und zur Warnung
fuͤr Eltern und ſtudierende Juͤnglinge
herausgegeben.
Ein Beitrag zur Charakteriſtik der Univerſitaͤten in Deutſchland.
bei Michaelis und Bispink.
1792.
Erſtes Kapitel.
Amicus certus in re incerta cernitur.
„Weißt was neues, Herr Bruder?“ ſchrie
ich, als ich einige Tage nach meinem Un-
fall in das Zimmer des Barons F... trat:
„In meinem Lande iſts alle: werd nimmermehr
Pfaffe!“
Baron: Da iſt denn auch kein groß Ungluͤck
geſchehen! Kannſt ja ſonſt was werden!
Ich: Ja, was denn? — In der Kurpfalz
hab ich mich verſchandlappt. —
Baron: Nun, was haſt du denn angeſtellt?
Haſt doch nicht gemordet? — Und Huren, Sau-
fen und Spektakeln wird da nicht hochgerechnet!
Ich: Sieh, ich habe mit dem Kandidaten
Hundel in Korreſpondenz geſtanden, und hab da
manchen Beitrag fuͤr ſein Buch geliefert, das her-
nach iſt konfiſcirt worden. Hundel ſelbſt hat ſich
muͤſſen ſkiſſiren, wenn er dem Galgen, oder doch
ewiger Gefaͤngnißſtrafe entgehen wollte.
Zweiter Theil. A
[2]
Baron: Haſt Recht! in Kurpfalz kommſt,
hols der Teufel, nicht an! da moͤgen ſie keine Leute
haben, die ihnen auf den Magen ſehen: wuͤrdeſt
nicht 'n Nachtwaͤchterdienſt kriegen! —
Ich: Und in meinem Lande verfolgt mich der
Adminiſtrator von Zwirnlein. —
Baron: Von Zwirnlein? — Ach, der neu-
gebackne Edelmann! Hoͤre Bruder, ſo 'n Adel, wie
der, — ſoll nichts gelten. Unſer Adel, ſchau, das
iſt 'n Adel! Vor 300 Jahren waren ſchon F...
Domherren hier, zu Koͤlln, zu Worms, zu Speier
und an mehr Stiftern. Einer aus unſrer Familie
war Biſchof zu Wuͤrzburg, und ein Andrer, Biſchof
zu Speier und noch ein Andrer, Abt zu Fulda.
Schau, Bruͤderchen, das iſt ein Adel a). Aber
[3] ſo 'ne neue Nobleſſe iſt nicht werth, daß man ſie
nennt.
Ich: Du haͤlſt alſo nichts auf neuen Adel?
Baron: Nicht eine taube Haſelnuß. Schau
an, wir ſind gute Freunde: du biſt buͤrgerlich, und
ich bin ſtiftsmuͤßig. Das thut aber nichts: ich bin
dir gut, und habe keine Schande von deinem Um-
gang. Aber wenn ich mit einem neuen Edelmann
konverſiren, und Freundſchaft machen wollte: mein
Seel! unſer ganzer Stiftsadel wuͤrde ſich daruͤber
mokiren. Aber wieder auf dich zu kommen: was
willſt du nun anfangen?
Ich: Das weis ich ſelbſt nicht.
Baron: Hoͤr' Bruder! du warteſt auf die
Pfarre in Franken: bleibſt aber indeß bei mir, und
lachſt den Herrn von Zwirnlein und ſeinen Anhang
aus: haſt mich verſtanden?
Ich: O ja: aber wie ſollte ich —
Baron: Davon ſchweige mir. Ich will kei-
ne Komplimente: bin ein ehrlicher Kerl, und meyn's
hol mich der Teufel, gut mit dir! Schau, ich reiſe
naͤchſtens nach Strasburg: du gehſt mit, und da
a)
[4] wollen wir alle Grillen vergeſſen, und ſo luſtig le-
ben, wie die Voͤgel im Hanfſaamen!
Auf dieſe Art hatte ich alſo einen Freund in
meinem F... gefunden, der mir Aufenthalt gab,
daß ich nicht noͤthig hatte, meinem Vater durch mei-
ne Gegenwart noch truͤbere Tage zu machen, als er
wuͤrklich ſchon erlebte. Ich blieb indeſſen doch nicht
beſtaͤndig in Mainz; und wenn ich in dieſer Stadt
auch war, ſo blieb ich nicht immer in dem Hauſe des
Barons. Ich hatte mehrere Bekannte: der Vater
meines Schoͤnburgs, der Aſſeſſor Schaz, ein In-
genieur Philippſon, und mehr Andre gaben ſich
alle Muͤhe, mich aufzuheitern, wenn ich manch-
mal — das doch nur ſelten geſchahe — weniger
leichtſinnig uͤber meine fatale Lage nachdachte.
Waͤhrend dieſer Zeit erhielt ich einen Brief vom
Blumernwirth Schmid zu Gundersblum, der voll
Enthuſiasmus war. Man habe, hieß es, gehoͤrt,
daß man mir die Kanzel verboten und alle Hoffnung
zu einer Verſorgung genommen haͤtte. Das Ding
habe meine Freunde in Gundersblum, namentlich
den Major von Goldenberg, den Wirth Bech-
tel, und ihn, den Hrn. Schmid, ſo ſehr geaͤrgert,
daß ſie beſchloſſen haͤtten, ſich meiner anzunehmen:
ich ſollte nur kommen, man wuͤrde mir ſchon Mittel
angeben, den Schaden zu erſetzen, und meine Fein-
de auszulachen u. ſ. w.
[5]
Die Bitte, bald zu kommen, war ſo dringend
gemacht, daß ich gleich den andern Tag von Mainz
aus nach Gundersblum ging. Ich hatte nur fuͤnf
Stunden. Schmid empfing mich mit der lebhafte-
ſten Theilnahme an meinem widrigen Schickſale und
mit tauſend Fluͤchen gegen alle, die mich meiner und
ſeiner Meynung nach gedruͤckt haͤtten. Ich ſollte
ſehen, ſagte er, wie man ſich hier meiner annehmen
wuͤrde: er wiſſe, daß mein Vater mir beinahe ſein
Haus verboten, und mich gleichſam fortgejagt haͤtte:
aber hier in Gundersblum faͤnde ich alles, was ich
wuͤnſchen koͤnnte. Zufoͤrderſt haͤtte der Major dafuͤr
geſorgt, daß ich in Gundersblum bei ihm wohnen
koͤnnte, bis ſich etwas fuͤr mich ergeben wuͤrde: ich
faͤnde da guten Tiſch, rechten Wein und ein feines
Logis. — Das Ding gefiel mir ſchon nicht recht:
lieber waͤre ich bei meinem Baron zu Mainz, als
in Gundersblum geblieben. Der Major war zwar
ein ehrlicher braver Mann, ohne Stolz und ohne
Grobheit; aber an Jahren waren wir zu weit von
einander, als daß wir haͤtten Vertraute werden koͤn-
nen: und Vertraulichkeit habe ich immer geſucht,
habe ſie ſogar oft fuͤr Freundſchaft gehalten, und
mich dabei gar haͤßlich betrogen. Dem ohngeachtet
ging ich zum Major, welcher mich aufs beſte bewill-
kommte, und von dem Herrn von Zwirnlein eben
nicht mit Achtung redete.
[6]
„Sie ſollen bei mir bleiben, fuhr er fort, und
bei mir alles finden, was Sie verlangen: gut Eſſen,
derb naͤmlich, aber wenig Gerichte: guten Wein,
Gunderblumer naͤmlich, und das in vollem Maaße,
ſo viel in den Bauch hinein geht, und eine gute
Pfeiffe Toback. Aber da Sie das Ding wol nicht
werden umſonſt haben wollen, ſo uͤbernehmen Sie
meine Jagd, und beſorgen meinen Keller, und leh-
ren meine Maͤdel ein biſſel Franzoͤſiſch und auf der
Landkarte. Wollen Sie das, mein Lieber?“ —
Ich ſchlug ein, und war froh, daß ich mich an ei-
nem fremden Orte bequem aufhalten konnte, ohne
meinen Wohlthaͤtern laͤſtig zu ſeyn.
Ich war alſo freiherrlicher Jaͤger, Sprachleh-
rer und Oberkellermeiſter. Letztere Stelle war frei-
lich beſſer und minder beſchwerlich, als erſtere; doch
muß ichs ſelbſt von mir ruͤhmen, daß ich auch dieſes
Aemtchen mit vieler Treue verſehen habe — viel-
leicht blos deswegen, weil ich keine Nothwendigkeit
vor mir ſahe, meine Pflicht zu verletzen. Ich habe
oft nachgedacht, warum ich zu einer Zeit faͤhig war,
Lumpenſtreiche auszuuͤben, die ich zu einer andern
fuͤr keinen Preis wuͤrde gethan haben. Ich kann
mir noch nicht alles erklaͤren; aber dieſe Betrachtung
machet mich aͤußerſt nachgiebig gegen Andre, beſon-
ders gegen ſolche, welche aus Zerruͤttung ihrer oͤkono-
miſchen Umſtaͤnde pflichtwidrig zu handeln genoͤthigt
[7] werden. Schwer iſt es, wider Leidenſchaften zu pre-
digen, und die Regeln der Vernunft da gelten zu
machen, wo das Blut in Gaͤhrung iſt; aber noch
ſchwerer iſt dieſes da, wo der Mangel zu ſchlechten
Handlungen antreibt.
Ich ſchrieb meinem lieben Baron meine neue
Station, welcher ſehr unzufrieden damit war, und
mich blos unter der Bedingung da bleiben ließ, daß
ich ihn woͤchentlich einmal beſuchen ſollte. Mein
Vater gab ſeine Einwilligung leicht, und ermahnte
mich im fluͤchtigſten Ton von der Welt, eine ordent-
lichere Lebensart anzufangen. Ich denke, der gute
Mann that das nur ſo zum Scheine, weil er glaub-
te, es ſey doch jede ernſthafte Ermahnung an mir
verlohren. Wie wehe das einem Vater thun muß!
Meine Geſchaͤfte betrieb ich Anfangs ſehr aͤmſig.
Ich ließ mir einen gruͤnlichen Ueberrock machen,
den ich noch in Halle getragen habe, und den der
Aufwaͤrter in D. Semlers Haus erſt vor zwei Jah-
ren voͤllig aufgerieben hat: kaufte mir einen runden
Hut, welchen ich mit einer goldnen Borde auszieren
ließ: und in dieſem Ornate ging ich tagtaͤglich auf
die Jagd. Die Titulaturen Vikarius und Kan-
didat verbat ich mir uͤberall, indem ſie mich alle-
mal an meine Fatalitaͤten erinnerten. Ich kann eben
darum noch nicht begreifen, wie manche abgedankte
Officire und Beamte ihre Titulaturen ſo eifrig ſuchen
[8] aufrecht zu erhalten, da es doch ſehr oft eine Art
von Vorwurf fuͤr ſie iſt, wenn man ſie noch ſo
nennt, wie man in ihrem Dienſte ſie nannte.
Das Ding mit meiner Jaͤgerey machte Aufſe-
hen, und es fing an zu ſcheinen, als wenn ſelbſt Hr.
von Zwirnlein, eben die Metamorphoſe aus einem
Kandidaten in einen Jaͤger nicht haͤtte haben wol-
[...] denn der Sekretaͤr Schloſſer ſchrieb an meinen
Vater: meine Lage koͤnne immer noch verbeſſert wer-
den: ich muͤßte nur eine Supplik eingeben, huͤbſch
pater peccavi ſagen, und hernach von neuem Ge-
horſam verſprechen: alsdann wuͤrde alles ſchon gut
gehen. Allein das war mir erſtlich nicht gelegen,
und meine uͤbrigen Zerſtreuungen verhinderten vol-
lends alles.
Ich muß doch einiges von meinen Jaͤgerge-
ſchichten anfuͤhren.
Wir hatten die Jagd in Gundersblum, wo
ein gewiſſer Herr von B... wohnte b). Dieſer
[9] B... hatte einen Hund, welcher vor Hunger
fremde Kuͤchen beſuchte, und unter andern unſre
Jagden durchſtrich. Ich erfuhr das Ding, und
ermahnte, oder ließ vielmehr den Herrn von B...
durch den Dolgesheimer Wirth Kuchen ermahnen,
ſeinen Marki inne zu halten: ich wuͤrde ihm ſonſt
eine Ladung von Numer Eins aufs Gedaͤchtniß
brennen. Das ſoll er ſich nur unterſtehen, antwor-
tete Hr. v. B..., wenn er nicht will todtgeſchoſſen
ſeyn, wie ein toller Hund. Kuchen gab mir von
B...s Drohung Nachricht; und nun machte ich
mirs ordentlich zum Geſchaͤft, den Hund aufzu-
ſpuͤren, welches auch bald geſchah: ich verſetzte ihm
alſo eine derbe Ladung ins Gehirn, und da lag er.
Einige Tage hernach kam ich wieder nach Dol-
gesheim; doch ehe ich noch ins Wirthshaus trat,
kam Kuchen mir entgegen und bat mich um Gottes-
willen, ja nicht in die Stube zu gehen: B... ſey
drinnen, und habe geſchworen bei ſeiner Ehre und
bei 100000 Schock Teufeln, mir eins aufzubren-
nen, daß mir der Dampf ſollte hinten heraus fah-
ren. Das hat gute Wege, erwiederte ich, geb' er
b)
[10] mir nur einen Schoppen Wein! Mit dieſen Worten
trat ich in die Stube, ohne auf den Edelmann zu
merken, der am Ofen ſaß. Kuchen brachte mir den
geforderten Schoppen Wein: ich trank, ſah mich
hernach um, und ſprang wie erſtaunend auf, mit
der Entſchuldigung: „Ei, unterthaͤniger Knecht,
gnaͤdiger Herr! verzeihen Sie, daß ich Sie nicht
eher bemerkt habe!
B... (ſtumm vor ſich hinſehend).
Ich: Gnaͤdiger Herr, wie bin ich zu dem Un-
gluͤck gekommen, daß Sie mich nicht einmal anzu-
ſehen wuͤrdigen?
B... (wie oben mit vielen hem hems).
Ich: Sollt' ich ſo ungluͤcklich geweſen ſeyn,
Ihre Ungnade auf mich zu laden!
B... (aufſtehend und ſehr prozzig.) Herr,
Sie haben mir meinen Hofhund an der Kette todt-
geſchoſſen!
Ich: Gnaͤdiger Herr! wer Ihnen das geſagt
hat, iſt ein Schurke! Ich Ihren Hund in Ihrem
Hochadelichen Hofe todtſchießen? Wie ſollte ich mich
ſo ſehr vergehen koͤnnen!
B... Sie haͤtten meinen Hund nicht todtge-
ſchoſſen?
Ich: Haben Sie die Gnade, mich anzuhoͤren.
Ich habe neulich einen Hund in der Gemarkung
todtgeſchoſſen: allein da hat mein Herr die Jagd,
[11] und ich hatte folglich das Recht, es zu thun, und
wuͤrde jeden Hund todtſchießen, ſollte er auch dem
Fuͤrſten gehoͤren!
B... (viel gelaſſener) Alſo, Herr, meinen
Hund haben Sie in meinem Hof nicht todtge-
ſchoſſen?
Ich: (kann vor Lachen beinahe nicht antwor-
ten.) Nein — Gnaͤdiger — Herr!
B... (prozzig) Nun, ſo ſoll das heilige
Kreuz-Donnerwetter dem verfluchten Kerl in den
Wamſt fahren, dem Hofmann! Der Kerl hat mirs
ſo referirt; aber warte, noch heute ſoll er zum Teu-
fel! (Ich wußte recht wohl, daß Hr. v. B... dem
Hofmann, oder Pachter nichts zu befehlen hatte:
das Gut ſtand unter fuͤrſtlicher Adminiſtration).
So war Herr v. B... wieder beſaͤnftigt! Er
ging ſogar, um alles wieder gut zu machen, noch
den naͤmlichen Tag nach Gundersblum zum Hrn. v.
Goldberg, und bat um Verzeihung, daß er aus
Irrthum habe wollen ſeinen Jaͤger kalt machen. Er
blieb drei Tage da, und borgte noch einige Thaler
beim Abſchied, welche der Major gern hergab, um
ſich nur den zudringlichen Großſprecher vom Halſe
zu ſchaffen.
Der Wirth Schmid mag es indeſſen [...]ch
nicht ſo gut mit mir gemeynt haben, als er ſich an-
ſtellte. Denn ich war kaum vierzehn Tage in Gun-
[12] dersblum, als er mir einem Schurkenſtreich zumu-
thete, den ich beinahe haͤtte ausfuͤhren helfen, wenn
der Major, der davon erfuhr, mir ihn nicht ſehr
ernſtlich abgerathen haͤtte. Ich ſollte naͤmlich den
Kaiſerlichen Notarius ſpielen, und in Geſellſchaft
einiger Hallunken einen guten ehrlichen Mann um
zehn Faß Rheinwein betruͤgen helfen. Fuͤr meine
Dienſte ſollte ich funfzig Gulden erhalten; haͤtte aber
vielleicht auch, wenns herausgekommen waͤre, aufs
Schloß marſchiren muͤſſen. Der Bubenſtreich iſt
hernach ohne mich doch ausgefuͤhrt worden.
Unter dieſen Hallunken befand ſich ein gewiſ-
ſer Belgrad von Frankfurt am Main. Er iſt ein
getaufter Jude, und fuͤr Frankfurt das, was Bran-
denburger fuͤr Mainz iſt — ein Hurenſpediteur,
Maͤkler, Spion und noch einiges mehr. Er ver-
ſchrieb auch Recepte pro abortu, und iſt wegen
ſeiner Schelmereien ſchon mehrmals in Verhaft ge-
zogen, aber immer wieder entlaſſen worden: wahr-
ſcheinlich, weil mehrere Herren ſeiner Dienſte be-
durften. Herr Krug, Gaſtwirth im Roͤmiſchen
Kaiſer zu Frankfurt, ein vortreflicher Mann, kann
von Belgraden mehr erzaͤhlen.
