Befin-
dung eigener Baarſchafft/ oder Liberalitaͤt von hoher
Obrigkeit/ und Mildreich-geſinnten tapffern Maͤn-
nern/ mit allem Ernſt dahin geſtrebet/ mancherley
Sinnreich- und herꝛliche Speculationes mit wuͤrck-
lichen Demonſtrationibus zu beleuchten/ die hochwich-
tige/ und zwar vor Alters ſchon gut gemeynete/ aber
von etlichen Nachkoͤmmlingen hernach faſt uͤbel-auf-
genommene/ oder zum wenigſten etwas ſchlaͤfferig-
getriebene Philoſophiam Corpuſcularem, durch Be-
huͤlff gnugſamer Obſervationum in Chymicis, in Mi-
croſcopiâ, in Pnevmaticis, Hydraulicis, Mechanicis,
Pyrotechnicis und Technicis aliis, wiederum hervor
zu ſuchen/ den hellen Tag der warhafftigen Beſchaf-
fenheit der Dinge in der Natur/ durch die von GOtt
uns hierzu gemachte 5. Fenſter der aͤuſſerlichen Sin-
nen/ vor den unpartheylichen Richter-Stuhl geſun-
der Vernunfft/ ohne Sclaviſches Anſehen der Per-
ſonen derer/ die mit bloſſen Opinionen/ Præjudiciis
und Menſchlicher Authoritaͤt fechten/ zu ſtellen/ in
Mathematicis, und aller anderer Polymathiâ, weder
Koſten noch Muͤhe zu ſchonen/ und in Summâ, alle
Menſchliche Welt-Weißheit um und an/ wie ſolche
den Namen haben mag/ gleichſam als auf 2. Cry-
ſtalline/ mit Gold umfaſſete Wagſchalen (reiffen
Nachdenckens/ und gnugſamer Obſervation,) abge-
wogen/ in ein ſolch Modell zu gieſſen/ ſo mit dem
holdſeeligen Namen deß Studii, oder Philoſophiæ
Experimentalis, bemercket/ dem kraͤncklichen Anſehen
voriger Zeiten kraͤfftigen Trotz bieten/ oder auch in
gewiſſen Faͤllen eine gelind- und ertraͤgliche Conci-
liation abſtatten koͤnne. Und benamentlich verdie-
nen deßfalls einen ſehr groſſen Ruhm die Herren Ex-
peri-
[78]Deß Academiſchen
perimentales zu Florentz/ als auß dero gelehrten Offi-
cinen (und auß dem Welt-beruffenen koſtbarſten
Laboratorio deß hoch-erleuchteten Groß Hertzogen
von Toſcana,) theils allbereit am Tag ſind/ theils
mehr und mehr mit vielem Verlangen erwartet wer-
den/ die jenigen trefflichen Experimenta, die faſt in
omni ſcibili (vorauß Materiato,) ohne alle Spa-
rung benoͤthigter Speſen/ zu groſſem Nutz der Edlen
Studien/ unter Haͤnden verſiret/ und kuͤnfftig hinfort
verſiren werden.
Jngleichem hat ſich rechtſchaffen immortaliſi-
ret/ und verbindet ihr ferner zum hoͤchſten die Poſteros
durch gleichen Fleiß und Gluͤck die Engliſ. Nation;
Zu dero Koͤnigl. Experimental-Societaͤt der Welt-
beruͤhmte Verulamius zuerſt/ bey Koͤnig Jacobo, ſein
hoch-vernuͤnfftiges Project, als einen Alleredelſten
Grund-Stein deß ſo hoch-nutzlichen Wercks/ gele-
get; Herꝛ Robert Boyle aber hernach/ und zwar neu-
lichſt nur/ den principaleſten Preiß unſterblicher Glo-
rie unter Koͤnig Carlen darbey gcfuͤget/ und faſt
allein ſo viel/ (ſonderlich in Chymicis und Pnevma-
ticis, Hydraulicis,) als die uͤbrigen ſeiner Herren Ge-
ſellſchaffter (ſalvâ tamen hic meritò unius cujusque
Autoritate, \& Actorum Famâ,) durch unerſaͤttlichen
hitzigen Fleiß/ ſcharffſinniges Nachdencken/ conti-
nuirliche Correſpondence in fremde Orte/ und ange-
wandtes vieles Geld/ præftiret.
Es waͤre nur zu wuͤnſchen/ daß einige ſeiner Her-
ren Lands-Leute im uͤbrigen auch/ als er gethan/ ab-
ſonderlich von unſerer Teutſchen Nation, und dero
Conatibus in re literariâ, eine glimpfflichere Opinion
ſchoͤpffen moͤchten/ als der Augenſchein in unterſchie-
denen neuen Engliſchen Buͤchern bezeuget/ indem et-
liche/ wil nicht ſagen/ ihr Clima vielleicht dem Unſeri-
gen
[79]Romans I. Buch.
gen vorziehen/ welches der Geographie und etlicher
hundert-jaͤhrigen Erfahrenheit Sinn-reichſter In-
ventionen bey uns/ zuwider lieffe; Uns doch/ oder die
Unſerigen/ die etwas in Schrifften ſuchen zu thun/
ohne Unterſcheid Compilatores nennen; Dargegen
ich das bekandte Spruͤchwort: Iliacos Muros intus
peccatur \& extra! nicht eben hier ſonderlich anziehen
wil/ ſondern zu ertraͤglicher Defenſion der Unſerigen/
(wann dieſe etwa was liberal ſind/ andere Authores
in Schrifften zu allegiren/) einem jedweden unpar-
theyiſchen gelehrten Mann/ zu deſſen Vernunfft-
maͤſſigem Erachten/ dieſe 5. Puncta wil geſtellet ha-
ben: Was huͤlffe uns/ oder andere/ ſonſt das Studiren
und Buͤcherleſen/ ſo man ſich derer nicht gebrauchen
ſoll? Ja/ worzu halten die Herren Engellaͤnder ſelbſt
zu Oxfurth/ die heutiges Tages in der gantzen Welt
allerberuͤhmteſte koſtbarſte Bibliothec? Oder/ ſo fern
guten Scribenten præjudicirlich ſeyn ſolte/ wann ihre
Schrifften von andern Authoribus etwan allegiret
werden? Welcher ehrlicher Mann wurde ins kuͤnffti-
ge Luſt haben/ die jenige wenige Wiſſenſchafft/ darzu
er (oͤffters mit groſſen Unkoſten und Muͤhe/) gelan-
get/ zu Papier zu bringen/ und ſich um die Nachfolger
meritirt zu machen/ da er zuvorher wuͤſte/ daß zwar
der beſte Safft und Krafft ſeiner Gemuͤths-Fruͤchte
von Unterſchiedenen wurde zu Nutz gemacht/ ſein
Name aber gleichwol faſt Tyranniſcher Weiſe ſolte
unter die Fuͤſſe getretten/ zu ewigen Zeiten vertilget/
und etwan im erſten Wachsthum ſo fort annihiliret
werden. Da hingegen der Loͤbl. Teutſchen Nation bil-
lich vielmehr zum Ruhm/ als Verkleinerung/ bey
æquis Cenſoribus, (derer gleichwol noch etliche in
Engelland ſind/) muß gereichen/ daß/ von welchen
Authoribus ſie etwas Gutes genoſſen/ durch auß-
druͤck-
[80]Deß Academiſchen
druͤckliche Meldung derer zu ſeiner Zeit/ gleichſam als
danckbare Gaͤſte/ ſich auch der Herberge bedancken.
Und waͤre diß ein ſeltzamer Handel/ daß/ wann/ zum
Exempel/ heutiges Tages etwas Curieuſes von ei-
nem erfahrnen Chymico, Medico, oder Mathematico,
erfunden/ Morgens darauf pro Memoriâ zu Papier
gebracht/ und uͤbermorgen irgend von einem andern
getreuen Admiratore und Schuͤler der Natur/ auß
Liebe/ ſeinem Naͤchſten ferner darmit zu dienen/ in
oͤffentlichen Schrifften citiret worden/ die Guͤte der
Sache deßwegen von ihrem natuͤrlichem Werth was
verlieren ſolte/ weil ſie endlich ad Literas deduciret/
welches Urtheil mir eben ſo raiſonabel vorkommet/
als wann etliche Muſicanten/ (welches Laſter uͤber
alle Maſſen gemein/) vor ſich kriegende ein altes
(bißweilen mit 2. 4. und 8. Tactigen Noten unter-
mengetes/) Stuͤck/ ſo zwar nach allen Regeln der
Compoſition in gute Harmonie geſetzet/ ja/ wegen
beywohnender Majeſtaͤt und vermiſcheter Lieblichkeit
einmahl von den beſten Meiſtern beliebet worden/
auch biß dato keiner Imperfection auß rechtſchaffe-
nem Grund der Muſic und Judicio Aurium, uͤberfuͤh-
ret werden kan/ ſelbiges dannoch unter die Banck
und an die Seite ſchmeiſſen/ weil es nicht mehr neu/
ſagende: O/ das iſt was Altes! Und ſolchen vielmehr
die heutiges Tages gleichſam auf kupffernen Roll-
Wagen von rauhen Stein-Hauffen/ durch Antrieb
eines Pritſchmeiſters herab klappernde/ mit doppelt-
und dreyfach-geſchwaͤntzten Noten/ als mit ſo viel
ſchwartzen Larven vermummerte/ nach dem Frantzoͤſi-
ſchen geſchwinden Tact lauffende/ ja hefftig-abſtuͤr-
tzende Satyriſche Ballette, contrapunctirte Couranten/
kurtz-abſchnappende Sarabanden/ hochlautend- und
dem Ohr bißweilen weh-thuende Ritornellen/ ſchnell-
fluͤſſige
[81]Romans I. Buch.
fluͤſſige (und auch deßwegen eitele/) Chiquen/ geil-muͤ-
thige Maſcharaden/ oder andere/ mehr liederlich-als
Gravitaͤtiſche Comœdianten- und Bier-Fiedler-
Stuͤcke/ weit vorzuziehen pflegen. Und endlich zwi-
ſchen Allegiren und Allegiren iſt auch gar ein groſſer
Unterſcheid.
Welche bißher angefuͤhrete 5. Puncte beybene-
benſt die Jenigen auch in reiffe Conſideration ziehen
wollen/ welche ſelbſt Teutſche von Gebuhrt/ ſich nicht
entuͤbrigen/ von ihren Lands-Leuten/ die etwa in
Schrifften andere Authores nothwendig allegiren/
zu groſſem Aergernuͤß und Verkleinerung unſerer
gantzen Nation bey Außwaͤrtigen/ hoͤhniſch zu judici-
ren/ und deß falls benamentlich von einigen Membris
deß Edlen/ aufrichtig-geſinnten Collegii Naturæ
Curioſorum im H. Roͤmiſ. Reich/ (welche Loͤbl.
Societaͤt Anno 1652. zuerſt in Franckenland entſproſ-
ſen/ durch viel andere Provinzien deß Teutſchen Bo-
dens hernach ſich mercklich außgebreitet hat/) faſt ei-
ne Superficial-Opinion zu ſchoͤpffen/ indem ſie doch
ſonderlich eines jedweden Mitgliedes nutzliche Ga-
ben/ Qualitaͤten/ Particulier-Umſtaͤnde/ Erudition,
und andere Privat-Beſchaffenheiten/ unmoͤglich auß
bloß ein oder anderm Scripto biß auf ein Haar auß-
rechnen/ oder alle andere dero Experience, ſo ſich viel-
leicht wol etwas weiter hinauß/ als auf etliche Bo-
gen Papier erſtrecket/ ohne beſorglichen darbey ſich
findenden Jrꝛthum abmeſſen/ und gleichſam deter-
miniren koͤnnen.
Es wollen vielmehr ſolche in Cenſurâ anderer
ehrlichen Leute ſich uͤbereylende Richter/ die/ ob ſie
auch ſchon was Gering- und Straͤffliches finden
moͤchten/ am allermeiſten doch mit dem Mantel der
Chriſtl. Liebe bedecken ſolten/ zum Uberfluß noch die-
Fſes
[82]Deß Academiſchen
ſes mercken: Daß/ nachdem wir Teutſchen nicht ſo
ſehr ob horridum aliquod Clima von Natur untuͤch-
tig gemacht/ als vielmehr per fatalem Seculi cor-
ruptelam meiſtentheils/ dero ad Studium Experimen-
tale benoͤthigten offt groſſen Speſen/ die hohe Haͤupter
oder ſonſt reiche Leute wol herſchieſſen koͤnten/ berau-
bet/ diß vollends taͤglich erfahren muͤſſen/ daß/ ſo bald
wir gleichwol fuͤr uns auß freyem Geiſt etwas Nuͤtz-
liches erfunden/ ein Jedwedes/ Jtalien/ Franckreich
oder Engelland/ uns alſofort auf den Halß ſpringen
wil/ und Gloriam Inventionis diſputirlich machen/
man deßwegen vonnoͤthen hat/ um ſo viel behutſamer
zu gehen/ und ehe man von neuen Erfindungen je was
zu Tage bringen wil/ zuvorher ſich fleiſſig und wol bey
andern Scribenten umzuſehen habe/ ob nicht allbereit
von einem ſchon laͤngſt an eben demſelben Amboß ge-
arbeitet worden; Jm Fall deſſen ja billich iſt/ deſſen
Namen nicht freventlich zu verſchweigen/ ſondern
deſſen/ was er zur Aufnahm guter Wiſſenſchafften
præſtiret/ gebuͤhrende Meldung zu thun/ deßwegen
dann auch vorhin gedachtes Ccllegium Naturæ
Curioſorum zu ihrem Symbolo in einen mit
Schlangen umflochtenen guͤldenen Ring fuͤhret/ ein
aufgeſchlagen Buch/ auf deſſen einem Blatt ein
ſchoͤn gruͤnend Kraut/ anzuzeigen/ die niemahls muͤſ-
ſige Natur; Auf der andern ein Auge/ anzuzeigen
daſſelbige/ was biß anher vertheydiget.
Wann aber je gleichwol von angeregten Rai-
ſonen noch keine nicht/ contra iniqua iſta Mundi Judi-
cia, zureichen ſolte/ ſo moͤgen ſie wiſſen/ zum Beſchluß/
daß/ gleich wie in Civili Converſatione es heiſſet/
quod vitæ tuæ Dominus ſit, qui propriam contemnit;
Alſo in Literario rerum ambitu endlich einmahl die
That erweiſen koͤnne/ quod propriam Nominis ſui
Famam
[83]Romans I. Buch.
Famam conjiciat in periculum, qui temerè alienam
radit; Jnmaſſen Niemand ohne Gebrechen lebet/
und unter denen Cenſoribus ja hoffentlich keiner bey
ſo gar hohen Gedancken ſich finden laſſen wird/ daß
er dem Recht entfliehen moͤge/ deſſen er ſich gegen an-
dere gebrauchet/ oder unwiderſprechlich den Gipffel
aller Vollkommenheit fuͤr ſich erlanget habe.
Das VIII. Capitul/
Troll kommet auf eine ſeltzame Weiſe zu Klingenfeld/ diſcur-
riret laͤcherlich. Sie erſchlagen zween Moͤrder/ werden der Beute hal-
ben beſprochen/ aber zu Mantua abſolviret.
ALs der Kauffmann hiermit ſeinen Diſcurs be-
ſchloſſen/ begunte Cavina zu lachen/ und ſprach:
Es hat das Anſehen/ mein Freund/ als ob ihr
mit mir expoſtuliren woltet/ doch hoffe ich/ es ſey ſo
boͤß nicht gemeynet. Jch laſſe eure Teutſche Nation
bey ihren Wuͤrden/ und weiß wol/ daß manches recht-
ſchaffenes Subjectum in eurem Land zu finden/ aber
die Situation Jtaliens iſt an ihr ſelber zu allen Wiſ-
ſenſchafften bequemer/ darum muͤſſet ihr auch den
Jtaliaͤnern ihren Ruhm laſſen/ aber gnug hiervon.
Es gilt euch hiermit auf guten Vertrag! Hiermit
ergriffe er ein Glaß Wein/ brachte es dem Kauffmann
zu/ und dieſer thaͤte auch willig Beſcheid/ darauf ſchie-
den ſie endlich von einander/ und ein Jeder legete ſich
an ſeinem Ort zur Ruhe.
Wir wollen dieſen 2. Raͤyß-Gefaͤhrten ihre Zeit
zum Schlaff und Nacht-Ruhe goͤnnen/ inzwiſchen
aber uns zu dem Klingenfeld wenden/ und beſehen/
wie es demſelben Zeithero ergangen. Dieſer eylete
auß allen Kraͤfften/ nach Mantua forderſamſt zu ge-
langen/ als er aber uͤber den Po-Fluß geſetzet/ und
jetzt-gedachte Stadt nunmehro bald zu erreichen ver-
hoffete/ da uͤberfiel ihn die Nacht/ daß er ſich in einem
F 2gruͤnen
[84]Deß Academiſchen
gruͤnen Wald bald hernach verirrete/ der Schlaff
funde zwar keine Statt in ſeinen Augen/ aber das
arme Pferd empfand ſeine Mattigkeit dermaſſen/
daß es ihm unter dem Leibe ſchier umgefallen waͤre.
Er ritte demnach unter einen Schatten-reichen
Baum/ und hielte daſelbſt ſtill/ um ſich zu beſinnen/
was er thun ſolte/ ob er abſteigen oder fortreiten wol-
te. Jnzwiſchen ließ ſich Jemand vom Baum hernie-
der/ und ſchwengete ſich hinter ihn auf das Pferd.
Dieſer Menſch klemmete ſich mit beyden Armen um
Klingenfelds Leib/ und ſchlengete die Beine ziemlich
veſte um deß Pferdes Bauch/ welches uͤber dieſer un-
verſehenen Buͤrden dermaſſen erſchrack/ daß es mit
den Hinter-Fuͤſſen außſchlug/ und mit den Forder-
Fuͤſſen in die Erde ſcharrete/ auch ſo erſchroͤcklich
ſchnaubete und tobete mit Springen und Handthie-
ren/ daß Klingenfeld nicht wuſte/ wie er es anfangen
ſolte. Er faſſete aber einen Muth/ und ſprach: Packe
dich von mir/ du magſt ein Menſch/ oder ein boͤſer
Geiſt ſeyn/ und laſſe mich ungehindert meines We-
ges ziehen. Laß dich und mich/ gab der Andere zur Ant-
wort/ die Pedes deines muthigen Caballi nur fort tra-
gen/ damit wir mit einander auß dieſem Boſco auf
den flachen Campum kommen moͤgen/ dann ich ver-
laſſe euch nicht/ bevor ich zu Animalibus Rationali-
bus kommen bin.
Trolle dich/ ſage ich noch einmahl/ verfolgete
Klingenfeld ſeine Rede/ oder ich werffe dich mit Ge-
walt vom Pferd hernieder. Jener gab zur Antwort:
Jhr muͤſſet mir wol ein ſeltzamer Filius Hominis ſeyn/
daß ihr wiſſen koͤnnet/ daß ich auß der alten Familia
der Trollen progeneriret bin. Traget demnach kein
weiter Meditiren/ unſern Viam zu proſequiren/ ich
werde euch doch dieſes mahl nicht derelinquiren.
Hierauf
[]
[][85]Romans I. Buch.
Hierauf beſaͤnfftigte Klingenfeld ſein Pferd/ und in-
dem er fort ritte/ ſprach er: Sage mir dann/ du ſeltza-
mes Ebentheuer/ wer du biſt/ und was fuͤr eine Bege-
benheit dich auf den Baum gefuͤhret hat? Jch bin/
antwortete der Andere/ ein Corpus humanum, dem
ſeine Anima Rationalîs annoch inhærîret/ den Artibus
Liberalibus bin ich ſchon vorlaͤngſt conſecrîret gewe-
ſen/ und Inopiâ Mediorum auf Academien zu einem
Famulo bey einem fuͤrnehmen Domino angenommen
worden/ welcher Occaſione alicujus Rixæ mit einem
ſeiner beſten Freunde zu Bologne duelliret/ und dem-
ſelben das Corpus im Zorn perforiret hat/ daß er co-
ram Conſpectu omnium Præſentium niedergeſuncken/
und ipſimæ Morti iſt zu Theil worden. Mein Domi-
nus hat ſich darauf alſobald einem beſattelten Equo
uͤbergeben/ um nach der Schweitz zu gehen/ und ich
bin ihm per Apoſtolorum Pedes nachgefolget/ biß
mich dieſe Nox obſcura uͤberfallen/ und Metu Latro-
num gezwungen hat/ mich auf den Frondibus Arbo-
ris zu verbergen. Reitet nur fort/ die gantze benè in-
ſtructa Crumena meines fugitivi Domini iſt in mei-
nen Caligis, und in dem erſten Diverſorio wil ich euch
eure Laborem mediante hâc rechtſchaffen ergoͤtzen.
Unſerm Klingenfeld waren dieſe Worte ſehr lieb/
dann/ weil er kein Geld mehr hatte/ hoffete er/ dieſer
luſtige Troll ſolte ihm zu ſtatten kommen/ und gleich-
wie dieſer Kautz von einem Baum herab zu ihm ge-
kommen/ bildete er ihm ein/ er ſey ihm zu dieſem mahl
vom Himmel herab zugeſandt worden. Jndem ſie
aber mit einander redeten/ und ſachtmuͤthig fortrit-
ten/ kamen zur Seiten her zween zu Pferde angeſto-
chen/ welche dem Klingenfeld alſobald zurieffen/ er
ſolle vom Pferd hernieder ſteigen/ und ihnen alles
uͤberlaſſen/ was er und ſein Cammerad in ſeiner Ge-
F 3walt
[86]Deß Academiſchen
walt haͤtte. Gleich wie nun Troll nicht gerne mit
dergleichen Haͤndel zu thun hatte/ als rieff er dieſen
Schelmen zu: Jhr Herren Latrones, eine kleine Ex-
pectatio iſt hochnoͤthig/ biß ich hingehe/ und meine ver-
grabene guͤldene Medaillen euch einhaͤndige. Hiermit
glitſchete er vom Pferde hinten herab/ nachdem er
vorher dem Klingenfeld ins Ohr geraunet: Haltet
euch wol/ ich wil inzwiſchen hingehen/ und etliche La-
pides herholen/ damit wil ich dergeſtalt auf dieſe Ne-
bulones loß-fulminiren/ daß ihnen ihre impudentia
grandis hoͤchſtens gereuen ſoll.
Hiermit lieff er behende nach dem Gehoͤltze/ und
ob ihm gleich einer von den Raͤubern Sporn-ſtreichs
nachſetzete/ auch ſeine 2. Piſtolen auf ihn loͤſete/ kunte
er ihm doch nichts thun/ dann er lieff von einem
Baum zum andern/ und wuſte ſich um dieſelbe ſo
hurtig herum zu drehen/ daß ihm kein Schade geſcha-
he; Er entkam alſo in ein dickes Gepuͤſch/ durch wel-
ches kein Pferd paſſiren kunte/ in demſelben blieb er
ſtehen/ und ſahe dem Handel bey hellem Mondſchein
mit groſſer Ergoͤtzlichkeit von weitem zu/ rieff auch
ſtaͤts: Schlaget zu auf dieſe Lumpen-Canes, ſie ſind
nicht werth/ daß man ihnen einen eintzigen obolum
uͤberlaſſe/ vielmehr haben ſie furcam verdienet/ und
ich wil es noch alſo dirigiren/ daß ſie dieſe Nacht car-
ceri, quo digniſſimi ſunt, forderſamt mancipiret
werden.
Unter dieſen hatte Klingenfeld ſich mit dem an-
dern Rauber wacker herum getummelt/ und nach-
dem er ihm mit ſeinen beyden Piſtolen keinen Scha-
den im Dunckeln thun koͤnnen/ zuckete er ſeinen De-
gen/ und gab ihm damit einen ſolchen Fang/ daß er
von dem Pferde ſanck/ und ſchrie: O mein Camerad
ich ſterbe! raͤche meinen Tod. Derſelbe wandte ſich
Augen-
[87]Romans I. Buch.
Augenblicklich nach Klingenfeld/ aber ſein Pferd ſtuͤr-
tzete uͤber eine Wurtzel/ daß es ein Bein zerbrach/ und
alſo muſte der Rauber zu Fuß fechten/ welcher nun
Urſach hatte/ ſich/ wie Troll/ zu verſtecken/ aber die
Rachgier ſporete ihn an/ daß er mit dem Degen in
der Fauſt/ auf Klingenfeld loßgieng/ und denſelben
in die Lenden deſſen Pferdes ſo tieff hinein ſtieß/ daß
es ſeinem Herꝛn den Dienſt aufzukuͤndigen gezwun-
gen ward. Klingenfeld machte die Beine geſchwind
loß/ und als er nach dem Rauber ſtieß/ traff er fehl/
daß ſie mit einander zu ringen kamen. Sie arbeiteten
eine gute Weil mit einander/ weil aber der Teutſche
in der Ringkunſt uͤberauß fertig/ warff er ſeinen Ge-
genpart endlich zu Boden/ und ſtieß ihm den Degen
durch den Leib. Darauf beſuchte er ſo wol dieſen/ als
den andern Rauber/ und fand zween wolgeſpickte
Beutel mit Geld/ an deren Gewicht er genugſam er-
kannte/ daß er nicht hohe Urſach hatte/ ſich uͤber den
Verluſt ſeines Pferdes/ durch welches er noch einen
Noth-Pfenning zu erwerben hoffete/ zu beklagen.
Er nahm ſeine beyde Piſtolen/ lud dieſelbe/ ſteckete ſie
in den Guͤrtel/ wie auch die zween Beutel/ welche ſehr
lang und groß waren/ daß er ſie weder in dem Rock
noch in die Hoſen haͤtte verbergen moͤgen. Er haͤtte
gerne das Gewoͤhr der Erſchlagenen auch mit ge-
nommen/ weil er aber beſorgete/ ſich dardurch zu ſehr
zu beſchweren/ ließ er es ligen/ und gieng darvon.
Wie er kaum 10. oder 12. Schritte fortkommen
war/ ſtieß er auf Troll/ der ſich nach der Erden buͤcke-
te/ was machet ihr allhier/ O mein getreuer Raͤyßge-
faͤhrte/ ſprach er/ wollet ihr mir nicht beſſer beyſtehen?
Ecce, ſprach dieſer/ bey dieſem inconſueto Saxo habe
ich ſchon alle meine Vires eine geraume Zeit employ-
ret/ dieſen wolte den leichtfertigen Nebulonibus auf
F 4den
[88]Deß Academiſchen
den Tergum oder Caput mit ſothaner Vehementz con-
jiciret haben/ daß ihnen viſus \& auditus zugleich ſolte
vergangen ſeyn/ aber ſeine Gravitas \& Quantitas ha-
ben die Potentiam meiner Arme uͤbertroffen/ daß ich
ihn biß dato habe muͤſſen acquieſciren laſſen. Kom̃et
nur mit mir/ verfolgete Klingenfeld/ die Rauber ſind
ſchon gezuͤchtiget/ und ligen alldort neben meinem
Pferde ſchon geſtrecket. Wie? forſchete Troll an-
jetzo/ hat euer Caballus dieſes Zeitliche geſegnet? Sind
die Schelme dem Plutoni cum anima \& corpore zu
Theil worden? Wo ſind dann ihre Reit-Thiere/ ihre
veſtimenta, arma, crumena, und andere Lappalia?
Das habe ich/ war die Antwort/ alles ligen laſſen.
Jhre Pferde ſind lahm oder todt/ ihr Gewoͤhr und
Kleider waren mir zu ſchwer/ fort zu bringen/ und
ihre zween Geld-Beutel habe ich mitgenommen.
Rectè, benè, ſagte Troll/ ipſiſſimus Ego haͤtte
auch am erſten nach den Loculis gegriffen/ jam verò,
weil ich zu ſpaͤth bin kommen/ muß ich ein Mulus wer-
den/ und mich mit der uͤbrigen Sarcina belegen laſſen.
Hiermit nahm er den Klingenfeld bey der Hand/ und
fuͤhrete ihn wieder nach dem Tummel-Platz/ daſelbſt
zog er die Buben Mutternacket auß/ und wie er noch
Leben in dem einen fuͤhlete/ nahm er ein Stuͤck faul
Holtz/ und ſteckete es ihm mit aller Gewalt in den
Halß/ ſprechend: Hic eſto tibi mortis bolus, friß dich
zu todt an dieſem Broͤcklein/ du unmenſchliche Beſtia,
wer hat dir commitiret/ innocenten Peregrinanten
nach Leib und Leben zu greiffen? Ecce, das iſt dir nun/
ut ipſe vides \& ſentis, ſamt deinem ungenannten
Commilitoni ſelber widerfahren/ auf ein ander mahl
diſce cautius mercari, und wann du uns begegneſt/
aperi caput, mache eine Reverentz/ und dancke mir vor
dieſe hoͤchſt-nuͤtzliche Doctrina. Faͤhreſt du aber ſchier
kuͤnfftig
[89]Romans I. Buch.
kuͤnfftig nach den Inferis, ſo melde ihnen meinen un-
bekannten Gruß/ und ſage: Jch habe ihnen dieſen
fetten Braten geſandt/ darbey moͤgen ſie ſich lætifici-
ren/ wie alle Plutonis filii bey dergleichen Caſibus zu
thun pflegen. Solteſt du aber perſeram \& veram pœ-
nitentiam zu den Superis gelangen/ ſo freue dich mit
denſelben in ewiger Gloria, und be-gratiarum actio-
nire mich/ daß ich dir per lethalem hunc bolum zum
ewigen bene eſſe verholffen habe.
Jnzwiſchen da Troll alſo redete/ hatte der arme
Rauber gnugſam zu worgen an dem faulen Holtz/
welches ihm die Koͤhle dergeſtalt verſtopffete/ daß er
nicht lange hernach vollends erſticken muſte. Troll
aber nahm ihnen alle Kleider ab/ hieng die 2. Degen
zu dem Seinigen an die Seite/ und ſteckete alle 4. Pi-
ſtolen in die zween angelegte Guͤrtel/ damit wanderte
er/ wie ein beladener Maul-Eſel/ mit ſeinem Gefaͤhr-
ten fort/ weil es aber bald hernach ſehr dunckel/ und
dieſer ſich uͤberauß ſchwer beladen hatte/ gleichwol
nicht das Allergeringſte von ſeiner Beute zuruͤck laſ-
ſen wolte/ Klingenfeld auch zimlich abgemattet war/
ſo reſolvirten ſie ſich/ in dem Wald nieder zu ligen/
und deß folgenden Tages zu erwarten. Klingenfeld
wuſte nicht/ weſſen er ſich zu Trollen zu verſehen haͤt-
te/ er kannte ihn noch nicht recht/ und gedachte/ um
der zwey Beutel mit Geld willen/ moͤchte er ihm bey
ſchlaffender Zeit den Reſt geben/ und ſeines Weges
lauffen/ dannenhero ſprach er zu ihm: Troll/ es iſt
meine Gewohnheit/ daß ich deß Nachts auf hundert
Schritte Niemand um mich leyde/ das werdet ihr
euch gefallen laſſen/ dann wir kennen uns noch nicht
recht/ und wann ihr wuſtet/ was fuͤr ſeltzame Phanta-
ſien ich deß Nachts bekomme/ wuͤrdet ihr euch ſelber
nicht getrauen/ nahe zu mir zu tretten. Sit ita, ſprach
F 5Troll/
[90]Deß Academiſchen
Troll/ wann ihr ja ein ſolches mirabile Phantaſma
ſeyd/ ſo werde ich mir euer per tempus concubium zu
enthalten wiſſen/ bleibet demnach allhier in bona pa-
ce, ich wil mich ſchon in einen gewiſſen Angulum zu
recondiren wiſſen/ daß weder tu à me, noch ego à te
ullo modo koͤnnen moleſtirt werden. Hiermit nahm
er ſeinen Abtritt/ und verſteckete ſich ſo gut er immer
kunte.
Klingenfeld fand nicht weit von dannen eine be-
queme Lager-Stelle/ auf welcher er ſich nieder lieſſe/
und wie er etwa ein paar Stunden gelegen/ zwang
ihn der Leib aufzuſtehen/ und etwas zu verrichten/ wel-
ches durch einen Abgeordneten nicht zu beſtellen war.
Er tratt aber ein wenig abſeits von ſeiner Lagerſtelle/
um ſich deß vermuthlichen Geſtancks zu entſchuͤtten.
Aber Troll hoͤrete das Rauſchen gar bald/ dahero
ſprang er behende auf/ und rieff: Wer da? Komme
mir nicht zu nahe/ ich bin ein homo deſperatus, armi-
ret mit 4. Bombardis, 3. Enſibus, und 2. Brachiis, dar-
neben wolverſehen mit einer fuͤrtrefflichen Fortitudi-
ne corporis \& animi, und wer mir zu nahe tritt/ muß
auch in mediis tenebris empfinden/ daß ich ein alter
Hannibal bin. Klingenfeld fieng hieruͤber an zu
lachen/ und ſprach: Fuͤrchtet euch nicht/ mein Came-
rad/ ich bin es/ ich komme ungefaͤhr an dieſen Ort/
meinen Leib zu erleichtern/ das haͤttet ihr wol/ repli-
cirte dieſer/ bey jenen Latronibus mit beſſerm Fug/ als
hier bey eurem Comiti, verrichten moͤgen/ doch wann
ihr es alſo macht/ daß der Fœtor nach Occident zeucht/
und mir die Nares nicht afficiret/ ſo mag es dißmahl
hingehen/ gehet alsdann hin/ und ruhet das reſiduum
temporis nocturni auf eurer Lager-Stelle/ ich wil die
Fores meiner Augen auch ſo bald wieder obſeriren/
damit ich deß Somni deſto beſſer theilhafftig werde/
damit
[91]Romans I. Buch.
damit Adieu, verrichtet eure laborem, und ziehet als-
dann wieder ab.
Klingenfeld haͤtte vor Lachen ſchier nicht laͤnger
ſtehen koͤnnen/ er wandte ſich demnach ein wenig von
dem poſſierlichen Menſchen/ und nachdem er das
Seinige verrichtet/ legte er ſich wieder an ſeine auß-
geſuchte Stelle/ und ſchlieff fein ſanfft/ biß an den
hellen Morgen. Da erwachte er/ und wie er ſich um-
ſahe/ da erblickete er den Troll an ſeinem Ort/ zu wel-
chem er hintratt/ und ſahe/ wie derſelbe ſeine alte Klei-
der ab- und dargegen ein koͤſtliches rothes Kleid mit
gegoſſenen ſilbernen Knoͤpffen/ das er dem einen
Rauber abgezogen/ anlegete. Er preiſete ſeine Fuͤr-
ſichtigkeit/ und ſchalt ihn gluͤckſeelig wegen ſeiner ge-
machten Beute/ die ihm aber hernach bald das Leben
gekoſtet haͤtte. Nachdem alſo Troll ſeine Buͤrde
etwas geringer gemacht/ auch alle 4. Piſtolen gela-
den/ und ſeine Beute auf ſich geladen hatte/ da gien-
gen ſie mit einander ihres Weges. Sie hatten das
Gluͤck/ daß ſie nach einer Stunde gehens auß dem
Gehoͤltze kamen/ da ſie dann die veſte Stadt Mantua
nicht gar weit von ihnen erblicketen/ aber als ſie den
Wald kaum 100. Schritte hinter ſich geleget/ kamen
5. wolberittene Kerl hinter ihnen drein/ und nachdem
dieſe den Klingenfeld und ſeinen Cameraden etwas
betrachtet/ loͤſete einer die Piſtol auf Trolln/ ſchoſſe
aber neben hin/ und ſprach: Du Moͤrder/ gib dich
gefangen/ oder du muſt auf dieſer Stelle dein Leben
laſſen. Quid dicis, fragte Troll/ wer hat dir geſaget/
daß ich an einem Moͤrder bin ein Moͤrder worden?
Du haſt meinen Herꝛn erſchlagen/ verfolgete Jener/
und traͤgeſt noch darzu ſeinen Rock an deinem Leibe.
Als Klingenfeld die Leute alſo reden hoͤrete/ forſchete
er/ wer dann ſein Herꝛ geweſen/ und wie er geheiſſen?
Jener
[92]Deß Academiſchen
Jener gab zur Antwort/ daß er der Obriſt Roſalde
geweſen/ der ſamt einem Diener geſtern Abend auß
ſeinem Land-Gut geritten/ und etwa 60. Schritte
darvon dieſen Morgen ſamt dem Diener todt gefun-
den worden/ die Pferde aber haͤtten annoch neben ih-
nen geſtanden. Hierauß merckete Klingenfeld den
Jrꝛthum/ erzehlete ihnen demnach/ wie eben dieſe
zween Moͤrder/ die ihren Herꝛn erſchlagen/ auch ih-
nen dieſe Nacht in jenem Wald zugeſetzet/ man haͤtte
ſie aber ſelber deß Lebens beraubet/ und ihnen das
Jenige abgenommen/ was man bey ihnen gefunden.
Hiermit wolten Jene nicht zufrieden ſeyn/ ſondern
ſie nahmen dieſe Zween zwiſchen ſich/ und convoyir-
ten ſie nach der Stadt Mantua. Unter Weges ſprach
Troll zu dem einen Cameraden/ ich bin von der Laſſi-
taͤt dermaſſen uͤbernommen/ daß mir es faſt unmoͤg-
lich iſt/ einen Pedem vor den andern zu ſetzen/ laſſet
mich ein wenig auf das Pferd ſitzen/ ſo wil ich euch
dargegen einem aureum nummum verehren.
Jener ſchalt ihn vor einen unverſchaͤmten Bu-
ben/ der das Hertz haͤtte/ ein ſolches an ihn zu begeh-
ren/ und ſich ſo freygebig mit dem geraubten Geld zu
erweiſen. Aber Troll ſchwur/ daß er dieſes Geld nicht
geraubet/ ſondern/ daß es ihm ſein Herꝛ/ der ein Cala-
briſcher Cavallier, mit groſſer Sorgfalt anvertrauet
haͤtte. Hiermit langete er einen Ducaten herfuͤr/ und
ließ deſſen Glantz dem Reuter in die Augen leuchten/
welcher dardurch dergeſtalt geblendet wurde/ daß er
ihn willig vergoͤnnete/ hinter ihn zu ſitzen. Alſo kamen
ſie endlich in die Stadt/ da man gerades Weges mit
ihnen nach dem Richter eylete/ bey welchem ſich Klin-
genfeld dergeſtalt zu rechtfertigen wuſte/ daß man
ihm und ſeinen Cameraden ihre vorige Freyheit wie-
der ertheilete/ weil aber die andern erwieſen/ und eyd-
lich
[93]Romans I. Buch.
lich darthaͤten/ daß das rothe Kleid und die zween le-
derne Beutel mit Geld ihrem Herꝛn zugehoͤret haͤt-
ten/ ward ſolches ihnen wieder zugeſtellet/ und man
ſandte alſobald in den Wald/ um/ die erſchlagene
Moͤrder nach der gewoͤhnlichen Gericht-Stelle zu
fuͤhren/ allwo ſie auf ein Rad geleget ſind.
Es legte ſich darauf Klingenfeld mit Troll in
eine anſehnliche Herberge/ woſelbſt dieſer das eine
Kleid deß Moͤrders/ und die Piſtolen und Degen/
der andere aber die bloſſe Piſtolen/ ſo ihm ſelber zu-
gehoͤreten/ verkauffen wolten/ um Geld zu machen/
darvon ſie zehren moͤchten. Aber Klingenfeld erinner-
te ſich bald deß Trolls Rede/ darum ſprach er: Mein
Freund/ ihr habt mir zugeſaget/ wann wir in eine
Herberge kaͤmen/ euren Beutel zu ziehen/ und mich
deß Dienſtes genieſſen zu laſſen/ den ich euch geſtern/
als ich auf meinem Pferd euch hinter mir eine Stelle
vergoͤnnete/ darum bleibe ich darbey/ ihr muͤſſet mich
in dieſer Herberge frey halten. Per meamfidem, ant-
wortete dieſer/ es iſt warlich alſo/ wie iſt meine Me-
moria doch ſo labilis, was ich promittirt habe/ wil ich
mit beyden Haͤnden halten/ und ihr ſollet deſſen Secu-
rus ſeyn/ daß ihr mit mir auß einer Patina eſſen ſollet/
der Potus, der uns erlaben ſoll/ muß communis unter
uns ſeyn/ und neque ego, neque tu ſollen bezahlen/
ſondern abſens Dominus muß es in Nomine noſtri
verrichten/ nemlich ſein Beutel ſoll Geld hergeben/
und ſo lange derſelbe klinget/ wollen wir fame nicht
periren.
Hiermit war Klingenfeld zufrieden/ welcher
nach der Mittags-Mahlzeit zu einem gewiſſen Kauff-
mann gieng/ und ſich demſelben zu erkennen gab/ der
ihm auf ſein Begehren auch augenblicklich 100. Du-
caten auf eine Obligation fuͤrſtreckete/ dann eben die-
ſer Mann
[94]Deß Academiſchen
ſer Mann hatte ihm bißhero/ ſo lange er ſich in Jta-
lien aufgehalten/ ſeine Wechſel uͤbermacht/ weil ihm
die Seinigen in Teutſchland gar wol bekandt waren.
Mit dieſem Geld kehrete er wieder in die Herberge/
und war guter Dinge/ ſprach auch den luſtigen Troll
von ſeinem Verſprechen frey/ weil er nunmehro ſelber
wieder einen Noth-Pfenning bekommen haͤtte. Die-
ſen Nachmittag kamen etliche anſehnliche Maͤnner
zu ihnen in die Herberge/ und nachdem ſie auß vielen
Diſcurſen verſtanden/ daß Klingenfeld den Studiis
und freyen Kuͤnſten nachzoͤge/ ſprach einer zu ihm/ der
fuͤr einen fuͤrnehmen Officier anzuſehen/ wie er doch/
als ein anſehnlicher Mann/ ſich zu den groſſen Ver-
drießlichkeiten der Studirenden begeben koͤnte/ da er
doch auſſer Zweiffel wiſſen wuͤrde/ wie wenig jetzo
ſothane Leute befoͤrdert wuͤrden/ und wie viel Unge-
mach ſie hergegen außzuſtehen haͤtten. Klingenfeld
dargegen ſprach: So viel ich vernehme/ werden die
Studenten an meinem Herꝛn einen ſchlechten Pro-
motorem erhalten/ aber derſelbe ſoll wiſſen/ daß die
Liebe zu den Studiis mich laͤngſt willig gemacht hat/
alle die jenige Verdrießlichkeiten/ die ſich bey unſerer
Profeſſion herfuͤr thun/ mit Gedult außzuſtehen/ in
Betrachtung/ daß die freye Kuͤnſten jederzeit bey
hohen Monarchen/ Koͤnigen und Fuͤrſten hoch ange-
ſehen/ und mit ſonderbaren Freyheiten begabet ge-
weſen. Als der Edle Jtaliaͤner gerne ein mehrers
hiervon gewuſt haͤtte/ ſtellete ihn Klingenfeld mit
nachfolgendem Diſcurs zufrieden:
Das IX. Capitul/
Auf die ſtudirende Jugend haben hobe Haͤupter allezeit viel
gehalten/ auch den Orten/ da man hohe Schulen angerichtet/ und den
Studenten ſelber ſonderbare und groſſe Privilegia ertheilet.
OBwol/ ſprach er/ was die drey erſten Monarchien
anlanget/ keine ſonderliche Gewißheit vorhan-
den/
[95]Romans I. Buch.
den/ jedoch iſt etwas auß dem Exempel deß groſ-
ſen Koͤnigs Nebucad Nezar zu erſehen/ weil er lieſſe
auß den Kindern Jſrael von Koͤnigl. Stamm und
Herren Kinder waͤhlen die Knaben/ die nicht gebrech-
lich waren/ ſondern ſchoͤne/ vernuͤnfftige/ weiſe/ die da
geſchickt waͤren zu Dienſten deß Koͤnigs/ und zu ler-
nen Chaldœiſche Schrifften und Sprachen. Solchen
verſchaffte der Koͤnig/ daß man ihnen geben ſolte von
ſeiner Speiſe/ und von dem Wein/ den er ſelbſt trun-
cke/ daß ſie alſo 3. Jahr auferzogen wurden/ und dar-
nach fuͤr dem Koͤnig dienen ſolten/ ſchreibet Daniel
in ſeiner Weiſſagung am 1. Capitel.
Hierinnen erſcheinet/ Nebucad Nezar habe ſeine
Studenten maͤchtiglich wider den Frevel deß Poͤbels
und anderer befreyet/ und nicht nur mit gebuͤhrlicher
Nothduͤrfftigkeit an Koſt und Kleidung verſehen/
ſondern in allem gute Ordnung gethan.
Was die Roͤmiſche Kaͤyſer/ Chriſtliche Koͤnige/
erleuchtete Fuͤrſten und Herꝛſchafften geſtifftet/ liget
am hellen Tage. Der Kaͤyſer Juſtinianus hat ihm ein
ſchlechtes Lob erworben/ indem er auß Eingeben ſei-
nes vielmehr Hofſchrantzes/ als Hofmeiſters/ die
Jaͤhrlichen Unterhaltungen/ welche die Vorfahren
in jeden Staͤdten und Flecken den Lehrern der freyen
Kuͤnſte zugeeignet/ aufgehoben/ und zu ſich gen Con-
ſtantinopel gezogen/ daher die Schulen leer ſtunden/
und eine grauſame Barbarey und haͤßliche Bauerey
erwuchſe.
Ferner iſt zu wiſſen/ daß loͤbliche Regenten Frey-
heit gegeben/ erſtlich den Orten/ da Menſchen ſeyn/
die ſtudiren/ darnach denen Perſonen/ die ſtudiren.
Solches bezeuget die Stadt Athen/ welche/ da ſie
auch die hohe Gewalt uͤber das Griechenland verloh-
ren/ und unter die Bottmaͤſſigkeit der Roͤmer gefal-
len/
[96]Deß Academiſchen
len/ ſich viel ſtiller und ſeeliger bey den Studien/ als
ihren vaͤtterlichen Geſetzen befunden/ und deßwegen
zu herꝛlichen Wuͤrden gelanget. Hadrianus der Kaͤy-
ſer/ hat den Athenienſern Geld und Getraͤyde Jaͤhr-
lich gewiedmet/ und noch darzu ein ſtattliches Erb-
Stuͤck zum Eigenthum geſchencket. Sonſten ſeyn
die Staͤdte/ in welchen hohe Schulen gebluͤhet/ zu
Haͤuptern uͤber die andere erhaben/ und ihnen der
Zoll/ der von den Zufuͤhren an Fruͤchten/ und ſonſten
gehoͤrigen Waaren/ zu zahlen iſt/ erlaſſen worden. Jſt
billich/ dann/ gleich wie die Edle Stadt Aach darum/
daß ſie der Stuhl oder Sitz der Roͤmiſ. Kaͤyſer iſt/
fuͤr ſich und ihre Buͤrger die Freyheit hat/ ungehin-
dert in dem gantzen Reich zu handeln und wandeln/
und darff an keiner Stelle zu Waſſer und Land eini-
gen Tribut erlegen; Alſo iſt es ehrbarlich/ wann
Staͤdte/ in welchen die theuren Studien ihren Sitz
und Stuhl geſetzet/ eben mit ſolcher Gnaden geehret
werden.
Es reichet auch dieſes zu der Freyheit deß Orts/
daß man einen tauglichen Platz in der Stadt erwaͤh-
let/ daſelbſt oͤffentliche Collegien/ oder Lehr-Haͤuſer/
bauet/ und in denſelben vor den Augen aller/ die es
begehren/ diſputiren/ profitiren/ und exerciren laͤſſet.
Sintemahlen in heimlichen Winckel-Schulen ab-
ſcheuliche Jrꝛthuͤmer einſchleichen/ und mercklichen
Schaden bringen. Daher haben die Kaͤyſer Theo-
doſius und Valentinianus verbotten/ an einer andern
Stelle/ und geboten/ allein in dem oͤffentlichem Ca-
pittel zu lehren. Julianus, weil die Alexandriner und
Cœſarienſer der ſtudirenden Jugend falſche und
ſchaͤndliche Meynungen beybrachten/ hat ihnen die
Profeſſion der Buͤrgerlichen Rechten genommen.
Sonſten haben die Monarchen/ Koͤnige/ Fuͤr-
ſten
[97]Romans I. Buch.
ſten und Herren/ den Perſonen/ die ſtudiren/ 180.
Freyheiten gegeben/ wie ſolche Petrus Rebuffus in
folgender Ordnung erzehlet:
- 1 ES iſt erlaubet/ auf allen und jeden Feſt-Tagen zu ſtudiren/
oͤffentlich zu leſen und diſputiren/ nemlich/ wann der Chrift-
liche Gottesdienſt verrichtet iſt. - 2. Es iſt erlaubet/ in den Tempeln zu ſtudiren.
- 3. Die Scholaren koͤnnen die Handwercker/ welche ihnen mit
Pochen und Schlagen an den Studien hinderlich ſeyn/ auß ihren
eigenen Haͤuſern vertreiben. Dieſe Freyheit/ ſpricht der ſcharff-
ſinnige und weiſe Jeſuit/ Adamus Contzen/ iſt faſt verhaffet/ und
meldet Petrus Rebuffus ſelbſten/ er habe einen Weber/ der mit
ſeinem hellen Singen/ den Studenten waͤre hinderlich geweſen/
außgetrieben. Dann/ als der Magiſtrat die Freyheiten und Rech-
ten der Studenten gehoͤret/ und reifflich erwogen/ auch dem un-
geſtuͤmmen Muſicanten auferleget/ entweder leiſer zu ſingen/
oder auß dem Hauß zu weichen/ hat der Weber lieber das Hauß
verlaſſen/ als ſeine Stimme maͤſſigen wollen. - 4. Ein Scholar hat Macht in dieſer/ die dritte Freyheit an-
treffender Sachen/ auch an einem Feyer-Tag zu klagen/ wann
gungſame Urſachen ſeyn. - 5. Jn dieſer/ die dritte Freyheit antreffender Sache/ ſoll kuͤrtz-
lich und Summariſcher Weiſe verfahren werden/ ſonſten muͤſten
die Studenten durch lange Jahr verhindert/ darnider ligen. - 6. Wann ein Urtheil wider einen Hammer- oder Pocher-
Schmidt/ wegen der dritten Freyheit/ gefaͤllet/ darff er nicht
darvon appelliren. - 7. Ein Scholar kan Jemand zwingen/ daß er ihm ſein Hauß/
Kammer und Pferde vermiethe. Dieſe Freyheit iſt gar hart/
jedoch gegeben. - 8. Kein Hauß Herꝛ kan einen Studenten auß dem vermiethe-
ten Hauß treiben/ wann er gleich ſelbſten eines Hauſes bedarff. - 9. Wann die Miethzeit auß/ und der Student ferner ſo viel
zahlen wil/ als ein anderer ſich erbeut/ muß der Student den
Vorzug haben. - 10. Wann ein Doctor, oder Scholar, ein Hauß gemiethet
hat/ das einem andern Scholaren vermiethet iſt/ und die Mieth-
Zeit noch nicht verfloſſen/ hat er den Kirchen-Bann verwuͤrcket. - 11. Wann ein Scholar, auß erheblichen Urſachen/ vor dem
Außgang der Miethzeit ſeinen Abzug nimmet/ iſt er nicht ſchul-
Gdig
[98]Deß Academiſchen
dig fuͤr das gantze Jahr/ ſondern nur ſo viel es außtraͤget/ weil
er im Hauß geſeſſen/ zu zahlen. - 12. Wann ein Student ein Hauß/ oder Stuben/ gemiethet/ und
darauß zeucht/ hat er Macht/ einen andern an ſeine Stelle zu
weiſen. - 13. Wann in einer Stadt ein Geſetz waͤre/ es ſolte Niemand
mehr Getraͤyde/ als ihm vonnoͤthen/ einkauffen/ der Scholar aber
kauffete zur Vorſorge auf ein gantz Jahr/ und zoͤge nach einem
halben Jahr darvon/ faͤllet er mit nichten in die Straffe/ wofern
er willens waͤre/ ein gantz Jahr an dem Ort zu bleiben. - 14. Wann ein Scholar von einem Ort abzeucht/ kan er von
gemeinen Dingen einen Theil fordern. - 15. Wann ein Scholar die Flucht nimmet/ macht ſolches ihn
nicht verdaͤchtig an der Miſſethat/ ſo geſchehen/ ſondern es iſt
vermuthlich/ daß er ſeine Eltern beſuchet/ und nach Geld
trachtet. - 16. Wann ein Scholar etwas verliehen hat/ obwol die Zeit/
ſolches zu nutzen/ nicht verlauffen/ hat er doch Macht/ ſolches
wieder zu fordern/ wann er anders wohin ſich begeben wil. - 17. Wider einen Studenten/ der ſeine Studien zu enden geden-
cket/ (entweder gantz/ oder an dem Ort/) wann Jemand etwas
mit Rechten zu ſuchen hat/ kan er ſolches zu thun gezwungen
werden; Oder/ wofern er es innerhalb gewiſſer Zeit/ die ihm
der Richter benahmet/ unterlaͤſſet/ wird ihm ein ewiges Still-
ſchweigen auferleget. - 18. Die Studenten tragen keine Beſchwerungen wegen der
Wohnungen/ in welchen ſie ſich befinden. - 19. Die Buͤcher der Studenten koͤnnen nicht fuͤr eine ſtill-
ſch weigende Verpflichtung geachtet werden/ wegen deß hinter-
ſtelligen Haußzinß. - 20. Vor dieſem war eine Freyheit/ daß/ wann ein Student
unerbarlich lebete/ und ein anderer Hauß-Genoß auch uner-
barlich/ der Hauß-Genoß/ aber nicht der Student, koͤnte fort-
getrieben werden. Es war eine Freyheit/ aber eine aͤrgerliche. - 21. Jſt eine Freyheit geweſen/ aber nicht werth/ mehr zu er-
zehlen. - 22. Jn Franckreich war eine ſonderbare Freyheit/ daß die
Studenten mit Namen zu guten Pfruͤnden und Wuͤrden koͤnten
erkieſet werden. - 23. Wann ein Student Geldes halben nach Hauß verraͤyſet/
und bald wiederkommet/ behaͤlt er die Freyheiten der Univerſi-
taͤten/
[99]Romans I. Buch.
taͤten/ und in die fuͤnffjaͤhrige Zeit wird ſolches Abweſen (auf
hohen Stifften/) eingerechnet. - 24. Die Studenten/ ſo zu guten Pfruͤnden ſeyn benennet wor-
den/ wann ſie den Prælaten ihre Benennungen vorlegen/ und die
Einkommen begehren/ koͤnnen nicht wiederum examiniret wer-
den/ weil die Univerſitaͤt/ die ſolche examiniret/ und zu den Gra-
dibus promoviret/ ſie hiermit hat gebilliget. - 25. Jn Franckreich muß ein Pfarrer in dem Flecken den Gra-
dum, oder zum wenigſten 3. Jahre ſtudiret haben. - 26. Wann ein Student einem andern verlaͤſſet die Einkom̃en
ſeiner Pfruͤnde auf 3. Jahr/ oder darunter/ und unterdeſſen ſtir-
bet/ muß der Jenige/ welcher in der Pfruͤnde folget/ ſolche Hin-
terlaſſung gut heiſſen/ dieweil ſie den Studien zum Beſten/ und
daher der Kirchen zum Nutzen gemacht worden. - 27. Die hohen Pfruͤnden gehoͤren den Gelehrten/ wofern das
Leben mit der Geſchicklichkeit uͤbereinſtimmet. - 28. Ein Student, welcher in Stifft-Kirchen einen Chor-
Schuͤler haͤlt/ iſt befreyet von den Sing-Stunden/ wofern er
taͤglich das Amt der Jungfrauen/ und die fieben Buß-Pſalmen
ſpricht. - 29. Die Scholaren duͤrffen nicht Perſoͤnlich ſeyn/ wo ſie ihre
Pfruͤnde haben. - 30. Die Scholaren duͤrffen dem Biſchoff nichts geben/ darum/
weil ſie nicht weſentlich bey ihren Pfruͤnden ſeyn. - 31. Die Studenten genieſſen der Einkommen ihrer Pfruͤnden/
als wann ſie zugegen waͤren. - 32. Das Recht zu d’Wahl behalten ſie auch in ihrem Abweſen.
- 33. Es iſt nicht vermuthlich/ daß ſie auf einen Betrug ſich ab-
weſend machen. - 34. Wann einer ſeine vorige Studien zu wiederholen ſich befin-
det an einem Ort/ der nicht befreyet iſt/ behaͤlt er doch die Frey-
heit der Studenten. - 35. Wann einer einmahl auf der Univerſitaͤt eingeſchrieben
iſt/ er komme ſo offt wieder/ als er wolle/ darff er doch nichts mehr
zahlen. - 36. Wann ein Scholar wegen ſeiner Studien verbunden iſt/ daß
er innerhalb eines Jahres nicht ſoll zum Prieſter geweyhet wer-
den/ kan er von dem Biſchoff Diſpenſation oder Erlaubnuͤß be-
kommen. - 37. Solche Erlaubnuͤß kan der Biſchoff ohne ſcheinbare Ur-
ſachen nicht widerruffen.
G 238. Wegen
[100]Deß Academiſchen
- 38. Wegen dieſer Diſpenſation, oder Erlaubnuͤß/ ſoll kein
Geld genommen werden. - 39. Mit Studenten und Gelehrten iſt leichtlich zu diſpenſiren.
- 40. Wer einen Gradum hat/ (entweder Magiſter oder Licen-
tiatus iſt/) kan mit Diſpenſation 4. Pfruͤnden beſitzen. - 41. Die Zinſe/ die ein Biſchoff Jemand wegen der Studien ge-
geben hat hoͤren nicht auf/ wofern die Pfruͤnden/ die er bekom̃er/
darnach ſeyn; Unterdeſſen/ ehe der Scholar ſein Studiren voll-
bringet/ darff er nicht an dem Ort/ da die Pfruͤnde weſentlich iſt/
ſeyn. - 42. Ein Biſchoff kan mit ſeinem Capitel ordnen/ daß ein jeder
Thumherꝛ etwas von ſeinen Einkommen darſchieffe/ einem ar-
men/ Siun-relchen und fleiſſigen Studenten fortzuhelffen. - 43. Die Wiſſenſchafft an einem armen Geſellen kan ihn reich
machen. - 44. Daher muͤſſen ihrer viel den Gelehrten dienen.
- 45. Studenten/ wann ſie gelehrt worden ſeyn/ werden fuͤr Edle
gehalten. - 46. Ein Doctor, der auch ohne Muͤhe das Seinige verrichtet/
verdienet ſeine Beſoldung. - 47. Arme/ aber geſunde und ſtarcke Studenten/ die betteln/
koͤnnen nicht zu der Arbeit gezwungen werden/ wie auch nicht
die Edlen. - 48. Wann Zweene mit gleichen Gaben und Tugenden er-
waͤhlet werden/ auf einer Seiten von ungelehrten Leuten/ auf
der andern von einer Univerſitaͤt/ wird die Wahl der Univerſi-
taͤt vorgezogen. - 49. Den Gelehrten ſoll das Regiment befohlen werden.
- 50. Ein gelehrter Student wird einem ungelehrten Doctorn
vorgezogen. - 51. Ein Student, der andere|lehret/ wird gelehrter.
- 52. Einem gelehrten Studenten gebuͤhret eine beſſere Morgen-
Gabe mit der Braut. - 53. Ein Vatter kan gezwungen werden/ daß er ſeinem Sohn
den Verlag zu dem Studiren ſchaffen muß. - 54. Jm Anfang deß Mondes iſt der Vatter ſchuldig dem
Sohn das Penſion-Geld herauß zu geben. - 55. Jn der Erbtheilung behaͤlt ihm ein Scholar ſeine Buͤcher
bevor/ und darff ſie nicht zu dem andern Guth legen. - 56. Die Buͤcher deß Studenten werden unter das ihm gebuͤh-
rende Erbguth nicht eingerechnet/ und wird in einem zweiffel-
hafftigen
[101]Romans I. Buch.
hafftigen Fall darfuͤr geachtet/ der Vatter habe ſolche dem Sohn
geſchencket. - 57. Wann Studenten gezwungen werden/ die Buͤcher unter
das gemeine Guth zu werffen/ koͤnnen ſie ſolche behalten/ und
was die Buͤcher moͤchten werth ſeyn/ darfuͤr binlegen. - 58. Was dem Sohn von dem Vatter gelieben worden/ kan
wieder gefordert werden. Mutuum filii à patre datum repeti
poteſt. - 59. Die Schulden/ welche ein Student zu ſeinen Studien ge-
macht/ muͤſſen auß gemeinem Erbguth bezahlet werden. - 60. Was dem Sohn geſchencket worden/ (vom Vatter/) gilt/
wofern er ſtudiret. - 61. Und kan ſolche Schenckung nicht widerruffen werden.
- 62. Der Vatter kan von denen Guͤthern/ die er ſolcher Maſ-
ſen geſchencket/ den Nutzen nicht einnehmen. - 63. Ein Student, wann er einem andern was (verſtehe von
Buͤchern und Stuͤcken/ die einem Studenten noͤthig/) ſchencket/
und den Vorſatz hat/ von dem Studiren zu laſſen/ aber nach-
mahls ſich beſinnet/ und bey dem Studiren bleibet/ hat Macht/
ſein Geſchenck zu widerruffen. - 64. Wann einem Studioſo etwas geſchencket worden/ ob es
gleich uͤber 500. Guͤlden lieffe/ darff doch keiner Rechtlichen In-
ſinuation. - 65. Ein Student, welcher eines Profeſſoren Sohn/ behaͤlt das
Burger-Recht ſeines Vatters. - 66. Ein Doctor iſt ſchuldig einen armen Studenten zu er-
naͤhren. - 67. Die Doctoren koͤnnen Zeugen ſeyn fuͤr ihre Studenten
und Schuͤler. - 68. Der iſt fuͤr gelehrt zu halten/ welchen ſeine Zuhoͤrer fuͤr
gelehrt ſchaͤtzen. - 69. Ein Doctor kan zu einem Richter nicht verworffen wer-
den/ in Sachen ſeiner Studenten/ Studenten aber koͤnnen den or-
dentlichen Richter verſchlagen. - 70. Studenten koͤnnen ihre Doctoren nicht verklagen/ ohne
erlangete Erlaubnuͤß. - 71. Doctoren ſollen ihre Zuhoͤrer nicht ſchlagen.
- 72. Eines gelehrten Doctorn/ der ſittſam/ und eines guten
Gewiſſens iſt/ Sententz/ wann ſie auch wider die gemeine Mey-
nung ſtreitet/ kan der Zuhoͤrer folgen. - 73. Der Student, wann er von ſeinem Vatter heim beruffen
G 3wor-
[102]Deß Academiſchen
worden/ kan wiederum darvon ziehen/ ob er gleich mit einem
Eyde zugeſaget/ nicht darvon zu ziehen. - 74. Welcher ſchwoͤret/ er wolle ſeinen Rectoren begleiten/ iſt
nicht ſchuldig/ ihn allezeit zu begleiten/ wofern er zu Hauß ſtu-
diret. - 75. Studenten/ welche den Rectorn ungehorſam ſeyn/ wie-
wol ſie den Eyd brechen/ werden nicht Ehrenruͤhrige. - 76. Ob ſie ſchwoͤren/ ſie wollen dieſen oder jenen Ehren-Grad
auf andern Univerſitaͤten nicht annehmen/ wann ſie aber eine
neue Urſach haben/ auch ein neues Examen, koͤnnen ſie ſolches
thun. - 77. Wann ein Vatter auf der Univerſitaͤt/ oder Schul/ ſeinen
Sohn beſuchet/ kan er daſelbſt/ wegen anderer Handlungen/
Kauff-Pacten und Vertraͤgen/ mit Recht nicht belanget wer-
den/ es ſey dann/ daß er auß einer andern Urſach dem Ort ver-
pflichtet ſey. - 78. Viel weniger kan der Vatter daſelbſt gefaͤnglich auf ge-
balten werden in Repreſſalien/ das iſt/ in Sachen/ wann eine
Obrigkeit der andern Obrigkeit die Unterthanen/ oder derſelbi-
gen Guͤther/ gegen einander verkuͤmmert. - 79. Wer Bluts-Verwanthen/ Dienern und Botten der Stu-
denten Schaden zufuͤget/ muß ſolchen vierfach vergelten. - 80. Ein Befehl/ der zu lieb und zu gut den Studenten gege-
ben worden/ verleuret ſeine Krafft nicht/ durch den Tod deſſen/
der ihn gegeben hat. - 81. Die Doctoren und Studenten ſeyn nicht ſchuldig/ die
ſchrifftliche Befehle/ Abſchiede und Erkaͤnntnuͤſſen deß Papfies
zu vollziehen. - 82. Wo 2. ſchrifftliche Befehle/ Abſchiede und Erkaͤnntnuͤſſen
ſeyn/ gantz in gleicher Form/ wird doch darfuͤr gehalten/ daß/
was fuͤr die Studenten dienet/ vorgehe. - 83. Die Guͤrher der Studenren ſollen nicht gefangen werden.
- 84. Ein Sinn reicher und Gelebrter/ wann er auch nicht
5. Jahre in den Studien zubracht/ kan gleichwol Doctor werden. - 85. Die Begierde einen andern in der Wiſſenſchafft zu uͤber-
treffen/ iſt keine Suͤnde. - 86. Ein Student, deſſen Wuͤrdigkeit und Geſchicklichkeit oͤf-
fentlich bekandt/ ſoll nicht examiniret werden. - 87. Ein Student kan auß dem Examine verwerffen/ einen un-
gelehrten Doctorn. - 88. Jm vorigen Fall gruͤndet man ſich auf den Eyd deß Stu-
denten.
89. Jn
[103]Romans I. Buch.
- 89. Jn dem Anfang einer Lection, welche die Studenten an-
fangen/ ſoll der Doctor keine Mahlzeit heiſchen. - 90. Ein Doctor ſoll von den Armen nichts nehmen.
- 91. Ein ſchrifftlicher Befehl und Abſchied gilt nichts wider ei-
nen Studenten/ wann nicht darinn gedacht wird/ daß er ein
Student ſey. - 92. Ein ſchrifftlicher Befehl/ oder Urkund/ einem Studenten
gegeben/ wird darum nicht unkraͤfftig/ wann er darinnen nicht
von ſeinem Vatterland/ ſondern dem Ort/ da er ſtudiret/ genen-
net wird. - 93. Die Veraͤnderung deß Namens iſt einem Studenten nicht
verbotten. - 94. Den Studenten ſeyn erlaubet/ Kleider von allerley Far-
ben und Trachten/ dann ſie ſeyn Fremde. - 95. Welcher verſprochen/ einem Studenten ein Buch zu ſchrei-
ben/ wird nicht erloͤſet/ wann er den Lohn gut machet/ ſondern
es iſt vonnoͤthen/ daß er das Werck zu Ende bringe. - 96. Er iſt auch ſchuldig/ ſolches mit ſeiner rothen oder ſchwar-
tzen Dinten zu ſchreiben. - 97. Ein Student darff einen Schreiber/ der zuſaget/ an einem
gewiffen Werck zu ſchreiben/ auß eigener Macht fahen/ wann
ihn derſelbige betreuget. - 98. Jn den Laͤndern/ die der Roͤmiſchen Kirchen eigenthuͤm-
lich zuſtehen/ hat der Kaͤyſer Gewalt/ einen unehrlich-gebohr-
nen Studenten ehrlich gebohren zu machen. - 99. Der Schaden eines gekaufften Dinges gehet nicht an den
Studenten. - 100. Es kan einer gezwungen werden/ daß er ſeinen Platz
verkauffe/ eine Schul zu erweitern/ oder ein Collegium aufzu-
bauen. - 101. Die Oerter/ welche Studenten innhaben/ darff keiner ein-
nehmen. - 102. Jn keiner Schul kan ein Studioſus gefangen werden/ er
ſey dann Rebelliſch ſeinen Doctoren. - 103. Die Unbilligkeit/ welche einem Studenten wiederfaͤhret/
wird geachtet/ ob ſie allen geſchehen. - 104. Die allervertraulichſte Freundſchafft wird geſtifftet/
durch Gleichheit der Studien. - 105. Der Richter hat Macht/ auch wann keine Anklaͤger vor-
handen/ nach zuforſchen/ auf die Jenigen/ welche Studenten be-
truͤbet; Dann es iſt ein Kirchen-Raub/ das Hauß eines Stu-
denten beleydigen.
G 4106. Wann
[104]Deß Academiſchen
- 106. Wann ein Student beleydiget wird/ neben einem andern/
der kein Student iſt/ theilet er mit ſeinem Geſellen ſeine Freyheit/
damit ſie zugleich bey den Beſchirmern der Gemeinde klagen
koͤnnen. - 107. Eine Geſellſchafft weniger Studenten kan einen Syndi-
cum machen/ das iſt/ einen ordnen/ mit Befehl/ ihre Sachen vor
Gericht zu handeln. - 108. Wann ein Student getoͤdtet wird/ aber der Thaͤter nicht
gefangen wird/ ſeyn die 10. naͤchfte Haͤuſer 5. Jahr lang unter
dem Verbott der Kirchen. Wann auch einem Studenten etwas
geſtohlen wird/ muß die Nachbarſchafft darfuͤr hafften. - 109. Ein Doctor, oder Student, der trefflich gelehrt/ und we-
gen einer Mißhandlung zum Tod verurtheilet iſt/ kan um ſeiner
Geſchicklichkeit willen mit dem Leben beſchencket werden. - 110. Kein Student, auch nicht ihre Diener/ ſollen Waffen un-
ter das Volck tragen. - 111. Ein Student, wann er falſche Muͤntze unwiſſend auß-
gibt/ wird nicht geſtrafft/ dann es iſt vermuthlich/ daß er mehr
die Rechte/ als das Geld/ kenne. - 112. Wann Studenten/ nach Ubergab ihrer Guͤther/ ſeyn reich
worden/ ob ſie wol muͤſſen den Glaͤubigern wieder einantwor-
ten/ koͤñen doch die Buͤcher ihnen keines Weges genom̃en werden. - 113. Buͤcher koͤnnen den Studenten auß keiner Urſach genom-
men werden/ auch nicht unter dem Schein/ ein gefaͤlletes Urtheil
zu vollziehen/ er ſey dann ſeltzam/ und laſſe ſich nicht weiſen. - 114. Die Buͤcher ſollen keinem andern/ ohne außdrucklichen
Befehl/ gegeben werden. - 115. Juden/ und andere/ welche die Buͤcher der Studenten
kauffen/ koͤnnen ſolche nicht ſo lang behalten/ biß ſie von dem
Herꝛn abbegehret werden. - 116. Ein Kramer iſt ſchuldig/ den Studenten die Buͤcher vor-
zulegen/ daß ſie ſehen/ ob ſolche ihre geweſen. Derenthalben ſeyn
ſie gezwungen/ wo einer klagen wil/ dem Klaͤger die Buͤcher vor-
zulegen/ damit er ſeinen Vorſatz darauf gruͤnde. - 117. Wiewol die Juden bey den Chriſten nicht wohnen ſollen/
jedoch werden der Juden Kinder von den Schulen der Chriſten
nicht außgeſchloſſen. - 118. Die Studenten werden andern Glaͤubigern vorgezogen/
und haben hierinn einen ſolchen Vortheil/ daß die Guͤther der
Stadt den Profeſſoren fuͤr ihre Beſoldung verpfaͤndet geachtet
werden.
119. Ein
[105]Romans I. Buch.
- 119. Ein Student, der verletzet worden/ wann ſein Studiren
noch waͤhret/ kan ſuchen/ daß man ihn wiederum in ſein voriges
Weſen ſetze. - 120. Ein Student, der von dem Buchfuͤhrer betrogen worden/
hat alsbald den Rechts-Handel wider ihn/ von wegen eines un-
redlichen Kauffes/ und wird der Buchfuͤhrer gezwungen/ das
Seine wieder zu nehmen/ und dem Studenten das Seinige zu
geben. - 121. Ein Student auf einem Academiſchen Ort kan wegen
Handlungen/ die er anders wo getroffen/ nicht belanget werden. - 122. Auch nicht wegen Verpflichtungen/ die vor dem Studi-
ren geſchehen. - 123. Auch nicht wegen einer Miſſethat auf einer andern Uni-
verſitaͤt veruͤbet. - 124. Es wird auch den Studenten Buß-Zeit gelaſſen/ auf daß/
wann er das Angenommene wieder gibt/ er nicht fuͤr Ehr-loß
geachtet werde. - 125. Studenten genieſſen aller Freyheiten der Burger/ bey
welchen ſie wohnen. - 126. Und ſeyn doch Studenten dergeſtalt Buͤrger der Stadt/
in welcher ſie wohnen/ daß ſie derſelben Nutzen/ aber nicht ihren
Schaden empfinden. - 127. Derhalben ſeyn ſie nicht ſchuldig/ die Beſchwerungen der
Stadt mit zu tragen/ wann gleich in dem Fall ein Geſetz vor-
handen waͤre/ wider ihre Freyheit. - 128. Ein Student kan von den Guͤthern/ ſo ihm vom Vatter/
und andern/ geſchencket worden/ im Teſtament ſchaffen/ wie er
wil. - 129. Studenten werden gehalten/ als Fremdlinge/ und die
von dem Gebrauch der Stadt nicht wiſſen/ ſollen von allen ge-
ſchuͤtzet werden/ und gehoͤren zu der Bottmaͤſſigkeit der Kirchen. - 130. Wann ein Vermaͤchtnuͤß im Teſtament verſchaffet iſt/
kan ein Doctor dieſelbige alle haben/ die zu ſeiner Facultaͤt gehoͤ-
ren/ wofern er in vielen promoviret/ auch in der Artzney. - 131. Legatum Studioſo debetur in Loco Academiæ, nec mi-
nuitur ob ſumptus deferendi, niſi aliud teſtator caverit. - 132. Wann einem Studenten Dinge/ ſo zur Nahrung gehoͤ-
ren/ im Teſtament verſchaffet werden/ ſoll man es ihme mit
Geld abſtatten. - 133. Ein ungewiſſes Vermaͤchtnuͤß gilt wegen der Studien/
und wird darfuͤr gehalten/ als ob es zu milden Sachen verſchaf-
fet.
G 5134. Wann
[106]Deß Academiſchen
- 134. Wann einem Studenten im Teſtament etwas vermacht
worden/ benimmet ihm nichts das Geſetze/ Falcidia genennet/
welches ſonſten die Vermaͤchtnuͤß beſchneidet/ wann zum we-
nigſten den Erben der vierdte Theil der Guͤther nicht hinterſtel-
lig bleibet. - 135. Wann etwas dem Bettel-Orden vermachet iſt/ gilt es in
Sachen der Studien. - 136. Ein jaͤhrliches Vermaͤchtnuͤß ſoll im Anfang deß Jahrs
erleget werden. - 137. Wann ein Vermaͤchtnuͤß nicht mit gewoͤhnlichen und
gebraͤuchlichen Umſtaͤnden geſchehen/ iſt aber 3. Jahr lang erle-
get worden/ muß es ins kuͤnfftige auch geſchehen. - 138. Wann Buͤcher im Teſtament deß Studenten vermacht
werden/ wird darfuͤr gehalten/ es ſey ihnen Geld/ ſolche zu kauf-
fen/ vermachet worden. - 139. Studenten koͤnnen dem Pfarrer/ in deſſen Pfarre ſie
wohnen/ oder einem and’n/ der rechtmaͤſſige Gewalt hat/ beichten. - 140. Ein Student kan der Freyheit nicht entſetzet/ oder auß
dem Buch/ in welches er iſt eingeſchrieben worden/ geloͤſchet
werden/ es ſey dann die dritte Warnung vorgangen. - 141. Wann er iſt geheiffeu worden/ ſich einſchreiben zu laſſen/
wird er fuͤr eingeſchrieben geachtet/ ſo viel die verwuͤrckte und
erkannte Straffe anlanget/ wann er einen Studenten beleydi-
get hat. - 142. Wann er auch auß dem Buch der Univerſitaͤt geloͤſchet
worden/ genieſſet er der Freyheit/ biß er bey einer andern Uni-
verſitaͤt eingeſchrieben wird. - 143. Studenten koͤnnen in der Stadt/ welche in dem Geiſt-
lichen Verbott iſt/ Lectiones hoͤren/ wann gleich ihre Doctores
unter dem Verbott mit begriffen ſeyn. - 144. Wann ein Student einen Clericum mit etwas wenigem
ſchlaͤget/ kan er von dem Apoſtoliſchen Conſervatoren abſolviret
werden. - 145. Was die Studenten aufwenden/ wird darfuͤr gehalten/
daß ſie es zum Nutz der Kirchen aufwenden. - 146. Sie duͤrffen von denen Sachen/ welche ſie mit ſich tra-
gen/ oder fuͤhren/ keinen Zoll entrichten. - 147. Wann ſie ſprechen/ ſie tragen Buͤcher/ muß man ihnen/
und ihrer Botten Eyd/ glauben. - 148. Welche die Studenten zwingen/ daß ſie Zoll geben muͤſ-
ſen/ werden aller ihrer Freyheiten beranbet.
149. Stu-
[107]Romans I. Buch.
- 149. Studenten ſind von Schatzungen/ Steuren und Bur-
gerlichen Aemtern befreyet. - 150. Studenten koͤñen als Repreſſalien nicht gefangen werden.
- 151. Ein Student/ der ſonſt in keiner Acht iſt/ wo er gehet/ blei-
bet/ wiederkehret/ iſt allezeit ſicher. - 152. Ein Student hat zum Richter den Biſchoff/ den Po-
teſtat, den Rector, den Doctor. - 153. Auch wann er das Recht beveſtiget/ kan er einen andern
Richter erwaͤhlen. - 154. Wann er von einem Richter/ der uͤber ihn nicht zu gebie-
ten/ vorgeheiſchet worden/ iſt er nicht ſchuldig/ auf ſeine Freyheit
ſich zu beruffen/ dann er iſt offenbahrlicher Weile beſreyet. - 155. Jn Burgerlichen und Peinlichen Sachen kan er auch/
ohne Vorbewuft ſeines Vatters/ Klaͤger ſeyn. - 156. Ja/ er hat die Freyheit/ ſo viel die Buͤrgerlichen Sachen
anlanget/ welche etliche auf die Muͤnchen ziehen wollen. - 157. Wer einen Studenten zu einem fremden Richter zu zie-
hen vermeynet/ hat ſeine Sache verlohren. - 158. Doctores haben Bottmaͤſſigkeit uͤber die Studenten/
nach dem Recht aller Univerſitaͤten/ und die ſeyn in vielen We-
gen meineydig/ die anders wohin ſich beruffen. - 159. Auch die Magiſtri in den Kuͤnſten ſeyn Richter in den
Strittigkeiten ihrer Schuͤler. - 160. Ein Student/ der vor ſeinem Richter mit Recht vorge-
nommen worden/ kan den Klaͤger wieder mit Recht vornehmen. - 161. Studenten/ welche ſchuldig ſeyn/ koͤnnen zu vier Tag-
Friſten ſich aufhalten. - 162. Studenten/ die Klaͤger ſeyn wollen/ duͤrffen nicht klagen
vor dem ordentlichen Richter deſſen/ den ſie beklagen wollen. - 163. Studenten koͤnnen von einem Urtheil/ das zuvor nicht in
der Hauptſachen geſprochen worden/ appelliren. - 164. Studenten koͤnnen an den Ober-Richter ſchlecht zu ap-
pelliren/ und ſeyn nicht verbunden/ ſolches zu thun an den Mit-
tel- oder Unter-Richter/ dieweil der Kaͤyſer auß ſonderbarer
Gnade zu ihrem Schutz ſich erbeut. - 165. Ein Student/ der die Studien gantz fahren laͤſſet/ verleu-
ret die Freyheiten; Wann er aber bißweilen die Schulen be-
ſuchet/ oder zu Hauß ſtudiret/ behaͤlt er ſolche/ fuͤrnemlich/ wann
er eines ziemlichen hohen Alters iſt. - 166. Die Diener/ Aufwarter/ Schreiber/ und andere beyge-
hoͤrige Perſonen der Studenten/ auch daher gantze Collegien
genteſſen der Freyheit derſelbigen.
167. Der
[108]Deß Academiſchen
- 167. Der Diener eines Studenten darff den Lohn/ es ſey dann/
da er ſolchen/ und daß die Dingung geſchehen/ melde/ nicht for-
dern. - 168. Wider die Studenten kan eine Vergeltung nicht gefor-
dert werden/ dann auf die Weiſe koͤnte einer in groſſe Ungele-
genheit fallen. - 169. Es wird niemahls darfuͤr gehalten/ daß ein Student auß
Hoffarth den Academiſchen Gradum ſuche. - 170. Ein Student kan fuͤr ſeinen Geſelien und Freunde/ fuͤr-
nemlich in Sachen/ ſo die Studien betreffen/ zeugen. - 171. Ein Student kan einen andern Studenten zum Buͤrgen
und Vorſprecher fuͤr ſich ſtellen/ aber derſelbige ſoll ſeine Frey-
heit aufgeben. - 172. Ein Student/ welcher fuͤr einen gut geſaget/ wann er ge-
dencket ferner auf Univetſitaͤten ſich zu begeben/ kan von dem
Glaubiger begehren/ daß ſelbiger an ſeine/ deß Verſprechers/
Stelle einen andern annehme. - 173. Wann eine Obrigkeit einen Studenten in Verhafft brin-
get/ der ſich erbeut/ Buͤrgen zu ſtellen/ und laͤſſet ihn nicht loß/
kan der Student ſolche mit der Action Injuriatum vernehmen;
Aber das gilt in Buͤrgerlichen/ und nicht Peinlichen Sachen. - 174. Fuͤr die Unterhaltung/ welche Jemand auß keiner
Schuldigkeit einem Armen reichet/ kan nichts gefordert werden. - 175. Die Ubergab/ welche ein reich Weib ihrem Ehemann/
der ein Student/ thut/ iſt kraͤfftig. - 176. Einem Doctori wird zugerechnet die Zeit/ da er profiti-
ret hat vor ſeinem Doctorat, zu Erhaltung der Pfaltzgraf-
ſchafft/ welche einer verdienet/ der 25. Jahr profitiret hat. - 177. Ein Vatter kan ſeinem Sohn/ der ein Student iſt/ eine
Rechts Sache vertrauen/ und ihm uͤbergeben. - 178. Alle dieſe Freyheiten ſeyn den Studenten auß eigener
Bewegnuͤß/ von Kaͤyſern/ Koͤnigen/ Fuͤrſten und Herren gege-
ben/ und iſt kein Betrug darunter verborgen/ inſonderheit die/
welche in dem Buch/ Corpus Juris genannt/ begriffen. - 179. Weil durch Geheiß oder Verbott eines Fuͤrſten allen
Freyheiten ein Abbruch geſchehen kan/ wird doch nicht darfuͤr
gehalten/ daß es die Freyheiten ſeyn/ welche in dem Buch/ Cor-
pus Juris genannt/ ſtehen; Zu dem kan eine ſonderliche Freyheit
durch ein gemein Gebott nicht entzogen werden. - 180. Dieſer Freyheiten genieſſen auch die Hiftorienſchreiber/
Redner und Grammatic-Meiſter/ nicht aber die Jenigen/ welche
Alphabet-
[109]Romans I. Buch.
Alphabet-Knaben lehren/ und unter den Schuͤtzen noch lernen/
auch im Geringſten nicht die Jenigen/ welche verbotteye Stuͤcke
treiben.
Bißhero die Freyheiten der Studenten/ welche
Petrus Rebuffus zuſammen gezogen/ und dergeſtalt
geordnet hat.
Nun iſt unlaugbar/ erſtlich/ daß die Kriegs-
Leute weit nicht ſo viel Freyheiten erlanget/ als die
Studenten/ und zwar auß gewiſſen Urſachen; Dann
der Kriegs-Leuten Stand wird allezeit gefuͤhret mit
gantzer Reichen/ Laͤnder/ Voͤlcker/ Staͤdten und Ge-
meinen Schaden/ auch/ wann es gar gering abgehet/
verdrießlichen Unkoſten; Dargegen iſt ſolches bey
den Studenten gar nicht zu befahren.
Zum Andern iſt unlaugbar/ daß etliche Freyhei-
ten un-Chriſtlich ſeyn/ daruͤber ich auch etwas uͤber-
gangen/ und nicht ſetzen moͤgen.
Zum Dritten iſt unlaugbar/ daß etliche Frey-
heiten nur bey gewiſſen Voͤlckern/ in Franckreich/
Jtalien/ Spanien/ und nicht uͤberal gelten; Etliche
auch durchauß abgeſchaffet ſeyn. Hierzu hat nicht
wenig geholffen/ daß die Regnaten und Profeſſoren
bey den Univerſitaͤten die groben Verbrechungen
mit ſchlechtem Eyffer geſtraffet, und maͤchtigen
Buben-Stuͤcken nachgeſehen. Manche Acade-
mien haben ihre Freyheiten liederlich gehalten/ in
langen Jahren kaum einmahl gebrauchet/ und end-
lich dahin ſterben laſſen.
Zum Vierdten iſt unlaugbar/ daß/ ſo viel Frey-
heiten an der Zahl ſeyn/ ſo viel ſeyn auch Zeugnuͤſſe
von der Hoheit und Wuͤrden der Studenten.
Zum Fuͤnfften iſt unlaugbar/ daß alle und jede
Freyheiten ſich auf ein gelehrtes Gemuͤth und ehr-
barliches Leben gruͤnden.
Das
[110]Deß Academiſchen
Das X. Capitul/
Der Printz von Turſis wird als ein Gefangener in Mantua
gebracht/ woſelbſt ihn Troll vor dem Hertzogen auf eine ſehr laͤcherliche
Weiſe vertheidiget.
HJermit beſchloß Klingenfeld ſeinen Diſcurs, an
welchem alle Anweſende ein genugſam Ver-
gnuͤgen ſchoͤpffeten/ ob gleich ſie meiſt Solda-
ten waren/ ſie unterredeten ſich aber hernach noch eine
Zeitlang mit einander/ und liebeten den Teutſchen
wegen ſeiner ſonderbaren Aufrichtigkeit/ erwieſen
ihm auch alle Hoͤflichkeit. Als ſie aber eben am Tiſch
neben einander ſaſſen/ erhub ſich ein Getuͤmmel auf
der Straffen/ welches ſie allerſeits nach dem Fenſter
zog. Man ſahe/ daß ein anſehnlicher junger Menſch
in einem rothen Kleid zu Pferd von 6. andern zu
Pferd gefangen eingebracht wurde/ ſo bald Troll
denſelben erblickete/ rieff er ihm zu/ und ſprach: Herꝛ/
hieher/ hier wohne ich jetzt/ wo wollet ihr mit dieſen
Leuten hin/ ſeyd ihr Officierer oder Gefangener? Der
anſehnliche Mann erſahe den Diener gar bald/ win-
ckete ihm demnach/ er ſolle ihm folgen/ dannenhero
Troll ſich ſtehendes Fuſſes hinauß verfuͤgete/ und ſei-
nem Herꝛn folgete. Man fuͤhrete denſelben gerades
Weges nach dem Stadt-Richter/ weil aber derſelbe
eben abweſend/ und am Fuͤrſtl. Hof war/ woſelbſt er
die Ebentheuer erzehlete/ die er dieſen Morgen mit
Klingenfeld gehabt/ als muſten ſie mit einander im
Unter-Hauſe etwas verziehen. Sie waren allerſeits
von ihren Pferden abgeſtiegen/ und hatten dieſelbe
einem ihres Mittels zu verwahren gegeben. Als aber
Troll hinein zu ihnen tratt/ und ſahe/ daß ſie um ſei-
nen Herꝛn herſtunden/ und ihn nicht auß den Augen
laſſen wolten/ da trung er durch ſie hinzu/ und als man
ihm den Zutritt verwoͤhren wolte/ ſchlug er dem einen/
der
[111]Romans I. Buch.
der ihn zuruͤck ſtoſſen wolte/ ſo ungeſtuͤmm an den
Halß/ daß er taumelte/ was haſt du/ du Confutius,
ſprach er darbey/ mir den Zugang zu meinem Herꝛn
zu ſperren? Du ſolt wiſſen/ daß dieſer Dominus, der
ihr Lorrons bewahret/ wie einen Crumeniſecam von
eures gleichen gantz und gar nicht meritiret/ ſolcher
Geſtalt captiret/ cuſtodiret/ und als ein Maleficant
tractiret zu werden. Troll hatte dieſes kaum außgere-
det/ als der andere ſich wieder aufgerafft hatte/ und
ihm mit der verkehrten Hand dergeſtalt ins Angeſicht
ſchlug/ daß ihm Hoͤren und Sehen vergieng. Er
ſammlete aber ſeine Empfindlichkeit bald wieder zu-
ſammen/ und ſprach zu ſeinem Beleydiger/ du Beſtia
rationalis, waͤreſt du wol nicht digniſſimus, daß ich
dich deiner Narium und Aurium beraubete? Aber ich
wil dieſes Handwerck dem Carnifici uͤberlaſſen.
Jnzwiſchen war er gleichwol zu ſeinem Herꝛn
hinzu getrungen/ und nachdem er demſelben angedeu-
tet/ daß er ſein Geld wolbehalten hieher gebracht/ hin-
gegen gefraget/ was dieſe Leute an ihn prætendirten?
Da bekam er zur Antwort: Daß ihn dieſe Maͤnner
hieher gebracht/ um ihn als einen Rauber und Moͤr-
der in der Juſtitz Haͤnde zu lieffern. Auf dieſe Worte
lauſchete er ſeinem Herꝛn dieſe heimliche Worte ins
Ohr: Non ſunt hæc mendacia, warlich dieſe Leute
luͤgen nicht/ occidiſti, ſpoliaſti, das Rauben und
Morden iſt euch nichts neues/ aber ich dubitire/ ob ihr
eben dieſe Leute deßfalls beleydiget habt. Nun/ nun/
ich beſinne mich/ ich kan meine Cogitationes wol be-
greiffen/ und gedencken/ woher dieſer Jrꝛthum ruͤh-
ret/ Rubra tunica ſanguinolentiam olet. Dieſe Kerl
meynen/ euer rother Rock muͤſſe euch Blut-ſchuldig
machen/ aber harre pauliſper, wir wollen bald aliud
Reſponſum erwarten und anhoͤren/ daß euch Purſch
Auditus
[112]Deß Academiſchen
Auditus und Viſus, Guſtus \& Tactus, ja Olfactus ſel-
ber und alle innerliche Sinne darvon vergehen/ ver-
ſchwinden/ verfliegen/ verlauffen und wegkommen
werden/ wartet nur ein wenig/ wo iſt Major domus?
Wo iſt Judex hier? Wie heiſſet er? quale ipſi nomen?
Jſt er noch nicht in baptiſmate geweſen? Laſſet mich
zu ihm/ ich wil ihm die Sache ſo eleganter \& metho-
dicèremonſtriren und demonſtriren/ daß mein Te-
ſtimonium omni exceptione majus ſeyn ſoll. Hiermit
wandte er ſich von ſeinem Herꝛn/ und winckete/ er
moͤchte ſich zufrieden geben/ er wolle es ſchon richtig
machen/ und ſein getreuer Vorſprecher ſeyn. Er lieff
aber hinauß in den Hof/ und ſchrie uͤberlaut: Holla!
Holla! wo iſt der Herꝛ im Hauß? Es kam darauf
ein Diener auß dem Hauß/ und ſprach: Freund/ gebt
euch zufrieden/ der Herꝛ Richter wird zeitlich genug
wieder hier ſeyn/ er iſt ein wenig zu unſerm Durch-
leuchtigſten Herꝛn auf das Schloß hingegangen/
verziehet nur ein wenig/ er wird nicht lange auſſen
bleiben.
Du liederliche Bulla, gab Troll dieſem Mann
zur Antwort/ du nenneſt mich Amicum, da ich doch
ſehen muß/ daß mein Herꝛ unſchuldiger Weiſe
in dieſem Hauß als ein Miſſethaͤter/ oder ad mi-
nimum, wie ein captivus homo dehoneſtiret/ tra-
ctiret/ und moleſtiret wird. Nachdem er dieſes
geſaget/ ſprang er wie ein Reh wieder in das Hauß
hinein/ und redete den Hauffen/ der ſeinen Herꝛn be-
wahrete/ folgender Geſtalt an: Agedum, ſodes, wer
iſt nun euer aller Orator, und meines innocentiſſimi
Domini Beſchuldiger und Accuſator, veni mecum,
komme fein bald/ wir wollen Fabium in ipſa uſtrina
ſuchen/ der Meiſter auf der Werckſtaͤtte kan uns am
beſten helffen. Alſobald præſentirete ſich der Anſehn-
lichſte
[113]Romans I. Buch.
lichſte unter den andern/ welcher auf ſeine Bruſt
klopffete und ſagte: Was wilt du Kerl? Hier iſt der
Mann/ der dieſem deinem Herꝛn das Leben kan er-
halten/ oder abſprechen/ ich kan ihn ſcharff oder ge-
lind anklagen/ ob gleich ſein Verbrechen offenbar iſt.
Troll hielte zween Finger auf die Naſe/ und ſahe ihn
an/ als durch einen Bruͤll/ du biſt mir wol/ ſprach er
darbey/ ein recht poſſierlicher Quant, du biſt Actor
und Judex, ja auch Teſtis zugleich. Du muſt voll
groſſer Einbildung ſeyn/ ſicut omnia ſtultorum ſunt
plena. Jndem er weiter zu reden fortfahren wolte/
ſchlug ihn der andere gantz ungewaſchen ins Ange-
ſicht/ und ſagte: Halts Maul/ du Lumpenhund/ oder
haſt du was gegen mich und fuͤr deinen Herꝛn anzu-
bringen/ ſo thu es mit Beſcheidenheit/ und ohne Ver-
hoͤhnung. Troll ſahe wol/ daß er die groͤſte Schuld
zu der Ohrfeige gegeben hatte/ und daß ihm ſein Herꝛ
eine verdrießliche Mine deßwegen machte/ dannenhe-
ro redete er den/ der ihn geſchlagen hatte/ alſo an:
Biſt du ein rechtſchaffener Vir, und confidireſt deiner
Sachen/ ſo komme ſtante pede mit mir/ der kleine
Richter iſt bey dem Groſſen/ ibi virtus unita eſt, da
wird uns das Recht am erſten entſcheiden/ quid mihi
cum alapis? Ohrfeigen wollen es nicht außmachen/
ſie exacerbiren nur die Gemuͤther/ daß man ſeiner
Sinnen berauber wird/ und nicht wiſſen kan/ quid
dicere, quid narrare, quid agere debeamus. Es iſt
aber ein elender Mann/ der nicht weiß/ was er reden
und thun oder laſſen ſoll/ darum Pax vobiſcum, jaget
dem Frieden nach/ und folget mir nach der hohen Ju-
ſtitz/ ich wil den Weg zeigen.
Es ſchiene/ daß der andere eben ſo groſſe Luſt
hatte/ bald abgefertiget zu werden/ derowegen machte
er nicht viel Worte/ ſondern wandte ſich nach der
HThuͤr/
[114]Deß Academiſchen
Thuͤr/ Troll ſtellete ſich neben ihn/ zohe den Hut ab/
und ſprach: I præ, Domine, ego ſequar, dem Herꝛn
gebuͤhret der Ober-Rang, er hat einen ſilbernen De-
gen an der Seiten. Jener ſperrete ſich nicht lange/
ſondern weil er merckete/ daß keine Boßheit in dem
Diener ſtack/ kehrete er ſich weiter nicht an ſeine Re-
den/ ſondern gieng ſeines Weges/ und Troll blieb ihm
beſtaͤndig an der lincken Seiten/ er forſchete wol
dreiſſig mahl auf der Straſſen/ wo der Hertzog lo-
girte/ aber man wieſe ihn allwege an einen gewiſſen
Ort. Endlich kamen ſie mit einander vor das Schloß/
woſelbſt der Gegenparth ſtehen blieb/ um ſich von der
Schildwache examiniren zu laſſen/ aber Troll wolte
gerade hindurch lauffen/ wannenhero ihm die Schild-
wacht die Muſqueten vorhielte/ und ihn zuruͤck ſtieß.
Der poſſierliche Knecht nahm ſolches ſehr uͤbel auf/
und ſagte: Hem! Papæ, huy! Und als der Soldat/
der ein Schweitzer war/ dieſe Worte hoͤrete/ reichete
er ihm die Hand/ und ſagte: Du haſt recht/ Lands-
Knecht/ ich heiſſe Hein Papegey/ weil du mich dann
ſo eigentlich kenneſt/ ſo magſt du paſſiren. Jn dem-
ſelben Augenblick aber tratt ein Officier herauß/ und
fragte den Diener/ wo er hin wolte? Jhr ſehet ja
wol/ war ſeine Antwort/ daß mein Naſus nach jenem
Thor gerichtet iſt/ und wann ich nicht wuͤſte/ daß Se-
reniſſimus Dux veſter, mein gnaͤdigſter Herꝛ/ allhier
ſein Logiment haͤtte/ ſo haͤtte ich die Bruͤhe von euch
und eures gleichen/ ihr ſeyd doch rechte Executores
plebis, vollkommene Baurenſchinder/ und kein ehr-
licher homo civicus kan vor die Virginitaͤt ſeiner
Tochter mit gutem Gewiſſen Buͤrge werden/ weil
er weiß/ daß ihr alle auß dem Geſchlechte der Diete-
richen ſeyd/ und es euch keine Difficultaͤt gibt/ jedes
Schloß/ das euch fuͤrgeleget wird/ oder das ihr euch
ſelber
[115]Romans I. Buch.
ſelber proponiret/ zu reſeriren und zu eroͤffnen/ es ge-
ſchehe gleich cum oder ſine voluntate Domini, dem es
gehoͤret/ mag es gerne ſehen oder nicht. Jhr ſeyd und
bleibet Hanß Unverſchaͤmt. Aber Amice, ſaget mir/
ſeyd ihr dieſes Papegeyen Officier/ ſo werdet ihr auch
auß Oſt- oder Weſt-Jndien kommen/ wie ſtehet es
daſelbſt? Wie ſtunde es/ als ihr von dannen gienget/
und wie wird es daſelbſt hinkuͤnfftig ſtehen/ wann wir
mit einander dermahleins loco panis unſere Zaͤhne
mit Erde fuͤllen muͤſſen/ hoc eſt, wann wir nemlich
todt ſind/ und nunmehr nicht mehr noͤthig haben/ uns
fuͤr euren Bombardis zu fuͤrchten?
Der Officier merckete wol/ daß an dieſem Men-
ſchen keine ſonderliche Ehre zu erlangen/ wolte ſich
demnach nicht weiter in Diſcurs mit ihm einlaſſen/
ſondern wandte ſich zu dem andern/ und als er den-
ſelben befraget/ ließ er ſie beyde im Schloß anmel-
den/ wolte ſie aber nicht paſſiren laſſen. Jnzwiſchen
machte ſich Troll gewaltig unnuͤtze/ und beſchwerete
ſich/ daß man wider das Jus Gentium handle/ indem
man einem freyen Menſchen die freye Straſſe zu
wandern/ und ſein Recht zu ſuchen/ zu waͤgern ſich er-
kuͤhnete. Er prahlete dergeſtalt/ und machte ſolche
Hand-Gebaͤrden/ daß die Leute in dem innerſten
Schloß-Hof zuſammen kamen/ und dieſen poſſier-
lichen Prahler betrachteten. Durch dieſes Geraͤuſch
ward der Hertzog ſelber zum Fenſter gezogen/ welcher
deß Trolls bald gewahr ward/ dannenhero winckete
er auß dem Fenſter/ man ſolle ihn nur herein kommen
laſſen/ dann hohe Herren haben ins gemein ein groſ-
ſes Belieben an ſothanen Leuten und ihren Aufzuͤ-
gen. Solchem nach wurden ſie Beyde mit einander
hinein gelaſſen/ und weil Troll merckete/ daß ſolches
auf das Zuwincken deſſen/ der im Fenſter gelegen/
H 2geſche-
[116]Deß Academiſchen
geſchehen war/ bildete er ihm ein/ dieſer waͤre der
Commendant, oder Obriſte im Schloß/ ſo uͤber die
Soldateska zu commandiren haͤtte/ faſſete demnach
den andern/ ſeinen Gegenparth/ bey dem Rock/ und
gieng neben ihm her/ zum Schloß hinein. Man ließ
ihn alſobald vor den Hertzog tretten/ der in einem
praͤchtigen Zimmer mit ſeinen Leuten war/ und als
derſelbe den Troll anredete/ wer er waͤre/ und was
er mitbraͤchte/ gab dieſer zur Antwort: Strenuiſſime
Domine, gnaͤdiger Herꝛ Obriſter/ ich habe mich ent-
bloͤdet/ jenem Papegeyen/ der auf der Schildwache
vigilirte/ mein wichtiges Negocium anzumelden/ \&
parum refert, was iſts daran gelegen/ ob ein ſolcher
Maul-Aff darum weiß oder nicht. Jhr aber/ Illu-
ſtriſſimo Signoro, wollet zwey Dinge von mir wiſſen:
Quis ſim, wer ich bin/ \& quid afferam, und was ich
mit mir bringe? wir wollen ſecundum ordinem gehen/
und dieſe Quæſtiones auß dem Grunde beantworten.
Scias ergo, viator, quisquis es, ich ſage/ ihr ſollet wiſſen/
daß ein jeder Homo iſt pulvis \& cinis, wann demnach
alle Menſchen Staub und Aſche ſind/ wie kan ich
mich dann entbrechen/ auch einer ſolchen Etymologia
zu unterwerffen? Jch bin ein Menſch/ Erde und
Aſche/ aber cœteris paribus, nemlich nur in potentia,
aber nicht in actu, nemlich/ wann meine anima ratio-
nalis von dieſer Wohnung gaͤntzlich excedirt/ ſo wer-
de ich alsdann allererſt wieder zur Erden werden/ da-
von wir allerſeits genommen ſind/ niſi, es ſey dann/
daß der Juͤngſte Tag uns wie ein Fallſtrick uͤberfaͤllet/
da wir mit dieſen fleiſchlichen Leibern in die Hoͤhe
ſteigen werden/ wann aber ſolches geſchehen wird/
das weiß der Himmel/ horam enim neſcit, quicunq́ue
eſt homo.
Zum Andern/ zielet eure Quæſtio dahin/ was ich
mit
[117]Romans I. Buch.
mit mir bringe? Jch ſage: Homo hominem ducit,
terra terram, cinis cinerem, bin ich ein Menſch/ Erde/
und Aſche/ ſo iſt es dieſer Kerl auch/ dieſen bringe ich
mit mir/ wuͤrdet ihr mich aber fragen/ was mein De-
ſiderium ſey/ ſo wuͤrde longè aliud, warlich etwas
Wichtigers herauß kom̃en. Der Hertzog hatte groſſes
Behagen an der luſtigen Humeur dieſes Manns/
fragte demnach/ was er verlange? Darauf dann
Troll ſich recht gegen ſeinen Widerparth uͤberſtellete/
und zu demſelben alſo ſprach: Jam de tuo luditur co-
rio, mein Freund/ du biſt Klaͤger/ ſo muſt du auch am
erſten litem conteſtiren/ die Klage anſtellen/ und ge-
waͤrtig ſeyn/ was fuͤr eine redliche Exceptio mei-
ner Seits darauf folgen wird. Wolan/ aperi Os, er-
hebe deine Stim̃e/ wie dorten in deß Richters Hauß/
da wareſt du ja lauter Maul/ profer quæ ſcis, ſage/
was du zu ſagen haſt/ oder ich abſolvire mich und mei-
nen Herum ſtante pede coram judice competente.
Jch glaube der Hertzog wird ſchon zufrieden ſeyn/
mit dem/ was dieſer anſehnliche Mann zwiſchen uns
determinirt.
Jetzo ſahe der Hertzog den andern Mann an/
welcher ſeine Reverentz fuͤr ihm biß auf die Erde
machte/ darauf ſprach er: Durchleuchtigſter Gnaͤ-
diger/ als ich geſtern Abend ſpaͤth auß dem Felde nach
meinem Adelichen Hof ritte/ erblickete ich einen Mañ
zu Pferde mit einem rothen Rock/ der einen Haſen
verfolgete/ und Feuer auf ihn gab/ ich ſetzte mit mei-
nen Dienern auf ihn loß/ und ſtellete ihn zu Rede/
wer ihm vergoͤnnet haͤtte/ auf meinem Guth zu jagen;
Er verantwortete ſich/ daß er es zur Luſt gethan/ und
mir den Haſen gerne bezahlen wolte/ aber wir nah-
men ihn mit uns/ und als wir nur ein wenig fortge-
ritten waren/ funden wir den Coͤrper deß Obriſten
H 3Roſaldo,
[118]Deß Academiſchen
Roſaldo, welcher erſchlagen und ihm der Rock auß-
gezogen war/ weil nun ſolcher Rock an dieſem Fremd-
ling zu ſehen/ habe ich ihn heute anhero gefuͤhret/ dann
er/ und kein anderer/ hat dieſen redlichen Obriſten/
meinen lieben Herꝛn Vettern/ moͤrderiſcher Weiſe
erſchlagen/ und ihn nach dem Tode gepluͤndert. Er
iſt in deß Herꝛn Schultzen Hauß/ darinn er von mei-
nen Leuten bewahret wird. Jch glaube aber/ es wer-
de gut ſeyn/ wann man ihn ſelber vor Recht ſtelle/
dann dieſer Menſch/ der ſich vor ſeinen Diener auß-
gibt/ hat nur ein Hauffen Plauderns/ und es iſt kein
Grund in ſeiner Rede/ dann er weiß ſelber nicht/ was
er ſaget oder thut/ alle ſeine Wercke ſchlagen auf eine
Narrendeutung auß.
Troll waͤre auf dieſe Worte ſchier auß der Haut
gefahren/ ich proteſtire in optima forma, ſprach er/
gegen dieſe hohe Injurien/ und reſervire mir alle bene-
ficia juris ordinaria \& extraordinaria, hecterna, ho-
dierna \& craſtina, replicire aber in der Haupt-Sache
brevibus, daß dieſer Kerl meinem Herꝛn groſſes Un-
recht thut/ indem er ihn vor einen Moͤrder deß erſchla-
genen Obriſten außgibt/ er iſt perſona illuſtris, in
quam non cadit ejusmodi præſumptio, ſolte man ihn
nun um dieſes begangenen Mords willen vom Leben
zum Tode hinrichten/ ſo wil ich ihm biß in alteram
vitam folgen/ dann ich weiß ſeine Innocentz gar wol/
ich wil alles mit ihm leyden/ und gar mit ihm ſterben/
wann er ſchuldig iſt/ und das ſoll weder Aſtaroth,
noch Asmotheus, weder Hebelfurk, noch Sodi, weder
Beelzebub, noch Belial, weder Lucifer, noch Satanas,
weder Damon, noch Seladon, weder Grammatica, noch
Rhetorica, weder Schalom, noch Schemhamforas, we-
der Thorax, noch Arctophylax, weder Tu, noch Ille,
weder Dextrorſum, noch Siniſtrorſum, weder duntaxat,
noch
[119]Romans I. Buch.
noch coaxat, weder Alexander, noch Hannibal, weder
fuſtis, noch rapa, weder furca, noch decipula, weder
gith, noch Frith, weder ſalſum, noch inſulſum, weder
compoſitum, noch ſimplex, weder declinabile, noch in-
declinabile, weder \& cetera, noch Semicolon, weder
Syntheſis, noch Prolepſis, weder Hircus, noch Capra,
weder Londen/ noch Amſterdam/ weder hic, hæc, hoc,
noch ille, illa, illud, weder Hohes noch Niedriges/ we-
der Auſterum, noch Amarum, weder humidum, noch
ſiccum, weder gladius, noch flamma, weder Alter/ noch
Jugend/ weder der Papſt/ noch der Kaͤyſer/ weder
Mahomet/ noch Ali/ weder unus, noch multus, weder
ſuſtulit, noch abſtulit, noch alle Welt verhindern koͤn-
nen. Aber ich weiß/ daß mein Herꝛ unſchuldig iſt/
hoc reverâ ita ſe habet.
Bey dieſer Rede machte er ſo Wunder-ſeltzame
Grimmaſſen mit dem Mund/ Augen/ Haͤnden und
gantzem Leibe/ daß der Hertzog und alle ſeine Leute/
gnug daran zu lachen hatten. Als aber der andere hier-
auf ſtillſchwieg/ zu vernehmen/ was Sr. Durchl. be-
lieben wuͤrde/ hierauf zu ſprechen/ und aber fuͤr hertz-
lichem Lachen ſo bald kein Wort geredet ward/ da
hub Troll abermahl an/ und ſagte: Jch ſehe wol/ man
lachet hier meiner Worte/ und die Juſtitia iſt bey die-
ſen Leuten taub geworden/ darum bitte ich/ zeiget mir
nur an/ wo Illuſtriſſimus Dux ſelber iſt/ dixerunt mihi,
er hat allhier ſein Logiment.
Hierauf bedeutete ihm der Richter/ den er noch
kennete/ daß dieſer eben dieſe hohe Perſon ſelber waͤ-
re/ und daß er nicht Urſach haͤtte/ ſeines Herꝛn wegen
weiter in Sorgen zu ſtehen/ allermaſſen ſie die Thaͤ-
ter/ ſo den Obriſten Roſaldo ums Leben gebracht/
ſchon gefunden haͤtten. Hieruͤber beſtuͤrtzete der an-
dere gar ſehr/ und bathe um Vergebung/ welche er
H 4leicht-
[120]Deß Academiſchen
leichtlich erhielte/ inmaſſen er durch den rothen Rock
zu dieſem Jrꝛthum war verleitet worden/ gleichwol
begehrete er/ man moͤge die Perſon deßwegen mit ei-
niger Straffe anſehen/ weil ſie ſich erkuͤhnet haͤtte/
auf ſeinem Gebiet die Jagd-Freyheit/ welche ihm
allein daſelbſt gebuͤhrete/ zu turbiren. Troll ließ das
Uhrwerck ſeiner verplauderten Zungen abermahl
lauffen/ und nachdem er dem Hertzogen eine 3. fache
Reverentz gemacht/ ſprach er alſo: Illuſtriſſimo, Sere-
niſſimo, Excellentiſſimo, Doctiſſimo Signoro: Sufficit,
daß mein Herꝛ von dem Mord frey und franc erkandt
worden/ was die Haſen-Jagd concerniret/ wird es
darmit wenig Difficultaͤten haben/ es ſey dann/ daß
dieſer gute Mann/ indem er ſich gar zu ſehr intereſſi-
ret bezeiget/ bey der Vertheydigung der fluͤchtigen
Herren Lang-Ohren/ dardurch er Jedermann zu er-
kennen geben wil/ daß er ihr Conſanguineus und na-
her Bluts-Verwanther ſey. Was meinen Herꝛn an-
langet/ achtet er einen Haſen nicht ein Haar beſſer/
als dieſen ſeinen Anklaͤger/ nemlich/ er wuͤrde fuͤr kei-
nen von beyden mehr/ als 18. Roͤmiſche Pfenninge
bezahlen/ wil er aber ja den Haſen bezahlet haben/ ſo
mag er ihn æſtimiren/ hier iſt Geld fuͤr die Fiſche/ ich
wil euch/ mein Freund/ einen halben Zekin pro redi-
menda vexa erlegen/ und mich deßfalls ſchon fuͤr mei-
nem Domino zu purgiren wiſſen. Jm uͤbrigen be-
halte ich mir vor/ und habe mir auch ſchon vorbehal-
ten/ reſervire mir auch noch ferner/ wegen der außge-
ſtoſſenen Ehren-ruͤhrigen Worten/ alle und jede Juris
Beneficia, wie ſolche immer Namen haben moͤgen/
und dafern es nicht anders ſeyn kan/ kieſe ich das Jus
Pugni, oder das Fauſt-Recht/ zum Schied-Richter
unter uns/ nemo ſanæ mentis hoc male interpretabi-
tur, ich bin ein rechtſchaffener Kerl/ alſo kraͤncket mich
auch
[121]Romans I. Buch.
auch eine ſolche Calumnie, oder Injurie, wie ich es
nennen moͤchte/ weit mehr/ als wañ mich ein Bienen-
Koͤnig ins Hertz geſtochen haͤtte.
Es befahl der Hertzog anjetzo dem Anklaͤger/ ſo
lange nach ſeiner Herberge zu kehren/ biß er ſich we-
gen deß Standes deſſen/ den er angeklaget/ gnugſam
erkundiget haͤtte/ alſo nahm derſelbe ſeinen Abtritt/
und weil Troll nicht recht beichten wolte/ wer ſein
Herꝛ waͤre/ muſte ein Edelmann mit ihm nach deß
Richters Hauß gehen/ und nach ſeinem Stand/ Na-
men und Herkommen fragen. Troll war deſſen hertz-
lich wol zufrieden/ er gieng mit dem zugegebenen
Edelmann wieder nach deß Richters Hauß/ und wie
ſie daſelbſt angelanget/ fand er einen von den Offici-
rern/ die mit Klingenfeld in der Herberge einen langen
Diſcurs gefuͤhret hatten/ dieſer reſpectirete deß Trolls
Herꝛn ſehr hoch/ und als er deß Hertzogen Edelmann
erblickete/ den er gleicher Geſtalt gar wol kennete/
ſprach er: Mich wundert/ daß man dieſen fuͤrnehmen
Printzen allhier/ wie einen Miſſethaͤter behaͤlt/ ich
glaube/ ſolte unſer Gnaͤdigſter Hertzog ſeines Stan-
des gnugſame Wiſſenſchafft haben/ er wuͤrde ihn
bald zu ſich bitten laſſen. Als demnach der Edelmann
fragete/ was er dann fuͤr ein Printz waͤre? Da bekam
er zur Antwort/ daß er der junge Printz von Turſis
ſey. Worauf ihn der Edelmann complimentirte/
und Befehl von ihm verlangete/ wohin er ihn beglei-
ten moͤchte/ biß er ſeinem Gnaͤdigſten Herꝛn deßfalls
Relation abgeſtattet. Troll fuͤhrete anjetzo das Wort/
und ſagte: Mein Herꝛ/ ihr ſeyd nun erkandt/ wir ſind
hier bey ehrlichen Leuten/ der Hertzog von Mantua iſt
ein raiſonabler Printz/ laſſet uns nur in meine Her-
berge ziehen/ damit ich euch den jenigen Teutſchen
Cavallier zeige/ der ſich und mich auß der Moͤrder
H 5Haͤnde
[122]Deß Academiſchen
Haͤnde geſtern Abend errettet hat. Dieſer iſt warlich
ein rechtſchaffener Mann/ er hat die Rauber in kurtzer
Zeit alſo gedemuͤthiget/ daß ſie nimmermehr wieder
aufſtehen werden. Kommet nur her/ ich war auch be-
ſchuldiget/ daß ich die That an dem erſchlagenen Obri-
ſten begangen haͤtte/ weil man ſeinen Rock/ den ich ei-
nem Rauber abgezogen/ an meinem Leib gefunden/
aber die Warheit iſt an den niedergelegten Raubern
gar bald kund und offenbahr worden/ darum kom̃et/
und laſſet uns dieſe Juſtitz-Kammer verlaſſen.
Das XI. Capitul/
Troll hat ſeine Poſſen. Der Printz reitet mit dem Hertzogen
von Mantua auf die Jagd/ Klingenfeld errettet den Hagemann auß
den Moͤrdern/ kommt ſelber in Gefahr/ und zu groſſer Beute.
DEr Printz ließ ſich deſto williger nach dieſer
Herberge fuͤhren/ weil ſie die Fuͤrnehmſte in
der Stadt/ und der ihm bekandte Officirer
dieſelbe auch hoͤchlich ruͤhmete/ alſo wanderten ſie mit
einander fort/ und deß Klaͤgers Leute ſuchten ihren
Herꝛn/ den ſie in einer andern Herberge antraffen all-
da ſie ihm erzehleten/ was der Gefangene fuͤr eine ho-
he Perſon ſey/ woruͤber Jener den Kopff kratzete. Er
beſann ſich aber nicht lange/ ſondern gieng alſobald
zu dem Printzen in die Herberge/ und bath ihn gantz
demuͤthig um Vergebung/ ſeinen Fehler darmit be-
ſchoͤnend/ daß ihm ſeine hohe Perſon allerdings un-
bekandt geweſen/ ſolte er aber gewußt haben/ wer er
waͤre/ ſo wolt er ihm allen gebuͤhrenden Reſpect zuge-
tragen haben. Der Printz reichete ihm die Hand/ und
vergab ihm alles gar willig/ aber Troll miſchete ſich
zwiſchen ſie beyde ein/ und ſagte: Mein Herꝛ/ ihr habt
zwar dieſen euren Actorem wegen der wider euch an-
geſtelleten Action perdonniret/ aber ich habe mir
ſelbſt coram Sereniſſimo Duce alle Rechtliche Mittel
und
[123]Romans I. Buch.
und Beneficia vorbehalten/ dahero begehre ich Satis-
faction von dieſem Edelmann/ der aller Haſen Patron
ſeyn wil. Der Edelmann muſte deß luſtigen Trollen
lachen/ fragete ihn demnach/ was fuͤr eine Satisfaction
er von ihm begehre? Jhr habt meine Worte und Re-
den/ replicirte Troll/ fuͤr eine Narrendeutung geſchol-
ten/ ſolches ſollet ihr widerruffen/ und mir eine Abbit-
te thun. Jener gab zur Antwort: Wolan dann/ ſo
habe ich zwar jetzt-gedachte Reden von euch gefuͤhret/
aber ich revocire ſelbige/ nachdem ich auß dem Erfolg
euren hohen Verſtand erblicket/ und ſage/ daß ihr kein
Narꝛ/ ſondern der kluͤgeſte Menſch von gantz Jtalien
ſeyd. Das iſt abermahl erlogen/ fiel ihm der Einfaͤl-
tige ins Wort. Worauf Jener: So moͤcht ihr dann
immerhin ein Narꝛ bleiben. Welche Worte dem
Trollen ſo hart ins Hertz drungen/ daß er ſchier mit
der Fuchtel herfuͤr gewiſchet waͤre/ wofern er nicht be-
ſorget haͤtte/ es moͤchte ein Blutvergieſſen erfolgen/ in
welchem Fall er ſich lieber in Apulia Daunia, als in
Lombardia Ciſpadana wolte gewuͤnſchet haben/ dann
die Blut-Farbe und blancke Degen machten ihn al-
ſobald Stock-blind.
Jndeſſen dieſe mit einander redeten/ kamen et-
liche Fremde zu Pferde in dieſe Herberge/ und nach-
dem ſelbige abgeſtiegen waren/ und ins Logiment her-
ein tratten/ erkandte Klingenfeld alſobald den wa-
ckern Cavina, der ſeinen Teutſchen Kauffmann mit
ſich brachte/ nachdem ſie alſo dem Printzen Reverentz
gemacht/ wurden ſie von demſelben hoͤflich empfan-
gen/ da ſie ſich dann mit einander niederlieſſen/ und
weil der Printz von deß Cavina Ebentheuren ſchon
vorhin etwas vernommen hatte/ noͤthigte er ihn/ die-
ſelbe von Anfang biß zu Ende zu erzehlen/ damit er ſie
Perſoͤnlich auß ſeinem Munde hoͤren moͤchte. Wel-
ches
[124]Deß Academiſchen
ches dann dieſer mit einer ſchoͤnen Artigkeit zu verrich-
ten wuſte/ als er aber beſchloſſen/ erzehlete er die ſeltza-
me Geſchichte deß Ferrario, die er juͤngſt mit einer
liſtigen Dirne gehabt/ woruͤber die gantze Geſellſchafft
ſich dergeſtalt zerlacheten/ daß ihnen beynahe der
Athem waͤre ſtecken blieben. Sie lieſſen denſelben
Abend eine gute Mahlzeit anrichten/ und der Printz
noͤthigte den Mantuaniſchen Edelmann/ der ihn ge-
fangen genommen hatte/ Troll aber ſchuͤttelte hier-
uͤber den Kopff/ und ſprach zu dieſem: Mein Freund/
haͤttet ihr nicht Palinonidam geſungen/ ich wuͤrde
euch nicht ein einzig Glaͤßlein Weins eingeſchencket
haben/ aber nun mag es ſo hingehen/ jedoch/ daß ihr
meinen Herꝛn deß verfolgeten Haſen wegen weiter
nicht beſprechen ſollet.
Sie hielten inzwiſchen noch einige Unterredungen
mit einander/ darinn Cavina erzehlete/ welcher Geſtalt
ſie dem Klingenfeld am andern Tage alſobald gefol-
get waͤren/ Troll aber berichtete ſeinen Herꝛn/ wie er
ſeine Flucht von Bologne biß hieher angeſtellet/ und
was ſich mit ihm und Klingenfeld im Wald begeben
haͤtte/ welches abermahl neue Materie zu lachen gab.
Endlich aber/ als die Abend-Zeit herein brach/ tiſchete
der froͤliche Gaſtgeber wacker auf/ und ein Jeder an
ſeinem Ort machte ſich luſtig/ und erholete ſich nach
dem Ungemach/ welches er vorhin außgeſtanden
hatte. Nach gehaltener Mahlzeit legete ſich ein Je-
der zur Ruhe/ und genoß deß erwuͤnſchten Schlaffes/
biß ſie am lichten Morgen aufgewecket wurden/ dann
der Hertzag dieſes Orts ſandte vorigen Edelmann
wieder in dieſe Herberge/ und ließ den Printzen er-
ſuchen/ mit ſeinen Gefaͤhrten auf eine Luſt-Jagd mit
ihm ins Feld ſpatzieren zu reiten/ zu welchem Ende
dann auch etliche geſattelte Pferde mitgeſandt wor-
den.
[125]Romans I. Buch.
den. Ob nun gleich der Printz auf ſeiner Raͤyſe/ und
alſo auch allhier/ lieber incognito leben wolte/ war
doch ſein hoher Stand ſchon außgebrochen/ daß er
ſich nicht entbrechen kunte/ dem Hertzogen zu folgen/
ſolchem nach erſuchte er den Klingenfeld und Cavina,
mit ihm zu reiten/ und dem Fuͤrſten dieſes Landes zu
gehorchen. Dieſe waren willig hierzu/ lieſſen auch
allerſeits ihre Pferde außputzen. Der Teutſche Kauff-
mann kunte ſeine Raͤyſe nicht laͤnger aufſchieben/
dannenhero nahm er ſein Roß zwiſchen die Beine/
und ritte allein ſeines Weges. Troll ſetzete ſich auch
auf ein gutes Pferd/ und ſolcher Geſtalt ritten ſie mit
einander vor das Thor/ nachdem ſie auch kaum einen
Augenblick daſelbſt ſtill gehalten/ kam der Hertzog
mit einer anſehnlichen Suite, und bewillkommete den
Printzen de Turſis, ſamt ſeinen Gefaͤhrten. Darauf
ritten ſie nach einem Gehoͤltze/ allwo ſich die Leute von
einander ſtreueten/ und ein Jeder verfolgete das erſte
Wildpraͤth/ das er in die Augen bekommen hatte.
Klingenfeld ſetzete einem Haſen nach/ der mehr
weiß/ als grau/ und ihm daher um ſo viel wuͤrdiger
vorkam/ ſelbigen zu verfolgen. Er befand die Schnel-
ligkeit ſeines Pferdes ungemein/ und weil die Gegend
ziemlich eben/ das Gehoͤltze auch nicht allzudichte be-
wachſen war/ kam er dem Thier ſo nahe/ daß er eine
Piſtohl darauf loͤſete/ und ihm einen Fuß entzwey
ſchoſſe. Daranf fiel zwar der Haß/ als aber der Teut-
ſche herab ſtieg/ ſeine Beute zu ſich zu nehmen/ da
ſprang der Haß unverſehens wieder auf/ und lieff auf
ſeinen drey Beinen ſo hurtig darvon/ als wann ihm
nicht das Allergeringſte gemangelt haͤtte. Solchem
nach ſchwang ſich Klingenfeld behende wieder in den
Sattel/ und ſetzete dem Wildpraͤth von neuem nach.
Aber daſſelbe hatte ſchon einen ziemlichen Vor-
ſprung
[126]Deß Academiſchen
ſprung gewonnen/ daß er es ohnmoͤglich einholen
kunte/ ſondern er gerieth daruͤber vielmehr in den
Wald ſo tieff hinein/ daß er darinn verirrete/ und ihm
ſelber nicht wieder herauß zu helffen wuſte. Er ritte
aber biß um den Mittag/ da hoͤrete er ein Geſchrey in
der Ferne/ welchem er nach eylete/ und nachdem er et-
wa tauſend Schritte fortgeritten/ erblickete er von
weitem etliche kaͤmpffende Perſonen/ unter denen er
auch den Teutſchen Kauffmann/ Namens Hagemañ/
erkandte/ dannenhero eylete er vollends hinzu/ und ſo
bald dieſer ſeiner anſichtig worden/ rieff er ihm mit
ſtarcker Stimme zu: Mein Herꝛ/ kom̃t mir Unſchul-
digen bald zu Huͤlffe/ ehe ich von dieſen Straffen-
Raubern hingerichtet werde. Dieſe Worte waren
kraͤfftig gnug/ den Teutſchen Edelmann zu einer
gnugſamen Aſſiſtentz Augenblicklich anzuſporen/ dan-
nenhero ſprengete er Großmuͤthig hinzu/ und warff
einen von den 3. Raubern/ mittelſt einer Piſtohl-Ku-
gel alſobald vom Pferde. Darauf theileten ſich die
andern Rauber/ und hielte der eine den Hagemann/
der andere unſern Klingenfeld/ warm. Aber mit ei-
nem groſſen Unterſchied/ dann/ gleichwie der Kauff-
mann ſich/ wegen Mattigkeit/ ſeiner Haut nicht mehr
woͤhren kunte/ alſo empfienge er etliche Wunden/ und
begunte den Degen ſchon ſincken laſſen/ da hingegen
Klingenfeld/ nachdem er ſich verſchoſſen/ ſeinem Ge-
genpart mit dem Degen auf den Leib giengen/ und
ihm mit einem wol-gerichteten Streich die rechte
Hand laͤhmete/ daß er nichts mehr thun kunte/ darauf
wandte er ſich von dieſem nach dem andern/ rieff dem
Kauffmann zu/ er ſolle ſich/ ſo viel moͤglich/ in der Eyl
verbinden/ er wolle dieſe 2. Buben ſchon dahin zu hal-
ten wiſſen/ daß er ihrenthalben unangefochten blei-
ben ſolte; Welche Worte dem guten Hagemann ei-
nen ziemlichen Troſt wieder einſprachen.
Aber
[127]Romans I. Buch.
Aber/ gleich wie ſich Klingenfeld deß einen Fein-
des entlediget/ alſo fand er hingegen an dieſem nun
einen doppelten Gegenſtand. Dieſer war ein Baum-
ſtarcker/ anſehnlicher/ junger Menſch/ wol gekleidet/
und fochte einen Degen/ trutz einem Fechtmeiſter/
dannenhero Jener gnug mit ihm zu thun hatte/ und
waͤhrete ihr Gefecht zu Pferde/ darinn Klingenfeld
3. Wunden/ aber die doch von keiner Importantz/
empfangen/ uͤber eine Stunde/ nach welcher Zeit der
Raͤuber mit groſſer Behaͤndigkeit ein Pfeifflein in
den Mund warff/ und ſo laut darauf pfiff/ daß es ei-
nem/ der nahe darbey/ in die Ohren gellete. Dieſes
Thons erſchrack Klingenfeld uͤber die Maſſen/ dann
er hatte wol ehe von dergleichen Mord-Zeichen ge-
hoͤret/ dannenhero verſam̃lete er alle ſeine noch uͤbri-
ge Kraͤfften/ und gieng mit groſſer Fuͤrſichtigkeit auf
den Kaͤuber loß. Er gab ihm zwar eine Wunde in
die lincke Schulter/ aber Jener achtete derſelben we-
nig; Und nicht uͤber 10. Minuten hernach/ hoͤrete
man ein Geraͤuſch/ als etlicher Ankommenden zu
Pferd/ welche dem Klingenfeld und dem Kauffmann
eben ſo viel Schroͤcken/ als dem Raͤuber Freude brach-
ten/ wiewol ſie beyderſeits in ihrer Hoffnung und
Sorge betrogen wurden/ dann gleich hernach kamen
6. von deß Hertzogs Leuten/ ſo dieſen Pfiff gehoͤret/
und ſich mit einander in den Wald tieff hinein ver-
fuͤget hatten/ hierunter war Cavina, welcher der Erſte
war/ der den Raͤuber anfiel/ aber Klingenfeld ſprach:
Jhr guten Freunde/ ich glaube/ es werde rathſamer
ſeyn/ wann wir dieſen Menſchen leben laſſen/ dann
er hat einen ſchmaͤhlichern und veraͤchtlichern Tod
verdienet/ als daß er von unſerer Hand ſterbe. Alſo
ward ihm das Pferd niedergeſchoſſen/ und in dem-
ſelben Tempo erlegte er auch einen von den Mantua-
nern/
[128]Deß Academiſchen
nern/ daher der volle Hauffe auf ihn eintrang/ und
ihn den Degen nahmen/ man feſſelte ihm die Haͤnde/
mit einem Leit-Strick/ und ſeinen Cameraden/ der
ohne dem toͤdtlich verwundet war/ ſchenckete man ei-
ne Kugel zum Abſchied. Einer von der Geſellſchafft
ritte mit dem verwundeten Kauffmann nach der
rechten Land-Straſſen/ und brachte ihn wieder auf
den rechten Weg/ darauf nahm er Abſchied/ und em-
pfieng von ihm eine gute Verehrung.
Jnmittelſt zogen die andern mit dem Gefan-
genen fort/ und ſahen bald hernach zur Seiten 5. wol-
berittene Maͤnner auf ſie anſprengen/ welche ſich
gleicher Geſtalt nach deß Raͤubers Pfiff gerichtet
hatten/ damahl gieng es an ein hefftiges Schlagen/
die Mantuaner hatten ihr Gewoͤhr richtig gemacht/
weil ſie die Unſicherheit dieſer Gegend wol wuſten.
Die Raͤuber bemuͤheten ſich zuforderſt/ ihren Came-
raden zu erledigen/ als es ſich aber ſo leicht nicht wol-
te thun laſſen/ da ſchlugen ſie als raſende Leute drauf/
und muſten 2. von deß Hertzogs Leuten/ ſamt 3. Raͤu-
bern daruͤber das Leben einbuͤſſen. Cavina hatte dem
Gefangenen die Moͤrder-Pfeiffe abgenommen/ auf
welcher er anjetzo einen ſtarcken Laut machte/ dann
weil er die zween uͤbrige Raͤuber wenig achtete/ hoffe-
te er noch mehr von dieſem Geſchmeiß heranzulocken.
Aber ſie erblickten bald hernach 8. oder 10. von ihren
Hof-Leuten/ welche der Pfeiffe nachgeritten waren/
und mit dieſen ritten ſie vollends zu den Zelten/ die
mitten im Wald auf einer gruͤnen Wieſen aufge-
ſchlagen waren. Es pflegten dieſe Hof-Leute/ wann
ſie mit ihrem Herꝛn in dieſem Wald auf die Jagd
zogen/ allemahl ſich alſo zu vertheilen/ daß ſie durch
ein oder ander Zeichen/ am allermeiſten aber durch
die knallende Piſtolen-Schuͤſſe kunten benachrichti-
get
[129]Romans I. Buch.
get werden/ wann etwa Jemand unter die Raͤuber
gefallen/ als welche ſchon 2. Jahr hero ſich ziemlich
ſtarck in dieſer Gegend ſehen laſſen/ die ſo geheime
Schlupffwinckel hatten/ daß man ſelbige nicht auß-
zufinden wuſte.
Man hatte den zween uͤbrigen Raͤubern die
Pferde abgenommen/ und ſie/ gleich ihrem Camera-
den/ gebunden/ der Hertzog ſaſſe ſchon mit dem Prin-
tzen/ und andern von der Geſellſchafft/ bey dem Mit-
tag-Mahl in einem Zelt/ als Klingenfeld mit den
Gefangenen herangezogen kam. Sie ſtunden dem-
nach alle von der Mahlzeit auf/ und giengen vor das
Zelt/ woſelbſt Klingenfeld ſein Wildpraͤth/ wie er es
nennete/ dem Hertzog præſentirete/ der die Leute zor-
nig anſahe/ und ſie in ein angewieſenes Zelt bringen
ließ. Klingenfeld muſte uͤber der Tafel/ zu welcher er
vom Fuͤrſten ſelber genoͤthiget ward/ ſeine Rencontre
vom Anfang biß zu Ende erzehlen/ deren ſich dann
alle Anweſende verwunderten. Jnzwiſchen ward zu
der Heimkehr alles veranſtaltet/ und die Waͤgen wur-
den herbey gebracht/ die 4. Hirſche/ 3. wilde Schwei-
ne/ 9. Rehe/ und 23. Haſen/ ſamt 11. Fuͤchſen und
3. Martern/ wie auch einem Dachs/ ſo man gefangen
hatte/ darauf zu laden/ darauf ſetzete ſich die gantze
Geſellſchafft zu Pferde/ und ritte/ (die Gefangenen
muſten zu Fuß gehen/) ihres Weges. Klingenfeld/
der zu naͤchſt hinter dem Printzen von Turſis ritte/
ruͤhmete unter Weges die Hurtigkeit ſeines gehabten
Pferds/ welches dem Hertzogen wol gefiel/ der ihm
darauf das Pferd verehrete. Sie langeten 2. Stun-
den nach Mittag zu Mantua wieder an/ und als man
die Gefangenen in das Schloß brachte/ und den treff-
lichen Fechter nunmehr/ nach abgenom̃enen Feſſeln/
in ein finſters Loch/ ſamt ſeinen Cameraden/ ſtoſſen
Jwolte/
[130]Deß Academiſchen
wolte/ da ſprang er hurtig zuruͤck/ erwiſchete den De-
gen eines Laqueyen/ den er behende auß der Scheiden
ruͤckete/ und ſich damit mitten auf dem Platz ſtellete.
Jch wil nicht lange gefangen ligen/ ſprach er anjetzo
mit heller Stimme/ ſondern/ weil ich den Tod verdie-
net/ wil ich gerne ſterben/ aber/ als ein Mann mit dem
Degen in der Fauſt/ ich bin ein Edelmann auß Grau-
buͤnden/ habe mich lange Zeit zu Padua aufgehalten/
und bin durch unordentliche Liebe von den Studiis zu
einem leichtfertigen Leben verfuͤhret worden/ welches
mich gar unter die Zunfft der Raͤuber und Moͤrder
hat gebracht. Jſt ein Rechtſchaffener unter dieſem
Hauffen/ der Mitleyden mit mir hat/ und mich von
der Hand deß Scharffrichters zu befreyen gedencket/
der ſtelle ſich gegen mich mit einem bloſſen Degen/
uͤberwindet er den beruͤchtigten Carniolani, ſo wird
Jedermann bekennen/ daß er ein tapfferer Mann
ſeyn muͤſſe.
Der Hertzog wolte ſchon Feuer auf ihn geben
laſſen/ als Klingenfeld bathe/ man moͤchte ihm ver-
goͤnnen/ ſich gegen dieſem deſperaten und ungluͤckſee-
ligen Edelmann zu ſtellen/ welches ihm endlich durch
deß Printzen Fuͤrbitte verwilliget ward. Solchem
nach erhub ſich Klingenfeld mit ſeinem entbloͤſſeten
Degen in der Fauſt hernieder zu ihm/ und ſprach:
Carniolani, du haſt geſaget/ wer du biſt/ und wie du
zu dieſem ungluͤckſeeligen Stande gerathen/ wolan/
du muſt ſterben/ ſo nimm dann den Tod in einem
Kampff lieber von mir/ der ich ein Edelmann auß
Teutſchland/ und den freyen Kuͤnſten gleicher Geſtalt
nachziehe/ als von der Hand deß unterſten Juſtitz-
Knechts. Hiermit giengen ſie naͤher zu einander/ und
der Raͤuber reichete unſerm Teutſchen die Hand/ be-
danckete ſich auch der Wolthat/ die er ihm hierinn er-
zeigete/
[131]Romans I. Buch.
zeigete/ und darauf giengen ſie auf einander loß. Der
Hertzog/ und alle Anweſende/ verwunderten ſich zum
hoͤchſten uͤber dieſen Kampff/ und uͤber die hurtige
Geſchicklichkeit der Kaͤmpffenden/ in 8. Gaͤngen/ die
ſie mit einander hielten/ kunte keiner dem andern eine
einzige Wunde anbringen. Aber im folgenden Gang
glitſche der Raͤuber zur Seiten auß/ daß er zur Erden
ſanck/ Klingenfeld tratt damahl zuruͤck/ und ließ ihm
Zeit/ ſich wieder in Poſtur zu ſtellen/ welches dem Raͤu-
ber dermaſſen gefiel/ daß er ſprach: O du unbeſchreib-
liche Teutſche Hoͤflichkeit! warlich/ mein Freund/ die-
ſer Dienſt muß euch belohnet werden. Hierauf thaͤ-
ten ſie abermahl einen Gang/ in welchem der Raͤuber
einen Stoß in die Pulß-Ader bekam/ welche er vor
unheilbar achtete/ dannenhero warff er den Degen
von ſich/ und verlangete mit Klingenfeld allein zu
ſeyn. Solches ward ihnen gegoͤnnet/ und ein Logi-
ment angewieſen. Als ſie da hinein gekommen/ band
Carniolani ein Schnupfftuͤchlein um die Wunde/
und ſprach: Mein wertheſter Freund/ euch bekenne
ich in meiner Todes-Noth/ daß ich zu Padua von der
unzuͤchtigen Frauen/ eines gewiſſen gelehrten Mañs/
dergeſtalt zu allerhand uͤppigen Exceſſen bin verfuͤh-
ret worden/ daß ich capabel bin geweſen/ mich zu den
aͤrgſten Greuel-Stuͤcken zugebrauchen/ das Schlim-
meſte iſt/ daß ich all mein Geld darbey zugeſetzet/ daß
auch auß meinem Vatterland ich nichts mehr zuge-
warten gehabt/ und weil meine unzuͤchtige Buhlerin
endlich an einer hitzigen und anklebenden Kranckheit
geſtorben/ hat mich die Deſperation, weil ich kein Geld
und auch nichts gelernet hatte/ zu dem beruffenen
Venetianiſchen Banditen verleitet/ welche dieſer
Ends zu rauben und zu morden pflegen/ in dieſer
Compagnie habe ich ſchon 2. und 3. Monat zuge-
J 2bracht/
[132]Deß Academiſchen
bracht/ und in waͤhrender Zeit 283. Menſchen pluͤn-
dern helffen/ 23. Perſonen habe ich mit eigener Fauſt
erleget/ und 112. in Geſellſchafft meiner Cameraden
ermorden helffen. Unſer ſind in allem jedes mahl nur
12. geweſen/ und ihr muͤſſet wiſſen/ daß darvon 5. heu-
te umkommen ſind/ und daß mein Tod juſt die Helffte
der Zahl vermindert. Ein Jeder hat eine beſondere
Hoͤhle vor ſich und ſein Pferd/ und die ſind ſehr weit
von einander zerſtreuet/ auch wird ein Jeder/ der in
die Geſellſchafft aufgenommen wird/ zuforderſt mit
einem kraͤfftigen Eyd verbunden/ die Schlupffwin-
ckeln ſeiner Cameraden/ dafern er etwa in der Juſtitz
Haͤnde gerathen moͤchte/ keines Weges zu verrathen/
es iſt mir aber wol erlaubet/ euch meine eigene Hoͤhle
zu entdecken/ und weil ich einen ziemlichen Schatz
darinn aufgehoben/ ſetze ich euch zum einzigen Erben
deſſen ein/ es ſey dann/ daß der Hertzog dieſes Orts/
Krafft ſeiner hohen Authoritaͤt/ euch dieſe Beute di-
ſputiren moͤchte. Jch ſage euch aber/ daß ich euch mei-
nen Schatz vermache/ wegen deß letzten Dienſts/
den ihr mir gethan/ und meine Freunde/ die mir dar-
durch/ daß ſie mir kein Geld mehr ſenden wolten/ An-
laß gegeben/ mich zu dieſer verfluchten Lebens-Art zu
begeben/ ſind nicht werth/ daß ſie einen Pfenning dar-
von erlangen. Meine Hoͤhle iſt 200. Schritte von
dem Ort/ da der Kauffmann von uns angegriffen
worden/ gerade gegen der Sonnen-Aufgang/ an ei-
nem Huͤgel/ neben einem groſſen Eych-Baum/ der
mit 5. Staͤmmen zugleich auß der Wurtzel herfuͤr
bricht/ zimlich tieff in einem Dornbuſch/ alſo/ daß ei-
ner/ der davon nichts weiß/ den Eingang zu der Hoͤhle
nimmermehr finden wird.
Jndem er dieſes ſagte/ geſchwoll ihm der Arm
gar ſehr/ dannenhero muſte er das Tuͤchlein wieder
loß-
[133]Romans I. Buch.
loßmachen/ da dann das Blut haͤuffig herauß trang/
und alſo bath er/ man moͤchte ihm einen Beichtvatter
zuſenden/ dann er ward ſehr ſchwach. Kaum war der-
ſelbe auch angelanget/ als der Bube ſeinen Geiſt auf-
gab/ ehe er noch gebeichtet/ oder die Abſolution em-
pfangen hatte/ dann das Blut war ſamt dem Leben
auf einmahl herauß gefloſſen. Man ließ ihn zu dem
Ort bringen/ da die arme Suͤnder pflegen begraben
zu werden/ und der Hertzog war es zufrieden/ daß
Klingenfeld dieſes Raͤubers Guͤther erbete. Es ga-
ben aber die zwey Mit-Gefangene Nachricht/ daß
man ſich nicht lange aufhalten doͤrffte/ den Schatz
abzuholen/ ſonſten wuͤrden die andern Raͤuber bald
darhinter her ſeyn. Alſo ritte Klingenfeld noch den-
ſelben Abend mit 3. wolbewaffneten Leuten deß Her-
tzogs hinauß/ welche die angewieſene Hoͤhle/ nach ge-
gebener Anweiſung/ gar leichtlich funden. Klingen-
feld ließ die Pferde/ zuſamt einem Mann/ darvor
ſtehen/ er aber und die Zween andern giengen mit ei-
ner brennenden Fackel hinein/ und ſchloſſen die ſtarcke
Thuͤr auf/ zu welcher ihm der Schluͤſſel vom Raͤuber
war gegeben worden. Wie ſie hinein kamen/ funden
ſie die Hoͤhle ziemlich klein/ und hatte ſie von oben
herab/ durch den Felſen/ ein ziemliches Liecht/ ſie war
mit groſſer Muͤhe in einen klaren Felſen gehauen/ und
kunte man wol ſehen/ daß ſie in den naͤchſten hundert
Jahren nicht war angeleget worden.
Sie ſuchten tapffer nach/ und funden zween ziem-
lich ſtarcke Kaͤſten/ dariñ die Schluͤſſel ſtacken/ als ſie
den einen aufſchloſſen/ funden ſie denſelben mit aller-
hand koͤſtlichen ſo Mann-als Weibs-Kleidern/ auch
ſchoͤnen Stoffen/ mit ſeidenen und ſammeten/ etliche
mit guͤldenen Blumen durchwuͤrcket/ durchauß ange-
fuͤllet. Dieſe Sachen packeten ſie in 2. groſſe Paͤcke/
J 3und
[134]Deß Academiſchen
und trugen ſie herauß/ darnach eroͤffneten ſie auch den
andern Kaſten/ in welchem ſie 6. groſſe lederne Beu-
tel funden/ darvon 4. mit lauter Ducaten und andern
guͤldenen Pfenningen/ die andern 2. aber mit ſilber-
ner Muͤntze angefuͤllet waren. Es war die Zeit zu
kurtz/ alle dieſe Baarſchafften anjetzo zu zehlen/ dan-
nenhero ſetzten ſie die Beutel/ nachdem man ſie wie-
der zugebunden/ herauß/ und darauf erblickete Klin-
genfeld ein kleines Kuͤſtlein/ welches er aufthaͤte/ und
ſelbiges mit koͤſtlichen Ringen und allerhand Edel-
geſteinen angefuͤllet fand/ welches alles ihm uͤber die
Maſſen wol gefiel/ er nahm ſolches zu ſich/ und ließ
es nicht auß ſeinen Haͤnden kommen. Unterdeſſen
hoͤreten ſie Jemand zur Seiten ſchnauben/ welches
ſie allart machte/ ſie wandten ſich mit den Fackeln
darnach zu/ und funden eine Thuͤr/ dahero ſie in
Zweiffel ſtunden/ ob ſie ſelbige eroͤffnen ſolten/ oder
nicht. Endlich faſſete Klingenfeld ein Hertz/ und er-
oͤffnete die Thuͤr/ darinn er aber nichts anders fand/
als 2. ſchoͤne Pferde/ an einer ſteinernen Krippen/ an
der Wand hiengen 2. Sattel/ und was ſonſten mehr
darzu gehoͤrete/ weßwegen man die Pferde alſobald
zuruͤſtete/ und ſie nebſt allem gefundenen Guth her-
auß fuͤhrete/ weil auch auf genaues Nachſuchen nicht
das Allergeringſte mehr zu finden war/ giengen ſie
hinauß/ vertheileten die Beute auf die gefundene
und ihre andere Pferde/ und ritten Sporn-ſtreichs
ihres Weges wieder nach der Stadt/ welche ſie mit
dem ſpaͤthen Abend erreichten.
Man zeigete dem Hertzogen dieſen Schatz/ der
ſich deſſen hoͤchlich verwunderte/ und einen koͤſtlichen
Diamant unter den Steinen fand/ welcher wol ein
recht Fuͤrſtl. Stuͤck war/ dahero ſtund er ihm ſehr wol
an/ weil er aber unter lauter Raub-Guth war gefun-
den
[135]Romans I. Buch.
den worden/ begehrete er deſſen nicht/ ſondern Klin-
genfeld ward zum rechtmaͤſſigen Herꝛn dieſes Scha-
tzes erklaͤret/ welcher ſich deßfalls gar demuͤthig be-
danckete/ und ſeinen geweſenen Gefaͤhrten/ ſo ihm die
Beute hatten holen helffen/ einen von den ledernen
Beuteln mit Silber-Muͤntze angefuͤllet/ unter ſich zu
theilen/ verehrete/ daß alſo ein Jeder von den 3. Per-
ſonen 400. Reichs-Thaler bekam/ welches eine groſſe
Freude bey ihnen erweckete. Jn dem andern ledernen
Beutel/ waren 1600. Reichs-Thaler/ an allerhand
ſilbernen Muͤntz-Sorten/ und ein Jeder von denen
Gold-Beuteln faſſete 3000. Ducaten in ſich/ welches
eine Summa von 12000. Ducaten in ſpecie auß-
machte. Die Jubelen wurden hoͤher æſtimiret/ und
weil dieſelbe am leichteſten fortzubringen/ wolte er
keine Steine verkauffen/ ohnerachtet ſich gar bald
verſchiedene Jubilierer angaben.
Das XII. Capitul/
Bekaͤnntnuͤß und Hinrichtung der zwey uͤbrigen Raͤuber.
Huren-Liebe wird umſtaͤndlich mit ihren boͤſen Fruͤchten beſchrieben.
Die Teutſchen verachten den Stand und Orden der Hahnreyen mehr/
als die Frantzoſen.
DEnſelben Abend blieb der Printz de Turſis auf
dem Schloß/ und ward herꝛlich bewirthet/
aber Cavina und Klingenfeld verfuͤgeten ſich
wieder nach ihrer Herberge/ woſelbſt ſie ſich recht lu-
ſtig von der gefundenen Beute machten. Die zwey
koͤſtliche Pferde wurden von einem Cavallier fuͤr
300. Reichs-Thaler mit Sattel und Zeug bezahlet.
Am folgenden Morgen verfuͤgeten ſich dieſe zween
Gefaͤhrten wieder auf das Schloß/ da man die zwey
gefangene Raͤuber examinirte/ welche bekenneten/
daß ſie verarmte Edelleute auß dem Venetianiſchen
Gebieth waͤren/ die auß groſſem Mangel ſich unter
J 4dieſe
[136]Deß Academiſchen
dieſe Raͤuber-Zunfft vor einem halben Jahr begeben
haͤtten. Sie erzehleten/ daß man in ihren Hoͤhlen/
welche ſie bezeichneten/ gar wenig finden wuͤrde/ in-
maſſen ſie/ ſo bald ſie einige Baarſchafften erbeutet/
ſolche alſobald den Jhrigen zugefuͤhret haͤtten/ um/
darvon zu leben. Jhr Fuͤhrer waͤre ein Obriſt-Lieu-
tenant auß Friaul, der von dem Eſtaat zu Venedig vor
einigen Jahren disgouſtirt worden. Jm uͤbrigen
haͤtten ſie allemahl an Lebens-Mitteln und Pferd-
Futter von einem nahe bey dem Ende deß Walds be-
legenen Dorff in der Nacht an einem gewiſſen Ort
ihre Zufuhr vor baares Geld uͤberkommen/ dann ſie
haͤtten einsmahls einen Bauren in die Klauen be-
kommen/ welcher mit dieſem Beding ſein Leben erhal-
ten/ daß er/ nach gethanem leiblichen Eyd/ mit ſotha-
ner Zufuhr ihnen fuͤr doppelte Bezahlung jedes mahl
an die Hand gehen ſolte/ welchem er auch bißhero/
und ſchon eine gute Zeit vor ihrer Ankunfft in dieſe
Geſellſchafft/ getreulich nachgelebet haͤtte. Was den
Obriſt Lieutenant belanget/ wolle derſelbe nur noch
ein halb Jahr auf Beute gehen/ und ſich alsdann
mit ſeinem Schatz in ein fremdes Gebieth begeben/
mit welchem ſich Carniolani auch ſchon verabredet
haͤtte/ ihm zu folgen/ der aber vor der Zeit ſein Ende
genommen. Die Ubrigen alle wolten dem Handel
gleicher Geſtalt nur ſo lang abwarten/ biß ſie ein gut
Stuͤck Geldes gemacht daß ſie leben koͤnten/ alsdann
wolten ſie auch ihres Weges gehen/ und das Rauben
quittiren. Sie zween Gefangene wuͤrden alsdann
vor ſich ſelber/ und allein/ nichts ſonderliches mehr ha-
ben außrichten koͤnnen.
Auf dieſe gethane Bekaͤnntnuͤß/ welche ſie mit
hohen Fluͤchen und Eydſchwuͤren bekraͤfftigten/ wur-
den ſie gekoͤpffet/ geviertheilet/ und ihre Leibes-Theile
an
[137]Romans I. Buch.
an die Land-Straſſen um die Stadt aufgehaͤnget.
Solches aber geſchahe hernach allererſt/ als unſere
fremde Geſellſchafft dieſen Ort ſchon wieder verlaſ-
ſen hatte. Jm uͤbrigen muſten Klingenfeld und Cavi-
na an bemeltem Morgen wieder zum Hertzogen kom-
men mit welchem ſie am Mittag zur Mahlzeit gien-
gen/ da ſie dann von dem Carniolani zu reden kamen/
und es bejammerten/ daß ein ſo geſchickter und an-
ſehnlicher Edelmann durch ein unzuͤchtiges Weib/
und durch bloſſe Huren-Liebe zu ſolchem Elend ver-
fuͤhret worden. Freylich iſt es zu bejammern/ ſprach
Klingenfeld/ wann ein ſolch edles Gemuͤth durch das
verfuͤhreriſche Frauenzim̃er in das Liebes-Netze faͤllet/
dann auß einer ungebuͤhrlichen Liebe kan nimmer
nichts Gutes folgen/ und beſchreibet ſolche ein gelehr-
ter Breßlauer gar wol/ wann er ſie in ſeinem Ge-
ſchichts-Herold gleichſam alſo anredet: Du biſt/
O Tugend-Moͤrderin das neulich-erfundene Hoͤllen-
Feuer/ von welchem ein einziger Tropff/ wann es ei-
nen bewaffneten Menſchen beruͤhret/ biß auf das
Marck hin brennet/ Stein und Stahl auffriſſet/ und
faſt nie zu loͤſchen iſt. Du biſt/ O Zauberin/ das anmu-
thig-liebliche Frauen-Bild/ deſſen aͤuſſerliche Wun-
der-Geſtalt die Schoͤnheit ſelber beloben muß; Die
du doch/ wann du uns deinen hulden Kuß und Gruß
anbeuteſt/ unterdeſſen erbaͤrmlich umbringeſt. Dan-
nenhero wil ein Jedweder faſt dahin ſinnen/ wie er
dich mit einem neuen Ehren-Titul beſchencken moͤge.
Die Liebe iſt/ welche billig von dem H. Hieronymo ein
Aberwitz/ vom klugen Petrarcha eine angenehme
Wunden/ ein liebliches Gifft/ eine ſuͤſſe Bitterkeit/
eine froͤliche Marterung/ ein ſanffter Tod benennet
worden. Die Liebe iſt/ ſo der gelehrte Drexeliꝰ in ſeinen
ſchoͤnen Buͤchern/ bald einen Donnerſchlag/ von dem
J 5Teufel
[138]Deß Academiſchen
Teufel auß der Hoͤllen gebracht/ bald eine Feindin
GOttes und anmuthiges Schauſpiel deß Teufels/
bald ein halßſtarriges und unheilbares Laſter/ bald
ein Ubel/ das die gantze Welt zerſtoͤret/ benamet. So
wird ſie von andern eine Meuchel-Moͤrderin deß
Hertzens/ ein freywilliger Tod/ ein Verhaͤngnuͤß ſon-
der Nothwendigkeit/ das gifftigſte Gifft/ ein Wurm-
ſtich der Tugend/ die Unvernunfft der Weiſen/ ein
Witz der Thoren/ eine angenehme Noth/ ein eigen-
williger Untergang/ ein Hencker der Gewiſſen/ eine
kindiſche Unbedachtſamkeit/ welche die Fruͤchte der
Baͤume beſiehet/ und nicht derſelben Hoͤhe zuvor ab-
miſſet/ die zu aller Gefahr ihre Augen zuſchleuſſt/ oder
vielmehr keine hat/ weil ſie nur ihren Willen zu erſaͤt-
tigen/ nicht aber zuvor ihren wenigen Nachdruck/ be-
dencket/ recht artlich begruͤſſet. Die Poeten neñen ſie:
Ein
[139]Romans I. Buch.
Es ſaſſe ein anſehnlicher Frantzoͤſiſ. Cavallier mit bey
der Tafel/ welcher viel von den Laſtern eines jeden
Landes zu ſagen wuſte. Dieſer behauptete/ daß er
nicht begreiffen koͤnte/ wann man ſagte/ daß es un-
recht waͤre/ daß ein Mann bey deß andern ſeiner
Frauen ſchlieff/ inmaſſen der Hahnrey-Orden heut
zu Tage in aller Welt/ fuͤrnemlich aber in Jtalien
und Franckreich ſo groß angewachſen/ daß man einen
auß| achete/ wann er ſich deß Gegentheils ruͤhmete/
daß er nemlich allein bey ſeiner Frauen ſchlaffe.
Klingenfeld ſchuͤttelte anjetzo den Kopff/ und ſagte:
Es iſt ſchlimm gnug/ daß in Jtalien und Franckreich die Ehe-
brecheriſche Haͤndel nicht anders/ als eine Galanterie, angeſehen/
und demnach ſelten geſtraffet werden/ wie ſolches ihre Juriſten/
Johannes Faber, und andere mehr/ zur Gnuͤge bezeugen/ und
meldet der Frantzoſen fuͤrnehmſter Scribent, daß/ als im Jahr
1563. einer/ Namens Landa Molinus, wegen eines begangenen
und uͤberzeugten Ehebruchs zum Tod verurtheilet worden/ habe
man es gar uͤbel auf genommen/ und ſich vernehmen laſſen/ man
wuͤrde ſich allein dieſer Urſachen halben mit den Proteſtanten
niemahls vereinigen/ weil ſie den bißhero in ſelbigem Land unge-
ſtrafften Ehebruch nunmehro mit Todes-Straffe zu belegen
anfiengen. Ja/ die Frantzoſen/ wie wir alleweil gehoͤret/ wiſſen
uns Teutſchen darmit gar empfindlich auf zu ziehen/ daß/ da ſie
nur in einer Mahlzeit ſchwerlich mit einerley Wein oder Bier in
ihrem Durſt zu erſaͤttigen waͤren/ ſie gleichwol ihre gantze Lebens-
Zeit mit einer alleinigen Weibes-Perſon/ die doch in ihrem Ge-
ſicht und ſchlimmen Verhalten manchmahls ein greulich Feg-
Feuer vorſtellete/ ſo geſchmeidig zubringen koͤnten/ wiewol die
Teutſchen dieſen Vorwurff/ als welcher ohne dem trefflich nach
der Frantzoſen Leichtfertigkeit riechet/ ſo groß nicht zu achten ha-
ben/ und ſich gar gern fuͤr unzeitige Eyfer-Boͤcke/ die ihrem
Frauenzimmer ſo wenig Freyheit verflatteten/ halten laſſen
koͤñen/ in Erwegung es allerdings beſſer iſt/ daß ihnen dieſes ohne
Schaden vorgeruͤcket werde/ als daß ſie etwa die zur Unzeit zu-
gelaſſene
[140]Deß Academiſchen
gelaſſene Freyheit/ maſſen bey den Frantzoſen taͤglich geſchiehet/
bernach zn ſpaͤte beſeuffzen muͤſſen/ und ſcheinet es/ daß von die-
ſer Nation alle Hahnreyen in der gantzen Welt/ gleich wie von
dem Adam alle Menſchen/ herftam̃en/ angeſehen in Franckreich
ein Jeder/ der die Hoͤrner nur zu verguͤlden weiß/ aller Orten
ſichern Paß finden/ ja wol gar darzu ein Kuͤſſen unter die Arme
bekommen/ und bierbey der barmhertzige Wirth einen Corne-
lium Tacitum agiren wird; Wie mir dann erzehlet worden/ daß
ein fuͤrnehmer Parlaments-Herꝛ zu Pariß/ ſo der Zeit noch un-
verheurathet geweſen/ ohnlaͤngſt ſich vernehmen laſſen/ im Fall
er mit ſeiner zukuͤnfftigen Liebſten nur ſo und ſo viel tauſend er-
beyrathen wuͤrde/ wolte er gern in die groſſe Bruͤderſchafft der
Hahnreyen ſich einſchreiben laſſen; Ja/ er wolte die Hoͤrner
ſelbſt verguͤlden/ und fuͤr deren Erhaltung taͤglich etliche Ave
Maria betten; Das laſſe mir gutwillige Cavalliers ſeyn/ und
Ritter von der groſſen barmhertzigen Bruͤderſchafft/ welche mit
den Federn vom S. Lucas-Vogel ſo trefflich zu prangen wiſſen.
Daß alſo jener Teutſche ſich wol geloͤſet/ wann er in einer fuͤr-
nehmen Geſellſchafft zu Pariß/ da ihm der Teutſchen Unmaͤſſig-
keit im Trincken empfindlich gnug vorgeruckt worden/ denen an-
weſenden Frantz-Maͤnnern/ die ihrer Nation anklebende unkeu-
ſche Leichtfertigkeit entgegen geſetzet/ er ſaget unter andern alſo:
Die Poeten fabuliren/ es haben den Jaͤger Actæon ſeine
eigene Hunde zerriſſen/ als er die Goͤttin Diana einsmahls na-
ckend geſehen/ welche ihme zur Straffe deßwegen ein paar Hoͤr-
ner aufgeſetzet. Wann man mich fragen ſolte/ wo dieſe Hoͤrner
nachgehends hinkommen/ da ſonſt alles biß auf Haut/ Bein und
Knochen/ von den Hunden verzehret worden/ wuͤrde ich vielleicht
nicht unrecht antworten/ daß ſie nach Pariß verehret worden.
Dieſes muthmaſſe ich dahero/ weil ich ſehe/ daß es ſo gefaͤhrlich
iſt/ ſich bey euch zu verheurathen/ und haͤtte ich Sorge/ wann
mir der Prieſter in Franckreich eine an die Hand gaͤbe/ es wur-
den mir die Worte auß dem 5. Buch Moſe am 28. Cap. ge-
waltig in die Ohren ſchallen: Ein Weib wirſt du dir vertrauen
laſſen/ aber ein anderer wird bey ihr ſchlaffen. Oder muͤſte mich
reſolviren/ mit eurem gewoͤhnlichen Troſt und Zuſpruch/ den
ihr euch unter einander gebet/ auch zu vergnuͤgen/ und zu geden-
cken/ wer kein Hahnrey ſeyn wolle/ der muͤſſe ſich nicht verheu-
rathen/ gerade/ als wann kein Verheurather ohne Hoͤrner ſeyn
koͤnne/ welches ihr dann beſtaͤndig glaubet/ indem ihr ſinget?
Nam-
[141]Romans I. Buch.
Und dann ferner in dieſen Verſen bezeuget:
Doch iſt es ein ſchlechter Glaube/ und kom̃t mir ſolcher vor/ wie
Printz Moritzen Antwort/ als der von dem Herꝛn von Barne-
feld nach Ubergab deß fuͤrtrefflichen See-Hafens und Veftung
Oſtende gefraget ward: Warum bauet man doch ſo gewaltige
Veſtungen/ da man ſie doch dem Feind uͤbergeben muß? Das
gemahnet mich/ ſagte der Printz/ als wann man mich fragete:
Warum verheurathet man ſich/ da man hernach zum Hahnrey
wird? Doch koͤnte man die Frantzoͤſiſche Nation noch etwa ent-
ſchuldigen/ und ſagen/ daß ſie der Urſachen halben ſo gute Leute
waͤren/ und denen Platz-und Statthaltern bey ihren Weibern
zuweilen auch etwas goͤnneten/ darmit es dem gemeinen Weſen
zum Beſten kaͤme/ welchem dergeſtalt mit Verſchaffung vieler
Unterthanen aufgeholffen wuͤrde. Und dieſer Meynung wa-
ren die ſonſt klugen Athenienſer/ dann/ wann bey ihnen ein Ehe-
mann deß andern fruchtbares Weib zu dem Ende begehrete/
daß er ſie ſchwaͤngern wollen/ iſt ſie ihm unverſager gefolget
worden. Wer deß Luftes/ Kinder zu erzeugen/ erſaͤttiget gewe-
ſen/ der hat einen andern/ ſeine Stelle zu vertretten/ moͤgen an-
ſprechen/ dann ſie darfuͤr gehalten/ daß die Kinder nicht den El-
tern/ ſondern dem gemeinen Vatterland zum Nutz und Beften
gebohren/ und koͤnten ohne Leute die Laͤnder und Staͤdte nicht ge-
ſchuͤtzet/ noch erhalten werden/ wie bey dem Plutarcho in dem Le-
ben deß Lycurgi zu leſen. Und hierauf zielete jener kluge Phi-
loſophus, der da wolte/ daß in einem vollkommenen Reich alle
Weiber gemein ſeyn muͤſten. Auch moͤchte man etwa ſagen/ daß
ihr Frantzoſen es darum geſchehen lieſſet/ damit alle Welt von
euch ſagen muͤſſe/ daß ihr nicht auß Geilbeit/ ſondern auß Luſt
zur Kinder Zucht/ euch verbeurathet/ welches vormahls der Koͤ-
nig von Calichut auß eben der Urſache thate/ maſſen dieſer nicht
ehe bey ſeiner Gemahlin ſchlieff/ es haͤtte dann der fuͤrnehmſte
Prieſter ihre Jungferſchafft zuvor credentzet/ wie dann dieſer
Gebrauch noch heutiges Tages vielen Nationen gemein/ folg-
lich
[142]Deß Academiſchen
lich nicht wider das ſo genannte Voͤlcker-Recht iſt. Jn Litthauen
hielten ehedeſſen die Weiber unterſchiedene junge Leute/ welche
ſie Matrimoniorum Adjutores, oder Gehuͤlffen deß Eheſtandes/
zu nennen pflegeten. Evenus, Koͤnig in Schottland/ hatte ein
Geſetz gegeben/ worinnen einem jeden Amtmann erlaubet war/
denen Braͤuten ſeines Amts Bezircks die ſchwere Buͤrde der
Jungferſchafft abzunehmen. So haben auch die Dom Herren
zu Leyden hiebevor das Recht gehabt/ die erſte Nacht bey ihrer
Unterthanen Vertrauten zu ſchlaffen/ und dieſes Recht haben
ſie Jus Luxandæ Coxæ oder Cunnagii geheiffen.
Weilen dann die Frantzoſen in dieſer heruͤhmten Voͤlcker
Fußſtapffen tretten/ ſo moͤchte darauß erſcheinen/ daß ſie recht-
guthertzige Leute/ welche verſtehen/ was Galanterie ſey/ die Teut-
ſchen aber Hirn ſchellige und murriſche Ehegatten waͤren/ ſo
ihre Eheliche Liebe mit dem Eſſig der Eyferſucht allezeit zu ver-
ſauren pflegeten/ auch ihre Weiber nicht conſideriren/ als Mit-
Gehuͤlffinnen und Mit-Herꝛſcherinnen im Haußhalten/ ſondern
als etwa von dem Feind erbeutete Sclavinnen/ ſo ihren Maͤn-
nern von einem jeden Augenblick Rechenſchafft geben muͤſten.
Ja/ es erforderten die Teutſchen von ihren Weibern das Jenige/
ſo die Allermaͤchtigſten Koͤnige und Tyrannen von ihren Ge-
mahlinnen nicht erhalten moͤchten/ nemlich/ daß ſelbige fuͤr ſie
allein ſeyn ſolten/ welches ſelten zu geſchehen pfleget/ wie auß de-
nen Exempeln der Olympias und Philippi, der Cleopatra und
Ptolemæi, der Clitemneſtra und Agamemnons/ der Helenen
und Menelai, der Paſiphaë und Minos, der Phedte und Theſeus,
auch vieler andern/ zu ſehen. Ja/ es haben die Goͤtter ſelbſt ein-
ander Hoͤrner auf geſetzet/ wie der Mars dem Vulcano gethan.
Dem ſey aber/ wie ihm wolle/ ſo wird angefuͤhrter Urſachen kei-
ne die Teutſchen leicht zu einer Nachfolge in der Galanterie be-
wegen koͤnnen/ ſondern ſie werden die Cocu, oder Guckguck/ wie
ihr die Hahnreyen zu nennen pfleget/ gerne bey euch in Franck-
reich laſſen/ maſſen ſie kein Belieben zu dieſem Vogel haben/ als
welcher in anderer Voͤgel Neſter ſeine Eyer zu legen pfleget; Zu
deme erndten die Teutſchen nicht gerne/ wo ſie nicht geſaͤet ha-
ben/ wie jener Poet dem Ligurino vorwirfft:
Befuͤrchten auch/ wann ſie ſich zu euer ſo genannten Galanterie
gewoͤhnen wolten/ eine andere euch nicht ungemeine Galanterie
Jener auf dem Fuß folgen duͤrffte/ ſo man auf Teutſch die
Frantzoſen
[143]Romans I. Buch.
Frantzoſen nennet/ iſt eine biß anher in Teutſchland/ GOtt Lob/
noch ziemlich unbekandte Kranckheit/ deren ſich doch denen all-
taͤglichen Exempeln nach/ auch hohe Fuͤrſtliche und andere fuͤr-
nehme Standes-Perſonen bey euch nicht erwoͤhren koͤnnen/ und
iſt damit A. 1495. vor Neapoli das erſte mahl euer Lecker beſtraf-
fet worden/ ſo/ daß ein einziger Medicus, Namens Capicaccius,
ſolche zu curiren/ uͤber 18000. Kronen gewonnen. Damit ich
aber noch etwas von denen Hornwercken der Cornigerorum
und Hoͤrner-Traͤger gedencke/ ſo belieben die Anweſende zu ver-
nehmen/ daß alles das Jenige/ ſo ich jemahls von den Horn-
Traͤgern geleſen/ auf dreyerley Art Leute koͤnne gezogen werden/
und finde ich in allen Hiſtorien/ ſo ich durch blaͤttert/ daß dreyer-
ley Hoͤrner darinnen gedacht werden: Erſtlich/ iſt das Natuͤr-
liche/ dann das Geiſtliche/ zuletzt das Figuͤrliche und Angedichte-
te Horn/ worvon allhier die Frage am meiſten iſt. Was das erſte
Horn anbelanget/ ſo iſt bekandt/ daß zuweilen Leute mit Hoͤrnern
angebohren worden/ unter andern gedencket Schottus in ſeiner
Phyſica Curioſa, l. 5. q. 6. pag. 672. daß im Jahr 1233. zu Rath-
ſtadt auf den Alt-Gebuͤrgen ein Knab mit Hoͤrnern ſey geboh-
ren worden. Der Edle Hiſtorienſchreiber Thuanus meldet/ daß
im Jahr 1599. zu dem Koͤnig ſey gefuͤhret worden/ ein gehoͤrne-
ter Menſch/ Namens Franciſcus Troviluvius, welcher/ weil er
befahrete/ man moͤchte ihn ſeiner ungewoͤhnlichen und ſichtba-
ren Hoͤrner halber unter die Mißgebuhrten zehlen/ ſein Dorff
verlaſſen/ und ſich in die Waͤlder retiriret hatte/ worinnen der
arme Tropff doch endlich gefangen/ und aller Orten zur Schau
umgefuͤhret worden. Deß Geiſtlichen Horns wird in der Bibel
zum oͤfftern gedacht/ als im 18. und 112. auch andern Pſalmen
mehr/ im 1. B. Sam. am 2. Cap. und ſonſt hin und wieder. End-
lich ſind die Figuͤrliche und angedichtete. Hoͤrner/ welche meh-
rentheils in dem Wahn beſtehen/ und denen/ ſo darmit behafftet/
nur Anfangs im Wachſen die meiſten Schmertzen zu verur-
ſachen pflegen/ gleichwie etwa denen Kindern wiederfaͤhret/
wann ſie Zaͤhne hecken/ welcher Schmertz ſich nach gehends doch
verlieret. Dieſes ſolte einen wol Wunder nehmen/ auß was Ur-
ſachen man nicht vielmehr den Jenigen/ ſo dem andern im Gar-
ten graſet/ Cocu zu nennen pfleget/ als den unſchuldigen Patien-
ten/ maſſen es auf dieſe Art mit der Natur deß Vogels/ ſo/ wie
gedacht/ dem andern in das Neſt leget/ beſſer uͤberein kaͤme/ dan-
nenhero ich in Gedancken ſtehe/ daß diß Wort nicht von dem
Namen dieſes Vogels/ ſondern vielmehr von dem Wort Kucku,
oder
[144]Deß Academiſchen
oder Coucou, herkomme/ womit man die Einfaͤltigen/ auch die/
denen etwa ein Haſen-Fuchs-oder Laͤmmer-Schwantz/ oder
auch wol Schelien und Hoͤrner angehenckt worden/ außzu-
lachen pfleget/ wie dann auch der beruͤhmte Scaliger in dieſer
Meynung ſtehet. Das Lateiniſche Wort Cornutus ſoll/ wie Be-
ſoldus wil/ ſo viel ſeyn/ als Corde nudus, daß er dieſe Schande
leyde. Das Teutſche Wort Hahnrey/ oder Hahn-Rehe/ aber
leitet Herꝛ Harsdoͤrffer her von dem Wort/ Hahn und Rehe/
welches Letztere ſo viel geſagt ſeyn ſoll/ als alt/ deßwegen von den
Pferden/ ſo unvermoͤglich ſind/ und ihre Schuldigkeit nicht
mehr verrichten koͤnnen/ geſagt wird/ daß ſte zu Reh geritten
ſeyen/ waͤre alſo/ ſeiner Meynung nach/ einen zum Hahnreyh
machen/ ſo viel/ als bey eines andern Weib erweiſen/ daß deren
Mann ein alter und reher Hahn ſey/ und daß er die Gebuͤhr/ fuͤr
ihn bezahle. Daß aber deß Weibes Schande ihrem Mann/ der
zumahl hiervon nichts weiß/ unnachtheilig ſeyn muͤſſe beweiſen
viele Rechts-Gelehrten/ und ſcheinet/ daß auß der Urſache ſich
ein groſſer Koͤnig ſelbſten ohne Scheu einen Koͤnig der Hahn-
Reyhen/ (der Name lautet ſo gut/ und wol beſſer/ als Rex Aſi-
norum,) genennet habe/ wie euch dann allen wol wiffend iſt/ dero-
wegen ihr auch nicht unrecht einen Spruch habt: Quelle ſatiſſe
de Croire, que l’honneur d’un homme depend du devant de ſa
Femme. Jſt wol und ſo viel geſagt: Es ſey eine groſſe Thorheit/
zu glauben/ daß deß Mannes Ehre an dem Vordertheil ſeines
Weibes hange. Solte aber einen Ehemann ſeines Weibes Ver-
halten ſchmertzen/ ſo hat er 3. Wege/ welche der Petrarcha zeiget/
entweder er ſchweige ſtill/ gehe darvon/ oder raͤche. Das Erſte
ſcheinet zu gelind/ und ſchimpfflich/ das Letzte zu rauh und un-
Chriſtlich/ das Mittlere aber zielet auf das Kloſter Leben/ wel-
ches Recept doch denen wenigſten zu ſchmecken pfleget. Und alſo
hat dieſer Teutſche/ dem ſeinen Lands Leuten zum Vorwurff
aufgefuͤhrten Sauff-Gott Bacho, die leichtfertige Goͤttin Ve-
nus, ihren/ ſo zu ſagen/ Leib-eigenen Clienten/ denen unzuͤchti-
gen Frantzoſen zu nicht geringerer Empfindlichkeit/ herb/ derb
und artlich gnug entgegen geſtellet.
Jch habe zwar mir noch niemahls gefallen laſſen/ daß/
wann ein oder anderer wunderlicher Kautz/ ſich in dieſem oder
jenem Laſter hiebevorn etwa beruͤhme gemacht/ man ſolches
flugs gantzen Nationen/ Laͤndern/ Provintzien und Staͤdten/ zu
ihrer Beſchimpffung auf gebuͤrdet und angeklebet hat/ es ver-
dreuſſt mich auch rechtſchaffen/ daß/ wann die Spanier mit ih-
rem
[145]Romans I. Buch.
rem Stehlen/ die Jtaliaͤner mit ihrer Rach gier/ die Frantzoſen
mit ihrer Unzucht/ und andere mit noch etwas aͤrgers aufgezo-
gen werden/ wir Teutſchen allemahl mit unſerm Sauffen her-
halten muͤſſen/ gleich/ als ſchoneten die andern Voͤlcker das lieb-
liche Gewaͤchs deß Edlen Weinſtocks ſo ſehr/ da ſie ſich doch eben
wol darinnen mehrmahls tapffer/ und noch aͤrger beſauffen/ als
ein Teutſchmann immer thun mag. Jener klug-und Grund-
gelehrte Schulmann hat hierauf ein artiges Sonnet geſtellet/
welches alſo lautet:
Jedoch bin ich der Meynung/ daß/ wann eine Nation in der
Welt deß Laſters der Unkeuſchheit mit Fug zu beſchuldigen iſt/
ſo ſeyn es in Warheit die hitzigen Frantzoſen.
Das XIII. Capitul/
Seltzames Exempel einer Dirnen/ die durch unzuͤchtiges
Beyſchlaffen von der Peſt befreyet worden. Regiſter der Academien in
Europa/ und von wem ſie geſtifftet worden. Solennia, ſo bey Introdu-
ction der Schoniſchen Univerſitaͤt zu Lunden vorgegangen.
DEr Hertzog von Mantua hatte unſerm Klin-
genfeld bißhero mit ſonderbarer Andacht zu-
gehoͤret/ und da derſelbe anjetzo ſeinen Diſcurs
vollendet hatte/ ſprach der Jeſuit/ ſo auch mit an der
Tafel ſaſſe/ daß ſolche Leute/ die in ungebuͤhrlicher
Liebe und all zu groſſer Geilheit lebeten/ gemeiniglich
die Frantzoͤſiſche Kranckheit zu Lohn bekaͤmen; Aber
Klingenfeld lachete/ und ſprach: Mein Herꝛ/ ich kan
euch verſichern/ daß eine Dienſt-Magd in Holland
Kdurch
[146]Deß Academiſchen
durch unordentliche Liebes-Beywohnung von der
Peſt curiret worden/ iſt alſo eine ſothane Beywoh-
nung der Menſchen nicht allemahl dem Leibe ſchaͤd-
lich. Als aber ein Jeder ſich hieruͤber verwunderte/
und ein mehrers hiervon zu wiſſen verlangete/ ſprach
der Teutſche Cavallier alſo: Anno 1636. hat eine
Dirne in den vereinigten Niederlanden ſich von der
damahlen graſſirenden Peſt angeſtecket befunden/
und an 3. Orten deß Leibes die gifftige Druͤſen geſe-
hen/ deſſen ohngeachtet/ hat ſie doch mit ihrem Buh-
len in dem Garten/ dahin man ſie gebracht hatte/ alle
Nacht in Unzucht gelebet/ darauf ſie endlich wieder
geneſen/ und dem Geſellen doch keinen Schaden zu-
gefuͤget hat. Hieruͤber hat Vincentius Fabricius, ein
ſchoͤnes Carmen verfertiget an den gelehrten Clau-
dium Salmaſium, welches A. 1636. zu Hamburg auf
Koſten Tobiœ Gundermanns in Jacob Rebenleins
Druckerey herauß gegeben worden. Dieſe Verſe ſo
wol/ als der Caſus, ſo dardurch bedeutet worden/ ſind
rar, deßwegen habe ich ſie angemercket/ und lauten
ſie alſo:
Exceſſere
[147]Romans I. Buch.
K 2Illudant
[148]Deß Academiſchen
Com-
[149]Romans I. Buch.
K 3Credi-
[150]Deß Academiſchen
So
[151]Romans I. Buch.
So viel ich vernehme/ ſprach der Hertzog anjetzo
zu Klingenfeld/ hat der Herꝛ gute Wiſſenſchafften
um die Academien/ dannenhero werdet ihr Uns einen
groſſen Gefallen erzeigen/ wann ihr Uns erzehlet/ wie
viel Academien man in Teutſchland/ und auſſerhalb
deſſen/ zehlet/ von welchem Herꝛn dieſelbe/ und wann
ſie fundiret worden/ auch was fuͤr Diſciplinen man
darauf tractiret. Klingenfeld neigete ſich gar tieff/
und ſprach: Gnaͤdigſter Herꝛ/ ob mir gleich alle Na-
men der Academiſchen Oerter bekandt/ ſo ſind mir
doch ihre Stiffter nicht allerdings wiſſend/ was im
uͤbrigen die Teutſche Academien belanget/ ſind ſolche
nachfolgende:
Academien in Teutſchland.
- 1. TRier an der Moſel/ derer Stifftung nicht allerdings be-
kandt. - 2. Wien in Oeſterreich/ vom Kaͤyſer Friderico II. geſtifftet An-
no 1237. und vom Hertzog Alberto III. A. 1356. erneuert. - 3. Heydelberg am Necker/ von Ruperto II. Pfaltzgrafen/ A. 1346.
- 4. Prag in Boͤhmen/ von Kaͤyſer Carolo IV. A. 1357.
- 5. Coͤlln am Rhein/ A. 1388.
- 6. Erffurt in Thuͤringen/ A. 1392.
- 7. Wuͤrtzburg in Francken/ A. 1403.
- 8. Leipzig in Meiſſen/ A. 1409. (1408.) von Friderico I. Chur-
Fuͤrſten zn Sachſen. - 9. Roſtock/ im Hertzogthum Mecklenburg/ von Johann und Al-
brechten/ Hertzogen/ und dem Rath zu Roſtock/ A. 1415. - 10. Loͤven in Braband/ A. 1426.
- 11. Freyburg in Brißgow/ von Alberto VII. Ertz-Hertzog in
Oeſterreich/ A. 1450. - 12. Grypswald in Pommern/ A. 1457. von Wratislao IX. Her-
tzog in Pommern. - 13. Baſel am Rhein/ A. 1460.
- 14. Jngolſtadt in Baͤyern/ A. 1459. von Hertzog Georg dem
Reichen. - 15. Tuͤbingen/ im Hertzogthum Wuͤrtenberg/ A. 1477. von
Hertzog Eberbard dem Baͤrthigten. - 16. Maͤyntz am Rhein/ A. 1482.
K 417. Witten-
[152]Deß Academiſchen
- 17. Wittenberg in Sachſen/ von Chur-Fuͤrſt Friderico III. An-
no 1502. - 18. Franckfurt an der Oder/ A. 1506. durch Joachim I. Chur-
Fuͤrſt zu Brandenburg. - 19. Marpurg in Heſſen/ A. 1526. von Land-Graf Philippo.
- 20. Straßburg im Elſaß/ A. 1538.
- 21. Koͤnigsberg in Preuſſen/ A. 1544. von Marggraf Albrecht zu
Brandenburg. - 22. Jena in Thuͤringen/ von Joh. Friderico, Chur-Fuͤrſten zu
Sachſen/ 1549. - 23. Dillingen in Schwaben/ 1549.
- 24. Leyden in Holland/ 1575.
- 25. Helmſtaͤdt in Braunſchweig/ 1576. von Hertzog Julio.
- 26. Altdorff im Nuͤrnbergiſchen Gebiet/ 1575.
- 27. Franecker in Frießland/ 1586.
- 28. Gieſſen in Heſſen/ 1607. von Land-Graf Ludwigen.
- 29. Groͤningen in Frießland/ 1614.
- 30. Rinteln/ in der Grafſchafft Schaumburg/ 1621.
- 31. Utrecht/ 1634.
- 32. Bamberg in Francken/ 1641.
- 33. Kiel in Holflein/ von Hertzog Chriſtian Albrecht/ 1665.
- 34. Illuſtre Gymnaſium Chriſtian-Erneſtium, von Herꝛn Marg-
grafen Chriſtian Ernflen zu Bayreuth in Francken/ 1664. - 35. Gymnaſium zu Weiſſenfelß/ von Hertzog Auguſto zu Hall/
A. 1666.
Auſſer Teutſchland ſind die beruͤhm-
teſten Univerſitaͤten.
- 1. BOnonien in Jtallen/ A. 424. von Theodoſio II.
- 2. Pariß in Franckreich/ von Carolo M. A. 791.
- 3. Thoulouſe in Franckreich/
- 4. Papia in Jtalien/
- 5. Conimoria in Portugall/ A. 712. von Johanne III. Koͤnig in
Portugall. - 6. Oxfort in Engelland/ A. 872. von Alvredo, Koͤnig in Sachſen.
- 7. Salmantica in Spanien/ 1239.
- 8. Cantabrig in Engelland/ 1271.
- 9. Orleans in Franckreich/ von Koͤnig Philipp dem Schoͤnen/
A. 1312. - 10. Angiers in Franckreich/ von Ludwig/ Koͤnig in Sicilien/ und
Hertzog zu Angiers, 1348.
11. Cracau/
[153]Romans I. Buch.
- 11. Cracau/ 1364. von Koͤnig Caſimir in Pohlen.
- 12. Mompellier in Franckreich.
- 13. S. Andreæ in Schottland/ 1411.
- 14. Padua in Jtalien/ A. 1222.
- 15. Taraco in Spanien/ 1572.
- 16. Piſa, vom Hertzog zu Florentz/ Coſmo. 1543.
- 17. Upſal in Schweden/ 1540.
- 18. Coppenhagen (Hafnia,) in Daͤnnemarck/ von Koͤnig Chri-
ſtiano I. 1479. - 19. Lunden in Schonen/ 1668. von dem jetzigen Koͤnig Carolo in
Schweden.
Auf denen Univerſitaͤten findet man die Facultaͤten:
- 1. Der hohen Facultaͤten ſind drey:
- 1. Theologia,
- 2. Jurisprudentia,
- 3. Medicina,
- 2. Die untere Facultaͤt iſt die Philoſophiſche/ darinnen werden
Magiſtri creiret. - 3. Zur Philoſophie gehoͤren:
- 1. Oratoria, Poëſis, ſamt den Sprachen.
- 2. Logica, Metaphyſica.
- 3. Phyſica, ſo von der Natur und natuͤrlichen Dingen handelt.
- 4. Mathematica, darzu geboͤren folgende Diſciplinen: 1. Arith-
metica, die Rechenkunft. 2. Geometria, Meßkunſt. 3. Aſtro-
nomia, Sternkunft. 4. Aſtrologia, Sterndentungskunft.
5. Geographia, Landes Beſchreibung 6 Muſica, Geſang-
Kunft. 7. Optica, Sehkunft 8. Architectonica, Bau-
Kunft. 9. Mechanica, Gewerbkunft. - Jn dieſen Stuͤcken beruhet ſonſt Philoſophia Theoretica.
- 5. Ethica, die Sitten-Lebre von Tugenden.
- 6. Politica, von Policey-Weſen.
- 7. Oeconomica, von Hauß Weſen. Dieſe 3. machen Philoſo-
phiam Practicam.
Dieſes Lunden in Schonen iſt alſo die juͤngſte
Academie, deren Aufrichtung mir annoch in friſchem
Andencken/ und damit man ſehe/ wie es bey derglei-
chen Introduction hergehe/ wil ich die Ceremonien/ ſo
bey Einfuͤhrung der Londiſchen oder Lundiſchen Aca-
demie A. 1668. gehalten worden/ erzehlen/ wie folget:
K 5Erſt
[154]Deß Academiſchen
Erſt wurde um 12. Uhr Mittags die groſſe Glocke
der Kirchen gelaͤutet/ welches ein Zeichen war/ daß
die Verſammlung geſchehen ſolle/ wie ſie dann auch
bald darauf geſchahe. Anfangs ſtellete ſich die Sol-
dateſca zu Roß und Fuß/ welche vorigen Tages den
Herꝛn Gouverneur in Schonen/ Herꝛn Guſtav
Bauers/ Hoch-Graͤfl. Excellentz/ als Regis loco ge-
genwaͤrtig eingeholet hatte/ vor dero Logiment biß
an die Kirche/ darauf geſchahe die Proceſſion:
Erſtlich/ wurden alle Raths-Herren und Præſi-
denten auß den Schoniſ. Staͤdten/ durch ihren eige-
nen Marſchall gefuͤhret. 2. Dieſen folgten die Herren
Studioſi, 106. an der Zahl. 3. Die Herren Geiſt-
lichen/ deren 118. 4. Die Herren Profeſſores, deren
12. waren/ alle in ihren ſonderlichen Habiten. 5. Der
Herꝛ Pro-Cancellarius, Herꝛ D. Bernhard Oelreich/
welcher von 2. Pedellen/ 2. Famulis, und 6. Hatſchie-
ren in blauer Liberey begleitet wurde. 6. Folgete
hoch-gedachten Herꝛn Gouverneurs Excellentz Herꝛ
Magnus Durell, und andere mehr. 7. Sechs Kam̃er-
Herren/ deren Jeder abſonderlich auf blauen Sam-
meten Kuͤſſen trugen 1. Togam Doctoralem, Pileum \&
Palliolum Rectorale, 2. Sceptra, 3. Claves, 4. Sigilla
quinque, als 1. Univerſitatis, 2. Facultatis Theologi-
cæ, 3. Juridicæ, 4. Medicinæ, 5. Philoſophiæ, 6. Con-
ſtitutiones im blauen Sammet gebunden/ und die
Privilegia.
Als nun alles in der Kirchen in Ordnung war/
ſtellete ſich hoch-gedachter Herꝛ Gouverneur und Herꝛ
Durell à parte auf einen erhabenen Ort/ und wurden
die Regalien auf einen darzu gezierten Tiſch geleget.
Hierauf fieng der Gouverneur in Schwediſ. Sprach
an zu erzehlen/ warum dieſe Verſammlung geſchehen
waͤre; Die Antwort darauf geſchahe von dem Herꝛn
Grafen
[155]Romans I. Buch.
Grafen Durell Lateiniſch. Nach ſolchen wurden die
Conſtirutiones und Privilegia verleſen. Hiernaͤchſt
tratt der Herꝛ Pro-Cancellarius hervor/ und creirte
den Herꝛn Profeſſorem Bagge zum Rectore Acade-
miæ. Als ſolches geſchehen war/ tratt der Herꝛ Pro-
Cancellarius hinweg/ und perorirte der Herꝛ Rector
hierauf/ welchem nach geendigter Oration der Herꝛ
Profeſſor Kundhahn alſobald folgete. Nach dieſem
wurde vom Herꝛn D. Winſtrupio, Epiſcopo, gepredi-
get/ der Text: 1. Reg. 8. v. 17. 18. 19. 20. Mein Vat-
ter David hatte es zwar im Sinn/ daß er ein Hauß
bauete dem Namen deß HErꝛn deß GOttes Jſrael.
Aber der HERR ſprach zu meinem Vatter David:
Daß du im Sinn haſt/ meinem Namen ein Hauß zu
bauen/ haſt du wol gethan/ daß du ſolches fuͤrnah-
meſt. Doch ſolt du nicht das Hauß bauen/ ſondern
dein Sohn/ der auß deinen Lenden kommen wird/ der
ſoll meinem Namen ein Hauß bauen/ und der HErꝛ
hat ſein Wort beſtaͤttiget/ das er geredet hat: Dañ ich
bin aufkommen/ an meines Vatters Davids Statt/
und ſitze auf dem Stuhl Jſrael/ wie der HErꝛ gere-
det hat/ und habe gebauet ein Hauß dem Namen deß
HErꝛn/ deß GOttes Jſrael. Nach gethaner Pre-
digt/ ſunge man das Te DEUM Laudamus, und loͤſete
darbey 16. Canonen zu zweyen mahlen. Alle/ ſo in
dieſer Proceſſion waren/ wurden darauf herꝛlich tra-
ctiret/ da dann bey Geſundheits-Truͤncken die Stuͤ-
cke ſich tapffer hoͤren lieſſen. Nach geendigtem Con-
vivio wurde auch ein ſchoͤnes Feuerwerck angezuͤn-
det/ welches biß 4. Uhr gegen den Morgen dauerte.
Das XIV. Capitul/
Kaͤyſerliches Diploma uͤber die Helmſtaͤdtiſche Univerſitaͤt.
Die Vniverſitaͤt Pariß hat viel Tumulten erlitten. Was man vor
Diſciplinen auf dieſer oder jener Vniverſitaͤt fuͤr andern lehre.
Sonſten
[156]Deß Academiſchen
SOnſten iſt zu wiſſen/ daß in Teutſchland der
Roͤmiſche Kaͤyſer durch ſeine hoͤchſte Authori-
taͤt/ auf Anhalten der Staͤnde/ die Academien
confirmiret/ und ihnen daruͤber ein Kaͤyſerl. Diploma
ertheilet/ wie ich dann das Kaͤyſerl. Diploma, wodurch
die Academie zu Helmſtaͤdt/ auf Anſuchen Hertzogs
Julii, confirmiret worden/ ſelber zum oͤfftern geſehen/
und lautet ſolches in Lateiniſcher Sprache/ wie folget:
Kaͤyſ.Diploma,wodurchMaximilianus II.
die Helmſtaͤdtiſche Academiam Juliam beſtaͤttiget:
MAximilianus Secundus, divina favente clementiâ Electus
Romanorum Imperator, ſemper Auguſtus, ac Germaniæ,
Hungariæ, Bohemiæ, Dalmatiæ, Croatiæ, Sclavoniæ, \&c.
Rex. Archi-Dux Auſtriæ, Dux Burgundiæ, Brabantiæ, Stiriæ,
Carinthiæ, Carniolæ, \&c. Marchio Moraviæ, \&c. Dux Lucen-
burgiæ, ac Superioris \& Inferioris Sileſiæ, Würtembergæ \& Te-
ckæ, Princeps Sueviæ, Comes Habſpurgi, Tirolis, Ferretis, Ky-
burgi \& Goritiæ, Landgravius Alſatiæ, Marchio Sacri Romani
Imperii, Burgoviæ, ac Superioris \& Inferioris Luſatiæ, Domi-
nus Marchiæ Slavonicæ, Portus Naonis \& Salinarum, \&c.
Notum facimus tenore literarum præſentium univerſis \& ſin-
gulis. Cum imprimis ad hanc Romani Imperii ſublimitatem
divino auſpicio provecti, diligenter proſpicere debeamus, ur
ſcientiæ \& bonarum liberaliumque artium ſtudia ſedulò exco-
lantur, feliciaque ſemper ſumant incrementa, ex quibus nimirùm
tanquam divinæ ſapientiæ hauſto fonte, ſubditi clientesque no-
ſtri, ad gubernandam Rempublicam, \& reliquis mortalium ne-
ceſſitatibus proſpiciendum, reddantur aptiores: præſertim cum
earundem bonarum literarum tutela \& patrocinium ad Cæſarei
culminis faſtigium, ejusque moderatores potiſſimum pertineat.
Qui etiam ipſarum Cultores \& Profeſſores dignis præmiis, ho-
noribus atque privilegiis afficientes, complura Gymnaſia in Sa-
cro Romano Imperio inſtituerunt \& erexernnt. Nos igitur Præ-
deceſſotum noſtrorum veſtigiis inſiſtentes, petitione Illuſtris
JULII, Ducis Brunſvicenſis \& Lüneburgenſis, Conſanguinei
\& Principis noſtri chariſſimi, nec non \& omnium Statuum ejus-
dem Ducatus per peculiares eorundem Legatos, noſtros \& Sacri
Romani Imperii fideles dilectos, Henricum à Luhe, \& Matthiam
Böttiger, dicti Principis Conſiliarios, nuper exhibita, qua con-
tineba-
[157]Romans I. Buch.
tinebarur, ut ad præfatorum ſtudiorum liberalium \& bonarum
artium incrementum, Collegium Scholamque in civitate ſua
hæreditaria Helmſtadt, à ſe cœptum \& inſtitutum, authoritate
noſtra Cæſarea confirmare, atque Juribus, Privilegiis \& Immu-
nitatibus ſtudii univerſalis ſeu Gymnaſii communire; adeoque
illi ſcholæ Juliæ nomen facere dignaremur, permoti; atque ad
animum revocantes multa præclara \& ſingularia merita, quæ
præfatus Conſanguineus \& Princeps noſter, nec non \& Paren-
tes \& Anteceſſores ipſius ex Illuſtri Ducum Brunſvicenſium Fa-
milia Nobis \& Anteceſſoribus Noſtris Romanorum Imperato-
ribus \& Regibus, \& Imperio, nec non inclytæ Domui Noſtræ
Auſtriacæ, ſæpius fideliter exhibuerunt \& præſtiterunt: Conſi-
derantes etiam, quod præfata civitas non modò propter loci
oportunitatem inſtituendo Gymnaſio commoda, tum \& incolis
\& finitimorum locorum habitatoribus Studium Univerſale ad
excolendam numeroſam juventutem, cumprimis neceſſarium
ſit; maturo Procerum Aulæ Noſtræ Cæſareæ habito Conſilio,
animo benè deliberato, ex certa ſcientia \& motu proprio, Au-
thoritate Noſtra Cæſarea, \& ex plenitudine poteſtatis præme-
moratum Collegium à dicto Conſanguineo \& Principe Noſtro
in civitate Helmſtadt nuper cœptum \& inſtitutum, confirmavi-
mus, adeoque de novo in Studium Generale \& Univerſitatem
publicam ereximus, prout tenore præſentium confirmamus, \&
de novo inſtituimus \& erigimus
Volentes \& dictâ Cæſareæ Noſtræ Poreſtatis \& Authorita-
tis plenitudine decernentes, quod ea ipſa ſchola in Helmſtadt in
poſterum Gymnaſium Univerſale eſſe \& ab omnibus ſic haberi,
dicique ſchola Julia debeat: Et Doctores quarumcunque Fa-
cultarum \& perſonæ idoneæ, ad id per dictum Ducem, ejusque
Succeſſores, vel quibus illi demandaverint, deputandæ, poſſint
\& valeant in præfata Univerſitate in omnibus Facultatibus, vi-
delicet, in ſacra Theologia, in utroque Jure, tam Canonico,
quàm Civili, in Artibus \& Medicina, nec non in Philoſophia, \&
quibuscunque ſcientiis legere, \& Lectiones, Diſputationes \&
Repetitiones publicas facere, concluſiones palàm proponere, \&
præfatas ſcientias docere, interpretari, gloſſare \& dilucidare,
omnesque actus ſcholaſticos exercere, eo modo, ritu, \& ordine,
qui in cæteris Univerſitatibus \& Gymnaſiis Publicis, obſervari
ſolitus eſt. Et quoniam ipſa ſtudia eò feliciori gradu ſumenr
augmentum, ſi ingeniis \& diſciplinisipſis ſuus honor, ſuus digni-
tatis gradus ſtatuatur; ut emeriti aliquando digna laborum
ſuorum
[158]Deß Academiſchen
ſuorum præmia reportent: Statuimus \& ordinamus, ut per Col-
legia Doctorum à prænominato Illuſtri Duce in unaquaque Fa-
cultate inſtituenda, doctis \& ad id idoneis, \& præ cæteris excel-
lentioribus in ipſis Facultatibus Doctoribus, hi qui ad ſumen-
dam Palmam certaminis ſui idonei judicati fuerint, adhibito per
ipſos Doctores Collegii in unaquaque Facultate, prius pro more
\& conſuetudine atque ſolennitatibus \& ritu in cæteris Univerſi-
tatibus adhiberi ſolitis, rigoroſo \& diligenti examine, in quo
conſcientias ipſorum Doctorum, cujuslibet Collegii onerari vo-
lumus, quos ſub Juramenti vinculo ad hoc aſtringimus in ea Fa-
cultate, quam edidicerint, \& qui examini præfato ſe ſubmiſerint,
\& ſe pro more \& juxta ſtatuta \& ordinationes per prænomina-
tum Ducem fiendas, per aliquos dignos \& honeſtos viros de
Gremio ipſius Collegii præſentari fecerint, poſſint ad ipſum
examen admitti, \& invocata Spiritus Sancti gratia examinari:
\& ſi hoc modo habiles idonei \& ſufficientes ad id reperti \& ju-
dicati fuerint, Baccalaurei, Magiſtri, Licentiati ſive Doctores, pro
unius cujusque ſcientia \& doctrina creari, \& hujusmodi digni-
tatibus inſigniri, nec non per Bireti impoſitionem, \& aurei an-
nuli ac oſculi traditionem, cæteris que conſuetis ſolennitatibus
inveſtiri, \& conſueta ornamenta atque inſignia Dignitatum
prædictarum tradi \& conferri, quodque Doctores in eadem
Univerſitate promoti \& promovendi debeant \& poſſint in omni-
bus locis \& terris Sacri Imperii Romani, \& ubique terrarum li-
berè omnes actus Doctorum, legendi, docendi, interpretandi \&
gloſſandi, facere \& exercere, omnibusque \& ſingulis gaudere \&
uti privilegiis, prærogativis \& exemtionibus, libertatibus, con-
ceſſionibus, honoribus, præeminentiis, favoribus ac indultis, qui-
bus cæteri Doctores in Bononienſi, Senenſi, Patavino, Papienſi
Peruſino, Pariſienſi ac Lipſienſi, \& aliis Studiis privilegiatis, pro
moti ac inſigniti gaudent \& utuntur de conſuetudine vel de Ju-
re. Cæterum quo præfata Univerſitas ſive Gymnaſium ſui;
gubernatum Magiſtratibus, ſolidiori \& firmiori conſiſtat funda
mento, damus \& concedimus Doctoribus \& Scholaribus in
dicta Univerſitate exiſtentibus aut futuris, cum conſenſu præ-
fati Ducis aut Succeſſorum ejus, authoritatem ac poteſtatem
concedendi \& faciendi ſtatuta \& ordinationes, juxta conſuetu-
dinem cæterarum Univerſitatum, nec non creandi \& eligendi
Rectorem ſcholarum \& Syndicos, ſive alios quoscunque Offi-
ciales Univerſitatis, prout ipſis viſum fuerit expedire \& eſſe opor-
tunum. Hoc ſaltem in hac primæva erectione pro majori Il-
luſtra-
[159]Romans I. Buch.
luſtratione hujus Gymnaſii addito, ur quemadmodum ipſum
imperiali culmine \& authoritate primordia ſumſit, \& à Ducali
nomine appellationem accepit, ſic etiam Rectoralis dignitas ab
Illuſtri HENRICO JULIO, Duce Brunſvicenſe, \& poſtulato
Epiſcopo Halberſtadienſe, ſæpedicti Julii filio, quem primum
Rectorem eidem aſſignamus, celebre \& felix auſpicium habear.
Dantes \& concedentes dicta Authoritate Noſtra Imperiali jam
per Nos deſignato, nec non \& in poſterum, ut præmittitur, eli-
gendis \& creandis Rectoribus, non modò facultatem \& juris-
dictionem in Scholaſticos, citandi, audiendi, judicandi, exequen-
di, puniendi, \& omnes alios actus judicis ordinarii exercendi, \&
Jus Reddendi: Atque eximentes nihilominus Doctores \&
Scholares Univerſitatis prænominatæ à jurisdictione \& ſupe-
rioritate cujuscunque poteſtatis ordinarii, ſive cujuscunque al-
terius præterquam à noſtra \& præfati Ducis \& Succeſſorum ejus-
dem: ſed etiam jam dictum HENRICUM JULIUM, per
Nos deſignatum primum Rectorem, ejusque in illo officio \&
dignitate in poſterum eligendos, ex ſpeciali gratia \& favore, ſa-
cri Lateranenſis Palarii Aulæque noſtræ \& Imperialis Conſiſto-
rii Comites facimus, creamus, erigimus, ac Comitatus Palatini
titulo atque dignitate clementer inſignimus, aliorumque Co-
mitum Palatinorum numero cætui \& conſortio asſcribimus, ad-
jungimus \& aggregamus. Decernentes \& ſtatuentes, quod uni-
verſo illo tempore, quo dictæ dignitati Rectoratus præſunt, vel
præfuerint, omnibus \& ſingulis Privilegiis, Gratiis, Juribus, Im-
munitatibus, Honoribus, Exemptionibus \& Libertatibus, uti,
frui, potiri \& gaudere poſſint \& valeant, quibus cæteri Latera-
nenſis Palatii Comites hactenusuſi, potiti \& gaviſi ſunt, ſeu quo-
modo libet utuntur, fruuntur, potiuntur \& gaudent, conſvetudi-
ne vel de jure. Dantes \& concedentes illis plenam facultatem
\& poteſtatem, quod durante Rectoratus \& adminiſtrationis eo-
rum tempore, ut præmittitur, noſtra authoritate poſſint \& va-
leant, per totum Romanum Imperium, Regna \& Dominia no-
ſtra hæreditaria, ac alias ubilibet terrarum \& locorum, facere \&
creare Notarios publicos ſeu Tabelliones, ac Judices ordinarios:
ac omnibus perſonis, quæ fide dignæ, habiles, idoneæ \& ſuffi-
cientes fuerint, (qua in re conſcientias ipſarum oneramus,) No-
tariatus ſeu Tabellionatus \& Judicatus ordinarii officium con-
cedere \& dare, eosque ac eorum quemlibet de prædictis officiis
per pennam \& calamarium, prout moris eſt, inveſtire, Recipien-
do ab ipſis Notariis publicis ſeu Tabellionibus \& Judicibus or-
dinariis
[160]Deß Academiſchen
dinariis per eos, ut præmittitur, creandis, \& ab eorum quolibet,
vice ac nomine Noſtro \& Sacri Imperii, \& pro ipſo Romano
Imperio debitum fidelitatis corporale \& proprium Juramentum,
in hunc videlicet modum: Quod nobis ac Sacro Romano Im-
perio, \& omnibus Succeſſoribus noſtris Romanorum Imperato-
ribus \& Regibus legitimè intrantibus fideles erunt, nec unquam
interfuturi conſilio, ubi noſtrum periculum tractetur, ſed bo-
num \& ſalutem noſtram defendent, \& fideliter promovebunt,
damna verò \& incommoda ſedulò cavebunt \& avertent; Præ-
rerea Inſtrumenta publica \& privata, ultimas voluntates, Teſta-
menta, \& quæcunque Judiciorum Acta, literas matrimoniales,
ac omnia \& ſingula alia, quæ illis \& cuilibet illorum, dicti offi-
cii ratione facienda vel ſcribenda occurrent, juſtè, purè, fideliter,
omni ſimulatione, machinatione, falſirate, dolo ac fraude remo-
tis, ſcribent, legent, facient, \& dictabunt; non obſervando
odium, amicitiam, munera, pecuniam, vel quascunque alias paſ-
ſiones aut favores: ſcripturas verò in formam publicam redi-
gendas pro locorum conſvetudine \& rerum qualitate, in mem-
branis aut chartis mundis, non abraſis ſeu vitioſis, fideliter con-
ſcribent ac conſcribi facient, cauſasque hoſpitalium ac miſera-
bilium perſonarum, nec non pontium \& viarum publicarum
conſervationes \& inſtaurationes pro viribus promovebunt, ſen-
tentias aut dicta teſtium, donec publicata fuerint \& approbata
ſub ſecreto fideliter retinebunt; omniaque \& ſingula alia con-
venienti \& debito modo facient atque exercebunt, quæ ad di-
ctum officium quomodolibet pertinebunt conſuetudine vel de
Jure. Volentes, quod hujusmodi Notarii Publici, ſeu Tabellio-
nes \& Judices ordinarii per eos creandi, liberè poſſint per totum
Romanum Imperium, omniaque Regna \& Provincias noſtras
hæreditarias, ac aliàs ubivis terrarum \& Gentium facere, conci-
pere, ſcribere \& publicare Contractus, Inſtrumenta, Judiciorum
Acta, Literas Matrimoniales, Teſtamenta, \& ultimas Volunta-
tes, Decretumque \& Authoritatem interponere, in quibuscunq́;
Contractibus tale quippiam requirentibus, omniaque \& ſingula
alia citra impedimentum facere \& exercere, quæ dictum publici
Notarii ſeu Tabellionis \& Judicis ordinarii officium quovis
modo exigere videbitur, decernentesque, quòd omnibus \& ſin-
gulis Inſtrumentis ac Scripturis, per hujusmodi Tabelliones ſeu
Judices ordinarios \& Notarios publicos, per præfatos Rectores
Scholæ Juliæ creatos \& creandos, confectis \& conficiendis, ple-
na \& indubia ubique fildes, tam intra quàm extra Judicium, ad-
hiberi
[161]Romans I. Buch.
hiberi debear, eaque nullô modô impugnari vel in dubium trabi
poſſit, Conſtitutionibus, Ordinationibus, \& aliis in contrarium
facientibus, non obſtantibus quibuscunque.
Prætereà ut ipſa Univerſitas dignis fulcita prærogativis,
nulli alteri, quantumvis vetuſtæ \& celebratæ Univerſitati poſt-
ponatur, ſæpè dictæ ſcholæ Juliæ, \& ſingulis in ea conſtituendis
Facultatibus ex ſingulari gratia, peculiaria arma \& inſignia, qui-
bus in publicis Scriptis, Edictis, Mandatis, aliisque Actibus, loco
figilli uti poſſint \& debeant, contulimus, prout alio noſtro deſu-
per confecto datoque ſpeciali Privilegio, latius continetur. Atq́;
inſuper volumus \& decernimus per præſentes, quod prænomi-
nata Univerſitas, nec non Doctores \& Scholaſtici, ac ibidem ali-
quam dignitatem ſeu gradum aſſumentes, gaudeant \& potian-
tur, uti, frui, gaudere, \& potiri poſſint \& valeant, omnibus \& qui-
buscunque gratiis, honoribus, dignitatibus, ptæeminentiis, præ-
rogativis, privilegiis, conceſſionibus, \& immunitatibus, favori-
bus \& indultis, ac aliis quibuslibet, quibus Univerſitas Bono-
nienſis, Senenſis, Patavina, Papienſis, Peruſina, Pariſienſis \&
Lipſienſis, ac alia Studia privilegiata, ac Doctores \& Scholaſtici,
ſive Promoti, aut alia dignitate, ſive gradu, inſigniti, gaudent \&
potiuntur, quomodolibet conſvetudine vel de Jure. Non ob-
ſtantibus aliquibus Privilegiis indultis, prærogativis, gratiis, ſta-
tutis, ordinationibus, Legibus, Conſtitutionibus, Reformationi-
bus, Exemptionibus, aut aliis quibuscunque in contrarium fa-
cientibus. Quibus omnibus \& ſingulis, ex certa noſtra ſcientia
præfata, animo deliberato, \& motu proptio, derogamus \& de-
rogatum eſſe volumus per præſentes. Nulli ergò omninò ho-
minum liceat, hanc noſtræ creationis, inſtirutionis, fundationis,
erectionis, indulti, gratiæ, derogationis, conſtitutionis, conceſ-
ſionis, \& Privilegii gratiam (quam ſingulis annis publicè in di-
cta Schola Julia prælegi volumus,) refringete, aut quovis auſu
temerario contraire, ſive quomodolibet violare \& infringere.
Si quis autem hoc attentare præſumſerit, noſtram \& Imperii Sa-
cti Indignationem graviſſimam \& pœnam centum marcharum
auri puri, toties quoties contra factum fuerit, ſe noverit irremiſ-
ſibiliter incurſurum, quarum medietatem Impetialis Fiſci Noſtri
ſive Ærarii, reliquam verò partem injuriam paſſorum uſibus,
decernimus applicari. Harum teſtimonio Literarum, manu
noſtra ſubſcriptarum, \& ſigilli noſtri Cæſarei appenſione mu-
nitarum. Datum in Arce Noſtra Regali Pragæ, die 9. Menſis
Maji, Anno Domini Milleſimo quingenteſimo ſeptuageſimo
Lquinto.
[162]Deß Academiſchen
quinto. Regnorum noſtrorum, Romani decimo tertio, Hun-
garioi duodecimo, Bohemici verò viceſimo ſeptimo.
MAXIMILIANUS.
Vice ac nomine Reverendiſſimi D. Danielis,
Archi-Cancellarii Moguntini.
V. Joh. Bap. Weber.
Ad Mandatum Sacræ Cæſ. Majeſtatis proprium,
A. Erſtenberger/ Sſst.
Als Klingenfeld ſeine Rede hiermit beſchloſſen/
fragte ihn der Jeſuit/ ob er dann in ſeinem Regiſter
der Univerſitaͤten zu Bourges und Caen in Franckreich
vergeſſen? Dieſer gab zur Antwort: Daß ſein ſchwa-
ches Gedaͤchtnuͤß hieran Schuld haͤtte/ im uͤbrigen
koͤnne er noch wol mehr Academien in Franckreich
finden/ weil aber nicht alle hohe Facultaͤten darauf ge-
lehret wuͤrden/ ſtuͤnde er billich an/ dieſelbe unter die
vollkommene Univerſitaͤten zu zehlen. Wolan dann/
verfolgete der Jeſuit/ ſo wil ich dieſer hohen Geſell-
ſchafft zu willen/ noch ein und anders von etlichen
Univerſitaͤten einruͤcken.
Gleich wie demnach Pariß eine groſſe Volck-
reiche Stadt/ alſo iſt die Academie daſelbſt auch jeder-
zeit die Staͤrckeſte geweſen. Man ſiehet daſelbſt
vier Schulen/ vor ſo viel Nationen/ welche ſind die
Franci, Normanni, Picardi und Allemanni. Die Fa-
cultas Artium, hat hier die hoͤchſte Stelle/ alsdann die
Theologiſche Facultaͤt/ welche in Myſticam, Canoni-
cam und Scholaſticam getheilet wird. Dieſer zu Eh-
ren/ iſt die beruffene Sorbonne, von Roberto Sorbone,
aufgerichtet worden. Die dritte Facultaͤt beſtehet bey
den Jureconſultis, und die vierdte bey den Medicis
und Chirurgis. Auß der erſten Facultaͤt wird der Re-
ctor Academiæ erwaͤhlet/ welcher in hohen Ehren
ſitzet. Man hat 7. Tumulten auf dieſer Academie
erlebet.
1. Anno
[163]Romans I. Bnch.
- 1. Anno 1129. da die Studenten in die Wein-
ſchencken trungen/ weil man ihnen den Wein zu hoch
verkauffte/ daruͤber ſind zwey fuͤrnehme Geiſtlichen
umkommen/ dahero die Univerſitaͤt ſehr gefallen/
dann/ als die principaleſten Engliſche Magiſtri von
dannen zogen/ weil man den Tod ihrer Lands-Leute
nicht ſattſam gerochen/ hat ſich Henricus III. Koͤnig
in Engelland bemuͤhet/ die Studenten nach Oxford
zu bringen. - 2. A. 1282. war zwiſchen den Geiſtlichen auß
Picardia und den Engliſchen Studenten allhier ein
ſolcher Streit/ daß es ſchiene/ die Studia wurden da-
ſelbſt ins gaͤntzliche Stecken gerathen/ dann dieſe
ſtuͤrmeten die Haͤuſer der Picarder/ und wuͤteten der-
geſtalt unter ihnen/ daß ihrer viel umkamen/ und der
Reſt ſich zu den raſenden Engliſ. Studenten ſchlagen
muſte/ wolten ſie anders Frieden haben. - 3. A. 1303. haben die Profeſſores ihre Schulen
zugeſchloſſen/ und nicht lehren wollen/ weil der
Stadt-Vogt einen Studenten/ wider die Freyhei-
ten der Academie, aufgehencket hatte. Er muſte aber
denſelben vom Galgen wieder abnehmen/ und ſelber
zum Grab begleiten/ auch zu Avignon vom Papſt
Benedicto XI. Abſolution deßfalls erbitten. - 4. A. 1404. entſtund ein Tumult/ wegen eines
Schimpffs/ den Carolus Savaſinus, Koͤnigl. Groß-
Kaͤmmerer/ den Studenten angethan/ als ſie in einer
ſolennen Proceſſion den Rectorem Univerſitatis nach
S. Catharinen begleiteten. Ob nun gleich dieſer
Kaͤmmerer bey dem Koͤnig in ſonderbaren Gnaden;
muſte er ihn doch deßhalben auf 2. Jahr verweiſen/
und ſein Hauß von Grund auß wegreiſſen laſſen. - 5. A. 1407. unterſtund ſich der Stadt-Vogt
Guilielmus Tignovillanus abermahl 2. Studenten/
L 2welche
[164]Deß Academiſchen
welche einen Mord begangen/ auf hencken zu laſſen/
daruͤber entſtund ein Auflauff/ und muſte der Vogt
die todten Coͤrper vom Galgen nehmen/ ihre Ange-
ſichter kuͤſſen/ und ſie ehrlich begraben laſſen. Die
Frequentz der Studenten war damahl zu Pariß ſo
groß/ daß/ als bey dieſer Proceſſion der Rector durch
die Maturiner-Kirche/ (dahin wurden die Coͤrper
begraben/) gienge/ die Aelteſten der Studenten und
Cleriſey allererſt in die Vorſtatt S. Denys tratten/
dannenhero mag man Pontano wol glauben/ wann
er ſpricht/ daß daſelbſt auf einmahl 10000. Studen-
ten geſehen worden/ die allein in der Philoſophie
ſtudiret. - 6. Als Koͤnig Ludwig XII. A. 1498. nach ſeiner
Kroͤnung die Univerſitaͤts-Privilegia in etwas ein-
ſchraͤncken wolte/ da haben auf deß Rectoris Befehl
die Profeſſores nicht leſen/ die Geiſtlichen nicht predi-
gen/ auch die Medici und Chirurgi keine Krancke be-
ſuchen duͤrffen. - 7. Der ſiebende Tumult entſtund Anno 1548.
wegen einer Wieſe/ welche die Muͤnche zu S. Germain
den andern Geiſtlichen nehmen wolten.
Naͤchſt Pariß iſt Orleans, Bourges und Poictiers,
hernach Angiers, Thoulouſe, Cahors, Montpelliers,
Avignon, Orange, Valenz, Caën, Dole in Burgund
und Maſſilien/ vor andern beruͤhmt mit ihren Aca-
demien.
Unter den Jtaliaͤniſchen Academien iſt die zu
Rom wol die Fuͤrnehmſte/ als welche auß den Athe-
nienſiſchen Reliquiis von den Paͤpſten aufgerichtet
worden. Naͤchſt dieſer folget die zu Bologne, auf
welcher Innocentius, Roͤmiſcher Papſt/ unter dem
fuͤrtrefflichen Juriſten Azone ſtudiret hat. Allhier iſt
Bartolus in ſeinem 20. Jahr Licentiatus, und im fol-
genden
[165]Romans I. Buch.
genden darauf Doctor Juris creiret worden. Er war
aber beſſer in Jure als in Latinitate. Accurſius hat ſich
im 40. Jahr ſeines Alters allhier auf das Jus geleget/
und iſt doch noch ein treffliches Lumen darinn ge-
worden.
Die uͤbrigen Jtaliaͤniſchen Univerſitaͤten ſind
zu Ferrara, Neapolis, (als der Muͤnch dieſen Ort nen-
nete/ da begunte der Printz de Turſis einen hertzlichen
tieffen Seuffzer hoͤren zu laſſen/ welcher aber von
Niemand mehr/ als von Klingenfeld obſerviret
ward/) Salerno, Pavia, Padua, Perugia, welche Anno
1290. gegruͤndet/ und eben ſolche Privilegia hat/ als
weyland die Academie zu Conſtantinopel/ Piſa, wel-
cher der gelehrte Aldus Manutius im Teſtament ſeine
Bibliothec, darinn 80000. Buͤcher waren/ vermachet
hat; Siena, Turin, allwo Eraſmus Roterodamus Do-
ctor und Profeſſor geweſen/ Macerata und Catana in
Sicilien. Jn dieſer Jnſul ſind auch ſchoͤne Collegia
und Schulen zu Meſſina, Syracuſa und Palermo.
Man ſaget abor von den Gelehrten in Jtalien/
daß man ſich zu Maͤyland auf das Recht/ zu Florentz
auf die natuͤrliche Philoſophie, in Calabrien auf die
Griechiſche/ zu Neapolis auf die Toſcaniſche/ zu Man-
tua auf die Hebrœiſche Sprache/ und zu Luca auf die
H. Schrifft/ zu Verona auf die Humaniora, zu Bologne
auf Matheſin, zu Padua auf die Medicin, zu Venedig
auf die Muſic, zu Siena auf die Dialectic, zu Perugia
auf das Jus Pontificium, zu Vicenza auf Philoſo-
phiam Moralem, und zu Pavia auf Sophiſticam vor
andern lege.
Jn Spanien iſt zu Salamantica die beruͤhmteſte
Univerſitaͤt/ welche ein trefflich Pfleg-Hauß hat fuͤr
die arme Studenten. Man ſiehet daſelbſt 20. Colle-
gia, und zehlet man nimmer unter 4000. Studenten/
L 3bißwei-
[166]Deß Academiſchen
bißweilen ſteiget die Zahl auf 7000. Auf 27. Cathe-
dern wird geleſen/ und deß Rectoris Authoritaͤt iſt un-
gemein groß. Die uͤbrigen ſind zu Valentz/ zu Ilerda,
allwo Papſt Calixtus III. Doctor Juris worden/ und
offentlich docirt hat. Zu Oſſuna, zu Hiſpalis, auf
welcher Papſt Sylveſter II. ſtudiret hat. Avicenna,
ein Mahometaniſcher Mohr/ hat die Medicin hier in
trefflichen Flor gebracht. Zu Compluto, oder Alcala
de Henares, nahe bey Madrit/ da die fuͤrtreffliche
Biblia Complutenſia herauß kommen/ zu Toledo, zu
Palentia und Majorica, allwo deß Raymundi Lullii
Lehre in hoher Achtung iſt.
Jn Portugall iſt die Univerſitaͤt Coimbria, die
allemahl/ fuͤrnemlich in Philoſophia, fuͤrtreffliche
Leute gehabt hat.
Zu Oxford iſt die beruͤhmteſte Academie in En-
gelland/ ſie hat 16. Collegia, und 8. Aulas, oder Hoͤfe.
Wegen deß Præſidenten in dem Collegio S. Magdale-
næ, hat es juͤngſt einige Weitlaͤufftigkeit geſetzet/ weil
derſelbe dem Koͤnig nicht nach Begehren willfahren
wollen. Die Univerſitaͤt zu Cambridge iſt uͤber dritt-
halb hundert Jahr aͤlter/ als die Anno 630. fundiret
worden. Sie hat 11. Collegia und 4. Aulas. Die
Schottiſchen Univerſitaͤten ſind zu S. Andrè und
Aberdone, dann die zu Glaſco iſt gantz wieder abge-
kommen.
Das XV. Capitul/
Allhier werden die beruͤhmteſten Gymnaſia eingefuͤhret/ ſamt
einem Regiſter aller Collegien der Jeſuiten/ wie man ſie im Anfang dieſes
Seculi gefunden.
UBer jetzt-genannte hat man auch etliche hohe
beruͤhmte Schulen/ die aber nicht voͤllig die
Ehre einer privilegirten Univerſitaͤt erlan-
get haben/ deren ſind ſehr viele in Teutſchland/ darun-
ter
[167]Romans I. Buch.
ter mir die Schule oder Gymnaſium zu Osnabrugge/
Lipſtatt/ Duisberg/ Herford/ Bremen/ Goͤrlitz/ Dan-
tzig/ Augſpurg allein bekandt ſind/ es ſind aber ihrer
noch mehr in Teutſchland. Die Gymnaſia zu Loſanne
und Bern in der Schweitz laſſen ſich auch ſehen. Jn
Franckreich ſind ſolcher Geſtalt beruͤhmt die Staͤdte
Sedan, Rheims, Saumur, Bourdeaux, Montauban und
Nismes. Jn den Spaniſchen Niederlanden Dovay.
Jn Jtalien Venedig/ die Stadt Mantua, Modena,
Maͤyland/ Verona, \&c. Jn Spanien Valladolit,
Oſca, Granada und Compoſtella. Und das ſind ſo wol
die Univerſitaͤten/ als Gymnaſia, ſonſten muͤſſet ihr/
ob ihr gleich ein Teutſcher/ und ſo viel ich euch anſehe/
ein Proteſtant ſeyd/ dañoch unſerm Orden den Ruhm
geben/ daß deſſen Collegia, ſo durch alle Welt zer-
ſtreuet ſind/ bey Information der lieben Jugend ein
Merckliches thun/ und deßfalls die herꝛlichſten Semi-
naria und Schulen unterhalten.
Das gebe ich ungenoͤthiget zu/ war Klingenfelds
Antwort/ die Herren Jeſuiten haben freylich den
Ruhm/ daß ſie ſich deß Schulſtaubs weniger entzie-
hen/ als einige andere Muͤnch-Orden/ ſie ſchicken
wackere Koͤpffe wieder zu ihren Eltern/ und darum
tragen auch die Proteſtanten kein Bedencken/ ihnen
ihre Kinder zur Information anzuvertrauen. Jch
moͤchte aber wol wiſſen/ wie hoch ſich die Anzahl ihrer
Collegien und Kloͤſter erſtrecket. Der Jeſuit lachete
ihn hierauf gar freundlich an/ und ſagte: Es iſt mir
lieb/ daß ihr/ wider die Gewohnheit eurer Lands-Leu-
ten/ proteſtirender Religion, unſerm Orden noch ei-
nigen Ruhm goͤnnet/ darfuͤr wil ich euer Verlangen
begnuͤgen. Ob gleich der Jeſuiter-Orden einer von
den Neueſten/ hat er ſich doch durch die gantze Welt
viel weiter außgebreitet/ auch reichere Stifftungen
L 4und
[168]Deß Academiſchen
und koͤſtlichere Collegia und Haͤuſer erlanget/ als ei-
niger anderer Orden. Jn den Catholiſchen Koͤnig-
reichen werden ihre Collegia nach den Provintzen ein-
getheilet/ und in jeder Provintz iſt ein Jeſuit Pater
Provincialis, der gantze Orden aber unterhaͤlt einen
Pater General, welcher zu Rom lebet/ und allemahl
ein Mann von groſſer Authoritaͤt iſt. Aber/ damit ich
eurer Frage ein Gnuͤgen thue/ ſollet ihr wiſſen/ daß
im Anfang gegenwaͤrtiges Seculi die Jeſuiten ihre
Collegia, Reſidentien und Profeſs-Haͤuſer in der gan-
tzen Welt gehabt/ wie es anzeiget folgender
Catalogus Provinciarum Societatis JESU,
\& Collegiorum ac Domorum, quæ in unaquaq́;
Provincia ſunt.
Jn Jtalien 5. Provintzen.
- 1. Provincia Romana.
- Zu
Rom/- Domus Profeſſa.
- Colleg. Romanum.
- ‒ Pœnitentiariæ.
- Dom. Probationis.
- C. Germanicum.
- ‒ Anglicanum.
- ‒ Maronitarum.
- ‒ Græcorum.
- Seminarium Ro-
manum. - Reſidentia Tuſcu-
lana.
- Collegium Lauretanum.
- ‒ Florentinum.
- ‒ Senenſe.
- ‒ Peruſinum.
- ‒ Maceratenſe.
- ‒ Tiburtinum.
- Coll. Recinetenſe.
- in-
choa-
ta.- ‒ Selinum.
- ‒ Anconitanum.
- ‒ Montis Sancti.
- in-
- 2. Provincia Sicula.
- Pa-
nor-
mi- Domus Profeſſa.
- Coll. Panormitanum.
- Domus Probationis.
- Meſſa-
næ- Coll. Meſſanenſe.
- Domꝰ Probationis.
- Colleg. Syracuſanum.
- ‒ Catanenſe.
- ‒ Montis Regalis.
- ‒ Bivonenſe.
- ‒ Calatajeronenſe.
- ‒ Rheginum.
- ‒ Drepanitanum.
- ‒ Minæenſe.
- ‒ Marſalenſe.
- ‒ Calataneſſetenſe.
Colle-
[169]Romans I. Buch.
- Collegium Melitenſe.
- 3. Provincia Neapolitana.
- Nea-
poli- Domus Profeſſa.
- C. Neapolitanum.
- Dom. Probationis.
- Colleg. Cotacenſe.
- ‒ Nolanum.
- ‒ Aletinum.
- ‒ Barienſe.
- ‒ Salerontanum.
- ‒ Conſentinum.
- ‒ Barolitanum.
- ‒ Teatinum.
- ‒ Aquilanum.
- Domus Profeſſa Beneven-
tana. - 5. Provincia Mediolanen-
ſis. - Medio-
lani- Domus Profeſſa.
- Coll. Breranum.
- Ge-
nuæ- Colleg. Genuenſe.
- Domus Probationis.
- Colleg. Taurinenſe.
- ‒ Comenſe.
- ‒ Vercellenſe.
- ‒ Montis Regalis.
- ‒ Cremonenſe.
- Domus Probationis Aro-
nenſis. - 5. Provincia Veneta.
- Domus Profeſſa Venetus.
- Colleg. Patavinum.
- ‒ Ferrarienſe.
- ‒ Bononienſe.
- Colleg. Brixienſe.
- ‒ Forojulienſe.
- ‒ Mutinenſe.
- ‒ Parmenſe.
- ‒ Veronenſe.
- ‒ Placentinum.
- ‒ Mantuanum.
- Domus Probationis No-
vellariæ. - Domus Probationis Imo-
læ inchoata.
Jn Portugall. Eine
Provintz.
- Liſſa
- Domus Profeſſa.
- Colleg. S. Antonii.
- Domus Probationis.
- Collegium Conimbricen-
ſe cum Novit. - Collegium Eborenſe cum
Novitiatu. - Cellegium Portuenſe.
- ‒ Bracarenſe.
- ‒ Brigantinum.
- Domus Profeſſa Pharaoen-
ſis in Regno Algarbio-
rum. - Collegium Funchalenſe.
- ‒ Angrenſe.
- ‒ S. Michaëlis.
- Reſi-
dentia- S. Felicis.
- Canahenſis.
- Domus in Regno Angolæ.
L 5Jn
[170]Deß Academiſchen
Jn Oſt-Jndien. Eine
Provintz.
- Goæ.
- Domus Profeſſa.
- Collegium S. Pauli.
- Domus Probationis.
- Seminarium S. Fidei.
- Collegium Margarenſe in
Salſetta. - Domus Chaulenſis.
- Collegium Bazainenſe.
- Reſi-
den-
tia- Tannenſis.
- Bandoranenſis.
- Sanctiſſ. Trinitatis.
- Collegium Damanenſe.
- ‒ Cochinenſe.
- Domus Vaipicotana.
- Reſi-
dentia- Calicutiana.
- S. Jacobi.
- S. Andreæ.
- Porcaenſis.
- Domus Choulenſis in Ora
Trauancoris. - Reſi-
den
tia- Collechenſis.
- Retoraenſis.
- Manarenſis,
- Semin. Tuturinan.
Piſcar.- Colleg. Choromandelenſe
- ‒ Malachenſe.
- Reſi-
den-
tia- Molucenſis,
- Amboynenſ.
Moluc- in Regno M. Magor.
- In Japonia.
- Colleg. Machaenſe
- Re-
ſid.- Xaquinenſ.
- Paquinenſ.
Regno
Sinar.
- Colleg. Nangaſachienſe.
- Dom. omnium Sanctorum.
- Domus Omurenſis.
- Ama-
cuſæ,- Coll. Amacuſanum.
- Domus Probationis.
- Domus Arimenſis.
- Seminarium Fachiroenſe.
- Reſi-
dentia- Bungenſis.
- Meacenſis.
Jn Braſilia. Eine
Provintz.
- Collegium Bayenſe, cum
Novitiatu. - Domus Ilhæorum.
- ‒ Portus Securi.
- Reſi-
den-
tia- Sancti Spiritus.
- Sancti Antonii.
- Sancti Joannis.
- Boipetæ.
- Sancti Sebaſtiani.
- Colleg. Fluminis Januarii.
- Reſidentia S. Barnabæ.
- Domus Sanctorum.
- ‒ Piratininquæ.
- ‒ Spiritus Sancti.
- Reſi-
den-
tia- Conceptionis
- B. Virg.
- S. Joannis, Evangel.
- S. Ignatii.
- Aſſumptionis
- B. Virg.
- Reſi-
- Colleg. Pernambucenſe.
- ‒ S. Michaëlis.
- ‒ Beatæ Virginis.
Jn
[171]Romans I. Buch.
Jn Hiſpania, vier
Provintzen.
- 1. Provincia Toletana.
- Tole-
ti- Domus Profeſſa.
- Colleg. Toletanum.
- Colleg. Madritanum.
- ‒ Complutenſe.
- ‒ Oſcanienſe.
- ‒ Placentinum.
- ‒ Conchenſe.
- ‒ Belmontenſe.
- ‒ Murcianum.
- ‒ Caravacenſe.
- ‒ Seguritanum.
- ‒ Hueſcenſe.
- ‒ Talabricenſe,
- ‒ Oropeſanum.
- Domus Probationis Villa-
regienſis. - Reſi-
dentia- Navalcanerenſis.
- JEſu è Monte.
- 2. Provincia Caſtellana.
- Vallis-
Toleti- Domus Profeſſa.
- Coll. Vallis-Tole-
tanum.
- Colleg. Burgenſe.
- ‒ Salmanticenſe.
- ‒ Medinenſe.
- ‒ Segobienſe.
- ‒ Pallentinum.
- ‒ Abulenſe.
- ‒ Lucronienſe.
- ‒ Montis Regalis.
- ‒ Legionenſe.
- Colleg. Bellimarenſe.
- ‒ Numantium.
- ‒ Compoſtellanum.
- ‒ Outenſe.
- ‒ Pampilonenſe.
- ‒ Areualenſe.
- ‒ Monfortenſe.
- ‒ Vergarenſe.
- ‒ S. Andreæ.
- Domus Probationis Villa-
graciæ. - 3. Provincia Aragonenſis.
- Valen-
tiæ- Domus Profeſſa.
- Coll: Valentinum.
- Colleg. Barcinonenſe.
- ‒ Cæſar-Auguſtan.
- ‒ Maioricenſe.
- ‒ Gerundenſe.
- ‒ Gandienſe.
- ‒ Bilbilitanum.
- ‒ Taroconenſe.
- ‒ Urgellenſe.
- ‒ Oſcanum.
- Domus Probationis Tar-
raconenſis. - Domus Probationis Orio-
lana. - 4. Provincia Bœtica.
- Hiſpa-
li- Domus Profeſſa.
- Coll. Hiſpalenſe.
- Colleg. Triguerenſe.
- ‒ Gaditanum.
- ‒ Marcenenſe.
- ‒ Cordubenſe.
Colleg.
[172]Deß Academiſchen
- Colleg. Granatenſe.
- ‒ Vaezanum.
- ‒ Malacenſe.
- ‒ Xerenſe.
- ‒ Cazorlanum.
- ‒ Ubedanum.
- ‒ Aſtigitanum.
- ‒ Guadixenſe.
- ‒ Fregenalenſa.
- Domus Probationis Mon-
tellana.
Jn Sardinia. Eine
Provintz.
- Collegium Saſſaritanum.
- Cal-
lari- Coll. Callaritanum.
- Domus Probationis.
- Colleg. Eccleſienſe.
- ‒ Algueritanum.
Jn Weſt-Jndien/ zwo
Provintzen.
- 1. Provincia Pervana.
- Li-
mæ- Collegium Limenſe.
- Domus Probationis.
- Colleg. Ouſchenſe.
- ‒ Civitatis Pacis.
- ‒ Arequipenſe.
- ‒ Potoſinum.
- ‒ Chilenſe.
- ‒ Cuquiſaquenſe.
- ‒ Quitenſe.
- Reſi-
dentia- Panamana.
- Xulenſis.
- 2. Provincia Mexicana.
- Me-
xici- Domus Profeſſa.
- Colleg. Mexicanum.
- Colleg. Guaxacanum.
- ‒ Guadalajarenſe.
- ‒ Angelopolitanum.
- ‒ Vallis-Toletanum.
- ‒ Paſcuarenſe.
- ‒ Topozotlanum.
- Reſi-
den-
tia- Veræ Crucis.
- Cinaloenſis.
- Guadianæ.
- In Inſulis Philippinis.
- Collegium Manillanum.
- ‒ Zebuenſe.
- ‒ Rhabanum.
- Reſi-
dentia- Taytanenſis.
- Leytenſis.
- Cangartonenſis.
- Palanenſis.
- Ogmuenſis.
- Argolana.
Jn Franckreich drey
Provintzen.
- 1. Provincia Franciæ.
- Pari-
ſiis- Domus Profeſſa.
- Colleg. Pariſienſe.
- Colleg. Muſſipontanum.
- ‒ Verdunenſe.
- ‒ Nivernenſe.
- ‒ Rotomagenſe.
- ‒ Bituricenſe.
- ‒ Augenſe.
- Domus Probationis S. Ni-
colai. - 2. Provincia Aquitaniæ.
- To-
loſæ- Colleg. Toloſanum.
- Domus Probationis.
Colleg.
[173]Romans I. Buch.
- Colleg. Burdigalenſe.
- ‒ Petrocoricenſe.
- ‒ Agennenſe.
- ‒ Auſcitanum.
- ‒ Rhutenenſe.
- ‒ Biterrenſe.
- ‒ Lemovicenſe.
- Reſidentia S. Macary.
- 3. Provincia Lugdunenſis.
- Collegium Lugdunenſe.
- ‒ Turonenſe.
- Auenio-
ne- C. Auenionenſe.
- D. Probationis.
- Colleg. Diuionenſe.
- ‒ Billomenſe.
- ‒ Anicienſe.
- ‒ Dolanum.
- ‒ Camberienſe.
- ‒ Biſuntinum.
Jn den Niederlanden.
Eine Provintz.
- Colleg. Louanienſe.
- ‒ cum Domo Probat.
Tornaci. - ‒ Audomarenſe.
- ‒ Duacenſe.
- ‒ Antwerpienſe,
- ‒ Leodienſe.
- ‒ Trajectenſe.
- ‒ Brugenſe.
- ‒ Iprenſe.
- ‒ Cortracenſe.
- ‒ Vallencenenſe.
- ‒ Gandauenſe.
- ‒ cum Domo Probat.
- Colleg. Inſulenſe.
- ‒ Montenſe.
- ‒ Bergenſe.
- ‒ Atrebatenſe in-
choatum.
- Reſi-
den-
tia- Bruxellenſis.
- Cameracenſis.
- Luxembergenſis.
Jn Teutſchland drey
Provintzien.
- 1. Provincia Rheni.
- Collegium Colonienſe.
- Treui-
ris- Coll. Treuirenſe.
- Dom. Probationis.
- Colleg. Moguntinum.
- ‒ Spirenſe.
- ‒ Herbipolenſe.
- ‒ Fuldenſe.
- ‒ Heiligenſtadienſe.
- ‒ Molsheimienſe.
- ‒ Confluentinum.
- ‒ Monaſterienſe.
- ‒ Paderbornenſe.
- ‒ Embricenſe.
- ‒ Hildeſienſe.
- Reſi-
den-
tia- Erfurdienſis.
- Altenenſis.
- Aquisgranenſis.
- 2. Provincia Germaniæ
Superioris. - Colleg. Ingolſtadienſe.
- ‒ Dilinganum.
- ‒ Monachienſe.
- ‒ Auguſtanum.
Colleg.
[174]Deß Academiſchen
- Colleg. Oenipontanum.
- ‒ Halenſe.
- ‒ Lucernenſe.
- ‒ Friburgenſe.
- ‒ Ratiſponenſe.
- ‒ Bruntrutanum.
- Domus Oetingenſis.
- ‒ Probationis Land-
ſpergenſis.
- ‒ Probationis Land-
- Reſidentia Conſtantienſis.
- 3. In Provincia Auſtriæ.
- Colleg. Viennenſe.
- ‒ Pragenſe.
- ‒ Olmucenſe.
- ‒ Græcenſe.
- ‒ Crumlouienſe.
- ‒ Commotouienſe.
- ‒ Novodomenſe.
- ‒ Labacenſe.
- ‒ Glacenſe.
- ‒ Sellienſe.
- ‒ Lincenſe inchoa-
tum.
- Domus Probationis Bru-
nenſis. - Reſidentia Thurocienſis.
Jn Siebenbuͤrgen.
- Collegium Claudiopoli-
tanum. - Collegium Albæ Juliæ.
Jn Pohlen. Eine
Provintz.
- Cra-
couiæ,- Domus S. Barbaræ.
- Domꝰ Probationis.
- Colleg. Branſpergenſe.
- ‒ Pultouienſe.
- ‒ Vilnenſe.
- ‒ Poſnanienſe.
- ‒ Jaroslauienſe,
- ‒ Polocenſe.
- ‒ Lublinenſe.
- ‒ Rigenſe.
- ‒ Caliſſienſe.
- ‒ Nieſuiſienſe.
- ‒ Derpatenſe,
- ‒ Jedanenſe,
- ‒ Torunenſe,
choa-
ta.
- Domus Profeſſa Var-
ſauienſis. - Reſidentia Leopolitana.
So viel Collegia, Reſidentien und Haͤuſer hat-
ten die Jeſuiten damahlen in der gantzen Welt/ gleich
wie aber ſeithero derſelben ſehr viel abgangen/ als
nemlich alle die in Japon und ziemlich viel in Oſt-
Jndien/ nachdem nemlich die Chriſten in Japon An.
1635. gaͤntzlich außgerottet/ die vereinigten Nieder-
laͤnder auch in Oſt-Jndien ſich der meiſten Plaͤtze be-
maͤchtiget/ wie nicht weniger etliche von Pohlen/
nemlich
[175]Romans I. Buch.
nemlich die in Lieffland/ ſeithero dieſelbe unter Schwe-
den gerathen/ alſo hat unſer Orden hingegen ander-
weit ſo viel neue Collegia und Haͤuſer wieder ange-
leget/ und hoffe ich/ in Engelland werde die Anzahl
derſelben in kurtzen Jahren ſo hoch ſteigen/ daß die
gantze Zahl hoͤher erſcheinen wird/ als im Anfang die-
ſes Seculi. Alſo waren damahl 26. Provintzen in der
gantzen Societaͤt/ 16. Profeß-Haͤuſer/ und 245. Colle-
gia, wiewol ihrer verſchiedene damahl noch nicht re-
ſtituirt geweſen/ 25. Domus Probationis, und uͤber,
ſolche noch 68. Haͤuſer und Reſidentien/ welche alle-
ſamt ſehr reich dotiret/ und mit guten Intraden ver-
ſehen ſind.
An dieſem Diſcurs hatte der Hertzog ſo wol/ als
der Printz de Turſis ein ſonderbares Vergnuͤgen/ weil
aber Jener merckete/ daß Troll bißhero etliche mahl
das Maul gerumpffet/ und den Kopf geſchuͤttelt hatte/
forſchete er anjetzo/ was ihm mangele. Dieſer ſprach:
Illuſtriſſime Domine, veritas non poteſt celari, wann
ich die Warheit reden ſoll/ ſo bekenne ich/ daß mir un-
ter waͤhrendem Diſcurs der Mund ſo trucken worden/
ut lingua adhæreat palato, daß die Zunge am Gau-
men beklebet. Der Hertzog ließ ihm einen ſilbernen
Becher voll Weins reichen/ und ſagte: Wann er ihm
ſagen koͤnte/ was dieſer vor ein Wein/ und wo er ge-
wachſen/ ſo ſolle er den gantzen Becher außleeren/ und
ſeine Zunge wieder in Gang bringen.
Troll ſetzte den Becher an den Mund/ und ſoff
ihn halb auß/ ehe er ein einziges Wort antwortete/
darauf hielte er ihn unterm Arm/ und ſprach: Ehe
ich mich zu einer genugſamen Reſponſion auf dieſe
Durchleuchtige Frage anſchicke/ war es noͤthig/ daß
durch einige Labung ich meine Zunge wieder loͤſete/
præterea, war es ja noͤthig/ daß ich meinen Guſtum
vorher
[176]Deß Academiſchen
vorher zu Rath ziehe/ ehe ich von dieſem edlen Reben-
ſafft judicire. Nun aber antworte ich diſtinguendo:
Man begehret zu wiſſen/ cujus generis dieſer Wein
ſey/ ich ſage/ er iſt dulce, und nicht amarum, er iſt rubi-
cundum, und nicht albeſcens, er iſt gewachſen in Vite,
und nicht in Salice. Wann ich ihn trincke/ iſt er generis
Maſculini, wann ihn meine kuͤnfftige Braut trincket/
iſt er generis Fœminini, und wann ihn dieſer Herꝛ
Pater (auf den Jeſuiten zielend/) einziehet/ ſo iſt und
bleibet er generis neutrius, dann ein Muͤnch iſt kein
Mann und keine Frau. Keine Frau ratione Sexûs,
und kein Mann/ dann er lebet allſtaͤts in Cœlibatu,
und darff nicht zeigen/ daß er ein Mann ſey. Dieſe
Diſtinctio gefiel der gantzen Geſellſchafft/ inſonder-
heit aber dem Hertzogen dermaſſen/ daß er ſich recht-
ſchaffen daruͤber zerlachete/ und dem poſſierlichen
Troll den Reſt deß Weins ſamt dem ſilbernen Pocal
verehrete/ woruͤber dieſer ſo voll Freuden war/ daß er
etliche mahl herum ſprang/ und ſagte: Ago gratias
pro poculo, quod trina circum ſaltatione digniſſimum
eſt, damit ſteckete er ihn zu ſich/ und verwahrete ihn
ſehr wol.
Nachdem endlich die Tafel vollendet/ nahm
der Printz de Turſis Abſchied von dem Hertzogen/ und
die andern folgeten ihm wieder nach der Herberge/
allwo ſich einige Juden befunden/ die unſerm Klin-
genfeld alle ſeine gefundene Waaren abhandelten/
worfuͤr er noch einen ehrlichen Pfenning erhub. Er
machte aber das Geld durch einen Mantuaniſchen
Kauffmann an einen gewiſſen Teutſchen Handels-
mann nach Venedig uͤber/ und war alſo verſichert/
daß er ſich deſſen von dannen allemahl/ wo
er auch ſeyn moͤchte/ bedienen
koͤnte.
Das
[177]Romans I. Buch.
Das XVI. Capitul/
Der Printz und ſeine Geſellſchafft reiten fort/ und finden ei-
nen gewaltigen Freſſer/ Cerebacchius genannt/ mit welchem ſie ſelzame
Aufzuͤge haben/ wegen ſeines Freſſens und Sauffens. Die Studenten/
ſo ſich ehrbarlich gehalten/ ſind allemahl geehret worden.
AM folgenden Morgen ſetzten ſich der Printz de
Turſis, Klingenfeld/ Cavina und Troll mit ein-
ander zu Pferde/ nachdem ſie den Gaſtgeber
gebuͤhrlich vergnuͤget/ und nahmen ihren Weg weiter
nach Norden/ dann ſie waren entſchloſſen/ den naͤch-
ſten Weg nach Padua zu nehmen/ und ſo weiter einige
von den vornehmſten Teutſchen Academien zu be-
ſuchen/ weßfalls der Printz unſern Klingenfeld mit
ſonderlich verbindlichen Worten erſuchte/ ihm auf
ſeiner fuͤrhabenden Tour Geſellſchafft zu leiſten/ ſo
wolle er ihn vor ſeinen Hofmeiſter annehmen/ und
ihm eine raiſonnable Penſion Jaͤhrlich zuſchlagen/
damit er ſeinen juͤngſt erworbenen Schatz dermahl-
eins in ſeinem Vatterland gantz und ungetrennet vor
ſich finden/ und ſein Gluͤck dardurch zu einer ehrlichen
Heyrath befoͤrdern moͤge/ welche Offerten der Teutſche
Cavallier auch willig annahm/ und ſich obligirte/ deß
Printzen Wolfahrt auch durch ſein eigen Blut zu
ſuchen.
Es war ihnen nicht moͤglich/ denſelben Tag die
Stadt Padua zu erreichen/ ob ſie gleich noch ſo gerne
gewolt haͤtten/ doch ritten ſie in die ſpaͤthe Nacht hin-
ein/ und war ihnen nicht wol zu Muth/ als ſie/ da es
dunckel worden/ noch keinen benachbarten Ort ange-
troffen hatten. Troll war nicht wol damit zufrieden/
daß ſich ſein Herꝛ abermahl erkuͤhnete/ in die Nacht
hinein zu reiten/ und weil er beſorgete/ er moͤchte hin-
ten von einigen Raͤubern angegriffen werden/ ſo gab
er ſeinem Pferd die Spohren/ und ritte die andern
Mvorbey/
[178]Deß Academiſchen
vorbey/ daß er vor ſie kam. Der Printz forſchete/ was
ſolches bedeute? Er aber gab zur Antwort: Omnium
rerum viciſſitudo, alles hat ſeine Abwechslung; Deß
Tages reitet ihr vor/ und ich hinten nach/ ſo muß ich
deß Nachts ja auch den Vorzug haben/ folget mir
nur getreulich nach/ ego fidus ero veſter præcurſor.
Sie lieſſen ihn ſeines Weges reiten/ aber es
waͤhrete nicht lange/ da burtzelte er mit ſeinem Pferd
uͤber einen Stein hin/ daß er zu Boden fiel/ wie ein
Klotz. Der Printz fragte ihn/ wie ihm geſchehe? was
ihm ſchade? wo er geblieben waͤre? Er antwortete
nichts anders/ als: Ita eſt illuſtriſſimo Signoro. Wor-
auf Jener fortfuhr: Lebſt du noch/ oder biſt du todt?
biſt du von dir ſelber gefallen/ oder hat dich das Pferd
herab geworffen? Miror ſanè, war ſeine Antwort/
daß ihr mich in einer Stock-finſtern Nacht uͤber zehe-
nerley Sachen fraget/ ich wolte/ daß ihr an meiner
Stelle laͤget/ ſo wolte ich ſehen/ ob ihr auf alle ſolche
wunderliche Fragen im Finſtern eine gnugſame Ant-
wort finden moͤchtet. Jch aber wil euch meine Mey-
nung kuͤrtzlich ſagen: Diſtinguendo inter voluntatem
ſpontaneam \& coactam, der Wille deß Menſchen iſt
bald freywillig/ bald gezwungen/ in dieſem Fall war
mein Wille gezwungen/ dann/ wie mein Pferd ſtuͤrtze-
te/ da wolte ich mich nicht waͤgern/ auch herab zu ſin-
cken/ weil ich beſorgete/ das Pferd wuͤrde mich ſonſten
gar unter die Fuͤſſe bekommen haben/ das mir das
Hertz im Leib geknacket/ die Ribben geborſten/ der
Bauch zerſchmettert/ die Leber und Lunge zerdruͤcket/
die Nieren zermalmet/ alle Blut-Adern zerquetſchet/
und der gantze Leib von Blut und Blut beſudelt waͤ-
re/ daruͤber waͤre ich alsdann ipſiſſimo Menſchen-
Freſſori zu Theil worden/ und ihr haͤttet leicht bey den
Umligenden koͤnnen querellirt/ oder angegeben wer-
den/
[179]Romans I. Buch.
den/ als wann ihr mich ermordet haͤttet. Nunc re-
ſponde, nonne bene reſpondi, \& me optimè explica-
vi, diſtinguendo inter voluntatem ſpontaneam \&
coactam?
Nun/ ſo ſtehe dann auf/ rieff ihm der Printz zu/
und ſchaffe dich auß dem Staub/ ehe wir auch uͤber
dich hinfallen. Alſo raffte ſich Troll behende auf/ und
fuͤhlete mit dem Fuß nach dem Stein/ oder Stock/
daruͤber ſein Pferd gefallen war/ ſo bald er aber mit
dem Fuß daran ſtieß/ bewegete ſich der Lapis offenſio-
nis, und rieff: Apage. Auf dieſe Worte flohe Troll
zuruͤck/ und ſprach zu den Ubrigen: Habt ihrs gehoͤ-
ret/ meine Herren und Bruͤder/ ſaxa \& arbores hic
loquuntur, ich glaube/ daß in dieſer Gegend die Stei-
ne und Baͤume wider den Lauff der Natur reden.
Es verwunderte ſich zwar die Geſellſchafft uͤber dieſen
Zufall/ aber Klingenfeld dachte alſobald/ es muͤſſe ein
Vollzapff allhier eingeſchlaffen/ und mitten auf dem
Felde ligen blieben ſeyn/ ritte demnach naͤher hinzu/
und rieff ihm zu: Du/ wer du auch biſt/ ſchlaͤffeſt du/
oder wacheſt du? In utramque aurem dormio, war
die Antwort/ welche Rede die andern ſehr Wunder
nahm. Klingenfeld fragte ihn weiter/ was er fuͤr einer
waͤre? Und Jener antwortete: Muſarum filius, Ce-
rebacchius dictus. Dieſe Worte fieng Troll alſobald
auf/ und antwortete wieder: Quid dormiunt liben-
ter, ſine lucro \& cum malo quieſcunt, die ſolcher Ge-
ſtaltſchlaffen/ die kommen zu nichts/ weder im Studi-
ren/ noch in der Nahrung. Er ruͤhrete ihntapffer/ und
noͤthigte ihn/ den Schlaff fahren zu laſſen/ worauf
der volle Zapff: Quid mihi amplius cum ſomno, ſi
dormitio tollitur, was iſts dann/ wann ihr einen nicht
wollet ſchlaffen laſſen? Quandoque bonus etiam dor-
mitat Homerus, hat doch euer Pferd auch geſchlaffen/
M 2als
[180]Deß Academiſchen
als es uͤber meinen Knochen ſtolperte. Troll ſprach
zur Geſellſchafft: Luſtig/ ihr Herren/ wir koͤnnen nicht
weit mehr von der gelehrten Stadt Padua ſeyn/ dieſe
Gegend riechet ſchon nach lauter Latein/ kommet nur
auf/ mein guter Schlucker/ ſprach er zum Truncken-
bold/ ihr muͤſſet uns/ an Statt der Laterne/ zu einem
Wegweiſer dienen. Cerebacchius, alſo nannte ſich
dieſer Menſch/ ſtund endlich auf/ und nachdem er die
Geſellſchafft betrachtet/ auch vernommen/ daß ſie
nach Padua gedaͤchten/ und von Mantua kaͤmen/ da
ſprach er: Tota errâſtis viâ, nam hæc, qua inceditis,
via, ſine exitu intermoritur, ihr ſeyd von der rechten
Land-Straſſen auf einen Holtzweg gerathen/ aber ich
wil euch wieder zurechte helffen.
Alſo nahm er deß Printzen Pferd bey der Hand/
und fuͤhrete es ſanffte fort/ dieſer aber gab ihm einen
Ducaten/ und darauf wanderten ſie fort/ dann Cere-
bacchius gab ihnen zu erkennen/ daß an dieſem Mo-
raſtigen Ort man ſich wol fuͤrzuſehen haͤtte. Endlich
erblicketen ſie ein Liecht/ nach welchem ſie der ſelzame
Geleitsmann durch viele Umwege fuͤhrete/ und hoch-
betheurete/ daß ſie in die aͤuſſerſte Lebens-Gefahr ge-
rathen muͤſten/ im Fall ſie ſich wuͤrden erkuͤhnen/ deß
geraden Weges nach dieſem Liecht zu reiten/ wegen
der vielen Loͤcher und Brunnen/ die unter Weges an-
zutreffen. Wie ſie endlich ziemlich nahe zu der Her-
berge kommen/ zog der Printz noch einen Ducaten
auß der Taſchen/ und hielte ihn dem Geleitsmann
dar/ der ihn aber durchauß nicht annehmen wolte/
ſondern ſprach: An poteſt quicquam eſſe abſurdius,
quam quò minus viæ reſtat, eò plus viatici quærere?
Wie ſolte ich noch mehr Zehrung begehren/ da wir
doch den Weg ſo nahe zu Ende gebracht haben?
Dieſer Hoͤflichkeit verwunderte ſich der Printz/ und
ritte
[181]Romans I. Buch.
ritte ihm willig nach/ biß ſie vor der Herberge in einem
kleinen Doͤrfflein anlangeten/ woſelbſt ſie mit einan-
der abſtiegen/ die Pferde in den Stall zogen/ und
ihnen eine gute Mahlzeit durch den Cerebacchium,
der allhier ziemlich bekandt war/ beſtellen lieſſen. Der
Gaſtgeber ſtellete ſich ſehr freundlich/ brachte alſo-
bald eine Schuͤſſel mit Fruͤchten/ und eine Flaſche
koͤſtlichen Weins zum Anbiß. Bald hernach kam er
wieder/ und forſchete/ ob ſie allein ſpeiſen/ oder war-
ten wolten/ biß die jenige Geſellſchafft kaͤme/ die ſchon
geſtern das Nacht-Lager auf heute bey ihm beſtellet
haͤtte. Cerebacchius machte jetzo groſſe Augen/ und
ſprach: Auf ſolche Weiſe ſolten wir wol dieſe Nacht
nicht einmahl hier bleiben koͤnnen/ warum habt ihr
uns dann herein kommen laſſen? Turpius ejicitur,
quam non admittitur Hoſpes. Doch wolan/ ich wil
vernehmen/ wasdieſer Herꝛ ſaget.
Hiermit tratt er zum Printzen/ und empfieng
von demſelben Ordre, daß er nur anrichten ſolte/ wor-
bey man ihm bedeuten ließ/ ſo fern noch eine ſtarcke
Geſellſchafft ankommen wuͤrde/ wolten ſie das beſte
Nacht-Lager vor ſich bedungen haben/ er moͤge auch
machen und ſagen/ was er immer wolle. Der Gaſt-
geber ſchaffete darauf reichlich an/ aber man ſahe
wol/ daß er darbey der Kreiden gar nicht ſpahrete/
und ſchiene es/ daß er die Kreide theurer wolte bezah-
let haben/ als ſeine Tractamenten/ woruͤber ſie die
Koͤpffe zuſammen ſtecketen. Aber Cerebacchius fieng
an zu lachen/ und ſagte: Vivitur ex rapto: non ho-
ſpes ab hoſpite tutus, wann ein Gaſtgeber einen fet-
ten Braten findet/ ſo preſſet er ihm das Fett ab. Die-
ſer Cerebacchius hatte die Ehre/ daß er mit zu Tiſche
ſaſſe/ weil ſich der Printz incognito hielte/ wannenher
ſich ſo wol dieſer/ als die zween andern zum hefftig-
M 3ſten
[182]Deß Academiſchen
ſten verwunderten/ uͤber die ungemeine Gaben deß
Cerebacchii im Eſſen und Trincken. Er nahm ein
Stuͤck Rind-Fleiſch vor ſich/ das zum wenigſten fuͤnff
Pfund woge/ das ſchobe er in einer kleinen halben
Viertel-Stunde/ ſamt 3. Pfund Waͤitzen-Brod/ mit
ſolcher Begierde in den Magen/ daß es nicht zu be-
ſchreiben. Darnach griff er nach einem Calicutiſchen
Hahn/ deren zween auf dem Tiſch/ und aſſe vor ſeine
eigene Perſon denſelben biß auf die Knochen auf/
der Mund ſchaͤumete ihm recht/ ſo gieng ihm die
Mahl-Muͤhle.
Die andern ſagten ihm nichts/ ſondern lieſſen
ihn gewaͤhren/ legten ihm auch von den Fiſchen vor/
aber er gab ſelbige wieder von ſich/ ſagend: Capiun-
tur piſces Hamô, mir iſt bang/ es moͤchte noch ein An-
gel darinn ſtecken. Er nahm aber eine Flaſche mit
Wein/ ſetzte ſie vor den Mund/ und ſoffe ſie in einem
Zug auß/ wiſchete das Maul/ und ließ den Wirth
wieder einfuͤllen. Nun wolan/ dachte Klingenfeld
bey ſich ſelber/ dieſer Menſch fuͤhret den Namen Ce-
rebacchius wol mit dem beſten Recht/ dann ich glau-
be/ Ceres habe ſeine Mutter/ und Bacchus ſein Vatter
geheiſſen. Endlich ward eine Schuͤſſel voll ſchoͤnen
Sallats/ und 12. Krammets-Voͤgel aufgetragen/
als ſolches Cerebacchius ſahe/ winckete er dem Wirth/
der darauf wieder kam/ und ihm eine beſondere weit
groͤſſere Schuͤſſel mit Sallat fuͤrſetzete/ ſamt einem
geraͤucherten Schincken. Den Sallat nahm er zwi-
ſchen die Finger/ und warff ihn zum Halß hinein/ als
wie ein Bauersmann/ (ſalvo honore,) den Miſt auf
den Wagen wirfft. Zwiſchen jeden Mund-voll Sal-
lat/ ſteckete er eine gantze Scheibe vom Schincken
hernach/ und ehe eine halbe Viertel-Stunde ver-
lauffen/ hatte er den Schincken ſamt dem Sallat/ und
eine
[183]Romans I. Buch.
eine Viertel-Maaß ſtarcken Brandtwein zu ſich ge-
ſtecket darauf ſteckete er ſein Meſſer ein/ und als ihn
der Printz zum Schein noͤthigte/ noch ein mehrers
von Speiſen zugenieſſen/ da entſchuldigte er ſich/ daß
er nicht recht außgeſchlaffen/ auch einige Bauch-
Schmertzen den Tag uͤber empfunden/ ſonſten wolte
er ſeine Mahlzeit beſſer gehalten haben. Nun wol-
an/ ſprach Troll/ heiſſet das nicht gefreſſen/ ſo weiß ich
nicht/ was dann Freſſen heiſſet. Jch armer Schlucker
ſtehe hier/ als ein Famulus mei Domini, und erwarte
mit groſſem Verlangen eine Micam panis, quæ cadat
de menſa, aber dieſes zarte Huͤndlein mit dem groſſen
Rachen friſſet mirs alles vor der Naſen weg. Der
Printz aber winckete ihm/ er ſolle einhalten/ weil er
ſich ſonderlich an dieſem Menſchen ergoͤtzete/ und alſo
gieng Troll in die Kuͤche/ und ließ ihm etwas anrich-
ten. Nachdem endlich die Mahlzeit vollendet/ nahm
Cerebacchius noch eine Flaſche mit rothem Wein/
und leerete ſie in einem Zug rein auß/ ſetzte auch alſo-
bald/ ohne aufſtehen/ ein Quartier guten Aquavit
darauf/ und bathe/ ſie moͤchten ihm nicht uͤbel deuten/
daß er ihrer Mahlzeit zu viel geſchonet/ allermaſſen er
ſich/ wie geſaget/ nicht gar zu wol auf befinde.
Hierauf ſprach Klingenfeld zu ihm/ worvon er
dann eigentlich Profeſſion mache? Worauf Jener:
Jch lebe auf Univerſitaͤten/ finde aber mehr Plaiſir im
Eſſen und Trincken/ als im Studiren/ welches einem
den Kopff nur verwirret. O du elender Menſch/ fuhr
Jener fort/ es iſt noch hohe Zeit/ daß ihr euch zu den
loͤblichen freyen Kuͤnſten wendet/ dann ein ſolcher
Debauchant, wie ihr ſeyd/ iſt ja bey aller Welt ver-
haſſet/ da hingegen die ſtudirende Jugend/ ſo lange ſie
in ehrbarer Zucht und Wandel verharret/ von der
gantzen redlichen Welt jederzeit iſt geliebet und geeh-
M 4ret
[184]Deß Academiſchen
ret worden. Cerebacchius hingegen ſchuͤttelte den
Kopff/ und ſagte: Jch ſehe wol/ was die Studenten
anjetzo in der Welt gelten/ ein Jeder wil ſich an den
Schul-Fuͤchſen reiben/ hergegen/ wann einer brav
freſſen und ſauffen kan/ ſo ſtecket zum wenigſten noch
ein guter Hof-Mann darinn/ und der ſich in den
Wiſſenſchafften vertieffet/ findet nirgends/ als durch
ſchweres Geld ſeine Promotion. Jch habe der Exem-
pel gnugſam vor mir in meinem Vatterland/ es mag
eine Facultaͤt ſeyn/ wie ſie wolle/ ohne Geld/ oder hohe
Patronen/ wird keiner befoͤrdert/ wann er auch gnug-
ſame Proben ſeiner Erudition abgeleget haͤtte/ wiſſet
ihr aber mir das Gegentheil zu beweiſen/ ſo wil ich
euch mit Gedult anhoͤren.
Hierauf ließ ſich der ernſthaffte Klingenfeld in
folgenden Diſcurs herauß: Daß die ſtudirende Ju-
gend eine geraume Zeit in ehrbarer Zucht geſtanden/
und verharret/ hoffe ich/ ſey auſſer allem Zweiffel;
Dann/ wo das nicht geweſen/ nimmermehr haͤtten ſo
viel Kaͤyſer/ Koͤnige/ Fuͤrſten und Herꝛſchafften/ ſo
maͤchtigen Schutz ihnen gehalten/ und ſie wider allen
Unfall verſichert/ zu dem kom̃en die Uhr-alten Stiff-
tungen der hohen Schulen/ welche ordnen und wol-
len/ daß Doctores, Licentiaten/ Magiſtri, Baccalaurei,
und ins gemein alle/ ſo den Univerſitaͤten einverlei-
bet ſeyn/ und derſelbigen Freyheit begehren zu genieſ-
ſen/ ehrbarlich nach den Geboten der Rechten/ auch
den Geſetzen der Academien leben; Fuͤrnemlich aber
dem Rector, darnach aber einer dem andern/ nach der
Wuͤrden und Gnaden/ Hoheit/ gebuͤhrliche Ehre be-
weiſen.
Sie ordnen und wollen/ daß inſonderheit die
Doctores, Magiſtri und graduirte Perſonen/ ſich einer
Tapfferkeit deß Gemuͤths/ Beſtaͤndigkeit und zeitiger
Erfah-
[185]Romans I. Buch.
Erfahrenheit annehmen; Die Scholaren aber deß
Gehorſams/ Reinigkeit/ (iſt viel geſaget/) und Em-
ſigkeit in ihrem Beruff ſich befleiſſigen ſollen; Von
beyden Theilen erfordern ſie leutſeelige und ehrbare
Sitten/ und in Summa/ ein ſolches Leben/ welches
diſciplinirten und recht-erzogenen Maͤnnern wol an-
ſtehet; Dargegen ſeyn den rebelliſchen/ ſtuͤrmiſchen/
Fried-haͤſſigen/ eigenſinnigen Koͤpffen/ nachdem ihre
Verwuͤrckungen beſchaffen/ ernſtliche Straffen an-
gebotten und angedrohet worden.
Bey der Univerſitaͤt am Maͤyn iſt befohlen/ daß
Jaͤhrlich die Philoſophiſche Facultaͤt ihre untergebene
Mit-Glieder alſo anreden ſoll: Quod felix fauſtum-
que ſit, \& quidem univerſæ Reipublicæ literariæ ſa-
croſanctas leges noſtras, ac Statuta univerſo cætui no-
ſtro publicare cogitamus. In hoc verò promulgandi
negotio, tu ſtudioſa cohors, imprimis admonenda
nobis occurris, ne illotis quod fertur manibus pedi-
busque, neve parum reverenter ad ſtatutorum noſtro-
rum publicationem confluxiſſe videaris, imò purgatis
cum auribus, tum animis omnes militiæ noſtræ con-
ſortes auſcultare, animumque advertere haud oſcitan-
ter, præcipimus, optamusque probè ingenuatos, tra-
ctabiles, diſciplinarumque ſtudiis, intentos, \& eorun-
dem flagrantes amore, nobis offerri. Contra verò
diſcolos, in diſciplinatos, difficiles, moroſos, ſiniſtro
genio, iratisque Muſis \& Apolline natos, hinc eminus
ablegamus, manifeſtaque conteſtatione tanquam im-
belles ignavos \& literariæ militiæ inutiles averſamur.
Das iſt: Damit es heilſam und gluͤcklich werde die-
ſer gantzen Policey/ der loͤblichen Studien/ gedencken
wir unſere hochheilige Geſetze und Ordnungen un-
ſern Angehoͤrigen zu eroͤffnen und vorzutragen. Weil
wir aber ſolches verrichten/ muſt du/ O ſtudirende
M 5Jugend/
[186]Deß Academiſchen
Jugend/ fuͤr allen Dingen erinnert werden/ auf daß
es nicht das Anſehen habe/ ob du mit ungewaſchenen
Haͤnden und Fuͤſſen/ wie man in Lateiniſcher Sprach
zu reden pfleget/ und mit ſchlechter Beſcheidenheit zu
ſolchem Werck zuſammen gelauffen waͤreſt. Ja/ wir
gebieten/ daß Jede und Jegliche/ die unſerer Geſell-
ſchafft theilhafftig ſeyn/ mit ſaubern Ohren und Ge-
muͤthern aufmercken/ und ohne einzige Nachlaͤſſig-
keit dem Werck beywohnen ſollen; Und wuͤnſchen/
GOtt goͤnne uns werthe/ geartete/ ſtille/ den freyen
Kuͤnſten ergebene/ begierliche und liebreiche Studen-
ten. Jm widrigen verbannen wir/ die ungebaͤrdige/
hartnaͤckigte/ ruchloſe/ naͤrriſche/ trotzige/ ungeſchliffe-
ne/ und zu keiner Redlichkeit gebohrne Tropffen/ mit
oͤffentlicher Bedingung/ als faule/ ſchlaͤfferige/ fahr-
laͤſſige/ toͤlpiſche/ und zu der Geſchicklichkeit uͤbel ge-
ſchickte Eſel.
Wann dann mit ſolchen ſtattlichen Verfaſſun-
gen durch die gantze Chriſtenheit ſo gar viel hohe
Schulen aufgerichtet worden/ wer wil dann nicht
erkennen/ die Studenten waͤren ſehr theuer geachtet
geweſen/ ſonſten haͤtte die weiſe Welt ihnen nicht ſo
viel praͤchtige Pallaͤſte gebauet/ nicht ſo viel koſtbarer
Renten geſchencket/ auch nicht ſo viel gelehrter Mei-
ſter unterhalten. Seynd aber die Studenten ſehr
theuer geachtet geweſen/ fuͤrwahr/ das iſt geſchehen/
der ehrbaren Tugenden halben/ ſonſt waͤre es ver-
blieben.
Und was moͤchte doch die gewaltigen Helden
und Gutthaͤter angebracht haben/ fuͤr die Studenten
von einem Jahr zu dem andern/ von einem Jubel-
Jahr zu dem andern/ ſo feſtiglich/ ſo mildiglich/ und ſo
herꝛlich zu ſorgen/ wo nicht die Tugend vorgedrun-
gen? Die Tugend hat denen Studenten den Adel
zuge-
[187]Romans I. Buch.
zugeſchrieben; Die Tugend hat die Studenten zu
Herren/ zu Biſchoffen/ zu Fuͤrſten erhoben/ die Tu-
gend hat die Studenten in ſteiffe Domereyen gefuͤh-
ret/ die Tugend hat die Studenten offtmahls auß
den Staube genommen/ und den Durchleuchtigſten
Monarchen an die Seiten geſtellet/ die Tugend hat
die Studenten in Gunſt gebracht bey Hohen und
Niedrigen/ bey Jungen und Alten/ bey Groſſen und
Kleinen/ bey Matronen und Jungfrauen. Wem ge-
faͤllet/ kan leſen/ was unterſchiedliche von der Univer-
ſitaͤt zu Salmantica in Spanien/ und Oxford in En-
gelland ſchreiben. Zu Salmantica ſeyn 20. Collegia,
wann die Studenten außgehen/ ſiehet man ſie alle-
zeit zu Paaren/ und muͤſſen ihren Obern trefflich ge-
horchen. Jmmerdar uͤber 4000. ſtudiren daſelbſt/
und leben doch alle gantz ehrbarlich in Worten/ Wer-
cken/ Kleidungen und Gebaͤrden. Ehe einer zu dem
Stipendio gelanget/ hat er uͤber ſich ein ſcharffes Exa-
men, ob ihm etwas in Sitten/ Glauben und Gebuͤhre
beyzumeſſen? Da iſt keiner/ der garſtige Schertz-
Poſſen/ Wuͤrffel- und Kartenſpiel brauchet/ er wolle
dann erſtlich haͤßlich geſcholten/ fortfahren/ und dar-
nach in das verdrießliche Gefaͤngnuͤß geworffen ſeyn.
Kuͤrtzlich/ die edle Tugend iſt geweſen/ und hat
zu reichen Pfruͤnden gebracht geſchickte und graduirte
Geſellen/ und die ungeſchlachte Bloͤcher außgeſchloſ-
ſen. Die edle Tugend iſt noch/ und hilfft in Spanien
den armen/ aber gelehrten Studenten/ zu Biſchoͤff-
lichen/ Ertz-Biſchoͤfflichen und Patriarchaliſchen
Wuͤrden/ da andere von ferne nachgaffen. Die Tu-
gend hat Kaͤyſer/ Koͤnige/ Fuͤrſten und Herren-Kinder
auf hohe Schulen gereitzet/ und Studenten werden
laſſen. Vieler Kaͤyſer/ Koͤnige/ Fuͤrſten und Herren
Kinder ſeyn niemahls als Soldaten im Krieg/ ſon-
dern
[188]Deß Academiſchen
dern als Studenten auf hohe Schulen gezogen/ nur
wegen der edlen Tugenden.
Die edle Tugend iſt Urſach/ daß manche Uni-
verſitaͤten nicht allein das Doctorat, ſondern auch ne-
ben demſelbigen den geehrten Adel ihren Studenten
zugleich verliehen. Weil die Studenten der ehrbaren
Zucht ſich befliſſen/ wurden ihnen die beſten Sachen
geſtifftet/ und bedunckete manchem/ er koͤnte ſein Le-
ben nirgend ſeelig beſchlieſſen/ wofern von ſeinem
Reichthum die Studenten nicht eine koͤſtliche Por-
tion bekommen ſolten. Allhier iſt zu erinnern der
Brieff/ welchen Kaͤyſer Fridericus der Dritte dieſes
Namens/ an einen jungen Knaben geſchrieben.
Fridericus III. Romanorum Imperator \&c. S D.
Admirando \& inſigni puero Andreæ Canter Grönin-
genſi, Joannis Filio.
PErvenit ad noſtræ Majeſtatis auris audientiam ingens de te
fama clariſſime infans, inauditumque cunctis ſeculis tuæ lau-
dis præconium: quomodo videlicet anre decimum tenerri-
mum ætatis tuæ annum, univerſarnm pene liberalium artium
peritiam nactus ſis, ac \& noſtrarum legum ſacrorumque cano-
rum cognitionem: \& (quod tantò admirabilius, quantò nobis
rarius videtur,) teipſum ajunt, toſtam veteris ac novi Teſtamenti
ſeriem, non ſine divinæ Clementiæ ſuffragio palàm profiteri:
nec non in publicis diſputationibus intrepido pectore ad quod
libet reſpondere. Nos verò cupientes tanti miraculi veritatem
plenius experiri, noſtris te familaribus his literis viſitare non in-
dignum duximus, ut ad Viennenſem noſtræ Imperatoriæ Ma-
jeſtatis ſingulariter adamandam Univerſitatem quam primum
venire velis, ingenti namque deſiderio te videre deſideramus,
ruamque tam fæcundi ingenii dignitatem imperalium mune-
rum participem facere. Iter igitur Viennam verſus, ut primum
poteris, accipe, \& ad noſtræ celſitudinis Regale ſolium teipſum
recipe: ut poſteaque de tam profunda floridiſſimæ juventutis
tuæ ſcientia vera experimentum habuerimus, aureis te Docto-
rum inſignibus feliciter coronemus dabimus etenim tibi, (nec
immeritò) primum in Regali aulâ locum, erisque quantò ætate
minor
[189]Romans I. Buch.
minor tantò nobis acceptior æſtimandus: vale chariſſime fili,
\& cura, ne maturo tandem ſenio noſtra in graveſcens Majeſtas,
tam admirando incredibilique ſolatio diutius careat. Datum in
Alma Univerſitate ſtudii noſtri Viennenſis ſub noſtræ Majeſta-
tis ſecreto, Anno 1472. die 25. Menſis Januarii. Regno vero
noſtro 33. Anno.
Dieſer Brieff lautet in Teutſcher Zunge/
wie folget:
Friderich der Dritte/ Roͤmiſcher Kaͤyſer/
wuͤnſchet Heyl und alle Wolfahrt dem wunder-
baren und vortrefflichen Knaben Andreas Can-
ter/ von Groͤningen/ deß Johannes Sohn.
ES iſt fuͤr unſere Kaͤyſerl. Ohren gelauget/ das groſſe Ge-
ruͤchte von dir/ allerliebſtes Kind/ und der von allen Zeiten
her unerhoͤrte Ruhm deines Lobes/ wie nemlich du vor
dem zarteſten 10. Jahr deines Alters faſt aller und jeder Kuͤn-
ſien Erfahrenheit uͤberkommen/ auch die Wiſſenſchafft unſe-
rer Geſetze und der heiligen Canonen/ und (was daher deſto
hoͤher zu verwundern/ je ſelzamer uns beduncket) ſagen die
Leute/ daß du das voͤllige Alte und Neue Teſtament nicht ohne
Huͤlffe der Goͤttlichen Gnaden/ vor Jedermann laͤſeſt und er-
klaͤreſt/ und in oͤffentlichen Diſputationen mit unerſchrocke-
nem Hertzen auf jede Frage und Schluß-Rede antworteſt.
Wann Wir aber die Warheit eines ſolchen Wunder-Wercks
beſſer in Augenſchein zu nehmen begehren/ haben Wir dich
nicht unwuͤrdig erachtet/ mit Unſerm freundlichen Brieff zu
beſuchen/ daß du auf Unſerer Kaͤyſerl. Maj. inſonderheit ge-
liebte Univerſitaͤt zu Wien ankommen wolleſt/ ſintemahl mit
groſſem Verlange[n w]uͤnſchen Wir dich zu ſehen/ und die
Wuͤrde deines ſo bere[d]eten Verſtandes der Kaͤyſerl. Schen-
ckungen theilhafftig zu machen/ derowegen wirſt du dich/ ſo
bald du kanſt/ nach Wien erheben/ und zu dem Thron Unſeren
Koͤnigl. Hoheit begeben/ auf daß/ wann Wir von deiner bluͤ-
hendeſten Jugend tieffer Wiſſenſchafft ein Bewaͤhrnuͤß ha-
ben werden/ dich mit den guͤldenen Kleinodien der Doctoren
kroͤnen koͤnnen. Wollen derhalben dir/ (auch nicht unbillich/)
den erſten Sitz in Unſerm Koͤnigl. Hof geben/ und du wirſt
Uns wie geringer am Alter/ ſo viel deſto angenehmer/ und
auch Unſerer vorgedachten Univerſitaͤt Doctoren werther zu
ſchaͤtzen
[190]Deß Academiſchen
ſchaͤtzen ſeyn. Gehab dich wol/ liebſter Sohn/ und verſchaffe/
damit nicht Unſere bey ſo reiffem Alter bau-faͤllige Majeſtaͤt
eines ſolchen wunderbaren und unglaublichen Troſts laͤnger
entbaͤhren muͤſſe. Geben auf der Univerſitaͤt zu Wien/ unter
Unſerm Secret/ im Jahr nach Chriſti Geburt 1472. den
26. Jenner. Unſers Reichs im 33. Jahr.
Schauet nur mein Freund/ das thut ein Kaͤyſer/
was thaten neben Jhm andere Unzaͤhlbare?
Das XVII. Capitul/
Cerebacchius excipirt hierauf/ und diſcuriret mit Troll.
Klingenfeld haͤlt einen ſchoͤnen Diſcurs/ von natuͤr- und kuͤnſtlichen
Sachen/ die bey den Alten zu ſehen geweſen. Der Echo zu Simonetta
wird beſchrieben.
ALs Klingenfeld hiermit ſeine Rede beſchloß/ ließ
ſich Cerebacchius folgender Geſtalt herauß:
Es iſt freylich wol gethan/ daß man den armen
Studenten mit reichen Vermaͤchtnuͤſſen und Stipen-
dien unter die Arme gegriffen; Aber/ ô tempora!
ô mores! wie gewaltig werden dieſe Stipendia anjetzo
mißbrauchet/ da kan kein Armer mehr zugelangen/
ſie ſind bey den Reichen nunmehro erblich worden/
und ſitzen ſie ſo feſt darauf/ als die Katz auf einem tod-
ten Fiſch. Mit den Teſtamenten-Geldern/ ſo zu der
ſtudirenden Jugend gewidmet/ gehet es an vielen
Orten eben alſo daher/ die Reichen nehmen den Ar-
men das Brodt vor der Naſen/ und da gilt weder
Schrifft noch Gewiſſen/ wer Geld hat/ ſchwimmet
oben/ aber doch nur bey ſeines Gleichen. Jm uͤbrigen
wundert mich/ daß Fridericus, der Roͤmiſche Kaͤyſer/
dieſen zehen-jaͤhrigen Knaben/ wegen ſeiner Wiſſen-
ſchafften/ ſo hoch geehret/ als ich ein Back-Fiſch von
ſolchem Alter war/ hielte ich mich hoͤher und gelehrter/
als der beſte Mann/ haͤtte dieſer Andreas Canter in
ſolchem geringen Alter in einer Mahlzeit 8. Pfund
Fleiſch/ 4. Pfund Fiſche/ 2. Pfund Butter/ und 6. Pf.
Brodts/
[191]Romans I. Buch.
Brodts/ ſamt 5. Maß Bier/ und 3. Maß Weins/
auch eine halbe Maß Brandtweins zu ſich nehmen
koͤnnen/ ſo waͤre er groͤſſerer Verwunderung/ ja auch
groͤſſerer Ehren werth geweſen in meinen Gedancken/
aber nun æſtimire ich ihn vor einen Narren/ zumahl
alle ſolche præcocia ingenia mit den zunehmenden
Jahren dergeſtalt wieder abgenom̃en/ daß man ſie zu
nichts Wichtiges hat gebrauchen koͤnnen. Weil
nun Klingenfeld ſahe/ daß bey dieſem Menſchen alle
angewandte Muͤhe vergeblich ſeyn wuͤrde/ wolte er
nicht viel Worte mehr gegen ihm verlieren/ ſondern
wandte ſich zum Printzen/ und fragte ihn: Was ihn
bey dieſen Kumpen daͤuchte? Jch habe meine Luſt/
ſprach dieſer/ an ſeinem Schmauſen/ moͤchte ihn dem-
nach wol in unſerer Geſellſchafft behalten. Nach-
dem endlich Troll auch eine gute Mahlzeit zu ſich ge-
nommen/ kam er mit ſeinem juͤngſt erworbenen ſilber-
nen Becher wieder zur Stuben hinein/ und ſprach:
Quid ita, meine Herren/ ſitzet ihr noch/ und ſehet die-
ſem Haupt-Freſſer zu? Jch riethe/ wir raͤyſeten nicht
weiter mit ihm uͤber Feld/ er doͤrffte ſonſt/ wann ihn
ſein unnatuͤrlicher Appetit uͤberfaͤllet/ in der Tupin
Imben Orden tretten/ und einen nach dem andern von
unſerer Geſellſchafft bey lebendigem Leibe auffreſſen.
Aber/ quid moror? was halte ich mich lange auf/ die-
ſen Becher duͤrſtet ſo gewaltig/ daß er kein Wort
darfuͤr außſprechen kan. Eſtote miſericordes, gebet
ihm etwas zu trincken/ ehe dieſer Gulo alles einſaufft.
Klingenfeld reichete ihm darauf eine Flaſche/ auß
welcher er ſeinen Becher voll ſchenckete/ und denſel-
ben gleich in einem Anſatz außleerete. Salus, Herꝛ
Bruder/ rieff ihm Cerebacchius darauf zu/ ich ſehe/
die Trinck-Gaͤnge ſind dir auch noch nicht verſtopffet.
E heu, war deß Trolls Antwort/ malo fraternitatem
Carni-
[192]Deß Academiſchen
Carnificis, quam Helluonis, deß Henckers Bruder-
ſchafft ſoll mir lieber ſeyn/ als eines ſolchen Freß-
Schweins und Sauff-Bullen/ wie du elender Kerl
biſt.
Cerebacchius aͤrgert ſich hieran gar nicht/ ſon-
dern lachete der Poſſen/ und ſprach: Du magſt
gleichwol wiſſen/ daß ich kein geringer Kerl/ und dei-
ner Bruderſchafft wol noch werth bin/ inmaſſen der
Biſchoff von Muͤnſter mein Groß-Vatter geweſen
iſt. Euge plauſibile encomium, ein feiner Ruhm/ er-
widerte Troll/ eines Biſchoffs Enckel ſeyn/ ſo muſt du
ja nothwendig eines unehelichen Vatters Kind ſeyn/
dann ein Biſchoff hat keine Ehe-Frau. So meyne
ichs auch nicht/ replicirte der andere/ ich ſage es deß-
halben/ mein Vatter iſt ein Obriſter unter bemeltem
Biſchoff geweſen/ der ſeine Soldaten und Officierer
allwege ſeine liebe Kinder tituliret hat/ waren ſie nun
ſeine Kinder/ ſo waren alle ſeine Soldaten ja ſeine
Soͤhne/ und alſo auch mein Vatter/ und weil ich
nun meines Vatters ehelicher Sohn bin/ ſo muß ja
der Biſchoff mein Groß-Vatter/ und ich all zu viel zu
wuͤrdig ſeyn/ dein Bruder zu heiſſen. Anjetzo fieng
Troll ſo hertzlich an zu lachen/ daß er haͤtte borſten
moͤgen. Endlich aber/ als er ſich wieder erholet hatte/
ſprach er: Ergo diſtinguendum eſt inter filium pro-
priè \& impropriè dictum, du magſt wol ein eigent-
licher Sohn deines Vatters ſeyn/ aber dein Vatter
war nur ein uneigentlicher Sohn deß Biſchoffs/ ſonſt
haͤtte dieſer auf einmahl uͤber 15000. Soͤhne im Le-
ben muͤſſen gehabt haben/ welches eben ſo laͤcherlich/
als wann ich behaupten wolte/ daß unſer Hoſpes mit
der gantzen Welt in certo gradu, und in einer abſtei-
genden Diviſion und Subdiviſion verwandt waͤre.
Das laͤſſet ſich aber/ warff Cerebacchius ein/ auf keine
Weiſe
[193]Romans I. Buch.
Weiſe behaupten/ und darauf begunte Troll alle
Finger von einander zu ſperren/ worbey er folgenden
Diſcurs anfuͤhrete: Attende Domine, hoͤre/ was ich
dir fuͤrbringen wil; Die gantze Welt wird in vier
groſſe Haupt-Theile getheilet/ darvon iſt Europa ei-
ner/ ecce Gradum primum. Jtalien iſt einer von den
edelſten Theilen Europæ, en Gradum ſecundum. Die
Lombardey gibt uns einen Theil von Jtalien/ habes
Gradum tertium. Das Venetianiſche Gebieth iſt ein
Theil der Lombardey/ vide Gradum quartum. Ager
Patavinus, der Paduaniſche Land-Strich gehoͤret zur
Venetianiſchen Lombardey/ iſt der fuͤnffte Grad.
Dieſes Dorff iſt ein Theil vom Paduaniſchen Ge-
bieth/ und gibt uns den ſechſten Grad. Unſers Wirths
Hauß iſt ein Stuͤck dieſes Dorffs/ ecce Gradum ſepti-
mum. Unſer Hoſpes ſelber iſt das fuͤrnehmſte Glied
ſeines Hauſes/ und zugleich Gradus octavus. Gehe
ich weiter/ ſo machet deß Wirths Ober-Leib/ wann
man ihn von dem Unter-Leib per diviſionem menta-
lem abſondert/ den neundten Gradum. Der Arm iſt
ein Theil deß Ober-Leibs/ machet alſo den zehenden
Grad. Die Hand iſt ein Theil deß Arms/ und zugleich
in noſtro ordine der eilffte Gradus. Der Daume iſt
ein Glied der Hand/ en Gradum duodecimum. Deß
Daumens erſtes Gelenck machet den dreyzehenden
Grad. Wann wir aber dieſes Glied theilen in die
Haut/ Fleiſch/ Knochen und Blut/ ſo iſt ein jedes
Stuͤck der vierzehende Gradus, und in ſelbigem mit
der gantzen Welt/ gleich wie unſer Hoſpes totus ſelber
mit der Welt/ in octavo Gradu, nach abſteigender
Diviſions-Linie/ verwandt/ ſieheſt du alſo/ daß ich
wahr geredet habe.
Es muſte ein Jeder dieſer wunderlichen Dedu-
ction von Hertzen lachen/ und ſprach Cavina: Auf
Nſolche
[194]Deß Academiſchen
ſolche Weiſe/ mein ehrlicher Troll/ moͤchtet ihr unter
allen Geſchoͤpffen in der Welt/ unter Todten und Le-
bendigen/ auch unter Vernuͤnfftigen und Unvernuͤnff-
tigen gar leicht eine Bluts-Freundſchafft außfinden.
Saget mir aber/ wann ihr den Cerebacchium tituli-
ren wollet/ wie wollet ihr ihn wol nennen. Troll
ſchmutzerte jetzo/ und ſprach darzu: Als ich dieſe ſelza-
me Creatur vor etlichen Stunden auf dem Feld li-
gend fand/ und mit meinem Pferd uͤber ihn herſtuͤr-
tzete/ da war er/ die Warheit bloſſer Dings zu beken-
nen/ ein Truncus vocalis, ein Klotz/ welcher reden kun-
te/ aber ſeit dem/ daß ich ihn jetzo bey der Mahlzeit be-
trachtet/ erkenne ich/ daß er iſt eine Spelunca inſatia-
bilis, oder eine unerſaͤttliche Hoͤhle. Du Narꝛ/ ſprach
der Printz de Turſis darzwiſchen/ weiſt du wol/ was ein
Truncus vocalis iſt? Wer hat ehemahlen einen Klotz
reden hoͤren? Klingenfeld ſprach: Mein Herꝛ/ ich wil
eurem Diener das Wort fuͤhren/ und erweiſen/ daß
man wol ehe redende Kloͤtze/ Baͤume und Steine ge-
habt/ und als der Printz zu vernehmen gab/ daß er
gerne ein mehrers hiervon wiſſen moͤchte/ ließ ſich
Jener folgender Geſtalt hoͤren:
Unter andern raren Kunſt-Stuͤcken der klugen
Egyptier iſt nicht das Geringſte geweſen/ das Bild-
nuͤß Memnonis, welches bey Aufgang der Sonnen
jedes mahl einen Muſicaliſchen Laut von ſich hoͤren
laſſen. Ob nun gleich von dem gemeinen Mann die-
ſes vor ein unerhoͤrtes Wunder-Werck geachtet wor-
den/ ſo war es doch nichts anders/ als eine kuͤnſtliche
Erfindung kluger Leute/ wordurch ſie dem Poͤbel
offtmahl eine Einbildung groſſer Wunder-Wercke
beybrachten.
Es kan aber ein ſolches Memnonis-Bild auf
folgende Weiſe verfertiget werden: Weil bekandt
iſt/
[195]Romans I. Buch.
iſt/ daß die Rarefactio, oder Duͤnnmachung der Lufft
groſſe Gewalt hat/ ſo laſſe dir ein Poſtement oder
Werck machen/ welches mitten mit einem Schurtz/
oder Gatter unterſcheiden ſey. Nun muß die eine
Seite auß einer duͤnnen Metallenen Platten beſte-
hen/ die da von der aufgehenden Sonnen/ gegen
welche ſie gerichtet/ ſich leichtlich erhitzen laſſe. Jm
Schurtz muß auch ein Loch gemacht werden/ wor-
durch man eine Roͤhre leitet. Jnnerhalb deß oberſten
Vierecks/ wird ein ſubtiles Rad gemacht/ ſo ſehr
duͤnne/ und ſich gantz leicht bewegen laſſe. Die Achſe
wird in beyde Seiten deß Vierecks eingelaſſen. Am
erſten Rand dieſes Raͤdleins muͤſſen rund herum
kleine Hoͤltzlein/ oder Zaͤpfflein/ und in dieſe kleine
Spitzlein von einem zarten Feder-Kiel eingehefftet
werden.
Nun mangelt noch/ daß man um dieſes Rad
herum an dem Viereck ſo viel Saͤiten/ und ſo ge-
ſtimmet/ als einem beliebet/ dergeſtalt anziehe/ daß
die gefiderte Zaͤpfflein deß umlauffenden Rads die-
ſelbe beruͤhre/ und ſie anthoͤnend mache. Wann nun
die Metallene Seite von der aufgehenden Sonnen
erhitzet worden/ ſo wird die darinn befindliche Lufft/
ſo uͤber Nacht erkaltet/ durch die Hitze ſich außbreiten
und duͤnne werden/ dannenhero ſie einen Außgang
ſuchet/ und keinen andern/ als durch die Roͤhre findet.
Das Loͤchlein dieſer Roͤhre wird die außgehende Lufft
gerade nach dem Rand deß Raͤdleins fuͤhren/ welches
alsdann durch ſein Umlauffen alle Saͤiten beruͤhren/
und den begehrten Muſicaliſchen Klang von ſich ge-
ben wird.
Wer eine Stimme in deß Bildes Mund for-
miren wil/ kan obgeſetzte Roͤhre heimlich biß zu deß
Bildes Mund fuͤhren/ wann nun ein Pfeifflein dar-
N 2innen
[196]Deß Academiſchen
innen ſtecket/ ſo man Anthropogloſſa heiſſet/ das iſt
ein Pfeifflein/ das eines Menſchen Stimme vorbil-
det/ uͤber das dem Bilde bewegliche Augen in den
Kopff bringet/ ſo wird die durch die Roͤhre ankom-
mende Lufft Wunder thun.
Doch finden ſich viel Verſtaͤndige/ ſo das Egypti-
ſche Bildnuͤß deß Memnonis vor ein Werck deß Teu-
fels/ und keines Menſchen urtheilen/ weil die Saͤiten
eine ſolche lange Zeit/ als in demſelben geſchehen/
nicht haͤtten außhalten koͤnnen. Jch haͤtte bald ver-
geſſen zu melden/ daß man in das obere Gehaͤuß eini-
ge Loͤchlein machen muͤſſe/ damit der Klang der Saͤi-
ten hinauß dringe/ und gehoͤret werde.
Wer dieſes Stuͤck wol gefaſſet hat/ kan deß
Memnonis Egyptiſche Voͤgel/ ſo ſich beweget/ und ei-
nen Geſang von ſich hoͤren laſſen/ auch ohne Muͤhe in
das Werck richten.
Aber/ ich gehe weiter in meinem Diſcurs von die-
ſer Materie: Pyrrhus, der den Roͤmern ſo viel hat zu
thun gemacht/ ein Koͤnig in Epirus, hatte einen Achat/
in welchem die 9. Muſæ und Apollo mit der Cyther
ſehr natuͤrlich zu ſehen waren/ und iſt dieſes das
Mercklichſte/ daß allein die bloſſe Natur/ und keines
Weges die Kunſt an dieſer Bildung geſchaͤfftig ge-
weſen/ alſo/ daß eine Jede von den Muſen das jenige
Zeichen/ ſo man ihr zugeleget/ fuͤhrete. So mangelte
es demnach nur daran/ daß ſie auf ihren Inſtrumenten
ſpieleten; Aber/ was ſoll ich ſagen/ auch dieſes ſchiene
wuͤrcklich zu geſchehen/ und wann man die hoͤrende
Augen/ und die ſehende Ohren haͤtte zu Rath ziehen
moͤgen/ wuͤrden ſie bekennet haben/ daß ſie gleichſam
eine ſtille Harmonie gehoͤret. Die Echo liebte den
Narciſſum, und als ſie von dieſem verachtet worden/
iſt ſie in einen Stein verwandelt/ der hernach allſtaͤts
ſeine
[197]Romans I. Buch.
ſeine Stimme und Rede behalten hat. Davon
Ovidius alſo ſchreibet:
Et tenuant vigiles corpus miſerabile curæ,
Adducitq́; cutem macies \& in aëra ſuccus,
Corporis omnis abit: vox tantum atq́; oſſa ſuperſunt:
Vox manet, oſſa ferunt lapidis traxiſſe figuram.’
Zu Cyzicum, welches weyland eine beruͤhmte
Stadt und Jnſel in dem Propontide, waren ehemah-
len 7. Thuͤrne/ welche die Stimmen aufſiengen/ und
wie ein Echo in groſſer Anzahl wieder zuruͤck ſchicke-
ten/ und ſolches auß deß Orts Natur/ und von unge-
faͤhr. Zu Olympia geſchahe ſolches auß der Kunſt in
einem Gewoͤlbe/ welches man deßwegen Heptapho-
non, oder Sieben-Laut/ nennete/ weil es eine Stim̃e
ſo viel mahl nachredete. Zu Megara iſt ein Stein/
von welchem man ſaget/ daß Apollo ſeine Leyer dar-
an geſetzet/ als er dem Alcathoo, der die Mauer zu Me-
gara bauete/ helffen wolte/ und dieſer Stein iſt das
Zeugnuͤß/ dann ſo Jemand mit einem andern Stein
daran klopffet/ ſo gibt er einen Klang/ wie die Saͤiten
auf ſeiner Leyer gethan haben/ welches mir/ ſaget
Pauſanius in Atticis arte fin. p. 95. gantz wunderſelzam
iſt fuͤrkommen/ wiewol ich den Coloſſum, welcher zu
Thebæ in Egypten uͤber den Nilum, nicht weit von
dem Ort/ den man Syringes, oder Roͤhren/ nennet/
mit groͤſſerer Verwunderung betrachtet habe. Da
iſt ein Bild eines ſitzenden Menſchen/ welches die
Einwohner Pharmenopham nennen/ und ſagen/ daß
dieſe Perſon daſelbſt wohnhafft geweſen. Andere
ſagen/ es ſey Seſoſtris Bild. Dieſes Bild hat Cam-
byſes, als ein Feind der Egyptiſchen Goͤtter/ verſtoͤret/
und nun liget annoch der Ober-Leib auf der Erden/
N 3das
[198]Deß Academiſchen
das uͤbrige ſcheinet zu ſitzen. Dieſes Bild gibt alle
Morgen einen thoͤnenden Hall von ſich wie klin gende
Saͤiten. Alſo ſchreibet Strabo libr. 17. p. 534. zu ſeiner
Zeit darvon/ aber ich halte darvor/ daß er damit vor-
hin beſchriebenes Memnonis-Bild habe and euten
wollen. Von den Baͤumen kan man auch ſagen/
daß ſie gleichſam reden/ dannenhero ſagen die Poeten
einen gar artigen Vers:
Cantat ovis recubans Sylvis titubante caballo.
Wordurch eine Geige oder Violin bedeutet wird/
die eine Stimme von ſich gibt/ wann man mit dem
Fiedel-Bogen daruͤber her wiſchet. Die Poeten
haben erdichtet/ daß die Pflantzen in dem Wald zu
Dodone nicht allein haben reden/ ſondern gar weiſſa-
gen koͤnnen. Man ſaget/ der Maſtbaum auf dem
Schiff Argo ſey von ſolchem Holtz geweſen/ und habe
die Heiden/ die auf dem Schiff waren/ prophetiſch
angeredet/ wie ſolches weiter bey Apollonio Rhodio
libr. 4. v. 555. kan geleſen werden. Auß ſolchem Do-
doniſchen Holtz muß vielleicht auch jenes poſſierliche
Bild geſchnitzet geweſen ſeyn/ welches weyland die
Roͤmer in ihren praͤchtigen Aufzuͤgen fuͤrzutragen
pflegten/ da es die Zuſchauer anredete. Philoſtratus
libr. 6. c. 5. erzehlet/ Theſpoſio ein Gymnoſophiſt in
Mohrenland/ habe einem Jlmenbaum anbefohlen/
den Apollonium Tyanæum zu gruͤſſen/ ſolches habe
der Baum auch gethan/ aber mit einer Frauens-
Stimme/ anzudeuten/ daß eine Frau in den Baum
verwandelt worden/ wie weyland die Daphne in einen
Lorbeer-die Phyllis in einen Mandel-Baum/ und die
Syringa in ein Rohr verwandelt ſind. Apollonius
behauptet/ er habe bey ſolchen weiſen Leuten Baͤume
geſehen/ welche auf den Befehl derſelben ſich zur
Erden geneiget/ eine Reverentz gemacht/ und auf alle
Fragen
[199]Romans I. Buch.
Fragen geantwortet. Ja alle Baͤume in jenem ver-
zauberten Wald/ welcher bey Lucano und Torquato
beſchrieben wird/ kunten ſprechen/ und ſolches zwar
nicht allein wie Menſchen/ ſondern auch wie aller-
hand Thiere:
Quod trepidus bubo, quod Strix nocturna queruntur,
Quod ſtrident, ululantq́; feræ, quod ſibilat anguis:
Exprimit, \& planctus illiſæ cautibus undæ,
Sylvarumq́; ſonum, fractæq́; tonitrua nubis.
Tot rerum vox una fuit.’
Alſo redet Lucanus, libr. 6. v. 685. hiervon.
Hier mit ſchwieg Klingenfeld ſtill/ aber Cavina ließ ſich an-
jetzo vernehmen/ daß alle dieſe Erzehlungen nichts behaupteten/
daß ein Stein/ oder ein Baum/ rechtfertig/ und in der Warheit
geredet habe/ ſondern/ wañ es geſchehen/ ſey es ein bloſſes Kunſt-
ſtuͤck geweſen/ dergleichen der gelehrte Kircherus vielfaͤltig ins
Werck gerichtet; Es bleibet alſo dieſes allein/ ſprach er/ daß man
von den Felſen und Waͤldern/ von den Bergen und Thaͤlern/ und
inſonderheit von etlichen Kunſt-Gebaͤuen/ ſagen koͤnne/ daß ſie
reden/ wann ſie die aufgefangene Stimme durch eine Verviel-
faltigung dem Zuhoͤrer durch ein liebliches Echo wieder nach
den Ohren zuruck ſenden. Was die kuͤnſtliche Echo belanget/
weiß ich nicht/ ob in der Welt eine ſey/ die mehr zu ruͤhmen/ als
die Jenige/ ſo in dem Luſt-Hof Simonetta, eine Jtaliaͤniſche
Meile von der Stadt Maͤyland/ erſchallet. Dann/ in ſelbigem
Luſt-Hof hat ehedeſſen der Gubernator von Maͤyland/ Ferdi-
nand Gonzaga, ein Gebaͤu laſſen aufrichten/ welches viel einen
groͤſſern Ruhm auß dem verwunderlichen Nachſchall/ weder
auß der Bau-Ordnung ſelbften gezogen. Jn dem oberſten Ga-
den/ oder Stock/ ſolches Gebaͤues/ gibt es eine Gallerie, und
Spatzier-Gang/ woſelbſt die außgeſandte Stimme 20. mahl
wiederkehret/ wie P. Dandinus, als ein ſelbſt-Verſucher ſolcher
Schall-Luft/ bezeuget. Joſephus Blancanus aber gedencket in ſei-
nem Tractat von der Echoniſchen Maſſe und viel-ſchallenden
Wiederhall/ er habe es ſo wol/ als viel andere/ gehoͤret/ und werde
auch taͤglich von den meiſten vernom̃en/ daß ſelbige Echo bald 2.
bald 10. bald 20. bißweilen auch wol 30. mahl/ nachdem man
N 4ſtaͤrcker/
[200]Deß Academiſchen
ſtaͤrcker/ oder ſchwaͤcher/ ruffet/ ein zwo-ſylbiges Wort beantwor-
tete. Wiewol Nic. Forſterus in ſeinem Florilegio vorgibt/ daß
Blancanus an der Gewißheit zweiffele/ und ſchreibe/ die Echo
wiederhole nur das Wort 6. oder 7 mahl deutlich/ das uͤbrige
aber verwandele ſich alles in einen undeutlichen Laut/ welches
doch dem Blancano angedichtet wird.
Es hat auch der viel-geruͤhmte Kircherus Luſt gewonnen/
von dieſer Wunder-wuͤrdigen Echo-Urſache was gruͤndlich zu
erfahren/ derhalben er auß Rom nach Maͤyland an P. Matth.
Storr, einen glaubhafften/ gelehrten/ und auß Teutſchland buͤr-
tigen Mann/ der nachmahls Philoſophiæ Profeſſor zu Wuͤrtz-
burg worden/ eine ſchrifftliche Bitte gelangen laſſen/ ihm die Ge-
legenheit deß Orts und Gebaͤues richtig abzureiſſen/ welches
derſelbe gethan/ und den Abriß dem Kirchero zugeſchickt/ dieſer
aber ſelbigen ſeinem Werck von der Thon Kunſt eingepflantzet.
Es hat das Gebaͤu 2. Stockwercke/ ſo mit einer Gallerie
unterſchieden. Das Untere fuſſet auf vielen praͤchtig-herum-
gereyheten Saͤulen. Der Platz iſt mit Steinen gepflaſtert. An
dem oͤberen Gaden befinden ſich drey Theile/ ſo fuͤrnemlich Be-
trachtens-werth: Erſtlich/ der innere und fuͤrnehmſte Theil deß
Pallaſts; Hernach 2. gegen einander uͤber ſtehende Seiten-
Gebaͤue. Betreffend die Abmeſſung dieſer Theile/ ſo hat die
Breite 26. Schritte/ oder Maͤylaͤndiſche Elen/ und 4. Zoͤlle. Die
Hoͤhe 16. Schritte/ und 4. Zoͤlle. Die Laͤnge 33. Schritte/ und
3. Zoͤlle. Die Breite der Gallerie 8. Schritte/ und 6. Zoͤlle.
Mitten an dem oͤberſten Theil der Wand deß einen Seiten-
Gebaͤues iſt ein Fenſter/ darauß man der Echo zurufft/ und
allein der einige Ort/ von dannen auß ſie wil angeredet ſeyn.
Einer ſo geſchwaͤtzigten Echo zu Liebe/ ſprach Klingen-
feld/ moͤchte ich kaum die Muͤhe nehmen/ und den Ort hinan ſtei-
gen/ außgenommen/ wann es auf einen Muſicaliſchen Wider-
ſchall/ oder freudigen Trompeten-Klang/ angeſehen. Da wuͤn-
ſchete ich dem Lauteniften/ oder Trompeter/ das Fenſter zu Si-
monetra, und mich naͤchſt darbey/ als einen Zuhoͤrer.
Jch vermuthe aber/ war Cavinæ Gegenrede/ es gelte auch
nicht gleich/ was man fuͤr eine Echo fuͤr die Muſic erkieſe.
Man muß freylich/ verſetzete der andere/ den Unterſcheid
der Echo bemercken. Trifft man einen Gegenſchall an/ ſo nur
einmahl auf einen Thon antwortet/ ſo kan ein 2. ſtim̃iges Stuͤck
(oder |Bicinium,) darvor geſungen/ oder geſpielet werden. So
fern das Echo 2. mahl antwortet/ ein 3. ſtimmiges/ viermahl ein
Quatuor,
[201]Romans I. Buch.
Quatuor, oder 4 ſtimmiges/ u. ſ. f. wiewol das Stuͤck von dem
Singkuͤnftler ſonderlich darzu gecomponiret ſeyn muß. Singet
er dann (zum Exempel/) Ut, ſo antwortet der Ruckſchall Ut.
Jndeſſen ſinget er Sol, und durch ſolches Mittel hoͤret man zu
einer Zeit die 2. unterſchiedliche Stimmen/ als eine liebliche
Conſonantz/ ſo von den Muſicis eine Quint genennet wird. Wañ
aber die Echo fortfaͤhret/ das Sol nach zu ſchallen/ kan der Sin-
gende ein anders Sol, welches hoͤher/ oder niedriger ſey/ intoni-
ren/ um eine Octav zu machen/ als die vollkommenſte Zuſam̃en-
ſtimmung in der Muſic, u. ſ. f. mit Continuirung einer 2. ſtim-
migen Fugen/ gehet es gar leicht von ſtatten.
Das XVIII. Capitul/
Das Syracuſiſche Kunſt-Ohr wird beſchrieben/ wie auch noch
mehr andere kuͤnſt- und natuͤrliche Echo/ oder Widerhallen/ ſonderlich
in Jtalien und Teutſchland.
ES iſt aber/ ſprach Klingenfeld/ nicht allein dieſes Simo-
netta beruͤhmt/ wegen ſeines Kunſt-Echo, ſondern die
Alten haben ſchon dergleichen ſchoͤne Erfindungen ge-
habt/ deſſen ſtehet noch auf den heutigen Tag zum Zeug-
nuͤß der Echoniſch-gebauete Kercker Dionyſii zu Syracuſa in
Sicilien/ darinn ſelbiger Tyrann ſeine Sclaven gehabt/ und mit-
telſt deß Widerſchalls alles erfahren/ was dieſelbe mit einander
geredet. Dieſes Gefaͤngnuͤß ſoll/ wie von manchen/ doch irꝛſam-
lich/ darfuͤr gehalten wird/ eine Erfindung deß Wunder-kuͤnſt-
lichen Archimedis ſeyn/ welcher demſelben die Form eines Ohrs
gegeben. Dieſe Echo wird in manchen Raͤyß-Buͤchern geruͤh-
met/ ſonderlich in der Raͤyß-Beſchreibung della Valle, welcher
ſchreibet/ es ſey daſſelbe in Warheit ein ſo ſchoͤnes und kuͤnſtliches
Werck/ als jemahls in der gantzen Welt geſehen/ oder erfunden
worden; Jndem die Echo es der Natur allerdings nachthut/
und nicht allein die Woͤrter/ ſondern auch gantze Reden nach-
ſpricht/ den Thon und Geſang vollkoͤm̃lich nachmacht/ geſtalt-
ſam in ſeiner Gegenwart/ mit unterſchiedlichen Inſtrumenten/
die Probe gethan worden. Wann man auch mit einem kleinen
Stecken auf den außgebreiteten Teppich ſchlaͤget/ gibt es einen
ſo ſtarcken Laut von ſich/ als haͤtte man ein groſſes Geſchuͤtz loß
gebrennet/ und diß alles geſchicht in einer nicht von der Natur/
ſondern Menſchlicher Kunſt/ bereiteten Hoͤhle/ daran der Er-
finder/ ob er gleich nicht Archimedes geheiſſen/ (dann dieſer hat
zur Zeit Dionyſii nicht gelebet/) dannoch einen ſo hohen und
N 5tieff-
[202]Deß Academiſchen
tieff-ſinnigen Verſtand erwieſen/ deſſen ſich auch Archimedes
ſelbſt nicht haͤtte zu ſchaͤmen gehabt. Gleichwie die Stimme/ ſo
die Ohren trifft/ einen Laut gibt/ daß man ſie hoͤren kan; Alſo/
(ſpricht beſagter della Valle,) ſiehet man auß der Erfahrung/
daß dieſes groſſe und kuͤnſtliche Ohr/ welches mit Menſchen-
Haͤnden in den Felſen gehauen iſt/ eben dergleichen Wuͤrckungen
thut/ obſchon andere natuͤrliche Echo, die auf ſolche Weiſe in die
Hoͤhle gemacht worden/ ſolches nicht zuwegen bringen koͤnnen.
Hiervon/ gab Cavina zur Antwort/ iſt inſonderheit Bonan-
nus, in ſeinen Sicilianiſchen Antiquitaͤten/ und der Ritter Mira-
bella zu leſen/ die dieſes Echoniſche Kunſt-Gebaͤu gar fleiſſig be-
ſchreiben. P. Kircherus hat denſelben Ort gleichfalls nicht oben-
hin beſichtiget/ auch den Widerſchall gehoͤret/ und haͤtt darfuͤr/
daß/ wer die Kunſt deß Wercks wol beobachtet/ derſelbe bald
mercken werde/ den Tyrannen habe kein anders Abſehen zu ſol-
chem Gebaͤu bewogen/ obn/ daß die Gefangene/ ſo allda in Ver-
wahrung lagen/ nicht einmahl Athem holen moͤchten/ es kaͤme
dann dem Kerckermeiſter zu Ohren. Der Ort befinde ſich auſſer
der Stadt Mauren/ ſey/ nach Anweiſung der Natur/ wie ein
rechtes Ohr gekuͤnſtelt/ auß lebendigem Stein gehauen/ kruͤmme
und winde ſich Schneckenweiſe allgemach uͤber ſich hinauf/ und
habe die empfangene Stimme in eine enge Roͤhre verpflantzet/
welche in deß Gefangen-Huͤters Gemach gangen/ und dieſem
alle Geſpraͤche der Verſperreten entdecket. Keiner kunte ſich re-
gen/ dieſe Echo verkundſchafftete es/ und machte auß dem leiſen
Wiſpeln ein groſſes Getoͤß/ auß einer gelinden Stimme ein lau-
tes Geſchrey. Schtaͤget man mit flacher Hand nur auf einen
Mantel/ wird ein Buͤchſen-Knall darauß/ und auß dem Reu-
ſpern/ ein Donner; Ja/ dieſe Kunſt-Echo verſtaͤrcket nicht allein
den Schall/ ſondern wiederholet auch/ als eine feindſelige Brieff-
Traͤgerin/ denſelben etliche mahl nach einander. Ja/ ſie gibt auch
eine artliche Muſicantin/ verwandelt ein 2. ſtimmiges Stuͤck-
lein/ in ein 4. ſtimmiges/ indem der Widerſchall der erſten Stim̃e
gar ſchoͤn auf die andere Stimme trifft/ welches eine Sache/ die
wuͤrdig zu hoͤren.
Allein P. Schott/ der dieſer Syracuſaniſchen Echo gleichfalls
eine Viſite gegeben/ und ſonſt alles alſo befunden/ wie Kircherus
erzehlet/ hat von der unterſchiedlichen Repetition nichts ver-
nommen/ noch dergleichen mehrmahlige Widerholung verſpuͤ-
ren koͤnnen/ ob er gleich viel und lange mit ſeinem Gefaͤhrten da-
ſelbſt geredet/ mancherley Getoͤß und Gepolter erwecket/ ge-
ſchryen/
[203]Romans I. Buch.
ſchryen/ und geſungen. Die Urſach ruͤhret vielleicht/ ſeiner Ver-
muthung nach/ daher/ daß deß Orts Gelegenheit ſeit dem veraͤn-
dert worden. Dann Herꝛ P. Kircherus iſt im Jahr 1638. P. Schott
aber 1646. da geweſen/ und berichtet Jener/ es ſey die obere
Mauer/ wordurch die Stimme in deß Kercker-Huͤters Schlaff-
Gemach gefallen/ vermacht/ und verſtopffet; Dieſer aber/ er
habe daſelbſt ein kleines Loͤchlein geſehen/ und durch ſelbiges eini-
ges Geſtruͤtrich/ oder Puſchwerck/ ſo da herum gewachſen.
Das mag wol ſeyn/ replicirte der Teutſche. Nichts iſt in
der Welt ſo kuͤnſtlich/ daß es durch die Verwunderung fuͤr ſei-
nem Untergang ewig gefriffet wurde. Von den alierberuͤhm-
teſten Kunſt-Wercken der alten Welt-Zeiten iſt faſt weiter
nichts/ als die Gedaͤchtnuͤß uͤbrig geblieben/ wiewol mit man-
chem auch allerdings dieſe zugleich im Grabe der Vergeſſenheit
ſtecket. Und wird inſonderheit die einſame Jungfrau-Echo offt
durch einen neuen Bau vertrieben/ zumahl von denen/ die ſich
um einen leeren Schall wenig bekuͤmmern/ und mehr beſorget
ſind/ fuͤr ihre eigene Bequemlichkeit zu wohnen/ weder fuͤr den
Aufenthalt deß Widerſchalls. Ein Korn-Stadel traͤget mehr
ein/ dann ein ſolcher Lufft-Schertz/ derhalben er auch vorgezogen
wird. Zu Charenton, 2. Meilen von Pariß/ hat ehedeſſen ein
ſeltener Widerſchall ſich hoͤren laſſen/ welcher die ihm vertraute
Stimme 13. mahl wieder gegeben/ wie Merula bezeuget. Aber
derſelbe hat einem neu-erbauten Carmeliter-Kloſter muͤſſen
raͤumen/ und nicht mehr Platzes behalten/ als daß er nunmehr
nur einmahl die Stimme deß Ruffers widerholet.
Es gedencket ſonſt dieſes Echo zu Charenton auch Jodo-
cus Sincerus, in ſeinem Frantzoͤſ. Raͤyß-Buch/ und ſchreibet/ man
ſage/ daß ſie 13. mahl antworte/ wie andere in Acht genommen;
Jhm aber 11. fuͤr 1. wieder gegeben. Und ich beſinne mich ſelbſt
eines luſtigen Spatzier-Gangs/ laͤngſt dem Waſſer-Teich einer
gewiſſen fuͤrnehmen Reichs-Stadt/ da gegen uͤber eine Kirche
mit 2. Spitzen ſtehet/ woſelbſt mir/ und meinen Gefaͤhrten/ die
geliehene Stimme mit 5. faͤltigem Wucher bezahlet worden/ auf
ſo wol eingetheilete Terminen oder Friſten/ daß wir alle Gegen-
Stim̃en nach einander gar deutlich hoͤreten/ wiewol die Vierdte
und Fuͤnffte ein wenig ſchwaͤcher fiel/ dann die drey Erſten.
Zu Maͤyntz ſtehet vor der Stadt die St. Peters Kirche/
welche vor dem Schwediſch-Teutſchen Krieg/ ſo ſich 1631. ange-
fangen/ noch gantz geweſen/ hernach aber das Obdach/ ſamt ei-
nem Theil der Mauren/ darvon eingangen. Allda hat ſich/ wie
dieſes
[204]Deß Academiſchen
dieſes Gebaͤu noch vollkoͤmmlich geſtanden/ eine 3. ſtimmige Echo
hoͤren laſſen/ welche 2. Sylben/ zwar ſehr ſchnell/ doch gantz ver-
nehmlich/ von ſich gegeben; Aber nach Einbuͤſſung deß Dachs/
und eines Stucks von der Mauren/ ſich in eine 2. ſtimmige ver-
wandelt/ darvon man den 2. Gegenhall doch kaum hoͤren kan.
Und P. Schottus erzehlet/ es habe P. Jac. Bonvicino, ein fuͤrtreff-
licher Mathematicus und Profeſſor in dem Jeſuitiſchen Colle-
gio zu Genua, von Neapolis an Kircherum geſchrieben/ daß/
nach/ dem damahligen letzten Brandt deß Veſuvii, in dem Thal
dieſes Berges eine Echo entſtanden/ oder vielmehr von den Ein-
wohnern ſelbiger Gegend Zufalls- und Gluͤcks-Weiſe zuwegen
gebracht; Dann/ als ſie mancherley Roͤhren und Rinnen/ deren
man/ zu Ableitung deß Regen-Waſſers/ damit die Weinberge
nicht verderben/ ſich bedienet/ aufgegraben; Jſt darauß eine
ſolche Echo entſtanden/ daß/ wann einer oben auf dem Gipffel
deß Berges bey dem Mund-Loch der Rinnen/ etwas redet/ die
Stim̃e/ ſo durch die Roͤhren fortgepflantzet/ und durch mancher-
ley Widerprellungen vermehret wird/ denen/ die unten am Fluß
deß Berges bey den Rinnen wandeln/ ſich ſo vollkoͤm̃lich præſen-
tiret/ als ob Jemand leibhafftig zugegen waͤre/ und redete. Auß
dieſen Urſachen ſolches natuͤrlichen Geſchwaͤtzes/ hoͤret man offt
die Unterredungen mancher Hirten/ und anderer Leute/ Sprach-
haltungen aufs Allerdeutlichfte/ da dannoch Niemand in der
Naͤhe/ oder in den benachbarten Orten/ zugegen iſt/ welches vie-
len gantz ſeltzam und abentheuerlich vorkommt.
Die alte Geſchichtſchreiber hielten einen luſtigen Wider-
ſchall ihrer Feder nicht unwerth. Pauſanias gedencket/ es ſey an
der rechten Seiten deß Tempels Chthoniæ eine Gallerie, oder ge-
deckter Luſtgang geweſen welchen man Echo geheiſſen/ weil da-
ſelbſt die Stimme eines ruffenden Menſchen 3. mahl aufs We-
nigſte nach geſchallet. Und anderswo/ nemlich in ſeinen Eliacis,
ſagt er von einer andern bundten Gallerie in Aote, welche man
gleichfalls den Gegenſchall genannt/ auß Urſache/ weil die Stim̃e
allda 7. bißweilen auch wol mehrmahl/ zuruck ſchallete. Beym
Plutarcho lieſet man/ daß in den Welt-beruͤchtigten Egyptiſchen
Pyramiden/ ein geſprochenes Wort 4. oder 5. mahl widerge-
ſchallet. Und/ beym Plinio, daß in der Stadt Cyzico, am Thor/
welches man Thracia genannt/ bey den Thuͤrnen ein vielfaͤltiger
Widerſchall/ durch ſein wunderſames Nachſchwaͤtzen/ den Ra-
men der Echo bey den Griechen erworben. Und bey der Stadt
Olympia, in der Gallerie, welche daher die 7. Stimmige von den
Griechen genannt ward/ ein Wort 7. mahl beantwortet worden.
Das
[205]Romans I. Buch.
Das Grab Metelli, welches noch heutiges Tages faſt gantz/
ein Paar kleiner Meilen von Rom/ vor dem Thor S. Sebaſtian,
unter dem Namen Capo di Bove, das Ochſen-Haupt/ nemlich
von den Ochſen-Koͤpffen/ ſo man Rings herum daran außge-
hauen ſiehet/ gezeiget wird/ iſt ehedeſſen gleichfalls von einem
außbuͤndig ſchoͤnen/ Echo beſchallet worden. Boterus ſchreibet/
dieſer unvergleichlicher Widerſchall habe ſein Spiel gehabt/ an
einem runden Thurn ſo von dem koͤſtlichſten Marmel Wunder-
kuͤnſtlich gebauet/ und dieſe zugeſchickte Worte offt wieder zu-
ruck geſchickt:
Semper honos, NOMENQUE tuum, laudesque manebunt;
Cæcilta! dein Preiß/ dein Ehren-Rahm/ dein Ruhm/’
Verſtummet nicht/ ohn/ biß der Marmel eine Bluhm.
Erſt-geſetztes Lateiniſches Wort/ ſamt dem nachgeſetzten Virgi-
lianiſchen Verſe/ ſoll dieſer Kunſt-reichfte Nachſchall zu 8. un-
terſchiedenen mahlen vollkoͤm̃lich widerbolet/ und nirgends ſei-
nes Gleichen gehabt haben/ zu dem Ende/ daß der Nam dieſer
Edlen Matron auch nach ihrem Tod/ vermittelſt ſolches Kunſt-
und Pracht-vermaͤhlten Ehren-Gedaͤchtnuͤſſes/ offt erſchallen/
und niemahls in Vergeſſenheit fallen moͤchte.
Boiſſardus bezeuget/ es ſey noch bey ſeiner Zeit dieſelbe
nicht erſtummet/ und beſchreibet die Gelegenheit deß Orts alſo:
Uber der Appianiſchen Straffe/ an einem niedrigen Ort/ ſchauet
man ſehr weitlaͤufftige Ruinen oder Steinhauffen deß Staͤdt-
leins/ welches etliche fuͤr das alte Sinueſſa, andere fuͤr Pometia
halten. Andere urtheilen beſſer/ es ſey das Schloß geweſen/ dariñ
die Soldaten von der Leib-Garde, und die Kaͤyſerl Medici, ge-
wohnet. Der gantze Umkraͤyß iſt ſchier mit Mauren umfangen.
Am Eingang ſelbiges Schloſſes werden zu beyden Seiten vier-
eckte groſſe Graͤber/ ſtumpffe und dichte Pyramides, (oder Grab-
Thuͤrne/) geſchauet/ theils mit Steinen von Tivoli, theils mit
Ziegeln aufgefuͤhret. Und daß dieſes der Metellorum Begraͤb-
nuͤſſen geweſen/ zeugen die Uberſchrifften/ ſo man darvon herauß
geklaubet. Die/ welche darunter am beruͤhmteſten/ in rund/ auß
viereckten weiſſen Marmel Stuͤcken/ wie ein weiter/ dicker Thurn/
inwendig hohl/ und am Obertheil offen/ deren Mauren ungefaͤhr
24. Schuhe dick. Dieſelbe ſtoͤſſet an das Eck der allgemeinen
Mauren. Rings umber ſeynd von Marmel Ochſen-Koͤpffe auß-
gehauen/ in ſolcher Geſtalt/ als waͤre ihnen die Haut/ ſamt dem
Fleiſch abgezogen/ wie bey den Opffern der Brauch war/ \&c.
Der
[206]Deß Academiſchen
Der Ochſen-Koͤpffe ſeynd bey nahe 200. darum wird dieſes
Grab-Gebaͤu Capo di Boi genannt/ und wollen die Antiquitaͤt-
Forſcher/ es ſey eine doppelte Hecatombe, oder 200. faltiges
Opffer; (Hecatombe aber war/ nach Julii Capitolini Beſchrei-
bung/ ein ſolches Opffer: Hundert Altaͤre wurden auf einem
Platz aufgebauet/ und darauf 100. Schweine/ und 106. Schafe
abgewuͤrget. War es aber ein Sacrificium Imperatorium, oder
Opffer eines Roͤmiſchen Generaliſſimi, ſo wurden 100. Leuen/
100. Adler/ und anderer ſolcher Thiere/ von jedwedem Geſchlecht
100. geſchlagen/) bey der Leich-Beſtattung Cæciliæ Metellæ ge-
ſchehen/ deren Name vorn an der Begraͤdnuͤß zu leſen/ auf einer
ſehr groſſen Marmel-Tafel/ gegen dem Thor der Burg zu/ mit
dieſen Littern: CÆCILIA Q CRETICI F. METELLÆ
CRASSI. So Jemand unten an dem Huͤgel/ oder Buͤhel/ wor-
auf der Thurn gebauet iſt/ einen gantzen Heroiſchen Vers auß-
ſpricht/ wird ein verwunderlicher Echo denſelben gantz/ und von
Sylben zu Sylben/ offtmahls widerholen: Jch (ſpricht dieſer
Author,) habe den erſten Vers der Virgilianiſchen Buͤcher
Æneidos deutlich 8. mahl widerſchallen hoͤren und hernach noch
etliche mahl undeutlich/ und confus. Nirgends wo wird ein ſol-
cher Echo gehoͤret. Man ſagt/ dieſer Widerſchall ſey darum ſo
kuͤnſtlich erweckt/ daß bey der Leich-Begaͤngnuͤß dieſer Gæcilien/
das. Heulen/ Geſchrey und Weheklagen unermaͤßlich vergroͤſ-
ſert und vermehret wuͤrde/ indem man ſolche 2. fache Hecatom-
be, oder doppeltes Opffer von 100. Altaͤren/ verrichtete/ und die
Grabſpiele/ zu Ehren der verblichenen Matron, vorſtellete.
Es hat aber P. Kircherus, nachdem er dieſes beym Boiſſar-
do geleſen/ und Luſt gewonnen/ eine ſolche Wunder-Echo zu hoͤ-
ren/ zum andern und dritten mahl ſich dahin begeben mit hoͤch-
ſtem Fleiß darnach geſuchet/ aber ſie gar nicht antreffen koͤnnen.
P. Schott, der ein anders mahl mit demſelben Kirchero gantz ey-
ferig dieſen Widerſchall geſuchet/ eben ſo wenig. Und ob ſie zwar
hierauf in Rom bey andern forſch-gierigen Perſonen ſich deß-
wegen befraget/ iſt doch keiner gefunden worden/ der von dieſem
Echo was wiſſen wollen. Es ſey auch/ ſaget P. Schott, der Ort
nicht darnach diſponiret/ daß er einen ſolchen Echo ſolte koͤnnen
formiren. Dannoch hezeuget auch Pflaumerus mit ſeinem Ge-
hoͤr/ daß dieſe Echo gantze Verſe/ und zwar vielmahl nach ein-
ander/ wieder zuruck werffe.
Cavina ſagete hierauf: Jch verwerffe darum Pflaumerum
ſo wenig/ als Boiſſardum, weil ich wol weiß/ daß ein ſolcher Wi-
derſchall
[207]Romans I. Buch.
derſchall nicht unmoͤglich/ zumahl/ wann die Kunſt zu der na-
tuͤrlichen Gelegenheit deß Orts ſich bequemet. Wohnet doch
noch auf dieſen Tag an einem Renn-Platz zu Rom eine Echo,
ſo die Sylben 8. mahl nach einander widerholet. Dergleichen
trifft man auch an bey einer Mauren der Stadt Avignon, wie
Herꝛ Kircherus auß eigener Erfahrung bezeuget. Aber die Zeit
und Veraͤnderung der Gelegenheit deß Orts hat Zweiffels ohne
ſolchen fuͤrtrefflichen Widerhall beſagten Grabes nunmehr ver-
trieben/ und dieſer Schall-Jungfrauen den Athem erſticket. Jn
dergleichen Gedancken ſtehet auch gemelter P. Schottus. Wofern
dem alſo/ was vor dieſem von ſolcher Echo geſchrieben worden/
muͤſſe in der Gelegenheit deß Orts/ und der umſtehenden Ge-
baͤue/ eine groſſe Veraͤnderung vorgegangen ſeyn. Er wiſſe/ daß
auch nur eine kleine und geringe Aenderung an den Mauren/
oder Haͤuſern/ gar wol ſo viel koͤnne wuͤrcken/ daß ein Echo ent-
weder vergehe/ oder von neuem entſtehe.
Solches beweiſet er mit dieſem Exempel: Zu Panormo
(oder Palermo,) in Sicilien/ haben die Jeſuiten einen Meyerhof/
vor der Stadt/ bey deſſen Fuͤrgang man auf einen langen und
breiten Spatzier-Gang kommt/ der zu beyden Seiten mit Baͤu-
men und Weinſtoͤcken beſetzet/ und wo derſeibe zu Ende lauffet/
ſtehet zur Lincken ein gar hohes/ weitlaͤufftiges Hauß; Ein we-
nig beſſer hin aber/ zur Rechten/ ein anders/ das weder hoch/
noch weitlaͤufftig. Hinter ſolchen 2. Haͤuſern ſtunde vormahls
eine alte Capelle allein/ darzu man nachmahls von vornen zu/ ei-
ne andere ſolcher Geſtalt gebauet/ daß dieſe Letzte der Alten un-
mittelbahr anhafftete. Bevor nun ſolche neue Capell dahin ge-
leget ward/ hat ſich in dem Spatzier-Gang niemahls einiger
Widerſchall verlauten laſſen; Nachdem ſie aber dahin geſetzet/
hoͤret man bey Eintritt deß Gartens einen hellen Echo, welcher
etliche Sylben aufs Allerdeutlichſte nachſpricht; Vermuthlich
auß dieſer Urſach/ weil der Gegenhall um etliche Schritte naͤ-
her/ gegen der Garten-Thuͤr hin/ verrucket worden.