[13]
Zweites Kapitel.
Alte Liebe roſtet nicht.
Wenn meine lieben Leſer ſich fuͤr Thereschen,
das gutherzige Maͤdchen, intereſſirt haben, ſo wird
es Ihnen nicht unangenehm ſeyn, wenn ich ſie wie-
der auffuͤhre.
Seit meiner theologiſchen Donquiſchotterei in
der Pfalz, hatte ich Thereschen wenig geſehen, und
aller vertraulicher Umgang, aller Briefwechſel hat-
te ſchon laͤngſt aufgehoͤrt. Meine Zerſtreuungen wa-
ren zu groß, und meine Bekanntſchaften zu ausge-
gebreitet, als daß ein ſo ſanfter Affekt, wie die Lie-
be iſt, haͤtte in meiner Seele noch haften koͤnnen.
Freilich dacht ich dann und wann ans gute Kind;
allein beim Andenken blieb's. Zudem ſcheute ich mich
auch, das laͤngſt verlaſſene Maͤdchen wieder zu be-
gruͤßen: alſo bliebs beim Alten.
Sonſt hatte ich waͤhrend meines Aufenthalts
in der Pfalz eine Menge Bekanntſchaften mit Maͤd-
chen errichtet, wovon einige ſehr traulich geworden
waren. Es iſt das in jenem Lande gar keine Kunſt:
die Maͤdchen ſind ſammt und ſonders ſehr aufge-
raͤumt, und laſſen ihre Suſpiranten nicht lange
ſchmachten: oft kommen ſie einem ſchon auf der
[14] Haͤlfte des Weges entgegen: oft tragen ſie ſich gar
ſelbſt an. Ich will von dieſer Behauptung keine
Belege anbringen: meine ſchoͤnen Landsmaͤnninnen
moͤchten mir ſonſt, wenn ich einige von ihnen na-
mentlich nennte und ihren Kommerſch beſchriebe, ei-
nen Injurienprozeß an den Hals werfen, oder mir,
wenn mich ja das Schickſal, wie ich doch weder glau-
be noch wuͤnſche, wieder nach der Pfalz bringen ſoll-
te, die Augen auskrazzen: denn Pfaͤlzer Maͤdchen
haben Muth wie die Baͤren: das macht der Wein.
Doch wieder ins Geleis! Ich hatte eine Men-
ge Frauenzimmer-Bekanntſchaften gemacht, und wo
ich hin kam, fand ich ſo was zum Zeitvertreib. Das
waren nun freilich Liebſchaften nach der Pfaͤlzer Mo-
de, wobei bloße Sinnlichkeit, oft bloße Langeweile
ins Spiel kamen; woran aber das Herz wenig An-
theil hatte. Bei dergleichen Affaͤren bleibt man ſo
kalt wie Eis: man luͤgt da was her von Liebe, von
Treue, und ſchwoͤrt unveraͤnderliche Anhaͤnglichkeit;
aber in einer Stunde kommt man wo ſonſt hin, und
alles wird vergeſſen! Ich wenigſtens kann mich nicht
erinnern, daß meine Lorchen, Malchen, Ca-
rolinchen, Luischen und andre mich auch nur
um eine Viertelſtunde Schlaf gebracht haͤtten. Es
galt mir wirklich ſehr gleich, ob das Maͤdchen, mit
dem ich umging, konvenabel war, oder nicht. Ein-
mal beſchaͤftigte ich gar eine Apothekers Tochter von
[15] Kreuznach, welche um ein halb Jahrhundert aͤlter
war als ich.
Es muͤſſen noch eine Menge Liebesbriefe und
Billets doux von mir in der Pfalz ſich vorfinden:
denn daß ſie ſollten vernichtet ſeyn, kann ich deswe-
gen nicht glauben, weil das Pfaͤlzer Frauenzimmer
dergleichen Saͤchelchen gern aufhebt, um bei Gele-
genheit mit Eroberungen Parade zu machen. Ich
habe eine große Menge aͤhnliches Zeugs gehabt, wo-
von ich leicht eine Sammlung, ſo groß wie die
des Cicero, haͤtte in ſechszehn Buͤchern machen
koͤnnen.
Daß Thereschen von meiner Flatterhaftigkeit
Nachricht eingezogen, und ſich daruͤber nicht wenig
gekraͤnkt habe, hab' ich hernach von ihr ſelbſt erfah-
ren. Thereſe war kein Maͤdchen vom gewoͤhnlichen
Schlage: ſie dachte geſezt, und hatte natuͤrliche
wahre Empfindung. Schade fuͤr das herrliche Ge-
ſchoͤpf, daß ihre Neigung gerade auf mich gefallen
war! Wie gluͤcklich haͤtte ſie einen Wuͤrdigern ma-
chen koͤnnen! — Oft nahm ich mir zwar vor, an
ſie zu ſchreiben, und um Vergebung zu bitten: aber
allemal ſcheuchte mich der Gedanke: „Das Maͤd-
chen kann dich nicht mehr lieben“ von
meinem Vorhaben zuruͤck. Ich ſah ſie alſo ſelten
und ſchrieb ihr noch weniger, oder vielmehr gar
nicht mehr.
[16]
Ohngefaͤhr im November — ja, es war gera-
de der 1ſte November 1781, denn da iſt der Jahr-
markt in Flonheim — wollte ich dem Pfarrer Stu-
ber von Flonheim meine Aufwartung machen. Ich
ging dahin, und hoͤrte, daß des katholiſchen Pfar-
rers Hochgeſand Vetter, Herr Advokat Schott,
der von Jugend auf mein Freund und Duzbruder
geweſen war, auch da ſey. Ich lief alſo hin, um
ihn zu beſuchen: aber wie erſchrack ich, als ich mei-
ne Thereſe erblickte! Kaum konnte ich ſprechen:
doch endlich ward mirs wieder etwas leichter. The-
reſens Vater, ein vertrauter Freund des Paſtors,
verwieß mir ganz hoͤflich meine wenige Aufmerkſam-
keit, und wunderte ſich, daß ich in ſo langer Zeit
ihn nicht beſucht haͤtte. Ich entſchuldigte mich, ſo
gut ich konnte, verſprach auf der Ruͤckreiſe zu ihm
zu kommen, und machte, daß ich zu meinem Stu-
ber zuruͤckkam: hier — konnte ich es nicht mehr
ausdauern! Ein boͤſes Gewiſſen iſt wahrlich die
heißeſte Hoͤlle!
Drei Tage brachte ich in Flonheim zu, und
dann nahm ich meinen Wanderſtab wieder zur Hand.
Ich ging durch Thereschens Dorf; aber erſt ins
Wirthshaus, wo ich mir in einigen Schoppen
Wein Muth eintrank: und ſo — ſchlich ich, unter
großem Herzpochen, nach Thereſens Wohnung.
Der Alte empfing mich freundlich, und gleichſam
[17] abſichtlich ließ er mich bald darauf mit ſeiner
Tochter allein.
Einige Minuten war unſer Geſpraͤch allgemein:
dann fing das gute Maͤdchen bittere Klagen uͤber
mich an, und ruͤckte mir meine Vergehungen und
Verſuͤndigungen recht eindringlich vor. Ich raͤumte
alles ein, klagte mich ſelbſt an, und ſchilderte ihr
meine Lage, die ich freilich ſelbſt verſchuldet, ja
ſchon um ſie allein verdient hatte, mit recht grellen
Farben. Maͤdchen von Thereſens Art ſind gute Kin-
der! Sie ward jezt weich und fing an zu weinen:
ich — weinte bald mit, erhielt Vergebung und
hieß wieder lieber Junge, lieber Friz, ward
geduzt und gekuͤßt, und ſchwam von neuem in lau-
ter — unverdienter Seligkeit. — Daß ich verſpre-
chen muſte, Mittel und Wege aufzufinden, um unſe-
re Verbindung bald moͤglich zu machen, verſteht ſich
von ſelbſt. Ich muſte auch ſchwoͤren, wenn man
mir ein Mittel von der Art anzeigen wuͤrde, ohne
Bedenken einzuwilligen. Ich that alles herzlich
gern, und war froh, daß ich fuͤr ſo viele Suͤnden
ſo wenig beſtraft wurde!
Der Kapuziner Hermenegildus, mein Pa-
tron, war aus dem Alzeyer Kloſter nach Noth-Got-
tes im Rheingau auf dem Provinzialkapitel verſezt
worden; alſo konnte mir dieſer mit ſeinem Mentors-
Zweiter Theil. B
[18] rath nicht weiter beiſtehen. Aber der Paſtor Neu-
ner war noch uͤbrig. An dieſen ſchrieb ich einen
Ellen langen lateiniſchen Brief, und bat um Aus-
kunft. Seine Antwort war nicht ſehr erfreulich: es
hieß: daß ich in der Pfalz zu viel Feinde haͤtte, um
auf eine Verſorgung rechnen zu koͤnnen. Jedoch
wuͤrde mein Uebertritt zur katholiſchen Kirche viele
meiner Feinde mit mir wieder ausſoͤhnen. Ich be-
ſuchte alſo gleich den Herrn Neuner ſelbſt, muſte
aber da eine ſcharfe Strafpredigt wegen meiner
Atheiſterei — ſo nennen dieſe Leute gemeiniglich alle
freiere Urtheile uͤber Religionsſachen — anhoͤren.
Ich erwiederte: daß ein Proteſtant, als ſolcher,
nichts anders ſeyn koͤnnte, als entweder ein Freigeiſt,
oder ein Dumkopf. Dieſen Satz hatte ich aus Pater
Neumeyers Buch aufgefangen. Ein Proteſtant,
ſagte ich, iſt ein Chriſt; aber ohne Fundament. Er
nimmt die Bibel als goͤttlich an, welche doch ohne
das Zeugniß der Kirche kein Anſehen haben kann.
Der heil. Auguſtin ſage ja ſelbſt: er wuͤrde dem
Evangelium nicht glauben, wenn ihn nicht das An-
ſehen der Kirche dazu beſtimmte c). Hierzu kom-
[19] men noch die großen Uneinigkeiten und Zaͤnkereien
unter den Proteſtanten ſelbſt: wer ſolle da Recht ha-
ben? Luther oder Kalvin? Bahrdt oder
Goͤtz? Semler oder Reus? — Bei ſogeſtal-
teten Sachen muͤſſe ein geſcheuter Proteſtant allemal
ein Freigeiſt werden d). Sehn Sie, Herr Pfar-
rer, fuhr ich fort, den Urſprung meiner Freigeiſte-
rei? Aber im Syſtem der katholiſchen Kirche finde
ich alle Zweifel gehoben, und eben ſo viel Gewiß-
heit als in Kaͤſtners Geometrie. — Herr Neuner
ſchien mit dieſem Galimathias zufrieden zu ſeyn,
und verſprach, ſich beſtens zu meinem Vortheil zu
verwenden.
Allein, obgleich die katholiſchen Pfaffen gern
ihre Kirche zu mehren ſuchen, ſeys auch mit unwuͤr-
digen Mitgliedern; ſo muß doch dieſe Mehrung ei-
nem groͤßern eignen Intereſſe nicht zuwider ſeyn:
ſonſt ſetzen ſie das Intereſſe der heiligen Kirche hin-
tan. Und das war der Fall bei Hrn. Neuner.
[20]
Hr. Neuner hatte naͤmlich einen gewiſſen Herrn
im Sinne, der ihm ſo eine Parthie fuͤr Thereschen
zu ſeyn ſchien. Dieſen Menſchen, den ſtupideſten
Dummkopf und groͤbſten Bengel auf Gotees Erdbo-
den, hatte er ſchon von weitem vorgeſchlagen, war
aber abgewieſen worden. Alles das hab ich nachher
erfahren. Da ich ihm indeß in dieſer Ruͤckſicht im
Wege ſtand; ſo ſuchte er mich zu untergraben: was
er dazu fuͤr Mittel gebraucht habe, will ich bald
melden.
In dieſer Lage ging ich meinen Baron an.
Hier iſt unſer Geſpraͤch, woraus man die philoſo-
phiſche Denkungsart dieſes rechtſchaffenen Ritters
erkennen kann.
Baron: Ja, Bruder, das Unterbringen, ſo
auf der Stelle, iſt nun ſo eine Sache: ich weis dir,
mein Seel'! nicht zu rathen!
Ich: Nicht? Und haſt Freunde von Einfluß?
Deinen Oheim, den Domherrn — deinen Va-
ter —
Baron: Ja freilich: aber im Erzſtift! du
weiſt ja, Bruder Herz, kein Proteſtant kann da
ankommen!
Ich: Wohl! Wie aber, wenn ich katholiſch
wuͤrde?
Baron (erſtaunt): Du — katholiſch?
Ich: Warum nicht!
[21]
Baron: Weil du 'n geſcheuter Kerl biſt: weil
du 'n Freigeiſt biſt: — weil du ſcheinſt Ehre im
Bauch zu haben.
Ich: Iſt's denn ſo unehrlich, wenn man die
Religion aͤndert?
Baron: Allerdings, wenns geſchieht, um
Geld, Amt, oder 'n Menſch zu bekommen. Pfui!
(ſpuckte aus).
Ich: Aber, Bruder, wenn man gluͤcklich wer-
den kann! —
Baron: Ei was! Gluͤcklich kannſt du doch
werden: brauchſt nicht gerade erſt einen Lumpen-
ſtreich vorzunehmen. Ja wenn du bei'n Lutheranern
verfolgt wuͤrdeſt, oder ſie dir deine natuͤrliche oder
buͤrgerliche Freiheit widerrechtlich beſchraͤnkten, dich
druͤckten, oder dir dein ruhiges Fortkommen unter
ſich erſchwerten: da ließ ichs noch gelten; aber ſo —
kann ichs unmoͤglich billigen. Ich bitte dich daher,
ſchweig mir von den Poſſen ſtill! Und fuͤhrſt du ja
ſo etwas aus, ſo ſag ich dir gerade ins Geſicht:
wir ſind geſchiedne Leute!
Alſo wars mit Fr... nichts. Ich ſuchte ihn
zwar noch auf andre Gedanken zu bringen; aber er
blieb unbeweglich. Mit ſchwerem Herzen ging ich
alſo wieder nach meiner Station.
Der Paſtor Neuner, ſtatt fuͤr mich zu agi-
ren, fing nun an, gerade entgegengeſezte Maaß-
[22] regeln zu ergreifen. Er bemuͤhte ſich, meine Lebens-
art und meinen Karakter bei meinem Maͤdchen an-
zuſchwaͤrzen, und mich als einen ſchuftigen Kerl dar-
zuſtellen. Aber da kam er ſchoͤn an! Thereschens
Neigung nahm dadurch nur zu. Das ſchlaue Maͤd-
chen merkte ſeine Abſicht, und ſchlug ſie mit der Er-
klaͤrung nieder: daß, wenn ich ihr nicht zu Theil
werden koͤnnte, es auch kein Anderer je werden ſoll-
te, am wenigſten der von ihm vorgeſchlagene Menſch.
Bei Thereſens Vater fanden ſeine Beſchreibungen
ſchon mehr Eingang; aber doch ließ ſich der Alte
nicht bewegen, ſeine Tochter zu etwas zu zwingen:
zum guten Gluͤck war der angetragene Herr auch ihm
unausſtehlich.
Meiſter Neuner verzweifelte ſchon an dem
Fortgang ſeines Geſchaͤfts, beſonders da er erfuhr,
daß ich den Herrn Amtmann oͤfters beſuchte, und er
mich jedesmal freundlich aufnaͤhme. Lange verbarg
man mir Neuners Tuͤcke, bis endlich Thereschen
mir rieth: mich vor dem Pfaffen in Acht zu nehmen:
ſo und ſo ſpraͤche er von mir, und das und das waͤ-
re ſeine Abſicht. — Ich ward grimmig boͤſe uͤber
den Grobian, und ſchrieb ihm gleich einen Brief
voll Gift und Galle, worin ich ihm die derbſten Ti-
tel beilegte. Dies wuͤrkte beim Pfaffen: er begab
ſich ſogleich zu meinem Vater, und verrieth den gan-
zen Handel. Dieſer wurde nur noch mehr gegen
[23] mich aufgebracht, und ſchickte mir ein lateiniſches
Billet, worin er mir befahl, ſogleich zu ihm zu
kommen, um ihm Rechenſchaft uͤber eine Sache ab-
zulegen, welche er wegen der Groͤße der Bosheit
nicht glauben koͤnnte.
Ich erſchrack freilich ſehr uͤber dies Zettelchen,
und konnte mich durchaus nicht entſchließen, der
Einladung meines Vaters, den ich ſchon ſeit einigen
Monaten nicht geſehen hatte, Gehoͤr zu geben. Ich
antwortete alſo kurz: mir waͤre nicht recht wohl;
ſobald mir aber beſſer ſeyn wuͤrde, kaͤme ich gewiß.
In der Beklemniß meiner Seele lief ich zu
Thereschen: aber auch da war ein großer Brief von
meinem Vater. Ich konnte das Ding nicht aus-
halten. Der alte Amtmann gab mir harte, ſehr
harte Reden: Thereschen ſchwam in Thraͤnen, und
ich ſtand da, wie vom Bliz gelaͤhmt und ſprachlos.
Endlich lief ich fort, und ging zum Schulzen,
wo ich meine Grillen im Wein zu toͤdten ſuchte. Ge-
gen Abend fuhr ich ab, und traf mein Maͤdchen
noch einmal auf meinem Wege, eine halbe Stunde
von ihrem Dorfe. Wir ſprachen wenig, und wein-
ten deſto mehr. Thereſe verſprach mir, auf keinen
Fall in Paſtor Neuners Vorſchlag einzuwilligen, und
mir treu zu bleiben. Das edle Maͤdchen hat auch
Wort gehalten: Mosjeh Firlefanz bekam den Ab-
ſchied; und vor fuͤnf Jahren, als ich in der Pfalz
[24] war, war Thereschen noch ledig. Ich weis, daß
mehrere um ſie geworben haben, weis aber auch,
daß ſie jeden Antrag dieſer Art verbethen hat. Ich
bin nicht ſtolz genug, dies ihr ſtandhaftes Betragen
ihrer Liebe gegen mich zuzuſchreiben: aber etwas
muß doch mein Andenken dabei bewirkt haben. Und
ſo bedaure ich dieſe Edle, Verlaßne jezt um ſo mehr,
je abſcheulicher ich mir bei dieſer ganzen Geſchichte
ſelbſt erſcheine. Doch genug von einer Materie, an
welche ich ohne den innigſten Schmerz nie denken
kann. Die Reue geht wahrlich Schritt fuͤr Schritt
hinten drein, wenn wir im vollen Galop dumme
Streiche gemacht haben; nur Schade, daß es meiſt
zu ſpaͤt iſt, ſie zu verbeſſern, wenn wir ſie recht
erkennen! —
Drittes Kapitel.
Eine Reiſe à la Don Quixote.
Der Baron F.... ward noch endlich mein Troſt
in dieſer meiner Verlegenheit, welche mir Zentner
ſchwer auf dem Herzen lag. Gedraͤngt von in-
nen und außen beſuchte ich ihn neuerdings, und er-
zaͤhlte ihm alles, was mir begegnet war, und was
[25] ich noch weiter befuͤrchtete. Der Baron ſchien an-
faͤnglich geruͤhrt, legte aber die ganze Sache bald
auf die leichte Achſel, nahm mich mit in Dillmanns
Garten, und wuſte da ſo viel Schnurren und Schna-
ken anzugeben, daß ich beim Wein — Vater und
Thereschen und Verlegenheit und alle Welt vergaß,
und ſo ſelig ward, als irgend ein Rathsherr in Ab-
dera je ſeyn konnte. So ging das Leben einige Ta-
ge fort. Darauf gab mir Herr von F.... zu verſte-
hen, daß ich ihn bald nach Strasburg begleiten ſoll-
te, und daß wir da hoch leben wuͤrden. Das Ding
gefiel mir: ich ſagte ſogleich ja, und nahm meinen
Ruͤckweg nach Gundersblum.
Einige Tage hernach erſchien mein Herr von
F... und forderte, daß ich ſogleich aufpacken ſollte:
es ginge vorwaͤrts. Herr von Goldenberg ſah
es freilich nicht gern, daß ich ihn, ſeine Jagden und
und ſeinen Keller verlaſſen wollte; aber er muſte es
ſchon geſchehen laſſen, und ſich damit troͤſten, daß
ich bald wuͤrde zuruͤck kommen. Ich hatte dies auch
ernſtlich im Sinne: denn damals ging eben der Pro-
zeß der Grafen von Leiningen mit dem Fuͤrſten die-
ſes Namens zu Ende: die Linanges d'Italie, wie
man ſie ſpottweiſe nannte, hatten endlich nach vieler
Noth und Muͤhe ihre Anſpruͤche auf die Grafſchaf-
ten Gundersblum und Heidesheim geltend gemacht.
Auch hatte ſchon zu meiner Zeit Joſeph II. in der
[26] Sache geſprochen, und die Herren Grafen in den
Beſitz ihrer Laͤnder ſetzen wollen: allein Se. Durch-
laucht, der Fuͤrſt von Leiningen, Dachs-
burg, waren ein intimer Freund von Sr. Durch-
laucht, dem Herrn Kurfuͤrſten von der Pfalz, und
wegen dieſer Freundſchaft wurde die Uebergabe der
Grafſchaften lange verſchoben. Sie ging erſt nach
meinem Abzug aus jenen Gegenden vor ſich.
Nun war mein Vetter Laukhard, bisheri-
riger Sekretaͤr der Frau Graͤfin von Wartensleben
in Mainz, mir den praͤtendirenden Grafen bekannt
geworden, und dieſe hatten ihm die erſte beſte Stelle
zugeſagt, wenn ſie erſt wuͤrden in den Beſitz ihrer
Grafſchaften gekommen ſeyn. Die Herren haben
auch Wort gehalten, und mein Vetter iſt jezt ihr
Hofrath, hat auch durch ihre Vermittelung ein
Maͤdchen weggekapert mit 24000 Gulden Rhei-
niſch. Ich goͤnne es ihm e)! Da war es denn
eben ſo dumm nicht, darauf zu rechnen, daß ich
durch ſeine Huͤlfe einmal im Leiningiſchen mein
[27] Gluͤck machen wuͤrde. Freilich, ſo lange die Laͤnd-
chen unter dem Herrn Fuͤrſten von Leiningen blieben,
war daran nicht zu denken. Der Superintendent
zu Duͤrkheim an der Hard, Herr Kleveſahl, ein
armer Suͤnder in allem, was Wiſſenſchaft heißt,
welcher auf den Herrn D. Bahrdt gefolget war, und
gegen dieſen in mancher Ruͤckſicht abſcheulich abſtach,
war ein Patron des im erſten Bande dieſer Biogra-
phie beſchriebenen Magiſters Weitmaul, und folglich
mein abgeſagter Feind. Herr Hofrath Ruͤhl hatte
zwar, nach der Bahrdtiſchen Kataſtrophe, auch an
mich geſchrieben, und mich erſucht, in Heidesheim
eine Lehrſtelle anzunehmen. Allein das ganze Luft-
ſchloß ſtuͤrzte bald vollends ein, und aus mei-
ner Lehrſtelle wurde nichts. Meine Hoffnung
war alſo nur noch auf die Grafen von Leiningen
gerichtet.
Ich reiſete indeß mit F... uͤber Neuſtadt, Lan-
dau und Hagenau nach Strasburg. Gleich uͤber
Neuſtadt geht das franzoͤſiſche Gebiet an. Ich halte
mich mit Reiſebeſchreibungen nicht gern auf, und
will alſo auch die treflichſte aller ſchoͤnen Gegenden,
welche man dort Landes antrift, nicht beſchreiben.
LudwigXIV. war kein Narr, daß er den El-
ſaß wegnahm! — Ich war ſchon mehrmals in
dieſen Gegenden geweſen, hatte die Stadt Stras-
burg mehrmals geſehen; aber ſo innig vergnuͤgt
[28] hatt' ich dort noch nie gelebt, als damals in der Ge-
ſellſchaft des Barons von F....
In Landau verließ mich eines Abends beim
Schlafengehen der Baron, und geſtand mir den fol-
genden Morgen, er habe in der Beſchließerin Kam-
mer die Nacht zugebracht. Auf der Ruͤckreiſe
kampirte gar die Beſchließerin im Bette des Barons
in demſelben Zimmer, worin auch ich, obſchon in
einem andern Bette, lag. Das nimmt man bei den
Franzoſen – und die Landauer fangen ſchon an,
nach Franzoſen Art zu thun — nicht uͤbel.
In Strasburg nahmen wir unſer Quartier im
Gaſthofe, dem Tiefen Keller. Ich habe ſchon
geſagt f), daß meine Mutter eine Enkelin des ehe-
maligen beruͤhmten Strasburgiſchen Juriſten, Jo-
hann Schilters, geweſen ſey. Dieſer Mann
hatte ſich nicht nur um die Wiſſenſchaften uͤberhaupt,
ſondern auch ins beſondere um die Stadt Stras-
burg ſo verdient gemacht, daß ſein Andenken daſelbſt
hochgehalten wird. Eben dieſe Renommee meines
Urgroßvaters hat mir in mehrere vornehme Geſell-
ſchaften den Weg gebahnt. Meiner Mutter Vater,
d'Autel, hatte noch Bruͤder in Strasburg gehabt,
deren Kinder und Verwandte recht vetterlich mit mir
[29] umgingen; aber dem Baron F.... gefiel dieſe
Wirthſchaft nicht. Die Philiſterei, ſagte er, iſt
mein Tod: laß das verdammte Philiſterzeug gehen;
haſt ja ſonſt Bekanntſchaft! Ich muſte ihm nachge-
ben und durfte nur hoͤchſt ſelten meine Verwandte
beſuchen.
Der im erſten Bande genannte Hofprediger,
Herrenſchneider, der jezt in Strasburg an der
Jakobskirche beſtellet war, begegnete mir einmal auf
der Straße, als ich in Begleitung des Barons und
eines Herrn von Gymnich herum ging. Er ſchau-
te mir derb ins Geſicht, und als ich einige Schritte
fort war, ſtand er ſtill und ſah ſich um. Gym-
nich, dem dies auffiel, ging trotzig auf ihn zu und
fragte: was er wolle? — Ich meyne da einen Herrn
zu kennen, der bei Ihnen iſt. — So? welchen
denn? — da den im braunen Rock! — Ich ging
nun auch hinzu, und ſiehe da, es war der Herr
Herrenſchneider, der mich hoͤflich bat, ihn in ſeiner
Behauſung zu beſuchen, und hinzufuͤgte: daß er an
der Uneinigkeit, worin er mit meinem Vater gelebt
haͤtte, aus chriſtlicher Liebe nicht mehr daͤchte. Ich
wollte etwas erwidern; aber Baron F... kam mir
zuvor. Herr Paſtor, ſagte er, Laukhard ſoll Sie
nicht beſuchen: wir ſind nicht gekommen, unſre
Suͤnden in Strasburg zu beichten. Adieu, Herr
Paſtor! Mit dieſen Worten ließen wir den Pfaffen
[30] ſtehen, der gewiß das ſtrasburgiſche Anathema uͤber
uns wird geſprochen haben.
Unſre Geſellſchaften waren meiſtens franzoͤſiſche
Officire, womit uns Herr von Gymnich bekannt
machte. Dieſer Herr von Gymnich iſt ein gebohr-
ner Mainzer, ein Anverwandter des jetzigen Main-
ziſchen Kommendanten gleiches Namens, ein biede-
rer rechtſchaffener junger Mann; aber voll Leicht-
ſinn, und franzoͤſiſcher Flatterhaftigkeit. Er ſtand
damals als Lieutenant bei einem Infanterieregimente
in Strasburg, Royal Conflant. Die franzoͤſiſchen
Officire zeichnen ſich in allen Stuͤcken ſehr vortheil-
haft aus. Ich habe einige kennen gelernt, welche
es in den Wiſſenſchaften weit gebracht hatten: Ma-
thematik, Geſchichte, Erdbeſchreibung, und Zeichen-
kunſt ſind die gewoͤhnlichen Kentniſſe eines jeden
franzoͤſiſchen Officiers, ja viele ſind gar Meiſter in
einigen dieſer Kenntniſſe. Der Graf Maſſineau in
Strasburg iſt Verfaſſer einer Schrift uͤber die Mi-
nirkunſt, welche ihres gleichen ſucht: die groͤßten
Kenner der Kriegswiſſenſchaften geben ihm dieſes
Zeugniß. Jeder Officier hat ſeine Bibliothek, wo-
rin man freilich viel leichte Waare, aber doch auch
die Werke eines Moliere, Racine, Montesquieu,
Voltaire, Rouſſeau, Boileau, la Fontaine, Helve-
tius und andrer großer Maͤnner antrift: und dieſe
Buͤcher ſtehen nicht blos auf dem Pulte: ſie werden
[31] auch geleſen: die ſchoͤnſten Stellen wiſſen die Herren
auswendig, und wiſſen ſie recht geſchickt anzubrin-
gen. Ich habe mich oft gefreut, wie ganz junge
Officire von 15 bis 16 Jahren die herrlichſten Stel-
len aus Voltaͤrs, Ruſſos, oder andrer Autoren
Schriften, ohne alle Pedanterie, in ihren Unterre-
dungen einzuſchalten wuſten. Daran aber iſt die ede-
le Erziehung Schuld, welche man in Frankreich dem
jungen, zum Militaͤrſtande beſtimmten Adel zu ge-
ben ſucht.
Die Lebensart dieſer Herren iſt aͤußerſt fein,
und ihre Sitten ſo einnehmend, ſo gefaͤllig, daß ich
mich gar nicht wundre, daß ein franzoͤſiſcher Faͤhn-
drich einen deutſchen Grafen beim Frauenzimmer
ausſticht, wie ſichs oft zugetragen hat. Dieſe Leute
haben keinen Ahnenſtolz, und bilden ſich auf ihren
Adel ganz und gar nichts ein. Ich bin von vie-
len, die ich gekannt habe, recht freundſchaftlich be-
handelt worden. Grobheit und Unhoͤflichkeit iſt da
weit weg.
Die Ehre eines franzoͤſiſchen Officiers beſteht
einzig und allein in der genauen Erfuͤllung ſeiner
Pflichten, gerade wie ehemals in Athen und in Rom,
wo nur der Ehre genoß, der ſeiner Pflicht aufs ge-
nauſte entſprach. Den Dienſt verſaͤumen, wider
ſeine Schuldigkeit fehlen, heißt in Frankreich
ſich proſtituiren. Man ſprach damals von einem
[32] Kapitaͤn, welcher ſeinem Oberſten widerſprochen
hatte, und deswegen auf vier Monate auf die Cita-
delle gekommen war. Niemand entſchuldigte den
Kapitain; und als ich einige Anmerkungen zu ſeiner
Vertheidigung vorbrachte, antwortete mir ein funf-
zehnjaͤhriger Officier: ich verſtaͤnde die Sache nicht:
was wider die Subordination waͤre, waͤre eben da-
durch malhonnete. Ein Officier, welcher ſich den ge-
ringſten unredlichen Streich zu Schulden kommen
laͤſt, wird kaſſirt: man kann ihn auch nicht in Dien-
ſten laſſen: denn alle andre Officire wuͤrden ſich ge-
gen ihn verſchwoͤren, und er wuͤrde genoͤthigt wer-
den, bei Nacht und Nebel abzufahren. Zu derglei-
chen unredlichen Streichen gehoͤrt das manquer de
parole: daher gilt auch das Wort eines franzoͤſi-
ſchen Officiers mehr als Prieſterwort und deutſche
Cavaliersparole. Niemals hat ein Officier einem
Soldaten, oder Rekruten etwas verſprochen, das
er hernach nicht gehalten haͤtte.
Das iſt wahres ruͤhmliches point d'honneur,
womit ſich aber auch viel falſches point d'honneur
vereinigt. Dahin gehoͤren die haͤufigen Balgereien,
die ſich ſehr oft mit einem gewaltſamen Tode endig-
ten. Ein hiziges beleidigendes Wort, ein Vous
avez menti (Sie haben gelogen) iſt hinlaͤnglich,
einen Duel anzuzetteln. Daher gehen dieſe Herren
auch auf die hoͤflichſte Art mit einander um, und be-
[33] handeln ſich, als haͤtten ſie alle die hoͤchſte Achtung
gegen alle. Das Dutzen iſt unter ihnen nicht ge-
braͤuchlich: es ſcheint auch gegen das Genie der fran-
zoͤſiſchen Sprache zu ſeyn: und Raillerie muß ſehr
fein getrieben werden, wenn ſie Statt haben ſoll.
Neckereien und Aufziehereien, oder gar grobe Wor-
te, wuͤrden augenblicklich Haͤndel erregen; deswegen
werden ſie gar nicht gehoͤrt.
Von Statur ſind dieſe Herren alle gut gebil-
det: kleine unanſehnliche Leute findet man unter
ihnen nicht.
Die Religion der franzoͤſiſchen Officire iſt —
Freigeiſterei und zwar voltaͤriſche. In ihren Zir-
keln wird derb uͤber alles geſpoͤttelt, was beim Poͤ-
bel und bei Pfaffenfreunden fuͤr heilig gilt. Sie hoͤ-
ren indeß doch Meſſe, wenn ſie katholiſch ſind g).
Die Proteſtanten beſuchen gar keine Kirche. Ich
fragte einmal einen katholiſchen Officier: warum er
Zweiter Theil. C
[34] in die Meſſe ginge, da er doch den Stifter der chriſt-
lichen Religion fuͤr einen Baſtart hielte? Das iſt ſo
Mode, erwiederte er, und die Mode muß man mit
machen! —
Meine Leſer moͤgen mir dieſe Digreſſion nicht
uͤbel nehmen: ich war ſie den Herren ſchuldig, wel-
che mich damals in Strasburg ſo herrlich behandelt
haben. Daß heut zu Tage einiges anders iſt, weiß
ich: aber an wem liegt die Schuld?
Quidquid delirant Reges, plectuntur Achivi!
Die Koffehaͤuſer waren die Oerter, wo wir ge-
woͤhnlich hingingen, uns zu zerſtreuen. Wir ſpielten
Billard, tranken fruͤh Ratafia und Nachmittags
Wein und Koffe. Das Tabackrauchen iſt dort nicht
ſehr gewoͤhnlich; und wenn ich laͤnger in Strasburg
geblieben waͤre, — meine Pfeiffe haͤtte den Abſchied
bekommen. Abends ſezten wir uns in irgend eine
Kneipe, wo es luſtig herging: da wurde geſoffen,
getanzt und um zwoͤlf oder ein Uhr nach Hauſe ge-
gangen. Aus dieſem Geſtaͤndniß ſehen meine Le-
ſer, daß ich mich damals um kein Haar gebeſſert
hatte, und auch noch nicht auf dem Wege war, es
zu thun.
[35]
Viertes Kapitel.
Strasburger Univerſitaͤt, Pfafferei, Kontroverspredigten
und andere Raritaͤten.
Strasburg hat vor Zeiten in allen Faͤchern große
Maͤnner gehabt. Die Litteraturgeſchichte nennt uns
die Namen derer, welche in den aͤltern Zeiten den
Wiſſenſchaften dort Ehre und Wachsthum verſchaft
haben. Aber leider hat ſich heut zu Tage dieſer
Ruhm nur in der einzigen mediciniſchen Facultaͤt noch
erhalten: denn wer kennt die Namen eines Spiel-
manns und Lobſteins nicht? In der Theologie,
in der Juriſterei und Philoſophie ſieht es graͤulich
aus. Die Urſachen dieſes Uebelſtandes ſind nicht
ſch[w]er zu entdecken. Die Lehrſtellen werden hier
noch weit aͤrger beſezt, als in Gieſſen oder Heidelberg.