Er ſtellet auch das Exempel der Stadt/ oder vielmehr deß
Schloſſes zu Wuͤrtzburg vor/ welches/ wie bekandt/ nicht allein
nach der Zier/ ſondern auch/ wider den Ernſt/ nach der Beveſti-
gungs-Kunſt gebauet iſt. Wann man von ſelbigem Schloß
einen Schuß thut/ verſtaͤrcket und mehret ſich der donnerende
Knall zwiſchen den Thaͤlern und Bergen/ ſchallet 5. 6. und mehr
mahl/ nach einander wieder zuruck/ gleich/ als ob nicht nur ein/
ſondern viel Schuͤſſe geſchehen/ und auf den Bergen das Wetter
herum lieffe.
Soͤlcher
[208]Deß Academiſchen
Solcher Stimm- und Schall-erwiderenden Gegenden/
ſprach Klingenfeld/ ſolte man in unſerm Teutſchland noch wol
mehr antreffen/ wann man mit der Nachforſchung ſich wolte
bemuͤhen. Es liget in Sachſen das Schloß Obin/ welches ehe-
deſſen unter die Unuͤberwindliche gerechnet worden/ auf einem
Felſen/ wiewol es heute wuͤſte liget/ und um der Graͤntzſcheidung
willen nicht beveſtiget werden darff. Deſſelbigen Namens findet
ſich auch daſelbſt ein Dorff/ wie auch eine halb auß Felſen ge-
hauene Kirche/ ſamt einer Quelle/ ſo von der Natur ſelbſten
durch den Felſen geleitet wird. Dieſes wuͤſte Schloß wird von
vielen Bergen umgeben/ welche verurſachen/ daß/ wann man
allda ein Stuͤck loͤſet/ der Knall wunderbarlich herum lauffet/
von einer Gegend zur andern/ und ſchier in Acht-Theil von der
Stunde nachkrachet; Maſſen ſo wol diß/ als die Luſtbarkeit der
Gegend/ manche fuͤrnehme Perſonen zur Beſuchung derſelben
bewogen hat.
Das achte ich aber nicht fuͤr was Seltenes/ weil es nur ein
bloſſer Widerknall iſt/ dann zwiſchen dem Knall/ oder Hall/ und
der Gegen-Stimme/ oder Echo, gibt es keinen geringen Unter-
ſcheid. Der Wider-Knall/ oder Nach-Hall/ iſt zwar auch ein
Gegenſchall/ aber verworrener/ undeutlicher/ ungeſtimmt/ und
ohne Außdruckung der Sylben/ und mag leicht eine Gegend ſich
darzu bequemen. Die Echo aber begehret mehr Umſtaͤnde/ daß
ſie einen ordentlich-abgetheileten oder beſylbeten Nachklang ge-
be. Derhalben verwundere ich mich/ uͤber ſolchen vielmahligen
Nach-Knall bey Obin in Sachſen ſo uͤbrig hoch nicht/ ſondern
vielmehr uͤber die Jenige/ welche/ wie M. Robert Plot, ein En-
gellaͤnder/ in Beſchreibung natuͤrlicher Beſchaffenheit der Eng-
liſchen Provintz Oxfort/ gedencket/ bey Tag 17. bey Nacht aber
20. Sylben/ gar deut- und unterſchiedlich widerholet/ nemlich
in einem Luſt- und Thier-Waͤldlein bey Woogſtock.
Das XIX Capitul/
Klingenfeld haͤlt eine poſſierliche Unterredung mit Cerebac-
chio, der ihm mit lauter Lateiniſchen Verſen/ oder Spruͤchwoͤrtern/
antwortet/ welches warlich offt verwunderlich klinget.
ABer/ wir haben gnug geredet von dieſer Mate-
rie, ich ſehe/ daß Cerebacchius ſchon daruͤber
einſchlummern wil/ wir muͤſſen noch ein wenig
Kurtzweil mit ihm haben. Als Klingenfeld dieſes ge-
ſaget/
[209]Romans I. Buch.
ſaget/ rittelte er den Freſſer beym Leibe/ und ſprach:
Mein Freund/ ſaget uns doch/ wo ihr eigentlich zu
Hauß gehoͤret? Cerebacchius fuhr in die Hoͤhe/ wi-
ſchete den Schlaff auß den Augen/ und ſagte: Patriâ
Monaſterienſis, natione Weſtphalus, Religione Roma-
nus. Dieſe Antwort gefiel der Geſellſchafft/ ſolchem
nach forſchete der Teutſche ferner/ weil er zum Freſ-
ſen ſo groſſe Luſt haͤtte/ wuͤrde er in ſeinem Vatter-
land deßfalls beſſer bewirthet werden/ warum er dañ
ſich in die Fremde begeben haͤtte? Jener ſprach: Eſt
mihi namque domi pater, eſt injuſta noverea. Welcher
pertinenten Antwort die andern von Hertzen lache-
ten/ und darauß ſpuͤhreten/ daß er vernuͤnfftiger rede-
te/ wann er truncken/ als wann er nuͤchtern waͤre.
Dannenhero ſprach der Erſte wieder: Wann der je-
nige Muͤnſteriſche Obriſte/ den ihr mir beſchrieben/
euer Vatter iſt/ ſo kenne ich eure Stieff-Mutter wol/
habt ihr alſo nicht Urſach/ euch uͤber ſie zu beſchweren/
dann ſie iſt ſchoͤn/ und liebet euren Vatter von gan-
tzem Hertzen. Cerebacchius ſahe ihn hierauf an/ und
ſprach: Blandus amor nihil eſt, \& pulchræ gratia for-
mæ, hæc mulier bella eſt, quæ ſcit amare Deum. Klin-
genfeld antwortete: So ſehet euch aber doch fuͤr/ daß
ihr die Wuͤrckung ihres Zorns/ die ihr durch eure
uͤbele Nachrede auf euch gezogen/ nicht empfindet.
Cereb. Tela præviſa minus nocent. Klingenfeld:
Gleichwol kan ſie euch bey eurem Vatter ein uͤbel
Bad bereiten. Cereb. Aquila ſæpè iis ipſis configitur
ſagittis, quibus ſuæ pennæ aptantur. Klingenfeld:
Worinn hat ſie dann euch/ oder die Eurigen/ am mei-
ſten beleydiget? Cereb. Optima prima ferè manibus
rapiuntur avaris, implentur numeris deteriora ſuis.
Klingenfeld: Dieſer Schade iſt ſo groß nicht/ ihr
muͤſſet alles nicht achten/ wann euer Vatter todt iſt/
Omuß
[210]Deß Academiſchen
muß ſie ſchon Rechenſchafft thun. Cereb. Tanta cu-
jusque ſunt mala vel bona, quantus eſt animus, qui illa
ſuſtinet. Klingenfeld: Gleichwol wolte ich um der
Stieffmutter willen nicht einen Fuß breit außgetret-
ten ſeyn. Cereb. Velle ſuum cuique eſt, nec voto vivi-
tur uno. Klingenfeld: Jhr erweiſet aber durch euer
unordentliches Leben gnugſam/ daß eure Stieff-
Mutter gnugſame Urſache hat/ ſich uͤber euch zu be-
ſchweren. Cereb. Non eſt compendioſior viâ ad glo-
riam, quam ut quisque ſit, qualis haberi velit. Klingen-
feld: Solche Lebens-Art wird euch dermahlen eine
ſchlechte Reputation geben/ ſtehet darvon ab/ es iſt
noch Zeit gnug. Cereb. Quo ſemel eſt imbuta recens,
ſervabit odorem, teſta diu. Klingenfeld: Ey/ ſo wolte
ich dann auch lieber Profeſſion von einem Soldaten
machen/ denen alles dergleichen wol und beſſer anſte-
het/ als den Studenten. Cereb. Nulla fides pietasque
viris, qui Caſtra ſequuntur. Klingenfeld: Wann ihr
aber in ſolchem Sauff-Leben ſterbet/ was wird man
euch fuͤr ein Epitaphium aufrichten? Cereb. Bonoſus
Imperator, cum vitam laqueo finiiſſet, dictus eſt am-
phora pendens. Klingenfeld: Wann ich in eurer
Haut ſteckete/ wuͤrde ich das Ungluͤck/ das ihr euch
ſelber brauct/ alle Tage beweinen. Cereb. Nullus eſt
dolor, quem non longinquitas temporis minuat atque
molliat. Klingenfeld: Was haͤlt aber eure Stieff-
Mutter von eurem alten Vatter? Cereb. Turpe ſe-
nex miles, turpe ſenilis amor. Klingenfeld: Sie ſchei-
net gleichwol eine ſchoͤne und fromme Frau zu ſeyn?
Cereb. Et genus \& virtus, niſi cum re, vilior algâ eſt.
Klingenfeld: Jnzwiſchen aber glaube ich/ daß ſie auf
ſolche Weiſe euren Vatter leicht moͤchte hinters
Liecht fuͤhren. Cereb. Eſt profecto Deus, qui, quæ nos
gerimus, auditque \& videt. Tu da, nate Dei, vitæ nos
nevè,
[211]Romans I. Buch.
nevè, pudere nevè etiam mortis pœnituiſſe queat. Klin-
genf. Das moͤchtet ihr auch wol bedencken. Cereb. Ni-
timur in vetitum ſemper, cupimusq́; negata. Klingen-
feld: Deßwegen gehet es euch auch nicht zum Beſten.
Cereb. Vivo equidem, vitamque extrema per omnia
duco. Klingenfeld: Wañ ihr dann nicht in Krieg ge-
hen wollet/ und doch ſo miſerabel lebet/ ſo ſollet ihr
euch bey einem fuͤrnehmen Herꝛn in Dienſte begeben.
Cereb. Emori potius, quàm ſervire præſtat, adde quod
ingenuas didiciſſe fideliter artes, emollit mores, nec
ſinit eſſe feros. Klingenfeld: Durch euer Freſſen und
Sauffen aber verderbet ihr Witz und Verſtand. Ce-
reb. Crede mihi, ſapere eſt non nimium ſapere. Klin-
genfeld: Habt ihr dann/ ehe der Vatter zur andern
Ehe geſchritten/ vorhin gute Mittel gehabt/ dardurch
ihr bewogen ſeyd/ euch auf ein ſolches debouchantes
Leben zu legen? Cereb. Tum denique homines noſtra
bona intelligimus, cum quæ in poteſtate habuimus, ea
amiſimus. Klingenfeld: Was wollet ihr mir geben/
wann ich euch gute Tage verſchaffe? Cereb. Semper
honor, nomenque tuum, laudesque manebunt. Klin-
genfeld: Fuͤrs Erſte muͤſſet ihr euch von der boͤſen Le-
bens-Art wieder abgeben/ und den Studiis fleiſſig ob-
ligen. Cereb. Curemus æquam uterque partem, Tu al-
teram, ego item alteram. Klingenfeld: So viel ich ſe-
he/ ſtehet euch nicht zu helffen/ ihr ſeyd in der Jugend
ſchon verdorben. Cereb. Blanda matrum ſegnes facit
indulgentia natos. Klingenfeld: Daruͤber aber ſind
eure beſte Jahre verſtrichen. Cereb. Optima quæque
dies miſeris mortalibus ævi prima fugit, ſubeunt mor-
bi triſtisque ſenectus. Klingenfeld: Wo haltet ihr euch
dann nun am liebſten auf? Cereb. Patria eſt, ubicunq́;
benè eſt. Klingenfeld: Mich duͤncket aber/ wann ihr
nicht unverſchaͤmt waͤret/ duͤrfftet ihr Hunger leyden?
O 2Cereb.
[212]Deß Academiſchen
Cereb. Gnaviter impudentem eſſe oportet, qui ſemel
verecundiæ fines tranſierit. Klingenfeld: Habt ihr
auch wol ehemahlen Luſt gehabt/ euch zu verheura-
then? Cereb. Exſors conjugii non benè vivit. Klingen-
feld: So habt ihr dann ſchon eine Liebſte/ und was
iſt ſie fuͤr eine? Cereb. Mulier admodum anus. Klin-
genfeld: Hat ſie dann auch gute Mittel? Cereb. Digna
res, ubi nervos intendas. Klingenfeld: So werdet ihr
ja dann bald fort machen? Cereb. Sat citò, ſi ſat benè.
Klingenfeld: Aber/ bey einer alten runtzelichten
Frauen koͤnte ich keine Freude finden. Cereb. Et genus
\& formam regina pecunia donat. Klingenfeld: Wann
ſie nur in der That reich iſt. Cereb. Ferè libenter homi-
nes id, quod volunt, credunt. Klingenfeld: Hat ſie
euch auch lange mit dem Jawort aufgehalten? Ce-
reb. Veni, vidi, vici. Klingenfeld: Was waren doch
eure erſte Complimenten? Cereb. Ut ſalutabis, ita re-
ſalutaberis. Klingenfeld: Warum verziehet ihr dann
ſo lange mit der Hochzeit? Cereb. Concute, num qua
tibi vitiorum inſeverit tibi natura. Klingenfeld: Gibt
ſie ſich fuͤr reich auß/ ſo wird ſie auch wol in einem
ſchoͤnen Hauß wohnen? Cereb. Tectum auguſtum, in-
gens, centum ſubnixa columnis. Klingenfeld: Jch
glaube/ ihr doͤrfftet eurer Alten/ wann ihr zu jungen
Dirnen kommt/ ſchlechte Parol halten? Cereb. Nox
\& amor, vinumque, nihil moderabile ſvadent. Klin-
genfeld: Hat ſie auch wol geweinet/ als ihr in die
Fremde raͤyſetet? Cereb. Ut flerent, oculos erudiêre
ſuos. Klingenfeld: Welcher Religion iſt ſie zugethan?
Cereb. Colit Deum, laudat Zwinglium. Klingenfeld:
Jhr muͤſſet zuſehen/ daß ſie eurer Religion beypflichte.
Cereb. Religionem imperare non poſſumus, quia ne-
mo cogitur, ut credat invitus. Klingenfeld: Lebet ihr
Vatter annoch? Cereb. Abhinc duos \& quinquaginta
annos
[213]Romans I. Buch.
annos mortuus eſt. Klingenfeld: Dieſer mag wol ein
fuͤrnehmer Mann geweſen ſeyn? Cereb. Tolluntur in
altum, ut lapſu graviore ruant. Klingenfeld: Jſt dann
eure alte Braut auch noch fein geſund und ſtarck?
Cereb. Senectus ipſa morbus. Klingenfeld: Hat ſie noch
einen Bruder? Cereb. Cui Conradi nomen. Klingen-
feld: Jſt dann dieſer ein wackerer Mann? Cereb.
Odit tum literas, tum virtutes. Klingenfeld: Lebet er
aber ſonſten wol? Cereb. Dormit ſecurus, bibit Jeju-
nus, it cubitum bis pranſus, ter cœnatus. Klingenfeld:
Gehet es ihm dann bey dieſem unordentlichen Leben
auch wol? Cereb. Probo viro nihil mali, improbo ni-
hil boni contingere poteſt. Klingenfeld: So iſt dieſer
Conradus ja wol ein Kumpe/ wie ihr ſeyd? Cereb. Hi [...]
æmulamur, qui ea habent, quæ nos cupimus. Klingen-
feld: So ihr aber euer Leben nicht anders anſtellet/
werdet ihr ein ſchlechtes Ende nehmen. Cereb. Non
refert, quâ quis moriatur imagine lethi; Unum iter ex
æquo ducit ad aſtra pios. Klingenfeld: Wollet ihr aber
mit der Zeit nicht anders Sinnes werden? Cereb.
Meum ſolius peccatum corrigi non poteſt. Klingen-
feld: Jſt dann euer Sinn ſo gar beſtaͤndig auf ein
Ding vernarret? Cereb. De tuo ipſius ſtudio conjectu-
ram feceris. Klingenfeld: Habt ihr auch noch Credit
in der Fremde? Cereb. Quantum quisque ſuâ num̃o-
rum poſſidet arcâ, tantum habet \& fidei. Klingenfeld:
Was haltet ihr von eurem geweſenen Kriegeriſchen
Biſchoff von Galen, welcher bald Frantzoͤſiſch/ bald
Kaͤyſerlich war? Cereb. Omne magnum exemplum
habet aliquid iniquitatis, quod publicâ utilitate com-
penſatur. Klingenfeld: Aber wie ſchickte ſich die In-
fula bey den Harniſch? Cereb. Nemo mortalium
omnibus horis ſapit. Klingenfeld: Warum gieng er
doch vor Groͤningen/ da er ſolchen Ort nichts anzu-
O 3haben
[214]Deß Academiſchen
haben vermochte? Cereb. Neſcia mens hominum fati
ſortisque futuræ Klingenfeld: Man ſagt von ihm/
daß er dem Land viel Dinge zum Nachtheil einge-
fuͤhret? Cereb. Conſcia mens recti famæ mendacia ri-
det. Klingenfeld: War er dann alſo/ wie man ſagt?
Cereb. Integer vitæ, ſcelerisque purus. Klingenfeld:
Er iſt ein ſonderbarer Liebhaber deß Feuers in ſeinem
Leben geweſen/ und hat die Bombardier-Kunſt ſo hoch
gebracht/ als noch kein Teutſcher vor ihn gethan. Ce-
reb. Scilicet eſt cupidus ſtudiorum quisque ſuorum,
tempus \& aſſvetâ ponere in arte juvat. Klingenfeld:
Umerdeſſen haben ſeine Unterthanen kaum Zeit ge-
habt/ das Jhrige zu beſtellen/ weil ſie ihm in allen Feld-
Zuͤgen folgen muſten. Cereb. Vita hominis ſimilis eſt
ferro, quod ſi exerceas, atteritur, ſi non exerceas, rubigo
conſumit. Klingenfeld: Jch habe den guten Biſchoff
wol gekannt/ aber ich weiß nicht/ was ich von ihm ſa-
gen ſoll? Cereb. Tuo tibi judicio utendum. Klingen-
feld: Aber ich komme wieder auf eure Perſon. Jhr
ſeyd corpulent, was fuͤr Muͤhe mag es euch gekoſtet
haben/ uͤber die Schweitzeriſche Alpen zu gelangen?
Cereb. Invia virtuti nulla eſt via. Klingenfeld: Habt
ihr auch eine Schweſter? Cereb. Cui Juſtinæ nomen.
Klingenfeld: Jſt dann dieſe eine geſchickte Dame?
Cereb. Inutilis ad pudicitiam, \& ad tutandam rem.
Klingenfeld: Jhre Stieff-Mutter ſolte ſie fein zur
Haußhaltung anhalten? Cereb. Ingenium eſt
omnium hominum à labore proclive ad libidinem.
Klingenfeld: Hat ſie dann einen Courtiſan? Cereb.
Commune omnium amantium eſt. Klingenfeld: So
hat ſie eurer Stieff-Mutter ſo wenig vorzuwerffen/
als dieſe/ Jener. Cereb. Virtutes ipſæ inter ſe æquales
\& pares ſunt. Klingenfeld: Jſt ſie dann lange alſo ge-
artet geweſen? Cereb. Eadem eſt ac ſemper fuit. Klin-
genfeld:
[215]Romans I. Buch.
genfeld: Hierauß muß ich dann ſchlieſſen/ daß eure
rechte Mutter auch nicht anders geweſen. Cereb. For-
tes creantur fortibus \& bonis. Klingenfeld: Habt ihr
fuͤr eure Perſon dann gute Vertraulichkeit mit ihr
gehabt? Cereb. Cum Patrono Epicureo mihi omnia
communia ſunt. Klingenfeld: Jch ſehe wol/ daß ihr
es allein mit Freſſern und Sauffern haltet. Cereb.
Alius ab hoc, diverſus ab illo. Simile ſimili gaudet.
Klingenfeld: Wann ihr aber euer Geldchen verpraſ-
ſet/ duͤrffte euch das Zucht-Hauß dermahleins zum
Aufenthalt dienen. Cereb. Illic mihi nec ſeritur, nec
metitur. Klingenfeld: Zum wenigſten wird eure alte
Frau den Meiſter im Hauß ſpielen/ und euch den Hut
bald vom Kopff reiſſen? Cereb. Principiis obſta, ſerò
Medicina paratur, cum mala per longas invaluêre
moras. Klingenfeld: Jch ſehe wol/ ihr trauet mir noch
nicht/ und wollet meinen Worten keinen Glauben
geben. Cereb. Nemo credit, niſi ei, quem fidum putat.
Klingenfeld: Wann ihr fleiſſig ſtudiret haͤttet/ ſo waͤ-
ret ihr jetzo ein Doctor, oder ein hoher Staats-Be-
dienter. Cereb. Non cuivis licet adire Corinthum.
Klingenfeld: Euer Diſcurs gefaͤllet uns wol/ habt ihr
noch was ſonderliches/ ſo theilet es uns mit? Cereb.
Graviſſimè lædunt amici, qui expiſcantur arcana.
Klingenfeld: Jch bitte euch/ urtheilet nicht ſo uͤbel
von mir/ ſtehet aber von eurem unordentlichen Leben
ab/ ſo ſollet ihr uns ſehr angenehm ſeyn. Cereb. Ver-
bum audimus, monitum ſentimus, modum neſcimus,
præſentia credimus. Klingenfeld: Jhr werdet wol
manchmahl bekuͤm̃ert ſeyn/ wann euch Geld gebricht/
oder/ wann es euch ſonſten in dieſer Fremde uͤbel ge-
het. Cereb. Conſequi fortunam adverſam, non la-
mentari decet. Klingenfeld: Jhr ſeyd doch gluͤcklich/
daß ihr euch ſelber troͤſten/ und zufrieden ſprechen koͤn-
O 4net.
[216]Deß Academiſchen
net. Cereb. Studia adoleſcentiam alunt, ſenectutem
oblectant, ſecundas res ornant, adverſis perfugium ac
ſolatium præbent. Klingenfeld: Gehet ihr auch wol
mit fuͤrnehmen Leuten um/ oder bleibet ihr lieber bey
Niedrigen? Cereb. Metiri ſe quemque ſuo modulo ac
pede verum eſt. Klingenfeld: Wann ihr lang in Jta-
lien bleibet/ wird man euch fuͤr keinen Teutſchen mehr
anſehen. Cereb. Civi Romano licet eſſe Gaditarum.
Klingenfeld: Jch hoffe/ das hohe Alter wird euch
dermahleins/ dafern ihr es erreichet/ zu andern Ge-
dancken/ und zu einem beſſern Leben fuͤhren. Cereb. Se-
ra nunquam eſt ad bonos mores via. Klingenfeld:
Das war ein gutes Wort/ auf ſolche Weiſe verdie-
net ihr/ gelobet zu werden. Cereb. Nihil ſapientia pul-
chrius, nihil virtute amabilius. Klingenfeld: Mein
guter Cerebacchi, ich ſehe euch jetzo gantz umgekehret/
und das ſo ploͤtzlich. Cereb. Vilius argentum eſt auro,
virtutibus aurum. Klingenfeld: Jch wuͤnſche euch
Gluͤck/ zu dieſem guten Sinn/ ſolcher Geſtalt ſoltet
ihr noch wol empor kom̃en. Cereb. Dignum laude vi-
rum Muſa vetat mori. Klingenfeld: Jſt dieſes alles
euer Ernſt/ was ihr jetzo redet? Cereb. Mente rectè uti
non poſſumus, multo cibo \& potu completi. Klingen-
feld: O! ſeyd ihr ein ſolcher Schalck/ ſo wollen wir
euch allein ligen laſſen/ was gilt es/ wann ihr den
Rauſch außſchlaffet/ werden ſich ſchon etliche finden/
die euch die Hoſen viſitiren? Cereb. Fabricius reſpon-
det, ſe à cive ſpoliari malle, quam ab hoſte venire.
Klingenfeld: Bekennet mir die rechte Warheit/ iſt
ein Tugendhafftes Leben nicht beſſer/ als ein Laſter-
hafftes/ wie das Eurige? Cereb. Amara eſt veritas, \&
qui eam prædicant, implentur amaritudine. Klingen-
feld: Jch muß mehr von eurer Freundſchafft wiſſen/
Habt ihr auch ſelber einen Bruder? Cereb. Cornelius
dictus.
[217]Romans I. Buch.
dictus. Klingenfeld: Gehet es ihm dann wol? Ce-
reb. Dives pecoris, dives agris, dives poſitis in fœnore
nummis. Klingenfeld: So wird ihn ſeine Frau wol
hertzlich lieben? Cereb. Malo virum, qui pecunia, quàm
pecuniam, quæ viro egeat. Klingenfeld: Begehen ſie
ſich nicht wol mit einander? Cereb. Nulla dies mœro-
re caret. Klingenfeld: Hat die Frau dann kein Mit-
leyden mit ihrem Mann? Cereb. Xantippe irarum \&
moleſtiarum ſcatebat. Klingenfeld: Jch glaube/ ihr
redet es der Frauen auß Haß nach. Cereb. Ubi rerum
teſtimonia adſunt, non opus eſt verbis. Klingenfeld:
Wuſte dann euer Bruder nicht/ daß ſie ſolch ein
Kraͤutlein waͤre? Cereb. Fallit enim vitium ſpecie
virtutis. Klingenfeld: So wird der gute Cornelius
ein elend Leben haben? Cereb. Deus dilectis ſuis iter
aſperum facit, ne dum delectantur in via, obliviſcan-
tur eorum, quæ ſunt in patria. Klingenfeld: Hat ſie
ihn dann ſo bald zum Gehorſam gebracht? Cereb.
Aliq uantum temporis, \& magni laboris \& impenſæ
multæ opus fuit. Klingenfeld: Das muß wol ein ein-
faͤltiger Narꝛ ſeyn/ der ſich von einem boͤſen Weib ſo
bald ſolte zu Chor treiben laſſen? Cereb. Glorioſa ſa-
pientia non magno æſtimanda eſt, ſtultorum omnia
ſunt plena. Welche Worte den Klingenfeld etwas
verdroſſen/ deßwegen ſtutzete er/ und wolte ſich mit
ihm nicht weiter bemengen/ aber der Printz hatte gar
zu groſſe Luſt an dieſem Diſcurs, derwegen winckete er
ihm/ fort zu fahren/ und als eben Cerebachius den
Wein-Becher an den Mund ſetzete/ zu trincken/ rieff
ihm dieſer zu: Eſt virtus placitis abſtinuiſſe bonis. Ce-
rebacchius aber thaͤte einen guten Trunck/ und nach-
dem er den Mund gewiſchet/ ſahe er ihn ſtarꝛ an/ und
ſchwieg ſtill. Klingenfeld aber ſprach: Wiſſet ihr
wol/ was ihr vorhin zu mir geſaget/ ſolche Worte ſind
O 5maͤchtig/
[218]Deß Academiſchen
maͤchtig/ mich anzuſporen/ daß ich zu euch trette/ und
Haͤndel mit euch anfange. Cerebacchius ſprach: Su-
perſedeas hoc labore itineris, malo unum diem amici-
tiæ, quam mille rixarum. Klingenfeld: Euer zerlum-
peter Rock haͤlt mich ab/ dann ich ſehe/ daß keine Ehre
an euch zu erlangen. Cereb. Sæpè ſub ſordido palliolo
latet ſapientia. Klingenfeld: At in regno voluptatis
virtuti non eſt locus. Hier mit tratt er naͤher zu ihm;
Cerebacchius aber erſchrack/ und ſagte: Magno exitio
Rebuspublicis ſunt inteſtinæ diſſenſiones. Klingen-
feld: An neſcis longas mihi eſſe manus? Cereb. Te-
cum habita, \& nôris, quam ſit tibi curta ſuppellex.
Klingenfeld: Waͤre ich ein anderer Mann/ ich wuͤrde
zuſchlagen. Cereb. Quod aliis vitio vertis, id tu tibi
laudi ne duxeris. Klingenfeld: Jhr redet zu keck/ wol-
tet ihr euch wol gegen feine Leute vergleichen. Cereb.
Sic parvis componere magna ſolebam.
Anjetzo griff Klingenfeld nach dem Degen/ wel-
chem Cerebacchius behende entgegen ſchrye: Nulla
ſalus bello, pacem te poſcimus omnes. Klingenfeld:
Was wolt ihr mir aber geben/ wann ich einhalte?
Cereb. Cariſſimè conſtat, quod precibus emitur. Klin-
genfeld: Nihil faciendum eſt, cujus nos pœnitere poſ-
ſit. Cereb. Sunt tamen homines, quas libidinis ſuæ
neque pudeat, neque pœniteat. Klingenfeld: War-
lich Cerebacchi, ihr machet mir die Galle ruͤhrend. Ce-
reb. Duplex eſt hominum genus, aliud iraſcentium,
aliud nihil curantïum. Gleich wie nun der Printz fuͤr
Lachen ſchier umgefallen waͤre/ alſo ergriff Klingen-
feld hingegen im Zorn den Praſſer/ warff ihn zur Er-
den/ und riſſe ihm eine Hand voll Haar auß/ und nach-
dem er wieder aufgeſtanden/ richtete ſich Cerebacchius
auch wieder auf/ und ſagte: Boni paſtoris eſt tondere
pecus, non deglubere. Tuum eſt, ſi quid præter ſpem
evenit,
[219]Romans I. Buch.
evenit, mihi ignoſcere. Troll fragte den armen
Schlucker/ wie ihm dieſe Ohrfeige geſchmecket?
Cereb. Tua quod nihil refert, percontari deſinas.
Troll war fertig in ſeiner Antwort/ und ſagte: Omnes
homines ſummâ ope decet niti, ne vitam ſilentio tran-
ſigant, veluti pecora, wie ſolte ich dañ nicht ein Woͤrt-
lein reden? Cereb. Plus oportet ſcire ſervos, quam
loqui. Troll: Oratorem iraſci non decet, ſimulare
non dedecet, haſt du aber Luſt/ ſo wil ich dir auf den
Degen kommen. Cereb. Candida pax homines, trux
decet ira feras. Troll: Gehe nur hin/ und ſchlaffe dei-
nen Rauſch auß. Cereb. Septem horas dormiſſe ſat
eſt juvenique ſenique. Klingenfeld: Gebt euch zu-
frieden/ mein Landsmann/ mein Zorn iſt wieder uͤber.
Cereb. Puncto temporis maximarum rerum momen-
ta vertuntur. Klingenfeld: Es ſcheinet/ daß ihr alle
Poeten außwendig gelernet habt? Cereb. Exiguo
durat genialis tempore pompa, ſola Poëtarum car-
mina docta manent. Klingenfeld: Morgen muͤſſet
ihr mit uns in die Kirche gehen/ dann es iſt Sonntag/
alsdann wollen wir mit einander fortziehen. Cereb.
Luce ſacra requieſcat humus, requieſcat aratrum.
Klingenfeld: Was wollen wir Morgen zum Fruͤh-
ſtuͤck haben? Cereb. Inter aves perdix, (ſi quis me ju-
dice certet,) inter quadrupedes gloria prima lepus.
Klingenfeld: Das iſt wol geredet/ aber es zielet nur
auf Wolleben/ darum beſſert euch doch einmahl.
Cereb. Naturam expellas furcâ, tamen usque recurret.
Klingenfeld: Eure Religion weiſet euch aber viel-
mehr an zum Faſten/ als zum Schwelgen. Cereb.
Non decet rationis decempedâ metiri immenſos re-
ligionis noſtræ agros, hoc ore ſumitur, quod fide cre-
ditur, \& fruſtra ab illis Amen reſpondetur, à quibus
contra id, quod accipitur, diſputatur. Troll fiel ihnen
jetzo
[220]Deß Academiſchen
jetzo ins Wort/ und ſagte zu Cerebacchio: Wer hat
dich gelehret/ ſolcher Geſtalt mit feinen Leuten zu re-
den? Worauf Cerebacchius: Quis te ordinavit mihi
judicem? Troll: Neſcio. Cereb. Et hæc omnium
Aſinorum reſponſio. Troll: Wo gehoͤre ich dann zu
Hauß? Cereb. Ignoro. Troll: Hæc eſt omnium
Mulorum reſponſio. Cereb. Quomodo differunt Aſi-
nus \& mulus? Troll: Tanquam minus \& majus. Ce-
reb. Ergo ego ſum major, tu minor; Ego ſervio Sarci-
nis Principum, tu molitorum, Ego ſum animal ſplen-
didum, tu ſordidum.
Als Troll ſahe/ daß er von der Schul geſchlagen
war/ ſtellete er ſich ſchamhafftig/ ſetzete den ſilbernen
Becher vor den Mund/ und verbarg ſich darhinter/
ſoff aber indeſſen/ daß er ſchwartz darbey ward. Cere-
bacchius rieff ihm zu: Proſit fratercule, wir koͤnnen
deßwegen wol Bruͤder ſeyn/ ob du gleich ein Muͤller-
Eſel/ und ich ein Mulus ſplendidus bin. Troll: Du
ſprichſt alles/ was dir in den Mund kommt/ du muſt
einen ſchlechten Zuchtmeiſter in der Jugend gehabt
haben. Cereb. Deteriores omnes ſumus licentiâ.
Klingenfeld: Jch glaube euer Lehrmeiſter hat euch
viel uͤberſehen/ weil euer Vatter ein Obriſter war.
Cereb. Dat veniam corvis, vexat cenſura columbas.
Klingenfeld: Jch glaube/ ihr wiſſet nichts von einem
ewigen Leben/ und ſuchet euren Him̃el in dieſer Welt.
Cereb. Scriptura per corporalia docet ſpiritualia, \&
inviſibilia per viſibilia demonſtrat. Klingenfeld:
Gedencket ihr auch wol dermahleins wieder nach
Hauß? Cereb. Patria dulciſſima tellus. Klingenfeld:
Aber eure Stieff-Mutter thut euch ja allen Tort an.
Cereb. Malo eſſe cum timore domi meæ, quam cum
periculo domi alienæ.
Unter dieſem Diſcurs gieng Troll/ als ein tuͤcki-
ſcher
[221]Romans I. Buch.
ſcher Menſch bey Cerebacchio her/ und ſtieß ihn mit
dem Ellenbogen in die Seite/ dieſer aber ſtieß ihn gar
zur Erden/ und ſagte: Improbus eſt homo, qui bene-
ficium ſcit ſumere, \& reddere neſcit. Als ſich aber
Troll mit einer doppelten Fauſt gegen ihn ſtellete/ rieff
Cerebacchius: Ignoſce, peccavi. Klingenfeld fragte
ihn/ wie er ſich vor dieſem Menſchen ſo bald fuͤrchte?
Cereb. Omnia prius conſilio experiri, quam armis
contendere ſapientem decet. Klingenfeld: Jch glau-
be/ wann ihr moͤchtet Buͤcher ſchreiben/ und alle eure
Spruͤchwoͤrter anbringen/ ſie ſolten wol abgehen.
Cereb. Tenet inſatiabile multos ſcribendi Cacoëthes,
\& ægro in corde ſeneſcit. Klingenfeld: Wann wir
euch auf der Raͤyſe frey halten/ ihr werdet wol gerne
bey uns bleiben. Cereb. Turpe quidem dictu, ſed ſi-
nodo vera fatemur, vulgus amicitias utilitate probat.
Klingenfeld: Aber/ wann wir euch nichts ſpendiren/
gebt ihr uns auch wol kein gut Wort: Cereb. Nec vi-
ſu facilis, nec dictu affabilis ulli. Klingenfeld: Gleich-
wol koͤnte ich mich nicht wegwerffen/ zum wenigſten
wolte ich dieſem Troll nicht ein Haar weichen/ ſon-
dern es auf die Spitze ankommen laſſen. Cerebacch.
Conſilia audacia prima ſpecie læta ſunt, tractu dura,
eventu triſtia. Troll kunte ſich nicht laͤnger enthal-
ten/ ſondern ſprach: Du magſt gleichwol wiſſen daß
ich meine Studia ſo wol abſolviret habe/ als du/ und
dannenhero eben ſolcher Mann bin/ als Cerebacchius.
Hierauf ſprach dieſer: Bona verba quæſo, fratercule,
qui ſtultis eruditi videri volunt, eruditis ſtulti viden-
tur. Troll: Meine Logica, Phyſica, Grammatica,
Rhetorica, Metaphyſica, und andere Diſciplinen/
ſchweben mir gleichwol annoch in friſchem Anden-
cken. Cereb. Sit boni oratoris, multa auribus acce-
piſſe, multa vidiſſe, multa animo \& cogitatione, mul-
ta etiam
[222]Deß Academiſchen
ta etiam lectione percurriſſe. Troll: So magſt du
dir gleichwol auch darbey einbilden/ daß ich ehe ein
Studioſus bin geweſen/ als du. Cereb. Coturnices
etiam ante veniunt, quam grues. Klingenfeld: Saget
mir/ mein Freund/ wie koͤñet ihr alſobald ein Spruͤch-
wort oder Rede finden/ die auf unſere Rede oder Fra-
ge paſſet? Cereb. Cum à me quidam familiariter po-
ſtularent, ut aliquid de ratione dicendi componerem,
prorſus ſum equidem reluctatus. Klingenfeld: Wann
wir euch nun in unſerer Compagnie allwege frey hal-
ten/ ſo bleibet ihr wol gerne bey uns/ aber wollet ihr
Herꝛ oder Diener ſeyn. Cereb. Oportet eum, qui pa-
ret, ſperare, ſe aliquo tempore imperaturum, \& illum,
qui imperat, cogitare brevi tempore ſibi eſſe paren-
dum. Klingenfeld: Das iſt wol geredet/ aber ihr habt
gar zu ein altes Kleid an. Cereb. Quæ vetera ſunt,
fuerunt olim nova. Klingenfeld: Der Schneider hat
zwar der neuen Mode daran in etwas vergeſſen/ aber
die ledernen Taſchen/ die er an die Seiten gehefftet/
ſind ſehr bequem. Cereb. Non culpa tantum vacat,
ſed dignus quoque laude admirationeque eſt. Klin-
genfeld: Guter Freund/ ihr habt ja lange nicht ge-
truncken/ ſetzet doch die Flaſche einmahl wieder an
den Mund. Cereb. Id re quàm verbis, faciam liben-
tius. Klingenfeld: Leute/ die ſolchen Durſt haben/
wie ihr/ muͤſſen wol deß Tages offt einziehen. Cereb.
Id frequentius, quàm ut exemplo confirmandum ſit.
Troll miſchete ſich jetzo abermahl darein/ und ſagte:
Dieſer Menſch wird euch/ mein Herꝛ/ all zu drieſte/
er redet/ was ihm in den Mund kommet. Cereb. Quid
dulcius, quam habere, quo cum omnia audeas ſic loqui,
ut tecum. Troll: Jch ſage dir aber/ daß du hinfuͤhro
mit dieſem Cavallier beſcheidener redeſt. Cereb. Ecce.
quem penes eſt omnis poteſtas. Troll: Halte deinen
Schmaͤh-
[223]Romans I. Buch.
Schmaͤh-Mund/ oder ich werde dir doch dieſen Abend
noch den rothen Safft herauß jagen. Cereb. Juſtitiæ
primum munus eſt, ut ne cui quis noceat, niſi laceſſi-
tus injuriâ. Klingenfeld: Meynet ihr wol/ daß man
im Himmel auch Wein trincken werde? Cereb. Ego
vitam Deorum propterea ſempiternam eſſe arbitror,
quod voluptates eorum propriæ ſunt, Klingenfeld:
So haltet ihr gewiß die Leute/ die ſtaͤts freſſen/ vor
hoch gluͤckſeelig? Cereb. Miſer homo, qui ipſe ſibi
quod quærit, id ægrè invenit. Sed ille miſerior, qui
\& ægrè quærit, \& nihil invenit. Ille miſerrimus, qui
cum eſſe cupit, quod edat non habet. Troll: Darauß
mag ja ein Jeder urtheilen/ daß mein Stand loͤblicher
ſey/ als deß Cerebacchii. Cereb. Quò quisque ingenio
minus valet, hoc ſe magis attollere, \& dilatare cona-
tur. Hiermit langete er nach einer vollen Flaſchen mit
Wein/ und wolte ſolche an den Mund ſetzen/ Klin-
genfeld aber beſtraffete ihn/ daß er ſo gar keine Maß
zu halten wuͤſte. Worauf Cereb. Nihil addubito,
quin, quâ es humanitate, hanc meam voluntatem ſis
boni conſulturus. Jener hielte ihm fuͤr/ daß er ja am
folgenden Morgen dieſe Flaſche wieder finden/ und
alsdann außleeren koͤnte/ aber Cerebacchius ſchuͤttelte
den Kopff mit dieſen Worten: Quid enim eſt ſtul-
tius, quam incerta pro certis habere, falſa pro veris?
Als ihm Troll hieruͤber die Flaſche auß der Hand
riſſe/ und ſeinen Becher darauß fuͤllete/ muſte er dieſe
Worte von Jenem anhoͤren: Qui ſe victoria licen-
tius, liberiusque, quàm rectius uſuros credebant. Dar-
auf nahm er die Flaſche/ und trunck den Reſt in einem
Anſatz hinein. Klingenfeld aber ſprach: Jch halte/
es wird Zeit ſeyn/ daß wir ſchlaffen gehen/ und nach-
dem Cerebacchius hierauf geantwortet: Diem con-
ſumi volebant, id quod factum eſt, da giengen ſie mit
einan-
[224]Deß Academiſchen
einander auß der Stuben in die angewieſene Kam-
mern/ allwo ſich der Printz mit Klingenfeld noch uͤber
ein und anders befragte/ hernach aber ſchlieffen ſie
ein/ und genoſſen der angenehmen Ruhe/ biß ihnen
am folgenden Morgen die Sonne durch ihre Strah-
len muntere Augen machete. Am folgenden Tage/
als unſere Compagnie ſich den Federn allbereits ent-
nommen/ da kamen allererſt die Jenige/ welche den
vorigen Abend dieſe Herberge beſtellet hatten/ nach-
dem alſo der Printz den Gaſtgeber befriediget/ ließ er
dem Cerebacchio ein Pferd langen/ und alſo ſetzten
ſie ſich mit einander auf/ und erreichten die Stadt
Padua in anderhalb Stunden ohne einigen Anſtoß.
Das XX. Capitul/
Ein ſchlechterCandidatus.Ein Schweitzer diſcurriret/ daß
manchmahl ſchlechte Leute zu Magiſtern/ Licentiaten und Doctoren
promovirt werden/ wider die Lehre und Regel der Alten.
SO bald ſie zum Thor hinein kamen/ erblicketen
ſie einen ſtarcken Zulauff von Menſchen/ und
als ſie forſcheten/ was ſolcher zu bedeuten haͤt-
te/ ward ihnen angezeiget/ daß ein Teutſcher auf den
Catheder ſteigen wolte/ um ein Doctor Medicinæ zu
werden. Sie blieben demnach nicht lange in der Her-
berge/ ſondern giengen mit einander nach dem groſſen
Collegio, und hoͤreten den Teutſchen Medicum diſpu-
tiren/ der aber ſo ſchlecht beſtund/ daß man ihn an ei-
nem andern Ort unmoͤglich wuͤrde angenommen ha-
ben/ dann er wuſte kein Latein herfuͤr zu bringen/ ſon-
dern ſprach lauter gebrochen Jtaliaͤniſch/ war auch
in der Medicin weniger beſchlagen/ als ein Roßkam̃.
Dannenhero wolten ſie ſich nicht laͤnger an ſeiner
Diſputation aͤrgern/ ſondern giengen wieder nach ih-
rer Herberge/ und beſtelleten eine gute Mahlzeit. Es
kamen bald hernach etliche Studenten/ und als ſie
den
[225]Romans I. Buch.
den Cerebacchium erblicketen/ verwunderten ſie ſich/
und freueten ſich/ daß er noch im Leben/ inmaſſen ſie
ihn vor todt beklaget haͤtten. Dieſe geſtunden/ daß
am vorigen Tag zwey Studenten auf anderthalbe
Meile von der Stadt ſich mit einander geſchlagen/
und darauf in einem Dorff ſich wieder vertragen
haͤtten/ da dann Cerebacchius mit bey dem Schmauß
geweſen/ und ſich dergeſtalt uͤberladen/ daß er auf
dem Ruckwege im Feld ligen blieben/ und als ſie uͤber
2. Stunden hernach/ und zwar in die Nacht hinein/
zu dem Ort gekommen/ um ihn auf einem Eſel fortzu-
ſchleppen/ haͤtten ſie ihn nicht mehr gefunden/ wor-
auß ſie geurtheilet/ er muͤſſe erſchlagen und wegge-
ſchleppet ſeyn.
Als endlich die Mittags-Zeit heran nahete, ſetze-
ten ſich unſere Fremdlinge zu Tiſch/ bey welchen ſich
Cerebacchius ſehr beſcheidentlich zu halten wuſte/ weil
er nuͤchtern war. Hierbey erſchien ein anſehnlicher
alter Mann auß der Schweitz/ von deſſen Stand ſie
zwar nichts wuſten/ aber auß den Diſcurſen ließ er
mercken/ daß er von Jemand in wichtigen Affaires
muͤſſe verſchicket ſeyn. Mit dieſem Schweitzer ließ
ſich Klingenfeld in einen Diſcurs ein/ und erzehlete
ihm/ wie ſchlecht der heutige Candidatus auf dem
Catheder beſtanden. Der Schweitzer ſagte dargegen:
Laſſet euch dieſes nicht verwundern/ die Jtaliaͤner
wurden Narren ſeyn/ wann ſie nicht einen jeden
Teutſchen/ ſolte er auch ſein Lebtag von keiner Gram-
matica gehoͤret haben/ zur Promotion admittireten/
dann ſie bekommen Geld darfuͤr/ und ſchaffen ſie her-
nach wieder ab. Aber keinen Landsmann werden ſie
zum Doctor machen/ der nicht wol beſchlagen waͤre.
Jm uͤbrigen/ wie gehet es auf unſern Teutſchen/ ſo
Catholiſchen/ als Proteſtirenden Academien/ was fuͤr
Pſeltzame
[226]Deß Academiſchen
ſeltzame Magiſtros, Licentiatos und Doctores machet
man daſelbſt wol/ da moͤchte einem offt die Gall uͤber-
gehen. Die Academiſchen Wuͤrden ſeyn gleichfalls
Koͤnigliche Stuͤcke/ welche allein den Tuͤchtigſten
ſollen gegeben werden/ damit ſie ihrer ſchweren Muͤhe
und Arbeit hiernaͤchſt eine Ergoͤtzung moͤgen genieſ-
ſen. Die Roͤmer pflegten ihre Krone und Tugend-
Zeichen keinem andern nach erhaltenem Sieg zu er-
theilen/ als denen/ die ſie wuͤrcklich verdienet hatten.
Ehr iſt der Tugend Sold/ ſagt der alte
Ehrenhold. Ebener Maſſen glauben gelehrte
Maͤnner/ die Apoſtel haben keinem die Haͤnde auf-
geleget/ welche ſie untuͤchtig erkennet. Aber/ auß den
Policeyen ſeyn auch die Academien verderbet/ indem
die Academien den Policeyen gefolget. Die Poli-
ceyen haben offt zu Sceptern/ zu Purpur/ zu Thro-
nen erhaben/ von Furcht/ von Hoffnung/ von Geld
bezwungen/ fuͤr welchen Nabal ſich ſchaͤmen durffte/
ſie unter die Schafs-Knechte zu nehmen. Die Aca-
demien haben offt zu Doctoren/ zu Licentiaten/ zu
Magiſtern erhaben/ von Dienſten/ von Freundſchafft/
von Geitz bezwungen/ fuͤr welchen Priſcianus ſich ſchaͤ-
men durffte/ ſie unter ſeinen Schutz anzunehmen.
Das Concilium zu Coſtnitz entzuͤndete groſſes
Ungluͤck/ doch loͤſchete es dieſes Unweſen/ und ſetzte:
Ut de cætero floreat ſapientia, \& vigeant literarum
ſtudia, nullus ad titulos graduum \& honorum aſſu-
matur, niſi idoneus, \& approbatus moribus, \& ſcien-
tia, atque bene meritus, nec ita levis, \& nimium præ-
cipitata promotio fiat. Nam ut notum eſt, \& multis
ridiculoſum, multi Magiſtrorum nomen obtinent,
quos magis adhuc diſcipulos eſſe deceret, contra fa-
cientes aut venientes, privilegiis, regalibus eisdem
univer-
[227]Romans I. Buch.
univerſitatibus conceſſis, ipſo jure priventur. Da-
mit ins kuͤnfftige die Weißheit bluͤhe/ und die freyen
Studien wachſen und gruͤnen moͤgen/ ſoll keiner zu
den Tituln der Wuͤrden und Ehren angenommen
werden/ dann der dahin geſchickt und bewaͤhret
gefunden iſt/ an Sitten und Wiſſenſchafften/ und
ſonſten wol verdienet/ und darum ſoll die Promo-
tion nicht leichtlich und gar zu geſchwinde ergehen/
dann/ wie bewuſt/ und vielen laͤcherlich iſt/ viel
tragen den Namen der Magiſtern/ und gebuͤhrete
ihnen noch unter den Schuͤlern zu lernen. Die
wider dieſe Ordnung thun/ ſollen der Koͤniglichen
Freyheit/ welche den Univerſitaͤten geſchencket/ be-
raubet werden.
Julius der Dritte/ Roͤmiſche Biſchoff/ hat die
Bullen- oder Brieff-Doctoren/ die unter ſeinem Na-
men gemacht worden/ ſelbſt verworffen. Jſt es dem-
nach nicht eine geringe Urſach geweſen/ daß der Adel
die Academiſchen Wuͤrden verachtet/ und ihrem Ge-
ſchlecht fuͤr eine Schande gedeutet/ ſo ihre Kinder
ſolche annehmen wolten. Daß nun ſtoltze/ aber nicht
im geringſten erfahrne Leute ſeyn/ auf Univerſitaͤten
Doctores, Licentiaten uñ Magiſtri promovirt worden/
wer wil es laͤugnen? Seyn Leute in Theologia auf
Univerſitaͤten Doctores, Licentiati promovirt wor-
den/ die nicht gar 2. Jahr auf Univerſitaͤten haben
ſtudiret/ ſondern nach einem Magiſtellen ſich geſoͤh-
net/ niemahls einige Probe diſputando, opponendo,
reſpondendo, declamando gethan/ die nicht ein einzi-
ges Specimen deß Fleiſſes und Geſchicklichkeit vor-
zeigen koͤnnen. Jn Warheit/ es ſeyn ſtoltze/ aber im
geringſten nicht erfahrne Leute/ Doctoren und Licen-
tiaten promovirt worden. Stoltze/ weil ſie die Ehren
kuͤrtzlich gefordert/ die ohne Diebſtahl ihnen nicht
P 2koͤnnen
[228]Deß Academiſchen
koͤnnen gereichet werden/ ſintemahl ſie erleuchteten
Seelen/ und nicht den Schmier-Bacchanten zuſtehet/
Unerfahrne aber/ ja wol Unerfahrne/ die nichts ſtudi-
ret/ und nichts ſtudiren wollen. Das heiſſet nach den
Apoſtoliſchen Regeln handeln: Nimm an Weißheit/
nimm an Verſtand/ vergiſſe nicht/ und weiche nicht
von der Rede meines Mundes/ verlaß ſie nicht/ ſo
wird ſie dich behuͤten/ dann der Weißheit Anfang iſt/
wann man ſie gerne hoͤret/ und die Klugheit lieber
hat/ dann alle Guͤter. Achte ſie hoch/ ſo wird ſie dich
erhoͤhen/ und wird dich zu Ehren machen/ wo du ſie
hertzeſt. Sie wird dein Haupt ſchoͤn ſchmuͤcken/ und
wird dich zieren mit einer ſchoͤnen Krone. Jch be-
ſorge/ der Pſalm muͤſſe geaͤndert werden/ der fraget
und antwortet: Wer iſt/ wie der Herꝛ unſer GOtt/
der ſich ſo hoch geſetzet hat/ und auf das Niedrigſte
ſiehet im Himmel und auf Erden. Der den Geringen
aufrichtet auß dem Staub/ und erhoͤhet den Armen
auß dem Koth/ daß er ihn ſetze neben die Fuͤrſten/ ne-
ben die Fuͤrſten ſeines Volcks. Es wuͤrde uͤbel klin-
gen/ wann man ſagte: Wer iſt wie die Herren unſere
Goͤtter bey Univerſitaͤten/ die ſich ſo hoch geſetzet ha-
ben/ und auf den Niedrigen ſehen im Himmel und
auf Erden/ welche die Ungelehrten aufrichten auß
dem Schuͤtzen-Staub/ und erhoͤhen den naͤrriſchen
Scholaren auß dem Koth/ daß ſie ihn ſetzen neben die
Fuͤrſten ihres Volcks. Es wird mangeln/ dann De-
canen und Profeſſoren ſeyn nicht uͤber alle Heyden/
und ihre Ehre gehet nicht/ ſo weit der Himmel iſt.
Endlich bleibet der Spruch Salomonis: Die Wei-
ſen werden Ehre erben/ aber wann die Narren hoch
kommen/ werden ſie doch zu ſchanden.
Etliche berichten/ dieſe oder jene Facultas Medi-
cinæ promoviret zwar ungeſchickte Doctoren/ muͤſſen
aber
[229]Romans I. Buch.
aber zuſagen/ innerhalb 5. Jahren die Artzney nicht
zu treiben. Was iſt dieſes? Nur etwas. Von den
Magiſtern viel zu ſchwaͤtzen/ achte ich ohne Noth ſeyn/
weilen vielen mangelt/ das richtige Conjugiren/ De-
cliniren/ Conſtruiren/ und dergleichen Dinge. Die
Facultaͤten ſeyn zu ruͤhmen/ bey welchen die Candida-
ten muͤſſen vorlegen die Jahre/ in welchen ſie ſtudiret
haben/ die Exercitien/ welche ſie gehalten haben/ und
die Zeugnuͤſſen/ welche ſie von ihren Præceptoren er-
langet haben.
Die Facultaͤten aber ſeyn hoch zu ſtraffen/ welche
bloſſen Vorſchrifften der hierunter behaltener Fuͤr-
ſten/ Grafen/ Herren/ ꝛc. trauen/ von einem Glied ih-
res Ordens ſich betaͤuben/ daͤmpffen und blenden laſ-
ſen. Jedoch/ eine heilige Gabe ſtillet den Zorn/ und
ein Geſchenck im Schoß deß hefftigen Grim̃s/ ſpricht
Salomon. Auch die oͤffentlichen Gaben ſtillen den
Zorn deß Examinanten/ und das Geſchenck im Schoß
deß hefftigen Profeſſoren Grimme. Aber/ wer zu
ſchencken hat/ der iſt wie ein Edelſtein/ wo er ſich hin-
kehret/ iſt er klug geachtet. Unterdeſſen aber iſt es eine
Tod-Suͤnde/ wann Jemand den hoͤchſten Grad in
Theologia, Jurisprudentia, Medicina ſuchet/ ihm aber
das Gewiſſen ſeine Untuͤchtigkeit aufrucket. Es iſt
eine Tod-Suͤnde an denen/ die es ſuchen/ und an de-
nen/ die es gewaͤhren. Hiervon reden die Canoniſten
unterſchiedlicher Weiſe.
Ferner/ werden fromme Chriſten fleiſſig erwe-
gen/ die Wichtigkeit der Sachen/ dann welche unge-
lehrte Leute promoviren zu hohen Graden/ betriegen
die Kirchen und Polyceyen/ und das in ſehr wichti-
gen Sachen. Beſcheidene Hof-Maͤnner ſchaͤmen
ſich einen Stuͤmpler/ der nur auf Trompeten blaͤren
kan/ zu dem Turnier der Fuͤrſten zu beſtellen; Und
P 3manche
[230]Deß Academiſchen
manche Univerſitaͤten ſchaͤmen ſich nicht/ die Wol-
fahrt gantzer Voͤlcker und groſſer Fuͤrſten/ auch das
Heyl ſo vieler tauſend Seelen den toͤlpiſchen Eſeln
unter die Fuͤſſe zu ſtuͤrtzen. Dort doͤrffen Kuͤh-Hoͤrner
und Saͤublaͤſer nicht kommen/ und iſt doch Schimpff
und Spiel; Allhier doͤrffen Bacchanten auftretten/
und iſt gefaͤhrlicher Ernſt. Dann die hohen Graden
werden darum verdienet/ daß die Kirchen haben wa-
ckere Prediger/ die Ketzer zu widerlegen/ und die Un-
glaͤubigen zu bekehren. Daher trauen die Fuͤrſten und
Biſchoͤffe den Academien/ ſeyn ſie betrogen/ ſie ſeyn
mit unſchaͤtzlichen Suͤnden der Univerſitaͤten be-
trogen.
Wann ein ungelehrter Theologus die Chriſtliche
Religion durch ſeine Unwiſſenheit verſchnoͤdet den
Heyden/ oder den Gegentheil auß Furcht ſeiner Un-
geſchicklichkeit fleucht; Wann ein ungelehrter Doctor
Juris bey einem Fuͤrſten und Herren Rathsbeſtallung
annimmt/ und durch ſeine Ungeſchicklichkeit die Herꝛ-
ſchafft und das Land in Gefahr und Noth bringet;
Wann ein untuͤchtiger Advocat ſeinem Clienten die
gerechteſte und klareſte Sache verleuret; Wann ein
ungelehrter Artzt den Beth-rieſigen vor Balſam
Gifft anſchmieret/ und ſolchen erwuͤrget/ haben nicht
ſolche zu buͤſſen in der Hoͤllen/ welche um Gelds wil-
len auß Eſeln Doctoren machen/ ihren Naͤchſten der
Seeligkeit/ deß Lebens/ der Guͤter berauben/ den
Boͤſen warme Brieffe und Siegel geben mit voller
Macht zu ſtehen und zu wuͤrgen? Zu geſchweigen/ daß
ſolche Promoventen an den Geſetzen Eyd-bruͤchig
worden/ den ſtinckenden Maulthieren die ſchoͤnſte
Kleinodien anhaͤngen/ und eine ruchloſe Faulheit an
der ſtudirenden Jugend verurſachen/ weil Aſinius,
Porcus das machen/ das leſen/ das dichten/ das ſchrei-
ben/
[231]Romans I. Buch.
ben/ das ſinnen/ das durchwachen/ durchleſen/ das
durchdichten/ das durchſchreiben/ das durchſinnen um
die rothe Groſchen dermahleins verteutſchen/ und
fuͤr das ſcharffe Examen mit den Examinanten bey
ſchertzhafftigen Schwencken/ (loquor de caſibus mihi
notis,) den ſuͤſſeſten Malvaſier zechen.
Kuͤrtzlich/ die Wolfahrt der Kirchen und Poli-
ceyen hafftet an der Redlichkeit der Univerſitaͤten/
dargegen das Ungluͤck uͤber Kirchen und Policeyen
rinnet auß der Truͤgerey der Univerſitaͤten. Solches
hat auch gemercket das Concilium zu Trident Seſſ. 7.
cap. 13. pag. 64. Editionis Venetæ, dann erſtlich hat
es erlaubet/ alle die zu examiniren/ welche von Bi-
ſchoͤffen/ Prælaten/ auch den Paͤpſtiſchen Legenten
ſelbſt zu ſtattlichen Præbenten vorgeſtellet/ erwaͤhlet
und genennet worden/ aber verboten/ die Jenigen zu
examiniren/ welche von Univerſitaͤten und Collegien
bey Univerſitaͤten vorgeſtellet/ erwaͤhlet und genennet
worden. Das iſt geſchehen den 3. Mertzen/ im Jahr
1547. Am 11. deß Wintermonats/ deß 1563. Jahrs
hat ſich der Geiſt/ welcher das Concilium regieret/
dieſe Exception, die Univerſitaͤt betreffend/ geendet/
und das vorige ziemlich widerruffen/ Seſſ. 24. cap. 18.
pag. 236. alſo lauten die Wort an ſelbigem Ort:
Præſentati ſeu electi vel nominati à quibusvis Eccle-
ſiaſticis perſonis, etiam ſedis Apoſtolicæ nunciis, ad
quævis Eccleſiaſtica beneficia non inſtituantur, nec
confirmentur, neque admittantur, etiam prætextu cu-
jusvis privilegii ſeu conſuetudine etiam ab immemo-
rabili tempore præſcriptæ, niſi fuerint prius à locorum
ordinariis examinati \& idonei reperti. Et nullus ap-
pellationis remedio ſe tueri poſſit, quo minus examen
ſubire teneatur: præſentatis tamen electis ſeu nomi-
natis ab Univerſitatibus, ſeu Collegiis generalium ſtu-
P 4diorum
[232]Deß Academiſchen
diorum exceptis. Die/ ſo den geiſtlichen Perſonen/
in was Wuͤrden auch die ſeyn moͤgen/ ja deß Apoſto-
liſchen Stuhls Bottſchafften ſelbſt vorgeſtellet/ er-
waͤhlet oder ernennet werden/ ſollen niemahls zu ei-
nigen geiſtlichen Pfruͤnden eingeſetzet/ beſtaͤttiget/
oder zugelaſſen werden/ auch nicht unter dem Schein
eines Privilegii, oder einer von undencklicher Zeit
hero verwalteten Gewohnheit/ ſie ſeyen dann zuvor
von der ordentlichen geiſtlichen Obrigkeit deſſelben
Orts examinirt und tuͤchtig befunden worden/ und
ſoll keinem nachgelaſſen ſeyn/ ſich durch das Mittel
der Appellation deß Examinis zu entbrechen. Doch
werden hiervon außgenommen/ die/ ſo von den Uni-
verſitaͤten/ oder den Collegiis der hohen Schulen vor-
geſtellet/ erwaͤhlet und ernannt werden.
Und abermahls: Expedit maximè animarum
ſaluti, à dignis atque idoneis Parochis gubernari: id
ut diligentius ac rectius perficiatur \&c. Mit außdruͤck-
licher Anzeige/ es gereichet zu Befoͤrderung der See-
len Seeligkeit/ wann dieſelbige von wuͤrdigen und
tuͤchtigen Pfarꝛ-Herren verſorget wurden. Derohal-
ben dann vorgedachte Examina aufs beſte vorzuneh-
men/ nachmahls erwidert/ und unter andern auch
noch daruͤber dieſes verordnet worden/ daß von den
Examinatoribus, ob es gleich Doctores oder Licentiati
der H. Schrifft/ oder der geiſtlichen Rechten waͤren/
ein Eyd geleiſtet werden ſoll/ daß ſie/ hindan geſetzt
aller Menſchlichen Zuneigung/ das Examen treulichſt
verrichten/ auch deßwegen weder zuvor noch hernach
einige Gaben nehmen/ oder im widrigen Fall ſie und
die Geber deß ſchaͤndlichen Laſters der Simoney
ſchuldig ſeyn wollen/ von dem ſie Niemand abſolvi-
ren koͤnte/ ſie haͤtten ſich dann zuvor aller der geiſt-
lichen Pfruͤnden/ die ſie in der Zeit erlanget/ wuͤrck-
lich
[233]Romans I. Buch.
lich entlediget/ und ſolten auch hinfuͤhro gantz unfaͤ-
hig ſeyn/ einige andere geiſtliche Pfruͤnde zu empfa-
hen. Jnſonderheit aber befindet ſich auch bey dieſem
Decret dieſer Anhang/ daß hinwieder die Privilegia
und Freyheiten/ ſo den Univerſitaͤten verliehen wor-
den/ nicht gelten/ noch angezogen werden koͤnten.
Gregorius Toloſanus diſputiret gruͤndlich von
dem Handel/ und auß ihm der gelehrte Jeſuit Ada-
mus Contzen; Jſt der Muͤhe werth/ daß wir beyde
anziehen von Wort zu Wort: Neque Doctor indo-
ctus debet frui privilegio Doctorum. Et certè tales,
qui titulo tenus Doctores ſunt, \& qui neglectu ſtudio-
rum quod jam didicerant, amiſerunt, digni eſſent, qui
iterum examinarentur, non quidem ab his, qui vo-
lunt videri Rabini: nam cæcus cæcum duceret, ſed à
Magiſtris eruditis, probatis Profeſſoribus, bonæ con-
ſcientiæ, \& à timentibus Deum, à Rectoribus \& Refor-
matoribus Scholarum, qui certè non minus neceſſarii
ſunt in Republica, quàm viſitatores Eccleſiarum, ſed
tales eſſent deputandi, qui in profeſſionibus ſeu facul-
tatibus reformandis eſſent peritiſſimi, \& munere Pro-
feſſorum perfuncti laudabiliter fuiſſent, veterani \&
emeriti, \& non aliunde, vel alii. Nec inficias imus,
quin \& æquum \& ſalutare Reipublicæ putamus, appro-
batum ſemel in Doctorem, poſſe iterum reprobari, ſi
poſtea inveniatur per reformatores prædictos, vel per
ipſos Magiſtros, qui antè approbarunt, inſuffiens: imò
\& inſignibus poſſe privari ſaltem privilegiis, niſi
caſu, vel morbo, vel ſenectute fuerit ſcientia amiſſa.
Sic Gordianus Cæſar: Grammaticos ſeu oratores, de-
[c]reto ordinis probatos, ſi non ſe utiles ſtudentibus
[...]ræbeant, denuò ab eodem ordine reprobari poſſe in-
[c]ognitum non eſt. Nam \& in his verſatur publica uti-
[li]tas, cum propter præſumtionem doctrinæ Doctores
P 5ad
[234]Deß Academiſchen
ad multa publica officia, \& beneficia Eccleſiaſtica ad-
mittantur, \& imperitia eorum multos ita deceptos læ-
dat. Quare examinatus, \& probatus, in gradu Licen-
tiæ, poteſt in examine Doctorum reprobari cum ex
noya cauſa potuerit ſe in utilem reddere, veluti ſi ſit
magna temporis diſtantia inter licentiam, aut proly-
tatum, \& Doctoratum petitum, vel quia uno tantum
examine fuerit approbatus, \& alia ſuperſunt, ſecun-
dum ea, quæ notat Abbas Panormitanus.
Sic Sylveſter de doct. §. 5. Quintò quæritur, quæ
requirantur doctorando, ne reprobetur, ſed approbe-
tur? Et dico, quod Scholaris reprobari poteſt, non
ſolum propter defectum ſcientiæ, quæ ſcilicet judi-
canda eſt ſufficiens arbitrio doctorantium, ſed etiam
morum: ut probatur in L. magiſtros. C. de Profeſſ. \&
Medi. Lit. X. junctæ de. II. de magi. \& ita ſervat, con-
ſuetudo; Unde ſex requiruntur in promovendo ad
dignitatem magiſterii. Primò docendi peritia, id eſt
ſcientia. Secundò dicendi facundia. Tertiò ſubtilitas
interpretandi. Quartò docendi copia. Et hæc haben-
tur in l. unica. C. de profeſſ. qui in ur. Conſt. libr. 12.
Quintò Excellentia morum: Ut in d. l. Magiſtros.
Sextò, motus fortitudinis, ut ſciat adverſus vim forti-
tudine reſiſtere, lib. reddatur. C. de Profeſſ. \& me. l. X.
Unde pauci attingunt dignitatem doctoratus, ut dicit
Bar. poteſt. Cy. ia l. omnes populi ff. de Juſt. \& Jur.
Et qui tempore approbationis habuit has conditiones,
ſi poſtea efficiatur inutilis, degradandus eſt à docto-
ratu, ut in l. Grammaticos C. de Profeſſ. \& me li. X.
Reprobari enim poteſt Doctor, vel Magiſter, ut ir
l. 11. C. eo \& no Bar. in l. ſed \& reprobari ff. de excu
tu. inprinc. ubi tex. dicit, Medicum poſſe reprobari,
\& idem in l. ut gradatim. §. reprobari ff. de mut. c
hom. ſed non ſine cauſal. Pomponius ſcribit ff. de n-
go. geſt.
Ein
[235]Romans I. Buch.
Ein ungelehrter Doctor ſoll nicht genieſſen der
Freyheiten der Gelehrten/ und gewiß die nur nach
dem Titul Doctores ſeyn/ und vergeſſen haben/ was ſie
zuvor gelernet/ waͤren wuͤrdig/ daß man ſie aufs neue
examinirte/ nicht zwar durch ſolche/ welche wollen Ra-
binnen geſcholten ſeyn/ dann auf die Weiſe wuͤrde ein
Blinder den andern fuͤhren/ ſondern durch geſchickte
Magiſtern/ geuͤbte Profeſſoren/ gewiſſenhafftige und
Gottsfuͤrchtige Maͤnnern/ Rectoren und Verbeſſerer/
oder Ober-Aufſehern der Schulen/ die fuͤrwahr in den
Policeyen nicht weniger/ als die Kirchen-Vaͤtter/
noͤthig ſeyn. Zu dem waͤren ſolche zu erkieſen/ welche
die beſtaͤndigſte Erfahrung/ wie Profeſſionen und Fa-
cultaͤten zu reformiren und zu verbeſſern/ auch ſelbſten
die Profeſſion mit Lob verrichtet haͤtten/ alte und wol-
verdiente/ und keine andere/ wir laͤugnen nicht/ ver-
meynen vielmehr/ es ſey billich/ und der Policey heil-
ſam/ daß ein zuvor bewaͤhrter Doctor koͤnne verworf-
fen werden/ wofern er hernach durch gedachte Refor-
matoren auch die Meiſter ſelbſten/ die ihn bewaͤhret/
untuͤchtig ergriffen wurden; Er koͤnne auch der Zier-
den und Freyheiten beraubet werden/ doch habe es
eine andere Bedeutung/ wann die Kunſt/ oder Wiſ-
ſenſchafft/ durch Unfall/ oder Kranckheit/ oder Alter
verlohren worden. Kaͤyſer Gordianus hat alſo ge-
ordnet/ die Grammatic-Lehrer/ oder Redner/ durch
einhellige Schluͤſſe ihres Ordens gebilliget/ wann ſie
ſich nicht nuͤtzlich den Studenten erzeigen: Daß ſie
hinwiederum von eben dem Orden koͤñen verworffen
werden/ iſt nicht unbewuſt. Dann auch in dem Fall
betrifft es den gemeinen Nutzen/ weil wegen Ver-
muthung der Kunſt und Geſchicklichkeit die Doctoren
zu offenen Aemtern und geiſtlichen Præbenden gelaſ-
ſen worden/ und derſelbigen Unwiſſenheit nachmahls
viel
[236]Deß Academiſchen
viel betreuget/ und beleydiget. Derenthalben/ wann
einer examiniret/ und bewaͤhret iſt zu den Wuͤrden
der Licentiatur, kan er in dem Examine der Doctur
verworffen werden/ weil nicht unmuͤglich/ daß er auß
neuen Urſachen ſich untauglich mache/ \&c.
Sylveſter: Man fraget/ was wird an dem/ der be-
gehret Doctor zu werden/ erfordert/ daß er nicht ver-
worffen ſondern bewaͤhret werde? Jch ſage/ daß ein
Student kan verworffen werden/ nicht nur wegen der
Wiſſenſchafft/ dann die muß richtig ſeyn/ und/ daß ſie
richtig ſey zu ſolchen Wuͤrden/ erkennet werde/ ſon-
dern auch wegen der Sitten Mangel. Daher werden
6. Stuͤcke erfordert an dem/ der zu den Wuͤrden der
Doctur ſoll befordert werden. Erſtlich/ Erfahrenheit
oder Wiſſenſchafft zu lehren. Zum Andern/ Beredt-
ſamkeit zu lehren. Zum Dritten/ Scharffſinnigkeit zu
erklaͤren. Zum Vierdten/ Richtigkeit oder Uberfluß
der Wiſſenſchafft zu lehren. Zum Fuͤnfften/ Vortreff-
lichkeit der Sitten. Zum Sechſten/ Staͤrcke der
Großmuͤthigkeit/ daß er wiſſe der Gewalt mit Tapf-
ferkeit zu widerſtehen. Item: Wer zu der Zeit/ da er iſt
bewaͤhret worden/ dieſe Eigenſchafften gehabt/ wann
er nachmahls untuͤchtig wird/ iſt er zu verſtoſſen von
den Wuͤrden der Doctur. Bißher D. Adam. Contzen.
Solte man nach dieſen Stuͤcken etliche Docto-
ren der H. Schifft beſchauen/ was wuͤrde alsdann ge-
ſchehen? Was ſoll es ſeyn? Dann die Wuͤrde der
Doctur iſt vielen groben Hoͤltzern angebotten worden.
Vielen groben Hoͤltzern iſt das kuͤnfftige Examen
heimlich verrathen worden. Vielen groben Hoͤltzern
iſt die Materia der Lectionen 7. oder 8. Wochen zuvor
uͤber Land geſchrieben worden. Vielen ſeyn nur ge-
meine/ und ihnen angewohnete leichte und Leib-
Quæſtiones, wie es wackere Studenten heiſſen/ vor-
gehalten
[237]Romans I. Buch.
gehalten worden/ und vielen die Zahl der Canoni-
ſchen und Apoſtoliſchen Buͤchern in der Bibel nicht
gefraget worden? Wie waͤre es/ wann von vielen die
Zahl der Symboliſchen Buͤchern bey den Evangeli-
ſchen Kirchen nicht gefraget worden? Von vielen der
Jnhalt der Augſpurgiſchen Confeſſion nicht begehret
worden? Vielen die Stellen auß den Prophetiſchen
und Apoſtoliſchen Schrifften/ welche den Candida-
ten gebuͤhren/ gnugſam zu erklaͤren/ nicht 24. Stun-
den/ ſondern 24. Wochen/ zuvor geſchickt/ und wie ſol-
che fuͤglich zu handeln/ aufgezeichnet worden? Wie
waͤre es/ wann vielen keine Strittigkeit/ welche die
Juden und Heyden den Chriſten nicht ohne ſcharffe
Witze und grimmige Liſtigkeit zu erregen pflegen/
vorgeleget worden? Vielen keine Strittigkeit/ wel-
che die neuen Arrianer mit unglaublichem Schaden
der Jugend treiben/ vorgehalten worden? Vielen kei-
ne Frage auß den Kirchen-Hiſtorien/ keine auß den
Concilien/ keine auß dem Canoniſchen Recht/ keine
auß der Bibliſchen Geographia, Chorographia, To-
pographia, vorgeleget worden? Vielen die ſchwere
Gewiſſens-Faͤlle/ auf welche Candidaten in dem
ernſthafftigſten und ſchaͤrffeſten Examine antworten
muͤſſen/ zuvor zierlicher Weiſe beygebracht worden?
Solten auch Doctores der H. Schrifft die Zahl
der Canoniſchen Buͤcher nicht voͤllig wiſſen? Solten
auch Doctores ſeyn/ und die Zahl der Symboliſchen
Buͤcher nicht voͤllig wiſſen? Nicht voͤllig geſehen/ ge-
leſen und verſtanden haben? Solten auch Doctores
ſeyn/ und keinem Juden oder Heyden antworten koͤn-
nen? Solten auch Doctores ſeyn/ die die Ordnung der
Canoniſchen Buͤcher/ ſamt dem Jnnhalt eines Je-
den/ nicht wuͤſten? Solten auch Doctores ſeyn/ und
keinem Arrianer/ Photinianer/ Anabaptiſten antwor-
ten
[238]Deß Academiſchen
ten koͤnnen? Solten auch Doctores ſeyn/ und die Kir-
chen Hiſtorien von der Geburt Chriſti biß auf das
hunderte oder zweyhunderte Jahr nicht wiſſen? Sol-
ten Doctores ſeyn/ und den Anfang/ den Handel/ den
Außgang der Haupt-Concilien nicht wiſſen? Solten
Doctores ſeyn/ und den Anfang/ den Handel/ den Auß-
gang der Ketzer und Ketzereyen/ der Trenner und
Trennereyen nicht wiſſen? Solten auch Doctores
ſeyn/ und den Anfang und Fortgang der Mißbraͤuche
in den Kirchen nicht wiſſen? Solten auch Doctores
ſeyn/ und die Namen der reinen Vaͤtter/ die Zahl der
Verfolgungen in der erſten Apoſtoliſchen reinen Kir-
chen nicht wiſſen? Solten auch Doctores ſeyn/ und
wie nach der Himmelfahrt Chriſti die Kirche außge-
breitet/ in Aſia, Africa, Europa; Zu welcher Zeit in
Teutſchland/ Jtalien/ Gallien/ Spanien/ Britta-
nien fortgepflantzet worden/ nicht wiſſen? Nemlich/
daß erfuͤllet worden die Regel Petri: Seyd allezeit
bereit zur Verantwortung Jedermann/ der Grund
fordert der Hoffnung/ die in euch iſt/ und das mit
Sanfftmuͤthigkeit/ oder Furcht/ und habt ein gut Ge-
wiſſen/ auf daß die/ ſo von euch affterreden/ als von
Ubelthaͤtern/ zu ſchanden werden/ daß ſie geſchmaͤhet
haben euren guten Wandel in Chriſto. Jch ſcheue
mich/ die Frage zu bejahen/ und erſchrecke/ ſolche zu
verneinen. Si dignos quærimus, pauci promovendi
ſunt, ſpricht Adamus Contzen: Suchen wir wuͤrdige
Perſonen zu promoviren/ ſo ſeyn wenige zu promo-
viren/ und haben die Facultaͤten/ welche im̃erdar neue
Doctores erſchaffen/ und es GOtt wollen nachthun/
(der ſprach: Es werde licht/ und es ward licht. Aber
wol ſprach er: Es werde eine Feſte zwiſchen den Waſ-
ſern/ und es ward eine Feſte. Er ſprach: Es verſam̃le
ſich das Waſſer/ und es geſchach alſo/) deſſen aber
keinen ſtattlichen Ruhm zu gewarten.
Adamus
[239]Romans I. Buch.
Adamus Contzen hat geſehen die edleſten Juͤng-
linge groſſer Herren Soͤhne/ und der Fuͤrſten Bluts-
Verwandte/ die fleiſſig ſtudiret/ haben das Zeugnuͤß
ihrer Præceptoren begehret/ aber die Academiſche
Wuͤrden verachtet/ und geſaget: Was in die Rapus
beydes den Gelehrten und Ungelehrten gegeben wird/
iſt keine Zeugnuͤß der Geſchicklichkeit/ ſondern ein un-
nuͤtz Gepraͤnge muͤſſiger und ſtoltzer Leute. Er hat auch
geſehen Magiſtros in Artibus und Philoſophia, die
nicht den Unterſcheid verſtanden/ zwiſchen den dreyen
Figuren der Syllogiſmen. Es unterlaͤſſet auch nicht
Jtalien/ (ſpricht er ferner/) uns taͤglich Bullen- und
Brieff-Doctoren herauß zu ſenden/ die kaum ſich be-
ſinnen koͤnnen/ in welcher Facultaͤt ſie promoviret.
Schleuſſet hierauf/ die Kirche duͤrffte den Jenigen
wol examiniren/ der bey der Univerſitaͤt promoviret/
von welcher ungelehrte Lappen kommen. Gnug von
dieſen. Ob aber auch zu Doctoren der H. Schrifft
gemacht werden die Jenigen/ welche in Academiſcher
Jugend/ in Freſſen/ Sauffen/ Schlemmen/ Larven/
Allamodiſchen Kleidungen/ Federn/ Waffen/ Flu-
chen/ und ſonſten Unflaͤtereyen/ ſich tapffer gebrau-
chet? Jſt bedencklich zu fragen.
Das XXI. Capitul/
Cerebacchius hat ſeinen Diſcurs. Man findet offt gelehrte
Diſputanten. Cerebacchius fuͤhret den Cavina in ein Wein-
Hauß. Man beredet ſich/ dem Cerebacchio eines anzubringen.
ALs der Schweitzer hiermit ſeine Rede geendiget/
tratt Troll zu Cerebacchio, und lauſchete ihm
dieſe Worte ins Ohr: Hoͤret ihr/ (er muſte ihn
hinfuͤhro auf ſeines Printzen Befehl beſſer/ als im An-
fang/ reſpectiren/) was dieſer Mann ſaget/ auf ſolche
Weiſe werdet ihr in Ewigkeit kein Doctor Theologiæ
werden. Cerebacchius lachete/ und gab ihm dieſe Ant-
wort:
[240]Deß Academiſchen
wort: Si Fortuna velit, fies de Rhetore Conſul, ſi velit
hæc eadem, fies de Conſule Rhetor. Klingenfeld/ der
wol wuſte/ daß er dem Printzen einen Gefallen erzet-
gete/ wann er ſich mit Cerebacchio wieder in einen
Diſcurs einließ/ ſprach zu demſelben anjetzo: Jch habe
wol gehoͤret/ was eure Worte geweſen/ und bleibet es
wol darbey/ daß durch euer vieles Freſſen und Sauf-
fen ihr euch aller Academiſchen Promotion werdet
verluſtig machen. Cerebacchius ſprach: Venter præ-
cepta non audit. Klingenfeld: Eſſe oportet, ut vivas,
non vivere, ut edas, nec enim ab homine nunquam ſo-
brio poſtulanda prudentia. Cereb. Vina parant ani-
mos caloribus aptos: Cura fugit: Multo diluiturque
mero. Tunc veniunt riſus, \& pauper cornua ſumit.
Tunc dolor \& curæ, rugaque frontis abit. Klingenfeld:
Jhr wiſſet warlich dem Wein das Lob fuͤrtrefflich zu
ſprechen; Aber/ wiſſet ihr auch wol/ was Propertius
ſaget/ nemlich: Vino forma perit, vino corrumpitur
ætas. Cereb. Mendaci homini ne verum quidem di-
centi credere ſolemus. Klingenfeld: Jhr ſprechet ſehr
frey von den Poeten/ auf ein ander mahl muͤſſet ihr
beſcheidener von ihnen reden. Cereb. Pictoribus atque
Poëtis quidlibet audendi \& dicendi ſemper fuit æqua
poteſtas. Klingenfeld: Jch bitte euch/ ſchweiget hier-
von. Cereb. Alium ſilere, quod voles, primus ſile. Troll:
Seyd ihr wieder unverſchaͤmt worden? Cereb. In Præ-
ſentia Domini ſervum oportet magis eſſe mutum,
quam piſcis. Der Schweitzer hatte kein ſonderlich
Plaiſir an dieſem Schertz/ dann er ſchiene gar ein ernſt-
haffter Mann zu ſeyn/ dannenhero ſprach er: Jch er-
innere mich eines bekandten Teutſchen Candidati, der
zum andern mahl von einer Univerſitaͤt/ da er Doctor
zu werden verlangete/ abgewieſen ward; Als er aber/
auf Interceſſion guter Freunde/ zum dritten mahl ad-
mittiret
[241]Romans I. Buch.
mittiret worden/ ließ er es nicht allein gar ſchlecht li-
gen/ ſondern/ da er kurtz hernach in einen Streit we-
gen einer Erbſchafft verfiel/ und fuͤr der Obrigkeit ein
Verzeichnuͤß aller beweg-und unbeweglichen Guͤther
herauß geben ſolte/ da brachte er lauter hoch-trabende
Doctor-Worte herfuͤr/ und gab dem Verzeichnuͤß die-
ſen Titul: Jurata Deſignatio omnium Mobiliorum
\& Immobiliorum. Von dieſem haͤtte man wol ſagen
moͤgen: Si tacuiſſes, Philoſophus manſiſſes. Weil ihm
das Latein zu ſchwer/ moͤchte er wol bey der Mutter-
Sprache geblieben ſeyn. Ein einziges Wort/ eine
Sylbe/ ja ein Buchſtabe kan einen im Lateiniſchen
gar bald verrathen/ ob er es verſtehe/ oder nicht. Hin-
gegen habe ich auf Academien einen Menſchen ge-
kañt/ dem man es nicht angeſehen haͤtte/ daß er ſo wol
ſtudiret hatte/ dieſer hatte zu Hauß/ und in ſeiner
Schul ſo wacker proficiret/ daß er auch ſo gar ſeinen
eigenen Profeſſoribus im Diſputiren iſt oben gelegen;
Daher/ weil man daſelbſt die Gradus Academicos,
ſonderlich deß Doctorats Utriusque Juris, ihme nicht
hat mittheilen/ und geben koͤnnen/ iſt er auf Koſten
ſeines Lands-Fuͤrſten auf die Univerſitaͤt/ allwo ich
mich auch ſelbiger Zeit aufgehalten/ geſchicket wor-
den/ um ein halb Jahr lang daſelbſt ſeine Studia zu
perfectioniren/ und endlich den Ehren-Grad deß Do-
ctorats anzunehmen. Dieſer Kerl erzeigete ſich ſo
Idiotiſch/ plump und ungelehrt/ daß ſein Profeſſor an
ihm/ wegen der Promotion, anfienge zu deſperiren;
Ja/ er bekennete auch offentlich/ und zu verſchiedenen
mahlen/ bey ſeinen Herren Collegis, daß er an ſeinem
Koſtgaͤnger und Diſcipul gar nicht finde/ was man an
ihm ſo ſtattlich gelobet.
Was geſchiehet? Auß Rath anderer Herren
Profeſſoren/ muſte ihm dieſer Kerl eine Theſin, ad
Qdiſpu-
[242]Deß Academiſchen
diſputandum \& defendendum, erwaͤhlen/ worzu man
ihm 3. Wochen Zeit vergoͤnnete. Dieſer aber nahm
anfaͤnglich die allerſchwereſte Materie zu Hand/ wieſe
ſolche ſeinem Herꝛn Profeſſori, welcher daruͤber den
Kopff geſchuͤttelt/ und ihn gefraget/ ob er ihm ge-
traue/ in ſo ſchwerer Materie beſtand zu ſeyn? Dieſer
gab zur Antwort: Er verhoffete/ was er nicht koͤnne/
das werde ſein Herꝛ Profeſſor koͤnnen. An Statt der
3. beſtimmten Wochen/ verfertigte er innerhalb zween
Tagen etliche Boͤgen/ mit ſo tieff-ſinniger Materie,
und accuratem Stylo, daß ſich der Profeſſor nicht
gnugſamlich daruͤber verwundern kunte.
Ferner wurde ihm auch die Wahl/ Opponenten
zu erſuchen/ gegeben; Jndem aber der Profeſſor ver-
meynete/ er werde etwa nur Kerls aufſuchen/ die Me-
diocris Eruditionis und Scientiæ ſeyn/ da hat er ihme
die allerfuͤrtrefflichſte Ingenia und Subjecta erkieſet/
welche nicht allein in Linguis Orientalibus, ſondern
auch in Theoria \& in omni Facultate trefflich verſiret/
und wol durchgetrieben waren.
Dem Profeſſori war bey dieſer Sache faſt aͤng-
ſter und baͤnger/ als dem Defendenten ſelber. Der Tag
und die Stunde zum offentlichen Diſputiren war da/
die allergelehrteſten Auditores ſtelleten ſich ein/ die
Herren Opponenten begunten ihr Diſputir-Gewoͤhr
nach einander aufzuheben; Der Defendent ſahe auf
der Cathedra halb todt auß/ und wurde Jedermann
wegen ſeiner ſo albern Poſtur, an Statt ſeiner/ faſt zu
todt Angſt; Nachdem er aber die Syllogiſmos zier-
lich nach einander reaſſumirte/ dieſelbe Meiſterlich
diſtinguirte/ ſeine Diſtinctiones herꝛlich dilucidirte/
und erklaͤrete/ hat er ſich darinnen ſo Maſculos, ſo zier-
lich und artig/ ſo Grund-gelehrt und Ingenios auf-
gefuͤhret/ daß er nicht allein ſeine gelehrte und im
Diſputi-
[243]Romans I. Buch.
Diſputiren wol-fundirte und practicirte Herren Op-
ponenten mit der langen Naſen abgefertiget/ und ſie
dann und wann confundiret/ ſondern hielte auch ſei-
nem eigenen Herꝛn Profeſſori ſolchen Widerpart/ daß
weder Præſes, noch Opponens, ihnen mehr getrauen
durfften/ mit andern Dubiis und Motivis, ferner hinter
ihn zu kommen/ ſondern haben ihm ſaͤmtlich ad Gra-
dum Doctoratus gratuliret/ und ihn fuͤr wuͤrdigſt den-
ſelben anzunehmen offentlich erkeñet/ uñ proclamiret.
Eben ein ſolcher war auch Caramuel. Dieſer war
ein Muͤnch/ Ciſtertienſer-Ordens/ von Geburt ein
Spanier/ und ein ſo gelehrter Mann/ als jemahls ei-
ner auf Erden geweſen. Er gieng in ein Teutſches
Kloſter/ allwo er ſich durch ſeine Schrifften der ge-
lehrten Welt dermaſſen bekandt gemacht/ daß ſich
nicht wenig geforchten/ mit ihme auß der Philoſophie
zu diſputiren. Und weil er etwas ſcharff ſchiene/ iſt er
niemahlen zu einer hohen Charge promoviret wor-
den/ auß Forcht/ er moͤchte zu viel reformiren.
Dieſes war das Haupt-Fundament, ſo ihn auß
dem Kloſter gebracht/ weil er geſuchet/ eine Condi-
tion bey einem Biſthum zu erlangen. Er raͤyſete in
der Welt hin und wieder/ und kame einsmahls Mor-
gens fruͤhe in eine Stadt/ allwo der Biſchoff ſelbiges
Orts eine offentliche Diſputation faſt an allen Ecken
der Stadt anſchlagen laſſen. Caramuel ſahe ſolches
mit ſonderlichem Belieben/ gabe einem Jungen auf
der Gaſſen ein Trinckgeld/ damit er ihn an den Ort
fuͤhren ſolte/ allwo man diſputiren wuͤrde. Er kom̃t
hin/ und der præſidirende Jeſuit war ſchon begriffen/
die vorgebrachte Argumenta mit Diſtinguiren zu
ſchlichten/ als ſich Caramuel mit unter die Opponen-
ten ſetzte.
Weil man ihn nun nicht kandte/ wurde er von
Q 2allen
[244]Deß Academiſchen
allen außgelachet/ und als der Biſchoff fragete/ wer
gegenwaͤrtiger Pfaff waͤre? Gab man ihm zur Ant-
wort/ es ſey vielleicht ein Dorff-Pfaff/ welcher ſich voll
geſoffen/ und ungefaͤhr an den Ort gerathen waͤre.
Seine Kleider waren wegen der vielen Raͤyſen ſehr
beſudelt/ deßwegen glaubete der Biſchoff ſelbſten/ es
muͤſſe dieſer ein liederlicher Geſell ſeyn. Caramuel
bliebe aber ſo lange ſtillſchweigend ſitzen/ biß die Ord-
nung an ihn kame. Der Jeſuit wolte den Studenten/
und allen Auditoribus, eine Luſt verurſachen/ dann er
hielte den Caramuel ſelbſten nur fuͤr einen lauſigen
Dorff-Pfaffen/ redete ihn derohalben mit dieſen La-
teiniſchen Worten an: Quid attuliſti, Domine Paro-
che, ex tuo hoſpitio? Was habt ihr/ Herꝛ Pfarrer/
Gutes auß dem Wirthshauß gebracht. Caramuel
ſchuͤttelte den Kopff/ und bathe/ man ſolle ihme die
Theſes communiciren. Als er ſolche in die Haͤnde be-
kommen/ ſiengen alle Anweſende an zu lachen/ dann ſie
ſpanneten ſchon auf deſſen laͤcherliche Fauten/ die er
da begehen wurde/ angemercket/ daß ſolche diſputabi-
lis Materia fuͤr einen Dorff-Pfaffen viel zu hoch-wich-
tig war.
Aber Caramuel legete ihnen den Hochmuth/ und
die Verachtung gegen ihme/ bald darnieder/ dann er
fienge an/ und ſagte/ er begehre 3. Stuͤcke von dem
Præſide, alsdann wolle er diſputiren: Erſtlich/ daß der
Præſes allein antworten ſolte? Fuͤrs Andere/ daß er auf
ſeine Argumenta auch formaliter procediren wolle?
Und zum Dritten/ daß er ſo lange mit ihm zu diſputi-
ren verſpraͤche/ als es ihm/ dem Caramuel, beliebete?
Dieſe 3. Stuͤcke verurſachten in dem Biſchoff/ Præſi-
de, Studenten/ und in allen Auditoribus, weit andere
Muthmaſſungen und Gedancken. Hieruͤber befahl
der Biſchoff dem Jeſuiten/ mit ihm zu diſputiren/ ſo
ſehr er ſich auch darwider geweigert.
Hierauf
[245]Romans I. Buch.
Hierauf ſuchet Caramuel eine hohe Subtilitaͤt/ ſo
der Jeſuit nicht verſtanden. Er nahm eine leichtere/
und verfuͤhrete den Præſidem dergeſtalten/ daß er dem
Caramuel anbotte/ den Cathedram zu betretten. Da
ſagte der Biſchoff/ man ſolle forſchen/ wer eigentlich
dieſer Moͤnch ſey? Caramuel wolte es nicht ſagen/
deßwegen ſchickten ſie in die Stadt/ aber vor dem
Collegio ſtunde der Fuhr-Knecht/ ſo ihn dahin ge-
bracht/ der fragete die vorbeygehende Studenten/ ob
der Herꝛ Krampel/ (dann anders konte ihn dieſer
grobe Geſell nicht nennen/) nicht bald herauß kom̃en
wuͤrde? Auß dieſen Worten verſtunden die Studen-
ten alsbald/ daß es der Muͤnch Caramuel ſeyn muͤſte;
Brachten demnach die Poſt zuruck/ und der Biſchoff
empfieng ihn ſelbſt/ lud ihn zu ſich/ und ſagete im Hin-
außgehen: Nun glaube er veſtiglich/ daß ein geſtu-
dirter Kloſter-Muͤnch gelehrter ſeye/ als 10. geſtudir-
te Jeſuiten. Wurde auch gleich darauf vom Biſchoff
promoviret/ und zu hoͤhern Dignitaͤten befoͤrdert.
Der hochberuͤhmte Jeſuit Ariaga war deß vor-
gedachten Caramuels Landsmann/ und haben die
Jeſuiten noch wenig ſeines Gleichen gehabt. Dieſe
Beyde lebeten zu einer Zeit/ und haben einsmahls in
Prag ſo eyferig und hitzig mit einander diſputiret/
daß Ariaga, als welcher mit ſpitzfuͤndigen Quæſtionen
und Reſolutionen vom Caramuel hintertrieben wor-
den/ auß dem Collegio gelauffen/ und ſeinen Præſi-
dem, den Caramuel, auf der Cathedra ſtehen laſſen/
nachdem er zuvor die Theſes in Stuͤcken zerriſſen.
Dann es iſt gar gewiß/ daß Caramuel weit ein beſſe-
rer Philoſophus, als der Ariaga, geweſen/ obſchon
Ariaga in der Theologia unvergleichlich geprieſen
wurde.
Dergleichen Leute/ ſprach der Printz/ findet man
Q 3anjetzo
[246]Deß Academiſchen
anjetzo wenige auf den Academien/ oder auch in den
Kloͤſtern. Der Printz bekraͤfftigte dieſe Worte/ und da-
mit lieff die Mahlzeit zum Ende/ dannenhero ſtunden
ſie mit einander auf/ und weil Cavina Luſt hatte/ die
Stadt Padua zu beſehen/ erbotte ſich Cerebacchius,
mit ihm zu gehen/ und ihm die fuͤrnehmſte Oerter der-
ſelben zu zeigen/ inmaſſen ihm dieſelbe/ ſeit dem er all-
hier geweſen/ ziemlich bekandt worden. Alſo wander-
ten ſie mit einander hin/ und beſahen zuforderſt die
Collegia der Academie, und als Cavina Luſt bezeigete/
ein Mehrers zu ſehen/ fuͤhrete ihn Cerebacchius in ein
anſehnliches Hauß/ und ſagete/ daß er ihm daſelbſt et-
was ſonderliches zu zeigen haͤtte. Er tratt darauf zum
Haußknecht/ und ſagete ihm etwas ins Ohr/ gieng
hernach mit Cavina ein wenig ſpatzieren/ biß der
Haußknecht wieder kam/ und ſie mit einander in ein
ſchoͤnes Logiment noͤthigte. Wie ſie da hinein kamen/
funden ſie auf dem Tiſch 10. Flaſchen mit Wein/ Je-
der von einer beſondern Sorte/ und Cerebacchius
ſprach: Jn dieſem Hauß habe ich offt einen guten
Tag gehabt/ hier wird mein Herꝛ mehr Verſchieden-
heit von herꝛlichen Getraͤncken finden/ als irgend an
einem Ort in gantz Jtalien. Cavina ſahe wol/ worauf
es angeſehen. Er goſſe ein wenig auß einer Flaſche/
und trunck/ ſtellete aber darneben dem Cerebacchio
frey/ zu trincken/ worvon er wolte. Dieſer nahm dar-
auf eine Flaſche nach der andern vor den Mund/ und
koſtete einen jeden Wein ins beſonder/ ſagete her-
nach/ weil wir von allem Wein gekoſtet/ muͤſſen wir
alle Sorten bezahlen/ und weil wir ſie alle bezahlen
muͤſſen/ iſt es am rathſamſten/ daß wir ſie auch mit
einander außtrincken/ dann dieſer Hoſpes ſender kei-
nen Wein auß dem Hauß/ das iſt ſein ſonderbares
Privilegium, welches er fuͤr groſſes Geld erkauffet hat.
Cavina
[247]Romans I. Buch.
Cavina ſahe wol/ worauf es angeſehen war/ er
zog aber die Taſche/ und nachdem er den vorgeſetzten
Wein bezahlet/ gab er dem Haußknecht ein Trinck-
Geld/ und ließ die Flaſchen nach ſeiner Herberge brin-
gen/ damit man ſie daſelbſt mit guter Muſſe genieſ-
ſen moͤge. Darauf nahm er den Cerebacchium bey der
Hand/ und bathe ihn/ daß er weiter mit ihm gehen
moͤchte/ er wolle ihm einen guten Abend machen. Die-
ſer ließ ſich bewegen/ und alſo giengen ſie mit einan-
der fort/ und beſahen/ was Merckwuͤrdiges in Padua
zu ſehen war. Gegen den Abend kamen ſie wieder nach
Hauß/ und waren rechtſchaffen muͤde. Cerebacchius,
der ſchon eine gute Zeit mit Margara, deß Gaſtgebers
Tochter/ ziemlich bekandt geweſen/ verfuͤgete ſich an-
jetzo heimlich zu ihr/ und bathe dieſe Nacht um eine
Reuter-Zehrung. Sie aber/ als die eines ehrlichen
Gemuͤths/ ließ ihn heßlich ablauffen/ und ſeines We-
ges gehen. Zu allem Gluͤck hatte ſolches Troll in ei-
nem Winckel unvermerckt angehoͤret/ der ſich in ſei-
nem Hertzen darmit kitzelte/ gieng demnach alſobald
hin zu Klingenfeld/ und erzehlete ihm/ was er gehoͤret/
erſuchete ihn auch/ daß er ihm beyſtehen wolle/ ſo hoffe
er mit Cerebacchio, der ihm doch allemahl ein Dorn
in den Augen geweſen/ noch dieſen Abend eine artige
Kurtzweil zu haben. Klingenfeld war deſſen zufrie-
den/ forſchete demnach/ ob auch Cerebacchius Scha-
den darbey zu beſorgen haͤtte/ wo dem alſo/ wolle er
nichts darmit zu thun haben/ dann er waͤre ſein ge-
treuer Landsmann.
Troll ſchwur/ daß nicht das Geringſte darbey zu
beſorgen/ und wolle er allen Schaden beſſern. Alſo
ließ ihn Klingenfeld gewaͤhren/ und gab ihm 2. Tha-
ler darzu. Jnzwiſchen nun/ da die Fremdlinge mit ein-
ander ſpeiſen/ und ſich bey dem vielfachen Wein/ den
Q 4Cavina
[248]Deß Academiſchen
Cavina hatte bringen laſſen/ luſtig machen/ gehet
Troll zu der Margara, und uͤberleget es mit ihr/ wie
man dem Cerebacchio am fuͤglichſten eines anbringen
moͤchte/ das doch nicht blutete. Sie berathſchlagen
ſich eine Weile mit einander/ und weil die Jungfrau
ſelber Luſt hatte/ den unverſchaͤmten Freſſer und
Sauffer/ der ihr hatte Unehre zumuthen doͤrffen/ ein
wenig anlauffen zu laſſen/ ſo gab ſie den Rath/ man
ſolle den Cerebacchium in ihrem Namen begruͤſſen/
daß er ihr eine Flaſche von dem raren eingeſandten
Wein uͤberlaſſen moͤchte/ ſo wuͤrde dem Handel ſchon
ein guter Anfang gemacht werden. Und es gieng auch
alſo/ wie wir weiter zu ver nehmen haben. Troll gieng
hin zu Cerebacchio, und ſagete ihm ins Ohr: Sauff-
Bartel/ ich weiß nicht/ woher eine Jungfrau noch ei-
nige Gunſt zu euch tragen kan/ es ſcheinet/ daß ihr ein
Negromanticus ſeyd/ der durch eine Teufels-Kunſt
die Hertzen der Menſchen an ſich locken kan. Die
ſchoͤne Margara hat in der Kuchen von euch allein das
Maul ſo voll/ daß ich etliche mahl gewuͤnſchet/ ihr
moͤchtet in demſelben Augenblick zu einem Stachel-
Schwein worden ſeyn/ ſo wuͤrde ſie euch bald wieder
außgeſpyen haben. Sie traͤget aber Verlangen/ den
ſchoͤnen Wein zu verſuchen/ den ihr gekauffet/ und
groſſen Theils außgeſoffen/ Cavina aber bezahlet hat.
Sie iſt recht hellig darnach/ und die Hitze deß Kuͤchen-
Feuers machet ihr ſchier die Zunge im Mund bekle-
ben. Sie uͤberſendet euch allhier ein rares Stuͤcklein
von einer kalten Bologniſchen Wurſt/ weil ſie weiß/
daß euch ſehr groß darmit gedienet iſt.
Das XXII. Capitul/
Cerebacchius wird heßlich betrogen durch die Margara, und
Troll verhandelt deſſen Kleider/ woruͤber er mit einem Juden in groſ-
ſen Streit kommt/ der aber durch Trollen bald entſchieden wird.
Cerebac-
[249]Romans I. Buch.
CErebacchius hoͤrete hoch auf/ und bildete ihm
das Jenige ein/ was ihm die andern gern
wolten eingebildet haben. Er nahm ohne ſon-
derliche Ceremonien eine Flaſche vom Tiſch/ und
gieng darmit ſelber in die Kuͤche/ uͤberreichete ſolche
der Margara, und weil er dardurch ziemlich kuͤhn wor-
den/ wolte er ſie kuͤſſen; Sie aber ſtieß ihn mit der
Hand ſanffte von ſich/ und ſagete: Laſſet es uns/ biß
wir allein kommen/ verſparen. Dieſe Worte legete
der Muͤnſter-Mañ alſobald zu ſeinem Vortheil auß/
leitete ſie demnach an einen Ort allein/ und forſchete/
ob es nicht moͤglich/ daß er ihr nur eine einzige Nacht
aufwarten moͤchte? Sie wiſſe ja wol/ wie manchen
Gang er ihr zu Willen gethan haͤtte. Margara ſtellete
ſich zwar etwas widerſinnig/ doch alſo/ daß er dar-
durch mehr und mehr angereitzet ward/ dannenhero
gab er ihr ſolche gute Worte/ daß ſie endlich ihm eine
Stunde in dieſer Nacht beſtim̃te/ auch ihre Kammer
bedeutete/ da er zu ihr kommen/ und zu ihr einſchlei-
chen moͤchte/ jedoch mit dem Beding/ daß er ſie mit
keinem Finger ſolte beruͤhren. Cerebacchius war mit
dieſer Reſolution beſſer zufrieden/ als mit 2. Flaſchen
Weins/ gedachte wol: Goͤnnet ſie dir das Bette/ ſo
goͤnnet ſie dir auch wol etwas mehr.
Alſo gieng er wieder an die Tafel/ und ſahe fuͤr
Freuden und unzuͤchtiger Begierde ſo roth auß/ als
ein Calicutiſcher Hahn. Die Geſellſchafft ſahe es ihm
wol an/ und ob ſie ihn gleich deßfalls zur Rede ſtelle-
ten/ wolte er ihnen doch nichts ſonderliches darauf
antworten. Jnzwiſchen aber ſam̃lete er alſo ein/ daß
ein anderer wol 8. Tage darmit haͤtte zukommen moͤ-
gen. Troll lachete in ſeinem Hertzen/ und hoffete/ der
Geſellſchafft eine luſtige Ergoͤtzlichkeit zu machen. Er
kitzelte ſich mit der Margara, welche dieſe Heimlichkeit
Q 5ihrer
[250]Deß Academiſchen
ihrer Hauß-Magd offenbahrete/ die eine alte Frau
auß der Nachbarſchafft holen muſte/ welche in der
Jugend ein friſches Leben gefuͤhret/ und hernach ſich
zu einer Roſpian/ oder Kupplerin/ hatte brauchen laſ-
ſen/ biß ſie endlich ſo alt und ſcheußlich worden/ daß
ſich ihrer kein Menſch mehr bedienen wolte. Dieſe
kam gar willig/ und empfieng von Troll einen Reichs-
Thaler/ zu dem Ende/ daß ſie ſich in der Margara Bette
legen ſolte/ woſelbſt ſie von einem jungen Courtiſan,
deſſen man ſich auf alle moͤgliche Weiſe zu entbrechen
ſuchte/ dieſe Nacht uͤber ſolte bedienet werden. Die
alte Frau war von Hertzen froh uͤber dieſes Geſchenck/
noch mehr aber uͤber die froͤliche Nacht/ nahm dem-
nach von der Margara ein wolriechendes Waſſer/ be-
ſtrich ihren runtzlichten gelben Halß und Affen-glei-
ches Angeſicht damit/ daß ſie ein wenig Geruchs be-
kaͤme/ ließ ihr hernach etwas zu eſſen langen/ und
nachdem ſie einen Trunck Weins gethan auß der
Flaſche/ die von Cerebacchio war hergekommen/ gieng
ſie nach Hauß/ und zog rein Leinwad an/ kam auch zu
beftimmter Zeit wieder/ und ward von der Margara
nach ihrem Zimmer und Bette gefuͤhret/ darinn ſie
ſich verkroche. Troll gieng mit hinein/ und beſchauete
ihren Kopff-Zierrath/ und gantzen Nacht-Habit/ den
er ſo anmuthig befand/ daß er ihm einbildete/ dadurch
auch dem tapfferſten Mann eine Furcht einzujagen.
Sie nahmen endlich das Liecht mit hinauß/ und die
Jungfrau gieng in eine Kam̃er darneben/ ſamt ihrer
Magd/ da inzwiſchen Troll ſich wieder zu der Geſell-
ſchafft verfuͤgete.
Nachdem endlich die Tafel gehoben/ bewog
Klingenfeld die Compagnie, daß ſie gleichſam ein
Verlangen truͤge/ ſchlaffen zu gehen; Und da der
Hauß-Knecht einem Jeden ſein Lager angezeiget/
fuͤhrete
[251]Romans I. Buch.
fuͤhrete er den Cerebacchium in ein beſonder Gemach/
um darinn gantz allein zu ſchlaffen. Er preiſete hier-
auß ſeiner Margara Fuͤrſichtigkeit/ als die auſſer
Zweiffel nicht ohne Urſach ihm dieſen Ort allein ein-
raumen laſſen/ damit er dieſe Nacht uͤber/ wann er
die Runde gehen wuͤrde/ von Niemand moͤchte geſe-
hen werden. Er entkleidete ſich demnach/ biß auf die
Unter-Hoſen/ legte ſich in das Bette/ und erwartete
der ihm angeſetzten Zeit/ da er inzwiſchen ihm in ſei-
nem Hertzen die Suͤſſigkeit ſeiner Freude dermaſſen
fuͤrzuſtellen wuſte/ daß er gantz auſſer ihm ſelber war.
Endlich kam die Zeit heran/ dannenhero ſtund er auf/
und ſchlich fein ſaͤuberlich hin nach der Margara Kam-
mer. Daſelbſt fuͤr der Thuͤr/ ſtieß ihm die Hauß-Magd
gantz leiſe mit dem Arm an/ und ſagte: Signoro, mei-
ne Jungfrau laͤſſet euch warnen/ daß ihr bey Verluſt
ihrer Gunſt nicht hart ſprechet/ damit ſie nicht mit
euch verrathen werde. Cerebacchius ſtrich ihr uͤber
den Backen/ und ſagte: Jch wil im Sprechen dieſe
Nacht uͤber ein Hecht/ und im Liebeln ein Gruͤndlein
ſeyn. Alſo machte ſie ihm die Thuͤr fein ſanfft auf/
und nachdem er hinein getretten/ zog ſie dieſelbe wie-
der zu ſich/ und hieng ſie außwendig zu. Der Praſſer
war voll Feuers der Unzucht/ daß er weder das eine
mercken/ noch das andere hoͤren kunte. Er kunte/ ob
es gleich dunckel war/ das Bett bald erblicken/ warff
demnach die Unter-Hoſen von ſich/ ſchlich ſanffte hin-
zu/ kuͤſſete die alte Frau auf den Backen/ und ſtieg zu
ihr ins Bett hinein.
Was er daſelbſt fuͤr Handgebaͤrde und ſelzame
Grimmaſſen gemacht/ iſt in der Finſternuͤß nicht wol
zu ſehen/ ich ſchaͤme mich/ auch viel darvon zu ſchrei-
ben/ und iſt mir leyd/ daß ich ſo viel darvon geredet
habe/ jedoch hoffe ich/ in den Schrancken der Ehrbar-
keit
[252]Deß Academiſchen
keit zu bleiben/ ob gleich Cerebacchius der Zucht und
Ehrbarkeit viel zu viel thaͤte/ darbey aber doch/ wider
ſein wiſſen/ gar haͤßlich betrogen ward.
Wir muͤſſen aber vernehmen/ was fuͤr einen arti-
gen Poſſen ihm inzwiſchen Troll ſpielete; Dieſer
luſt-und liſtige Kumpe legte ein Spaniſch Kleid an/
worzu ihm die Margara verholffen/ er guͤrtete einen
langen Degen an die eine/ und einen Dolch an die
andere Seite/ die lange Haar kreuſelte er/ ſetzte einen
Spaniſchen Hut auf/ und legte ein Pflaſter uͤber das
eine Aug. Und weil er perfect Spaniſch redete/ kunte
er vor einen vollkommenen Spanier anjetzo paſſiren.
Er gieng darauf in deß Cerebacchii Kammer/ nahm
ſeine Kleider und Degen/ und nachdem ihm die Hauß-
Magd/ ſo mit ihm gieng/ eines gewiſſen Schacher-
Juden Hauß angewieſen/ klopffete er daſelbſt an/ und
alſobald kam der Jud herunter/ zu dem ſprach er:
Jud/ wann es die hohe Noth nicht erforderte/ wolte
ich dich bey ſo ſpaͤther Nacht nicht beunruhigen/ du
ſolt wiſſen/ daß alleweil mein Camerad an einer
ſchleunigen Kranckheit geſtorben/ und Morgen fruͤh
muß zur Erden gebracht werden/ weil er nun keine
Mittel hat/ bin ich genoͤthiget worden/ ſeine Kleider
zu verkauffen/ daß er darfuͤr moͤge begraben werden.
Hiermit zeigete er ihm die Kleider/ er wolte aber/ weil
ſie ſehr zerſchliſſen/ nichts ſonderliches darauf bieten/
jedoch ſtachen ihn die ſilbernen Knoͤpffe am Rock ſo
viel in die Augen/ daß er dem Troll 6. Reichs-Thaler
darfuͤr zahlete/ der damit ſeines Weges gieng/ und
ſich alſobald in ſein angewieſenes Bett niederlegte.
Jnzwiſchen/ da es gegen den Morgen gieng/ ſtund
Klingenfeld mit dem Printzen auf/ Cavina verfuͤgete
ſich auch zu ihnen/ und weil alles ſchon verabredet
war/ giengen ſie mit einer kleinen Leuchten in die Kam-
mer/
[253]Romans I. Buch.
mer/ darinn Cerebacchius mit der Kupplerin lag/ der
deſſen zum hefftigſten erſchrack. Sie fragten/ wie er
hieher kommen waͤre? Er aber winckete/ ſie moͤchten
die Jungfrau nicht beſchaͤmen/ noch einiges Geraͤuſch
machen/ damit ihre Eltern dardurch nicht munter
wuͤrden.
Die Kupplerin verkroch ſich ſo tieff unter die
Decke/ als ſie immer kunte/ und Klingenfeld fragte
ihn/ was er allhier machete? Cerebacchius ſprach:
Nec quisquam eſt tam duro ingenio, nec tam firmo
pectore, quin ubi quicquam occaſionis ſit, ſibi faciat
bene. Cavina verwieß ihm dieſen Handel/ und ſagte/
ob er dann wol meynete/ daß er ſich deßfalls rechtfer-
tigen koͤnte? Cerebacchius lachete unter dieſen Wor-
ten: Quin deceat, non videt ullus amans. Klingen-
feld: Jhr ſoltet fein bey eurer alten Braut bleiben/ ſo
wuͤrde unſers Hauß-Wirths Kammer durch dieſe
That nicht alſo verunreiniget. Cereb. Alienum no-
bis, noſtrum plus aliis placet. Der Printz hatte nun-
mehro außgelachet/ dannenhero fragte er/ was er fuͤr
einen Buhlen haͤtte? Cerebacchius ſprach: Deß
Hoſpitis caſtiſſima filia. Jn demſelben Augenblick
tratt die Margara mit ihrer Magd und Mutter auch
herein/ da ſich dann Cerebacchius in ſeinem Hertzen
ſchaͤmete/ daß er nicht bey der Jungfrau/ wie er ge-
meynet/ waͤre/ er hub demnach die Decke auf/ und er-
blickete das gelb-ſchwartze runtzlichte Angeſicht der
alten halb-vermoderten Kupplerin/ mit welcher er
ſich etliche Stunden her ſo luſtig gemacht/ er gab ihr
etliche Maulſchellen/ und ſprang im Hembde zum
Bette herauß/ woruͤber ſich bey der Geſellſchafft ein
ſolch hefftiges Gelaͤchter erhub/ daß man es uͤber die
gantze lange Straſſe vernehmen kunte. Die Alte
ſchalt ihn auß/ und rieff ihm ſolche Worte nach/ die
ihr ihre angebohrne Boßheit in den Mund gab.
Jch
[254]Deß Academiſchen
Jch bitte euch um eurer Redlichkeit willen/ ſprach
Cerebacchius, indem er ſeine Schlaff-Hoſen anzog/
ſaget mir vielmehr/ wer mir dieſen Poſſen mag geſpie-
let haben/ und haltet doch einmahl mit eurem Lachen
ein/ damit ich nicht vollends verzweiffele. Sie kunten
ihm aber fuͤr Lachen nichts antworten/ dannenhero
nahm er ein Liecht/ und gieng nach ſeiner Kammer/
fand aber dieſelbe offen/ und ſeine Kleider waren weg/
woruͤber er ſich hefftig beklagete/ daß die Ubrigen zu
ihm kamen/ und nicht wuſten/ was ihm ſchaden moͤch-
te. Sie funden aber ein Fenſter offen/ das auf die
Straſſe gieng/ welches Troll mit Fleiß aufgemacht
hatte/ und darauf bildeten ſie ihnen ſamt Cerebacchio
ein/ es muͤſſe ihm ein Nacht-Dieb die Kleider geſtoh-
len haben/ wannenhero ſie ein hertzliches Mitleyden
mit ihm hatten. Cerebacchius gedachte alſobald an
den rechten/ der ihm dieſen Poſſen muͤſte geſpielet ha-
ben/ gieng demnach in Trollen Kammer/ fand aber
denſelben dergeſtalt ſchnarchend/ daß weder er/ noch
ſonſten einer/ den geringſten Argwohn der Kleider
halben auf ihn werffen kunte. Alſo legte ſich der
Bacchuſ-Sohn in ſein Bette/ und erwartete nebſt der
gantzen Geſellſchafft deß anbrechenden Tages/ und
wie derſelbe erſchienen/ rieff er der Hauß-Magd/ und
ſchalt ſie/ daß ſie ein Mit-Glied derer geweſen/ die
ihm dieſen Handel gemacht/ er ſandte ſie zu Troll/
welcher zu ihm kam/ und ſich ſtellete/ als wann er
groſſes Mitleyden mit ſeinem Ungluͤck haͤtte.
Cerebacchius erſuchte ihn freundlich/ dahin be-
dacht zu ſeyn/ daß er wieder zu einem Kleid kommen
moͤchte/ inmaſſen er ja ſonſten Tag und Nacht auf
dem Bette ligen muͤſſe/ welches ihm beſchwerlicher
ſeyn wuͤrde/ als die aͤrgſte Marter. Troll ſprach: Jch
weiß nicht/ wo ich ſo bald ein fertiges Kleid bekom-
men
[255]Romans I. Buch.
men moͤge/ zu dem/ habt ihr auch Geld/ daß ihr eines
bezahlen moͤget? Potz Velden/ ſprach Cerebacchius,
der Dieb hat mit dem Kleid auch alle meine Heller
bekom̃en/ wie fange ich es doch im̃ermehr an. Klin-
genfeld iſt wol ſo ehrlich/ und ſpricht ſo lange gut vor
mich/ biß ich wieder außgehen kan. Gehet nur hin/
und thut euer Beſtes/ daß ich die Mittags-Mahlzeit
nicht verſaͤume. Alſo gieng Troll in ſeiner gewoͤhn-
lichen Jtaliaͤniſchen Kleidung/ mit einem kurtzen De-
gen an der Seiten/ hin zu dem vorigen Juden/ und
weil er kein Pflaſter mehr auf dem Aug hatte/ auch
Jtaliaͤniſch redete/ und ſonſt gantz anderſt gekleidet
war/ kennete er ihn nicht mehr/ dannenhero erſuchte
ihn Troll/ ob er einige gemachte Kleider haͤtte/ weil
ein Fremdling in dem und dem Wirths-Hauß/ wel-
ches er ihm bezeichnete/ deren benoͤthiget/ der Jud
fuͤhrete ihn in ſeine Kammer/ und zeigete ihm ſtatt-
liche und ſchlechte Kleider/ da er dann darunter auch
deß Cerebacchii ſeine fand/ die er ihm vor wenigen
Stunden ſelber verkaufft hatte. Alſo ſuchte er etliche
auß/ und befahl ihm/ uͤber eine halbe Stunde an den
bezeichneten Ort zu kommen. Hiermit nahm er ſeinen
Abſchied/ und gieng ſeines Weges.
Das Verlangen deß Cerebacchii nach ihm war
ſehr groß/ und als er ſo bald wieder kam/ preiſete er
ſeinen Fleiß/ und verſprach ihm zu dienen/ wo er nur
immer koͤnte. Aber/ wie iſt es/ ſprach er/ kan ich auf
den Mittag wol ein Kleid bekommen? Was wollet
ihr mir geben/ gab Jener zur Antwort/ wann ich euch
uͤber eine halbe Stunde eines ſchaffe/ darinn ihr noch
bey dem Fruͤhſtuͤck erſcheinen moͤget? O du edle Tu-
gend/ replicirte Cerebacchius anjetzo/ deine Wuͤrdig-
keit erkenne ich nun allererſt. Aber mein/ ſaget mir/
wo ſoll ich das Geld darfuͤr hernehmen? Jch traue/
war
[256]Deß Academiſchen
war die Antwort/ euer Teutſcher Landsmann werde
euch nicht verlaſſen/ es mangelt ihm ja keines Weges
am Geld/ deſſen er ohnweit Mantua juͤngſt eine an-
ſehnliche Summa mit geringer Muͤhe erworben hat.
Jch habe einen Juden/ zu dem mich der Hauß-Wirth
gewieſen/ hieher beſchieden/ der ſagte mir/ daß er alſo-
bald kommen/ und etliche Kleider mit ſich bringen
wolle. Jch hoffe auch/ er werde forderſamſt ſich ein-
ſtellen/ und euch befriedigen.
Es iſt nicht zu beſchreiben/ wie ſehr ſich Cerebac-
chius uͤber dieſe Zeitung erfreuete/ er vergaß daruͤber
ſeiner erlittenen Schmach gaͤntzlich/ und warff alle
Schuld auf die Margara und ihre Magd. Daruͤber
kam der Jud endlich daher getretten mit einer ziem-
lichen Laſt Kleider. Klingenfeld und Cavina, ſamt
dem Printzen/ tratten auch hinein/ und als der Jud
die Kleider auß einander geleget hatte/ und ſelbige
eines nach dem andern dem Cerebacchio fuͤrzeigete/ er-
blickete dieſer ſein eigen Kleid darunter/ dannenhero
ſtund er auf/ legte daſſelbe fein ſaͤuberlich an/ da in-
zwiſchen die andern nicht wuſten/ wie dieſer Hebrceer
zu ſeinem Kleid muͤſſe gekommen ſeyn. Nachdem
er ſich in ſeinem vollen Habit befand/ ſprach er: Jud/
was wilt du fuͤr dieſes Kleid haben? Er antwortete:
Zwantzig Ducaten. Cereb. Jch wil dir dreiſſig geben.
Jud: Das iſt mir ſo viel lieber. Hierauf ſahe ſich
Cerebacchius nach einem Pruͤgel um/ und als er einen
Stock im Winckel gefunden/ wolte er auf den Juden
loßſchlagen/ welcher ein hefftiges Geſchrey anfieng/
aber der andere ſagte: Du haſt 20. gefordert/ und ich
habe dir 30. zugeſaget/ was meyneſt du wol? Duca-
ten? bey Leibe nicht. Jch meyne Schlaͤge/ dann das
iſt mein Kleid/ welches du mir dieſe Nacht geſtohlen
haſt. Der Jud fluchte und ſchwur bey ſeiner Scham̃a/
daß
[257]Romans I. Buch.
daß es ihm zwar dieſe Nacht erſt gebracht worden/
aber von einem Spanier mit einem Aug/ dem er 20.
Reichs-Thaler darfuͤr erleget haͤtte. Cerebacchius
wolte mit dem Kleid darvon gehen/ und behauptete/
daß er nicht noͤthig habe/ ſein Kleid zweymahl zu be-
zahlen/ es iſt mein Kleid/ ſprach er/ und bleibet mein
Kleid/ und eines andern wirſt du mich in Ewigkeit
nicht uͤberzeugen/ ich ruffe alle dieſe Herren zu Zeu-
gen/ daß ich es geſtern annoch getragen/ und daß es
mir dieſe Nacht geſtohlen worden.
Es wolte aber der Jud ſein Kleid nicht fahren
laſſen/ ſondern berieff ſich auf ſeinen Schutz-Brieff/
faſſete alſo den Cerebacchium an/ und hielte ihn feſte.
Dieſer hingegen bemuͤhete ſich/ loßzureiſſen/ und dar-
uͤber kamen ſie in Handgemeng/ daß Cerebacchius
endlich um Huͤlff rieff/ und ſagte: Hat mich S. Vel-
ten mit dieſem Beſchnittenen beſchmiſſen/ helffet mir/
daß ich ſeiner loß werde/ dann ihr wiſſet/ daß es mein
eigenthuͤmliches Kleid iſt. Sie uͤberwerffen ſich etliche
mahl auf der Erden/ und die andern ſahen mit lachen-
dem Munde zu. Endlich tratt Troll herbey/ und riſſe
den Juden vom andern hinweg/ laß ihn zufrieden/
ſprach er/ was du vor das geſtohlene Kleid bezahlet
haſt/ ſoll dir wieder werden/ und ein mehrers iſt man
dir nicht geſtaͤndig. Nam eſt res vitio affecta. Wann
ich meine 20. Reichs-Thaler/ ſprach der Jud/ die ich
dafuͤr außgeleget/ wieder bekomme/ ſo bin ich zufrie-
den/ weil ihr ſprechet/ daß ihm dieſes Kleid heute ſey
geſtohlen worden. Troll zog jetzo die empfangene
6. Reichs-Thaler auß der Taſchen/ legte ſie auf den
Tiſch/ und ſprach: Jud/ hier iſt dein Geld/ dieſes/ und
ein mehrers nicht/ gebuͤhret dir/ dann du wirſt/ ſo du
die Warheit ſagen wilt/ nicht einen Heller mehr dar-
fuͤr außgezahlet haben. Der Jud beſahe das Geld/
Rund
[258]Deß Academiſchen
und kannte es an den Sorten/ daß es eben die jenige
Stuͤcke waren/ die er darfuͤr außgegeben hatte/ mach-
te demnach groſſe Augen/ und wuſte nicht/ wie er mit
dieſen Leuten ins geſamt daran waͤre/ er brummete
zwar noch ein wenig im Maul/ aber er nahm endlich
das Geld/ ſamt den uͤbrigen Kleidern/ und gieng ſei-
nes Weges/ woher er kommen war.
Das XXIII. Capitul/
Ein behender Dieb erbeutet eine Kuh/ und noch andere Sa-
cken mehr. Eine hoffaͤrtige Seelaͤnderin wird durch einen Schorſtein-
faͤger betrogen. Eine Adeliche Frau zu Genua erwirbt durch ſonder-
bare Liſt eine erwuͤnſchte Buhlſchafft.
KLingenfeld wunderte ſich deß Handels/ und
alle die andern wolten wiſſen/ wie der Jud zu
den Kleidern kommen waͤre/ Troll lachete von
Hertzen/ und ſprach: Jch kan ſelber nichts darvon
ſagen/ ich glaube/ wir ſind mit einander dieſe Nacht
bezaubert geweſen Als er aber zu ſeinem Herꝛn/ Klin-
genfeld und Cavina allein kam/ erzehlete er ihnen alles
Haar-klein/ wie er es angefangen haͤtte/ deſſen ſie ſich
dann von neuem hertzlich zerlacheten/ und bekannte
Cavina, daß es eine groſſe Liſtigkeit von Troll/ wor-
durch er dem Teutſchen ſolche Brillen verkaufft haͤt-
te. Dieſe Worte giengen dem Klingenfeld etwas
nahe/ als der ihm einbildete/ daß die Jtaliaͤner alle
Teutſchen fuͤr ſich vor einfaͤltig hielten/ gedachte ſich
demnach zu ſeiner Zeit gebuͤhrlich zu raͤchen. Jetzo
aber ſprach er: Dieſer Handel iſt noch bey weitem
nicht ſo liſtig angefangen/ als der Jenige/ den wey-
land ein Teutſcher zu Werck gerichtet hat. Mein
Cavina, ihr werdet mir zu hoͤren/ und dann bekennen
muͤſſen/ daß dieſer Teutſcher es weit liſtiger habe an-
gefangen/ als Troll mit ſeinem gantzen Anhang/ ver-
nehmet demnach folgende Geſchichte:
Ein
[259]Romans I. Buch.
Ein Landſtreicher naͤhrete ſich mit allerhand leichtfertigen
Kuͤnften/ dieſer wufte/ daß ein Wirth auf dem Dorff/ nicht weit
von einer beruͤhmten Stadt/ eine fette Kuh zu verkauffen hatte/
wie er dann ſolches von einem Metzger den Tag zuvor bey dem
Trunck vernommen. An dieſem Ort kommet er zur Herberge/
nimmet ſich an/ er muͤſte gar fruͤh auf ſeyn/ und den Marckt in
der Stadt beſehen. Der Wirth wil ihm einen Gefaͤhrten geben/
und vor Tag ſich auf den Weg machen/ aber der Schalck ſtund
auf im erſten Schlaff/ fuͤhrete die fette Kuh auß dem Stall/ ein
gut Stuͤck Weges nach der Stadt/ und bindet ſie neben dem
Weg in den Buſch/ damit ſie Niemand ſo leicht ſehen koͤnte/ keh-
ret darauf wieder zu ſeinem Bette/ und ſchlaͤſſet hart/ biß ihn
der Wirth wecket. Sie wandern nach der Stadt. Der Scha[l]ck
ſagte zum Wirth/ er moͤchte nur gemach voran gehen/ er haͤtte
auf dem naͤchſten Dorff einen Schuldmann/ der haͤtte ihn be-
ſcheiden/ ihm Geld oder Geldes-werth zu geben/ und hier fand er
ſeine Kuh/ und er eylet den Wirth nach bey der Stadt. Dieſer
deſahe die Kuh/ und ſprach: Wann ich nicht geſtern Abends
meine Kuh ſelbſt haͤtte angebunden/ wolte ich ſagen/ dieſe Kuh
waͤre mein/ dann ſie ihr in allem gleichet. Der leichtfertige
Schalck beſorgete ſich/ er moͤchte ſie nicht an das Geld bringen/
dann er lieber bey Nebel/ als bey Sonnenſchein in die Stadt
gieng/ bath alſo den Wirth/ daß er die Kuh zu Marckt fuͤhrete/
und zum wenigſten um 10. Thaler verkauffte/ was daruͤber zu
erhalten/ wolte er zum Beſten geben/ doch ſolte er eylen/ damit
die Kuh bald moͤchte an Mann gebracht werden/ er wolte in-
deſſen ſeine Geſchaͤffte verrichten/ damit ſie noch vor dem Thor-
ſchlieffen auß der Stadt kommen koͤnten/ im guͤldenen Stern
wolte er ſeiner erwarten. Die Kuh ward um 12. Reichs-Thaler
verkaufft. Nun koſtete es Liſt/ wie dieſe Beyde/ unerwartet eini-
ger Bottſchafft von Hauſe/ den Abſchied von einander nehmen
moͤchten; Der argliſtige Schalck wolte die 2. Thaler zum Be-
ſten geben/ weil aber in ſelbigem Wirths-Hauß wenig zu Eſſen
war/ gab ihm die Wirthin zwo Schuͤſſeln/ und der Wirth ſeinen
Mantel/ daß er in die Garkuͤchen gehen koͤnte/ allda ein Paar
Braten verdeckt zu kauffen. Jndeſſen kommet deß Wirths Toch-
ter gelauffen/ und klaget/ die fette Kub waͤre geſtohlen. Auweh/
ſagte der Vatter/ hier bin ich angefuͤhret. Ach/ und ich komme
um ein Paar Schuͤffeln/ ſprach die Wirthin/ und mein Mann
um ſeinen Mantel. Der Ehr-loſe Vogel kommet nicht wieder/
und auf dieſen Schrecken muſten ſie zu ihrem Schaden lachen/
ſahten ſich zu Tiſch/ und ſchwenckten die Gall vom Hertzen. Et-
liche wollen behaupten/ der Handel ſey zu Coͤlln am Rhein
vorgangen.
R 2Sie
[260]Deß Academiſchen
Sie muſten mit einander bekennen/ daß es die-
ſer Bube ungleich behender angefangen haͤtte/ als
Troll. Jm uͤbrigen muſte ſich Cerebacchius rechtſchaf-
fen durchhecheln laſſen/ daß er alſo war bezogen wor-
den/ dieſer kam endlich darzu/ und ward von Troll
tapffer außgelachet/ aber er lachete mit/ und ſagte: Ey
ſehet doch/ ein ſchoͤner Mann! Er hat einen Men-
ſchen betrogen/ das koͤnnen alle Leutbeſchmeiſſer/ und
iſt das der Juden/ der Poſſenreiſſer/ und aller Betrie-
ger Profeſſion, ich ſehe auch keine groſſe Spitzfindig-
keit darbey/ weil die Margara mit ihm einig war/ welche
wol allein tauſend mahl capabler iſt/ einen zu taͤu-
ſchen/ als er. Sonſten hat dieſe Jungfrau wol ver-
dienet/ daß man ſie handele/ wie jene Seelaͤndiſche
Damoiſelle, welche ſich auch unterſtunde/ feine Leute
gering zu ſchaͤtzen/ daruͤber aber ſie endlich durch eine
behende Liſt ſelber andern Leuten ein Spott iſt wor-
den. Die Geſellſchafft wolte dieſe Geſchichte gerne
wiſſen/ aber Cerebacchius ſprach: Jhr Herren/ mich
hungert und duͤrſtet/ ich habe alleweil 2. Capitel auß
der Bibel/ 4. Titulos in Inſtitutis cum notis Vinnii,
darneben anch 2. Conſilia Vulteji geleſen/ und alſo vor
dieſen Tag meine Studia abſolyirt/ derowegen komme
ich wieder zu euch/ um allhier zu Fruͤhſtuͤcken. Der
Wirth ſchaffete wacker auf/ und Cerebacchius verſahe
ſich ſo wol/ daß ein Jeder ſich verwundern muſte; Als
er auch das Seine nunmehro gethan/ ſprach er: Jch
erinnere [mic]h deſſen/ was meine Herren an mich be-
gehret haben/ ſolchem nach wird ſich deſſen ein Jeder
zu beſcheiden wiſſen/ daß der Jenige/ der einen andern
vexiret/ gar gewißlich wieder wird vexiret werden/
und daß Hochmuth ſelten einen guten Außſchlag ge-
winnen koͤnne/ ſolches wird durch folgende Geſchichte
gnugſam bekraͤfftiget:
Eine
[261]Romans I. Buch.
EJne fuͤrnehme/ reiche/ ſchoͤne und geſchickte Jungfrau/ auß
einem wol-bekandten Geſchlechte in Seeland entſproſſen/
hatte durch ihr anmuthiges und Lieb-reiches Weſen/ alle an-
fehnliche junge Geſellen an ſich gezogen/ daß ſich deren einer mach
dem andern bey ihr anmelden/ und um ſie werben ließ. Ob ſie
nun gleich gern mit ihnen umgienge/ wolte ſie ſich doch keines
Weges/ ihrer Meynung nach/ ſo ſehr erniedrigen/ daß ſie ſich mit
ihrer einem Einzigen in ein Ebe-Geluͤbde eingelaſſen haͤtte/ ſon-
dern da war der Eine zu arm/ der Andere zu klein/ ein anderer
nicht hoͤflich gnug/ ein anderer zu jung/ ein anderer zu frech/ zu
alt/ zu hofffaͤrtig/ oder hatte ſonſt etwas an ihm/ welches ſie von
ihm abſchreckete/ mit einem Wort/ ſie hoffete dermahleins eine
fuͤrnehme Standes-Perſon zu heurathen/ als deren ſie ſich allein
werth achtete.
Dieſer ungemeine Hochmuth verdroſſe 2. oder 3. der prin-
eipaleften Juͤnglingen in Seeland/ daß ſie beſchloſſen/ die Chry-
ſenien/ alſo wollen wir ſie nennen/ auf eine artige Weiſe zu be-
triegen/ und ſie ihren Hochmuth bereuen zu machen. Nachdem
ſie ſich lange Zeit mit einander berathſchlaget/ befanden ſie/ ei-
nen Jtaliaͤniſchen Schorſteinfeger/ Namens Jacomo, am tuͤch-
tigſten zu ihrem Anſchlag/ derſelbe war von ſchoͤner Geſtalt/ wol-
gewachſenem Leib/ und bey gutem Verſtand. Sie kamen mit
ihm zu reden/ und hielten ihm fuͤr/ daß ſein Gluͤck anjetzo bluͤhe-
te/ wofern er Hertz gnug haͤtte/ zu einer Heurath/ mit einer qua-
lificirten/ reich-und fuͤrnehmen/ ſehr ſchoͤnen Jungfrauen ſich zu
bequemen/ an welcher ſie ſich dieſer Geſtalt zu raͤchen geſonnen.
Nachdem Jacomo dargegen eingewandt/ daß er ſich nicht
capabel achtete/ ein ſolch wichtiges Werck gebuͤhrlich außzufuͤh-
ren/ ſintemahlen es ihm an benoͤthigten Geldern/ und anderm
Verlag/ ermangelte/ da verſprachen ſie ihm/ mit ſo viel Geld bey-
zuſpringen/ als er hier zu vonnoͤthen haͤtte/ und wann die Heu-
rath ihren Fortgang gewonnen/ ſotte es ihm leicht fallen/ auß
der Jungfrauen Mitteln/ zumahl ſie ein einziges Kind ihrer
ſehr reichen Eltern/ ihnen das vorgeſtreckte Geld wieder zu er-
ſtatten/ jedoch behielten ſie ihnen vor/ nach gehaltener Hochzeit/
noch eines zu verrichten/ welches die Hochzeit/ oder Ehe/ keines
Weges ſtoͤren koͤnte. Jacomo, der nach Gluͤck trachtete/ gienge
ſolches endlich ein/ und/ auf der andern Einrathen/ fienge er die
Werbung folgender Maſſen an:
Er legete ſich alſobald 2. wol-gekleidete Diener zu/ kleidete
ſich ſehr praͤchtig/ und kam/ als ein fuͤrnehmer Herꝛ/ zur Stadt
R 3herein
[262]Deß Academiſchen
herein geritten/ legete ſich in die fuͤrnehmſte Herberge/ jedoch
nicht weit von der Chryſenia Behauſung/ und am folgenden
Tage gienge er hinzu/ als er ſahe/ daß ſie an der Thuͤr ſtunde/
gruͤſſete ſie hoͤflich/ und nachdem er ihr einen Wechſel-Brieff auf
etliche tauſend Dublonen gezeiget/ forſchete er/ ob ſie ihm/ weil er
ein Fremder/ keinen Bericht zu ertheilen wuͤſte/ wo die Perſon
wohnete/ welche dieſen Wechſel zu bezahlen angewieſen waͤre?
Jngleichem/ ob dieſelbe auch bey gungſamen Mitteln/ derglei-
chen Wechſeln in kurtzem mehr zu bezahlen/ ſintemahl er ſich ſei-
nem Stand gemaͤß zu halten/ und an dieſem Ort/ als welcher
ihm vor andern ſehr wol gefiele/ noch eine Zeitlang zu verbleiben
geſonnen waͤre. Die Jungfrau gab ihm auf alles guten Be-
ſcheid/ und ſeine Perſon [ſt]und ihr im erſten Anblick dermaſſen an/
daß ſie ihm leichtlich vergoͤnnete/ als er bey ihr anhielte/ ſie moͤch-
te es ihm nicht uͤbel deuten/ wann er ſich bißweilen/ um die Zeit/
als ein Fremder/ zu kuͤrtzen/ bey ihr einftellete/ die zierliche Nie-
derlaͤndiſche Sprache auß ihrem Munde anzuhoͤren.
Es war aber der principaleſte Uhrheber dieſes Betrugs/
nemlich einer/ von ihren abgewieſenen reichen Courtiſanen in
dem Wechſel-Zettel genennet/ dannenhero verfuͤgete er ſich zu
demſelben/ und uͤberlegete ins geheim dieſe Wichtigkeit noch wei-
ter mit ihm und denen uͤbrigen Intereſſenten. Hierauf gehet er
wieder bey Gelegenheit nach der Chryſenia, und gewinnet ſie
durch ſein anſtaͤndiges Weſen und liebliche Diſcurſen/ daß ſie
ihm ihre Gunſt zuſaget/ wofern ihr Vatter darein willigen wol-
te. Er ſpricht den Vatter gleicher Geſtalt an/ und derſelbe be-
gehret Bedenckzeit/ gehet aber fuͤrnemlich zu dem principaleſten
Intereſſenten dieſer gemachten Karten/ und weil er dem Jaco-
mo einen groſſen Wechſel bezahlete/ hoffete er ſeinetwegen guten
Bericht von ihm zu erlangen/ dieſer aber bekennete/ daß Jacomo,
aller Muthmaſſung nach/ ein fuͤrnehmer Herꝛ ſeyn muͤſſe/ weil
ihm ſein Correſpondent auß Jtalien ſeinethalben viel groſſe
Dinge geſchrieben/ wie er nemlich ein groſſer und ſehr reicher
Herꝛ waͤre. Mit dieſem Beſcheid gehet der Kauffmann wol
vergnuͤget nach Hauß/ beredet ſich mit ſeinen Freunden/ und
wird alſo Verloͤbnuͤß/ und bald hernach die Hochzeit vollzogen.
Als dieſes geſchehen/ fordern die Intereſſenten den Jacomo,
und halten ihm fuͤr/ daß er durch ſie ein gluͤcklicher Mann wor-
den/ und nun erforderte ſeine Schuldigkeit/ Krafft ſeines Ver-
ſprechens/ ihnen noch in einem einzigen Stuck zu willf ahren/
welches darinnen beſtuͤnde/ daß er kuͤnfftigen Tag ſeine vorige
Schorſtein-
[263]Romans I. Buch.
Schorſteinfegers-Kleider anlegen/ und vor ſeiner Frauen und
Schwieger-Vatter offentlich bekennen muͤſte/ wie er ein war-
hafftiger Schorſteinfeger ſeines Handwercks. Solches wil ihm
zwar ſchwer in Kopff/ gleichwol betrachtete er/ daß durch ihre
Huͤlffe er ſein Gluͤck gemacht legete demnach/ begehrter Maffen/
ſeine ſchmutzige Kleider an den Leib/ und die lange Stange auf
den Halß/ womit er vor ſeine Wohnung kommet/ und die Chry-
ſenia zu ſprechen begehret/ die Magd wil ihn nicht einlaſſen/ aber
er kehret ſich nicht daran/ dringet zu ſeiner Frauen in die Kam-
mer/ und gibt zu erkennen/ daß er der Jacomo, ihr Mann/ aber
darbey ein Schorſteinfeger ſeines Handwercks ſey/ welches er
ihr hiermit habe offenbahren wollen/ im uͤbrigen ſey er bereit/
das Jenige/ was ihm an Mitteln mangele/ durch getreue Liebe/
und ſeinen guten Verſtand/ zu erſetzen. Chryſenia erſtarret uͤber
dieſer Zeitung/ aber ihr Vatter kan ſich ehe begreiffen/ welcher/
nach gepflogenem Rath mit ſeinen Freunden/ den Jacomo, als
ſeinen Schwieger-Sohn/ behaͤlt/ und mit ſeiner Perſon/ ob die-
ſelbe Blut-arm/ er auch ſeinetwegen den vorigen Wechſel bezah-
len muſte/ zufrieden iſt. Die Chryſenia gibt ſich endlich auch
darein/ und hat hernach ſehr wo/ mit ihm gelebet. Sonſten iſt
dieſes Exempel eine Warnung/ daß man nicht ſo hoch fleigen
ſoll/ damit man nicht auf einmahl einen gewaltigen Sprung
thun muͤſſe. Niemand ſoll ſich uͤber ſeines Gleichen achten/
ſondern einen Jeden nach ſeinem Stande ehren.
Klingenfeld ſprach jetzo: Dieſe Jungfrau iſt
rechtſchaffen bezahlet worden/ und glaube ich/ es wer-
den ſich viel ihres Gleichen daran kehren. Jch weiß
hingegen/ daß manche junge Frau/ oder Jungfer/ ſich
auf allerhand Wege bemuͤhet/ einen Juͤngling an
ſich zu ziehen/ und fangen ſie es offt ſo klug an/ daß es
eine hohe Verwunderung verurſachet/ wie dann deß-
falls jene Dame zu Genua inſonderheit zu preiſen/ wel-
che durch ihren witzigen Anſchlag gnugſam hat zu er-
kennen gegeben/ daß Spitzfuͤndigkeit und Verſtand
in hoͤchſtem Grad bey ihr gewohnet. Jch weiß wol/
mein Printz/ daß ihr gerne ein Mehrers hiervon ver-
nehmet/ derowegen wil ich euch dieſe Hiſtorie gar
gerne/ wie ich ſie gehoͤret habe/ mittheilen:
R 4Zu
[264]Deß Academiſchen
ZU Genua lebete eine Adeliche Dame, Namens Romana, wel-
che/ wegen Mangel behoͤriger Mittel/ ſich daſelbſten an einen
Seiden-Weber/ auf Andringen ihrer Eltern/ verheurathet/ weil
aber ihr Mann deſſen dritte Frau ſie war/ ſchon bey ziemlichem
Alter/ und alſo die jenige Schuldigkeit ihr nicht leiſten kunte/ die
ihr/ als einer Blut-reichen/ friſchen/ Adelichen Damen gebuͤhret/
bildete ſie ihr ein/ es ſey ihr erlaubet/ deßfalls bey einem andern
fich Raths und Erſtattung zu erholen. Gleichwie aber das
Frauen zimmer dieſer Orten mehr/ als anderswo/ eingeſperret
iſt/ und man genaue Achtung auf ſie hat/ alſo verbarge ſie ihr
hefftiges Anligen eine Zeitlang/ und erſahe inzwiſchen einen wa-
ckern jungen Edelmann/ der anſehnlich von Perſon/ und von
gutem Geſchlecht/ aber gleichfalls nicht ſonders von Mitteln
war. Zu dieſem trug ſie eine hertzliche Affection, weil er bißwei-
len durch ihre Straſſe/ darinn ſie wohnet/ vorbey gieng/ weil er
aber hiervon den geringften Winck nicht bekom̃en hatte/ ſie auch
nicht wuſte/ wie ſie ihm ihre Gunſt/ und mehr als erlaubete Ge-
wogenheit/ zu verſtehen geben moͤchte/ erdachte ſie endlich/ nach
reifflichem langem Nach ſinnen/ folgende Liſt:
Sie hatte vernommen/ daß dieſer Edelmann/ Namens
Leonardo, gar offt zu einem alten Muͤnchen gieng/ und ſich in
der Gottesfurcht fleiſſig mit ihm unterredete/ und wie dieſer al-
ter Muͤnch wegen ſeines heiligen Wandels in der gantzen Stadt
ſehr bekandt/ alſo lobete er deß Leonardo Tugend und Glaubens-
Eyfer uͤber alles/ weil er wuſte/ daß ſolches etwas ſeltzames bey
Edelleuten zu ſeyn pfleget. Romana ſuchet Gelegenheit/ zu die-
ſem Muͤnch ins Kloſter zu kommen/ zu dem ſie ſprach: Andaͤch-
tiger Vatter/ euer heiliger Wandel/ und guter Glaube/ den ihr
bey Jedermann habt/ verdienet nicht/ daß man uͤbel von euch re-
de. Jch bin berichtet worden/ daß ein Edelmann/ Namens
Leonardo, ſich offt bey euch einfindet/ welcher ſich ſehr andaͤchtig
ſtellet/ da er doch in ſeinem Hertzen Ehebrecheriſche Gedancken
fuͤhret. Jch aber/ welcher er ſeine Liebe anzutragen ſich unter-
ſtanden/ hin nicht von ſolcher Art boͤſer und leicht ſinniger Wei-
ber/ wie ich ihm etliche mahl durch ſeine zu mir geſandte Kuple-
rinnen geſagt/ und ich hatte mir vorgenommen/ ihm meinen
Mann und Bruder auf den Halß zu weiſen/ wann er nicht von
mir ablaſſen wuͤrde; Aber ich ſchone ſeines ehrlichen Geſchlechts/
darum komme ich zu euch/ und bitte/ ihr wollet ihm bey erſter
Gelegenheit das Gewiſſen ſchaͤrffen/ und ihn vermahnen/ daß er
meiner gaͤntzlich muͤſſig gehe/ wo er nicht in Schand und Scha-
den fallen wolle.
Der
[265]Romans I. Buch.
Der Muͤnch verwunderte ſich ſehr uͤber dieſe Rede/ weil
aber die Romana dieſelbe mit etlichen erdichteten Thraͤnen be-
kraͤfftigte/ troͤſtete er ſie nach aͤuſſerſtem Vermoͤgen/ darauf ſie
endlich wieder von ihm ſchiede/ nachdem ſie ihm eine harte Kro-
ne in die Hand geſtecket/ weil ſie wuſte/ daß er von den Almoſen
lebete. Wie nun hierauf Leonardo wieder zu dieſem Geiſt-
lichen Vatter kommt/ haͤlt ihm derſelbe ſeine Gleißnerey/ und
ungebuͤhrliche Liebe zu der Romana vor/ und beſtraffet ihn heff-
tig. Leonardo, der von der Romana gehoͤret/ aber dieſelbe im
Geringſten nicht kannte/ verfluchete ſich mit hohen Eyden/ daß
man ihn mit Unrecht beſchuldigte/ und wuͤnſchete der Romana
alles Ungluͤck auf den Halß/ und weil er in ſeinen Reden ſehr be-
ſtaͤndig/ bringet er den guten Geiſtlichen in einen Zweiffel/ ob ſie
auch an ſeiner Perſon einen Jrꝛthum begehen moͤchte/ troͤftete
ihn demnach/ und ermahnete ihn/ ſo es ja alſo geweſen/ von der
Romana abzuſtehen/ und ihrer gantz und gar muͤſſig zu gehen/
worauf ſie von einander ſchieden.
Romana ließ ſich von der Zeit ſtaͤts an dem Fenſter ſehen/
welches auf die Straſſen gieng. Sie hatte ſich praͤchtig ange-
kleidet/ und paſſete auf ihren Leonardo, welcher in ſeinem Sinn
gedachte/ du muſt doch zum wenigſten bemuͤhet ſeyn/ ob du dieſe
Adeliche Jungfrau moͤchteſt zu ſehen bekommen/ welche dich ſo
eigentlich kennet/ da hingegen du ihrer doch die geringſte Kund-
ſchafft nicht haſt. Nahm alſo ſeinen Weg bey ihrem Hauß vor-
bey/ und wie er nahe hinzu kommen/ thaͤte ſie das Fenſter ein we-
nig auf/ und gruͤſſete ihn uͤberauß freundlich/ welches ihm ſeitza-
me Gedancken machte/ gleichwol danckete er ihr ohne Zorn/ und
gienge weiter fort/ wo er zu thun hatte.
Hierauf dachte er der Sache nach/ und bildete ihm ein/ der
Muͤnch habe ſich an der Frauen Perſon geirret/ und ob er gleich
eben inſonderheit keiner andern nach gienge/ muthmaſſete er dan-
noch/ es muͤſſe ihm eine andere bey dem Ehrwuͤrdigen Vatter al-
ſo angegoſſen haben. Wie er demnach am folgenden Tag wie-
der zu ſeinem Muͤnchen kam/ erfuhr er die Conſirmation, daß es
dieſe Frau/ und keine andere/ die ihn nun zum andern mahl ver-
klaget hatte. Dann dieſelbe war/ ſo bald Leonardo bey ihr vor-
uͤber gangen/ zum Pater kommen/ hatte gewaltig geweinet/ und
ihm geklaget/ daß ihr der Leonardo jetzo noch viel ſtaͤrcker zuſetze-
te/ als jemahlen vorhin/ bathe deßwegen/ ihn bald von der unge-
buͤhrlichen Liebe zu ihr abzureiſſen/ oder ſie wuͤrde nicht erman-
geln/ ihn deßwegen vor aller Welt zu beſchimpffen. Der Muͤnch
R 5troͤſtete
[266]Deß Academiſchen
troͤftete ſie/ und hielte ihr fuͤr/ wie Leonardo mit hohen Eyden
bekraͤfftiget/ daß er ſie gar nicht kenne/ viel weniger jemahlen die
Gedancken auf ſie gehabt/ und bathe/ ſie moͤchte ſolche ungleiche
Gedancken von ihm fahren laſſen. O! deß leichtfertigen Bu-
ben/ ſprach ſie darauf/ O! deß vermeſſenen Luͤgners! Kan er es
laͤugnen/ daß er geſtern etliche mahl meine Wohnung vorbey
gangen/ und als ich mich mit Fleiß vor ihm verbarg/ durch eine
alte Kuplerin kurtz hernach dieſen Ring und Beutel mit etlichen
Goldſtuͤcken zu mir geſandt/ in Hoffnung/ mich dardurch zu ſei-
ner Ehebrecheriſchen Liebe zu reitzen? Hiermit zog ſie einen ſchoͤ-
nen Ring/ und einen guͤldenen Beutel/ mit etlichen ſchoͤnen Ro-
ſenobten/ auß der Taſchen/ und ſprach ferner: Sehet da/ lieber
Vatter! dieſes Unterpfand kan ihn ſchlagen/ als mir die alte
Vettel dieſe Stuͤcke uͤberreichete/ haͤtte ich ſie fuͤr Zorn ſchier al-
ſobald ins Waſſer geworffen; Aber/ nachdem ich mich ein wenig
beſann/ dachte ich/ es wuͤrde Leonardo am fuͤglichſten von mei-
ner Liebe abgeſchrecket werden/ wann er die mir uͤberſandte Buh-
len-Geſchencke wieder bekaͤme/ und darauß erlernete/ daß er
durch Gaben meiner Ehre keinen Schaden thun wuͤrde/ weil ich
aber beſorgete/ wann ſie die alte Frau wieder zuruck bringen ſol-
te/ doͤrffte ſie leichtlich/ wie wol mehr geſchehen/ dieſelbe fuͤr ſich
behalten/ und fuͤrwenden/ ich haͤtte ſie angenommen/ und dar-
durch wuͤrde Leonardo nur in der Liebe hitziger. Solchem nach
habe ich euch/ Ehrwuͤrdiger Herꝛ Vatter/ dieſe Dinge gebracht/
damit ihr ſie ihm ſelber einhaͤndiget/ als einen gruͤndlichen Be-
weiß ſeiner Vermeſſenheit/ darbey aber/ und warum ich euch
abermahl gar hertzlich wil gebetten haben/ vermahnet ihn/ daß
er dieſe/ und alle ſeine Gifften und Gaben/ bey mir vergeblich
anwenden wird/ moͤge ſie demnach fuͤr ſich ſelber behalten/ weß-
falls ich ihm dieſe durch eure Hand wieder zuſtelle/ und daß er
ſich ja huͤte/ damit ich durch ſein fuͤrters beſchwerliche Anhalten
nicht genoͤthiget werde/ ihn bey den Meinigen anzugeben/ ſo
doͤrffte ihm alsdann gewißlich ein oͤffentlicher Schimpff wieder-
fahren/ wornach er ſich zu richten haben kan.
Hiermit nahm die Romana Abſchied vom Pater, und be-
ſchenckete ihn mit einem reichen Almoſen-Pfenning/ zumahl er
ihr verſprach/ alles fleiſſig außzurichten/ warum ſie ihn gebetten
haͤtte. Der gute Leonardo, der bald darauf auch ankam/ ward
gar rauh von der heiligen Klpfter-Perſon empfangen/ es fehlete
wenig/ der Muͤnch haͤtte ihn alſobald verdammet/ weil er annoch
ſo beſtaͤndig laͤugnete. Wie/ du freches Welt-Kind/ ſprach er zu
ihm/
[267]Romans I. Buch.
ihm/ kanſt du wol laͤugnen/ ein Ding/ das ich dir Sonnen klar
machen kan? Siehe! hier dieſen Ring und Beutel mit Geld!
Siehe! ſchaue! wie ſteheſt du nun? Ey/ feiner Heuchler! Aber
ich ſage dir/ Romana, der Außbund aller ehrbaren Frauen/ iſt
ſelber nun zum andern mahl bey mir geweſen/ und hat mich ge-
betten/ ich ſolle dir dieſe leichtfertige Gaben wiedergeben/ damit
du darauß erkennen moͤgeſt/ wie ebrlich ſie ſey. Jch bitte dich
aber um deiner Ehr und hohen Freundſchafft willen/ laſſe ſie zu-
frieden/ wo du nicht ſelber dich in das aͤuſſerſte Verderben ſtuͤr-
tzen/ und vor der gantzen Stadt zu Spott werden wilt.
Leonardo nahm dieſe ſchoͤne Sache/ und gedachte/ daß dieſe
eine andere Bedeutung haben muͤſten. Nachdem er ſich alſo ein
wenig beſonnen/ eben/ als wann er ſeine Suͤnde inner lich bereue-
te/ ſprach er: Ach Vatter/ mein Gewiſſen iſt mir geruͤhret/ ach!
vergebet mir meine Suͤnde/ ich wil mich beſſern/ und nim̃ermehr
an die Romana gedencken. Auf dieſe Worte ſchaͤrffete ihm der
Pater das Gewiſſen noch viel mehr/ vermahnete ihn zum Guten/
gab ihm endlich/ auf Begehren/ die Abſolution, und ließ ihn mit
einem Kuß wieder von ſich gehen. Leonardo gieng alſobald nach
der Romana Hauß/ wo ſie ſich abermahl unfehlbar am Fenſter
ſehen ließ/ uñ als ſie von ihm ſreundlich gegruͤſſet worden/ ſprang
ihr das Hertz im Leibe fuͤr Freuden. Nun haſt du ſchon halb ge-
wonnen/ ſprach ſie bey ſich ſelber/ und hoffete auf Gelegenheit/
ihren Buhlen bald bey ihr zu ſehen. Gleich wie es aber in Genua
uͤbel gedeutet wird/ wann ein Fremder mit einer Hauß Mutter
redet/ alſo ſahe ſie kein Mittel/ zu ihrem Willen. Endlich aber er-
dachte ſie durch ihre Behendigkeit folgende Liſt:
Sie ließ einen Brieff ſchreiben/ darinn ihres Mannes
Bruders-Frau zu Maſſa, ihrem Mann/ dem alten Seiden-
Weber/ zu wiſſen thaͤte/ welcher Geſtalt ſein Bruder/ ihr Ehe-
Mann/ vor wenig Tagen ohne Kinder verſtorben/ dahero ſie
verbunden/ ihme ſolches kund zu thun damit ſie ſich forderſamſt/
und zwar in der Guͤte/ wegen ſeiner ziemlichen Verlaſſenſchafft/
auß einander ſetzeten. Dieſen Brieff ließ ſie durch eine unbe-
kandte Perſon ihrem Mann uͤberlieffern/ welcher alſobald nach
dieſem Bißlein ſchnappete/ und ſich alſo gleich am folgenden
Tag auf die Raͤyſe nach Maſſa erhub. Er war aber kaum auß
dem Thor kommen/ da verfuͤgete ſich die liſtige Romana wieder
zu ihrem Pater, fienge bitterlich an zu weinen/ und klagete ihm/
wie Leonardo, da kaum ihr Mann auß dem Hauß geweſen/
nach Maſſa zu raͤyſen/ ihr durch eine alte Vettel dieſes zarte
Hemd/
[268]Deß Academiſchen
Hemd/ und ander Leinen-Geraͤthe/ (welches ſie hierauf dem Pa-
ter reichete/) uͤberſandt/ und vermelden zu laſſen/ ſich erkuͤhnet
haͤtte/ er wolle auf den Abend in ihren Garten am Norder-Ende
kommen/ und an dem daſelbſt befindlichen groſſen Maulbeer-
Baum zu den Fenſtern ihrer Schlaffkammer klettern/ ſich hinein
werffen/ und wann er dieſes Hemde/ und beygehendes Leinen-
Geraͤthe/ angeleget/ ſich rechtſchaffen mit ihr ergoͤtzen. Ach! um
deß Himmels willen/ helffet mir von dieſem Buben/ haltet ihm
ſeine Stuͤcklein mit ſolchen Umſtaͤnden fuͤr/ wie ich ſie euch erzeh-
let/ ſo wird er ſie nicht laͤugnen koͤnnen/ uͤberreichet ihm zu ſeinem
Uberweißthum auch dieſes Geraͤth/ und verſichert ihn/ wofern
er ſich noch ein einziges mahl erkuͤhnen wird/ meine Ehrbarkeit
und Ehre zu bekuͤmmern/ daß ich alsdann keine Gedult mit ihm
haben/ ſondern anderweit Mittel ſuchen werde/ die zulaͤnglich
gnug ſeyn moͤgen/ ihn ſeines Frevels/ wiewol allzuſpaͤte/ gereuen
zu machen. Ach! ich betruͤbte/ angefochtene Frau! Hierauf
flenge ſie hertzlich an zu weinen/ daß auch der alte Muͤnch ſelber
mit weinete/ deſſen ſie doch in ihrem Hertzen lachete. Nach em-
pfangenem Troſt/ den ſie abermahl mit einem reichen Almoſen
vergolten/ gienge ſie ihres Weges/ und lebete der Verſicherung/
ihr Courtiſan wuͤrde den Poſſen wol gemercket haben/ und ſich
auf den Abend bey ihr einfinden.
Es iſt aber nicht zu beſchreiben/ wie der Muͤnch hierauf
den guten Leonardo, da derſelbe/ ſeiner Gewonheit nach/ faſt
alle mahl einen Tag um den andern zu ihm kam/ mit rauhen
Scheltworten anfuhr. Etliche Tage her/ ſprach er/ haſt du dich
wol gehalten/ und die Romana hat keine Anfechtung deinetwe-
gen erlitten, Aber jetzo beginneſt du dein Gottloſes Weſen wie-
der herfuͤr zu ſuchen/ welcher Zauber-Geiſt hat/ dir ſo bald ſagen
koͤnnen/ daß der Romana Ehe Mann dieſen Morgen nach Maſ-
ſa verraͤyſet? Schaͤme dich/ daß du deßfalls die Wahrſager um
Rath frageſt/ noch viel mehr aber/ daß du dir einbildeſt/ du wol-
leſt die allerkeuſcheſte Romana durch Geſchencke/ und reiche Ga-
ben/ zu deinem Gottloſen Willen bringen. Sie wird ſich und
dich zugleich viel eher mit einem Dolch erſtechen/ ehe ſie ihrer Eh-
re und Zucht einen ſolchen Flecken anhienge. Leonardo wolte ſich
mit Fleiß etwas unwiſſend ſtellen/ um noch mehr von dieſen Sa-
chen zu hoͤren/ worauf dann der Pater das Leinen Geraͤthe her-
fuͤr zog. Dieſes warff er ihm ins Geſicht/ und ſprach: Daß du
mitten auf dem Meer ſaͤſſeſt/ mit deinem Ehebrecher-Hemd/
nimm es wieder zu dir/ und gib es lieber den Armen/ als daß es
zu Un-
[269]Romans I. Buch.
zu Unehren gebrauchet werde. Dein unverſchaͤmtes Hertz muß
nicht zu ergruͤnden ſeyn/ welches ſich nicht ſcheuet/ dieſen Mor-
gen dieſes Leinen Geraͤthe zu der zuͤchtigen Romana zu ſchicken/
und ihr andeuten zu laſſen/ daß du dieſe kuͤnfftige Nacht zu ihr
kommen/ und deine Unzucht mit ihr treiben wolleſt. Hierauf
beſchriebe er ihm alle Umſtaͤnde/ wie ihm ſolche die liflige Roma-
na vorgeſtellet hatte.
Leonardo nahm das Geraͤthe zu ſich/ ſiel dem Pater zu Fuß/
und ſprach: Nun/ ſo ſehe ich/ daß noch ein guter Engel uͤber mich
wachet/ weil alle meine boͤſe Anſchlaͤge zuruck gehen muͤſſen/ um
meine Seele zu retten. Er ſtellete ſich ferner/ als haͤtte er uͤber-
auß groſſe Reue wegen deß Vorgangenen/ und verſprach dem
Pater, ſich zu beſſern/ und der Romana gaͤntzlich muͤſſig zu gehen/
ja/ wofern ſie ihn noch einmahl verklagen wuͤrde/ ſolle er Macht
und Recht haben/ ihn in der Juſtitz Haͤnde zu lieffern/ und ihm
ſein Recht thun laſſen. Solche Pœnitentz gefiele dem Pater
uͤberauß wol/ abſolvirte ihn demnach/ ſegnete ihn/ und ließ ihn
mit dem ſchoͤnen Leinen-Geraͤthe hinwandern/ welches er alſo-
bald anlegete/ und gegen die Nacht an obbeſchriebenem Ort ſich
einſtellete/ den Baum hinauf ſtieg/ und das Fenſter offen fande/
er ſtieg in die Kammer/ und ward von der Romana mit beyden
Armen empfangen/ koͤſtlich tractiret/ und hernach zu Bette ge-
fuͤhret/ darinn ſie deß Muͤnchen Eyfer und Thorheit von Her-
tzen lacheten/ auch ſo offt zuſammen kamen/ als es bie Gelegen-
heit zulieſſe. Aber bey dem Muͤnch kam deßfalls keine Klage ein/
welcher den Leonardo hernach fuͤr den froͤmmeſten Edelmann
hielte. Nach etwa einem halben Jahr ſtarb dieſer Seiden-
Weber/ welcher von ſeiner Frauen ſo artlich betrogen/ und nach
Maſſa verſchicket worden/ und weil Romana an Statt der Kin-
der lauter Gold und groſſen Reichthum von ihm geerbet/ nahm
ſie Leonardo zur Ehe/ um nicht allein zu Mitteln zu gelangen/
ſondern auch die begangene Schande durch ſothanes heiliges
Band einiger Maſſen wieder abzuwiſchen.
Das XXIV. Capitul/
Die Margara iſt bedacht/ dem Troll einen Poſſen zu ſpielen
Der Printz wird von einem Edelmann herꝛlich tractiret/ worbey ſich ge-
lehrtes Frauenzimmer einfindet. Man hat allwege gelehrtes Frauen-
zimmer unter den Alten gefunden.
ALs Klingenfeld außgeredet hatte/ muſten es die
andern mit einander bekennen/ daß dieſe Ro-
mana ein Außbund kluger und verſchlagener
Damen
[270]Deß Academiſchen
Damen muͤſſe geweſen ſeyn. Jnzwiſchen aber/ da
dieſe Geſellſchafft bey einander war/ verfuͤgete ſich
Troll in die Kuͤche/ und nahm daſelbſt ein Fruͤhſtuͤck
ein/ mit allem Fleiß erzeigete ſich ihm die luſtige Mar-
gara ſehr zugethan/ ſie gab ihm das Beſte von den
uͤberbliebenen Bißlein/ darneben einen guten Trunck
koͤſtlichen Weins/ worauß der Narꝛ alſobald urthei-
lete/ daß ſie ihm nicht abhold ſeyn muͤſſe. Er tratt
demnach allein zu ihr/ kuͤſſete ihr die Hand/ und ſprach:
Schoͤnſte Margara, wie hat euch der Poſſe mit dem
Freſſer Cerebacchio gefallen? Sehr wol/ gab ſie zur
Antwort. Worauf Jener: Soltet ihr aber gegen
einem jeden rechtſchaffenen jungen Mann euch ſo un-
barmhertzig erzeigen? Bey leibe nicht/ ſprach ſie. Jch
erkenne/ daß ich von Fleiſch und Blut zuſammen ge-
ſetzt bin/ und trauete ich meinen eigenen Kraͤfften
nicht/ wann ich einen feinen Juͤngling/ wie ihr ſeyd/
in meinem Bette finden ſolte/ warlich/ die alte Kupp-
lerin muͤſte mir geſchwind meine Stelle raumen.
Troll leckete das Maul rund umher mit ſeiner Zun-
ge/ und ſagte: Jſt es moͤglich/ daß ihr einen ſolchen
Narren an meiner Perſon gefreſſen habt? Jch rede
zwar/ ſprach die Jungfrau/ wider die Jungfraͤuliche
Pflicht/ aber ich empfinde/ daß der Stachel der Liebe
ſchon alle Ehrbarkeit auß meinem Hertzen gebannet
hat/ und wolte ich ſchon/ daß er nim̃er in unſer Hauß
kommen waͤre. Wie ſo? forſchete Jener anjetzo;
Worauf dieſe: Das ſage ich darum/ weil ihr etwas
an euch habt/ das gleich einer unvermerckten Zauberey
aller Jungfrauen Hertzen an ſich ziehen kan/ darum
gehet von mir/ oder ich kan mich nicht laͤnger enthal-
ten. Was wollet ihr dann wol thun? fragte Troll.
Darauf Margara: Jch wuͤrde euch noͤthigen/ dieſe
Nacht mein Schlaff-Geſell zu ſeyn. Troll: Wie
aber/
[271]Romans I. Buch.
aber/ wann ich von euch eben alſo/ wie Cerebacchius,
hinder das Liecht gefuͤhret wuͤrde? Margara. Jhr
habt ja Augen und Ohren bey euch/ wann ihr meine
Perſon und Stimme nicht kennet/ ſo thut/ was ihr
wollet/ aber bildet euch das von mir gar nicht ein/ eure
Perſon iſt ſchon all zu tieff in meinem Hertzen einge-
wurtzelt/ und es iſt mir gantz und gar unmoͤglich/ euch
auf die allergeringſte Weiſe zu beleydigen. Hiermit
langete ſie eine Flaſche mit dem ſchoͤnſten Veltliner-
Wein/ und verehrete ihm dieſelbe zu Bekraͤfftigung
deß/ das ſie zu ihm geſaget hatte. Troll wolte als ein
Courtiſan angeſehen ſeyn/ trunck demnach die Flaſche
auf ihre Geſundheit auß/ daß ihm die Augen darbey
uͤbergiengen/ er verſprach ihr auch/ daß keine lebendi-
ge Seele von ihrer Courteſie auß ſeinem Munde je-
mahlen das Allergeringſte ſolte zu wiſſen bekommen/
und weil er gleicher Geſtalt ein unmenſchliches Ver-
langen zu ihr in ſeinem Leibe empfuͤnde/ ſo moͤchte ſie
doch ſo gut ſeyn/ und Mittel und Wege vorſchlagen/
wie und welcher Geſtalt er dieſe Nacht gantz allein in
gewuͤnſchter Suͤſſigkeit mit ihr zubringen moͤchte.
Jch wil euch/ war ihre Antwort/ einen ſichern An-
ſchlag geben/ habt ihr nur/ gleich wie ich/ das Hertz/
denſelben anzufuͤhren/ ſo wollen wir mit einander
eine gluͤckſeelige Nacht haben. Jhr wiſſet/ daß das
Frauenzimmer in Jtalien gar eingezogen gehalten
wird/ und ſelten außkommet/ ſolches beklaget meine
Mutter ſelber zum oͤfftern/ darum/ weil ſie gleichwol
gerne ſchoͤne Kleider nach der neueſten Modell haͤtte/
laͤſſet ſie bißweilen in der Nacht einen gewiſſen Juden
zu ihr kommen/ der allerhand ſchoͤne Galanterien mit
ſich bringet/ und weil mein Vatter fruͤhzeitig ſchlaffen
gehet/ handelt ſie mit dieſem Juden um ſeine Sachen/
weil aber das Hauß alsdann ſchon veſt zugeſchloſſen/
der
[272]Deß Academiſchen
der Hauß-Schluͤſſel auch ſtaͤts unter dem Haupt-
Kuͤſſen meines Vatters liget/ bedienet man ſich einer
behendigen Liſt/ den Juden in das obere Logiment zu
bekom̃en; Nemlich/ wir laſſen ihm einen Strick mit
einem Knebel hinab auf die Straſſe/ und wann er
ſich darauf geſetzet/ ziehen wir ihn herauf/ und ſolcher
Geſtalt wird er/ wann wir mit ihm einig geworden/
auch wieder hinab gelaſſen. Dieſer Treppen wuͤrdet
ihr euch auch bedienen muͤſſen/ wann es anders euch
ein Ernſt um eure Liebe iſt.
Troll ſchwur anjetzo bey den ſieben Planeten/
daß er alles gar willig thun wolte/ was ſie ihm wuͤrde
befehlen/ aber/ ſprach er/ eure Mutter wird ja wol
nicht darbey ſeyn? So wuͤrden wir ohne Zweiffel/
war ihre Antwort/ den Bock zum Gaͤrtner ſetzen.
Troll: Jhr habt aber/ ſchoͤne Margara, fuͤr euch allein
nicht Kraͤfften genug/ ein ſo ſchwer verliebtes inbruͤn-
ſtiges Hertz hinauf zu ziehen. Margara: Darfuͤr laſ-
ſet mich nur ſorgen/ meiner Magd Treue iſt ohne
falſch/ ſie wird mir getreulich beyſtehen/ darfuͤr hat ſie
dann und wann eines Zuwurffs von mir zu genieſſen.
Nur eines iſt noch uͤbrig: Weil meine Mutter nicht
gar veſt ſchlaͤffet/ ſondern leicht erwachen moͤchte/ in-
dem wir euch aufziehen/ ſo wird es hoch vonnoͤthen
ſeyn/ daß ihr deß gewoͤhnlichen Juden Kleider anzie-
het/ und euren Becher bey euch ſtecket/ ſolte dann
gleich meine Mutter kommen/ wird ſie euch doch in
der Nacht vor den bekandten Juden halten/ wann
ihr fuͤrgebet/ ihr woltet ihr den Becher wolfeil ver-
handeln. Dem guten Troll gefiel dieſer Anſchlag
uͤber die Maſſen wol/ und erkannte er/ nach ſeiner Ein-
bildung/ auß dieſem fuͤrſichtigen Anſchlag/ die groſſe
Liebe/ womit ihm die ſchoͤne Margara verbunden waͤre.
Er ſagte ihr demnach alles zu/ und war nur allein dar-
fuͤr
[273]Romans I. Buch.
fuͤr beſorget/ wie er deß bewuſten Juden Kleider gegen
den Abend uͤberkommen moͤchte. Sie aber ſagete
ihm zu/ daß ihre Magd dieſelbe ſchon zeitlich abholen
ſolte/ daß doch kein Verdacht darbey zu ſpuͤhren waͤ-
re/ dann ſie wolte den Juden bereden laſſen/ daß ſie/
wie ſie wol zu thun pflegten/ eine Maſquerade ſpielen/
und ſeiner Kleider ſich darbey bedienen wolten/ wor-
zu ſie dieſelbe mehrmahlen gebraucht haͤtten.
Hiermit war Troll uͤber die Maſſen wol zufrie-
den/ und ſchwur/ daß ihm dieſer Tag laͤnger werden
wuͤrde/ als ſonſten ein gantzes Jahr/ ich werde/ ſprach
er/ nicht allein die Stunden/ ſondern auch die Minu-
ten zehlen/ biß die Nacht heran gekommen. Damit
nahm er ſeinen Abſchied/ damit quaſi Niemand von
ihrem Liebes-Diſcurs einigen Argwohn ſchoͤpffen
moͤchte/ und gieng ſeines Weges. Die Margara aber
ſandte ihre Magd/ welcher ſie alles offenbahret hatte/
zu dem Klingenfeld/ und ließ ihn zu ſich bitten. Als
dieſer kam/ hielte ſie ihm fuͤr/ weil ſie dem Cerebacchio
eines angebunden/ mit Huͤlffe deß Trolls/ ſo wolle ſie
auch gerne dem Troll eines anrichten/ damit derſelbe
nicht ſo hohe Urſach haͤtte/ den andern außzulachen.
Sie erzehlete ihm darauf alles/ was ſie mit ihm fuͤr
haͤtte/ und wie ſie es anfangen wolte. Sie moͤchten
demnach um die beſtimmte Stunde munter ſeyn/ ſo
ſolten ſie ihre Luſt ſehen. Klingenfeld lobete ihre
Spitzfindigkeit/ und gleich wie er nichts mehr/ als
ſothane Rache wuͤnſchete/ alſo erkennete er ſich ihr
deßfalls zum hoͤchſten verbunden um ſeines Teutſchen
Landsmanns willen/ der ſonſten durch ſein Ungluͤck
der gantzen Teutſchen Nation eine Nachrede verur-
ſachen wuͤrde. Es kam inzwiſchen den Printzen eine
Luſt an/ ein wenig vor das Thor zu gehen/ und die um-
ligende luſtige Gegend um die Stadt zu beſehen/
Sdannen-
[274]Deß Academiſchen
dannenhero machte er ſich mit Klingenfeld/ Cavina
und Cerebacchio hinauß/ Troll folgete auch/ und gab
im Voruͤbergehen der Margara einen holdſeeligen
Winck/ wordurch er ihr ſein hertzliches Verlangen
nach der bevorſtehenden Nacht zu erkennen geben
wolte/ da er doch nicht wuſte/ was man ihm fuͤr einen
Poſſen ſpielen wolte/ ſonſten wuͤrde er ſich deßfalls
nicht ſo hoch erfreuet haben.
Wie ſie vor dem Thor ſpatziereten/ muſten ſie
bekennen/ daß die Lombardey doch ein geſegnetes ed-
les Land ſey/ allda man ihm ein rechtes irꝛdiſches Pa-
radiß einbilden moͤchte. Sie kamen vor einen ſchoͤnen
Garten/ welcher offen ſtund/ dahero giengen ſie hin-
ein/ und die Hoͤflichkeit deß Gaͤrtners war ſo groß/
daß er ihnen allerhand ſchoͤne Fruͤchte vorſetzte. Sol-
ches aber war kaum geſchehen/ als ein anſehnlicher
Edelmann/ dem dieſer Garten zuſtund/ hinein kam/
welcher dem Printzen allerhand Chareſſen erzeigete/
und um ſeinetwillen eine ſchoͤne Caſcade ſpringen ließ.
Hernach fuͤhrete er ſie in eine Grotte/ und bewirthete
ſie mit einem herꝛlichen Trunck Wein/ und den edel-
ſten Confituren. Sie wolten hernach ihren Abſchied
nehmen/ aber auß dem Reſpect, den der Printz von
den andern empfieng/ merckete er/ daß er mehr/ als ein
Edelmann ſeyn muͤſte/ bathe ihn demnach/ nur noch
eine Stunde bey ihm zu bleiben/ und ihm Geſellſchafft
zu leiſten. Jnzwiſchen hatte er gleich Anfangs nach
der Stadt geſchickt/ und eine gute Mahlzeit zurich-
ten laſſen. Die Worte/ welche er herfuͤr brachte/ wa-
ren ſo verbindlich/ daß die andern beſorgten/ eine Un-
hoͤflichkeit zu begehen/ im Fall ſie ihm ſeine Bitte
wuͤrden abſchlagen. Dannenhero blieben ſie bey ihm/
da er ſie dann die uͤbrige Zeit auſſerhalb deß Gartens
auf ſein Korn-Feld fuͤhre[t]e/ neben welchem ein Cry-
ſtall-
[275]Romans I. Buch.
ſtall-klarer Bach hinfloß/ deſſen Ufer mit niedrigen
Waͤyden-Baͤumen bepflantzet war/ an denen die
ſchoͤnſten Wein-Reben hinauf wuchſen/ daß es ohne
ſonderbare Ergoͤtzlichkeit nicht moͤchte betrachtet
werden.
Nachdem endlich anderthalbe Stunden verfloſ-
ſen/ kam eine ſtattliche Caroſſe, darinn deß Edelmañs
Eheliebſte ſaſſe mit ihrer Tochter/ und noch einer an-
dern anſehnlichen Jungfrau/ ſamt einem holdſeeligen
Juͤngling/ dieſe brachten allerhand warme Speiſen
mit/ und nachdem ſie den Printzen und ſeine Geſell-
ſchafft gebuͤhrlich bewillkommet/ ward aufgedecket/
und ein Jede[r] ſetzete ſich an ſeinen angewieſenen Ort.
Troll aber/ dem es ſein Herꝛ zu gut halten muſte/ tratt
zu dem Edelmann/ Patina genannt/ und fragte ihn/
vor wie viel Perſonen er angerichtet haͤtte? Der
Edelmann ſahe wol/ daß dieſer ein luſtiger Kump/
ſprach demnach: Vor mich/ und alle dieſe Gaͤſte/ mey-
net ihr etwa/ daß ihr nicht ſatt werden moͤget? Jch
frage es vergebens nicht/ replicirte Troll/ dann ihr
wiſſet noch nicht/ was ihr an dieſem Menſchen/ (auf
Cerebacchium zielend/) fuͤr ein Maſt-Schwein habt/
er friſſet allein vor 4. Perſonen/ und trincket/ ſo lange
er Wein fuͤr ſich findet. Jch wil ihn ſchon/ ſprach der
Edelmann/ ſo viel fuͤrſetzen/ daß er ſeinen Hunger
gnugſam daran wird ſtillen koͤnnen. Cerebacchius
aber ſchaͤmete ſich dieſer Rede ſo ſehr/ daß er auch zu
dieſem mahl wenig Speiſe genoſſe. Solches ſahe
Troll/ dannenhero ſagte er zu ihm: Er moͤchte ſich
doch ſeinethalben nicht ſchaͤmen/ ob er gleich ſeine
Kurtzweil mit der alten Frauen die verwichene Nacht
gehabt/ darfuͤr koͤnne er jetzo doch wol ſeine Mahlzeit
thun. Cerebacchius lachete dieſer Worte/ und ſagte:
Er haͤtte ſeinen Magen ſchon gefuͤllet/ inmaſſen der-
S 2ſelbe
[276]Deß Academiſchen
ſelbe ſich deß guten Fruͤhſtuͤckes noch nicht entlediget
haͤtte. Hieruͤber ſchuͤttelte Klingenfeld den Kopff/
ſagend: Difficile eſt triſti fingere mente jocum, nec
bene mendaci riſus componitur ore. Cerebacchius
gab keine andere Antwort/ als daß er ſagte: Riden-
tem dicere verum, quid vetat? Als man dieſes redete/
merckete Troll/ daß die zwo Jungfrauen gar genau
zuhoͤreten/ dannenhero wolte er ſie auf ſeine Weiſe
aufziehen/ und ſagte: Meine Jungfrauen/ die Zeit
wird euch lange/ redet nur fein huͤbſch Latein mit in
der Reige/ ſo habt ihr eine feine Kurtzweil. Hierauf
gab ihm die eine dieſen Beſcheid: Primum auſcultare
diſce, ſi neſcis loqui. Durch welche Worte der Die-
ner in groſſe Beſtuͤrtzung verfiel/ dann er bildete ihm
nicht ein/ daß dieſe Dame Latein verſtuͤnde/ wie dann
keiner von den andern ſolches gedacht haͤtte. Als der
Printz aber hoͤrete/ daß er eine Fraͤuliche Muſe vor
ſich haͤtte/ bath er ihren Vatter um Verzeyhung/ daß
er ſich mit ihr in einen Diſcurs einlaſſen moͤchte/ wel-
ches dem Patina ſehr wol gefiel. Alſo fiengen ſie einen
ſchoͤnen Diſcurs mit einander an/ und die Jungfrau
wuſte auf alle Fragen in Lateiniſcher Sprache ferti-
gen Beſcheid zu geben.
Klingenfeld fragte den Cerebacchium, ob er
wol ehe von dieſer Jungfrau gehoͤret/ und dieſer gab
ihm Beſcheid/ daß kein Student in gantz Padua, der
nicht von ihr zu ſagen wuͤſte/ allermaſſen ſie nicht al-
lein durch ihre loͤbliche Wiſſenſchafften/ ſondern fuͤr-
nemlich durch eine herꝛliche Lateiniſche Oration, die
ſie uͤber den gluͤcklichen Entſatz der Stadt Wien da-
mahl gehalten/ ihren Namen/ welcher Carola Catha-
rina Patina hieſſe/ in aller Welt bekandt gemacht haͤt-
te. Es iſt mir von Hertzen lieb/ ſprach Klingenfeld/
daß ich das Gluͤck habe/ dieſes hochgelehrte Muſen-
Kind
[277]Romans I. Buch.
Kind zu ſehen. Hiermit wandte er ſich zu der andern
Jungfrau/ die ſich Ilmene nennete/ und forſchete/ wie
ſie ſo genau zuhoͤrete/ ob ſie etwa auch die Lateiniſche
Sprache verſtuͤnde? Aures hominum, war ihre Ant-
wort/ plerumque novitate lætantur. Dieſe Antwort
beſtuͤrtzete den Teutſchen noch mehr/ daß er meynete/
er waͤre unter lauter Muſen gerathen. Er bekannte
aber dieſer Ilmene, daß man in gantz Teutſchland von
der gelehrten Carola Catharina Patina zu ſagen wuͤſte/
und daß mancher Printz verlangete/ ſie zu ſehen. Ilme-
ne ſprach hierauf anders nichts/ als dieſes: Principi-
bus placuiſſe viris non ultima laus eſt. Und Klingen-
feld forſchete/ was ſie bewogen haͤtte/ die ſchwere Stu-
dia anzutretten? Die Antwort war dieſe: Invenio
apud ſapientes, honeſtiſfimum eſſe, majorum veſtigia
ſequi, ſi modò rectô itinere præceſſerint.
Nachdem endlich der Printz ſeinen Diſcurs mit
der andern Damoiſelle geendiget/ bekannte er/ daß er
ihres gleichen unter dem Fraͤulichen Geſchlecht ſein
Lebtage nicht gefunden/ glaube auch nicht/ daß jemah-
len eine Dame auf die Studia ſich inſonderheit geleget
haͤtte. Klingenfeld fiel ihm jetzo mit groſſer Beſchei-
denheit ins Wort/ und ſagte: Mein Printz/ ich muß
zwar ſelber bekennen/ daß ich nimmer das Gluͤck ge-
habt/ mit dergleichen gelehrten Jungfrauen/ wie dieſe
ſind/ zu reden/ inzwiſchen aber iſt nicht zu laͤugnen/
daß man wol ehe in der Welt dergleichen kluge und
hochgelehrte Jungfrauen und Frauen gehabt/ als er
nun erſuchet ward/ als ein gelehrter Cavallier, ihnen
etliche Exempel fuͤrzuſtellen/ da ließ er ſich in folgen-
den Diſcurs herauß: Ein gemeiner Mann ſtehet in
den Gedancken/ je einfaͤltiger ein Weibs-Bild/ je
zuͤchtiger es ſey/ dahero tadelt ein ſolcher an dem
Frauenzimmer die freyen Kuͤnſte und hohen Wiſſen-
S 3ſchaff-
[278]Deß Academiſchen
ſchafften/ ihm vorſtellend/ das Exempel der gelehrten
Griechiſchen Sappho, welche ein uͤberauß leichtferti-
ges Weib geweſen; Aber die in ſolchen Gedancken
ſtehen/ thun dem gantzen Weiber-Geſchlecht eine un-
verantwortliche Schmach an. Viel beſcheidener ha-
ben Ludovices Vives, der hochgelehrte Spanier/ und
Eraſmus Roterodamus hiervon geurtheilet/ indem ſie
bezeuget/ man habe niemahlen eine gelehrte Frau
oder Jungfrau geſehen/ die unehrlich geweſen/ und
ob gleich jetzo ein ſolch Wildpraͤth einer gelehrten
Damen faſt ſeltzamer/ als ein weiſſer Rab/ ſo findet
man deren gleichwol noch an Ort und Enden/ da man
ſie offt nicht geſuchet haͤtte/ ja zu allen Zeiten/ und in
allen Laͤndern hat man gelehrte Frauen angetroffen.
Die Scythen ſind wol die Barbariſchten Leute
geweſen/ allermaſſen ſie auch nicht mehr Philoſophos
als den eintzigen Anacharſin aufzuweiſen haben/ dan-
noch hat ſich auch unter ihnen die ſehr gelehrte Koͤni-
gin Iſtrina gefunden/ welche ihren Sohn in der Grie-
chiſchen Sprach und andern Wiſſenſchafften unter-
richtet hat.
Nicaula, Koͤnigin von Saba, kam auß dem inner-
ſten Mohrenland/ und exercirte den weiſen Salo-
mon mit klugen Fragen. Helena/ eine Mohriſche
Kaͤyſerin/ hat zwey Buͤcher in Chaldœiſcher Sprach
geſchrieben. Die Perſianiſche Koͤnigin Atoſſa leh-
rete/ wie man die Brieffe ſtellen muſte. Zenobia, der
Palmyrener Fuͤrſtin/ verſtunde Egyptiſch/ Griechiſch
und Latein/ hat die Geſchichte ihres Landes aufgeſe-
tzet/ und ihre beyden Soͤhne in den Wiſſenſchafften
unterrichtet. Cleopatra, eine Koͤnigin in Egypten/
war fertig in der Hebrœiſchen/ Arabiſchen/ Griechi-
ſchen/ Egyptiſchen und Parthiſchen Sprach. Edeſia
und Hypathia, beyde von Alexandria, Jene war eine
Baſe
[279]Romans I. Buch.
Baſe deß Welt-Weiſen Cyriaci, und dieſe eine Toch-
ter Theonis, und eine Frau deß Iſidori, alle beyde ſind
ſehr gelehrt geweſen/ und die Letzte hat in der Plato-
niſchen Schule mit groſſem Zulauff unter dem Kaͤy-
ſer Arcadia gelehret. Catharina/ eine Tochter Coſti,
Fuͤrſten von Alexandria, wird um ihrer Wiſſenſchaff-
ten und Gottesfurcht willen unter die Heiligen ge-
zehlet. Und Heſtiæa, auch auß dieſer Stadt/ hat uͤber
den Homerum von der Trojaniſchen Belagerung
commentiret.
Theano, Pythagoræ Hauß-Frau/ war die Erſte
unter den Weibern/ die ſich auf die Philoſophie legte.
Themiſtoclea, gemelten Pythagoræ Schweſter/ war
nicht weniger gelehrt/ wie auch ſeine Tochter/ Dame
genannt/ und Arignote von Samos, ſeine Schuͤlerin/
Laſtinea Matinea, und Axiothea Phliaſia, hoͤreten den
weiſen Plato in Manns-Kleidern/ es waͤre aber beſſer
geweſen/ man haͤtte ihnen eine beſondere Stelle an-
gewieſen/ wie man zu Utrecht der hochgelehrten
Schurmannin gethan hat. Themiſta, deß Philoſo-
phi Leontei von Lampſaco Ehe-Weib/ gieng allezeit
mit ihrem Mann in deß Epicuri Lectiones, Arete,
Anagallis auß Corcyra, Thargelia, Arginete, wie auch
die 4. Schweſtern Artemeſia, Menexene, Theognis
und Pantaclea, waren alleſamt gelehrte Weiber/ und
dieſe inſonderheit gute Diſputiererinnen. Aganice
verſtunde den Himmels-Lauff ſehr wol/ und Plutar-
chus kan Cleobulinam, deß weiſen Cleobuli Tochter/
wegen ihrer ſonderbaren Wiſſenſchafften nicht gnug-
ſam loben. Socrates ward zwar von dem Oraculo
ſelber fuͤr den Allerweiſeſten außgeruffen/ dannoch
hielte er Atoſſam von Mileto fuͤr ſeine Meiſterin.
Von der hochverſtaͤndigen Hipparchia, und ihrer
Ehe/ mit dem armen/ doch weiſen Crates, koͤnte man
S 4viel
[280]Deß Academiſchen
viel erzehlen/ wann uns die Kuͤrtze nicht zu ſehr re-
commendirt waͤre.
Amphiclea, die beyde Gemine, Mutter und Toch-
ter/ Anaſtaſia, Leontium, Barſine, Alex. Magni Ge-
mahlin/ Gorgon, Timoclea von Thebæ, Hippias von
Lacedæmon, Mycale, Nicarete von Megara, Perictyo-
ne und Phintys, beyde Nachfolgerinnen deß Pytha-
goræ, Soſipatra auß Lydien/ Hydra, Myro, Pulcheria,
Kaͤyſers Arcadii, und Anna, Kaͤyſers Alexii Comme-
ni Tochter/ lagen ſtaͤts uͤber den Buͤchern/ und hatten
wegen ihrer Wiſſenſchafften groſſes Lob.
Bey den Roͤmern hat ſich jederzeit eine ſonder-
bare Begierde zu den Wiſſenſchafften eraͤugnet/ dar-
an auch das Frauenzimmer offt ſeinen Theil haben
wolte. Cicero kan nicht gnugſam preiſen Corneliam,
deß groſſen Scipionis Africani Tochter/ und Mutter
der wolſprechenden Gracchorum, er ruͤhmet ſich/ ihre
Brieffe geleſen zu haben/ und urtheilet darauß/ daß
ermelte Gracchi ihre meiſte Kunſt von dieſer gelehr-
ten Mutter empfangen. Eine andere Cornelia, Me-
telli Scipionis Tochter/ und deß groſſen Pompeji Ge-
mahlin/ hat ebenmaͤſſig wol ſtudiret/ und gleichwie
Martialis, deß Atreii Clementis Hauß-Frau/ Sabinam
Ateſtinam, alſo erhebet Salluſtius eine gelehrte Dame,
Sempronia genannt/ wegen ihrer ſonderbaren Wiſ-
ſenſchafft/ gleichſam biß in den Himmel.
Zur ſelbigen Zeit lebete auch Terentia, erſtlich
eine Gemahlin Ciceronis, hernach Salluſtii, und end-
lich Meſſalæ Corvini, dieſe war gelehrt/ und eine gute
Rednerin/ dann ſie gieng Tag und Nacht mit einem
von vorbeſagten fuͤrtrefflichen Maͤnnern um. Dieſer
hat Pompeja Paulina, deß hochweiſen Senecæ Gemah-
lin/ nichts nachgegeben/ Ja/ es ſchiene/ als wann die
gelehrten Roͤmer ſich allein mit wolſprechenden Mu-
ſen zu
[281]Romans I. Buch.
ſen zu vermaͤhlen/ verpflichtet haͤtten. Martia war deß
Hortenſii, Polla deß Lucani, Pudentilla deß Apuleii,
Ruſticiana deß Symmachi, Claudia deß Statii Papinii,
und Calphurnia deß Plinii alleſamt hochgelehrte Ehe-
Weiber ihrer Welt-bekandten Maͤnner.
Julia Auguſta, Kaͤyſers Severi Gemahlin/ hat
gnugſam erwieſen/ daß die Gelehrtigkeit in Ungluͤck
einen Troſt ſchaffe. Eugenia, eine Tochter Philippi,
gehoͤret auch unter dieſe Zahl/ und in dem ff. de Jur.
dot. wird deß Plotianiſchen Geſetzes gedacht/ worbey
man gedencken muß/ daß dieſe Plotiana in Rechts-
Sachen ſehr hoch gekommen/ alſo/ daß der fuͤrtreff-
liche Juriſt/ Celſus, ſelber an ſie geſchrieben hat.
S. Hieronymus ruͤhmet Fabiolam und Marcellam,
wegen ihres groſſen Verſtandes in der Theologie,
welchem auch die Euſtachia, der Paulæ Romanæ Toch-
ter/ als ein rechtes Muſter gelehrter Weiber bekandt
geweſen.
Nachdem das Roͤmiſche Reich durch ſeine Laſt
zerfallen/ und den Nordiſchen Voͤlckern groſſen
Theils Jtalien zu Theil worden/ hat man geſehen/ die
hochgelehrte Amalas Venta, welche war eine Tochter
Theodorici, und eine Mutter Atalarici, ſie ſaſſe auf
den Thron ihres Vatters/ neben gemeltemihrem
Sohn/ als ein rechtes Muſter der Wolredenheit/
und war erfahren in allen Sprachen der Voͤlcker/
ſo in dem Roͤmiſchen Reich einige Gemeinſchafft
hatten.
Jn dieſem Stuͤck ſind auch nicht vorbey zu gehen
Lueretia, de Eſte von Ferrara, Hertzogin von Urbin/
Vittoria Colonna, Gemahlin deß Ferdinandi d’Avi-
la, Marggrafen von Peſcara, und Feld-Obriſten Ca-
roli V. in Jtalien. Clara Orſina, und Laura Breſcina,
welche an den hochgelehrten Florentiner/ Girolamo
S 5Savana-
[282]Deß Academiſchen
Savanarola ſchoͤne Brieffe geſchrieben. Conſtanza,
Alexandri Sforzæ Gemahlin/ ſamt ihrer Tochter
Balliſta, Hippolyta, Sforza, Franciſci, deß Maͤylaͤndi-
ſchen Hertzogs Tochter/ Battiſta, Malateſta, eine Toch-
ter Galeatii, Printzen von Peſara, und Gemahlin
Guidonis Montefeltri, Hertzogs von Urbin/ Maria
d’Arragona, Marquiſin von Vaſcowar/ ſehr ſchoͤn
und hochgelehrt. Caſſandra Fridelis von Venedig/
hat zu Padua mit Verwunderung aller Zuhoͤrer uͤber
alles/ was ihr vorgebracht worden/ diſputiret. Ange-
lus Politianus, hat einen ſehr artigen Brieff an ſie ge-
ſchrieben/ weil ſie die Feder mit der Nadel verwech-
ſelt. Cecilia, eine Tochter deß Hertzogen von Mantua,
Catharina von Siena, Chriſtina von Piſa, und inſon-
derheit Damiſelle Trivultia, waren alleſamt ſehr ge-
lehrte Dames, dieſe Letzte kunte eine gantze Oration,
welche ſie nur einmahl gehoͤret/ von Wort zu Wort
wieder herſagen. Iſabella Andreini, wie auch Angela,
Genebria, Laura und Iſoſta, alle vier auß dem Vero-
nenſiſchen hohen Geſchlechte Nagarola, ferner Her-
cilia Corteſia de Monte, und Olympia Fulvia Morata
von Ferrara, wie nicht weniger Lucretia Marinella,
ſind alle dem Namen nach unſterblich worden/ we-
gen ihrer ſonderbaren Wiſſenſchafften in den freyen
Kuͤnſten.
Das XXV. Capitul/
Allhier werden die Namen deren gelehrte Dames angefuͤh-
ret/ ſo jemahlen in Spanien/ Franckreich/ Engelland und Teuiſchland
zu finden geweſen ſind.
SPanien hat auch ſeine gelehrte Frauen-Muſen
gehabt/ und wollen wir an dieſem Ort der
Iſabella, Ferdinandi von Arragonien Gemah-
lin/ (durch welche Ehe Arragonien und Caſtilien un-
ter eine Kron kommen/) die Oberſtelle goͤnnen/ weil
ſie
[283]Romans I. Buch.
ſie eine Koͤnigin/ und in der Lateiniſchen Sprach/ ja
auch ſelber in Krieges-Sachen uͤberauß wol geuͤbet
und erfahren war. Jhre Tochter/ Johanna, eine Ge-
mahlin Philippi, Ertz-Hertzogs von Oeſterreichs/ und
Caroli V. Mutter/ hat alle Spaniſche Orationes,
wormit man in allen Staͤdten den neuen Printzen
empfieng/ in nett Latein beantwortet. Solches hat
auch gethan ihre Schweſter/ Catharina, Henrici VIII.
Koͤnigs in Engelland Gemahlin/ welche auch etliche
ſchoͤne Tractaten an das Liecht gegeben. Von dieſen
Schweſtern ſind zwo unvermaͤhlet in Portugall ge-
ſtorben/ welche ebenmaͤſſig ſehr gelehrt geweſen/ alſo
daß Lud. Vives bekennet/ man habe niemahls geſehen/
daß Dames auß einem Koͤnigl. Hauß ſo ehrbar gele-
bet/ ſo leutſeelig ſich gegen das Volck erzeiget/ ihre
reſpectivè Gemahlen ſo ſehr geliebet/ ſo weiß und
verſtaͤndig geweſen/ als dieſe 4. Schweſtern/ daß mag
wol heiſſen:
Auß Spanien iſt auch entſproſſen Aloiſia Sigea, eine
zarte Jungfrau von Toledo, welche in Latein/ Grie-
chiſch/ Hebrœiſch/ Syriſch und Arabiſch/ faſt ihres
Gleichen damahlen in Spanien nicht hatte. Jhr
Vatter war Didacus Sigeus, ein ſehr gelehrter Mañ/
der auch ſeine andere Tochter/ Angela genannt/ in der
Lateiniſchen und Griechiſchen Sprach ſehr weit ge-
bracht/ und eben dieſe war eine von den beſten Mei-
ſterinnen/ ihrer Zeit/ in der Muſic. Das haͤßliche
Liebes-Buch/ ſo unter dem Namen dieſer frommen
und gelehrten Jungfrauen herum getragen worden/
iſt eine Erfindung eines ſolchen Menſchen/ der ſein
Summum
[284]Deß Academiſchen
Summum in dergleichen Sachen geſuchet hat. Und
gleich wie beſagter Vives von Angela Zabata, alſo
macht Metamorus in Beſchreibung der Spaniſchen
Academien und gelehrter Leute/ viel Worte von vier
hochgelehrten Jungfrauen/ welche ſind Mencia Men-
doza, Hertzogin von Calabrien/ Anna de Oſorio, von
fuͤrnehmen Geſchlecht auß Burgos, Iſabella Joënſis,
eine Edle Jungfrau von Barcelona, von Catharina
Pacenſis.
Unter dieſe Zahl muͤſſen auch gerechnet werden/
Franciſca Nebriſſenſis, Antonii Nebriſſenſis, Koͤnigl.
Hiſtorici, und hochgelehrten Profeſſoris Tochter/
welche an ſtatt ihres Vatters bißweilen oͤffentlich
profitiret hat.
Catharina von Portugall/ Koͤnigs Johannis III.
Bruders Eduardi Tochter/ und Gemahlin deß Her-
tzogen von Braganza, (durch welche Heyrath dieſes
Hauß hernach zur Kron kam/) und ihre Schweſter
Maria, welche A. 1565. Alexandrum, Printzen von
Parma, zu Bruͤſſel heyrathete/ waren fertig in Grie-
chiſch/ Latein und Matheſi. Die Schrifften der Oliva
Sabuco werden von dem gelehrten Chriſtoph. à Coſta
ſehr geruͤhmt. Juliana Morella von Barcellona war in
Griechiſch/ Hebrœiſch und Latein perfect. A. 1606.
im 13. Jahr ihres Alters/ hat ſie etliche Theologiſche
Theſes offentlich defendirt/ herauß gegeben/ und der
Spaniſchen Koͤnigin Margaretha dediciret. Sie hat
viel Sachen geſchrieben/ und iſt ſehr wol beleſen ge-
weſen/ dahero ſie Johannes Claudius, Doctor Theolo-
giæ und Canonicus zu Lyon an S. Pauli/ in ſeinen
Schrifften vor ein Miracul deß Weiblichen Ge-
ſchlechts außgibt. Sie hat fuͤr wenigen Jahren noch
zu Avignon im Kloſter-Stande gelebet.
Unter den Frantzoſen bekommet Marguerite de
Valois,
[285]Romans I. Buch.
Valois, Koͤnigs Franciſci I. Schweſter/ und Gemah-
lin Henrici d’Albret, Koͤnigs in Navarra, den Vor-
zug. Dieſe wird unter die gelehrteſten Dames der
Welt gezehlet/ und von vielen hochgelehrten Maͤn-
nern gewaltig herauß geſtrichen. Valentine d’Alſi-
nois, auch eine gelehrte Jungfrau/ hat ihr folgende
Grab-Schrifft zu Ehren aufgeſetzet:
Muſarum decima, \& Charitum quarta, inclyta Regum
Et ſoror \& conjux, Margaris illa jacet.
Die vierdte Huld-Goͤttin/ die zehnde Muſe ligt/
Hier unter dieſem Stein! Die Schweſter und Gemahl
Der groſſen Koͤnige! Sie uͤbertraff die Zahl
Der Muſen durch Verſtand/ doch hat der Tod geſiegt.
Jhre Tochter/ Jane d’Albret, wird von dem Welt-
bekandten Thuano wegen ihrer Weißheit und hohen
Wiſſenſchafften gleichſam in Himmel erhoben/ und
hat der allerweiſeſte Koͤnig Henricus IV. die Ehre ge-
habt/ von ihr zur Welt getragen zu werden. Claude
Catharine de Clermont, Hertzogin de Rez, war ſo ge-
lehrt/ daß man ſie/ als die Pohlniſchen Geſandten
Carolum IX. Koͤnig in Franckreich/ Catharinen ſeine
Mutter/ und Henricum, den neu-erwaͤhlten Pohlni-
ſchen Koͤnig zu gruͤſſen kamen/ und ſelbige in Lateini-
ſcher Sprach anredeten/ fuͤr einen Dollmetſcher
brauchte.
Jean Morel, ein fuͤrnehmer gelehrter Frantzoß/
hatte in ſeinem Hauß 4. hochgelehrte Weibs-Bilder/
welche waren Dolcina ſeine Liebſte/ und ſeine 3. Toͤch-
ter/ benanntlich Camilla, Lucretia und Diana. Catha-
rina des Roches von Poictiers, eine Tochter ihrer auch
ſo genannten hochgelehrten Mutter/ war ſo geuͤbt in
der Poëſi, daß alle Tage viel gelehrte Maͤnner in ihr
Hauß/ als eine hohe Schul/ kamen/ und allemahl ge-
lehrter wieder herauß giengen. Thuanus ruͤhmet in
dieſem
[286]Deß Academiſchen
dieſem Stuͤck auch Catharinam de Parthenay deSou-
bize, Gemahlin deß Renè de Rohan, und N. Harpyn
hat die Controverſias Theologicas in Frantzoͤſiſcher
Sprach herauß gegeben.
Von Heloiſe, deß beruͤhmten Theologi Abelar-
di Ehe-Liebſte/ machet Eſtienne Paſquiren Recherches
de la France 5. 19. viel Ruͤhmens/ und Nicole, wie
auch ihre Schweſter Lovis de Vienne, ingleichem
Jenne Laſſe, wurden unter die gelehrteſten Dames, ih-
rer Zeit/ gerechnet. Jn der Griechiſchen/ Lateiniſchen
und Hebrœiſchen Sprach/ waren vor wenig Jahren
annoch beruͤhmet Louvyſe Sarazin, und Marie de
Gournay. Jm uͤbrigen ſind in Franckreich annoch
folgende Dames wegen ihrer herꝛlichen Wiſſenſchaff-
ten in das Regiſter deß ewigen Andenckens aufzu-
zeichnen: La Baillive, Magdalene Neveu, mere, Ni-
cole Eſtienne, Ifabeau de Uzumeny, Magdalene de
Laubeſpine, Magdalene Chemerault, Magdalene des
Champs, Marie de Pierrevive, Anne de Lautier, Anne
du Prat, fille, Anne Seguier, mere, Philippe du Prat,
fille, Sibylle Scere, Loyſe l’Abbe, Marguerite d’Auſtri-
che, Marguerite de Cambis, Marie de Coſte blanche,
Marie Dentiere, Marie de la Huye, Marie d’Homier,
Marie Eſtuard, Chriſtine de Caſtel, Peronelle du Guil-
let, Gabriele de Bourbon, Heliſenne de Crenne, An-
thoinette Peronnet, Suſanne Habert, Lezine Gaultier,
Chriſtine de Piſe, Clemence Iſau, Dame Tholoſaine.
Jeanne Flore.
Auß dem veſten Land ſetzen wir uͤber die See in
Engelland/ worinnen Cambra die Schoͤne/ deß Brit-
taniſchen Koͤnigs Belin Tochter/ etwan 373. Jahr
vor Chriſti Geburt ein Buch von den Sicambriſchen
Hiſtorien geſchrieben hat. Martia Proba, Koͤnigin
von Brittanien/ war faſt in allen Kuͤnſten ſehr ge-
lehrt/
[287]Romans I. Buch.
lehrt/ ſie lebete im 348. ſten Jahr vor Chriſti Geburt.
Alconora, Koͤnigin von Engelland/ Helena Flavia
Auguſta, Koͤnigs Cœlii Tochter/ und Claudia Rufina,
haben ſchoͤne Sachen geſchrieben. Der Letztern ge-
dencket Martialis mit groſſem Ruhm. Brigitte iſt
wegen ihrer Wiſſenſchafften/ Schrifften und Got-
tesfurcht von dem Papſt A. 518. unter die Heiligen
gezehlet worden. Gilberta Anglica iſt bekandt/ weil
ſie in Manns-Kleidern ſich auf die freyen Kuͤnſte ge-
leget/ ob es aber wahr ſey/ daß ſie unter dem Namen
Johannis VIII. (wie Platina und Boccacius wollen/)
oder Johannis VII. (wie Sabellicus fuͤrgibt/) an
Papſt Leonis Stelle kommen/ darvon laſſe ich an-
dere reden.
Unter die gelehrten Engliſchen Dames werden
auch gezehlet Urſula Cynotura, Dionethi, eines Prin-
tzen von Cornwall Tochter. Hilda Horeſvita, Eduini,
Koͤnigs von Northumberland Baſe/ welche im Jahr
670. von geiſtlichen Sachen viel geſchrieben. Gisla
und Richtruda, zwey geiſtliche Jungfrauen/ Juliana
Barnes, eine Adeliche Jungfrau/ welche A. 1470. viel
ſchoͤne Sachen geſchrieben. Der hochgelehrte En-
gliſche Cantzler/ Thomas Morus, ließ ſeine Toͤchter
Margaretham, Catharinam und Ceciliam, ſamt ſeiner
Baſen Gigia, in der Lateiniſchen Sprach dermaſſen
unterweiſen/ daß ſich Eraſmus Roterodamus, an wel-
chen ſie allerſeits geſchrieben/ nicht gnug uͤber ihren
Stylum hat verwundern koͤnnen. Anna, Margaretha
und Jane Semers, 3. Schweſtern/ haben obengemelter
Margaretha, Koͤnigin von Navarra, herꝛliche Verſe
zu Ehren geſchrieben. Catharina Parr, deß Engliſchen
Koͤnigs Henrici VIII. Gemahlin/ hat in geiſtlichen
Sachen wackere Schrifften nachgelaſſen/ als ſie
A. 1549. geſtorben.
Eliſabetha
[288]Deß Academiſchen
Eliſabetha Joanna Weſtonia, eine Edle Dame
und treffliche Poetin/ verſtund ſehr viel Sprachen/
wie ſie dann das Buch/ Parthenicon genannt/ ge-
ſchrieben/ und zu Prag hat drucken laſſen/ woſelbſt
ſie den fuͤrnehmen Rechtsgelehrten/ Johannes Leo
genannt/ geheyrathet hat.
Bekandt iſt die ſchoͤne und wol-erfundene Ar-
cadia, ein trefflicher Roman, welchen Philipp/ Baron
von Sidney/ ſeiner Schweſter/ Maria Sidney/ Graͤ-
fin von Pembrock/ dedicirt hat/ weilen ſie eine von
den gelehrteſten Dames ihrer Zeit war.
Jane Gray war erfahren in Hebrœiſch/ Griechiſch
und Latein/ und legte ſich ſehr auf die Theologie, aber
letztlich/ als dieſe Prinzeſſin von Koͤnigl. Gebluͤt nach
dem Tod Eduardi, durch Ehrſucht ihres Schwieger-
Vatters zur Engliſchen Kron gelanget/ hat ſie eines
andern Miſſethat mit ihrem Blut buͤſſen muͤſſen.
Jhre Baß/ Koͤnigin Eliſabeth von Engelland/
redete Lateiniſch/ Teutſch/ Jtaliaͤniſch und Frantzoͤ-
ſiſch/ verſtunde auch die Muſic und Poeſi. Nach ih-
rem Tode hat ihr dieſe zween Verſe ein guter Lands-
mann in Engliſcher Sprach hinterlaſſen:
Die auch alſo genannte Koͤnigin Eliſabetha, eine
Prinzeſſin/ und deß Schottiſchen Koͤnigs Jacobi
Tochter/ war erfahren in 6. Sprachen/ in der Philo-
ſophie,
[289]Romans I. Buch.
ſophie, Theologie und Hiſtorien. Auß demſelben
Koͤnigl. Stamm iſt auch wegen ihrer hohen Wiſſen-
ſchafft beruͤhmt geweſen/ Arbella Stuart.
Von den Hoch-Teutſchen/ wie ſie in uhralten
Zeiten gelebet/ duͤrffen wir deßfalls nicht viel Ruͤh-
mens machen. Dann Maͤnner und Weiber verſtun-
den gleiche viel von hohen Wiſſenſchafften/ das iſt/
Beyde nichts. Aber mit der Zeit ſind die guten Sit-
ten und Wiſſenſchafften auch in unſere Graͤntzen ge-
ſchlichen.
Roswida, von Sachſen geboren/ eine Kloſter-
Jungfrau zu Gandersheim/ hat nicht allein die Grie-
chiſche und Lateiniſche Sprache wol verſtanden/ ſon-
dern auch viel herꝛliche Schrifften und Tractaten her-
auß gegeben.
Eliſabeth/ eine Aebtiſſin zu Schoͤnaugen im Ertz-
Stifft Trier/ hat an ihre Kloſter-Schweſtern in La-
tein gar viel geſchrieben. Unter andern von dem Weg
gen Himmel/ und ein Buch voll gelehrter Brieffe. Zu
Zeiten Kaͤyſers Henrici I. und Papſts Eugenii, lebete
Hildegradis, Aebtiſſin von St. Robberts Berg am
Nahe-Fluß/ von Edlem Geſchlecht/ und groſſen Wiſ-
ſenſchafften/ deſſen ihre Schrifften/ und die Brieffe
der gelehrteſten Biſchoͤffe in der gantzen Welt Zeug-
nuͤß ſind. Etwas von ihren Wercken/ und die ſchwe-
reſten Fragen in heiligen Sachen/ ſind A. 1566. zu
Coͤlln gedruckt.
Eine andere Hildegradis von Maͤyntz/ auch eine
Aebtiſſin/ hat viel herauß gegeben/ welches annoch im
Weſen iſt/ wie dann auch der H. Bernhardus an ſie/
als eine hochgelehrte Dame, gar offt und viel geſchrie-
ben hat. Sie hat viel Theologiſche Tractaten außge-
geben/ und/ wegen ihrer ſonderbaren Wiſſenſchafft/
haben die Paͤpſte/ Eugenius III. Anaſtaſius IV. und
TAdria-
[290]Deß Academiſchen
Adrianus IV. auch die Roͤmiſche Kaͤyſer/ Conrad’ III.
und Fridericus I. an ſie geſchrieben.
Noch eine dritte Hildegradis, zugenannt de Pin-
gua, hat von natuͤrlichen Dingen 4. Buͤcher/ von der
Natur und Wuͤrckung der Elementen/ etlichen Teut-
ſchen Stroͤhmen/ Kraͤutern/ Baͤumen/ vier-fuͤſſigen
Thieren/ Fiſchen und Voͤgeln geſchrieben.
Angela, Raymondi, deß Boͤhmiſchen Koͤnigs
Tochter/ iſt/ nach ihres Herꝛn Vatters Tod/ in das
heilige Land gezogen/ und hat ſich in den Geiſtlichen
Stand begeben. Brocardus zu Jeruſalem hat ſie un-
terrichtet/ daß ſie hernach viel ſchoͤne Geiſtliche Sa-
chen an den Tag gegeben. Sie lebete ums Jahr
Chriſti 1190.
Bey den Hoch-Teutſchen gelehrten Frauen habe
ich noch ein und anders anzufuͤhren/ als: Cathari-
nam, eine Haußfrau Matthiæ Cellii, Predigers zu
Straßburg im Muͤnſter. Dieſe hat in reiner Teut-
ſcher Sprache gar zierlich geſchrieben wider den Ul-
miſchen Prediger/ Ludovicum Rabum. Sie hat auch
herauß gegeben eine Außlegung uͤber den 50. Pſal-
men/ und uͤber das Gebett deß HErꝛn.
Dorothea Suſanna von Baͤyern/ Joh. Wilhel-
mi, Hertzogs von Sachſen Gemahlin/ war in groſſem
Ruhm wegen ihrer Wiſſenſchafft und Erfahrung in
der H. Schrifft. Die Schrifften/ ſo ſie außgefertiget/
ſind von d’ Academie zu Jena hoch geprieſen worden.
Johanna/ eine Tochter Grafen Ulrichs/ und Ge-
mahlin Alberti von Oeſterreich/ raͤyſete nach Rom/
und diſcurrirte mit dem H. Vatter in Lateiniſcher
Sprache.
Es hat ſonſt das Anſehen/ als wann das Frauen-
Volck in denen Niederlanden vor allen andern ſeines
Gleichen zu den Wiſſenſchafften groſſe Luſt trage/ und
tuͤchtig
[291]Romans I. Buch.
tuͤchtig ſey/ allermaſſen man gar viel ſolcher gelehrten
Damen darunter gefunden/ darvon ich die Fuͤrnehm-
ſten herauß ſuchen wil:
Nicolaus Evetnaertſen ſtieg nicht allein ſelber
wegen ſeiner ſonderbahren Gelehrtigkeit biß in die
Præſidenten-Stelle deß hohen Raths zu Mecheln/
ſondern verließ nach ſeinem Tod/ ohne die vielfaltige
herꝛliche Schrifften/ 4. hoch-gelehrte Soͤhne/ die alle
anſehnliche Chargen bedienet/ und eine Tochter/ Iſa-
bellam, Mutter in St. Agathæ Kloſter zu Delfft/ wel-
che ihren Bruͤdern/ die Wiſſenſchafft belangend/
nicht viel nachgegeben.
Catharina Balduini hat geſchrieben den Luſt-Hof
Geiſtlicher Ergoͤtzlichkeiten/ und Joanna Ottonia von
Gent hat verſchiedene Sachen herauß gegeben.
Jn den freyen Kuͤnſten/ abſonderlich in der Poëſie,
iſt noch juͤngſt beruͤhmt geweſen/ Joanna Coomans/
Johannis van der Merſchens, Rentmeiſters der Staa-
ten von Seeland/ eheliche Haußfrau/ wie auch Fran-
ciſca van Doyem, eine Edle Frieſiſche hoch-gelehrte
Dame, dieſe excellirte in der Muſic, in Latein/ Frantzoͤ-
ſiſch/ Jtaliaͤniſch/ und andern Sprachen/ und ward
3. fach Edel tituliret/ weil ihr Adel durch den Stam̃/
Seel und That ſich gnugſam herfuͤr that. Man findet
viel herꝛliche Lob-Schrifften und Gedichte/ ſo ihr zu
Ehren von wackern Leuten aufgeſetzet ſind/ im Druck.
Aber/ es gewinnet das Anſehen/ als wann der
Name Anna eine ſonderbare Neigung zu den freyen
Kuͤnſten trage; Sehet darvon den Beweiß durch
nachfolgende Exempel:
Anna van Borſſelen, (eine Gemahlin Philippi,
Hertzogs von Burgund/ deſſen Vatter war Hertzog
Philippus Bonus,) war ſonderlich gelehrt/ und gegen
alle andere Muſen-Kinder eine andere Mæcenas, wañ
T 2ich
[292]Deß Academiſchen
ich alſo reden mag. Solches weiß Eraſmus Rotero-
damus in einem langen Lateiniſchen Brieff/ den er
Anno 1500. auß Pariß an ſie ſchreibet/ nicht gnug
zu ruͤhmen.
Anna van Sluys, auß einem alten Geſchlecht von
Dordrecht/ war eine Geiſtliche Jungfrau/ ſehr Gotts-
fuͤrchtig/ Tugendſam/ und unglaublich gelehrt. So
ruͤhmen auch Meliſſus Poſthius und Smetius, in ihren
Lateiniſchen Verſen/ die Anna van Pallant, wegen ih-
rer Wiſſenſchafft/ gar ſehr. Der Letztere preiſet deß-
wegen auch Annam Utenhofen/ von Edlem Geſchlecht
und Geiſt. Neulich hat noch gelebet Anna, Rœmer
Viſchers Tochter/ die in verſchiedenen Kuͤnſten/
Sprachen und Wiſſenſchafften ſehr erfahren war.
Der Amſterdamer Poet/ J. U. Vondelen, hat gar ar-
tige Verſe ihr zu Lob aufgeſetzet/ und der hochgelehr-
te Staakmans kan wegen ihrer ſonderbaren Gelehr-
tigkeit und Sprachen nicht gnugſam preiſen Annam
van Hoorn, die noch vor weniger Zeit zu Amſterdam
gelebet hat.
Gleich wie die Sternen der Sonnen/ alſo muͤſ-
ſen auch alle und jede obbeſchriebene Frauen-Muſen
der hoch-gelehrten Jungfrauen/ Anna Maria von
Schurman/ einer Edlen Dame in Holland/ weichen.
Dieſer Außbund von Gelehrtigkeit hat ſich in un-
ſerm Seculo meiſt zu Utrecht aufgehalten/ und es iſt
noch nicht gar lange/ als man ſie annoch unter den
gelehrteſten Maͤnnern zu der gantzen gelehrten Welt
mit hoͤchſter Verwunderung hat diſputiren hoͤren.
Wahr iſt es/ daß der eine Menſch/ Krafft ſeines Tem-
peraments und Gehirns/ mehr zu der einen als an-
dern Wiſſenſchafft incliniret/ und der von Natur
kein Poet iſt/ wird immerdar ſchlechte Verſe machen.
Etliche legen ſich auß einem verborgenen Trieb auf
ſolche
[293]Romans I. Buch.
ſolche Wiſſenſchafften/ die allein auf einem guten
Verſtand beruhen/ wie die Theologia Textualis,
Dogmatica, Practica, Elenchtica, \&c. Andere treiben
Sachen/ die meiſt auf dem Gedaͤchtnuͤß beruhen/ wie
da ſind/ allerhand fremde Sprachen/ die Geographie,
Arithmetic, Theologia Poſitiva, und dergleichen.
Noch andere aber erwaͤhlen die Wiſſenſchafften/ dar-
bey die Imagination und Einbildungs-Krafft das
Beſte thut/ als die Schreib-Kunſt/ Drucker-Kunſt/
Zeichnen oder Schildern auf allerhand Weiſe/ Boſſi-
ren in Wachs/ Kupfferſtechen/ Muſic, \&c.
Nun aber iſt dieſes Wunder der Natur um ſo
viel mehr zu verwundern/ weil ſich alle dergleichen
Wiſſenſchafften bey dieſer gelehrten Hollaͤndiſchen
Damen zuſammen in einem Uberfluß/ ja ſelbſt in dem
hoͤchſten Grad befunden haben. Damit aber meine
Herren etwas benachrichtiget werden/ von ihren
Wiſſenſchafften/ ſo iſt zu wiſſen/ daß ſie die Nieder-
laͤndiſche/ Hoch-Teutſche/ Frantzoͤſiſche und Lateini-
ſche Sprache perfect geſprochen/ darinn Brieffe ge-
ſchrieben/ und ſchoͤne Verſe geſetzet habe. Die Grie-
chiſche und Bibel-Hebreiſche Sprache verſtunde ſie
vollkommen/ wuſte darvon wol zu urtheilen/ und kun-
te auch darinn ſchreiben. Jn der Jtaliaͤniſchen und
Engliſchen Sprache war ſie ſo weit kommen/ daß ſie
ſchoͤne Eſtaats-Buͤcher/ und dergleichen/ von den
Jtaliaͤnern beſchrieben/ darneben die fuͤrnehmſte
Theologos von der Engliſchen Nation und Sprache
leſen und gebrauchen kunte. Die Rabiniſch-He-
breiſche/ Chaldœiſche/ Syriſche und Arabiſche Spra-
che kunte ſie leſen/ verſtehen/ und mit der H. Hebrei-
ſchen Sprache conferiren/ zu beſſerer Explication der
H. Schrifft. Sie hat ſich auch geleget auf die Sama-
ritaniſche/ Ethiopiſche und Perſianiſche Sprachen.
T 3Jn
[294]Deß Academiſchen
Jn den Hiſtoricis, Poeten/ Oratoribus, und andern
guten Scribenten/ deßgleichen in den freyen Kuͤnſten/
Philoſophie, und andern Wiſſenſchafften/ war ſie alſo
beleſen/ daß ſie darvon diſcurriren/ und uͤber die
ſchwereſte Puncten und Fragen gute Schrifften auf-
ſetzen/ und dictiren kunte. Sie hatte ferner gute Wiſ-
ſenſchafft/ und ein tieff ſinniges Urtheil in Theologia
Textuali, Dogmatica, Pragmatica und Elenchtica, biß
zu den allerſubtileſten und ſchwereſten Scholaſtiſchen
Fragen. Sie uͤbete ſich auch noch immer weiter in
allen Theilen und Methoden der Theologie.
Jn der Schreibkunſt durffte ſie keinem Meiſter
weichen/ ja/ ſie uͤbertraff darinn den allernetteſten
Druck/ ſo wol in Hebreiſcher/ als Syriſcher/ Griechi-
ſcher/ Samaritaniſcher/ Ethiopiſcher/ Lateiniſcher/
Jtaliaͤniſcher/ und andern Sprachen/ die meiſte
Schrifften ſolcher Sprachen/ ſo wol in Capital, als
ſtehenden und lauffenden Buchſtaben/ ſchriebe ſie
vortrefflich ſchoͤn. Jn der Zeichen- und Schilder-
Kunſt war ſie wol erfahren. Seidene und andere
Blumen kunte ſie recht nach dem Leben bordiren. Sie
mahlete ſehr ſchoͤn in Miniatur, und mit Waſſer-Far-
ben/ zeichnete gar nett mit dem Bley-Stifft/ Fe-
der/ \&c. Mit dem Demant ſchnitte und ſchriebe ſie
ſehr ſchoͤn in Glaß. Sie war auch erfahren im Holtz-
ſchneiden/ und machte darinn ſchoͤne Bilder. Sie
ſtach in Kupffer/ ja/ ſelber ihr eigen Conterfait. Jm
Wachs-Boſſiren war ſie Wunder-wol erfahren/ wie
auch in der Muſic, und fuͤrnemlich auf der Lauten.
Sie verſtunde die ſchwereſte Eſtaats-Scribenten/ und
Politiſche Buͤcher/ ja/ die Hiſtorien allerhand Voͤlcker.
Das XXVI. Capitul/
Cavinahaͤlt einenDiſcursmit der gelehrtenIlmene,Klin-
genfeld kommt in Schlaͤgereyelaͤſſet ſich immatriculiren. Seltza-
mer Zufall zweyer Studenten/ die einander ſehr gleich geſehen.
Dieſer
[295]Romans I. Buch.
DIeſer deß Klingenfeld Diſcurs gefiel der gan-
tzen anweſenden Geſellſchafft uͤberauß wol/
dannenhero wandte ein Jeder ſeine Augen
auf ihn/ ob er etwa noch mehr dergleichen vorbringen
moͤchte. Aber er ſchwieg ſtill/ dahero Cavina Gele-
genheit nahm/ mit der Ilmene ſich in einen Diſcurs zu
laſſen/ und von ihr zu verſtehen bekam/ daß ſie eine
Griechiſche Dame, fuͤrnehmen Standes ſey/ derer El-
tern ſich in Egypten aufhielten. Sie aber habe auß
Liebe zu den freyen Kuͤnſten ſich hieher verfuͤget/ und
bey dieſer Patina, als ihrer liebſten Muſen-Schweſter/
ins Logiment geleget/ da ſie beyde/ in Geſellſchafft
dieſes feinen Griechiſchen Edelmanns/ Campanelli
genannt/ um die Wette mit einander ſtudireten. So
waͤre es ja kein Wunder/ ſprach Cavina jetzo/ daß zwi-
ſchen euch/ und zwiſchen dieſem edlen Campanelli, eine
Liebe erwuͤchſe. Ilmene aber laͤchelte/ unter dieſer fer-
tigen Antwort: Res eſt ſolliciti plena timoris amor.
Cavina replicirte: Gleichwol iſt es um die Liebe ein
artiges Werck. Ilmene: Ut miſer eſt homo, qui amat?
Solches muß man/ ſprach Cavina, nicht allemahl
glauben/ lieben doch wol Stein-alte Leute/ und ver-
fallen auf eine junge Thorheit. Ilmene: Amor ju-
veni fructus, crimen ſeni. Cavina: Das iſt wol gere-
det/ und hat die Schmertzen der Liebe an ihrem Ge-
liebten ein fertiges Pflaſter. Ilmene: Omnes huma-
nos ſanat medicina dolores, ſolꝰ amor morbinon amat
artificem. Dieſe Antwort gefiel dem Cavina ſehr wol/
welcher anjetzo forſchete/ ob ihr die Weiſe deß Jtaliaͤ-
niſchen Frauenzim̃ers auch gefiele/ und ob ſie ſich auch
alſo eingezogen zu halten pflegete? Si fueris Romæ;
war ihre Antwort/ Romano vivito more. Aber/ fuhr
Jener fort/ die Egyptiſche Damen leben freyer/ dan-
nenhero koͤnnen ſie auch ehe verliebet werden. Ilmene
T 4ſchuͤt-
[296]Deß Academiſchen
ſchuͤttelte den Kopff/ und ſagte: Cui peccare licet,
peccat minùs: ipſa poteſtas ſemina nequitiæ langui-
diora facit. Klingenfeld bekraͤfftigte dieſe Worte/
und gab fuͤr/ daß man in Teutſchland und Franckreich
bey weitem nicht ſo viel Exceſſen unter dem Frauen-
zimmer erlebete/ als bey dem Jtaliaͤniſchen und Tuͤr-
ckiſchen/ welches ſehr eingeſperret wuͤrde/ und dem-
nach weit luͤſterner wuͤrde zu den Liebes-Wercken/ als
wann man es nicht alſo eingeſperret haͤtte. Carola Pa-
tina wolte ihren Lands-Leuten anjetzo das Wort ſpre-
chen/ und hielte dem Teutſchen fuͤr/ ob gleich das ver-
ſchloſſene Frauenzimmer ſuͤndigete/ geſchaͤhe es doch
in geheim/ daran die andern kein ſo offenbahres Aer-
gernuͤß empfuͤnden/ als an dem ſtarcken Freſſen und
Sauffen der Teutſchen/ welches ſo haͤuffig und viel-
faͤltig/ darzu offentlich geſchaͤhe/ daß es kein Wunder/
wann der durchdringende Himmels-Strahl ſothane
der lieben Jugend hoͤchſt-aͤrgerliche Leute vor Jeder-
manns Augen offentlich zuͤchtigete.
Cerebacchius fand ſich durch dieſe Worte am
allermeiſten getroffen/ nahm demnach die Antwort
auf ſich/ welche dieſe war: Si quoties peccant homi-
nes ſua fulmina mittat Jupiter, exiguo tempore iner-
mis erit. Dieſe fertige Antwort gefiel der gantzen Ge-
ſellſchafft auß der Maſſen wol. Jm uͤbrigen/ ob gleich
der Printz groſſe Luſt bezeugete/ mit Campanelli in
Vertraulichkeit zu kom̃en/ fand er doch an demſelben
eine ungemeine Eingezogenheit/ welche zwar ſeiner
zarten Jugend einiger Maſſen zuzuſchreiben/ aber es
ſchiene noch etwas anders darhinter zu ſtecken/ wel-
ches jetzo nicht zu errathen war. Hingegen bezeigete
ſich Ilmene etwas freymuͤthiger/ und ließ gnugſam ſe-
hen/ daß dem Frauenzim̃er die Converſation mit ehr-
lichen und hoͤflichen Juͤnglingen keinen Verdacht
bringen
[297]Romans I. Buch.
bringen koͤnte/ und daß vielmehr die jenigen Jung-
frauen zu tadeln/ welche/ um deſto ehrbarer und keu-
ſcher angeſehen zu ſeyn/ ſich alles Umgangs der Maͤn-
ner entzoͤgen/ unterdeſſen aber heimlich/ und in der
Stille/ deſto groͤber ſuͤndigeten.
Endlich endigete ſich die Mahlzeit/ und damahls
bedanckete ſich der Printz/ mit ſehr hoͤflichen Worten/
gegen den Edelmann/ wie auch alle ſeine Leute. Die-
ſer Edelmann war entſchloſſen/ mit ſeiner Frauen
und Tochter weiter außzufahren/ nach einem andern
Meyerhof/ weßwegen/ weil der Wagen zu klein war/
Ilmene und Campanelli ſich erklaͤreten/ mit dem Prin-
tzen und ſeiner Geſellſchafft nach der Stadt zu gehen/
zu welchem Ende/ und weil in ſolchem Fall keiner ſich
ſeines Pferdes bedienen wolte/ Troll alle Pferde zu-
ſammen kuppeln/ und der vorgehenden Geſellſchafft
nachleiten muſte/ er ſelber aber ſetzete ſich auf ſeines/
dann er hielte es fuͤr eine Thorheit/ zu Fuß zu gehen/
da man ein gut Pferd haben moͤchte. Nachdem ſie
ſich alſo in 2. Hauffen getheilet/ giengen ſie ihres We-
ges/ und kamen einander bald auß den Augen. Der
Diſcurs, den dieſe auf dem Weg zu Fuß unter einan-
der fuͤhreten/ war wol anzuhoͤren/ und muſte Klingen-
feld bekennen/ daß in Teutſchland man wenig Dames
finden wuͤrde/ ſo in loͤblichen Wiſſenſchafften es die-
ſer Ilmene gleich thaͤten/ ob man gleich daſelbſt einen
groͤſſern Uberfluß an hohen Schulen haͤtte/ als in
Griechenland/ oder Egypten/ allwo die Barbariſche
Unwiſſenheit alles verfinſterte.
Sie kamen endlich zum Thor/ und funden vor
demſelben einen anſehnlichen Studenten/ der uhr-
ploͤtzlich von mehr als 6. Jtaliaͤnern und Frantzoſen
uͤberfallen ward/ und ſtieſſen die Degen gewaltig auf
ihn loß. Der Printz forſchete/ was ſie mit dieſem
T 5Men-
[298]Deß Academiſchen
Menſchen zu thun haͤtten/ und warum ihrer ſo viel
uͤber einem allein her waͤren? Er bekam aber eine her-
be Antwort/ indem einer von den andern ſagete/ er
moͤge ſich in keine andere Haͤndel ſtecken/ und darauf
drung eben derſelbe mit groſſer Gewalt auf den An-
gefochtenen/ mit den Worten: Halt/ du Teutſcher
Hund/ du muſt ſterben/ und ſolten wir auch alle mit
einander daruͤber das Leben laſſen. Als Klingenfeld
dieſes hoͤrete/ rieff er dem angefallenen Studenten
auf Teutſch zu/ was fuͤr ein Landsmann er ſey? Je-
ner antwortete: Jch bin ein Sachs/ und bitte euch
von Hertzen/ helffet mir dieſe Leute beſtehen/ ich wil
mich vor dem Magiſtrat ſchon rechtfertigen/ ſolten ſie
auch mit einander umkommen. Damahl zuckete Klin-
genfeld den Degen/ und ſprach zum Printzen: Mein
Herꝛ/ die Teutſchen ſind jetzo fuͤr Hunde geſcholten
worden/ ſolches ſtehet mir nicht an. Hiermit gieng er
auf die Welſchen mit ſolchem Grim̃ loß/ daß dieſelbe
groͤſten Theils von dem Erſten ablieſſen/ und ſich ge-
gen ihn wendeten. Es hatte weder Cavina, noch der
Printz/ das Hertz/ wider ihre Landes-Leute zu fechten/
weil es ein Landſchaffts Wort war/ daruͤber ſie unei-
nig worden/ Cerebacchius aber hatte kein Hertz/ ſon-
dern verbarg ſich hinter den Pferden. Dannenhero
tratt Campanelli mit entzucktem Degen herzu/ und
nachdem er ſich dem Klingenfeld an die Seite geſtel-
let/ machten ſie den Jtaliaͤnern dermaſſen zu thun/
daß ſie bald eine Reue empfanden/ ſich mit den Teut-
ſchen ſo weit eingelaſſen zu haben.
Klingenfeld hatte ihrer 2. ſchon die Degen auß
der Fauſt geriſſen/ und ſie mit ſolcher Gewalt zu Bo-
den geworffen/ daß ihnen geſchwand/ als die uͤbrigen
ſich ſchon zuruck zu ziehen begunten/ aber der Sachs/
und ſeine Beyſtaͤnde/ giengen muthig auf ſie loß/ und
trieben
[299]Romans I. Buch.
trieben ſie dergeſtalt/ daß zumahl/ da ihrer noch 2. nie-
dergeworffen/ keiner aber von beyden Seiten toͤdt-
lich verwundet worden/ der Reſt die Flucht ergriffe/
denen jetzo Cerebacchius nachlieff/ und ſagte: Stehet
ſtill/ ich wil dieſe Streit-Sache ſchon vergleichen
helffen/ aber ich bedinge einen freyen Schmauß dar-
bey. Jene wolten ihn nicht hoͤren/ ſondern lieffen ge-
ſchwinder/ als man vermuthet/ nach der Stadt/ und
verkrochen ſich daſelbſt/ daß/ als die andern hinein ka-
men/ ſie nicht wiſſen kunten/ wohin Jene kom̃en waͤ-
ren. Der Sachs aber bedanckete ſich ſehr hoͤflich ge-
gen Klingenfeld/ und den Campanelli, wegen geleiſte-
ten Beyſtandes/ er war ein Studioſus Medicinæ, und
hatte ſich der Streit uͤber eine Dame entſponnen/ mit
welcher 2. von den Verwundeten zugehalten/ die aber
vor etlichen Tagen dieſem Sachſen/ als der ihren
Bruder gekannt/ und nur 2. mahl in ihrem Hauß ge-
weſen/ etwas freundlich auf der Straſſen angeſehen/
woruͤber dieſe 2. noch mehr Studenten an ſich gezo-
gen hatten/ um dieſem Teutſchen zu dieſem mahl/ da
er vor dem Thor ſpatzieren gieng/ den Reſt zu geben/
aber das Gluͤck fuͤgete es anders/ und muſten die An-
ſpringer mit groſſer Schande und Spott wieder
darvon ziehen.
Es hielte ſich aber der Saͤchſiſche Studioſus Me-
dicinæ bey dem Eintritt in die Stadt allſtaͤts an deß
Klingenfelds Seite/ der auch nicht weit von ihm wei-
chen wolte/ demſelben aber riethe er/ wofern er nicht
dem Geld-Geitz deß Podeſta heimfallen wolte/ ſolte er
ſtehenden Fuſſes nach dem Rectore Magnifico gehen/
und ſich im̃atriculiren laſſen/ damit er in dieſer Sache
der Academie Schutz genieſſen moͤchte; Solches thaͤ-
te er/ und ward willig angenommen/ Campanelli aber
und Ilmene verfuͤgeten ſich zu dieſem mahl nach ihrem
Logiment in deß Patina Behauſung.
Klingen-
[300]Deß Academiſchen
Klingenfeld beſahe den Lateiniſchen Eyd/ den er
geſchworen hatte/ zu Hauß etwas eigentlich/ und be-
fand denſelben ſehr ſtrenge/ welchen er alſo vorhin
nicht betrachtet hatte. Der Printz beſahe ihn auch/
und forſchete/ ob man auf den Teutſchen Academien
ſich auch alſo obligiren muͤſſe? Es variiret/ ſprach
Klingenfeld/ auf den Teutſchen Academien/ dann es
hat nicht eine/ wie die andere/ ihre Eydes-Formul ein-
gerichtet/ uͤber dem muß man auf gewiſſen Acade-
mien einen leiblichen Eyd ſchwoͤren/ daß man ſolchem
Eyd punctuell nachkommen wolle; Etliche Acade-
mien hingegen ſind mit einem Handſchlag/ Statt deß
Eydes/ vergnuͤget. Damit aber mein Printz ſehen moͤ-
ge/ wie ſothane Juramenta eingerichtet ſind/ wil ich
demſelben hiermit die Eydes-Formul zeigen/ die ich
bey meiner Immatriculation auf der Univerſitaͤt zu
Kiel in Holſtein Anno 1682. vor dem Rectore Magni-
fico geleiſtet habe/ ſelbiger lautet alſo:
Juramentum, quo obſtringuntur Studioſi,
qui Albo Academiæ Holſatiæ Chilonenſis
inſeruntur.
EGo, Bernhard Adolff von Klingenfeld/ \&c. juro, \& ſanctè
promitto vobis, Domino Pro-Rectori Academiæ hujus,
veſtrisque in hoc Magiſtratu \& Officio Succeſſoribus, ac reli-
quis Profeſſoribus, debitam Obedientiam, Reverentiam \& Mo-
deſtiam; neque ulla dictorum factorumvè contumeliâ illos me
affecturum eſſe, recipio. Academiæ hujus utilitarem \& com-
modum omni tempore \& occaſione promovebo, ejusque de-
trimentum pro viribus cavebo, \& avertam.
Et quod volo ſervare leges, \& ſtatuta, quæ in hâc Acade-
mia vel jam obtinent, vel poſthâc ſancientur: aut ſi reus per-
agar, \& convincar, pœnæ me ſubmittam.
Speciatim \& ſanctè promitto, me omni ſtudio enixèque
Duella, eorumque occaſiones, varii generis injurias vitaturum,
\& alios quoque ab iisdem pro virili ac ſedulò dehortaturum eſſe.
In judicium juſſu Pro-Rectoris, aut Succeſſorum ejus vo-
catus, comparere, vel propter delictum aliquod (quod tamen
DEUS
[301]Romans I. Buch.
DEUS clementer avertat,) ex hac civitate intra certum tempus
diſcedere juſſus, ſententiæ veſtræ \& Senatus Acad. parere volo.
Nec Arreſtum, ſi quando eô me obligari contingat, igno-
tante, aut ron concedente Pro-Rectore deſeram.
Neq[u]e hinc diſcedam, quin Creditoribus meis ſatis fece-
rim, aut [e]orum expreſſum conſenſum obtinuerim.
Sic me DEUS adjuvet!
Præſtitô hoc Juramento d. 19. Aug. 1682. in nume-
rum Studioſorum hic loci receptus eſt Bernhard
Adolff von Klingenfeld/ \&c.
à
N. N. Univ. Kilon. p. t. Pro-Rectore.
Worbey dann zu erinnern/ daß man wenige
Teutſche Academien findet/ die durch einen Pro-Recto-
rem guberniret werden/ dann die meiſten haben einen
Rectorem, der auf etlichen/ gleich wie auch der Pro-
Rector, nur ein halbes/ auf andern aber ein gantzes
Jahr regieret. Da ſie noch mit einander redeten/ ka-
men etliche bewaffnete Maͤnner/ und wolten den
Klingenfeld zum Podeſtà oder Gouverneur der Stadt
fuͤhren/ aber er entſchuldigete ſich/ daß er nicht unter
ſeiner Jurisdiction ſtuͤnde/ weil er ſich dem Rectori
Magnifico ſchon untergeben haͤtte. Hiermit muſten
dieſe Leute wieder abziehen/ wobey zu wiſſen/ daß die
Jtaliaͤner/ welche ſich mit der Flucht darvon ge-
macht/ zu dem Podeſtà ſich verfuͤget/ und ihm die Sa-
che alſo angeben hatten/ daß er Urſache haͤtte/ ſich die-
ſes Teutſchen/ der unter dem Rectore nicht ſtuͤnde/ zu
bemaͤchtigen/ und ihn deß gethanen Exceſſes halben
gebuͤhrlich abzuſtraffen. Der Gouverneur ſandte zwar
darauf/ als ſeine Leute unverrichteter Sachen wieder
kamen/ zum Rectore, und ließ ihn fragen/ ob Klingen-
feld in ſeinem Schutz ſtuͤnde? Ob nun dieſer gleich
alſobald behauptete/ daß dieſer Studioſus in ſeine Ma-
tricul gehoͤre/ wolte ſich doch der Andere nicht daran
kehren/ weil die Schlaͤgerey vor der Immatriculation
geſchehen
[302]Deß Academiſchen
geſchehen waͤre; Dannenhero gab er ſeinen Leuten
Ordre, daß ſie bey angehender Nacht das Wirths-
Hauß/ darinn er mit dem Printzen lag/ von weitem
und unvermerckt beſetzen ſolten/ damit er ihm nicht
entwiſchen moͤchte/ inmaſſen er ein Stuͤck Geldes von
ihm zu erſchnappen gedachte. Der Teutſche Studio-
ſus aber/ dem ſolches bald zu Ohren kam/ verfuͤgete
ſich zum Vorſteher ihrer Nation, und brachte einen
Hauffen Studioſos auf ſeine Seite/ denen er nicht
allein ſeine Action zuwiſſen thaͤte/ ſondern auch/ was
man wider ihren getreuen Landsmann/ den tapffern
Klingenfeld/ im Schild fuͤhrete/ wannenhero ſie ſich
auf allen Fall parat hielten/ demſelben nach aͤuſſer-
ſtem Vermoͤgen zu ſuccurriren/ damit ihm keine Ge-
walt angethan wuͤrde.
Unterdeſſen ſaſſe der Printz/ nebſt Klingenfeld
und Cavina, in einem Gemach dieſen Nachmittag
bey ihrem Haußwirth/ welcher ihnen allerhand artige
Poſſen/ die er unter den Studenten allhier erlebet/
erzehlete/ und zuletzt beſchloſſe/ daß ſehr viel Studioſi
auf den Academien allzuklug gemacht wuͤrden/ die ih-
ren Verſtand offt mißbraucheten/ und in Schlaͤge-
reyen/ Liebes-Haͤndeln/ ja gar in liederlichen Poſſen/
ſolche Haͤndel anfiengen/ daß er keinen von ſeinen
Soͤhnen wuͤrde ſtudiren laſſen/ ſolte er deren auch 6.
haben. Klingenfeld bekraͤfftigte ſolches/ und ſprach/
daß man den guten Gebrauch um deß Mißbrauchs
willen nicht alſobald muͤſte aufheben/ im uͤbrigen
wiſſe er wol/ was fuͤr ſeltzame Haͤndel unter den Stu-
denten fuͤrgiengen/ und wie mancher von liederlicher
Geſellſchafft ſich dergeſtalt verfuͤhren ließ daß er un-
ter die Gaudiebe geriethe/ und darunter offt ein
rechtſchaffener Meiſter worden. Weil aber dem
Printzen die Zeit zu lang werden wolte/ erſuchete er
den
[303]Romans I. Buch.
den Klingenfeld/ ihm doch etliche Merck-wuͤrdige
Studenten-Poſſen zu erzehlen/ worinn dieſer alſo-
bald gehehlete/ und ſeine Erzehlung folgender Maſ-
ſen begunte: Es iſt ein Streit unter den Naturkuͤn-
digern/ warum theils Kinder ihren Eltern/ theils aber
denſelben nicht gleich ſehen? Jns gemein wird ſolches
den Bildungs-Kraͤfften/ und dann der unterſchied-
lichen Beſchaffenheit deß Saamens/ wie auch dem
Geſtirn/ beygemeſſen/ und ſolches alles kan ſich finden
in 2. zugleich empfangenen und gebohrnen Kindern/
welcher Mutter etwan eine Perſon zu der Zeit/ in
welcher ſich die Leibes-Frucht zu geſtalten pfleget/ be-
trachtet/ wie wir hiervon ein denckwuͤrdiges und wah-
res Exempel/ ob es gleich einem Freuden-Spiel nicht
gar unaͤhnlich/ beyfuͤgen wollen. Jn der Stadt Aqui-
la, im Koͤnigreich Neapoli, haben ſich 2. Knaben ge-
funden/ welche in dem Angeſicht/ an der Stirnen/ Al-
ter/ Groͤſſe und Gebaͤrden/ einander gantz voͤllig gleich/
daß keiner vor dem andern zu erkennen geweſen/ als
an den Kleidern/ welche bey Hermolas viel ſtattlicher/
der eines Edelmanns Sohn/ als bey Eleonor, eines
gemeinen Buͤrgers Kind. Als Hermolas die Knaben-
Jahre zuruck geleget/ wird er weggeſandt/ ſeinem
Studiren ferner obzuligen. Er findet aber eine Jung-
frau/ Prudentia genannt/ welcher Schoͤnheit ihme ſei-
ne Freyheit zu einer angenehmen Dienſtbarkeit mach-
te; Er ſahe wol/ daß er zu ihr keinen Zutritt/ als durch
die Thuͤr der Kirchen/ ich wil ſagen/ durch eheliche
Verbuͤndnuͤß/ zu welcher ihre Eltern/ weil ſie vermey-
net/ die Tochter bey dieſem reichen Neapolitaner wol
anzubringen/ ſich gern verſtanden; Seine Eltern
aber einwilligen zu machen/ wuſte er keinen Rath.
Jndem er nun mit dieſen Gedancken umgehet/ verlie-
bet ſich Hortenſia, eine Adeliche Jungfrau/ in dieſen
Hermo-
[304]Deß Academiſchen
Hermolas, und weil ſie keine Gelegenheit/ ihn anzu-
ſprechen/ ſchreibet ſie ihm einen ſehr hoͤflichen Brieff/
welchen er/ zu einer Kurtzweil/ mit gleicher Muͤntze
bezahlet. Die Verliebten laſſen ſich fuͤglich mit den
Jaͤgern vergleichen/ welche das Gefangene verlaſſen/
und einem andern nacheylen; Alſo hatte Hortenſia
Quintellum, der ſie bruͤnſtig liebete/ bereits in ihrem
Garten/ wolte aber den ſchoͤnen Neapolitaner erja-
gen. Als nun Quintellus ſahe/ daß ihm Hermolas
ſeiner Liebſten Gunſt weggenommen/ laͤſſet er ihm ſa-
gen/ daß er der Hortenſia muͤſſig gehen ſolte/ oder ihne
zu einem abgeſagten Feind haben wuͤrde; Hermolas
ſagte/ er ſolte einen Mann finden/ der ſich fuͤr der Wei-
ber Waffen (den Worten/) nicht fuͤrchtete. Es gienge
ihm aber Quintellus mit ſeinen Beyſtaͤnden ſo lange
nach/ daß er Hermolas endlich begegnete/ und ihne
Moͤrderiſcher Weiſe angriffe. Der Neapolitaner
ſtunde an einem Thor/ und ſchuͤtzete ſich dergeſtalt/
daß ihm Quintellus in den Degen lauffet/ und in das
Bein verwundet/ daruͤber er auch zu Boden gefallen/
und Hermolas, der auch etliche geringe Wunden hat-
te/ zu entſpringen Gelegenheit bekommen. Quintellus
wird zu dem Wund-Artzt getragen/ und befindet ſich
ſein Stich zwar gefaͤhrlich/ aber doch nicht toͤdtlich.
Hermolas aber muſte dem Gefaͤngnuͤß entfliehen/ und
ſich zu Viterbo eine Zeit aufhalten/ entfernet von ſei-
ner ſchoͤnen Prudentia, welche den Ruff erſchallen laſ-
ſen/ daß Hermolas nach Aquila verraͤyſet/ und nicht
mehr wiederkommen wuͤrde. Jndeſſen wurde Quin-
tellus von ſeinen Wunden geheilet/ und ob er wol
Hermolas erſtlich beſchuldiget/ hat er doch nachmahls
ſein Unrecht erkannt/ und ihn wieder entſchuldiget/
darmit aber ſeine Freunde keines Weges zufrieden
ſeyn wollen. Hortenſia machet ſich heimlich in Mañes-
Kleidern
[305]Romans I. Buch.
Kleidern darvon/ und kom̃t nach Aquila, ihren Her-
molas zu ehelicher Beyliebe zu bewegen. Nachdem ſie
aber in der Stadt herum ſpatzieret/ begegnet ihr Eleo-
nor, den ſie fuͤr den Hermolas, wegen beſagter Gleich-
heit/ anſiehet/ und auf das Freundlichſte zuſpricht.
Als dieſer den Jrꝛthum/ ſo ihm mehrmahls be-
gegnet/ erkennet/ und hoͤret/ daß es eine Reiche von
Adel/ wil er ſolches Gluͤck nicht auß Handen laſſen/
doch ihren Worten auch nicht vollen Glauben zuſtel-
len/ ſondern bittet ſie/ daß ſie bey einem ſeiner Freunde
etliche Wochen verharren wolte/ biß er ſeine Eltern
zu ſolcher Verehelichung willigen machte. Jnzwi-
ſchen nimmt er ſeinen Weg auf Siena, und leget ſeine
Werbung bey Hortenſia Freunde ſelbſt ab/ die ihn
fuͤr Hermolas halten/ welcher den Sieneſern noch
nicht trauen wil/ ob er gleich gehoͤret/ daß Quintell,
ſein Feind/ wiederum geneſen/ in das Gefaͤngnuͤß le-
gen laſſen. Bevor nun Eleonor in das Gefaͤngnuͤß
gekommen/ und von Hortenſia Freunden das Jawort
zu dem Ende erhalten/ daß ihre Tochter nur moͤchte
wiederkommen/ ſchreibet er alſobald nach Aquila, und
bittet ſeine verhoffte Hochzeiterin/ ſich wieder einzu-
ſtellen/ wie ſie auch gethan/ den vermeynten Hermolas
hat ſie aber in dem Gefaͤngnuͤß/ und als haͤtte er ſie
entfuͤhret/ beklagt gefunden.
Nachdem aber der Hermolas wieder nach Siena
gekom̃en/ und von ſeinen Freunden Urlaub erlanget/
Prudentia zu freyen/ wird er ungefaͤhr von den Scher-
gen begegnet/ und weil ſie vermeynet/ daß er auß dem
Gefaͤngnuͤß gebrochen/ alſobald angefallen/ und wie-
der in Verhafft genommen. Sie funden aber allda
Eleonor, fuͤr Hermolas, und wurde der Jrꝛthum/ wel-
chen die Gleichheit ihrer Angeſichter machte/ bald er-
kannt. Sie bekennen Beyde die Warheit/ werden ge-
Ugen
[306]Deß Academiſchen
gen einander gehoͤret/ und weil Hermolas dem Rich-
ter die Hand geſalbet/ ſind ſie der Verhafft erlaſſen/
und wieder auf freyen Fuß geſtellet worden; Da
dann Hermolas ohne fernere Verzoͤgerung Pruden-
tiam gefreyet/ und mit ſich nach Aquila gefuͤhret/ wel-
che ihren Namen in der That erwieſen/ und ſich bey
ſeinen Eltern und Freunden geliebt und geneigt ge-
macht. Weil nun Hortenſia in deß Eleonoris Ange-
ſicht gefunden/ was ſie an Hermolas geliebet/ hat ſie
von ihme nicht abſetzen/ ſondern den Betrug fuͤr an-
genehm halten/ und ſich mit ihm trauen laſſen/ welche
auch nachmahls/ als die Schiffer die Ungewitter er-
zehlet/ was ſich wegen der groſſen Gleichheit Hermo-
las und ſeines Angeſichts begeben/ zufrieden geweſen/
hat auch/ durch ſeine Demuth/ Hortenſiam und ihre
gantze Freundſchafft/ zu guͤnſtiger Gewogenheit ver-
anlaſſet.
Das XXVII. Capitul/
Ein Student/ der kein Geld bekommt/ ſchlaͤget ſich zu lieder-
licher Gefellſchafft/ und wird ein falſcher Spieler. Troll beziehet ei-
nen Goldſchmidt/ wird aber deſto liſtiger darauf von der Margara be-
zogen.
DAs war eine Studenten-Geſchichte/ die noch
wol abgegangen. Aber nachfolgende iſt ben
weitem nicht ſo loͤblich außgefallen. Ein jun-
ger Edelmann/ welcher nach Leyden/ um ſeine Studia
allda fortzuſetzen/ geſandt worden/ war ſeinen Eltern
ſo bald nicht auß den Augen/ daß er ſich nicht/ nach
Gewonheit vieler jungen Leuten/ auf allerhand Gott-
loſes Weſen begabe/ und hieng ſeinen Eltern bald
dieſe/ bald jene Luͤgen auf den Ermel/ damit er allezeit
Geld erhalten moͤchte/ welches er an Statt/ daß er
ſolches aufs Studiren wenden ſolte/ geſchwinde auf
eine andere Manier durchbrachte/ indem er taͤglich
die
[307]Romans I. Buch.
die Herbergen beſuchete/ daher es endlich geſchahe/
daß der Vatter muͤde ward/ ihm faſt alle Tage Geld
zu uͤbermachen/ uñ etwas genauer nach ſeines Sohns
Leben zu forſchen begunte/ und wie er nun vernom̃en/
daß ſein Sohn fleiſſiger nach der Herberge/ als nach
der Academie gieng/ verdroſſe es den alten Herꝛn ſo
ſehr/ daß er deßwegen den Sohn gewaltig außhechel-
te/ welcher aber/ mit Angelobung der Beſſerung/ ſei-
nen Vatter zufrieden ſtellete. Es waren dieſes aber
nur Worte/ darauf nichts erfolgete/ dann der Vatter
war ſo bald nicht wieder weggeraͤyſet/ da fuhr er wie-
der auf ſeine alte Weiſe fort. Dieſes verurſachete
dem alten Vatter ſo groſſe Beſtuͤrtzung und Zorn/
daß er ihn fuͤr einen Sohn nicht laͤnger erkennen wol-
te/ und hielte von der Zeit an/ ſeinen Beutel fuͤr ihm
verſchloſſen/ welches Urſache war/ daß der andere/ wie
er ſahe/ daß ihm die Wechſel auſſenblieben/ ſeine Buͤ-
cher/ und was ihm vormahls zu ſeinem Studiren ge-
dienet/ zu Geld begunte zu machen/ und behielt nichts
uͤbrig/ von allem dem Seinen/ als ein ehrlich Kleid.
Jedoch kunte das Geld/ ſo er auß ſeinen Guͤthern ge-
loͤſet/ nicht lange außhalten/ und ſahe daher wol/ daß
er entweder ſeine Koſten muͤſte mindern/ oder bald in
Armuth gerathen. Wie er nun auf eine Zeit in eine
Herberge bey einem Glaß Bier ſaß/ dann der Wein
war ihm nun zu theuer worden/ ſahe er einen jungen
Kerl hinein kommen/ der Seemanns-Kleider anhat-
te; So bald war dieſer nicht in die Herberge kom̃en/
da foderte er eine Kanne Wein/ und fieng darauf ei-
nen groſſen Hauffen Geld auß ſeinen Schiebſaͤcken
herauß zu holen/ darunter guͤldene und ſilberne Muͤn-
tze unter einander gemenget war. Wie er dieſes ein
paar mahl uͤbergezehlet/ und die guͤldene Muͤntze von
der ſilbernen abgeſondert hatte/ ſtecket er Jedweders
U 2in
[308]Deß Academiſchen
in einen beſondern Sack. Der junge Edelmann ſahe
dieſes mit betruͤbtem Hertzen an/ und bedachte bey
ſich ſelber/ die Abwechslung deß Gluͤcks/ indem er ſa-
he/ daß ein ſchlechter Boots-Geſelle das Geld in ſo
groſſer Menge haͤtte/ da hingegen er/ welcher von ei-
nem groſſen Geſchlecht/ und demſelben gemaͤß/ beklei-
det war/ kaum ſo viel haͤtte/ daß er eine Kanne Wein
haͤtte bezahlen koͤnnen. Dieſes gieng ihm ſo zu Her-
tzen/ weil ihm ſein voriger Stand vor Augen kam/ daß
ihm die Thraͤnen/ wider ſeinen Willen/ auß den Augen
lieffen. Der Boots-Geſell/ der ſich gleich dem Edel-
mann uͤber geſetzet hatte/ merckete dieſes bald/ und
weil er nicht ſehen kunte/ daß ein ſtattlicher Herꝛ ſo
betruͤbt waͤre/ bath er ihn/ daß er ihm die Ehre thun
wolte/ ein Glaß Wein mit ihm zu trincken/ welches
der Andere/ nach einigen kleinen Entſchuldigungen/
verwilligete. Jndem ſie nun alſo von einem Geſpraͤch
auf das andere kamen/ fragete ihn endlich der Boots-
Geſell/ was die Urſache ſeiner Traurigkeit waͤre/ und
ob kein Mittel waͤre/ ihn eines froͤlichen Geiſtes zu
machen? Und both ihm zu dem Ende alles an/ was in
ſeinem Vermoͤgen waͤre. Der Edelmann/ nachdem er
ein paar Seuffzer gelaſſen/ gab ihm zum Beſcheid:
Die meiſte Urſache meiner Traurigkeit entſtehet da-
her/ weil ich euch ſo wol bey Gelde ſehe/ nicht zwar/
daß ich es euch mißgoͤnne/ ſondern/ daß ich an meinen
vorigen Zuſtand gedencke/ da ich von demſelben eben
ſo lebete/ als ihr jetzund von eurem lebet/ weil ich aber
allzufreygebig geweſen/ und das Geld ſehr wenig ge-
achtet/ habe ich nun die Gelegenheit verlohren/ je-
mahls darzu wieder zu gelangen; Dann/ mein Vat-
ter/ welcher durch andere von meinem ungebundenen
Leben berichtet worden/ ſchlieſſet mit Verſchlieſſung
ſeines Beutels mir faſt gantz die Kehle zu/ und es ſie-
het
[309]Romans I. Buch.
het anjetzo mit mir ſehr wol darnach auß/ daß ich in
kurtzem werde Hungers ſterben muͤſſen/ wo ich mich
nicht mit andern Raͤncken behelffe. Hier ſchwiege der
Edelmann ſtill/ und der Boots-Geſell vermerckete
gar wol auß ſeinen Worten/ daß der Andere leichtlich
etwas/ was es auch ſeyn ſolte/ vor die Hand nehmen
wuͤrde/ wann er nur verſichert waͤre/ daß er darvon
Geld bekommen ſolte/ welches ihn dann/ weil er einen
Rott-Geſellen vonnoͤthen hatte/ verurſachete/ den
Edelmann alſo anzureden: Mein Herꝛ/ das Geld/
welches ihr anjetzo bey mir geſehen/ iſt vor mir nicht
viel/ wiewol es in euren Augen ſehr viel zu ſeyn ſchei-
nen mag/ und ich ſolte keine groſſe Schwerigkeit ma-
chen/ ſolches mit guten Freunden alles mit einander
auf einen Tag zu verzehren/ dann ich achte es ſehr we-
nig/ weil ich gar leichtlich darzu kommen kan/ und ſo
ihr die Kunſt koͤntet/ die ich kan/ und darvon ich ſo Koͤ-
niglich lebe/ ihr wuͤrdet euch wenig bekuͤmmern/ ob ihr
ſchon auf einen Tag tauſend Guͤlden verzehret; So
ihr Luſt habt/ dieſe Kunſt von mir zu lernen/ und mein
Compagnon zu werden/ mit Verſprechen/ mir getreu
und verſchwiegen zu ſeyn/ ſo ſollet ihr Gelegenheit ha-
ben/ euch euer Lebens-Tage wegen Armuth nicht zu
betruͤben/ und beſſer zu leben/ als der groͤſte Herꝛ/ der
unter deß Koͤnigs Gebiet iſt. Der Edelmann/ den der
Geld-Mangel bereits zur Deſperation uñ Verzweiff-
lung gebracht hatte/ verwunderte ſich ſehr/ uͤber dieſes
Mannes Reden/ und war froh/ daß er ihn angetroffen
hatte. Sie verbunden ſich darauf mit grauſamen
Eydſchwuͤren/ einander in allem getreu zu ſeyn. Wie
dieſes geſchehen/ redete ihn der Boots-Geſell alſo an:
Das Kleid/ welches ihr mich jetzo ſehet anhaben/ ſolte
euch/ und viel andere/ leichtlich Glauben machen/ daß
ich ein Mann waͤre/ da nichts hinter ſey; Jhr werdet
U 3aber
[310]Deß Academiſchen
aber hierinn groͤblich irren/ dann ich bin nicht gewoh-
net/ ſchlecht gekleidet zu gehen/ ſondern allezeit ſo uͤber
fuͤrtrefflich-koͤſtlich/ als es moͤglich iſt/ damit ich den
Leuten/ deſto mehr von mir zu halten/ einbilden mag;
Jedoch hat ein groſſes Ungluͤck/ darinn ich meinen
Compagnon verlohren/ mich gezwungen/ alſo/ wider
meine Gewonheit/ gekleidet zu gehen. Morgen aber
ſolt ihr ſehen/ was ich fuͤr ein Mann bin/ ſintemahl ich
ein Kleid mir zu machen beſtellet/ deſſen ſich kein Koͤ-
nig zu tragen ſchaͤmen duͤrffte.
Aber/ zu der Sache ſelber zu kommen/ und euch
mit andern Umſtaͤnden nicht laͤnger aufzuhalten/ ſo iſt
mein beſtes Handwerck/ das Falſchſpielen/ dann ich
kan daſſelbe auf allerhand Arten/ und in allen Spie-
len/ doch gebrauche ich es nirgends behender uñ ſiche-
rer/ als in dem Kartenſpiel/ welches ich/ wann ich mei-
nen Compagnon bey mir habe/ ſo meiſterlich zu thun
weiß/ daß es unmoͤglich zu mercken. Jedoch/ bin ich
den Spielern nicht gleich/ die um einen kleinen Ge-
winſt ſich oͤffters in groſſe Gefahr ſtecken/ und uͤberal
in kurtzer Zeit ſo bekandt werden/ daß ſie faſt keine Ge-
legenheit mehr haben/ etwas weiter außzugehen/ und
außzurichten. Es iſt in der gantzen Welt kein falſcher
Spieler/ der mich kennet/ weil ich ſolch Volck allezeit/
als die Peſt/ geſcheuet habe. Und dieſes iſt die Urſache/
daß ich niemahls verklafftet werden kan/ und Gele-
genheit habe/ zu logiren/ wo es mir beliebet/ welches
gemeiniglich in den fuͤrnehmſten Wirths-Haͤuſern
iſt. Allda weiß ich meinen Nutzen und Gewinn zu
ſchaffen/ und das zwar auf einige artige Manier/ dañ
ich laſſe mich niemahls mercken/ daß ich zu einigem
Spiel geneigt bin/ und laſſe mich faſt darzu zwingen/
und dieſes geſchicht darum/ daß ich denen Herren/ mit
denen ich alsdann ſpiele/ keinen Argwohn/ oder Nach-
dencken/
[]
[][311]Romans I. Buch.
dencken/ einiger Falſchheit gebe. Dann/ ſo ich mich zu
dem Spielen geneigt erzeigete/ und ihnen viel Geld
abgewinne/ ſolten ſie bald rathen/ wie es mit mir be-
ſchaffen/ und ſo dann koͤnte es leicht geſchehen/ daß
mein Leben/ und die Spitze eines Degens/ groſſe Ge-
meinſchafft mit einander bekaͤmen. Doch/ dieſe und
andere Erheiſchungen/ ſo zu unſerm Handwerck noͤ-
thig ſind/ wil ich euch bey beſſerer Gelegenheit voll-
kommen lehren. Unterdeſſen iſt nun hohe Zeit/ daß
wir uns Morgen/ ſo bald/ als ich meine andere Klei-
der habe/ nach Amſterdam begeben/ weil es in dieſer
Stadt vor mir nicht gar ſicher iſt/ und allda werden
wir Gelegenheit haben/ wegen der vielen fremden
Herren/ daß wir unſere Beutel wacker/ nach unſerm
Sinn/ verſehen koͤnnen.
Dem jungen Edelmann/ der dieſes alles mit
Fleiß angehoͤret hatte/ gefiel ſolches alles ſehr wol/
und machte ſich fertig/ deß folgenden Tages mit ſei-
nem Geſellen zu verraͤyſen/ wie ſie dann auch deß an-
dern Tages ſehr fruͤhe thaͤten/ nicht ruhende mit Raͤy-
ſen/ biß ſie nach Amſterdam kommen waren/ allda ſie
in eines der fuͤrnehmſten Wirthshaͤuſer in der War-
mer-Straſſen logiren giengen. Daſelbſt fielen ihnen
taͤglich Gelegenheiten fuͤr/ ihren Profit zu machen/ ſie
ergriffen aber allein die beſten Brocken/ ſonder/ daß
ſie ſich uͤber ihren Gewinn froͤlich erwieſen/ oder mer-
cken lieſſen/ daß ſie etwas gewonnen/ und ſtelleten ſich
vielmehr/ daß ſie nur fuͤr Geſellſchafft ſpieleten.
Es kunte jedoch dieſes Werck ſo behende nicht
angeleget werden/ daß nicht etliche Herren den
Schnupffen darvon in die Naſe kriegeten/ indem ſie
mercketen/ daß dieſe Zween/ man ſpiele[t]e auch fuͤr ein
Spiel/ was man wolte/ gar ſelten etwas verlohren/
ſondern faſt allezeit groſſe Hauffen Geld gewonnen/
U 4wor-
[312]Deß Academiſchen
wordurch ſie ihnen vornahmen/ genau auf die Sa-
chen Acht zu geben. Dieſe 2. falſche Spieler aber/
die auch bald Lunten rochen/ ſahen wol/ daß es Zeit
begunte zu werden/ zu verraͤyſen/ nahmen ihnen vor/
noch eine gute Beute zu holen/ und darmit das weite
Feld zu ſuchen. Nun war hierzu ſehr gute Gelegen-
heit gekommen/ indem 2. oder 3. Tage zuvor 4. Teut-
ſche Herren in daſſelbe Wirthshauß zu logiren kom-
men/ welche ſie bereits deß Abends zuvor/ da ſie ihnen
bey 600. Guͤlden abgewonnen/ faſt toll auf das Spiel
gemacht hatten. Wie nun die Mittags-Mahlzeit ge-
ſchehen/ forderten die 4. Teutſche Herren dieſe 2. auß/
zur Revenge, wegen ihres verlohrnen Geldes/ welches
die andern zufrieden waren. Das Spiel fienge ſich
an/ und waͤhrete biß in die ſpaͤte Nacht hinein/ da dañ
die Teutſchen/ nachdem ſie 300. biß 500. Guͤlden ver-
lohren hatten/ gezwungen worden/ aufzuhoͤren/ mit
Verſprechung/ daß ſie deß folgenden Tages Wechſel
ziehen ſolten/ und daß ſie dann ſo lange mit einander
ſpielen wolten/ ſo lange es ein Theil wuͤrde außdau-
ren koͤnnen. Die 2. falſche Spieler aber hatten weit
andere Gedancken/ und begaben ſich deß Morgens
ſehr fruͤhe/ nachdem ſie/ was ſie verzehret/ bezahlet/
auf die Raͤyſe/ und lieſſen auf der Tafel/ darauf ſie
geſpielet/ einen Brieff ligen/ mit dieſer Uberſchrifft:
An die 4. Geld-loſe Hoch-Teutſche Herren.
Dieſer Brieff ward bald gefunden/ und geoͤffnet/ und
ſtunde dieſes Nachfolgende darinnen geſchrieben:
NAchdem wir geſehen/ daß ihr nach dem Verluſt ſo vielen
Geldes uͤbel diſponiret ſeyd/ mehr zu ſpielen/ und das
Wechſel-Ziehen der Teutſchen den Hollaͤndern gar wol
belandt iſt/ ſo haben wir rathſam zu ſeyn erachtet/ zu verraͤy-
ſen/ und ihr Herren koͤnnet dieſes fuͤr ein groſſes Zeichen unſe-
rer
[313]Romans I. Buch.
rer Hoͤflichkeit annehmen/ dann es geſchiehet nur darum, da-
mit ihr uns/ die wir die Urſache eures Verdruſſes und Ar-
muth ſeyn/ nicht immerdar vor euren Augen ſehen duͤrffet.
Es iſt uns auch nicht unbekandt/ daß das Teutſche Blut ge-
waltig geſchwind an das Aufwallen gerathe/ und wann ihr
Herren taͤglich ein ſolches Objectum vor Augen ſehet/ ihr
leichtlich/ wegen allzuhitzigen Gebluͤts/ in Ungluͤck fallen
moͤchtet/ das fuͤr die gantze Teutſche Nation eine Schande
waͤre/ das iſt/ wann ihr Herren euch mit uns/ die wir gerin-
gern Standes ſind/ in ein Gefechte einlieſſet. Urtheilet nun
demnach/ wie vorſichtig die Niederlaͤnder ſind/ und lernet von
uns/ daß es euch eine Schande ſeyn wuͤrde/ daß ihr euren Zorn
uͤber eure Weißheit die Oberhand nehmen lieſſet/ und dencket
nicht mehr an das verlohrne Geld/ als wann ihr daſſelbe
niemahls gehabt haͤttet/ dann es ſind nur Weltliche Guͤ-
ther/ die alle dem Gluͤcks-Wechſel unterworffen ſind. End-
lich/ ihr Herren/ ſollet belieben/ dieſes zu wiſſen/ und haltet
uns nicht fuͤr uͤbel/ daß wir bißweilen fuͤr euer Geld eure Ge-
ſundheit tapffer herum trincken werden/ verbleibend inzwi-
ſchen/ nachdem wir uns in eure gute Gunſt beſter Maſſen be-
fohlen haben/
Wol-Edle Herren/
Ew. Geſtr. allergeringſte Diener/
N. N. und P. K.
Sehet/ mein Printz/ ſprach jetzo Klingenfeld/
worzu laͤſſet ſich die liebe Jugend nicht verleiten/ wañ
ſie unter liederliche Purſch geraͤth/ aber mich verdrieſ-
ſet/ jetzo ein Mehrers hiervon zu reden. Unter dieſem
Diſcurs nahete der Abend herzu/ wornach/ ich weiß
nicht/ ob Margara, Troll/ oder Cerebacchius, das groͤſ-
ſeſte Verlangen getragen haben. Einmahl/ Troll hat-
te Luſt/ nicht das Allergeringſte zu verſaͤumen von
dem/ was ihm von der Margara war auferleget wor-
den/ derohalben wandte er eine Entſchuldigung ein
bey ſeinem Herꝛn/ daß er ihm dieſen Abend nicht auf-
warten koͤnne/ ſintemahl er gezwungen wuͤrde/ ins
Bad zu gehen/ und ſeinen Leib einmahl zu reinigen/
U 5wie
[314]Deß Academiſchen
wie er deſſen in ſeinem Vatterland gewohnet gewe-
ſen. Der Printz/ der vom Klingenfeld deß Vorneh-
mens halben mit der Margara, ſchon Wind bekom̃en
hatte/ geſtattete ihm ſolches/ und ſagete: Siehe zu/
daß dir das Bad nicht uͤbel bekomme/ dann es iſt hier
nicht in Calabria, man zwaget einem den Kopff hier
gar auf eine andere Weiſe. Troll lachete/ und ſprach
im Weggehen: Wann der Bader mit dem Baden
nicht kan zurecht kommen/ wil ich ihn deſſen ſchon ge-
buͤhrlich unterweiſen.
Unterdeſſen ſpeiſeten die andern mit einander/
da im̃ittelſt Troll ſich in die Kuͤche erhub/ unter dem
Vorwandt/ daß er ſich nach der Bad-Stuben verfuͤ-
gen wolte/ daſelbſt empfieng er von der Margara, die
ihn durch ihre freundliche Minen gantz ſicher machte/
ein gutes Stuͤck von einem Haſen/ und einen annehm-
lichen Trunck Weins/ womit er ſich nach der von der
Magd ihm angewieſenen Kam̃er verfuͤgete/ und das
eingebrachte Juden-Kleid und Baret, oder Deckel/ an-
legete/ er nahm auch ſeinen ſilbernen Becher zu ſich/
und ſchlich fein ſaͤuberlich/ damit er ja nicht von Je-
mand geſehen wuͤrde/ zur Hof-Thuͤr hinauß/ auf die
offentliche Straſſen der Stadt Padua.
Hier gieng er eine gute Zeit umher wandeln/ und
ergoͤtzete ſich in ſeinem Hertzen mit der Luſt/ welche er
ſchier kuͤnfftige Nacht bey der Margara zu genieſſen
hoffete. Er gieng in ſolchen Gedancken dermaſſen
vertieffet ſtaͤts auf und ab/ daß er mit ſich ſelber rede-
te/ als wann er ſich mit Jemand zanckete/ dannenhero
viel Nacht-Raben/ die ihm aufſtieſſen/ ſtehen blieben/
und vermeynten/ dieſer Menſch waͤre nicht recht bey
Sinnen/ oder truncken/ oder habe ſich verirret/ dan-
nenhero wolten ſie ihm zurecht helffen; So bald ſie
aber naͤher kamen/ und ſeinen Juͤdiſchen Habit erbli-
cketen/
[315]Romans I. Buch.
cketen/ ſtieſſen ſie ihn mit Ungeſtuͤmm von ſich/ und
ſagten: Packe dich/ du beſchnittener Hebreer/ du ein-
geſaltzener Schweins-Schincke/ wie tritteſt du auf
der Gaſſen/ als wann ſie dir allein zukaͤme? Troll
haͤtte an ſein Juden-Kleid nicht gedacht/ wann er deſ-
ſen anjetzo nicht waͤre erinnert worden/ ſolchem nach
antwortete er wie ein Jud/ dann er hatte in ſeinem
Vatterland mit ſothanem Geſchmeiß von Jugend
her umgegangen/ daß er alſo ihre Gebaͤrden und
Sprache perfect verſtund/ und nachzumachen wuſte.
Er ſagte aber: Traget keinen Scheu fuͤr mir/ ihr gu-
ten Leute/ ich bin von meinen Eltern weggelauffen/
und hieher gekommen/ um den Chriſtl. Glauben an-
zun ehmen. Gleichwie nun ein andaͤchtiger Seiden-
Weber eben damahl ſich ins Wort mit ihm eingelaſ-
ſen/ alſo meynete derſelbe einen hohen Ort im Him̃el
zu verdienen/ wañ er dieſem verirreten Juden-Schaf
am erſten auf die rechte Bahn huͤlffe/ er bath demnach
den Troll/ daß er mit ihm gieng/ und zu Nacht bey
ihm ſpeiſete/ welches dieſer/ in Anſehung/ daß die be-
ſtim̃te Zeit der Margara noch in 2. Stunden nicht er-
ſcheinen wuͤrde/ gutwillig eingieng/ und alſo wander-
ten ſie mit einander nach deß andaͤchtigen Seiden-
Webers Hauß/ allwo Troll von deſſen Frau bewill-
kommet ward.
Dieſe Frau war kluͤger/ als ihr Mann/ dannen-
hero ſetzete ſie dem vermeynten Juden einen groſſen
kalten Schincken/ und ein gut Stuͤck von einer Bo-
logniſchen Mettwurſt vor/ welche Tractamenten dem
guten Troll ſo hertzlich wol ſchmecketen/ daß nicht al-
lein er ſelber/ ſondern zuforderſt der Seiden-Weber/
und ſeine Frau/ einen beſondern Gefallen daran hat-
ten/ dann ſie wuſten wol/ daß ein Jud/ als ein recht-
ſchaffener Jud/ ehe ſterben/ als wider ſein Geſetz han-
deln
[316]Deß Academiſchen
deln wird. Sie ſpendirten ihm darbey ſchoͤne andere
Tractamenten/ als er ſich bey dem Schweinen-Fleiſch
legitimiret hatte/ und einen herꝛlichen Trunck/ wor-
bey Troll anjetzo gedachte: Jch habe zwar vorge-
wandt/ daß ich ins Bad gehen/ und dardurch meinem
Herꝛn betriegen wolte; Aber ſiehe! nun gehet doch
dein Magen rechtſchaffen ins Bad/ doch/ daß er nicht
mit warmem oder kaltem Waſſer/ ſondern vielmehr
mit einem delicaten Wein abgeſpuͤhlet werde. Sol-
cher Geſtalt ſaſſen ſie eine gute Zeit bey einander/ und
muſte Troll ſeinem Wolthaͤter zuſagen/ daß er bey
ihm bleiben/ und am folgenden Morgen mit ihm nach
einem gewiſſen Kloſter gehen wolte/ damit er ihn da-
ſelbſt den Geiſtlichen præſentiren moͤchte/ worinn er
eine ſonderbare Ehre ſuchete. Aber Troll gedachte in
ſeinem Hertzen: Ein Jud ſagt dir dieſes zu/ aber ein
Chriſtlicher Troll wird deßwegen ſeine ſchoͤne Mar-
gara dieſe Nacht nicht unvergnuͤget laſſen. Als es
nun bald Zeit war/ ſchlaffen zu gehen/ da ließ der
Hoſpes einen herꝛlichen Trunck Aquavit holen/ wel-
cher ſo lieblich von Geruch/ daß es nicht zu beſchrei-
ben/ und Troll in ſeinem Hertzen bekennen muſte/ daß
er dergleichen ſein Lebtage nicht in ſeinem Mund ge-
habt habe. Man tractirte ihn auch mit ſchoͤnen Confi-
turen/ worvon er eine groſſe Hand voll/ die ihm die
Haußfrau reichete/ zu ſich ſteckete/ womit er in kuͤnff-
tiger Nacht ſeine Margara zu ergoͤtzen verhoffete. Aber
das Spiel gewan ſo wol mit deß Seiden-Webers/
als mit Trolls Hoffnung/ gantz einen andern Auß-
gang. Endlich wolte man dem guten Troll eine
Schlaff-Stelle anzeigen/ worzu er ſich auch willig
anſtellete/ und ſolches gleichſam mit groſſem Danck
annahme/ er gieng aber zur Thuͤr/ als wann er ſeine
Nothdurfft vorher thun/ und ſeinem guͤtigen Hoſpes
dardurch
[317]Romans I. Buch.
dardurch nicht das Hauß verunreinigen wolte. Man
machte ihm die Thuͤr auf/ aber er ſchlich fein ſaͤuber-
lich um die Ecke herum/ gieng darauf mit ſtarcken
Schritten fort/ und ließ den Seiden-Weber ſo lange
warten/ biß ihm die Zeit zu lang ward/ da er dann ſei-
ne Reue zu ſpaͤt empfand. Er fluchete auf ſeine Leicht-
glaubigkeit/ und deß leichtfertigen Juden Tuͤcke/
wuͤnſchete auch nichts mehr/ als daß er ſich an dieſem
leichtfertigen Betrieger raͤchen moͤchte. Jnzwiſchen
lachete Troll deß Handels in das Faͤuſtchen/ und als
er ſeine Gaſſe wieder gefunden hatte/ præſentirete er
ſich/ zumahl die bedeutete Stunde ſchon verſtrichen/
unter dem angewieſeneu Fenſter. Als er aber ſo bald
Niemand erblickete/ begunte er zu huſten/ da ſich dañ
die Margara bald ſehen ließ/ und ihm mit ſanffter
Stim̃e dieſe Worte zuſchickete: Machet euch bereit/
mein liebſter Troll/ zu mir herauf zu kommen/ ich habe
eurer allhier ſchon eine halbe Stunde mit hoͤchſtem
Verlangen erwartet/ und waͤre ich fuͤr hertzlicher Lie-
be zu euch ſchier vergangen. Seyd zufrieden/ ſchoͤnſte
Jungfrau/ war ſeine Antwort/ ich wil euch eures Ver-
langens dermaſſen ergoͤtzen/ daß ihr deß Schmertzens
gar bald vergeſſen ſollet. Aber/ wie iſt es/ ſind die uͤbri-
gen Leute mit einander auch alle ſchon ſchlaffen ge-
gangen? Freylich ja/ ſprach Margara, ſo lange habe
ich verzogen/ damit wir in unſerm Liebes-Werck nicht
moͤchten geſtoͤret werden.
Als ſie dieſes geſagt/ ließ ſie ein ſtarckes Seil
herunter/ und zwar gedoppelt/ und noͤthigte den Troll/
daß er darauf ſitzen/ und ſich von ihr moͤchte herauf
ziehen laſſen. Du allerliebſtes Hertz/ ſprach Troll/ dein
gantzer Leib und Leben iſt doch jetzo lauter Redlichkeit
und Liebe zu mir/ gluͤckſeelig biſt du dann/ O gluͤckſee-
liger Troll/ in deiner allerhoͤchſten Gluͤckſeeligkeit/
ſchaͤme
[318]Deß Academiſchen
ſchaͤme dich/ du volle Sau/ Cerebacchi, ſiehe! wie man
dir einen andern anjetzo vorziehet/ der dieſer hohen
Ehren-Stelle weit mehr werth iſt/ als du Schwein-
Bartel. Nun/ wolan! ich ſetze mich auf den Strick/
und fahre hinauf zu meiner Wolfahrt. Aber/ ſchoͤnſte
Margara, die Laſt wird euch allein zu ſchwer ſeyn/ haͤt-
tet ihr doch einen getreuen Menſchen/ der euch wacker
mit huͤlffe/ meinen verliebten Leib hinauf zu ziehen.
Deßfalls/ antwortete Jene/ habe ich mich ſchon mit
meiner getreuen Dienerin verſorget/ welcher billich
von euch ein gutes Trinckgeld gebuͤhret/ dann ſie hat
das Meiſte zu unſerm Liebes-Werck contribuiret. Es
iſt gut/ replicirte Troll/ ſie ſoll deſſen auch reichlich ge-
nieſſen/ ich wil ihr ſchon etwas verehren/ deſſen ſie
rechtſchaffen ſoll gebeſſert ſeyn/ dann ein Arbeiter iſt
ſeines Lohnes werth. Nun/ wolan! ziehet zu/ ich ſitze
ſchon veſt/ und habe mich wol eingerichtet/ ziehet zu/
machetfort/ arbeitet luſtig/ mein Verlangen/ zu euch
zu kommen/ iſt groͤſſer/ als ihr es euch immer moͤget
einbilden/ ach! machet doch geſchwinde fort/ die Zeit
wird mir allzulange.
Hiermit zohen die Margara und ihre Dirne ge-
troſt an/ und rolleten ihn uͤber die Helffte hinauf/ daß
er etwan 14. Fuß von der Erden hinauf kam/ daſelbſt
ſchlugen ſie das Seil um einen Nagel/ und weil die
Magd heimlich hinſchlich/ und die Thuͤr der Kammer
ſtarck zuſchlug/ rieff ihm die Margara zu: Mein liebſtes
Hertz/ ihr muͤſſet euch alſo zu hangen ein wenig gedul-
ten/ weil meine Mutter alleweil herein kom̃et/ und ich
beſorge/ mein Vatter moͤchte nachfolgen. Ob nun
Troll gleich gar unbequem auf dem Strick ſaſſe/
muſte er doch Gedult haben/ aber es kam bald etwas
anders darzu/ welches ihm groſſe Sorgen verurſach-
te. Die jenige Wacht/ welche von dem Podeſtà in dieſe
Gegend
[319]Romans I. Buch.
Gegend verordnet war/ das Hauß in Obacht zu hal-
ten/ damit Niemand bey Nachtzeiten darauß entwi-
ſche/ erblickete den guten Nacht-Kletterer/ und weil
ſie nicht anders meyneten/ als daß es ein Nacht-Dieb
ſey/ ſprungen ſie mit einander herfuͤr/ und machten
Lermen.
Cerebacchius, der von dem Anſchlag mit dem
Strick guten Beſcheid wuſte/ ſtunde in Sorgen/ die
Margara moͤchte ihm einen Poſſen thun/ und den Troll
vollends hinauf ziehen/ ſo haͤtte er alsdann fuͤr Auß-
lachen nicht zu ſorgen/ zu dem Ende hatte er ſich mit
einem langen Hacken gefaſt gemacht/ mit welchem er
zugleich mit den Waͤchtern herzu ſprang/ und das
Seil ergriffe/ die Soldaten aber ſtieſſen ihn zuruck/
riſſen ihm den Hacken auß der Hand/ und zohen an
dem Strick/ woruͤber dem Troll ſo Bange ward/ daß
er ſich nicht zu behalten wuſte. Die Margara hatte
zwar Mitleyden mit ihm/ als er ſie inſtaͤndig bathe/
ihn auß dieſer Noth zu retten/ aber ſie kunte ihn
nicht hinauf ziehen/ wie ſehr ſie auch/ ſamt ihrer
Magd/ arbeitete. Dann die Soldaten hielten den
Strick mit dem Hacken gar veſte. Jn ſolcher Noth
uͤberwarff ſich Troll/ daß er auf den Strick mit dem
Bauch zu ligen kam/ und weil er bey dem Seiden-
Weber eine gute Mahlzeit zu ſich genommen/ auch
viel Weins eingeſoffen/ begunte das Schweinen-
Fleiſch im Leibe aufzuſteigen/ daß er ſich erbrach/ und
die Wacht wacker zudeckete/ dieſelbe empfand deß
Geſtancks gar bald/ dahero ſchalt ſie hefftig/ und zo-
hen ſo ſtarck/ daß Klingenfeld und Cavina, welche/
ſamt dem Printzen/ zu der Margara hinein getretten
waren/ riethen/ ſie ſolte ihn mit dem Strick fein
ſachtmuͤthig nachlaſſen/ damit er wieder auf die Erde
kaͤme. Solches war der Wacht ſehr lieb/ welche den
Troll/
[320]Deß Academiſchen
Troll/ als er hernieder kam/ fuͤr einen Juden erkann-
ten/ und weil ſie nicht anders meyneten/ als daß er ein
Nacht-Dieb waͤre/ und allhier haͤtte einbrechen wol-
len/ ſchlugen ſie tapffer auf ihn loß. Er ſchrye zwar/
daß er kein Jud/ ſondern ein guter Catholiſcher Chriſt
waͤre. Aber die Soldaten ſprachen: Du Schelm/
wie wir dich funden/ alſo richten wir dich. Sie be-
ſuchten ihn auch/ und weil ſie den ſilbernen Becher/
der ihm vom Hertzog zu Mantua war verehret wor-
den/ bey ihm funden/ nahmen ſie denſelben hinweg/
als ein geſtohlenes Guth/ welches der Juſtitz heimge-
fallen waͤre. Troll proteſtirete zwar/ daß ihm dieſer
Becher von dem Hertzogen von Mantua ſey verehret
worden/ aber Jene kehreten ſich hieran weniger/ als
nichts. Gleich damahl kam der Seiden-Weber/ hier-
zu durch den Laͤrmen angefriſchet/ herzu gelauffen/
welcher den Juden und den Becher erblickete; Weil
er nun ſahe/ daß dieſer der leichtfertige Bube/ der ihn
dieſen Abend ſo heßlich betrogen/ bildete er ihm ein/
er habe ihm den Becher geſtohlen/ weil er denſelben
in der tunckelen Nacht nicht eigentlich beſehen kunte/
ſchlug er wacker auf ihn loß; Und obgleich Klingen-
feld/ und die andern/ von oben herab rieffen/ ſie moͤch-
ten einhalten/ weil ſie den unrechten Mann vor ſich
haͤtten/ lacheten doch die Soldaten deß Handels/ und
nachdem ſie ihn wacker zugedecket/ giengen ſie ihres
Weges mit ihm/ und fuͤhreten ihn in ein Wacht-
Hauß/ wo er ſich dieſe Nacht uͤber rechtſchaffen
muſte durchhecheln laſſen.
Das XXVIII. Capitul/
Der Printz wird vomPodeſtàhoͤflich empfangen/ und erzeh-
let dieſer eine laͤcherliche Courteſie/ ſo ſich zu Orleans begeben. Ein
anderer Student wird zu Marſilien von einer leichtfertigen Dame
jaͤmmerlich geteuſchet.
DEr Printz bereuete es/ daß ſeinem fuͤrwitzigen
Diener dieſer Poſſen begegnet waͤre/ muſte
doch
[321]Romans I. Buch.
doch dieſe Nacht uͤber in Gedult ſtehen/ biß der fol-
gende Morgen anbrach/ da gieng er mit Cavina (weil
Klingenfeld ſich nicht dahin wagen wolte/) ſelber
zum Podeſtà, als eben die Soldaten mit dem Troll
auch in den Pallaſt tratten. Es war ein groſſer Zu-
lauff von Volck daſelbſt/ welche den verkleideten Ju-
den ſehen wolten/ und ſo bald ſich der Podeſtà, oder
Gouverneur, ſo ein fuͤrnehmer Venetianiſcher Edel-
mann war/ præſentirete/ tratt der Printz zu ihm/ und
ſagete: Mein Herꝛ/ verfahret nicht zu ſtrenge mit
dem Gefangenen/ er iſt mein Diener/ und weder ein
Jud/ noch ein Dieb/ woruͤber er aber gefangen wor-
den/ iſt eine ſonderliche Sache/ die wir zur Ergoͤtzlich-
keit fuͤr uns angeſtellet hatten. Der Podeſtà ſagete:
Jch glaube weder euch/ noch dieſen leichtfertigen Bu-
ben/ die Folter wird die Warheit ſchon entdecken.
Kaum hatte er dieſes geſaget/ als ein junger Edel-
mann/ deß Podeſtà Vetter/ dem Printzen ſteiff in die
Augen ſahe/ und endlich zu ihm ſagete: Sehe ich
recht/ ſo ſtehet der junge Printz von Turſis vor uns.
Ob nun dieſer gleich gerne unerkandt ſeyn wolte/
muſte er doch anjetzo mit der Warheit hervor/ dan-
nenhero ſagete er: Jch erinnere mich/ mein Freund/
daß ich euch in meines Herꝛn Vattern Dienſten ehe-
mahlen geſehen habe. Als nun der Podeſtà hoͤrete/
daß der Printz de Turſis vor ihm ſtund/ da tratt er zu
ihm/ bathe ihn demuͤthig um Verzeyhung/ und ver-
langete zu wiſſen/ was es eigentlich mit dem Troll fuͤr
eine Beſchaffenheit habe.
Zu dem Ende giengen ſie mit einander in ein
praͤchtiges Gemach/ Troll/ der nunmehro wieder frey/
folgete ſeinem Herꝛn nach/ und ſprach zum Gouver-
neur: Herꝛ/ weil meine Unſchuld am hellen Tage li-
get/ ſo muͤſſet ihr Juſtitiam adminiſtriren/ und mir
Xmein
[322]Deß Academiſchen
mein Poculum Argenteum, welchen ich von einer
Durchl. Hand verehret bekommen/ wiedergeben. Der
Printz ſtellete Ordre, daß Jemand zu dem Seiden-
Weber gehen ſolte/ welcher den Becher alſobald wie-
der folgen ließ/ und darauf muſte Jemand deß Trolls
Kleider auß der bezeichneten Herberge holen/ welche
er in einem beſondern Zimmer anlegete/ und dem Ju-
den ſein Maſqueraden-Kleid wieder zuruck ſandte. Jn-
zwiſchen erzehlete der Printz dem Podeſtà die poſſier-
liche Actiones mit Cerebacchio und ſeinem Troll/ deſ-
ſen er ſich ſo hertzlich zerlachete/ daß er bald im Athem
waͤre ſtecken blieben. Er erzehlete ihm darauf die
Action, welche Klingenfeld am vorigen Tag gehabt/
und daß derſelbe ſein Hofmeiſter ſey/ wannenhero ſo
wol derſelbe/ als Cerebacchius, auf deß Podeſtà An-
halten/ hergeholet wurden/ die dann auch willig er-
ſchienen/ und von dem Podeſtà mit aller Civilitaͤt em-
pfangen wurden. Dieſer wolte den Printzen/ und
ſeine Geſellſchafft/ nicht ſo bald von ſich laſſen/ ſon-
dern/ damit er ihm zeigete/ wie leyd ihm das Ver-
gangene ſeines Dieners halben waͤre/ noͤthigte er ihn
zur Mittags-Mahlzeit/ ſamt Klingenfeld/ Cavina
und Cerebacchio. Biß aber dieſelbe zubereitet wurde/
fuͤhrete er dieſe Geſellſchafft in ſeinen praͤchtigen Luſt-
Garten/ da ſie deß erzehleten Handels von neuem ſich
rechtſchaffen zerlacheten/ der Podeſtà aber ſprach:
Dieſe Hiſtorie kommt mir eben alſo vor/ wie die/ wel-
che ſich mit jenem Studenten in Franckreich bege-
ben/ welche ich meinen Herren erzehlen muß:
ZU Orleans, allwo ſich jeder Zeit viel Studenten aufhalten/
wohnete ein Schuhflicker/ der ſich ſeines Handwercks kuͤm-
merlich naͤhrete. Seine Frau/ die noch ziemlich jung und ſchoͤn
war/ und ihrer Armuth und Duͤrfftigkeit gern abgeholffen haͤtte/
bemuͤhete ſich/ ihr gute Freunde zu machen/ darnach dann ihr
Mann nicht viel fragete/ wann ihm nur der Bauch gefuͤllet
wuͤrde.
[323]Romans I. Buch.
wuͤrde. Unter ihren Vertrauteſten aber waren ihrer drey/ ein
Hufſchmidt/ ſo ihr Nachbar/ der Andere war ein fremder Land-
Kraͤmer/ der offt in ſelbiger Stadt ſeine Sachen feil hatte/ und
der Dritte/ ſo der Allerbeſte/ war Bruder Hanß/ ein Student/
und ein guter ſtarcker Venus-Bruder. Dieſe 3. Companen wur-
den von dieſer Schubflickerin ſo fuͤrſichtig geliebet/ daß keiner
von dem andern wuſte. Einsmahls raͤyſete ihr Mann nach
Roan, alle alte Schuhe daſelbſt einzuhandeln/ und ließ ſeine
Frau allein daheim/ die Ehre ſeines Hauſes zu bewahren/ wel-
che dann dieſen 3. Geſellen/ Jedem das Maul gemacht/ daß ſie
mit ihnen einen guten Schmauß/ und ſich luftig machen wolte.
Der Erſte/ der ſich einzuſtellen am meiſten angelegen ſeyn ließ/
war der Kraͤmer/ welcher ihr das Wort gegeben/ mit ihr zu
Nacht zu eſſen/ und weil ſie deſſen wol zufrieden/ und fuͤr ihn mit
allerhand Vorrath verſehen geweſen/ unterließ er nicht/ zur be-
ſtimmten Stunde ſich in geheim bey ihr einzufinden; Jndeſſen
nun/ daß das Eſſen zugerichtet wurde/ fieng er an/ die Frau zu
careſſiren/ die ſich dann nicht viel geſperret. Unter ſolchen gerin-
gen Vorbereitungen kam der Bruder Hanß/ alſo nennete man
den Studenten/ ſo ſich deß Schuhflickers Abweſenheit erinnert/
und ſeinen Wanſt mit gutem Wein angefullet hatte/ geſchwind
auf dieſer jungen Frauen Hauß zugegangen/ die ihn alſobald
an dem Klopffen erkennet/ von dem Kraͤmer aber ihm auf zu-
machen verhindert wurde; Jedoch/ weil ſie ſeinen tollen Kopff
wol gekandt/ und daß er nichts darnach gefraget/ ihr einen boͤſen
Namen zu machen/ bathe ſie den Kraͤmer/ daß/ wann er ohne
Gefahr ſeyn wolte/ er zum Fenſter hinauß ſteigen/ und ſich hin-
ter einen hoͤltzernen Trog/ ſo an das Fenſter/ Violen und Majo-
ran darein zu pflantzen/ angemacht war/ verbergen ſolte. Es
wolte ihm aber dieſe Rede nicht gefallen/ als er hoͤrete/ daß ihm
moͤchte der Kopff gelauſet werden/ und daß er ſein Vorhaben
nicht werckſtellig machen koͤnte. Unterdeſſen machte der gute
Bruder der Frau Schuhflickerin viel Complementen daher/
wie ſehr lieb er ſie haͤtte/ und verſicherte ſie/ daß es ihr an nichts
mangeln ſolte. Ach! wie ungluͤckſeelig bin ich/ ſagte ſie/ und
wolte ich lieber todt ſeyn/ weil ich weiß/ daß/ wann ich euch zu
Willen bin/ zugleich mein Leben und meine Ehre in die Schantze
ſtehe. Der Student/ ſo nicht viel nach ihrem Geſchwaͤtze fra-
gete | und es nicht wie der Kramer machte/ der ſich mit bloſſem
Kuͤſſen erſaͤttigen ließ/ ſondern gieng in vollem Springen/ und
fieng an mit der Schuhflickerin was anders vorzunehmen. Die
X 2Frau/
[324]Deß Academiſchen
Frau/ (welche vermeynete/ er ſolte nur mit Kuͤſſen zufrieden
ſeyn/) als ſie ſahe/ daß er was anders beginnen wolte/ ward hier-
uͤber zornig/ und ſagte zu ihm: Jch bitte euch/ gehet doch hin-
auß/ ihr werdet mich ſonſten zu ſchanden machen. Der [g]ute
Kraͤmer/ der ſchier halb erſroren/ und eyferte/ daß ihm ein ande-
rer den Biſſen vor dem Maul hinweg nehmen wolte/ konte kaum
laͤnger Gedult haben/ jedoch/ weil er ſich fuͤr dem Studenten/ ſo
einen alten roſtigen Degen anhatte/ fuͤrchtete/ und ſeinen tollen
Kopff wol kandte/ getrauete er ſich nicht zu ruͤhren/ ſondern/ weil
er verhoffete/ er wuͤrde dieſe Beute bald verlaſſen muͤſſen/ brach-
te er die Zeit mit Zaͤhnklappern zu. Es gefiel aber dieſem Venus-
Kind alles ſo wol/ daß er ſich vornahm/ nicht eher auß dem
Hauß zu gehen, biß der Tag angebrochen. Der Reitſchmidt/
der um ſelbige Zeit (als der naͤchſte Nachbar/) außgieng/ ſeine
Liebſte zu beſuchen/ kam vor das Hauß/ und klopffete an. Die
Schuhflickerin/ wie ſie ſolches gehoͤret/ ſagete zu dem Studenten:
Es wird gewiß mein Gevatter Schmidt ſeyn/ der etwas von mir
wird entlehnen wollen/ darum bitte ich euch/ ihr wollet euch ſo
lang unter das Bett verſtecken/ biß er wieder heim ſeyn wird.
Wie/ ſagete der Bruder/ ich weiß wol/ daß ſein Begehren kein
anders ſeyn wird/ als das Jenige zu entlehnen/ was ich inglei-
chem ſuche/ weil ich aber der Erſte bin/ ſo wird er ſich biß auf ein
ander mahl gedulden muͤſſen/ unterdeſſen/ mein Schatz/ laſſet
mich ein wenig gewaͤhren/ dann ich wil ihn ſchon mit guten
Worten abfertigen. Dieſem nach gieng der Student an die
Thuͤr/ nahm der Schuhflickerinnen Sprach an ſich/ und fragete:
Wer klopffet? Machet auf/ antwortete der Schmidt/ dann es iſt
euer guter Freund/ und bin fuͤr Kaͤlte bald erſtarret. Ach! fuhr
der Bruder in ſeiner angenommenen Rebe fort/ ich kan fuͤr diß
mahl nicht/ dann es iſt einer von meinen Vettern hierinnen/ der
neulich zu allem Ungluͤck kommen iſt. Der Schmidt ward uͤber
dieſer Entſchuldigung zornig/ und wolte kurtzum hinein; Der
Bruder hingegen/ dem es ſehr wol gefiel/ als er ihn alſo zittern
ſahe/ gab ihm die beſten und geſchmierteſten Worte/ die einem
Verliebten noch Hoffnung machen kunten/ und ſagete zu ihm:
Mein lieber Freund/ weil ich anjetzo nichts mehrers thun kan/ ſo
nehmet unterdeſſen/ zum Zeugnuͤß meines guten Willens gegen
euch/ einen Kuß oder zween von mir an/ und erwartet einer an-
dern Zeit/ daß ich euch aufmachen kan. Der Schmidt/ ſo uͤber
die Maſſen in ſie verliebet war/ hielt ſeinen Mund/ in Meynung/
der Schuhflickerin Mund anzutreffen/ gerad gegen das loch zu/
an
[325]Romans I. Buch.
an Statt aber/ daß er der Schuhflickerin Mund anzutreffen
vermeynete/ fand er/ daß es deß Studenten Hintertheil geweſen/
wurde aber deß Unterſcheides zwiſchen Beyden ſtracks gewahr/
und weilen er vermerckete/ daß man ihn nur geaͤffet/ und bey der
Raß herum gezogen/ nahm er ihm fuͤr/ wieder ſich an ihr zu raͤ-
chen/ ſtellete ſich derowegen/ als wann er ein groſſes Wolgefallen
an ſolchem Kuͤſſen gehabt/ und ſagete zu ihr: Meine Liebſte/ ich
bin der mir erwieſenen Gunſt dermaſſen erfreuet/ daß ich gern
der gelegenen Stund/ da ihr mich einlaſſen koͤnnet/ erwarten wil/
unterdeſſen wil ich hingehen/ und meinen Mantel holen/ mich
fuͤr dem Regen und Kaͤlte/ die mir hart zuſetzen/ zu verwahren.
Gieng darauf heim/ machte in ſeiner Schmidten ein Eyſen gluͤ-
bend-heiß/ und trug es unter ſeinem Mantel. Der Student/ ſo
ſeiner noch wartete/ ließ ſich in ein kurtz Geſpraͤch/ wie zuvor/ mit
ihm ein/ alſo/ daß der Schmidt ſeine Dame anfienge zu bitten/
ihm doch einen Kuß zu erlauben. Der Student war deſſen zu-
frieden/ und reckete ihm ſein holdſeeliges Hinter-Geſicht dar;
Der Schmidt aber lauffet nicht/ ſondern fließ ihm das heiſſe Ey-
ſen darein/ alſo/ daß der gute Bruder wol empfunden/ daß dieſer
Kuß viel zu warm geweſen/ und fuͤr groſſen Schmertzen ſo heff-
tig anfieng zu ſchreyen/ daß alle Nachbarn zu den Fenſtern hin-
auß ſahen/ und Laͤrmen zu machen begunten. Den guten Kraͤ-
mer/ ſo unterdeſſen mit groſſem Ungemach und Froſt der Violen
gehuͤtet/ kam hieruͤber eine ſolche Furcht an/ daß er von oben her-
ab auf die Gaſſe geſprungen/ zu allem Ungluͤck aber den einen
Fuß verrencket/ welches ihn demnach mehr/ als der Bruder/ zu
ſchreyen verurſachet. Der Schmidt erſchrack daruͤber ſehr/
und wuſte nicht/ was er mit dieſem armen Patienten/ als ſeinem
Mit Buhlern/ anfangen ſolte/ damit ſie nicht ertappet werden
moͤchten/ ließ demnach den Kraͤmer und den Studenten durch
ſeine Knechte geſchwind einen Jeden heimtragen/ damit es das
Volck/ ſo ſchon aller Orten zuſammen lieff/ nicht innen werden
moͤchte/ und gab fuͤr/ es waͤren 2. trunckene Kerls von einem
Geſind/ ſo dieſen Laͤrmen angefangen haͤtten. Nachdem er alſo
dieſen Tumult geſtillet/ gieng er mit groſſen Freuden/ wegen ſei-
ner Victorie, mit ſeiner Schuhflickerin heim/ und verzehrete mit
ihr das Nacht-Eſſen/ ſo der Kraͤmer hatte zurichten laſſen.
Als der Podeſtà ſeine Erzehlung hiermit be-
ſchloſſe/ ſprach Klingenfeld: Wann es meinen hoch-
geehrten Herren nicht zuwider/ wil ich noch ein an-
X 3der
[326]Deß Academiſchen
der Exempel von einem Studenten erzehlen/ der ſich
an ſeiner betruͤglichen Buhlſchafft dergeſtalt gero-
chen hat/ daß ein Jeder erkennen muͤſſen/ es waͤre eine
Thorheit/ wo man ſich an einem ſpitzfuͤndigen Stu-
denten vergreiffe. Der Podeſtà gab zu verſtehen/ daß
ihm ein ſolches lieb ſeyn ſolte zu vernehmen/ ſolchem
nach ſetzeten ſie ſich in eine Schatten-reiche Laube
nieder/ und nachdem der Gouverneur ein gutes Fruͤh-
ſtuͤck/ ſamt einem guten Trunck Weins/ holen laſ-
ſen/ darvon die Geſellſchafft zu ſich nahm/ da ließ ſich
Klingenfeld in folgenden Diſcurs herauß:
Es hat ſich mit einem Studenten/ und einer
unkeuſchen Buhlerin/ ein artiger Streich begeben/
aber nicht an einem ſolchem Ort/ da eine Academie
ſelber iſt/ ſondern gantz an einem andern/ aber dieſe
Sache iſt liſt- und luſtig angefangen/ derowegen kan
ich ſie ungemeldet nicht laſſen. Marſilien iſt eine be-
kandte und beruͤhmte Kauff- und See-Stadt/ in der
Frantzoͤſiſchen Landſchafft/ welche vor allen andern
den Namen einer Provintz zu ſonderbahrem Vor-
theil fuͤhret. Dieſen beruͤhmten Ort zu ſehen/ begab
ſich ein gelehrter Student auß der Schweitz dahin/
der ſich zu Montpelliers in Langedoc, und anderweit/
ſchoͤne manche liebe Jahre auf die freye Kuͤnſten gele-
get/ und weil er ein ſonderbahrer Liebhaher der Aſtro-
nomie, und ſolcher Wiſſenſchafften/ die damit einige
Gemeinſchafft haben/ als der Stellung der Nativi-
taͤten/ der Chiromantie, der Geomantie, der Meta-
poſcopie, der Uranoſcopie, \&c. hat er es bey verſchie-
denen Meiſtern auf denen Academien/ die er beſuchet
hat/ durch ſeinen Fleiß dahin gebracht/ daß er unge-
meine Dinge auß der Natur zu ſagen wuſte/ und
bey dem gemeinen Mann fuͤr einen Negromanticum,
bey den verſtaͤndigen Leuten aber fuͤr einen hochge-
lehrten
[327]Romans I. Buch.
lehrten Mann paſſirte/ inmaſſen auch kein Profeſſor
auf allen Univerſitaͤten/ der ihm in dieſen Stuͤcken
zu vergleichen/ dañ die jenige Wiſſenſchafften/ die bey
dieſem oder jenem Gelehrten Stuͤckweiß/ oder allein/
die waren bey ihme zuſammen verbunden zu finden/
dannenhero/ wo er nur hin kam/ da redete man von
Brandano, und ſein Name war uͤberal bekandter/ als
deß Roͤmiſchen Kaͤyſers/ wo er aber nicht bekandt
ſeyn wolte/ wie er dann deß vielfaͤltigen Beſuchens
endlich muͤde ward/ da nennete er ſich anders/ insge-
mein aber Hertod, nach einem fuͤrnehmen Mann/ der
ſeiner Mutter leiblicher Vatter geweſen war. Solche
Verwechſelung deß Namens kunte ihm um ſo viel
weniger uͤbel außgedeutet werden/ weil ſie keinen boͤ-
ſen Zweck hatte.
Dieſer Brandano, nachdem er/ gehoͤrter Maſſen/
das Seinige in den freyen Kuͤnſten verrichtet/ und
ihm einen groſſen Namen erworben hatte/ nahm
ihm vor/ die Welt weiter zu beſehen/ und ſich zu fo-
derſt nach Jtalien/ als dem fuͤrnehmſten Sitz rareſter
Antiquitaͤten/ deren er ein ſonderlicher Liebhaber war/
zu verfuͤgen/ und weil dieſer Weg zu Waſſer we-
gen der Barbariſchen Rauber/ welche die See ge-
waltig unſicher machten/ nicht ohne hoͤchſte Lebens-
Gefahr zu verrichten/ muſte er zu Lande gehen/ da ihm
dann von Montpelliers die ſchoͤne Stadt Marſilien
bald zu Geſichte kam/ welche ihm ſo wol gefiel/ daß er
ihm vornahm/ ſich eine Zeit daſelbſt aufzuhalten/ und
die Manier der Mittellaͤndiſchen See-Fahrer und
Gallee-Buben zu erlernen. Es fuͤgete ſich aber/ daß er
einsmahls im Fuͤruͤbergehen eine uͤberauß ſchoͤne Da-
me vor ihrer Thuͤr ſtehen fand/ welche/ nach abgeleg-
tem ſeinem Gruß/ ihm mit ſolcher Anmuthigkeit dan-
ckete/ daß er alſobald ſein gantzes Hertz dahin wand-
X 4te/ und
[328]Deß Academiſchen
te/ und ob ihm gleich zu dieſem mahl die Gelegenheit
benommen ward/ ſich mit ihr in einen Diſcurs einzu-
laſſen/ machte er ihm doch die gewiſſe Hoffnung/ daß
ſich ſolches forderſamſt ſchicken werde.
Sein Hertz war dergeſtalt in ſie vernarret/ daß
es ohne dieſe Schoͤne nicht zu bleiben wuſte/ auf fleiſ-
ſiges Nachforſchen aber erfuhr er/ daß die Dame eine
junge Kauffmanns-Wittwe/ Namens Jannetine,
welche ſich/ ob ſie gleich viel Werber gehabt/ durch-
auß nicht wieder verheurathen wolle. Er gieng dem-
nach alle Tage vor ihrem Hauſe vorbey/ und fand ſie
meiſt allemahl entweder am Fenſter/ oder vor der
Thuͤr/ da er dann einsmahls/ weil ſie darzu nicht ab-
hold ſchiene/ ſich in eine freundliche Unterredung mit
ihr einließ/ und auf alles eine hoͤfliche Antwort und
guten Beſcheid erhielt/ auch darbey in der 4. oder
5. Unterredung ihr ſeine hertzliche Affection mit ſol-
chen beweglichen Worten zu erkennen gab/ und dar-
neben zugleich um Huͤlffe wider deren Hefftigkeit
anhielt/ daß ſie ihm zum erſten mahl mit einem
freundlichen Haͤnde-Druͤcken ihre Gegen-Gewogen-
heit gleichſam als ein Pfand der ſchier kuͤnfftigen
Liebe ſchenckete. Er nahm damahlen mit ſolchem
Vergnuͤgen ſeinen Abſchied/ daß er ſich gluͤck ſeeliger
in ſeinem Hertzen ſchaͤtzete/ als den groſſen Monar-
chen von Franckreich. Er uͤberlegete die Sache zu
Hauß/ und wo er auch immer ſeyn moͤchte. Er hatte
weder Ruhe/ noch Raſt/ in ſeinem Gemuͤthe/ und waͤ-
re villeicht gluͤckſeeliger geweſen/ wann ihm die Jan-
netine kein Zeichen ihrer Liebe gegeben/ noch aber/
wann er dieſelbe nimmer zu Geſichte bekommen
haͤtte. Er kunte weder Tag noch Nacht einige Ruhe
empfinden/ und wo er war/ da war er auſſer ihm ſel-
ber/ daß er alſo aller Geſellſchafft ſich aͤuſſerte/ damit
er ihm
[329]Romans I. Buch.
er ihm nur die Schoͤnheit der Jannetine in ſeiner Ein-
bildung deſto lebhaffter vorſtellen moͤchte.
Jn der naͤchſten Unterredung/ welche in ihrem
Zimmer/ da hinein ſie ihn fuͤhrete/ gehalten ward/ gab
ſie ihm/ auf ein hefftiges Wehklagen/ zu verſtehen/
daß ſie ihr Hertz gegen ihm erſchloſſen/ aber reſolviret
ſey/ nimmermehr wieder in den Eheſtand zu tretten/
welches ihm ſo viel lieber/ und nachdem er darauf
Verguͤnſtigung erlanget/ ihren Mund 2. mahl zu kuͤſ-
ſen/ ſchied er viel vergnuͤgter/ aber darneben auch viel
verwirreter/ als zum vorigen mahl/ von ihr. Und gieng
ſeine Plage und hertzliches Leyden allererſt recht an.
Er wuſte ihm ohnmoͤglich ſelber zu helffen/ dannen-
hero ſetzete er ſich nieder/ und ſchriebe einen Brieff/
ohngefaͤhr dieſes Einhalts:
KEin Wunder waͤre es/ wann die unvernuͤnfftigen Creatu-
ren/ und die ſteinerne Bild-Saͤulen/ durch eure Holdſee-
ligkeit beweget wuͤrden. Jetzo kan ich euch wol mit
Warheit ſagen/ daß ich elender bin/ als ein ſteinern Bild/
oder eine unvernuͤnfftige Creatur/ als der ich durch eure
Holdſeeligkeit in ſolche Unruhe gebracht/ daß es mir ohn-
moͤglich iſt/ ohne euer freundliches Antlitz zu ſehen/ eine Mi-
nnte zu leben. Wann aber ich gerne gantz allein bey euch
ſeyn moͤchte/ um euch von meiner Liebe den rechten Kern zu
erkennen zu geben; Als bitte ich/ ihr wollet mir vergoͤnnen/
daß ich 2. Stunden nach dieſer Mittags-Zeit bey euch erſchei-
ne/ und der Zeit und Gelegenheit halben mit euch Abrede
nehme.
Dieſen Brieff warff er im Vorbeygehen in der
Jannetine Hauß/ weil dieſelbe mit der Magd/ die
um alle ihre Heimlichkeiten genaue Wiſſenſchafft
hatte/ gantz allein darinnen war. Es begab ſich aber zu
allem Gluͤck/ oder Ungluͤck/ (es gilt hier gleiche viel/)
daß Jaques, ein ſchoͤner Kauffmanns-Geſell/ in wel-
chen die Jannetine ſchon vorher ſich gewaltig verlie-
X 5bet
[330]Deß Academiſchen
bet hatte/ gleich darauf ins Hauß tratt/ und den
Brieff aufhub/ welchen er zwar der Jannetine uͤber-
reichete/ aber mit ſolchen Minen/ welche gnugſam zu
erkennen gaben/ daß er deſſen Einhalt/ als welcher
ihm verdaͤchtig vorkam/ gerne wiſſen wolte; Weil
nun die Dame auf dieſen Galan weit mehr/ als auf
den Hertod hielte/ ſo erbrache ſie den Brieff/ und laſe
ihn uͤberlaut/ merckte aber/ daß Jaques hierauß gantz
jaloux zu werden begunte. Gleich wol wuſte ſie ihn zu
bewegen/ daß er ſie mit dem Studenten in keinem
Verdacht halten kunte/ dann/ ſprach ſie/ ich ſehe es
wol/ daß das naͤrriſche Muſen-Kind in mich verliebet
iſt/ aber was kan ich darfuͤr/ daß er ein Narꝛ iſt/ mein
Leib bleibet euch/ mein Kind/ allein/ und ſo lange ihr
lebet/ ſoll ſich kein Menſch auf Erden ruͤhmen/ daß
er deſſen einmahl ſey theilhafftig worden. Aber noch
eins/ mein Kind/ wollet ihr meinen Worten glauben/
wann ihr ſehet wie ich dieſen Hertod vexiren wil? Ja-
ques hoͤrete dieſes uͤberauß gerne/ und wie die Kauff-
leute ſonſten meynen/ einen Haſen gefangen zu haben/
wann ſie ein Muſen-Kind bey einer Buhlerin außzu-
wippen vermoͤgen/ alſo wolte er wiſſen/ wie ſie den
Courtiſan handthieren wolte. Sie gab ihm darauf
den Anſchlag zu erkennen/ und ſolcher ward auch zu
Werck geſtellet/ wie folget: Um die genannte Zeit
fand ſich Urian ein/ und weil ſich Jaques im Hauſe ver-
ſtecket hatte/ ward er von der Jannetine in ein ſchoͤnes
Gemach genoͤthiget/ da er fuͤr derſelben auf die Erde
fiel/ und ſie demuͤthigſt bathe/ ihm etwas mehrers zu
vergoͤnnen/ als das Kuͤſſen. Sie ſtellete ſich Anfangs/
als waͤre ſie erzuͤrnet/ da ſie doch von nichts lieber/ als
von ſolcher Materie hoͤren wolte/ wie er aber ſo gar
klaͤglich vor ihr ligen blieb/ da ließ ſie ſich gleichſam
durch ſeine uͤbermaͤſſige Liebe bewegen/ tratt demnach
zu
[331]Romans I. Buch.
zu ihm/ kuͤſſete ihn auf den Mund/ und ſagte: Mein
liebſter Hertod, ihr habt mein Hertz in euren Haͤnden/
ſo es euch beliebet/ koͤnnet ihr auf den Abend zu mir
kommen/ und euch die gantze Nacht mit mir in meiner
Schlaff-Stelle ergoͤtzen. Dann alles/ was ich habe/
bin und vermag/ ſtehet zu euren Dienſten.
Hertod waͤre fuͤr Freuden ſchier in eine Ohmacht
geſuncken/ er ermunterte ſich gleich einem Truncke-
nen/ der auß dem Schlaff erwachet/ er ſtund auf/ und
kuͤſſete ſie wol 20. mahl/ das er daruͤber gantz verzuckt
ward. Endlich aber zwang ihn der Wolſtand/ wieder
abzutretten/ da er dann beym Außgehen der Magd/
welche ihm mit den Augen winckete/ einen Ducaten
zum Trinckgeld zuwarff/ damit ſie kuͤnfftigen Abend
deſto williger erfunden wuͤrde/ wann er kaͤme/ ihm die
Hauß-Thuͤre aufzumachen. Er gieng damahl nach
der Apothecken/ und kauffete allerhand wol-riechende
Sachen/ womit er ſeine Kleider beſtriche/ um bey ſei-
ner Jannetine deſto angenehmer zu ſeyn/ er nahm ei-
nen guten Trunck und etwas Speiſe zu ſich/ damit
er in dem Kampff deſto laͤnger außhalten koͤnte. Er pu-
derte und ſchmuͤckete ſich aufs Beſte/ und unterließ
nicht das Allergeringſte/ was etwas zu Beforderung
ſeiner Liebe moͤchte zutraͤglich ſeyn.
Als endlich die laͤngſt-erwuͤnſchete Abend-Stunde
deß andern Weynacht-Tages herbey gekom̃en/ mach-
te er ſich auf den Weg/ in der Zuverſicht/ dieſe Nacht
die groͤſſeſte Freude in den Armen der ſchoͤnen Janne-
rine zu genieſſen/ dergleichen er noch ſein Lebtage nicht
empfunden hatte. Wie er demnach in ſchleunigen
Freuden-Spruͤngen zu der Wohnung der Liebſten
gelanget war/ da eroͤffnete ihm zwar die Magd die
Hauß-Thuͤr/ ſprach aber zu ihm/ daß das Ungluͤck der
ſannetine Bruder herein gefuͤhret haͤtte/ mit welchem
ſie
[332]Deß Academiſchen
ſie in einer Rechnung begriffen waͤre/ wannenhero ſie
ihn bitten ließ/ ihr zu verzeyhen/ daß ſie ihn ſo lange in
den Hof verwieſe/ biß der Bruder/ welches nicht lan-
ge waͤhren ſolte/ abgefertiget worden/ da ſie dann
kommen/ und ihn ſelber abholen wolte. Hertod gab
der Magd noch einen Ducaten/ und folgete ihr biß
zur Hinter-Thuͤre/ da er in den Hof hinein tratt/
der Jannetine zugleich ſagen ließ/ daß um ihrent-
willen er es ſich nicht wolle verdrieſſen laſſen/ dieſe
gantze Nacht/ obgleich die Kaͤlte ſehr groß/ im Hof
Schildwacht zu halten/ jedoch moͤchte ſie es vermit-
teln/ daß ihr Bruder bald abgefertiget wuͤrde/ weil er
alle Minuten wolte zehlen/ biß die Zeit ſeiner Gluͤck-
ſeeligkeit erſcheinen wuͤrde. Die Magd ſchloſſe hier-
mit die Hof-Thuͤr/ auf ihrer Frauen Befehl/ veſte zu/
und gieng wieder hinein/ da die Jannetine eben bey ih-
rem Jaques uͤber der Mahlzeit ſaſſe/ und beyde deß
Thoren im kalten Hof von Hertzen lacheten. Was
gilt es/ mein Schatz/ ſprach ſie/ ich wil euch anjetzo
gnugſam erweiſen/ daß der naͤrriſche Student nicht
den allergeringſten Theil an meinem Hertzen hat/ und
wann ihr dann deſſen gnugſam uͤberzeuget ſeyd/ wol-
let ihr mich alsdann/ wie bißhero/ auch beſtaͤndig lie-
ben? Jaques kuͤſſete ſie hierauf/ und ſprach/ er wolle
deß Außgangs getroſt erwarten. Eines Außgangs
warlich/ replicirte Jene/ der dem Hertod allzube-
ſchwerlich in dieſer Nacht fallen doͤrffte. Es begunte
aber inzwiſchen hefftig zu ſchneyen/ dannenhero ſich
Hertod nach einem Dach umſahe/ weil er aber im
gantzen Hof dergleichen nichts finden kunte/ worun-
ter er ein wenig von dem Schnee haͤtte moͤgen be-
freyet bleiben/ ſo wandelte er ſtaͤts auf und ab/ um
durch die ſtaͤte Bewegung ſeines Leibes ſich deß allzu-
ſtrengen Froſtes zu entſchuͤtten/ der ihm leicht haͤtte
ſchaden moͤgen.
Janne-
[333]Romans I. Buch.
Jannetine gieng nunmehro um die Glocke 10. mit
ihrem Jaques hinauf/ in das erwaͤrmete Schlaffzim̃er/
da ſie ſich an ein Fenſter im Dunckeln ſtelleten/ und
die Magd mit einem Entſchuldigungs-Gewerbe hin-
ab zu dem Studenten ſandte. Dieſe eroͤffnete bey der
Hof-Thuͤr ein kleines Loͤchlein/ und nachdem ſie den
Hertod zu ſich geruffen/ er auch in vollen Spruͤngen/
als wann die Zeit ſeiner Erloͤſung herbey kom̃en waͤ-
re/ herzu gelauffen/ ſprach ſie zu ihm: Mein Herꝛ/ ich
ſoll euch im Namen meiner Frauen zum hefftigſten
bitten/ daß ihr das lange Auſſenbleiben ihrer Perſon
nicht uͤbel mercken wollet/ ihr Bruder iſt ein zaͤncki-
ſcher Menſch/ der gar nicht an den Schluß der Rech-
nung zu bringen iſt/ jedoch hoffet ſie/ es werde in einer
halben Stunde gethan ſeyn/ alsdann ſollet ihr aufs
Freundlichſte von ihr empfangen werden/ und ſie hat
mir befohlen/ das Bette inzwiſchen wacker durchzu-
hitzen/ damit ſich deſſen eure erfrohrne Glieder wieder
ergoͤtzen moͤgen. Es waͤhret zwar etwas lange/ gab
Hertod zur Antwort/ jedoch zwinget mich die allzu-
groſſe Liebe zu eurer Frauen/ in dieſen ſauren Apffel
zu beiſſen/ darum meldet ihr meinen Gehorſam/ und
daß ich ſie bitten laſſe/ mich auß dieſem Schnee zu ret-
ten/ und etwa in ein Kaͤmmerlein deß Hauſes zu ver-
ſtecken. Die Magd hielte ihm fuͤr/ daß es ohnmoͤglich
waͤre/ ihn ins Hauß zu bringen/ weil die Thuͤr ſehr
knarrete/ und weil ihr Bruder gar ein ſeltzamer Kopff/
darzu mit Degen und Piſtolen verſehen/ moͤchte er
dardurch leicht in Leib- und Lebens-Gefahr gerathen/
welches der Jannetine ein groſſer Jam̃er ſeyn wuͤrde.
Alſo muſte ſich Hertod zufrieden ſtellen/ und im
Hof wieder auf und ab ſpatzieren/ da inzwiſchen die
beyde Verliebten droben vor dem Fenſter alles an-
geſehen/ und gehoͤret hatten/ deſſen ſie in ihr Faͤuſtchen
lachen
[334]Deß Academiſchen
lachen muſten. Jaques ſahe nun wol/ daß es die Janne-
tine, woran er ſonſten ſchon zu zweiffeln begunte/ all-
zuredlich mit ihm meynete/ dannenhero entkleidete er
ſich/ und legete ſich/ Statt deß Studenten/ zu ihr ins
Bette/ und pflegeten ſie alſo ihre Luſt/ zu groſſem Ver-
druß deſſen/ der fuͤr Froſt und Schnee im Hof ſchier
erſtarret war. Nachdem ſie endlich 2. Stunden alſo
in Freuden gelebet/ noͤthigte die Jannetine den Jaques
auf/ ſtellete ihn ans Fenſter/ damit er hoͤren moͤchte/
was ſie mit dem Hertod reden wuͤrde. Darauf tratt
ſie in ihrem Schlaff-Kleid hinab/ machte das Loͤch-
lein bey der Hof-Thuͤr ſaͤuberlich auf/ und rieff: Mein
Kind/ wo biſt du? Hier bin ich/ ſprach der halb-Er-
frorne/ und lieff ſo geſchwind/ als ein Pfeil herzu. Sie
ſprach: Ach! um deß Himmels willen/ ich thue mir
faſt ſelber zu kurtz/ daß ich euch alſo laͤnger im Froſt
muß ſtehen laſſen/ alle Gedult wil mir vergehen/ es iſt
mir nicht moͤglich/ meinen Bruder auß dem Hauß zu
bringen/ biß unſere Rechnung/ worauf er allzuhart
dringet/ voͤllig geſchloſſen ſey. Jch bin hieher kom̃en/
euch ſelber zu verſichern/ daß auß meiner Schuld ihr
dieſes Ungemach jetzo nicht leydet/ verziehet aber nur
noch eine halbe Stunde/ ſo ſoll es gethan ſeyn/ ich wil
meinem Bruder alles nachgeben/ damit wir zur Rich-
tigkeit kommen/ und ſolches um eurentwegen/ damit
ich euch auß der Kaͤlte moͤge erloͤſen. Hertod bebete/
wie ein Aſpen-Blat/ und ſeine Haͤnde waren ſchon
dermaſſen erſtarret/ daß er keinen Finger mehr fuͤhlen
kunte/ gleichwol/ weil er ſelber ſeine Jannetine alſo re-
den hoͤrete/ danckete er ihr fuͤr ihre Hoͤflichkeit/ gab ihr
aber darbey ſein groſſes Ungemach wehklagend zu er-
kennen/ und bath/ ſo bald fortzumachen/ als es ihr nur
immer moͤglich waͤre/ ihn zu erloͤſen.
Jannetine ſagete ihm ſolches zu/ und ſchiede alſo
von
[335]Romans I. Buch.
von ihm/ verfuͤgete ſich auch hinauf zu ihrem Jaques,
da ſie deß vermeynten Narren von neuem ſich recht-
ſchaffen zerlacheten/ ſie ſahen ihm eine Weile zu/ wie
er bald gerad auß vor ſich/ bald in einem Craͤyß her-
um/ bald zur Seiten auß/ im Hof umher lieff/ wie er/
nach der Bauern Weiſe/ die Arme an den Leib ſchlaͤn-
gerte/ und allerhand Grimmaſſen machte/ um ſich zu
erwaͤrmen. Endlich aber/ als ſie deß Stehens muͤde/
die Zeit auch ſchon uͤber 2. Stunden nach Mitter-
nacht verſtrichen war/ da legeten ſie ſich mit einander
abermahl zu Bette/ und nachdem ſie das Jenige ge-
than/ was ſie gewolt/ und gekoͤnt/ ſchlieffen ſie neben
einander ein. Die Magd aber hatte Ordre von ih-
rer Frauen/ den verliebten Studenten nicht auß dem
Hof zu laſſen/ ſolte er auch Mauß-todt frieren/ ſol-
ches alles thaͤte ſie ihrem Hertz-allerliebſten Jaques zu
Gefallen/ damit derſelbe ſehen und erkennen moͤchte/
wie ſtarck ſie an ihm hienge.
Hertod wanderte unterdeſſen ſtaͤts auf und ab/
ward aber vom Schlaff und Froſt dergeſtalt gemar-
tert/ daß er/ wie nach der Zeit weder die Magd/ noch
die Frau/ wieder zum Vorſchein kam/ ihnen Beyden
alles Ungluͤck wuͤnſchete. Er hielte ſich in ſtaͤter Be-
wegung/ und haͤtte er ſich nur ein wenig zur Ruhe be-
geben/ ſo haͤtte ihn ein ſanffter Schlaff/ und bald dar-
auf ein gewiſſer/ aber unempfindlicher Tod/ im Hof
uͤberwaͤltiget. Solchem nach wandelte er ohnauf-
hoͤrlich in dem verſchloſſenen Hof auf und nieder/
und ſuchte allenthalben/ ob er irgend eine Thuͤre fin-
den moͤchte/ herauß zu kommen/ aber die Mauer war
allenthalben zu hoch/ und darinn weder ein Loch/ noch
einige Thuͤre zu finden/ daß er alſo in dieſem Kercker
ſich enthalten muſte/ biß die Morgen-Stunde ihm
ſeine Erloͤſung herbey bringen moͤchte. Endlich brach
die
[336]Deß Academiſchen
die laͤngſt von ihm erwartete Sonne herfuͤr/ und dar-
auf/ weil es ſchon um die Glocke 8. war/ oͤffnete die
Magd zwar die Hof- und Hauß-Thuͤr/ ließ ſich aber
im Geringſten nicht ſehen. Hertod wartete nicht lang/
ſondern gieng ſo geſchwind/ als es ſeine erſtarrete
Glieder zulieſſen/ in das Hauß/ weil er auch keinen
Menſchen darinn fand/ merckete er wol/ daß man ſei-
ner geſpottet hatte/ derowegen ſahe er ſich nicht lange
um/ ſondern danckete GOtt/ daß er ſein Logiment er-
reichete/ woſelbſt er einheitzen ließ/ und ſich alſobald
ins Bette legete. Er ließ etliche Medicos holen/ wel-
che ihm einige Mittel verordneten/ den durch den gan-
tzen Leib gedrungenen Froſt wieder zu vertreiben/ aber
das wolte ſich ſo bald ohnmoͤglich thun laſſen/ daß er
alſo eine ſchwere Kranckheit außſtehen muſte/ welche
ihm alle Kraͤffte/ ja Witz und Verſtand wegnahm/
daß man ihn todt ſagete/ deſſen aber die hart-hertzige/
unzuͤchtige Jannetine, ſamt ihrem Jaques, im Hertzen
lacheten.
Das XXIX. Capitul/
Brandanogebrauchet ſich einer behenden Liſt/ und raͤchet ſich
dergeſtalt an der Jannetine/ daß ſie ſchier daruͤber ums Leben gekommen
waͤre/ buͤſſet darbey ein gut Stuͤck Geldes ein.
ENdlich/ nach einem Viertel-Jahr/ da er inzwi-
ſchen an Statt der Liebe mit einem bittern
Haß gegen die Wittwe reichlich verſehen war/
begunte ſich ſeine Kranckheit zur Beſſerung mit ihm
anzulaſſen/ dahero/ wie er wieder bey vollem Ver-
ſtande/ beredete er ſeinen Hauß-Wirth/ daß er einen
Sarg ſolle außtragen/ und in die Erde/ da man die
Kaͤtzer begraͤbet/ verſcharren laſſen/ wodurch ein Je-
der/ inſonderheit aber die Jannetine, nunmehro gleich-
ſam verſichert waren/ daß Hertod geſtorben ſey.
Welches dieſer zwar einiger Maſſen das Gewiſſen
ruͤhrete/ doch war ihr Hertz an dem Jaques dergeſtalt
verknuͤpf-
[337]Romans I. Buch.
verknuͤpffet/ daß ſie um deſſentwillen wol 10. andere
Geſellen aufgeopffert haͤtte.
Wie aber Hertod ſich ſolcher Geſtalt wieder bey
Kraͤfften ſahe/ daß er das Raͤyſen vertragen kunte/
nahm er von ſeinem Wirth Abſchied/ und band ihm
veſte ein/ einen Jeden bey der Meynung zu laſſen/ daß
er dieſes Zeitliche in juͤngſter Kranckheit verlaſſen
haͤtte. Er nahm ſeinen Weg nach Genug/ und beſahe
Jtalien/ weil ihm auch alle Haare abgefallen/ ſetzete
er eine Peruque auf/ und ließ einen breiten Barth
wachſen. Endlich kehrete er mit etlichen Kauffleuten/
die unter Weges zu ihm ſtieſſen/ wieder nach Marſi-
lien/ in Hoffnung/ ſich an der Jannetine Gebuͤhr-maͤſ-
ſig zu raͤchen. Er kehrete/ zuſamt ſeiner Geſellſchafft/
in einer andern Herberge ein/ und nennete ſich nicht
mehr Hertod, ſondern Brandano, mit ſeinem rechten
Namen/ weil er auch den Kauffleuten unter Weges
viel geweiſſaget/ was ihnen begegnen wuͤrde/ ihnen
auch auf dem Nagel herſagete/ was dieſem oder je-
nem von der Geſellſchafft ſchon begegnet waͤre/ hiel-
ten ihn dieſe/ als einen rechten Wunder-Mann/ und
ſein Ruff breitete ſich alſobald in der gantzen Stadt
Marſilien allenthalben auß/ daß ein Jeder kam/ und
ihm Geſchencke brachte/ um ſich ſeines Raths zu
bedienen.
Er hoͤrete aber unter andern mit groſſem Ver-
gnuͤgen/ daß die Jannetine dem Jaques nicht allzu treu
verblieben/ ſondern neben demſelben auch mit andern
zugehalten haͤtte/ welches dieſer durch ſeine Magd/
die er ihm mit groſſen Geſchencken verbuͤndlich ge-
macht/ bald erfahren/ wannenhero er ſich ihrer von
der Zeit an/ biß dato, gaͤntzlich enthalten hatte/ wiewol
ſie alles anwendete/ um ihn von neuem wieder in ihr
Liebes-Netz zu bringen/ welches ihr aber biß dato
Ygantz
[338]Deß Academiſchen
gantz und gar nicht haͤtte gluͤcken wollen/ dahero ſie
auch im Zorn die Magd abgeſchaffet/ die dem Jaques,
welches ſie erfahren/ ihr leichtfertiges Leben hinter-
bracht. Kaum hatte ſich alſo unſer Brandano 3. oder
4. Tage zu Marſilien aufgehalten/ da kam/ unter vie-
len andern Perſonen/ auch eine Magd zu ihm/ und
ſagete/ daß eine reiche Wittwe/ bey welcher ſie in
Dienſten/ gar hoͤchlich verlange/ ihn allein zu ſpre-
chen/ und ſich in einer gewiſſen hoch-wichtigen Sa-
chen ſeines Raths zu bedienen. Brandano forſchete
alſobald nach dem Namen ihrer Frauen/ und erfuhr/
daß ſie die Jannetine ſey. Ha ha! ſagte er hierauf: Jch
weiß ſchon/ was eure Frau fuͤr ein Anligen hat/ doch
laſſet ſie zu mir kommen/ ich wil ſelber mit ihr reden/
und ſehen/ ob ihr zu helffen ſtehet. Sie kan auf den
Abend ſpaͤt/ um die Glocke 10. mich allein finden/ und
ſagen/ was ihr beliebet. Die Magd gieng mit dieſem
Beſcheid nach ihrer Frauen/ welche ſich der Antwort
zum hoͤchſten verwunderte/ und ſprach: Warlich/
dieſer muß ein geſchickter und hochgelaͤhrter Mann
ſeyn. Als nun die Abend-Stunde/ die man ihr be-
ſtimmet hatte/ heran gekommen/ legete ſie ſchoͤne Klei-
der an/ ſteckete etliche guͤldene Louvyſen in die Ta-
ſche/ und verfuͤgete ſich zu dem Brandano, der ſich in ei-
nem Spaniſchen Kleid præſentirte. Er fuͤhrete ſie in
ſein Zimmer/ und ſetzete ſich neben ſie/ da ſie ihn dann
Anfangs ſtarck anſahe/ und erſchracke/ weil er dem
Hertod, den ſie fuͤr todt hielte/ ſo aͤhnlich war. Sie
ſprach demnach zu ihm: Mein Herꝛ/ wann ich nicht
wuͤſte/ daß ein gewiſſer guter Freund/ den ich wol ge-
kannt/ vor etwa einem halben Jahr allhier Todes
verfahren waͤre/ ſo wolte ich glauben/ daß er in eurer
Perſon annoch lebete. Aber Brandano wuſte ihr die-
ſen Zweiffel gar umſtaͤndlich zu benehmen/ indem er
ſeine
[339]Romans I. Buch.
ſeine Stimme und Gebaͤrden wol zu zwingen wuſte/
daß ſie endlich glaubete/ dieſer ſey gar eine andere
Perſon/ als der vorige Hertod.
Darauf ſprach ſie alſo zu ihm: Das Geruͤcht
eures groſſen Verſtandes/ und ungemeiner Wiſſen-
ſchafften/ mein Herꝛ/ iſt auch fuͤr meine Ohren gekom-
men/ weßhalben ich mich aufgemacht habe/ mich eu-
res hochweiſen Raths zu bedienen/ nemlich: Wie ihr
ſehet/ ſo bin ich eine junge Wittwe/ annoch in dem Al-
ter/ das der Liebe nicht unfaͤhig iſt/ ich habe lange Zeit
einen Courtiſan gehabt/ der mich auch hertzlich/ gleich
wie ich hinwieder ihn/ von Grund meiner Seelen ge-
liebet habe. Dieſer iſt mir neulicher Zeit/ weiß nicht/
warum/ abhold worden/ und entſchlaͤget ſich nun-
mehro meiner Perſon gantz und gar/ welches mir/ die
ich ohne ihn nicht zu leben begehre/ dergeſtalt zu Her-
tzen gehet/ daß ich Tag und Nacht weine/ und in Thraͤ-
nen ſchier erſticken moͤchte. Alſo iſt dieſes meine hertz-
liche Bitte/ ihr wollet mir einen guten und kraͤfftigen
Rath ertheilen/ Krafft deſſen ich meines geliebten Ja-
ques wieder theilhafftig werden moͤge/ ſo ſoll euch eure
Muͤhe und Wiſſenſchafft/ die hierzu moͤchte ange-
wandt werden/ vortheilich und erſprießlich ſeyn. Hier-
mit ſchwieg ſie Stock-ſtille/ und fieng ſo bitterlich an
zu weinen/ daß es einen Stein haͤtte erbarmen moͤgen.
Brandano hingegen lachete in ſeinem Hertzen/ und ge-
dachte: Nun/ Danck ſey dir/ O du guͤtiger Himmel/
daß du mir jetzo eine Gelegenheit haſt gegeben/ mich
redlich zu raͤchen an der unerhoͤrten Boßheit dieſes
unzuͤchtigen Weibs-Bildes. Als er aber ſahe/ daß ſie
zu weinen nicht ablaſſen wolte/ druͤckete er ihre Hand/
und ſprach: Seyd zufrieden/ junge Frau/ obgleich
euer Anligen verzweiffelt boͤß zu ſeyn ſcheinet/ wil ich
doch alle meine Witz und Kuͤnſte herfuͤr ſuchen/ ob ich
Y 2euch
[340]Deß Academiſchen
euch helffen/ und das Hertz euers geliebten Juͤng-
lings wieder zukehren moͤchte. Darum/ laſſet eure
Bekuͤmmernuͤß fahren/ gehet nach Hauß/ und kom̃et
Morgen um dieſe Zeit wieder zu mir hieher/ inzwi-
ſchen wil ich mich von keinem Menſchen ſprechen laſ-
ſen/ damit ich deſto mehr Zeit habe/ auf eure Sache
zu gedencken/ und euch Rath zu ſchaffen.
Hiermit ſteckete ihm die hoch-bekuͤmmerte Jan-
netine einen mit Gold gewuͤrckten Beutel/ darinn
uͤber 100. Rthlr. an Gold waren/ in die Hand/ und
ſprach: Mein hoch-verſtaͤndiger Herꝛ/ dieſes gebe ich
euch zum Anbott/ ſo fern ihr mich Morgen um dieſe
Zeit/ da ich wieder bey euch ſeyn werde/ mit einem gu-
ten Rath erfreuet/ ſoll euch noch ſo viel fuͤr euren Fleiß
und Muͤhe werden. Brandano ſtellete ſich/ als wann
er ſeine Kunſt nicht fuͤr Geld ſpendirte/ wolte dem-
nach das Geld nicht annehmen. Aber ſie fieng dar-
uͤber an zu weinen/ und ſagete: So muß ich ja ſehen/
daß ihr mich verſchmaͤhet/ und mir in meinem Jam̃er-
Stande nicht zu Huͤlffe kommen wollet. Hiermit zog
ſie einen ſchoͤnen Ring vom Finger/ legete ſolchen zu
dem Beutel mit dem Gold/ und bathe/ ſolches anzu-
nehmen/ zum Zeichen/ daß er Mitleyden mit ihr haͤtte.
Er nahm es endlich an/ und geleitete ſie vor die Hauß-
Thuͤr/ ließ ſie darauf ihres Weges mit der Magd al-
lein gehen. Er aber gieng in ſeine Kammer/ beſahe das
Geſchenck/ und erfreuete ſich in ſeinem Hertzen/ daß er
dieſe Frau zuͤchtigen koͤnte. Nach gehaltener Mahl-
zeit legete er ſich zu Bette/ ſchlieff aber wenig/ ſondern
dachte auf ein Mittel/ wie er ſich jetzo gebuͤhrlich raͤ-
chen moͤchte/ und als ihm gegen die Mitternacht et-
was eingefallen/ ſchlug er ſeine Augen zu/ uͤbergab ſei-
nen Leib dem Schlaff/ und ruhete biß an den liechten
Morgen. Darauf entnahm er ſich den Federn/ ließ
ihm
[341]Romans I. Buch.
ihm den Diener/ den er in Jtalien angenommen hat-
te/ die Kleider langen/ legte ſich an/ und ſpatzierete ein
wenig vor das Thor/ biß um die Mittags-Stunde/
da er ſich wieder nach ſeiner Herberge verfuͤgete/ und
einen Hauffen Leute darinn fand/ welche ſich ſeines
Raths bedienen wolten. Er ertheilete ihnen ſolchen
nach ſeiner Wiſſenſchafft/ und ließ ſie mit gutem Ver-
gnuͤgen von ſich/ bekam daruͤber auch ein gut Stuͤck
Geldes.
Als endlich die beſtimmte Abend-Stunde heran
nahete/ ſtellete ſich die unkeuſche Jannetine wieder ein/
und Brandano fuͤhrete ſie in das vorige Gemach/ da
er ſich neben ſie ſetzete/ und ſprach: Frau/ ich habe ein
Mittel gefunden/ wordurch ihr eures Buhlen wieder
koͤnnet theilhafftig werden/ es iſt zwar etwas hart
und herbe außzufuͤhren/ aber weil es die himmliſchen
Influentzen alſo fuͤrgeſchlagen/ kan ich es nicht aͤndern;
Hoͤret/ was ich ſage/ und mercket mit Fleiß darauf:
Jhr muͤſſet ein bleyern Bild gieſſen laſſen/ im Na-
men eures verlohrnen Buhlen/ mit demſelben muͤſſet
ihr eine Stunde nach der Sonnen Untergang eine
halbe Stunde in einem flieſſenden kuͤhlen Bach ba-
den/ und ſieben mahl unter Waſſer den gantzen Leib
tauchen/ alsdann muͤſſet ihr alſo Mutter-nackt mit
dem Bild in den Armen auf einen Baum/ oder
Thurn/ oder ſonſten irgend auf eine hohe Altane ſtei-
gen/ das Bild gegen Mitternacht halten/ ein gewiſ-
ſes Gebet/ welches ich euch aufſetzen wil/ 7. mahl nach
einander herſagen/ ſo werden zwey Wunder-ſchoͤne
Knaben kommen/ und euch fragen/ was euer Begeh-
ren ſey/ denen ſollet ihr euer Anligen eroͤffnen/ ſo wer-
den ſie von Stund an von euch ſcheiden/ und uͤber
eine Stunde wieder zu euch kommen/ und euch einen
Haar-Zopff uͤberreichen. Dieſer iſt genommen von
Y 3dem
[342]Deß Academiſchen
dem Haupt eures Buhlen/ denſelben behaltet/ und
ſteiget alsdann herab/ leget eure Kleider an/ und keh-
ret in euer/ oder in ein ander Hauß/ daſelbſt verbren-
net die Haar-Flechte zu Pulver/ ſo wird euer Buhler
uͤber 2. Stunden zu euch kommen/ und euch in allem
vergnuͤgen/ auch dem Himmel dancken/ daß er eure
Gunſt nur Lebens-lang behalten/ und euch gefallen
moͤge. Diß und kein ander Mittel iſt es/ wordurch
ihr moͤget vergnuͤget werden/ bedencket es nun ſelber
bey euch/ ob ihr das Fuͤrgeſchlagene zu vollfuͤhren
getrauet.
Die Jannetine war von Hertzen froh/ als ſie die-
ſen Vorſchlag vernahm/ und ſagte/ daß ſie denſelben
mit der allerbeſten Freude und Luſt vollbringen wolte/
ſie uͤberreichte dem Brandano noch einen ſchoͤnen
Beutel voll Gold-Muͤntze/ und bathe ihn um den
ſchrifftlichen Aufſatz deß Gebets/ wie auch/ daß er ih-
rentwegen das bleyerne Bild nur moͤchte zubereiten/
allermaſſen ſie entſchloſſen waͤre/ am folgenden A-
bend mit ihrer Magd ſich nach ihrem Hof/ der eine
halbe Meile von der Stadt entlegen/ zu erheben/ und
in dem fuͤruͤberflieſſenden Bach zu baden/ das uͤbrige
aber auf dem alten Thurn/ den ſie an der einen Ecke
deß Garten haͤtte/ zu verrichten. Brandano ſprach:
Bey Leibe nicht/ Frau/ ihr doͤrffet keine lebendige
Seele mit euch nehmen/ ſondern muͤſſet gantz alleine
bleiben/ gehet aber jetzo hin/ und machet das Ubrige zu
eurem Vorhaben bereit/ ich wil inzwiſchen das Bild
ſelber gieſſen/ und das Gebet aufſetzen. Alſo ſchied
ſie voller Freuden von ihm/ und bildete ihr ein/ ſie haͤt-
te den Jaques wieder in ihre Arme bekommen. Sie
ruͤſtete ſich am folgenden Tag/ und legte ein leichtes
Kleid an/ gieng auch auf den Mittag wieder zu Bran-
dano, der ein bleyern Bild bey einem Kannengieſſer
gekaufft
[343]Romans I. Buch.
gekaufft hatte/ dieſes gab er ihr/ ſamt dem Gebet/ und
darauf ſchied ſie von ihm/ und erhub ſich gantz allein
nach ihrem Garten.
Brandano dachte: Nun iſt die Zeit zu einer er-
wuͤnſchten. Rache heran gekommen. Er nahm ſeinen
Diener zu ſich/ legte andere Kleider an/ daß man ihn
nicht kennete/ und ſchlich nach ihrem Garten hin/ er
fand nicht weit darvon ein Bauer-Hauß/ fuͤr welchem
einige Frauen-Kleider im Wind hiengen/ er gieng
hinein/ und befahl ſeinem Diener/ ſelbige weg zu pra-
ctiſiren/ und ſie an einen gewiſſen Ort zu legen/ in-
maſſen er ſich derſelben dieſe Nacht uͤber bedienen
wolle. Der Poſſen gieng redlich an/ Brandano gieng
hinein/ und forderte einen Trunck Milch/ welchen
man ihm reichete/ und unterdeſſen nahm der Knecht
die Kleider weg/ woruͤber ſich zwar der Bauer und
ſeine Frau ſeltzam gebaͤrdeten/ aber Brandano ſprach
ſie zufrieden/ und troͤſtete ſie/ daß er die Kleider bezah-
len/ oder andere herbey ſchaffen wolle/ die beſſer waͤ-
ren/ als die geſtohlnen/ dann er ſey ein Meiſter der
hohen himmliſchen Wiſſenſchafften/ und was er ver-
lange/ das muͤſſe ihm Augenblicklich werden. Die
Leute verwunderten ſich ſehr daruͤber/ als er ſolche
Worte fuͤhrete/ und gaben ihm einen groſſen Reſpect.
Er ſchenckete der Frauen/ die ihre Kleider verlohren/
3. guͤldene Louvyſen/ welche ihr weit lieber waren/
als ihre Kleider/ und darauf verfuͤgte er ſich zu dem
Knecht nach dem Bach/ daſelbſt verſtecketen ſie ſich in
eine Hecke/ und ſahen in der Mond-hellen Nacht die
Jannetine heran marchiren. Sie zog ſich auß/ und
legte die Kleider unter einen Waͤyden-Stock/ nahm
das Bild in die Hand/ und kuͤſſete es/ ſtieg darauf ins
Waſſer/ und badete ſich und das Bild/ wie ihr Bran-
dano befohlen hatte.
Y 4End-
[344]Deß Academiſchen
Endlich gieng ſie wieder herauß/ und eylete nach
dem Thurn/ auf welchen ſie/ mittelſt einer ſehr langen
Leiter/ die ſie durch 2. Maͤnner hatte dahin ſtellen laſ-
ſen/ ſtiege. Darauf kroch Brandano herfuͤr/ und befahl
ſeinem Knecht/ den Thurn zu bewahren/ und keinen
Menſchen darzu zu laſſen/ er zog auch mit ſeiner
Huͤlffe die Leiter ſachtmuͤthig hernieder/ und iegte ſie
hinter die Hecke/ gieng hernach wieder zu dem Bau-
ren-Hauß/ und legte ſich ſchlaffen/ inmaſſen er ver-
laſſen hatte/ daß er bald wieder kommen wolte. Ehe
er aber ſich niederlegte/ ließ er ihm etliche abgeſottene
Eyer langen/ welche er genoſſe/ und zu dem Bauren-
Weib ſprach: Sie ſolte nach dem Waͤyden-Stock
gehen/ welchen er ihr bedeutete/ da wuͤrde ſie ſchoͤne
Frauen-Kleider finden/ welche ſie nur getroſt hinneh-
men/ und als die Jhrigen behalten koͤnte. Die Frau
kam bald hernach mit groſſen Freuden wieder/ und
zeigete ihre Kleider/ woruͤber ſich auch ihr Mann fuͤr-
nemlich ergoͤtzete/ dann es waren lauter ſeidene Klei-
der/ und zarter Leinwad. Nachdem endlich Branda-
no einen guten Schlaff gethan/ ſtunde er etwa zwey
Stunden nach Mitternacht auf/ und gieng zu dem
Thurn/ auf welchem die Jannetine annoch immerfort
ihr Gebet herlaſe/ und der Juͤnglingen erwartete/
aber ſie blieben auß/ woruͤber ihr die Zeit gewaltig
lang zu werden begunte. Sie zitterte fuͤr Froſt/ daß
ſie bebete/ und kunte man es drunten an ihrer Stim̃e
hoͤren/ dann/ ob es gleich in den heiſſen Hunds-Tagen
war/ ſo waren doch die Naͤchte fuͤr einen Mutter-
nackten Leib viel zu kalt. Endlich/ als es Tag zu wer-
den begunte/ da præſentirete ſich Brandano, und rieff
ihr zu; Sie kannte ihn zwar nicht in dieſem Kleide/
er aber gab ſich zu erkennen/ und ſagte: Du leichtfer-
tige Jannetine, weiſt du dich noch wol zu erinnern/
welcher
[345]Romans I. Buch.
welcher Geſtalt du mich/ als ich noch Hertod hieſſe/
die gantze Winter-Nacht uͤber in der grimmigſten
Kaͤlte in deinem Hof ſtehen lieſſeſt/ darvon ich her-
nach ſo kranck worden/ daß ich gemeynet/ ich wuͤrde
ſterben/ habe auch einen Sarg außtragen laſſen/ als
wann ich damahls geſtorben waͤre. Aber nein/ ich
lebe unter meinem rechten Namen Brandano annoch
zur Rache gegen dir/ die ich jetzo von dir nehmen wil.
Damahl aͤffeteſt du mich/ um deß Jaques willen/ und
nun ſolt du mir von dem Thurn nicht herunter kom-
men/ biß du die Nacht-Kaͤlte und Tages-Hitze recht-
ſchaffen außgeſtanden haſt. Das dienet dir zu wiſſen/
dann Jaques wird ſich durch die Narren-Poſſen/ die
ich dich uͤberredet habe/ nicht wieder zu deiner Leicht-
fertigkeit verleiten laſſen. Jch habe es ihm ſchon er-
zehlet/ was ich mit dir fuͤrnehmen wolte/ daruͤber er
hertzlich lachete.
Als Jannetine den Brandano ſolcher Geſtalt re-
den hoͤrete/ wolte ſie vor Eyfer berſten. Sie erkannte
wol/ daß ſie von Hertod hintergangen worden/ und
daß derſelbe Urſach haͤtte/ ſich gebuͤhrlich an ihr zu
raͤchen/ aber der Verdruß/ den ſie darauß empfand/
war ſo groß/ daß ſie ihm nicht ein einziges Woͤrtlein
antworten wolte. Sie legte ſich platt nieder auf das
Gewoͤlbe deß baufaͤlligen Thurn/ der kein Dach hat-
te/ und ließ ſich nicht ſehen/ fluchte auch bey ſich ſelber/
und vermaledeyete ihr Ungluͤck/ und inſonderheit den
Jaques, als welcher Urſach daran/ daß Hertod da-
mahl/ und ſie anjetzo/ alſo geplaget wurden. Jnzwi-
ſchen legte ſich deß Brandano Knecht ſchlaffen/ und
nachdem er ein paar Stunden geruhet/ ſtunde er wie-
der auf/ und verfuͤgte ſich nach dem Thurn/ ſolchen zu
bewahren. Brandano ſelber gieng in das vorige
Bauern-Hauß/ und ließ ihm um den Mittag etwas
Y 5zu eſſen
[346]Deß Academiſchen
zu eſſen langen. Damahl empfand die Jannetine eine
unleydliche Hitze von der breñenden Sonnen-Strah-
len/ wieder welche ſie ſich nicht zu bergen muſte/ ſie
bath zwar den Knecht um GOttes willen/ er moͤge ihr
doch ihre Kleider langen/ aber derſelbe bekannte ihr/
daß ſie in dieſer Nacht von einem Weibe abgeholet
worden. Sie war uͤberauß betruͤbt/ und kunte ſich
vor Scham nicht ſehen laſſen/ dannoch bathe ſie den
Knecht/ daß er hingienge/ und ihr einen Hut voll
Waſſers braͤchte/ damit ſie ſich dardurch laben moͤch-
te/ aber er durffte nicht/ und dahero ward ſie gantz un-
maͤchtig von Hitze/ daß ſie kaum die Zunge mehr ruͤh-
ren kunte. Hierzu kam der Hunger/ und unleydliche
Durſt/ wordurch ſie dergeſtalt angegriffen ward/ daß
ſie mehr einer Leiche/ als einem Menſchen gleichete
auf dem Thurn.
Drey Stunden nach Mittag/ kam Brandano
wieder/ nachdem er die Bauer-Frau mit ihrem ge-
fundenen Kleid an einen gewiſſen Ort beſchieden hat-
te. Damahl fiel Jannetine auf ihre Knye/ und bathe
ihn um deß Himmels willen/ er moͤchte ihr doch ein
wenig Waſſers zukommen laſſen/ aber er lachete ih-
rer/ und hielte ihr fuͤr/ wie ſie ihm jenes mahls alle
Hitze in der unleydlichen Kaͤlte verſaget haͤtte/ wie ſie
ihn gegen den Kauffmann ſo gering geachtet/ weil er
ein Student geweſen/ nun aber muͤſſe ſie erfahren/
was fuͤr eine Thorheit es ſey/ einen klugen Studen-
ten zu beſchimpffen/ und ihn zum Zorn zu reitzen/ und
was er mehr fuͤr Worte fuͤhrete. Sie bathe ihn zwar
noch im̃erfort/ aber da war kein Gehoͤr/ biß der Abend
bald herein brechen wolte/ da ſprach er: Jannetine,
nun iſt es mir gelegen/ nun habe ich mich genug ge-
rochen/ nun beliebt es mir/ daß du wieder hernieder
ſteigeſt/ hiermit halff er dem Knecht die Leiter anſetzen/
und
[347]Romans I. Buch.
und ließ ſie herunter ſteigen. Sie ſtunde allda Mut-
ter-nackt/ und weil ſie das bleyerne Bild im Zorn
weggeworffen/ hielte ſie die beyde Haͤnde fuͤr den
Bauch/ und bath den Knecht um ſeinen Rock/ aber
Brandano ließ ihr der Baͤuerin Kleider holen/ welche
der Knecht am vorigen Abend entwendet hatte/ deſſen
ſie uͤberauß froh ward. Sie war aber von der Son-
nen dermaſſen verbrandt/ daß ſich die Haut uͤberall in
vielfache Runtzeln zuſammen gezogen hatte/ dahero
ihr das Gehen etwas ſaner ward. Sie lieff zuforderſt
nach dem Bach/ und trunck einen guten Zug Waſ-
ſers/ wordurch ſie etwas Kraͤffte bekam/ und darauf
wanderten ſie mit einander nach der Stadt.
Wie ſie daſelbſt eintratten/ machte es Brandano
Jedermann kund/ daß dieſe Frau in den Bauer-Klei-
dern die ſchoͤne Jannetine ſey/ daher dann eine groſſe
Menge Volcks ſich verſammlete/ ſolche Ebentheuer
zu ſehen/ dann ſie war in der gantzen Stadt ſehr be-
kandt. Brandano fuͤhrete ſie endlich auß dem Ge-
draͤng der vielen Menſchen in ſeine Herberge/ wo-
ſelbſt die Bauer-Frau in der Jannetine Kleidung
ſtund. Als dieſe Frauen einander ſahen/ und Jede
ihre geſtohlene Kleider erkannte/ da ſchalten ſie einan-
der vor Diebinnen auß/ fielen darauf einander in die
Haare/ und riſſen beyderſeits die Kleider eine der an-
dern vom Leib herab/ daß die Stuͤcke auf der Erden
ligen blieben/ an welcher Kurtzweil Brandano noch
die groͤſte Luſt hatte. Alſo ward die Jannetine recht-
ſchaffen wieder bezogen/ und darauß iſt zu ſehen/ daß
die Studenten liſtige Kumpen ſind/ wann ſie von
Univerſitaͤten kommen.
Das XXX Capitul/
Ein Wirth machet ſich mit Liſt bezahlet. Ein Schuſter wird
haͤßlich betrogen. Zween Spaniſche Studenten haben eine ſeltzame
Rencontre. Ein Student gewinnet Geld durch Liſt. Andere ſtehlen
ein Schwein/ und brauchen groſſe Behendigkeit ſolches zu bchalten.
Der
[348]Deß Academiſchen
DEr Podeſtà und alle die andern muſten heken-
nen/ daß ſich dieſer Student liſtig und recht-
ſchaffen gerochen haͤtte/ ſie erſuchten aber un-
ſern Klingenfeld/ ihnen noch etliche artige Studen-
ten-Streiche mitzutheilen/ weil ſie vernommen/ daß
er um ihre Haͤndel gute Wiſſenſchafft hatte. Dieſer
ließ ihm ſolches gefallen/ und erzehlete darvon ein und
anders/ wie folget:
ZU Jngolſtadt logirte ein junger Edelmann auf der Univer-
ſitaͤt bey einem Wirth/ und lebete ziemlich in den Tag hinein/
daß der Wirth eine anſehnliche Summa von ihm zu fordern
hatte/ dannenhero begunte ihm Angſt zu werden/ und er gedachte
auf mancherley Weiſe/ wie er Rath finden moͤchte/ zu ſeiner
Schuld zu gelangen. Jnzwiſchen begab es ſich/ daß deß jungen
Edelmanns Vatter/ (welcher ein Richter war/) nach ſeinem
Sohn ſchickete/ er ſolte unverzuͤglich heim kommen. Da fieng
dem Wirth erſt an/ wie die Katz den Rucken auf zulauffen/ er
wuſte nicht/ wie er ſeinen Sachen thun wolte. Zuletzt gedachte
er/ wolan/ ich muß ein anders fuͤr die Hand nehmen/ ob ich doch
mit Liſt zur Bezahlung kommen moͤchte. Er richtet ein gut
Panquet zu/ und ſaget zu dem Edelmann: Juncker/ ich verſte-
he/ wie ihr heimreiten wollet/ nun muͤſſen wir uns demnach zu-
vor mit einander letzen/ und einen guten Muth haben. Dieſes
gefiel dem Edelmann wol/ und er ſagete: Ja/ mein Herꝛ Wirth/
in welcher Mahlzeit muß aber ſolches geſchehen/ damit ich es
auch andern guten Geſellen/ ſo mir lieb ſind/ verkuͤndigen mag?
Der Wirth ſprach: Juncker/ zum Nachtmahl bin ich ſehr wol
geruͤſtet/ darum moͤget ihr wol gute Geſellen mitbringen/ ſo
wollen wir gantz leichtſinnig ſeyn; Jn Summa/ die Sach war
alſo abgeredet. Der Wirth befahl allem ſeinem Geſinde/ ſo bald
man zu Tiſch kaͤme/ ſolten ſie nur nicht faul ſeyn/ mit Einſchen-
cken/ ſo war der Beſcheid auch gegeben/ daß ſie den beſten Wein
einſchenckten. Nun/ ſo bald es um die Zeit war/ daß man zu
Tiſche ſaß/ trug man auf nach der Schwere/ da hub ſich ein
groſſes Freſſen und Sauffen an. Der Wirth aber lieff ſtaͤts
von und zu dem Tiſch/ damit man auf ſein Fuͤrnehmen nicht
achten/ und deſto weniger Argwohn haben moͤchte. Er ſchierete
auch tapffer zu/ damit dem jungen Edelmann kein Mangel an
Trincken gelaſſen wurde. Nun hatte der junge Edelmann eine
ſchoͤne
[349]Romans I. Buch.
ſchoͤne guͤldene Kette am Halſe hengen/ die war zum wenigſten
in 300. Guiden werth. Als nun der Wirth merckete/ daß der
junge Edelmann gantz wol bezecht war/ ſagte er zu ihm: Jun-
cker/ wie moͤget ihr doch den gantzen Tag ſo ſchwer am [H]alß tra-
gen? Der Juncker ſagte: Wie ſo? Da ſprach der Wirth:
Mich beſchweret den gantzen Tag das Hemd/ wann es am Leib/
deßgleichen mein Hut auf dem Kopff/ ich geſchweige/ daß ich
einen gantzen Tag eine ſolche Ketten an mir tragen ſolte; Sie
aber/ (ſagte der junge Edelmann/) beſchweret mich gar nichts/
ich wolte/ es kaͤme einer/ und ſchenckete mir noch eine zu dieſer/ ich
truͤge ſie darzu/ ja/ wann ſie noch ſo ſchwer ſeyn ſolte. Der
Wirth ſagete: Jch moͤchte doch wol wiſſen/ wie einem waͤre/
der eine ſolche Ketten truͤge? Der Edelmann war nicht unbe-
hend/ hienge dem Wirth die Ketten an den Halß/ der Schlamp
aber gie[ng] nichts deſtoweniger fuͤr ſich/ der Wirth lieff ab und
zu/ wie er vormahls auch gethan hatte/ auf die Letzte verlohr er
ſich gar/ und legte ſich ſchlaffen/ achtete nicht/ wer die Zech mach-
te. Als nun das Sauffen uͤber die Zeit waͤhrete/ blieben etliche
in der Stuben auf den Baͤncken ligen/ die Sorge war ſchon bey
ihnen allen dahin/ der Edelmann gedachte nicht mehr an ſeine
Kette. Als es nun Morgen und Tag ward/ ſaß mein guter
Wirth auf ſein Roß/ ritte dahin/ und nahm keinen Abſchied von
ſeinen Gaͤſten. Nicht lange darnach ſtund der Edelmann auf/
und meynete/ hinweg zu reiten/ er fragete offt/ wann der Wirth
aufſtehen wolte/ daß er ihm ſeine Kette gebe/ dann er muͤſte rei-
ten. Zuletzt ſagte ihm der Stall-Knecht/ der Wirth waͤre deß
Morgens fruͤh darvon/ ſo wuͤſte er nicht anders/ dann er waͤre
in Elſaß nach Wein geritten. Der gute junge Edelmann war
der Sachen nicht gar wol zufrieden/ wartete/ biß die Wirthin
auch kam/ die ſagte ihm gleichen Beſcheid. Was ſolte er thun?
Er muſte hinweg auf ſeines Vatters Schreiben/ ſo kunte ihm
die Wirthin gar nichts von ſeiner Ketten ſagen. Alſo zohe er
gantz traurig darvon. Uber einige Zeit ſchrieb er dem Wirth
um ſeine Ketten/ als er aber lang umher gieng/ muſte er ihm ſein
Geld ſchicken/ da hielte ihm der Wirth ſeine Ketten auch nicht
mehr zuruͤck.
Zu Salamanca in Spanien/ hatte ſich ein Student in eines
Schufters Frau verliebet/ weil nun der Mann ſtaͤts zu Hauß/
und ihm allen Zutritt verwaͤhrete/ erdachte er eine ſonderbare
Lift/ ſolcher Geſtalt: Er ſchriebe einen Brieff/ darauf den Titul
an den Hertzog von Infanrado, und darunter/ daß fuͤr die Uber-
bringung
[350]Deß Academiſchen
bringung 30. Realen/ (iſt ungefaͤhr 4. Reichsthlr.) ſolte bezahlet
werden/ benebenſt dem Woͤrtlein Eyligſt/ Eyligſt/ ꝛc. Dieſen
Brieff bringet er durch die dritte Hand in deß Schuſters Laden/
welcher ſo groſſen Botten-Lohn zu verdienen/ ſich auf den Weg
machet/ und dem Hertzogen/ der damahls etliche Meilen von
Salamanca Hof gehalten/ den Brieff folgenden Jnnhalts einge-
haͤndiget: Euer Fuͤrſtl. Gnaden geruhen gnaͤdig Uberbringern
deſſen ſo lang anzuhalten/ biß ich ihm ein Paar Hoͤrner aufge-
ſetzet/ und zu einem hochtrabenden Hahnrey gemacht habe/ er iſt
dieſer Ebren faͤhig und wuͤrdig. Der Hertzog ließ ihm deß
Studenten Lift gefallen/ behielte den Schuſter viß auf den an-
dern Tag bey ſich/ und bezahlete das Botten Lohn. Unterdeſſen
hat der Student bey der Frauen ſein Verſprechen in das Werck
gerichtet.
Zu Bologne hielten ſich weyland zween Studenten auf/
Namens Autonio de Phunen, und Johann von Gambea, vor-
nehmer Leute Kinder/ welche beyde kaum das 25. Jahr erreichet/
und keine Beluſtigung der Jugend unterwegen lieſſen/ maſſen
ſie die Mittel darzu uͤberfluͤſſig in den Haͤnden hatten/ ob ſie nach
Frauenzimmer gefraget/ und ſelber Geſellſchafft geſuchet/ iſt
bey ſo hitziger Jugend Muͤſſiggang leichtlich zu erachten/ und
waren ſie/ kurtz zu ſagen/ nicht traͤge/ ſolche ſchoͤne Buͤcher zu
durchſehen/ und fleiſſig daruͤber zu ligen/ gebrauchten auch
mehr/ als einen ſolchen Calender. Unter vielen/ war wegen ih-
rer Schoͤnheit im Ruhm/ Cornelia Bentivogli, deren Vor-
Eltern auf eine Zeit uͤber Bononia geherꝛſchet/ von welchen
Niemand im Leben/ als Lorentz Bentivogli, ihr Bruder/ in deſſen
Schutz und Aufſicht Cornelia damahls war/ und ob ſie wol
ohne Vatter und Mutter/ war ſie doch kein Waͤyſen-Kind zu
nennen/ weil der Reichthum ihr an Eltern Statt verblieben/ und
ihr ſattſamen Unterhalt verſchaffte. Dieſe Cornelia hielte ihr
Bruder/ wie ein ſchoͤnes Gemaͤhl verwahret/ das die Lufft leicht-
lich verderben moͤchte/ und auſſer der Kirchen nicht koͤnte geſehen
werden. Als es ſich nun begeben/ daß Johann von Gambea, der
Spaniſche Student/ auf eine Zeit bey Nachts nach Hauß gehen
wollen/ hat man ihm geſchryen/ und bey einer Hauß-Thuͤr ge-
fraget: Ob er Fabio waͤre? Ja/ ſagte er/ auf alle Wagnuͤß/
und hat darauf empfangen einen eingewickelten ſchweren Buͤn-
del/ mit [...]te/ ſolchen fleiſſig zu verwahren/ und wieder zu kom-
men/ alſo ſchloſſe man das Hauß hinter ihm zu/ und ließ ihn mit
einem neu-gebohrnen Kind in der Gaſſen ſtehen. Nach kurtzem
Bedacht/
[351]Romans I. Buch.
Bedacht/ traͤget er dieſe Gabe nach Hauß/ und befahl ſie einer
Frauen in der Nachbarſchafft/ wol merckend/ daß man ihn fuͤr
einen andern angeſehen haͤtte. Das Gezeug/ in welches das Kind
eingehuͤllet/ beglaubte leichtlich/ daß die Eltern dieſes Fuͤndlings
reiche Leute/ zu dem/ war auch das Kind ſo holdſeelig daß Johañ
ſich daruͤber erfreuete/ und zu ſolches Auferziehung keine Unko-
ſten ſpahren wolte. Nachdem nun Johann wieder kom̃en zu dem
Hauß/ da er ſo kindlich begabet worden/ hat er einen ſchreyen
und ſich woͤhrend befunden/ den ihrer viel er morden wollen/ deß-
wegen er alſobald von Leder gezogen/ und dem Bedrangten einen
Beyſtand geleiſtet/ biß endlich die Wacht darzu gekommen/ und
dieſe Meuchel-Moͤrder verjaget/ jedoch/ daß dieſe Beyde dar-
uͤber verwundet worden/ und Johann/ dem andern ſeinen Na-
men/ um welchen er gebeten/ damit er wiſſe/ wem er zu dancken
ſchuldig/ angezeiget. Jn dieſem Tumult hatte Johann ſeinen
Hut verlohren/ und den naͤchſten beſten auf geſetzet/ iſt auch da-
mit/ weil andere kommen/ und den/ dem er beygeſtanden/ hinweg
gefuͤhret/ wol nach Hauß kommen. Unterdeſſen wolte Antonio
ſeinen Spießgeſellen ſuchen/ und begegnet einem Welb/ welches
ihn um GOttes Willen bate/ er ſolte ſie in Sicherheit bringen/
und ſich ihrer annehmen/ dieſes thate er willig/ und brachte ſie
auf ſeine Kam̃er/ da er mit Verwunderung ſahe/ daß ſie ein ſehr
ſchoͤn und reich-hekleidetes Weib/ hoͤtete aber von ihr keinen an-
dern Bericht/ als das ſie bathe/ er ſolte ſie im Verborgen halten/
und eylen/ Friede zu machen/ unter denen/ die in nachſter Gaſſen
einander wuͤrgen wolten; Als er nun ſolches zu thun gewilliget/
begegnet ihm Johann/ und erzehlen dieſe Beyde was ihnen dieſe
Nacht begegnet. Jndem ſie nun in ihrer Behauſung angelan-
get/ wil Antonio ſeinen Geſellen nicht laſſen in die Kam̃er gehen/
und indem er aufſperret/ ſchimmert der Hut mit dem Diaman-
ten ſo herꝛlich/ daß die ſchoͤne Gefangene ſolches erſtehet/ und bit-
tet/ der Hertzog wolle doch hinein kom̃en/ und ſie in ihrem Elend
beſuchen. Antonio ſagte/ daß kein Hertzog hier/ und fuͤhrete mit
ihrer Bewilligung Johaun hinein/ welchen ſie befragte: Ob er
dann den/ deſſen der koͤſtliche Hut ſey/ kennete? Johann antwor-
tete mit Nein/ und erzehlete/ wie er ihm beygeſtanden/ und bey
dem Leben erhalten haͤtte. Hierauf gab ſich dieſe Weibs-Perſon
etlicher Maſſen zufrieden/ betrocknete die Thraͤnen-Perlen/
welche uͤber ihre Wangen haͤuffig triefften/ und indem ſie erzeh-
len wil/ was ſich mit ihr begeben/ hoͤret ſie ein neu-gehohrnes
Kind weinen/ und als ſie fragte/ wo es waͤre/ verſtunde ſie/ daß
ſolches
[352]Deß Academiſchen
ſolches ihr ſeyn muͤſte/ und bate/ man ſolte ihr doch ſolches zu
ſaͤugen bringen/ welches geſchehen/ und nachdem ſie ſich wieder
erholet/ hat ſie erzehlet/ daß ſie Cornelia Bentivogli ſey/ welche
der Hertzog von Ferrara, Alfonſo von Eſte, geliebet/ vermittelſt
ehelicher Verſprechung/ geſchwaͤngert/ maſſen ſie auch bey ihrer
Befreundin einer geneſen/ und dieſe ihre Frucht zur Welt ge-
bracht/ eben in der Nacht/ als der Hertzog ſie entfuͤhren/ und von
ihrem Bruder feindlich angegriffen worden/ indem ſie das Kind
einer von ihren Kammer Maͤgden vertrauet/ und auß Furcht
deß Todes/ welchen ſie von ihrem Bruder zu erwarten gehabt/
entflohen/ u. d. g. Ob nun wol die Magd vermeynet/ ſie gebe
das Kind dem Fabio, deß Hertzogen Diener/ hat ſie doch endlich
befunden/ das alle Umſtaͤnde eingetroffen/ und das Hertz hat
ihr geſaget/ daß dieſes ihr Kind. Die zwey Studenten haben
ihr das Zimmer eingeraͤumet/ das Weib/ welchem erſtlich das
Kind gegeben worden/ bey ihr gelaſſen/ und mit anbrechendem
Tag an den Ort/ wo der Streit zu Nachts ſich begeben/ verfuͤ-
get/ aber gantz keine Zeitung und Nachricht von dem Hertzog
vernehmen koͤnnen. Jndem begab es ſich/ daß Bentivogli, auß
ſonderlichem Vertrauen gegen die Spanier/ Johann erzehlete/
wie der Hertzog von Ferrara ſeine Schweſter verunehret/ und
bittet ihn/ mit nach Ferrara zu reiten/ und wegen ſeiner den Her-
tzogen fuͤr die Klinge zu fordern/ weil er ſo maͤchtig nicht/ daß er
Volck werben/ und einen Krieg mit dieſem Hertzogen anfangen
koͤnte. Johann lieſſe ſich hierzu willig gebrauchen/ und verhoffete
alſo zu vermitteln/ daß dem Hertzog anderer Geſtalt Vergnuͤ-
gung beſchehen moͤchte/ bedancket ſich deßwegen deß guten Ver-
trauens/ und machet ſich mit ihm auf den Weg/ nimmt auch mit
ſeiner Einwilligung/ Antonio mit ſich/ als einen glaubwuͤrdigen
Zeugen alles deſſen/ was ſich mit dem Fraͤulein Cornelia be-
geben. Nachdem dieſe verraͤyſet/ bildet die Waͤrterin der Cor-
nelia fuͤr/ daß Bentivogli einen Jtaliaͤner/ der hinterliftig dieſe
Spanier/ wegen ihrer/ um das Leben bringen werde/ raͤth alſo/
und beredet ſie/ daß ſie ſich ſamt dem Kind auf machen/ und bey
einem Dorff-Pfarrer/ unfern von Ferrara, da ſie vor dieſem ge-
dienet/ ihre Einkehr nehmen ſolte/ fuͤhrete ihr auch zu Gemuͤth/
daß ihr viel anſtaͤndiger und verantwortlicher/ wann ſie bey ei-
nem alten Geiſtlichen/ als bey jungen Studenten gefunden wer-
den wuͤrde. Cornelia befindet alle die Urſachen fuͤr richtig/
machet ſich mit ihrem jungen Sohn auf den Weg/ und kommet
zu beſagtem Dorff-Pfarrer/ welcher ſie willig aufnahme/ und
wol
[353]Romans I. Buch.
wol empfienge. Es fuͤgte ſich aber/ daß Alfonſo und Bentivogli
von ferne einander begegnen/ und Johann/ der ihn alſobald er-
kennet rennete vorauß ihm entgegen/ und gab ihm zu verſtehen/
welcher Maſſen Bentivogli ſich von ihm beleydiget vermeynet.
Alfonſo erklaͤret ſich hier auf alſobald/ daß er Corneliam fuͤr ſei-
ne Gemahlin halte/ ihr die Ehe verſprochen/ und gewillet ſey/
ſich foͤrderlichſt mit ihr trauen zu laſſen. Als nun Johann
dieſe Antwort zuruck brachte/ wurde Bentivogli ſehr erfreuet/
und kamen einander zu umarmen. Unter Weges erkannte
Alfonſo ſeinen Hut/ und wiederholete ſeine Danckſagung gegen
Johann/ daß er ihm in ſeinen Noͤthen beygeſtanden/ erzehlete
auch/ wie alles mit Cornelia daher gegangen. Jndem gelangten
ſie beyde vor beſagtem Dorff-Pfarrer an/ und weil ſie der Re-
gen uͤberfiel/ ſtiegen ſie ab/ und funden/ was ſie nicht ſuchten/
bielten alſo dieſes fuͤr eine ſondere Schickung/ und ließ ſich Al-
fonſo mit Cornelia alſobald trauen/ und fuͤhrete ſie mit ſich nach
Ferrata, da ſie in groſſer Vergnuͤgung lange Zeit gelebet/ und
mit den zweyen Spaniern ſehr groſſe Freundſchafft anweſend/
und durch Brieff-Wechſel abweſend gepflogen.
Ein armer/ doch ſubtiler und verſchmitzter Student zu
allerhand Sachen/ ward deßhalben von den jungen Purſchen
hin und wieder geliebet/ daß er allenthalben/ wo er nur hin kam/
freye Zehrung hatte/ es daͤuchte ihn aber/ er koͤnne zu nichts
kommen/ wann er nicht ein fein Capital haͤtte/ verließ derhalben
ſeine Geſellſchafft/ und zog auf Pariß| fand auch allda bald eine
Compagnie von Purſchen/ die ihn wegen ſeiner Geſchicklichkeit
ſehr liebeten/ und wolte einer fuͤr dem andern gern bey ihm ſeyn/
doch dachte er/ hiermit wirſt du noch nichts vom Capital kriegen/
bedachte alſo dieſes/ er heuerte eine Kammer/ und borgete von
ſeinen Cameraden ihre koͤſtlichſte Kleider/ machte darmit in ſei-
ner Stuben einen maͤchtigen Zierrath/ nebenſt einem Schneider-
Tiſch. Nun war ein Schneider/ der ſpendirte trefflich auf Mo-
den/ zu dem gieng er gantz verkleidet/ und ſagte/ was er ihm ge-
ben wolte/ wann er ihm einen Ort weiſete/ da ein Boͤnhaß ſaß/
der viel neuer Moden bey ſich haͤtte; Der Schneider gab ihm
2. Dutaten/ und er gieng Abends mit ihm/ und wieſe die fuͤr dem
Fenſter hangende ſchoͤne Kleider/ damit war der Schneider zu-
frieden/ brachte auch deß andern Tages ſeine andern Meiſter
mit hin/ und wolten den Boͤnhaſen jagen/ da hatte ſich der Stu-
dent umgeputzet/ daß er ihnen unbekandt war/ ſaß auch bey dem
Tiſch/ als wann er naͤhete/ den nabmen ſie zu erſt bey dem Kopff/
Zund
[354]Deß Academiſchen
und wolten ihn mitnehmen/ aber er wolte nicht/ ſchlugen und
ſtieſſen unterdeſſen tapffer auf den unſchuldigen Boͤnhaſen loß/
biß zuletzt die Nach barn nebſt ſeinen vorigen Cameraden darzu
kamen/ und halffen ihm zu erſt loß/ brachten es auch bey der
Obrigkeit dahin/ daß ihm die Schneider fuͤr ſeine Schlaͤge
50. Frantzoͤſiſ. Kronen geben muͤſſen/ diß war ſein erſtes Capital.
Auf einer gewiſſen Univerſitaͤt in Franckreich/ da eben eine
haͤßliche anſteckende Seuche graſſirte/ ſahen etliche verſchlagene
Studenten/ daß ein Doctor Medicinæ, ihr Nachbar/ ein treff-
liches Schwein geſchlachtet/ und ſelbiges im Hof an einen Pfahl/
um auß zutrucknen/ damit es zum Saltzen deſto bequemer waͤ-
re/ auf geſchlagen hatte. Weil ſie nun dem Doctor ohne dem
nicht gut/ trachteten ſie darnach/ wie ſie ihm einen Poſſen ma-
chen/ und das Schein entwenden moͤchten. Solches geſchahe
bey Nacht/ und wie der Doctor fruͤh Morgens daſſelbe nicht
ſiehet/ wird er beſtuͤrtzet/ wirfft gleichwol Augenblicklich ſeinen
Argwohn auf die rechte Thaͤter/ als welche um dergleichen
Stuͤcklein ohne dem in keinem guten Ruff waren/ dannenhero
gehet er zum Statthalter deß Orts/ und bittet um Gerechtig-
keit. Erzehlet ihm ſo viel Umflaͤnde/ daß ihm derſelbe einen
Stadt-Diener zugibt/ der den Studenten 1. 2. 3. und gar zum
vierdten mahl befahl/ dem Doctor das Schwein wieder zu zuflel-
len/ die Studenten aber wolten nicht daran/ ſondern giengen bin/
und laͤugneten wacker. Der Doctor erlanget endlich/ daß Hauß-
ſuchung geſchehen moͤchte/ wiewol der Statthalter/ als der ein
groſſer Studenten-Freund/ lange nicht daran wolte/ darauf
wird den Studenten bange/ jedoch erdachte einer darvon alſo-
bald eine Liſt/ und ſprach zu ſeinen Cameraden: Wir wollen in
einer unſerer Kammer einen Tiſch mit einem ſchoͤnen weiſſen
Tuch laſſen bedecken/ auf daſſelbige allerley Glaͤßlein/ Becher/
Oele/ Pflaſter/ Salben/ und dergleichen ſtellen und legen/ wie
man in denen Kammern/ darinnen Patienten ligen/ zu thun pfle-
get/ als da man viel und mancherley Artzneyen vonnoͤthen und
im Vorrath hat/ und wann der Statthalter Jemand ſchicket/
das Schwein zu ſuchen/ und derſelbige in die Kammer kommt/
ſo ſteliet euch alleſamt ſehr traurig/ ſehet/ wie ihr Thraͤntn mit
untermiſchten Seuffzen herauß bringet/ und wann Jemand die
Urſach ſolcher eurer Traurigkeit zu wiſſen begehret/ ſo antwortet
ihm mit traurigen Gebaͤrden/ und ſaget/ es lige einer eurer Ge-
ſellen an der jetzt regierenden anſteckenden Seuche in dem Bette
toͤdtlich kranck/ und welches das Alleraͤrgeſte/ ſo ſtehet ihr in
Sorgen/
[355]Romans I. Buch.
Sorgen/ es ſey der meiſte Theil der Ubrigen unter euch mit
ſolcher Seuch allbereit auch angeſtecket/ und damit ſie es deſto
beſſer glauben/ wollen wir das Schwein an Statt deß Patienten
in das Bett legen/ ihm eine Schlaff-Hauben aufſetzen/ und die
Decke fein wol hinauf ziehen/ damit man es deſto weniger koͤnne
ſehen und mercken/ fuͤr das Ubrige laſſet mich ſorgen/ dann/ wie
ihr wiſſet/ ſo ſtehet die gantze Stadt/ dieſer Schwachheit halben/
in groſſer Furcht/ und wird ſich keiner leichtlich zu dem Bette
hinzu machen/ viel weniger die Decke aufheben/ zu beſehen/ was
darunter lige.
Als die Ubrige ihres verſchmitzten Geſellen guten Vor-
ſchlag vernommen/ kunten ſie nicht aufhoͤren zu lachen/ richteten
alles das Jenige/ was er ihnen gerathen/ alſobald ins Werck/
und ſchlugen alle Forcht deſtomehr von ſich/ die weil es eine ſolche
Sach/ die nicht um Leib und Leben zu thun/ ſetzten demnach die
Tafel zurecht/ das Tuch und alle obgemeldte Sachen darauf/
legten das Schwein in das Bett/ ſetzten denſelbigen eine Schlaff-
Hauben auf/ umwickelten und verdeckten ihm den Halß/ Stirn
und Ruͤſſel/ mit einem weiſſen Tuch/ lieſſen die vordere Fuͤſſe mit
Lumpen umwickeln/ und mit Ermeln angethan/ ein wenig uͤber
der Deck berauß tagen. Sie waren mit dieſem allem kaum
fertig worden/ da kamen die Hauptleute/ beneben den Scher-
ganten von dem Statthalter geſchickt/ klopfften/ ihrer Gewohn-
heit nach/ mit groſſer Ungeſtuͤmm an der Thuͤr deß Hauſes an/
trungen/ als man ihnen die Thuͤr auf gemacht/ mit hellem Hauf-
fen ohn allen Gruß/ oder Zuſprechen/ hinein/ giengen gerades
Weges hinauf in den Saal/ funden die Studenten ſehr traurig
und weinend bey einander/ dann der eine ſeuffzet und klaget/ der
andere weinet/ der dritte leget ſeinen Kopff auf die Hand/ ſchlug
die Augen unter ſich/ und war ſehr traurig/ der vierdte ſchlug die
Haͤnde zuſammen/ ſahe uͤber ſich und ſeuffzet/ und ſo fort an/
endlich ſchryen ſie alle zuſammen und rufften: Ach deß armen
Tropffen/ unſers Geſellen/ iſt es moͤglich/ daß wir ihn alſo ſollen
verlieren? Ach es kan nicht anders ſeyn/ ſintemahl keine Artzney
das Geringſte an ihm außrichten und verfangen wil. O Tod/
verſchone dieſes jungen und freudigen Hertzen/ und was ſie der-
gleichen klaͤgliche Worte mehr vorzubringen und zu erdencken
wuſten.
Uber dieſem Klagen und Heulen wurde die gantze Wacht
ſehr beſtuͤrtzt/ derowegen dann einer auß den Hauptleuten frag-
te/ was ihnen begegnet/ daruͤber ſie ſich ſo ſehr beklagen und aͤng-
Z 2ſtigen?
[356]Deß Academiſchen
ſtigen? Dem gab der eine Student zur Antwort/ und ſaget:
Ach in dieſer naͤchſten Kammer liget einer unſerer Geſellen mein
allerliebſter Freund und Bruder/ an der jetzt-regierenden anfle-
ckenden Seuch toͤdtlich kranck/ und welches noch aͤrger/ ſo ſtehen
auch wir alleſamt in den Sorgen/ daß wir ihme werden nach-
folgen/ ſintemahl faſt keiner unter uns/ der ſich nicht uͤbel befin-
det/ gehet hinein/ liebe Herren/ gehet hinein/ und helffet uns un-
ſern Bruder beweinen. Als ſolches der Capitain vernommen/
machet er die Kammer-Thuͤr ein wenig auf/ ſahe hinein/ zu
vernehmen/ ob ihm alſo waͤre/ ward deß Krancken wie oberzeh-
let/ in dem Bett/ und eines andern/ welcher bey dem Bett ſaß/
und den Krancken troͤſtet/ und zu einem ſeeligen Abſchied mit
vielen Weinen/ Worten und Gebaͤrden ſtaͤrcket/ zuſamt den vie-
len Glaͤſern und Hafelein auf dem Tiſch gewahr/ gerieth dar-
uͤber in eine groſſe Furcht/ zohe den Kopff alſobald wiederum
zuruͤck/ und gieng ohn alles GOtt behuͤte euch/ mit ſeiner Ge-
ſeuſchafft wiederum auß dem Hauß hinauß/ verfuͤget ſich in
ſolchem Schrecken zu dem Statthalter/ konte kaum reden/ brach-
te endlichen ſo viel herauß/ und ſagte: Ach Herꝛ/ wo habt ihr
mich hingeſchickt? Was iſt es/ fragte der Statthalter? Der Herꝛ
hat mich/ antworter er wiederum/ in ein Hauß geſendet/ in wel-
chem ich einen an der jetzt-regierenden boͤſen Seuch habe gefun-
den todt kranck ligen/ und alle uͤbrige Studenten/ ſo in demſelbi-
gen Hauß ſind/ ſitzen beyſammen/ und daſſelbige nicht allein von
wegen ihres krancken Geſellen/ ſondern auch um ſich ſelbſten/ die-
weil ſie ſich gleichfalls dieſer Kranckheit zu befahren/ und allbe-
reit jetzund nicht wol befinden. So bald ſolches der Stadthalter
vernahm/ ſchrye er mit lauter Stimme: Weg/ weg mit euch
allen/ gehet um GOttes willen auß meinem Hauß/ ſintemahl/
wie ich beſorge/ ihr eben ſo wol angeſtecket ſeyd/ und kommet/ ſo
lieb euch euer Leib und Leben iſt/ ſo bald nicht wiederum herein/
biß ich eurer ſelbſt begehre/ und nach euch ſchicke/ gieng damit in
ſeine Schlaff-Kammer/ und ſuchet ſeine gewoͤhnliche Artzney/
ſolchen Schrecken zu vertreiben. Nachdem der liflige Student
das ſchnelle Abweichen deß Hauptmanns und ſeiner Geſellſchafft
vernommen/ zog er ſich alſobald an/ gieng zu dem Statthalter/
ließ die uͤbrige Studenten in groſſem Gelaͤchter zu Hauß/ kam
vor den Statthalter/ er zehlet denſelbigen die gantze Sache/ wie
es nemlich von Anfang biß zum Ende/ er gangen/ welches ihm
dann uͤber alle Maſſen wol gefiel/ und kunte deſſen nicht gnug-
ſam lachen/ ſonderlich/ die weil er vernahm/ daß Niemand unter
ihnen
[357]Romans I. Buch.
ihnen kranck/ und ſaget: O ihr Studenten ſeyd aͤrger und liſti-
ger/ als der Teuffel ſelbſt/ glaube demnach gaͤntzlich/ es ſeye kein
Liſt und Bubenſtuͤck in der Welt/ das ihr nicht wiſſet/ und wehe
dem/ der in eure Haͤnde kommt. Befahl ihnen gleichwol/ dem
Doctor das Schwein wieder zu geben/ welches doch denen Stu-
denten gar nicht beliebt/ als welche nichts zu dem Ende nehmen/
daß fie es wollen wieder geben/ und ſagete der Student/ es waͤre
ihnen ſolches eine ewige Schande/ und ihrer Klugheit ſehr ver-
weißlich/ um welches willen man ſie fuͤr Narren in beyden Rech-
ten balten wuͤrde/ ſintemahl Nehmen und Wiedergeben keinem
Verſtaͤndigen wol anſtehet/ und derowegen auch ihnen nicht ge-
buͤhren wolte; Aber/ damit ſie fuͤr billiche Leute angeſehen wuͤr-
den/ die die Gerechtigkeit lieb haͤtten/ ſchickten ſie dem Statthal-
ter einen Schincken/ und etwas von den Wuͤrſten/ das Ubrige
aber verzehreten ſie mit groſſen Freuden/ und bey guten Wein/
alſo/ daß der gute Doctor nicht das Geringſte darvon genoſſe.
Das XXXI. Capitul/
Groſſe Schlaͤgerey unter den Studenten auf denAcademien.
Seltzame Rencontre zwiſchen den Studenten und einem Com-
mendanten deſſelben Orts. Wie auch eines Magnifici und
deſſelben Studioſi. Vngluͤckliches Duell in Leipzig.
KLingenfeld ließ es mit ſeinen Studenten-
Streichen hierbey bewenden/ und der Podeſtà
geſtunde/ daß die Studenten allhier zu Padua
auch manchmahl ſeltzame Poſſen fuͤrnaͤhmen. Aber
Printz de Turſis ließ ſich jetzo vernehmen/ wie man ihm
erzehlet/ daß auf den Teutſchen Academien auß dem
vielen Sauffen groſſe Uneinigkeiten und Schlaͤge-
reyen vorzufallen pflegeten. Das geſtehe ich willig/
ſprach Klingenfeld/ und koͤnnen wir es an unſerm Ce-
rebacchio gnugſam ſehen/ daß unſer Clima die Leiber
der Menſchen gewaltig außdorret/ welche demnach
an Speiß und Tranck ſich fleiſſig halten muͤſſen. Ob
aber darauß mehr Uneinigkeiten/ Schlaͤgereyen und
Duellen auf den Univerſitaͤten entſtehen/ als auß der
Miß-Treu und Geilheit der Jtaliaͤner und Frantzo-
Z 3ſen/
[358]Deß Academiſchen
ſen/ das laß ich zu eines rechtſchaffenen Mannes Ur-
theil dahin geſtellet. Der Podeſtà ſprach darauf/ daß
die Duellen unter den Studenten in Jtalien eben ſo
haͤuffig nicht/ und wo je die Studenten ſich balgeten/
waͤre der Handel richtig von Teutſchen angefangen.
Muͤſſe es demnach auf den Teutſchen Academien gar
offt harte Duellen abgeben. Das kan ich bezeugen/
war Klingenfelds Antwort/ und darff ich mich eben
nicht ruͤhmen/ daß ich auf den vier Teutſchen Acade-
mien/ die ich frequentiret/ mich ſelber 58. mahl herum
geſchlagen habe. Jch wil aber meiner Haͤndel nicht
gedencken/ ſondern/ damit meine Herren ſehen/ wie es
bey uns hergehet/ wil ich von etlichen Rencontres und
Schlaͤgereyen ſagen. Bey meiner Zeit ſtudirete zu
Marburg ein anſehnlicher Liefflaͤnder/ welcher die
Theologie verlaſſen/ und ſich auf die Jura geleget/ er
chareſſirete eines fuͤrnehmen Doctors Tochter/ die er
auch hernach zur Ehe bekam/ aber ſie ſtarb bald her-
nach. Dieſer Liefflaͤnder merckete/ daß ein fuͤrnehmer
Polack dann und wann ſich vor der Thuͤr beſagter
ſeiner Amour zu Pferd præſentirete/ und hochmuͤthige
Spruͤnge thaͤte/ dannenhero ward ihm ſolches eins-
mahls angedeutet/ da er eben mit etlichen guten
Freunden bey einem Trunck ſich luſtig machte/ er be-
fahl darauf ſeinem Jungen/ den Gaͤſten ſo viel Weins
zu holen/ als ſie foderten/ er ſelber aber nahm (es war
ſchon in der Nacht/) einen bloſſen Degen unter den
Arm/ ließ den Hut/ um keinen Aufſtand zu machen/ in
der Stuben ligen/ und ſetzete eine lederne Calot aufs
Haupt. Er gehet gerade nach dem bewuſten Ort/ da
ihm der Polak entgegen kom̃t/ und ihn mit dem Pferd
ſchier vom hohen Pflaſter herab gedraͤnget haͤtte. Der
Liefflaͤnder ſchaͤumete zwar/ wolte doch die Sache mit
Glimpff anfangen/ ſprach demnach: Monſieur, wo
habt
[359]Romans I. Buch.
habt ihr diß muthige Pferd bekommen? Der Polack
war ein ſehr reicher und fuͤrnehmer Staroſte/ gab ihm
demnach die Antwort/ was er darnach zu fragen haͤt-
te/ gab darauf dem Pferde die Sporen/ und wolte
den Liefflaͤnder vom hohen Groth vollends herunter
werffen. Aber dieſer ſprung beſſer herein/ ergriffe das
Pferd bey der Bruſt/ hub es vornen in die Hoͤhe/ und
warff es/ ſamt dem Staroſten/ aufs Pflaſter/ daß es
glatſchete/ nahm darauf deß Polacken Saͤbel/ ſchlug
ihm darmit um den Kopff/ ließ ihn hernach ligen/ und
gienge ſeines Weges/ nachdem er ſeiner Liebſten ein
hoͤflich Compliment gemacht/ dann dieſe hatte den
gantzen Handel angeſehen. Der Polack ward von ſei-
nen Dienern endlich wieder aufgerafft/ zu Pferd ge-
ſetzet/ und nach dem Balbierer gebracht/ der ihm die
Galanterie-Wunden verband. Der Liefflaͤnder hin-
gegen ſtellete ſich bey ſeinen Gaͤſten wieder ein/ die
von nichts gewuſt haͤtten/ wann man ihn nicht mit
Pohlniſchem Blut haͤtte beſprenget geſehen.
Eben dieſer Liefflaͤnder hatte noch viel andere
wackere Studenten zu Feinden/ wie er demnach eins-
mahls im Wein-Hauß ſich luſtig machte/ warnete
ihn ein guter Freund/ ſich vorzuſehen/ weil 6. ſeiner
Widerparten mit groſſen Degen auf dem Marckt
auf ihn laureten. Kaum hatte er dieſen Bericht em-
pfangen/ da gehet er mit ſeinem kleinen Degen allein
auf die 6. Purſche loß/ ſchilt ſie/ und fordert ſie her-
auß. Sie lieſſen ſich nicht lange bitten/ zogen dem-
nach ihre Plampen von Leder/ und ſchlugen demnach
auf ihn loß/ daß er hefftig verwundet ward. Der Lieff-
laͤnder parirte mit ſeinem kleinen Degen/ aber die
Klinge ward ihm vor dem Gefaͤß weggehauen/ dar-
auf drunge er in den Hauffen/ und ergriffe einen groſ-
ſen Hieb-Degen/ der auf ihn loßgeſchlagen ward/
Z 4bey
[360]Deß Academiſchen
bey der ſcharffen Klinge/ welche er ſo veſt hielte/ und
an ſich zog/ daß er ſie auß dem Gefaͤß loßwuͤrckete/
und ſich noch wacker darmit herum ſchlug. Sein
Landsmann/ ein ſehr frommer/ und bey Jedermann
beliebter/ gelehrter Studioſus Theologiæ, kam auß
ſeiner Studier-Stuben herzu gelauffen/ ihm zu helf-
fen/ aber im erſten Streich wurden ihm die Finger an
der rechten Hand/ ſamt dem Degen auf die Erde ge-
worffen/ er muſte demnach auß dem Gefecht wegge-
hen/ und ſich verbinden laſſen/ der andere aber bliebe
allein gegen ſeine 6. Widerparthen ſtehen/ und ſchlug
ſich ohne Unterlaß mit ihnen allen herum/ das Blut
floſſe allenthalben herab/ daß man mit den Schuhen
darinnen badete/ die Burger kamen mit Stangen
herzu gelauffen/ kunten ſie aber nicht von einander
bringen. Endlich kam D. Curtius, als damahliger
Rector Magnificus, welcher ein ſehr kleiner Mann/
aber von groſſer Authoritaͤt war. Dann/ ſo bald ihn
die Kaͤmpffenden erblicketen/ ſtecketen ſie die Degen
ein/ und giengen von einander. Der Liefflaͤnder aber
hatte uͤber 20. Wunden/ uñ darunter einen bona dies
Streich uͤber den lincken Arm/ nahe bey der Hand/
bekom̃en/ welcher nicht ein Haar tieffer gedienet haͤt-
te. Als er zu dem Balbierer kam/ bathe er ihn/ vor al-
len Dingen die Wunde/ welche er in der Ober-Lippen
bekommen/ bald-moͤglich zuzuheilen/ damit er ſeine
Liebſte forderſamſt wieder kuͤſſen/ und bedienen moͤch-
te. Dieſer Liefflaͤnder ward hernach Doctor in Jure,
und heurathete ſeine Liebſte/ ward aber von der
Stadt/ darinn er zu Hauß gehoͤrete/ heim beruffen/
um Antwort zu geben/ warum er das. Studium Theo-
logicum, worzu man ihm Geld verſchoſſen/ verlaſſen
haͤtte? Er defendirte ſich endlich herauß/ und kam
2. Jahr hernach allererſt wieder herauß/ ſo lang muſte
ihn
[361]Romans I. Buch.
ihn ſeine Liebſte miſſen/ welcher er vor der Abraͤyſe
kaum 4. Wochen beygewohnet hatte. Sie betruͤbete
ſich aber Zeit ſeiner Abweſenheit dermaſſen/ daß ſie
nicht lange hernach ſtarb/ und nur eine Tochter nach
ſich verließ.
Wo man in Veſtungen Academien hat/ da fin-
det ſich zwiſchen den Studenten und Soldaten eine
ſtaͤts-waͤhrende Antipathie, worbey bald dieſe/ bald
jene Parthey/ den Kuͤrtzern ziehet. Und thut ein Printz
ſehr wol/ wann er an ſolchen Orten Commendanten
verordnet/ die Studenten-Freunde; Dann/ die Sol-
daten muͤſſen ihnen pariren/ die Studenten aber/ wo
er ihr Freund nicht iſt/ achten ihn nicht einen Pfiffer-
ling/ worvon ich eine denckwuͤrdige Rencontre zu er-
zehlen weiß? Ein gewiſſer Commendant, ein General
und Edelmann in einer Veſtung/ darinnen eine be-
ruͤhmte Academie, thut den Studenten allen erdenck-
lichen Verdruß an/ alſo/ daß er weder Fuͤrnehme/
noch Geringe/ ja nicht einmahl die Profeſſores und
Magnificum achten wolte. Wie nun einsmahls
2. Studenten in dem nah-gelegenen Feld ſpatzieren
gehen/ kommen etliche Soldaten hinter ihnen her/
welche hoͤren/ daß die Vorgehenden Lateiniſch mit
einander reden; Weil ſie nun wuſten/ daß ihnen ihr
Commendant wider die Studenten in allem favori-
ſirte/ begehrten die unverſchaͤmten Geſellen/ ſie ſolten
Teutſch reden/ damit ſie es verſtehen koͤnten. Dieſe
hergegen lacheten deß Anmuthens/ und ſagten/ ſie
moͤchten nur auch Lateiniſch reden/ ſo verſtuͤnden ſie
einander gar wol.
Die Soldaten werden ſehr unwillig hierauf/
weil ſie aber ſehen/ daß die 2. Studenten gute Reſo-
lution hatten/ durfften ſie es zu keiner Thaͤtlichkeit
kommen laſſen/ ſondern lieſſen es bey Schmaͤhen und
Z 5Schel-
[362]Deß Academiſchen
Schelten bewenden. Giengen aber geſchwind vor-
auß/ und beſtelleten in der Wacht der Veſtung/ daß
man die ankommende 2. Studenten in Arreſt nehmen
moͤchte/ weil ſie auf die Militz geſchimpffet haͤtten.
Wie nun die Studenten durch das Ravelin in die
Veſtung gehen wollen/ werden ſie angehalten/ und
in die Wacht geſetzet/ und ob man gleich keinen einzi-
gen Studenten mit ihnen wolte reden laſſen/ auch
alle Speiſen/ die ihnen zugeſandt worden/ genau
durchſuchete/ ob etwa ein Brieff darinnen zu finden/
kam doch das fliegende Geruͤcht dieſes Arreſts bald
unter die geſamte Studenten/ welche bey dem Recto-
re Magnifico anhielten/ es bey dem Commendanten
dahin zu vermitteln/ daß er die de facto arreſtirte Pur-
ſche alſobald relaxiren/ und ihnen ihre Privilegia hin-
fuͤhro ungekraͤncket laſſen moͤchte/ inmaſſen ſie keinen
Soldaten/ ſondern die Herren Profeſſores und
Magnificum fuͤr ihre competente Obrigkeit erkenne-
ten. Der Rector thut ſein Beſtes/ wird aber abge-
wieſen/ daher die Studenten insgeſamt eine Schrifft
aufſetzen/ und alleſamt unterzeichnen/ darinn ſie von
dem Landes-Fuͤrſten begehren/ man moͤchte die ar-
reſtirte Perſonen loßgeben/ und ihnen die vom Com-
mendanten bißhero widerrechtlich-gehemmete Frey-
heit/ auf dem Wall zu ſpatzieren/ wieder einraͤumen/
wie es vorhin geweſen/ oder alle unterſchriebene wol-
ken auf einmahl die Academie quittiren/ und nim̃er-
mehr wieder dahin kommen.
Dieſes Schreiben/ darinn auch die unguͤltige
Urſache deß Arreſts enthalten/ ward mit einem Ex-
preſſen nach Hof geſandt/ und reſolvirte derſelbe dar-
auf/ durch ein Mandatum an den Commendanten/
dem Geſuch der Studenten zu willfahren. So bald
die Studenten dieſe favorable Antwort erhalten/
ſandten
[363]Romans I. Buch.
ſandten ſie an alle Tiſche/ daß ein jeder Purſch mit
ſeinem Degen an der Seiten (die meiſten trugen
ſonſten Maͤntel/) auf einem gewiſſen Platz erſchei-
nen ſolten. Solches geſchahe/ und die 2. Principale-
ſten/ ſo fuͤrnehme Edelleute/ heureten eine Caroſſe mit
6. Pferden/ darinn ſetzeten ſie ſich/ ſandten dem Com-
mendanten den Fuͤrſtl. Befehl/ und fuhren/ in Be-
gleitung aller nachfolgenden Studenten/ nach dem
Ravelin, da ſie die arreſtirte Studenten mit groſſer
Reputation in die Kutſche nahmen/ hernach auf den
Wall fuhren/ und alſo Poſſeſſion ihres freyen Spa-
tzier-Gangs wieder darauf nahmen. Nachdem ſie
rund um die Stadt gefahren/ und marchiret/ lieſſen
ſie ein Panquet anrichten/ und machten ſich ſo luſtig
darbey/ daß der Commendant 50. Mann vor ſeine
Wohnung commandirte/ dieſe Nacht allda Poſto zu
halten/ damit er vor den erzoͤrneten Studenten ge-
ſichert bliebe. Nicht lange hernach gieng einer von
den 2. beſagten Prineipalen auf der Gaſſen/ und weil
er ſich berauſchet/ tournirte er gewaltig/ weßwegen ihn
der Com̃endant am folgenden Tag in das Conſiſto-
rium fordern ließ. Als der Student kam/ ſaſſe der
Commendant uͤber den Profeſſoren ſchon an ſeinem
Ort/ und begehrete/ man ſolle dem Studenten den
Degen zuforderſt abnehmen/ weil es ſich nicht gezie-
mete/ bewoͤhret vor dem Conſiſtorio zu erſcheinen. Ob
nun gleich der Student nicht gerne daran wolte/ weil
er ſeinen Degen nim̃er von der Seiten kommen lieſ-
ſe/ ſo uͤbergab er doch/ auf freundliches Zureden der
Herren Profeſſoren/ endlich dem Pedellen ſein Ge-
woͤhr/ und als ſolcher eben damit zum Gemach hinauß
tretten wil/ faͤhret der Commendant den Studenten
mit rauhen Worten an/ darauf ſpringet der Ange-
klagte augenblicklich nach dem Pedellen/ reiſſet ihm
ſeinen
[364]Deß Academiſchen
ſeinen Degen auß der Hand/ und drohet dem Com-
mendanten/ mit ſeinen Schmaͤh-Worten einzuhal-
ten/ oder er wiſſe ſeine Reputation zu mainteniren/
ſolte er auch ſein Leben daruͤber laſſen.
Hieruͤber erſchrack die gantze Verſammlung/
und der Commendant ſelber wuſte nicht/ wie er mit
dem Menſchen daran/ dann einer ſolchen Deſperation
Reſolution war er bey keinem Studioſo vermuthen.
Er fragete ihn demnach mit etwas freundlichern
Worten/ was fuͤr ein Landsmann er ſey? Jch bin ein
ehrlicher Schwede/ antwortete er mit ſeiner liſplen-
den Zungen/ und ihr/ mein Herꝛ Commendant, habt
ihr ehemahlen von dem Schwediſchen General-Ma-
jor N. N. gehoͤret? Ja/ ſprach dieſer/ der war ein
rechtſchaffener Cavallier, und ich bin Lieutenant unter
ihm geweſen. Wolan/ verfolgete der Student/ ſo ſol-
let ihr wiſſen/ daß hier ſein Sohn ſtehet/ der ſeinen
Feind eben ſo wenig fuͤrchtet/ als ſein Vatter. Als der
Commendant dieſes hoͤrete/ etinnerte er ſich einiger
Lineamenten deß Vatters/ die er an dem Sohn fand/
weil auch derſelbe ein fuͤrnehmer reicher Schwedi-
ſcher Baron, ſtund er von ſeiner Stelle auf/ tratt zu
dem jungen Baron, reichete ihm die Hand/ und ver-
trug ſich mit ihm/ da ſie dann hernachmahls gar offt
mit einander ſpeiſeten/ und war der Baron deß Com-
mendanten faſt taͤglicher Gaſt/ biß er endlich wegzog.
Dieſer remarquablen Action, ſprach Klingenfeld/ ha-
be ich zwar in Perſon nicht beygewohnet/ ſie iſt mir
aber alſo von einem Studenten/ der von Anfang biß
zum Ende darbey geweſen/ mit allen jetzt-beſagten
Umſtaͤnden/ erzehlet worden.
Von dieſem Schwediſchen Baron, der ſich ſchon
auf mehr Teutſchen Academien aufgehalten haͤtte/
aber nirgends ſeinen Stand offenbahren wolte/ ſon-
dern
[365]Romans I. Buch.
dern ſich gantz ſchlecht hielte/ ſtehet noch ein artiger
Streich zu melden. Wie er nach Marburg kam/ cor-
reſpondirete er mit ſeinen Bekandten und Landes-
Leuten auf der nur 3. Meilen von dannen belegenen
Univerſitaͤt Gieſſen/ dieſe kamen hin/ und beſuchten
ihn/ er tractiret ſie nach Wuͤrden/ weil er aber nichts
liebers/ als einen blancken Degen ſahe/ verunwilligte
er ſich mit ſeinen Landes-Leuten/ und ſchlug ſich wa-
cker mit ihnen herum. Der Hoſpes wolte ſich darein
mengen/ aber er verließ ſeine Landes-Leute/ kam uͤber
denſelben her/ und ſchlug ihn blau und ſchwartz. Sol-
chem nach ward er verklaget/ und am folgenden Tag
vor den Magnificum citiret; Er lage/ als der Pedell
kam/ annoch auf dem Bette/ verſprach aber/ ſich alſo-
bald anzukleiden/ und ihm zu Jhrer Magnificentz zu
folgen. Er blieb aber ligen/ und ſchlieff den Rauſch
vollends auß. Uber 2. Stunden kam der Pedell noch
einmahl/ und citirte ihn alſobald zu erſcheinen. Er
ſprach: Es iſt mir leyd/ Monſieur, daß ich nicht gekoͤnt/
dann ich bin aufgehalten worden; Gehet aber hin/
und excuſiret mich bey Jhrer Magnificentz/ dann ich
wil alſobald kommen. Der Pedell gehet abermahl ſei-
nes Weges/ aber der Baron verzog ſo lang/ biß der
Pedell zum dritten mahl kam/ und ihn ſub Pœna Car-
ceris citirte. Darauf machte ſich der Baron auf die
Beine/ und wie er zum Magnifico kam/ fuhr ihn der-
ſelbe hart an/ warum er ſeine Authoritaͤt ſo gering
ſchaͤtzete/ und nicht zum erſten mahl/ ſondern allererſt
nach der dritten Citation kommen waͤre? Jch habe/
ſprach er/ Eurer Magnificentz hohes Anſehen ge-
ſcheuet/ weil ich gar bloͤder Natur/ und leicht zu er-
ſchroͤcken bin.
Hierauf hielte ihm der Rector ſeinen Exceſs vor/
und verwieß ihn nach dem Carcer. Dieſer hingegen
bathe/
[366]Deß Academiſchen
bathe/ man moͤchte ihn das Carcer fuͤr einen Ducaten
redimiren laſſen/ weil er ſich fuͤrchtete/ allein darein
zu ſitzen; Aber der Rector beſtund darauf/ er muͤſſe
ins Carcer gehen. Eure Magnificentz/ replicirte dieſer/
hoͤren ja wol/ daß ich ohnmoͤglich ins Carcer gehen
kan/ darum wil ich es redimiren/ oder abkauffen. Der
Magnificus meynete/ dieſes ſey ihm zu nahe geſpro-
chen/ bliebe demnach darbey/ daß er nothwendig ins
Carcer gehen muͤſte/ und waͤre von keiner Redemption
zu gedencken. Wolan/ ſprach der Baron, ſo gehe ich
auch nicht ins Carcer, dañ ich kan nicht in ein Stinck-
Loch kriechen. So werden wir euch relegiren/ fuhr
der Rector im Zorn herauß. Gut/ gut! verfolgete der
Baron, das gilt mir gleiche viel/ ſo gehe ich nicht ins
Carcer, und ihr bekommt keinen Ducaten. Es gilt mir
gleiche viel/ ob ihr mich relegiret/ oder nicht/ wo mein
Beutel aufgehet/ da rauchet meine Kuͤche. Jch bin zu
Jena vor 14. Tagen auch relegiret/ aber ich lache der
Poſſen. Jch gedencke hier keine Promotion, noch Pro-
feſſion, zu ſuchen/ Adjeu, Herꝛ Rector. Hiermit ſetzete
er den Hut auf/ und gieng ſeines Weges. Zog auch
am folgenden Tag wieder fort. Es gereuete den
Rector, daß er dem Menſchen alſo hart begegnet/ viel-
mehr aber der Ducaten/ den er haͤtte erhaſchen moͤ-
gen. Aber der Baron war weg/ und blieb weg/ dan-
nenhero ihm der Rector zur Revenge eine Relegation
nachſandte/ deſſen der Baron lachete/ und deß Rectoris
nur ſpottete. Dann er achtete keiner Relegation im
Allergeringſten nicht/ ſondern dachte/ gantz Europa
ſtuͤnde vor ihn offen.
Eine nachdenckliche Schlaͤgerey hat ſich A. 1677.
im Fruͤhling zu Leipzig begeben/ deren ich annoch ge-
dencken muß. Daſelbſt ſtudirte ein Churlaͤndiſcher
Baron, von Meydel genannt/ ein ſehr reicher Menſch/
der
[367]Romans I. Buch.
der bey dem Koͤnig in Pohlen ſehr hoͤch daran/ und
ſchon ein Pohlniſcher Staroſt war. Er war ein eini-
ges Kind ſeiner Eltern/ und von denſelben hertzlich ge-
liebet. Sein Hofmeiſter hieſſe Beſſer/ ein Mann/ der
den Degen/ und alle Exercitia, auß dem Grunde ver-
ſtunde. Damahl war unter der Militz zu Leipzig unter
andern auch ein Lieutenant, Lochau genannt/ und ein
Faͤhnrich/ der ein Edelmann auß dem Geſchlecht der
Bennigſen/ deſſen Hofmeiſter war Lange. Meydel
und Beſſer bekommen Haͤndel mit Lochau und Ben-
nigſen/ gerathen einander in die Haare/ und tummeln
ſich wacker herum/ daher die Sache/ ohne ein wuͤrck-
liches Duell, nicht zu ſchlichten ſtunde. Sie fordern
einander vor das Thor/ um zu Fuß mit dem Degen
ſich zu ſchlagen. Meydel ſchlug ſich mit Lochau/ und
hielten ſich Beyde wol. Darauf giengen Beſſer und
Bennigſen einen Gang/ aber der Letzte bekam alſo-
bald eine Wunde im Arm. Nun war es verabredet/
wann Bennigſen verwundet/ ſolte ſich Beſſer auch
mit Langen auf den Hieb ſchlagen. Aber/ ſo bald ſich
Bennigſen verwundet ſahe/ griffe er zu den Piſtolen/
und ſchoſſe ſie vor den andern in die Erde/ forderte ſie
darauf auf Piſtolen/ Lochau loͤſet auch eine Piſtol in
die Erde/ und darauf kommen etliche beſtellete Sol-
daten ihren Officirern zu Huͤlffe/ und uͤberfallen den
Beſſern Moͤrderiſcher Weiſe/ dieſer ſchlaͤget ſich mit
ihnen herum/ und entkommt ihnen uͤber einen hohen
Zaum. Jnzwiſchen ſpringet Meydel auch nach ſeinem
Pferd/ welches etwas ferne ſtund/ und wil ſich ſeiner
Piſtolen bemaͤchtigen. Aber Lochau reitet hinzu/ und
ſchieſſet ihn darnieder. Meydel ergreiffet einen Aſt
deß Baums/ neben welchem ſein Pferd ſtund/ hielte
ſich daran/ und ſchrye: HErꝛ JEſu/ ſey meiner See-
len gnaͤdig! Darauf faͤllet er nieder/ und iſt Mauß-
todt.
[368]Deß Academiſchen
todt. Lochau/ und die Beyden andern/ gehen darauf
durch/ und hat ſich zwar Bennigſen und Lange wie-
der eingefunden/ und auß dem Gericht loßgewuͤrcket.
Aber Lochau iſt nicht wieder kommen/ weil er den Ba-
ron Meydel Moͤrderiſch ums Leben gebracht hatte/
weßfalls man ihm hinter den Kopff her wolte.
Merckwuͤrdig iſt es/ daß wenige Tage vorher
Meydel von ſeiner Mutter Schweſter einen Brieff
empfangen/ darinn ſie ihn Bittlich erſuchet/ er moͤge
alſobald nach Hauß kommen/ weil ihr getraͤumet/ er
waͤre erſchoſſen worden. Ja/ denſelben Tag/ als das
Duell ſolte fuͤr ſich gehen/ kommt Meydels Diener in
die Stube/ und ſiehet ſeinen Herꝛn im Hemde ſtehen/
und die Haare kaͤmmen. Weil er nun wol weiß/ daß
derſelbe noch nicht aufgeſtanden war/ erſchrickt er
hefftig/ und erzehlet dem Hofmeiſter ſein ſeltzames
Geſichte. Dieſer verbietet es ihm/ dem Baron etwas
darvon zu ſagen/ bemuͤhet ſich aber inzwiſchen/ dieſen
Tag den Kampff aufzuſtutzen/ aber Meydel wil
durchauß den Termin halten/ und alſo gehet das
Duell zu ſeinem hoͤchſten Ungluͤck vor ſich/ deſſen Fall
von Jedermann/ die ihn gekennet/ zum hoͤchſten iſt be-
jam̃ert worden. Was fuͤr Schmertzen die Seinigen
hierauf zu Hauß muͤſſen empfunden haben/ kan ein
Jeder gar leichtlich bey ihm ſelber abnehmen.
Das XXXII. Capitul/
Kurtzweiliger Zufall in Franckreich. Ein Venetianiſcher
Schiffer wird übel hinters Liecht gefuͤhret. Studenten-Courtoiſien/
ſo laͤcherlich. Ein klein ſaugendes Kind wird/ an Statt einer Paſte-
ten/ von Studenten geraubet.
SEhet/ meine Herren/ ſolche Schlaͤgereyen ge-
hen bey uns auf Univerſitaͤten vor/ aber von
andern liſtigen und luſtigen Haͤndeln der
Studenten waͤre noch viel zu ſagen/ ich wil meinen
Diſcurs mit dieſem Wenigen beſchlieſſen:
Es
[369]Romans I. Buch.
ES hat ſich vor einigen Jahren zugetragen/ daß 2. Studioſi
Juris ſich auf einer Academie in Franckreich in eines No-
tarii ſehr ſchoͤnes und holdſeeliges/ nebens aber auch ehr-
liches Weib dermaſſen verliebet/ daß ſie ohne dieſelben nicht
leben kunten. Sie waren Landes-Leute und Kammer-Ge-
ſellen/ wolten auch Liebes-Geſellen ſeyn. Verlieſſen die Inſti-
tutiones und den Codicem, und blaͤtterten das Buch von der
Kunſt zu buhlen durch/ giengen ihrer Dame ſtaͤts vor die
Thuͤr/ und gaben derſelben ihre Meynung zu verſtehen. Als
nun dieſes lange Zeit gewaͤhret/ ſo hat die Frau endlich ſol-
ches ihrem Ehewirth angezeiget/ welcher mit lachendem
Mund zu ihr ſaget: Wie/ daß er mit Fleiß ſich auß dem Hauß
begeben/ ſie aber den einen oder den andern Studenten/ wann
er voruͤber gehe/ zu ihr beruffen/ und ihme vermelden ſolle/
wann er ſie liebe/ daß er ſich auf den Abend/ wann es finſter/
vor der Thuͤr finden laſſen/ und ſo lang da warten ſolle/ biß
ihr Mann/ ſo außzugehen willens/ nach demſelben ſich verfuͤ-
gen werde/ und daß er demſelben/ ſo ihr zuwider ſey/ einen gu-
ten [a]bend mit Pruͤgeln gebe/ ſo wolle ſie ihm hergegen ver-
ſprechen/ ihn (ſo fern er ſeinem Cameraden/ oder Kammer-
Geſellen/ nichts darvon ſagen werde/) zu lieben/ und ihme
das wiederfahren zu laſſen/ was er an ſie begehre; Und eben
ſolches ſoll ſie/ die Frau/ auch mit dem andern Studenten vor-
nehmen/ denſelben aber an einen Ort/ neben dem Hauß/ eben
zur ſelbigen Stunde aufwarten laſſen/ und ihme ſagen/ daß
ſie die Magd/ wann er kommen/ und ihrem Mann Stoͤſſe ge-
ben ſolle/ zu ihm dahin ſchicken wolle. Als nun die Sachen von
ihr dergeſtalt wol beſtellet/ und beyde Studenten/ Jeder ab-
ſonderlich, dem andern unwiſſend/ ihren Dienſt hierinn ver-
ſprochen hatten/ auch die Nacht und verabſchiedete Stunde
kommen war/ ſchickte die Frau ihre Magd an den angedeute-
ten Ort/ welcher dann der erſte Student/ ſo vor der Thuͤr war-
ten ſollen/ begegnet/ dem ſie/ daß ſie ihren Herꝛn heimholen
wolte/ und daß er auf ihn warten ſolte/ vermeldet/ und ſich
zu dem andern/ ſo an dem beſagten Ort allbereit aufgewar-
tet hatte/ verfuͤget/ den ſie geheiſſen/ ihr etwas wentges nach-
zufolgen/ weilen ihr Herꝛ jetzt gleich auß dem Hauß/ etlicher
wichtiger Geſchaͤffte halber/ gehen wolle. Dieweil es nun
Stock-finſter/ und keiner nichts redete/ damit ſie nicht verra-
then wuͤrden/ ſo gaben die 2. Studenten/ als die Beyde ver-
A ameyne-
[370]Deß Academiſchen
meyneten auf den Notarium zu ſchlagen/ einander mit Pruͤ-
geln nachoruͤckliche und wiedergiebige Stoſſe/ alſo/ daß der
Notarius und ſein Weib fuͤr Lachen ſchier umgefallen ſeynd/
die Beyde aber nicht aufhoͤreten/ biß ſie von ferne einen hellen
Schein erſahen/ ſo ſie fuͤr die Schar-Wache hielten/ daher ſie
endlich von einander abgelaſſen/ und unterſchiedliche Wege
genommen/ aber in ihrem Loſament wieder zuſammen kom-
men ſeynd/ ſich doch/ unvermeldet deß Unfalls/ zur Ruhe bege-
ben/ und Morgens/ da ſie im Bett kranck/ und uͤbel zugerichtet
ſich befunden/ was Jedem begegnet/ erzehlet verſtanden ha-
ben/ allererſt einander ſelbſten/ ihnen unwiſſend/ alſo tracti-
ret/ und ſie deß Notarii Haußfrau alſo betrogen haͤtte. Da-
her der Eine dieſe Verſe gemacht hat:
Noch gluͤcklicher lieff es ab fuͤr einen Piemon-
teſiſchen von Adel/ der ſeine Studia allhier zu Padua
abſolviret/ und ſich darauf nach Venedig erhoben;
Hieſelbſt verliebete er ſich in die Schoͤnheit eines jun-
gen Schiffmanns Weibes dergeſtalt/ daß er alle
Mittel verſuchet/ ſie in ſein Garn zu bringen. Dieſem
nach verfuͤgete er ſich einsmahls zu einer alten Kup-
plerin/ die er eine außbuͤndige Meiſterin in dieſem
Handwerck zu ſeyn wuſte/ und gab ihr ſeine hefftige
Liebe/ die er zu dieſer jungen Frauen/ ſo ſich erſt
kuͤrtzlich an einen Schiffer/ Namens Cornelius, ver-
heurathet hatte/ truͤge/ zu erkennen.
Dieſe feine Liebes-Goͤttin nun/ ſo ſie ſchon von lan-
gem her gekennet/ wolte eine ſo gute Gelegenheit/
dieſen Vogel zu rupffen/ nicht auß Haͤnden gehen laſ-
ſen/ ſondern verſprach ihm/ ihm zu ſeinem Vorhaben
nach ihrem aͤuſſerſten Vermoͤgen behuͤlfflich zu ſeyn;
Damit ſie nun ihm eine gnugſame Probe ihres gu-
ten Willens/ ihm zu dienen/ geben moͤchte/ gieng ſie
zu
[371]Romans I. Buch.
zu gedachter Schiffers-Frauen/ bey welcher ſie dann
ihre Kunſt ſo wol anlegete/ daß ſie dieſelbe zu dieſes
Edelmanns Willen vermochte/ und alſo an nichts
anders/ als einem bequemen Ort/ ihr Verlangen zu
erfuͤllen/ ermangelte. Der Edelmann/ ſo wegen der
gluͤcklichen Verrichtung dieſer Kuplerin hoͤchlich er-
freuet war/ gab ihr einen Diamant von 100. Fran-
cken/ und verſprach ihr/ wann die Sache fort gieng/
ihr noch ein mehrers zu ſchencken; Damit er aber
ſein Vorhaben beſſer ins Werck richten moͤchte/ ließ
er dieſer jungen Frauen durch ſie wiſſen/ was er zu
Vollziehung ihrer beyder Freundſchafft fuͤr ein Mit-
tel erſonnen. Nahm deßwegen die Zeit und Gele-
genheit in Acht/ und ſchickete nach ihrem Mann/ daß
er ihn auf dem Waſſer ſpatzieren fuͤhren ſolte. Der
gute zukuͤnfftige Hahnrey/ ſo ſich dieſes fuͤr eine Ehre
hielte/ ſtellete ſich mit ſeiner Gundel am beſtimmten
Ort ein. Nachdem ſie nun eine Zeitlang auf- und
abgefahren/ nahm ihn der Edelmann auf eine Seite/
und ſagte zu ihm: Hoͤret/ guter Freund Cornelius,
ihr wiſſet wol/ daß ich mich allezeit/ ſo lang ich mich
allhier aufgehalten habe/ eures Dienſtes gebrauchet
habe/ darum trage ich keinen Scheu/ euch mein Ge-
heimnuͤß zu offenbahren/ welches iſt/ daß ich einer vor-
nehmen Dame dieſe Nacht zu ihr zu kommen ver-
ſprochen/ iſt demnach mein Begehren an euch/ daß
ihr mich dahin fuͤhren wollet. Der Schiffer/ ſo ſeine
Freygebigkeit offt erfahren/ verſprach in allem/ was
er ihm befehlen wuͤrde/ ihm zu gehorſamen; Wie
es nun Nacht worden/ und die beſtimmte Stunde
herbey kommen/ ſagte er zu ſeiner Frauen/ er wuͤrde
gar ſpaͤt heim kommen/ weil er ſeiner guten Freunde
einem/ ſo ihn zu Gaſt gebetten/ Geſellſchafft leiſten
muͤſte. Die gute junge Frau wuſte wol/ daß ſolches
A a 2Waſſer
[372]Deß Academiſchen
Waſſer auf ihre Muͤhl war/ ſtellete ſich/ als wolte ſie
ihn daheim behalten/ weil er aber ſein Wort gegeben/
wolte er auch daſſelbe halten/ und fuͤhrete ſeine Gun-
del an den beſtimmten Ort. Der Edelmann/ ſo ſehr
begierig war/ die Jenige zu ſehen/ die er ſo hefftig lie-
bete/ gieng geſchwind hinein/ und fuhr mit unglaub-
licher Geſchwindigkeit faſt durch alle Canaͤle der
Stadt/ biß daß er an den zu ſeinem Vorhaben ge-
wiedmeten Ort kame; So bald er nun außgeſtie-
gen/ bath er den Cornelium, ſo lang zu warten/ biß
er wieder kaͤme/ welches dann/ ſo bald es moͤglich ſeyn
wuͤrde/ geſchehen ſolte/ und verſprach ihm/ er wolte
ihm ſchon darfuͤr ſeinen Willen machen. Mein Herꝛ/
antwortete Cornelius, habt deßwegen keine Sorge/
ſondern machet euch mit eurer Dame luſtig/ ſo lang
ihr wollet/ dann ich wil eurer hier ſteiffes Fuſſes er-
warten. Uber ſolchem Verſprechen/ nahm der Edel-
mann ſeinen Weg nach deß Schiffmanns Frauen
Hauß zu/ die ſeiner mit Andacht wartete/ und ſich ins
Bett legete/ da man dann nicht fragen darff/ ob dieſe
zwey mit einerley Flammen brennende Hertzen/ die-
ſes unkeuſche Feuer zu loͤſchen faul geweſen ſeyn?
Jndem nun dieſe beyde ſich erluſtigen/ ſahe ſich mein
guter Hahnrey Cornelius nach dem Wind und dem
Mondſchein um/ weil er es ihm aber zu lange mach-
te/ legte er ſich ſchlaffen/ und ſchnarchete tapffer daher.
Nachdem alſo der gute Edelmann ſeine Luſt gnug
gebuͤſſet/ und einen guten Theil der Nacht darmit
zugebracht/ nahm er ſeinen Weg wieder zuruck/ da
er dann ſeinen Kerl gantz Schlaff-truncken ange-
troffen/ der/ als er erwachte/ und nicht gedacht/ daß
ihm unterdeſſen ein paar Hoͤrner aufgeſetzet worden/
ihn fragete/ ob er auch an der Jenigen/ ſo er verhoffet/
ſey vergnuͤget worden. Ach! mein guter Freund/ ſagte
der
[373]Romans I. Buch.
der Edelmann/ ich ſchwoͤre euch/ daß ich nie groͤſſere
Luſt gehabt/ dann dieſes iſt die ſchoͤnſte und freund-
lichſte Dame, als ich Zeit meines Lebens geſehen. Jn
der Warheit/ mein Herꝛ/ antwortete der Schiffer/ ihr
macht mir das Maul waͤſſern/ und wann ich euch
nicht verſprochen/ daß ich eurer warten wolte/ ſo wol-
te ich ein Stuͤndlein mit meiner Frauen/ die/ zum we-
nigſten meiner Einbildung nach/ keine von den Heß-
lichſten in dieſer Stadt iſt/ die Zeit vertrieben haben.
Der Edelmann ſtellete ſich/ als verwunderte er ſich
daruͤber/ und ſagte zu ihm: Wie/ Cornelius, ich habe
nicht vermeynet/ daß ihr verheurathet ſeyd/ und ſeyd
mir jetzo deſto lieber/ ich halte aber wol darfuͤr/ daß
ihr euch nicht weigern wuͤrdet/ einen Tauſch zu tref-
fen/ wann ihr eine Dame antreffen ſollet/ die ſchoͤner/
als die Eurige iſt. Es iſt wahr/ mein Herꝛ/ verſetzete
der Cornelius, daß ich ſo geſinnet bin/ etwas Geringes
zu verlaſſen/ und was Beſſers darfuͤr zu nehmen.
Der Edelmann gab ihm zur Antwort: Weil ich eu-
ren guten Willen ſpuͤhre/ verſpreche ich bey meiner
Treue/ daß ich euch der Jenigen/ ſo ich liebe/ theilhaff-
tig machen wil/ jedoch mit der Bedingung/ daß ihr
ſolches geheim haltet/ dann/ wie ſie nicht Jedermann
zu Willen iſt/ alſo wird es eine abſonderliche Gunſt
ſeyn/ die ſie euch/ in Betrachtung meiner/ erweiſen
wird/ daß ſie euch bey ihr ſchlaffen laͤſſet. Jch weiß
zwar wol/ daß ſie ſich anfaͤnglich etwas ſperren wird/
es hat aber nichts zu bedeuten/ ſondern ſehet nur/ daß
ihr euer Gundel Morgen um eben dieſe Zeit in Be-
reitſchafft haltet/ und uͤberziehet ſie mit einem Tep-
pich/ ſie deſto ehrlicher zu empfangen. Cornelius, ſo
einen neuen Wechſel zu treffen verhoffete/ ſagte zu
ihm: Mein Herꝛ/ ich verſichere euch/ daß ich alles die-
ſes ſo wol verrichten wil/ daß ihr mit mir zufrieden
A a 3ſeyn
[374]Deß Academiſchen
ſeyn werdet. Wie nun der beſtimmte Tag kommen/
ermangelte der Edelmañ nicht/ ſich mit ſeiner Schif-
ferin/ ſo wie die Venetianiſche Damen bekleidet
war/ und eher einer Prinzeſſin/ als einer gemeinen
Frauen/ gleich ſahe/ einzuſtellen. Cornelius, als er ſie in
ſolchem Aufzug ſahe/ bildete ſich ein/ es waͤre eines
fuͤrnehmen Raths-Herꝛn Frau/ die ſich von ihrem
Mann geſchlichen/ um deſto freyer ihre Luſt zu buͤſſen.
Weil nun der Edelmann ſich ſeines Verſprechens loß
machen wolte/ ſagt [...] zu ihm: Mein Freund Corne-
lius, ihr ſehet jetzo/ daß ich euch lieb habe/ weil ich euch
mittheile/ was mir in der Welt am liebſten iſt/ allein/
ſehet zu/ daß ihr dieſe Sache verſchwiegen haltet/
wollet ihr anders nicht in Gefahr eures Lebens kom-
men/ dann ich habe ſie uͤberredet/ ihr ſeyd einer auß
den fuͤrnehmſten Haͤuſern von Padua, und haͤttet euch/
damit ihr nicht erkeñet werden moͤget/ wie ein Schif-
fer verkleidet. Ach! mein Herꝛ/ antwortete Cornelius,
ich wolte lieber ſterben/ als an dergleichen gedencken/
dann ich habe nicht erſt heut ſchweigen gelernet. Es iſt
gut/ verſetzete der Edelmann/ ſo machet euch dann fer-
tig/ ſie/ ſo gut ihr koͤnnet/ zu befriedigen/ und bringet
mir auf zukuͤnfftigen Sonnabend 2. oder 3. Eſſen Fi-
ſche/ weil ich einen von meinen guten Freunden zu
Gaſt laden wil. Als er dieſes geſaget/ nahm er die
Schifferin bey der Hand/ und fuͤhrete ſie unter den
Teppich/ da ſie dann ihre unordentliche Luſt wol buͤſ-
ſeten/ als unterdeſſen ihr Mann auf der verlohrnen
Schildwacht ſtunde. Nach geendigtem Scharmuͤtzel
ließ er den Cornelium an ſeine Statt kommen/ und
verbotte ihm/ daß er kein Wort reden noch ſich erkun-
digen ſolte/ wer ſie waͤre. Der gute Geſell/ ſo mehr auf
ſeine Luſt/ als auf das Reden gedachte/ war zufrieden/
daß er nur einen braven Verliebten abgeben ſolte/
und
[375]Romans I. Buch.
und bekuͤmmerte ſich weiter um nichts. Wie er nun
das Seinige gethan/ kam er wieder zu dem Edelmañ/
dem er das gute Tractament, ſo er vermittelſt ſeiner
genoſſen/ nicht gnug ruͤhmen kunte/ und zu ihm ſagte:
Mein Herꝛ/ ich muß bekennen/ daß ihr eine ſolche Per-
ſon außerleſen/ ja ſagen/ daß ſie meiner Frauen gantz
aͤhnlich iſt/ dann ihre Annehmlichkeit/ ihr Thun und
Weſen hat eine ſolche Foͤrmigkeit mit der Meinigen/
daß/ wann ich nicht wol wuͤſte/ daß ſie daheim waͤre/
ich ſie fuͤr dieſelbe halten wolte. Wiſſet ihr dann
nicht antwortete der Edelmann/ daß man viel Kaͤlber
gen Marckt treibet/ die ein [...] Haar haben/ und doch
unterſchiedlicher Art ſind? Es iſt wahr/ verſetzete der
Cornelius, darum kan man ſich leicht irren. Wie es
nun ſpat in die Nacht hinein gangen/ fuͤhrete der Edel-
mann die Schiffers Frau wieder in ihr Hauß/ und
konten unter Weges deß Poſſens/ ſo ſie dieſem armen
Teufel geriſſen/ nicht gnug lachen/ kam hernach wie-
der zu dem Cornelio, der ſeiner mit Schmertzen war-
tete/ und ſchieden als gute Freunde von einander. Als
nun der Samſtag kommen/ kam Cornelius, ſeinem
Verſprechen ein Gnuͤgen zu thun/ in deß Edelmanns
Loſament, und brachte die beſten Fiſche/ die in der
Stadt zu bekom̃en waren/ mit/ und war an dem nicht
gnug/ ſondern wolte zugleich einen Koch abgeben.
Nach dem Eſſen kamen etliche Junge von Adel zu
ihm/ welche/ als ſie von deme/ was mit dem Cornelio
vorgangen/ gehoͤret/ ihn mit verbluͤmten Worten auf-
zogen/ jedoch war er nicht ſo einfaͤltig/ daß er nicht ſol-
te gemercket haben/ daß man ihm Steine in ſeinen
Garten geworffen/ und in ſeinem Weyher gefiſchet.
Der Edelmann aber/ welcher befuͤrchtete/ er moͤchte
ſeinen Zorn uͤber die Frau außgehen laſſen/ ließ ihr
durch einen Laqueyen ſagen/ daß ſie ſich unſichtbar
A a 4machen
[376]Deß Academiſchen
machen ſolte. Cornelius aber gieng ohne Abſchied
von der Geſellſchafft hinweg/ Willens/ ſeiner Frauen
ungebrandte Aſchen zu verſuchen zu geben/ weil er ſie
aber nicht angetroffen/ gerieth er daruͤber in ſolche
Verzweifflung/ daß er gar auß dem Land gelauffen/
und ſeine Frau deß Edelmanns Willen uͤberlaſſen/
der ſie dann gar zu ſich genommen.
Auf einer gewiſſen Schwaͤbiſchen Univerſitaͤt
hielte ſich ein Studioſus auf/ den ich Bertrand nennen
wil dieſer careſſirte eine Academiſche Jungfrau/ und
genoſſe allen guten Willen von ihr. Er hatte einen gu-
ten Freund/ dem ich den Namen Almino geben wil/
welchen er einsmahls mit zu ſeiner Liebſten fuͤhrete/
und als ſie auf den Abend Abſchied von einander nah-
men/ thaͤte Almino durch eine behende Hurtigkeit auf
der Treppen/ weiß nicht was/ fand aber dardurch/ daß
die Jungfrau/ ſo ſich Claͤrl/ oder Clara/ nennen ließ/
nicht mehr in den Jungfern-Stand zu zehlen ſey/
dannenhero ſprach er ſachtmuͤthig zu ihr ins Ohr:
Jungfer Claͤrl/ wo habt ihr euer Ehren-Kraͤntzlein
gelaſſen? Sie lachete deſſen/ und gab ihm zu verſte-
hen/ daß ſie nicht wiſſe/ worinn ihr Ehren-Kraͤntzlein
beſtuͤnde/ inmaſſen ſie ihr Lebenlang nicht anders be-
ſchaffen geweſen. Darauf verabredete ſich Almino
mit ihr/ daß ihm erlaubet ſeyn moͤchte/ bey Nachtzei-
ten zu ihr zu kommen. Gleichwie nun Bertrand ihrer
bey Tage/ alſo genoſſe ihrer hingegen dieſer hierauf
eine gute Zeit deß Nachts/ dann die Jungfrau hatte
ihre beſondere Schlaffkammer/ und ihre Schweſter
ſchlieff bey der Mutter/ wie aber die Mutter eins-
mahls hefftig kranck/ und von einigen guten Freun-
den uͤber Nacht bewahret ward/ kam dieſe Schweſter
zu der andern/ da eben Almino ſich zu ihr geleget hat-
te/ weßwegen dieſer in aller Stille ſich auß den Federn
herfuͤr/
[377]Romans I. Buch.
herfuͤr/ und unter das Bette verfuͤgete/ darunter er
wenig Freude/ aber wol manche Unluſt empfand/ biß
endlich am Morgen die Schweſter aufſtund/ und ihm
wieder Platz machte/ da er dann der Courtiſanin ein
freundliches Adjeu ertheilet/ ſich anlegete/ und alſo
wieder ſeines Weges gieng. Dieſes Handwerck trie-
ben ſie/ der Eine bey Tag/ und der Andere bey Nacht/
mit der Jungfer ſo lang/ biß ſie endlich einsmahls im
Wein-Hauß ſich mit einander luſtig machten/ und
weil ſie beyderſeits berauſchet/ ſprach Almino zum an-
dern: Bruder/ es gilt dir eins/ auf Naͤſchels Geſund-
heit. Bertrand wuſte wol/ daß dieſes das gewoͤhnliche
Wort/ deſſen ſich die unkeuſche Jungfrau jedes
mahls bey ihrer groͤſſeſten Luſt zu bedienen pflegete/
und erkannte darauß/ daß Almino ſein Mit-Buhler
ſey/ wovon er bißhero nichts gewuſt/ dahero berede-
ten ſie ſich/ beyderſeits von dieſem unzuͤchtigen Venus-
Bilde abzulaſſen/ kamen auch von derſelben Zeit an
nicht wieder zu ihr/ und dannoch hatte ſie ſo viel
Witzes/ daß ſie einen qualemcunque Doctorem mit
Liebes-Netzen lockete/ der ein Medicus, und ſich/ wie
ſie hoͤchſtens verlangete/ mit ihr hernach verehe-
lichet hat.
Sonſt hat ſich auf einer andern Teutſchen Uni-
verſitaͤt/ allwo das Frauenzimmer offentlich bekennet/
es ſey ihnen ſchimpfflich/ wann ſie nach 14. Jahren
annoch Jungfern waͤren/ vor nicht vielen Jahren ein
artiger Caſus begeben: Ein feiner Mann heurathete
eines wol-benahmten Mannes Tochter/ welche aber
ſchon etliche Jahre hero ſich gut Studentiſch erwie-
ſen hatte. Als dieſer einsmahls außgeweſen/ und die
Frau meynete/ er wuͤrde ſo bald nicht wieder heim-
kommen/ beſcheidet ſie einen ihrer vorigen Courtiſa-
nen/ den erſten Theil der Nacht mit ihr zu kuͤrtzen;
A a 5Wie
[378]Deß Academiſchen
Wie ſie aber in hoͤchſt-verbottenem Spiel ſich jetzo
am meiſten ergoͤtzen/ klopffet der Mann an/ und be-
gehret eingelaſſen zu werden. Man deutet ſolches der
Frauen bald an/ und der Student wirfft Augenblick-
lich ſeine Kleider auf den Leib/ verſtecket ſich auch ſo
lange/ biß er nach Mitternacht fuͤglich außgelaſſen
wird. Zu allem Ungluͤck aber vergiſſet er ſeine blaue
Schlaff-Hoſen/ welche an einem Bett-Stollen han-
gen blieben/ und von dem Mann fruͤhe Morgens ge-
funden werden/ der ſeine Frau daruͤber ſauer anſie-
het/ jedoch nichts ſaget/ ſondern die Hoſen wegſch lieſ-
ſet um ſich deren zu ſeiner Zeit zum Beweiß zu bedie-
nen. Die junge Frau erdencket eine Liſt/ ſtellet ſich ſehr
kranck/ und bittet daß ihre Mutter/ die eben auch ſol-
cher Haare/ zu ihr kommen moͤge/ welches geſchiehet/
und klaget ſie ihr heimlich ihre Noth. Als endlich ihr
Schwieger-Sohn auch herein kommen/ ſpricht ſie
zur Tochter: Mein Kind/ haltet euch bey dieſer kalten
Fruͤhlings-Zeit fein warm/ wo habt ihr die blauen
Unter-Hoſen/ die ich euch geſtern geſandt ſolche muͤſ-
ſet ihr deß Tages uͤber tragen/ wie ich dann/ als ihr
wol wiſſet/ mich dergleichen allwege bediene. Als der
Mann dieſes hoͤret holet er die Hoſen/ bittet die Mut-
ter und Tochter hefftig um Verzeyhung/ daß er eini-
gen Argwohn darauf gefaſſet/ und wird daruͤber von
der Mutter wacker außgefiltzet/ welche es nicht ver-
tragen kunte/ daß man ihre ehrbare und wol-erzogene
Tochter in ſolchem Verdacht hielte/ womit Bruder
Cornelius zufrieden ſeyn muſte/ welcher hernach in
den Gedancken ſtunde/ er habe die ehrlichſte Frau
von der Welt.
Es ſind auch in andern Stuͤcklein die Academi-
ſche Purſche gar ſeltzame Kumpen offtmahl geweſen/
wie ſie ſolches in vielen Occaſionen zur Gnuͤge erwie-
ſen
[379]Romans I. Buch.
ſen haben. Zum Exempel: Auf einer bekandten Uni-
verſitaͤt wolten ſich etliche Studenten guͤtlich thun/
darum beſtelleten ſie bey dem Frantzoͤſiſchen Koch eine
gute Paſtete/ ſelbige zur angeſetzten Stunde zu ha-
ben. Zween andere Studenten hatten ſolches gehoͤ-
ret/ wolten demnach dieſen Leuten einen Poſſen ſpie-
len/ und der Magd/ wann ſie vom Frantzmann zuruck
kaͤme das Lecker-Bißlein entwaͤltigen. Sie paſſen al-
ſo zu beſtimmter Zeit auf/ und wie ſie eine Dirne mit
einer Tracht vorbey gehen ſahen/ fallen ſie dieſelbe
gar ungeſtuͤm̃ an/ und reiſſen ihr die Paſtete auß der
Hand/ dieſelbe befunden ſie noch gantz warm/ darum
eyleten ſie nach Hauß/ ruffen ihren Hoſpes, und alle
Leute im Hauß zuſammen/ ihnen zu zeigen/ wie gluͤck-
lich ſie auf dem Raub geweſen. Jndem ſie die Maͤn-
tel ablegen/ hoͤren ſie etwas pfeiſſen/ ſie machen die
Serviet von einander/ da inzwiſchen die Umſtehende
ſich uͤber die kleine Stimme verwunderten/ und rief-
fen: Hoͤrt! hoͤrt! was iſt das? Wie aber die Serviet
abgewunden/ fand man ein neu-gebohrnes Soͤhnlein
darinn gewickelt/ woruͤber die Studenten wacker
außgelachet wurden/ als die das Kindlein behalten/
und erziehen laſſen muſten.
Dieſer Handel bekam den Studenten etwas
uͤbel/ aber viel liſtiger fiengen es jene Pennaͤle auf ei-
ner bekandten Teutſchen Univerſitaͤt an: Dieſe pro-
movirten/ (alſo nennet man auf Academien das
Stehlen/) einen Hammel/ und fuͤhreten ihn durch
die Gaſſen nach ihrem Logiment, ſo offt aber der
Ham̃el ſchrye/ ſo offt rufſten ſie Holla! Holla! damit
man deß Hammels Geſchrey nicht hoͤren kunte. Sie
brachten auf ſolche Manier den Hammel ins Hauß/
und auf die Stube/ ſtachen ihm den Halß ab/ und
hielten ihn heimlich/ der Nachforſcher kam auch/ bath
den
[380]Deß Academiſchen
den Wirth/ ihm zu vergoͤnnen/ in ſeinem Hauß Nach-
ſuchung zu thun/ dann ſein Hammel waͤre gewiß dar-
ein kommen; Das ward ihm vergoͤnnet/ er ſuchte auß
einer Stube in die andere/ wie er aber vor die Rechte
kam/ da hatte man ein Bette gemacht/ den Hammel
hinein geleget/ und ſaß einer vor dem Bette/ und hat-
te ein Buch in der Hand/ wie der Sucher hinein eylen
wolte/ winckete und ſprach der Leſer: Bleibet zuruck/
hier liget ein ſterbender Menſch. Jener ließ ſich ab-
ſchroͤcken/ gieng darvon/ und bekam ſeinen Hammel
nicht wieder.
Das XXXIII. Capitul/
Unzeitige Liebe etlicher Studenten. Gute Schulen ſind
hoͤchſt nutz- und nothwendig/ ſolches wird außfuͤhrlich erwieſen mit
den Zeugnuͤſſen gelehrter Maͤnner.
JCh muß es bekennen/ ſprach jetzo der Podeſtà,
daß es auf den Teutſchen Academien weit
bunter hergehet/ als auf unſern Jtaliaͤniſchen/
was hier am meiſten geſchiehet/ iſt/ daß vornehmer
Leuten Kinder ſich gar vielfaͤltig in die Academiſche
Jungfern verlieben/ ſelbige ſchwaͤngern/ und alsdann
zur Ehe nehmen muͤſſen/ wordurch ihr Gluͤck groͤſten
Theils Schiffbruch leydet. Das iſt/ nahm Klingen-
feld auß/ bey uns Teutſchen nichts Ungemeines/ wie
ich deßfalls ſchon etliche Exempel angefuͤhret habe.
Und erinnere ich mich hierbey annoch eines feinen
jungen Menſchen von Oldenburg buͤrtig/ welcher/ da
er zu Bremen ins Gymnaſium gangen/ ſich in ſeine
Waſcherin verliebet/ ſelbige beſchlaffen/ und ihr die
Ehe zugeſaget/ indem er ihm eingebildet/ es waͤre nir-
gends ein ſchoͤner Weibs-Bild in der Welt. Er
raͤyſete zuletzt nach Kiel in Holſtein/ und ſtudirete
daſelbſt Medicinam, fand aber/ daß anderweit auch
ſchoͤnes/ ja noch viel ſchoͤners Frauenzimmer/ alsſeine
Liebſte
[381]Romans I. Buch.
Liebſte waͤre/ (dann das loͤbliche Frauenzimmer in
Kiel habe ich/ wann ich etliche darvon außnehme/
meiſtentheils als junge Prinzeſſinnen in Kleidern
gefunden. Sie ſind auch uͤberauß ſchoͤn/ aber intonirt
gegen einem/ der es nicht mit ihnen haͤlt/ verliebt ge-
gen die Courtiſanen/ und darbey offtmahls mit dem
Klingen-Beutel verſchwaͤgert/ dann ich habe etliche
uͤberauß galante Damoiſellen gekannt/ welche Wo-
chentlich eine Portion auß dem Kirchen-Klingenbeu-
tel heben/) dannenhero gereuete es ihn/ daß er ſich
anderweit verquackelt hatte/ ward auch ſo melancho-
liſch/ wann er auf ſolche Gedancken kam/ daß man
ihn etliche mahl in dem Gehoͤltz am Seeſtrand/ der
duͤſtere Brouk genannt/ in ſolcher Conſternation und
Deſperation gefunden/ daß er reſolvirt geweſen/ ſich
ſelber umzubringen. Man hat ihm aber allemahl zu
beſſern Gedancken verholffen. Endlich iſt er Licen-
tiatus Medicinæ worden/ und ob er gleich ſeine
Schuldener nicht bezahlet/ von ſeinen Eltern auch
wenig zu hoffen hatte/ nach ſeiner erſten Liebſten ver-
raͤyſet/ und hat ſich mit ihr verehelichet.
Offtmahlen werden auch die Academiſche Jung-
fraͤulein durch ſcheinbare Ehe-Verheiſſungen gefaͤl-
let/ und um ihre Ehre gebracht/ daß ſie hernach/ weil
ihnen ihre Courtiſanen nichts halten/ nimmermehr
wieder zu Ehren kommen moͤgen/ deßgleichen findet
man auch kluge Huͤrlein/ welche ihre Schwanger-
ſchafft verhelen/ damit der Studioſus, von welchem ſie
in ſolchen Zuſtand geſetzet ſind/ keinen Wind darvon
bekomme/ biß man ihm das neugebohrne Kindlein
unverſehens ins Hauß ſendet/ alsdann haͤnget der
arme Teuffel allenthalben herauß. Manche Purſche
ſind auch von ſo ſchlechter Conduite, daß ſie/ ob ſie
gleich ihren Maiſtreſſen ſchon auß den Augen gekom-
men/
[382]Deß Academiſchen
men/ ſich dannoch durch Droh-Brieffe ſchrecken laſ-
ſen/ daß ſie wiederkehren/ und die Dames ehelichen.
Ja ich weiß eine Academiſche Jungfrau/ vel quaſi,
welche ſich mit einem reichen Studioſo auß Weſtpha-
len etwas zu tieff ins Corpus hinein wagete/ da ſie
dann auf den Titulum de Ventre inſpiciendo gerie-
then/ und vollends auf ruſticas Servitutes kamen/
aber es verirrete ſich der junge Juriſt inter viam \&
aquæductum dergeſtalt/ daß er nicht anderſt/ als
gantz Schach-matt/ wieder auß dem Jrꝛgarten ent-
kommen kunte. Er meydete demnach hinfuͤhro dieſe
Gefaͤhrlichkeiten/ und wolte nicht mehr auf dieſer
See zu Seegel gehen/ aber die Damoiſelle war ihm
zu klug/ ſie uͤberredete ihn durch Brieffe/ daß etwas
von ihm an ihr behangen blieben/ welches ihr der-
mahleins viel Haͤndel machen wuͤrde/ dahero er dann
ſich bereden ließ/ und die Jungfrau heurathete; Als
er nun uͤbers Jahr mit ihr nach Hauß kam/ war kein
Menſch in der Stadt/ der dieſe Dame ſo freundlich
empfing/ als ihre Schwieger-Mutter. Dieſe machte
ihr ein Willkomms-Geſicht/ wie eine alte. Topff-
Kraͤmerin/ welcher ein wuͤtender Ochs alle Toͤpffe
auf dem Marckt zerbricht.
Noch ein ander Exempel Academiſcher Courtoiſie
faͤllet mir bey. Ein Studioſus, der dem vorigen ziemlich
benachbart/ hielte ſich zu Schweinfurt auf dem Graͤfl.
Tecklenburgiſ. Gymnaſio auf/ ſchwaͤngerte daſelbſt
eine Dirne/ unter Zuſagung deß ehelichen Bandes/
zoch hernach auf die Academie nach Marburg/ und
hielte ſich ziemlich galant, verfuͤhrete aber gar bald
eines feinen Mannes ehrbare Tochter/ gieng mit ihr
allein/ ins Hauß/ und auß dem Hauß/ ins Feld/ und
in den Wald/ und in Summa, er gieng ſo offt mit ihr
auß und ein/ biß endlich der anwachſende Bauch-
Huͤgel
[383]Romans I. Buch.
Huͤgel ein Beweißthum war/ daß man ſich zu ſehr
vertiefft/ und den Fiſcher-Angel zu vielfaͤltig außge-
worffen haͤtte. Hier war nun guter Rath theuer.
Jhre Eltern waren ehrliche Leute/ und auch eben
nicht die Geringſten von Extraction, drungen dem-
nach darauf/ weil er jederzeit geſaget/ er meyne ihre
Tochter in Ehren/ ſo muͤſſe er jetzo auch ihre Ehre ret-
ten/ und zum Ehebande ſchreiten/ bevor ſie ins Kind-
Bett kaͤme. Der Student liebte ſie hertzlich/ und war
willig darzu/ aber ſeine erſte Liebſte zu Schweinfurt
bekam bald Wind darvon/ welche es dahin brachte/
daß ihm die Obrigkeit verbotte/ die Letzte zu heura-
then. Deſſen ungeachtet wolten ihre Eltern nicht ger-
ne Schimpff von der Tochter haben/ und weil ſie deß
Studenten Einwilligung hatten/ bemuͤheten ſie ſich
um einen Paſtoren/ d’ die Copulation verrichten moͤch-
te. Aber es wolte ſich keiner in Gefahr ſetzen/ biß man
endlich einen aufrichtigen Mann/ der der Braut et-
was verſchwaͤgert/ mit den glatteſten Worten dahin
perſuadirte/ daß er die Copulation verrichten moͤchte/
der Herꝛ Braͤutigam/ als ein reicher Mann/ wolle
ihm vor allen Schaden gut ſeyn/ alſo ward ein Bauer
beſtellet/ der mit einem Karren in der Nacht ohnweit
vom Thor halten muſte/ daſelbſt kam der Braͤuti-
gam/ die Braut/ ihre Eltern und Geſchwiſter/ ja
auch deß Herꝛn Paſtoren Sohn/ ſo eben damahls zu
Marburg ſtudirte/ bey angehender Nacht/ wie eytel
Huͤhner-Diebe zuſammen/ und ſchlichen uͤber Berg
und Thal biß zum Dorff/ da der Paſtor wohnete/ deſ-
ſen Frau/ die hernach auß Bekuͤmmernuͤß das Leben
daruͤber geendet/ hart darwider war/ und die Leute/
ſo ihren Mann zu dieſer verbottenen Copulation ver-
fuͤhren wolten/ nicht im Hauß zu wiſſen begehrte.
Aber deß Paſtoren Leichtglaubigkeit ware zu groß/
und
[384]Deß Academiſchen
und als am folgenden Tage der Adeliche Gerichts-
Schultheiß Amtswegen die Kirche zuſchlieſſen wol-
te/ beredete ihn der Paſtor ſelber/ daß er zum Zweck/
und die Braut und Braͤutigam zuſammen kame/
durch die Prieſterliche Copulation. Man hielte dar-
auf eine kurtze Mahlzeit/ und wie man auf verbotte-
nen Wegen wandelte/ alſo geſchahe der Auß- und
Einzug zu Marburg bey Nacht-Zeiten.
Wenige Wochen hernach zerfaͤllet die junge Frau
in 2. Stuͤcken/ und gebahr einen jungen Sohn/ aber
ihr Mann ward/ weil er dem Obrigkeitlichen Gebott
widerſtrebet/ gefangen geſetzet/ ja/ er muſte endlich
nach Caſſel/ und drohete man ihm mit einer hohen
Straffe/ doch ward die Sache bald vermittelt/ daß
er/ auf Erlegung einer Geld-Buſſe/ die letzte Frau be-
hielte. Seit der Zeit hat er ſeine Religion verlaͤug-
net/ und iſt zu Calvino uͤbergetretten/ ob er aber dar-
bey beſſer/ als bey der vorigen/ gefahren/ habe ich ſeit-
hero nicht erfahren koͤnnen.
Dem guten Paſtoren/ der die Copulation verrich-
tet/ gieng es am elendeſten hernach. Er hatte einen
hoffaͤrtigen Edelmann im Dorff/ der ihn alſobald
hoch anklagete/ dann er war ihm ohne dem nicht gut/
weil er/ ſeiner Meynung nach/ nicht gnugſamen Re-
ſpect von dem Pfarꝛherꝛn haben kunte/ deſſen er aber
zu viel begehrete. Solchem nach/ und weil er weiſſe
Fuͤſſe hatte/ bekam er Gehoͤr/ und der arme Prieſter
muſt vom Dienſt ſpringen. Weil er nun keine ſonder-
liche Mittel/ als ſeiner Frauen Erbſchafft/ die in ligen-
den Gruͤnden beſtund/ ſo muſte er ſich daſelbſt nieder-
laſſen/ aber was Raths? Er hatte 6. Soͤhne/ und eine
Tochter/ davon der aͤlteſte Sohn vor etwa 3. Jahren
erſt auf Academien geraͤyſet. Dieſer raͤyſete fort/ um
die Seinigen nicht auf Unkoſten zu bringen/ begab
ſich
[385]Romans I. Buch.
ſich mit einem ſehr kleinen Viatico in die Fremde/ dul-
dete ſich gewaltig/ litte Hunger und Durſt/ Hitz und
Kaͤlte/ informirte anderer feinen Leuten Kinder/ biß er
einen Pfenning vor ſich gebracht/ da zohe er wieder
auf Univerſitaͤten/ und bekam bald andere Vocation,
ſeine Bruͤder aber giengen/ gleich wie er/ einer nach
dem andern auch in die Fremde/ daß man endlich nicht
hat erfahren moͤgen/ wohin ſie gekommen/ ohne daß
einer an einem gewiſſen Ort geſtorben/ die andern
wiſſen von einander noch dieſe Stunde nicht/ wo ſie
ſind geblieben. Die Mutter iſt im Anfang ihres
Jammer-Standes geſtorben/ und die Tochter hat
ſich verheurathet. Was fuͤr eine Ehe aber der Studio-
ſus, ſo dieſes Ungluͤck angeſtifftet/ mit ſeiner Frauen
hernach gehabt/ darvon wil ich nichts ſagen/ es moͤ-
gen deßfalls andere Leute reden/ die beſſer/ als ich/ dar-
um wiſſen. Einmahl iſt gewiß/ daß er bey weitem
nicht capabel war/ dem armen Prieſter ſeinen Scha-
den zu erſtatten.
Als Klingenfeld hiermit zu reden aufhoͤrete/ und
hingegen ein wenig von dem vorgeſetzten Fruͤhſtuͤck
genoſſe/ da kam Troll unverſehens auß der gruͤnen
Lauben herfuͤr/ und ſpielete auf einer Maul-Trum̃el/
welche er allwege bey ſich trug. Der Podeſtà lachete
deß poſſierlichen Knechts/ und forſchete/ wer ihn ſo
wacker haͤtte ſpielen lernen? Apollo, Dauniæ Rex, gab
er zur Antwort/ und hiermit reichete er dem Podeſtà
die Maul-Trum̃el/ und bathe ihn/ er moͤchte ſich auch
ein wenig hoͤren laſſen. Dieſer aber ſprach: Wer da
ſpielet/ da andere Leute eſſen/ der iſt entweder ein Mu-
ſicant, oder ein Narꝛ. Troll hingegen gab ihm dieſe
fertige Replication: Themiſtocles cum in epulis recu-
ſaſſet lyram, habitus eſt indoctior; Welcher Rede alle
Anweſenden von Hertzen lachen muſten. Sie ſtun-
B bden
[386]Deß Academiſchen
den aber endlich mit einander auf/ und nachdem ſie
noch etliche Stunden umher gewandelt/ fuͤhrete ſie
der Podeſtà in ſeinen Pallaſt/ ließ am Mittag herꝛlich
anrichten/ und tractirete ſie nach ſeinem beſten Ver-
moͤgen. Damahl forſchete deß Podeſtà Vetter/ ein
wackerer Edelmann/ Namens Contarini, der zunaͤchſt
an der einen Seiten an dem Printzen ſaß/ was ihn
doch bewogen haͤtte/ ſich auf Academien zu begeben?
Die groſſe Luſt zum Studiren/ war die Antwort/ und
finde ich nichts in der Welt/ das einen Printzen mehr
zieren kan/ als die Studia, oder freyen Kuͤnſte. Conta-
rini hielte im Gegentheil darfuͤr/ es ſtuͤnde einem fuͤr-
nehmen Mann beſſer an/ wann er ſich auf die Exerci-
tia und Eſtats-Sachen/ als auf die Studia, legete/
aber der Podeſtà behauptete gantz ein anders: Jch
habe auch einen Sohn/ ſprach er/ der iſt ſchon lange
Zeit in die Schul gegangen/ und nun meyne ich/ ihn
bald auf die hohe Schul zu ſenden. Die Kinder ſind
gluͤcklich/ die Zeit gnug haben/ in die Schul zu geben/
Schulen ſind ein geſegnetes Mittel fuͤr Land und
Kirche. Die Metilæner verbotten alle Schulen bey
dem Volck/ welches ſie uͤberwunden/ und dieſes hiel-
ten ſie fuͤr eine ſchwere Straffe/ weil die Laͤnder durch
die Schulen bluͤhen. Julianus benahm auch den Chri-
ſten alle Schulen/ damit das Chriſtenthum nicht ſolte
fortgepflantzet werden/ und das Volck von den Heyd-
niſchen Goͤttern nicht abfiele/ dann er war ein eyferi-
ger Goͤtzen-Diener.
Der Printz ſprach jetzo: Es gibt uͤberal viel Schu-
len/ doch behertzigen die Leute nicht gnug/ ihre Kinder
Weißheit hoͤren zu laſſen. Plutarchus ſahe einen wa-
ckern Juͤngling/ Namens Xenophon, ihm entgegen
kommen/ er hielte ihn mit ſeinem Stock auf/ und fra-
gete: Wo man dieſe oder jene Waaren verkauffe?
Xeno-
[387]Romans I. Buch.
Xenophon wuſte ihm dieſes eigentlich zu ſagen. Da
fragete er ihn ferner: Wo werden aber die Menſchen
gut und Tugendſam? Xenophon antwortete: Das
wuͤſte er nicht. Darauf ſagte Plutarchus: Kom̃/ folge
mir/ ich wil es dir weiſen. Er brachte ihn in ſeine
Schul/ und nahm ihn unter ſeine Schuͤler auf. Alſo
ward Xenophon ein ſehr weiſer Mann/ wie ſolches
der gantzen Nach-Welt iſt kund worden. Der Po-
deſtà wolte hoͤren laſſen/ daß er ein Mann/ der ſonder-
lich viel auf die Tugend hielte/ dannenhero ſprach er:
URfere Leute wiſſen auch ſehr wol/ wo alle Dinge feil ſind/
ſie kennen auch die Schule Chriſti/ wo man die Tugend leh-
ret; Viele aber haben keine Luft/ Juͤnger Chriſti zu werden.
Jener Laconiſche Schulmeiſter ward gefraget: Was er die
Kinder lehren wolte? Er ſagte: Jch wil ſie lehren vom Boͤſen
einen Abſcheu/ und zum Guten und ehrlichen Dingen eine Luft
zu haben. Ein Spartaner antwortete auf dergleichen Frage:
Jch wil machen/ daß das Jenige/ was ehrlich/ ihnen auch ange-
nehm ſeye. Kunten das Heyden von ihren Schulen ſagen/ wie
viel mehr ſollen dann Chriſtliche Lehrmeiſter darnach trachten.
Doch muß dieſes fuͤrnemlich der Fleiß und Abſehen der Lehrer in
der Chriſtlichen Kirche ſeyn.
Der Printz ſprach: Nicht alle Lehrmeiſter haben dieſes
Abſehen. Als Diogenes ſahe/ daß ſich ein Lehr-Jung ungebaͤr-
dig anftellete/ ſchlug er den Lehrmeiſter mit einem Stock/ und
ſagte: Warum unterweiſeſt du deinen Schuͤler nicht beſſer?
Wann theils Lehrmeiſter nur Geld gnug gewinnen koͤnnen/ ſo
achten ſie das Leben ihrer Schuͤler nicht hoch. Apollonius hatte
einen andern Sinn: Er lehrete um Geld/ wann er aber einen
Schuͤler ſahe/ der zu einem Redner nicht tuͤchtig war/ den ſchick-
te er auß ſeiner Schule/ und ſagte: Laſſet euren Sohn was an-
ders lehren. Worauf der Gouverneur: Es liget nicht allezeit
an den Lehrmeiſtern/ daß die Schuͤler nichts lernen. Jener Welt-
weiſe hatte 2. Juͤnger/ der Eine war geſchickt/ und unfleiſſig/ der
Andere aber dumm/ und fleiſſig. Der Lehrmeiſter ſagte zu ihnen:
Jhr werdet Beyde nichts nutzen/ der Eine/ weil er kan/ und wil
nicht lernen/ der Andere aber/ weil er wil/ und kan nicht lernen.
Dergleichen gibt es auch ſehr viel in der Schul Chriſti/ doch wer-
den die Jenige/ die wollen/ und nicht viel koͤnnen/ nicht verlohren
B b 2wer-
[388]Deß Academiſchen
werden. Der HErꝛ JEſus hat mit ſeinen ſchwachen Schafen
Mitleyden. GOtt der HErꝛ ſagte von dem heiligen Weg/ daß
die Thoren ſelbſt darauf nicht irren ſollen.
Klingenfeld warff dieſes Wenige ein: Zu Cairo in Egy-
pten iſt eine gute Gewonheit/ viel tauſend Jungen ſind da in den
Schulen/ und man lehret darinnen alle Dinge. Die Eltern ſen-
den ihre Kinder von allen Landen dahin/ ſonder Befehl/ was ſie
lernen ſollen. Die Lehrmeiſter erforſchen ihre Natur und Zu-
neigung/ und lehren ſie das Jenige/ worzu ſie am beſten bequem
ſeyn. Sie laſſen ſie nicht eher auß der Schul/ biß daß ſie gantz
gelehrt ſind. Jnnerhalb dieſer Zeit darff Niemand zu den Kin-
dern/ auch die Eltern ſelbſt nicht kommen.
Darauf ließ ſich der Printz vernehmen: Das iſt eine gute
Ordnung. Viel Kinder werden bey uns zu fruͤhe auß den Schu-
len genommen. Man vermeynet/ daß ſie geſch wind gnug wiſſen.
Quintilianus ſaget dahero ſehr wol: Viel werden nicht weiß/
weil ſie vermeynen/ weiß gnug zu ſeyn. Bion fuͤhrete dieſes
Wort offtmahls im Mund: Die Weißduͤnckelheit iſt die Hinder-
nuͤß der Weißheit. Das haben die weiſe. Heyden ſo wol verſtan-
den/ die/ ob ſie ſchon ſelbſt Meiſter geweſen/ ſich doch nicht geſchaͤ-
met haben/ von andern/ die weiſer waren/ zu lernen. Antiſthenes
danckete ſeinen Schuͤlern ab/ nachdem er den Socrarem gehoͤret
hatte/ und ſagte zu ihnen: Suchet einen andern Meiſter/ dann
ich habe fuͤr mich auch einen Meiſter gefunden.
Der Podeſtà ſprach jetzo: Wann auch viel Chriſten nicht
allzugeſchwind gedaͤchten/ daß ſie weiß gnug waͤren/ ſie ſolten
durch die Predigten/ und andere Ubungen/ mehr zunehmen. Es
gehet mit manchem her/ wie mit Dominicano, einem Moͤnch zu
Nazareth/ welcher weder leſen/ noch ſchreiben kunte. Der Meiſter
Gerardus wolte es ihn lehren/ Dominicanus aber ſagte: Jch kan
GOtt wol durch mein Leben gefallen/ wañ ich ſchon das A. B. C.
nicht lerne. Alſo meynen viel/ daß ſie GOtt mit einem dummen
Leben ſonder Weißheit gefallen moͤgen. Zu wuͤnſchen waͤre es/
daß viel Weltweiſe mit einer ſolchen Aufmerckung JEſum hoͤ-
reten daß ſie dardurch alle andere Weißheit fuͤr Thorheit achten
koͤnten? Aber es gehet mit der Kirchen/ wie mit der Schulen.
Wann man was Boͤſes gelernet hat/ ehe man hinein kommen/ ſo
kan und wil man ſich deſſen nicht gern abgewoͤhnen.
Darfuͤr ſind/ ſprach der Printz/ viel Lehrmeiſter ſehr ſorg-
faͤltig geweſen. Timotheus fragete einen Schuͤler/ der die Sing-
Kunſt bey ihm lernen wolte: Ober zuvor bey einem andern
Meiſter
[389]Romans I. Buch.
Meiſter gelernet haͤtte? Der Schuͤler ſagt/ Ja. Darauf ſagte
Timotheus: So muſt du mich dann doppelt bezahlen; Dann
ich muß erſt arbeiten/ dir das Jenige abzugewoͤhnen/ was du
uͤbel gelernet haſt. Alſo thaͤte auch Antiſthenes, als ein Vatter
ihn fragete: Was ſein Sohn zu der Schul vonnoͤthen haͤtte?
Sagend: Ein neu Buch eine neue Feder/ und ein neu Schreib-
Taͤfelein. Womit er zu erkennen geben wolte/ daß der Juͤng-
ling alle alte Sitten und boͤſe Lehren ablegen muͤſte.
Der Podeſtà ſprach: Die boͤſe angelernte Welt-Sachen
hindern auch die Frucht/ die man ſonſt in der Schul Chriſti brin-
gen koͤnte. Darum ſaget der HErꝛ JEſus: Wer mir nachfol-
gen wil/ der muß ſich ſelbſt verlaͤugnen. Und Paulus: Wer-
det Narren/ auf daß ihr weiß moͤget werden. Wer wol lernen
und zunehmen wil/ der muß ſich nach den Satzungen der Schul
richten; Alſo auch der Jenige/ ſo in Chriſti Schul guten Fort-
gang haben wil. Jn Pythagoræ Schul muſten die Schuͤler
5. Jahr ſtill ſchweigen/ und 7. Jahr nur zuhoͤren/ ſonder Fragen.
Sie muſten ihm ſo lang glauben/ ſonder Urſachen zu fordern/ biß
ſie alles gehoͤret hatten. Aber in Chriſti Schul wil man alſobald
reden und urtheilen/ ja/ uͤberal die Urſachen wiſſen/ oder man wil
nicht glauben/ eben/ als ob die natuͤrliche Urſachen eine Richt-
ſchnur deß Glaubens waͤren/ da doch der natuͤrliche Menſch die
Geiſtliche Dinge nicht begreiffen kan.
Klingenfeld: Es gehet in Jndien bey den Brachmannen
auch ſo zu; Die Jungen duͤrffen in 5. Jahren in der Schulen
nicht ein Wort reden/ ſondern/ wann ſie einander etwas ſagen
wollen/ ſo weiſen ſie es mit den Haͤnden. Jn allen Perſianiſchen
und Arabiſchen Schulen iſt auch ein groſſes Stillſchweigen. Die
Lehrmeiſter wollen das Geplauder und Geſchwaͤtze der Jungen
nicht hoͤren. Jn Holland gehet es anders zu/ wann die Schul-
meiſter allda ſo hart waͤren/ ihre Schulen ſolten bald ledig
ſtehen.
Der Printz: Wie hart und ſtreng auch gleich die Heydniſ.
Schulmeiſter geweſen ſind/ ſo haben ſie dannoch ſehr viel Schuͤ-
ler gehabt. Als Antiſtheues gefraget ward/ warum er ſo hart ge-
gen ſeine Schuͤler waͤre/ gab er zur Antwort: Eben alſo thun
auch die Aertzte. Zu erkennen gebend/ daß die boͤſe Sitten mit Ge-
lindigkeit nicht abzugewoͤhnen waͤren. Dieſer Mañ war ſo ſtreng
und ernſt hafftig/ daß es ihm ſehr wol gelegen ſeyn muſte/ wann
er Jemand lehren wolte. Er war dem Diogeni gar nicht gen o-
gen/ ſondern/ wann er ihn an ſeiner Thuͤr ſahe/ ſo drohete er ihm/
B b 3mit
[390]Deß Academiſchen
mit einem Stock wegzujagen. Diogenes ſtreckte ſein Haupt ge-
gen ihm/ und fagte: Schlage nur tapffer zu/ es iſt kein Stock ſo
hart/ der mich von deiner Thuͤr treiben ſoll/ ſo lang ich von dir et-
was lernen kan.
Der Gouverneur: Wann viele ſo Lehr begierig in Glau-
bens-Sachen waͤren/ die Chriſten ſolten viel weiſer ſeyn. Man
wil bey dem HErꝛn JEſu nicht bleiben/ wann er nur ein hartes
Wort gibt/ oder einen ſchwer-wichttgen Lehr-Punct abhandelt/
wie ihn dann deßwegen die Capernalten verlieſſen. Wer Lehr-
begierig iſt/ der kan und wil alles Ungemach außflehen/ und ſoll
und wil ein weiſer Mann werden. Demoſthenes war dumm
von Verſtand/ und hatte eine ſtammlende Sprache/ alſo/ daß er
außgelacht wurde/ wie er eine Rede thun wolte; Nichts deſto
weniger wurde er durch Arbeit und Lehr-Begierigkeit ein fuͤr-
trefflicher Redner. Wie man ihn fragete/ wordurch er gelehrt
worden waͤren waͤre/ ſagte er: Jch habe mehr Oehl in meiner
Studier-Lampen verthan/ als ich Wein getruncken habe. Er
war ſehr betruͤbet/ als er ſahe/ daß ein Handwercks-Mann deß
Morgens vor ihm aufgeſtanden war. Lieffen wir uns die heilige
Weißheit ſo hoch angelegen ſeyn/ Panlus doͤrffte nicht ſagen/
daß die Jenige/ ſo Lehrmeiſter ſeyn ſolten/ nur noch Schuͤler
waͤren.
Der Printz: Darum hatte Metrocles dieſes Wort offt-
mahls im Mund: andere Sachen kaufft man um Geld/ aber
die Gelehrigkeit kaufft man mit Zeit und Fleiß. Bey den Hey-
den ſind wunderliche Exempel zu finden: Cleantes war dumm
von Verſtand/ und gleichwol ſehr Lehr-begierig. Er war ſo arm/
daß er bey Nacht halff Waſſer ziehen/ um etwas zu gewinnen/
und deß Tages uͤber darvon zu leben/ und zu ſtudiren. Er halff
auch Brodt knetten/ und was er vom Zenone hoͤrete/ ſchriebe er
auf Scherben und Ochſen-Beine/ dieweil er kein Geld hatte/ Pa-
pier zu kauffen. So arm und Lehr-begierig iſt Zeno ſelbſt gewe-
ſen: Wie er kein Geld hatte/ den Lehrmeiſter Polemon zu bezah-
len/ ſchliche er heimlich in die Schul/ hinter ſeinem Rucken. Pole-
mon ſahe ihn einsmahls/ und ſagte zu ihm: Jch ſehe wol/ daß
du meine Lehr ſtehlen wilſi.
Der Podeſtà: Ein ſolcher Mann war auch der groſſe
Epicterus: Er war ſo arm/ daß er kein Geld hatte/ ein Schloͤß-
lein vor ſein Hauß zu kauffen. Proæreſius und Hephæſtio wa-
ren ſo arme Studenten/ daß ſie zuſammen nur einen Mantel
hatten/ und etliche Paͤuſche Stroh/ darauf zu ſchlaffen. Da doch
zur
[391]Romans I. Buch.
zur ſelbigen Zeit der Mantel bey nahe die gantze Kleidung war/
welche die Studenten uͤber den nackenden Leib trugen. Wann
der Eine außgieng/ ſo bliebe der andere in dem Stroh ligen. Wo-
fern bey uns die Studenten alſo ſtudiren ſolten/ ſo ſolte man we-
nig gelehrte Leute finden.
Der Printz: Andere haben auß Luſt zur Weißheit noch
wunderlichere Dinge gethan. Monimus, eines Lombarders
Knecht/ ſtellete ſich naͤrriſch/ ſein Herꝛ jagete ihn weg/ darauf
lieffe er zum Diogeni, und ward ein ſehr gelehrter Mann.
Alexander hatte den gelehrten Calliſthenem mit einem Hund
in einen Kaͤfig ſperren laſſen; Dannoch kam Lyſimachus, deß
Koͤnigs Zorn ungeachtet/ offtmahls zu ihm/ und hoͤrete ihn von
Tugend und Weißheit reden. Euclides begab/ ſich in groͤſſere Ge-
fahr: Die Stadt Megara und Athen waren ſo feindſeelig gegen
einander/ daß ſich ihre Buͤrger einander allenthalben todt ſchlu-
gen. Euclides wohnete zu Megara, und Socrates zu Athen/ dero-
halben zohe Euclides Weibes-Kleider an/ kam bey Nacht nach
Athen/ und hoͤrete alſo den Socratem.
Der Podeſtà: Das faule Chriſten-Blut ſolte durch folche uͤber-
zeugende Exempel warm/ ja brennend werden/ um mit groͤſſerer
Luft uñ Eyfer die Goͤttl. Weißheit zu hoͤren. Alſo entbrandten die
Emaus-Gaͤnger/ als ihnen der HErꝛ JEſus die Schrifft erklaͤ-
rete. Viele aber ſind deß Lernens in Chriſti Schul bald muͤde.
Wann die Bekanntnuͤß gethan iſt/ ſo leget man die Bibel/ und
andere gute Buͤcher/ hinter die Banck. Die Heyden ſind eyferiger
geweſen/ ihre irꝛdiſche Weißheit zu lernen/ und darinnen voͤllig
gelehrt zu werden. Nachdem Sandes Lampſacenus den Epicu-
rum gehoͤret hatte/ bliebe er lange Jahre bey ihm/ außgenom̃en
6. Monat/ da er ſeine Freunde beſuchte. Æſchines wiche auch
niemahls von ſeinem Meiſter Socrate, darum ſagte Socrates von
ihm: Æſchines allein weiß ſeinen Meiſter zu ehren. Eine ſolche
Luft muß in uns ſeyn/ um mit Maria zu Chriſti Fuͤſſen zu ſitzen/
und ſeine Lehre mit Freuden anzuhoͤren.
Der Printz dargegen: Obſchon die Heyden ſehr weiß wa-
ren/ ſo vermeyneten ſie doch niemahlen/ gnug zu wiſſen/ ſondern
es bliebe die Lehr-Begierigkeit biß an das Ende ihres Lebens bey
ihnen. Gorgias Leontinus ſtudirte noch/ als er 107. Jahre alt
war. Als Demoſthenes 100. Jahre alt war/ ſagte er auf ſei-
nem Tod-Bette: Jch bin betruͤbet/ daß ich ſterben muß/ da ich
erſt anfange/ weiß zu werden. Solon lag gleichfalls auf ſeinem
Tod-Bette/ und hoͤrete etliche ſeiner Freunde vor ſeinem Bett et-
B b 4was
[392]Deß Academiſchen
was erzehlen; Derohalben richtete er ſein Haupt auf/ und ſag-
te: Redet was lauter/ damit ich es verſtehen kan/ dann/ wann
ich noch etwas lerne/ ſo werde ich deſto ſuͤſſer ſterben. Socrates
wurde zum Tod verdammet/ weil er gelehret hatte/ daß nur ein
GOtt waͤre. Wofern er von dieſer Meynung abgeſtanden waͤ-
re/ ſo haͤtte er Gnade erlanget; Aber/ er ſagete dieſes zu den
Richtern: Wann ihr mir das Leben mit dieſem Beding ſchencken
woltet/ daß ich der Weißheit nicht mehr nachforſchen ſolte/ ſo
wurde ich euer Anbott abſchlagen/ und viel lieber ſterben. Man
muß euch zwar gehorſam ſeyn/ aber viel mehr dem unſterblichen
GOTT.
Der Podeſtà: Ein groſſes Wort von dem Heyden Socrate!
Eben alſo redeten die Apoſtel von der Chriſtl. Religion, doch auß
einem andern und feſtern Grund! Es ſind lauter Worte/ welche
die Chriſten beſchaͤmen. Wo findet man die Chriſten/ die um der
Religion das Jenige thun ſolten/ was die Heyden der Welt-
Weißheit wegen gethan haben? Pompejus ſagte/ das Lernen waͤ-
re die rechte Richtſchnur deß Lebens. Julianus ſprach: Jch wil
noch etwas lernen/ wann ich auch ſchon den einen Fuß im Grab
haͤtte. Als man den Diogenem vermahnete/ daß er wegen ſeines
groſſen Alters vom Studiren etwas ablaſſen ſolte/ ſagte er: An-
jetzo/ da ich faſt zum Ende der Lauff-Bahn kommen bin/ ſoll ich
nun erſt traͤg werden? Worte/ fuͤrwahr welche ich den Heyden
mißgoͤñe/ und wuͤnſchte/ daß die Chriſten ſo redeten/ und thaͤten!
Worauf der Printz: Cato hatte allezeit/ wann er zu Rath
ſaſſe/ Buͤcher bey ſich. Epaminondas gieng niemahls von einer
offentlichen Redhaltung hinweg/ ehe ſie vollendet war. Dion
muſte fuͤr der Granſamkeit deß Domitiani, welcher die Gelehrte
vorfolgete/ fliehen/ und auß Armuth Bauren-Arbeit thun/ gleich-
wol hatte er allezeit Buͤcher bey ſich. Jacobus zu Bononien/
war ein Sattler/ doch ſonderte er ihm deß Tages einige Stun-
den ab/ um zu ſtudiren/ und ward ein gelehrter Mann. Doch iſt
das Jenige/ was von Superiano erzehlet wird/ ſehr merckwuͤrdig:
Erkam ſpat/ und zwar erſtlich im 30. Jahr ſeines Alters/ zum
Studiren/ er ſtudirte ſonder Lehrmeiſter fuͤr ſich ſelber/ wann er
ſeine Sache nicht wol verrichtete/ dann ſtraffete er ſich ſelber/ und
geiſſelte ſich/ wie die Lehrmeiſter ihren Schuͤlern zu thun pflegen.
Klingenfeld: Wir ſind Schuͤler Chriſti/ welche unſere
Sachen auch nicht wol außrichten. Paulus ſagt: Wir muͤſſen
uns ſelbſt urtheilen/ und unſern Leib bezwingen. Wir ſind fruͤhe
gnug in Chriſti Schul geweſen/ aber viel Leute/ die ſpaͤt zum Stu-
diren
[393]Romans I. Buch.
diren kommen ſind/ gehen uns weit bevor. Ortelius fieng erſt im
30. Jahr ſeines Alters an/ Latein zu lernen/ und ward ein ſolcher
groſſer Sternſeher. Viel Leute wollen nicht lernen/ weil ſie nicht
fruͤhe gnug angefangen haben. Aber dieſe muͤſſen beſchaͤmet
werden/ durch das ſchoͤne Exempel der Frau Euridices: Dieſe
fieng in ihren alten Tagen an/ leſen und ſchreiben zu lernen/ da-
mit ſie ſolches ihre Kinder gleichfalls lehren koͤnte. Thaͤten dieſes
viel Eltern auch in der Religion, ihre Kinder ſolten beſſer leben.
Der Printz: Daͤrauf zielet das Wort Socrates. Er lernete
in ſeinen alten Jahren auf der Cyther ſpielen; Als man ſich nun
daruͤber verwunderte/ ſo ſagte er: Es iſt beſſer etwas ſpaͤt/ als
nimmer lernen. So lang man lebet/ ſo iſt man bequem/ etwas
zu lernen/ wann man nur fleiſſig iſt.
Der Podeſtà: Das ſchickt ſich gleichfalls auf die Religion,
aber es iſt mit dem Fleiß allein nicht außgerichtet. Wer Weiß-
heit vonnoͤthen hat/ ſagt Jacobus/ der muß darum bitten/ und
alsdann ſoll ſie ihm gegeben werden. Das Beten iſt ein geſegne-
tes Mittel. Didyinus Alexandrinus war blind/ und zu dem Stu-
diren unbequem/ doch ſtudirte er eben wol/ und ward durch viel
Beten ein gelehrter Mann. Salomon erlangete auch groſſe
Weißheit durchs Gebet. Avicenna, der Mahometaner/ hatte
dieſe Gewonheit/ wann ihm etwas Dunckels vorkam/ ſo gieng er
in den Tempel/ und bathe GOtt um Verſtand. Wie viel mehr
ſolten wir GOtt um die Goͤttliche Weißheit dancken/ und un-
ſern Lehrmeiſter JEſum darfuͤr preiſen.
Der Printz: Gute Meiſter ſind groſſen Dancks und Eh-
ren wuͤrdig. Quirinus bauete fuͤr ſeinen Meiſter ein Marmor-
nes Grab/ welches die Studenten offtmahls beſahen/ um dar-
durch zu dergleichen Danckbarkeit aufgemuntert zu werden.
Crito ließ ſeinen Meiſter Socratem niemahls Mangel leyden.
Dionyſius ſagte zu dem Platoni: Es ſoll dir Jemand den Kopff
abſchlagen. Xenocrates, ſein Juͤnger/ der darbey ſtunde/ ant-
wortete: Den Meinigen vorher. Er war bereit/ ſeinen Meiſter
mit ſeinem Tod zu beſchirmen. Ariſtoteles richtete ſeinem Lehr-
meiſter Platoni ein Bild/ und einen Altar auf/ und ließ dieſe
Worte darauf ſetzen: Dieſem Mann muͤſſen alle Gute nach-
folgen. Was iſt es Wunder/ Alexander, als er ſeinen Lehrmeiſter
Ariſtotelem ſehr verehrete/ gab darvon die Urſach: Von mei-
mem Vatter/ ſagte er/ habe ich das Leben/ von meinem Lehrmei-
ſter aber das Wol-Leben.
Der Podeſtà: Alle dieſe Dinge ſchicken ſich mit beſſerm
B b 5Recht
[394]Deß Academiſchen
Recht auf unſern Lehrmeiſter JEſum; Dann/ er iſt der Mann/
welchem wir folgen muͤſſen/ und durch Jhn allein haben wir das
Wol- und Seelig-Leben. Untreue und undanckbare Juͤnger ſind
rechte Wunder-Thiere auf Erden. Nero ließ ſeinen Lehrmeiſter
Senecam toͤdten/ dieweil er offtmahls von ihm geſchlagen wor-
den. Als Sfortia Fuͤrft worden/ ließ er um dieſer Urſachen willen
ſeinen Meiſter Colam geiſſeln/ und mit einem Strick ſchleppen.
Der ſehr gelehrte Johannes Scotus wurde im Jahr 1300. von
ſeinen Schuͤlern mit Federn todt geſtochen. Philologus entdeckte
ſeinen verborgenen Lehrmeiſter Ciceronem, und dardurch
ward Cicero getoͤdtet/ nachdem man ihm zuvor die rechte Hand
abgehauen. Dieſes ſind lauter Greuel; Jedoch haben wir zu
ſehen/ daß wir unſern Lehrer JEſum nicht auch mit ſchmaͤhlicher
Undanckbarkeit belobnen. Ja/ man muß zuſehen/ daß man Jhn
nicht aufs Neue creutzige/ und offentlich zu ſchandeu mache.
Klingenfeld: Pericles war auch undanckbar gegen ſeinen
Meifter Anaxagoram, deſſen er in ſeiner Armuth vergaß/ weil er
mit Staats-Sachen zu viel zu thun hatte. Anaxagoras ward
hieruͤber ſo traurig/ daß er ſich vornahm/ Hungers zu ſterben/
lag auch nunmehr in den letzten Zuͤgen. Als Pericles ſolches hoͤ-
rete/ lieff er zur Stund zu ihm hin/ bath um Verzeyhung/ und
botte ihm alles an. Anaxagoras, denſelben ſehend/ ſagte mit ei-
nem ſterbenden Mund: O Pericle! wer einer Lampen vonnoͤ-
then hat/ der muß Oehl hinein thun.
Der Podeſtà: Die Prediger ſind Lampen deß Heiligthums/
fuͤr Groffe und Kleine/ die Land und Leute vonnoͤthen haben.
Dieſen Spruch deß Anaxagoræ ſolten die Regenten wol beher-
tzigen. Pericles thate wol/ daß er ſein Unrecht erkannte/ und ſol-
ches zu verbeſſern ſuchte. Schuͤler muͤſſen ſich gegen ihren Lehr-
meiſter danckbar erzeigen; Gleichwie vor Zeiten alle Neu-
Jahrs-Tage die Schuͤler gewohnet waren/ ihren Lehrmeiſtern
einige Verehrung zu geben. Die beſte Verehrung aber iſt Liebe
und Gehorſam/ und dann/ daß man darbey die Fruͤchte ſeiner
Gelehrtſamkeit weiſe.
Der Printz: Die Schuͤler deß M. Portii wolten nur allezeit
hoͤren/ und niemahls gehoͤret werden. Sie wolten niemahls zei-
gen/ was ſie gelernet hatten/ darum wurden ſie Schimpffsweiſe
Auditores, Hoͤrer/ genennet. Jener Juͤngling aber erklaͤrete ſol-
ches anders/ er war deß Zenonis Juͤnger geweſen/ und kam wie-
der nach Hauß. Der Vatter fragte ihn: Was er fuͤr Weißheit
daſelbſt gelernet haͤtte? Der Student antwortete: Er wolte
das
[395]Romans I. Buch.
das noch wol weiſen. Daruͤber wurde der Vatter zornig/ und
gab ihm einen Schlag. Der Sohn vertrug es mit Gedult/ und
ſagte: Dieſe Weißheit habe ich gelerneꝛ/ daß ich meines Vatters
Zorn mit Gedult ertragen ſoll.
Der Podeſtà beſchloſſe dieſen Diſcurs mit folgenden Wor-
ten: So viel Weißheit haben viel Kinder in der Schul Chriſti
noch nicht gelernet. Ja/ viel Chriſten ſelbſt nicht gegen GOtt/
unſern Himmliſchen Vatter. Unſere Kirchen ſind wol voll Leute/
aber viel ſind nur Hoͤrer/ und keine Thaͤter deß Worts. Cato
wurde geprieſen/ daß er noch als ein Juͤngling ſeinem Meiſter
Sarpedoni in allem gehorſamet. Balduin, Graf von Hennegau/
war ſeinem Lehrmeiſter auch in allem gehorſam/ als er auch
ſchon alt war. Einsmahls kam er muͤde und hungerig von der
Jagd an die Tafel/ da ſein Lehrmeiſter auch war/ und ſienge an
von einem Hecht zu eſſen/ welcher auf dieſen Tag/ Vermoͤg der
Geſetze ſelbiger Zeiten/ zu eſſen verbotten war; Der Lehrmeiſter
huſtete nur ein wenig/ und ſahe den Grafen an. Balduin wurde
Schamroth/ nahm den Biſſen auß ſeinem Mund/ und ſagte:
Der Fiſch iſt mir nicht geſund. Er ſtund darauf von der Tafel
auf/ und aß denſelben Abend nichts. Der HErꝛ JEſus aber
weiſet uns andere Zeichen ſeines Mißfallens/ wann wir die
ſuͤndliche Welt-Biſſen aufſchlucken/ doch gibt es deren ſehr we-
nig/ die Jhm hierinneu gehorſam ſind/ da doch der HERR ſo
eine Liebe traͤget fuͤr uns ſeine Juͤnger! Der Lehrmeiſter Koͤ-
nigs Carl deß Erſten in Ungarn/ beſchuͤtzete das Kind mit ſei-
nem Leib gegen das Hauen und Stechen deß Moͤrders Zaachi,
der das Reich fuͤr ſich ſelbſt ſuchte. Aber unſer Lehrmeiſter JE-
ſus beſchuͤtzet ſeine gehorſame Juͤnger mit ſeinem Leib und Seel/
in welchen er die Wunden empfangen hat/ gegen die hoͤlliſche
Moͤrder. Was Danck koͤnnen wir Jhm dann gnugſam ver-
gelten.
Das XXXIV. Capitul/
Don Antonio wird von Don A oſtino erleget/ dieſer kommt
daruͤber in Vngnade/ machet ſich aber groß/ und ſein Printz Condado
verliebt ſich in Melicerta/ woruͤber Parmenio erſtochen wird.
ALs der Podeſtà dieſes geſaget/ noͤthigte er die Ge-
ſellſchafft zum Eſſen und Trincken/ da dann
auch ein Jeder die jenige Lucken ſeines Magens
vollends auß fuͤllete/ welche ihnen das genoſſene Fruͤh-
ſtuͤck
[396]Deß Academiſchen
ſtuͤck vorher hatte ungeſperret gelaſſen. Nachdem
aber ein Jeder das Seinige zu ſich genommen/ noͤ-
thigte der Podeſtà ſeine Gaͤſte zum Trunck/ und weil
keiner darvon ſonderlichen Luſt hierzu bezeugete/
raunete Contarini ſeinem Vatter etwas heimliches
ins Ohr/ darauf dieſer Urſach nahm/ den Printzen
folgender Maſſen anzureden: Mein Printz/ ich habe
viel gehoͤret/ von dem groſſen Streit/ der zwiſchen
eurem Fuͤrſtl. Haufe de Turſis und dem Printzen von
Trepalda eine geraume Zeit geſchwebet/ habe aber ſo
viel unterſchiedliche Relationes, ja gar widerwaͤrtige
Erzehlungen darvon vernommen/ daß ich zweiffele/
ob ich hinter den rechten Verlauff jemahlen gekom-
men bin/ dafern es demnach euch nicht zuwider/ wuͤr-
de ich euch gebuͤhrlich erſuchen/ nicht allein mir/ ſon-
dern der gantzen Geſellſchafft den hohen Gefallen zu
erweiſen/ und uns dieſer Sache wegen gruͤndlich zu
informiren. Der Printz entſchuldigte ſich/ daß er von
dieſer Sache nichts hoͤren/ viel weniger reden moͤch-
te/ und als Klingenfeld denſelben daran erinnerte/
daß er zu Mantua, da man in einem Diſcurs ohngefaͤhr
auf die Stadt Neapolis kommen/ etliche tieff-geholte
Seuffzer fliegen laſſen/ welche auſſer allen Zweiffel
auß dieſer Differentz ihren Urſprung genommen/ als
lag er ihm gleichfalls an/ den Podeſtà und uͤbrige an-
weſende gute Freunde mit Erzehl- und Beſchreibung
dieſer denckwuͤrdigen Sache dieſes mahl zu diverti-
ren. Es zuckete aber der Printz die Schulter/ und gab
dardurch gnugſam zu verſtehen/ daß man etwas an
ihn begehrete/ das ihm von Hertzen zuwider waͤre/
dannenhero wil ich ihn dieſer Muͤhe uͤberheben/ und
ſoll meine Feder ſtatt ſeiner Zungen dieſe Erzehlung
uͤber ſich nehmen/ allermaſſen ohne dem viel darinn
enthalten/ deſſen Erzehlung ein Adeliches Gemuͤth
ſich mit allem Fug entſchuͤtten moͤchte.
So
[397]Romans I. Buch.
So iſt dann zu wiſſen/ daß zwey fuͤrnehme Fuͤrſtl.
Geſchlechter/ das eine von Turſis, ſonſten Nocera in
Baſilicata, und das andere von Trepalda in Calabria,
zu naͤchſt mit ihren groſſen Laͤndereyen in dem unter-
ſten Theil Jtaliens an einander graͤntzen/ deren
Haͤupter jedes mahl nicht allein wegen gleichen Uhr-
alten hohen Geſchlecht/ ſondern/ weil ſie unter die
Maͤchtigſten ihres Gleichen gezehlet wurden/ in groſ-
ſer Vertraͤulichkeit mit einander gelebet/ und wann
dieſe zween Hertzogen zuſammen ſpanneten/ waren
die andern ihre Nachbarn zuſammen nicht maͤchtig
gnug/ ihnen mit Gewalt einen Vortheil abzujagen.
Es begab ſich aber vor einigen Jahren/ daß Agoſtino,
der alte Hertzog von Nocera, ſo zu Turſis an der See
reſidiret/ auf die Jagd außzog/ und ſeine Hunde/ in
Verfolgung eines Haſen/ auf das angraͤntzende Ge-
bieth deß Hertzogen Antonio von Trepalda, der zu
Roſſano ſeine Wohnung hat/ geriethen/ weil nun
auch dieſer eben im Feld war/ ſeine Schnitter in der
Erndte fleiſſig aufzumuntern/ ergrimmete er ſehr/ als
er fremde Jagd-Hunde mit einem Haſen vor ihnen/
naͤchſt an ſeinem Pferd/ daher ſtreichen ſahe. Er eyle-
te demnach alſobald nach ſeiner Burg/ ließ alle ſeine
Jagd-Hunde auf die andern/ die endlich den Haſen
verlieſſen/ weil ſie ſich ſchon muͤde gelauffen/ loßge-
hen/ und ſie mit einander zerreiſſen/ ließ auch derer
zween recht an der Graͤntze alſobald an einen Baum
aufhencken.
Ob nun gleich/ erſagter Maſſen/ dieſe zween
Printzen in groſſer Vertraͤulichkeit bißhero gelebet/
ſo war doch dieſer Streich eine Urſach zu vielen dar-
auf erfolgeten Ungelegenheiten. Dann der Hertzog
von Nocera zohe ihm den angethanen Schimpff der-
maſſen zu Hertzen/ daß er ſelbigen nicht anderſt/ als
mit
[398]Deß Academiſchen
mit dem Blut deß Antonio abzuwiſchen begehrete.
Es legten ſich zwar verſchiedene vornehme Printzen
in dieſe Differentz/ um ſelbige zu vergleichen/ und der
Hertzog von Trepalda muſte ſelber bekennen/ daß er
ſich in dieſem Werck auß all zu groſſem Eyfer præci-
pitiret/ weil er aber die Sache nicht wieder in einen
ungeſchehenen Stand zu ſetzen vermoͤchte/ erklaͤrete
er ſich/ als ein tapſſerer Cavallier, dem Agoſtino auf
ein paar Piſtolen zu kommen. Beyderſeits Gemah-
linnen wiegelten alle ihre befreundete Printzen auf/
dieſes Duell zu hintertreiben/ welche ihnen auch den
Vertrag aͤuſſerſt angelegen ſeyn lieſſen/ aber/ als die
zween erzoͤrnete Printzen ſich gantz und gar zu nichts
verſtehen wolten/ muſte man den Vice-Roy zu Nea-
polis um zulaͤngliche Mittel anſchreyen/ welcher auch
alſobald einen Edelmann ſeines Hofs an beyde Wi-
derparthen ſandte/ und ihnen/ Krafft ſeines hohen
Amts/ das Duell unterſagete/ ſie beyderſeits zugleich
nach ſeinem Pallaſt zu ſich bitten ließ/ um/ zu ver-
ſuchen/ ob durch ſeine hohe Mediation er dieſe zween
Printzen nicht zu beſſern Gedancken bringen/ und/ wo
moͤglich/ gar vergleichen moͤchte.
Es waͤre der Hertzog von Nocera, welcher be-
kannte/ daß ihn ſeine That gereue/ leicht hierzu zu be-
wegen geweſen/ weil aber Don Agoſtino gar zu nichts
zu bringen war/ bevor er ſeinen Beleydiger im Feld
vor ſich gehabt/ ſchlug dieſer alle Mittel/ auch ſo gar
die Authoritaͤt deß Vice-Roys auß/ ſandte vielmehr
dem Antonio durch einen Diener ein abermahliges
Cartell, und ließ ihn auf die Graͤntzen fordern/ und
ſolches ſo heimlich/ daß ſeine eigene Gemahlin nichts
darvon zu wiſſen bekam. Don Antonio, der auch den
Ehrgeitz ſeiner Vor-Eltern und ſeines hohen Ge-
bluͤts im Hertzen fuͤhlete/ ließ ſich nicht lange hierzu
noͤthi-
[399]Romans I. Buch.
noͤthigen/ ſondern nahm nur zwey berittene Diener/
gleich wie auch der andere thun wolte/ zu ſich/ und er-
ſchien zu beſtim̃ter Zeit an dem verordneten Kampff-
Platz/ da ſie dann faſt zu gleicher Zeit ankamen/ und
ohne weiters Diſputiren/ einen freundlichen Abſchied/
mit untermengtem hertzlichen Kuß/ von einander
nahmen/ darauf gantz friedlich die Sonne und den
Wind mit einander ſolcher Geſtalt theileten/ daß kei-
ner ſich eines Vortheils vor dem andern moͤchte zu
ruͤhmen gehabt haben.
Sie ſtelleten ſich darauf ein Jeder an ſeinen
Ort/ giengen endlich behertzt und wolbedacht auf ein-
ander loß/ loͤſeten beyderſeits ihre Piſtolen/ traffen
aber nicht/ dannenhero ruͤſteten ſie ſich zum andern
Gang/ und darinn ſchoß Agoſtino abermahl fehl/ An-
tonio aber gab ihm dargegen einen kleinen Schram-
ſchuß in den rechten Backen/ daß Blut herauß floſſe/
welches ihn dermaſſen erbitterte/ daß er ſeinen Degen
zuckete/ auf Antonio loßrannte/ und ihn durch und
durch ſtach/ ob ſich dieſer gleich mit ſeinem Degen
woͤhrete/ ſo viel ihm moͤglich war. Darauf gab
Agoſtino ſeinem Pferd die Sporen/ und flohe nach
ſeinem Schloß/ allwo man das Ungluͤck gar balder-
fuhr/ und zog ſich ſeine Gemahlin daſſelbe dergeſtalt
zu Hertzen/ daß ſie am andern Tag hernach ihren
Geiſt aufgab. Antonio ward von ſeinen Dienern
nach Roſſano todt gebracht/ allwo ſich die Seinigen
gleicher Geſtalt ſehr entſetzeten/ und hat ihn inſonder-
heit ſeine juͤngſte Tochter/ eine Prinzeſſin von groſſem
Verſtand/ ob ſie gleich kaum das 10. Jahr erreichet
hatte/ den Verluſt ihres liebſten Herꝛn Vatters der-
maſſen zu Gemuͤth gezogen/ daß man ſie nicht leben-
dig von der Leiche bringen moͤgen/ ſondern ſie hat
ſolche ſtaͤts gekuͤſſet/ und mit ihren Thraͤnen kindlich
benetzet/
[400]Deß Academiſchen
benetzet/ biß ſie am andern Tag hernach gleicher Ge-
ſtalt vor Betruͤbnuͤß todt darnieder gefallen iſt.
Ob aber gleich Agoſtino uͤber den Sterbfall ſei-
ner liebſten Gemahlin hertzlich bekuͤmmert/ ſo hem-
mete doch ſolches keines Weges den wider Antonio
und ſein Hauß gefaſſeten hefftigen Grimm/ ſondern
vermehrete denſelbigen vielmehr/ als welcher Urſach
an dieſem Ungluͤck geweſen. Und weil er leicht ge-
dencken kunte/ daß auß dieſer Flamme ein hefftiges
Feuer erwachſen durffte/ als befeſtigte er ſich in ſei-
nem Schioß/ und zohe ſeine Bluts-Freunde an ſich/
welche waren der Fuͤrſt von Meleto, die Hertzogen
von Seſſa und von Bajano, die Marggrafen von Laura,
von Capurſo und von Pulignano, und die Grafen von
Policaſtro, der ſein Vaſall, und de Trivento, welcher
ihm etwas verwandt war. Hingegen warff ſich deß
erſchlagenen Don Antonio Bruder zum Haupt der
Gegenparthey auf/ dieſer hieß Gaſparo, Marggraf
de Brienzo, welcher einen groſſen Anhang bekam von
den Fuͤrſten von Conha, Melfi und Venoſa, deßglei-
chen von den Hertzogen von Trajetta, von Popoli, von
Somma, und von Torre Maggiore; So dann von
den Marggrafen von Monte Nigro, von Carigliano,
von Toſcardo, von Terza und Valle Siciliana, auch
von den Grafen und Baronen von Averſa, Mignano,
Torella, Morcone, Dragone, Treverolati, Scappolli
und Calvo, welche allerſeits mit einer gewiſſen An-
zahl Volcks an ihrem beſtimmten Rendevous erſchie-
nen/ und gegen einander feindlich agiren wolten/ daß
es ſich anſehen lieſſe/ als hielten zwo kleine Armeen
an einander/ und droheten dem Lande das aͤuſſerſte
Verderben. Die Banditen erſahen hierbey auch ihre
Gelegenheit/ und weil ſie in dieſem truͤben Waſſer
etwas zu erfiſchen hoffeten/ warffen ſich deren 40. zu
deß
[401]Romans I. Buch.
deß Agoſtino und 74. zu deß Gaſparo Parthey/ weil
dieſe/ allem Anſehen nach/ die Allerſtaͤrckeſte war.
Dieſe zwo feindliche Partheyen fielen etliche
mahl einander an/ aber deß Agoſtino ſeine/ als die
Schwaͤcheſte/ ward allemahl geſchlagen/ und ſind
nebſt 40. Perſonen gemeiner Leuten/ auch ein junger
Marggraf von Capurſo, und 2. Grafen/ nemlich der
von Mignano und der von Trivento auf dem Platz
geblieben. Es legte ſich aber der Vice-Roy von Neapo-
lis bey Zeiten darein/ und kam ſelber mit 2000. Mañ
von der beſten Militz/ dem ſich Gaſparo mit ſeines
Bruders Wittib willig ergaben/ dahero ſie leichtlich
Perdon erlangeten/ aber Don Agoſtino ſahe wol/ daß
er einen harten Stand außzuſtehen haͤtte/ dannen-
hero ruͤſtete er ſich in dem Schloß Turſis zur Gegen-
woͤhr. Er hatte 12. leichte Canonen darinn/ und nebſt
zwey ſeiner Bluts-Verwandten/ (die andern waren
abgefallen/ damit ſie ihre Guͤter ſalvirten/) etwan
50. woͤhrhaffter Mann. Aber/ was ſolte dieſe geringe
Mannſchafft gegen eine Anzahl von 3000. Solda-
ten? Gleichwol defendirte ſich Agoſtino auß allen
Kraͤfften/ und machte dem Vice-Roy viel Volcks zu
ſchanden/ fuͤrnemlich durch die eyſerne unter dem
Sand verborgene Fuß-Angeln/ welches der Vice-
Roy vor keine ehrliche Defenſion wolte erkennen.
Endlich aber begunten die Mauren der Burg ſehr
loͤchericht zu werden/ dahero Agoſtino ſich und die
Seinigen mit allem Schatz in etliche Schiffe/ die zu
dem Ende in dem kleinen Hafen neben dem Schloß
lagen/ ſetzete/ und in die See hinein lieff/ da er drey
Stunden hernach/ den unuͤberwindlichen See-Fel-
ſen/ Monte Sardo, erreichete/ welchen Ort er/ weil er
ihm zugehoͤrete/ vorher mit allen Nothwendigkeiten
zur Gnuͤge verſehen hatte. Dieſes iſt ein hoher Fel-
C cſen/
[402]Deß Academiſchen
ſen/ auf welchen man nur mittelſt einer einzigen ein-
gehauenen Treppen gelangen kan/ die ſehr hoch/ und
wann der Ort mit 10. Mann beſetzet/ auch fuͤr ſo viel
Leute mit Proviant und Waſſer verſehen iſt/ ſo iſt es
auch der allergroͤſſeſten Armee unmoͤglich/ ſich deſſen
mit Gewalt zu bemeiſtern/ dann vor dem Feuerwerck
iſt man in den engen Felſen-Ritzen und tieffen Ge-
woͤlbern gnugſam geſichert/ und die darinnen ligen/
doͤrffen ſich mit keinem Gewoͤhr bemuͤhen/ weil ſie
ſicher gnug ſind/ wann ſie die kleinen Pforten/ deren
5. hinter oder uͤber einander an der Treppen/ wol ver-
riegeln und verwahren/ welche ſehr ſtarck mit Eyſen
verſehen ſind/ und koͤnnen uͤber 2. Mann zugleich
nicht daran kommen. Auf dieſer Veſtung ſuchete
Agoſtino in ſeiner Noth ſeinen Aufenthalt.
Damahl/ als dieſer verfolgete Hertzog von Tur-
ſis fluͤchtig hinweg gieng/ fuͤhrete er ſeine beyde Kinder
auch mit ſich/ welche waren Condado, ein Printz von
13. Jahren/ und eine Prinzeſſin/ welche ihre Mutter
Taranta hatte nennen laſſen/ nach ihrer Groß-Mut-
ter. Dieſe Kinder muſten mit dem Vatter in das
Elend/ und weil darauf deß Agoſtino ligende Laͤn-
dereyen und Guͤter in Baſilicata durch den Vice-Roy
auf deß Catholiſchen Koͤnigs Ordre eingezogen wur-
den/ muſte ſich der Hertzog auf andere Mittel beſin-
nen/ ſeinen zeitlichen Unterhalt zu gewinnen. Er be-
kam demnach einen ziemlichen Anhang von Chriſt-
lichen Corſaren/ mit denen er die See durchkreutzete/
und manche Tuͤrckiſche Saique/ auch viel Barbari-
ſche Brigontinen eroberte/ wordurch er nicht allein
groſſe Beute bekam/ und ihm einen formidablen
namen machte/ ſondern es lieffen die Banditen Hanf-
fen-Weiß zu ihm/ alſo/ daß ſich ein Jeder in der Ge-
gend von Calabrien und Apulien vor dem Printzen
de Tur-
[403]Romans I. Buch.
de Turſis fuͤrchtete/ dannenhero bezahleten die Schif-
fe/ die daſelbſt paſſirten/ ohne einige Widerrede/ drey
von hundert/ welches dem Hertzog ein groſſes Guth
einbrachte.
Unterdeſſen ließ er gleichwol nichts an einer gu-
ten Auferziehung ſeiner Kinder ermangeln/ ſandte
demnach den Printzen Condado mit einem getreuen
Edelmann zu dem Grafen von Policaſtro, und ließ
denſelben erſuchen/ daß er ihn/ als ſeinen Sohn/ mit
einem gnugſamen Wechſel nach Conſenza ſchickete/
weil ſelbiger Ort/ als die Haupt-Stadt Calabriens/
wegen der guten Wiſſenſchafften/ die daſelbſt bluͤhen/
in groſſer Conſideration war/ dem Grafen hergegen
thaͤte er eine gnugſame Verſicherung/ und ſandte
ihm an Baarſchafften ſo viel/ daß er zufrieden ſeyn
kunte. Dieſer Graf muſte deß Agoſtino Parthey
bey Zeiten verlaſſen/ wolte er anders ſeine Landſchafft
und den Kopff ſelber nicht in Gefahr ſetzen/ dannen-
hero ward er bey dem Vice-Roy bald wieder außge-
ſoͤhnet. Er ſandte aber dem Agoſtino ſeinen Edel-
mann wieder zuruͤck/ und beſtellete ſeinen eigenen
Sohn dem Printzen zum Hofmeiſter/ welcher ein
wackerer Herꝛ/ und muſte ſich dieſer vor einen Edel-
mann außgeben/ alſo raͤyſeten ſie mit einander nach
Conſenza, und nennete ſich deß Agoſtino Sohn Par-
do, ſein Hofmeiſter aber Tremola. Bald hernach
ſchickete Agoſtino ſeine Prinzeſſin Taranta nach ihrer
Mutter Schweſter/ die dem Printzen von Meleto
vermaͤhlet war/ um ſich ihrer in der Auferziehung/
ſtatt ihrer leiblichen/ juͤngſt-verſtorbenen Mutter/ ge-
treulich anzunehmen.
Pardo ließ ſich zu Conſenza in allerhand Ritter-
lichen Ubungen/ zugleich aber auch in den freyen Kuͤn-
ſten taͤglich unterweiſen/ worinnen er dergeſtalt zu-
C c 2nahm/
[404]Deß Academiſchen
nahm/ daß er bey Jedermann einen groſſen Ruhm
erlangete. Jnſonderheit hielte ihn der Gouverneur
deſſelben Orts ſtaͤts an ſich/ noͤthigte ihn offt ſamt ſei-
nem Hofmeiſter an ſeine Tafel/ daran ſie unter an-
dern ein Graͤfliches Fraͤulein von groſſer Schoͤnheit
und ungemeinem Verſtaͤnd antraffen/ welche ſich
Melicerta nennete/ und in deß Gouverneurs Behau-
ſung ihren Aufenthalt hatte. Gleich wie nun die
zarte Jugend deß Pardo ſich bald zu einer Liebes-
Neigung gegen dieſe holdſeelige Melicerta verleiten
ließ/ alſo erwieſe er ihr vor andern groſſe Aufwar-
tung/ woruͤber das Fraͤulein hinwieder gegen ihn mit
einer keuſchen Liebes-Flamme entzuͤndet ward/ daß
ſie nach ihrer kindlichen Unſchuld einander kleine
Ringe verehreten/ und ſich darbey verbanden/ Lebens-
lang einander mit einer keuſchen Liebe beygethan zu
bleiben/ ohnerachtet das Fraͤulein kaum 11. und Par-
do nur 14. Jahr alt war. Endlich begunte es ſo wol
dem Spaniſchen Vice-Roy zu Neapolis, als auch den
Catholiſchen Koͤnig ſelber zu gereuen/ daß ſie dem
Agoſtino ſo hart zugeſetzet hatten/ weil er die gantze
See um Calabrien und Sieilien mit ſeiner Flotte/
die zuletzt in 8. Schiffen beſtunde/ all zu ſehr verun-
ſicherte/ ſandte man einen Edelmann mit Koͤnigl.
Perdon zu ihm/ und ließ ihn wiederum nach Turſis
beruffen.
Es wolte aber der Hertzog gar nicht trauen/ de-
rowegen ließ er ſeinen Printzen/ nachdem er ſich drey
Jahr zu Conſenza aufgehalten/ zu ſich beruffen/ und
nahm ihn mit auf die See/ den Tremola aber ſandte
er mit einem groſſen Geſchenck wieder zu ſeinem
Vatter/ dem Grafen von Policaſtro, damit ſelbiger
durch dieſen ſeinen Sohn nicht in Gefahr gerathen
moͤchte. Vier Jahr hernach/ als der Hertzog de Tur-
ſis ſich
[405]Romans I. Buch.
ſis ſich ſo formidabel gemacht/ daß ihn gantze See-
Flotten fuͤrchteten/ ließ der Koͤnig in Spanien eine
ſchoͤne Abſendung an ihn ergehen/ um der von den
Mohren hart beaͤngſtigten Veſtung Oran/ welche
Spaniſch/ mit ſeinen Schiffen zu ſuccuriren/ welche
Muͤhe ihm reichlich ſolte belohnet werden. Ago-
ſtino nahm dieſe Gelegenheit/ ſich ſeines Koͤnigs
Gnade voͤllig wieder zu verſichern/ alsbald an/ gieng
mit einer außerleſenen Mannſchafft nach beſagter
Veſtung/ ſetzte 300. wol-bewaffnete Soldaten an
Land/ welche mit der Spaniſchen Garniſon einen
furieuſen Außfall thaͤten/ viel Mohren caputirten/
den Reſt in die Flucht ſchlugen/ und allerſeits mit
groſſen Beuten und mehr als 200. Gefangenen wie-
der in die Veſtung kehreten. Auf dieſes Gluͤck fol-
gete noch ein anders/ nemlich/ als er wieder zuruͤck
ſeegelte/ ſtieffen ihm 2. Algieriſche Raub-Schiffe mit
3. genom̃enen Pryſen auf/ welche er tapffermuͤthigſt
attaquirte/ das eine in Grund ſchoſſe/ und deß andern
ſamt den Pryſen ſich wuͤrcklich bemaͤchtigte. Von
welcher Beute er einen guten Antheil dem damahli-
gen Vice-Roy zu Neapolis und dem Hof zu Madrit
ſandte/ welches an beyden Orten dermaſſen wol auf-
genommen ward/ daß man einen Ritter in einem be-
ſondern Schiff hernach zu ihm ſandte/ und ihm nicht
allein den beruͤhmten Orden deß guͤldenen Fluͤß/ ſon-
dern darneben ein Koͤnigl. Patent uͤberſandte/ darinn
er zu einem Admiral uͤber eine Esquadre Koͤniglicher
Kriegs-Schiffe unter einer Jaͤhrlichen Gage von
20000. Ducaten beſtellet wurde. Alſo kehrete Don
Agoſtino mit groſſer Reputation wieder nach Turſis,
und ſein Sohn/ der mit ihm dieſen letzten Zug ge-
than hatte/ nahm Abſchied/ um etliche Jtaliaͤniſche
Academien zu beſuchen/ da er ſich dann zuforderſt
C c 3nach
[406]Deß Academiſchen
nach Neapolis erhub/ und daſelbſt etliche Jahr den
freyen Kuͤnſten oblage. Als er nach Verflieſſung
dieſer Zeit nach Rom gehen wolte/ kam daſelbſt auch
an der junge Printz Parmenio, deß Antonio Sohn/
welcher ſich ſehr praͤchtig hielte/ aber deß Agoſtino
Sohn nennete ſich allwege Pardo, und gab ſich vor
einen Grafen von Policaſtro auß/ welches ihm ſein
Herꝛ Vatter gerathen/ welcher noch nicht wuſte/ ob
er auch wuͤrcklich und gnugſam bey dem Koͤnig ſey
außgeſoͤhnet worden.
Pardo und Parmenio kannten einander anderſt
nicht/ als dem Namen nach/ jedoch war ein groſſer
Haß bey dem Parmenio auf den Pardo, weil er wu-
ſte/ daß ſein Vatter/ der Graf von Policaſtro, dem
Agoſtino wider ſeinen Vatter beygeſtanden hatte/
dannenhero trachtete er darnach/ wie er ihn in das
Netz locken moͤchte. Hielte ſich demnach ſehr freund-
lich zu ihm/ als ein Bruder zu dem andern/ und noͤ-
thigte ihn/ bevor er nach Rom raͤyſete/ eine Luſt-Raͤyſe
nach Roſſano mit ihm zu thun/ ſo wolle er von ſeiner
Mutter und Schweſter daſelbſt Abſchied nehmen/
und ihn nach Rom begleiten/ allermaſſen er nichts
mehr/ wie er vorgab/ wuͤnſchete/ als in ſeiner angeneh-
men Geſellſchafft ſtaͤts zu verharren. Condado, oder
viclmehr Pardo, ließ ihm dieſes gefallen/ alſo giengen
ſie mit einander nach Roſſano, und ob gleich dieſer ſei-
nem Vatter vorhero nichts darvon geſchrieben/ hoffe-
te er dannoch/ es werde ihm deßfalls keine Gefahr zu-
wachſen koͤñen/ weil man in ſeiner Perſon wurde irren.
Wie ſie nun zu Roſſano anlangeten/ ward Pardo zum
Willkomm freundlich empfangen/ aber/ als deß Par-
menio Mutter ihn erblickete/ ward ſie Feuer-roth
unter den Augen/ und ſprach zu ihrem Sohn:
Schaffet mir dieſen unangenehmen Gaſt alſobald
vor
[407]Romans I. Buch.
vor meinen Augen weg/ dieſes Menſchen Vatter iſt
die groͤſſeſte Urſach an eures Herꝛn Vatters Tod/
als der den Agoſtino am allermeiſten dahin angefri-
ſchet/ daß er ſich mit ihm keines Weges vertragen ſol-
te. Parmenio ſagte: Jch meyne es auch alſo/ Frau
Mutter/ ich wil ihn alſobald in ein finſter Gemach
ſperren laſſen/ und ſehen/ was ich weiter mit ihm fuͤr-
nehmen moͤge. Gleich darauf kamen viel bewaffnete
Maͤnner herzu/ und nahmen ihm das Gewoͤhr ab/
und fuͤhreten ihn in ein Zimmer/ das nur mit gar we-
nigem Liecht der Sonnen beſchienen ward/ er ſelber
aber/ Parmenio, ritte zu ſeinen fuͤrnehmſten Freun-
den/ um ſich zu berathſchlagen/ was man mit dieſem
Gefangenen weiter beginnen ſolte/ da inzwiſchen ſei-
ne Mutter fuͤr Zorn Bett-laͤgerig ward.
Pardo hatte nunmehro Zeit gnug/ ſein Ungluͤck
zu beweinen/ und ſeine Leichtglaubigkeit zu verfluchen/
dann er verſicherte ſich eines ſchmaͤhlichen Todes/
wuͤnſchete demnach nichts mehr/ als einen Botten
an ſeinen Herꝛn Vatter ſenden zu koͤnnen/ aber/ es
war ihm alle Correſpondentz benommen. Am fol-
genden Tag kam eine Dame in einem ſchwartzen Kleid
zu ihm herein getretten/ welche ſich zu ihm ſetzete/ und
mit thraͤnenden Augen ſagete: Ach mein wertheſter
Graf Pardo, wie kommet ihr zu dieſem Ungluͤck!
Pardo ſprach jetzo: Wer iſt/ der mich in meinem Jam-
mer troͤſtet? Jch bin eure getreue Melicerta, ſprach
Jene/ und ſeyd verſichert/ dafern euch etwas Ungluͤck-
liches von dem Printzen Parmenio, der mein Ver-
wandter iſt/ begegnet/ wil ich ihm einen Dolch in das
Hertz ſtoſſen/ und hernach/ um euretwillen/ gar gerne
eines ſchmaͤhlichen Todes ſterben. Pardo ſchaͤtzete
ſich gluͤckſeelig/ daß er in dieſem ſeinem groſſen Un-
gluͤck annoch einen getreuen Menſchen fand/ er nahm
C c 4ihm
[408]Deß Academiſchen
ihm vor/ ſich zu erkeñen zu geben/ hielte es doch beſſer/
wann er es nicht thaͤte/ verband ſich demnach ehelich
mit dieſer jungen Graͤfin/ dafern ſie ihm zu ſeiner Er-
ledigung wuͤrde helffen/ und ſchaͤtzete ſeine verlohrne
Freyheit wol angeleget zu haben/ wann er dardurch
das Leben erwuchern koͤnte. Hierauf kuͤſſeten ſie ein-
ander/ und die Melicerta tratt wieder von ihm. Am
folgenden Morgen kam Parmenio mit etlichen guten
Freunden/ und Pardo wartete mit Verlangen/ was
darauf mit ihm werden wuͤrde. Zwo Stunden vor
Abend tratt Parmenio ſelber zu ihm ins Gefaͤngnuͤß/
und ſaate: Jch habe mich beſonnen/ Herꝛ Graf/ eure
Qualitaͤten verdienen von der Welt angebettet zu
werden/ darum beſchwoͤre ich euch/ im Namen der
jenigen Perſon/ die euch am allerliebſten/ daß ihr mir
dieſes Verfahren zu gut haltet/ und euch nicht an mir
raͤchen wollet. Hierauf umfieng er ihn/ und fuͤhrete
ihn ſelber herauß/ jedoch mit dem Beding/ daß er ſich
alſobald auß den Roſſaniſchen Graͤntzen erheben/ und
mit keinem von den Leuten dieſes Schloſſes ein einzi-
ges Wort wechſeln ſolte/ welchem Pardo gar willig
nachlebete/ und gerades Weges wieder auf Neapolis
zu eylete/ auch ſeinem Herꝛn Vatter nichts ſchriebe
von allem/ das ihm in dieſen Tagen zu Roſſano von
dem Parmenio widerfahren waͤre.
Drey oder vier Tage hernach kam Troll/ den er
in Neapolis vorhin zum Diener angenommen hatte/
wieder zu ihm/ dann er hatte ihn bey ſeinem Abzug zu
Roſſano gelaſſen/ um von ferne zu ſehen/ was daſelbſt
paſſiren moͤchte/ dieſer erzehlete/ daß ein Fraͤulein auß
dem Schloß ſich verlohren/ daß man nicht wiſſe/ wo-
hin ſie kommen ſey/ und deßwegen waͤre Jedermann
in Ruhr. Uber dieſe Zeitung machte ihm Condado
ſeltzame Explicationes, er gedachte wol/ daß man es
der
[409]Romans I. Buch.
der Melicerta uͤbel gedeutet/ daß ſie ſich in den Pardo
verliebet/ weßwegen ſie auch hernach in Ungnade den
Hof haͤtte quittiren muͤſſen. Er dachte dem Ding
lange Zeit nach/ und reſolvirte ſich endlich/ in ſeiner
Betruͤbnuͤß eine weitlaͤufftige Raͤyſe zu wagen/ um
zu ſehen/ ob er ſeine Melancholie dardurch verringern/
oder ſeine Melicerta unter Weges außfinden koͤnte.
Zu dem Ende ſetzte er ſich zu Pferd/ und gieng nach
Rom/ und als er ſich ein halb Jahr daſelbſt aufgehal-
ten/ raͤyſete er weiter auf Florentz/ und von dannen
auf Boulogne, woſelbſt er etliche Wochen hernach den
Parmenio antraff/ der ſich um der freyen Kuͤnſten wil-
len dahin erhoben hatte. Anfangs lebeten ſie in guter
Vertraͤulichkeit/ aber endlich begunte ſich ein inner-
licher Haß herfuͤr zu thun/ bey Parmenio zwar/ weil
deß Pardo (darfuͤr hielte er ihn allemahl/) Vatter die
einzige Urſach an ſeines Vatters und Schweſter Tod
war/ der andere aber/ weil er wuſte/ daß Parmenio die
Heyrath zwiſchen ihm und der Graͤfin Melicerta auß
allen Kraͤfften zu ſtoͤhren bemuͤhet war. Solchem
nach kam es endlich dahin/ daß ſie an einander gerie-
then/ und ſich endlich zum Duell außforderten/ darinn
Parmenio das Ungluͤck hatte/ daß er von ſeinem Wi-
derparth eine toͤdtliche Wunde bekam/ die ihn alſo-
bald darnieder warff/ dannenhero ſetzete ſich Condado
auf ein Pferd/ gab ſeinem Diener/ der das Geld fuͤh-
rete/ einen Winck/ wohin er ihm folgen ſolte/ und
gieng hoͤher nach dem Po-Fluß hinauf/ wie es ihm
aber ſeithero ergangen/ und was er hernach fuͤr Eben-
theuren gehabt/ ſolches haben wir ſchon angehoͤret/
wie es auch hinfuͤhro mit ihm ablauffen werde/ dar-
von ſoll dem Leſer ein gnugſamer Bericht erſtattet
werden. Den Einhalt von dieſer Hiſtorie erzehlete
Condado auf Erſuchen der Compagnie.
C c 5Das
[410]Deß Academiſchen
Das XXXV. Capitul/
Exempel unverſchaͤmter undDiſputir-ſuͤchtigen Menſchen/
die aber mit Schimpff und Spott von einem Chriſtlichen Lehrer abge-
wieſen und widerleget werden.
VOr ſothane Muͤhwaltung ſagete ihm der Po-
deſtà hertzlichen Danck/ und als darauf die
Tafel abgenommen ward/ nahmen ſie unter
freundlicher Danckſagung hoͤflichen Abſchied/ und
giengen ihres Weges. Auf der Straſſen vernahmen
ſie bald/ daß eine Diſputation in einem Collegio fuͤr-
gieng/ dahero erhuben ſie ſich dahin/ und hoͤreten ein
wenig zu/ funden aber die Materie, woruͤber man di-
ſputirte/ von keiner ſonderlichen Importantz/ deßwe-
gen giengen ſie vor der Stadt ein wenig ſpatzieren/
und diſcurrirten von der verſpuͤrten groſſen Diſputir-
ſucht deß Reſpondenten in der angehoͤrten Diſputa-
tion, worvon ihnen etliche von den uͤbrigen Zuhoͤrern
viel zu erzehlen wuſten.
Um die Zeit in etwas zu kuͤrtzen/ ließ ſich Klin-
genfeld durch Gelegenheit dieſes unverſchaͤmten Di-
ſputanten in folgenden Diſcurs herauß: Die Jenigen/
ſo ſich mit andern in eine Diſputation einlaſſen wol-
len/ haben neben andern Stuͤcken dieſe folgende von-
noͤthen: Erſtlich/ daß ſie nicht auß Un-Chriftlichem
Ehrgeitz oder Haderſucht/ ſondern auß Liebe der
Warheit ſolchen Meynungs-Kampff eintretten.
2. Ein Gemuͤth mit ſich bringen/ daß eben ſo demuͤ-
thig ſey/ ſich unterweiſen zu laſſen/ als willig zu unter-
weiſen. 3. Jhren Gegen-Streiter mit Gedult und
Sanfftmuth fein anhoͤren/ denſelben beſcheidentlich/
wo es vonnoͤthen ſcheinet/ widerlegen/ nicht hoͤhniſch
halten/ noch den Grobianum ſpielen/ als wordurch ſie
ihn nur von ihrer Meynung deſto weiter abziehen/ je
verhaſſeter ihm ihre grobe toͤlpiſche Un-Art dardurch
wird. Dann ſolches koͤnnen auch die Spitz-Buben/
und
[411]Romans I. Buch.
und geſchiehet bißweilen auch wol in unſerm Lande
von Leuten/ denen ſolche Ungehaltenheit am Aller-
ſchaͤndlichſten anſtehet/ zumahl/ wañ ſie Geiſtlich ſind/
und ſolche Perſonen/ von welchen man Chriſtliche
Sanfſtmuth/ Moderation und Beſcheidenheit/ nicht
Satyriſche Stichel-Reden/ Schmaͤh-Worte und
Verleumdungen zu erwarten haͤtte/ wiewol ein Ver-
ſtaͤndiger dergleichen ſtoltze Phantaſten und grobe
Klugduͤnckler/ nicht anders/ als einen ſchreyenden
Eſel betrachtet/ ſie keiner Antwort werth achtet/ ſon-
dern in ihrer thoͤrichten Einbildung immerhin ſtecken
laͤſſet/ wol verſichert/ daß ſie bey vernuͤnfftigen und
moderaten Leuten wenig Ehre damit einlegen/ und
nur ihre eigene Schande durch boßhaffte Laͤſterun-
gen an Tag geben. Dann an ſolchen Federn lernet
man den Vogel kennen/ weſſen Geſchlecht er ſey/ ob
ein ſittſames Gemuͤth oder Toͤlpel in ihm vergraben/
ober eine Taube oder ein Rab/ deß guten oder boͤſen
verleumderiſchen Geiſtes Kind ſey. Offt entbloͤden
ſich ſolche bittere Spott-Voͤgel/ ihre grobe Toͤlpeley
und Laͤſterſucht mit etlichen uͤbelgedeuteten Exem-
peln und Spruͤchen H. Schrifft/ die bißweilen um
GOttes Ehre/ einen Gottſeeligen Eyfer blitzen laſ-
ſen/ zu beſchoͤnen/ moͤgen aber dem allſehenden GOtt
keine Bruͤllen damit verkauffen/ aͤffen und taͤuſchen
ſich nur ſelbſt/ und laden zweyfachen Zorn auf ſich/
indem ſie zu ihrer ſchaͤndlichen Verleumdung auch
noch den verdammten Mißbrauch Goͤttliches Na-
mens/ oder heiliger Exempel ſetzen/ und gleichſam
einen Ring auf den Raben-Stein werffen.
Ein ſolcher grober Diſputator war der Tyrann
Baſilowitz/ der mit den Evangeliſchen Pfarꝛ-Her-
ren ſich gern in Glaubens-Sachen unterredete/ oder
eigentlicher geredet/ ſie nur ſchmaͤhete und laͤſterte/
und den Schluß zuweilen ſelbſt mit der Knut-Peit-
ſchen
[412]Deß Academiſchen
ſchen formirte/ als wie zu Kokenhauſen in Lieffland
geſchehen/ da er ſich mit einem Lutheriſchen Prediger
in ein Geſpraͤch vom Glauben begeben/ und denſel-
ben um ſeine Bekanntnuͤß gefraget; Aber als der
Prieſter geantwortet/ er lehre/ was der Apoſtel Pau-
lus und Lutherus gelehret/ ihn mit der Knut-Peit-
ſchen abgefertiget/ einen Streich uͤber den Kopff ge-
geben/ und mit dieſen Worten fortgeſchicket: Gehe/
Huren-Sohn/ fuͤr den Teuffel/ ſamt Paul und Lu-
ther. Sonſt war er nicht ſtumpff-hirnig/ ſondern ver-
ſchmitzt genug/ eine Schluß-Rede zu ſetzen/ und ziem-
lich-ſcheinbare Folgerungen zu machen/ vermengete
und ſchaͤndete ſie aber mit allerhand Schelt- und
Schmaͤh Worten. Maſſen ſolches auß der beydes
muͤnd- und ſchrifftlichen Diſputation, ſo er A. 1570.
gehalten mit einem gelehrten Reformirten/ Johannes
Rohita genannt/ in Gegenwart der Pohlniſchen Le-
gaten/ Koͤnig Sigismundi, gnugſam erſcheinet. Dar-
iñ er gewißlich beſagtem Reformirten Prediger ziem-
lich aufzuloͤſen gibt/ und ſonderlich die Beybehal-
tung heiliger Gemaͤhlten kraͤfftig ſchuͤtzet; Wiewol
in etwas zu weit gehet/ und/ nach der Griechen Weiſe/
die faſt aberglaͤubiſche Verehrung derſelben damit
befeſtigen wil. Aber die Schmaͤh-Hitze ſeiner Zun-
gen hat alles beſudelt/ als wann er den Rohitam mit
dieſen rauhen und groben Worten anfaͤhret: Etenim
cum ſis Canis, \& Crucis Chriſti hoſtis, nolo tecum
multis agere. Dann/ weil du nur ein Hund/ und Feind
deß Creutzes Chriſti biſt/ mag ich nicht viel Weit-
laͤufftigkeit mit dir machen. Und bald darauf: Ea vo-
bis tradidit Lutherus, cætera mentiris. Das hat euch
Luther gelehret/ und das uͤbrige leugſt du in deinen
Halß. Anderswo/ nemlich im 12. Hauptſtuck ſelbi-
ger Conferentz/ oder Diſputation, laͤſſet er dieſe ſchoͤne
Perlen
[413]Romans I. Buch.
Perlen blincken: Præter hæc autem, plura ibi ex Ar-
canis Literarum S. proferre poſſem, quibus tu Onager
non crederes: Ut qui non aliter, quàm ſurda aſpis
aures obturans ſuas, vocem veritatis à monitore ac-
cipis. Zu Teutſch: Jch koͤnte uͤber das noch mehr auß
den Geheimnuͤſſen H. Schrifft herfuͤrbringen/ denen
du wilder Wald-Eſel doch nicht wuͤrdeſt Glauben zu
ſtellen; Sintemahl du die Stimme der Warheit
von dem Ermahnenden eben ſo annimmſt/ als wie ei-
ne taube Otter/ die ihre Ohren verſtopffet. Solcher
Kleinodien der Hoͤfflichkeit findet man hin und wie-
der in benamſter Diſputation noch mehr/ die Johan-
nes Laſicius, in ſeiner Theologia Moſcovitica auß der
Ruſſiſchen in die Lateiniſche Sprache verſetzet/ und
deſto freymuͤthiger widerleget hat/ je weniger ihn deß
Baſilii Knut-Peitſchen erreichen koͤnnen.
Ferner muß derſelbe/ welcher im Diſputiren kei-
nen Schimpff einlegen/ oder gar zu bald den kuͤrtzern
ziehen wil/ den Stand der Frage wol b[e]obachten/
und die Saͤtze der Schluß-Kunſt verſtehen; Wie-
wol mancher von Natur ſo ſcharffſinnig iſt/ daß er
nicht allein ſelbſt ſubtil fragen und folgern/ ſondern
auch antworten/ und aufloͤſen kan. Jedoch bringet
gemeiniglich derſelbe/ welcher mit der Kunſt verſehen
iſt/ den Sieg darvon/ dafern ihn nicht die Augen-
ſcheinlichkeit der Sachen darnieder leget.
Dieſes letzten Stucks/ nemlich der Kunſt ver-
nuͤnfftig Zufolgern und Schlieſſen/ ſeynd die Japa-
ner/ Sineſer/ und andere Orientaliſche Voͤlcker/ un-
erfahren/ obgleich ſonſt theils andere/ ſonderlich die
Natur-Stern- und Sitten-Lehren ihnen nicht un-
bekandt; Weßwegen ihre Bonzier/ oder geiſtliche
Profeſſores, und heydniſche Prieſter deſto leichter ein-
buͤſſen/ wann ſie mit den Patribus Jeſuitis zu ſtreiten
kom-
[414]Deß Academiſchen
kommen/ und offt von ihren eigenen Gelehrten dar-
uͤber verlachet werden. Von den Sineſern erzehlet
Trigautius etliche Exempel/ P. Bartolus aber/ von den
Conchineſern (oder Cauchineſern/ wie etliche es auß
ſprechen/) und Tunchineſern. Jn Cocincina unter-
wieß um das Jahr der allerheilſamſten Geburt 1621.
neben andern/ der Jeſuit, P. Buzomius, die Heyden
deß Orts im Chriſtlichen Glauben/ und bemuͤhete
ſich/ als ein treuer Arbeiter in dem Weinberge deß
HErꝛn/ eyferig den Namen Chriſti/ in der Landſchafft
Pulocambis außzubreiten. Welches dann nicht wenig
befoͤrdert worden/ durch den Zutritt etlicher anſehn-
licher/ gelehrter/ und ihrer vermeyneten Heiligkeit
halben hochberuͤhmter Heyden/ deren etliche auch der
Goͤtzen Prieſter waren/ und alſo vielen andern ein
Exempel der Nachfolge zum Chriſtenthum wurden.
Unter dieſer gluͤckſeeligen Zahl befand ſich einer/ wel-
chen man Saiſuen/ das iſt/ den guten Prieſter/
nannte/ der hatte ſchon 20. Jahr in lediger Keuſch-
heit und williger Armuth gelebet/ in allerhand Truͤb-
ſahl/ in Hunger und Durſt/ in Schmach und Beley-
digung/ eine freudige Gedult leuchten laſſen. Welche
Tugenden ihm zwar/ als einem Unglaubigen/ zur
Seeligkeit nichts nutzten/ und nur ein Schatten viel-
mehr/ weder der rechte Glantz Geiſtlicher Leibes- und
Gemuͤths-Zucht waren; Aber doch gleichwol ein ſol-
cher Schatten/ welchen man billich an einem Heyden
verwunderte. Er faſte aber die Predigt deß Evangelii
ſo geſchwind/ daß man wol ſpuͤhrete/ ihn haͤtte nichts
anders beweget/ den Goͤtzen zu dienen/ als/ daß er/
von dem wahren GOTT bißhero nichts gewuſt.
Dann/ ſo bald er Buzomium hoͤrete/ erſtaunete er fuͤr
Freuden uͤber die Herꝛlichkeit ſolcher Goͤttlichen/
Gnaden-reichen/ und ſeelig-machenden Lehre/ neigete
nicht
[415]Romans I. Buch.
nicht nur die Ohren/ ſondern zugleich ſein gantzes
Hertz zu derſelben/ und merckete ſo fleiſſig/ ſo begier-
lich auf/ als ob es lauter Rubinen und Perlen waͤren/
ſo dem Buzomio auß dem Munde fielen/ maſſen dann
Chriſtus das Himmelreich einer koͤſtlichen Perle
auch vergleichet. Nachdem er nun ſattſamen Unter-
richt eingenommen von der wahren Erkaͤnntnuͤß
GOttes/ von der ewigen Seeligkeit/ und der Erloͤ-
ſung/ ſo durch JEſum Chriſtum geſchehen/ iſt er in
dem Lebens-Brunnen gereiniget/ und dem HErꝛn
Chriſto neu gebohren worden.
Hieruͤber ſetzte es unter ſeinen vorigen Unglau-
bens-Genoſſen mancherley Reden und Urtheile. Et-
liche/ und zwar die Liederlichſten/ ſagten/ er waͤre in
Aberwitz gerathen/ wie dann die Predigt deß Creutzes
der unerleuchteten Vernunfft gemeinlich eine Thor-
heit iſt; Kluge und weiſe Leute aber betrachteten es
beſſer/ und urtheileten/ es muͤſte gewißlich die Chriſt-
liche Lehre viel Gutes/ und keinen ſchlechten Grund
haben/ nach dem mahl gleichwol ein ſolcher Haupt-
verſtaͤndiger Mann/ der dieſelbe gruͤndlich durchge-
forſchet/ keinen Widerſtand mehr bey ſich befunden
haͤtte/ ihrenthalben die Seinige zu verwerffen; Tru-
gen alſo kein Bedencken/ ſeine Fußſtapffen einzutret-
ten/ und der Chriſtlichen Warheit gleichfalls beyzu-
pflichten.
Hingegen widerſetzete ſich ein anderer/ mit Na-
men Tubin, deſto haͤrter und verſtockter/ je verkleiner-
licher es ſeiner ſtoltzen Einbildung dauchte/ daß er ein
ſo ſpitzfuͤndiger/ Wunder-gelehrter und beredter
Mann/ ein Außzug und kurtzer Begriff ſo vieler Wiſ-
ſenſchafften/ ein Ruhm und allgemeines Oracul der
gantzen Provintz Pulocambis, von einem andern ſich
noch erſt ſolte meiſtern laſſen/ und der Jenige lernen/
der
[416]Deß Academiſchen
der zu lehren gewohnet; Das A. B. C. in dem Ver-
ſtaͤndnuͤß der Lehre von GOtt allererſt ſtudiren/ dariñ
er ſchon mehr/ als Doctor, zu ſeyn vermeynete. Nun
war es nicht ohn/ daß er in ſeinem Geſchlechte einer
der Allergelehrteſten Ungelehrten/ und Allerweiſeſten
Unweiſen/ auch deßwegen uͤberal in hoher Achtbar-
keit. Er philoſophirte gar ſcharffſinnig/ der Athem
ſeines Mundes/ oder ſuͤſſen Geſchwaͤtzes/ bewegete die
Gemuͤther der Zuhoͤrer/ wie der Weſt das Laub und
die Blumen/ daher alle Zuhoͤrer ihn ehreten/ als ein
Miracul, ſeinen Verſtand fuͤr eine Tafel achteten/ dar-
an die Natur ihren letzten und vollkommeſten Strich
gethan/ und in ſeinen Vollkommenheiten ihr ſelbſten
das Ziel geſetzet haͤtte. Weil dann dieſer Tubin in ſei-
nen Augen ſo groß/ und faſt uͤber aller Menſchen Ver-
ſtand erhoͤhet war/ meynete er/ ſein groſſer Name koͤn-
te durch anders nichts mehr zunehmen/ ohne allein
hierdurch/ daß Maͤnniglichen in der That kund wur-
de/ wie unermaͤßlich-weit er dem Buzomo, und allen
Europæiſchen Gelehrten/ in der Weißheit/ Kunſt und
Wiſſenſchafft vorgienge. Anfangs zwar ſchaͤtzete er
ſich zu hoch/ mit einem fremden Außlaͤnder/ der noch
wenig bekandt/ oder beruͤhmt/ einen Diſcurs zu wech-
ſeln/ und ſeine Perſon ſo gemein zu machen. Als aber
Buzomii Name und Lehre von Tage zu Tage beruͤhm-
ter ward/ raͤumete er ſolchen eyteln Verzug/ vermit-
telſt einer andern Eytelkeit/ hinweg/ foderte Buzo-
mium auß/ beſtimmete ihm Zeit und Ort zum Streit/
deſſen Sieges-Lohn hierinn beſtehen ſolte/ daß deß
Uberwinders Wiſſenſchafft und Religion fuͤr die
Groͤſſeſte und Beſte geachtet wuͤrde.
Buzomius ließ dieſes ſo willig und begierlich zu/
als wie ein Fiſch/ daß man ihn auß der Ciſtern/ oder
Kaͤſten/ in einen Strohm ſetzet; Oder/ wie ein tapffe-
rer
[417]Romans I. Buch.
rer Ritters-Mann dem Jenigen/ der ihn fordert/ mit
freudigem und unverzagtem Muth im Feld erſchei-
net/ und zu erkennen verlanget/ ob die Fauſt deß For-
derers auch mit den friſchen Worten uͤbereintreffe.
Der Profeſſor Tubin zog auf/ mit einer Begleitung
von 200. Diſcipeln/ und einer mehr aufgeblaſenen/
als ernſthafften oder Gravitaͤtiſchen Einbildung. Bu-
zomius ſtellete ſich auch auf den Kampff-Platz/ aber
allein/ und ohne einigen Beyſtand/ als der Warheit/
und Schluß-richtigen Vernunfft/ von welchen Bey-
den ſein Gegner ſehr weit irre gieng. Es waren die
Fuͤrnehmſte unter den Gelehrten/ und uͤber das eine
unzehlige Menge Volcks zugegen/ voller Begierde
zu hoͤren/ werden Preiß darvon tragen/ und den Platz
behalten wuͤrde. Welche Begierde auch eine fuͤrneh-
me Matron, deß verſtorbenen Gubernators ſelbiger
Provintz Schweſter/ dieſer groſſen Verſam̃lung ein-
miſchete/ als die in ihrem aberglaubiſchen Goͤtzen-
Dienſt fuͤr Eyfer wie ein Back-Ofen gluͤhete/ und
von ihrem Lehrer Tubin, den ſie zum hoͤchſten reſpectir-
te/ ihr anders nichts/ dann lauter Palm-Zweige/ ein-
bildete. Herꝛ Tubinus tritt auf/ mit groſſer Zuver-
ſicht und ſtoltzer Verſicherung/ mit ſeinem Wider-
ſacher bald fertig zu ſeyn/ unwiſſend/ was fuͤr einen
Mann er vor ſich haͤtte/ und was hinter demſelben
ſteckte/ nemlich/ daß derſelbe von der Theologiſchen
Catheder noch aller warm/ und gleichſam gluͤhend/ in
Concincina gekom̃en waͤre. Der erſte Angriff geſcha-
he vom Tubino, in dem er weiß nicht was fuͤr falſche
Grund-Saͤtze von GOtt vorn an den Streit ſtellete/
Willens/ ſeine ſeltzame abgoͤttiſche Grillen und aben-
theuerliche Meynungen von den Goͤttern darauf veſt
zu ſtellen/ und ſolches ohne foͤrmlichen Beweiß/ oder
buͤndige Schlieſſung/ ſintemahlen er/ und andere
D dGoͤtzen-
[418]Deß Academiſchen
Goͤtzen-Lehrer der Orientaliſchen Laͤnder/ die Dialecti-
cam gar nicht kennen.
Hingegen maß Buzomius alle ſeine Beweißthuͤ-
mer nach der Vernunfft-ſchluͤſſigen Richtſchnur/ ließ
ihn nicht alſo ungezaͤumet herum ſchweiffen/ ſondern
ſtellete alles in behoͤrige Form/ daß der Betrug ſeines
Geſchwaͤtzes leichtlich entdecket/ und er offt gezwun-
gen ward/ in ſein eigen Schwerdt zu fallen/ das iſt/ ſol-
che Sachen zu reden/ die wider ſich ſelbſt ſtritten/ bald
ein Ding zu bejahen/ bald wiederum zu verneinen.
Er fand ſich in allem gefangen und beſtrickt/ was er
auch immermehr waͤhlete/ und wuſte dem endlichen
Hertz-Stoß/ welchen ihm die Vernunfft-Spitze ſei-
nes Gegen-Streiters von allen Seiten draͤuete/ an-
ders nicht/ ohn durch ein ſchimpffliches Stillſchwei-
gen/ zu entgehen. Hieruͤber begunten ſeine Lehr-Jun-
gen mit zuſammen geſtoſſenen Koͤpffen erſtlich unter
einander zu murren/ bald aber darauf mit lauten
Stimmen ihm zuzuruffen/ er ſolte doch antworten.
Aber er trug nunmehr die Zunge im Bande der Ver-
wirrung und Unwiſſenheit/ die Schamroͤthe uͤberlieff
ihm ſein gantzes Antlitz/ mahlete den Anſchauern ſei-
nen Sinn und Wunſch kaͤndtlich gnugſam vor/ daß
ihm nemlich die Erde ihren Rachen bieten/ und/ ſamt
dem Leib/ ſeine Schande verſchlingen moͤchte. Weil
er dann ſo gar verſtummete/ und kein Woͤrtlein mehr
auß ihm zu bringen war/ ward die Diſputation endlich
aufgehoben/ durch ein ſpoͤttiſches Geſchrey/ und Ge-
laͤchter der Zuhoͤrer/ welche billig daruͤber lachten/ daß
dieſer hoch-trabender Aufſchneider ſo kahl darvon
kam/ und nachdem er mit 200. Perſonen auf die
Wahlſtatt angelanget/ jetzo allein nur wieder heim
gieng/ mit ſtaͤts niedergebucktem Haupt/ das fuͤr
Schande ſeine Augen nicht aufheben durffte. Einen
ſolchen
[419]Romans I. Buch.
ſolchen Abzug nimmt gemeiniglich die aufgeblaſene
Einbildung/ und eytele Ruhmraͤthigkeit/ wann ihr ei-
ne wol-gegruͤndete Reſolution im Feld begegnet.
Dem Buzomio wuͤnſchete hingegen Jedermann
Gluͤck zur Victorie, und gab ihm eine groſſe Menge/
zu wuͤrcklicher Bezeugung ihrer Gunſt/ das Geleit
nach Hauß. Ja/ es begaben ſich auch ihrer viele in ſei-
ne Unterweiſung/ und tratten zu der Religion, die er
bekannte und lehrete. Unter dieſen war einer von deß
Tubins fuͤrnehmſten Diſeipeln/ ein trefflicher Kopff/
deſſen Geſchicklichkeit die andere nicht beſſer zu ver-
gleichen wuſten/ als mit der Scharffſinnigkeit ſeines
vorigen Lehrmeiſters. Fuͤrwahr/ eine edle Beute! wo-
mit Buzomius hoͤher bereichert worden/ als wann er
alle Schaͤtze deß Orients haͤtte erobert. Dann/ eine
Seele gewinnen/ iſt mehr/ als viel tauſend Millionen
Goldes erbeuten/ wie viel mehr dann/ wann ihrer ſo
viel Seelen auf einmahl einem guten Streiter JE-
ſu Chriſti von oben zur Beute gegeben werden?
Als Klingenfeld ſeine Rede hiermit beſchloſſen
hatte/ wolte Cavina zeigen/ daß er gleicher Geſtalt von
ldioten und aufgeblaſenen Diſputanten/ die doch
nichts im Reſt haͤtten/ nicht das Geringſte hielte. Wer
der Hoffarth/ ſprach er demnach/ ihre Herberge ſuchet/
der forſche nur nach dem Quartier der Unwiſſenheit/
da kan er ſie bey einander antreffen. Selten wird man
einen Narren von ſtoltzen Einfaͤllen leer finden/ und
dieſe Plage drucket manchen eigen-ſinnigen Gelehr-
ten/ der von den Blehungen ſeines Wiſſens ſo groſſe
Noth leydet/ daß er fuͤr lauter Weißheit berſten
moͤchte/ andere nur Idioten/ und Fratres Ignorantiæ.
unerfahrne albere Tropffen achtet/ von denen er viel-
leicht noch wol eines und anders lernen koͤnte/ wann
es ſein Duͤnckel-Witz nicht verhinderte. Solche hof-
D d 2faͤrtige
[420]Deß Academiſchen
faͤrtige Gecken wollen kurtzum Recht/ und das letzte
Wort haben/ wiſſen 10. Worte gegen eines zu ſetzen/
und beweiſen/ daß es wahr ſey/ was Jener ſagte: Ni-
hil eſt invictius indoctâ garrulitate. Nichts iſt un-
uͤberwindlicher/ als die ungelehrte Plauderey. Stel-
let man ihnen ihre Eytelkeit dann ein wenig vor Au-
gen/ ſo beſtehet der Lohn in Satyriſchen Stacheln/
Schimpff- und Laͤſter-Worten/ alſo/ daß der Jenige/
welcher diß Pech angreiffet/ ſelten unbeſudelt darvon
kommt. Das Muſter wil ich abermahl von den Heyd-
niſchen Bonziern/ doch nicht in Cochinchina, ſondern
Tunchin, nehmen/ und noch eins den geneigten Hoͤrer
zur Diſputation einladen.
Als der Jeſuit/ Alexander von Rhodes, in bedeu-
tetem Koͤnigreich Tunchin, von Edlen und Gelehr-
ten einen ziemlichen Zulauff bekam/ beneydeten ihn
die Bonzier deßwegen aufs aͤuſſerſte/ in Sorge/ ih-
rem Geitz-Wanſt moͤchte hierdurch die gewoͤhnliche
Fuͤlle abgehen/ ja/ ihr ſo anſehnlicher Orden gar dar-
uͤber zu Boden ſincken. Solchem uͤbel vorzukommen/
und diß lauffende Feuer der Chriſtl. Lehre zu daͤmpf-
fen/ ward in ihrer Verſammlung dieſer Rathſchluß
gefaſſet/ man muͤſte die Lehre dieſer Europæiſchen
Prieſter nur weidlich durchhecheln/ und verſpotten/
den Jeſuiten in einer Volck-reichen Diſputation das
Maul ſtopffen/ und ſie ſo ſchimpfflich halten/ daß ſie
fuͤr Scham entweder darvon giengen/ oder ſtill-
ſchwiegen. Solche ſtoltze Vermeſſenheit nahm ihren
Urſprung von einem alten Greiſen unter ihnen/ der
ſich von allerley Heydniſchen Wiſſenſchafften und
Fabeln ſo voll hatte geſogen/ daß er uͤberlieff/ und Lufft
ſuchte/ wie ein Faß/ ſo mit friſchem Moſt gefuͤllet/ und
viel Buͤcher von ſeinem Fabelwerck zuſammen trug.
Dieſen Hoch-Ehrwuͤrdigen Fabel-Hanſen erſuchte
man/
[421]Romans I. Buch.
man/ mit vielfaͤltiger Bitte/ er moͤchte den Jeſuiten
dieſe Ehre nicht mißgoͤnnen/ daß ſie durch ihn/ einen
ſolchen Stern der Geſchickligkeit/ uͤberwunden/ oder
vielmehr erleuchtet wuͤrden. Und damit er deſto groͤſ-
ſere Ehre darvon haͤtte/ wurden unzaͤhlich viel Leute
darzu eingeladen/ die ſich auch haͤuffig einſtelleten.
Man fertigte etliche Perſonen ab an die Jeſuiten/
und laͤſſet ihnen andeuten/ daß man ſie in ihrem
Hauß/ oder Collegio, beſuchen/ und ein Gaͤnglein mit
ihnen halten wolle/ um zu erfahren/ ob ſie rechtmaͤſſige
Urſach haͤtten/ die Bonzier deß Jrꝛthums halber an-
ruͤchtig zu machen/ und dem Geſetze der Chriſten allein
die Warheit zuzuſchreiben. Beſagter alter hochmuͤ-
thiger Bonze ward zum Feld-Herꝛn dieſes Streits
unter ihnen erkoren/ als ein alter Kriegs-Mann/ oder
Fechter/ der ſchon manchen Diſcipel im Diſputiren/
(oder vielmehr Plaudern/) hatte abgefuͤhret/ und in
dieſer Kunſt/ ihrer Meynung nach/ ein gewaltiger
Meiſter war/ welcher Zweiffels ohne noch etliche ge-
heime Striche fuͤr ſich behalten. Er trauete zwar ſei-
ner fertigen und wol-geloͤſeten Zungen annoch nicht
weniger/ als ſeinem ſpitzfuͤndigen Kopff/ gleichwol
wolte er/ in Betrachtung ſeines Alters/ die Gedaͤcht-
nuͤß gnugſam verſichern/ und ſecundiren/ ſetzete dero-
wegen ſchrifftlich etwas auf/ und verſahe ſich/ auf al-
len Fall/ mit einer weitlaͤufftigen Verzeichnuͤß/ dariñ
viel Laͤſter-Worte wider den Drey-Einigen GOtt/
wider das Geſetz Chriſti/ und wider die Patres, zu-
ſammen geſchmieret waren. Mit dieſer ſaubern Zu-
ruͤſtung begab er ſichan beſtim̃tem Tag nach dem Je-
ſuiter-Hauß/ woſelbſt ſeiner/ und ſeiner anhaͤngigen
Rotte/ die Patres, nebenſt etlich-wenigen Chriſten/
erwarteten/ mit groſſem Verlangen/ was dieſer ſo
hoch-aufgeſchwollener und greiſender Goͤtzen-Huͤgel
D d 3doch
[422]Deß Academiſchen
doch fuͤr ungeheure Elephanten/ oder Spitz-Maͤuſe/
wuͤrde außſchuͤtten.
Nachdem er ſich an einem/ und P. Rhod, gegen
ihm uͤber/ am andern Tiſch geſetzet/ tratt/ auf ſeinen
gegebenen Winck/ einer ſeines Anhangs herfuͤr ins
Mittel mit einem Sack/ loͤſete denſelben gar ehrer-
bietig auf/ und ſchuͤttelte einen groſſen Buͤndel von
alten Brieffen und Schrifften vor ſeine Ehrenwuͤrde/
dem alten Herꝛn Bonzen/ auf den Tiſch/ welche er
ſelbſt ſtillſchweigends von einander that/ und Jedes
inſonderheit durchblaͤtterte/ als lauter Urkunden/ Ge-
daͤchtnuͤſſen/ Beweißthuͤmer ſeiner Lehre/ und lang-
Jaͤhrigen Profeſſion, womit ſich die nebenſtehende
Heyden trefflich kitzelten/ und gewaltig-groß duͤnck-
ten; Als wie manche ſtoltze Soldaten/ mit alten zer-
riſſenen Fahnen und Standarten prangen/ der Zu-
verſicht/ man werde darbey betrachten/ wie vielmahls
dieſelbe ſchon geſchwungen worden/ wo es ſcharff zu-
gegangen/ und Blut geregnet.
P. Rhodes ſehend/ daß dieſe Unverſtaͤndige von
den alten Schartecken/ und abgoͤttiſchem Geſchmier/
und zuſammen geraſpeltem Plunder/ ſo viel Feſtes
machten; Befahl hingegen dem Catechiſmus-Lehrer/
er ſolte die Bibel/ und andere Geiſtliche Kirchen-
Buͤcher/ gleichfalls herfuͤr bringen/ welche auß der
Maſſen ſchoͤn eingebunden waren/ und mit ihren ſo
fein ordentlich-geſetzten kleinen Littern/ alſobald aller
Augen/ auch ſo gar der Bonzier ſelbſten/ zur Ver-
wunderung und ergoͤtzlichem Anſchauen bemuͤſſig-
ten/ dann die Zier der Buͤcher/ womit die Sineſer ge-
gen die Europæer nicht aufkommen/ gibt der Orten
gleich ein Vor-Urtheil/ oder ſtarckes Vermuthen/ es
muͤſſen nicht ſchlechte Sachen darinn enthalten ſeyn.
Jhr Fuͤhrer und Vor-Streiter ſelbſt/ gedachter alter
Bonze/
[423]Romans I. Buch.
Bonze/ beſtuͤrtzete daruͤber etlicher Maſſen/ und be-
harrete in ſeinem Stillſchweigen. Weßwegen P. Rho-
des die Perſon deß Außforderers ſpielen muſte/ und
mit ſeinen Argumenten den Goͤtzen-Dienſt auf die
Hechel zu ſetzen begunte. Worauf der Alte/ entweder
auß Stoltz/ oder liſtiger Vermeydung deß Kampffs/
hoͤhniſch antwortete: Wer biſt du/ daß ich dir die Eh-
re einer Antwort geben ſolte? Und anders kunte man
nichts von dem ſtoltzen Gecken herauß bringen/ als:
Jch wuͤrdige dich keiner Antwort/ du biſt mir nicht
gut gnug/ daß ich mit dir reden ſolte; Jch mag mir
die Unehre nicht anthun/ mich mit dir gemein zu ma-
chen/ und dergleichen.
Lieber/ (ſprach der Pater,) ſo fange du an zu re-
den/ und trage deine Sache vor/ ich wil ſchweigen/
und dir aufmercken/ oder ſchweige du/ und laß mich
reden. Dann/ warum ſeynd wir ſonſt zuſammen kom-
men. Achtete alſo deß Alten ſeiner ſchmaͤhlichen Ant-
wort nichts/ ſondern fuhr fort/ wie er hatte angefan-
gen/ die Abgoͤtterey ernſtlich zu ſtraffen/ und weitlich
herdurch zu ziehen. Der Bonze that ihm hierauf in
ſeine Rede einen Einfall/ langete auch zugleich auß
ſeinem Buſen die Laͤſter-Schrifft herfuͤr/ welche er/
wie vor gemeldet iſt/ zu dieſem Ende verfaſſet hatte/
tratt auf die Zaͤhe/ um ſich deſto mehr zu erhoͤhen/ und
hube an/ mit einer Donner-ſchallenden Stimme zu
reden.
Weil aber gleich der erſte Anfang laͤſterlich wi-
der GOtt war/ ſchryhe P. Rhodes ihm alſobald ſtarck
entgegen/ und verhinderte ihn mit gantzer Gewalt/
ſagte/ er haͤtte ihn zu ſich in ſein Hauß herein gelaſſen/
als einen Menſchen/ der von GOtt etwas zu diſcurri-
ren Willens/ nicht als einen Teuffel/ der mit ſeiner
Laͤſter-Zungen die Goͤttliche Majeſtaͤt angreiffen/
D d 4und
[424]Deß Academiſchen
und beleydigen ſolte. Da hutſcheten und reitzeten den
Alten ſeine Rott-Geſellen und Lehr-Folger immer an/
er ſolte ſich ſolche Einrede nicht laſſen irre machen/ ſon-
dern fort leſen/ weil ſie ſahen/ daß dem P. Rhodes hier-
durch wehe geſchahe. Gegentheils droheten die Chri-
ſten dem Gottes-Laͤſterer/ wofern er nicht wuͤrde ein-
halten/ und duͤrffte der Handel uͤbel ſeyn abgelauffen/
wann nicht/ zu ſonderbarem Gluͤck/ von den geheim-
ſten und vertrauteſten Hof-Dienern deß Koͤnigs ei-
ner waͤre ins Hauß gekommen/ fuͤr welchem die Bon-
zier ſich geſcheuet/ und nach einander davon gemacht/
wiewol unter einem geſuchten andern Vorwandt.
Dieſem nach gaben ſie mit einem leiſen Gemuͤrmel ſo
viel zu verſtehen/ es wuͤrde ſchon ein anders mahl beſ-
ſere Gelegenheit ſetzen/ den Chriſten rechtſchaffen die
Meynung zu ſagen/ und ihnen eines zu verſetzen.
Solche Gelegenheit haben ſie bald darauf ſelbſt her-
fuͤr geſuchet/ indem ſie zu dem Stadt-Oberſten/ oder
Koͤnigl. Præſidenten deß Orts hingegangen/ bey dem-
ſelben die Chriſtl. Religion und Lehrer mit grauſa-
men Verleumdungen ſo verhaſſet gemacht/ daß der
unfuͤrſichtige Menſch hierauf alſo fort/ und zwar un-
eroͤrterter Sachen/ ein Urtheil abgefaſſet/ darinn er
ſie verdammete/ ſolches auch ſchleunig in allen Gaſſen
offentlich außruffen laſſen/ dieſes Jnnhalts: Die Pa-
tres waͤren boͤſe Gottloſe Leute/ und ihre Lehre nicht
beſſer/ darum ſolte hinfuͤhro keiner mehr zu ihnen ins
Hauß gehen/ ſie auch nicht zu ſich in ſein Hauß for-
dern/ bey hoher Straffe. Allein/ eine von deß Koͤ-
nigs Schweſtern/ die eine Chriſtin war/ hat ſolches
Edict bald umgeſtoſſen/ ſeinen Diener zu ſich vor ih-
ren Pallaſt geruffen/ und ihm eine ſcharff-gepfefferte
Pruͤgel-Suppe gebotten/ dafern er ſich geluͤſten lieſ-
ſe/ die Außruffung noch einſt zu wiederholen; Befahl
ihm/
[425]Romans I. Buch.
ihm/ er ſolte ſeinem Herꝛn ſagen/ wer ihm die Macht
gegeben/ ſolche Leute von der Gemeinſchafft ehrlicher
Buͤrger außzuſchlieſſen? Ob er groͤſſer waͤre/ als der
Koͤnig/ der ihnen ſolche haͤtte verſtattet? Wer ihn ge-
lehret/ von einer Lehre zu urtheilen/ darvon er nie-
mahls ein Wort gehoͤret/ viel weniger verſtuͤnde?
Hierauf zoch der Mandarin, oder Stadt-Præſi-
dent, die Schnautzen geſchwinde ein/ beſorgend/ dieſe
hoch-vermoͤgliche Dame duͤrffte ihn in Gefahr brin-
gen; Schickte derhalben den Außruffern geſchwinde
nach/ und ließ ſie zuruck entbieten/ auch an denen Or-
ten/ da es allbereit außgeſchryen war/ unter den Leu-
ten außſprengen/ das Verbott ſey wiederum abge-
than. P. Rhodes ſtellete ſich/ als haͤtte er nichts von
dem vernommen/ was fuͤrgelauffen/ verwandelte ſei-
ne Privat-Unterweiſung in eine frey-offentliche/ und
predigte taͤglich vor der Kirchen-Thuͤr/ von der ewi-
gen Straffe und Belohnung/ ſo der Menſch nach
dem Tod zu gewarten haͤtte/ und wie man einig und
allein durch die Gnade deß Heylandes JEſu Chriſti
jener entgehen/ dieſer aber theilhafftig werden koͤnte.
Das XXXVI. Capitul/
Eine abholde Mißgoͤnner in der armen Schuͤler wird uͤbel ab-
geſtraffet. Candado und ſeine Geſellſchafft kommen in Action/ darinn
ſie ſich wol halten.
EIn Jeder von der Geſellſchafft muſte geſtehen/
daß Cavina wol geredet hatte. Jndem ſie aber
mit einander fortgiengen/ kamen ihnen etliche
Knaben in einer ſonderlichen ſeltzamen Kleidung ent-
gegen/ und als gefraget ward/ was es fuͤr Kinder waͤ-
ren/ bedeutete Cavina, daß es arme Kinder/ denen die
Stadt erlaubet haͤtte/ umher zu gehen/ und die Almo-
ſen zu ſammlen/ um darfuͤr zu ſtudiren. Hiermit zog er
einen Groſchen auß/ und reichete ihnen denſelben hin.
D d 5Der
[426]Deß Academiſchen
Der Printz lobete die Fuͤrſichtigkeit der Stadt Pa-
dua, als die auch armer Leute Kindern/ darunter offt
herꝛliche Ingenia zu finden/ von den alleredelſten
Wiſſenſchafften nicht wolte außgeſchloſſen haben.
Klingenfeld antwortete: Dieſe Gewonheit gehet in den meiſten
Orten Teutſchlandes im Schwange/ und wolte ich nicht gerne
ſolche Loͤbl. Einſatzung der Alten ſtoͤren/ muͤſte ſonſt beſorgen/ es
moͤchte mit ergehen/ als jener Frauen in Daͤnnemarck; Dann/
ſeit dem Daͤnnemarck den Chriſtl. Glauben angenommen/ iſt
der Chriſt-Loͤbl. Brauch daſeibſt gehalten/ daß man armer Buͤr-
ger- oder Land-Leute Kindern/ die ſich in die Schulen zum Studi-
ren begeben/ erlaubet hat/ ihre Unterhaltungs-Mittel vor den
Thuͤren/ durch ein Panem propter DEUM! zu ſuchen. Wie
auch noch heutiges Tages mancher Orten/ ſo wol in Teutſch-
land/ als Daͤnnemarck/ geſchicht. Und ſolchen armen Schuͤlern
pflegen Chriſtliche Haͤnde deſto lieber einen Pfenning/ oder
Stuͤcklein Brodts/ zu reichen/ weil man weiß/ daß auß ſolchen
vielmahls fuͤrtrefflich-gelehrte Leute werden/ die nicht allein
Fuͤrſten uñ Herren/ ſondern auch/ und zwar zuforderſt/ Kirchen
und Schulen/ nuͤtzliche Dienſte koͤnnen thun. Sie wurden aber
nicht ohne Unterſcheid in die Schule aufgenommen/ ſondern der
Schul-Lehrer examinirte ſie zuvor/ und probirte ihr Ingenium,
oder natuͤrliche Lehrſamkeit. Fanden ſich nur einige mittelmaͤſ-
ſige Zeichen an ihnen/ darauß man eine gute Hoffnung ſchoͤpf-
fen moͤchte/ daß dermahleins wackere Leute duͤrfften auß ihnen
werden/ ſo wurden ſie zugelaſſen/ zum Unterricht in freyen Kuͤn-
ſten; Widrigen Vermerckens wieſe man ſie ab/ und reichet ih-
nen/ ein gutes Handwerck zu lernen. Damit aber in allen Staͤd-
ten deß Koͤnigreichs/ wo es Schulen hatte/ die Buͤrger ſolche ar-
me Schul-Knaben/ vor andern Bettel-Buben/ koͤnten erkennen/
hat man ihnen ein beſonders Kleider-Muſter machen laſſen/
nemlich einen langen Rock/ der die lincke Schulter/ wie auch den
gantzen Leib/ vornen und hinten/ bedeckte/ außgeſetzt den rechten
Arm/ welchen der Knabe muſte frey behalten/ um die empfan-
gene Almoſen darmit in den Sack zu ſchieben.
Jhre Haupt-Decke war ein rundes/ aber Rings umher
gedoppeltes Kaͤpplein/ bald von dieſer/ bald von jener/ gemein-
lich doch ſchwartzen Farbe; Aber laͤngſt dem Racken ſchleppete
ein Schweiff herab/ ſo viel/ und zwar gar ſteiffe Falten hatte.
Unter ſolchen Falten ſtunden auf beyden Seiten ihrer zwo et-
was
[427]Romans I. Buch.
was hoͤher empor/ dann die uͤbrige/ um hierbey dieſen Knaben
zu bedeuten/ daß bey dem erſten Eintritt deß Chriſtenthums in
Daͤnnemarck/ die Daͤhnen 2. mahl wieder umgeſattelt/ und vom
Glauben zur Abgoͤtterey gewichen; Darum ſie ihnen dieſes
Erinnerungs-Zeichen ſolten zur Warnung dienen laſſen/ die
Chriſtliche Lehr-Stuͤcke mit groͤſſerm Ernſt zu ergreiffen/ und
mit gutem Unterricht wider alle Ketzereyen ſich eyferig zu ruͤ-
ften/ auch den lieben GOtt fleiſſig anzuruffen/ daß er ſie/ und ih-
re Nachkommen/ fuͤr dergleichen Seelen-Finſternuͤß gnaͤdiglich
wolte behuͤten. Zu dieſem Ende war von den Biſchoͤffen/ und
andern Gottſeeligen Kirchen-Lehrern/ ſolche Kleider-Form
erdacht.
Aber/ wie leichtlich koͤnnen deß Teufels Werckzeuge/ ſichere
und Gottloſe Menſchen/ den Lob-wuͤrdigen Verordnungen der
lieben Alten einen Stoß geben/ ja/ dieſelbe gar verfloſſen. Es
war zu Koͤnigs Chriſtierni deß Andern Zeiten/ ein Hollaͤndi-
ſches Weib am Hof/ ſo mehr bey dieſem Tyranniſchen Koͤnig
galt/ dann der gantze Koͤnigliche Rath/ und ſeinen Willen der-
maſſen zu ihrem Belieben geneiget fand/ als ob ihre Zunge/ und
ſein Hertz unaufloͤßlich mit einander verknuͤpffet waͤren. Dann
der Koͤnig hatte ihre Tochter/ eine Dirne/ die ein Paar Hertz-
zuͤndenter Fackeln an der Stirne trug/ gebuhlet/ wordurch die
Mutter ſeiner Gunſt ſo tieff war eingeniftelt/ daß er auch/ nach
Abſterbung der Tochter/ ſie nicht anders/ als eine Heydniſche
Sibyll/ oder wackelgebende Wahrſagerin/ hoͤrete. Wie man
ſie dann auch/ wegen heimlicher Verſtaͤndnuͤß mit dem Satan/
verdaͤchtig gehalten.
Als dieſe ſaubere Mutter bemelte Schuͤler in ihrer be-
ſchriebenen Tracht/ nach der Alten Manier/ alſo ſahe herein ge-
hen/ und vor den Thuͤren die Almoſen bitten/ ſchryhe die Vettel/
es waͤren anders nichts/ dann lauter Diebe/ weil ſie lange Roͤ-
cke truͤgen; Dann das Geſtohlene zu bedecken/ und verſtecken/
haͤtten ſie ſolche Kleider in Bereitſchafft. Hohe Zeit waͤre es/
daß man dieſe Bettelſuͤchtige junge Lang-Roͤcke auß den Staͤd-
ten hinweg jagete/ an die Feld-Arbeit auf den Acker/ und ſie
zwuͤnge/ ihr Brodt von einem redlichen Angeſichts-Schweiß zu
ſuchen/ und wann ſolches nicht bald geſchaͤhe/ wurde die Stadt
Coppenhagen/ ehe man es vermeynete/ mit Dieben angefuͤllet
werden.
Dieſen hoͤlliſchen Verleumdungs-Gifft behielte die Boß-
haffte auch nicht lange bey ſich allein/ ſondern lieff/ als waͤre ſie
unſin-
[428]Deß Academiſchen
unſiñig worden/ nach dem Schloß zu/ ſchlug die Haͤnde zuſam̃en/
und ſchuͤttete denſelben/ durch ihr heiſers rauhes Gepterꝛ/ daſelbſt
gleichfalls auß vor dem Koͤnig/ hoͤrete auch nicht eher auf/ ohne
biß ſie von demſelben erhielte/ daß ſich Angeſichts alle Schuͤler/
ſo nicht auf ihren eigenen Koſten ſtudiren kunten/ ſolten zur
Stadt hinauß machen. Unter dieſem armen Haͤufflein waren
damahls viel ſchoͤne Ingenia, die treffliche Gemuͤths-Gaben und
treffliche Zeichen leuchten lieſſen/ die Kirche wuͤrde Heut oder
Morgen herꝛliche Liechter an ihnen haben/ oder ſonſt das gemei-
ne Beſte merckliche Dienſte von ihnen empfangen. Aber der
ſcharffe Befehl deß Tyrannen riſſe alle ſolche Hoffnungen/ wie
ein gaͤhlinger Sturm-Wind die ſchwache junge Frucht-Baͤume
zerbricht/ zu Grund/ und bließ ſie von einander; Sie muſten fort/
und etliche auß Noth/ den Bauren dienen/ andere zum Hand-
werck greiffen.
Aber das alte Rabenvieh bat damit anders nichts/ als die
Vergeltungs-Rache ihr bey GOtt außgewuͤrcket. Dann/ nach-
dem ſie mit dieſen und vielen andern verderblichen Anſchlaͤgen
den Koͤnig bey allen Staͤnden je laͤnger je verhaſſeter gemacht/
iſt derſelbe durch ſein boͤſes Gewiſſen gedrungen worden/ auß
dem Reich zu fliehen. Da er dann/ als ein verblendeter Herꝛ/ der
den Grund oder Brunnen ſeines Verderbens nicht erkennen
kunte/ nach Zuruͤſtung einer Flotte/ welche ihn und ſeine Ge-
mahlin/ ſamt den Koͤnigl. Kindern/ in Sicherheit fuͤhren ſolte/
noch um dieſe alte Schand-Beſtie/ ſchier mehr/ dann um ſeine
eigene Sicherheit bekuͤmmert war/ wie ſie mit gantzer Haut
moͤchte darvon gebracht werden. Es war ihr ſchon einige Zeit
zuvor/ ein Vorbott deß gemeinen Haſſes begegnet; Dann/ als
einsmahls der Koͤnig zum Lager vor die Stadt hinauß geritten/
folgete ſie ihm alſofort nach/ und zwar zu Fuß/ in Begleitung
einer Magd. Da ſie nun eben unter Weges bey dem Armen-
Hauß/ oder Spital zu St. Joͤrg/ neben dem See/ der von den
Schuͤlern ſeinen Namen hat/ marſchirete/ kamen ein Paar be-
zechter Soldaten von der Stadt herauß/ die gleichfalls in das
Lager wolten/ und mitten auf dem Weg an ſie gelangten. Kaum
waren ſie ihrer anſichtig worden/ als einer zu dem andern ſagte:
Schau Camerad/ da haben wir jetzo die alte leichtfertige Vettel
vor uns auf dem Feld allein/ die durch ihre boͤſe Rathſchlaͤge un-
fern Koͤnig bißher ſo ſchaͤndlich hat verleitet/ ſie wird nicht eher
aufhoͤren/ die alte Donner-Hex und verfluchte Wettermache-
rin/ ohne/ biß ſie ihn um Land und Leute gebracht. Wol! ver-
ſetzte
[429]Romans I. Buch.
ſetzte ſein Spießgenoß/ laſſet uns das Diebsvieh erwuͤrgen/ und
unſern Koͤnig ſolcher Gefahr entreiſſen. Rede und Angriff fol-
geten unverweilet auf einander/ ſie fielen/ als gantz beſoffene
Geſellen/ auf ſie. Die Magd ſetzte es auf das Lauffen/ die Frau
aber ward erwiſcht/ zur Erden/ uñ hernach von ihnen in den See
geworffen. Hiermit giengen ſie fort/ und lieſſen die alte Wetter-
Mutter im Waſſer weidlich arbeiten. Zu ihrem Gluͤck erfaͤh-
ret der Koͤnig ſolche ihre Noth bald von den Bauren/ eylet in
vollem Galopp nach dem See zu/ und findet ſeine ehrliche Rath-
geberin noch auf dem naſſen Element flieſſen/ laͤſſet ſie herauß
ziehen/ und auf einem Wagen heim in ihr Hauß fuͤhren. Wie
man mit ihr vor das Thor kommt/ loͤſet eine daſelbſt von Roth-
ſchild angelangte Compagnie Soldaten die Muſqueten auf ſie/
deren doch keine traff/ ſondern theils Kugeln durch den Wagen/
theils/ und zwar die Meiſten/ uͤberhin giengen. Denen beyden
Soldaten hat der Koͤnig die Koͤpffe wegſchlagen laſſen.
Ob ſie nun gleich dieſe Gefahr ſelbiges mahl uͤberftrebet/
iſt ſie doch bald hernach von dem Land gantz außgeſpeyet worden/
als/ obberuͤhrter Maſſen/ der Koͤnig muſte fliehen/ weil dieſer in
Erfahrung gebracht/ daß ein Theil der Buͤrger in der Stadt ſich
heimlich auf ihren Tod verſchworen/ beſorgete er/ ſie doͤrfften
mit ihr eine Diviſion beginnen/ und ſie zu Stuͤcken reiſſen. Dero-
halben ließ er ſie in eine Truhen ſchlieſſen/ und alſo heimlich auß
dem Schloß ins Schiff bringen/ damit ſie von Niemanden ge-
ſehen wuͤrde. Alſo hat dieſe Armen-Verfolgerin auß derſelbi-
gen Stadt/ darauß ſie ſo viel unſchuldiger Knaben hatte ver-
trieben/ verftoffener Weiſe muͤſſen entrinnen/ und zwar ſo ſchleu-
nig/ daß ihr nicht einmahl Zeit gelaſſen/ ihre gute Freunde/ die
durch ihre Gunſt befoͤrdert waren/ zugeſegnen.
Unter dieſem Diſcurriren gelangeten ſie zu dem
Thor/ dardurch ſie wieder in die Stadt hinein gien-
gen/ um ihrem Gaſtgeber ſich wieder zu zeigen/ daß ſie
annoch mit einander bey Leben/ oder zum wenigſten
ihm nicht entlauffen waͤren. Als ſie aber kaum in
die erſte Gaſſen herein getretten waren/ kamen ihnen
6. oder 8. halb-trunckene Studenten/ meiſt Jtaliaͤ-
ner/ entgegen geſprungen/ mit bloſſen Degen in den
Haͤnden/ welche den Klingenfeld mit aller Gewalt
auß
[430]Deß Academiſchen
auß der Zahl der Lebendigen hinwegruͤcken wolten.
Der Printz Condado rieff ihnen zwar zu/ ſie moͤchten
einhalten/ weil er ſein Hofmeiſter/ oder er wuͤrde ge-
zwungen/ ſich ſeiner anzunehmen/ aber die Jtaliaͤner
waren ſo verzweiffelt boͤß/ daß ſie alles in den Wind
ſchlugen/ und gantz Blindlings hinzu rannten; Klin-
genfeld tummelte ſich unter dem Hauffen wacker her-
um/ und gab bald dieſem/ bald jenem/ ein Denckmahl
ſeiner guten Reſolution, weil er aber gar umgeben
war/ zuͤckete ſo wol Condado, als Cavina ihre Degen/
und ſtunden ihm/ als rechtſchaffene Leute/ wider ihre
eigene Lands-Leute bey/ worbey ſie auch ſelber etliche
ergrimmete Feinde auf den Halß zogen/ wie aber
Troll ſeinen Herꝛn in Gefahr ſahe/ lieff er immer um-
her/ und ſchalt die Jtaliaͤner aufs Greulichſte auß/
und wie ſolches nichts helffen wolte/ lieff er nach ei-
nem kleinen Luſt-Gaͤrtlein/ welches an der Straſſen
lag/ holete verſchiedene Blumen und Kraͤuter/ und
warff ſolche auf die Balger. Endlich aber/ als auch
hierdurch nichts ſonderliches erwuͤrcket ward/ riſſe er
einen Gaſſen-Stein nach dem andern auf/ und don-
nerte ſo ungeſtuͤmm damit auf ſeines Herꝛn Feinde/
daß dieſelbe gnug zu thun hatten/ ſich darfuͤr zu ſchuͤ-
tzen/ dannenhero einer auß dem Hauffen tratt/ und
auf ihn loßgieng/ aber er nahm bald das Reißauß/
lieff nach ſeiner Herberge/ und holete den jenigen
Strick/ daran ihn die Margara in der verwichenen
Nacht hatte zappeln laſſen/ er riſſe denſelben bald zu
ſich/ und lieff nach dem Schlag-Platz/ weil auch ein
kleiner eyſerner Hake an einem Ende dieſes Stricks
war/ ſo warff er denſelben einem von den Jtaliaͤnern
in die Schultern/ lieff hernach mit dem Strick um
die gantze Parthey her/ und beſchlengete ſie derge-
ſtalt/ daß ſie ſich kaum hatten ruͤhren moͤgen.
Nach-
[431]Romans I. Buch.
Nachdem aber dieſe Binde zuletzt entzwey ge-
ſchnitten worden/ gienge das Gefecht von neuem an/
und etliche von den Jtaliaͤnern/ die ihren Theil ſchon
empfangen hatten/ begunten ſich/ wie die ſchleichende
Huͤner-Diebe/ auß dem Streit wegzuſtehlen. Sol-
ches mercketen ihre Lands-Leute/ welche demnach
Hauffen-Weiß herzu ſprungen/ und inzwiſchen wa-
ren auch die Teutſchen Studenten dieſes Orts deß
Kampffs und der Urſach deſſelben innen geworden/
welche gleicher Geſtalt haͤuffig herzu ſprungen/ und
haͤtte darauß leichtlich ein hefftiges Blut-Bad ent-
ſtehen koͤnnen/ wofern die Soldaten-Wacht ſich
nicht eingefunden/ und die kaͤmpffende Partheyen
geſchieden haͤtte. Klingenfeld behielte zu dieſem mahl
den Ruhm/ daß er vor einen unverzagten Edelmann
paſſirte/ der nicht gerne vor ſeinem Feind lauffe. Er
hatte 4. von ſeinen Gegenparthen alſo gezeichnet/
daß ſie wol Lebens-lang ſeiner gedencken werden. Er
ſelber aber nur einen kleinen Ceremonien-Schramm
an dem Backen bekommen/ und Condado, gleichwie
auch Cavina, waren gar nicht verwundet. Es keh-
reten die Unſern ungehindert in ihre Herberge/ und
weil die Buͤrger ſelber bezeugeten/ daß ſie von den
Jtaliaͤnern gantz unabgeſaget und hinterliſtig uͤber-
fallen worden/ als muſten die Jtaliaͤner/ ſo viel man
deren habhafft werden mochte/ vor dem Magnifico
ſich rechtfertigen/ und weil ihnen ſolches unmoͤglich/
die Teutſchen hingegen auf gnugſame Satisfaction
trungen/ muſten die muthwillige Balger ins Carcer
kriechen/ und ihren begangenen Frevel groͤſten Theils
mit Geld buͤſſen. Die Urheber aber wurden gleich
am folgenden Tage relegiret/ wordurch dieſe Leute
gewitziget wurden/ daß ſie ſo leicht das Hertz nicht
mehr hatten/ ſich an den Teutſchen zu reiben. Der
Rector
[432]Deß Academiſchen
Rector Magnificus hatte den Printzen vorher compli-
mentiren laſſen/ und ihm verſprochen/ daß er ſeines
Teutſchen Hofmeiſters wegen rechtſchaffene Satis-
faction erlangen wuͤrde/ dannenhero/ und weil Con-
dado entſchloſſen war/ ſich nicht lange an dieſem Ort
aufzuhalten/ ſondern weiter zu gehen/ gab er dem
Wirth Ordre, auf den folgenden Tag ein praͤchtiges
Mahl anzurichten/ weil er etliche fuͤrnehme Freunde
zu Gaſt bitten/ und von denſelben Abſchied nehmen
wolte/ da er es dann noͤthig befuͤnde/ ſelbige zu be-
wirthen.
Jn dieſer ihrer Herberge beſahen ſie ihre Leiber/
funden aber uͤber vorgenannten Schram̃ keine einzi-
ge Wunde/ und muſte Klingenfeld deß Trollen an-
jetzo von Hertzen lachen/ wann ſie ſich erinnerten/ daß
derſelbe die Jtaliaͤner erſtlich mit Schelt-Worten/
hernach mit Kraͤutern/ und endlich mit Steinen in-
commodirt/ den Degen aber wider dieſelbe keines
Weges gezucket haͤtte. Wannenhero er ihn jetzo fra-
gete: Warum er ſolches gethan habe? In Verbis,
(antwortete er/) Herbis \& Lapidibus magna ſolet
eſſe virtus, Woͤrter/ Kraͤuter und Steine ſind hier
wol zu bekommen/ aber/ wann ich meinen Enſem in
der Schlacht verlohren haͤtte/ doͤrffte man mir die
Vaginam mit was anders wieder angefuͤllet haben;
Uber dem iſt es loͤblicher gethan/ daß ein Diener vom
Herꝛn/ als ein Herꝛ von ſeinem Knecht geſchuͤtzet und
vertheidiget werde; Quid dicent homines, wann ſie
hoͤren/ Troll habe durch den Degen ſeinem Printzen
das Leben erhalten? Bey Leibe nicht/ meines Herꝛn
Reputation gehet mir naͤher/ als mein eigen Leben/
bißhero hat Condado den Ruhm eigener Tapfferkeit
erhalten/ \& Sacrilegusforem, ich waͤre ein Ertz-Boͤſe-
wicht/ wann ich durch mein uͤbeles Comportement
ihn
[433]Romans I. Buch.
ihn dieſer Ehre beraubete. Er hat einen Hand-veſten
Hofmeiſter/ ſo lange Klingenfeld ſeinen Degen fuͤh-
ren kan/ begehre ich meinen nicht zu zucken/ und wann
derſelbe nichts mehr kan/ ſo rathe ich einem Jeden/
daß er lauffe/ was er lauffen kan/ und daß er alle ſein
Heyl und Wolfahrt ſuche auf dem ſchnellen Uhr-
werck ſeiner Fuͤſſen; Das iſt mein getreuer Rath/
dem folge nur ein Jeder getreulich nach.
Dieſen Abend ſetzte ſich unſere Geſellſchafft zur
Tafel/ und nahm/ nach außgeſtandener ſchweren
Action, eine gute Mahlzeit zu ſich; Die Margara aber/
ließ ſich zu dieſem mahl nicht ſehen/ ſondern ihre ge-
treue Magd entſchuldigte ſie/ daß ihr nicht gar wol
waͤre. Troll aber lachete/ und ſprach: Was gilts/ ſie
ſcheuet ſich/ in meam faciem zu kommen/ als die mich
in verwichener Nacht ſo haͤßlich betrogen/ und liſtiger
Weiſe in der Lufft arreſtiret hat/ doch/ die Comœdie
iſt nunmehro vorbey/ ob gleich bey nahe eine Tragœ-
die darauß worden waͤre. Cerebacchius war auch
noch nicht zum Vorſchein kommen/ dahero ein Jeder
leichtlich urtheilen kunte/ daß er jetzo bey einer fetten
Mahlzeit ſitzen muͤſſe. Condado aber/ und ſeine Ge-
ſellſchafft legeten ſich ſchlaffen/ um/ am folgenden Tag
deſto geſchickter zu ſeyn/ ihre gebettene Gaͤſte gebuͤhr-
lich zu bewirthen/ dieſe waren der Podeſtà ſamt ſeinem
Vetter/ dem Venetianiſchen jungen Edelmann/ der
Rector Magnificus, der Vorſteher der Teutſchen Na-
tion, mit ſeinen 4. Aſſiſtenten/ als aͤlteſten Teutſchen
Studenten/ der Edelmann Patina, mit ſeiner gelehr-
ter Tochter Carola Catharina, die gelehrte Griechin
Ilmene, und der anmuthige Campanelli.
Das XXXVII. Capitul/
Cerebacchiushat eine gluͤcklicheRencontre. Condadohaͤlt
eine Gaſterey/ woruͤber man diſcurriret/ ob es beſſer ſey von allem
etwas/ oder ein Ding auß dem Grunde verſtehen/ deßgleichen/ ob man
alle Wiſſeyſchaſſten in eine Verfaſſung bringen koͤnne?
E eEhe
[434]Deß Academiſchen
EHe der folgende Tag anbrach/ begab ſich mit
Cerebacchio noch eine artige Kurtzweil: Nem-
lich/ es lebete zu Padua ein Jtaliaͤniſcher Stu-
dent/ Namens Venereus, auß der Neapolitaniſchen
Landſchafft/ Terra di Ortranto genannt/ der aber/ als
ein ungemeiner Liebhaber deß Frauenzimmers/ ſich
mehr auf das Courtiſiren/ als auf das Studiren/ lege-
te/ inmaſſen er auch bey mancher-reichen Damen dar-
durch einen ſtattlichen Pfenning zu erwerben pflege-
te. Dieſer Venereus war bey der Margara angebracht
worden/ daß er mit dem Frauenzim̃er uͤberauß ſchoͤn
umzugehen wiſſe/ wannenhero ſie ihm durch ihre
Magd bedeuten laſſen/ daß ſie auch/ gleich andern/ ei-
nen Pfenning an ihn wagen wolte. Sie werden deß
Handels einig/ und dieſe Nacht ward beſtimmet/ zur
Ergoͤtzung ihrer Beyden/ da dann die Magd von ih-
rer Jungfrauen Ordre bekommen/ den Venereum um
die beſtimmte Stunde heimlich einzulaſſen/ und zu
ihr in ihre Schlaffkammer zu fuͤhren. Die Mutter
aber ſandte um dieſelbe Zeit die Magd auß/ um etwas
Wildpraͤth zum bevorſtehenden Gaſt-Gebott von ei-
nem gewiſſen Freund zu holen. Da ſich dann die Mar-
gara ſchon bey Tage/ wie geſagt/ zu Bette geleget/ und
ſich kranck angeſtellet hatte. Vorher aber hatte ſie ei-
ne ſchoͤne kalte Schaale auf ein kleines Tiſchlein ge-
ſetzet/ ſamt einer Flaſchen mit koͤſtlichem Limonad-
Waſſer/ darneben lag ein Teller/ mit einem guldenen
Pfenning/ der 4. Kronen galt. Wie nun Margara
mercket/ daß ihre Magd außgeſandt worden/ ſtehet
ſie ſelber auf/ leget ſich ans Fenſter/ und als Venereus
kommet/ ſchleichet ſie hinab/ und machet ihm auf/ fuͤh-
ret ihn auch in ihrem Schlaffkleid mit ſich zu Bette/
und leben in aller Vergnuͤgung. Kurtz darauf kom̃et
die Magd heim/ mit dem Wildpraͤth/ die ſich deß Be-
fehls
[435]Romans I. Buch.
fehls ihrer Jungfrauen/ von welcher ſie auch ein Pro-
fitchen zu hoffen hatte/ alſobald erinnerte/ eylet dem-
nach/ als ihre Frau ſchon ſchlaffen gangen/ nach der
Hauß-Thuͤr/ um deß Venereus zu erwarten. Gleich
hernach kom̃t Cerebacchius in der dunckeln Nacht/
und klopffet ſanffte an. Die Magd meynet/ der be-
ſtellete Courtiſan ſey da/ riegelt demnach die Thuͤr
fein ſachte auf/ und weil ſie den Cerebacchium im
Dunckeln nicht kennete/ ſprach ſie: Seyd willkom̃en/
Venereus, meine Jungfrau hat euer ſchon lange Zeit
gewartet/ ſeyd ihr parat, ſo wollen wir hinauf zu ihr
gehen.
Cerebacchius wuſte nicht/ wie er ſich in dieſe
Poſſen ſchicken ſolte/ doch wolte er noch ein blaues
Auge wagen. Antwortete demnach mit ſanffter
Stimme: Ja/ ich bin kommen/ eure Jungfrau zu be-
dienen. Alſo nahm ſie ihn bey der Hand/ und fuͤhrete
ihn in der Jungfrauen Kammer/ daſelbſt uͤbergab ſie
ihm ihre bißhero gehabte verſchloſſene Hand-Leuchte/
draͤhete ſelbige um/ und ließ ſie zu ſeinem Dienſt/ ſchie-
de auch ſelber augenblicklich wieder auß der Kam̃er.
Cerebacchius ſchobe die Leuchte um/ daß er ſehen kun-
te/ und wie er die ſchoͤne kalte Schaale auf dem Tiſch
fand/ zog er dieſelbe ſorderſamſt in ſeine Kaͤhle/ tratt
hernach zum Bette/ und fand die Margara in voller
Angſt. Er wolte ſie kuͤſſen/ ſie aber ſtieß ihn zuruck/ und
ſprach: Mein Freund/ ich muß bekennen/ daß ein gro-
ber Jrꝛthum von meiner Magd an euch begangen iſt/
den ſie zu mir fuͤhren ſolte/ der iſt ſchon bey mir unter
der Decken/ ſeyd aber verſchwiegen/ und leeret jene
Flaſche mit Limonade auß/ ſtecket auch den guͤldenen
Pfenning/ der darneben liget/ bey euch/ und gehet wie-
der eures Weges/ ſo wollen wir gute Freunde bleiben.
Wo ihr aber viel Worte darvon machet/ ſo kennet ihr
E e 2die
[436]Deß Academiſchen
die Natur der rachgierigen Jtaliaͤner/ welchen ihr
keines Weges zu entgehen vermoͤget. Cerebacchius
lachete deß groben Jrꝛthums von Hertzen/ ſoffe die
Flaſche rein auß/ ſteckete den Pfenning zu ſich/ und
nachdem er ihnen eine luſtige Nacht gewuͤnſchet/
gieng er mit ſeiner Laternen wieder hinauß/ da er ſich
der Magd/ die vor der Thuͤr lag/ zu erkennen gab/
welche fuͤr Schrecken ſchier geſtorben waͤre. Aber er
ſchwur/ verſchwiegen zu ſeyn/ und alſo gieng er ſchlaf-
fen. Venereus aber ſtund am folgenden Morgen auf/
und machte ſich heimlich darvon/ kehrete aber zwey
Stunden nach der Sonnen Aufgang wieder zuruck/
und gieng zu Cerebacchio, wie ihm die Margara befoh-
len/ welchem er veſte einband/ daß er ja reinen Mund
halten moͤchte/ wolle er anders ſeines Lebens ge-
ſichert bleiben.
Es wuſte ihm Cerebacchius ſeine Parole ſo glaub-
wuͤrdig zu machen/ daß ſie beyderſeits daruͤber ver-
traͤuliche Freundſchafft machten/ und wie nicht lange
hernach Condado im Hof ſpatzierete/ tratt Venereus
zu ihm/ und machte ihm ein Compliment; Der Printz
hatte ſchon viel von dieſem Haupt-Courtiſan ver-
nom̃en/ dannenhero noͤthigte er ihn mit zu dem Gaſt-
Gebott/ bey welchem nicht allein dieſer/ ſondern auch
alle erbettene Gaͤſte/ ſich um die Mittags-Stunde/
gebettener Maſſen/ willig einſtelleten. Sie wurden
herꝛlich tractiret/ und fielen unter der Mahlzeit aller-
hand Diſcurſe vor. Unter andern kam der Rector
Magnificus, der ein Grund-gelehrter Doctor Medici-
næ war/ auf die Materie, daß die Teutſchen ſich auf ſo
gar viel Wiſſenſchafften auf einmahl zu legen pflege-
ten/ daher es dann geſchaͤhe/ daß ſothane Gelehrten
in keiner ſonderbaren Diſciplin es ſonders hoch braͤch-
ten. Als hierauf Niemand antworten wolte/ da nei-
gete
[437]Romans I. Buch.
gete ſich endlich der Vorſteher der Teutſchen vor
dem Magnifico, und ſagte: Es haben zwar die Herren
Jtaliaͤner/ und andere Mittaͤgige Gelehrten/ Urſach/
uns Teutſche/ wegen dieſer aufgebuͤrdeten Schuld/ in
etwas zu tadeln/ doch iſt es wol/ und bleibet auch eine
wichtige Frage: Ob es beſſer ſey/ von allem etwas/
oder eine Sache allein/ vollſtaͤndig wiſſen/ und verſte-
hen? Mit Eurer Magnificentz Verguͤnſtigung ant-
worte ich darauf alſo: Wann man nur eine Sache
ſtudiren wil/ ſo bedarff man nur einerley Buͤcher/
oder wol nur ein einziges Buch/ und iſt alles ſo weit-
laͤufftig/ daß deß Menſchen Leben viel zu kurtz/ viele
Wiſſenſchafften gruͤndlich zu faſſen/ und mit Nutzen
zu Werck zu bringen. Wie wir nur eine Sache recht
und eigentlich anſehen/ und betrachten koͤnnen; Alſo
mag das Aug unſens Verſtandes mehr nicht/ als eine
Sache/ in gleicher Linie anſchauen/ und gleichſam
von Punct auf Punct (wie auß der Sehe-Kunſt be-
wußt iſt/) anſtrahlen. Das Geringſte in der Na-
tur bringet die groͤſte Betrachtungen mit ſich/ wie
wir ſehen/ daß Lucianus uͤber einer Mucken lange Zeit
philoſophiret/ und Jener 43. Jahre mit Betrachtung
der Ameiß zugebracht. Meſſala hat von einem jeden
Buchſtaben ein Buch geſchrieben/ und hat Heinſius
von dem Eſel/ und von der Lauß/ Pirkamer von dem
Zipperlein/ Diocles von der Ruͤben/ andere von an-
dern geringen Sachen geſchrieben. Darauß zu
ſchlieſſen/ wann man eine weitſchweiffige gantze Wiſ-
ſenſchafft Stuͤckweiß erkundigen/ und unterſuchen
ſolle/ daß man in den andern nicht viel werde lernen
koͤnnen/ zumahlen Verulamius erheiſchet/ daß man
von jeder Sache/ als von dem Schwefel/ dem Saltz/
von jedem Gewuͤrtze/ \&c. beſondere Buͤcher ſchreiben
ſolle/ damit unſer Wiſſen nicht in allgemeinen/ ſon-
E e 3dern
[438]Deß Academiſchen
dern in abſonderlichen und unterſchiedlichen Arten
eines jeden Geſchlechtes beruhen moͤge/ da es doch
wol dahin kom̃et/ daß alles/ was wir wiſſen/ das We-
nigſte iſt von dem/ das wir nicht wiſſen. Maxima pars
eorum, quæſcimus, eſt minima pars eorum, quæ igno-
ramus.
Wer ſich nun mit einer Wiſſenſchafft nicht wil
erſaͤttigen laſſen/ der kan zwar in vielen etwas/ in al-
len aber nichts Grundſtaͤndiges wiſſen/ ſondern der
Muſen-Berg wird ihme zu einem Jrꝛ-Garten wer-
den. Er wird nach 2. Haſen jagen/ und keinen fangen/
und iſt der Natur gemaͤß/ daß man ſich auf eine
Sache/ darzu man ſich von ihr gewiedmet befindet/
begebe; Gleichwie auch ſie zu jedem Wercke einer-
ley Werckzeug oder Organum verordnet/ als: Das
Aug zu ſehen/ das Ohr zu hoͤren/ die Haͤnde zu greif-
fen/ ꝛc. Ein jeder Baum traͤget ſeine Frucht/ ein jeder
Bedienter in einem Regiment hat ſein Amt/ und in
der Stadt treibet ein jeder Handwercker ſeine Ar-
beit; Da hingegen auf den Doͤrffern ein Stimpler
allerley/ und keines recht machet.
Wider dieſe ſcheinbare Meynung wird fuͤglich
eingewendet/ daß ſolches alles denen Jenigen gelten
moͤge/ welche ein ſchwaches Gehirn/ und nach ihren
Kraͤfften auch von andern urtheilen. Deß Menſchen
Verſtand iſt kein Gefaͤß/ das ſich alſo anfuͤllet/ wie
etwan ein Becher/ darein eine Maaß/ und nicht mehr/
kan gegoſſen werden! Nein/ er mag ſo viel nicht be-
greiffen/ das er nicht noch viel ein mehrers ſolte faſſen
und lernen koͤnnen/ und ſolche unendliche Faͤhigkeit
und Begierde zu lernen iſt das Kennzeichen ſeiner
uͤberirꝛdiſchen und faſt Goͤttlichen Eigenſchafft.
Zu dem hangen alle Kuͤnſte an einander/ wie an
einer Ketten/ koͤnnen und werden nicht wol geſondert;
Daß
[439]Romans I. Buch.
Daß alſo der Jenige/ welcher nur Eine ſtudiren wil/
gleich iſt einem Mann/ der mit einem Ketten-Ring
die Warheit auß einem tieffen Brunnen ſchoͤpffen
wil; Oder/ er iſt gleich jenem Mahler/ bey dem Ho-
ratio, der nichts mahlen koͤnnen/ als einen Cypreſſen-
Baum/ und ſolchen auch in ein Schiff gemahlet. Al-
ſo ſiehet das Aug nicht nur gewiſſe Farben/ ſondern
alle; Das Ohr hoͤret nicht nur gewiſſe Stimmen/
und die Hand kan alles begreiffen und belangen/ ohne
Unterſchied. Vermoͤgen ſolches die aͤuſſerlichen Sin-
ne/ welche nur Diener ſind/ was ſollen die innerlichen
vermoͤgen/ welche ſie beherꝛſchen.
Der Verſtand deß Menſchen iſt zwar einſtaͤn-
dig/ er iſt aber das Maaß alles andern/ was man er-
kennen kan; Gleichwie der Δ die erſte Figur das
Maaß iſt aller andern Figuren/ die dardurch muͤſſen
gemeſſen und erlernet werden. Was man nicht zu-
gleich erſehen und erlernen mag/ das muß nach und
nach gefaſſet werden/ wiewol der Verſtand viel
ſchneller iſt/ als das Aug/ welches doch viel zugleich
beſchauen kan/ und wird durch ſolche Vielheit die
Sehung deß Verſtandes nicht gehindert/ ſondern
erfreulichſt beluſtiget/ da hingegen die Wiederholung
einer Sache groſſen Verdruß zu bringen pfleget.
Wer alles zugleich ſtudiren wil/ und den Roß-
ſchweiff auf einmahl außrauffen/ deſſen er nur Haar
fuͤr Haar maͤchtig iſt/ wird ſich gewißlich mehr hin-
dern/ als foͤrdern/ deßwegen Eraſmus von ſolchen recht
geſaget/ daß man ſich ſoll laſſen gnuͤgen/ klein zu ſeyn/
wann man groͤſſer werden wolle. Es beſtehet die
Sach einig und allein auf der Faͤhigkeit der Lehrlin-
ge/ welche geringes Haltes/ wie Bley und Eyſen/ mit-
telſtaͤndigen/ wie Zinn und Kupffer/ vollkommen/ wie
Silber und Gold. Dieſe Letztern ſind zu allen faͤhig/
E e 4und
[440]Deß Academiſchen
und werden in kurtzer Zeit Meiſter/ wann andere noch
Lehr-Jungen ſind/ und die Zeit ihres Lebens verblei-
ben. Sie gleichen der Sonnen/ die ſich nicht ermuͤ-
det/ um die gantze Welt zu lauffen/ und alle Winckel
zu beleuchten/ ihr Vevſtand machet alles hell und ei-
genſtaͤndig. Alſo muß der Theologus, oder Lehrer deß
Worts GOttes/ der Juriſt und Artzt/ ſich der Hiſto-
rien oder Geſchichte bedienen; Der Erſte/ die Bibel
zu verſtehen/ derſelben Lehren in den Predigten ein-
zuziehen/ und andere mit gleichſtaͤndigen Faͤllen zu
troͤſten. Der Juriſt muß die Begebenheiten gegen
einander halten/ und auß Gleichen gleiches Urtheil
zu ſchoͤpffen wiſſen. Der Artzt aber muß den Kran-
cken mit einer luſtigen Erzehlung/ ſo wol den trau-
rigen Verſtand/ als den krancken Leib/ heilen koͤnnen.
Solchen viel Lehr-gierigen hoch-geſtirnten Gei-
ſtern iſt faſt die weitſchweiffige Welt zu klein/ wie
dem Alexander, deſſen Lehrmeiſter Ariſtoteles dem
Ehrgeitz in den Wiſſenſchafften eigentlich nachgeah-
met/ und ſich fuͤr einen Monarchen in der Philoſophie
aufgeworffen/ der aller anderer Meynungen bezwun-
gen/ und beſieget. Zu unſern Zeiten iſt Picus Miran-
dulanus, die beeden Scaligeri, Salmaſius, und viel an-
dere/ beruͤhmt/ welche nicht in vielen/ ſondern faſt al-
len Sachen zugleich das hoͤchſte Lob erlanget. Ja/
man kan keine Sache Grund-richtig erkundigen/
man wiſſe dann von vielen andern zugleich; Wie
man keine abſonderliche Land-Taffel verſtehen kan/
man habe dann die gantze Welt-Kugel zuvor geſe-
hen/ und derſelben Zirckel unterſcheiden lernen.
Hergegen haben ſich gewiſſe gelehrte Leute auf
ſonderbare Materien geleget/ und es darinn ſo weit
gebracht/ daß man einem derſelben in ſothaner Ma-
terie mehr glaubet/ als 10. oder 20. andern. Solcher
Geſtalt
[441]Romans I. Buch.
Geſtalt hat man ſchon gnug/ wann man den Farina-
cium in Criminalibus, den Maſcardum in Probatio-
nibus \& Præſumptionibus, den Menochium ìn Arbi-
trariis Judicum Quæſtionibus, den Andræam de Iſer-
nia in Feudis, den Jan Baptiſto Aymum in Jure Allu-
vionis, oder den Cæpollam in Servitutum Materia alle-
giren kan. Jnzwiſchen iſt noch eine andere Frage: Ob
man nemlich nicht alle Wiſſenſchafften Lehr-maͤſſig
in eine Verfaſſung bringen koͤnne? Jch ſage hirauf:
WEib alle Wiſſenſchafften mit einander verbunden ſind/ wie
erſt gemeldet worden/ und man von den Mindern und
Leichteſten zu den Hoͤhern und Schweren aufſteigen muß/ ſo hat
man billich jetzt gedachte Frage formiret; Zu welcher ſonder-
lich die Jenigen Anlaß geben/ welchen die lange Walifahrt durch
die groſſe Buͤcher verdrießlich/ und deß Zehrpfennings/ zu Ende
zu kommen/ er mangeln. Daß ſolches thunlich ſeye/ erhellet dar-
auß/ weil faſt alle Wiſſenſchafften auf gewiſſen Gruͤnden befte-
ben. Wann nun ſolche veſt und richtig/ kan man nicht nur auß
den Buͤchern/ ſondern auch auß eigenem Verffand und wolmoͤ-
gendem Rachſinnen darauf bauen/ und muͤſſen zu ſolchem Ende
alle unnoͤthige Hindernuͤſſen auß dem Weg geraumet/ und nur
das Nutzliche erlernet werden.
Zum Andern/ muͤfte man nicht bey den Sprachen anfan-
gen/ welche uns 15. und mehr Jahre hinweg nehmen/ ſo lang die
Fuͤrkaͤuffeley deß Lateins nicht auf gehoben wird/ welches die
Frantzofen und Jtaliaͤner/ bey Außuͤbung ihrer Sprache/ nicht
vonnoͤthen haben/ ſondern alſobalden von Erklaͤrung der Sa-
chen ſelbſten den Anſang machen/ und mit zuwachſenden Jah-
ren und Verſtaͤndnuͤß fortſetzen.
Drittens/ muß man eine Sache nicht mehrmahls wieder-
hoien/ wie etwa die Logica und Metaphyſica, die Medicina und
Phyſica, etliche Haͤndel gemein haben/ derer Sachen zu ge-
ſchweigen/ die in Theologiam, Jurisprudentiam und Medici-
nam zugleich einlauffen. Was Euclides in 117. Lehr-Saͤtzen be-
wieſen/ das kan in 30. verfaſſet werden/ \&c. Daher die Weit-
ſchweiffigkeit der Buͤcher ſo nachtheilig ſcheinet/ als zuvor der-
ſelben Mangel geweſen.
Damit man aber nicht waͤhnen moͤchte/ daß dieſes nicht
werckſtellig zu machen/ ſo haben wir ein Exempel an dem Kaͤy-
E e 5ſer
[442]Deß Academiſchen
ſer Juſtiniano, welcher alle Geſetze und Rathſchlaͤge in 2. Buͤ-
cher/ Codicem \& Digeſta, gebracht. Wir haben ein Exempel
an den Rabbinen/ welche alle Wiſſenſchafften in ihrer Cabala
behandeln/ und was hat doch Lullus anders geſuchet/ als daß er
in kurtzer Zeit von allen Sachen hat verftaͤndig lehren reden/
welches ſo viel leichter zu leiften/ wann es ſolche Sachen/ die in
einem guten Urtheil/ und nicht in dem Gedaͤchtnuͤß/ als Hiſto-
rien oder Satzungen/ beruhen/ geſchehen mag. Wann man nun
ſolches alles außwuͤrcken wolte/ ſolte man in 5. Jahren eine
ſattſame Wiſſenſchafft von der Naturkundigung/ der Sitten-
Lehre und den Geſchichten/ erlangen koͤnnen/ welches alles Alſte-
dius (deſſen Buchſtab-Wechſel ſchlieſſet das Wort Sedulitas,)
in ſeiner Encyclopædia mit groſſer Arbeit geleiſtet/ und mit
Nutzen gebrauchet bat.
Es iſt leichter/ eine Lehr-Art zu verwerffen/ als eine Beſſere
erfinden. Wie ſolte aber moͤglich ſeyn/ alle Kuͤnſte in eine zu
bringen/ da doch ihr Grund/ und darauf aufgefuͤhrtes Gebaͤu/
gantz unterſchieden iſt. Was Ariſtoteles geſchrieben/ iſt theils
durch Galenum widerleget worden/ was Galenus geſchrieben/
hat Paracelſus widerfochten/ und iſt bey den Juriſten nichts ge-
meiner/ als unterſchiedene Außſpruͤche deß Rechten in einem
fuͤrweſenden Fall behaupten; Deßwegen vielleicht auch der
weiſe Koͤnig Salomo geſaget: Viel Wiſſen/ macht viel Graͤ-
mens! und geſchloſſen/ es ſey alles eytel.
Es ſcheinet auch/ daß es eine Vermeſſenheit/ wann man
alle Wiſſenſchafften in eine bringen/ und die Faͤhigkeit/ welche
bey uns Menſchen nicht unendlich iſt/ auf unendliche Sachen be-
ziehen wolle; Da man ſich doch in gar wenigen verglichen hat/
oder noch vergleichen wird/ daß darauf/ als auf einem unfehl-
baren Grund/ gefuſſet und gebauet ſolte werden moͤgen.
Unſere Erkanntnuͤß machet keine ſolche Schluß-Rede/ daß
man auß dem Vorgehendem das Folgende unfehlbar ſolte be-
greiffen koͤnnen/ und iſt eine andere Sache/ alle Wiſſenſchafften
in richtiger Ordnung Lehr-artig begreiffen/ eine andere/ auß
allen Wiſſenſchafften eine Einige machen/ und welchem die Na-
tur das Verlangen/ alles zu erkundigen/ gegeben/ ſelben hat ſie
auch vermuthlich mit der Faͤhigkeit/ ſo dar zu noͤthig iſt/ verſehen.
Das XXXVIII. Capitul/
Hier wird die Frage eroͤrtert/ wer in den Streitigkeiten der
Gelehrten koͤnne Richter ſeyn? Wie auch/ ob die lebendige Stimme/
oder die Leſung der Buͤcher/ fuͤglicher zur Belehrung dienen. Cerebac-
chius ſchwelget gewaltig.
Als
[443]Romans I. Buch.
ALs der Teutſche ſeinen vernuͤnfftigen Diſcurs,
woran der Magnificus ein ſonderbares Gefal-
len hatte/ beſchloſſe/ legete Condado der Ge-
ſellſchafft die Frage vor/ wer in den Streittigkeiten
der Gelehrten wol ein recht-maͤſſiger Richter ſeyn
koͤnne? Aber der Magnificus antwortete ihm ex tem-
pore hierauf folgender Geſtalt: Dieſe Frage/ mein
Printz/ ſprach er/ iſt von unſerm Vorſteher Galeno
bereits eroͤrtert/ und in einer langen Rede von Phi-
lippo Scherbio außgefuͤhret worden/ deren Jnnhalt
wir kuͤrtzlich allhier repetiren wollen. Wer ſich zu ei-
nem Richter in Streit-Sachen der Gelehrten auf-
werffen wil/ muß mit nachfolgenden 7. Gaben gezie-
ret ſeyn/ oder ſein Urtheil wird als untuͤchtig verworf-
fen/ und mit einem nachtheiligen Ob-Urtheil bele-
get werden.
- 1. MUß er eine natuͤrliche Ubertrefflichkeit erweiſen/ und in der
Erfindung ſcharffſinnig/ in Begreiffung aller Sachen
unermuͤdet und Lehr-gierig/ in der Beurtheilung verſtaͤndig/
und in der Bemerckung faͤhig und eingriffig ſeyn. Wie ſchwer
aber dieſes ſey/ erſcheinet in dem/ daß die Artzney-Verſtaͤndigen
beglauben/ daß die Scharffſinnigen Gall-reich/ ſchneller/ gar
hitziger und trockener Beſchaffenheit. Die Verſtaͤndigen aber
Melancholiſch/ mit wenig Waͤrme/ ſehr trocken ſind. Die gute
Gedaͤchtnuͤß haben/ mit luͤfftiger Feuchtigkeit das Gehirn ge-
maͤſſiget haben. Weil nun ſolches nicht in unſerm Wuͤnſchen
und Willen ſtehet/ wird es billig der von GOtt verliehenen Be-
gnaͤdigung beygemeſſen/ und erſehen wir taͤglich/ daß andere
Pferde auf die Reut-Schul/ andere in den Muͤhl-Wagen ge-
hoͤren/ und daß nicht ein jeder Kopff von der Natur zu dem Stu-
diren geartet iſt. - 2. Soll beſagter Richter von Jugend auf in allen freyen
Kuͤnſten verſtaͤndig angefuͤhret worden ſeyn/ damit der gute
Acker auch mit gutem Samen befruchtet werden moͤge/ welcher
ſonſten viel Unkraut bringen/ und mit unnuͤtzen Diſteln und
Hecken zu wuchern pfleget. Hier liget nun ſehr viel an der Lehr-
Art/ und dem Grund in allen Sprachen/ die wir bey heutigem
Zuſtande nicht ermangeln/ und als eine nothwendige Zierde er-
halten
[444]Deß Academiſchen
halten muͤſſen. Der Fehler/ in der erſten Daͤuung begangen/
wird in der Zweyten nicht verbeſſert/ ſondern der gantze Leib wird
deß uͤbel-gekochten Nahrungs-Saffts theilhafftig. - 3. Muß auch unſer Richter gelehrte und verftaͤndige Lehr-
meiſter gehabt haben/ die ihme mit Treu/ und gnugſamer Un-
terrichtung ſind an die Hand gegangen; Maſſen ſonſten noch
der Acker/ noch der gute Saamen/ eine froͤliche Erndte machet/
wann der Bauers-Mann nicht fleiſſig gepfluͤget/ und das Feld
wol zugerichtet hat. Ein Ungelehrter kan keinen viel lehren/
wann er ſelbſten nicht verſtehet/ was in guten Buͤchern zu fin-
den/ und auß denſelben vorgetragen werden ſoll. Jſt er aber
gelehrt/ und nicht getreu/ oder hat den Verſtand nicht/ ſolches an-
dern beyzubringen/ ſo muß der Lehrling/ ſonder Zweiffel/ verah-
ſaumet werden. - 4. Muß ermelter Richter von den verftaͤndigen Jahren
an/ dem Studiren unverdroſſen und fleiſſig obgelegen ſeyn/ Ge-
ftalt dann nichts (auſſer obbeſagter Faͤhigkeit/) mit uns geboh-
ren wird/ ſondern/ was wir wiſſen wollen/ das muͤſſen wir mit
Arbeit kauffen. Viel von der Natur maͤſſig-begabte Juͤnglinge
haben durch beliebten Fleiß ſich hoch geſchwungen/ und waͤre zu
wuͤnſchen/ daß man der fluͤchtigen Jugend dieſes Mittel zu der
Geſchicklichkeit beſſer einreden/ und ſie zu beharlichem Obligen
bewegen koͤnte. - 5. Soll unſer Richter ein redlicher Mann ſeyn/ welcher
die Warheit liebet/ und keinem Theil/ wegen einiger Neben-
Urſache/ beypflichte. Er muß nicht nur die Warheit ertennen/
ſondern ſie ungeſcheuet/ ohne Anſehen der Perſon/ bekennen/ und
das Liecht ſeiner Weißheit in dem Dunckeln leuchten laſſen. Jm
Fall er auch/ auß Ubereylung/ geirret/ und die Sache nicht gnug-
ſam uͤberleget haben ſolte/ ſoll er ſich nicht ſcheuen/ ſeine Mey-
nung/ auß beygeſetzten Urſachen/ zu aͤndern/ und die Warheit
mehr zu lieben/ als etwan ſein Anſehen/ uñ eingebildete Hochheit. - 6. Soll der Richter/ nach gnugſamer Betrachtung der
beyderſeits vorgetragenen Urſachen/ den Verſtand haben/ das
Falſche von der Warheit zu unterſcheiden | ſeinen Außſpruch
mit ſonderer Beſcheidenheit beyzubringen/ und das ihme ver-
traute Richter-Amt nicht ungebetten ablegen/ wie die Unbe-
dachtſamen zu thun pflegen/ die aber von ihrem Urtheil mehr-
mahls ein nachtheiliges Ob-Urtheil hoͤren muͤſſen/ und iſt ja
nichts leichter/ als eine Sache verachten/ welche man auch mehr-
mahls nur von ferue angeſehen/ oder nur etliche Worte darvon
gehoͤret
[445]Romans I. Buch.
gehoͤret hat/ und ſagt der weiſe Koͤnig Salomon hiervon alſo:
Wer antwortet/ oder urtheilet/ ehe er (gnugſam) auhoͤret/ dem
iſt es Narheit und Schande. Und Syrach/ c. 11/ 8. Du ſolft nicht
urtheilen/ ehe du die Sache hoͤreft/ erkenne es zuvor/ und ſtraffe
es dann; Laß die Leute zuvor außreden. - 7. Soll der belobte Richter in allen denen Sachen/ welche
er zu beurtheilen unternimmet/ geuͤbet ſeyn/ und ſelbſten Hand
mit angeleget haben; Maſſen unter der bloſſen Betrachtung
und Außuͤbung eine groſſe Klufft befeftiget iſt/ daß dieſe und jene
offt nicht zuſammen kommen/ und gleichet jene der Seelen/ dieſe
dem Leib/ welches beydes zugleich einen vernuͤnfftigen Menſchen
machet.
Einen ſo begabten Richter wollen wir allemahl
gerne leyden/ und erwuͤnſchen; Ja/ wann ein gelehr-
ter Rath mit ſo beſchriebenen Leuten beſetzet ſeyn ſol-
te/ iſt nicht zu zweiffeln/ ſie ſolten alle Strittigkeiten/
ſo unter den Gelehrten ſchweben/ vergleichen/ und ih-
nen ſolten alle fromme Hertzen zufallen.
Wo findet man aber ſo begabte Leute? Wenig
werden ſich dieſer Ubertrefflichkeiten ruͤhmen koͤnnen/
und eben deßwegen iſt es beſſer/ daß ſie mit ihrem Ur-
theil zuruck halten/ oder doch ihr Mißfallen und Wol-
gefallen ferner nicht erſtrecken/ als ſie verſtehen und
begreiffen koͤnnen; Mit gebuͤhrendem Zweiffel/ ob
alles/ was ſie verworffen/ auch verwerfflich ſey/ und
ob nicht andern beliebe/ was ihnen veraͤchtlich vor-
komme? Einem Schuſter iſt es keine Schande/ wann
er kein Kleid machen kan; Wie auch einem Schnei-
der/ daß er keine Schuhe zu machen weiß. Alſo iſt es
auch einem Rechts-Gelehrten nicht nachtheilig/
wann er kein Mathematicus nicht iſt.
Der Podeſtà, der allezeit mehr auf ſeinen Buͤ-
chern zu Hauß gelegen/ als die Collegia in ſeiner Ju-
gend frequentiret hatte/ forſchete anjetzo von dem
Magnifico, was ihn duͤncke: Ob die Beleſung der
Buͤcher/ oder die lebendige Stimme/ dienlicher ſey/
andere
[446]Deß Academiſchen
andere zu unterrichten? Worauf ihm dieſer einen
kurtzen Beſcheid ertheilet:
DAs Aug/ ſprach er/ oder das Geſicht und das Gehoͤr ſind die
Mittel/ eine Sache zu erkundigen; Jenes/ etwas zu erfin-
den/ dieſes zu faſſen und zu erhalten/ welches bey den ſtummen
Lehrmeiſtern nicht zu beſchehen pſieget/ weil die Gebaͤrden/ die
Stimme/ die Haͤnde/ und zugleich der gantze Leib bemuͤhet iſt/
eine Sache einzudrucken/ welches alles der todte Buchſtaben
nicht zu leiſten vermag. Faͤllet nun ein Zweiffel fuͤr/ wie es bey
Durchleſung der Buͤcher nicht ermangeln kan/ ſo weiß man
nicht/ wen man fragen ſoll/ und hat man mehr nicht/ als die Ur-
ſachen/ eine Sache nicht zu glauben/ erlernet.
Durch die Stimme deß Menſchen werden die Geiſter deß
andern Menſchen kraͤfftiglich erreget und beweget/ und gleich ei-
nem Spiegel eingedruckt; Da hingegen die Schrifft nur ein
Zeichen ſolcher Stimme/ und niemahls ſo wol kan eingepreſſet
werden/ als durch das aͤuſſerliche Wort/ welches mit dem Jnner-
lichen/ den Gedancken/ mehrere Verwandtſchafft hat/ deme der
Abdruck/ als die Buchſtaben nicht ſo eigentlich gleichen/ daber
die Strittigkeiten/ wegen der Rechtſchreibung/ meiſten Theils
erwachfen.
Hierwider wendet man ein/ daß das Geſchriebene mit viel
mehr Bedacht/ und mit weniger Verſtellung zu Papier gebracht
werde; Was man mit der lebendigen Stimme begeiſtert/ und
das Gedicht/ das man mit Poetiſchen Ohren hoͤret/ iſt gantz eine
andere Sache/ dem Laut nach/ als wann man eben ſolches lieſet.
Man kan auch eine Sache mit viel reifferm Bedacht leſen/ auß
den Figuren erkennen/ der Sachen nachſinnen/ und es zu Sinne
faſſen/ da die fluͤchtige Rede/ beſtehend in ihrer Unbeſtaͤndigkeit/
verſchwindet/ und hat man nicht Gelegenheit/ zu allen Zeiten
nachzufragen/ wie man mit den Verſtorbenen auß den Buͤchern
reden kan. Zu dem/ ſo pflegen die Buͤcher nicht zu ſchmeicheln/
wie die Redner/ welche ſich nach den Perſonen/ Zeit und Ort be-
quemen/ \&c. daß alſo durch ſie die Warheit viel ſicherer kan er-
kundiget werden. Manfrage von allen Gelehrten/ ob ſie ihre
Wiſſenſchafft nicht den Buͤchern mehr zu dancken haben/ als ih-
ren Lehrmeiſtern/ und ſolte einer/ der auf hohen Schulen allein
von dem offentlichen Leſen getehrt werden ſolte/ ſehr langſam
darzu kommen/ indem ſie an einem Buch viel lange Jahre leſen/
und offt ehe das Leben/ als das Buch/ endigen.
Eigentlich von dieſer Frage zu reden/ ſo muß man die
Schrifft
[447]Romans I. Buch.
Schrifft und den muͤndlichen Unterricht in hoͤchſter Vollkom̃en-
heit darſtellen/ und gleich gearten Lehrlingen ſolches vortragen.
Auß den Buͤchern wird man beſſer ſchreiben/ von dem Redner
beſſer reden lernen/ und weiß man/ daß Blinde ſehr gelehrte Leu-
te worden; Die Tauben aber koͤnnen durch Leſung der Buͤcher
wenig oder nichts ergreiffen. Ein ungedultiger Menſch/ wie die
Blut- und Gall-reichen zu ſeyn pflegen/ werden ſich durch das
Geſpraͤch leichtlich und lieber unterrichten laſſen; Die Melan-
choliſchen und Schleim-reichen aber werden mehr Luſt zu den
Buͤchern haben/ und ſich in derſelben Belernung erluſftigen.
Zu deme/ iſt zu unterſcheiden/ was man lehren und lernen
ſolle/ die Weißkunſt/ die Geſetze und die Geſchichte/ da man die
Jahr-Zahl/ Namen und Geſchlecht bemercken muß/ ſtudiret
ſich leichter und ſicherer auß den Buͤchern; Andere Sachen er-
heiſchen muͤndlichen Bericht und Handfuͤhrung/ welche durch
die Buͤcher nicht fuͤglich beſchehen kan.
Dieſer und dergleichen Diſcurſe wurden von allen
denen/ die mit an der Tafel ſaſſen/ mit wunderbarer
Vergnuͤgung angehoͤret/ ohne allein der Cerebacchius
und Venereus hatten gantz andere Maximen und Ge-
dancken/ dann ein Jeder dachte nicht ſo ſehr auf hohe
Wiſſenſchafften/ oder weßwegen er auf den Acade-
mien lebe/ als auf ſein ſonderbares Intereſſe, und ei-
genſinnige Lebens-Art. Dieſer zwar auf ſeine verlie-
bete Augen/ bald auf die hochgelehrte Carola Catha-
rina, bald auf die ſchoͤne Ilmene; Jener aber wuͤhle-
te in den Schuͤſſeln/ daß nicht ein einziges Geruͤcht
von ihm frey außgieng. Er nahm/ auf Zuwincken deß
Printzen/ einen gantzen Calecutiſchen gebratenen
Hahn vor ſich/ ſtund auf/ und ſprach: Magnificentiſſi-
me Domine Rector, dieſen wil ich auf eure Geſund-
heit bey mich ſtecken. Darauf zerlegete er ihn in et-
was/ ſchobe aber die Stuͤcke ſo gierig eines nach dem
andern in den Mund/ daß ihm derſelbe ſchaͤumete/
und muſte ſich die gantze Geſellſchafft ſeiner zum hoͤch-
ſten verwundern. Hierauf nahm er eine groſſe ſilberne
Schaale/
[448]Deß Academiſchen
Schaale/ die voll Weins/ und wol 2. Maß faſſete/
dieſelbe ſetzete er an den Mund/ und leerete ſie gleicher
Geſtalt auf deß Magnificentiſfimi Geſundheit auß/
ehe er ſie von den Lippen nahm. Welches abermahl
eine neue Verwunderung verurſachete. Hierauf
nahm er ein Spanferckel fuͤr ſich ſtund auf/ und mach-
te dem Podeſtà ein Compliment, ſetzete ſich darauf
nieder/ und verzehrete es auf ſeine Geſundheit/ jedoch
ließ er das aͤuſſerſte der 4. Schenckel in der Schuͤſſel
ligen. Er ergriffe darauf eine Flaſche mit ſtarckem
Brandtewein von einer halben Rheiniſchen Maß/
ſetzete ſie an den Mund/ und leerete ſie gleicher Geſtalt
auf deß Podeſtà Geſundheit in einem einigen Zug
rein auß. Darauf langete er dem Troll die Ferckel-
Fuͤſſe auf einem Teller/ und noͤthigete ihn/ ſein Gaſt
zu ſeyn. Dieſer aber ſchuͤttelte den Kopff/ und ſprach:
Lieber Helluo, wann ich dieſe Schenckel auffraͤſſe/
wurden die Leute ſagen/ ich und ihr haͤtten mit einan-
der das Ferckel aufgefreſſen/ uñ wuͤſten ſie doch nicht/
daß ſolches zu ungleichen Theilen geſchehen waͤre/
darum/ wo d’ Hund geblieben/ da mag der Schwantz
auch ſeine Stelle finden. Sed memento, Archeſilaum
immodicô vini hauſtu exceſſiſſe. Cerebacchius nahm
die Knochen wieder zu ſich/ und lachete unter dieſen
Worten: Ennius Poëta nunquam accingebat ſcri-
bendis carminibus, niſi multô madidus vinô. Troll
replicirte: Lacydes Philoſophus ex nimia compota-
tione concidit in Paralyſin, quâ mortuuseſt. Worauf
Cerebacchius: Mithridatem ferunt illis certa conſti-
tuiſſe præmia, qui plures cibos ventri deſtinaſſent, aut
majore ſe ingurgitaſſent vino, ut ſui ſimiles haberet,
qui aliâs ſui temporis mortales omnes vim hauſtu lon-
gè exceſſit. Da hingegen Troll: Elpenor vino largius
hauſtô impos animi factus, ſcalarum lapſu exanimatus
eſt.
[449]Romans I. Buch.
eſt. Cerebacchius in Antwort: Hercules cum Leprea
rege degula contendit, vicitque tandem tauro paula-
tim devoratô. Troll: At Polyphemus Cyclops hauſto
largius vino, dum in ſomnum concidiſſet, ab Ulyſſe
excæcatus eſt. Cerebacchius: Theagenes Athleta tau-
rum vorabat ſolus. Troll: Cleomenes, Rex Spartano-
rum, quum Scytharum virolentiam imitari cuperet, in
inſaniam redactus eſt. Cerebacchius. L. Piſo majorem
noctis partem conviviis \& temulentiæ impendebat,
biduô per compotationem continuavit apud Tibe-
rium Principem. Auß allen dieſen Diſcurſen hoͤreten
die Anweſenden/ daß Cerebacchius ſein Summum im
Freſſen und Sauffen ſuchte/ derowegen ſprach der
Podeſtà zu ihm/ daß ihm billich der Name Cerebac-
chius gegeben worden/ als der ein getreuer Anbetter
der Ceres und deß Bacchi ſey. Cerebacchius neigete ſich
hierauf/ und gab dieſe Antwort: Novellius Tricon-
gius Mediolanenſis meruit cognomen à tribus vini
eongiis, quos uno impetu hauriebat, ſpectante mira-
culi causâ Tiberio Principe. Der Magnificus warnete
ihn darauf/ und hielte ihm fuͤr/ daß die Leute/ welche
ſich mit Speiß und Tranck dergeſtalt zu uͤberladen
pflegeten/ nicht lange lebeten; Aber Cerebacchius
nahm einen groſſen Becher/ und ſprach: Niſæus, Sy-
racuſarum Tyrannus, ubi ab auſpicibus didiciſſet, bre-
vi ſe periturum, quiquid ſuperfuit vitæ, commeſſatio-
nibus imperdit \& ebrietati. Als ihn der Printz alſo re-
den hoͤrete/ lachete er/ und ſprach: Man wird aber die-
ſem Tyrannen ein ſchlechtes Epitaphium gemacht
haben? Worauf Cerebacchius: Darium vinolen-
tum fuiſſe arguit inſcriptio ſepulchri ejusdem,
quæ talis erat: Potuit \& multum vini potare, \& hoc
probè ferre. Was verlanget aber ihr/ forſchete
Klingenfeld jetzo von ihm/ nach eurem Tod fuͤr eine
F fGrab-
[450]Deß Academiſchen
Grabſchrifft? Der Weſtphaͤlinger gab ihm zur Ant-
wort:
ditatem Epitaphium ſequens inditum eſt:
Multa bibens, tum multa vorans, malè deniq́; dicens
Multis, hic jaceo Timocreon Rhodius.’
Jſt wol geantwortet/ ſprach jetzo die holdſeelige Il-
mene, welche ihm mit ſonderbarer Verwunderung
zuſahe. Sie fragete aber/ ob auch wol eine oder an-
dere unter dem Frauenzimmer ſeines Landes ſich dem
Schwelgen ſo ſehr ergeben haͤtte? Cerebacchius er-
theilete ihr dieſe Antwort: Aglais tibicina, Megadis
filia decem carnium minas, \& quatuor panum chœni-
cas abſumebat, hauriebat \& choam vini. Das iſt un-
glaublich/ fiel ihm Carola Catharina ins Wort/ und
wird auſſer Zweiffel dieſer Perſon auß Neyd nach-
geredet. Aber Cerebacchius ließ ſich dargegen fol-
gender Geſtalt vernehmen: Myrtale vinolenta mu-
lier vino commiſcebat folia lauri, ne vinum oleret.
Hierauf wolte er ſich mit Diſcurriren nicht laͤnger
aufhalten/ ſondern ſetzete den groſſen Becher an den
Mund/ und ſoff ihn rein auß. Darauf langete er
nach einer groſſen Schuͤſſel/ die voll ſchoͤner Birn
war/ ſelbige ſteckete er/ eine nach der andern in den
Mund/ und aſſe ſie mit ſolchem Appetit auf/ daß ein
Jeder ſich deßfalls zum hoͤchſten verwundern muſte.
Das XXXIX. Capitul/
Die Perſer haben ihre Jugend wol unterrichtet. Was die
Roͤmiſche Kaͤyſer der Jugend und Lehrer wegen verordnet haben.
DEr Rector Magnificus forſchete anjetzo bey dem
Vorſteher der Teutſchen/ ob dann alle Teut-
ſche Studenten dem Freſſen und Sauffen al-
ſo nachhiengen? Und dieſer/ als ein alter Academi-
cus, ertheilete ihm nachfolgende Antwort: Jch kan
leyder! unſerm lieben Vatterland den Ruhm nicht
ertheilen/
[451]Romans I. Buch.
ertheilen/ der Jtalien/ Spanien/ und andern Catho-
liſchen Orten/ gebuͤhret/ allwo man die Profeſſiones
mit qualificirten Subjectis beſetzet. Jch habe es leyder!
in Patria zu hoͤchſtem Verdruß erfahren/ daß man ſol-
che Leute zu Profeſſoren angenommen/ welche nicht
allein ſelber annoch eines Lehrmeiſters beduͤrfften/ ſo
wol/ was das Alter/ als was die Wiſſenſchafften be-
langet/ ſondern die darneben ein ſolch unmaͤſſig Le-
ben fuͤhreten/ daß ſie es fuͤr ihre beſte Freude achteten/
wann ſie von den reichen Studenten in dieſem oder
jenem Luſt-Garten/ wil nicht ſagen/ in den gemeinen
Wirths-Haͤuſern/ einen wackern Rauſch ſoffen.
Wann aber ſolche Leute auf den Catheder ſteigen/ die
mit den Studenten in Bruͤderlicher Vollſaufferey
leben/ die in Theologia nichts verſtehen/ die in Jure
nicht einmah! aufzuſchlagen wiſſen/ die in Medica Fa-
cultate nicht wiſſen/ was Botanica, was Chymica, \&c.
die in Matheſi den Triangulum Scalenum nicht ken-
nen/ ja/ die alles/ was ſie profitiren/ auß dem Zettel/
oder auß einem Buch (wie ich offt wol auf einer
Nordiſchen Academie geſehen/) daher leſen/ und
wann ja eine Gradual-Diſputation vorgehet/ bey dem
Schmauß weit fertiger ſich einſtellen/ als beym Op-
poniren/ wie kan es bey ſo beſchaffenen Dingen mit
den Studenten auf Univerſitaͤten wol hergehen?
Sie muͤſſen ja halbe Barbarn werden. Es iſt war-
lich ſehr viel daran gelegen/ daß der Jugend gelehrte/
geſchickte und fertige Lehrmeiſter vorgeſtellet werden/
weil das Heyl und Ungluͤck der Kirchen/ ſamt den
Policeyen/ an dieſen zarten Zweigen haͤnget. Die
Perſer wuſten ſolches wol/ darum hatten ſie weiſe
Verſucher gethan/ und ſchreibet Xenophon von ih-
nen/ wie folget:
F f 2Prima
[452]Deß Academiſchen
Prima his legibus cura à bono publico videtur initium
ſumere. Haud enim incipiunt iridem utaliæ plurimæ civitates,
quæ parentibus permittentes, pro voluntate filios educare, \&
ætate provectioribus, pro arbitrio vitam agere, eos jubent ne
furentur, ne rapiant, nein alienas ædes ingrediantur vi, ne in-
juſtè percutiant quemquam, ne adulterium patrent, ne prin-
cipis imperium detrectent: reliquaque hujusmodi eodem pa-
cto. Quod ſi quid horum transgreſſus quis fuerit, pœnam in
eum ſtatuerunt. At Perſarum leges anticipantes maximè cu-
rant, ne initio tales ſint cives, ut cujus quam vel improbitatis,
vel turpitudinis deſiderio capiantur. Curant autem hoc pacto.
Eſt illis forum quod vocatur liberum: ubi \& regiæ \& alia ſunt
palatia. Hinc \& venalia, \& circumforanei, \& horum clamores,
atque ineptiæ, in alium locum rejecta ſunt, ne horum turba
compoſitis eorum moribus, qui inſtitutionem adepti ſunt,
miſceatur, eſt autem forum circa palatia, diſtributum in partes
quatuor, quarum una eſt puerorum, altera puberum, tertia vi-
rorum qui perfectam ætatem jam agunt, quarta verò eorum,
qui ſunt emeriti, legeque horum ſinguli adſunt locis ſuis pueri,
eum primùm illuxerat, \& eodem modo perfectæ ætatis viri,
ſeniores verò, cum per otium cuique licuerit, exceptis conſtitu-
tis diebus, quibus adſint neceſſe eſt. At adoleſcentes cubant
etiam in palatiis cum gymnicis armis: exceptis maritis, qui ne
requiruntur quidem, niſi antea juſſi adeſſe fuerint. At neque ho-
neſtum ducitur ſæpius abeſſe. Et ptæſunt cuique harum par-
tium duodecim principes, nam in duodecim tribus Perſæ di-
ſtributi ſunt. Illi verò pueris præſunt, qui ſelecti exſenioribus,
eos videantur reddituri quam optimos. Adoleſcentibus autem,
ex abſolutæ ætatis viris illi, qui perquam optimos, eos exiſti-
mentur effecturi. Ac ipſis abſolutæ ætatis viris ii ſunt præfecti,
quorum illi inſtitutione cenſeantur quæ conſtituta ſunt, \& à
Magiſtratu maximo imperata maximè præſtituri. Electi autem
ſunt præſides ſeniorum: qui præſunt, quò hi quoque ſuo fun-
gantur officio. Quæ autem cuique ætati imperantur faciunda,
enarrabimus, quò dilucidius fiat, diligentiam ne adhibebant ur
cives ſint quàm optimi, Pueri igitur ventitantes ad Scholas, ju-
ſtitiæ diſcendæ dant operam, ajuntque ita illos huic rei ſtudere,
quemadmodum apud nos, qui eunt ad literas perdiſcendas.
Eorum autem magiſtri magnam diei partem conſumunt, in
eorum diſceptarionibus judicandis. Habent enim pueri quo-
que inter ſeſe, quemadmodum viri, accuſationes \& de furto, \&
de rapina, \& de vi, \& de fraude, \& de maledicentia, \& de aliis
criminibus, ut \& par eſt.
Die
[453]Romans I. Buch.
Die erſte Vorſorg und Fleiß dieſer Geſetze und
Satzungen laͤſſet ſich beduncken und anſehen/ ihren
Anfang von dem gemeinen Nutzen her zu nehmen.
Dann ſie fahren nicht zugleich und auf eine Weiſe
an/ wie der meiſte Theil der Staͤdte/ welche/ nachdem
ſie den Eltern zulaſſen/ die Kinder nach ihrem Wil-
len und Wolgefallen aufzuziehen/ und den Jenigen/
welche bey ihren Jahren/ und nunmehro erwachſen/
und erzogen ſind/ nach ihrem Gefallen und Gutdun-
cken zu leben/ denſelbigen befehlen ſie an/ damit ſie
nicht ſollen ſtehlen/ rauben/ nicht in fremde und an-
dere Haͤuſer mit Macht und gewaltſamer Hand ein-
brechen/ Niemanden unbillicher Weiſe ſchlagen/
nicht Ehebrechen und Hurerey treiben/ nicht Laͤſter-
und Schmaͤhe-Worte auf Fuͤrſtl. Geheiß und Be-
fehl außgieſſen/ und was auf ſolche Weiſe der Sa-
chen mehr ſeyn moͤgen. Dann/ ſo Jemanden unter
dieſen etwas begangen und verbrochen hat/ iſt er
ernſtlich und haͤfftig zur Straff gezogen worden.
Aber der Perſer Geſetze und Satzungen/ welche dieſe
weit uͤbertreffen/ und vorgehen/ befleiſſigen ſich als-
bald anfaͤnglichen/ damit ſie nicht ſolche Buͤrger
moͤchten ſeyn/ noch erfunden werden. Damit ſie nicht
durch irgend eines Boßhafftigkeit/ ſchaͤndliches und
aͤrgerliches Weſen und Leben moͤchten beluſtiget wer-
den. Sie verfahren aber auf ſolche Weiſe: Sie ha-
ben einen Marckt/ welchen man den Frey-Marckt
nennet/ allda Koͤnigl. Haͤuſer/ und gar viel andere
ſchoͤne und herꝛliche Gebaͤue und Fuͤrſtliche Pallaͤſte
ſtehen. Daher dann die Kraͤmereyen/ Land-Fahrer/
Zahn-Brecher/ derſelbigen unerhoͤrtes Geſchrey/
und andere Narrentheidinge auf einen andern Ort
geleget/ und geordnet ſind/ damit nicht derſelbigen
Zuſeher/ Zuſchauer und Kauffleute/ wann ſie ihr Ju-
F f 3bilier-
[454]Deß Academiſchen
bilier-Geſchrey gehoͤret/ von ſolchem bethoͤret/ uñ da-
her ihnen ſolches nachthaͤten und nachaͤffeten. Dann/
ſie haben einen Marckt um ihre Pallaͤſte/ und Koͤnigl.
Gebaͤue herum/ welcher in 4. unterſchiedene Theile
iſt abgetheilet/ unter welchen der Eine der kleinen
Kinder und Knaben iſt und gehoͤret/ der Andere de-
nen/ welche nunmehr erwachſen/ erzogen/ und bey ih-
ren Jahren ſind/ der Dritte denen/ welche bey einem
Mannlichen voͤlligen Alter ſind/ der Vierdte aber
den Jenigen/ welche ſich um Land und Leute wol ver-
dienet und verſchuldet haben/ und nach dieſen Geſe-
tzen und Satzungen iſt ein jeder Knabe an ſeinem
Ort und Stelle/ ſo bald der Tag fruͤhe Morgens an-
gehet/ und daher bricht/ gegenwaͤrtig/ ſo wol auch die
Maͤnner/ welche eines voͤlligen Alters ſind; Die Se-
nioren und Elteſten aber/ nachdem es ihnen beliebet/
und eines Jeden Zeit/ Gelegenheit mit ſich bringet/
und leyden wil/ ohne auf gewiſſe geſetzete und beſtim-
mete Zeit/ zu welcher ſie gegenwaͤrtig ſeyn/ und er-
ſcheinen muͤſſen. Die jungen Geſellen aber ligen auch
mit allerhand bloſſem Gewoͤhr und Waffen auf den
hohen/ erhabenen/ herꝛlichen und ſchoͤnen Pallaͤſten
und Gebaͤuen herum; Ohne die Ehe-Maͤnner/ welche
zwar nicht darzu gelangen und kommen/ ſie werden
dann darzu gefordert/ und beruffen. Es wird aber
nicht fuͤr ehrlich und gut gehalten/ und angeſehen/
wann man ſich gar zu offt und viel abſentiret/ und
darvon bleibet/ und ſind einem Jeden unter dieſen
4. Theilen 12. Fuͤrſten vorgeſetzet/ und verordnet/
dann die Perſer ſind in 12. Zuͤnffte auß- und abge-
theilet. Die Jenigen ſind aber den jungen Knaben
vorgeſetzet/ und verordnet/ welche von den Senioren
und Elteſten ſind erkieſet/ und erwaͤhlet/ welche dar-
fuͤr angeſehen/ und gehalten werden/ daß ſie dieſelbi-
gen
[455]Romans I. Buch.
gen zu allem Guten anweiſen moͤchten. Den jungen
Geſellen aber ſolche Maͤnner/ die eines rechten und
voͤlligen Alters/ welche man darfuͤr achtet/ und haͤlt/
daß ſie dieſelbigen zum Beſten unterrichten/ und un-
terweiſen moͤchten. Aber denen/ welche zu einem voͤl-
lichen und Mannlichen Alter gelanget/ und kommen/
ſind dieſe vorgeſetzet und verordnet/ welche die beſten
Zuchtmeiſter/ und welche das Jenige/ was von der
hohen Obrigkeit zu thun und zu leiſten geſchloſſen
und befohlen/ auf das Allerfleiſſigſte und Beſte ver-
richten/ und zu Werck bringen. Es ſind aber auß den
Senioren und Elteſten Vorſteher erkieſet und erwaͤh-
let/ welche uͤber ſie gebiethen/ und herꝛſchen/ damit
auch ſie ihr Amt fleiſſig und treulich verrichten/ und
verwalten moͤgen. Was aber einem jeden Alter an-
befohlen wird zu thun/ wollen wir erzehlen/ damit es
deſto klaͤrer und deutlicher werde/ ſo ſoll ſich ein Jeder
dahin befleiſſigen/ daß er ein wahres und rechtſchaf-
fenes Gliedmaß und Buͤrger ſeyn moͤge. Derhalben
die Knaben/ welche fleiſſig zur Schul gehen/ kehren
und wenden Fleiß an/ Recht und Gerechtigkeit zu
lernen/ und man ſaget/ daß ſie ſich dieſes Dinges al-
ſo muͤſſen befleiſſigen und obligen/ gleich wie bey uns/
welche die freyen Kuͤnſte wollen lernen. Derſelbigen
Præceptores und Lehrmeiſter wenden deß Tages uͤber
eine gute und geraume Zeit auf/ ihre Streit-Sachen
zu entrichten/ und zu entſcheiden. Dann es haben
auch die Knaben unter einander ſo wol/ als die Maͤn-
ner/ ihre Anklagungen wegen deß Diebſtahls/ Rau-
bens/ Gewalt/ Betrugs/ Gottslaͤſterung/ und an-
dern Laſtern/ wie dañ billich und recht. Bißher Xeno-
phon, von den Edlen Perſern/ welche der Jugend ge-
ſchickte Lehrmeiſter zugeordnet. Kaͤyſer Carl der IV.
hat wol geſehen/ und in die guͤldene Bulle geſetzet:
F f 4Cum
[456]Deß Academiſchen
Cùm \& Sacri Romani celſitudo Imperii, diverſarum Natio-
num, moribus, vita, \& idiomate diſtinctarum, leges habeat, \&
gubernacula moderari, dignum eſt, \& cunctorum ſapientum ju-
dicio cenſetur expediens, quod Electorcs, Principes, ipſius Im-
perii columnæ, \& latera, diverſorum idiomatum, \& linguarum
differentiis inſtruantur, ut plures intelligant, \& intelligantur à
pluribus, qui plurimorum neceſſitatibus revelandis, Cæſareæ
ſublimitati aſſiſtant, in partem ſolicitudinis conſtituti. Qua-
propter ſtatuimus, ut Illuſtrium Principum, puta, Regis Bohe-
miæ, Comitis Palatini, Ducis Saxoniæ \& Marchionis Bran-
denburgenſis, Electorum filii, vel hæredes \& ſucceſſores, cum
veriſimiliter Teuronicum Idioma, ſibi naturaliter inditum, ſci-
re præſumantur, \& ab infantiâ didiciſſe, incipiendo à ſeptimo
ætatis ſuæ anno, in Germanica, Italica \& Sclavica linguis in-
ſtruantur, ita quod infra 14. ætatis annum exiſtant in talibus,
juxta datam à DEO ſibi gratiam, eruditi, cum illud non ſolum
utile, imò ex cauſis præmiſſis ſummè neceſſarium habeatur, eo
quod illæ linguæ, ut plurimum ad uſum, \& utilitatem Sacri Im-
perii, frequentari ſint ſolitæ, \& in his ardua ipſius Imperii nego-
tia ventilentur.
Hunc autem proficiendi modum in præmiſſis poſuimus
obſervandum, vel relinquetur optioni in filios, ſi quos habuerint,
ſeu proximos, quos in principatibus ſibi credunt veriſimiliter
ſucceſſuros, eosque ad loca dirigant, in quibus de hujusmodi poſ-
ſint linguis edoceri, vel in propriis domibus pædagogos in-
ſtructores, \& pueros conſocios, in his peritos, eis adjungant,
quorum converſatione pariter \& Doctrina, in linguis ipſis va-
leant erudiri.
Wann aber deß Heil. Roͤmiſ. Reichs Hochwuͤrdigkeit von
mancherley Nation, die an Sitten/ Leben und Sprachen unter-
ſchieden ſeynd/ ihr Geſetz und Regiment zu maͤſſigen hat/ ſo iſt
mit aller weiſen Leuten Rath/ geſchaͤtzt und geacht ziemlich zu
ſeyn/ daß die Chur-Fuͤrſten deß Reichs/ die ſeyn ſollen Saͤuten
und Aufhaltnuͤß mancherley Sprachen und Zungen/ Unter-
ſcheidnuͤß zu unterweiſen/ daß ſie verſtehen/ und von Maͤnniglich
verſtanden werden/ die von mancher Nothduͤrfftigkeit wegen
fuͤrbringen/ Kaͤyſerl. Wuͤrdigkeit beyſtehen/ und zum Theil der
Sorgfaͤltigkeit geſetzt ſind. Darum gebieten Wir/ und ſetzen/
daß der Durchleuch[t]igen Fuͤrſten und Herren/ der Koͤnigen zu
Boͤheim/ der Pfaltz-Grafen bey Rhein/ der Hertzogen von Sach-
ſen/ der Marggrafen von Brandenburg/ Chur-Fuͤrſten Soͤhne/
oder
[457]Romans I. Buch.
oder ihre Erben und Nachkommen/ denen/ als der Warheit gleich
iſt/ natuͤrliche Teutſche Sprache an iſt/ und auch von Kindheit
gelernet haben/ anzuheben/ am 7. Jahr ihres Alters ſollen in der
Grammatic Welſcher und Windiſcher Zungen/ alſo in dem
14. Jahr ihres Alters/ nach den Gnaden/ die ihn GOTT gege-
ben hat/ gelehret werden. Dann das nicht allein nutz/ ſondern
iſt den vor genannten Sachen groß Nothdurfft. Dann dieſelbe
Sprach zu mehrer Theil zu Nutz und Nothdurfft deß H. Reichs
geuͤbet. Auch gewoͤhnlich in denſelben Sprachen groß Sach deß
Roͤmiſchen Reichs geuͤbet/ und beweget werden/ und ſolche Weiß
vollbringen/ und zu lernen/ ſetzen Wir zu halten/ alſo/ daß die
Wahl bleib bey den Freunden/ und gegen denen/ ob ſie die haben/
oder gegen ihren naͤchſten Freunden/ an die ihr Fuͤrſtenthum
ſolt nach ihnen kommen/ ſchicken zu den Staͤdten/ daß ſie ſolche
Sprach lernen/ und ihre Haͤuſer/ oder ander Weiß Geſellſchafft
ihn die zufuͤgen/ von der Anweiſung/ Geſellſchafft und Lehre/ ſie
in derſelben Sprach gelehret/ und unterwieſen werden moͤgen.