Da iſts doch nur hergebracht, daß man blos Landes-
kinder zu Profeſſoren befoͤrdert; in Strasburg aber
iſt das geſezlich. Alle Lehrer dieſer theuren Univer-
ſitaͤt ſind folglich lauter Strasburger Gruͤzkoͤpfe,
vorzuͤglich bei den Proteſtanten.
Zu meiner Zeit waren Lorenz und Beykert
die Matadors in der Theologie: zwei erzunwiſſende
Phantaſten und aͤußerſt intolerante Koͤpfe. Man
leſe folgendes! Ein halb heller Prediger, Stober,
[36] trug einſt den erzkezeriſchen Satz auf der Kanzel
vor: „daß das Gute, was man bei den Heiden
faͤnde, auch von dem heiligen Geiſte herkaͤme und
eine Wirkung der goͤttlichen Gnade waͤre.“ Dieſe
kezeriſche Aeußerung machte großes Aufſehen und Lo-
renz wollte durchaus, daß Stober abgeſezt werden
ſollte. Dieſer konnte ſich nicht anders retten, als
daß er auf der Kanzel widerrief, und den ſchoͤnen
Tod des Sokrates und des Leonidas, die Tugend
des Cato und den Edelmuth des Fabricius fuͤr lau-
ter Veranſtaltungen des leidigen Beelzebubs ausgab!
Seit jener Zeit iſt Stober behutſamer geworden
und hat die ſymboliſchen Buͤcher beſſer ſtudirt.
Lorenz predigt auch ſtark gegen die hohen
Hauben, Federn und Huͤte der Frauenzimmer, wie
auch wider die Schlittenfahrten und Baͤlle. Alle
dieſe Dinge und noch mehr andere, legte er aus als
graͤuliche Verfuͤhrungen des Satanas und als Zei-
chen des juͤngſten Tages. Alle Sonntage faͤhrt er
auf dergleichen Sachen los, und verkuͤndigt allen,
die da tanzen oder Schlitten fahren, die ewige
Verdammniß.
Beukert iſt nicht um ein Haar beſſer. Er
predigt roſenkreuzeriſch und ſchimpft mit unter auf
die Pariſer Moden.
Die Univerſitaͤt ſelbſt iſt in den klaͤglichſten Um-
ſtaͤnden. Juriſten ſind beinahe gar keine da und
[37] nur wenig Theologen. Dieſe ſind lauter Schan-
zer, welche ſich mit Informiren durchhelfen muͤſ-
ſen h). Dieſe theologiſchen Studenten ſind das non
plus ultra aller Schmutzerei. Sie ſitzen Mittags
und Abends in den Schmudelbuden oder Garkuͤ-
chen, verzehren da fuͤr einige Sous Gemuͤſe und
Fleiſch, und ſind gekleidet, wie weiland Donkiſchots
Schildknappe.
Hier werden manche Leſer ſtutzen und fragen:
wie es moͤglich ſey, daß in einer Stadt, wo ſo viel
guter Ton, ſo viel Galanterie herrſcht, die Studen-
ten doch ſo ein ſchmutziges Leben fuͤhren? — Aber
Geduld! ich werde das Raͤthſel loͤſen. Der gute
Ton in Strasburg findet ſich blos bei Katholiken
und ſolchen Lutheranern, die eigentlich zur Buͤrger-
ſchaft nicht gehoͤren. Alle andern haͤngen an der al-
ten Mode, wovon ſie nicht abweichen, aus Furcht,
alle ihre Privilegien zu verlieren, ſobald ſie ſich nach
franzoͤſiſcher Sitte gewoͤhnen wuͤrden. Daher ſpricht
auch ein Strasburger Philiſter ſelten franzoͤſiſch,
wenn er es auch noch ſo gut ſprechen kann, und die
Buͤrgermaͤdchen tragen noch ihre geflochtenen Zoͤpfe
[38] wie vor zweihundert Jahren. Unſere Wirthstoch-
ter war ein artiges Ding; aber die verfluchten
neun und neunzig Zoͤpfe auf dem Kopf verſtellten
ſie ganz. Ich ſprach davon mit der Mutter und
rieth ihr, ihrer Tochter einen andern Kopfputz
anzuſchaffen. Ach, behuͤte Gott! antwortete die
Alte, ich ſollte meine Tochter zur Hure machen? —
Man denke an die Logik der Strasburger Phi-
liſter!
Der Student, welcher als Schanzer bei einem
Philiſter von der Art ſteht, muß ſich aufs niedrigſte
behandeln laſſen. Er muß ſeinen Prinzipal, den
Herrn Fleiſcher, Schuſter, Schornſteinfeger u. ſ. w.
allemal auf einen hohen Fuß behandeln. Daß er ei-
nen ſolchen Kloz nie anders anreden duͤrfe als: „Um
Vergebung, mein Herr, wenn es Ihnen gefaͤllig
waͤre, mir die reſtirenden zwei Sols auszuzah-
len!“ — das, ſage ich, verſteht ſich von ſelbſt,
wenn man die Herren Philiſter ſolcher Staͤdte uͤber-
haupt nur ein wenig naͤher kennt. Daß aber der
Strasburger Philiſter ſeinen Schanzer par Er
traktirt, ihm ganz unten am Tiſche ſeinen Plaz an-
weißt, und ſein philiſtriſches Uebergewicht bei jeder
Gelegenheit fuͤhlbar macht, das iſt abſcheulich und
nicht bei allen Philiſtern anderer Oerter ſo. Wehe
aber allemal dem Studenten, der der Gnade der
Philiſter leben ſoll!
[39]
Auf dieſe Art muͤſſen die theologiſchen Studen-
ten in Strasburg kleinmuͤthig und niedertraͤchtig wer-
den. Ich wiederhole: die Beneficiar-Studirereien
taugen uͤberhaupt wenig; und wenns auch Exempel
giebt, daß der eine oder andere Beneficiat ein großer
Mann geworden iſt; ſo ſind doch gegen Ein ſolches
Exempel allemal zehn andere vorhanden, welche be-
weiſen, daß nichts eher niedertraͤchtig und ſchlecht
und weggeworfen macht, als eben Beneficien. Der
verſtorbene Herr von La Roche, Vater des jezt
noch in Berlin lebenden Majors dieſes Namens,
ſagte einmal in einer Geſellſchaft, wo ich zugegen
war, beim Anblick eines Kandidaten: „der hat ge-
wiß in Strasburg ſtudirt; ich ſehs an den Kompli-
menten: denn gerade ſolche tiefe, demuͤthige Buͤck-
linge fordern die Strasburger Philiſter.“
Mediciniſche Studenten giebt es dort auch we-
nig; aber deſto mehr Barbiergeſellen. Im Jahr
1780, wenn ich nicht irre, war ein großer Krieg in
Strasburg zwiſchen den Medicinern und Barbie-
rern; allein leztere ſiegten wegen ihrer Menge.
Lobſtein verſagte hierauf den Ba[arb]ierern ſeine
Kollegien, auch Spielmann und andere: allein
der hochweiſe Magiſtrat zwang ſie, nach wie vor
den Bartphiloſophen aufzuwarten. Ich habe auch
bei damaliger Gelegenheit ein Pasquill geleſen: der
gebrandmarkte Bartkratzer, betitelt. Sonſt
[40] muß man geſtehen, daß fuͤr die Chirurgie, Anato-
mie und Hebammenkunſt ganz vortrefliche Anſtalten
in Strasburg getroffen ſind.
Schlaͤgereien fallen unter den Strasburger Stu-
denten gewoͤhnlich nicht vor. Solche Sachen uͤber-
laſſen ſie ſehr kluͤglich dem Militaͤr. Ueberhaupt
ſpielt der dortige Student keine Rolle: er wird von
allem, was ihn umgiebt, uͤberglaͤnzt, ſo daß man ihn
gar nicht bemerkt.
Es iſt in Strasburg gewoͤhnlich, oder vielmehr
es iſt erforderlich, daß der Student, wie auch der
daſelbſt lernende Barbiergeſelle, ſich einen Beicht-
vater halte, und zu geſetzten Zeiten zum Nacht-
mahl gehe. Wer das nicht thut, wird zum Rector
gefordert, und wenn er dann noch nicht hinge-
het, wird er exkludirt, d. i. es wird ihm verbo-
ten, ferner Kollegia auf der Lutheriſchen Univerſitaͤt
zu hoͤren. Relegiren oder Stadtverweiſen kann die
Univerſitaͤt niemanden: das gehoͤrt fuͤr die andere
Obrigkeit.
So ſieht die Univerſitaͤt aus! Indeſſen giebt es
doch in S[traſb]urg manche gelehrte Maͤnner, unter
denen auch damals Einer Lutheriſcher Profeſſor war.
Er heißt Schweighaͤuſer, und iſt ein recht guter
Philolog. Herr Brunk, hernach Herr von
Brunk, und jezt wieder Herr Brunk, iſt als ein
großer Kenner antiquariſcher Ueberbleibſel und als
[41] ein maͤchtiger Kritikus, beſonders im Griechiſchen
bekannt. Seine Verdienſte um den Sophokles und
andere Alten, ſind unſterblich.
Zu den Zeiten der Jeſuiten hatten dieſe Herren
das ganze katholiſche Studium in Strasburg unter
ſich. Da mags denn auch hergegangen ſeyn, wie
an allen Orten, wo die Jeſuiten den Meiſter geſpielt
haben. Zu meiner Zeit hatte der Cardinal von
Rohan eine Art von Seminarium fuͤr Theologen
angelegt. Die uͤbrigen katholiſchen Schulen waren
unter den Haͤnden der Piariſten. Jetzo mags frei-
lich beſſer ſeyn, da Herr Eulogius Schneider
und Herr Dorſch in Strasburg auf der katholi-
ſchen Univerſitaͤt — die freilich keine autoritatem
imperatoriam hat, als gar helle Koͤpfe hervor-
ſtechen.
Zu den Zeiten der Jeſuiten war [al]le Sonntage,
Nachmittags eine Kontroverspredigt in der Domkir-
che, oder dem ſogenannten Muͤnſter. An dieſen Pre-
digten nahm der Poͤbel den waͤrmſten Antheil und
jubelte oft laut auf! Sie wurden von zwei Jeſuiten
gefuͤhrt, davon einer, der die roͤmiſche Kirchenlehre
in Schutz nahm, auf der Kanzel; der andere aber,
der den Sachwalter der Proteſtanten ſpielte, unten
ſtand. Da wurde nun geſchimpft und geſpektakelt,
daß der Poͤbel in einem fort lachte, und die armen
Proteſtanten immer den Kuͤrzern zogen. Nach dem
[42] Fall der Jeſuiten trieben andere Geiſtliche dies jeſui-
tiſche Farcenhandwerk, aber ſeltener und ohne den
Opponenten, obgleich immer noch nach einem Avis
ans Publikum in der Zeitung. Jezt wirds freilich
ganz eingeſtellt ſeyn.
Nun auch ein Wort von den Strasburger Ga-
lauterien! Privilegirte Bordelle giebt es da nicht,
aber doch heißt die Zahl der Haͤuſer Legion, worin
man ſeiner Sinnlichkeit ein Opfer bringen kann.
Einige ſind ſehr bekannt. Der Lieutenant Gym-
nich kam eines Morgens zu uns, und fragte, ob
wir Nachmittags mit ins gelbe Kreuz wollten?
Wir verſprachens und ich ſtellte mir vor, das gelbe
Kreuz ſey ein Ort, wie andere, die wir bisher be-
ſucht hatten, ein Gaſthof oder ein Kaffeehaus.
Gymnich kam des Nachmittags, uns abzuho-
len; und da Herr von F... noch Briefe zu ſchrei-
ben hatte, ſo ging ich allein mit. Wir kamen in
ein ziemlich artiges Haus vor dem Thor, wo eine
alte Madam uns in einem Salon ganz artig empfing.
Gymnich forderte eine Bouteille Wein und ging,
nachdem er ein Glas davon getrunken hatte, zur
Thuͤr hinaus. Ich wartete uͤber eine halbe Stun-
de auf ſeine Zuruͤckkunft, und war ſchon mit meiner
Flaſche am Ende, aber mein Gymnich kam nicht.
Ich fragte, was der Wein koſtete? Sechzehn Sols,
war die Antwort. Das befremdete mich gar ſehr,
[43] da es Wein war, der an andern Orten kaum ſechs
Sols koſtete. Ich bezahlte indeß. Jetzt begegnete
mir der Baron von F.... Wo willſt du hin?
fragte er. Fort! ſagte ich. Gymnich hat mich ſitzen
laſſen und iſt davon gegangen: weiß nicht, weshalb
ers gethan hat! Das laß du gut ſeyn, antwortete
er und zog mich zuruͤck. Er forderte Wein. Ich
ſtellte ihm vor, daß der hier nicht tauge und oben-
drein weit theurer ſey als anderwaͤrts; aber er ließ
ſichs nicht anfechten. Nun kam Gymnich und brach-
te drei Frauenzimmer mit, die er uns mit den Wor-
ten vorſtellte: Voila Meſrs. les demoiſelles de
la maiſon! Ich ſtand auf und machte meinen Lo-
renz, woruͤber die Maͤdchen beinahe uͤberlaut gelacht
haͤtten. Sie ſezten ſich und waren ſo ſittſam, daß
ich gar nicht muthmaßte, wer ſie eigentlich waren.
Endlich redete Gymnich ſie und mich in ſolchen Aus-
druͤcken an, daß ich jezt begrif, was fuͤr ein Toͤlpel
ich geweſen war, der anfaͤnglich nichts gemerkt hat-
ta. Aber wer haͤtte hier auch an ein ſolches Kreuz-
erfindungsfeſt denken ſollen! Alles ſo vornehm, ſo
ſittſam! Ich holte indeſſen meine Zotologie her-
vor und benutzte ſie ſo ſchoͤn, daß die Frauenzimmer
mir nicht ungeneigt zu werden ſchienen.
Gegen Abend wurde dieſes luͤſterne Haus ganz
frequent. Perſonen aller Art verſammelten ſich
in Menge, und das aſotiſche Leben dauerte ſo fort
[44] bis gegen Tag, wo wir uns denn auch weg begaben.
Die Policei laͤßt allerdings dann und wann viſitiren;
aber dieſe Viſitationen gehen nicht weiter als die zu
Frankfurt am Main i).
Auſſer den unzuͤchtigen Dirnen, welche zu
Strasburg in beruͤchtigten Haͤuſern leben, laͤuft noch
eine Menge des Abends auf den Straßen herum, vor
welchen man ſich aber in Acht nehmen muß. Ein-
mal ſind ſie meiſt alle uͤber und uͤber veneriſch,
und dann haben ſie die ſchoͤne Gewohnheit, die Fi-
cken ihrer Galans zu viſitiren und mit dem, was ſie
finden, fortzulaufen. Ueberdies laͤuft man auch noch
Gefahr, von der Patrouille, oder ſonſt einer Po-
lizeiwache ertappt und eingeſteckt zu werden.
Die Sprache der Strasburger iſt deutſch, aber
das jaͤmmerlichſte Deutſch, das man hoͤren kann, in
der allergroͤbſten, widerlichſten, abſcheulichſten Aus-
ſprache. Hoſcht, Beſcht, Madeli, Bubeli, u. ſ. w.
iſt Strasburger Dialekt. Auch Vornehme ſprechen
ſo, und der Pfaffe auf der Kanzel ſpricht vum
Herr Jeſſes Kreſchtes. Die Sprache iſt
hier noch zehnmal groͤber als in der Pfalz. Sehr
viel Franzoͤſiſch wird indeß da auch geredet, beſon-
ders beim Militaͤr. Das ſonſtige Strasburger
[45] Franzoͤſiſche taugt eben nicht viel, und der Accent iſt
vollends gar nichts nuͤtze.
Fuͤnftes Kapitel.
Der Himmel wird etwas heiterer.
Ich hatte beinahe fuͤnf Wochen in Strasburg zuge-
bracht, als ich einen Brief von meinem Vater er-
hielt, dem ein anderer vom Pirmaſenſiſchen Regie-
rungsrath Stauch beigelegt war. Herr Stauch
meldete mir, daß er mich ſeinem Herrn, dem Land-
grafen, von neuem mit Erfolg empfohlen haͤtte; und
obgleich die uͤblen Geruͤchte uͤber mich einen nach-
theiligen Eindruck gemacht haͤtten, ſo ſollte ich doch
nur getroſt ſeyn: die Darmſtaͤdter Herren wuͤrden
mir nicht ſchaden koͤnnen. Ich freute mich, daß ich
noch Freunde auch unter ſolchen fand, die mir hel-
fen konnten; denn andere hatte ich mehr als zu-
viel. — Mein Vater ſchrieb mir, ich ſollte bald zu
ihm kommen, das Vergangene ſollte vergeſſen wer-
den, wir wollten wieder gute Freunde ſeyn, er haͤt-
te ein Mittel aufgefunden, mich auf den Weg des
Gluͤcks zuruͤck zu bringen. — Der Brief meines
Vaters war uͤber die Maßen ſanft abgefaßt. Nicht
[46] einen einzigen Vorwurf, auch nicht eine harte Re-
densart enthielt er. Zugleich hatte er ſechs Karo-
lins beigelegt und ließ den Herrn von F... bitten,
ja mit nach Wendelsheim zu kommen, wo er ſich
ſeiner Schuld gegen ihn entledigen wolle.
Ich kannte F... zu gut, als daß ich ihm dieſe
Aeuſſerung haͤtte hinterbringen duͤrfen; ſonſt wuͤrde
er mich gewiß nicht nach Wendelsheim begleitet ha-
ben. Ich ſagte ihm daher weiter nichts als: ich
muͤßte fort; zeigte ihm Hrn. Stauchs Brief und
bat ihn, mich reiſen zu laſſen. Warum denn
nicht! war die Antwort. Ich bin ja bloß darum
hergereiſt, um dich aufzuheitern! da nun dein Stern
wieder zu leuchten anfaͤngt, ſo bin ichs herzlich gern
zufrieden, daß du zuruͤck kehrſt, und ich begleite dich
mit Vergnuͤgen.