Die 2. Kaͤyſer/ Theodoſius und Valentinianus,
haben gute Profeſſores und Præceptores gewaltig be-
freyet/ inmaſſen auß dieſen Geſetzen ſcheinet: Gram-
maticos tàm Græcos quàm Latinos, Sophiſtas \& Juris-
peritos, in hac Regia urbe profeſſionem ſuam exer-
centes; \& inter Statutos connumeratos, ſi laudabi-
lem in ſe probis moribus vitam eſſe monſtraverint, ſi
docendi peritiam, facundiam dicendi, interpretandi
ſubtilitatem, copiamque diſſerendi ſe habere patefe-
cerint \& cætu ampliſſimo indicante digni fuerint
æſtimati: cum ad viginti annos obſervatione jugi, ac
ſedulo docendi labore pervenerint: placuit honorari,
\& his, qui ſunt ex vicaria dignitate connumerari. Die
Grammatic-Lehrer/ ſo wol Griechiſche/ als Lateini-
ſche/ auch die Dialectic-Meiſter und Rechts Gelehr-
ten/ die ihre Profeſſion in dieſer Koͤnigl. Stadt emſig
treiben/ und unter die Ordentliche gezehlet ſeyn/ wann
ſie ein Loͤbl. Leben an ſich mit frommen Sitten erwei-
ſen/ wann ſie erfahren ſeyn im Leſen/ fertig im Reden/
ſubtil in Anſchlaͤgen/ und reich im Diſputiren erfun-
F f 5den/
[458]Deß Academiſchen
den/ und von der anſehnlichen Menge wuͤrdig erken-
net worden/ wann ſie 20. Jahr ſtaͤts an einander/ und
mit treuem Fleiß die Jugend unterwieſen haben/ hat
uns gefallen zu ehren/ und denen/ die deß Reiches
Statthalter heiſſen/ beyzugeſellen.
Zu einem rechtſchaffenen Lehrer gehoͤren drey
Stuͤcke: Erſtlich/ daß er gruͤndlich/ was er lehren
ſoll/ ſtudiret habe. Darnach/ daß er ſolches von ſich zu
geben/ und feine Studenten oder Scholaren zu hin-
terlaſſen/ eine feine Art und Geſchicklichkeit habe.
Drittens/ daß er auch Liebe und Freude darzu habe.
Mancher hat ſtudiret/ aber ihm mangelt die Fertig-
keit. Mancher hat ſtudiret/ und iſt fertig/ aber ihm
mangelt die Anmuthigkeit/ und begehret/ ſeine Muͤ-
he auf andere Stuͤcke zu wenden. Wer mit unbaͤndi-
gen Hunden jaget/ wird wenig Wildpraͤth fangen.
Wann dann dem alſo/ haben etliche Fuͤrſten/
der Fuͤrſten Raͤthe/ der Raͤthe Bluts-Freunde und
Bekandten/ ſchwere Suͤnden begangen/ wofern/ wo-
fern (ſage ich/) ſie ihre weyland Diener/ ihre Schwaͤ-
ger/ Vettern/ Soͤhne und Eydamer/ die entweder
ungelehrte Leute/ oder doch Grobe in den Sitten ge-
weſen/ zu Profeſſoren aufgedrungen. Herꝛ M. Heyder
ſaget bey Einweyhung deß vor der Zeit fuͤrtrefflichen
Gymnaſien alſo: Qui docendi partes in Academiis
ſuſtinet, ſæpè numerô prorſus imperiti ſunt eorum
omnium, quæ tradenda, \& ea vix alienis \& ſub-
reptitiis è chartis, ſed non ſine hæſitatione, legere
poſſunt. Ita non rarò fit, ut artem gratia præponde-
ret, \& ad Medicinam faciendam illi qui ulceribus ipſi
ſcatent, arceſſantur. Welche auf Academien lehren
ſollen/ ſeyn offtmahls gantz unerfahren derer Dinge/
welche ihnen gebuͤhren zu treiben/ und koͤnnen ſolche
kaum auß fremden/ geſtohlenen/ oder verzuckten
Brieffen
[459]Romans I. Buch.
Brieffen/ oder Blaͤttern/ auch nicht ohne Stutzen da-
her leſen. Dergeſtalt geſchicht zum oͤfftern mahl/ daß
die Kunſt aller Gunſt verleuret/ und der wird zum
Artzneyen beruffen/ der von Schwaͤren ſtarret und
ſtincket. Bald darauf ſaget der wol-meynende
Herꝛ: Es ſey nichts ſchaͤndlichers/ als wann ein
Schuſter/ was unter ſeinen Leiſt/ und ein Schmidt/
was unter ſeinen Hammer ſich nicht ſchicken wil/
arbeiten wolle.
Drey Profeſſiones, meines Erachtens/ ſeyn ſchwer
bey den Univerſitaͤten: Die Profeſſio Hiſtoriarum
tùm Secularium, tùm Eccleſiaſticarum; Die Profeſſio
Eloquentiæ, und die Profeſſio Theologiæ Practicæ.
Jſt etwas in Facultate Juris und Medicinæ unterzu-
rechnen/ wolan es geſchehe: Steit-Sachen in Theo-
logia zu erklaͤren/ erfordert faſt keine ſonderliche Muͤ-
he an dem/ der ſie redlich ſtudiret. Kommen hervor
neue Exceptionen/ Inſtantien/ Argumenten/ iſt der
Profeſſor geuͤbet ex Artibus Inſtrumentalibus, ihm
flieſſen haͤuffig zu Reſponſiones. Aber Hiſtorias Ec-
cleſiaſticas zu treiben/ iſt eine verdrießliche Muͤhe/ und
ſolte billich den Jenigen gereuen/ der ſie auf ſich ge-
nommen; Dann/ da muß einer bewandert ſeyn in
den beſten Patribus und Authoribus, bewandert in den
Kuͤnſten und Sprachen/ bewandert in den Propheti-
ſchen und Apoſtoliſchen Schrifften/ ſoll er von wich-
tigen Faͤllen die Jugend recht unterweiſen. Ach!
es gehoͤret viel zu der Profeſſion Eloquentiæ und
Theologiæ Practicæ, und noch mehr zu der Profeſſion
Hiſtoriarum tàm Secularium, quàm Eccleſiaſticarum.
Dargegen ſtehet ſehr heßlich/ wann Jemand die
Griechiſche Sprache profitiret/ und ſelbſten darinn
ſchlecht beſchlagen iſt/ dictiret den Studenten auf
Univerſitaͤten: Eſt Aoriſtus, eſt Aoriſtus, eſt tertia, eſt
tertia,
[460]Deß Academiſchen
tertia, eſt tertia perſona ſingularis. Jch ſchaͤme mich
darvon zu reden. Aber die muͤſſen ſich ſchaͤmen/ wel-
che/ wann Profeſſionen ledig/ ſtracks darein plumpen:
Laſſet uns ſolche Stelle dieſem befehlen/ laſſet uns
dieſem befehlen/ ohne Betrachtung der Geſchicklich-
keit/ der Kunſt/ der Froͤmmigkeit. Warum beſtellet
man nicht Lahme zu Poſt-Botten/ und Blinde zu
Kupffer-Stechern?
Andere Profeſſores, ſpricht Herꝛ Heyder/ heiliger
Gedaͤchtnuͤß/ ſeyn langſam und faul/ als ob ſie in dem
Jrꝛ-Garten deß Minoen gerathen/ und Jenem nach-
aͤffeten/ der 22. Jahre uͤber dem erſten Capitel deß
Propheten Eſaias arbeitete/ und nicht vollendete/ die
waͤren wuͤrdig/ keine Zuhoͤrer/ als den duͤrren Famu-
lum, Hauß-Hunde/ und die Muͤcken an den Waͤnden
zu haben.
Andere Profeſſores, ſpricht M. Heyder/ eylen zu
geſchwinde/ brauchen weder Zeit noch Fleiß/ und was
am nothwendigſten iſt zu erklaͤren/ pflegen ſie zu uͤber-
ſchreiten. Als wann Eliſa zu ihm geſagt haͤtte: Guͤrte
deine Lenden/ und nimm einen Stab in deine Hand.
So dir Jemand begegnet/ und wil fragen/ gruͤſſe ihn
nicht/ ſiehe ihn nicht an/ und gruͤſſet dich Jemand/ ſo
dancke ihm nicht/ fraget dich Jemand/ ſo antworte
ihm nicht.
Andere/ ſpricht M. Heyder/ ſeyn zwar nicht un-
gelehrt/ auch wol geſchickt/ aber ſie fuͤhren eine gemei-
ne Art zu lehren/ und bleiben auf der alten Geigen/
welche ihre Vor-Eltern geſtimmet/ ſtreichen die ge-
wohnete Saͤiten/ verachten/ was recht Academiſch/
recht Univerſitaͤtiſch/ behelffen ſich mit Lumpereyen
der Schuͤtzen/ und Plackereyen der ABCdarien. Ge-
ſchicht aber/ und bekommen einen groſſen Zulauff/
werden daruͤber ſtoltz/ wie jener naͤrriſche und Phan-
taſtiſche
[461]Romans I. Buch.
taſtiſche Menſch zu Athen/ welcher in dem Meer-
Port ſaſſe/ und alle ankommende Schiffe fuͤr ſeine
Schiffe aufzeichnete/ und mit Freuden empfienge.
Andere/ ſpricht M. Heyder/ ſetzen zur Seiten/
und verwerffen gaͤntzlich/ was nutzlich/ noͤthig/ und
zierlich iſt/ und verlieben ihre Seelen an ſchlimmen
Albertaͤten. Neque rarò illud Heracliti, qui inter
docendum vocem illam, obſcura, obſcura, ſemper in-
culcabat, non quidem ore proferunt, ſed mente tamen,
\& pectore clauſum habent, \& ſtudiosè intricare co-
nantur omnia: ut ſoli ſapere, \& reliquitanquam um-
bræ circumvolitare videantur. Et quidem, ut in his
quæſtionum futilium, \& inutilium deliciis laſcivire
queant liberiùs, \& ambitionſius luxuriare: omnia ve-
terum Sophiſtarum \& Scholaſticorum ſomnia, pridem
ſepulta, refodiunt, \& tanquam ingenii proprii fætus,
ſaltem leviter mutata, \& eraſis quaſi ſignis, quod fures
amant facere, in ſcenam producunt. Hi ſuis cum diſci-
pulis uti magni ſunt in parvis, ita parvi ſunt in
magnis, nec multum diſtant à noctuis, quæ cùm in
tenebris oculorum acie præſtent, ad ſolem meridia-
num planè caligant \& cæcutiunt. In lucem enim Ec-
cleſiæ, Reipubl. ſi prodeundum, omnia illa ſophiſma-
ta, non minus quàm nebula quæpiam, evaneſcunt, \&
qui leones in ſcholis videbantur, nihil aliud, quàm aſi-
nos Cumanos ſe eſſe demonſtrant: \& quod laboriosè
didicerunt, non minore cum moleſtia, nec ſine pudo-
re, dediſcere coguntur. Solche brauchen ſtaͤts das
Wort Heracliten/ und ruffen/ weil ſie leſen/ es iſt dun-
ckel/ oder ſtellen ſich doch/ als ob ſie dunckele und hoch-
wichtige Sachen braͤchten/ auch damit ſie in kindi-
ſchen Fragen/ und vergeblichem Docken-Werck/ deſto
laͤnger ſich beluſtigen koͤnnen/ wuͤhlen ſie auf alle
Traͤume und Einbildungen der alten Sophiſten und
Scholaſten/
[462]Deß Academiſchen
Scholaſten/ die vor Zeiten verhoͤhnet worden/ und ſol-
che kehren ſich ein wenig um/ geben andere Geſtalten/
nach dem Exempel der Dieben/ welche an geſtohlenen
Dingen die Zeichen wegkratzen/ putzen und ſchmu-
cken/ ſtellen endlich an die Schaue/ unter dem Na-
men/ daß ſie der Edlen Fruͤchte Vaͤtter waͤren. Dieſe
Profeſſoren/ ſamt ihren anhangenden Juͤngern/ ſeyn
groſſe Elephanten in kleinen Maulwurffs-Huͤgeln/
und kleine Ameiſen in groſſen Rieſen-Bergen/ und
ſehen aͤhnlich den Nacht-Eulen/ welche ſcharff klotzen
in den Finſternuͤſſen/ und verblinden bey dem Tage.
Dann/ wann ſie oͤffentlich an das Liecht in Kirchen
und Policeyen geſtellet werden/ ſincken dahin die lah-
me Poſſen/ und vergehen/ wie der Nebel von der
Sonnen vergehet/ und die ſich in Schulen beduͤncken
lieſſen/ ſie waͤren Loͤwen/ ſtarren/ und ſeyn Cumani-
ſche Eſel/ muͤſſen zuletzt/ was ſie mit Muͤhe gelernet/
mit Marter vergeſſen/ aber nicht ohne Schaden.
Bißher mein Herꝛ Heyder. Und darff keiner mit
mir zuͤrnen/ weil M. Heyder bekennet/ daß untuͤchtige
Leute zu Profeſſoren gebrauchet worden. Werden
gebrauchet untuͤchtige Leute in dem Lehren/ vielleicht
werden gebrauchet untuͤchtige Leute in den Sitten.
Gleichwie aber Herꝛ M. Heyder von dem verhaſſeten
Punct in vielen Stuͤcken weißlich geſchwiegen/ alſo
wollen wir nicht viel Wort daruͤber verlieren.
Lobwuͤrdig ſeyn in dieſem Punct die Jeſuiter/
und laſſen ſolches in ihrem Orden durchauß nicht ge-
ſchehen. Antonius Guevara in der Weck-Uhr der Fuͤr-
ſten ſchreibet: Neceſſe eſt Magiſtros principum omni
laſciviæ notâ vacare. Adoleſcentes enim, cùm \& ætatis
imbecillitate \& naturæ pravitate, ſint ad libidinem
proclives; nec virtute valent, ut ſint caſti; nec pru-
dentia; ut ſint cauti (neque ſe falli patiantur,) ideoq́;
Magiſtros
[463]Romans I. Buch.
Magiſtros ipſorum ſanctiſſimos eſſe neceſſe eſt. Nun-
quam enim erit diſcipulus caſtus, Magiſtrum videns
eſſe vitioſum. Es iſt noͤthig/ daß die Lehrmeiſter der
Fuͤrſten aller Werck deß Muthwillens mangeln.
Dann die jungen Knaben/ wegen Schwachheit der
Jahren/ und Verderbung der Natur/ ſeyn geneigter
zu der Geilheit/ haben nicht die Tugend/ daß ſie
keuſch waͤren; Nicht die Weißheit/ daß ſie behutſam
waͤren. Darum beduͤrffen ſie der allerheiligſten Lehr-
meiſter. Dann niemahls wird der Juͤnger keuſch ſeyn/
welcher ſiehet ſeinen Lehrmeiſter laſterhafftig ſeyn.
Jn andern Stuͤcken hat es eben die Meynungen/
eines wird genennet/ aber viel verſtanden.
Was nutzet guter Rath/ wann man dem nicht
folget? Guten Rath gibt Ambroſius: Ante vita,
quam doctrina, quærenda eſt. Erſt iſt zu ſuchen ein
ehrbares Leben/ darnach eine tapffere Wiſſenſchafft.
O! daß dieſes alle Univerſitaͤten mercketen/ und ih-
nen rathen lieſſen! Ein ehrbares Leben hat groſſe
Glori, auch ohne die Wiſſenſchafft/ aber die Wiſſen-
ſchafft hat keine Gnade/ ohne das ehrbare Leben. Dem
Eli waͤre es beſſer gangen/ wann er an ſeine Stelle
andere auß dem Aaroniſchen Stamm zu Fuͤrſten
bey der Stiffts-Huͤtten/ und Profeſſoren/ bey dem
Gymnaſien zu Silo vorgeſtellet haͤtte; Aber ſeine
beyde Soͤhne/ Hophni und Pinehas/ die ungelehrten
und groben Geſellen/ muſten Profeſſoren und Prieſter
ſeyn.
Das XL. Capitul/
Die Studenten auf den heutigenAcademien laſſen ſich ſel-
ten wol an. Troll erzehlet ſeine Herkunfft/ ſeines Vatters Lebens-Lauff/
und wie er von demſelben erzogen worden ſey.
ALs der Teutſche/ ſo ein gebohrner Schwabe/
hiermit ſeinen Diſcurs beſchloſſe/ ſahe ihn ein
Jeder an/ und verwunderte ſich uͤber deſſen klu-
ge Rede.
[464]Deß Academiſchen
ge Rede. Jnzwiſchen aber ſchob Cerebacchius einen
Biſſen und Trunck nach dem andern in den Magen/
diſcurrirte aber gleichwol auf alle und jede Fragen ſo
pertinent, daß der Podeſtà dardurch Anlaß nahm/ ihn
inſonderheit zu befragen. Ob er etwa eine Wolreden-
heit in den vielen Tractamenten fuͤnde? Cerebacchius
gab ihm dieſe kurtze Antwort: Fœcundi Calices quem
non fecêre diſertum? Und muſte ein Jeder bekennen/
daß er wahr geredet haͤtte. Troll lieff unterdeſſen in
ſeinen Geſchaͤfften auf und ab/ nahm aber doch dann
und wann einen Lab-Trunck zu ſich. Er gieng eins-
mahls hinauß/ und bliebe eine gute Weile auſſen/
da dann unterdeſſen durch Veranlaſſung deß Cere-
bacchii der Rector Magnificus Gelegenheit bekam/
von dem Unterſchied der Studenten zu reden: Es
meynen offt/ ſprach er/ die armen Eltern/ ihre Soͤhne
thaͤten auf Univerſitaͤten anders nichts/ als ſtudiren/
aber die meiſten werden meiſterlich um ihr Geld/ das
ſie offt mit groſſer Muͤhe erſcharret/ oder bey harter
Arbeit/ Hunger und Unluſt erſpahret/ von den Kin-
dern auf Univerſitaͤten betrogen/ dann die wenigſten
Studenten legen ſich auf rechtſchaffene Studia, ſond’n/
ſo bald ſie auß den Schulen in die freye Academiſche
Lufft kommen/ ſtincken ſie alsbald von lauter groſſer
Einbildung/ und mag wol kein hoffaͤrtiger Thier ge-
funden werden/ als ein angehender Student/ ſo der
Ruthen alleweil entlauffen iſt. Da kom̃en die/ ſo etwa
ein halbes oder gantzes Jahr vorher Academici ge-
weſen/ und machen Freundſchafft mit dieſen Neu-
lingen/ welches denſelben ſo wol gefaͤllet/ daß ſie alles
auf das Schmauſſen ſpendiren/ was ihnen die El-
tern etwan zu Kleidern oder Collegien geſandt ha-
ben. Sie bilden ihnen uͤber groſſe Wiſſenſchafften
ein/ weil ſie etwa in den Fallaciis Syllogismorum ein
wenig
[465]Romans I. Buch.
wenig belauffen ſind/ oder eine Chreiam oder kleine
Oratiunculam, oder ein Carmen in dieſem oder jenem
Genere machen kan. Da legen ſie alsbald praͤchtige
Kleider zu/ damit man ſie nicht mehr keñe. Die meiſte
werden deß Debouchirens bey ſothaner Gelegenheit
dergeſtalt angewoͤhnet/ daß ſie es ſich hernach nit wie-
der abgewoͤhnen moͤgen. Wann dann ſothane aber-
witzige Purſche zu den Jhrigen kom̃en/ uñ von Acade-
miſchen Sachen viel Prahlens machen/ meynen ihre
Eltern/ (von den Einfaͤltigen rede ich/ die ſelber nicht
ſtudiret haben/) was fuͤr Wunder-wackere Soͤhne
ſie haben erzogen. Andere Studenten legen ſich auf
den Degen/ und ſchlagen ſich alle Tage herum/ daß
die Hunde das Blut lecken moͤchten.
Noch andere gehen aufs Courtiſiren/ und ver-
fuͤhren manche ehrliche Frau/ und zuͤchtige Tochter/
wiewol darneben nicht zu laͤugnen/ daß auch viel wa-
ckere Studenten von dem Academiſchen Frauenzim-
mer zur Unkeuſchheit verleitet werden. Andere gehen
in ihren Pracht- und Stutz-Kleidern auf den Gaſſen
ſtaͤts ſpatzieren/ und dieſe koͤnnen weder trincken/ noch
einen blancken Degen ſehen/ die Studia ſind ihnen zu
ſchwer/ und zum Courtiſiren ſind ſie auch nicht capa-
bel. Etliche wenige legen ſich auf die Studia auß allen
Kraͤfften/ und dieſe ſind ins gemein armer Leute Kin-
der/ die wol wiſſen/ daß ihre Erbſchafft wenig zu be-
deuten/ und daß durch ihren Fleiß ſie ſich aufbringen
muͤſſen. Auß ſolchen werden hernach die beſten Leute/
deren man in Regiments-Sachen nicht entbaͤhren
kan/ ſondern man muß ſie Heroum filiis oxis fuͤrzie-
hen. Daher hoͤret man/ daß jetzo die Geſchlechter der
Schuͤtzen/ Schuͤlzen/ Moͤllern/ daß die Fabricii, Fabri,
Sartorii, Vietorn/ Piſcatorn/ Meyern/ Bauern/ Kruͤ-
gern/ Steindeckern/ Faͤrbern/ Webern/ \&c. vor an-
G gdern
[466]Deß Academiſchen
dern hoher Æſtim ſind/ die doch meiſt entweder von ei-
nem Wildſchuͤtzen/ oder von einem Dorffſchuͤtzen/
oder von einem Moͤller/ oder von einem Schmiede/
Schneider/ Kuͤffer/ Fiſcher/ \&c entſproſſen ſind/ und
hernach ihren Namen behalten/ oder ein wenig mit
Latein candiſiret haben.
Ein Jeder muſte es geſtehen/ daß dieſer gelehrte
Mann gar wol geredet haͤtte. Es tratt aber Troll in
dieſem Augenblick wieder herein/ und darauf forſche-
te Klingenfeld/ wo er ſo lange geweſen waͤre? In eo,
quod patris fuit, ſprach er; Und als die Geſellſchafft
dieſer Worte lachete/ und zu wiſſen begehrete/ was er
darmit meyne? Da warff er einen Zipffel vom Rock
zuruck/ hub ein Bein in die Hoͤhe/ und ſchlug auf ſei-
ne dicke lederne Hoſen/ daß es glatſchete: Sehet/
meine Herren/ ſprach er/ hierinn bin ich geweſen/ und
dieſe Hoſen hat mir mein Herꝛ Vatter bey meinem
freundlichen Abſchied verehret/ und mich verſichert/
daß er ſie uͤber 28. Jahr getragen/ und daß ich ſie
auch wol ſo lange tragen koͤnte; Er gab mir aber die
Lehre/ wann ſie ſchmutzig worden/ ſolle ich ſie waſchen.
Dem Magnifico gefielen deß Trollen poſſierliche Re-
den ſehr wol/ weil demnach dieſer Tag ohne dem zur
Ergoͤtzlichkeit gewiedmet/ wolte er ſich auch recht-
ſchaffen luſtig machen. Er forſchete demnach bey
Trollen/ wer ſein Herꝛ Vatter waͤre? und wo er woh-
ne? auch wie er ihn erzogen haͤtte? Troll ſperrete die
Finger an der lincken Hand auß einander/ und mach-
te mit dem Zeig-Finger der Rechten daran eine wun-
derliche Theilung: Credebam, ſprach er/ Magnifice
Domine, te eſſe hominem eruditum. Wie kommt es
dann/ daß ihr mir ſo viel Fragen auf einmahl vorle-
get? Qui benè diſtinguit, benè docet. Jhr wollet wiſ-
ſen/ wer mein Vatter ſey/ das iſt die erſte und Haupt-
Frage/
[467]Romans I. Buch.
Frage/ und daran iſt auch warlich ſehr viel gelegen.
Dann es weiß nicht Jedermann/ wer mein Vatter
iſt; Eriſt aber/ ut rem ab ovo, quod ajunt, exordiar,
in einem Teutſchen Lande gebohren/ deſſen Einwoh-
ner man die Haͤrings-Naſen zu nennet pfleget. Muͤſ-
ſen warlich ſeltzame Leute ſeyn/ die ſich alſo nennen
laſſen/ dann meines Vatters Naſe gleichet vielmehr
einem gantzen Haͤring/ als deſſen Naſe. Aber er hat
mir erzehlet/ daß in Teutſchland die Provintzen ſon-
derliche Beynahmen zu fuͤhren pflegen; Dann/ da
nennet man etliche Kohl-Haſen/ etliche Sand-Ha-
ſen/ etliche Eſels-Freſſer/ etliche Rochen-Stecher/ et-
liche Blinde und dergleichen/ ich glaube es ſeyn lauter
hohe Collegia, wie in unſerm Jtalien die Inthrona [...]
und andere. Es hat ſich aber mein Herꝛ Vatte [...]
nachdem er von ſeinem Herꝛn Vattern eine gerau[me]
Zeit zur Schulen gehalten worden/ auch ſchon 2. [...]
auf Academien zugebracht/ in den Krieg begeben [...]
ter dem beruffenen Schwediſchen Koͤnig Guſ [...]
Adolphus, welcher damahl in Teutſchland kom [...]
und die Lehre eines gewiſſen Mannes/ weiß n [...]
ob er Martinus oder Lutherus geheiſſen/ mit de[m]
Schwerdt wider ihre Feinde beſchuͤtzet hat. Er hat
es ſo hoch gebracht/ daß er ein Kurtz-Gewoͤhr gefuͤh-
ret/ und endlich ein Lieutenant worden; Aber/ als er
kaum 4. Wochen in dieſer Charge gelebet/ iſt ihm ohn-
weit Noͤrdlingen die lincke Hand abgeſchoſſen wor-
den/ weil er auch in eine ſchwere Kranck heit verfallen/
hat er ſeine Dienſte quittiren muͤſſen/ und ſich alſo auf
den Weg begeben/ zu ſeinem Herꝛn Vatter zu keh-
ren. Man hat ihn aber berichtet/ daß die Kaͤyſerliche
in ſeinem Vatterland alles verwuͤſtet/ daß darvon
weder Stumpff noch Stiel mehr zu ſehen/ alſo ließ
er ſich ohnweit Franckfurt am Maͤyn in einem Solm-
G g 2ſiſchen
[468]Deß Academiſchen
ſiſchen Dorff nieder/ und lehrete erſtlich Kinder/ dann
weil ſein Vatter ein Gloͤckner/ ſein Groß-Vatter ein
Kuͤſter/ ſein Elter-Vatter ein Dorff-Caplan, ſein
Ober-Elter-Vatter ein Prediger-Muͤnch/ (der lebte
annoch vor der Reformation,) und demnach allerſeits
Kirchendiener geweſen/ ſo wolte er auch ſeine Wiſſen-
ſchafft an die Jugend legen/ ob er etwa dardurch noch
zu einer Geiſtlichen Befoͤrderung unter ſeinen Luthe-
riſchen Glaubens-Genoſſen gelangen moͤchte. Aber
er fand ſich betrogen/ Simonia galt ſo wol da/ als an-
derswo/ der nicht ſpendiren kan/ der bleibet zuruͤck
beſtahn/ er ſey dann ein vollkommener Mann/ den
man nicht außſchlagen kan. Mein Herꝛ Vatter be-
kam nicht allein nichts von dem Kuͤſter-Dienſt deß
[...]orffs/ ſo bald hernach ledig ward/ und darvon er
[re]ichlich haͤtte leben koͤnnen/ inmaſſen er 10. Guͤlden
[...] ſtehendem Gelde/ 5. Guͤlden an Bettel- oder
[...]ammel-Geld/ von jedem Hochzeit Paar 2. Batzen/
[...]einem Kind zu tauffen 4. Pfenning/ und darzu
[...]lich zweymahl freye Brod- und Eyerſammlung
[...]gantzen Dorff/ und neben demſelben auf dem ein-
[...]ofarꝛten Adelichen Hof hatte zu heben gehabt/ aber
[ſo]lches alles gieng ihm auß der Naſen/ der neue Kuͤ-
ſter nahm ihm die Schul/ und alſo muſte ſich mein
Herꝛ Vatter/ Namens Bartel Troll/ um eine andere
Schul umſehen. Zu allem Gluͤck ſtarb um ſelbige
Zeit der Gaͤnſe-Hirt/ um dieſen Dienſt hielt er an/
und erlangete ihn durch Recommendation deß Edel-
manns/ deſſen Sohn er bißweilen im Schieſſen exer-
cirte. Hierbey hatte er kaum das Brodt/ dann er be-
kam vor jede Ganß/ die geſund blieben/ 3. Pfenning/
vor 4. Gaͤnſe einen Laib-Brodt/ und wann ein jung
Gaͤnßlein die Fluͤgel hangen ließ/ und man ſahe/ daß
es nicht wieder zurecht kommen kunte/ war ſolches
ſein
[469]Romans I. Buch.
ſein beſtes Accidens, demſelben nahm er die Federn
und das Leben/ ſchlachtete und aſſe es auf/ gebraten
oder geſotten/ mit oder ohne Senfft/ weiß/ oder im
Pfeffer/ wie er Luſt darzu bezeugete. Sein beſtes Acci-
dens waren auch die groſſe Fluͤgel-Federn oder Spuh-
len/ darauß man Schreib-Federn zu ſchneiden pfle-
get/ die ſam̃lete er auf der Waͤyde auf/ und verkauffte
ſie nach Franckfurt. Er hat offt erzehlet/ daß er fuͤr
Hunger ſchier geſtorben waͤre/ wann er nicht dann
und wann etlichen jungen Gaͤnſen die Fluͤgel ent-
zwey geſchlagen/ die ihm ſo dann anheim gefallen/ daß
er einen guten Biſſen darvon haͤtte machen koͤnnen/
an Getranck habe es ihm hergegen nim̃er gemangelt/
und ſey der Gaͤnſe-Wein ſo wol ihm/ als einem jeden
Einwohner deſſelben Dorffs/ offen geſtanden/ darauß
zu trincken/ wann es ihm beliebet.
Nachdem mein Herꝛ Vatter ſich in dieſer Be-
dienung/ wie die Bauren meyneten/ ſehr loͤblich ei-
ne Zeit lang verhalten/ begab ſich mit dem Kuͤh-Hir-
ten deß Dorffs ein erbaͤrmlicher Caſus; Dieſer Mañ
hatte ein garſtiges altes Weib/ weßwegen er wenig
Luſt von ihr hatte/ hielte ſich demnach auf dem Feld
zu einer jungen Kuhe/ und hielte mit derſelben mehr
zu/ als mit ſeinem eigenen Weibe/ er ward aber eins-
mahls belauret/ und uͤber friſcher That ertappet/
weßhalben man ihm einen kurtzen Proceſs machte/
darinn es mit ihm dahin kam/ daß er gekoͤpffet/ und/
ſamt ſeiner Kuh-Buhlerin/ verbrannt ward. Nun
war dieſe Stelle vacant, und mein Herꝛ Vatter der
ſtaͤrckeſte Competitor darzu/ welcher durch Interceſſion
deß Edelmanns/ der allein 15. Stuͤck/ groß und klein
Vieh/ unter der Heerde hatte/ vor andern darzu ge-
langete/ hier bekam er von jedem Stuͤck Rind-Viehe/
deſſen er huͤtete/ einen Batzen/ und hatte darneben
G g 3zwey-
[470]Deß Academiſchen
zweymahl im Jahr eine freye Brodt-Sammlung
durchs gantze Dorff. Wann er auch einem Bauren
andeutete/ daß ſeine Kuh mit dem Ochſen gelauffen
haͤtte/ bekam er eine halbe Steyge Eyer/ und ein
Stuͤcklein Fleiſch zur Verehrung. Er lebete aber
gleichwol noch kuͤmmerlich darbey/ dahero kaufft er
einen groſſen Eymer/ und melckete im Felde die Kuͤhe
derer/ die ihm nicht gnug opfferten/ die Milch aber
verkauffte er deß Edelmanns Frauen/ die ihm ein
Pfund Butter fuͤr jeden Eymer voll gab. Solches
brach endlich auch auß/ alſo ward ihme die Kuͤh-Heer-
de genommen/ und weil er den Edelmann und Pfar-
rer zu Freunden hatte/ brachten ſie es durch ihre Auto-
ritaͤt dahin/ daß er Commendant uͤber die Schwein-
Heerde ward.
Hierbey gieng es abermahl ſchmahl her/ dann
er bekam nicht von jedem Stuͤck/ ſondern uͤberhaupt
das gantze Jahr hindurch 10. Guͤlden/ und hatte dar-
bey eine freye Wohnung bey dem Dorff-Schultzen/
wann aber ein Schwein auß ſeiner Heerde geſchlach-
tet ward/ bekam er eine Wurſt zum Præſent. Das
war das Beſte bey dieſem Dienſt/ daß er die Schwei-
ne nicht nach Hauß treiben durffte/ ſondern/ wann
er gegen Abend-Zeit in ſein Horn bließ/ ſo lieffen die
Schweine von ſich ſelber nach dem Dorff/ und mel-
deten an/ daß ihr Commendant auch auf dem Weg
ſeye.
Als er nun durch alle Gradus ſothaner hohen
Chargen durchgegangen/ ward er zu einer andern er-
hoben. Dann/ als er in dieſem Dorff ſchon 10. Jahr
gelebet/ kamen etliche Soldaten zu Pferd/ welche
durch dieſe Gegend marchireten/ wie dieſe meinen
Herꝛn Vatter am Abend hinter den Schweinen ins
Dorff herein tretten ſahen/ da rieff ihm der eine zu:
Gluͤck
[471]Romans I. Buch.
Gluͤck zu! Herꝛ Schwein-Oberſter/ blaß einmahl
ins Horn/ ſo ſolt du einen Naſenſtuͤber zum Recom-
pens haben. Mein Herꝛ Vatter wolte ſolches quaſi
nicht verſtehen/ darauf ritte einer zu ihm/ und ſchlug
ihn mit der Karbatſche um die Ohren. Mein Herꝛ
Vatter warff ihm den krummen Schweinſtock mit
aller Macht in die Ribben/ und ſprach: Du Hunds-
Vogt ſolt wiſſen/ daß ich wol ehe ein beſſerer Kerl im
Feld geweſen/ als du jetzo biſt/ haſt du nun ſo viel Cou-
rage im Leib/ als Worte im Maul/ ſo halt ein wenig
ſtill/ ich wil dir etwas zeigen/ darbey du erkennen ſolt/
was dir vor dieſe Muͤhe zu Lohn gebuͤhret. Hiermit
lieff er eylends nach ſeinem Kaͤm̃erlein/ holete ſeine Pi-
ſtolen/ die er noch auß dem Krieg her uͤbrig behalten/
lud ſie/ und ſprang zu dem/ der ihn geſchlagen hatte/
derſelbe meynete/ er wolle ihn vexiren/ aber mein Herꝛ
Vatter loͤſete eine Piſtol auf ihn/ und ſchoß ihn dar-
meder/ wie einen Hund/ daß er zur Erden ſiel/ wie
etwa ein Dieb nach zerriſſenem Strick vom Galgen
faͤlle/ oder/ wie ich dieſes Glaß koͤnte auf den Boden
werffen/ wann ich wolte.
Als er dieſes ſagete/ ſprung er hinzu/ und nahm
ein groſſes Glaß Wein vor Cerebacchio hinweg/ ſetz-
te es an die Lippen/ und zog es auf einmahl hinein/
darauf wiſchete er das Maul/ holete Athem/ und
ſprach: Wiſſet ihr nicht/ meine Herren? Trincken
wir Wein/ ſo beſcheeret GOtt Wein/ je mehr man
auf den Stock geuſſt/ je mehr er aufſcheuſſt. Wie
waͤre der Bauer von Saltzburg ſo ein groſſes Haͤnß-
lein worden/ wann er ſeine Mutter nicht faſt arm an
Milch geſoffen haͤtte? Wo waͤre Hercules geblieben/
wann er nicht vor Durſt offt auß dem Bach/ darauf
er gefahren/ wie ein Hund geſchlappet haͤtte? Wie
haͤtte der Kaͤmpffer Milo von Crotone einen gantzen
G g 4Ochſen
[472]Deß Academiſchen
Ochſen auf den Achſeln tragen/ und wie ein Raquet-
lein in die Hoͤhe werffen moͤgen/ wann er nicht auch
offt fette Suppen von Ochſen-Fleiſch vorher zur
Gnuͤge gekoſtet/ wie unſer Cerebacchius? Wie koͤn-
ten die Pommeriſche Schweine ſo fett werden/ daß
ihnen die Maͤuſe in den Speck bey lebendigem Leibe
niſten/ wann ſie nicht ſtaͤts im Trog laͤgen? Madentes
fungos faciunt fungi quoque fungos, Aber/ ich habe
meinen Durſt ſchon in etwas geloͤſchet/ ſonſt haͤtte
mir das Uhrwerck meiner Zungen lahm werden muͤſ-
ſen. Darum in orbitam, ich fahre fort/ wo ich es ge-
laſſen habe. Als mein Herꝛ Vatter dieſem Reuter
feine Karbatſchen-Streiche bezahlet/ ſchoſſe er die
andere Piſtol in die Lufft/ und eylete nach einem
Maͤyntziſchen Kloſter/ ſo nicht weit vom Dorff lag/
daſelbſt war er ſicher/ ſonſt haͤtte man ihm einen
ſchlechten Proceſs machen doͤrffen. Er begab ſich zu
der Roͤmiſch-Catholiſchen Religion, und ward vor
einen Kuͤchen-Diener im Kloſter angenommen/ bey
welchen fetten Bißlein er ſich dermaſſen wol befand/
daß er wuͤnſchete/ er waͤre ſein Lebtage ein Kloſter-
Kuͤchen-Bedienter/ und nimmer ein Schulmeiſter/
ein Gaͤnſe-Hirt/ ein Kuh-Meiſter oder ein Schwein-
Commendant geweſen/ ſo wol gefiele ihm dieſer
Stand.
Er lebete in dieſem Kloſter 8. Jahr/ und ward
darinn ſo fett/ wie eine Kloſter-Katz/ nach dieſer Zeit
ward er gar nach Maͤyntz in ein Kloſter befoͤrdert/ all-
wo er vor Kuͤchen-Knecht auch 6. Jahr dienete/ und
wie darauf ein gelehrter Muͤnch nach dem koͤſtlichen
Kloſter zu Ortranto in Jtalien beruffen ward/ bere-
dete dieſer meinen Herꝛn Vatter/ daß er ihm zu Ge-
ſellſchafft mit gieng. Hieſelbſt bekam er die Aufſicht
uͤber den Kuͤchen-Garten/ und nachdem er ſich allda
10. Jahr
[473]Romans I. Buch.
10. Jahr aufgehalten/ verheyrathete er ſich auf An-
halten deß Kloſter-Abts/ (weiß nicht was denſelben
darzu mag bewogen haben/) an eine huͤbſche Land-
Dirne/ ohnerachtet er ſchon ein Mann von 56. Jah-
ren war. Mit dieſer meiner Mutter hat er mich ge-
zeuget/ und muß wol etwas ſonderliches in mir ſte-
cken/ inmaſſen mich meine Mutter nach dem Beyla-
ger nicht laͤnger als 3. Monat getragen hat. Was
zu einer fleiſſigen Auferziehung ihres Soͤhnleins ge-
dienet/ daran hat mein Herꝛ Vatter nichts erſparet.
Er hat mich bey Zeiten in die Schule geſandt/ und
wolte mit Gewalt ein rechtes Candelabrum Patriæ
von mir machen. Als ich das 9. Jahr meines Alters
hinter mich geleget/ ſchaffete er mir einen Privat-Præ-
ceptorem, welcher war ein Sophiſtiſcher Super-Magi-
ſter, Signor Trubald Holofernes genannt/ der mich
ſein Namen-Buͤchlein/ ſein A B C-Taͤfelein/ das
groſſe Lehrbrett/ womit Hercules ſeinen groſſen Lehr-
meiſter Trismegiſtum todt geſchlagen/ gar bald leh-
rete/ daß ich es hinter und vor mich leſen kunte/ wie die
Saͤgemuͤller. Jn dieſer Arbeit brachte ich 3. Jahr und
5. Monat zu/ darauf lehrete er mich den Donat, den
Facet, Theodolet und Alanum in Parabolis, wormit
ich 4. Jahr/ 4. Monat und 14. Tage zubrachte. Dann
wer reden wil lernen/ muß vorhero ſtammlen/ juxta
illud: minorans ſe majorabitur. Er hat mich darnach
die H. Schrifft ſchreiben lernen/ wie deren Exempel
etliche Lazius und Goropius zeigen. Zu dem Ende
trug ich allwege ein groſſes Schreibzeug und Pennal/
welches ſo ſchwer war/ daß ich darvon annoch dieſe
Stunde nach der einen Seiten etwas zu hincken
pflege.
Endlich erlernete ich eine ſchoͤne Nomenclatur,
wordurch ich die fuͤrnehmſte und ſchwereſte Woͤrter
G g 5in
[474]Deß Academiſchen
in Latein zu geben wuſte/ nemlich Slera Slicida, heiſſet
ein Hafenreff/ Bracus, ein Bruch/ Vilwundus, ein
Hackbret/ Vilhelmus, ein Strohſack/ Vilrincus, ein
Pantzer/ Stercus, ein Kuͤſſen/ Anus, ein Lecker/ Forni-
cator, ein Ofenſchierer/ Biszinkus, eine Ofen-Gabel/
Lobium, ein Laͤib-Brod/ Obſenogarus, ein Linſenge-
ruͤchte/ Sufflabulum, ein Blaß-Balg/ Suppedanium,
eine Fußbanck/ Stercorium, ein geheim Cabinet, Sorſi-
cetum, ein Mauß-Loch/ Scutellarium, ein Schuͤſſel-
Korb/ Porciſetum, ein Schwein-Stall/ Pullarium,
ein Huͤner-Korb/ Poſtcras, Ubermorgen/ Pomarium,
ein Aepffelmuß/ Offagium, eine Eyer-Suppe/ Maſti-
gare, Maͤſten/ Pelliparius, ein Lederbereiter/ Digiteca,
ein Fingerhut/ Leccator, ein Lecker/ Alabrare, ein Ha-
ſpel/ Antecopium, ein Vorhaupt/ Auriscalpium, ein
Ohr-Loͤffel/ Dentiscalpium, Zahnſteurer/ Berillus,
Bruͤll/ Blauipes, Blau-Fuß/ Facialis, Butzen-Antlitz/
Horipilatio, Haargrauſen/ Ovificare, Eyerlegen/
Palpo, Toͤlpel/ Caſiprodium, Kaͤß und Brodt/ Buc-
caldus, Bucking/ Burgarius, Burger/ Burgimagiſter,
Burgermeiſter/ Buriſta, Bauer/ Pœtopfodium, Holtz-
ſchuh/ Cantrifuſor, Kannengieſſer/ Carrucator, Kar-
renmann/ Emplaſtrare, Pflaſtermacher/ Cerviſianum,
Bier im Brodt geſotten/ Cerviſiana, Bierwiſch/ Chi-
rogrillus, Maͤhr-Katz/ Marcipotus, Weinkauff/ Cup-
pa, Kuff/ Stufa, Stub/ cucurbitare, ſupponiren/ gra-
cillare, kraͤhen/ Funcilare, Feuer ſchlagen/ Formipedia,
Schuhlaͤiſt/ Focariſta, Koch/ Filatiſſa, Spinnerin/
Figellator, Fideler/ Farricaptio, Meel-Kaſten/ Faba-
cium, Bohnen-Stroh/ Epicolarium, Halßgollor/
Equiſtatua, Roß-Stall/ habenare, halten/ inſellare,
ſatteln/ Lebifuſor, Keßler/ Pantaplaſta, Pfannenble-
tzer/ Culpo, Bauren-Schuh/ Stulpo, Bauren-Stie-
fel/ Naſcula, Neſtel/ Strefa, Stegreiff/ Murarius,
Mau-
[475]Romans I. Buch.
Maurer/ ſtrigilare, ſtrigeln/ Birretum, Paret/ Bibalia,
Trinck-Geld/ transgulare, verſchlinden/ Tremulus,
Tremmel/ tremulare, doͤrmeln/ Ventilugium, Wetter-
Hahn/ Ventimola, Wind-Muͤhl/ Quaſcula, Wach-
tel/ Lappa, Schuhplaͤtz/ und deßgleichen.
Weiter lernete ich auch exponiren die Collectas:
Quæſumus, die wir ſind/ Magne Præſes, groſſer Vor-
ſitzer/ ut beatus Vir, daß Sant Bott, pro nobis, fuͤr uns/
tuum auxilium, dein Elend/ imploret, beweine/ ut ab-
ſoluti, daß/ ſo wir bezahlet haben/ à noſtris reatibus,
unſern Schuldnern/ etiam exuamur, daß wir nicht
außgezogen werden/ à noſtris periculis, von unſern
Kleidern. Item, qui convertit petras in ſtagna aqua-
rum, wie woͤhrt ſich Sanct Peter mit der Stang im
Waſſer/ ꝛc. Item, die Præpoſitiones: Ad Patrem,
den Nonnen-Tag/ apud Villam, ein Bauer in der
Sonnen/ ante ædes, ein Bettler/ poſt fornacem, ein
Eſſig-Krug/ prope feneſtram, ein Schneider-Knecht/
ſine labore, ein Pfaffen-Knecht/ circa ſepem, ein Kuͤh-
fladen. Jch wuſte auch auf den Nagel quod de mo-
dis ſigniſicandi non erat ſcientia, und daß/ wo de-
fectuoſitas iſt cerebelli \& rationum, daß man daſelbſt
captivitatem rationis ſolle ein wenden/ dann Rubrum
Compoſitum, heiſſet ein Ruben-Compaß. Auch gab
mir mein Lehrmeiſter auf beyde Patres fuͤr die Tabu-
liſten und Catoniſten. Es tu Scholaris? Sum Scholaris
verè, ſi non vis credere quære. Sum, quæ pars \&c.
Woher kommt Volo? Vom Griechiſchen Wort
Benjamin, nemlich converte Ben in Vo und Jam in Lo,
und das In gieng ins Stroh. Kehre um ſum, muß/
kehre um muß/ ſum, und ein T darzu macht ſtumm.
Was biſt du vor ein Scholar? Magnus in ſenſu, parvus
in ſcientia, wie heut viel ſcientiæ, viel conſcientiæ. Es
ſcutellaris? Non, quia non lavo ſcutellas in coquina.
Es
[476]Deß Academiſchen
Es ſcandalaris, ſcamnifex, ſtratilata, follis, ein Narꝛ?
Non, dann ich heiß Troll; Biſt du ein Chriſt? Nein/
meine Mutter heiſſet Chriſtina. Wie viel ſind Voͤ-
gel im Donat? Waͤren ihrer noch ſo viel/ waren ihrer
ſechſe/ Aquila, Muſtela, Milvus. Was eſſen ſie? Waͤ-
ren ſie Gaͤuche/ ſo freſſen ſie dich/ alſo eſſen ſie nur Fru-
ctus und Species. Wo fliegen ſie hin? Ad antiquam
ſylvam, ſolches kunte ich alles/ wie ein Pater noſter,
hinter mich und vor mich.
Folgendes laß mir mein Supermagiſter das
Compoſt und Poſtcom, das Prodium Lovanienſe per
Petrum de Broda, die Formalitates Scoti cum ſupple-
mentis Bruliferi und Magiſtri Langſchneiderii Ort-
winiſtæ, die Caſus longos uͤber die Inſtituta durch den
Herꝛn Ungebung Fumiſtam. Item, das Hack-Stroh
deß Hugitionis Græciſtæ, auch pro practicatoribus in
partibus alexandriſtis de quantiſicalibus \& accentua-
libus mit der Gloſſa M. Warmſemelii curſoris artiſtæ,
ferner Petrum Hiſpanum, mit den Capulatis elucida-
toriis Magiſtri in bura montis Coloniæ regentium,
auch ſonſt parva logicalia mit dem Vademecum und
opere minore außgeleget durch den Curſor in Gram-
matica D. Daubengigelium. Dieſes alles wuſte ich ſo
richtig/ wie einen Strang Garn/ den die Maͤuſe
zerfreſſen.
Als aber dieſer mein Lehrmeiſter endlich im cli-
macteriſchen Jahr/ wie eine alte Kuh verreckete/ be-
kam ich einen alten Huſter/ mit Namen Meiſter Go-
belin von Henkzigel/ der laß mir den Hugotion, den
Flebard, Græciſmum Doctrinalem, die groͤſſere Partes,
das Quid eſt, das Supplementum, den Mam̃otrectum
de moribus in Menſa ſervandis, Senecam de quadru-
pedibus, virtutibus cardinalibus, und ſonſt noch ein
ſehr groſſes Regiſter/ wie ich euch nach der Reige er-
zehlen wil:
Parvu-
[477]Romans I. Buch.
- Parvulus Philoſophiæ Moralis mit Erklaͤrung deß
Schindengulii de Erffordia. - Grammatica Græca absque titellis per Petrum Chari-
tatis, Baccalaureum ſi vellet. - Epiſtolæ Caroli, quæ practicantur in aula Grammati-
corum contra Hæreticos in Grammmatica per
M. Panniraſoris. - Epiſtolæ epiſtoliſatæ per Scientificum Gingolfum
Scherſchleiferium. - Beſtiarum Æſopi, mit der Apotheco Carminum Bech-
lungi Lumpelini. - Die Replicationes uͤber veterem artem M. Solphi le-
ctoris qualificati in Burſaknek. - Reparationes omnium Burſarum M. Feneſtrifici.
- Gemma Gemmarum mit der Tabulatura Studentium.
- Phagis de honeſtè comedere cum biga ſalutis, inſimul
combibilata per M. Langmulum. - Die Summa Mandreſtoni mit den Moralibus Angeſti
und Logica Enzinas, ſamt den Brekenthal/ Depo-
nenthal Bontementelli \& Mollenkopſii. - Das Loquagium de Rhetorica und Cantuagium de
Muſica Morlandi Philomuli. - Die Jacobi von den Partibus, ſamt den Farolivienſi-
ſchen Commentatoren Campanatoris und Ligni-
percuſſoris, Theologiſſimorum. - Die Combibilationes Pariſienſes, zum Theil von
M.Miſtladerio, ſacræ paginæ Profeſſore geladen/
zum Theil dem Fornafice zu ſtimmen geſchmeltzet. - Der Laborint uͤber Cornutum deß M. Noſtri Bund
Schuhmacherii de Lovanio. - Curſorium Theologicum Saurbonicum mit dem Pro-
ceſſu, und Quæſtionibus veſperalibus, per Fortu-
natum Baumwuͤrdig. - Der Dialectorum Eſelsbruͤcke/ mit den Impedimentis
Alexan-
[478]Deß Academiſchen
Alexandri außgeleget magiſtralitivè per Signora-
tium Klein Ehr, de magnis Ohribus. - Lectionarius menſæ pronunciatus ad pennam de
Guytrade. - Die Praxis numerandi zur Commoditaͤt der Studen-
ten/ mit der arte punctandi, per Rogerium Gom-
putiſtam. - Das Quadratum Sapientiæ, Fœnciſcæ.
- Sophiſticalia Pariſienſia Mayeri, mit dem Florario und
Roſeto, und Summa Magiſtrucia. - Horologium Sapientiæ, ſamt dem Tonerio Muſico-
rum und Matriculario und Paſſavanto mit dem
Commento, und Dormi ſecurè auf die hohe Feſte/
und noch andere dergleichen herꝛliche und unver-
gleichliche Tractaten.
Darvon ich alſo geſchickt ward/ daß mein Herꝛ Vat-
ter groſſe Freude daran hatte/ inmaſſen man dann
keine groͤſſere Freude find/ als allezeit Boͤſes ſeyn zu
lernen geſinnt/ zu eſſen und trincken geſchwind/ zu un-
verſchaͤmten Sachen ein Kind/ in der Ehe blind/ und
daß man den Grind kratze fein lind/ und wo man
nicht ſchaben kan/ daß man ſchind/ und wo man nicht
acht das Bannen/ daß man bind/ und was man nicht
kaͤuen kan/ daß man verſchlind.
Hiermit endigte Troll ſeinen Diſcurs, welchen er
noch weiter continuiret haͤtte/ wann ſein Herꝛ ihm
nicht einen Winck gegeben haͤtte/ daß er einmahl zu
reden aufhoͤren moͤchte/ dann die anweſende Gaͤſte
kunten ihm vor herzlichem Lachen nicht mehr zu hoͤren.
Er nahm demnach einen groſſen Becher vor dem Ce-
rebacchio hinweg/ leerete ihn auß/ und nach dem er ihn
wieder voll geſchencket/ uͤberreichte er ihn dem Rectori
Magnifico, der ihn auch willig annahm/ und auf
ſeines Printzen gute Geſundheit ſaͤu-
berlich außleerete.
Das
[479]Romans I. Buch.
Das XLI. Capitul/
Ein Teutſcher Student diſcurriret/ wie die Studenten auf
den alten Academien ſich nach den 4. Facultaͤten ſehr ruͤhmlich und wol
verhalten haben.
DArauf ward eine Zeitlang herum getruncken/
und diſcurrirte man von allerhand Sachen/
biß ſich der Podeſtà einsmahls umſahe/ und
nachdem er den Cavina, Klingenfeld/ Cerebacchium
und Venereum nach einander betrachtet/ ſprach er:
Jhr habt doch/ mein Printz/ eine außerleſene Com-
pagnie von Studenten in eurer Geſellſchafft/ der eine
iſt ein Debouchant im Freſſen und Sauffen/ der An-
dere im Courtiſiren/ der Dritte iſt fleiſſig uͤber den
Buͤchern/ und der Vierdte hat ſeine groͤſte Luſt dar-
an/ wann er ſich mit einem herum ſchlagen mag/ das
ſind mir warlich 4. ſonderlich-geartete Leute/ man
koͤnte ſie nach den 4. Facultaͤten eintheilen; Aber/
Monſieur, ſprach er zum Vorſteher der Teutſchen
Nation, lebet man auf allen Teutſchen Academien
alſo? Freylich Ja/ war deſſen Antwort/ und was
man zu Padua, Bononien und anderweit findet/ das
darff man in Teutſchland auch nicht lang ſuchen/
eben ſo wenig/ als in Schweden/ Pohlen/ Daͤnne-
marck/ Niederland/ Norwegen/ Franckreich und
Spanien/ man trifft allenthalben auf ſolchen Aca-
demien dieſe 4. Facultaͤten an/ daß nemlich unter den
Studenten etliche auf Freſſen und Sauffen/ andere
auf Courtoiſiren/ andere auf Fechten und Balgen/
andere auf Studiren/ ja etliche auch bloß auf das
Pflaſtertretten und Hoffarth ſich legen. Vor Zeiten
aber war es gantz anders beſchaffen mit den 4. Facul-
taͤten/ die Studenten hielten ſich Chriſtlich und Tu-
gendlich darinn/ als rechtſchaffenen Leuten gebuͤhret/
und deßwegen wurden ſie auch von Jedermann ge-
liebet
[480]Deß Academiſchen
liebet und hochgehalten; Jch beluſtige mich recht-
ſchaffen an den Worten Bileams/ welcher das ge-
waltige Heer-Lager der Jſraeliten vom Berg Peor
ſahe/ und ſagte: Wie fein ſind deine Huͤtten Jacob/
und deine Wohnungen Jſrael? Wie ſich die Baͤche
außbreiten/ wie die Gaͤrten an den Waſſern/ wie die
Huͤtten/ die der HErꝛ pflantzet/ wie die Cedern an den
Waſſern. Es wird Waſſer auß ſeinem Eymer flieſſen/
und ſein Saame wird ein groß Waſſer werden Sein
Koͤnig wird hoͤher werden/ dann Agag/ und ſein Reich
wird ſich erheben. GOtt hat ihn auß Egypten gefuͤh-
ret/ ſeine Freudigkeit iſt wie eines Einhorns. Er wird
die Heyden/ ſeine Verfolger/ freſſen/ und ihre Gebei-
ne zumalmen/ und mit ſeinen Pfeilen zuſchmettern.
Er hat ſich niedergeleget/ wie ein Loͤw/ und wie ein
junger Loͤw/ wer wil ſich wider ihn aufiehnen? Ge-
ſegnet ſey/ der dich ſegnet/ und verflucht ſey/ der dir
flucht.
Meines Erachtens waͤren dieſe Worte wol
werth/ daß man ſie von den alten Univerſitaͤten wi-
derhole/ nach dem die Griechen in finſtere und haͤßliche
Barbarey gerathen. Dann/ wie fein ſind doch dazu-
mahl geweſen eure Huͤtten/ O ihr Jacobitiſchen
Univerſitaͤten/ und eure Wohnungen/ O ihr Jſraeli-
tiſche Academien in Jtalien/ Franckreich/ Spanien/
Engelland und Teutſchland. Wie ſich die Baͤche
außbreiten/ wie die Gaͤrten an den Waſſern/ wie die
Huͤtten/ die der HErꝛ pflantzet/ wie die Cedern an den
Waſſern. Jhr ſeyd wie die Baͤche/ die ſich außbrei-
ten/ aber außbreiten und voller Stroͤhme ſchuͤtten
uͤber die Kirchen/ und uͤber die Gemeinden/ uͤber die
Monarchien/ Koͤnigreiche/ Laͤnder und Voͤlcker/ uͤber
gantze Regimenter/ Staͤdte/ Staͤm̃e und Geſchlech-
te. Jhr ſeyd/ wie die Gaͤrten an den Waſſern/ immer-
dar
[481]Romans I. Buch.
dar in ordentlicher Zierlichkeit/ gruͤner Schoͤnheit/
umſchattet mit der Ruhe und Lieblichkeit/ in ſtaͤter
Fuͤlle und Fruchtbarkeit. Jhr ſeyd wie die Huͤtten/
die der HERR dem Abraham/ Jſaac und Jacob ge-
pflantzet/ und in welcher die groſſen Patriarchen ge-
leſen/ gediſputiret/ geprediger/ und ihre Schulen ge-
halten haben. Jhr ſeyd wie die Cedern an den Waſ-
ſern/ dann in euch prangen die Schrifftgelehrten/
Weiſen und Prophetiſche Maͤnner. Es wird Waſ-
ſer flieſſen auß eurem Moſaiſchen und Aaroniſchen
Eymer/ Waſſer der Kuͤnſten/ Wiſſenſchaſften/
Sprachen und Sitten/ und euer Saame muß ein
groß Waſſer werden/ groͤſſer als der Nil in Egy-
pten/ der Tyger in Babylonien/ und ſich in alle Theil
der Welt verlauffen. Euer Koͤnig/ den ihr regieret/
wird hoͤher werden/ dann der Toͤlpiſche und der Vie-
hiſche/ und ſein Reich wird ſich erheben.
GOTT hat euch auß dem ungeſchickten und
dunckein Egypten gefuͤhret/ eure Frendigkeit iſt wie
deß Einhorns/ welches ſich nimmer laͤſſet fahen/ an
die Krippe hefften/ und unter das Joch knuͤpffen;
Alſo iſt eure Freyheit/ die edle Freyheit/ die theure
Freyheit/ die laͤſſet ſich nimmermehr fahen/ an die
Krippe hefften/ und unter das Joch knuͤpffen. Jhr
werdet die Heyden/ eure Verfolger/ freſſen/ und ihre
Gebeine zermalmen/ und mit euren Pfeilen zer-
ſchmettern/ keiner darff ſich an euch ohne Schaden
und Schanden machen. Er muß Schaden leyden
in dem Leben/ und Schande nach dem Tod. Jhr
habt euch niedergeleget/ wie die Loͤwen/ und eure
Soͤhne umher/ wie die jungen Loͤwen. Liget ihr alſo/
wer wil ſich wider euch aufmachen? Geſegnet iſt/
der euch ſegnet/ und verflucht/ der euch fluchet.
Dieſes gewaltige Lob geſchicht billich den alten
H hUniver-
[482]Deß Academiſchen
Univerſitaͤten/ bey denen die Studenten nicht nur
ins gemein an dem Leben ehrlich/ ſondern auch nach
den Schulen vernuͤnfftiglich ihren Lauff vollfuͤhret
haben. Zwar ich bekenne/ ſolche Stuͤcke werden
heut zu Tage mit Eyfer geſucht und getrieben in den
Buͤchern der Catholiſchen Scribenten/ fuͤrnemlich
der Jeſuiten/ aber es iſt unlaͤugbar/ ſie ſind nicht
neulich erfunden/ ſondern auß den Uhr-alten Kloͤ-
ſtern und Domſtifftern/ als ſie noch Schulen waren/
hinterſtellig geblieben. Etliche wollen von den Kloͤ-
ſtern und Stifften verlaͤugnen/ daß ſolche weyland
Schulen geweſen/ aber worzu dienet dieſer Zanck?
Wie haben dann die Studenten nach den 4. Facultaͤ-
ten ſich damahls erzeiget? Sie bildeten ihnen wol
fuͤr die Rede deß Apoſtels/ welcher ſpricht: Danck-
ſaget dem Vatter/ der uns tuͤchtig gemacht hat zu
dem Erbtheil der Heiligen im Liecht. Und hiermit er-
kannten ſie ihren Beruff zu den Him̃liſchen Studien.
Zum Andern/ weil ſie wuſten/ es waͤren unterſchied-
liche Gaben GOttes/ nach den Worten Pauli: Es
ſind mancherley Gaben/ aber es iſt ein Herꝛ/ und ſind
mancherley Kraͤfften/ aber es iſt ein GOtt/ der da
wuͤrcket alles in allem. Jn einem Jeglichen erzeigen
ſich die Gaben deß Geiſtes zum gemeinen Nutzen.
Einem wird gegeben durch den Geiſt zu reden von
der Weißheit/ dem andern wird gegeben zu reden
durch den Geiſt von der Erkaͤnntnuͤß nach demſelbi-
gen Geiſt. Einem andern der Glaube in demſelbigen
Geiſt. Einem andern die Gabe geſund zu machen in
demſelbigen Geiſt. Einem andern Wunder zu thun.
Einem andern Weiſſagungen. Einem andern Geiſter
zu unterſcheiden. Einem andern mancherley Spra-
chen. Einem andern die Sprachen außzulegen. Diß
aber alles wuͤrcket derſelbe einige Geiſt/ und theilet
einem
[483]Romans I. Buch.
einem Jeglichen ſeines zu/ nach dem er wil. Sie wu-
ſten/ ſage ich/ es waͤren unterſchiedliche Gaben zum
gemeinen Nutzen. Einem wurde gegeben durch den
Heiligen Geiſt zu reden von der Weißheit/ von der
verborgenen Weißheit/ ſo kein Ohr gehoͤret/ kein Aug
geſehen/ die auch in keines Menſchen Hertz durch die
Gnade der Natur kommen iſt. Einem andern die
Gabe kraͤfftiglichen zu vermahnen/ zu troͤſten/ und zu
ſtraffen. Einem andern wurde gegeben durch den
Heiligen Geiſt zu reden von der Erkaͤnntnuͤß/ daß er
geſchickter Weiſe koͤnne gruͤndlich auß den Schriff-
ten von den hohen Geheimnuͤſſen und Glaubens-
Artickeln handeln und lehren. Einem andern wurde
gegeben der Glaube/ nemlich der Glaube Wunder-
Werck zu thun/ die Krancken zu heilen/ die Todten zu
erwecken/ und die Felſen zu verſetzen/ welche Gabe
zwar laͤngſt auf gehoͤret/ und zur Zeit deß Chryſoſto-
mus nicht mehr geweſen; Aber/ an deſſen Stelle hat
GOtt geſetzet andere Gaben/ die Blinden in Jrꝛthuͤ-
men ſehend zu machen/ die Lahmen in den Verſto-
ckungen wie die Hirſche laͤuffig/ in der Buſſe hitzig/
nach dem Gnaden-Brunnen durſtig und eyferig zu
machen/ die Gichtbruͤchtigen in den guten Wercken
zu denſelbigen thaͤtig zu machen/ die Tauben zu dem
Geſetze und Evangelium hoͤrend zu machen/ auch die
Todten in der Verzweiffelung lebendig zu machen/
und dergeſtalt die ſchweren Felſen auß der Verdam̃-
nuͤß in den Himmel zu ſetzen. Ebenfalls richtete ſich
ein Jeglicher nach dem/ welches ihm GOtt entweder
in dem Leibe der Mutter angebildet/ oder von oben
herab eingegoſſen hatte/ und beſpiegelte ſich tieff in
ſeinen Gaben.
Wann der Student die freyen Kuͤnſte und
Sprachen geendet hatte/ berathſchlagete er ſich mit
H h 2ſeiner
[484]Deß Academiſchen
ſeiner Seelen/ zu welchem Stand/ dem Geiſtlichen
oder Weltlichen/ er ſich wenden ſolte? Derenthalben
ſtellete er ihm dar die Theologie, die Juriſterey/ die
Artzney/ die Philoſophie, und betrachtete im Schweiß
deß Angeſichts den maͤchtigen Nutzen/ der zu ſchaf-
fen/ und die grauſame Gefahr/ die/ wo Jemand darzu
nicht geartet/ zu erwarten.
Zu der Philoſophie gehoͤre die Wonne zu dich-
ten/ die Lieblichkeit zu reden/ die Suͤſſigkeit zu ſingen/
die Scharffſinnigkeit zu diſputiren/ die Liſtigkeit zu
erforſchen/ die redliche Verſchlagenheit zu ergruͤnden/
die Einſamkeit außzudauren. Wer die Stuͤcke an
ihm nicht findet/ und wil ſich an die Philoſophie ma-
chen/ was beginnet der Thor?
Zu der Artzney gehoͤre eine richtige Lehre/ lange
Erfahrenheit/ zierliche Geſpraͤchlichkeit/ angebohrne
Klugheit/ wach ſame und nuͤchtere Behutſamkeit/ un-
verdroſſene Fleiſſigkeit/ treue Freundlichkeit/ gewiſ-
ſenhaffte Vorſichtigkeit/ Gottsfoͤrchtige Froͤmmig-
keit/ und in ſchweren Faͤllen unerſchrockene Freudig-
keit. Sonſten koͤñe er wol zum Verletzer der Geſund-
heit/ und gar zum Moͤrder/ auch zu einem Tyrannen
uͤber Wittwen und Waͤyſen/ uͤber Laͤnder/ Staͤdte
und Flecken werden/ und einen ewigen Fluch uͤber ſich
und ſeine Seele bringen/ zumahl/ wo er vornehme/
gefaͤhrliche und nothleydende Menſchen ohne Gebet/
Seuffzen und Flehen angienge/ und dardurch ſein
Gewiſſen nicht allein betruͤbte/ ſondern auch gar mit
einem hoͤlliſchen Schwefel-Brandt anſteckete.
Jn der Juriſterey waͤren Regenten/ Schoͤpffen/
Raͤthe/ Advocaten/ Procuratores, Notarien/ und koͤn-
ten mit unſterblichem Lob gantzen Voͤlckern/ Zungen/
Fuͤrſtenthuͤmern und Herꝛſchafften dienen/ die Ge-
rechtigkeit befoͤrdern/ die Boßheit verhindern/ die
Tugend
[485]Romans I. Buch.
Tugend belohnen/ die Laſter beſtraffen. Dargegen
koͤnne geſchehen und leichtlich geſchehen/ daß ihnen
ihr Gewiſſen Angel-weit eroͤffnet wuͤrde/ und durch
ſolches die grauſamſten Laſter/ aber ohne Vorbewuſt/
einſchleichen. Wie bald uͤbereylete Jemand ſich ſelb-
ſten/ nehme wiſſentlich auf ungerechte Sachen/ voll-
fuͤhrete lange Zeit den Rechts-Krieg/ merckete unter-
deſſen auß dem Proceſs, was zu verthaͤdigen waͤre/
wider die klare Juſtitz/ verbergete doch dieſes ſeinen
Clienten/ damit das Geld deſto reichlicher eintrage.
Es koͤnne bald geſchehen/ daß Jemand ſeiner Par-
they einen falſchen Wahn vorbilde/ und zu dem
Meineyd beſchwaͤtze. Es koͤnne bald geſchehen/ daß
Jemand ſich zu denen geſelle/ die ſolche Stuͤcke trei-
ben/ oder wofern er anfaͤhet ſolche Stuͤcke ſelbſt zu
treiben/ andere zu ſich reitze und locke/ und die
ſchroͤckliche Suͤnde kraͤfftiglich vermehre. Es koͤn-
ne bald geſchehen/ daß Jemand Anleitung gebe/
und heilloſe Urtheile/ ſo wol in Leibs- und Lebens-
Sachen/ als in Buͤrgerlichen Strittigkeiten geſpro-
chen/ das Gegentheil wider GOtt und Recht aller
Guͤter beraubet/ und in das aͤuſſerſte Elend geſtuͤrtzet/
er aber/ ſamt ſeiner armen Seelen/ zur ewigen Wie-
derſtattung/ was dieſen oder jenen durch ihn unbil-
licher Weiſe entzogen und genom̃en/ von dem Thron
JEſu verbunden werde.
Jn der Theologie waͤren Biſchoͤffe/ Prediger/
Beichtiger; Wenig gelangen zur Biſchoͤfflichen
Wuͤrde/ viel zu den zweyen andern; Aber an allen
Orten blicketen/ ja blitzeten ſolche Gefaͤhrlichkeiten/
daß der Verſtaͤndige mit beſſerer Entſchuldigung
weiter darvon weichen und fliehen durfſte/ als die
Jſraeliten ab der Ebene deß Bergs Sinai. Was
haͤtten doch ſolche Leute zu verwahren? Nicht ver-
H h 3gaͤng-
[486]Deß Academiſchen
gaͤngliche/ ſondern unſterbliche Seelen; Nicht nur
ihre/ ſondern auch anderer Menſchen/ nicht in
ziemliche/ ſondern groſſe Menge. Es ſey ge-
ſchwind geſchehen/ daß Jemand Aergernuͤß gebe/
wo nicht im Leben/ doch in der Lehre; Wo nicht in
der Lehre/ doch in dem Leben; Es ſey geſchwinde ge-
ſchehen/ daß Jemand abmahne/ da er warnen ſolte;
Daß Jemand ſchelte/ da er troͤſten ſolte; Daß Je-
mand widerlege/ den er ſtaͤrcken ſolte; Daß Jemand
ſtaͤrcke/ den er widerlegen ſolte; Daß Jemand troͤſte/
den er ſchelten ſolte; Daß Jemand warne/ den er ab-
mohnen ſolte. Jn Summa/ die Stuͤcke waͤren in
keine Summ zu bringen/ wie auch warhafftig.
SChauet/ ihr Studenten/ das thaͤten eure Vorfabren? Sie
betrachteten die Wichtigkeit bey ſich ſelbflen/ und befrage-
ten ehrliche/ redliche/ gelehrte/ beſcheidene/ Gottsfuͤrchtige/ er-
fahrne und Chriſtliche Maͤnner in der Theologey/ Juri[ſt]erey/
Artzeney/ Philoſophey. Sonderlich aber/ wann ihnen geliebete
in den Geiſtlichen Stand zu tretten/ ſi[n]temahl fuͤr dem auch die
Schultern der Engeln zittern/ und erbeben ſolten. Am meiſten
aber frageten ſie den HERRN/ nach dem Exempel David/
nicht einmahl ſondern ofſtmabl: Soll ich hingehen zu der
Theologey/ Juriſterey/ Artzeney/ Phioſophey?
Da gienge es an das Gebett: O HErꝛ/ mein GOTT!
auß unmeßlicher Guͤtigkeit baſt du mich erſchaffen/ und weiß
doch/ daß mir tauſend mahl beſſer waͤre/ wo ich nicht geboren
worden/ wann ich in der Pilgrimſchafft dieſer Welt/ auf dem
wuͤſten/ unbauſamen und ſumpffigen Wege wallen/ und von
deiner Herꝛlichkeit abirren ſolte. O du Liecht/ das alles erleuch-
tet! O du Weg/ der alles leitet! O du Warheit/ die alles be-
richtet! O du Leben/ das alles erfreuet! wohin muß ich gehen/
daß ich zu dir/ meinem Hirten/ komme? Nun HERR/ mein
GOTT! Jch bin ein kleiner Knabe/ weiß weder meinen Ein-
gang/ noch Außgang. Es ſeyn viel Wege/ es ſeyn viel Steige/
es ſeynd viel Staͤnde/ mich darff beduncken/ dieſer oder jener waͤ-
re gut fuͤr meine Seele/ und kan der Leib/ neben der Seelen dar-
auf in die Hoͤllen ſincken. Darum weiſe mir HERR/ deinen
Weg/ daß ich wandele in deiner Warheit/ erhalte mein Hertz
bey dem Einigen/ daß ich deinen Namen fuͤrchte.
Jch
[487]Romans I. Buch.
Jch wil dancken dir/ HERR mein GOTT/ von gantzem
Hertzen und ehren deinen Namen ewiglich. Dann/ deine Guͤte
wird groß ſeyn uͤber mir/ und du wirſt meine Seele erretten/
auß der tieffen Hoͤllen. GOTT/ es werden ſich ſetzen die Stoltzen
wider mich/ und der Hauff der Tyrannen wird mir ſteben nach
meiner Seelen/ dann ſie haben dich nicht vor Augen. Du aber/
HErꝛ GOtt/ biſt barmhertzig und gnaͤdig/ guͤtig und von groſſer
Guͤte und Treue. Wende dich zu mir/ ſey mir gnaͤdig/ ſtaͤrcke
deinen Knecht mit deiner Macht/ und hilff dem Sohn deiner
Magd. Thue ein Zeichen an mir/ daß mirs wol gehe/ daß es
ſehen/ die mich haſſen/ und ſich ſchamen muͤffen/ daß du mir bey-
ſteheſt/ HERR/ und troͤfteſt mich.
Ja/ [fr]omme Studenten haben den Leib cafteyet/ gefaſtet/
und ohne Ruhe daruͤber geflehet/ um ſeligen Eingang/ Fort-
gang und Außgang/ in der feſten Zuverſicht/ waͤre der Stand
ſchwer/ ſo waͤre GOtt kraͤfftig; Waͤre der Stand gering und
arm/ ſo waͤre GOtt hoch und reich; Waͤre der Stand muͤhe-
ſam ſo waͤre GOtt maͤchtig/ und zu helffen erboͤthig.
So bald ein gewiſſer Vorſatz gefaſſet/ bedancketen fromme
Studenten dem Schoͤpffer/ dem Erloͤſer/ dem Heiliger/ der das
Hertz vaͤtterlich/ bruͤderlich und freundlich geruͤhret haͤtte. Die
Studenten der Theologey ſtaͤrcketen ſich von Tag zu Tag wider
den kuͤnfftigen Spott/ die kuͤnfftige Verachtung/ die kuͤnfftige
Noth/ die kuͤnfftige Anfechtung/ die kuͤnfftige Verfolgung. An-
dere Studenten ſtaͤrcketen ſich wider die kuͤnfftige Wolluſt/ den
kuͤnfftigen Hoffart/ den kuͤnfftigen Uberfluß/ die kuͤnfftige Ehre/
den kuͤnfftigen Neyd/ den kuͤnfftigen Haß/ den kuͤnfftigen Muͤſ-
ſiggang/ den kuͤnfftigen Geitz/ die kuͤnfftige Schmeichelung/ die
kuͤnfftige Trunckenheit/ die kuͤnfftige Begierden/ weil ſie wuſten/
ſie wuͤrden zu beſtimmter Zeit von dieſen ſaubern Stuͤcken an-
gefeindet werden.
Es wil nicht ſeyn/ außfuͤhrlich von allen zu reden. Der
Studenten der Theologey muͤſſen wir kuͤrtzlich gedencken/ und
derſelben inbruͤnſtiges Anklopffen auß den Pſalmen: Jch habe
den Weg der Warbeit erwaͤhlet/ deine Rechte habe ich fuͤr mich
geſtellet. Jch hange an deinen Zeugnuͤffen/ HERR/ laß mich
nicht zu ſchanden werden. Wann du mein Hertz troͤſteſt/ ſo lauffe
ich den Weg deiner Gebott. Zeige mir HERR den Weg deiner
Rechte/ daß ich ſie bewahre/ biß ans Ende. Unterweiſe mich/ daß
ich bewahre dein Geſetze/ und halte es von gantzem Hertzen.
Fuͤhre mich auf dem Steige deiner Gebott/ dann ich habe Luſt
H h 4darzu.
[488]Deß Academiſchen
darzu. O/ wolte GOtt! daß alle Studenten dieſen Pſalm
nimmermehr auß den Haͤnden legeten/ und ſich ihres Beruffs
wol erinnerten/ er wuͤrde ihnen nichts Boͤſes rathen.
Naͤchſt dieſen laſen die alten und redlichen Studenten der
Theologey die Bibel/ ſaͤuberten aber zuvor ihre Lippen von heß-
lichen Reden/ ihre Hertzen von wilden Gedancken/ und ihren
Willen von falſchen Vorſchlaͤgen/ ihre Ohren von erdichteten
Lobſpruͤchen/ und ihre Seelen von heuchleriſcher Gleißnerey.
Sie bemuͤheten ſich in den Sprachen der Hebreiſchen und Grie-
chiſchen/ in den Hiſtorien oder Geſchichten/ in den freyen Kuͤn-
ſten und Wiſſenſchafften; Sie bemuͤheten ſich/ etwas Tapfferes
zu leyden/ und in dem Leyden zu erfahren; Sie bemuͤheten und
gewoͤhneten ſich zu aͤuſſerſter Demuth/ ſintemahl der Stoltz den
Origenes in manche Ungelegenheit/ den Arrius, Neſtorius, Mon-
tanus, und dergleichen in ſchnoͤde Ketzereyen geworffen/ auch den
Nicolaus ſelbſten/ der einer unter den erſten 7. Diaconen zu Je-
ruſalem geweſen/ verſtoſſen haͤtte.
Sie bemuͤheten und gewoͤhneten ſich/ GOttes Wort ohne
Betrug zu lehren/ und dann erſtlich auß ungefaͤrbeter Liebe
GOttes ein reines/ auch nicht im Geringſten angeſtrichenes
Vornehmen zu behalten. Jm Creutz und Jammer ohne Mur-
ren und Bellen zu verharren/ und mit ihrem Exempel dem Volck
vorzuleuchten. Dann ſie wuſten/ was geſchrieben ſtunde: Waͤ-
ret ihr von der Welt/ ſo haͤtte die Welt das Jhre lieb/ dieweil ihr
aber nicht von der Welt ſeyd/ ſondern ich habe euch von der Welt
erwaͤhlet/ darum haſſet euch die Welt. Gedencket an meine
Wort/ daß ich euch geſaget habe: Der Knecht iſt nicht groͤſſer/
dann ſein Herꝛ Haben ſie mich verfolget/ ſie werden euch auch
verfolgen. Haben ſie meine Wort gehalten/ ſie werden eure
auch halten. Jtem: Gehet hin/ ſiehe! Jch ſende euch/ wie die
Laͤmmer unter die Woͤlffe. Zum Andern: Auß H. End-Ur-
ſachen/ die Seelen zu gewinnen/ deß Teufels Tyranney zu ver-
hindern/ und das Himmelreich zu vermehren. Sie bemuͤheten
und gewoͤhneten ſich zu ſtaͤtigen Betrachtungen der hoben Ge-
beimnuͤſſen/ und anderer mehrern Dingen.
Wann aber vor deſſen es dergeſtalt hergangen/ wie wer-
den wir beſtehen am Juͤngſten Gerichte? Weil heutiges Tages
ein Jeglicher hinein auf die Facultaͤten plumpet/ wie der Bauer
in die Stieffel. Weil ein Jeder blinder Weiſe dort bey Jenem/
da bey dieſem wuͤhlet/ unterdeſſen nicht einmahl die Wichtigkeit
der Sachen beſinnet. Wo geſchicht doch dieſes bey jetzigen Chti-
ſten? jetzigen Studenten? jetzigen Univerſitaͤten?
Wann
[489]Romans I. Buch.
Wann auch die Alten ihre von Natur am beſten beſchaffene
Kinder fuͤr ſich ſelbſten/ zu der Theologey verlobet/ verſchicket
und geweyhet/ wie werden es die jetzigen Chriſten/ die jetzigen El-
tern/ die jetzigen Freunde/ bie jetzigen Pfleger/ die jetzigen Stu-
denten verantworten/ daß ſie die Faͤuleſten/ die Alberſten/ die
Toͤlpiſchten/ die Groͤbeſten am Geſicht/ Gehoͤr/ Gliedern/ Zun-
gen/ Gedaͤchtnuͤß/ breſthafftigſten und langſamſten Thoren zu
der Theologey ſtoſſen/ werffen/ ziehen/ treiben/ zwingen? Wir
machen es wie die Juden/ von denen bey den Propheten; Die
fraſſen das Beſte/ und orfferten das Boͤſte. Alſo lauten die
Worte: Ein Sohn ſoll ſeinen Vatter ehren/ und ein Knecht ſei-
nen Herꝛn. Bin ich nun Vatter/ wo iſt dann meine Ehre?
Bin ich der HERR/ wo fuͤrchtet man mich? ſpricht der HErꝛ
Zebaoth zu euch Prieſtern/ die meinen Namen verachten. So
ſprecht ihr: Womit verachten wir deinen Namen? Darmit/
daß ihr opffert auf meinem Altar unrein Brodt. So ſprecht
ihr: Womit opffern wir dir Unreines? Damit/ daß ihr ſaget:
Deß HErꝛn Tiſch iſt veracht. Und wann ihr ein Blindes opf-
fert/ ſo muß nicht boͤſe heiſſen/ und wann ihr ein Lahmes oder
Kranckes opffert/ ſo muß auch nicht boͤſe heiſſen. Bringe es dei-
nem Fuͤrſten/ was gilt es/ ob du ihm gefallen werdeſt/ oder/ ob er
deine Perſon anſehen werde? ſpricht der HErꝛ Zebaoth. Jhr
aber entheiliget ihn darmit/ daß ihr ſaget: Deß HErꝛn Tiſch iſt
unheilig/ und ſein Opffer iſt verachtet/ ſamt ſeiner Speiſe. Und
ihr ſprecht: Siehe es iſt mir Muͤhe/ und ſchlagets in den Wind/
ſpricht der HErꝛ Zebaoth. Und ihr opffert/ das geraubet/ lahm
und kranck iſt/ und opffert den Speiß-Opffer her. Solt mir ſol-
ches gefallen von eurer Hand/ ſpricht der HErꝛ? Verflucht ſey
der Vortheiliſche/ der in ſeiner Heerde ein Maͤnnlein hat/ und
wann er ein Geluͤbd thut/ opffert er dem HErꝛn ein Untuͤchti-
ges/ dann ich bin ein groſſer Koͤnig/ ſpricht der HErꝛ Zebaoth/
und mein Name iſt erſchroͤcklich unter den Heyden.
Fuͤrwahr/ ich muß den Text dem Propheten abentlehnen/
den Eltern/ Pflegern/ Verwanthen/ Patronen/ auch den Stu-
denten ſelbſt zu Gefallen wiederholen. Ein Sohn ſoll ſeinen
Vatter ehren/ und ein Knecht ſeinen Herꝛn/ eine Creatur ihren
Schoͤpffer/ ſolches erfordern die Geſetze GOttes/ und die Natur/
auch die Geſetze aller Menſchen und Voͤlcker. Jſt nun GOtt
Vatter/ wo iſt ſeine Ehre? Er iſt Vatter/ Vermoͤge der Schoͤpſ-
ſung/ der Erhaltung/ der Regierung/ der Speiſung/ der Verſe-
hung/ der Begnadung/ in dem er euch machet zu Erben ſeines Ei-
H h 5gen-
[490]Deß Academiſchen
genthums/ der ewigen Seeligkeit. Wo iſt bey euch Eltern/
Pflegern/ Verwanthen/ Patronen und Studenten ſeine Ehre?
Jſt GOtt der HErꝛ/ wo fuͤrchtet ihr ihn?
Er iſt HErꝛ/ Vermoͤge der Erloͤſung/ wann er euch ſo
theuer mit dem Blut ſeines Sohnes bezahlet/ zu Buͤrgern in
dem Reich aufgenommen/ und ſeine koſtbare Schaͤtze und Guͤ-
ther/ als Diener/ damit zu werben/ und erwerben/ vertrauet hat.
Jhr Eltern/ Pfleger/ Verwanthen/ Patronen und Herren/ wo
furchtet ihr ihn? Dieſes kan fuͤrwahr der HErꝛ Zebaoth ſprechen
zu euch Eltern/ Pflegern/ Verwanthen/ Patronen und Studen-
ten. O wehe! und aber wehe! GOtt hat ſich erzeiget als einen
Hertz-liebenden Vatter/ ihr als ungerathene Soͤhne! GOtt hat
ſich erzeiget/ als einen gnaͤdigen HErꝛn/ ihr als rebelliſche Unter-
thauen! Wie koͤñet ihr eure Haͤupter mit Freuden empor heben/
und die Augen ohne Scham eroͤffnen/ vor dem Angeſicht deß ſo
Hertz-liebenden Vatters/ und vor dem Thron deß ſo gnaͤdigen
HErꝛn? So ſprecht ihr: Womit verachten wir deß HErꝛn Na-
men? Damit/ daß ihr unrein Brodt opffert auf dem Altar deß
HErꝛn. Fuͤrwahr/ ein unrein Brodt/ auß unreiner Materien
und unreinen Fruͤchten/ von unreinen Haͤnden. So ſprechet
ihr: Womit opffern wir Unreines? Damit/ daß ihr ſaget/ deß
HErꝛn Tiſch iſt verachtet. Wollen doch die Fuͤrſten nichts von
den Jhrigen/ die Gewaltigen nichts von den Jhrigen/ die Edlen
nichts von den Jhrigen darauf kommen laſſen/ ſondern laſſen es
an die Buͤrger/ Bauer- und Handwercks-Leute gelangen. Und
wann ihr GOTT zu ſeinem Dienſt einen ſchielenden/ tauben/
lahmen/ albern und gebrechlichen Sohn und Stipendiaten ſen-
det/ muß er nicht ſchielend/ taub/ lahm/ alber und gebrechlich
heiſſen; Wann ihr GOTT zu ſeinem Dienſte einen krancken
Sohn oder Stipendiaten ſendet/ ſo muß es auch nicht boͤſe heiſſen.
Wañ ihr die wackerſten Kinder und wolgeborneſten Geſellen der
Welt ſolt ſchencken/ muß es recht gethan heiſſen; Ja/ wann ihr
Studenten die ſchoͤnſten und zarteſten Blumen euerer Jugend
dem Fleiſch und dem Teufel gar aufopffert/ und die ſtinckende
Haͤfen deß garſtigen Alters GOtt auftraget/ und bringet/ muß
es auch recht gethan heiſſen. Bringet es euren Fuͤrſten/ was gilt
es/ ob ihr ihnen gefallen werdet? Oder/ ob ſie eure Perſon anſe-
ben werden? Soll es ihnen gefallen? Sie werden es verachten/
verlachen und vermaledeyen; Nicht gering werden ſie daruͤber
zuͤrnen/ und ergrimmen/ und meynen/ daß ihr ſie mit ſolchen
ſchnoͤden Dingen außhoͤhnet/ und verſpottet.
Mercket
[491]Romans I. Buch.
Mercket/ ſchnoͤde Dinge duͤrffet ihr nicht bringen den ſterb-
tichen Menſchen/ mit was Gewiſſen duͤrffet ihr ſie bringen
GOTT dem HERRN? Jhr entheiliget ihn/ damit/ daß ihr
ſaget: Deß HErꝛn Tiſch iſt unheilig und ſein Opffer iſt verach-
tet/ ſamt ſeiner Speiſe. Man ſiehet keinen Fuͤrſten/ der ſeinen
Sohn zum Prieſter weyhe. Man ſiehet keinen Grafen/ der
ſeinen Sohn zum Prieſter weyhe. Es ſeyn gemeiniglich Arme/
Ungeſunde/ Mangel- und Breſthafftige/ welche die Leute darzu
halten. Und ihr ſprechet: Siehe/ es iſt nur muͤde/ ſchlecht/ ein-
faͤltig/ und tauget ſonſten an keinen andern Ort/ und ſchlaget es
in den Wind/ GOtt muͤſſe zufrieden ſeyn.
Und ihr/ ihr Fuͤrſten und Gewaltige/ ihr Reichen und Pa-
tronen opffert nichts von den Eurigen/ ſondern das Geraubete/
welches die Armuth den Buͤrgern/ Handwerckern/ Bauern und
Tagloͤhnern abgejaget hat. Diß opffert ihr mit einem geringen
Stipendiums-Geld bey hohen Schulen/ und bildet euch vor/ nun-
mehr ſey uͤberfluͤſſig/ auch ein Mehrers geſchehen. Jhr opffert/
das ahm und kranck iſt/ und opffert den Speiß-Opffer her. Solte
GOtt ſolches gefallen von euren Haͤnden? Wer wil es glau-
ben? Verfluchet ſey der Vortheiliſche/ der in ſeiner Heerde ein
friſches und tapfferes Maͤnn/ ein hat/ und wann er ein Geluͤbd
thut/ opffert er dem HErꝛn nicht nur ein Fremdes/ ſondern auch
ein Untuͤchtiges/ dann er iſt ein groſſer Koͤnig/ und ſein Name iſt
ſchroͤcklich unter den Heyden.
Bißhero faſt zu weitlaͤufftig/ jedoch muͤſſen wir ſolche grobe
Stuͤcke beruͤhren. Dann es kommet zuletzt die Zeit/ daß die lah-
me/ Mangel- und breſthafftige/ und Schafs thoͤrichte Purſche
vermeynet/ außſtudiret zu haben/ und geſchwinde ligen ſie mit
Brieffen und Karten vor den Conſiſtorien/ auf den Cantzeleyen/
und wollen kurtzum gefoͤrdert ſeyn. Wo nur Biſchoͤffe und Raͤthe
gehen lauren die Geſellen auf Gaſſen und Straſſen/ vor den Tho-
ren/ in den Garten/ und wollen kurtzum gefodert ſeyn. Etliche
nehmen Weiber/ und ſo bald ein Kind geboren wird/ bitten ſie die-
ſen oder jenen/ und wollen darauf kurtzum gefodert ſeyn. Wie
kan es doch in einem Land/ oder in einer Stadt/ darauf wol gehen.
Dargegen iſt unlaugbar/ daß in Spanien/ auch ſonſten/ es
weit anders beſchaffen/ und ſchaͤmen ſich fuͤrnehmer Fuͤrſten
und Herren/ und ſo wol von Naturen/ als mit ſonderbaren Ga-
ben/ wolgeborne Kinder gar nicht/ die H. Schrifft zu ſtudiren/
und dermahleins zu treiben. Das geſchicht ebener Maſſen in
Teutſchland/ aber bey denen auf Roͤmiſcher Weiſe Catholiſchen
Uni-
[492]Deß Academiſchen
Univerſitaͤten/ und iſt in naͤchſten Jahren gehoͤret worden/ daß
3. Herren Standes-geborne Perſonen zugleich der H. Schrifft
Doctorat angenommen haben. Behuͤte GOtt/ wo finden wir
dergleichen bey den Evangeliſchen Chriſten? Welcher vom
Adel/ wann er nur uͤber 5. oder 6. Pacht-Bauren zu gebieten
haͤtte/ wurde leyden/ wann ſein Sohn in den Geiſtlichen Orden
tretten wolte? Er gedaͤchte/ ſeine Vorfahren wuͤrden geſchaͤn-
det/ ihre Schilde verhoͤhnet/ der gantze Stamm in das aͤuſſerſte
Unwerthe geſetzet. Ja wol geſetzet.
Schaue doch von deinem Himmel/ HErꝛ JEſu/ und be-
trachte deine Chriſten! Siehe/ die Fuͤrnehmſten ſchaͤmen ſich/ ih-
re Kinder zu geben in den Stande/ darinnen du gelehret/ Sacra-
menta geſtifftet/ die Jrrige geſtraffet/ die Schwachen getroͤſtet/
als ein Prieſter; Darinnen du geweiſſaget/ und zukuͤnfftige
Dinge verkuͤndiget/ als ein Prophet; Darinnen du Wunder-
Wercke geuͤbet/ maͤchtige Zeichen dargeſtellet/ den Elementen
gebotten/ die Naturen verwandelt/ als ein Koͤnig; Darinnen du
fuͤr das geſamte Menſchliche Geſchlecht gelitten/ geſeuffzet/ ge-
wachet/ als ein Prieſter/ Prophet und Koͤnig. Fuͤrwahr/ nach
der heutigen Welt tollen Einbildung iſt es verſchmaͤhlich gewe-
ſen/ daß du nicht nur ein Sohn deß Pilgrams Abraham/ deß
Schulmeiſters Jſaac/ deß Schaͤfers Jacob/ deß Koͤnigs David/
ſondern ein Sohn GOttes/ ein Ewiger Sohn GOttes/ ſo tieff
dich herunter gelaſſen/ und das Amt deß Ertz-Biſchoffes unſerer
Seelen auf dich genommen/ und kraͤfftiglich verwaltet!
Solte Jemand auß ihren Kindern deſſen ſich unterſtehen/
er muͤſte von dem Namen verbannet/ von dem Stamm abge-
hauen/ von den Bluts-Freunden heßlich vermaledeyet/ auſſer-
halb der Huͤtten ſeiner Vor-Eltern umher wallen/ auch nicht
uͤber den Zaun angeblicket werden.
Dargegen halten die Fuͤrſten und Edlen fuͤr Loͤblich/ wann
ihre Kinder in deß Nimrod Zunfft tretten/ in den Waͤldern und
Feldern/ in Reichen und Landen/ nach Voͤlckern und Thieren ja-
gen/ die armen Unterthanen mit mehr dann Egypliſchen und
Viehiſchen Dienſten beſchweren/ und mehr dann Babyloniſchen
Schatzungen außſaugen. Jhnen gefaͤllet wol/ wann ihre Kin-
der in Nimrods Zunfft ſich begeben/ aber wofern ſie in den
Geiſtlichen Orden tretten wollen/ das waͤre. Jch mag nichts
weiter ſagen; Aber das wil ich ſagen/ unſere Widerſacher ha-
ben dieſes reifflich abgemercket.
Der gelehrte und ſcharffſinnige Jeſuiter/ Martinus Beca-
nus,
[493]Romans I. Buch.
nus, erzehlet eine luſtige/ wie er ſpricht/ Hiſtorien/ die in Pohlen
ſich zugetragen/ welche ihm auch von dem/ der darbey geweſen/
ſey erzehlet worden: Es war ein feyerliches Gaſt-Mahl ange-
ſtellet/ und dar zu beruffen Fuͤrſtliche Perſonen/ Catholiſche/ und
andere auch/ ſolcher nicht wenige. Daſelbſt/ wie zu geſchehen
pfleget/ iſt eine Strittigkeit von der Religions- oder Glaubens-
Sachen entſtanden. Ein Jeder auß denen/ welche fuͤr die Ge-
lehrteſten geachtet wurden/ ſagte ſeine Meynung. Vor der Ta-
fel wartete ein Soldat/ der/ weil er nichts ſtudiret hatte/ zwar
zuhoͤrete/ aber ſchwiege. Als er von Jemand mehr Schertz-
Weiſe/ als ernſtlich/ gefraget wurde/ was ihn doch von dem gan-
tzen Handel beduͤncke? Antwortete er ſchlecht/ ohne Schen/ er
waͤre Catholiſch. Mit was Grund beweiſeſt du/ ſpricht der
andere/ daß du recht daran thuſt? Darauf ſagte der Soldat:
Jch habe zwar keines Weges ſtudiret/ jedoch/ wann es mir von
euch erlaubet iſt/ wil ich reden/ was mir einfaͤllet? Es wurde
ihm/ dem Soldaten/ geſtattet/ wie auch von andern/ die darbey
ſaſſen. Sie vermahnen den Geſellen alle/ er ſolte das Maul zu
ſeinem Vortheil brauchen. Der Soldat iſt fertig. Er wendet ſich
aber erſtlich gegen eine Fuͤrſtliche Perſon/ welche der widrigen
(Evangeliſchen) Religion war/ und hube an alſo zu reden in
Lateiniſcher Zungen: Mein Herꝛ/ du haſt 3. oder 4. Soͤhne/
wann aber einer in den Prædicanten-Stand ſich begeben wurde/
was wuͤrdeſt du vornehmen? Jener aber (der Fuͤrſt/) fuͤr Zorn
entruͤſtet/ antwortete mit Koltern und Poltern: Er wolte lie-
ber/ daß ſeine Soͤhne/ ſo viel derer waͤren/ gehencket wurden/
dann daß einer mit ſo Ehren-ruͤchtiger That ſeinen Stand be-
ſchmeiſſen ſolte. Der Soldat ſchwiege etwas/ doch kehrete er
ſich bald zu einem andern Fuͤrſten/ der Catholiſch war/ und
ſprach: Was iſt deine Meynung von der Frage? Wann dein
Sohn zu der Jeſuiter Orden ſich geſellete/ wie wurdeſt du es
aufnehmen? Zum Allerbeſten/ antwortete der Catholiſ. Fuͤrſt/
und wolte GOtt/ daß ihm der H. Geiſt ſolchen Sinn eingebe/
und er ſich zu ſolcher Loͤbl. Geſellſchafft begebe. Darauf ſchloſſe
der Soldat: Es iſt gar unnoͤthig/ von der Religion weiter zu
diſputiren. Jhr habt gehoͤret/ welche die Catholiſche Religion
lehren/ ſeyn werth geachtet; Welche die andere (Evangeliſche)
lehren/ ſeyn Ehren-ruͤchtige geſchaͤtzet. Geſchwinde iſt erfolget
ein Lachen und Frolocken/ und mit groſſem Spott/ die den Prædi-
canten beypflichteten/ ſeyn von dem Tiſch aufgeſtanden.
Was von deß ungeſchickten Soldaten und Polacken/ doch
verſchmitz-
[494]Deß Academiſchen
verſchmitzten Schluß-Rede zu wiſſen ſey/ mag diß mahl beru-
hen; Gnug iſt/ daß wir hoͤren/ wie hoch das Predig Amt bey
andern Kirchen gewuͤrdiget/ und von unſern Evangeliſchen faſt
verſchimpffet werde.
Unterdeſſen bleibet beſtaͤndiglich wahr/ daß in Spanien/
und dergleichen Orten/ die Edelſten Naturen ſich auf die Theo-
logey/ und zu dem Geiſtlichen Stande begeben/ trefflich ſtudi-
ren/ und ſelbſt das Predig Amt verrichten. Wer zweiffelt kan
in den Buͤchern aufſchlagen/ und die Namen leſen/ auch nur de-
rer/ die in den Orden der Jeſuiter getretten ſeyn/ er wird finden/
was Gonſalvus Sylveira geweſen/ und andere mehr.
Allhier duͤrffte Jemand vorwerffen der Teutſche Adel ver-
achte keines Weges den Geiſtlichen Stand/ und erſcheinete an
dem/ daß ſie ihre Kinder auf die Reformirte Dom-Stiffter thaͤ-
ten. Ach! deß elenden Weſens. Die meiſten auß ihnen werden
fuͤrnemlich darum auf die hohen Stiffter gethan/ oder auch wol
gar eingekauffet/ daß ſie von den milden Almoſen/ welche den
Armen gebuͤhren/ dermahleins von Jahren zu Jahren ſich un-
terhalten/ und ihren Adelichen Stand deſto beſſer fuͤhren moͤch-
ten. Darbey es ſich dann offtmahls begibt/ daß ſie von den Kir-
chen-Guͤtern freſſen/ ſauffen/ ſpielen/ prangen/ und recht Fuͤrſt-
lich ſtoltzieren/ oder zum wenigſten koſtbare Kleinodien und
Reichthuͤmer beylegen/ mit vielen Pferden auf ſtattlichen Gut-
ſchen fahren/ von einem Panquer zu dem andern triumphiren/
faullentzen/ Schmeichler und Teller-Lecker unterhalten/ und ihre
außgehauene Ercker praͤchtiglich außſtaffieren koͤnnen.
Keiner iſt verbunden/ das Evangelium zu lehren/ die Sa-
crament zu ſpenden/ die Beichtende zu hoͤren/ die Krancke und
Gefangene zu beſuchen/ die Traurigen und Bekuͤmmerten zu
ermuntern/ die Sterbende zu troͤſten/ die Todten zu begleiten die
Ruchloſen zu ſtraffen/ die Jrrigen zu bekehren/ und was dem
Geiſtlichen Stande eigentlich gebuͤhret zu verrichten. Man
verſpeyet GOTT im Himmel/ und aͤffet die Menſchen auf Er-
den. Dergeſtalt koͤnnen Tuͤrcken und Tartarn ſehr gute Geiſt-
liche werden/ und die fette Pfruͤnden verzehren. Wer koͤnte dann
mit Beſtand der Warheit ſolche vermeynte Geiſtliche loben?
Aber/ was zu verwundern! Man finder Theologen/ welche in
Hoffnung/ Geſchencke zu gewinnen/ dieſe Barbarey/ (wo ſie iſt/
es ſey ferne/ daß allenthalben das Unweſen herꝛſche/) durch oͤf-
fentliche Schrifften loben/ und ſolche Geiſtliche von denen Tu-
genden ruͤhmen/ die nimmermehr an ſie gerathen. Das Juͤngſte
Gericht
[495]Romans I. Buch.
Gericht wird uͤber viel Stuͤcke urtheilen muͤſſen/ wiewol GOtt
ſchroͤckliche Straffen etliche Stiffter fuͤhlen laͤſſer. Jhm ſey es
heim geſtellet.
Noch eines zu erinnern. Jn fremden Reichen und Landen
begeben ſich nicht allein Perſonen herunter in den Geiſtlichen
Stand/ ſondern von Gluͤck arme/ von Wuͤrden ſchlechte/ aber
von Arten tapffere Juͤnglinge/ welche ſich in den Geiſtlichen
Stand begeben/ werden in demſelbigen zu Fuͤrſtlichen Titulen
erhaben/ und dem ungeſchickten Aſchen- und Koth-Adel/ der we-
gen ſeiner vaͤtterlichen Ahnen prahlet/ und den faulen Wanſt
blehet/ weit vorgezogen.
Zu dem gilt hinfort nicht mehr die Finantzerey deß Papſts
Clementen deß VII. welcher zu Rom auf dem Marckt einen
langen Spieß ſteckete/ und bey demſelbigen 3. Cardinaͤl-Huͤte/
denen/ welche ſie theuer an klarem Gold bezahlen wolten/ feil bie-
ten lieſſe. Daher mangelt jenem Theil niemabls an wackern
Maͤnnern/ welche mit gelehrtem und beredtem Munde/ klugen
Gedancken/ erleuchtem Verſtande/ fertigem Willen/ ſittſamen
Begierden/ und weiſen Anſchlaͤgen/ das von ferne zudringende
Ubel abtreiben/ wo es aber einen groſſen und gefaͤhrlichen Scha-
den gethan/ demſelbigen zurecht helffen/ auch wol in einen beſſern
mit Macht verſetzen koͤnten. Jn Summa: Wo ſtattliche
Regimenter/ Chriſtliche Kirchen/ und ſeelige Schulen gruͤnen/
wachſen/ bluͤhen/ und tauſendfaͤltige Fruͤchte lieffern ſollen/ muß
die Sache ordentlich angefangen/ vollfuͤhret/ und mit tauglichen
Perſonen beſtellet werden.
GOtt hat im 2. B. Moſis am 13. Cap. den Jſraeliten die-
ſes Geſetze vorgeſchrieben: Die erſte Geburt vom Eſel ſolt du
loͤſen mit einem Schafe/ wo du es aber nicht loͤſeſt/ ſo brich ihm
das Genicke. Neulich zuvor hatte GOtt geordnet: Heilige mir
alle erſte Geburt/ die alletley Mutter bricht/ bey den Kindern
Jſrael/ beyde unter den Menſchen/ und unter dem Viehe/ dann
ſie ſind mein. Er wolte aber den faulen Phlegmatiſchen und
verdroffenen Eſel nicht auf ſeinem Altar leyden/ und darum
ſolten ſie den langſamen Tropffen mit einem Schafe außwech-
ſeln; Oder/ weil er deſſen nicht guͤltig/ und doch geheiliget ſeyn
muſte/ vollend umbringen/ damit er nicht zu Weltlichen Ge-
ſchaͤfften gebrauchet wurde.
Was GOTT in dem Alten Teſtament nicht wolte leyden
auf dem Altar/ muß er jetzunder leyden auf den Cantzeln/
und in den Beicht-Stuͤhlen/ und waͤre gut/ wann die Leute
den
[496]Deß Academiſchen
den Toͤlpel mit einem albern/ aber einfaͤltigen Schafe außwech-
ſelten. Wiewol offtmahls beſſer waͤre/ wann man einen unge-
ſchliffenen/ und vorſetzlicher Weiſe/ uͤbel-beſchickten Eſel in das
Genicke ſchlage/ und nicht durch Auflegung der Haͤnde zu einem
Prieſter weyhete. Aber ſtill von dieſen. Der fuͤrtreffliche Je-
ſuit/ D. Adamus Contzen/ mag klagen/ biß er muͤde wird/ und be-
klagen: In opimis Eccleſiis divitum ſtupida proles magnatum
ſcribæ, Prælatorum [off]entatores, Canonicorum cognatuli ſagi-
nantur: ſi ipſe Hieronymus, Auguſtinus, Gregorius, Aquinas,
Suaretz adeſſent, cedendum eſſet favori. Jn fetten Kirchen
werden die toͤlpiſchen Bruten der Reichen/ der groſſen Hanſen
Schreiber/ die Fuchsſchwaͤntzer der Prælaten/ und der Dom-
Herren Bluts-Freundlein gemaͤſtet; Wann Hieronymus, Au-
guſtinus, Gregorius, Aquinas und Suaretz ſelbſten zur Stelle
waͤren/ ſie muͤſten mit ihrer beruͤhmten Kunſt zuruck ſtehen/
und der Hof-Gunſt weichen.
Das XLII Capitul/
Die Gaͤſte gehen von einander. Condado und ſeine Geſell-
ſchaffe raͤyſen fort. Venereus hat eine denckwuͤrdige Rencontre
mit einer jungen fuͤrnehmen Damen/ und eine liſtige Buhlſchaffe mit ei-
nes Maͤurers Frauen/ muß aber daruͤber von Siena wegfliehen.
Auß dieſem erkannten die Anweſenden wol/ daß
dieſer Teutſche Student ein Theologus, aber
nicht von der Roͤmiſchen Kirchen/ weil ihnen
aber ſein Diſcurs nicht zuwider war/ auch ein Je-
der geſtehen muſte/ daß er ſehr ehrbar und eingezogen
lebete/ fleiſſig ſtudirete/ und ein ſehr gelehrter Mann
ſey/ hielten ſie ihn allerſeits in hohen Ehren/ wie er
dann bey den Teutſchen dieſes Orts auch in ſonder-
barer Hoch Achtung und Æſtim lebete. Unterdeſſen
wurden die ſaͤmtliche Gaͤſte mit der Zeit ſatt/ und die
Tafel ward abgehoben/ da ſie dann aufſtunden/ und/
nach abgeſtatteter Danckſagung/ einer nach dem an-
dern ſeinen Abſchied nehmen wolte. Cerebacchius
aber ergreiffe einen ziemlichen Becher/ und trunck ei-
nes Jeden von den anweſenden Gaͤſten Geſundheit/
uͤber welchen Appendicem ſich dann ſie alleſamt zum
hoͤchſten
[497]Romans I. Buch.
hoͤchſten verwunderten/ inmaſſen dieſer Menſch
ohne dem vorher die gantze Mahlzeit uͤber faſt ſtaͤts
geſſen und getruncken/ und nunmehro beym Abſch[ie]d
ſo viel Weins in ſeinen Leib ſchuͤtten kunte. Darauf
gieng ein Jeder ſeines Weges/ aber der Printz machte
eine veſte und Hertz-vertrauliche Freundſchafft mit
dem wackern Campanelli und der Holdſeeligen Il-
mene, er gab Jedem von dieſen Beyden einen Ge-
denck-Ring/ und empfienge von ihnen einen andern
dergleichen/ wobey ſie einander verſprachen/ dafern
ſie das Gluͤck uͤber kurtz oder lang wieder zuſammen
bringen ſolte/ und etwa einer deß andern Beyſtandes
benoͤthiget ſeyn moͤchte/ daß ſie einander auß allen
Kraͤfften zu Huͤlffe tretten wolten. Hiermit nahmen
auch dieſe ihren Abſchied/ und giengen mit Patina und
deſſen hoch-gelehrten Tochter ihres Weges. Vene-
reus ſchlieff dieſe Nacht/ (es war aber ſchon ziem-
lich ſpaͤt hinein/) bey Cerebacchius, und muſte er/ wie
ungerne er auch daran wolte/ mit dieſem noch eine
Flaſche Brandtwein zum Schlaff-Trunck außleeren/
worauf ſich ein Jeder nach der Schlaff-Stelle ver-
fuͤgete.
Als der folgende Morgen anbrach/ ſtunde Con-
dado fruͤhe auf/ und gab dem Klingenfeld Ordre, et-
liche Pferde kommen zu laſſen/ die er kauffen wolte
auf die Raͤyſe. Er ſelber zwar hatte ein gutes/ wie
auch Troll und Klingenfeld/ fuͤr den Cavina aber
kauffte er eines/ weil er denſelben/ als ſeinen Secreta-
rium allwege bey ſich behalten wolte. Cerebacchius
und Venereus ſtunden endlich auch auf/ und damahl
fragete ſie Condado, ob ſie Luſt haͤtten/ mit ihnen zu
raͤyſen? Weil ſie nun nichts darbey zu verſaumen
hatten/ erklaͤreten ſie ſich ſtehenden Fuſſes zu ſeinem
Willen/ zumahl Cerebacchius darbey ſich einer guten
J iKuͤchen
[498]Deß Academiſchen
Kuͤchen zu erfreuen hatte/ und Venereus hoffete/ an
allen Orten eine gute friſche Waͤyde fuͤr ſeinen Klep-
per zu finden. Dieſe 2. giengen demnach hin/ machten
es mit ihren Schuldnern richtig/ kamen auf den
Mittag wieder/ in welcher Zeit Condado fuͤr Jeden
ein gutes Pferd mit Piſtolen/ und was darzu gehoͤ-
ret/ gekauffet hatte. Dieſen Tag blieben ſie noch zu
Padua. Aber am folgenden machte Condado mit ſei-
nem Hauß-Wirth alles richtig/ dem er fuͤr die Zeit/
da er bey ihm geweſen/ 200. Kronen bezahlete/ und
darauf ſetzten ſie ſich mit einander zu Pferde/ und
ritten zum Thor hinauß. Daſelbſt funden ſie die
gantze Teutſche Studenten-Nation von Padua zu
Pferd halten/ in 20. zu Pferde/ welche ihnen auf eine
gute Teutſche Meil-Weges das Geleite gaben. Da-
ſelbſt kehreten ſie in einer Dorff-Herberge ein/ und
Condado tractirte ſie/ ſo viel das Hauß allhier ver-
mochte/ weil aber die Teutſchen mit dem Trunck ſich
allhier in etwas zu viel beluden/ muſte Condado mit
den Seinigen dieſe Nacht allhier ligen bleiben/ aber
am andern Tage ſchieden die Paduaniſche Teutſchen
von ihm/ wuͤnſcheten ihm mit ſeinen Leuten eine
gluͤckliche Raͤyſe/ und ritten wieder zuruck nach Padua.
Condado, und ſeine Leute/ ſetzten ſich gleicher
Geſtalt auf/ und erreichten ſelbigen Tages noch die
Stadt Vicenza, woſelbſt ſie ihr Nacht-Lager hielten/
und eine bequeme Herberge bekamen. Als ſie am
folgenden Morgen wieder aufbrachen/ da erzehlete
Venereus ſeine Liebes-Haͤndel nicht allein mit der
Margara, ſondern auch mit vielen andern Frauen und
Jungfrauen zu Padua. Condado und Klingenfeld be-
theureten/ daß ſie vor die Jungfrauſchafft der Mar-
gara Buͤrge zu werden nicht das allergeringſte Be-
dencken getragen haͤtten/ alſo wundere es ſie/ daß die-
ſelbe
[499]Romans I. Buch.
ſelbe gleichwol ein unzuͤchtiges Gemuͤth gehabt. Sie
vernahmen aber von Venereo, daß dieſe Margara eine
geile Dame, die/ zuſamt ihrer Mutter/ wie der Ruff
gienge/ auch mit Juden/ welche in der Nacht zu ihnen
kamen/ zu thun haͤtten. Weßwegen er ihrer gar nicht
wuͤrde geachtet haben/ wofern ſie ſeine Dienſte nicht
mit einem guten Præſent vergolten haͤtte. Klingen-
feld begehrte von ihm zu wiſſen/ welche die uͤbrige
Damen in Padua geweſen/ mit denen er ſich ergoͤtzet?
Aber Venereus ſprach: Mein Herꝛ/ was iſt euch dar-
mit gedienet/ wann ich euch dieſelbe melde/ da ich doch
wol weiß/ daß ihr deren keine Kundſchafft habet?
Uber dem bin ich/ mittelſt eines kraͤfftigen Eydes/ ver-
bunden/ ihre Namen nicht kund zu machen/ dero-
wegen ſchonet meiner mit den Paduaniſchen Damen/
von andern wil ich gerne etwas mittheilen.
Wie Venereus merckete/ daß alle ſeine Gefaͤhr-
ten ſchon die Ohren ſpitzeten/ ſprach er: Wann ich
euch alle Ebentheuren meiner weitlaͤufftigen Cour-
toiſie erzehlen wolte/ ſo haͤtte lange Zeit darzu vonnoͤ-
then/ darum wil ich nur ein und ander Exempel her-
auß nehmen/ und keine Perſon ſpecificiren/ es ſey
dann/ daß ſie von keiner Extraction ſey. Als ich mich
zu Sena auf hielte/ und einsmahls ſelbander auf der
Straſſen ſpatzieren gieng/ begegnete mir ein anſehn-
liches Weib/ mit einem verhuͤlleten Geſichte/ dieſe
zohe mich ſaͤnfftiglich beym Ermel/ ſteckete mir einen
Ducaten in die Hand/ und ſprach mit ſachter Stim-
me: Wann ihr Luſt habt/ eine fuͤrnehme ſchoͤne junge
Frau/ die mit einem alten Ehe-Mann beſtraffet wor-
den/ euch dieſe kuͤnfftige Nacht zu vergnuͤgen/ ſo ſtellet
euch allein an dieſem Ort wieder ein/ eure Muͤhe ſoll
euch rechtſchaffen belohnet werden.
Das war mir eine ſeltzame Hiſtorie/ weil es mir
J i 2aber
[500]Deß Academiſchen
aber bißhero noch meiſt allemahl in meinen Liebes-
Haͤndeln (es waren aber mehr Luſt- als Liebes-Haͤn-
del/) gelungen/ erklaͤrete ich mich/ der Frauen zu will-
fahren/ und inzwiſchen auf der ſchoͤnen Damen Ge-
ſundheit zu trincken. Hiermit ſchieden wir von einan-
der/ und mein Cammerad wolte gern wiſſen/ was ich
mit der Frauen verabredet haͤtte? Aber/ ſprach ein
Fiſch/ ſo ſprach ich auch/ wil man etwas erſchnappen/
ſo muß man ſich nicht ſelber verrathen. Jch gieng mit
meinem Gefaͤhrten zu Tiſch/ und ließ eine Flaſche von
dem koſtbarſten Wein langẽ/ nahm auch ſolche Spei-
ſen zu mir/ welche der Natur eine gute Krafft mit zu-
theilen pflegen/ inmaſſen ich mich dann mit derglei-
chen Dingen allwege Wunder-wol zu behelffen ge-
wuſt. Als der Abend heran nahete/ nahm ich ein paar
Sack-Piſtolen zu mir/ verſahe mich mit einem guten
Degen/ beſtriche meine Kleider mit wol-riechendem
Waſſer/ puderte meine Haare/ und habilirte mich
dergeſtalt/ daß ich mich ſchier ſelber in meine Perſon
verliebet haͤtte. Endlich gieng ich an den bezeichneten
Ort der Straſſen/ und nachdem ich ein klein wenig
verzogen/ kam eine kleine Caroſſe, welche neben mir
ſtill hielte/ und ſprang die vorige Frau voller Freuden
zu mir herauß/ und noͤthigte mich/ mit ihr hinein zu
ſteigen/ ſchwur auch einen 3. fachen Eyd/ daß ich dieſe
Nacht nichts anders/ als Gluͤck und Freude/ ſolte zu
erleben haben/ waͤre es demnach am beſten fuͤr mich/
wann ich mir keine Sorge machte/ ſondern friſch und
unverzagt mich bey allem erzeigete/ was mir aufſtoſ-
ſen wuͤrde. Jch trug demnach kein Bedencken/ mich
neben ſie zu ſetzen/ und darauf ließ ſie mit meiner Ver-
guͤnſtigung die lederne Vorſchlaͤge zu beyden Sei-
ten hernieder/ daß es in dem Wagen gantz dunckel
ward. Es iſt euch/ und eurer Maiſtreſſe, ſprach ſie/
dienlich/
[501]Romans I. Buch.
dienlich/ daß ihr nicht wiſſet/ wohin ihr fahret; Gnug
iſt es/ wañ ihr den Ort eurer Gluͤckſeeligkeit erreichet.
Jch ließ mich auch dieſe Dinge wenig anfechten/ in-
maſſen ich verſichert war/ daß weder durch Courtoiſie,
noch andere Haͤndel/ ich mir an dieſem Ort noch keine
Feinde erwecket hatte; Ob es aber dieſen Abend ge-
ſchehen moͤchte/ ſolches ſtunde wol zu beſorgen/ doch
ſtellete ich alles der Fuͤrſichtigkeit meiner Beyſitzerin
anheim/ welche mich Gefahr-loß zu halten verſprach/
daß ich ihr demnach guten Glauben zuſtellete.
Endlich gelangeten wir durch ein gewoͤlbtes
Thor in einen groſſen gepflaſterten Hof/ daſelbſt
ward ich von der Frauen in ein ſchoͤnes Zimmer be-
gleitet/ und ſagte ſie: Mein Herꝛ/ ich gehe zu meiner
Frauen/ ſeyd gutes Muthes/ und wegert euch nicht/
das Jenige zu thun/ worzu man euch wird noͤthigen.
Hiermit gieng ſie von mir/ und gleich darauf kamen
zwey uͤberauß ſchoͤne junge Dames, in dem ſchoͤnſten
Schmuck/ den man ihm haͤtte einbilden moͤgen. Die-
ſe hieſſen mich willkommen/ und eine Jede ertheilete
mir einen Kuß. Jch wuſte nicht/ wie ich mit dieſen irꝛ-
diſchen Engeln daran waͤre/ wolte demnach durch
blinde Zutappung mich etwas kuͤhner bey ihnen er-
weiſen/ aber ſie ſchlugen mir ſanfftiglich auf die
Hand/ und ſagten: Habt ihr etwas zu viel/ ſo ver-
ſparet es auf das kuͤnfftige Nachtlager bey unſerer
Meiſterin Hiermit tratten ſie nach der Wand/ ſchloſ-
ſen einen Schranck auf/ nahmen Tafel-Zeug herauß/
und decketen einen kleinen Tiſch/ trugen auch in klei-
nen ſilbernen Schuͤſſelein etliche kraͤfftige Speiſen
auf/ ſamt allerhand Getraͤncken/ worvon ich die Wahl
hatte zu nehmen/ was mir beliebete. Sie ſetzten ſich
neben mich/ und ſpeiſeten mit mir/ jedoch genoſſen ſie
wenig/ und ſchiene es/ daß ſie mehr/ um Geſellſchafft
J i 3zu
[502]Deß Academiſchen
zu leiſten/ und mich zum Eſſen zu noͤthigen/ als mit
mir zu ſpeiſen/ bey mir geblieben. Jch bezeigete mich
munter und froͤlich/ weßfalls mich auch die ſchoͤne
Jungfern bathen/ nahm ſo viel Speiſe und Getraͤn-
cke zu mir/ als ich vonnoͤthen hatte. Nachdem ich mich
endlich geſaͤttiget/ ward die Tafel abgenommen/ und
dieſe ſchoͤne Dames brachten einen kleinen Keſſel mit
warmen Roſen-Waſſer/ den ſie vor meinen Fuͤſſen
niederſetzten/ und auf Befehl ihrer Frauen mich noͤ-
thigten/ meine Fuͤſſe darinn zu baden. Jch durffte
mich deſſen nicht lang wegern/ zog demnach (ſ. h.)
meine Schuhe und Struͤmpffe auß/ und badete mei-
ne Fuͤſſe/ biß ſie rein gnug worden/ darauf ward mir
ein ſaubers Faceletchen gereichet/ mit welchem ich die
Fuͤſſe und Beine wieder abtrucknete/ und ſelbige in
neue Struͤmpffe/ die mir zu dem Ende gereichet wor-
den/ ſteckete.
Endlich giengen dieſe Jungfrauen/ nach genom-
menem hoͤflichen Abſchied/ wieder von mir/ und die
alte Frau tratt zu mir herein/ und fuͤhrete mich in ein
wol aufgeputztes Schlaffzimmer/ da ein koͤſtlich-ge-
ziertes Bette ſtunde/ deſſen Cortinen von gelbem At-
las mit guͤldenen Fraͤnſeln/ mit rother Seyden un-
termenget waren. Hieſelbſt halff mir die Frau meine
Kleider ablegen/ ja ich muſte auch ſo gar das Hemde
außziehen/ und uͤberreichete ſie mir ein anders/ von
der zarteſten Leinwat/ ſie ſalbete meinen Leib an den
fuͤrnehmſten Gliedern mit wol-riechendem Oel/
und das Haupt bliebe auch nicht verſchonet/ wel-
ches ſie mit einer koͤſtlichen Schlaff-Muͤtzen ver-
huͤllete/ und mich alſo zu Bette fuͤhrete/ mit der gege-
benen Lehre/ je luſtiger ich mich dieſe Nacht bezeigen
wuͤrde/ je angenehmer ich ſeyn ſolte/ und je groͤſſere
Vergeltung ich von meiner Maiſtreſſe wuͤrde zu ge-
warten haben.
Jch
[503]Romans I. Buch.
Jch legete mich demnach ins Bette/ und muſte
uͤber dieſes leyden/ daß mich die Frau am bloſſen Leibe
beſichtigte/ ob ich auch den geringſten Schaden haͤtte/
und als ſie mich in allem richtig befand/ warff ſie ei-
ne ſeydene duͤnne Decke uͤber mich/ und wuͤnſchete
mir eine froͤliche Nacht. Sie ware kaum auß dem
Schlaffzimmer hinauß getretten/ als eine anſehnliche
junge Dame in einem weiſſen Atlas herein tratt/ eine
von den vorigen beyden Jungfrauen trug ihr das
Liecht vor/ und entkleidete ſie/ ſchiede auch alſobald
darvon/ und ſchloſſe die Thuͤr hinter ſich zu. Dieſe
Dame nahm darauf das Liecht/ und beſahe mein An-
geſicht/ an welchem ſie einen groſſen Gefallen zu ha-
ben ſchiene. Loͤſchete darauf das Liecht auß/ und legete
ſich zu mir. Sie umfienge mich alſobald gar holdſee-
lig/ und ſagte: Eure Perſon/ mein liebſter Freund/
hat mir beym erſten Anblick/ da ich euch auf der
Straſſen geſehen/ ſehr wol gefallen. Wiſſet/ daß ich
einen Leibes-Erben verlange/ den mir mein ohnmaͤch-
tiger Gemahl nicht geben kan/ und daran meine zeit-
liche Wolfahrt hanget/ darum habe ich euch erkieſet/
mich deßfalls zu vergnuͤgen. Dieſe Nacht-Muͤhe ſoll
euch nicht unbelohnet bleiben/ und dafern ihr uͤbers
Jahr noch allhier moͤchtet anzutreffen ſeyn/ kan man
euch Bericht ertheilen/ ob ihr in dieſem Beyſchlaff
meinen Zweck erlanget habt/ oder nicht. Bekomme
ich/ was ich verlange/ ſo ſollet ihr deſſen mit mir zu ge-
nieſſen haben. Hierauf kuͤſſete ſie mich hertzlich/ und
ich weiß nicht/ was mehr darauf erfolget/ ohne/ daß
ich eingeſchlaffen/ und mir von groſſer Freude getrau-
met hat/ biß endlich etwa eine Stunde vor Aufgang
der Sonnen die alte Frau in die Kam̃er hinein tratt/
und uns Beyde auß einem ſuͤſſen Schlaff erweckete.
Meine holdſeelige Beyſchlaͤfferin kuͤſſete mich dar-
J i 4auf
[504]Deß Academiſchen
auf noch einmahl/ uñ noͤthigte mich/ der alten Frauen
zu folgen/ aber reinen Mund zu halten/ dafern ich
mich ſelber nicht in Lebens-Gefahr ſtuͤrtzen wolte. Jch
legete meine Kleider wieder an/ und als ich bereit war/
langete die fuͤrnehme Dame unter ihrem Bett-Kuͤſſen
einen gelben Sammeten Beutel mit Ducaten her-
fuͤr/ den ſie mir verehrete/ und mich darauf von ſich
ließ. Dieſes Præſent machte mir groſſen Muth/ und
ich bildete mir ein/ ich waͤre mehr/ als ein Ritter von
St. Marco. Die alte Frau ſetzete ſich wieder neben
mich in die Caroſſe, zog dieſelbe allenthalben zu/ und
fuhr mit mir darvon/ da wir dann eine gute Weile
umher fuhren/ biß wir endlich wieder an die jenige
Stelle gelangeten/ da ich eingenommen worden/ da-
ſelbſt bekam ich meine Freyheit wieder/ und ob ich
gleich der Frauen einen Ducaten fuͤr ihre Muͤhewal-
rung præſentirte/ wolte ſie denſelben doch nicht an-
nehmen/ ſondern ſagte/ daß ſie ihre Muͤhe von ihrer
Maiſtreſſen ſchon wuͤrde belohnet kriegen.
Jch kehrete wieder in meine Herberge/ und war
gutes Muthes/ lebete auch noch etliche Tage/ ehe ich
eine andere Anfechtung bekam. Aber nach dieſer Zeit
erblickete ich nicht weit von meiner Herberge eine
ſchoͤne junge Frau/ die erſt neulich einem alten ſehr rei-
chen Mann/ der ein Maͤurer/ war beygeleget worden.
Dieſer ihr Mann war/ wie man mich berichtete/ bey
dem Gouverneur der Stadt ſehr wol daran/ der ihm/
als ſeine erſte Frau verſtorben/ eine Jungfrau auß
ſeinem Frauenzimmer zugefuͤhret hatte/ welche ſchoͤn/
aber gar arm war. Gleichwie aber ich dieſe ſchoͤne
Frau offt mit lieblichen Augen anſahe/ alſo empfande
ſie meines Hertzens Meynung gar bald/ und wincke-
te mir/ ſo offt ich vorbey gieng/ mit den Augen derge-
ſtalt zu/ daß ich gnugſam verſichert war/ daß ſie mich
von
[505]Romans I. Buch.
von gantzem Hertzen liebete. Solchem nach verſau-
mete ich keine Zeit/ ihre Gunſt zu unterhalten/ biß ſie
endlich von der Liebe mehr/ als ich ſelber/ uͤbernom-
men ward/ daß ſie ihre Dienerin zu mir ſandte/ und
mir ſagen ließ/ weil ihr Mann morgen fruͤhe vor die
Stadt hinauß an ſeine Arbeit gieng/ moͤchte ich um
die andere Stunde nach der Sonnen Aufgang zu
ihr kommen/ und ihr die Zeit kuͤrtzen helffen. Jch war
deſſen wol zufrieden/ kleidete mich demnach am fol-
genden Morgen/ nach ihrer Lehre/ wie ein Hand-
wercks-Geſell/ und gieng nach ihrem Hauſe. Wir
wurden deß Handels nach wenig gewechſelten Wor-
ten/ bald einig/ und ſtund es ſchon darauf/ daß wir
uns jetzo nach dem Bette verfuͤgen wolten. Aber in
dem Augenblick kam der Mann wieder zuruͤck/ und
weil er die Thuͤr deß Hauſes verriegelt fand/ preiſete
er in ſeinem Hertzen die Keuſchheit und Eingezogen-
heit ſeiner jungen und ſchoͤnen Hauß-Frauen. Er
klopffete darauf ſtarck an/ und die Frau wuſte vor
Angſt nicht/ wo ſie mich verbergen ſolte. Endlich
fuͤhrete ſie mich auf den Boden/ allwo ſie ein groſſes
Oehl-Faß ſtehen hatte/ darein muſte ich/ mittelſt ei-
nes Stuhls/ ſteigen/ um nicht gefunden zu werden/
biß ihr Mann wieder an ſeine Arbeit moͤchte hinge-
gangen ſeyn. Sie tratt darauf ſelber zu ihm hinab/
und nachdem ſie die Thuͤr geoͤffnet/ fieng ſie an mit
ihm zu zancken/ und ſprach: Wie nun zum Blauen
Bitter/ wollet ihr ſchon wieder Feuerabend machen/
ſo werden wir wol endlich nichts/ als Waſſer und
Brodt/ zu eſſen bekommen/ ich ſitze den gantzen Tag/
und ſpinne Seyden/ daß mir die Finger zerreiſſen
moͤchten/ und ihr wollet muͤſſig gehen; Ach! wehe
mir/ wie ungluͤcklich bin ich mit euch worden. Andere
junge Frauen haben ihre Courtiſanen/ und thun ih-
J i 5nen
[506]Deß Academiſchen
nen etwas zu gut/ machen ihnen taͤglich eine neue Luſt/
nur ich allein bin darzu verordnet/ daß ich bey einem
alten Mañ verderben/ verhungern und verdorren ſoll.
Der Maͤurer ſtrich der Frauen uͤber die Backen/
und ſprach: Jch erkenne deine Ehrbarkeit und Treue/
mein liebſtes Hertz/ ſehr wol/ ich habe noch einen gu-
ten Schatz/ und du darffſt dich nicht bekuͤmmern/ daß
du moͤchteſt Noth leyden/ bleibe du nur allemahl/ wie
bißhero/ wañ ich außgangen bin/ in deinem verſchloſ-
ſenen Hauß/ ſo habe ich Freude/ und du Ehre darvon.
Du ſolt aber nicht meynen/ daß die Luſt zum Muͤſſig-
gang mich gezwungen/ heute von der Arbeit zu gehen.
Als ich dieſen Morgen zum Thor hinauß gieng/ be-
gegnete mir ein Prediger-Muͤnch/ und verwunderte
ſich/ daß ich mit meinem Werckzeug außgieng/ fragte
mich demnach/ ob ich nicht wuͤſte/ daß heut St. Coſmi
Tag waͤre/ welcher mit einer Predigt gefeyret wuͤrde?
Jch beſonne mich augenblicklich/ erkannte meinen
Fehler/ und kehrete darauf wieder nach Hauß. Du
ſolt aber wiſſen/ daß uns die Barmhertzigkeit deß
Himmels heute gleichwol auch bedacht hat/ dann/
auf dem Heimweg kam dieſer Nachtbar zu mir/ und
kauffte mir unſer groſſes Oel-Faß ab/ welches ſchon
lange auf dem Boden geſtanden/ und uns das Hauß
enge gemacht hat. Er hat mir eine Krone darfuͤr ver-
ſprochen/ und du weiſt wol/ wie gerne ich ſchon vor ei-
nem halben Jahr eine halbe Krone darfuͤr genom̃en/
haͤtte ich ſeiner anders moͤgen loß werden. Unſer
Nachbar iſt mit mir kommen/ das Faß zu beſichtigen/
darum gib dich zufrieden/ du ſolt den halben Preiß
darvon zu genieſſen haben. Die Frau erſchrack dieſer
Rede faſt eben ſo ſehr/ als ich/ dann ich kunte alle
Worte gar eigentlich hoͤren/ und ich waͤre augenblick-
lich auß dem Faß entwiſchet/ wofern ich anders haͤtte
herauß
[]
[][507]Romans I. Buch.
herauß kom̃en moͤgen; Die Frau aber erdachte alſo-
bald eine Luͤge/ und ſagte: Meyneſt du dann/ mein
lieber Mann/ daß ich zu Hauß muͤſſig ſitze/ und nicht
ebenmaͤſſig auf unſere Wolfahrt bedacht bin? Die-
ſen Morgen/ als du eben außgangen wareſt/ kam ein
Geſell unſers Nachbarn/ und fragete nach unſerm
Oehl-Faß/ ob es verkaufft waͤre/ dieſer zahlet mir an-
derthalbe Kronen darfuͤr/ und iſt ſchon hinein geſtie-
gen/ die groͤbeſte Haͤfen darinnen abzuſchaben.
So hoͤreſt du wol/ mein lieber Nachbar/ ſprach
der Maͤurer zu ſeinem Gefaͤhrten/ daß ich dir jetzo/ wie
gern ich auch wolte/ nicht helffen kan/ dann der erſte
Kauff gehet vor dem andern/ auf ein ander mahl koͤn-
nen wir gleichwol Handels-Leute werden. Hiermit
nahm der andere ſeinen Abſchied/ und die Frau kam
mit ihrem Mann zu mir auf den Boden. Jch hatte
unterdeſſen mein Meſſer herauß gezogen/ und ſchrap-
pelte in dem Faß/ was ich kunte/ der Maurer aber ſtieg
zu mir hinein/ und ſprach: Willkom̃en/ mein Freund/
dieſer Arbeit muß ich euch benehmen/ mir gebuͤhret
es/ daß ich euch reine Waare lieffere. Habt ihr aber
Luſt zu meinem andern Oel-Faß/ welches drunten ſte-
het/ und etwas kleiner iſt/ als dieſes/ ſo gehet hin/ und
beſehet es gleicher Geſtalt/ meine Frau wird euch den
Weg zeigen. Jch war deſſen eben ſo ſehr zuſrieden/ als
die junge Frau/ welche mir einen Stuhl in das Faß
reichete/ darauf ich herauß ſtieg/ und den Stuhl wie-
der herauß ſetzete. Der Maͤurer aber arbeitete inzwi-
ſchen auf ſein Allerbeſtes darinnen/ und weil wir wu-
ſten/ daß es ihm unmoͤglich/ ohne anderer Leute Huͤlffe
von dannen herauß zu kommen/ giengen wir mit ein-
ander in die Schlaffkammer/ und beſichtigten daſelbſt
ein ander Faß/ welches aber dem Jenigen/ das uns der
Maurer angewieſen hatte/ bey weitem nicht gleichete.
Nach-
[508]Deß Academiſchen
Nachdem wir unſere Rolle wol geſpielet/ und ich der
Frauen bedeutet hatte/ daß ich mir meine Dienſte be-
zahlen zu laſſen gewohnet waͤre/ da gieng ſie zu ihres
Mannes Geld-Kiſte/ und langete einen ſchoͤnen Ro-
ſenobel herauß/ den ſie mir verehrete. Jch gienge dar-
auf meines Weges/ beſtellete einen Mann/ und ließ
die 2. Faͤſſer nach einander auf einem Schubkarren
nach einem andern Ort bringen/ da inzwiſchen der
Maͤurer in der Einbildung bliebe/ ich haͤtte ihm die-
ſelbe abgekaufft/ und zu vollem Gelde gebuͤhrlich be-
zahlet.
Als ich in meinem Logiment allein war/ beſahe
ich den empfangenen Roſenobel, und fand ihn koͤſtlich
gut/ aber bey weitem nicht zu gut darzu/ daß ich mir
darvon nicht haͤtte einen froͤlichen Tag machen moͤ-
gen. Gienge demnach in eine Weinſchencke mit et-
lichen Studenten/ die meine Bruͤder/ aber nicht ſon-
ders bey Mittel waren/ und hielte ſie daſelbſt Zech-
frey. Wir hatten uns ziemlich berauſchet/ wie der
Abend herein brach/ und weil wir nunmehro geſoñen
waren/ unſers Weges zu gehen/ langete ich meinen
ſchoͤnen Roſenobel herfuͤr/ und uͤbergabe ihn dem
Wirth/ um ſich darvon bezahlet zu machen/ und mir
das uͤbrige wieder zuzuſtellen. Dieſer hatte zu allem
Ungluͤck nicht ſo viel klein Geld/ gieng demnach in ei-
ne andere Stube/ darinn etliche Buͤrger/ und darun-
ter auch der Maͤurer ſaſſe/ welchen er den Roſenobel
zeigete/ und ihn zu wechſeln begehrete. Der Maͤurer
kennete ihn alſobald/ wechſelte ihn zu ſich/ gehet aber
nach Hauß/ und beſiehet ſein Geld/ da er findet/ daß
ihm dieſer Roſenobel mangelt. Er befraget ſeine Frau
darum/ aber ſie wil von nichts wiſſen/ ſondern wendet
ein/ er muͤſſe auß dem Kaſten durch einen behenden
Dieb geſtohlen ſeyn. Alſo gehet der Maurer zum
Gou-
[509]Romans I. Buch.
Gouverneur, ſeinem groſſen Patronen/ und verklaget
mich/ daß ich kommen/ und dociren moͤge/ wo ich den
Roſenobel bekommen haͤtte. Es kam ein Diener/ und
lud mich mit aller Civilitaͤt zu dem Gouverneur, der
mich um etwas befragen wolte/ und wie ich kam/ em-
pfieng er mich hoͤfflich/ fuͤhrete mich in ein Logiment,
und forſchete/ wo ich doch dieſen Roſenobel, den ich
geſtern haͤtte wechſeln laſſen/ bekommen haͤtte? Jch
ſahe bald/ worauf es angeſehen/ und weil ich allein
bey ihm war/ ſprach ich: Mein Herꝛ/ dieſes ſchoͤne
Goldſtuͤck iſt mir von einer jungen ſchoͤnen Frauen/
welcher ich eine Luſt darfuͤr gemacht/ verehret worden.
Der Gouverneur verwunderte ſich hieruͤber/ daß man
in dieſer Stadt ſolche Weiber finden ſolte. Jch aber
erzehlete ihm meine andere Rencontre mit der ſchoͤ-
nen fuͤrnehmen Damen/ die mir einen Nacht-Dienſt
mit einem Beutel voll Ducaten bezahlet hatte. Hier-
mit riſſe ich den Rock auf/ und zeigete ihm das zarte
Hemd/ welches ich ohne dem darvon getragen hatte.
Der Gouverneur beſahe dieſes Hemd gar eigent-
lich/ und fand einen Namen vor dem Buſen genaͤhet/
dahero machte er groſſe Augen/ und ſagte: Guter
Freund/ dieſes Hemd iſt mir ſo wol/ als der Mann/
bekandt/ dem es zuſtehet; Jch rathe euch aber/ daß
ihr euch alſobald auß der Stadt machet/ und euch
dieſer That halben in hieſigen Graͤntzen nimmermehr
beruͤhmet/ oder ihr ſeyd ein Mann deß Todes. Dieſen
Drohungen muſte ich glauben/ nahm demnach mei-
nen Abſchied/ und nachdem ich zu Hauß das Meinige
beſtellet/ gieng ich von Siena hinweg/ auf Bologne, und
bald hernach auf Padua. Jch beſahe unterdeſſen die
Buchſtaben am Hemde gar eigentlich/ ließ mir deß
Gouverneurs Namen melden/ und fand/ daß dieſes
ſein eigenes Hemd geweſen/ daß ich/ demnach nun-
mehro
[510]Deß Academiſchen
mehro wol weiß/ bey welcher Frauen ich mich jenes
mahls hatte luſtig gemacht.
Das XLIII. Capitul/
Man diſcurriret allhier uͤber die Frage/ ob man beſſer durch
groſſen Verſtand/ als durch beſtaͤndige Arbeit/ zu guten Wiſſenſchaff-
ten gelangen koͤnne? Venereus hat eine ſeltzame Courtoiſie zu
Trento.
UBer dieſe Erzehlung deß Venerei muſten ſie
ſich allerſeits verwundern/ ſie kamen aber un-
terdeſſen zu einer Herberge in einem Dorff/
darinn ſie das Mittags-Mahl hielten/ und funden
darinn etliche anſehnliche Maͤnner auß Teutſchland/
die nach Venedig zu gehen reſolviret waren. Mit
dieſen hatten ſie verſchiedene ſchoͤne Diſcurſe, inſon-
derheit Klingenfeld/ der nach ſeinen Angehoͤrigen in
Teutſchland fragete/ darvon er guten Beſcheid er-
hielte. Man merckete wol/ daß 2. von dieſen Teut-
ſchen gelehrte Leute waͤren/ und ſich auf die freye
Kuͤnſte eine gute Zeit muͤſten geleget haben/ dann ſie
gaben ſolches durch ihre Diſcurſe gnugſam zu erken-
nen. Einer darvon kam auf die Frage/ welches am
noͤthigſten ſey/ zu guten Kuͤnſten und Wiſſenſchaff-
ten zu gelangen/ ein groſſer Verſtand/ oder aber eine
groſſe Arbeit? Dem Klingenfeld ſeine Frage folgen-
der Geſtalt beantwortete:
WAs uns am meiſten koſtet/ das achten wir am hoͤchſten/ dann
der Menſchliche Verſtand/ welcher allen Dingen ſeinen
Werth und Preiß gibt/ vermehret und vermindert denſelben/
nachdem er urtheilet/ daß man viel oder wenig Muͤhe habe/ ein
Ding zu uͤberkommen. Welches uns auch der Koͤnig David
zum Theil erwieſen/ da er einmahl luͤſtern war/ auß einem
Brunnen zu trincken/ welchen die Philiſter in ihren Haͤnden hat-
ten/ und etliche ſeiner Helden in der Feinde Laͤger drungen/ und
deß Waſſers brachten/ hielt er es viel zu werth/ daß er es ſelber
trincken ſolte/ ſondern ſchuͤttete es auß vor dem HErꝛn/ und opf-
ferte es ihm/ als ein Blut der Maͤnner/ die es auf Lebens-Gefahr
geholet
[511]Romans I. Buch.
geholet hatten. Alſo ſehen wir/ je mehr Schwerigkeit bey einem
Dinge iſt/ je mehr wir es lieben/ und in ſo hoͤherm Werth wir es
halten; Je leichter man es aber bekommen kan/ je weniger es
geachtet wird. Und deßwegen halte ich darfuͤr/ daß die Arbeit/
ſo da angewandt wird/ den Marmor außzuhauen/ ihme eine
Form und Geſtalt zu geben/ und es zu poliren/ und glaͤntzend zu
machen/ wol ſo viel darzu thue/ daß er ſo hoch geſchaͤtzet wird/ als
ſeine Schoͤne und Dauerhafftigkeit. Dann je mehr Arbeit darzu
angewandt iſt/ je ſchoͤner und koͤſtlicher iſt er. Und in der That iſt
der Marmor die rechte Abbildung der Jenigen/ die viel Muͤhe
haben/ etwas zu begreiffen/ und zu behalten; Dann/ gleichwie
eine groſſe Muͤhe und Gedult erfordert wird/ den Marmor zu
ſaͤgen/ weil man deß Tages kaum 3. Finger tieff hinein kommen
kan/ und wie hingegen die Geſtalt/ die man ihm einmahl gegeben/
nicht ſo leicht vergehet/ als das Jenige/ ſo man auß Gips und
weichen. Steinen ohne ſondere Muͤhe gemacht/ ſondern viel hun-
dert Jahr dauret; Alſo behalten die Jenigen/ welche ein Ding
gar langſam und mit groſſer Muͤhe lernen/ und einmahl gefaſ-
ſet/ viel beſſer/ als andere lebhaffte Ingenia, die ein Ding oben hin
ſo leicht vergeſſen/ als ſie es begreiffen. Stehet es demnach dahin/
ob wir lieber ein Ding oben hin/ und ohne Grund wiſſen/ oder
deſſen eine gruͤndliche und beſtaͤndige Erkaͤnntnuͤß haben wollen?
Welches Letztere dann ein Jeder vernuͤnfftiger Menſch ohne al-
len Zweiffel dem Erſten vor ziehen wird; Uber das hat man die-
ſes zu erwegen/ daß in dem jetzigen Seculo die Wiſſenſchafften
nicht erſt doͤrffen erfunden werden/ wor zu vielleicht ſo viel Ver-
ſtand und Scharffſinnigkeit vonnoͤthen waͤre/ als anjetzo groſſer
Fleiß und Muͤhe erfordert wird/ die jenigen Kuͤnfte/ die allbereit
erfunden/ und gleichſam zur Vollkommenheit gebracht ſind/ zu
lernen und zu behalten. Ja/ mit einem Wort zu ſagen/ wer ei-
nen groſſen Verſtand hat/ gibt ſich/ gleich wie ein Vogel von ei-
nem Aſt auf den andern flieget/ bald zu dieſem/ bald zu jenem
Objecto, und kan deßwegen unmuͤglich zu einer ſoliden oder
gruͤndlichen Wiſſenſchafft gelangen/ ſondern muͤſſen nur mit
dem aͤuſſerlichen Schein derſelben zufrieden ſeyn; Welches von
allen etwas/ vom Gantzen nichts zu wiſſen genannt wird. An
Statt/ daß die Arbeitſamen (dergleichen die Geiſtlich arm ſind/
vom HErꝛn Chriſto ſeelig geſchaͤtzet werden/) ſich auf ihre ei-
gene Capacitaͤt nicht verlaſſen/ ſondern gantz und gar auf einen
gewiſſen Grund ſich legen/ demſelben nachdencken/ und dardurch
ihre Gedaͤchtnuͤß mit allerhand ſchoͤnen Definitionen und Divi-
ſionen
[512]Deß Academiſchen
ſionen zieren/ auch alles beſſer behalten/ (zu Folge der Propor-
tion, die man bey den Facultaͤten deß Verftandes und dem Ge-
daͤchtnuͤß gefunden hat/ von welchen/ wie die Schale in einer
Wage/ (da die Eine eben ſo tieff hinunter gehet/ als die andere
aufſteiget/) und koͤnnen derhalben/ eigentlich darvon zu reden/
nur allein fuͤr gelehrte Leute gehalten werden/ weilen wir mehr
nicht wiſſen/ als wir behalten haben. Jnmaſſen dann das Ge-
daͤchtnuͤß hierauß fuͤr das noͤthigſte Inſtrument, zu den Wiſſen-
ſchafften zu gelangen/ iſt erkannt worden. Dieſe groſſe Arbeit
aber muß fuͤrnemlich dem groſſen Verſtand/ in Ubung der jeni-
gen Kuͤnſte und Diſciplinen/ die in der Action beſtehen/ und die
man/ je mehr man ſie practiciret/ je beſſer auch lernet/ vorgezo-
gen werden/ und iſt es eine unmoͤgliche Sache/ ohne Arbeit etwas
zu thun. Weßwegen die Alten gar wol geſaget/ daß die Goͤtter
alles um Arbeit verkaufften/ gleich/ als wann ſie ſagen wolten/
daß nichts waͤre/ wor zu man nicht durch Arbeit gelangen koͤnte.
Darauf ward von dem vorigen Teutſchen geantwortet/
daß der Verſtand gleichſam die Hand der Wiſſenſchafften/ und
daß der Jenige/ der ſich mit wenigem Verſtand/ als dar zu erfor-
dert wird/ auf dieſelben legen wil/ endlich befinde/ daß er ſeine
Zeit gantz vergeblich zubringe. Und wie einer/ der von Natur zu
den Exercitien deß Leibes bequem iſt/ ſich nicht geſchickt darzu
machen kan/ wo er ſich gar zu ſehr aufs Studiren leget. Alſo im
Gegentheil iſt er nicht zum Studiren gebohren/ oder mit keinem
ſonderbaren Verſtand begabet/ ſo wird er gewiß mit allem ſei-
nem Fleiß und Arbeit/ ſo er darzu hat angeleget/ gar wenig dar-
inn außrichten. Dahero kommen ſo viel Klagen der Eltern/
welche/ ob ſie gleich Mittel und Ambition gnug haben/ ihre Kin-
der zum Studiren zu halten/ dannoch endlich erfahren muͤſſen/
daß deren gantze Jugend/ und alles Geld/ ſo ſie auf die Kinder/
ſelbige etwas Rechtſchaffenes lernen zu laſſen/ gewandt/ ohne
einzigen Nutzen angeleget ſey. An Statt/ daß andere arme Kin-
der/ die zu vielen geringern Dingen auferzogen werden/ ſich
durch ihren groſſen Verſtand fortbringen/ und zu den wichtig-
ſten Dingen geſchickt machen. Wir muͤſſen auch dieſes conſide-
riren/ daß alle Wiſſenſchafften gantz unvollkommen ſeyn/ und
weilen ſie alles durch das Jenige erhaͤlt/ verbeſſert und erhoͤhet/
worauß es entſtanden iſt/ ſo folget darauß/ daß die Wiſſenſchaff-
ten/ ſo durch verſtaͤndige und ſcharffſinnige Leute ſind erfunden
worden/ auch nur durch einen guten Verſtand koͤnnen excoliret/
und zu groͤſſern Vollkommenheiten gebracht werden/ welches
man
[513]Romans I. Buch.
man dann bey einer jeden Wiſſenſchafft abſonderlich ſiehet;
Dann/ weilen das Gedaͤchtnuͤß uns nur die bloſſen Geſtalten
der Dinge die es durch fleiſſige Arbeit/ oder durch vieles Leſen und
Hoͤren geſammlet/ darreichet/ ſtehet es alleine dem Verſtande
zu/ vernuͤnfftige und nutzliche Schluß-Reden darauß zu machen.
Daher der Unterſcheid zwiſchen einem Verſtaͤndigen und einem
Narren nicht darinn beſtehet/ daß man viel guter Dinge erzehle/
ſondern daß man ſie zur rechter Zeit vorbringe/ welches allein
eine Wuͤrckung und Effect deß Verſtandes/ und nicht der groſſen
Arbeit iſt. Wordurch man der gemeinen Schul-Fuͤchſe Art
nach/ wol endlich viel und meiſtentheils ungereimte Dinge alle-
giren/ aber dieſelbe nimmermehr wol zu Marckt bringen/ noch
ne recht zu appliciren lernen kan.
Condado beſchloſſe den Diſcurs alſo: Weilen der Menſch
weder ohne mittelmaͤſſigen Verſtand/ noch ohne Arbeit etwas
thun koͤnne/ werde nicht unbillig gefraget: Ob die Fuͤrtrefflich-
keit deß einen mehr erfordert wuͤrde/ als die Staͤtigkeit deß an-
dern? Dann die Jenigen/ die etwas mehr/ als gemeinen Ver-
ſtand haben/ ſeynd ins gemein nicht arbeitſam. Wann ſie es aber
ſeynd/ ſo ſeynd ſie es nicht in allen Dingen/ ſondern ihr Sinn trei-
bet ſie bald zu dieſem/ bald zu Jenem/ da hingegen leget ſich ein
mittelmaͤſſiger Verſtand viel beſtaͤndiger auf ein Ding/ als die
gar zu ſubtile Leute/ und wann er es begriffen/ acquiriret er ihm
darinn eher durch fleiſſige Ubung einen Habitum, und machet
ſich alsdann zum Meiſter. Welches auch an den unvernuͤnff-
tigen Thieren zu ſehen/ die das Jenige/ was ſie einmahl gelernet
haben/ es ſey Tantzen/ oder dergleichen etwas/ viel beſſer und ex-
acter thun/ als der Menſch ſelbſten/ deſſen Caprice mannich mahl
den Regulen der Kunſt zuwider/ etwas darvon/ oder hinzu thut.
Daß man alſo nach Proportion von den Leuten ſagen kan/ die
ihren geringen Verſtand mit einem unnachlaͤſſigen Fleiß und
Arbeit in ſchweren und wichtigen Dingen/ (als da ſeynd/ ſich in
Kuͤnſten/ Wiſſenſchafften und Exercitiis zur Perfection zu brin-
gen/) erſetzen. Daß ſie zu Folge dem Spruch: Labor impro-
bus omnia vincit, endlich zu allen Dingen gelangen koͤnnen.
Doch muß eine gewiſſe Maß hierinn gebrauchet werden/ dann
ſonſten iſt es bekandt/ daß die gar zu ſchwere und ſtaͤtige Arbeit/
auch das allerſtaͤrckeſte Temperament und Complexion, ſo wol
deß Leibes/ als deß Verſtandes/ ebener Maſſen verderbe/ wie die
Senne auf einem Bogen/ dardurch entweder ſpringet/ oder
ſchlappernd uñ untuͤchtiger gemacht wird/ wañ man ihn allezeit
geſpannet haͤlt.
K kDie
[514]Deß Academiſchen
Die Teutſchen ſahen wol/ daß der Printz ein
fuͤrnehmer Herꝛ ſeyn muſte/ dannenhero lieſſen ſie ſei-
nen Worten die groͤſte Autoritaͤt/ und weil ſie bey-
derſeits keine Luſt bezeugeten/ viel Zeit zu verlieren/
ſtunden ſie endlich von der Mahlzeit auf/ und ſetzten
ſich allerſeits zu Pferde. Da dann Condado, der ſich
allwege vor einen Jtaliaͤniſchen Edelmann wolte ge-
ehret wiſſen/ mit ſeiner Geſellſchafft gegen den an-
brechenden Abend zeitlich in eine Nacht-Herberge
einkehrete/ allermaſſen ihm das Nacht-Raͤyſen ſchon
verdrießlich worden war. Am folgenden Tag/ etwa
2. Stunden vor der Sonnen Untergang/ erreichten
ſie die ſchoͤne Stadt Trento, oder Trident, welche
ſchon im Tyrol liget. Hieſelbſt bekam Condado, als
er nach eingenommenem Abendmahl ſchlaffen gan-
gen war/ eine ſtarcke Colicam, worvon er groſſe Pein
empfand/ man forderte einen Medicum, der ihm eini-
ge Medicamenta applicirte/ aber der Schmertzen im
Leibe wolte ſich ſo bald nicht legen/ wannenhero er in
dieſer Stadt ſtill ligen muſte. Klingenfeld/ Cavina
und Cerebacchius giengen um den Mittag auß/ die
Stadt zu beſehen/ und wolten Venereum mit ſich neh-
men/ aber derſelbe bezeugete keine Luſt darzu/ ſondern
gieng in eine kleine Kirche/ als wann er ſein Gebett
verrichten wolte/ wie er aber eine ſchoͤne junge Frau
erblickete/ deren Augen ein wenig mehr/ als es ſich ge-
buͤhrete/ im Kopff umher fackelten/ nahete er ſich zu
ihr/ und præſentirte ihr ſeine Dienſte. Die Frau ſahe
wol/ daß er ein anſehnlicher ſchoͤner Juͤngling/ warff
demnach/ Krafft ihrer angebornen geilen Natur/ al-
ſobald eine brennende Hitz gegen ihn/ und gab ihm zu
verſtehen/ daß ſie ſich nahe vor dem Thor der Stadt
auf ihrem Luſt-Garten dieſe Sommer-Zeit aufzu-
halten pflegete. Jhr Mann ſey ein Amtmeiſter unter
den
[515]Romans I. Buch.
den Meſſerſchmieden/ und ob er gleich dann und wañ
am Tag zu ihr kaͤme/ ſchlieffe ſie doch meiſt alle Nacht
allein/ alſo koͤnne er auf den Abend vor ihr Hauß kom-
men/ und ſanfftiglich anklopffen/ ſo wolle ſie ihm be-
hende aufmachen/ dafern aber der Mann/ wider Ver-
muthen/ ſich bey ihr befinden ſolte/ ſo wolle ſie es ihm
ſchon durch ihre Magd bey Zeiten und in aller Stille
zu erkennen zu geben/ unvergeſſen ſeyn.
Mit dieſem Abſchied giengen ſie von einander/
und nach dem Venereus vor ſich allein ein wenig um-
her gegangen/ kehrete er wieder in ſeine Herberge/ all-
wo er mit den andern gegen Abend zu Tiſche gehen
ſolte/ aber er erzehlete/ was er aufgefiſchet/ deſſen ſich
die andern/ inſonderheit aber Condado, hoͤchlich ver-
wunderten/ und nicht begreiffen kunten/ wordurch das
Frauenzimmer ſo leicht zu ihm koͤnte angelocket wer-
den. Venereus aber lachete/ und ſprach: Experientia
facit Magiſtrum, ich habe dieſes Handwerck ſchon ſo
lange getrieben/ daß ich mehr/ als ein Mittel weiß/
das liebliche Frauenzimmmer an den Angel zu brin-
gen. Er hieng demnach ſeinen Degen an die Seite/
und gieng auß der Stadt/ ehe das Thor verſchloſſen
ward. Drauſſen in der Vorſtadt gieng er in eine
Schencke/ und ließ ihm ein Glaß Wein langen/ bey
welchem er ſich luſtig machte/ biß die Sterne am
Himmel erſchienen/ darauf nahm er ſeinen Abſchied
allhier/ und gieng nach dem bezeichneten Luſt-Garten.
Hieſelbſt klopffete er fein ſanffte an/ und alſobald kam
eine Magd/ und ließ ihn ein/ da er ſeine Maiſtreſſe
bald vor ſich fand in einem duͤñen Unter-Kleide/ dieſe
fuͤhrte ihn in den Garten unter einen groſſen Pfirſich-
Baum/ daſelbſt ließ ſie ein Tafel-Tuch auch auf das
gruͤne Graß außbreiten/ die Magd brachte ein Paar
Reb-Huͤner/ und einen gebratenen Hecht/ wie auch
K k 2zwo
[516]Deß Academiſchen
zwo Flaſchen Wein/ darauf machten ſie ſich luſtig/
und nachdem ſie ſich wol geſaͤttiget/ giengen ſie mit
einander in das Hauß/ woſelbſt alle Thuͤren wol ver-
ſchloſſen waren. Sie giengen ſchlaffen/ thaͤten aber
nichts weniger/ als ſchlaffen/ ſondern lebten die gantze
Nacht in dem/ was vor der ehrbaren Welt eine groſ-
ſe Suͤnde/ bey Venereo aber/ und der unzuͤchtigen
Frauen vor eine Galanterie geachtet wird. Hiermit
verbrachten ſie ihre Zeit/ biß zwo Stunden vor der
Sonnen Aufgang/ da ſie von dem Schlaff uͤberfal-
len wurden/ der ſie ſo lange gefangen hielt/ biß ſie die
Magd aufweckete/ da ſich dann Venereus wieder in
ſeine Kleider ſteckete/ und darvon gieng.
Die ſchoͤne Frau gab ihm das Geleit biß vor
die Thuͤr/ allwo ſie ihm einen Pfahl zeigete/ auf wel-
chem ein geſchundener Eſels-Kopff ſtack; Sehet mein
Schatz/ ſprach ſie anjetzo/ wann ihr auf den Abend
wieder kommet/ ſo betrachtet dieſen Kopff/ iſt das
Maul gegen der Stadt gekehret/ ſo moͤget ihr ſaͤnff-
tiglich anklopffen/ dann mein Mann iſt nicht bey mir.
Wo aber das Gegentheil erſcheinet/ ſo iſt die Karte
falſch/ und mein Mann ſtehet uns im Wege. Mit
dieſem Abſchied giengen ſie von einander/ und Vene-
reus erzehlete ſeinen Gefaͤhrten/ wie er dieſe Nacht
zugebracht haͤtte. Mit Condado wolte es ſich noch
nicht ſonderlich zur Beſſerung anlaſſen/ dannenhero
muſte er auch noch dieſen folgenden Tag zu Trento
bleiben/ welches dem Venereo ein gefundenes Freſſen.
Nachdem er gefruͤhſtuͤcket/ nahm er den Klingenfeld
zu ſich/ und gieng mit ihm vor das Thor/ allwo er ihm
von weitem das Hauß ſeiner Nacht-Luſt/ zuſamt dem
geſchundenen Eſels-Kopff auf dem Pfahl zeigete.
Als ſie ſonſten noch ein wenig umher ſpatzieret/ gien-
gen ſie wieder nach der Stadt/ und beſahen die groſſe
ſchoͤne
[517]Romans I. Buch.
ſchoͤne Thum-Kirche darinn/ welches ein uͤberauß
herꝛliches Gebaͤu. Darauf nahmen ſie ihren Weg
vollends nach Hauß/ und nach eingenommenem
Mittags-Mahl verfuͤgte ſich Venereus zu Bette/ wol
wiſſend/ daß er dieſe kuͤnſftige Nacht wenig Zeit uͤbrig
haben wuͤrde zum Schlaffen.
Als endlich der Abend heran brach/ ruͤſtete er ſich
mit 2. Sack-Piſtolen/ und nachdem er ſeine Spani-
ſche Klinge angeguͤrtet/ gieng er vor der Mahlzeit
zum Thor hinauß/ und ſetzte ſich ſo lange in eine kleine
Capelle nieder/ biß ihm die Sterne den Weg zu zei-
gen begunten. Alſo machte er ſich auf den Weg nach
der Meſſerſchmiedin/ welche ſchon vorhero auf ihren
Courtiſan gedacht/ und um ſeinetwillen 2. fette Ca-
paunen/ 1. Eyer/ und etwas Gebackenes zurichten/
ſolches auch/ ſamt 2. Flaſchen koͤſtlichen Weins/ un-
ter erſagtem Pferſich-Baum in dem Garten durch
die Magd niederſetzen laſſen/ um daſelbſt/ wie vori-
gen Abend/ neben ihm in aller Froͤlichkeit das Abend-
(ja Huren-) Mahl mit ihrem Buhlen einzunehmen.
Aber ſiehe/ dieſe Tractamenten waren kaum an ihren
Ort gebracht/ da kommt Meiſter Moritz/ der gram-
ſichtige Meſſerſchmidt nach dem Hof/ deſſen ſeine
junge Frau von gantzem Hertzen erſchrack/ jedoch ließ
ſie ſich nicht das Geringſte mercken/ ſondern langete
etwas kalten Fleiſches/ das von der Mittag-Speiſe
bißhero uͤberblieben war/ herfuͤr/ und tiſchete ihm ſol-
ches/ neben einer gelinden kalten Schale/ auf. Sie ge-
noſſe auch fuͤr Bekuͤmmernuͤß ſelber nichts anders/
dann ſie war ſo verſtoͤret/ daß ſie vergaſſe/ den Eſels-
Kopff umzuwenden/ um den Venereum dardurch zu
bemuͤſſigen/ daß er ſich dieſe Nacht ihrer enthalten/
und keine blaue Stirn lauffen moͤchte. So war
auch die Magd nicht von ſolchem hohen Verſtand/
K k 3daß
[518]Deß Academiſchen
daß ſie dieſes ihrer Frauen haͤtte ſollen bedencken
helffen/ gnug war es ihr/ wann ſie thaͤte/ was ihr
die Frau befohlen/ und im uͤbrigen ließ ſie alles und
jedes auf ihrer Frauen gute Anſtalt und Verant-
wortung ankommen/ alſo daß ſie bloß einen blinden
Gehorſam leiſtete.
Gleich wie ſich aber die Frau in ihrer groͤſten
Confuſion, ſamt dem Mann/ ſchlaffen legete; Alſo
thaͤte auch die Magd deßgleichen/ meynend/ alles/
was ſie wie die Frau machte/ ſey wol gethan. Es war
weder dem einen/ noch dem andern/ einiger Schlaff in
die Augen kommen/ als Venereus, der ſich bey dem
Eſels-Kopff ſchon erfreuet/ daß er abermahl eine
gluͤckſeelige Nacht haben wuͤrde/ ſanfftiglich anklopf-
fete. Solches hoͤrete die Frau ſo wol/ als ihr Mann.
Sie kroch aber geſchwinde unter die Decke/ und rie-
the dem Mann/ deßgleichen zu thun. Dieſer kehrete
ſich hieran nicht/ ſondern laurete/ und darauf ward
noch einmahl geklopffet/ dahero der Mann forſchete/
was ſolches bedeuten moͤchte? ſintemahl er deßglei-
chen an dieſem Ort vorher nicht gewohnet geweſen.
Die Frau war mit ihrem behenden Griff ſchon
parat, und ſagte zum Mann: Ach! mein lieber Mo-
ritz/ es iſt gut/ daß ihr es einmahl ſelber mit euren Oh-
ren anhoͤret/ dieſes Geſpenſt kommet faſt alle Nacht
vor die Thuͤr/ dahero mir ſchon etliche mahl ſo Angſt
darbey worden/ daß ich fuͤr Bekuͤm̃ernuͤß und Schre-
cken haͤtte vergehen moͤgen. Jch haͤtte es euch ſchon
laͤngſt geſagt/ wann ich nicht befuͤrchtete/ geplaget
zu werden/ dann man ſaget und glaubet/ daß der Je-
nige/ der ein Geſpenſt verrathe/ von demſelben hernach
viel außzuſtehen habe. Jch bin deßwegen ſchon 2. mahl
nach St. Rocchus im Gebuͤrge/ eine halbe Meile von
hinnen/ geweſen/ und habe ihn um Huͤlffe angeruffen/
aber
[519]Romans I. Buch.
aber ich habe keinen Bericht noch Troſt erlanget/ oh-
ne/ daß mir auf dem Ruckweg zum letzten mahl eine
alte Einſiedlerin begegnet/ welche mich etliche kraͤff-
tige Worte hat ſprechen lernen/ dardurch ſich die Ge-
ſpenſter ſolten beſchwoͤren und verbannen laſſen. Jch
habe zwar bißhero/ weil ich deß Nachts hier allein ge-
ſchlaffen/ nimmer das Hertz gehabt/ mich dieſer Be-
ſchwoͤrung wider das Geſpenſt zu bedienen/ auß Sor-
ge/ es moͤchte mir nicht zum Beſten außſchlagen/ und
ich moͤchte von dem Ungeheuer deßfalls einen ſchlech-
ten Lohn empfangen. Nun ich euch aber bey mir weiß/
wolan/ ſo faſſet ein Hertz mit mir/ laſſet uns aufſte-
hen/ und das Ungeheuer beſchwoͤren/ der Himmel
wird ſeine Gnade geben/ daß unſer Hauß hinfuͤhro
darvon moͤge befreyet bleiben.
Ob nun gleich dem Mann nicht gar wol bey der
Sache/ als der ſich ſein Lebtage auf lauter Froͤmmig-
keit und gute Wercke geleget/ auch den Moͤnchen alles
mittheilete/ was er von alten Kleidern uͤbrig hatte/
nur/ daß ſie ihn darfuͤr einige andaͤchtige Gebettlein
lehren moͤchten/ ſo muſte er doch die Hoſen anlegen/
und mit der Frau unter der Decken herfuͤr/ da ſie dañ
zu der Hauß-Thuͤr tratten/ und hoͤrete Venereus alles
gar wol/ den es zwar verdroß/ daß man ihn mit dem
Eſels-Kopff nicht gewarnet/ jedoch dachte er wieder/
der Mann moͤchte jetzo allererſt/ und zwar gleich vor
ihm gekommen ſeyn/ dahero gab er ſich zufrieden/ und
lachete der Frauen von gantzem Hertzen. Wie ſie zur
Thuͤr gekom̃en/ ſprach die Frau zum Mann uͤberlaut/
und zwar mit Fleiß: Mein Mann Moritz/ ſtelle dich
gegen uͤber mich an die rechte Seite der Thuͤr/ ich blei-
be an der Lincken ſtehen/ (ſolches thaͤte ſie/ damit Ve-
nereus vernehmen moͤchte/ wie es ſtuͤnde/) der Mann
thaͤte ſolches mit Zittern/ und darauf forſchete ſeine
K k 4Frau:
[520]Deß Academiſchen
Frau: Mann/ Moritz/ ſteheſt du nun/ wie ich dir be-
fohlen habe? Er ſprach: Ja. Die Frau ſprach wei-
ter: Mann/ raͤuſpere dich/ daß es im Hauß erſchalle.
Der Mann erſchrack/ zohe die Frau beym Rock/ und
ſprach: Biſt du naͤrriſch? Das Ungeheuer moͤchte
uns Beyden die Haͤlſe zerbrechen. Sie aber fuhr fort
mit heller Stim̃e: Moritz/ mein Mann/ ich beſchwoͤre
dich/ daß du dich raͤuſperſt/ ſo laut/ als du im̃er kanſt.
Darauf ſetzete der gute Meſſerſchmidt ſeine beyde
Daumen in die Seiten/ und raͤuſperte ſich/ daß das
Hauß darvon erzitterte/ und Venereus fuͤr hertzlichem
Lachen ſchier umgefallen waͤre vor der Thuͤr. Hierauf
ſprach die Frau: Du armſeeliger/ umſchweiffender
Geiſt hoͤreſt hierauß/ daß ich ein Manns-Bild bey
mir im Hauß habe. Wolan/ O Geſpenſt/ das du die
gantze Nacht wandelſt/ und keiner Ruhe faͤhig biſt/
auch andere unſchuldige Leute nicht kanſt ruhen laſ-
ſen. Jch beſchwoͤre dich/ gehe hin in den Garten/ unter
den Pferſich-Baum/ da findeſt du Tobiſompto und
12. Cacharilli von meinen Huͤhnern/ ſetze den Mund
an den Stroh-Sack. Tantabolandi Pholacci, gehe
deinen Weg/ dahin du gehoͤreſt/ im Namen St. Roc-
chus, und ſeiner getreuen Dienerin/ komme auch hin-
fuͤhro nim̃ermehr wieder/ ſondern laß mich und mei-
nen Moritz im Frieden und Ruhe bleiben/ zwiſchen
unſern vier Pfaͤhlen.
Venereus hielte das Schnup-Tuch in Mund/
daß man ihn nicht moͤchte lachen hoͤren/ weil er aber
hier nichts mehr fuͤr ſich zu thun fand/ gieng er in den
Garten/ und ſuchete unter dem bewuſten Pferſich-
Baum/ allwo er die 2. Capaunen/ Eyer und Flaſchen
mit Wein fand. Er verzog hieſelbſt nicht lange/ ſon-
dern legete die Speiſen/ ſamt dem Schnee-weiſſen
Waͤitzen-Brodt/ in die Serviette, ſo darbey lag/ knuͤpf-
fete
[521]Romans I. Buch.
fete ſie zuſammen/ nahm die Flaſchen unter den Arm/
und kehrete wieder nach der Vorſtadt/ allwo er in ei-
ner kleinen Herberge einkehrete/ und etwas Speiſe
foderte; Aber die Leute ſagten/ daß ſie keine gare
Speiſe jetzo haͤtten/ dahero koͤnten ſie ihm nichts an-
ders vorſetzen/ als ein wenig Butter und Kaͤſe/ ſamt
einem Trunck Milch/ ſintemahl bey ihnen ſelten Leute
einzukehren pflegeten. Hier hatte nun Venereus Fug
und Macht/ ſeine eigene Tractamenten herfuͤr zu lan-
gen/ welche er auftiſchete/ und den Wirth zu Gaſt noͤ-
thigte/ der ſolches mit Freuden annahm/ und ſich zu
ihm ſetzete. Jndem ſie aber zulangen wolten/ klopffete
Jemand an die Thuͤre/ und als man ſolche eroͤffnete/
tratt eine feine junge Dirne hinein/ und foderte etwas
Speiſe. Die Wirthin ſprach: Gehet in die Stube/
da ſitzet ein Fremder/ der ſeine eigene Tractamenten
hat/ weil wir ihm nichts aufſchaffen koͤnnen. Er moͤch-
te euch etwa vergoͤnnen/ mit ihm zu ſpeiſen. Alſo tratt
die Dirne herein/ gruͤſſete den Venereum gantz freund-
lich/ und bathe ihn/ daß er ihr um St. Rocchus Willen
etwas Speiſe mittheilen wolle.
Das XLIV. Capitul/
Venereus iſt abermahl luſtig. Condado und ſeine Geſell-
ſchafft raͤyſen fort. Venereus paſſiret fuͤr einen Sternſeher. Sie
haben ein Geſpraͤch/ warum der Menſch allemahl nach verbottene[n]
Dingen ſtrebe?
DIeſer/ der alles junge Frauenzimmer gerne ley-
den mochte/ fuͤhrete ſie bey der Hand herbey/
und ließ ſie mit ihm eſſen/ er legete ihr das
Beſte vor/ was er hatte/ uñ reichete ihr ſo viel Weins/
als ſie trincken mochte; Fragete darauf: Woher ſie ſo
ſpaͤt komme? Jch bin eines Kauffmanns Tochter auß
Bormio, ſprach ſie/ und habe ein Geluͤbde gethan/
in ein Jungfern-Kloſter zu gehen; Nun aber die
Zeit
[522]Deß Academiſchen
Zeit meiner Einkleidung heran nahet/ findet ſich ein
feiner Juͤngling/ der meiner zur Ehe begehret/ darum
habe mich aufgemacht/ nach St. Rocchus zu Wallfahr-
ten/ und um ſeinen Beyſtand zu bitten/ alsdann bin
ich bereit/ nach Rom zu gehen/ und Abſolution meines
gethanen Geluͤbdes zu erlangen. Venereus ſprach:
Him̃el/ wie wunderlich ſchickeſt du alles/ meine ſchoͤne
Jungfrau/ ich habe hingegen ein Geluͤbde gethan/ ein
Muͤnch zu werden/ und nun werde ich mit der Zeit an-
ders Sinnes/ und begehre gleicher Geſtalt Abſolu-
tion. Wann wir geſſen haben/ wollen wir mit ein-
ander ſchlaffen gehen/ und unſere Sache weiter uͤber-
legen. Deſſen war die Jungfrau zufrieden/ und alſo
wieſe man ihnen/ nach gehaltener Mahlzeit/ oben in
2. Kammern neben einander/ Jedem ins beſonder/ ein
Bette an. Sie legeten ſich nieder/ aber Venereus
ſtund hernach bald auf/ oͤffnete die andere Thuͤre/ und
ſprach: Jungfrau/ wie ich vernehme/ ſo werden die
Fremden in dieſem Hauß von den Geſpenſtern ſehr
beunruhiget/ waͤre es nicht beſſer/ daß wir uns zufam-
men unter eine Decke verfuͤgeten/ ſo haͤtten wir noch
Troſt von einander? Jch bin aber/ gab Jene zur
Antwort/ eine verlobte Nonne/ und ich/ ſprach dieſer/
ein verlobter Muͤnch. Derowegen koͤnnen wir dieſe
Nacht in lauter Keuſchheit/ Krafft unſers Geluͤbdes/
zubringen. Deſſen war die Jungfrau zufrieden/ und
ließ ihn neben ſich ligen. Aber Venereus umhalſete ſie
alſobald/ deſſen ſie ſich zwar wegerte/ doch geſchehen
ließ/ daß er nach ſeinem Belieben mit ihr handthierte.
Wie nun das Jenige geſchehen/ was wider ihr
Geluͤbde ſtritte/ ſprach Venereus: Nun wolan/ ſind
wir nicht Beyde unſers Geluͤbdes durch das Geſchick
befreyet? Wir haben den Kloͤſtern unſere keuſche
Jungfrauſchafften gelobet/ und dieſe ſind nun dahin/
dahero
[523]Romans I. Buch.
dahero ſind wir auch deß Geluͤbdes entbunden/ und
nun haben wir nicht noͤthig/ nach St. Rocchus, viel we-
niger nach Rom zu wallfahrten. Die geweſene Jung-
frau ſagete ihm hertzlichen Danck fuͤr ſeine Abſolu-
tion, und fragete/ womit ſie ſich auß den Schulden
loͤſen ſolte/ weil er ihr eine gute Nacht-Mahlzeit
ſpendiret haͤtte? Jch wil meine Schuld/ ſprach Ve-
nereus dargegen/ ſchon dieſe Nacht ſelber/ jedoch mit
eurer Verguͤnſtigung einfordern/ laſſet mich nur
handthieren/ ihr ſollet mich mit Freuden bezahlen/
und ich wil nicht mehr fordern/ als ihr mir geben koͤn-
net. Alſo machte ſich Venereus rechtſchaffen luſtig/
und je luſtiger er ſich machte/ je mehr die Dirne lache-
te/ biß ſie endlich vom Schlaff uͤbernommen wurden/
darinn ſie verharreten/ biß an den liechten Morgen.
Damahl wolte Venereus von ſeiner keuſchen Bett-
Geſellin ſcheiden/ dieſe aber hielte ihn/ und ſagete:
Mein Herꝛ/ ich habe euch ja wegen deß Kapaunen
noch nicht vergnuͤget. Venereus merckete wol/ was ſie
haben wolte/ legte alſo noch einmahl ſeine Schuldig-
keit ab/ und ſchied von ihr/ zahlete dem Wirth die
Herberge/ und kehrete wieder nach der Stadt/ ehe
die Dirne aufgeſtanden und herunter kommen war.
Wie er daſelbſt anlangete/ fand er die Pferde
ſchon geſattelt im Hof ſtehen/ und hoͤrete/ daß Cere-
bacchius gewaltig expoſtulirte. Er vernahm aber/
daß ſolches geſchahe/ weil Condado, der nun wieder
voͤllig geneſen/ alſobald aufſitzen/ dieſer hingegen zu-
vor Fruͤhſtuͤcken wolte/ Condado lachete endlich deß
Handels/ und nachdem er ein gutes Fruͤhſtuͤck lan-
gen laſſen/ und Cerebacchius darvon das Meiſte zu
ſich geſtecket/ ſetzten ſie ſich zu Pferde/ und ritten zur
Stadt hinauß. Wie ſie nahe zu deß| Meſſerſchmieds
Hof kamen/ zeigete ihnen Venereus den Eſels-Kopff
auf
[524]Deß Academiſchen
auf dem Pfahl/ der noch nicht umgekehret war/ weil
ſich der Hauß-Wirth dieſen Morgen nach der Stadt
verfuͤget hatte/ und lebte die Frau der Hoffnung/ ſie
wuͤrde ſchier kuͤnfftige Nacht ihren Buhlen wieder
bey ſich ſehen/ und ſich rechtſchaffen mit ihm ergoͤtzen.
Als ſie endlich neben das Hauß kamen/ erblickete ſie
die Frau/ welche dem Venereo winckete/ zu ihr zu kom-
men/ er aber lachete ihrer/ welches ſie gewaltig ver-
droſſe/ daß ſie ihm nachſchrie: Du Schelm bezahle
mir meine Kapaunen. Dieſer aber lachete noch mehr/
und replicirte: Du ha/ he/ hi/ ho/ hu/ bezahle mir mei-
nen erſten/ andern und die uͤbrige Gaͤnge. Doch ſtill/
daß es Niemand hoͤre/ wann ich wieder komme/ wol-
len wir uns ſchon vergleichen. Hiermit ſchwunge er
den Hut um den Kopff/ und folgete ſeinen Vorgaͤn-
gern/ denen er erzehlete/ wie es ihm die hingelegte
Nacht ergangen waͤre/ deſſen ſich dann ein Jeder
rechtſchaffen und von gantzem Hertzen zerlachete.
Dieſen Mittag funden ſie nichts zu eſſen in der
Herberge/ weßwegen Condado den Cerebacchium
ſeiner Vorſorge halben lobete/ indem derſelbe ſo hart
auf das Fruͤhſtuͤck zu Trient getrungen hatte. Nach-
dem ſie alſo einen Trunck Waſſers/ und etwas Brod
mit Zwiebeln zu ſich genom̃en/ die Pferde auch durch
ein gutes Haber-Futter wieder gute Kraͤfften bekom-
men/ ſetzten ſie ſich zu Pferde/ und ritten ihres Weges
weiter/ kamen aber gegen Abend in ein Dorff/ darinn
ſie gleicher Geſtalt wenig zu eſſen funden/ welches in-
ſonderheit dem Condado und dem Cerebacchio ſehr
nahe gieng/ inmaſſen dieſe Beyde nicht gewohnet
waren/ bey einem nuͤchtern Magen ſchlaffen zu gehen.
Der Wirth kunte nicht mehr/ als 8. Eyer aufbringen/
und ein wenig Brod. Aber an Milch war kein Man-
gel/ dannenhero Cerebacchius einen gantzen Eymer
voll
[525]Romans I. Buch.
voll Milch in den Leib hinein ſoffe. Er fuͤhlete aber/
daß ihm ſolches noch nicht helffen wolte/ dannenhero
bewoge er den Venereum, der gleicher Geſtalt ſehr
hungerig war/ daß er mit ihm in das Dorff gieng/ da
wolten ſie vor den Bauren-Haͤuſern ſingen/ ob ſie
etwan noch etwas von der Mildigkeit der Hauß-Leu-
ten erlangen moͤchten. Als dieſe hinauß getretten
waren/ kam ein anderer Fremdling zu Pferd/ und
kehrete bey dieſem Wirth gleicher Geſtalt ein/ dieſer
hatte ſich mit einem Stuͤck Gebratenes verſehen/
weil er wol wuſte/ daß man hier wenig zu eſſen bekaͤ-
me/ er ſetzte ſich demnach in einen Winckel an einen
kleinen Tiſch/ und verzehrete das Wenige/ ſo er mit-
gebracht hatte. Darauf ſeuffzete er/ und die Thraͤnen
ſchoſſen ihm auß den Augen. Klingenfeld tratt zu
ihm/ und ſprach: Vatter/ was habt ihr vor ein Anli-
gen/ daß ihr ſo bekuͤmmert ſeyd? Jch bin/ ſprach die-
ſer/ ein Kauffmann von Bormio, und darff meiner
Nahrung halben keine Sorge tragen/ aber das Ge-
ſchick hat mich mit einem groſſen Ungluͤck beleget.
Meine einzige Tochter habe ich in ein Kloſter verlo-
bet/ und wie nunmehro die Zeit ihrer Einkleidung
heran tritt/ gibt ſich ein feiner Geſell an/ der ihrer zur
Ehe begehret. Sie wil darauf gerne vom Kloſter-
Geluͤbde loß ſeyn/ und weiß nicht/ wie ſie es machen
ſoll. Hat ſich alſo ſeit ehegeſtern verlohren/ und ich
weiß nicht/ wohin ſie mag gekommen ſeyn/ ſolchem
nach habe mich heute aufgeſetzet/ ſie zu ſuchen/ ob ich
ſie wieder finden moͤchte. Jch glaube/ unſer Biſchoff
ſey capabel, ſie von ihrem Geluͤbde zu abſolviren.
Gebet euch zufrieden/ mein Freund/ antwortete
ihm Klingenfeld/ ich hoffe/ ihr ſollet noch dieſen Abend
guten Bericht von eurer verlohrnen Tochter erlan-
gen. Wie ſoll das zugehen? forſchete der bekuͤmmer-
te Vat-
[526]Deß Academiſchen
te Vatter. Worauf Jener: Wir haben einen erfahr-
nen Sternſeher in unſerer Geſellſchafft/ der ſoll euch
bald vergnuͤgen/ wann er wieder kommt/ er iſt nur ein
wenig außgegangen/ und wird bald bey uns ſeyn.
Jndem dieſe noch mit emander redeten/ kamen Cere-
bacchius und Venereus wieder/ weil ihnen die Bauren
nichts mittheilen wollen/ ſondern ihnen mit Miſtga-
beln droheten/ dafern ſie ſich nicht bald packen wuͤr-
den. Klingenfeld tratt zu dem Letzten vor die Thuͤr/
und erzehlete ihm deß Fremdlings Anligen/ welcher
deß Handels von Hertzen lachete/ und ſagte: Harre/
was gilt es/ wir wollen dieſen Abend noch eine gute
Mahlzeit bekommen. Alſo tratten ſie mit einander
hinein/ und der alte Mann muſte ihm ſein Anligen er-
zehlen. Venereus beſann ſich darauf ein wenig/ und
ſprach endlich: Guter Vatter/ was wollet ihr mir
geben/ wann ich euch anzeige/ wo eure Tochter iſt/ und
wie es mit ihr ſtehet? Jch wil euch/ ſprach dieſer/
10. Ducaten verehren; Nicht zu viel/ fuhr Jener fort/
ihr ſehet/ daß wir hier weder zu beiſſen noch zu brechen
haben/ werdet ihr uns durch eure Kundſchafft bey den
Hauß-Leuten etwas zu eſſen und zu trincken verſchaf-
fen/ ſo wil ich euch alles anzeigen. Nachdem ihm
ſolches der alte Mann zugeſaget/ fuhr Jener fort:
Eure Tochter hat rothe Struͤmpffe und ein Paar
neue Schuh an/ darneben einen rothen Rock/ und ei-
ne ſeidene Kappe/ iſt eine Dirne von 17. Jahren/ und
liſpelt mit der Zungen/ 2. Zaͤhne im Mund mangeln
ihr/ die aber ihre Geſtalt nicht verringern/ ihre Augen
ſind braun-ſchwartz/ und wann ſie redet/ hat ſie einen
kleinen Huſten darbey. Als der Mann den Vene-
reum alſo reden hoͤrete/ fiel er ihm um den Halß/ und
kuͤſſete ihn vor Freuden. Dieſer aber ſprach: Mein
Freund/ machet nur Anſtalt/ daß wir etwas zu eſſen
bekom-
[527]Romans I. Buch.
men/ ſo wil ich euch den Reſt erzehlen. Alſo muſte der
Wirth einen Knaben ins Dorff ſenden nach dem
Bauer-Vogt/ der dieſes Kauffmanns Schuldener/
Gevatter und groſſer Freund war. Wie dieſer kam/
bathe er ihn ein Kalb zu ſchlachten/ und eine gute
Mahlzeit zu zurichten vor 7. Perſonen/ vor die Be-
zahlung wolle er ſtehen/ er ſolle aber nichts ermangeln
laſſen/ was erfordert werden moͤchte/ dieſe gute
Freunde/ und ihn ſelber/ nach allem Vermoͤgen zu
bewirthen.
Hierauf kehrete dieſer alſobald nach Hauß/ und
thaͤte/ wie ihm der Kauffmann befohlen hatte. Unter-
deſſen fuhr Venereus fort: Eure Tochter iſt geſtern
Abend in der Vorſtadt vor Trient geweſen/ allda ſie
durch eine wunderliche Schickung von ihrem Geluͤb-
de iſt abſolvirt worden/ ſie wolte zwar nach S. Rochus,
und alsdann vollends nach Rom gehen/ aber ſie wird
Morgen oder Ubermorgen ſich wieder bey euch zu
Bormio einſtellen. Uber dieſe Bottſchafft erfreuete
ſich der gute Mann von Hertzen/ fuͤhrete darauf die
Geſellſchafft ins geſamt nach ſeines Gevattern Hauß/
der ihnen wacker auftiſchete/ und den Wein auß ei-
nem Kloſter holete/ daß alſo dieſen Abend Venereus
die gantze Compagnie tractirete/ und zwar durch eine
ſonderliche Ebentheuer/ welcher Condado von Her-
tzen lachen muſte. Cerebacchius nahm dieſes mahl
ſo viel zu ſich/ daß er alles außgeſtandenen Leyds und
Hungers vergaſſe/ und als es ziemlich ſpaͤth in die
Nacht hinein/ kehreten ſie mit einander wieder in die
Herberge/ woſelbſt ſie biß an den folgenden Morgen
ruheten.
Als die Sonne wieder aufgieng/ nahm der
Kauffmann Abſchied von ihnen/ und ritte ſeines We-
ges nach Trient, um ſeine Tochter daſelbſt abzuholen/
Conda-
[528]Deß Academiſchen
Condado aber und ſeine Leute giengen einen andern
Weg/ und erreichten gegen den Mittag die Stadt
Bormio, woſelbſt ſie ein gutes Mittag-Mahl ein-
nahmen/ und darauf weiter fort ritten/ dann man ſa-
gete/ daß ſie dieſen Abend noch bey Zeiten in ein groſ-
ſes Dorff kommen koͤnten/ darinn ſie eine fuͤrtreffliche
Herberge finden wuͤrden. Aber/ wie ſie geſchwinde
fort ritten/ ſtuͤrtzete Troll mit ſeinem Pferd/ welches
ein Bein zerbrach/ dannenhero muſte der gute Knecht
nunmehro zu Fuß gehen. Wie er mit dem Pferd auf
der Erden lag/ rieff er den andern zu: O chari ſoda-
les, hic jacet in Trecco, qui modo Reuter erat. Sie
wolten ihm zwar wieder auf das Pferd helffen/ aber
daſſelbe kunte auf dem zerbrochenen Bein nicht fort-
kommen/ dannenhero nahm Troll die Piſtolen zu ſich/
band den Sattel hinter Venereum, und folgete zu
Fuſſe nach. Ob nun gleich dieſes Falls Condado von
Hertzen lachen muſte/ war es ihm doch leyd/ daß er
dardurch an ſeiner Raͤyſe gehindert ward. Es rieth
aber Klingenfeld/ man ſolle fort reiten/ und deß Trol-
len in der Stadt Chur einwarten/ ſo koͤnne man da-
ſelbſt von der Raͤyſe ein wenig außruhen/ und Troll
haͤtte Zeit gnug/ ſachtmuͤthig nachzufolgen. Welcher
Fuͤrſchlag von allen gut geheiſſen ward/ außgenom-
men von Troll/ welcher ſie bathe/ nur dieſen Abend
bey ihm zu bleiben/ biß er wieder zu Menſchen kom-
men ſey/ alsdann wolle er ſchon zuſehen/ wie er weiter
fortkommen moͤchte. Solches ſagete ihm Condado
zu/ und darum ritten ſie etwas langſamer/ Cavina und
Cerebacchius nahmen den armen Troll auch Wechſel-
Weiſe hinter ſich aufs Pferd/ und ſchleppeten ihn ein
gut Stuͤck Weges fort.
Es ward ihnen aber die Zeit ziemlich lang/ dan-
nenhero ſich Condado mit Klingenfeld in einen Diſcurs
ein-
[529]Romans I. Buch.
einließ/ und forſchete/ woher es doch komme/ daß Ce-
rebacchius dem Schwelgen/ und Venereus den Liebes-
Haͤndeln ſo ſehr nachhienge/ da ſie doch wol wuͤſten/
daß Beydes verbottene Dinge/ und ſie allemahl auf
dem Weg der Suͤnden wandelten?
KLingenfeld gab ihm hierauf zu vernehmen/ daß der Menſch
allwege eine groſſe Begierde zu verbottenen Dingen habe/
und daß nur die Tugendhafften ſich deren enthielten. Die 2. fuͤr-
trefflichften Faculraͤten der Seelen/ ſprach er/ ſuchen nicht an-
ders/ als wie ein Stein/ oder ander ſchwer-wichtiges Ding/ ſein
Centrum und Ruheſtaͤtte auf der Erden/ die eine in dem Wah-
ren/ die andere aber in dem Guten/ ihre Nahrung und Speiſe-
Geſetzt/ daß es alſo in der That ſey/ oder daß es zum Wenigſten
den Schein darvon habe. Gleich wie man aber einen Stein nicht
ohne Gewalt in der Luſſt kan behalten/ alſo kan man auch keiner
von dieſen Facultaͤten/ als nur mit Macht/ verwehren/ daß ſie
ſich nicht zu ihren Objecten wenden ſolte. Der Fehler/ den die
Obrigkeit an etlichen Orten in dieſem Stuck begangen/ daß ſie
den gemeinen Mann nicht haben wollen wiſſen laſſen von dem/
ſo in der Regierung vorgienge/ hat nicht nur vor Alters/ ſondern
auch noch bey unſerer Zeit/ eine viel groͤſſere Begierde und Vor-
witz bey thnen erwecket/ der Jenigen ihre Schrifften und Paſquil-
le zu leſen/ ſo mit dem Regiment nicht allerdings zufrieden/ de-
ren es zu allen Zeiten mehr als zu viel gibt. Was wir aber in
vorhergehendem Geſpraͤch von dem Verſtand geſagt haben/ er-
ſcheinet auch noch viel mehr beym Willen/ den man wie ein Pferd
zaͤumen muß/ der ſeine Freyheit nicht gerne uͤbergibt/ und der
ihm innerlich allezeit vorbehaͤlt/ ſo bald es nur im̃er moͤglich/ ſich
wieder zu befreyen. Jnmaſſen die Demuͤthigen und Gehorſa-
men einen hierinnen am beſten betriegen koͤnnen/ weilen ſie nicht
mehr als andere ihren Willen gantz laͤugnen/ noch ihrem Obern
denſelben vollkoͤmmlich unterwerffen. Nachdem auch die Ei-
genſchafft deß Willens iſt/ daß er frey ſey/ verlieret er alſofort
den Namen von Willen/ wann er irgendswo angebunden iſt.
Dahero kommt es/ daß einem das Jenige/ was man erſt mit
groſſer Begierde zu ſehen/ oder zu thun verlanget/ wann man es
hernach wider ſeinen Willen ſehen/ oder thun muß/ gantz zuwi-
der und verdrießlich wird; Eben/ als wie einem/ der einen guten
Biſſen mit Luſt in den Mund ſtecket/ welcher ihm hernacher nicht
mehr ſchmecken wurde/ wann er ſolte gezwungen werden/ ihn
L lmit
[530]Deß Academiſchen
mit Gewalt zu eſſen. Das Widerſpiel geſchicht in Dingen/ die
uns ſo gar indifferent ſind/ daß wir ſie weder lieben noch haſſen/
oder leichtlich thun und laſſen koͤnnen/ wann wir wollen/ ja/ die
uns zuwider ſeynd/ wann ſie uns nemlich verbotten werden/ weil
wir alsdann erſt eine rechte Luſt und Begierde dar zu bekommen;
Weil alsdann unſere Actionen ein anders Principium, als un-
ſern Willen haben/ ſo verdrieſſet es denſelben/ daß er einen an-
dern Hofmeiſter haben ſoll/ weil er vermeynet/ daß er der einzige
Urheber alles unſers Thuns und Laſſens ſeyn muͤſte. Und gleich-
wie wir nicht gerne einem andern weichen/ wann wir vermey-
nen/ daß uns die Ober-Stelle zukommt: Alſo verdreußt es auch
unſern Willen/ wann er ſiehet/ daß ihm ein anderer vorgezogen
wird/ und trachtet deßwegen nur mit deſto groͤſſerer Begierde
nach den verbottenen Dingen/ als er vermeynet/ daß er durch
das Gebott ſich von ſolchen Dingen zu enthalten/ gleichſam auß
ſeiner Stelle gedrungen/ und herunter geſetzet ſey.
Condado hingegen ſagte: Daß dieſe Propoſition nicht alle-
zeit eintreffe/ dieweil die wolgeſtelleten Gemuͤther freywillig
nach dem Guten trachteten/ welches ſie ſonſt nirgends anders/
als durch die Geſetze/ innen wurden/ die das Jenige/ was dem
Guten zuwider ware/ erkeñeten/ welches S. Paulum verurſachet
hat/ zu ſagen: Daß er nicht gewußt/ daß die Begierde oder Luſt
Suͤnde waͤre/ und wurde ſich alſo nicht darvon enthalten haben/
wann ihm nicht das Geſetz geſagt haͤtte: Du ſolt dich nicht ge-
luͤſten laſſen. Es truͤge ſich aber je zuweilen zu/ daß man ſich
mit Gewalt zu den verbottenen Dingen wendet/ darvon ich in
meiner Jugend ein artiges Exempel gehoͤret habe/ nemlichen:
Es ſey dem Koͤnig Franciſco I. einsmahls zu Ohren kommen/
daß in der Stadt Pariß ſich ein Buͤrger befinde/ der bey nahe
60. Jahr alt/ und noch niemahlen auß ſeinem Hauß kommen
waͤre; Worauf der Koͤnig ihm alſofort gebieten ließ/ daß er in
14. Tagen nicht außgehen ſolte. Welches Gebott verurſachte/
daß der Mann alle Tage an ſeine Thuͤr gieng/ und ſo bald die
Zeit verfloſſen/ ein Pferd nahm/ und etliche Meil-Weges vor die
Stadt ſpatzieren ritte. Als hat mir dieſes und unzehlich viel an-
dere Exempel/ die wir auß den Hiſtorien ſehen/ Anlaß gegeben/
der Urſache ſolcher Widerſpaͤnftigkeit deß Willens etwas gruͤnd-
licher nach zuſinnen/ und kan ich anders nicht begreiffen/ als daß
es folgender Geſtalt darmit beſchaffen ſeyn muͤſſe: Der Menſch
iſt in keinem Dinge/ als nur allein durch die Vernunfft/ von den
andern Thieren unterſchieden/ und thut derhalben auch nicht
gerne
[531]Romans I. Buch.
gerne etwas/ daß derſelben nicht zum wenigſten etlicher Maſſen
gemaͤß waͤre; Daher es dann kommt/ wann einer weiß/ daß ein
Ding in der Welt ſey/ und was es fuͤr ein Ding/ wird er auch
wiſſen wollen/ warum es alſo ſey? Gleichwie uns aber der Je-
nige zufrieden ſtellet/ der uns beſſere Rede und Urſache darvon
gibt/ als wir ſie bey uns ſelbſt haͤtten erdencken koͤnnen; Alſo thut
uns der Jenige im Geringſten kein Gnuͤgen/ der nicht wil/ daß
man ein Ding unterſuchen/ ſondern es nur bloß ſo annehmen
ſoll/ wie er es uns vorſtellet/ und der in Sachen/ die zu thun/ oder
zu laſſen/ uns ſeinen Willen/ an Statt der Raiſon oder Reden
aufdringen wil. Dann/ weil ſolches dem Willen/ der uns allein
von der Vernunfft/ und deren Schluß-Reden/ zu dependiren ge-
wohnet iſt/ gehaͤſſig/ findet er nichts darinn er ruhen und ſich zu-
frieden ſtellen koͤñe/ weil ihm keine Raiſon gegeben wird/ war um
er es thun koͤnne/ oder ſolle; Darum wendet er ſich auch fort zu
dem/ was mit dem andern Dinge ſtreitet/ und ihm gantz entgegen
und zuwider iſt. Auſſer dem gibt es die Erfahrung/ daß ein
Jedweder mehr ſein eigenes Intereſſe, als anderer Leute ihres ſu-
che/ daher wir/ ſo bald uns etwas gebotten/ oder verbotten wird/
ſtracks/ ohne einziges weiteres Nachdencken/ darfuͤr halten/ daß
es vielmehr zu deſſen/ der uns ſolches vorſchreibet/ als zu unſerm
Beſten gereiche; Weil es uns dann ſolcher Geſtalt verdaͤchtig
iſt/ und unſer Will hingegen mehr ſeinen eigenen/ als anderer
Leute Nutzen/ Vortheil und Vergnuͤgen ſuchet/ ſo ziehen wir die
Meynung/ ſo wir von einem Dinge haben/ anderer Leute Mey-
nung vor; Es geſchicht aber ſolches auß eigener Liebe/ die wir
zu uns ſelbſten tragen/ und um welcher Willen wir uns gaͤntzlich
einbilden/ daß das Jenige/ was wir wollen/ und was von uns
kommt/ viel beſſer ſey/ als das Jenige/ was andere Leute von
uns begehren.
Hierauf ſprach Cavina: Es ſey wol wahr/ daß die vorige
Propoſition (wie man nemlich eine viel groͤſſere Begierde zu den
verbottenen Dingen habe/) in der That nicht univerſal oder all-
gemein ſey. Das Gebott zwinge auch unſern Willen nir gends
zu ſondern ließ ihm mehr Wahl/ als er zuvor gehabt/ da er nichts
zu waͤhlen/ ſondern nur ſeinen Anreitzungen/ zu folgen hatte/ und
es ſtehet unſerm Gemuͤth jedes mahlfrey mit dem Jenigen/ was
uns verbotten/ zufrieden/ oder nicht zufrieden zu ſeyn. Dann/ daß
man ſagen wolte/ die Furcht/ die man fuͤr einen Geſetzgeber ha-
be/ wider die Geſetze zu handeln/ ſey eine Bewegung/ die uͤber un-
ſer Gemuͤth tyranniſtre/ und es unſerer Inclination zuwider
L l 2zum
[532]Deß Academiſchen
zum Gehorſam zwinge. Solches ſtehet eben ſo wenig zu glau-
ben/ als daß eine Rechts-Sache/ die von einer oder der andern
Parthey Advocaten wol außgefuͤhret wird/ den Richter zwingen
ſolte/ dieſer oder jener Parthey einen angenehmen Außſpruch
darinnen zu thun/ dieweil es dem einen nach dem Verbott/ dem
andern nach angehoͤrter Deduction der Sachen frey ſtehet/ das
Jenige zu erwaͤhlen/ was ihm gut duͤncket. Es traͤget ſich aber
zu/ daß das Jenige/ was wir wider die Geſetze thun/ nicht eher in
Acht genommen/ oder fuͤr Ubertrettung erkannt wird/ als nach
dem es verbotten iſt; Gleich wie man auf einen/ der anjetzo ſil-
berne oder guͤldene Schnuͤre und Spitzen tragen wolte/ nachdem
es zu Anfang dieſes Jahres in Florentz ſehr ſtarck verbotten wor-
den/ vielmehr Acht geben wuͤrde/ als wann er es zuvor gethan
haͤtte. Dieſes Verbott verurſachet aber darum nicht/ daß ich
anjetzo mehr Belieben ſolte haben/ als zuvor/ dergleichen Schnuͤ-
re zu tragen. Es iſt auch weniger zu glanben/ daß der Hoch-
muth dieſe Begierde/ das Verbott zu thun/ ſolte erwecken/ weil
man ſich nicht gerne Jemand unterwer ffen wil. Dann es iſt
noch keiner zu dem Grad der Gottloſigkeit und Verzweiffelung
gekommen/ der/ wann er ja keinem Menſchen wolte unterthaͤnig
ſeyn/ zum wenigſten die Gottheit nicht uͤber ſich erkennen ſolte.
Weßhalben die gedachte Begierde/ wider die Geſetze zu handeln/
entweder nur eine bloſſe Einbildung/ und in der That nichts iſt;
Oder aber/ ſie muß eine andere Urſach haben/ als den Hochmuth
und die Einbildung/ daß wir nemlich mehr und hoͤher/ als die
Geſetzgeber ſebſten/ waͤren. Ja/ man ſetze den Fall/ daß das Ge-
bott/ welches unſern erſten Eltern gegeben worden/ von dem
Baum deß Erkaͤnntnuͤſſes Gutes und Boͤſes/ nicht zu eſſen/ das
Verlangen darnach bey ihnen erwecket habe.
So iſt demnach bekandt/ daß die fuͤrnehmſte Urſach/ die ſie
darzu angetrieben/ geweſen ſey/ daß ihnen die Frucht gar ſchoͤn
von Anſehen/ und gutes Geſchmacks zu ſeyn/ beduͤncket habe;
Und deß Verfuͤhrers kraͤfftiges Argument, wordurch er ſie uͤber-
redete/ war/ daß er ihnen das Gute/ ſo darauß entſtehen wuͤrde/
vorſtellete. Worauß dann endlich zu ſchlieſſen ſtehet/ daß man
nur nach einem Dinge verlange/ in Hoffnung/ etwas Beſſers/
als man zuvor hat/ dardurch zu uͤberkommen; Wann aber das
Verbott/ ſo diß Falls geſchehen iſt/ einem das Boͤſe/ ſo darauf fol-
gen wurde/ zu erkennen gibt/ ſo erloͤſchet vielmehr das Verlan-
gen/ als daß es dardurch ſolte erwecket werden/ wie ſolches an
denen/ ſo man den Sublimat deß Mercurii, oder einige andere
gifftige
[533]Romans I. Buch.
gifftige Kraͤuter fuͤrleget/ erſcheinet. Dann/ wie der Jenige/ der
ſie nicht kennet/ keine Schwerigkeit machen wird/ darvon zu eſ-
ſen/ alſo wird ein anderer/ den man darfuͤr warnet/ ſich wol dar-
von enthalten. So gar verhaͤlt es ſich nicht/ daß das Verbott
eines Dinges nothwendig eine Luſt und Begierde darzu erwecke.
Cerebacchius beſchloß: Man erfuͤhre nur gar zu ſehr/ daß
das Spruͤchwort wahr ſey: Verbott machet Luſt. Dann man
verſpuͤhre es auch in denen Diſcurſen/ ſol in dieſer Compagnie
gefuͤhret wuͤrden/ da einer kaum ein Ding auf die Bahn braͤchte/
und ſolches behaupten wolte; Oder es kaͤme ein anderer/ der
hielt ihm das Obſtat, und bemuͤhete ſich/ das Widerſpiel zu er-
weiſen/ und waͤre es darmit beſchaffen/ wie mit den Antiperiſta-
tibus oder Entgegenſetzungen der widrigen Qualitaͤten in den
Elementen/ wordurch/ dieſes oder jenes Elementes Krafft nur
intendiret/ oder geſtaͤrcket wird; Zum Exempel: Die Hitze
wird in vielen Dingen vergroͤſſert/ durch eine zufaͤllige aͤuſſer-
liche Kaͤlte/ dann dergleichen Oppoſition findet ſich auch in den
Menſchlichen Gemuͤthern/ deren Inclinationen von dem Tem-
perament deß Leibes etlicher Maſſen dependiren/ und das Tem-
perament hingegen von den erſten Qualitaͤten/ oder Beſchaffen-
heiten der Elementen und der Humoren oder Feuchtigkeiten/ die
auß dem Element entſtehen. Jngleichem ſehen wir deſſen ein
Exempel an der Reflexion oder Wieder zuruckprallung der Son-
nen-Strahlen von der Erden/ oder andern harten Gegenwuͤrf-
fen/ wordurch die Strablen dergeſtalt zuſammen getrieben/ daß
ſie auch endlich ſtarck gnug wuͤrden/ eine oder andere Materie an-
zuzuͤnden/ und woher kaͤme es/ daß das Feuer der Lampen das
Glaß ſchmeltzen/ die Reverberation-Ofen aber ihre Hitze 3. oder
4. fach vergroͤffern koͤnnen/ als daher/ daß durch die Zuſammen-
faſſung und Spannung der Flammen/ vermittelſt eines Gegen-
wurffs/ der ihr nicht die Freyheit/ ſich außzubreiten/ lieſſe/ ihre
Krafft dergeftalt vermehret wuͤrde. Worauß man ſchlieſſen
koͤnte/ daß es nicht fremd ſey/ wann das Verlangen und die Af-
fecten deß Menſchlichen Gemuͤths/ die mit dem Uberfluß und
Intemperie der Humoren wol koͤnnen verglichen werden/ wor-
auß die Fieber im Menſchlichen Leibe entſtehen/ ſich deſto heffti-
ger entzuͤndeten/ wann man ihnen ein Verbott entgegen ſetzete/
und ſie dardurch an ihrem Lauff hinderte. Es waͤre dann Sache/
daß wir eine ſolche Vergroͤſſerung der Begierde den Wuͤrckun-
gen deß Verſtandes zuſchreiben wolten/ der wie ein Strohm ſich
mehr und mehr ergieſſet/ wann er durch Daͤmme und Schuͤtten
L l 3auf-
[534]Deß Academiſchen
aufgehalten wird. Alſo auch dieſer alle ſeine Kraͤffte/ zu Be-
trachtung deß Dinges/ ſo ihm gewegert wird/ verſammlet/ und
ſie dann folgends fuͤr ungleich beſſer anſiehet/ als das Jenige/
was er wol haben kan/ (wie wir dann ins gemein/ was wir nicht
verſichert/ hoͤher achten/ als das Jenige/ was wir in unſerer Ge-
walt haben/) daher dann der Wille zu ſolchen unbekandten ſo
wol/ als den verhottenen Dingen/ kraͤfftiglich geneigt wird.
Wann wir auch conſideriren/ daß der Menſchliche Verſtand
eden ſo wol ſeine belle und feurige Strahlen habe/ wie die Sonne
und das Feuer/ ſo kan es uns nicht ſeltzam vorkommen/ daß er
im Diſputiren eben ſo wol/ als die Sonnen-Strahlen/ durch die
Reflexion, und das Feuer durch Einſchlieſſen/ ſich erhitze/ und
ſich denen Argumenten/ ſo ſeiner Erkanntnuͤß oder Meynung
zuwider ſeyn/ deſto hefftiger widerſetze.
Das XLV. Capitul/
Condado und alle ſeine Gefaͤhrten kommen in einer tunckeln
Nacht von einander. Dieſer und Klingenfeld erretten einen Gefange-
nen/ kommen in ein Kloſter/ und diſcurriren daſelbſt/ ob ein gutes
Judicium, oder ein ſcharffes Gedaͤchtnuͤß das Beſte in einer Con-
verſation waͤre?
UNter dieſem Diſcurs begunte es ſpat zu wer-
den/ und die voͤllige Nacht einzubrechen/ da-
hero ſie mit einander gezwungen wurden/
mit dem Reuten es etwas gemach ankommen zu laſ-
ſen/ ſolches war unſerm Troll am allerliebſten/ wel-
cher ſich an deß Venerei Pferdes Schwantz hielte/
und immer nachſchlenderte. Er haͤtte wol Luſt ge-
habt/ ihn von ſeinem Pferd ab-und ſich ſelber aufzu-
ſetzen/ aber Venereus ſaſſe zu veſt im Sattel/ und hatte
keine Luſt/ bey ſpaͤter Nacht-Zeit ſich ſeines Kleppers
zu begeben. Solcher Geſtalt kamen ſie in einen groſ-
ſen Wald/ da ſie weder vor-noch hinter ſich wuſten/
auch nicht einen Stich ſehen kunten. Da begunte ih-
nen allerſeits nicht wol zu Muth zu werden/ und ſie
beredeten ſich ſchon/ ob ſie ſich unter einem Baum
niederlaſſen wolten/ um deß anbrechenden Tages zu
erwar-
[535]Romans I. Buch.
erwarten. Condado war deſſen gar wol zufrieden/
war auch der Erſte/ welcher abſtieg; Aber wie ihm
Troll das Pferd abnehmen wolte/ erblickete derſelbe
ein Liecht/ dannenhero ſprach er: Herꝛ/ laſſet euch
eure andere Diener das Pferd halten/ ſie ſtehen ja
alle in euren Koſten und Brodt/ und iſt keiner ein
Haar beſſer/ als ich/ nur/ daß ſie die Ehre haben/ mit
euch zu ſpeiſen. Jch wil inzwiſchen nach jenem Liecht
gehen/ daß wir zu Menſchen kommen moͤgen. Deſſen
war der Printz wol zufrieden/ ließ demnach das Pferd
an einen Aſt binden/ und ſahe nach jenem Liecht. Wie
aber Troll etwa eine halbe Viertel-Stunde von ih-
nen geweſen/ da verſchwand das Liecht auß ihren Au-
gen/ und an einem andern Ort erblickete Venereus ei-
nes/ dieſer ritte/ auf gegebene Ordre deß Condado,
darnach zu/ aber die Geſellſchafft verlohr ihn/ gleich
wie Trollen/ bald hernach/ ſamt dem geſehenen Liecht/
auß den Augen. Deſſen verwunderten ſie ſich alle/
und ſchrieben es dem Stand der Wald-Baͤume zu/
dardurch ſie gehindert wurden/ das Liecht zu ſehen/
oder im Geſicht zu behalten. Nicht lange hernach
erſahe Cerebacchius noch ein ander Liecht/ zu demſel-
ben ritte er/ und hoffete nunmehro ein gutes Nacht-
Lager gefunden zu haben. Je laͤnger und weiter er
aber ritte/ je mehr er ſich in dem Gehoͤltz verwirrete/
biß er endlich der Geſellſchafft gleicher Geſtalt auß
dem Geſicht kame/ daß ſie nicht wuſten/ wo er hinge-
ſtoben waͤre.
Condado und die Zween uͤbrigen wuſten nicht/
was dieſes fuͤr eine ſeltzame Beſchaffenheit haben
muͤſſe/ und begunte ihnen nicht gar wol bey der Sache
zu werden. Als aber Cavina bald hernach ein hell-
brennendes Liecht etwa 500. Schritte/ nach dem Au-
gen-Maß/ von ihnen erblickete/ ſetzten ſie ſich zu Pfer-
L l 4de/
[536]Deß Academiſchen
de/ und ritten mit einander darnach zu. Je naͤher ſie
aber kamen/ je mehr ſich das Liecht zuruͤck zog/ wor-
auß Klingenfeld alſobald die Warheit ſchloſſe/ und
ſolches Liecht vor einen Jrꝛwiſch hielte. Weil es aber
ſehr hell brennete/ wolte Condado kurtz um haben/
daß man ihm folgen ſolle/ wie ſehr ihm auch der
Teutſche Edelmann ſolches mißriethe. Bald erhu-
ben ſich noch zween groſſe Jrꝛwiſche/ recht neben ih-
nen zu beyden Seiten/ welche die Lufft der Nacht ſo
hell machten/ als wann es am vollen Mittag geweſen
waͤre. Cavina ward hierdurch verfuͤhret/ daß er dem
einen Jrꝛwiſch folgete/ und ſich dardurch von den
zween andern Cameraden abfuͤhren ließ. Er wurd es
aber ſo wenig/ als die andern/ gewahr/ daß ſie von ein-
ander kommen/ biß er dieſelbe mit ſeinem Geſichte
ſchon nicht mehr abreichen kunte/ dannenhero hielte
er es vor ein Teuffels-Werck/ und wuͤrckliche Ver-
blendung deß Satans/ welcher die Menſchen-Kinder
in der dunckeln Nacht/ die keines Menſchen Freund
zu ſeyn pfleget/ alſo aͤffet/ wo nicht gar in ein groſſes
Ungluͤck bringet. Condado merckete es endlich auch/
aber zu ſpaͤth/ daß ſie ihren dritten Gefaͤhrten verloh-
ren hatten/ dannenhero waren ſie verſichert/ daß die-
ſes ein lauterer Teuffels-Poſſe/ ſolchem nach nahm
Klingenfeld ſein Schnuptuch/ und band mittelſt deſ-
ſen deß Condado Pferd an ſeines Pferds Schwantz/
damit ſie nicht ebenmaͤſſig von einander getrennet
wurden/ und ſolcher Geſtalt ritten ſie fein ſachtmuͤ-
thig fort/ und folgeten dem einen Jrꝛwiſch immer
nach.
Ehe ſie ſich es verſahen/ kamen ſie in einem Mo-
raſt zu ſtecken/ dahero ſie wieder zuruͤck giengen/ und
wie ſie um ſich ſahen/ da erblicketen ſie nichts/ als
Waſſer/ zu beyden Seiten/ ſie zogen ſich aber gleich-
wol
[537]Romans I. Buch.
wol durch einen ſchmahlen Land ſtrich wieder auß die-
ſem gefaͤhrlichen Ort/ und waͤren ſie wol nicht ſo
leicht auß dieſer Gefahr entrunnen/ wofern Klingen-
feld nicht abgeſtiegen waͤre/ und den Weg mit Haͤn-
den und Fuͤſſen betaſtet haͤtte. Solcher Geſtalt ka-
men ſie auß dem Waſſer/ und zugleich auß dem Jrꝛ-
Liecht wieder in eine Stock finſtere Nacht/ jedoch
kehreten ſie ſich nicht daran/ ſondern bunden die Pfer-
de an einander/ und legten ſich ſchlaffen. Damahlen
kamen wol 20. Jrꝛ-Liechter um ſie her/ welche/ wie
Eych-Hoͤrnlein/ durch die hohe Baͤume hindurch
ſchwermeten/ jedoch hielten ſich die Meiſten nahe bey
der Erden. Endlich aber ſchlieffen ſie ein/ und genoſ-
ſen ihrer hochbenoͤthigten Ruhe bey nuͤchterem Ma-
gen/ biß an den liechten Morgen. Sie lieſſen es voll-
auf Tag werden/ ehe ſie ſich wieder aufſetzeten. Aber/
als die Sonne ſchon eine Stunde den Horizont uͤber-
ſtiegen/ da ſetzten ſie ſich auf/ und waren ihrer Leute
wegen in etwas bekuͤmmert/ hoffeten doch dieſelbe zu
Chur forderſamſt wieder anzutreffen/ zumahl ſie wol
wuſten/ daß Condado dahin/ und ſo weiter durch die
Schweitz nach Baſel ſeinen Weg nehmen wolte.
Troll ward am meiſten bejammert/ weil dieſer arme
Schlucker zu Fuß war/ und nicht einen heller Geld
bey ſich hatte/ inmaſſen Klingenfeld und Cavina deß
Printzen Gold fuͤhreten/ Troll wuſte auch mit den
Leuten in der Sprache ſich nicht zu behelffen/ dann ſie
waren ſchon an den Teutſchen Graͤntzen/ doch hoffe-
ten ſie ihn bald wieder zu ſehen.
Condado und Klingenfeld ritten mit einander
nach Nord-Weſten/ und kamen gegen den Mittag
auß dem Gehoͤltze/ da ſie dann eine ziemliche Stadt
Campagaſco genannt/ die in dem Veltliner-Land li-
get/ fuͤr ſich ſahen. Hieſelbſt nahmen ſie eine gute
L l 5Mahl-
[538]Deß Academiſchen
Mahlzeit zu ſich/ und blieben den gantzen Tag ſtill li-
gen/ in Hoffnung/ daß ſich ein oder ander von der
uͤbrigen Geſellſchafft hier wieder bey ihnen einfinden
wuͤrde. Aber es kam Niemand zum Vorſchein/ wel-
ches ihnen nicht lieb war/ und als ſie forſcheten/ was
es fuͤr eine Bewandnuͤß mit jenem Wald und den
vielen Jrꝛ-Liechtern haͤtte? Gab ihnen der Hoſpes
zur Antwort: Daß ſich vor 20. oder 30. Jahren viel
Moͤrder in demſelben aufgehalten/ welche unzehlich
viel Menſchen ermordet haͤtten/ und als man ſolche
endlich mit Gewalt außgerottet/ habe man ſeithero
eine groſſe Menge Jrꝛ-Liechter daſelbſt herum
ſchwermen ſehen/ wordurch mancher Raͤyſender in
der Nacht in groſſes Ungluͤck gefuͤhret wuͤrde/ wegen
der groſſen Moraſten/ wormit das Gehoͤltze ange-
fuͤllet waͤre.
Nachdem endlich der folgende Tag angebro-
chen/ und gleichwol Niemand von ihren Leuten ſich
einfand/ nahmen ſie auf allen Fall ein gutes Fruͤh-
ſtuͤck zu ſich/ und ritten hernach ihres Weges weiter
fort. Als ſie aber in ein enges Gebuͤrge kamen/ begeg-
neten ihnen 2. Maͤnner/ darvon einer auf einem von
den zwey vorgeſpanneten Pferden/ der andere aber
auf dem Karren ſaſſe; Und weil der Weg ziemlich
enge/ muſte der Karren ſtill halten/ weil Condado mit
ſeinen Gefaͤhrten kuͤmmerlich vorbey kommen kunte.
Jndem ſie ſich aber neben dem Karren durchtrungen/
mercketen ſie/ daß ſich etwas unter dem uͤbergehange-
nen Tuch deß Karren ruͤhrete/ und ſo offt ſich dieſes
ruͤhrete/ ſchlug der/ ſo neben demſelben ſaſſe/ mit ei-
nem Stock darauf. Condado forſchete hierauf/ was
ſie auf dem Karren alſo verdecket fuͤhreten? Aber
Jener lachete/ und ſprach: Weil ſolches bedecket
waͤre/ koͤnten ſie ſich wol einbilden/ daß ſie es wolten
heim-
[539]Romans I. Buch.
heimlich gehalten haben. Dieſer ſpitzigen Antwort
haͤtte ſich Condado nicht verſehen/ ſolche drung ihm
demnach ins Hertz/ daß er ſagte: Halt ſtill Kerl/ ich
wil nun deine Heimlichkeit ſehen/ und du wirſt dich
deſſen nicht entbrechen/ wann du anderſt kein geſtoh-
len Guth fuͤhreſt. Hierauf zog der auf dem Karren
eine Piſtol herfuͤr/ und wolte ſolche auf unſern Con-
dado loͤſen/ aber Klingenfeld/ der zu naͤchſt bey ihm
hielt/ riſſe ihm die Piſtol auß der Hand/ und ſchlug
ihn damit auf den Kopff/ daß er vom Karren ſanck/
und nicht mehr bey ihm ſelber war. Der Andere/ ſo
auf den Pferden ſaſſe/ zohe hierauf ſeinen Hut ab/
und bath um ſein Leben/ ich habe nichts mit dieſem
Werck zu ſchaffen/ ſprach er/ man hat mich um Geld
bedungen/ das Jenige/ was auf meinem Karren an-
gebunden liget/ ins Venetianiſche Gebiet zu fuͤhren/
dieſer aber/ der jetzo unter dem Karren liget/ mag wiſ-
ſen/ was ich fuͤhre.
Unter dieſem Geſpraͤch klopffete und ruͤhrete ſich
das Lebendige unter dem Karren-Tuch noch mehr/
als vorhin/ dahero nahm Klingenfeld ſein Meſſer/
und ſchnitte das Tuch von einander/ da ſie dann ei-
nen anſehnlichen jungen Mann funden/ welchem die
Haͤnde feſt gebunden waren/ wie auch der eine Fuß/
aber den andern hatte er mit Gewalt loßgewuͤrcket/
und ſich vorbeſagter Maſſen darmit geruͤhret. Er lag
auf dem Rucken/ und hatte einen groſſen Knebel im
Mund/ daß er keine Stimme von ſich geben kunte.
Sie riſſen ihm zufoderſt denſelben herauß/ und dar-
auf bath er gar inſtaͤndig/ ſie moͤchten ihn doch auß
der Hand ſeiner Feinde vollends erretten/ ſonſt waͤre
er ein Mann deß Todes/ der doch nichts weniger/ als
denſelben verwuͤrcket. Alſo arbeiteten die andern alle
Beyde/ ſchnitten die Stricke entzwey/ und er erzeh-
lete
[540]Deß Academiſchen
lete mit Wenigem/ daß er von ſeinen Mißguͤnſtigen
alſo mißhandelt worden/ die ihn/ weiß nicht wohin/
zu fuͤhren/ alſo auf dieſen Karren gebunden/ und be-
ſorge er/ daß man ihn auf die Venetianiſche Gallee
habe verkauffen/ und zum Sclaven machen wollen.
Er ſtieg vom Karren hernieder/ warff den Fuhrmann
vom Pferd/ ſpannete eines darvon auß/ und nachdem
er ſich gegen Condado und ſeinen Gefaͤhrten/ wegen
ſeiner Erloͤſung/ mit allen verbindlichen Worten be-
dancket/ ritte er nach dem naͤchſten Dorff/ um/ wie er
vorgab/ etwas zu ſpeiſen und zu trincken/ weil er ſich
ſonſten nicht laͤnger aufrecht halten koͤnne.
Der Fuhrmann war froh/ daß er ſeines Ver-
ſprechens entlediget/ dann er ſprach: Er haͤtte nicht
gewuſt/ was er gefuͤhret/ noch wie er mit ſeinem Ca-
meraden auf dem Karren daran geweſen/ dahero er
ſtaͤts in groſſer Angſt gelebet/ und ſich ſeines Lebens
nimmer verſichert halten koͤnnen. Er ließ den Erloͤ-
ſeten gutwillig ſeines Weges reiten/ und wandelte
mit ſeinem Karren und dem einen Pferd |nunmehro
allein fort/ lieſſe auch den Ohnmaͤchtigen auf dem
Weg ligen/ und Condado ſamt Klingenfeld wolten
ſich auch nicht lange allhier aufhalten/ ſondern ritten
fort/ und erreichten gegen den Abend das Staͤdtlein
Sumanda, allwo ſie trefflich bewirthet wurden/ und
bey einem herꝛlichen Truuck Veltliner-Wein ſich
rechtſchaffen ergoͤtzeten. Dieſer Ort gefiel ihnen ſehr
wol/ dannenhero warteten ſie den folgenden halben
Tag allhier/ ob ſich etwa einer von ihrer Geſellſchafft
bey ihnen einſtellen moͤchte. Als aber keiner kam/
ſetzten ſie ſich/ nach gehaltener Mittags-Mahlzeit/ zu
Pferde/ und verlieſſen nicht allein hier/ ſondern auch
an allen vorigen Orten/ wo ſie paſſiret/ bey den Leuten
Nachricht/ welchen Weg ſie genommen haͤtten/ und
daß
[541]Romans I. Buch.
daß ſie gerade nach der Schweitz gegangen waͤren.
Wie ſie vor das Thor kamen/ ſahen ſie einen Geiſt-
lichen auf einem Eſel hinter ihnen daher traben/ wel-
cher forſchete/ welches Weges ſie ſich bedienen wuͤr-
den? Klingenfeld ſprach: Wir ſuchen den naͤchſten
Weg nach Chur in Graubuͤnden; Und Jener gab
zu verſtehen/ daß er auch dahin gedaͤchte/ als ein Ab-
geordneter ſeines Kloſter/ und daß ihm dieſer Weg
ſo bekandt/ daß er ihn auch mit verſchloſſenen Augen
finden wolte. Mit dieſem Geiſtlichen ritten ſie willig
fort/ und hatten allerhand Diſcurſe mit ihm/ dann er
war ein gelehrter/ und darneben ein gar luſtiger
Mann/ daß ſie es vor ein Gluͤck achteten/ in ſeine
Compagnie gekommen zu ſeyn.
Als der Abend heran tratt/ noͤthigte ſie dieſer
Gefaͤhrte/ einen kleinen Abweg mit ihm zu nehmen/
nach einem Kloſter ſeines Ordens/ allwo er ſie Zehr-
frey halten wolle/ ſintemahl zwiſchen hier und Chur
in den Wirths-Haͤuſern Schmahl-Hanß allwege
der Kuͤchenmeiſter waͤre. Sie folgeten ihm gar wil-
lig/ und alſo erlangeten ſie bey ſpaͤthem Abend das
Kloſter/ worinnen ſie willig aufgenommen wurden.
Man fuͤhrete die Pferde ſamt dem Eſel in einen
Stall/ und wartete ihrer nach Gebuͤhr. Condado
und die Zween andern wurden in eine kleine Zelle ge-
fuͤhret/ da man ein Kraͤhnlein in der Mauer außzog/
auß welchem von Natur heiſſes Waſſer floß. Hie-
ſelbſt muſten ſie ihre Haͤnde und Fuͤſſe waſchen/ und
waren ihnen die holdſeelige Kloſter-Bruͤder darbey
ſehr dienſtwillig. Hernach fuͤhrete man ſie in das Re-
fectorium, woſelbſt der Pater Prior ſelber bey ihnen
ſich einſtellete/ und ſie zu einer ſchlechten Abend-
Mahlzeit noͤthigte. Der Tiſch war gedecket/ und
nebſt unſern 3. Fremden ſpeiſeten 10. Muͤnche an ei-
ner
[542]Deß Academiſchen
ner langen Tafel/ die Tractamenten waren gut/ und
die Diſcurſe noch beſſer/ man hoͤrete kein unnuͤtzes
Wort fallen/ alle Diſcurſen waren erbaulich/ und han-
delten von der Gottesfurcht/ oder von der Sitten-
Lehre. Der Pater Prior, ſo ein Eyß-grauer alter Mañ/
merckete an Klingenfeld/ daß er den Studiis zuge-
than/ dahero redete er ſtaͤts mit ihm/ und lobete ihn/
daß er/ als ein Edelmann/ (wovor er ſich bekannte/)
ſich auf die freyen Kuͤnſte geleget/ als wordurch er
bey allen Compagnien durch gelehrte Diſcurſe in
groſſes Anſehen kommen muſte. Klingenfeld beken-
nete/ daß er die Warheit geredet/ forſchete aber bey
dieſer Gelegenheit/ was er/ Herꝛ Pater Prior, fuͤr das
Noͤthigſte zu einer guten Converſation achtete/ ein
gutes Judicium, oder ein treffliches Gedaͤchtnuͤß?
Der alte Greiſe klopffete den Teutſchen auf die
Schultern/ und ertheilete ihm in lauter Freundlich-
keit dieſe Antwort:
OB es gleich/ ſprach er/ eine gemeine Art zu reden iſt/ wann
man ſaget: Dieſer Menſch hat ein vortrefflich Gedaͤcht-
nuͤß/ aber gantz kein Judicium, und im Gegentheil/ er hat ein
gutes Judicium, aber kein Gedaͤchtnuͤß; Und alſo auf dieſe
Weiſe die Facultaͤten der vernuͤnfftigen Seelen in dieſe 2. Theile
gleichſam zergliedert und abgetheilet werden/ ſo iſt doch/ dem
ungeachtet/ ſehr daran zu zweiffeln/ ob ſolche Diviſion recht/ und
nicht vielmehr irrig und ſchaͤdlich; Dann Scaliger redet hiervon
ſehr wol an unterſchiedlichen Orten ſeiner Exetcitationen/ wan
er ſaget: Daß die vernuͤnfftige Seele nicht ein zuſammen ge-
raffter Hauffe vieler unterſchiedlicher Kraͤffte/ ſondern ein ein-
ziges/ in ſich ſelbſten/ und in ihren Facultaͤten unzertheiltes We-
ſen ſey/ ob ſie gleich auf vielfaͤltige Weiſe operire/ oder wuͤrcke;
Daß alſo dergleichen Diviſion eben ſo Grund hat/ als wann
man die Sonne/ welche deß Sommers oder deß Mittags ſchei-
net/ von der Jenigen/ die deß Winters oder deß Morgens leuch-
tet/ unterſcheiden wolte/ um der Urſachen willen/ weil ſie deß
Sommers und deß Mittags eine weit andere Wuͤrckung habe/
als deß Winters und deß Morgens; Damit wir uns aber nicht
lange mit vergeblichem Wort-Gepraͤng aufhalten/ ſo wird
gefra-
[543]Romans I. Buch.
gefraget: Welches von beyden in der Converſation angeneh-
mer/ entweder ein gutes Judicium, oder aber ein gutes Gedaͤcht-
nuͤß zu haben? Was meine Perſon belanget/ ſo halte ich es mit
dem Erſten/ dafern es in der That/ ja wie man ins gemein ſaget:
Daß nemlich dieſe beyde Facultaͤten der Seelen in einem Men-
ſchen nimmer gleich/ ſondern wie ſchwach die eine/ ſo ſtarck die
andere in ihm ſey. Jn einem Diſcurs iſt nichts annehmlichers/
als wann alles wol auf einander folget/ und eine ungezwungene
Veraͤnderung deß Geſpraͤchs von einer Materie zu der andern
geſchicht/ dann die gar zu lange Continuation einer Rede von
einem einzigen Ding faͤllet auch den allerernſthafftigſten Leuten
verdrießlich/ welche ſich ſo wol/ als die Natur ſelbſten/ an der
Vatietaͤt oder Veraͤnderung ergoͤtzen/ und muß ſolche mit den
Muſicaliſchen Thonen uͤbereinnimmen/ daß ſie gleichſam durch
andere mittlere Thone fein an einander hangen/ und mit der
Mahler-Kunſt/ da ſich in einem Gemaͤhlde die Erhoͤhungen all-
gemaͤhlich verlieren muͤſſen/ dafern es dem Geſicht gefallen ſoll.
Alſo muß auch einer/ der einen Diſcurs fuͤhret/ ſo er anders bey
der Geſellſchafft wil beliebt ſeyn/ nicht von einer Materie auf die
andere hupffen/ wie die Atzeln oder Elftern/ welches ins gemein
die jenigen Leute thun/ die kein Judicium haben/ und deßwegen
die Compagnie mit ihrem verworrenen Gehirn und abge-
ſchmackten Geſpraͤch gar wenig vergnuͤgen/ wollen auch/ wie
die Narren/ ihre Meynung von allen Dingen ſagen/ es mag ſich
reimen oder nicht. Gleichwie Jener/ der von Plinio reden hoͤ-
rete/ dem Andern ins Wort ſiel/ und ſprach: Der wil viel von
Plinio reden/ und iſt doch ſein Lebtage nicht da geweſen. Oder/
wie ein anderer/ ſo von dem Concilio Lateranenſi ſagen hoͤrete/
ſprach: Er haͤtte den Mann vor dieſem wol gekannt. An ſtatt
deſſen/ daß ein judicieuſer Menſch lieber einem Jedweden/ als
ſich ſelbſten Gehoͤr gibt/ behaͤlt er ſich die Gelegenheit fuͤr/ zu
rechter Zeit zu reden/ bekraͤfftiget die Meynungen/ die er gehoͤ-
ret/ oder corrigiret ſie gar ſittſam/ wie es in einer Ehr-liebenden
Converſation erfordert wird. Und wann er auß den ſchwachen
Argumenten/ die die andern vorbringen/ abnim̃t/ daß ein Diſcurs
lang gnug iſt debattiret und abgebandelt worden/ veraͤndert er
ihn allgemaͤhlich/ und zwar unvermerckt mit ſolcher Modera-
tion und Beſcheidenheit/ daß/ gleich wie die Daͤmmerung darzu
dienet/ daß die Nacht der Sonnen weiche/ deren Klarheit wir
ſonſten nicht wuͤrden ertragen koͤnnen/ wann ſie auß der Finſter-
nuͤß ploͤtzlich herfuͤr blickete/ wie hingegen die Finſternuͤß uns
unertraͤg-
[544]Deß Academiſchen
unertraͤglich ſeyn wuͤrde/ wann auß einem hellen Liecht in einem
Augenblick darein kaͤmen? Alſo iſt auch den Zuhoͤrern eine be-
ſcheidene und unvermerckte Veraͤnderung der Diſcurſen gar
nicht zuwider/ gibt ihnen auch nicht Anlaß zu fragen/ wie ſonſten
wol bißweilen zu geſchehen pfleget: Womit kommt der aufge-
zogen/ oder/ wie reimet ſich dieſes mit unſerm vorigen Geſpraͤch?
Jch bekenne/ daß dieſe unvermerckte Zuſammenfuͤg- und Jnein-
anderſchrenckung der Reden in fuͤrnehmer Geſellſchafft nicht ſo
gar leicht iſt/ die Jenigen aber/ welche ſich vorgenommen/ ſo we-
nig/ als ſie koͤnnen/ darwider zu handeln/ muͤſſen ſonderlich Acht
haben/ daß ſie allezeit ihre Diſcurs auf Dinge richten/ die ſie dar-
fuͤr halten/ daß ſie deu Zuhoͤrern am liebſten und nuͤtzlichſten
ſeyn/ und wer dergleichen vorbringet/ wird jedes mahl gerne ge-
hoͤret. Seynd die Diſcurſe der Geſellſchafft angenehm/ ſo wer-
den ſie einem oder andern Zuhoͤrer Anlaß geben/ etwas vorzu-
bringen/ das ihm wiſſend/ oder das er zum wenigſten gar wol zu
wiſſen vermeynet/ oder aber/ daß er ihnen mit Manier ſagen
koͤnne/ welches er etwan ſonſten nicht thaͤte/ wañ ihm nicht unge-
faͤhr Anlaß darzu gegeben wurde; Kommt aber etwas auf die
Bahn/ zum Exempel/ welches einer oder der andere in der Geſell-
ſchafft ihm zu Nutzen machen kan/ oder/ da ihm angelegen ſeyn
moͤchte/ wird er ſie ſonder Zweiffel uͤberauß gern hoͤren/ und kan
derhalben ein ſolcher Diſcurs nicht anders/ als angenehm ſeyn.
Dieſes alles ſo wol als die Manier zu reden/ darinnen man ſehr
diſcret, und zuweilen frey/ zuweilen wieder reſpectueux ſeyn
muß/ ſeynd Effecten oder Wuͤrckungen deß Judicii, und nicht deß
Gedaͤchtnuͤſſes. Auſſer dem/ daß der/ ſo nur bloß ein gut Ge-
daͤchtnuͤß hat/ ſich eben ſo veracht macht/ ob er gleich gar gute
und ſchoͤne Dinge zu unbequemer Zeit allegiret/ und vorbringet-
Als ein Mahler/ der in der That einen Sypreſſen-Baum uͤber
alle Maſſen wol mahlen koͤnte/ aber ihn an allen ſeinen Gemaͤhl-
den/ ja ſelbſten in den Schiffbruͤchen ſetzen wolte; Ja/ man kan
keine Reguln der Kuͤnſten/ oder Profeſſionen/ ſie haben Ramen/
wie ſie wollen/ irgend worauf recht appliciren und gebrauchen/
wañ man nicht mit einem ſonderlichen guten Judicio begabet iſt.
Darauf antwortete Condado, daß man/ um dieſe Fragen
zu entſcheiden/ nicht von einem Menſchen reden muͤſte/ der zwar
mit einem ſchoͤnen Gedaͤchtnuͤß begabet/ aber hingegen mit gantz
keinem Judicio gezieret waͤre/ dann die Parthey wurde gar zu
ungleich ſeyn, Sondern man muͤſte 2. Perſonen ſtellen/ die bey-
derſeits ſo wol das Judicium, als ein Gedaͤchtnuͤß haͤtten; Und
da dem
[545]Romans I. Buch.
da dem einen ein beſſers Judicium, dem andern aber ein beſſers
Gedaͤchtnuͤß verliehen waͤre; Alsdann wolte ich darfuͤr halten/
daß das gute Gedaͤchtnuͤß den einen viel angenehmer in der
Converſation machen wird/ als den andern ein fuͤrtreffliches
Judicium. Dann die Exempel/ die wir auß den Hiſtorien neh-
men/ deren Werckzeug das Gedaͤchtnuͤß iſt/ geben die angenehm-
ſte Geſpraͤche/ und ſchicken ſich am beſten/ einen zu perſuadiren.
Durch die Erzehlung der Helden-Thaten werden genereuſe
Gemuͤther erwecket/ und aufgemuntert/ hoch-beruͤhmter Leute
Exempel nachzuahmen; Und die Sieges-Zeichen deß Miltiadis
laſſen manchen nicht ſchlaffen/ biß er dergleichen erlanget. Durch
die Erzehlung der Liebes-Geſchichten/ werden die allerhaͤrteften
Hertzen erweichet. Die Erinnerung guter und loͤblich dem
Vatterland geleiſteter Dienſte/ die ſonſt etwan in Vergeſſenheit
geſtellet wuͤrden/ kan die Gemuͤther dermaſſen veraͤndern/ und
tranſportiren/ daß ſie auß Feinden Freunde werden deß Jeni-
gen der ſtch darmit wol verdienet gehabt/ wie dergleichen zu deß
Scipionis Africani Zeiten zu Rom geſchabe/ da auf die von ihm
erzehlete Africaniſche Expedition, ſeine verordnete Richter auf-
ſtunden/ und ihn nach dem Capitolio begleiteten/ die Gedaͤcht-
nuͤß einer berꝛlichen Victorie, die er den Tag wider die Cartha-
ginenſer erhalten/ mit Freuden und Danckſagung zu begehen.
Man mag auch ein ſo gutes Judicium haben/ als man wil wann
man ſich der Namen/ der Tage/ und anderer Umſtaͤnde eines
Dinges nicht erinnern kan/ iſt nichts Unangenehmers. Welches
man an vielen alten Leuten ſtehet/ bey denen das Judicium zuge-
nommen/ das Gedaͤchtnuͤß aber durch das Alter geſchwaͤchet
worden/ und deßwegen ſie lange nicht ſo angenehm in der Con-
verſation ſeynd/ als ſie in ihren jungen Jahren geweſen darin-
nen ſie keine Experientz und conſequenter auch weniger Judicii;
Aber an Statt deſſen ein beſſers Gedaͤchtnuͤß gehabt/ weil ihr
Gebirn noch nicht zu ſehr genetzet/ da ſonſt der Uberfluß der
Feuchtigkeiten/ den alten Leuten ſo wol/ als den Kindern/ hinder-
lich iſt/ daß ſie die Species Rerum, oder Geſtalt der Dinge/ die
ihnen durch die aͤuſſerliche Sinne eingedruckt werden/ nicht be-
halten koͤnnen. Meine Intention und Mehnung iſt gleichwol
nicht/ die groſſen Schwaͤtzer zu loben/ die zwar fertig im Reden
ſeynd/ geben aber nicht viel beſonders hervor/ ſondern ihre
Diſcurs gleichen ſich den Schwaͤm̃en/ ſo die Erde gar geſchwinde
hervor bringet/ die aber nicht viel werth ſeynd. Gleicher Geſtalt/
wann wir uns zwar eines Dinges erinnern/ aber es nicht eigent-
M mlich
[546]Deß Academiſchen
lich koͤnnen vorbingen/ oder recht darvon judiciren/ ſo gibt es we-
nig Anſehens/ und erwecket ſchlechte Anmuth/ wann die Leute
darauß urtheilen koͤnnen/ daß es uns nicht ſo ſehr am Gedaͤcht-
nuͤß/ als am Judicio mangele. Und das kan auch wol die Urſach
geweſen ſeyn/ warum der Demoſthenes, als er ſahe/ daß alle ſei-
ne Zuhoͤrer eingeſchlaffen waren/ ſich der Fabel vom Schatten
eines Eſels gebrauchete/ ſie dardurch wieder zu ermuntern/ und
aufmerckſamer zu machen. Jn Summa, das Gedachtnuͤß iſt
die noͤthigſte Facultaͤt zum Diſcurs, welches die Seele der Con-
verſation iſt; Die Zierlichkeit der Gebaͤrden/ und alles/ womit
man ſich ſonſt pfleget angenehm und beliebt zu machen/ ſind
nicht werth/ daß man ſie darmit vergleiche/ weilen ſie bey wei-
tem nicht ſo kraͤfftig ſind. Ja/ alle Schoͤnheit/ die der maͤchtigfte
Magnet-Stein iſt/ Compagnien zu verſammlen/ und zu erhal-
ten/ iſt verlohren/ wann ſie nicht durch ein vernuͤnfftiges Ge-
ſpraͤch/ und dieſes durch mancherley Dinge/ die uns das Gleich-
nuͤß an die Hand gibt/ lebbafft und anmuthig gemacht wird/ und
dißfalls kan man ſagen/ daß Jener/ der da redet/ und ein gutes
Gedaͤchtnuͤß hat/ in Geſellſchafft mehr nutzet/ als der mit einem
groſſen Judicio begabet iſt/ aber nicht viel Worte machet; Dann
Jener bringet unterſchiedene Dinge an den Tag/ wordurch die
Compagnie luſtig gemacht wird; Und obgleich ſolches oͤffters
auf ein unnuͤtzes und importunes Geſchwaͤtze außlaufft/ ſo iſt
doch deſſen Exceß viel eher zu moderiren/ als der Mangel deß
Diſcurſes/ wann man nemlich die Worte einem mit Zwange
auß dem Halß holen und locken muß. Wann man auch von den
Materien deß Geſpraͤches reden wil/ ſo iſt nichts Unangeneh-
mers/ als Mathematiſche und Logiſche Sachen darein zu men-
gen/ worinnen das Judicium doch vornemlich Statt hat/ und
den Preiß behaͤlt.
Klingenfeld ſelber brachte ſeine Meynung folgender Ge-
ftalt berbey: Wann das Gedaͤchtnuͤß fuͤr dem Judicio den
Preiß behielte/ ſo wurde die allerangenehmſte Converſation mit
den Buͤchern ſeyn; Dann keiner hat ein ſolch ſcharff Gedaͤcht-
nuͤß/ daß er uns von Dingen einen ſolchen eigentlichen Bericht
ſolte thun koͤnnen/ wie die Buͤcher/ worinnen wir die Originalia
aller Hiſtorien befinden. Es ſehe einer hergegen eine Verſam̃-
lung verſtaͤndiger Leute an/ und hoͤre/ ob der ſo mit einem Judi-
cio begabet/ aber wenig reden wird/ nicht dem Jenigen werde
vorgezogen werden/ der nur auß einem reichen Gedaͤchtnuͤß/ viel
Dinges herauß ſchuͤttet/ und laͤſſet ſie Beyde in einer Geſell-
ſchafft/
[547]Romans I. Buch.
ſchafft/ die ſich mit langen Geſpraͤchen beluſtigen/ reden/ ſo wir
der erſte zwar nicht ſo angenehm/ aber hingegen auch nicht ſo
verdrießlich fallen/ als der andere; Alſo ſiehet man/ daß an den
Actionibus deß Judicii weniger mißſallen/ in was Compagnie
es auch ſey/ getragen wird/ als an dem Uberfluß deß Gedaͤcht-
nuͤſſes. Was der Alten ihre Meynung hieruͤber geweſen ſey/ iſt
mir eigentlich nicht wiſſend. Allein heutiges Tages/ die Cantzel
und Gerichte außgenommen/ befleiſſigen ſich die Frantzoſen (un-
ter andern die Hof-Leute/) keines Dinges mehr/ als der Kuͤrtze/
worauß man das Judicium am beſten verſpuͤhren kan. Die
kuͤrtzeſten Gerichts Sachen/ die Predigten/ die nicht allzuweit-
laͤufftig/ wann ihnen nur ſonſt nichts fehlet/ werden am meiſten
æſtimiret. Wenig/ aber kraͤfftige Worte haben nicht allein mehr
Nachdruck/ in den Kriegs-Actionen uñ Bataillen oder Schlacht-
Ordnungen/ als groſſe Haranguen; Ja/ einige Antwort und ein
luſtiger Poſſen ergoͤtzet eine Compagnie weit mehr/ als groſſe
und lange Diſcurſe, wordurch man andern die Zeit flielet/ und
die Gelegenheit benimmt/ ihre Meynung ſo wol/ als die erſte/
vorzubringen. Und es iſt gleichſam eine Plage/ wann man auß
Reſpect, oder andern Conſiderationen/ einem Menſchen zuhoͤ-
ren muß/ d’ einem mit wenigem Judicio viel fuͤrplaudert welches
auch eine Urſach war/ daß einsmahls eine Jungfer/ die ungefaͤhr
ein Cavallier unter Wegens antraff/ der gleichfalls nach dem
Ort zu reiten gedachte/ da ſie hingehen wolte/ und ihr præſentir-
te/ ſie hinten aufs Pferd zu nehmen/ weſſen ſie ſich auß Hoͤflich-
keit nicht verwoͤhren kunte; Da ſie aber ſeinen albernen Fratzen
eine Weile zugehoͤret/ wieder herunter ſprang/ und lieber ihre
Raͤyſe zu Fuß vollziehen wolte/ als einen verdrießlichen Diſcurs,
da kein Judicium bey war/ (welches/ als das Saltz die Speiſe/
all unſer Thun und Reden wuͤrtzen ſoll/) laͤnger anzuhoͤren.
Auß dieſen Reden erkañte nicht allem der Prior,
ſondern auch alle anweſende Patres, daß ſie 2. kluge
Gaͤſte beherbergeten. Nachdem endlich die Mahl-
zeit geſcheben/ wurden ſchoͤne Fruͤchte aufgetragen/
und als es endlich Zeit war/ begleitete man unſere
2. Fremdlinge nach ihrer Ruhe-Kammer/ allwo ſie
2. wolgemachte Bette funden/ darinn ſie biß an den
liechten Morgen ruheten. Eine Stunde nach der
Sonnen Aufgang kam ihr voriger Geiſtlicher zu ih-
M m 2nen/
[548]Deß Academiſchen
nen/ und weckete ſie ſaͤnfftiglich auf/ fuͤrwendend/ daß
er nothwendig fort reiten muͤſte/ wofern ſie aber noch
etwas ruhen wolten/ koͤnten ſie es thun/ er habe ihnen
zum wenigſten ſeine Eylfertigkeit zuvor erkennen ge-
ben wollen. Sie noͤthigten ihn aber/ noch eine kleine
Weile zu verziehen/ ſintemahl ſie augenblicklich/ ſo
bald ſie ſich nur angekleidet/ ſich mit ihm auf den
Weg machen wolten. Sie ſtunden alſo geſchwinde
auf/ ſtecketen ſich in die Kleider/ und als ſie herfuͤr ka-
men/ tratt ihnen der P. Prior mit ſeinem andaͤchtigen
Morgen-Wunſch entgegen/ und ließ ein gutes Fruͤh-
ſtuͤcke aufſetzen/ welches ſie zuvor einnehmen muſten/
darauf wolten ſie dem Kloſter eine Verehrung ge-
ben. Aber der Prior gab gnugſam zu erkennen/ daß
man ihn hierdurch zu einem groſſen Unwillen noͤthi-
gen wuͤrde/ dannenhero nahmen ſie mit freundlicher
Danckſagung fuͤr die genoſſene ungemeine Hoͤflich-
keit/ einen hoͤflichen Abſchied/ und funden ihre Pferde
im Kloſter-Hof ſchon außgeruͤſtet ſtehen. Sie
ſchwungen ſich hinauf/ und beym Außritt warff Con-
dado dem Kloſter-Knecht/ ſo der Pferde gewartet/
einen Ducaten zu/ uͤber welche Freygebigkeit dieſer
Menſch recht beſtuͤrtzet war/ inmaſſen er ſein Lebtag
ſolche Verehrung auf einmahl nicht bekommen hat-
te. Solcher Geſtalt ritten ſie mit einander fort durch
ein wuͤſtes Gebuͤrge/ da weder Kraut noch Staude
zuſehen war. Man fand auch kein Dorff/ noch andere
eintzele Wohnung/ und endlich kamen ſie an einen
kleinen Bach/ allwo ſie die Pferde trincken lieſſen. Es
war ſchon eine Stunde nach Mittag/ dahero ſtieg
der Geiſtliche von ſeinem Eſel/ und band ihn an einen
ſpitzigen Stein/ noͤthigte auch die andern deßgleichen
zu thun/ und mit ihm nach jenem Felſen zu gehen/ all-
wo er ihnen etwas zu zeigen haͤtte. Sie folgeten ihm/
und
[549]Romans I. Buch.
und wie ſie daſelbſt eine Schatten-reiche Hoͤhle recht
am rißlenden Bache gefunden/ da loͤſete er ſeinen
Kloſter-Buͤndel auf/ langete 2. Kapaunen/ etwas
Brodt/ Butter/ und 2. Flaſchen guten Weins herfuͤr/
welche er in den Bach ſetzete/ daß der Wein kuͤhl
wuͤrde. Er breitete ein Tuͤchlein auf die Erde/ und
nachdem er die Speiſen darauf geſetzet/ noͤthigte er
die andern/ neben ihm der Freygebigkeit deß Herꝛn
Priors auß dem vorigen Kloſter anjetzo ſich zu bedie-
nen/ allermaſſen ſie biß nach Chur ſonſten weder zu
beiſſen noch zu brechen bekommen koͤnten/ alſo ſetzten
ſie ſich zu ihm/ und genoſſen dieſer guten Tractamen-
ten mit ſonderbarem Appetit.
Deß Andern Buchs
Erſtes Capitul.
Condado erlediget eine Adeliche Jungfrau/ welche ihm ihre
Geſchichte erzehlet. Cerebacchius kommt zu thnen/ der ſich im F[reſ]-
ſen und Sauffen wacker ſehen laͤſſet.
NAchdem ſie ſich zur Gnuͤge geſaͤttiget/ auch
auf deß freygebigen Herꝛn Priors Geſund-
heit getruncken/ da erhuben ſie ſich wieder
von ihrer Stelle/ ſetzeten ſich auf ihre re-
ſpectivè Pferde und Eſel/ und ricten fort/ daß ſie noch
vor Untergang der Son[nen] die Stadt Chur erreiche-
ten. Hieſelbſt nahmen ſie Abſchied von einander/ und
nachdem ſich Conda [...]o gegen den Geiſtlichen/ wegen
ſeiner Dienſte/ gebuͤhrlich bedancket/ kehrete er mit
Klingenfeld in einer anſehnlichen Herberge/ wo der
froͤliche Mañ außhaͤnget/ ein. Hieſelbſt lagen ſie nicht
allein dieſe N[a]cht/ ſondern auch den folgenden gan-
tzen Tag ſtill/ ob ſie etwa von ihren Gefaͤhrten einige
Nachricht erlangen moͤchten. Weil aber in dieſer Zeit
gleichfalls nichts von denſelben zu hoͤren noch zu ſe-
M m 3hen
[550]Deß Academiſchen
hen war/ giengen ſie am andern Morgen wieder fort/
und zwar gerades Weges in die Schweitz hinein.
Sie hatten den Voder- und Hinter-Rhein ſchon
hinter ſich geleget/ und das Gebiet deß Cantons
Glaris ſchon erreichet/ als ſie in ein Thal kom̃en/ das
allenthalben mit Klippen beſetzet war/ hieſelbſt hoͤre-
ten ſie ein erbaͤrmliches Geſchrey eines weinenden
Weibes-Bildes/ und etlicher ruffenden Maͤnner dar-
neben/ weil demnach nur eine Straſſe allhier/ zogen
ſie ſich auß dem Thal wieder nach dem Gebuͤrge zu-
ruͤck/ jedoch blieben ſie in der Straſſen halten/ zu ver-
nehmen/ wie ſtarck dieſe ankommende Parthey/ und
ob man ihr gewachſen ſeyn koͤnne.
Sie waren kaum wieder ins Gebuͤrge hinein
geruͤcket/ als 5. reutende Perſonen daher kamen/ wel-
che eine Kutſche begleiteten/ darinn die weinende
Frauens-Perſon annoch ſtaͤts mit Heulen anhielte.
Wie dieſe in den engen Weg deß Gebuͤrges kamen/
præſentirten ſich Condado und Klingenfeld mitten
im Wege/ und wolten nicht außweichen. Jener
ſprach zum Hauſſen: Maͤnner/ ihr muͤſſet mir ſagen/
mit was Recht/ ihr dieſe ſchreyende Dame bey euch
fuͤhret. Als er dieſes geſaget/ ſchrye die Dame im
Wagen: O! ihr liebſten Erloͤſer/ ach! um deß Him-
mels Willen/ nehmet euch meiner Unſchuld an/ und
machet mich wieder loß. Es zuckete aber in demſelben
Augenblick einer von den Reite[n]den den Degen/ und
ſtieß auf Condado loß/ welchem Klingenfeld zuvor
kam/ und ihne mit einer Piſtol/ zu Boden warff.
Darauf drungen die andern 4. herzu ſchoſſen und
hieben/ aber der Wagen ſtunde ihnen im Wege/ und
es kam unſern 2 Raͤyß Gefaͤhrten ſehr zu ſtatten/ daß
der Weg gantz enge war/ daher ſie nicht un den Sei-
ten noch von hinten kunten angegriffen werden/ ſol-
chem
[551]Romans II. Buch.
chem nach thaͤten die Piſtolen das meiſte/ biß Klin-
genfeld neben dem Wagen durchdrang/ und den
Zween/ die hinter demſelben hielten/ mit dem Degen
auf den Leib gieng/ wordurch einer derſelben bald vom
Pferd geworffen ward/ und lagen alſo 3. von den
Reutern/ die 2. uͤbrigen wolten ſich dem Gluͤck ihrer
Cammeraden nicht auch wiedmen/ wendeten dem-
nach ihre Pferde um/ und nahmen die Flucht ins wil-
de Gebuͤrge hinein. Der Kutſcher auf dem Wagen
war mit Stricken angebunden/ worauß gnugſam
zu erſehen/ daß er es mit dieſen Leuten nicht gehalten.
Condado tratt jetzo zu der Damen/ die in dem Wagen
ſaſſe/ und ſagte: Jungfrau/ ſaget uns/ welchen Weg
wir kieſen muͤſſen/ damit wir dieſer Action halber
nicht in Gefahr kommen/ dann wir ſind Fremdlinge.
O ihr redliche vom Himmel geſandte Erloͤſer/ gab
dieſe zur Antwort/ ich dancke euch von Grund meiner
bekuͤmmerten Seelen fuͤr dieſen kraͤfftigen Beyſtand/
nur bitte ich anjetzo/ betrachtet euch ſelber/ ob ihr auch
verwundet ſeyd/ damit man euch verbinde/ alsdann
bitte ich euch/ mich nach meinem Hof zu begleiten/
dann ſonſten/ und ehe ich daſelbſt wieder angelanget
bin/ achte ich mich keines Weges ſicher. Jch bin eine
adeliche Jungfrau/ entfuͤhret von einem Edelmann
auß der Nachbarſchaſft/ der mich zu ſeiner Ehe mit
Gewalt zwingen wil/ da ich doch weiß/ wie er es mit
mir und den Meinigen im Sinn hat. Sehet/ da liget
er/ toͤdtlich verwundet/ vielleicht koͤnnet ihr auß ſei-
nem eigenen Munde vernehmen/ die hoch-ſtraffbare
Beleydigung/ die er mir angethan. Condado, der
vom Pferd geſtiegen war/ tratt zu ihm/ und ſprach:
Seyd ihr ein Edelmañ/ und handelt mit dem Frauen-
zim̃er ſo unedel? Schaͤmet euch/ was wird die Nach-
Welt darvon zu ſagen haben? Jhr habt gut ſin-
M m 4gen/
[552]Deß Academiſchen
gen/ gab der Verwundete mit ſchwacher Stimme
zur Antwort/ meine Liebe zu dieſer Dame iſt nicht al-
lein hitzig/ ſondern brennend geweſen/ und ihr ſeyd
der Straffe noch nicht entgangen/ welche ihr durch
dieſen Angriff an mir und den Meinigen verdienet
habt/ ziehet nur eures Weges.
Klingenfeld ſahe/ daß dieſer Menſch/ welcher
der Principaleſte vom Hauffen war/ gewaltig blute-
te/ dannenhero hatte er Mitleyden mit ihm/ riſſe
demnach ſein Schnupff-Tuͤchlein entzwey/ und ver-
band ihm ſeine Wunde/ welche nicht toͤdtlich war/
ſondern nur viel Bluts von fich gabe/ darauf erbli-
ckete die Dame an Condado etliche Bluts-Tropffen/
daher ſie ihn bath/ ihr zu vergoͤnnen/ daß ſie ihren Er-
retter verbinden moͤchte. Condado riſſe den Rock auf/
und fand eine/ wiewol gar kleine/ Wunde am Halß/
welche er durch einen Degen-Stoß empfangen/ der
aber auf dem Knochen zuruͤck geprallet war/ die Da-
me legete ihm ſelber etwas darauf/ und noͤthigte ihn/
neben ſie in den Wagen zu ſitzen/ welches Condado
thaͤte/ und nachdem er ſein Pferd an die Kutſche ge-
bunden/ und den Kutſcher loß machen helffen/ kehre-
ten ſie den Wagen um/ und fuhren wieder zuruck.
Die Jungfrau rieth/ man ſolle einen Umweg neh-
men/ und nicht gerades Weges nach ihrem Hof fah-
ren/ ſolches geſchahe/ aber die Nacht fiel daruͤber ein/
daß ſie in ein Dorff einkehren muſten/ worinn ein na-
her Befreundter dieſer Adelichen Jungfrau wohnete.
Weil nun keine offentliche Herberge im Dorff/ kehre-
ten ſie bey dem Edelmann ein/ der ein alter Greiß/ und
nicht wuſte/ was er fuͤr Schrecken ſagen ſolte/ als er
die Rencontre, ſo ſeine Baaſe heut gehabt/ vernahm.
Er thaͤte den Unſerigen ſehr guͤtlich/ und ich glaube/
haͤtte er noch 10. mahl mehr im Hauß oder Keller ge-
habt/
[553]Romans II. Buch.
habt/ es haͤtte herfuͤr gemuſt. Solcher Geſtalt er-
holete und labete ſich die gantze Geſellſchafft wieder/
auf die außgeſtandene ſchwere Travaillen.
Auf Anhalten deß Condado, ertheilete ihm die
Dame nach gehaltener Mahlzeit dieſen Bericht: Jhr
ſollet wiſſen/ ſprach ſie/ daß mein Land-Guth belegen
iſt in dieſem Canton Glaris welches Einwohner von
zweyerley/ nemlich von der Reformirten und Roͤmiſ.
Kirchen ſind. Dieſer Edelmann/ der anjetzo verwun-
det liget/ heiſſet Vantenay, iſt der Roͤmiſchen/ und ich
hingegen der Reformirten Kirchen beygethan. Meine
Eltern ſind ſchon lange verſtorben/ und ich habe von
den Meinigen Niemand mehr im Leben/ als einen
halb-Bruder/ der zwar einen Vatter/ aber nicht eine
Mutter/ mit mir gehabt hat. Vantenay hatte ſich in
Spaniſchen Dienſten zu Feld ziemlich bekandt ge-
macht/ kam demnach vor 3. Jahren/ und bewarb ſich
um mich/ aber man warnete mich zeitlich fuͤr ihm/ als
einem Mann/ der ein Tyrann in ſeinem Hauß/ und
dem der Geitz auß beyden Augen herfuͤr leuchtete. Er
gewann inzwiſchen die Gunſt meines halb-Bruders
Bergering/ welcher mir demnach Tag und Nacht in
den Ohren lag/ daß ich mich zu dieſer Heurath verſte-
hen moͤchte. Jch verſprach ihm 1000. Rthlr. von mei-
nem Muͤtterlichen Erb-Guth/ wann er ſich von dem
Vantenay abgeben/ und mich wider denſelben auf
allem Fall beſchuͤtzen wolte. Dieſe Verheiſſung blen-
dete ihn/ daß er ſich deß Vantenay nicht ſo ſehr hernach
annahme. Jnzwiſchen kam ein wackerer Edelmann
auß Franckreich nach Hauß/ der meiner ſeel. Mutter
etwas verwandt war/ Namens Belligny, dieſer hatte
Gefallen an meiner Perſon/ und weil ich auch in mei-
nem Hertzen alſobald eine Zuneigung zu ihm verſpuͤ-
rete/ zumahl wir einem Glauben beygethan waren/ ſo
M m 5gab
[554]Deß Academiſchen
gab ich ihm einen Ring/ und darneben/ mein Jawort
und voͤlliges Hertz. Dieſer edle Belligny hatte mich
kaum 2. mahl beſuchet/ als er auf dem Ruckweg ver-
loren worden/ daß man nicht weiß/ wo hin er mag ge-
ſtoben oder geflogen ſeyn. Seinen Diener haben et-
liche vermaſquirte Perſonen an einen Baum gebun-
den/ und ihn ſelber darvon gefuͤhret. Ach! Jammer/
daß ich dieſes anjetzo ſelber erzehlen muß! Ach! edel-
ſter Belligny. moͤchteſt du doch anjetzo wiſſen/ daß ich
uͤber meinen Feind triumphiret habe/ dann ich bin der
gaͤntzlichen Verſicherung/ daß auf Anſtalt deß Van-
tenay dieſes edle Gemuͤth auch entfuͤhret worden/
und wer weiß/ in welchem kuͤmmerlichen/ elendigen
Stande er ſich jetzo behelffen muß? Mein halb-
Bruder ſcheinet dem Belligny gewogen zu ſeyn/ aber
ich habe ihm doch nicht allerdings trauen moͤgen/ und
ich weiß nicht/ was ich darvon ſagen ſoll/ daß er eben
damahl/ als mich Vantenay entfuͤhrete/ mit ſeinen
Leuten außgeritten war. Dann geſtern Morgen ritte
er auf die Jagd/ und als ich um die Mittags-Stunde
außfuhr/ meine Schnitter auf dem Felde heimzuſu-
chen/ da kam Vantenay mit ſeinen Leuten/ und fuͤhrete
mich darvon. Wir haben dieſe Nacht in einem Wald
zugebracht/ und dieſen Morgen/ ſo bald der Tag an-
gebrochen/ ſind wir wieder fortgefahren/ da ich mir
dann ſchon die Rechnung zu machen hatte/ daß ich
noch dieſen Abend ſeine Haußfrau ſeyn ſolte. Aber
eure Darzwiſchenkunfft/ Edle Herren/ hat den Lauff
meines Wagens und meines Ungluͤcks gehemmet/
ſonſten waͤre ich dem Ungluͤck ſelber ſo tieff in den
Rachen gerennet/ daß man mich hernach nim̃ermehr
darauß wieder haͤtte erledigen koͤnnen. Jhr werdet
aber ſo wol thun/ uñ morgenden Tages mich vollends
biß nach meiner erblichen Wohnung begleiten/ da-
mit
[555]Romans II. Buch.
mit das Maaß der Schulden/ womit ich euch ver-
hafftet/ gantz voll werde/ und ich alſo Urſach habe/
vor aller Welt frey offentlich zu bekennen/ daß ich/
naͤchſt GOtt/ euch 2. Cavallieren mein Leben und
meine Freyheit allein zu dancken habe.
Condado hielte ihr dargegen vor/ daß ſie nichts
gethan/ als was ihre Schuldigkeit erfodert/ und daß
ſie demnach ihnen ſo hoch nicht verpflichtet/ als ſie ſich
wol einbildete. Aber die Dame ſchalt ihn fuͤr einen hoͤf-
lichen Cavallier auß/ der nichts hoͤren wolte von der
Obligation, damit man ihm verpflichtet waͤre. Nach
gehaltener Abend-Mahlzeit/ bey welcher alles vollauf
geweſen/ trennete ſich endlich die Compagnie, und ein
Jeder legete ſich an ſeinen angewieſenen Ort ſchlaf-
fen. Als gegen den andern Morgen die Sonne auf-
gegangen war/ ließ der alte Edelmann ein gutes
Fruͤhſtuͤck anrichten/ ſetzte ſich hernach ſelber zu ſeiner
Baaſen in den Wagen/ und fuhr/ in Begleitung deß
Condado und Klingenfelds/ vollends nach der Damen
Adelichem Schloß/ welches in einem ſchoͤnen Flecken/
3. Meilen von dannen lag. Um die Abend-Zeit kamen
ſie daſelbſt an/ und funden in dem Flecken eine groſſe
Menge Leute verſammlet/ neben einem dicken Thurn
ſtehen/ da man ihnen bedeutete/ daß man vor einer
halben Stunden einen Menſchen gefangen einge-
bracht/ der jenem Kloſter/ etwa 4. Meilen von hinnen/
nach Chur hinauß/ einen Eſel auf der Waͤyde geſtoh-
len haͤtte. Jndem ſie aber daſelbſt unter den Leuten
ſtille hielten/ ſteckete der Gefangene den Kopff durch
ein Mauer-Loch herauß um das Volck zu ſehen/ und
wie er deß Condado nebſt Klingenfelds gewahr wor-
den/ rieff er: Domini, facite opus miſericordiæ, \& li-
berate me ex captivitate hac duriſſima. Condado er-
kandte den Cerebacchium alſobald/ winckete ihm
dem-
[556]Deß Academiſchen
demnach/ er ſolte ſich zufrieden geben/ man wuͤrde ſich
ſeiner ſchon annehmen. Er aber rieff: Ego cupio,
ſtante pede diſſolvi, \& vobiscum in hilaritate cœnare.
Klingenfeld winckete ihm ebenmaͤſſig/ und ſprach:
Hodiè nobiscum eris. Darauf eyleten ſie nach dem
ſchoͤnen Schloß der Adelichen Jungfrau/ die ſich Lu-
cretia nennete/ und wurden allerſeits von ihrem halb-
Bruder/ der Bergering hieß/ dem Schein nach/ mit
groſſer Hoͤflichkeit und Freude empfangen.
Der Amtmann deß Orts kam bald hernach auch
zu ihr/ und wuͤnſchete ihr Gluͤck zu ihrer Erloͤſung/
und ob er gleich Catholiſch/ bezeugete er dannoch mit
theuren Worten/ daß ihm deß Vantenay irraiſonable
That gar nicht angeſtanden/ wie er dann auch ſchon
reſolviret geweſen/ zukuͤnfftigen Morgen mit gnug-
ſamen Leuten ihn zu verfolgen/ inmaſſen die Verbit-
terung zwiſchen den Reformirten und Catholiſchen
Einwohnern dieſes Cantons Glaris/ die ſchon eine
geraume Zeit im Schwang gegangen/ und durch ho-
he Vermittelung der uͤbrigen Cantons kaum neulich
gehoben worden/ durch dieſe Entfuͤhrung bald wieder
haͤtte koͤnnen außbrechen. Die Lucretia ließ wacker
zurichten/ und Bergering ſtellete ſich ſehr geſchaͤfftig/
der Amtmann ward auch zu Gaſt genoͤthiget/ welcher
auch willig bey der Geſellſchafft blieb/ worbey Con-
dado Gelegenheit nahm/ zu forſchen/ was er mit dem
Gefangenen im Thurn anfangen wolte? Er aber
entſchuldigte ſich/ daß er deßfalls noch nichts reſolvi-
ren koͤnne/ biß man mehr auf ihn gebracht haͤtte. Jn-
dem ſie aber mit einander redeten/ kam ein Muͤnch
mit etlichen Reformirten Maͤnnern auß dem Dorff/
da Cerebacchius den Eſel ſolte geſtohlen haben/ und
behaupteten/ daß man dem Gefangenen zu viel ge-
than/ dann der Eſel/ welcher zwar dem Kloſter zuſtaͤn-
dig/
[557]Romans II. Buch.
dig/ habe auf der Reformirten Waͤyde gewaͤydet/ da-
hero dieſe Leute den Cerebacchium, der uͤbel zu Fuß
geweſen/ ſelber angemahnet/ ſich dieſes Thiers/ wel-
ches ihnen, verfallen waͤre/ anzumaſſen/ und ſeine
Raͤyſe darauf fortzuſetzen; Woruͤber aber das Klo-
ſter einen Verwalter außgeſandt/ der ihn verfolget/
und dem Amtmann allhier/ als einen Dieb/ uͤberge-
ben haͤtte.
Als dieſe Leute deß Cerebacchii Unſchuld gnug-
ſam erwieſen/ der Muͤnch auch ſelber ſolches alles be-
kraͤfftigte/ begunte ſich Condado ſeiner in Ernſt anzu-
nehmen/ und zu erzehlen/ wie er in ſeinen Dienſten
ſtehe/ und welcher Geſtalt nicht allein er/ ſondern noch
3. andere ſeiner Leute durch eine ſeltzame Ebentheuer
ohnweit Campogaſco im Veltliner Gebiet von ihm
abgekommen waͤren/ bathe alſo/ er moͤchte den armen
Menſchen deß Gefaͤngnuͤſſes forderſamſt wieder ent-
ſchlagen/ zumahl/ da das Kloſter ja ſeinen Eſel wieder
bekommen haͤtte. Die ſchoͤne Lucretia legete auch eine
Collecte fuͤr den Gefangenen ein/ um ihres Erledigers
willen/ dahero der Amtmann verſprach/ den Cerebac-
chium, dafern keine andere Klage mehr von dem Klo-
ſter einkaͤme/ bald wieder auf freyen Fuß zu ſtellen.
Jnzwiſchen ward aufgetiſchet/ und mangelte es kei-
nes Weges an den niedlichſten Speiſen/ und aller-
hand fuͤrtrefflichen Weinen. Man ſahe aber endlich
an Bergering/ als ihm der Wein ein wenig zu Kopff
ſtiege/ daß er lieber geſehen/ wann ſeine halb-Schwe-
ſter dem Vantenay geblieben/ als daß ſie erlediget waͤ-
re/ dannnenhero ſahe er den Candado mit funcklen-
den Augen an/ ſagte aber kein Wort/ ſondern verbarg
den Zorn/ und ſtellete ſich gantz freundlich gegen ihn
an. Endlich nahm er eine ſilberne Kanne mit Wein/
die eine Rheiniſche Maaß hielte/ und brachte ſie dem
Con-
[558]Deß Academiſchen
Condado zu/ zur Danckſagung fuͤr den Dienſt/ den er
ſeiner Schwelſter erwieſen haͤtte. Condado ſprach:
Mein Freund/ ihr meynet wol/ mir durch dieſen groſ-
ſen Trunck eine groſſe Freundſchafft zu thun/ ſo moͤ-
get ihr dargegen doch wiſſen/ daß ich nicht gewohnet
bin/ uͤber meine Luſt zu trincken/ und ich glaube/ daß
die uͤbrige Geſellſchafft bey der Tafel deßfalls mit mir
einig ſind/ daß man uns nicht zwinge uͤber unſer Ver-
moͤgen zu trincken. Bergering ſchuͤttelte den Kopff/
ſetzete die Kanne an den Mund/ und ſoffe ſie auf zwey-
mahl rein auß/ ließ ſie hernach wieder fuͤllen/ und
uͤberreichete ſie dem Condado, Beſcheid zu thun/ die-
ſer aber wegerte ſich deſſen/ und referirte ſich auf ſeine
vorige Worte. Alſo nahm Bergering die Kanne wie-
der zu ſich/ und ſoffe ſie noch einmahl auß/ da ihm dañ
der Zorn augenſcheinlich herfuͤr drang/ daß er ſprach:
Jhr muͤſſet einem ehrlichen Kerl Beſcheid thun/ oder
euch mit ihm ſchlagen. Condado ſprach: Wann mir
dieſe Compagnie nicht allzulieb waͤre/ ſo wolte ich
euch hierauf gar bald eine richtige Antwort ertheilen.
Der alte Edelmann/ und der Amtmann/ wie auch die
Lucretia, ſchlugen ſich augenblicklich darein und ſteu-
reten dem Bergering/ hielten ihm darbeneben ſeine
groſſe Incivilitaͤt vor/ welche er an den Leuten begien-
ge/ denen er mit lauter Dienſtfertigkeit biß in den
Tod verbunden waͤre. Bergering ließ ſich hierauf ein
wenig gelinder herauß/ und ſagte: Wolan/ es ſey dar-
um/ ich wil dieſen Cavallier von ſeiner Schuldigkeit
loßſprechen/ wann er mir einen andern ſtellet/ der mir
das Jenige Beſcheid thue/ was ich getruncken habe.
Den Mann wil ich euch ſtellen/ ſprach Condado, und
hiermit lenckete er ſich zu dem Amtmann/ welchen er
bathe/ den Cerebacchium herbringen zu laſſen/ ſo
wuͤrde er Wunder ſehen/ und ſeine Kurtzweil haben.
Die-
[559]Romans II. Buch.
Dieſer ſandte alſo hin/ und ließ den Gefangenen
loß/ welcher in dem Adelichen Hof erſchiene/ und al-
ſobald neben Klingenfeld an die Tafel geſetzet ward.
Bergering ſahe ihn an/ und ſprach: Seyd ihr der
Mann/ der mir Beſcheid ſoll thun? Cerebacchius ant-
wortete: So viel ich immer kan. Hiermit langete er
nach einem groſſen Stuͤck Fleiſch/ und aſſe ſolches
gantz auf: Auf einen uͤbeln Tag/ ſprach er/ gehoͤret
ein guter Abend. Darnach griffe er/ jedoch mit Per-
miſſion der Gaͤſte/ die ihren Gefallen daran hatten/
nach einer gebratenen Ganß/ welche noch nicht ange-
ſchnitten war/ dieſelbe zertheilete er in 8. Theile/ und
machte ſo viel Mund voll darauß. Bergering rieff
jetzo: Jhr koͤnnet wol freſſen/ aber ihr muͤſſet mir dieſe
Kanne Wein einmahl Beſcheid thun? Non poſſum
ſimul flare \& ſorbere, war die Antwort. Hiermit
langete er nach einer Schuͤſſel voll Krebſe/ die er mit
Schaalen und allem in den Magen ſchobe. Dar-
nach ſahe er die Kanne an/ und ſprach zu Bergering:
Dieſe Krebſe haben warlich in einem groͤſſern Be-
haͤlter gelebet/ als dieſe Kanne Weins iſt/ langet mir
ein Geſchirꝛ/ daß ich einen guten rechtſchaffenen Lab-
Trunck thun moͤge. Hieruͤber machten die andern
groſſe Augen/ aber Cerebacchius erblickete auf dem
Schenck-Tiſch einen irꝛdenen Krug/ darein 2. Maaß
giengen. Dieſer war voll Weins/ und nach dem man
ihm denſelben gereichet/ brachte er dem Bergering
die Geſundheit der Lucretia zu/ ſetzte darauf an/ und
zog ihn in einem Athem ſo rein hinein/ daß nicht ein
Troͤpfflein umkam.
Er ließ den Krug wieder fuͤllen/ und hielte ihn
dem Edelmann dar/ aber derſelbe bekennete daß ſich
Condado durch dieſen Menſchen rechtſchaffen ge-
rochen. Cerebacchius aber fieng von neuem an zu
ſchmauſſen/
[560]Deß Academiſchen
ſchmauſſen/ und aſſe noch 8. Raͤbhuͤhner/ ſamt einer
groſſen Schuͤſſel voll Sallat auf. Darnach foderte
er einen guten Trunck ſtarcken Aquavit, und als man
ihm ſolchen in einem Glaß gereichet/ ſetzete er es an
den Mund/ und ſoffe es hinein/ wie Waſſer/ ohner-
achtet eine Noͤſel darinn war. Endlich griffe er zu
Butter und Kaͤſe/ begruͤſſete hernach den Bergering/
um ſeine Weinkanne/ und als ihm Klingenfeld erzeh-
let/ daß ſich dieſer ſo groß darbey gehalten/ da er ſie
2. mahl nach einander außgetruncken/ da wandte er
ſich zu Condado, und ſagte: Mein Herꝛ/ auf eure Ge-
ſundheit/ und dem Bergering zur Nachricht/ trincke
ich dieſe Kanne 3. mahl nach einander auß/ er ließ ſie
auch einſchencken/ und hielte ſein Wort redlich/ zu Je-
der manns hoͤchſter Verwunderung/ und Bergering
ſchaͤmete ſich am allermeiſten/ als der ſonſten den
Ruhm gehabt/ (wann es anders ein Ruhm zu nen-
nen) daß er der ſtaͤrckeſte Trincker im gantzen Can-
ton Glaris ſey. Cerebacchius erblickete endlich den
Muͤnch/ der mit den Reformirten Leuten auß jenem
Dorff ihm das Wort geredet hatte/ dieſem lachete er
jetzo freundlich zu/ und ſprach: Bruder/ wann wollen
wir wieder in euer Kloſter kehren/ da ſie ſo ſtarcke
Mahlzeiten thun? Der Muͤnch aber ſchwieg ſtill/ und
lachete.
Das II. Capitul/
Allhier fraget man/ was an einem Manns-Bilde am hoͤch-
ſten zu preiſen/ ein guter Verſtand/ ein fertiges Judicium, oder eine
herꝛliche Courage.
UBer der Tafel wuͤnſchete Lucretia, daß ſie
doch wol wiſſen moͤchte/ wo ihr Belligny
geblieben ſey? Aber Condado troͤſtete ſie/
daß ſich derſelbe zu ſeiner Zeit/ und wann die Zeit ſei-
nes Truͤbſals zu Ende/ auch ſchon wieder bey ihr ein-
finden
[561]Romans II. Buch.
finden wuͤrde. Er forſchete unterdeſſen weiter/ ob ſie
wol dem Vantenay den Tod wuͤnſchete? Sie aber
ſprach/ nein/ ſondern es waͤre Schade/ daß dieſer
Menſch ſchon ſterben ſolte/ er moͤchte ſich mit der Zeit
etwa noch beſſern/ und auf einen richtigen Weg kom-
men/ er war hefftig verliebet in mich/ aber er muſte
keine Gewalt an mir brauchen. Seine Tapfferkeit
und Courage wird von Jedermann geprieſen/ aber
ich ziehe dieſer den fertigen Verſtand meines edlen
Belligny weit vor. Klingenfeld ſprach jetzo: Es iſt/
meine Hoch-Edle Jungfrau/ eine gar wichtige Fra-
ge/ welches an einem Manns-Bild am hoͤchſten zu
ſchaͤtzen: Ein fertiger Verſtand/ ein gutes Judicium,
oder eine unerſchrockene Courage und Hertzhafftig-
keit? Saget uns eure Meynung mit einem guten
Grund/ womit wollet ihr es wol halten? Lucretia ließ
auß folgendem Diſcurs, den ſie zur Antwort herfuͤr
brachte/ gnugſam blicken/ daß ſie ihre Zeit nicht uͤbel
angewandt/ ſondern ihr gute Buͤcher und Schrifften
gelehrter Leute trefflich hatte angelegen ſeyn laſſen.
Das Menſchliche Leben/ ſprach ſie/ iſt ſo vielen ge-
faͤhrlichen Zufaͤllen unterworffen/ daß ſie der Menſch
ſchwerlich alle abſehen kan. Und wann er es gleich et-
licher Maſſen thun koͤnte/ muſte es doch nur durch
den Verſtand und Begriff der Dinge ſo ihm ankom-
men/ geſchehen/ welche er dem Judicio, wie er nemlich
ſie begriffen/ vorſtellet/ ohne welche klare und richti-
ge Vorſtellung oder Repræſentation das Judicium
zu Vorkommung allerhand Accidentien nichts thun
kan. Ein Richter vermag kein Urtheil zu faͤllen/ ehe und
bevor die Advocaten und Procuratores ihme ihrer
Parthey Sachen außfuͤhrlich deduciret/ und ihrer
beyderſeits Intention und Abſehen zu erkennen ge-
ben haben/ damit er wiſſen moͤge/ zu welchem Theile
N ner
[562]Deß Academiſchen
er ſich wenden/ und wem er favoriſiren ſolle/ oder
nicht? Die Advocaten und Procuratoren aber koͤn-
nen nichts Kuͤnfftiges vorſtellen/ wo ſie nicht mit ei-
nem Sinn-reichen Verſtand/ und ſubtilen klaren
Begriff vieler Sachen begabet ſind. Daß alſo das
Judicium ohne den Sinn-reichen Verſtand/ der ihm
alles vortragen muß/ nichts nuͤtze; Und zwar eben ſo
wenig/ als die Hertzhafftigkeit fuͤr eine Tugend zu ach-
ten/ wann kein Verſtand darbey iſt/ ſintemahl die
Courage ohne den Verſtand nur ein Beſtialiſches
Wuͤten und Verwegenheit iſt/ wordurch wir uns
ſelbſten zur ungelegener Zeit in Gefahr ſtuͤrtzen/ dar-
an dann Niemand Gefallen haben kan. Hingegen
thut der Sinn-reiche Verſtand alles mit einer An-
nehmlichkeit/ und giebt allen Dingen ein Anſehen/
ohne Sinn-reichen fertigen Verſtand reimen ſich alle
Dinge ſo uͤbel/ als wie der Trojaner ihre Condolentz/
oder Leydes-Beklagung/ bey Tiberio uͤber deß Ger-
manici Tod/ welche ſie allererſt nach Verflieſſung
Jahr und Tag zu Rom ablegeten; Worauf ſelbiger
Kaͤyſer mit einer artigen Replique und Antwort ih-
nen hinwiederum den Verluſt deß Hectoris, eines
Mit-Buͤrgers/ der vor vielen hundert Jahren im
Krieg wider die Griechen vom Achille erſchlagen
worden/ mitleydentlich beklagete. Dann die Fertig-
keit deß Verſtandes kom̃t einem bey allen Diſcurſen
und Actionen zu ſtatten/ wordurch man in einem
Augenblick mit einem wol-geſprochenen Wort/
mit einem angenehmen Gelaß/ mit einer ge-
ringen Action, ins gemein mehr außrichtet/ als
wann wir lange daruͤber ſpeculiret/ und es in die
Laͤnge und Queere uͤberleger haben/ was wir thun/
oder reden ſollen; Nun iſt vielmehr die Fertigkeit im
Thun und Reden eine Eigenſchafft deß Sinn-reichen
Verſtandes/ als eine Wuͤrckung deß Judicii, oder ein
Effect
[563]Romans II. Buch.
Effect und Krafft der Hertzhafftigkeit; Obgleich alle
dieſe Tugenden und Gaben der Seelen in allen groſ-
ſen und heroiſchen Actionen deß Menſchen/ dergeſtalt
an einander verknuͤpffet ſeyn/ daß man ſie keines We-
ges trennen/ oder von einander ſepariren kan. Der
Sinn-reiche Verſtand deß Menſchen/ hat uns durch
ſeine vielfaͤltige und herꝛliche Erfindungen auß einem/
der unvernuͤnfftigen Thiere nicht unaͤhnlichem Leben/
herauß gezogen/ und uns die Kleider/ Haͤuſer und
Nahrung/ ja/ mit einem Wort zu ſagen/ alle Be-
quemlichkeiten dieſes Lebens zuweg gebracht/ und zu-
gleich die Art und Weiſe mit Leuten umzugehen ge-
lehret. Damit man aber deſto beſſer hiervon urthei-
len moͤge/ ſo betrachte einer nur eine Geſellſchafft
3. unterſchiedlicher Leute/ deren einer einen Sinn-
reichen Verſtand/ der andere ein reiffes Judicium, und
der dritte groſſe Courage hat; So wird er befinden/
daß dieſer Letzte nichts wird vertragen koͤnnen; Der
Judicieuſe aber wird nichts/ oder doch gar wenig/ re-
den; Der Dritte aber wird die gantze Compagnie
durch ſeine artige Einfaͤlle erluſtigen. Traͤget es ſich
auch zu/ daß 2. in der Compagnie unter ſich ſtreitbar
werden/ ſo wird der Jenige/ welcher den Sinn-reichen
und fertigſten Verſtand unter ihnen hat/ bald Mittel
finden/ ſie zum Vergleich zu bringen. Da ein Judi-
cieuſer mannichmahl ſo viel Fuͤrſichtigkeit gebrau-
chet/ daß die Klage daruͤber alt wird/ und hernach
nicht ſo leicht/ wie ſtracks Anfangs haͤtte geſchehen
koͤnnen/ beygeleget wuͤrde. Jm Krieg wird ein Be-
hertzter ſich viel eher in die Gefahr ſtuͤrtzen. Ein Ju-
dicieuſer wird eine Entrepriſe gar leicht außſtellen/
und ſich ſo lange daruͤber bedencken/ ob ſie thunlich
ſey/ oder nicht? Da ſie indeſſen wol 2. mahl haͤtte
koͤnnen werckſtellig gemacht werden/ woruͤber dann
N n 2die
[564]Deß Academiſchen
die beſte Gelegenheiten verlohren gehen. Ein Sinn-
reicher Geiſt hingegen wird oͤffters eine Stadt gantz
allein defendiren/ wie wir an dem Archimede geſehen
haben; Oder wird ihr/ da er eine belaͤgert/ mit ſeinen
Erfindungen mehr Schaden zufuͤgen/ als tauſend an-
dere mit ihren Faͤuſten haͤtten thun koͤnnen; Geſtalt
ſolches auch noch heutiges Tages die Stratagemata,
deren man ſich gebrauchet/ und mehr mit ihnen auß-
richtet/ als man mit offentlicher Gewalt thun kan/ er-
weiſen. Eines aber der Artigſten/ ſo uns beſchrieben/
iſt deß Eumenis, wordurch er deß Antigoni Practiquen
begegnet; Dieſer hatte in deß Feindes Lager laſſen
Zettel außſtreuen/ darinnen er dem Jenigen/ welcher
den Eumenem ums Leben bringen wurde/ eine anſehn-
liche Summa Geldes verſprochen. Hierdurch wur-
den etliche von deß Eumenis Soldaten wider ihn auf-
gewickelt/ und zu den Gedancken gebracht/ daß ſie ihm
den Reſt geben wolten; So bald aber der Eumenes
in Erfahrung bracht/ daß dergleichen Zettel unter ſei-
nen Leuten außgeſtreuet waren/ ließ er ſie zuſammen
beruffen/ und eroͤffnete ihnen/ was Maſſen er verſtaͤn-
diget worden/ ob ſolten einige ſeiner Leute/ ein Deſſein
auf ſeine Perſon haben/ welches ihn verurſachet/
gewiſſe Zettel unter deß Antigoni Namen außzu-
ſtreuen/ um zu ſehen/ ob er dardurch die Jenigen/ die
ſolches vorgehabt/ entdecken koͤnte. Nachdem er aber
ſaͤhe/ daß keiner unter ihnen waͤre/ der dergleichen
leichtfertiges Gemuͤth gehabt haͤtte/ bedanckte er ſich
gegen ſie allerſeits/ der guten Affection, die ſie zu ihm
truͤgen; Und brach alſo durch ſeinen Sinn-reichen
Fund dem Feind fuͤr dißmahl ſein Vorhaben. Zu
Waſſer/ bey einem unverſehenen Sturm und Wind-
Wuͤrbel keinen Schiffbruch zu leyden; Jn unverſehe-
nen Kriegs-Faͤllen zu Land ſich fuͤr Schaden zu huͤten;
Bey
[565]Romans II. Buch.
Bey Veraͤnderung der Mode oder Manieren in
Kleidern/ alſobald die Schoͤnſte und Beſte zu erwaͤh-
len/ darzu iſt ein Sinn-reicher und fertiger Verſtand
viel noͤthiger und nuͤtzer/ als das Judicium. Ja der
Sinn-reiche Verſtand iſt bey Maͤnniglichen in ſo
hohem Werth/ daß man in denſelben gemeiniglich
alle Vollkom̃enheit der Seelen begreiffet/ und wann
man von einem in Frantzoͤſiſ. Sprache ſaget/ daß er
einen Sinn-reichen Verſtand oder Eſprit hat/ ſo ver-
ſtehet man dardurch auſſer den Gaben deß Leibes/ alle
Vollkommenheit/ die man von einem Menſchen er-
zehlet/ oder erdencken kan. Halte demnach darfuͤr/
daß er billich ſo wol dem Judicio, welches nur in Din-
gen/ darinnen die Diſcretion oder Beſcheidenheit von-
noͤthen/ als der Hertzhafftigkeit/ die bloß in Gefahr
Statt hat/ ſolle vorgezogen werden.
Hierauf ſprach Condado: Er hielte darfuͤr/ daß
die Hertzhafftigkeit ſo wol dem Sinn-reichen Ver-
ſtand/ als dem Judicio, muͤſte vorgezogen werden.
Damit man aber um ſo viel beſſer hiervon urtheilen
koͤnte/ wolte er vorhero kuͤrtzlich erwehnen/ worinnen
die Hertzhafftigkeit eigentlich beſtunde/ und nach-
mahls die Urſachen andeuten/ ſo ihn bewogen/ der
Hertzhafftigkeit den Vorzug zu uͤberlaſſen. Was das
Erſte belanget/ koͤnte man daran einen behertzten Kerl
erkennen/ wann er alles ohne Verwegenheit anfienge/
und es ſonder Furcht hinauß fuͤhrete/ dann er ſtellete
ſich die Gefahr jedes mahl viel groͤſſer vor Augen/ als
ſie waͤre/ damit er ſich mit einer deſto ſtaͤrckern Reſo-
lution dargegen faſſen koͤnte; Und wann er ſich ein-
mahl zu etwas reſolviret haͤtte/ waͤre es unmoͤglich/
ihn wieder darvon abzubringen. Seine Hertzhafftig-
keit kaͤme nicht auß Erfahrung/ noch auß Noth/ noch
auß der Hoffnung/ etwas zu gewinnen/ her/ viel weni-
N n 3ger
[566]Deß Academiſchen
ger auß einiger Unwiſſenheit und Dum̃heit/ ſondern/
wann er nach Erwehnung der Gefahr befinde/ daß
ſeine Ehre erfordere/ ihr zu widerſtehen/ ſo thaͤte er
ſolches auß bloſſem Reſpect der Tugend/ und erwieſe
ſich unermuͤdet/ alle Laſt und Arbeit außzuſtehen/ ja
ſelbſt unuͤberwindlich biß in den Tod. Er vergnuͤgete
ſich nicht darmit/ daß er eine gute und gerechte Sache
haͤtte/ ſondern er nehme ihm auch vor/ ſolche durch gu-
te und gerechte Mittel außzufuͤhren; Waͤren aber
gedachte Mittel den Geſetzen deß Vatterlandes zu-
wider/ ſtuͤnde er lieber von ſeinem habenden Recht
ab/ als daß er denſelben irgends worinn zuwider leben
ſolte. Worauß unſere Balger und Duelliſten abneh-
men koͤnnen/ daß ſie der wahren Ehre verfehlen/ und
nur deren Schatten nachjagen; Alldieweil die Ehre
und die Gerechtigkeit/ oder der Gehorſam/ gegen die
Geſetze allezeit neben einander gehen muͤſſen. Seine
aͤuſſerſte Zuflucht haͤtte er zu dem Degen/ er fuͤhrete
ihn aber nicht ſo ſehr/ andere zu attaquiren/ als ſich
ſelbſt darmit zu defendiren/ und thaͤte es dannoch
allezeit gleichſam gezwungen/ und wann kein ander
Mittel vorhanden/ ſeine und ſeines Naͤchſten Ehre
und Leben zu retten. Dahero fuͤhrete Niemand den
Degen mit groͤſſerer Zierde/ oder Gewißheit/ als er/
weil ihm nimmer etwas vor den Augen ſchimmerte/
das ihn auß einer guten Stellung deß Leibes oder Be-
wandtnuͤß deß Gemuͤths bringen ſolte/ es guͤlte ihm
alles gleich/ auf was Weiſe er ſterbe/ und erwaͤhlete
deß wegen nicht/ dieſen oder jenen Tod/ ſondern er ge-
be ſich williglich in den/ der ihm am erſten vorkaͤme.
Ja/ es taurete ihn mehr nicht/ als daß ihm dardurch
die Mittel benommen wuͤrden/ ſeinem Herꝛn/ oder
ſeinem Vatterland/ weiter treue Dienſte zu leiſten.
Waͤre er ſo ungluͤcklich/ daß er gefangen/ oder irgend
in
[567]Nomans II. Buch.
in Dienſtbarkeit gefuͤhret wurde/ befreyete er ſich
nimmer durch den Tod/ gleich wie Cato, und andere
mehr/ gethan/ und dardurch vielmehr ein Zeichen ih-
rer Zaghafftigkeit/ als ihrer Courage, an Tag gegeben
haͤtten; Sondern er machte es allezeit ſo/ daß er auch
in ſeiner groͤſſeſten Dienſtbarkeit frey zu ſeyn ſcheine-
te; Ja/ er behielte ihn noch in ſeinem Hertzen und
Gedancken/ mannichmahl auch in großmuͤthigen
Diſcurſen/ fuͤr/ dermahleins uͤber die Jenigen zu herꝛ-
ſchen/ und zu gebieten/ die ihn in ſeiner Gewalt haͤt-
ten. Endlich/ er gewinne/ oder verliere/ ſo lieſſe er ſei-
nen Muth niemahls fallen/ ſondern bliebe allezeit/ der
er geweſen/ und ihm ſelber durchgehends aͤhnlich und
beſtaͤndig/ in allem ſeinem Thun und Vorhaben.
Hierzu aber zu gelangen/ gehoͤret etwas anders/ als
die Geſtalt und Gebaͤu deß Leibes/ oder als eine groſſe
Hitze (wann ſie gleich ſo groß waͤre/ als bey dem Leo-
nida von Sparta, oder bey dem Kaͤyſer Matthia, oder
als ſie bey den See-Raͤubern geweſeu/ welchen die
Venetianer zu Gradiſque lebendig die Haut abziehen
lieſſen/ welche alle 3. befunden wurden/ das Hertz gantz
rauhaͤrig zu haben/) nemlich eine heroiſche Seele/ die
dem Leib Krafft gibt/ und ihn bewegen. Nachdem wir
nun geſehen/ worinnen die Hertzhafftigkeit beſtehe;
Muͤſſen wir auch dieſes conſideriren/ daß auß dem
beſondern Reſpect, darinn die Hertzhafftigkeit bey Je-
dermaͤnniglichen iſt/ ſich ins gemein andere Leute
nach behertzten Menſchen richten. Ja/ man wird in
Verſammlung fuͤrnehmer und verſtaͤndiger Leute in
Acht nehmen koͤnnen/ daß einem weder die ſcharffſin-
nige Invention, noch die judicieuſe Diſpoſition eines
Diſcurſes/ nichts wird helffen koͤnnen/ wann er nicht
das Hertz hat/ das Maul aufzuthun/ und ungeſcheuet
zu reden.
N n 4So
[568]Deß Academiſchen
So hilfft und dienet auch die Courage zur In-
vention, daher ſaget man nicht allein in den Gericht-
Stuben in Franckreich: Au barreau, ſondern auch
ſonſten uͤberall/ wann einer etwas redet oder thut/ das
von Jedermann gelobet wird/ daß es eine loͤbliche
Kuͤhnheit geweſen ſey/ und wann ſie gleich ſonſt nir-
gends mehr in ihrem Werth/ ſo iſt ſie doch im Krieg
der Aller-Majeſtaͤtiſchten und gewaltigſten Dinge
eine auf Erden/ und beſitzet den Schau-Platz aller
heroiſchen Tugenden in ihrem hoͤchſten Flor und
Wuͤrden/ und wird ihr gegentheiliges Laſter/ die Zag-
hafftigkeit/ am hoͤchſten geſtraffet/ da hingegen die
Fehler deß Verſtands und deß Judicii leichtlich uͤber-
ſehen werden/ wordurch eben dieſes zu verſtehen ge-
geben wird/ daß man die Hertzhafftigkeit ſo wol dem
Sinn-reichen Verſtand/ als dem ſcharffen Judicio
vorziehe/ dieweil an Jener mehr/ als an dieſen Bey-
den gelegen.
Der Amtmann ſagte: Die Jenigen/ ſo einen
Sinn-reichen Geiſt und Hertzhafftigkeit uͤber das
Judicium deß Menſchen erheben wollen/ und ihres
guten Urtheils ſich darzu gebrauchen/ daß ſie ſolche
ihre Propoſition mit aͤuſſerlichen Argumenten dar-
thun und beweiſen/ dieſelbe behaupten eben damit/
daß das Judicium den andern beyden Gaben fuͤrzu-
ziehen ſey. Dann/ wann ſie auch gleich erhielten/ was
ſie erweiſen wollen/ ſo wurde man es nur ihrem gu-
ten Judicio zuſchreiben/ und ſie deßwegen æſtimiren/
daß ſie kraͤfftigere Argumenten erwaͤhlet haͤtten/ als
etwan andere fuͤhreten/ die dem Judicio den Vorzug
diſputiren wolten. Wir ſehen es allezeit in dem Lauff
der Welt/ daß ein Richter mehr iſt/ als ein Advocat,
und der Sinn reiche Verſtand kan ſich nur mit die-
ſem Letztern vergleichen/ dann er ſtellet dem Richter/
oder
[569]Romans II. Buch.
oder dem Judicio, die Beweiß-Reden vor/ wordurch
er zu ſeinem Zweck zu gelangen gedencket. Und es
iſt unſtreitig/ daß die Hertzhafftigkeit ohne dem Judi-
cio nur eine Brutalitaͤt/ und keiner Tugend Namen
meritiret; Ohne dem Judicio iſt der Sinn-reiche
Verſtand/ und alle ſeine Inventionen nur Caſtelle in
der Lufft/ und eitele Phantaſien/ die einem Hauß ſo in
lauter Windelſtiegen beſtehet/ und worinn ſonſt kei-
ne Gemaͤcher noch Kammern/ wol koͤnnen verglichen
werden. Dann die Inventionen/ worbey kein Judi-
cium iſt/ bleiben nimmer auf etwas gewiſſes/ ſondern
huͤpffen allezeit von einem Zweig/ oder von einem
Fund auf den andern/ wie die Eych-Hoͤrner. Gar
ſelten nutzen ſie auch den Erfindern ſo viel/ als dem/
der ein gutes Judicium hat/ und ſie recht zugebrauchen
weiß/ und wird man die meiſten Sinn-reiche Inven-
tionen finden bey denen/ die am wenigſten in der Pra-
ctique geuͤbet ſind/ dann die Unerfahrenheit machet/
daß man viel Dinge in der Speculation leicht zu ſeyn
erachtet/ die in der Practique unmoͤglich ſeyn/ und die
derohalben ein Practicus nimmer leichtlich annehmen/
ſondern manchmahl alsbald verwerffen wird.
Ja es wird einem ſein reicher Verſtand nichts
helffen/ wann er kein Judicium hat/ ſich deſſen zuge-
brauchen/ wie oͤffters geſchicht; Auſſer dem fehlet es
einem Narren manchmahl nicht an Scharffſinnig-
keit etwas zu reden oder zu thun/ ſondern es wird
vielmehr der noch bey ihm uͤbrige Verſtand durch
die Hertzhafftigkeit/ und dieſe durch die Hitze der
Phreneſie, oder beginnenden Wahnſinnigkeit/ ge-
ſchaͤrffet/ und actionabler gemacht/ als bey andern.
Alſo fehlet ihnen nichts/ als das Judicium, und wer-
den ſie eben deßwegen/ weil es ihnen daran mangelt/
Narren genennet. Die Thiere haben gemeiniglich
N n 5mehr
[570]Deß Academiſchen
mehr Courage, als die Menſchen/ und unter den Men-
ſchen findet ſichs/ daß die behertzte nicht allemahl das
beſte Urtheil haben. Ja/ man ſiehet/ daß nach der
Maß das Queckſilber deß behenden thaͤtigen Ver-
ſtandes und der feurigen Courage, durch die Weiß-
heit und Judicium, ſo die Jahre mitbringen/ figiret
wird/ je minder ſie Sinn-reich ſind/ je weniger bege-
ben ſie ſich in Gefahr/ darein ſie ſich durch Verleitung
der Jugend und durch Mangel der Erfahrung zu
ſtuͤrtzen pflegten. Jm Krieg nutzten alle Inventionen
und die Hertzhafftigkeit ſelbſten nichts/ ſondern ſind
vielmehr ſchaͤdlich/ wann man kein Judicium hat/ ſie
recht anzuwenden. Die Warheit zu ſagen/ ein Judi-
cieuſer bedarff nicht vielerley Inventionen/ ſondern er
kan ihm ſelber helffen/ auch mit einer einigen guten
Maxime, und er hat ſo viel Hertzhafftigkeit/ als ihm
vonnoͤthen thut/ dann das Judicium ſelbſt ſaget es
ihm in Gefahren; Periculum ſæpè numero audacia
diſcutiendum eſſe, wolle er ihr entgehen/ daß er be-
hertzt hindurch dringe/ und ſie alſo uͤberwinden wer-
de. Wird alſo/ wann man von einem ſaget/ daß er
ein gutes Judicium habe/ darunter verſtanden/ oder
præſupponiret/ daß er auch zugleich Sinn-reich und
behertzt ſey/ das Widrige aber erfolget nicht/ daß
nemlich ein Sinn-reicher und Behertzter auch alle-
mahl ein gutes Judicium habe/ dann man ſiehet viel
behertzte Leute/ die weder Verſtand noch Judicium,
und hingegen viel/ die einen Sinnreichen Geiſt/ dar-
neben aber weder Hertz noch Judicium haben.
Klingenfeld dargegen wandte ein: Weil alle
unſere Actionen von einer Creatur/ darinnen alle er-
ſchaffene Dinge/ als in einer kleinen Welt begriffen
ſeyn/ herruͤhren/ und die man derohalben etlicher maſ-
ſen/ wie ein Compoſitum, oder zuſammen geſetztes
Werck/
[571]Romans II. Buch.
Werck/ oder vielmehr ein Extract, oder Quinta Eſſentz
deß gantzen Univerſi conſideriren kan/ ſo iſt es un-
moͤglich/ daß einige Menſchliche Action ſolle ge-
funden werden/ darzu nicht unterſchiedliche Facultaͤ-
ten oder Kraͤffte der Seelen das Jhrige contribuirten
und beytruͤgen/ und koͤnnen derohalben die jenige
Actionen nicht anders als preſthafft ſeyn/ worbey
nicht zugleich ein Sinn-reicher Verſtand/ ein geſun-
des Urtheil/ und eine groſſe Courage zu verſpuͤhren.
Wann man aber die drey jetzt-gedachten Facultaͤten
der Seelen mit einander vergleichen wil/ ſo iſt der
Sinn-reiche Verſtand der Anmuthigſte/ das Judi-
cium das Nutzlichſte/ und die Courage die Anſehn-
lichſte/ oder am meiſten zu æſtimiren.
Mit dieſem Diſcurs, welchem Bergering gar
genau zugehoͤret hatte/ endigte ſich zugleich die Tafel/
dahero ſtunden die Gaͤſte auf/ und nachdem der Amt-
mann ſeinen hoͤflichen Abſchied genommen/ gieng er
ſeines Weges/ Cerebacchius aber nahm noch eine
Kanne mit Wein/ und brachte ſie dem Bergering
zum Schlaff Trunck/ ſoffe ſie auch ohne niederſetzen
rein auß/ und alſo muſte Jener bekennen/ daß er bey
dieſem ſeinen Meiſter gefunden haͤtte. Darauf ward
ihnen allerſeits ihre Schlaff-Stelle angewieſen/ daß
ſie ſich zur Ruhe legten/ welcher ſie nunmehro benoͤ-
thiget waren/ inſonderheit war Cerebacchius froh/
als er einmahl wieder auf ein weiches Feder-Bett zu
ligen kam/ dann/ wie er ſagte/ ſo hatte er lange Zeit
nicht darauf ruhen koͤnnen. Als der folgende Mor-
gen anbrach/ erhub ſich Condado auß dem Lager/ we-
ckete ſeine Gefaͤhrten auf/ und machte ſich bereit/ fer-
ner zu gehen/ als ſie aber herunter tratten/ kam ihnen
die holdſeelige Lucretia entgegen/ und bathe ihn/ daß
er zum wenigſten dieſen Tag noch bey ihr bleiben und
auß-
[572]Deß Academiſchen
außruhen moͤchte/ ſie wolle ihn alsdann an ſeiner
Raͤyſe weiter nicht hindern. Condado muſte ſolches
endlich nach vielem hoͤflichen noͤthigen Zuſagen/ deſ-
ſen ſich dann Niemand mehr/ als Cerebacchius freue-
te/ dann derſelbe hatte ſchon erfahren/ daß er allhier
ſeine rechte Waͤyde ohne ſeines Herꝛn Unkoſten an-
getroffen hatte.
Das III. Capitul/
Cerebacchius erzehlet ſeine Ebentheuer Er wird beſtohlen/
kommt aber wieder zu dem Seinigen. Beſtiehlet einen andern/ aber
ungluͤcklich. Kommt wegen eines Eſels in Vngelegenheit. Bellign [...]
ſtellet ſich ein.
BErgering aͤnderte ſich nunmehro gantz und
gar/ und hielte ſich ſehr freundlich zu ſeinen
Gaͤſten/ er noͤthigte ſie mit in den ſchoͤnen Gar-
ten/ der neben dem Adelichen Hauß lag/ hierinn war
ein ſchoͤner Teich/ darinn allerhand ſchoͤne Fiſche in
groſſem Uberfluß zu finden/ wormit ſie ihre Luſt hat-
ten. Condado aber wolte anjetzo wiſſen/ wie es dem
Cerebacchio ſeithero ergangen waͤre/ dahero giengen
ſie in eine gruͤne Laube ſitzen/ und Cerebacchius be-
gunte in ſeiner Rede folgender Geſtalt: Als ich jenes
mahls dem geſehenen Liecht im Walde nachritte/ ſahe
ich nichts anders/ als den ſchoͤnſten Weg vor mir/ biß
ſich bald hernach/ da ich euch ſchon verlohren hatte/
dieſes Liecht gaͤntzlich vor mir verbarg. Damahl kam
ich mit meinem Pferde in einem Moraſt zu ſitzen/ der
ſo tieff/ daß es dem Pferd ohnmoͤglich war/ mich wie-
der herauß zu ſchleppen/ ſondern je mehr es arbeitete/
je matter es ward/ daß es endlich zu ſincken begunte/
ich ſprang vom Pferde endlich herunter/ und wattete
ſo lang/ biß ich endlich/ wiewol mit groſſer Muͤhe/ her-
auß kam/ da ſtunde nun Cerebacchius, aber ſo naß/
als eine Katz/ welche den Fiſchen eine halbe Meile im
Strohm nachgeſchwummen.
Aber/
[573]Romans II. Buch.
Aber/ was ſolte ich machen/ ich muſte es die
Nacht ſo außhalten/ wiewol in lauter Zittern und
Zaͤhnklappern/ doch gieng ich ſtaͤts auf und ab/ biß
endlich der helle Morgen anbrach/ da gieng ich ſo lang/
biß ich endlich gegen Mittag auß dem Walde kam/
da gieng ich auf einen hohen Berg/ und ſahe mich
um/ biß ich eine Thurn-Spitze erſahe/ darnach gieng
ich zu/ und kam in eine Herberge/ darinn ich mich wie-
der recht durchfraß/ dann mein Magen war ſo ledig/
daß nicht ein einziges Kruͤm̃lein Brodt mehr darinn
zu finden war. Damahl kam ein huͤbſcher junger
Menſch zu mir/ welcher mich fragete/ wo ich hin ge-
daͤchte? Jch ſprach/ daß ich gerne nach Chur wolte/
darauf offerirte er ſich/ mir den Weg zu zeigen/ in-
maſſen er auch daſelbſt zu thun haͤtte. Alſo machten
wir uns Nachmittags wieder auf den Weg/ und er-
reicheten eine huͤbſche Herberge/ darinn wir uns recht
guͤtlich thaͤten/ dann ich hatte mich recht muͤde gegan-
gen/ und wie es Zeit war/ da legten wir uns ſchlaffen.
Mein Gefaͤhrte lag zwar mit mir in einer Kammer/
aber er wolte ſich nicht außziehen/ fuͤrwendend/ es ſey
ſeine Gewohnheit nicht/ in einer unbekandten Her-
berge ſich zu Bette zu legen/ welches ich damahl nicht
weiter bedachte/ ſondern wickelte mich fein huͤbſch ein/
undſchlieff getroſt/ danckete auch dem Him̃el/ daß ich
nunmehro eine gantz andere Nacht wieder erlebet
hatte/ als die vorige geweſen war/ welche ich in der
allerhoͤchſten Angſt und Beſchwerlichkeit zugebracht
hatte. Aber als die Sonne am folgenden Tag herfuͤr
brach/ da ſahe ich/ was fuͤr einen fuͤrtrefflichen Ge-
faͤhrten ich gehabt hatte. Jch ſtund auf/ und ſuchte
ihn/ aber er war weg/ dahero gieng ich hinunter/ und
fragete nach ihm/ aber es wuſte mir Niemand von
dem Buben etwas zu ſagen/ dann er war in der Nacht
auß
[574]Deß Academiſchen
auß dem Fenſter geſtiegen/ und hatte ſich unſichtbar
gemacht. Jch dachte endlich/ es waͤre mir an ſeiner
Geſellſchafft nicht ſonders viel gelegen/ ließ mir dem-
nach ein gutes Fruͤhſtuͤck langen/ und als ich ſolches
zu Leibe genommen/ wolte ich bezahlen/ und meines
Weges weiter gehen/ aber als ich nach dem Geld
ſuchte/ war alles weggefiſchet/ und der leichtfertige
Bube hatte mir all mein Geld geſtohlen.
Jch wuſte nicht/ wie ichs machen ſolte/ ich bate den
Wirth/ er moͤchte mir die Zech ſchenken/ aber er lachete
uñ ſprach: Jhr ſollet mir nicht allein eure Gebuͤhr vor
3. Perſonen/ ſo viel habt ihr allein geſſen und getrun-
cken/ ſondern auch vor euren Schlaff-Geſellen bezah-
len/ oder ich wil euch alſobald ins Gefaͤngnuͤß werffen
laſſen. Jch fragte/ wie ich es dann machen ſolte? Er
antwortete: Fort/ ziehet mir euren Rock auß/ an die-
ſem wil ich mich ſchon bezahlet machen/ wann ich die
ſilberne Knoͤpffe darvon verkauffe. So geſagt/ ſo ge-
than/ er griff mich nebſt ſeinem Knecht an/ und zohe
mir meinen Rock mit Gewalt ab/ warff mir dargegen
einen alten zerlumpeten Rock dar/ an dem ich die
Farbe nicht recht erkennen kunte/ dieſen muſte ich an-
ziehen/ wolte ich anders nicht mit bloſſer Bruſt und
Leibe gehen/ und weil er mir nicht ein Bißlein Brods
mit auf den Weg geben wolte/ war ich recht bekuͤm-
mert/ dann mich hungerte ſchon nach einem Fruͤh-
ſtuͤck/ und muſte alſo nuͤchtern zum Hauß hinauß
gehen.
Mit was fuͤr einem Gemuͤthe ich den Fuß uͤber
die Schwelle geſetzet/ kan ein Jeder leicht erachten/
ich gieng darauf den Weg/ den mir die Leute in dem
Dorff bezeichneten/ daß er mich nach Chur fuͤhren
ſolte. Wie ich aber nur eine Viertel-Stunde fort-
gegangen war/ kam ein Mann von einem ſehr hohen
Berge
[575]Romans II. Buch.
Berge hernieder in den Thal zu mir gelauſſen/ und
ich erkannte bald/ daß dieſer mein Diebiſcher Schlaff-
Geſell war/ der mir in voriger Nacht meine Taſche
ſo wacker gefeget hatte. Dannenhero wolte ich ihn
mit rauhen Worten anfahren/ aber er kam mir zuvor/
und ſagte: Seyo willkommen/ mein liebſter Freund/
ihr meynet wol/ ich ſey euch dieſe Nacht untreu wor-
den/ und habe euch euer Geld geſtohlen. Ach nein/
ich habe euer Geld vor euch bewahret/ der Wirth haͤt-
te es euch doch ſonſten alles abgeſchneutzet/ dann ich
kenne ſeinen Geitz wol/ habt ihr gleich euren Rock im
Stich gelaſſen/ den wollen wir wol wieder kriegen/
und noch mehr darzu/ dann weil der Wirth ſo unver-
ſchaͤmt iſt/ ſo muß er deſſen Straffe leyden/ kommet/
laſſet mich nur rathen. Hiermit uͤberreichte er mir
meinen Beutel mit den 2. Ducaten an kleinem Gel-
de/ ſo viel hatte ich von Padua noch uͤbrig behalten.
Jch wuſte nicht/ wie ich mich in dieſen Menſchen fin-
den ſolte/ er aber lachete mir freundlich zu. Jſt es
nicht alſo/ ſprach er/ euer Geld waͤre jetzo in deß
Wirths Gewalt/ wann ich es nicht zu mir geſtecket/
und darvon gangen waͤre? Das glaub ich wol/ war
meine Antwort/ aber mein Rock war mir lieber/ als
dieſe wenige Pfenninge. Er aber replicirte/ darum
habe ich mich auf dieſen hohen Berg geleget/ damit
ich euch auß dem Dorff moͤchte kommen ſehen/ und
alsdann zu euch gienge/ ferner von der Sache zu re-
den. Nun wolan/ euer Rock iſt fort/ aber ſeyd zufrie-
den/ ehe der Mittag kommet/ ſollet ihr ihn wieder ha-
ben. Hiermit fuͤhrete er mich nach einem andern
Thal/ zu einem alten Hauß/ darinn die Hirten in der
heiſſen Mittags-Zeit das Vieh zu treiben pflegten/
um ſich darinn zu erkuͤhlen. Weil nun kein Menſch
darinnen wohnete/ giengen wir hinein/ und mein Ca-
merad
[576]Deß Academiſchen
merad ſchlug Feuer/ zuͤndete das haͤuffig darinnen
ligende Stroh an/ und lieff ſo geſchwind/ als er kun-
te/ mit mir nach einem Berg/ der nahe bey dem vori-
gen Dorff lage. Alſo gerieth das Hauß bald in
Brandt/ und man ruͤhrete die Sturm-Glocke im
Dorff/ da dann Groß und Klein/ Mann und Weib
hinauß lieffen/ das Hauß der Gemeinde zu retten/ wir
lagen inzwiſchen auf dem Berg/ und ſahen dem
Handel zu.
Nachdem endlich die Leute meiſt auß dem Dorff
verlauffen/ ſprach mein Camerad: Nun auf/ mein
Bruder/ jetzo muͤſſen wir auf unſerer Hut ſeyn/ hier-
mit lieff er mit mir den Berg hinab/ und wir giengen
darauf ſachtmuͤthig in das Dorff nach dem Wirths-
Hauß/ darinn nur zwey kleine Kinder/ und eine alte
Mutter war. Jene kunten uns nicht verrathen/ aber
die alte Mutter ward von uns in einen tieffen Keller
geſperret/ und ihr der Tod gedrohet/ wofern ſie den
allergeringſten Laut von ſich geben wuͤrde. Darauf
viſitirte mein Geſell das Hauß/ und uͤberreichete mir
zuforderſt meinen Rock/ welchen ich anzog/ er ſchlug
einen Kaſten auf/ und ſteckete einen Beutel mit Geld
zu ſich/ gieng hernach in den Keller/ und langete zween
groſſe irdene Kruͤge/ welche er auß einem guten Wein-
Faß anfuͤllete/ in der Speiſe-Kammer fand er einen
rohen Schincken und ſchoͤne Bratwuͤrſte/ darvon er
einen guten Partickel nahm/ und alles in einen lan-
gen Sack ſteckete/ gieng hernach in den Stall/ und
zog ein junges Pferd herauß/ darauf legte er die Laſt/
ſetzete ſich auch ſelber darauf/ und noͤthigte mich/ das
andere Pferd zu nehmen/ aber mir war bang vor ei-
nem boͤſen Außgang/ dannenhero folgete ich ihm zu
Fuß/ wir eyleten/ ſo gut wir kunten/ biß wir einen
Buſch erreichet/ darinn ſetzten wir uns nieder/ und
hielten
[577]Romans II. Buch.
hielten eine gute Mahlzeit mit einander/ die beyden
Flaſchen leereten wir auß/ und was der Andere vom
Schincken uͤberließ/ das ſchob ich in meinen Magen.
Darauf ſtunden wir wieder auf/ und ritten biß gegen
Abend durch lauter unwegſame Gegenden/ biß wir
bey ſpaͤther Nacht zu einem Maͤyer-Hof kamen/ der
einem fuͤrnehmen Herꝛn zugehoͤrete/ daſelbſt nahmen
wir unſer Nacht Quartier/ und der gute Mann ließ
uns willig ein/ tractirete uns auch nach allem Ver-
moͤgen.
Wie die Morgen-Stunde anbrach/ verkauffte
ihm mein Camerad das geſtohlene Pferd vor 23.
Kronen/ fuͤrwendend/ daß ihm ſolches auf der Raͤyſe
nach der Schweitz nicht zu ſtatten kaͤme/ dero wegen
waͤre er reſolvirt/ an dem erſten Ort/ da er ihn haben
koͤnte/ einen Eſel zu kauffen/ und ſich deſſen zu bedie-
nen. Alſo wanderten wir fort/ und nahm mich Wun-
der/ daß dem Buben alle Stuͤcklein ſo wol angien-
gen. Als wir kaum eine halbe Stunde von dem
Maͤyer-Hof weg waren/ kamen 6. berittene Maͤn-
ner in vollem Courrier hinter uns drein. Weil ich ſie
nun am erſten ſahe/ zeigete ich ihm dieſelbe/ er aber er-
ſchrack/ und ſprach: Nun iſt es Lauffens-Zeit/ ich ha-
be dem Maͤyer einen ſilbernen Becher genommen/
den wird er wieder haben wollen. Als ich dieſes hoͤ-
rete/ gab ich mich von dem Buben ab/ und lieff einen
beſondern Weg nach einem engen Thal/ damit ich
nicht bey ihm gefunden/ und neben ihm gefangen
wuͤrde. Jch entkam auch gluͤcklich/ indem ich mich
zwiſchen einen Felſen-Riß verbarg/ biß die groͤſſeſte
Noth vorbey/ da ſchliche ich auf einen Berg/ und
ſahe/ daß die Reuter mit dem Buben dorthin ſchlen-
terten. Darauf wanderte ich nunmehro wieder allein
fort/ und gelangete um die Mittags-Zeit zu einer
O oHerber-
[578]Deß Academiſchen
Herberge/ die gantz allein an der Land-Straſſen in ei-
nem ſchoͤnen Thal lag/ darinn fand ich einen feinen
Juͤngling/ der eben ſpeiſete/ zu welchem ich mich ſetze-
te/ und mit ihm aſſe/ ich war aber annoch voll Schroͤ-
cken/ und beſorgete immer/ man moͤchte mich auch
noch außforſchen/ ſtunde demnach auf/ und gieng hin-
ter das Hauß/ als wann ich mein Waſſer abſchlagen
wolte/ und wie ich daſelbſt an dem Zaun ein ungeſat-
teltes Pferd angebunden fand/ ſchwung ich mich be-
hende darauf/ und ritte ſo ſchnell darvon/ als wann
ich Feuer auf dem Halſe truͤge/ in Hoffnung/ es wuͤr-
de mir damit eben ſo wol/ als am vorigen Tage mei-
nem Diebiſchen Cameraden gelingen.
Kaum aber war ich dieſem Hauß auß dem Ge-
ſichte gekommen/ als Zween zu Pferde ſehr ſchnell
hinter mir her eyleten/ dannenhero wandte ich mein
Roß um/ und ritte Jenen in ſtarckem Traff entgegen/
der Eine darvon ſchalt mich vor einen Pferd-Dieb/
und ich ſprach dargegen/ daß ich dieſes Pferd nur
darum genommen/ damit ich es probiren moͤchte/ ob
es mir anſtuͤnde/ ſo wolte ich es kauffen/ aber Jener
war damit nicht zufrieden/ ſondern wolte mit dem
Pruͤgel uͤber mich her/ doch woͤhrete ihm der Andere/
und ſagte: Laſſet den guten Menſchen mit Frieden/
ich habe mein Pferd wieder/ ich wil nicht/ daß er deß-
wegen Straff leyde/ wer weiß/ in was fuͤr einer
Noth er ſtecket/ ich dancke GOtt/ daß ich ſelber neu-
lich auß einem elenden Stand erlediget bin/ darum
mag ich andere Leute nicht betruͤben. Hiermit nahm
Jener/ welcher der feine Menſch war/ mit welchem
ich im Wirths-Hauß geſpeiſet hatte/ das Pferd wie-
der zu ſich/ und kehrete mit dem Andern zuruͤck/ ich
aber gieng allein fort.
Auf den Abend kam ein Muͤnch auf dem Weg
zu
[579]Romans II. Buch.
zu mir/ welcher mich fragete: Wohin ich gedaͤchte?
Jch ſprach: Jch ſuche ein Kloſter/ um ein Ordens-
Mann zu werden/ weil es mir allweg ſo ungluͤcklich
ergehet/ aber ich hoffe auch im Kloſter ſatt zu eſſen
und zu trincken zu bekommen. Euer Vorhaben iſt
loͤblich und gut/ ſprach der Muͤnch/ kommet mit mir/
ich gehe jetzo zu meinen Bruͤdern in jenem Kloſter/
welches ihr dorten vor euch ſehet. Wir kehreten da-
ſelbſt ein/ und nachdem mein Muͤnch den Bruͤdern
und Vaͤttern dieſes Kloſters mein Vorhaben ange-
deutet/ empfiengen ſie mich ſehr freundlich/ und wir
aſſen dieſen Abend mit einander einen Sallat/ und
hart-gekochte Eyer/ darbey hatten wir nichts/ als ei-
nen Trunck friſchen Brunnen-Waſſers. Dieſe
Nacht ſchlieff ich bey meinem Cameraden/ dem ich
klagete/ daß ich in dieſem Kloſter es nicht lange auß-
halten koͤnte/ weil ich mich nicht halb ſatt geſſen haͤtte.
Er troͤſtete mich/ und ſprach/ ich wil euch Morgen zu
einem andern Kloſter fuͤhren/ darinn die Patres nicht
ſo ſtrenge leben/ wie allhier/ und alſo wanderten wir
am folgenden Tag/ biß die Sonne am hoͤchſten ſtund/
da giengen wir in ein Kloſter/ und wurden etwas beſ-
ſer geſpeiſet/ als im vorigen; Aber/ es war auch hier
noch nicht nach meinem Sinn/ dannenhero danckete
ich den Leuten vor ihren guten Willen/ und weil ich
ziemlich muͤde/ bath der Muͤnch um einen Eſel vor
mich/ dieſer ward mir gefolget/ und ritte ich darauf
fort/ der Muͤnch aber gieng neben mir her/ biß wir
gegen Abend ein ſchoͤnes Kloſter erreichten/ darinn
wurden wir wol geſpeiſet; Aber/ als ich ſchlaffen
gieng/ ſchenckete ich dem Koch einen Orts-Thaler/
daß er mir noch etwas zu eſſen und zu trincken in mei-
ne Zelle bringen moͤchte/ welches er redlich außrichte-
te/ und da bekam ich die niedlichſten Tractamenten/
und einen herꝛlichen Trunck Wein.
O o 2Fruͤh
[580]Deß Academiſchen
Fruͤh Morgens nahmen wir Abſchied/ und ich
ließ meinen Eſel allhier/ um ſolchen dem vorigen
Kloſter wieder zu zuſenden/ auß dieſem Kloſter aber
bekamen wir 2. Eſel/ und ritten darauf biß nach
Chur/ woſelbſt mein Gefaͤhrte ſich einen Tag aufhal-
ten muſte. Wir blieben in einem Kloſter nahe bey
der Stadt/ allda ich mich rechtſchaffen durchfraſſe/
und merckete nunmehro mein Camerad wol/ daß es
mir nicht um das Kloſter-Leben/ ſondern um etwas
gutes zu eſſen und zu trincken zu thun waͤre/ weil er
nun ein guthertziger Mann/ halff er mir allenthalben
durch/ und nachdem er ſeine Dinge verrichtet/ gien-
gen wir zu Fuß mit einander fort/ bekamen zwar an-
jetzo keine Eſel/ aber man gab mir einen Buͤndel mit
Eſſen und Trincken auf den Ruͤcken/ weil wir vor
Abend kein Kloſter erreichen wuͤrden. Solcher
Geſtalt giengen wir fort/ und ſpeiſeten um den Mit-
tag in einem einſamen Bauren-Haͤußlein/ von dem/
das ich auf meinem Ruͤcken trug. Darauf ſprachen
wir unſern Beinen wieder zu/ und giengen biß an den
ſpaͤthen Abend/ da wir das jenige Kloſter erreichten/
in welches mein Muͤnch gehoͤrete/ der mich darinnen
wol tractiren ließ. Am folgenden Morgen nahm ich
meinen Abſchied von ihm/ und gieng nach dem Dorff/
ſo nahe bey dem Kloſter/ daſelbſt waren die Einwoh-
ner der Reformirten Religion zugethan/ und ſehr boͤß/
daß ein Kloſter-Eſel auf ihrer Waͤyde waͤydete. Jch
ſprach: Gebet mir Freyheit/ ſo wil ich den Eſel von
dannen bringen. Sie vergonneten mir ſolches wil-
lig/ und alſo ſetzte ich mich darauf/ ſtieſſe ihn wacker
in die Seiten/ daß er lauffen muſte/ und ritte darauf
fort/ biß um den Mittag 10. Maͤnner/ darunter
3. zu Pferde/ die andern aber zu Fuß waren/ mich ein-
holeten/ und weil ich ſchon in dieſer Graͤntze/ fuͤhreten
ſie
[581]Romans II. Buch.
ſie mich hieher/ und verklageten mich bey dem Amt-
mann/ als einen Eſels-Rauber. Darauf/ und weil
ſolches in jenem Dorff bald kund worden/ ſchlugen
ſich etliche Reformirte Bauern/ und der Muͤnch/ mein
geweſener Cammerad/ zuſammen/ und ſprachen mir
geſtern das Wort/ wie ihr ſelber gehoͤret habt. Sehet/
das ſind meine ſeltzame Ebentheuren/ ſeit ich von euch
geweſen bin.
Condado und die Andern muſten dieſer ſeltza-
men Haͤndel von Hertzen lachen/ ſie tratten darauf
wieder ins Hauß/ weil die Mahlzeit auf den Mit-
tag ſchon zugerichtet war/ der Amtmann auch ſich
wieder eingeſtellet hatte/ und nachdem ſie ſich zur
Tafel geſetzet/ muſte Cerebacchius ſeine Begebenheit
noch einmahl erzehlen/ alsdann ſolte er eſſen/ ſo viel
und was ihm beliebete. Die Zuhoͤrer kunten vor La-
chen nicht eſſen/ ſondern warteten/ biß Cerebacchius
ſeine Erzehlung/ die er mit Fleiß anjetzo kuͤrtzer faſ-
ſete/ vollendet hatte/ und darauf ward an die Thuͤr
geklopffet/ welche man eroͤffnete/ da dann ein feiner
Juͤngling in ſchlechten Kleidern herein tratt/ und ſich
uͤber die Geſellſchafft eben ſo ſehr/ als dieſe ſich uͤber
ihn verwunderte. Lucretia aber ſprang am erſten vom
Tiſche auf/ lieff ihm entgegen/ umfieng ihn mit einem
Kuß/ und ſagte: Ach mein allerliebſter Belligny, ſeyd
ihr es ſelber? Jch bin es freylich/ war deß andern
Antwort/ und GOtt hat mich wunderbarlich errettet
auß der Hand deß leichtfertigen Vantenay, der es
ſchlimm gnug mit mir im Sinn hatte. Lucretia zei-
gete ihm den Condado und Klingenfeld mit dieſen
Worten: Mein hertzliebſter Schatz/ waͤren dieſe Ca-
vallier nicht geweſen/ ſo waͤre ich jetzo durch Zwang
deß Vantenay Eheweib. Belligny ſahe dieſe Leute an/
und ſagte: O ihr redlichen Herren/ wie finde ich euch
O o 3allhier
[582]Deß Academiſchen
allhier zu ſo gelegener Zeit/ ſeyd ihr dann allein vom
Himmel darzu geſchaffen/ daß ihr dieſer Edlen Da-
men/ und zugleich auch mir/ auß unſerer Truͤbſaal
helffen ſollen? Condado erkannte ihn/ daß er der Je-
nige war/ den ſie vor etlichen Tagen auf dem Kar-
ren errettet/ da man ihm den Knebel auß dem Mund
geriſſen/ und ihn ſeines Weges hatte reiten laſſen.