Es fand ſich, daß wir im tiefen Keller fuͤr fuͤnf
Wochen 139 Gulden bezahlen mußten. F... be-
zahlte ſie, ohne daß ichs wußte; und haͤtte ichs auch
gewußt, ſo wuͤrde ich doch meinen Theil nicht haben
zahlen koͤnnen. Ich hatte ja mit meines Vaters
Karolins hoͤchſtens nur 80 Gulden, und dann war
eine Reiſe zu machen, welche auch viel koſtete. Ich
trug alſo F... an, wenn er mit etwa 40 Gulden
zufrieden ſeyn wollte, ſo koͤnnte ich die wohl entbeh-
ren; nachher wuͤrde ich ſchon fuͤr ſeine fernere
Befriedigung ſorgen. Aber da kam ich ſchoͤn an!
[47] „Denkſt du, dummer Kerl, daß F... ſo ein Flegel
iſt, und dich zu einer Reiſe beſchwazt und am Ende
dich bezahlen laͤßt? Meinſt du, daß F.... nicht ſo
'n Bettel fuͤr Kleinigkeit haͤlt? Rede mir kein Wort
weiter, oder hol mich der Teufel! wir erzuͤrnen
uns.“ — Ich bin uͤberhaupt dem edlen Baron
F... viel ſchuldig: werd's aber freilich in dieſem
Leben wol nicht bezahlen koͤnnen: anzeigen muß ichs
indeß doch, damit er ſieht, daß ich ſeine Wohltha-
thaten nicht vergeſſen habe.
Wir brachten noch einige Tage aͤuſſerſt ver-
gnuͤgt in Strasburg zu, und machten uns alsdann
auf den Weg nach Wendelsheim.
Mein Vater empfing uns ſehr freundlich und
mit einer Herzhaftigkeit, welche ich lange an ihm
nicht geſehen hatte. Das Ding drang mir in die
Seele. Am erſten Abend fing F... an, eine Apo-
logie fuͤr mich zu machen; aber mein Vater verſicher-
te, daß er alles vergeſſen habe, daß er nichts ſehn-
licher wuͤnſche, als meine Beſſerung; verſorgt und
gluͤcklich wuͤrde ich ſchon werden, wenn ich nur woll-
te klug ſeyn. Ich haͤtte nun meine Hoͤrner abgelau-
fen und koͤnnte ſchon aus eigner Erfahrung Klug-
heitsregeln hernehmen. — Mein Vater ſprach noch
viel uͤber dieſe Materie, und ſeine Worte machten
damals Eindruck auf mich; aber leider nicht fuͤr die
Dauer. Hernach bat er den Baron, ihm anzuzei-
[48] gen, was er fuͤr mich bei unſerer Luſtreiſe — ſo
nannte der ehrliche Mann unſre Fahrt — ausge-
legt haͤtte, er wolle es herzlich gern erſetzen. Aber
F... drohte, noch die Nacht unſer Haus zu ver-
laſſen, wenn noch ein Wort der Art geredet wuͤrde;
und ſo bliebs beim Alten.
Nach des Barons Abſchied redete mein Vater
ernſtlich mit mir. Hoͤre, mein Kind, ſagte er, du
haſt einige meiner Hofnungen erfuͤllen ſollen, aber
leider ich habe mich in dir geirrt — bisher naͤmlich.
Dein Leichtſinn — denn daß Bosheit bei deinen
Poſſen iſt, widerlegt die Natur dieſer Poſſen ſchon
ſelbſt — alſo dein Leichtſinn hat dich verfuͤhrt; du
biſt aber angerannt, und ich will das Schickſal
preiſen, wenns zu deiner Beſſerung geſchehen iſt. —
Sieh, es iſt noch nicht aus mit dir, du haſt noch
Hofnungen; aber erſt mußt du zeigen, daß deine
Seele geheilt iſt. Ich habe hin und her gedacht, wie
das am beſten zu machen ſey. Da fiel mir ein,
dich noch einmal auf eine Univerſitaͤt zu ſchicken.
Was meinſt du?
Ich: Das haͤngt von Ihnen ab. Ich habe
Ihre Guͤte zu ſehr misbraucht; ich muß mir alles
gefallen laſſen!
Er: Nicht ſo, mein Kind. Sieh, ich daͤch-
te, du gingſt nach Halle zu meinem Freund, dem
D.Semler. Ich werde dich da noch ein Jahr
[49] ungefaͤhr unterhalten, ſo daß du keinen Mangel lei-
deſt. Unterdeß verraucht dein uͤbler Name in un-
ſern Gegenden; du vermehrſt deine Kenntniſſe unter
der Anfuͤhrung dieſes treflichen Mannes und kommſt
zuruͤck, mir nichts, dir nichts. Schau, ſo mach es,
mein Kind und verſprich mir und deiner Mutter,
unſer Alter noch einmal froh zu machen. Du
willſt doch?“
Ich konnte meine Thraͤnen nicht zuruͤck halten
und noch weniger ein Wort hervorbringen. Unſer
Entſchluß wurde ſo gefaßt, wie mein Vater ihn an-
gegeben hatte; und von dem Augenblicke an ſchien
Ruhe und Frieden in unſere Familie zuruͤck zu keh-
ren. O des guten, edlen Vaters! Heilig ſey mir
ſein Andenken! er hats wahrlich gut mit mir ge-
meint! — Und ich? — O, es liegt eine Hoͤlle
in dieſem Gedanken.
Mein Vater ſchrieb an den ſel. Semler; ich
auch. Unſere Briefe waren lateiniſch, nach meines
Vaters und meiner damaligen Mode, mit griechi-
ſchen Verſen und Proſe ausgeſchmuͤckt.
Indeſſen wir auf Antwort warteten, beſuchte
ich meinen Major zu Gundersblum und brachte deſ-
ſen Jagdgeſchaͤfte in Ordnung. Auch ſorgte ich fuͤr
einen rechtſchafnen Jaͤger an meiner Stelle. Gern
haͤtte der Major mich behalten; aber er fand ſich in
Zweiter Theil. D
[50] in meinen Abzug, weil er von der Nothwendigkeit
deſſelben uͤberzeugt war.
An meinem bisherigen Freund Bogerk) be-
kam ich um dieſe Zeit einen trozigen, gefaͤhrlichen
Feind. Dieſer Mann hatte bei Herrn Schwan
in Manheim die Brochuͤre: Karoline und
Wander herausgegeben, die wirklich ſehr elend
war. Aber in jener Gegend, wo nichts geleſen
wurde, als etwan die Baniſe, die Meluſina,
der Kaiſer Octavianus, und hoͤchſtens Gott-
ſcheds deutſche Schaubuͤhne, wurde doch
die Misgeburt des Bogers bewundert, und uͤber-
all als ein Meiſterſtuͤck auspoſaunt.
Ich las den Wiſch auch und erklaͤrte ihn fuͤr
das, was er war — fuͤr die Geburt eines hirnlo-
ſen Gruͤzkopfs. Noch wußte ich den Verfaſſer nicht;
denn Herr Andraͤ von Woͤllſtein, von dem ich
das Buch zum Durchleſen erhielt, hatte mir ihn
nicht genannt. Mein Urtheil kam indeß zu Bogers
Ohren und brachte ihn ſo ſehr auf, daß er mir toͤdt-
liche Rache zuſchwur. Er fing damit an, daß, er
ausſprengte: er habe ſich zu dem Kinde der Tochter
des Schulmeiſters zu Wonsheim blos darum be-
kannt, weil er von meinem Vater dazu erkauft, und
[51] er zu der Zeit des Geldes hoͤchſt beduͤrftig geweſen
waͤre; uͤbrigens ſey ich eigentlich der Autor des
Kindes; mein Vater habe ihm obendrein die ganze
Summe noch nicht einmal bezahlt, u. ſ. w.
Dieſe Ausſage erfuhr ich bald und nahm mir
vor, den Burſchen derb zu zuͤchtigen, ſo ſehr ſich
auch mein Vater widerſezte. Ich traf ihn auch wirk-
lich kurz darauf im Wirthshauſe zu Siefersheim,
und troz unſerer ehemaligen Bruͤderſchaft, die nun
freilich aufhoͤrte, foderte ich ihn im derben Ton auf,
mir zu bekennen, ob er mich fuͤr den Urheber ſeines
Baſtarts in [...]nsheim ausgegeben haͤtte? oder ich
ſchluͤge ihm ſeinen verdammten Wirſingkopf in tau-
ſend Granat Stuͤcke!
Boger: Mein Gott! Herr Bruder —
Ich: Ei was Herr Bruder! Hier iſt nichts
zu Brudern! Sag er, Herr, ob er das geſagt hat?
Boger: Das kann ich nicht. Ich bin unſchul-
dig! Ich will keinen Theil an der Seligkeit haben,
wenn —
Ich: Kerl, hier keine Flauſen! Bekenne, oder
der Teufel ſoll deinen verfluchten Schaͤdel zermalmen.
Sprich, haſt du das geſagt?
Boger: Nun ja denn, wenn ich muß.
Ich: Jezt ſage, Kerl, wo haſt du [...]
geſagt?
[52]
Boger: Zu Neubamberg im Amthaus.
Ich: Wo noch mehr?
Boger: Zu Flonheim bei Diel im Wirths-
haus.
Ich: Nun geſtehe, Kerl, daß du ein erzinfa-
mer Hundsfot und Flegel biſt, ein Erzluͤgner und
ſchlechter Kerl! Biſt du das?
Boger: Ja!
Ich: Nun, lieben Leute, haben Sie gehoͤrt,
was der Herr Amtsſchreiber fuͤr ein Schuft iſt?
Sie haben ſein eigenes Geſtaͤndniß. Und du, Kerl,
packe dich, oder du ſollſt noch eine Tracht Hiebe
mitnehmen, daß dir das Fell vierzehn Tage rau-
chen ſoll.
Boger ſchob ab und die Bauern lachten ſich
beinahe bucklicht; doch blieb ich nicht lange in Sie-
fersheim, weil dieſes Dorf Mainziſch und Boger
ein Mainziſcher Amtsſchreiber war. Ich ſchrieb noch
den naͤmlichen Tag an den Amtsverwalter Schoͤn-
burg und berichtete ihm den ganzen Vorfall, und
bat dahin zu ſehen, daß ich im Mainziſchen Territo-
rium keine Anfechtungen haben moͤchte. Schoͤn-
burg antwortete ſogleich, daß der Amtsſchreiber
mir nichts in den Weg legen koͤnnte; der Kerl ſey
ohnehin ein Bengel; ich haͤtte ihm obendrein die Haut
noch ausgerben ſollen; uͤbrigens koͤnnte ich ins Main-
ziſche gehen, wann und wo ich wollte.
[53]
Aber Freund Boger war nicht ſo ruhig. E[r]
nahm, oder wollte vielmehr einen Advokaten an-
nehmen, der einen Prozeß gegen mich anhaͤngig ma-
chen ſollte. Der Advokat rieth ihm indeß, ſtill zu
ſitzen und ſeine Pillen zu verſchlucken; er wuͤrde den
Kuͤrzern ohnehin ziehen und ſich nur noch mehr
blamiren.
So geht es aber, wenn man Schufte zu Freun-
den hat. Endlich nimmt die Freundſchaft ein ſchmu-
tziges Ende! Solche Freundſchaften ſind gemeiniglich
auf nichts anders gegruͤndet, als auf vorbeirauſchen-
des, laͤrmendes Vergnuͤgen, das man nicht allein ge-
nieſſen kann, und wozu man jeden annimmt, der
ſich anbietet. So lange das Intereſſe dauert, kann
die Freundſchaft wol noch dauern; aber ſie hoͤrt auf,
ſobald das Intereſſe aufhoͤrt; ja ſie artet bei meh-
rerer Einſicht nicht ſelten in die aͤrgſte Feindſchaft
aus. — Von dieſer Art ſind auch die ſogenannten
ewigen Univerſitaͤts-Freund- und Bruͤderſchaften,
wenn gleich bei deren Stiftung hoch geſungen wird:
Ich will hier noch etwas anmerken: Unſere jungen
Univerſi [...]er pflegen gern mit ihren Landsleuten
genauen und vertrauten Umgang anzufangen und
ihnen alle ihre Heimlichkeiten zu entdecken. Das
[54] [...] nicht ſehr gut gethan! denn zu geſchweigen, daß
unter den Landsleuten oft Kalefactors ſind, welche
alles von der Univerſitaͤt nach Hauſe ſchreiben 1), um
den Frau Baſen etwas zum Klatſchen aufzutiſchen;
ſo kommen hernach die guten Leute ja in ein Land zu-
ruͤck, wo ihre Abſichten oft gewaltig zuſammen tref-
fen. Z. B. Es ſtreben Meh[]rere nach einem Amt,
verſchießen ſich in daſſelbe Maͤdchen, u. ſ. f. Nun
feinden ſie ſich einander an und ſprengen von einan-
der aus, was ſie nur Skandaloͤſes von einander wiſ-
ſen. Freilich iſt das niedertraͤchtig; es geſchieht aber
doch und deshalb ſollte ſich der Student vo[n] dem gar
zu traulichen Umgang mit Landsleuten huͤten. Der
Auslaͤnder ſezt uns in dieſe Verlegenheit nicht, oder
gewiß ſehr ſelten. — Was vollends die Freund-
ſchaften mit Adelichen auf Univerſitaͤten betrift, ſo
ſind die à la mode — wankend; und hat man
dereinſt etwas bei ſo einem adelichen Herrn Bruder
zu ſuchen, ſo iſt die Bruͤderſchaft oft mehr hinder-
lich als foͤrderlich. Und nun der Aufwand, um es
ihnen gleich zu thun! — Auch ſieht man, daß es
[55] oft nur hochmuͤehige Narren ſind, die nach derglei-
chen trachten.
An meinem erklaͤrten Feind; dem Pfarrer
Fliedner von Bornheim, haͤtte ich mich gewaltig
raͤchen koͤnnen, wenn ich gewollt haͤtte. Ich bin
aber froh, daß ichs unterlaſſen habe. Dieſer Pfar-
rer hatte ein Frauenzimmer im Hauſe, deren Ur-
ſprung und Character der ganzen Gegend ein Raͤth-
ſel war. Sie gab ſich fuͤr die Frau eines Heſſiſchen
Kapitaͤns aus, der, wie ſie vorgab, nach Amerika
gegangen ſey. Sie ſah ſehr gut aus und war ohn-
gefaͤhr 20 Jahre alt. Die Bauern, welche ohnehin
ihrem Pfarrer nicht gut waren, ſpaͤheten der Ge-
ſchichte nach, und endlich brachte der Schulmeiſter
aus authentiſchen Nachrichten heraus, daß das
Frauenzimmer ein gemeines Maͤdchen aus dem Ha-
nauiſchen waͤre, das aber ein gewiſſer junger Frei-
herr zur Maͤtreſſe genommen haͤtte. Die Eltern des
Freiherrn, welche ihn gern mit einem Fraͤulein
von *** verheirathen wollten, haͤtten dies erfahren,
und dem jungen Herrn, welcher ſonſt die Zierde des
... Adels und ein vortreflicher junger Mann war,
allen Umgang mit dem Maͤdchen ſcharf unterſagt.
Aber nun ſchlug Herr Fliedner ſich ins Mittel: er
nahm das Frauenzimmer zu ſich und geſtattete, daß
der junge Herr manche Nacht in ſeinem Hauſe zu-
brachte und ſich in den Armen ſeiner Dulcinea diver-
[56] tirte. Das alles hatten die Bauern herausgebracht,
und der Schulmeiſter trug mir jezt an, die Sache
dem Vater des Barons zu hinterbringen, aber ſo in
einem anonymiſchen Briefe. Er wiſſe, daß ich den
Curtius Rufus haſſe und ich wuͤrde mich alſo der
Gelegenheit bedienen, ihm eins zu verſetzen. Aber
ich ſchlug dieſen Antrag aus und ermahnte den Schul-
meiſter zur Ruhe. Die Sache kam nach meiner Ab-
reiſe aus der Pfalz erſt heraus, und Herr Fliedner
kann Gott danken, daß man ihn ſo durchſchluͤpfen
ließ; ſolche Unterhandlungen haͤtten eine derbe Zuͤch-
tigung verdient.
Sechstes Kapitel.
Abermalige Donquiſchotereien.
Der Baron F... war dieſe Zeit uͤber ſehr oft
bei mir und brachte es ſogar bei meinem Vater
dahin, daß ich eine Reiſe mit ihm nach Metz
thun durfte, um ein Mainzer Frauenzimmer von da
abzuholen.
Man muß wiſſen, daß es in den Gegenden
uͤbern Rhein fuͤr einen großen Vorzug des Frauen-
zimmers gehalten wird, wenn ſie Franzoͤſiſch plap-
[57] pern koͤnnen. Dieſe Raſerei geht ſo weit, daß Frauen-
zimmer, welche kein Franzoͤſiſch verſtehn und doch
den Schein davon haben wollen, viele dergleichen
Woͤrter und Redensarten in ihre deutſche Sprache
einmiſchen, und ſie jaͤmmerlich verhunzen. „Ich
bin Ihnen obliſchirt — das ſchenirt mich — er
traͤ[t]irt ihn nur ang Bagatel — o foſchiren Sie ſich
doch nicht,“ u. dergl. ſind gewoͤhnliche Phraſes der
dortigen Weibsleute, die ſie obendrein nicht ſelten
am unrechten Orte anbringen und dadurch Gelaͤchter
erregen.
Um aber das Franzoͤſiſche recht zu lernen, ſchi-
cken viele Aeltern ihre Toͤchter in Penſion nach Metz,
Strasburg, ja ſelbſt nach Lion und Paris, wo ſie
freilich das Franzoͤſiſche ziemlich fertig plappern ler-
nen; aber auch einige Sitten mitbringen, die ihnen
gar nicht zur Empfehlung dienen.
Aus eben dieſer Abſicht hatte auch ein Mainzer
Fraͤulein, eine Verwandte des Baron von F...
einige Jahre zu Metz in [Lotharingen] bei den regulir-
ten Auguſtiner-Canoniſſinnen zugebracht und ſollte
nun wieder abgeholt werden. Dieſes hatte ihr Bru-
der und der Baron F... uͤbernommen. Herr von
F... waͤhlte mich zum Reiſegefaͤhrten und ich ver-
ſtand mich gern dazu. Das Herumfahren war in
fruͤhern Jahren ſo meine Sache. Nachher habe ich
eingeſehen, wie recht Claudian ſagt:
[58]
Quemque domus juvenem vidit et ipſa ſenem.
Plus habet hic vitae, plus habet ille viae.
Mein Vater hatte gegen meine Reiſe vieles einzu-
wenden, beſonders dies: daß es nicht fein waͤre,
mich dem Baron durch unnoͤthige Ausgaben fuͤr mich
noch verbindlicher zu machen. Allein da ſowohl ich
als der Baron mit Bitten nicht nachlieſſen, ſo gab er
endlich nach, und verſah mich mit Geld, daß ich auch
ohne F...s Beutel die Reiſe vollenden konnte.
Unter Wegs fiel nichts vor, das verdiente auf-
gezeichnet zu werden. Das Lotharingiſche Volk un-
[t]erſcheidet ſich von den uͤbrigen Franzoſen durch ſeinen
Haß gegen die Franzoͤſiſche Regierung und durch ſei-
ne Freundſchaft fuͤr die Deutſchen: wenigſtens habe
ich das ſo getroffen. Sonſt iſt die Nation aͤuſſerſt
hart katholiſch, und das liebliche Fratzenbuch Anné
ſainte (das heilige Jahr) liegt auf allen Tiſchen und
wird haͤufig gebraucht. Die Kirchen in Metz ſind
den ganzen Tag uͤber voll — des Morgens zur
Meſſe und des Nachmittags zur Veſper. Von Wall-
fahrten und Proceſſionen halten die Lotharinger auch
ſehr viel. Ich gab mich hier zu Lande fuͤr einen
Pfaͤlziſchen Foͤrſter aus.
Unſer Fraͤulein erhielt gleich bei unſerer Ankunft
von unſerm Daſeyn Nachricht, und lud uns auch
[59] bald zu ſich. Da ich niemals Nonnen geſehen hatte,
ſo war ich froh, daß ich hier einige ſehen ſollte. Aber
dieſe Canoniſſinnen gefielen mir ſehr. Ich hatte ſol-
che heilige Schweſtern erwartet, wie die Moͤnche
heilige Bruͤder ſind: allein das war gefehlt! Die
geiſtlichen Damen waren munter, froh und ſcherzten
troz einem weltlichen Frauenzimmer. Nur wenige
trugen das Ordenskleid; andere gingen wie Welt-
maͤdchen. Sie haben keine Clauſur, aber Horas
halten ſie. Denn kaum waren wir eine Stunde im
Saal, ſo ſchlug die Glocke und alle Nonnen eilten
zum Chor, um da das lateiniſche Brevier hin zu plaͤr-
ren. Es iſt doch in der That ein erzteller Gedanke,
Weibern ein Buch zum Singen aufzugeben, das
ſie nicht verſtehen! Und wie ſehr iſt ſchon dagegen
geeifert worden! Aber was hilfts! der Kurialiſche
Herrenverſtand befiehlt und der am Gaͤngelband ge-
woͤhnte Kirchenverſtand gehorcht. Das iſt ſo das
Steckenpferd aller Heiligen von der Tiber bis zur —
Spree.
Die Elevinnen dieſer Auguſtinusſchweſtern wer-
den gar nicht ſtrenge gehalten und erhalten leicht Er-
laubniß, auszugehen. Doch begleitet ſie in dieſem
Fall eine Beate, auf welche die Ab [...]eſſe Vertrauen
ſezt. Die Nonnen werden durchgaͤngig Mes Dames
genannt. Sie haben auch Eigenthum, und ſpielen
ſogar l'Hombre und Tarok um Geld. Ihre Regel
[60] muß alſo gar nicht ſtrenge ſeyn. Den Thomas
von Kempen ſchaͤtzen ſie ſehr; er hat, wenn
ich nicht irre, auch zum Orden des Auguſtinus
gehoͤrt.
Wir beſuchten waͤhrend unſers Aufenthalts in
Metz, die Wein- und Kaffeehaͤuſer ſehr fleißig und
kamen beinahe taͤglich benebelt nach unſerm Logis,
der Auberge des Flamands. Eines Abends er-
regten wir Spektakel, welcher nachtheilige Folgen
fuͤr uns haͤtte haben koͤnnen, wenn uns nicht ein
Freimaurer von Frankfurt gerettet haͤtte. Wir wa-
ren naͤmlich ſehr betrunken, ich und der Baron von
F... denn unſer dritte Mann lag immer bei ſeiner
Schweſter, oder bei ſeinem Liebchen, wovon ich
gleich reden werde. — Alſo, wir waren ſehr trun-
ken. Als uns nun die Patrouille ihr: qui vit?
oder qui va là? entgegen rief, ſo lachten wir uͤber-
laut und ſchimpften auf ſie. Der Unterofficier trat
uns hierauf an, und forderte unſere Namen, weil
es ſchon Mitternacht waͤre. Aber dazu hatte F...
keine Ohren; er fuhr vielmehr fort, zu ſchimpfen,
und nannte endlich die patroullirenden Soldaten gar
filous, queux, fripons, voleurs u. dergl. Da
lief dem Unterofficier und ſeinen Leuten die Galle
uͤber, und ſie brachten uns nach der Hauptwache.
Der Officier, welcher wohl ſahe, wo es uns fehlte,
redete ſehr freundlich und bat uns, ruhig zu ſeyn; er
[61] wollte uns ſchon, ſobald es Tag wuͤrde, gehen laſ-
ſen. Aber F... fuhr fort, zu ſchimpfen und for-
derte zulezt gar den Officier heraus. Nun ließ
uns dieſer nach der priſon bringen, und gab uns
vier Mann Wache. Wir ſetzten unſer Raͤſonniren
noch lange fort, bis wir endlich auf der Pritſche
einſchliefen.
Fruͤh wachten wir auf und machten uͤber unſer
tolles Benehmen allerlei Anmerkungen. Wir ſahen
wohl, daß wir uns grob vergangen hatten, und oh-
ne ſcharfe Ahndung nicht weg kommen wuͤrden.
Denn mit dem Militaͤr in Frankreich ſpaßt es ſich
nicht! indeſſen ſprachen wir mit unſern Waͤchtern,
und einer derſelben war ſo artig, uns Schreib-
zeug zu verſchaffen, und ſich zu Ueberbringung eines
Zettels an den Herrn von ... im goldnen Loͤwen
anzubieten. Baron F... meldete darin kurz unſere
Lage, und bat ihn, ſogleich zu uns zu kommen. Er
kam auch; aber ſtatt gemeinſchaftlich mit uns zu
uͤberlegen und auf Mittel der Befreiung zu rafiniren,
machte er uns Vorwuͤrfe und ſtellte uns die Dinge,
die da kommen ſollten, recht fuͤrchterlich vor.
Gegen neun Uhr kam der Adjutant und exami-
nirte uns. Es war ein ſehr feiner Mann, der uns
mehr bedaurte, als Vorwuͤrfe machte. Er fragte
bloß nach unſerm Namen. Die Familie des Barons
ſchien ihm bekannt zu ſeyn, und da bezeugte er ſei-
[62] nen Antheil an unſerm Zufall. Auf unſere Frage,
wie es mit uns werden wuͤrde? erwiederte er: das
kaͤme darauf an, ob der Gouverneur die Sache un-
terſuchen wuͤrde, oder nicht. Im letztern Falle
wuͤrde das Ding nicht viel zu bedeuten haben; im
erſtern aber koͤnnte eine Strafe von einigen Mona-
ten Arreſt noch immer als gelinde angeſehen wer-
den. Mit dieſem Troſt verließ er uns, verſprach
aber fuͤr uns zu thun, was er koͤnnte; wenig
ſtens wollte er mit dem wachhabenden Officier
ſprechen, daß er nicht ſtark auf Genugthuung
dringen moͤchte.
Wir waren ſehr en peine, als ploͤtzlich ein
Weinhaͤndler von Frankfurt am [M]ain in unſere pri-
ſon trat und uns ankuͤndigte, daß wir frei waͤren
und man uns in einer halben Stunde entlaſſen wuͤr-
de. Dieſer Mann, Herr Wehſarg, war ein
Freimaurer; er hatte im Loͤwen auch nebſt noch ei-
nem Freimaurer logirt. Mich kannte er ſchon
laͤngſt; denn ſein Vetter war Pfarrer in unſerer
Grafſchaft — einer von den wenigen, die das Hirn
nicht erfroren hatten — und den Baron hatte er in
Metz erſt kennen lernen. Sobald er unſer Spekta-
kel erfahren hatte, war er gleich zu Officiren gegan-
gen, die auch macons waren. Bei dieſen ſollicitirte
er fuͤr uns und war ſo gluͤcklich, daß das ſchon be-
ſtellte Verhoͤr abgeſagt und die Sache unterdruͤckt
[63] wurde. Wir dankten dem ehrlichen Manne, wie
billig und nahmen den Wiſcher, den er uns ertheilte,
gern an. F... ſchenkte der Wache einen Carolin,
und kurz hernach entließ uns der Adjutant aus dem
Arreſt. Das war abermals ein Stuͤckchen!
Die Stadt Luneville haben wir auch geſehen
und die Verſchoͤnerungen bewundert, womit der wohl-
thaͤtige Philoſoph m) dieſe Stadt geziert hat. Das
Andenken dieſes wuͤrdigen Fuͤrſten iſt bei den Lune-
villern noch im Segen. Der Ton in Luneville iſt
viel feiner, als der in Metz.
Nach einem Aufenthalt von zwoͤlf Tagen woll-
ten wir abreiſen; allein unſer Fraͤulein fing an zu
klagen und legte ſich wirklich ins Bette. Der Arzt
verſicherte, daß ein Fieber auf dem Wege ſey, wel-
ches man abwarten muͤßte. Herr von F... erklaͤrte
hierauf ſeinem Vetter H..., daß er die Geneſung
ſeiner Schweſter nicht abwarten koͤnne: er ſehe ſich
genoͤthigt, ſeine Zuruͤckkunft zu beſchleunigen. Herr
von H... hatte nichts dawider, doch weilten wir
noch einige Tage und waͤrend dieſer Zeit ſpielte ich
den Unterhaͤndler bei einem Liebeshandel. Ich muß
[64] das Ding naͤher erzaͤhlen. Herr von H... hatte in
der Geſellſchaft ſeiner Schweſter einige Bekanntſchaf-
ten gemacht und dies ohne den Herrn von F... und
mich. Wir beide ſchwaͤrmten lieber herum und mach-
ten Connaͤſſanſen mit jungen Fentchen auf Koffee-
haͤuſern und Kneipen.
Eines Abends kamen wir ſpaͤt zu Hauſe und
fanden den Herrn von H... beinahe wie verruͤckt:
er faſelte wirklich, ſprach von nichts als Sternen,
ſilbernem Mond, Sympathie und andern Faxen.
Wir lachten ihn aus. Endlich brach er aus vollem
Herzen los und geſtand, daß ihn das Feuer der Au-
gen einer Subrette, welche bei einem gewiſſen vor-
nehmen Herrn diene, bezaubert haͤtte. Ich rieth
ihm, an das Maͤdchen zu ſchreiben, weil eine Schrei-
berei in ſolchen Faͤllen vortreflich wirke. Ich bot
mich auch an, ſeinen Brief zu beſtellen, doch ohne
zu glauben, daß ich einen Auftrag dieſer Art von
ihm ernſtlich erhalten wuͤrde. Allein mein Herr Ba-
ron hielt mich beim Wort. Er kuͤnſtelte einen fran-
zoͤſiſchen Brief zuſammen, den ich hernach orthogra-
phiſch berichtigen mußte, und beſchrieb darin der
Dulzinea ſeinen Herzensdrang recht Siegwartiſch.
Ich mußte, ſo ſehr ich mich ſtraͤubte, die Beſtellung
uͤbernehmen; aber da entſtand ein Skrupel bei mir:
Wie, dachte ich, wenn der Herr der Subrette dich
grob abweiſen, vielleicht gar inſultiren laͤßt, was
[65] willſt du ſagen, wenn dich jemand fraͤgt: was du
in dem Hauſe zu thun haſt? — Dergleichen Fragen
beunruhigten mich ſtark; aber ich uͤberwand alle
Schwierigkeiten, und ging Nachmittags um zwei
Uhr in das Haus des Herrn — Namen und Wuͤrde
bin ich vergeſſen. Zum Gluͤck war die Herrſchaft
nicht zu Hauſe. Ich fragte, wo die Demoi-
ſell Chambriere logire? — nach ihrem eigentlichen
Namen hatte der Herr von H... nicht gefragt —
und wurde an ihr Zimmer gewieſen. Ich klopfte an und
die Mamſell empfing mich mit einer Unbefangenheit,
die mich entzuͤckte. Erſt ließ ſie mich niederſitzen, und
dann fragte ſie nach der Abſicht meines Beſuchs.
Ich uͤberreichte ihr den Brief des Herrn von H...,
den ſie mit vieler Aufmerkſamkeit zu leſen ſchien.
Hierauf laͤchelte ſie und ſagte mir: der Herr Brief-
ſteller wuͤrde ihr willkommen ſeyn: fuͤr heute waͤre
ſie allein.
Ich eilte, meinem Freund den guten Er-
folg meiner Ambaſſade zu berichten, und begleite-
te ihn zu ſeiner Heloiſe, zog mich aber bald zu-
ruͤck, um ſeine Toridoniſchen Herzergieſſungen nicht
zu ſtoͤren. Nach der Zeit habe ich dieſes Frauen-
zimmer mehrmals geſprochen und an ihr eine von
denen gefunden, die den meiſt Bietenden feil
ſind. Der Baron H... hatte ihr anſehnliche
Zweiter Theil. E
[66] Geſchenke gemacht und dadurch in ihrer Gunſt
ſich feſtgeſezt.
Ich habe immer bemerkt, daß man dem Frauen-
zimmer bloß durch Beutel-Intereſſe angenehm wer-
den kann. Selten lieben ſie den Mann um ſeiner
ſittlichen Vorzuͤge willen, vielleicht niemals; aber
das leidige Intereſſe kettet das Maͤdchen an ihren
Geliebten. Man ſagt: das Frauenzimmer ſey be-
ſtaͤndiger und treuer als die Maͤnner; aber ihre Be-
ſtaͤndigkeit iſt ihres Eigennutzes wegen noͤthig. Ein
flatterhaftes Maͤdchen, das bald dieſem, bald jenem
anhaͤngt, arbeitet gerade wider ihren großen Zweck,
einen Mann zu bekommen. Bei den Maͤn-
nern iſt dieſes der Fall nicht; daher ſind ſie auch manch-
mal veraͤnderlich. Allein Maͤnnerliebe, im Ganzen ge-
nommen, iſt ſolid und herzlich; Weiberliebe hingegen
iſt meiſt oberflaͤchlich und gruͤndet ſich auf leidigen Ei-
gennutz. Das hat Meiſter Naſo, der große Kenner
des ſchoͤnen Geſchlechts, ſchon geſagt und die Erfah-
rung lehrt, daß er recht geſagt hat. Doch genug
hiervon!
Unſere Ruͤckreiſe war ſehr luſtig, weil der graͤm-
liche und mokante Herr von H... nicht bei uns war.
In Kreuznach beſuchte ich noch einmal die oben ge-
nannte Apothekers Tochter. Nach der Zeit habe ich
ſie nicht wieder geſehen.
[67]
Siebentes Kapitel.
Semlers Antwort. Zweites Vikariat. Begebenheiten bei
demſelben und Anſtalten zum Abzuge aus der
Pfalz.
Herr Semler hatte bald geantwortet. Seine
Briefe an meinen Vater und mich, waren in dem
herzlichen aber etwas ſteifen Tone geſchrieben, der
dem großen Manne ſo eigen war. Er ſchrieb: wenn
ich nur hundert Thaler in Halle haͤtte, ſo koͤnnte ich
mich da recht gut durchbringen. Er habe dem Di-
rector Freylingshauſen unſere Briefe vorge-
wieſen, und da er meinen Vater perſoͤnlich kenne,
ſo habe er von ihm auf mich geſchloſſen, und mich
beſtens empfohlen. Der Director habe ihm auch
verſprochen, mir ſogleich den Tiſch und ein Logis auf
dem Waiſenhauſe zu geben, wofuͤr ich bei der latei-
niſchen Schule Unterricht geben wuͤrde. Uebrigens
wolle er ſich meiner nach aller Redlichkeit anneh-
men. — (Pro eo — ich erinnere mich noch man-
cher Ausdruͤcke, deren ſich der große Mann in jenen
Briefen bediente — qui mihi eſſe conſtat, quem
que ut eſſe mihi conſtaret, allaboravi, animo.)
Man habe ihm zwar vorgeworfen, daß er ſich in Din-
ge miſche, von denen er nicht hinlaͤnglich unterrichtet
[68] zu ſeyn ſchiene: allein, wo er Gutes wirken koͤnne,
wolle er es auch thun, ſo verſchieden auch die
Umſtaͤnde ſeyn moͤchten. (Alia licet atque alia
tempora videantur, manet tamen manebit-
que perpetuo mens eadem, conſilium idem.)
Ich ſollte alſo in Gottes Namen kommen: er er-
warte mich.
Das war der Inhalt der Briefe des edlen
Mannes, worauf ich ſogleich antwortete. Von die-
ſem Augenblicke an, dachte ich an nichts weiter, als
an meinen Abzug nach Halle, wohin ich auf Oſtern
ziehen wollte.