Alſo machten ſie mit den verbindlichſten Worten eine
feſte Freundſchafft mit einander/ und Belligny er-
zehlete/ welcher Geſtalt er jenesmahls zu einem ſeiner
Freunden/ der in ſelbiger Gegend gewohnet/ geritten/
um etwas gutes zu eſſen und zu trincken zu bekom-
men/ weil er kein Geld bey ſich gehabt/ weßwegen er
das Pferd/ ſo er dem Fuhrmann damahl abgenom-
men/ verkauffet/ und verzehret/ wiewol ihm ſolches
vorhero durch einen behenden Schlucker entwendet
worden/ er haͤtte es aber noch zeitlich wieder bekom-
men/ und den/ der es ihm geſtohlen/ lauffen laſſen.
Jm uͤbrigen habe er ſich mit ſeinem Freunde/ ſeines
Leydens halben/ beredet/ und ſey darauf in dieſer
armſeeligen Kleidung/ darinn ihn Vantenay ſtecken
laſſen/ auf einem geliehenen Pferde wieder allhier
angelanget/ erfreue ſich auch von Hertzen/ daß Vante-
nay ſo uͤbel angelauffen/ und koͤnte er nunmehro nicht
vorbey/ ſondern dafern er anders noch im Leben/ muͤſ-
ſe er ihn auf Leib und Leben zum Kampff außfordern.
Cerebacchius ſtund jetzo auf/ und tratt dem Bel-
ligny mit einem groſſen Becher voll Wein entgegen.
Seyd mir wilkommen/ mein Herꝛ/ ſprach er/ ich brin-
ge euch dieſes auf einen guten Vertrag. Belligny
machte groſſe Augen/ als er dieſen Menſchen allhier
fand/ und ſagte/ daß dieſer eben der Jenige waͤre/ der
ihm ueulich mit ſeinem Pferd haͤtte davon reiten wol-
len/ nachdem er mit ihm in der einſamen Herberge ge-
ſpeiſet.
[583]Romans II. Buch.
ſpeiſet. Cerebacchius antwortete: Jch bin es freylich/
aber ich habe euch das Pferd nicht ſtehlen wollen. Hæc
eſſet grandis injuria, ich wolte es nur probiren/ wie
mir es moͤchte anſtehen. Sie vertrugen ſich aber/ als
Belligny vernahm/ daß er in deß Condado Geſell-
ſchafft gehoͤrete. Und alſo ſetzeten ſie ſich zuſammen
nieder/ und machten ſich mit einander rechtſchaffen
luſtig/ und Lucretia begehrete/ Cerebacchius moͤchte
ihrem Liebſten zu Gefallen ſeine Zufaͤlle noch einmahl
erzehlen. Er aber ſprach/ ich wil vorher eurem Liebſten
zu Gefallen mich ſatt eſſen und trincken/ alsdann wil
ich ihm alles erzehlen. Solches thaͤte er auch recht-
ſchaffen/ daß ſich die gantze Compagnie zum hefftig-
ſten daruͤber verwunderte. Und als er ſeinen Hunger
ziemlicher Maſſen beſaͤnfftiget/ da repetirte er ſeine
vorige Erzehlung mit ſolchen vorhin vergeſſenen Um-
ſtaͤnden/ daß ſie ſich daruͤber ſchier zu ſchanden zerla-
chet haͤtten.
Das IV. Capitul/
Man diſcurriret uͤber die Frage: Ob es beſſer ſey/ zuerſt/
oder zuletzt/ von einem Dinge zu reden. Condado und die andern
Zween raͤyſen mit einander weiter fort.
ENdlich kamen ſie wieder von dem Vantenay zu
reden/ da dann Belligny darbey blieb/ er hielte
es vors Rathſamſte/ daß er ihn zum Duell auß-
fordere/ aber der Amtmann erachtete es rathſamer/
daß er ihn wegen der doppelten gewaltſamen Ent-
fuͤhrung Gerichtlich belangete. Ein Jeder muſte/ auf
deß Belligny Bitte/ ſeine Meynung daruͤber geben/
und alſo kam die Reige bald auf Condado, der ſich
aber entſchuldigete/ und der Letzte zu ſeyn begehrete in
ſeiner Conſultation, ſolchem nach raiſonnirte Klin-
genfeld vorher/ und war mit Condado, der hernach
ſein Sentiment gab/ darinn einig/ daß man wol thaͤte/
O o 4wann
[584]Deß Academiſchen
wann man die ordentliche Obrigkeit nicht vorbey
gienge/ im Fall ihm aber dieſelbe patrociniren ſolte/
haͤtte man das Duell noch allemahl zur Satisfaction
vor ſich. Belligny ſprach jetzo: So wil ich dann mei-
nem Herꝛn darinn willig folgen/ dann ich glaube/ der
Herꝛ Condado habe mit Fleiß ſeine Meynung am
Letzten geben wollen/ damit er auß den Vorherge-
henden das Beſte erwaͤhlen moͤge. Klingenfeld ſprach
darauf: Welches deucht meinen Herren dann wol
am beſten zu ſeyn/ daß einer in dergleichen Rathſchla-
gungen zuerſt/ oder zuletzt/ ſeine Meynung gebe?
Mein Herꝛ verzeyhe mir/ war deß Belligny Entſchul-
digung/ daß ich mich hieruͤber nicht werde vernehmen
laſſen/ dann ich bekenne es/ daß ich meine Jugend im
Feld und unter dem Waffen-Geraſſel zugebracht/ uñ
den gelehrten Muſen alſo nicht zu nahe getretten bin/
wiewol ich jetzo wuͤnſche/ daß ich etliche Jahre auf die
Studia moͤchte gewendet haben. Jch glaube aber/ un-
ſere edle Lucretia werde an meine Stelle hierauf zu
antworten wiſſen. Alſo warff ein Jeder die Augen
auf die wol-beleſene Lucretia, welche demnach ihres
Liebſten Stelle mit folgender Antwort gebuͤhrlich zu
erſetzen wuſte:
DJe Jenigen/ ſprach ſie/ welche mit ihren vorher bedachten
Reden Lob und Preyß einlegen/ und ſelbigen Ruhm/ ſo ſie
einmahl erlanget haben/ behalten wollen/ ſollen in den erſten ze-
hen Jahren (welche Zeit einen guten Redner zu machen erfor-
dert wird/) allezeit darnach trachten/ daß ſie erſt reden/ damit ſie
nicht allein dardurch einen Diſcurs, der vielmahls ihrem Ge-
daͤchtnuͤß mehr beſchwerlicher iſt/ als einem Sack-Traͤger ſeine
Laſt/ je eher/ je lieber/ ablegen. Sondern/ weil auch ein und das
andere Ding eine andere Art hat/ wann es zuerſt oder zuletzt vor-
gehracht wird/ auch den Zuhoͤrern ein Ding ins gemein viel an-
genehmer iſt/ zur Zeit/ da ihre Ohren noch leer und friſch/ oder
durch Geſchwaͤtz nicht uͤbertaͤubet ſeynd/ als wann ihnen ſchon
die erſte Begierde zu hoͤren vergangen iſt. Dann es iſt mit dem
Menſch-
[585]Romans II. Buch.
Menſchlichen Verſtand eben wie mit dem Leib beſchaffen/ daß er
leichtlich kan ermuͤdet/ und eckel gemacht werden. Und iſt es der-
halben eben ſo viel/ wann ich einen Redner frage/ ob er lieber zu
erſt/ oder zuletzt/ reden wil? Als wann ich einen Kuͤchenmeiſter
fragen wolte: Wodurch er am meiſten Ehre einlegen wuͤrde/
wann er nemlich das Jenige/ was er zugerichtet/ Leuten/ die ſchon
erſaͤttiget/ und von einer Gaſterey aufſtuͤnden/ oder aber an-
dern/ die groſſen Hunger haͤtten/ vorſetzen wolte? Dann unſer
Verſtand/ welcher einem leeren Gefaͤß nicht unaͤhnlich/ nimmt
nicht allein die erſte Diſcurſes, die ihm vorgebracht werden/ mit
angehohrner groſſer Begierde etwas zu wiſſen/ gerne an/ ſondern
ſiehet und drucket ſie auch gleichſam in ſich/ alſo/ da auch einer
gleich nicht der beſte Redner iſt/ ſo werden ſeine Fehler doch eher
uͤberſehen/ und wird alles beſſer auf genommen/ weil den Zuhoͤ-
rern das Jenige/ was er ſagen wil/ noch neu vorkommt, als wañ
ihm die Ohren durch Wiederholung eines Dinges/ welches in ei-
nem langen Diſcurs nicht wol anders ſeyn kan/ ſchon dick ge-
macht ſeyn. Und der Jenigeeder ſich dar zu geſchickt hat/ daß er
von einem Ding reden wil/ kan ſich gar leicht unangenehm ma-
chen/ oder ſeinen Vortheil verlieren/ wann er es hernach thun
wolte/ da ihm ein anderer moͤchte zuvor kommen ſeyn/ und eben
daſſelbe geſagt haben/ was er willens geweſen vorzubringen.
Und gleich wie der Jenige/ der zuerſt nach dem Ring rennet/
nicht allein viel beſſern Weg hat/ ſondern auch von einem Jeden
mehr conſideriret wird; Alſo wird der Jenige/ der zuerſt redet/
auch viel lieber gehoͤret werden/ als der andere/ und iſt er ein ge-
ſchickter Mann/ wann er ſeine Rede ſolcher Geſtalt einrichtet/
daß die Jenigen/ ſo nach ihm reden/ nicht viel ſonderliches mehr
von der Materie werden fuͤrbringen koͤnnen; Welches man in
den Conſultationibus und Berathſchlagungen der Medicorum
und Advocaten erfaͤhret/ da die Jenigen/ die nach einem fuͤrneh-
men und beruͤhmten Mann ihre Meynung zu ſagen haben/ ſich
gemeiniglich mit den Vorſitzenden conformiren muͤſſen. Weil
auch das fuͤrnehmſte Requiſitum bey einem Reduer iſt/ daß er
die Attention und Gewogenheit ſeiner Zuhoͤrer ihme acquirire/
und zu weg bringe/ dann/ wann er die hat/ ſo hat er ſchon halb ge-
wonnen/ weil ihm die Jenigen/ ſo ihn mit Affection gehoͤret ha-
ben/ und denen er gleichſam das Hertz geſtohlen hat/ nicht wol
anders thun koͤnnen als ihm Beyfall zu geben/ ſo laͤſſet er auch
alsdann dem Nachfolgenden wenig Raum/ in der Zuhoͤrer ih-
ren Gemuͤthern, Daher ich mich verwundere/ daß ſich ihrer
O o 5etliche
[586]Deß Academiſchen
etliche daruͤber beſchweren/ wann ſie zuerſt reden ſollen; Da ſie
doch die Gemuͤther alsdann ſo beſchaffen finden/ wie eine leere
und reine Schreib-Tafel/ darein man alles ſchreiben/ und wie ein
Wachs/ darein man alles abdrucken kan/ und auß welchen die
einmahl hinein gefuͤhrete Impreſſion nicht viel leichter kan auß-
geloͤſchet/ oder veraͤndert werden/ als die erſte Farbe in der
Wolle. Zu dem iſt deß Menſchen Sinn uͤberauß begierig/ et-
was Neues zu wiſſen. Er findet aber ſolches gar ſelten/ als nur
in deſſen Diſcurs, der zuerſt redet; Dann die andern/ die ihm fol-
gen/ muͤſſen um deß Willen/ der erſt geredet hat/ in der Eyle dar-
auf dencken/ etwas anders auf die Bahn zu bringen/ damit ſie
erweiſen/ auch etwas gelernet/ und obſerviret zu haben/ oder/
daß ſie auch etwas erſinden koͤnten. Welches viel ſchwerer iſt/
als das Erſte/ da man volle Freyheit hat/ und derhalben ſagen
kan/ was er wil/ daß alſo der Jenige/ der zu erſt redet/ nichts an-
ders thun darff/ als das/ was er ſaget/ mit den Hand-greifflich-
ſten Argumenten/ die er erdencken kan/ und die Zuhoͤrer am leich-
teſten begreiffen koͤnnen/ zu behaupten; An Statt/ daß die an-
dern/ wann ſie dieſelbe Meynung wollen bekraͤfftigen/ neue Re-
den erdencken/ und da ſie deß Erſten Meynung umſtoſſen wollen/
gantz Contrarie er finden muͤſſen; | Und nichts deſto weniger muͤſ-
ſen ſie darauf bedacht ſeyn/ wie ſie ihrer eigenen Meynung ei-
nen Schein geben wollen. Gewiß iſt es allezeit/ daß die Jenigen/
die zuletzt reden/ viel mehr Muͤhe haben/ und lange nicht ſo an-
genehm ſeyn/ als die Erſten/ wo ſie es nicht ungleich beſſer ma-
chen; Und daß/ wann ſie die Gabe der Holdſeeligkeit und Krafft
im Reden haͤtten/ viel mehr Ehre einlegen wurden/ ſo ſie die
Erſten waͤren.
Hier auf ſprach Condado: Die erſten Rheroren/ oder
Meiſter der Red-Kunſt/ haͤtten Urſach gehabt/ denen/ die ſich der
Beredtſamkeit befleiſſen wollen/ unter andern dieſes vorzuſchrei-
ben/ daß ſie allezeit Anfangs ſanfft reden ſolten/ damit ſie ſo wol
der Ordre der Natur/ welche nimmer ohne Mittel von einem
Extremo zum andern ſchreitet/ ſolgeten! Als auch darum/ weil
an den Vorreden ſelten groß gelegen waͤre/ wann nur die Zuhoͤ-
rer ſonſten zur Aufmerckung diſponiret/ und ihnen die Sache
klaͤrlich koͤnte zu verſtehen gegeben werden; Worzu ſie aber
ſtracks Anfangs ſelten recht geſchickt waͤren/ weil es wenig Leute
giebt/ die alsbald das Jenige/ wovon gehandelt wird/ zur Gnuͤge
verſtehen ſolten; Daß alſo der zuerſt redete/ nur die Muͤhe haͤt-
te/ den andern den Weg zu bereiten/ und alle Hindernuͤſſe und
Anſtoͤſſe
[587]Romans II. Buch.
Anſtoͤſſe auß dem Weg zu raͤumen; Wodurch die Jenige/ ſo
nach ihm redeten/ einen deſto ebenern Weg fuͤr ſich finden. Ja/
ſie wurden ſelbſt durch den/ der zuerſt geredet haͤtte/ recht ermun-
tert/ ihr Sinn und Verſtand wuͤrde dardurch geſchaͤrffet/ ſie be-
kaͤmen mehr Materie zu reden/ und koͤnten ihr lebhafftes Ge-
muͤth deſto beſſer darmit an den Tag geben/ daß ſie alle die Ar-
gumenten/ da der andere lange zuvor aufgedacht/ oder die zum
wenigſten das Anſehen haͤtten/ daß er lange daruͤber ſpeculiret/
alsbald ex tempore widerlegeten. Dann von dieſem Letzten koͤn-
te man ſich nicht einbilden/ daß er lange auf ſeine ☉ration ſtudi-
ret haͤtte/ weil es nur lauter Repliquen und Antworten waͤren/
auf das Jenige/ was der andere vorgebracht. Es waͤren auch
die Materien/ die man zu reden haͤtte/ ſo reich und unerſchoͤpff-
lich/ daß durch deß Vorſitzenden Rede mannigmahl unſer Ge-
daͤchtnuͤß erwecket wuͤrde/ ſich mancherley Dinge zu erinnern/
die bey dem Diſcurs zu ſtatten kommen/ welches dann abermahl
deſſen Vortheil iſt/ der an der zweyten Stelle redet. Wann aber
die Zuhoͤrer durch die verſchiedene Meynungen/ woruͤber ſie
gleichſam zum Richter geſtellet/ recht ermuntert ſeyn/ dann ha-
ben ſie erſt die beſte Luft/ daß ſie eines jedweden Redners Argu-
menten und wol-flieſſende Worte von deß andern Arten zu re-
den unterſcheiden/ und einem Jedweden den rechten Werth ge-
ben; Welches dann nicht eher geſchehen kan/ biß ſie Rede und
Widerrede gehoͤret haben. Und diß iſt ihm dann eben eine ſo
groſſe Ergoͤtzung/ als die Roͤmer in ihren Schauſpielen oder
Fecht-Schulen hatten/ und wie man ſie bey den Ringelrennen/
Turnieren/ und andern Luſt-Kaͤmpffen/ zu haben pfleget. Die
ſcharffe Gefechte verurſachen hergegen gar zu flarcke Affecten/
ſo die Luft/ ſolche Dinge anzuſchauen/ groſſen Theils benehmen;
Die Bewegungen deß Gemuͤths aber/ die durch das Diſputiren
und Diſcurriren erwecket werden/ ſeynd deßwegen anmuthiger
und ſuͤſſer/ weil zwar kein Blut darbey vergoſſen wird/ und daß
dannoch faſt eben ſolche Streiche darbey vorgehen/ wie in einem
rechten wahren Treffen. Weil aber einer allein nicht koͤnte Krieg
fuͤhren/ waͤre es kein Wunder/ daß der Jenige/ der zuerſt redete/
die Zuhoͤrer nicht ſo oblectirte/ und erluſtigete/ als der/ der ihm
antwortete; Weßhalben auch Jener ihm mannigmahl ſelb-
ſten Objectiones machen muſte/ ſeine Zuhoͤrer dardurch ſo viel-
mehr zur Aufmerckſamkeit zu bewegen; Unter denen Einwuͤrf-
fen aber/ die einer ihm ſelbſt formiret/ und denen/ die ihm ein
anderer machet/ iſt ein ſolcher Unterſcheid/ als wann man erſt
2. Hah-
[588]Deß Academiſchen
2. Hahnen ſiehet mit einander kaͤmpffen/ und hernacher nur ei-
nen/ der ihm ſelbſten den Leib zerhacket/ dann die ſeſbſt gemachte
kalte Objectiones koͤnnen gar ſelten weder die Zuhoͤrer/ noch die
Richter bewegen. Daß alſo der Jenige/ der geſchickt und Sinn-
reich gnug iſt/ der Compagnie zu Gefallen/ wann er am Letzten
redet/ unwiderſprechlich fuͤr den beſten Redner muͤſte gehalten
werden/ weil er ein Meiſterſtuͤck gethan haͤtte/ welches viel
ſchwerer gefallen/ als wann er der Erſte geweſen waͤre/ der den
Diſcurs gefuͤhret haͤtte; Und nach demmahl die ſchoͤnſten Dinge
die ſchwereſten ſeynd/ haͤtte er auch mehr Ehre darvon; Und
weil man allezeit Urſache haͤtte/ das Jenige/ darvon man am
meiſten Ehre hat/ andern Dingen vorzuziehen/ ſo muͤſte dann
auch der Jenige/ der zuletzt redete/ demſelben/ der zuerſt redet/
vorgezogen werden. Wer aber auf eine Rede ſolcher Geflalt
antwortete/ daß die gantze Compagnic einen Gefa[ll]en daran
haͤtte/ der verdienet daſſelbe Lob/ das dem zukom̃t/ der den Feind
auß ſeinem Poſten jagete/ an Statt/ daß der Erſte ſich eines
Orts ohne Widerſtand bemaͤchtiget. Zu dem gehoͤrete zu der
letzten Rede ein viel groͤſſerer Verſtand/ wie man ſolches an den
Repliquen der Advocaten ſiehet/ worzu man die Alten pfleget zu
gebrauchen/ den Jungen und Unerfahrnen aber darff man ſie
nicht anvertrauen/ dann ſie erfordern ein groſſes Gedaͤchtnuͤß/
und Fertigkeit deß Ingenii, ein reiffes Urtheil/ ja/ mit einem
Wort zu ſagen/ alles/ was einem perfecten Redner zukommt/
fuͤrnemlich wann der Jenige/ der eine Action beſchlieſſet/ einen
ſtarcken Widerpart vor ſich gehabt/ der da maͤchtig gnug gewe-
ſen iſt/ mit ſeinen Argumenten die Zuhoͤrer zu perſuadiren;
Dann es iſt nicht gnug/ daß man auf deß Feindes Bollwercke
kommen ſey/ man muß ihn auch herauß jagen/ und ſich ſelbſten
darein logiren. Endlich/ weil alle ſ[ch]were Sachen durch die
hohe Tribunalia oder Gericht-Stuͤhle geſchlichtet werden/ ſo iſt
es billich dieſe Frage: Ob nemlich der Jenige/ der zuerſt redet/
dem Jenigen zu præferiren ſey/ der zuletzt redet/ nach ihrer/ der
hohen Gerichte Gewonheit und Meynung/ zu decidiren? Wer
weiß aber nicht/ daß in allen Parlamenten/ und andern Gerich-
ten/ die juͤngſten Herren und Aſſeſſores ihre Meynung zuerft
von ſich geben, Ja/ daß dieſes das Jenige ſey/ wodurch man die
Jungen von den Alten unterſcheide/ welche Letztere ohne Zwei-
fel wol wiſſen/ worinn ihre Ehre beſtehet/ und wuͤrden demnach
nicht erwaͤhlet haben/ zuletzt zu reden/ wann ſie nicht gewuſt
haͤtten/ daß es anſehnlicher ſey.
Klingen-
[589]Romans II. Buch.
Klingenfeld beſchloß mit folgendem Diſcurs: Gleich wie in
etlichen Ceremonien die erſten Stellen die Anſehnlichſten/ in an-
dern die Letzten die Fuͤrnehmſten waͤren; Alſo haͤtte man auch
in dieſer Frage/ ob es beſſer ſey zuerſt oder zuletzt von einem Ding
zu reden/ auf unterſchiedliche Umſtaͤnde Acht zu haben. Dann
es finden ſich bißweilen ſolche Sachen/ die in facto beſtuͤnden/
und die nothwendig von dem Jenigen muͤſten vorgetragen wer-
den/ der am beſten darum wuͤſte/ ohne daß man in der Ordnung
zu reden auf die Wuͤrde der Perſonen ſehen koͤnne/ daher kaͤme
es/ wann die Medici uͤber einen Patienten zuſammen kommen/
daß der Jenige erſt redete/ der ihn in ſeiner Cur habe/ waͤre er
auch gleich alter/ als alle die andern; Jedoch mit Vorbehalt/
daß er nichts deſtoweniger ſeine Meynung hernach darvon ſagen
wil/ wann die Reyhe an ihn kommt. Eben ſo verhielte es ſich
auch mit den Advocaten/ die uͤber eine Sache conſultirten/ und
mit andern der gleichen Sachen/ unter welchen die Jenigen/ ſo
die Streitigſten waͤren/ und da ein Jedweder die Parthey neh-
men koͤnte/ die er wolte/ da finden die Jenige/ die zuletzt redeten/
Materie gnug/ und wann ſie es wol thun/ ſo haben ſie ohne Zwei-
fel die meiſte Ehre darvon. Aber ins gemein darvon zu reden/
hat der Jenige/ der zuerſt redet/ viel groͤſſere Freyheit/ und wird
viel beſſer geduldet; Ja/ wann er es auch gleich etwas zu lang
macht/ faͤllet es den Zuhoͤrern nicht ſo verdrießlich/ als wann der
Jenige/ der ihm antwortet/ ſich gar zu weit extendiret/ zumahl/
wann es in ſeiner Wahl geſtanden/ zuerſt oder zuletzt zu reden.
Mit dieſem und dergleichen Diſcurſen beſchloſ-
ſen ſie die Mahlzeit/ ſtunden hernach auf/ und Con-
dado wolte mit ſeinen 2. Gefaͤhrten ſich weiter bege-
ben. Aber der Amtmann ſtellete ſich hart darwider/
und noͤthigte ſie mit inſtaͤndigen Worten/ auf den
Abend zu einer Hauß Mahlzeit/ inmaſſen er auß
allen Umſtaͤnden gnugſam merckete/ daß Condado
ein fuͤrnehmer Jtaliaͤniſcher Herꝛ ſeyn muͤſſe. Weil
nun inſonderheit Belligny und die Lucretia dem Amt-
man das Wort mitthaͤten/ reſolvirete ſich Condado
endlich/ demſelben zu Willen zu ſeyn/ jedoch mit dem
Beding/ daß man ihn am folgenden Tag weiter nicht
aufhalten ſolte. Alſo nahm der Amtmann einen klei-
nen
[590]Deß Academiſchen
nen Abtritt/ und beſtellete die Mahlzeit/ kam aber
bald wieder/ da ſie die uͤbrige Zeit deß Tages mit ſpa-
tzieren gehen zubrachten. Wie die Abend-Zeit heran
kam/ giengen ſie mit einander/ auch die holdſeelige
Lucretia mit dem Belligny, ſamt den andern/ in deß
Amtmanns Behauſung/ da ſie die Tafel ſchon ge-
decket/ und mit herꝛlichen Tractamenten beſetzet fun-
den. Das Laͤcherlichſte war/ daß man dem Cerebac-
chio einen groſſen Laͤhn-Stuhl unten am Tiſch/ recht
neben dem Amtmann geſetzet/ fuͤr welchem 3. groſſe
Schuͤſſeln/ die eine mit friſchem Fleiſch/ die Andere
mit einem Rind-Braten/ und die Dritte mit zwey
uͤberauß groſſen Hechten angefuͤllet ſtunden/ hiene-
ben ſtunden andere kleinere Schuͤſſelein/ mit Ein-
tuncke/ wie auch Waͤitzen- und Roggen-Brodt zur
Gnuͤge/ ſamt einem ſilbernen Becher von 2. Maaß
Rheiniſchen Weins/ welches alles außdruͤcklich fuͤr
den Cerebacchium alſo verordnet war/ zu mercklicher
Beluſtigung der gantzen Compagnie.
Bey dieſer Mahlzeit war die Compagnie recht
luſtig/ und der Amtmann ließ auch an nichts einigen
Mangel ſpuͤhren. Sie giengen aber gegen die Nacht
fruͤhzeitig von einander/ und Condado mit ſeinen
Leuten begleitete die Lucretia und die Jhrigen nach
ihrer Adelichen Wohnung/ allwo ſie den kleinen
Rauſch außſchlieffen/ und fruͤh Morgens nach einge-
nommenem Fruͤhſtuͤck/ auch genommenem hoͤflichen
Abſchied/ ſich zu Pferde ſetzeten. Bergering leyhete
dem Cerebacchio einen Klepper/ biß auf deß Belligny
Schloß/ dann weil die Unſern dieſelbe Route nah-
men/ wurden ſie von Belligny und Lucretia in einer
Caroſſen begleitet/ da ſie dann 2. Stunden Nachmit-
tag dieſes Schloß/ ſo an einem ſtehenden See lag/ er-
reicheten. Hieſelbſt muſte Condado mit den Seini-
gen
[591]Romans II. Buch.
gen uͤbernachten/ da man ſie bey der Abend-Mahlzeit
ungemein herꝛlich tractirete. Deß Belligny einzige
Schweſter/ eine Jungfrau von 17. Jahren/ weinete
vor Freuden/ als ſie ihren Bruder und deſſen Liebſte
wieder in gutem Wolſtand bey ihr ſahe/ dieſe hatte
ſchon lange Zeit mit der Lucretia gute Vertraulich-
keit gepflogen/ und liebten einander mehr/ als leib-
liche Schweſtern/ dahero glaube ich auch/ daß Lucre-
tia nach dem Abzug der Andern ſich noch etliche Tage
allhier aufgehalten habe. Was den Condado an-
langet/ nahm derſelbige am folgenden Morgen ſeinen
Abſchied/ worbey Cerebacchius von Belligny ein gu-
tes Travaill-Pferd auf die Raͤyſe geſchencket bekam/
und alſo nahmen ſie ihren Weg zuforderſamſt auf
die ſchoͤne Stadt Lucern. Wie es ihnen hernach wei-
ter ergangen/ durfften wir ſchier kuͤnfftig an ſeinem
Ort zu vernehmen haben/ anjetzo aber/ wil es mich
Zeit zu ſeyn beduͤncken/ daß wir ſehen/ wo die andern
3. verlohrne Schafe geblieben ſind/ von denen/ die
meine Feder auffinden kan/ ſoll ſie melden/ die ſich
aber derſelben biß dato entziehen/ darvon kan hernach-
mahls geſaget werden.
Das V. Capitul/
Venereuswird als ein Juden-Dieb angellaget/ aber unſchul-
dig befunden. Er ſchlaͤffet bey eines Burgermeiſters Frau/ woruͤber
er ſehr zu kurtz kommt.
JCh erblicke den Venereum am erſten/ von wel-
chem ich dem guͤnſtigen Leſer viel zu melden
habe. Dieſer Menſch ward jenes mahls durch
einen beſondern Jrꝛwiſch auf einen beſondern unge-
bahnten Ort gefuͤhret/ der Jrꝛwiſch tantzete ſtaͤts vor
ihm her/ und fuͤhrete ihn auß dem Wald auf eine
ziemliche Hoͤhe/ woſelbſt er ſich gaͤntzlich verlohr/ und
weil es darauf gantz Tunckel um ihn ward/ nahm er
das
[592]Deß Academiſchen
das Pferd/ und band es an einen ſtarcken Pfahl/ den
er auf dieſem Berg fand ſtehen/ hernach legte er ſich
nieder/ und ſchlieff biß 2. Stunden nach der Sonnen-
Aufgang in den folgenden Morgen hinein. Darauf
erwachte er/ und ſahe ſich alſobald nach ſeinem Pfer-
de um/ ſolches fand er annoch nicht weit von ihm an-
gebunden/ aber an einem ſolchen Pfahl/ wie er nun-
mehro ſahe/ der eine Stuͤtze eines Galgens war/ dar-
an ein neugehengter Dieb hieng/ unter welchem er
ſein Nacht-Lager gehabt hatte. Jch glaube/ haͤtte er
ſolches vorher gewuſt/ ehe er ſich niedergeleget/ er waͤ-
re lieber die gantze Nacht uͤber Stock und Stiel fort-
geritten/ als an dieſem Ort geblieben. Er ſtund aber
auf/ und ſahe den Dieb an/ der ſo friſch außſahe/ als
wann er noch lebete/ dannenhero nahm er ſeine Zwick-
Ruthe/ und klopffete an deſſen Leib/ ob er ſich etwa
annoch ruͤhren moͤchte. Aber ſiehe/ in demſelben Au-
genblick kamen 6. mit Muſqueten und Degen be-
waffnete Maͤnner herzu geſprungen/ nahmen ihm
das Pferd/ und fuͤhreten ihn gefangen nach einem
kleinen Staͤdtlein/ Colli genannt/ daſelbſt ward er
angeklaget/ daß er den gehangenen Juden vom Gal-
gen haͤtte ſtehlen wollen/ und daß er eben der Jenige
ſeyn muͤſſe/ der ſchon etliche gehangene Juden auß
dem Galgen dieſes Landes bey Nacht-Zeiten geſtoh-
len und abgenommen haͤtte/ wovor er von den Juden
ſeine Vergeltung wuͤrde zu hoffen haben. Venereus
entſchuldigte ſich auf ſein Beſtes/ fuͤrwendend/ daß
er durch ein Ungluͤck an dieſen Ort gerathen/ ſchwur
auch/ daß er ſein Lebtag ſich zu dergleichen aufgebuͤr-
deten Sachen nicht gebrauchen laſſen; Und bathe
alſo/ man moͤchte ihn ſtehenden Fuſſes abſolviren.
Seine Richter waren 4. Maͤnner auß dieſem Staͤdt-
lein/ und in deß Aelteſten Hauß ward er examiniret.
Dieſer
[]
[][593]Romans II. Buch.
Dieſer/ ſo Burgermeiſter/ hatte eine ſchoͤne junge
Frau/ welche ſich alſobald in den Venereum verliebte/
wie er dann etwas ſonderliches an ſich hatte/ daran
das geile Frauenzimmer bald einen Narren freſſen
kunte. Jndem alſo dieſe Frau vor ihn bathe/ kam ein
Geſchrey/ wie etliche bey dem Galgen geſehen wor-
den/ welche den gehangenen Juden haͤtten herab ge-
nommen. Alſo lieff ein Jeder zur Stadt hinauß/ aber
Venereus blieb bey dem alten Burgermeiſter/ biß die
Leute mit dem Juden-Dieb daher kamen/ dieſer war
ein Schaͤfer/ welcher alſobald bekennete/ daß er ſchon
5. Juden von dem Galgen genommen/ und in die Er-
de an heimlichen Orten geſcharret/ wovor er von der
Judenſchafft der umligenden Oerter vor jede Perſon
20. Reichsthl. zu empfangen gehabt. Er habe aber
wol gewuſt/ daß die Buͤrger von Colli dieſen Juden
die Nacht uͤber durch eine ſtarcke verſteckte Schild-
wache genau bewacheten/ dahero habe er ſich nicht
daran zu machen getrauet/ biß ſie mit dieſem Unſchul-
digen dieſen Morgen eingekommen/ darauf habe er
gedacht/ nun gebe man keine Acht auf den Galgen/
weil man ſich deß Diebes verſichert haͤtte/ habe alſo
ſich auf den Weg gemacht/ und den Juden herab ge-
nommen/ woruͤber er aber ertappet worden/ bathe
demnach um Dimiſſion, ſo wolle er die Juden anmel-
den/ die ihn darzu erkaufft/ und dem Gericht einen
fetten Hammel zur Mahlzeit verehret haben. Alſo
ſahe nun Jedermann/ daß Venereus an ſeiner Auf-
lage zumahl unſchuldig/ welcher darauf auß einem
andern Thon ſprach/ und fuͤrwendete/ er ſey ein Be-
dienter eines hohen Printzen/ der viel Graubuͤnder in
ſeinen Dienſten haͤtte/ und dafern ſie ihm nicht voͤlli-
ge Satisfaction vor die beſchehene Injurie erſtatteten/
wolle er es dahin bringen/ daß ſie ihre Vermeſſenheit
P pall zu
[594]Deß Academiſchen
all zu ſpaͤth wuͤrden zu bereuen haben. Was den
Schaͤfer belanget/ hat man ſolchen darauf ins Ge-
faͤngnuͤß geleget/ und die Sache an die hoͤchſte Obrig-
keit gelangen laſſen/ die 4. Gerichts-Aſſeſſores aber
thaͤten unſerm Venereo eine Abbitte/ und noͤthigten
ihn noch etliche Tage bey ihnen zu bleiben/ ſo wolten
ſie ihn auf allgemeine Staats-Unkoſten defrayren/
welches eben das rechte Waſſer auf ſeine Muͤhle war/
wornach er laurete.
Er nahm ſolches demnach an/ und verſprach/
zwey Tage ſich allhier aufzuhalten/ biß er auß dem
Schroͤcken ſich voͤllig wiedeꝛ moͤchte recolligiret ha-
ben. Man legte ihn in eine Herberge/ allwo er bekam/
was er verlangete/ aber das Beſte mangelte ihm dan-
noch/ welches war das Frauen-Wildpraͤth/ ohne
welches er nicht lange leben kunte. Deß Burger-
meiſters junge Frau uͤberredete ihren Mann/ daß es
gut ſey/ wann ſie mit etlichen Frauen auß der Nach-
barſchafft zu dieſem Herꝛn giengen/ und ihn voͤllig
befriedigten/ wo man anders nicht einige Ungelegen-
heit von ihm wolle zu beſorgen haben. Solches gab
der alte Narꝛ willig zu/ und alſo nahme ſie etliche
junge Frauen und Jungfrauen zu ſich/ wie auch ſchoͤ-
ne Speiſen und Fruͤchten/ und tractireten den Vene-
reum nach ihrem beſten Vermoͤgen/ welcher auch bald
ſahe/ worauf es mit der Burgermeiſterin angeſehen
ſey; Dahero/ und weil dieſe eben das Jenige ſuchte/
nahmen ſie mit einander Abrede/ daß ſie es ihm wol-
te zu wiſſen thun/ wann ihr Mann auf ſeinen Maͤyer-
Hof/ auf welchem er Kornſchnitter haͤtte/ außgehen
wuͤrde/ ſo koͤnne er ſich zu ihr begeben/ und die gantze
Nacht in aller Froͤlichkeit bey ihr zubringen/ dann ſie
liebe ſeine Perſon mehr/ als ihren alten Mann/ dar-
um habe ſie auch alſo fuͤr ſeine Erledigung gebet-
ten/
[595]Romans II. Buch.
ten/ welche ſie wolte erhalten haben/ waͤre er auch
gleich ſchuldig geweſen.
Es fuͤgte ſich aber/ daß der Mann noch denſel-
ben Abend ſich auf das Land begab/ und der Frauen
befahl/ am folgenden Tag zu ihm zu kommen. Da-
hero ſie dieſe Zeitung unſerm Venereo bald durch ihre
vertraute Magd zu wiſſen thaͤte/ der ſich dann vor
der Mahlzeit auß ſeiner Herberge erhub/ und nach-
dem er um das Staͤdtlein ſpatzieren gegangen/ kam
er zu einem andern Thor herein/ und auf Anweiſung
der Magd/ gerade vor die Hinter-Thuͤr zu deß Bur-
germeiſters Hof. Hieſelbſt kehrete er unvermerckt
ein/ und weil die Magd mit der jungen Frauen gantz
allein im Hauß/ ſetzte ſich dieſe mit ihrem Courtiſan
an die Tafel/ dann ſie hatte wacker zugerichtet/ und
machten ſich froͤlich. Wie endlich ſie es alſo ſelber
verlangeten/ giengen ſie nach deß Herꝛn Burgermei-
ſters Bette/ darinn ſie einen ſolchen Handel mit ein-
ander in der Stille anfiengen/ der dem Burgermei-
ſter gar nicht gefallen kunte.
Aber auf dieſe Luſt folgete bald hernach eine
groſſe Unluſt/ dann der Burgermeiſter hatte vergeſ-
ſen/ Geld vor ſeine Schnitter mitzunehmen/ kehrete
demnach um Mitternacht wieder nach dem Staͤdt-
lein/ und ob die Thore gleich zugeſteckt waren/ erkann-
te ihn doch der Kuͤh-Hirt/ ſo auf dem Thor wohnete/
an ſeinem Raͤuſpern alſobald/ ſprang demnach in
vollem Spruͤngen herunter/ und eroͤffnete das Thor.
Der gute Burgermeiſter wolte ſeine Frau nicht auß
dem Schlaff verſtoͤren/ und deßwegen an der groſſen
Hauß-Thuͤr nicht anklopffen/ ſondern gieng vor die
Hinter-Thuͤr/ welche er durch einen beſondern
Schluͤſſel/ den er ſtaͤts bey ſich trug/ aufſchlieſſen
kunte, Als er aber dieſelbe nicht verſchloſſen fand/
P p 2traume-
[596]Deß Academiſchen
traumete ihm alſobald nichts Gutes/ dahero gieng
er im Hauß herum/ und fand die Magd in einer Kam-
mer ſchlaffend ſitzen/ bey einem brennenden Liecht/
dieſes nahm er in die Hand/ und ſchlich fein gemach
in ſeiner Frauen Schlaff-Zimmer/ allwo er dieſelbe
in deß Venerei Armen ligen fand.
Er hatte die Frau von Hertzen lieb/ und beſor-
gete/ wann er ſich an dem Venereo, den er alſobald er-
kannte/ vergriffe/ ſo moͤchte es ihm ſchlecht außſchla-
gen/ ſonſten haͤtte er ſie mit ſeinem langen Rapier/
das an der Wand hieng/ alle Beyde erſtochen/ gleich-
wol/ damit er die Sache recht anfieng/ ſchloſſe er die
Thuͤr fein ſachte zu/ ließ ſie in ihrem feſten Schlaff/
gieng zu ſeinem Nachbarn/ weckete ihn auf/ und
nahm denſelben ſamt ſeinem Knecht und der Frauen/
als Zeugen/ mit ſich zuruͤck/ denen er ſeine Frau/ und
den Ehebrecher in ihren Armen zeigete. Dieſe wach-
ten uͤber dem Gepoͤlter auf/ und erſchracken deß Han-
dels ſehr/ daß ſie daruͤber ſchier auß der Haut gefah-
ren waͤren. Venereus ſprang Augenblicklich auß dem
Bette/ und lieff nach ſeinem Degen/ aber derſelbe
war ſchon weggenommen. Alſo ward ein groſſes
Getuͤmmel in der Straſſen/ woruͤber die Nachbarn
herzu kamen/ und den Venereum auf das eine Thor
gefangen ſetzeten/ die Frau aber ward in ihrem Hauß
bewachet. Es iſt hierbey anzumercken/ daß man in
gantz Graubuͤnden vor einem halben Jahr ein Geſetz
gemacht/ daß eine Frau/ die bey einem andern Mañs-
Bild in Unzucht ergriffen wuͤrde/ ohne weitern Pro-
ceſs ſolte verbrandt werden/ deſſen erinnerte ſich die
Burgermeiſterin/ dannenhero war ihr nicht wol bey
der Sache. Wie darauf der helle Morgen anbrach/
kam der obriſte Land-Vogt/ ein hoch-verſtaͤndiger
Edelmann/ der erſt vor 4. Wochen zu dieſer Wuͤrde
erho-
[597]Romans II. Buch.
erhoben worden/ nach Colli, um dem Schaͤfer ſein
Urtheil zu ſprechen/ welchem auch darauf auferleget
ward/ alles Geld/ ſo er von den Juden genoſſen/ und
deſſen Summa er eydlich erhalten muſte/ biß auf den
geringſten Pfenning herbey zu ſchaffen/ welches ſamt
allen Schafen/ die ihm eigenthumlich zugehoͤrten/
dem Gericht ſolten verfallen ſeyn/ im uͤbrigen ward
er abſolviret/ und paſſirte vor einen Schaͤfer/ wie vor-
hin. Die Judenſchafft aber/ ſo darbey intereſſiret/
und zu dieſem deß Schaͤfers Geld etwas conferiret
hatte/ ward auf 1000. Reichs-Thaler Straffe con-
demniret/ ſolche innerhalb zweymahl 24. Stunden
zu erlegen.
Hierauf ward auch die gefangene Burgermei-
ſterin vor das hohe Gericht gefuͤhret/ und weil ein
Jeder groſſes Mitleyden mit ihr hatte/ auch Verlan-
gen trug/ zu vernehmen/ welcher Maſſen ſie ſich ver-
antworten wuͤrde/ ſo ward ſie von einer groſſen An-
zahl Menſchen/ beyderley Geſchlechts/ dahin beglei-
tet. Der Burgermeiſter/ ihr Mann/ brachte ſeine
Klage vor/ und darauf befahl ihr der groſſe Land-
Vogt ſich zu verantworten. Sie faſſete alſo einen
guten Muth/ und ſagte: Großgebietender Herꝛ/ cs
iſt zwar von den Maͤnnern dieſes Landes vor einem
halben Jahr ein Geſetz gemacht worden/ Krafft deſ-
ſen eine Ehe-Frau/ wann ſie bey einem andern Mann
in Liebes-Wercken ergriffen wuͤrde/ ſolle verbrandt
werden. Dieſes Geſetz iſt wider das Recht der Na-
tur/ und auf der hoͤchſten Unbillichkeit gegruͤndet/ weil
es nur uͤber die Frauen gegeben/ und nicht auch uͤber
die Maͤnner/ alſo iſt unſer Geſchlecht allein Straff-
faͤllig/ und die Maͤnner moͤgen thun/ was ſie wollen/
ſo hafftet das Geſetz nicht an ihnen. Das Geſetz iſt
allein von Maͤnnern gemacht/ und keine Frau iſt dar-
P p 3uͤber
[598]Deß Academiſchen
uͤber zu Rath gezogen/ wann aber ein Geſetz von
allem Volck ſeine Krafft zu erwarten hat/ iſt dieſes
unguͤltig/ als darein die Frauen noch nimmer gewilli-
get. Dieſer Rede verwunderten ſich alle Zuhoͤrer/
und der Land-Vogt ſelber gab ihr einen freundlichen
Winck/ und dardurch zu verſtehen/ daß er ihr gnaͤdi-
ger Richter ſey. Hierauf fiengen alle gegenwaͤrtige
Frauen an zu proteſtiren/ wider die Unbillichkeit die-
ſes Geſetzes/ lobeten der Burgermeiſterin Entſchul-
digung/ und wolten ſie freygeſprochen wiſſen/ biß
man ein ander Geſetz/ welches Recht-fertiger/ als die-
ſes waͤre/ gemacht haͤtte. Der Land-Vogt winckete/
ſie ſolten ſich zufrieden geben/ und ſprach zur Burger-
meiſterin/ ob ſie auch ſonſten annoch etwas Erheb-
liches einzuwenden haͤtte/ ſo moͤchte ſie es nur frey
herauß ſagen.
Sie dachte/ es iſt doch jetzo an dem/ da es heiſſet:
Vogel friß/ oder ſtirb/ dahero wolte ſie auch ihres
Mundleders keines Weges ſchonen/ ſondern ſprach:
Auf eure Verguͤnſtigung Herꝛ Ober-Land-Vogt:
Mein Mann iſt ein alter Mann/ und ich bin noch
jung/ er hat mich zu ſeiner Frauen genommen/ darum
gebuͤhret es ihm auch/ daß er ſeinen Acker gebuͤhrlich
beſtelle. Jch habe ihm allemahl ſeinen Willen erfuͤl-
let/ und bin ihm niemahls zuwider geweſen/ aber in
4. Jahren habe ich noch keine Leibes-Erben von ihm
erlanget/ welche doch der Ehe rechter und eigentlicher
Zweck ſind. Jch habe ihn gnug erſaͤttiget/ aber doch
allemahl ſo viel uͤbrig behalten/ daß ich es endlich
nicht alle bewahren koͤnnen/ ſolte ich aber dieſen Uber-
fluß fuͤr die Hunde werffen? das waͤre ein Greuel/
der auch den Heyden zuwider. Jch habe den Vene-
reum auß reiner Liebe zu mir genoͤthiget/ und nicht auß
geiler Unzucht/ und kan das wol betheuren/ daß ich
ihn
[599]Romans II. Buch.
ihn eben ſo ſehr liebe/ als meinen alten Mann. Jch
habe es nicht um Gewinſtes oder Geldes willen ge-
than/ ſondern auß purer Affection, ſo bedencket dann
nun ſelber/ ob man mich mit derſelbigen Straffe be-
legen koͤnne/ welche uns das unrechtfertige Geſetz
dictiret?
Der Land-Vogt muſte in ſeinem Hertzen lachen/
er aber fragete jetzo den Burgermeiſter: Ob er bey
ſuner Frauen allemahl ſein Verlangen erhalten?
Ja/ ſprach dieſer/ und mehr/ als ich offt verlanget ha-
be. Wolan dann/ fuhr Jener fort/ ſo hat eure Frau
w[i]der euch nichts geſuͤndiget/ ſondern nur das Jeni-
ge| was ihr verſchmaͤhet/ wol anzubringen ſich beflieſ-
ſen/ und weil auch nicht erwieſen iſt/ daß ſie Geld dar-
vorempfangen/ welches das Geſetz erfordert/ ſo gehet
mit ihr wieder in euer Hauß/ und lebet hinfuͤhro in
Einigkeit/ und dieſes ſpreche ich von Amtswegen.
Der Burgermeiſter war froh/ daß die hohe Obrig-
keit ſeine Frau loßgeſprochen hatte/ dann er miſſete
ſie nicht gerne/ gieng demnach mit dieſem Urtheil
nach Hauß/ und ward ſeine Frau/ als eine Amazonin
gleichſam in einem Triumph von den andern Frauen
nach Hauß begleitet. Aber Venereus muſte das Ge-
lach bezahlen/ weil dieſer ein Fremdling/ und ſich er-
kuͤhnet hatte/ in eines andern Hahns Neſt ſeine Eyer
zu legen/ ſo ward er ohne Verhoͤrung verurtheilet/ in
deß gehangenen Juden Kleidern auß der Stadt ver-
wieſen zu werden/ ſein Pferd ſolte verfallen ſeyn/ und
der Gehenckte ſolte hinfuͤhro ſeine Kleider am liechten
Galgen tragen. Dieſes Urtheil ward auch ſtehendes
Fuſſes an ihm vollzogen/ ohngeachtet er hefftig dar-
wider proteſtirte/ und eine gleiche Straffe begehrte/
wie die Burgermeiſterin/ weil ſie ihn zu ſich beruffen/
und er auch nicht mehr geſuͤndiget haͤtte/ als ſie/ aber
P p 4es
[600]Deß Academiſchen
es halff alles nichts/ man legete ihm deß Juden Klei-
der an/ nahm ihm hingegen ſeine ab/ und wieſe ihn
zum Thor hinauß/ mit der Verwarnung/ wofern er
ſich auf drey Meilen von dieſem Ort betretten lieſſe/
wuͤrde man ſchaͤrffer mit ihm verfahren muͤſſen.
Venereus kunte hier keine Huͤlffe erlangen/ em-
pfand alſo einiger Maſſen die Zuͤchtigung ſeines ur-
reinen Geiſtes/ alſo gieng er auß dem Staͤdtlein/ und
hatte weder Heller noch Pfenning/ ſondern am Lei[b]
trug er einen ſchwartzen zerlapten Lacken-Rock/ mit
gegoſſenen und meiſt eingebogenen Zinnern-Knoͤpf-
fen. Die Hoſen waren von Kalbfell/ und ſo ſchm[i]e-
rig/ daß er wol 3. Pfund Schmeer darvon haͤtte [a]b-
ſchaben moͤgen. An Statt deß Hutes/ trug er e[i]ne
Leinen-Schlaff-Muͤtze/ uñ die Schuhe uñ Struͤmpffe
waren ſo zerriſſen/ daß ihm die bloſſen Beine und
Fuͤſſe allenthalben herauß gucketen. Das Hemdauf
ſeinem Leibe war auch ſo grob/ daß es ihn ſchabete/ als
wann er von tauſend Floͤhen auf einmahl gebiſſen
wuͤrde. Er gieng fort/ und kam gegen den Mittag zu
etlichen Schnittern auf dem Felde/ die eben Mahl-
zeit hielten/ weil er nun ſehr hungerig/ bathe er ſich
ſelber zu Gaſte/ und klagete/ daß er von etlichen Rau-
bern gepluͤndert worden/ ſey ſonſten ein Neapolitani-
ſcher Edelmann/ und gedencke nach Teutſchland zu
raͤyſen. Alſo hatten die Leute Mitleyden mit ihm/ und
gaben ihm ſatt zu eſſen/ aber ehe er es ſich verſahe/ kam
der Burgermeiſter auß Colli daher geſpatzieret/ dann
bey deſſen Schnittern aſſe und trancke er. Dieſer
kannte den Venereum bald/ jug ihn demnach mit Un-
geſtuͤm̃ von feinem Felde/ und erzehlete ſeinen Arbeits-
Leuten/ was dieſer fuͤr ein Menſch waͤre. Alſo huben
dieſe Steine auf/ und wolten auf ihn loß gehen/ haͤt-
ten ſeiner auch uͤbel gewartet/ wofern er ihnen nicht
durch
[601]Romans II. Buch.
durch die Schnelligkeit ſeiner Fuͤſſen annoch zeitig
entſprungen waͤre.
Das VI. Capitul/
Venereuskommt durch einen ſonderlichen Zufall wieder in
gute Kleider/ und auf ein Pferd. Es fraget ſich: Ob der Mann
oder das Weib edler ſey? Venereus hat mit 2. Damen einen poſſier-
richen Brieff-Wechſel.
GEgen Abend kam er zu einem anſehnlichen
Hauß/ welches gar luſtig auf einer Wieſen
ſtunde/ in daſſelbe tratt er hinein/ aber ſo bald
ihn der Edelmann/ der darinn wohnete/ erblickete/ er-
kandte er deß Juden Kleidung/ den er vor wenigen
Tagen hatte hencken ſehen/ weil ihm auch ſeine Haa-
re ziemlich verworren um den Kopff hiengen/ bildete
er ihm ein/ dieſer ſey der Jude ſelber/ oder zum wenig-
ſten ſein Geiſt/ und weil er wol wuſte/ daß er deſſen
ſchaͤrffeſter Anklaͤger geweſen/ weil er von ihm war
beſtohlen worden/ glaubete er/ die Seele dieſes armen
Suͤnders kaͤme anjetzo/ ihn zu plagen. Er lieff dem-
nach augenblicklich zur Hinter-Thuͤre hinauß/ und
rieff ſeinen Leuten/ ſie moͤchten ſich mit der Flucht
darvon machen/ ehe ſie von dieſem Geſpenſt einiges
Ungemach empfuͤnden. Alſo lieff/ wer lauffen kunte.
Venereus aber bedienete ſich dieſes Mittels zu ſeinem
ſtattlichen Vortheil/ er ſuchte im Hauß/ und fand
gute Speiſe/ mit denen und dem gefundenen Wein
er ſich rechtſchaffen labete/ hernach zog er ein braunes
Kleid an/ welches in der Kammer hieng/ und dem
Edelmann gehoͤrete/ er beharniſchte ſeine Beine auch
mit ein Paar ſtarcken Stieffeln und Sporen/ guͤrtete
einen guten Degen an den Leib/ gieng in den Stall/
ſattelte ein Pferd/ ſteckete ein Paar guter Piſtolen in
die Holfftern/ ſetzete ſich darauf/ nachdem er einen
kleinen Beutel mit Geld/ der in der Schub-Lade deß
P p 5Tiſches
[602]Deß Academiſchen
Tiſches lag/ zu ſich geſtecket/ und ritte noch vor der
tunckeln Nacht wieder darvon. Er ruhete dieſe Nacht
in einem Wald/ allwo er ſeinem Pferde eine friſche
Graß-Waͤyde goͤnnete/ und als der Tag angebrochen/
ritte er fort/ ſchlug ſich gerade nach Norden/ hielte ſich
immer auſſerhalb der Land-Straſſen/ und allen an-
dern Wegen/ damit er nicht eingeholet wuͤrde/ und
kam gegen Mittag zu einem Kuͤh-Hirten/ welchen er
um ein Stuͤcklein Brodts bathe/ dieſer reichete ihm
ſolches gerne/ ſamt einem Stuͤck von einer rohen Sei-
ten Speck/ ſolches warff er in den Magen/ und ritte
fort. Gegen den Abend kam er zu einem Hoſpital,
welches auf einem Huͤgel gantz allein lag. Er ſprach/
er haͤtte ſich verirret/ ſie moͤchten ihn doch herbergen.
Die Leute nahmen ihn willig auf/ ſpañeten das Pferd
auf eine gute Wieſe/ und gaben ihm zu eſſen/ nach ih-
rem beſten Vermoͤgen. Am folgenden Morgen gieng
er weiter/ kunte aber zu Mittags-Zeit keinen Men-
ſchen noch Wohnung antreffen; Aber gegen den
Abend kam er vor die Stadt Sternfeld/ und erfuhr
von den Leuten/ daß dieſer Ort auſſerhalb Graubuͤn-
den lige/ dahero kehrete er daſelbſt ein/ vertauſchete
am folgenden Morgen bey einem Juben ſeine Klei-
der/ und verkauffete einem Officirer/ der durchpaſſir-
te/ das Pferd/ er handelte aber darfuͤr bald ein an-
ders/ und achtete ſich an dieſem Ort nunmehro ſicher
gnug/ unerkandt zu ſeyn/ und von aller Verfolgung
befreyet zu bleiben.
Er lag in einer Herberge/ bey einem Gaſtgeber/
der ein verſtaͤndiger Mann/ und in ſeiner Jugend auf
der Univerſitaͤt zu Freyburg im Breißgau etliche
Jahre ſtudiret hatte. Er liebete ſeine Frau ungemein/
und ſolches legete ſie dergeſtalt zu ihrem Vortheil
auß/ daß ſie den Hut bey Zeiten bekommen/ und deß
Mannes
[603]Romans II. Buch.
Mannes voͤllige Meiſterin war/ ſolches merckete er
fuͤr allzugroſſer Liebe nicht/ dann ſie war eine fuͤrtreff-
liche Haußhalterin/ und ohne ſie wuͤrde er auch in
dem Gaſt-Hof uͤbel zurecht kommen ſeyn. Es lage
aber/ nebſt Venereo, ein junger Edelmann auß
Schwaben auch in dieſer Herberge/ der dem Hoſpes
etliche mahl ſchimpfflich aufruͤckete/ daß er ſich von
ſeiner Frauen ſolcher Geſtalt commandiren laſſe/ die-
ſer aber lachete/ und ſagte er hielte ſich fuͤr gluͤckſeelig/
daß er eine ſolche verſtaͤndige Frau bekommen/ in-
maſſen doch uͤberal bey den Gelehrten eine Frau fuͤr
edler gehalten wuͤrde/ als ein Mann. Der Edelmann
ſahe ihn hierauf ſtarꝛ an/ und fragete: Ob das ſein
Ernſt waͤre/ und welches er wol fuͤr das Edelſte Ge-
ſchoͤpff hielte/ den Mann oder die Frau?
WOrauf Venereus ſich ſtehendes Fuſſes herauß ließ/ daß man
ſich hierauf nicht lange zu antworten bedencken duͤrffte/
weil GOtt in dieſen Terminis das Urtheil ſelbſt geſprochen ha-
be: Daß nemlich das Weib dem Mann unterthan ſeyn ſolle.
Zu deme ſiehet man nicht/ daß/ als ſie auß der Adams-Rippen
herfuͤr gebracht/ (dahero ſie auch noch ſolche harte Koͤpffe ha-
ben/ wie ihre Materie iſt/) von ihr/ wie von allen andern Creatu-
ren ſey geſagt worden/ daß ſie gut ſey/ und um Adam zu verhey-
rathen/ kunte kein beſſer Expedientz gefunden werden/ als daß
man ihn erſt in den Schlaff braͤchte/ dann/ wann er wacker ge-
weſen waͤre/ wurde er ſich ſchwerlich darzu haben reſolviren/ und
verſtehen koͤnnen/ da er aber ſahe/ daß es ein geſchehen Werck
ware/ muſte er ſich wol zufrieden geben/ ja/ das Weib iſt eſn ſol-
ches unvollkommenes Thier/ daß Plato nicht wuſte/ ob er es un-
ter die vernuͤnfftige oder unvernuͤnfftige Thiere zehlen ſolte.
Ariſtoteles nennet es ein Monſtrum. Die Jenigen aber/ die gar
gelinde mit ihr umfahren wollen/ ſagen/ daß es ein bloſſer Jrꝛ-
thum/ oder Fehler/ der Natur ſey/ welche auß Mangel der Hitze
nicht habe darzu gelangen koͤnnen/ daß ſie ein Maͤnnlein gegeben
haͤtte. Jhr verkehrter Sinn erſcheinet auch darauß/ daß ſie in
allen Bewegungen den lincken Fuß vorſetzen/ und man gebe nur
unvermerckt Achtung/ wann ſie gleiches Fuſſes ſtehen/ ſo wird
man ſehen/ daß ſie mit dem lincken allezeit erſt fort tretten. [...] Jm
Alten
[604]Deß Academiſchen
Alten Teſtament waren die Kind-Betterinnen/ die ein Weiblein
auf die Welt brachten/ ſechzig/ die aber ein Maͤnnlein gebohren/
nur 30. Tage unrein. Die Maͤnnlein werden in 32. die Weiblein
aber in 42. Tagen formiret/ und Jene haben ſchon im 7. Mond|
die andern aber nicht eher/ als im 9. die Vollkommenheit deß Le-
bens. Als wann die Natur gleichſam ihre Faute ſo lange/ als
ſie koͤnte/ bedecken wolte. Wir ſehen auch/ daß/ als der Sathan
den Hiob betruͤben wolte/ er ihm alle ſein Viehe/ Haͤuſer und
Kinder wegnahm/ waͤre aber etwas Gutes an ſeinem Weibe ge-
weſen/ wuͤrde er es ihm ohne allen Zweiffel nicht gelaſſen haben;
Er that aber gar klug daran/ weil er wol wuſte/ daß ſie das je-
nige Mittel war/ wodurch er ihn zur Verzweifflung bringen
koͤnte/ welches auch/ da es GOtt verhaͤngen wollen/ wol wuͤrde
geſchehen ſeyn. Die meiſten Naturkuͤndiger vergleichen ſie ihres
extravaganten Humeurs halben mit den Ziegen; Eine aber ih-
rer fuͤrnehmſten Urſachen iſt/ daß die Ziegen den Oel-Baum/
welcher das Symbolum deß Friedens iſt/ ſo ſehr haſſen/ als das
Weib demſelben zuwider iſt. Dann/ zu geſchweigen der erſten
Scheidung/ die ſie zwiſchen GOtt und dem erſten Menſchen mit
ihrer Naͤſcherey verurſachet; So iſt annoch heut ihre Ambi-
tion, ihre Planderey/ ihre Eigenſinnigkeit/ und andere Laſter/
faſt gemeiniglich die Urſache aller Streitigkeiten/ die ſich im
Hauß-Stand/ und auſſer demſelben/ erregen. Der notableſte
Unterſcheid aber unter ihnen iſt/ daß die Ziegen ihre Hoͤrner
ſelbſten tragen/ an Statt/ daß die Weiber ſie ihren Maͤnnern zu
tragen geben. Andere meynen/ daß ſie mehr Eigenſchafft mit
den Maul-Eſeln haben; Dann/ der Etymologia von Mulier zu
geſchweigen/ ſo iſt der Maul-Eſel das Allerwildeſte und Eigen-
ſinnigſte unter allen Thieren/ welcher ſich mehr fuͤr eines Men-
ſchen Schatten/ oder fuͤr einem Baum/ der zur Erden liget/
fuͤrchtet/ als fuͤr den Stecken und Sporen ſeines Fuͤhrers; Die
Weiber thun deßgleichen/ fuͤrchten ſich fuͤr allem/ da nichts zu
fuͤrchten ſtehet/ da ſie aber Urſach haben zu fuͤrchten/ da ſcheuen
ſie ſich nicht fuͤr. Der Maul-Eſel Eigenſinnigkeit iſt ſo groß/
daß gar ein Spruͤchwort darauß worden; Sie iſt den Weibern
auch faſt angebohren/ dann man wird ihrer gar wenig ſehen/
welche einem nicht allezeit widerſprechen ſolten. Die Maul-Eſel
und Weiber gehen beyderſeits nicht gern alleine. Jener Schellen
und Maulkoͤrbe koͤnnen gar wol mit der andern ihren Ohr-Ge-
bencken und Maſauen verglichen werden/ ſie gehen auch beyder-
ſeits eine gerne vor der andern. Je laͤnger man einen Maul-Eſel
ruhen
[605]Romans II. Buch.
ruhen laͤſſet/ je ſteiffer er wird; Alſo auch/ wann man die Weiber
muͤſſig gehen laͤſſet/ wird auch nicht viel Gutes darauß; Keiner
von ihnen laͤſſet ſich gerne zaͤumen. Der Maul-Eſel iſt ſo wilde/
daß er auch deß Nachts im Schlaff ſchlaͤget und ſchreyet, Das
Weib liget auch oͤffters im Bette/ und ruhet doch deßwegen
nicht. Endlich wird einer einen Maul-Eſel allezeit ſo lang fuͤr
gar fromm angeſehen haben/ biß er endlich einmahl ſeinen Herꝛn
zu guter Letzt mit einem Schlag belohnet; Ein Weib wird fuͤr
gar verſtaͤndig gehalten werden/ biß ihre Thorheit einmahl auß-
bricht; Weßhalben die Araber/ die der Mahometaniſchen Re-
ligion zugethan ſeynd/ die Weiber in ſolchem Abſcheu haben/ daß
ſie fuͤr einen veſten Religions- und Glaubens- Articul halten/ ſie
werden nach dieſem Leben ein abſonderliches Paradieß haben/
dann/ wann die Weiber zu ihnen hinein kaͤmen/ meynen ſie/ daß
ihnen allen ihre Freude wuͤrde verſtoͤret werden. Was koͤnnen
die Weiber aber fuͤr einen beſſern Richter unter den Maͤnnern
erwaͤhlen/ als den Salomonem, der ihrer ſo viel verſuchet hat/
und doch fraget: Mulierem fortem quis inveniet? Wo findet
man ein weiſes und Tugendhafftes Weib? Und nachdem er ſie
mit einem Abgrund verglichen/ beſchlieſſet er: Daß der Weiber
Boßheit uͤber alle Boßheit gehe; Ja/ daß der Maͤnner Boßheit
oder Mangel beſſer ſey/ als der Weiber Guͤte und Tugend.
Dieſem antwortete der Hoſpes: Daß er ſonderliche Ur-
ſach haben muͤſte/ ſeinen Affecten ſo weit Statt zu geben/ und
das Frauen-Zimmer dergeſtalt/ wie geſchehen/ wider aller an-
dern Maͤnner Opinion anzugreiffen/ welche alle gnugſam er-
weiſen/ daß keiner/ (und nicht ohne Urſach/) ſeiner Meynung
ſey/ indeme ſie das Frauenzim̃er aufs hoͤchſte ſuchen/ und careſ-
ſiren/ zu geſchweigen der Æſtime, die ein Jeder fuͤr ſie hat/ dann
man pfleget kein Ding zu ſuchen/ noch zu æſtimiren/ das verach-
tet iſt. Daß aber das Frauenzimmer edeler ſey/ als die Maͤnner/
wird fuͤrnemlich auß dem Ort/ auß der Materie, in und auß der
Ordnung ihrer Schoͤpffung bewieſen. Was das Erſte anbe-
langet/ ſo hat Adam nicht die Ehre gehabt/ daß er/ wie die Eva
im Jrꝛdiſchen Paradieß/ ſey erſchaffen worden. Zum Andern
iſt ſie auß einer viel edlern Materie erſchaffen worden/ als der
Adam; Dann der Mann iſt auß bloſſer Erden/ die Frau aber
auß deß Mannes Rippen gemacht worden; Und darum ſagen
auch etliche/ daß ſie ſo gerne an deß Mannes Seite ſey. Zum
Dritten/ die Ordnung der Schoͤpffung betreffend/ ſiehet man/
daß GOtt in den vermengten Corporibus von den geringſten
Dingen
[606]Deß Academiſchen
Dingen angefangen/ und an den Edelſten aufgehoͤret hat/ dann
zuerſt machte er die Erde und das Meer/ hernacher die Pflan-
tzen/ Fiſche/ und andere Thiere/ darauf hat er den Menſchen/ als
einen Herꝛn uͤber alle dieſe Creaturen/ zu allerletzt aber die
Frau/ als ein Meiſter-Stuͤck der Natur/ und Modell aller Tu-
genden/ Maiſtreſſe deß Manns/ die auch Zufolge der H. Schrifft
viel ſtaͤrcker als er/ und conſequenter die Meiſterin aller Crea-
turen iſt/ erſchaffen. Man kan auch keine Perfection oder Qua-
litaͤt erdencken/ die nicht in einem viel h[oͤ]hern Grad bey der
Frauen/ als bey dem Mann ſolte gefunden werden. Dann was
die Gaben deß Leibes anbelanget/ deren h[oͤ]chſte die Schoͤnheit iſt/
haben die Manns-Perſonen allezeit ihren Proceſs darinn ver-
lohren/ werden ihn auch viel weniger in den Gaben deß Ver-
ſtandes gewinnen/ weilen derſelbe Geiſt viel ſtaͤrcker und eher
bey den Frauens-Leuten reiff iſt/ weßwegen ſie auch die Geſetze
zu 12. Jahren/ die Knaben aber erſt zu 14. Jahren Muͤndig er-
klaͤren; Sie find ins gemein auch Tugendhaffter als die Maͤn-
ner/ haben es auch am meiſten Urſach ſich deſſen zu befleiſſigen/
damit ſie allen Anfechtungen/ ſo ſie taͤglich unterworffen/ wider-
ſtehen koͤnnen. Ja es iſt keine Wiſſenſchafft oder Kunſt/ darinn
nicht eben ſo beruͤhmte Frauen als Maͤnner geweſen waͤren.
Jn den Staats- und Regierungs-Sachen hat man die Semira-
ridem und Thomiridem, auch viel Kaͤyſerinnen und Koͤnigin-
nen geſehen/ daß die Frauen ſo wol/ als die Maͤnner commandi-
ren koͤnnen. Die Amazones, die Jungfer von Orleans, auſſer
unzaͤhlig Exewpel/ die wir zu unſern Zeiten erlebet/ haben uns
auch erwieſen/ daß die Maͤnner nicht allein tapffer und geſchickt
waͤren Kriege zu fuͤhren. Jn der Philoſophie haben wir eine
Diotime und Aſpaſie, in der Aſtrologia eine Hipatie Alexandri-
ne, in der Rede-Kunſt eine Tulliam, in der Poëſie eine Sapphon,
und die 3. Corinnen/ von welchen die Erſte den Pindarum, Prin-
tzen der Lyriſchen Poeten/ fuͤnff mahl uͤberwunden. Jn der
Mahler-Kunſt eine Irene und Calyphin. Seynd Propheten ge-
weſen/ ſo hat es auch Prophetinnen gegeben. Alle aber dieſe
der Weibs-Leute Tugenden ſeynd deßwegen nicht ſo beruͤhmt/
wie ſie es meritirten/ dieweil ſie die Maͤnner zu der Kirchen und
Haußhaltung verſtoſſen/ wofelbſt ſie gnug zu thun haben/ ihre
der Maͤnner Gebrechen zu ertragen. Ja das Weibliche Ge-
ſchlecht kan ſagen/ was ein Loͤw einsmahls einem Kerl antwor-
tete/ der ihm ein Gemaͤhld wieſe/ worinnen einer einen Loͤwen er-
wuͤrgete/ wann nemlich die Loͤwen anfiengen zu mahlen/ wuͤr-
deſt du vielmehr erſchlagene Kerls/ als erſchlagene Loͤwen ſehen.
Alſo
[607]Romans II. Buch.
Alſo auch/ wann die Frauen die Geſetze und Hiſtorien geſchrie-
ben/ ſo wuͤrde man ſehen/ daß ſie vielmehr Tugenden erwieſen
haͤtten/ als die Maͤnner. Was den Spruch anbelanget/ den
man allegiret hat/ daß nemlich die Fraudem Mann unterthan
ſeyn ſoll/ gereichet ſelbiger vielmehr zu ihrer Avantage und
Ruhm/ weilen darauß erſcheinet/ daß ſie nicht zu dem Ende er-
ſchaffen/ und daß es fuͤr dem Fall anders geweſen ſey/ ſolches
aber hernacher ihr nur zur Straffe ſey auferleget worden. Die
andern Sachen/ darauf ſich der Vorige beziehet/ ſind entweder
der Art und Natur/ daß kein gewiſſer Schluß darauß zu machen
ſtehet/ oder aber Schnur-gleich wider die Erfahrung lauffet/
wil demnach die Zeit ſpahren/ ſolche zu beantworten/ und hier-
mit beſchlieſſen/ daß die Frau Edler ſey/ als der Mann.
Der Edelmann aber gab den Schluß folgender Geſtalt
hierinnen: Daß die Jenigen/ welche die Fuͤrtrefflichkeit deß
Manns oder deß Weibs in ihrem Geſchlecht erforſcheten/ ein
Ding ſuchten/ da es nicht zu finden waͤre/ dann daß der Manu/
ein Mann/ oder eine Frau/ eine Frau ſey/ ſolches thut nichts
zum Vorzug/ den man einem oder dem andern geben wolte/
ſondern die Fuͤrtrefflichkeit/ ſo wol deß Manns/ als der Frauen/
beſtehet darinnen: Daß einer ein excellenter Mann/ und eine
Frau eine excellente Frau ſey. Dann gleich wie ſich die Jenigen
betriegen/ die da ſagen/ daß die Leute in dieſem oder jenem Lande
ein Lafter oder Tugend an ſich haben/ weilen Laſter- und Tu-
gendhafftig ſeyn/ Perſonalia, oder perſoͤnliche Eigenſchafften
ſeynd/ die dem gantzen Weiblichen oder Maͤnnlichen Geſchlecht
nichts derogiren/ noch auch einigen Vortheil oder Vorzug geben
koͤnnen. Alſo muß daſſelbige auch von dem Mann und von der
Frauen/ welche Buͤrger und Einwohner deß gantzen Erd-
Craͤyſes ſind/ verſtanden werden/ deren beyder Geſchlechte und
Jedes in ſich ſelbſt conſideriret/ nichts an ſich hat/ ſo nicht ſehr
ſchoͤn/ uͤberauß gut/ ſehr vollkommen/ und dann conſequenter,
oder folgig/ ſehr Edel ſey/ weilen es von einem Schoͤpffer her-
kommt/ der ihnen ſo viel Perfectionen und Adel verliehen/ als
ſie wuͤnſchen koͤnten. Wird aber ein oder anderer Mangel bey
Mann oder Weib gefunden/ ſo iſt er in den Individuis, und
kan der Speciei nicht mehr beygemeſſen werden/ als dem Generi,
oder dem gantzen Menſchlichen Geſchlecht/ welches vollkommen
erſchaffen/ und durch die Gnade GOttes/ wann man nur die-
ſelbige nicht vergeblich empfaͤhet/ ſondern ihr mit gaͤntzlicher Un-
terwerffung deß Willens Statt und Raum gibt/ kraͤfftiglich in
uns zu wuͤrcken/ wiederum zur hoͤchſten Vollkommenheit kan
gebracht werden.
Hiermit
[608]Deß Academiſchen
Hiermit ward der Zanck unter dieſen Dreyen
geendiget/ ob gleich ein Jeder bey ſeiner Meynung
beſtaͤndig bliebe. Jm uͤbrigen verfuͤgte ſich der junge
Edelmann am andern Tag nachder Mittags-Mahl-
zeit zu unſerm Venereo, und noͤthigte ihn zu einem
Spatzier-Gang/ welchen dieſer nicht außſchlug/ ſon-
dern ſie giengen mit eiander durch eine Gaſſe/ allwo
an einem Fenſter in einem anſehnlichen Hauß eine
anſehnliche Dame ſtunde/ welche dem Edelmann auf
ſein freundliches Zuwincken wol in etwas/ dem Ve-
nereo aber noch weit hoͤflicher danckete/ wie ſie nun
vollends fuͤr das Thor kamen/ forſchete Venereus,
was dieſe vor eine Dame ſey? Und bekam zur Ant-
wort/ daß ſie ziemlich hoffaͤrtig/ und zwar gerne mit
Manns-Perſonen umgieng/ aber ſie ſey darbey gar
curieus, und wolle/ daß an ihrem Aufwaͤrter ſich nicht
der allergeringſte Mangel ereigne. Jch ſelber/
ſprach er/ habe manche Viſite bey ihr gethan/ aber in
der Letzten ſie ſo kaltſinnig befunden/ daß ich mich
ſcheue/ ihr wieder aufzuwarten. Venereus gedachte/
er wolle ſchon zurechte mit ihr kommen/ betrachtete
aber nicht/ daß das Teutſche Frauenzimmer gantz
anders/ als das Jtaliaͤniſche geartet. Wie ſie dem-
nach wieder zuruck kamen/ und die Jungfer eben an
der Hauß-Thuͤr funden/ ließ ſich der junge Edelmann
in einen Diſcurs mit ihr ein/ und dardurch bekam Ve-
nereus Anlaß/ auch mit ihr ins Geſpraͤch zu kommen.
Sie antwortete ihm uͤberauß freundlich/ daß dieſer
Anlaß dardurch nahm/ zu glauben/ daß ſie ihn von
Hertzen liebe/ deßwegen kitzelte er ſich in ſeinem Her-
tzen/ und bathe um Benennung einer Stunde/ da er
ihr wieder aufwarten moͤge/ ſie nennete ihm eine
Stunde nach der Abend-Mahlzeit deſſelben Tages/
darauf ſchieden ſie von einander/ und Venereus mey-
nete/
[609]Romans II. Buch.
nete/ er habe ſchon gewonnen Spiel. Er lachete den
Schwaͤbiſ. Edelmann auß/ daß er ſich nicht beſſer haͤt-
te in den Sattel bey dieſer hoch-verſtaͤndigen Damen
dringen koͤnnen/ und gieng nach der Mahlzeit wol
aufgeputzet nach ihrem Hauß. Sie ſaſſe abermahl
auf der Straſſen vor ihrer Thuͤr/ aber Venereus haͤt-
te ſie gerne in das Hauß gehabt/ er begunte ihr viel
von ſeiner unermeßlichen Liebe fuͤrzuſagen/ und ver-
langete nichts mehr/ als zum Zweck derſelben/ aber
die Dame ließ ihn daruͤber ablauffen/ und ſprach:
Wann er anders nichts zu ſuchen haͤtte/ koͤnne er ſich
hinfuͤhro ihres Beſuchens enthalten/ inmaſſen ſie
nimmermehr ſich entſchlieſſen koͤnte/ ſeine Perſon zu
lieben. Dannenhero gieng er gar malcontent wieder
nach der Herberge/ und klagete dem Edelmann ſein
Ungluͤck/ berathſchlagete ſich zugleich mit ihm/ uͤber
eine ehrliche Weiſe/ ſich zu raͤchen. Sie wurden einig/
Venereus ſolte ihr einen hoͤhniſchen Brieff ſchreiben/
daran wurde ſich dieſe Dame, die doch gar empfind-
lich/ weit mehr aͤrgern/ als wann er ihr den alleraͤrge-
ſten Schimpff anthaͤte. Weil nun Venereus der
Sprache nicht vollkommen maͤchtig/ der Edelmann
auch kein ſonderlicher Orator, deliberirten ſie deß-
falls mit dem Hoſpes, welcher ihnen ein Buch zeige-
te/ darinn mancherley ſeltzame Redens-und Schrifft-
Arten zu finden waren. Hierauß formirten ſie nach-
folgendes Schreiben an die unbeſtaͤndige/ curieuſe,
und ungemein
JHr wollet mich nicht anhoͤren/ und doch keine Gegnerin
ſeyn fuͤr dem Richter-Stul der Billichkeit; Jhr wollet euch
in keine Rechtfertigung einlaſſen/ weil ich kluͤger bin.
Wol! ich weiß/ daß mich die Zeit bald raͤchen wird/ welche an-
faͤnget/ euch ſo viel Falten in das Angeſicht zu ziehen/ als ihr
Augenblicke gelebet habt/ und alsdann werdet ihr euch nicht
Q qmehr
[610]Deß Academiſchen
mehr einfaͤltig nennen koͤnnen/ wann euch der Spiegel/ als
Rathgeber eurer vermeynten Schoͤnheit/ mit Fruͤchten auf
den Augenſchein fuͤhret. Die Jahre rauben alles dahin/ was
uns wol gefaͤllet/ uñ werden eurer nicht verſchonen/ verzeihet
mir doch dieſe Warheit/ und glaubet/ daß ihr muͤſſet alt wer-
den/ und zwar in dem Land der Welt/ da die alten Jung frauen
haͤßlicher/ als die ſchoͤnen Affen zu ſeyn pflegen. Jhr ſeuffzet
uͤber dieſer Nachricht/ roͤnt mir aber leichtlich glauben/ wann
ihr betrachtet/ daß ihr alle Tage und Stunden naͤher zum
Tod kommet/ und nunmehr in dem Ab- und nicht in dem Zu-
nehmen ſeyd/ und die Jahre herbey eylen/ von welchen ihr
ſagen werdet: Sie gefallen mir nicht/ und ich gefalle nun
Niemand nicht. Es iſt die Sonne ſchoͤn/ wann ſie untergehet/
der Herbſt iſt luſtig/ wann er Fruͤchte bringet/ die Lampe
brenuet hell/ wann ſie außloͤſchen wil; Aber die veralteten
Weiber koͤnnen noch ſchoͤn/ noch luſtig ſeyn/ noch einigen
Glantz von ſich geben. Wolt ihr nunmehr hoͤren von kuͤnffti-
ger Niederlage eures Hochmuths? Die Roͤthe auf euren
Lippen werden alsdann die zerrenden Augen erlangen/ der
weiſſe Glantz eurer Stirne wird alsdann den Mund beſitzen/
die ſchwartze Farbe eurer Augenbraunen/ wird an den Zaͤh-
nen zu ſehen ſeyn/ eure Wangen werden unter das Kinn/ und
das andere liebe Gut biß unter die Guͤrtel-Staͤtte hangen/ ꝛc.
Studiret hierauß/ was euch zu thun/ und befleiſſiget euch der
Demuth/ welche eine Grund-veſte iſt aller Tugend/ alsdann
wil ich wieder kommen/ und mich entſchlieſſen/ ob ich ſeyn ſoll.
Euer ſo Tags als Nachts
Dienſt-befliſſener Knecht.
Dieſen Brieff ließ er durch eine Dirne am fol-
genden Morgen der hoffaͤrtigen Jungfrau beybrin-
gen/ aber dieſe ſandte ihm gleich uͤber eine Stunde
hernach folgende Antwort zu:
EUren hoͤflichen Brieff muß ich kuͤrtzlich beantworten/ damit
ihr nicht in den Gedancken ſtehet/ ich gebe euch durch Still-
ſchweigen recht/ und ihr haͤttet gewonnen/ ehe das Spiel
außgehet. Auf eine Klage gehoͤret eine Antwort; Jhr ſeyd
einer von denen Geſellen/ welche ſich bey jedem Feuer waͤr-
men wollen/ die groſſe Streiche fuͤrgeben/ Ja/ wie die Maul-
wuͤrffe
[611]Romans II. Buch.
wuͤrffe an allen Orten aufwerffen/ und die Waͤyde verderben.
Wer hat euch zu meinem Zuchtmeiſter verordnet? Jhr wollet
mit mir viel Geſpraͤch halten/ mich zu unterweiſen/ da ihr
doch ein Neuling in allen wol anſtaͤndigen Sitten/ und habt
von der Tugend reden hoͤren/ als von einem Feind. Noch
macht ihr euch ein groſſes Anſehen/ wie faules Holtz/ das im
Finſtern leuchtet/ und nicht 3 Heller werth iſt. Der Jnhalt
eures gantzen Brieffs iſt/ daß ich/ wie alle andere Menſchen/
alten. Jſt dieſes eine neue Zeitung? Jſt es was beſonders/
daß ihr deßwegen die Apothecken eurer Wolredenheit eroͤff-
net? Jedermann weiß es/ wann ihr ſchon ſtill ſchweiget.
Wann man eurer Affentheuerlichen Geſpraͤche nicht wil ab-
warten/ ſo muß man hochmuͤthig und ſtoltz ſeyn? Wer die
Veranlaſſung zu uͤbler Nachrede vermeydet/ der muß wild
und Maͤnner-ſcheu ſeyn. Es iſt alles gut/ daß wir an einem
Ort ſeynd/ wo man uns Beyde kennet. Das alter/ womit ihr
mir drohet/ wird mich ſo geſchwind nicht uͤberfallen/ als euch
die Armuth/ und ſolt ihr wiſſen/ daß ich keinen ſchlimmern
Mann bekommen koͤnte/ als eben euch/ welcher mir Hunger
und Durſt zur Morgengabe/ und Mangel und Elend zum
Heyrath-Guth zubringen wurde. Glaubet mir/ ich kenne
euch ſo wol/ daß ich euch nicht um eine loͤcherichte Nußſcha-
len/ oder um einen faulen Birn-Stiel kauffen wolte. Jhr
habt gewiß die alten Weiber ſehr nahe beſehen/ daß ihr ſie ſo
wol beſchreiben koͤnnet/ wuͤnſche euch deßwegen fuͤr eure Be-
muͤhung/ daß ihr ein ſolches Muͤtterlein/ wie ihr in eurem
Brieff abgemahlet/ freyen muͤſtet. Studiret hierauß/ wie
vertreulich ich es mit euch meyne/ und wann ich euch ſelbſt
bey der Naſen/ als einen rechten Haſen gezogen/ ſo kommet
wieder und meldet euch vergebens an/ zu erfahren/ ob ich nicht
ſeyn werde eines tapffern Edelmanns/ als ihr ſeyd
Gehorſame Dienerin.
Venereus muſte es hierbey bewenden laſſen/ der
Hoſpes aber/ der wol merckete/ daß die Pfenninge
und der Wechſel nicht ſo reich bey ihm/ als er ſich
aͤuſſerlich hielte/ war bemuͤhet/ ihm eine alte/ jedoch
ſehr reiche Buͤrgerliche Jungfrau zu zufreyen/ weil
ihm auch dieſelbe in etwas verwandt/ noͤthigte er ſie
in ſein Hauß zur Mahlzeit/ und alſo kam Venereus
Q q 2neben
[612]Deß Academiſchen
neben ihr zu ſitzen/ der ſich dann ſtellete/ als wann er
ſie zu heyrathen geſonnen/ gedachte aber nur durch
taͤgliches Courtoiſiren ihr die Heller abzulocken/ wel-
ches/ ob ſie es gleich nicht gar eigentlich merckete/ kun-
te ſie doch leicht erachten/ daß er mehr ihr Geld/ als
ihre Perſon meyne. Aber wie dem allem/ Venereus
brachte eine alte Waſch-Frau auf ſeine Seite/ die
ſeinethalben die Jungfrau zu etlichen mahlen be-
ſuchen und hoͤflich gruͤſſen muſte/ deſſen dieſe aber
bald uͤberdruͤſſig ward/ derowegen ſchlug ſie eben-
falls ein Oratoriſches Buch auf/ und ſchrieb darauß
folgenden Brieff/ den ſie ihn durch gemeltes Waſch-
Weib in die Herberge ſandte:
JCh haͤtte zwar nicht glauben koͤnnen/ und wuͤrde alſo viel
weniger geglaubet haben/ daß er/ als ein Cavallier/ ſich
ſo demuͤthigen/ und ſeine Liebe an mich/ eine/ ich wil nicht
ſagen Buͤrgerliche/ ſondern ſchon bealtete Weibs-Perſon
præſentiren werde. Jnmaſſen ich dann dem alten Waſch-
Weibe niemahlen deßwegen Gehoͤr geben wollen/ ob ſie gleich
geſchworen/ er habe ihr zu ſeiner Werbung volle Macht und
Gewalt verlichen/ biß er endlich nachgehends ſelber bey ge-
gebener Gelegenheit geſtern ſich gemeldet/ und das Jenige
muͤndlich an mich gebracht/ woran ſeine Gevollmaͤchtigte
nun eine lange Zeit gearbeitet. Nun haͤtte ich zwar ſo ge-
ſchickt ſeyn ſollen/ ihm meine Antwort auch vom Mund auß/
ſo zierlich zu thun/ gleich wie ſeine Antede geſchehen. Allein/
nachdem ich meine Schwachheit und Unberedſamkeit gerne
bekenne/ und daß ich vor Arbeit und Sorge in meines Seel.
Vattern Haußhaltung ſolche Complimenten/ derer er als ein
Cavallier wuͤrdig/ nicht begreiffen koͤñen Als habe ich um ei-
nen Tag Gedult bey ihm zu meiner Reſolution anhalten muͤſ-
ſen/ welche ich gegebener Parole nach/ auch hiermit uͤber-
ſchicke. Bedancke mich demnach vor die hohe Gunſt/ indem
er ſich von dem Thron ſeines alten Adelichen Geſchlechts ſo
tieff erniedrigen/ und eine Buͤrgerliche Weibs-Perſon ſeiner
Seite wuͤrdigen wil. Jch moͤchte wuͤnſchen/ daß ich ſo hoffaͤr-
tig ſeyn/ und eines Cavalliers Liebſte zu werden nicht erbloͤden
koͤnte/
[613]Romans II. Buch.
koͤnte/ alsdann wuͤrde mir das Jawort gar leicht vom Munde
gehen. Allein/ gleich wie mir Jenes unmuͤglich/ alſo iſt auch
auf dieſes nim̃ermehr ein Abſehen oder Hoffnung zu machen.
Und wie nun Monſieur uͤber dieſe meine Antwort/ mit Nein/
nicht erſchrecken wird/ alſo kan ich ihn deſto gewiſſer ver-
ſichern/ daß ich in dieſer Reſolution beſtaͤndig bleiben/ und da-
fern er mir gleich mit weiterm Anhalten Angſt machen wol-
te/ mich zu keinem Buͤndnuͤß verſtehen werde. Dann welche
Noth triebe mich/ eines andern Menſchen Sclavin zu wer-
den? Traun nicht Armuth/ dañ ich kan von meinem Intereſſe
zwey Maͤnner ernaͤhren. Nicht Ehre/ dann ein Bürgerlich
Weib/ welches ſich Adelich verheyrathet/ wird bey den Ade-
lichen Weibern verachtet/ und von ihres Gleichen außge-
lachet. So darff ich auch nicht der Liebe wegen eine ſo gefaͤhr-
liche Veraͤnderung vornehmen/ dann ich ja in meiner hitzigen
Jugend nicht Mann-tolle geweſen; Alſo/ wie ſolte ich jetzt
bey meinem kalten Alter auf dergleichen Thorheit gerathen.
Keine Manns-Perſon ſoll ſich ruͤhmen/ daß ich nach ihm ge-
ſehen/ ich geſchweige/ ihm nachgelauffen/ oder ſonſt eine
Sehnſucht an mir mercken laſſen. Jm uͤbrigen wuͤnſche ich
ihm ein ſolches Gluͤck/ wo er Schoͤnheit/ Verſtand/ Reich-
thum/ und zufoͤrderſt einen guten Adel antreffen moͤge. Jch
aber bleibe bey der Regul: Gleich und Gleich geſellen ſich
gerne.
Adieu.
Dieſer Brieff reitzete den jaͤhzornigen Jtaliaͤner
zu einem groſſen Grimm/ und weil es den Hoſpes
ſelber verdroſſe/ daß die Jungfrau ſeine Parthey
nicht annehmen wolte/ halff er dem Venereo folgen-
des Antwort-Schreiben ſtyliſiren:
Jungfrau!
Ruͤhmet euch doch nicht eurer Keuſchheit/ dann kein Menſch
mit euren Haut und Beinen eine Suͤnde begehen kan/ ſon-
dern man wuͤrde es eine Knochen- und Bein-Suͤnde/ oder eine
Pein deß Feg-Feuers nennen muͤſſen. Wer ſolte oder wolte aber
ſo ungluͤcklich ſeyn/ und eine ſolche Adams-Ribbe beflecken/ wel-
ches im Paradiß mit Fleiſch uͤberzogen geweſen/ nun aber in
ſeiner erſten Geſtalt erſcheinet. Wann die Seelen eine Empfind-
Q q 3lichkeit
[614]Deß Academiſchen
lichkeit deß Leibs haben/ ſolte ſich die Eure/ wegen ihres harten
Lagers/ billich beklagen. Jch bilde mir ein/ wie lang/ wie
ſchmahl/ wie ſubtil ihr ſeyd/ und halte euch vor die Linien/ ſo
Apelles und Protogenes gezogen/ dann euch ja die Kuͤnſtler/
welche die Floͤhe an die Ketten legen/ ſchwerlich fangen ſolten.
Zarte Jungfrau/ ſeyd ihr nicht eine Latern geweſen? Jhr ſeyd
ja ſo durchſichtig/ wie ein altes Hauß/ und ſo außgedorret/ daß
man eure Gebeine fuͤr Schwefel-Holtz gebrauchen koͤnte. Neh-
met eurer wol in Acht/ gehet in den Schatten/ daß die warme
Sonne euch nicht anzuͤnden/ und groſſes |Ungluͤck auß ſolcher
Brunſt erfolgen moͤge/ wann ihr ſonderlich bey einem Zeug-
Hauß vorbey gehen ſoltet. Fuͤr dem Waſſer habt ihr nichts zu
fuͤrchten/ dann ihr ſeyd ſo leicht/ daß ihr nicht koͤnt unterfallen.
Die Jgel und Stachel-Schweine ſeyn glatter/ als eure Haut/
und greifft man mit weniger Gefahr eine Dorn-Hecke an/ als
euren ſpitzigen Kinn/ woriñ ſich neulich nur noch einer geſtochen.
Eure Mutter/ da ſie mit euch ſchwanger gegangen/ hat ſich an
einem Lad-Stecken verſehen/ und ihr habt die drey Feinde
Menſchliches Geſchlechts uͤberwunden; Das Fleiſch iſt von
euch gewichen/ oder noch nie bey und an euch geweſen; Die
Welt erſchroͤcket und fuͤrchtet ſich vor eurer Geſtalt; Dem
Schatten habt ihr nichts/ als etliche Gebeine zu nagen/ uͤber-
laſſen. Jhr ſeyd deß Todes natuͤrliche Schweſter/ und der
Schlaff iſt eurer beyder juͤngſter Bruder. So bleibet nun ſchoͤn/
und eine Jungfrau/ ſo lange ihr lebet. Der Liebes-Pfeil wird
auf euren Gebeinen nicht hafften koͤnnen. Fuͤhret euch der Wind
nicht hinweg/ ſo habt ihr keine Gefahr/ weil euer Schatten artig
berum wallet. Aber nach eurem Tod werden die Kammacher/
Beindrechsler/ Meſſerer/ und dergleichen Handwercker/ ſich um
eure Verlaſſenſchafft reiſſen. Hiermit verbleibe ich Euer
Befliſſener Wahrſager.
Das VII. Capitul/
Venereusund ein Edelmann haben eine poſſierlicheRen-
contre. Ein ſchoͤner Diſcurs uͤber die Frage/ welche die kluͤgeſte
Leute in der Welt ſind?
WEſſen ſich dieſe alte Jungfrau hierauf mag
reſolviret haben/ kan man nicht wiſſen/ maſ-
ſen Venereus nicht laͤnger an dieſem Ort zu
verziehen gedachte/ derowegen eylete er fort/ um wie-
der
[615]Romans II. Buch.
der zu dem Printzen Condado zugelangen/ zumahl
er merckete/ daß er bey dem Teutſchen Frauenzimmer
bey weitem nicht ſo wol zurechte kommen kunte/ als
bey dem Jtaliaͤniſchen/ jedoch hatte er Hoffnung daß
auf den Univerſitaͤten er noch ein angenehmes Biß-
lein fuͤr ſich finden wuͤrde. Solchemnach ſetzte er ſich
auf ſein Pferd/ und ritte beſſer nach Norden/ in Hoff-
nung/ zu Baſel die Ubrigen von ſeiner Geſellſchafft
forderſamſt wieder einzuholen. Er ritte nach der
Mittags-Mahlzeit auß/ und hoffete/ auf den Abend
eine bequeme Herberge zu erreichen/ aber er verfehlete
deß rechten Weges/ und kam auf einen Bauer-Weg/
der ihn ins Gehoͤltz leitete/ und ſich darauf allgemach
verlohr/ daß er nicht wuſte/ wo auß noch ein.
Als es ziemlich ſpaͤth/ da hoͤrete er Jemand zu
Pferd hinter ihm daher traben/ welches er vor ein
Geſpenſt hielte/ und deßwegen in groſſe Furcht ge-
rieth. Jener kam inzwiſchen immer naͤher/ und Vene-
reus ſahe/ daß er auf einem weiſſen Pferd ritte/ dan-
nenhero faſſete er alle ſeine Courage zuſammen/ und
rieff auß vollem Halſe: Wer da! Der andere dar-
gegen rieff: Wer biſt du vielmehr? Alſo erkannten
ſie einander an der Stimme/ dann dieſer war der
Edelmañ/ der bey Venereo in der Herberge zu Stern-
berg gelegen hatte. Dieſer ſagete: Er habe ſeinen
Weg nach einem reichen Maͤyer/ der dieſer Ends im
Feld allein wohnete/ gerichtet/ und weil die Nacht
daruͤber eingefallen/ ſey er vom rechten Weg abkom-
men. Er berichtete weiter/ wie dieſer Maͤyer eine ſehr
ſchoͤne junge Tochter von 16. Jahren habe/ in welche
er ſchon ein gantzes Jahr her hefftig verliebt geweſen/
und weil ihr Vatter allemahl ſein guter Freund/ die
Tochter auch ihm jedes mahl gnugſame Kennzeichen
ihrer hertzlichen Gegen-Liebe ertheilet/ ſo wuͤnſche er
Q q 4nichts
[616]Deß Academiſchen
nichts mehr/ als daß ſie den Hof in dieſer Nacht fin-
den moͤchten. Da dieſer kaum aufgehoͤret hatte zu
reden/ da erſahe Venereus durch den Wald hinauß
ein Liecht/ deſſen ſich der Edelmann ſehr erfreuete/
dañ er merckete/ daß hieſelbſt der wolhabende Maͤyer
wohnete. Sie ritten demnach darnach zu/ und kamen
gluͤcklich vor dieſe Wohnung/ klopffeten an/ und der
Edelmann ward/ ſamt ſeinem Gefaͤhrten/ willig ein-
gelaſſen. Der Maͤyer empfieng ſie hoͤflich/ ließ alſo-
bald eine gute Mahlzeit anrichten/ worbey ſich ſo
wol die Tochter/ als die Mutter/ die noch eine junge
ſchoͤne Frau/ ſehr geſchaͤfftig erwieſen. Sie ſpeiſeten
alſo mit einander/ und als die Mahlzeit gehalten wor-
den/ entſchuldigte ſich der Maͤyer/ daß er ſie nicht be-
quemlich herbergen koͤnte/ allermaſſen er im Werck
begriffen/ alle ſeine Gemaͤcher durch Zimmer- und
Mauer-Leute außzubeſſern/ dannenhero habe er| nur
eine einzige Schlaff-Kammer/ in welcher aber drey
aufgeſchlagene Bette/ eines vor ihn und ſeine Frau/
das Andere vor ſeine Tochter/ und das Dritte vor ei-
nen guten Freund/ wolten ſie ſich nun in dieſem drit-
ten Bette behelffen/ koͤnne er ihnen die Stelle wol
goͤnnen/ ſonſten wiſſe er ihnen nicht zu rathen/ inmaſ-
ſen die Arbeits-Leute ihr Nacht-Lager in dieſer Stu-
ben zunehmen pflegten. Der junge Edelmann wuͤn-
ſchete nichts mehr/ als nahe bey ſeiner geliebten Jung-
frauen zu ſchlaffen/ und ſolcher Geſtalt verfuͤgte ſich
dieſe am erſten zu Bette/ darauf folgete ihre Mutter/
welche eine Wiege/ darinn ein kleines Toͤchterlein
von anderhalb Jahren lag/ vor ihrem Bette ſtehen
hatte/ endlich aber kam der Maͤyer mit ſeinen zween
Gaͤſten hernach/ und legten ſich allerſeits ſchlaffen.
Gleich wie aber der Maͤyer und ſeine Frau die-
ſen Tag uͤber viel umher gegangen/ und mit den Ar-
beits-
[617]Romans II. Buch.
beits-Leuten zu ſchaffen gehabt/ alſo waren ſie der
Nacht-Ruhe hoͤchlich beduͤrfftig/ fielen demnach/ ſo
bald ſie nur unter die Decke gekommen/ in einen tief-
fen Schlaff. Die Jungfrau hingegen/ als die ihren
Liebſten ſo nahe bey ſich ſahe/ hielte ſich durch aller-
hand Einbildungen/ welche ihr von der Liebe an die
Hand gegeben wurden/ ſtaͤts munter/ und wolte kein
Schlaff in ihren Augen hafften. Dem Edelmann
war eben ſo zu Muth/ er wuͤnſchete bey der Jung-
frauen zu ſeyn/ und bey derſelben die uͤbrige Zeit der
Nacht zu zubringen/ dannenhero/ als er an dem
Schnauben wol vernahm/ daß ihre Eltern ſtarck
eingeſchlaffen/ ſtund er in hoͤchſter Stille auf/ gieng
zu der Tochter/ und ob ſich gleich dieſelbe in der Stille
mit den Haͤnden entgegen ſetzete/ hatte ſie doch das
Hertz nicht/ den wackern Edelmann zu verrathen/
dannenhero nahm ſie ihn willig an/ und machten ſich
mit einander rechtſchaffen luſtig/ inmaſſen ſie beyder-
ſeits lange Zeit nach einer ſolchen Gelegenheit ge-
trachtet hatten.
Es kam inzwiſchen den Venereum ein hefftiges
Bauchgrimmen an/ daß er nicht wuſte/ wo er bleiben
ſolte/ weil er aber im Hauß bey der tunckeln Nacht
ſich nicht behelffen kunte/ zwang er ſich/ und blieb li-
gen/ biß nicht lange hernach unten im Hauſe ſich ein
Gepoͤlter hoͤren ließ/ dahero die Maͤyerin/ welche dar-
uͤber erwachet war/ aufſtund/ hinab gieng/ und zuſa-
he/ was da zu thun ſey. Venereus folgete ihr auf dem
Fuſſe/ mit der Entſchuldigung/ daß ihn die Natur
aufgetrieben haͤtte/ ſie zeigete ihm alſo einen Abtritt/
und nachdem er allda ſelber ſein Geſchaͤffte verrichtet/
kehrete er wieder zu ſeinem Bette/ verirrete ſich aber/
und kam vor deß Maͤyers Bette/ woſelbſt er ſchier
uͤber die Wiege gefallen waͤre/ dahero er dieſelbe bey-
Q q 5ſeit
[618]Deß Academiſchen
ſeit und vor ſein Bett ſchobe/ um gleichſam in ſein
rechtes Bette zu kommen/ aber am Schnauben deß
Maͤyers hoͤrete er/ daß er geirret/ gieng demnach auf
die andere Seite/ und legte ſich in ſein voriges Bette/
ließ auch die Wiege darvor ſtehen/ um durch ſein Ge-
poͤlter den Hauß-Wirth nicht auß ſeinem Schlaff
aufzuwecken. Kaum hatte er ſich zurecht geleget/ da
kam die Maͤyerin wieder herauf/ nachdem ſie die
Katz/ welche das Gepoͤlter gemacht/ verjaget hatte/
und wolte zu ihrem Mann einſteigen/ als ſie aber die
Wiege nicht mehr vorm Bette fand/ meynete ſie/ ſie
haͤtte geirret/ ſprach demnach bey ihr ſelber: Potz
Tauſend/ ich ſolte mich ſchier zu den Fremdlingen ge-
leget haben. Darauf ſuchte ſie die Wiege/ und als
ſie dieſelbe gefunden/ ließ ſie ihr ſolche fuͤr einen Weg-
Weiſer nach ihrer Schlaff-Stelle dienen/ legte ſich
alſo zu Venereo ins Bette/ und meynete/ ſie laͤge bey
ihrem Mann/ dieſer verzog nicht lang/ ſondern weil
ihn ihre huͤbſche Geſtalt bey Liecht ſchon in die Augen
geſtochen/ machte er ſich froͤlich mit ihr/ und verraͤyſe-
te wol 3. mahl kurtz nach einander uͤber Feld/ welche
Kurtzweil ihr dermaſſen gefiel/ daß ſie ihren vermeyn-
ten Mann mit hundert Kuͤſſen und Backenſtreicheln
liebelte/ und nicht wuſte/ wie ihn dieſe Luſt ſo ſchleu-
nig ankommen waͤre.
Unterdeſſen hatte der Edelmann ſeine Vergnuͤ-
gung bey der Jungfrauen ſattſam erhalten/ derohal-
ben ſtunde er nach Mitternacht auf/ und gieng von
ihr/ um ſich wieder zu Venereo zu legen/ damit ſeine
That nicht offenbar wuͤrde. Er ward aber/ gleich der
Frauen/ durch die Wiege verfuͤhret/ dannenhero tratt
er zu dem Bette/ wofuͤr die Wiege nicht ſtunde/ und
legte ſich zum Hauß-Wirth/ welcher daruͤber erwach-
te/ und weil er meynete/ er laͤge bey ſeinem Raͤyß-
Gefaͤhr-
[619]Romans II. Buch.
Gefaͤhrten/ erzehlete er ihm mit ſanfften Worten die
groſſe Luſt und Ergoͤnung/ ſo er mit deß Wirths
Tochter dort in ihrem Bette gehabt haͤtte. Dieſer
ließ ihn wol außreden/ und ſprach hernach zu ihm:
Du magſt dir was anders begangen haben/ haſt du
meine Tochter geſchaͤndet/ ſo wil ich dich deßfalls
ſchon zu Recht zu ſtellen wiſſen. Der Edelmann er-
ſchrack dergeſtalt/ als er den Jrꝛthum der Perſonen
merckete/ daß er kein einziges Woͤrtlein mehr reden
kunte. Venereus aber ward von der Wirthin alſo
angeſprochen: Mein lieber Mann/ was moͤgen doch
Jene dort im Bette zu Zancken haben? Dieſer kun-
te ſich der Antwort nicht entbrechen/ dannenhero
ſprach er: Jch glaube/ ſie reden Beyde im Schlaff.
Hierauß erkannte die Frau allererſt ihren groſſen
Jrꝛthum/ ſchlich demnach fein ſaͤuberlich auß dieſem
Bette/ und legte ſich zu ihrer Tochter/ da inzwiſchen
der Wirth immerfort brummete/ und es nicht ver-
geſſen kunte/ daß ihm der Edelmann ſeine Tochter
verderbet hatte. Venereus aber rieff dem Edelmann
zu: Komme her Bruder/ ich habe dir es ja wol tau-
ſend mahl geſaget/ du ſolteſt dich deß Nacht-Wan-
dels enthalten/ du kommeſt ſonſt noch einmahl in
groſſe Ungelegenheit daruͤber. Zum Wirth ſprach
er weiter: Wecket doch den Junckern auf/ er redet
im Schlaff/ er gehet im Schlaff und thut bey Nacht-
Zeiten noch mehr im Schlaff/ und alles was ihm
traumet/ das erzehlet er hernach auch im Schlaff.
Dem Wirth war es eine Freude/ wann der Edelmañ
ſolches im Schlaff ſolte geredet haben/ ſtieß ihn dem-
nach etliche mahl in die Seiten/ woruͤber derſelbe
gleichſam erwachte/ den Schlaff auß den Augen wi-
ſchete/ und deß verwechſelten Bettes erſchrack/ er ent-
ſchuldigte ſich auch gegen den Wirth/ und wandte
ſein
[620]Deß Academiſchen
ſein Gebrechen vor/ Krafft deſſen er zu Nacht-Zeiten
aufzuſtehen pflegte/ ſtund alſo auf/ und legte ſich wie-
der zu Venereo in das andere Bette.
Die Frau rieff hierauf ihrem Mann zu: So
ſeyd ihr Maͤnner/ ſprach ſie/ deß Abends ſaufft ihr
euch ſo voll/ daß ihr nicht wiſſet/ was ihr deß Nachts
thut/ wie ſolte der Juncker doch zu unſerer Tochter
kommen ſeyn/ da ich doch bey ihr die gantze Nacht
geſchlaffen habe. Als der Wirth dieſes hoͤrete/ ſtellete
er ſich vollends zufrieden/ und weil die Tochter die
Mutter uͤberredete/ daß ſie von dem Edelmann nicht
das Geringſte wuͤſte/ troͤſtete ſie ſich in ihrem Hertzen
der groſſen Luſt/ ſo ſie von Venereo genoſſen/ und
meynete/ ſie habe allein gewachet/ und alle Gluͤckſee-
ligkeiten dieſer Nacht gantz allein gehabt. Als end-
lich der Tag anbrach/ ſtunden ſie nach einander auf/
und die ſich dieſe Nacht uͤber geſprochen/ wincketen
einander mit den Augen/ woruͤber der arme Hauß-
Wirth zu kurtz kam. Mutter und Tochter richteten
ein gutes Fruͤhſtuͤck zu/ bey welchem die zween Came-
raden ihren freundlichen Abſchied nahmen/ und dar-
auf ritte ein Jeder ſeines Weges ins beſonder.
Venereus kam auf ſeiner Raͤyſe um den Mittag
in einen groſſen Flecken/ da er in einer anſehnlichen
Herberge einkehrete/ allwo etliche Fremde ſich eben
zu Tiſch ſetzen wolten. Er kam demnach gar recht zu
einer guten Mahlzeit. Dieſe Fremdlinge waren auß
verſchiedenen Laͤndern/ nemlich Teutſchen/ Frantzo-
ſen/ Spanier/ Jtaliaͤner und Schweden/ und weil ſie
allerſeits gelehrte Leute/ diſcurrirten ſie von allerhand
Materien/ kamen aber bald auf die Frage/ welches
doch wol die vernuͤnfftigſten Leute waͤren? Da ſich
dann ein Jeder bemuͤhete/ ſeinen Lands-Leuten das
Wort zu fuͤhren/ und denſelben dieſen Preiß zu zu-
ſprechen.
[621]Romans II. Buch.
ſprechen. Einer aber von der Geſellſchafft/ der ſich
unpartheyiſch hielte/ diſcurrirte gantz auß einem an-
dern Faſſe. Dieſe Frage/ ſprach er/ ſo weitlaͤufftig
ſie iſt/ kan von allen Voͤlckern ins gemein/ von den
Temperamenten/ Exercitien/ oder auch von den viel-
faͤltigen Amts Verwaltungen verſtanden werden;
Wann man von den Voͤlckern reden wil/ halte ich
meines Theils darfuͤr/ daß gleich wie nicht allein die
Orientaliſche Pflantzen/ Perlen und Edelgeſteine
weit edler und reiner ſind/ als einige andere in der
gantzen Welt/ alſo verhalte es ſich auch mit den In-
geniis, darvon die Urſach zu ſeyn ſcheinet/ daß die
Sonne/ welche zuſamt den andern Him̃liſchen Coͤr-
pern und Geſtirn/ durch das Liecht ihre Influentzen in
uns außgeuſſt/ den Orientaliſchen Voͤlckern die Erſt-
linge derer Influentzen mittheile/ die alsdann aller
Impreſſionen Art nach/ viel kraͤfftiger ſind/ wann ſie
ſich erſtlich ergieſſen/ als wann ſie ſich ſchon eine Zeit-
lang uͤberall außgebreitet haben/ wie man dergleichen
an dem Rauchwerck und andern Duͤnſten obſerviren
kan. Soll die Frage aber von den Temperamenten
verſtanden werden/ ſo gebe ich den Sanguineis, oder
Blut-reichen Leuten den Preiß/ erſtlich/ weil es die
geſundeſte Complexion, und die Geſundheit die noth-
wendigſte Condition und Mittel zum guten Ver-
ſtand iſt/ welcher in einem krancken Leib nicht ſo wol/
als in einem geſunden agiren kan. Zweytens/ weil
das Blut die naͤchſte und eigentlichſte Materie der
Geiſter deß Lebens iſt/ und daß derohalben der Jeni-
ge/ ſo Blut-reich/ oder viel Blut hat/ nothwendig viel
Spiritus haben muß. Drittens/ weil es der Verlieb-
ten ihre Complexion iſt/ welche die Ingenieuſeſten auf
Erden ſeynd/ daher der Poet ſaget: Quis fallere po-
teſt Amantem? Wer kan einen Verliebten betruͤgen?
Wann
[622]Deß Academiſchen
Wann man aber fraget/ in was Exercitien oder
Aemtern es die ingenieuſeſten Leute gibt? Muß ich
bekeñen daß hierauf nicht wol zu antworten ſey/ weil
heutiges Tages in allen Profeſſionen ſolche kluge
Koͤpffe gefunden werden/ daß man ſchwerlich ſagen
kan/ in welcher die Ingenieuſeſten ſeynd. Etliche
werden die Theologos und Scholaſticos darfuͤr hal-
ten/ angeſehen ihre Diſputen voller Spitzfuͤndigkeit.
Etliche die Medicos, die auch durch ihre vernuͤnfftige
Schluß-Reden und Muthmaſſungen die Urſachen
der Kranckheiten errathen. Etliche die Mathemati-
cos, die biß in den Himmel durchdringen. Jch mei-
nes Theils wil denen Beyfall geben/ die es mit den
Rechtsgelehrten und Practicis halten/ weilen ſie nicht
allein ſo behend in anderer Leute Sachen ihr eigenes
Intereſſe finden koͤnnen/ ſondern auch noch darzu alle
Phyſicos Luͤgen ſtraffen/ da ſie ſtatuiren/ daß alles/
was einen Anfang hat/ auch ein Ende habe/ da hinge-
gen ſie ihre Proceſſe unendlich oder unſterblich ma-
chen koͤnnen; An ſtatt/ daß die Naturkuͤndiger nur
quatuor Cauſas Rerum ſetzen/ ſo machen die Cauſidici
Cauſas infinitas. Endlich erweiſen ſie mit der Par-
theyen ihren Beuteln/ daß der Phyſicorum Lehre oder
Maxime, quod non detur vacuum in natura, falſch
und zu verwerffen ſey.
Hierauf ward geantwortet: Daß die Jenigen/
ſo den Bau der Welt wol betrachten/ eigentlich dar-
von zu reden/ keine Orientaliſche oder Occidentaliſche
Theile darinnen finden werden/ weil ſolche Namen
nur in Vergleichung mit unſerer Wohn-Stadt er-
funden worden/ denen das eine Volck Orientaliſch/
das andere Occidentaliſch/ nachdem ſie von uns gegen
Morgen oder Abend gelegen ſind/ dann die Welt iſt
ſonſten rund/ und alle Theile einer Sphæren, oder
Kugel/
[623]Romans II. Buch.
Kugel/ ſeynd von einerley Natur. Wird aber einiger
Unterſchied darinn gefunden/ ſo muß er anders wo-
her/ als auß den 4. Theilen der Welt/ fuͤrnemlich aber
auß der Kaͤlte und Hitze beſchloſſen werden. Auf
dieſe Weiſe werden die Jenigen/ ſo unter den Polis
leben/ einer gantz andern Complexion deß Leibes und
deß Verſtandes ſeyn/ als die Jenige/ die unter den
Tropicis wohnen/ und dem Zufolge/ muͤſſen die Ein-
wohner der temperirten Zonen/ die Sinn-reichſten
ſeyn/ weilen die Kaͤlte dem Leben gar zu ſehr zuwider
iſt/ daß groſſer Verſtand darauß ſolte kommen koͤn-
nen/ und die uͤberauß groſſe Hitze die Humeuren nicht
weniger inwendig als außwendig verbrennet/ wie
ſolches das wollichte Haar und die ſchwartze Farbe
der Leute außweiſen/ die dergleichen Hitze ertragen.
Was das Temperament anlanget/ kan das Sangui-
niſche darzu nicht das Geſchickteſte ſeyn/ weilen es
den Siñen gar zu ſehr nachhaͤnget/ und gar zu mitley-
dig iſt/ wegen der Weichlichkeit der Humeuren/ da
hingegen das Temperament bey einem verſtaͤndigen
Menſchen moderiret ſeyn ſoll. Aber allem Anſehen
nach/ gibt die natuͤrliche Melancholia die beſte Diſpo-
ſition zu einem guten Verſtand; Dann ſie macht
ein ſolides Judicium, und ein ehrbar/ beſtaͤndig/ ge-
dultig und maͤſſiges Gemuͤth/ welches die fuͤrnehm-
ſten Saͤulen der Klugheit ſeynd.
Der Dritte beſchloß: Daß Sinn-reich oder
Dum̃ ſeyn/ nicht von den Climaten noch Tempera-
menten dependirte. Dann das Erſte erſchiene dar-
auß: Gleichwie in allen Laͤndern gute und boͤſe Leute
ſind/ alſo werden auch Kluge und Narren/ Sinn-
reiche und Dum̃e darinnen gefunden. Dann/ weil
unſere Seele weder von der Erden/ noch von dem
aͤuſſerlichen Himmel oder Firmament kommt/ und
die
[624]Deß Academiſchen
die Diſtinctionen in Polos, Zonas und Climata, wor-
mit man dieſen getheilet hat/ ein bloſſes Behuͤlff un-
ſerer blinden Unwiſſenheit iſt/ damit wir uns die Situa-
tion der Laͤnder deſto beſſer einbilden koͤnten/ ſo kan
man die Varietaͤt und groſſen Unterſcheid in den In-
geniis der Menſchen/ weder dem Himmel noch der
Erden zuſchreiben. Was das Temperament anlan-
get/ iſt es der vernuͤnfftigen Seelen præjudicirlich/
daß man dieſe Eigenſchafft und Krafft den Menſchen
weiß und verſtaͤndig zu machen/ den Humoren zu-
ſchreiben wil/ dann weil die Seele ohne Leib iſt/ ſo hat
ſie auch keiner leiblichen Werckzeuge vonnoͤthen/ ihre
Actionen zu verrichten/ ſondern wie ſie gantz Goͤttlich
und GOttes Ebenbild/ ſo iſt ſie auch von Natur
wiſſend/ und erkennet durch die Vernunfft/ als ihre
aͤlteſte Facultaͤt/ alle Geheimnuͤſſen der Natur. Dann
wann die Actiones der Erkanntnuͤß und der Prudentz
von den Humoren dependirten und herruͤhrten/ wuͤr-
de darauß folgen/ daß das Jenige/ was heute mein
Raiſonnement in mir verurſachte/ geſtern meine Nah-
rung geweſen waͤre. Und alſo wurden dieſe Dinge/
die nur vegetative und ſenſitive Actiones gehabt/ wie
ſie im Leben geweſen/ nach ihrem Tod Intellectuales
oder verſtaͤndliche Wuͤrckungen herfuͤr bringen. Es
ſeynd nur allein die Geiſter/ die ſich bewegen/ und un-
ſere Humoren zur Action erregen. Wann Jene er-
mangeln/ bleiben dieſe Krafft-loß/ und gleichwol
ſeynd dieſe Geiſter/ die gleichſam der Wagen ſeynd/
worauf die vernuͤnfftige Seele herfaͤhret/ nicht ein-
mahl die Urſach der Wiſſenſchafft und Klugheit/
ſondern nur allein deß Lebens/ um ſo viel weniger kan
man es dann den Humoren zuſchreiben. Wann man
dann eigentlich von der Sachen reden wil/ muß man
ſagen/ daß die uͤbernatuͤrliche Gaben deß Verſtandes
unmit-
[625]Romans II. Buch.
unmittelbar von GOtt kom̃en/ die Natuͤrliche koͤnnen
uns zum Theil angeerbet werden/ wie man verſchie-
dene Exempel darvon hat/ daß die Gaben deß Ver-
ſtandes eine geraume Zeit in den Geſchlechtern con-
tinuiret werden. Zum Theil hilfft darzu die Erzie-
hung und Information, die Converſation und Ge-
meinſchafft mit Sinn-reichen gelehrten Leuten/ die
Luſt und Liebe etwas zu lernen/ zuforderſt aber die
Conſtellation und eines Jedweden Horoſcopus, wor-
durch dann nicht allein ein natuͤrlicher Trieb zu dieſer
oder jener Wiſſenſchafft erwecket/ und maͤchtig ent-
zuͤndet wird/ ſondern auch die Mittel darzu zu gelan-
gen/ facilitiret und befoͤrdert werden.
Das VIII. Capitul/
Allhier fraget ſichs: Ob ein Reicher oder ein Armer geſchick-
ker ſey zur Weißheit und guten Wiſſenſchafften. Venereus wird
beſtohten/ kommt aber auf eine ſeltzame Weiſe wieder zu Kleidern und
Geld.
ALs dieſer außgeredet hatte/ ſprach Venereus:
Meine Herren/ ich glaube/ daß die jenigen Leu-
te fuͤr die Verſtaͤndigſten zu æſtimiren/ welche
das meiſte Geld haben/ dann dardurch koͤnnen ſie alle
die jenige Mittel leichtlich erlangen/ dardurch man
zur Weißheit gelanget/ welche einem armen Schlu-
cker benommen ſind. Aber es widerſprach ihm ein
Teutſcher/ und behauptete/ daß ein armer Menſch
leichter zur Weißheit gelangen koͤnne/ als ein Reicher.
Weil die Weißheit/ ſprach er/ ein Habitus, der mit
Wiſſenſchafften und Tugenden vermenget iſt/ ſo gibt
die Armuth zu der einen ſo wol/ als zu der andern/
mehr Diſpoſition, als der Reichthum. Sintemahl
das Ingenium eines Armen zur Wiſſenſehafft viel ge-
ſchickter iſt/ als eines Reichen. Geſetzt/ daß die Natur
die Gaben deß Gluͤcks mit den Gaben deß Verſtan-
R rdes
[626]Deß Academiſchen
des habe wollen compenſiren; Oder/ daß die Noth
und der Hunger den Armen das Ingenium ſchaͤrffe/
oder/ weil ſie von der Muͤhe und Sorge/ die der Reich-
thum mit ſich bringet/ entſchlagen ſeynd/ dahero ſie
ein viel geruhigers und geſchickters Gemuͤth zu allen
Wiſſenſchafften haben/ als welche eine vollkommene
Ruhe und Tranquillitaͤt der Seelen erfordern. Was
die Tugend anbelanget/ worzu der Steig voller Di-
ſtel und Dornen iſt/ hat die Armuth auch einen leich-
tern und mehrern Zugang darzu/ als der Reichthum/
nicht nur in dem Evangelio/ da der HErꝛ Chriſtus
ſaget: Daß es leichter ſey/ daß ein Cameel durch ein
Nadeloͤhr gehe/ als daß ein Reicher ins Himmelreich
komme/ deſſen Thuͤre gleichwol die Tugenden ſeynd;
Sondern auch dem Moral-Verſtand deß jetzigen Le-
bens nach/ darinnen zu Folge der H. Schrifft/ die Ar-
muth verſtaͤndig und klug macht/ und Anlaß gibt zur
Maͤſſigkeit/ Nuͤchterkeit und Keuſchheit/ die von der
Armuth ungeſchieden ſeyn. Sie lehret die Gedult/
alles Elend dieſes Lebens mit groſſem Muth zu er-
tragen/ wordurch endlich das Gemuͤth unuͤberwind-
lich wird. Da hingegen der Reichthum gemeiniglich
mit den Laſtern/ die der Weißheit am meiſten zuwi-
der ſeynd/ behafftet iſt; Als unter andern mit der
Einbildung und Vanitaͤt/ oder Eitelkeit/ mit Wolluſt
und Zaͤrtlichkeit/ von welchen Laſtern das Erſte/ der
wahren Wiſſenſchafft gantz entgegen iſt/ dann der
Hochmuth kommt nur auß Ignoranten/ welche der
Printz der Poeten maͤnnlich und arbeitſam nennet.
Uber das hat uns auch die Natur ſelbſt ſehen laſſen/
was deß Reichthums Art ſey/ dieweil die Erde/ darin-
nen Gold waͤchſet/ gemeiniglich eben ſo unfruchtbar
iſt/ als das Gemuͤth der Jenigen/ die es beſitzen/ und
daß die Leute/ die in reichen und guten Laͤndern woh-
nen/
[627]Romans II. Buch.
nen/ die Laſterhafftigſten/ Faͤuleſten und Dum̃eſten/
hergegen die Jenigen/ ſo ein geringes Ort und
ſchlechtes Land beſitzen/ ins gemein die Tugendhaff-
teſten und Sinn-reicheſten ſeynd.
Worauf von einem andern geantwortet ward:
Daß/ gleich wie die Guͤther deß Gluͤcks ſo wol/ als
deß Leibes/ darzu verordnet ſeyn/ daß ſie den inner-
lichen Reichthum deß Verſtandes/ durch an die
Handgebung unterſchiedener Occaſionen zur Tu-
gendhafften Thaten/ ans Liecht bringen/ befoͤrdern
un vermehren ſollen; Alſo waͤren auch die Incom-
moditaͤten deß Leibes und deß Gluͤcks die groͤſſeſten
Hindernuͤſſen die Guͤther der Seelen/ die in der Per-
fection ihrer zweyen fuͤrnehmſten und Edelſten Fa-
cultaͤten/ nemlich deß Verſtandes und deß Willens/
welches die Wiſſenſchafft und Tugend iſt/ beſtehen/
zu erwerben/ zu vermehren/ und zum gemeinen Beſten
kundbar zu machen; Dann die Wiſſenſchafften und
freyen Kuͤnſte erfordern ein tapffers und freyes Ge-
muͤth/ und nicht ein ſolches Elendes und Niedriges/
wie der Armen Jhres iſt/ welches uns das Emblema
deß Alciati ſehr wol durch den Jenigen repræſentiret/
der die eine Hand in der Lufft/ und darzu 2. Fluͤgel
hat/ die ihm hoͤher fort helffen wollen; Die andere
Hand aber/ die an einen ſchweren Stein gebunden/
iſt ihm daran hinderlich. Weil ihr Gemuͤth nur ſtaͤts
daran dencket/ wovon es leben/ und womit es ſich von
dem ſchweren Joch der Armuth befreyen wolle;
Dann dieſe benimmt ihnen alle Mittel/ lebendige
oder ſtumme Lehrer zu halten; Ja ſie macht/ daß ſie
allen Zwang und Straffe der Geſetze in den Wind
ſchlagen/ und ſich ſelbſten oͤffters dem Wuͤten und
der Verzweifflung ergeben/ wordurch ſie bewogen
werden/ ihr eigen Leben in die Schantze zu ſetzen/ und
R r 2ſich
[628]Deß Academiſchen
ſich zu Herren uͤber anderer Leute Leben zu machen.
Daher kommt es auch/ daß nicht allem das Mißgoͤn-
nen/ das Murmuriren/ die Aufruͤhre und Abfaͤlle/ ge-
meiniglich von armen und elenden Leuten herruͤhren/
als welche Luſt und Liebe zu aller Veraͤnderung tra-
gen/ weil ſie nichts darbey verlieren/ aber wol etwas
darbey gewinnen koͤnnen; So ſeynd ſie auch meiſten-
theils die einzigen Urheber/ aller Dieb-Moͤrd- und
Kirchen-Raͤuberey; An Statt/ daß die Reichen Ge-
legenheit haben/ von Jugend auf beſſer erzogen zu
werden/ und deßwegen viel behut- und ſittſamer in
ihren Actionen und Handlungen/ mehr zum Guten
und zur Tugend geneiget ſeynd/ die Armen aber und
Unvermoͤgenden nichts Namhafftes herfuͤr bringen/
und ſchaffen koͤnnen. Dahero kom̃t es/ daß man in
unſerer Sprache den Reichthum nicht ohne Urſach
Mittel nennet/ als ohne welche man nicht einem Jed-
weden/ was ihm gehoͤret/ geben/ noch die Feinde deß
Staats durch einen rechtmaͤſſigen Krieg/ deſſen fuͤr-
nehmſte Krafft und Nachdruck im Geld beſtehet/ zu-
ruck treiben kan. Das iſt eben die Urſach/ warum alle
Welt nach Geld und Reichthum trachtet/ dann die
Familien/ welche die Saͤulen deß Staats/ werden
dardurch/ wann ſie rechtmaͤſſiger Weiſe erworben
ſeynd/ conſerviret und erhalten; Der Adel wird von
etlichen Politicis darauf geſtellet/ alle mit einander
ſeynd ſie darinnen einig/ daß der Reichthum dem
Adel zur Ehre und Anſehen dienet. Und es iſt be-
kandt/ daß die Jenigen/ ſo ſich um Geld und Guth
nicht ſo gar ſehr bekuͤmmern/ dannoch deſſen nicht
koͤnnen geuͤbriget ſeyn/ wo ſie nicht betteln gehen wol-
len; Es gehet allezeit ſo her in der Welt/ daß der
Reichthum/ er ſey gleich erworben/ oder ererbet/ je-
des mahl in ſonderbarer Acht und Æſtime iſt/ der Ar-
muth
[629]Romans II. Buch.
muth hingegen haͤnget man leichtlich einen Kleck an/
und haͤlt ſie/ als ein Zeichen eines geringen Herkom-
mens/ oder einer Nachlaͤſſigkeit/ und Verſchwende-
rey. Weßhalben man anch einem Armen ſo wenig
ein wichtiges Amt/ als groſſe Summen Geldes/ an-
vertrauet; Und es iſt nicht ohne Urſach/ daß der Ar-
me kleinmuͤthig iſt/ und ſich ſeines Zuſtandes entzie-
het/ und ſchaͤmet/ dann dieſer Mangel hindert an
allen ſeinen Anſchlaͤgen/ und liget zu deren Außfuͤh-
rung ihm allenthalben in dem Weg. Guth hingegen
macht Muth/ treibet einen zu groſſen Dingen/ und
ſelbſt zur Tugend an; Worzu dañ der Menſch durch
erlangetes Lob je mehr und mehr angefriſchet wird.
Ebener Maſſen/ wie einer durch Verachtung und
Beſchimpffung/ die gemeiniglich der Armuth zu fol-
gen pfleget/ traͤger zur Tugend und zu allen guten
Dingen gemacht wird/ und endlich wol gar daran er-
kaltet/ und erſtirbet. Und ob zwar die Armuth durch
den Mund und Grund der Warheit gelobet iſt/ der
auch befohlen hat/ daß man den andern Backen hin-
halten ſolle/ denen/ die uns eine Maulſchelle geben;
Das hindert aber nicht/ (natuͤrlicher Weiſe darvon
zu reden/ wie wir hier thun/) daß ſich zu defendiren
nicht beſſer ſey/ als ſich laſſen die Haut voll ſchlagen.
Ein Jtaliaͤner beſchloſſe alſo: Wir muͤſſen uns
hierinnen auf den allerweiſeſten Koͤnig Salomonem
beruffen/ welcher GOTT bittet/ daß er ihm keinen
uͤbrigen Reichthum/ damit er nicht etwan hoffaͤrtig/
und auch keine groſſe Armuth/ damit er nicht zum
Dieb wuͤrde/ ſondern einen mittelmaͤſſigen Stand
beſcheren wolte. Dann/ gleich wie beydes die gar
zu groſſe Schwerleibigkeit an dem einen/ und das
Schwinden und Abnehmen deß Leibes an dem an-
dern/ der Geſundheit zuwider ſeyn/ als welche in ei-
R r 3nem
[630]Deß Academiſchen
nem guten Temperament aller Qualitaͤten beſtehet.
Alſo ſeynd uͤberfluͤſſiger Reichthum und bettelhaffte
Armuth (wann man ſie beyde in ſolchen Grad ſtellet/)
der Weißheit gleich ſchaͤdlich; Dann/ wo man in
einigem Weg das Mittel oder Mediocritaͤt dieſer
Dinge zu deſideriren/ und darnach zu trachten hat;
So iſt es zu Erlangung ſo wol der Weißheit/ als der
Tugend/ hoch vonnoͤthen/ dann auch dieſe nur in der
Mittelmaaß beſtehet.
Unter waͤhrendem dieſem Diſcurs lieff die Mahl-
zeit zu Ende/ da ſich dann die Geſellſchafft von einan-
der ſonderte/ und Jeder ſeines Weges fortzoge. An-
langend unſern Venereum, kunte dieſer am ſelbigem
Abend ſo bald keine Herberge erreichen. Dannenhero
ritte er biß in die ſpaͤte Nacht hinein/ biß er endlich
von fernen ein Liecht erblickete nach demſelben len-
ckete er ſein Pferd/ und erreichete endlich/ wiewol
ziemlich ſpaͤt/ ein groſſes Hauß. Er ſtieg daſelbſt ab/
klopffete an/ und ward willig eingelaſſen. Die Tafel
fande er gedecket/ und alſo ſetzte er ſich neben den an-
andern zu Tiſch/ da man ihm/ und allen Anweſenden/
ſehr fleiſſig aufwartete. Aber kein Frauen-Menſch
bekam man im gantzen Hauß zu ſehen.
Als die Mahlzeit endlich geſchehen/ fuͤhrete man
die Gaͤſte in ein groſſes Gemach/ darinn eine lange
Streu zubereitet war/ und entſchuldigete ſich der
Wirth/ daß ihm ſeine Bette vor kurtzer Zeit geſtohlen
worden. Alſo legeten ſie ſich in ihren Schlaff-Hoſen
nieder/ und decketen ſich mit den Roͤcken zu/ ſchlieffen
auch die gantze Nacht fein ſicher/ und in guter Ruhe/
da ſie vielmehr haͤtten wachen moͤgen/ wann ſie an-
ders nicht haͤtten wollen betrogen ſeyn. Dann als
ſie etwa 2. Stunden nach Aufgang der Sonnen ihre
Augen auß einem tieffen Schlaff erſchloſſen/ da ſahe
ſich
[631]Romans II. Buch.
ſich Venereus um/ und fand nur einen einzigen
Schlaff-Geſellen neben ſich/ der damahlen eben glei-
cher Geſtalt erwachete. Dieſe Beyde ſahen nun mit
offenen Augen/ wie heßlich ſie hintergangen waren.
Alle ihre Kleider waren mit den andern Menſchen zu-
gleich unſichtbar worden/ und man hatte ihnen auch
ſo gar die Unter-Hoſen und Hemder außgezogen/ und
etliche alte Lumpen neben ſie geleget/ um ihre Bloͤſſe
einiger Maſſen darmit zu bedecken. Sie kunten leicht-
lich erachten/ daß ſie unter eine boͤſe Geſellſchafft ge-
rathen/ die ihnen dieſen Poſſen geſpielet/ und darun-
ter der angemaſſete Wirth auſſer Zweiffel der oberſte
Hahn im Korbe geweſen. Es kunte aber nicht anders
ſeyn/ dieſe Buben muſten ſich einer Kunſt bedienet
haben/ dieſe 2. Unſchuldige in einen ſolchen Todes-
Schlaff zu bringen/ daß ſie nicht erwachen koͤnnen/
als man ihnen das Hemd außgezogen hatte. Sie thei-
leten demnach die neben ligende alte Lumpen in der
Guͤte/ und ein Jeder wand etwas darvon um die Len-
den. Der andere bekannte/ daß er ein Teutſcher von
Geburt/ und nach Venedig auf der Raͤyſe begriffen/
auch nicht anders gemeynet/ dann daß er allhier in ei-
ne feine Herberge komme. Sie giengen mit ihren
meiſt bloſſen Leibern nach dem Stall/ und fanden
denſelben ſo wol/ als das gantze Hauß ſo gar außge-
leeret/ ihre Pferde/ und alles mit einander/ was ſie
mitgebracht hatten/ war ihnen dieſe Nacht geſtoh-
len/ und fand ſich weder Wirth/ noch Gaͤſte/ ſondern
dieſe 2. Betrogene waren gantz allein/ und von Je-
dermann verlaſſen. Gleichwie aber der Teutſche end-
lich nach Suͤden/ alſo erhub ſich hingegen Venereus
nach Norden/ und kamen einander bald auß dem Ge-
ſicht. Dieſer wuͤnſchete anjetzo bey den heiß brennen-
den Sonnen-Strahlen nur ein grobes Leinen-Hemd/
R r 4ſich
[632]Deß Academiſchen
ſich darwider zu ſchuͤtzen/ aber er ſahe keine Huͤlffe/
noch einigen Menſchen.
Um die Mittags-Zeit kam er in ein kleines Dorff/
da ihm alle Kinder nachlieffen/ und meyneten/ er ſey
nicht recht bey Sinnen/ aber er erzehlete den Leuten
ſein erlittenes Ungluͤck/ die ihm dann Bericht erthei-
leten/ daß es mehr Raͤyſenden in jenem Hauß alſo er-
gangen/ als worinn dann und wann ſich eine gewiſſe
Diebes, Compagnie einſtellete/ worunter ſich einer
fuͤr den Wirth/ und die andern fuͤr Gaͤſte außgeben/
wann alsdann unſchuldige Fremdlinge bey ihnen ein-
kehreten/ wuͤrden ſie von allem beraubet/ was ſie ge-
habt haͤtten. Es waren aber dieſe Bauren ziemlich
mitleydig mit unſerm Venereo, indem ihm der eine
ein grobes Hemd/ ein anderer ein Paar Leinen-
Struͤmpffe/ ein anderer den rechten/ und ein anderer
den lincken Schuh/ ein anderer einen durchſichtigen
Hut/ und ein anderer ein Paar zerriſſene Hoſen zu-
warff/ welches alles er keines Weges verſchmaͤhete/
ſondern/ nachdem er es angeleget/ und ſich mit etwas
Speiſen erquicket hatte/ machte er ſich wieder auf
den Weg/ und als er zu einem kleinen Bach gekom-
men/ beſahe er ſeine Außſtaffierung darinn/ und
lachete uͤber ſich ſelber/ wann er ihm vorſtellete/ wie
hoͤchlich ſich Condado uͤber ſeinen Habit wuͤrde ver-
wundern/ wann er denſelben ſolte wieder finden. Jn-
dem er allhier ſaſſe/ und einen Trunck klaren Waſ-
ſers zu ſich nahm/ ſahe er einen Mann zu Fuß daher
kommen/ welchem er ſein Ungluͤck erzehlete/ dieſer
hatte groſſes Mitleyden mit ihm/ und nachdem er
ihm 2. Pfenninge gereichet/ ſprach er: Nehmet fuͤr-
lieb hiermit/ mein Freund/ ich habe 2. Jahr gedienet
auf einem Adelichen Hof nicht weit von hinnen/ und
wann ihr dort auf jenen Berg kommet/ werdet ihr
ihn
[633]Romans II. Buch.
ihn vor euch ligen ſehen/ und in dieſer gantzen Zeit
habe ich kaum ein ſchlechtes Kleid erworben. Der
Edelmann dieſes Hofes iſt mit ſeinem Sohn in den
Krieg nach Ungarn gezogen/ und hat ſeine Frau/ ſamt
ihrer Tochter auf dem Hof verlaſſen/ unter der Auf-
ſicht eines alten/ ſauer-ſichtigen und ſtuͤrmiſchen Ver-
walters/ welcher entweder gebrechliche/ oder gar alte/
oder ſtumme Leute in Dienſte nimmt/ damit die Frau
und ihre Tochter nicht mit den Dienern buhlen/ dann
ſie ſind ſehr verliebet/ aber der alte Verwalter hat ei-
ne genaue Aufſicht auf ihr Thun und Laſſen und eben
darum nimmt er ſolche ungeſchaffene Leute in ihren
Dienſt/ alſo iſt mein Buckel Urſache daran/ daß er
mich auch angenommen hat/ da ich dann ſtaͤts im
Luſt-Garten habe gearbeitet. Endlich aber/ weil mir
die Arbeit zu ſchwer/ ich auch es weder der Frauen/
noch der Tochter/ noch dem ſturriſchen Verwalter/
habe recht machen koͤnnen/ habe ich mich heimlich dar-
von gemacht/ und ſuche jetzo einen andern Herꝛn.
Hiermit nahm dieſer Menſch ſeinen Abſchied/ und
wanderte ſeines Weges.
Venereus gedachte hierauf/ wann er in dieſer
Frauen Dienſten gelangen koͤnte/ wolle er keinen Fleiß
ſparen/ um nur eine gute Mahlzeit wieder zu erlan-
gen/ inmaſſen er dieſen Tag noch wenig genoſſen/ die
mitgetheilete Bauren-Koſt ihm auch allzuhart gewe-
ſen war. Jch wil mich ſtumm ſtellen/ ſprach er in ſei-
nem Hertzen/ ſo moͤchte mich der murriſche Verwal-
ter etwa in Dienſte nehmen/ und vielleicht genieſſe ich
noch einen guten Zehr-Pfenning von dem Adelichen
Fꝛauenzim̃er/ daß ich ſo dañ meinen Weg moͤge weiteꝛ
fortſetzen. Jn dieſer Einbildung/ womit er ſich ſelber
kitzelte/ ſtieg er auf den angewieſenen hohen Berg/
und als er deſſen Spitze erreichet/ ſahe er darunten im
R r 5Thal
[634]Deß Academiſchen
Thal ein ſchoͤnes Adeliches Schloß ligen/ dahero le-
gete er ſich auf dem Berg nieder/ und ruhete biß ge-
gen den Abend/ da er alsdann ſich zu dieſem Hauß er-
heben wolte/ und wuͤrde man ihm ja ein Nacht-Lager
nicht abſchlagen. Endlich machte er ſich in ſeinem al-
ten zerlappeten Kleid wieder auf die Fuͤſſe/ gieng nach
dem Edelhof/ und klopffete an/ alſobald erſchien der
Verwalter ſelber/ welchem er mit Wincken und Zei-
chen zu erkennen gab/ daß er ſtumm ſey/ und ein All-
moſen verlange. Der Verwalter/ der eines guten
Knechts zum hoͤchſten benoͤthiget/ winckete ihm/ und
fragete dardurch gleichſam/ ob er wol arbeiten wolle/
und als er deßfalls von Venereo eine vergnuͤgliche
Antwort erlanget/ nahm er ihn in die Kuͤche/ und ließ
ihm ſatt zu eſſen und zu trincken geben/ hernach ließ er
ihn nach dem Heu-Boden fuͤhren/ um darauf zu
ſchlaffen/ dann er beſorgete ſich/ dieſer Lumpen-Hund
ſtecke voll Unzieffer/ mochte ihn deßwegen zu den an-
dern Dienſt-Botten nicht legen.
Am folgenden Tag muſte er in den Garten wan-
dern/ da reichete man ihm allerhand Gereitſchafften/
und wieſe ihm die Arbeit an. Er legete ſeine Hand an/
und weil er annoch ziemlich bey Kraͤfften/ arbeitete er
ſehr fleiſſig/ daß ihn der Verwalter deßwegen mit
freundlichem Zuwincken preiſete. Alſo hatte er nun-
mehro gnug zu thun/ und war alle Tage an ſeinen
Geſchaͤfften. Es begab ſich aber am dritten Tag nach
ſeiner Ankunfft/ daß er nach eingenommenem Mit-
tags-Mahl ſich hinter eine Haſel-Hecke an den
Schatten ſchlaffen legete/ und weil eben darauf ein
kuͤhles Luͤfftlein entſtunde/ warff ihm ſolches das zer-
riſſene Kleid von einander/ und entdeckete das Je-
nige/ welches die Natur gern im Verborgenen haͤlt.
Nicht lange hernach kam die Adeliche Tochter in den
Garten/
[635]Romans II. Buch.
Garten/ dieſen neuen Stummen arbeiten zu ſehen/
und wie ſie an ihm das Jenige erblickete/ deßgleichen
ſie wol ihr Lebtage nicht geſehen/ auch ſonſten ſeinen
geraden Leib und wol-gebildete Glieder betrachtete/
ward ſie durch ſeine Geſtalt gaͤntzlich eingenommen/
und wuſte fuͤr Liebe nicht zu bleiben. Sie lieff dem-
nach geſchwinde in den Hof/ und holete ihre getreue
Magd herbey/ welcher ſie dieſes alles vor Augen zei-
gete/ darneben ſprechend: Jſt es nicht Jammer und
Schade/ daß dieſer ſchoͤne Mann keine Sprache hat?
Doch ja/ es iſt ſehr gut/ ich wil mich mit ihm ergoͤtzen/
und er wird mich nicht verrathen. Ach! betrachte doch
den zierlichen Leib/ und alle ſo wol-gebildete Glieder
dieſes ungluͤckſeeligen Stummen. Durch dieſes An-
ſchauen ward die Magd gleicher Geſtalt entzuͤndet/
daß ſie ſich nicht zu behalten wuſte/ dahero ſprach ſie:
Jungfer/ ich habe wol ehe gehoͤret/ daß keine groͤſſere
Freude auf Erden/ als die den Eheleuten gemein iſt.
Habt ihr Luſt/ ſo wollen wir jetzo einen Vorſchmack
darvon nehmen? Hiermit war die Adeliche Jung-
ſran zufrieden/ welche auch Standes wegen den Vor-
zug haben wolte. Solchem nach wecketen ſie den Ve-
nereum ſanfftmuͤthig auf/ und gaben ihm ihr Ver-
langen mit unkeuſchen Griffen zu verſtehen. Weil er
nun eben das Jenige ſuchete/ war er willig/ und er-
zeigete ſich darinn/ als ein rechtſchaffener Meiſter.
Hernach gab er zu verſtehen/ daß er gerne etwas Gu-
tes zu eſſen und zu trincken verlange/ welches ihm die
Jungfrau gleich hernach ſelber brachte. Alſo hatte
dieſe denſelben gantzen Nachmittag ihre kurtzweilige
Deutungen mit ihm im Garten/ aber gegen Abend
kamen ſie von einander. Am folgenden Morgen fruͤhe
gieng die Magd allein heimlich in den Garten/ mit ei-
nem ſchoͤnen Fruͤhſtuͤck/ und uͤberreichete ſolches dem
Vene-
[636]Deß Academiſchen
Venereo, mit dem Beding/ daß er ſie wieder/ wie
geſtern/ handthieren moͤchte. Hierzu war er willig/
und begabe es ſich zu allem Ungluͤck/ daß die Adeliche
Wittwe im Fenſt er lag/ und von oben herab erblicke-
te/ daß dieſe Beyde hinter der Hecke ein ſolches We-
ſen haͤtten. Solchem nach ſchliche ſie gantz behende
herunter/ und uͤberraſchete dieſe Beyde in ihrer unge-
buͤhrlichen Luſt. Deſſen dann die Magd dergeſtalt
erſchrack/ daß ſie ſich augenblicklich loß riſſe/ und auß
dem Garten lieffe. Venereus aber/ der alle Scham-
hafftigkeit bey dergleichen Begebenheiten auß den
Augen ſetzete/ kehrete ſich an nichts/ und die Edel-
Frau warff auch alſobald eine groſſe Neigung zu
ihm. Sie winckete ihm/ er ſolte ihr folgen/ welches er
thate/ und alſo fuͤhrete ſie ihn in ihre Kammer/ ſchloſſe
ſolche hinter ſich zu/ und begunte dem Venereo von
andern Sachen vorzuſagen; Dieſer war kein fauler
Bengel/ er thaͤte ihr einen ſolchen Gnuͤgen/ daß ſie
nach geſchehenen Dingen mit einem Seuffzer ſprach:
Ach! du Edler Leib/ daß dir die Sprache mangeln
muß. Venereus gedachte/ es ſey nunmehro Zeit/ ſich
auß der Niedrigkeit zu reiſſen/ thaͤte demnach ſeinen
Mund auf/ und ſprach: Schoͤne Dame! Jch ſpreche/
wann ihr es verlanget. Mein ſeltzames Ungluͤck hat
mich gezwungen/ daß ich mich ſtumm geſtellet/ die
Rauber haben mir alles abgenommen/ ich bin ſonſten
ein Neapolitaniſcher Edelmann/ und dieſer Orten
gantz unbekandt.
Als ihn die Frau alſo reden hoͤrete/ erſchrack ſie/
aber Venereus ſchwure/ daß ſie ſeinethalben in keine
Nachrede fallen ſolte. Alſo gieng er wieder in den
Garten/ und arbeitete hernach/ ſo viel ihm beliebete/
wann auch der Verwalter ihn hart antreiben wolte/
entſchuldigte er ſich/ daß er kranck ſey. Solches gieng
zwar
[637]Romans II. Buch.
zwar dieſen Tag hin/ aber am folgenden Morgen
laurete Venereus auf ein gutes Fruͤhſtuͤck/ welches
ihm die Edel-Frau zu ſchicken verheiſſen hatte. Jn-
zwiſchen kommt der ſtrenge Verwalter mit einem
Pruͤgel herzu gegangen/ und begunte ihn mit Droh-
Worten zur Arbeit anzumahnen/ er aber lachete/
welches Jenem dergeſtalt zu Hertzen gieng/ daß er
den Pruͤgel aufhub/ und einen ſtarcken Streich auf
den Stummen loß fuͤhrete. Venereus hatte ſchon ei-
nen ſtarcken Ruck halt/ worauf er ſich verließ/ lieff
demnach dem alten Grunſer ein/ riſſe ihm den Stock
auß der Fauſt/ und ſchlug ihn darmit ſo ungewa-
ſchen auf den Kopff/ daß er zu Boden ſanck/ wie ein
geſchlagener Ochſe. Solches ſahe die Frau/ welche
geſchwind herzu kam/ und weil ſie leicht erachten kun-
te/ daß durch den Venereum ſie in groſſe Ungelegen-
heit kommen koͤnte/ ſo ſie ihn laͤnger bey ſich behielte/
riethe ſie ihm/ in den Stall zu gehen/ und mit dem be-
ſten Pferd darvon zu reiten/ darzu verehret ſie ihm ei-
nen Beutel mit 100. Ducaten/ um ſich darvon zu
kleiden. Der Verwalter bliebe zwar nicht von Stund
an todt/ aber ſeine Sinnen kamen ihm ſo bald nicht
wieder/ dannenhero verfuͤgete ſich die Edel-Frau
noch vorher mit Venereo in ihr Gemach/ und machte
ſich fuͤr das Pferd und Geld bezahlet. Damahl er-
ſahe dieſer etliche ſchoͤne Kleider an der Wand han-
gen/ um welche er die Frau begruͤſſete/ und ſie kunte
ihm ſolche fuͤr groſſer Liebe nicht abſchlagen/ ob ſie
gleich ihrem Sohn gehoͤreten. Alſo zog ſich Venereus
an/ und præſentirte ſich als ein anſehnlicher Caval-
lier, ſetzte ſich darauf zu Pferde/ und ritte zum Thor
hinauß. Die Adeliche Jungfrau/ die ſolches gemer-
cket/ hatte ſich ſchon vorher auß dem Hof gemachet/
und wie er ſie vorbey reiten wolte/ ergriffe ſie das
Pferd
[638]Deß Academiſchen
Pferd bey dem Zuͤgel/ und ſprach: Weil er ihres
Bruders Kleider geſtohlen/ ſo muͤſſe er ihr darfuͤr
zum wenigſten noch eine Luſt machen. Venereus ant-
wortete: Schoͤne Jungfrau/ deſſen bin ich allemahl
erboͤthig/ und bejammere ich deß Verwalters Un-
gluͤck/ welches uns von einander verbannet/ dann ich
bin nur auf eine Zeitlang ſtumm geweſen/ im uͤbri-
gen von ſo gutem Adel/ als ihr ſelber/ er ritte alſo ne-
ben ihr fort/ und wie ſie mit einander an einen beque-
men Ort kamen/ da erbarmete ſich Venercus noch
einmahl uͤber die Jungfrau/ welche ihm dieſen Gang
mit einem Beutel von 30. Ducaten bezahlete/ und
darauf ſchieden ſie von einander/ jedoch muſte der
Jtaliaͤner zuſagen/ daß er bald wieder kommen/ und
ſie beſuchen wolle.
Das IX. Capitul/
Venereusrettet einen Edelmann/ mit deſſen Schweſter er
eine ſeltzame Rencontrc hat/ woruͤber derſelben Ehemann heßlich be-
trogen wird.
WIe er biß um den Mittag fortgeritten/ kam
er in ein Staͤdtlein/ darinn er ſpeiſete/ und
ſetzte ſich alſobald wieder auf. Jn dem naͤch-
ſten Wald hoͤrete er einen Tumult, und wie er naͤher
hinzu kam/ ſahe er einen feinen Juͤngling/ welcher mit
2. ſtarcken Bauren zugleich range. Er rieff ihnen zu/
es waͤre unrecht/ daß 2. uͤber einem her waͤren/ ſol-
ches bewog die Bauren/ daß ſie loß lieſſen/ und dar-
von lieffen/ der Juͤngling aber war am Halſe derge-
ſtalt angegriffen/ daß er faſt keine Lufft mehr holen
kunte. Dieſer ſagete unſerm Venereo groſſen Danck
fuͤr ſeinen Beyſtand/ und erzehlete ihm/ daß er ein
Edelmann von Bregentz ſey/ er ſey heute außgegan-
gen/ etwas Wild zu ſchieſſen/ und habe dieſe 2. Bau-
ren-Schuͤtzen uͤber einem Hirſch angetroffen. Sie
waͤren
[639]Romans II. Buch.
waͤren aber behende auf ihn loß gangen/ und haͤtten
ihn vollends erwuͤrget/ wann er nicht zu rechter Zeit
darzu kommen waͤre.
Venereus beſtriche ihm den Halß mit der bloſſen
Hand/ und brachte ihm denſelben ein wenig wieder
zurecht/ daß er mit ihm fortgehen kunte. Alſo giengen
ſie vorerſt zu einem Baum/ an welchem deß Edel-
manns Rohr ſtund/ dieſes nahm er zu ſich/ und folge-
te dem Venereo nach der Stadt Bregentz/ welche am
Boden-See liget/ hieſelbſt wolte der Jtaliaͤner in ei-
ne Herberge kehren/ aber der Edelmann wolte ſolches
durchauß nicht geſtatten/ ſondern fuͤhrete ihn mit ſich
zu ſeiner Mutter/ und beyden Bruͤdern/ ſo alle feine
Leute waren/ die ihm alle Hoͤflichkeiten erzeigeten.
Es erſchiene aber denſelben Abend eine ſehr ſchoͤne
junge Frau eines Kauffmanns/ die dieſer Bruͤder ihre
leibliche Schweſter war/ bey der Mahlzeit/ und weil
ihr Mann damahl eben nicht gar wol auf/ war er zu
Hauß geblieben. Dieſe Frau/ Conſtantina genannt/
ſahe den Venereum alſobald mit verliebten Augen
an/ welches dieſer/ als der hierauf Wunder-wol ab-
gerichtet/ ſo gleich merckete/ dahero verfuͤgete er ſich/
nach gehaltener Mahlzeit/ zu ihr/ als wann er ſich in
einen Diſcurs mit ihr einlaſſen wolte. Gleichwie ſie
aber eine hitzige Dame, die bey ihrem kalten und alten
Kauffmann wenig Freude hatte. Alſo ward ſie mit
Venereo deß Handels halben bald richtig. Sie be-
ſchiede ihn auf die naͤchſt-folgende Nacht vor ihr
Hauß/ welches ihm ihre Bruͤder am Tag ſchon zei-
gen wuͤrden/ daſelbſt ſolte er/ nach genommener Ab-
rede/ einen ſeidenen Faden durchs Fenſter herab han-
gend finden. Hieran ſolte er ziehen/ und weil ſie ihn
an der groſſen Zaͤhen ihres Fuſſes im Bette veſt ge-
macht/ wolle ſie ihm dardurch ein Zeichen geben/ ob er
zu
[640]Deß Academiſchen
zu ihr kom̃en koͤnte/ oder nicht/ nemlich/ wuͤrde ſie den
Faden loß laſſen/ daß er ihn koͤnte zu ſich ziehen/ ſo
ſolle er nur ein wenig verziehen/ weil ſie bald bey ihm
ſeyn wolte/ inmaſſen ihr Mann alsdann ſchon einge-
ſchlaffen waͤre/ der auß dem erſten Schlaff nicht ſo
leicht erwachete. Hielte ſie aber den Faden an ſich/ ſo
koͤnne er zu dieſem mahl nur hingehen/ weil der Mañ
wachſam ſey. Hiermit ſchieden ſie von einander/ und
Venereus legete ſich am folgenden Tag/ wie hefftig
ſich auch die Edelleute darwider ſetzten/ in eine Her-
berge/ jedoch muſte er gegen den Mittag mit ihnen zu
der Conſtantina gehen/ da ſich dann der alte Geitz-
Halß/ ihr Mann/ ein wenig angreiffen/ und dieſe
Gaͤſte tractiren muſte. Bey dieſer Mahlzeit wincke-
ten die beyden Verliebten einander gantz unvermerckt
mit den Augen/ daß es nemlich bey der Abrede ſein
Verbleiben haben ſolle; Und weil der Mann ziem-
lich viel Weins eingenommen/ hoffeten ſie/ es werde
auf den Abend gut gehen.
Sie ſchieden endlich von einander/ und muſte
Venereus auf den Abend mit den vorigen Edelleuten
fpeiſen. Er gieng aber fuͤhzeitig nach ſeiner Herberge/
und um die beſtim̃te Stunde tratt er vor deß Kauff-
manns Hauß/ da er den Faden fand/ an welchem er
ſachtmuͤthig zog/ und weil derſelbe bald loßgelaſſen
ward/ faſſete er einen Muth/ und Hoffnung/ daß die
Conſtantina bald bey ihm ſeyn wuͤrde. Dieſe hatte ih-
re Magd nach ihrem Willen/ welche den Venereum
bald einließ/ und in ein kleines Zimmer fuͤhrete/ allwo
ſich die Dame in ihrem Schlaff-Kleid bey ihm einſtel-
lete/ und thaͤten ſie daſelbſt/ was ihnen wol gefiel/ dañ
Venereus wuſte von keiner andern Lebens-Art/ als
von dieſer. Endlich riethe ihnen die ſpaͤte Nacht/ wie-
der von einander zu gehen/ jedoch mit dem Verſpre-
chen/
[641]Romans II. Buch.
chen/ daß ſie in der folgenden Nacht auf die vorige
Weiſe wieder zu einander zu kommen verſprachen.
Venereus eylete nach ſeiner Herberge/ und legete ſich
ſchlaffen/ ruhete auch biß an den liechten Morgen/ da
ihn ſchon wieder nach der ſchoͤnen Conſtantina ver-
langete. Die 3. Bruͤder kamen zu ihm/ und fuhren
auf dem Boden-See ein wenig ſpatzieren mit ihm/
da ſie ſich mit Fiſchen ergoͤtzeten/ biß um die Mittags-
Stunde/ da er mit ihnen nach ihrem Hauß kehrete/
und wurden ſie von der alten Mutter trefflich bewir-
thet. Nach gehaltener Mahlzeit ritten ſie auf dem
Land ein wenig umher/ und als es Abend zu werden
begunte/ ſtellete ſich Venereus, als wann er Bauch-
Grimmen fuͤhlete/ ſchiede demnach von ihnen/ und
kehrete in ſeiner Herberge ein/ woſelbſt er eine gute
Abend-Mahlzeit zu ſich nahm. Und als nicht lange
hernach die benannte Stunde herbey kam/ guͤrtete er
einen guten Degen an/ den er ihm gekaufft hatte/ und
tratt nach deß Kauffmanns Hauß/ in Hoffnung/
abermahl eine luſtige Nacht mit der Conſtantina zu
haben.
Es hatte ſich aber allhier etwas ſonderliches be-
geben. Dann/ als der Alte bey ſeiner Frauen zu ligen
kommt/ trug es ſich zu/ daß dieſe/ weil ſie in der ver-
wichenen Nacht nicht viel geſchlaffen/ alſobald in ei-
nen tieffen Schlaff verfiel. Jndem ſich nun ihr Mann
im Bette herum wirfft/ verwickelt er den einen Fuß
in dem ſeydenen Faden/ er greiffet darnach/ und mer-
cket/ daß er an der Frauen groſſen Zaͤhen veſt gebun-
den. Er ſtehet ſanfft von ihr auf/ und ſiehet/ daß der
Faden durchs Fenſter hinab auf die Straſſen haͤn-
get/ dencket demnach alſobald/ es ſey nicht richtig/ le-
get ſich wieder zu ihr/ und nachdem er den Faden von
ihr abgeloͤſet/ bindet er ihn an ſeinen Fuß. Kaum hatte
S ser ſich
[642]Deß Academiſchen
er ſich alſo eingerichtet/ da ziehet Venereus daran/ und
weil er nicht veſt angebunden/ gehet er loß/ und macht
dem geilen Jtaliaͤner Hoffnung/ daß die Conſtantina
bald bey ihm ſeyn werde. Aber Statt ihrer ſtuͤrmet
der Kauffmann mit einem langen Degen in heffti-
gem Zorn zu ihm herauß. Venereus vermercket alſo-
bald/ daß die Karte falſch/ zucket ſein Wehr/ und de-
fendiret ſich gegen den Anſpringer/ ſo gut er kan.
Hieruͤber erhebet ſich ein Tumult in der Straſſen/
daß alle Leute auß den Betten lauffen/ zu ſehen/ was
da zu thun ſey. Jndem aber der Kauffmann den Ve-
nereum, den er im Tunckeln nicht erkennen kunte/ ver-
folgete/ wird die Frau Conſtantina von ihrer Magd
aufgewecket/ welche ihr erzehlet/ was paſſiret ſey. Der
Frauen iſt nicht wol bey der Sachen/ ſtehet behende
auf/ leget ihre Kleider an/ und gedencket deß Mannes
Grimm durch eine behende Liſt von ihr abzuwenden.
Sie verſpricht der Magd guͤldene Berge/ und allen
Schaden gut zu thun/ nur daß ſie ſich an ihrer Stelle
ins Bett legete/ und gedultig außhielte/ was der
Mann etwa mit ihr vornehmen moͤchte. Die Magd
liebete ihre Frau/ folget ihr alſo/ und als ſie ſich nie-
der geleget/ gehet die Frau in ein ander Gemach.
Gleich darauf kommet der raſende Kauffmann wie-
der ins Hauß herein geſtuͤrmet/ nachdem ihm Vene-
reus entwiſcher/ und verfuͤget ſich gerades Weges in
ſeine Schlaff-Kammer: Haha! ſprach er/ haſt du/
du Hure/ darum das Liecht außgethan/ damit dar-
durch deine Schande nicht offenbahr werde! Harre/
du ſolt mir wol beſſer beichten/ als deinem Geiſt-
lichen Beicht-Vatter. Hiermit greiffet er nach der
Magd/ und meynet/ er habe die Frau vor ſich/ ſchlaͤget
ſie braun und blau/ daß keine geſunde Stelle an ihrem
Leibe/ am allerwenigſten aber an ihrem Geſichte. Die
Magd
[643]Romans II. Buch.
Magd haͤlt gedultig auß/ und ſaget kein Wort darzu.
Endlich aber reiſſet ihr der Kauffmann die Haube
vom Kopff/ langet auß der Taſchen eine Scheere her-
fuͤr/ und ſchneidet ihr die meiſten Haare im Tunckeln
vom Kopff hinweg. Hernach gibt er ihr noch etliche
gute Maulſchellen/ und gehet darmit zum Hauß hin-
auß. Er eylet aber zuforderſt nach ihrer Mutter Be-
hauſung/ und klopffet ſo lange und ungeſtuͤmmig lich/
biß man ihm aufthut/ da er dann auf ſeine Frau gar
greulich ſchmaͤhlet/ und ſie fuͤr die leichtfertigſte Ehe-
brecherin außſchilt. Er erzehlet darneben den gantzen
Handel/ zeiget ihnen die Haare/ die er ihr abgeſchnit-
ten/ und bedeutet ihnen/ wie er ſie zerſchlagen/ daß ſie
keinem Menſchen aͤhnlich ſey. Bittet endlich/ ihre
Bruͤder moͤchten mit ihm kommen/ und die Schand-
Vettel ſelber anſchauen. Sie auch wieder zu ſich neh-
men/ inmaſſen er ihrer weiter nicht begehre/ ſondern
von ihr wolle geſchieden ſeyn/ und hinfuͤhro einſam
leben.
Die Bruͤder faſſen gleich hierauß einen groſſen
Grimm auf ihre Schweſter/ als wordurch ihr gan-
tzer Adelicher Stamm beſchmitzet werde/ bewaffnen
ſich/ und wollen mit dem Schwager gehen. Die
Mutter aber weinet/ und ſaget: Jhr lieben Soͤhne/
vernehmet zuvor eurer Schweſter Rede/ vielleicht iſt
ihr der Mann um einer andern Urſache willen gehaͤſ-
ſig worden/ und brauchet ſein Fuͤrwenden nur zu ei-
nem Deckel. Sie verſprechen ſolches zu thun/ und ge-
hen alſo mit einander hin/ die alte Mutter kleidet
ſich unterdeſſen an/ und folget ſachte nach. Mittler
Zeit hatte ſich die Magd auf die Seite gemacht/ und
verſtecket/ die Conſtantina aber hatte ſich in ihr klei-
nes Kaͤmmerlein in ihren taͤglichen Kleidern geſetzet/
da ſie ein Gewebe fuͤr ſich genommen/ daran ſie arbei-
S ſ 2tete.
[644]Deß Academiſchen
tete. Wie nun der Mann/ mit ihren Bruͤdern/ ſo
Blut-durſtig anklopffen/ gehet ſie mit dem Liecht hin/
machet ihnen auf/ und verwundert ſich uͤber ihre
greßliche Antlitze/ ſagend: Mit wem habt ihr es zu
thun gehabt/ ihr lieben Kinder/ iſt euch etwas Leydes
widerfahren/ kommet herein/ ich wil euch ein Schreck-
Pulver eingeben. Die Bruͤder ſehen ihre Schweſter
gantz unverſtoͤret/ und/ daß man nicht das Geringſte
von Schlaͤgen an ihr mercket/ wiſſen demnach nicht/
wie ſie mit ihr und ihrem Mann daran ſeyn. Die-
ſer hingegen ſchilt ſie fuͤr eine leichtfertige Ehebreche-
rin/ und gibt ihr ſehr unnuͤtze Worte/ worauf ſie
freundlich lachet/ ſagend: Mein lieber Mann/ ihr
ſeyd jetzo/ welches euch leyder! nichts Neues/ wol
bezecht/ leget euch nur ſchlaffen/ ihr wiſſet nicht/ was
auß eurem Munde gehet. Jndem kommet ihre Mut-
ter auch herein getretten/ darauf faͤhret der Mann
abermahl auf/ haͤlt ihr die Sache mit dem Faden und
dem beſchiedenen Kerl vor/ erinnert ſie auch/ ob ſie
nicht gute Schlaͤge von ihm bekommen haͤtte? Die
Frau verwundert ſich/ und ſpricht: Ach Himmel!
mein Mann iſt nicht mehr bey Sinnen/ ſolte er mich
wol mit Schlaͤgen duͤrffen tractiren? Ey ſo muͤſte
ich keinen Adelichen Bluts-Tropffen mehr in mei-
nem Leibe haben. Jch fuͤrchte/ ihr wuͤrdet bald unter
die Fuͤſſe geworffen werden. Die Mutter zoͤrnet hier-
auf uͤber den Kauffmann/ und ſagt: Was habt ihr
uns dann fuͤr einen blinden Laͤrmen gemacht? Jch
weiß wol/ wie ich meine Tochter in aller Zucht erzo-
gen habe. Der Kauffmann ſtunde/ als ein Erſtarreter/
daß er keine Schlaͤge an ſeiner Frauen ſehen kunte/
er langete aber die Haare auß der Taſchen herfuͤr/
und ſprach: Du boͤſes Weib/ habe ich dir nicht dieſe
Haare zum Kennzeichen abgeſchnitten? Die Con-
ſtanti-
[645]Romans II. Buch.
ſtantina nahm ihre Hauben vom Kopff/ flochte ihre
Zoͤpffe auf/ und ſprach: Mann/ an welcher Stelle
habt ihr mir wol die Haare abgeſchnitten? Als man
nun auch dieſes falſch befand/ da band die Frau recht-
ſchaffen loß: So ſeyd ihr ein Kerl/ ſprach ſie/ ihr
habt mir lange gnug nachgegangen/ biß ich mich
eurem Willen er geben habe/ da ich ſonſten wol einen
fuͤr nehmen Grafen haͤtte zum Gemahl bekommen
koͤnnen/ jetzo/ da ich euch nicht mehr gefalle/ gehet ihr
allen Abend in die Huren-Haͤuſer/ und habt darinn
eure Poſſen/ da ich inzwiſchen zu Hauſe ſitze/ und
euer manchmahl biß nach Mitternacht warte; Jch
habe meine Magd ſchon vor 2. Stunden außge-
ſandt/ euch zu ſuchen/ und ſie iſt noch nicht wieder kom-
men/ wer weiß/ was ihr fuͤr ein Unfall begegnet iſt.
Jnzwiſchen ſitze ich in meinem Kaͤmmerlein gantz
allein/ und bin betruͤbt/ daß mich das Ungluͤck ſo uͤbel
hat angefuͤhret.
Als der Mann ſeine Frau alſo reden hoͤrete/ waͤ-
re er faſt naͤrriſch worden/ er wuſte kein Wort zu
reden/ und ſtunde da/ als ein Erſtarrcter/ aber die drey
Jungen von Adel warffen ihn darnieder/ und pruͤ-
gelten ihn rechtſchaffen ab/ weil er ihre Schweſter
ohne einzige Urſache alſo verleumdet hatte/ darauf
giengen ſie mit der Mutter wieder nach ihrem Hauß/
und bedroheten ihn/ dafern ihre Schweſter noch ein-
mahl uͤber ihn klagen wuͤrde/ wolten ſie ſchon ſchaͤrf-
fere Mittel wider ihn zur Hand zu nehmen wiſſen.
Hiermit hatte die Comœdie ein Ende/ und der Mann
legete ſich mit ſeiner Frauen ſchlaffen/ verwunderte
ſich auch/ daß das Bette friſch aufgemacht war/ da-
hero er ſelber auf die Gedancken kam/ er ſey truncken/
oder es habe ihm getraumet. Am folgenden Mittag
ward Venereus und die Conſtantina bey ihrer Mutter
S ſ 3zum
[646]Deß Academiſchen
zum Eſſen genoͤthiget/ allwo dieſe ihm alles Haar-
kltin erzehlete/ wie ſie ſich auß ihres eyfferigen Man-
nes Klauen loß gewuͤrcket/ welche Spitzfuͤndigkeit
der Jtaliaͤner bey einem Teutſchen Weibes-Bild
nimmermehr geſucht haͤtte. Uber der Mahlzeit for-
ſchete die Adeliche alte Mutter/ worauf ſich Venereus
legete/ und warum er alſo in der Fremde herum wal-
lete? Er gab zu verſtehen/ daß er ein Muſen-Kind/
welches die Wiſſenſchafften und freyen Kuͤnſte/ als
die in aller Welt hoch geachtet wuͤrden/ auf den Uni-
verſitaͤten ſuchete; Forſchete auch hingegen/ warum
ſie keinen von ihren dreyen wackern Soͤhnen haͤtte
ſtudiren laſſen? Sie antwortete ihm/ daß ſie ihre
Kinder allzulieb darzu haͤtte/ daß ſie ſolche in abgele-
gene Oerter haͤtte ſenden ſollen. Als ihr aber Vene-
reus entgegen hielte/ daß man allenthalben redliche
Leute finde/ die ſich fremder Kinder von Hertzen wuͤr-
den annehmen/ da ſchuͤttelte ſie den Kopff/ und ſagte:
Mein Herꝛ/ ich kan der jenigen Geſchicht nimmer-
mehr vergeſſen/ welche ſich mit einem Knaben in
Preuſſen zugetragen/ dahin er von ſeinen Eltern auch
Studirens halben geſchickt/ aber bald hernach verloh-
ren/ und erſt nach etlichen Jahren wieder gefunden
worden. Weil nun Venereus hiervon gern ein Meh-
rers gewuſt haͤtte/ erzehlete ihm die Adeliche Mutter
folgende nachdenckliche Geſchicht/ ſo ſie in Caſp.
Hennebergers Preußniſcher Land-Tafel/ pag. 225.
geleſen hatte.
Das X. Capitul/
Eine nachdenckliche Geſchicht von einem verlohrnen Schuͤ-
ler/ der endlich wieder gefunden iſt. Exempel etlicher beruͤhmten
Maͤnner/ die von ihnen ſelber gelehrt worden.
ES wohnete/ ſprach ſie/ unter dem Hertzogen von Cur-
land zu Duͤrben ein reicher Pfarꝛ-Herꝛ/ mit Namen
Johannes Dimler/ der hatte einen Sohn/ von etwa
16. Jah-
[647]Romans II. Buch.
16. Jahren/ auch Johannes genannt; Dieſen hat er Anno 1573.
nach Koͤnigsberg einem fuͤrnebmen Mann/ Namens Chriſto-
phorus Ungermann/ weicher der Univerſitaͤt in die 30. Jahr fuͤr
einen Secretarium gedienet/ an die Koſt gedinget/ daß er ihn zur
Schule und fleiſſigem Studiren halten ſolle. Dieſen Knaben
hat erſagter Ungermann zu allem Guten angewieſen. Als er
nun ins andere Jahr an ſeinem Tiſch geweſen/ iſt das Buͤrſchgen
etwas muthwillig worden/ und da ihn die Herren Præceptores
nach ſeinem Verdienſt gezuͤchtiget und ſcharff gehalten/ iſt er
unterweilen hinter die Schule gangen/ endlich ſeinen Starꝛ-
Kopff auf geſetzet/ und darvon gelauffen. Solches iſt geſchehen
den 10. Julii 1575.
Weil der Knab auß dem Hauß ward vermiſſet/ und die
guten Leute/ wo er ſeyn moͤchte/ ſich bekuͤmmert/ (dann er/ wie
er war gewohnet/ ſich in etlichen Tagen nicht wieder eingeſtellet/)
ſchrieb Ungermann an ſeinen Vatter/ daß der Sohn entlauffen/
und wie ihm Nachricht worden/ gar darvon gegangen/ dann er
von ſeinem Hauß-Volck ſo viel verſtanden/ daß er 2. Hemder
uͤber einander gezogen haͤtte/ und ſo fortgeſchlendert.
Der Vatter ſchreibet in Antwort/ er hoffe ja nicht/ daß er
wuͤrde gar auſſen bleiben/ und nicht wieder kommen.
Da es ſich nun etwas verzogen/ daß der entlauffene Pfleg-
Sohn nicht wieder kommen/ laͤſſet der Pfarrer durch ſeinen
Schwager/ einen Edelmann/ der deß Pfarrern Weibes Schwe-
ſter hatte/ Barthel von Hohenhuſen zugenannt/ einen Kuͤrſch-
ner/ der geraume Zeit in deß Ungermanns Hauß war auß- und
eingangen/ und ſein Gevatter geweſen/ zu ſich in Curland holen/
bey demſelben zu erkundigen/ wo der Knab doch geblieben?
Dieſer Kuͤrſchner hat ſich ſonſten allwege fuͤr einen Schwartz-
Kuͤnſtler und Schatz-Graͤber außgegeben/ und hat dem Edel-
mann geſaget/ der Knab ſey bereit todt; Dann es haͤtte der
Kuͤchenmeiſter/ Matthaͤus Reutel/ welcher dazumahl/ da der
Knab weggekommen/ auch bey dem Ungermann zur Herberge
geweſen/ aber ſeiner Mißhandlung wegen folgender Zeit mit
dem Strang hingerichtet worden/ ihm die Koͤhle abgeſtochen/
und den Coͤrper ins Secret geworffen/ er laͤge auch nicht gar
tieff/ weil der Schacht enge/ daß man ihm faſt an die Fuͤſſe greif-
fen koͤnte. Dieſe Außſage hat der Kuͤrſchner in Beyweſen vieler
von Adel gethan/ derowegen ſolche der Pfarrer zu Papier brin-
gen/ und mit der Edel-Leute/ die deß Kuͤrſchners Außſage ange-
hoͤret/ auf gedrucktem Pettſchafft beglaubigen laſſen. Daruͤber
S s 4iſt
[648]Deß Academiſchen
iſt der Pfarrer Johannes Duͤmler bald nach Koͤnigsberg gezo-
gen/ und den Ungermann beſprochen/ wie ein Mord in ſeinem
Hauß von dem Kuͤchenmeiſter an ſeinem Sohn geſchehen waͤ-
re/ welcher noch in dem Secret ſtecken ſolte/ maſſen ihm das der
Kuͤrſchner geſaget. Solches hat den Ungermann befftig ge-
ſchmertzet daß ſein Hauß fuͤr eine Mord-Gruben außgeſchryen
wurde, Hat derowegen zu dem Kuͤrſchner/ deſſen Namen
Matthaͤus Hecht/ geſchickt/ (dann er zu Koͤnigsberg dazumahl
auf dem Steinthamm gewohnet) und ihn hieruͤber hoͤren wol-
len. Als er ankommen/ und Herꝛ Ungermann ihm ſeine Be-
ſchuldigung in Gegenwart deß Pfarrern und noch anderer gu-
ten Leute vorgehalten/ und warum er ſolche Luͤgen auß zuſpren-
gen ſich erkuͤhnet/ ernſtlich befraget/ hat er geantwortet: Es
ſey ihm durch ein Geſicht im Traum offenbaret worden/ (dann
er ſeine Luͤgen nun mit Traͤumen und Spiegelſehen hat beſchoͤ-
nen muͤſſen/) worauf man bald nach dem Scharffrichter/ Mei-
ſter Petern/ zu Koͤnigsberg geſchickt/ und in Beyſeyn glaub-
wuͤrdiger Leute/ das Secret eroͤffnet. Dieweil aber nichts darinn
gefunden worden/ (ſintemahl es gantz enge/ und ſo klein/ daß
auch nicht ein maͤſſiger Hund dardurch moͤchte zu Boden ge-
bracht werden/) auch der Pfarrer ſelbſt geſehen/ daß er von dem
Kuͤrſchner betrogen/ hat er gebeten/ Ungermann wolte ihn ſei-
ner Luͤgen halben/ die er uͤber ſein Hauß ſo freventlich außge-
ſprenget/ ſtraffen laſſen. Hiermit hat Herꝛ Ungermann von
Stund an nach den Stadt-Dienern geſchickt/ weil aber der
Kuͤrſchner diß vermercket/ hat er Reiß-auß genommen/ und
ſich etliche Zeit der Stadt geaͤuſſert/ der Pfarrer aber gebetten/
daß der Ungermann ihn gleichwol zu Recht verfolgen wolte.
Welches er ihm zugeſaget/ auch darbey ein Zettelein/ daß er
ſolches wolte thun/ damit er es ſeiner Ehe-Frauen in Curland
zeigen koͤnte/ daruͤber zuſtellen muͤſſen. Dargegen er/ der Pfar-
rer/ dem Ungermann zugeſaget/ daß er ferner gegen ihn nichts
fechten noch ſuchen wolte/ damit iſt er von ihm gar friedlich ab-
geſchieden. Nachdem der Kuͤrſchner bald darauf ſich wieder
nach Koͤnigsberg eingefunden/ hat ihn Ungermann alſobald zu
Hof angeklaget/ woruͤber er auch eingezogen und zu gefaͤng-
licher Hafft gebracht worden. Jndem aber Ungermann an
das hobe peinliche Halß-Gericht gewieſen/ hat ſich der Kuͤrſch-
ner an das elende Recht begeben und beruffen/ worauf ihm
bald ein Procurator, Namens Lucas Gabriel/ zugeordnet
worden.
Hiermit
[649]Romans II. Buch.
Hiermit hat er wiederum aufs Neue/ was er vormahls
batte geleugnet/ ſich unterftanden vor zubringen/ und nicht allein
den Unger mann/ ſondern auch ſein Hauß-Geſind anzuklagen
und zu beſchuldigen/ vorgebend/ der Knab ſey gleichwol in dem
Secret geweſen/ der Scharffrichter aber/ Meiſter Peter/ habe
ihn im Keller durch die Mauer herauß gehauen/ den Coͤrper in
ein Faß verſpuͤndet/ und in die See fuͤhren laſſen/ worauf er
gleichfalls gefaͤnglich eingezogen worden. Wie nun Herꝛ Unger-
mann den Kuͤrſchner nochmahlen Schrifft-und Peinlich ange-
klaget/ hat ſich dieſer excipiendo umgewandt/ und iſt ex Reo
Actor worden/ alſo/ daß er deſto hefftiger den Ungermann deß
Meuchel-Mords zu uͤberfuͤbren angefangen/ hat auch ſein
Procurator das Feuer alſo aufgeblaſen/ daß die E. Gerichten
ihm in ſeinen Munde ſehend/ auf inſtaͤndiges Anhalten den gu-
ten Ungermann und alle ſeine Hauß-Genoſſen/ bald nach Ver-
leſung deß Kuͤrſchners Exception in gleiche Verhafftung mit
dem Kuͤrſchner condemnirt.
Da nun Ungermann alſo vor Gericht gefaͤnglich ange-
nommen/ und es an dem war/ daß auch ſeine Hauß-Frau/ ihr
Schweſterchen und Bruͤderchen/ ſo wol der Knecht und Magd/
auf Jnſtaͤndigkeit deß Lucas Gabriels ſolten aufs Fuͤrftliche
Hauß zu Verhafft gefuͤhret werden/ nahmen ſie ihre Zuflucht
ins Collegium, und wiewol die Herren Profeſſores viel zu Hof
darbey thaͤten/ daß ſie der Academiſchen Freyheit und deroſelben
Privilegien Schutzes genieſſen moͤchten/ dannoch war Maͤnnig-
lich mit dem vermeynten Meuchel-Mord ſo eingenommen/ daß
ſie nichts erhalten/ ſondern es ſolten und muſten die Perſonen
ſich zur Verhafftung hinauf ſtellen/ als in einer wichtigſten
Criminal-Sache. Haben alſo Knecht und Magd mit Vorwiſ-
ſen der Univerſitaͤt ſich freywillig droben eingeſtellet/ die Unger-
maͤnniſche aber/ als damahls ſehr ſchwach/ iſt mit ihrem Schwe-
ſter- und Bruͤderchen/ als unmuͤndigen Kindern/ darinnen
verblieben.
Als nun der Pfarrer in Curland ſolches vernommen/ iſt er
alſobald nach Koͤnigsberg gelanget/ und hat dem Kuͤrſchner/ zu
Verfolgung deß Ungermanns/ wider ſein Wort und Zuſage/
den Hof-Caplan, Johann Wernern/ zugeordnet/ an welchen
er geſchrieben/ daß er moͤchte Fleiß anwenden/ damit nur aufs
wenigſte der Knecht und die Magd auf die Pein-Banck ge-
bracht wuͤrden. Auch nahm er noch einen Procurator an/ mit
Namen/ Hanß Braun/ welcher ihm gar fleiſſig hat gedienet/
S ſ 5und
[650]Deß Academiſchen
und allerhand ſalſche Zeugen auf geſuchet/ da ſich dann etliche/
die mit deß Ungermanns Leuten in gutem Vernehmen geweſen/
ſich herfuͤr gethan/ wie man noch dergleichen Leute findet/ und
ſich gebrauchen laſſen.
Dann erſtlich hat Jacob Gettermann/ ein Heerpaucker/
außgeſaget/ und gezeuget/ er haͤtte das Blut in der Kammer auf
den Steinen eines Tiſches-breit geſehen/ welches ſich nicht wolte
abwaſchen laſſen/ und was der Luͤgen mehr geweſen.
Zum Andern/ eine Seiffenſiederin/ auf dem Steintham̃/
die B [...]abliſche genannt/ hat gezeuget/ daß ſie die beblutete Klei-
der/ welche der Junge/ als er umgebracht/ angehabt/ geſehen/
auch haͤtte er ſolches die Magd vertrauet/ woruͤber dann die
Magd in aͤuſſerſte Noth kommen/ unangeſehen/ daß ſie es nicht
geredet/ wie es wird der Außgang geben/ iſt derowegen/ ob ſie
zwar unſchuldig/ gleichwol gefaͤnglich gehalten worden.
Drittens/ hat ſich der Hof-Caplan, M. Joh. Wernerus,
herfuͤr gethan/ und hat auf ſich ſeinen Adjunctum Procuratorem
articuliren und oͤffentlich ableſen laſſen/ daß der Junge waͤre
umgebracht/ dann der Kuͤchenmeiſter haͤtte ihm ſolches in der
Beicht bekandt.
Als er nun zu ſolchem Zeugnuͤß erfordert/ und auf das
Hoͤchſte vermahyet worden/ er ſolte die Warheit ſagen/ wie er
es fuͤr GOtt zu verantworten getrauete; Da vexirte er bey de
Partheyen/ und ſtellet zurecht/ daß er auß der Beicht zu ſchwaͤ-
tzen nicht ſchuldig/ aggravirte allein den Ungermann mit denen
abgeleſenen Articulariis bey dem Richter und gemeinen Mann/
daß Maͤnniglich gedencken muſte/ wann der Mann nur reden
moͤchte/ wurde es wol herauß kommen.
Ob nun wol im Gegentheil Herꝛ Ungermann viel ehrliche
Leute zu Zeugen gehabt/ die den Jungen lebendig auß dem
Hauß haben gehen ſehen/ ſo hat es dannoch nichts geholffen.
Endlich hat der oberſte/ allgewaltige Gerichts-Herꝛ der Obrig-
keit Hertz und Gemuͤth dahin gelencket/ daß ſie den guten Unger-
mann der hohen Criminal-Bezuͤchtigung/ (weil ſie nicht zur
Gnuͤge erwieſen/) loß erkannt/ wiewol nur ab inſtantiâ, daß er
auf interim auf freyen Fuß geſtellet worden/ weil er ſich viel-
faͤltig obligiret/ dem Pfarrern zu Duͤrben ſeinen verlohrnen
Sohn wiederum herbey zu ſchaffen. Folget nun das Ende
und Außgang.
Nachdem gantzer ſieben Jahr der gute Ungermann mit
ſeiner lieben Ehe-Frauen und gantzem Hauß-Volck allen Be-
drang/
[651]Romans II. Buch.
drang/ Schmach und Widerwaͤrtigkeit deß verlohrnen Knabens
balber auß geſtanden und er[l]itten/ iſt durch GOttes ſonderbare
Schickung ihr gekraͤncktes Recht und Unſchuld auf nachfolgen-
de Weiſe und Schickung wunderlich an Tag kommen: Es hat
der Menſch bey einer Wittwen/ nicht weit von Koͤnigsberg/ zu
Simon Pohl im Hof/ da er gedienet/ einen Vers an das Fenſter
geſchrieben/ welchen der Pfarrer von Perßken geleſen hat/ und
gefraget: Wer das geſchrieben? Die Baͤuerin ſaget: Jhr
Knecht haͤtte es gethan. Der Pfarrer wundert ſich/ und laͤſſet
ihn darkommen/ fraget und forſchet in der Guͤte/ wer/ und wo-
her er ſey? Dem bekennet er/ daß er eben derſelbige Knab ſey/
um welches willen der Ungermann und ſeine Hauß-Frau Zeit-
hero in ſolcher Noth geweſen. Daruͤber iſt der Pfarrer beſtuͤrtzt
worden/ und hat es lautbar gemacht/ daß es Ungermañ alsbald
erfahren/ welcher das Buͤrſchgen durch einen Schotten/ Tho-
mas Guttri, bey noch ſchlaffender Zeit/ mit einem Schreiben vom
Herꝛn Hauptmann zu Brandenvurg/ unter welchem Amt das
Dorff gelegen iſt/ von dannen laſſen abholen/ und nach Koͤnigs-
berg bringen/ welches geſchehen den 28. Auguſti, deß Jabrs 1582.
So bald es in Koͤnigsberg ruchtbar worden/ wie das verlohrne
Kind wieder ankommen/ iſt Wunders wegen von der Stadt ſo
ein Wallen zu deß Ungermanns Hauß geweſen/ daß er in den
dritten Tag vor der Menge deß Volcks in ſeiner Stuben vom
Morgen biß auf den Abend nicht mit Frieden eſſen koͤnnen/ noch
ſonſten etwas thun/ und ſeines Dings abwarten/ derowegen er
ihn/ um Ruhe zu gewinnen/ ins Collegium bringen laſſen.
Unter andern Argumenten/ wormit der angegebene Meu-
chel-Mord beſcheinet/ und von dem Vatter/ als auch deſſen An-
walden geſchmuͤcket worden/ iſt dieſes der Fuͤrnehmſten eines
geweſen/ auß der Vernunfft hergenommen/ nemlich/ es wuͤſte ja
der Jung/ welch einen reichen Vatter er haͤtte/ wer koͤnte und
ſolte wol glauben/ daß er ſich im Elend fuͤhlen/ und bey fremden
Leuten in aller Unluſt weltzen wuͤrde?
Es hat aber der Juͤngling von der Zeit an ſeiner Ver-
miſſung/ allwege unter den Bauern hin und wieder gedienet/
ſich mit einem andern Namen/ Hanß Funck/ genennet/ hat ge-
pfluͤget/ geſaͤet/ gerodet/ Hexel geſchnitten/ ja was ein Dienſt-
Knecht bey dem Bauern thun muß/ alles verrichtet. Jſt auch
oſſtmahls mit Getraͤyd nach der Stadt gefahren/ bey dem Ge-
richts-Haͤußlein unterweilen angehoͤret/ wann man den Unger-
mann fuͤrgehabt/ iſt aber ſolcher Geſtalt verbauert geweſen/
daß
[652]Deß Academiſchen
daß man ihn nicht erkennen moͤgen. Item, er hat bekennet/ daß
er deß Ungermanns Hauß-Frauen einmahl/ wie ſie auß dem
Collegio kommen/ begegnet ſey/ bald aber auf die Seiten ſich in
eine andere Gaſſen abgeſchlagen habe.
Es hat ſich auch mittler Weile/ als er ſich ſo verheelet/ ein
Jung gefunden/ der ſich in Curland bey ſeinem Vatter an
ſeiner Statt fuͤr ſeinen Sohn angegeben/ welcher/ nachdem er
auf der Luͤgen betroffen/ ſein Leben darob gelaſſen und enthaup-
tet worden.
Als nun der Ungermann den Geſellen ins Collegium ge-
bracht/ und wol verwahret gehalten/ der Meynung/ ſich an ihm/
ſeiner Schmach/ erlittenen Schadens/ und auf gewandter Un-
koſten zu erholen/ wie er von GOttes und deß Rechts wegen
gar wol dar zu befuget/ ſo hat er dem Pfarrer ſolches zu wiſſen
gethan/ daß ſein verlohrner Sohn wieder an den Tag kommen/
welcher unverzuͤglich ſeinem Schwager/ den vorgedachten Edel-
mann von Hohenhuſen/ ſo wol deſſen Ehe-Frau/ welche deß Ent-
lauffenen Mutter Schweſter war/ nach Koͤnigsberg geſchickt/
daß dieſelbige ſehen ſolten/ ob es der rechtſchuldige Geſell waͤre.
Weil er aber von ihnen bald erkandt worden/ hat ihn Unger-
mann auf Interceſſion guter Leute gegen 800. Guͤlden loßgege-
ben und ihnen folgen laſſen. Solches iſt geſchehen den 24. O cto-
bris deß Jahrs 1582. und iſt alſo nach Curland zu ſeinem Vat-
ter geraͤyſet/ daſelbſt er ſich bald das Jahr hernach mit einer
vornehmen von Adel deß Landes hat beweibet/ und ſich haͤußlich
nieder gelaſſen.
Als die Adeliche Frau ihrer Erzehlung hiermit
ein Ende machte/ ſprach Venereus, daß dieſes einzige
Exempel nicht capabel waͤre/ alle Eltern darvon ab-
zuſchrecken/ daß ſie ihre Kinder nicht an fremde Orte
ſenden ſolten/ etwas Rechtſchaffenes zu lernen/ weil
er aber merckete/ daß den Edelleuten dieſes ein ver-
drießlicher Diſcurs werden wolte/ ſchwieg er ſtill dar-
von. Jnzwiſchen gab die alte Mutter gnugſam zu er-
kennen/ daß ſie in ihrer Jugend ſich mit Leſung feiner
Buͤcher und Seribenten groͤſten Theils beluſtiget/ in-
maſſen ſie ſagte/ daß man ehemahlen Leute gehabt/ die
man zwar nicht zur Schulen gehalten/ und gleichwol
geſchickte
[653]Romans II. Buch.
geſchickte und hochgelehrte Leute von ihnen ſelber ge-
worden waͤren. Venereus kunte ſolches nicht glauben/
Es kam aber in demſelben Augenblick ein alter Geiſt-
licher/ der allhier wol bekandt/ und ſehr gelitten war/
here in getretten/ welcher ohne einige Ceremonien ſich
mit an den Tiſch ſetzete/ und nach ihrem Diſcurs for-
ſchete/ dem die Adeliche Frau deſſen Jnnhalt erzeh-
lete/ auch wie Venereus nicht glauben wolte/ daß man
Leute gefunden/ die von ihnen ſelber/ ohne Zuthun ei-
nes Lehrmeiſters/ zu hohen Wiſſenſchafften gelanget
waͤren. Hierauf wandte ſich der Geiſtliche zum Jta-
liaͤner/ und ſprach: Das laſſe ſich mein Herꝛ nicht
wundern/ daß man wol ehe Leute/ ſo genannte Auto-
didactos, oder ſelbſtgelehrte Maͤnner gehabt/ dann
daß die beruͤhmten Maͤnner Cujacius und Muretus
ohne Lehrmeiſter gelehrt worden/ das iſt/ von ſich ſel-
ber die Griechiſche und Lateiniſche Sprachen erler-
net/ auch in andern Kuͤnſten/ ſonder einige Handlei-
tung/ ſo weit kommen/ daß ſie vor andern/ welche von
Jugend auf den Schulen nachgezogen/ ein Welt-
kuͤndiges Lob erlanget/ Jener eines Rechts-Gelehr-
ten/ dieſer eines Oratoris, iſt uͤberal gnugſam bekandt.
Von Jenem ſagt Papyrius Maſſonius in ejus vita,
Cujacius ſeipſum in Græcis Latinisque politioribus
literis nullô docente erudiit. Von dieſem iſt zu leſen/
Andreas Schottus in vita Mureti: Muretus, ait, de ſe-
ipſo ſcribit, nullo ſe ad ullam artem, neque privatim,
neque publicè præceptore uſum fuiſſe, idque ſibi inve-
niſſe indomitâ quadam ingenii pervicaciâ, ut nullum
Doctorem triduum ferre poſſet. vid. ejus Orat. 1. Die
Urſache/ daß gelehrige Koͤpffe an etlichen Orten vor
andern gefunden werden/ achtet Janus Huartus in
Scrutinio pag. 684. ſeq. daß es ſey nicht allein die Maͤſ-
ſigkeit im Eſſen und Trincken/ ſondern auch ein guͤti-
ger Himmel. So lauten ſeine Worte:
Quod
[654]Deß Academiſchen
ſapientiam vel juvare poſſit, vel ei detrimento eſſe,
probat Abulenſis per hunc Scripturæ locum (Eccl. 2.
v. 3.) cogitavi in corde meo, abſtrahere à vino carnem
meam, ut animum meum transferam ad ſapientiam.
Quin etiam Ariſtotelem allegat in libris Phyſiogno-
miæ, ubi inquit, quod alterationes, quas corpus reci-
piat, \& ob rationem alimentorum, quibus homo veſca-
tur, \& ob temperamentum regionis, in qua degit, \& ob
reliquas cauſas, quæ corpus immutare ſolent, ad ani-
mam usque rationalem tranſeant. Atque ideò tradit,
cos homines, qui in terris oppidò calidis vivunt, ſa-
pientiores iis eſſe, qui regiones admodum frigidas in-
colunt. Ac Vegetius affirmat, illos, qui in quinto Cli-
mate degunt, uti ſunt Hiſpani, Itali, Græci, homines
eſſe \& inſigni ingenio præditos, \& valdè animoſos.’
Daß man aber auch bey ſchlechter Bauren-Koſt/
und unter einem kalten Himmel (wie von den Teut-
ſchen Cornelius Tacitus ſchreibet/ ſemper incubat Ger-
manis grave cœlum,) gleichwol ſolche Koͤpffe findet/
die ohne ſonderbare Unterweiſung in fremden Spra-
chen/ Artzney-und Stern-Kunſt hochgelehrt worden/
zeuget fuͤr andern Herꝛ Nicolaus Schmidt/ ſonſt
Kuͤntzel genannt/ ein Vogtlaͤnder/ von dem/ weilch ich
im Jahr Chriſti 1642. zum Hoff (als ein Schul-
Dienſt/ und bey Tit. Herꝛn Joh. Chriſtoff Haͤndeln/
damahligen Stadt-Vogt/ ich mich aufhielt/) mit
ihm bekandt worden/ hat auß ſeinem Curriculo Vitæ
Nachfolgendes zu melden nicht umgehen wollen. So
ſchreibet Herꝛ Valentinus Muͤller/ Diaconus zum Ge-
fell/ in der Leich-Predigt/ ſo er ihm gethan/ im Jahr
1671.
ES iſt Herꝛ Nicolaus Schmidt allhier zum Rothen-Acker im
Jahr Chriſti 1606. den 20. Jenner gebohren worden von
Chriſtlichen und ehrlichen Bauers-Leuten. Sein Vatter iſt
gewe
[655]Romans II. Buch.
geweſen Martin Schmidt/ Jnwohner zum Rothen-Acker/ die
Mutter Catharina Kaͤnnterin/ der Groß-Vatter/ vom Vatter/
hat geheiſſen/ Conrad Schmidt/ und wie an vielen Orten/ ſon-
derlich unter gemeinen Leuten/ der Gebrauch/ daß der Name
Conrad in kurtz verwandelt wird/ alſo iſt er/ da er noch ein Kind
geweſen/ Kuͤntzlein oder Kuͤntzel geneñet worden/ welcher Name
Kuͤntzel/ ihm nicht allein geblieben/ ſondern iſt auch/ (weil derer/
ſo den Zu-Namen Schmidt gehabt/ in gemeltem Rothen-Acker
viel geweſen/) ſeinen Nachkommen zu einem Bey-Namen er-
wachſen/ welches Bey-Namens auch der ſeelig verflorbene
Herꝛ Nicolaus ſich nicht geſchaͤmet/ ſondern denſelben ſeinem
Groß-Vatter zu Ehren offentlich gefuͤhret/ welcher auch von
ſeinen Kindern und Kinds-Kindern noch ſtaͤts wird in Acht
genommen.
Nun gemelte ſeine liebe Eltern haben ihn zwar zu Hauß
fleiſſig zum Gebet/ bevorab zu Erlernung deß H. Catechiſmi,
wie auch zu ſtaͤter Bauer-Arbeit angetrieben/ welchen er auch/
als ein gehorſames Kind gefolget. Aber zur Schule iſt er gar
nicht kommen/ (wegen continuirlicher Arbeit/ damit ſeine El-
tern beladen geweſen/) ob er ſchon groſſe Luſt und Begierde dar-
zu getragen. Sechszehen Jahr ſind vorbey geſtrichen/ da er
noch kein Wort leſen koͤnnen/ jedoch hat es der liebe GOTT ſo
wunderlich geſchickt/ daß er noch zu vielen Sprachen/ Kuͤnnen
und Wiſſenſchafften gelanget. Dann im Jahr 1622. da ſein
Vatter Seel. einen Jungen/ welcher ein wenig leſen koͤnnen/ ge-
habt/ hat er von demſelbigen das Teutſche A B C/ und etwas
Buchſtaben gelernet/ wiewol nun ſein Vatter damit nicht zu-
frieden geweſen/ indem er vermeynet/ der Sohn und Dienſt-
Jung verſaͤumten ihm ſeine Arbeit/ wann ſie uͤber dem Buch
legen/ ſo hat es doch der liebe GOTT gar Wunderlich geſchickt/
daß er zu ſeinem Gluͤck einen Schaden an dem einen Bein be-
kommen/ daß ihn alſo ſein Vatter nothwendig von der Arbeit
feyern laſſen muͤſſen/ und er alſo Gelegenheit bekommen/ ſein
A B C. Buch durchzulernen/ worinnen gedachter Jung ihn
unterrichtet. Nachdem hat er den Catechiſmum durch gemelten
Jungens Unterricht durchgebracht/ und in dem Evangelien-
Buͤchlein die 4. Advent-Sontage. Und weil ſein Lehrer ſelber
nicht recht leſen koͤnnen/ hat er in der Kirchen fleiſſig zugehoͤret/
wie der Pfarrer/ die ihm damahls ſchwere Woͤrter/ ſo in den
Epiſteln und Evangelien geſtanden/ außgeſprochen/ und alſo
hat er die Teutſch gedruckte Schrifft endlich voͤllig und recht ge-
lernet.
Anfangs
[656]Deß Academiſchen
Anfangs/ ehe er leſen koͤnnen, iſt diß nur ſein einiger Wunſch
geweſen/ den Teutſchen Druck zu lernen. Als ihm aber der liebe
GOTT hierinnen gewillf ahret/ hat er auch zu ſchreiben/ und
etwas weniges in der Lateiniſchen Sprach zu verſtehen begeh-
ret/ und auch hier zu hat GOtt Mittel gegeben/ daß ein Schrei-
ber/ als ſein Befreundter/ welcher ſich bißweilen bey ihm auf ge-
halten/ ihn nicht allein im Schreiben unterrichtet/ ſondern
auch etlicher Maſſen den Weg gezeiget/ wie er zur Lateiniſchen
Sprache kommen koͤnte. Welcher Lehre und Unterweiſung er
embſig gefolget/ und es auch ſo weit gebracht/ daß/ was er in
Lateiniſcher Sprach geleſen/ er etlicher Maſſen verſtehen/ und
ihm zu Nutz machen koͤnnen. Ferner hat er ihm durch Huͤlffe
der Lateiniſchen die Griechiſche/ Hebraͤiſche/ Chaldaͤiſche/ Syri-
ſche/ Arabiſche/ Æthiopiſche/ Abiſſmiſche/ Jndianiſche/ Armeni-
ſche/ Perſiſche/ Tuͤrckiſche/ und viel andere Sprachen mehr be-
kandt gemacht/ und je laͤnger je mehr Beliebung zu allerhand
fremden Schrifften und Sprachen gewonnen/ denenſelben mit
ernſtem Fleiß nach getrachtet/ ſo/ daß er in unterſchiedliche
Fuͤrſtliche und herꝛliche Bibliorecken Buͤcher geſchrieben/ in
welchen auf die dritthalbhundert/ und daruͤber/ Sprachen und
Schrifften enthalten/ welche Sprachen und Schrifften er auß
vielen beruͤhmten Bibliothecken hin und wieder mit groſſer
Muͤhe zuſammen gebracht/ maſſen er ſelber dargethan in ſei-
nem Calender A. 1655. Nebens dieſer Sprachen-Luſt hat er
auch Neigung bekommen zu der nutzlichen Artzney-Kunſt/ und
dieſer wegen ihm gute Buͤcher geſchaffet.
Letztlich hat ihn auch der ſchoͤn-geſtirnte Himmel zu der
edlen Stern-Kunſt angereitzet/ da er dann durch Huͤlffe guter
Buͤcher ſo weit kommen/ daß er nicht allein die Stern-Bilder/
ohne einiges Menſchen Handweiſung/ richtig hat kennen und
unterſcheiden lernen/ ſondern auch die Laͤuffe der Planeten ver-
ſtehen und berechnen koͤnnen. Als er in dem verderblichen
Kriegs-Weſen/ nebens andern Leuten auch um das Seinige
kommen/ hat er nichts mehr betauret/ als ſeine Hebraͤiſche und
Orientaliſche Buͤcher und Schrifften/ wie auch die Artzney-
Buͤcher/ derer uͤber 600. geweſen. Nachdem nun durch GOt-
tes Guͤte der liebe Friede wieder ins Land kommen/ und er ſich
wieder ein wenig erholet/ hat er auf Einrathen guter Freunde
angefangen Calender zu ſchreiben/ und den erſten auf das 1653.
Jahr zu Hof in Vogtland drucken laſſen/ die folgenden aber zu
Nuͤrnberg/ auch damit fortgefahren/ biß an ſein ſeel. Ende/ und
nicht
[657]Romans II. Buch.
nicht allein auf gegenwaͤrtige Zeit/ ſondern auch noch etliche
auf kuͤnfftige Jahre hinterlaſſen.
Solche Kuͤnſte und Wiſſenſchafften zu lernen hat er frey-
lich wenig Zeit und Gelegenheit gehabt. Dann von Jugend
an/ biß ohngefaͤhr in das 50. Jahr ſeines Alters/ hat er ſtaͤts der
Bauer-Arbeit mit Vieh-vuͤten/ Ackern/ Pfluͤgen/ Dreſchen/ und
dergleichen/ abwarten muͤſſen/ jedoch hat er unter ſolcher viel-
faͤltigen/ ſchweren/ muͤbſamen Arveit ſelvige erlernet. Die Liebe
zu Kuͤnſten und Wiſſenſchafften iſt bey ihm ſo groß geweſen/
daß er Tag und Nacht darnach getrachtet/ wo er geſtanden und
gegangen/ ſtaͤts ein Buch beylſich gefuͤhret/ und dar auß gelernet.
Auch uͤber dem Eſſen hat er nicht feyren koͤnnen/ ſintemahl er
Anfangs/ ehe er ein wenig Lufft oder Ruhe von der Arbeit be-
kommen/ immer ein Buch auf dem Tiſch neben ſich ligend ge-
habt/ darinnen er unter waͤhrendem Eſſen geleſen.
Wann er gedroſchen/ hat er ihm die fremden Orientaliſchen
Sprachen in der Scheune hin und wieder angeſchrieben/ und
unter waͤhrendem Dreſchen ſich in denſelbigen geuͤbet. Zu
Nachts/ wann andere Leute ihrer Ruhe gepfleget/ hat er ihm den
Schlaff abgebrochen/ und in guten Buͤchern geleſen/ und dar-
auß mancherley gute Wiſſenſchafften erlanget. Und ob er wol
wegen ſeiner von GOtt beſcherten hoben [G]aben von etlichen
Leuten geneidet/ auch wol gar/ ob ſolte er einen Spiritum familia-
rem haben beſchuldiget worden/ hat er es doch nicht groß geach-
tet/ ſondern alles mit Gedult vertragen/ und nebſt gebuͤhrender
Ableinung ſothane Verleumdung GOtt anheim geſteklet.
Mittels deſſen hat es ihm gleichwol an guten Goͤnnern
und hohen Befoͤrderern nicht ermangelt. Sintemahl er wegen
ſeiner Erudition nicht allein geliebet/ ſondern auch bey hohen
Haͤuptern/ als Chur-Fuͤrſten/ Fuͤrſten und Herren ruͤymlich[e]
Audientz gehabt/ auch mit ſtattlichen Verehrungen und Privi-
legien/ wie ſeine Schrifften außweiſen/ begnadet worden. Seine
erſte Raͤyſe iſt geweſen zu Jhrer Fuͤrſtl. Durcht zu Weymar/
da er in der Fuͤrſtl. Bibliotheck ſehr viel fremde Sprachen un[d]
Schrifften geſehen und abgeſchrieben. Hernach als er ſich in
Boͤhmen im Carls-Bad auf gehalten/ iſt er von dar an den
Fuͤrſtl. Hof gen Schlackawerda abgeholet worden/ woſelbſt er
ſtattliche Verehrungen bekommen. Ferner iſt er nach D[r]eßde[n]
kommen/ allda er in die Chur-Fuͤrſtl. Bibliotheck auf die dri [...]
halb hundert Sprachen und Schrifften geſchrieben/ auch [...]
Chur-Fuͤrſtl. Durchl. mit 60. Gulden an Geld und and [...]
Sachen mehr begnadet worden.
T tN[ach]
[658]Deß Academiſchen
Nach dieſem iſt er auch an den Hoch-Herꝛlichen Hof gen
Gera erfordert worden/ allda er auch in die Bibliotheck auf
dritthalb hundert Sprachen und Schrifften geſchrieben/ Jhro
Hoch-Herꝛl. Gnaden aber haben ihn/ nebens andern Beſchen-
ckungen/ gnaͤdiglich der Steuer befreyet/ ꝛc. Jſt an ſeinem
Geburts-Ort Rothen-Acker den 26. Junii zwiſchen 5. und 6. Uhr
im Jahr Chriſti 1671. ſeelig verſchieden. Seines Alters 65. Jahr/
22. Wochen/ 3. Tage.
Das XI. Capitul/
Unvernuͤnfftige Thiere koͤnnen den Menſchen zum Unterricht
dienen. Seltzame Rechts-Fragen. Ein ſchoͤner Diſcurs vom Ge-
daͤchtnuͤß deß Menſchen.
VEnereus muſte anjetzo bekennen/ daß dieſes ein
rares Exempel ſey/ dergleichen man in der
Welt wol ſehr wenig wuͤrde gefunden haben.
Jch glaube vielmehr/ war deß Geiſtlichen Einwurff/
wann man ſich in der Welt recht umſiehet/ werde
man wol noch ſeltzamere Exempel von dergleichen
Art zu finden haben. Jm uͤbrigen dienen uns/ Statt
gelehrter Leuten/ offt unvernuͤnfftige Geſchoͤpffe zu
Lehrmeiſtern. Als Venereus hieruͤber den Kopff ſchuͤt-
telte/ und ſagte: Wie kan ein unvernuͤnfftiges Ge-
ſchoͤpff einem vernuͤnfftigen Menſchen nuͤtzliche Lehr-
Saͤtze ertheilen? Da war der Geiſtliche in Be-
hauptung ſeiner Meynung fertig/ und ſagte:
Dieſe Jungfer iſt die Schlange/ welche neydiſch/ ihre
[H]aut/ als ihr Kleid/ abſtreiffet; Sie iſt ſtoltz/ ſtum̃/
[ſt]arck/ ſchnell und ſchieſſet/ wie ein Pfeil geſchwind
a[u]f den/ der ſie beleydigen wil. Jhre Klugheit beſte-
he[t d]arinn/ daß ſie allezeit das Haupt verwahret/ und
wo[l] veiß/ daß die Wunden am Leib leicht zu heilen/
am Haupt aber toͤdtlich ſind. Daß ſie boͤſer Art/ und
den
[659]Romans II. Buch.
den erſten Suͤnden-Gifft der Eva eingeblaſen/ iſt
auß der H. Schrifft bekandt. Weil ich aber etwas
von den Thieren melden werde/ die der Menſchen
Lehrmeiſter ſind geweſen/ ſo habe dieſen Raͤthſel vor-
an ſetzen wollen. Plinius klaget/ daß dem Menſchen
alles in dieſem Leben zuwider/ und daß die Natur der
Thiere rechte Mutter/ der Menſchen aber ihre Stieff-
Mutter ſeye/ weil ſie ihnen ſo viel Verſtand gegeben/
daß ſie alles Dienliche erkennen/ und was ihrer Un-
terhaltung ſchaͤdlich/ fliehen und meyden. Wann die
Schlange/ von welcher die Raͤthſel gemeldet/ mit den
Stoͤrchen und Schnecken ſtreitet/ ſo nehmen ſie das
Kraut Origanum, oder Wolgemuth/ und ſchuͤtzen ſich
darmit/ weil es der Schlangen ſehr zuwider. Der
Beer/ wann er verwundet wird/ heilet er ſich mit
Ameiſen-Eyern/ das Schwein mit Wintergruͤn/ das
Wieſelein mit der Weinrauten und Salbey/ die Tau-
ben mit dem Eyſenkraut/ der Habicht mit dem Kraut/
das von ihm den Namen hat/ und Hieracium zu La-
tein/ zu Teutſch Habicht-Kraut genennet wird/ die
Gaͤnſe/ Endten und Huͤhner artzneyen ſich mit Helxi-
ne, Windig oder Zaunglocken/ die Hetz mie Lorbeer/
der Hirſch mit Hirſchzungen/ die Schwalbe mit
Schwalbenkraut/ \&c.
Der Menſch allein verſtehet von Natur nicht/
was ihm nutzet/ weil er vielleicht ſolche Wiſſenſchafft
durch den Suͤnden-Fall verſchertzet/ und weil er im
Eſſen und Trincken keine Maaß halten kan/ welches
doch die Thiere meiſtentheils thun/ muß er ſich nicht
ſchaͤmen/ von dieſen unvernuͤnfftigen Lehrmeiſtern zu
lernen/ allermaſſen bereit vermeldet/ daß ſolche der
Kraͤuter Krafft beſſer wiſſen/ als der Menſch/ ſo auf
ſolche nicht ſtudiret. Wir wollen aber hier noch wei-
ter gehen/ und auf unſern Schau-Platz noch andere
T t 2unbe-
[660]Deß Academiſchen
unbekandte Thiere ſtellen/ und ſehen/ was man von
ihnen abgeſehen/ und gelernet.
Das Aderlaſſen iſt eine von den gebraͤuchlich-
ſten und vortraͤglichſten Artzneyen/ wie auch die Cly-
ſtieren. Beydes haben die Alten von den Thieren er-
lernet; Jenes von den Pferden/ welche ihnen in dem
Fruͤhling/ wann ſich mit der Natur die Feuchtigkei-
ten erneuren/ die Ader aufbeiſſen; Dieſes von dem
ſchwartzen Storch in Egypten/ welcher mit dem
Waſſer auß dem Nilus-Strohm das Gedaͤrme auß-
waͤſchet/ und ſolches wieder durch die Außladung von
ſich laͤſſet/ wie hiervon Plinius, Solinus, Cicero, und viel
andere ſchreiben. Von dieſem Vogel haben die
Egyptier den Gebrauch der Clyſtier lang vor Hip-
pocrate gehabt/ und ſolcher ſich alle drey Monat be-
dienet.
Das Brechen ſoll von den Hunden ſeyn abge-
ſehen worden/ welche Graß und das Samkraut von
dem Korn freſſen/ wann ſie ſich mit der Gallen/ oder
unverdauten Speiſen beſchweret finden. Er iſſet
auch Wegwarten/ welche ihm ſehr wol bekommen/
und ſeine Leber erfriſchen.
Etliche wollen/ daß die Menſchen auch die Waf-
fen von den Thieren abgeſehen. Ichneumon, die Jn-
dianiſche Mauß/ waͤltzet ſich in dem Koth/ und trock-
net ſich in der Sonne/ ſolches thut ſie zu unterſchied-
lichen Mahlen/ und alsdann ſtreitet ſie mit der Ot-
ter/ und daher ſollen Pantzer und Harniſche kommen.
Das ſpitzige Gewehr aber/ andere zu beleydigen/
wollen ſie von den Jgeln hernehmen.
Die Art/ eine Veſtung zu untergraben/ iſt/ nach
Vegetii Meynung/ von den Caninichen/ oder Kuͤnlein/
abgelernet/ welche die Mauren ſolcher Geſtalt koͤn-
nen uͤber den Hauffen werffen.
Das
[661]Romans II. Buch.
Das Jmpffen und Peltzen ſoll auch von den
Voͤgeln abgeſehen worden ſeyn/ daher kom̃t/ daß man
offt auf einem Felſen einen Kirſch-oder Weixel-
Baum ſiehet/ welches Kern ein Vogel mit ſeinem
Miſt in eines ſolches Steines Ritzen fallen laſſen/
dardurch er bekleibet/ und erwachſen/ weil es von dem
Regen befeuchtet worden/ und beſagten Miſt An-
fangs zu einer Erden gehabt.
Die Galleen ſoll man von dem Krebs abgeſehen
haben/ welcher mit ſeinen Fuͤſſen/ als Rudern/ hinter
ſich und vor ſich gehet.
Von der Voͤgel Geſang ſollen auch die erſten
Menſchen haben ſingen lernen/ und ſchreibet Ferdi-
nand Ovieda, daß die Hiſpanier (Perillos ligeros,)
Spuͤr-Huͤndlein haben/ welche bellen/ als wann ſie
die 6. Stimmen ſingen/ und von der Hoͤchſten an-
fiengen/ La, ſol, fa, mi, re, ut.
Plinius wil auch den Thieren beymeſſen die
Sternkuͤndigung (1. 8. c. 28.) und kom̃t mit den Hah-
nen/ Schwalben/ Nachtigallen/ und dem Viehe/
welche den Hunds-Stern ſpuͤren/ aufgezogen/ mich
beduͤncket aber/ es ſey zu weit gegangen.
Der Prophet Eſaias haͤlt die Menſchen und
Thiere gegen einander/ daß Jene ihre Gebuͤhr
von dieſen lernen ſollen/ ſagend: Ein Ochſe kennet
ſeinen Herꝛn/ und ein Eſel die Krippe ſeines Herꝛn/
aber Jſrael kennets nicht/ und mein Volck vernim̃ts
nicht/ c. 1. v. 3. Und Jeremias: Ein Storch unter
dem Him̃el weiß ſeine Zeit/ eine Turtel-Taube/ Kra-
nich und Schwalbe mercken ihre Zeit/ wann ſie wie-
derkommen ſollen; Aber mein Volck wil das Recht
deß HErꝛn nicht wiſſen/ c. 8/ 7.
Venereus geſtunde zwar/ daß dieſes einiger Maſ-
ſen Statt haben koͤnne/ was der Geiſtliche jetzt vorge-
T t 3bracht/
[662]Deß Academiſchen
bracht/ aber den rechten Grund und gute Methode
muͤſſe man doch von verſtaͤndigen Lehrmeiſtern erler-
nen. Jch wil euch aber/ replicirte der Geiſtliche/ gnug-
ſam darthun/ daß das Jenige/ was ihr von hochver-
ſtaͤndigen gelehrten Leuten erlernet/ nur Stuͤckweiß/
und zerflicket iſt/ als zum Exempel/ ſaget mir/ auf wel-
ches Studium habt ihr euch auf hohen Schulen gele-
get? Auf das Jus Pontificium und Civile, war die
Antwort. Worauf Jener: Wolan/ ich wil euch et-
liche Rechts-Fragen vorlegen/ darbey ihr erkennen
moͤget/ daß euer Wiſſen in Rechten nur Flickwerck
iſt. Hoͤret/ was ich ſage: Ein Fuchs traͤget einem
Bauern eine Henne darvon/ dem begegnet der Jaͤ-
ger/ und brennet auf ihn loß/ trifft aber mit der Kugel
die halb-todt gebiſſene Henne/ und vielleicht auch den
Fuchs in den Rachen/ daß er die Henne fallen/ und
dem Jaͤger hinterlaſſen muß. Der Bauer laufft her-
nach/ und wil ſeine Henne wieder haben/ als ſein ge-
ſtohlenes Guth/ das er wieder nehmen mag/ wo er es
findet; Erbiet ſich auch den Schuß Pulver/ an Statt
deß Loͤß-Geldes/ zu bezahlen.
Der Jaͤger ſagt/ daß die Henne ſein ſey/ weil er
es ſeinem Feind/ dem Fuchſen/ als einem wilden Thier/
abgenommen/ und ſey er nicht auf der Bauren Hen-
ne/ ſondern auf das Wildpret beſtellet/ wuͤnſchend/
daß der Fuchs ihme einen Ochſen moͤchte wegtragen/
und er koͤnte ihme ſolche Beute abnehmen/ die/ nach
Jaͤger-Recht/ ſein wuͤrde ſeyn/ weil das/ was der
Fuchs einmahl in dem Rachen/ nicht mehr deß Bau-
rens/ ſondern deß Fuchſens ſeye/ \&c.
Der andere Fall mit der Henne verhaͤlt ſich alſo:
Es hat einer etliche ſchoͤne Huͤhner/ die befihlet er ſei-
nem Freunde/ in ſeinem Abweſen wol zu verſorgen;
Die Eyer ſollen fuͤr ſeine Bemuͤhung ſeyn/ und auf
ſeine
[663]Romans II. Buch.
ſeine Widerkunfft wolle er ihm die Atzung/ ſo er auf
die Huͤhner gewendet/ mit groſſem Danck bezahlen.
Es traͤget ſich aber in deſſen Abweſenheit zu/ daß das
Getraͤyd ſehr theuer wird/ und die Huͤhner zwey-ja
drey mahl mehr verzehren/ als ſie werth ſind.
Wie nun der Herꝛ der Huͤhner wieder kommet/
heiſchet ihr Koſt-Herꝛ fuͤr jedes Huhn 2. Reichs-Tha-
ler/ und erweiſet/ daß die Atzung ſo viel gekoſtet. Der
andere iſt nicht mehr geſtaͤndig/ als zur Zeit ſeines
Abraͤyſens das Getraͤyd gekoſtet. Hieruͤber kommen
ſie vor den Richter/ und wollen Beyde recht haben.
Der Klaͤger wil das Atzerlohn/ der Beklagte wil ihm
die Hennen fuͤr ſeine Forderung heimſchlagen/ die
weigert er anzunehmen.
Der dritte Fall iſt mit einem Eſel: Ein Fiſcher
fuͤhret ſeinen Kahn/ oder Fahrt/ an das Ufer/ hat aber
keinen Strick/ ſolche anzubinden. Deß Muͤllers Eſel
wil trincken/ und weil das Waſſer an dem Strand
etwas truͤb/ ſteiget er auf die Fahrt/ und beweget es
dardurch dergeſtalt/ daß ſie mit ihm den Strohm
nach darvon faͤhret/ und/ wie etliche melden/ zerſchei-
tert/ daß der Eſel erſaͤufft.
Der Muͤller beklaget den Fiſcher/ daß die Fahrt/
oder flache Schiff/ ihme ſeinen Eſel darvon gefuͤhret/
und bittet/ ihme die Wieder-Erſtattung aufzulegen.
Der Fiſcher hingegen klaget/ daß ihme der Eſel die
Fahrt hinweg/ und von dem Land getrieben/ wil ſolche
wieder haben. Der Muͤller ſolte den Eſel/ der Fiſcher
die Fahrt angebunden haben. Was iſt zu ſprechen?
Der vierdte Fall iſt von Affen: Ein Jtaliaͤner
ſchreibet von Genua, ſein Mann in Hiſpania ſolle ihm
102. Affen ſenden/ (das o iſt ſo viel/ als ove, oder/)
der Kauffmann ſendet 53. weil er nicht mehr bekom-
men koͤnnen. Der Genueſer beklaget ſich/ daß er ſo
T t 4viel
[664]Deß Academiſchen
viel nicht befohlen/ ſondern nur einen oder zween ha-
ben wolle/ welches er leichtlich errathen koͤnnen. Der
Hiſpanier ſagt/ daß die Schuld ſein/ weil er deut-
licher ſchreiben koͤnnen/ und wil die Affen nicht wie-
der annehmen. Hieruͤber iſt eine groſſe Rechtferti-
gung entſtanden.
Der fuͤnffte Fall iſt von Schafen: Ein Kauff-
mann ſendet eine Heerde Schafe uͤber Meer. Jn dem
Schiff ſchlaͤffet der Steuermann/ und ein Widder
darunter ſtoͤſſet ihn mit den Hoͤrnern/ daß er ſich in
dem Schlaff daruͤber erzuͤrnet/ und den Widder in
das Waſſer wirfft. Als ſolches die Schafe geſehen/
ſind ſie alle hernach geſprungen/ und erſoffen. Der
Kauffmann wil ſeine Schafe bezahlet haben/ der
Steuermann wil mehr nicht als den Widder gut
machen/ weil er die andern nicht verwahrloſet/ \&c.
Der ſechſte Fall iſt von fernerm und tiefferm
Nachdencken: Eine Springfluth hatte auf eine Zeit
eine kleine Jnſul in dem Meer Grund-loß gemacht/
und von ſeinem Ort/ mit denen darauf ſtehenden
Haͤuſern und Menſchen/ Viehe und Feldern/ auf
ein ander Land nieder gelaſſen. Nachdem das Waſ-
ſer verfloſſen/ hat der Beſitzer ſolches Landes begeh-
ret/ der Obere ſolte mit ſeinem angeſchwem̃ten/ und
auf ſeinem Grund und Boden ligenden Hof weichen.
Der Bauer aber entſchuldigete ſich mit der Un-
moͤglichkeit/ und wolte nicht geſtehen/ daß er auf
fremdem Grund und Boden wohnete/ ſondern ſagte/
daß er noch Hauß/ noch Hof/ noch Feld/ noch Wieſen
veraͤndert; Seye aber wol zufrieden/ daß ihn der
Klaͤger wieder in den vorigen Stand und Ort ſtelle/
welches ihme eben ſo unthunlich gefallen.
Der ſiebende Fall iſt folgender Maſſen entſchie-
den worden: Ein Mann faͤllet von einem Hauß her-
ab/
[665]Romans II. Buch.
ab/ und faͤllet auf einen andern daß er ihn durch den
Fall zu Boden ſchlaͤget und wider ſeinen Willen toͤd-
tet. Deß alſo Verſchiedenen Sohn beklaget den/ ſo
von dem Dach gefallen als einen Moͤrder/ und bittet/
ihn abzuſtraffen. Der Richter aber ſagt/ der Sohn
ſolte hinauf ſteigen/ und auf den andern herab fallen/
wann er ſolcher Geſtalt ſeines Vattern Tod raͤche/
ſolte es ihm auch ungeſtrafft hingehen. Er hatte aber
keine Luſt zu ſo gefaͤhrlicher Rache.
Von vorhergehenden Faͤllen koͤnte ein muͤſſiger
Juriſt weitſchwe[i]ffige Bedencken aufſetzen/ und die
Gruͤnde deß Rechtens eines und andern Theils an-
fuͤhren; Maſſen es nicht erdichtete/ ſondern wahre
Faͤlle/ die Theils noch wol Nachſinnens wuͤrdig. Die
Erkundigung deß Rechtens und Handhabung der
Gerechtigkeit iſt ſehr nothwendig/ und in einem Re-
giment unentbaͤhrlich. Der Mißbrauch aber iſt ſo
groß/ daß faſt der rechte Gebrauch darbey nicht zu er-
kennen/ und eyfern wider ſolchen alle Ehriſtliche und
Gewiſſenhaffte Rechts-Gelehrte. Keine Sache iſt ſo
boͤß/ man kan ihr eine ſchoͤne Farbe anſtreichen/ daher
Boccalini recht erdichtet/ daß die Juriſten im Parnaſſo
alle Farb-Kraͤmer außgekauffet. Beſiehe von der-
gleichen Rechts-Sachen Herꝛn Abele luſtige Ge-
richts-Haͤndel.
Es muſte zwar Venereus bekennen/ daß es ihm
zu wichtig ſey/ ex tempore dieſe Fragen zu beurthei-
len/ doch ſaͤhe er ſeine geweſene Lehrmeiſter fuͤr ſolche
verſtaͤndige Leute an/ daß ſie dieſelbe ohne Muͤhe nach
einander und mit gutem Grund zu entſcheiden ſich
unternehmen wuͤrden. Jm uͤbrigen verwundere ich
mich/ ſprach er/ uͤber den vorhin beſchriebenen Kuͤntzel/
von welchem neben mir ein Jeder bekennen wird/ daß
er ein fuͤrtreffliches Gedaͤchtnuͤß muͤſſe gehabt haben.
T t 5Das
[666]Deß Academiſchen
Das iſt auſſer allem Zweiffel wahr/ ſprach der Geiſt-
liche/ und darneben auch offenbahr/ was an einem gu-
ten Gedaͤchtnuͤß gelegen iſt/ dann unter allen inner-
lichen Sinnen halte ich daſſelbe fuͤr das Fuͤrnehmſte;
Sintemahl das Gedaͤchtnuͤß iſt eine Schatz-Meiſte-
rin und Bewahrerin der andern. Es iſt in Warheit
die Wolthat/ die GOtt dem Menſchen durch Ver-
leyhung deß Gedaͤchtnuͤſſes gegeben/ ſo groß/ daß
man bloß mit Beſchreibung deß Lobes deſſelben/ und
mit Erzehlung deß Nutzens/ welchen der Menſch dar-
von genieſſet/ nicht nur eine ziemliche Zeit/ ſondern
auch viel Papiers/ hinbringen koͤnte. Cicero ſagt/ es
ſey die Memoria ein Beweiß der Seelen Unſterblich-
keit/ und eine Goͤttliche Krafft in dem Menſchen/ und
Plutarchus nennet ſie Antiſtrophon Divinitatis, wel-
ches ſo viel iſt/ als eine Gleichfoͤrmigkeit der Gottheit/
ſintemahl ſie das Vergangene repræſentiret/ und ge-
genwaͤrtig machet/ dann die vergangene Zeit gleichet
ſich dem Waſſer/ welches vorbey rauſchet/ und
ſchwimmet/ das Gedaͤchtnuͤß aber haͤlt ſelbige auf/
und ſcheinet/ als thue ſie den vergangenen Dingen ei-
nigen Widerſtand/ und mache etwas ſeyn/ das
nichts iſt. Andere nennen das Gedaͤchtnuͤß Theſau-
rum Scientiæ, einen Schatz der Wiſſenſchafft/ darauß
folget/ daß die Weißheit eine Tochter deß Gedaͤcht-
nuͤß und der Erfahrung ſey; Sintemahl das Ge-
daͤchtnuͤß eine Caſſa und beygelegter Schatz iſt/ alles
deſſen/ was wir lernen/ verſtehen und ſehen. Chriſtus
unſer Erloͤſer hielte das Gedaͤchtnuͤß ſo hoch/ daß/ als
er uns das H. Sacrament ſeines Leibes und Blutes
hinterlaſſen/ befahl er/ daß wir ſolches empfahen/ hal-
ten oder thun ſolten/ zu ſeinem Gedaͤchtnuͤß. Die
Chriftliche Kirche ſinget auß dem 112. Pſalm: In
memoria æterna erit Juſtus, deß Gerechten wird nim-
mer-
[667]Romans II. Buch.
mermehr vergeſſen/ oder/ das Gedaͤchtnuͤß deß Ge-
rechten wird ewig bleiben; Seyn alſo die Gaben deß
Gedaͤchtnuͤß ſehr groß. Die Gedaͤchtnuͤß der Wol-
thaten/ ſo wir empfangen/ die Gedaͤchtnuͤß deß Boͤ-
ſen/ ſo wir begangen/ wann wir nemlich darob Miß-
fallen tragen/ wuͤrcket/ daß wir jener ewigen Ge-
daͤchtnuͤß theilhafftig werden.
Damit wir aber auch auf die weltlichen Scri-
benten kommen/ ſo ſetzen unſere Oratores, und be-
haupten/ daß das Gedaͤchtnuͤß eines der principalſten
und noͤthigſten Stuͤcke der Red-Kunſt ſey; Umſonſt
oder vergeblich/ ſaget Quintilianus, ſeyn wir gelehrt
worden/ ſo wir das Jenige wieder vergeſſen/ was wir
gelernet haben; Er befihlet gleichfalls/ daß man die
Kraͤfften deß Gedaͤchtnuͤß uͤben ſolle/ ſintemahl der
ſtaͤte Gebrauch und Ubung ſelbiges ſchaͤrffet und ver-
mehret. Es iſt verwunderlich/ daß/ ſo man das Ge-
daͤchtnuͤß immer gebrauchet/ und ſelbiges in unter-
ſchiedlichen Dingen exerciret und uͤbet/ man immer
faͤhiger wird/ und deſto mehr im Gedaͤchtnuͤß behal-
ten kan. Hergegen der Jenige/ ſo das Gedaͤchtnuͤß
feyren laͤſſet/ und ſelbigem nichts zu thun ſchaffet/
machet ſolches nur untuͤchtiger/ etwas zu behalten.
Der Jenige auch ſo fleiſſig ſtudiret/ und gleichſam
durch Tichten und Nachdencken ſich muͤde machet/
findet ein groͤſſer Capital oder Vorrath deß Vergan-
genen/ auch mehrere Tuͤchtigkeit vor das Zukuͤnffti-
ge/ und ſolches auf zweyerley Weiß: Einer hat ein
hurtiges und faͤhiges Gedaͤchtnuͤß/ welches das Je-
nige/ ſo ihm anbefohlen wird/ leichtlich vergeſſen kan/
nach dem Spruͤchwort: Quod citò fit, citò perit,
das iſt/ was bald wird/ bald verdirbt! Ein anderer
im Gegentheil/ nimmt ein Ding hart und ſchwer an/
behaͤlt es aber hernach lange Zeit ſteiff und feſt;
Wegen
[668]Deß Academiſchen
Wegen deſſen lehret uns Ariſtoteles die natuͤrliche
Urſach/ ſagende/ daß gemeiniglich die Scharffſinni-
gen der erſten Art ſeyn/ indem ſie hurtig ſind/ ein
Ding zu faſſen/ ſchwach aber ſelbiges zu behalten/ die
Hartlernigen aber ſeyn der andern Art/ als welche
mit harter Muͤhe etwas annehmen und begreiffen/
ſelbiges nachmahls aber deſto laͤnger behalten. Plu-
tarchus meldet/ es habe in dieſem Stuck mit dem
Menſchen eine Beſchaffenheit/ wie mit den Geſchir-
ren; Die einen engen Halß oder Mund-Loch haben/
ſind uͤbel einzufuͤllen/ haben aber deſto weniger Ge-
fahr/ verſchuͤttet zu werden/ alſo ſeyn auch die Jenige/
ſo eines harten und groben Ingenii ſind; Hergegen
die Jenigen/ ſo ein ſcharffes Ingenium haben/ ſeyen
denen Geſchirren gleich/ welche oben weit und offen/
und deßwegen leicht anzufuͤllen/ aber auch leichtlich
wieder zu verſchuͤtten ſeyn.
S. Thomas de Aquino, welcher von keiner Sach
klug und vernuͤnfftig zu diſſeriren und zu reden un-
terlaſſen hat/ gedencket in dieſem Vorhaben folgen-
des: Es kommen die unterſchiedliche Tuͤchtigkeiten/
in den Wuͤrckungen deß Gemuͤths/ von denen unter-
ſchiedlichen Arten deß Leibes her/ gleichwie wir ſehen/
daß die jenige Dinge/ ſo man ſchwer und muͤhſam
in etwas/ als in Metall oder Stein/ eingraͤbet oder
ſchneidet/ viel laͤnger tauren/ als andere Dinge/ die
man leichtlich und mit geringer Muͤhe in etwas/ als
in Wachs oder Thon/ eintrucken kan; Alſo geſchehe
es auch/ daß/ gleichwie das Gedaͤchtnuͤß eine Ver-
wahrerin iſt/ deſſen/ ſo man gefaſſet und gelernet/
auch die/ ſo eines harten und groben Ingenii, das Je-
nige/ was ſie einmahl in daſſelbe einbilden und ver-
wahren/ laͤnger und feſter in ſolcher Haͤrtigkeit/ dar-
ein ſie es mit groſſer Muͤhe gebracht haben/ erhalten
werden;
[669]Romans II. Buch.
werden; Die Scharffſinnigen aber/ welche der-
gleichen Dinge nicht mit ſo groſſer Muͤhe faſſen/ und
ihnen eindrucken/ verlieren und vergeſſen ſelbige auch
viel ehe wieder/ als die andern.
Es iſt aber auch noch etwas anders/ das Ge-
daͤchtnuͤß betreffend/ von ſehr merckwuͤrdiger Be-
trachtung/ als da iſt zu ſehen/ daß das Jenige/ was
man einmahl in das zarte Ingenium der Kinder im-
primirt und einbildet/ nicht leichtlich wiederum ver-
geſſen wird/ ſo auch ſelbige bereits erwachſen und
Mannbar geworden. Avicenna in ſeinem 6. Buch
de Reb. Natural. ſaget/ es ſey dieſes die Urſach/ daß
die/ ſo ein ſtilles und ruhiges Gemuͤth/ und nicht mit
vielen Geſchaͤfften und mancherley Gedancken bela-
den ſind/ eines viel ſchaͤrffern und faͤhigern Gedaͤcht-
nuͤß/ als andere ſeyen/ und dahero eben komme es/ daß
den Kindern das Jenige/ was ſie in ihrer zarten Ju-
gend gelernet haben/ lange Zeit im Gedaͤchtnuͤß ver-
bleibe/ weilen ſie ohne Sorgen/ und in ihrem Ge-
daͤchtnuͤß keine Beſchwerlichkeiten haben. Vorer-
wehnter S. Thomas aber gibt eine andere Grund-
Urſach/ welche/ meines Erachtens/ von mehrerer
Wichtigkeit iſt/ ſagend/ daß das Jenige/ ſo eine ſon-
dere Bewegung in dem Menſchen verurſachet/ gar
feſt in dem Gedaͤchtnuͤß verbleibe/ als nemlich die je-
nige Dinge/ ſo vor andern ſehr neu/ ſeltzam und ver-
wunderlich ſcheinen/ gleich wie nun den Kindern faſt
alle Dinge/ die ſie ſehen/ gar neu ſeyn/ und fuͤr Wun-
der-Dinge vorkommen/ ſo ſeye diß demnach die Ur-
ſach/ daß ihnen ſelbige nachmahls ſo feſt in dem Ge-
daͤchtnuͤß verbleiben. Wir wollen aber nicht nur
von der Kinder Zeit ſagen/ dann ſich auch in dem
Maͤnnlichen Alter Leute gefunden/ von ſo ſonderba-
rem Ingenio, daß es ſehr yerwunderlich/ und faſt un-
glaub-
[670]Deß Academiſchen
glaublich ſcheinet/ ſolches zu hoͤren/ oder zu leſen.
Plinius, Solinus, und Quintilianus ſchreiben hiervon
viel und unterſchiedliche Exempel.
Von dem Perſianiſchen Koͤnig und Monarchen
Cyro leſen wir/ daß er alle Soldaten ſeines Kriegs-
Heer (welches doch ſehr groß war/ und ſich auf etlich
100000. Mann erſtrecket/) gekannt/ auch einen Jeg-
lichen bey ſeinem eigenen Namen habe nennen koͤn-
nen/ welches dann in Warheit eine recht Wunder-
wuͤrdige Sache iſt. Solinus ſchreibet eben dergleichen
von| dem Roͤmiſchen Feld-Herꝛn Scipione; Ob nun
zwar ſolches verwunderlich iſt/ ſcheinet doch/ es koͤnne
durch lange Converſation und Bekandtſchafft end-
lich geſchehen. Dieſes aber/ was von Cynea, deß
Koͤnigs der Epiroter/ Pyrrhi, Abgeſandten an die
Roͤmer/ geruͤhmet wird/ ſcheinet noch wunderbarer
und entſetzlicher zu ſeyn; Dieſer/ nachdem er ſich
2. Tag in Rom aufgehalten hatte/ wuſte alle Namen
der Raths-Herren/ deren doch eine groſſe Anzahl
war/ ingleichem alle Namen der Edelſten und vor-
nehmſten Buͤrger/ erkannte ſie auch von Angeſicht/
und redete ſie alle mit ihren Namen an.
Spartianus, im Leben Ælii Hadriani, lobet dieſen
Kaͤyſer ſehr hoch wegen ſeiner Kunſt und vortreff-
lichen Memori, ſagend/ daß er ein guter Poet/ Medi-
cus, Muſicus, Geometra, Mahler/ Bildhauer/ und
beruͤhmter Ingenieur geweſen ſey/ auch ſo ein faͤhiges
Ingenium gehabt habe/ daß/ ſo man in ſeiner Gegen-
wart ein Buch abgeleſen/ das er niemahls geſehen/
noch etwas darauß gehoͤret hatte/ kunte er ſolches/
nachdem es geleſen ward/ außwendig her recitiren
und ſagen/ daß er nicht ein Wort fehlete/ und daß er
den Jenigen/ ſo ihm etwan einmahl eine Supplication
uͤberreichet/ oder ſonſten mit ihm zu ſchaffen gehabt/
jederzeit erkandt/ und ſich deſſen zu erinnern gewuſt.
Man
[671]Romans II. Buch.
Man erzehlet von ihm eine luſtige Geſchicht/ ſo
ſich einſten ſoll begeben haben/ indem ein Mann zu
ihm kommen/ ſo einige Gnad von ihm zu erbitten be-
gehret/ ſelbiger war alt und grau von Bart und Haa-
ren/ dieſer| aber/ nachdem er von dem Kaͤyſer eine ab-
ſchlaͤgige Antwort bekommen/ hat er ihm den Bart
abſcheren und die Haare faͤrben laſſen/ (worauß er-
ſcheinet/ daß ſolcher Betrug/ welchen man noch heu-
tiges Tages mit den Haaren zubrauchen pfleget/ ſehr
alt ſeyn muͤſſe/) und iſt nach wenig Tagen/ in ſo ver-
ſtellter Perſon aufs Neue fuͤr den Kaͤyſer gekommen/
in Meynung/ von ihm die zuvor begehrte Gnad zu
erbitten; Dieſem aber antwortete der Kaͤyſer/ (als
welcher ihn noch wol kennete/ und wegen ſeiner ge-
ſchminckten Haare das Geſpoͤtt auß ihm triebe/)
und ſagete: Er wolte ihn gern ſeiner Bitte gewaͤh-
ren/ es habe aber vor wenig Tagen ſein Vatter um
eben dergleichen bey ihm angeſuchet/ dem haͤtte er
ſolches abgeſchlagen/ beduͤnckete ihn alſo unbillich
zu ſeyn/ daß man dem Sohn das Jenige verſtatte/
was dem Vatter verſaget worden/ gieng er alſo be-
ſtuͤrtzt darvon mit dem jenigen Schimpff/ den er wol
verdienet hatte.
Von Mithridate, dem Koͤnig in Ponto, leſen
wir/ daß er in ſeinem Reich 22. Voͤlcker und Spra-
chen gehabt habe/ welche Nationes er dann alle ohne
Dollmetſcher anhoͤren/ auch ihnen in ihrer Sprach
Antwort und Beſcheid ertheilen koͤnnen. Cicero
ſchreibet von ſich/ daß er alles/ was er gewolt/ geler-
net/ auch ſich offt viel Sachen/ ſo von geringer Impor-
tantz und Wichtigkeit zu vergeſſen/ gewuͤnſchet/ aber
dannoch ſelbige nicht auß dem Gedaͤchtnuͤß bringen
moͤgen. Es fragete ihn einsmahls Simonides, ob er
eine Kunſt verlangete/ ein gut Gedaͤchtnuͤß zu uͤber-
kom-
[672]Deß Academiſchen
kommen? Da antwortete er: Er verlangete viel-
mehr einige Kunſt/ ſo ihn theils Sachen vergeſſend
machte/ aber ein gut Gedaͤchtnuͤß zu machen/ haͤtte er
keiner vonnoͤthen.
Von Marco Craſſo ſchreibet Quintilianus, daß
er in fuͤnfferley Sprachen/ welche ſelbiger Zeit in
Griechen-Land uͤblich waren/ einen Jedwedern habe
anhoͤren und beantworten koͤnnen.
Von Portio Latrone ſchreibet Seneca in der
Vor-Rede ſeiner Declamationum, daß er in ſeinen
Schulen den ſehr gelehrten Rudolphum Agricolam
uͤber die Maſſen herauß geſtrichen und beruͤhmt ge-
macht habe/ daß er nemlich theils von Natur/ theils
durch Fleiß und Kunſt/ eine ſo vortreffliche Memori
gehabt haͤtte/ daß es faſt unglaublich zu ſeyn ſchiene/
ſintemahl er alles/ was er gelernet/ ſteiff und veſt be-
hielte/ als er auch ein Orator geworden/ recitirte er
alle ſeine Orationes, die er gemacht hatte/ außwendig
und fertig ohne Mangel und Anſtoß einiges Worts
daher. Er pflegte zu ſagen: Das Schreiben waͤre
bey ihm eine vergebliche Muͤhe/ dann er alle ſeine In-
ventiones und Erfindungen in das Gedaͤchtnuͤß ſchrie-
be. Es ſchreibet ebenmaͤſſig Cicero von dem groſſen uñ
beruͤhmten Oratore Hortenſio, daß/ wie er Anfangs
ſeine Orationes in dem Kopff verfaſſet/ alſo ſchrieb er
ſie hernach/ und recitirte ſie dann folgends ohne An-
ſtoß eimges Worts. Von eben dieſem Hortenſio
ſchreibet Seneca an obangezogenem Ort/ daß/ als er
einsmahls an einem Ort ſtunde/ und allerley Waaren
und Hauß-Geraͤth offentlich verkauffen ſahe/ welches
dann einen gantzen Tag waͤhrete/ kunte er endlich alle
Waaren/ die man verkaufft hatte/ nach der Ordnung/
wie ſie Stuͤck-Weiß verkaufft worden/ herſagen/
deren Namen/ ſo ſelbige gekaufft hatten/ nennen/
auch
[673]Romans II. Buch.
auch den Preiß von allen und jeden Sachen/ wie ſie
bezahlet worden/ nach der Ordnung widerholen und
erzehlen. Es ſchreibet auch Seneca, als ein beglaub-
ter Mann von ſich ſelbſten/ er habe in ſeiner Jugend
ein ſo faͤhiges und ſcharffes Gedaͤchtnuͤß gehabt/ daß/
ſo ihm 2000. Woͤrter/ oder Namen/ unterſchiedlicher
Dinge nach der Ordnung waͤren vorgeſaget worden/
er ſolche alle in beſagter Ordnung habe widerholen
und nachſagen koͤnnen/ alſo/ daß er nicht einiges
Wort oder Namen außgelaſſen. Und noch ferner
ſaget er/ daß/ als er noch in die Schul gieng/ kamen zu
Zeiten 200. Diſcipel, oder Schuͤler/ vor ſeinen Lehr-
meiſter/ deren dann ein Jeder einen Vers recitiren
und herſagen muſte/ ſo bald ſie nun damit fertig wa-
ren/ widerholete Seneca ſolche/ und ſagete ſie alle von
Anfang biß zu Ende/ ohne einigen Fehler daher. Un-
ter ſolche Wunder-Exempel/ ſo ſcharffer und abſon-
derlicher Faͤhigkeit deß Ingenii, kan auch dieſes/ was
von Julio Cæſare geruͤhmet wird/ gezeichnet werden/
welcher zu einer Zeit 4. ſeiner Secretarien/ 4. Brieffe/
an 4. unterſchiedliche Perſonen lautend/ in die Feder
dictirte und vorſagete. Und Plinius meldet von ihm/
daß oͤffters viererley Arbeit auf einmahl und zugleich
von ihm verrichtet worden/ nemlich/ er habe einem
Schreiber einen Brieff vor dictirt/ er aber ſelbſt ha-
be in einem Buch geleſen/ darneben auch die/ ſo mit
ihm geredet/ angehoͤret und beantwortet. Spartianus
ſchreibet faſt eben dergleichen von vorgedachtem
Kaͤyſer Hadriano.
Bey dieſem unſerm Vorhaben erinnere ich mich
einer ſpitzfuͤndigen Antwort/ welche Scipio Africanus
Minor dem Appio Claudio gegeben/ als ſie ſich bey-
derſeits um das Cenſor- oder Zuchtmeiſter-Amt zu
Rom beworben; Appius Claudius nun/ damit er das
U uVolck
[674]Deß Academiſchen
Volck auf ſeine Seiten bringen moͤchte/ nennete er
alle Roͤmiſche Buͤrger einen Jeden bey ſeinem Na-
men/ ſagend: Das waͤre ein Zeichen/ daß er ſie alle
liebete/ ſintemahl er ihrer aller Namen in ſeinem Ge-
daͤchtnuͤß haͤtte. Scipio aber kennete faſt keinen/ wuſte
auch derſelben Namen nicht/ dem antwortete Scipio:
Es iſt wahr/ mein Appi Claudi, daß ich niemahl dar-
nach getrachtet/ ihrer viel zu kennen/ deſſen aber habe
ich mich allezeit befliſſen/ daß Niemand in Rom ſeyn
moͤge/ der mich nicht kennen ſolte. Jch koͤnte noch ſehr
viel Exempel von vortrefflicher Leute faͤhiger und
ſcharffſinniger Memori oder Gedaͤchtnuͤß dieſes Orts
beybringen/ man kan aber ſolche bey dem Cicerone
und Quintiliano ſuchen und leſen/ ingleichem auch
bey dem Plinio im 7. Buch/ und bey denen Authoren/
welche Johannes Camertes uͤber das 7. Cap. Solini
citiret und bemercket.
Das XII. Capitul/
Das Gedaͤchtnuͤß kan leicht Schaden leyden. Es iſt ein Unter-
ſcheid zwiſchen der Memori und Reminiſcentz. Venereus
hat ſeltzame Liebes-Haͤndel mit zwo Adelichen Damen.
GLeich wie es aber ein edel und vortreffliches
Ding um das Gedaͤchtnuͤß/ alſo iſt ſelbiges
auch ſehr ſubtil und zaͤrtlich/ alſo/ daß es
durch vielerley Sachen kan ſchadhafft gemacht/ ver-
derbet und verhindert werden/ als da ſeyn die Kranck-
heiten/ Wunden und Streiche auf dem Haupt/ das
Alter/ jaͤher Schrecken oder Entſetzen/ uͤbermaͤſſige
Sorg und Bekuͤmmernuͤß/ und dann ſonderlich hohe
und gefaͤhrliche Faͤlle; Alle dieſe jetzt-erzehlte Stuͤcke
bringen den Kraͤfften deß Gedaͤchtnuͤſſes Verletzung/
ſintemahl ſie dem Ort/ wo es ſeinen Sitz hat/ und
deren Organis oder Inſtrumenten Schaden zufuͤgen/
und iſt uͤber das zu beobachten/ daß etliche an dem
Gedaͤcht-
[675]Romans II. Buch.
Gedaͤchtnuͤß alſo Schaden nehmen/ daß ſelbiges
gantz und gar/ oder in allen Dingen geſchwaͤchet und
verderbet wird/ etlichen aber geſchichts/ daß ſelbiges
ſich nur in einer oder anderer Sache mangelhafft be-
findet. Ein Exempel deſſen iſt/ was Plinius von
Meſſala Corvino, einem Roͤmiſchen Redner ſchreibet/
daß er durch eine Kranckheit dermaſſen ſey verderbet
und zugerichtet worden/ daß er ſich ſeines eigenen
Namens/ ſo er darum gefraget wurde/ nimmer zu
erinnern gewuſt. Er ſchreibet auch von einem an-
dern/ der mit einen Stein auf den Kopff geworffen
worden/ worvon er bloß das Alphabet vergeſſen/ in
andern Sachen aber ein gut Gedaͤchtnuͤß behalten.
Und noch von einem andern/ der/ nachdem er von ei-
nem hohen Dach herab gefallen/ die Erkaͤntnuͤß ſei-
ner Mutter/ Schwaͤger und Freunde verlohren hat.
Von Franciſco Barbaro Veneto, einem ſehr gelehrten
Mann zu unſerer Vorfahren Zeiten/ hab ich geleſen/
auch von vielen gehoͤret/ daß er in der Griechiſchen
Sprach ſehr gelehrt und beruͤhmt geweſen/ durch
eine Kranckheit aber/ ſo er außgeſtanden/ vergaß er
abſonderlich alle Wiſſenſchafft/ ſo er in ermelter
Sprach gehabt/ im uͤbrigen aber blieb er ſo gelehrt/
als er zuvor geweſen/ welches dann in Warheit eine
wunderbare Sache iſt. Und von Georgio Trapezun-
tio, der ein hochgelehrter und in Lateiniſcher und
Griechiſcher Sprach ſehr beruͤhmter Mann zu unſe-
rer Vaͤtter Zeiten geweſen/ liſet man/ daß er in ſeinem
Alter ſolche beyde Sprachen/ auch ſonſten alles/ ſo er
gekannt und gewuſt/ vergeſſen habe. Sleidanus iſt in
ſeinem Alter ſo vergeſſen worden/ daß er ſeiner Toͤch-
ter Namen nicht behalten moͤgen. Alſo/ und abſon-
derlich auf gedachte Weiſe pfleget das Gedaͤchtnuͤß
abzunehmen und ſich zu verlieren.
U u 2Andere
[676]Deß Academiſchen
Andere haben ſich gefunden/ welche von Natur
eines ſehr ſchwachen und unfaͤhigen Gedaͤchtnuͤß ge-
weſen. Kaͤyſer Claudius, war eines ſo bloͤden Ge-
daͤchtnuͤß/ daß von ihm Suetonius Tranquillus ſchrei-
bet/ es ſey ihm mehrmahlen widerfahren/ daß ſeine
Gemahlin ſich mit ihm zu Bette geleget/ er aber ha-
be nach ihr gefraget/ und die Urſach zu wiſſen begeh-
ret/ warum ſie ſich nicht zu ihm legete. Es geſchahe
auch oͤffters/ daß er einen heut toͤdten/ deß andern Ta-
ges aber ihn in den Rath beruffen laſſen/ andere/ ſo er
gleichfalls zu toͤdten befohlen/ ließ er folgends zu ſich
beruffen/ daß ſie mit ihm im Bret ſpielen ſolten/ nach
etlichen fragete er/ und nennete ſie Faullentzer/ da er
ſie deß Tages zuvor hatte aufhencken laſſen.
Herodes Sophiſta, der treffliche Orator, hatte ei-
nen Sohn/ der war von ſo bloͤder Memori und Ver-
ſtand/ daß er auf keinerley Weiſe die Buchſtaben deß
Alphabets lernen/ oder im Gedaͤchtnuͤß behalten kun-
te. Der Vatter aber trug ein groſſes Verlangen/
daß der Sohn ſolches lernen moͤchte/ alſo/ daß er ne-
ben ihm/ (der Meynung/ ihm ſolches deſto eher bey-
zubringen/) 24. Knaben ſeines Alters auferzog/ und
einem Jeden unter ihnen einen Namen nach der
Ordnung der Buchſtaben deß Alphabets gab/ damit/
ſo er dieſelben kennen und bey Namen nennen wur-
de/ er auch zugleich die Buchſtaben erlernen und be-
greiffen moͤchte.
Oben habe ich gemeldet/ daß der ploͤtzliche Schre-
cken/ oder das Entſetzen/ das Gedaͤchtnuͤß zu ſchwaͤ-
chen und zu verhindern pflege/ und dem iſt in Warheit
alſo/ dann ob der Schrecken gleich die Memori nicht
gantz vernichtet/ jedoch verurſachet er/ daß der Menſch
eine Zeitlang das Jenige/ was er ihm veſt in das Ge-
daͤchtnuͤß gebildet/ vergiſſet/ und alſo in ſeinem Vor-
ſatz
[677]Romans II. Buch.
ſatz irꝛ gemacht wird/ maſſen dem vortrefflichen und
beruͤhmten Redner Demoſtheni widerfahren/ als er
Legations-Weiſe zu Philippo, Koͤnig in Macedonia,
geſandt worden/ da er dann/ wegen Alteration und
Entſetzens/ die er ob deß Koͤnigs Gegenwart bey ſich
empfande/ ſeine Oration, die er ihm aufgeſetzet und
auß wendig gelernet hatte/ gantz vergaß/ alſo/ daß er
gar nicht fortkommen konte/ ſondern ihn Aeſchynes
entſetzen und die Sermon zu Ende bringen muſte.
Eben dergleichen leſen wir von Theophraſto Ereſio.
welcher/ da er als ein Legat, auf dem Areopago zu
Athen/ ſeine Werbung ablegen ſollen/ und geſehen/
wie der Rath in ſolchem Concilio in ſo anſehnlicher
Authoritaͤt und aller Gravitaͤt da geſeſſen/ hat er
nichts reden koͤnnen. Herodes Atticus der treffliche
Redner/ als er in Gegenwart Marci Antonii, in Pœo-
nia peroriren ſollen/ hat er ſich alſo entſetzet/ daß er
verſtummet. Eben dieſes liſet man auch von Heracli-
de Lycio, daß er in Gegenwart Kaͤyſers Severi nicht
reden koͤnnen/ wie Philoſtratus erzehlet. Nicht un-
gleiches widerfuhr zu unſerer Vorfahren Zeiten/ Bar-
tholomæo Socino, von Siena gebuͤrtig/ einem in Ju-
risprudentia ſehr beruͤhmten und gelehrten Mann;
Dieſer/ da er als ein Abgeſandter ſeines Vatterlan-
des/ wegen gemeiner Stadt/ Papſt Alexandern den
Sechſten empfangen und ihm gratuliren ſollen/ auch
ſeine Oration, die er beſter Maſſen ſtudiret und me-
moriret/ angefangen hatte/ blieb er mitten in derſel-
ben beſtecken/ und vergaß alles/ daß er nicht ein Wort
mehr formiren oder vorbringen kunte; Dieſes alles
verurſachete die Alteration und das Entſetzen/ wegen
der anſehnlichen Præſentz und Gegenwart ſo hoher
Perſonen und Potentaten.
Daß man aber der Memori oder dem Gedaͤcht-
U u 3nuͤß
[678]Deß Academiſchen
nuͤß helffen/ und ſelbige durch ſonderbare Mittel und
Kunſt-Stuͤcke geſund erhalten koͤnne/ iſt gantz gewiß/
und ſchreiben hiervon viel bewaͤhrte Autores. Solinus
in ſeinen Poly-Hiſtoriis, und Quintilianus handeln
hiervon weitlaͤufftig. Seneca, an obangezogenem Ort/
machet dieſe Kunſt ſo gering und leicht/ daß er mel-
der/ es koͤnne ſelbige ein Menſch in gar kurtzer Zeit
zuwegen bringen. Von vor-ermelten Cynea, deß
Koͤnigs Pyrrhi Legaten und Redner/ liſet man/ daß
er ſich dieſer Kunſt ſehr wol zu bedienen gewuſt.
Plinius und Quintilianus melden/ es ſey der Erfinder
ſolcher Kunſt/ nemlich das Gedaͤchtnuͤß zu ſtaͤrcken/
gut und geſund zu erhalten/ Simonides geweſen/ wie-
wol eben dieſer Plinius gedencket/ es habe folgends
ſolche Kunſt Metrodorus Scepſius zur Perfection ge-
bracht/ als der ſich dardurch wunderbarer Weiſe be-
ruͤhmt gemacht. Von eben dieſem Simonide erzehlet
Cicero in ſeinem Buch de Oratore, und gedencket
deſſen auch Quintilianus, daß/ als ſelbiger einsmahls
nebens vielen andern vornehmen und gelehrten Leu-
ten zu einem Nachtmahl beruffen worden/ ſey der
Saal/ worinnen die Gaͤſte geſeſſen/ uͤber einen Hauf-
fen gefallen/ daß ſie alle todt geblieben/ auſſer den eini-
gen Simonidem, welchen eben zur ſelbigen Zeit Je-
mand hinauß beruffen laſſen/ den er doch nicht ge-
kannt/ auch nimmermehr erfahren moͤgen/ wer der-
ſelbe geweſen/ wordurch er alſo durch ſonderbare
Schickung ſelbiges mahl wunderbarer Weiſe dem
Tod entronnen iſt. Nun melden gedachte Autores,
daß/ als man nach den todten und verfallenen Gaͤſten
gefraget/ habe Simonides ſelbige alle/ (ungeachtet ihr
eine groſſe Menge/) zu nennen/ auch wer ſie geweſen/
und wie ſie in Ordnung geſeſſen/ als der Saal einge-
fallen/ zu erzehlen gewuſt.
Dieſes
[679]Romans II. Buch.
Dieſes koͤnte noch mit unzaͤhlich viel Exempeln
dargethan/ und erwieſen werden/ achte es aber fuͤr
dißmahl gnug zu ſeyn.
Noch ein anders und zwar merckwuͤrdiges Stuck
iſt allhier billich zu melden/ nemlich/ daß die gelehrten
Philoſophi und Naturkuͤndiger/ abſonderlich aber
Ariſtoteles, einen Unterſcheid machen/ inter Memo-
riam \& Reminiſcentiam, zwiſchen der Gedaͤchtnuͤß
und Wieder-Gedaͤchtnuͤß/ oder Erinnerung; Dann
(ſagen ſie/) die Memoria koͤnne ſimpliciter in den
Thieren ſo wol als in den Menſchen ſeyn/ wiewol ſie
in Jenen unvollkommen iſt/ die Reminiſcentia oder
Wieder-Gedaͤchtnuͤß und Erinnerung aber finde ſich
allein in den Menſchen/ nemlich ſolcher Geſtalt/ daß
man ſich im Diſcurs geſchwinde etwas erinnere/ einer
Sach reifflich nachdencke/ von einer Sach ins ge-
mein/ oder inſonderheit von den Umſtaͤnden oder der
Zeit mit Bedacht und Verſtand zu diſcurriren und
zu reden wiſſe. Ein Thier kan ſich zwar auch wol er-
innern eines Orts/ allwo es einmahl gefallen/ als ein
Pferd wird mercken/ wo es einmahl uͤbel tractiret/
oder geſchlagen worden; Alſo auch andere Thiere
werden durch unterſchiedliche Gradus entweder mehr
oder weniger von der Tuͤchtigkeit ſolcher Gedaͤchtnuͤß
participiren/ der Menſch aber/ wie gedacht/ gehet mit
viel vollkommener Manier/ vermoͤg deß diſcurs und
Verſtandes/ von einer Sach auf die andere/ und alſo
nach Ariſtotelis Meynung und Bericht/ hat der/ ſo
ſcharffſinniger iſt/ mehrere Reminiſcentz und Erinne-
rung/ als der andere/ ſo ein hurtiges Gedaͤchtnuͤß hat/
obgleich ſelbiger auf einmahl mehr faſſen/ lernen und
behalten kan; Sintemahl die Reminiſcentia oder
Erinnerung ein Modus Inveſtigandi, oder eine Art
deß Nachforſchens und Nachſinnens iſt/ welche die
U u 4Gedaͤcht-
[680]Deß Academiſchen
Gedaͤchtnuͤß ermuntert und erfriſchet/ einer und der
andern Sach ſich zu erinnern/ und wieder zu geden-
cken/ kan demnach das beſſere und ſchaͤrffere Ingenium
einer Sach eine beſſere Manier und Art geben/ darum
es auch eine beſſere Reminiſcentz und Erinnerung hat.
Die Griechen pflegten unter andern Eitelkeiten ihrer
Abgoͤtter/ auch die Memoriam, als eine Goͤttin zu ver-
ehren; Worauß zu erſehen/ daß die Tuͤchtigkeit deß
Gedaͤchtnuͤß allezeit im hohen Æſtime und Werth ge-
halten worden/ und deßwegen ſollen die Menſchen
billich GOtt um ſolche edle/ beſondere Gnade und
Gabe/ ſo ſie ſolche haben/ von Hertzen dancken/ und
darbey bitten/ daß ſie ſelbige wol anwenden/ und be-
halten moͤgen; Dann/ vermoͤge eines guten Gedaͤcht-
nuͤß/ wird man nicht allein gelehrt/ weiß und verſtaͤn-
dig/ ſondern auch beredt/ daß man von hochwichtigen
Sachen in der Theologie, Jurisprudentz/ Medicin,
Philoſophie, Politic, und gemeinen Policey-Weſen
vernuͤnfftig diſcurriren/ und mit anmuthiger Zierlich-
keit/ Eloquentz und Wolredenheit vor groſſen Po-
tentaten/ Fuͤrſten/ Herren/ andern fuͤrnehmen/ ange-
ſehenen/ gewaltigen Leuten/ mit deren ſonderbaren
Approbation, Belieb- und Verwunderung reden
kan. Marſilius Ficinus in ſeinem Buch de tripl. Vita
ertheilet unterſchiedliche fuͤrtreffliche Recepten/ mit
Bericht/ wie dardurch das Gedaͤchtnuͤß moͤge geſtaͤr-
cket/ und erhalten werden.
Als der Geiſtliche ſeinem Diſcurs hiermit ein
Ende gemacht/ da endigete ſich zugleich auch die
Mahlzeit/ alſo/ daß ein Jeder aufſtund/ und Venereus
verfuͤgete ſich nach einer Kirchen/ um friſche und kuͤhle
Lufft darinn zu ſchoͤpffen. Er war aber nur ein klein
wenig darinn geweſen als ihm eine anſehnliche Dame
an den Arm lieff/ und mit den Augen zu verſtehen gab/
daß
[681]Romans II. Buch.
daß er ihr folgen moͤchte. Hierzu war er mehr/ als zu
willig/ und ſolcher Geſtalt fuͤhrete ſie ihn unter die
Orgel/ an einen tunckeln Ort/ und ſagte: Mein Herꝛ/
ich ſehe/ daß ihr ein Fremder ſeyd/ ich habe auch einen
Bruder in der Fremde herum raͤyſend/ derowegen
trachte ich nach aller Gelegenheit/ den Außlaͤndern
etwas zu gut zu thun/ thut ſo wol/ und kom̃t auf den
Abend zu mir/ mein Gaſt zu ſeyn/ und weil mein Mañ
euch nicht kennen wird/ ſo ſprechet/ daß ihr meinem
Bruder Fabiano in Rom viel Gutes gethan habt/ ſo
wird er euch hoͤflich gnug zu empfangen wiſſen/ als-
dann werde ich ſchon weiter Gelegenheit finden/ euch
um meines verraͤyſeten Bruders willen ein und an-
dern Dienſt zu thun. Wem war dieſe Rencontre lie-
ber/ als unſerm Venereo? Dieſer merckete bald/ daß
die Dame, Florentia genannt/ nicht um ihres Bru-
ders/ ſondern vielmehr um ihrer Schweſter willen/
ihn zu ſich noͤthigte. Er ließ ihm demnach das Hauß
bezeichnen/ und nahm ſeinen Abſchied von ihr. Dieſes
mahl gieng er vor deß Kauffmanns Hauß vorbey/ da
ihn die Adeliche Dame freundlich gruͤſſete/ und ihn zu
ſich winckete/ weil er aber keine Luſt hatte/ zu dieſem
mahl bey einer andern/ als der Florentia, zu ſchlaffen/
winckete er ihr dargegen/ daß es in ihrem Hauß fuͤr
ihn nicht gar ſicher waͤre/ deſſen dann Jene hefftig er-
ſchrack/ inmaſſen ſie ſich nicht zu ihm verſahe/ daß er
ihr dieſen Reuter-Dienſt ſolte verſaget haben.
Wie die Abend-Zeit heran gekommen/ ſpatzierete
er gantz allein/ Fuß vor Fuß/ durch die angezeigete
Straſſe/ und als er die Florentia vor dem Hauß ne-
ben ihrem alten Edelmann/ der ein reicher Ritter
war/ ſitzen fand/ machte er eine Reverentz/ und forſche-
te nach der Wohnung eines gewiſſen Mannes/ wel-
che ihm der Ritter mit kurtzen Worten andeutete/
U u 5ſeine
[682]Deß Academiſchen
ſeine junge Frau aber forſchete/ ob er ein Außlaͤnder/
und von wannen er komme? Venereus merckete bald/
worauf dieſes angeſehen/ gab demnach zu verſtehen/
daß er ein Jtaliaͤner/ und jetzo von Rom komme. Sie
war froͤlich hieruͤber/ und fragete weiter/ ob er keinen
Teutſchen Edelmann gekannt/ der ſich Fabiano ge-
nannt? Hierauf verwunderte er ſich gleichſam/ daß
man dieſen ſeinen allerbeſten Freund allhier auch ken-
nete/ er beſchriebe ihn darauf/ wie er ihm vorhin von
der Florentia war beſchrieben worden/ und erzehlete/
wie er ihm manchen Dienſt gethan/ auch noch vor ſei-
ner Abraͤyſe fuͤr 400. Kronen ſeinethalben Buͤrge
worden/ weil es ihm damahl an Geld gemangelt.
Florentia ſprach jetzo zu ihrem Mann: Ach mein
Hertz/ bittet doch dieſen guten Freund/ der durch ein
ſonderlich Gluͤck zu uns gefuͤhret worden/ daß er die-
ſen Abend mit uns ſpeiſe/ euer Bruder hat uns zu
rechter Zeit mit einem Haſen und 3. Raͤbhuͤhnern re-
galiret/ ſie ſtecken ſchon allerſeits am Spieß/ dann bey
dieſer heiſſen Zeit wil ſich das Wildpret nicht lange
halten. Der Ritter muſte Ehrenhalben mit daran/
dahero noͤthigete er den Venereum mit ins Hauß/ und
die Florentia war geſchaͤfftig/ dieſen neuen Courtiſan
durch ein gutes Tractament ihr verbindlich zu ma-
chen. Jnzwiſchen aber/ daß dieſer bey dem Ritter gantz
allein im Logiment ſitzet/ und ſie von andern Dingen
reden/ gehet die Florentia in ihr Zimmer/ und ſchrei-
bet einen kleinen Brieff/ darinn ſie vermeldet/ welcher
Geſtalt ihr Mann morgenden Tages nach Lindau
verraͤyſen werde/ dahero wolle ſie ihn biß auf eine
Viertel-Stunde zu ihrem Meyer-Hof das Geleite
geben/ und ſich allda uͤber Nacht aufhalten/ wann
es ihm alſo beliebe/ koͤnne er auf den Mittag ſich da-
ſelbſt bey ihr einfinden/ und deß Jenigen genieſſen/
weſſen
[683]Romans II. Buch.
weſſen nur ſein Hertz verlange. Dieſen Zettel ſteckete
ſie ihm in die Hand/ als ſie wider hinein kam/ und ihn
oben an den Tiſch zu ſitzen noͤthigte. Venereus mer-
ckete dieſes bald/ aber dem Ritter blieb alles verbor-
gen/ und alſo machten ſie ſich mit einander luſtig/ und
wie der Ritter ſahe/ daß ſich ſeine Liebſte ſo freudig
bezeugete/ ward er auch munter/ und trunck reichlich
von dem guten Veltliner Wein/ machte auch mit Ve-
nereo gute Freundſchafft/ und botte ihm Geld an/
dafern er deſſen in dieſer Fremde benoͤthiget ſeyn
moͤchte.
Als endlich die Mahlzeit vollendet/ welche ſich
biß in die ſpaͤte Nacht hinein verzogen/ da nahm Ve-
nereus einen hoͤflichen Abſchied/ und kehrete wieder in
ſeine Herberge/ allwo er deß andern Tages mit Ver-
langen erwartete/ um der Florentia zu genieſſen/ dann
ſie war eine uͤberauß ſchoͤne und hochverſtaͤndige Da-
me, dergleichen er noch wenige zu ſeinem Willen ge-
habt. Wie endlich die Sonne am andern Tag den
hoͤchſten Grád erſtiegen/ da machte er ſich auf den
Weg nach dem bezeichneten Hof/ und fand die Flo-
rentia im Fenſter ligen/ welche ihm von weitem win-
ckete/ daß er fort eyle/ weil ihr Mann ſchon laͤngſt
verraͤyſet ſey. Alſo ſprach Venereus ſeinen Beinen zu/
und gelangete bald an den Ort ſeiner verlangeten
Freude. Die Frau hatte nur eine Magd bey ſich/ die
ihr getreu war/ und dieſe Beyde willig allein ließ/ daß
ſie Zeit hatten/ das Jenige zu beſtellen/ worauf ſie
beyderſeits ſeit geſtern waren bedacht geweſen. Vene-
reus blieb dieſe Nacht bey ihr/ und ward wol tractiret/
dann zu dem Ende hatte ſie herꝛlich zurichten laſſen/
und der Jtaliaͤner bekam an Getraͤncke/ was er nur
verlangete; Alſo machten ſie ſich auf ihre Weiſe
luſtig/ aber in verbottener Luſt/ darinn viel junge
Frauen/
[684]Deß Academiſchen
Frauen/ inſonderheit aber Venereus lebete/ als der
dieſe einzige Profeſſion trieb/ und darauf in der Welt
umher raͤyſete. Als die Morgen-Roͤthe anbrach/ ſtund
er auf/ und kehrete wieder nach der Stadt/ jedoch mit
dem Abſchied/ daß er auf den Abend wiederkommen/
und ihr Schlaff-Geſell ſeyn wolle/ welches er ihr hoch
und theuer zuſagen muſte. So bald er aber zum Thor
hinein getretten/ ſtieß ihm der jenige junge Edelmañ
auf/ den er neulich von den Wildſchuͤtzen errettet hat-
te/ dieſer war froh/ daß er ihn ſahe/ und weil er etwas
Melancholiſch/ fragete Venereus, was ihm ſchade?
Der Edelmann gab ihm zu erkennen/ daß er auf dem
Weg begriffen/ eine uͤberauß ſchoͤne Adeliche junge
Frau/ die einem alten Ritter/ Philander genannt/ ver-
ehelichet/ zu beſuchen. Er habe zwar gute Kundſchafft
zu ihr/ aber ſie ſey ihm nimmer ſo gnaͤdig erſchienen/
daß ſie ihn ohne 50. Rthlr. haͤtte zulaſſen wollen.
Kommet mit mir/ ſprach er/ ſie mag gerne huͤbſche
Maͤnner leyden/ vielleicht habt ihr die Gunſt/ ihrer
um ein Geringes theilhafftig zu werden.
Venereus war deſſen zufrieden/ und gieng mit
ihm zu der Frau Clara, welche/ weil ihr Mann auf
dem Rathhauß zu thun hatte/ ſich allein befand. Sie
bewillkom̃t dieſe Beyde/ und ließ ſich gleich alſobald
in ein Liebes-Geſpraͤch mit ihnen ein/ jedoch mit dem
Beding/ weil ſie von ihrem geitzigen Ehe-Herꝛn gar
kaͤrglich gehalten wurde/ daß ſich der Jenige/ ſo ihrer
genieſſen wolte/ mit 50. Kronen einſtellen muͤſſe.
Weil nun keiner ſo viel Geldes bey ſich hatte/ ſchieden
ſie damahl ohnverrichter Sachen von ihr/ und auf
dem Weg erzehlete der junge Edelmann/ wie daß die
2. ſchoͤnſten jungen Adelichen Damen dieſer Stadt an
2. alte Ritter ſich verheurathet/ von denen ſie ſchlechte
Luſt haͤtten/ und gleichwol bemuͤheten ſich dieſe 2. alte
Boͤcke/
[685]Romans II. Buch.
Boͤcke/ einer dem andern Hoͤrner aufzuſetzen/ welches
doch keiner mercke/ ſolcher Geſtalt wuͤrde Florentia
von dem Philander, und die Clara von der Florentia
Mann offt heimlich beſuchet/ weil aber die Frauen
an dieſen alten Courtiſanen anders keine Luſt haͤtten/
als daß ſie ihnen etwas Geld ablaureten/ ſo behuͤlf-
fen ſie ſich die uͤbrige Zeit lieber mit jungen Courtiſa-
nen. Venereus ließ ſich nichts von der Florentia ver-
mercken/ gedachte doch in ſeinem Hertzen/ der geitzi-
gen Clara eines anzubringen/ nahm demnach von dem
Edelmann Abſchied/ und wartete/ biß Philander vom
Rathhauß kam/ da redete er ihn an/ und bathe ihn/
daß er ihm 100. Kronen vorſtrecken moͤchte/ welche
ihm der Ritter Conrad, der Florentia Gemahl/ wie-
der geben wuͤrde/ und habe ihm dieſer ſelber gemeltes
Geld herſchieſſen wollen/ ſey aber daruͤber geſtern
nach Lindau verraͤyſet. Philander hatte ſchon ver-
nommen/ daß Venereus bey Conrad zu Gaſt geweſen/
und daß er der Florentia Bruder in Rom mit Geld
auß der Noth geholffen/ beſchiede ihn alſo auf den
Abend zu ſich/ da dann Venereus ſich willig einſtellete/
aber die Clara, weil ihr Mann derſelben nicht viel
trauete/ war nicht zu Hauß. Der Jtaliaͤner empfienge
die 100. Kronen/ und verſprach ihm/ ſo bald der Rit-
ter Conrad wiederkommen wuͤrde/ eine Obligation
unter deſſen Hand zuzuſtellen. Er trug das Geld in
ſeine Herberge/ und eylete nach der Florentia, die ſei-
ner bey einer guten Mahlzeit wartete. Sie ſpeiſeten
bald ab/ und eyleten nach dem verlangten Luſt-Ort/
blieben auch die gantze Nacht bey einander.
Als aber der folgende Morgen kaum angebro-
chen/ klopffete Ritter Philander vor der Thuͤr ſtarck
an/ und weil ſich die Florentia ſeiner nicht entbrechen
kunte/ bath ſie den Venereum, ſich eylends anzulegen/
und
[686]Deß Academiſchen
und in jenem Zimmer zu verbergen/ dieſer/ der ihr
ſchon erzehlet/ daß er von dieſem Ritter etwas Geld
aufgenommen/ war deſſen zufrieden/ und alſo fand
ſich Philander bey der Florentia, nach ſeiner alten Ge-
wonheit ein/ und ergoͤtzete ſich/ wie einer/ der die ſaure
Trauben in der Nachleſe aufſammlet. Da ſie aber in
dieſem verbottenen Liebes-Werck begriffen waren/
kommt Ritter Conrad ſelber vor den Hof/ und klopf-
fete an. Solches zeiget die Magd ihrer Frauen alſo-
bald an/ die ſich dann von Philandern eylends loßriſſe/
und weil ihr Mann noch immer einigen Argwohn
auf denſelben gehabt/ wuſte dieſer auch nicht/ wie er
mit Ehren auß dieſem Ungluͤck kommen ſolte. Er zeh-
lete demnach der Florentia 100. Kronen/ und bathe
ſie/ ſein Leben zu retten. Dieſe ſprach: Ritter/ ſtellet
euch nur gantz raſend-zornig an/ ſchwinget euer bloſ-
ſes Schwerdt um den Kopff/ und drohet/ er ſolle euch
nicht entlauffen/ ihr wollet ihn ſchon auf ein ander
mahl finden. Kehret euch darauf nicht an meines
Mannes Fragen/ oder Reden/ fondern ſtellet euch
gantz trotzig/ ſetzet euch aufs Pferd/ und reitet curer
Wege/ fuͤr das uͤbrige laſſet mich alsdann ſorgen.
Wie nun Ritter Conrad in den Hof kam/ und ein ge-
ſatteltes Pferd daſelbſt ſtehen fand/ verwunderte er
ſich deſſen/ und gedachte alſobald auf nichts Gutes/
eylete demnach ins Hauß/ und daſelbſt begegnet ihm
Philander mit dem bloſſen Gewehr/ fluchet und ſchwoͤ-
ret/ der ſolle ihn holen/ wann er ihm nicht innerhalb
2. oder 3. Tagen den Reſt gebenwolte. Conrad for-
ſchet/ was er zu thun/ und mit wem er es aufgenom-
men? Aber Philander kehret ſich an nichts/ ſondern
ſetzet ſich auf ſein Roß/ und reitet darvon.
Alſo gehet Conrad ins Hauß hinein/ und wird
von ſeiner Frauen mit Freuden empfangen: Jch
glaube/
[687]Romans II. Buch.
glaube/ ſprach ſie/ ein Engel hat euch/ mein Hertz/ zu
dieſer gelegenen Stunde hieher gefuͤhret/ ſonſt haͤt-
ten wir ein groſſes Ungluͤck in unſerm Hof erlebet.
Aber hoͤret! dem freundlichen Jtaliaͤner/ der meinem
Bruder Fabiano ſo viel Gutes erzeiget/ iſt geſtern ſein
Pferd verrecket/ derowegen hat er den Ritter Philan-
der um 100. Kronen gebetten/ fuͤr ſolche ein anders zu
kauffen/ verſpricht ihm auch eure Buͤrgſchafft als
heute zu erlangen/ darauf empfaͤnget er das Geld/
und wie Philander inzwiſchen erfaͤhret/ daß ihr nach
Lindau ſeyd verraͤyſet/ ſendet er zu Venerco, und wil
ſein Geld wieder haben/ auß Beyſorge/ er moͤchte
fortgehen/ ehe ihr wiederkaͤmet. Venereus kom̃t alſo
hieher zu mir/ und wil mich um Rath fragen/ ſolches
wird Philandern bald zu wiſſen gethan/ welcher ſich
aufs Pferdt wirfft/ ihm nachreitet/ und ihn ſchier vor
dieſem Hof eingeholet haͤtte. Jch verbarg alſo den
Venereum fuͤr ſeinem Grimm/ und ſchloſſe das Ge-
mach zu/ darinn ich ihn verſtecket/ alſo kehrete Philan-
der in vollem Grimm wieder ſeines Weges/ und koͤn-
net ihr darbey ſehen/ daß er halb raſend geweſen fuͤr
Zorn/ weil er euch nicht einmahl gekannt/ ſonſten haͤt-
te er euch dieſes Geldes wegen auſſer allem Zweiffel
angeſprochen.
Das iſt dann wol ein groſſes Gluͤck/ ſprach der
Ritter/ daß ich mein Gewerbe ſo bald abgeleget habe.
Kommet/ meine Liebſte/ Florentia, und laſſet uns den
armen Venereum auß ſeinem Angſt-Winckel erloͤſen.
Hiermit giengen ſie in das verſchloſſene Gemach/ all-
wo der Ritter den Jtaliaͤner troͤſtete/ und ihm ver-
ſprach/ fuͤr das geliehene Geld Buͤrge zu werden/ daß
er von Philandern weiter keine Anfechtung haben ſol-
te. Darauf richtete die Frau eine gute Mahlzeit an/
welche ſie um den Mittag zu ſich nahmen/ und dar-
nach
[688]Deß Academiſchen
nach fuhren ſie mit einander wieder in die Stadt/
woſelbſt Venereus ſich in ſeine Herberge verfuͤgete.
Etliche Stunden hernach kam der andere Bruder
deß vorigen jungen Edelmanns zu ihm/ mit welchem
er außgieng/ und als ſie vor deß Philanders Thuͤre ka-
men/ præſentirte ſich die Clara, und gab zu erkeñen/ daß
ihr Mann dieſen Morgen außgeraͤyſet ſey/ und heute
nicht wiederkommen wuͤrde. Alſo noͤthigte Venereus
den Edelmann mit hinein/ und zehlete der Frau Cla-
ra 100. Kronen/ ſo ihm ihr Mann vorigen Tages
geliehen hatte/ darvon ſie aber nichts wuſte. Die-
ſes Geld/ ſprach er/ gebet eurem Ritter in meinem
Namen/ wann ich wiederkomme/ wil ich ſelber mit
ihm reden. Die Frau meynete/ er redete dieſes nur
alſo vor ſeinem Gefaͤhrten/ um ſich und ſie nicht zu
verrathen/ nahm alſo das Geld willig an/ und hoffete
es mit guter Luſt zu verdienen. Hierauf gieng Vene-
reus mit dem Edelmann ein wenig ſpatzieren/ und
kehrete gegen den Abend mit ihm nach ſeiner Mutter
Hauß/ daſelbſt ſpeiſeten ſie mit einander/ und nach ge-
haltener Mahlzeit nahm Venereus den juͤngſten Bru-
der zu ſich/ und ſagte: Mein Bruder/ wir wollen uns
zu der ſchoͤnen Clara erheben/ ich habe ſie ſchon fuͤr uns
Beyde mit 100. Kronen contentiret. Dieſer folgete
ihm willig/ und darauf wurden ſie von der geilen
Dame freundlich empfangen/ da ſich dann einer nach
dem andern mit ihr ergoͤtzete/ biß nach Mitternacht
ein Jeder wieder an ſeinen Ort kehrete. Am folgen-
den Morgen ritte Philander durch die Stadt wieder
herein/ deſſen Venereus bald gewahr ward/ gieng
demnach zu dem aͤltern Bruder der Edelleuten/ nahm
ihn zu ſich/ und wie ſie zu Philandern kamen/ ſprach
der Jtaliaͤner: Jch ſage euch Danck/ Herꝛ Ritter/
daß ihr mir vor 2. Tagen habt 100. Kronen vorge-
ſtrecket/
[689]Romans II. Buch.
ſtrecket/ dieſelbe habe ich eurer Frauen geſtern wieder-
gegeben. Philander rieff der ſchoͤnen Clara, und fragete
ſie ums Geld. Dieſe erſchrack deſſen zwar/ und hof-
fete es ſelber zu behalten/ weil ſie es aber in Gegen-
wart dieſes Edelmanns von Venereo empfangen/
kunte ſie es nicht laͤugnen/ ſondern muſte das Geld
herholen; Was ſie aber in ihrem Hertzen darbey ge-
dacht/ und was ſie den 2. Courtiſanen daruͤber an
Halß gewuͤnſchet/ daß ſie ſo ſchaͤndlich von ihnen
hintergangen worden/ indem ſie dieſelbe fuͤr ihres
Mannes eigenes Geld bey ſich hatte ſchlaffen laſſen/
das kan ein Jeder ſelber erachten.
Venereus kehrete darnach zu Conrad, und ſagete
ihm/ wie er von einem andern guten Freund Geld be-
kommen/ dardurch er Philandern alleweil befriediget/
habe er alſo ſeines Gutſagens nicht noͤthig. Wie er
aber mit der Florentia darauf/ beym Abtritt ihres
Mannes/ allein zu reden kam/ erzehlete er ihr den
Betrug/ den er der Clara geſpielet/ die deſſen in ihrem
Hertzen lachete. Hernach gieng er zu den 3. Bruͤdern/
uñ offenbarete ihnen ebenmaͤſſig den gantzen Handel
mit der Clara, welche/ wie auch ihre alte Mutter/ und
inſonderheit ihre Schweſter/ deß alten Kauffmanns
Frau/ ſich dieſes liſtigen Poſſen gnugſam zerlache-
ten. Sie hielten darauf eine froͤliche Abſchieds-
Mahlzeit mit einander/ und am folgenden Morgen
ſetzete ſich Venereus zu Pferd/ um forderſamſt nach
Lindau zu gelangen/ und zu ſehen/ ob er den Printzen
bald wieder außforſchen/ und in deſſen Suite weiter
fortraͤyſen moͤchte/ ein Stuͤck von Teutſchland zu
beſehen.
Das XIII. Capitul/
Venereusgehet fort/ und machet ſich auf verſchiedene Weiſe
luſtig. Jnſonderheit mit der ſchoͤnen Helena/ welche er liſtig hinter-
gehet.
X xWie
[690]Deß Academiſchen
WJe er aber eine gute Meile fortgeritten war/
und zu einem ſchoͤnen Meyerhof kam/ da ſa-
he er den juͤngſten von den 3. Edelleuten/
ſamt ſeiner Schweſter/ deß Kauffmanns Frau/ da-
ſelbſt/ welche alſobald herauß kamen/ und ihn zu ſich
hinein noͤthigten. Ey/ wie ein feiner Mann/ ſprach
die Dame, der alſo ohne Haltung ſeines Verſprechens
darvon reiten wil. Venereus wuſte nicht/ wie er dieſe
Worte verſtehen ſolte/ forſchete demnach/ wie ſie ſol-
che meynete? Wiſſet ihr nicht/ war ihre Antwort/
daß ihr mir gegen ein gutes Recompens verſprochen
habt/ eine Kunſt mitzutheilen/ Krafft welcher mein
Mann mir hinfuͤhro in allem gehorſam ſeyn ſoll? Ve-
nereus gedachte wol/ daß dieſes auf ein anders ange-
ſehen/ und ſprach: Verzeyhet mir/ meine Frau/ daß
ich mich ſchier ſelber daruͤber vergeſſen haͤtte/ ihr habt
aber wol gethan/ daß ihr mit einer kleinen Com-
pagnie hieher kommen ſeyd/ dann dieſe Kunſt muß
heimlich gehalten werden. Alſo reichete ſie ihm einen
Beutel mit 30. Ducaten/ und fuͤhrete ihn ins Hauß/
welches ihrer Mutter zugehoͤrete/ daſelbſt fruͤhſtuͤcke-
ten ſie mit einander/ nahmen darauf von dem Edel-
mann/ der den Brathen etwa auch riechen mochte/
Abſchied/ und verſchloſſen ſich Beyde in ein beſon-
ders Zimmer/ woſelbſt ſie die Vergeltung fuͤr das
Geld von dem Venereo mit hertzlicher Freude/ aber
keines Weges eine Kunſt/ wie ſie vorhin geſaget/ em-
pfieng/ und nachdem ſie in dieſer Luſt eine gute Stun-
de verharret/ nahmen ſie freundlichen Abſchied von
einander/ und Venereus ritte ferner ſeines Weges
fort. Er kam denſelben Abend in ein groſſes Dorff/
da er in der Herberge ſehr wol/ wiewol auch fuͤr
gnugſames Geld/ bewirthet ward/ weil es ihm aber
jetzo an keinem Geld mangelte/ achtete er deſſen we-
nig/
[691]Romans II. Buch.
nig/ ſondern zahlete mit lauter Ducaten in Gold/
welches deß Wirths Tochter merckete/ als er dem-
nach in der Nacht zu ſeiner Schlaff-Stelle gewieſen
ward/ fand er dieſelbe in ſeinem Bette/ welche ſich er-
botte/ ihm dieſe Nacht Geſellſchafft zu leiſten.
Venereus war kein ſolcher Mann/ der bey ſolcher
Gelegenheit dem zarten Frauenzimmer eine Nacht-
Herberge haͤtte abſchlagen ſollen/ dannenhero ruͤckete
er zu ihr/ und gab ihr zu erkennen/ daß er von Fleiſch
und Knochen zuſammen geſetzet ſey. Sie machten
ſich dieſe Nacht mit einander luſtig/ und als die Mor-
genroͤthe heran brechen wolte/ ſchlich ſie ſachtmuͤthig
von ihm/ verfuͤgte ſich in ihre Kammer/ und ruhete da-
ſelbſt/ biß ihr Schlaff-Geſell aufgeſtanden war/ da
erhub ſie ſich gleicher Geſtalt/ machte ihm ein gutes
Fruͤhſtuͤck zurecht/ und wie er die Zech bezahlen wolte/
ſtieß ſie ihm das Geld wieder zu/ und ſprach: Waͤret
ihr zu mir in mein Bett gekommen/ ſo haͤtte euch die
Zahlung gebuͤhret/ nun ich aber zu euch bin kommen/
ſeyd ihr Zehr-frey/ deſſen dann Venereus in ſeinem
Hertzen lachete/ und geſtehen muſte/ daß er in der kur-
tzen Zeit bey dem Teutſchen Frauenzimmer weit ſeltza-
mere Ebentheuer/ als ſonſten die uͤbrige gantze Zeit in
Jtalien erlebet haͤtte. Er war demnach dieſer Rech-
nung gar wol zufrieden/ ſetzte ſich auf ſein Pferd/ und
wolte nach genommenem Abſchied von der Tochter/
darvon reiten; Aber der Gaſtgeber/ ſo nebſt ſeiner
krancken Frauen annoch in den Federn ſteckte/ wiſche-
te anjetzo/ da er die Huf-Eyſen klappern hoͤrete/ behen-
de herfuͤr/ und rieff der Tochter zu: Ob dieſer Gaſt
auch das Seinige richtig gemacht haͤtte? Sie aber
antwortete ihrem Vatter mit einer verborgenen
Warheit/ indem ſie antwortete: Ja mein Vatter/
dieſer wackere Herꝛ hat mich redlich bezahlet. Dieſes
X x 2ſagte
[692]Deß Academiſchen
ſagte ſie/ weil der Vatter/ als deſſen Geld ſie in Ver-
wahrung hatte/ keine Rechnung von ihr forderte.
Und alſo ritte Venereus ſeines Weges/ und kam zwey
Stunden Nachmittag allererſt zu Lindau an/ da er
ſich in eine Herberge legte/ und wie er in den Eß-Saal
kam/ etwas Speiſe zunehmen/ ſahe er ein uͤberauß
ſchoͤnes Conterfait an der Wand hangen/ welches ei-
ne Dame fuͤrſtellete. Venereus fand an dieſem nicht
allein eine ſonderbare Kunſt deß Meiſters/ ſondern
eine uͤbermaͤſſige Schoͤnheit der geſchilderten Per-
ſon/ welche er unter dem Eſſen ſtaͤts betrachtete/ und
ſeine Augen weit mehr daran/ als ſeinen Magen an
den Tractamenten waͤydete. Nachdem er endlich
ſeinen Hunger geſtillet/ kam der Hauß-Wirth auß
dem Feld herein/ den er fragte: Was dieſes fuͤr ein
Conterfait, und ob es dem Original aͤhnlich ſeye?
Der Wirth ſprach: Mein Herꝛ/ ihr ſehet allhier eine
Adeliche Dame, welche vor 2. Jahren ſchon verheyra-
thet geweſen/ aber mit ihrem Ehe-Herꝛn annoch in
einer unfruchtbaren Ehe ſitzet/ welches ihr etwas nahe
gehet/ ſie iſt weit ſchoͤner/ und ſo ſchoͤn/ daß es allen
Mahlern in der Welt/ ſolte man auch auß ihnen al-
len nur einen einzigen Kuͤnſtler machen/ ohnmoͤglich
iſt/ ihre Schoͤnheit vollkommen abzubilden. Jhr
ſehet zwar allhier einen Entwurff ihrer aͤuſſerlichen
Geſtalt/ aber die Schoͤnheit ihrer Seelen iſt unver-
gleichlich/ allermaſſen ſie den hoͤchſten Grad aller
Haupt-Tugenden beſitzet/ indem ſie gegen Jederman
freundlich/ freygebig/ keuſch/ und uͤberauß andaͤchtig
iſt/ dahero ein Jeder wuͤnſchet/ daß ſie mit Leibes-
Erben beſeeliget werde/ damit die Nach-Welt einen
Abdruck ſolchen unvergleichlichen Geſchoͤpffs behal-
ten und ſehen moͤge.
Venereus forſchete/ ob der Edelmann/ dem ſie
verhey-
[693]Romans II. Buch.
verheyrathet/ bey Mitteln ſey? Freylich Ja/ gab Je-
ner zum Bericht/ er iſt ein Mann von mehr/ als zwo
Tonnen Golds/ und darum wolte ſie eben gern einen
Erben von ſeinem Leib haben/ damit ſie/ wann ihr
Juncker etwa durch einen fruͤhzeitigen Tod hinge-
rafft wuͤrde/ nicht alſobald auß dem Beſitz ſo ſchoͤner
Guͤther verſtoſſen wuͤrde. Als der Wirth gefraget
ward/ ob er dieſe Dame auch ſelber geſehen? Sprach
er: Jch bin 2. Jahr in ihres Junckern Dienſt geſtan-
den/ ehe er ſie heyrathete/ und nachdem ich mich dar-
auf allhier niedergelaſſen/ habe ich ihm ſeine Geſchaͤff-
te allhier außrichten muͤſſen/ alſo/ daß faſt keine Wo-
chen vergehet/ da ich nicht einmahl zu ihm auf ſein
Guth komme/ bey welcher Gelegenheit ich alſo dieſe
ſchoͤne Helena oͤffters gnug zu ſehen bekommen habe.
Jch bin noch vor 2. Tagen erſt von ihm herein gekom-
men/ und hat mir Commiſſion ertheilet/ einen Diener
außzuforſchen/ der mit dem Tafel-Decken wol um-
zugehen wiſſe/ inmaſſen er von den Fuͤrnehmſten deß
Landes/ ja von Fuͤrſten und Herren dann und wann
heimgeſucht wird/ welche ſich an ſeiner luſtigen Woh-
nung divertiren. Dem Venereo waͤſſerte der Mund
gewaltig nach dieſer Schoͤnheit/ und ob er gleich
nicht gewohnet/ in dergleichen Faͤllen Geld außzu-
ſpenden/ ſondern vielmehr einzunehmen/ haͤtte er doch
gutwillig all ſein Geld ſamt dem Pferd/ ſo er noch
uͤbrig hatte/ daran ſpendiret/ wann er dieſer Frauen
nur ein einziges mahl moͤchte theilhafftig werden. Er
zohe demnach den Wirth an die Seite/ und ſprach:
Mein Freund/ ich kan euch nicht bergen/ daß ich bin
deß Groß-Hertzogen von Toſcana ſein obriſter Hof-
Mahler/ welcher mich außgeſandt hat/ alle ſchoͤne
Dames abzubilden/ die mir fuͤrkom̃en/ und ihm ſolche
zu uͤberbringen. Jch beſorge aber/ ſolcher Geſtalt/
X x 3und
[694]Deß Academiſchen
und unter dieſem Namen bey der ſchoͤnen Damen
nicht zum Zweck zugelangen/ derowegen wuͤrdet ihr
mir einen groſſen Dienſt erzeigen/ wann ihr mich/ als
einen Tafel-Decker bey dem Edelmann recommen-
dirt/ da ich beſſer Zeit und Gelegenheit habe/ der
Frauen uͤbermaͤſſige Schoͤnheit zu betrachten/ und
ein rechtes Abbildnuͤß nach meinem Verlangen dar-
von zu nehmen. Jch verſpreche euch/ daß ich mich in
meinem Dienſt wil wol verhalten/ und ihr ſollet
10. Ducaten zur Verehrung von mir zu empfangen
haben.
Dem Wirth gefielen dieſe Worte ſehr wol/ und
weil er ohne ſonderbare Muͤhe 10. Ducaten zuge-
winnen hoffete/ ſchrieb er alſobald einen Brieff/ und
ſandte denſelben noch dieſen Abend nach dem Edel-
mann/ bekam auch am folgenden Morgen Antwort/
er moͤchte nur/ ſo bald er koͤnte/ mit dem neuen Tafel-
Decker heruͤber kommen. Venereus ließ ſein Pferd
und Geld dem Wirth zum Unter-Pfand/ ſetzte ſich
mit ihm auf einen Wagen/ und fuhren alſo nach die-
ſer ungemeinen Shoͤnheit hin. Unter Weges aber
muſte ihm der Gaſtgeber zuſagen/ ihm nicht zu ver-
rathen/ ſondern alle ihm anvertraute Heimlichkeiten
bey ſich erſterben zu laſſen. Sein Pferd aber kan er
inzwiſchen verkauffen/ weil er den uͤbrigen Weg/ den
er in Teutſchland zu verrichten hatte/ entweder mit
der Poſt/ oder in anderer Geſellſchafft zu verrichten/
reſolvirt waͤre.
Sie kamen endlich zu einer uͤberauß praͤchtigen
Adelichen Burg/ welche auf einem kleinen Felſen
lag/ mit einem breiten Waſſer-Graben umgeben/
uͤber welchen man auf einer langen Brucken/ die an
zwey Orten aufgezogen werden kunte/ gelangete. An
der Oſt-Seiten/ zu naͤchſt am Hauß/ innerhalb deß
Gra-
[695]Romans II. Buch.
Grabens/ war ein uͤberauß ſchoͤner Luſt-Garten/ in-
maſſen der Felſen allda mit einem fruchtbaren Erd-
reich zur Gnuͤge bedecket war. Sonſten war dieſe
Burg gegen Norden mit einem hohen Gebuͤrge voll
Waldungen/ gegen Morgen mit einem Graß- und
Blumen-reichen Wieſen-Grund/ gegen Mittag mit
einem ſehr groſſen Korn-Feld/ und gegen Abend mit
etlichen groſſen und kleinen Fiſch-Teichen umgeben.
Man ſahe allerhand ſchoͤne Spring-Brunnen und
Waſſer-Kuͤnſten/ ſchoͤne Grotten und andere Luſt-
barkeiten/ daran ſich ein luͤſternes Auge rechtſchaffen
ergoͤtzen kunte/ daß demnach Venereus dieſen Edel-
mann vor den gluͤckſeeligſten Mann von Teutſchland
preiſete/ der mit der allerſchoͤnſten Venus in einer ſol-
chen Luſt-reichen Wohnung hauſirete. Wie ſie mit
einander in die Burg kamen/ ſtund ihnen Venereus
ſehr wol an/ und behielte ihn der Edelmann alſobald
in ſeinen Dienſten/ da ſich dann der Gaſtgeber wie-
der nach der Stadt erhub. Der Jtaliaͤner aber hatte
ſchier nicht Kraͤfften gnug ſeine Affecten zu zwingen/
als er die ungemeine Schoͤnheit der Adelichen Helena
bey der Mahlzeit erblickete. Weil er ſich auch mit
Außzierung der Tafel/ und was darzu gehoͤret/ wol
zu behelffen wuſte/ ſo gieng es wol fuͤr ihn. Und bey
der erſten Tafel-Deckung gewann der Edelmann ei-
ne ſonderbare Affection zu ihm/ er verhielte ſich ſehr
geſchicklich/ redete gar verſtaͤndig/ und hatte Adeliche
Gebaͤrden/ dahero æſtimirten ſie ihn vor allen andern
Dienern. Venereus aber gedachte alſobald/ wie er
dieſer ungemeinen Schoͤnheit moͤchte theilhafftig
werden/ und als er in den zwey erſten Tagen keine
Gelegenheit darzu erſehen kunte/ præſentirete ſich am
3. Tag eine ſchoͤne von ſich ſelber.
Der Edelmann ritte mit ſeinen Leuten hinauß
X x 4auf
[696]Deß Academiſchen
auf die Jagd/ und weil die ſchoͤne Helena ſich gantz
allein in ihrem Zimmer befand/ ließ ſie den Venereum
zu ſich ruffen/ damit er ſie in dem zierlichen Legen der
Servietten/ womit er fuͤrtrefflich umzugehen wuſte/ ſie
ein wenig unterweiſen moͤchte. Er hatte aber hiermit
kaum angefangen/ als er einen tieff-geholten Seuff-
zer fliegen ließ/ nach deſſen Urſach die Helena forſche-
te. Ach ſchoͤnſte Frau/ war ſeine Antwort/ ich bin et-
was traurig/ weil es mir ſo ungluͤcklich gehet. Hier-
mit ſeuffzete er noch tieffer als vorhin. Sie hatte
groſſes Mitleyden mit ihm/ und bathe ihn/ ihr deſſen
Urſach zu entdecken. Wann ich ſolches thaͤte/ ſprach
er/ muͤſte ich eure Ungnade fuͤrchten/ fuͤr welche ich
lieber in den Tod gehen wolte. Als ſie ihm aber
ſchwur/ daß ſie ihm nicht unguͤnſtig werden wolte/
wann er anders fein rein außbeichten wuͤrde/ da warff
er ſich fuͤr ihr auf ſeine Knie darnieder/ und ſprach:
Mein Leben/ allerſchoͤnſte Frau/ und mein Tod ſtehen
allein in eurer Gewalt/ ihr ſehet allhier zwar euren
Tafel-Decker/ aber ich bin Jeronymo, Marquis de
Caranza, ein fuͤrnehmer Vaſall der Roͤmiſ. Kirchen/
in dem Land Urbino. Eure Schoͤnheit iſt fuͤr meine
Ohren in Jtalien kommen/ und euer Conterfait, ſo
ich zu Rom von einem Teutſchen Cavallier erhandelt/
hat mich angefriſchet/ daß ich mich auf den Weg ge-
macht/ euch ſelber/ als das rechte Original, zu ſehen/
um zu unterſuchen/ ob der Mahler ſeiner Hand zu
viel Willen und Freyheit gelaſſen. Alſo habe ich mich
bey eurem Junckern fuͤr einen Diener annehmen laſ-
ſen/ und ſeithero befunden/ daß der Mahler noch bey
weitem nicht hat fuͤrbilden koͤnnen/ die jenige Voll-
kommenheit/ womit die Natur eure unvergleichliche
Geſtalt beehret hat. Aber/ ach Jammer! ich habe ſo
viel gefunden/ daß es mir unmoͤglich/ ohne einige Ge-
nieſſung
[697]Romans II. Buch.
nieſſung deſſelben von hinnen zu ziehen/ darum ſage
ich euch frey herauß/ vergoͤnnet mir/ daß ich einmahl
bey euch ſchlaffe/ oder nehmet einen Dolch/ und ſtoſſet
mir denſelben alſobald mitten durch mein allzufreches
Hertz. Hiermit hielte er ein/ und die allzugroſſe Liebe
zu der Helena zwang eine reiche Thraͤnen-Quell auß
ſeinen Augen/ welches die Helena zum Mitleyden be-
wog/ daß ſie ihn mit ihrer Schnee-weiſſen Hand auf-
richtete/ ſagend: Es iſt zuviel/ mein Printz/ daß ihr
euch fuͤr einer Edel-Damen ſolcher Geſtalt nieder-
werffet/ ich habe wol gemercket/ daß ihr mehr/ als ein
gemeiner Menſch/ ich verſichere euch darneben/ daß
viel fuͤrnehme Leute das Jenige geſuchet/ was ihr jetzo
verlanget/ aber ſie haben bey mir nichts erhalten;
Nun wolan/ in Betrachtung/ daß ihr meine Wenig-
keit ſo hoch gehalten/ daß ihr nicht allein einen ſo fer-
nen Weg deßwegen uͤber euch genommen/ ſondern
daruͤber in Knechtiſche Erniedrigung geworffen/ ſo
ſollet ihr keine Fehl-Bitte gethan haben/ ſehet/ da iſt
unſere Schlaff-Kammer/ auf jener Seiten deß Bet-
tes habe ich meine Stelle/ kommet auf den Abend
um die Glocke 11. zu mir/ die Thuͤr wird euch offen
ſtehen/ trettet ſachtmuͤthig an meine Seite/ weil
mein Juncker alsdann ſchlaͤffet/ und ſo wil ich als-
dann weiter Rath ſchaffen/ wie ich euch vergnuͤgen
moͤge/ vorjetzo aber gehet in die Kuͤche/ und beſtellet
eure Arbeit/ damit man nicht den allergeringſten
Argwohn auf euch werffen moͤge/ und deſſen allen
zum wahren Unter-Pfand/ und daß ich es redlich
und ohne Falſch mit euch meyne/ nehmet dieſen hertz-
lichen Kuß von mir.
Hiermit kuͤſſete ſie ihn ſo hertzlich/ daß Venereus
meynete/ er ſey in den Himmel aller Suͤſſigkeit ent-
zucket. Er erwiederte aber mit ihrer Verguͤnſtigung
X x 5den
[698]Deß Academiſchen
den Kuß mit 3. andern/ und gieng darmit wolge-
muth von der ſchoͤnen Helena hinauß. Der Juncker
kam auf den Abend wieder nach Hauſe/ und war
rechtſchaffen muͤde von dem Jagen/ dañenhero ward
die Tafel zeitlich gedecket/ und Venereus verrichtete
darbey ſein Amt mit wunderbarer Geſchicklichkeit/
er empfieng aber darbey von der Helena bißweilen
einen Liebes-Winck/ welcher ihm allemahl neue Lab-
ſaal in ſeinem Leyden erſtattete. Endlich ward die
Tafel abgehoben/ und Venereus nahm auch etwas
Speiſe und Tranck zu ſich/ da inzwiſchen der Edel-
mann mit ſeiner Liebſten ſich zur Ruhe verfuͤgete/
und alſo erwartete Venereus der beſtimmten Stunde
mit hoͤchſter Ungedult. Dieſelbe aber kam zuletzt her-
bey/ daher nahete er ſich ohne Licht/ und im Dunckeln/
zur angewieſenen Kam̃er/ da er/ nach beſchehener Zu-
ſage/ die Thuͤr unverſchloſſen fand/ welches ihm guten
Muth machte. Er ſchlich zur Helena, legete ſeine
Hand ſaͤnfftiglich auf ihre Bruſt/ und weil ſie noch
nicht/ wie ihr Ehe-Juncker/ eingeſchlaffen war/ er-
griffe ſie dieſelbe/ und druͤckete ſie feſte/ ließ ſie auch
nicht wieder loß/ ſondern hielte ſie/ und warff ſich et-
liche mahl uͤber und uͤber/ daß ihr Gemahl darvon
erwachete/ worbey dem Venereo nicht wol zu Muth
war/ welcher wuͤnſchete/ 100. Meilen von dannen zu
ſeyn/ dann er beſorgete ſich nunmehro eines ſchlech-
ten Außganges; Er wolte demnach die Hand loß
wuͤrcken/ und wieder davon ſchleichen/ aber die Hele-
na klopffete ihm ſanffte darauf/ und behielte ſie feſte/
ſprach darnach zu ihrem erwachten Juncker: Mein
Schatz/ ich lige und kan nicht ſchlaffen/ wiſſet ihr wol/
warum? Als er mit Nein geantwortet/ fragte ſie ihn/
was ihn bey ihrem neulich angenommenen Tafel-
Decker deuchte? Er iſt ein feiner Menſch/ war ſeine
Antwort/
[699]Romans II. Buch.
Antwort/ und ich liebe ihn mehr/ als einen von allen
meinen andern Dienern. Das habe ich auch bißhero
gemeynet/ verfolgete ſie/ aber dencket doch/ was er
mir heut angemuthet hat/ nemlich er hat mich um deß
Himmels Willen gebetten/ ich moͤchte doch nur ein-
mahl bey ihm ſchlaffen/ und ſeines Willens leben.
Dieſe Worte haͤtten den Venereum neben dem
Bette ſchier in Verzweifflung gebracht/ er gedachte/
nun biſt du gnug verrathen. Alſo biſt du dein Lebtage
noch nicht hintergangen worden/ arbeitete demnach
abermahl/ ſich loß zu wuͤrcken. Aber ſie klopffete und
liebkoſete ihm darauf von neuem mit der Hand/ daß
er bleiben muſte/ der Juncker aber ſprach: Da ſoll
ihn dieſer oder jener fuͤr holen/ morgen am Tage wil
ich ihm eine Kugel ſchencken/ und er ſoll nicht leben-
dig wieder von meinem Hofe kommen. Aber mein
Schatz/ iſt es auch gewiß/ was ihr mir erzehlet/ dann
ich ſehe ihn vor einen zuͤchtigen Juͤngling an. Sie
ſprach: Daß er mir Unehrbarkeit zugemuthet/ iſt
all zu gewiß/ ob er mich aber nur auf eine Probe
ſtellen wollen/ dafuͤr kan ich nicht ſchwoͤren. Jch habe
ihm zugeſagt/ um 12. Uhr in dieſer Nacht zu ihm in
den Luſt garten zu kommen/ da ich ſeines Willens le-
ben wolte/ und das zu dem Ende/ damit ihr in meinen
Kleidern ihn daſelbſt finden/ und vernehmen moͤchtet/
weſſen er in meiner Kleidung an euch wol reſolviren
moͤchte. Darum/ damit wir hinter die rechte Warheit
kommen/ werdet ihr ſo bald meine Kleider/ die in der
Neben-Kammer ligen/ anlegen/ und euch zu ihm hin-
auß verfuͤgen/ ſo werdet ihr ſehen/ ob er es ehrlich mit
euch und mir meynet/ oder nicht/ darnach koͤnnen wir
uns alsdann weiter richten.
Der Edelmann ſtund behende auf/ und gieng
gantz begierig nach der andern Kammer/ um zu ver-
nehmen/
[700]Deß Academiſchen
nehmen/ was ſein neuer Diener im Schild fuͤhrete.
Die Helena aber ſprang gleich hernach auß dem Bet-
te/ kuͤſſete den vermeynten Marggrafen ſehr Lieb-
reich/ tratt hernach zur Thuͤr/ und riegelte ſie zu/ und
fuͤhrete ihn/ nachdem ſie ihn die Kleider abzulegen ge-
noͤthiget/ neben ſich ins Bette/ da ſie ihn dann ſeiner
Bitte vollkommen gewaͤhrete. Sie wiederholeten die
Luſt/ ſo offt es in deß Venerei Vermoͤgen ſtunde/ und
hoffete die ſchoͤne Helena, Statt eines jungen Edel-
manns/ mit einem Jtaliaͤniſchen jungen Marggra-
fen beſeeliget zu werden/ durch welchen ſie in den Be-
ſitz der groſſen Guͤther ihres Ehe-Junckern/ nach ih-
rem Verlangen/ bekraͤfftiget wuͤrde. Als ſie aber deß
luſtigen und Lieb-reichen Handels endlich ſatt wor-
den/ muſte Venereus aufſtehen/ ſeine Kleider anlegen/
und thun/ wie ihm die liſtige Helena weiter befohlen
hatte. Solchem nach gieng er in den Garten/ und
fand den Junckern in Frauens-Kleidern ihm mit
aufgeſperreten Armen entgegen kommen. Venereus
aber hub einen Pruͤgel auf/ ſchlug tapffer auf ihn loß/
und ſprach: Du leichtfertige Dame, iſt das die Treue/
die du deinem wackern Ehe-Juncker ſchuldig biſt.
Zu dieſem Ende habe ich dich hieher beſchieden/ da-
mit ich vernehme/ wie treu du deinem Manne waͤreſt/
packe dich alſobald deines Weges/ und befleiſſige dich
hinfuͤhro eines zuͤchtigen Wandels/ zu dieſem mahl
ſoll deine Schande nicht durch mich offenbahret wer-
den/ aber ich werde ſtaͤts auf dein Thun und Laſſen
Acht haben/ und ſo ich das Geringſte mercke/ welches
wider deine Ehre ſtreitet/ und meinem gebietenden
lieben Juncker zu einigem Nachtheil gereichet/ wird
dein Wandel aller Welt offenbahr werden. Hiermit
gab er dem Edelmann noch etliche Streiche auf den
Rucken/ und ließ ihn lauffen. Venereus aber kehrete
an
[701]Romans II. Buch.
an ſeine ordentliche Schlaff-Stelle/ und raſtete da-
ſelbſt biß an den folgenden Morgen in aller erwuͤn-
ſcheten Zufriedenheit.
Der Edelmann kroch im Tunckeln wieder zu
ſeiner Frauen/ und erzehlete/ wie er von dem Diener
empfangen worden/ deſſen Treue er biß in den Him-
mel erhube/ und verſprach/ ſo bald es moͤglich/ ihm zu
einem beſſern Dienſt zu verhelffen/ dann er ſey ſeiner
Treu nunmehro allzugewiß verſichert. Am folgenden
Tag ließ ſich keiner den andern das Allergeringſte
vermercken/ aber die Helena und Venereus lacheten
deß Handels in ihrem Hertzen. Nachmittags ritte
der Juncker auß/ einen ſeiner Befreundeten zu be-
ſuchen/ und weil er dieſelbe Nacht nicht wiederkom-
men kunte/ nahm er Abſchied von ſeiner Frauen/ zu
welcher er ſprach: Mein Hertz/ ich laſſe euch meinen
getreuen Diener allhier/ habt ihr Luſt/ ſo beſtellet ihn
noch einmahl in den Garten/ und holet/ an Statt
meiner/ nunmehro das Botten-Lohn ſelber von ihm.
Sie kuͤſſete ihn/ und ließ ihn darmit von ſich/ wol ver-
ſichert/ daß Venereus ſie gantz anders bedienete/ wann
er ſie abſtraffen wolte/ wie ſie dann dieſe gantze Nacht
bey einander in lauter Luſt und Freude zubrachten/
biß ſie durch die einbrechende Morgen-Roͤthe wieder
von einander zu gehen ermahnet wurden. Weil auch
die Helena dem Venereo nunmehro nicht weiter ver-
pflichtet zu ſeyn erachtete/ auch wol dencken kunte/ die-
ſes Spiel koͤnte in die Harre nicht ſo heimlich getrie-
ben werden/ daß es das uͤbrige Hauß-Geſinde nicht
ſolte mercken/ als riethe ſie ihm/ ſich hinfuͤhro ihrer
gaͤntzlich zu enthalten/ und heimlich durchzugehen.
Dieſer wartete/ biß der Juncker auf den Mittag wie-
derkam/ denſelben erſuchte er/ ihm zu vergoͤnnen/ daß
er nach Lindau gehen moͤchte/ fuͤr ſeine Perſon etwas
zu
[702]Deß Academiſchen
zu beſtellen. Wie ihm ſolches erlaubet worden/ kehrete
er bey dem Wirth wieder ein/ und erzehlete ihm/ daß
er das rechte Original nunmehro fuͤr ſeinem Hertzo-
gen abgemahlet haͤtte/ zahlete ihm ſeine 10. D[u]caten/
empfieng dargegen 18. Ducaten fuͤr ſein verkaufftes
Pferd von dem Wirth/ und nachdem er ſeine Rech-
nung richtig gemacht/ ſetzete er ſich in ein Schiff/
und fuhr/ nebſt einer guten Compagnie, uͤber den
Boden-See hin/ um forderſamſt nach Conſtantz/
oder Koſtnitz/ zu gelangen; Was aber der Edelmann
von ſeinem heimlichen Abſchied judiciret/ oder was er
deßfalls von dem Gaſtgeber fuͤr einen Beſcheid er-
halten/ kan ich nicht ſagen.
Das XIV. Capitul/
Tapffere Leute ſind allemahl/ inſonderheit bey den Roͤmern/
hoch gehalten worden/ die Verzagten hat man hingegen hart ge-
ſtraffet.
AUf dieſem Schiff waren wol 12. Paſſagierer/
unterſchiedlichen Standes/ darvon einer den
Venereum ſeiner Raͤyſe und Zuſtandes halben
befeagete/ und als ihm dieſer deßhalben bekannt/ daß
er ein Neapolitaniſcher Edelmann/ der den freyen
Kuͤnſten nachziehe/ verwunderte ſich Jener/ der auch
ein Edelmann/ Teutſchen Gebluͤts/ aber ein Capitain
unter den Kaͤyſerlichen war. Er hielte Jenem vor/
warum er nicht vielmehr ſich im Krieg durch tapffere
Thaten bekandt machte? Sintemahl hohe Potenta-
ten jederzeit mehr auf tapffere Leute/ als auf Gelehr-
ten/ gehalten haͤtten. Venereus lachete dieſer Worte/
und ſprach: Mein Herꝛ/ ich geſtehe/ daß man tapffere
Leute allemahl hochgehalten/ aber die Gelehrten wil
ich deßwegen keines Weges zuruck geſetzet haben/ zu-
mahl ihr mir ſchwerlich erweiſen werdet/ daß die tapf-
fere Soldaten ehemahl ſo hoch/ als rechtſchaffene ge-
lehrte
[703]Romans II. Buch.
lehrte Leute/ von der hohen Obrigkeit ſind beehret
worden. Der Capitain lachete deß andern Rede noch
mehr/ und ſagte: Mein Freund/ wann ich euch aber
durch vielfaͤltige Exempel ein anders da[r]thue/ ſo wer-
det ihr euer Unrecht ſelber bekennen muͤſſen. Gehet
aber nur ein wenig zuruck/ auf die jenigen Zeiten/ da
die Roͤmer in groſſem Flor waren/ dieſe klu[g]e Leute
waren nicht allein befliſſen/ ihre Krieges-Oberſten und
Officierer/ auſſer ihrem ordentlichen Sold/ den ſie ih-
nen zu gewiſſer Zeit/ durch ihre Rent- und Zahl-
Meiſter/ ordentlich reichen lieſſen/ zu Ehren/ und ih-
nen alle Gunſt und geneigten Willen zu erweiſen;
Sondern ſie pflegeten ihnen auch/ noch uͤber das/ un-
zaͤhlich viel andere herꝛliche Geſchencke und Gaben
mitzutheilen/ ſonderlich aber verehreten ſie ſelbige
mit unterſchiedlichen Arten Kraͤntzen/ Kronen und
Kleinodien/ (welche hierzu in der allgemeinen Schatz-
Kammer in groſſer Menge aufbehalten wurden/)
nach derer Meriten und Verdienſt/ wann ſie ſich nem-
lich im Krieg durch tapffere Thaten beruͤhmt ge-
macht.
So balden ein Feld-Herꝛ/ oder Kriegs-General/
einige Hauptſchlacht zu Waſſer oder Land/ erhielte/
oder einige Stadt und Veſtung mit Sturm erober-
te/ oder in einem Zweykampff/ und ſonſt einiger ande-
rer Verrichtung mehr/ ſich tapffer hielte/ war der Ge-
brauch/ daß man nach vollendeter Schlacht ein fleiſſi-
ges Examen und Nachfrag anſtellete/ wegen der Pro-
ben und Verrichtungen aller Squadronen und Haupt-
mannſchafften inſonderheit/ darnach ſtiege ein be-
ruͤhmter Redner auf einen hohen Richter-Stuhl/
und nachdem er den Goͤttern fuͤr erhaltene Victorie
Lob und Danck geſagt/ und das Kriegs-Heer ins ge-
mein geruͤhmet und gelobet hatte/ fienge man an auch
eine
[704]Deß Academiſchen
eine jede Squadron oder Fahnen inſonderheit/ unter
denen/ ſo am tapfferſten gefochten/ mit einer abſon-
derlichen zierlichen Lob-Rede zu ruͤhmen/ und herauß
zu ſtreichen; Nachmahls wurden die Soldaten ſel-
biger Hauptmannſchafften/ oder Squadronen/ abſon-
derlich Mann fuͤr Mann bey Namen genennet/ ihre
Tugend/ Mannheit und Tapfferkeit oͤffentlich geruͤh-
met/ man nennete ſie auch getreue Patrioten und Lieb-
haber deß Vatterlandes/ mit Vermelden/ daß ihnen
die Roͤmiſche Republic ſehr guͤnſtig/ gewogen und
verbunden waͤre. Darnach reichete man ihnen die ge-
woͤhnliche Geſchencke von Gold und Silber/ als
Kronen/ Ketten/ Guͤrtel/ Arm-Geſchmeide/ Kleino-
dien und ſchoͤne kuͤnſtlich-gearbeitete Zierrathen und
Gezeuge der Pferden. Und diß geſchahe mit einer ge-
wiſſen Bedingung/ oder Geſetz/ daß nemlich Nie-
mand dergleichen zu tragen ſich duͤrffte geluͤſten laſ-
ſen/ als die Jenige/ ſo es auf ſolche Weiſe durch ihre
Tapfferkeit meritiret/ erworben und empfangen hat-
ten. Derer Exempel ſind faſt alle Hiſtorien voll/ ab-
ſonderlich aber erzehlet Titus Livius in ſeinem zehen-
den Buch von Papyrio, der wegen ſeiner Behendig-
keit im Lauffen/ Curſor genennet worden/ daß er unter
10. Hauptmañſchafften Arm-Geſchmeide oder Arm-
Baͤnder von Gold verehret habe/ und einer andern
Squadron einige andere noch koſtbarere Zierrathen.
Jn ſeinem 30. Buch erzehlet er auch von Scipione
Cornelio, daß er dergleichen in Hiſpania gethan/ und
an andern Orten mehr. Es waren aber ſelbige Kro-
nen/ oder Kraͤntze/ gleichfalls wie andere Tugend-
Belohnung- und Ehr-Erweiſungen/ in unterſchied-
liche Namen abgetheilet/ nachdem die Gradus der
Tapfferkeit und Meriten geweſen/ als da waren Co-
ronæ Obſidionales. Coronæ Triumphales, Coronæ
Ovales,
[705]Romans II. Buch.
Ovales, Coronæ Civiles, Coronæ Murales \& Coronæ
Caſtrenſes. Unter denen allen aber war die fuͤrtreff-
lich-beruͤhmt- und werth-Geachteſte/ die Corona Ob-
ſidionalis, oder Belaͤgerungs-Kron/ dieſe nun wurde
keiner andern Urſach wegen gereichet/ als/ ſo ein Feld-
Herꝛ/ oder General, entweder in einer Stadt/ Ve-
ſtung oder im freyen Feld umringet und eingeſchloſ-
ſen/ wiederum entſetzet und entlediget worden/ wel-
ches ſie dann ſo hoch achteten/ als ob das gantze Vat-
terland/ oder Kriegs-Heer/ von dem Tod/ oder von
einer harten Gefaͤngnuͤß/ errettet und entlediget wor-
den waͤre; Dergleichen Krone nun wurde keinem/
wer er auch ſeyn moͤchte/ um keiner andern ruͤhm-
lichen Verrichtung und tapffern That willen/ als
dieſer/ zugelaſſen/ oder gereichet; Dieſe Krone war
bloß von gruͤnem Laub/ und verlangete man ſolche
nicht von Gold/ oder dergleichen Metall, ſondern von
dem Laub-Gewaͤchs ſelbiges Feldes/ oder Gegend/
worauß die Feinde geſchlagen/ oder verjaget/ die Be-
laͤgerten aber ſuccuriret worden.
Mit einer ſolchen Krone wurde von dem Senat
und Roͤmiſ. Volck beſchencket und gekroͤnet Quintus
Fabius Maximus, weilen er/ als der Carthaginenſer
Feld-Herꝛ Hannibal, die Stadt Rom mit einem groſ-
ſen Kriegs-Heer belaͤgert hielte/ zu rechter Zeit zum
Entſatz kommen war/ und Rom von ſolcher gefaͤhr-
lichen Belaͤgerung entlediget hatte.
Mit einer ſolchen Krone wurde auch Scipio Æmi-
lius in Africa gekroͤnet/ weilen er den Burgermeiſter
Manilium, ſamt ſeinen Voͤlckern/ ſo von den Feinden
veſt eingeſchloſſen waren/ entlediget hatte.
Es erlangete ſie auch M. Calphurnius, ein ſehr
tapfferer Capitain in Sicilia, welcher merckwuͤrdiger
Verlauff ſich alſo begeben: Jndem die Carthagr-
Y ynenſer
[706]Deß Academiſchen
nenſer in Sicilia Meiſter ſpieleten/ eine Stadt nach
der andern einnahmen/ und die Guarniſonen herauß
jageten/ traff es endlich auch die beruͤhmte Stadt Ca-
marinam, welche dann der Roͤmiſche Burgermeiſter
Atilius zu entſetzen eylete/ und zwar mit ſolcher Be-
gierde/ daß er auch nicht einige Kundſchaffter/ maſſen
ſonſt gebraͤuchlich iſt/ vorauß ſchickete/ gerieth alſo
mit dem gantzen Roͤmiſ. Heer in einen gefaͤhrlichen
Hinterhalt/ daß beſorglich alles verlohren war;
Dieſe groſſe Gefahr bewog nun ermeltem tapffern
Capitain, M. Calphurnium, daß er 300. außerleſene
Soldaten zu ſich nahm/ und ſich mit denſelben auf
die Hoͤhe eines Berges an einen gefaͤhrlichen Paß be-
gab/ den Feind anzugreiffen/ und zu verſuchen/ ob es
muͤglich ſich durchzuſchlagen waͤre; Laſſet uns ſter-
ben/ ſprach er/ ihr lieben Bruͤder und Soldaten/ da-
mit durch unſern Tod die eingeſchloſſene Regimen-
ter der Unſerigen erlediget/ und dem Vatterland ge-
holffen werde. Diß geſchahe auch/ dann die Cartha-
ginenſer thaͤten mit beſonderm Ernſt einen Angriff
auf Calphurnium, der ſich mit den Seinen ſehr hertz-
hafft woͤhrete/ alſo/ daß der Carthaginenſiſche
Feld-Herꝛ immer mehr und mehr Entſatz dahin ſchi-
cken muſte; Hierdurch bekam Atilius auch Lufft/ ſich
auch bey dem Hinterhalt durchzuſchlagen. Aber die
300. Mann/ ſo mit Calphurnio waren/ wurden alle-
ſamt erſchlagen. Da nun Atilius die Feinde in die
Flucht gebracht/ und die Todten ehrlich wolte zur Er-
den beſtatten laſſen/ fand man auch den tapffern
Calphurnium gantz bleich und verblutet/ alſo/ daß
ihme nur noch der Athem auß- und eingieng; Deſſen
war der Burgermeiſter froh/ ließ ihn unter die Gezelt
bringen/ und mit groſſem Fleiß heilen/ da er dann/
nach erlangter Geſundheit/ allen Adelichen Gemuͤ-
thern
[707]Romans II. Buch.
thern zum Exempeln/ mit dergleichen Laub-Krantz ge-
kroͤnet worden. Dergleichen Krone haben auch der
tapffer-beruͤhmte Lucius Siccius Dentatus, und viel
andere empfangen.
Die Corona Civica, oder Buͤrgerliche Kron/
war von den Zweigen und Blaͤttern eines Caſta-
nien-Baums/ ſamt der Frucht/ (auch/ wie Plinius
berichtet/ von Eychen-Laub/) dieſe reichete man ei-
nem Jeden/ der einen Roͤmiſchen Burger auß aͤuſ-
ſerſter Lebens-Gefahr errettete/ den Feind/ auß deſ-
ſen Gewalt er den Buͤrger befreyet/ toͤdtete/ auch den
jenigen Ort/ woſelbſt ſolches geſchahe/ noch ſelbiges
Tages erhielte/ und wider die Feinde ritterlich ver-
fochte; Dieſer Krantz/ oder Kron/ wurde ſo hoch und
werth gehalten/ daß/ als einſten einer einen Roͤmi-
ſchen Burger errettet/ alſo/ daß 2. ſelbiger Feinde
von ſeiner Fauſt in der Flucht todt geblieben/ aber
den Ort wegen ſtarcken Widerſtand der Feinde nicht
erhalten und verthaͤdigen kunte/ maſſen er Krafft
ſolches Geſetzes verbunden war/ ſondern denſelbigen
verlaſſen muſte/ wurde die Sach in Zweiffel gezogen/
ob er ſolche Buͤrgerliche Kron verdienet haͤtte/ oder
nicht? Doch ward endlich der Schluß gemacht/ daß
ihme ſolche verguͤnſtiget und uͤberreichet werden ſol-
te/ alldieweilen er den Buͤrger errettet/ auch 2. der
Feinde an einem ſo gefaͤhlichen Ort erleget/ welcher
ihme nach mahls zu bemeiſtern und zu erhalten un-
muͤglich geweſen. Dieſes Geſetz aber war gleichfalls
auf vorbemelte Art/ daß obgleich einer einen Koͤnig/
oder ſonſt hohen Befehlshaber/ von der Roͤmer
Bundsgenoſſen und Freunden errettet und entledi-
get/ ließ man ihme doch dieſe Kron nicht zu/ ſondern
nur bloß dem Jenigen/ der einen Roͤmer auß der
Feinde Gewalt entlediget/ und in Sicherheit ge-
Y y 2bracht
[708]Deß Academiſchen
bracht hatte. Es meldet zwar Plinius, daß eben auch
dieſer Krantz dem Jenigen gereichet wurde/ welcher
den erſten/ ſo die Mauren eines Caſtells/ Schloſſes
oder Stadt/ ſo in der Roͤmer Gewalt war/ beſtiege/
toͤdtete/ oder herab ſtuͤrtzete; Dieſe Buͤrgerliche
Kron nun war nach der Corona Obſidionalis, oder
Belaͤgerungs-Kron die Fuͤrnehmſte/ welche der Je-
nige/ ſo ſie erworben/ nach ſeinem Belieben allzeit
tragen durffte. Man gab auch denen/ die ſolche Kraͤn-
tze/ oder Kronen/ verdienet hatten/ die Ehre und
Ober-Stelle/ daß ſie zunaͤchſt bey dem Senat ſitzen
durfften/ und ſo einer von denen in deß Raths Ver-
ſammlung hinein gieng/ ſtund der Senat vor ihme auf/
und gruͤſſete ihn. Er war auch quit und frey von allen
Buͤrgerlichen Auflagen und Beſchwerden/ wo er ſich
denen nicht freywillig unterwerffen wolte/ derglei-
chen Freyheit hatte auch ſein Vatter und Groß-
Vatter/ wofern ſie anders noch im Leben waren/
zu genieſſen.
Dieſe Krone haben viel tapffere Roͤmer durch
ihre Ritterliche Thaten und Mañyeit uͤberkommen/
und abſonderlich hat deren der vorermelte tapffere
Held/ Lucius Siccius Dentatus 14. erworben/ woruͤber
ſich dann ſo ſehr nicht zu verwundern/ wann man
lieſet/ daß er in 120. Feld-Schlachten obgeſieget/ und
allzeit das Feld erhalten. Capitolinus iſt zum 6. mahl
mit ſolcher begabet worden. Dem Ciceroni wurde
zu Bezeugung ſonderbarer Gunſt und Ehre dieſe
Kron gereichet/ weilen er die Stadt Rom von der
gefaͤhrlichen Conſpiration und Mord-Practicke Lu-
cii Catilinæ befreyet/ auch die Verbrecher zu gebuͤh-
render Straff gezogen hatte.
Dieſe Kronen/ darvon wir anjetzo geſaget/ un-
geacht ſie nur von Zweigen und Laubwerck gemacht
waren/
[709]Romans II. Buch.
waren/ und alſo eigentlicher Kraͤntze als Kronen koͤn-
ten genannt werden/ wurden doch hoͤher/ als die von
Gold/ Silber und Edelgeſteinen/ geachtet.
Die Corona Muralis, oder Mauer-Krone iſt von
Gold geweſen/ die gab man dem Jenigen/ der in Be-
ſtuͤrmung einer Stadt die Leiter anwarff/ und am er-
ſten die Mauer erſtieg/ dieſe war formiret/ wie eine
Mauer/ oben mit Spitzen oder Zaͤncken gemacht/
der Erſte/ dem ſolche gereichet worden/ iſt nach Plinii
Zeugnuͤß/ Manlius Capitolinus geweſen/ weilen er am
erſten die Mauer der Stadt Carthago erſtiegen. Jn-
gleichem gab auch ſolche der Roͤmiſche Feld-Herꝛ
Seipio dem Quinto Trebellio und Sexto Digitio, wel-
che Beyde/ beſagter Maſſen/ zugleich die Mauren
der Feinde erſtiegen.
Die Corona Caſtrenſis oder Vallaris, Teutſch/
die Feld-Laͤger-oder Wall-Krone/ wurde auf gleiche
Art dem Jenigen gegeben/ welcher am erſten in dem
Streit der Feinde Schlacht-Ordnung trennete/ und
in derſelben Front oder Spitze eindraͤngete/ dieſe war
gleichfalls von Gold/ in der Form eines Walls oder
Schantze gemacht.
Alſo war auch gleicher Geſtalt von Gold die
Corona Navalis, oder Roſtrata, das iſt/ die Schiff-
Krone/ die wurde dem Jenigen gereichet/ der in den
See-Schlachten am erſten in der Feinde Schiffe ge-
ſprungen/ und ſelbige Feinde Woͤhr-loß gemacht hat-
te; Sie war mit einer Spitzen/ gleich einem Schiff-
Schnabel/ oder Vordertheil deß Schiffs/ formiret/
daher ſie auch Roſtrata geneñet worden; Dieſe Krone
wurde auch ſehr hoch geacht/ und ſchaͤmete ſich Mar-
cus Varro nicht/ ſolche anzunehmen/ als ſie ihme von
dem groſſen Pompejo in dem Krieg wider die See-
Raͤuber uͤberreichet worden. Es gab auch dergleichen
Y y 3Octa-
[710]Deß Academiſchen
Octavianus dem Marco Agrippa und Sylla, auch er-
langeten ſolche noch viel andere/ die ich aber zu mel-
den unterlaſſe. So aber ein Roͤmiſcher Soldat/ er
war gleich Edel oder Unedel/ einige andere merck-
wuͤrdige That/ es war gleich mit der Lantzen in einem
Duell, oder ſonſten einige Proben der Tapfferkeit ver-
richtete/ war es der Feld-Herren Gewonheit/ daß ſie
ſelbigem Ketten oder Halß-Baͤnder/ welche ſie Tor-
ques nenneten/ von Gold oder Silber/ oder derglei-
chen Arm-Baͤnder und Guͤrteln zu uͤberreichen pfleg-
ten/ wie auch Fahnen und Spieſſe/ die man Haſtas
nennete/ ſchoͤne und koſtbare Pferd-Gezeuge/ und
dergleichen Geſchencke mehr. Hierbey hatten ſie auch
anderer gewiſſer Freyheiten zu genieſſen/ wurden
auch zu Ehren-Aemtern erhoben/ und andern vorge-
zogen. Und dieſe Dona oder Præmia durffte man auch
den Fremden und Bundes Genoſſen geben/ die ſich
in dergleichen Kriegs-Verrichtungen auf der Roͤmer
Seiten befunden/ auch Tapffer und Mannhafft ge-
fochten hatten/ die Kronen aber bekamen nur bloß die
Roͤmer/ und kein Außlaͤnder oder Fremder nicht.
Von allen dieſen Dingen finden wir in den al-
ten Roͤmiſchen Hiſtorien merckwuͤrdige Exempel und
gewiſſe Beweiß: Von den Fahnen ſchreibet Sueto-
nius, daß Octavianus dem Marco Agrippa dergleichen
uͤberreichet habe/ wegen deß Sieges/ den er auf dem
Meer wider Sextum Pompejum erhalten hatte; Er
erzehlet auch ferner/ es habe Octavianus unter die
Soldaten Halß-Baͤnder/ Ketten/ und andere Gaben
außgetheilet/ welche mit abſonderlichem Fleiß hierzu
verordnet geweſen. Hiervon alles und Jedes zu er-
zehlen/ wurde der Raum zu klein/ und die Zeit zu kurtz
werden, Jedoch iſt vor andern ein Ding merckwuͤrdig/
nemlich/ daß die Roͤmer der Tapfferkeit ſich dermaſ-
ſen
[711]Romans II. Buch.
ſen befliſſen/ daß deren etliche geweſen/ welche alle
jetzt-erzehlte Præmia und Geſchencke/ theils aber den
meiſten Theil derſelben erlanget und zuwegen ge-
bracht haben.
Plinius im 7. Buch/ und Solinus in ſeinem Buch
am 6. Cap. erzehlet von etlichen/ und unter andern
abſonderlich von Marco Sergio, daß ihm der mehrere
Theil ermelter Kronen/ und theils derſelben zum
oͤfftern ſeyen uͤberreichet worden/ daß er auch in der
Schlacht zwiſchen den beyden Fluͤſſen Traſymenus
und Trebia, worinnen die Roͤmer von dem Hannibal
uͤberwunden worden/ die Buͤrgerliche Kron erlanget
habe/ dergleichen er dann auch in der Canniſchen-
Schlacht gethan. Es war dieſer Sergius ein ſo tapffe-
rer und großmuͤthiger Kriegs-Held/ daß/ als er in ei-
ner Schlacht die rechte Hand verlohren/ er ſich hur-
tig an die Lincke gewoͤhnete/ und an ſtatt der Rechten
eine eyſerne Hand brauchte. Nach dieſem begab es
ſich/ daß er einsmahls auf einen Tag in dem Feld-
Laͤger ihrer Vier/ einen nach dem andern außfoderte/
ſie auch alle 4. uͤberwand und erlegte. Er empfieng in
unterſchiedlichen Duellen und Feld-Schlachten 23.
merckwuͤrdige Wunden/ welche ſich dann alle an
dem foͤrdern Theil ſeines Leibes/ und keine von hin-
den befanden. Aber weder dieſer Marcus Sergius,
noch weniger ein anderer/ meritirte und erlangte de-
ren ſo viel/ als Lucius Siccius Dentatus, welcher deß
Roͤmiſchen Volcks Zunfftmeiſter geweſen/ von dem
bereits Meldung geſchehen/ von eben dieſem ſchrei-
ben die Autores, als Plinius, Solinus, Valerius Maxi-
mus und Aulus Gellius, daß er von allen dieſen ge-
dachten Præmiis und Kleinodien/ wegen unterſchied-
licher hoͤchſt-ruͤhmlichſter Thaten/ uͤber 300. empfan-
gen/ doch immer von einer Sorten mehr/ als der an-
Y y 4dern.
[712]Deß Academiſchen
dern. Er iſt mit 9. Feld-Herren im Triumph einge-
zogen/ als zu deren Victorien er nicht wenig behuͤlff-
lich geweſen.
Von den Lantzen oder, Spieſen/ welche die Roͤ-
mer Haſtas puras nenneten/ ſo da Stangen/ gleich den
Lantzen oder Piquen/ doch ohne Eyſen/ waren/ und zu
groſſer Ehr denen/ ſo das Beſte in der Schlacht ge-
than/ geſchencket/ und zu tragen erlaubt waren/ hat er
18. empfangen. Deren Lantzen gedencket auch Vir-
gilius Æneid. lib. 6.
Ille, vides, juvenis, purà qui nititur haſtà.
Und wie Feſtus bezeuget/ bedeuteten ſolche die hoͤchſte
Ehre und Herꝛſchafft der Waffen. Der Ketten oder
Halß-Baͤnder von Gold/ (Torques genannt/) hat er
18. deren aber von Silber 83. empfangen. Er wur-
de mit 25. koͤſtlichen Pferd-Gezeugen/ ſo mit gantzem
Fleiß darzu verordnet waren/ beſchencket. Es wurden
ihm zu theil 160. Arm-Baͤnder/ (dieſe wurden zu La-
tein Armillæ genannt/ und waren guͤldene runde Ge-
ſchmeide/ welche die Feld-Herren den Soldaten we-
gen ihres Wolverhaltens zu ſchencken/ ſelbige aber
ſolche an dem lincken Arm zu tragen pflegten/) 26.
Kronen/ als 14. Buͤrgerliche/ 8. Feld-Kronen/ drey
Mauer-Kronen und eine Belaͤgerungs-Kron/ in-
gleichem auch etliche Schiff-Kronen. Er hat im
Zwey-Kampff 34. mahl/ oder/ wie Valerius meldet/
[3]6. mahl obgeſieget/ und allezeit ſeinen Feind Woͤhr-
[l]oß gemacht/ und außgezogen. Jn 120. Feld-
Schlachten/ (maſſen zuvor gedacht/) hat er ſich be-
funden/ in denen wurde er an dem Foͤrdertheil deß
Leibs 45 mahl/ von hinden aber niemahls verwunde[t].
Er war ſo tapffer und gluͤckhafft in den Waffen/ daß
man ihn den Roͤmiſchen Achillem nennete/ maſſen
bey Valerio Maximo im 3. Buch von der Tapfferkeit
hier-
[713]Romans II. Buch.
hiervon zu leſen iſt. Es wurde ihm auch zu Ehren
eine beſondere Muͤntz geſchlagen/ da auf einer Sei-
ten/ zu Bezeugung ſeiner Staͤrcke und Tapfferkeit/
dieſes Sicciniſchen Herculis Bildnuͤß/ mit einer Keul/
Loͤwen-Haut/ Bogen und Pfeilen/ auf der andern
Seiten aber ein Bruſt-Bild/ mit der Umſchrifft:
Siccinius Hercules, gepraͤget war. Auf einer andern
Muͤntz aber/ ſo ihm zu Ehren gemacht worden/ war
auf einer Seiten zu ſehen/ eine Saͤul/ oben mit einem
Lorbeer-Krantz und 2. Palm-Zweigen/ auf der an-
dern Seiten aber ein Bruſt-Bild/ mit dieſer Um-
ſchrifft: FORT. P. R. Das iſt: Fortitudo Populi Ro-
mani, die Staͤrck oder Tapfferkeit deß Roͤmiſ. Volcks.
Wiewol nun dieſe jetzt-erzehlte Thaten faſt unglaub-
lich ſcheinen/ nichts deſtoweniger beſtaͤttiget und be-
glaubet ſolche/ die Gleichheit ſo vieler Authoren/ ſo
ſolche beſchrieben haben.
Es verwilligten auch die Roͤmer uͤber das noch
andere Ehrerweiſungen und Vortrefflichkeiten/ de-
nen hohen Kriegs-Haͤuptern/ vor dergleichen anſehn-
liche und Ruhm-wuͤrdige Thaten/ als da waren/ daß
ſie in oͤffentlichen Gerichten/ in Gerichts-Stuͤhlen/
welche Sellæ Curules genannt wurden/ und die Stelle
der Richter/ Schultheiſſen und Marck- oder Bau-
meiſter war/ ſitzen durfften/ maſſen dann ſolche Ehre
dem Scipioni verſtattet worden. Bißweilen verguͤn-
ſtigte auch der Roͤmiſche Rath denen tapffern Sol-
daten einige hoͤhere Wuͤrde und Vorzug/ als ſonſt
einem von dem gemeinen Volck zu widerfahren pfle-
gete. Den Feld-Obriſten und Generalen erlaubten
ſie Statuas, Bildnuͤß- und Gedaͤchtnuͤß-Saͤulen/ auch
Triumph-Boͤgen/ (maſſen erwehnet/) aufzurichten/
und ſolche Kleider und Zierde zutragen/ als ob ſie
Buͤrgermeiſter geweſen waͤren. Uber das/ ließ auch
Y y 5der
[714]Deß Academiſchen
der Senat, zu Bezeugung der Danckbarkeit/ und zu
ſonderbarer Ehre zu/ daß die Uberwinder die Waffen
und Beuten/ die ſie den Feinden in der Schlacht ab-
genommen hatten/ und Manubiæ genant wurden/ in
die Tempel zum ſtaͤts-waͤhrenden Gedaͤchtnuͤß auf-
haͤngen durfften.
Es hatten die Roͤmer noch ferner einen loͤblichen
Gebrauch/ daß ſie den Kindern deren/ ſo wegen deß
gemeinen Nutzens in dem Krieg umkommen waren/
eben den Sold oder Monat-Geld reicheten/ als ſie
ihren Vaͤttern zu geben pflegten. Denen alten und
unvermoͤglichen Soldaten aber/ ſo lang in dem Krieg
gedienet/ raumete man ſo viel Land ein/ daß ſie dar-
von ſattſam ihren Unterhalt haben kunten/ ſie durff-
ten auch in dem Roͤmiſchen Gebiet/ oder andern er-
oberten Staͤdten und Provintzen/ wo es ihnen ſelb-
ſten am beſten gefiel/ ihre Wohnung nehmen/ zu
welchem Ende dann von den Roͤmern beſondere
Staͤdte/ Coloniæ genannt/ dahin ſie ſolche alte Sol-
daten/ auch ander fremd Volck zu ſchicken pflegten/
gebauet wurden/ als Sivilia von Julio Cæ are, Cordu-
ba von Marco Marcello, und viel dergleichen andere/
in unterſchiedlichen Provintzen und Laͤndern.
Endlich/ ſo iſt zu wiſſen/ daß die Roͤmer nicht ei-
nige tapffere That oder Tugendhaffte Verrichtung
geſchehen oder vorbey gehen lieſſen/ welche nicht der
Gebuͤhr nach belohnet/ privilegirt/ und mit gewiſſer
Gnade und Freyheit angeſehen wurde/ deßwegen
dann waren unter ihnen die allertapfferſten Leute
und beruͤhmteſten Maͤnner/ dergleichen ſchwerlich
einige Nation, weil die Welt geſtanden/ wird gehabt
haben/ dann ein Jeder ſuchte und trachtete durch Tu-
gend und Tapfferkeit gedachte Ehren-Stuffen zu er-
[ſt]eigen/ und dergleichen Ruhm zu erjagen. Jch habe
noch
[715]Romans II. Buch.
noch viel andere Arten der Præmien und Ehren-Ge-
ſchencke/ ſo die Roͤmer vor dergleichen ſonderbare
Thaten/ als welche zu Aufnehmen deß Vatterlands
gereichet/ verwilligten/ außgelaſſen/ um dem Herꝛn
keinen Verdruß zu machen/ und die uͤberfluͤſſige Laͤn-
ge zu verhuͤten; Doch iſt diß gewiß/ daß/ gleich wie
die Roͤmer andere Nationes und Voͤlcker in Freyge-
bigkeit der Geſchencke und Belohnung der Tugen-
den uͤbertroffen/ alſo/ und gleichfalls uͤbertraff ſie je-
mahls Niemand nicht in ſcharffer Kriegs-Diſciplin,
und Beſtraffung der Laſter/ damit die Jenigen/ ſo
auß Liebe der Tugend nichts tapffers und Ruhm-
wuͤrdiges verrichten wolten/ gleichwol auß Furcht
der Straff/ nichts Veraͤchtliches zu begehen/ gezwun-
gen wuͤrden/ nach dem Spruch deß Poeten:
Es waren aber die Straffen/ womit man die Jeni-
gen/ ſo feig und zaghafft waren/ Feld-fluͤchtig wur-
den/ oder auß der Ordnung/ wohin ſie geſtellet waren/
lieffen/ zubegegnen pflegete/ ſehr groß/ rigoros, und
ſtreng/ alſo/ daß man ſolche geiſelte/ oder mit Ruthen
ſtrich/ biß das Blut hernach lieff/ viel pflegte man in
Feſſel oder Eyſen/ wie die Sclaven/ zu ſchlagen. So
ſie aber vorſetzlich flohen/ und ihr Ober-Haupt ver-
raͤtheriſcher Weiß in der Schlacht verlieſſen/ forſche-
te man fleiſſig nach/ und wurden alsdann die Anfaͤn-
ger oder Raͤdleinsfuͤhrer lebendig an Pfaͤhle geſpieſ-
ſet/ oder gecreutziget/ und nachdem das Verbrechen
war/ ſo war auch die Straff geordnet.
Es ſchreibet Titus Livius, daß Appius Claudius,
um/ daß eine ſeiner Squadronen den jenigen Ort/ wo-
hin
[716]Deß Academiſchen
hin ſie/ ſelbigen zu defendiren und in gewahrſam zu-
nehmen/ beordert worden/ ſchaͤndlich verlaſſen und
verlohren hatten/ auß groſſer Gnade bey dem Roͤmi-
ſchen Senat erlanget/ daß ſelbige decimirt worden/
welches alſo zu verſtehen/ daß ſolche Squadron, als
die Verbrecher/ in 10. Theil getheilet wurden/ den je-
nigen Theil nun/ den das Loß traff/ ſtraffte man am
Leben/ und wurde deren nicht einem/ wer ſie auch ſeyn
moͤchten/ Gnade erwieſen. Julius Frontinus ſchrei-
bet/ es habe Marcus Antonius eben dergleichen ge-
than/ gegen eine Compagnie der Seinigen/ weilen
ſelbige die jenige Poſten/ ſo ihnen anvertrauet wor-
den/ nicht/ wie es ſeyn ſollen/ bewachet/ und defendi-
ret/ ſondern durch Uberſetzung/ den Feind Feuer an-
legen laſſen. Es waren aber derer Straffen/ damit
man die ungehorſame Soldaten und Verbrecher
belegete/ ſehr viel und mancherley. Jch wil aber
ſchluͤßlichen nur diß noch gedencken/ daß auch bey
den heutigen Potentaten die tapffern Leute allwege
den Gelehrten weit fuͤrgezogen werden.
Das XV. Capitul/
Exempel gelehrter Leute/ welche von groſſen Haͤuptern gar
hoch gehalten worden.
ALs der Capitain ſeinen Diſcurs hiermit beſchloſ-
ſen hatte/ ſprach Venereus: Mein Herꝛ/ ich ha-
be euch bißhero gedultig gehoͤret/ nun iſt die
Reige zu reden auch an mir. Solchem nach gebuͤhret
es mir/ euch zu erweiſen/ daß hohe Potentaten an
gelehrten Leuten allemahl ein ſonderliches Belieben
gehabt/ wol wiſſend/ daß ohne ſothane Menſchen die
Welt in eine lautere Barbarey verfallen/ und nicht
fuͤglich koͤnte regieret werden. Es kan ſich zwar auch
jetzo Niemand beklagen/ daß ſich nicht zu dieſen un-
ſern Zeiten an allen Orten und Enden der Welt viel
fuͤrtreff-
[717]Romans II. Buch.
fuͤrtreffliche Ingenia und gelehrte Leute in allerhand
Kuͤnſten und Wiſſenſchafften hervor gethan haben;
Gleichwol hoͤre ich auch offtmahl klagen/ daß viele
Gelehrten nicht hoch genug gehalten oder æſtimiret/
noch von hohen Potentaten ſo reichlich/ als bey den
Alten geſchehen/ beſchencket werden/ inmaſſen ſolches
denen alten Philoſophis voriger Zeiten von vielen
Koͤnigen und Fuͤrſten wiederfahren iſt. Wie viel aber
ſie Recht hierinnen haben/ und wie wahr ſolches ſey/
begehre ich zwar dißmahl nicht zu eroͤrtern. Dannoch
aber wil ich meinem Herꝛn etliche Denck-wuͤrdige
Exempel groſſer Koͤnigen und Herren herbey brin-
gen/ welche in den vorigen Zeiten denen Literatis und
klugen gelehrten Leuten ruͤhmlichſt fortgeholffen/
und ſelbigen ſehr guͤnſtig und gewogen geweſen ſind.
Worauß man dann/ ſo man die Exempel dieſer unſe-
rer Zeit dargegen haͤlt/ leichtlich wird ſehen und mer-
cken koͤnnen/ ob unſere Gelehrte zu lamentiren und
ſich zu beklagen/ erhebliche Urſachen haben/ oder
nicht.
ERſtlich wil ich deß vortrefflichen beruͤhmten Roͤmiſchen Feld-
Herꝛns Pompeji Magni gedencken/ von welchem wir leſen/
daß/ nach dem er den großmaͤchtigſten Koͤnig in Ponto, Mithrida-
rem, in einer Schlacht uͤberwunden/ auch viel andere Victorien/
vermoͤg ſeiner Gluͤck- und Sieg-reichen Waffen erhalten/ und
in Athen mit gehoͤrigem Pomp und Apparat ſeinen Einzug ge-
halten/ und die Faſces, (ſo 12. gebundene Ruthen/ in deren Jeden
ein Pfeil ſteckete/ welche vor Zeiten den Roͤmiſchen Burgermei-
ſtern und Kriegs-Generalen von 12. Lictoribus, oder Buͤtteln/
den Roͤmern zur Ehr/ den Feinden aber zum Schrecken/ vorge-
tragen wurden/) maſſen die Roͤmiſ. Feld-Herꝛn zu thun pflege-
ten/ vor ſich her tragen ließ; Dieſer/ als er vernommen daß der
beruͤhmte Philoſophus Poſidonius kranck und zu Bette lag/
wolte er ihn nicht allein wuͤrdigen in eigener Perſon zu beſuchen/
ſondern auch/ als er zu der Thuͤr ſeines Hauſes kam/ verflattete
er nicht/ daß die Lictores mit den Faſciculis und andern Inſigniis
Imperialibus, welche er bey ſich |hatte/ hinein gehen durffren;
Ließ
[718]Deß Academiſchen
Ließ ſich alſo beduncken/ daß den Tugenden und Wiſſenſchafften
billich alle Gewalt und Herꝛſchafft weichen und gehorſamen
mnſten/ erzeigete er alſo dieſem Philoſopho, was er ſonſten kei-
nem Koͤnig auf dem gantzen Erd-Bodenerwieſen haͤtte.
Dionyſius Tyrannus, der Koͤnig zu Syracuſa, begehrete/
daß ihn Plato der vortreffliche und uͤbermenſchliche Philoſophus
in Sicilia beſuchen ſolte/ als er nun zu ihm kam/ zoger ihm einen
ziemlichen Weg biß an das Meer entgegen/ ſetzte ihn neben ſich
auf ſeinen Koͤnigl. Wagen/ welcher von weiſſen Roſſen gezogen
wurde/ mit ſolchem Pomp und Herꝛlichkeit/ als immer moͤglich
war. Jn ſolcher Wuͤrde/ Ehre und Hoheit/ ſind ſelbiger Zeit
die Literati und gelehrten Leute gehalten worden. Alexander
Magnus, als er die Stadt Thebe in Egypten beſtreiten und
ver[ſt]oͤren wolte/ befahl er vor allem/ daß man das Hauß und
die Perſon deß vortrefflichen Poeten Pindari in Acht nehmen
ſolte. Wie hoch Virgilius von Kaͤyſer Octaviano geachtet wor-
den/ iſt Jedermaͤnniglich/ ohne daß ich ſolches erzehle/ bekandt/
ſintemahl ihn das Roͤmiſ. Volck in ſo groſſen Ehren gehalten/
daß/ (wie Plinius ſchreibet/) wann gedachter Virgilius auf das
Theatrum, ſeine Carmina oder Vers zu recitiren/ getretten/ alles
Volck aufgeſtanden/ und ihm gleiche Ehre und Reverentz/ als
dem Kaͤyſer ſelbſten/ erzeiget habe. Seinen Geburts-Tag/
welcher den 15. Octobris, (an dem er 67. Jahr vor Chriſti Ge-
burt gebohren worden/) zu fallen pflegete/ hat Kaͤyſer Octavia-
nus Auguſtus Jaͤhrlich begangen/ und mit ſonderbaren Cere-
monien beehret. Es waren die Geſchencke/ welche er von Augu-
ſto, Mecœnate, Pollione, und vielen andern empfieng/ ſo reich-
lich und uͤber groß/ daß er/ der zuvor nichts hatte/ in kurtzer Zeit
ein Vermoͤgen von 6000. Seſtertiis, welches ungefaͤhr eine
Summa 250000. Gold-Cronen iſt/ zuſammen brachte/ er hatte
auch einen ſchoͤnen und wol[-]gebauten Pallaſt in Rom. Juve-
nalis zehlete ihn unter die reicheſten Leute ſelbiger Zeit. Als eins-
mahls Virgilius in Gegenwart Kaͤyſers Octaviani Auguſti
und Liviæ ſeiner Gemahlin/ welche deß Marcelli Mutter war/
etliche Buͤcher ſeiner Æneides recitirte/ und zu dem Ende deß
6. Buchs kam/ worinnen er gar ſchoͤn und beweglich von Mar-
cello, der bereits geſtorben war/ redete/ bewegete er hierdurch
in ſelbigem Augenblick das Hertz der Liviæ ſo ſehr/ daß ſie nim-
mer zuhoͤren kunte/ ſondern in eine Ohnmacht ſanck/ und gleich-
ſam todt zur Erden niederfiel; Als ſie aber wieder zu ihr ſelber
kam/ befahl ſie/ daß man ihm vor einen jeden Vers/ den ſie uͤber-
hoͤret
[719]Romans II. Buch.
hoͤret hatte/ einen Seſtertium geben ſolte/ und weilen der Vers
21. waren/ bekam er 21. Seſtertios, welches unſers Geldes eine
Summa von 5000. Ducaten machet. Von den Syracuſanern
leſen wir/ daß ſelbige in Sicilia etliche Gefangene von Athen
hatten/ als ſie aber vernommen/ daß dieſe etliche Vers von dem
Griechiſchen Poeten Euripide recitiren und außwendig daher
ſagen kunten/ gefiel es ihnen ſo wol/ daß ſie dieſelbigen/ zu Ehren
gedachten Poeten/ ohne einigen Entgeld/ oder Ranzion, loßlieſ-
ſen/ und ihnen frey wieder um nach Hauß zu ziehen erlaubten.
Scipio Africanus behielt bey ſeinen Leb-Zeiten die Statuam
oder Bildnuͤß deß vortreffichen Poeten Ennii allezeit in ſeiner
Gegenwart/ und fuͤhrete ſie mit ſich im Krieg umher/ befahl
auch/ daß man ſie nach ſeinem Tod auf ſein eigen Begraͤbnuͤß
ſetzen muſte. Jn den Tuſculanis Tullianis wird ihm folgendes
Epitaphium zugeeignet:
Aſpicite ô cives ſenis Ennii imaginis formam!
Hic veſtrum panxit maxima facta patrum.
Kaͤyſer Domitianus machte den Poeten Silium Italicum,
welcher auß Hiſpania gebuͤrtig/ und ein ſehr hurtiger und ge-
lehrter Mann war/ 3. mahl zum Burgermeiſter in Rom. Aber
zu unſern und unſerer Vorfahren Zeiten/ weiß ich ſchier nicht/
was vor Ehre die Fuͤrſten und Herren dieſes verwichenen Seculi,
einem Politiano, einem Pontano, einem Mantuano, einem San-
nazzaro, oder ſonſten noch vielen andern biß auf dieſe Zeit er-
wieſen haben/ ungeachtet ſelbige vielen der Alten nichts bevor ge-
geben/ und ihnen die Waag halten koͤnnen. Koͤnig Mithridates
(damit wir noch ferner von den Alten reden/) hielte vor-ermelten
Platonem ſo hoch/ daß/ als er ihm eine kuͤnftliche und herꝛliche
Statuam oder Ehren-Saͤuten wolte aufrichten laſſen/ bewarb er
ſich um einen ſonderlichen Kuͤnftler/ der ſich Silo nannte/ daß er
ſelbige verfertigen ſolte; Und war es ſelbiger Zeit eine ſehr
groſſe Ehre/ einem eine Saͤule an einen offentlichen Ort zu ſe-
tzen/ welches man dann Niemand verſtattete/ als nur denen/ ſo
ſich durch eine ſonderbare Tugendhaffte Verrichtung/ Ritter-
liche That/ oder durch Kunſt und Weißheit vor andern beruͤhmt
gemacht hatten. Um dieſer Urſach willen verguͤnſtigten auch
die Athenienſer den Demoſtheni eine Ehren-Saͤule/ und zwar
mit einem ſolchen Titul/ als keinem andern zuvor jemahls wi-
derfahren/ ungefaͤhr dieſes Jnhalts: Wann die Macht und
Gewalt Demoſthenis ſeinem Verſtand und Wiſſenſchafft
gleich geweſen waͤre/ haͤtte der Koͤnig in Macedonia ihme die
Griechen nicht unterwuͤrffig machen moͤgen.
Joſephus
[720]Deß Academiſchen
Joſephus, der tapffere und gelehrte Jud/ als er von Jeru-
ſalem gefaͤnglich nach Rom gefuͤhret worden/ erlangete wegen
ſeiner Buͤcher/ die er von den Juͤdiſchen Geſchichten beſchrieben
hatte/ ſo groſſe Ehre/ daß er nicht allein auf freyen Fuß geſtellet/
ſondern auch ihm eine Statua, oder Ehren-Saͤule/ in Rom auf-
gerichtet wurde.
Von Phalerio, deß Theophraſti Diſcipel, leſen wir/ daß
die Athenienſer ihm wegen ſeiner Weißheit und Geſchicklichkeit
an 300. Orten der Stadt ſeine Statuam oder Bildnuͤß-Saͤulen
aufrichten lieſſen. So nun die Ehre/ ſo denen wiederfahren/
groß iſt/ ſo iſt nicht geringer zu achten der Nutzen/ den Ariſtoreles
von Alexander M. genoſſen und empfangen/ da er ihm vor ſein
Buch/ welches er von Natur und Eigenſchafften allerhand
Thiere geſchrieben/ 800. Talenta an Geld ſchencken und reichen
ließ/ dieſes waͤre in Frantzoͤf. Muͤntz heut zu Tag 480000. Kro-
nen. Solches wird beſtaͤttiget mit dem was Plinius hiervon
ſchreibet: Es habe Alexander M. ein ſo groffes Verlangen ge-
tragen/ daß Ariſtoteles dieſes Buch ſchreiben moͤchte/ deßwegen
er dann etlich tauſend Menſchen von Jaͤgern/ Fiſchern/ Voͤgel-
fangern/ und dergleichen Waͤyd-Leute/ durch Griechen-Land
und gantz Aſien geſandt/ mit allerley nothwendiger Vorſehung
und Befehl/ daß man ihnen zu allem/ was ſie verlangeten/ be-
foͤrderlichen Willen erweiſen ſolte/ ſo wol in Jagden/ als Fiſche-
reyen/ Vogelfangen/ und dergleichen Verrichtungen; Jhnen
ſelbſten aber war eyferig anbefohlen/ daß ſie in den Thier-Gaͤr-
ten/ Fiſcherhaͤltern/ Vogel-Heerden/ Maͤyer-Hoͤfen/ Bienen-
Stoͤcken/ auf die Natur/ Art und Eigenſchafft eines jedwedern
wilden und zahmen Thiers/ Vogels und Fiſches eigentliche Ach-
tung geben ſolten/ damit ſie ſelbige wiſſen und verſtehen lerne-
ten/ auch ſolches alles dem Ariſtoteli anzeigeten. Solchem Be-
fehl iſt Ariſtoteles nach kommen/ hat ſelbiges alles fleiſſig zu Pa-
pier gebracht/ auf gezeichnet/ und in ein beſonder Hiſtorien-Buch
von Natur der Thieren verfaſſet/ welches dann noch heutiges
Tages vorhanden/ und den Gelehrten bekandt iſt. Ja/ es ſchaͤtzet
ſich Alexander gluͤckſeelig/ daß er zur Zeit deß weiſen Ariſtotelis
gebohren war/ ließ auch zu deſſelben Ehre und Zeugnuͤß der
Liebe eine beſondere Stadt bauen. Wann zu den Zeiten Al[e]-
xandri Magni, Homerus, der Vortrefflichſte unter allen Grie-
chiſchen Poeten gelebet haͤtte/ iſt kein Zweiffel/ daß er ihm eben
dergleichen Ehre und Wolthat erwieſen/ als wie er dem Ariſto-
teli gethan hat; Dann/ als ihm unter andern eroberten Beuten/
als
[721]Romans II. Buch.
als er den Perſiſchen Koͤnig Darium uͤberwunden/ ein ſehr ſcho-
nes/ herꝛliches und koſtbares Kaͤſtlein/ worinnen Koͤnig Darius
ſeine koſtbareſte Balſam zu verwahren pflegete/ præſentiret und
uͤberreichet wurde/ gefiel ſolches ihm uͤber alle Maſſen wol/ und
als er ſolches mit Verwunderung betrachtet/ fragte er ſeine bey
ſich habende Freunde und Hof-Leute/ was man doch am billich-
ſten darein legen und verwahren ſolte? Da nun einer diß/ ein
anderer ein anders benennete/ ſagete endlich Alexander: Jch
wil verſchaffen/ daß dieſes Kaͤſtlein ein Behalter eines noch an-
dern und koſtbarern Schatzes werde/ befahl demnach die Opera
Homeri, oder deſſen Gedichte und Vers/ ſo er von Zerſtoͤrung
der Stadt Troja geſchrieben/ darein zu legen/ als mit Leſung der-
ſelben er ſich ſtaͤtig beluſtigte.
Kaͤyſer Theodoſius ehrete den Philoſophum Dionem
um ſeiner Weißheit willen ſo hoch/ daß er ihn auf der Raͤyſe ne-
ben ſich auf ſeinen Wagen ſitzen ließ/ fuͤhrete ihn auch alſo im
Triumph neben ſich/ als er zu Rom mit groſſen Pomp ſeinen
Einzug gehalten. Jn dem Krieg/ welchen Octavianus Auguſtus
in Egypten wider Marcum Antonium gefuͤhret/ liſet man/ daß
ſich ermelter Kaͤyſer verlauten laſſen: Er habe die herꝛliche
Stadt Alexandriam darum verſchonet/ und ſelbige zu ſchleiffen
unterlaſſen weilen ſie Alexander M. zu Ehren deß vortrefflichen
Philoſophi Arrii erbauet. Eben dieſer Kaͤyſer Auguſtus machte
den Cornelium Gallum zum Land-Pfleger und Zunfftmeiſter/
keiner andern Urſach halber/ als weil er ein geſchickter Poet
war.
So man nun ferner die Unterhaltung und Beſoldung/
welche man ſelbiger Zeit den Literatis und Gelehrten gereichet/
betrachtet/ befindet ſich abermahl gegen jetziger Zeit eine groſſe
Ungleichheit/ indem/ was Suetonius von Veſpaſiano, (welcher
doch vor einen geitzigen Kaͤyſer gehalten worden/) ſchreibet/
daß er die Ubungen der Kuͤnſte ſehr geliebet/ und denen Gelehr-
ten/ ſo hieruͤber Beſtallung gehabt/ meiſtentheils zu ihrer Beſol-
dung ſo viel als 2500. Kronen/ nach unſerer Muͤntz gerechnet/
(wie Beroaldus und Budæus berichten/) reichen laſſen.
So ſiehet man auch in was Wuͤrden die Schrifften der
Gelehrten ſelbiger Zeit ſind gehalten worden/ und zwar in die-
ſem/ was Plinius von Iſocrate dem Griechiſchen Redner ſchrei-
bet/ daß er eine Oration, oder Information, welche er vor eine
vornehme Perſon gemacht hatte/ vor 20. Talenta, oder 12000.
Kronen verkaufft habe. Gleiches lieſet man auch von Socrate.
Z zdaß
[722]Deß Academiſchen
daß er eine Oration geſchrieben/ welche um 12000. Kronen iſt
verkaufft worden/ darbey man abnehmen kan/ wie hoch der
Mann ſelbſt ſey geachtet worden. Jngleichem liſet man auch
in dem Leben Kaͤyſers Antonii, deß Sohns Severi, daß er dem
Appiano, um daß er ein groffes Buch von der Natur und Ei-
genſchafft der Fiſche verfertiget/ ſo viel Ducaten zur Verehrung
reichen laſſen/ als viel Vers ſelbiges gantze Opus in ſich begriffen.
Auſonius Gallus erhielte von Kaͤyſer Gratiano das Burger-
meiſter-Amt/ welches die hoͤchſte Dignitaͤt oder Wuͤrde nach
dem Kaͤyſer war/ bloß wegen ſeiner Poeterey und Dicht-Kunſt.
Der Poet Statius erhielte viel Gnade von Domitiano, unge-
achtet er ſonften ein Laſterhaffter und Tyranniſcher Kaͤyſer war.
Er ließ ihn auch bey einem anſehnlichen Panquer neben ſich an
der Tafel ſitzen/ und ſetzte ihm einen Lorbeer-Krantz/ (womit
man die Poeten zu troͤnen pfleget/) auf/ nebens vielen Ehr-er-
bietigen Lob-Worten. Nicht weniger Ehre und Gutthat hat
auch Seleiovaſus Poëta Lyricus von Kaͤyſer Veſpaſiano empfan-
gen/ als welcher ſelbigen ſehr lieb und werth gehalten/ und mit
einer groſſen Summa Geldes beſchencket. Arrianus, um daß
er die Hiſtoria und das Leben Alexandri M. in Griechiſ. Sprach
beſchrieben/ und ein wol-erfahrner und gelehrter Mann war/
wurde von Kaͤyſer Hadriano und Antonino zum Roͤmiſchen
Burgermeiſter gemacht.
Es wurden aber vor Alters die Literati und gelehrten Leute
nicht nur bey Leb-Zeiten/ ſondern auch nach dem Tod geehret/
wie man dann von Ptolomæo Philopatre ſiehet/ der dem Ho-
mero zu Ehren einen Tempel aufbauen/ und eine Statuam, oder
Bildnuͤß Saͤulen/ gleich einem ſeiner Goͤtter/ ſetzen laſſen. Der
Philoſophus Pythagoras ward ſo hoch gehalten/ daß ihm Goͤtt-
liche Ehre erzeiget/ und auß ſeinem Hauß ein Tempel gebauet
ward. Dem Virgilio wurde auch bereits lang nach ſeinem
Tod zu Mantova (oder Mantua,) eine Statua, oder Ehren-
Saͤule aufgerichtet. Von dem vortrefflichen Poeten Horatio,
haben wir zwar keinen Bericht/ daß er ſonders reich geweſen
ſey/ doch hat er in Rom groſſe Ehre erlanget/ und iſt von Kaͤyſer
Auguſto ſehr werth gehalten und geliebet worden/ dahero man
liſet/ daß erſt-gedachter Kaͤyſer zu der Poeterey/ oder Dicht-
Kunſt/ eine beſondere Luſt und Liebe getragen/ weßwegen er
beede gedachte Poeten Virgilium und Horatium oͤffters zu Gaſt
lude/ und zwiſchen ihnen Beeden zu ſitzen pflegete. Wie freund-
lich und gemein er mit ihnen muͤſſe geweſen ſeyn/ iſt daher ab-
zuneh-
[723]Romans II. Buch.
zunehmen/ dann/ als er ſie einsmahls auch bey ſich hatte/ nun
aber deren einer/ nemlich Horatius, als ein Melancholicus, offt
und tieff ſeuffzete/ der Andere aber/ nemlich Virgilius, als ein
Lippus, wegen ſeiner flieſſenden Augen ſtaͤts thraͤnete/ machte
Auguſtus eine hoͤfliche Schertz-Rede deßwegen/ und ſprach:
Hic lachrymas inter ſedet \& ſuſpiria Cæſar. Das iſt: Hier
ſitzet Kaͤyſer Auguſtus zwiſchen Thraͤnen und Seuffzen.
Jch koͤnte uͤber dieſe noch viel Hiſtorien allegiren und an-
ziehen unterlaſſe es aber/ damit ich es nicht zu lang/ und meinem
Herꝛn Verdruß mache. Es duncket mich aber/ es wolle mir
hier Jemand entgegen ſetzen: Seneca, der vortreffliche Sitten-
Lehrer/ waͤre auch ein ſehr beruͤhmter und gelehrter Mann ge-
weſen/ und gleichwol von Nerone, dem Blut-Hund/ getoͤdtet
worden; Dem antworte ich: Daß eben dieſer Nero der aller-
grauſamfte Menſch geweſen/ darum man ſich hieruͤber nicht zu
verwundern/ ehe aber dieſer Seneca durch einen gewaltſamen
Tod hingerichtet worden/ waren die Ehren/ Hoheiten und Guͤ-
ther ſehr groß/ welche er in Rom durch ſeine Studien und Weiß-
heit erlanget und beſeſſen hatte. Jſt demnach ein wahrer und
gewiſſer Spruch/ daß durch die Ehre und Geſchencke die Kuͤnfte
befoͤrdert und die Wiſſenſchafften vermehret werden. Dahero
hoͤren wir/ daß gemeiniglich zu derer Kaͤyſer/ Koͤnige und Fuͤr-
ſten Zeiten/ die den Literatis guͤnftig und gewogen waren/ auch
viel gelehrte Leute ſich gefunden und floriret haben/ und zwar
ſonderlich in Rom zu den Zeiten Octaviani Auguſti, Claudii,
Hadriani, Veſpaſiani, Antonini, von denen Juͤngern aber/ als
zu den Zeiten Kaͤyſers Sigismundi, Caroli V. Roberti Koͤnigs
in Sicilien/ Papſts Nicolai V. Koͤnigs Alphonſi zu Neapolis,
Matthiæ Koͤnigs in Ungarn und Boͤhmen/ ingleichem auch in
der Stadt Florentz/ hat man Jederzeit an gelehrten Leuten mehr
einen Uberfluß/ als Mangel gehabt.
Das XVI. Capitul/
DieStudien ſind hohen Stands-Perſonen ſehr heilſam.
Exempel derer/ welche dieſelbe und die gelehrten Leute hoch æſtimirt
haben.
SOlchen Diſcurs fuͤhrete Venereus, worauß der
Capitain erkannte/ daß er in ſeiner Profeſſion
ziemlich beſchlagen ſeyn muͤſſe/ er wolte ihm
aber gleichwol das Obſtat noch weiter halten/ darum
ſprach er: Ob gleich die groſſen Potentaten einigen
Z z 2gelehr-
[724]Deß Academiſchen
gelehrten Maͤnnern groſſe Ehre angethan haben/ ſo
findet man doch nicht viel Exempel/ daß Leute von ho-
her Geburt/ ja ſelbſt nur Edelleute/ ſich den freyen
Kuͤnſten ſo gar ergeben/ daß ſie Profeſſion darvon ge-
macht haͤtten/ dann ſothane Gemuͤther koͤnnen ſich in
dem Schulſtaub und unter der Ruthen nicht lange
hudeln laſſen/ ſondern lieben ein freyes Leben/ dahero
legen ſie ſich mehr aufs Jagen/ Reiten/ Fechten/ Tan-
tzen/ Kriegen/ und dergleichen/ worbey der Geiſt mun-
ter/ und der Leib hurtig gemacht werden/ gleichwie
durch die harte Zucht-Ruthe/ und langweilige Lehr-
Jahre/ ein edles Gemuͤth hingegen von ſeiner Heroi-
ſchen Art meiſt gaͤntzlich degeneriret/ niedertraͤchtig
und pedantiſch wird/ welches ſonſten zu wichtigen
Welt-Haͤndeln und hohen Affairen tuͤchtig gnug ge-
weſen/ wann man es unter ſeines Gleichen haͤtte auf-
wachſen laſſen. Venereus ſchuͤttelte jetzo den Kopff/
und ertheilete Jenem folgende Antwort: Dieſe eure
Meynung/ mein Herꝛ/ iſt gar uͤbel gegruͤndet/ und
ſtreitet ſchnurſiracks wider die Warheit; Wie viel
groſſe Herren/ ja Fuͤrſten und Koͤnige/ haben ſich in
ihrer Jugend auf die Loͤbl. freyen Kuͤnſte geleget?
Der jetzige Aller-Durchleuchtigſte und Unuͤberwind-
lichſte Roͤmiſche Kaͤyſer/ eine rechte Peitſche der Ma-
hometaner/ und aller ſeiner Feinden/ der allerfuͤr-
nehmſte Monarch in der Welt/ ſtreitet ſelber fuͤr
mich/ dann/ wer weiß nicht/ daß er ein Grund-gelehr-
ter Printz iſt? Der Dauphin in Franckreich hat meiſt
alle Scribenten/ auf Verordnung ſeines Herꝛn Vat-
ters/ in Frantzoͤſ. Sprach geleſen/ und es in den Stu-
diis ſehr hoch gebracht. Sehet! dieſe 2. einige Exem-
pel ſtreiten gnugſam wider euch/ worzu ich noch die-
ſes fuͤgen wil/ daß jetzo kein Koͤnig noch Printz in Eu-
ropa lebet/ der ſeiner jungen Herꝛſchafft nicht gute
Lehr-
[725]Romans II. Buch.
Lehrmeiſter haͤlt/ und ſie ſtudiren laͤſſet/ auch ſelbſt ſo-
thane Fuͤrſtl. Vaͤtter/ die in ihrer Jugend durch Ver-
ſehen und uͤbele Conduite ihrer Vormunder nicht
zum Studiren gehalten worden/ welches ihr Ungluͤck
ſie hiernaͤchſt/ wann ſie zu ihrem hohen Verſtande
kommen/ nicht gnug zu bereuen wiſſen/ ja ſie ſtraffen
auch wol die Jenige/ ſo Urſach daran/ nach Gebuͤhr
ab/ wie man deßfalls noch wol einige Exempla auf-
weiſen koͤnte/ wann es ſich ſchicken wolte/ daß auch ho-
he Gemuͤther durch das Studiren niedertraͤchtig/ und
zu hohen Affaires untuͤchtig ſolten werden/ daran iſt
ſo wenig/ daß ſich vielmehr das Gegentheil Schnur-
ſtracks und offenbahr erweiſet/ dann man unterrich-
tet ſothane Leute nicht nach der gemeinen Weiſe/ ſon-
dern bedienet ſich gantz einer andern Methode. Aber
ich wil/ um die Zeit zu kuͤrtzen/ der Compagnie auß den
Hiſtoricis einige denck wuͤrdige Exempel gelehrter ho-
hen Potentaten und ſuͤrtrefflicher Krieges-Genera-
len vorſtellen. Solchem nach lieſet man/ als Philippo,
dem Macedoniſchen Koͤnig/ Alexander geboren wor-
den/ und er in Erfahrung kommen/ daß der kluge
Ariſtoteles damahl zu Athen ſich aufhielte/ habe er ei-
nen Geſandten mit einem nachdencklichen Brieff
(der von Plutarcho und Agellio beſchrieben wird/)
an ihn abgefertiget/ darinn er unter andern zu erken-
nen gab: Er ſage den unſterblichen Goͤttern groſſen
Danck/ nicht allein deßwegen/ daß ihm dieſer ſein
Sohn geboren ſey/ ſondern vielmehr/ weil ſolches zu
den Zeiten deß hochgelehrten Ariſtotelis geſchehen.
Jn welchen wenigen Worten dieſer weiſe Koͤnig
warhafftig erwieſen/ wie hoch er die Lehr und Wiſſen-
ſchafft fuͤr ſeinem Sohn/ damit er ein tapfferer Koͤnig
und kluger Feld-Herꝛ werden moͤchte/ geachtet habe/
wie er dann auch ein ſolcher worden iſt/ dann/ nach
Z z 3dem
[726]Deß Academiſchen
dem er ein wenig erwachſen war/ ſetzete ihm der Vat-
ter den Ariſtotelem zum Præceptor und Lehrmeiſter/
gabe ſelbigem viel reiche und herꝛliche Geſchencke/
bauete ihm zu Ehren ſeine Vatter-Stadt/ welche er
hiebevor zerſtoͤret/ wieder auf/ ließ auch daſelbſt eine
Schul/ worinn er lehren kunte/ ſehr kuͤnſtlich und
koſtbar/ von allerhand wunderſamen Steinen und
Sculptur aufrichten. Antigonus, welcher gleichfalls
Koͤnig in Macedonia geweſen/ wuſte/ als ein kluger
Regent/ ſehr wol/ wie hochnothwendig die Studien
und Lehre bey einem guten Regiment vonnoͤthen
ſeyen/ wurde demnach beweget/ als er den Ruff und
Ruhm deß fuͤrtrefflichen Philoſophi Zenonis, welcher
der Stoicorum Printz und Urheber geweſen/ vernom-
men/ ſelbigen zu verlangen/ und bey ſich zu haben/
maſſen er dann auch ſolches durch Brieffe und Abge-
ſandten procurirte/ und zuweg zu bringen trachtete.
Diogenes Laërtius beſchreibet einen ſeiner Brieffe
folgendes Jnhalts:
Antigonus,Koͤnig inMacedonia,wuͤnſchet
dem Zenoni Heil und Gluͤck!
JCh weiß zwar wol/ daß Jch dich/ was anlanget die Guͤther/
Reichthuͤme/ gluͤckliche Verrichtungen/ und derſelben Lob-
ruffende Fama, weit uͤbertreffe; Jch erkenne aber gleichwol/
daß du an den Guͤthern deß Gemuͤths in der hoͤchſten und
wahren Gluͤckſeeligkeit/ in der Weißheit und Wiſſenſchafft/
in Unterweiſung/ Studien und freyen Kuͤnſten/ Mir weit
uͤberlegen biſt/ dannenhero verlanget Mich/ dich bey Mir zu
haben/ bitte dich alſo/ du wolleſt Mir zu Willen ſeyn/ damit
Jch deiner Converſation, Freund- und Geſellſchafft genieſ-
ſen moͤge. So du das thuſt/ ſo halte fuͤr gewiß/ daß du nicht
allein Mein Herꝛ und Meiſter ſeyn/ ſondern auch zugleich
mit Mir alle Macedonter lehren/ und unterrichten wirſt/ ſin-
temahl der/ ſo den Koͤnig unterweiſet/ und Tugendhafft
machet/ auch zugleich alle Unterthanen/ die Tapfferkeit und
Frommkeit lehret/ maſſen dann gemeiniglich zu geſchehen
pfleget/
[727]Romans II. Buch.
pfleget/ daß wie der Koͤnig iſt/ auch die Unterthanen und
Soldaten ſeyn/ \&c.
Es kunte aber dieſer gelehrte Philoſophus/ we-
gen ſeines hohen Alters/ den Koͤnig ſeiner Bitte nicht
gewaͤhren/ jedoch ſandte er ihme zween von ſeinen ge-
lehrteſten und weiſeſten Diſcipeln/ von denen der Koͤ-
nig viel Weißheit und Tugend erlernete.
Von wegen Hippocratis, deß fuͤrtrefflichen/ be-
ruͤhmten und gelehrten Medici, ſchreibet Artaxerxes
an ſeinen Hauptmann Hyſtanem folgenden Brieff:
Der groſſeArtaxerxes,ein Koͤnig aller Koͤ-
nige/ wuͤnſchet dem Hyſtani im Helleſpont,
Heil und viel Gutes!
ES iſt vor Mich kommen/ der Nam und Ruff deß Artztes
Hippocratis, der auß dem Geſchlecht Æſculapii geboren/
derohalben wende Fleiß an/ daß du ihm ſo viel Gold gebeſt/
als er begehret/ und haben wil/ auch ſo er ſonſten etwas mehr
bedarff/ und ſchicke ihn auf das Eheſte zu Mir/ dann er ſoll
den fuͤrtrefflichſten Maͤnnern in gantz Perſien gleich ſeyn;
Und ſo irgend ein anderer beruffener und gelehrter Mann in
Europa iſt/ den mache Unſerm Hauß guͤnſtig und gewogen/
und ſchone keines Goldes nicht! \&c.
Die Lehr und Unterricht Ariſtotelis vermochte
ſo viel bey Alexandro M. der ſich 10. gantzer Jahre
von ihm informiren und unterrichten ließ/ daß er her-
nach zu einem ſo fuͤrtrefflichen Koͤnig und Feld-Herꝛn
geworden/ und alſo/ daß kein maͤchtiger und groͤſſe-
rer Monarch jemahls auf der Welt geweſen/ oder
gelebet. Er war ein ſo eyferiger Liebhaber der Weiß-
heit/ daß er auch mitten unter den Waffen die Kuͤnſte
und Studien uͤbete/ und muſte man demnach zugleich
mit dem Schwerdt unter andern Buͤchern ihme die
Iliades Homeri unter ſein Haupt-Kuͤſſen legen; Ja
es ſcheinet/ es habe Alexander die Unterweiſung der
Philoſophiæ, welche er vom Ariſtotele erlernet hatte/
Z z 4ſo
[728]Deß Academiſchen
ſo hoch/ als alle die Koͤnigreiche und Laͤnder/ die er er-
obert hatte/ gehalten; Dahero ſchreibet Plutarchus,
Aulus Gellius, Themiſtocles, und andere/ daß/ als er
in Aſiam, ſelbige Laͤnder zu gewinnen gezogen/ und
vernommen/ daß Ariſtoteles unterſchiedliche Buͤcher
de Philoſophia Naturali, die er hiebevor bey ihme ge-
leſen und gehoͤret/ herauß gegeben haͤtte/ ſchriebe er
ihme deßwegen einen Brieff folgenden Jnhalts:
JN Warheit/ es iſt nicht wol gethan/ mein lieber Ariſtore-
les, daß du die jenigen Buͤcher/ die du von der Philoſophia
und Natur-Betrachtung geſchrieben/ publiciret und an Tag
gegeben haſt/ wo rinnen meyneſt du nun wol/ daß Jch andere
Leute werde uͤbertreffen moͤgen/ ſo dieſe Kunſt und Wiſſen-
ſchafft/ die du Mich gelehret haſt/ anfahen wird/ Jedermann
gemein werden? Jch gebe dir hiermit zu vernehmen/ daß Jch
viel lieber andere in Wiſſenſchafften und Tugenden/ als in
Reichthum und Vermoͤgen/ uͤbertreffen moͤchte/ \&c.
Wolte ihn nun Ariſtoteles anders zufrieden
ſtellen/ ſo war vonnoͤthen/ daß er ihm antwortete:
Er habe ſolche Buͤcher ſo obſcur und dunckel herauß
gegeben/ daß ſelbige Niemand verſtehen moͤge/ es ſey
dann/ daß er ſie zuvor einem erklaͤret haͤtte.
Pyrrhus, ein fuͤrtrefflicher Feld-Herꝛ und Koͤnig
der Epiroter/ welcher viel und groſſe Kriege mit den
Roͤmern gefuͤhret/ auch ſelbige mehrmahls uͤberwun-
den/ hat ſich nicht allein/ (wie man lieſet/) den Studiis
ergeben/ ſondern auch unterſchiedliche Buͤcher/ und
unter andern gewiſſe Leges, oder Geſetze/ de Arte Bel-
lica, wie man Krieg fuͤhren/ oder ſich mit dem Feind
ſchlagen ſolle/ geſchrieben. Was wollen wir von Ju-
lio Cæſare, dem erſten und fuͤrtrefflichen Roͤmiſchen
Kaͤyſer/ und unvergleichlichen tapffern Feld-Herꝛn/
der es allen andern/ die jemahls auf der Welt moͤgen
geweſen ſeyn/ bevor gethan/ melden? Dieſes koͤnnen
wir mit Warheit von ihm ruͤhmen/ und ſagen/ daß er
ſo ge-
[729]Romans II. Buch.
ſo geneigt zu den Studiis, als zu den Waffen geweſen/
und es dannenhero recht bey ihm geheiſſen: Literis \&
Armis! Oder: Aut Arte, aut Marte! ſintemahl er
auch ehe ein Literatus, als ein Soldat/ geweſen/ auch
hernach/ ſo offt er nur Zeit hatte/ gieng er in die Aca-
demiam der Poeten; Er laß auch und ſchriebe in dem
Gehen/ dahero/ als er einsmahls zu Alexandria in
Egypten durch Schwimmen einer groſſen Gefahr
entkommen/ hat er in der einen Hand ſeine Buͤcher/
welche er geſchrieben/ gehalten und ſalviret/ damit er-
weiſend/ daß er die Studia und Kuͤnſte/ als ſein eigen
Leben/ liebete/ alldieweil er ſo wol Fleiß anwendet/
ſeine Buͤcher/ als ſein Leben/ zu erretten; Ja/ wie ge-
lehrt und erfahren er geweſen ſey/ zeigen uns gnug-
ſam die Commentarii, Schrifften und Buͤcher/ wel-
che er hinterlaſſen. Nicht allein aber Cæſar, ſondern
alle beruͤhmte Roͤmer und Kriegs-Helden/ werden
dieſem unſerm Vorhaben einige Probe geben/ und
ſelbiges beglaubet machen. Daß ſie aber fuͤr ſo tapf-
fere Kriegs-Haͤupter und Regenten gehalten wur-
den/ ruͤhrete/ (wie leichtlich zu glauben/) einig von
den Studiis und Kuͤnſten her, Sintemahl das Erſte/
ſo die Roͤmer mit ihren Kindern vorhatten/ war/ daß
ſie ſelbige Studiren lieſſen/ und ihnen gute und ver-
ſtaͤndige Præceptores verſchafften/ die ſie zum Theil/
auch mit gar groſſen Unkoſten auß Griechenland/
und ſonderlich von Athen/ kommen lieſſen. Die 2. Ca-
tones weiß Jedermann/ wie fuͤrtrefflich und beruͤhmt
ſie ſo wol in Studiis und freyen Kuͤnſten/ als in den
Waffen geweſen. Cato Senior Cenſorinus war uͤber
alle Maſſen dem Studiren ergeben/ maſſen ſolches die
Buͤcher/ welche er uns hinterlaſſen/ bezeugen; Er
war ein fuͤrtrefflicher Orator, und fleiſſiger Hiſtoricus,
voller Weißheit und Verſtand/ lernete auch allererſt
Z z 5in
[730]Deß Academiſchen
in ſeinem Alter die Griechiſche Sprache. Der An-
dere/ Cato Uticenſis genannt/ wiewol er gar kein faͤ-
higes Ingenium, die Kuͤnſte und Sprachen zu erler-
nen hatte/ ſuchete dannoch die fuͤrtrefflichſten Præ-
ceptores, unter denen auch der Stoiſche Philoſophus,
Antipater Tyrius, einer war/ und ergab ſich dem Stu-
diren dermaſſen/ daß auch Cicero in ſeinem Buch de
Fine von ihm meldet/ er habe faſt nichts anders ge-
than/ als geleſen/ ſo gar auch/ daß er ein Buch mit
ſich in den Rath genommen/ damit er/ ſo er Zeit haͤt-
te/ darinnen leſen kunte.
Scipio Africanus, der fuͤrtreffliche Kriegs-Held/
und ſieghaffte Uberwinder deß Hannibalis, liebete
das Studiren uͤber alle Maſſen/ und uͤber das/ daß er
den hoch-beruͤhmten alten Poeten Ennium mit ſich
fuͤhrete/ gab er ſich auch jederzeit nach geendigtem
Krieg/ und erlangtem Sieg/ wiederum von neuem
auf das Leſen und Studiren. Hannibal, deſſen Wi-
derſacher/ ungeacht er ein Africaner war/ uͤbete ſich
doch/ auch wann er Krieg fuͤhrete/ unter ſeinen Gezel-
ten in den Studien der freyen Kuͤnſten und Sprachen.
Er fuͤhrete ſelbiger Zeit als Præceptores, oder Ge-
heime Raͤthe mit ſich/ Sillanum und Sofilaum, 2. La-
cedæmonier/ die ihn auch in der Griechiſchen Sprach
unterrichten muſten.
Dionyſius Tyrannus, der maͤchtige Koͤnig in Si-
cilia, hatte (maſſen wie ſchon gemeldet/) den Plato-
nem zum Lehrmeiſter/ pflegete auch ſonſt viel andere
gelehrte Leute in ſeiner Geſellſchafft zu haben/ da er
auß ſeinem Reich vertrieben worden/ und einer ſeiner
ſpotrend ihn fragte: Was ihn nun die Philoſophia,
welche er von Platone erlernet hatte/ nutzete? Es hilfft
mich/ (antwortete er gar kluͤglich/) daß ich die gegen-
waͤrtige Widerwaͤrtigkeit und Veraͤnderung deß
Gluͤckes mit Gedult ertragen kan.
Themiſto-
[731]Romans II. Buch.
Themiſtocles, der vortreffliche Athenienſiſche
Kriegs-Held/ erwieſe auch nicht weniger Fleiß in den
Studiis und Kuͤnſten/ als in den Kriegs-Waffen/ und
iſt deſſen Lehrmeiſter der Philoſophus Anaximander
Mileſius geweſen. Epaminondas der Thebanier
Fuͤrſt und Feld-Herꝛ/ wie auch alle andere Griechi-
ſche Feld-Obriſten/ ſind (wie wir leſen/) Studioſi
und beruͤhmte Oratores geweſen. Der gewaltige
Koͤnig Mithridates, (welcher die koͤſtliche Gifft-Lat-
wergen/ ſo nach ihm Mithridat genennet wird/ erfun-
den/) in ſeinem 40. und mehr Jaͤhrigen Krieg mit
den Roͤmern/ uͤbete ſich/ ſo viel ihm moͤglich/ auch mit-
ten unter den wuͤtenden und grimmigen Waffen in
den Studiis und freyen Kuͤnften/ fuͤhrete auch etliche
Philoſophos, als ſeine Lehrmeiſter/ mit ſich. Octa-
vianus Auguſtus hatte taͤglich ſeine gewiſſe Stunden
zum Studiren/ er verließ auch in dem Krieg die Studia
und Kuͤnſte niemahlen/ deßwegen hatte er ſtaͤts vor-
treffliche und gelehrte Maͤnner bey ſich/ als Apollo-
dorum Pergamenum, den Philoſophum und Redner
Aſinium Pollionem, Valerium Meſſalanum, Virgi-
lium, Ovidium, und viel andere deren Lehr/ Rath/
und Unterricht er ſich in allem ſeinem Vorhaben be-
dienet. Es war auch nach dieſem Lucius Lucullus,
ein vortrefflicher Feld-Herꝛ und Kriegs-General/
welcher ſich in waͤhrenden ſeinen Kriegen auf das
Studiren begab/ auch hernachmahls viel Fleiß an-
wendete/ gelehrte Leute/ die er ſehr liebete/ bey ſich zu
haben und zu unterhalten. Jnſonderheit iſt deß
Kaͤyſers Marci Antonii Merck-wuͤrdig zu gedencken/
als welcher in der Philoſophie, ſo wol in Griechiſcher
als Lateiniſcher Sprach wolerfahren geweſen/ auch
in ſeinem Alter hat er ſich von dem Philoſopho Sexto
Bœotio unterweiſen laſſen/ iſt auch ſelbſt perſoͤnlich zu
ihm
[732]Deß Academiſchen
ihm ins Hauß gegangen/ daher/ als ihm einsmahls
Lycius der Orator begegnete/ und ihn fragete: Auß
was vor Urſach er dahin gienge? Antwortete Mar-
cus Antonius: Etiam ſeni diſcere honeſtum eſt. Eo
igitur ad Sextum Philoſophum, cogniturus, quæ non-
dum ſcio. Das iſt: Es iſt auch einem Alten keine
Schande/ etwas zu lernen/ darum gehe ich zum Sexto
Philoſopho, allda zu erforſchen/ was ich noch nicht
verſtehe. Worauf Lycius die Hand empor gen Him-
mel gehoben/ und mit Verwunderung geſaget: O
Sol! Romanorum Imperator, in graveſcente ætate,
Libellum tractans, Magiſtrum adit: Meus autem Rex
Alexander Annos 32. Natusobiit. Das iſt: O Son-
ne! der Roͤmiſche Kaͤyſer gehet im hohen Alter zu
ſeinem Lehrmeiſter/ traͤget ein Buch mit ſich/ laͤſſet
ſich unterweiſen; Aber mein Herꝛ Koͤnig Alexander
iſt ſchon geſtorben/ da er kaum 32. Jahr gelebet.
Paulus Æmilius, der tapffere Kriegs-Held und Uber-
winder deß letzten Macedoniſchen Koͤnigs Perſei,
uͤber das/ daß er ein ſehr gelehrter und in allen Wiſ-
ſenſchafften erfahrner Mann war/ ließ ihm auch an-
gelegen ſeyn/ daß ſeine Kinder in ſeine Fußſtapffen
tretten/ und was Ehrliches ſtudiren moͤchten/ weßwe-
gen ihm die Athenienſer/ auf ſein Bitten und inſtaͤn-
diges Anhalten/ den gelehrten Philoſophum Metro-
dorum zum Lehrmeiſter ſeiner Kinder folgen lieſſen.
Aber/ warum mache ich mir viel Muͤhe/ von einem uñ
dem andern abſonderlich zu reden/ und Meldung zu
thun/ da doch ſolcher Exempel alle Hiſtorien voll ſind?
Pompejus Quintus, Fabius Maximus, Marcus Brutus,
Trajanus, Hadrianus, Marcus Antonius, dieſe alle ſind
tapffere Kriegs-Helden/ und darbey gelehrte Leute
geweſen/ welche unterſchiedliche Buͤcher/ Orationes,
auch viel andere Lehr-reiche und nutzliche Sachen ge-
ſchrie-
[733]Romans II. Buch.
ſchrieben. Jſt alſo unnoͤthig/ daß ich laͤnger hiervon
diſcurrire/ dann es bleibet doch/ meiner Meynung
nach/ darbey/ daß unter denen alten beruͤhmten
Kriegs-Generalen und Feld-Oberſten die Jenigen
gar rar und ſeltzam geweſen/ welche nicht ſtudiret hat-
ten. Von Zweyen unter den Roͤmern/ (meines Wiſ-
ſens/) lieſet man/ daß ſie nicht ſonders gelehrt ſollen
geweſen ſeyn/ einer/ Namens Cajus Marius, und der
andere Marcus Marcellus, jedoch berichten unter-
ſchiedliche Autores, daß Marcellus die Gelehrten ſehr
geliebt/ und ihnen allen geneigten Willen erwieſen/
dannenhero kan ich abnehmen und glauben/ daß er
auch ſtudiret habe/ und ein Literatus geweſen ſey/ ob
er gleich keine Schrifften oder Buͤcher hinterlaſſen/
welches dann abſonderlich die Ruhm-wuͤrdige That
bezeuget/ da er verbott/ daß bey Eroberung der Stadt
Syracuſæ, Archimedes nicht ſolte getoͤdtet werden.
Es moͤgen nun heut zu Tag die Generales und
Kriegs-Oberſten ſagen/ was ſie wollen/ ich rede von
etlichen/ nicht von allen/ nemlich von denen/ die da be-
haupten/ die Studia und Wiſſenſchafften der Kuͤnſten
ſeye ihnen nicht vonnoͤthen oder nutzlich/ vermeynend/
durch ſolche ihre thoͤrichte Meynung und Hartnaͤckig-
keit ihre grobe Ignorantz und Unwiſſenheit zu bemaͤn-
teln/ ſo bleibet es doch darbey/ die Alten hielten ſo viel
von den Studien/ Buͤchern und Kuͤnſten/ als von der
Tapfferkeit und Kriegs-Macht. Von noch unzaͤh-
lich vielen Feld-Obriſten und Kriegs-Haͤuptern/
welche den Studiis guͤnſtig und geneigt geweſen/ ge-
dencket Robertus Valturius in einem ſeiner Buͤcher/
von dem Krieg handlend.
Das XVII. Capitul/
Hier wirddiſcurriret/ wie weit ein Regent dem Jagen und
andern Luſtbarkeiten nach haͤngen moͤge.
Dieſe
[734]Deß Academiſchen
DIeſe letzte Worte ſtieſſen den Capitain zwar
gewaltig fuͤr den Kopff/ und haͤtte er mit Ve-
nereo daruͤber leicht Haͤndel angefangen/ weil
er aber ſahe/ daß alle uͤbrige Paſſagierer deſſen Par-
they in dieſem Stuͤck hielten/ begriffe er ſich/ und ließ
ſich nichts Widriges mercken/ er excipirte aber doch/
ſagend: Daß man gleichwol ſehen wuͤrde/ daß hohe
Potentaten mehr an dem Jagen/ als an den Buͤchern
ſich ergoͤtzeten. Nicht alle/ warff Venereus darzwi-
ſchen/ dann der fuͤrtreffliche/ hoch-verſtaͤndige/ und
ſehr gelehrte Engliſche Koͤnig Jacobus nahm alle-
mahl/ wann er auf die Jagd zog/ ein Buch mit/ und
laſe darinn/ wann andere das Wild verfolgeten. Ein
alter Cavallier, der bißhero nur zugehoͤret hatte/ be-
antwortete dem Venereo ſeine Exception ſolgender
Maſſen:
JCh aber/ mein Herꝛ/ ſchaͤtze dargegen/ man muͤſſe vielmehr
von groſſer Herren Tugenden/ als von ihren Fehlern ihm ein
Muſter nehmen/ ſintemahl mir nicht bey wil/ daß hierinn ſelbi-
ger/ wiewol ſonſt hochverſtaͤndiger Printz/ gar kluͤglich und Po-
litiſch gehandelt. Ein Herꝛ/ der ſeinen Officierern recht beliebt
ſeyn wil/ muß/ meines Erachtens/ ſich in alle Saͤttel zu finden
wiſſen/ es gelte auf die Jagd/ oder zum Turnier/ oder zum Feld-
zug/ oder in die Rath-Stuben und Cantzley/ nicht/ daß er allent-
halben eben mit Hand anlegen doͤrffte/ ſondern ihnen mit froͤ-
licher Gegenwart aufs wenigſte ſeinen Wolgefallen erzeige/
und zwar dieſes und dergleichen in rechte Zeit und Gelegenheit
einzutheilen wiſſe/ maſſen bey einer jeden Sache die Gelegenheit
beobachten das fuͤrnehmſte Stuck weitlicher Klugheit iſt. Dann
die Gelegenheit/ oder rechte Zeit/ iſt das rechte Gluͤcks-Seegel/
ohne welches alle/ auch die fuͤrtrefflichſten Handlungen den ge-
wuͤnſchten Hafen ihres Fuͤrſatzes nicht moͤgen erſchiffen.
Es leuchtet aber keine Kron ſo hell/ bißweilen ſitzet ein
Staͤublein daran. Koͤnige und Fuͤrſten ſind an Hoheit und
Herꝛſchafft Goͤtter/ von Natur und Sitten Menſchen/ und
koͤnnen offt zu einer Sache uͤbermachte Luft oder Haß gewin-
nen/ nachdem ſie genaturirt oder gewohnet ſind.
Monſieur redet gar recht/ ſagte der vorige Capitain, ich
bin
[735]Romans II. Buch.
bin in dem Fall ſeiner Meynung/ wil aber dieſen Koͤnig hierin-
nen wol vor entſchuldiget halten/ weil mir berichtet/ er habe von
Natur keinen bloſſen Stahl/ und alſo vielleicht auch keinen blan-
cken Hirſchfaͤnger nicht ſehen koͤnnen/ beſondern einen Horror
oder Abſcheu darfuͤr gehabt.
Der alte Cavallier ſprach: Was der Herꝛ da jetzo meldet/
das gedencket der Engliſche Graf und Koͤnigl. Cantzler Kenel-
mus Digbæus, in ſeiner Oration, von der Syn- und Antipathie.
Nemlich: Als hoch gedachten Koͤnigs Jacobi Frau Mutter/
Koͤnigin Maria Stuart, mit dieſem jungen Printzen hoch ſchwan-
ger gangen/ ſeyn ihrer etliche in ihr Cabinet gebrochen/ haben
daſelbſt einen Cavallier uͤberfallen und niedergemacht/ darvon
die Koͤnigin hefftig erſchrocken/ und dieſem ihrem Herꝛn Sohn
daruͤber ein ſolcher Schwerdt-Scheu angeerbet worden/ daß er
keinen gebloͤßten Degen ſchauen koͤnnen/ deßwegen auch/ wann
er einen zum Ritter ſchlagen muͤſſen/ (das doch/ weil er nicht gar
gerne daran kommen/ ſelten gnug geſchehen/) ihm/ welcher ab-
waͤrts ſahe/ ein anderer die Hand befaſſen und fuͤhren muͤſſen.
Welches ihm aber kein Verſtaͤndiger zur Zartheit und Klein-
muͤthigkeit rechnen wird/ weil es/ wie gehoͤret/ ein angeerbtes
Weſen geweſen/ und natuͤrliche Sachen nicht wol zu aͤndern.
Nichts deſtoweniger weiß ich auch/ daß/ ohnangeſehen
derſelbige Koͤnig ſonſt mit hohen Qualitaͤten gezieret geweſen/
ihm dannoch die gar zu groſſe Buͤcher-Luſt von unterſchiedlichen
Politicis gemercket worden. Vor andern verdencket es ihm
Saavedra, daß er ſich in Religions-Controverſien gar zu ſehr
vertieffet; Dannenhero der Schwerdt-Scheu wol ſo eben nicht
die Urſach geweſen/ ſeines auf der Jagd gewoͤhnlichen Leſens/
als vielmehr die gar zu groſſe Begierde zum Studiren. Es iſt
ſchwer in der Wiſſenſchafft und Klugheit die Maaß zu treffen/
wie zwar Tacirus an ſeinem fuͤrtrefflichen Agricola ſolches ruͤh-
met. Studiren und Regieren/ ſeynd nicht gar zu vertraͤgliche
Dinge; Dann/ ob zwar dieſes durch jenes befoͤrdert wird/ und
die Majeſtaͤt nicht weniger mit Geſetzen geruͤſtet/ als mit Waf-
fen gezieret ſeyn muß/ ſollen dannoch die Buͤcher mehr ein Con-
fect, weder taͤgliche Nahrungs-Speiſe eines Printzen ſeyn/ der
nunmehr im Regiment ſitzt. Mit dem/ der allererſt darzu gelan-
gen ſoll hat es eine andere Beſchaffenheit/ ſintemahl dieſer die
Wiſſenſchafft zu regieren/ und einen Staat recht zu diſponiren/
auß den Buͤchern und dem Unterricht eines klugen Hofmeiſters
vorher ſchoͤpffen/ Jener aber/ der das Steuer-Ruder deß Regi-
ments
[736]Deß Academiſchen
ments alibereit in Haͤnden hat/ ſeine meiſte Gedancken darauf
wenden muß/ wie er das/ was er entweder von ſtummen oder
redenden Lehrern gemercket/ recht moͤge anbringen/ und in das
Werckſetzen/ wiewol er dannoch unterweilen ſich in einem ver-
ſtaͤndigen Buch/ wie der Steuermann nach der Compaß-Na-
del/ umſehen kan.
Venereus war noch unbegnuͤget/ und ſagte: Darauß
folget nicht/ daß er eben Jagen muͤſte/ es werden ſich wol andere/
ja beyde Haͤnde voll Regiments-Geſchaͤffte finden/ ſeine Ge-
dancken und Zeit zu entmuͤſſigen/ es darff darum keine Jagd
ſeyn.
Jch hoͤre wol/ antwortete ihm der Capitain, der Herꝛ
wolte ihn gar an den Gerichts-Stuhl oder Thron binden/ und
keiner Luft genieſſen laſſen/ das waͤre mir ungelegen/ da ich ein
groſſer Herꝛ waͤre/ wolte ich meinen Raͤthen das Meiſte anbe-
fehlen/ und meine Bequemlichkeit ſuchen. Es drucken ohne das
den Fuͤrſten tauſend Sorgen/ und laſſen ihn nicht unbegleitet/
wo er gehet und ſtehet/ er darff ſich nicht erſt mit gar zu genauer
Beobachtung aller und jeder Reichs-Geſchaͤfften außfordern.
Meynet der Herꝛ/ die Dichter haben den Himmel umſonſt dem
Atlas oder Hercules auf die Schultern geleget/ und nicht viel-
mehr damit ein Nachdencken geben wollen/ ein Koͤnig muͤſſe die
Laft deß Regiments vielmahls einem getreuen Rath oder Cantz-
ler aufbuͤrden/ und durch bequeme Ruhe oder Ergoͤtzung ſeine
Perſon/ dem gemeinen Weſen zum Beſten/ erhalten?
Ein anderer junger Edelmann/ der da ſpuͤrete/ daß die
andern Luft haͤtten/ in dem Diſcurs von der Jagd fortzuſchrei-
ten/ und deßhalben durch dieſen Streit ungern ſich aufgehalten
ſahen/ tratt mit ſeiner Rede ins Mittel/ und ſprach: Es iſt gut/
daß der Herꝛ/ (Venereum meynend/) keine Regimenes-Perſon
worden/ ſeine Leute durfften ſonſt ſchlechte Luft bey ihm genieſ-
ſen/ lieber wolte ich den Herꝛn Capitain zu meinem Fuͤrſten ha-
ben. Dann/ welcher Fuͤrſt ſolte der groſſen Laſt und Buͤrde der
Regierung baſtand ſeyn/ dafern er nicht einen guten Theil auf
andere Schultern legen/ und ſeine gewiſſe Abwechslung der
Beſchaͤfftigung und Erluſtigung haben wurde? Bevorab im
Jagen/ welches eine gar mitteimaͤſſige/ ja gantz Koͤnigliche
Ubung iſt/ ſo die Geſundheit ſtaͤrcket/ das Gemuͤth maͤnnlich/
behertzt/ und zum Krieg geſchickt machet. Daher es dann et-
lichen Helden-muͤtbigen Printzen ſo doch nicht zu verdencken/
daß ſie zu Friedens-Zeiten/ ihrer Martialiſchen und kriegeriſchen
Natur
[737]Romans II. Buch.
Natur deſto mehrers Contentement zu geben/ zuweiten dem
Hetzen etwas zu viel nachhaͤngen/ da nur unterdeſſen die Re-
gierung mit redlichen/ und an Aufrichtigkeit bewaͤhrten Maͤn-
nern/ beſtellet wird; Und doch gleichwol auch zu gewiſſer Zeit
ein ſolcher Herꝛ einen Blick zu ernſtlichen Sachen gibt. Dann/
ob zwar ein weiſer und geſchickter Cantzler und getreue geheime
Raͤthe nicht mit Geld zu bezahlen/ und gar ſtarcke Saͤulen all-
gemeiner Wolfahrt ſind/ ſo macht ſie dannoch deß Koͤnigs Auge
immer zu geſchickter und hurtiger/ und bekraͤfftiget ſie in ihren
gerechten Handlungen. Was Fuͤrtrefflich iſt/ wird noch fuͤr-
trefflicher/ wann es ein hohes Lob antrifft/ und iſt deß Fuͤrſten
Gegenwart der liebliche Sonnen-Strahl/ welcher die Blumen
der Tugenden bey ſeinen Beamteten aufſchleuſſt/ und zum Ge-
ruch-ſtreuen erwecket. Ja/ ob gleich der Printz/ nach dem
Wunſch Koͤnigs Alphonſi von Arragonien/ ſo viel Zopyros
haͤtte/ als ein Granat-Apffel Koͤrner/ ſtunde ihm doch nicht zu
rathen/ aller hohen Handlungen ſich gaͤntzlich zu aͤuſſern.
Dafern aber dieſes darbey gar nicht in Acht genommen/
die Sorge deß Regiments nicht auf zuverlaͤſſige Raͤthe/ ſondern
an einen Nagel oder Jaͤger-Spieß gehenckt/ und ohn alle Maaß
und Weiſe der Jagd nachgetrachtet wird/ kan ich es nicht loben.
Viel weniger/ wann die Unterthanen dardurch in Grund ver-
dervet werden; Als wie Cambdenus vom Koͤnig Normanno
in Engelland ſchreibet/ daß er einen Umkraͤyß von 30. Meilen
zum Hetzen bereiten laſſen/ und daruͤber viel Staͤdte/ Fiecken/
Doͤrffer und Kirchen geruiniret/ und die armen Einwohner
verjaget hat. Daher ihm dann auch/ auß Goͤttlicher Straffe/
in eben demſelbigen Jagd-Gehoͤltze ſein Sohn Richard mit ei-
nem Pfeil unverſehens erſchoſſen/ und der andere Sohn Rufus
die Peſtilentz darinnen bekommen/ daran er auch ſterben muͤſſen.
Jngleichem ſoll man ſonſt nicht zu uͤbermaͤſſig viel Geld auf das
Jagen ſpendiren/ wie der Tuͤrckiſche Sultan Amurathes I. ge-
than/ welcher in die 40000. Hunde gehalten/ deren Jeder ein
guͤldenes oder ſilbernes Halß-Band getragen. Auſſer ſolcher
Verſchwendung muß man Fuͤrſten und Herren ihre Luſt goͤn-
nen/ geſtaltſam ſie vielmahls/ auch wol auf der Jagd/ hey meh-
rer Einſamkeit einer und andern Staats-Sachen beſſer nach-
dencken.
Gluͤckſeelig aber iſt der Fuͤrſt/ der ſolche Ordnung halten
kan/ wie Kaͤyſer Ferdinand der Erſte/ nach Busbeckii Meldung/
gethan/ und waͤre zu wuͤnſchen/ da es die unterſchiedliche Ratu-
A a aren
[738]Deß Academiſchen
ren nur litten/ daß alle Fuͤrſten dieſes Herꝛn Manier und Ge-
brauch/ wie einen Spiegel/ beſchaueten. Deß Morgens/ ſchrei-
bet bemeldter Author, ſtehet Ferdinandus, Kaͤyſers Caroli V.
Herꝛ Bruder/ (und damahliger Roͤmiſcher und Ungariſcher
Koͤnig/) fruͤh auf um 5. Uhr/ auch in dem haͤrteſten Winter/
perrichtet darnach ſein Gebet zu GOTT/ und wann er den
Gottesdienſt verrichtet/ ſo gehet er zu Rath/ da er der Sachen/
ſo zum gemeinen Nutzen dienen/ Berathſchlagung/ biß zur
Mittags-Mahlzeit mit groſſem Fleiß abwartet. Das geſchicht
auch (gemeiniglich) Nachmittags/ biß die Zeit Abend-Eſſens/
nicht ſeines/ ſondern ſeiner Raͤthe/ herbey kommt/ dann er der
Abend-Mahlzeit ſich ſtaͤts gantz und gar enthaͤlt/ auch deß Tags
nicht mehr/ als einmahl/ und zwar gar maͤſſig iſſet/ trincket/ auch
nicht viel/ ſondern beſchleuſſt mit dem andern Trunck Weins
ſeine Mittags-Mahlzeit. Deß Nachts iſt er keuſch/ und ſein
Ehe-Bett von der Zeit an/ daß ihm ſeine Gemahlin mit Tod ab-
gangen/ mit keiner Unzucht befleckt. An Narren-Spiel/ und
deren Kurtzweil/ darzu viel Luſt haben/ hat er keinen Gefallen.
Weiter gibt kurtz hernach ſelbiger Scribent von ihm dieſen
Bericht: Dieſer Kaͤpſer Ferdinandus pflegte zu ſagen: GOtt
habe ihn nicht ſeinethalben in ein ſo hohes Amt geſetzet/ deß Reichs
Regierung ſey ihm nicht darum gegeben/ daß er ſich in Wolluͤ-
ſten waͤltze; Man komme weit einer andern Geſtalt zu der
Herꝛſchafft gemeiner Leute/ als zu Koͤnigreichen und Kaͤyſer-
thuͤmern; Es waͤre keinem verbotten/ ſein vaͤtterlich Guth zu
ſeinem Rutzen zu gebrauchen und genieſſen/ aber es ſeyen ihm ſo
viel Voͤlcker von GOtt anbefohlen/ damit er fuͤr ſie ſorge/ daß
ihme die Muͤhe obliege/ und auß ſeiner Verordnung der Nutzen
auf ſie komme/ und daß er durch ſeinen Schweiß ihnen Ruhe
und Frieden ſchaffe. O Tugend! wo haͤtteſt du Fuͤrſten-maͤſſi-
gere Reden finden koͤnnen/ weder in dem Mund dieſes Edlen
Printzens?
Jedoch damit keiner gedencke/ er ſey ein Sauer-Topff/ ein
Holtz-Bock/ und abgeſagter Feind aller Ergoͤtzlichkeit geweſen/
fuͤget bald darauf mehr-gedachter Author hinzu: Daß er auch
manches mahl ſich in Jagden/ ſonderlich aber deß Nachmittags
erlufliret habe. Es gedenckt mir noch wol/ (ſagt der Scribent,)
daß ich ihn habe hoͤren ſagen: Jch habe mein Amt verrichtet/
alle Sachen und Brieffe durchgeleſen/ es iſt nichts mehr in der
Cantzley uͤbrig/ daß mich verhindere. Jch wil die uͤbrige Zeit deß
Tags meines Leibes pflegen/ ꝛc. Alſo kommt er in eitler Nacht
wieder-
[739]Romans II. Buch.
wiederum heim/ iſt froͤlich/ wann er ein wild Schwein oder Hir-
ſchen bekommen.
Wie ein herꝛlich Ding wuͤrde es fuͤr das gemeine Weſen
ſeyn/ wann alle Potentaten dieſem Exempel nachſetzten/ und an
keine Ubungen deß Leibs|gedaͤchten/ bevor die Regiments-Sachen
ihr Recht und Außrichtung erhalten. So koͤnten ſie nach mahls
der Jagd und allerhand Ritter-Spielen deſto ſicherer und freyer
genieſſen/ und keine Verabſaͤumung einiger hohen Angelegenheit
beſorgen. Es wuͤrde ſie auch die Luſt ihren Landen ruͤhmlich
vorzuſtehen vernuͤnfftig erinnern/ in dem Jagen Maaß und
Weiſe zu halten/ und daruͤber ſich in keine Gefahr zu ſtuͤrtzen/
ſintemahl in der Perſon eines Regenten das gantze Land/ ſo wol
vernachtheilet/ als begluͤcket werden mag.
Der Herꝛ redet recht und vernuͤnfftig/ ſagte hierauf Ve-
nereus, dann dafern man gar zu hitzig dem Jagen oblieget/ kan
einer leichtlich in Gefahr und Schaden daruͤber kommen/ wie
Camerarius in ſeinen Horis Subceſivis mit ſehr vielen Exempeln
an dem Kaͤyſer Maximilian, der dem Hertzen faſt gar zu ſehr er-
geben geweſen/ Bewelſes gnug fuͤrſtellen kan.
Der tapffere Pommeriſche Hertzog Bogislaus X. haͤtte
bey Ukermunde auf der Jagd ſchier ſein Leben eingebuͤſſet/ als
ein groſſer Hirſch mit dem Geweihe dermaſſen auf ihn darſetzte/
daß ihm Lung und Leber verwundet worden. Woruͤber dann
im gantzen Land groſſes Wehklagen und Kuͤmmernuͤß entſtan-
den/ angemerckt/ albereit zu der Zeit auf ihm der Hertzogliche
Pommeriſche Stamm beruhet.
Jm Jahr 1646. hat der Daͤnnemaͤrckiſche Koͤnigl. Printz
Chriſtian der Fuͤnffte/ einem Hirſchen wollen nachſetzen/ dar-
uͤber er mit dem Pferd geſtuͤrtzet/ alſo/ daß er uͤber 24. Stunden
Sprach loß darnieder und kranck gelegen. Koͤnig Woldemars
Sohn ward ohngefaͤhr auf der Jagd mit einem Pfeil in den
Schenckei verwundet/ darvon er ſterben muſte.
Das ſind mehrentheils zufaͤllige Sachen/ ſprach der alte
Cavallier, von derentwegen man die Jagd nicht ſcheuen darff/
ſonſt muͤſte man auch nimmermehr anderswohin einen Ritt
thun/ auß Forcht deß Pferde-ſtuͤrtzens. Was hat aber/ (ant-
wortete Venereus,) ein Herꝛ vonnoͤthen/ ſich in Gefahr daruͤber
zu begeben? Da er doch wol die Baͤren/ Hirſch und Schweine
durch ſeine Leute kan jagen laſſen/ und er fuͤr ſeine Perſon den
Reb-Huͤnern/ Reyhern/ und dergleichen nachſtellen kan? Deß
muß ich lachen/ verſetzte der Cavallier, mit der Weiſe ſolte er die
A a a 2beſte
[740]Deß Academiſchen
beſte Luft ſeinen Dienern uͤberlaſſen/ er ſelbſt mit der geringern
vorlieb nehmen. Jch wuſte nicht/ (war deß Venerei ſeine Ge-
gen-Antwort/) ob groͤſſere Luſt/ einem wilden Hauer nach zu-
ſetzen/ oder einen wolabgerichteten Falcken fleigen zu laſſen.
Jch halte/ ſprach der Capitain, die beſte Luſt beſtehe in der
Abwechslung. Wiewol nicht zu laͤugnen/ daß an ſich ſelbſten
die Reyher-Beitz und Beruckung deß Feder-Wildes faſt ergoͤtz-
licher/ weder das Hetzen. Geſtaltſam dann die groſſe Herren
in Ungarn und Tuͤrckey/ ja die Roͤmiſ Kaͤyſerl. Majeſtaͤt ſelbſt
damit vielmahls ſich beluſtiget.
Solymannus der Tuͤrckiſ. Sultan/ welchen ſeine Gewalt
der gantzen Chriſtenheit erſchrecklich gemacht/ hat hierinnen ſein
groͤſtes Vergnuͤgen geſuchet/ und ſich deßwegen bey Adrianopel
zu Winters-Zeiten Jaͤhrlich auf zuhalten pflegen/ biß ihn gegen
dem Lentzen die Froͤſche mit ihrem Gewaͤſche wieder vertrieben-
Dann an ſelbiger Gegend/ da viel und mancherley groſſe Stroͤh-
me zuſammen ſtoſſen/ gibt es viel Weyher und ſtill. ſtehende
Suͤmpffe/ darbey man unzaͤhlich viel Feder-Wild antrifft/ als
wilde Endten/ Gaͤnſe/ Reyher/ alle von ſonderlicher fremder
Art/ deßgleichen Kranich/ Trappen/ und andere dergleichen.
Hierzu hat er junge Adler zu brauchen pflegen/ die alſo luſtig
abgerichtet/ daß ſie hoch in der Lufft dem Wild nach geeilet/ und
daſſelbe wunderlich herab gebracht. Hielte es ſeinen Flug nie-
drig/ ſo erſchnapten ſie es im Fliegen/ oder ſtieſſen es mit groffer
Ungeſtuͤmmigkeit und Furi zur Erden.
Jngleichem hat er Falcken gehabt/ ſo dermaſſen waren
abgefuͤhret/ daß/ wann ſie einen Kranchen wolten angreiffen/
ſie ihm unter den Fluͤgeln auf die Haͤur|ſtieſſen/ um ſich vor der
Gegenwoͤhr deß ſpitzigen Kranchen Schnabels deſto liſtiger zu
verwahren/ welches ihnen darauf gelungen/ daß ſie den Kran-
chen uhrploͤtzlich mit ſich herab gezogen/ jemahlen aber auch fehl
geſchlagen/ indem ſie mit einem ſcharffen Stoß von ihren Wider-
ſachern empfangen/ und bald todt auß der Lufft wieder herab
gefallen.
Der Cavallier that binzu: Der Falck iſt von Natur ein
liſtiger Raub-Vogel/ der ſeinen Feind deſto beſſer zu betriegen/
und ihn ohne eigene Gefahr zu beleydigen/ nicht gerade/ ſondern
gebogener Weiſe auf ihn herab fleugt/ und ſeine ſcharffe Klauen
fuͤr der Bruſt haͤlt/ mit dem Schnabel aber dem Vogel manches
mahl einen ſolchen Stoß gibt/ daß er ihn gar vom Kopff biß zum
Schwantz durchſpieſſet/ oder den Kopff abſtoſſet. Mit dem
Reyher
[741]Romans II. Buch.
Reyher aber muß er nicht weniger behutſam/ weder mit einem
Kranchen umgehen/ dann derſelbe verbirget Anfangs ſeinen
Schnabel/ biß er mercket/ daß der Falck uͤber ihn geſtiegen/ als-
dann richtet er ſolchen geſchwind uͤber ſich/ dem Feind entgegen/
und bewillkommet ihn gar haͤßlich/ ihm die Bruſt durch und
durch grabend/ alſo/ daß Beyde mit einander herunter fallen.
Die Natur theilet dieſen Voͤgeln allerhand verſchlagene
Griffe und Erfindungen mit/ zu ihrer Erhaltung/ die uns
Menſchen gar wunderlich fuͤrkommen. Wie unter andern zu
ſehen/ an etlichen Wald- oder Birck-Huͤnern/ welche/ damit ſie
von den Hunden der Jaͤger nicht außgeſpuͤret werden/ ſich/ da der
Schnee am tieffeſten faͤllet/ nieder/ und gantz beſchneyen laſſen/
vorher aber reiſſen ſie eine gewiſſe Baum-Frucht ab/ und fuͤllen
den Kropff damit ſo ſehr an/ daß er ihnen groͤſſer wird/ als die
uͤbrige gantze Bruft/ theilen ſich hernach in gewiſſe Hauffen/
und freſſen darvon die Zeit uͤber/ weil ſie alſo unter dem Schnee
begraben ligen. So bald ſie mercken/ daß ein groſſer Schnee
fallen/ und lang liegen werde/ und ihr Proviant aufgezehret/
verlaſſen ſie den Ort/ nehmen wieder aufs neue ſolche Frucht
von den Bircken zu ſich/ und darauf einen andern Wohn-Platz
unter dem Schnee/ biß zum Außgaug deß Mertzen darunter
verharrend; Dann/ weil alsdann der Schnee zerſch meltzet/
treibet ſie die Natur auß ihren Schlupff-Winckeln herfuͤr/ nach
dem Gebuͤſch und dick-gezweigten Baͤumen/ ihre Jungen zu
hecken. Aber/ wie ſtellet man ihnen dann nach? fragte Vene-
reus. Durch Huͤlffe der Spuͤr-Hunde/ antwortete der Capitain,
wird man ihrer ſelten maͤchtig/ ſintemahl dieſelbe entweder deß
tieffen Schnees wegen ſie nicht riechen/ oder/ da je der ſchlauhe
Jaͤger/ wann die Hunde mit ihrem Geruch geſehlet/ an irgend
einer andern Spuhr oder Kennzeichen ſie gemercket/ ſie doch/
wann die Hunde zu bellen beginnen/ gemeiniglich darvon flie-
gen. Gelinget es aber dem Jaͤger/ daß ſie ihn nicht mercken/ ſo
bekommt er ihrer eine groſſe Menge/ maſſen ſie in haͤuffiger An-
zahl bey einander ſind. Weil es dann mit den Hunden ſelten an-
gehet/ beobachten die Waͤyd-Maͤnner und Foͤrſter/ wo ſie ihren
Strich halten/ und ſtecken an den Oerten/ da der Schnee tieff
zu fallen pfleget/ Stangen in die Erde/ ſo 8. oder 10. Schuh
lang/ daran eben ein Strick hanget/ welches/ wann es von be-
melten wilden Huͤnern/ nur das Geringſte beruͤhret wird/ ſie
benetzt und gefangen nimmt. Und iſt poſſierlich/ daß/ wann eine
gefangen/ die andern haͤuffig hinzu fliegen/ um Jene zu retten/
aber daruͤber mit einander gleichfalls in das Netze fallen.
A a a 3Das
[742]Deß Academiſchen
Das XVIII. Capirul/
Wie ein junger Printz ſolle erzogen werden. Troll kommt
unter etliche ſchlimme Purſch/ da ſie einander rechtſchaffen beziehen.
JEtzo ließ ſich Venereus vernehmen/ daß man
heut zu Tage die junge Printzen mit ſonderba-
rer Sorgfalt zu erziehen trachte/ und man
demnach jetzo in ſolcher Zeit lebe/ da man gnugſame
Exempel hochgelehrter/ verſtaͤndiger und tapfferer
Fuͤrſten haben kan/ daß man nicht noͤthig hat/ dieſel-
be von den Alten zu entlehnen. Ein Loͤwlein/ fuhr er
fort/ ſo bald es auf die Welt kommet/ verſuchet ſeine
Klaͤuelein/ und ſchuͤttelt die am Haiß ſtehende feuch-
te Haare/ gleichſam ſein Koͤnigl. Gemuͤth dardurch
zu verſtehen zu geben. Die Geſandten auß Bearn/
als ihnen Herꝛ Wilhelm von Moncada erlaubte/ ei-
nen auß ſeinen beyden Soͤhnen zu ihrem Fuͤrſten zu
erwaͤhlen/ da ſie ſahen/ daß der Eine die Hand ge-
ſchloſſen/ der Andere aber dieſelbe offen gehalten/ ha-
ben ſie dieſen erkieſet/ und ſolches fuͤr ein Zeichen der
Freygebigkeit/ und dieſes nach dem Beweiß deß Auß-
gangs/ nicht vergeblich gehalten. Darbey dann viel
thut/ wann die Muͤtter ihre Kinder ſelbſt ſaͤugen/
ſolche auch nicht im Frauenzimmer/ da ſie Weibiſche
Zaghafftigkeit und dergleichen lernen/ lang aufhal-
ten/ oder zu boͤſer Geſellſchafft unter die Wolluͤſtige
und Schmeichler gethan werden/ oder ihnen die Hand
zu lang gelaſſen wird/ als wordurch ſie zu allerhand
Untugend verfallen; Die Jenigen aber/ ſo zaͤrtlich/
und gleichſam in einem Kaͤſtlein auferzogen werden/
daß ſie weder die Sonne beſcheinen/ noch ein Wind
anwehen kan/ oder ein ander Luͤfftlein/ als von wol-
riechenden Sachen/ zu ihnen kommen laſſen/ werden
weich/ und zur Regierung untuͤchtig/ und die Jenigen
hingegen darzu ſehr tauglich/ welche ſich in recht-
maͤſſiger
[743]Romans II. Buch.
maͤſſiger Arbeit uͤben/ worzu man inſonderheit die
Jagd/ wann ſie anders mit Maaß gebraucht wird/
ruͤhmet. Der weiſe Koͤnig Alphonſus hat ein Geſetz
verordnet/ daß man einem Fuͤrſten ein ſchoͤnes Ehe-
Weib geben ſolle: Porque los fijos, que della uviere,
feiam mas formoſos, e mas apueſtos; Lo que convie-
nemucho a los fijos de lo Reyes, que ſean tales, que
p [...]rezcan bien entre los ottos Omes. Die Soͤhne/ ſagt
er/ ſo von ihr kommen/ werden viel ſchoͤner und an-
ſehnlicher ſeyn; Welches dann der Koͤnige Soͤhnen
wol anſtehet/ daß ſie ſolche ſeyn/ die unter andern Leu-
ten herfuͤr leuchten. Jetztgedachter Koͤnig wil auch/
daß ein Koͤnig ſolle der Wiſſenſchafften erfahren
ſeyn/ damit er anderer Koͤnige Sachen verſtehen/ und
ſch ſo viel beſſer darein ſchicken koͤnne. Wiewol die
Unterthanen nicht allweg gerne ſehen/ wann ſich ihr
Herꝛ gar zu viel auf die gute Kuͤnſte leget/ und obwol
[d]ie Außlaͤnder von einem ſolchen Fuͤrſten ſehr viel
halten/ verlieret er dannoch dardurch offtmahl bey
den Seinigen das Anſehen. Soll demnach/ wie in
andern/ alſo auch hierinn das Mittel beobachtet wer-
den/ und ſind die Gothen nicht zu loben/ welche deß
Koͤnigs Athalarici Mutter verwieſen/ weil ſie ihren
Sohn etwas hatte lernen laſſen/ gleich/ als waͤre er
dardurch zum Regiment untuͤchtig gemacht worden.
Ein Printz ſoll auch in Religions-Sachen wol geuͤbt
ſyn/ in Rechten aber fuͤrnemlich nur das wiſſen/ was
zum Regiment erfordert wird; Sonſten aber in
Geiſt- und Weltlichen hoch-erfahrne Leute an ſeinem
Hof halten. Die Wolredenheit iſt ihm ſonders noͤ-
[t]hig/ wie auch die Hiſtorien/ darinn er ſich/ als in ei-
nem hellen Spiegel erſehen kan/ und wie andere vor
ihm regieret haben/ iſt ihm auch an Statt eines ge-
treuen Raths/ ſo nimmer von ihm weichet. Es ſtehet
A a a 4einem
[744]Deß Academiſchen
einem Fuͤrſten auch wol an/ wann er unterſchiedliche
Sprachen redet und verſtehet; Doch wil der Welt-
erfahrne und tieff-ſinnige Spanier/ Herꝛ Didacis
Saavedra, Ritter deß Ordens St. Jacob/ in ſeinen
Symbolis Chriſtiano-Politicis, Symb. 5. pag. 32. daß
ein Fuͤrſt nicht durch Lehr-Kunſt/ oder die Præcepta,
welche das Gedaͤchtnuͤß verwirren/ hierzu gelangen/
ſondern von außlaͤndiſchen Voͤlckern vornehmer
Herren Soͤhne unter ſeine Hof-Genoſſen beruffen
werden ſollen/ mit welchen er ſtaͤts reden/ und hie-
durch ohne groſſe Muͤhe und gleichſam unvermerckt/
in wenigen Monaten ſo weit gelangen koͤnne/ daß [er]
eines Sprach zu reden ſich gewoͤhne. Und zwar/ ſo
iſt durch ſolches Mittel ehemahls ein fuͤrnehmer jur-
ger Herꝛ noch gar jung zu vielen Sprachen gelanget
der gleichwol hernach die Grammatic gelernet/ dami[t]
er die Lateiniſche Sprach/ die er vorhin auß taͤgliche[r]
Ubung geredet/ gruͤndlich hat verſtehen/ und auch von
andern Sprachen/ und derſelben Unterſchied beſſer
urtheilen koͤnnen/ und ſolcher jungen Herren habe ich
in Jtalien noch vielmehr geſehen.
Damit aber auch ein Printz etwas von der
Welt und Erd-Beſchreibung/ (ohne welche die Po-
litiſche Wiſſenſchafft etlicher Maſſen blind iſt/) er-
lerne/ ſo iſt nuͤtzlich/ daß die Gemaͤcher ſeines Pallaſts
mit Tapezereyen und ſchoͤnen Land-Karten behaͤnge[t]
werden/ darauß er eine Abbildung deß Welt-Craͤyſes [...]
haben/ auch auß den gemachten Himmel- und Erd [...]
Kugeln/ den Umkraͤyß beyder halben Kugeln/ de [...]
Himmels Bewegung/ Auf- und Niedergang de[r]
Sonnen/ die Abwechslung der Taͤge und Naͤcht[e]
und anders beſchauen moͤge. Von dem Land- und
Feldmeſſen iſt einem Printzen gnug/ wann er die
Weite von einem Ort zum andern/ auch die Hoͤhe
und
[745]Romans II. Buch.
und Tieffe meſſen kan. Er mag auch lernen/ wie man
Plaͤtze beveſtigen ſolle/ darzu dann/ Luſt halber/ er von
Leim/ und andern dergleichen Zeug/ Boliwercke/
Schantzen mit ihren Graben/ Daͤmmen/ Waͤllen/ ꝛc.
machen/ und die hernach mit kleinen [S]tuͤcken/ und
andern Kriegs-Ruͤſtungen anfallen und beſtreiten
kan. Er mag auch lernen/ wie eine Schlacht anzuord-
nen/ zu welchem Ende er allerhand Kriegs-Leute/ auß
Metall gegoſſen/ bey der Hand haben ſoll/ auß wel-
chen er ein Kriegs-Heer anordnen kan. Was ſonſten
einem jungen Printzen wol anſtehet/ darvon gebuͤh-
ret mir nicht zu reden/ und kan man ſich deßfalls bey
Koͤnig Alphonſo und dem Ritter Saavedra, inſonder-
heit aber bey dem Herꝛn von Seckendorff Raths und
Unterricht gnug erholen.
Unter dieſem Diſcurs kamen ſie mit ihrem Schiff
zu einer Herberge/ allwo ſie außſtiegen/ und mit ein-
ander Mahlzeit hielten/ hernach ſetzeten ſie ſich wie-
der ins Schiff/ und weil der Wind nach Mittag
ziemlich ſtarck/ kamen ſie denſelben Abend noch zu
Coſtnitz an/ woſelbſt ein Jeder ſeines Weges und
ſeinen Geſchaͤſſten nachgienge/ Venereus aber verfuͤ-
gete ſich nach einer Herberge/ und gieng am folgen-
den Tage zu Land nach Schaffhauſen/ von dannen
er endlich vollends wieder zu ſeinem Herꝛn dem Prin-
tzen Condado gelanget iſt/ wie wir hiernaͤchſt zu ver-
nehmen haben.
Wir wenden uns wieder zuruͤck nach dem Ort/
allwo durch Verfuͤhrung der Jrꝛ-Liechter jenesmahls
unſere Geſellſchafft von einander kommen war/ um
zu ſehen/ wohin doch die uͤbrigen moͤgen gelanget
ſeyn/ Troll und Cavina mangeln uns noch/ als ver-
lohrne Schaafe/ welche in der Jrre umher lauffen.
Was Jenen anlanget/ ward er gleich den andern/
A a a 5durch
[746]Deß Academiſchen
durch ein ſeltzames Nacht-Liecht gaͤntzlich vom rech-
ten Weg ab- und in einen dunckeln Wald hinein
gefuͤhret/ da er dann endlich das Jrꝛ-Liecht verlohren/
und nichts/ als lauter dunckele Finſternuͤß um ſich
ſahe. Hieſelbſt fand er im Tunckeln ein geſatteltes
Pferd/ ohne Herꝛn/ auf welches er ſich ſetzete/ und
fort ritte/ er ließ daſſelbe auch gehen/ wohin es wol-
te/ dannenhero kam er auf demſelben endlich an die
Ecke deß Waldes/ allwo ein Mann den Zuͤgel ergriff/
und zu dem Reuter ſprach: Mein Freund/ ihr ſeyd
vom rechten Weg abgekommen/ ich wil euch wieder
darauf helffen. Hierauf fuͤhrete er ihn ein wenig ſeit-
waͤrts/ fuͤr einen groſſen hohlen Baum/ fuͤr welchem
ein kleines Feuer brandte/ und lagen 2. ſtarcke Maͤn-
ner neben demſelben/ und ſchlieffen. Dieſe wurden
von ihrem dritten Cam̃eraden bald aufgewecket/ der
ihnen den Troll fuͤrſtellete/ da ſie ihn mit gar freund-
lichen Worten zum Feuer noͤthigten/ welches ihm
Troll gefallen ließ/ der zuforderſt nach etwas Speiſe
forſchete. Sie reicheten ihm etwas Brodt und Kaͤſe/
worbey er zu dieſem mahl ſeine Abend-Mahlzeit hal-
ten muſte. Man band ſein Pferd an einen Graß-
reichen Ort/ und als ſich Troll zu den andern geſetzet/
fielen ſie ihm ploͤtzlich auf den Leib/ und bunden ihm
Haͤnde und Fuͤſſe. Dieſes Handels erſchrack er ſehr/
rieff aber doch: Miſericordia! Miſericordia! quid
poſtulatis ab homine pauperrimo? Zu allem Gluͤck
war unter dem Hauffen einer/ der ein wenig Latein
verſtund/ dieſer bath fuͤr ihn/ und ſagte/ er wuͤrde ih-
nen der Sprache halben nuͤtzlich ſeyn/ darum moͤchte
man ihm das Leben ſchencken.
Alſo ward er begnadiget/ mit dem Bedinge/ daß
er ihr getreuer Cammerad hinfuͤhro ſeyn/ was er haͤt-
te/ mit ihnen getreulich theilen/ und von dem/ was ſie
uͤber-
[747]Romans II. Buch.
uͤberkommen wuͤrden/ nichts mehr/ als ſeinen Theil/
fordern wolte. Dieſes muſte er zuſagen/ und mit ei-
nem Eyde bekraͤfftigen. Das Pferd aber nahm Onel-
lo, der fuͤr ihn gebetten hatte/ zu ſich/ und verſprach
ihm/ ſolches mit der Zeit von dem/ was er erwerben
wuͤrde/ zu ſeinem Antheil zu bezahlen/ deſſen die gantze
Geſellſchafft zufrieden war. Die uͤbrigen nenneten
ſich Simon und Adrian. Als der folgende Morgen an-
gebrochen war/ langete Onello einen Buͤndel herfuͤr/
darinn hatte er etliche kleine Glaͤßlein und Schaͤch-
telein/ deren Jedes mit etwas Beſonders auß einer
Apotheken war angefuͤllet worden. Er hatte auch et-
liche Puͤlverlein/ von verſchiedener Farbe/ aber ſolche
beſtunden meiſt auß Aſchen/ Erde und zerſtoſſenen
Ziegel-Steinen. Adrian und Simon munterten ihn
auf/ daß er mit ihnen nach jenem Staͤdtlein/ Muſſar-
do genannt/ ritte/ darinn hatten ſie am vorigen Tage
mit einem einfaͤltigen jungen Burger/ Namens Tor-
renti, eine artige Kurtzweil gehabt/ indem ſie ihm
durchs Kartenſpiel eine gute Quantitaͤt Geldes abge-
wonnen hatten. Onello ſprach/ daß er dieſen Mann
wol kenne/ wiſſe aber nicht/ daß man ſich wegen ſeines
Armuths groß an ihm zu erholen vermoͤge. Aber ſie
gaben ihm zu verſtehen/ daß vor 2. Tagen eine ſeiner
naͤchſten Verwanthinnen geſtorben/ von welcher er
300. Kronen an Baarſchafften geerbet haͤtte. Wol/
wol/ ſprach Onello jetzund/ ſo iſt es hoch noͤthig/ daß
wir ihm etwas von dieſer Summa ablauren. Darauf
nahmen ſie Abrede mit einander/ wie ſie es anfangen
wolten/ und alſo giengen Adrian und Simon ein Je-
der abſonderlich zu verſchiedenen Thoren in die
Stadt/ Onello aber ſetzte ſich auf das Pfeꝛd/ und
Troll muſte ihm in dieſem Vorhaben/ als ein Diener
folgen. Wie ſie in die Stadt kommen waren/ ſtelleten
ſie
[748]Deß Academiſchen
ſie das Pferd in eine Herberge/ Onello aber bauete
einen Tiſch von Brettern auf den Marckt/ præſen-
tirte daſelbſt ſeine Stoͤrger-Waaren/ und muſte ihm
Troll die Geſchirre darzu rein machen/ auch ſonſten
ihm/ als ein Knecht/ in allem bedienet ſeyn/ welches
ihm zwar ſauer vorkam; Aber/ weil er gedachte/ ſich
dieſer Lumpen-Geſellſchafft bald moͤglichſt wieder zu
entziehen/ ſtellete er ſich gedultig an/ etliche Tage uͤber
alles ohne Murren zu leyden. Er muſte viel Lateini-
ſche und Jtaliaͤniſche Woͤrter mit dem Onello wech-
ſeln/ damit ſie in deſto hoͤhers Anſehen kaͤmen/ und als
viel Leute herzu gelauffen kamen/ die ihn vorhin ge-
kannt/ fragten ſie ihn/ wo er ſich bißhero aufgehalten/
wo er das Pferd/ den Diener und die ſchoͤne Kleider
uͤberkommen haͤtte? Er gab zur Antwort/ er habe den
Gouverneur zu Milan von einer gefaͤhrlichen Kranck-
heit curiret/ bey welchem er dieſes alles erworben. Als
ſolches die Leute hoͤreten/ kaufften ſie gar reichlich von
ihm/ alſo/ daß er nicht Waaren gnug hatte/ und da-
hero den Reſt doppelt ſo hoch ans Geld halten muſte.
Jndem aber die Leute Hauffenweiß herzu drun-
gen/ dieſem gluͤcklichen Stoͤrger/ den ſie vor einem
halben Jahr gekannt/ zu ſehen/ da tratt unter andern
auch vorbeſchriebener Torrenti auß ſeinem Hauß/
welchem Simon begegnet/ und ſpricht: Gluͤck zu!
mein Freund/ was Ungluͤck hat euch getroffen/ daß
ich euch alſo verſtellet ſehe? Torrenti weiß von nichts/
ſagte demnach/ daß er wol zu Muth ſey/ und von kei-
nem Ubel wiſſe. Jch ſchwoͤre euch aber zu/ fuhr Je-
ner fort/ daß ihr eine groſſe Kranckheit am Halß habt/
das Weiſe im Aug wil gelb werden/ die Circuln um
die Augen ſind ſchon blau/ und wofern ihr nicht bald
darwider etwas brauchet/ ſeyd ihr in 3. Tagen ein
Mann deß Todes. Torrenti lachete immer fort/ und
bildete
[749]Romans II. Buch.
bildete ihm die Warheit ein/ wie daß ihn nemlich Je-
ner vexire. Als aber Simon ſeinen Cammeraden von
ferne erblickete/ nahm er Abſchied von ihm/ und wolte
weiter gehen. Der andere aber bache ihn/ mit zu dem
Onello zu gehen/ der nunmehro ein hoch beruͤhmter
Meiſter worden. Simon ſtellete ſich/ als habe er zu
dieſem Mann keine Kundſchafft/ gieng doch mit ihm/
und darauf kam Adrian zu ihnen/ der ſich uͤber den
Torrenti noch mehr verwunderte/ und ihm ſeinen Zu-
ſtand ſo gefaͤhrlich einbildete/ daß der einfaͤltige
Menſch ihren Worten ſchier Glauben gegeben haͤtte.
Er berieff ſich aber auf den hochverſtaͤndigen Onello,
und wann der auch alſo ſagen wurde/ alsdann wolle
er ihnen glauben/ und ſich von ihm curiren laſſen.
Hierauf giengen ſie alle 3. zu dem Hauffen Volcks/
und Onello erblickete den Torrenti gar bald/ zu wel-
chem er mit heller Stimme rieff: O Torrenti, ihr moͤ-
get dieſe Stunde gluͤckſeelig preyſen/ an eurem Ange-
ſicht ſehe ich die Zeichen einer gefaͤhrlichen Kranck-
heit/ die euch in wenigen Tagen in den Tod ſchicken
doͤrffte/ doch ich wil ſie recht erkundigen/ und ſehen/ ob
euch zu helffen ſtehe.
Dieſer Worte erſchrack Torrenti gar ſehr/ tratt
naͤher zu ihm/ und begehrete ſeines Raths. Onello
aber ſprach: Gehet nach Hauß/ und leget euch in ein
warmes Bette/ decket euch fein huͤbſch zu/ uͤber eine
Stunde wil ich bey euch ſeyn/ um eure Kranckheit/ die
hoͤchſt-gefaͤhrlich/ gebuͤhrlich zu unterſuchen. Alſo
gieng er bekuͤmmert nach Hauß- und die 2. uͤbrigen be-
gleiteten ihn/ als einen ſehr ſchwachen Mann. Weil
er auch nicht anders meynete/ als er ſey gar kranck/
ſtellete er ſich alſo an/ daß ſeine Frau deſſen von Her-
tzen erſchrack. Sie legten ihn demnach bald in ein
Bette/ und decketen ihn wol zu. Darauf kam Onello,
ſetzete
[750]Deß Academiſchen
ſetzete ſich vor ihn neben das Bette/ fuͤhlete den Pulß/
und gab gleichſam Acht auf alle Zeichen/ endlich
ſchuͤttelte er den Kopff/ ſchlug an ſeine Bruſt/ und
ſprach: Ach! deß Jammers! O mein lieber Tor-
renti, euer Ungluͤck gehet mir ſehr zu Hertzen?
Ach! wie ſtehet euch nunmehr zu helffen? Torrenti
waͤre fuͤr Schrecken ſchier in Ernſt kranck worden/ be-
gehrete demnach zu wiſſen/ was ihm dann eigentlich
ſchade/ und wie ihm zu helffen ſtuͤnde? Worauf ſich
Jener vernehmen ließ: Jhr ſeyd ſchon in den fuͤnff-
ten Monat ſchwanger/ und werdet ein Kind herfuͤr
bringen/ das euch in der Geburt die Augen wird zu-
drucken. Wie kan das zugehen/ ſprach Torrenti unter
groſſer Verwunderung/ kan auch wol ein Manns-
Bild ſchwanger werden/ und ein Kind zur Welt tra-
gen? Simon erzehlete ihm hierauf/ daß er in Tyrol
3. Exempel erlebet/ da Maͤnner ſchwanger worden/
und in der Geburt erſticket waͤren. Adrian bekraͤfftigte
es mit fuͤnff andern Exempeln in der Schweitz/ und
Onello thaͤte den Zuſatz/ daß bey ſeiner letzten Raͤyſe
nach Milan er einen Grafen daſelbſt angetroffen/ der
ſchwanger geweſen/ den er noch auß dem Tode erret-
tet haͤtte/ weil die Frucht nur 2. Monat in ſeinem Leib
geweſen. Hierauf begunte dem guten einfaͤltigen
Torrenti allererſt recht bang zu werden. Er ſchalt aber
gewaltig auf ſeine Frau/ als welche die einzige Urſach
an dieſem ſeinem Ungluͤck/ als die da nimmer zufrie-
den geweſen/ wann er auf gemeine Weiſe ſich zu ihr
gehalten/ ſondern habe immerdar neue Moden im
Kopff gehabt/ wordurch ihn das Gluͤck zum Unter-
Mann gemacht/ daß er nun gar daruͤber ſchwanger
worden waͤre. Die gute Frau ſchlug ihre Augen fuͤr
Scham und Bekuͤmmernuͤß nieder/ und ſagte kein
Wort/ gieng auch endlich/ als der naͤrriſche Mann
nicht aufhoͤrete/ auf ſie zu ſchelten/ zur Stuben hin-
auß/
[751]Romans II. Buch.
auß/ und weinete von gantzem Hertzen. Jnzwiſchen
forſchete Jener/ ob ihm dann wol zu helffen ſtuͤnde?
Und welcher Geſtalt er wol von der Geburt koͤnte be-
freyet bleiben/ dann er beſorge/ wann es mit ihm zur
Geburt kaͤme/ ſo ſey es mit ihm gethan. Onello ſprach:
Was wollet ihr mir geben/ wann ich eine Kunſt an
euch beweiſe/ die euch auß aller Gefahr ſetzet? Tor-
renti ſagte ihm 100. Kronen zu/ womit Jener zufrie-
den nach ſeiner Herberge gieng/ und etwas holete/ das
ein Erbrechen wuͤrckete. Er bekam aber auch einen
groſſen Froſch/ welchen er zu ſich ſteckete/ und/ zuſamt
Trollen/ dem er nicht trauete/ und beſorgete/ er moͤchte
ihm mit dem Pferd durchgehen/ ſich wider zu dem Pa-
tienten/ vel quaſi, erhub/ dieſem gab er das Brech-
Pulver ein/ hielt ihm ein Becken vor/ und wie ſich
Torrenti einmahl ſtarck erbrach/ warff Onello unver-
mercket den Froſch ins Becken/ zeigete ihm denſelben/
und ſprach: Nun haben wir gewonnen Spiel/ hier
ſehet ihr die lebendige Frucht eures Leibes/ es waͤre
ein Soͤhnlein worden/ aber ein Vatter-Moͤrder/ weil
er euch in der Geburt das Leben genommen haͤtte/ dar-
um iſt es beſſer/ daß es ſterbe/ als daß ihr/ mein wer-
ther Freund/ umkommet. Hiermit lieff er mit dem
Becken nach dem voruͤberflieſſenden kleinen Bach/
und reinigte es daſelbſt. Troll aber machte groſſe Au-
gen/ und behauptete mit den andern/ daß dieſes eine
Manns-Geburt geweſen. Und wie darauf Onello
wiederkam/ beſtriche er den Patienten an dem Schlaff/
gab ihm etwas zu trincken ein/ und ſprach: Nun wol-
an/ ſtehet wolgemuth auf/ eure Kranckheit iſt vor-
uͤber/ und euch ſchadet nichts mehr. Kommet zu mir in
meine Herberge/ und ſpeiſet mit mir.
Als Torrenti den Medicum alſo reden hoͤrete/
glaubete er ſeinen Worten/ ſtund auf/ legete die Klei-
der
[752]Deß Academiſchen
der an/ und gieng mit den andern nach der Herberge/
woſelbſt er dem Onello die 100. Kronen zehlete/ und
ihm noch darzu groſſen Danck ſagte fuͤr ſeine Huͤlffe.
Nach gehaltener Mahlzeit begunten ſie mit dem
Torrenti in den Karten zu ſpielen/ da ſie ihm noch 75.
Kronen abgewonnen/ und alſo kehrete er endlich wol
berupfft wieder zu ſeiner Frauen/ welche er noch mehr
außſchalte/ weil ſie Urſach an ſeiner gefaͤhrlichen
Kranckheit/ und dem Verluſt ſo vielen Geldes ſey.
Onello aber und ſeine Cam̃eraden theileten die 100.
Kronen in 4. gleiche Theile/ alſo/ daß Troll auch ſei-
nen Theil darvon bekam/ aber von dem Spiel-Geld
bekam der arme Tropff nichts. Es hoffeten aber die
andern ihn noch beſſer in die Schul zu fuͤhren/ und
ihm das empfangene Geldchen bald wieder abzulo-
cken/ zu dem Ende invitirten ihn Simon und Adrian
zum Kartenſpiel. Ob nun gleich Troll keine Luſt dar-
zu hatte/ hielten ſie ihm doch fuͤr/ daß er/ wofern er es
anders redlich mit ihnen meynete/ ſich alle ihre Weiſe
muͤſte gefallen laſſen. Verliere er gleich heut/ wolten
ſie ihm doch Morgen oder uͤber Morgen gar gewiß
wieder zu Geld verhelffen/ darzu er das Wenigſte zu
contribuiren haͤtte. Alſo ließ er ſichs endlich gefallen/
ſetzete ſich mit ihnen an den Tiſch/ und hoffete/ ihnen
etliche Streiche im Spielen abzuſehen/ Onello aber/
der ſehr ſchlaͤfferig war/ legete ſich in einer Kammer
ſchlaffen nieder.
Sie ſpieleten alſo mit einander fort/ aber Troll
ſetzete tapffer darbey zu/ daß er in kurtzer Zeit all ſein
Geld verlohr/ und weil er im Spielen ſehr hitzig wor-
den/ aber kein Geld mehr hatte/ gieng er hinauß/ und
ſagte/ er wolle ſehen/ ob ihm Onello, deſſen Diener er
anjetzo ſey/ etwas fuͤrſtrecken wolle. Wie er nun zu
demſelben in die Kammer kam/ ſchlieff er annoch ſehr
veſte/
[753]Romans II. Buch.
veſte/ dannenhero wolte er ihn nicht aufwecken/ ſon-
dern langete auß ſeiner Taſchen 10. Kronen/ welche
er zu ſich ſteckete/ und darauf das Spiel von neuem
begunte/ fuͤrwendend/ Onello habe ihm dieſes Geld
geliehen. Sie gewonnen es aber nicht lange hernach
alles mit einander/ und wie er nun keinen Rath mehr
wuſte/ ſetzete er ſeinen Rock auf das Spiel/ den ge-
wonnen die andern auch. Darauf griff er den Hut/
und alle ſeine uͤbrige Kleider an/ welche aber alle im
Stich blieben/ und alſo blieb Urian im bloſſen Hemd
beſitzen/ da ſich Simon und Adrian mit dem Gewinn
darvon machten/ und dem Wirth alle deß Trollen
Kleider fuͤr eine Krone verſetzten/ ob ſie etwa von
Onello wieder moͤchten eingeloͤſet werden. Endlich
kam Onello herunter/ und wie er den Troll ſo elendig
im Hemd ſitzen ſahe/ verwunderte er ſich deſſen/ dieſer
aber erzehlete ihm/ wie es hergegangen waͤre. Er hatte
demnach Mitleyden mit ihm/ griff nach der Taſchen/
und wolte eine Krone herfuͤr langen/ um ſeine Kleider
darfuͤr einzuloͤſen. Wie er aber kein Geld dariñ fand/
merckete er/ daß er beſtohlen ſey/ und darauf gab ihm
der Wirth zu erkennen/ daß Troll in ſeiner Kammer
geweſen/ und mit 10. Kronen wiederkommen ſey/ wel-
che er geſagt/ daß ſie ihm von Onello fuͤrgeſtrecket
worden. Dieſer ward hieruͤber ſehr erbittert/ nahm ei-
nen Stock/ und ſchlug ihn rechtſchaffen ab. Sie blie-
ben aber dieſe Nacht in der Herberge/ und am folgen-
den Tag ſattelte Onello das Pferd/ lud ſeinen Buͤn-
del darauf/ der an Statt der Quackſalber-Waaren
mit Geld gefuͤllet war/ und wolte ſeines Weges zie-
hen/ Troll aber bathe ihn/ daß er doch nur eine einzige
Krone herſchieſſen moͤchte/ ſeine Kleider einzuloͤſen/
aber Onello wolte ihn nicht hoͤren/ ſondern/ nachdem
er den Wirth vergnuͤget/ ritte er zum Thor hinauß.
B b bTroll
[754]Deß Academiſchen
Troll folgete ihm im bloſſen Hemd nach/ und
hielte immer um ſeine Kleider an. Sie kamen mit ein-
ander aufs Feld/ daſelbſt ließ Onello das Pferd ſtarck
traben/ aber Troll verließ ihn nicht/ er ergriffe das
Pferd bey dem Schwantz/ und ſprang durch dick und
durch duͤnn hernach/ biß ſie endlich auf eine halbe
Meile zu einem Kornfeld gelangeten/ da wurden ſie
von etlichen Bauren erblicket/ welche ſich dieſes ſel-
tzamen Aufzugs zum hoͤchſten verwunderten/ dannen-
hero verlieſſen ſie ihre Feld-Arbeit/ und eyleten nach
der Land-Straſſen. Darauf thaͤte Troll ſeinen Halß
auf/ und rieff: Helffet mir dieſen Dieb halten/ welcher
mir das Pferd/ und alles/ was er hat/ vor einer Stund
entwendet. Onello gab dem Pferd die Peitſche/ und
wolte durchgehen/ aber die Bauern kamen Hauffen-
weiß herzu/ und verrenneten ihm den Weg/ riſſen ihn
vom Pferd/ und zogen ihm alle ſeine Kleider ab/ wie
hefftig er auch darwider proteſtirte/ dann man glau-
bete dem Trollen mehr/ als dem andern/ dieſer legete
alſo die gute Kleider an/ warff den Bauren/ die ihm
waren behuͤlfflich geweſen/ etliche Kronen zu von deß
Onello Geld/ ſetzte ſich darnach auf ſein Pferd/ und
ließ den Onello wol abgepruͤgelt am Wegligen. Alſo
hatte dieſer ſeine rechte Straffe erlitten. Troll aber
ritte fort/ und machte ſich in der erſten Herberge fuͤr
deß Onello Geld rechtſchaffen luſtig. Nachdem end-
lich Onello etliche Stunden alſo gelegen/ kam ein
Burger auß der vorigen Stadt mit einem Wagen
gefahren/ dem er ſein Elend klagete/ welcher Geſtalt
er von ſeinem Diener und von dieſen Bauren ſey
mißhandelt worden. Der Burger/ der ihn in der
Stadt geſehen/ nahm ihn auf ſeinen Wagen/ und
fuhr mit ihm fort/ da ſie dann am Mittag eben die-
ſelbe Herberge erreichten/ darinn Troll nach einge-
nommener Mahlzeit lag/ und ſchlieff.
Das
[]
Das XIX. Capitul/
Troll muß wieder Haar laſſen/ hat ſeltzame Ebentheuer/ wird
endlich zum Schul-Rectore durch eine ſeltzame Begebenheit fuͤrge-
ſchlagen.
ZU allem Ungluͤck kamen damahl auch die zween
Schelmen/ Simon und Adrian, welche mit ihrem
Cammeraden groſſes Mitleyden hatten/ waren
doch neben ihm erfreuet/ daß ſie den rechten Vogel
im Kaͤffich hatten/ giengen demnach zum Dorff-
Vogt/ und klagten den Troll/ als einen Straſſen-
Rauber an. Weil nun Onello an den 2. andern an-
ſehnliche Zeugen hatte/ glaubete der Vogt/ ließ dem
Troll alles wegnehmen/ und dem andern wieder zu-
ſtellen; Alſo muſte Troll ſich wieder von allen Klei-
dern entbloͤſſet ſehen. Es hatten aber einige Leute
Mitleyden mit ihm/ welche ihm etliche alte Kleider
zuwarffen/ die er anlegete/ und ſeines Weges/ ohnwiſ-
ſend wohin/ fortwanderte. Gegen Abend kam er in
ein Dorff/ da eben der Schwein-Hirte bald nach
Hauß treiben wolte. Zu dieſem geſellete er ſich/ und
bathe ihn um ein Nacht-Lager/ welches ihm dieſer zu-
ſagte/ und muſte er auch denſelben Abend eine Schuͤſ-
ſel voll Buttermilch helffen verzehren/ die er von ei-
nem Bauren bekommen hatte. Troll ſolte am folgen-
den Tag wieder mit ihm ins Feld gehen/ und ihm der
Schweine huͤten helffen/ aber er war ſehr muͤde zu ſol-
cher Arbeit/ ſtahl ſich demnach fruͤh Morgens von
ſeinem Wolthaͤter dem Schwein-Hirten ab/ und
machte ſich unſichtbar/ kam gegen dem Mittag zu ei-
nem Meyer-Hof/ und bathe um ein Stuͤck zu eſſen.
Man reichete ihm ein wenig Brodt und Kaͤß/ als er
aber darneben auch um einen Trunck Weins anhiel-
te/ drohete ihm der Haußwirth mit einer Pruͤgel-
Suppe/ wann er ſich nicht alſobald fortpacken wuͤr-
de. Du biſt mir wol/ ſprach er/ ein delicater Bettl[er]
B b b 2indem
[756]Deß Academiſchen
indem du zu Kaͤß und Brodt Wein foderſt/ da doch
ich ſelber/ und alle meine Leute/ uns mit einem Trunck
Brunnen-Waſſers willig behelffen. Alſo machte ſich
Troll auf ſeine Beine/ und lieff in ſeinem zerriſſenen
Kleid darvon/ ſo ſchnell er immer kunte. Unter Weges
hungerte ihn ſtaͤts fort/ dann der Kaͤß und das wenige
Brodt wolte in ſeinem Magen nicht viel verſchlagen.
Dahero ſtieg er in einen Obſt-Garten/ und ſchlug et-
liche zeitige Birn ab/ welche er zu ſich ſteckete/ und im
Fortgehen darvon aſſe. Aber eine Stunde hernach
traff er eine artige Rencontre an: Er kam auf einen
Acker/ allwo ein kleines Tiſch-Laken außgebreitet
lag/ und mit einer Schuͤſſel voll Hirſen-Brey/ ſamt
einem Stuͤck Schweinen-Fleiſch/ auch Butter und
Kaͤſe beſetzet war/ darneben ſtund eine Kanne mit
Bier/ und wie er Niemand von Menſchen darbey
fand/ ſetzte er ſich darbey nieder/ und ſchob ſeinen Ma-
gen ſo voll/ als er es immer ertragen kunte/ das uͤbrige
Stuͤck Fleiſch ſteckte er zu ſich/ trunck auch einen gu-
ten Zug auß der hoͤltzernen Kanne/ und gieng darauf
wieder fort/ fand aber im Fortgehen einen alten Mañ
bey einer jungen Dirnen hinter einer Hecken ligen/
welche nichts Loͤbliches daſelbſt mit einander wuͤrcke-
ten. Und weil er ſahe/ daß der Mann voller Schrecken
auf ſeine Ankunfft darvon lauffen wolte/ rieff er ihm
zu: Bleibet nur hier/ mein Freund/ ich habe inzwi-
ſchen von eurem Mittagmahl genoſſen/ werdet ihr
mir auch eine gute Abend-Mahlzeit goͤnnen/ wil ich
keinem Menſchen ſagen/ was ich jetzo geſehen habe.
Hierauf gab ſich der alte Mann in etwas zu-
frieden/ und verſprach ihm eine gute Nacht-Herber-
ge/ wofern er reinen Mund halten wuͤrde. Er gieng
aber mit der Dirnen/ die ſeine Dienſt-Magd/ zu dem
Eſſen/ und genoſſen das Jenige/ was ihnen von deß
Trollen
[757]Romans II. Buch.
Trollen hungerigen Magen war uͤbrig gelaſſen wor-
den. Darauf erzehlete ihm der Mann/ wie er von
ſeiner Steinalten Frau ſo gar keine Luſt in ehelichen
Sachen mehr erlangen koͤnte/ daher er genoͤthiget
ſey/ auf eine andere Waͤyde zu gehen. Die Dirne
hingegen beklagte ſich/ daß ſie ſchon 3. Jahr bey ihrer
alten Frauen gedienet/ die ihr aber alle Jahr etwas
an ihrem Lohn gekuͤrtzet/ dahero ſie ſich ſolcher Ge-
ſtalt an ihr zu raͤchen haͤtte entſchlieſſen muͤſſen. Troll
preiſete ſie alle beyde/ und darauͤf legte ſich der alte
abgemergelte Mann unter einer Hecke ſchlaffen/ da-
hero die Dirne den Troll begruͤſſete/ es daſelſt wie-
der anzufangen/ wo es der Alte haͤtte bewenden laſ-
ſen. Aber dieſer wolte nicht/ ſondern ſprach: Dirne/ du
haſt einen getreuen Liebhaber an dieſem Greiſen/ dem
muſt du nicht im erſten Augenblick untreu werden.
Jch meines Theils bin gebrechlich/ und habe einen
ſtarcken Bruch/ welcher mich zwinget/ den Leib ſtaͤts
in einer Binde zu tragen/ ſonſten wolte ich mich nicht
lange bitten laſſen zu einer Arbeit/ die voller Suͤſſig-
keit ſtecket. Er halff aber der Dirne etliche Korn Gar-
ben binden/ welches dem alten Mann/ als er erwa-
chete/ ein ſonderlicher Troſt war/ weil er fuͤr Mattig-
keit dieſe Arbeit nicht verrichten kunte/ und alſo hiel-
ten ſie ſich mit einander auf dieſem Acker auf/ biß es
Abend zu werden begunte/ da giengen ſie mit einan-
der nach dem Dorffe/ und kehrete Troll bey dem al-
ten Bauren ein/ der ihm denſelben Abend ſatt zu eſſen
und zu trincken gab/ auch eine gute Schlaff-Stelle
verſchaffete.
Am folgenden Morgen ſehr fruͤhe ſtund Troll/
und ſahe zum Fenſter unter dem Dache herauß/ da
er dann merckete/ daß dieſer Ort etwas mehr/ als ein
Dorff/ dann er war ziemlich groß/ und befunden ſich
B b b 3etliche
[758]Deß Academiſchen
etliche ſchoͤne mit Ziegeln gedeckete Haͤuſer darinn.
Hieß ſonſten Stachelfeld. Wie er nun herunter kam/
und von ſeinem geilen Wolthaͤter Abſchied nehmen
wolte/ tratt eben der Schwein-Hirt hinein/ und deu-
tete dem Hauß-Wirth an/ daß die Reyhe an ihm waͤ-
re/ ihm zu den Schweinen einen Mit-Hirten zu ſtel-
len. Dieſer wolte ſeine Magd auß dem Felde nicht
gerne miſſen/ und weil er anders kein Geſinde hatte/
bathe er den Troll/ dieſes Amt nur dieſen eintzigen
Tag in ſeinem Namen zu verwalten/ welcher es zuſa-
gen muſte/ und darauf gieng der Alte hin/ und holete
ihm ein Stuͤck Bratwurſt zum Fruͤhſtuͤck/ bedung
auch beym Schwein-Hirten/ weil er doch nicht weit
von ſeinem Korn-Acker die Heerde waͤydete/ moͤchte
er ihm vergoͤnnen/ daß er am Mittag dahin zu ihm
kaͤme/ und auf dem Feld das Mittag-Mahl bey ihm
einnaͤhme. Alſo trabete Troll neben dem Schwein-
Hirten her/ und gedachte an den Zuſtand ſeines Vat-
ters/ da derſelbe in Teutſchland auch ein Schwein-
Hirt geweſen. Wie ſie mitten ins Dorff kamen/ uͤber-
reichete ihm der Hirt die lange Schwein-Peitſche/
er ſelber aber langete ſein Horn herfuͤr/ und bließ
nach allen 4. Theilen deß Fleckens ſo ſtarck/ daß ein
Jeder ſeine Schweine alſobald herauß trieb/ und
damit wanderten ſie mit einander zum Thor hinauß
auf das Feld/ da ſie die Schweine ins Feld lauffen/
und ihre Waͤyde ſelber ſuchen lieſſen. Darauf ſetze-
ten ſie ſich neben einander/ und fruͤhſtuͤcketen. Der
Hirte nahm eine ſchmierichte Butter-Buͤchſe/ und
Troll kaͤuete an ſeiner Wurſt. Wann die Schweine
ein wenig zu weit lieffen/ muſte dieſer auf deß andern
Anweiſung hinlauffen/ und die wilde Purſche herum
ſtaͤubern. Wie er nun einsmahls nach langem Lauffen
wiederkam/ fand er den Hirten mit einem Buch in
der
[759]Romans II. Buch.
der Hand ſitzen/ darinn er leſen wolte/ kunte aber kein
Wort recht zuſammen bringen. Troll halff ihm/ und
nennete ihm alles/ was er ihn fragte/ auf Latein/ deſſen
ſich der Schwein-Hirt zum hoͤchſten verwunderte/
und meynete/ er waͤre capabel, ihr Schulmeiſter zu
werden/ welcher neulich geſtorben/ aber ſchon ein an-
derer darzu beſchrieben waͤre/ deſſen man eheſtens
vermuthete.
Als die Mittags-Zeit heran nahete/ ruͤckete der
Hirt mit der Heerde nach deß bewuſten alten Mañs
Feld-Acker/ und gieng zuſamt Trollen dahin/ da ſie
dann mit einander mit demſelben Mittags-Mahlzeit
hielten/ und hatte derſelbe auf deß Hirten Recom-
mendation groſſe Beliebung an deß Trollen Wiſſen-
ſchafften und Gelehrtigkeit/ daß er ihn zum Schul-
meiſter wuͤnſchete. Nach gehaltener Mahlzeit gien-
gen dieſe 2. wieder nach den Schweinen/ und huͤteten
derſelben/ biß die Abend-Zeit heran ruͤckete/ da lieſſen
ſie denſelben bey noch ziemlich hoher Sonne den
Lauff/ und folgeten ihnen fein gemaͤchlich nach/ biß in
den Flecken Stachelfeld. Wie ſie aber hinein tratten/
hoͤreten ſie eine Glocke laͤuten/ und als Troll forſchete/
was ſolches bedeute? Gab ihm der andere zur Ant-
wort/ der Burgermeiſter lieſſe jetzo den Maͤnnern laͤu-
ten/ da ſich dann alle Hauß-Vaͤtter auf dem Marck-
Platz bey dem kleinen Rathhauß verſam̃len muͤſten/
und muͤſſe Zweifels-frey etwas Wichtiges fuͤrgefal-
len ſeyn/ daß man anjetzo die Glocken deßwegen ſo
ſpaͤt laͤutete.
Wie ſie nun naͤher herzu kamen/ ſahen ſie alle
Maͤnner deß Fleckens bey einander verſammlet/ zu
welchen auch dieſe 2. Schwein-Conſorten hinzu trat-
ten/ um zu verne hmen/ was da paſſirte; Darauf tratt
der Burgermeiſter in den Craͤyß/ und rieff: Gebet
B b b 4Ge-
[760]Deß Academiſchen
Gehoͤr! Wie nun Jedermann ſtill ſchwieg/ zog er ſei-
nen Hut ab/ und die gantze Gemeinde danckete ihm
eben alſo. Endlich ſprach er: Jhr lieben Mit-Burger
deß 300. jaͤhrigen Flecken Stachelfelds. Jhr wiſſet/
welcher Geſtalt unſer Schul-Rector und Ober-Kuͤſter
bey unſerer Haupt-Kirchen St. Sophronia vor vier
Wochen einen ungluͤcklichen Morgen gehabt/ indem
er mit ſeiner Frauen ſich verunwilliget/ wie ſolches
unter Eheleuten leicht geſchehen kan/ wodurch das
boͤſe Weib dergeſtalt erbittert worden/ daß es einen
Keſſel voll ſiedendes Waſſer ergriffen/ und ihm/ da er
eben auß dem Bette geſtiegen/ und annoch/ mit den
ehrbarſten Worten zu reden/ in ſeinem Sonntags-
Hemd ſtunde/ ſolches boßhaffter Weiſe uͤber den Leib
gegoſſen/ darvon er dann in ſolchem Jam̃er und Elend
gerathen/ daß er/ wie ihr wiſſet/ 5. Tage hernach ſei-
nen Geiſt in Ach und Weh aufgegeben/ und alſo/ als
ein treuer Vorſteher unſerer Kirchen-Sacriſtey und
geſamten lieben Jugend den jenigen Gang gegan-
gen/ den alle unſere Vorfahren/ die Loͤblich gelebet/
gegangen ſind. Jhr wiſſet weiter/ daß man ſeine boͤſe
Frau deßwegen auß dem Hauß geſetzet/ und ſie mit
meinen Obrigkeitlichen 2. Hunden auß unſerm Fle-
cken gebuͤhrender Maſſen hinauß gehetzet hat. Jhr
wiſſet auch/ daß die nachgelaſſene 2. Kinder Erlaub-
nuͤß haben/ bey uns ſo lang das Bettel-Brodt zu ſu-
chen/ biß ſie erwachſen/ und ihnen ſelber rathen koͤñen.
Jhr wiſſet auch/ daß wir nicht lange hernach an den
Schulmeiſter deß Dorffs Jrmengrodt geſchrieben/
daß er dieſe Stelle durch ſeine baldige Uberkunfft
wieder erſetze. Jhr wiſſet/ daß er ſich dieſer Vocation
hertzlich erfreuet/ und begehret hat/ ihm nur einen
Karren zu ſenden/ darauf er mit den Seinigen/ und
dem Hauß-Geraͤth uͤberkommen moͤchte. Darauf
habe
[761]Romans II. Buch.
habe ich/ der Gemeinde zum Beſten/ welches ich fuͤr
eine kleine Erkaͤnntlichkeit wil gethan haben/ meinen
Knecht mit meinem eigenen Geſchirꝛ zu ihm geſandt.
Aber vernehmet weiter/ 2. Stunden nach heutigem
Mittag kommen ſie mit einander zum Flecken herein
gefahren/ da iſt der neue Schul-Rector ſo voll Freu-
den/ wie er die inwendige Beſchaffenheit und ſchoͤne
Gebaͤude unſers uhralten 300. jaͤhrigen Fleckens ſie-
het/ daß er fuͤr Freuden vom Karren herunter ſprin-
gen wil/ bleibet aber mit ſeinen Geiſtlichen ſchwartzen
Hoſen an der Leiter behangen/ ſchlaͤget alſo uͤber ſich/
faͤllet mit dem Kopff unter ſich/ und ſtuͤrtzet den Halß
ab/ alſo iſt er todt/ rein todt/ Mauß-todt/ und kan uns
keine Dienſte thun; Darum habe ich euch/ Krafft
meines hohen Amts/ zuſammen laͤuten laſſen/ damit
wir verordnen/ daß er Morgen begraben werde/ auf
dieſes Fleckens Unkoſten/ dann hat er uns gleich kei-
ne Dienſte gethan/ ſo iſt er doch um unſertwillen ge-
ſtorben. Morgen fruͤhe aber wil ich euch wieder be-
ſchieden haben/ damit wir zu der Wahl eines andern
Schul-Rectors ſchreiten/ dann ihr wiſſet/ daß eine
kleine Zeit Verſaͤumnuͤß der lieben Gottloſen Ju-
gend einen groſſen Schaden bringen kan.
Als er dieſes geredet/ kieſete die Gemeine 4. Maͤn-
ner auß/ mit dem Herꝛn Burgermeiſter deßhalben zu
rathſchlagen/ die uͤbrigen aber hatten keine Zeit/ laͤn-
ger außzubleiben/ weil die meiſten mit geladenen
Frucht-Waͤgen erſt auß dem Feld nach Hauß kom-
men waren/ alſo kehrete der Schwein-Hirte mit
Trollen nach dem alten Mann/ bey welchem Jener/
Vermoͤg umgaͤnglicher Ordnung/ dieſer aber laut
deß Accords/ dieſen Abend die Mahlzeit zu halten/
und Jeder eine Kanne Bier zu genieſſen hatten.
Der alte Mann war dieſen Abend recht luſtig/
B b b 5und
[762]Deß Academiſchen
und ich glaube/ er haͤtte ſich voll geſoffen/ wann ihm
ſeine Frau nicht ploͤtzlich waͤre kranck worden. Es be-
redete ſich aber der Schwein-Hirte mit ihm/ wie wol
ſie bey der Gemeine thaͤten/ wann ſie den gelehrten
Troll zum Schul-Rector vorſchluͤgen/ und darauf
ſchieden ſie von einander. Als aber der folgende Mor-
gen anbrach/ ward die Glocke abermahl gelaͤutet/ und
darauf verfuͤgete ſich der alte Mann/ Claß Krach-
bein genannt/ mit Trollen und dem Schwein-Hirten
nach dem Rathhauß/ woſelbſt voriger Burgermeiſter
ſich folgender Geſtalt hoͤren ließ: Ehrbare Herren
und freundliche Nachbarn! Was ich euch geſtern
vorgetragen/ daruͤber ſind wir ſchon einig worden/
und werdet ihr euch belieben laſſen/ um 2. Uhr der
Leiche unſers Rectoris nach dem Kirchhof zu folgen.
Jetzo iſt die Frage/ wohin wir ſenden nach einem an-
dern feinen Subjecto, vielleicht iſt ein oder der andere
ſo weit geraͤyſet/ daß ihm etwa in der Fremde ein wa-
ckerer Mann bekandt worden/ denſelben kan er re-
commendiren/ ſo ſoll er in Conſideration kommen.
Aber noch eins/ ihr Herren/ gantz unvermuthlich iſt
auch die Stelle unſers Stadt-Schwein-Hirten leer
worden/ uñ kan ich noch nicht wiſſen/ ob der Schwein-
Hirt todt/ oder weggelauffen/ dann er war ein ſeltza-
mer Kopff/ und wolte immer in Krieg. Als der Bur-
germeiſter dieſes ſagte/ fiel ihm Claß Krachbein ins
Wort/ und ſagte: Halt! halt! Herꝛ Burgermeiſter/
euer Wort in groſſen Ehren/ das iſt nicht wahr/ was
ihr ſaget/ der Schwein-Hirt iſt hier in unſerer Ver-
ſammlung. Als der Burgermeiſter dieſe Worte hoͤ-
rete/ ſtreckete er ſeinen Halß auß/ und erblickete den
Schwein-Hirten/ zu welchem er ſprach: Jch meyne-
te/ du ſeyeſt weg/ oder todt/ weil du um dieſe Zeit ſchon
2. Stunden pflegeſt mit der Heerde außgefahren zu
ſeyn/
[763]Romans II. Buch.
ſeyn/ und weil du ſolches heut haſt verſaͤumet/ auch
dich ohne dem erkuͤhneſt in unſere Burgerliche Zu-
ſammenkunfft/ daran du keinen Theil haſt/ zu kom̃en/
ſoll dir in den 3. Abenden nach einander von dem/ der
dich ſpeiſet/ nicht mehr/ als eine halbe Kanne Bier/
und 2. Eyer zum Nachtmahl gegeben werden/ und
ſolches zur Straffe/ daß du wider dein Amt handelſt.
Dem Schwein-Hirten war Himmel-angſt/ wie
er den Burgermeiſter ſo zornig ſahe/ er ſtieß den
Krachbein in die Seite/ daß er ihn entſchuldigen
moͤchte. Und als ſich dieſer deſſen entbrach/ bath er
den Troll/ ihm das Wort zu fuͤhren/ aber auch dieſer
wolte nicht daran. Dannenhero raͤuſperte er ſich
2. mahl/ nahm den Hut vom Kopff/ ſtrich die Haare
uͤber die Stirne hinterwaͤrts/ und ſprach: Gnaͤdiger
Herꝛ Burgermeiſter/ wie ſo? wie ſo? Was den
Trummel kom̃t euch an/ warum wollet ihr mich ſtraf-
fen/ habe ich eure Schweine wol geſchlagen/ wann ſie
den Nachbarn ins Korn ſind gelauffen? Mein Leb-
tag nicht/ ich habe ſie laſſen freſſen/ biß ſie ſatt wor-
den/ und nun iſt das der Lohn. Aber hoͤret/ meynet ihr/
daß ich auß Faulheit jetzo nicht außgefahren bin?
Nein/ gar nicht/ es iſt um deß gemeinen Beſten wil-
len geſchehen/ nemlich/ damit ich euch dieſen hochge-
lehrten Menſchen vorſtelle/ welcher ſeines Gleichen
nicht hat zum Amt deß Schul-Rectors. Das iſt war-
lich alſo/ fiel Keachbein ins Wort/ dieſer Menſch/ ſo
von etlichen Buben gepluͤndert worden/ hat ſonder-
liche Wiſſenſchafften/ und ſo viel Latein/ als unſer
Pfarrer. Dem Burgermeiſter waren dieſe Erzeh-
lungen lieb/ widerrieff demnach die Straffe deß
Schwein-Hirten/ und berathſchlagte ſich mit der
Gemeine uͤber den Trollen/ welche endlich dahin re-
ſolvirten/ wann er ſo fertig/ daß er bey deß Rectoris
Leiche
[764]Deß Academiſchen
Leiche auf den Nachmittag eine gute Abdanckungs-
Sermon halten koͤnte/ auch ſonſten in dem Examine
bey ihrem Pfarrer wol beſtuͤnde/ ſo ſolle er die Stelle
an der Schul bekommen/ welches Troll willig auf
ſich nahm/ dann es war ihm nicht um dieſe Charge zu
thun/ ſondern er war gantz verhungert/ und haͤtte ſich
nur einmahl gerne recht ſatt geſſen/ worzu ſich bey
ſolcher Charge bald eine Gelegenheit/ nach ſeiner Ein-
bildung/ wuͤrde finden laſſen. Alſo gieng die Gemein-
de wieder auß einander/ und Troll folgete dem Krach-
bein/ der ihm ein altes Dinten-Glaß und etwas Pa-
pier zu geben verſprach. Wie ſie aber in das Hauß
kamen/ war ſeine Frau eben verſchieden/ dahero er
ſich ſo betruͤbt anſtellete/ als wann er in Thraͤnen ver-
ſchmeltzen wolte. Troll ſahe wol/ daß ſein Dinten-
Glaß gantz außgetrucknet war/ gieng demnach zu
etlichen von den Nachbarn/ aber keiner wuſte von
Dinte oder Papier etwas zu ſagen. Endlich kam er
zu dem Steuer-Einnehmer/ welcher ihm beydes fuͤr-
ſtreckete/ und weil dieſer eben den ungluͤcklichen Re-
ctor fuͤrgeſchlagen/ und ihn demnach wol gekannt/
als erzehlete er dem Trollen die principaleſte Stuͤcke
von ſeinem Lebens-Lauff/ welche er nach ſeiner Weiſe
zu Papier ſetzte/ und darauf behielte ihn der Einneh-
mer zu Gaſt bey ſich/ und gab ihm eine mittelmaͤſſige
Mahlzeit/ jedoch ohne Bier und Wein.
Das XX. Capitul/
Hier haͤlt Troll eineParentation, wird examinirt/ beſtehet
wol/ und machet zwey ſeltzame Grabſchrifften.
TRoll gieng darauf in die Scheure/ verſteckete
ſich in das Heu/ und lernete ſeine aufgeſetzte
Sermon außwendig/ und als man die Glocken
zur Leich-Begaͤngnuͤß ruͤhrete/ ſtunder auf/ lieff zum
Burgermeiſter/ und bathe ihn um einen Mantel.
Dieſer
[765]Romans II. Buch.
Dieſer ſandte alſobald zu deß Schul-Rectors Wit-
tib/ und ließ um ihres Manns Mantel bitten/ welchen
Troll umhieng/ und darinn der Leich nebſt der gantzen
Gemeinde folgete. Der Prieſter thaͤte eine kurtze
Sermon, und darauf gieng die Proceſſion nach der
Schul hin/ woſelbſt ſie ſich in einen runden Craͤyß
ſtellete/ und ſtund der Prediger oben an/ dem folgete
der Burgermeiſter/ und ſo folgends die gantze Ge-
meinde nach ihrem Alter. Troll/ der wol ehe ſo viel
Leute geſehen/ auch keck gnug war/ den einfaͤltigen
Bauren etwas fuͤr zu ſchwaͤtzen/ inmaſſen er auß deß
Paſtorn Sermon ſchon vermercket/ daß man von hohen
Redens-Arten dieſer Orten nicht viel wiſſe/ ſchuͤttel-
te den Mantel/ tratt mit gravitaͤtiſchen Tritten in
den Craͤyß/ und neigete ſich 3. mahl ohne einziges
Wortſprechen rund umher/ worbey er eine rechte
Eſtaats-Mine machte/ daß ihm ein Jeder groſſen Re-
ſpect zutrug/ und mit Verlangen erwartete/ was
fuͤr eine herꝛliche Abdanckung erfolgen wuͤrde. End-
lich raͤuſperte er ſich/ und hielte nachfolgende Rede:
arme und reiche/ boͤſe und fromme liebe Freunde/
Maͤnner und Weiber/ Eltern und Kinder/ weß
Standes ihr auch ſeyd/ Edle und Unedle!
NAchdem der Tod einen findet/ kom̃t er gluͤcklich oder ungluͤck-
lich. Uberraſchet er einen im Ehebruch oder Diebſtahl/ ſo
iſt es ein Ungluͤck/ nam homo moritur in peccato, \& uti cadit
arbor ita jacebit, wie der Baum faͤllet/ ſo bleibet er liegen. Uber-
eylet er aber einen in ſeinem Beruff/ ſo faͤhret derſelbe ſeelig da-
bin/ was haben wir uns dann zu betruͤben uͤber den ſchmaͤh-
lichen doch ſeeligen Hintritt unſers beruffenen Schul-Rectoris,
deß weyland wolgelehrten und andaͤchtigen Herꝛn Conrad
Kleinbart/ er hat ſich in ſeinem gantzen Leben alſo erzeiget/ wie
einem rechtſchaffenen Mann gebuͤhret. Als er kaum 7. Jahr
alt worden/ bat er ſchon ſolche Begierde zu den Wiſſenſchafften
empfunden/ daß er ſeinem Vatter ein paar Tauben/ einen Hahn
nach
[766]Deß Academiſchen
nach dem andern entwendet/ und ſeinem Lehrmeiſter geſchencket/
damit er ihn deſto treulicher unterrichte. Alſo hat er es mit der
Zeit hoch gebracht/ daß er in den beſten Tugenden ſonderlich
excellirte/ weßwegen ihn der Schulmeiſter zu Ratenſtein vor
ſeine Kinder zum Præceptore Privato angenommen/ da er ſich
dann in deſſen Tochter/ die uͤberbliebene hoch-betruͤbte Frau
Wittib/ bald verliebet/ die ihm auch nit abhold geweſen/ ſondern
alles das Jenige vergoͤnnet hat/ was eine Frau ihrem Mann
geſtattet/ und als ſie daruͤber vor der Zeit mit einem hohen Leib
geſegnet worden/ haͤtte er zwar wol entlauffen koͤnnen/ aber er
hielte Stand/ und ehelichte ſie. Er war freygebig/ ſolches hat er
ſehen laſſen/ als er einsmahls 4. Soldaten in einem Wald begeg-
net/ da reichete er ihnen/ ohne einziges Abfordern/ all ſein Geld
bin/ und verehrete es ihnen freywillig. Er war Gaſt-frey/ dann
ſo offt ihm der Pfarrer zuſprach/ legten ſie ihre Pfenninge zu-
ſammen/ und truncken reichlich/ und biß ſie gnug hatten/ wann
dann der Prediger ſagte:
Sta pes, ſta mi pes, ſta pes, nec labere mi pes.
Nam tu nï ſteteris, hic mihi lapſus erit.
So faſſete ihn der weyland hochgelehrte Herꝛ Conrad Kleinhart
bey der Hand/ ſchlenterte mit ihm fort/ als ein treuer Gefaͤhrte/
und ſprach: Herꝛchen! Herꝛchen! wir haben zu dieſem mahl
em wenig zu viel getruncken/ aber was ſchadets/ wer weiß/ wann
wir ſo jung wieder zuſammen kommen? Er war nicht hoffaͤr-
tig/ dann er beſahe alle Tage den muthwilligen Knaben den
Hintern/ kuͤſſete auch ſeine Dienſt-Magd auf den Mund/ ob
dieſelbe gleich eines armen Vieh-Hirten Tochter war. Er war
nicht erſchrocken/ dann wann er in einer Sermon, die er vor einer
Gemeine halten ſolte/ 1. 2. 3. 4. ja wol 5. mahl ſtecken blieb/ er-
holete er ſich doch/ und brachte ſie endlich geradbrecht zum En-
de/ quia ſatius putavit orationem quocunque modo finire-
quam abruptam relinquere. Er war fromm und andaͤchtig/
dann am Sonntag hat er 7. Morgen- und ſo viel Abend-Segen
gebettet/ daß er die Wochen uͤber damit kunte zu kommen/ und
wann er ſpeiſete/ vergaffe er nicht/ ſein Glaubens-Bekaͤnntnuͤß
vorher zu recitiren. Er war keuſch/ dann auch bey ſeiner Ehe-
Frauen wolte er nicht anders/ als im Dunckeln ſchlaffen. Er
war nicht rachgierig/ dann/ als er einsmahls ſeinen unnuͤtzen
Nachbarn zum Poſſen ein paar Eyer heimlich genommen/ und
ihm derſelbe deßwegen eine gute Maniſchelle gab/ dachte er/ was
der Spaniſche Kirchen-Lehrer Saavedra ſaget: Melius eſt pati,
quam
[767]Romans II. Buch.
quam iraſci, es iſt beſſer leyden/ als zuͤrnen. Er war gelehrt/
dann den Donat wuſte er auß den Nagel/ in der Grammatic
war er ziemlich beleſen/ die Definitionem Rhetorices wuſte er
außwendig/ wie auch das Griechiſche Alphabet, und in dem
Hebraͤiſchen war er ſchon biß auf das Gimmel kommen/ deß-
wegen wolte ſich kein Juͤdiſcher Rabbi mit ihm einlaſſen. Er
war ſparſam/ dann im Som̃er behalff er ſich mit einer Schuͤſſel
voll Butter-Milch/ und im Winter mit einem Napp voll Rocken-
Brey/ Ja/ wann die Winter-Kaͤlte nicht zu groß/ zog er weder
Schuh noch Struͤmpff an. Ach du Edler Mann/ daß du ſchon
verſauten ſolſt/ aber die beſten Leute werden zeitlich hinweg ge-
ruͤcket. Er iſt in Freuden geſtorben/ goͤnnet ihm die ewige Freude.
Er iſt am Rad behangen blieben/ aber nicht an dem/ das bey
dem Galgen ſtehet/ es war deß Herꝛn Burgermeiſters Karren-
Rad. Der Kopff ſtarb am erſten/ mit welchem er am meiſten
gearbeitet hatte. Seine ſchwartze Pluder-Hoſen haben ihn
gerades Weges in den Himmel geſchickt/ welche deßwegen ver-
dienen/ daß man ſie/ gleich einer Siegs-Fahnen/ in unſere Kirche
hange. Nun wolan/ er iſt geſtorben/ und wird wol todt bleiben/
uns aber gebuͤhret/ daß wir ſein Leyd vertrincken bey einer Freu-
den-Mahlzeit/ und vor allen Dingen den Herꝛn Prediger oben
an ſetzen. Lebet wol/ ihr lieben Freunde/ ich kan vor Hertzenleyd
nicht mehr reden/ meine Augen wollen in Thraͤnen zerſchmel[tz]en.
Hiermit Adjeu.
Als Troll ſeine Rede hiermit geendiget/ ſtecke-
ten die Leute die Koͤpffe zuſammen/ und lobeten ihn/
der eine noch mehr/ als der andere/ der Burgermeiſter
aber reichete ihm die Hand/ und wuͤnſchete ihm Gluͤck
zum Rector-Amt/ noͤthigte ihn auch mit auf die
Mahlzeit/ die er zu dieſer Beſtattung in ſeinem Hauß
hatte anrichten laſſen/ und darauf ſchied die Gemeine
auß einander. Troll gieng mit Krachbein nach Hauß/
und troͤſtete ihn wegen ſeiner abgeſtorbenen Frauen.
Als der Abend herzu nahete/ giengen ſie mit einander
nach deß Burgermeiſters Hauß/ woſelbſt ſich die an-
dern auch nach einander einſtelleten/ der Herꝛ Paſtor
kam auch/ und ward oben an geſetzet/ zu welchem ſich
der Burgermeiſter ſetzete/ alsdann die Aelteſten der
Gemei-
[768]Deß Academiſchen
Gemeine/ endlich kam Troll/ als Rector Scholæ, und
die Ubrigen/ von welchen allerſeits Troll groſſe Gluͤck-
wuͤnſchungen bekam. Wie es aber ſpaͤth war/ kam
auch der Schwein-Hirt herein getretten/ und ſchen-
ckete nebſt deß Burgermeiſters Knecht ein. Es ver-
langete aber Jedermann/ ob ſich der Paſtor mit dem
neuen Rector in einen Diſcurs oder Examen einlaſſen
moͤchte/ und wie dieſer ſolches merckete/ auch ſchon
einen ziemlichen Rauſch hatte/ da redete er ihn an/
und ſprach: Domine Rector, quis eſt tuus Pater? Troll
antwortete: Matris meæ Maritus. Dann wie Jener
forſchete/ wer ſein Vatter waͤre/ alſo antwortete die-
ſer: Es waͤre ſeiner Mutter Ehemann/ welche Ant-
wort der Herꝛ Paſtor preiſete/ und weiter fragte: Ubi
natus es? Wo ſeyd ihr gebohren? Troll: In Patria
mea: Jn meinem Vatterland. Paſtor: Ubi eſt Patria
tua? Wo iſt euer Vatterland? Troll: Ubi degunt
parentes mei: Wo meine Eltern wohnen. Paſtor:
Ubi ſtuduiſti? Wo habt ihr ſtudiret? Troll: In Scho-
lis \& Academiis: Auf niedrigen und hohen Schulen.
Paſtor: Quis eſt bonus Rector Scholæ? Wer iſt ein
guter Schul-Rector? Troll: Animal humanum, quod
bene ſcit informare: Ein Menſchliches Thier/ das
wol unterrichten kan. Paſtor: Quid eſt Theologia?
Was iſt die Theologie fuͤr eine Wiſſenſchafft? Troll:
Secundum Cujacium eſt ſummum bonum, ſecundum
Alciatum autem prima ex tribus facultatibus: Nach
Cujacii Außſage iſt ſie das hoͤchſte Guth/ aber nach
deß Alciati Außſpruch/ die Erſte unter den 3. Facultaͤ-
ten. Paſtor: Quot ſunt Articuli fidei? Wie viel ſind
Glaubens-Articul? Troll: Tot, quot ſibi quisque
fingit: So viel/ als einer ihm ſelber machet. Paſtor:
Quot ſunt Sacramenta? Wie viel ſind Sacramenta?
Troll: Tria: Eccleſia cum cœtu, Baptiſterium \& Cam-
panile,
[769]Romans II. Buch.
panile, cui addi ſolet quartum, ſcilicet Cantor ante
pulpitam: Die Kirche mit der Verſammlung/ der
Tauf-Stein/ und der Glocken-Thurn/ zu welchen
man das Vierdte ſetzet/ nemlich den Cantor neben
dem Sing-Pult. Paſtor: Quod eſt officium boni
Paſtoris? Was iſt das Amt eines guten Hirten? Troll:
Tondere pecus, non deglubere: Daß er ſeine Schafe
ſcheere/ aber ihnen die Haut laſſe. Paſtor: Quodnam
officium nobilis? Was das Amt eines Edelmanns?
Troll: Vexare ruſticos, \& per totam noctem dormire
in utramque aurem: Daß er die Bauren tribulire/
und gantze Naͤchte hindurch ſchnarche. Paſtor: Quod
eſt Officium Burgimagiſtri: Was iſt deß Herꝛn Bur-
germeiſters Amt? Troll: Ut primum ſemper habeat
hauſtum: Daß er allweg den erſten und beſten Trunck
thue. Dieſe Antwort gefiel dem Herꝛn Burgermei-
ſter ſo wol/ daß er ihm einen Becher voll Wein ein-
ſchencken ließ/ und ſolchen dem neuen Schul-Rector
zubrachte. Troll machte ihm ein groſſes Compliment,
und truncke darauf dem Herꝛn Paſtor zu/ der ihm
auch redlich Beſcheid thaͤte. Weil auch dieſer mercke-
te/ daß den Anweſenden ſein Examen ſehr wol gefiel/
fuhr er in demſelben fort/ und forſchete: Quod eſt
officium boni Civis? Was iſt das Amt eines guten
Burgers? Troll: Ut det Cæſari, quæ ſunt Cæſaris, \&
quæ ſunt Dei, Deo: Daß er dem Kaͤyſer gebe/ was
deß Kaͤyſers iſt/ und GOtt/ was GOttes iſt. Paſtor:
Quod eſt officium mali Civis? Was iſt das Amt ei-
nes boͤſen Burgers? Troll: Ut hodie verberet vetu-
lam ſuam, quæ moriatur cras, ut perendie poſſit duce-
re virginem: Daß er heut ſeine alte Frau ſchlage/ da-
mit ſie Morgen ſterbe/ und er Ubermorgen eine junge
Dirne heyrathe. Dieſe Antwort gefiel der gantzen
Geſellſchafft uͤber die Maſſen wol/ und meyñete ein
C c cJeder
[770]Deß Academiſchen
Jeder/ ſie waͤre in den Kirchen-Vaͤttern gegruͤndet.
Der Paſtor aber fragete weiter: Quod eſt officium
Ruſtici? Was iſt deß Bauern Amt? Troll: In ſudo-
re faciei quærere panem: Daß er im Schweiß deß
Angeſichts ſein Brod ſuche. Paſtor: Quod eſt offi-
cium Rectoris Scholæ? Was iſt das Amt eines
Schul-Rectors? Troll: Ut bene doceat, \& bonum
accipiat ſalarium: Daß er wol lehre/ und eine gute
Beſoldung habe. Paſtor: Quod eſt officium diligen-
tis Scholaſtici? Was iſt das Amt eines fleiſſigen
Schuͤlers? Troll: Ut non obmurmuret \& bene
auſcultet: Daß er nicht widerbrumme/ und fleiſſig
zuhoͤre. Paſtor: Quod eſt officium negligentis Diſci-
puli? Was iſt das Amt eines traͤgen Lehr-Knabens?
Troll: Ut luat pœnam in clunibus: Daß er auf den
Hintern geſtrafft werde. Paſtor: Quod eſt officium
Magiſtratus? Was iſt das Amt der Obrigkeit? Troll:
Imperare: Befehlen. Paſtor: Quodnam officium
ſubditi? Was iſt das Amt eines Unterthanen? Troll:
Parere: Gehorchen. Paſtor: Quod eſt officium boni
Chriſtiani? Was iſt das Amt eines guten Chriſten?
Troll: Vivere ſecundùm doctrinam Paſtoris \& Epiſco-
pi: Daß er lebe nach der Lehre ſeines Predigers und
Biſchoffs. Paſtor: Unde derivatur Magiſtratus? Wo
kommt das Wort Magiſtratus her? Troll: à magis
\& ſtratus, dann die Obrigkeit iſt beſſer und mehr be-
deckt/ als die Unterthanen/ traͤget auch gemeiniglich
beſſere Kleider. Paſtor: Unde derivatur Roma? Wo
kommt das Wort Roma her? Troll: à vocabulo
Conſtantinopolis, mutando Conſtanti in Ro, \& no-
polis in Ma, fiet Roma, von dem Wort Conſtantino-
polis, mache Ro auß Conſtanti, und Ma auß Nopolis,
ſo kommt Roma herauß. Der Herꝛ Paſtor ſprach
jetzo zu der Verſammlung: Meine liebe Zuhoͤrer/ ich
habe
[771]Romans II. Buch.
habe dieſen guten Freund/ wie ihr habt angehoͤret/
durch alle Claſſes und Status, ja durch alle Diſciplinen
examiniret/ und finde ihn ſo beſchlagen/ daß unſere
zween vorige Rectores mit ihm/ was die Gelehrtigkeit
betrifft/ keines Weges zu vergleichen ſind/ darum
wuͤnſche ich unſerer Gemein und lieben Jugend von
Hertzen Gluͤck zu dieſem herꝛlichen Subjecto, welcher
wol verdienet/ daß man ihn auß gemeinem Saͤckel
ein ehrliches Kleid gebe/ ich wil es auch vor meiner
Geiſtlichen Obrigkeit verantworten/ wann ich ihm
auß dem armen Kaſten einen halben Thaler darzu
verehre.
Deſſen waren ſie alle zufrieden/ und alſo erbotte
ſich ein gegenwaͤrtiger Kramer/ ſo viel ſchwartzes
Lacken herzuſchieſſen/ als ihm zum Kleid noͤthig/ ein
Schneider aber offerirte ſich/ ihm das Kleid zu ma-
chen/ und den Lohn an dem Lehr-Geld ſeiner Kinder
abzuziehen. Den Mantel deß vorhin verſtorbenen
Rectoris verehrete man dem Trollen auch/ und nahm
die Gemeine auf ſich/ die Wittib deßwegen zu befrie-
digen. Der Paſtor forſchete darauf/ ob er auch wol
eine Grabſchrifft aufſetzen koͤnte? Und als Troll ant-
wortete/ wann er den Lebens-Lauff deß Verſtorbenen
wuͤſte/ wolte er daran arbeiten. Es iſt ſchad/ ſprach
Jener darauf/ daß man unſerm verſtorbenen Wein-
ſchenck/ deß Herꝛn Burgermeiſters Schwieger-
Sohn/ noch keinen Grab-Stein mit einer ſchoͤnen
Aufſchrifft hat geſetzet/ es ſolte wol billich ſeyn. Weil
nun dieſer in der Gemeinde Dienſten geſtanden/ wil-
ligte die anweſende Gemeinde/ ſolchen Stein zu be-
zahlen/ wann der neue Herꝛ Rector nur ein wackers
Epitaphium verfertigen wolte. Welches dieſer auch
zuſagte/ und darauf ſchieden ſie von einander. Troll
aber muſte mit dem Paſtorn nach Hauß gehen/ und
C c c 2ſich
[772]Deß Academiſchen
ſich bey ihm aufhalten/ weil er annoch unverehelichet/
und koͤnte ſich deß ungluͤckſeeligen Rectoris Wittib
der Schul-Wohnung inzwiſchen bedienen. Man
wolte ihn aber uͤber 4. Tage allererſt vorſtellen/ weil
es eben in den Hunds-Tagen/ da man die Jugend
nicht zu ſehr zum Lernen antreiben wolte. Jnzwiſchen
beſchrieb der Paſtor unſerm Troll deß verſtorbenen
Weinſchencken Lebens-Lauff/ gab ihm auch Buͤcher
zu einem Aufſatz/ dann weil er dem Burgermeiſter
nicht ſonders gewogen/ wolte er ihm einen Poſſen
dardurch thun. Was aber das Epitaphium anlanget/
ward ſolches von Trollen folgender Maſſen einge-
richtet:
Dem allzeit durſtigen Weinſchencken
zu Stachelfeld.
und
[773]Romans II. Buch.
C c c 3Ach!
[774]Deß Academiſchen
Als Troll dieſen Aufſatz gemacht/ gefiel er dem
Paſtorn ſehr wol/ ſchrieb ihn demnach mit groſſen
Buchſtaben ab/ und nagelte ihn auf das hoͤltzerne
Creutz/ ſo hinter dem Grab ſtund/ daß es am folgen-
den
[775]Romans II. Buch.
den Tag von Jedermann geleſen ward. Dem Bur-
germeiſter kam ſolches bald zu Ohren/ ließ demnach
den Rector zu ſich bitten/ und tractirete ihn ſehr wol;
Aber nach der Mahlzeit hielte er ihm vor/ daß ihm die
gemachte Grabſchrifft fuͤrtrefflich gefalle. Er erſuch-
te ihn darneben/ noch eine andere zu machen/ und dar-
iñen gleicher Geſtalt die duͤrre Warheit zu ſchreiben.
Dann/ ſprach er/ neben dem Weinſchenck lieget deß
Paſtorn Schwieger-Vatter begraben/ welcher ein
einziges Kind/ deß Paſtorn jetzige Frau hinterlaſſen/
dieſer Mann war ein Einnehmer einer Stadt nicht
weit von hier/ aber in ſeinem gantzen Leben ſo geitzig/
daß er nimmer gnug haben kunte. Er aſſe ſich hun-
gerig/ und trunck ſich durſtig/ auch in ſeinem hohen
Alter legte er ſich/ auß lauter Geitz/ zu ſeinem Schwie-
ger-Sohn/ biß er endlich vor 9. Wochen geſtorben/
und allhier begraben worden. Darum thut ſo wol/
und machet eine huͤbſche Grabſchrifft darauf/ ſo ſoll
euch die Schul-Stelle verbleiben/ die ihr ſonſten ver-
wuͤrcket haͤttet. Troll erinnerte ſich ehemahl geleſen
zu haben eine Grabſchrifft/ die auf einen ſolchen Geitz-
Halß gemacht war/ ſetzete ſich demnach in deß Bur-
germeiſters Gegenwart nieder/ und ſetzte ſie auf/
welche man hernach mit groſſen Buchſtaben gleicher
Geſtalt abfaſſete/ und auf deß Geitzigen Holtz-Creutz
nagelte. Es lautete aber dieſe Schrifft wie folget:
Dem unerſaͤttlichen Geitz-Halß.
C c c 4Ja
[776]Deß Academiſchen
Er
[777]Romans II. Buch.
C c c 5damit/
[778]Deß Academiſchen
Das
[779]Romans II. Buch.
Das XXI. Capitul/
Hier hat Troll abermahl ſeltzame Poſſen bey einer Abdan-
ckung. Er machet auch etliche poſſierliche Carmina.
ALs der Paſtor dieſe Grabſchrifft laſe/ muſte er ſich
zufrieden ſtellen/ ob er gleich wol errathen kun-
te/ wer ſie muſte gemacht haben/ dann eine Ehre
war der andern werth/ aber in ſeinem Hertzen war er
dem Trollen nicht geneigt/ welches er ihm auf den
Abend zu erkennen gab/ da er ihm nichts anders/ als
eine Schuͤſſel voll Butter-Milch/ und einen alten
faulen Kaͤß fuͤrſetzen ließ. Er ſelber aber hatte ein
gebratenes Huhn/ und einen ſchoͤnen Sallat/ welches
dem Rector dermaſſen zu Hertzen gieng/ daß er in ſei-
nem Hertzen gedachte/ er wolle ihm ſolches wieder zu
Hauß bringen. Am folgenden Tag ward deß alten
Krachbeins Frau begraben/ und Troll bathe ſich ſel-
ber zu Gaſt bey ihm/ welches ihm der alte Mann/ auß
bewuſten Urſachen/ nicht verſagen durffte/ und die
Dirne trug das Beſte auf/ was im Hauß war/ daß
er nur vergnuͤget wuͤrde. Er ward aber dargegen
gebetten/ nach gehaltener Leich-Predigt eine Abdan-
ckung zu thun/ und dieſelbe fein wol einzurichten/ wie
deß Rectors ſeine vor 2. Tagen. Alſo ſetzte er ſich nie-
der/ und machte einen Entwurff/ bald aber ſchickte
der Paſtor zu ihm/ und ſagte zu ihm/ wann er ihm auf
dem Todten-Kirch-Hof zuwinckete/ ſo ſolle er mit
dem Singen einhalten/ dann er muͤſſe nach der Pro-
ceſſion noch 2. Meilen reiten/ und moͤchte ihm Nacht
werden/ wann er ſich zu lang aufhielte. Troll ſagte:
Gut! gut! Herꝛchen/ ich wil mich darauf bedencken/
nahm hierauf ſeinen Abſchied/ und kehrete zum alten
Claß/ welcher ſich von Hertzen freuete/ daß ſeine
Stein-alte Frau einmahl ſeinen Armen entriſſen war.
Als endlich die Zeit kam/ hieng Troll ſeinen
ſchwartzen Mantel um/ unter welchem er ein ſeltzames
Kleid
[780]Deß Academiſchen
Kleid trug/ daß er ſelber nichts mehr verlangete/ als
von ſeinem Herꝛn Condado in dieſem Aufzug geſehen
zu werden. Er verſam̃lete die Jungen vor der Schul/
und als der Paſtor zu ihm geſtoſſen/ giengen ſie vor
das Sterb-Hauß/ und holeten die Leiche ab. Wie ſie
auf dem Todten-Kirchhof/ der vor dem Dorff lag/
kamen/ da ſange Troll eben den letzten Vers. Ehe aber
der Paſtor zum Stand kam/ fieng er einen langen
Todten-Geſang von neuem an/ welches den Paſtorn
dermaſſen verdroß/ daß er ſchier auß der Haut gefah-
ren waͤre. Troll thaͤte/ als wann ers nicht ſaͤhe/ ſange
demnach ſteiff fort/ und ließ den Paſtorn immerhin
handthieren. Dieſer ſtampffete inzwiſchen/ huſtete/
und machte allerhand Poſſen/ den Troll zu bewegen/
daß er ihn anſaͤhe/ aber dieſer wolte nicht/ dannenhero
der Burgermeiſter dem Paſtorn/ von dem er meynete/
daß ihm uͤbel wuͤrde/ ein Glaͤßlein mit Balſam Sulphu-
ris angefuͤllet/ welches er fuͤr alle Kranckheiten ſtaͤts
bey ſich hatte/ uͤberreichete/ welches den Prediger noch
mehr verdroß/ doch durffte er hier nicht viel ſagen.
Und als endlich der gantze Geſang außgeſungen war/
endigte Troll ſein Amt mit einem Final, das allein ein
Vatter Unſer lang waͤhrete. Darauf ſtieg der Predi-
ger auf eine hoͤltzerne Cantzel/ und predigte mit ſol-
chem Eyfer/ daß er das Buch etliche mahl von der
Cantzel ſtieß/ welches ihm Troll allemahl wiederbrin-
gen muſte/ das dann dieſem aufs neue in Kopff ſtieg/
dann er ſahe wol/ daß ihn der Pfarrer wieder vexirte.
Harre/ gedachte er demnach/ ich habe noch eine Gele-
genheit/ dich wieder zu erhaſchen! Und endlich be-
ſchloſſe der Prediger ſeine Predigt/ welche kurtz gnug
war/ dann er wolte noch uͤber Feld reiten/ und ſeinen
Zehenden einſammlen. Alſo giengen ſie mit einander
in der vorigen Proceſſion wieder in den Flecken Sta-
chelfeld/ und wie ſie vor Krachbeins Hauß kamen/
ſtelle-
[781]Romans II. Buch.
ſtelleten ſie ſich in einen Craͤyß/ und darauf præſen-
tirte ſich Troll/ und hielte in Præſentz der gantzen Ge-
meinde nachfolgende
Abdanckung bey der Begaͤngnuͤß
einer alten Frauen.
ALlerſeits geehrte und geliebte Bruͤder uñ Schwe-
ſtern/ Freunde und Freundinnen! Es iſt ein altes/
aber auch warhafftes Sprichwort/ da man ſaget:
Stirbt der Fuchs/ ſo gilt der Balg. Das gehet nicht
allein bey dem Fuchs/ ſondern auch bey faſt allen und
jeden 4. fuͤſſigen Thieren an. Aber wann der Menſch
ſtirbet/ ſo begraͤbet man ihn mit Haut und Haar in
die Erde. Dann in dieſer Haut muß er am Juͤngſten
Tag wieder erſcheinen. Solcher Geſtalt iſt jetzo von
uns zum Grabe gebracht worden/ Urſula Krachbei-
nin/ eine Frau von 89. Jahren/ 7. Monaten/ 3. Wo-
chen/ 5. Tagen/ 19. Stunden/ und 34. Minuten/ wie
man ſolches auß der Geburts-Stunde erſehen kan/ ſo
in ihrer nachgelaſſenen Erb-Bibel aufgezeichnet ſtun-
de. Was iſt doch der Menſch/ wann er todt iſt? Ein
Sack voll ſtinckend’er Maden/ und wir werden es dem
hochbetruͤbten Wittiber nicht rathen/ daß er das gar-
ſtige Todten-Aaß wieder in ſein Hauß nehme/ nam
omnis homo exanimatus eſt \& dicitur cadaver. Wie
bald iſt es mit dem Menſchen geſchehen? Dieſe Frau
war vor 3. Tagen annoch im Feld/ und brachte ihrem
Mann zu eſſen an die Arbeit. Aber ſiehe! ein unzeiti-
ger Eyfer/ der ſie an ihre junge Magd verhetzet/ hat ſie
in groſſe Alteration gebracht/ daß ſie daruͤber zum tod-
ten Coͤrper worden. Ein unzeitiger Eyfer/ ſag ich/
dann ſie muthmaſſete nur etwas von ihrer Magd/ und
ihrem Mann/ hatte aber keinen gewiſſen Fuß. Aber
ich weiß beſſer darum/ Nicolaus Krachbeinius eſt ho-
mo in-
[782]Deß Academiſchen
mo integerrimæ vitæ. Claß Krachbein/ wer euch was
Boͤſes nachſaget/ der luͤget es wie ein Schelm. Zwar
ihr habt die Magd wol nicht gehaſſet/ aber darum
auch eben nicht geliebet. Wann es die Mittags-Hitze
erforderte/ daß ihr euch mit ihr auf dem Feld unter
den Schatten begabet/ da laſet ihr in einem Pſalter/
und ſie bande inzwiſchen ein Blumen-Kraͤntzlein/ das
habe ich mit meinen Augen geſehen. Aber O! du nun-
mehro ſeelige Urſula/ der Himmel verſperre dir deß-
halben ja die Pforte nicht/ dann du haſt ſonſten dein
Leben und Wandel auf dieſer Welt ſo ruͤhmlich zu-
gebracht/ als eine groſſe Koͤnigin nimmermehr wird
thun koͤnnen. Saget mir/ liebe Herren und Freunde/
wo iſt eine groſſe Koͤnigin/ die alle Morgen ſo fruͤhe
wuͤrde aufſtehen/ und die Kuͤhe melcken? Die ſich mit
grober Leinen und Wolle an ihrem Leib behuͤlffe? Die
Sonntags und Wercktags gleich fleiſſig ihren Hauß-
Geſchaͤfften oblaͤge? Ja/ die es in ihrem Alter ſo hoch
braͤchte? Aber das iſt noch nicht alles. Unſere Urſula
war from̃ und andaͤchtig/ und ob ſie gleich auß Miß-
trauen nicht mehr/ als alle Quatember, in die Kirche
kam/ ſo muſte doch der Mann und die Magd keine
Predigt verſaͤumen. Und wie war es moͤglich/ daß ſie
mit einander auß dem Hauß kommen kunten/ waͤre
nicht der Brey inzwiſchen angebrandt? Eine fuͤr-
treffliche Haußhalterin iſt ſie allwege geweſen/ als die
manchmahl in der Mitternacht aufgeſtanden/ und
den Knecht von der Magd abgeriſſen hat. Und ſo ihr
Mann ihm ſelber den Bart abgeſchoren/ brauchte ſie
daſſelbe Seiffen-Waſſer zur Waͤſche deß Leinen-
Zeuges. Hoffaͤrtig war ſie nicht/ dann einen Rock
trug ſie 20. Jahre/ und den hatte ſie ſo zerflicket und
zerplaͤtzet/ daß man nicht wuſte/ welcher Farbe er ge-
weſen war. Jm Sommer gieng ſie Baarfuß/ und im
Win-
[783]Romans II. Buch.
Winter umwunde ſie die Beine mit alten Lumpen.
Die Haare ließ ſie um den Kopff fliegen/ wie eine
junge Dirne/ und brachte ſelten eine Muͤtze/ oder
Haube/ darauf. Jn dem Calender hat der hoch-be-
truͤbte Wittiber nachgeſucht/ und befunden/ daß ſie
ihr Lebenlang nur 2. Pfenninge an Steck-Nadeln
verbrauchet/ uñ ſolches zwar bey ihrem hochzeitlichen
Ehren-Tag/ und als ſie einsmahls zur Hochzeit gan-
gen/ ſonſten hat ſie ſich ſtaͤts mit ſchwartzen Heck-
Dornen beholffen. Omnia nunc rident, nunc formo-
ſiſſimus annus. Jſt nicht jetzo die lieblichſte Zeit im
Jahr/ aber dannoch hat dieſe ſchoͤne Roſe verwelcken
muͤſſen/ welche ihr Lebtage nur 3. mahl kranck gewe-
ſen/ einmahl/ da ſie zum letzten mahl gezahnet/ das an-
dere mahl/ als ſie durch die Rauch-Kammer auf den
Heerd gefallen/ und zum dritten mahl/ da ſie ſich mit
der unſchuldigen Magd ihres Mannes wegen ge-
eyfert. Das erſte mahl curirte ſie ſich mit gedoͤrre-
ten Schlehen/ das andere mahl mit einem Pflaſter
von Huͤhner-Koth/ und als ſie zum dritten mahl ein
wenig warm Bier zu ſich nahm/ ward ihr die Bruſt
allzudaͤmpffig darvon/ daß ſie ſterben muſte. Sie hat
kein Waſſer betruͤbet/ dann ſie lebete mit demſelben
in ſtaͤter Uneinigkeit/ wolte deßwegen auch ihre Haͤn-
de und Angeſicht nimmer darmit waſchen/ darzu
brauchte ſie lieber das Jenige/ was ſie in deß Mannes
Nacht-Topff fand/ ſolches war ihr an Statt der
Lauge/ den Wuſt auß den Runtzeln rein abzuneh-
men. Mit armen Leuten hat ſie ſich nimmer gezancket/
ſondern wann ein Bettler vor die Thuͤre kommen/
hat ſie ſolche ihm vor der Naſen zugeſchlagen/ und
geſagt/ ſie ſey nicht daheim. Eheu Matrona lectiſſima,
ſuaviſſima, caſtiſſima, humilima, devotiſſima. Wo biſt
du nun/ O keuſche/ reine/ andaͤchtige Seele/ im Him-
mel/
[784]Deß Academiſchen
mel/ oder in der Hoͤlle/ oder im Fegfeuer/ das ſtehet
nicht zu begreiffen/ wir wuͤnſchen ihr das ewige Wol.
Aber/ meine Freunde/ ich muß es kurtz machen/ wie
unſer Herꝛ Paſtor mit der Leich-Predigt/ dann dieſer
gute Herꝛ wil noch heute nach ſeinem Zehenden rei-
ten/ darum ſprechet alle mit mir ein Thraͤnen-volles
Amen.
Hiermit hatte die Danckſagung ein Ende/ und
es war keiner unter dem Hauffen/ der nicht betheuret/
daß ihm dieſelbe 10. mahl beſſer gefallen/ als die Pre-
digt ſelber. Es fand ſich aber dardurch Niemand hoͤ-
her offendiret/ als der Paſtor, weil man ihn mit Na-
men genannt hatte/ zu ſeinem groſſen Schimpff/
derowegen gedachte er ſich an dem Rector zu raͤchen/
dem doch die gantze Gemeine beyſtund. Troll bliebe
annoch in Krachbeins Hauß/ und ward am ſelbigen
Abend erſuchet/ folgenden Tages auf einer Hochzeit
zu erſcheinen/ und Krafft ſeines Amts die Geſchencke
zu empfangen und aufzuzeichnen. Er hoffete daſelbſt
was Gutes zu eſſen und zu trincken zu bekommen;
Jnzwiſchen merckete der alte Krachbein/ daß ihm ſei-
ne junge Magd/ welche er zur Ehe zu nehmen ſchon
reſolviret war/ nicht ſo gar geneigt mehr erſchiene/
dannenhero erſuchte er den Rector, ihm doch ein
verliebtes Liedchen aufzuſetzen/ welches er bey Nacht-
Zeiten in ihren Rock ſteckete/ das Liedchen aber laute-
te folgender Geſtalt:
3.
[785]Romans II. Buch.
D d d10. Drum
[786]Deß Academiſchen
Dieſes Liedgen gefiel dem alten Narren uͤber
die Maſſen wol/ darum ſpendirte er dem Herꝛn
Rector dieſen Abend auch ein Maaß Bier/ und erzei-
gete ſich recht froͤlich. Aber am folgenden Morgen
kam die junge Magd zu unſerm Troll/ und klagete
ihm/ daß ſie den alten Krachbein durchauß nicht mehr
leyden koͤnte/ weil er gar zu ein geiler Bock waͤre. Er
plage ſie immerdar mit ſeinen Ducaten/ dardurch er
ſie zur Einwilligung und Ja-Wort verfuͤhren wolte.
Aber ſeithero ſie mit deß Burgermeiſters Knecht in
Kundſchafft gerathen/ haͤtte ſie gar kein Belieben
mehr zu dem alten Gecken/ ob er gleich noch ſo reich/
ja wann er auch ein doppelter Schoͤppe waͤre/ darum
erſuchte ſie ihn/ weil er auſſer Zweiffel Urheber deß
Liedleins/ ſo ihr der Alte in den Rock geſtecket/ er
moͤchte doch auch eines dargegen nach ihrem Willen
aufſetzen/ und dem alten Freyer darinn nur oͤffentlich
zu Gemuͤth fuͤhren/ daß ſie gantz und gar keine Belie-
bung zu ſeinem grauen Bart haͤtte/ darfuͤr wolle ſie
ihm ein ſchoͤnes Schnup-Tuch verehren/ auch gern
alles thun/ was er von ihr verlangen wuͤrde. Troll
ſprach ſie zufrieden/ und machte ihr Hoffnung/ dem
Alten ein ſolches durch ein ander Liedlein gnugſam
zu erkennen zu geben/ er gieng auch ſo fort zum Ein-
nehmer/ der etliche Buͤcher hatte/ darinn blaͤtterte er
ein wenig/ und fand ein artiges Stuͤcklein zu ſeinem
Vorhaben/ welches er ein wenig veraͤndert/ machte es
doch bald fertig/ und uͤberliefferte es ihr Geſpraͤchs-
Weiſe/ wie folget:
Er:
[787]Romans II. Buch.
MElinde/ die du gleichſt dem Mond im vollem Lichte/
Vor derer Augen Glantz die Sterne dunckel ſtehn/
Kehr doch einſt zu mir her dein freundlich Angeſichte/
Du wirſt in meiner Hand viel Sonnen-Bilder (Ducaten) ſehn.
So ſchicken ich und du uns ja ſehr wol zuſammen/
Weil du dem Monde gleichſt/ und ich der Sonnen Flammen.
Die Sonnen ſind zwar gut/ doch ohne Flamm und Hitzen/
Drum iſt auch ihre Welt (der alte Kopff/) mit ſtaͤtem Schnee bedeckt:
Jch lobe eine Sonn/ bey welcher man kan ſchwitzen/
Wann gleich der Nord die Welt mit Froſt und Winden ſchrecke.
Was hilfft es/ daß man kan die Sonn im Winter ſehen/
Vnd muß dannoch im Schnee ohn ihrer Hitze gehen?
Du ſiehſt wie Roſen auß/ ich gleiche den Narciſſen/
Dein Haar hat Goldes Glantz/ und meines Perlen-Schein:
Nichts koͤnte ſchoͤner ſtehn/ ich ſchwoͤr bey Peru-Fluͤſſen:
Als wann man dieſe Perl in ſolch Gold faſte ein.
Ja/ wie der Roſen Pracht bey Liljen wird gemehret/
So wuͤrde deine Zier durch mein Anſehn geehret.
Die Farben ſind verſetzt/ drum koͤnnen ſie nicht dienen
Zum Zierrath: Dein Anſehn/ mein Alter/ tauget nicht:
Dein Haar iſt Perſen-farb/ die Augen wie Rubinen/
Vnd wie ein welckes Blat von Liljen dein Geſicht:
Jch lieb ein guͤldnes Haar/ Rubinen-rothe Wangen/
Vnd Augen/ die im Glantz/ gleich wie Demanten prangen.
Das Alter iſt gechrt/ Verſtand kommt mit den Jahren/
Die groͤſte Klugheit wohnt in einem grauen Haupt:
Was Jugend lernen ſoll/ hat Alter ſchon erfahren:
Es gibt uns an Verſtand/ was uns an Kraͤfften raubt:
So viel nun an der Witz die Jugend weicht dem Alten/
Vm ſo viel ſoll man auch die Alten hoͤher halten.
Wann Weißheit bey dir waͤr/ du alter Geck/ zu finden/
So wuͤrdeſt du ein Mann/ der auf der Grube geht/
Nicht noch die Jungfern-Lieb dich laſſen uͤberwinden.
O freye mit dem Tod/ wo dir zu rathen ſteht.
Mit mir wird unter deß das Gluͤck es wol ſo fůgen/
Daß ich/ wie ich mir wuͤnſch/ koͤnn einen Jungen kriegen.
Dieſe Reimen laß er der Dirnen vor/ und ſie hatte
groſſes Gefallen daran/ weil ſie auch dem alten Claß
die Feyer-Kleider herlangete/ um ſolche zur Hochzeit
anzulegen/ ſteckete ſie das Liedlein in eine Taſche/ und
D d d 2ließ
[788]Deß Academiſchen
ließ es ihn in der Stille leſen. Troll forſchete/ was der
Braͤutigam/ auf deſſen Hochzeit er erſcheinen ſolte/
fuͤr ein Menſch waͤre/ dem antwortete die Dirne/ daß
er ein alter Geſell/ der das Freyen von einem Jahr
zum andern verſchoben/ ja/ der auf jeden Monat et-
was zu ſagen gehabt/ warum man darinn nicht freyen
ſolte/ biß er endlich durch ſeinen alten Vatter/ der ihm
die Haußhaltung uͤbergeben/ zum ehelichen Leben an-
noch waͤre beredet worden. Weil nun der Herꝛ Rector
alleweil einen Reim-Geiſt bey ſich ſpuͤrete/ ſetzete er/
Statt deß Geſchenckes/ dann er hatte nichts zu ge-
ben/ in aller Eyl folgendes Carmen auf/ welches er
hernach zu den Hochzeit-Geſchencken legete/ und ne-
ben denſelben dem Braͤutigam uͤberliefferte:
7. Jm
[789]Romans II. Buch.
Als er dieſes Carmen nachlaſe/ gefiel es ihm in ſeinem
Hertzen/ und muſte er ſich in ſeinem Sinn verwun-
dern/ daß er einen ſo herꝛlichen Poetiſchen Geiſt bey
ſich fand. Jndem er ſich uͤber ſich ſelber alſo kitzelte/
kam der Paſtor zu ihm herein getretten/ und ſtellete
ſich gantz freundlich zu ihm: Jhr wiſſet wol/ Herꝛ
Rector, ſprach er/ daß ein Poet geboren/ und nicht ge-
D d d 3macht
[790]Deß Academiſchen
macht wird; Jch ſehe/ daß euch dieſe Kunſt angeer
bet iſt/ darum muͤſſet ihr mir ein Lateiniſch Carmen
auf dieſe heutige Hochzeit ſchreiben. Troll nahm auch
dieſe Muͤhe uͤber ſich/ und ſagte/ er wolle es aufſetzen/
und mit hinbringen/ der Herꝛ Paſtor koͤnne inzwiſchen
ſein hochzeitlich Kleid anziehen. Jedoch begehrete
er vorher deß Braͤutigams und der Braut Namen
zu wiſſen? Und als ihm Jener geſagt/ daß der Braͤu-
tigam Jacob Brand/ und die Braut Barbara Glaͤt-
ſche hieß/ ſetzete er ſich nieder/ und dichtete ſo lange/
biß endlich herauß kam nachfolgender
Dialogiſmus inter Sponſum \& Sponſam.
Duriter
[791]Romans II. Buch.
Das XXII. Capitul/
Troll haͤlt eine ſeltzame Bewillkommungs-Rede/ und fuͤhret
das Verzeichnuͤß der Hochzeit-Geſchencke: Diſcurriret gar poſſierlich
mit einem andern Dorff-Schulmeiſter.
NAchdem er dieſes Carmen auch verfertiget/
kam deß Burgermeiſters Magd/ und brach-
te ihm ein neues ſchwartzes Kleid/ ſamt ei-
D d d 4nem
[792]Deß Academiſchen
nem reinen Hemd/ und was darzu gehoͤret/ welches
ihm die gantze Gemeinde verehret hatte. Er legete
dieſes alles behende an/ und erſchien zu beſtim̃ter Zeit
auf der Hochzeit in einem anſehnlichen groſſen Hauß/
woſelbſt ſich die Gaͤſte ſetzeten/ und nachdem der Herꝛ
Paſtor das Seinige gethan/ und die Gaͤſte ſich zu
Tiſch geſetzet/ betete man/ und darauf ſprach der
Pfarrer: Herꝛ Rector, nun muͤſſet ihr die Gaͤſte be-
willkommen. Troll wuſte nicht/ was er hierauf ſa-
gen ſolte/ er ſchuͤttelte Kopff und Mantel/ er zog ſei-
nen breiten Kragen an beyden Seiten zurecht/ und
ſprach mit leiſer Stimme zum Pfarrer: Herꝛchen/
warum habt ihr mir das nicht eine halbe Stunde zu-
vor geſagt? Das muͤſſet ihr wiſſen/ war die Antwort/
dann wer hier Rector ſeyn wil/ muß allenthalben ſo
wol ſchrifft- als muͤndlich das Wort fuͤhren. Jn weſ-
ſen Namen aber/ forſchete er weiter/ ſoll ich die Hoch-
zeit Gaͤſte empfangen? Nicht in meinem/ replicirte
der Prediger/ noch in eurem/ ſondern in deß Herꝛn
Braͤutigams Namen/ darum ſtellet euch an deſſen
Stelle/ und redet in ſeiner Perſon/ als ob ihr ſelber
der rechte Braͤutigam waͤret/ der Gaͤſte gebetten haͤt-
te. Alſo ſtellete ſich Troll zur Braut/ ſtieß den Braͤu-
tigam an die Seite/ und ſprach:
und Herren und Frauen.
JCh ſage euch gebuͤhrlichen Danck/ daß ihr euch nicht ent-
bloͤdet/ auf meinem Hochzeitlichen Ehren-Tag zu erſchei-
nen. Es iſt ja ſo eine alte Weiſe/ ſonſt wolte ich der Muͤhe
gern uͤberhoben blieben ſeyn. Aber ich gedencke/ man be-
kommt noch etwas verehret/ ſo ſetzet euch demnach nieder/
und wann die gelbe Bruͤhe/ ſamt dem Pfeffer/ verzehret/ ſo
ſtellet euch bey unſerm Herꝛn Schul-Rector ein/ alsdann moͤ-
get ihr ſo lange eſſen und trincken/ als es euch ſchmecket/ ich
wil im uͤbrigen ſchon zuſehen/ wie ich mich mit meiner Braut
allein
[793]Romans II. Buch.
allein vergleiche/ dann in der Nacht habe ich euer nicht mehr
vonnoͤthen.
Als er dieſe Rede gehalten/ ſprang er wieder von
der Braut hinweg/ und uͤberließ Jacob Brand dieſe
Stelle/ der ſich gar ſchoͤn bedanckete/ daß er ihm das
Wort ſo wacker gefuͤhret/ und die Gaͤſte ſo fein un-
vermerckt an die Hochzeit-Gabe erinnert haͤtte. Alſo
langete ein Jeder ſein Meſſer herfuͤr/ und darauf
griffen ſie das Werck mit Freuden an/ inmaſſen ihrer
etliche einen gantzen Tag hierauf gehungert hatten.
Es war wol poſſierlich/ als der Burgermeiſter/
ſo dem Herꝛn Paſtor zunaͤchſt an der Seiten ſaſſe/ von
dieſem gleichſam unverſehens einen Stoß an den
Arm bekam/ da der Burgermeiſter eben mit einem
groſſen Loͤffel voll Pfeffer-Bruͤhe nach dem Maul
wanderte/ woruͤber er ſeinen reinen Kragen uͤber und
uͤber dergeſtalt begoſſe/ daß er ein groſſes Anſehen be-
kam; Der Paſtor entſchuldigte ſich mit einem kleinen
Compliment, alſo muſte es jetzo darbey bleiben. Der
Burgermeiſter aber gedachte ſich zu raͤchen/ rieff in-
zwiſchen dem Rector, und tauſcheten ſie mit Halß-
Kraͤgen um; Alſo ſaſſe Troll mit einem begoſſenen
Pfeffer-Kragen/ und ſo ihn Jemand deßwegen anſa-
he/ ſprach er: Es iſt deß Herꝛn Burgermeiſters Kra-
gen/ der Herꝛ Paſtor hat ihn Geiſtlich gezeichnet.
Nachdem endlich die gelbe Bruͤhe und Pfeffer ver-
zehret/ verfuͤgete ſich Troll mit ſeinem Schreib-Zeug
und Papier nach einem beſondern Gemach/ allwo
die Gaͤſte nach einander ſich bey ihm einſtelleten/ und
lautete folgender Geſtalt das
Reaiſter der Hochzeit-Geſchencke auf dem
Ehren-Tag Jacob Brands zu Stachelfeld.
MAgiſter Conrad Fickmeſſer/ Paſtor der Gemeine allhier/ hat
die Copulation verrichtet/ iſt | alſo von der Gabe befreyet/
D d d 5hat
[794]Deß Academiſchen
hat auch uͤber das die junge Eheleute mit einem Lateiniſchen
Carmine beſchencket/ wofuͤr ihm auf zukuͤnfftigen Tag ein Stuͤck
friſch Rindfleiſch und eine Schuͤſſel mit Hirſen-Brey gebuͤhret/
wuͤnſchet ihnen ſonſten GOttes Beyſtand/ und uͤbers Jahr eine
erfreuliche Erndte. Court Rabſchnabel/ Burgermeiſter/ ver-
ehret den jungen Eheleuten/ als naher Anverwandter/ 2. junge
Geißlein zur Zucht/ und darneben einen harten halben Reichs-
Thaler. Hanß Schlimmſchuh gibt 10. Pfund geſcheelten Hir-
ſen/ und 4. Ehlen gebleichete Leinwat/ ſamt 2. hoͤltzernen Leuch-
tern. Matz Schmahlbart verehret 3. Steige Eyer/ und ein
balb Dutzet zinnern Loͤffel/ beneben 2. groſſen ſtrohernen Keſſel-
Ringen. Dietz Schulfuchs gibt dem Braͤutigam einen neuen
Habermann/ und der Braut ein funckel-neues Spinn-Rad/
ſamt einem Orts-Thaler an Geld. Dauder Jacob quittiret
den Braͤutigam/ Statt der Gabe/ von der Obligation, Krafft
deren dieſer ſeinem Vatter mit 2. Metzen Lein-Saamen ver-
pflichtet war. Nickels hinter der Waͤyde verehret den Eheleu-
ten einen harten Guͤlden/ und ſchencket uͤber das dem Braͤuti-
gam die 3. Kannen Bier/ die er in voriger Wochen/ als er Wirth
war/ bey ihm unbezahlet vertruncken. Theyß Zippel ſchencket
den Hoch zeitern 4. Paar junge Huͤner/ und einen alten Hauß-
Hahn zur Zucht (ſamt einem Eſſig-Krug voll Eſſig. Gram̃es
(Jeronymus) Jxeſix verpflichtet ſich/ ſtatt deß Geſchencks/ deß
Braͤutigams 2. Pferde/ (als ein Nagelſchmiedt/) Jaͤhrlich
2. mahl ohne Zahlung mit neuen Eyſen zu belegen. Walther
Molkentrem̃el/ Muͤller allhier/ verſpricht/ ſtatt deß Geſchencks/
im erſten Jahr kein Malter von deß Braͤutigams Mahl-Korn
zu nehmen. Lips Miſtſinck ſchencket 3. Maaß Erbſe/ und wil
uͤbers Jahr abermahl ſo viel zu geben verpflichtet ſeyn. Claß
Krachbein ſchencket nichts/ weil deß Braͤutigams Vatter auch
auf ſeiner Hochzeit das Geſchenck vergeſſen/ wird alſo eines
gegen das andere aufgehoben. Thomas Winterluſt hat vor
4. Wochen eine Ohrfeige unverdienet vom Braͤutigam bekom-
men/ die Raache wil er mit ihm vertrincken/ aber ohne Hochzeit-
Gabe. Ludwig Ochſenfuß ſchencket 5. Wuͤrff/ jeden zu 4. doppel-
ten Plabberten/ haͤtte auch den 6. Wurff hinzu gethan/ wañer ihn
vor 3. Jahren in Bezahlung eines kleinen Reſts um einen Wurff
nit betrogen haͤtte. Willem Kuhſchinder borget den Hochzeitern
das Hochzeit-Bier auf Jahr und Tag/ darum iſt er Geſchenck-
frey. Braumen Baſt verehret der Braut einen Brieff Steck-
Nadeln/ einen Finger-Hut/ 2. Eymer/ und ein Butter-Faß/ ſamt
einem
[795]Romans II. Buch.
einem zinnern Napp. Henning Feigenwartz vergoͤnnet dem
Braͤutigam in der Kirchen mit auf ſeine Stelle zu kommen/ ſo
lang er lebet/ und ſolches an ſtatt einer Hochzeit-Gab von zwey
Reichsthlr. Heyn Laßdunckel/ Metzger beym Rathhauß/ bor-
get dem Bråutigam 172. Pfund Rind-Fleiſch zur Hochzeit auf
Jahr und Tag/ bleibet alſo Geſchenck-frey. Otto Freßmaul
ſchencket den angehenden Eheleuten ein altes Span-Bette/ und
einen halben Gulden an Geld/ hoffet/ ſie werden koͤnnen zufrie-
den ſeyn. Lorentz Ungerath verehret den neuen Eheleuten eine
groſſe Schuͤſſel voll Honigſeims/ und 2. Malter gedorrete Ho-
tzeln oder Birn. Jſack Waſſerſoff verehret dem Braͤutigam
eine Stahl-neue eyſerne Kuͤchen-Pfanne und einen Schaum-
Loͤffel/ ſamt 15. guten Groſchen. Dieterich Oberbein gibt den
Hoch zeitern einen neuen Meel. Kaſten/ darein 6. Malter gehen/
ſamt einen Orts-Thaler an Silber-Geld. Meynret Kizelrock
ſchencket ihnen 2. Maußfallen/ eine auf den Korn-Boden/ die
andere in die Speiſe-Kammer/ und darzu einen Scheffel Waͤi-
tzen-Meel/ wie auch 6. Pfund Schweitzer-Kaͤſe/ von der beſten
Art. Barthel Troll der Juͤngere/ beſtellter Schul Rector deß
Fleckens Stachelfeld/ iſt/ als ein geiſtlicher Bedienter/ Geſchenck-
frey/ und bedinget ſich/ wegen ſeines Hochzeit-Carminis, eine
Schuͤſſel mit gelber Bruͤh auf Morgen.
Hiermit endigte ſich das Verzeichnuͤß der Ge-
ſchencken/ und Troll tratt wieder zu den Gaͤſten an
die Tafel/ da man die andere Tracht auftrug/ darun-
ter war eine groſſe Schuͤſſel voll Hirſebrey/ weil nun
der Burgermeiſter wol wuſte/ daß der Paſtor ein ſehr
groſſer Liebhaber darvon/ langte er in die Schuͤſſel/
und fand den Brey ſehr heiß/ gedachte ſich demnach
an dem Paſtorn wegen deß Pfefferguſſes zu raͤchen/
derowegen ſagte er: Herꝛ/ es iſt immer ſchade/ daß
ſie den ſchoͤnen Brey haben laſſen kalt werden. Der
Paſtor ſchuͤttete demnach einen guten Loͤffel voll gantz
gierig in den Halß/ verbrandte aber das Maul ſo
jaͤmmerlich/ daß er den Brey wieder herauß/ und auf
den Teller ſpruͤtzete/ machte dem Burgermeiſter ein
ſauer Geſichte/ und ſprach: Er iſt euch den Teufel zu
kalt/
[796]Deß Academiſchen
kalt/ ich kan hinfuͤhro von keiner Speiſe mehr genieſ-
ſen/ ſo habe ich das Maul verbrandt. Dieſes Poſſen
lachete die gantze Geſellſchafft/ aber keiner mehr/ als
Troll/ welches dem Herꝛn Paſtor gar ſehr zu Kopff
ſtiege/ daß er ihm im Hertzen feind ward.
Es war aber ein Schulmeiſter von dem naͤch-
ſten Dorff auch bey der Hochzeit/ welcher die Einbil-
dung hatte/ daß er ſonders gelehrt ſey/ und weil ihn
auch der Paſtor darvor hielte/ reitzete er dieſen an/ daß
er ſich mit Trollen in einen Lateiniſchen Diſcurs ein-
laſſen moͤchte/ weil er nun ſchon in etwas beſoffen/ re-
dete er den Trollen folgender Geſtalt an: Domine
Rector, tu ſcis latinam loquere? Troll antwortete:
Optimè \& peſſimè, ſicut vis. Worauf Jener: Ubi
habes ſtudere? Troll: In Schola \& Academia, ſed tu
etiam habes vidiſſe Academiam? Schulmeiſter:
Vidi Academias in Baſel per tribus diebus, \& habeo
audire ſtudentes diſputant in auditorium magnum.
Troll: De quo materiabus? Schulmeiſter: De rerum
varium, quod obliviſcavi; ſed quid eſt Grammatica?
Troll: Eſt librum impreſſum in Octavum, quod ego
per trias vices perlexi. Schulmeiſter: Hoc eſt mul-
tiſſimum, ſed quid eſt Rhetorica? Troll: Eſt avicula
bene canens, ſcis tu autem, quid canit? Schulmeiſter:
Scivi, ſed non amplius, nam meo tempore nondùm
eſt avicula, ſed liber parvus, quid autem eſt Logica?
Troll: Eſt homo, qui facit Syllogiſmum: Exempli
gratia: Omnis aſinus eſt auritus, tu es auritus, ergo tu
es Aſinus: reſponde. Schulmeiſter: Ego negam con-
cluſionem. Troll: Optime, nam præmiſſa utraque
eſt vera, ſed quid facis in tuum officium? Schulmei-
ſter: Ego omnes dies docere habeo diſcipulos meos
canere \& legere \& ſcripſiſſe, ſed quid tu facis? Troll:
Ego ede cum Domine Paſtore, \& dormio ſolus in
utram-
[797]Romans II. Buch.
utramque aurem, ſed quando incipio, non deſino in-
formare juvenes meos, ſed dicito, cujus generis eſt
homo? Schulmeiſter: Eſt generis communis. Troll:
Non, eſt enim generis maſculini, ut Gulo, Morio, Sal-
mo. Schulmeiſter: Domine Paſtor: Non eſt homo
generis communis? Der Paſtor ſprach: Pudeat te
Domine Schul-Rector, neſcis genera verborum?
Homo eſt generis communis, quia etiam uxorum ſunt
hominum. Troll: Si homo eſt generis communis, tua
fœmina eſt generis communis, quia eſt homo. Paſtor:
Tu furcifer, femina mea eſt generis fœminini, ſed Bur-
gimaſtri uxor eſt generis communis. Troll: Si homo
eſt generis communis, tum animal eſt generis omnis,
nam Paſtor, \& ejus fœmina \& ejus animalia ſunt omnia
animalia. Paſtor: Inſulſe lurco, vacca \& canis ſunt
animalia, non Paſtor nec ejus fœmina: tace, aut ego to
excommunicabo. Troll: Tacebo Domine Reverende
edemus Breyam de Hirſa.
Die gantze Geſellſchafft hoͤrete gar andaͤchtig auf
dieſe Lateiniſche Diſputantz/ und meyneten/ man haͤtte
ihres Gleichen nicht/ aber in demſelben Augenblick
gieng die Sturm-Glocke/ weßwegen ein Jeder von
dem Tiſch ſprang/ zu ſehen/ was zu thun waͤre. Wie
ſie hinauß kamen/ erſchien ein Dienſt-Knecht und
ſprach: O eylet geſchwinde/ ihr gute Nachbarn/ ein
greulicher Wolff hat unſern Hengſt auf der Waͤyde
darnieder geworffen/ und friſſet ſchon an ſeinem Hal-
ſe. Da nahm ein Jeder was er in der Eyl fand/ eine
Stange/ eine alte Buͤchſe/ einen roſtigen Degen/ eine
Miſt-Gabel/ oder ſonſten etwas/ und wie ſie auf die
gemeine Waͤyde kamen/ lieff der Wolff davon/ wel-
cher den Hengſt/ ſo der Gemeine gehoͤrete/ und die
Mutter-Pferde beſpringen muſte/ ſchon zu todt ge-
biſſen hatte. Er entkam ihnen bald auß den Augen/
dahero
[798]Deß Academiſchen
dahero kehreten ſie wieder nach Hauß/ tratten aber
zuſammen/ weil es jetzo die beſte Spring Zeit/ und
berathſchlagten ſich/ wie ſie forderſamſt wieder zu
einem ſolchen ſtattlichen Hengſt gelangen moͤchten.
Der Burgermeiſter ſprach: Jhr liebe Nachbarn/
wir koͤnnen ſo bald nicht dazu gelangen/ darum laſſet
uns die Einwohner unſers benachbarten Dorffs
Wuſtwinckels um ihren Hengſt auf 3. Wochen be-
gruͤſſen/ ſie haben ſchon 2. mahl unſern Stadt-Och-
ſen von uns gehabt/ darum werden ſie uns dieſen
Dienſt nicht abſchlagen. Der Herꝛ Rector ſoll ein zier-
lich Schreiben deßwegen an ſie verfertigen. Troll
muſte alſo/ weil doch die Gaͤſte mit einander nach
Hauſe giengen/ ſich anjetzo niderſetzen/ und ſchrieb
er folgenden Brieff:
benachbarte Hauß-Leute und Nachbarn deß
Stein-alten Dorffs Wuſtwinckel.
MEine Feder muß jetzo reden/ weil ich es ſelber fuͤr hertzlicher
Bekuͤmmernuͤß nicht thun kan/ ſie wird euch anſagen/ daß
ein unverſchaͤmtes/ vierfuͤſſiges/ gefraͤſſiges/ grauhaariges/ groß-
zahniges/ weitrachiges/ dickkoͤpffiges und langſchwantziges
Thier/ welches man nicht gerne nennet/ ihr es doch wol kennet/
weil es dann und wann eure Schaafe friſſt/ vor 3. Stunden ohne
einzige Barmhertzigkeit und Betrachtung der groſſen Dienſten/
die wir von unſerm Stadt- und Stutt-Hengſt gehabt/ denſel-
ben unbarmhertziger/ ja mehr als moͤrderiſcher Weiſe angefal-
len/ niedergeworffen/ und als den boßhaffteſten Buben an Stuͤ-
cken zerriſſen hat. Nun gehen unſere verlaſſene Stuͤttlein auf
der Waͤyde/ und ſehen ſich ſo inbruͤnſtig nach einem friſchen
Hengſt um/ daß einem fuͤr Mitleyden das Hertz im Leibe berſten
moͤchte. Wann es uns aber unmoͤglich faͤllet/ in ſo kurtzer Zeit
wieder zu einem tuͤchtigen Stutt-Hengſt eigenthuͤmlich zu ge-
langen/ und es aber jetzo die beſte Spring-Zeit nicht zulaͤſſet/ deſ-
ſen lange zu entrathen/ als erſuchen wir/ die gantze Gemeinde
von Stacheifeld/ euch/ unſere liebe Nachbarn/ hiermit gebuͤhr-
ſamſt/ daß ihr uns euren Hengſt auf 2. oder 3. Wochen leyhet/
unſere
[799]Romans II. Buch.
unſere Stutten zu beſchicken/ wir haben uns nicht gewegert/
euch auf Anhalten unſern Stadt-Ochſen zu leyhen/ iſt alſo ein
Dienſt deß andern werth/ darum ſendet den verlangten Hengſt/
ſo bald es moͤglich iſt/ an guter Waͤyde ſoll es ihm nicht gebre-
chen/ und alle Morgen ſoll er von deß Burgermeiſters Knecht
geſtriegelt werden. So ihr euch deſſen wegert/ ſollet ihr nie-
mahl unſern Stadt-Ochſen wieder bekommen/ das moͤget ihr
verſichert ſeyn/ und ſo das grimmige Thier/ welches unſern
Hengſt zerriſſen/ in eure Gewalt kommen moͤchte/ ſo nehmet es
gefangen/ daß wir ihm den Proceſs machen/ wie es verdienet
hat. Gehabt euch wol. Actum Stachelfeld/ am Tage/ da unſer
ungluͤckſeeliger Hengſt zerriſſen ward.
Am folgenden Morgen fruͤh/ als die Gemeine
eben zur Kirchen gienge/ uͤberreichete Troll dem
Burgermeiſter fuͤr der Kirch-Thuͤr den Brieff/ der
ihn der gantzen Gemeinde fuͤrlaß/ und war Nie-
mand/ der ſich nicht uͤber den wolgeſetzten Stylum
zum hoͤchſten verwundert haͤtte. Jnzwiſchen muſte
der Paſtor in der Kirchen eine gute Zeit warten/ der
gerne fruͤh abgeprediget haͤtte/ weil ihn der Prediger
auf eine halbe Meile von Stachelfeld auf die Kirch-
Weyh geladen hatte. Wie nun Troll in die Kirche
kam/ befahl er ihm ein kurtzes Geſang zu halten/ die-
ſer aber/ der dem Paſtor nicht viel zu willen wuſte/
nahm den laͤngſten Pſalmen vor/ den er im Buch
fand/ woruͤber der Prediger ſchier vor Zorn gebor-
ſten waͤre. Als endlich der Geſang halb auß/ gieng
er gantz unwillig nach der Cantzel/ und fieng an zu
predigen. Troll/ der in der vorigen Nacht wenig ge-
ſchlaffen hatte/ ſetzete ſich nieder/ an ſeinen angewie-
ſenen Ort/ und ward vom Schlaff uͤberfallen/ wan-
nenhero der Pfarrer/ zur Rache/ ſein Handbuch er-
griffe/ und ihm ſolches unter hefftigen Scheltwor-
ten nach dem Kopff warff/ daß er im Schrecken er-
wachte. Dieſer Poſſe verdroß den Herꝛn Rector und
die gantze Gemeine gar hefftig. Troll aber behielt das
Buch/
[800]Deß Academiſchen
Buch/ ſahe ſich allenthalben um/ und wie er merckete/
daß deß Paſtorn Frau endlich auch einſchlummerte/
ſtund er auf/ und warff ihr das Buch an Kopff/ daß
ſie ſchier in eine Ohnmacht geſuncken waͤre. Er ſprach
darbey: Frau Pfarrerin/ die Schlaͤffer muͤſſen alſo
aufgewecket werden/ wann ihr einen andern ſehet/
der da ſchlaͤffet/ ſo machet es ihm auch alſo: Da habt
ihr den Wecker nun bey euch ligen. Da erhub ſich ein
ſolches Gelaͤchter in der Kirchen/ daß man den Pre-
diger nicht hoͤren kunte/ doch kunte der Prieſter nichts
anfangen/ dann er war redlich bezahlet. Endlich
machte er ein zorniges Final, und eylete zur Kirchen
hinauß.
Das XXIII. Capitul/
Troll ſchreibet an einen Obriſten. Bekommt ſein Pferdt wie-
der/ und findet den Cavina/ mit welchem er darvon reitet. Schoͤner
Diſcurs von den Buͤchern.
WIe die Verſammlung auß der Kirche kam/
ſtunde ein Botte vor der Thuͤr/ und uͤber-
reichete dem Burgermeiſter ein Schreiben
von einem Kaͤyſerl. Obriſten/ der mit ſeinen Leuten/
die er neulich geworben/ in der Nachbarſchafft ange-
langet war/ und ein freyes Nacht-Lager fuͤr eine
Compagnie zu Fuß in Stachelfeld verlangete. Die
Leute ſteckten hieruͤber die Koͤpffe zuſammen/ und be-
rathſchlageten ſich. Endlich fiel der Schluß dahin/
der Herꝛ Rector ſolle an den Obriſten ein Schreiben
verfertigen/ und ſein Geſuch in aller Hoͤflichkeit ab-
lehnen. Dannenhero muſte Troll mit dem Burger-
meiſter nach Hauß gehen/ und mit ihm eſſen/ da er
ihm dann den Einhalt deß Brieffs/ den er ſchreiben
ſolte/ vorſagete/ und alſo ſetzete ſich unſer neu-geba-
ckener Herꝛ Rector nieder/ und ſchriebe/ wie folget:
Blut-
[801]Romans II. Buch.
Tyrann und Verfolger aller Tuͤrcken und Tar-
tarn!
WJr haben euren Brieff und deſſen Jnhalt geſehen: Jhr be-
gehret ein freyes Nacht-Lager fuͤr eine Compagnie Sol-
daten. Ja/ wann wir ſolche Narren waͤren! Nein/ wir ſind
keine Kinder mehr/ alle unſere Leute haben lange Baͤrte. Veſti-
gia nos terrent. Vor einem halben Jahr kamen auch Soldaten/
die ſchlichen ſich wie Fuͤchſe herein/ aber ſie zogen wie Loͤwen und
Baͤren wieder hinauß. Wir kennen eure Leute wol. Alte Wei-
ber/ Katzen/ Hunde und Maͤuſe/ bleiben wol fuͤr ihnen unange-
ſochten; Aber Huͤhner/ Ferckeln/ Kaͤlber/ Enten/ Gaͤnſe/ Tau-
ben und Capaunen ſind ihres Lebens nicht ſicher. Es iſt ihnen
nichts zu koͤſtlich/ nichts zu fette/ nichts zu groß/ nichts zu klein/ es
dienet ihnen alles. Es muß alles in Butter ſchwimmen. Mit
den Eyern ſpielen ſie/ wie mit den Ballen. Nein/ wir laſſen nicht
noch einmahl eine Katze ins Tauben Hauß. Die Soldaten ſind
heiß-hungerige Woͤlffe/ ſie wiſſen von keinem Faſt-Tag/ wann
es auch mitten in der Char-Wochen waͤre. Alles ſchmecket ihnen/
wie Fiſche/ wann es gleich mehr Haare und Federn/ als Schup-
pen hat. Die Spanferckeln eſſen ſie fuͤr Hechte/ und die jungen
Laͤmmer fuͤr Gruͤndlein. Die Capaunen fuͤr Barſchen/ und die
Gaͤnſe fuͤr Krebſe. O bey Leibe nicht/ laſſet uns ſolche Leute vom
Halß. Bey Tage gehet es mit ihnen noch hin. Aber bey Nacht
gehen ſie aufs Mauſen auß/ und durchſuchen alle Neſter/ ob ſie
Eyer finden moͤchten; Aber ſie kommen alsdann mit Willen an
die Unrechten/ und vergreiffen ſich an unſern jungen Frauen
und Toͤchtern/ dero jetzo noch etliche vom vormahligen Außzug
alſo zugerichtet ſind/ daß ſie ſchier kuͤnfftig entzwey brechen/ und
manchen Mann/ oder Vatter/ mit einem jungen Soldaten be-
truͤben. Weg/ weg/ mit ſolchen Zucht-Hengſten/ ſie dienen auf
unſere Waͤyde nicht. Weil aber doch eure Leute gleich wol etwas
zu eſſen haben muͤſſen/ ſo wollen wir ihnen 100. Laib Brodt/
50. Pfund Butter/ 3. groſſe Kaͤlber/ und 20. Gaͤnſe ſenden/ ſamt
41. Maß Butter-Milch/ dann unſer Weinkeller iſt verſchloſſen/
weil noch kein neuer Wein-Wirth an deß Verſtorbenen Stelle
gekommen. Seyd ihr darmit zufrieden ſo bleibet/ wo ihr ſeyd/
und laſſet uns euer Ja anmelden. Wollet ihr aber mit Gewalt
zu uns kommen/ ſo verriegeln wir unſere Thore/ ein jeder Hauß-
Vatter hat einen Spieß/ und ein jeder Hauß-Knecht ſeine Miſt-
E e eGabel.
[802]Deß Academiſchen
Gabel. Habt ihr Luſt zum Tantz/ euch ſoll wacker auf geſidelt
werden/ und ich glaube/ ihr doͤrfftet/ Herꝛ Oberſter/ bey der Mu-
ſterung ſchlecht mit der Zahl beſtehen. Darum bedencket euch/
was ihr thut/ wir haben einen Rectorem Scholæ, der kan gar
an euren General ſchreiben/ und alle ſeine Brieffe dringen durch.
Der Herꝛ Burgermeiſter hat zwey gezogene Roͤhre und einen
Balleſter/ damit kan er einem Jeden/ den er vor ſich ſiehet/ auf
500. Schritte das Hertz treffen. Herꝛ Obriſter/ man kennet euch
an eurer Plumage, ſtecket euch nicht in Gefahr/ wir fechten uns
zu todt vor unſere Frauen/ Toͤchter und Viehe/ und was habt
ihr darvon/ wann ihr/ wie ein Hund/ nieder geſchoſſen werdet?
Man wird euch hernach auf den Raben. Acker werffen/ und ſa-
gen: Da liget der Pluͤnderer. Dieſes wollen wir euch in aller
Civilitaͤt angedeutet haben/ bedencket euch ſehr wol/ wir ſind
Schweitzer/ und keine Narren. Lebet wol/ und ſeyd gewarnet
und gegruͤſſet von dem Burgermeiſter und gantzen Gemeine
deß Uhr-alten Fleckens Stachelfeld/ die euch Lincks und Rechts
begegnen koͤnnen/ wie ihrs verlanget.
An dieſem Brieff hatte der Burgermeiſter ein
ſolches Vergnuͤgen/ daß er fuͤr Freuden aufſprang/
und den Trollen einen Orts-Thaler auß ſeiner Ta-
ſchen verehrete. Er ließ auch alſobald den Maͤnnern
laͤuten/ und laſe den Brieff der Gemeine vor/ welche
ſchwuren/ daß ſie ihr Lebtag ſolchen Brieff nicht ge-
ſehen/ ſie betheureten auch/ wann ihr Paſtor ſich noch
einmahl/ wie heute in der Kirchen geſchehen/ an dem
Herꝛn Rector vergreiffen wuͤrde/ ſo wolten ſie ihn ab-
und dieſen an ſeine Stelle ſetzen/ der auſſer Zweiffel
viel beſſere Predigten thun wuͤrde/ als der Prediger
ſelber. Alſo ward der Brieff durch den vorigen
Botten wieder abgeſandt/ und uͤber 2. Stunden ka-
men 8. Soldaten mit einem Wagen/ und begehrten
das Jenige an Speiß und Tranck/ was man dem
Obriſten im Brieff zugeſaget hatte. Solches ward
ihnen unverzuͤglich eingelieffert/ und die Gemeine
war froh/ daß ſie durch dieſen Brieff von der ſchaͤd-
lichen Einquartierung zu dieſem mahl waren befreyet
blieben.
Am
[803]Romans II. Buch.
Am folgenden Morgen/ als der Paſtor noch nicht
wieder gekommen war von der Kirchweyh/ kam der
Burgermeiſter mit den 4. Aelteſten der Gemeine/
und allen Kindern in dem Flecken/ und ſtellete ihnen
den Troll/ als ihren Schul-Rector vor. Ein jeder
Knab hatte etwas zum Geſchenck gebracht/ der eine
Geld/ der andere einen Schincken/ ein anderer eine
Methwurſt/ ein anderer Eyer/ ein anderer Butter
oder ſonſten etwas/ der Burgermeiſter hielte eine
kleine Rede an die Jugend/ und ermahnete ſie/ ihrem
Lehrmeiſter zu gehorchen. Darauf ſetzte ſich Troll
auf einen Stuhl/ und fragte die Knaben/ einen nach
dem andern/ was ſie gelernet/ und wie weit ſie gekom-
men waͤren. Er fragte ſie auch auß dem Catechiſmo
und Pſalmen. Und endlich gieng der Burgermeiſter
und andere Maͤnner wieder nach Hauß/ nach dem
Jener den Rector dieſen Mittag zu Gaſt gebetten
hatte. Wie endlich die Mittags-Stunde heran
nahete/ gieng Troll auß dem Schul-Hauß/ und fand
nahe bey dem Rath-Hauß/ zu allem Ungluͤck/ den
Onello auf einem Stuhl ſtehen/ welcher ſich als ein
Quackſalber angekleidet hatte/ und ſeine falſche
Waaren feil botte. Troll erkannte ihn/ hielt ſich aber
vor ihm verborgen/ und gieng nach der Kirchen/ wo
er alſobald die Sturm-Glocke zog/ und wie darauf
Jedermañ herzu ſprang/ zu vernehmen/ was zu thun
ſeyn moͤchte/ da ſprach er zu den Maͤnnern: Jhr gute
Freunde/ ich habe euch ſchon viel Dienſte gethan/ und
gedencke deren noch viel mehr zu thun/ aber ich muß
euch jetzo etwas ſagen/ dort bey dem Rath-Hauß
ſtehet ein Quackſalber/ welcher mir ſamt ſeinen Ca-
meraden vor wenig Tagen mein Pferd/ Kleider/ und
alles/ was ich hatte/ auf offentlicher Straſſen abge-
nommen. Er gibt ſich vor einen Marckſchreyer auß/
E e e 2und
[804]Deß Academiſchen
und verſtehet nichts weniger/ als dieſes/ darum helffet
mir/ das ich das Meinige wieder bekommen moͤge.
Jetzo kan ich wieder darzu gelangen/ ſonſten gehet
der Vogel durch/ und ich habe das leere Nachſehen
darvon.
Hierauf rieff der helle Hauffen: O ſchlaget den
Schelmen/ den Rauber/ den Moͤrder/ den Leutbe-
ſcheiſſer todt/ er hat nichts beſſers verdienet/ ſo geſa-
get/ ſo fortgeſprungen/ Troll lieff voran mit ſeinem
Schulmeiſters-Kleid/ aber wie ſie zum Rath-Hauß
kamen/ war Onello, der Boltſchafft von ſeinem Un-
gluͤck bekommen/ ſchon durchgangen/ darauf forſchete
man nach/ wo ſein Pferd ſtuͤnde/ und ward ſolches in
einer Herberg ohnweit darvon gefunden/ da es Troll
in ſeine Schul-Wohnung zohe/ und gedachte: Nun
wolan/ nun ſoll es beſſer gehen/ ich wil hinfuͤhro rei-
ten/ ich habe gnug zu Fuß gegangen. Auf den Nach-
mittag kamen die Schul-Knaben wieder/ denen er
einen Hauffen Zeugs fuͤrſchwatzete/ daß ſie meyneten/
ſie haͤtten einen Propheten zum Lehrer bekommen.
Aber Troll hoͤrete einen zu Pferd herein reiten/ dero-
wegen ſahe er auß dem Fenſter/ und erblickete den
Cavina. Er ſprang mit beyden Fuͤſſen die Stiege
hinab/ riſſe die Hauß-Thuͤr auf/ und rieff Jenem mit
vollem Halß. Cavina kannte ihn in dem Schulmei-
ſters-Kleide nicht/ wolte ſich demnach an ihn nicht
kehren/ derowegen lieff ihm Troll uͤber die Straſſen
ein Stuͤck Weges nach/ und brachte ihn zum Stand/
da ſich dann Jener creutzigte und verwunderte/ wie er
ihn in ſolchem Habit finden ſolte. Troll aber noͤthigte
ihn zu ſich/ und erzehlete ihm kuͤrtzlich/ wie es ihm ſeit
ihrer letzten Treñung ergangen waͤre/ und Cavina mel-
dete dargegen mit wenigem/ wie er die erſte Nacht im
Wald geſchlaffen/ und am folgenden Tag vom Pferd
geſtuͤrtzet/
[805]Romans II. Buch.
geſtuͤrtzet/ da er einen ſo ſchweren Fall gethan/ daß er
etliche Tage ſich in einem Staͤdtlein habe muͤſſen im
Bette halten. Troll nahm ihm alſo fuͤr/ mit ihm
heimlich darvon zu reiten/ weil er ſich doch nicht zum
Schulmeiſter ſchickete/ und darauf ließ er die liebe
Jugend bey Zeiten nach Hauß gehen/ woruͤber ſich
dieſelbe hoͤchlich erfreuete.
Hierauf lieff Toll zu Krachbeins Dirne/ und
erſuchte ſie/ daß ſie ihm etwas zurecht machen moͤch-
te von den Speiſen/ die ihm waͤren geopffert wor-
den. Dieſe war darzu gantz willig/ ſchlug Eyer in die
Pfanne/ briethe Wuͤrſt/ kochete einen Schincken und
ließ ſich geſchaͤſftig finden. Alſo hielten ſie dieſen
Abend gantz allein eine froͤliche Mahlzeit/ legten ſich
endlich zuſammen ſchlaffen/ und am folgenden Mor-
gen ſehr fruͤh ſtunden ſie auf/ ſattelten die Pferde/
und nachdem Troll von den ihm geopfferten Speiſen
ſo viel/ als er immer faſſen kunte/ in ein Bett-Tuch
von dem geliehenen Bette/ hinter den Sattel ge-
bunden/ ſetzten ſie ſich auf/ und ritten zum Thor hin-
auß; Jedoch hat Troll vorher einen Brieff auf dem
Tiſch liegen laſſen/ dieſes Jnnhalts:
auch einfaͤltigen Burgermeiſter und naͤrriſche
gantze Gemeinde zu Stachelfeld.
JHr elende Tropffen/ wollet ihr einen Hinter-Paucker ha-
ben/ ſo ſchaffet euch einen/ ich bin zum Reiten gebohren/
und nicht zum Sitzen/ viel weniger zum Schul-ſchwitzen. Jch
habe mein Pferd/ darum habe ich mich aufgeſetzet/ und gehe
ich gerades Weges zu dem Kaͤyſerl Obriſten/ bey welchem ich
Dienſte genommen habe. Dann ich bin Roͤmiſch/ darum
ſchicke ich mich in keine Calviniſche Kirche. Adjeu, lebet wol
oder uͤbel/ mir gilt es gleich viel.
Er hatte mit Fleiß von dem Obriſten gedacht/
damit ihn die Leute nicht verfolgen moͤchten/ worfuͤr
E e e 3ihm
[806]Deß Academiſchen
ihm bange war. Sie ritten ſtarck fort/ und hatte Troll
ſeinen Mantel und ſchwartzes Kleid an/ worinn er
einen recht poſſierlichen Reuter præſentirete. Unter
Weges/ etwas mehr als eine Meile von Stachel-
feld/ kamen etliche berittene Bauern hinter ihnen
drein/ da dann Troll ſchon bange war/ auß Beyſorge/
dieſe moͤchten ihm etwas geben/ das ihm nicht lieb
waͤre/ darum gaben ſie den Pferden die Peitſche zu
fuͤhlen/ und ritten ſo ſtarck/ als es den Thieren moͤg-
lich war. Aber die Bauren nahmen einen andern
Weg/ dann ſie wuſten Beſcheid daſelbſt/ und kamen
dieſen doch zuvor. Als ſie in einem kleinen Doͤrfflein
einander begegneten/ da rieffen die berittenen Bau-
ren ſehr ungeſtuͤmmiglich: Herunter ihr Schelmen/
und gebet herauß/ was ihr geſtohlen habt. Das ſaget
uns kein ehrlicher Mann nach/ daß wir geſtohlen ha-
ben/ ſprach Cavina; Aber einer von den Bauren be-
ſahe deß Trollen Buͤndel/ in welchem alle Eyer zer-
brochen waren/ daß der Safft herauß floſſe; Siehe
da/ ſprach der Bauer/ du biſt gnug verrathen/ hier
ſind meines Nachbarn Eyer. Troll wolte ſich mit
dieſen Leuten nicht lange zancken/ machte demnach
den Buͤndel loß/ und gab ihnen alles mit einander/
ſchwur auch darbey/ daß es ſeine eigene ihm geſchen-
ckete Sachen waͤren/ aber die Bauren glaubten es
nicht/ dann etliche Soldaten/ von den vorgedachten/
waren uͤber Nacht in ihr Dorff geſchlichen/ und hat-
ten viel weggeſtohlen/ worfuͤr man den Cavina und
Trollen anſahe/ wie aber dieſe mit gnugſamen Um-
ſtaͤnden ſich herauß wickelten/ gaben ſich die Bauren
zufrieden/ hielten alſo ins geſamt am Mittag eine
gute Mahlzeit von deß Trollen Speiſen/ und darauf
ritte ein Jeder wieder ſeines Weges. Es hatte Ca-
vina weiter keinen Anſtoß unter Weges/ darum ka-
men
[807]Romans II. Buch.
men ſie in 3. Tagen gluͤcklich an den Boden-See/ da
ſie ſich in einem Dorff zu Schiffe ſetzeten/ um/ nach
Schafhauſen zu fahren. Jn dieſem Schiff fand ſich
ein Geiſtlicher ein/ ſamt einem Edelmann/ der wol
geraͤyſet hatte. Dieſe hatten auch ihre Pferde mit in
dem Schiff/ und weil Troll ſo wol als Cavina annoch
keinen Mangel an Geld hatten/ waren ſie gutes
Muths/ und hoffeten/ zu Baſel bald zu ihrem Herꝛn
zu gelangen. Jnzwiſchen lieſſen ſich dieſe Raͤyſe-
Gefaͤhrten unter Weges bey dem ſchoͤnen Wetter in
ein freundliches Geſpraͤch ein/ und weil Cavina ein
Buch in der einen Taſchen ſtecken hatte/ welches ein
wenig herauß guckete/ forſchete der Edelmann/ was
es fuͤr ein Buch waͤre? Cavina ſprach: Es iſt eine
Beſchreibung Teutſchlandes/ und habe ich es zu mir
geſtecket/ meine Zeit unter Weges etwa dardurch zu
kuͤrtzen; Unſer Diſcurs aber gefaͤllet mir ſo wol/ daß
ich darinn zu leſen gar nicht Urſach habe. Gleichwol
haben wir es den Buͤchern zu dancken/ daß wir die
Zeit ſo annehmlich vertreiben koͤnnen. Was iſt ein
Menſch/ der keine Kundſchafft guter Buͤcher hat?
Alcibiades kam einmahls in eine Schul/ und begehr-
te die Buͤcher deß Homeri; Der Schulmeiſter gab
ihm zur Antwort: Er haͤtte dieſelbe nicht. Darauf
gab ihm Alcibiades einen Schlag/ und ſagte zu ihm:
So biſt du ein Narꝛ/ und machſt naͤrriſche Lehrlinge.
Wie naͤrriſch muͤſſen dann die Menſchen ſeyn/ die
gar keine Buͤcher haben?
Hierauf ſprach der Geiſtliche: Wie naͤrriſch
muͤſſen dann die Menſchen ſeyn/ die die Bibel nicht
haben/ noch leſen. Man kan ſonder Buͤcher wol
durch die Welt raͤyſen/ und etwas klug werden; Wer
aber die Bibel nicht hat/ iſt viel zu naͤrriſch/ in den
Himmel zu kommen. Als die Heydniſche Preuſſen
E e e 4zum
[808]Deß Academiſchen
zum erſten mahl Buͤcher bey den Chriſten ſahen/ ver-
meynten ſie/ die Buͤcher waͤren Goͤtter/ weil ſie ein-
ander dardurch verſtehen und unterweiſen koͤnten;
Sie waren gewohnet Kerben in einen Stock/ und
Knoͤpffe an ein Seil zu machen/ wordurch ſie die Zei-
ten und andere Dinge zu bemercken pflegten. Was
muͤſſen ſie dann geurtheilet haben/ als man ihnen die
H. Schrifft hat bekandt gemacht. Die Unwiſſenheit
guter Buͤcher verurſachet/ daß mancher Menſch in
ſeinem naͤrriſchen Jrꝛthum ſtecken bleibet. Als der
Paͤpſtliche Geſandte in Teutſchland/ Petrus Verge-
rius, wieder nach Rom kam/ ſolte er Cardinal werden.
Die Ohrenblaͤſer brachten dem Papſt vor/ er waͤre
ein Lutheraner/ weil er ſich mit denſelben offtmahls
unterredet hatte. Damit er nun dieſe Laͤſterung von
ſich ableinen moͤchte/ ſchrieb er ein Buch wider Luthe-
rum; Weil er nun deßwegen ſeine Buͤcher laſe/ ſo
ſahe er erſtlich in was Jrꝛthum er ſelber ſtacke/ dero-
wegen verließ er das Papſtthum und ward Profeſſor
zu Tuͤbingen.
Cavina fuhr fort: Daß die Buͤcher nunmehr
ſo bekandt ſeyn/ das haben wir Lorentz Coſtern zu
dancken/ welcher zu Harlem im Jahr 1450. die
Drucker-Kunſt erfunden hat/ er machte erſtlich hoͤl-
tzerne/ nachgehends zinnerne Buchſtaben. Das erſte
Buch/ ſo er gedruckt/ iſt noch zu Harlem zu ſehen.
Durch dieſes Mittel ſind die Buͤcher ſehr vermehret
worden/ wiewol auch vor dieſen Zeiten viel Buͤcher in
der Welt geweſen ſind. Serenus vermachte ſeinem
Juͤnger Gordiano ſeine Bibliotheck, beſtehend in
62000. Buͤchern. Die Tuͤrcken/ welche doch Fein-
de der Druckereyen ſind/ haben doch nichts deſtowe-
niger von alten Zeiten her ſehr viel Buͤcher gehabt.
Zu Fez findet man in der Academie 32000. Buͤcher/
alle
[809]Romans II. Buch.
alle in Arabiſcher Sprach. Die Tuͤrcken ſelbſt wollen
die Warheit ihres Glaubens hiermit beweiſen/ weil
von denſelben ſo viel Buͤcher geſchrieben ſind.
Der Geiſtliche replicirte: Dieſer Beweiß iſt
eben ſo beſchaffen/ als derſelbe deß Gothardi, welcher
die Roͤmiſche Lehr auch damit wolte gut machen/ weil
ſie mehr Buͤcher darvon/ als ihre Gegentheile Haar
auf den Haͤuptern haͤtten. Aber die artige Rede
Koͤnig Ludwigs deß XI. ſolte ſich hieher nicht uͤbel
ſchicken; Dieſer ſahe einen ungelehrten Mann/ der
viel Buͤcher hatte/ und ſagte: Er iſt gleich wie ein
Mann mit einem Buckel/ und wie ein Eſel mit einem
groſſen Pack beladen.
Der Edelmann ſprach jetzo: Jch fragte eins-
mahls die Tuͤrcken/ warum ſie keine gedruckte Buͤcher
haͤtten? Sie gaben mir zur Antwort: Man hat ge-
ſchwind Buͤcher gnug/ um wol zu leben/ durch das
Drucken kommen viel Buͤcher in die Welt/ welche
nur beſchwerlich ſind; Und was das Aergſte iſt/ das
Drucken macht/ daß unter den Chriſten ſo viel boͤſe
Buͤcher ſind/ deßwegen halten wir nichts von dem
Drucken.
Der Geiſtliche ſprach: Es iſt zu erbarmen/ daß
dieſe herꝛliche Kunſt ſo mißbraucht wird/ und iſt den
Chriſten eine Schand/ daß uns die Tuͤrcken ſolches
mit Wahrheit verweiſen koͤnnen. Nachdem Sure-
nas, der Parther Oberſte/ den Roͤmer Craſſum uͤber-
wunden/ fande er im Pluͤndern etliche geile Poetiſche
Gedichte/ dieſe zeigete er ſeinem Volck/ und ſagte
Spott-Weiſe: Sehet/ die Roͤmer koͤnnen ſich auch
im Lager ſelbſten der boͤſen Buͤcher nicht enthalten.
Das war eine Verſpottung eines Heyden gegen ei-
nem andern. Was ſoll man aber von den geilen
Buͤchern der Chriſten ſagen? Wol das Jenige/ was
E e e 5man
[810]Deß Academiſchen
man von Commodo, dem angenommenen Sohn deß
Kaͤyſers Adriani geſaget: Daß er allezeit die Liebes-
Gedichte deß unzuͤchtigen Ovidii und Martialis bey
ſich im Bette gehabt?
Worauf Cavina: Es ſind auch allerley boͤſe
Buͤcher in der Welt geweſen/ ehe die Drucker-Kunſt
erfunden worden/ jedoch ſo kommen ſie durch das
Drucken vielmehr in jedermaͤnnigliches Haͤnden.
Colotes ſchrieb ein Buch von der Epicuriſchen Sect/
welche rechte Maſt-Schwein waren/ gleichwol ſetzte
er dieſes auf den Titul deß Buchs: Man koͤnte nach
den Reguln anderer Welt-Weiſen nicht leben. Die-
ſer Titul war noch nicht ſo ſchroͤcklich/ als derſelbe/
welcher auf zweyen Buͤchlein/ die Caligula gemacht
hatte/ ſtunde/ die Titul derſelben/ als ſie gefunden
worden/ waren dieſe: Gladius \& Pugio, Schwerdt
und Dolchen. Er vermeynte dardurch viel Leute ums
Leben bringen zu laſſen.
Darauf ſprach der Geiſtliche: Was ſind die
Titul auf den Buͤchern der Jrꝛ-Geiſter anders/ als
daß man durch ihre Sect allein wol leben koͤnne?
Man findet derſelben/ die auf den Tituln auch
Schwerdt und Dolchen fuͤhren/ die Seelen zu er-
morden/ Ja/ GOtt ſelbſten/ wann es moͤglich waͤre/
von dem Thron herunter zu ſtuͤrtzen. Wie ſolcher
Geſtalt ein Photinianiſches Buch genennet wird:
Ein grobes Geſchuͤtz/ die Dreyeinigkeit von dem
Thron herunter zu ſchieſſen. O der verfluchten hoͤlli-
ſchen Feder! Wider welche GOtt der HErꝛ ſein
Geſchuͤtz gerichtet hat.
Cavina fuhr fort/ und ſaget dieſes noch darzu:
Daß die Jenigen/ ſo boͤſe Buͤcher herauß geben/ noch
darzu in ihrem boͤſen Vorſatz verharren/ und lieber
alles verlieren/ als bekennen wollen/ daß ſie uͤbel ge-
than
[811]Romans II. Buch.
than haben. Labienus ſchrieb verſchiedene Buͤcher/
worinnen er dieſe und jene tapffer durch die Hechel
zohe/ daß man ihn deßhalben Rabienum, den Raſen-
den genennet. Der Roͤmiſ. Rath lieſſe ſeine Buͤcher
verbrennen/ welches ihn dermaſſen verdroß/ daß er
ſich in einen tieffen Keller ſperrete/ und darinnen
Hungers ſtarb. Wie nun ſein Freund/ Severus, ſeine
Buͤcher verbrennen ſahe/ ſagte er: Jch muͤſte auch le-
bendig verbrennet werden/ dann ich habe auß dieſen
Buͤchern viel Ding gelernet und nachgethan.
Der andere ſprach dargegen: Dieſe Halßſtar-
rigkeit war nicht allein bey den Heyden; Der Chriſt-
liche Biſchoff Heliodorus hatte ein Buch gemacht
von Mohrenland/ in welchem ſehr viel der Jugend
nachtheilige Sachen ſtunden. Die geiſtliche Ver-
ſammlung von Theſſalonich/ ſtellete ihm frey/ ob er
entweder das Biſthum verlieren/ oder geſtatten wol-
te/ daß man ſein Buch ſolte verbrennen. Er erwaͤhlte
den Verluſt ſeines Biſthums/ weil er lieber das
Biſthum/ als ſein Buch verlieren wolte. Dieſes ſind
die Fruͤchte deß Boͤſen. Die Liebe der eigenen Ehre
und Weißheit.
Darauf ſprach Cavina: Die Heyden ſind ſehr
fleiſſig geweſen/ ſchaͤdliche Buͤcher zu daͤmpffen. Die
Buͤcher deß Epicuri ſind verbrennet worden/ wie in-
gleichem zu Athen die Buͤcher deß Protagoræ, weil
darinnen dieſe Wort ſtunden: Ob Goͤtter ſind oder
nicht/ kan ich nicht ſagen. Er ſelbſt wurde verbannet/
und alle ſeine Guͤther eingezogen. Der Kaͤyſer Augu-
ſtus ließ einsmahls mehr dann 2000. Buͤcher ver-
brennen. Merck-wuͤrdig iſt auch das Jenige/ was
von den Buͤchern deß Numæ erzehlet wird: Es gru-
ben etliche Graͤber in der Erden/ und fanden etliche
Buͤcher/ die Numa Pompilius vor langer Zeit gemacht
hatte;
[812]Deß Academiſchen
hatte; Der Schultheiß P. Petilius merckte/ daß ſie in
vieler Haͤnde geriethen/ und der Religion nachtheilig
waͤren/ derowegen thate er ſolches dem Roͤmiſchen
Rath kund/ darauf wurde beſchloſſen/ man ſolte dem
Eigenthums-Herꝛn/ in deſſen Land die Buͤcher ge-
funden worden/ eine groſſe Summa Gelds geben/
und alsdann die Buͤcher verbrennen. Ob ſchon Numa
einer von den erſten Koͤnigen und Stifftern deß Roͤ-
miſchen Volcks geweſen.
Gluͤckſeelig waͤre das Chriſtenthum/ ſprach der
Geiſtliche/ wann es ſo gute Sorge truͤge gegen die
Buͤcher/ welche demſelben nachtheilig ſind. Die
Epheſer beſchwerten ſich nicht/ ihre boͤſe Buͤcher ſelbſt
zu verbrennen/ und das auf dem offentlichen Marckt.
Die Heyden beſchaͤmen uns in vielen Dingen. Plato
wolte/ man ſolte alle geile Poetiſche Buͤcher auß den
Staͤdten verbannen/ auch deß Homeri Buͤcher ſelb-
ſten/ die doch zu allen Zeiten ſo ſehr geprieſen worden.
Er ſelbſten fieng an/ etliche ſchaͤdliche Gedichte/ welche
er in ſeiner Jugend gemacht hatte/ in das Feuer zu
werffen. Als Virgilius auf ſeinem Tod-Bette lag/
wolte er haben/ daß man ſein Buch/ welches er von
der Didone gemacht/ verbrennen ſolte. Die Lacedœ-
monier verbanneten die Gedichte Archilochi auß der
Stadt. Lobens-wuͤrdig ward derohalben die Vor-
ſichtigkeit Papſts Pii II. der/ ehe er Papſt worden/
deß Koͤnigs in Ungarn/ Ladislai, Lehrmeiſter gewe-
ſen/ dieſer benahme dem jungen Fuͤrſten alle Buͤcher
der geilen Poeterey.
Cavina redete weiter: Auſſer dem/ daß es viel
ſchaͤdliche Buͤcher in der Welt gibt/ ſo ſind ihrer auch
viel ſo kahl und ſchlecht/ daß ſie nicht Leſens-werth
ſeynd. Heraclides gieng dem Koͤoig Ptolomæo mit
einem Buch in der Hand/ welches er gemacht hatte/
entge-
[813]Romans II. Buch.
entgegen/ der Koͤnig wolte es beſehen/ als er nun fand
daß Heraclides das Buch Ponos, oder die Arbeit ge-
nennet/ kratzte er den erſten Buchſtaben auß/ ſo hieſſe
es Onos, ein Eſel; Viel Buͤcher ſind keines beſſern
Tituls wuͤrdig.
Worauf der Geiſtliche: Um der Urſachen wil-
len wolte Kaͤyſer Auguſtus nicht von einem Jeden ge-
lobet ſeyn/ ſondern er verlangte/ daß nur treffliche und
beruͤhmte Maͤnner ſein Leben und Thaten beſchreiben
ſolten/ er ſelbſt machte ein Buch von Ajace, welches
er lang unter Haͤnden hatte/ weil es ihm aber nicht
nach ſeinem Sinn fortgehen wolte/ thaͤte er alles auß.
Als er gefraget ward/ wie es mit ſeinem Ajace gienge?
Gab er zur Antwort: Er hat mit dem Schwamm
gefochten. Unſere Zeit waͤre gluͤckſeeliger/ wann es
mit vielen Buͤchern alſo hergangen waͤre/ bevorab
aber zu unſern jetzigen Zeiten/ da deß Schreibens kein
Ende iſt/ und man mit dem Demoſthene wol ſagen
mag/ daß nicht Scripta geſchriebene/ ſondern Sculpta,
geſchnittene Sachen herauß kommen.
Man kan nicht Jedem/ ſagte Cavina, nach ſei-
nem Sinn und Kopff ſchreiben/ wiewol auf eines
Jeden Urtheil nicht viel zu geben iſt. Als Cato ein
gewiſſes Buch außgeben wolte/ ſagte er: Jch weiß/
daß meine Schrifften von vielen werden durchhechelt
und getadelt werden; Aber das werden die Jenige
thun/ die ſelbſt keine Ehre bey ſich haben. Solcher
Leute Reden laß ich als den Wind vorbey wehen.
Worauf der Geiſtliche: An dem Durchziehen
und Tadlen iſt wenig gelegen/ die beſte und nuͤtzlichſte
Sachen muͤſſen das Meiſte leyden/ wie wir dieſes in
unſern Predigten taͤglich gewahr werden. Die Urſach
deſſen iſt manchmahl der bloſſe Neyd/ welcher Fehler
unter den Gelehrten ſehr gemein iſt. Plato und Xe-
nophon
[814]Deß Academiſchen
nophon waren ſo neydiſch auf einander/ wiewol einer
dem andern ſehr bekandt/ dann ſie beyde Socratis Juͤn-
ger geweſen waren/ daß auch einer deß andern Na-
men oder Schrifften in ihren Buͤchern nicht anziehen
mochte.
Cavina ſprach: Hunniades und Capiſtranus, bey-
de Feld-Obriſten/ ſchlugen im Jahr 1456. das Laͤger
deß Tuͤrckiſchen Kaͤyſers Mahomets/ beyde beſchrie-
ben dieſen Sieg/ aber ſie waren ſo neydiſch auf einan-
der/ daß auch einer deß andern Namen nicht einmahl
nennete. Die Schreiber der H. Bibel erweiſen hier-
innen ihren geiſtlichen Antrieb/ und daß ſie von dieſer
fleiſchlichen Gemuͤths-Regung befreyet geweſen/
weil ſie einander nennen und loben. Ein groſſer Feh-
ler iſt es an den Buͤcher-Schreibern/ daß ſie die Ehr
weiſer und gelehrter Leute allein haben wollen/ und
andere Wercke darneben verachten. Die weiſe Buͤ-
cher Gregorii deß Groſſen/ ſind auß Neyd verbrennet
worden/ auſſer die Jenigen/ welche Paulus Diaconus
verwahret hat. Der Roͤmiſche Schreiber Severus
durchraͤyſete die gantze Welt/ ſuchte alle ſeltene und
unbekandte Buͤcher auf/ auß denſelben nahm er die
Beſte herauß/ und begrub ſie dann unter die Erden/
damit ſie Niemand finden ſolte. Der Kaͤyſer Tibe-
rius aber/ erzeigte ſich auß Neyd viel grauſamer; Er
ließ den Geſchicht-Schreiber Cremurium toͤdten/
vorgebend/ er habe in ſeinen Buͤchern den Brutum
und Caſſium gelobet/ wie ingleichem den Scaurum,
weil er in ſeinen Buͤchern veraͤchtlich von dem Aga-
memnone geſchrieben habe. Die rechte Urſach aber
war/ weilen ſie den Tiberium nicht gnugſam geprie-
ſen hatten.
Der Geiſtliche ſprach hierauf: Der Neyd iſt
eine Urſach vieler boͤſer Dinge. Man muß aber auch
wol
[815]Romans II. Buch.
wol bedencken/ wie man mit groſſen Leuten umgehe.
Ariſtobulus hatte zum Lob deß Alexanders ein Buch
verfertiget/ und laſe dieſes/ als er mit dem Koͤnig zu
Schiffe fuhr; Alexander ſagte zu ihm: Die Lob-
Preiſung waͤre all zu groß; Darauf ſchmiß Ariſto-
bulus das Buch in das Waſſer/ und ſagte: Derowe-
gen biſt du auch werth/ daß man dich uͤber Bord
ſchmeiſſe. Vor allen Dingen muß man in Acht neh-
men/ daß man weder im Loben/ Schelten/ oder auf
einige andere Weiſe von der Warheit abweiche/
ſolcher Geſtalt faͤhret man am allerbeſten. Darum
ließ Carl der Groſſe in der hohen Schul zu Pariß die
Buͤcher deß Ariſtotelis leſen/ ſagend: Es haͤtte kein
Mann die Warheit ſo aufrichtig geſuchet und ge-
ſchrieben. Viel vortreffliche Maͤnner haben hierbey
uͤbergroſſe Arbeit gethan/ und viel Zeit angewendet/
ehe ſie ein Buch an das Tages-Liecht gegeben. Iſo-
crates iſt uͤber ſeinem Panegyrico, oder Lob-Rede/
10. Jahr beſchaͤfftiget geweſen. Plato hat ſeine Ge-
ſpraͤche uͤberſehen und verbeſſert biß in ſein 80. Jahr/
ehe er dieſelbige herauß gegeben. Als der Kaͤyſer
Nero ein Buch machen wolte/ laſe er vorher eine groſ-
ſe Menge Buͤcher durch/ ehe er die Feder auf das
Papier ſetzte. Die Sorgfaͤltigkeit anderer Maͤnner
iſt noch groͤſſer geweſen/ wahrhafftige Dinge zu be-
ſchreiben/ dann ſie verlieſſen ſich nicht auf das Jeni-
ge/ was andere geſaget und geſchrieben hatten/ ſon-
dern ſie wolten die Warheit der Sachen ſelbſt unter-
ſuchen/ ehe ſie darvon ſchrieben. Dioſcorides der Artzt
deß Antonii und der Cleopatra ſolte ein Buch von
den Kraͤutern und Metallen verfertigen/ derohalben
durchraͤyſete er erſt alle Landen/ und unterſuchte die
Beſchaffenheit dieſer Dinge ſelbſt. Dieſes wird auch
von den Schrifften deß H. Hieronymi bezeuget.
Gleicher
[816]Deß Academiſchen
Gleicher Geſtalt thaͤten auch Homerus, Galenus und
Herodotus. Saluſtius raͤyſete in Africam, um den
Jugurthiniſchen Krieg deſto beſſer zu beſchreiben;
Um der Urſachen willen war Diodorus Siculus 30.
Jahr mit ſeiner Geſchicht-Beſchreibung beſchaͤffti-
get/ weil er die Welt erſtlich durchraͤyſen/ und ſelber
alles vernehmen wolte. Als Ptolomæus See- und
Land-Karten verfertigen/ und eine Beſchreibung
daruͤber machen ſolte/ fuhr er ſelbſten die Landſchaff-
ten mit hoͤchſter Gefahr rund um. Zu dem Ende raͤy-
ſete Andalonus durch die Welt/ damit er alle Oerter
deß Himmels ſelbſten beſehen/ und dardurch ſeine
Stern-Kunſt deſto ſicherer ſtellen moͤge. Solche
verfertigte Buͤcher ſind Leſens-werth; Wiewol ver-
ſichert ſind wir Chriſten dann wegen der Goͤttlichen
Buͤcher/ welche nicht auß eigenem Willen/ ſondern
durch Himmliſchen Antrieb herfuͤr gebracht worden!
Wie koͤnnen wir dieſelbige hoch gnug ſchaͤtzen/ wann
wir betrachten/ wie hoch man die Menſchliche
Schrifften geachtet hat. Ariſtoteles kauffte etliche
wenige Buͤcher/ die Speuſippus geſchrieben/ vor 3. Ta-
lenta. Plato, als er in Armuth gerathen/ gab vor die
Buͤcher deß Philolai bey nahe all ſein Einkommen.
Alexander verehrte dem Ariſtoteli vor ſein Thier-
Buch/ uͤber ſeine angewandte Unkoſten 400000.
Kronen. Octavia, die Schweſter Kaͤyſers Auguſti,
ſchenckte dem Virgilio vor 21. Verſe/ die er uͤber den
Tod ihres Sohns Marcelli gemacht/ 5000. fl.
Cavina ließ ſich jetzo alſo vernehmen: Der Kaͤy-
ſer Severus gab dem Oppiano, welcher Verſe von der
Natur der Fiſche gemacht hatte/ und wie man dieſel-
bige fangen muſte/ vor jeglichen einen Gold-Guͤlden/
darum werden dieſe Verſe noch unter den Gelehrten
guͤldene Verſe genennet. Dieſe Buͤcher geben nur
Ver-
[817]Romans II. Buch.
Vergnuͤgen und Weißheit in irꝛdiſchen und nichti-
gen Dingen; Die Lehr-Saͤtze aber in der Bibel ſind
die rechte guͤldene Verſe/ weil dieſelbige uns lehren/
wie man die Seelen erkennen/ fangen und ſeelig
machen ſoll. Die Liebe/ welche jene groſſe Leute zu
allen guten Buͤchern getragen/ ſolte billich groͤſſer
ſeyn in uns/ gegen die H. Schrifft/ damit uns die Hey-
den nicht uͤberzeugen koͤnnen. Alexander hatte alle-
zeit die Buͤcher deß Homeri unter ſeinem Haupt-
Kuͤſſen ligen/ bey Tag fuͤhrete er dieſelbe in einem
koͤſtlichen Kuͤſtlein eingeſchloſſen mit ſich herum.
Als Codrus gefraget wurde/ wornach er ſo ſchleunig
zugienge? Sagte er: Nach meinem Liebling zu/
wordurch er die Buͤcher deß Homeri verſtunde. So
ſolte ein Chriſt gegen die Bibel geſinnet ſeyn/ dieſes
Buch iſt unſer rechter Liebling. Koͤnig Alphonſus
hatte zu ſeinem Zeichen ein offenes Buch. Auß den
eroberten Staͤdten begehrte er vor ſeine Beute nichts
anders/ als die Buͤcher. Seine Leß-Stunden ver-
ſaͤumte er nirgends um/ und hatte allezeit Buͤcher
auf ſeinem Bette ligen/ offtmahls ſagte er: Er wolte
lieber alle ſeine Schaͤtze/ dann ein einiges von ſeinen
Buͤchern verlieren. Ein offenes Buch iſt ein rech-
tes Zeichen eines weiſen Manns/ abſonderlich vor
einen Chriſten eine offene Bibel/ maſſen man von
allen Buͤchern/ alſo auch von der Bibel keinen Nutzen
hat/ wann man dieſelbe nicht aufſchlaͤget. Sehr wol
redete Laurentius Medices: Picus und andere gelehrte
Maͤñer muſten mich dergeſtalt aufmuntern/ Buͤcher
zu kauffen/ daß ich auch/ als ich kein Geld mehr ge-
habt/ meinen eigenen Haußrath darfuͤr verpfaͤndete.
Das Kauffen aber iſt nicht gnug/ man muß dieſelbe
auch leſen. Ein ſolcher Liebhaber war Alphonſus, er
kauffte und laſe/ er liebte die Buͤcher dergeſtalt/ daß
F f fer ſie
[818]Deß Academiſchen
er ſie alle ſauber binden lieſſe. Als er das Caſtell zu
Neapolis wieder aufbauen lieſſe/ muſte man ihm deß
Vitruvii Buch von der Bau-Kunſt bringen. Wie er
nun ſahe/ daß es ſehr uͤbel gebunden war/ ſagte er:
Laſſet es ſauber binden/ dann es ſtehet gar uͤbel/ daß
das jenige Buch ungedecket ſey/ welches unslehret/
ſo wol gedeckt zu ſeyn.
Der Geiſtliche ſprach darauf: Es ſtehet auch
nicht wol/ daß GOttes Buch in Verachtung ſeye/
welches uns lehret/ wie wir recht geehret werden koͤn-
nen. Uber den Band der Bibel kan ich zwar nicht
klagen/ der Pracht ſteiget hoch genug/ wann es nur
auß Lieb und Ehre zu GOttes Wort geſchicht.
Manche Jungfern aber ſchaͤmen ſich/ die Bibel oder
ein Teſtament nach der Kirchen zu tragen. Ein Zeichen
einer kleinen Liebe zu dieſem H. Buch. Wann Sili-
cæus, Biſchoff zu Toledo, Buͤcher bey den Buch-
haͤndlern kauffte/ ſo trug er dieſelbige allezeit ſelbſten
nach Hauß. Als man zu ihm ſagte: Daß er dieſes
durch ſeinen Knecht thun laſſen ſolte; Gab er zur
Antwort: O nein/ die Buͤcher haben mich geehret/
ſo muß ich ſie auch ehren. Die groͤſte Ehre aber iſt
dieſe/ daß man die Buͤcher wol durchleſe/ und ſich die-
ſelbe zu Nutz mache.
Der Edelmann lachete und ſprach: Mit Buͤcher-
kauffen bin ich einmahls uͤbel angelauffen; Die Tuͤr-
cken verkauffen alle Freytag nach ihren verrichteten
Gebeten und Predigten bey ihren Kirchen einige
Buͤcher/ ich gienge auch dahin/ und wolte ein Buͤch-
lein kauffen/ ſie fiengen aber ſo ſchnell mit Steinen
auf mich zu zuwerffen/ daß ich gnug zu thun hatte/
meinen Leib zu verbergen.
Worauf Cavina: So gehet es daſelbſten zu/
die Tuͤrcken wollen ihre Buͤcher nicht in fremden
Haͤn-
[819]Romans II. Buch.
Haͤnden haben. Sie verkauffen die Buͤcher nicht
gantz/ ſondern nur Stuck-Weiß/ alſo/ daß man auch
faſt kein gantzes Buch bekommen kan. Sie wollen
weder Juden oder Chriſten bey ihrer Buͤcher-Ver-
kauffung leyden/ auch koͤnnen ſie ohne Lebens-Gefahr
keine Tuͤrckiſche Buͤcher bekommen. Alſo wollen ſie
auch nicht dulden/ daß ihr Volck der Chriſten Buͤcher
leſen ſoll. Die Tuͤrcken haben eben dieſelbige Urſach/
die Kaͤyſer Julianus hatte/ warum er die Heydniſche
Buͤcher den Chriſten benahm/ ſagend: Auf daß wir
durch unſere eigene Federn nicht verwundet werden.
Dieſe Sorge iſt bey den Chriſten nicht zu finden/
alle Buͤcher kan man bey uns bekommen/ der Man-
gel aber iſt nur allein am Leſen. Gute Buͤcher muß
man was genauer leſen und gebrauchen. Arceſilaus
laſe alle Morgen und Abend etwas in den Buͤchern
Homeri. Als Plato auf ſeinem Tod-Bette lag/ im
82. Jahr ſeines Alters/ da lag noch unter ſeinem
Haupt-Kuͤſſen Sophronis Buch. Avicenna war noch
ein Schul-Jung/ gleichwol hat er die Metaphyſic
40. mahl/ und den Euclidem 5. mahl durchgeleſen/ ab-
ſonderlich ſolte man alſo mit der Bibel verfahren.
Alpharabus, ein Tuͤrckiſcher Lehrer/ fand auf ſeiner
Raͤyſe von ungefaͤhr das Buch Ariſtotelis von dem
Gehoͤr/ daſſelbe laſe er auch 40. mahl durch/ und
ſchriebe noch darauf dieſe Worte: Jch wil es noch
wol einmahl leſen. Alphonſus hatte allezeit bey ihm
die Buͤcher deß Julii Cæſaris, und laſe alle Tag dariñ.
Es iſt aber mit dem Leſen nicht allein gnug/ man muß
alſo leſen/ daß man Nutzen und Vortheil darvon
habe. Als Æmilius den Macedoniſchen Koͤnig Per-
ſeum uͤberwunden/ und viel Schaͤtze geraubet hatte/
begehrte er vor ſich ſelbſten nichts anders/ als die Koͤ-
nigl. Bibliotheck; die Urſach aber deſſen war/ damit er
F f f 2ſeine
[820]Deß Academiſchen
ſeine Kinder durch die Buͤcher wol unterweiſen moͤge.
Deß Geiſtlichen Zwiſchen-Rede war dieſe: Solcher
Geſtalt muß man leſen/ und zwar mit ſo groſſer An-
dacht/ als Santes thaͤte/ derſelbe gieng nach einem
Schauſpiel/ und kauffte unter Weges ein Buͤchlein/
in welchem er unter waͤhrendem Schauſpiel ſo emb-
ſig laſe/ daß er nachgehends geſtunde/ er wuſte nicht/
was geſpielet worden waͤre. Dieſes Leſen iſt nutzlich.
Zu wuͤnſchen waͤre es/ daß wir die Goͤttliche Buͤcher
ſo embſig lieſen/ und keine Luſt haͤtten/ das Weltſpiel
anzuſehen. Mit dem Leſen aber iſt es nicht gnug/ die
Frucht muß auch darzu kommen/ man muß was im
Gedaͤchtnuͤß behalten. Carl der Fuͤnffte fragte offt-
mahls ſeine Hof-Leute/ was ſie deß Tags uͤber geleſen
und behalten haͤtten? Kaͤyſer Claudius konte den
Homerum ſo fertig außwendig/ daß er bey aller vor-
fallender Begebenheit ſeine Verſe beybringen konte.
Wie wol ſolte es mit den Chriſten ſtehen/ wann ſie
ſo wol die Bibel zu gebrauchen wuͤſten. Es iſt mit
derſelben nicht alſo/ gleich wie mit den Buͤchern deß
Peter Lombardens bewandt/ dieſe waren in ſolcher
Achtung/ daß man den Jenigen zum Doctor in der
Theologie machte/ der nur ſagen konte/ daß er es mit
denſelben hielte.
Worauf Cavina: Um der Urſach willen/ hatte
Avicenna allezeit ein Schreib-Buͤchlein bey ihm/ das
Jenige/ was er laſe/ aufzuzeichnen und zu behalten.
Alſo kan man mit den Buͤchern rechten Nutzen ſchaf-
fen. Franciſcus I. Koͤnig in Franckreich/ laſe ſo fleiſſig
in den Buͤchern/ daß er dardurch die zerfallene Ge-
lehrigkeit wieder aufrichtete. Ludwig der XII. be-
ſtellete ſeine Regierung nach den Buͤchern deß Julii
Cæſaris, und dieſes iſt kein Wunder/ dann Julius Cæſar
ſtund zu Rom auf einer Welt-Kugel abgebildet/ in
der
[821]Romans II. Buch.
der einen Hand hielte er ein Schwerdt/ und in der
andern ein Buch/ mit dieſen Worten: Ex utroque
Cæſar, durch dieſe Beyde bin ich Kaͤyſer worden.
Gluͤckſeelig ſind die Chriſten/ ſagte der Vorige/
die alſo die H. Schrifft leſen/ daß ſie nach derſelben
ihr boͤſes Leben beſſern/ und regieren moͤgen/ und ſolte
dieſes billich unſer Wahl-Spruch ſeyn: Ex uno victo-
res, durch ein Buch koͤnnen wir die Welt uͤberwin-
den/ welches Buch ſelbſten ein geiſtliches Schwerdt
iſt. Als Franciſcus I. Koͤnig in Franckreich in Spa-
nien gefangen war/ laſe er ſehr viel/ wie er nun loß
kam/ ſagte er: Die Buͤcher waͤren ſein groͤſter Troſt
geweſen. Als Alphonſus kranck darnieder lag/ fand
er keine Huͤlff bey den Aertzten/ derowegen fieng er an/
um die Zeit zu vertreiben/ den Q. Curtium zu leſen/
wormit er ſich ſo ergoͤtzete/ daß er daruͤber geſund
ward/ und dahero den Curtium ſeinen beſten Artzt
nennete. Wie man ihn nachgehends fragte: Was
er am meiſten achtete/ die Waffen/ oder die Buͤcher?
Gab er zur Antwort: Durch die Buͤcher lerne ich die
Waffen recht gebrauchen. Dannenhero haben die
Gothen nicht recht gethan/ als ſie den Athenienſern/
nachdem ſie ihre Stadt eingenommen hatten/ die
Buͤcher wieder gaben/ ſagende: Laſſet die Griechen
ihre Buͤcher behalten/ dann dardurch werden ſie
ſchlechte Soldaten. Dieſes alles aber iſt nichts gegen
GOttes Buch/ welches unſer groͤſter Troſt iſt/ dann/
wann man nirgends Rath gegen die Seelen-Kranck-
heitfin den kan/ ſo iſt die Bibel unſer allerbeſter Artzt.
Ein Buch ſchaffet mehr Nutzen als das andere/
war deß Cavina Antwort: Man muß die Beſten
außleſen/ die Ubrigen ſind deß Leſens kaum wuͤrdig.
Wann man uns deßwegen befragen ſolte/ ſo ver-
meynte ich nicht/ daß es eine Schand ſeye/ wann man
F f f 3mit
[822]Deß Academiſchen
mit Melanchton, als er wegen eines Trauerſpiels deß
Diogenis befraget wurde/ zur Antwort gaͤbe: Jch
habe ſie nicht geſehen. Worauf der Geiſtliche die-
ſes fuͤrbrachte: Der kuͤrtzeſte und ſicherſte Weg iſt
allezeit der Beſte. Longolius wolte nur einig und
allein den Ciceronem leſen/ damit er auß andern
Buͤchern keine boͤſe Schreib-Art an ſich nehmen
moͤchte; Alſo muß man die heilige Buͤcher leſen/ um
eine heilige Schreib-Art ſich anzugewoͤhnen. Als die
Athenienſer von den Syracuſanern elendiglich uͤber-
wunden/ und zu Sclaven gemacht worden/ lieſſen ſie
alle die Jenige frey und ledig/ welche nur etwas auß
den Trauer-Spielen deß Euripidis erzehlen konten;
Jn ſolchen Ehren ward dieſer Mann auch bey den
Feinden ſelbſt gehalten. Wir koͤnnen gleichfalls den
Hoͤlliſchen Feinden entgehen/ wann wir auß wah-
rem Glauben einige Spruͤche auß der Bibel von un-
ſerm Heyland JEſu herſagen koͤnnen. So erſchreck-
lich iſt der Name JEſus den boͤſen Geiſtern/ und ſo
ſicher iſt GOttes Wort den glaubigen Seelen.
Das XXIV. Capitul/
Academien ſind ſehr nutzlich/ und wie dieſelben beſtellet ſeyn
muͤſſen. Schoͤner Diſcurs von koſtbaren Kirchen.
ALs der Geiſtliche dieſes Wort kaum außgeredet
hatte/ da begunten ſich die Pferde unter einan-
der im Schiff zu ſchlagen/ woruͤber dieſelbe auf
die eine Seite verfielen/ daß das Schifflein um-
ſchlug/ und die Leute mit einander ins Waſſer ſan-
cken. Die Pferde ertruncken alſobald/ ſamt dem
Schiffer/ der im Umſchlagen unter dieſelbe zu ligen
kam. Die uͤbrigen Perſonen aber retteten ſich mit
Schwimmen nach einem Baum-reichen Jnſelchen/
welches ziemlich nahe bey dem Ort deß erlittenen
Schiffbruchs belegen war. Sie kamen auch wol-be-
halten
[823]Romans II. Buch.
halten daſelbſt an/ auſſer Troll/ welcher etwas viel
Waſſer in den Leib bekommen hatte/ dahero ſetzete
ihn Cavina, mit Huͤlffe etlicher ihrer Gefaͤhrten/ auf
den Kopff/ und brachte ihn zum Erbrechen/ daß er alſo
deß eingeſoffenen Waſſers bald wieder loß worden.
Jm uͤbrigen kunte ſich Cavina auch mitten in der
Noth deß Lachens nicht enthalten/ als er ihn in ſei-
nem ſchwartzen Kleid im Waſſer plumpen ſahe/ und
haͤtte ihn ſein Schul-Mantel nicht aufgehalten/ ſo
waͤre er richtig untergeſuncken/ und vergangen.
Auf dieſer Jnſul ſaſſen ſie nun/ ihrer 8. an der
Zahl/ und darunter eine junge Frau/ ſamt ihrem
Mann/ und hatten nichts zu eſſen/ dann um das
Trincken durfften ſie ſich endlich nicht zu ſehr bekuͤm-
mern/ weil man auch mit Waſſer den Durſt loͤſchen
kan. Die Kleider waren durchnetzet/ und die Men-
ſchen-Leiber durchkaͤltet/ wannenhero ſie Feuer ſchlu-
gen/ und an Holtz nichts ermangeln lieſſen/ worbey ſie
ſich nach und nach wieder truckneten. Die Nacht fiel
endlich daruͤber ein/ und muſten ſie ſich darein geben/
hier auf der wuͤſten Jnſel ein Nacht-Lager mit hun-
gerigem Magen zu halten. Damit ihnen aber die Zeit
nicht gar zu lange werden moͤchte/ begunten Cavina,
der vorige Edelmann und der Geiſtliche/ von aller-
hand Sachen mit einander zu diſcurriren. Hierzu
kam jetzo ein anſehnlicher Schweitzer/ in einem feinen
Kleid/ der durch ſeine ſchoͤne Diſcurſe gnugſam zu er-
kennen gab/ daß ihm das Univerſitaͤten-Leben durch-
auß bekandt waͤre/ und weil er auch ſelber geſtunde/
daß er nicht allein verſchiedene Academien in Teutſch-
land und Franckreich beſuchet/ ſondern jetzo auf dem
Weg ſey/ nach Baſel zu gehen/ um den hoͤchſten Eh-
ren-Grad der freyen Kuͤnſten abzuholen/ das iſt/ ein
Doctor Juris zu werden/ ſo forſchete der Edelmann
F f f 4von
[724[824]]Deß Academiſchen
von ihm: Ob die Welt nicht eben ſo wol ohne Aca-
demien/ als mit denſelben/ leben koͤnte? Das iſt/
ſprach der Schweitzer/ eine ſeltzame Frage. Die Welt
kan wol ohne Academien beſtehen/ aber nicht ſo wol
und manierlich regieret werden. Die Moſcowiter/
und etliche Nationen mehr/ unterhalten auch weder
Schulen/ noch Univerſitaͤten; Aber/ daher ſehen wir/
daß ſie auch/ wie das tumme Viehe/ in hoͤchſter Bar-
barey und Unwiſſenheit dahin leben. Man hat zwar
in der Stadt Moſcau/ wie mir neulich berichtet iſt/
vor gar wenigen Jahren eine Lateiniſche Schul an-
geleget/ worinn 2. Griechiſche Muͤnche leſen/ aber der
Patriarch ſoll gar ſehr darwider ſeyn/ und ſich bemuͤ-
hen/ ſie forderſamft wieder abzuſchaffen. Jm uͤbrigen
iſt es nicht ſo leicht außzuſprechen/ was fuͤr groſſer
Nutzen der ehrbaren und vernuͤnfftigen Welt auß
den Academien zuwachſe/ dann zufoderſt gereichen ſie
zu GOttes Ehre/ und bequemen die Leute dahin/ daß
ſie willig werden/ GOtt zu dienen und zu fuͤrchten/
ihrem Fuͤrſten zu gehorchen/ dem gemeinem Weſen
zu dienen/ zur Ehre und Ruhe deß Landes/ darinn ſie
wohnen/ und zum Aufnehmen der Stadt/ darinn ſie
geboren ſind/ ja ſolche Leute ſtreben darnach/ daß die
Kirche bey ihrer Ehre und Wuͤrde/ die Gerechtigkeit
aber bey ihrer hohen Authoritaͤt ungekraͤncket bleibe.
vid. Rulman en ſon 2. Plaidoyer. p. 227. Die Acade-
mien loͤſchen das Feuer der Unwiſſenheit auß/ und
lieſet man von Eberhardo I. Hertzogen zu Wuͤrtem-
berg/ der die Academie zu Tuͤbingen aufgerichtet/
dieſe Worte: Daß Sr. Fuͤrſtl. Gnaden guter Mey-
nung habe wollen helffen graben den Brunnen deß
Lebens/ darauß von allen Enden der Welt unerſicht-
lich geſchoͤpffet werde/ troͤſtliche und heilſame Weiß-
heit/ zu Erloͤſchung deß verderblichen Feuers Menſch-
licher
[825]Romans II. Buch.
licher Vernunfft und Blindheit. Beſold. libr. 1. Polit.
cap. 12. §. 2. num. 31.
Gehet man in dieſer Materie/ von dem Nutzen
der Academien/ weiter/ ſo finden wir/ daß die Landes-
Fuͤrſten darvon keine geringe Erſprießlichkeit zu ge-
nieſſen haben/ dann die Academien ſind ein frucht-
barer Saame/ der auf einen allgemeinen Acker ge-
ſaͤet iſt/ darauß die Fuͤrſten die Erſtlinge ſammlen/
deren Laͤnder dardurch mit Gluͤckſeeligkeit angefuͤl-
let werden. Sie ſind Halß-Ketten voller Reich-
thums/ gezieret und geflochten auß ſchatzbaren Per-
len/ womit ihre Krone gezieret wird. Sie ſind ſtarcke
und veſte Gruͤnde/ welche machen/ daß das Regier-
Hauß unzerruͤttet ſtehet/ und/ daß der Scepter nicht
wancke. Rulmann l. c. pag. 278. Jener Land-Graf
von Heſſen (apud Hordlederum de Cauſa Belli Germ.
l. 4. c. 7. p. 126.) ſpricht alſo: Die Univerſitaͤt/ ſo wir
angerichtet/ iſt uns/ unſerm Fuͤrſtenthum und gemei-
nem Nutzen lieber und nutzlicher/ als viel tauſend.
Von der Jeniſchen Academie redet ein fuͤrtrefflicher
Mann/ und nennet ſie einen gemeinen Land-Schatz/
Officin und Werckſtatt aller guten Kuͤnſten.
Academien machen Tugendſame Gemuͤther un-
ter den Menſchen/ ja ſie bezaͤhmen die wilden Bar-
barn: Emolliunt Mores, nec ſinunt eſſe Feros. Mid-
dendorp. de Acad. libr. 1. c. 4. p. 16. Sie ſind eine
Zierde deß gantzen Landes. Ph. Melancht. in Conſil.
de Conſtit. Acad. Lipſ. Part. 2. Conſil. Theol. p. 431. in-
ſonderheit aber der jenigen Stadt/ darinn ſie aufge-
richtet iſt. Dann eine Stadt/ welche gelehrte Leute
gehabt/ wird edler ſeyn/ als andere/ denen dergleichen
ermangelt/ ſagt Jean Baptiſt. Boſſevin de Honore
libr. 4. p. 151. Dahero iſt wol zu glauben/ was Petr.
Gregor. de Republ. libr. 18. c. 6. ſchreibet/ daß einige
F f f 5Staͤdt-
[826]Deß Academiſchen
Staͤdtlein in Teutſch- und andern Laͤndern/ vor Auf-
richtung der Academien daſelbſt/ ſo gar unbekandt
und gering geacht geweſen/ daß die Geographi ihren
Namen nicht einmahl wollen in die Land-Karten
ſetzen/ welche doch hernach/ als man Academien dar-
ein geſetzet/ an Reichthum und Groͤſſe dergeſtalt zu-
genom̃en/ daß ſie Koͤnigl. Reſidentien gleichen moͤch-
ten. vid. lib. 2. Antiquit. Academ. Oxonienſ. num. 75.
p. 140.
Die Academien bringen Geld ins Land/ ſagt
Sagittarius de ſumma Urb. Felicit. in quibus Academ.
crectæ ſunt, Theſ. 76. zumahl/ wann ſie viele Studen-
ten hat/ wie weyland Pariß/ da man offt 20. biß
30000. Studenten gezehlet/ die alle auf ihren Beu-
tel haben gezehret. Ja von den Univerſitaͤten haben
die Einwohner noch unzaͤhlich-viel andere Nutzbar-
keiten zu hoffen/ welche alle anzufuͤhren viel Weit-
laͤufftigkeit erfordert/ darum fuͤhre ich ſtatt deſſen
nur an die Worte Giovanni Batt. Pigna libr. 5. dell’
Hiſtor de Principi di Eſte, p. 327. welcher alſo ſpricht:
Albertus V. Marggraf zu Eſte und Ferrara, war dar-
auf bedacht/ wie er in ſeiner Stadt Ferrara eine Uni-
verſitaͤt aufrichten moͤchte/ als wordurch die Seini-
gen Gelegenheit uͤberkaͤmen/ die Geſetze und Kuͤnſten
zu erlernen/ darauß dann wackere Juriſten und
Medici erwachſen/ die man zu deß Landes Nutzen
gebrauchen koͤnte/ ja/ es wuͤrden auß fremden Laͤn-
dern fuͤrnehmer und reicher Leute Kinder dahin gelo-
cket werden/ und die Stadt in groſſe Conſideration
kommen/ von denen die Seinigen/ ob ſie gleich nicht
auß der Stadt kaͤmen/ ſchoͤne Manieren und viel Gu-
tes erlernen koͤnten/ \&c. Alſo bleibet es wol darbey/
daß die Academien ein hoͤchſt-nuͤtzliches Werck ſind
in dem gemeinen Weſen/ und daß wir auſſer derſelben
bald
[827]Romans II. Buch.
bald in die vorige Barbarey der alten Heydniſchen
Teutſchen/ Gaulen/ Longobarden/ \&c. wieder verfal-
len wuͤrden. Jch ſage billich mit Conr. Rittershuſio,
in Præfat. Comment. ad libr. 1. Salviani: Was iſt eine
Academie anders/ als eine Burg der Weißheit/ ein
Tempel der Warheit/ eine Schatz-Kammer der Wiſ-
ſenſchafften/ ein Handels-Ort aller freyen Kuͤnſten/
eine Schul der Weißheit und Sittſamkeit/ eine
Werckſtaͤtte der Freundſchafft und Loͤbl. Tugenden/
ein Zeug-Hauß Buͤrgerlicher Werckzeugen/ ein Pa-
radiß hoͤchſt-verwunderlicher Luſtbarkeiten deß Ge-
muͤths/ ein Brunnen aller Gluͤckſeeligkeit/ das Ende
und gleichſam die Morgenroͤthe/ welche uns eine all-
gemeine Gluͤckſeeligkeit verkuͤndiget?
Der Edelmann hatte bißhero ſehr genau zuge-
hoͤret/ anjetzo aber ſprach er: Weil ich vernehme/ daß
meinem Herꝛn das Academiſche Weſen ziemlich be-
kandt iſt/ ſo moͤchte ich wol wiſſen/ welcher Geſtalt die
Academien guberniret werden? Die Academien/ ant-
wortete der Schweitzer/ ſind gleichſam eine ſonder-
bare wol-beſtellete Regierung/ und beſtehen fuͤrnem-
lich in Perſonen und Dingen: (Perſonis \& Rebus:)
Die Perſonen ſind Hohe und Niedrige/ Jene ſind
der Cantzler/ die Erhalter der Academiſchen Privile-
gien/ die Rectores, die Profeſſores, und die Studenten.
Die geringere Perſonen ſind: Der Pedell, die Stu-
denten-Botten/ oder Jungen/ die Buch-Haͤndler/
Buchdrucker/ und andere. Ein Academiſcher Cantz-
ler iſt gemeiniglich ein Biſchoff/ wie dann der Biſchoff
zu Merſeburg bey der Academie Leipzig/ und der zu
Camin bey der Academie zu Grypswald ſolches Amt
verwaltet. Jedoch ſtehen auch wol andere Geiſtliche
dieſer Wuͤrde vor. Ja bey etlichen Academien ſind
die Cantzler wol gar Leyen/ als zu Altorff und Straß-
burg.
[828]Deß Academiſchen
burg. Etliche Academien haben wol mehr/ als einen/
etliche auch wol gar keinen Cantzler. Bey etlichen ge-
het der Rector dem Cantzler vor/ bey andern aber der
Cantzler dem Rectori. Zu Roſtock kan man an den
Cantzler appelliren/ aber zu Gryphswald mag man
denſelben vorbey gehen/ und gerades Weges an den
Landes- Fuͤrſten appelliren. Dieſe Univerſitaͤts-
Cantzlern haben die Authoritaͤt/ daß ſie den Decanis
und Promotoribus Macht geben/ hohe Gradus an
wuͤrdige Studenten zu conferiren. Die Erhalter der
Privilegien ſind bey den Teutſchen nicht ſonders viel
zu finden/ aber bey den Frantzoͤſiſ. Academien ſind ſie
gnug zu ſehen. Dieſe muͤſſen der Studenten Privile-
gia mainteniren/ und die Studenten ſelber wider
alle unrechtmaͤſſige Gewalt beſchirmen. Dieſe Con-
ſervatores koͤnnen in 2. Species getheilet werden/ dann
etliche werden außdruͤcklich erwaͤhlet/ andere aber ha-
ben dieſes Amt/ Krafft ihrer habenden Wuͤrde. Sol-
cher Geſtalt iſt der Abt S. Saturnini ein Conſervator
Privilegiorum auf der Univerſitaͤt Thoulouſe, und
der Abt zu Marſiliac und Molſac ſind Conſervatores
Privilegiorum auf der Univerſitaͤt Cahors in Franck-
reich. Petr. Gregor. libr. 47. Syntagm. Juris, cap. 22.
num. 23. \& ſeqq.
Anlangend die Profeſſores, wurden ſolche bey
den Roͤmern weyland Sophiſtæ genannt/ l. 6. §. Gram-
matici. 1. aber hernach ſind ſie durch die Kaͤyſerliche
Conſtitutiones mit dem Titul Profeſſores beehret
worden/ als welche auf privilegirten Academien nicht
um einen Lohn/ ſondern um ein oͤffentliches Salarium
lehren. t. t. C. de Profeſſor. Sothane Profeſſores Pu-
blici muͤſſen aute Sitten haben/ fein dociren/ zierlich
reden/ und ſubtil erklaͤren koͤnnen. Darum ſoll man
wol Acht haben/ daß tuͤchtige Leute hierzu befoͤrdert
werden/
[829]Romans II. Buch.
werden/ als an welchen viel gelegen; Sind es aber
wackere Leute/ ſoll man ſie auch mit guten Salariis er-
freuen. Veſpaſianus gab den Lateiniſchen und Grie-
chiſchen Rednern Jaͤhrlich 2500. Reichs-Thaler/ die
Medici bekamen anderswo HS, das iſt/ 12600. ſolcher
Thaler. Aber heut zu Tage muͤſſen die guten Herren
Profeſſores an manchen Orten gar duͤnnes Bier trin-
cken/ und magers Fleiſch eſſen/ und ziehet mancher
Fuͤrſt denſelben etwas ab/ um etwa eine Compagnie
Soldaten/ oder einige Officirer/ deſto beſſer zu ſala-
riren/ daher klagen ſie auch in ſolgenden Verſen:
Sonſten haben die Herren Profeſſores groſſe Privile-
gia, welche ihnen gewaltig zu ſtatten kommen/ waͤre
aber zu wuͤnſchen/ daß nicht manches faules Thier
darunter verborgen ſteckete/ inmaſſen dann deren auf
einigen Univerſitaͤten gefunden werden/ die durch
ſonderbare Gunſt zu ſolcher Wuͤrde befoͤrdert ſind/
und doch ihre eigene Profeſſion gar nicht verſtehen.
Andere/ ob ſie gleich gnugſame Wiſſenſchafft haben/
ſind traͤge/ und wollen die Woche kaum einmahl le-
ſen. Andere ſind all zu tunckel/ andere zu weitlaͤufftig/
wie jener Profeſſor, Thomas Haſelbach/ zu Wien/ der
auf der Academie daſelbſt 20. Jahre an dem 1. Cap.
Eſaiæ expliciret/ und ſolches doch noch nicht abſolvi-
ret hatte. Wann aber die Profeſſores capable und fleiſ-
ſige Leute ſind/ ſo ziehen die Studenten auß fernen
Orten
[830]Deß Academiſchen
Orten gar willig zu ihnen/ und kan offt ein Mann
mehr thun bey dem Aufnehmen einer Academie, als
10. andere. Es war ſchon ziemlich ſpaͤt in die Nacht
hinein/ als einer nach dem andern von der Geſell-
ſchafft ſich dem Schlaff ergab/ wie aber am folgenden
Morgen die Sonne herfuͤr brach/ giengen ihrer et-
liche nach der Oſt-Seiten der Jnſul/ und ſahen auf
dem Schwaͤbiſchen Ufer eine ſchoͤne Kirche ſtehen/
welche der Schweitzer hoͤchlich ruͤhmete/ und be-
haupten wolte/ daß es ein uͤberauß fuͤrtreffliches Ge-
baͤu waͤre. Cavina aber bedeutete ihm/ daß die Kirchen
in Jtalien faſt durchgehends herꝛlich waͤren/ daruͤber
kamen ſie nach und nach in einen Diſcurs, und ſprach
der Edelmann: Jch habe noch nirgends ſchoͤnere Kir-
chen gefunden/ als unter den Heyden in Jndien. Der
Koͤnig von Siam hat Jaͤhrlich viel Millionen Ein-
kommen/ wovon er bey nahe die Helffte auf das Bau-
Weſen der Heydniſchen Tempel oder Pagoden ver-
wendet. Der Geiſtliche ſprach dargegen: Die
Chriſten laſſen ihnen das Kirchen-Bauen nicht ſo
ſehr angelegen ſeyn. Es iſt eine Schande/ daß groſſe
Leute ſo wenig darzu geben wollen/ wann man nur
ein ſchlechtes Kirchlein bauen ſoll/ muß man Jahr
und Tag daran betteln. Die Jndianer/ Tuͤrcken und
Jtaliaͤner uͤberzeugen uns in dieſer unſerer Geizigkeit.
Es gehet mit uns/ wie mit den Juden. Erſtlich waren
ſie ſehr freygebig/ wie ſie die Huͤtte deß Stiffts ſolten
bauen/ hernach aber ſorgeten ſie nur fuͤr ihre eigene
praͤchtige Haͤuſer/ und hatten keine Zeit noch Luſt fuͤr
GOttes Hauß. Der Edelmann warff allhier ein:
DJe Chriſtliche Kaͤyſer pflegten vorzeiten freygebiger gegen
den Gottesdienſt zu ſeyn. Die ſchoͤne Kirche zu Conſtanti-
nopel/ S. Sophia genannt/ war von den Heyden gebauet. Der
Kaͤyſer Conſtantinus erbauete ſie noch viel koͤſtlicher. Die Ar-
rianer verbrandten ſie/ aber Kaͤyſer Theodoſius hat ſie aufs
Neue
[831]Romans II. Buch.
Neue wieder erbauet. Es waren zu dieſem Bau 100. Meiſter-
Arbeiter verordnet/ deren Jeder 100. Knechte hatte/ außgenom-
men noch andere Arbeits-Leute/ deren 10000. an der Zahl gewe-
ſen. Man ſagt/ daß an dieſen Bau das gantze Kaͤyſerliche Ein-
kommen auß Egypten angewendet worden/ welches Jaͤhrlich
2. Millionen betragen/ und hat man daran 17. Jahre gebauet.
Hierauf ſprach der Geiſtliche: Das ſolte dann wol ein
Salomoniſcher Tempel geweſen ſeyn/ welcher Wunder. koͤſtlich
gebauet geweſen. Als die Tuͤrcken conſtantinopel eingenom-
men/ haben ſie allein dieſer Kirchen verſchonet/ worinnen ſie viel
hoͤflicher/ als die Arrianer/ gehandelt haben/ die ſich doch Chriſten
nennen. Ein Ding war bey dem Bauen dieſer Kirchen ſehr
merckwuͤrdig: Der Kaͤyſer hatte ein Haͤußgen vonnoͤthen/ das
bey der Kirchen ſtund/ welches einer ſchlechten Frauen zugehoͤr-
te/ die wolte es nicht fahren laſſen/ was man ihr auch darfuͤr ge-
ben wolte. Der Kaͤyſer gieng ſelbſten zu ihr/ und erſuchete ſie
darum/ da ſchenckete ſie es ihm fuͤr die Kirche. Die Freundlich-
keit und Hoͤflichkeit groſſer Herren vermag ſehr viel bey den Un-
terthanen. Wann unſer Herꝛ JEſus bey uns fuͤr ſeine arme
lebendige Kirche was ſuchet/ ſo muß man es ihm auch nicht ab-
ſchlagen.
Cavina ließ ſich jetzo hoͤren: Der Tempel der Dianen zu
Epheſo muß ein praͤchtiges Gebaͤu geweſen ſeyn/ alldieweil
gantz Aſien 220. Jahre daran gebauet hat. Dieſer ſtund in ei-
nem Moraſt/ damit er von dem Erdbeben befreyet ſeyn moͤge.
Der Grund war von geſtoſſenen Holtz-Kohlen/ und darauf
wurden Kuͤhe-Haͤute geleget. Die Laͤnge und die Breite waren
einer Groͤſſe. Es ſtunden in demſelben 137. Pfeiler/ Jeder 60.
Werckſchuhe dick. Es iſt kaum glaublich.
Dem der Geiſtlicher antwortete: Daß dieſer Tempel ein
Wunder-Werck der Welt geweſen/ das iſt bekandt/ und wie ey-
ferig die Aſianer in ihrem Gottesdienſt allda waren/ das befand
Paulus/ als er zu Epheſo war. Was iſt aber doch aller Pracht
deß falſchen Gottesdienſtes/ da der Grund ſchwartzer Holtzkoh-
len und Thier. Haͤute in einem ſtinckenden Moraſt. Unſer Geiſt-
licher Tempel hat einen veſtern Grund; Allein man muß zuſe-
hen/ daß man darauf kein Holtz und Stroh der falſchen Lehre
bauet. Dann die koͤnnen das Bewaͤhr-Feuer eben ſo wenig/ als
der Tempel der Dianen das Feuer deß Heroſtrati außſteben.
Der Edelmann ſprach: Der Mann wuſte kein Mittel/
ſich einen groſſen Ramen zu machen/ als dardurch/ daß er den
Tempel
[832]Deß Academiſchen
Tempel der Dianen in Brandt ſteckete. Die Epheſer verbotten
deßwegen/ man ſolte ſeinen Namen in keinen Geſchichten nen-
nen. Theopompus aber ſetzete ſeinen Namen in ſeine Geſchicht-
Beſchreibung/ um ſich ſelber einen Namen zu machen.
Worauf der Geiſtliche: Der Ehrgeitz treibet auch viel
Jrꝛ-Geiſter/ um GOttes Kirche durch Ketzerey in Brandt zu
ſtecken. Es iſt ein Wunder/ daß man ihnen/ ja gar den Juden
ſelbſt/ ſo viel Freybeit zulaͤſſet. Als Theodoſius auß der Stadt
war/ baueten die Juden zu Conſtantinopel eine Kirche/ das
Volck lieffe dahin/ und verbrennete dieſelbe. Der Kaͤyſer gab
den Juden neue Erlaubnuͤß/ und legete dem Volck die Straffe
auf/ daß es fuͤr die Juͤdiſche Kirche Geld muſte verſchaffen.
Der Lehrer Ambroſius aber gieng zu dem Kaͤyſer/ und brachte
ſo viel bey ihm zuweg/ daß der Kaͤyſer dem Volck die Straff
nachließ/ und die Juͤdiſche Kirche verbotte. Heut zu Tage haben
die Prediger bey Weltlichen Herren ſo viel Anſehen nicht mehr.
Gleich wol haben die Cbriſten/ ſprach der Edelmann/ bey
Heydniſchen Koͤnigen offimahls groſſes Anſehen. Als Echabar,
der groſſe Mogol, von den Chriſten hoͤrete/ ward er neu-gierig.
Er ſchickte nach 3. J[e]ſuiten/ die in ſeinem Land waren/ und hoͤre-
te ſie reden von dem Chriſtenthum/ worinnen er ein ſolches Gnuͤ-
gen befand/ daß er den Jeſuiten Xaverium ein Buch von dem
Chriſtenthum wider die Mohren und Heyden ſchreiben lieſſe.
Dieſes Buch laſe er deß Nachts/ und ließ ſich daſſelbe von ihm
erklaͤren. Er gab Befehl/ daß ſie moͤchten lehren/ predigen/ Schu-
len aufrichten/ und Kirchen bauen/ ſo frey/ als zu Rom/ alſo/
daß ſie an vielen Orten eher eine Kirche/ als eine Gemeine/ hat-
ten. Der Mogol aber bliebe dannoch Tuͤrckiſch.
Das Chriſtenthum/ ſuhr der andere fort/ hat offtmahls die
Heydniſche Kaͤyſer uͤberzeuget. Als Tiberius verſtanden von
dem Landpfleger Pilato, wie es mit dem Tod deß HErꝛn JEſu
hergangen war/ nahm er ihm vor/ ihn auch unter die Goͤtter zu
ſetzen/ und ihm zu Ehren eine Kirche aufzubauen. Aber der Roͤ-
miſche Rath machte einen Gegenſchluß/ nemlich/ man ſolte alle
Chriſten auß der Stadt verbannen. Tiberius ſetzete ſich darwi-
der/ und verbotte bey Leibes-Straff/ die Chriſten nicht anzukla-
gen. GOtt der HErꝛ findet wunderbarliche Mittel/ ſein Volck/
wann es ihm gefaͤllig/ von der Verfolgung zu erloͤſen.
Der Cavina antwortete: Man kan wol abnehmen/ warum
der Rath zu Rom dem Cbriſtenthum ſo zuwider war. Der Kaͤy-
ſer Alexander Severus vermeynete Chriſti Bi dnuͤß unter ſeine
Hauß-
[833]Romans II. Buch.
Hauß-Goͤtter zu ſtellen/ und ihm zu Ehren eine Kirche zu
bauen/ welches der Kaͤyſer Hadrianus zuvor auch im Sinn
hatte. Aber die Heydniſche Prieſter ſagten: Es wuͤrden alle
Heydniſche Kirchen ledig ſtehen/ wofern man fuͤr JEſn eine
Kirche bauen wurde. Hierdurch bliebe deß Kaͤyſers Vorneh-
men zuruͤck.
Die Tuͤrcken/ ſprach der Edelmann/ achten dieſe Urſach
gantz nicht/ dann ſie laſſen den Chriſten ihre Kirchen zu. Ein
Tuͤrck zu Conſtantinopel thaͤte ſeine Nothdurfft an eine Chriſten-
Kirche/ und bilebe darbey todt ligen. Der Tuͤrckiſche Muffti/
oder oberſte Prieſter/ ließ die Haͤuſer da herum abbrecheu/ vor-
gebend/ daß die Kirche beilig waͤre.
Worauf der Geiſtliche: Die Chriſten ſelber ſind ſo eyfe-
rig nicht fuͤr die Reinigkeit ihrer Kirchen/ es liget offemahls um
dieſelbe herum ſo viel Dreck und Unflath/ daß es eine Schande
iſt. Der Tuͤrck hat ſeine rechtmaͤſſige Straffe bekommen/ weil
er dieſes/ ſonder Zweiffel/ zum Spott und Schmach gethan hat.
Pompejus machte auß dem Tempel zu Jeruſalem einen Pferd-
Stall fuͤr ſeine Pferde. Nach dieſer Zeit hatte er kein Gluͤck
mehr/ ſondern er war endlich in Egypten/ wohin er geflohen/
ums Leben gebracht. GOtt der HErꝛ iſt ſo eyferig fuͤr die Ehre
der Kirchen/ daß er ſelbſt die Pluͤnder und Schaͤnder der fal-
ſchen und abgoͤttiſchen Tempel geſtrafft hatte/ weil die Rauber
dieſes nur auß Verachtung alles Gottesdienſtes gethan hatten.
Xerxes ſchickte 4000. Soldaten deß Apollons Tempel zu herau-
ben.. Womit er wolte anzeigen/ daß er auch der Goͤtter Meiſter
waͤre. Die Soldaten wurden durch ein Ungewitter todt ge-
ſchlagen/ er verlohr ſein groſſes Lager/ muſte mit einem kleinen
Schifflein die Flucht nehmen/ und ward von ſeinem Vettern
Artabano ermordet.
Das wird dann eben die Urſach ſeyn/ ſprach Caviua, daß
Pyrrhus, indem er eine Kirche beraubet/ durch ein Ungewitter
an eben das Ufer/ wo er den Kirchen-Raub begangen/ geſchmiſ-
ſen wurde/ und Schiffbruch litte; Und daß die Roͤmer/ wie ſie
Carthago eingenommen/ und den Tempel deß Apollinis berau-
bet/ todt/ mit abgehauenen Haͤnden/ gefunden worden. Fulvius
Flaccus nahm das Marmorne Dach von dem Tempel Junonis,
und lieſſe es auf den Tempel der Fortun legen/ er verlohr aber
nach der Zeit ſeine Sinnen/ und 2. Soͤhne in dem Krieg.
Dem der Geiſtliche antwortete: So ſchreibet man auch/
daß die Phocenſer/ nachdem ſie den Tempel zu Delphos berau-
G g gbet/
[834]Deß Academiſchen
bet elendiglich von ihren Feinden ſeyen geſchlagen/ und die vier
Utheber dieſer Pluͤnderung auf gebenckt worden Was von die-
ſen Geſchichten zu halten ſey/ kan ich nicht ſagen. Das iſt aber
gewiß/ daß GOtt fuͤr die Ehre ſeiner Kirchen die meiſte Sorge
trage. Heliodorus wolte den Tempel zu Jeruſalem berauben/
er ward aber alſobald todt darnieder geſchtagen. Antiochus
ward von den Wuͤrmen aufgefreſſen/ dieweil er auch den Tem-
hel beraubet hatte. Jedoch zeigen auch die Geſchichte/ daß die
Gottloſe Veraͤchter ſelbſten der Abgoͤttiſchen Gottesdienſte
Straff-wuͤrdig ſeyen/ dieweil ſie Feinde und Spoͤtter aller
Gottesdienſte ſind. Brennus, ein Frantzoͤſiſ. Oberſter/ wolte den
Tempel deß Apollinis berauben vorgebend/ die Goͤtter waͤren
reich/ ſie muͤſten ihm und ſeinen Soldaten geben; Aber er/ und
alle ſeine Soldaten/ wurden verwundet/ ſonder Jemand zu ſe-
hen/ der es thaͤte/ und vergiengen durch Sturm und Erdbeben.
Er durchſtach ſich ſelber/ von wegen Schmertzen ſeiner Wunden.
Cavina fuhr fort: Dionyſius erklaͤrete dieſes anders: Er
beraubete die Tempel/ und andere mehr/ und weil er guten
Wind hatte/ ſagte er: Sehet/ die Goͤtter ſind uns guͤnftig. Als
er aber dieſes geraubete Guth verkaufft hatte/ befahl er/ daß ein
Jeder das Jenige/ was er von dieſen Guͤthern gekaufft/ wieder-
um nach den Kirchen/ wo es hin gehoͤrete/ bringen ſolte.
Der Geiſtliche: Denen es in der Welt nach Wunſch und
Wilien gehet/ die vermeynen deßwegen thoͤrlich/ daß ihre Suͤn-
den groſſe Tugenden ſeyen. Jedoch Geiſtliche Guͤther zu kauf-
fen iſt eben den Chriſten ſo nutzlich und ſo ſchaͤdlich nicht. Gleich-
wol koͤnnen wir auß dieſem allem ſetzen/ daß nicht alle groſſe Leu-
te eben ſo GOttesfuͤrchtig ſind/ als ſie ſcheinen.
Worauf der Edelmann: Mich beduncket auch/ daß
ſchlechte Leute viel mehr zur Kirchen kommen/ als viel Groſſe.
Doch gehet es in andern Landen eben ſo zu. Der Koͤnig von
Siam kommet deß Jahrs nur einmahl zur Kirchen/ um ſein
Opffer zu thun. Die Tuͤrcken ſind Gottesdienſtlicher: Alle
Freytage ſichet man Groß und Klein in ihren Kirchen.
Nichts deſto weniger/ verfolgete der Geiſtliche/ wird der
Tuͤrckiſche Kaͤyſer Achmet beſchuldiget/ daß er eine ſchoͤne Kir-
che gebauet/ und doch niemahls zum Gottesdienſt in ſelbige kaͤ-
me. Doch ſind bey den Tuͤrcken/ wie bey uns auch/ nicht eben
alle Groſſe Gottesfuͤrchtig. Die Chriſten ſolten billich Gotts-
fuͤrchtiger ſeyn/ gleichwie die Griechiſche Chriſten geben deß
Samſtags Abends in die Kirchen zu betten. Deß Sonntags
Morgens
[835]Romans II. Buch.
Morgens ſtehen Frauen und Kinder um 2. Uhren auf/ und ge-
hen zur Kirchen/ worinnen ſie dann verbleiben/ ſingend und be-
tend/ biß daß die Sonn aufgebet/ alsdann gehen ſie wieder nach
Hauß. Um 9. Uhr gehen ſie wieder hinein/ und dann auch deß
Abends. Und ſo war es vorzeiten. Dieſen Eyfer findet man bey
den Hollaͤndiſchen Chriſten nicht.
Auch nicht bey allen Griechiſchen Chriſten/ ſprach der
Edelmann/ die Mengrelianer in Aſten haben die Gewonheit/
daß ſie erſtlich in ihrem Alter/ wann ſie unbequem ſind/ und nicht
mehr rauben und pluͤndern koͤnnen/ anfahen in die Kirche zu
gehen.
Der Geiſtliche: So ſind auch viel Hollaͤndiſch-benamte
Chriſten/ welche alsdann erſt anfangen/ GOtt zu dienen/ wann
ſie der Suͤnden nicht laͤnger dienen koͤnnen. Groͤſſerer Eyfer
aber war bey dem H. Anaſtaſio, welcher gewohnet war/ allezeit
zur Kirchen zu gehen/ ehe der Hahn/ kraͤhete/ und bliebe dann
alſo ſtehen/ betend und hoͤrend/ biß daß die Predigt geſchehen
war. Als er Kaͤyſer worden/ rieff das Volck: Regieret alſo/
wie ihr gelebet habt. Ein Gottſeliger Fuͤrſt iſt deß Volcks Freu-
de und Seegen/ wie an Moſe/ Joſua/ David/ Joſaphat/ und an-
dern mehr/ zu erſehen. Hißkia ſtellete darinnen ſeinen Beweiß/
daß er im Seegen waͤre geſund worden/ wann er wieder zur
Kirchen gehen koͤnte.
Worauf Cavina: Dieſer andaͤchtige Eyfer war auch in
dem Roͤmer Horatio Pulvillo. Er ward erwaͤhlet/ einen Tem-
pel zu Rom einzuweyhen/ und war faſt emſig in ſeinem Gebett.
Marcus miß goͤnnete ihm dieſe Ehre/ und kam ploͤßlich/ ihn in ſei-
her Andacht zu floͤren/ und rieff uͤberlaut: O Burgermeiſter/
dein Sohn iſt im Lager geſtorben. Horatius antwortete ihm
ſonder Beſtuͤrtzung: Siehe zu/ wo du den todten Leichnam hin-
bringeſt/ dann ich bekuͤmmere mich daruͤber nicht. Er aber fuhr
in ſeiner Andacht fort.
Auf eine ſolche/ verfolgete der Vorige/ ja noch viel geringere
Zeitung/ ſolten viel Chriſten Augenblicklich zur Kirchen hinauß
lauffen. Der Teufel hat auch ſeine Einblaſungen/ unſere An-
dacht zu verſtoͤren/ und den Kirchgang zu hindern. Der grau-
ſame Baſilides, Groß-Fuͤrſt in Moſcau/ ein rechtes Werckzeug
deß Teufels/ ließ offtmahls einen Baͤren oder raſenden Hund
loß/ wann das Volck in- oder auß der Kirchen gieng/ um derſel-
ben etliche zu zerreiſſen/ und ſagte dann Spottweiß daß die Je-
nige ſehr gluͤck ſeelig waͤren/ die von den Hunden eines ſo groſ-
G g g 2ſen
[836]Deß Academiſchen
ſen Herꝛn zerriſſen wuͤrden. Solten wir aber den gefaͤbrlichen
Kirchgang der Maͤrtyrer zehlen/ wuͤrden wir kein Ende daran
finden.
Cavina ſprach: Kaͤyſer Carl der V. war auch in Gefahr
ſeines Lebens/ als er die Kirch zu Rom/ genannt Pantheon, beſe-
hen wolte. Er ſtieg hinauf zu dem groſſen Fenſter/ das auf der
Spitze ſtehet. Ein Jtaliaͤner vermeynete ihn von oben herun-
ter zu ſtoſſen; Weil er aber wegen der Majeſtaͤt deß Kaͤyſers
erſtaunete/ ließ er es bleiben.
Der Geiſtliche replicirte: Der Menſchen-Moͤrder/ der
Teufel/ iſt auch unter den Kindern GOttes/ wann ſie in der
Kirchen vor GOttes Angeſicht ſind/ aber GOttes Majeſtaͤt
und die Herꝛlichkeit/ die er auf ſeine Kinder leget/ iſt ihre Er-
rettung.
Dem der Schweitzer antwortete: Es muß eine ſchoͤne
Kirche geweſen ſeyn/ welche der Kaͤyſer ſelbſt ſo genau inwen-
dig beſehen wollen. Die Egyptiſche Kirchen waren außwen-
dig ſehr ſchoͤn und herꝛlich/ inwendig aber waren ſie nicht Se-
hens-wuͤrdig/ dann man fande darinnen nichts anders/ als ein
Crocodil/ eine Schlange/ oder eine Katze auf einem koͤſtlichen
Teppich herum kriechen.
Die Heuchler/ ſprach Jener wieder/ ſind auch außwendig
ſchoͤn/ inwendig aber ſchaͤndliche Beſtien/ wiewol ſie in der Kir-
chen einen ſchoͤnen Sitz-Platz haben. Beſtien fuͤr Goͤtter zu eh-
ren/ war eine alte Gewonheit bey dieſen und andern Voͤlckern
mehr. Von welchen es auch die Juden gelernet hatten/ daß ſie
gemahlten Beſtien in GOttes Tempel ſelbſten greuliche Ehre
thaͤten. Die Egyptier aber ſind nun weiſer/ nachdem ſie Tuͤr-
ckiſch worden ſind/ ja/ ſie wiſſen nun die Roͤmiſch-Catholiſche ih-
rer Kirchen halben zu tadeln. Der Kaͤyſerl. Abgeſandte/ Geor-
gievitz/ ſtritte mit einem Tuͤrcken wegen der Religion. Der
Tuͤrck fuͤhrete ihn in eine Roͤmiſch-Catholiſche Kirche/ und wieſe
ihm die Bilder/ ſo darinnen geehret wurden/ woruͤber ſich der
Geſandte ſchaͤmete. Und was Wunder/ der Roͤmiſche Kaͤyſer
Hadrianus, als er die Nichtigkeit der Bilder ſahe/ befahle er/ daß
man kein Bild in einziger Kirchen haben ſolte.
Worauf der Edelmann: Die Tuͤrcken ſind Feinde der
Bilder. Wir beſahen einsmahls der Mohren Kirche/ die Tuͤr-
ckiſch ſind. Bey uns waren Portugieſen/ die fragten die Moh-
ren/ wo ihr Gott und Heiligen waͤren/ welche ſie anbeteten?
Dann wir ſahen nichts/ dann ein klein Taͤfelein/ worauf etliche
Worte
[437[837]]Romans II. Buch.
Worte auß dem Alkoran geſchrieben ſtunden. Die Mohren ant-
worteten: Wir beten Holtz und Stein nicht an/ gleich wie ihr
thut/ ſondern allein den lebendigen GOtt. Jhr Chriſten thut
eben wie die Heyden. Die Portugieſen giengen auch ſcham-
roth darvon. Die Mahometiſten moͤgen wol leyden/ daß man
ihre Kirchen beſiehet/ aber man muß die Schube außziehen/ und
zuſehen/ daß man nicht hinein ſpeyet.
Der Geiſtliche gab dieſe Antwort: Dieſe Sorge wird
fuͤr der Chriſten Kirchen nicht getragen. Doch iſt an dem aͤuſ-
ſerlichen wenig gelegen/ wann man nur nicht hinein kommt mit
ſuͤndlichen Fleiſches-Schuhen/ und den Gottesdienſt nicht ver-
ſpeyet/ und verachtet. Gleichwol gebuͤhret es ſich/ daß man die
Kirchen rein halte/ wegen der Heiligkeit deß Gottesdienſtes.
So verſt[e]hen es auch die Tuͤrcken/ ſprach der Edelmann.
Zu dem/ ſo bauen ſie viel Kirchen auf die Plaͤße/ wo heilige
Maͤnner deß Alten oder Neuen Teſtaments geweſen/ oder ge-
florben ſind. Sie haben eine Kirche auf dem Platz/ wo Johan-
nes der Taͤnffer iſt enthauptet worden/ und halten dieſelbe in
groſſer Andacht. Bey jeder Kirchen ſtehet ein Faß mit Waſſer/
oder ein Brunnen/ darauß ſie das Angeſicht/ Haͤnde/ Fuͤſſe/ Au-
gen/ Naß und Ohren waſchen/ wann ſie in die Kirche gehen
wollen. Das babe ich auch bey den Jndianern zu Bantam ge-
ſehen. Jeder Edelmann hat eine Capelle in ſeinem Hauß zu ſei-
nem ſonderbaren Gottesdienſt. Auf dem Marck ſtehet eine
groſſe Kirche fuͤr das Volck/ in welche ſie alle Tage gehen/ und
beten/ und ein Brunnen darbey/ worauß ſie ſich waſchen.
Worauf der Geiſtliche: So viel koͤnnen die Tuͤrcken und
Jndianer wol ſehen/ daß man rein ſeyn muͤſſe/ wann man in die
Kirchen gehet/ welches uns Chriſten viel beſſer zu bedencken/ an-
ſtehet/ damit nicht GOtt der HErꝛ anderſeits ein Zeug und
Raͤcher ſeyn moͤge gegen die Jenige/ ſo unheilig vor ſein Ange-
ſicht kommen. Die Kirche iſt ein Ort der Tugend/ wie ſolches
die Roͤmer wol verſtunden/ als ſie eine Kirche baueten/ welche
ſie den Tempel der Tugend nenneten/ daran ſtunde der Tempel
der Ehren/ in welchen man nicht kommen kunte/ als durch den
Tempel der Tugend/ damit andeutend/ daß man in dem Tempel
der Tugend lehren muͤſſe/ wie man gebuͤhrlich zu Ehren ge-
langen ſolle.
Der Edelmann verfolgete: Die Japoneſer verſtehen es
nicht alſo. Sie bauen ihre Kirchen auf die allerluſtigſte Plaͤtze/
und gebrauchen dieſelbe zu Wirths- und Sauff. Haͤuſern/ wor-
G g g 3innen
[838]Deß Academiſchen
innen ſie mit ihren Prieſtern luſtig herum ſauffen/ und allerley
Laſter begehen.
Dem der Schweitzer antwortete: Sie haben dann keine
Kirche/ wie die Roͤmer hatten/ zu Ehren der Goͤttin Horta, das
iſt/ Vermahnung/ welche allezeit offen ſtunde/ um einen Jeden
beſtaͤndig zu vermahnen/ daß ſie jederzeit etwas Gutes und
Fuͤrtreffliches außrichten muſten. Ja auch zu Friedens-Zeiten
ſelbſt ſtunde ſie offen/ wann deß Jani Tempel zugeſchloſſen war.
Es ſind zwar/ ſprach der Geiſtliche/ die Zech-Haͤuſer der
Chriſten Kirchen nicht/ gleichwol aber ſtehen ſie offmahls nicht
weit darvon/ oder es wiſſen ſie doch viele/ ſo bald ſie auß der Kir-
chen kommen/ zum wenigſten zu finden/ welches noch eine aͤrgere
Miſſethat iſt/ als der blinden Japponeſer. Dann jede Kirche|der
Chriſten iſt eine rechte Horta und Vermahnungs-Platz zu der
Tugenb/ welche/ wann man ſie nur anſiehet/ kluͤgere Gedancken
bey uns erwecken ſolte. Die groſſe Kirche zu Conſtantinopel
wird genennet Sophia, Weißheit/ auf daß man darinnen die ho-
be Weißheit lernen ſoll. Als Kaͤyſer Otto der I. zum Krieg auß-
zog/ kam ihm eine Frau entgegen/ die klagete uͤber groſſes
Ungluͤck. Der Kaͤyſer ſagte: Wann ich wieder komme/ dann
wil ich euch zum Recht belffen. Die Frau antwortete: Wer
ſoll euch dann deſſen erinnern? Er ſagte: Dieſe Kirche. Wie
er nun auß dem Krieg wieder kam/ ſahe er dieſe Kirche/ und ge-
dachte an ſeine Zuſage: Er ließ die Frau zu ſich beruffen/ um
derſelben Recht zu ſprechen. Wir ſolten gleichfalls uns unſerer
Zuſage/ die wir GOtt gethan haben/ erinnern/ ſo offt wir eine
Kirche ſehen/ zumahlen, weil ſie darinnen geſchehen iſt.
Das XXV. Capitul/
Hier diſcurriret man von den Profeſſoren/ Rectoren/ Facul-
taͤten/ Bacchanten/ und von den Schul. Pedanten.
HJermit endigten ſie ihren Diſcurs, weil ſie ein
Schifflein daher fahren ſahen/ demſelben win-
cketen ſie/ und die Leute darinn lencketen ſich
alſobad nach dieſer Jnſul. Als ſie bey ihnen angelan-
get/ klageten ſie ihr Ungluͤck/ und wurden von den
andern eingenommen/ weil ſie auch an Eſſen und
Trincken im Schiffe keinen Mangel hatten/ theile-
ten ſie den armen hungerigen Leuten reichlich mit/
und ruͤhmete Troll deßfalls die Teutſchen/ daß ſie
barm-
[839]Romans II. Buch.
barmhertziger waͤren/ als ſeine Lands-Leute/ die Jta-
liaͤner. Wann ich auch dermahleins/ ſprach er/ wieder
zu Hauß angelanget bin/ wil ich keinen Teutſchen
Bettler ungetroͤſtet gehen laſſen/ wann er auch ein
Cantzler waͤre/ und ſolches zur Danckbarkeit gegen
ſeine Lands-Leute. Sie giengen aber mit dieſem
Schifflein nach dem Schwaͤbiſchen Ufer/ kamen auch
bald in eine Stadt/ darinn ſie ſich in eine gute Her-
berge logirten/ und von der außgeſtandenen Muͤh-
ſeeligkeit in etwas ſich wieder erholeten. Jn dieſer
Herberge forſchete der Edelmann/ ſo bey der Geſell-
ſchafft blieben war/ was man doch eigentlich fuͤr Leute
oder Profeſſores auf den Academien haͤtte? Welchem
der gelaͤhrte Schweitzer dieſe Antwort ertheilete:
Auf den Univerſitaͤten/ wann ſie recht beſtellet ſind/
findet man gemeiniglich 4. Facultates, wiewol ſolche
nicht eben abwege noch gar hochnoͤthig ſind/ wie die
Frantzoͤſiſche Academien bezeugen/ darunter ſind die
Jenigen die Fuͤrnehmſten/ welche die goͤttliche Wiſ-
ſenſchafft/ oder die Theologiam lehren/ nach dieſen fol-
gen am naͤchſten die/ ſo das Recht profitiren/ oder die
Profeſſores Juris. Den dritten Ort beſitzen die Medici,
oder die/ ſo die Artzney-Kunſt lehren/ und die letzte Fa-
cultaͤt beſtehet bey den Philoſophis oder Welt-Wei-
ſen. Jedoch iſt zu wiſſen/ daß in jeder Facultaͤt etliche
Profeſſorcs ſind/ dann gleichwie dieſe oder jene Facul-
taͤt in verſchiedenen eingetheileten Wiſſenſchafften
beſtehet/ alſo hat auch Jede ihren ſonderbaren Profeſ-
ſorem. Zum Exempel in der Juridiſchen Facultaͤt hat
man Profeſſores Juris Canonici, Inſtitutionum, Di-
geſtorum, Codicis, Juris Feudalis; Jn Medicina iſt der
Profeſſor Botanices ein anderer/ als der Profeſſor Ana-
tomiæ \&c. Und in Philoſophia hat man einen Pro-
feſſorem Hiſtoriæ, einen andern/ der Elo[q]uentiam, ei-
G g g 4nen
[840]Deß Academiſchen
nen der Metaphyſicam, einen der Phyſicam, einen der
Logicam, einen der Matheſin, \&c. dociret. Unter allen
Profeſſoren wird der Jenige allemahl vor das oberſte
Haupt gehalten/ den man den Rectorem Magnificum
nennet/ und wird ein ſolcher auf etlichen Univerſitaͤ-
ten alle Jahr/ auf andern aber alle halbe Jahr/ ja
wol nur auf 3. Monaten erwaͤhlet/ und zwar nach
den Facultaͤten Wechſels-Weiſe. Etliche Univerſitaͤ-
ten haben auch wol nur einen Pro-Rectorem, weil der
Landes-Fuͤrſt Rector Perpetuus iſt/ gleichwie die Kie-
liſche Academia, woſelbſt auch nur ein Pro-Cancel-
larius zu finden. Wann aber Fuͤrſten-Kinder/ junge
Grafen oder Baronen/ auf Academien ſtudiren/ pfle-
get man ihnen wol Ehrenhalben die Rector-Wuͤrde
aufzutragen/ jedoch iſt gemeiniglich alsdann ein Pro-
feſſor darneben Pro-Rector, welcher das Amt zu ver-
walten wiſſe. Vorzeiten waren zu Baſel die Herren
Studioſi darbey/ wann ein Rector gewaͤhlet wurde/
welches aber wieder abgekommen. Wer von den
Profeſſoren zum Rector erwaͤhlet worden/ darff dieſe
Wuͤrde nicht halßſtarriglich abſchlagen/ daher iſt zu
Gryphswald gebraͤuchlich/ daß/ ſo ein Profeſſor dieſe
angetragene Dignitaͤt gantzer 3. Tage freventlich ab-
ſchlaͤget/ und darzu keine erhebliche Urſache hat/ er
ſolche Vermeſſenheit mit 3. Guͤlden Straff-Geld
beguͤtigen/ und dannoch die Wuͤrde hernach anneh-
men muß/ wil er anders ſeine Privilegia nicht verlie-
ren. Matth. Stephan. de Acad. c. 11. n. 30. Die Uni-
verſitaͤt Wittenberg ſoll ein gleiches Statutum haben/
ſo aber noch eine reine Jungfrau/ auſſer Zweiffel/
weil daſelbſt keiner dieſe Dignitaͤt/ wornach die Her-
ren Profeſſores gemeiniglich ſehr verlangen/ bißhero
halßſtarrig abgeſchlagen hat. Wann er aber dieſe
Dignitaͤt angenommen/ muß er ſchwoͤren/ doch ſind
obge-
[841]Romans II. Buch.
obgedachte Standes-Perſonen/ wann ſie zu Recto-
ren gemacht werden/ von dem Eyde befreyet.