Indeſſen ſchrieb mir der Konſiſtorialrath
Dietſch, wenn ich wollte, koͤnnte ich als Vikarius nach
Oberſaulheim gehen: der bisherige Vikarius waͤre
wieder fort; und wenn ich mich klug und ordentlich be-
tragen wuͤrde, ſo wuͤrde auch der uͤble Ruf, den ich
in der Gegend haͤtte, verſchwinden. — Allein das
Ding mit dem Vikariat wollte mir nicht in den
Kopf. Ich antwortete Herrn Dietſch, daß ich die
Pfalz verlaſſen und mich um die Geſpraͤche der Frau
Baſen nicht weiter bekuͤmmern wuͤrde.
Mein Vater dachte in dieſem Stuͤck konſequen-
ter. Das Vikariat ſchien ihm recht gut zu ſeyn, die
uͤblen Nachreden zu vertilgen, und drang darauf,
daß ich nach Oberſaulheim gehen ſollte. Ich mußte
alſo nachgeben. Meine Bauern waren herzlich froh,
[69] daß ſie mich wieder hatten: denn der Herr Si-
mon, mein Vorgaͤnger und Nachfolger, war ein
trauriger Wicht geweſen, der auf der Kanzel wie
ein Hahn kraͤhete und alle ſeine Weisheit woͤrtlich
herlas. Ich las niemals etwas ab, und das gefiel
den Bauern. Einer derſelben ſchuͤttelte mir ganz
traulich die Hand und ſagte: „Mer ſeyn grauſam
„froh, daß mer Se wedder hun: der Anner (An-
„dere) war ach gar neiſcht guts: der hot alles ab-
„geles. Mer wolle Se gehrn (gern) beholen, wann
„Se ſich ſchund (ſchon) mannichmol behaen (betrin-
„ken); Se ſeyn doch aͤ guter Parre.“
Meine Leſer glauben vielleicht, daß ſo vielfaͤl-
tige Zuͤchtigungen mich werden gewitzigt haben und
ich endlich einmal zu einer beſſern Lebensart geſchrit-
ten ſey; aber Sie irren ſich, meine Leſer! Ich fuhr
fort, wie ichs ehedem getrieben hatte. Der Dichter
hat recht:
diu. – – Und
Naturam expellas furca, tamen usque recurret.
Natura heißt mir in dieſer Stelle; unartige Ge-
wohnheit. Ich war des wilden Lebens zu ſehr
gewohnt, als daß ich mich ins Ordentliche haͤtte fuͤ-
gen koͤnnen. Auſſerdem hatte ich zu wenig Intereſſe
bei der Pfafferei, als daß ich mir haͤtte wehe thun
[70] und meinem Hang einen Zuͤgel anlegen ſollen, um
dereinſt etwas mir durchaus Verhaßtes, eine Pfaffen-
ſtelle, davon zu tragen n). Ich ſchlug alſo alle Er-
innerungen meiner Freunde und die redlichen Ermah-
nungen meines braven Vaters in den Wind und that,
was mir gefiel. Taͤglich beinahe lag ich bei einem
reformirten Prediger, deſſen Tochter mir behagte.
Ich war nichts weniger als verliebt; allein ich mußte
ſo was zum Taͤndeln haben, und dazu war die Pfar-
rerstochter gut. Sie war naͤmlich, wie jedes Pfaͤlzer-
maͤdchen von der leichtern Art, im hoͤchſten Grade
kokett und nahm manches nur obenhin. Auſſerdem
lief ich fleißig in der Gegend herum und beſuchte mei-
ne Mainzer Freunde nicht weniger.
Ein gutes Stuͤck habe ich indeß doch auf dem
Saulgau — ſo heiſt jene Gegend — damals geſtif-
tet, und ich wuͤnſche, daß meine Stiftung noch be-
ſtehen moͤge. Ich hatte naͤmlich viele Bekanntſchaft
[71] mit Schulmeiſtern. Dieſe Leute ahmen in jenen
Laͤndern ihren Herren Pfarrern nach; legen ſich auf
die faule Seite und aufs Saufen: ſehr wenige trei-
ben etwas Muſik und Rechenkunſt: andere Wiſſen-
ſchaften und Kenntniſſe ſind ihnen Boͤhmiſche Doͤr-
fer. Ich aͤrgerte mich uͤber die kraſſe, impertinente
Unwiſſenheit dieſer Leute, und nahm mir vor, ſo
weit es moͤglich waͤre, ſie heraus zu ziehen. Ich
konferirte alſo mit dem Schulmeiſter Muͤller von
Niederſaulheim, Asmus von Oberſaulheim, Taut-
fes von Udenheim, Teicher von Schornsheim, und
einigen andern. Ich ſchlug ihnen vor, eine Leſege-
ſellſchaft aufzurichten, gute Buͤcher zirkuliren zu laſ-
ſen und Convente unter ſich dann und wann anzu-
ſtellen, worauf ſie von dem, was ſie geleſen haͤtten,
ſich unterhalten und einer den andern auf wichtige
Stellen aufmerkſam machen koͤnnten. Mein Vor-
ſchlag fand Beifall: es wurde gleich etwas aufgeſezt,
worin uͤber die Unwiſſenheit der Geiſtlichen und
Schullehrer bittere Klagen gefuͤhrt wurden. Die
Leſegeſellſchaft wurde alsdann als das beſte Mittel
wider dieſes Unweſen angeprieſen, und mehr als
zwanzig Schulmeiſter ſubſkribirten. Nun konnten
gleich fuͤr mehr als zehn Gulden Buͤcher angeſchaft
werden. Das waren z. B. Catechismus der Sit-
tenlehre von Schloſſer; deſſelben Catechismus der
Religion; Schroͤckhs allgemeine Weltgeſchichte fuͤr
[72] Kinder, der Band, welcher die deutſche Geſchichte
begreift; Gellerts Werke und andere, die ſich fuͤr
dieſe Klaſſe von Leuten ſchick [...]en. Ich habe ihnen
noch mehrere aufgeſezt: ſogar habe ich ihnen gera-
then, mit der Zeit freimuͤthige Buͤcher zu leſen, ſelbſt
die neue Apologie des Sokrates, welche ich immer
fuͤr eins der Hauptbuͤcher gehalten habe, wodurch
man zur Kenntniß der heiligen Luͤgen und Fratzen
gelangen kann. Ob aber dieſes wirklich heilſame In-
ſtitut im Gange geblieben ſey, kann ich nicht ſagen.
Iſt es geblieben; ſo muͤſſen jezt jene Schulmeiſter in
ihren Kenntniſſen viel weiter ſeyn, als manche von
ihren Herren Pfarrern.
Nun muß ich eine Frage beantworten, die
meine Leſer berechtigt ſind, an mich zu thun: Wie
es naͤmlich die Zeit uͤber, mit meinem Studiren ge-
ſtanden habe? — Es ergiebt ſich ſchon von ſelbſt,
daß ich nicht ſo ſtudirt habe, wie ich haͤtte ſollen
und koͤnnen. Meine Lebensart hinderte mich daran.
Aber ganz muͤßig bin ich nicht geweſen. Ich habe
immer manch gutes Buch geleſen, beſonders Ge-
ſchichtbuͤcher. Die allgemeine Weltgeſchichte ſtudirte
ich vorzuͤglich, auch Haͤberlins Geſchichte des deut-
ſchen Reichs; nebenher uͤbte ich mich fleißig in den
aͤltern und neuern Sprachen. Mein Vater rieth
mir immer, die Philoſophie zu treiben, beſonders
die Metaphyſik; aber ich verabſcheuete ſie von jeher,
[73] naͤmlich ſeit meines Aufenthalts in Gieſſen. Ich
blieb daher von dieſer Wiſſenſchaft weg und bin bis-
her immer davon weggeblieben. Ich bin naͤmlich
der Meinung noch, daß Metaphyſik der wahren
Aufklaͤrung ſtaͤts geſchadet und faſt niemals genuzt
habe. Die tranſcendentellen Ideen laſſen ſich dre-
hen wie man will. Man ſehe nur eine Dogmatik
an, die ſyſtematiſch geſchrieben iſt, z. B. die eines
Schuberts, Carpzovs, oder eines andern or-
thodoxen Wolfiſchen Theologen; und man wird fin-
den, daß, nachdem der Verfaſſer pur eitel Leibnitzi-
ſche metaphyſiſche Axiomen und Theoremen zum
Grunde gelegt hat, alle heilige Fratzen nach mathe-
matiſcher Lehrart richtig demonſtrirt ſind. Da be-
weißt man aus dem methaphyſiſchen Grundſatze:
majus et minus non variare ſpeciem, daß alle
Suͤnden in Abſicht ihrer Moralitaͤt intenſiv unend-
lich groß ſind. Dies leitet nun die Beſchreibung ei-
nes Erloͤſers ein, der Gott und Menſch in einer
Perſon ſeyn muͤſſe und was der Poſſen mehr ſind.
Dieſen Schaden hat die liebe Metaphyſik uͤber 40
bis 50 Jahr angeſtellt, bis endlich freimuͤthige, helle
Maͤnner, ein Semler, Teller, Bahrdt und
andere, theils durch die Geſchichte, theils durch ge-
meine Menſchenphiloſophie die ſtolzen Syſteme nie-
derriſſen, und den Ungrund und das Abgeſchmackte
ſolcher uͤberforſchenden Demonſtrationen der Welt
[74] vor Augen legten. Die Geſchichte, beſonders die der
Kirche und der Weltweisheit, zeigen allemal den
ſicherſten Weg zur Einſicht und zur Aufklaͤrung. Doch
ich bin ja kein kompetenter Richter: ich rede vielleicht
von Dingen, die ich nicht verſtehe; aber meinen
Glauben muß ich doch angeben: ſonſt wuͤrde ja mei-
ne Biographie einen Hauptmangel haben.
Herr Koͤſter, der Mediciner, und ſein Bruder,
Pfarrer zu Niederſaulheim, lagen mir taͤglich an, ein-
gezogener zu leben, bis ſie ſahen, daß alles vergebens
war. Da lieſſen dieſe Braven es gut ſeyn und be-
muͤheten ſich nicht weiter, an meiner Beſſerung zu ar-
beiten, auſſer bei Vorfaͤllen, die merklich auffielen.
Meinem Vater konnten meine Poſſen nicht lan-
ge unbekannt bleiben: wenigſtens ſchrieb er mir, daß
er ſelbſt einſaͤhe, daß es nicht gut ſeyn wuͤrde, wenn
ich laͤnger in jenen Gegenden bliebe, ob er gleich auch
nicht gewiß darauf rechne, daß ich mich beſſern werde,
wenn ich anderswohin zoͤge; das alte Spruͤchwort:
oder das Senekaiſche:
Coelum mutant non animum, qui trans mare
currunt
mache ihn zwar ſchuͤchtern, doch wolle ers noch ein-
mal verſuchen; ich ſollte mich alſo zum Abzuge anſchi-
cken. — Ich aͤrgerte mich zwar etwas uͤber den
[75] Brief meines Vaters; allein der Ekel, womit ich
ſchon lange die Pfalz und alles, was Pfaͤlziſch war,
anſahe, und die Nahrung, die bei dieſer Veraͤn-
derung meine ſehr uͤbel geleitete Neugierde erhalten
mußte, verwandelten alle bisherigen widrigen Em-
pfindungen meiner unſtaͤten Seele in lauter Hofnun-
gen und Erwartungen: und dieſe Lage macht ver-
gnuͤgt und giebt uns einen gewiſſen Muth, den der
wirkliche Beſitz reeller Guͤter ſchwerlich geben kann.
Ich folgte alſo dem Willen meines Vaters, ſchickte
mich zum Abzuge an, hielt aber von neuem in Ober-
ſaulheim eine Abſchiedspredigt voll Anzuͤglichkeiten
und wahren Inpertinenzen und verließ mein Vika-
riat, ohne dem Konſiſtorium das Geringſte davon
angezeigt zu haben.
Hierauf kuͤndigte ich aller Orten, wo ich hin-
kam, meinen Abzug an, meldete aber nicht, wohin
ich mich wenden wuͤrde, ſondern ſagte bloß, daß ich
die Pfalz nicht fernerhin ſehen, wenigſtens in derſel-
ben nicht weiter leben wollte. Auch mein Vater
hatte von meiner Reiſe nach Halle nichts erwaͤhnt
und ſo waren die lieben Leute wegen meiner kuͤnfti-
gen Beſtimmung in Ungewißheit. Viele ſprengten
aus, ich wuͤrde nach Holland und von da nach In-
dien gehen; andere gaben ein Muͤſſen vor und
zwar nach folgender ſkandaloͤſen Geſchichte. Von
Udenheim aus, wahrſcheinlich auf Veranſtaltung des
[76] daſigen Pfarrers, Hrn. Wageners, ſonſt Magiſter
Weitmaul genannt, hatte ſich in der ganzen Gegend
das Geruͤcht verbreitet, ich haͤtte mich mit einem ge-
wiſſen Maͤdchen zu weit eingelaſſen und deswegen
muͤßte ich fluͤchtig werden. Waͤre dies zu der Zeit
wahr geweſen, ſo wuͤrde ich es jetzt bekennen: denn
an Offenherzigkeit, glaub ich, fehlt mir es wol nicht.
Aber es war nicht wahr, und die Anekdote war
leicht weiter nichts, als das Reſultat von Pfaffen-
rache. So dumm indeß dieſe Poſſe angeſponnen
war, ſo erhielt ſie doch, nach der bekannten Ur-
theilsfaͤhigkeit meiner reſpectiven Herren Landesleute,
ſtarken Glauben und wurde ſchon als eine gewiſſe
Thatſache, von Fraubaſe zu Fraubaſe herum getra-
gen. Die Zeit war zu kurz, um thaͤtige Genug-
thuung zu ſuchen; ich begnuͤgte mich daher mit der
Ausfertigung einer Stachelſchrift auf einige Herren
und Damen, welche mich beſonders zu blamiren ge-
ſucht hatten. Das Ding wurde durch mehrere Ab-
ſchriften publik gemacht und was es gewirkt habe, be-
richtete mir mein Vater in ſeinem erſten Brief
nach Halle.
Nachdem ich zu Hauſe angekommen war, wur-
den ernſtliche Anſtalten zur Abreiſe getroffen. Ich
ergoͤzte mich auch noch, ſo lange ich konnte, mit mei-
nen lieben Freunden, worunter aber nur Einige aus-
gehalten haben bis ans Ende, ohne jemals Falſchheit
[77] und Tuͤcke gegen mich zu beweiſen, wie ſo viele an-
dere, welche mir anfaͤnglich hofirten und hernach mich
nekten und zu beſchimpfen ſuchten. Es iſt gewiſſer-
maßen Pflicht, hier zu bekennen, daß Herr Haag,
der Foͤrſter, Herr Herman, der Kantor, die bei-
den Herren von la Roche, der Major und Kapi-
taͤn, wovon ſich der erſtere jetzt in Berlin befindet,
und noch im Herbſt 1790 ſeine Freundſchaft thaͤtig
bewieſen hat, Herr Stuber, der Pfarrer zu Flon-
heim, und Herr Forchet, der Schulmeiſter in mei-
nem Geburtsorte, meine beſtaͤndigen Freunde geblie-
ben ſind: daß auch dieſe ehrlichen Maͤnner mich bei
jeder Gelegenheit bald gewarnt, bald vertheidigt, we-
nigſtens entſchuldiget haben und daß ſie mich beſſer,
folglich auch gluͤcklicher wuͤrden gemacht haben, wenn
ich leider — nur haͤtte folgen wollen. Habt indeſſen
noch einmal Dank, ihr Edlen alle, auch Sie, Herr
Baron von F...! Verzogen war ich, verwoͤhnt
war ich, leichtſinnig war ich: aber auch boßhaft? ich
denke es nicht. Doch wozu dies, da noch ſo viele
Fatalitaͤten zu erzaͤhlen uͤbrig ſind!
Da ich wußte, daß in Halle der Wein ſehr
theuer ſey, und mein Beutel nicht hinreichen wuͤrde,
ihn zu trinken; ſo machte ich mir die wenige Zeit in
der Pfalz noch recht zu Nutze und trank gerade ſo-
viel, als ich bezwingen konnte. Zu meiner eigenen
Schande muß ich aber ſagen, daß ich ein Meiſter im
[78] Saufen war, und wenigſtens vier Bouteillen recht
guten Bechtheimer vertragen konnte, ohne mich zu
uͤbernehmen. Als ich vor einigen Jahren wieder in
der Pfalz war, glaubte ich noch eben die Fertigkeit
im Weintrinken zu haben, die ich vor Zeiten darin
gehabt hatte; allein ich irrte mich. Denn ohner-
achtet ich kaum halb ſo viel Wein zu mir genommen
hatte, als ich ſonſt ohne merkliche Veraͤnderung mei-
nes Gehirns vertragen konnte, fing ich doch an zu
wanken und mußte aufhoͤren. Alſo auch garſtige, un-
anſtaͤndige Fertigkeiten vermindern und verliehren ſich
durch Mangel an Uebung.
Meine Mutter war die Zeit uͤber ganz unthaͤ-
thig geweſen. Sie hatte oft uͤber meine Ausſchwei-
fungen geſeufzt und geweint, mir auch dann und
wann gelinde Vorwuͤrfe gemacht; aber ihre Stimme
war viel zu ſchwach, als daß ich auf ſie haͤtte hoͤren
ſollen. Meine Tante verſtand vollends von Men-
ſchenbildung und Lenkung nichts, und war ſchon zu-
frieden, wenn ich nur heiter war und ihr die Zeit
verplaudern half. Sie ſah nicht ein, daß eigentlich
ſie den erſten Grund zu meinem moraliſchen Verder-
ben gelegt und dadurch den Keim meines kuͤnftigen
Gluͤcks wurmſtichig gemacht hatte. Ich habe ihr
zwar deswegen nie Vorwuͤrfe gemacht, und mache
ihr dergleichen noch jezt nicht: ſie hat es gut gemeint.