Das Amt eines Rectoris iſt/ daß er die ankom-
mende Studenten in die Univerſitaͤt-Roll immatri-
culiret/ daß er ſeine Academiſche Jurisdiction beob-
achte/ und alles das Jenige thue/ welches er zu thun
geſchworen hat. Jſt die Sache darnach beſchaffen/
ſo kan er die Studenten/ ſo etwas verbrochen/ allein
fuͤr ſich fordern laſſen/ und ihnen ein Urtheil ſprechen.
Bißweilen aber iſt die Beſchaffenheit der Sachen
alſo/ daß er etliche Aſſeſſores erwaͤhlet/ oder gar ein
Conſiſtorium beruffet/ worbey alle Profeſſores erſchei-
nen. Wann dieſe ein Urtheil ſprechen/ und es befin-
det ſich der Beklagte dardurch beleydiget/ mag er wol
appelliren/ doch nicht gerades Weges an den Kaͤyſer/
ſondern an die Naͤchſten/ ſo darzu berechtiget ſind/
nemlich an den Cantzler/ (wann es da gebraͤuchlich/)
oder an den Patron der Academie, wie zu Gryphswald
und an andern Orten zu geſchehen pfleget. Wann
der Rector außzuraͤyſen gedencket/ ſo muß er einem
andern Profeſſoren ſeine Autoritaͤt ſo lange auftra-
gen/ ſamt der Studenten-Matricul und Pettſchaſſt.
Zu Tuͤbingen muß er alsdann den naͤchſt vor ihm ge-
weſenen Rectorem an ſeine Stelle verordnen/ welcher
alle Dignitaͤten alsdann beſitzet/ als wann er ſelber
wuͤrcklich Rector waͤre/ wann aber deßfalls kein ge-
wiſſes Statutum obhanden/ und der abraͤyſende Rector
einen andern Profeſſor ſo lang an ſeine Stelle ernen-
net/ kan dieſer Subſtitutus die voͤllige Wuͤrde/ wie der
rechte Rector, nicht prætendiren/ ob er gleich an deſſen
Stelle regieret. Es iſt alſo ein Rector ein gar groſſer
Mann/ weil er deß Fuͤrſten oder hoͤchſten Obrigkeit
Perſon fuͤrſtellet/ und allen/ auch ſelbſt denen Bi-
ſchoͤffen/ die auf ſeiner Univerſitaͤt ſtudiren/ fuͤrgehet.
G g g 5Dahero
[842]Deß Academiſchen
Dahero wollen einige/ daß der/ welcher den Herꝛn
Rectorem beleydiget/ den Kopffverlohren habe. Was
fuͤr ſchoͤne Vorrechten und groſſes Anſehen der Rector
zu Loͤven habe/ kan bey Guicuardino in Deſcript. Belg.
und der zu Pariß/ ſolches kan bey Belleforeſt. in Hiſt.
Univerſ. de Mund. libr. 3. cap. 44. p. 235. geleſen wer-
den. Der Rector zu Padua traͤget einen Habit, wie
ein Venetianiſcher Raths-Herꝛ/ Ja/ wann er wil/
mag er einen guͤldenen Rock tragen/ und wann er ſei-
ne Zeit verwaltet/ machet man ihn zum Doctor, und
durch eine uͤberſandte guͤldene Ketten wird er zum
Ritter von St. Marco creiret. Contarenus de Republ.
Venetar.
Der Rector auf der Univerſitaͤt Bologne hat
die Macht/ einen vom Bann zu abſolviren. Math.
Stephan. d. Tr. c. 11. n. 18. Und der Rector zu Helm-
ſtadt iſt allemahl/ ſo lange er dieſe Wuͤrde bekleidet/
ein Graf deß Lateraniſchen Pallaſts/ deß Hofs und
Kaͤyſerl. Conſiſtorii. Sagittar. de Com. Palat. Th. 13.
Lit. A. Aber wir muͤſſen von den Herren Studen-
ten ſelber nun auch etwas reden/ welche man alſo
nennet von Studere, Studiren/ oder um gute Wiſſen-
ſchafften bemuͤhet ſeyn. Wann dieſe Purſch vor Jah-
ren zum erſten mahl auf Academien kamen/ wurden
ſie deponiret/ und vorher hieſſen ſie Bacchanten/ man
pflegte damahlen auch wol kleine Kinder von 3. 4. biß
14. 16. ꝛc. Jahren/ ehe ſie die Academiſche Wiſſen-
ſchafften erreichet/ zu deponiren/ dañ mit dieſen gieng
man allemahl gelinder um/ als mit den erwachſenen
Bengeln. Etliche Academien wollen ihnen dieſen
Gewinſt/ der aber meiſt allein der Philoſophiſchen Fa-
cultaͤt anheim faͤllet/ noch dieſe Stunde nicht fahren
laſſen. So gar/ waß junge Studenten ſchon auf an-
dern Academien ſich aufgehalten/ und hernach zu die-
ſen
[843]Romans II. Buch.
ſen kommen/ ſich doch muͤſſen deponiren laſſen/ wann
ſie kein Teſtimonium aufweiſen koͤnnen/ daß ſie ſchon
deponiret ſind. Es ſind gleichwol die Herren Pro-
feſſores, welche dieſem Depoſitionis Actui beyzuwoh-
nen pflegen/ eben nicht allemahl ſo ſtreng/ daß ſie ſich
nicht mit einem gelben Pfenning ſolten beguͤtigen
laſſen/ dann/ die Warheit zu bekennen/ es iſt ihnen
nur um das liebe Geldchen zu thun/ ſie ſagen: Auri
ſacra fames, und wer ihnen einen Ducaten gibt/ den
laſſen ſie wol undeponiret paſſiren/ wol wiſſend/ daß
durch das Deponiren kein Mohr kan weiß/ noch ein
Ungeſchickter geſchickt werden; Wie ich dann etliche
Knaben gekannt/ die/ weil ſie in der Jugend Luſt zum
Studiren hatten/ ſich deponiren lieſſen/ hernach aber/
da ihnen durch einen oder andern Zufall der Compaß
verruckt ward/ daß ſie den Studiis abſagen muſten/
ſich zwar ruͤhmeten/ wie hoch ſie es gebracht/ daß ſie
deponirt worden/ aber ſie blieben deßwegen dannoch
Hans in eodem, und hatte das Deponiren ihnen keine
Bacchanten-Hoͤrner abgenommen. Jch habe in Thuͤ-
ringen eine ſeltzame Sache erlebet/ daſelbſt waren
etliche halb-gelehrte Dorff-Kuͤſter/ welche/ weil ſie in
der Jugend deponirt worden/ einen ihres Mittels/
der doch ſchon laͤnger/ als ſie mit einander der Schu-
len und Kirchen gedienet/ auch Weib und Kinder hat-
te/ mit Conſens ihrer Herren Prieſter gantz und gar
auß ihrer Zunfft und Zeche ſchloſſen/ biß er ſich durch
eine Depoſition zu Jena wieder legitimirt hat/ in ihre
Geſellſchafft aufgenommen zu werden. Alſo brachten
es damahl dieſe naͤrriſche Kuͤſter dahin/ daß keiner ein
Kuͤſter werden kunte/ er waͤre dann deponirt/ welches
die Academien/ und inſonderheit die Pedellen/ uͤber-
auß gern ſahen. Und ſolcher halb-gelehrten Schul-
Pedanten gibts jetzo inſonderheit ſehr viel in Teutſch-
land/
[844]Deß Academiſchen
land/ von welchen Caſpar Bart nachfolgende Ehren-
Beſchreibung ſetzet: Die Schul-Fuͤchs/ ſpricht er/
welche nur halbe Menſchen ſind/ und ihnen nimmer
die Hoffnung machen koͤnnen/ rechte gantze Menſchen
zu werden/ als die mit den Motten und Buͤcherſcha-
ben/ (welche ſie auß ihrem erblichen Beſitz treiben/)
zu thun und ſtreiten haben/ werden gar fein bey den
Lateinern Umbratici, bey den Teutſchen Stubenhei-
tzer/ Callmaͤuſer/ Dintenfreſſer genennet/ dieweil ſie
gleichſam als der verſtorbenen Geiſter ihr Leben/ an
ſchattichten duncklen Orten/ in unaufhoͤrlicher Muͤh-
ſeeligkeit und freywilliger Marter/ mit Greinen und
Graͤmen zubringen/ welche/ wann ſie den andern
rechten Menſchen ungefaͤhr oͤffentlich unter Augen
kommen/ ſcheinen ſie nicht anders/ als ein Geſpenſt/
oder unſeelige Geiſter/ mit ſcheußlichen Geſichtern/
die da um die Todten-Begraͤbnuͤß wohnen/ dieſe/
wann ſie einer ungefaͤhr uͤberzwerchs-Feld erſiehet/
und gruͤſſet/ werden ſie geſchwind in ſich ſelbſt ver-
zuckt/ ruffen allen ihren Gedancken zuſam̃en zu Rath/
und befragen ſich bey ſich ſelbſt/ was dieſes wol be-
deuten mag/ ob es ihm zu Spott geſchehe/ oder/ ob es
vielleicht geſchehe auß einer ſonderlichen Him̃liſchen
Einflieſſung/ oder Influxion deß Geſtirns? Wann
ſie daran gedencken/ wie ſie leben/ wiſſen ſie nicht/ wie
ihnen geſchicht. Von guten hoͤflichen Sitten wiſſen
ſie auch nur auß hoͤren/ ſagen nichts/ koͤnnen mit Nie-
mand Converſation halten/ ſeyn im Werck keine
Menſchen/ ſondern nur Schatten vom Menſchen/
die da einen Leib ohne Seele und Gemuͤth/ und nur
allein mit kalten Gedancken uͤberſchwemmet/ herum
tragen. Man kan ſie erkennen an ihrem tuͤckiſchen
Geſicht/ grober unartiger Geſtalt/ runtzlichten Stirn/
an ihren im Maul abgezirckelten Worten/ dunckeln
und
[845]Romans II. Buch.
und nur unterſichtigen Blintzel-Augen/ langen Sa[x]-
boͤrſtigen Baͤrten und Haaren/ verſchimmelten und
vermoderten Geſtanck deß Leibs/ am langen Mantel/
der auf der einen Seiten laͤnger herab haͤnget/ dann
auf der andern. Wer ſie reden hoͤret/ mag wol ſagen/
daß ſie nicht wiſſen/ wie es in der Welt zugehe/ noch
was die Welt ſey. Sie pflegen keinen Fuß zu verſe-
tzen/ noch die Naſe zu ſchneutzen ohne Bedacht. Sol-
len ſie auch etwas der Zeit und der Gelegenheit nach
verrichten/ ſo werden ſie Beydes mit ihren langen
Rathſchlaͤgen verſaͤumen. Sie geben fuͤr/ ſie lehren
Weißheit/ da ſie doch ihr gantzes Leben zubringen in
Unordnung/ und gleichſam in der Vorbereitung deß
Lebens. Faͤllet ein Streit vor/ von der Ober-Stelle/
ſo wiſſen ſie denſelben ohn allen Aufſchub zu ſchlich-
ten/ dann ſie ſich ohne Maͤnnigliches Verſehen durch
einen unbedachtſamen Ehrgeitz woſelbſt zu ſetzen wiſ-
ſen. Sie halten es fuͤr eine groſſe Schmach/ und ver-
dreuſt ſie ſehr/ wann man ſie anſpricht/ und nicht zu-
vor einen Eingang oder Vorrede von ihrem herꝛ-
lichen Anſehen und weit-beruͤhmten Namen und
Thaten/ inſonderheit aber einen geadelten/ hochge-
lehrten und großmaͤchtigen Titul mit einem langen
dicken Fuchsſchwantz und demuͤthiger tieffer Reve-
rentz vorher machet/ ꝛc.
Thomas Overburius mahlet einen hoffaͤrtigen
Schulmeiſter mit nachfolgenden Worten/ als mit
lebendigen Farben ab: Er tritt nach der Tabulatur
herein/ mit der einen Hand ſcandiret er Verſe/ mit
der andern haͤlt er ſeinen Schul-Scepter/ es duͤrffen
ihm keine Gedancken in Sinn kommen/ da nicht der
Nomitavus Caſus das Verbum regierte/ er hat die Zeit
ſeines Lebens keinen Sinn oder Meynung/ dann er
gehet allein mit Worten um/ alle ſeine Ehre die ſuchet
er im Criticiſmo, und ſeine Exempel im Nizolio, ſeine
Phraſes
[846]Deß Academiſchen
Phraſes eligirt er nach dem Thon und Wollauten
der Sylben/ die 8. Partes Orationis ſind ſeine Famuli.
Kurtz/ er iſt ein Heteroclytus, dann er hat kein Plura-
lem Numerum, ſondern nur die Singularem Qualita-
tem der Wort/ macht er in dieſem kein Solœciſmum,
ſo iſt doch ſein gantzes Leben nichts anders/ als ein
Continuus Solœciſmus.
Aber die Beſchreibung eines Orbilii oder Schul-
Fuͤrſten auß deß Brusquembillii Prologis Comicis, iſt
noch viel ſeltzamer/ und lauter/ wie folget: Er iſt das
Haupt ſeiner Laͤuß/ ein ernſtlicher Regent/ lachete
nicht/ wann er ſchon ſaͤhe einen auf einem Butterweck
daher reiten. Ein Fuͤrſt aller Fuͤrſten/ dann ohne ihn
haͤtten die andern Fuͤrſten keine Menſchen zu Unter-
thanen/ ſondern nur Beſtien/ alſo macht er den Buͤr-
gern Obrigkeiten/ und den Obrigkeiten Buͤrger. Er
iſt der fuͤrnehmſte und erſte Stand deß Regiments/
oder gemeinen Nutzens/ dann Jedermann muß zum
erſten unter ſeinen Stab kommen/ und er urtheilet
Jedermann ohne Appellation oder Widerſprechen.
Sein Anſehen weiß er meiſterlich zu erhalten; Wañ
er unter ſeine Soldaten tritt/ muß es gleich vor ſeiner
Majeſtaͤt ein Erdbidem geben und alles erzittern.
Kommen etwa fremde Leute zu ihm/ ſo muͤſſen ge-
ſchwinde die Ubelthaͤter/ ſo das gantze Jahr durch
etwas begangen/ zum Exempel ſeiner Ritterlichen
Juſtitz geknicket ſeyn/ ſeine Diſcipuli ſind gegen ihm
zu rechnen/ gleich wie die uͤbrigen Poeten gegen ih-
rem Uhr-alten Vatter Homero, die man zu ſeinen
Fuͤſſen mahlet/ daß ſie alles auflecken/ was dieſer ko-
tzet. Er iſt gemeiniglich nicht ſo ſeelig/ daß er Kinder
habe/ dieweil er mit ander Leute Kinder alſo umgehet/
als ob ſie von Baͤumen fielen/ wie die Jrꝛlaͤndiſchen
Gaͤnß. Zu einem Schuſter iſt er verderbt/ dann er
hat
[847]Romans II. Buch.
hat nicht mehr als einen Laͤiſt/ uͤber den er alle ſeine
Buben ſpannet. Aber zu einem Feld-Oberſten iſt er
eine erwuͤnſchte Perſon/ dann er der Schuͤtzen ge-
wohnet/ und die Schuͤſſe wol leyden kan/ ſo hat er
das Arspaucken auch ſchon zum Beſten/ er iſt der
Allerkunſtreicheſte/ dann er hat alle Kunſt-Loͤcher
durchgucket/ und weiß aller Hintern Aufgaͤnge/ nur
ſeinen hat er nie geſehen. Jn Jedermanns Augen
kan er einen Balcken erſehen/ ſo lange er ſelbſt (das
Bloch) darfuͤr ſtehet. Es iſt ihm/ wie einem Hauß-
Huͤndlein/ kan Niemand unangebellet fuͤruͤber laſſen/
nicht daß er zu bellen Urſach haͤtte/ ſondern nur/ weil
er von Natur und Gewohnheit muß gebellet haben.
Kommt man ihm auf ſeinen Miſt/ ſo ſuchet er alles
herfuͤr/ einen zu verſuchen/ und zu examiniren/ ob ei-
ner auch ſo geſchickt ſey/ als er/ fehlet einer dann an
dem geringſten Woͤrtlein oder Commate im Donat,
ſo hat er ſchon die Reputation bey ihm verlohren;
Warlich/ warlich/ ſagt er/ es iſt nichts mit ihm/ er zer-
ſchmeltzet vor mir/ wie Schnee in der Sonnen. Er iſt
ein lauter Welt-Kind/ Pranchſicint, ein Puer Empi-
ricus, \&c. dann er ſchwur einen theuren Eyd darauf/
man muß nur darum ſtudiren/ daß man tieff-gelehrt
ſey und viel wiſſe/ und gegen den Theoricis oder Spe-
culirern nur elende Eſel ſeyn. Daher kommt es/ daß
er Jedermann außlachet/ und wieder von Jedermann
außgelachet wird/ allein er iſt den andern darinn uͤber-
legen/ (welche Gluͤckſeeligkeit man ihm gleichwol
ſchier mißgoͤnnet) daß er nemlich reicher iſt/ als die an-
dern/ dann die andern haben nur einen Narren an
ihm allein/ er aber haͤlt alle die andern/ auſſer ſeinem
Stand/ vor Narren/ wiewol das Gewicht ſeiner
Narꝛheit die Menge der andern wol uͤberwiegen
koͤnte/ alſo/ daß es ein groſſes Wunder iſt/ wann ein
witziger
[848]Deß Academiſchen
witziger Mann auß ſeiner Schule kommt/ weil er un-
ter allen ſeinen Zuhoͤrern der groͤſſeſte Narꝛ iſt/ alſo/
daß man ſich billich verwundert/ daß er nicht auch/
wie ſonſt ein Narꝛ zehen Narren macht. Die Latei-
niſche Sprach haͤlt er ſo hoch/ daß er nur darum allein
nicht zu Hof ſeyn mag/ weil man nicht Lateiniſch da-
ſelbſt redet; Ja ich wil/ er ſoll ſich deß ewigen Lebens
verzeyhen/ wann er wuͤſte/ daß man da kein Latein re-
den wird. Sein gantzes Leben iſt ein Parodoxum, ſei-
ne einzige Erquickung und Lufftſchoͤpffung iſt von den
Winden/ die von Niedergang blaſen/ die man ſonſt
Zephyros oder Zehen-Fuͤrſt nennet. Da er zum erſten
mahl deß Ariſtotelis Syllogiſtica lieſet/ faͤnget er ſelbſt
an zu verzweiffeln/ ob er biß dahero auch eine ver-
nuͤnfftige Creatur geweſen/ faͤnget zugleich an/ deß
Menſchlichen Geſchlechts Elend zu beweinen/ daß ſie
nicht alle ſolcher hohen Geheimnuͤſſen der Vernunfft
theilhafftig werden koͤnten/ ſondern alſo/ wie das un-
vernuͤnffrige Vieh/ ohne Ration und Verſtand dahin
lebeten. Mit einem Wort/ er iſt unter allen Scharff-
richtern der Gnaͤdigſte/ und unter allen Schmeiß-
haußfegern der Saͤuberſte.
Das XXVI. Capitul/
Diſcurs Thomæ Garzonii von den Grammaticis und Schul-
meiſtern/ und von ihrer ſeltzamen Einbildung.
WO mir recht iſt/ fiel Cavina dem Schweitzer
jetzo ins Wort/ ſo habe ich bey dem Welt-
bekandten Thoma Garzonio einen artlichen
Diſcurs von den Schulmeiſtern und Grammaticis in
ſeinem Schau-Platz aller Kuͤnſten geleſen/ welcher
ſich in folgende Worte deßfalls herauß laͤſſet: Her-
gegen aber finden ſich auch etliche/ von welchen ich
nicht viel Gutes zu ſagen weiß/ weiß auch nicht/ ob
man ſie unter die Grammaticos, wie ſie dann gar Puri
Puti,
[849]Romans II. Buch.
Puti, das iſt/ lauter reine Grammatici ſeyn wollen/
oder unter die Pedanten/ das iſt/ unter die Schul-
Fuͤchs zehlen ſoll. Dieſes ſind die/ ſo wol einen gantzen
Tag auf dem Marckt/ oder in einem Laden/ oder ſonſt
bey einer Geſellſchafft/ gelehrter Leute ſtehen/ und di-
ſputiren. Ja/ zancken ſich um geringer und nichtiger
Grammaticaliſcher Sachen willen/ mit vollem Ge-
ſchrey und Eyfer/ als wann Leib und Leben daran ge-
legen waͤre/ und fuͤllen Jedermann die Ohren ſo voll/
daß ſie auch einem Schmidt bey ſeinem Amboß uͤber-
druͤſſig und beſchwerlich ſeyn moͤchten. Da ſchwoͤret
man bey dem Polluce und Hercule, und bey allen
Goͤttern/ die muͤſſen auch darmit bemuͤhet ſeyn/ und
iſt manchmahl nur darum zu thun/ ob man die Buch-
ſtaben V und Z allein im Griechiſchen/ oder auch in
den Lateiniſchen Woͤrtern brauchen ſoll; Ob man
die Animam Ariſtotelis, die er Entelechiam nennet/
mit einem D oder T ſchreiben ſolle/ ob H auch ein
Buchſtaben ſey/ oder nur eine Nota Aſpirationis, ob
man deß Buchſtabens X bedoͤrffe oder nicht/ ſinte-
mahl man vor Zeiten an ſtatt deſſelben CS gebraucht/
und Pacs, Lecs geſchrieben/ da man jetzunder Pax und
Lex außmacht. Item, ob der Name Ulyſſes mit einem
X Ulyxes, oder zweyen SS ſoll geſchrieben werden.
Item, ob nur 3. Partes Orationis ſeyn/ nemlich Nomen,
Verbum, und Conjunctio, wie Ariſtoteles und Theo-
dorus wollen; Oder ob deren 4. wie die Stoici vorge-
ben/ welche die Articulos von den Conjunctionibus
unterſcheiden. Item, ob man die Andere/ ſo lang her-
nach ſeyn geſetzt worden/ auch fuͤr Partes Orationis
halten ſoll/ wie Ariſtarchus und Palæmon ſolches ha-
ben wollen. Item, ob der Pronominum 15. wie Priſcianus
wil/ oder deren mehr ſeyn/ wie Diomedes und Pho-
cas wollen. Item, ob man auch doppelte Buchſtaben
H h hdoͤrffe
[850]Deß Academiſchen
doͤrffe gebrauchen/ als in den Worten Cauſa, Religio,
da etliche ſchreiben Cauſſa, Relligio, oder ob es gnug
an einem S und L, und was dergleichen Sachen mehr
ſeyn/ als Accentus, Puncta, Ortographiam, Pronun-
tiation, Form und Figur der Buchſtaben/ Etymolo-
gias, Analogias, Præcepta, Regulas, Declinationes,
Modos ſignificandi, Mutationes Caſuum, Varietates
temporum, \&c. daruͤber ſie mit groſſem Ernſt und
Eyfer halten/ und billich von Luciano Samoſatenſi
in einem ſonderlichen Buͤchlein/ welches er von dem
Streit der zwey Buchſtaben S und T geſchrieben/ gar
artig außgelachet werden/ deßgleichen von Andrea
Salernitano, welcher das Bellum Grammaticale gar
artig ſolchen Grammatiſten zu Spott beſchrieben.
Beneben dieſen ſind auch andere/ die wollen gar zu
gute und reine Grammatici ſeyn; Meſſala hat von
jedem Buchſtaben ein beſonder Buch geſchrieben.
Beroaldus wil den Servium tadeln/ daß er ſich mit Sa-
biniſchen/ Præneſtiniſchen und Thuſciſchen Woͤrtern
beholffen habe. Aſinius Pollio wil dem Tito Livio
Schuld geben/ er nehme den Landsmann zu ſehr mit/
und wolle auch in den Worten gar zu Paduaniſch
ſeyn. Palæmon wil gar an den Marcum Varronem,
um geringer Gram̃aticaliſcher Sachen willen. Quin-
tilianus wil dem Senecæ ein Product geben/ dieweil er
in geringen kurtzen Sententiis die Krafft und den
Nachdruck etlicher Woͤrter vernichtet. Valla zeucht
alle die Grammaticos, ſo fuͤr ihm geweſen/ heruͤber/
und wird von Mancinello und Poggio wieder heruͤber
gezogen. Uber dieſe finden ſich endlich noch etliche
Pedanten und Schul-Fuͤchſe/ welche um ihrer boͤſen
Qualitaͤten willen billich bey Jedermann verhaſſet
ſeyn ſollen die man ſiehet an dem eigenſinniſchen und
Hirnſchelligen Domitiano, (NB. Domitianus à Domi-
tor
[851]Romans II. Buch.
tor \& anus, der die Buben nur bey dem Hintern auf-
zaͤumet/) ſo zu Rom ein Schulmeiſter geweſen/ und
an dem unbeſcheidenen Orbilio, (Orbilius quaſi orbis-
bilis, die Geiſel/ Ruthe oder Zorn der Welt/) ſo zur
Zeit Ciceronis zu Benevent ein Schulmeiſter gewe-
ſen. Item, an Rhennio Palamone, welcher ſich bedun-
cken ließ/ es waͤren die freyen Kuͤnſte mit ihm aufkom-
men/ und ſolten auch wiederum mit ihm abſterben.
Item, an Lionide, der ein Pædagogus Alexandri gewe-
ſen/ und wie Diogenes Babylonicus ſchreibet/ deſſen
Gemuͤth in der Jugend zu allerhand Untugend ange-
fuͤhret/ und an einem andern/ welchen Crates Philoſo-
phus mit Faͤuſten geſchlagen/ dieweil er einen ihm
vertrauten Knaben in ſeiner Jugend verderbet hatte.
Was ſoll ich ſagen von etlichen boͤſen Laͤſtermaͤulern/
welche alles wollen tadeln/ reformiren und critiſiren?
Einer ſchilt den Platonem, daß er keine Ordnung haͤlt
in ſeinen Schrifften/ der andere ſagt vom Virgilio, er
habe den Theocritum und Homerum beraubet/ ja wol
gar geſchunden. Ein anderer ſagt vom Cicerone, daß
er auch nicht die beſte Ordnung uͤberall gehalten ha-
be. Ein anderer wil an den Saluſtium, daß er zu ſehr
gezwungen ſey. Ein anderer ſchnurret den Terentium
an/ daß er ſeine Comœdias von Labeone und Scipione
gebettelt. Macrobius muß auch ein Undanckbar- und
Unverſchaͤmter ſeyn. Plinius ein Luͤgner/ Ovidius ein
Eigenruͤhmiger. Jn Summa/ es gehet keiner vor-
uͤber/ der ihnen nicht muß herhalten/ und ſich von ih-
nen laſſen meiſtern. Was ſoll ich ſagen von einem
naͤrriſchen Hochmuth etlicher/ welche/ damit ſie ge-
ſehen werden/ mit einem Spruch/ welchen ſie auß dem
Cicerone, oder auß einem Poeten außwendig geler-
net/ aufgezogen kommen/ recitiren/ exponiren und
gloſſiren ſie denſelben mit Magiſtraliſcher Kunſt/ daß
H h h 2den
[852]Deß Academiſchen
den Zuhoͤrern die Ohren ſchwitzen moͤchten; Da ſolte
man ihnen billich entgegen ruffen:
Bißweilen kommen ſie auch/ wann ſie die Andacht
ſticht/ mit einem Spruch auß H. Schrifft herein ge-
tretten/ und machen ſeltzame Gloſſen daruͤber/ daß
man auch Kroͤten damit vergeben moͤchte. Was ſoll
ich ſagen von wunderſeltzamen Proſopopœiis, mit wel-
chen ſie herein gepranget kommen/ als haͤtten ſie alle
Kuͤnſte gefreſſen? Da kommt bißweilen ein Perottus,
ein Catolicius, ein Deſpauterius, ein Mancinellus, ein
Priſcianus, ein David Britannus, ein Auguſtinus Pa-
thus, ein Adamus Trajectenſis, ein Magiſter Telbene,
ein Terentius, ein Scopas, und andere dergleichen ge-
lehrter Leute mehr/ von welchen ſie hier ein wenig und
dort ein wenig herauß klauben/ und mit groſſem
Pracht ihren Diſcipeln einblaͤuen/ und wann man ih-
nen dieſelbe abkauffte/ ſo ſolten ſie kaum das Janua
ſum rudibus deß Donati koͤnnen. Cantalicius der ſpot-
tet eines ſolchen Pedanten gar artig/ welcher Branchi-
das geheiſſen/ mit nachfolgenden Verſen:
Wie viel beſſer und zutraͤglicher waͤre es/ daß an ſol-
chen Geſellen der Wunſch deß Quintiliani erfuͤllet
waͤre/ da er ſaget: An den Pædagogis und Schulmei-
ſtern moͤchte man dieſes zum hoͤchſten wuͤnſchen/ daß
ſie entweder gar gelehrt waͤren/ welches ſie ihnen
auch am meiſten ſollen laſſen angelegen ſeyn/ oder/
daß
[853]Romans II. Buch.
daß ſie wuͤſten/ daß ſie nicht gelehrt ſeyn; Und ſagte
hierinn gar recht und wol/ dañ es iſt kein ſchaͤndlicher
Ding in einer Schul/ als wann der Præceptor ſich
nicht kennet/ und laͤſſet ſich duͤncken/ er ſey gelehrter/
als er iſt/ und koͤnne auch ſeine Knaben bald gelehrt
machen. Von einem ſolchen Duͤnckel ſagt obgemel-
ter Cantalicius, welcher auch ein Præceptor Scholæ
geweſen:
Das iſt: Jener lehret A B C. kaum recht in dreyen
Jahren/ und dulehreſt in dreyen Monden deine Kna-
ben auch die Stern? Was ſoll ich ſagen von einer
naͤrriſchen Pedantiſchen Gravitaͤt etlicher/ die mit ih-
rem Baculo Magiſtrali, mit ihrem kahlen Rock/ der
nicht weniger als 5. Jubel-Jahr geſehen/ mit ihrem
Meiſterlichen Geſang/ beydes der Proſen und der
Vers/ mit ihrem Hauffen nachfolgender Knaben/ die
ſie zum Pracht auf- und anfuͤhren/ mit ihrem Lateini-
ſchen Gruß/ Salus, Salvete, Avete Domini, \&c. mit
ihrer ſtattlichen und uͤbermachten Reverentz/ mit ih-
rem aufgeblaſenen Stand und Gang/ als wann ſie
lauter Tullii waͤren/ mit ihrem praͤchtigen Leſen/ mit
ihren ſchnarchenden Reden/ wann ſie ihre Knaben
examiniren/ mit ihrem anſehnlichen Auf- und Abtret-
ten in der Schule/ als wann ſie Pfauen oder Welſche
Hahnen waͤren. Jn Sum̃a/ ſich mit allerhand ſolchen
anſehnlichen Majeſtaͤtiſ. Gebaͤrden/ Worten uñ We-
ſen ſehen und hoͤren laſſen? Item, von ihren ernſtlichen
Erinnerungen/ die ſie ſtaͤtig an ihren Knaben thun/
daß ſie deß Priſciani Fußſtapffen fleiſſig ſollen nach-
folgen/ daß ſie dem Diomede nicht ſollen abweichen/
daß ſie allezeit ein gut Buch/ als ein Cornu Copiæ
H h h 3ſollen
[854]Deß Academiſchen
ſollen unter dem Arm/ oder in den Hoſen tragen/ daß
ſie ihr Catholicon, ihren Papiam, beneben dem Ma-
motracto, bey Leib nicht dahinden laſſen/ und was
dergleichen Befehl mehr ſeyn/ damit man ſie ja uͤber-
all/ wo ſie ſind/ gehen oder ſtehen/ fuͤr fleiſſige/ ſorgfaͤl-
tige und gelehrte Schuͤler anſehe/ da ſie doch nichts
als Eſel ziehen/ die zwar Buͤcher tragen/ aber nicht
wiſſen/ oder verſtehen koͤnnen/ was darinnen iſt. Was
ſoll ich ſagen von ihren ſtoltzen und uͤbermuͤthigen
Reden/ in welchen ſie alle Sprachen unter einander
hacken/ auf daß man ihre Pedantiſche und grobiani-
ſche Gelehrtheit uͤberall ſpuͤhre. Sollen ſie etwas
parliren/ ſo muß es alles Latiniſirt ſeyn/ ſonſten taugt
es nichts/ und moͤchten es vielleicht die Communes
percipiren.
Dieſes ſeynd die jenigen Witzbeſtellter/ von
denen Marius Spelta in ſeiner klugen Narꝛheit lib.
cap. 16. ſaget/ die ſich einig und allein verderben in
Sophiſterey/ und ſolchen Philoſophiſchen fluͤchtigen
Wetter-wendigen/ nichts-guͤltigen/ und nichts-ſollen-
den kindiſchen Quæſtionen und Fragen. Alſo gehen
die Sachen leyder uͤbel von ſtatten/ wann die Re-
public von ſolchen Philoſophiaſtern einig gubernirt
und verwaltet werden/ als die anders nichts haben/
dann ihre Sophiſtereyen/ Fantaſeyen/ Mucken/ dar-
neben aber keine Praxin nicht.
Mit denen kommen faſt uͤberein die jenige Phi-
loſophi deß erſten Geſchlechts/ die Laurentius Gri-
malius de Opt. Senat. libr. 1. p. 76. (oder Liberius à
Bodenſtein in Juris Prud. Polit. libr. 1. c. 23. dann
ſie nur ein Titul unterſcheidet/) vor untuͤchtig zum
Regiment haͤlt/ als die den rechten Abgrund der Phi-
loſophie noch nicht erſchmackt/ noch durch deroſelbi-
gen Geſetz und Lehr-Reguln der Begierden und La-
ſterdurſt
[855]Romans II. Buch.
ſterdurſt in ihnen ſelbſt geloͤſchet/ derohalben ſie auch
der Tugend und Philoſophie gantz ungemaͤß leben/
als welche noch nicht in ihnen recht eingewurtzelt iſt/
ſintemahl ſie ſonſt nicht allein gelehrte/ ſondern auch
fromme Leute auß ihnen gemacht haͤtte. Dahero
Johann Gebhard in Fuͤrſtl. Tiſch-Reden lib. c. 23.
offtermahls mit etlichen vornehmen Fuͤrſten nicht
wol zufrieden/ daß ſie ihre Kinder ſchlimmen Pedan-
ten und Schul-Haſen/ welche auſſerhalb der Schul
Fuchſerey an Sitten/ Gebaͤrden/ und allem ihrem
Thun und Laſſen die groͤbeſten Bengel ſeyn/ ver-
trauet haben/ ſo es darvor halten/ wann ihre Diſcipeln
in 7. oder 8. Jahren die Lateiniſche und Griechiſche
Grammatic perfectè ad unguem, an einem Schnuͤr-
lein mit allen Regeln und Anomalis Figuris, von
Wort zu Wort daher ſprechen und plaudern koͤn-
nen/ auch etwas auß dem Cicerone und Virgilio zu
ſagen wiſſen/ daß ſie es wol gewaltig getroffen haben/
als wann eben Lateiniſch reden das Beſte an einem
Fuͤrſten waͤre/ ſo gleichwol fuͤrwar eine groſſe Zier iſt.
Und das ſeyn die Hauß-Katzen und Hummeln/
Spießtraͤger/ Birnbrater und Stubenheitzer/ von
denen obgenannter Marius Spelta ein beſonder Capi-
tel ſchreibet/ lib. 2. c. 4. der Klugwahrheit/ die ſich
vor Correctores aufwerffen/ und ſeyn Corruptores,
auch meiſtentheils Gaͤnſe/ und wollen doch mit
Schwanen lauffen/ die zu| Zeiten den Diſcipuln Flaͤd-
lein und Paſtetlein kauffen/ mit einander in Proquel-
lis leben/ und laſſen GOtt einen guten Mann ſeyn/
tragen den Maͤgden das Holtz und Waſſer in die
Kuͤchen/ und ſeyn das Fac Totum im Hauß/ thun aller-
hand Boſel-Arbeit/ und damit ſie die Kuchen nicht
verlieren/ laſſen ſie 7. Wochen vor einen Monat da-
hin rauſchen. Dieſen allen pfleget es gemeiniglich zu
H h h 4ergehen/
[856]Deß Academiſchen
ergehen/ und zwar recht/ wie jenem Pœdagogo, der
nach Rapian kommen/ der Meynung/ etliche ſeiner al-
ten Diſcipel zu beſuchen/ ſo daſelbſt ſtudirten/ und iſt
der gaͤntzlichen Hoffnung geweſen/ weil ſie vor Jah-
ren unter ſeiner Diſciplin, und nun von ihm kommen
waren/ er auch mit ihnen viel Muͤhe gehabt/ ſie wuͤr-
den ihm groſſe Courteſie und Freundſchafft erweiſen/
und das Bien Venuto gegen ihm ſprechen. Was ge-
ſchicht? Der unwerthe Gaſt hat wollen einen derſel-
ben emendiren/ dann er hatte geſagt/ Domini Scho-
lares wurnet ihn/ er ſolte forthin ſolches Vocabulum
nicht mehr gebrauchen/ fuͤrgebend/ es ſey Barbariſch
geredt. Hierauf hat ihm alſo der Diſcipel zur Ant-
wort geben: Nein/ freylich nicht/ es iſt nicht Barba-
riſch/ ſondern Africaniſch. Letztlich/ nachdem ſie lang
certirten/ und ſich zerzancketen/ ob es Barbariſch oder
Africaniſch ſey/ haben die Diſcipel eines gethan/ den
miſerum Hoſpitem genommen/ heruͤber gebuͤckt/ und
mit der Peitſchen ihm tapffer uͤber das Geſaͤß gefah-
ren/ und einer derſelbigen/ ſo die Hertz-Stoͤſſe gethan/
hat zu jedwedern Streich geſagt: Jſt das Barba-
riſch/ oder Africaniſch? Und als er mit der Sprach
nicht herauß gewolt/ hat er ſo lange zugeſchmiſſen/
biß er Ja oder Nein hat wollen ſagen. Aber ehe er
auß Scham hat wollen Africaniſch ſagen/ ehe hat er
ihm mehr dann uͤber die 100. Streiche geben laſſen.
Jch halte/ es ſolte ein Confortativ auf dieſes Schwitz-
Bad wol gethan haben.
Das XXVII. Capitul/
Trollraiſonnirt auch uͤber diePedanten. Was bey den
Studenten erfordert wird. Sie ſollen keine unnuͤtze Buͤcher leſen.
DIe gantze Geſellſchafft muſte ſich dieſer Be-
ſchreibung gnug zerlachen/ Troll aber ſagte:
Aber/ ihr guten Herren/ ſaget mir doch/ was
haben
[857]Romans II. Buch.
haben euch die Schul-Fuͤchſe zu Leyd gethan? Jch
glaube/ ſie haben euch in eurer Jugend etwas hart
abgeſtriegelt/ weil ihr Gottloſe Kumpen geweſen
ſeyd/ daß ſie ſich aber viel einbilden/ deſſen haben ſie
groſſe Urſache/ dann ſie ſind abſolute Regenten auf
ihren Miſten/ und wer ihnen in der Schulen wider-
ſpricht/ der wird ihren Grimm empfinden. Jch bin/
ſeit dem ich zu Stachelfeld ein Schul- und Kirchen-
Bedienter geweſen/ in der That gantz anders wor-
den/ und kenne mich ſchier ſelber nicht mehr/ wann
auch Condado nicht bald wieder zu mir kommt/ ſo
quittire ich ſeine Dienſte. Meines Erachtens koͤnte
ein Schul-Tyrann auf dieſe Weiſe beſchrieben wer-
den:
ER iſt eine Gewalt ohne Vernunfft/ dann gleichwie die groben
Jaͤger/ Bereuter/ und dergleichen Leute/ ihre Hunde und
Pferde durch Grauſamkeit/ Schrecken/ Streiche und Hunger
abrichten/ alſo dringet auch dieſer bey ſolchen Buben durch mit
Gewalt/ nicht mit Beſcheidenheit/ was er heiſſet/ oder dictiret/
muß ohne Fragen und Widerrede geſchehen/ recht und wahr
ſeyn/ ſie geben Niemand Rede und Antwort/ und ſolte auch Cy-
rus der Koͤnig und der weiſe Caro ihre Diſcipel ſeyn/ welche bey-
de ihren Præceproren alſo fern Glauben zugeſtellet haben/ daß
ſie ihren doch auch eines jeden Dings Urſachen und Grund dar-
bey ſagen muͤſſen. Daß ſo viel boͤſer Buͤrger in der Stadt ſeyn/
daran iſt er ſchuldig/ als der ſie gleich in ihrer beſten Bluͤthe ver-
derbet/ und zu Phantaſten/ oder gar halßſtarrigen Bloͤchern
machet/ dann er weiß keinen Unterſcheid zu halten/ daß nemlich
manche Tugend oder Natur der Sporen/ manche deß Zaums
bedarff/ und Jene getrieben ſeyn wil/ dieſe aber ſich ſelbſt treibet.
Ja er movirt auch manchmahl Acheronta, und wil die
Buben mit dem Teufel meiſtern/ bevorab/ wann er zu viel ge-
ſchoͤppet/ da er dann ſonderlich ſeine Ritterliche Authoritaͤt ſehen
zu laſſen pfleget. Seine Hoſen ſeyn wie 2. alter Teutſcher Puf-
fer-Hulfftern/ die Naß-Tuͤcher haͤlt er fuͤr ein uͤbrig koflbar
Werck/ dann er ſchnaͤutzet ſich in den Mantel/ oder wiſchet die
Naſe auf dem Ermel. Wo Jedermann luſtig iſt/ da ſitzet er
gantz ſtille/ haͤlt die Gravitaͤt/ als giengen ihm deß gantzen Reichs
H h h 5Geſchaͤffte
[858]Deß Academiſchen
Geſchaͤffte im Kopff um/ und begehret nichts zu reden/ als nur/
wann man ihm allein zuhoͤret. Er iſt keinem Menſchen auf die-
ſer Welt unterworffen/ als ſeinem Weib/ und das nur zu dem
Ende/ damit ſie ſich ihm hinwiederum unterwerffe.
Er meynet/ es ſey kein Witz/ als Buͤcher-Witz/ und der
Menſch lebe nur darum/ auf daß er leſe und ſtudire/ und leſe
nicht darum/ auf daß er lebe! Geſtalt er ſelbſt immer zu lieſet/
gleich als ob man nichts auß der taͤglichen Erfahrung/ und der
taͤglichen Experientz/ oder dem groſſen Natur-Buch lernen koͤnte.
Alle ſeine Gedancken ſchlaͤget er in Buͤchern nach/ ſo bald
er ſie nicht darinnen findet/ verwirfft er ſie/ als ob er ſie unrecht
geleſen/ viel weniger meynet er/ daß er etwas reden duͤrffte/ ſo er
nicht zuvor bey einem andern geleſen. Er kan ihm nicht einbil-
den/ daß der Menſch etwas von Natur habe/ ſondern muß alles
lernen/ Geſtalt er ſich ſelbſt zu einer immerwaͤhrenden Unwiſ-
ſenheit verdammet/ und ſich als ein Servum Pecus nur zur
Mutation gewoͤhnet/ nicht ſelber inventirt/ ſondern nur dahin
ſich befleiſſiget/ wie er zum Allerzierlichſten das Jenige aufklau-
ben und auflecken koͤñe/ was andere geſpeyet haben. Er kan nicht
glauben/ daß Adam ohn Buͤcher ſey gelehrt worden/ oder daß die
Jenigen/ ſo vor Aufkommung der Buͤcher und deß Buͤcherſchrei-
bens gelebet/ etwas haben wiſſen koͤñen/ gleich als ob der Menſch
nichts von Geſchicklichkeit in der Natur/ Vernunfft und im Ver-
ſtand haͤtte/ ſondern alles in den groſſen und manchmahl wider-
waͤrtigen Buͤchern ſuchen muͤſte. Er hat kein natuͤrlich/ ſondern
ein Artificial-Judicium, dannenhero mancher Bauer/ der nur
natuͤrliche Reden und Verſtand fuͤhret/ beſſer urtheilet/ als er/
er gibt Niemand Rationem, doch wil er Jedermanns Wort und
Werck an ſeine Rationes und Regulas anhalten/ gleich/ als ob es
ſo wol um uns Menſchen ſtuͤnde/ daß alles nach den Reguln
koͤnte gerichtet werden/ und Jedermann nach der Grammatic
reden und thun koͤnte/ und wann er weit kommt/ daß er die Con-
ſuetudinem oder Uſum nicht mehr verthaͤdigen kan/ ſo nennet er
es ein Anomaliam, Gracillum, Exceptionem, und ſo fort an. Jn
Sum̃a, ich war zu Stachelfeld ein pur lauterer kuͤnftlicher Eſel.
Aber mein Herꝛ/ ſprach er zum gelehrten Schwei-
tzer/ ihr habt euch allzulang bey den Schulmeiſtern
aufgehalten/ wir haben allerſeits groſſes Verlangen/
ein Mehrers auß eurem beredten Munde von den
Acade-
[859]Romans II. Buch.
Academien zu vernehmen. Dieſer begunte alſo ſeinen
Diſcurs wieder fortzuſetzen/ ſprach derowegen:
WIe es ſcheinet/ ſo iſt das Deponiren von den Gelehrten auch
zu Ungelehrten kommen/ dann was iſt das Haͤnſeln an-
ders/ als das Deponiren? Die Kauffleute zu Bergen in Nor-
wegen pflegen ihre Jungen/ in dem ſo genannten Waſſerſpiel
Jaͤhrlich einmahl/ biß ſie 8. Jahr alt ſind/ erbaͤrmlich zu geiſſeln/
daß ſie halb-geſchundenen Leuten aͤhnlich ſehen. Kirchnerus de
Republ. Diſp. 14. Hypoth 1. lit. a. Wann ſonſten einer mit den
Kauffleuten auf eine groſſe Kauff-Meſſe zum erſten mahl raͤy-
ſet/ ſo pflegen ſie ihn auch zu haͤnſeln. Solcher Geſtalt iſt ein
Ort zwiſchen Nuͤrnberg und Leipzig/ ohnweit Coburg/ der heiſ-
ſet Neuſtaͤttlein/ da pfleget man alle Neulinge zu haͤnſeln/ und
in dem Wald zwiſchen Herſchfeld und Berken/ der Thuͤringen
und Heſſen von einander ſcheidet/ da ſiehet man in der Hoͤhe an
der Land-Straffen einen groſſen Stein mit einem Loch auf der
Erden/ der das Nadel-Ohr heiſſet/ dardurch muͤſſen die Jenige
kriechen/ ſo niemahl da fuͤrbey gewandert ſind. Wann ein Frem-
der zum erſten mahl nach St. Goat, ſo eine Land-Graͤfliche Heſ-
ſiſche Stadt am Rhein/ kommet/ findet er daſelbſt ein angemach-
tes kupffernes Halß-Band/ in welches er ſeinen Halß ſtecken
muß/ und alsdann fraget man ihn/ ob er mit Waſſer oder Wein
wolle getaufft ſeyn? Waͤhlen ſie nun den Wein/ ſo muͤſſen ſie
ſich mit einer Wein-Collation bey der Geſellſchafft loͤſen. Haben
ſie aber nicht viel Geld/ und wollen mit Waſſer getauſſet ſeyn/
ſo wird ihnen ein Eymer voll Waſſers uͤbern Kopff geſchuͤttet.
Vorzeiten iſt dieſes Halß-Band von Bley geweſen/ und von
Carolo V. dahin verehret worden. Als die Koͤnigin Chriſtina
von Schweden hier durchraͤyſete/ verehrete ſie einen groſſen ſil-
bernen Kopff/ oder Becher hieher/ worauß man beym Haͤnſeln
den Wein zu trincken pfleget. Die Kauffleute ſind darbey offt
ſo ſtreng/ daß ſie auch die Studenten/ welche doch mit ihrer Pro-
feſſion nichts zu thun haben/ auch ſchon durch die Pedellen ge-
haͤnſelt ſind/ in ihrer Geſellſchafft zu haͤnſeln pflegen. Aber die
Studenten zu Gieſſen haben ihnen vor einigen Jahren das
Maaß wieder voll gemacht/ und etliche ſolcher fuͤrwitzigen
Kauffleute rechtſchaffen Jure Talionis gehaͤnſelt. Wann die
Handwercks-Meiſter einen Jungen in den Geſellen-Stand er-
heben/ ſo haben ſie auch eine Art deß Deponirens/ oder Haͤn-
ſelns/ aber es waͤre wol gut/ wann man ſolche Narren-Poſſen
mit einander einmahl abſchaffete/ wodurch die Jugend wenig
gebeſſert wird.
An
[860]Deß Academiſchen
An einem Studenten/ damit wir wieder auf unſere Mate-
rie kommen/ wird erfordert/ daß er jung ſey/ dann ſolcher Geſtalt
iſt am geſchickteſten/ etwas zu lernen/ dahero ſagte Bartolus zu
Balde von Perugia, der im 40. Jahr ſeines Alters allererſt ein
Juriſt werden wolte: Tardè veniſti Balde! Mein Balde, du biſt
ziemlich ſpaͤt kom̃en! Aber er iſt doch noch ein guter Juriſt wor-
den. Jn ſolchem Alter haben auch Acurſius und Fr. Aretinus
die Jura zu ſtudiren angefangen. Daß aber etliche den Studen-
ten/ wann ſie 25. Jahr alt worden/ ihre Privilegia entziehen wol-
len/ als wann ſie hernach nicht weiter zunehmen koͤnten/ das iſt
ſehr hart/ jener Juris-Conſultus ſagt ja/ l. 20. ff. de Fideicom̃iſſ.
Libert. Etiamſi alterum pedem in tumulo haberem, non pige-
ret aliquid addiſcere. Wann ich den einen Fuß ſchon im Grab
haͤtte/ wuͤrde mich doch nicht ſchaͤmen/ noch etwas zu lernen.
Es wird auch bey einem Studenten erfordert/ daß er zu den
Wiſſenſchafften eine Begierde habe. Nicolaus Reuſnerus erfo-
dert bey einem Menſchen/ der ſtudiren wil/ in nachfolgenden
Verſen dieſe Stuͤcke:
Juris-Conſultus ſic potes eſſe bonus.’
So bald nun die Studenten eine Academie erreichet/ muͤſſen ſie
von dem Rectore begehren/ eingeſchrieben zu werden/ und das
zwar innerhalb gewiſſen Tagen/ dann wer zu Gieſſen ſich in
9. Tagen nicht einſchreiben laͤſſet/ der wird vom Magnifico ge-
ſtrafft. Und alſo wird es auch zu Roſtock gehalten. Aber zu
Jena iſt eine kuͤrtzere Zeit beſtimmet/ dann Libr. Privil. Con-
ſtit. \& Statut. Acad. Jenenſ p. 5. lieſet man dieſe Worte: So
wollen wir/ daß kein fremder Student uͤber 3. Tage in unſerer
Stadt Jena gedultet werden ſolle/ der ſeinen Namen nicht bey
dem Rectore angegeben/ und in Matriculam, ſo darzu verord-
net/ hat ſchreiben laſſen. Zu Orleans in Franckreich muß ein
Teutſcher innerhalb 3. Wochen nach ſeiner Ankunfft ſeinen Na-
men in das Buch ſeiner Nation einzeichnen laſſen. Wann er
ſich aber hartnaͤckig widerſetzet/ kan er von dem Stadt-Bailliu
gezwungen werden. Zu Padua ſchreiben ſich die Studenten
auch nicht in deß Rectoris, ſondern in der Nation Matricul, und
darinn werden ſo wol die Hoch-als Nieder-Teutſchen ange-
nommen/ wie auch die Daͤhnen/ Schweden/ Preuſſen/ Liefflaͤn-
der/ Boͤhmen/ Ungarn/ Siebenbuͤrger/ Maͤhrer/ Schweitzer
und Graubuͤndter. Die Trienter aber/ und andere nach Jta-
tien hinzu/ moͤgen nicht darein aufgenommen werden. Bey der
Einſchrei-
[861]Romans II. Buch.
Einſchreibung muͤſſen auf den Teutſchen Academien die Stu-
denten entweder mit einem Handſchlag/ oder mit einem Eyd/
zuſagen den Gehorſam/ die Statuten und Academiſche Geſetze
zu halten/ jedoch wird die letztere Art nicht ſonders gelobet/ weil
ein rechtſchaffener Kerl/ wann er dem Eyd ein Gnuͤgen thun
wil/ leicht kan zum Bernheuter werden. Dann/ wann er von ei-
nem andern angegriffen/ oder außgeſcholten/ und außgefodert
wird/ darff er nicht erſcheinen/ das iſt gar wider die Kleider-
Ordnung. Wann endlich die Studenten auf Univerſitaͤten
leben/ ſo muͤſſen ſie nicht freſſen und ſauffen/ ſtutzen und bravi-
ren/ Gaſſen tretten/ und ſich balgen/ ſondern ſie muͤſſen in der
That erweiſen/ daß ſie Studentes oder Studenten ſind/ indem ſie
fleiſſig uͤber den Buͤchern ligen/ und das ohne Liſt/ und nicht/ wie
ein gewiſſer Studioſus zu Marburg/ welcher ſonſten ſtaͤts im
Sauß und Schmauß lebete/ als er nun erfuhr/ daß ihn ſein Vat-
ter/ der Herꝛ Land-Zollſchlieſſer/ vom Land einmahl heimſuchen
wuͤrde/ da erkundigte er ſich der Zeit gar eigentlich/ riſſe alle ſei-
ne Buͤcher auß dem Staub herfur/ legete ſie um ſich her/ ſetzete
ſich/ mit etwa 30. Folianten in einen groſſen Korb/ und ſtellete
ſich/ als wan er das Eingewaͤyde auß dem Leib herauß ſtudiren
wolte. Endlich klopffete Jemand vor der Thuͤr/ er ſaß ſtille;
Es ward wieder geklopffet! Er rieff: Jch ſpreche heut Nie-
mand. Man klopffete zum dritten mahl! Die Antwort war:
Du unverſchaͤmter Gaſt merckeſt ja wol/ daß ich jetzo nicht ab-
kommen kan/ darum ſtoͤre mich doch nicht weiter in meinem
Concept. Der Vatter hatte einen ſonderbaren Gefallen an dem
groſſen Fleiß ſeines Sohns/ ließ demnach ſeine perſoͤnliche Stim̃e
hoͤren/ und ſprach: Mein lieber Sohn Henrich/ ich bin es ſelber/
mache jetzt nur auf/ und ſtudire ein ander mahl deſto mehr.
Monſr. Henrich ſprang darauf auß dem Korb/ ob er gleich ei-
nen krummen Fuß hatte/ machte die Thuͤre auf/ und bathe den
Vatter um Verzeyhung/ daß er ihn nicht alſobald haͤtte einge-
laſſen. Dieſer hingegen hatte ſeine ſonderbare Freude an den
vielen Buͤchern/ die in- und neben dem Korb lagen/ lobete den
Sohn/ und raͤyſete wolgemuth wieder ſeines Weges. Alſo ſollen
es die Sꝛudenten nicht machen/ wann ſie nicht ſich ſelber und ih-
re Eltern ums Geld bringen wollen. Dann/ ſo ſie nicht fleiſſig
ſtudiren und Collegia halten/ ſo lernen ſie nichts Rechtſchaffe-
nes/ daß ſie hernach entweder ihre Profeſſion gar fahren laſſen/
oder ein Dorff-Schulmeiſter/ oder ein Stadtſchreiber/ oder/
wann ſie es hoch bringen/ ein ungelehrter Dorff-Prieſter koͤnnen
werden.
[862]Deß Academiſchen
werden. Dahero ſagt man auch/ daß den rechten und fleiſſigen
Studenten allein die Academiſche Freyheiten gebuͤhren/ und lie-
ſet man unter andern Academiſchen Geſetzen in Franckreich/
daß der Jenige/ ſo ſich auf ihrer Univerſitaͤt aufhaͤlt/ und nicht
ſtudiret/ ſondern nur andere Exercitia treibet/ die Freyheiten
der Academie nicht genieſſen ſollen. Louvys XII. 1498. Article 2.
au Code de Henry III. liv. 11. tit. 8. de Scholaritè Conſtit. 3.
Arreſt. Parlem. 3. Julii Anno 1550. Es muͤſſen aber die Studen-
ten nur gute Buͤcher leſen/ im Anfang wenige/ hernach mehrere/
und muͤſſen ſich nicht zu viel verlieben in den Amadys, Eulen-
ſpiegel/ Garten-Geſellſchafft/ Rollwagen/ Grillen Vertreiber/
Hortenſium, Aloyſiam, Sigeam, und dergleichen theils poſſier-
liche/ theils ſchaͤndliche Buͤcher/ welche wol auß der Welt zu ban-
nen waͤren. Wann Diſputationes gehalten werden/ muß ein
Student fleiſſig zuhoͤren/ auch wol ſelber opponiren/ oder re-
ſpondiren. Dann durch ein offentliches Diſputier-Gezaͤnck
werden die Geiſter bey einem Menſchen gleichſam auß dem
Schlaff auf gewecket/ und wacker/ da muß man aber gute und
nutzliche Materien zu diſputiren waͤhlen/ und ſich der unnuͤtzen
Fragen gaͤntzlich entſchlagen/ als da ſind etwa folgende: Ob die
Ilias aͤlter ſey/ als Odiſſea? Ob Heſiodus vor Homero gelebet
habe? Wie viel Knoten an Herculis Keule geweſen? Welchen
Fuß Æneas zum erſten in Jtalien geſetzet? Ob Anacreon den
Wein oder das Frauenzimmer am liebſten gehabt? Was die
Syrenen geſungen baben? Wie die geheiſſen/ ſo in dem Traja-
niſchen Pferd geſeſſen? Wie deß Ulyſſis Gefaͤhrten geheiſſen/
und welche auß ihnen der Polyphemus auf gefreſſen habe? Ob
die Muͤcken mit dem Mund oder mit dem Hintern brummen?
Und dergleichen mehr.
Troll fiel dem Schweitzer jetzo ins Wort/ und ſagte: Mein
Herꝛ/ es ſind nicht alle vergebliche Fragen/ welche bey Unver-
ſtaͤndigen alſo ſcheinen/ ſonſten wuͤrde folgende/ die man auf den
Welſchen Academien ſchon vorlaͤngſt zu Catheder gebracht
hat/ auch fuͤr dergleichen muͤſſen gehalten werden: An Chy-
mæra bombinans in mari poſſit comedere notiones ſecundas?
Utrum quatuor equi Phaëtontis poſſint trahere per cacumen
montis, magnum currum Phantaſticum, per campum cathego-
ricum ad campum hypotheticum per infinitum \& vacuum usq́;
ad duodecimum Phyſicorum? Utrum Chymera phantaſtica
ſedens in arbore Porphyriana, comedens Genus \& Species, Dif-
ferentias \& Qualitates, per intentionem primam \& ſecundam
deſcen-
[863]Romans II. Buch.
deſcen dens, puncta indiviſibilia abſorbens, ſit à ſimplici ſacer-
dote abſolvenda, vel ad Magiſtrum hæreticæ pravitatis remit-
tenda? Annon quis baptizari poſſit terrâ, cum Chriſtus in ea
ſit ſepultus? Annon aëre, cùm hic clarior ſit aquâ, \& ubique
proſtet? Annon igne, cùm hic Spiritum S. ſignificet? Cœlum
Empyreum, quot habeat monopolia? Annon in eo ſaltandum
fit? An ſat firmum \& luminoſum ad choreas? An ſimus etiam
in vita æterna inebriandi, cùm jejuni difficulter ſaltent? Pfuy!
mit ſolchen ſchaͤndlichen und Gottloſen Fragen/ antwortete
der gelebrte Schweitzer/ von welchen mag geleſen werden
Meiſner. in Diſlert. de Antiq Vitioſ. Theolog. Diſp. Rat. p. 482.
Wovver de Polymath. cap. 10. p. 72. Bienenkorb Part. 6. c. 5.
pag. 228.
Jm uͤbrigen ſolien die Studenten auch feine ehrbare Klei-
der tragen/ und nicht zu viel mit ihren eigenen oder falſchen
Haaren prangen/ doch iſt ihnen vergoͤnnet/ um das Gemuͤth zu
ergoͤtz[e]n/ ſich in huͤbſchen Exercitiis zu uͤben/ als im Fechten/
Reiten/ im Ballhauß/ im Ballon/ ꝛc. Der Jungfrauen ſollen
ſie ſich auf alle Weiſe und Wege enthalten/ dann die Univerſi-
taͤts. Damen ſind rechte Lock-Voͤgel/ und verderben manchen
ehrlichen Menſchen. Die Jtaliaͤner ſagen gar recht: Una
bella Donna à Paradiſo del Occhio, inferno dell’anima, purga-
torio della burſa; Ein ſchoͤnes Weibes-Bild iſt ein Paradiß
deß Auges/ eine Hoͤlle der Seelen/ und ein Fegfeuer deß Beu-
tels. Und die Frantzoſen ſagen:
Et plus encore, qui purain chaſſe.’
Der thut gnug/ der ſein Gluͤck uͤberwindet/ aber der thut noch
mehr/ der eine Hure von ſich treibet. Sie ſollen das Schwel-
gen auch meyden/ als dardurch Sinne und Verſtand verdorben
werden. Zancken und Balgen bringet ſie auch in groſſe Unge-
legenheit/ ja offt um Leben und Seeligkeit.
Das XXVIII. Capitul/
Diſcurs von den Academiſchen Gradibus, und wie es darbey
hergehe. Etliche merckwuͤrdige Exempel von Menſchen/ die ein gu-
tes Gedaͤchtnuͤß gehabt.
DEr Edelmann verlangete jetzo zu wiſſen/ was
doch eigentlich fuͤr Academiſche Gradus waͤ-
ren/ und wie man ſolche zu ertheilen pflegte?
Worauf
[864]Deß Academiſchen
Worauf ihm der Schweitzer folgenden Bericht er-
theilete: Gleich wie es dem gemeinen Weſen hoch
daran gelegen/ daß die Laſter geſtraffet werden; Alſo
erfordert es auch daſſelbe Intereſſe, daß die Tugenden
belohnet werden/ zu dem Ende ſind die Academiſche
Gradus erfunden worden/ daß darmit die Jenige/
welche ſich wol gehalten/ und fleiſſig ſtudiret haben/
moͤgen beſchencket werden. Wie alt ſothane Gra-
dus ſeyen/ iſt nicht wol zu wiſſen. vide Antiquitates
Academ. Oxonienſ. Apol. libr. 3. num. 331. ſeq. Be-
ſold. 1. Polit. 12. §. 3. n. 40. doch iſt bekandt/ daß ſie
vor dem Decreto Gratiani und vor den Sententiis deß
Petri Lombardi nicht uͤblich geweſen. Majol. Tom. 2.
dier. canicul. colloq. 6. p. 507. das Decretum aber
faͤllet ins Jahr Chriſti 1151. und deß Lombar-
di Spruͤche ins Jahr 1160. Etliche Scriben-
ten ſagen hiervon alſo: Nachdem Kaͤyſer Lotha-
rius II. das Jus Civile Lateiniſch beſchrieben in dem
Feldzug wider Rogerium, Koͤnig von Sicilien/ ge-
funden/ und daſſelbe durch den Juris-Conſultum Ir-
nerium auß der Finſternuͤß in die Schulen und Ge-
richte einfuͤhren laſſen/ da haben die Paͤpſte/ damit
das Paͤpſtliche Recht in mehrere Conſideration kaͤ-
me/ ums Jahr Chriſti 1151. die Gradus erfunden und
eingefuͤhret/ daß ſie Baccalaureos, Magiſtros und
Doctores gemacht/ die ſich fleiſſig darinn geuͤbet/ da-
mit aber ſolcher Geſtalt das Buͤrgerliche Recht nicht
gar unter die Fuͤſſe kaͤme/ haben die Roͤmiſche Kaͤyſer
auch ſolche Gradus darbey eingefuͤhret. Die nun ſol-
che Gradus verlangen/ werden Candidati genannt/
nach denen/ die weyland ein hohes Amt verlangeten/
und deßwegen ein weiſſes Kleid (indumentum can-
didum,) anlegten. Dieſe Candidati muſten damahl
in bloſſem Wambs ohne Rock gehen/ damit man
ſehe/
[865]Romans II. Buch.
ſehe/ daß ſie nicht durch Geld/ ſondern durch ihre
Wiſſenſchafft nach Ehren ſtrebeten. Wolte GOtt!
die Herren Profeſſores naͤhmen jetzo auch nicht das
Geld/ und verkaufften darfuͤr die hohe Gradus an
manche unerfahrne Leute/ ſo wuͤrde es an manchem
Ort beſſer ſtehen/ und ſtreitet ſolches außdruͤcklich
wider l. 4. ff. quod vi aut clam. aber jetzo heiſſet es:
Dignus \& indignus pariter nuno ambit honores,
Atque ablativus caſus utrumque beat.
Dahero ſagen die Jtaliaͤner ohne Scheu: Sumi-
mus Pecuniam, \& mittimus Aſinos in Germaniam.
Wir nehmen das Geld/ und ſenden den Teutſchen
ihre Eſel wieder nach Hauſe. Lanſ. de Princip. Pro-
vinc. Europ. p. 609. edit. vet. Sothane Doctores aber
haͤlt Bartolus nur dem Namen nach darfuͤr/ in l. Ath-
letar. ff. de Excuſ. tut. und Gregorius XIII. Pontifex
nennet ſie nicht Doctores, ſondern Doctoratos. Caſp.
Enſ. libr. 1. Epidorp. Andere nennen ſie Legum Dolo-
res \& Neceſſitatis Doctores. Parthenius Litigioſus l. 1.
c. 11. n. 7. beſchreibt ſie gar ſchoͤn/ wann er ſagt: In
Inſtitutis comparo vos brutis; In Digeſtis nihil po-
teſtis: In Codice ſcitis modicè: In Novellis com-
paramini Aſellis, in deß Reichs Abſcheid ſeyd ihr
nicht kommen weit; Et tamen creamini Doctores;
ô Tempora, ô Mores! und Garzias de Expenſ. c. 4. n. 6.
klaget daruͤber/ daß man allenthalben mehr Doctores
finde/ welche noch zu lernen haͤtten/ als Scholares, wel-
che lehren koͤnnen. Dieſem Unheil fuͤrzukommen/ hat
der Biſchoff zu Capua verordnet/ daß man die heim-
kommende junge Doctores examiniren/ und wann ſie
nicht beſtuͤnden/ ihrer Wuͤrde wieder berauben ſolte.
Felin. de Reſcript. c. 13. Nicol. de Neapol. in l. ſed \&
reprobari, ff. de Excuſ. tut. Kirchner. de Republ. Diſp.
12. Coroll. 10. Gleichwie aber der Kaͤyſer allem Koͤ-
J i inige/
[866]Deß Academiſchen
nige/ Fuͤrſten und andere hohe Dignitaͤten vergeben
kan/ alſo iſt er auch der hoͤchſte Urheber der Academi-
ſchen Wuͤrden/ und dahero ſagt man/ der Kaͤyſer
ſey ein Hertzog/ Marggraff/ Graf und Doctor, nem-
lich ein Doctor nicht nach der Wiſſenſchafft/ ſondern
nach der Wuͤrde. Von dem Papſt wollen etliche
deßgleichen melden/ und hat man unter den Paͤpſten
4. Doctores Juris wuͤrcklich gezehlet/ nemlich Urba-
num V. Innocentium VI. Hadrianum VI. und Pau-
lum V. Angelus in l. 1. C. de Sentent. paſſis, ſagt/ der
Kaͤyſer koͤnne einen mit einem Wort zum Doctor
machen/ aber das geſchicht gar ſelten/ jedoch erinnere
ich mich/ daß Kaͤyſer Rudolphus II. Bartholomæum
Bezium auß Tyrol/ ehe er ihn an die Ottomanniſche
Pforten als Ambaſſadeur ſandte/ durch ein ſolennes
Diploma zum Doctor Juris creiret hat. Laur. Ohm. de
Jure Epiſc. Theſ. 17. Lit. t. Es creiret aber auch der
Kaͤyſer durch andere/ als durch die Ertz-Hertzogen
von Oeſterreich/ und durch die Comites Palatinos und
durch die Academiſche hohe Facultates viele Docto-
res. Wann aber ein Comes Palatinus auf einer Uni-
verſitaͤt lebet/ wollen es ihm die Profeſſores nicht ge-
ſtatten/ daſelbſten einen Doctorem zu creiren/ wie ſol-
ches weyland dem Hofgrafen Nicolao Reuſnero von
der Univerſitaͤt Jena/ allwo er lebete/ niemahlen iſt
verſtattet worden. Wie dann unter denen/ die von den
Academien/ und andern/ die von einem Comite Pala-
tino zu Doctoren gemacht ſind/ einiger Unterſchied
von etlichen wil gemacht werden/ indem Noldenius
behauptet/ daß die Letztern mit den Erſten nicht wol
zu vergleichen. So bezeuget es auch die Erfahrung/
daß jetzo die Doctores Bullati nicht ſonders geachtet
werden gegen den andern/ die auf Academien creiret
ſind/ und deßwegen werden die Comites Palatini von
der-
[867]Romans II. Buch.
dergleichen Candidatis heut zu Tage nicht ſonders
viel uͤberlauffen: Der unterſte Gradus von allen Ge-
lehrten iſt der Baccalaureus, von deſſen Namens Ur-
ſprung verſchiedene Meynungen ſind. Es iſt aber der
Jenige ein Baccalaureus, der in den niedrigen Wiſſen-
ſchafften ſich geuͤbet/ und daruͤber von der Academie
ein offentliches Zeugnuͤß ſich erworben hat. Doch
wird dieſer Gradus heute auf den Univerſitaͤten nicht
ſonders mehr geachtet/ und wann man die/ ſo in der
Communitaͤt zu Jena leben/ nicht darzu anhielte/
wuͤrde ihn keiner verlangen; Daſelbſt heiſt man die
Baccalaureos Schaf-Kaͤſe/ weil einer dem Decano
Philoſophiæ etliche Schaf-Kaͤſe verehret/ damit er
bey ſeiner Promotion uͤber ſeine Mitgraduirten ſtehen
moͤchte. Man findet aber einen Unterſchied unter den
Baccalaureis, und kan jetztbeſagte Deſcription auf ei-
nen Jeniſchen gezogen werden/ als woſelbſt man nur
Baccalaureos Philoſophiæ findet/ auf andern Uni-
verſitaͤten/ die aͤlter ſind/ hat man auch Baccalaureos
Juris und Theologiæ. Unter den Catholiſchen findet
man Baccalaureos Formatos, Baccalaureos Sententia-
rios, und Baccalaureos Biblicos. Contzen. lib. 4. Poli-
tic. c. 16. §. 4. p. 228. Ob aber gleich der Baccalauri-
ſche Gradus an ihm ſelber in ſchlechter Achtung jetzo
iſt/ ſo muß man doch bekennen/ daß ein Baccalaureus
in den Rechten einem Doctori oder Magiſtro Artium
fuͤrgehet. Jn Thuͤringen hat man die Conſtitution
Johann Friderichs und Johann Wilhelms/ Her-
tzogen von Sachſen/ darinn dieſe Worte zu leſen:
Daß man in dieſem Fuͤrſtenthum keinen zum Schul-
oder Kirchen-Dienſt/ deßgleichen auch zum Statt-
ſchreibers-Dienſt brauchen wird/ er habe dann aufs
wenigſte Gradum Baccalaureatûs hier (zu Jena/)
oder auf einer andern Univerſitaͤt erlanget.
J i i 2Der
[868]Deß Academiſchen
Der andere Academiſche Ehren-Gradus macht
einen Magiſter, wordurch eine ſolche Perſon bedeutet
wird/ ſo die Philoſophiſche Wiſſenſchafften gefaſſet
hat. Dieſe Magiſtri waren vor etwa anderthalbhun-
dert Jahren bey den Geiſtlichen eben ſo ſeltzam/ als
gemein ſie jetziger Zeit ſind worden. Zu Wittenberg
allein/ da dieſe Waare ſehr wolfeil ſeyn ſoll/ hat man
in einer Zeit von 100. Jahren 4435. Magiſtros ge-
macht. Lanſius de Principat. Prov. Europ. pag. 30. Edit.
Veter. oder vielmehr nach Taubmanni Rechnung
(in ejus Hercule Academico,) 5184. Und iſt nicht
zu zweiffeln/ daß man eine groſſe Armee jetzo aufrich-
ten koͤnte/ wann man alle Magiſtros in Teutſchland
wolte zu Felde ſtellen. Dieſes iſt zu mercken/ wann
man das Wort Magiſter vor dem Namen eines
Mannes ſiehet/ ſolches einen rechten Philoſophiſchen
oder einen Magiſtrum in Jure Pontificio bedeuten ſoll.
Aber wann es nachſtehet/ ſolle dardurch ein Hand-
wercks-Meiſter bedeutet werden. Dieſes ſoll auch
nicht ungemeldet bleiben/ daß man das Wort Ma-
giſter offt vor dem Doctor ſtehen ſiehet/ nemlich Ma-
giſter \& Doctor, worauß etliche urtheilen/ daß ein Ma-
giſter weyland ein groſſes Thier geweſen. Wann
ſonſten ein Profeſſor Juris, Medicinæ oder Theologiæ
auf einer Univerſitaͤt ein Magiſter darbey iſt/ ſo mag
er allen Philoſophiſchen Promotionibus beywohnen/
und darvon participiren. Aber es fraget ſich/ ob ein
Profeſſor Philoſophiæ, der kein Magiſter iſt/ wol De-
canus derſelben Facultaͤt ſeyn/ und Magiſtros creiren
koͤnne/ welches mit Ja zu beantworten. Dann er
machet einen Magiſtrum, nicht als ſelber ein Ma-
giſter, ſondern als ein Decanus Facultatis Philoſophi-
cæ, und von Amtswegen/ ſonſten koͤnte jeder Ma-
giſter einen Magiſtrum, und ein jeder Doctor einen
Docto-
[869]Romans II. Buch.
Doctorem machen. Solches gehet nur bey hohen
Stands-Perſonen an/ aber nicht bey denen/ die durch
Ceremonien erhoben ſind/ ein Fuͤrſt macht einen Fuͤr-
ſten/ ein Graf einen Grafen/ ein Edelmann einen
Edelmann/ aber ein General oder Doctor kan keinen
jungen General oder Doctor, noch auß ſich ſelber ei-
nen andern dergleichen machen/ ſolches gehoͤret an
hoͤhere Hand.
Jm dritten Academiſchen Grad ſtehen die Li-
centiati, alſo genannt/ weil ſie Erlaubnuͤß oder Licentz
haben/ die hoͤchſte Doctors-Wuͤrde zu begehren. Petr.
Gregor. de Art. Jur. c. 34. n. 18. p. 556. Heut hat
man zweyerley Licentiatos, nemlich die/ welche offent-
lich darzu creiret worden/ und dañ die/ ſo den Doctor-
Gradum verlangen/ auch das Examen und alles dar-
zu behoͤrige uͤberſtanden/ nur daß ſie den wuͤrcklichen
Gradum eines Doctoris nicht uͤberkommen. Jene
werden bey nahe creiret/ wie die Doctores, ohne daß
man ihnen etwa das Biret oder den Hut nicht aufſe-
tzet. Wann einer auf dieſer Academie ein Licentiat
worden/ kan er anderweit nicht Doctor werden/ es ſey
dann/ daß er ſich nicht eydlich darzu verpflichtet hat/
und von neuem diſputiret. Gleich wie aber ſothane
Licentiati ihre Privilegia haben/ alſo koͤnnen ſich an-
dere/ die nur diſputiret/ und entweder Licentiaten oder
Doctores werden wollen/ derſelben keines Weges an-
maſſen/ ob ſie gleich pro Licentia oder Doctore diſpu-
tiret haben/ Ja/ ob man ſothane gleich Licentiaten
nennet; Dahin zielet auch Petr. Gregorius d. l. p. 562.
wann er ſaget: Man habe Academien/ da ein Licen-
tiat fuͤr keine graduirte Perſon zu achten ſey/ fuͤrnem-
lich in Jtalien.
Der vierdte und hoͤchſte Academiſche Gradus
machet Doctores, welche ihren Namen vom Lehren/
J i i 3(Docere,)
[870]Deß Academiſchen
(Docere,) bekommen/ nicht/ daß ſie wuͤrcklich dociren/
ſondern darzu billich capabel ſeyn ſollen. Hierbey
kommen dreyerley zu betrachten vor/ nemlich die An-
tecedentia, Concomitantia und Sequentia promotio-
nem. Was die Antecedentia belanget/ ſollen ſolche
Leute mit guten Sitten und Lehre wol verſehen ſeyn.
I. Magiſtros 7. C. de Profeſſ. \& Medic. und ſolches
wird bey allen erfordert/ ſie moͤgen in Theologia, Jure
oder Medicina Doctores werden wollen. Von dem
Jure Civili iſt hierbey mit wenigem zu berichten/ daß
ſolches von Heydniſchen Geſetzgebern gegeben/ aber
gar billich iſt/ deßwegen man es auch in den meiſten
Laͤndern Europæ hat eingefuͤhret/ und ſpricht Lutherus
ſelber in Sympoſ. p. 397. wann man der Heyden
Recht im Roͤmiſchen Reich nicht haͤtte/ ſo waͤren un-
ſere Fuͤrſten/ Kaͤyſer und Koͤnige alle zu Narren wor-
den. Alſo gibt es auch in Franckreich/ Spanien und
Jtalien/ jedoch ſo fern es iſt angenommen worden.
Ja/ die Tuͤrcken haben den Codicem in ihrer Sprach/
und richten ſich im Urtheilen darnach. Und man
ſchreibet von den Sineſen/ daß ſie ihre Rechte nach
dem Juri Civili groſſen Theils eingerichtet haben. Es
kommet aber dieſer ehe als Jener zu ſolcher Wiſſen-
ſchafft/ daß er ein Doctor werden koͤnne. Alſo ſchreibet
Eſtienne Poſquier Livre 5. des Recherches de la France
chap. 38. p. 698. Anno 1445. kam ein Juͤngling von
etwa 20. Jahren/ welcher alle 7. freyen Kuͤnſte ver-
ſtund/ wie die Gelehrten zu Pariß bezeugeten. Er
verſtunde und wuſte zugebrauchen die Vocal- und
Inſtrumental-Muſic ſo wol/ als irgend einer zu Pariß
oder ſonſten. Jn Kriegs-Sachen hatte er ſchier ſeines
Gleichen nicht/ und das Schlacht-Schwerdt/ wel-
ches man mit beyden Armen fuͤhret/ wuſte er alſo zu
regieren/ daß es ihm keiner nachthaͤte/ dann wann er
ſeinen
[871]Romans II. Buch.
ſeinen Feind erblicket/ ſo nahm er einen Sprung von
20. oder 24. Fuß auf ihn. Er war ein Magiſter Ar-
tium, ein Magiſter Medicinæ, ein Doctor Legum und
Canonum, auch ein Doctor Theologiæ. Jm Diſputi-
ren in dem Navarriſchen Collegio unter 50. der ge-
lehrteſten Maͤnner und 3000. Studenten hat er mit
ſolcher hoͤchſt- verwunderlicher Subtilitaͤt auf alle
Fragen geantwortet/ daß/ der es nicht ſelber gehoͤret/
ſchwerlich wuͤrde glauben moͤgen. Er redete fertig
Lateiniſch/ Griechiſch/ Hebraͤiſch/ Arabiſch/ und an-
dere Sprachen mehr/ darbey war er ſchon ein Ritter
in den Waffen/ und wann es moͤglich/ daß ein Menſch
ſein Leben auf 100. Jahr ohne Eſſen/ Trincken und
Schlaffen bringen koͤnte/ ſo wuͤrde er doch zu keiner
ſolchen Wiſſenſchafft gelangen/ wie dieſer. Wir
entſetzten uns warlich uͤber ihm/ dann er wuſte mehr/
als der Natur eines Menſchen ertraͤglich. Er be-
ſchuldigte einen jeden Kirchen Doctorem 4. Jrꝛthuͤ-
mer. Mit einem Wort/ es war ſeines Gleichen nicht
in der Welt. Bey dieſem Menſchen iſt ein herꝛliches
Gedaͤchtnuͤß und Judicium zugleich geweſen und hat
man leicht zu erachten/ daß ein Menſch/ wann er nur
ein excellentes Gedaͤchtnuͤß hat/ viel ehe zum Docto-
rat gelangen kan/ als ein anderer. Solche Gabe aber
iſt nicht einem Jeden gegeben von der Natur. Augu-
ſtinus in Prologo lib. 3. Doct. Chriſt. gedencket eines
gemeinen Manns oder Leyens/ mit Namen Anto-
nius, der keinen Buchſtaben gekennet/ viel weniger
leſen kunte/ von GOtt aber mit ſo gutem Gedaͤcht-
nuͤß war begabet/ daß er alles/ was man auß heiliger
Schrifft ihm fuͤrgeſaget/ gar genau behielte und faſ-
ſete/ auch ſo ordentlich wieder herſagen und von ſich
geben konte/ als ob er auß einem Buch laͤſe.
Von einem Diacono in der Stadt Ælia, mit
J i i 4Namen
[872]Deß Academiſchen
Namen Valens, erzehlet Euſebius Cæſarienſis Hiſt.
lib. 8. c. 21. er habe in ſeinem Gedaͤchtnuͤß die gantze
H. Schrifft ſo wol eingefaſſet/ daß er darauß/ was er
nur anzufuͤhren gedachte/ ſo ordentlich/ als die ande-
re auß dem Buch herſagen und erzehlen kunte.
Von deß Simplicii Wunder-Gedaͤchtnuͤß be-
zeuget Auguſtin. lib. 4. c. 7. de Animâ nachfolgendes:
Amicus quidam meus, jam inde ab adoleſcentiâ, Sim-
plicius Nomine, homo excellentis mirabilisque me-
moriæ, cum interrogatus eſſet à nobis; Quos verſus
Virgilius in omnibus libris ſupra ultimos dixerit, con-
tinuò memoriterque reſpondit; Quæſivimus etiam,
ſuperiores ut diceret, dixit: \& credidimus, eum poſſe
retrorſum recitare Virgilium, de quocunque loco vo-
luimus, petivimus ut faceret, fecit. Proſa etiam de qua-
cunque oratione Ciceronis; Id eum facere voluimus,
quantum voluimus, ſurſum verſus ſecutus eſt: cum ad-
miraremur, teſtatus eſt DEUM, neſciviſſe ſe hoc poſſe,
ante illud experimentum.
Chriſtianus Morſianus, Med. Doct. und Profeſſor
zu Coppenhagen in Daͤnnemarck/ (ſchreibet Meige-
rius in Nucleo Hiſt, lib. 7. cap. 14. pag. 156.) war ein
uͤberauß gelehrter Mann/ in Medicina, Linguis, Ar-
tibus, und in der Philoſophia, wie denen bekandt/ die
ſeine Lectiones und Diſputationes beſuchet und gehoͤ-
ret haben. Dieſer hatte bey ſeiner Lehr ein fuͤrtreff-
liches Gedaͤchtnuͤß/ daß er ſeine Poeten/ die er in der
Jugend gelernet/ ohne allen Fehler außwendig her-
ſagen koͤnnen/ und hat ſich/ da ich daſelbſt ſtudirete/
folgendes zugetragen: Es kam nach Coppenhagen
ein gelehrter Mann/ ein Welſcher/ der umher zog/ alle
hohe Schulen zu beſuchen/ der ſtellete in der Univer-
ſitaͤt zu einer Diſputation ein/ und oppugnirte Theſes
Medicas, fuͤhrete deß Galeni Spruͤche und Zeugnuͤß
in
[873]Romans II. Buch.
in Griechiſcher Sprach ein/ mit Verwunderung aller
Zuhoͤrer. Da er nun hatte beſchloſſen/ aſſumirte
D. Morſianus in Griechiſcher Sprach/ und wieder-
holete alles/ was ſein Widerparth geſchicklich fuͤrge-
bracht/ beantwortete ihm auch in ſelbiger Sprach/
fuͤhrete deß Galeni und Hippocratis Zeugnuͤß hinge-
gen an/ und wiederlegte ihm ſeine fuͤrgebrachte Ar-
gumenta dermaſſen/ daß der Fremde fuͤr der gantzen
Univerſitaͤt frey bekannte/ er haͤtte ſich unter ſo kal-
tem Himmel und in den rauhen Nord-Laͤndern nicht
vermuthet/ einen ſolchen Mann zu finden/ von ſo
trefflicher Geſchicklichkeit/ und ſo tapfferer Gedaͤcht-
nuͤß/ der auß dem Stegreiff ſeinen Galenum und
Hipprocratem alſo einfuͤhren koͤnte/ als haͤtte er es
mit reiffem Vorwiſſen und Bedacht gethan/ wie er
nunmehr in der That erfahren haͤtte.
Jedoch iſt auch zu wiſſen/ daß man heut zu Tag
dem Gedaͤchtnuͤß eines Menſchen kuͤnſtlicher Weiß
gewaltig zu Huͤlffe tretten kan/ wie die Jenigen wiſ-
ſen/ welche Artem Mnemonicam verſtehen. Gleichwie
aber manche in ihrer Jugend ſchon zu hohen Wiſſen-
ſchafften gelanget/ alſo haben hingegen andere ſich
ihr hohes Alter nicht darvon zuruͤck halten laſſen/ wie
ſolches droben mit Balde und andern Exempeln er-
weißlich gemacht worden. Nicolaus Clenardus, als
er zu Ebora in Portugall deß Portugalliſchen Koͤnigs
Emanuelis Fuͤrſtl. Jugend Præceptor war/ ſchreibet
an einen guten Freund in Teutſchland/ lib. 2. Epiſt. 21.
dieſe Worte: Quem præferam Johanni Parvo, qui
cum mihi menſa fuit communis toto biennio, quem-
que non minus, quàm parentem chariſſimum venerari
debeo? Is cum annos natus eſſet ſexaginta duos, non
contentus literis Græcis, quas occupatiſſimus templi
functionibus, à me etiam initiatus eſt Hebraicis, quos
I i i 5noctur-
[874]Deß Academiſchen
nocturnis vigiliis tam ardenter concupivit: ut paucis
menſibus ſine cortice naret, ut utar verbis Horatâ.
Dieſer Johannes Parvus iſt nachgehends von hochge-
dachtem Koͤnig zum Biſchoff zu St. Jacob in Pro-
montorio viridi geſetzet worden/ wie auß der 18 Epi-
ſtel deß 2. Buchs an denſelben die Uberſchrifft lautet:
R. D. D. Johanni Parvo, Epiſcopo Divi Jacobi in
Promontorio viridi.
Jn dieſer Epiſtel/ die er auß Feſſa der Haupt-
Stadt in Africa oder Barbarien an ſelbigen geſchrie-
ben/ meldet er dieſes: Es iſt allhier in Feſſa ein Mann
von 90. Jahren/ der gebraucht ſich meiner Lehre und
Unterweiſung in der Griechiſchen Sprach/ das wol-
le dem Herꝛn Biſchoff ja nicht laͤcherlich vorkommen/
es iſt ein Lehrling von guten Minen/ ich habe es mit
ihm bereit ſo fern gebracht/ daß er die Griechiſche
Buchſtaben kennet/ und fertig herzehlen kan. Nur
dieſes faͤllet uns verſaͤumlich/ daß der gute Schuͤler
unterweilen ſeine Augen-Glaͤſer zu Hauß hat gelaſ-
ſen/ ohne deren Huͤlffe er nicht wol das ν von dem υ
erkieſen und unterſcheiden kan.
Si iſte me ſenex (pergit Clenardus) fecerit alicubi
divitem, boni conſulam, ſi mihi mea laborum præmia
denegent infantes. Quin \& in Latinis mihi Judæus
quidam fuit diſcipulus. Aliquid eſt, anni ſpatio Feſſæ
tres docuiſſe linguas \&c. (Datæ ſunt iſtæ literæ Feſſæ
d. 21. Auguſti 1541.) Lehr-begierig ſeyn ſtehet keinem
Alter uͤbel an/ ſonſt wuͤrde Plato nicht fuͤr wol gethan
erkannt haben/ was Lyſimachus in Lachete von ſich
redet: Placent mihi, quæ dicis, Socrates, ſtatuoque
quo ſenior ſum, eò ſtudioſius cum adoleſcentibus
diſcere. Cato Cenſorius wird von dem Quintiliano
hoch geruͤhmet/ daß er in dem grauen Alter Griechiſch
reden gelernet: M. Cato Cenſorius, ſchreibet er/ rudi
ſeculo,
[875]Romans II. Buch.
ſeculo, ætate jam declinatâ litteras Græcas Ennio præ-
ceptore uſus, didicit; Ut eſſet hominibus documen-
to, ea quoque percipi poſſe, quæ ſenes concupiſſent.
Und der Welt-beruͤhmte Alphonſus, Koͤnig in Arra-
gonien/ wird deßwegen nicht zu ſchelten ſeyn/ daß er
im 50. Jahr ſeines Lebens/ von dem Laurentio Valla
und Antonio Panormitano ſich die Lateiniſche Sprach
lehren laſſen/ hat ſich nicht geſcheuet/ die erſten Rudi-
menta der Grammatic, wie der kleineſte Lehr-Schuͤler/
anfangen zu lernen.
Das iſt freylich wol was ſeltzames/ ſprach Cavi-
na anjetzo/ daß dieſer Johannes Parvus in ſeinen hohen
ja letzten Tagen ſich noch auf ſolche Wiſſenſchafften
geleget/ und wundere ich mich weit mehr daruͤber/
als uͤber jenes herꝛliche Gedaͤchtnuͤß/ darvon uns der
Herꝛkurtz vorher erzehlet hat/ dann ich finde mehr
dergleichen Exempla. Warlich/ die vernuͤnfftige
Seele deß Menſchen/ welche ihn von andern Thie-
ren unterſcheidet/ erweiſet ſich durch ſeinen Verſtand
und Willen/ welcher beyder Kraͤfften Bediente und
Dollmetſcherin iſt das Gedaͤchtnuͤß/ der wir alles
muͤſſen zu dancken haben. Niemand/ oder ſehr wenig/
dancken GOtt fuͤr ſolche herꝛliche und unſchaͤtzbare
Gabe/ ſonder welche wir Kinder waͤren/ die ſo mehr
nicht wiſſen/ als was ſie fuͤr Augen ſehen. Deßwegen
dann das Gedaͤchtnuͤß das Haupt-Buch der Gelehr-
ten/ der Prob-Stein aller Wiſſenſchafften/ der Augen
geheimes Buch/ der Schatz unſerer Geſchicklichkeit/
und die Mutter der Muſen genennet wird. Unter
vielen alten und neuen Exempeln der Jenigen/ die
mit einem gluͤckſeeligen Gedaͤchtnuͤß begabt geweſen/
iſt auch zu zehlen Nicola Serpetro, welcher alſo von
ſich ſchreibet: Bevor ich das 26. Jahr erlanget/ habe
ich den Taſſo, Arioſſo, Petrova Sannazario, Paſtorfido,
Virgi-
[876]Deß Academiſchen
Virgilium, Claudianum, Ovidium, Horatium, Ho-
merum, Lucanum, und noch bey 20. andere Buͤcher
faſt gantz im Gedaͤchtnuͤß gehabt. Noch in dieſem
meinem 44. Jahr/ als ich dieſes ſchriebe/ kan ich in
200. Verſe in einer Nacht zu Gedaͤchtnuͤß bringen/
wiewol mir ſolche durch zwo Haupt-Wunden/ welche
ich zu Rom im Jahr 1634. bekommen/ ſehr geſchwaͤ-
chet worden/ daran man mich ſo uͤbel geheilet/ daß ich
alles vergeſſen/ faſt raſend geweſen/ und auf meines
Meiſters Thomaſo Campanellæ Einrathen mir das
Haupt wieder hat muͤſſen geoͤffnet werden/ darauf
ſich meine Gedaͤchtnuͤß wieder gefunden. Nun kan
ich zu einer Zeit ſchreiben/ und vieren von unterſchied-
lichen Sachen zugleich in die Feder ſagen. Was ich
einmahl geſchrieben/ das bleibet mir ſo veſt im Sinn/
daß ich es nicht wieder uͤberleſen darff. Jn meiner
Jugend habe ich gantze Predigten außwendig behal-
ten und herſagen koͤnnen/ daß offt die Prediger ſich
verwundert/ wann ich nichts von ihrer Handlung
außgelaſſen habe/ die Buͤcher habe ich nur einmahl
geleſen/ und ſolche in dem Gedaͤchtnuͤß behalten.
Dieſes/ ſchreibet ferner Serpetro, wolle mir kei-
ner fuͤr einen eitlen Ruhm und ſelbſt angegebenen
Lobſpruch zumeſſen/ weil es die Warheit iſt/ und ich
wuͤrde mich gegen ſolcher hohen Gnade GOttes un-
danckbar erweiſen/ wann ich ſolche verſchweigen/ und
nicht vielmehr deßwegen deß Hoͤchſten Guͤte danck-
nehmig preiſen wolte. Die Heimlichkeit der Fuͤrſten
ſoll man verſchweigen/ aber GOttes Wercke ſoll man
herꝛlich preiſen und offenbahren/ Tob. 12. 7.
Das XXIX. Capitul/
Man kan dem Gedaͤchtnuͤß durch viel Wege zu Huͤlffe kom-
men. Wie man einen Doctorem mache.
Hiermit
[877]Romans II. Buch.
HJermit ſchwieg Cavina wieder ſtill/ und Troll
ſprach: Mein hochgelehrter Herꝛ Schweitzer/
ich haͤtte nicht gedacht/ daß euer Kuh- und
Klippen-Land noch ſolche geſcheide Koͤpffe ziehen ſol-
te/ man hat mir gar anders darvon narriret/ als ich es
jetzo an euch deprehendire/ warlich tu es vir, quite præ-
ſtare potes; Jch bin den Studiis ein wenig zu fruͤh ent-
lauffen/ moͤchte doch noch wol ein Doctor werden/ wañ
es angehen wolte/ dann man hat mir erzehlet/ daß auf
Univerſitaͤten zu dieſem Gradu jetzt allerhand Leute
ohne Unterſchied admittirt werden; Aber/ ich moͤchte
doch gleichwol noch etwas mehrers wiſſen/ worzu mir
ein kuͤnſtliches Gedaͤchtnuͤß gewaltig wuͤrde zu ſtat-
ten kommen/ koͤnnet ihr mich darinn ein wenig unter-
weiſen/ ſo wil ich euch ewig verpflichtet ſeyn/ aber vor
das Erſte thut mir den Gefallen/ und ſaget mir/ wor-
innen eine ſolche Gedaͤchtnuͤß beſtehet? Der gelehrte
Schweitzer ward zwar durch dieſen Nebentritt von
ſeinem Diſcurs abgeleitet/ aber weil er dem luſtigen
Troll auch nichts abſchlagen wolte/ ſagte er: Es ſey
die/ (wie vorgegeben wuͤrde/) von Simonides erfun-
dene Gedaͤchtnuͤß-Kunſt ein Hauffen Lehr-Saͤtze/
durch welche man die Geſtalten der im Gedaͤchtnuͤß
aufbehaltenen Dinge wieder erwecket. Und weilen
dieſe Krafft/ Thun und Thaͤtigkeit in einer gewiſſen
und gemaͤſſigten Hirns-Beſchaffenheit beſtehet/ und
erhalten und verbeſſert werden kan/ durch aͤuſſerlicher
Sachen Gebrauchung/ ſo ihrer Natur gemaͤß und
bequem ſeynd; So vermeynen die/ ſo da zweiffeln/
und nicht zugeben wollen/ daß das Gedaͤchtnuͤß koͤn-
ne verbeſſert und vollkommen gemacht werden/ und
es ſolchem nach eine Gedaͤchtnuͤß-Kunſt gebe/ die gar
den Sinnen merckliche Wuͤrckungen der Medicin.
Raimundus Lullius hat die Seinige in einer catego-
riſchen
[878]Deß Academiſchen
riſchen und geheimen Ordnung begriffen; Romber-
cio in ſeinen gedencklichen Reductionen/ oder Bezie-
hungen deß Gedaͤchtnuͤſſes auf etwas Gewiſſes;
Geſwalde, ein Neapolitaner/ in gewiſſen Characteren
und Merckzeichen; Und alle/ ſo von dieſer Kunſt tracti-
ret/ in Oertern/ Bildern und Ordnung. Jn Oertern/
als zum Exempel/ im Voruͤbergehen eines Orts/ brin-
get ihr euch wieder in das Gedaͤchtnuͤß/ was ihr da-
ſelbſt geſehen oder gethan habt/ auch wann ihr einen
euch wol-bekandten Ort/ daß er auß eurem Gedaͤcht-
nuͤß nicht kommen kan/ und immer in eurem Geſicht
iſt/ euch vornehmet/ als eure Behauſung/ oder die
Waͤnde eurer Stuben oder Kammern/ ſo werden ſie
euch alles deſſen/ was ihr bey ihnen bemercket habt/
treulich wieder erinnern und fuͤrbringen. Jn Bil-
dern/ gleichwie mir es ohnmoͤglich iſt/ wann ich mei-
nes Freundes Bildnuͤß ſehe/ mich nicht ſeiner zu er-
innern; Alſo auch in Anſehung gewiſſer Bilder/ ſo
mir die Sache bedeuten koͤnnen/ von welcher ich
handeln ſoll/ und mit welcher ſie ſich vergleichen/ erin-
nere ich mich leichtlichen der vorgenom̃enen Sachen.
Dieſe Bilder muͤſſen entweder auſſer uns ſeyn/ als
bey einem Prediger die Saͤulen/ Tapezereyen oder
Tafeln/ ſo fuͤr ihm ſtehen und hangen/ oder in uns/
und muͤſſen ſo kraͤfftig und bekandt ſeyn/ daß ſie uns
allezeit vorkommen/ wie ein roth und blattericht Ge-
ſicht eines bekandten Menſchen ſeyn wuͤrde/ um dar-
durch den Zorn oder Trunckenheit/ ein blaſſes/ dar-
durch die Furcht zu bedeuten/ und alſo ferner in allen
Stuͤcken und Theilen eurer Rede. Die Ordnung
anlangend/ ſo iſt bekandt/ daß ſie mit aller Einſtim-
mung der Vatter und Verwahrer der Gedaͤchtnuͤß
genannt wird.
Cavina ſagte hierauf: Der muß ein Feind der
Ord-
[879]Romans II. Buch.
Ordnung ſeyn/ der die Nutzbarkeit der Gedaͤchtnuͤß-
Kunſt in Zweiffel ziehen wil/ ſintemahl ſie ihre Lehr-
Saͤtze auf der Ordnung gruͤndet. Und weilen man
niemahls beſſer von einer Sachen urtheilet/ als in
Betrachtung ihres Gegentheils/ ſo muß man/ um die
Ordnung wol zu erkennen/ die Unordnung mit ihren
Ubeln vorſtellen. Dann gleichwie wir nichts wiſſen/
als nur das/ ſo wir in unſerm Gedaͤchtnuͤß fuͤhren/
dahero auch das Wort wiſſen und im Gedaͤchtnuͤß
haben/ gar wol und eigentlich von dem gemeinen
Mann vor einerley genommen wird. Alſo wurde es
einem wenig nutz ſeyn/ viel Sachen wiſſen/ und ſie zu
rechter Zeit nicht fuͤrbringen koͤnnen/ oder wann ſein
Wiſſen unordentlich iſt/ ſo verdienet er mehr den
Namen eines Verwirꝛten/ als Wiſſenden. Und das
geſchicht auß ermanglender Ordnung/ welche die Ge-
daͤchtnuͤß-Kunſt uns lehret/ und darzu verhuͤlffet.
Dann alle Sachen unter ſich eine entweder von der
Natur oder Kunſt herkommende Verbindlichkeit ha-
ben. Die Erſte befindet ſich in der Selbſtaͤndigkeit
und zufaͤlligen Dingen. Die Pflantzen haben ihre
Ordnung/ die Thiere ihre/ und unter denen Menſchen
gibt gleicher Geſtalt die Zeit/ Ort/ Wuͤrde und ande-
re Umſtaͤnde ſolche. Alſo war Cyrus eher/ als Alexan-
der, Alexander eher als Cæſar, und dieſe an Wuͤrden
hoͤher als Cicero, Cicero als Roſcius. Aber unſer Ge-
daͤchtnuͤß wird fuͤrnemlich verhindert die kuͤnſtliche
Aneinanderfuͤgung und Nachfolgung der Woͤrter
zu behalten/ nemlichen die/ ſo wir ſelbſten ordnen und
fuͤgen/ ſonderlich wann ſie ſich von der natuͤrlichen
Ordnung gar zu weit entziehet. Dahero ſiehet man
und erfaͤhret/ daß/ je mehr eine Rede auß ſchweiffend
iſt/ und nicht wol an einander haͤnget/ je weniger man
ſie im Gedaͤchtnuͤß behalten kan. Worinnen auch
ſonder-
[880]Deß Academiſchen
ſonderlich die verwunderliche Gedaͤchtnuͤß-Kunſt ſich
ſehen laͤſſet/ durch welche der Seneca in ſeinen Decla-
mationen ſich ruͤhmet/ 2000. Perſonen Namen ge-
merckt/ und in der Ordnung/ darinn er ſie gehoͤret/
wiederum hergeſaget zu haben. Es bekennet auch
Cardanus, daß er dieſer Kunſt alles/ was er wuͤſte/ zu
dancken haͤtte. Und hat der Cardinal Perron ſolcher
Geſtalt in Gegenwarth Koͤnig Heinrichs deß III. ſie
zu gebrauchen gewuſt/ daß er ein einmahl gehoͤrtes
Helden-Gedicht von Wort zu Wort hergeſaget/ und
darum fuͤr den Erfinder deſſelben gehalten worden.
Troll ließ ſich vernehmen: Daß/ dieweil die
Gedaͤchtnuͤß oͤffters vornehmen Perſonen/ wann ſie
ſie am meiſten bedoͤrfft/ ermangelt haͤtte/ wie dem
Demoſthenes, als er fuͤr Koͤnig Philippen in Macedo-
nien/ dem Budæo, als er fuͤr Carolo V. reden ſollen/
und vielen andern mehr/ es um ſo viel nuͤtzlicher iſt/ ſie
zu beſtaͤrcken/ weil die Lehr-Saͤtze darvon ſo unter-
ſchieden ſeyn. Es ſeyn etliche/ ſo ſich Kammern fuͤr-
bilden/ und in jedweder Ecken derſelben einen bekand-
ten Menſchen/ auf welches Kopff ſie das erſte Wort/
oder erſte Sachen/ deſſen ſie ſich eriñern wollen/ ſetzen/
auf den rechten Arm die andere/ die dritte auf den
Lincken/ die vierdte auf den rechten Fuß/ und die
fuͤnffte auf den Lincken/ (dieſer Fuͤſſen Zahl bedun-
cket ſie die Allerleichteſte zur Multiplication, oder
Vervielfaͤltigung/) wann aber die Sache nicht leib-
lichen iſt/ ſo bilden ſie unter einer Geſtalt ſich dieſelbe
fuͤr/ ſo den Klang deß Worts fuͤrſtellet/ oder machen
auß zweyen eines/ oder auß einem zwey/ und ſo durch-
auß von Ecken zu Ecken/ und Kammern zu Kammern.
Und wann es noͤthig/ ſo ſetzen ſie noch fuͤnff andere zu
den vorhergehenden. Zum Exempel/ wann ich erſt
vom Auguſto, hernach von denen Kaͤyſern Rudolpho,
Matthia,
[881]Romans II. Buch.
Matthia, Valentiniano reden/ und durch den Solon re-
den wil/ ſo nehme ich das Wort Armus, in welchem
die Anfangs-Buchſtaben beſagter Namen zu finden/
die mich zu den uͤbrigen leiten koͤñen/ und alſo machen
ſie es auch der Reden ſonderliche Abſaͤtze anzufangen/
welche ſonſt andere damit anheben/ womit die vor-
derſte Rede-Glieder ſich ſchlieſſen.
Ein anderer ſagte darauf: Das Gedaͤchtnuͤß
iſt ein innerlicher Sinn/ welcher (nicht weniger als
die andere Beyde/ die Einbildung und gemeiner
Sinn/) von nichts anders/ als der Natur herkommt/
und werden/ gleich dem Erdichteten/ darum von dem
Blitz/ weilen er denſelben nachaͤffen wollen/ erſchla-
genen Palomoneo die Jenigen bezahlet/ ſo durch ihre
Kunſt die Goͤttliche Werck veraͤndern/ und in einen
andern Stand ſetzen wollen/ daß ſie nemlichen gaͤntz-
lich um ihre Memorie kommen. Sonſten beſtehet
ein gut Gedaͤchtnuͤß in einem zarten und weichen Ge-
hirn/ wie im Gegentheil das Schwache von einem
harten Gehirn verurſachet wird. Und darum haben
auch die Kinder ein beſſer Gedaͤchtnuͤß/ als erwachſe-
ne Leute. Wir koͤnnen aber die Beſchaffenheit unſers
Gehirns nicht veraͤndern/ und die/ ſo das Meliſſen-
Waſſer und andere Mittel darzu brauchen wollen/
haben befunden/ daß ſie mehr dardurch ihr gut Ver-
ſtands-Urtheil oder Judicium geſchwaͤchet/ als ihr
Gedaͤchtnuͤß geſtaͤrcket haben. Darauß man ferner
beweiſet/ daß/ weilen dieſe zwey Kraͤffte gemeiniglich
gleich entſtehen/ und wie gegen einander abgewogen
ſeynd/ daß es eben ſo ſchwer und unmoͤglich ſey/ eine
boͤſe Gedaͤchtnuͤß zu verbeſſern/ als ein gut Ver-
ſtands-Urtheil dem geben wollen/ ſo keines hat.
Jetzo ſagte ein Schwab: Daß er nicht weniger
ſchwer befinde/ der Oerter/ Bilder/ und andere Phan-
K k ktaſtiſch
[882]Deß Academiſchen
taſtiſch und ſeltzam angeordnete Lehren dieſer Kunſt
ſich zu erinnern/ und ſie darzu anzuwenden/ worzu ſie
erfordert werden/ als anfaͤnglichen war/ die Sachen
ſelber oder ihre Worte im Gedaͤchtnuͤß zu behalten/
welche anderſt/ als durch ſich ſelbſt und dieſe Kunſt
gefaſſet/ alsbald vergeſſen werden/ weilen ſie auf
nichtige Einbildung gebauet ſeye/ und bleiben ſolche
wunderliche Phantaſtereyen im Gemuͤth behangen/
und koͤnnen nicht allezeit wiederum ſo darvon ge-
bracht werden/ daß nicht ein Bildnuͤß derſelben dar-
von uͤberbleiben ſolle/ welches einsmahls mehr die
Memorie verunruhigen und verwirren/ als ihr allezeit
behuͤlfflichen und erſprießlich ſeyn kan. Und ich wolte
lieber alles ein wenig muͤhſam mit Nutzen und veſter
Eindruckung faſſen und erlernen/ ſo gemeiniglich auf
die Muͤhe und Arbeit erfolget/ als mich mit nichtigen
Bildern behelffen. Darum ich auch glaube/ daß es
entweder keine Gedaͤchtnuͤß-Kunſt habe/ oder daß ſie
gantz unnutzlich oder uͤbel geordnet/ und alſo eine ſol-
che von der gantzen Welt zu verwerffen iſt.
Cavina endigte dieſen Diſcurs: Demnach in al-
lem dem/ wo ein Mangel erſcheinet/ man durch Kunſt
ihm helffen/ und den Kraͤfften und Vermoͤgen die
Verhinderungen/ ſo ſie in ihren Wuͤrckungen antref-
fen/ auß dem Wegraumen muß? Warum ſolte das
Gedaͤchtnuͤß allein dieſer Huͤlffe entbloͤſſet ſeyn? Jn
Anſehung es ſo unterſchiedliche Mittel und Huͤlffe
hat/ daß nicht die bedeutende nur/ ſondern auch die
nichts bedeutende Worte ihm helffen. Derohalben
ſaget Ariſtoteles, daß man Barbariſmos machen muͤſ-
ſe/ wann man etwas ſich erinnern wolle. Alſo muß
man nur einen Namen wiederum in das Gedaͤchtnuͤß
zu bringen/ viel herſagen/ ſo demſelben gleichen.
Aber mein Herꝛ/ ſprach er weiter zum Schwei-
tzer/
[883]Romans II. Buch.
tzer/ dieſer Nebentritt muß euren Diſcurs von den
Doctoribus nicht gar ins Stecken bringen. Dieſer
ließ ſich alſo in der Continuation ſeines vorigen
Diſcurs folgender Geſtalt weiter hoͤren: Ob gleich
nun/ wie bekandt/ der Kaͤyſer Juſtinianus den Studioſis
5. Jahr fuͤrgeſchrieben/ die Jura zu abſolviren/ ehe ſie
etwa einen Gradum darinn zu erlangen gedaͤchten/
ſo erweiſen uns doch angefuͤhrte Exempla, daß bey
manchem fertigen Kopff ſo viel Zeit nicht erfordert
werde. Es hat erſagter Kaͤyſer auch verbotten/ daß
man die neue Studioſos Juris im erſten Jahr nicht
mehr mit dem veraͤchtlichen Namen Dupondios,
(vid. Cujacium 12. Obſervat. 40.) ſondern Juſtinia-
neos novos nennen ſolle. Jm andern Jahr ſolte man
ſie Edictales nennen/ im dritten Papinianiſtas, und im
vierdten Jahr Lytas oder Solutores. Was ſonſten
das andere Antecedens Promotionem in Doctorem
belanget/ iſt ſolches die Probe/ die er beym Examine
ablegen muß/ und beſtehet es eigentlich in 3. Theilen/
welche ſind das Examen ſelber/ die Lectio und die Di-
ſputatio. Vor Zeiten wurden 7. Doctores bey dem
Examine erfordert/ heute aber koͤnnen es 2. oder 3. be-
ſtellen/ welche/ wann ſie ihren Spaniſchen Wein/
Butter/ Kringeb/ und ſonſt noch einen gelben Nimi-
rum loco ſportulæ bekommen/ ſolche Dinge in das
Examen bringen/ die mancher Bauer wol verſtehen
koͤnte/ dann man laͤſſet den Herꝛn Candidaten nicht
gerne entſchnappen/ er moͤchte ſich ſonſt auf einer an-
dern Academie angeben/ ſo gieng das ſchoͤne Accidens
auß der Naſen. Man wil ſonſten auf rechtſchaffenen
Academien keinem die Doctors-Wuͤrde ertheilen/ er
habe dann das 17. Jahr ſeines Alters uͤberſchritten/
und ſey ohne Mackel. Solche Mackeln aber ſind in
l. 2. C. de Dignitatibus außgedruckt/ nemlich: Neque
K k k 2famo-
[884]Deß Academiſchen
famoſis \& notatis, \& quos ſeelus aur vitæ turpitudo
inquinat, \& quos infamia ab honeſtorum cœtu ſegre-
gat, dignitatis portæ patebunt. So aber einer ein
unehelicher Sohn iſt/ kan er ſich legitimiren/ und
alsdann wol doctoriren laſſen.
Anlangend die Ceremonien ſelber bey Auftra-
gung dieſer hohen Wuͤrde/ ſo wird ein ſolcher Candi-
datus erſtlich auf den Catheder oder Lehrſtuhl gelaſ-
ſen/ zum Zeichen ſeiner erlangten Wiffenſchafft. Zum
andern gibt man ihm ein Buch/ welches Anfangs ge-
ſchloſſen iſt/ und dardurch wird bedeutet/ daß ſeine
Wiſſenſchafft nicht allein in den Buͤchern/ ſondern
im Hertzen muͤſſe ſtecken/ ſonſten wuͤrde man ihm vor-
werffen das bekandte Spruͤchwort:
Alsdann gibt man ihm ein aufgeſchlagenes Buch/
zu bedeuten/ daß er ſich bey ſeiner Menſchlichen
Schwachheit nicht zu ſehr auf das Gedaͤchtnuͤß ver-
laſſen muͤſſe. Es kauffen die Doctores offt viel Buͤ-
cher/ und meynen/ ſie ſeyen darbey alsdann recht ge-
lehrte Leute/ aber Auſonius Epigramm. 43. redet ſol-
che Einbilder folgender Maſſen an:
Doctum \& Grammaticum te Philomuſe putas?
Hoc genere \& chordas, \& plectra, \& barbita conde:
Mercator hodiè, cras Citharœdus eris.’
Man ſetzet dem Doctorando weiter auch einen ſon-
derlich geſtalten Hut auf/ denſelben nennet man ein
Biret, und iſt er auf einer Academie rund/ auf einer
andern aber viereckt; Dieſer ſoll bedeuten/ daß ein
Doctor Erlaubnuͤß habe in allen 4. Theilen der Welt
zu lehren. Ein runder Hut aber bedeutet die Voll-
kommenheit. Er iſt auß Seyden gemacht. Ferner gibt
man ihm einen Ring/ womit ihm die Wiſſenſchafft
gleich-
[885]Romans II. Buch.
gleichſam verlobet wird/ oder zum Zeichen ſeiner
Adelſchafft/ als der dardurch das Jus Aureorum An-
nulorum erlanget. Endlich wird ihm von dem Pro-
motore oder Decano ein Kuß auf die Stirn erthei-
let/ zum Zeichen deß Friedens/ der Liebe und der
Freundſchafft. Alsdann iſt der Actus abſolviret/ man
wunſchet dem neuen Doctori Gluͤck/ und er tractiret
die Herren Profeſſores, und andere Gaͤſte/ auf einem
guten Banquet. Ein Doctor wird unter die Edlen oder
Nobiles gezehlet/ und hat viel Privilegia, welche alle
anzufuͤhren gar weitlaͤufftig ſeyn wuͤrde. vid. Nolden.
de Nobil. cap. 4. Halbritterum in Orat. de Privil. Dd.
Matth. Stephan. de Nobil. Scientiæ. Bartol. ad l. 1. C.
de Dignit. libr. 12. Bologn. ad Auth. Habita. n. 27. \&
ſeqq. Petr. Lesnadier. in Tr. de Privil. Dd. und an-
dere mehr.
Das XXX. Capitul/
Die Studenten haben viel ſchoͤnePrivilegia.Jedoch auf
einer Vniverſitaͤt andere/ als auf der andern.
ABer ich muß meinen Herren nun auch noch et-
was von den Herren Studenten melden. Dieſe
Leute haben ſchoͤne Privilegia, welche man in all-
gemeine und ſonderbare abtheilen kan. Jene werden
in Authentica Habita, C. ne filius pro patre. gnugſam
außgedruͤcket/ dieſe Authentica iſt gegeben worden
vom Kaͤyſer Friderico I.in den Roncaliſchen Feldern
nicht weit von Placentia in Jtalien am Po-Fluß/ als
er in ſeinem Roͤmerzug A. 1158. im November allhier
eine Reichs-Verſammlung hielte. Dieſes Privile-
gium lautet von Wort zu Wort alſo:
HAbita quidem ſuper hoc diligenti inquiſitione Epiſcopo-
rum, Abbatum, Ducum, omnium Judicum, \& aliorum
Procerum ſacri noſtri Palatii examinatione, omnibus, qui causâ
ſtudiorum peregrinantur, ſcholaribus, \& maximè divinarum
atque ſacrarum legum Profeſſoribus hoc noſtræ pietatis benefi-
K k k 3cium
[886]Deß Academiſchen
eium indulgemus, ut ad ea loca, in quibus literarum exercentur
ſtudia, tàm ipſi, quàm eorum nuncii veniant, \& in eis ſecurè ha-
bitent. Dignum namque exiſtimamus, ut, cùm omnes bona
facientes, noſtram laudem \& protectionem omnimodò merean-
tur, quorum ſcientiâ totus illuminatur mundus, \& ad obedien-
dum D E O \& nobis ejus miniſtris, vita ſubjectorum informa-
tur, quadam ſpeciali dilectione eos ab omni injuriâ defenda-
mus. Quis enim eorum non miſereatur, qui amore ſcientiæ
exules facti, de diyitibus pauperes, ſemetipſos exinaniunt, vitam
ſuam multis periculis exponunt, \& à viliſſim is ſæpè hominibus
(quod gravitet ferendum eſt,) corporales injurias ſine cauſa per-
ferunt? Hâcigitur generali \& in perpetuum valitura lege de-
cernimus, ut nullus de cœtero tàm audax inveniatur, qui ali-
quam Scholaribus in ferre injuriam præſumat, nec ob alterius cu-
juscunque provinciæ delictum ſive debitum (quod aliquando
ex perverſa conſuetudine factum audivimus,) aliquod damnum
eis inferat: Scituris, hujusmodi ſacræ conſtitutionis Temerato-
ribus, \& etiam ipſis locorum Rectoribus, qui hoc vindicare ne-
glexerint, reſtitutionem rerum ablatarum ab omnibus exigen-
dam in quadruplum: notaque infamiæ eis ipſo jure irrogandæ,
dignitate ſe carituros in perpetuum. Veruntamen ſi litem eis
quispiam ſuper aliquo negotio movere valuetit, hujus rei optio-
ne datâ ſcholaribus, eos coram Domino vel Magiſtro ſuo, vel
ipſius civitatis Epiſcopo, quibus hanc jurisdictionem dedimus,
conveniat. Qui verò ad alium judicem eos trahere tentaverit,
etiamſi cauſa juſtiſſima fuerit, à tali conamine cadar. Hancau-
tem legem inter Imperiales Conſtitutiones, ſcilicet ſub Titulo:
Ne filius pro patre \& c. inſeri juſſimus. Datum apud Roncalias
Anno Domini M C LVIII. menſe Novembri.
Solches koͤnte man in unſerer Teutſchen Sprache
alſo geben:
NAch gehaltener reiffer Berathſchlagung und Unter-
ſuchung der Biſchoͤffen/ Aebten/ Hertzogen/ aller Richter
und hohen Bedienten Unſers heiligen Pallaſts/ ertheilen
Wir allen Scholaren/ welche um der Wiſſenſchafften willen
reyſen/ inſonder heit aber denen Profeſſoribus der Goͤttlichen
und heiligen Rechten/ dieſe Wolthat/ daß zu denen Orten/
da die Studia getrieben werden/ ſo wol ſie ſelber/ als ihre
Botten/ moͤgen kommen/ und in Sicherheit daſelbſt wohnen.
Dann Wir erachten es fuͤr billich/ daß da alle die Jenigen/ ſo
Gutes
[887]Romans II. Buch.
Gutes thun/ Unſer Lob und Schutz auf alle Weiſe verdienen/
durch deren Wiſſenſchafft die gantze Welt erleuchtet wird/
und welche Unſere Unterthanen unterrichten/ daß man GOtt
und Uns/ als ſeinen Dienern/ gehorche/ Wir auß einer be-
ſondern Liebe dieſelbe von aller Beleydigung beſchuͤtzen. Dann
wer ſolte ſich derer nicht erbarmen/ welche auß Liebe zur Wiſ-
ſenſchafft ſich in die Fremde begeben/ auß reichen Leuten arm
werden/ ſich ſelber außleeren/ ihr Leben vielen Gefahren un-
terwerffen/ und offt von den geringſten Leuten (welches ſchwer
zu ertragen/) ohne Urſache leibliche Beleydigungen ertragen.
Derowegen verordnen Wir durch dieſes allgemeine ewig-
waͤhrende Geſetz/ daß ſich keiner hinfuͤhro erkuͤhne/ einigen
Studenten zu beleydigen/ oder um eines andern Landes Miſ-
ſethat und Schuld willen (welches/ wie Wir vernommen/
bißhero durch eine verkehrte Gewonheit im Schwange gan-
gen/) ihnen einigen Schaden zu zufuͤgen. Sie ſollen wiſſen/ daß
die Freveler dieſer heiligen Conſtiturion, auch die Rectores
der Orten/ die ſolches zu ahnden verabſaͤumet/ den erlittenen
Berluſt den Studenten vierfach gut machen ſollen/ daß ſie
unehrlich ſollen erllaͤret werden/ und ihrer Wuͤrde ewiglich
verluſtiget ſeyn. Wil ſie aber Jemand uͤber eine Sache zu
Recht fodern/ ſollen die Studenten die Wahl haben/ vor dem
Herm/ oder ihrem Meiſter/ oder vor der Stadt Biſchoff/
denen Wir ſolche Macht gegeben/ deßfalls Red und Antwort
zu geben. Der ſie aber vor einen andern Richter ziehen wird/
ob gleich er eine gantz gerechte Sache haͤtte/ ſoll ſein Recht
verlieren. Und dieſes Geſetz haben Wir den Kaͤyſerl. Conſti-
tutionibus, unter dem Titul: Ne filius pro patre, \&c. einver-
leiben laſſen. So geſchehen in den Roncaliſchen Feldern/
im Jahr unſers Erloͤſers 1158. im November-Monat.
Nun gehen wir weiter/ und berichten/ daß der
Rector Magnificus und die Univerſitaͤt allemahl uͤber
die Sachen/ und theils auch uͤber die Verbrechen der
Studenten judiciren/ dann was das merum Impe-
rium anbelanget/ ruͤhmet ſich deſſen die Univerſitaͤt
Tuͤbingen/ teſte Sichard. ad d. Authent. habita. n. 22.
auch die zu Leipzig/ die zu Franckfurt an der Oder/ zu
Roſtock/ Jngolſtatt/ Heydelberg und Gryphswald.
Vor Zeiten ſtunde die hoͤchſte Jurisdiction, und ſo gar
K k k 4auch
[888]Deß Academiſchen
auch das Leben und Tod bey der Univerſitaͤt zu Pa-
riß/ aber da ſie A. 1403. 2. Studenten hiengen/ ver-
lohren ſie ihr Recht. Jn Jtalien ruͤhmete ſich die
Academie Bologne gleicher hoͤchſten Jurisdiction, als
aber zu Zeiten Agonis 10000. Studenten auf ein-
mahl ſich daſelbſt aufhielten/ war es der Academie
nicht muͤglich/ ſo viel Leute zu zwingen/ derowegen
tratt ſie der Stadt von ihrem Recht etwas ab. Die
Academie zu Piſa hat auch weyland nebſt der Civilen
ihre Criminal-Jurisdiction exerciret/ gleichwie auch
die zu Neapolis und zu Peruſia. Jn Engelland ruͤh-
met ſich Oxfort dergleichen Macht/ und in Spanien
Complutum, ſonſten Alcala de Henares. Jn Pohlen
die Univerſitaͤt Cracau/ wiewol nur in ſchlechten
Criminal-Sachen/ dann in hohen Verbrechen muͤſ-
ſen ſie ſich vor die gebuͤhrende Obrigkeit ſchleppen
laſſen. Uber dem haben etliche Univerſitaͤten ihre be-
ſondere Privilegia, nemlich/ welcher ſich unterſtehet ei-
nen Studenten/ der nach Bologne ziehet/ mit der
Hand oder Mund zu beleydigen/ hat ſein Leben ver-
lohren/ und welche Obrigkeit/ als Obrigkeit/ nicht
fortfaͤhret/ ſothane dem Studenten angethane
Schmach zu raͤchen/ ſoll gleicher Straffe unterworf-
fen ſeyn. Nat. Chytr. in Delic. Europ. p. 180. Die
Univerſitaͤt Loͤven in Brabant ruͤhmet ſich/ daß ein
Student/ ſo bald er nur den Fuß auß ſeines Vatters
Hauß geſetzet/ dahin zu raͤyſen/ und zu ſtudiren/ alſo
gleich unter ihrer Protection ſtehe. Zu Padua hatten
vormahlen die Studenten Macht/ einen Rectorem
nach ihrem Belieben zu erwaͤhlen/ und zu verwerf-
fen/ welches aber von dem hohen Senat zu Venedig
A. 1445. in etwas geaͤndert/ und A. 1560. gaͤntzlich
aufgehoben worden/ wegen der Unruhen/ ſo darauß
zu entſtehen pflegeten. Wann ein Student zu Leyden
in
[889]Romans II. Buch.
in Holland ſchon Klaͤger iſt/ und einen Buͤrgen be-
langet/ muß ihm dieſer vor den Rectorem folgen. Die
Univerſitaͤt zu Montpelliers in Langedoc greiffet noch
weiter/ dann ſie hat A. 1437. von Koͤnig Carolo VII.
ein Privilegium erhalten/ Krafft deſſen die Doctores
und Studenten derſelben ihre Beleydiger (das Pri-
vilegium ſagt/ quô Doctores \& Studioſi debitores, in-
juratores, jurium detentores, inquietatores \& moleſta-
tores,) ob ſie gleich auf fuͤnff Tag-Raͤyſen von ihnen
wohnen/ nach der Univerſitaͤt ziehen koͤnnen/ um da-
ſelbſt Red und Antwort zu geben. Die Leipziger-
Univerſitaͤt hat dieſes Privilegium, daß ihre Glieder/
oder Leute/ wann ſie nicht allein in der Stadt/ ſon-
dern auch auſſerhalb derſelben auf 3. Tag Raͤyſen/
von der Land-Obrigkeit ergriffen/ und angehalten
ſeynd/ dem Rectori, wann er ſie verlanget/ zur Straff
muͤſſen uͤberſandt werden. Frid. Penſold. in Addit. ad
Deciſ. Coler. 296. Wann Jemand ein Glied der Aca-
demie, oder einen/ deſſen Hauß-Genoſſen mit Wor-
ten oder Thaten beleydiget/ muß er dem Beleydigten
nicht allein Abtrag thun/ und die gewoͤhnliche Land-
Straffe/ ſondern noch daruͤber 20. Guͤlden/ als eine
extraordinaire Straffe/ erlegen. Kizel. in Diſput. ad d.
Auth. q. 14. Die Academie zu Pariß hat unter an-
dern folgende Privilegia: Philippus der Huͤbſche hat
A. 1295. mittelſt eines Edicti verordnet/ daß die Uni-
verſitaͤt von allen Impoſten deß Krieges befreyet ſey.
A. 1299. daß ein Student fuͤr eine wuͤrckliche Schuld
nicht moͤge gepfaͤndet werden in ſeinen beweglichen
Guͤthern. Und A. 1311. daß der Fuͤhrer der Wacht
beym Antritt ſeiner Charge ſchwoͤre/ daß er der Uni-
verſitaͤt Privilegien in allem halten wolle. Ludovicus
Huttinus, ſein Sohn/ verordnete/ daß die Studenten
ihren Haußrath fuͤhren moͤchten/ wohin ſie wolten/
K k k 5ohne
[890]Deß Academiſchen
ohne deßwegen von Jemand bekuͤmmert zu werden.
Aber nachfolgendes Privilegium iſt noch groͤſſer/
welches Philippus Valeſius derſelben Academie Anno
1340. ertheilet hat/ darinn ſie frey geſprochen wird/
von allen Zoͤllen/ Gewonheiten/ und dergleichen Per-
ſonal-Beſchwoͤrungen/ auch daß ſie in keinem Proceß
auſſer Pariß moͤgen vor Gericht gezogen werden.
Fridericus II. Roͤmiſcher Kaͤyſer/ hat den Studenten
zu Neapolis nachfolgendes Privilegium erſtattet:
Es moͤgen die Studenten kommen/ woher ſie wollen/
ſo ſollen ſie ſicher wandeln/ ſtehen und widerkehren/
ſo wol an ihrer Perſon/ als Guth/ und ſollen mit
nichten beleydiget werden/ das beſte Logiment, ſo in
der Stadt iſt/ ſoll man ihnen vermiethen/ um 2. Un-
tzen Gold deß Jahrs/ und ſoll ſich das Mieth-Geld
nicht hoͤher erſtrecken. Unter beſagter Summa, und biß
zu derſelben hin/ ſollen alle Hoſpitia oder Logimenter
vermiethet werden/ unter dem Taxt 2. Buͤrger und
2. Studenten. Es haben auch beſondere Nationes
auf gewiſſen Academien beſondere Privilegia, alſo
hat die Teutſche Nation zu Padua unter 25. Natio-
nen/ die man daſelbſt zehlet/ in allen/ ſo wol offent-
lichen/ als ſonderbaren Zuſam̃enkuͤnfften der Stadt/
die erſte Stelle/ und gibt 2. Stimmen bey den Wah-
len. 2. Um einer Burgerlichen Schuld willen/ oder
wegen eines Verbrechens/ daruͤber man kein Blut
vergieſſen kan/ darff man keinen Teutſchen fangen/
oder in Verhafft legen. 3. Wann einer von uns
Teutſchen mit einem andern in Haͤndel kommt/ ob-
gleich einer verwundet wird/ wann ſie ſich nur wieder
vergleichen/ darff der Academiſche Magiſtrat nicht wi-
der ſie ſprechen/ oder ſie zur Straff ziehen. 4. Alle und
Jede/ die ſich unter die Teutſche Nation geſtellet/ ſind
frey von allen Zoͤllen/ Auflagen und Beſchwerden/
wie
[891]Romans II. Buch.
wie ſie immer Namen haben moͤgen/ alſo/ daß ſie und
ihre Bedienten durch das Venetianiſche Gebiet al-
les/ was zur Kleidung/ Eſſen/ und taͤglichem Ge-
brauch gehoͤret/ auß-und einfuͤhren moͤgen. Wann
aber ein Streit entſtehet/ ob ein Ding zum Dienſt
der Teutſchen Nation getragen werde/ ſo muß man
ihrem Eyd glauben/ es ſey dann/ daß man mit offen-
baren Zeugnuͤſſen das Gegentheil darthue/ dann hier
gelten keine Muthmaſſungen. Die Zoͤllner/ ſo dar-
wider handeln/ werden um 100. Pfund an Geld ge-
ſtrafft. Libr. Statut. German. Nat. quæ eſt Patav. c. 2.
Zu Boulogne iſt die Teutſche Nation auß ſonderba-
rem Privilegio Kaͤyſers Caroli V. unter ſpecialem
Schutz deß Roͤmiſ. Kaͤyſers. Zu Siena im Florentini-
ſchen Land haben die Teutſchen folgende Vorrechte:
1. Daß ſie vor Niemand/ als ihrem eigenen Conſilia-
rio, Procuratoribus und aͤlteſten der Nation koͤnnen
belanget werden. 2. Auſſer einem Todes-Fall kan
weder der Bariſellus, noch die Schergen/ einen Teut-
ſchen greiffen/ oder ins Gefaͤngnuͤß werffen. 3. Sie
moͤgen allenthalben offenſive und defenſive Waffen
tragen. 4. Wann ſie erweiſen/ daß ſie in die Teutſche
Nation eingeſchrieben ſind/ ſo ſind ſie von allen Zoͤl-
len und Auflagen im gantzen Groß-Hertzogthum
frey. Zu Orleans ſtehen die der Teutſchen Matricul ein-
verleibte Studenten unter ſpecialem Schutz deß Koͤ-
nigs/ ſie moͤgen dahin gehen/ oder darvon ziehen/ in
Friedens-und Kriegs-Zeiten/ ohne einige Inquiſition
der Religion. So kan man ſie auch in Kriegs-Zeiten/
oder durch Kriegs-Recht/ nicht anhalten/ ob auch
gleich ihr Lands-Fuͤrſt dem Frantzoͤſ. Koͤnig den Krieg
angekuͤndiget haͤtte. Alſo iſt geſprochen worden den
12. Julii A. 1558. vor einen Teutſchen Studenten zu
Orleans, welcher von einem Frantzoͤſiſ. Edelmann bey
Gyen
[892]Deß Academiſchen
Gyen deßwegen gefangen worden/ weil ſein Bruder
von deß Studenten Bruder war im Krieg gefangen
worden. Jean Bacquet des Droicts du Domaine de la
Couronne de France Part. 1. chap. 13. pag. 38. \& ſeqq.
Ein eingeſchriebener Teutſcher iſt daſelbſt auch frey
vom Schmauß/ den andere junge ankommende Stu-
denten geben muͤſſen/ und ein ſolcher/ wann er ein
Hauß kaufft oder miethet/ und ſeine Hauß-Genoffen
unterhaͤlt/ iſt von allen Auflagen der andern Einwoh-
ner befreyet. Auch ſind eines Eingeſchriebenen und
daſelbſt Verſtorbenen Guͤther/ als eines Fremden/
Jure Albinagii, (quaſi alibi notorum,) frey/ und koͤn-
nen nicht aufgehalten werden/ ſondern gehoͤren den
Erben. Ein eingeſchriebener Teutſcher mag Tag
und Nacht mit Degen uñ Dolchen bewaffnet gehen/
und wann er durch das Reich wandert/ mag er auch
Piſtolen zur Woͤhre fuͤhren. vid. lib. Stat. Nation.
Germ. Aurel. de gent. Die Teutſchen haben ihren
beſondern Procureur daſelbſt/ welche Dignitaͤt noch
vor 3. Jahren eine hochgelehrte Perſon auß Ham-
burg allhier Herꝛ P. S. J. U. D. mit groſſer Reputation
verwaltet hat.
Zu Prag in Voͤhmen/ hatten weyland die
Teutſchen 3. Stimmen/ und die Boͤhmen die vierdte/
und als ſolches Kaͤyſer Wenceslaus aufheben wol-
te/ zogen in einem Tag 5000. und in einer Wochen
24000. Studenten von dannen hinweg. Dubrav.
Hiſt. Bohem. libr. 23. Cuſpin. in Vita Wenceslai.
Weiter muß der Rector zu Padua dem Conſiliario
Teutſcher Nation erlauben/ vergoͤntes Gewoͤhr zu
tragen. Zu Boulogne, ſo lange die Teutſchen Procu-
ratores in ihrer Charge ſtehen/ genieſſen ſie der Wuͤrde
deß heiligen Lateraniſchen Pallaſts/ deß Hofs und
Grafen deß Kaͤyſerl. Conſiſtorii, ſie koͤnnen alſo auch
Notarios
[893]Romans II. Buch.
Notarios und ordentliche Richter machen/ auch un-
eheliche Kinder legitimiren/ ꝛc. nach dem ihnen gege-
benen Privilegio Kaͤyſers Caroli V. Zu Siena hat
der Conſiliarius Teutſcher Nation, uͤber ſeine einge-
ſchriebene Lands-Leute ſeine beſondere Jurisdiction.
die ſich biß auf Kopff und Kragen erſtrecket. Zu Or-
leans iſt der Procurator Teutſcher Nation ein Mit-
Glied der Univerſitaͤt/ und muß zu den offentlichen
Verſammlungen der Univerſitaͤt mit beruffen wer-
den. Jn Holland ſind die Studenten mit einander
frey von aller Acciſe auf Eß- und Trinck-Waaren/
und koͤnnen ſie ſolche Freyheit/ wann ſie wollen/ ei-
nem Burger vermiethen. Dann ein Student in
Holland bezahlet/ wegen freyer Acciſe, zum Exem-
pel/ Wein und Bier ſchon nicht ſo theuer/ wie ſonſt
ein Hollaͤndiſcher Unterthan. Es koͤnnen aber die
Studenten und andere Academiſche Glieder ihre
Freyheiten durch eigenes Verſehen verluſtig/ und
auß der Matricul zu ihrem eigenen groſſen Schimpff
außgeloͤſchet werden/ wie dann A. 1597. 11. Calend.
Octobris, als Nicolaus à Nubelskutz zu Padua Conſi-
liarius der Teutſchen Nation daſelbſt war/ von allen
daſelbſt befindlichen Teutſchen nach reiffer Uberle-
gung beſchloſſen und gut befunden worden/ daß kei-
nem ihres Mittels erlaubt ſeyn ſolle/ hinfuͤhro mit
dem Doctor Hieronymo Planco Florentino einige
Gemeinſchafft zu haben/ bey Straffe/ auß der Matri-
cul außgeloͤſchet zu werden. Was aber die Relega-
tion belanget/ ſo ruhen als dann zwar die Privilegia
der Studenten an ſolchen Orten/ werden aber nicht
gar aufgehoben. Die endlich die Studia gar quittiren/
koͤnnen ſich der Privilegiorum Academicorum weiter
nicht erfreuen/ welches auch von denen verſtanden
wird/ die ſich gantzer 5. Jahr von den Univerſitaͤten
abſen-
[894]Deß Academiſchen
abſentiren. Rebuff. Privileg. 35. Schneidewin. ad
§. Item Romæ. n. 6. Inſtit. de excuſat.
Hiermit beſchloß der Schweitzer ſeinen Diſcurs,
zumahl ſie in ein Doͤrfflein/ ohnweit Schafhauſen
kamen/ allwo ſie ihr Nacht Lager nehmen muſten/
weil die Pferde vor dem Wagen ziemlich abgemattet
waren. Sie waren aber vor dem Bauren-Hauß/
darinn ſie bleiben wolten/ weil keine andere Herberge
im Dorff/ kaum abgeſtiegen/ da kamen uͤber 20. Bett-
ler/ Jung und Alt/ Maͤnnlichen und Fraͤulichen Ge-
ſchlechts; Dieſe waren theils lahm/ theils Taub/
Stumm/ Kruͤppel/ oder ſonſten gebrechlich/ daß es
wol ein ſeltzames Spectacul war. Sie theileten ih-
nen etwas mit/ und verfuͤgten ſich in das Hauß/ fun-
den aber die Stube ſo miſerabel, daß ſie die offenbare
Scheuer-Denne erkieſeten/ um bey den Pferden
und Fuhr-Leuten daſelbſt zu ſpeiſen/ und zu ſchlaffen.
Das XXXI. Capitul/
Diſcursvon den Bettlern/ welche die Kinder mit Fleiß lahm
machen/ welcher pro \& contra abgehandelt wird. Bettler ſind
Schelmen.
DIe Mahlzeit war wol recht Philoſophiſch/ dañ
ſie kunten nichts anders/ als Milch/ etliche ge-
ſottene Eyer/ ein wenig Butter/ und darzu ei-
nen Trunck ſauren Apffel-Moſt bekommen. Unter
der Mahlzeit diſcurrirten ſie von den Bettlern dieſes
Orts/ und ſagte Cavina, er glaube gewiß/ daß ihrer
viele von den Eltern in der Jugend alſo mit Fleiß ge-
brechlich gemacht worden. Der gelehrte Schweitzer
gab ihm Beyfall/ mit dieſen Worten:
JCh geſtehe es gar gerne/ und erinnere ich mich der Anklage
eines Fiſcals einer fuͤrnehmen Schweitzeriſchen Respubliq
oder Cantons/ wider einen Bettler/ der einige Fuͤndlinge/ ſeiner
Nahrung zum beſten/ zu Kruͤppeln gemacht/ ſamt deſſen Ant-
wort. Die Klage deß Fiſcals beſtund in folgenden Terminis:
Unſere
[895]Romans II. Buch.
Unſere Geſetze verbieten/ daß Niemand der Respubliq auf ei-
nigerley Weiſe ſchaͤdlich fallen ſoͤlle; Es hat ſich aber begeben/
daß ein Mann/ ein Bettler/ einige auß Armuth weggelegte Kin-
der auf gehoben/ und in ſeiner Wohnung er zogen/ doch alſo/ daß
er ihnen ihre Glieder an Armen und Beinen gekraͤncket/ und ſie
Impotent und Lahm an den Gelencken gemacht/ einig und allein
darum/ daß er/ mit ihnen bettlend/ ſo viel mehr Geld uͤberkom-
men moͤge. Er iſt hierauf in Hafft gerathen/ als einer/ der dem
gemeinen Weſen groſſe Unbillichkeit zugefuͤget/ und durch den
Fiſcal auf folgende Weiſe angeklaget worden: Ey! ey! wie
ſehr ungluͤckſeelig ſind dieſe Kinder/ dieweil ſie gefunden einen
noch viel Grimmigern/ als den/ oder die/ welche ſie weggeſetzet/
und als Fuͤndlinge hingeleget hatten/ indem ſie mit ihren Glied-
maſſen abſtatten muͤſſen ihre Koſt/ oder beſſer zu ſagen/ dienen
dem Geitz deſſen/ welcher ſich faͤlſchlich angeftellet/ ſie zu er ziehen-
Dann ſo dieſer Geitz nicht waͤre/ der eintzige Name der Waͤyſen
waͤre genug/ ihnen Nahrung und Nothdurfft vor ſie und ihre
Ammen zu erlangen. Wann die Jenigen/ ſo auß Zorn einen
Menſchen verwunden oder toͤdten/ geſtrafft werden/ was vor
Straffe hat dann verdienet dieſer Ungluͤckſeelige/ welcher ein viel
aͤrgers an dieſen Kindern veruͤbet hat/ indem er ſie auf ihre gan-
tze Lebens-Zeit elend und miſerabel gemacht hat/ und ſich hierin-
nen noch viel Unmenſchlicher erwieſen/ als die wilden und un-
vernuͤnfftigen Beſtien. Jſt es anders wahr/ was die Hiſtorien
ſagen/ daß in ſolchem Nothfall Cyrus, nach der Zeit Koͤnlg in
Perſien/ durch einen Hund/ eine Betze/ Remus und Romulus
aber/ als Uhrheber der Stadt Rom/ von einer Woͤlffin geſaͤuget
worden? O neue! O unerhoͤrte Grimmigkeit! indem dieſe
Ohnmaͤchtige gezwungen ſeyn/ die Koſt zu erlangen und zuwe-
gen zu bringen vor den/ der friſch und geſund iſt/ und dieſe nicht
allein unbrauchbar gemacht hat vor die Respubliq, ſondern
auch verhaſſt und hinderlich; Dann ſie koͤnnen nicht allein die
Hungers-Noth vermehren/ ſondern auch in einem Streit ver-
ringern die Courage der Mannhafftigſten durch ihr Geſchrey
und Klagen. So koͤnte auch leicht ein ſchwanger Weib durch
ihr unverhofftes Anſehen dergleichen Monſtra und Mißgebur-
ten an den Tag bringen. Alles/ was dieſer Ungluͤckſeelige ſich
zum beſten reden kan/ iſt/ daß dieſe Kinder ſonder ihn wurden
Hungers geſtorben ſeyn/ vielleicht aber auch nicht/ dann wie
viel andere wurden ſich auch koͤnnen gefunden haben/ die ſie
entgegen wol und ſorgfaͤltig der Respubliq zum beſten erzogen?
Wie
[896]Deß Academiſchen
Wie viel dergleichen Fuͤndlinge ſind Bellicos und Mannhafft
worden/ Ja Koͤnig Cyrus und obermelte Roͤmer zeugen es;
Allein dieſer Boͤſewicht hat dem einen die Zunge abgeſchnitten/
damit es ſonder Sprach ſo viel unverſchaͤmter ſeyn ſolte. Nun
dann/ O ihr Richter/ die ihr mit Jedem ins beſonder Mitleyden
traget/ habt ſolches nun mit dieſen allen zugleich; Vor allen iſt
ja grimmig zu achten der/ welcher Schaden thut unter dem
Schein der Barmhertzigkeit. Dieſe arme Kinder werden auf
Gaſtereyen und offenbare Zuſammenkuͤnffte gebracht/ um zu
betteln/ all daſelbſt ſie ſehen die Tapffrigkeit und das gute Ge-
ſchick anderer/ ihr Betruͤbnuͤß mehret ſich/ wann ſie ſehen alle
ihre Glieder zerruͤttet und gebrochen. Andere Waͤyſen oder
Fuͤndlinge/ ſo noch geſunder Glieder/ ſeynd nicht gantz auſſer
Hoffnung/ von ihren Freunden wieder gefunden und erkannt
zu werden/ dieſe Ungluͤckſeelige aber werden nimmermehr er-
kannt werden/ weilen ſie nicht mehr alſo beſchaffen/ als da ſie
weggeſetzet worden. Schließlich/ man kan ſagen/ daß das groͤſte
Ungluͤck/ das die elenden unſchuldigen Waͤyſen betroffen/ iſt/ daß
ſie gefunden und aufgeheben worden durch dieſen Ubelthaͤter/
welcher Urſach iſt ihres immer-waͤhrenden Eiendes.
Die Antwort deß Bettlers iſt folgende: Grimmig kan
man den nicht neunen/ der mehr Barmhertzigkeit zu dieſen Kin-
dern getragen/ als der Vatter und die Mutter ſelber/ die ſelbige
weggeſetzet. Jch geſtehe es/ ich habe ihnen die Glieder gebrochen/
wer aber wil den Außſpruch thun/ daß ich hierinnen mehr Boͤſes
als Gutes gethan/ dann ich habe ſie alſo gemacht/ wie die gantze
Welt iſt/ und ich werde zu allen Zeiten bereit ſeyn/ ihnen zu helf-
fen. Sie ſtehen in keiner Sorge oder Noth ihre Koſt zu erlan-
gen/ und ſind auſſer Gefahr/ um im Krieg oder durch Strauch-
Diebe erſchlagen/ wie auch durch die Juſtitz gehangen/ oder von
der Respubliq vor unthrlich erkannt zu werden. Wer weiß/
ob ſie nicht Diebe wuͤrden geworden ſeyn/ Moͤrder/ Raͤuber/
Schelme/ Aufruͤhrer/ Ketzer/ und andere dergleichen Ungluͤck-
ſeelige/ wie das ihre Ankunfft deutet/ indem ſie von ſolchen Eltern
gebohren/ die ſich nicht geſcheuet/ ſie weg zu legen bey finſterer
Nacht/ denen hungerigen und erzuͤrneten Hunden zur Luſt.
Worauß man gar leicht ſagen kan/ daß durch ein kleines Ubel
ich unterſchiedlichen groſſen Gefahren vorgekommen bin. Die
Jenigen/ ſo die Jugend unterweiſen im Fechten/ und wie die
Menſchen zu toͤdten/ ſind der Respubliq viel ſchaͤdlicher/ als ich/
und gleichwol werden ſie nicht geſtrafft; Jch habe ſie ohnmaͤch-
tig ge-
[897]Romans II. Buch.
tig gemacht/ ſo wol zum Boͤſen/ als zum Guten/ und gleich wol
bin ich Urſach/ daß ſie leben. Die Respubliq kan nicht offendirt
werden wegen derer/ die auſſer ſelbiger ſeyn/ und ſolche waren
dieſe/ indem ſie dem Tod vorgeleget/ von welchem ich ſie errettet
und behuͤtet. Wann ihr ſaget/ daß ich Urſach bin/ daß ſie im
Elend leben/ ſo geſtehet ihr/ daß ſie durch mich leben/ und das iſt
kein geringes Ding/ die Burmhertzigkeit vieler erhaͤlt ſie/ durch
meine einzige aber ſeynd ſie lebendig. Haͤtte ich ſie erzogen ſon-
der Schaͤndung ihrer Glieder/ Lob wuͤrde ich verdienet haben/
der Verluſt deſſen ſey dann die Straffe/ daß ich alſo gefehlet habe.
Wer ſolte doch jemahls gedacht haben/ daß ein ſolcher Staat/
eine ſolche Respubliq, ſolche muͤſſige Officierer haben ſolte/ die
ſich bekuͤmmern und informiren/ was ein Bettler unter den
Bettlern thut/ als die ihr eigen Recht und Respubliq vor ſich
haben? Warum ſaget ihr nicht auch/ daß Pariß Alexander/
ſo auch von ſeinen Eltern vor Fuͤndling weggeleget/ und hernach
von ihuen erkannt geweſen/ Urſach war am Tode ſeines Vatters
und ſeines Bruders/ und an der Gefaͤngnuͤß ſeiner Mutter/
und dem Tod ſeiner Schweſter/ als auch der Edelſten in Griechen-
Land und Phrygien/ und letztlich an der Verſtoͤrung Troja ſeines
Vatterlandes? Wie ihr dann ſaget vom Cyrus, der endlich ſei-
nen Groß-Vatter ermordet/ und Romulus ſeinen Bruder.
Was wuͤrde der verdienet haben/ der ſie als Fuͤndlinge auf ge-
nommen/ zu Kruͤppeln gemacht haͤtte? Und wer wil dann ur-
theilen/ ob ich wol/ oder uͤbel gethan/ wann ich dieſen Stumm
und andere Lahm gemacht? Rur die Zeit iſt ungluͤckſeelig.
Alles/ was die Armen thun/ iſt uͤbel gethan/ und wird vor ſtraff-
bar gerechnet. Wie viel reiche Weibs-Perſonen ſetzen ihre Kin-
der in Gefahr/ um ſie ſchmaͤchtig und in ſchmahler Kleidung zu
halten? Wie viel Edele dringen ihre Lagueyen durch Lauffen/
daß ſie verderben? Und ihre Unterthanen auf der Jagd? Wie
viel ruiniren ſie/ die hernach durch Hunger und Kummer ſter-
ben/ und folgends vor Melancholey durch Felder und Waͤlder
wandeln? Wie viel Streit und Krieg nehmen ſie vor/ zum Ver-
luſt der Respubliq? Woltet ihr Fleiß ankehren/ euch wider die
zu informiren/ ihr wuͤrdet nicht Zeit finden/ ſie zu verfolgen.
Nicht unrecht hat Jener geſaget/ daß die Geſetze zu vergleichen/
mit denen Netzen der Spinnen/ als welche aufhalten die kleinen
Fliegen/ ungehindert aber durchbrechen laſſen die groſſen. Hum-
meln. Das iſt die kecke und kluge Antwort unſers Bettlers/ ich
ſorge aber/ daß ihm ſolche wenig helffen werde/ kommt mir der
L l lAuß-
[898]Deß Academiſchen
Außſpruch oder die Sententz/ wie vertroͤſtet/ zu/ unterlaſſe ich
nicht/ ſolche denen Liehhabern zu communiciren.
Was dieſer Bettler bey ſeinem Thun für Gluͤck finden
wollen/ ſolches hat Jener verlohren in der Luft-Geſeliſchafft
§. 517. p. 213. Ein Bettler hatte in ſeinem Mantel 200. Guͤlden
genaͤhet/ gieng doch fort nach betteln; Dieſes war einem Reuter
wiſſend/ der ritte ihm nach/ ſagte: Landsmann/ haben wir nichts
zu tauſchen? Der Bettler wandte vor/ ſein Mantel waͤre mit
lauter Flecken beſetzt. Der Reuter ſagte: Darzu ich ihn haben
wil/ iſt er mir gut/ nahm ihn mit Gewalt/ und ritte darvon.
Confer Michael Sachſen in Alphab. Hiſtor. p. m. 48. auß der
Feſt-Chronic D. Rivandri 54. Part. 2.
Zu Gent iſt es geſchehen/ als einsmahls etliche Raths-
Herren vor dem Rath-Hauß ſaſſen/ kom̃t ein ſtarcker Bettler/
bittet ein Allmoſen/ ſeuffzet/ weinet und klaget/ er haͤtte einen
heimlichen Schaden/ welchen er ſich ſchaͤmete zu weiſen. Jeder
hatte ein Mitleyden mit ihm/ und gab ihm ein Allmoſen. Als
der Bettler hinweg gehet/ befahl einer ſeinem Knaben/ er ſolte
hernach gehen/ und von dem Bettler erfragen/ was er doch fuͤr
eine heimliche Kranckheit habe? Der Jung thut es/ beſiehet
ihm das Geſicht/ Arm/ Bruſt und Schenckel/ findet alles geſund/
ſpricht: Jch ſehe keinen Mangel an dir. Der Bettler ſpricht:
Ach/ es iſt gar viel ein anders/ das mich druͤcket/ welches du nicht
ſehen kanſt/ und iſt eine ſolche Kranckheit/ die meinen gantzen
Leib eingenommen/ und bat alle Adern/ Marck und Bein durch-
krochen/ daß kein Glied an meinem gantzen Leib iſt/ das gerne
arbeiten wolte/ und habe gehoͤret/ daß dieſe Kranckheit die Faul-
heit genannt wird; Das iſt ja warlich eine groſſe Kranckheit. Der
Jung ward zornig/ und gieng darvon/ und erzehlet alles/ was
er vom Bettler verſtanden/ darauß ſie ein Gelaͤchter macheten/
und ward dem Bettler nachgeſchickt/ er aber nicht funden.
D. Zacharias Urſinus zu Heydelberg/ gab den Armen das
Erſte/ was er in die Haͤnde bekam. Chur-Fuͤrſt Friderich laͤſſet
ihm ſeinen Beſold in der Cantzley geben/ mit lauter Gold-Guͤl-
den. Jndeſſen waren Arme beſtellet/ bey denen der Doctor muſte
vorbey gehen/ deren Jeden er einen Gold-Guͤlden gegeben;
Was hat er darvon? Dieſen ewigen Nachruhm: Daß er dem
Spruͤch-Wort Chriſti gemaͤß gelebet: Geben iſt beſſer/ dann
Nehmen.
Es iſt auf eine Zeit ein verwegener Ertz-Bettler auf An-
ragau kommen/ hat ſich daſelbſt fuͤr die Kirch-Thuͤr geſtellet/
ſeinen
[899]Romans II. Buch.
ſeinen rechten Arm hinden auf den Ruͤcken unter dem Mantel
verborgen/ und an Statt deſſelben einen Arm/ welchen er einem
erhangenen Dieb am Galgen abgeſchnitten/ vor ſich hangend
gehabt/ welchen er hatte an deß andern Statt gehefftet/ und
vorgegeben/ als waͤre ihm der gantze Arm alſo außgedorret.
Was geſchicht? Als ihm Jedermann auß Mitleyden mildiglich
ſteuerte/ und er ſich immerdar mit der andern Hand bewegen/
und das Allmoſen einnehmen muſte/ und darneben der todte
Diebs-Arm nicht veſt angehefftet war/ da ſiel er von ſeinem
Leib herunter auf die Erden/ dardurch ward ſein Buhenſtuͤck
offenbahret/ und er in das Gefaͤngnuͤß geworffen/ mit Ruthen
außgeſtrichen/ das todte Schelmen-Bein oder Diebs-Arm ihm
an den Halß gehencket/ und er deß Landes verwieſen. Olorinus.
Auch iſt eine Bettlerin gen Utrecht kommen/ welche ihre
Bruſt gezeiget/ als ob ſie den umfreſſenden Krebs daran haͤtte/
welches dann gar abſcheulich anzuſehen war/ derowegen auch
viel Leute ein groſſes Mitleyden mit ihr hatten/ dieweil ſie aber
doch darneben eine geſunde friſche Farbe unter dem Geſicht hat-
te/ gab ſolches etlichen Leuten groſſen Verdacht/ ob irgend ein
Bubenſtuͤck darhinter waͤre/ derowegen war einem bewaͤhrten
Artzt anbefohlen/ den Schaden eigentlich zu beſichtigen/ ob ihr
noch etwa moͤchte geholffen werden. Als nun der Artzt den
Schaden beſichtigen wolte/ befand er unter ihrem Arm einen
groſſen Schwamm/ welchen ſie mit Blut und Milch unter ein-
ander vermiſchet/ gefuͤllet hatte/ darneben befand er/ daß ſie
beimliche Roͤhrlein von Hollunder neben und unter die Bruſt
geſtecket hatte/ durch welche die vermiſchte Milch und Blut auß
dem Schwamm in ihre untergeſteckte Haderlumpen lieffen;
Und uͤber die Bruſt hatte ſie geleget etliche Stuͤcke von ſchwar-
tzen/ gelben und gruͤnen geſchundenen Froͤſchen/ welche ſie mit
vermiſchtem Meel und Eyerweiß gleichſam an die Bruſt gelei-
met hatte. Als nun dieſer Betrug offenbahr worden/ hat man
ſie alsbald ins Gefaͤngnuͤß geworffen/ und als ſie befraget/ von
wem ſie ſolches gelernet/ hat ſie bekannt/ ſie habe ſolches von
einem Land-Bettler/ welcher mit ihr zuhielte/ und derſelbige
pflege und koͤnne ein Ochſen-Miltz ſo artig um ſeine Beine ma-
chen/ und durch heimliche Roͤhrlein Blut darein bringen/ daß
man nicht anders meyne/ als es waͤre das rohe Fleiſch an ſeinem
eigenen Beine/ welches alſo immerdar mit Blut und Eyter
trieffe/ ob man ihn nun wol alsbald geſucht gehabt/ ſo hat man
ihn doch nicht antreffen moͤgen/ dann er ſich/ nachdem er Lunten
L l l 2gerochen/
[900]Deß Academiſchen
gerochen/ geſchwind auß dem Staube gemacht/ ſie aber hat die
Katz muͤſſen allein halten/ iſt mit Ruthen außgeſtrichen/ und
deß Landes verwieſen worden. Ibid.
Ebey daſelbſt bin iſt einer kommen/ welcher ſich geſtellet/
als ob er außſaͤtzig waͤre/ hat ſich vor die Kirche gemacht/ und
ein groß Geklipper mit ſeinen Klappern angefangen. Nachdem
man aber endlichen wahrgenom̃en/ daß er nicht einerley Farbe
unter ſeinem Angeſicht behalten/ er auch die Sprache auf gut
außſaͤtzig nicht allwege lencken kunte/ iſt einem beruͤhinten Artzt
allda anbefohlen worden/ daß er ihn mit ſich nehmen und beſich-
tigen ſolte/ als er ihn aber beſichtigen wollen/ hat er befunden/
daß er ein Leinen-Tuch um den Halß gewunden/ welches er mit
der lincken Hand/ ſo er allweg unter dem Mantel/ verborgen ge-
halten/ nach ſeinem Gefallen auf- und niederziehen koͤnnen/ und
alſo/ indem er es zuzoge/ das Angeſicht ihm durch Blut ver-
tuͤnchet war/ auch wegen deß eng-angezogenen Halſes/ wie ein
Außſaͤtziger gantz heiſer redete/ als er aber das Tuch vom Halß
mufte herunter thun/ da ward ſein Bubenſtuͤck leicht offenbahr/
ſintemahler alsdann nicht allein recht und rein redete/ ſondern/
nachdem er unter dem Angeſicht mit friſchem Waſſer gewaſchen
wurde/ da fand man am aller geringſten kein Wahrzeichen deß
Außſatzes an ihm. Alſo iſt er ins Gefaͤngnuͤß geworffen/ und nach
wenig Tagen durch die Stadt geſtrichen worden. Ibidem.
Eben dieſer Author fuͤhret dergleichen Exempel ein von ſich
ſelbſten alſo redend: Ehe ich ein Parlaments-Genoffe war/ habe
ich ſolcher Bubenfluͤck etlicher Maſſen auch erfahren/ dann/
dieweil ich neben einem andern meinem Mit-Genoſſen gemeiner
Saͤckelmeiſter war/ und alſo deſſen Geſindleins viel zu mir kam/
geſchahe es auf eine Zeit/ daß einer auß dem gemeinen Kaften
etwas begehrete/ mit der Vorwendung/ er ſey auf eine Zeit von
dem Bau gefallen/ und alle ſeine Glieder zerſchmettert/ darzu
ſeye nachmahls kommen/ daß durch das todte Gebluͤte/ welches
zwiſchen Haut und Fleiſch ſich geſammlet/ eine langwuͤrige ge-
faͤhrtliche Schwachheit erfolget/ welche ihn in denen Gliedern
reiffe/ auch um das Hertz dermaſſen aͤngſtige und plage/ daß er
kaum Athem ſchoͤpffen koͤnne. Er holete den Athem wol ſieben-
mahl/ taumelte auch immerdar von einer Seiten zu deran-
dern/ widerholete auch immer dieſe Worte: Ach daß ich todt
waͤre/ ſo kaͤme ich dieſer groſſen Schmertzen ab. Wo er auch bey
einen Stein oder Klotz kam/ ſo lehnete er ſich daran/ als ob er
froh waͤre/ daß er wieder Athem ſchoͤpffen koͤnte/ ſolches aber
thaͤt
[901]Romans II. Buch.
thaͤt er ſo lang/ als ich ihn im Geſicht hatte. Was geſchicht?
Jch hatte groſſes Mitleyden mit ihm/ doch/ dieweil es eben un-
gelegen war/ ihm etwas zu ſteuren/ ſagte ich zu ihm/ er ſolte ein
wenig Gedult tragen/ und uͤber eine Stunde oder zwo zum
laͤngſten mir zuſprechen/ alsdann wolte ich ihm etwas ſteuren/
unterdeſſen traͤget es ſich ungefaͤhr zu/ daß ich mit andern Be-
nachbarten Geſpraͤch halte/ und als wir im beſten Geſpraͤch
ſeyn/ kommt der obgenannte Bettler hinwiederum mit einem
langſamen beſch werlichen Gang/ wie es ſich anſehen ließ/ und
nahet je laͤnger je naͤher zu mir. Als nun meine Colloquenten
ihn alſo ſchwerlich und langſam hertretten ſahen/ faͤnget der eine
an/ welcher gleich wol nicht wuſte/ daß er bey mir geweſen war/
und ſaget: Das iſt gewiß ein Ertz-Schelm/ dann er iſt vor einer
halben Stunde bey mir geweſen/ hat erſtlich ein Stuck Brodt
geheiſchet/ als ich ihm daſſelbige gegeben/ hat er mir 2. Saͤcke/ ſo
er auf beyden Seiten hatte hangen/ welche voll Brodt waren/
gezeiget/ und mir feil geboten/ und es war in den beyden Saͤcken
mehr als ein halb Malter Brodt/ jetzo aber ſtellet er ſich/ als ob
er keinen Tritt fortgehen koͤnte. Ein Jeder/ ſo bey uns ſtunde/
ſagte: Was? ſolte der Schelm nicht gehen koͤnnen/ es hat drauſ-
ſen fuͤr der Pforten einen Hauffen Lumpen-Geſindlein/ mit
denſelben hat er ſich vor 3. Stunden luftig gemacht/ hat gelachet/
geſprungen und geſchertzet/ und dermaſſen allerhand Poſſen ge-
trieben/ daß ich meine Wunder geſehen. Unterdeſſen kam der
obgenannte Bettler je laͤnger je mehr zu uns/ laͤſſet den Kopff
immer von einer Seiten zu der andern fallen/ alſo/ daß einer ſolte
gemeynet haben/ der Kopff wuͤrde ihm jetzt abfallen. Als mich
nun daͤuchte/ er waͤre nahe gnug bey uns/ redete ich ihm zu und
ſprach: Biſt du wieder da? Ja ſagte er/ Wolweiſer Herꝛ/ ach
ich bin gar ein preſthaffter Mann/ ach daß ich todt waͤre. Ja
ſagte ich/ es waͤre wol dir und andern Leuten am beſten/ daß du
todt waͤreſt. Aber ſage mir/ kenneſt du auch dieſen Mann/ ſo all-
hier neben mir ſtehet/ (es war der/ dem er das Brodt zu verkauf-
fen angebotten hatte/) Ach lieber GOtt/ ſagte er/ woher ſolte ich
den Herꝛn kennen/ ich muß mich mit guter Leute Huͤlffe behelffen.
Ach ja/ ſagte ich/ du kanſt wol einen halben Malter Brodt ertra-
gen unter deinem Mantel und den Leuten feilbieten/ und darne-
ben noch unverſchaͤmt bitten/ daß man dir etwas auß dem ge-
meinen Kaſten ſteuren ſolle. Packe dich flugs/ oder ich wil dich
an einen ſolchen Ort lieffern laſſen/ daß dich weder Sonne noch
Mond beſcheinen ſoll.
L l l 3Als
[902]Deß Academiſchen
Als er die Worte von mir hoͤret/ begehret er keine Steuer
mehr/ ſondern wandte ſich dahin/ wo er herkommen war/ doch
damit er ſich nicht gar zu ſchuldig machte/ rieff er zuruͤck und ſa-
gete: Jch bin wol fuͤr Fuͤrſten und Herren geweſen. Darauf
ſagte ich: Diebe und Schelmen kommen auch wol fuͤr Fuͤrſten
und Herren/ es iſt aber ihnen nicht lieb. Er aber hoͤrete mir nicht
weiter zu/ ſondern gieng immer fort/ und da er zuvor einen
krancken/ ohnmaͤchtigen/ und preſthafften Bettlers-Gang gegan-
gen/ ſo gieng er da einen Kauffmanns-Gang/ als wann einer
wolte Banquerot ſpielen/ dann er hatte gewißlich nicht den
Schnuppen. Und von dieſem habe ich nachmahls glaub-wuͤrdig
durch andere Leute verſtanden/ daß er ein Ertz-Boͤſewicht ſey/
und daß ihm auch wegen ſeiner getriebenen Bubenſtuͤcke beyde
Ohren ſind abgeſchnitten worden.
Das XXXII. Capitul/
Troll verlieret ſeine Hoſen/ hat ſeltzame Aufzuͤge mit einem
Dorff-Schultzen/ und mit dem Fuhrmann/ deſſen Pferd Geld auß-
wirfft/ er entfuͤhret ſolch Pferd. Buchdrucker/ Buchfuͤhrer und Pedellen
ſind auch Academiſche Glieder. Ein laͤcherliches Privilegium.
AN dieſem und dergleichen Diſcurſen deß gelehr-
ten Schweitzers ſaͤttigten ſich unſere Raͤyſe-
Gefaͤhrten mehr/ als an den ſchlechten Tracta-
menten. Als endlich die volle Nacht eingebrochen/
und es eben eine ſehr warme Zeit war/ legten ſie ſich
an eine Reige ſchlaffen auf der Denne. Troll legte
ſich zu naͤchſt an die Pferde/ und weil ihm ſehr warm
war/ zog er ſeine ſchwartze Lederne Hoſen auß/ die er
zu Stachelfeld bekommen hatte/ und hieng ſie bey die
Pferde an die Krippe. Dieſe Nacht uͤber ruheten
ſie nicht ſonders wol/ weil ihnen die Muͤcken ſcharff
zuſetzeten/ aber Troll hatte eine außgebrandte Haut/
welcher darvon keine ſonderliche Empfindung hatte/
dannenhero ſchlieff er deſto ſicherer hinweg/ und ward
deß Verluſts all zu ſpaͤth innen/ dann wie er am fol-
genden Morgen wieder erwachete/ und nach ſeinen
Ledernen Hoſen langete/ da waren ſie weg/ und nicht
mehr
[903]Romans II. Buch.
mehr da/ wohin er ſie gehaͤnget hatte. Er warff zwar
ſeinen Rock geſchwind uͤber den Leib/ lieff aber unten
im bloſſem Hembd umher/ und fluchte gewaltig auf
den/ der ihm ſeine Hoſen geſtohlen hatte. Sie lache-
ten ſeiner alle mit einander/ weil kein einziger war/
der ſich ſeiner Schelt-Worten annehmen wolte/ die-
ſes bewog ihn zu groſſem Zorn/ daß er in ſeiner ſeltza-
men Kleidung nach dem Dorff-Schultzen lieff. Wie
er aber in das Dorff kam/ da ſahe er bald einen groſ-
ſen Hauffen Jungen hinter ihm daher lauffen/ welche
meyneten/ der Menſch ſey nicht recht bey Sinnen. Er
faſſete aber Koth auf/ und warff denſelben unter ſie/
traff auch einen mit einem ungefaͤhr ergriffenen
Stein ſo wol vor die Bruſt/ daß er als ein halb-Tod-
ter alſobald zur Erden nieder fiel/ woruͤber die Bau-
ren mit Stangen und Heu-Gabeln auf ihn loßgien-
gen/ und ihn erwuͤrget haͤtten/ wann er ſich nicht noch
kuͤmmerlich in deß Schultzen-Hauß/ zu ſeinem Gluͤck/
retiriret haͤtte. Der gute Bauer-Schultz war noch
nicht aufgeſtanden/ dann er hatte vorigen Tages eine
Kirmeß auf der Nachbarſchafft beſuchet/ da er ein
ehrliches Raͤuſchlein bekommen hatte. Als nun Troll
nach ihm fragte/ lachet ihn die Magd auß/ und lieff
in die Kuͤche/ welche ſie nach ſich zuriegelte/ daß Troll
ſehr boͤſe ward/ und im Hauß gewaltig umherſchwer-
mete/ biß er in einer kleinen Kammer ein Paar rothe
Hoſen erblickete/ ſolche nahm er vom Nagel/ und
ſteckte ſeinen Unter-Leib behende hinein. Er merckete
aber nicht/ daß der Schultheiß mit ſeiner Frauen all-
da in einem Bette beyſammen lagen/ welcher behende
aufſprang/ und ſeine Hoſen forderte. Troll lieff vor
ihm her/ der Schultz nach/ und kriegten einander bey
den Koͤpffen/ da ſie ſich wacker zauſeten/ die Magd
und Frau machten die Hauß-Thuͤr auf/ und rieffen
L l l 4die
[904]Deß Academiſchen
die Bauren um Huͤlffe/ ſolche kamen herzu/ und ſchlu-
gen wacker auf den Schultzen/ weil derſelbe in dem
Hembde lieff. Hingegen ſahen ſie den Troll vor den
Schultzen an/ wegen der rothen Hoſen/ zumahl ſie
im Angeſicht und ſonſten einander ziemlich gleicheten.
Cavina und der redliche Schweitzer ſamt dem Ade-
lichen Raͤyſe-Gefaͤhrten/ kamen endlich auch herzu/
fuͤr welchen die Bauren etwas Reſpect trugen/ fuͤr-
nemlich vor dem Edelmann/ deſſen naher Verwand-
ter im Dorff viel zu ſagen hatte/ dieſe brachten die
Kaͤmpffer von einander/ und weil der Schultheiß
den Rauſch noch nicht gantz außgeſchlaffen hatte/
nahm er von Cavina einen Guͤlden/ und uͤberließ dem
Troll ſeine Hoſen/ welcher mit der Geſellſchafft wie-
der zuruͤck gehen ſolte. Aber er verlangte vorher den
Jenigen abzuſtraffen/ der ihm ſeine Hoſen genom-
men/ worinn er annoch einen kleinen Zehr-Pfenning
an kleiner Muͤntze gehabt. Der Schultheiß befahl
ihm/ einen Beweiß auf dieſen oder Jenen zu bringen/
der ihm die Hoſen ſolte geſtohlen haben/ weil aber
Troll ſolches nicht zu thun vermochte/ ſagte ihm Je-
ner/ daß er ihm dann auch nicht helffen koͤnte. Troll
machte ihm hieruͤber ein krummes Maul/ und ſagte:
Tu furcifer, quis te fecit judicem, qui non potes red-
dere braccas ſurreptas? Hiermit gieng er ſamt der
Geſellſchafft wieder weg/ und ſchalt zu Hauß gewal-
tig auf den Fuhrmann/ daß ihm derſelbe mit der
Peitſche drohete/ wofern er nicht innhalten wuͤrde;
Troll war voll Eyfers/ wolte ſich demnach von einem
Schwaͤbiſchen Bauren nicht zu Chor treiben laſſen/
ſondern ſchlug am erſten drein/ und alſo kamen dieſe
Zween uͤber einander her/ und ſchlugen ſich mit trucke-
nen Faͤuſten rechtſchaffen ab/ Troll kam unten zu lie-
gen/ und Cavina wolte ihm nicht beyſtehen/ damit er/
als
[905]Romans II. Buch.
als ein krackeliſcher Kumpe einmahl recht Lehr-Geld
geben moͤchte/ und hiernaͤchſt ſich beſinne/ dergleichen
liederliche Haͤndel mehr anzufangen. Troll hatte
ſeinen Gegenparth mit dem Halß gefaſſet/ und ſtieß
mit den Fuͤſſen tapffer zu/ als er aber ſahe/ daß ihm
Cavina nicht beyſtehen wolte/ da ſprach er: Quid
ſpectas otioſus noſtrum laborem? Cavina antwortete:
Tu tibimet hæc otia feciſti. Troll: Fac ut emergam.
Cavina: Da bona verba hoſti. Hiermit ließ Troll
den Fuhrmann uͤber ihm fahren/ und ſprach: Du haſt
gewonnen/ ſtehe nur auf/ es wil uns doch Niemand
etwas vor unſern Schaden und Schmertzen geben;
Der andere war damit zufrieden/ und alſo ſtunden ſie
mit einander auf/ reicheten ſich die Haͤnde/ und ver-
trugen ſich in Gegenwart der uͤbrigen Geſellſchafft.
Nachdem ſie endlich ein nuͤchternes Fruͤhſtuͤck-
lein zu ſich genommen/ bezahleten ſie dieſe elende
Herberge/ ſetzten ſich hernach mit einander wieder
auf/ und fuhren ihres Weges. Troll ſaß recht vorne
auf dem Tagen/ nahe hinter den Pferden/ auf deren
einem an der lincken Hand der Fuhrmann ſelber ſaß.
Wie ſie nun etwa eine Stunde Weges fortgefahren
waren/ ſchuͤttete das eine Pferd zur Hand hinten ſei-
nen Unflath auß/ in welchem Troll etwas glaͤntzen
ſahe/ ſprang demnach vom Wagen/ und fand in deß
Pferds Außwurff 6. Stuͤck an Batzen und halben
Batzen/ woruͤber groſſe Verwunderung entſtund/
indem keiner begreiffen kunte/ wie das Pferd Geld-
Muͤntze außzuwerffen vermoͤchte. Kaum aber hatte
Troll die Geld-Stuͤcke geſaͤubert/ als der Fuhrmann
ſolche von ihm prætendirte/ weil ſie von ſeinem Pferd
gekommen waͤren. Troll aber wegerte ſich deſſen/
und ſprach: Du loſer Bube haſt mir noch neulich
deiner Pferde Außwurff anpræſentirt/ als ich meine
L l l 5Hoſen
[906]Deß Academiſchen
Hoſen von dir forderte/ und ſiehe/ nun kommt mir
dieſer gute Unflath eben recht. Uber das wiſſen wir ja/
daß du dieſen Unflath nimmer haſt aufgenommen/
wie biſt du dann jetzo ſo curieus darauf? Was ich ge-
funden habe/ kanſt du mit Recht nicht fordern/ dann
es iſt etwas/ das Niemand zugehoͤrete/ und alſo dem
Finder bleibet/ und mittelſt deines Pferds kanſt du
auch kein Beſitzer deſſelden genennet werden/ dann
wer pfleget das Geld durch ein Roß zu beſitzen? Das
Geld muß einem andern Menſchen zugehoͤret haben/
und wer weiß/ wie es in deß Pferdes Magen gekom-
men? Haͤtte aber das Roß die Tugend/ daß es mehr-
mahlen Geld außwuͤrffe/ ſo wolte ich ſagen/ es zeuge
die Muͤntze im Leibe/ und alsdann koͤnteſt du mit
Recht dieſelbe fordern. Wie alſo der Fuhrmann
ſahe/ daß er an dem naͤrriſchen Menſchen nichts ge-
winnen kunte/ da ſchwieg er ſtill/ und fuhr wieder fort.
Auf den Abend kamen ſie in einen Flecken/ und da ſie
vor der Herberge abſteigen wolten/ warff das vorige
Pferd abermahl hinten auß. Weil aber ſo wol Troll
als der Fuhrmann ſtaͤts ein Aug auf den Hintern
deß Roſſes hatten/ wurden ſie deſſen bald gewahr/
und wie ſie beyderſeits im Koth etwas glaͤntzen ſahen/
ſprungen ſie behende herzu/ und war ein Jeder be-
muͤhet/ denſelben aufzufangen/ woruͤber ſie Beyde
nichts darvon bekamen/ ſondern Cavina ließ den
Hauß-Wirth kommen/ und denſelben aufleſen/ da
man dann abermahl 7. oder 8. Stuͤcke Geldes darinn
fand. Es ward darauf alſobald im Flecken ruchbar/
daß ein Fuhrmann mit einem Pferd angekommen/
welches Geld von hinten außwuͤrffe/ und alſo kamen
viel Leute/ dieſes ſeltzame Wunder-Pferd zu ſehen.
Sie fragten den Fuhrmann/ ob das Pferd dieſe
Kunſt lange Zeit getrieben haͤtte? Er aber ſprach:
Jch
[907]Romans II. Buch.
Jch habe es niemahlen vorhin gemercket/ es mag wol
viel Geld auf dieſe Weiſe außgeworffen haben/ wel-
ches mir entgangen/ aber ich wil es hinfuͤhro beſſer in
Acht nehmen. Cavina hatte das Geld zu ſich genom-
men/ um zu Baſel ſich Rechts und Raths daruͤber
zu erholen/ wem es gehoͤrete. Der beſahe es gar eben/
und als Troll einen gekruͤmmeten halben Batzen dar-
unter erblickete/ ſagte er: Das iſt mein Geld/ ich ken-
ne es/ ich habe mit dem Meſſer am Rand neulich ein
Stuͤcklein darvon geſchnitten/ und nun ſehe ich/ daß
mir der Fuhrmann die Hoſen entwandt/ ſamt dem
Geld darinn/ welches er/ damit es nicht bey ihm ge-
funden wuͤrde/ ſeinem Pferd zu freſſen eingegeben
hat. Nun wolan/ ich halte ihn vor meinen Dieb/ und
wann er mir nicht die Hoſen wieder ſchaffet/ oder be-
zahlet/ ſo ſoll er ſehen/ was ihm wiederfahren wird.
Cavina hekennete/ daß er dieſes Geld-Stuͤck ſelber
bey Troll geſehen/ und wuſte alſo nicht zu begreiffen/
wie es in deß Fuhrmanns Pferd kom̃en waͤre/ glaub-
te auch/ was Troll ſagte/ daß nemlich der Fuhrmann
ihn beſtohlen haͤtte/ welcher ſich doch hoch und theuer
verſchwur/ daß er um ſeine Hoſen und Geld nicht das
Geringſte wuſte/ es waͤre ihm auch nicht Angſt um
deß Geldes wegen/ welches ihm wol werden muͤſte/
wann er vor die rechte Obrigkeit kaͤme/ dann er kehrte
ſich an deß Cavina Zeugnuͤß nicht/ als der deß Trollen
Freund waͤre. Jm uͤbrigen hatte hier unſere Raͤyß-
Geſellſchafft eine gute Herberge/ daß ſie ſich wieder
erholeten/ und denſelben Abend recht luſtig waren/
zumahl ſie den Zweck ihrer Raͤyſe ſchier erreichet hat-
ten/ und der zuverſichtlichen Hoffnung lebeten/ den
Condado und ſeine uͤbrige Leute in Baſel bey einan-
der ſchier kuͤnfftig wieder anzutreffen. Nach gehal-
tener Mahlzeit legte ſich ein Jeder ſchlaffen/ und weil
Troll
[908]Deß Academiſchen
Troll merckete/ daß der Fuhrmann nicht von ſeinem
Silber-Pferd weichen wolte/ machte er denſelben
ſicher/ und legte ſich in ein niedriges Kaͤmmerlein
ſchlaffen/ ſtund aber nach Mitternacht auf/ und
ſchlich heimlich in den Stall/ da er den Fuhrmann
tapffer ſchnarchen hoͤrete. Er loͤſete das eine Pferd
fein ſachte ab/ und fuͤhrete es auß dem Stall/ ſam̃lete
auch einen groſſen Hauffen noch warmen und friſch-
außgeworffenen Koths auf/ ſteckete ſolchen in den
Buſen/ und nachdem er ſich endlich auf das Pferd
geſetzet/ ritte er ſachtmuͤthig auß dem Flecken darvon/
daß kein Menſch wuſte/ wohin er moͤchte gekommen
ſeyn. Als der Fuhrmann am folgenden Morgen
erwachte/ miſſete er das beſte Pferd/ weßwegen er
alsbald einen Argwohn auf den Troll warff/ und
denſelben ſuchete/ wie aber derſelbige nirgends zu fin-
den war/ merckete ein Jeder/ daß er mit dem Pferd
muͤſſe durchgangen ſeyn. Der Fuhrmann wuſte
nicht/ wie er es machen ſolte/ dann er war biß nach
Baſel bedungen/ und jetzo war ihm ein Pferd geſtoh-
len/ aber der Gaſtgeber tratt hinzu/ und leyhete ſo
lang ein Pferd/ weil die Stadt Baſel nur eine gute
Stund Weges von dannen lag.
Wie ſie nun aufgeſeſſen waren/ da forſchete der
Edelmann/ ob bey dem Academiſchen Weſen nichts
weiter zu erinnern waͤre? Noch ein und anders/ war
deß Schweitzers Antwort/ dann es iſt zu wiſſen/ daß
man auf Academien auch einen ordinairen Buchdru-
cker findet/ welcher die Freyheiten der Studenten mit
genieſſen muß/ Menoch. de Arbitr. Jud. Quæſt. c. 370.
n. 8. Die Buchdruckerey iſt eine von den edelſten
und nuͤtzlichſten Kuͤnſten/ aber gleichwiealle Dinge/
alſo hat auch dieſe Kunſt ihren groſſen Mißbrauch/
daß man in dem R. A. de A. 1530. §. Und nachdem.
\& de
[909]Romans II. Buch.
\& de A. 1567. §. Setzen und ordnen. darwider auß-
druͤcklich verordnen hat muͤſſen/ ja es iſt in den Reichs-
Conſtitutionibus bekraͤfftiget/ daß im gantzen Roͤmiſ.
Reich eine Buchdruckerey an keine andere Oerter/
dann zu denen Staͤdten/ da Chur-Fuͤrſten und Fuͤr-
ſten ihre gewoͤhnliche Hofhaltung/ oder da Uni-
verſitates Studiorum gehalten/ oder in anſehnlichen
Reichs-Staͤdten verſtattet/ aber ſonſten alle Win-
ckel-Druckereyen ſtracks abgeſchafft werden ſollen.
R. A. zu Speyer Anno 1570. §. Dieweil dann ſolche.
Deßgleichen/ daß kein Buchdrucker zugelaſſen wer-
den ſolle/ der nicht zuforderſt von ſeiner Obrigkeit/
darunter er haͤußlich ſitzet/ darzu redlich/ erbar/ und
allerdings tuͤglich erkannt/ auch daſelbſt mit ſonder-
barem leiblichen Eyd beladen ſey/ in ſeinem Drucken
ſich denen Reichs-Abſchieden gemaͤß zu erzeigen/ und
ſich aller laͤſterlichen und ſchmaͤhlichen Buͤcher/ Ge-
maͤhlde und Gedichte gaͤntzlich zu enthalten. Policey-
Ordnung zu Franckfurt A. 1577. tit. 35. §. Und da-
mit. Es pfleget aber eine kluge Obrigkeit ins gemein
gewiſſe Cenſores zu verordnen/ ohne deren Wiſſen
und Verguͤnſtigung die Buchdrucker nichts außge-
ben oder drucken moͤgen/ und ſolcher Geſtalt wuͤrde
vielen garſtigen Schtifften/ ſo wider die Ehrbarkeit/
Religion, Warheit/ ꝛc. auch offt nur dem Naͤchſten
zum Schaden und Verleumdung gedruckt werden/
vorgebeuget. Zu den Buchdruckern kommen die
Buch Haͤndler/ da bey manchem wol zu wuͤnſchen/
wie ein gewiſſer Author ſaget/ daß man ihnen gewiſſe
Schrancken ſetze/ daß ſie die armen Studenten nicht
zu ſehr uͤberſetzeten/ aber wer kan es nun aͤndern/ die
Kaͤuffer ſind offt ſelber Urſach daran/ daß ſie von ih-
nen uͤberſetzet werden/ und kan mancher Buch-Haͤnd-
ler mit ſeinem Sauer-ſehen und unnuͤtzen Beſcheid
den
[910]Deß Academiſchen
den Leuten mehr Geld abſchneutzen/ als ein anderer/
mit aller ſeiner Hoͤflichkeit. Wann dieſe Buch-
Haͤndler etwa garſtige und verbottene confiſcirte
Buͤcher verkauffen/ ſo machen ſie den meiſten Nutzen
darvon/ dann ſo bald ein Buch zu verkauffen verbot-
ten wird/ verlanget es ein Jeder zu ſehen/ und ſolcher
Geſtalt kommt es an hoͤchſten Preiß/ wiewol die
Buch-Haͤndler auch manchmahl ein blau Auge dar-
bey kauffen. Jn Franckreich darff man nicht ver-
kauffen deß Cardinals Bellarmini Tractat de Pote-
ſtate Seculari Pontificis Romani, noch den Diſcurſum
Franciſci Suarez, gleichwie hingegen in Spanien der
eilffte Tomus Annalium Cæſaris Baronii, Krafft eines
Koͤnigl. Edicts vom 3. Octobr. Anno 1610. nicht mag
verkaufft werden. Jn Franckreich iſt An. 1587. den
22. Septembr. ein Arreſt gegeben worden/ Krafft deſ-
ſen alle und jede Buͤcher/ gebundene und ungebunde-
ne/ ſie moͤgen auß dem Reich oder hinein gefuͤhret
werden/ von allen Zoͤllen und andern Beſchwerungen
ſollen frey ſeyn; Aber ſeithero hat es ſich in ſelbigem
Reich gewaltig verkehret/ dann wann jetzo bey einem
Frantzoͤſiſchen Paß ein Außlaͤnder/ der auß Franck-
reich kommt/ viſitirt wird/ und man findet Frantzoͤ-
ſiſche Buͤcher bey ihm/ ſo nimmt man ſie ihm alle ab/
auch wol gar die andern darbey/ welche ſonſten frey
geweſen waͤren. Der unterſte Univerſitaͤts-Bediente
iſt der Pedell oder Bedell/ deren man ins gemein zwey
hat auf einer Univerſitaͤt/ dann dieſe ſind die Diener
der Academie, und eben die rechte Leute/ die den
Bacchanten die Hoͤrner abſtoſſen/ und ſelbige depo-
niren/ wobey es dann am Durchhecheln/ Schurigeln/
Vexiren/ ꝛc. keines Weges ermangelt/ und faͤllet mir
allhier bey das jenige Privilegium von Roͤmiſcher
Kaͤyſerl. Majeſtaͤt Freyheit/ fuͤr die/ ſo keine Vexation
leyden
[911]Romans II. Buch.
leyden moͤgen/ wie ſolches Middendorpius de Acade-
miis libr. 1. cap. 16. p. m. 156. anfuͤhret/ folgenden
Jnnhalts:
WJr Fabularius, Hauptmann in der Karten/ Kappenſchmitt
zu Narragonien/ Narren Vogt zu Schlauraffen/ Guber-
nator vom Aufſtehen biß zum Niederſitzen, Entbieten allen
und Jeglichen/ was Wuͤrden/ Weſens oder Standes die allent-
halben in unſerm Reich zerſtreuet ſeynd/ unſere Gnad und Gunſt
zuvor. Liebe Getreue/ nachdem wir in erſchienen Jahren zwey
Mandata im Druck/ die Ubung und Vexation der Narren be-
treffend/ nach einander haben außgehen laſſen/ indem daß ihr
ſolche Ubung und Vexation von Uns in gemelten Mandaten ver-
botten/ in keinem Weg unterlaſſet/ derohalben Wir jetzund zum
drittenmahl verurſachet werden/ euch ſolches Laſter mit ſtren-
gem Ernſt zu verbieten/ dann ſo dieſem mit ernſtlicher Poͤn und
Straff nicht begegnet wuͤrde/ ſo muͤſte unſere Herꝛſchafft deß
Reichs Narragonien ſamt dem Gebiet Stultitiæ in kurtzen Jah-
ren gar zu Grund und Boden gehen/ welches Uns je nicht/ die-
weil wir es noch zur Zeit mit geringem Schaden woͤhren moͤ-
gen/ zu geſtatten geziemen wil/ derowegen Wir euch alle zu gut
und zu Erhaltung unſers Reichs/ dieweil Wir vermerckt/ daß
Ubung und Vexation Verſtand und Weißheit geben/ alſo/ daß
die Jenigen/ ſo dardurch geuͤbet/ hinfuͤhro klug/ witzig und von
Uns abtruͤnnig werden/ im beſten betrachtet haben/ daß Uns
nicht mehr/ wie bißher geſchehen/ durch die Finger zu ſehen/ ge-
ziemen wil/ ſondern auch mit ernſtlicher That unſern Amts-
Verweſern die Ubertretter und Veraͤchter dieſes unſers Man-
dats hoͤchlich zu ſtraffen befehlen. Wir wollen auch auß Gna-
den alle die Jenigen/ ſo keine Vexation leyden moͤgen/ gefreyet
haben/ von aller Ubung und Vexation, ſo anders dann mit
Worten geſchicht/ wann ſie dieſen unſern verſtegelten Brieff bey
ſich tragen. Wo aber einer daruͤber ſo freundlich ſeyn wuͤrde/
und den Zeiger dieſes unſers verſiegelten Brieffs/ anders dann
mit Worten vexirte/ der ſoll in unſerer Ungnade und poͤnlicher
Straff ſeyn. Derohalben ſollen die Unſere fleiſſige Aufmer-
ckung haben/ auf ſolche freuliche Veraͤchter dieſes unſers verſie-
gelten Brieffs/ und ſie darum ohn alle Gnade ſtraffen/ nemlich/
der Kopff ſoll ihnen zwiſchen beyde Obren geſteckt werden. Es
moͤgen aber die Richter und Amts-Verweſer nach Gelegenheit
der Sachen hierinnen handeln/ nachdem die Schuld iſt/ alſo ſoll
auch die Straff ſeyn.
Zum
[912]Deß Academiſchen
Zum erſten ſoll ein Jeder unſerer Verwandten daran
ſeyn/ daß er ihm eine erwaͤhle/ die er nicht um ein Koͤnigreich ge-
be/ ſo bald ihn dieſelbige freundlich anſiehet/ ſoll er ungezweiffelt
glauben/ ſie ſeye ihm von Hertzen hold/ der ſoll er ungefordert
fuͤrſetzen all ſein Vermoͤgen und Vaͤtterlich Erb/ ihr gehorſam
ſeyn/ was ſie ihn heiſſet/ ſie in keinem Weg beſchaͤmen/ alles glau-
ben/ was ſie ſaget/ nichts dann alles Gutes vertrauen/ ſie ſchal-
ten und| walten laſſen uͤber Leib und Guth/ dann ſie wird ihm
nichts verthun/ da wil der Cantzler Buͤrge fuͤr ſeyn/ hoͤrte er aber
etwas Unehrliches von ihr ſagen/ ſoll er auß Krafft dieſes Man-
dats Macht haben zu ſagen/ es ſey alles erſtuncken und erlogen/
was man Boͤſes von ihr ſaget.
Zum Andern/ ſoll ein Jeder der Unſern/ Uns zu Ehren/
ſich aller Hoͤflichkeit befleiſſigen/ kein Hembd anthun/ es ſey dann
zuvor huͤbſch gefalten und außgeſtrichen/ und ſo etwa einer nicht
zarte Hembderlein haͤtte/ ſoll er allweg uͤber den 3. Tag oben an
das Wammes reine Tuͤchlein naͤhen/ ſo meynet man/ es ſey das
reine Hembd/ auch etwa ein reines Facinetlein vorn zum Ermel
oder Latz herauß gucken laſſen/ alle 8. Tag zweymahl laſſen bal-
bieren/ ehe ſonſt deſtoweniger Wein trincken/ daran thut ihr
Unſere ernſtliche Meynung.
Zum Dritten und Letzten/ wollen Wir von Amtswegen
Unſere Verwandte inſonderheit privilegirt haben/ dermaſſen/
ſo bald ſich einer in Unſere Obrigkeit begeben/ ein Hinderſaß
Narragonien worden/ den ſoll man darbey bleiben laſſen/ und es
ihm Niemand unterſtehen zu woͤhren/ alsdann ſoll kein anderer
Macht haben/ mit ſeiner obgenannten Tauſend-ſchoͤn zu reden/
tantzen/ lachen oder hofiren/ ſondern er allein ihr ſtaͤts nachlauf-
fen/ wer das hoͤret oder ſiehet/ ſoll es Niemand ſagen/ Jedermann
weichen/ wer um die Wege iſt/ daß ihn Niemand hindere/ es ſey
Tag oder Nacht/ und ſo ihm derohalben ſein Hertz je weh thaͤt/
kranck wurde am Gurleffe/ ſo Jedermann Mitleyden mit ihm
hat/ wer das uͤberfuͤhre/ und|ungehorſam befunden/ den ſoll man
den Cantzler anzeigen. Wo man ihn aber weiter vexiren wolte/
ſoll er Macht haben zu ſprechen: Laß mich mit lieb/ dieſen un-
ſern Brieff herfuͤr ziehen/ damit aufſitzen/ und darvon zum
Cantzler reiten/ weiter in dieſer Sach fuͤrzunehmen. Dann Wir
diß Mandat von euch alleſamt/ und beſonders bey obgemelten
Poͤnen/ ſtaͤt/ veſt und unverbrochenlich wollen gehalten haben.
Wil man ihm aber Gnade beweiſen/ ſo ſoll ihm der Kopff vor
dem Hintern abgehauen werden/ und ſoll hinfortan beraubet
ſeyn
[913]Romans II. Buch.
ſeyn aller guter Geſellſchafft/ alſo/ daß zum wenigſten kein guter
Geſell mit ihm tantzen/ noch auß ihm trincken ſoll. Wir ſetzen
und wollen auch/ daß alle unſere Unterthanen/ ein Jeder inſon-
derheit/ ſoll haben eine Kappe mit langen Ohren/ und Schellen
daran/ auf daß ſie fuͤr andern/ ſo nicht unſers Reichs Genoſſen/
geſehen moͤgen werden/ dann es iſt je offenbahr/ daß Wir bey
allen weiſen Voͤlckern/ unſers unweiſen Volcks halben bekandt.
Weiter ſo wollen Wir auch hinfuͤhro Niemand auß den Unſern
ſich auf Weißheit zu begeben/ geſtatten/ und das ſonderlich/ ſo
man bey Bier oder Wein iſt/ dann es iſt nicht wol muͤglich/ daß
die Weißheit daſelbſt ohne Ubung und Vexation moͤge gehan-
delt werden/ ſolches haben Wir euch auß guter Meynung nicht
wollen verhalten/ auf daß ſich Maͤnniglich weiß darnach zu
richten/ und deß zum wahrhafftigen Urkund/ haben Wir unſer
Siegel auf dieſen unſern Brieff gedruckt/ damit ſich Niemand
moͤchte entſchuldigen/ und ſagen: Es waͤre nicht unſere ernſt-
liche Meynung. Gegeben in unſerer Stadt Narragon, hinter
dem Schalcksberg/ bey Poffing auf der Beltz-Muͤhlen/ im Jahr/
ſo man zehlet hinden und voruen am 83. Tage deß Schalcks-
Monats.
Das XXXIII. Capitul/
Der Studenten Botten und Jungen genieſſen ihrer Herren
Privilegien. Das Pennal-Weſen/ als hoͤchſt-ſchaͤdlich/ iſt zu
Jena durch eine offentliche Proſcription abgeſchafft worden.
LEtztlich ſo genieſſen auch die Jungen und Bot-
ten der Studenten die Privilegia ihrer Herren;
Warlich/ es iſt kein Gottloſer Geſindel/ als
die| Studenten-Jungen/ wann ſie ſich etwan ein we-
nig außgeputzt ſehen/ da ſie doch begreiffen moͤchten/
daß ihnen die Kleider/ ſo ſie von ihren Herren bekom-
men/ nicht zugehoͤren/ dann wann ein Student ſeinen
Jungen abſchaffet/ mag er ihm das Kleid wieder neh-
men/ welches er/ ſeinem Herꝛn zu Ehren/ hat getragen/
wie der Eſel den Prunck-Sattel. Petrus Gregorius
Syntag. Art. Mirab. lib. 23. c. 5. ſaget/ die Studenten-
Jungen ſollen haben eine Schweins-Schnautze/ (die
nicht curieus im Eſſen und Trincken/) Eſels-Ohren/
M m m(offene
[914]Deß Academiſchen
(offene zum Hoͤren/) außgedehnte flache Haͤnde/ (die
nicht ſtehlen/) und Hirſch-Fuͤſſe/ aber/ wo findet man
ſolche jetzo? Nunmehr klaget ein Jeder:
Doctorum famuli ſunt omni tempore tardi,
Sudant, quando vorant, frigeſcunt, quando laborant.
Das iſt: Die Jungen der Gelehrten legen ſich all zu
viel auf die Schluͤngel-Banck/ ſie freſſen/ daß ſie
ſchwitzen/ und arbeiten/ daß ſie darbey frieren. Von
dem Pennal-Weſen waͤre auch viel zu melden/ weil
aber daſſelbe/ als ein ſchaͤnd- und ſchaͤdliche Peſt ein-
mahl gaͤntzlich abgeſchafft worden/ wil ich nur etwas
Weniges darvon melden/ wie nemlich daſſelbe um
das Jahr 1630. biß 1660. ſo hoch gekommen/ daß
es nicht mehr zu erdulden war. Dann wann ein
junger Student auf eine Teutſche Academie kam/
muſte er die erſte 4. Wochen ein Fuchs heiſſen/ er
durffte nicht zu ehrlichen Studenten kommen/ ſon-
dern muſte auch in der Kirchen ſeine Stelle in der ſo
genannten Fuchs-Ecke nehmen/ er durffte keine huͤb-
ſche Kleider tragen/ der Mantel/ (Degen durfften ſie
gar nicht anlegen/) wie auch das Kleid und Hut mu-
ſte alles alt/ geflickt oder zerriſſen ſeyn/ kein Band war
an ihnen zu ſehen/ je Lumpenhaffter ein Pennal gieng/
je ehrlicher hielt er ſich/ wann die alten Studioſi ſpei-
ſeten/ muſten ſie vor den Haͤuſern aufwarten/ ob
irgend einer etwas zu befehlen haͤtte/ kamen alte
Studenten zu ihnen/ ſo muſten ſie ſpendiren/ was
Jene verlangeten/ muſten aber nur einſchencken/ und
nicht trincken. Man zwang ſie unter den Tiſch zu
kriechen/ zu heulen/ wie eine Katz oder Hund/ ja den
Speichel aufzulecken/ und halff kein Proteſtiren. Auf
einer gewiſſen Academie hat man einen Pennal ge-
zwungen/ ſo lange zu ſauffen/ biß er eines ploͤtzlichen
Todes geſtorben. Jn Summa/ was [ihn]en von alten
Acade-
[915]Romans II. Buch.
Academicis anbefohlen ward/ das muſten ſie ohne
Unterſcheid thun. Wann ſie aber ihre Jahre auß-
geſtanden hatten/ alsdann kleideten ſie ſich zierlich
auß/ und wurden abſolviret; Aber ſie durfften ſich
nicht raͤchen wegen einer im Pennal-Jahr ihnen an-
gethanen Injurien. Weil aber dieſer Muthwillen
gar zu groß ward/ daß ſie ſich auch ſelbſt an hohen
Standes Perſonen vergriffen/ deliberirte man end-
lich auf dem Reichs-Tag zu Regenſpurg daruͤber/
und ſchaffete dieſes Unweſen ab/ woruͤber zu Jena
ein groſſer Tumult entſtund/ daß etliche Burger und
Studenten ums Leben kamen/ dahero die Saͤchſiſche
Landes-Fuͤrſten genoͤthiget wurden/ den Penna-
liſmum ein- vor allemahl gaͤntzlich abzuſchaffen. Und
lautet die daſelbſt Anno 1661. verfaſſete Proſcriptio
Pennaliſmi zu Latein alſo:
Rector \& Senatus Academiæ Jenenſis L. S. D.
ANnus nunc agitur quartu[s] decimus, exquo Bac-
chanaliorum illas ferias furibundas, in DEUM
ignominioſas, ex idolomania gentili in Chriſtiani gre-
giscœtum, Satana autore ac ductore, illatas, \& ſeculis
non paucis à variè larvatorum, perſonatorum, cornu-
torum, auritorum, roſtratorum, naſutorum, caudato-
rum, \& quid non monſtri, belluæ, beſtiæ, ſchematis
fœdiſſimi! indutorum, turba cùm alibi, tùm hic quoq́;
celebratas, poſt iteratas annis præcedentibus ſerias
noſtras admonitiones, mandataque Sereniſſimorum
Academiæ Nutritiorum ſeveriſſima, tandem juventus
noſtra ſtudioſa melioris genii inſtinctu profligavit, \&
ab hâc pietatis, honeſtatis, modeſtiæque officina procul
abeſſe juſſit, nec ex eo tempore unquam adſcivit rurſus,
aut admiſit. Meritò propterea Salanæ noſtræ \& nobis
ipſis nos hodieque [...] quis non bonus nobiscum? gra-
tulamur; divinæque Majeſtati, à qua omne bonum \&
M m m 2do-
[916]Deß Academiſchen
donum perfectum, gratias habemus atque agimus;
ex imis cordis penetralibus ſupplice precantes voce, ut
ulterius hanc noſtræ juventuti mentem ſervet, eamq́;
Spiritu ſuo cœleſti regat ac ducat, ne unquam inferna-
lis ſerpentis ſuggeſtionibus ad bacchantium inſa-
niam ſeduci ſe iterum patiatur. Utinam verò eandem
mentem in alio Satanæ fætu, qui vulgò Pennaliſmi no-
mine venit, exſtirpando, \& ad orcum, unde prodiit,
propellendo ac relegando, pridem pariter induiſſet.
Sed enim tantum abeſt, ut id factum ſit, ut potius ma-
gis, magisque, ſive veteranorum ſtudioſorum, ſive
ipſorum Novitiorum (utrobique bonos inter eos ex-
cipimus,) contra toties repetita \& publicis chartis ex-
preſſa atque affixa cùm Sereniſſimorum Principum,
tùm noſtra Senatus Academiciinterdicta ſevera, ac de-
linquentium punitorum exemplis haut paucis quaſi
ſtabilita, molitiones ac patrationes frequentes in me-
moriam revocentur, Pennaliſandi illam petulantiam
creviſſe videamus. Quæ res ut tanto clarius appareat,
utque perſpiciant omnes, adeò nunquam hunc ani-
mum aut Sereniſſimis Academiæ Nutritiis, aut nobis
fuiſſe, ut foveremus malum hoc peſtilentiſſimum, ut
modis omnihus exſtinctum penitus ac exſtirpatum
utrique iverimus, rem paulò altius, \& ab ovo, quod
dicitur, repetemus. Cùm primum hæc labes, ante hos
annos quinquaginta, \& quod excurrit, ex vicinia huc
illata, (quæ tùm intra vocationem, ut appellabantur,
convivia, à lautioris fortunæ adoleſcentulis, è ſcholis
atque gymnaſiis huc ſtudioſorum cauſa accedenti-
bus, per gulones quosdam ac lurcones ſingularis co-
mitatis ſpecie exigi ſolita, ſubſecutaque convitia, ver-
bera, varias exagitationes, veſtiumque, librorum, aut \&
aliarum rerum tanquam pignorum, ereptiones, con-
ſtitit,) Academiam hanc infeciſſet; confeſtim ei pu-
blico
[917]Romans II. Buch.
blico programmate obviam itum, iſtisque ſeptem vi-
ris Epulonum ſub interminatione pœnarum, quas de-
lictis graviſſimis irrogari moris eſt, (verba ſunt Edicto-
rum Academicorum, quibus deinceps certas ob cauſas
ſubinde utemur,) imperatum, aut è veſtigio reſipiſce-
rent, aut ad ſui ſimiles, illamque officinam, è qua ſcitus
ille Pennaliſmus prodierat, ſe reciperent: addito, ſu-
perbiam, faſtum, ruſticitatem, \& mores incompoſitos
Novitiorum Studioſorum, (quæ illi hoc pacto corri-
genda eſſe clamitabant,) non ab his aſotis \& acolaſti-
cis, qui ipſi ſcaterentulceribus, ſed à Magiſtratu \& Præ-
ceptoribus, quibꝰ ferocioris adoleſcentiæ emendandæ
cura incumbat, corrigi debere. Cumque ſub initium
anni ſubſequentis nonnulli, ſpreta Magiſtratus aucto-
ritate, Pennaliſticas actiones exſeruiſſent, ac partim \&
tueri, conſpiratione inter ſe inita, auſi eſſent; haud
pauci à corpore Academico ad aliquot annos penitùs
abſciſſi ſunt; ut his pœnarum exemplis intemperies
illa ſumma, rabies belluina, impietas extrema, \& ſenti-
na ac cloaca omnium flagitiorum (his enim elogiis
Pennaliſmus jam tùm ornabatur,) in prima quaſi her-
ba ſuffocaretur. Neque ſine fructu res fuit. Viſa enim
eſt mali hujus ferocia \& violentia nonnihil ex eo tem-
pore deferbuiſſe; adeo ut anno hujus ſæculi XIIX.
(cujus initio primum illud, quod memoravimꝰ, inter-
dictum iteratum fuerat,) finiente, non jam, ut anteà,
Novellos ſcholaſticos ad tragœdias epulasque Penna-
liſticas minis adigi cogive, ſed ſpontè hoc onus ſuſci-
pere; nec pugnis dedolari pedibusque proculcari, ſed
jocis lepidis, \& ſalibus humaniſſimis amicè de morum
emendatione, \& exuendo faſtu Pennaliſtico moneri
ferretur; ſed quoniam ſic quoque rem ipſam, quæ du-
dum in Pennaliſmo fuerat, manere, ac tantum melle
quodam venenum hoc illini, lupo ovillam, aſino leo-
M m m 3ninam
[918]Deß Academiſchen
ninam pellem, \& meretriculæ olidiſſimæ honeſtæ pa-
tronæ habitum indui, Patres Academici deprehende-
rent, denuò juventutem ſcholaſticam admonuêre, hoc
ut virus \& venenum odiſſe tandem \& obedientia ſua
deprimere inciperent, addito præclaro, \& quod even-
tus veriſſimum eſſe docuit, epiphonemate: Nunquam
ſoſpites \& ſalvas fore ſcholas, niſi lues hæc peſtilen-
tialis ſublata fuerit. Simul iis, qui Academicæ Juris-
dictioni ſuberant, denuntiarunt, ſe omnes Pennaliſmi
architectos certo malam in rem relegatione publica
abacturos; neque morari eorum abitum, qui hoc ab
amaraco porcino muſcoſas abſtinere nares non poſ-
ſint, ſed piperis grana pauciora longè pluris, quam
multa papaveris ſemina facere. Qui animus utinam
\& hodiè multis eſſet, quibus potior eſt frequentia ho-
minum ſceleratorum, quàm pauci virtuti bonisque
moribus dediti! Nihilo tamen ſeciùs paucos poſt an-
nos denuò malum hoc adeò invaluit, ut Anno Chriſti
ⅽⅼↄ ⅼ ↄ CXXIII. d. IIX. Octobr. Patres Academici cùm
viderent, parum profici exemplis eo usque in delin-
quentes editis, neceſſarium duxerint, prolixè publico
programmate malis, morbis, \& detrimentis, quæ Pen-
naliſmus (tanquam in cujus camarinam lernam, Aver-
num \& Lacum Aſphaltiten quicquid vitiorum eſt ac
flagitiorum, quiquid facinorum \& ſcelerum, confluxe-
rit,) complectitur, graviorem delinquentibus pœnam
conſtituere, hanc ſcilicet, ut non ſolùm eos omnes, qui
Pennaliſmum foverint, aluerint, auxerint, ſervârint,
relegatione publica ſubmoturos ſe, nulla vel interceſ-
ſionisvel commiſerationis ratione habita: ſed etiam
typis evulgare velle omnia Relegationum program-
mata, \& cum in patrias eorum terras, qui hanc luunt
pœnam, tùm in vicinas Academias mittere, ut his à
ſerpentibus Libycis, Scorpiis, Viperis, Draconibus,
omnes
[919]Romans II. Buch.
omnes boni maturè ſibi cavere diſcant. At ſucceſſu
tàm parùm proſpero, ut mox ipſi Illuſtriſfimi Celſiſſi-
mique Principes, Academiæ Nutritii, auctoritatem
ſuam interponendam arbitrarentur. Proinde Illuſtriſſ.
Dux ALBERTUS loco \& nomine Illuſtriſſ. Ducis
JO. ERNESTI Junioris, tanquam Domini Territorii,
Principisque Regentis, promulgato A. ⅽⅼↄ ⅼ ↄ CXXIII.
d. IX. Decembr. Edicto Germanica lingua conſcripto,
poſt enarratas varias actiones Pennaliſticas, conqueſtus
ingens ob eas odium famamque ſiniſtram Academiæ
huic conflari, quâ moti Parentes haud pauci liberos
ſuos aut nolint hûc ſtudiorum cauſa ablegare, aut ab-
legatos quantocyus avocent; ſeverè edixit, ne quis
Studioſorum Novitium ullum odioſo, ſcandalique ac
contemptus pleno, \& Studioſis omnibus ipſisque lite-
rarum ſtudiis maximè ignominioſo, ac haud dubiè ab
hoſte ſtudiorum ac virtutum diabolo ex orco pro-
ducto, impediendisque \& ſupprimendis omnibus ar-
tibus ac diſciplinis ſalutaribus comparato Pennaliſmi
aut ejus monetæ aliis cognominibus, clam palamvè
traduceret, contemptui haberet, offenderet, oneraret:
aut ejus amoliendi cauſa convivium ullum quocunq́;
prætextu exigeret, extorqueret, eive intereſſet; neve
quis convictores aut ædium ſuarum incolas ſtudioſos
ea in re ullo modo adjutum iret: ſed ut cives Acade-
mici omnes, ac Studioſorum hoſpites alii, quoties-
cunque tale quid eos conari, aut agere, compererint,
dehortarentur, præmonerent, \& ſi obſequi nolint, rem
evulgarent, ac ſuperioribus, quacunque ratione poſ-
ſent, ſignificarent: Qui ſecus fecerint, pro ratione
Perſonarum, Facultatum, delictorum, gravem Princi-
pum indignationem, ademptionem privilegiorum,
beneficiorum, munerum, honorum, pœnam relegatio-
nis publicæ ad annos aliquam multos, aut etiam exclu-
M m m 4ſionis,
[920]Deß Academiſchen
ſionis, carcerem, exilium, pœnam corporalem, \& ratio-
ne ſumptuum ac impenſarum pœnam quadrupli in-
dubiè incurſuros: utque tanto certior ſit executio,
captivos ad aulam Principis deducendos, ſpe omni
interceſſionis aut remiſſionis præciſa. Quo quidem
Illuſtriſſ. Principum Zelo, providaque Senatus Acade-
mici cura, \& ſevera animadverſione effectum eſt, ut
illa Adnovitiorum exagitandorum prurigo ex parte
exſtirpata fuerit; uſque dum circa A. ⅽⅼↄ ⅼ ↄ CXXX.
quidam rurſum excitare eam \& viis anteà nec tritis
nec auditis reducere ex averno moliti ſunt. Quorum
tamen molimina mox ſunt prohibita publicè. Inter-
venere paulò poſt bello in his quoque oris coortô, ea
tempora, quibus mirum nemini videri debet, diſcipli-
nam publicam hac quoque parte ſic corruiſſe, ut Sena-
tus Academicus conſultum exiſtimaret, poſt edita ali-
quot in pennaliſantes exempla, A. ⅽⅼↄ ⅼ ↄ CXXXIIX.
d. XI. Martii recenſitis denuò variis effrænis petulan-
tiæ Pennaliſticæ criminibus, fructibusque, edicere, ſe
ex hac Academia hanc peſtem, hanc calamitatem, hoc
probrum profligatum omni conatu ituros, illosque
Pennaliſmi architectos \& authores certò Relegatione
publica, vel etiam perpetua excluſione, abacturos, ab
ejusque decreti exſecutione nec ullam gratiam, nec ul-
lam cognationem \& affinitatem, nec ullas munerum
corruptelas ſe avocaturas. Cujus quidem Edicti is fru-
ctus fuit, ut proximo triennio Academia noſtra gratu-
lari ſibi de infamium illarum actionum Pennaliſtica-
rum à ſe quaſi exilio videretur. Quæ tamen mox Anno
ⅽⅼↄ ⅼ ↄ CXLI. à quibusdam maleferiatis ex orco revo-
catæ, ac fruſtra obnitentibus nobis, eo uſque invalue-
runt, ut A. ⅽⅼↄ ⅼ ↄ CXLIV. ineunte, orto ob eas inſigni
tumultu, de quo paulò poſt, Sereniſſ. Principibus, Aca-
demiæ Nutritiis Clementiſſimis, juſta conquerendi
cauſa
[921]Romans II. Buch.
cauſa naſceretur, Studioſos, qui tum hic loci vivebant,
omnes, paucorum maleferiatorum inſtinctu, Penna-
liſmum, cui unus alterquè antea non niſi clam addicti
fuerint, nunc in hanc Academiam quaſi authoritate
publica inaudito modo introduxiſſe, adverſantes huic
inſtituto ſuo pro infamibus habere, ac ſumma vi per-
ſequi, ejusque rei causâ certas confœderationes, DEO
\& legibus repugnantes, iniiſſe, ac Magiſtratui ordina-
rio, poſt habita jurisjurandi religione, debitum hono-
rem \& obſequium palàm denegare. Sed huic quoque
malo cum eorundem Sereniſſimorum Principum ſe-
vera mandata, tùm Sereniſſ. Ducis WILHELMI. Pa-
triæ Patris indulgentiſſimi, præſentia, medicinam at-
tulere, adeò ut per annos proximos tres furor ille non
parum remiſerit. Qui tamen mox, Satanæ haud dubiè,
ſaluberrimis, quæ tùm de pace Germaniæ reddenda
agitabantur, conſiliis in novos, credo, furores acti, in-
ſtinctu, majore cum impetu rediit.
Anno enim ⅽⅼↄ ⅼↄ CXLVII. \& qui proximè ſecuti
ſunt, non ſolùm Pennaliſticas Veteranorum actiones
repullulaſcere, hoc eſt, Juniores, aut qui ab illis Acade-
miis, à quibus Pennaliſmus exulabat, huc ſtudiorum
cauſa conceſſerant, contumelioſis nominibus appelli-
tari; tanquam nondum capaces privilegiorum Aca-
demicorum alto ſupercilio deſpici, Studioſi appel-
latione indignos, \& veluti catharmata publica, haberi,
injuriis ac contumeliis affici; verberibus coërceri,
pecunia emungi, libris veſtibusque ſpoliari, ad convi-
via, cum alia, tùm abſolutionis, ut vocantur (ſine qui-
bus nemo, iſtorum Cænipetarum ſententiâ, Studioſi
nomen poterat conſequi,) exhibenda adigi, ad omne
genus ſervitia, etiam turpiſſima, cogi, denique planè
ut ſubditos, immò ut ſervos haberi vidimus; ſed
etiam novum, idque non minus deteſtandum, Penna-
M m m 5liſandi
[922]Deß Academiſchen
liſandi genus exedam, qua prius illud, officina prodiit.
Ipſi enim Juniores, \& qui nondum annum in Acade-
mia exegerant, præſertim qui ſe Abſolutos vocabant,
Veteranorum exemplo excitati, jam \& ipſi alios, recens
Academiam, \& poſt unum alterumque menſem, quam
illi in eandem venerant, ingreſſos, inque certos vul-
pium, aſinorum, ſimilesque gradus alios, pro diverſo
ſeptimanarum, quibus in Academia vixerant, numero
diſtributos, non ſolùm privatim, \& extra oppidum,
ſed in plateis publicis, in foro, immò, (quod planè
abominandum,) in templo, interque ſacra ipſa \& di-
vini Numinis cultum, exagitare, cachinnis excipere,
contumeliis afficere, interdum \& talitros colaphosque
illis impingere cœperunt: Ac ne quis Novitiorum
injuriis eorum ſe poſſet ſubtrahere, peculiaris iIlis in
æde ſacra locus aſſignatus eſt; in quo, tàm præclaris
ſcil. ritibus initiandi, comparere coacti, quicunque re-
cens in Academiam venerant. Heic tempus omne ſa-
cro cultui deſtinatum, diſcurſationibus, confabulatio-
nibus, ſuſurris, cachinnis, verbis ſcurrilibus, omnique
petulantiæ genere, ſæpè \& clamoribus ac rixis, con-
ſumptum. Quod ſi in propinquo adſtantes adſiden-
tesve cives honeſtiores, tàm effrænem petulantiam
deteſtati, Exagitatores dehortarentur, utque ad ſacra
\& conciones adverterent animum, rogarent: eadem
in illos probra, eademque convitia jaciebantur. Paria,
immò atrociora, in foro \& in ipſa hominum è rure \&
vicinis oppidis adventantium celebritate perpetrata:
ne tàm pulchræ comœdiæ etiam peregrini ſpectatores
deeſſent. Poſt haſce tàm egregias initiationes in ſub-
urbia \& pagos itum: Ubi eorundem miſellorum ſum-
ptu ſtrenuè potatum, ipſi verò omne genus contume-
liis probrisque vexati, ſæpè \& talitris colaphisque ex-
cepti, \& ne quid ipſorum injuriarum expers eſſet, ſciſſi
per-
[923]Romans II. Buch.
perforatique pilei, dilacerata veſtimenta: aut cum
illi, tum hæc, cum vilioribus permutata. Cœterum hæc
omnia cum in publico factitarent petulantiſſimi ju-
venes; quantum injuriarum iisdem miſeris Novitiis
in abdito, intraque privatos parietes, illatum putaris!
Tot igitur injuriis obnoxii cum vereri haberent, ne,
quoties in publicum, præſertim ad illa ſolennia, quæ
diximus, loca prodirent, ultra modum vexarentur;
Patronis opus erat, qui duriùs atque inhumaniùs ha-
bitos defenderent, ac prodeuntes in forum, in tem-
plum, in collegium comitarentur. Lecti igitur qui pa-
trocinium eorum ſuſciperent, vetuſtiſſimus quisque
ac audaciſſimus Juniorum; ſeu potiùs pecunia, mune-
ribus, compotatiunculis empti ſunt. Unde nova com-
potationum genera, \& inter exagitatores ac Patronos,
quoties aut illi exagitando, aut hi defendendo mo-
dum videbantur excedere, jurgia, injuriæ, verbera, pro-
vocationes, digladiationes, vulnerationes, \& infinita
hoc genus mala alia. In utroque verò pennaliſandi
genere, tàm antiquo, quàm novo, iis omnibus, quibus
tot injuriæ perferendæ erant, ſeverè, \& ſub commina-
tione infamiæ, ac crudeliſſimarum perfectionum, in-
terdictum, ne quis Magiſtratus Academici operam im-
ploraret: aut ſaltem ſic enuntiaret injurias ſibi illatas,
ut in notitiam ejus pervenire poſſent. Etſi interim ad
ea quandoque facienda ferendaque cogebantur, quæ
nec aures caſtæ audire, narrare, nec pudici oculi legere
ſcripto conſignata ſuſtineant: quodq́; proinde veren-
dum erat, ne, ſi impunè ferrent eorum patratores, gra-
viſſimain divini Numinis iram in Academiam uni-
verſam provocarent. Quid verò ad hæc omnia Se-
reniſſimi Academiæ Nutritii? Quid Magiſtratus Aca-
demicus? Num tota mole irruentem barbariem ad-
miſerunt? Num malum peſtilentiſſimum radices age-
re paſſi
[924]Deß Academiſchen
re paſſi ſunt? Non ſanè, ſed illi quidem, pro incompa-
rabili ſua ac plusquam paterna publicæ ſalutis re-
rumque Academicarum cura, ſubinde Magiſtratum
officii commonere, utque adoleſcenti \& jam robur ac-
quirenti Pennaliſmo ſumma vi obniteretur, hortari:
Hic verò, memor officii, nunc crebris ac pænè annuis
Edictis, nunc ſevera animadverſione \& frequentibus
exemplis pro virili ſua obſiſtere: adeò ut non deeſ-
ſent, qui interdum nimii rigoris eum accuſarent. Et ta-
men ſic quoque parùm aut nihil ad rei ſummam pro-
fectum eſt. Quod cùm ſæpiùs laudati Sereniſſimi
Principes animadvertiſſent, miſſis ante ex utroque
Conſiliariorum ordine, qui Academiam viſerent ac
ordinarent, in Novis, ut vocantur, Statutis, Anno
\&221e; ⅼↄⅽ LIII. conditis, hoc quoque conſtituerunt, ut
quicunque actionum pennaliſticarum auctores exſti-
terint, nulla perſonarum ſtirpis, vitæ anteà benè actæ,
aut eruditionis ratione habita, non ſolum publica re-
legatione ad aliquot annos plecterentur, ſed etiam, ut
cauſa relegationis diſpaleſceret, exempla ejus typis
deſcripta ad ejus loci Magiſtratum, unde relegati ori-
undi, aut quem parentes illorum propinquive inco-
lunt, transmitterentur: Quod ſi prætereà \& libris, aut
veſtibus, aut quacunque re alia, Novitios Studioſos
ſpoliaverint, vel corpori ac ſanitati eorum damnum
dederint, ad ablatorum reſtitutionem haud tantum,
vel certo pretio redemptionem, omnisque damni re-
fectionem adigerentur, ſed etiam cum infamia in
perpetuum relegarentur: Qui verò non auctores qui-
dem fuerint, ſocios tamen illarum actionum ſeſe præ-
buerint, in eos privata relegatione animadverteretur:
Virique verò ſumptus reſtituere cogerentur. Si quis
inſuper caſu ad eas acceſſerit, ſic tamen ut damnum
ipſe nullum|dederit, carcere aliovè modo, ut exemplo
ſit
[925]Romans II. Buch.
ſit aliis, puniretur: Additum, à vicinis quoque Aca-
demiis petituros, Principes, ne publicè relegatos intra
annum, niſi teſtimonio emendatioris vitæ munitos,
recipiant. Nec quenquaḿ eorum, niſi præſcitu ac con-
ſenſu Principum utriusque lineæ in gremium Acade-
miæ recipiendum. Denique ſuasquoque pœnas ma-
nere illos, qui vel in ædibus ſuis pennaliſationes per-
miſerint, vel conviviorum apparatum juverint; Idque
Statutum non ſolùm bis quotannis, eùm novus Aca-
demiæ Rector præficitur, publicè huc usque recitari
ſolitum: ſed etiam ſumma illius, tùm paulò ante,
quàm publicaretur cum reliquis, tum poſteà Anno
∞ ⅼↄⅽ LV. ac denuò Anno ∞ ⅼↄⅽ LVII. publicis pro-
grammatibus ſtudioſæ juventuti ſigniſicata eſt. In
delinquentes autem crebra, \& quoties deprehenſi ſunt,
pro gradibus delictorum, relegatione ſive publicaſive
privata, carcere, modisque aliis animadverſum. Eo
quidem, DEO conatibus noſtris benedicente, ſucceſſu,
ut illa, in qua Pennaliſmus olim potiſſimum cenſeba-
tur, Veteranorum in juniores tyrannis, hiſce illatæ in-
juriæ, reales pariter ac verbales primò non niſi furtim
exercerentur, mox omninò, aut ſaltem maximam par-
tem, \& inter plerosque, ceſſarent. Manſit tamen con-
temptus Juniorum, ac peſſimus ille mos, quo nemo
quisquam, ac ne quidem illi, qui unum alterumque,
aut etiam complures annos in Gallicis, Danicis, Sueci-
cis, Belgicis, aliisque exteris, partim \& Germanicis,
Academiis, (quæ omnes Pennaliſmum nunquam ad-
miſerunt,) exegerant, honorifico Studioſi nomine
digni ſunt habiti, niſi Pennaliſmi legibus ſe ſubjeciſ-
ſent. Planè tanquam ab iſtorum maleferiatorum ar-
bitrio penderet, ut aliquis privilegiorum Academico-
rum, à Sacratiſſimis Imperatoribus conceſſorum par-
ticeps eſſet. Manſere proinde \& convivia Pennaliſtica,
cum
[926]Deß Academiſchen
cum Acceſſus, ut vocantur, tùm Abſolutionum, ſed
alio plerumque prætextu quæſito: immò (quô tantò
promptiores ad ea inſtruenda Juniores nunc erant,
quanto paucioribus injuriis obnoxii ſunt,) ſumptuo-
ſius multo, quam antea, facta, ac eo interdum cum
ferculorum, tûm præſertim bellariorum ſcitamento-
rumque apparatu inſtructa ſunt, cujus nec perſonas
illuſtres, ipſosque adeò Principes pudere poſſet. De-
nique \& jurisdictio manſit, pridem in Juniores uſur-
pata; eò jam retentu facilior, quod hi beneficii,
quod modo diximus, memores, ſponte illorum
jugo ſe ſubderent, dominos agnoſcerent, privi-
legia ab illis ſupplices peterent, illorum, quàm Ma-
giſtratus Academici, juſſa (cui tamen ſacramento ſe
obſtrinxerant,) potiora ducerent, denique penitus ab
eorum nutu penderent. Tantumigitur potentia aucti
Veterani palam in cætus \& conventicula coire, comitia
habere, leges ſancire, Decreta condere, ſcriptoque con-
ſignata promulgare; de cauſis \& controverſiis inter
ſe ſuosque natis, quandoque \& jurisjurandi neceſſitate
teſtibus, impoſita, cognoſcere; Jus dicere; pœnas
ipſamque adeò infamiam, irrogare ac remittere; præ-
mia largiri; concionem cogere, militem educere;
ad ſummam, fermè nihil earum non audere atque per-
agere, quæ à ſummis poteſtatibus ſoli ſunt Magiſtra-
tui conceſſa: Juniores autem, tam clementi ſub impe-
rio, verſi, ut ſolet, in majorem licentiam, quæ ſibi à
veteranis indulta fuerat, in omnem petulantiam ſo-
luti non ſatis habere, ſi ſui ordinis adoleſcentes mo-
dis, quos ſupra recenſuimus, infectarentur: ſed ulte-
rius progreſſi, nunc ſexum muliebrem non in foro
tantum, \& in plateis, ſed in æde ſacra, præſertim in ſo-
lennitatibus nuptialibus, probris \& convitiis inceſſe-
re, verbis obſcænis \& ſcurrilibus ab auditu verbi di-
vini
[927]Romans II. Buch.
vini reliquoque cultu ſacro avertere, intrantibus, ex-
euntibusve præcludere viam, pedibusque inſidias
ſtruere: nunc in foro ruricolis inſultare, eſculenta,
quæ venum attulerant, eripere, quærentes de injuriis
contumeliis plagisve excipere: nunc in ſuburbana \&
pagos excurrere, ac rixari inibi cum incolis, turbasque
ciere: denique, ne quid externæ honeſtatis reliquum
illis videretur eſſe, cum ſciſſis pileis, veſtitu lacero,
palliis aut potiùs palliorum laciniis è brachio manuvè
pendulis, nec tàm calceis, quàm crepidis indutos in
publico conſpici: adeò, ut ſi veſtitum ſpectes, non li-
terarum ſtudioſos, ſed mendicos, furioſos, aut à milite
exſpoliatos putes. Et quis omnia petulantiæ ipſorum
genera ediſſerat! Quæ tamen poſtremò non in Aca-
demia tantummodò, aut vicinia ejus, ſed etiam alibi
conſpici voluit, id quod ſatis apparuit, cum ante hunc
annum ipſum, in Nundinis Numburgenſibus, in ſpe-
ctante ingenti hominum ex univerſa propemodum
Germania confluentium multitudine, virisque gra-
viſſimis, tàm impiè, tàm ſcurriliter, tàm petulanter,
etiam adverſus illuſtres perſonas, ſeſe nonnulli gere-
rent, ut Academiæ huic, immò Studioſorum ordini
univerſo, haud exiguam, \& vix multorum annorum
decurſu eluendam maculam inuſſerint. Porrò cum
tanta eſſet veteranorum in Novitios poteſtas; inque
Pennaliſmo tuendo pervicacia, tanta item horum li-
centia, petulantia, \& erga veteranos obſervantia; fieri
vix potuit, quin ſubinde, cùm alterutri vel utrique vim
paſſos aut injuriâ affectos ſe opinarentur, vel \& conata
ſua, quæſitamque malis artibus potentiam tucri perti-
naciter adverſus Magiſtratum cogitarent, res in tu-
multum \& vim publicam erumperet. A pennaliſandi
certè prurigine, defendendique Pennaliſticas actiones
propoſito fuit, ſi primam originem ſpectes, quod An-
no
[928]Deß Academiſchen
no ⅽⅼↄ ⅼↄⅽ XLIV. Studioſorum tùm in hâc Academia
viventium plurimi, conſpiratione inter ſe inita, obſe-
quium Magiſtratus Academici palàm detrectarent, in
cœtus coirent, quosdam ſui ordinis, explorandæ veri-
tati, utque in eos animadverte retur, cuſtodiæ datos, vi
liberarent, Novitios armarent, portas obſiderent; ipſi
denique arci Ducali vim inferrent: nec ante quieſce-
rent, quam Sereniſſimus Dux WILHELMUS, Patriæ
Pater Clementiſſimus, comitante armatorum multi-
tudine huc profectus, convocatos in Collegium Stu-
dioſos omnes, indeque in Arcem deductos, ac tamdiu
inibi detentos, donec plerique ſeditionis auctores de-
tecti eſſent, ad renuntiandum conſpirationi ade-
giſſet.
Jam quod ante hos annos quatuor intra oppidum,
ante biennium in ſuburbio à Juniorum manu ædes
in civium ſub noctem factus eſt impetus; unde niſi
à cœco eorundem erga veteranos obſequio, ſummoque
ad ciendas turbas propenſione fuit? Quid multa?
Nuperi illius \& (niſi Principum ſollicitudo ſubveniſ-
ſet,) pænè fatalis Academiæ noſtræ tumultus cædisque
tùm perpetratæ, num alia potior cauſa fuit, quàm No-
vitiorum in excubias à Sereniſſ. Patriæ Patre ſecurita-
tis cauſa conſtitutas jactæ comminationes, \& mox pel-
lendis iisdem, tanquam libertati, ut illi putabant, re-
vera autem licentiæ ſuæ adverſantibus, factæ in ipſo
foro \& plateis, ſi non jubentibus, certè ſpectantibus,
permittentibus, nec improbantibus Pennaliſantium
præcipuis concurſationes, convocationes, \& quæ præ-
tercà ſua illis petulantia ſuggeſſerat? ſed nec ea, in quæ
paulo poſt turpiſſima conſpiratione inita, magna pars
Studioſorum, ut univerſam Academiæ molem ſubrue-
rent, convenit, quibusque poſteà ejusd. Clementiſſimi
Patriæ Patris mandato, plerique omnes porrectis
Rectori
[929]Romans II. Buch.
Rectori dexteris ſemel iterumque renuntiarunt, in hoc
uſque tempus quisquam tenaciùs, quam Novitiorum
illi, qui Abſolutos ſe vocant, ſervavit, etſi non igno-
ramus, fuiſſe \& alios, qui poſthabita jurisjurandi reli-
gione, qua fidem ſuam obligaverant, pernicioſa ad-
verſus Academiam noſtram conſilia agitarunt. Quos
ſua haud dubiè pœna manet.
Satis ex iis, quæ non una de cauſa prolixè recen-
ſuimus, apparet, quam nunquam Sereniſſ. Principibus,
nobisque ipſis, defuerit animus exſtirpandi penitus
Pennaliſmi: quam multa item, \& quam deteſtanda
ſint mala, quæ lerna illa complectitur. Hiigitur cùm
in Academia ſua nullo modo ferenda diutius, nec
tamen re mediis huc uſque adhibitis planè præve-
niri tollique poſſe, animad verterent Sereniſſimi atque
Celſiſſimi utriusque Lineæ Principes ac Duces Saxo-
niæ, \&c. Nutritores Salanæ hujus munificentiſſimi,
Domini noſtri Clementiſſimi, communicato cum aliis
S. Rom. Imperii Principibus ac Statibus, ac inprimis
cum Sereniſſ. Saxoniæ Electore, Conſilio, tandem ali-
quando Pennaliſmum communi conſenſu exſcinden-
dum eſſe, decreverunt, eamque in rem Mandata, pu-
blicè promulganda, nuper ad nos deſtinarunt. Summa
corum Mandatorum ac ſententia hæc eſt: Penna-
liſmum illum abominandum ex noſtra quoque Aca-
demia Salana funditus ac radicitus ſublatum, profli-
gatum, atque exterminatum volumus. Nemo quis-
quam Studioſorum veteranorum in poſterum à Ju-
nioribus recens Academiam ingreſſis convivium ſive
acceſſus, ſive correctionis, ſive abſolutionis, ſive poſt-
poſitionis, ſive quocunque veniant nomine ponna-
liſticas comeſſationes alias, neque ullum etiam aurum
argentumve poſcito: nullis exagitationibus, quæ-
cunque illæ ſint, moleſtus ipſis eſto: nulla ad ſervitia
N n nipſos
[930]Deß Academiſchen
ipſos cogito, multò verò minus verberibus excipito,
aut alio quocunque modo ſuum quaſi ſub jugum per-
trahere audeto: ſed ſolius Magiſtratus Academici, \&
Præfectorum ac Præceptorum inſpectioni, correctioni,
animadverſioni eos relinquunto. Novitii verò, qui
jam tum in Academia noſtra adſunt, \& qui in poſte-
rum adventuri ſunt, ſtatim, ac ſine ulla procraſtina-
tione inhoneſtum illum hactenus uſurpatum veſti-
tum abdicanto, in ejusque locum honeſtiorem, \&
quali veterani Studioſi uti ſolent, adſciſcunto; ab ex-
agitationibus ſui ſimilium prorſus abſtinento; omnem
petulantiam publicè privatimque, cumprimis in æde
ſacra \& aliis conventibus ac congregationibus, procul
à ſe amoliuntor. Profeſſores, ſui quod eſt hac in re
officii, curiosè exſequuntor; delinquentes, \& huic Se-
reniſſ. Principum decreto quocunque modo adver-
ſantes, tàm veteranos, quàm Novitios, omni ſepoſito
affectu \& perſonarum reſpectu, pœnâ meritâ afficiun-
to: \& primâ quidem vice pro delicti gradibus ad certi
cujusdam temporis terminum, ſecundâ in perpetuum,
ſed absque infamia, tertiâ tandem vice, ſi fortè recepti
fuerint, neque deſiſtant, cum infamia releganto \& ex-
cludunto. Hi verò poſtremi nullius receptionis, ſed
velut infames, nullius quoque honeſti officii capaces,
habentor. Quo verò cunque modo, primo, ſecundo,
tertio, relegatus quis fuerit, ad alias Academias, ne ibi-
dem recipiatur, ſed velut relegatus aut excluſus ab
omnibus habeatur, idemque tam ad aulas illuſtres,
quàm ad cujusque natalis ſoli Magiſtratum perſcriba-
tur: nec absque Sereniſſimorum Principum Patrono-
rum, non alterius Lineæ ſeparatim, ſed utriusque con-
junctim, præſcitu diſpenſatio ulla aut receptio inſti-
tuatur. Impunè quoque non abibit, ſi quis ſive ex
Profeſſorum ordine, ſive alius quivis, Pennaliſtica-
rum
[931]Romans II. Buch.
rum comeſſationum apparatus quccunque modo ad-
jutum iverit; iſte quidem Profeſſorio munere hoc
ipſo futurus expers; hic verò pro ratione circum-
ſtantiarum graviter plectendus.
Hæc Summa eſt Decreti Sereniſſimorum Saxoniæ
Ducum utriusque Lineæ de Pennaliſmo, fœtu iſto or-
cino, profligando \& exterminando. Tuum jam eſt,
Juventus ſtudioſa, tàm Veterana, quàm Novitia, juris-
jurandi, quo Te Sereniſſimis Principibus ac Magiſtra-
tui Academico obſtrinxiſti, memorem, maturè obſe-
qui. Pietatis eſt Magiſtratui DEI in terris Vicario obe-
dire. Nemo veſtrum eſt, qui non malit pius, quàm im-
pius audire. Virtutis eſt, ea vitare, quæ vel ſpeciem ma-
litiæ præ ſe ferunt. Nemo veſtrum eſt, qui non felices
malit ſtudiorum ſucceſſus, quam infelices. Bonam de-
nique famam conciliat eorum patratio, quæ legibus
\& honeſtati ſunt conformia. Nemo veſtrum eſt, qui
non malit honeſtus, quam infamis dici. Hæc, Juven-
tus ſtudioſa, Tecum meditare: \&, ſi ſapis, ſponte ad
peragenda, cavendaque, quæ Illuſtre Mandatum re-
quirit, Te compara, ſin, (quod tamen nolimus,) expe-
rieris profectò, non deeſſe cum Sereniſſimis Principi-
bus, tum nobis ea adverſus contumaciam remedia, quæ
nolentes eò poſſint adigere. Nunquam, credite nobis,
continget, ut quæ illi tanto conſenſu, tantoque cum
Zelo decreverunt, irrita reddi, ſeque adeò ludos fieri
patiantur. Vos quoque, reliqui cives Academici, da-
bitis operam, ne deinceps ulla re Pennaliſmum adju-
tum eatis. Sin, manebit \& vos ſevera animadverſio.
P. P. ipſo feſto viſitationis B. Virginis, hoc eſt, d. II. Ju-
lii, A. C. ⅽⅼↄ ⅼↄ CLXI.
Das XXXIV. Capitul/
ProſcriptiodeßPennaliſmider Univerſitaͤt Gieſſen auch in
Lateiniſcher Sprache/ wie ſolche Anno 1660. herauß gegeben
worden.
N n n 2Zu
[932]Deß Academiſchen
ZU Gieſſen in Heſſen iſt der Pennaliſmus Anno
1660. durch folgende Lateiniſche Schrifft ab-
geſchaffet worden:
Civibus Academicis Giſſenſibus S. P. P.
MAjori famâ quam gloria mali mores literatorum occupa-
verunt orbem; \& licentia peccandi in Academiis viſa
hactenus eſt reverenriam omnem excuſſiſſe animis ob-
ſequentium. Palàm rupiſſe Imperium, violaſſe leges \& concor-
diam, parum fuit, niſi etiam cumularentur, ex Acheronte in-
genia profligatiſſimorum hominum, qui non dicam Peuna-
liſmum, ſed Diaboliſmum quendam, initis contra divinas hu-
manasque leges conjurationibus, ſancirent, ut querendi cauſa
non pueris, non juvenibus, non Majoribus ſaltem, ſed ipſis
Magnatibus, imo Imperiis ſummis, Rebusque publicis, illâ viâ
ad interitum properantibus eſſet uberrima. Vidit conſternatus
orbis: vident hodienum illuſtres Academiæ, quanto huc uſq́;
odio in pietatem ſævitum ſit; quantâ animorum contentione
ingenua vivendi ratio adhuc impetatur, ut in veſtibulo velut
conſiſtat barbaries, turbidisque perverſorum conſiliis ſiniſtra \&
prava cernantur omnia, \& juventus cumprimis in ſpem Eccle-
ſiæ \& Rerumpublicarum à DEO data nullo negotio hebetior
ſit, quàm in virtutis, nulla in re alacrior, quàm in flagitiorum
omnium ſeminio propagando. Stimulat alios libido imperandi
innocentioribus, \& cupiditas evertendi majorum ſancita occu-
pavit temerariorum animos, ut in votis nihil habeant majus,
quam ut precario ſceptra teneant Præceptores eorum, ipſi mo-
dum præſcribant. Coërcet alios, ne obſequium præſtent, metus,
\& à tramite virtutis, quem parentum ſuaſu ingreſſuri erant, im-
petu abripiuntur, ur jam cædes \& digladiationes, jam rixæ \&
contentiones, jam barbaris inſueta ſervitia, promuſcuæ exagita-
tiones, expilationes \& inhoneſtæ commeſſationes, paucis, quo-
tidiana Bacchanalia \& ferarum rabies invaluiſſe: omnium ho-
neſtam vivendi rationem \& meliorem diſciplinam ſepultam
compertum ſit, inter homines divinæ imaginis icones, DEO,
Imperiis, Eccleſiæ, Parentibusque dicatos, verbo, Chriſtianos,
quos æqvum erat, vivere inter homines, tanquam DEUS audi-
ret, \& loqui cum DEO, tanquam homines intelligerent, ut ad-
moti aliquando diverſis gubernandi formis \& ipſi experirentur,
quantô emolumento quæſiviſſent juvenes, ut audirentur ſenes.
Vobiſcum
[933]Romans II. Buch.
Vobiſcum loquimur, Cives Academici! qui in obſequio im-
morigeri \& refractarii, in ſtudio literarum ſegnes, in exercitio
morum \& pietatis à majorum, noſtrisque inſtitutis alieni hacte-
nus fuiſtis. Vobiſcum loquimur, Studioſi! qui in conſpectu
DEI, \& in cœtu Angelorum \& piorum, in templis, locisque ſa-
cris propudiosâ libertate Diabolo ſerviiſtis, ſcandaloque, niſi
pœnitentia ſeria præveniat, nonniſi æternis ignibus expiando,
offenſas præbuiſtis parvulis, \& quosrectius erat molari lapide ad
maris abyſſum deturbari, quam in Republica Chriſtiana, cœ-
tuque credentium diutius tolerari. Vobiſcum loquimur, qui
ſceleratis clamoribus Lunam noctu inquietâſtis \& ſtellarum
adverſus vos radiantes concitâſtis ignes, ut aliquando conqueri
poſſint ineluctabili teſtimonio: Vos nocturnos illos fuiſſe Dæ-
mones, denſas illas caligines, ignes illos fatuos, qui cœleſtium
facum claritati nebulas offudiſſent, atque ſuo lumine abuſi fuiſ-
ſent ad flagitia, quæ intempeſtivo noctis ſilentio ſecuritatem
quærunt. Vos reputamus, qui fucato quodam malisque colo-
ribus picto furto, novitiorum Studioſorum libertatem flagitioſo
digito, fœdôque ſervitio expugnaſtis, crumenas noviter ad hane
palæſtram accedentium expilâſtis, datam Academiæ fidem con-
trariis Sacramentis fregiſtis, indictis Societaribus \& conventibus
charitatem conculcâſtis, illicitis \& ſcurrilibus actionibus peſſi-
mos mores introduxiſtis, contra veritatem in mendacia perfrictâ
fronte conjurâſtis, veſtimentorumque apparatu, in ludibria pro-
pria, velut nebulones in theatro, contra honeſtatem conveniſtis,
tacemus infinita alia. Ut mirari ſimul, \& inquirere jam nobis
haud ſine cauſa liceat, quarum ferarum rabies occupavêre ani-
mos veſtros, cum optimas evertere leges, vincire omni nequi-
tiarum genere commilitones, rapere ad contumelias innocentes,
(paucis rem abſolvimus,) voſmet ipſos atque hanc Academiam
unà cum Patribus peſſundare conſtituiſtis? Nempe, quod Poſt-
humius Conſul apud Hiſtoricum Patavinum contra Bacchanalia
pro concione introduxit olim; Nunquam tantum malum in
Republica fuit, nec ad plures, nec ad plura pertinens. Quicquid
his annis libidine, quicquid fraude, quicquid ſcelere peccatum
eſt, ex illo uno ſacrario ſcitote ortum; id jure merito de veſtris
inſtitutis affirmare poſſumus. Nunquam tam venenatus in Aca-
demiis natus eſt Baſiliſcus: nunquam tam peſtilens in iis ſidus
exortum, quam Diaboliſmus veſter, quem Pennaliſmum appel-
latis, monſtrum horrendum, informe, ingens, cui lumen ad-
emptum, Diaboli primogenitura, quæ in Caino radicem, in
N n n 3Juda
[934]Deß Academiſchen
Juda progreſſum, in ſiliis Belial ἄκμἰν habet, ad infernales de-
ductura paludes ſuos cultores Indignitas rei ulterius nos pro-
gredi jubet. Quid animi vobis eſt, quod congeſtis velut mon-
tibus, inſtar Gigantum impugnare cœlum contenditis? Cur
ipſimet vos, dum libertatis nomen quæritis, æterno vos man-
cipatis peccatorum ſervitio? Cur, dum rationis compotes eſſe
mavultis, \& rationes cum ratione quæritis, brutalitas vobis ante
rationem eſt? Cur in vitæ, fortunarumque veſtrarum,| imò \&
animarum necem conſpiratis? Hoccine iter ad ſapientiam, ad
famam, ad gloriam? Prævidemus ruinas veſtras, \& actionum
veſtrarum documenta in ſenio veſtro velut oculis coram intue-
mur, per experientiam edocti, nullum unquam ejusmodi tran-
quillitatis Academicæ turbonem, niſi evidenti Numinis irâ, ad
ſenectutem annorum ſuorum computum deduxiſſe, qui non
ſeu ignominiâ notatus, ſeu paupertate preſſus, ſeu morbis in-
cluctabilibus obrutus, imò DEO, hominibusque exoſus fuerit,
aut ad functionem aliquam publicam admotus, ſequiorem ta-
men in ea ſucceſſum, \& conjunctam quandam maledictionem
Divinam non ſuſtinuerit. Et, quo pacto, quæſumus, illi ſartam
rectamque habebunt ſeu familiam, ſeu functionem, ſeu ſenectu-
tem ſuam, qui in juventute DEUM irritant, \& Spiritum San-
ctum, Spiritum illum pacis \& tranquillitatis, Spiritum ſapien-
tiæ \& veritatis, datâ velut opeiâ, contra DEI \& Magiſtratuum
ſeveras inhibitiones ad iram commovent? Loquuntur variarum
Rerumpublicarum \& Academiarum buſta, quid nequitia Aca-
demicorum potuerit, ex quibus velut ex equo Trajano prodiêre
tot calamitates, in pœnam peccatorum cœlitus demiſſæ, ut non
ſemel Muſis emigrandum fuerit, conceſsâ Palladis areâ trucu-
lentiſſimi Martis ſævitiæ, quandoquidem \& ipſi Muſarum
alumni
Sceleratis montibus ultrò
Tentárunt patriam dilacerare ſuam.
Dum itaque alieno facinore \& flagitio in diſcrimine ſunt urbes,
vix meliore ſtatione gaudebunt, qui propriis polluti ſunt vitiis,
\& tantorum malorum paraſtatæ fuerunt. Forrè, Cives Acade-
mici cum indignatione hæc legetis! forte injuriam vobis inten-
tari novâ conſpiratione conquerimini! At, expectate, quæſu-
mus, \& audite, quo in articulo rerum veſtrarum conſtituti ſitis,
dum Pennaliſationi, (ut appellatis) intereſtis! Honeltis con-
ventibus ſanctus ſemper præeſt Angelus: inhoneſtis Dæmones
à latere utrinque adſtant \& inſerviunt. Hi conſilia prava, tetra,
funeſta
[935]Romans II. Buch.
funeſta inſpirant, \& vos ad omne flagitiorum genus animant,
ut neque auribus, neque oculis, neque linguâ, neque manibus
pedibusque, denique toti corpori \& animæ parcatis, quò minus
hæc omnia rapiantur ad fœda auditoria, impudica ſpectacula,
blaſphema colloquia, rixas, turbas, digladiationes, rapinas, con-
vitia, ut propterea Pennaliſmus ſit animæ obſcuratio, barbaries
mentis, corporis ruina, Diaboli ſentina, exilium pietatis, funu[s]
honeſtatis, gangræna modeſtiæ, hydra nequitiæ, ludibrium
optimarum legum, origo malorum omnium, noxa ſapientiæ,
onus tranquillitatis \& pacis publicæ, peſtis \& profligatio erudi-
tionis \& virtutum omnium, quæſtus infernalium Erynnium,
ruina Rerumpublicarum, ſuffuſio maledictionis, turbario felici-
tatis, vomica fœditatum, Xenium Diaboli \& Zizania ſtultitiæ,
imo ſtyx, lethe, avernus ipſe. Pennaliſmi verò paraſtatæ, ſive
ſint Actores, ſive conſultores, ſive patres curæ ſanè ineptiſſimæ,
Aſini ſupercilioſi, Baſiliſci venenati, Cyclopes clamoſi, carcino-
mara inſanabilia, carnifices, bibones \& comedones abjectiſſi-
mi, Dracones horrendi, excrementa Diaboli, filii terræ ma-
ledictæ, gulones \& greges porcorum, herbæ noxiæ \& homi-
nes nequam, infernales aves, \& inviſi omnibus bonis, lurco-
nes, mangones, noctuæ noctivagæ, orci mancipia, paraſiti,
quæſtores iniquitatis, rabidi canes, ſtygiæ paludis nutritii, Ty-
ranni truculenti, vivi Dæmones \&c. Hoc enim \& ſimili Alpha-
beto non unus aliquis homo, non unum aliquod Collegium, ſed
plures Academiæ, imò ipſi Imperii Magnates, Electores \&
Principes Pennaliſtas inſignire ſolent. Hi ſunt colores varie-
gati, quibus meritò depinguntur illi Centauri, ut tandem ſagit-
tis opus ſit, quibus confodiantur, ne illis graſſantibus emigrer
ex Academiis DEUS, diſcedant Angeli, boniomnes collidan-
tur, atque ipſa virtutum ſeminaria in Cyclopum antra \& late-
bras Dæmonum convertantur. O ergo miſeros vos! O infeli-
cem conditionem veſtram, Pennaliſtæ in eptiſſimi, peſſimorum
morum profligatiſſimi Magiſtri, curatores injuſto diſpenſatore
injuſtiores, imò injuſtiſſimi! Dolemus ſorrem veſtram, \& dum
in patrocinium vobis dati ſumus, dum veſtra ſalus curæ nobis
eſt, haud impatienter feretis, ſi hoc, quicquid Academiam hanc
Giſſenam occupavit mali, ejiciamus, \& ad orcum relegemus.
Exprobrabant Macedones Alexandro, quod Perſicum ſumpfiſ-
ſet habitum. Cur non exprobrabimus vobis, vos non habitum,
non veſtes, ſed ipſam omninò vitam iniquitati dedicâſſe. Eji-
ciebat è templo Hieroſolymitano Servator noſter ementes \&
N n n 4venden-
[936]Deß Academiſchen
vendentes, \& iniquiſſimi quæſtus Curarores his verbis: Domus
mea domus eſt precationis, vos autem feciſtis cam ſpeluncam
latronum. En ergo vobis Academiam hane! nonne ea conſti-
tuta eſt primum \& poſtmodum operosè reſtaurata à Seneriſſi-
mis Haſſiæ Principlbus, Domino Ludovico Fideli, \& Domino
Georgio, nuncrerum potito inter Haſſos, cui DEUS vitam \& fe-
licitatem perpetuam in ſeros usq́; annos largiatur, ut eſſet ſapien-
tiæ, pietatis, modeſtiæ, virtutumque cæterarum omnium thea-
trum, templum \& habitaculum! At per vos, quò, quæſo,
DEUM immortalem! dilapſa eſt? Diximus. Ne itaque idem
nobis accidat, quod Prophetæ Eli, qui indulgens iniquitati filio-
rum ſuorum, Iſraelem conturbantium, cervicem fregit, atque
divinam in eos nos cumulemus maledictionem; pientiſſimo
Sereniſſimi Principis ac Domini, Domini GEORGII II.
Haſſiæ Landgravii, Principis Hirsfeldiæ, Comitis in Cattime-
liboco, Decia, Zigenhemio, Schaumburgo, Iſenburgo \& Bu-
dinga \&c. Principis ac Domini noſtri Clementiſſimi, Zelo ex-
citati, tandem excidium Pennaliſmo \& Diaboliſmo veſtro inci-
dimus, imò præſenti gladio Hydram illam ternæam, unoque
velut ictu, jugulamus.
Exi, ô tetra beſtia! exi monſtrum nefandum, \& tecum
omnes tui amantiſſimi! in ſinu noſtro in poſterum fovebimus
nullum, veniâ præteritis delictis conceſsâ, qui leviſſimo auſu
quicquam, quod Speciem Pennaliſmi habuerit, tentaverit.
Reddimus libertatem omnibus, quam male feriati contra jus
fasque abſtulerunt commilitonibus ſuis. Tollimus convivia \&
compotationes, in quibus hactenus continua ſerie, metu ſobrie-
tatis, \& ne bona mens vos obrueret, Heroes fuiſtis. Vexationes
improbas, actiones \& exactiones juniorum eliminamus peni-
tus. Veſtimentorum lacera dedecora, \& quas nefaria malitio-
ſorum petulantia introduxit lacinias, ſeriò prohibemus, ne porrò
quisquam inſtar calonis aut Cerdonis aut nebulonis per plateas
incedat, \& bonæ mentis filiis nauſeam pareat. Nevedeteriori
ſit conditione juvenis nuper ad Academiam admiſſus, quàm,
qui ſupercilioſo faſtu montes eruditionis ſibi falsò imaginatur.
Quo ipſo tamen modeſtiam \& honorem literatioribus debi-
rum non tollimus. Sit ſuus meritis honor: ſit prærogativa titu-
lis: ſit veneratio annis \& doctioribus. Fruſtra Aſinus adhibetur
ad lyram. Indignum, juvenem nuper è cavea velut, aut ex virgis
ad libertatem admiſſum velle æquiparari canæ eruditioni, \&
rerſioribus præcedere ingeniis. At juſſu id fiat, non veſtro, ſed
noſtro,
[937]Romans II. Buch.
noſtro, quos DEUS ſapientiæ \& morum magiſtros conſtituit.
Turpe eſt, imperare eos, qui Præceptoribus indigent. Turpius,
quibus interdum, ut ipſi corrigantur, flagellis opus eſt. Ama-
mus honeſtum ordinem: deteſtamur confuſionem. Illum nos
obſervabimus: veſtrum erit, mandatis obſequi. Quid ergo
fruſtra deſudatis in conſtituendis ordinibus \& præfecturis, dum
ipſi Præfecti hactenus auritis aſinis \& vitulis laſcivientibus de-
teriores fuere? Maledictos illos conventus, \& ſocietates ne-
fandas cum Præfectis \& Præfecturis execramur. Denique
quæcunq́, contra bonos mores, contra pacem \& tranquillitatem
Academiæ hujus, quocunque nomine aut conſilio, ſuſcepta fue-
rint, qualia ſunt rixæ, contentiones \& digladiationes, ſive cæſim
ſive punctim ſuſceptæ, radicitus evellimus, ſub graviſſima rele-
gationis pœna, quam etiam infamia excipiet, ſic quidem, ut
Relegationem typis publicis excuſam in cujusque ſolum trans-
miſſuri ſimus, atque daturi operam, ne ulli prævaricanti contra
has ſanctiones, penes Patriam, ſeu alium Magiſtratum, honeſta
functio, aut honoris titulus patere poſſit. Agite ergo, cives
Academici, juvenes nobiliſſimi \& optimi! ſi DEUM, ſi Prin-
cipem, ſi Patriam, ſi virtutem amatis, ejicite nobiſcum muni-
menta omnis improbitatis \& nequitiæ. Intrate virtutis angu-
ſtias. Solicitudinis noſtræ, pro veſtra ſalute, jam vobis docu-
menta dedimus: efficite, ut \& veſtra habeamus. Non has mi-
nas \& increpationes conſignavimus probis, quorum \& nobis
adhuc aliquis numerus cognitus eſt. Nobilis equus umbrâ
virgæ regitur, dum ignavus ne calcaribus quidem concitari pot-
eſt. Neque vos offendant peſſimorum conciliabula \& conſilia,
minæque hinc ex virtutis palæſtra diſcedere volentium, aut ad-
verſus ſolem mejere contendentium. Non patitur cœlum im-
probos: neque Academia noſtra malorum defoctu deficiet.
Canes timidi vehementius latrant, quàm mordent. Altiſſima
flumina minimo ſono labuntur. Cogitate, quem in finem huc
miſſiſitis. Reputate animis veſtris, quam fidem, quod Sacramen-
tum Sereniſſimo Principi noſtro \& Academiæ, ſtipulatâ manu
religiosè, in vim juramenti, dederitis, \& eſtote pietatis, Sapien-
tiæ, modeſtiæ, cæterarumque virtutum ſtudioſi omnes! ani-
misque veſtris recolite, dotibus naturæ inſtructos, ſæpientiæque
miniſterio, quales vos eſtis, conſecratos, ſi virtutum, bonorumq́,
morum, qui farto careant, gladium manu tenere, quô ſe ſau-
cient, ignem humeris gerere, quô conflagrent, reſtim in collo,
qua ſtran gulentur, pugiones in pectore, quibus transfodiantur,
N n n 5ſpinas
[938]Deß Academiſchen
ſpinas in pedibus, quibus configantur, ſaxa, ad quæ pedibus
impactis ceſpitent, \& ceſpitando cadant, prolapſique experres
ſolatii tandem in morte relinquantur. Cavete violationem iſtius
jurisjurandi, quam utique DEUS \& ipſa nobiſcum Juſtitia gra-
viſſimè puniet. Neque has paternas admonitiones comminatio-
neſvè graves, vanas, quæſumus, exiſtimate! ſunt adhuc nobis
vires, ſunt ea præſidia, quibus malos plectere, tueri bonos poſſu-
mus; ut hi quidem à DEO gratiam \& benedictionem, ab Aca-
demia verò hac ctiam laudem \& honores, illi verò maledictio-
nem \& dedecus æternum ſint habituri: Quod enim quisque
ſeminaverit, illud metet.
DEUS verò, Pater ordinis \& Præſes omnis ſapientiæ in-
ſtruat vos Spiritu Sancto ſuo, ut ſobriè, juſtè \& pie vivatis, ſer-
vatâque legum noſtrarum authoritate, divina humanaque jura
ſarta tectaque penes nos ſint omnia, atque per viam ſapientiæ
ingreſſi honoribusque aucti tandem obſequentium filiorum
mercedem, hujus \& fururæ vitæ feliciſſima reportetis præmia,
P. P. Giſſæ IV. Nonas Septemb. M. DC. LX. Sub ſigillo Aca-
demiæ majori.
Das XXXV. Capitul/
Angemaſſete Tyranniſche Regierung lauffet nicht wol ab/
wie ſolches an Chriſtiano dem Andern erwieſen wird. Troll wird fuͤr
den Richter gefuͤhret/ da er ſich ſeltzam verantwortet.
SEyer meine Herren/ ſprach der Schweitzer fer-
ner/ alſo ſcharff hat man mit den alten Acade-
miſchen Purſchen auf einmahl durch Daͤmpf-
fung aller ihrer angemaſſeten Authoritaͤt verfahren/
welche gewohnet waren uͤber die ankommende Stu-
denten das abſolutum Dominium zu fuͤhren. Dar-
auß dann zu erkennen/ daß eine Tyranniſche/ eigen-
maͤchtig angemaſſte Gewalt nicht lange zu beſtehen
vermoͤge. Das iſt freylich wahr/ warff Cavina dar-
zwiſchen/ und findet ſolches fuͤrnemlich an Tyranni-
ſchen Potentaten Statt/ wie ſolches vor andern er-
wieſen wird durch das Exempel deß Daͤhniſchen Ne-
ronis, Koͤnigs Chiſtierni II. Dieſer iſt geweſen ein
Sohn Johannis, Koͤnigs in Daͤnnemarck/ und Chri-
ſtinen/
[939]Romans II. Buch.
ſtinen/ Hertzog Ernſten/ Chur-Fuͤrſten zu Sachſen/
Tochter/ gebohren A. 1481. den 2. Julii. Kurtze Zeit
vor ſeiner Geburt hat man ihn in ſeiner Mutter Leib
uͤberlaut hoͤren weinen/ und nachdem er gebohren
worden/ hat er die eine Hand geſchloſſen mit auf die
Welt gebracht/ darinnen die Wehe-Mutter/ als ſie
ſolche eroͤffnet/ anders nichts/ als Blut gefunden/
welches ſein Herꝛ Vatter als ein uͤbel Zeichen gedeu-
tet/ und geſaget: Daß er mit der Zeit ein grauſamer
Vergieſſer deß Menſchen-Bluts werden wuͤrde/ wie
dann auch erfolget.
Jn ſeiner Kindheit iſt er gegen ſeine Koͤnigl. El-
tern und Lehrmeiſter ſehr ungehorſam und unbaͤndig
geweſen/ hat ſeine Luſt gehabt an hohen gefaͤhrlichen
Oertern mit aͤuſſerſter Lebens-Gefahr umher zu klet-
tern/ ſagende: Solche Oerter gebuͤhreten einem
Herꝛn/ niedrige und geringe Leute moͤchten auf nie-
drigen Wegen und Stegen wandeln. Nachdem er
aber erwachſen/ und die Kinder-Schuh außgezogen/
hat er ſich der Geilheit und Leichtfertigkeit gaͤntzlich
ergeben/ iſt deß Nachts auf den Gaſſen als unſinnig
einher geſchwermet/ hat denen Buͤrgern die Thuͤren
mit Gewalt aufgeſchlagen/ und gethan/ was ihm
ſelbſt geluͤſtet. Dannenhero ſind bey ſeinem Herꝛn
Vatter groſſe Klagen wider ihn eingebracht wor-
den/ der ihn auch daruͤber ernſtlich geſtrafft/ aber ohne
alle Frucht/ darum er ihm auch vielmahls im Zorn
alles Ubels auf den Halß gewuͤnſchet/ und als ein
ungerathen Kind/ auß welchem nimmermehr nichts
Gutes werden wurde/ zum aͤuſſerſten verflucht.
Mit der Zeit/ und zwar im Jahr 1514. iſt er
zum Koͤnig in Daͤnnemarck und Norwegen/ im Jahr
1520. aber in Schweden gekroͤnet worden/ und weil
er durch die Heyrath mit Jſabella/ Caroli V. Schwe-
ſter/
[940]Deß Academiſchen
ſter/ mit den fuͤrnehmſten Potentaten in Europa in
Verwandtſchafft und Verbuͤndnuͤß gerathen/ iſt er
ſo hochmuͤthig worden/ daß er gegen Nachbarn und
Unterthanen ſich ſehr Tyranniſch erwieſen/ wie auß
nachfolgenden zu vernehmen: Er hatte eine alte Hex
und Zauberin/ Sigbritta genannt/ an ſich/ deren
Tochter/ die Columbula, er zu ſeiner Beyſchlaͤfferin
gebrauchte/ dieſer alten Vettel hat er die wichtigſten
und heimlichſten Rathſchlaͤge vertrauet/ und ſich von
derſelben gantz regieren laſſen/ alſo/ daß er auf ihr
Angeben ſeine Unterthanen mit unertraͤglichen
Steuren beleget/ und in allen Staͤdten deß Koͤnig-
reichs Galgen laſſen aufbauen/ ſo wol die Schultzen/
als andere/ die in Einbring- und Ablegung der Gel-
der wurden ſaͤumig ſeyn/ daran zu hencken/ durch
welche Pharaoniſche/ ja Neroniſche Unbarmhertzig-
keit/ (als welcher auch zu ſeinen Einnehmern zu ſagen
pflegte: Jhr wiſſet/ was ich brauche/ ſammlet alſo/
daß Niemand nichts behalte/) er ſich bey ſeinen Un-
terthanen einen hefftigen Haß zugezogen/ daß er dar-
uͤber in ein 9. jaͤhriges Exilium, und hernach in eine
27. jaͤhrige Gefaͤngnuͤß gerathen/ auch endlich dar-
uͤber ſein Leben enden muͤſſen.
Er hat einſten ſeines Vattern Bruder/ Hertzog
Friderichen von Hollſtein nach Colding gar freund-
lich beſchieden/ aber ihm einen Galgen fuͤr ſeine Her-
berge aufrichten laſſen/ daß der fromme Herꝛ bey
Nacht mit Gefahr entrinnen muͤſſen. Als er bey
ſeiner Kroͤnung zu Stockholm die fuͤrnehmſten
Staͤnde deß Koͤnigreichs Schweden/ nach gehalte-
nem koſtbaren Banquet hinrichten laſſen/ waren dar-
unter 2. Biſchoͤffe/ auf die 70. Ritter/ viel von Adel/
3. Buͤrgermeiſter/ und alle Raths-Perſonen/ auch
viel Buͤrger der Stadt Stockholm. Die Coͤrper
hat
[941]Romans II. Buch.
hat er gantz nackend außziehen/ und auf 3. Hauffen/
die Geiſtliche auf einen/ die Ritter und Adeliche auf
den andern/ den Rath und Buͤrger auf den dritten
werffen/ und etliche Tageligen laſſen/ das Blut/ weil
Regen-Wetter eingefallen/ iſt durch die Gaſſen und
Rinnen herum gefloſſen. Deß vorigen Gubernatoris
Steno Freunde und Diener muſten auch daran. Als
dieſe umgebracht worden/ war ſchroͤcklich zu ſehen/
daß man 2. unſchuldige Knaben von 6. und 9. Jah-
ren bey den Haaren aufgehenckt/ und alſo gekoͤpfft
hat. Viel Wittwen und Waͤyſen hat er beraubet/
und ſo gar der Verſtorbenen nicht verſchonet. Auch
hat dieſer Tyranniſche Koͤnig 7. Prediger-Muͤnche/
ſamt ihrem Abt/ nur daß ſie einſt den Gubernator be-
herberget/ ertraͤncken laſſen. Solcher Grauſamkei-
ten hat er unzaͤhlich viel veruͤbet/ biß die Daͤhnen ſel-
bige nicht mehr ertragen koͤnnen/ und ſeinen Vetter/
den Hertzog von Hollſtein/ zum Koͤnig begehret/ wel-
ches/ als es Koͤnig Chriſtiern gemercket/ hat er ſich im
Jahr 1523. mit ſeiner Gemahlin und 5. Kindern zu
Schiff geſetzet/ und fluͤchtig in Holland begeben/ wo-
ſelbſt er im Exilio gelebet/ biß er A. 1532. ſich mit Ge-
walt wieder ins Reich dringen wolte/ da ward er ge-
fangen und nach Sonderburg gebracht/ allwo er ne-
benſt einem Zwerg gantz allein in einer ſehr engen
Gefaͤngnuͤß 16. Jahr und 7. Monat eingeſperret ge-
halten worden. Hierauf hat man ihn nach Callen-
burg in Seeland verſetzet/ allwo er auch 10. Jahr/
wiewol etwas freyer/ zubringen muͤſſen. Der Kum-
mer gienge ihm dermaſſen zu Hertzen/ daß er unter-
weilen ſeine geſunde Vernunfft verlohren/ biß er end-
lich im 78. Jahr ſeines Alters geſtorben/ in dieſem
allein gluͤckſeelig/ daß er in ſo langwieriger Gefaͤng-
nuͤß Zeit gnug hatte/ ſein Gottloß-gefuͤhrtes Leben zu
beden-
[942]Deß Academiſchen
bedencken/ und GOtt die Suͤnden ſeiner Jugend ab-
zubitten. Wol ihm/ wann er ſolches auch gethan/
und ſich mit Manaſſe zu ſeinem GOTT bußfertig
gekehret.
Was die Vorbedeutung ſeiner Grauſamkeit
belanget/ daß er nemlich mit Blut gefuͤlleten Haͤn-
den geboren worden/ ſo finden wir in andern Hiſto-
rien dergleichen Exempel. Von Erico, Koͤnigs Guſtavi
in Schweden Sohn/ ſchreibet eben dieſes Scheferus
Memor. Gent. Suet. cap. III. v. 3. und meldet darne-
ben/ daß die Muthmaſſung/ ſo man damahls von
dieſem Kind gehabt/ mit der Zeit durch ſeine ſchreck-
liche Tyranney ſey erfuͤllet worden. Dieſes Zeichen
hat auch mit auf die Welt gebracht Sefi, Koͤnig in
Perſien/ als ſolches ſein Groß-Vatter/ Schach Abas,
vernommen/ hat er geſagt: Dieſer wird ſeine Haͤnde
in vielem Blut baden/ wie auch geſchehen. Als er zur
Regierung kommen/ war er ſo Tyranniſch/ daß er deß
Henckers Amt ſelbſten verrichtete/ (deteſtabile car-
nificis miniſterium occupavit Rex, wie Curtius libr.
VIII. §. 2. von dem Alexandro redet/ als er den Cly-
tum erſtochen/) und die/ ſo er todt haben wolte/ mit
eigener Hand niederſaͤbelte. Da er dann/ wann er
ſolch Blutvergieſſen in Sinn genommen/ gemei-
niglich ein roth Kleid angezogen/ wie Olearius in der
Perſ. R. B. V. B. cap. 32. Bl. 654. 662. berichtet.
Wir ſehen aber an dieſem Chriſtierno zweyerley/
eins/ daß der Tyrannen Regiment kurtz ſey/ und nicht
lange waͤhre/ wie Seneca ſagt/ libr. I. de Clem. Reges
conſeneſcunt ac nepotibus tradunt regna: Tyranno-
rum brevis \& execrabilis poteſtas eſt: Die Koͤnige
werden alt/ und verſetzen ihre Reiche auf ihre Kinder/
aber die Gewalt der Tyrannen iſt kurtz/ und verflucht.
Sie ſind gleich einem ſtarcken Hagel/ oder Donner-
Wetter/
[943]Romans II. Buch.
Wetter/ welches zwar jaͤhling groſſen Schaden thut/
jeooch nicht leichtlich uͤber etliche Stunden dauret.
Der Gottloſe iſt wie ein Wetter/ das uͤberhingehet/
und nicht mehr iſt. Spruͤch-W. X, 25. conf. Prov.
XIV, 11. Pſ. 37, 9. Camer. Cent. II. Embl. 51. Cent. 4.
Embl. 24. Dann iſt auch zu beobachten/ daß die Ty-
ranniſche Regenten ein uͤbel-riechend Gedaͤchtnuͤß
nach ſich laſſen/ welches Plinius in Paneg. Troj. erin-
nert/ wann er ſagt: Principum funeſtorum manes \&
poſterorum execrationibus nunquam conquieſcunt.
Und wie Sidonius Apollinaris libr. 5. Ep. 8. pag. 110.
ſchreibet: Improborum probra æque ac præconia bo-
norum immortalia manent: Der Boͤſen Schande
iſt ſo wol/ als das Lob der Frommen unſterblich.
Unter dieſem Diſcurs kamen ſie mit einander zu
der Stadt Baſel/ allwo der Fuhrmañ im Thor alſo-
bald forſchete/ ob nicht ein junger ſchwartzer Menſch
in rothen Hoſen und einem ſchwartzen Rock mit ei-
nem braunen Roß kuͤrtzlich herein geritten waͤre?
Die Wacht ertheilete ihm guten Beſcheid/ daß nem-
lich dieſer Menſch vor einer Viertel-Stunde erſt ein-
gezogen waͤre/ und wuͤrde man ihn in der Stadt
leichtlich außforſchen koͤnnen. Sie fuhren alſo mit
einander in die Stadt zu einer bequemen Herberge/
und ſo bald die Geſellſchafft ins Haußgetretten/ der
Fuhrmann auch die Pferde in den Stall gezogen
hatte/ gieng er auß/ nach einem andern Wirthshauß/
das ihm bekandt ward/ da fand er den Troll im Hof
ſtehen der bey nahe alle ſeine Kleider außgezogen hat-
te/ und bey einem Ziehe-Brunnen/ ſeinen vom Pferd-
Koth verunſauberten Buſen abwiſchete. Dieſer er-
ſchrack von Hertzen/ als er den Fuhrmann alſo un-
verſehens herzu tretten ſahe retirirte ſich demnach zu
ſeinem Silber-Pferd in den Stall/ und verriegelte
denſelben
[944]Deß Academiſchen
denſelben inwendig. Der Fuhrmann klopffete/ was er
kunte; Aber Troll ſagte: Jch waͤre wol ein Narꝛ/
wann ich den herein lieſſe/ der mir mein Pferd wieder
abnehmen wil. Alſo nahm der Fuhrmann deß Trollen
ſchwartzen Rock/ den er im Hof beym Brunnen hatte
ligen laſſen/ und verfuͤgete ſich darmit gerades We-
ges nach dem Stadt-Richter/ bey welchem er ſeine
Sache fuͤrbrachte/ und bathe/ den Trollen herbringen
zu laſſen/ daß er ſein Pferd ungeſaͤumet wieder be-
kommen moͤchte. Der Richter ſchickte etliche ſeiner
Hauß-Diener ab/ und als dieſelben mit ihrem Ge-
woͤhr vor den Stall kamen/ da lieff Troll auf den
Boden/ und fragte/ was ſie haben wolten? Jene
rieffen/ er ſolle nur herunter zu ihnen kommen/ dann
ſie ihm etwas zu ſagen haͤtten/ welches ihn angienge.
Troll antwortete: Ja/ wann ihr mir etwas zu ſagen
haͤttet/ das mich nicht angienge/ ſo wolte ich bald bey
euch ſeyn; Aber ich kan nun leicht gedencken/ was es
bedeutet. Die Diener ſprachen: Jhr muͤſſet zum
Richter mit uns gehen. Er dargegen: Jch habe euren
Richter mein Lebtage nicht geſehen/ kenne ihn auch
nicht/ habe alſo nichts mit ihm zu ſchaffen/ darum ge-
het nur wieder eures Weges fort. Wir wollen aber
nicht/ replicirten die Stadt-Diener/ und wir duͤrffen
auch nicht wiederkommen/ wann wir euch nicht mit-
bringen. Troll lachete jetzund/ und ſprach: Wollet ihr
mich mitnehmen/ ſo faſſet dieſes Gebaͤu bey den vier
Eck-Poſten/ und traget es mit mir hinweg; Oder/
wann ihr das nicht wollet/ noch koͤnnet/ ſo ſtehet ſo
lange Schild-Wache/ biß es mir gelegen kommt/ zu
euch herunter zu kommen. Durch dieſe Reden wur-
den die abgeordneten Diener ziemlich in Harniſch
gejaget/ daß ſie Stangen nahmen/ und ſich bemuͤhe-
ten/ die Thuͤre aufzurennen. Der luſtige Knecht dro-
ben
[945]Romans II. Buch.
ben ſprach jetzo: Wollet ihr Gewalt brauchen/ ſo muß
ich mit Gewalt ſteuren/ vim vi repellere licet. Brach
zugleich etliche Dachſteine loß/ ſchlug ſie an Stuͤcken/
und warff ſelbige auf die Beſtuͤrmer; Aber dieſe lieſ-
ſen ſich ſolches im Geringſten nicht anfechten/ ſondern
arbeiteten immer fort/ biß ſie endlich die Thuͤre eroͤff-
neten/ da ſie dann mit hellem Hauffen hinauf lieffen/
und den guten Urian mit Gewalt herunter ſchleppe-
ten. Als demnach Troll ſahe/ daß er uͤbermannet/ ſchi-
ckete er ſich in die Zeit/ rieff aber dem Gaſtgeber zu/ er
moͤge ſeines eingefuͤhrten Pferdes wol wahrnehmen/
und deſſen abgeworffenen Koth wol aufheben/ wel-
ches dieſer fuͤr einen Affront aufnahm/ und den guten
Kerl mit einem Pruͤgel abgelohnet haͤtte/ wann er
nicht mit deß Burgermeiſters Garde waͤre verſehen
geweſen. Sie giengen alſo mit einander fort/ und als
ſie zum Richter kamen/ erblickte Troll den Fuhrmann
mit ſeinem Rock daſelbſt/ welchen er demſelben alſo-
bald auß den Haͤnden riſſe/ und ihn anlegete. Der
Fuhrmann wolte ſich mit Gewalt nicht lang wider-
ſetzen/ ſondern ließ es geſchehen/ und brachte darauf
ſeine Klage folgender Geſtalt in Gegenwart deß
Trollen fuͤr: Hochweiſer Herꝛ Richter/ dieſer ehrliche
Vogel hat mir dieſe naͤchſt-verwichene Nacht ein
Pferd entfuͤhret/ in Meynung/ damit durch zu gehen/
ich habe ihn allhier angetroffen/ bitte alſo/ daß man
mir wieder zu meinem Pferd helffe/ und den Dieb
gebuͤhrlich abſtraffe/ wie er ſolches hat verdienet.
Hiermit ſchwieg er ſtill/ und der Richter ſahe den Ge-
fangenen an/ um zu vernehmen/ was dieſer darauf
antworten wuͤrde. Troll ließ ſich demnach folgender
Geſtalt herauß: Herꝛ Richter/ was habt ihr mit mir
zu ſchaffen/ daß ihr mir ſolche Menſchenſchlepper
nachſendet/ die ſich unterſtehen/ mich fremden Mann
O o oauß
[946]Deß Academiſchen
auß einer freyen Herberge zu holen? Was dieſer loſe
Fuhrmann wieder mich angebracht/ ſtehet auf ſchwa-
chen Fuͤſſen: Er ſagt/ ich ſey ehrlich/ wie kan er mich
dann eines Diebſtahls beſchuldigen? Er nennet mich
einen Vogel/ da ich doch keine Federn habe/ und waͤre
ich ein Vogel/ ſo haͤtte ich mich ſo leicht nicht greiffen
laſſen/ das ſind ja ungereimte Dinge. Der Mann iſt
aberwitzig/ und nicht recht bey Verſtand/ was ſein
Pferd anlanget/ habe ich ihm ſolches nicht geſtohlen/
ſondern ein wenig an die Seite gefuͤhret/ biß ich das
Geld/ ſo mir der Fuhrmann geſtohlen/ und dem
Roß einzuſchlucken gegeben/ wieder aufgeſam̃let ha-
be/ wie ich dann ſchon etliche Pfenninge darvon in ſei-
nem Außwurff gefunden habe. Darum laſſet mich
loß/ und ſtraffet vielmehr meinen Anklaͤger/ als einen/
der mir mein Geld geſtohlen/ und ſeinem Pferd ein-
zufreſſen gegeben hat. Der Richter ſtund beſtuͤrtzet/
und wuſte ſich in dieſen ſeltzamen Kumpen nicht zu
richten; Als aber der Fuhrmann auf ſeiner Rede be-
ſtund/ die Diener auch klageten/ daß er ſich ihnen mit
Steinwerffen widerſetzet/ da befahl der Richter/ daß
man den Gefangenen nach dem Stockhauß fuͤhren/
und dem Fuhrmann das Pferd alſobald wieder zu-
ſtellen ſolte. Ob nun gleich der Fuhrmann mit die-
ſem Außſpruch wol zufrieden/ ſo kunte ſich doch Troll
keines Weges darein finden/ welcher uͤber Gewalt
und Unrecht ſchryhe. Aber es wolte nichts helffen/ die
Gerichts-Diener nahmen ihn beym Arm/ und mar-
chirten mit ihm fort. Als ſie nun auf die Straſſe ka-
men/ da wurden ſie vom Cavina und ſeiner Geſell-
ſchafft auß dem Fenſter erblicket/ welcher/ ſamt den
andern/ alſobald herauß kamen/ und als ihnen Troll
ſeine Noth geklaget/ erſuchte Cavina die Gerichts-
Diener/ mit dem Gefangenen wieder nach dem Rich-
ter
[947]Romans II. Buch.
ter zu kehren/ welchen er eines andern zu berichten
haͤtte; Dieſe wolten zwar nicht gern daran/ als ih-
nen aber Cavina ein Stuͤck Goldes in die Hand ſte-
ckete/ folgeten ſie ihm willig zuruͤck. Wie ſie vor den
Richter kamen/ ſprach Cavina: Mein Herꝛ/ dieſer
Gefangene iſt kein Dieb/ ſondern das Pferd/ ſo er
entfuͤhret/ hat etwas von ſeinem Geld in Leib bekom-
men/ welches ihm der Fuhrmann nicht laſſen wil/
darum iſt er dieſe Nacht mit dem Roß darvon gerit-
ten/ das Seinige wieder von ihm zu erhalten. Waͤre
er geſinnet geweſen/ das Roß dem Eigenthumer zu
entwenden/ ſo waͤre er darmit nicht hieher gekom̃en/
dann er wuſte ja wol/ daß deß Fuhrmanns Weg auch
hieher gerichtet war. Der Richter aber wolte ſich
hieran nicht kehren/ ſondern beſchwerete ſich/ daß
Troll mit Steinen nach den Gerichts-Dienern ge-
worffen/ und ihm alſo ſeine Jurisdiction verachtet
haͤtte. Worauf Cavina ſprach: Wann ich/ mein
Herꝛ/ die Warheit ſagen ſoll/ ſo hat dieſer Angeklage-
te nicht Urſach/ ſich eurer Jurisdiction zu unterwerf-
fen/ ſondern dieſer Streit gehoͤret vor den Rectorem
hieſiger Univerſitaͤt/ weil er iſt ein Diener eines fuͤr-
nehmen Jtaliaͤners/ der den Studiis allhier obligen
wil/ und der auf dem Weg durch einen Unfall von
uns iſt abgetrennet worden. Als der Richter dieſes
hoͤrete/ der gelehrte Schweitzer auch/ ſamt dem
Schwaͤbiſchen Edelmann/ deß Cavina Worte be-
kraͤfftigten/ da ſprach er den Troll in ſo weit frey/ je-
doch mit dem Beding/ daß er ſtehenden Fuſſes/ zu-
ſamt dem Fuhrmann/ nach dem Rectore Magnifico
gieng/ und auf ſeine Anklage ſich vor demſelben ver-
antworten moͤchte. Womit die gantze Geſellſchafft/
außgenommen der Fuhrmann/ ſehr wol zufrieden
war/ und nachdem ſie dem Richter ein Compliment
O o o 2gemacht/
[948]Deß Academiſchen
gemacht/ ſchieden ſie von ihm/ lieſſen ſich bey dem
Magnifico anmelden/ und kamen bald vor denſelben.
Hier repetirte der Fuhrmann ſeine vorige Klage/ und
nachdem Troll darauf geantwortet hatte/ verwun-
derte ſich der Rector, daß das angegebene Roß einige
Geld-Muͤntze von ſich geben koͤnte/ ſandte demnach
hin/ und ließ es Augenblicklich in ſeinen Hof bringen.
Troll ſprach jetzo: Mein Herꝛ Rector, verziehet nur
ein wenig/ ihr ſollet bald etwas Silber-glaͤntzendes
von dem Pferd abgehen ſehen/ welches mir zukom̃et/
dann es hat annoch die und die Muͤntz-Stuͤcke im
Leib. Er bezeichnete auch dieſe Sorten umſtaͤndlich/
daß der Magnificus wol ſahe/ daß Troll nicht Unrecht
hatte/ ſein Geld wieder zu begehren.
Das XXXVI. Capitul/
Troll findet ſeine lederne Hoſen wieder. Exempel ſeltzamer
Freſſer/ und wunderlicher Magen.
DA ſie nun ein wenig neben dem Pferd geſtan-
den/ erblickete Troll etwas unter dem Roß-
ſchweiff/ welches gewaltig ſchimmerte/ er zei-
gete ſolches dem Herꝛn Magnifico, und ſprach: Was
gilt es/ da wird bald ein halber Batzen folgen? Wie
aber das Silber-Stuͤck gar nicht herab fallen wolte/
tratt Troll naͤher hinzu/ und ſahe/ daß es kein Geld/
ſondern ein ſpitzer Stefft war. Dem Fuhrmann war
dieſes ein gewuͤnſchtes Freſſen/ welcher jetzo zum
Rector ſagte: Da ſiehet der Herꝛ nun/ daß das Je-
nige/ was mein Pferd von ſich gibt/ nicht lauter Geld
iſt/ und demnach/ was daher kom̃t/ nicht alles mit ein-
ander dem Trollen zugehoͤret. Dieſer hingegen/ als
er das Geſehene etwas genauer betrachtet/ rieff uͤber-
laut: O ho! gewonnen Spiel/ hier ſehe ich meinen
mit Silber-beſchlagenen Neſtel/ damit ich meine
Hoſen zuzuneſteln pflegete/ und den mir die Wittibe
deß
[949]Romans II. Buch.
deß verſtorbenen Kuͤſters zu Stachelfeld noch vereh-
ret hat. Hiermit ergriff er den Neſtel/ und wolte ihn
herauß ziehen/ aber er wolte ſo bald nicht folgen/ dan-
nenhero ſprach er zum Fuhrmann: Du boͤſer Bube/
haſt du dem armen Thier den Neſtel in Leib gezau-
bert/ ſo ſchaffe auch/ daß er wieder herauß gehe/ dann
wann er/ wie es ſchier das Anſehen hat/ inwendig an
das Eingewaͤyde gewachſen iſt/ ſo ziehe ich dem Roß
Leber und Lunge/ ſamt allen Daͤrmen herauß/ damit
ich nur meinen Neſtel wieder in meine Gewalt be-
komme/ welchen ich nicht um 4. Batzen miſſen wolte.
Der Fuhrmann fluchete/ und ſchalt/ daß man ihn ei-
nen Zauberer zu nennen ſich erkuͤhnete/ aber je mehr
er alſo thurnirte/ je begieriger Troll nach ſeinem ſil-
bernen Neſtel ward/ dannenhero zog er mit aller Ge-
walt/ und brachte zuſamt dem Neſtel ein groſſes
Stuͤck unbekandten Zeuges auß dem Leibe deß Roſ-
ſes herfuͤr/ deſſen Jedermann erſchrack/ fuͤrnemlich
der Fuhrmann/ welcher jetzo meynete/ Troll riſſe dem
Pferd den gantzen Magen und alles auß dem Leibe
herauß.
Aber Troll erblickete darbey etwas Weiſſes/ und
wie er ſolches à part erhaſchete/ zog er ſein Schnupff-
Tuͤchlein herauß/ und ward alſo gewahr/ daß dieſes
groſſe Werck ſeine lederne Hoſen ſeyen/ welche das
Pferd/ neben welchem ſie gehangen/ jenes mahls in
der Nacht erwiſchet/ und nach und nach hinunter ge-
ſchlucket haͤtte. Sie waren ſehr zerbiſſen/ und gantz
zerloͤchert/ und daß ſolches ſeine rechte Hoſen waren/
bekraͤfftigte der Augenſchein/ fuͤrnemlich etliche an-
noch in den Taſchen vorhandene Sachen; Alſo ſahe
man nun/ wo das Geld herkommen war/ auch/ daß
der Fuhrmann von Trollen mit Unrecht beſchuldiget
worden/ als haͤtte ihm Jener das Geld geſtohlen/ und
O o o 3ſeinem
[950]Deß Academiſchen
ſeinem Pferd einzuſchlucken gegeben. Darauf ward
ein Urtheil von dem Rectore geſprochen/ daß dem
Fuhrmann ſein Pferd forderſamſt ohne weitere Præ-
tenſion ſolte eingehaͤndiget/ auch die Schelt-Worte
und Uneinigkeiten alſobald unter einander vertra-
gen/ und reſpectivè compenſiret oder gegen einander
aufgehoben werden/ dann Troll hatte ſein Geld ſchier
alles mit einander wieder bekommen/ und was er in
dem Pferd Koth nicht gefunden/ das fand er nun-
mehro in ſeinen zerſchliſſenen ledernen Hoſen. Hier-
mit ſchieden ſie allerſeits voll Wunderns und wol
vergnuͤget von dem Herꝛn Magnifico, und nachdem
der Fuhrmann ſein Pferd und Fuhriohn bekommen/
fuhr er ſeines Weges wieder darvon. Uber der Mahl-
zeit diſcurrirten ſie uͤber dieſe Seltzamkeit deß Roſ-
ſes/ welches ein paar lederne Hoſen eingeſchlucket
hatte/ daruͤber ſich dann die gantze Geſellſchafft/ als
die ſolches nicht begreiffen kunte/ zum hoͤchſten ver-
wunderte/ indem ihm ein Jeder einbildete/ das Pferd
haͤtte an ſolchem ungewoͤhnlichen Futter und groſſen
Magen-Laſt nothwendig erſticken muͤſſen; Aber der
gelehrte Schweitzer ließ ſich dargegen vernehmen/
daß der Magen eines Menſchen oder Thiers gar ein
ſtarckes Glied deß Leibes/ der offt gantz ungewoͤhn-
liche Dinge/ wo nicht verdauen/ dannoch auf
etliche Tage/ ja Wochen/ beherbergen koͤnte.
ES meldet/ ſprach er/ Cardanus libr. 8. von der Verſchieden-
helt der Dinge/ cap. 40. er habe einen Menſchen gekannt/ der
fuͤr etliche Pfenninge groſſe Stuͤcker Glaß/ eyſerne Naͤgel/ und
viel andere Dinge/ eingeſchlucket/ und wann der Bauch wol dar-
mit angefuͤllet war/ durch den Mund ein Stuͤck nach dem an-
dern wieder von ſich gegeben hat. Zu Ferrara hat ſich ein Mann
ſehen laſſen/ welcher Stuͤcke Leder/ irdene Toͤpffe/ und zerbrochene
Glaͤſer eingeſchlungen/ dahero man ihn den Strauß nennete.
Amatus Portugais 2. Cent. 69. Noch ſeltzamer ſcheinet es zu
ſeyn/
[951]Romans II. Buch.
ſeyn/ was erinelter Cardanus l. c. erzehlet von einem Teutſchen
Capitain, den er im Frantzoͤfiſ. Lager geſehen; Dieſer hat unter
dem Weintrincken die Kehle nicht geruͤhret/ welches ich auch
wol ſagen moͤchte von dem jenigen Waſſerſchlucker/ welcher
ſich vor etwa 8. Jahren ſehen ließ/ dann er nahm ein ziemlich
Glaß voll Waſſer/ und goß es in den Halß/ und ich habe ihn nie-
mahlen darbey ſchlucken ſehen. Wann er 20. oder 30. ſolcher
Glaͤſer mit Waſſer in ſeinen Magen/ als in einen Keſſel geſchuͤt-
tet/ dann brachte er daſſelbe auf allerhand Weiſe und mit groſ-
ſer Verwunderung wieder hervor. Er ſetzete-wol 20. und mehr
Glaͤſer auf den Tiſch/ ſpruͤtzete das Waſſer auß dem Magen
durch den Mund in dieſelbe/ und brachte doch zuwegen/ daß je-
des Waſſer einen beſondern Geſchmack und Geruch bekam. Er
ſpruͤtzete rothen/ bleichen/ gelben und klaren Wein/ ja Dinte und
Brandtewein auß dem Leibe/ in welchen er doch nichts als Waſ-
ſer gegoſſen hatte; Gantze Schuͤſſeln voll gruͤnen Sallats ſpeye-
te er an ſtatt deß eingeſchluckten Waſſers auß/ wie nicht weniger
20. 30. oder 40. ſchoͤne Naͤgetein Blumen.
Als einsmahls zu Venedig ein Spanier mit einer nicht gar
zu ehrlichen/ doch anſehnlichen Damen/ um ein Nacht-Lager ac-
cordirte/ und ihm dieſelbe darfuͤr 50. guͤldene Kronen abforder-
te/ da gieng er von Stund an hinauß/ nachdem er ihr verſpro-
chen wieder zu kommen/ und derſelben die begehrte Summa zu
zehlen/ ehe er zu ihr nahete. Die halb-ehrliche Dame gehet im-
mittelſt zu einem Venetianiſchen Edelmann/ der von langer Zeit
her/ ohnerachtet er verheurathet/ ihr Courtiſan geweſen/ und er-
ſuchete denſelben um ſeiner Liebſten ihren Halßſchmuck/ damit
ſie ſich dem Spanier deſto annehmlicher machen moͤchte. Als
aber der Courtiſan, oder Spanier/ dieſes Schmucks an ſeiner
Beyſchlaͤfferin deß folgenden Morgens im Bette gewahr wur-
de/ da loͤſete er ihr/ weil ſie veſt ſchlieff/ denſelben ab/ und ſchlu-
ckete ihn fein ſauber in ſeinen Magen hinein/ daß man in ſeinen
Kleidern nichts darvon finden kunte. Er ließ die gute Dame
ſich mit dem Edelmann uͤber dieſen Zierrath wacker zancken/
gieng ſeines Weges/ und lachete der Venetianer Thorheit in die
Fauſt. Es iſt dieſer Halß Zierrath geweſen eine Reige von
40. ſchoͤnen Perlen/ mit einem anhangenden guͤldenen Crucifix,
welches mit 5. Edelgeſteinen verſetzet war/ welches alles der
Spanier/ zuſamt der Schnur/ woran es veſt geweſen/ einge-
ſchlucket hatte. A. Veſalius l. 5. Anatom. c. 3.
Der Herꝛ von Rohan hatte einen Hof-Narren/ Namens
O o o 4Goyon,
[952]Deß Academiſchen
Goyon, welcher die Spitze von einem ſcharffen Schwerdt ein-
ſchluckte/ und 12. Tage hernach wieder durch den Stuhlgang
von ſich gab/ und war dieſe Spitze 3. Finger lang. Ambr. Pa-
ræus libr. 24. c. 16 Dieſer erzehlet noch eine ſeltzame Geſchichte/
nemlich Francois Guillemet, Wund-Artzt zu Sammires, ein
Staͤdtlein vier Meilen von Montpellier, hat einsmahls einen
Schaͤfer curiret/ welchen einige umſchwermende Frey-Beuter
gezwungen hatten/ ein Meſſer eines halben Fuſſes lang einzu-
ſchlucken/ mit einem Stiel von Horn/ eines Daumens dick/ wel-
ches Meſſer der gute Schaf-Hirt gantzer 6. Monat in ſeinem
Magen hat ſchleppen muͤſſen. Er klagete ſehr uͤber den Schmer-
tzen/ ſo er derowegen empfande/ vergieng auch ſehr/ und ward
gewaltig mager. Endlich ſetzete ſich nicht weit von ſeinem Ge-
maͤchte eine groſſe Geſchwulft/ auß welcher nicht allein viel ſtin-
ckende Materie gefallen/ ſondern ermelter Chirurgus hat auch/ in
Gegenwart der Officirer von der Juſtitz/ auß dieſem Geſchwaͤr
das Meſſer gezogen/ welches M. Jouberr, veruͤhmter Medicus zu
Montpellier, als etwas ſonderbares/ aufgehoben und verwah-
ret hat.
Vor einigen Jahren lebete allhier zu Vaſel in St. Albani
Vorſtadt ein Mann/ Rudolff Duͤrꝛ genannt/ von ziemlichen
Mitteln/ Melancholiſchen Temperaments/ mager von Leib/
doch bey ſtarcken Kraͤfften/ von etwa 56. Jahren/ dieſer pflegete/
ohne einige Beſchwerlichkeit/ Holtz/ Leder/ Eyſen/ Stahl/ ja eins-
mahls/ und zwar ein Jahr vor ſeinem Ende/ 50. Huf-Naͤgel
einzufreſſen. Es war ihm eine geringe Muͤhe/ ſondern vielmehr
eine Luſt/ wann er Meſſer/ Knochen/ Kieſelſteine/ allerhand Un-
gezieffer/ Eydexen/ Kroͤten/ Schlangen/ Spinnen/ und was ihm
von dergleichen gifftigen Thieren zur Hand kam/ in den Magen
jagete/ was zu kauen ſtunde/ zermalmete er zuvor mit ſeinen
Zaͤhnen/ das uͤbrige gienge bey groſſen Stuͤcken durch den
Schlund hinunter. Hiermit hat er viel Geld verdienet/ und
die Seinigen ernaͤhret. A. 1669. im Außgang deß Novembr.
warder kranck/ und empfand im Leib groſſe Schmertzen. Vier
Wochen hernach ward ein Medicus derſelben Stadt zu ihm ge-
fodert/ da er viel Blut ſpeyete/ dann er hatte nicht lange zuvor
ein Meſſer eingeſchlucket/ und dardurch den Schlund verwun-
det. Endlich iſt er am 3. Jan. A. 1670. in groſſen Schmertzen
gefforben. Und dieweiler die Medicos bey ſeinem Leben erſuchet/
ſie moͤchten/ wann er mit Tod abgienge/ ſeinen Leib oͤffnen/ ſo iſt
ſolches von der Wittiben zu gelaſſen worden/ und hat D. Henrich
Glaſer/
[953]Romans II. Buch.
Glaſer/ Anar. \& Botan. Profeſſ p die Oeffnung gethan in Ge-
genwart etlicher vornehmen Maͤnner. Da hat man in dem Ge-
daͤrm annoch ein gantz unverſehrtes Meſſer gefunden. Beſſer
hinunter/ nahe bey dem Außwurff/ lag noch ein ander Meſſer/
welches eine lange ſcharffe Spitze hatte/ und hat D. Plater das
eine/ als etwas beſonders/ in ſeinem Cabinet verwahrlich auf-
gehoben. Cur. Miſcell. Germ. Ann. 3. Obſ. 178. \& 179. pag. 333.
Aber von dem Preußniſchen Meſſerſchlucker hat man noch
mehr zu hoͤren. Dann es liget ohngefaͤhr 7. Meilen von Koͤnigs-
berg das Dorff Gruͤnewald/ daſelbſt befand ſich ein junger
Knecht von 22. Jahren/ Namens Andreas Groenheyde/ unter
der Jurisdiction eines Edelmanns/ benantlich Georg von Gro-
then/ welcher/ als er A. 1635. am 29. Maͤy dem Gottesdienſt
beyzuwohnen nach der Kirchen gehen wolte/ von einem Magen-
Wehe angegriffen ward/ und ein Aufwalgen der Speiſen em-
pfand; Damit er ſich nun durch das Erbrechen darvon entle-
digen moͤchte/ nahm er ſein gewoͤhnliches Tiſch-Meſſer/ und
ſteckte daſſelbe bey dem Hefft in den Halß/ weil er aber etwas
unvorſichtig mit dieſer Application umgieng/ ſo ward das Meſ-
ſer vom Schlund ergriffen/ und in einem Augenblick in den Leib
geworffen. Man bemuͤhete ſich zwar gantzer 2. Tage aufs aͤuſ-
ſerſte/ daſſelbe wieder auß dem Halß zu bekommen/ man ſtellete
ihn auf den Kopff/ man goſſe ihm Bier in den Halß/ aber daſſel-
be fuͤhrete das Meſſer vollends in den Magen/ und darauf fuͤh-
lete der Patient keine ſonderliche Schmertzen mehr/ ſo/ daß er wie-
der an ſeine gewoͤhnliche Arbeit gieng. Solcher Geſtalt gieng
er etliche Wochen/ biß ihm ſein Herꝛ erlaubte und riethe/ daß er
am 20. folgenden Monats Junii ſich nach Koͤnigsberg begab/
und mit den Medicis conſulirte/ welche am 23. dito dieſen Zu-
fall vor beylbahr erklaͤreten/ und ſich reſolvirten/ die Cur nach
den Hunds-Tagen anzufangen. Am 29. Junii gaben ſie ihm
einen Loͤffel-voll Baum- und Johannes-Kraut-Oel in einer
warmen Suppen ein/ um die Schmertzen zu ſtillen/ welche biß-
hero wieder zugenommen hatten/ darauf begunte er am folgen-
den Tage das Meſſer zu fuͤhlen/ und thaͤte ihm die lincke Seiten
wehe/ da er ſonſten den Schmertzen in der rechten Seiten em-
pfunden hatte. Alſo haben ihm die Medici hernach ein Magne-
tiſches Pflaſter auf den Magen geleget/ und ſind endlich am
9. Julii, nachdem ſie dem Patienten einen Balſam-Tranck und
eine Confortantz auß Carbunckeln- und Roſen-Waſſer einge-
geben/ zum Werck ſelher geſchritten.
O o o 5Daniel
[954]Deß Academiſchen
Daniel Suabius, der Koͤnigl. Pohlniſche Lithotomus und
Bruchſchneider/ thaͤte an der lincken Seiten einen Schnitt in
das Haͤutlein deß Eingewaͤyds/ Peritonæum genannt/ bey
4. Zoll lang/ und zwar an dem Ort/ wo man eine kleine Ge-
ſchwulft gemercket/ bey welcher der Patient alle Morgen einigen
Schmertzen empfunden. Hierauf gieng der Chirurgus weiter
zu Werck/ und nachdem er den Magen aufgeſuchet/ ſchnitte er
mit einer Scheer ein Loch darein/ und ſuchte nach dem Meſſer.
Wie er daſſelbe gefunden/ da loͤſet er das Haͤutlein deß Magens/
gerade uͤber der Spitze deß Meſſers/ mit einem Scheer-Meſſer
gar ſanffte/ faſſete den toͤdtlichen Splitter mit einem ſubtilen
Zaͤnglein/ und zohe alſo das Meſſer/ welches ſchon gantzer
45. Taͤge und Naͤchte im Magen gelegen/ auch ſeine Farbe und
Geſtalt nicht anders/ als waͤre es im Feuer geweſen/ geaͤndert
hatte/ mit einigem Klang oder Geraͤuſch herauß/ wiewol ſo
gluͤcklich/ daß ſich die Wunde bald wieder geſchloſſen. Der
Patient ward nunmehr zu Bette gebracht/ die Wunde abge-
waſchen/ und mit 5. Haͤfften geſchloſſen/ da dann die Vorſichtig-
keit deß Wund-Artztes keines Weges vergeſſen/ einen guten Bal-
ſam und andere kraͤfftig heilende Saͤffte zwiſchen die Haͤffte
hinein zu gieſſen/ und iſt alſo der ungluͤckliche Meſſerſchlucker
von ſeiner Wunden und gefaͤhrlichen Zufall nach wenig Tagen
voͤllig wieder geneſen.
Von denen mit geſegnetem Leib gehenden Weibern haben wir
viel Exempel eines unnatuͤrlichen Appetits/ denen iſt Kreiden/
Kohlen/ Sand/ roh Fleiſch/ Glaß/ Steine/ Holz/ lebendige Thiere/
Wagenſchmeer/ ꝛc. offtmablen gar ein angenehmes Lecker-Biß-
lein/ und das alles ohne eintzigen Schaden. Zu Leipzig hat noch
neulich eine Frau gelebet/ welche zur Zeit ihrer Weiblichen Buͤrde
jedes mahl bey der Mahlzeit einen Teller-voll rohe Waͤitzen-
Koͤrner aufſetzen laſſen/ darvon ſie zwiſchen den andern Spei-
ſen allezeit einen Mund voll zugenieffen pflegte. Zu Pariß
hat vor kurtzer Zeit eine ſolche Frau gewohnet/ welche auß An-
trieb dergleichen Schwachheit vor 400. Reichsthlr. Genueſiſche
groſſe Kanten oder Spitzen aufgekaufft/ und nach und nach
verzehret/ denen bald hernach vor ſo viel Geld dergleichen Kan-
ten folgen muſten. Eine andere Frau in Sachſen kunte ſich
nicht anug ſaͤttigen mit der fetten Thon-Erden. Was dieſe
Kranckheit/ welche Pica genennet wird/ vor ein Affect ſey/ ſol-
ches uͤberlaͤſſer man biliich denen Medicis, unter denen abſon-
derlich Schenkius vortrefflich hiervon geſchrieben hat.
Jnmit-
[955]Romans II. Buch.
Jnmittelſt bekomme ich biervon Anlaß zu reden/ von den
ungewoͤhnlichen Speiſen oder vielmehr von dem unnatuͤrlichen
Einſchlucken/ (dann von vielen werden nachfolgende Sachen
nicht auß Appetit, oder den hungerigen Magen zu flillen/ ein-
geſchwelget/) verſchiedener Menſchen zu reden, Offtmahlen
iſt das Frauenzimmer von einer eitlen Einbildung dermaſſen
eingenommen/ daß es ihm einbildet/ durch Beſchwerung deß
Magens mit ungewoͤhnlichen Speiſen ihrer offtmahl gebrech-
lichen Schoͤnheit Rath zu ſchaffen/ und an Statt der natuͤr-
lichen Roͤthe/ (welche ſie eine Bauren-Farbe nennen/) eine ſo
genannte Fuͤrſtl. Schoͤnheit/ welche in einem bleich-weiſſen Ant-
litz beſtehen ſoll/ zuwegen zu bringen. Zu ſolchem Ende freſſen
ſie gantze Stuͤcker Kreiden/ Bley/ und andere Sachen/ in den
Leib/ welche zwar eine bleiche Farbe erwecken/ aber auch meh-
rentheils die Daͤuung deß Magens dergeftalt hemmen/ daß ge-
meiniglich eine oder andere boͤſe Kranckheit darauf folget/ wie
dann vor gewiß geſaget wird/ daß auf ſolche Weiſe vor wenigen
Jahren eine Dame auß dem allervornehmſten Geſchlecht der
Welt ihren Tod all zu fruͤhzeitig zuwegen gebracht. Eine an-
dere vornehme Jungfrau/ nemlich/ eines Burgermeiſters Toch-
ter zu Amſterdam nahm von dem ſtinckenden Brenn-Turff und
geſchnittenen Stuͤcklein Bleys ſo viel zu ſich/ daß ſie endlich im
Haupt unrichtig worden/ der Magen empfand groſſe Schmer-
tzen/ und der Unter-Leib ſenckte ſich weit herunter. Doch ſind
hierzu nicht zu rechnen die Jenigen/ welche auß Antrieb eines
unordentlichen Appetits offtmahl etwas Ungewoͤhnliches ge-
nieſſen; Wie dann vor wenig Jahren zu Schweinfurth ein
Maͤgdlein gelebet/ weiche/ weil ihr die Kraͤtze/ darvon ſie ſich
curiren laſſen/ in den Leib hinein getrieben worden/ in ein heffti-
ges Fieber verfallen/ und mit keinem Dinge beſſer geſaͤttiget
werden kunte/ als mit Meel-weiß zerriebener Kreide.
Jch wende mich nun zu dem Maͤnnlichen Geſchlecht/
welches auch nicht allerdings von dieſen unordentlichen Spei-
ſen befreyet iſt. Claudius, ein Lotthringer/ fraſſe nicht allein von
obangeruͤbrten Dingen/ ſondern auch Stroh/ Heu/ faule und
ſtinckende Sachen/ ſolches war Beflialiſch. Ja/ er ſchluckte ſ. v.
den warmen und friſch[-]geworffenen Kuͤh-Unflath ſonder Eckel
ein/ und uͤbertraff auch darinn die Beſtien ſelber. Zu angereg-
tem Schweinfurth war vor kurtzer Zeit ein Knab von etwan
6. Jahren/ eines Maͤurers Sohn/ welcher/ nachdem ihm die
Mutter-Milch entzogen worden/ alſobald einen Luſt zu Kreide/
Staub/
[956]Deß Academiſchen
Staub/ Sand/ ꝛc. bekommen/ er kroch/ wie er noch nicht lauſſen
kunte/ auf der Erden umber/ und ſuchte ſolche Sachen auß
allen Ritzen. Als man ihn aber hierinnen einige Hinderung ge-
than/ da ſuchte/ er die beſudelte Schuh herfuͤr/ und nagte ſ.h.
den Unflath darvon. Kein Drohen noch gute Worte kunten ihn
hiervon abbringen/ ſondern der Appetit nahm mit dem Alter
zu/ daß er in groͤſſerer Quantitaͤt den Sand/ (offtmahlen einen
halben Hut voll/) Kalck/ Kohlen/ Ziegelſteine/ rohes Fleiſch und
Wuͤrſte/ die Dachten der Liechter/ ꝛc. einſchluckete/ und zwar
ohne einige Beſchwerung. Als man ihn einsmahls allein zu
Hauß gelaſſen/ hat er an 3. Orten der Wand den Kalck gantz
aufgezehret/ und als er daruͤber beſtraffet worden/ iſt er nach
ſeines Nachbarn Mauer gegangen/ welcher ſolches merckend/
die Mauer mit Wermuth Safft beſpruͤtzet/ dar auf der Knab/
der vor dieſer Bitterkeit einen Eckel hatte/ ſich nach dem naͤchſten
Baͤchlein verfuͤget/ und den Magen mit feuchter ſandichter
Erde angefuͤllet hat. Er hat einsmahls ungeloͤſchten Kalck
eingeſchluckt/ welcher ihm den Magen dergeſtalt zernaget/ daß
er ohne aufhoͤren kalt Waſſer ſauffen muſte/ da dann uͤber 50.
theils todte/ theils lebendige Wuͤrmer von ihm gegangen. Die
beſten und angenehmſten Speiſen/ als Zucker/ Honig/ Milch/
oder Fleiſch/ achtete er nicht; Suppen auß lauterm Waſſer/
Kaͤß und Brodt/ vor allen aber der Sand/ iſt ſeine beſte Koſt.
Er friſſet die Liechter/ Ja gar das jenige/ damit die Liechtſcheeren
angefuͤllet ſind. Jm uͤbrigen iſt er friſch/ froͤlich/ und geſunder
Farbe/ ſchlaͤffet wol/ und mangelt ihm nichts. D. Michael Fehr/
Medicus in Schweinfurth kan keine Urſach dieſes unnatuͤrlichen
Appetits geben/ und bekennet/ daß ſolche Monſtra von der Na-
tur ſelber erzeuget ſind.
Das XXXVII. Capitul/
Cerebacchius und Condado mit ſeiner Geſellſchafft kommen
zu den andern. Sie haben ſcharffe Reucontres. Cere-
bacchius wird Doctor Venereus rettet einen Studen-
ten auß groſſer Noth.
DEr Edelmann ſprach jetzo: Mein Herꝛ/ eſſet
ihr neben uns vielmehr von dieſen Reb-Huͤ-
nern oder vom gebratenen Calecuten/ das ſoll
uns beſſer bekommen/ als die ſeltzame Speiſen/ von
welchen ihr uns bißhero wunderliche/ und warlich
recht
[957]Romans II. Buch.
recht Eckel haffte Dinge erzehlet habt. Troll war
jetzo auch ziemlich hungerig/ und waͤre gerne in die
Kuͤche gegangen/ um etwas zu genieſſen/ weil ſich
aber Cavina ſeiner auf dem Wege allemahl ſo ge-
treulich angenommen hatte/ wolte er demſelben bey
der Tafel erſt aufwarten. Dieſer nun reichte ihm
eine Schuͤſſel mit einem groſſen Stuͤck friſchen Rind-
Fleiſch/ weil er ſahe/ daß ihm fuͤr Hunger die Lippen
bebeten/ die andern am Tiſche auch dieſes Gerucht
vorbeyſeit geruͤcket hatten/ und nicht darvon eſſen
wolten. Troll nahm dieſes Geruͤcht an/ und wolte
zur Stuben hinauß gehen/ aber in der Thuͤr begegne-
te ihm ein Pech-ſchwartzer Mohr in einer ſeltzamen
Kleidung/ welcher das groſſe 9. Pfuͤndige Stuͤck
Fleiſch auß der Schuͤſſel nahm/ und ſolches in einem
Huy verzehrete. Troll machete ſich ſehr unnuͤtz uͤber
das unverſchaͤmte Stuͤcklein dieſes Mohren/ aber
derſelbe lachete/ und gieng mit ihm zugleich in das
Gemach hinein/ wo die andern an der Tafel ſaſſen/
und als Troll dem Cavina erzehlete/ was ihm dieſer
ſeltzame Mohr fuͤr einen Poſſen geriſſen/ da verwun-
derten ſich deſſen die Ubrigen/ und weil ſie ihn vor ei-
nen Diener eines fuͤrnehmen Mannes anſahen/ wol-
ten ſie ihm nicht zuwider ſeyn/ ſondern reicheten ihm
den halben Calecuten hin/ der annoch uͤberblieben
war. Der Mohr nahm ſolchen begierig zu ſich/ win-
ckete aber um ein Stuͤck Brodt darzu/ und als man
ihm ſolches hingegeben/ ſchob er alles ſo behende und
mit Luſt in den Magen/ daß es zu verwundern war.
Man reichete ihm auch eine zinnerne groſſe Kanne
mit Wein/ welche er in einem Zug/ ſine deponere,
außleerete. Warlich/ ſprach Troll jetzo/ wann Cere-
bacchius nicht ein weiſſer Europaͤer waͤre/ ſo wolte ich
ſagẽ/ dieſer ſey es ſelber/ oder zum wenigſten ſein Bru-
der.
[958]Deß Academiſchen
der. Hieruͤber fieng der gefreſſige Mohr ſo erſchroͤck-
lich an zu lachen/ daß ſich die andern darfuͤr bey nahe
entſetzeten. Endlich ſprach er: Jhr lieben Freunde
ſollet w[i]ſſen/ daß mich dieſe angenommene ſchwartze
Farbe nicht zu einem andern Menſchen machen kan;
Jch bin und bleibe wol mein Lebenlang Cerebacchius,
waͤre ich auch noch auf eine andere Weiſe angeſtri-
chen. Auß dieſer Rede erkannte ihn Cavina, und er-
freute ſich hertzlich/ daß er es ſelber war/ forſchete auch
alſobald/ ob er von dem Condado, Klingenfeld und
Venereo keinen Bericht zu geben wuͤſte? Worauf
ihm Jener bedeutete/ daß ſie unter Weges in der
Schweitz mit einander durch wunderliche Eben-
theuer zuſammen kommen waͤren da ſie dann endlich
vor 5. Tagen allhier angelanget. Jch habe/ ſprach er/
vor einer halben Stunde euch hieher gehen ſehen/
welches ich dem Herꝛn Condado alſobald angedeu-
tet/ und ihn gebetten/ mir zu erlauben/ daß ich euch
erſtlich/ ehe mir zuſam̃en kaͤmen/ dieſen Luſt erwecken
moͤchte/ und als er mir ſolches zugeſtanden/ habe ich
mein Geſicht/ wie ihr ſehet/ mit einer ſchwartzen Far-
be beſtrichen/ und bin alſo hier erſchienen/ ſpeiſet aber
nur fort/ und wiſſet/ daß unſere Herren dort in jener
Herberge eurer mit Verlangen erwarten. Alſo
hielten ſie mit einander ihre Mahlzeit/ und Cerebac-
chius ſetzte ſich mit an die Tafel/ da er dann von nun
an allereſt rechtſchaffen erwieſe/ daß ſein Magen auch
wol capabel waͤre/ deß Trollen Lederne Hoſen ein-
zuſchlucken.
Nachdem endlich die Mahlzeit gehalten wor-
den/ wuſche Cerebacchius ſeine ſchwartze Farbe wie-
der ab/ und als die Geſellſchafft den Gaſtgeber con-
tentiret/ giengen ſie mit einander zu Condado, wel-
cher ſie mit Freuden empfieng/ da ſie einander ihre
Eben-
[959]Romans II. Buch.
Ebentheuren erzehleten/ und hatten die uͤbrige Ma-
terie gnug uͤber deß Trollen Geſchick zu lachen. Der
Edelmann blieb auch in dieſer Herberge ligen/ der
Schweitzer aber legte ſich wieder in ſein voriges Lo-
giment, das er vormahl bey einem Profeſſor gehabt
hatte/ dann er wolte den Gradum Licentiæ allhier
holen. Condado gieng am folgenden Tag mit ſeiner
gantzen Geſellſchafft zu dem Rectore Magnifico, und
ließ ſich und die andern einſchreiben/ bezahlete auch
reichlich darfuͤr/ und muſten ſie mit einander damah-
len ſich rechtſchaffen zerlachen uͤber deß Trollen Ho-
ſen/ die er in deß Rectoris Hof dem Pferd auß dem
Leibe gezogen hatte. Gleichwie aber hernach Cavina
ſeinen Studiis fleiſſig abwartete/ alſo legte ſich Klin-
genfeld auf das Balgen/ Cerebacchius auf Freſſen
und Sauffen/ Venereus aber lieff dem Frauenzimmer
ſtaͤts nach/ und wuſte manche ehrliche Dame gar
kuͤnſtlich in ſein Netz zu locken.
Der mit Cavina nach Baſel gekom̃ene Schwaͤ-
biſche Edelmann/ Marnitz vom Geſchlecht/ blieb mit
Fleiß etliche Tage in deß Condado Herberge ligen/
damit er das Studenten-Leben rechtſchaffen betrach-
ten/ und hiernaͤchſt in Geſellſchafft darvon etwas er-
zehlen koͤnte/ worzu er dann bald Gelegenheit fand.
Nemlich/ als nach gehaltener Abend-Mahlzeit et-
liche trunckene Studenten durch die Straſſen daher
kamen/ mit den blancken Degen Feuer auß den Stei-
nen ſcharreten/ da fiel unſere Geſellſchafft alſobald in
die Fenſter. Jene rieffen wacker: Hop/ Hop/ Hey/
Sa/ Hundsvogt/ Sa/ Sa/ ꝛc. Klingenfeld war ein
Mann/ der dergleichen mit Gedult nicht anzuhoͤren
vermochte. Dannen hero fragte er: Ob Jemand von
der Geſellſchafft/ der mit ihm auf dieſe Gaſſen-
Prahler loßgehen wolte? Es war aber keiner/ der
hierzu
[960]Deß Academiſchen
hierzu ſonderliche Luſt hatte/ ohne Marnitz/ welcher
meynete/ es ſtuͤnde ſeinem Adelichen Stand nicht an/
wann er ſich nicht muthig erzeigen ſolte/ ſolche Stu-
diermacher-Geſellen mit dem Degen zu Chor zu trei-
ben. Dannenhero giengen dieſe Zween hinunter/ und
wie ſie auf die Straſſen kamen/ waren die Gaſſen-
Schreyer ihr Hauß ſchon vorbey/ dahero rieff Klin-
genfeld mit vollem Halſe: Sa/ Sa/ contra Sa/
contra Hundsv. ſteh Kerl/ ſteh/ daß dich der Teuf ‒ ‒
hol/ ſchlug zugleich auch mit dem Degen wacker in
die Steine/ daß die Funcken darvon ſtoben. Jene
kehreten bald um/ und alſo kamen ſie einander in die
Haare/ als aber Klingenfeld meynete/ Marnitz wuͤr-
de ihm getreulich aſſiſtiren/ da muſte er ſehen/ daß die-
ſer ſich am erſten unſichtbar machte/ doch ließ er ſich
ſolches nicht anfechten/ ſondern zog die gantze Prahl-
Compagnie vor ſein Logiment, und ſchlug ſich da-
ſelbſt dergeſtalt mit 5. Studenten herum/ daß es eine
Luſt zu ſehen war. Alle Leute kamen in die Fenſter/
und ſteckten die Leuchten an/ daß es ein groſſes We-
ſen ward. Condado und ſeine Leute ſahen mit Luſt zu/
aber Marnitz hatte ſich verſtecket/ dann er war der
bloſſen Degen auf ſeinem Adelichen Hof nicht ſon-
ders gewohnet/ und haͤtte geſchworen/ die Studen-
ten haͤtten nicht ſolche Courage, als er hernach mit
ſeinen Augen geſehen. Endlich kam die Stadt-
Wacht darzu/ und trennete ſie von einander/ da ſie
ſich dann bald verlieffen/ und Klingenfeld wuſte ſeine
Hauß-Thuͤr auch bald wieder zu finden. Am folgen-
den Morgen kamen zween wolgekleidete Studenten
in dieſe Herberge/ und begehrten zu wiſſen/ wer ſich
geſtern mit ihnen herumgeſchlagen/ und ihnen in ih-
rem Gaſſaten-gehen Contra geſchrien haͤtte? Klin-
genfeld hielte nicht lang hinter dem Puſch/ ſondern
ſprach:
[961]Romans II. Buch.
ſprach: Weil die Studenten geſtern Nachts mein
Logiment vorbey geſchtien/ habe ich gethan/ was
Studenten-Manier mit ſich bringet/ nemlich/ ich ha-
be es allein mit ihnen aufgenommen/ wollen ſie etwas
weiter/ ſo koͤñen ſie ſprechen/ ich wil ihnen Satisfaction
geben. Hierauf forderten ſie ihn im Namen der
5. Studenten/ daß er auf den Nachmittag vor dem
Huͤnninger-Thor erſcheinen/ und ſich als ein recht-
ſchaffener Kerl mit einem Jeden von ihnen herum
ſchlagen moͤchte/ er koͤnte ihm 2. Seconden nach ſeinem
Belieben erkieſen. Klingenfeld nahm ſolches willig
an/ und nachdem er dieſen Außforderern ein Glaß
Wein gebracht/ fertigte er ſie wieder ab/ und ließ ih-
ren Principalen ſagen/ daß ſie ſeiner am beſtimmten
Ort nicht lange ſolten zu warten haben/ wormit Jene
darvon giengen. Klingenfeld aber bewog den Mar-
nitz dahin/ daß er ihn ſecondiren moͤchte/ bedeutete
ihm aber darneben/ daß er ſich gar keiner Gefahr zu
beſorgen haͤtte/ weil die Seconden mit dem Schlagen
nichts wuͤrden zu thun haben. Cavina war der andere
Seconde, der ſich gar willig darzu erklaͤrete/ Condado
ſelber hatte Luſt mit hinauß zu gehen/ und zu zuſehen.
Als demnach die beſtimmte Stunde heran ruͤckete/
giengen ſie mit einander nach dem beſtimmten Platz/
da ſich die andern 4. bald hernach auch præſentirten/
dann der Fuͤnffte hatte inzwiſchen die Schlag-Colica
bekommen/ daß er deß Bettes huͤten muſte/ auſſer
Zweiffel/ weil er ſich ſeiner Haut fuͤrchtete. Klingen-
feld band mit dem Erſten an/ der ſich in 3. Gaͤngen
wol hielt/ und darauf kam er mit dem Andern in
Handgemeng/ welcher im andern Gang eine kleine
Wunde an der Huͤffte bekam/ welche dem Gefecht
ein Ende machte/ alſo legte er nun mit dem dritten
Gegenparth ein/ welcher aber ſo weit zuruͤck blieb/ daß
P p pdie
[962]Deß Academiſchen
die Degen-Spitzen einander kaum beruͤhren kunten/
und je mehr Klingenfeld auf ihn eindrung/ je mehr er
zuruck wiche/ biß endlich nach gleichſam 3. gehaltenen
Gaͤngen (jenſeits vielmehr Spruͤngen/) dieſer Han-
del auch verglichen ward. Als der Vierdte hierauf
daran ſolte/ tratt deſſen Second herbey/ und bathe/
Klingenfeld moͤchte ſich ohne Schlagen nur mit ſei-
nem Principal vertragen/ weil er durch viele Gaͤnge
ſchon ziemlich abgemattet/ und alſo der Ruhe benoͤ-
thiget waͤre. Klingenfeld aber wolte nicht daran/ biß
ihm der andere ins Ohr ſagte/ Jener haͤtte ein Furcht-
Fieber bekommen/ daß er zitterte/ wie ein Aſpen-Laub/
wordurch ſich dann Klingenfeld zum Vertrag mit
ihm bereden ließ. Und darauf tratten ſie zuſammen/
und die vier Balger noͤthigten den Klingenfeld und
ſeine Compagnie zu einer Collation; Sie folgeten
zu dieſem mahl auch/ auſſer Condado, und wurden
im guͤldenen Kopff wol von ihnen tractiret/ worbey
ſich fuͤrnemlich Cerebacchius wol zu gebrauchen
wuſte.
Bey dieſem Gelach ſahe der Schwaͤbiſche Edel-
mann Marniz/ wie es auf Studenten-Schmaͤuſſen
hergienge/ dann da kam alſobald ein Willkomm von
einer vollen Maaß Wein/ den ein Jeder/ der ihn be-
zwingen kunte/ außſauffen muſte. Hernach folgeten
lauter Geſundheiten/ an Eſſen und Taback fehlete es
auch nicht. Als der Wein die Gemuͤther ein wenig er-
hitzet/ wurden ſie ſo vertraulich/ daß ſie alle mit einan-
der unter ſich Bruͤderſchafft machten. Cerebacchius
nahm ſeine Portion an Wein zu ſich/ als aber der Ta-
back kam/ wolte er ſeinen Landsmann/ den er bißhero
in Jtalien nicht viel geſehen/ auch nicht verſchmaͤhen/
ſetzete demnach an/ und dampffete die gantze Nacht/
biß er ſich zum Licentiaten gerauchet hatte/ dann man
hielte
[963]Romans II. Buch.
hielte es auf den Studenten-Gelachen alſo/ daß der
Jenige/ ſo in einem Gelach 50. Pfeiffen außrauchen
kunte/ Magiſter, der 80. ein Licentiat, und welcher 100.
außdampffen kunte/ ein Doctor, aber alles von der Ta-
backs-Wiſſenſchafft zu verſtehen/ genennet ward.
Endlich kamen die Karten herfuͤr/ darinn man/ um
die Zeit vollends zu paſſiren/ ein wenig ſpielete/ aber
es waͤre bald daruͤber zu neuen Haͤndeln kommen/ da-
hero wurden ſie abgeſchafft/ und nachdem der groͤſte
Theil der Nacht verfloſſen/ gieng ein Jeder wieder
ſeines Weges. Marniz erwoge am folgenden Tag
alles das Jenige/ was bey dieſem Studenten-
Schmauß fuͤrgefallen/ da er dann ſeine beſondere
Speculationes uͤber hatte. Als ſie in der Nacht her-
nach/ nach gehaltener Mahlzeit/ eben am Fenſter
ſtunden/ hoͤreten ſie eine anmuthige Muſic, und als
man im Hauß forſchete/ was ſolches bedeute/ beka-
men ſie Bericht/ daß dorten eine galante Jungfrau
wohnete/ um deren Gunſt ſich mancher ehrlicher
Student bewuͤrbe/ dahero ſie ſchier allen Abend mit
einer angenehmen Muſic heimgeſuchet wuͤrde. Ve-
nereus war bald auf ſeinen Beinen/ er ſtellete ſich mit
ein/ und gleich wie er eine gute Stimme hatte/ alſo
ſunge er auch wacker darunter/ und war zu allem
Gluͤck keiner/ der ihm etwas ſagen durffte/ dann ſie
meydeten die Feindſchafft Klingenfelds/ in deſſen
Compagnie ſie ihn geſehen hatten. Als die Muſic voll-
endet/ und die andern fortgangen waren/ wuſte er es
dahin zu bringen/ daß er ins Hauß zu der Jungfrau
kam/ und die gantze Nacht ſeine Freude mit ihr hatte.
Fruͤh Morgens kam er wieder nach Hauß/ und erzeh-
lete/ was er fuͤr eine ſchoͤne Nacht gehabt/ deſſen ſich
dañ Marniz abermahl verwunderte/ als der je laͤnger
je mehr hinter die Studenten-Streiche kam. Um den
P p p 2Mit-
[964]Deß Academiſchen
Mittag/ nach gehaltener Mahlzeit/ giengen ſie mit
einander vor die Stadt ein wenig ſpatzieren/ da ihnen
ein Student im Feld begegnete/ welcher ſehr Melan-
choliſch war/ und ihre Geſellſchafft meyden wolte/
aber ſie giengen ihm ſtarck in die Eyſen/ biß ſie ihn
eingeholet/ da ihn Condado fragete/ was die Urſach
ſeiner groſſen Traurigkeit ſey? Er ſprach: Jhr lie-
ben Herren/ ich bin ſo betruͤbet/ daß ich mich nicht zu
laſſen weiß/ ich wil euch alles bekennen/ ſchaffet mir
nur Rath und Troſt/ daß ich nicht verzweiffele. Sie
ſagten ihm zu/ ſo viel in ihrem Vermoͤgen war/ und
alſo wandelten ſie mit einander fort/ da dann der
Student Nachfolgendes erzehlete: Mein Vatter-
land iſt ein Dorff bey Zuͤrich/ allwo mein Vatter die
Stelle eines Evangeliſchen Seelen-Hirten bey der
Reformirten Gemeine verwaltet. Vor 2. Jahren bin
ich hieher kommen/ um der Theologie obzuligen/ aber
ich fand bald eine ſchoͤne Dame, welche meinen Augen
ſo wol gefiel/ daß ich mich nicht enthalten kunte/ ihr
meine Liebe zu entdecken. Sie ſperrete ſich lange Zeit/
und wendete endlich ein/ daß ſie keinen Geiſtlichen
lieben koͤnte; Dannenhero verließ ich/ ihr deſto beſſer
zu gefallen/ das Geiſtliche Studium, und ward ein Ju-
riſt, da ſie mich dann hinwieder liebete/ biß wir ſo ver-
traͤulich mit einander worden/ daß ſie ein Kind von
mir erborget. Geſtern hat ſie mir ſolches andeuten
laſſen/ nebſt dem/ daß ich ſie nun heurathen wuͤrde.
Aber/ meine Herren/ das iſt es nicht allein/ was mich
bekuͤmmert/ ſie hat ſich allwege fuͤr eines reichen Amt-
manns Tochter auß der Marggrafſchafft Baaden
außgegeben/ und nun wird es offenbahr/ daß ihr Vat-
ter Diebſtahls halben bey Freyburg im Breißgau
gehencket worden/ daß ſie auch nicht einen Pfenning
eigener Mittel beſitze/ ſondern alles durch Courtoiſi-
ren
[965]Romans II. Buch.
ren verdienet habe; Solchem nach koͤnte ich leicht
von ihr abkommen/ wann ich ihr die Ehe nicht ſchrifft-
lich zugeſaget/ und alsdann auch beweiſen koͤnte/ daß
ſie mit andern Maͤnnern/ ohne mich/ zugehalten haͤt-
te. Nun weiß ich nicht/ was ich anfangen ſoll? Nach
Hauß darff ich nicht kommen/ dann/ als ich vor einem
halben Jahr heim kam/ da gab ich fuͤr/ ich ſey annoch
ein Theologus, entwandte aber darneben meinem
Vatter ein gutes Stuͤck Geldes uͤber das/ was er ſel-
ber mir gegeben hatte. Was iſt nun fuͤr Rath? Es
muſte ein Jeder bekennen/ daß ſeine Sache verzweif-
felt boͤſe ſey. Dannenhero wuſte ihm auch keiner eini-
gen Rath zu ſchaffen. Venereus aber ſprach zu ihm:
Mein Freund/ auſſer Zweiffel koͤnnet ihr mit der
Hochzeit ja wol noch ſo lange hin halten/ biß die ſechs
Wochen voruͤber ſind/ und alsdann verlaſſet euch
nur auf mich/ ich wil euch ſchon frey ſchaffen von der
Heurath/ aber von der Erhaltung deß Kindes nicht.
Der Melancholiſche Student ſprang fuͤr Freuden
jetzo auf/ und danckete unſerm Venereo fuͤr ſeinen
Troſt/ welcher ihm bedeutete/ er muͤſſe die Dame fort-
hin/ wie vorher/ careſſiren/ und ſich nichts Widriges
gegen ſie mercken laſſen/ ſo ſolle der Sachen ſchon
Rath geſchaffet werden. Damit wandelte der nun
wieder erfroͤlichte Student ſeines Weges/ gieng
nach einem Meyerhof/ und ſoff ihm einen wackern
Rauſch.
Unſere Compagnie aber verfuͤgete ſich gegen den
Abend wieder nach der Stadt Baſel/ und gleich wie
Cavina ſeinen Studiis fleiſſig oblage/ alſo funden die
uͤbrigen/ fuͤrnemlich Cerebacchius, Venereus, Klingen-
feld und Troll/ ein Jeder gnug zu thun in dem/ darzu
ſie inclinirten. Nachdem ſie etliche Tage allhier gele-
gen hatten/ fiel eine Diſputation fuͤr/ in welche ſie gien-
P p p 3gen/
[966]Deß Academiſchen
gen/ und den Marniz mit ſich nahmen. Bald hernach
geſchahe auch ein Actus Graduationis, da man etliche
Doctores machte/ uͤber welche Ceremonien ſich Mar-
niz/ als welcher dergleichen nimmer geſehen hatte/
gar ſehr verwunderte. Jnzwiſchen kam der vorige
Student zu Venereo, und klagete ihm/ daß ihm der
Rector Magnificus den Arreſt haͤtte andeuten laſſen/
biß er mit der Kind-Betterin verehelichet worden/ da
doch das Kind ſchon vor 8. Stunden verſtorben. Ha/
ha/ iſt das Kind todt/ ſprach Venereus, ſo hat es nichts
mehr zu bedeuten/ ſeyd ihr gutes Muths/ haltet den
Arreſt wol/ ich wil euch ſchon auß dieſer Noth erledi-
gen. Hiermit wanderte der arme Schlucker wieder
fort/ nachdem er ſich einiger Maſſen hatte troͤſten laſ-
ſen. Es kam aber etliche Tage hernach Cerebacchius,
und ließ ſich gegen Condado vernehmen/ welcher Ge-
ſtalt er ſich bey den Herren Profeſſoribus ſchon ange-
geben haͤtte/ um in Doctorem zu promoviren. Conda-
do lachete/ und ſprach: Das ſoll mir lieb ſeyn/ ich ver-
ehre euch 20. Rthlr. darzu/ wann der Actus wol ab-
lauffet. Cerebacchius reichete ihm die Hand/ und
nahm dieſe Offerte mit Danck an/ begehrete auch das
Geld nicht ehe/ als biß der Actus wuͤrcklich vor ſich
gegangen waͤre. Es war Schade/ daß der Schwaͤbi-
ſche Edelmann ſchon abgeraͤyſet war/ ſonſten haͤtte er
noch eine ſonderliche Promotion mit anſehen koͤnnen.
Nemlich/ am folgenden Tag fuͤhrete Cerebacchius
die Geſellſchafft in das Wirthshauß zu den 3. Koͤni-
gen/ und als ſie in einen groſſen Saalkom̃en/ funden
ſie daſelbſt 12. Studenten nach ihrer Ordnung ſitzen/
welche in der Mitten einen Tiſch hatten/ der mit
12. Glaͤſern beſetzet war/ darvon eines immer groͤſſer
war/ als das andere/ ſolche wurden die 12. Apoſtel
genannt/ und die groſſen Weinkannen ſtunden dar-
bey.
[967]Romans II. Buch.
bey. Cerebacchius tratt voran/ zu dem/ der ſich den
Rectorem Magnificum nennen ließ/ und foderte mit
einem hoͤflichen Compliment den Academiſchen Gra-
dum ihres Mittels. Der Rector Magnificus, ſo ein
anſehnlicher Student/ (die uͤbrigen auch ſeines Glei-
chen waren theils Profeſſores, theils Doctores, oder
Licentiati, nach ihrer beſondern Weiſe/) empfieng
ihn mit ſonderbaren Ceremonien/ brachte ihm/ an
ſtatt deß Examinis, ein groſſes Glaß Wein/ ſolches
außzuleeren/ und als ſolches Cerebacchius ſine depo-
nere in einem Zuge verrichtet/ ward ihm das groſſe
Licentiaten-Glaß voll Weins uͤberreichet/ welches er
auch ohne ſonderliche Muͤhe außleerete. Hierauf be-
gehrete er das Doctor-Glaß/ und als er daſſelbe/ ob es
gleich ſehr groß war/ bald außgelceret/ gratulirten
ihm die Herren Aſſeſſores, ſamt dem Rectore Magni-
fico, und erklaͤreten ihn fuͤr einen Doctorem in ihrem
Collegio, verſprachen ihm auch/ ſo bald eine Profeſſor-
Stelle vacant wuͤrde/ ihm ſolche zu conferiren/ weil er
durchs Sauffen ſich darzu gnugſam legitimiret haͤt-
te. Es ward noch wacker herum getruncken/ endlich
aber/ als ein Jeder ſeinen Theil hatte/ ſchieden ſie von
einander/ und Cerebacchius invitirte dieſes ruͤhmliche
Collegium am folgenden Tag zu einem Schmauß/
wo ihm Condado die verſprochene 20. Rthlr. erlege-
te/ und ſelber uͤber dieſe ſeltzame Collationem Hono-
ris lachen muſte/ zumahl/ da er vernahm/ daß nicht
lang vorher der Rector Magnificus dieſes edlen Col-
legii von der Academie relegiret war worden.
Am folgenden Tag ſtelleten ſich die Herren mit
einander ein/ und machten ſich bey ihrem Schmauß
rechtſchaffen luſtig/ Condado aber und Cavina er-
ſchienen nicht darbey. Jnzwiſchen verlieff die Zeit
der vorbeſchriebenen 6. Wochen/ und damahl ſuchte
P p p 4Vene-
[968]Deß Academiſchen
Venereus Gelegenheit zu der Damen zu kommen/ wel-
che/ ob ſie ſich gleich ihres verſtorbenen Kindes hal-
ben ſehr Troſt-loß anzuſtellen wuſte/ dannoch durch
die liebliche Reden dieſes neuen Courtiſanen derge-
ſtalt einnehmen ließ/ daß ſie ihm alles das Jenige
vergoͤnnete/ was er verlangete/ zumahl/ da er ihr von
guͤldenen Bergen viel vorſagete/ und ſie zu ehelichen
verſprach. Zu dem Ende verehrete er ihr einen Ring/
und bekam von ihr den Jenigen/ den ihr vormahlen
der Reformirte Studioſus auf die Treu gegeben hatte.
Mit demſelben wanderte er wieder fort/ verſpre-
chend/ bald wieder zu kommen/ und das Hauptwerck
vollends in Richtigkeit zu bringen. Er gieng aber mit
dem Ring zu dem Studenten/ gab ihm ſolchen wie-
der/ und erzehlete ihm/ daß er nun loß ſey von ſeiner
geweſenen Liebſten/ er muͤſſe aber zu ihr gehen/ und
ſich anſtellen/ als wann er bey ſeinem ehelichen Vor-
haben annoch beſtaͤndig verharren wolte. Solches
thaͤte er/ und weil die naͤrriſche Dame an dem Vene-
reo einen Narren gefreſſen/ kuͤndigte ſie ihm alle Liebe
und Schuldigkeit auf/ ſandte auch nach dem Recto-
re, und ließ ihn erſuchen/ den Studenten ſeines Ar-
reſts zu erlaſſen/ welches dieſer hertzlich gern an-
nahm/ und gleich hernach darvon zog. Venereus
wuſte inzwiſchen ſeine Perſon ſo wol zu ſpielen/ daß
er die Dame gaͤntzlich zu ſeinem Willen hatte/ und das
Beylager/ oder die Prieſterliche Copulation, biß auf
etliche Wochen aufſchobe/ weil er wuſte/ daß er mit
Condado und der uͤbrigen Geſellſchafft alsdann wuͤr-
de weggezogen ſeyn.
Das XXXVIII. Capitul/
Durch Liſt und falſche Berheiſſungen wird manch redliches
Gemuͤth betrogen/ mit etlichen Exempeln erwieſen.
ALs er wieder zu ſeiner Geſellſchafft kam/ erzehlete
er/ wie er den Studenten von ſeiner Noth und
Arreſt
[969]Romans II. Buch.
Arreſt erlediget/ deſſen Condado, als ein hoher
Printz/ zwar lachete/ aber Cavina ſchuͤttelte den Kopff/
und ſagte: Je laͤnger dieſer Menſch in unſerer Ge-
ſellſchafft lebet/ je mehr machen wir uns ſeiner Suͤn-
den theilhafftig. Wie manch ehrlich und unehrlich
Menſch hat er hintergangen? Und dannoch/ wann er
ſeinen Zweck erreichet/ hat er ſie ſitzen laſſen/ das mag
wol heiſſen/ was Salomon in ſeinen Spruͤch-Woͤr-
tern am 16. Cap. v. 25. ſagt: Wann der Feind ſeine
Stimme holdſeelig macht/ ſo glaube ihm nicht/ dann
es ſind ſieben Greuel in ſeinem Hertzen. Jch habe
mich in der Welt/ und in den Hiſtorien/ ziemlich um-
geſehen/ und befunden/ daß jetzo gar wenig Leute eines
recht ehrlichen und aufrichtigen Gemuͤths ſind. Jn
allen Staͤnden und Sachen ereignet ſich Betrug
und Liſt/ dannenhero ſchwerlich ein Menſch ſich alſo
in Acht nehmen kan/ daß er nicht ein- oder ander mahl
hintergangen werde. Nichts braͤuchlichers iſt/ als daß
man die aͤrgſte Feindſchafft unter dem Schein guter
Freundſchafft verbirget/ und mit den ſuͤſſeſten Wor-
ten den Jenigen/ dem man ſchaden wil/ ins Verder-
ben leitet. Die groſſen Verſprechungen/ Verſiche-
rungen/ und gewoͤhnlichen Sincerationes ſind ein Fut-
ter fuͤr die Jenigen/ ſo man begehret mit Wind zu
ſpeiſen/ und ſo lange aufzuhalten/ biß man inzwiſchen
ſeinen Nutzen geſuchet/ und erhalten hat. Es iſt
ſchroͤcklich/ daß offt das Jenige/ was mit groſſen Be-
theurungen/ mit Eyd/ mit Verpfaͤndung deß ehrlichen
Namens/ ja der Seelen und Seeligkeit verſprochen
worden/ nicht gehalten wird/ ſonderlich/ wo Eigen-
nutz/ oder vorhergegangene Beleydigung/ im Weg
liget/ wie ſolches viel Leichtglaubige mit ihrem hoͤch-
ſten Schaden erfahren haben. Jch wil hiervon et-
liche ſonderbare Exempel erzehlen:
P p p 5Nach
[970]Deß Academiſchen
NAch dem Tode Galeacii, Hertzogs zu Maͤyland/ hatte deſ-
ſen Wittib/ Bonna, einen Secretarium, Gico genannt/ der
bey ihr in groſſen Gnaden ſtunde/ daß ſie ſich in allen Dingen
nach ſeinen Rathſchlaͤgen richtete/ und auf deſſen Anſtifften alle
ihres verſtorbenen Herꝛn Bruͤder und Vettern vertriebe. Men-
ſchen-Gunſt/ fuͤrnemlich bey Weibes-Perſonen/ bekom̃t Fluͤgel
in einer Nacht/ und verlaͤſſet deß Morgens den Jenigen/ den ſie
deß Abends umarmet hat. Alſo gieng es auch dieſem Geheim-
ſchreiber. Dann die vertriebenen Herren wurden bey der Her-
tzogin wieder außgeſoͤhnet/ und kamen nach Hof. Weil nun Gi-
co leicht erachten kunte/ daß er ſchier kuͤnfftig ſchlechte Patronen
an ihnen finden wuͤrde/ hat er es bey der Hertzogin ſo weit ge-
bracht/ daß ſie ihm mit einem Eyd verheiſſen muͤſſen/ ihm wegen
verlauffener Haͤndel kein Leyd zuzufuͤgen. Aber/ O du Thor/
warum traueſt du einer Frauen? Was thut dieſe Leichtſinnige?
Der dritte Tag war noch nicht verfloſſen/ als ſie dieſen zuvor ſo
boch betrauten Gebeimſchreiber greiffen/ in ein Faß ſchlagen/
und heimlich auß der Stadt Maͤyland in das Schloß Pufey
fuͤhren ließ/ woſelbſt er im Kercker elendiglich umkommen/ und
verderben muͤſſen. Da er dann/ aber zu ſpaͤt/ gelernet/ wie weit
der Welt zu trauen/ und daß gemeiniglich der Jenige/ der an-
dern eine Grube graͤbet/ ſelbſt hinein zu fallen pfleget. Phil. Co-
minæus de Bello Neapol. libr. I. p. m. 529.
Ums Jahr 1580. hatten die Coſaken einen Obriſten/ Po-
tocova genannt/ welcher nicht allein von ſolcher Staͤrcke war/
daß er ein neu-geſchmiedet Huf-Eyſen/ als ein Hoͤltzlein/ ohne
Muͤhe mit ſeinen Haͤnden zerbrechen kunte/ ſondern er war auch
ein tapfferer Kriegs-Held/ welcher denen Tuͤrckiſchen Blut-
Hunden nicht/ wenig Schaden zufuͤgete. Weil nun dieſes dem
Friedens-Vergleich ſchiene zuwider ſeyn/ ſchickete Sultan Mu-
rath einen Tzſchauſch zu dem Koͤnig Stephano Bathori, mit
dem Begehren/ daß er den Potocovam in deß Abgeſandten Ge-
genwart ſolte enthaupten laſſen. Nun hatte dieſer etliche
Freund/ welche dem Koͤnig zu Gefallen dem Potocova ſchrieben/
daß er ſich aufs ſchleunigſte nach Warſchau begeben ſolte/ weil
man ſich in wichtigen Sachen mit ihm zu berathſchlagen/ ver-
ſicherten ihn auch im Namen deß Koͤnigs/ daß ihm nichts Wi-
driges begegnen ſolte. Als er ſich aber einſtellete/ ließ ihm der
Koͤnig/ ob wol die meiſten derer Raths-Herren darwider/ deß
gegehenen ſichern Geleits ungeachtet/ den Kopff vor die Fuͤſſe
legen. Joh. Petr. Langius, Floril. Hiſtorico- Turc. Syntagm, VIII.
cap. I. p. 488.
Jn
[971]Romans II. Buch.
Jn dieſer Kunſt/ anders zu reden/ als man dencket/ (wann
es anders eine Kunſt zu nennen/) und dardurch einen ins Netz
zu fuͤhren/ ſoll Jacobus der I. Koͤnig von Groß-Brittannien/ ein
Meiſter geweſen ſeyn/ dahero er ſich auch Kingeroſt, das iſt|
Kunſt und Wiſſenſchafft der Koͤnige/ zu nennen pflegen. Er hat
deſſen einſten ein ſonderbar Exempel abgegeben/ indem er/ un-
angeſehen er ſchon bey ſich beſchloſſen/ ſeinen geweſenen Guͤnſt-
ling/ den Grafen von Sommerſet/ gefaͤnglich einzuziehen/ ſo
bald er nur von Kingſton/ woſelbſt ſich der Koͤnig dazumahl
aufhielte/ zu Londen wuͤrde angelanget ſeyn/ je dannoch/ als
dieſer vom Koͤnig Abſchied/ mit Kuͤſſung deſſelben Haͤnde/
nahm/ ihm um den Halß gefallen/ gehertzet/ zu vielen mahlen
gekuͤſſet/ und geſaget: Wie bald kan ich mir die Hoffnung ma-
chen/ euch/ O Lieber/ wieder zu ſehen. Bey meiner Treu/ ich
werde weder eſſen noch ſchlaffen koͤnnen/ biß ich euch wieder ſehe.
Sind dieſes nicht freundliche Worte von einem Koͤnig? Der
gute Graf von Sommerſet verhieß/ er wolte kuͤnfftigen Mon-
tag/ (als diß zwiſchen ihnen vorgieng/ war am Freytag/) ſich
wieder bey ihm einfinden/ woruͤber der Koͤnig ſich ſtellete/ groſſe
Freude empfunden zu haben/ mit Bitte/ er moͤchte doch ſeinem
Verſprechen nachkommen/ und ſich alsdann einſtellen; Umhal-
ſete und fuͤſſete ihn von neuem/ und auf dieſe Weiſe begleitet er
ihn biß an den Fuß der Stiegen/ wartend daſelbſt/ biß der Graf
ſich hatte in die Gutſche geſetzet/ da gab er ihm das letzte Fahre
wol! Bald hernach ſoll ſich der Koͤnig zu etlichen ſeiner Hof-
Leute gewandt haben/ ſagende/ daß diß das letzte mahl ſey/ daß
der Graf von Sommerſet ſein Antlitz ſehen wuͤrde. War dieſes
nicht eine ſchroͤckliche Falſchheit/ und ſchaͤndliche Heucheley?
Beſſel. Schmiede deß Gluͤcks/ IV. Cap.
Jn Moſcau trug ſich auch deß Jahres 1633. ein ſonderlich
Exempel zu: Es wurde der General Schein beſchuldiget/ als
ob er in dem Krieg wider die Pohlen eine Verraͤtherey vorge-
habt/ weil man aber erſt Bedencken trug/ mit der Schaͤrffe wi-
der den Beklagten zu verfahren/ und es ſich daher zu einem all-
gemeinen Aufſtand anſehen ließ/ wurde verſchafft/ daß durch
Enthauptung deß Scheins dem Volck ein Gnuͤgen geſchahe.
Damit aber dieſer/ ohne Nachtheil anderer/ auf die er ſonſt
haͤtte bekennen moͤgen/ ſich deſto williger darzu bequemete/
machte man ihn weiß/ daß er nur zum Schein ſolte außgefuͤh-
ret/ aber nicht gerichtet werden/ nur daß das Volck deß Groß-
Fuͤrſten Wollen ſehe/ und wann er ſich legen wurde/ ſolte als-
bald
[972]Deß Academiſchen
bald Fuͤrbitte kommen/ darauf ſolte Gnade erfolgen/ und der
gemeine Poͤbel zufrieden geſtellet werden. Als nun Schein alſo
getroͤſtet/ in guter Hoffnung herauß gieng/ und ſich auf den
Bauch zur Erden legete/ iſt dem Scharffrichter gewincket wor-
den/ geſchwinde zu zuhauen/ welches er auch that/ und den
Kopff mit etlichen Hieben herunter riſſe. Hierauf iſt noch ſel-
bigen Tag deß Scheins Sohn mit der Knut-Peitſche/ nach ih-
rer Art/ zu todt geſchlagen worden. Olear. Moſcow. Raͤyſe-
Beſchreibung III. B. Cap. 6. Bl. 202. 203.
Die Cavalliers-Parole ſtehet bey denen Soldaten auch
offtmahls auf ſchwachen Fuͤſſen. Den 21. Octobris 1634. kam
der Kaͤyſerl. Obriſte/ Abraham Schoͤnnickel/ (welcher| aberin der
That nicht ein ſchoͤner/ ſondern ein ſehr garſtiger Nickel geweſen/)
mit 3. oder 4. Regimentern zu Roß und Fuß vor der Stadt
Leipzig an/ und begehrete ein Nacht-Quartier/ mit ſehr theurem
Verſprechen/ es ſolte Niemand kein Leyd widerfahren/ dann er
waͤre ja ein Lands-Kind und Lutheraner/ (er iſt aber von Chem-
nitz buͤrtig geweſen/) und derowegen nicht der Stadt zum
Schaden/ ſondern zum Schutz und Beſten ankommen. Weil
dann nun der Rath und Buͤrgerſchafft dieſem ſeinem ſuͤſſen
Pfeiffen/ ſo er mit erſchroͤcklichen und faſt unerhoͤrten Eyd-
ſchwuͤren bekraͤfftiget/ Glauben gegeben/ als ſind ihm die Thore
mit allem Willen geoͤffnet worden. Da er aber kaum hinein
geweſen/ iſt flugs das Rauben und Pluͤndern angegangen/
welches 2. Taͤge und Naͤchte gewaͤhret. Es gieng alles bund
uͤber/ iſt keines Hauſes/ auch der Kirchen ſelbſt nicht verſchonet/
ſondern alles Preiß gemacht worden. Darzu hat dieſes boͤſe
Geſindel viel Perſonen biß auf den Tod gemartert und beſchaͤ-
diget/ auch das Frauen-Volck/ ſo ihm in die Haͤnde gerathen/
ohne Unterſcheid geſchaͤndet. Man ſchaͤtzete den Schaden/ der
damahls geſchehen/ auf 200000. Guͤlden. Das war ein
Stuͤckchen von einem Landsmann und Glaubens-Genoſſen.
Caſpar Schneider/ in der Leißniger Ehren- und Gedaͤchtnuͤß-
Saͤule.
Als Cavina hiermit ſeine Erzehlung vollendet/
lachete Cerebacchius und Venereus vor andern/ aber
Cavina wandte ſich nach dem Fenſter/ wo Condado
ſtund/ und ſang nachfolgendes Stuͤcklein von der
Redlichkeit:
Redlich-
[973]Romans II. Buch.
Es
[974]Deß Academiſchen
Condado preiſete den Cavina, weil er ein ſolch redlich
Gemuͤth hatte/ welcher deßwegen ſich jetzo zu Cere-
bacchio wandte/ und ſprach: Mich wundert/ daß ihr
verſoffene Teutſchen euch noch auf Univerſitaͤten
begeben moͤget/ als woſelbſt ihr doch anders nichts
thut/ als freſſet und ſauffet. Das waͤre manchem zu
nahe geredet/ antwortete Cerebacchius, ſchauet allhier
die Herren Studenten auf dieſer Teutſchen Acade-
mie an/ ihr werdet warlich viel rechtſchaffene Leute
darunter finden. Cavina replicirte: Dieſe meyne
ich auch nicht/ ſondern die Freſſer und Sauffer/ wie
ihr und eures Gleichen/ dann ich glaube nicht/ daß
ihr euer Lebtage offentlich opponiret/ geſchweige ſel-
ber diſputiret habt. Das waͤre mir leyd/ expoſtulirte
der Weſtphaͤlinger/ daß ich nicht ſo wol/ als ihr/ vor
einen rechtſchaffenen gelehrten Studioſum paſſiren
ſolte/ ich laſſe euch gern in euren Wuͤrden/ weil wir
wiſſen/ daß ihr fleiſſig habt ſtudiret/ aber damit ihr
gleichwol ſehet/ daß auch ich meine Studia nicht an den
Nagel gehangen/ ſo wil ich von nun an laboriren an
einer Diſputation, damit ihr die Warheit deſſen/ was
ich behaupte/ erkennen moͤget. Cavina lachete zuſamt
der gantzen Geſellſchafft/ und weil Condado inſonder-
heit Luſt hatte/ eine Diſputation von Cerebacchio zu
ſehen/ ſo verſprach er ihm 20. Reichs-Thaler/ wann
er ſelbe ihm uͤbergeben wuͤrde. Cerebacchius arbeitete
von derſelben Stunde an ſchier Tag und Nacht/ ſo
gar/ daß er auch offt die Mahlzeit daruͤber verſaͤume-
te/
[975]Romans II. Buch.
te/ niemahlen auch in ein fremdes Sauffgelach kam/
biß er ſeine Diſputation außgefertiget hatte/ welche
er dem Condado uͤbergab/ folgenden Jnnhalts:
Das XXXIX. Capitul/
Allhier wird deß Cerebacchii poſſierliche Diſputation von
dem Jure Potandi eingefuͤhret.
Diſputatio Inauguralis Theoretico-Practica
Jus Potandi, cum omnibus Solennitatibus \&
Controverſiis occurrentibus ſecundum Jus Civile
diſcuſſis, breviter adumbrans.
Quam Permiſſu \& Autoritate Nobiliſſimi \& Fa-
moſiſſimi Ordinis in Academia Divæ Potinæ,
Præſide
Dion yſio Baccho Sympoſiaſte Summo \& Anteceſ-
ſore præcellentiſſimo in Collegio Hilaritatis ad tres Reges
Sympotis ſuis præſtantiſſimis publicè exponer
Blasius Cerebacchius Multibibus, utriusq́; Vini
\& Cereviſiæ Doctor longè meritiſſimus,
horis ante \& poſtmeridianis ſolitis \& licitis.
DE JURE POTANDI.
Poſitio 1.
QUotidiana eſſe addiſcenda, lucerna illa Juris Paulus in l.
legavi 25. de libertat. leg. admonet, cum itaque nihil,
quod ſciam, familiarius, nihilque magis ſolenne, quam
ipſius Bacchi ſacra, \& verendum, ne nobis objiciatur, quod
olim ſervio Mutius opponebat in l. neceſſarium 2. §. Servius 43.
ff. de Orig. Jur. turpe eſſe Germano Jus Conviviorum, in quo
quotidiè verſatur, ignorare: non abs re eſſe duxi, ſi non nullas
obſervationes tam Theoreticas, quàm Practicas in gratiam eo-
rum, qui aliquando animum ad forum applicare deſiderant,
eventilarem, quò rudiores excitarentur \& excolerentur, erudi-
tioribus verò penitiùs in eam rem inquirendi anſa propinatetur.
2. Origo hujus Dionyſii feſti quin ſit antiquiſſima omni-
bus conſtat; uſum itidem promiſcuum omnibus gentibus
communem eſſe, æquè notum eſt, temporum tamen evolutio-
ne nemo
[976]Deß Academiſchen
ne nemo non Germanis propter ſedulam eorum, devotamque
erga hoc numen religionem \& culturam, principatum obtulit;
quam laudem preſſis velut manibus protervè adhuc præcœteris
ſibi retinent \& defendunt. Ad has itaque eorum conſuetudines
præſens collimabit Diſſertatio, quam tamen principaliter ad
praxin Academicam volo accommodatam.
3. Hujus Numinis cultus in commeſſationibus \& pota-
tionibus eſt ſtrenua poculis ſuſcepta velitatio. Jus potandi eſt,
quod in de reſultat, comprehendens ritus \& ſolennitates, quidq́;
alterum alteri ex lege præſtare conveniat, ſubindicans.
4. Cauſam primam ipſi antiquitati adſcripſi: ſecundariæ
ſunt plurimæ, procedentes vel ex liberalitate ipſius Domini, cu-
jus impenſis potationes expediuntur, vel ex quadam honeſtate,
aliquando etiam ex neceſſitate.
5. Liberalitas illa cauſatur vel ex ſola affectione, utſi ami-
cos invicem nullam ob aliam, quàm amicitiæ cauſam; vel ex
aliis circumſtantiis. Sic ipſa aëris conſtitutio nonnunquam oc-
caſionem à ſtudiis verſandi, Bacchoque indulgendi præbet, quod
fit, ſi nebuloſæ forſan incidant pluviæ, quibus corpus ad deſi-
diam provocatur, cui ſi ſolitudo accedat, facilè melancholia
contrahi poteſt: Hoc itaque ne fiat, accitis amicis ad potandum
aliquando devenitur. Pari ratione majore urgente ſolis fervore,
unde corporis provenit laſſitudo, Muſis invigilare difficile eſt;
aſſumendum igitur aliquid liquoris, quo iſta flamma reſtingua-
tur, in quo dum laboratur, è re ſæpius occaſio bibendi naſcitur.
Quæri hinc poteſt. An expediat diebus canicularibus ſtudere?
Matutino tempore modicam quidem impenſionem extra peri-
culum eſſe putamus, pomeridianum verò tempus noxium omni-
nò, videmus enim tunc temporis canes in rabiem agi, qui tamen
nullius rei cogitationi inhærent. Quo dubio procul veneranda
reſpexit antiquitas; quæ in quibusdam Academiis \& Scholis
circa id tempus pomeridianas ſuſpendit lectiones. Tabellarii
quoque benè nummati expectatus adventus regulariter aliquo
Sympoſio ſalutandus venit: ibi in ſanitatem patris, matris \&
omnium eorum, qui aureos nummos mittere ſolent, bibitur, re-
liqui non curantur.
6. Propter honeſtatem aliquando inſtruenda potatio, ſtu-
diaque interrumpenda, ut ſi amicus nos interpellet. Maxima
namque eſſer ruſticitas \& importuna ſedulitas, nolle amico
perexigui temporis uſuram vacare.
7. Neceſſitas eos potiſſimum ſtringit, qui noviter ad
Acade-
[977]Romans II. Buch.
Academias acceſſerunt, Illi namque per Schoriſtas (ut vocant,)
adacti vinum aut cereviſiam, prout fert eorum crumena, ad ſatie-
tatem apponere coguntur, niſi pugnos ſentire malunt. Quæ
conſuetudo num rationabilis, \& utrumne quis ſalva conſcien-
tia Schoriſtarum conſortio ſe aggregare poſſit, ſi quæratur?
utrumque de jure negamus. Incurrunt enirn hæc rectè contra
juris noſtri principia, quæ honeſtatem morum jubent, alterius
læſionem vetant; Fures \& prædones ſi homines exſecrantur,
quis hoſce laudabit? Quorſum alias Edictum quod metus cau-
ſa? Quorſum Interdictum Utrubi? Si non ad hoſce per vim
interrumpentes hoſpites ſpectent? Sed hodiè ſchoriſtæ cum
Pennaliſmo prorſus ſunt extirpati.
8. MATERIA EST VINUM ET CEREVISIA:
quorum utrumque in multiplici eſt differentia, nec dubium, ſi
de præſtantia quæras, quin Vinum Cereviſiæ longè prævalear.
In ſuo tamen genere utroque conſiderato, cujusnam bonitas
præponderet, unius non eſt judicare, tot enim de eo ſunt ſen-
tentiæ, quot capita: quod vel inde conſtat, dum plurimi repe-
riantur, qui Aquam aut Lac Vino etiam excellentiſſimo præpo-
nant. Meo palatui magis adblanditur Cereviſia Roſtochienſis,
Hamburgenſis, Dantſcher Dubbelt Bier/ Preuſſnigk/ Braun-
ſchwiegeſche Mumme/ Knieſenack/ Rommeltheiß/ Hannoverſch
Brayhan/ Engliſch Bier/ Zerbſter/ Torger/ quàm Kuckuck/
Buffel/ Raſtrum/ Klatſche; longeque plutis æſtimo Vinum
Lacedæmonicum, vel purum Rhenanum, ut Klingenberger/
Muſcateller/ Reps/ Hambacher/ Malvaſier/ Peter-Simens/
Allekante/ Rießfelder/ Nothalter/ Bacheracher/ quàm omnia
Francica \& Haſſiaca Vina.
9. FORMA potandi dignoſcitur ex ipſis bibitionum modis,
qui vel ſunt totales vel partiales. Totales ſunt, quando totum
exhauritur, idque fit vel continuè vel diſcontinuè. Continue,
quando uno hauſtu totum evacuatur; idque expeditur vel flo-
ricôs, vel hauſticôs.
Floricôs bibitur, cum os poculi labris circumcluditur, unoq́;
impetu potus ad gutturem demittitur, cujus reflexio bullulas
quasdam efflat, quas flores noſtri dicunt. Hauſticôs, cum uſi-
tato modo totum ſine reſpiratione extrahitur.
10. Cujus ratione in dubium venit: ſi quis inchoet ali-
quod poculum floricôs ordine ebibendum, \& forſan unus è me-
dio hoc præſtare nequeat (nam non omnibus contingit adire
Corinthum,) quid ſit faciendum? Nemo ad impoſſibile obli-
Q q qgatur.
[978]Deß Academiſchen
gatur. c. nemo. 6. De R. I. in 6. \& ſufficit ad ſuum modum
fuiſſe diligentem \& gnavum l. quod Nerva, 32. ff. Depoſit.
11. Sed quid ſi nec hauſticôs ebibere quear? Illa eſt lata
culpa, non noviſſe id, quod omues tenent l. latæ 223. ff De
V. S. quæ dolo comparatur. l. 1. §. 1. ff. ſi mens falſ. mod. dix.
Ea propter excuſationem non merebitur. Bibat itaque usque
dum oculi diffluant.
12. Quid ſi de virium ſuarum tenuitate non proteſtetur,
inchoetque floricôs ebibendum, ſed complementum addere
non valeat, quid Juris? ille de novo inchoare debet, non enim
illud affectare debuerat, cujus erat imperitus. l. idem 8. §. 1. ff.
Ad l. Aquil.
13. Quandoquidem hæc ſtrictè obſervanda ſunt: Numne
virgo aſſidens aliquantulum adjuvare poterit? Aff. Quia mini-
ma non curat Prætor. l. 4. ff. de in Integ. Reſtit.
14. At quid ſi ſtrenuè bibat: Tum negamus, hoc namq́;
in fraudem legis fieret, quæ circumventionem non patitur.
l. contra 29. cum l. ſeq. ff. de L L. præſumptio tamen pro vir-
gine eſt, cum rarò ſint bibaces, L L. autem ad id, quod frequen-
tius fit, feruntur l. jura. 3. cum ſeqq. ff. de L L.
15. Anne idem de Anu aſſerendum? Iſtud pernegamus,
longos namque ſingultus vetulæ ſolent ducere, \& plus æquo
abſumere. Deluper plurima noxia in effœto \& rancido iſto cor-
pore continentur, quæ ultrò cuipiam communicationem po-
culi diſſuadere debent.
16. Hæc pocula velordine procedunt vel extra ordinem;
ordine quando nulla transgreditur perſona, ſed in omnes ſecun-
dum ſeſſionum ſeriem poculum promovetur, hujusmodi eſt
poculum, quod vocant ſanitatis, quod alicujus ſanitatis compre-
candæ ſtabiliendæque cauſa nudo capite \& quidem ſtando à tota
compania expeditur. De hoc quæri ſolet. An ſit rationabile?
Dicimus finem quidem eſſe bonum, intermedia autem non
uſque adeo convenientia. Nam quis neſciat, quam multi ſint,
qui hujusmodi valetudinariis poculis, alterius procurare valetu-
dinem intendentes, ſuam ipſius exhalent. Illos equidem in ſe-
ipſos injurioſos, ipſamque naturam violare conſtat, quæ qui-
dem aliis prodeſſe dictitat, ſed non cum ſuo detrimento. l. 2.
§. 5. in f. ff. de Aq \& Aq. Pluv. Arc. l. 6. C. de Servit. \& Aq. \& ut
loquuntur Dd. ordinata caritas à ſe ipſo incipit, Magnus tamen
hujus ubique eſt uſus, cum primis in aulis Principum.
17. Succedit huic quæſtio: An honeſtum ſit, ut quis pa
tiatur
[979]Romans II. Buch.
tiatur præſens ſuam ab aliis bibi ſanitatem? Ita obtinet uſu, ut
quis non reputetur politicus, qui talem ſibi exhiberi patitur ho-
norem. Imò multoties incivilitati aſcribitur, ſi quis ſine prote-
ſtatione inchoari permittat ſanitatem proximi cognati. Ama-
toriis tamen ſeu Veneris mancipiis ſpecialiter indultum eſt, ur
in ſuarum Animularum (licet præſentium) ſanitatem hujus-
modi vorivos hauſtus inſtillent, qui maximos in iis pruritus ex-
citare ſolent, cordaque \& renes penetrare: imò tanto hoc ipſo
incenduntur æſtu, licet poculum ſit ingens valdè, cujus profun-
ditatem vacca quadrima haut valeret abſorbere, illi tamen ſine
difficultate ad unguem usque exſugere poſſinr.
18. Extra ordinem bibitur, cum ordinis ratio non atten-
ditur, ſed hucillucvè poculum deſtinare licet. Quod vel ſim-
pliciter fit, vel cum ſingulari ſenſu: ſimpliciter veluti ſi nihil
præter ipſum bibendi actum introducas poculum, quemadmo-
dum communiter bibi ſolet. Hic ſalebroſa ſatis incidit quæſtio,
quam multi tanquam altas radices hominum attingere nolue-
runt. An is, qui adverſario ſuo hoc pacto propinat, injuriam
ſibi factam remiſiſſe videatur? Ajentibus aſſentimur: nam
cum hujusmodi propinationes votiva quadam ſalutis compre-
catione perficiantur, quis neget, reſtinctum eſſe animi fervorem
in eum, qui nobis fauſtiſſima quæque comprecatur. Eo re-
ſpicit §. fin. Inſt. de Injur. diſſimulatione injuriarum actionem
aboleri, ubi notant Dd illud fieri per ſalutationem reciprocam,
compreſſionem manuum, convivalem \& familiarem conver-
ſationem. Iidem tradunt prædictis modis injuriam ad animum
ſemel revocatam, tacitè remiſſam cenſeri, quod tamen commu-
nius, non abſolutè recipitur, ſed cum quadam limitatione, ſi id
lite nondum mota fiat. Quod vos notare volo, quibus publicas
popinas crebrius viſitare moris eſt, ur ſicuti vobis cum alio res
ſit, nolitis vel illi præbibere vel ab illo profectum ſuſcipere, niſi
ipſimet reconciliationem appetatis. Unde proteſtari quosdam
videmus, quoties cum inimicis ipſis convivaliter converſandum
ſit, cauſæ inde nihil decedere debere, daß ſie ihm auf Hofrecht
eines bringen wollen.
19. Singularem præ ſe fert ſenſum POCULUM, quod
vocant FRATERNITATIS, moribus introductum, quo ali-
quis velut initiationis ritu verbis ſolennibus in fratrem coopta-
tur: vulgo vocant die Bruderſchafft/ oder auf Dutz trin-
cken/ Formula communis adoptantis hæc eſſe ſolet: ſi non
Domino juvenis nimis aut inæqualis viderer, optatem cum eo-
Q q q 2dem
[980]Deß Academiſchen
dem amicitiam \& fraternitatem pangere: Reſpon det alter, bibe
in nomine Domini, erit id mihi per quam gratum. Bibit, tra-
ditque adoptando, ubi in ipſo traditionis actu hæc verba con-
ſueta adhibentur. Nomen eſt mihi N. N. faciam, quod tibi ſit
acceptum, omittamque, quod ſit ingratum, omninoque me ita
geram, ut bonum addecet fratrem. Cui alter infit? Et idem
ego ero in omnibus. Ibi poſtmodum non multis adjectis muſſi-
tationibus ab invicem rogationes fiunt, ut hæc fraternitas mu-
tuis viſitationibus ſtabiliatur. Hæc, ut dixi, fraternitas conſuetu-
dine inducta eſt, quam Jus Civile prorſus ignorat, nullus ſiqui-
dem per adoptionem illo jure fratrem ſibi quærere poteſt. l. ne
cap. 7. C. de heredit. inſtit. ipſam namque adoptio naturam
imitatur. §. 4. Inſtit. de Adopt. contra naturam autem forer
fratrem ex fratre naſci.
20. Circa quod generaliter indagare licet: Quid de ipſa
fraternitate per poculum contracta ſtatuendum ſit? Eam pa-
rum firmitatis habere prudentiores arbitrantur. Et hoc veriſſi-
mum eſt, eadem ſiquidem facilitate, qua colligata eſt, reſolni
poteſt. l. nihil tam ff. de R. I. Quod multoties ita in facto eve-
nit, ut qui hac hora in intimam conſpirarunt fraternitatem, ſe-
quente ſe invicem pugnis exercuerint. Nec hoc mirum cui-
piam videatur, Effectus enim ſuam cauſam arguit, quæ qualis
præceſſit, talis quoque hic cenſetur l. 5. §. 1. de Adminiſt. Tur.
jam certum eſt, nihil quicquam ſtabile in ipſa ebrietate reperiri,
ſed omnia cum impetu agi. l. 11. §. 2. ff. de Pœn. unde alii ebrium
currui ſine ductore currentem compararunt. Ergò nec in ipſa
amicitia, per ebrietatem contracta, quicquam firmi erit Vide-
mus tamen, nonnunquam amicitioris conjunctionis hinc ſu-
mi occaſionem, \& ſtabilimentum \& temporis tandem ſubjici
progreſſu.
21. Stante tamen communi ſententia inquirere non abs re
erit: An honeſtum fuerit, ſtudioſum cum Pennali fraternita-
tem bibere? Cum aves unius coloris junctim volare ſoleant,
exque comite noſcatur, qui ex ſe non dignoſcitur? Præſumptio-
ne juris, is non immeritò pro Pennali habetur, qui ſe Pennali
aggregat. Accedit, quod Adoptio agnationis Jus indicat. l. 73.
de Adopt. Agnati autem arctiſſimè jungantur, adeò ut de alte-
rius ſanguine participaſſe videantur; coaluiſſe itaque reputatur,
\& ipſam veluti à traduce hauſiſſe Pennalitatem cenſetur, qui
cum Pennali hujusmodi fœdera pepigit, degradatione non in-
dignus eſt, ut qui tam crudelis fuit, ut famam ſuam neglexerit,
quæ cum vita pari paſſu ambular. l. 9. de Manum. Vindict.
22. Idemne
[981]Romans II. Buch.
22. Idemne de Nobili aſſerendum, quàſi ipſi officiat cum
Studioſo ignobili hujusmodi confœderationem facere? Mini-
mè gentium. Quandoquidem tantum abeſt, ut hoc nobilitatis
ſplendori ſit dedecori, ut potius eum apprime ornet. Sic ſummos
videmus Monarchas literatorum ambiiſſe amicitias, ut quorum
conſiliis \& eruditione inſtructi longè felicius Imperii guberna-
cula tenere potuerint. Quid quod ipſis ſtudioſis, eadem (ſi non
majora) competant Privilegia, quæ nobilibus. Auth. Habita.
C. Ne Fil. pro patre. Quid quod \& ipſi (præſertim juri in cum-
bentes) ad nobilitatis faſtigium adſpirare valeant, Exemplo Ul-
piani in l. 7. C. de Poſtul. l. 8. f. ff. de Excuſ. Tut. Quam no-
bilitatem, utpote virtute adquiſitam, multò præſtantiorem eſſe
ea, quæ ex natalibus provenit, tradunt ſecundum illud: Nobi-
lis is verè eſt, quem nobilitat ſua virtus.
23. Unde diffluit \& hæc conſideratio: Aliquid num de-
cedat honori Studioſi, ſi picem in fratrem adſumat? Affirman-
dum prima fronte videtur ex iis rationibus, quibus contra Pen-
nalem uſus ſum. Attamen contrarium in foro determinari vi-
demus: \& ratio diverſitatis dari poteſt, quod Pennalis infamiâ
quadam, ſi non juris, facti tamen laborare videatur, \& in con-
trario prorſus ſit prædicamento cum ſtudioſo, ſitque velut abor-
tus, in quo naturæ deficiat perfectitudo; cum contrà pices ſint
in ſuo genere perfecti, nec ita odibiles. Huc confer, quod ratio-
ne victus \& amictus ſtudioſus iſto hominum genere carere ne-
queat. Quare fidiſſimè conſulo his, qui hujusmodi hominum
opera uti coguntur, ut rogati non denegent fraternitatem. Nam
hoc \& in cambio \& mutuatione pecuniarum, \& fide habenda, ſi
nummos in præſenti non habeas, plurimum prodeſt. Recitabo
vobis exemplum, quod alicubi accidiſſe au dio: fuit aliquando
mercaror, qui ambivit ſtudioſi cujusdam Fraternitatem; Hie
benè eſſe dicit, ſed non ſolere ſe quemquam, qui non ſit ſui or-
dinis, in fratrem aſſumere, niſi datâ aliq uâ arrhâ ſive recordatio-
nis Symbolo: Alter geſtiens de tali oblato fratre, quid cupiat
quærit, cui infit ille, placere ſibi tibialia ſerici fili, quæ ut det,
imperat. Conſentit pix, poſtero die promiſſum explet, videte,
num hæc praxis aureum os habeat. Remittendum igitur potius
aliquid de Juris rigore, quam contra propria commoda labo-
randum.
24. Quid de virgine cenſes: Num caſtitati quippiam
inde decedet, ſi cum juvene hujusmodi fœdus pangat? Illud
perquam ſolemne eſſe inter nobiles audio; imò aliquando
Q q q 3etiam
[982]Deß Academiſchen
etiam ad alios defluere ritum illum animadverto; Daß ſie auf
Schweſterſchafft oder hertzliche Treue trincken. Sed cavete,
eavete inquam virgines, quotquot caſtitatem amatis, ne præ-
textu fraternitatum vos in ſua retia pelliciant, fiſtula dulce canit,
volucrem dum decipit auceps, \& ſororculæ titulus brevi nego-
tio in titulum concubinæ converti poteſt. Quare principiis ob-
ſta, ſerò medicina paratur.
25. Hic hauſticôs bibendi modus nonnullis aliquando
eir cumſtantiis variatur, deſumptis aut ex ſubjecto recipientis po-
tum vel ex bibendi diſcrimine. Illo modo multoties ex patinis
fruſtis carnium abdominis \& juſculi reliquiis illitis ſorbentur
potiones, vel ex pileis domeſticis multoties peculiis plurimis
obſitis hauriuntur; vel ex calceis quos non rarò impurus aliquis
podicis filius ambedit, magnis ſingultibus protenſo gutture ex-
trahuntur: quid quod ex matulis cum ipſis urinæ excrementis
potum ſumere quibusdam placet. Suibus ædepol magis quam
ſtudioſis hic mos conveniens, \& qui hoc faciunt non potiores,
ſunt canibus ad vomitum redeuntibus, multisque paraſangis
ruſticum illum antecedunt, qui regeſtum in via mulſum, pile o
excepit, ſecundamque ſibi \& familiæ ſuæ menſam domum re-
diens extrui inde fecit. Nec minus probabilis eſt eorum pro-
cacia, qui candelas injiciunt poculis, ſcriptum enim eſt, bibe,
quod eſt liquidum. Quid de iſto dicam lurcone, qui ſex injectos
in cantharum haleces ſalſos cum ipſa Cereviſia proluere \& in-
tegros deglutire potuit. Ego ipſi aliquid mollioris farturæ, quod
ſpinas non continuiſſet devorandum porrexiſſem, quod ip ſi con-
ducibilius forſan, nec tanta in digerendo difficultas fuiſſet.
26. Exclamo quoties eorum mecum agito veſaniam, qui
non contenti potu, ipſa vitra ſimul vorant; expediret potius
aliquid bellatiorum à tergo vaccæ magnæ recenter excidentium
ore excepiſſe, illudque mandiſſe, ſic enim \& os \& viſcera extra
omne arroſionis periculum poſita forent, unde facilè conſtat,
poſſe quem hujusmodi inſuetos \& violentos bibendi modos,
aliô quantumvis præeunte, honeſtè recuſare.
27. Sed quid ſi ſub honoris noſtri diſcrimine admonea-
mur, bey Schelm Schelm/ der es nicht nachthut. Nec tum
quidem nos reneri aurumo. Etenim quæ facta lædunt pietatem
\& incolumitatem, \& contra bonos mores ſunt, ne fieri quidem
à nobis poſſe putandum l. 15. ff. de Condit. Inſtit. nec malis mo-
ribus aperienda feneſtra, ſed potius purganda à corruptelis pro-
vincia. l. 13. Pr. de Offic. Præſ. Quin \& quod in proprium cor-
pus
[983]Romans II. Buch.
pus ſævire non liceat l. fin. §. 6. ff. de Bon. Cor. qui Ant. Sent.
Cum nemo ſit membrorum ſuorum Dominus l. 12. ff ad l. Aquil.
28. Ipſe bibendi actus variatur multifariam: Ego paucas
allegabo circumſtantias. Sic nonnullis placet ore attollere vi-
trum. Alii citerius apprehendunt labrum, ut inclinato ad terram
capite bibant: quidam duo conjungunt pocula \& ſimul ebi-
bunt. Reliqui non manu adſumunt, ſed brachio innectunt po-
culum. Sunt qui ad frontem ſtatuant vitrum, ur ſenſim per na-
ſum veluti Canalem in os defluat, ubi præ cæteris hi inſignem
mihi prærogativam habere videntur, qui benè naſuti ſunt, ita
ut inferius in curvaturam ad modum roſtri pſittaci naſus abeat.
29. Sunt alii, qui propria nomina propter geſticulationes
\& ceremonias adhibitas, bibitionibus indiderunt. Cujusmodi
ſunt Curll/ Murll/ Puff/ cujus infinitæ ſunt ſolennitates vel
potius phantaſiæ: poculū latinum, cui verba nonnulla cum qua-
terna propinatione adhibentur: Item, das Roͤßlein verkauffen/
dem Unbekandten bringen. Item, ſine Tuck/ ſine Schmuck/ ſine
Bartwiſch. De quo poſteriori ſi roget quis: An ſine Bart-
wiſch/ bibere queat, qui barbam non habet? Reſpondetur, id
jure fieri non poſſe: privatio enim præſupponit habitum. Quæ
ſubtilitas tamen in foro non attenditur.
30. Hactenus de poculis totaliter \& continuis exhaurien-
dis; modo deſpiciamus de diſcontinuis hauſtibus, cujusmodi
eſt poculum Gratulatorium, der Willkom̃/ cujus uſus perquam
familiaris eſt ſtudioſis, ſi quando novum hoſpitein nunquam
ante hoc in Muſæo viſum acceſſiſſe videant, eidem cum pro-
lixa præfatione capaciſſimum, quod habent poculum, in argu-
mentum acceſſus longè gratiſſimi afferunt. Quod num rectè
quis recuſare poſſit, multoties quæritur? Negativa communiter
obtinuit: qui libet namque Monarcha eſt in ſuo Muſæo, ac ſic
Jus ferendi legem habet. l. 1. de Conſtit. Pec. Et quid laborabi-
mus contra conſuetudinem legis vim obtinentem. l. 32. ff. de L L.
Ubi tamen ſemel quis hujusmodi honoratus poculo, denuò
tempore redeat, non eſt conveniendus niſi Muſæum ſit muta-
tum, quo facto, ut pote novo acquiſito territorio, novis ſanctio-
nibus opus eſt, cum hujusmodi ſtatuta ſintlocalia, nec ultra
protendantur. I. fin. de Jurisdict.
31. Illud agitatum ſæpius: Si cui in primo acceſſu pocu-
lum non ſit oblatum, an Dominus Muſæi juri offerendi tacitè
videatur renunciaſſe hoſpitemque neceſſitate bibendi liberaſſe?
Certè ſi ipſa intentio \& ſcopus hujus poculi attendatur, affir-
Q q q 4man-
[984]Deß Academiſchen
maudum illud planè videtur: contrarium tamen uſu invaluit’
vldetur enim Dominus Jus in commodius tempus ſibi reſervaſſe’
cum nec ea, quæ meræ facultatis ſunt, ullo tempore præſcribi
poſſint. l. 2. de via publ.
32. Hucusque de totalibus bibitionibus? Succedunt par-
tiales, cum non totum, ſed pars tantum hauritur, puta quando
duo vel plures de uno vitro participant. Qualis eſt permagna
illa Humpa, quam vocant das Roͤmiſche Reich/ cujus potentia
non eſt exigua in proſternendis etiam viris fortiſſimis. Sic in
inferioris Saxoniæ locis quatuor ex uno \& quidem pleno Vino
vel Cereviſia repleto Cantharo bibunt, ita ut tres priores ſemel
tantum bibant, quartus verò ſolus totum, quod reliquum eſt,
exſiccer, quæ forma potandi vulgò nominatur, Den Fuchs
ſchlepffen.
33. Unum hic admodum ſingularem notate modum,
cujus praxis aurea eſt, quam obſervavi in aliqua benè conſtituta
Republica. Vidi in eadem menſa junctim per pares, non ſecus ac
columbæ aſſolent, ſedentes virgines \& juvenes, ubi complica-
tis invicem digitis annularibus, adſumptoque inferius per
utriûsque manum ſimul poculo, junctisque velut roſtris \& hic
\& illa biberunt, \& tandem oſculo ceu ſigillo appoſito hanc ſo-
cieratem obſignarunt. Optandum eſſet, ubique ſolennitatem
hanc uſu valere, jurarem multo ſapidiores redditum iri potus; ſed
(proh dolor) imperitorum quorundam incuria in plerisque Cu-
riis prorſus intercidit.
34. In hoc tractatu non omitto celebrem \& utilem arti-
culum: quid faciendum, ſi omnes ex uno cantharo bibant, uniq́;
inter bibendum ſternutatio obveniat? (quod fieri videmus, dum
aliquando ipſe liquor ſolito meatu relictò per nares in cantha-
rum relabitur:) Non iniquum arbitramur, ut ille ſolus totum,
quod reliquum eſt, exhauriat, poſteaque puero cantharum re-
luendum tradat, \& ſic pergatur in opere. Quam vis enim caſus
fortuitus nemini imputari debeat, ſi tamen ex præcedente culpa
proveniat, præſtandus venit. l. 5. §. 7. ff. commod. quod in pro-
poſito caſu accidiſſe evidenter patet, aut enim moderatius de-
buiſſet bibiſſe, aut maturius ore removiſſe.
35. Sed ſi ille ſuas fordes ſorbere nolit, detrectetque humi-
lime? Intereſt quidem Reipublicæ, pœnas ſuum ſortiri exitum.
l. ſancimus. C. de Pœn. Putarem tamen ex æquitate hoc ei
poſſe remitti, aliumque cantharum ad ſummum usque repletum
de novo ebibendum tradi, ignoſcendum enim eſt ei, qui ſangui-
nem
[985]Romans II. Buch.
nem ſuum qualiter qualiter redemptum vult. l. i. ff. de Bon. Eor.
qui ante ſent. maximè cum ſeveritas L L. cum aliquo benigni-
tatis temperamento leniri debeat. l. 11. pr. ff. de Pœn.
Das XL. Capitul/
Condadound ſeine Geſellſchafft werden von den See-Raͤu-
bern gefangen/ kommen wieder loß biß auf Klingenfeld/ der viel leyden
muß. Ein Aga kommt ſeinethalben um das Leben.
ALs Condado und Cavina dieſe Diſputation durch-
leſen hatten/ muſten ſie geſtehen/ daß zugleich
Kunſt und Luſtigkeit darinn beſtehe. Jener ver-
zog auch nicht laͤnger/ ſondern ließ ihm die 20. Reichs-
Thaler außzahlen/ dann er gedachte nicht/ daß in dem
Cerebacchio noch ſo viel Witz ſolte geweſen ſeyn/ ei-
ne ſolche vernuͤnfftige Diſputation, die nicht abge-
ſchmackt herauß kam/ außzufertigen.
Nachdem endlich Condado zu Baſel ſich eine
Zeitlang aufgehalten/ raͤyſete er mit ſeiner Suite wei-
ter nach Heydelberg/ und als er etliche Monat allhier
verblieben/ gieng er nach Tuͤbingen/ woſelbſt er uͤber
ein halb Jahr blieb/ weil auch nichts ſonderliches
dieſe Zeit uͤber fuͤr gefallen/ begleiten wir ihn weiter/
ſintemahl zu wiſſen/ daß er endlich Luſt bekam/ ſein
Vatterland einmahl wieder zu ſehen/ zu dem Ende
forſchete er bey ſeinen Leuten/ ob ſie Luſt haͤtten/ mit
ihm nach Calabrien zu gehen? Und weil ſich ein Je-
der hierzu gantz begierig erzeigete/ ſetzte er ſich auf die
Poſt/ und gieng uͤber Augſpurg nach Venedig/ welche
Mutter aller Kauff-und See-Staͤdten er auch ohne
einzigen Anſtoß gluͤcklich erreichete. Hieſelbſt lag
er nicht lang/ ſondern weil er ein Frantzoͤſiſ. Schiff
fand/ welches nach Meſſina in Sicilien lauffen wol-
te/ bedunge er ſich darauf/ und gieng mit gutem Wind
fort. Als ſie aber auß dem Adriatiſchen in das offen-
bare Mittel-Meer lieffen/ da uͤberfiel ſie ein ſtarcker
Q q q 5Nebel/
[986]Deß Academiſchen
Nebel/ in welchem ſie gar nicht weit von ſich ſehen
kunten/ und das zwar zu ihrem groſſen Ungluͤck;
Dann ehe ſie ſichs verſahen/ lag ein Tuͤrckiſcher Rau-
ber mit ſeiner groſſen Galleevon Tripolis ihnen ſchon
zur Seiten/ und rieff ihnen zu/ daß ſie ſich ergeben ſol-
ten. Der Frantzoͤſiſche Schiffer zeigete alsbald ſein
Patent, und erwieſe dardurch/ daß er mit ſeinem
Schiff und Guth in Franckreich gehoͤrete/ womit die
Respubliq Tripolis damahl in guter Verſtaͤndnuͤß
lebete. Als man ihn aber fragte/ ob er einige Paſſa-
gierer fuͤhrete/ ſo nicht Frantzoͤſiſch/ moͤchte er ſolche
alſobald außhaͤndigen/ oder man wuͤrde ihn auf eine
ſonderbare Weiſe darzu zu zwingen wiſſen. Ob nun
gleich Condado dem Schiffer ein gutes Recompens
zuſagte/ wolte es doch nichts helffen/ ſondern der
Treu-loſe Frantzoß gab ihn ſamt allen ſeinen Leuten
an/ und alſo kamen 12. bewoͤhrte Tuͤrcken auf das
Schiff/ und holeten ſie in ihre Gallee/ daſelbſt wur-
den ſie alſobald in Feſſeln geſchlagen; Und ob ſich
gleich Condado zu einem gnugſamen Loͤſegeld erbot-
te/ wolte ihm doch ſolches nicht helffen/ dann die Raͤu-
ber wandten ein/ daß wol ehe einige Gefangene ſich
zu einer anſehnlichen Rancion erbotten/ die man in
Anſehung derſelben wol gehalten/ aber endlich ſey
doch nichts erfolget/ und haͤtte man nur Schaden
darbey gehabt. Alſo muſten dieſe arme Gefangene/
die den Treu-loſen Frantzoͤſiſ. Schiffer jetzo in ihrem
Hertzen vermaledeyeten/ in ihrem Ungluͤck ſich gedul-
den/ und auf eine beſſere Zeit hoffen. Man hielte ſie
gar ſchlecht/ und weil die See-Raͤuber erſt neulich
außgelauffen waren/ hatten ſie noch keine andere Ge-
fangenen/ mit denen ſie die Zeit und Bekuͤmmernuͤß
etwan durch ein oder andern Diſcurs haͤtten lindern
moͤgen. Als die Nacht ſchon angebrochen/ ward
ihnen
[]
[][987]Romans II. Buch.
ihnen eine groſſe Kanne mit Waſſer und etwas ver-
ſchimmelten Zwybacks gebracht. Troll ſprach zu
dem Uberbringer/ der ein Renegade auß Jtalien war:
Guter Freund/ wir ſind einer guten Mahlzeit gewoh-
net/ und wann wir unſere gute Tractamenten nicht
bald wieder bekom̃en/ ſo werden wir nach der Reyhe
uns zu todte hungern/ als dann wollen wir ſehen/ wer
den groͤſten Schaden darbey wird leyden. Der Re-
negad aber lachete/ und ſprach: O du armer Tropff/
du haſt noch keinen Hunger gefuͤhlet/ laß dieſen rau-
hen Gaſt ſich erſt bey dir einſtellen/ was gilts/ du ſolt
mir bald anders pfeiffen? Hiermit wandte er ſich
um/ und Troll ſahe den Condado an/ zu welchem er
ſagte: Waͤren wir Ungluͤcklichen doch vor dieſes
mahl annoch in Baſel/ daſelbſt hatten wir an gutem
Wein und andern redlichen Tractamenten ſo groſſen
Uberfluß/ als Mangel wir jetzo daran empfinden.
Hiermit kehrete er ſich zu Cerebacchio, nahm die hoͤl-
tzerne Kanne mit Waſſer/ und ſprach: Wie nun/
Cerebacchi, da ſauff/ wilt du ſauffen/ bilde dir ein/ es
ſey guter Rheiniſcher Wein/ ich glaube/ es gehet unſer
Elend keinem inſonderheit mehr zu Hertzen/ als dir/
weil dein Magen am meiſten darbey zu leyden hat.
Cerebacchius machte ihm ſeltzame Mine, ſagte aber
nichts/ ſondern war ſehr betruͤbt uͤber ihr Ungluͤck.
Der Raͤuber lieff inzwiſchen fort/ und als ſie
etwa 4. Tage gefahren/ wurden ſie eines Schiffs ge-
wahr/ welches ſeinen Lauff gerade nach Oſten richte-
te. Hier gedachte er wieder eine gute Beute zu er-
ſchnappen/ ließ demnach die Ruder tapffer einſchla-
gen/ und machte Seegel auf das geſehene Chriſten-
Schiff. Er verfolgete es 2. gantzer Tage/ weil aber
das Schiff uͤber auß wol beſeegelt/ war es ihm ohn-
moͤglich daſſelbe ſo bald/ als er wolte/ einzuholen.
Gleich-
[988]Deß Academiſchen
gleichwol bekam er es fruͤhe Morgens allemahl wie-
der in die Augen/ und merckete/ daß es ſich nicht ſon-
ders fuͤr ihm fuͤrchtete/ noch deßwegen einen Hafen
zur Seiten ſuchte/ ſondern beſtaͤndig in ſeinem Cours
nach Orient bliebe. Endlich aber legete ſich der Wind/
und alſo hatte der Rauber die Ruder zu ſeinem Vor-
theil/ womit er dem Schiff denſelben Abend ziemlich
nahe kam. Gleichwol verhinderte es die Nacht/ daß
ſie nicht vollends daran gelangen kunten. Als aber am
folgenden Morgen die Sonne den Horizont beleuch-
tete/ ſahe man das Schiff nur einen Canon-Schuß
vorauß. Es fuͤhrete 3. Maſten/ und bey 20. kleine
Canonen/ weil aber der Rauber eine Frantzoͤſ. Flagge
darauf erblickete/ entfiel ihm ſchon der Muth/ jedoch
ſetzete er den Both mit etlichen Leuten auß/ die dar-
nach zufuhren/ und deß Schiffers Paß und Cognoſ-
ſementen beleuchten ſolten. So bald dieſe an Bort
kamen/ und ihr Gewerbe anbrachten/ ſprach der Ca-
pitain zu ihnen/ ſie ſolten ihres Weges wieder zuruck
kehren/ und dem Gluͤck dancken/ daß man ihnen nicht
ein uͤbeles Botten-Brodt zuſtellete/ anbey dem Rau-
ber melden/ wann er ſelber das Hertz haͤtte/ naͤher zu
kommen/ wolten ſie ihm den Paß auß den Canonen
entgegen ſenden.
Als die Tuͤrcken mit dieſem Beſcheid nicht zu-
frieden waren/ ſondern viel Prahlens machten/ gab
der Schiff-Capitain ſeinen Leuten einen Winck/ wel-
che herzu ſprungen/ und ſie alle 4. in die See wurf-
fen. Man fuͤgete ihnen weiter kein Leyd zu/ dannen-
hero ſchwummen ſie eylends nach ihrem Both/ und
als ſie ſich da hinein geſchwungen/ lencketen ſie ſich
nach ihrem Schiffe/ und klageten daſelbſt ihre Noth/
daruͤber dann der Rauber Capitain fuͤr Eyfer haͤtte
zerſpringen moͤgen. Er wolte ſich demnach rechtſchaf-
fen
[989]Romans II. Buch.
fen an den Chriſten reiben/ ſchobe ſeine Gallee tapf-
fer fort/ und als er dem Schiff nahe gnug kommen/
brandte er das Stuͤck Geſchuͤtz/ ſo vornen auf der
Spitzen ſtund/ ab/ und darauf folgete eine Salve von
100. Muſqueten. Der Frantzoß bliebe ihm nichts
ſchuldig/ ſondern canonirte ſehr ſtarck in die Gallee/
daß gantze Reigen Menſchen hingeraffet wurden.
Das Gefecht waͤhrete ſehr lang/ und ware uͤberauß
hefftig. Der Tuͤrck wolte das Schiff erſteigen/ und
warff zu dem Ende etliche mahl Volck an/ aber dieſe
kamen allemahl in der halben Anzahl wieder zuruck.
Jn dieſem Tumult gedachte Condado mit ſeiner Ge-
ſellſchafft an ihre Befreyung/ aber ihre unterſte Kam-
mer/ darinn ſie in einem heßlichen Geſtanck ſaſſen/
war ſtarck verſchloſſen/ zu dem war das Pulver zu-
naͤchſt bey ihnen in einer beſondern Kam̃er/ daher ſie
in tauſend Sorgen lebeten/ und alleweil beſorgen
muſten/ daß ſie mit Schiff und allem in die Lufft ge-
ſandt wurden. Sie ſahen wol/ daß die Pulver-Kam-
mer offen bliebe/ um ſich deß Krauts zur Muſqueterey
nach Nothdurfft bedienen zu koͤnnen/ aber ihre beſon-
dere Kammer war allwege ſtarck verriegelt/ dannen-
hero/ und weil man fuͤr dem ſtaͤten Canoniren und
Schieſſen nichts hoͤren kunte/ reſolvirten ſie ſich/ ein
Brett/ ſo zwiſchen beyden Kammern war/ mit aller
Gewalt außzureiſſen/ aber es war zu ſtarck/ dannen-
hero entfiel ihnen abermahl der Muth/ biß Troll eine
eyſerne Stange in einem Winckel fand/ mit welcher
ſie ein Brett loßbrachen/ und in die Pulver-Kammer
giengen/ hieſelbſt funden ſie ſchon viel Todte von den
erſchlagenen Tuͤrcken/ ſamt ihren Saͤbeln/ dannen-
hero machten ſie ſich bewehrt/ und drungen gantz un-
verſehens durch die Tuͤrcken nach dem Chriſtlichen
Schiff/ ſchlugen auch auf dem Weg ſo tapffer um
ſich/
[990]Deß Academiſchen
ſich/ daß uͤber 10. Barbarn von ihnen erleget wur-
den. Sie hatten das Gluͤck/ daß ſie allerſeits in das
Frantzoͤſiſ. Schiff kamen/ ohne allein der arme Klin-
genfeld/ welcher beym Uberſpringen außglitſchete/
und wieder in die Gallee fiel/ welchen die Tuͤrcken
bald wieder an ſeinen vorigen Ort brachten/ und weil
ſie wol ſahen/ daß ſie an den Chriſten zuletzt noch zu
ſchanden werden muͤſten/ wendeten ſie ihre Gallee
nach einem Gefecht von 10. Stunden ab/ und ſuch-
ten einen Hafen/ um ſich wieder außzubeſſern. Der
Wind war annoch beſtaͤndig Oſten/ ob gleich ſehr
ſchwach/ dannenhero gedachten ſie nach Cypern zu
lauffen/ ob ſie vielleicht einen ihrer Cammeraden da-
ſelbſt/ wie ſie vermutheten/ antreffen/ und hernach in
deſſen Geſellſchafft dem Frantzoſen den Paß ab-
ſchneiden/ und ihre Revenge an ihm ſuchen moͤchten.
Gegen Abend waren ſie einander gaͤntzlich auß dem
Geſichte gekommen/ und Condado war um ſeinen
tapffern Klingenfeld gar bekuͤm̃ert/ hingegen waren
die andern ſehr erfreuet/ daß ſie wieder in ihre vorige
Freyheit kom̃en waren. Wir wollen die in dem Fran-
tzoͤſiſ. Schiff ihres Weges lauffen laſſen/ und zufo-
derſt bey unſerm Klingenfeld bleiben/ welcher eines
guten Troſtes anjetzo hoͤchſtens vonnoͤthen hatte/ dañ
es iſt nicht zu beſchreiben/ wie hart ihn die Barbarn
hernach hielten. Sie pruͤgelten ihn in einem Tag
wol 4. mahl/ und allemahl empfang er nicht weniger/
als 200. Streiche auf die Fußſohlen/ daß er endlich
gar niederfiel/ und ſchier in einer Ohnmacht Todes
verfahren waͤre.
Die Rauber lieffen inzwiſchen fort/ und erreiche-
ten etliche Tage hernach den Cypriſchen Hafen Sali-
nes, an der Sud-Seiten/ welcher nach denen daſelbſt
befindlichen herꝛlichen Saltz-Pfannen den Namen
fuͤhret.
[991]Romans II. Buch.
fuͤhret. Hieſelbſt beſſerten ſie alſobald ihre Gallce
auß/ und weil ihnen Klingenfeld unter den Haͤnden
ſterben wolte/ ſetzeten ſie ihn allhier an Land/ und
uͤbergaben ihn der Aufſicht deß Tuͤrckiſchen Aga/
welcher allhier das Commando fuͤhrete. Als ſie ſich
nun zur Fahrt gnugſam wieder außgeruͤſtet hatten/
verſprachen ſie innerhalb kurtzer Zeit wieder zu kom-
men/ um zu ſehen/ wie es mit ihrem Gefangenen
ſtuͤnde/ welchen ſie ſo bloſſer Dings noch nicht aufge-
ben wolten/ in Hoffnung/ eine gute Rancion von ihm
zu erhalten/ und damit lieſſen ſie den Seegel fliegen/
warffen die Ruder in die See/ und ſchaͤumeten dar-
mit ſolcher Geſtalt/ daß ſie in einer Stunde ihnen
allen auß dem Geſichte kamen. Der Aga uͤbergab
den Klingenfeld einem guten Wund-Artzt/ der ein
Pohlniſcher Renegade war/ und groſſen Fleiß an ihm
thaͤte. Es haͤtte aber dieſer wenig bey ihm außgerich-
tet/ wann nicht etliche mitleydige Griechiſche Kauff-
Leute deß Orts zugetretten waͤren/ welche den Patien-
ten in ihre Behauſung nahmen/ und einer um den
andern ihn mit guten Tractamenten erquickete. Dieſe
Leute/ ob ſie gleich von den Tuͤrcken hart gedruͤcket
worden/ lieſſen dannoch gegen die gefangene Chri-
ſten allwege ein hertzliches Mitleyden ſpuͤren/ und
ſolcher Geſtalt kam Klingenfeld in etlichen Tagen
ſein wieder zu ſich ſelber/ daß er wieder außgehen kun-
te. Er hielte darauf bey ſeinen Wolthaͤtern an/ daß
ſie ihm in einem Schiff forthelffen moͤchten; Aber
dieſe ſchuͤtzeten ihre Unmoͤglichkeit deßfalls fuͤr/ und
bedeuteten ihm/ was fuͤr eine ſchwere Straff ihnen
bereit waͤre/ wann ſie ſich unterfangen wuͤrden/ ihn/
als der dem Aga anvertrauet ſey/ wegzuſchaffen.
Hierauf bathe er ſie/ mit dem Aga zu accordiren/ und
das Loͤſe-Geld fuͤr ihn außzulegen/ welches er ihnen
auß
[992]Deß Academiſchen
auß Venedig ohnfehlbar wieder zuſenden wolte.
Aber auch dieſes war fuͤr die Kauffleute eine unge-
wiſſe Sache/ weil ſie fuͤr einen ihnen gantz unbe-
kandten Menſchen/ der von Teutſchen Eltern gezeu-
get/ und alſo ſein Vatterland gar weit von dannen
entlegen haͤtte/ eine ſolche Geld-Summa außzulegen
fuͤr eine Thorheit hielten/ zumahl ſie beſorgen muͤſten/
wann der Rauber wiederkaͤme/ daß derſelbe mit dem
außgelegten Geld nicht zufrieden ſeyn/ ſondern ein
weit Mehrers von ihnen prætendiren moͤchte.
Als demnach Klingenfeld endlich ſich wieder bey
vollen Kraͤfften ſahe/ gieng er zu dem Aga, und ſprach:
Jhr ſehet/ daß ich nun wieder geſund worden/ da mich
der Rauber von Tripolis als einen todten und ver-
lohrnen Menſchen allhier gelaſſen/ darum thut ſo
wol/ und ertheilet mir meine Freyheit/ als einem
Mann/ der allhier gleichſam neu gebohren worden.
Der Aga lachete/ und gab ihm dieſe Antwort: Du
Chriſten-Hund biſt durch meine Vorſorge bey dem
Leben erhalten worden/ und ſolches wil ich gegen die
Tripoleſen zu behaupten wiſſen/ darum biſt du nun
mein Leibeigener/ und ich habe mit dir nach meinem
eigenen Gefallen zu ſchalten. Dieſes klung gar uͤbel
in Klingenfelds Ohren/ welcher kein Wort hierauf
widerſprechen kunte/ ſondern leyden muſte/ daß man
ihn in ein heßliches Loch warff/ da ihn weder Sonne
noch Mond beſcheinen kunte. Der Aga botte ihn zwar
an ein und andern Juden dieſes Orts feil/ weil dieſe
Schelmen allhier/ wider die Gewonheit der andern
Tuͤrckiſchen Oerter/ mit Sclaven handeln moͤgen/
aber es war keiner/ der Geld auf ihn bieten wolte/ ſo
lange die Rauber ſich ihres Rechts an ihm noch nicht
voͤllig begeben haͤtten. Hierdurch ward der Aga ver-
anlaſſet/ ihn nach Famaguſta uͤber Land zu ſenden/ da
ihn
[993]Romans II. Buch.
ihn ein Tuͤrckiſcher Jubilierer/ welchem der Rauber
Anſprache auf ihn vorenthalten ward/ fuͤr 200. Kro-
nen kauffte/ und ziemlich wol hielte. Klingenfeld war
darmit wol zufrieden/ und ob er gleich alle Tage
ſchwere Arbeit thun muſte/ bekam er dannoch gute
Speiſen/ das Getraͤnck aber war ein klarer Waſſer-
Trunck/ ohne daß ihm die Griechen bißweilen einen
Trunck Wein ſpendireten. Als er nun 6. Tage allhier
gelebet hatte/ kam der vorige Rauber wieder zuruck/
und legete mit ſeiner Gallee allhier an/ dieſer erblicke-
te den Klingenfeld gar bald/ und fragete/ wer ihn hie-
her gebracht haͤtte? Man erzehlete ihm die gantze
Sache/ und darauf hielte er bey dem Baſſa deß Orts
an/ daß man ihm ſeinen Sclaven ohne einige Entgel-
tung außlieffern moͤchte/ weil er ihn auf der See auß
einem Chriſten-Schiff genommen haͤtte/ ſeine Cam-
meraden waͤren ihm zwar neulich in einer Rencontre
entwiſchet/ aber er haͤtte Beyſtand bekommen/ ſie
abermahl uͤberwaͤltiget/ und in Syrien verkauffet.
Gleichwie nun Klingenfeld uͤber das Ungluͤck deß
Condado und der uͤbrigen aufs neue hertzlichſt betruͤ-
bet ward/ alſo kunte der Baſſa hingegen dem Capi-
tain von Tripolis ſo bald kein Recht ſprechen/ bevor
er den Aga von Salines ſelber angehoͤret haͤtte/ auf
welchen ſich der Jubilierer/ als ſeinen Verkauffer/
bezoge. Dannenhero ward alſobald einer abgeord-
net/ welcher ihn nach Famaguſta citicte/ um daſeibſt
vor dem Baſſa wegen deß verhandelten Klingenfelds
Red und Antwort zu geben. Der Aga erſchiene etliche
Tage hernach/ und brachte ſeine Urſ[a]chen/ warum er
den Sclaven verkauffet/ dem Baſſa f[uͤ]r/ nemlich/ daß
er ihn haͤtte curiren laſſen/ ſonſt waͤre e[r] ſchon ein tod-
ter Mann/ und wann ja der Corſar das groͤſte Recht
an ihn zu haben vermeynete/ ſo præte[n]dirte er 200.
R r rKronen
[994]Deß Academiſchen
Kronen fuͤr die Cur/ (ſo viel habe er von dem Jubilie-
rer bekommen/) und wann er ſolche erlegete/ koͤnte er
ihn mitnehmen/ und ſo theuer verkauffen/ als er im̃er
wolte. Der Corſar bliebe darbey/ daß der Gefangene
ſein rechtmaͤſſiger Gefangener ſey/ und wann er dem
Aga den gebuͤhrlichen Artzt-Lohn bezahlete/ ſo koͤnte
derſelbe an dem Leibeigenen nichts weiters mit Recht
prætendiren. Der Aga hingegen bliebe darbey/ daß er
ſeine Medicamenten und Verpflegung auf 200. Kro-
nen ſchaͤtzete. Und weil der Baſſa den Jubilierer frag-
te/ was er darzu ſagte/ dieſer aber ſich vernehmen ließ/
daß er ſein Recht an dem Leibeigenen gern wieder ab-
ſtehen wolte/ wann ihm/ wie die Billigkeit ſolches mit
ſich braͤchte/ ſeine außgelegete 200. Rthlr. wieder er-
ſtattet wuͤrden. Da ließ ſich der Baſſa vernehmen/
daß er keinem von den beyden Principalen ihr Recht
diſputiren koͤnte/ ſie ſolten demnach um den Leibeige-
nen loſen/ bekaͤme ihn der Aga, ſo muͤſſe er ihn dem Ju-
bilierer/ Krafft deß gemachten Kauffs/ uͤberlaſſen/
oder ihm ſein außgelegtes Geld darfuͤr hergeben.
Uberkaͤme ihn aber der Corſar, ſo ſolle er dem Jubi-
lierer nur 100. Kro nen zum Abtritt geben. Hiermit
war weder dieſer noch jener zufrieden/ und behaupte-
te der Corſar, daß er den Sclaven auf 300. Kronen
æſtimirte. Was das Loß anbelanget/ wolle er ſich lie-
ber zu einem Kampff mit dem Aga verſtehen/ und ſei-
ne Sache mit dem Saͤbel gegen ihn außfuͤhren/ weil
der Baſſa ſie anders nicht entſcheiden koͤnte. Ob nun
gleich die Duellen unter den Tuͤrcken verbotten/ ſo
muſte man doch dem Corſar, als der die Tuͤrckiſche Ju-
risdiction deßfalls nicht erkannte/ ſeinen Willen laſ-
ſen/ weil nun dieſer ein Jrꝛlaͤndiſcher Renegade, und
ein Mann von groſſer Corrage, bliebe er bey dem
Kampff/ und wolte der Aga nicht fuͤr einen verzagten
Hudler
[995]Romans II. Buch.
Hudler angeſehen werden/ ſo muſte er ſeine Sache
auf einen Kampff ankommen laſſen/ welches Klin-
genfeld ſo wol/ als dem Tuͤrckiſchen Jubilierer/ ſehr
lieb/ welche hoffeten/ ſie wuͤrden Beyde durch ihre
ſcharff-ſchneidende Saͤbel ſo viel empfangen/ daß ſie
deß Leibeigenen daruͤber vergeſſen moͤchten.
Alſo nahm der Aga, der ein gebohrner Tuͤrck/ den
Kampff an/ und begunte ſeinem Gegenpart ſchon
mit der Hand zu bezeichnen/ auf welche Seite er ihm
den Kopff werffen wolte/ deſſen dieſer aber hoͤhniſch
lachete/ wol wiſſend/ daß die Hunde/ ſo gar viel bellen/
ſelten hertzhafft angreiffen. Der Baſſa ward zwar
von ihnen Beyden erſuchet/ dem Kampff in Perſon
beyzuwohnen/ worzu ſich aber dieſer durchauß nicht
verſtehen wolte/ fuͤrſchuͤtzend/ weil ihm die hoͤchſte
Gewalt dieſes Orts von der hohen Pforten anver-
trauet waͤre/ ſo gebuͤhre es ſich keines Weges/ einem
Actui beyzuwohnen/ welchen die Ottomanniſche Re-
gierung bey hoher Straffe im gantzen Reich verbot-
ten haͤtte. Der Aga gieng jetzo nach einer Herberge/
und nahm eine gute Mahlzeit/ welches auch der Cor-
ſar an einem andern Ort thaͤte. Klingenfeld aber
gieng ſo lange mit ſeinem letzten Herꝛn nach Hauß/
welcher wol elendig daran war/ dann da er ihm Hoff-
nung gemacht hatte/ ſchier kuͤnfftig wieder zu ſeiner
Freyheit zu gelangen/ muſte er jetzo erfahren/ daß er
3. Herren auf einmahl bekaͤme/ und es moͤchte auch
ablauffen/ wie es immer wolle/ ſo bliebe er doch zum
wenigſten eines Herꝛn Leibeigener.
Als endlich die Mittags-Mahlzeit allerſeits ge-
halten worden/ erſchienen die 2. Kaͤmpffer an dem be-
ſtimmten Platz/ welches war der Garten eines Grie-
chiſchen Kauffmanns/ den der Baſſa darzu beſtimmet
hatte/ wiewol auf Verguͤnſtigung deß Kauffmanns.
R r r 2Sie
[996]Deß Academiſchen
Sie behielten Beyde ihre ſchoͤne Kleider an/ und fuͤh-
reten kein ander Gewehr/ als Jeder ein kleines Schild
und einen durchdringenden Saͤbel/ giengen auch zu
Fuß/ weil es alſo beliebet worden. Es fand ſich/ wel-
ches wol Wunder/ nicht ein einziger Tuͤrck darbey/
als Zuſchauer/ ein/ wie wol zu glauben/ es ſey deßwe-
gen geſchehen/ weil die Duellen gar ſcharff bey ihnen
verhotten/ ſo gar/ daß auch durch bloſſes Zuſchauen
ſie ſich der Straffe/ ſo darauf geſetzt/ theilhafftig ma-
chen koͤnnen. Der Corſaren kamen zwar ziemlich viel/
auß Beyſorge/ die Tuͤrcken moͤchten ihrem Capitain
Leyd zufuͤgen/ aber dieſer/ der auf die Tuͤrcken nicht
viel paſſete/ hieß ſie/ um Verdacht zu meyden/ mit
einander wieder abtretten/ jedoch erhielte es ſein Lieu-
tenant, daß er ein Zuſchauer bleiben/ und von dem
Kampff urtheilen moͤchte. Da hingegen ernannte der
Aga einen Griechiſchen Edelmann/ von gutem Ge-
ſchlecht und groſſem Anſehen unter den Tuͤrcken/ daß
er in der Conſideration, gleich wie der Lieutenant deß
Tripoleſen/ ſich ſtellen moͤchte. Viel Griechiſche
Kauffleute lieffen auch hinzu/ weil ihnen dergleichen
Kampff dieſer Orten etwas Ungewoͤhnliches/ und
darunter war auch der Tuͤrckiſ. Jubilierer/ welcher/
weil er in keinen Kriegs-Dienſten ſtund/ ſich deßfalls
nichts Widriges zu befuͤrchten hatte. Dieſer hatte
den Klingenfeld auf deſſen Anhalten mit ſich genom-
men/ welcher begierig war/ einen ſolchen Streit mit
ſeinen Augen zu ſehen/ ob er gleich/ es ſiege auch/ wel-
cher wolle/ ſeine Freyheit darbey zu verlieren hatte.
Als endlich die 2. Kaͤmpffer Wind und Sonne
nach Billigkeit unter ſich außgetheilet hatten/ da
giengen ſie auf einander loß/ und ob gleich der Aga
mit ſeinen ſtarcken Streichen dem Handel bald ein
Ende zu machen hoffte/ ſo lachte doch deſſen der mun-
tere
[997]Romans II. Buch.
tere Jrꝛlaͤnder/ wiche ihm im Anfang allemahl auß/
oder ließ den Schild die Streiche auffangen/ wor-
durch deß Aga Courage zwar vermehret/ aber ſeine
Kraͤffte auch um ein Groſſes verringert wurden/ da
hingegen bey dem Corſar beyde in voller Bluͤhe blie-
ben/ biß er ſie zu ſeiner Zeit/ und zu ſeinem Vortheil
anbringen koͤnte. Als endlich der Corſar merckete/
daß deß Aga Streiche ſchon gelinder fielen/ da gienge
er allererſt recht auf ihn loß/ und waͤhrete von nun an
der Kampff nicht lang mehr/ ſondern nachdem der
Corſar ſeinem Gegenpart an dem lincken Arm eine
toͤdtliche Wunde angebracht/ daß er das Schild
muſte fallen laſſen. Da gieng er naͤher hinzu/ und
ſpaltete ihm vollends den Kopff/ daß er ohne einiges
Wortſprechen alſobald zur Erden fiel/ und ſeine Ma-
hometiſche Seele außſpeyete. Da hatte nun der
Streit ein Ende/ aber zu hoͤchſtem Mißvergnuͤgen
aller Tuͤrcken in Famaguſta, welche unſinnig werden
wolten/ als ſie vernahmen/ daß der Aga erſchlagen
worden. Der Jubilierer war auch nicht wol zu frie-
den/ weil er um ſeinen Sclaven/ oder wenigſtens um
100. Rthlr. kommen ſolte/ und Klingenfeld ſelber er-
klaͤrete ſich ſtehenden Fuſſes gegen den Corſar, daß er
ſein Sclav nimmermehr werden wolte/ ſey auch deß-
falls nicht verbunden/ weil ihn ſein jetziger Herꝛ recht-
maͤſſig erhandelt haͤtte. Wolle man ihn aber wieder
zu ſeiner Sclaverey zwingen/ ſo wiſſe er ſchon Mittel/
ſich dieſes Jam̃er-Standes/ der ihm nicht ſo ertraͤg-
lich/ wie der Tod ſelber/ durch ein ſtaͤtiges Faſten/ zu
entbrechen/ und wolle er lieber Hungers ſterben/ als
noch einmahl unter ſeine Barbariſche Haͤnde gera-
then/ da man ihn wider das Recht der Natur/ und
aller civilen Voͤlcker/ ſo ſchaͤndlich mißhandelt haͤtte.
Als ihn der Corſar alſo reden hoͤrete/ ſprach er zum
R r r 3Jubilie-
[998]Deß Academiſchen
Jubilierer: Durch dieſen Sieg habe ich das Recht
an dieſem Sclaven nun wieder erneuert/ ja verdop-
pelt/ weil er aber eine verzweiffelte Natur hat/ ſo wil
ich ihn euch uͤberlaſſen/ wofern ihr mir nur 100. Kro-
nen herauß gebet.
Das XLI. Capitul/
Hageman loͤſet den Klinaenfeld/ welcher den Corſar im
Kampff erleget. Vnter Barbarn und Heyden hat man auch wol
aufrichtige Freunde gefunden.
HJermit wandte er ſich zu ſeinem Lieutenant,
und gab dem Jubilierer Zeit/ ſich auf das An-
getragene zu beſinnen/ gieng auch alſobald
von dem Kampff-Platz zu einer Herberge/ da er be-
kandt war. Hier kamen viel von ſeinen Mit-Raubern
zu ihm/ und gratulirten ihm zu ſeinem herꝛlichen
Sieg/ erhuben ihn auch deßwegen ſchier biß an den
Himmel. Der Baſſa aber war ſehr beſtuͤrtzet uͤber
das Ungluͤck deß Aga, und weil der Kampff/ vorer-
zehlter Maſſen/ in jenes Griechiſchen Kauffmanns
Garten war gehalten worden/ befahl er/ daß man
den Entleibten alſobald auf der Stelle/ da er todt ge-
blieben/ einſcharren ſolte/ wodurch dann der gantze
Garten dem Kauffmann entzogen ward/ und hat
hernach der Baſſa ein kleines Maͤuerlein um das
Grab ziehen laſſen/ den uͤbrigen Garten aber fuͤr ſich
behalten/ weil es keinem Chriſten gebuͤhret/ einen
ſolchen Blut-Acker eigenthumlich zu beſitzen/ darauf
ein Muſulman erſchlagen/ und begraben laͤge. Jn-
zwiſchen verſammleten ſich viel Janitſcharen um das
Hauß/ darinn der Tripoleſiſche Corſar logirte/ und
begunten ſich die Rauber auch ſtarck vom Schiff her-
ein in die Stadt zu ziehen/ daher es das Anſehen ge-
wan/ als wann es ohne Blutvergieſſen nicht wol ab-
lauffen wuͤrde/ weil ſich die Tuͤrcken außdruͤcklich ver-
nehmen
[999]Romans II. Buch.
nehmen lie ſſen/ daß ſie den Corſaren Hauptmann
vom Brodt haben wolten/ es koſte auch/ was es im-
mer wolle. Aber der Baſſa/ der die groſſe Inconve-
nientzen/ ſo hierauß entſtehen wurden/ ſchon vorher
ſahe/ legte ſich mit ſeiner Autoritaͤt darzwiſchen/ und
beſaͤnfftigte die Janitſcharen in ſo weit/ daß ſie zu
dieſem mahl nichts anfiengen/ dannenhero der Cor-
ſar wol ſehend/ daß ſeinethalben ſich groſſes Unheyl
entſpinnen wuͤrde/ bey Zeiten nach ſeinem Schiff
gieng/ und daſelbſt uͤber Nacht ruhete/ weil er beſor-
gete/ in der Nacht von den ergrim̃eten Tuͤrcken uͤber-
fallen und ermordet zu werden.
Jnmittelſt begegnete unſerm armen Klingenfeld
dieſen Abend etwas ſonderliches. Es war ein Schiff
auß Venedig in dem Hafen eingelauffen/ auf welchem
viel Paſſagierer an Land ſtiegen. Und wie Klingenfeld
eben vor deß Jubiliers Thuͤr ſtund/ da erblickete er zu
ſeiner hoͤchſten Freude den Hagemann/ einen Kauff-
mann/ den er/ wie zuvor beſchrieben/ in Jtalien ge-
kannt/ und ihm einen groſſen Dienſt erwieſen hatte.
Dieſem lieff er in vollem Spruͤngen entgegen/ ergriff
ſeine Hand/ und druͤckete ſie hertzlich: Ach ſeyd mir
von gantzem Hertzen willkommen/ ſprach er zu ihm/
ein ſolcher Freund/ wie ihr ſeyd/ kommet mir jetzo eben
recht. Hagemann beſtuͤrtzte ſehr/ und wuſte nicht/
mit wem er es zu thun hatte. Klingenfeld merckete
ſolches/ und ſagte: Jſt es moͤglich/ daß ihr mich nicht
mehr kennet? Jener antwortete: Das Geſicht und
Sprache iſt mir zwar etwas bekandt/ aber ein gewiſ-
ſer Zufall muß euch ziemlich veraͤndert haben/ daß ich
euch nicht recht kenne. Jch bin Klingenfeld/ ſprach
Jener/ ein Teutſcher Edelmann/ und haben wir ein-
ander in Jtalien vor nicht gar langer Zeit ſehr wol
gekannt. Hierdurch wurden dem Teutſchen Kauff-
R r r 4mann
[1000]Deß Academiſchen
mann die Augen auf einmahl geoͤffnet/ daß er ſeinem
Freund um den Halß fiel/ und ihn hertzlich kuͤſſete:
Ach wer hat euch in dieſes Selaven-Kleid geſtecket?
ſprach er darbey/ ſaget/ womit ich euch helffen kan/
ich wil alles herbey ſchaffen/ was in meinem Vermoͤ-
gen iſt. Klingenfeld nahm ihn bey der Hand/ und
fuͤhrete ihn zu einem Jtaliaͤner/ welcher die Occiden-
taliſchen Chriſten zu beherbergen pflegete/ und hie-
ſelbſt erzehlete er ihm ſein Ungluͤck/ und wie es ſeiner
uͤbrigen Geſellſchafft ergangen; Wir ſind beyde
Teutſchen/ ſprach er endlich/ und unſer Vatterland
iſt nicht weit von einander abgeſondert/ thut mir
demnach in meiner Noth den groſſen Gefallen/ und
ſtrecket mir 400. Kronen fuͤr/ damit ich meine Frey-
heit/ welche jetzo feil iſt/ darfuͤr einloͤſen/ und noch ei-
nen Zehr-Pfenning uͤber behalte/ um den Condado
und unſere uͤbrige Geſellſchafft in Syrien aufzu-
ſuchen/ allwo ſie gleicher Geſtalt in Sclaverey ge-
bracht ſind. Hagemann ſprach: Jch dancke dem
Himmel/ daß ich Gelegenheit finde/ euch/ mein wah-
rer Freund/ die jenige Wohlthat/ welche ihr mir bey
Mantua erwieſen/ da ihr mich auß der Moͤrder Haͤn-
den errettetet/ anjetzo wieder zu erſetzen/ gehet hin zu
eurem Herꝛn/ und nehmet die voͤllige Abrede/ wegen
eures Loͤſegelds mit ihm/ und kommet alsdann/ ſo
wil ich euch geben/ ſo viel ihr verlanget/ dann mein
gantzes Vermoͤgen ſtehet zu euren Dienſten. Nicht
alſo/ replicirte Klingenfeld/ ich begehre das Geld
nicht umſonſt/ ſondern es ſoll euch/ oder den eurigen
in Teutſchland mit einem gebuͤhrlichen Uberſchuß
wieder gut gethan werden/ weßfalls ihr alſobald eine
Obligation aufſetzen koͤnnet. Als aber Hagemann
betheuerte/ daß er das Geld nicht wieder verlangete/
ſondern ihm ſolches wolle geſchencket wiſſen/ da kuͤſ-
ſeten
[1001]Romans II. Buch.
ſeten ſich dieſe 2. Freunde noch einmahl/ und darauf
gieng Klingenfeld zum Jubilierer/ und erzehlete ihm/
daß ein Freund ankommen ſeye/ der ihm ſeine außge-
legte 200. und dem Corſaren die daruͤber begehrte
100. Kronen außzuzahlen bereit waͤre/ wann man
ihm den Loͤſe-und Frey-Brieff in behoͤriger Form
wuͤrde außlieffern. Der Tuͤrck war deſſen erfreuet/
und alſo ſchloſſen ſie den Contract denſelben Abend
noch. Fruͤh Morgens ward nach dem Corſaren ge-
ſandt/ und ihm angedeutet/ daß der Sclav durch Er-
legung der an ihm prætendirten 100. Kronen ſich von
ihm loßzukauffen jetzo Gelegenheit und Luſt haͤtte.
Dieſer wartete hierauf nicht lange/ ſondern weil er
Luſt hatte/ bald wieder von hinnen in die See zu lauf-
fen/ und mehr Beute zu ſuchen/ ſo kam er mit etlichen
ſeiner Officierer in die Stadt/ ob gleich die Tuͤrcken
die Koͤpffe daruͤber haͤuffig zuſammen ſtecketen. Wie
er zum Jubilierer kam/ da erſchien auch Hagemann
daſelbſt/ und offerirte das begehrte baare Geld/ jedoch
daß der Frey-Brieff deß Klingenfelds unter deß hie-
ſigen Baſſa/ und zugleich unter deß Corſaren und
deß Jubiliers Hand und Siegel außgelieffert wuͤr-
de. Alſo muſte der Cadi dieſes Orts einen Brieff auf-
ſetzen/ welchen Klingenfeld ſelber zum Baſſa brachte/
der ihn auch gegen Erlegung eines Ducaten willig
unterſchrieb/ und als Klingenfeld wieder von ihm
ſchied/ ſprach er: Mein Herꝛ/ weil ich nun wieder eine
freye Perſon bin/ ſo wird es mir ja vergoͤnnet ſeyn/
den Corſaren/ der mich nicht wie ein rechtſchaffener
Mann gehalten/ zum Kampff außzufordern/ daß er
mir ſeines Frevels halben Rechenſchafft gebe. Gleich
wie nun der Baſſa gerne geſehen haͤtte/ daß deß Aga
Tod von einem Fremdling an dem Corſaren gero-
chen wuͤrde/ weil die Tuͤrcken ſich nicht drein miſchen
R r r 5durff-
[1002]Deß Academiſchen
durfften/ alſo lobete er den Klingenfeld/ und offerirte
ihm ſeine eigene Ruͤſt-Kammer/ um ſich nach ſeinem
Belieben mit Gewoͤhr darauß zu verſehen. Er nahm
aber jetzo ſeinen Abtritt/ und ſagte/ daß er bald wie-
der kommen wolte. Wie er wieder zum Jubilier kam/
ließ er den Frey-Brieff von demſelben und dem Cor-
ſaren unterſchreiben/ und nachdem man ihnen das
bedungene Geld außgezahlet/ da ſprach Klingenfeld
zum Corſaren: Mein Herꝛ/ verziehet nur noch ein
klein wenig allhier/ biß ich wieder komme/ dann ich
habe euch noch etwas zu ſagen.
Gleichwie nun der Corſar ſich keines Argen ver-
ſahe/ alſo verzog er bey dem Jubilierer/ mit welchem
und dem Hagemann er einen guten Trunck Sarbet
zu ſich nahm. Klingenfeld gieng unterdeſſen zum
Baſſa/ waͤhlete einen ſtarcken Schild und einen gu-
ten Saͤbel/ und als es unter den Tuͤrcken ruchbar
ward/ daß er den Corſaren zum Kampff außfordern
wolte/ da kuͤſſeten ſie ihm die Hand/ und preiſeten ſein
loͤbliches Vorhaben/ erſucheten ihn darneben/ ſich
wol zu halten/ und deß Aga Tod zu raͤchen/ welcher
ſeiner in ſeiner Kranckheit ſo fleiſſig haͤtte gepfleget.
Klingenfeld verſprach ſein Beſtes zu thun. Und alſo
kam er zum Corſar/ und ſprach: Hoͤr du Tyranniſcher
Hund/ ich bin nun wieder ein freyer Mann/ und dem
Stande nach um ein ziemliches beſſer/ als du/ ich
erinnere mich aber deß Barbariſchen Tractaments/
das du mich auf deinem Schiff haſt fuͤhlen laſſen/
und haſt du nun das Hertz gehabt/ den Aga zum
Kampff außzufordern/ ſo ſolt du wiſſen/ daß ich dir
den Kampff auf Leib und Leben hiermit auch wil an-
gedeutet haben/ um Revenge an dir zu erlangen/ we-
gen deiner Boßheit/ die du an mir haſt erwieſen. Der
Corſar/ ſo ein frecher Mann/ ſahe ihn an/ und lachete/
ſprach
[1003]Romans II. Buch.
ſprach auch letztlich: Du magerer Sclav/ deine
Thorheit erhellet darauß/ daß du dich deiner wieder
erworbenen Freyheit zu deinem eigenen Untergang
wilt bedienen. Doch weil du das Hertz haſt ergriffen/
einen rechtſchaffenen Cavallier zum Kampff außzu-
fordern/ ſo komme nur alſobald/ um dieſen Frevel
mit deinem Blut zu buͤſſen. Hiermit ſtund er auf/
ließ ſeinen Schild holen/ und erhub ſich vor das Thor
an den Strand/ da er von allen Leuten auf ſeinem
Schiff kunte geſehen werden/ dann er wolte dieſelbe
zum andern mahl zu Zeugen ſeines Wolverhaltens
geruffen haben. Weil nun dieſer Kampff nicht mit
einem Tuͤrcken/ ſondern unter zween Fremden fuͤrge-
nommen ward/ ſo lieffen die Tuͤrcken haͤuffig herzu/
und der Baſſa ſelber erſchien zu Pferd darbey/ um
den Klingenfeld fuͤr einigem Uberfall der Raͤuber zu
beſchirmen. Als die Corſaren ſahen/ daß ſo viel be-
woͤhrte Tuͤrcken herauß kamen/ da giengen ſie auch
ſehr ſtarck auß der Gallee/ und nahmen einen Platz/
recht gegen den Tuͤrcken uͤber/ ein/ darauf tratten
die beyde Kaͤmpffer auf die Bahn/ und fiengen an
zu kaͤmpffen/ aber Klingenfeld war dem andern viel
zu hurtig/ dann nachdem er einen kraͤfftigen Streich
von demſelben mit ſeinem Schild aufgefangen/ trung
er behende ein/ und ſchlug ihm den Kopff wie eine
Ruͤbe vom Rumpff hinweg/ woruͤber die Tuͤrcken
gewaltig frohlocketen/ und den Klingenfeld auf ein
Pferd ſetzeten/ den ſie durch die Stadt fuͤhreten/ und
mit Blumen beſtreueten. Der Baſſa ſelber noͤthigte
ihn an ſeine Tafel/ welchem er ſeinen Stand und
Weſen offenbahrete/ wie auch das Ungluͤck ſeiner
Raͤyſe-Gefaͤhrten/ dahero ſich dieſer offerirte/ ihm
einen Brieff an alle Baſſen in Syrien zu geben/ in
welchem er ihnen den gefangenen Condado und die
Ubri-
[1004]Deß Academiſchen
Ubrigen aufs Beſte recommendiren wolte/ daß ſie
wol gehalten/ und um ein billiches Loͤſe-Geld forder-
ſamſt wieder in ihre vorige Freyheit moͤchten geſtellet
werden. Die Corſaren hingegen lieſſen die Koͤpffe
hangen/ machten alſobald einen andern Capitain, be-
gruben den Vorigen/ kehreten darnach wieder in ihr
Schiff/ zogen deren Seegel auf/ und fuhren der
Stadt Famaguſta in kurtzer Zeit auß den Augen.
Klingenfeld danckete ſeinem Freund vor das
außgelegte Geld/ behielte auch noch 100. Kronen zu
ſeiner Raͤyſe/ worzu ihm die Tuͤrcken/ wegen ſeines
Wolverhaltens/ noch 150. Kronen verehreten/ der
Baſſa ertheilete ihm auch das verſprochene Recom-
mendations-Schreiben/ und alſo kleidete er ſich an-
ders/ und gieng zugleich mit Hagemann und vielen
andern Europaͤiſchen Chriſten in dem Venetiani-
ſchen Schiff nach Alexandretta, woſelbſt er Zeitung
von ſeiner Geſellſchafft zu erlangen hoffete. Auf
dieſer Fahrt erzehlete Klingenfeld der Geſellſchafft
ſein Ungluͤck/ das er bey dem Tripoleſiſchen Corſaren
gehabt/ darbey ein Jeder zu vernehmen gab/ daß bey
ſolchen Leuten man niemahl ſich groſſer Redlichkeit
zu verſehen haͤtte; Aber ein Venetianer/ der unter
dem Hauffen war/ hielte das Obſtat, und behauptete/
daß auch unter den Barbarn manchmahl ehrliebende
Gemuͤther gefunden wuͤrden/ wie ſolches ſeiner leib-
lichen Mutter Schweſter erfahren/ welche/ da ſie
noch eine Jungfrau/ am Strande von einem Raͤuber
auf St. Maura gefangen worden/ der Capitain habe ſie
vor ſich behalten/ ihr aber kein Leyd zugefuͤget/ ſondern
ehrlich und wol gehalten/ auch/ da das bedungene
Loͤſe-Geld vor ſie angekommen/ nur die Helffte dar-
von behalten/ und das Ubrige ihr auf die Raͤyſe zu-
ruͤck geſchencket. Solche keuſche Feinde ſind jetzo
ſeltener/
[1005]Romans II. Buch.
ſeltener/ als ein weiſſer Rab/ warff Klingenfeld dar-
zwiſchen: Dann in der Wildnuͤß wachſen ſelten
Lorbeer-Baͤume/ und unter den Raͤubern/ und wil-
den Kriegs-Gurgeln bleibet die Keuſchheit deß
Frauenzimmers Wunder-ſelten in unverwelckter
Bluͤthe. Kan man auch Trauben leſen von den Dor-
nen/ und Feigen von den Diſteln/ ſo wird man auch
Zucht und Froͤmmigkeit von den Raͤubern und Sol-
daten hoffen koͤnnen: Bevorab wann ihnen Feind-
lich zu handeln erlaubet iſt. Dann da ſtuͤrmen ſie
nicht allein Waͤlle und Mauren/ ſondern auch Ehre/
Zucht/ ſamt andern Tugenden/ uͤbern Hauffen/ und
verhaͤngen ihrem geilen Frevel den vollen Zaum. Ja
es iſt leyder ſo weit kom̃en/ daß/ wann an den Kriegs-
Leuten dieſe ihnen ungemeine Tugend verlanget
wird/ man ſchier zu den Heyden in fremde Laͤnder ge-
hen/ und ſie von dannen holen muß/ unſerer Laͤufften
und Laͤnder Untugenden damit außzuſchaͤnden.
Man ſchreibet von einem General der wilden
Karayber oder Menſchenfreſſer in den Antilles, oder
Americaniſchen Vor-Jnſuln/ welcher Baron hieß/
und mit ſeinem Streiffen ſo wol den Frantzoſen/ als
Engellaͤndern viel zu thun gab/ daß er einsmahls un-
ter andern Einfaͤllen/ ſo von ihm in die Jnſul Mont-
ferrat geſchehen/ welche die Engellaͤnder beſaſſen/ die
nahe am Meer gelegene Wohnungen verwuͤſtet/ und
eine gewaltige Beute darvon gefuͤhret. Unter den
Gefangenen/ ſo er bekam/ befand ſich ein gar ſchoͤnes
Frauen-Bild/ welches einem Engliſchen Officier
ſelbiger Jnſul ehelich angehoͤrete. Dieſe Frau ließ
er in eines ſeiner Haͤuſer auf der Jnſul Dominico
bringen/ und allda ehrlicher halten/ weder hre Bey-
ſorge vielleicht hatte vermuthet. Sie kam mit einem
ſchwangern Leib in der Feinde Haͤnde/ und muſte ihre
Frucht
[1006]Deß Academiſchen
Frucht unter dieſen wilden Voͤlckern ablegen/ die
dannoch gleichwol nicht wild/ ſondern freundlich
gnug mit ihr umgangen/ angemerckt die Weiber der
Karayber in ihrem Kind-Bette mit ſorgfaͤltiger
Dienſthafftigkeit ihrer gepfleget. Hernach iſt ſie noch
eine lange Zeit unter ihnen verblieben/ und dannoch
weder von dem Feld-Hauptmann Baron, noch eini-
gen andern Wilden mit einem unkeuſchen Blick
oder Wort/ viel weniger unzuͤchtiger Beruͤhrung ge-
faͤhret worden; Welchen Ruhm das gute Francken-
Land manchem muthwilligen Frantzoͤſiſchen Solda-
ten nicht nachſagen kan/ ſondern vielmehr klagen und
beſeuffzen muß/ daß ſie im 1673. Jahr an manchem/
ſo wol Edlen/ als Unedlen Frauenzimmer ihre Be-
ſtialiſche und Teuffeliſche Begierden ſchaͤndlich er-
fuͤllet haben.
Unſterblichen Preiß hat der Roͤmiſche Feld-
Herꝛ Scipio damit erlanget/ daß er die von ſeinen
Soldaten in Neu-Carthago gefangene/ und ihm als
eine Beute zugefuͤhrte ſchoͤne Spanierin/ ihrem Lieb-
ſten/ einem jungen Africaniſchen Fuͤrſten/ unbefleckt
wieder zugeſtellet/ mit dieſem Tugendhafften Com-
pliment: Jch habe/ als unſere Kriegs-Leute dieſe
Jungfrau zu mir gebracht/ zu einem Præſent, die
Warheit zu bekennen/ ihre Edle Geſtalt mit Behaͤg-
lichkeit angeſchauet/ und ſo wol ihres Gemuͤths/ als
Leibes herꝛliche Gaben/ loben muͤſſen. Dann die
Natur hat mich nicht blind/ noch einen ſolcher Fuͤr-
trefflichkeiten unerkaͤnntlichen Klotzen laſſen geboh-
ren werden. Die Liebe kan dieſes mein Hertz eben ſo
wol/ als andere ruͤhren und bewegen/ aber durch kei-
ne/ dann nur ehrliche/ und die meine Zeit oder Gele-
genheit kan zugeben. Darum/ ob zwar dieſe Dame
jetzt/ nach dem Recht deß Kriegs/ mein iſt/ beliebt mir
doch
[1007]Romans II. Buch.
doch keines Weges unter dem Roͤmiſchen Panier
und Adler mit einer ſo ſchoͤnen Tauben zu courtiſiren/
im Feld-Laͤger der Venus Lager zu beſuchen/ bey ſol-
chem Kriegs-Ernſt verliebte Kurtzweil zu treiben/
zumahl/ weil ich vernehme/ dieſe Schoͤne ſey allbereit
einem tapffern Cavallier zur Ehe verſprochen/ wel-
chem man ſeine liebe Blume ſo nicht entziehen/ noch
abbrechen muß. Nachdemmahl ich dann/ Edler Rit-
ter/ von ihr ſelbſten verſtanden/ daß ihr eben der
Gluͤckſeelige ſeyd/ dem ſich ihre Zier zu eigen verpflich-
tet/ habe ich euch Botten geſandt/ daß ich ſie euch
moͤchte uͤberantworten. Die Goͤtter ſind meine Zeu-
gen/ Ritter/ daß von mir kein unreiner Blick auf ihre
Ehre geworffen/ noch Jemand ſie bey uns hat ange-
ruͤhret/ ſondern ſie iſt durch meine Vorſorge bißhero
behutſamlich bewahret und wol aufgehebt worden/
als ob ſie bey ihren Schwaͤhern oder leiblichen El-
tern unterdeſſen ſich haͤtte aufgehalten. Es waͤre ein
ſchlechtes Geſchenck beydes von mir und fuͤr euch/
wann entweder einige Gewalt oder heimliche Liſt ihr
waͤre zu nahe getretten/ und ſich an dieſer lieblichen
Tauben haͤtte vergriffen. Da habt ihr ſie wieder un-
geſchimpfft und in unverwelckter Roſe/ labet und er-
goͤtzet euch in ihrer Schoͤnheit/ nach eigenem Belie-
ben und Geluͤſten; Wir begehren von euch hievor
zur Vergeltung nichts anders/ dann euch ſelbſten/
das iſt/ euer Hertz/ welches ihr dem Scipioni und den
Roͤmern zu getreuer Huld und Freundſchafft erge-
ben ſollet.
Der junge Ritter/ oder Fuͤrſt/ erſtarrete ſchier
uͤber ſolche unverhoffte Leutſeeligkeit deß Roͤmiſchen
Feld-Herꝛns/ kunte vor Freuden ſich weder beſinnen
noch reden/ ſo machten ſich auch die Eltern herbey/
und legten eine groſſe Summa Geldes/ womit ſie
ihre
[1008]Deß Academiſchen
ihre Tochter zu loͤſen willens geweſen/ zu deß Scipio-
nis Fuͤſſen/ mit demuͤthiger Bitte/ er moͤchte dieſe
Verehrung/ weil er ihnen ihre Tochter umſonſt loß-
gebe/ als ein Zeichen ihrer Danckbarkeit/ nicht ver-
ſchmaͤhen. Scipio aber/ der weder ſeiner Hoͤflichkeit/
noch großmuͤthigen Mildigkeit durch ſolches Præſent
den Glantz vermindert wiſſen wolte/ brauchte ſolches
Geld zur Erhoͤhung ſeiner Leutſeeligkeit/ verſetzte eine
Gnade mit der andern/ befahl/ der Braͤutigam ſolte
alles Gold mit einander hinnehmen/ und ihm ſolches
von ſeinetwegen geſchencket ſeyn/ uͤber den Braut-
Schatz/ den ihm der Braut Eltern geben wuͤrden.
Was ſoll man doch an dieſem Helden am meiſten
loben? Daß er ſo ruͤhmlich das Gold und den Geitz/
oder die Augen-Luſt uͤberwunden; Beydes iſt was
Fuͤrtreffliches/ und ein Groſſes von einem Kriegs-
Mann/ noch groͤſſer von einem Heyden/ das Groͤſſe-
ſte von einem Feinde. Durch ſolche Preiß-wuͤrdige
Maͤſſigkeit/ hohe Leutſeeligkeit und Gnade/ hat er
vielmehr gewonnen/ weder ſolche ihm gepræſentirte
Beute außtrug. Dann mit dieſem ſeydenen Faden
zog er einen groſſen Theil von Spanien/ ohne
Schwerdt-Streich/ in Roͤmiſchen Gewalt/ und zur
Gunſt gegen ſeiner Perſon/ ſintemahl die Land-
Herren gleichſam die Wette lieffen/ einer ſolchen
Tugend zu huldigen/ die nicht allein durch Tapffer-
keit/ ſondern auch keuſche Freundlichkeit den Lorbeer-
Krantz verdienete.
So wenig als ein ſchwartzer Mohr einem weiſſen
Menſchen in der Farbe gleich ſiehet/ ſo wenig hat
auch der Mauritaniſche Koͤnig Abderamines von
ſolcher Keuſchheit etwas an ſich gehabt. Man hatte
dieſem Barbariſchen Koͤnig nach der Niederlag/ ſo
die Chriſten bey Juncaria, unter dem Koͤnig Ordonio
empfan-
[1009]Romans II. Buch.
empfangen/ einen Juͤngling/ Namens Pelagius, zum
Geiſſel geſchickt. Wiewol andere behaupten wollen/
er ſey fuͤr ſeiner Mutter Bruder/ dem Biſchoff Her-
mogio, oder/ wie abermahl andere fuͤrgeben/ an ſtatt
ſeines Vatters/ deß Fuͤrſten von Galicien/ der nach
Corduba gefaͤnglich gebracht war/ zum lebendigen
Unterpfand der Verſicherung geſtellet worden. Es
ſey aber geſchehen/ fuͤr wen es endlich wolle/ ſo hat
der Barbariſche Printz ſich doch alſo fort an der zier-
lichen Geſtalt dieſes Juͤnglings vergaffet/ und So-
domitiſche Feuer-Funcken gefaſſet. Maſſen dann
die Saraceniſche und Mahometaniſche Hunde fuͤr
Geilheit und ſtummen Begierden gemeinlich gleich-
ſam wuͤten.
Abderamines ſetzete ihm dann fuͤr/ dieſe ſchoͤne
Jugend-Blum ſeiner verdam̃ten Brunſt aufzuopf-
fern/ begunte derhalben mit dem Juͤngling zu ſcher-
tzen/ ihn zu kitzeln/ unzuͤchtig zu beruͤhren/ und auf
allerley Art zu verſuchen. Weil aber derſelbe ſein An-
erbieten mit harten Worten von ſich ſtieß/ und Ra-
mirez alſo zum oͤfftern mit lieblichen Schmeichel-
Worten vergeblich bey ihm angeklopffet/ wolte er
endlich Gewalt brauchen/ und kurtzum ſeines ver-
fluchten Willens genieſſen. Pelagius widerſetzet ſich
Maͤnnlich/ giebt unter ſolchem Kampff der Zucht und
Unzucht dem unzuͤchtigen Huren Bock mit der Fauſt
eins ins Viſir, daß es patſcht. Durch dieſe ungeſtuͤm̃e
Maulſchellen verſchwand bey dem Gottloſen Koͤnig
alle Gunſt im Augenblick/ und ward er von grim̃iger
Rachgier aller feurig/ geſtaltſam er in ſolchem erbit-
tertem Muth Befehl ertheilete/ man ſolte Pelagium
in ein groſſes Schleuder-Stuͤck legen/ und wie einen
Stein uͤber den Strohm Bætis hinuͤber werffen/ an
einen Felſen/ daß er zerſchmettert wuͤrde. Welches
auch unverzuͤglich gehorſamſt erfuͤllet ward.
S s sSolte
[1010]Deß Academiſchen
Solte man nun nicht fuͤrchten/ der zuͤchtige
Juͤngling haͤtte an beſagtem Felſen ſeine Marter-
Stelle/ und den gewiſſen Tod angetroffen? Nichts
deſto weniger hat GOtt/ als ein Liebhaber der reinen
Keuſchheit/ wunderbarlich denſelben erhalten/ alſo/
daß ihm eine ſo toͤdtliche Verſchleuderung nichts ge-
ſchadet. Aber diß war eben ſo wol ein Wunder/ daß
der grauſame Koͤnig hingegen ein Felſen-hartes Ge-
muͤth ſpuͤhren ließ/ ja/ ſich gegen dem jungen Men-
ſchen grauſamer und unbarmhertziger erwieſe/ dann
die wilden Felſen und rauhe Huͤgel ſelbſten/ ließ ihm
mit Zangen ein Glied nach dem andern herab zwi-
cken/ und den alſo zergliederten Leichnam in den
Strohm werffen. Worauß hernach die Chriſten den-
ſelben wiederum herfuͤr gezogen/ und fuͤr ein Heilig-
thum gehalten/ auch den Namen dieſes keuſchen
Juͤnglings in die Zahl der Heiligen geſetzet.
Jn dieſem Fall hat der Koͤnig von Franckreich/
Carl der Achte/ ſeine außgeriſſene Liebes-Begierden
gleichwol beſſer an den Zaum gebracht/ als ſie einer
ſchoͤnen Jungfrauen Keuſchheit beſtreiten wollen.
Auf ſeiner Widerkehr von dem Koͤnigreich Neapo-
lis, welches er/ nach Frantzoͤſiſcher gewoͤhnlicher Ma-
nier, muthiger bekriegete/ weder behauptete/ ward ei-
ne Jtaliaͤniſche Stadt von ihm erobert/ welche ſeine
Soldaten pluͤnderten/ und darinn hauſeten/ wie dieſe
Nation unlaͤngſt in den Niederlanden/ und auch erſt-
gedachter Maſſen in Francken gethan. Sie raube-
ten nicht nur Geld und Guth/ ſondern auch Ehre;
Frauen und Jungfrauen litten ſchaͤndliche Gewalt.
Unter ſolchem Wuͤten der Schand-Buben ſuchte ei-
ne außbuͤndig-ſchoͤne Jungfrau ihre Zucht-Blume
zu friſten/ eylete derohalben zu dem Koͤnig hin/ und
flehete mit einem demuͤthigen Fußfall um Schutz und
Erhal-
[1011]Romans II. Buch.
Erhaltung ihrer Ehren. Koͤnig Carl verſpricht ihr
zwar Sicherheit fuͤr den Soldaten; Weil er aber
ſelber/ als ein junger verbuhlter Herꝛ/ deß Naſchens
ſich uͤbel wuſte zu enthalten/ fielen ſeine ſelbſt-eigene
entzuͤndete Augen auf diß zierliche Bild/ mit dem
ſchnoͤden Wunſch/ ein Reuter-Lager mit ihr anzu-
ſtellen/ er fuͤhrete ſie mit ſich in ſein Zimmer/ warff ſie
aufs Bette/ und gedachte ihr zu nehmen/ was ſie un-
ter ſeinem Schutz zu behalten geſuchet.
Dieſe Dame war deß Gemuͤths nicht/ wie manche
andere/ welche eines Potentaten unordentliche Bey-
wohnung mehr fuͤr hohes Gluͤck und Ehre/ dann
Schande und Unehre achten/ und ſich groß darbey
duͤncken laſſen/ wann ihnen ein ſolcher Jupiter einen
jungen Hercules zuſchantzet. Nein/ ſondern ſie ſtellete
ſich eben ſo widerſinniſch darbey an/ als ob ſie ſpre-
chen wolte: Jch mag keine Hure ſeyn! (um Verzey-
hung ihr Herren Courtiſanen/ wann ich nicht hoͤflich
gnug ſchreibe/) wehrete ſich demnach/ ſo viel ihre zar-
te Kraͤfften vermochten.
Jn ſolcher ihrer keuſchen Angſt erblickete ſie ein
an der Wand hangendes Geiſtliches Gemaͤhlde/
nemlich die ſeeligſte Jungfrau-Mutter/ mit ihrem
Kindlein auf dem Schoß/ zeiget mit der Hand da-
hin/ und ſpricht zu dem Uberwaͤltiger: Sire, ich bitte
um dieſer unberuͤhrten Jungfrauen willen/ und be-
ſchwoͤre euch bey ihrer Jungfrauſchafft/ ſchonet der
Meinigen! Der Koͤnig/ welcher wider die Ehren-
Burg allbereit in voller Ruͤſtung begriffen/ und an-
zufallen gefaſt war/ hielt hierauf ein/ und ließ ſich be-
wegen/ von ſeinem boͤſen Fuͤrnehmen abzuſtehen. Ja/
es ruͤhrete und erweichete dieſe zuͤchtige Beſchwoͤ-
rung ſein Hertz dermaſſen/ daß ihm das Reu-Waſſer/
die hellen Zaͤhren/ auß den Augen herfuͤr rieſelten/ und
S s s 2er
[1012]Deß Academiſchen
er nach einer bloſſen/ doch nunmehr Ehren-guͤnſtigen
Umhalſung/ die Holdſeelige frey von ſich ließ/ ihr
uͤber das auch zur Außſteuer 500. Ducaten/ bey nebſt
auch/ ihr zu Liebe/ allen ihren gefangenen Freunden/
Verwandten und Schwaͤgern/ die Freyheit ſchen-
ckete. Wann dieſer oder jener ſchoͤnen Niederlaͤnde-
rin/ die etwan in fuͤrnehme feindliche Haͤnde gefallen/
gleiches Gluͤck der behaltenen Vollkom̃enheit begeg-
net/ und bey ihr keine Veraͤnderung vorgegangen/
wird es gleichfalls zu loben ſeyn. Andere ſchreiben
dieſe Geſchicht ſonſt dem Franciſco Sfortia zu. Wel-
cher es nun unter dieſen Beyden auch geweſen/ ſo hat
derſelbe/ der es gethan/ gewißlich hiervon vor GOtt
und der ehrbaren Nachwelt mehr Ehre/ dann ſo er
eine groſſe Schlacht erhalten/ oder eine gewaltige
Veſtung eingenommen; Sintemahl ſich ſelbſten
uͤberwinden/ und die Laſter durch Tugenden vertrei-
ben/ viel eine herꝛlichere Victorie iſt/ als Staͤdte und
Schloͤſſer uͤberwaͤltigen/ oder einen maͤchtigen Feind
auß dem Feld ſchlagen.
Das XLII. Capitul/
Groſſe Tyranney bleibet ſelten ungeſtraffet/ mit Exempeln
erwieſen. Condado und ſeine Geſellſchafft werden zu Sclaven ge-
macht/ und verkauffet/ worbey Troll ſeine Poſſen hat.
DAs ſind/ ſprach/ Hageman/ freylich ſeltzame
Exempel/ von welchen unſere Europæiſche
Chriſten jetzo wol etwas Gutes erlernen/ und
deßhalben bey ihnen in die Schule gehen moͤchten.
Jm uͤbrigen iſt mir es ſehr lieb/ daß dem leichtferti-
gen Jrꝛlaͤndiſ. Renegaden/ dem Corſaren-Capitain,
ſeine auch dem Herꝛn Klingenfeld/ und vielen an-
dern armen gefangenen Chriſten erwieſene Tyranney
und Unbarmhertzigkeit ſo wacker vergolten worden/
ich glaube/ die Barbarn werden ſich an ſeinem Exem-
pel eine Zeitlang zu ſpiegeln haben.
Es
[1013]Romans II. Buch.
ES giebt zwar/ ſprach ein anſehnlicher Venetianer jetzo/ in der
Welt viel boͤſe Zahler/ aber der die grauſame Unbarmher-
tzigkeit außzahlen ſoll/ laͤſſet den Termin nicht vorbey ſtreichen/
welchen der Vergelter alles Guten und Boͤſen beſtimmet hatl
daß an demſelben ein Jeglicher/ ſeiner Handlungen halben/ ſolle
heimgeſuthet werden. Dann GOTT/ gleich wie er gegen die
Barmhertzigen guͤtig und freundlich iſt/ und ihnen wiederum
Barmhertzigkeit wiederfahren laͤſſet/ laͤſſet alſo im Gegentheil
uͤber die Unbarmbertzigen ein unbarmhertziges Gericht ergehen/
und ihnen mit gleicher Maaſe meſſen. Solcher ſein gerechter
Eyfer ergreiſfet und verzehret nicht allein die Jenigen/ welche
mit getaufften Chriſten umgehen/ wie Loͤwen und Baͤren mit
den Schaafen und Laͤmmern/ ſondern eben ſo wol die/ ſo den ar-
men Heyden/ ohne alle Urſache/ die Klauen ihrer wilden Grau-
ſamkeit zu fuͤblen geben. Jnmaſſen ſolches unterſchiedliche
Americaniſche Geſchichten außweiſen. Weil die Spaniſche
Beſatzung der Chiliſchen ſchoͤnen Stadt Baldivia groſſe Uber-
laſt und unertraͤgliche Plage anthaͤte/ ward dieſelbe endlich dar-
uͤber ſo hefftig erbittert/ daß ſie A. 1599. alle Spanier erwuͤrgete.
Dem Statthalter ward/ als einem unerſaͤttlichen Gold-Geyer/
geſchmeltztes Gold in Mund und Ohren gegoſſen. Auß ſeiner
Hirnſchaale machten ſie Trinck-Geſchirre/ und auß den Schen-
ckeln Trompete[n]. Auf der Jnſel Porto Rico wurden alle Ein-
wohner nach und nach durch die Tyranney der Spanier auß-
gerottet/ alſo/ daß dieſe zuletzt ſich mit Africaniſchen Mohren
berſehen muſten/ damit die Bergwercke und Zucker-Muͤhlen
nicht doͤrfften feyren. Aher der unvergnuͤgliche Geitz buͤrdete
dieſen Schwartzen eben ſo wol unmenſchliche Buͤrden auf/ und
verfuhr mit ihnen gar unbarmhertzig. Dann/ wann ein Mohr
deß Abends nicht Goldes gung heim brachte/ ließ ihn ſein Herꝛ
nacket abkleiden/ band ihn an einen Pfahl/ geiſſelte und peitſchete
ihn wund/ goß folgends ſiedends Oel in die Wunden/ ſtreuete
nachmahls Saltz und Pfeffer hinein/ und ließ ihn ligen. Bißwei-
len ſenckete er ihn in einen Brunnen voll Waſſers/ alſo/ daß wei-
ter nichts/ ohne allein der Kopff herauß ſtund. Aber hierdurch
wurden die Tyranniſirte veranlaſſet/ tapſſer außzureiſſen/ und
ſich in groſſe Hauffen zu rottiren. Wann ihnen nun die Spa-
nier in die Haͤnde geriethen/ blieben ſie ihnen nichts ſchnldig/ ſon-
dern zahleten mit gleicher Muͤntze redlich auß. Ja/ ſie vermehr-
ten ſich auf Hiſpaniola ſo haͤuffig/ daß die Kron Spanien einen
allgemeinen Aufſtand befuͤrchten muſte. Das ſeynd der Tyran-
ney endliche Fruͤchte!
S s s 3Jn
[1014]Deß Academiſchen
Jn den Schiffahrts-Beſchreibungen der Frantzoſen wer-
den die Spanier gleichfalls groſſer Unbarmhertzigkeit gegen die
Frantzoſen beſchuldiget. Worunter dieſe inſonderheit Tyran-
niſch geweſen/ welche dem Schiff-Hauptmann Ribald, und ſei-
nen bey ſich habenden Voͤlckern/ wiederfahren/ und unter den
Relationen der Verrichtungen deß Oberſten Laudonniers, wie
auch in dem neu-beſchriebenen America, mit dieſen Umſtaͤnden
erzehlet wird: Der Frantzoͤſiſche Admiral, Caſpar Koligni,
(mit welchem hernach die Pariſtſche ſchaͤndliche/ und den An-
ſtifftern zu unaußloͤſchlicher Schmach gereichende Mord-Hoch-
zeit/ den erſten Meuchel-tuͤckiſchen Vor-Reigen geſpielet/) wuͤr-
ckete/ durch ſeine hoch-geltende Authoritaͤt bey ſeinem Koͤnig/
Carl dem IX. ſo viel auß/ daß man aufs neue 2. Schiffe nach
Florida ſchickte/ ohnangeſehen die Treuloſigkeit deß Durandes die
vorhin ſchon angeſtellete Americaniſche Fahrten gantz un-
fruchtbar hatte gemacht. Mit ſolchen neu-außgeruͤſteten bey-
den Schiffen ward Johann Ribald durch Koͤnigl. Ordre von
Diepen auß abgefertiget/ und erlangete unter dem 30. Grad
Mitternaͤchtigſter Seiten deß Mittags-Strichs das America-
niſche Vor-Gebuͤrge S. Franciſci, woſelbſt er einem breiten Fluß
in den Mund lieff/ und denſelben Delfin benamſte/ weil man all-
da uͤberauß viel Delfinen/ oder Meer-Schweine/ fand. Auf dem
Land ſtunden dicke Puͤſche voll Maul-Beer-Baͤumen/ und dieſe
Baͤume voll ſpinnender Seyden-Wuͤrme.
Von hier lieff er uͤber das Wolffs-Haupt/ welches Vor-
Gebuͤrge darum alſo heiſſet/ weil die Jndianer allda einen
Wolff gebraten. Darnach vor der Cedren-Jnſel uͤber/ und
dann raͤyſete er auf Florida zu Land. Allda bauete er eine drey-
eckigte Schantze/ verſahe ſie mit Soldaten und Geſchuͤtz/ auch
anderm Kriegs- und Lebens-Vorrath/ und begab ſich darnach
wieder nach Franckreich/ um mehr Voͤlcker zu holen. Aber in
dieſem Reich hatte der einheimiſche Krieg alles in Aufruhr ge-
ſetzet. Die Frantzoſen in der neuen Schantze/ welche man nach
dem Koͤnig Carl genennet/ warteten vergebens auf friſche
Schiffe. Die Lebens-Mittel nahmen immer mehr und mehr
ab. Alſo ſchiene der beſte Rath/ ein Fahrzeug zu bauen/ und
ſich wieder darvon zu machen. Kaum hatten ſie den dritten
Theil der Raͤyſe hinter ſich geleget/ da es 20. Tage lang ſo ſtille
ward/ daß ſie im Geringſten nicht fortkommen kunten. Dle
Speiſe war auf/ ein Jeder trunck ſein eigen Waſſer/ und aß die
Schuhe. Ja ſie nahmen auch endlich/ da auch ſolche Speiſe
man-
[1015]Romans II. Buch.
mangelte/ einen unmenſchlichen Schluß/ nemlich einen Schiff-
Geſellen in Stuͤcken zu ſchneiden. Von dieſer Greuel-Speiſe/
ſo ihnen der Hunger/ als ein grauſamer Speiſe-Meiſter/ fuͤr-
geſetzet/ aſſen ſie etliche Tage/ und waren nunmehr wieder in der
aͤuſſerſten Roth/ als ein Engliſches Schiff ankam/ und die
Armſeeligen errettete. Man brachte ſie zu der Koͤnigin Eliſa-
beth/ welche dazumahl eben beſchloſſen hatte/ eine Schiffs-
Flotte nach Florida zu ſchicken.
Unterdeſſen hat man von gemelten Frantzoſen in ihrem
Vatterland nichts erfahren. Koligni, da er bey dem Koͤnig wie-
der in Gnaden (oder in Schein-Gnaden) war/ brachte ſo viel
zuwegen/ daß Renatus Laudonnier mit 3. Schiffen abgefertiget
ward/ die Frantzoͤſiſche Beſatz-Voͤlcker in der Carlsburg zu
beſuchen. Dieſe laͤndete in Neu-Franckreich an/ und ſahe den
Marcktſtein/ den Ribald vor 2. Jahren allda aufgerichtet/ und
mit dem Frantzoͤſ. Wapen und Lorbeer-Graͤntzen gezieret. Auch
beſuchete er den Heydniſchen Koͤnig Saturiona, deſſen Sohn
Atoreus mit ſeiner eigenen Mutter/ nach Gewonheit dieſer Voͤl-
cker/ unterſchiedliche Kinder gezeuget. Jndem er ſich allda auf-
hielt/ flackerte ein ſolches Feuer durch die Lufft/ daß in etlichen
Fluͤſſen fuͤr groſſer Hitze/ die Fiſche ſturben/ und alles Gewaͤchſe
weit und breit verbrannte. Woruͤber dieſe neue Ankoͤm̃linge ſo
wol/ als die Wilden/ in groſſe Hungers-Noth fielen. Solcher
Mangel wolte auch nicht abnehmen/ ſondern vielmehr zuneh-
men/ und wachſen. Darum/ nachdem Laudonnier eine Zeit-
lang mit dem Hunger gerungen/ und endlich von dem Engel-
laͤnder/ Johann Hauk/ der mit 4. Schiffen daſelbſt war ange-
langet/ einige Lebens-Mittel/ ſamt einem Schiff/ erhalten hatte/
ſchickte er ſich/ von dannen wegzuſeegeln. Alles war zur Abfahrt
fertig/ als Ricaut, welcher von Diepen zu Seegel gegangen/ mit
7. Schiffen/ vor Carlsburg ankam/ dahin nach wenig Tagen
8. Spaniſche Kriegs-Schiffe unter dem See-Oberſten/ Peter
Melandez, ſich begaben. Die Frantzoſen hieben die Ancker-Seile
in Stuͤcken/ und machten ſich eilig auß dem Staube. Die Spa-
niſche folgeten ihnen auf dem Fuß nach/ kunten ſie aber nicht
einholen/ darum lieffen ſie in den Mund deß Fluſſes Delfin, da
das Vorgebuͤrge mit Huͤlffe der Mohren beveſtiget ward. Ri-
bald ruckete mit der Schiffs-Flotte geſchwinde nach der neuen
Schantze zu/ die Spanier herauß zu ſchlagen/ ehe ſie ſich veſt
verſchantzeten. Aber es entſtunde ein ſolcher Sturm/ daß er
zwiſchen den Klippen ſeine 7. Schiffe verlohr/ wiewol das Schiff-
S s s 4Volck
[1016]Deß Academiſchen
Volck mehrentheils gerettet ward. Auch litten die Spanier
ſelbſten nicht wenig Schaden an ihrer Flotte. Jedoch der Fran-
tzoſen Ungluͤck kam ihnen wol zu ſtatten/ dergeſtalt/ daß ſie in
aller Eyl uͤber Berge und Fluͤſſe hin nach der Carlsburg zogen
darinnen nur 200. abgemattete Soldaten lagen/ weil Ribald
das beſte Volck mit ſich zu Schiff genommen. Vor der Sonnen
Aufgang fielen die Spanier ſo gewaltig an/ daß ſie die Veſtung
in kurtzer Zeit eroberten. Laudonnier entwiſchete mit einem klei-
nen Nachen/ und andere wenige ſchwammen uͤber den Graben.
Die Eroberer verſchoneten Niemand. Selbſt die auß der Flucht
wieder zuruck kehreten/ wurden Moͤrderiſcher Weiſe nieder ge-
hauen. Ja/ als keine Lebendige mehr vorhanden/ den Muthwil-
len an ihnen zu veruͤben/ lieſſen ſie ihre Grauſamkeit an den Tod-
ten auß. Sie ſchnitten ihnen die Augen auß/ und die Schaam
ab/ ſteckten ſie auf die Degenſpitzen/ und rieffen den Entflohenen
auf dem Fluß zu: Wo thun den Frantzoſen die Augen wehl?
Unterdeſſen gelangete Ribald mit ſeinen auß gebungerten und
wehrloſen Voͤlckern bey Carlsburg an/ aber er ward hefftig be-
ſtuͤrtzet/ als er die Spaniſche Fahnen auf den Waͤllen fliegen ſa-
he/ und Valmont mit einer Spaniſ. Parthey auf ihn angezogen
kam. Zwiſchen den Frantzoſen und Spaniern lag ein Fluß/
hieruͤber begaben ſich die Frantzoſen/ mit dem Bedinge/ daß man
ihres Lebens ſchonen ſolte. Dieſes ward zugeſaget/ und beſchwo-
ren. Mehr als 400. wurden mit Boͤthen zu den Spaniern uͤber-
geſetzet/ welche ſie alle gebunden in die Veſtung fuͤhreten/ und
allda gantz Treuloß/ wider alle gegebene und beſchworne Parole,
erſtachen. Die Leichen warff Melandez in ein groſſes Feuer/ den
Ribald ſelbſten zerhieb er in 4. Stuͤcken/ und hieng die Stuͤcke
rings um den Wall/ ſeinen abgeſchornen Barth aber ſchickte er
nach Sevilien.
Dieſe unerhoͤrte Grauſamkeit/ die man an ſeinen Unter-
thanen veruͤbet/ zog ihm der Koͤnig in Franckreich/ Carl der IX.
nicht einmahl zu Gemuͤthe/ vielleicht auß einem lieff-eingewur-
tzelten Haß wider den Koligni, der zu dieſer Raͤyſe nach Florida
befoͤrderlich geweſen. Ja/ die von der Reformirten Religion
vermuthen/ es ſey ein angelegtes Stuͤcklein geweſen/ und daß
man mit gemeltem Zug nichts Gutes im Sinn gehabt/ weil
nicht allein die Huͤlffs-Voͤlcker vorbedaͤchtlich zu ſpaͤt gekom̃en/
ſondern auch ſelbſt der heimliche Anſchlag/ den man dem See-
Obriſten anbefohlen/ den Spaniern zugeſchrieben worden.
Aber/ ob ſchon die Frantzoͤſiſche Krone das unmenſchliche Ver-
fahren
[1017]Romans II. Buch.
fahren der Spanier in Carlsburg weniger als nichts achtete/
ſo gienge es doch dem Dominicus Gurgius, der ihm auch vor-
nahm/ die Spaniſche Grauſamkeit zu raͤchen/ ſehr zu Hertzen.
Zu dem Ende verkauffete er ſeine Guͤther/ nahm 200. Solda-
ren/ und 80. Boots-Geſellen an. Mit dieſen verſahe er 3. gemeine
Schiffe/ und gab fuͤr/ daß er nach Braſilien ſeegeln wolte. Aber
er lieff gerade auf Florida zu/ und begab ſich allda zu Land. Sa-
turiona, der Koͤnig in Florida, empfienge ihn uͤber die Maſſen
freundlich/ klagete uͤber der Spanier Tyranney/ und ließ ſeinen
Bluts-Verwandten Olotokara, mit einer groſſen Macht/ zu
ihm ſtoſſen. Die Spanier hatten nicht allein Carlsburg ſtaͤrcker
gemacht/ ſondern auch noch 2. andere Veſtungen zu beyden Sei-
ten deß Fluſſes Majo gebauet. Jn dieſen beyden Veſtungen
lagen mehr/ als 400. außerleſene Kriegs-Leute zur Beſatzung/
die 2. Neuen hielten nicht lange/ und die Beſatzung/ welche die
Flucht in einen naͤchſt-gelegenen Buſch genommen/ ſiel in der
Jndianer Hand/ 30. wurden gleich niedergehauen/ und die
uͤbrige 90. zu einer offentlichen Schlachtung verſparet. Nach
dieſem leichten Sieg ruckete man vor Carlsburg/ da die Fran-
tzoſen mehr Widerſtand wuͤrden gefunden haben/ wann Kaſa-
nova nicht 60. Spaniern/ welche einen Außfall gethan/ den
Ruckweg abgeſchnitten/ und ſie alle mit einander nieder geſtoſ-
ſen. Der Befehlhaber ſahe die Niederlage/ flohe nach dem Wald
zu/ kehrete aber wieder zuruck/ zu den Frantzoſen/ weil das gantze
Gepuͤſche mit Floridanern beſetzet war. Er bath fuͤr ſich/ und
ſeine Voͤlcker um Lebens-Verſchonung. Aber Gurgius drange
auf ſie zu. Sie warffen das Gewehr von ſich/ wurden gefangen/
und an den naͤchſten Baͤumen auf geknuͤpffet/ weil ſie ſo Treu-
loß und grauſam vor 3. Jahren an eben demſelben Ort mit den
Frantzoſen gehandelt. Es ſeynd aber die Frantzoſen ſelbſt ſo
ftomme Schaͤflein nicht/ ſonderlich/ wann ſie den Meiſter ſpie-
len. Man erinnere ſich nur/ wann anders nicht ohne das die Ge-
daͤchtnuͤß noch mehr/ dann gar zu friſch/ was fuͤr unmenſchliche
Tyranney ſie vor kurtzer Zeit bey Bodegrave, und da herum/ im
Niederland veruͤbet/ wie ſie wider Gebaͤu und Menſchen geto-
bet/ die Leute erwuͤrget/ verbrennet/ die Jungfrauen zu todt ge-
ſchaͤndet/ oder/ wann ſie ſolchen ſchaͤndlichen Gewalt noch uͤber-
lebet/ hernach lebendig unters Eyß/ oder ins Feuer geſtoffen/ die
Kinder bey den Fuͤſſen auß der Wiegen geriſſen/ wider die Mau-
ren geſchmiſſen/ und zerſchmettert/ und kurtz zu ſagen/ alſo ge-
wuͤthet/ daß Tuͤrcken und Tartarn dargegen fuͤr Engel zu ach-
S s s 5ten.
[1018]Deß Academiſchen
ten. Welcher verdammter Frevel/ wo nicht hier/ doch gewiß dort
in der Ewigkeit ſeine Straffe wird empfinden. Wiewol ohne
Zweiffel auch noch auf dieſer Welt mancher die Zorn-Ruthe
Goͤttlicher Rache darvor rechtſchaffen ſuͤhlen durffte/ und aufs
wenigſte ſein foltrendes boͤſes Gewiſſen zum Hencker bekommen.
Unter dieſem und derglichen Diſcurſen vollbrach-
ten ſie ein gut Stuͤck Weges/ und wir goͤnnen ihnen
einen guten Wind und ſtille See/ um ihren verlang-
ten Hafen forderſamſt zu erreichen/ kehren uns aber
unterdeſſen nach der uͤbrigen Geſellſchafft/ zu ſehen/
in was fuͤr Noth dieſelbe anjetzo ſtecken moͤge. Der
Frantzoͤſiſche Schiffer fuhr mit ihnen nach der mit
dem Corſaren gehabten Rencontre, geſchwinde fort/
um den Hafen Famaguſta zu erreichen/ allwo er ſich
außbeſſerte/ und etliche Tage ſtill lag/ da dann Con-
dado und ſeine Leute Zeit gnug hatten/ den Verluſt
deß ehrlichen Klingenfelds zu bejammern/ welcher
ihnen uͤberauß nahe an das Hertz tratt. Nachdem
endlich das Schiff ſich zur Nothdurfft reparirt/ und
mit dem Jenigen verſehen hatte/ was es verlangete/
lieffen ſie wieder in die See/ aber zu ihrem Ungluͤck
ſtieß ihnen am folgenden Tag/ da ſie ſchon die Syri-
ſche See-Kuͤſte im Geſicht hatten/ ein Rauber von
Tripolis auf/ der zwar etwas kleiner/ als der Vorige/
aber ſeine Gallee geprofft voll Volck fuͤhrete/ mit
dieſem fochten ſie 3. gantzer Stunden/ und meyneten
nunmehro ſich gnugſam loßgefochten zu haben/ als
der vorige Corſar auch heran ruderte/ der ſo grimmig
auf die andere Seiten deß Frantzoͤſiſchen Schiffs
fiel/ daß daſſelbe/ weil es nicht Volck gnug hatte/ zwo
Stunden hernach voͤllig erſtiegen und erobert ward.
Damahl wolte der Frantzoͤſiſche Capitain viel Pro-
teſtirens machen/ indem er hinlieff/ ſeinen Paß zeige-
te/ und behauptete/ daß er auß Franckreich komme/
und lauter Frantzoͤſiſche Waaren fuͤhre. Aber ſie
ſpotte-
[1019]Romans II. Buch.
ſpotteten ſeiner/ und ſagten: Wann er ihnen ſolches
vor dem Gefecht gezeiget/ ſo haͤtte er wol damit koͤn-
nen loßkommen/ aber weil er ihrer ſo viel nicht geach-
tet/ und es zum Streit haͤtte kommen laſſen/ achteten
ſie ihn nun fuͤr ihren Feind/ ob ſie gleich ſonſten mit
Franckreich in Frieden lebeten. Alſo muſte ſich der
Capitain in ſein Ungluͤck ſchicken/ alle und Jede auf
dem Schiff befindliche Menſchen ohne Unterſchied
wurden gefangen genommen/ da es dann den Con-
dado und ſeine Leute zum andern mahl betraff. Die
2. Raͤuber theileten aber die Leute und uͤbrige Beute
alſo/ daß zwar Condado, Troll und Venereus mit Ce-
rebacchio bey einander blieben/ aber Cavina ward zu
anderer Geſellſchafft gebracht/ und muſte er mit vielen
Frantzoſen auf der kleinern Gallee wegziehen. Der
vorige Corſar bohrete das faſt gantz rett-loſe Fran-
tzoͤſiſche Schiff endlich in Grund/ und lieff mit ſeiner
Beute nach Tripoli in Syrien/ allwo er den Capi-
tain frey erklaͤrete/ aber die uͤbrigen Frantzoſen und
den Condado mit ſeinen Leuten/ botte er feil. Er
waͤre wol ſchwerlich hieher gekommen/ wann er nicht
mit einem rechten Menſchenkauffer/ der allhier wohn-
hafft/ und ein Jude war/ bekandt waͤre geweſen. Die-
ſer Jud hatte ſeine gewiſſe Tuͤrcken/ denen er Geld
vorſtreckete/ Chriſtliche Sclaven zu kauffen/ weil er
ſelber keine halten oder kauffen durffte/ er hielte es
aber mit den Tuͤrcken alſo/ daß er allemahl den groͤ-
ſten Gewinn von dem Loͤſe-Geld zog. Dieſer Jud
kam mit ſeinen Tuͤrcken bald zum Marckte/ da die
Gefangene wie das Vieh in Ketten bey einander
ſtunden/ und beſahe ſie. Die Tuͤrcken muſten han-
deln/ aber der Jud examinirte die Sclaven. Conda-
do nennete ſich einen Soldaten auß Lombardie, ſo
nach Dalmatien in Venenetianiſche Dienſte mit ſei-
nen
[1020]Deß Academiſchen
nen Cameraden Venereo und Troll gehen wollen.
Cerebacchius aber gab ſich vor einen Studenten auß
Teutſchland auß/ wie auch die Warheit war. Als
Venereus nun abſonderlich befraget ward/ ſtimmete
er mit Condado uͤberein/ und wie der Jud den Troll
fuͤrkriegte/ ſprach er zu ihm: Wir wiſſen ſchon/ was
ihr vor Leute ſeyd/ darum bekenne du nur/ ſo ſolt du
alſobald deine vorige Freyheit geſchenckt bekommen.
Troll lachete jetzo und ſprach: Mauſchel/ biſt du
nicht ein Narꝛ/ du ſageſt/ du kenneſt uns ſchon/ war-
um ſoll ich dir es dann allererſt ſagen? Als der Cor-
ſar den Troll alſo reden hoͤrete/ ließ er ihm etliche
Pruͤgel-Streiche geben/ welches den Troll ſehr ver-
droß/ daß er zum Juden tratt/ und ihm eine wolge-
meſſene Ohrfeige gab/ mit dieſem beyfuͤgen: Du
ſchaͤndlicher Schacherer/ ſoll ich deinethalben Strei-
che empfangen/ viel lieber wolte ich dir das Leben
nehmen? Hierauf ward Troll zur Straff von 100.
Fuß-Streichen condemnirt/ der Jud aber bathe/
man moͤchte ſie ihm noch nicht geben laſſen/ er wolle
vorher ſehen/ ob alle Sclaven hurtig auf den Beinen
waͤren. Alſo ward dieſe Straffe jetzo aufgehoben/
und muſte ein Jeder ein Stuͤck Eyſen von 85. Pfund
auf die Schulter nehmen/ und darmit uͤber den
Marckt lauffen/ ſo geſchwind er kunte/ ſolches kam
manchen gar ſauer an/ und waren ihr viel/ welche
ſolche Laſt nicht einmahl tragen/ geſchweige damit
ſchnell fortlauffen kunten. Condado ward wegen
ſeiner zarten Glieder/ welche dem Juden gute Hoff-
nung zu einem groſſen Loͤſe-Geld gaben/ der Laſt ent-
ſchlagen/ er muſte aber lauffen. Venereus trug die
Buͤrde zwar/ aber er kunte kaum damit fortkommen/
und als Cerebacchius ſolche auf die Schultern be-
kam/ rieff ihm Troll zu: Was gilts/ Camerad/ wann
es
[1021]Romans II. Buch.
es eine ſo ſchwere Flaſchen mit Wein waͤre/ ſie ſolte
euch nicht zu ſchwer zu tragen ankommen? Cere-
bacchius antwortete: Ja/ ich wolte ſie alsdann im
Lauffen ſchon leichter machen/ aber dieſes Eyſen iſt
meinem Magen all zu ſchwer zu verdauen. Als end-
lich die Reyhe an Trollen kam/ tratt er zu Condado,
und ſagte: Herꝛ/ ich wil den Schelmiſchen Juden
dieſe Buͤrde auch empfinden laſſen/ und hiermit nahm
er das Eyſen auf die Schulter/ und lieff ſchnell gnug
uͤber den Marckt/ als er aber wieder zuruͤck kam neben
den Juden/ glitſchete er mit Fleiß zur Seiten auß/
und warff dem Buben das groſſe Eyſen recht auf
den Leib/ daß derſelbe wie ein geſchlagener Ochs dar-
nieder platzete/ und nicht allein einen Arm zerbrach/
ſondern auf der Bruſt von dem Eyſen auch ſehr ge-
quetſchet ward/ daß keine Hoffnung zu ſeiner Wie-
deraufkunfft war. Man brachte ihn zwar in ein
Hauß/ aber er ſtarb/ da die andern noch auf dem
Marckt ſtunden/ und als Troll meynete/ dieſes Un-
gluͤck wuͤrde ihn ſein Leben koſten/ da erfuhr man bald
das Gegentheil/ dann die 2. Tuͤrcken/ fuͤr welche der
Jud accordirte/ lobeten ſeine That/ und ſagten ihm
zu/ daß ſie ihn zwar kauffen/ aber hernach vor das hal-
be außgelegte Geld ihn wieder frey geben wolten/
weil er dem Juden vom Brodt geholffen/ ſintemahl
ſie demſelben noch uͤber 4000. Kronen ſchuldig/ wor-
vor ſie nichts zu bezahlen gehalten wuͤrden/ wann ſie
nur dem Beg allhier den vierdten Theil der Schuld
entrichteten; Deſſen war unſere gantze gefangene Ge-
ſellſchafft wol zufrieden/ und von Hertzen daruͤber er-
freuet/ und darauf kaufften die Tuͤrcken alle Gefan-
gene/ deren etwa 13. waren. Vor Condado, Vene-
reum und Cerebacchium gaben ſie zuſammen 500.
Kronen. Troll aber ward vor 200. Kronen allein er-
han-
[1022]Deß Academiſchen
handelt/ weil man ihn am hurtigſten im Lauffen und
Lafttragen befunden hatte. Die Tuͤrcken vertheileten
ihre Gefangenen/ den einen hier/ den andern dort hin/
und vermietheten die Meiſten an andere Tuͤrcken zu
ſchwerer Arbeit. Der Beg nahm auch etliche/ um
Steine zu einem Thurn zu tragen/ den er am Hafen
bauen ließ. Condado ſelber muſte hieran arbeiten/
und die andern wurden an andere Orte vertheilet/
daß ſchier keiner bey dem andern blieb/ ohne daß das
Gluͤck den Troll und Venereum bey einander ließ/
welches zu ihrem Vortheil gereichete.
Das XLIII. Capitul/
Troll undVenereuskommen in ein Gefangen-Hauß zuPto-
lemais, allwo ſie nebſt andern Mit-Gefangenen uͤberauß ſeltzame
Haͤndel mit dem Wirth haben.
ALs dieſe etwa 4. Wochen bey ihren Herꝛn geſtan-
den/ wurden ſie uͤber Land nach Ptolemais oder
St. Jean d’Acri gefuͤhret/ und daſelbſt einem
Chriſten verhandelt/ dann es iſt zu wiſſen/ daß allhier
ein Chriſtlicher Printz auß dem Geſchlechte der alten
Druſi wohnet/ welcher nicht allein uͤber dieſe Stadt/
ſondern auch uͤber ein groſſes Stuͤck in Syrien/ fuͤr-
nemlich aber uͤber den Berg Libanon und Carmel
ſein Gebiet hat/ woſelbſt meiſt Griechiſche Chriſten
wohnen/ gleichwie auch Ptolemais ſchier von lauter
Chriſten bewohnet wird/ unter denen etliche ſind/
die die Chriſtliche Sclaven an ſich handeln/ und bey
weitem nicht ſo ſtrenge halten/ wie die Tuͤrcken/ und
alſo thun ſie denſelben einen groſſen Dienſt/ und pfle-
gen ſich wol zu loͤſen. Von ſolchen Leuten war auch
der Chriſt/ der den Troll und Venereum um 400.
Kronen zuſammen kauffte/ weil ſie aber ſehr gute
Tage allhier hatten/ kunten ſie dieſelben nicht wol er-
tragen/ ſondern begunten allerhand Poſſen nach ih-
rer
[1023]Romans II. Buch.
rer Art zu treiben/ indem Venereus dem Griechiſchen
Frauenzimmer nachgieng/ und ſolches gewaltig wol
ins Netz zu locken wuſte. Troll aber zanckete ſich ſtaͤts
mit dem Volck im Hauß/ brach auch die Eſſen-Zim̃er
auf/ und nahm darauß/ was ihm beliebte/ dannenhero
der Chriſt/ ihr Patron, bey der Stadt Obrigkeit kla-
gete/ und alſo wurden die zwey gute Geſellen auf das
Gefangen-Hauß gebracht/ da ſie eine ſchwere Kette
an den einen Fuß bekamen/ welche ſie nicht abſchuͤt-
teln kunten/ und hier ſolten ſie ſo lange ſitzen/ biß ſie
baͤndiger worden/ und zu ihrem Loͤſe-Geld Rath
ſchafften. Sie wurden allhier ziemlich geſpeiſet/ jedoch
rechnete man ihnen das Speiſe-Geld Wochentlich
vor eine Krone an/ an Wein kunten ſie auch haben/
was ſie verlangeten/ und ſolches alles muſten ſie von
dem Wirth im Gefangen-Hauß nehmen/ der ihrer
Perſon wol verſichert war/ biß er ſeine Bezahlung
hatte. Brandtewein aber ward ihnen nicht gerei-
chet/ weil darauß vielmahls viel Streit entſtanden/
wann ſie ſich darvon uͤberſoffen hatten. Es ſaſſen in
dieſem Hauß verſchiedene Perſonen mehr/ unter an-
dern ein Maronitiſcher Pfaff/ welcher wol 3. Frauen
zugleich hatte gehabt/ ein Officier deß Printzen/ der
ſich unterſtanden hatte/ die umligende Tuͤrckiſche
Doͤrffer zu Brandtſchatzen/ und andere Leute mehr.
Jnſonderheit war einer darunter/ der eine Frau wider
ihrer Eltern Willen geheyrathet/ und ſchon ein Kind
mit ihr erzeuget hatte/ weßhalben ihn ſeiner Frauen
Eltern hieher hatten bringen laſſen. Dieſe ehrliche
Compagnie war ziemlich einig mit einander/ und
durffte der Hauß-Wirth keinen darvon mit Schlaͤ-
gen tractiren/ ſondern wann ſie etwas verbrochen/
ward die Wacht geholet/ oder ſie wurden auf Waſſer
und Brodt geſetzet/ und ihr Tiſch-Geld gieng gleich-
wol
[1024]Deß Academiſchen
wol fort. Wann ſie Abends ſchlaffen giengen/ wur-
den ſie nach kleinen dunckelen Koyn gefuͤhret/ da
Zween und Zween in einem ſchlechten Bette vorlieb
nehmen muſten. Hielten ſich nun dieſe Gefangenen
wol/ und der Wirth hatte keinen Verdacht auf ſie/
ſo ließ er ſie wol bißweilen außgehen/ und ſolcher Ge-
ſtalt gieng Venereus offt auß/ jedoch daß er allwege
ſeine ſchwere Kette am Fuß ſchleppete/ welche er aber
aufzuziehen wuſte/ daß man ſie nicht viel rappeln hoͤ-
rete. Solcher Geſtalt machte er ſich bekandt in der
Stadt/ und ſammlete noch offt einen Pfenning/ den
er extra verzehren kunte.
Als einsmahls Troll in der Nacht bey ihm lag/
klagte derſelbe uͤber groſſe Bauch-Schmertzen/ und
wuͤnſchete nichts mehr/ als ein Truͤncklein Brandte-
wein. Venereus ſprach: Gut/ gut/ darzu wollen wir
ſchon kommen/ er ſprang auf/ nahm einen langen
ſchmahlen Strick/ und band eine kleine glaͤſerne Fla-
ſche daran/ ſteckete ſolche durch das eyſerne Gitter-
werck eines Mauerlochs hinauß/ und ſchrye: Guͤckery
kuͤ/ kuͤ/ wie ein junger Hahn. Die in dem andern
Kayn wuſten nicht/ was ſolches bedeutete/ laureten
demnach fleiſſig auf. Troll ſelber fragete: Was er
damit wolte. Ach ihr ſeyd wol einfaͤltig/ ſprach Vene-
reus, ihr koͤnt ja wol gedencken/ daß das geile Frauen-
zimmer auf ſolch Hahnen-Geſchrey bald erwachet/
ich habe mit unſerer Nachbarin ſelber deßfalls ſchon
Abrede genommen/ und wann ich das Hahnen-Ge-
ſchrey beginne/ ſo wird ſie bald mit Brandtewein
hertretten. Wie er nun inzwiſchen den Strick mit
der Flaſchen hinab laͤſſet/ bricht derſelbe/ und die Fla-
ſche faͤllet an Stuͤcken. Venereus nicht falu/ erwiſchte
einen Hut/ welcher einen zarten Bind-Faden um
ſich hatte/ ſolchen loͤſete er ab/ und ließ ihn zum Loch
hinauß/
[1025]Romans II. Buch.
hinauß/ an welchen die Nachbarin Statt der Fla-
ſchen ein zinnern Buͤchslein voll Brandtewein band/
wie ſolches die Kinder zugebrauchen pflegen/ wann ſie
von der Mutter-Bruſt gewoͤhnet werden/ um Milch
oder etwas anders auß einer Roͤhr darvon zu trin-
cken/ dahero man es eine Saͤuge-Buͤchs/ oder in
Nieder-Sachſen ein Nuͤnnecken zu nennen pfleget.
Venereus zog ſolche Buͤchſe herein/ und kannte ſie
bald/ ſetzete ſie an den Mund/ und nahm einen guten
Schlurff zu ſich/ uͤberreichte ſie hernach dem Troll/
und ſagte: Da ſaufft nur/ es ſchmecket warlich gut.
Troll ſetzte das unterſte Ende an den Mund/ und wu-
ſte nicht/ wie er daran war/ daß ſolches verſchloſſen
war/ dann im Dunckeln kunte er nichts ſehen; Er
empfand aber/ das durch das umgekehrte Roͤhrlein
die Tropffen herauß fielen/ dannenhero ſprach er:
Wie mach ichs/ hier iſt kein Loch/ und dannoch zapffet
der Brandtewein auß? Venereus hielt ihm die Roͤhr
zum Mund/ und alſo tranck Troll/ muſte aber her-
nach lachen/ daß dieſes das erſte mahl/ daß er auß ei-
ner Kinder-Buͤchſen Brandtewein getruncken haͤtte.
Als auch die andern von ihrer Geſellſchafft darvon zu
hoͤren bekommen/ muſten ſie deß Poſſen von Hertzen
lachen. Wann deß Nachts die Wacht vorbey gieng/
und rieff/ ſo fiel Troll in ein Mauer-Loch/ und ſchalt
ſie auf allerhand Weiſe auß/ alsdann muſte der
Wirth aufmachen/ und ſeine Gaͤſte beſichtigen/ aber
da ſchlieffen ſie alsdann alle mit einander/ und war
keiner ſchuldig daran. Sie warffen auch wol mit
Steinen nach der Wacht/ und hatten viel ſeltzame
Poſſen im Gefangen-Hauſe. Wie auch der Wirth
erfuhr/ daß man Brandtewein in der Nacht in das
Hauß bekommen hatte/ wolte er den Thaͤter wiſſen/
und drohete ihm mit Schlaͤgen. Sie warffen ſich
T t taber
[1026]Deß Academiſchen
aber alle auf/ und behaupteten/ daß er nicht Macht
haͤtte/ ſie zu ſchlagen/ und ſo fern er es thaͤte/ ſolle er
ihre Gegenwoͤhr ſchon empfinden. Troll ließ ihm
von derſelben Stunde an die Haare auf dem Kopff
gantz kahl wegnehmen/ um auf allen Fall einen Gang
mit dem Hoſpes zu gehen/ darzu fand er auch bald
Gelegenheit wegen der Speiſen/ dann der Wirth
ſpeiſete gemeiniglich mit ihnen an einer Tafel/ und
auß einer Schuͤſſel/ aber die Frau ſetzte ihm doch all-
wege das Beſte fuͤr. Als ſie nun zwo Schuͤſſeln mit
friſchem Kohl-Sallat bekamen/ und die eine mit den
Hertz-Kraͤpfflein oben vor die Wirths-Stelle/ die
andere aber mit dem Außſchuß hinunter fuͤr die Ge-
fangenen geſetzet ward/ da ſchob Troll die ſchlechte
Schuͤſſel hinauf zu deß Wirths Stelle/ der noch nicht
zu Tiſch kommen war/ und nahm dargegen den gu-
ten Sallat/ und verzehrete ihn mit den andern Gaͤ-
ſten. Wie nun der Wirth kam/ und den ſchlechten
Sallat vor ſich fand/ fluchte er gewaltig/ rieff der
Frauen/ und warff ihr die Schuͤſſel uͤber den Tiſch
zu/ ſagend: Da friß dieſen Schwein-Tranck ſelber/
kanſt du mir nichts beſſers geben? Die Frau entſchul-
digte ſich/ daß ſie ihm eine Schuͤſſel mit gutem Sallat
fuͤrgeſetzet/ und alſo wolte er wiſſen/ wer denſelben
verzehret haͤtte? Troll nicht faul/ ſondern ſtund auf/
und ſprach: Wir haben den Sallat verzehret/ und
ich habe ihn verwechſelt/ wer hat euch befohlen/ beſſere
Tractamenten zu genieſſen/ als wir? Jhr habt den
ſchiechten Sallat vor einen Schwein-Tranck ge-
ſcholten/ wie ſolten wir ihn dann genieſſen/ da wir
doch keine Schweine ſind? Gebt uns hinfuͤhro was
Gutes auf die Tafel/ ſo genieſſet ihr ſelber etwas
mit darvon/ oder wir wollen allemahl mit in eure
Schuͤſſel langen. Dieſer frechen Rede war ihm der
Wirth
[1027]Romans II. Buch.
Wirth bey Troll nicht vermuthen/ ſprang demnach
vom Tiſch auf/ und wolte ihn bey den Haaren zur
Erden werffen/ aber dieſer hatte zu dem Ende ſchon
einen kahlen Kopff gemacht/ dahero rungen ſie mit
einander/ und theileten Schlaͤge um Schlaͤge auß.
Troll kam zwar unten zu ligen/ aber die Mit-Gefan-
genen ſprungen herzu/ und wolten ſie von einander
ſcheiden/ in welchem Tumult doch der Wirth die
meiſte Schlaͤge bekam/ daß er endlich wolgeplaͤuet
darvon ſchied/ und ſich zu raͤchen drohete/ deſſen doch
die andern mit einander lacheten/ ohne einer/ der es
allwege mit dem Wirth hielte/ und demſelben alles
anbrachte/ was die andern heimlich berathſchlageten/
dieſer war ein Kauffmann geweſen/ ſaß aber um
Schulden halben hier. Es kam auch deß jenigen Frau
bißweilen zu ihrem gefangenen Mann/ den ihre El-
tern dahin hatten ſetzen laſſen; Dieſe/ als eine geile
Dame, kam nur/ um bey ihm zu ſchlaffen/ aber der
Wirth wolte ihr ſolches nimmer geſtatten/ und wann
ſie bey Abend-Zeiten in der groſſen Stuben ziemlich
ſpaͤth bey der Geſellſchafft blieb/ kunte ſie der Wirth
nicht herauß treiben/ wol wiſſend/ daß ſie in Gegen-
wart der uͤbrigen Gefangenen nichts Eheliches fuͤr-
nehmen koͤnten. Solches klagte der Mann unſerm
Troll/ und bathe ihn/ es dahin zu bringen/ daß er ohn-
vermercket eine halbe Viertel-Stunde bey ſeiner
Frauen allein bleiben koͤnte. Troll ſagte ſolches dem
Venereo, welcher ein Mittel an die Hand gab. Wie
nun die Frau einsmahls gegen Abend wieder kam/
hatte es der Wirth von dem einen Verraͤther ſchon
erfahren/ was man fuͤr Abrede genommen/ dannen-
hero hatte er einen Corporal mit 5. Maͤnnern von
der Wacht kommen laſſen/ welche verhuͤten ſolten/
daß Mann und Frau nicht zuſammen kaͤmen. Vene-
T t t 2reus
[1028]Deß Academiſchen
reus aber hatte inzwiſchen/ weil er damahl im Regen
außgeweſen/ ſeinen naſſen Rock neben dem Camin
gantz außgeſpreitet aufgehangen/ langte darauf ein
groſſes Buch herfuͤr/ ſo er von einem Teutſchen/ der
allhier wohnete/ geliehen bekom̃en/ darinn die Perſiſ.
Raͤyſe-Beſchreibung Herꝛn Olearii war/ ſo bald er
ſolches auf den Tiſch geleget/ begunte er die Kupffer-
Stuͤcke zu expliciren. Die Waͤchter/ und alle Mit-
Gefangenen ſtunden um ihn herum/ und weil ſie der-
gleichen ihr Lebtag nicht geſehen/ noch gehoͤret hatten/
waren ſie ſehr begierig/ und mercketen genau auf ſei-
ne Rede. Troll aber/ und etliche andere/ redeten ſehr
laut/ und widerſprachen ihm offt mit angeſtelltem
Fleiß/ daß ſich ein diſputiren erhub/ daruͤber man
kaum ſein eigen Wort vernehmen kunte. Unter dieſem
Tumult nahm der Mann ſeine Frau/ fuͤhrete ſie un-
vermerckt hinter den außgeſpanneten Rock/ und ſagte
ihr etwas heimliches ins Ohr/ aber zuletzt hoͤrete man
ſeine Kette knickern/ knackern/ klinckern/ klunckern/
daher ſich die Waͤchter umſahen/ und deß Handels
nicht ehe gewahr wurden/ biß er ſchon voͤllig verrich-
tet war. Sie ſprungen darauf zu/ und wolten die
Frau mit Gewalt hinauß ſchleppen/ indem ſich aber
die andern bemuͤheten/ die Waͤchter zu beguͤtigen/
buckete ſich Troll/ und nahm gantz unvermerckt das
eine Ende an deß Manns Ketten/ und ſchloß ſolches
um der Frauen Fuß/ daß es der Wacht unmoͤglich
war/ ohne Schluͤſſel das Schloß aufzumachen/ ſie
ſchalten demnach ſehr auf den Troll/ ſandten hinauß/
und lieſſen die Gefangen-Schluͤſſel von dem Wirth
fordern. Dieſer kam auß ſeinem tieffen Schlaff her-
fuͤr/ brachte zwar etliche Schluͤſſel herfuͤr/ aber den
Rechten hierzu hatte ſeine Frau/ die uͤber Nacht in
dem Garten vor der Stadt blieben war/ mit hinauß
genom-
[1029]Romans II. Buch.
genommen/ dahero meynete er fuͤr Zorn zu boͤrſten/
doch muſte er ſich zufrieden geben/ weil Mann und
Frau dieſen Abend nicht kunten von einander getren-
net werden. Der Corporal kam darauf uͤber Troll
her/ und zauſeten ſich dieſe mit einander wacker her-
um/ biß endlich der Wirth einen Waͤchter zu den zu-
ſammen geſchloſſenen Ehe-Leuten ordnete/ und den
Ubrigen Ordre gab/ die Gefangenen mit einander in
ihre Kayn zu fuͤhren. Dieſe wolten darbey auch ihre
Kurtzweil haben/ ſtelleten ſich demnach/ als wolten ſie
auß der Stuben nicht weichen/ dahero allemahl vier
Waͤchter einen darvon bey Haͤnden und Fuͤſſen nah-
men/ und ihn mit groſſer Muͤhe zwey hohe Treppen
hinauf ſchleppeten/ daß ihnen der Schweiß daruͤber
bey den Ohren herunter lieff.
Als die Reyhe an Venereum kam/ ließ er ſich
auch alſo hinauf ſchleppen/ und das zwar im Dun-
ckeln/ dann man geſtattete den Gefangenen auß der
groſſen Stuben kein Liecht/ und Troll ſtellete ſich jetzo
etwas wilder/ als die andern/ wannenhero ſie ihm
etliche mahl einige Puͤffe in die Seiten verſetzeten/
welches er zu revengiren bedacht war. Wie ſie dem-
nach vor ſeine Kay kamen/ ſetzten ſie ihn nieder/ und
er ſprach zum Corporal: Ey guter Freund/ ihr habt
groſſe Muͤhe mit uns gehabt/ es iſt billich/ daß wir
euch deſſen entgelten laſſen/ wir haben eure Freund-
ſchafft doch mehr noͤthig/ darum kommet mit mir her-
ein/ ich habe einen guten Trunck Brandtewein/ dar-
durch ſollet ihr eure Hertzen rechtſchaffen wieder la-
ben. Der Corporal ließ ſich bereden/ und gieng mit
hinein/ und wie ſeine Waͤchter auch folgen wolten/
bedeutete er ihm/ daß er nicht vor dieſe Leute/ ſondern
nur vor ihn allein etwas haͤtte. Alſo befahl dieſer
den andern/ wieder hinunter zu gehen/ und ſeiner in
T t t 3der
[1030]Deß Academiſchen
der groſſen Stuben zu erwarten. Er aber tratt mit
Troll zu dem Bette/ allwo ein eyſerner Uberwurff
war/ welchen er/ gleichwie der Wirth an den Gefan-
genen ſonſt zu thun pflegte/ ihm unvermuthlich uͤber
den Kopff warff/ dardurch ihm dann alle Macht be-
nommen ward/ ſeine Haͤnde zu ruͤhren oder zu brau-
chen/ darauf nahm Troll einen Pruͤgel/ und ſchmierte
ihn dicht ab/ und weil er ſich nicht defendiren kunte/
ſchrye er Mordio und gar klaͤglich um Huͤlffe/ und ob
zwar ſeine Helffers-Helffer vor der Thuͤr bald erſchie-
nen/ war doch ſolche ſo wol verwahret/ daß ſie keines
Weges hinein kommen kunten. Troll ſchlug immer/
und ſagte: Siehe da du Schelm/ warum haſt du mir
den Brandtewein außgeſoffen/ was du nicht bezahlet
haſt/ das ſolt du mir ein ander mahl wol laſſen. Ob
nun gleich der arme Corporal keinen Brandtewein
zu ſchmecken bekam/ als welcher inzwiſchen von Troll
und Venereo außgeſoffen ward/ ſo muſte doch der
Corporal die Schuld haben/ und als der Wirth end-
lich darzu kam/ und ihnen befahl/ die Thuͤr aufzu-
machen/ da gab ihm Troll zur Antwort: Ja/ komm
du Bube nur auch herein/ wir wollen dir eben ſolchen
Lohn geben/ weil du uns dieſen Dieb haſt auf den
Leib geſandt/ daß er uns unſers Lab-Ttuncks beraube.
Als endlich die Waͤchter an der Thuͤr Gewalt brau-
chen wolten/ da ward der Corporal von neuem ge-
pruͤgelt/ und gezwungen/ ſeinen Leuten zu befehlen/
daß ſie hinunter giengen. Wie ſolches geſchehen/ da
getrauete ſich der Wirth auch nicht allein hier zu blei-
ben/ und alſo ward der Corporal wieder loß gelaſſen/
der dem Himmel danckete/ daß er mit dem Leben noch
waͤre darvon kommen. Am folgenden Tage ward
eine groſſe Klage bey der Obrigkeit uͤber dieſe Ge-
waltthat angeſtellet/ welche 2. Deputirten in das Ge-
fangen-
[1031]Romans II. Buch.
fangen-Hauß ſandte/ die Sache zu unterſuchen/ aber
Troll und Venereus wuſten ſich dergeſtalt zu verant-
worten/ daß ſie Recht behielten/ und der Wirth einen
guten Außbutzer bekam/ welcher dieſen zum Poſſen/
und um ſich zu revengiren/ alle Nacht/ wann ſie ſchlaf-
fen giengen/ außwendig ein Schloß vor die Thuͤr
hieng/ daß ſie nicht herauß kommen kunten/ biß es ihm
gelegen war/ und ſolte es auch allererſt ſpaͤth auf den
Mittag ſeyn. Troll und Venereus wurden dardurch
abgeſchnitten von dem Ort/ da ſie und die andern
Gefangenen ſonſten ihre Nothdurfft zu thun pflege-
ten/ und ob ſie gleich einen Topff hatten/ war es ih-
nen doch verdrießlich/ ſolchen damit zu beladen/ wor-
durch ſie die gantze Zeit uͤber hernach in boͤſem Ge-
ruch zubringen muſten/ dannenhero beſonnen ſie ſich
auf eine andere Liſt. Zu allem Gluͤck lag ihre Kam-
mer uͤber der Kuͤchen/ und zum Theil uͤber deß Wirths
Schlaff-Kammer/ in dieſem letzten Theil bohreten
ſie/ in Abweſen deß Wirths/ ein ziemliches Loch durch
die Dielen/ wormit der Boden ihrer Kayn beleget
war/ und goſſen am folgenden Morgen/ da der Wirth
eben aufſtund/ den gantzen Nacht-Topff in ſeine
Kammer hinab/ daß er/ ehe er es innen ward/ einen
guten Theil darvon auf ſeine Kleider bekam/ er fieng
hieruͤber an zu fluchen/ und zu donnern/ und ob gleich
Troll und Venereus ſich verantworteten/ daß ſie nicht
zum rechten Ort der Heimlichkeit gelangen koͤnten/
weil er ihnen die Thuͤr verſperret haͤtte/ ſo halffe es
doch nicht/ ſondern er lieff mit dem beſudelten Kleide
hin zur Obrigkeit/ und machte ſeiner Sache damit
einen groſſen Schein/ daß dieſelbe ihm Macht gabe/
die zween ſpecificirte Gefangenen auf Waſſer und
Brodt ſitzen zu laſſen.
Nun meynete der Wirth ein gefundenes Freſſen
T t t 4zu
[1032]Deß Academiſchen
zu haben/ und hoffete er die Purſch nunmehro anders
zu Chor zu treiben/ dannenhero ſchloſſe er ihre Kayn
gaͤntzlich zu/ und nachdem er ihnen angedeutet/ worzu
ſie condemnirt waͤren/ ließ er ihnen eine Kanne voll
Waſſer/ und Jedem ein Waͤitzen-Brodt von ander-
halb Pfund auf den Tag reichen. Dieſe Condemnir-
te offenbahrten ſolches ihren andern Cammeraden
bald durch die Loͤcher der Kaͤyen/ welche ſehr ſchwuͤrig
daruͤber waren/ dannenhero wie ſie uͤber Tiſch kamen/
und anfiengen zu eſſen/ nahm ein Jeder ein beſonder
Stuͤck von allen Geruͤchten/ und ein Stuͤck Brodt/
ja es ward auch etwas Wein an die Seite geſetzet/
und als der Wirth fragete/ was ſolches bedeuten ſol-
te? Gaben ſie ihm zur Antwort/ das iſt fuͤr die einge-
ſperrete Gefangene/ welche ſich noch nicht gegen euch
verantwortet haben/ und dannoch zu Waſſer und
Brodt verurtheilet ſind. Meynet ihr/ ihr wollet euer
Wochen-Geld vollauf ziehen/ und die Leute mit
Waſſer und Brodt hinhalten? Keiner Weges/ man
moͤchte hiernaͤchſt mit uns auch alſo umſpringen/ die-
ſes ſollen die Gefangenen eſſen. Der Wirth proteſti-
rete ſehr hart wider Gewalt/ gieng abermahl zur
Obrigkeit/ und erhielte die Confirmation der vorigen
Sententz/ jedoch alſo/ daß die benannten 2. Muthwilli-
gen nur auf 6. Tage alſo ſitzen ſolten. Und dafern die
andern Gefangenen abermahl den Verurtheilten
Speiſe zuzubringen erkuͤhnen wuͤrden/ ſolten ſie
durch die Wacht darvon abgehalten werden. Wie
ſie nun am Mittag uͤber der Mahlzeit erſchienen/ kam
ein Diener von der Obrigkeit/ und brachte dieſen
Außſpruch muͤndlich herfuͤr/ darauf ließ der Wirth
die Wacht holen/ welche bey Tiſch ſtund/ und zuſahe/
ob die Eſſenden den Wirth auch weiter moleſtiren
moͤchten. Der Corporal ſahe den Rittmeiſter/ mit
welchem
[1033]Romans II. Buch.
welchem er jenes mahls auch viel zu thun gehabt/
zwar grimmig an/ durffte ſich aber ohne gegebene Ge-
legenheit an ihm nicht vergreiffen/ dieſer hingegen
lachete/ und ſprach: Jhr Herren Bruͤder/ ſind wir
nicht brave Leute/ die wir jetzo ſpeiſen/ und ſo viel Auf-
waͤrter hinter uns haben. Die Mit-Gefangenen
lacheten mit/ und ſprach der Prieſter: Es iſt billig/
daß wir unſere Diener bedencken! Er ſchnitte auch
ein Stuͤck Fleiſch herunter/ und etliche andern folge-
ten ihm darinnen nach/ welches ſie der Wacht uͤber-
reicheten/ und dieſe/ als armſeelige verhungerte Leute/
nahmen es auch willig an/ und verzehreten es auf der
Uberreicher Geſundheit/ welches dem Wirth aber-
mahl einen Stich im Hertzen gab. Dahero gieng er
hin zur Obrigkeit/ und verklagete ſeine Gefangene
von neuem/ und der Diener kam abermahl/ und be-
deutete den Gefangenen/ ſie ſolten darum loſen/ daß
ihrer drey/ gleich Troll und Venereo, auf Waſſer und
Brodt ſitzen ſolten/ weil ſie den Wirth alſo vexirten.
Weil ſolches nun die Gefangenen nichts achteten/
loſeten ſie willig/ und traff das Loß den Officirer/ den
Paſtorn/ und den Jenigen/ welcher die Gefangenen ſo
offt bey dem Wirth angab/ und mit demſelben hielte.
Alſo ward der Officirer zum Paſtorn geleget/ und der
Dritte/ ſo Gomery hieß/ blieb allein. Die Gefangenen
nahmen zwar ihr Brodt und Waſſer an/ lieſſen es
aber ſtehen/ und aſſen oder truncken nicht das Gering-
ſte darvon/ dann ſo bald ſolches in der Stadt ruchbar
worden/ daß 5. Gefangene auf Waſſer und Brodt
ſaſſen/ da kamen die Burger der Stadt auß groſſem
Mitleyden haͤuffig herein zu ihnen/ und brachten ih-
nen mehr von niedlichen Speiſen/ als ſie verlangeten.
Alle Abend rieff Venereus ſein gewoͤhnliches Kuͤkery
ky/ ky. Und alſobald bekam er Wein und Brandte-
T t t 5wein.
[1034]Deß Academiſchen
wein. Es ward aber auf deß Wirths Anſtifften auch
dieſes verhindert/ daß die Burger nichts mehr ein-
bringen durfften/ ſondern/ wann ſie etwas haben wol-
ten/ ſolten ſie es abſonderlich bezahlen. Darauf wur-
den unſere Gefangene Rathſchluͤſſig/ entlehnten
Geld/ und kaufften magere junge Huͤhner und Ca-
paunen/ denenſelben brocketen ſie alles Brodt vor/ ſo
man ihnen taͤglich reichete; Sie ſelber aber bekamen
an Seilen deß Nachts/ und durch andere Behendig-
keiten ſchon etwas zu eſſen und zu trincken/ und weil
der eine Gefangene Gomery, wie der Jenige bezeu-
gete/ ſo deß Nachts bey ihm ſchlieff/ vom Wirth
heimlich etwas zu eſſen bekam/ da erzuͤrneten ſich die
andern daruͤber/ und ſuchten ihm einen Poſſen zu
thun. Sein Cammerad/ ſo den andern Gefangenen
getreu war/ hieß Giurgi, dieſer uͤberlegete die Sache
mit den andern/ ihre Kaͤy ware uͤnter der/ darinn der
Paſtor lag/ alſo ließ man/ wie er in der groſſen Stu-
ben war/ eine ſtarcke Chorde auf ſein Bett/ daran
das Haupt-Kuͤſſen beveſtiget ward. Wie er nun
ſchlaffen gangen war/ ſprach Giurgy: Bruder/ was
ſehe ich? Jener der ohne dem ſehr ſcheu war/ forſche-
te/ was er dann ſehe? Jch ſehe/ ſprach dieſer/ einen
Eſel mit einem Menſchen-Kopff dort vor dem Fenſter
ſtehen/ welcher Mine machet/ als wolte er einen
Sprung nach unſerm Bette thun. Gomery verkroche
ſich unter die Decke/ aber Giurgy ſprach: Es wird
gut ſeyn/ wann wir um ein Liecht anhalten/ ſonſt ſolte
ein Menſch in ſolchem Fall leicht verzagen/ oder ver-
zweiffeln koͤnnen.
Er ſtund alſo auf/ und indem er an der verſchloſ-
ſenen Thuͤre rappelte/ zog der Prieſter die Chorde/
ſamt dem Kuͤſſen/ unter Gomery herfuͤr/ nach der
Buͤhne/ daß dieſer erſchrack/ und uͤberlaut zu ſchreyen
anfieng.
[1035]Romans II. Buch.
anfieng. Er rieff dem andern zu/ das Eſels-Geſpenſt
habe ihm das Kuͤſſen unterm Kopff weggeriſſen/ und
tringe auf ihn loß. Jndem er aber alſo im Bette ſaſ-
ſe/ machte der luſtige Prieſter die Chorde oben loß/
und ließ das Kuͤſſen wieder fallen/ welches dem
furchtſamen Gomery recht auf den Kopff fiel. Hier-
uͤber erſchrack Gomery noch mehr/ und rieff: Ach
Giurgy, kommt mir zu Huͤlffe/ das Geſpenſt wil mich
ſteinigen. Dieſer haͤtte fuͤr Lachen ſchier ſeine Lippen
zerbiſſen/ doch zwang er ſich/ lieff von der Thuͤre zu
ihm/ und thaͤte ihm Beyſtand. Gomery fuͤhlete nach
dem Kopff/ und bildete ihm ein/ er ſey verwundet/
derowegen klopffete er ſo lange/ biß der Wirth mit ei-
nem Liecht herauf kam/ und dieſem klagete er ſeine
groſſe Noth; Wie er aber keine Wunde/ viel weniger
eine Beule fand/ da ſprach der Wirth: Was gilt es/
Gomery, die andern Gefangenen vexiren euch? Er
aber betheurete/ daß ein Geſpenſt bey ihm geweſen/
beſchriebe ihm auch/ wie es außgeſehen/ da er es doch
ſelber nicht geſehen hatte. Am folgenden Tag ward
dem Gomery abermahl vom Wirth vergoͤnnet/ wider
der Obrigkeit Befehl/ auß ſeiner Kaͤy zu gehen/ wel-
cher Gelegenheit ſich Giurgi, welcher frey ab- und zu-
gehen mochte/ bedienete. Und nachdem er ſich mit de-
nen droben beredet/ ſam̃lete er einen alten Sack voll
ſchimmerenden faulen Holtzes/ legete dem Gomery
ſolches unter das Hauptkuͤſſen/ machte den Sack/
ſamt dem Kuͤſſen/ an die herab gelaſſene Chorde wie-
der veſt/ und als ſie Abends zu Bette giengen/ erſuch-
te er den Wirth/ etliche von der Nacht-Wache bey
ihm und ſeinem Cammeraden zu wachen/ damit ſie
nicht durch das Geſpenſt in Verzweifflung gebracht
wuͤrden. Es kamen alſo 2. Waͤchter/ welche im Tun-
ckeln bey dem Bette ſaſſen. Aber ſie hoͤreten von oben
herab
[1036]Deß Academiſchen
herab allerhand Schelt-Worte auf ſie loß donnern/
dahero es an ein gewaltiges Schmaͤhen gieng/ daß
der Wirth nicht ſchlaffen kunte/ welches ihm aber-
mahl eine neue Aergernuͤß erweckete. Endlich hielten
die droben ein/ und ſtelleten ſich/ als waͤren ſie einge-
ſchlaffen. Bald hernach fieng Giurgy abgeredeter
Maſſen wieder an/ rieff dem Gomery, und ſprach:
Sieheſt du dorten einen groſſen Drachen/ der ſein
Maul weit aufſperret? Gomery ſprach: Laß ihn nur
zufrieden/ wir wollen ihn nicht reitzen. Zu den Waͤch-
tern aber rieff er/ ſie ſolten ihre Saͤbel zucken/ und ihn
vor dem Drachen/ wann er ja naͤher kommen ſolte/
beſchirmen. Dieſe/ ob ſie gleich nichts ſehen kunten/
begunten am gantzen Leib zu zittern/ weil Giurgy
nicht abließ/ deß Geſpenſtes abſcheuliche Geſtalt zu
beſchreiben. Gleich hierauf zog der Prieſter den Sack
und das Kuͤſſen auf einmahl mit groſſem Ungeſtuͤm̃
in die Hoͤhe/ da dann der Sack zerriſſe/ daß das
leuchtende Holtz allenthalben wie Feuerfuncken auf
und neben das Bette fiel. Da erhub ſich nun ein groſ-
ſer Tumult; Gomery ſo wol/ als die Waͤchter/ meyne-
ten/ der Drache ſpeye Feuer auß/ und weil ein Jeder
etwas vom Holtz an ſich fand/ wuſte er nicht zu blei-
ben/ dann ſie meyneten/ ſie muͤſten verbrennen/ ruͤttel-
ten und ſchuͤttelten demnach das vermeynete Feuer
von ſich/ und unterdeſſen machte der Prieſter das
Kuͤſſen loß/ und zog den Sack durchs Loch/ ſamt dem
Stuͤcklein zu ſich. Wie nun das Kuͤſſen dem einen
Waͤchter auf den Kopff fiel/ ſprang er fuͤr Angſt
nach der Thuͤr/ und meynete/ der Drache laͤge mit
dem gantzen Leib auf ihm. Alſo ward dieſer Tumult
noch groͤſſer/ als der erſte/ und der Wirth muſte aber-
mahl mit dem Liecht kom̃en/ welcher aber kein Feuer/
ſondern faul Holtz fand/ darauß er den Poſſen der
andern
[1037]Romans II. Buch.
andern erkandte/ und am folgenden Tag bey der
Obrigkeit anhielte/ die Eingeſperreten wieder loßzu-
laſſen/ und gleich den andern zu ſpeiſen/ ſonſten haͤtte
er keinen Frieden im Hauß.
Das XLIV. Capitul/
Troll beziehet etliche Bauren mit Gerſten und Kohl/ und ei-
nen andern beym Bart-Butzen gar artlich/ woruͤber dieſer ſehr außge-
lachet wird.
DJe Obrigkeit muſte deß Handels ſelber lachen/
und alſo ward es ihm wieder frey gegeben. Er
gieng heim/ und deutete ihnen an/ was der
Obrigkeit Befehl waͤre/ aber die andern bathen ihn
droben zu Gaſte/ dann ſie hatten/ weil es ſchon um
den Mittag war/ einige gute Tractamenten an Stri-
cken aufgezogen/ deſſen ſich der Wirth hoͤchlich ver-
wunderte/ und ihnen verſprach/ hinfuͤhro ſie beſſer zu
tractiren/ wann ſie ſich nur ſanfftmuͤthig anſtellen
moͤchten/ dann Troll hatte bißhero nicht aufgehoͤret/
deß Wirths Schlaffkammer mit dem Nacht-Topff
zu begieſſen. Wie ſie nun wieder bey der groſſen Ta-
fel erſchienen/ brachte ein Jeder von den Verſchloſ-
ſenen ein gutes Tractament mit/ da ſie dann einander
bewillkom̃ten/ und ſich rechtſchaffen luſtig bezeigeten/
aber ſie nahmen hernach allemahl ein ziemlich Stuͤck
Brods von dem Eſſen heimlich mit ſich/ und fuͤtter-
ten droben ihre Capaunen und junge Huͤhner/ von
denen ſie hernach etliche hingaben an die/ ſo ſie be-
ſuchten/ und braten lieſſen/ worbey ſie den Wirth zum
Poſſen zu Gaſt bathen/ gaben ihm aber doch alle-
mahl/ was er haben ſolte. Wie nun ein Jeder wieder
frey umher gehen mochte/ da bedieneten ſich Troll
und Venereus ihres Vortheils/ wiſcheten dann und
wann zum Hauß hinauß/ und thaͤten/ was ſie zu ver-
richten hatten/ da ſie dann von den Griechen/ die groſ-
ſes
[1038]Deß Academiſchen
ſes Belieben an ihnen hatten/ manche Flaſche mit
Wein bekamen/ welche ſie in aller Freude verzehreten.
Einsmals/ als der Wirth/ welcher nun mit ſeinen Leu-
ten wol ſtunde/ ſamt der Frauen auf den Garten vor
die Stadt hinauß gangen war/ ſahe Troll durchs
Mauer-Loch 2. kleine Kahnen mit Bauern daher ru-
dern/ und hatten ſie ihre Schifflein mit Gerſten fuͤr
die Maul-Eſel beladen. Er lieff hinunter/ entlehnete
von der Magd/ die es mit ihm hielte/ weil er ihr biß-
weilen ein Schluͤrffgen Brandtewein mittheilete/ ei-
ne blaue Schuͤrtze/ gieng wie ein Haußknecht zu den
Bauren/ naͤchſt bey dem Gefangen-Hauß am Waſ-
ſer/ und nachdem er ſeine Kette hoch aufgezogen/ daß
man nicht das Geringſte darvon ſehen kunte/ accor-
dirte er mit ihnen/ und kauffte ihnen alle Gerſten ab/
die Bauern waren froh/ daß ſie ſo bald ihrer Waare
loß worden/ luden die Waare in Saͤcke/ und trugen
ſie auf den hoͤchſten Boden/ daß ihnen der Schweiß
darbey rechtſchaffen außbrach. Einer halff dem an-
dern/ und als ſie ihre Gerſten unter einander auf ei-
nen Hauffen außgeſchuͤttet/ fragten ſie im Hauß/ wer
ihnen das Geld fuͤr ihre Gerſten bezahlen ſolte? Der
Wirth war zu allem Gluͤck heimkom̃en/ zu welchem
ſie von der Magd gewieſen wurden. Dieſer verwun-
derte ſich/ und ob er gleich bald merckete/ daß ſeine
luſtige Gaͤſte dieſen Handel angeſtifftet/ ſprach er
doch zu den Bauren: Jhr gute Freunde ſehet wol/
daß ich gleich jetzo ins Hauß trette/ ſuchet aber/ wer
euch die Gerſten abgekauffet/ der mag euch ſolche be-
zahlen/ dann ich brauche dieſes Getraͤyde nicht/ weil
die Gefangenen ſich nicht mit Gerſten-Brodt abſpei-
ſen laſſen/ ſo habe ich auch keine Maul-Eſel/ denen
ich ſolche vorſetzen koͤnte. Die Bauren kratzeten die
Koͤpffe/ und bathen den Wirth/ er moͤchte mit ihnen
zu den
[1039]Romans II. Buch.
zu den Gefangenen gehen/ ſie wolten den Menſchen
noch wol kennen/ der ihnen dieſen Poſſen geriſſen/ da-
mit ſolcher von der Obrigkeit rechtſchaffen gezuͤchti-
get wuͤrde. Der Wirth gieng mit ihnen hinauf/ durch
alle Kaͤyen/ es ſtellete ſich aber ein Jeder kranck/ und
halb unſinnig/ indem ſie alle in den Betten lagen/ der
eine zitterte/ als wuͤrde er vom Fieber geplaget/ der
andere heulete uͤber ſein Bauch-Grimmen/ ein ande-
rer murmelte ſtaͤts bey ihm ſelber/ als wann er nicht
recht bey Sinnen waͤre. Troll ſteckete ſeinen geſchor-
nen Kopff durch ein Loch zur Kaͤy herauß/ ſtreckete die
Zunge/ ſo lang er kunte/ auß dem Halß/ und verkehre-
te die Augen/ auf eine ſeltzame Weiſe im Kopff/ fluch-
te auch ohnaufhoͤrlich/ daß ſich die Bauren fuͤr ihm
fuͤrchteten/ alſo kunten ſie den Jenigen nicht finden/
der ihnen die Gerſte abgekauffet hatte. Solchem
nach muſten ſie die Arbeit deß muͤhſeeligen Auftra-
gens umſonſt gethan haben/ und reſolvirten ſich/ die
Frucht wieder in die Schiffe zu bringen. Aber wie der
eine Bauer ſagte/ ſeine Gerſte waͤre beſſer und reiner
geweſen/ als deß andern ſeine/ und dieſer dargegen be-
hauptete/ er haͤtte ſo viel Metzen mehr gehabt als der
andere/ da kriegeten ſie ſich uͤber der Theilung bey den
Koͤpffen/ daß auch der Wirth/ ſamt allem Hauß-Ge-
ſinde/ ſich ſchier zu Narren gelachet haͤtten. Endlich
vertrugen ſie ſich wieder/ ſchleppeten die Frucht in ih-
re Schiffe/ und ſchwuren/ daß ſie Lebens lang dieſes
Gefangen-Hauß meyden wolten/ damit ſie nicht
noch einmahl darinn alſo moͤchten angefuͤhret/ und
hintergangen werden.
Aber als der Wirth 2. Tage hernach wieder auß-
gegangen war/ und die gantze Compagnie der Gefan-
genen groſſe Luſt hatte/ bey ihren gebratenen und
heimlich zugebrachten Capaunen/ einen guten Sal-
lat zu
[1040]Deß Academiſchen
lat zu eſſen/ da laurete Troll auf/ kleidete ſich gantz an-
ders/ bande wieder eine Schuͤrtze vor/ ſetzete ein falſch
Haar auf unter eine Muͤtze/ und gieng nach dem Ha-
fen/ da ein Schifflein mit koͤſtlichem friſchem Kopff-
Kohl lage/ dieſen erhandelte er mit einander/ obgleich
uͤber 200. Koͤpffe darinn waren/ und nachdem ihn der
Bauer auf den Boden gebracht/ da ließ ſich aber-
mahl kein Kaͤuffer ſehen/ derowegen thaͤte er Hauß-
ſuchung unter den Gefangenen/ aber Troll hatte ſich
umgekleidet. Er erſchien mit ſeinem kahlen Kopff/
hatte ein groſſes Pflaſter auf dem einen Auge/ mach-
te ein krummes Maul/ und verſtellete ſich dermaſſen/
daß er gar nicht zu erkennen war/ vor den Jenigen/
der dem Bauren den Kohl abgekauffet hatte. Sol-
chem nach muſte dieſer ſeinen Kohl auch wieder her-
ab in ſein Schifflein tragen/ weil ihm aber 10. Koͤpffe
daran fehleten/ welche Troll in die oberſten Kaͤyen
vertheilet/ und 2. darvon in deß Gomery Bett gele-
get hatte/ wolte der Bauer auch dieſen Reſt haben.
Die Gefangenen mit einander erklaͤreten ſich/ in ih-
ren Kaͤyen ſuchen zu laſſen/ aber wo er nicht wuͤrde
finden/ da ſolte er auch fuͤr Schlaͤge nicht ſorgen/ weil
er ſie fuͤr Diebe angeſprochen. Durch dieſe Rede
ward der Bauer abgeſchrecket/ daß er das Suchen
unterließ/ und wie er jetzo zum Hauß hinauß gehen
wil/ erwiſchete ihn Troll beym Zipffel/ und ſagte: Es
ſolte mir leyd ſeyn/ wann ein ehrlicher Haußmann ſo
liederlich um das Seinige kaͤme. Es iſt einer unter
uns/ der kan rohen Kopffkohl freſſen/ wie eine Kuhe/
ich glaube/ dieſer hat euch den Kohl geſtohlen/ weil es
ihm aber unmoͤglich ſeyn wird/ 10. Koͤpffe auf ein-
mahl zu verzehren/ wollen wir hingehen/ und in ſeiner
Kaͤyen nach ſuchen. Der Bauer war deſſen zufrieden/
gieng mit ihm zu dem Gomery, und als er daſelbſt
ſuchte/
[1041]Romans II. Buch.
ſuchte/ fand er 2. Koͤpſfe in ſeinem Bette. Gomery
machte ſich unnuͤtz/ daß man ihn fuͤr einen Kohl-Dieb
anſaͤhe. Aber Troll winckete dem Bauren/ daß dieſer
der rechte Dieb waͤre/ welcher alſo uͤber den Gomery
herkam/ und ihn rechtſchaffen abpruͤgelte. Troll
machte ſich unter dem Tumult darvon/ und darauf
kam der Wirth mit ſeinem Knecht/ und ſchlug den
Bauern zum Hauß hinauß/ welches eine laͤcherliche
Kurtzweil war/ daran die ſaͤmtlichen Gefangenen eine
lange Zeit zu lachen hatten. Sie verzehreten aber her-
nach ihren Sallat in der Stille/ und waren froͤlich
darbey/ theileten auch weder dem Wirth/ noch dem
Gomery, etwas darvon mit/ damit ſie nicht verrathen
wuͤrden.
Es kam mit dieſen ſeltzamen Gefangenen ſo weit/
daß man in der gantzen Stadt Ptolomais darvon zu
ſagen wuſte/ dannenhero giengen zuletzt viel fuͤrneh-
me Leute zu ihnen/ um ſie/ fuͤrnemlich aber den Troll
und Venereum, wegen ihrer ſeltzamen Streiche/ in
Perſon zu ſehen. Sie bekamen daruͤber Geld uͤber
Geld/ dann es kam Niemand dahin/ der nicht ſeine
milde Hand gegen ſie eroͤffnet/ und/ in ihrem Leyd ſie
zu troͤſten/ ihnen etwas verehret haͤtte. Aber ich muß
noch einen artigen Poſſen erzehlen/ den Troll kurtz
zuvor/ ehe er wieder auß dem Gefangen-Hauß kam/
einem unſchuldigen Bauren geſpielet/ wie dann das
wuͤſte Bauren-Volck allwege ſehr fuͤrwitzig iſt/ und
gern in alle Sachen ſeine Naſe/ gleich einem hunge-
rigen Schwein/ ſtecken wil. Troll pflegete auf der
Raͤyſe nicht allein ſeinen Herꝛn/ ſondern auch meiſt
alle ſeine Gefaͤhrten/ zu balbieren/ dannenhero/ und
weil er hierzu ſehr geſchickt war/ bedieneten ſich auch
ſeine Mit-Gefangenen jetzo ſeiner Geſchicklichkeit/
wordurch er manch ehrliches Trinck Geld erwarb.
U u uWie
[1042]Deß Academiſchen
Wie er nun alleweil geſchaͤfftig ward/ etliche ſeiner
Compagnons zu butzen/ kam ein einfaͤltiger Bauer
herein getretten/ der dem Wirth einige junge Huͤh-
ner verkaufft hatte/ dieſer war begierig/ die allhier
ſitzende Gefangene zu ſehen. Wie er nun in die groſſe
Stube kam/ da ſolche Ketten-Leute bey einander wa-
ren/ und der Bauer das Balbier-Zeug auf dem Tiſch
ligen/ auch den Paſtorn auf dem Stuhl ſitzen ſahe/
welcher gleich darauf aufſtund/ weil er ſchon balbie-
ret war/ ſo fragete der ehrliche Haußmann: Ob man
allhier fuͤr Geld balbierete? Troll hatte zum Schertz
eine Schuͤrtze vorgebunden/ und ſich wie ein Balbie-
rer außſtaffieret/ derowegen ſprach er: Freylich iſt
hier eine Balbier-Stube/ habt ihr Luſt/ ſo ſetzet euch
nieder. Als der Bauer hierauf zum Stuhl gieng/ ſa-
he ihn Troll ein wenig an/ und ſprach: Alter Vatter/
ich pflege erſtlich mit meinen Gaͤſten zu accordiren/
ehe ich ſie ſcheere/ was wolt ihr mir fuͤr meine Muͤhe
geben? Der Bauer antwortete: Jch gebe ſonſten
allwege 4. Aſpern/ hier aber wil ich 5. geben/ weil ich
die Ehre habe/ in ſolchem fuͤrnehmen Hauß geputzet
zu werden. Venereus gab ſich jetzo auch ins Wort/
und fragte den Bauren: Was er ihm fuͤr ſeinen ab-
geſchornen Bahrt geben ſolte? Dieſer antwortete:
Er habe den Bahrt ſein Lebtage nicht verkaufft/ und
haͤtte er das gewuſt/ daß man allhier Geld fuͤr einen
abgeſchornen Bahrt gaͤbe/ ſo wolte er nim̃er anders
wohin gegangen ſeyn. Was wolt ihr mir aber wol
geben? forſchete er jetzo. Worauf Venereus: Ver-
kaufft ihr ihn uͤberhaupt/ oder nach den Haaren?
Der Bauer aber gedachte/ wann er ihn nach den
Haaren verkauffen koͤnte/ ſo handelte er wol am
beſten/ foderte alſo fuͤr jedes Haar ein Maidin. Vene-
reus antwortete/ ich gebe euch fuͤr alle 5. Haare einen
Aſper,
[1043]Romans II. Buch.
Aſper, und damit war der Bauer zufrieden/ hoffete
auch ſeinen unnuͤtzen Bahrt wol anzubringen/ weil er
glaubete/ er haͤtte zum wenigſten ein paar tauſend
Haare im Bahrt. Darauf ſprach Troll: Nun
wolan/ ihr habt euren Bahrt wol verkaufft/ wiſſet ihr
aber auch wol/ daß der Balbier-Lohn ſich allwege auf
ein Viertel deß Bahrtes Preiſes ſich erſtrecket? Das
waͤre ſehr viel/ replicirte der Bauer/ und Troll nahm
auß/ ſagend: Jhr habt ja euren Bahrt vorhin nim-
mer verkaufft/ beſinnet euch nur/ ihr bekommt ſo viel
Geld fuͤr euren Bahrt/ derowegen werdet ihr auch
erkaͤnntlich ſeyn/ dann uͤber das Scheeren muß ich
hernach auch die abgenommene Haare dem Kaͤuffer
zuzehlen/ welches eine groſſe Muͤhe und genaues Auf-
mercken erfordert/ dieweil wir Leute allerſeits ge-
ſchworen ſind/ und nicht um ein einziges Haͤrlein ei-
nen Menſchen hintergehen duͤrffen. Alſo erklaͤrete
ſich der Bauer/ er wolle ihm den vierdten Theil deß
Bahrtes Preiſes abgeben. Aber Troll behauptete/
ſolches Geld muͤſte vor dem Scheeren außgezahlet
werden/ rieff deßfalls auch alle anweſende Gefangene
zu Zeugen. Dieſe behaupteten ſolches/ und lacheten
ihn auß/ daß er von dieſer Gewonheit noch nichts
wuͤſte/ viel weniger von dem Bahrt-Kauff/ als bey
welchem allein dieſer Gebrauch waͤre/ und ſonſten
nirgends; Darum beſinnet euch nur/ ſprach der
Paſtor, ſo werdet ihr die Billigkeit erkennen. Es iſt
wahr/ ſagte der Haußmann/ die Haare zu zehlen iſt
eine groͤſſere Muͤhe/ als abzunehmen/ aber wann der
Balbierer darbey kein beeydigter Mann waͤre/ ſo
wuͤrde ich ihm nimmer im Haarzehlen glauben. Ey/
das iſt doch eine ſchoͤne Ordnung/ und loͤbliche Ge-
wonheit/ moͤchte wuͤnſchen/ daß dergleichen in unſerm
Dorff auch eingefuͤhret wuͤrde/ ich glaube/ es doͤrffte
U u u 2nicht
[1044]Deß Academiſchen
nicht allein beym Maͤnner-ſcheeren bleiben/ ſon-
dern die Weiber muͤſten auch herhalten/ dann auf
dem platten Land haben die Frauen bey uns gar viel-
faͤltig Baͤhrte. Es mag demnach darum ſeyn. Aber
wie viel muß ich dann außziehen? Troll ſprach: Jhr
muͤſſet zum wenigſten einen halben Thaler außlegen/
dann/ wann die Haare gezehlet ſind/ ſo wird es ſich
ſchon finden/ ob mir oder euch Geld zuruck oder mehr
gebuͤhret. Das erſte Außlegen geſchicht nur/ um un-
ſere Gewonheit zu unterhalten/ welche wir gleicher
Geſtalt beſchworen haben. Alſo zog der Bauer einen
halben Thaler an Aſpern herauß/ legete ihn auf den
Tiſch/ und ſetzte ſich hernach auf den geſetzten Stuhl
nieder. Troll nahm das Becken/ benetzete und be-
ſeiffete ihm den Bahrt/ der ziemlich groß war/ recht-
ſchaffen/ winckete hernach den andern/ daß ſie ſingen
ſolten/ und wie dieſe anfiengen/ nahm er das Geld/ ſo
hinter dem Bauren beym Balbier Zeug auf dem
Tiſch lag/ heimlich zu ſich/ tratt hernach wieder an ſei-
nen Ort/ ſahe den Bauren an/ und verkehrete die Au-
gen ſeltzam im Kopff/ daß dem Menſchen nicht wol
darbey zu Muth war. Er putzete ihm doch die eine
Helffte oben/ und die andere Helffte unten/ nach ſei-
ner Behendigkeit wol hinweg/ und darauf wendete
er ſich zu den andern/ und begunte mit Schelt-Wor-
ten um ſich zu werffen. Jene lieſſen das Singen
bleiben/ und ſchalten ſich wacker mit dieſem herum/
derowegen Troll mit dem ſcharffen Scheer-Meſſer
auf ſie loß ſprang/ und ihnen mit einander die Haͤlſe
abzuſchneiden drohete; Wie aber Jene mit allem
Fleiß hinauß ſprungen/ da lieff ihnen Troll nach/
und alſo giengen ſie mit einander hinauf/ in einander
Gemach/ allwo ſie ſich fuͤr den halben Thaler luſtig
machten.
Jnzwi-
[1045]Romans II. Buch.
Jnzwiſchen kam die Hauß-Magd in die unterſte
Stuben getretten/ und als ſie den Hauß-Mann ſitzen
ſahe/ muſte ſie ſeines Wuͤrffel-Weiß geſchornen
Barts zwar hefftig lachen/ aber ſie fragete doch dar-
bey/ wie er ſo ſtill allhier ſitze? Er gab zur Antwort:
Jch warte nur auf meinen Balbierer/ welcher bald
wieder kommen/ und mich vollends ſcheeren wird.
Die Magd replicirte: Seyd ihr nicht recht bey Ver-
ſtand? Der Jenige/ der mit dem Scheer-Meſſer jetzo
hinauß lieff/ iſt gantz raſend-toll/ ob er gleich bißwei-
len ein vernuͤnfftiges Wort fliegen laͤſſet/ und moͤget
ihr dem Himmel dancken/ daß er euch nicht die Kehle
hat abgeſchnitten. Als der Bauer dieſes hoͤrete/
ſtund er auf/ ſam̃lete die abgeworffene Bart-Haare
auf/ und fragete nach einem/ der ihm den Bart abge-
kaufft haͤtte. Die Magd lachete ihn auß/ und ſprach:
Wer hat ſein Lebtage wol einen Bart verkauffen ſe-
hen? Jch ſage euch ja/ daß dieſe Gefangenen mit ein-
ander toll ſind/ darum fanget ja bey Leibe mit ihnen
nichts an/ ſonſten werdet ihr wahrhafftig uͤbel an-
lauffen/ und ich rathe euch/ gehet von hinnen/ ehe der
Kerl mit dem Scheer-Meſſer wieder kommt/ ſonſten
doͤrffte es doch euch annoch euer Leben koſten/ wie dem
einen gefangenen Jungen/ dem er gleichfalls den
Halß abgeſchnitten hat/ und liget derſelbe annoch
zubegraben droben in einer beſondern Kayn. Hier-
uͤber erſchrack der gute Bauer dergeſtalt/ daß er ſeine
Haare zu ſich ſteckete/ und damit auß dem Hauſe
gieng/ auch dem Himmel danckete/ daß er mit einem
halben Thaler noch darvon kommen war. Er gieng
aber auf die Straſſe/ und ſuchte ein ander Balbier-
Hauß/ da dann die Jungen und allerhand Leute
Hauffen-Weiß hinter ihm herkamen/ und ihn vor
einen geſchornen Halb-Bart außſchalten; Es hatte
U u u 3alſo
[1046]Deß Academiſchen
alſo der Bauer gnug zu thun/ ſich dieſer Leute zu er-
woͤhren. Er eylete demnach zu einem Balbier-Hauß/
und bathe den Meiſter/ daß er ihm doch vollends den
Bart abnehmen moͤchte/ welcher dann/ nachdem
er dieſer ſeltzamen Poſtur gnugſam gelachet/ ſich noch
ſeiner erbarmete/ uñ ihm den Bart vollends abnahm.
Als darauf der Bauer die Haare wieder aufſam̃lete/
fragte der Meiſter/ was er damit anfangen wolte?
Und wie ihm der Bauer antwortete/ daß ja gewiſſe
Leute Geld darfuͤr gaͤben/ da lachete ihn der Balbie-
rer auß/ und bedeutete ihn eines andern. Alſo mer-
ckete der Bauer/ daß er ſo noch immer waͤre mit ge-
nommen worden/ er wuſte aber auch nicht/ daß er un-
ter Studenten und Studenten-Genoſſen gerathen
war/ ſonſten haͤtte er ſich auſſer Zweiffel beſſer fuͤrge-
ſehen/ weil/ wann ein Bauer unter ſolche Leute kom̃t/
es eben ſo anzuſehen iſt/ als wann eine Eule unter
die Kraͤhen kommt/ was ſie alsdann leyden muß/ das
weiß ein Jeder zu erkennen.
Das XLV. Capitul/
Condadowird vonAlexioerkannt/ und wol gehalten. Troll
und Venereus kommen zu ihm. Diſcurs vom Vrſprung der Ringen/
und was darbey zu erinnern.
ABer wir wenden uns zu Condado einmahl wie-
der/ welcher von ſeiner Geſellſchafft Niemand/
als den Cerebacchium bey ſich hatte. Dieſe
muſten/ nebſt andern Gefangenen/ bey ihren Tuͤrcki-
ſchen Herꝛn einige/ wiewol ſchlechte Arbeit/ taͤglich
verrichten/ und als ſie ſich etliche Wochen allhier zu
Tripoli aufgehalten hatten/ erfuhr Condado, daß zu
Ptolemais Chriſten wohneten/ welche von den Tuͤr-
cken Chriſtliche Sclaven erhandelten/ und dieſelbe
um das außgelegte Geld hernach wieder in ihre Frey-
heit ſtelleten. Derowegen erſuchte er den Tuͤrcken/
welcher
[1047]Romans II. Buch.
welcher ihn gekaufft hatte/ er moͤchte ihn und Cere-
bacchium dahin fuͤhren/ ſo wolten ſie ihm einen guten
Wucher auf ſein außgelegtes Geld ſchaffen. Die-
ſer war deſſen zufrieden/ raͤyſete ſelber mit ihnen da-
hin/ und verkauffte ſie/ auf deß Condado Anreitzen/
an einen Chriſtl. Kauffmann daſelbſt/ daß er wol 100.
Reichsthlr. auf ihnen gewann/ der Tuͤrck zog hierauf
wieder ſeines Weges/ und unſere 2. Chriſten blieben
zu Ptolemais, allwo ſie wol gehalten wurden/ nachdem
ſich Condado verpflichtet hatte/ ihre Rancion for-
derſamſt zu verſchaffen. Es begab ſich aber bald her-
nach/ daß der alte und junge Printz dieſes Orts eben
das Hauß vorbey ritten/ darinn unſere 2. Sclaven
waren/ dannenhero Condado das Hertz ergriffe/ zu
ihnen tratt/ und dem alten Printzen 2. Ringe uͤber-
reichte/ mit dieſen Worten: Durchleuchtigſter Printz/
das Ungluͤck hat mich/ als einen wolbekandten Nea-
politaniſchen Edelmann allhier zum Sclaven ge-
macht/ wann mir dann nichts uͤbrig geblieben/ als
dieſe 2. Ringe/ die ich von zween guten Freunden be-
kommen habe/ als verehre Euer Durchl. ich armer
Sclav dieſelbe/ mit unterthaͤnigſter Bitte/ ſolche gnaͤ-
digſt von mir an- und mich in Eure Hoch-Fuͤrſtliche
Dienſte zu nehmen/ biß ich Zeit und Gelegenheit fin-
de/ mich durch Beyſtand der Meinigen wieder in die
Freyheit zu ſetzen. Der Printz ſahe ihn an/ und fand
an ſeiner Perſon mehr/ als etwas Gemeines. Er be-
trachtete aber auch die Ringe/ und verwunderte ſich
daruͤber. Der junge Printz Alexius, ſein Sohn/
ritte zum Vatter/ welchem dieſer die Ringe uͤber-
reichete/ und als dieſer ſolche recht betrachtet/ ſahe er
den Condado an/ und ſagte: Mein Freund/ wo habt
ihr dieſe Ringe uͤberkommen? Zu Padua, war ſeine
Antwort/ von zween ſehr guten Freunden/ derer
U u u 4Huͤlffe
[1048]Deß Academiſchen
Huͤlffe mir jetzt hoͤchſt-noͤthig waͤre/ aber in Erman-
gelung ihrer/ muß ich mich ihrer Ringe bedienen.
Hierauf ſprang der Printz vom Pferd/ fiel dem Con-
dado um den Halß/ und kuͤſſete ihn. Condado ſo wol/
als alle die Andern/ wuſten nicht/ wie ſie ſolches ver-
ſtehen ſolten. Der Printz aber ſagte dem Condado
in das Ohr/ ob er hier wolte bekandt ſeyn/ dann er fuͤr
ſeine Perſon kenne ihn ſehr wol. Condado verwun-
derte ſich deſſen/ und ſprach: Wann Euer Durchl.
meine Perſon bekandt iſt/ ſo beliebe derſelben ſolche
heimlich zu halten/ und mich nur vor Pardo, einen
Grafen von Policaſtro, außzugeben/ ſolches ſagte ihm
der Printz zu/ und bedeutete darauf ſeinem Herꝛn
Vatter/ daß er in einer ſonderbaren Freundſchafft
mit dieſem fuͤrnehmen Jtaliaͤniſchen Grafen gele-
bet/ alſo gebuͤhre es ſich/ daß man ihm alle Hoͤflichkeit
erzeige. Darauf ward ein wolgeziertes Pferd herge-
bracht/ und muſte Condado mit ihnen nach der Burg
reiten. Dieſer ward daſelbſt in ein praͤchtiges Zim-
mer gefuͤhret/ und als er den Printzen fragte: Wo-
her er ihn doch kenne/ da laͤchelte dieſer/ und ſprach:
Jch wil es euch bald ſagen; Hiermit nahm er einen
Abtritt/ und uͤber eine halbe Stunde kam der alte
Fuͤrſt mit einer ſchoͤnen Damen an der Hand zu Con-
dado, welche die gelehrte Ilmene war/ mit welcher er
zu Padua bekandt geweſen/ und von welcher er einen
von jetztbeſchriebenen Ringen/ den andern aber von
Campanelli erhalten hatte/ dahero machte ihr Con-
dado eine tieffe Reverentz/ und entſchuldigte ſich/ daß
er jenes mahl nicht gewuſt/ daß ſie eines ſolchen fuͤr-
nehmen Printzen Tochter ſey. Dieſe aber præſentirte
ihm einen Kuß/ fieng an zu lachen/ und entkleidete ſich
fuͤr ſeinen Augen/ da ſie dann erwieſe/ daß ſie nicht ei-
ne Ilmene, oder eine Prinzeſſin/ ſondern der einzige
Sohn
[]
[][1049]Romans II. Buch.
Sohn deß Fuͤrſten/ und Printz Alexius waͤre/ welcher
ſich/ um nicht erkannt zu werden/ in Jtalien als eine
Dame aufgehalten/ und den freyen Kuͤnſten nebſt
Campanelli, der zu Padua zu ihr kommen/ obgelegen
haͤtte. Condado verwunderte ſich uͤber dieſe Ver-
wechſelung noch mehr/ und forſchete/ was dann Cam-
panelli vor eine Perſon geweſen? Aber Alexius gab
ihm zu erkennen/ daß derſelbe ſchon vor einem halben
Jahr von ihm abgezogen/ und er ſein Lebtage nicht
habe erfahren/ wer derſelbige geweſen/ daß aber
Egypten ſein Vatterland/ ſolches wiſſe er wol/ hin-
gegen habe auch er niemahl in der Fremde ſich eini-
gen Menſchen zu erkennen gegeben/ viel weniger ſein
Geſchlecht Jemand offenbahret; Aber/ ſprach er
weiter/ ich erinnere mich noch wol/ was fuͤr Reden
bey unſerm Abſchied/ mein liebſter Pardo, (alſo nen-
nete er ihn mit Fleiß/) fuͤrgefallen ſind/ darum wil ich
allen Fleiß anwenden/ daß ihr wieder zu den Eurigen
kommen moͤget/ dann ihr ſeyd von nun an kein Sclav
mehr/ ſondern ein freyer Graf von Policaſtro, er gab
auch alſobald Ordre, daß dem Chriſtlichen Kauff-
mann ſein außgelegtes Geld fuͤr den Pardo und Ce-
rebacchium alſobald zugeſtellet wuͤrde/ und kam alſo
Cerebacchius noch denſelben Abend zu Pardo, der ſich
dann dieſer gluͤcklichen Rencontre inſonderheit ſehr
erfreuete/ dann er ſahe nun wol/ daß er wieder etwas
Gutes zu eſſen und zu trincken uͤberkommen kunte/
woran es ihm bißhero gemangelt hatte/ fuͤrnemlich
zu Tripoli.
Am folgenden Tage erſcholl das Geruͤchte von
den luſtigen Streichen etlicher die im Gefangen-
Hauß waren/ dannenhero ſandte Alexius hin/ und
ließ den Troll/ (von dem er doch nichts wuſte/) holen/
wie man dieſem bedeutete/ daß er zum Printzen kom-
U u u 5men
[1050]Deß Academiſchen
men ſolte/ ward ihm wol zu Muth; Aber/ als man
ihm bedeutete/ daß ein fuͤrnehmer Jtaliaͤniſcher Graf
auf der Burg ankommen/ da dachte er alſobald/
Condado wuͤrde da ſeyn/ nahm demnach den Vene-
reum zu ſich/ und alſo giengen dieſe Beyde mit ihren
ſchweren Ketten uͤber die Straſſen. So bald ſie
in das Schloß kamen/ erkannte ſie Alexius, und fuͤh-
rete ſie zu Pardo, welcher ſich ihrer ſehr erfreuete/ und
darauf ward das Geld dem Kauffmann/ der ſie ge-
kaufft/ hingeſandt/ und nachdem man ihnen die Ket-
ten abgenommen/ muſten ſie ihre gehabte Ebentheu-
ren erzehlen/ da dann die Printzen ſo viel zu hoͤren be-
kamen/ daß ſie vor Lachen die Baͤuche halten muſten.
Jm uͤbrigen lebeten ſie vergnuͤget an dieſem Ort/ und
noͤthigte Alexius den Pardo ſo lange bey ihm zuͤ ver-
ziehen/ biß er ſein Beylager mit der Prinzeſſin Cru-
ſada von Gaza, welche in wenig Tagen bey ihm an-
langen wurde/ gehalten haͤtte/ welches ihm Pardo
zuſagte/ zumahl er Hoffnung hatte/ von Klingen-
feld und Cavina noch etwas dieſes Orts zu ver-
nehmen.
Als ſie denſelbigen Abend bey der Mahlzeit
ſaſſen/ verwunderten ſie ſich uͤber den Cerebacchium,
daß derſelbe eine ſolche ſtarcke Mahlzeit halten kun-
te; Gleichwie aber Pardo keinen ſonderbaren Ge-
fallen daran hatte/ alſo fieng er einen andern Diſcurs
an/ und ruͤhmete den Gebrauch der Ringen/ als durch
welches Mittel manche eheliche Freundſchafft ge-
ſtifftet wuͤrde/ wie ihm dann ſolche jetzo ſonderlich wol
zu ſtatten kommen waͤren/ wuͤnſchete demnach wol zu
wiſſen/ wer dieſelbe moͤchte erfunden haben. Alexius
wolte ſich hoͤren laſſen/ daß er die Europaͤiſchen
Academien nicht vergeblich beſuchet haͤtte/ ſprach
demnach alſo:
Von
[1051]Romans II. Buch.
VOn dem Urſprung der Ringen koͤnnen die Scribenten eben
nichts Gewiſſes melden. Plinius meynet/ daß zu den Zei-
ten deß Trojaniſchen Krieges man darvon noch nichts gewuſt/
weil Homerus derſelben nicht gedacht/ da er doch in ſeinen
Schrifften ſonſt vieler Dinge erwehnet. Welches man dann bey
den Griechenkan endlich gelten laſſen/ dann dieſelben/ ſonderlich
die Lacones, haben vor der Erfindung der Pitſchier-Ringe mit
Hoͤltzern geſiegelt/ ſo die Wuͤrme außgefreſſen. Aber bey den
Ebreern und Egyptiern ſind vor dem Trojaniſchen Krieg die
Ringe lang im Brauch geweſen/ wie auß H. Schrifft zu ſehen/
daß Juda der Thamar ſeinen Ring/ ſeine Schnuͤre/ und ſeinen
Stab zum Pfand gegeben. Gen. 38. v. 18. Und Pharao/ der Koͤ-
nig in Egypten/ that ſeinen Ring von ſeiner Hand/ und gab ihn
Joſeph an ſeine Hand. Gen. 41. v. 42. Dahero iſt es dann Wun-
der/ warum Plinius libr. 33. c. 1. ſchreibet/ daß die Egyptier
nichts von Ringen gewuft/ da doch derſelben Gebrauch von ih-
nen zu den Griechen/ und ferner nach zu den Voͤlckern in Alt-
Jtalien kommen. Dann zu deß Romuli Zeiten haben die Sabini
ſchon Ringe getragen/ von den Sabinis aber iſt der Gebrauch
auch unter die Roͤmer kommen/ wo ſie es nicht von den Hetruſcis
erlernet/ dann unter andern Sachen hat der Tarquinius Priſcus
von den uͤberwundenen Tuſcis auch Ringe mit bekommen. Es
moͤgen aber die Roͤmer der Ringe ſo groß nicht geachtet haben/
weil derſelben Koͤnige nicht alle an den Ringen Beliebung ge-
tragen/ wie an ihren Statuen zu ſehen geweſen/ da auſſer deß
Numæ und Servii Tullii keine Statua ſonſt mit Ringen gezieret
geweſen/ wie Plinius berichtet.
Die Materie zu den Ringen war entweder Eyſen/ oder
Silber/ oder Gold/ oder ſonſt ein Metall, man pflegete auch wol
das Eyſen zu uͤberguͤlden. Manche hatten zwar wol guͤldene
Ringe/ das Plaͤtzlein aber/ darauf das Siegel gegraben/ war
ſilbern/ oder der Ring war ſilbern/ und dieſe von Gold. Etliche
Ringe hatten einen Edelgeſtein/ etliche keinen. Was gemeine
Leute geweſen/ haben auch nur glaͤſerne Steine gebabt. Was in
die Steine geſtochen/ war entweder tieff eingegraben/ oder auf
dem Stein erhaben. Manche pflegeten die Ringe an der rechten
Hand zu tragen/ manche an der Lincken/ doch/ als bey den Roͤ-
mern die Steine in den Ringen aufkamen/ pflegeten ſie ſie meh-
rentheils an die lincke Hand zu ſtecken. Was die Finger anlan-
get/ ſo pflegeten die Griechen ihre Ringe an der lincken Hand
an den Fingern, naͤchft dem Kleinen zu ſtecken/ wie Gellius be-
richtet.
[1052]Deß Academiſchen
richtet. Daß man ſie aber auch an den Daumen geflecket/ iſt
auß dem Julio Capitolino zu ſehen/ welcher ſagt/ daß der Kaͤy-
ſer Maximinus ſo einen ſtarcken Daumen gehabt/ daß er ſeiner
Gemahlin rechtes Arm-Band/ an Statt eines Ringes/ an den
Daumen ſtecken koͤnnen.
Der Gebrauch der Ringe war ſonderlich/ daß man damit
ſiegelte/ wie mit unterſchiedenen Exempeln auß H. Schrifft kan
bewieſen werden. Man verſiegelte Vrieffe/ Thuͤren/ Kaͤſten/
Geld-Saͤcke/ und dergleichen. Was das Siegel oder Bildnuͤß
anlanget/ ward daſſelbe Anfangs nur in Metall gegraben/ biß
die Edelgeſteine aufkamen/ und beſtund nicht eben in einem ſon-
derlichen Wapen/ wie heut zu Tage die Adeliche Geſchlechts-
Wapen ſind/ ſondern ein Jeder brauchete zu ſeinem Pitſchier/
was er wolte. Anfangs verbott zwar der Koͤnig Numa denen
Roͤmern/ daß ſie nicht der Goͤtter Bildnuͤß ſolten in ihre Ringe
ſtechen laſſen; Aber hernach kam es auf/ daß ſie allerhand Goͤt-
ter-Bildnuͤſſe zu ihren Pitſchafften brauchten/ wie dann C. Ju-
lius Cæſar das Bildnuͤß der gewaffneten Veneris in ſeinem Ring
hatte. Es kam auch auf/ daß ſie ſich lieſſen das Bildnuͤß eines
von ihren Vorfahren in die Ringe ſtechen/ ſonder Zweiffel/ daß
ſie ſich darbey deſſelben Tugenden und ruͤhmlichen Thaten erin-
nern/ und ihm nachahmen wolten. Wann ſie aber auß dem
Geſchirre ſchlugen/ und ſolchen Groß-Vaͤtterlichen Tugenden
ſich nicht gemaͤß bezeigeten/ wurde ihnen wol ein ſolcher Ring
zu Schimpff und Spott abgezogen/ als die nicht werth waͤren/
daß ſie ſolches Bildnuͤß fuͤbren ſolten/ wie dem Scipioni, deß
Africani Sohn/ geſchehen/ darvon der Valerius Maximus zu le-
ſen/ lib. 3. cap. 5. So brauchete der Publius Lentulus Sura im
Siegeln das Bildnuͤß ſeines Groß-Vatters. Manche hatten
ſonſt ihr er guten Freunde Bildnuͤß/ oder aber/ ſie fuͤhreten das
Bildnuͤß fuͤrnehmer Fuͤrſten und Koͤnigen. Alſo hatte Ariſto-
menes in ſeinem Ring das Bildnuͤß deß Agathoclis, der Calli-
crates deß Ulyſſis, Auguſtus deß Alexandri Magni, ſeine Nach-
folger aber deß Auguſti Bildnuͤß. Die Cherſonitæ fuͤhreten das
Bildnuͤß Conſtantini M. die Antiochier das Bildnuͤß deß Bi-
ſchoffs Melerii. Manche pflegeten auch wol ihr eigen Bildnuͤß
zu fuͤhren. Doch waren auch wol bißweilen andere Dinge in die
Edelgeſteine gegraben. Auguſtus ſiegelte Anfangs mit dem
Sphinge, wie Plinius berichtet/ libr. 33. c. 1. Mæcenas fuͤhrete einen
Froſch. Pompejus M. hatte einen Loͤwen mit einem Schwerdt.
Galba einen Hund. Was ſtreitbare Maͤnner waren bey den
Egyptern/
[1053]Romans II. Buch.
Egyptern/ die fuͤhreten Scarabæum, einen Kaͤfer. Joſephus l. 1[2]
c. 5. meldet/ da Arius, der Lacedæmonier Koͤnig/ an den Hohen-
Prieſter Oniam geſchrieben/ habe er in ſeinem Pitſchier gefuͤh-
ret einen Adler/ der in den Klauen einen Drachen gehalten. Da-
rius, der Koͤnig in Perſien/ fuͤhrete ein Pferdt in ſeinem Pit-
ſchier/ weil er durch das Wiehern ſeines Pferdes war zum Koͤ-
nigreich kommen. Sporus hatte auf ſeinem Siegel den Raptum
Proſerpinæ. Plinius Junior fuͤhrete in ſeinem Pitſchafft einen
Wagen mit 4. Pferden. Polycrates hatte eine Leyer. Seleucus
einen Ancker. Und alſo erwaͤhlete ſich ein Jeder/ was ihm belie-
bete. Die Chriſten in der erſten Kirchen brauchten zu ihrem
Pitſchafft-Zeichen die erſte 2. Buchſtaben von dem Griechiſchen
Namen Chrifti/ als nemlich X. und P. ſo Beyde in einander ge-
zogen waren/ wie der Cardinal Baronius ad Annum Chriſti 57.
berichtet/ daß er derer etliche geſehen/ welche auß den alten Ru-
deribus waͤren mit außgegraben worden.
Es waren aber die Ringe auch ein ſonderliches Ehren-
Zeichen/ dardurch ein Stand von dem andern unterſchieden
wurde. Anfangs durffte in Rom auch kein Raths-Herꝛ einen
Ring tragen/ er wurde dann als ein Legat in fremde Lande ver-
ſchicket. Und wann er dann wiederkam/ trug er ſolchen ſeinen
guͤldenen Ring nur bey oͤffentlichen Zuſammenkuͤnfften/ hinge-
gen aber brauchte er/ wann er zu Hauß war/ nur einen Eyſer-
nen. Hernach mochten alle Raths-Herren zu Rom Ringe tra-
gen/ darauf ward es auch den Equitibus vergoͤnnet/ daß ſie
Ringe trugen/ doch nicht eher/ als wann ſie von den Prætoribus
darmit beſchencket wurden. Severus ließ es auch endlich den
Gregariis Militibus zu. Der gemeine Mann durffte darauf nur
ſilberne tragen/ und die Knechte eyſerne. Hernach kamen auch
unter dem gemeinen Mann die guͤldenen Ringe auf/ wann ſie
darmit von der Obrigkeit beſchencket wurden. Was die Anzahl
der Ringe betrifft/ ſo ward an einem Manns-Bild es nicht gelo-
bet/ wann er mehr als einen Ring antrug. Allein es kam bald
darnach auf/ daß ſie an alle Finger Ringe ſteckten. Wie Mar-
tialis lib. 5. Epigramm. 63. ſchreibet:
Ja ſie ſteckten an einen Finger wol etliche Ringe/ wie gedachter
Martialis lib. II. Epigramm. 60. vom Charino ſchreibet:
Nec nocte ponit annulos.’
An einem jedweden Gelencke der Finger| hatten ſie| einen| und
wol
[1054]Deß Academiſchen
wol mehr Ringe ſtecken. Manche hatten der Ringe ſo viel/ daß
ſie gewiſſe daran deß Sommers/ und auch gewiſſe deß Winters
trugen. Sie hatten auch Ringe/ die ſie nur an ihrem Gebuhrts-
Tag pflegeten anzuſtecken/ und wendeten offt ihr gantz Vermoͤ-
gen auf die Ringe. Heliogabalus war ſo verſchwenderiſch in
Ringen/ daß er keinen mehr als einmabl anſteckete/ gleich wie er
es auch mit den Schuhen machte.
Uber diß/ daß man mit den Ringen ſiegelte/ wurden ſie
auch ſonſt gebrauchet zu Buͤndnuͤſſen und Vermaͤhlungen/ wie
noch heut zu Tage geſchicht. Die Venetianer vermaͤhlen ihnen
Jaͤhrlich das Meer durch einen Ring. Man hat auch ſonder-
liche Zauber-Ringe/ welche gemacht wurden unter einem ge-
wiſſen Geſtirne/ mit ſonderlichen Characteren bezeichnet/ man
verſchloß in den Ring ein gewiſſes Kraut/ welches dem Geflirne
zugethan/ und wurde ſolchem Ring groſſe Krafft zugeſchrieben/
daß/ wer ihn truge/ ſolte allenthalben Gluͤck und Sieg haben/
frey von allem Gifft ſeyn/ es muͤſte ihn lieb haben/ wen er nur
begehrete/ ja/ er koͤnne darmit die Geſpenſter vertreiben/ Kranck-
heiten heilen/ und andere Wunder-Dinge mehr thun. Und wird
vielleicht deß Gygis ſein Ring von dergleichen Art geweſen ſeyn/
wie auch deß Eleaſari, eines Juden/ von welchem Joſephus
ſchreibet/ Antiq. l. 8. c. 2. daß er in Gegenwart deß Kaͤyſers
Veſpaſiani darmit viel Beſeſſene vom boͤſen Feind erloͤſet habe.
Das XLVI. Capitul/
Pardoerrettet denParmeniomit Liſt/ findet deſſen Schwe-
ſter/ welche einander auß dem Traum helffen und ſich lieben.
Parmenio liebet die Taranta, ſo aber verlohren iſt.
ALs Alexius dieſen Diſcurs vollendet hatte/ ſprach
er zu Pardo: Potz tauſend/ was faͤllet mir ein?
Es iſt von den Tuͤrcken vor wenig Tagen ein
fuͤrnehmer Jtaliaͤner nach Tripoli gebracht/ und da-
ſelbſt an den Baſſa verkaufft worden/ der ihn auf ei-
nem veſten Schloß/ nur 2. Meilen von hier/ durch
einen Aga/ welcher den Ruhm einer ſonderbaren
Staͤrcke und Tapfferkeit hat/ ſamt 12. Janitſcharen/
gar ſtrenge verwachen laͤſſet/ und hoffet er eine Tonne
Goldes zur Rancion von ihm zu bekommen. Dieſer
Herꝛ hat eine ſehr ſchoͤne Schweſter bey ſich gehabt/
aber
[1055]Romans II. Buch.
aber erſagter Baſſa hat ſie unter einer Convoy alſo-
bald hieher geſandt/ daß ſie wieder zu den Jhrigen
gehen/ und die Außloͤſung ihres Bruders befoͤrdern
moͤchte. Er haͤtte ſie wol ſelber behalten/ oder nach
der Pforte ſenden koͤnnen/ aber er hat ſein Lebtage
keines Frauen zimmers geachtet/ und weil man ſaget/
der Sultan habe einen Baſſa/ der ihm eine ſchoͤne
Sclavin vor einem halben Jahr zugeſandt/ gar uͤbel
belohnet/ als wil er ſolches an ſeiner fuͤrnehmen
Sclavin auch nicht erwarten. Dieſe fuͤrnehme Da-
me iſt in dem Hauß deß Stadt-Richters und wartet
nur auf ein Schiff/ das nach Jtalien lauffen moͤchte/
aber ſie wil ſich von keinem Menſchen ſprechen laſſen/
dañ ſie ſoll allwege weinen/ und gar zu ſehr der Trau-
rigkeit nach haͤngen. Jch bin gezwungen/ ſprach Par-
do, dieſem Jtaliaͤner meinen Beyſtand zu leiſten/ aber
wo bekommen wir ihn auß den Haͤnden eines ſolchen
ſtarcken Aufſehers? Das wird ſchwerlich hergehen/
replicirte Alexius, und halte ich es ſchier vor eine un-
moͤgliche Sache/ mit Gewalt etwas außzurichten/
aber mit Liſt moͤchte es ſich noch etwa thun laſſen.
Jndem ſie aber auf allerhand Wege bedacht ſind/
dem Gefangenen beyzukommen/ da kommt Klingen-
feld daher/ und kuͤſſet dem Pardo die Hand/ dieſer ver-
wunderte und erfreuete ſich uͤber die unverſehene An-
kunfft ſeines hertzhafften Edelmanns/ und Klingen-
feld erzehlete darauf/ wie es ihm in Cypern ergangen/
und welcher Geſtalt er nach Alexandretta und von
dannen nach Tripoli geraͤyſet/ da man ihm von einem
fuͤrnchmen gefangenen Jtaliaͤner vorgeſaget/ weil er
nun ſeine von dem Baſſa zu Famaguſta erhaltene
Fuͤrſchrifft dem zu Tripoli fuͤrgezeiget/ in Meynung/
Condado laͤge daſelbſt gefangen/ habe ihn der Tripo-
liſche Baſſa bald abgewieſen/ (NB. dieſes Tripoli
liget
[1056]Deß Academiſchen
liget in Syrien/ Jenes aber/ darinn die vorigen See-
Rauber zu Hauß gehoͤreten/ in Africa, welches wol zu
mercken/) und darauf habe man ihm erzehiet/ daß
juͤngſt etliche Sclaven nach Ptolemais geſchickt wor-
den/ worauf er ſich hieher verfuͤget/ und zu groſſer
Vergnuͤgung die meiſten ſeiner Cameraden fuͤr ſich
finde. Er forſchete nach Cavina, aber es wuſte ihm
Niemand einigen Beſcheid darvon zu ertheilen/ oh-
ne daß er von einem Barbariſchen Raub-Schiff ſey
entfuͤhret worden. Pardo uͤberlegte dieſe Sache alſo-
bald mit Klingenfeld/ als einem unverzagten Caval-
lier, und gab ihm zu erkennen/ daß er ſich vor einen
Grafen von Policaſtro, wie vormahlen in Jtalien/
außgebe/ und jetzo darfuͤr wolle erkennet ſeyn. Jn-
dem ſie aber mit dem Printzen Alexio am folgenden
Tage am See-Strande ſpatzieren giengen/ und von
dieſer Sache redeten/ erblicketen ſie von ferne ein
Schiff/ welches nach dieſem Hafen eylete. Sie war-
teten biß es anlangete/ und darauf giengen ſie mit
einander darnach zu. Ach Himmel/ welch eine Freu-
de entſtund/ als Tremola, oder vielmehr der rechte
Graf von Policaſtro an Land tratt/ und dem verſtelle-
ten Pardo die Hand kuͤſſete/ ſie fielen darauf einander
um den Halß/ und als Condado ihm zu erkennen ge-
geben/ daß er jetzo Pardo hieß/ und ſich vor einen Gra-
fen von Policaſtro außgebe/ auch bedacht ſey/ einem
fuͤrnehmen Jtaliaͤniſchen Gefangenen loßzuhelffen/
da antwortete Tremola: Mein Herꝛ/ es iſt Zeitung
in Jtalien erſchollen/ daß ein fuͤrnehmer Herꝛ in Tuͤr-
ckey gefangen lige/ weil nun euer Herꝛ Vatter vor
euch groſſe Sorge getragen/ zu dem auch eure
Schweſter die Prinzeſſin Taranta juͤngſt verlohren
worden/ als hat er mich außgeſandt/ mit dieſem
Schiff/ ſo 60. woͤhrhaffte Soldaten/ ohne die Schiff-
Leute/
[1057]Romans II. Buch.
Leute fuͤhret/ darneben habe ich 50000. Reichsthlr.
an Geld/ um/ da es noͤthig/ mit Gewalt/ oder mit
Geld eure oder eurer Schweſter Erledigung zu be-
foͤrdern. Dieſes alles war dem Pardo ſehr angenehm/
auſſer daß ſich ſeine Schweſter ſolte verlohren haben.
Er gedachte alſobald auf die gefangene Dame in Pto-
lemais, aber wann er betrachtete/ daß dieſelbe eine
Schweſter deß gefangenen Jtaliaͤners/ fiel dieſe
Muthmaſſung weg. Von nun aber blieb das Schiff
im Hafen ligen/ und ließ ſich kein Soldat ſehen/
welche Ordre bekamen/ im Schiff verborgen zu blei-
ben/ und ſandte man ihnen gnugſame Erfriſchung zu.
Tremola aber muſte mit nach deß Printzen Burg ge-
hen/ allwo man dieſer Sache wegen deß gefangenen
Jtaliaͤners von neuem uͤberlegte/ da ſie dann endlich
einen Schluß machten/ und denſelben außfuͤhreten/
wie wir vernehmen werden. Am folgenden Tage
ſetzten ſie ſich auf Pferde/ nemlich Pardo und ſeine
Freunde ſamt Tremola; Die Soldaten aber wurden
in der Nacht vorher heimlich auſſer deß Hafens auß-
geſetzet/ und in einem Gebuͤſch verſtecket. Als nun
alles fertig/ ritten ſie fort/ und ſetzten ſich nicht weit
von dem Schloß/ darinn der Gefangene lag. Da-
ſelbſt ſtach Klingenfeld vorauß/ und ritte vollends
nach dem Schloß/ allwo er den Aga zuſprechen be-
gehrete. Dieſer war ein Baum-ſtarcker ſehr groſſer
Mann/ zu welchem Klingenfeld ſprach: Tapfferer
Aga/ ich habe in Teutſchland von eurer Staͤrcke und
Tapfferkeit gehoͤret/ bin demnach außgezogen/ einen
Kampff mit euch zu halten/ dann ich habe ein Geluͤbd
gethan/ mit dem Tapfferſten zu kaͤmpffen/ er ſey wer er
wolle/ darum werdet ihr euch nicht waͤgern/ meinen
Saͤbel zu pruͤfen/ damit eure Staͤrcke durch mich
noch weiter außgebreitet werde.
X x xDer
[1058]Deß Academiſchen
Der Aga machte groſſe Augen/ und ſagte: Wol-
an/ iſt der Ruff meiner Kraͤfften in Teutſchland er-
ſchollen/ ſo wil ich euch den Kampff nicht abſchlagen.
Klingenfeld erſuchte ihn hierauf/ daß der Streit nicht
in dem Schloß/ ſondern im freyen Feld fuͤr ſich gehen
moͤchte/ und zwar im Angeſicht 10. oder 12. ehrlichen
Kriegs-Maͤnnern/ die darvon urtheilen koͤnten. Der
Aga willigte ihm alles ein/ und noͤthigte ihn/ weil es
ſchon Mittag war/ mit ihm vorher zu ſpeiſen. Klin-
genfeld ſchlug ſolches nicht ab/ und ward von dem
Aga ſehr wol tractiret. Endlich ſetzten ſie ſich zu
Pferd/ und der Aga nahm 10. von den Janitſcharen
mit ſich hinauß/ den Streit mit anzuſehen. Wie ſie
auf das Feld kamen/ ſprach Klingenfeld: Jhr werdet
mir vergoͤnnen/ daß ich einen ebenen Kampff-Platz
außſuche/ welches ihm gern verwilliget ward/ und
alſo folgete der Aga mit ſeinen Leuten dem Klingen-
feld biß in einen engen Thal/ woſelbſt ſie von Pardo
und ſeinen Leuten uhrploͤtzlich umzingelt wurden/ daß
ſie weder hinter noch fuͤr ſich kommen kunten. Da-
mahl merckete der Aga/ daß er verrathen war/ aber
Pardo ſelber rieff ihm zu/ wann er nur den Saͤbel zu-
cken wuͤrde/ ſo ſolte ihres Gebeins nicht darvon kom-
men/ dafern ſie ſich aber gefangen gaͤben/ ſolten ſie
ihr Leben und Freyheit behalten. Ob nun gleich der
Aga groſſe Luſt hatte/ ſich durchzuſchlagen/ widerrie-
then ihm doch ſolches die mitgenommene Janitſcha-
ren. Und alſo willigte er darein/ daß man ihm und
ſeinen Leuten ſo lange das Gewoͤhr abnaͤhme/ biß der
gefangene Jtaliaͤner erlediget worden/ welchen er in
ſeiner Verwahrung hatte. Der Aga/ welcher dieſem
Jtaliaͤner ſehr gewogen/ ſahe ſolches gar gerne in
ſeinem Hertzen/ wie er dann ſchon etliche mahl/ nach
ſeinem eigenen Bekaͤnntnuͤß/ bey ſich beratſchlaget/
wie
[1059]Romans II. Buch.
wie er ihm loßhelffen moͤchte. Alſo gieng Pardo mit
Klingenfeld/ Tremola, und die Ubrigen/ biß auf etliche
wenige/ nach dem Schloß/ ſprengeten mit Pedarten
das Thor auf/ crledigten zuforderſt den Gefangenen/
und pluͤnderten hernach das Hauß/ worinn der Baſſa
ſeinen beſten Schatz/ an Baarſchafften und Kleino-
dien hatte/ daß ſich die Beute auf 150000. Reichsthl.
belieff. Als man dem Pardo das Gemach gezeiget/
darinn der gefangene Jtaliaͤner lag/ da gieng er mit
etlichen/ die ihm folgeten/ hinein/ und fand/ O Him-
mel/ wider alles vermuthen/ den Printzen Parmenio.
Hilff GOtt! ſprach er damahl/ was ſehe ich/ lebet der
Printz Parmenio annoch? Dieſer antwortete: Ja
ich lebe annoch; Aber/ wil mich Pardo auch unter
dieſen meinen Feinden weiter verfolgen? Jch komme
euch die Feſſel abzunehmen/ war deß andern Ant-
wort/ und euch zu eurer Schweſter zu fuͤhren. Pardo
legte auch alſobald Hand an/ und entledigte ihn von
den Feſſeln durch Huͤlffe eines Tuͤrcken/ der die
Schluͤſſel darzu herbey brachte/ hierauf kuͤſſeten ſich
dieſe zween geweſene Haupt-Feinde/ aber nunmehro
gewordene Ertz Freunde/ recht Bruͤderlich/ und nach-
dem ſie die Beute auß dem Schloß mitgenommen/
giengen ſie ſamt Parmenio, der auf einem koͤſtlichen
Pferd ſaß/ und auß deß Baſſa Ruͤſt-Kammer ſich
bewaffnet hatte/ mit einander wieder zu der andern
Geſellſchafft/ und brachten 30. ſchoͤne Pferde mit/
welche viel Geldes werth waren. Der Aga erklaͤrete
ſich von derſelben Stunde an/ in deß Parmenions
Dienſten mit nach der Chriſtenheit uͤberzugehen/
dann er wuſte wol/ daß ihm doch der Baſſa das Leben
nehmen wuͤrde/ weil er auch ein gebohrner Sicilia-
ner/ und ehmahls ein Chriſt geweſen/ kunte er ſich
leichtlich hierzu reſolviren. Als die Janitſcharen
X x x 2ſolches
[1060]Deß Academiſchen
ſolches hoͤreten/ fielen ihm 6. zu/ um auch mitzugehen/
aber die Ubrigen wurden ohnbeſchaͤdiget wieder nach
dem Schloß geſandt/ und alſo gieng dieſe Geſell-
ſchafft/ hoͤchlich erfreuet uͤber ihre gluͤckliche Verrich-
tung/ gerades Weges wieder nach Ptolemais.
Auf dem Wege ſprach Pardo zu Parmenio: Jſt
es moͤglich/ mein Printz/ daß ihr noch lebet? Wie ihr
ſehet/ war die Antwort/ dann ich bin ein halb Jahr
hernach/ als ich/ wie ihr wiſſet/ zu Boulogne von euch
toͤdtlich verwundet worden/ gaͤntzlich wieder geheilet
geweſen/ und von derſelben Zeit an/ hat es mich ge-
reuet/ mit euch jemahlen in Feindſchafft gelebet zu
haben/ ich hoffe auch/ hinfuͤhro werde unſere Freund-
ſchafft unzertrennlich ſeyn. Pardo hoͤrete ſolches
uͤberauß gerne/ dannenhero forſchete er weiter/ ob
dann ſeine Schweſter zu Ptolemais ſey? Wie ich hoͤ-
re/ ſprach er/ ſo iſt ſie daſelbſt geblieben/ und ich hoffe/
wann wir anders/ als leibliche Bruͤder mit einander
leben wollen/ ſie werde euch keine unangenehme
Braut/ und das Pfand unſerer beſtaͤndigen Freund-
ſchafft ſeyn/ dann ſie æſtimirt euch hoch. Pardo, der
von ſeiner Schweſter nichts wuſte/ ſondern ſeine
Melicerta einzig und allein liebte/ auch ſein Lebtage
keine andere zu heyrathen gewillet war/ erſtarrete faſt
uͤber dieſer Rede/ daß er nicht wuſte/ was er ſagen ſol-
te/ endlich aber begriff er ſich/ und ſprach: Mein
Printz/ dieſe Ehre iſt gar zu hoch/ jedannoch laſſen
wir unſere Eltern und Verwandte den Außſpruch
daruͤber thun. Mit dieſen Reden kamen ſie zu der
Stadt Ptolemais, allwo ſie von dem Printzen Alexio
gar hoͤflich empfangen/ und in das Schloß begleitet
wurden/ und ehrete dieſer den Parmenio ſehr hoch/
fuͤrnemlich als er vernahm/ daß er ſich mit Pardo ver-
glichen hatte. Es gieng aber Parmenio zuforderſt zu
ſeiner
[1061]Romans II. Buch.
ſeiner Schweſter/ welche fuͤr Freuden ſchier auſſer ihr
ſelber war/ weil ſie ihren Bruder wieder in ſeiner
voͤlligen Freyheit ſahe/ und als ihr dieſer erzehlet/ auf
was Weiſe er von Pardo, Grafen von Policaſtro, er-
lediget worden/ da war die Freude in ihr verdoppelt/
und ſprach ſie demnach zu ihrem Bruder: Was haͤlt
euch doch dann ab/ mir deß ehrlichen Grafen Liebe
ferner zu mißgoͤnnen? Parmenio antwortete: Jch
habe allemahl getrachtet/ euch den Printzen Condado
ſelber zu erwerben/ damit wir einen Tauſch mit un-
ſern Schweſtern treffen moͤchten/ welches/ wie ihr
wiſſet/ der Prinzeſſin Taranta einziges Verlangen iſt.
Aber/ nun finde ich mich dem redlichen Grafen/ mit
welchem ich lange gnug in Feindſchafft gelebet/ all zu
hoch verbunden/ daß ich ihm eure Perſon nicht laͤn-
ger vorenthalten kan/ wann er nur ſo bald reſolviren
kan/ euch zu lieben. Die Prinzeſſin beſtuͤrtzte hierauf/
und ſagte: Wie? ſolte Pardo an mir Treu-loß wer-
den/ und mich nicht mehr leyden wollen? Parmenio
wolte hiervon nichts weiter reden/ ſondern ſagte/ daß
ſich dieſe Sache ſchon wuͤrde ſchicken. Als aber die
Prinzeſſin hieruͤber ſehr bekuͤmmert ward/ nahm Par-
menio ſeinen Abſchied von ihr/ und verſprach ihr/ mit
dem Pardo bald wieder zu kommen. Er gieng alſo
nach dem Schloß/ und erſuchte den Pardo zu ſeiner
Schweſter zu kommen/ welches dieſer nicht abſchla-
gen kunte/ wiewol er keine ſonderbare Luſt darzu be-
zeugete/ dann er achtete deß Printzen Schweſter ge-
gen ſeiner Melicerta gar nichts. Wie er aber zu ihr
kam/ fand er/ ach ungemeine Freude! dieſe holdſeelige
Melicerta ſelber fuͤr ſich/ dannenhero fiel er zur Er-
den/ kuͤſſete ihr die Hand und Mund/ und ſagte: Ach
ſchoͤnſte Graͤfin/ wie ſeyd ihr hieher kommen? Dieſe
hingegen ſprach: Mein liebſter Graf/ ich mercke nun-
X x x 3mehro
[1062]Deß Academiſchen
mehro den Jrꝛthum/ der euch von der Liebe zu der
Prinzeſſin deß Parmenionis Schweſter hat abgehal-
ten; Sehet/ ich bin die Prinzeſſin Lucretia, welche
ſich vor ihm allemahl vor ein Graͤfliches Fraͤulein
Melicerta hat außgegeben/ und nun ich vernehme/ daß
ihr und mein Herꝛ Bruder wieder gute Freunde ſeyd/
muß ich euch die Warheit bekennen/ daß ich deß An-
tonio Tochter bin/ mein Herꝛ Bruder hat ſich allweg
bemuͤhet/ meine Perſon vor den Printzen Condado
von Turſis zu erhalten/ damit ſie inſonderheit mit ein-
ander gute Freunde/ und durch die Heyrath mit der
Prinzeſſin Taranta und ihm nahe verbunden wuͤrden.
Als ſich unſer Pardo ein wenig hierauf beſoñen hatte/
ſprach er zu Parmenio: Mein Printz/ ich nehme eure
Schweſter an im Namen deß Printzen Condado,
derſelbe/ und kein anderer/ ſoll hinfuͤhro ihr Fuͤrſtlich
Gemahl ſeyn/ ſie iſt eine gebohrne Prinzeſſin/ und
ſoll auch einen Printzen zum Gemahl haben. Parme-
nio antwortete hierauf nichts/ aber die Lucretia
ſprach: Ey/ ſo fahret dann hin/ ihr unbeſtaͤndiger
Graf/ iſt das der Beſtaͤndigkeit Lohn/ die ich euch biß-
hero erwieſen habe? Bleibet/ wer ihr ſeyd/ ich wil
hinfuͤhro weder den Pardo, noch den Condado zum
Gemahl haben; Hierauf fieng ſie bitterlich an zu
weinen. Parmenio ſtund gantz beſtuͤrtzt/ Pardo aber
ſprach: Durchleuchtige Prinzeſſin/ ich ſage vielmehr/
ihr ſollet den Condado und Pardo unter einer Perſon
zugleich haben/ ich bin durch euren Namen und fuͤr-
gewendeten Graͤflichen Stand bißhero in Ungewiß-
heit gebracht worden/ und von nun an ſage ich euch/
daß ihr nimmer den Grafen von Policaſtro, ſondern
allwege den Printzen Condado von Turſis geliebet
habt/ dann mein Ungluͤck hat mich gezwungen/ daß
ich mich Pardo, einen Grafen von Policaſtro genennet
habe/
[1063]Romans II. Buch.
habe/ da ich doch vielmehr Condado ſelber allemahl
geweſen bin/ wie ich mit dem Grafen von Policaſtro,
der in dieſer Stadt zugegen/ und mir von meinem
Herꝛn Vatter/ Hertzog Agoſtino, juͤngſt zugeſandt
worden/ ſelber bezeugen kan. Uber dieſe Rede wur-
den Parmenio und ſeine Schweſter ſehr hoch erfreuet/
alſo/ daß die Prinzeſſin ſich ankleiden ließ/ und mit
nach dem Schloß gieng/ wo man der gantzen Geſell-
ſchafft das Jenige/ was paſſiret/ erzehlete. Alſo ward
der Lucretia ein praͤchtiges Zimmer eingeraumet/ und
verlangete man Bottſchafft von der Prinzeſſin Ta-
ranta zu bekommen.
Allhier muß ich den Leſer berichten/ daß Parme-
nio, ſo bald er von der zu Boulogne empfangenen
Wunden wieder geneſen/ nach Roſſano gekehret/ all-
wo ſich die Melicerta, oder vielmehr ſeine Schweſter
Lucretia, die ſich eine Zeitlang auß Bekuͤmmernuͤß
wegen ihres Pardo zu Conſença aufgehalten/ inzwi-
ſchen auch wieder eingefunden hatte. Hieſelbſt er-
ſcholle das Geruͤcht von der ungemeinen Schoͤnheit
der Prinzeſſin Taranta, wannenhero Parmenio eine
Begierde empfand/ dieſelbe zu heyrathen/ damit die
Feindſchafft/ ſo zwiſchen ihren beyden Haͤuſern
ſchwebete/ moͤchte voͤllig aufgehoben werden. Er
raͤyſete nach Taranta, wo ſich die auch alſo genannte
Prinzeſſin aufhielte/ und trug ihr ſeine Liebe an/ aber
dieſe/ ob ſie gleich der innerlichen Feindſeeligkeit bey-
der Fuͤrſtl. Haͤuſer gerne ein Ende abgeſehen haͤtte/
wolte ſich doch zu nichts reſolviren/ bevor ihr Herꝛ
Vatter darein willigte. Mit ſolchem Beſcheid raͤy-
ſete Parmenio wieder nach Roſſano, und empfand ei-
ne groſſe Liebe zu der Taranta, beredete demnach ſeine
Schweſter Lucretia, daß ſie mit ihm nach Turſis zum
Printzen Agoſtino raͤyſen moͤchte/ damit durch ihre
X x x 4Vor-
[1064]Deß Academiſchen
Vorſprach dem alten Hertzog das Hertz deſto ehe er-
weichet wuͤrde. Sie ſetzten ſich in ein Schiff/ wurden
aber durch einen Sturm weit hinab in die See ge-
worffen/ da ſie von den Tuͤrckiſchen See-Raͤubern
gefangen/ und nach Tripoli in Syrien gefuͤhret wur-
den. Wie es ihnen weiter ergangen/ haben wir ſchon
gehoͤret. Wie aber dieſe Werbung mit Parmenio ſich
verzoge/ ſetzte ſich die Prinzeſſin Taranta zu Schiff/
um zu ihrem Vatter zu gehen/ und demſelben dieſe
Sache perſoͤnlich fuͤrzutragen/ aber ein gleiches Un-
gluͤck traff ſie/ daß ſie nemlich auch gefangen/ und an
einen andern Ort gefuͤhret ward/ von welcher man
biß dato nichts hat vernehmen moͤgen.
Das XLVII. Capitul/
DieCruſadaiſtCampanelli. Tarantawird gefunden.Alexius
haͤlt Beylager/ worbey das groſſe Banquet deß Egyptiſchen Soldans
beſchrieben wird. Condado und ſeine Geſellſchafft gehen nach Hauß/
und heyrathen unter einander.
UNterdeſſen da dieſe Geſellſchafft allhier zu
Ptolemais bey einander war/ kom̃t ein Bott/
mit Bericht/ daß die Prinzeſſin Cruſada mit
einem ſtattlichen Gefolge in der Naͤhe ſey/ das Bey-
lager mit ihrem Printzen Alexio zu vollziehen/ dan-
nenhero ſetzte ſich die gantze Geſellſchafft in praͤchti-
gen Kleidern zu Pferd/ die Lucretia ließ ſich in einer
Saͤnffte tragen/ und zogen der Druſiſchen Fuͤrſtl.
Braut entgegen. Sie erreichten dieſelbe in einem
Thal/ allwo Alexius ſeine Prinzeſſin/ die auß einer
koͤſtlichen Saͤnffte herfuͤr ſprang/ gar freundlich
empfieng/ hernach reichten ſie einem Jeden von den
hohen Perſonen die Hand/ und als ſie zu Condado
kam/ ſprach ſie: Seyd mir von Hertzen willkommen/
mein Printz/ in dieſen Laͤndern/ der jenige Ring/ den
Campanelli jenes mahls zu Padua von euch empfan-
gen/
[]
[][1065]Romans II. Buch.
gen/ verbindet mich gegen euch zu aller Freundſchafft.
Condado ſahe ſie an/ und ſprach: Durchleuchtigſte
Prinzeſſin/ ich weiß nicht/ woher ihr mich kennet/ viel
weniger wie ich dieſe Worte verſtehen ſoll. Es iſt
gut/ ſprach ſie/ ich wil mein Wort halten/ und euch ein
Stuͤck meiner Freundſchafft erweiſen/ hiermit nahm
ſie ihn bey der Hand/ und fuͤhrete ihn zu ihrer Saͤnff-
te/ woſelbſt ſie mit ungemeiner Freude die Prinzeſſin
Taranta funden. Es kam auch darauf Cavina herzu/
und vermehrete durch ſeine Perſon dieſe Verwunde-
rung und Freude. Ehe ſie ſich aber wieder zu Pferde
ſetzeten/ ward auf die Erde aufgetiſchet/ und ſpeiſete
die hohe Geſellſchafft mit einander/ da dann Cavina
erzehlete/ welcher Geſtalt er von den Tripoleſiſchen
See-Raͤubern zu Gaza an den Printzen verkaufft
worden/ da ihn die Prinzeſſin Cruſada bald erkannt/
und ihm bedeutet/ daß ſie auß Liebe zu den Studiis,
in Manns-Kleidern ſich geſtecket/ und unter dem
Namen Campanelli zu Padua in Geſellſchafft der
Ilmene, welche einander doch nimmer ihr Vatter-
land und Herkommen zu erkennen geben wollen/ auf-
gehalten/ dieſe haͤtte ihn wolgehalten/ und zu der
Taranta gefuͤhret/ welche vor weniger Zeit dahin ver-
kaufft worden/ weil ſie aber geſtanden/ daß ſie deß
Condado Schweſter/ habe man ihr alle Freundſchafft
erwieſen. Endlich ſey die Cruſada aufgebrochen/ zu
ihrem Printzen Alexio zu ziehen/ da ſie ihr dann ge-
folget/ in Hoffnung/ zu Ptolemais einige Nachricht
von den Jhrigen zu erlangen/ welche ſie nun auch/
dem Himmel ſey Danck/ allerſeits in gutem Wol-
ſtand angetroffen. Uber dieſen Bericht verwunder-
ten ſie ſich alle/ und die Cruſada noch vielmehr/ als ihr
Alexius bedeutete/ daß er die Ilmene geweſen/ ſo mit
ihr zu Padua ſtudiret. Condado nahm ſeine Schwe-
X x x 5ſter
[1066]Deß Academiſchen
ſter jetzo bey der Hand/ fuͤhrete ſie zu Parmenio, und
ſprach: Meine liebſte Schweſter/ ich habe mir die
Prinzeſſin Lucretia fuͤr meine Fuͤrſtl. Braut erwaͤh-
let/ ich hoffe/ die Liebe deß Printzen Parmenio, ihres
Herꝛn Bruders/ werde euch auch nicht zuwider ſeyn.
Taranta geſtunde/ daß dieſes alles/ auſſer Zweiffel/
deß Himmels Schickung waͤre/ warff demnach dem
Parmenio ihr Hertz voͤllig zu/ wiewol zu Ratification
ihres Herꝛn Vatters. Hernach erzehleten ſie einander
ihre Ebentheuren; Und als die Mahlzeit geſchehen/
ſetzten ſie ſich wieder zu Pferd/ und raͤyſeten nach Pto-
lemais, allwo am folgenden Tag das Beylager mit
Alexio und der ſchoͤnen Cruſada gehalten ward. Als
ſie bey der Tafel ſaſſen/ diſcurrirten ſie von den ſeltza-
men Ebentheuren/ ſo ſie juͤngſt erlebet hatten. Her-
nach kamen ſie zu reden von den koͤſtlichen Tractamen-
ten dieſer Tafel/ welche ein Jeder ruͤhmete/ ſintemahl
ſie nicht wol zu verbeſſern ſtunden. Cavina ſprach
jetzo: Jch lobe ein ſolch Fuͤrſtl. Tractament weit mehr/
als jenes Egyptiſchen Sultans/ welches nur auß un-
zeitigem Pracht beſtanden/ um ſich zu zeigen/ was fuͤr
ein maͤchtiger Herꝛ er ſey. Als die Geſellſchafft dar-
von ein mehrers zu wiſſen verlangte/ ſprach Cavina
alſo:
SElims/ deß Tuͤrckiſchen Wuͤterichs Waffen/ graſſirten
in Perſien und Cappadocia gar ſieghafft/ und thaͤten
ſolche Streiche/ daß alle da herum ligende Laͤnder erſchracken.
Weßwegen der Soldan von Cairo, Campton Chauri, hierbey
ſtill zu ſitzen/ und dem Spiel laͤnger zuzuſehen fuͤr gefaͤhrlich ach-
tete. Dann ſolte der Perſer gar ruiniret werden/ doͤrffte die
Tuͤrckiſche Krieges-Laſt hernach (ſeiner Sorgfalt nach/) gantz
auf ihn allein fallen. Dieſem nach beſchloß er/ einen Feld-Zug
nach Alepo zu thun/ damit er den Cajer-Beg daſelbſt/ als einen
verdaͤchtigen Lehnmann/ der heimlichen Verſtand mit den Tuͤr-
cken pflegete/ abſtraffen/ und zugleich den Tuͤrckiſchen Graͤntzen
einen Schrecken geben moͤchte/ um/ durch den Geruͤchts-Schall
ſeiner
[1067]Romans II. Buch.
ſeiner groſſen Kriegs-Ruͤſtungen/ dem Selim Urſach zu geben/
daß er ſich mit Perſten vertruͤge. Allermaſſen er ſelbſt von freyen
Stuͤcken dem Groß-Tuͤrcken draͤuete/ wofern er mit dem Sophi
nicht tractiren und ſchlieſſen wuͤrde/ muͤſte er ihm gleichfalls den
Krieg ankuͤndigen.
Der Tuͤrck nahm ſolches auf/ fuͤr einen Winck/ daß er kom-
men/ und den Mittler bekriegen ſolte/ ſchloß geſch winde mit dem
Perſer/ und marſchirte auf Syrien an. Jndeſſen gehet der Sol-
dan zu Feld/ mit einer anſehnlichen Macht von Sorianern/ Moh-
ren auß Cayr, und Arabern/ darunter 14000. Mamelucken wa-
ren/ lauter kuͤhne Todes-Veraͤchter/ und tapffere Helden/ ſo mehr
als einmahl geſtanden/ wo es ſcharff zugehet; Auch faſt eben ſo
viel geruͤſtete Reiſige ſeines Volcks/ und leibeigener Leute/ die mit
Pferden und Gewehr aufs beſte außgeputzet/ und nicht ohne
Luſt der Zuſchauenden voruͤber zogen.
Mit dieſem wolgeuͤbten Heer daͤuchte ſich der Soldan maͤch-
tig gnug die gantze Welt herauß zu fordern/ und zu bezwingen.
Wovon das Erſte auch wol ein jeder Unfuͤrſichtiger und Ver-
meſſener/ das Letzte aber der allein kan/ welchem es GOtt und
das Gluͤck zuerkennen. Selim lag mit allem ſeinem Krieges-
Volck in deß Soldans Gedancken und Hoffnung ſchon ſo gewiß
darnieder/ gleich waͤre man allbereit von der Wahlſtatt zuruck
gekehret/ zu welcher Einbildung ihn beydes die Menge und der
Muth ſeiner Voͤlcker verleiteten/ dann ſie waren alle freudig zu
fechten/ und deß Streits ſo begierig/ wie ein kuͤhner Loͤw deß
Raubes; Da hingegen die Kundſchaffter von Selims Volck
ſpargirten/ ſelbiges waͤre halb verſchmachtet/ muͤde und matt
von der langen Raͤyſe/ und gar verdrießlichem Weg/ darzu uͤbel
mundiret/ wodurch dem Egypter das Hertz noch hoͤher wuchs/
indem er nicht betrachtete/ daß hungerige Tieger und Woͤlffe
offt am allergrimmigſten reiſſen und beiſſen.
Alſo ließ er es/ ohne weiters Rathſchlagen/ darbey bewenden;
Jndeſſen aber allen ſeinen Kriegs-Raͤthen und Hauptleuten
ein groß-herꝛliches Mahl zurichten/ an einem Gebuͤrge/ auf ei-
ner Wunder-ſchoͤnen Auen/ bey welcher er mit dem Feinde zu
ſchlagen geſonnen war/ und nach gehaltenem Banquet allererſt
das Bedencken deß Kriegs-Raths/ wie man die Schlacht an-
ordnen muͤſte/ vernehmen wolte. Er ritte in Perſon hin und wie-
der/ und gab Ordre, wie ſich das Kriegs-Volck laͤngſt dem Ufer
eines kleinen Waſſers ſolte lagern.
Nachdem das Feld-Lager aufgeſchlagen/ hat man uͤber
30000.
[1068]Deß Academiſchen
30000. Gezelte/ ohne andere Huͤtten und Logiamenter/ gezehlet.
Von dannen iſt der Soldan ein wenig weiter auß dem Heer-
Lager/ um ſich mit ſeinem Hof-Geſinde und General-Stab
gleichfalls nieder zulaſſen/ biß auf eine halbe Welſche Meile hin-
auf uͤber beſagtes Waͤſſerlein gerucket/ zu einem uͤber auß luſti-
gen Platz/ und hat daſelbſt allen ſeinen fuͤrnebmen Rittern/
Oberſten/ und tapffern Mamelucken/ ein ſolches Banquet ſpen-
diret/ deßgleichen in der Welt nicht viel geſehen/ oder gehoͤrek
worden.
Auf den lieblich-gruͤnen Matten der Auen wurden die herꝛ-
liche Tafeln nach Mahometiſcher Weiſe an der Erden außge-
breitet/ und mit den allerkoͤftlichſten Tapezereyen/ die Wunder-
kuͤnſtlich gewuͤrcket waren/ bedecket. Rings umher lagen theure
Tuͤcher/ ſo von Gold und Silber glaͤntzeten/ wie die Sonne. Jn
den Teppichten ſahe man alle Schlachten/ Victorien und Prang-
Zuͤge ſo kuͤnſtlich eingewuͤrcket/ daß alle/ die es vorhin nie geſe-
hen/ daruͤber erſtauneten. Solches edle Teppich-Werck erſtre-
ckete ſich eine gute Welſche Viertel-Meilweges lang/ und hun-
dert Schube in die Breite. Uber ſelbige Teppichte waren noch
2. andere Reyhen Tiſch-Tuͤcher von ſchoͤnem herꝛlichem Da-
maſt gedecket. Jedes Stuͤck hatte 20. Schuhe in der Laͤnge. Dieſe
lagen alſo fein ordentlich uͤber bemelte Tapeten außgebreitet/
daß von der Tapezerey an einem Ort nicht mehr/ dann am an-
dern/ geſehen worden/ auch in der Mitten nicht mehr Platzes/
noch Raums/ weder auf den Seiten/ geweſen. Dann von einem
Stuck biß zu dem andern iſt allemahl 20. Schuhe breit Raum
uͤberblieben/ und alles mit ſo richtigem Unterſcheid gerichtet/ daß
es an allen Seiten ordentlich eingetroffen. Dann wie/ beſchrie-
bener Maſſen/ die Tapezerey und Teppichwerck ſich 100. Schuhe
breit außſtreckten; Alſo waren 40. Schuhe bedeckt mit Tuͤchern
von Damaſt/ und die uͤbrige 60. Schichtweiſe ledig/ welches die
2. Seiten und Mitten 20. Schuhe zugleich gemacht.
Ferner waren auf dieſe Damaſtene Tuͤcher koͤſtliche Salveten
und Hand-Tuͤchlein geleget/ von ſehr reiner/ Schnee-weiſer
Seiden auß India, gar ſauber und rein geſteppet/ auch an den
Enden mit anderer Seyden/ und klarem Gold/ verbremet und
behaͤnget. Die Tafeln waren uͤberzogen mit trefflichen Him̃el-
Decken von keiner Jndianiſcher Seyden/ Arabiſcher Sarſch, guͤl-
denem Tuch auß Damaſco, und von lauter geſchlagenem Gold
auß Thracien/ von Carmoſin auß Syrien/ und von andern
Seydenwerck mancherley ſchoͤner Farben/ allenthalben mit
guͤldenen
[1069]Romans II. Buch.
guͤldenen Frantzen/ Quaͤſten und Leiſten herꝛlichſt beſetzet. Und/
welches das Wunder vermehrete/ war dieſes/ daß man aller
Egyptiſchen Soldanen Ruͤſtungen und Waffen darinn geſtep-
pet und gewuͤrcket ſchauete.
Dreiſſig Schritte von dieſen Tafeln und Tapezereyen ſtun-
den zu beyden Seiten aufgerichtet herꝛliche Credentz-Tiſche/ mit
den zugerichten Tafeln ſich in gleicher Welte erſtreckend/ darauf
ein groſſer Schatz von Gold- und Silber-Geſchir[ꝛ]/ wie auch an-
dern Credentz-Geſchirren von Cryſtall/ und ſonſt andern wun-
derlich-gearbeiteten Trinck-Bechern/ in Bereitſchafft ſtunden/
der Gaͤſte/ darunter uͤber 2000. Ritterliche Perſonen geweſen/
Durſt zu laben. Unfern darvon ſahe man viel Koͤrbe von ſilbern-
gezogenem Drath gearbeitet/ und nach der Form unſerer hoͤltzer-
nen Koͤrbe geflochten/ alleſamt um den Rand verguͤldet/ kleine
und groſſe/ mit und ohne Handhaben. Neben dieſen zierlichen
Koͤrben waren geſetzet viel Kaͤſten oder Druhen/ von klarem ge-
triebenem und gegoſſenem Silber/ auch ſonſt andere groſſe Tru-
hen und Laden von wunderbarlicher Kunſt und Materie, welche
alleſamt gefuͤllet geweſen/ entweder mit Schnee-weiſſem Brodt
und Zucker-Kuchen/ oder mit Wunder-ſeltſamen Obſt und
Fruͤchten/ die ſo wol/ als das Brodt/ von reinem klarem Zucker/
mit theuren wol-riechenden Waſſern dermaſſen getemperiret/
daß der anmuthige Geruch die gantze Luft-Aue durchwehete/
und kein Appetitus was lieblichers fuͤr die Schleck-Maͤuler haͤt-
te erſinnen moͤgen. So war auch das Zucker-Obſt mit ſolchem
Fleiß gemacht/ gleich waͤre es natuͤrlich alſo gewachſen.
Auf den Damaſten/ weiſſen und außgebreiteten Tafel-
Tuͤchern/ ſind ordentlich nach einander/ ſo lang die Tafeln ge-
ſetzet waren/ 14. Caſtelle, oder Schloͤſſer/ ziemlich groſſer Form/
und von reinem lauterm Zucker kuͤnſtlich formiret/ geſtanden;
Bedeutende die 14. Koͤnigreiche/ welche dazumahl der Soldan
beherꝛſchete. Selbige waren mit allerley ſeltſamen alten Hiſto-
rien/ Conterfeiten/ und anderm Bildwerck/ wunderbarlich er-
haben/ getrieben/ und außgeſtrichen. An einem jedwedem ſol-
chem Caſtell iſt deß Soldans Nam/ Campſon Chiauri, mit guͤl-
denen Buchſtaben verzeichnet geweſen/ in gewiſſen Zetteln/ die
auf ſonderliche ſilberne Helmen/ darunter deß Soldans Wa-
pen ſtund/ gemacht; Und auf der andern Seiten eines ſolchen
Zucker-Schloſſes ſchauete man den Namen deß Koͤnigreichs/
welches durch ſelbiges Caſtell bedeutet werden ſolte/ ebenmaͤſſig
mit guͤldenen Littern geſchrieben. Oben auf dem Caſtell ſtund
gleich
[1070]Deß Academiſchen
gleich wie ein Hut aufgeſetzet die Koͤnigl. Krone deß Soldans/
welche an Gold mit dem Glantz der Sonnen in die Wette ſpie-
lete/ jedweder Thurn/ oder Caſtell, war 15. Schuhe hoch/ in der
Dicke wie ein ziemlich groſſes Wein-Faß/ und am Fundament
gar dick und breit/ faſt auf die Form eines Kegels/ oder Feuer-
Spitzen/ die unten dick/ und oben allgemach ſich verlieret/ alſo/
daß das Caſtell in der Hoͤhe ſich zuſpitzete. Solche Schloͤſſer
ſtunden fein ordentlich uͤber die Tafeln/ 7. und 7. Schicht-
Weiſe/ eins um das andere eingetheilet und auf geſetzet.
Auf jetzt-beſagten Damaſtenen Tiſch-Tuͤchern ſahe man
in gleicher Ordnung aufgeſtellet 14. Manns-Bilder in ihrer
Ruͤſtung/ und uͤbergehaͤngten Pantzern/ ſo biß auf die Arme
reicheten/ 7. auf jeder Seiten/ von reinem Schnee-weiſſem
Saltz gemacht. Diß ſolten ſo viel Ehren-Holden ſeyn. Sie hat-
ten in den Haͤnden gewiſſe Zettel/ mit etlichen Reimen bezeich-
net. Jnhalts/ der Soldan ſolte auf den Groß-Tuͤrcken Selim
tapffer angehen/ und einen Haupt-Streich wagen/ in Erinne-
rung ſeiner groſſen Macht und Gewalt/ als deß groͤſten und
herꝛlichſten Koͤnigs unter der Sonnen. Mit welchem letzten
Ruhm der Warheit nicht zu nahe geſchehen iſt/ ſintemahl er da-
mahls an Reichthum/ Gewalt/ Menge deß Volcks/ der Staͤdte
und Laͤnder/ ſeines Gleichen wenig gehabt.
Fein ordentlich fand man gleicher Geſtalt 14. groſſe Saltz-
Faͤſſer geſtellet/ von lauter reinem Gold wunderbarlichſt ge-
macht/ mit Buchſtaben/ uñ gegoſſener Arbeit/ auf jeder Seiten 7.
Jngleichem 14. koſtbarliche Meſſer-Futter/ und in einem jeden
Futteral 14. ſchoͤne Meſſer/ daran die Schalen/ oder Heffte/ von
lauter reinem Gold und Silber/ worauf auch ſonſt allerley
wunderſamſt-erhabene Arbeit gegoſſen war/ alles voller Hiſto-
rien/ und ſeltzamen Geſchichten der alten Heydniſchen Koͤnigen
ſelbiger Landen. Mitten zwiſchen den Tafeln hat man geſehen
14. groſſe Kuͤhl- oder Schwenck-Keſſel von reinem Silber/
Kunſtreichſt gemacht/ und von vielen fremden Thieren/ darauf
die Keſſel ruheten/ erhaben/ nach Art und Manier der alten Roͤ-
miſchen. Jn einem jeden Kuͤhl-Keſſel befanden ſich 14. groſſe
ſilberne/ ſehr wol außgearbeitete Flaſchen/ darauf entweder ge-
goſſen/ oder außgeſtochen/ alle die Bildnuͤſſen der Koͤnige/ ſo biß
auf dieſen Soldan regieret hatten; Welche Figuren von eines
Jedwedem Verhalten im Regiment/ wie auch von der Art ſei-
nes Todes/ gewiſſe Bedeutungen außbildeten. Wiewol dannoch
bey jedem Bild zum Uberfluß ein Zettel hafftete/ darauf ſolches
auch mit Buchſtaben verzeichnet war.
Be-
[1071]Romans II. Buch.
Benannte Flaſchen waren alle mit lieblichen zubereiteten
Waſſern gefuͤllet/ dann der Soldan, und ſeine Herꝛlichen/ tran-
cken keinen Wein/ ſondern lauter ſolche wol-riechende und lieb-
lichſt-gewuͤrtzete Juleb-Saͤffte/ ſo den Wein in ſuͤſſer Anmuth
uͤbertraffen. Auf dieſen Flaſchen ſtunden oben 14. Scheiben
von Gold und Silber/ in derer Mitten ein reiner Spiegel von
Chryſtall verſetzet/ welcher mit ſeinem hellen Schein die gantze
Aue durch glaͤntzete. Rings umber waren auch Schrifften/
welche anzeigeten/ was ein jeder Koͤnig fuͤr Nutzen und From̃en
dem Koͤnigreich geſchafft/ fuͤrnemlich die Jenige/ von welchen
dieſer Soldan Campſon entſproſſen. Auf etlichen erblickete man
ſonſt viel andere ſchoͤne Sachen/ von lieblicher Bildung.
Hundert Schritte ungefaͤhr von dieſer Credentz hatte man
die Hof-Kuͤche aufgeſchlagen/ und darinn das Eſſen auf man-
cherley ſeltzame Weiſe zugerichtet/ mit unbeſchreiblichem Fleiß.
Allda waren Leute geordnet/ die nichts anders/ dann nur ſtaͤts
Holtz unterlegeten/ und das Feuer ſchuͤreten; Andere aber dar-
auf beſchieden/ daß ſie das Feuer mit Butter und andern Feiſtig-
keiten begoſſen/ damit die Speiſen vom Rauch nicht unge-
ſch mack wuͤrden. Alle Koch-Speiſſen wurden mit Zucker/ Ro-
ſen-Waſſer/ und andern Specereyen/ aufs Lieblichſte gewuͤrtzet;
Jngleichem mit Mandeln/ Roſtnen/ Pigniolen/ oder Welſchen
Dahn-Zaͤpfflein/ auch ſonſt andern dieſer Orten nicht viel be-
kandten Fruͤchten mehr geſpicket/ oder gefuͤllet/ wovon die Koͤche
mancherley ſeltzame Geruͤchte reinlich und ſauber bereiteten.
Solcher auf Unterhaltung deß Feuers beſtelleter Leute zehlete
man/ ſamt den Koͤchen/ 200. Perſonen. Jhre Kleidung war
von reinem Scharlach/ hinten und vornen mit weiſſen Sternen
beſetzet. Jhnen war von allerband Raritaͤten und Delicateſſen
die Fuͤlle zur Hand geſchafft/ und unter andern zwar die ſeltzam-
ſten Voͤgel/ ſo in der Welt zu finden ſeyn moͤchten/ ingleichem
allerhand Wildpret.
Etliche groſſe Thiere wurden gantz in einem Stuck gebra-
ten/ und andere Kleinere hinein geſchoben/ welche gleichwol
allenthalben mit den Koͤpffen herfuͤr rageten. So hatte man
gleichfalls manchen groſſen Vogel mit kleinern gefuͤllet/ welche
ebener Maſſen die Koͤpffe herauß ſtecketen/ damit man eines
Jedwedern Geſchlecht gleich alſobald daran moͤchte erkennen.
Unter den Thieren fande man einen gewaltig groſſen Farren/
daran beydes Hoͤrner und Fuͤſſe noch gantz ſaſſen/ und allein die
Haut/ ſamt dem Eingewaͤyde/ weggenommen war/ am Brat-
Spieß
[1072]Deß Academiſchen
Spieß ſtecken. Die Hoͤrner waren uͤberguͤldet/ die Klauen mit
Silber uͤberzogen/ der Bauch mit mancherley Arten von Voͤ-
geln und Thieren gefuͤllet/ wie die hin und wieder herfuͤr gucken-
de Koͤpffe anzeigeten. Faſt auf denſelbigen Schlag/ wie zu Bo-
nonien in Welſchland geſchehen/ als Kaͤyſer Carl der V. vom
Papſt gekroͤnet worden/ auch ſonſt an anderer hohen Potenta-
ten Kroͤnungs-Feſten gebraͤuchlich iſt. Dieſes groſſe Egyptiſche
Thier aber ſteckete an einem großmaͤchtigen eyſernen Spieß/
das ſeine Raͤder/ und andere kuͤnſtlich-verborgene Gewerde
hatte/ vermittelſt deren es ſich ſelbſten/ ohne Menſchliche Huͤlffe/
ſtaͤts herum wendete. Von wegen der vielen kleinern Thieren/
ſo dem Ochſen einverleibet waren/ ſchien derſelbe ſo abentheuer-
lich-groß und ungeheuer/ daß der Soldan ſelbſt/ nebſt andern ſei-
nen Fuͤrſten und groſſen Herren/ dieſen Wunder-Braten zu be-
ſichtigen/ in die Kuͤchen kam/ und ſeine Verwunderung uͤber die-
ſen ſo maͤchtig-aufgeblaſenen Ochſen gnugſam blicken ließ. Ge-
ſtaltſam nicht allein alle gegenwaͤrtige/ zu ſolchem Banquet er-
bettene Fuͤrſten und Ritter/ ſondern auch die/ mit darzu geladene/
fremde Geſandten/ als deß Groß-Tuͤrcken/ deß Perſers/ Mo-
gols/ Abyſſiniſchen Koͤnigs/ Tartariſchen Chams/ und anderer
ſo wol Chriſt- als Un-Chriſtlicher und Heydniſcher Potenta-
ten/ oder ſolche Perſonen/ die an derſelben Hoͤfen vormahls ge-
dienet/ und bey dieſer Kuͤchen bald zu- bald abritten/ als ſie ſol-
chen herꝛlichen Pracht und Zubereitung derſelben geſehen/ ſich
hefftigſt verwundert/ und geſagt/ ſie achteten dieſe Kuͤche fuͤr die
Herꝛlichſte und Theureſte deß gantzen Erdbodens/ ſintemahl
man allda die wol-riechende koͤſtlich ſie Waſſer/ deßgleichen Zi-
beth/ Bieſem/ Ambra, Balſam/ und andere Mixturen roͤche und
ſchmeckete.
Nachdem endlich der Soldan mit den begleitenden Herren
und Fuͤrſten wiederum auß der Kuͤchen gangen/ fiengen die
Trompeten/ Poſaunen und Heer-Paucken an zu ſpielen/ und
erhub ſich ein ſolches Getummel/ ein ſolcher Lermen/ daß/ weil
das grobe Geſchuͤtz zugleich mit einander donnerte/ es nicht an-
ders ſchallete/ als ob der gantze Himmel/ mit allen ſeinen Blitz-
Strahlen und Wetter-Streichen wider den Erdboden in voller
Schlacht begriffen waͤre. So offt die Stuͤcke eine Salve gaben/
wurden gleich darauf tauſend Raquetlein angezuͤndet/ und ge-
worffen. Wie dieſes ungeſtuͤmme Freuden-Gewitter ſein Ende
hatte/ erhub ſich eine andere wunderbarliche Art von kleinen
Paucken und Trummeln/ biß der Soldan an den Ort gelanget/
wo
[1073]Romans II. Buch.
wo die Tafeln zubereitet waren/ da ſich alſobald eine neue Muſic
von allerhand ſeltzamen/ und wunderlich in einander geſtim̃ten
Inſtrumenten hoͤren ließ/ als von allerley Orgel Wercken/ und
anderm unterſchiedlichem Klingſpiel/ von Trompeten/ Pfeiffen/
Krum̃-Hoͤrnern/ Trummeln/ Geigen/ Pſaltern/ Harpffen/ Zin-
cken/ Cythern/ und ſonſt anderm bey uns nicht gebraͤuchlichem
Saͤytenſpiel.
Als nun der Soldan ſich oben an zur Tafelgeſetzet/ muſten
der Fuͤrſt auß Caramannien/ und der junge Printz von Cap-
padocia, neben ihm ſitzen/ welche Beyde von ihren Eltern an ſei-
nen Hof geſchickt waren/ ſich in ſeiner Koͤnigl. Huld zu conſer-
viren/ und etwan durch eine anſehnliche Heyrath mit ihm zu
befreunden. Ein wenig beſſer hinab ſaſſen/ der oberſte Herꝛ/
oder Statthalter von Damaſco, der Stadt-Oberſte von Tri-
poli, naͤchſt dieſen die andere groſſe Herren/ welche alleſamt deß
Soldans Vaſallen und Lehns-Verwandte/ in feiner Ordnung.
Nachdem alſo alle 4. Seiten der Tafeln wol beſetzet waren/ zeh-
lete man auf einer Jedweden 500. Gezelte/ und ſaſſen 2000.
Perſonen zur Tafel. Umher ſtunden gleichfalls biß in 2000.
fuͤrnehme Bediente und anſehnliche Leute zur Aufwartung/
ohne die ab- und zutrettende Diener/ derer Zweifels-frey auch
keine geringe Menge geweſen.
So bald alles geſetzt/ (oder vielmehr/ nach ſelbiger Landes-
Art gelagert/) hat der Herꝛ auß Damaſco dem Soldan ein groſ-
ſes guͤldenes Becken vorgehalten/ der Fuͤrſt auß Cappadocia
aber ihm Waſſer uͤber die Haͤnde gegoſſen/ auß einem ſtattlichen
Gießfaß von lauterm Gold/ welches mit allerley Edelgeſteinen
verſetzet/ und der Fuͤrſt auß Caramannia die Hand-Quehle ge-
reichet.
Nach dem Haͤnde-Waſchen/ credentzte ihm zufoderſt der
Fuͤrſt auß Lybien/ den er vorhin hatte zum Oberſten der Ge-
praͤnge und Ceremonien vorgeſetzet/ darvon er zwar geſſen/ was
ihm geſchmecket/ jedoch nichts noch genoſſen/ das nicht erſtlich
mit Zucker und mancherley ſchoͤn riechenden Waſſern beſtreuet/
oder beſprenget waͤre. Wann er ſeinen Theil zu ſich genom̃en/
hat er hernach die Speiſen den andern neben ihm ſitzenden Fuͤr-
ſten vorſchieben laſſen. Was er getruncken/ iſt allbereit oben
vermeldet.
Jndem er alſo uͤber der Tafel ſaß/ war Jedermann gantz
ſtill/ und gab den Muſicaliſchen Inſtrumenten Gehoͤr/ welche
aber/ nach gehaltener Mahlzeit/ durch den Herꝛn von Damaſco
Y y yvon
[1074]Deß Academiſchen
von der Tafel hinweg geſchafft/ und hiernaͤchſt allerley natuͤr-
liche Fruͤchte und Obſt aufgetragen. Alsdann hat man allererſt
angefangen uͤber der Tafel zu reden/ und zu ſprachen/ aber meh-
rentheils/ von der herꝛlichen Macht und Gewalt deß Soldans/
von den Syriſchen Geſchichten/ und ſelbigem gantzen Reich.
Hernach fiel auch etwas vor/ von dem vorgenommenen Zug wi-
der die Tuͤrcken/ wie die umligende Laͤnder fuͤr deſſen Einbruch
am beſten zu ſchirmen/ und ihm im Feld mit offentlicher
Schlacht-Ordnung vortheilhafftig zu begegnen? Solchem Ge-
ſpraͤch hat der Soldan mit Fleiß zugehoͤret/ und eines Jeden
Meynung darauß vermercket/ inſonderheit aber genaue Ach-
tung darauf gegeben/ welche mit ſeinem heimlichen Vorſatz
uͤbereinſtim̃ten/ oder nicht. Solches eines Jedweden Gutduͤn-
cken deſto gewiſſer zu erfahren/ hat er den Fuͤrſten auß Lybia an-
geſtifftet/ rund um die Taſeln her zu gehen/ und unvermerckt
aufzumercken. Dieſer verfuͤgete ſich hernach wieder zu ihm/
und zeigete an/ was ſie von bevorſtehendem Krieg handelten/
nemlich/ Se-Maj. muͤſten den Groß-Tuͤrcken nothwendig an-
greiffen/ und beſtreiten/ in Betrachtung/ daß die Tuͤrcken noch
niemahls ſich haͤtten in dero Landen feindlich laſſen antreffen/
ſolche Kuͤhnheit muͤſte geſtrafft ſeyn/ oder dieſe Fluth wuͤrde
tieffer einreiſſen. Worauf der Soldan kurtz geantwortet: Die
Zeit bringet Roſen! Alle gute Dinge wollen Weil und Gele-
genheit haben.
Wir muͤſſen aber von den Aufwaͤrtern auch einige Mel-
dung thun: Zwiſchen beyden Tafeln/ da man obberuͤhrte
Kuͤhl-Keſſel fand/ ſtunden in ſchoͤner Ordnung 300. Knaben/
alleſamt in Schnee-weiſſen Damaſtenen Kleidern/ mit Golo
durchſteppet/ ihre Hoſen waren mit gezogenem Gold verbre-
met/ und Tuͤrckiſchem Sammet unterzogen. Jn ihren Haͤn-
den hielten ſie groſſe guͤldene Schaalen/ Pocal/ und Becher/
eines hohen Werths. Etliche der andern Aufwarter diene-
ten auf mit andern guͤldenen Gefaͤſſen/ daran Hand. Griffe
waren. Unter beſagten Knaben ſahe man hundert/ deren
Jeder ein groſſes guͤldenes Becken von Gold oder Silber vor
ſich in den Haͤnden hatte/ darinn man uͤber der Tafel pflegete
Waſſer zu reichen/ und uͤber der Schulter ein herꝛliches Hand-
Tuch haͤngen/ ſo allenthalben mit Gold und ſeydenen Fran-
ſen beſetzet.
Noch andere 100. Knaben trugen dem Soldan Obſt und
Fruͤchte auf/ waren fuͤrnehmer Herren/ in ſeinen Landen und
Staͤdteu/
[1075]Romans II. Buch.
Staͤdten/ Kinder/ alle in guͤldenen Stuͤck gekleidet. Alles/
was dieſe am Leibe trugen/ das blinckte von Silber und
Gold/ außbenommen die Schuhe/ welche von Karmaſin-
Sammet waren/ darauf ein hell-funcklender Stern ſaß.
Abermahl andere hundert Perſonen/ ſo auf das Brodt ver-
ordnet/ traten auf/ in Leib-Roͤcken von weiſſem Sammet/
hinten und vornen uͤberall mit guͤldenen Sternen beſpickt.
Von der lincken Achſel ſtoltzierten ihnen guͤldene Ketten her-
unter/ und zogen ſich durch den rechten Arm hin. Etliche aber
trugen an ſtatt der Ketten Schnuͤre von Agtſtein um den
Halß.
Auf allen 4 Seiten der Tafeln/ ſtunden 400. alte/ graue/
anſehnliche und gravitaͤtiſche Maͤnner/ alleſamt mit langen
Schnee-weiſſen Baͤrten gezieret/ dieſelbe trugen Aufſicht/
daß nicht etwas auf der Tafel mangelte/ und ertheileten ei-
nem jedweden Diener Befehl/ was er thun oder laſſen ſolte.
Dieſe Ehr-wuͤrdige Alten/ welche gleichſam das Marſchalls-
Amt verſahen/ præſentirten ſich in ſehr groſſer Gravitaͤt/
und hoch-anſehnlichem Schmuck. Jedweder commandirte
mit einem Stab in der Hand/ ſtund in einer langen Schau-
ben/ ſo biß auf die Fuͤſſe reichte/ daran der Uberzug von gruͤ-
nem/ mit Gold-geſteptem Sammet/ der Unterzug aber von
Mardern war. Das Haupt deckten ſie mit einem Baret
von braunem Sammet/ mit Sternen umher geſtept/ und
mit einer Schnur außerleſener groſſer/ gewaltig-ſchoͤner
Perlen eingefaſſet. Der mehrere Theil hatte groſſe guͤldene
Ketten um den Halß/ daran herꝛlich-koſtbare Kleinodien
hiengen/ und um die Arme ſchoͤne Schnuͤre von Corall- und
Agtſtein/ ſehr hohen Werths.
Derer die das Eſſen zu Tiſch getragen/ ſind auf einer
Seiten der Tafel 100. geſtanden/ und einig und allein hierauf
beſcheiden/ daß ſie die Geruͤchte aufſetzen/ und herab hebten.
Die hatten alle Leib-Roͤcke von Karmaſin-Sammet/ hinten
und vornen mit guͤldenen Sternen beſtuͤckt. Jhre Hoſen wa-
ren von Aſch-farbenem Sammet/ mit Gold verbraͤmet/ dar-
auf etliche Buchſtaben Zieſer-Weiſe geſteppet/ ſo den Namen
ihres Herꝛn bedeuteten. Dieſe/ ob ſie gleich faſt alleſamt
bruͤſtig und erwachſene Geſellen waren/ warteten dannoch
ohne Biret mit bloſſem Haupt vor der Tafel auf/ trugen an
den Ohren uͤberauß groſſe Perlen/ und andere Edelgeſteine/
welche ihnen doch bey weitem keinen ſolchen zierlichen
Y y y 2Schmuck/
[1076]Deß Academiſchen
Schmuck gaben/ weder ihre ſelbſt-eigene Geſtalt/ dann es
waren alle außerwaͤhlt-ſchoͤne wolgebildete Juͤnglinge/ von
gerader/ groſſer/ und hoch-anſehnlicher Perſon/ faſt wie hal-
be Rieſen.
Der andern/ die das Eſſen auß der Kuͤche holeten/ ſind
gleichfalls 400. geweſen/ auf das Beſte gekleidet/ in gelb und
braun/ auf einer jeden Farbe ſaſſen Sterne von allerley Far-
ben. Doch kamen dieſe nicht bey die Tafel/ dann jene 400.
Juͤnglinge/ worvon jetzt geſaget/ haben die Speiſen von ih-
rer Hand genommen/ ehe ſie fuͤr die Tafeln gelanget/ und
dieſe von Jenen wiederum die ledige Schuͤſſeln/ ſo vordem
Soldan aufgehoben/ empfangen, um ſolche nach der Kuͤchen
zu tragen/ woſelbſt gewiſſe Leute veordnet geweſen/ die alſo-
bald das Gold- und Silberwerck an den Schuͤſſeln und Plat-
ten gereiniget/ und wiederum außgeputzet. Als Cavina
hiermit beſchloſſen/ da muſte ein Jeder bekennen/ daß dieſer
Soldan ein rechtes Pracht-Kind muͤſſe geweſen ſeyn.
Nachdem ſolcher Geſtalt das Hoch-Fuͤrſtl. Mahl
vollzogen/ wurden die beyden Verlobten zu Bette
gefuͤhret/ und darauf nahmen 2. Tage hernach Con-
dado und die Ubrigen ihren Abſchied von hinnen/
nachdem ſie den Printzen Alexium und ſeine Cruſada
von deß Tripolitaniſchen Baſſa Geld 5000. Kronen
verehret. Sie nahmen in deß Condado Schiff ihren
Lauff nach Turſis, welchen Ort ſie auch in 4. Wochen
gluͤcklich erreichten/ und weil der Eltern Conſens bald
erlanget ward/ hielte Condado mit der Lucretia, und
Parmenio mit der Taranta auch Beylager/ und tilge-
ten alſo die eingewurtzelte Feindſchafft ihrer Eltern
dardurch auf einmahl. Condado hat hernach allemahl
groſſe Penſion von dem Catholiſ. Koͤnig/ als Admi-
ral uͤber eine Eſquadre Kriegs-Schiffe zur See be-
kommen/ und ſeinen Namen im Mittellaͤndiſ. Meer
ſehr außgebreitet. Klingenfeld aber und die Ubrigen
verfuͤgten ſich mit der Zeit auch wieder zu den Jhri-
gen/ und machten alſo dieſen Academiſchen
Roman ein
ENDE.
Appendix A Regiſter der fuͤrnehmſten Sachen/
welche in dieſem Academiſchen Roman
zu finden ſeynd.
Appendix A.1 A.
- ABderamines ein unkeuſcher Menſch/ pag.1008.
Academien oder hohe Schulen/ ob es beſſer ſeye/
wann keine waͤren? 9. von ihrem Uhrſprung/ 11.
die zu Babel und Ninive/ 12. bey den Juden/ 12.
zu Abel/ 14. zu Salomons Zeiten/ ibid. bey den
alten Teutſchen/ 18. der Heyden/ 19. der Juden
nach der Babyloniſchen Gefaͤngnuͤß/ 22. warum
ſie geſtifftet worden/ 24. der Heyden ſollen von den
Juͤdiſchen entſproſſen ſeyn/ 19. ſeqq. in Teutſch-
land/ 151. ſeqq. auſſer Teutſchland/ 152. Kaͤy-
ſerl. Confirmation der zu Helmſtadt/ 156. zu Lun-
den in Schonen/ 153. in Franckreich/ 162. in
Jtalien/ 164. in Spanien/ 165. Ungeſchickte
werden offt daſelbſt creiret und belohnet/ 225.
welches aber ein rechter Diebſtahl/ 227. ſuͤnd-
und ſchaͤdlich/ 229. Gradus und Wuͤrden derſel-
ben/ 863. ihre Privilegien und Macht uͤber der
Studenten Verbrechen/ 888. etlicher Nationen
daſelbſten Freyheiten/ 890. - Academien oder Collegia gelehrter Leute/ beſonders
in jtalien/ 721. - Adrianus, Kaͤyſer/ hat ein fuͤrtrefflich Gedaͤchtnuͤß/
670. luſtige Geſchicht von demſelben/ 67. - Alexander M. hat den Poeten Pindarum hochgehal-
ten/ 718. wie auch deß Homeri Schrifften/ 727.
hat trefflich geſtudiret/ 725. - A[l]te/ denen ſtehet das Lernen auch wol an/ 732.
Y y y 3Alter
[[1078]]Regiſter aller
- Alter/ Exempel derer/ welche im Alter geſtudiret ha-
ben/ pag. 873. - Amtmann/ wird wegen ſeiner Unzucht geſtrafft/ 51.
ſeqq. - Amurath ein groſſer Liebhaber der Jagd/ 737.
- Antigonus ein Liebhaber der Studien/ 726. deſſen
Brieff an den Zenon/ ibid. - Ariſtoteles ſolle ſeine Weißheit von einem Juden ge-
lernet haben/ 20. - Artaxerxes Brieff wegen deß gelehrten Hippocrates,
727. deſſen Liebe zu den Gelehrten/ ibid. - Auferziehung junger Printzen/ wie ſie anzuſtellen/
742. ſeqq.
Appendix A.2 B.
- BAccalaureus was und wer? 867.
- Bacchanten wer/ 842.
- Banditen/ 131. 135. ſeqq.
- Banquet deß Egyptiſchen Sultans/ 1066.
- Baͤume ſo einen Hall oder Stimme von ſich geben/
198. - Betrug mit Betrug meiſterlich bezahlet/ 326.
- Bettler ihre Stuͤcklein/ 894. 899. Liſt eines zu
Gent/ 898. groſſes Mitleyden etlicher Perſonen
mit ihnen/ ibid. kluge Antwort eines Bettlers/
897. - Birck-Huͤhner wie ſie außgeſpaͤhet werden/ 741.
- Bonna Galeacii, Hertzogs in Maͤyland Wittib/ uͤber-
liſtet einen Secretarium,970. - Buͤcher/ ob die/ welche auß andern Buͤchern etwas
zuſammen tragen/ nur Compilatores zu neñen? 79.
ob und wiefern ſolches zu thun erlaubet ſey/ ibid.
Diſcurs von Buͤchern/ 807. werden theils wol be-
ſchencket/ 816. Liebhaber derſelben/ 817. 819.
vom rechten Gebrauch derſelben/ 817. Alphonſus
ein
[[1079]]merckwuͤrdigen Sachen.
ein groſſer Liebhaber derſelben/ 821. ſollen Zoll-frey
ſeyn/ laut eines Frantzoͤſiſchen Arreſts/ 910. con-
fiſcirte/ ibid. - Buchdruckerey/ wo ſolche ſolten angeſtellet werden/
909. - Buch-Haͤndler uͤbernehmen die Studenten/ ibid.
ihre Vortheile/ 910. - Buhlern und unzuͤchtige Stuͤcklein/ ſuch Venereus,
item, Liebes-Stuͤcklein und Studenten.
Appendix A.3 C.
- C. Jul. Cæſar wie hoch erdie Studien gehalten/ 728.
- Callmaͤuſer wer? 844. 857.
- Candidatus woher dieſer Name/ 864. Medicinæ ein
ſchlechter Lateiner/ 224. - Canterus ein gelehrter Knab/ 188.
- Caranuel ſtellet ſich einfaͤltig/ war aber ſehr gelehrt/
243. - Cato l[er]nete erſt im Alter/ 729.
- Cavin ein Student/ wird verfuͤhret/ 27. ſeqq.
- Cenſo[r]es Librorum was ſie betrachten ſollen/ 82.
- Cerebacchius ein Muſter eines unmaͤſſigen Studen-
tel/ 209. 179. ſeqq. u.a.w. antwortet mit lauter
Lcteiniſchen Verſen/ 209. gibt durch eſſen und
trncken ſich zu erkennen/ 957. - Chri[ſt]en/ ihr Anſehen bey dem groſſen Mogol/ 832.
- Chri[ſt]off Schmid/ ſonſten Kuͤnzel/ von Rothenacker/
einſelbſt-Gelehrter/ 654. - Colle[g]ia oder Zuſammenkunfften gelehrter Leute/ 72.
in [F]ranckreich/ ibid. der Frucht-bringenden Ge-
ſellchafft/ ibid. in Jtalien/ ibid. in Engelland/ 78.
Nauræ Curioſorum,81. - Comies Palatini, ob die/ ſo ſie mit einem Gradu ho-
nois begaben/ ſo gut/ als andere? 866. - Com[p]ilatores, welche mit Recht alſo zu nennen/ 79.
Y y y 4Con-
[[1080]]Regiſter aller
- Concilium zu Trient, deſſen Geſaͤtze wider die unwuͤr-
dige Wuͤrden der hohen Schulen/ 231. - Condado raͤyſet endlich nach vielen herumſchweiffen
wieder nach Hauß in Calabrien/ wird gefangen/
macht ſich aber wieder loß/ 896. ſeqq. mußhart
arbeiten/ und wird neben ſeinen Camerader ver-
theilet/ 1022. - Confiſcirte Buͤcher/ 910.
- Cujacius ein ſelbſt-Gelehrter/ 653.
- Cynea hat ein fuͤrtrefflich Gedaͤchtnuͤß gehabt/ 670.
- Cyrus hat ein herꝛliches Gedaͤchtnuͤß gehabt/ 670.
Appendix A.4 D.
- DAnckbarkeit gegen den Lehrmeiſtern/ 393. ſeqq.
gegen Chriſto/ als den beſten Lehrmeiſter/ 394. - Dauphin wird gelehrt/ 724.
- Demoſthenes der fuͤrtreffliche Redner bleibet tecken
in ſeiner Rede/ 677. - Deponiren ſo viel als Haͤnſeln/ 859. macht nicht ge-
ſchickt/ 843. - Diebs-Grifflein/ 258. ſuch auch Gaudiebe.
- Dinten-Freſſer wer? 844. 857.
- Dionylius hat den Plato hoch gehalten/ 718.
- Diſcipul, ſuch Lehrlinge.
- Diſcurs, ſuch Frage.
- Diſputanten/ was ſie zu beobachten/ 410. grobe 411.
unerfahrne und Exempla,413. 420. - Diſputation deß Cerebacchii de Jure Potandi, ſehr
laͤcherlich/ 975. ſeqq. - Doctor, was von einem erfordert werde/ 256. was
und wer? 869. - Doctorat, was fuͤr Ceremonien bey eines Juriſten
Doctorat fuͤrgehen/ 884. - Dohm-Herren bey den Evangeliſchen/ 494.
E. Echo
[[1081]]merckwuͤrdigen Sachen.
Appendix A.5 E.
- ECho/ wunderlicher zu Simonetta/ 199. zu Sy-
racuſa/ 201. zu Charenton/ 203. und anderswo
mehr/ 204. ſeqq. ſo ſich verlohren/ 203. - Ehebruch wird geſtrafft/ 51.
- Einbildige und Aufgeblaſene verachten gern andere/
419. - Examen, laͤcherliches eines Rectors/ 768.
Appendix A.6 F.
- FAlcken- und Raiger-Luſt/ 749.
- Falſche Spieler/ 747.
- Ferdinand/ Kaͤyſer/ deſſen hochloͤbl. Lebens-Art/ 737.
- Frage und Diſcurs, was einem fuͤrnehmen Menſchen
baß anſtehe/ die Exercitien und Staats-Sachen/
oder die Studien? 386. ſeqq. von denen/ welche die
Tugend-Schulen unter den Chriſten wol wiſſen/
aber dieſelbe nicht zu lernen begehren/ 387. ob es
beſſer ſeye/ von allen etwas/ oder eine Sache allein
vollſtaͤndig zu wiſſen? 437. wer in Strittigkeiten
der Gelehrten wol Richter ſeyn koͤnne? 443. ob
die Leſung der Buͤcher oder die lebendige Stimme
dienlicher ſeye andere zu unterrichten? 445. ſeqq.
wie die Studenten weyland gelebet/ 479. welches
am noͤthigſten ſeye zu Kuͤnſten zu gelangen/ ein
groſſer Verſtand oder groſſe Muͤhe? 510. woher
es komme/ daß die Menſchen nach verbottenen
Dingen ſo ſehr begierig ſeyen/ 529. welches beſſer
ſeye/ ein gutes Judicium und Verſtands-Urtheil/
oder eine gute Gedaͤchtnuͤß? 542. was an einer
Manns-Perſon mehr zu ſchaͤtzen/ ein fertiger Ver-
ſtand und gutes Judicium, oder eine unerſchrocke-
ne Hertzhafftigkeit? 561. ſeqq. ob es beſſer ſeye/
zu erſt oder zu letzt von einer Sache reden? 584.
Y y y 5ob
[[1082]]Regiſter aller
ob ein Reicher oder Armer geſchickter zum Studi-
ren? 625. ſeltzame Rechts-Fragen/ 682. Fanta-
ſtiſche/ pag. 862. - Freſſen und Sauffen/ darvon wird pro \& contra
diſcurriret/ 408. - Freſſer/ unterſchiedliche Exempel ſeltzamer/ 950.
- Freyheiten der Studenten/ 95. 97.
- Friderichs/ Kaͤyſers/ Brieff an Andreas Canter einen
ſehr gelehrten Knaben/ 188. - Fruchtbringender Geſellſchafft Anfang/ 72.
- Frauen/ gelehrte/ ſuch Weiber.
- Fuͤrnehmen Leuten/ ob das Studiren wol anſtehe? 724
- Furſt/ einer wil lieber das ſein Printz gehenckt/ als
ein Theologus werden ſolle/ 493.
Appendix A.7 G.
- GAudiebe/ 27. 43. ihre Stuͤcklein/ 30. ſeq. Hoch-
zeit und ſeltzame Poſſen/ 33. ihre Degen-Maͤn-
ner/ 48. - Gedaͤchtnuͤß iſt ein herꝛlicher Schatz/ 666. Exempel
derer/ welche ein fuͤrtrefflich Gedaͤchtnuͤß gehabt/
670. ſ.871. 875. kan bald Schaden leyden/ 674.
676. Exempel hiervon/ 675. derer/ ſo ein ſchwa-
ches Gedaͤchtnuͤß gehabt/ 676. Schroͤcken und
Entſetzen iſt ihr ſehr ſchaͤdlich/ ibid. derſelben kan
geholffen werden/ 677. 877. Unterſcheid zwiſchen
der Gedaͤchtnuͤß und Reminiſcens oder Wieder-
gedaͤchtnuͤß und Erinnerung/ 679. - Gefaͤngnuͤß wie ein Ohr formirt/ 201.
- Gefangene ſind boͤß/ empfangen doch viel Allmoſen/
1041. - Geitziger/ Grab-Schrifft deſſelben/ 775.
- Gelehrte/ ob ſie den Tapffern und Kriegs-Leuten fuͤr-
zuziehen? 702. ſtellen ſich offt einfaͤltig/ 241.
Exempel derer/ ſo von ſich ſelbſt gelehrt worden/
653.
[[1083]]merckwuͤrdigen Sachen.
653. ſeynd von hohen Herren hochgehalten wor-
den/ 717. 721. auch nach ihrem Tod/ 722. wie
auch dero Schrifften/ 721. - Generalen und Kriegs-Verſtaͤndige/ ſo gelehrt/ 725.
- Geſpenſt/ ſehr laͤcherlich/ 1035.
- Gleichheit/ Exempel Zweyer welche einander gantz
gleich geweſen/ 303. - Geſicht/ eines Dieners/ der ſeinen Herꝛn in der Stu-
ben geſehen/ da er doch zu Bette lag/ 368. welches
ein groſſes Ungluͤck bedeutete/ ibid. - Grab Schrifft eines Schwelgers/ 450. eines Geitzi-
tzigen/ 775. eines naſſen Bruders/ 772. - Gradus oder Wuͤrden auf hohen Schulen/ 863. ſeq.
werden offt Ungeſchickten mitgetheilet/ 865. - Grammatici Puri, ihre artliche Beſchreibung/ 848.
- Gymnaſia, der Fuͤrnehmſten etliche/ 167.
Appendix A.8 H.
- Haͤnßlen was? 859.
- Hagemann ein Teutſcher Kauffmann und deſſen
Begebnuͤß/ 126. - Hahnreyen-Orden/ 139.
- Hall oder Thon/ wie er in einem Bild koͤnne gemacht
und erwecket werden/ 94. - Herren/ groſſe/ wie ferne ſie ſich der Jagd ergeben
ſollen/ 736. - Hertz/ Exempel derer ihr Hertz rauh haͤrig geweſen/
567. - Hertzhafftigkeit/ ob ſie dem Verſtand oder Judicio
vorzuziehen/ 561. ſeq. was ſie ſeye? 565. - Hippocrates ward ſehr hochgehalten/ 727.
- Hohe Schulen/ ſuch Academien.
- Homerus und deſſen Schrifften werden hochgehal-
ten/ 727. von Alexander M.720. wie auch deß
Ariſtotelis,728.
Hoſen-
[[1084]]Regiſter aller
- Hoſen-Poſſen deß Trolls/ 902. ſeqq.
- Huren-Liebe/ wider dieſelbe/ 137.
Appendix A.9 J.
- JAcobus Koͤnig in Engelland/ ſoll von Natur keinen
blancken Degen haben ſehen koͤnnen/ 735. war-
um? ibid. - Jagen/ wie weit ſich groſſe Herren demſelben ergeben
ſollen/ 734. Liebhaber deſſelben/ 737. iſt offt
ſchaͤdlich geweſen/ 739. - Jeſuiter/ wie viel Collegia, Reſidentien und Haͤuſer
derſelben im Anfang dieſes Seculi geweſen/ 167. - Judicium oder Beurtheilungs-Krafft wird herauß
geſtrichen/ 568. - Jungfern/ Brieff an eine hochmuͤthige/ und Antwort
derſelben/ 609. eine ſtoltze wird haͤßlich betrogen/
261. die Lateiniſch verſtanden/ 276. ſeqq. - Juͤngling/ ſo ſehr gelehrt/ 870.
- Juriſt/ wie lang ein Studioſus Juris ſtudiren ſolle/ biß
er den Gradum Doctoratus erlangen koͤnne/ 883.
wie neue Studioſi Juris genennet werden/ ibid. ihr
Examen, ibid. Ceremonien bey ihrem Doctorat, ib
Appendix A.10 K.
- KEuſch heit/ Caroli VIII. Koͤnigs in Franckreich/ 1010.
- Kind-Betterin/ unter den Barbarn wol gehalten/ 1006.
- Kirchen-Raͤuber und Verderber werden geſtraffet/ 833. Exem-
pel derer/ welche gern und offt/ oder wenig darein gehen/ 834.
werden von den Japoneſern zu Luſt-Haͤuſern mißbrauchet/
837. ſollen uns zu allem Guten anmahnen/ wie den Kaͤyſer
Otto,838. bauen die Chriſten nicht gern/ 830. bie zu Conſtan-
tinopel/ ibid. Epheſo/ und ihre Verwuͤſtung/ 831. die Chriſten
halten ſie nicht rein und ſauber/ 833. - Klingenfeld/ ein Student/ und deſſen ſeltzame Begebnuͤſſe/ 1. ſqq.
bat mit einem ſtoltzen Eyſenfreſſer zu thun/ 7. wird nach vie-
lem Herumſchweiffen in einem See-Gefechte gefangen/ 990.
wird von einem Aga einem Wund-Artzt untergeben 991. bittet
vergebens um ſeine Freyheit/ 992. uͤber ihn wird eine Actio
Juris angeſtellet/ aber durch einen Duell decidiret/ 993. ſeq.
wird
[[1085]]merckwuͤrdigen Sachen.
wird durch Hagemann erloͤſet/ und fordert den Corſaren
auß 1001. offenbaret dem Baſſa ſeinen Stand/ 1003. gehet
nach Alexandretta zu Schiff/ 1004. - Koſtgaͤnger/ ſo wunderlich verlohren/ und wieder gefunden
worden/ 646. - Kriegs-Helden und tapfferer Maͤnner Exempla,711. ſeqq. Ver-
ſtaͤndige/ ſo gelebrt/ 725. ſeqq. - Kronen/ unterſchiedliche Arten derſelben bey den Roͤmern/ ſamt
den Exempeln/ welche ſie darmit deſchencket/ 705. wer am
meiſten derſelben bekommen/ 711. - Kuͤnſten und Wiſſenſchafften ſtehen Fuͤrnehmen auch wol an/
724. Exempel hiervon/ ibid. - Kunſt-Kammern/ wo dieſelben da und dorten zu finden/ 59.
- Kuͤnzel/ Bauer von Rotten Acker/ ein Selbſt Gelehrter/ 854.
Appendix A.11 L.
- LAnd/ ein jegliches Land hat ſein beſonders Laſter in ſich/ 145.
- Laſter/ eines jeglichen Landes beſonders/ 145.
- Lehrlinge/ oder Diſcipul, ihre Danckbarkeit gegen ihren Lehr-
meiſtern/ 393. ihre Undanckbarkeit/ 394. ihr Gehorſam auch
lange Zeit nach den Lehr-Jahren/ 395. - Lehrmeiſter/ Danck und Undanck gegen denſelben/ 393. 394. Ge-
horſam gegen denſelben lange Zeit nach den Lehr-Jahren/ 395. - Lehrer und Prediger gelten heut zu Tag nicht ſo viel mehr/ als
weyland Ambroſius,832. - Leich-Abdanckungen/ ſo ſeltzam/ 765. 781.
- LEOPOLDUS I. deſſen Gelehrtheit/ 724.
- Licentiaten/ was/ 869. ſeynd zweyerley/ ibid.
- Liebes-Begebenheit zu Orleans,322.
- Li [...] deß Venerei, Brandtenwein im Gefaͤngnuͤß zu bekom̃en/ 102.
- Lucius Dentatus, ein Muſter eines tapffern Kriegs Heldens/ 711.
- Lunden/ hobe Schul in Schonen/ und derer Anfang/ 153.
- Luſt zu dem Lehrnen/ Exempel hiervon/ 389. ſeqq. auch etlicher
im hohen Alter/ 391.
Appendix A.12 M.
- MAgiſter, was und wer/ 868.
- Mantel-Tauſch eines reichen Kanffmanns mit einem Bett-
ler/ 898. - Memnons-Bildnuͤß gibt einen Muſicaliſchen Hall von ſich/ 194.
wie ſolcher konne gemachet werden/ ibid. - Meſſer-Sch[l]ucker/ 953.
- Muretus, ein Seibſt-Gelehrter/ 653.
Appendix A.13 O.
- O[H]r/ Kunſt-Ohr oder Gefaͤngnuͤß zu Syracuſa, in Geſtalt ei-
lies Ohrs/ worinnen ein merckwuͤrdiger Echo,209.
Olearii
[[1086]]Regiſter aller
- Olearii Raͤyß-Beſchreibung/ deſſen Kupffer von Venereo er-
klaͤret/ 1028.
Appendix A.14 P.
- PApſt Clemens deß VII. Geld-Fiſcherey/ 495. viere von den
Paͤpſten ſeynd Doctores Juris geweſen/ 866. - Pariß/ die hohe Schul daſelbſten/ 162. verſchiedene Tumulren
alldorten/ ibid. - Paß/ eines Frantzoͤſiſchen Capitains hilfft nicht/ 1018. ſeq.
- Paſtete/ ſtatt derſelben wird ein Kind weggenommen/ 379.
- Patina, eine gelehrte Jungfer zu Padua,270.
- Pedanten und ungeſchickte Lehrmeiſter/ 854. ſeq. einer wird wol
bezahlet/ 836. - Pedellen/ wer und ihr Amt/ 910.
- Pennaliſmus wird in etwas beſchrieden/ 914. deſſen Abſch[a]f-
fungs-Formul zu Jena/ 915. zu Gieſſen/ 932. - Peſtilentz/ wunderliche Cur darwider/ und merckwuͤrdige Verſe
hiervon/ 146. ſeq. - Pferd/ ſo Geld hoſteret/ ſ.v.905. Troll reitet einem Fuhrmann
ſolches hinweg/ 908. - Philippus, Vatter Alexandri M. warum er den Goͤttern gedan-
cket/ 725. - Philoſophi, ungeſchickte/ 854.
- Philoſophia Experimentalis,77.
- Pica, oder ſchwangere Luſt/ Exempel/ 954.
- Pindarus iſt hoch geachtetworden/ 718.
- P[lu]to iſt hoch gebalten worden/ 718. in den Juͤdiſchen Geſetzen
umgethan geweſen/ 20. - Pompejus M. ehrete den Poſidonium hoch/ 717.
- Poſidonius wird hoch gehalten/ 717.
- Præceptores, ſuch Lehrmeiſter. Prediger/ ſuch Lehrer.
- Privilegien der Studenten/ 97. 885. der Vexation halber/ 912. ſ.
- Profeſſor, welcher 20. Jahr uͤber das 1. Cap. Eſaiæ geleſen/ 829.
ſind unterſchiedliche derſelben/ 839. - Promotiones Academicæ poſſierliche/ 965. ſeq.
- Pythagoras ſoll ein gehohrner Jud geweſen ſeyn/ 19. deſſen
Schule/ ibid. 389.
Appendix A.15 R.
- REctor und Pro-Rector, was auf hohen Schulen/ 848. ihr
Amt/ Macht und Wuͤrde/ 841. ſeq. - Rechts-Gelehrten/ ſuch Juriſten.
- Reden/ Bilder/ ſo gleichſam reden kunten/ 194. Steine und
Thuͤrne deß gleichen/ 196. ſeq. - Redlichkeit/ ein Lied darvon/ 923. wird auch unter den Barbarn
und Heyden gefunden/ Exempel hiervon/ 1004. ſeq.
Redner/
[[1087]]merckwuͤrdigen Sachen.
- Redner/ ſtattliche ſeynd auch ſtecken geblieben/ 677.
- Regierung/ angemaſſete Tyranniſche thut nicht lang gut/ 638.
wird an Chriſtierno II. erwieſen/ ibid. an Erico,942. - Ring/ Diſcurs von ſolchen/ 1051. ſeqq.
- Roͤmer/ haben ihre tapffete Soldaten geehret und gekroͤnet/ 783.
- Romana, ein Muſter eines verſchlagenen Weibes-Bildes/ 264.
Appendix A.16 S.
- SChmidt/ raͤchet ſich an einem Studenten/ 325.
- Schoͤuickel gibt der Stadt Leipzig eine betruͤgliche Caval-
liers-Parole,972. - Schule/ groffe Ungiuͤckſeeligkeit/ wo keine ſind/ 386. in die Tu-
gend-Schule geben wenig/ 387. Hohe/ ſuch Academien. - Schul-Fuͤchſe/ was und wer/ 844. ſeqq.857.
- Schulmeiſter/ die gerne darein ſchlagen/ 846. 857.
- Scipio hat ein fuͤrtrefflich Gedaͤchtnuͤß gehabt/ 570. deſſen Hoͤf-
lichkeit/ 1008. - Simel/ wer der geweſen/ deſſen Zach. XII,13. gedacht wird/ 22.
- Simonides, deſſen fuͤrtrefflich Gedaͤchtnuͤß/ 678.
- Soldaten/ wie ſie bey den Roͤmern gehalten worden/ 715. wie die
Feige geſtraffet worden/ 715. - Staͤdte/ allwo Studenten ſich aufhalten/ ſind gluͤckſeelig wor-
den/ 96. - Staͤrcke/ Potocovii,970.
- Stipendia, wie es mit denſelben daher gehe/ 190.
- Straffen/ ſo der Geſellſchafft/ als Sclaven/ angethan worden/
1019. deter/ ſo ſich bey den Roͤmern im Krieg nicht wol gehal-
ten/ 715. ſeq. auf Waſſer und Brodt/ 1033. - Steine/ ſo gleichſam haben reden koͤnnen/ 196.
- Studenten/ ſeynd weyland zu den Fuͤſſen ihrer Lehrer geſeffen/ 23
ſeynd ſchon von Rebucad Nezar mit gnaͤdigen Augen angeſe-
hen worden/ 95. dero alte Freyheiten/ ibid. andere ibid. ſeqq.
ihre Tumulten zu Pariß/ 162. wie ſie ſich verhalten ſollen 184
Tugend hat ſie jederzeit befoͤrdert/ 186. Formul ihres Eydes/
den ſie ſchwoͤren muͤſſen/ 300. Poſſen/ wegen Gleichheit zweyer
derſelben/ 303. einer wird ein Falſchſpieler/ 311. Buhlſchafft/ ſo
uͤbel abgelauffen/ 322. ſeqq.326. 349. 350. eines Liſt/ Geld zu
practiciren/ 353. dieben ein Schwein liſtiglich/ 354. ihre Haͤn-
del und Schlaͤgereyen/ 357. ſ. Begebnuͤß zwiſchen einem Com-
mendanten und ihnen/ 361. eines Magnifici und ihnen/ 365.
Duelliren/ 366. Buhler-Poſſen/ 369. 380. unzuͤchtige/ 370. 376
ihr Promoviren/ oder Stehlen/ 379. Arme ſollen unterhalten
werden/ 425. Straffe/ die ſolches unterlaffen/ 265. halten ſind
offt ſchlecht auf hohen Schulen/ 464. Arme thun offt mehr
gut/
[[1088]]Regiſter aller merckw. Sachen.
gut/ als Reiche/ 465. wie ſie weyland in allen 4. Facultaͤten ge-
lebet/ 479. Gebett eines/ der eine hoͤhere Facultaͤt antretten
wil/ 486. woher ſie ihren Namen haben/ 842. was von einem
erfordert werde/ 860. ſollen fleiſſig ſeyn/ aber nicht nur zum
Schein wie Jener/ 861. ihre naͤchtliche Haͤndel/ 960. fordern
den Klingenfeld auß/ 961. wie es abgelauffen/ ib. ſ. Schmauß/
662. Nacht-Muſic.963. Melancholie uͤber ſeine Liebſte/ 964.
Jungen/ und Klag uͤber ſie 913. Studiren/ Exempel derer/
ſo ſpat darzu kommen/ 393.
Appendix A.17 T.
- TEmpel/ ſuch Kirchen. Teutſche/ ſo etwas auß den Buͤchern
zuſam̃en tragen/ ob ſie von den Engellaͤndern deß wegen mit
Recht Compilatores genennet werden? 79. werden von andern
Teutſchen verachtet/ 81. Theologie, die ſtudiren offt die Unge-
ſchickteſte/ 489. 495. derer ſchaͤmen ſich die Hohe bey den Evange-
liſchen/ anders/ als bey den Roͤmiſch-Catholiſchen geſchiehet/ 491.
Exempel hiervon/ 493. Thiere/ was Gutes man von denſelben
lehrnen koͤnne/ 659. Traum/ ein nachdencklicher/ ſo erfuͤllet wor-
den/ 368. Troll/ ein Ebentheuerlicher Kund/ und wie ſeltzam er
zu Klingenfeld kom̃en/ 84. ſ. deſſen laͤcherliche Vertheidigung ſei-
nes Herꝛn/ deß Pr. von Turſis,110. macht dem Cerebacchio eines
an/ 249. wird mit baarer Muͤntze bezahlet/ 317 ſeine Ankunfft uñ
Auferziehung/ 466. geraͤth unter ſchlim̃e Purſch/ 747 wird wun-
derlich ein Rector,767. deſſen poſſierliche Sermonen/ 765. No-
menclatur-Buch/ ſamt andern ſeltzamen Authoribus,473. ſ. fer-
nere ſeltzame Begebenheiten/ 483. ſ. ſeine Poſſen vor dem Richter
zu Baſel/ 944. Cavina defendiret ihn/ 947. deſſen Handel wird an
den Rectorem Magnificum temittiret/ 948. Haͤndel mit einem
Corporal,1030. Tuͤrcken halten ihre Moſcheen oder Kirchen
heiliger und reiner als die Chriſten/ 833. 837. Turſis, der Printz
wird endlich erkandt/ 12 [...] deſſen Geſchicht zwiſchen ſeinem Ge-
ſchlecht und dem Trepalda,397. Tugend/ iſt den Studenten
befoͤrderlich/ 186. in dieſe Schul gehen wenig/ 387. Tyranney/
ſo grauſamlich geſtrafft werden/ und Exempel hiervon/ 1013. ſq.
Appendix A.18 V.
- Vantenay/ deſſen Liebes-Begebnuͤß/ 553. Venereus/ ein Muſter eines
Buhleriſ. Studentens/ 434. 499. 514. u.a.w. Virgilius/ der Poet/ wird
hoch gehalten/ 718. Vngelehrte werden aufhohen Schulen befoͤrdert/ 225.
ſeynd dem gemeinem Weſen ſehr ſchaͤdlich/ 229. anderer Meynung beſtaͤtti-
get ſolches/ 231. W. Weiber und Weibes-Perſonen/ ſo gelehrt geweſen/ 278.
an verſchiedenen Orten/ 28 [...]. wer ſie alle uͤbertroffen/ 292. werden ziemlich
durchhaͤchelt/ 603. ob ſie edler/ als die Maͤnner/ ib. werden vertheidiget/ 605.
Wuͤrth/ ein Liſtiger/ machet ſich bezahlet/ 348. X. Xenophon/ wie er ein ge-
lehrter Mann worden/ 286. Z. Zacharias/ der Prophet/ c. 12/ 13. erklaͤret/ 21.
Appendix B Nota:
Der guͤnſtige Leſer wolle p. 22 l. 8. zu dem 12. Cap. Zach. den 13. Vers
leſen/ als: Das Geſchlecht Simet beſonders/ und ihre Weiber beſonders.
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- TextGrid Repository (2025). Happel, Eberhard Werner. Der Academische Roman. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq9f.0