Allein ihre wenige Erfahrung, verbunden mit ihrem
[79] Hange zum Saufen, hat dieſer ihrer guten Geſin-
nung gegen mich eine ſchiefe Richtung gegeben, ſo
wie ihre Affenliebe ſie oben drein verblendete, daß
ſie die ſchaͤdlichen Folgen von dem nicht einſahe, wozu
ſie mich theils verleitete, theils behuͤlflich war. Mein
Vater ſelbſt haͤtte beſſer gethan, wenn er ihr gar
keinen Antheil an meiner Erziehung gelaſſen haͤtte.
Doch wer kann wider Verhaͤngniß!
Achtes Kapitel.
Reiſe nach Halle.
Mein Vater begleitete mich bis Frankfurt und
ſprach unter Weges ziemlich ernſthaft, ob er gleich,
wie er hinzufuͤgte, ſeinen Worten und Vermahnun-
gen wenig Wirkung zutraute, wenn ich naͤmlich nicht
ſelbſt mit klug ſeyn wuͤrde, wozu ich doch wol Er-
fahrung genug haben moͤchte. Wuͤrde ich aber wirk-
lich mich beſſern; ſo wollte er mir den Vater ſo zei-
gen, wie ich es nur ſelbſt wuͤnſchen und hoffen koͤnn-
te. In Frankfurt gab er mir vierzehn Carolins
ohne noch fuͤnf Dukaten Reiſegeld und bezahlte die
Poſt bis Eiſenach, im Darmſtaͤdter Hof zu Frank-
furt.
[80]
Ich hatte, auſſer meinen Kleidern und Waͤſche
weiter nichts mitgenommen, als die Idyllen des
Theokrits und den Horaz. Dieſe lieblichen Dichter
ſollten mich unterhalten, wenn ich in Gaſthoͤfen auf
den Fortgang der Poſt wuͤrde warten muͤſſen. In
Friedberg war dies ſchon der Fall. Waͤhrend ich aber
las, foderte mich ein Tabuletkraͤmer zum Lottowurf
gegen drei Batzen Einſatz auf, und ließ nicht eher
nach, bis ich ſie endlich, wiewol ungern, hinwarf,
und auf den erſten Wurf die ſchoͤnſte ſchildkroͤterne
Tobaksdoſe, welche der Kerl in ſeinem Kram hatte,
gewann. Er erboßte und bot mir gleich vier, her-
nach ſechs Gulden nebſt vier freien Wuͤrfen. Ich
erklaͤrte ihm aber gerade heraus, daß ich die Doſe
auf jeden Fall behalten wuͤrde, doch wollte ich noch
einigemal werfen. Ich fuhr fort und gewann im-
mer. Der Kerl ſtutzte und gab vor, daß ihm ſeine
Wuͤrfel untreu geworden waͤren. Er langte andere
hervor; der Poſtſekretaͤr winkte mir, ich verſtand
ihn und hoͤrte nun auf. Nach einiger Zeit kamen
andere Fremde, warfen und verlohren anſehnliche
Summen.
Ich habe mich oft gewundert, daß man der-
gleichen Spizbuben — denn weiter ſind ſie nichts! —
noch duldet und ihnen ſogar von Obrigkeits wegen
erlaubt, herum zu ziehen und gewinnſuͤchtige dumme
Leute um ihr Geld zu bringen. Alle Gluͤcksbuden
[81] dieſer Art ſollten durchaus nicht geſtattet werden. In
Halle war vor einiger Zeit auch eine dergleichen Bu-
de, worin ein ſonſt nach ſeinem Stand recht wohl-
habender Soldat alles, was er hatte, verlohr, und
nachdem er das Geborgte noch obendrein verſpielt
hatte, als ein Schelm entweichen mußte. Mehrere
Andere haben ſich an dieſer Spizbubenbude arm ge-
ſpielt. — Was nuͤzt es wol, fuͤr die Erlaubniß, die
ſolchen Schuften ertheilt wird, einige Thaler einzu-
nehmen und die Unterthanen — zu denen die dum-
men Leute eben ſowohl gehoͤren als die Klugen —
ruiniren zu laſſen? — Heißt das auf eine vaͤterliche
Art der Vormund der Dummen ſeyn? Mancher er-
laubt dergleichen freilich, um die oͤffentliche Aufmerk-
ſamkeit auf ſich Alzibiadiſch von ſich abzulen-
ken; aber nicht ſo Friedrich der Große! Doch,
was weis ich von der Theorie der Ableiter und Pal-
liative! —
In Alsfeld hoͤrte ich herrliche Geſchichten
von dem damaligen Inſpektor daſelbſt, Herrn M.
Schwarz, der ehedem Profeſſor der Theologie in
Gieſſen, und ein heftiger Antagoniſt des D. Bahrdts
geweſen war. Er hat viele [Schriften] geſchrieben —
voll von Unſinn! Die Alsfelder beſchwerten ſich gar
ſehr uͤber ſein unbaͤndiges Brannteweinſaufen, ſo
daß er oft am hellen Tage auf den Straßen hinſtuͤrz-
Zweiter Theil. F
[82] te, liegen bliebe, und nach Hauſe getragen werden
muͤßte: auch daß er den Weibsleuten nachliefe und
ſchon im Buſche mit Grasnymphen waͤre gefunden
worden und was der Art Stuͤckchen mehr waren.
Ich kannte den Ehrenmann und hatte bei dieſen Re-
lationen ſo mein Vergnuͤgen, theils weil ſie einen Pfaf-
fen betrafen, theils aber und vorzuͤglich, weil Mei-
ſter Schwarz mir als ein intoleranrer garſtiger Bon-
ze bekannt war, der ſogar die Obrigkeit in ſeinen
dummen Toleranzbriefen gegen die Ketzer auf-
gefordert hat. Es iſt doch ſonderbar, daß die ortho-
doxeſten Pfaffen meiſtens auch die luͤderlichſten ſind;
und die Heterodoxen — groͤßtentheils die beſten
Menſchen. Aber jene zehren auf fremde Rech-
nung — auf Chriſti Verdienſt —; dieſe auf ihre
eigene, und da iſt man oͤkonomiſcher!
Eine Stunde ohngefaͤhr von Alsfeld hielt der
Schwager an einem Wirthshauſe ſtill. Ich ſchalt,
aber vergebens. Meiſter Poſtillion mußte einen
Schluck machen. Kurz nachher kam er an den Wa-
gen und fragte: ob ich nicht erlauben wollte, daß
zwei Frauenzimmer mit nach Hersfeld blind fuͤhren?
Ich hatte eigentlich dagegen nichts; doch wollte ich
erſt ſehen, was das fuͤr Frauenzimmer waͤren. Ich
ſtieg alſo herab und fand zwei trefliche Maͤdchen,
eine von 18, die andre von 15 Jahren, welche mir
ſehr dreiſt, nach Heſſenart, ſagten: wer ſie waͤren
[83] wo ſie herkaͤmen und wo ſie hin wollten. Nun drang
der Schwager auf Weiterfahren; aber noch ein
Glas Schnapps machte, daß wir ſo lange hielten,
bis ich meine Frauenzimmer mit Koffee, freilich, wie
er dort zu haben iſt im Kaſſelſchen, regalirt hatte.
Meine Leſer muͤſſen hier aber ja an kein anderes In-
tereſſe fuͤr mich denken, als an das, huͤbſche Ge-
ſichter zu ſehen, und Worte, die aus einem ſchoͤnen
Munde kamen, zu hoͤren. Ich fand indeß doch et-
was mehr: die Maͤdchen waren munter, wizig
und voͤllig unverdorben; daher hielt ich es auch fuͤr
Pflicht, mich anſtaͤndig zu betragen, und ihnen kei-
ne Zotologie zu leſen, wie ich ſonſt in der Pfalz beim
Frauenzimmer zu thun pflegte. Allein das wa-
ren auch Pfaͤlzer Maͤdchen, die es ſo genau nicht
nahmen!
Ich bezahlte den Poſtillion fuͤr das Blindfah-
ren bis Nieder-Aula und von da bis Hersfeld be-
zahlte ich das ordinaͤre Poſtgeld fuͤr ſie, nebſt dem
Abendeſſen. Die Maͤdchen, ſo [ſ]paͤt es ſchon war,
lieſſen mir in Hersfeld keine Ruhe, bis ich mit ih-
nen zu ihrer Mutter ging, die mich ſehr freund-
ſchaftlich aufnahm. Die Maͤdchen hatten gleich ein
Langes und Breites von mir geruͤhmt. Ich mußte
verſprechen, wenn ich wieder durch Hersfeld kaͤme,
bei ihnen einzukehren. Damals dachte ich zwar
nicht, daß ich dieſe Frauenzimmer jemals wieder
[84]
ſehen wuͤrde: aber die Folge wird zeigen, wie ſehr
ehrliche Philiſter-Freundſchaft, wenn ſie gleich kurz
iſt, eine akademiſche Ordensfreundſchaft uͤbertrift.
Ich war recht froh, daß ich aus dem Heſſen-
lande herauskam. In Heſſenland iſt alles Elend zu
Hauſe. Die Zeit wirds ſchon lehren! —
Zu Erfurt beſah ich die große Glocke und nahm
meinen Weg nach Jena. Es freuete mich, den Ort
wieder zu ſehen, von deſſen Comment ich ehedem
ſo hohe Begriffe gehabt hatte; den ich aber fuͤr dies-
mal nicht mitmachte. Statt deſſen beſuchte ich die
Herren Griesbach, Gruner und Schuͤz. Die-
ſer war mir ſchon als einer der erſten Philologen
bekannt, fuͤr den ſelbſt Herr Heyne, der ſonſt,
nach Art aller Philologen, gern kritiſirt und ſelten
lobt, viel Reſpekt hatte. Herr Griesbach war
ſehr zuruͤckhaltend und merklich jeſuitiſch. Deſto of-
fener war der herrliche Gruner, dieſer große Ken-
ner der aͤltern und neuern Geſtalt der Arzneikunde.
Ich habe recht ſelige Augenblicke bei dieſem Mann
gehabt! Er ſprach ſo offen uͤber die ganze Gelehrſam-
keit, und urtheilte insbeſondere ſo frei uͤber den je-
tzigen Zuſtand der Medicin, daß es eine wahre Luſt
war, ihn anzuhoͤren. Unſere Aerzte, meinte er,
erfaͤnden nichts neues: ſie beteten nach, uͤberſezten
und waͤren [gr]oͤſtentheils elende Sudler. Er nannte
mir einige Aeskulapier, die ich fuͤr Matadors gehal-
[85] ten hatte, und beſchrieb ſie als die aͤrgſten Pfuſcher.
Nie will ich vergeſſen, was er mir wegen der
Pathologie meines Landsmanns, des beruͤhmten
Gaubiuso), geſagt hat. Das Buch, meinte
Herr Gruner, ſey das beſte pathologiſche Hand-
buch: daß es aber ſo wenig auf Univerſitaͤten zum
Handbuch gebraucht wuͤrde, ſey nicht das Buch
ſchuld, ſondern die Schwierigkeit, welche mit der
Erklaͤrung deſſelben verbunden waͤre.
Das herzliche Weſen des biedern Schuͤz hat
mir ganz beſonders gefallen: er behandelte mich
wirklich als Freund, und ſprach mit mir uͤber Litte-
ratur und Geſchichte, weil er ſahe, daß ich an der-
gleichen wenigſtens Vergnuͤgen fand. Schuͤz iſt ſo
ganz anders, als Herr Heyne in Goͤttingen und
Freund Harles in Erlangen. Und wer ſo mit
dem philologiſchen Eſprit bekannt iſt, aber Schuͤ-
zens Verdienſte um dieſen Theil der Gelehrtheit
nicht kennt, wuͤrde ihn wahrlich fuͤr keinen Philo-
logen halten: ſo human, ſo liberal, ſo traulich iſt
Schuͤz! Ipſius ſuae Scholae vitia vita corri-
git, ſagt Seneka vom Epikur, und das kann man
mit Recht auch von Schuͤz ſagen.
[86]
Den beruͤhmten Eichhorn konnte ich nicht
ſprechen: er war verreiſet.
Der Comment der Burſche war nicht mehr ſo
ruͤde und wuͤſte als 1776; doch hatte er noch ſehr
viel Burſchikoſes: beſonders zeichneten ſich die Mo-
ſellaner durch ihre Trinkgelage, Balgereien und
andere Unarten, aus. Die Orden waren noch in
großem Flor, beſonders der der Schwarzen, derer
Senior ſich bei mir beruͤhmte, ſich mehr als 50 mal
geſchlagen zu haben. Den aͤltern und juͤngern
Hochhauſen lernte ich jezt auch kennen. Sie
waren geborne Jenenſer, und verſtanden den Com-
ment ſo gut, daß beide mehrmals relegirt wurden.
Der aͤlteſte ging als Fechtmeiſter noch in ſelbigem
Jahr nach Rußland. Der juͤngere aber, nachdem
er zwei Jahre in Weimar gefaͤnglich geſeſſen, ſodann
mit einer Muͤllersfrau davon gelaufen war, und in Ber-
lin den Winter uͤber 1789/90 den Fechtmeiſter und Re-
nommiſten gemacht hatte, iſt vor einiger Zeit Stern-
wirth [in] Jena geworden. So ſpielt das Schickſal
mit den unbandigen Soͤhnen der Muſen!
Auf der Breuhanſchenke bei Halle, gerieth ich
in Bekanntſchaft mit einem erzliederlichen halliſchen
Halloren, Knautpahl. Er ruͤhmte ſich, alle
Profeſſoren in Halle zu kennen, und both ſich an,
mich bei jedem einzufuͤhren, wo ich nur wollte. Auf
[87] meine Rechnung goß er eine Menge Brantewein,
wie klares Waſſer hinein, ohne beſoffen zu werden.
Haͤtte ich damals dieſen Schuft ſo gekannt, wie ich
ihn hernach mit meinem Schaden kennen gelernt ha-
be — ich wuͤrde mehr auf meiner Huth geweſen
ſeyn. Aber das war von jeher mein Fehler, daß
ich einem jeden gleich traute, und mich immer be-
truͤgen ließ. Freilich iſts beſſer, betrogen zu wer-
den, als ſelbſt zu betruͤgen; aber jenes iſt doch auch
nicht ruͤhmlich. — Ich fragte den Halloren nach
einem guten Logis in Halle und er empfahl mir
den — blauen Hecht!
Auf der Poſt rieth mir jemand, vier Groſchen
zu geben, damit mein Koffer nicht viſitirt und mir
nicht alles durcheinander geſchmiſſen wuͤrde. Das
ſollte ſo die Mode der meiſten Viſitatoren ſeyn: wer
ihnen blecht, ſagte man, der wird nicht viſitirt, ge-
ſezt auch, er habe noch ſo viel Kontrebande bei ſich;
wer ihnen aber nicht blecht, und ſich auf ſeine ge-
rechte Sache verlaͤßt, der muß nicht nur lange war-
ten, und allerlei Impertinenzien einſtecken, ſondern
ſeine Sachen auch herumhudeln laſſen, als wenns
geſtohlnes Gut waͤre. Wenn der Koͤnig haben will,
daß alles viſitirt werde, ſo duͤrfen die Viſitatoren
kein Geld fuͤrs Nichtviſitiren nehmen: und die gro-
ben Reden einiger dieſer Meiſter, und die Beſchaͤdi-
gung der Sachen fremder Leute, hat ihnen der Koͤ-
[88] nig weder geboten noch erlaubt. Aber — practica
eſt multiplex!
Um das Geſpraͤch meines Wirths, des Herrn
Frenzels im blauen Hecht, der unaufhoͤrlich uͤber
die Dummheit ſeines Jungens loszog, nicht laͤnger
anzuhoͤren, ging ich nach Giebichenſtein, ſahe mich
da auf dem Felſen um und betrachtete die Truͤm-
mer des alten Schloſſes, worauf in den aͤltern Zei-
ten ſo mancher Reichsfuͤrſt, Graf und Ritter, ge-
faͤnglich geſeſſen hat. Ich brachte den Tag ſo mit
Herumlaufen zu, und machte noch keine Bekannt-
ſchaft.
Neuntes Kapitel.
Meine erſten Verrichtungen in Halle.
Am andern Tag begab ich mich zu Herrn D.Sem-
ler. Ich hatte mir ſchon laͤngſt eine große Idee
von dieſem wichtigen Mann gemacht; und dieſe Idee
wurde immer groͤßer, je genauer ich ihn kennen
lernte: und ich kann mich wohl ruͤhmen, den Mann
genau gekannt zu haben. Er empfing mich nach
ſeiner Art, das heiſt, beim erſten Anblick kalt und
befremdet; kaum aber hatte er meinen Namen ge-
[89] hoͤrt, ſo rief er: aha! nun weiß ichs. Sie ſind
der Sohn des guten Laukhards, den ich vor langer
Zeit recht gut gekannt habe. Was macht denn Ihr
Vater? — Ich gab ihm alle Auskunft, und Herr
Semler freute ſich, daß der alte Metaphyſikus noch
recht geſund waͤre. Wir waren, fuhr er fort, ra-
tione ſtudiorum niemals ſo recht einig: er gab
mir gern zu, daß ein richtiges Studium der Ge-
ſchichte und der Philologie allerdings einem Theolo-
gen noͤthig ſey: er hat ſich auch, das muß ich ihm
nachruͤhmen, nicht faul in dergleichen umgeſehen;
aber da hatte er ſeine Wolfiſche Metaphyſik, das
war ſein Steckenpferd, dadurch glaubte er alle
Wahrheit zu finden und alle Irrthuͤmer widerlegen
zu koͤnnen. Gebe Gott! daß es ihm gelungen iſt,
die einzige Wahrheit gefunden zu haben: daß alles,
was uns beſſert und beruhigt, fuͤr uns nuͤzlich und
folglich wahr iſt. Aber wenn ich nach Briefen ſchlieſ-
ſen ſoll, die er mir zuweilen ſchrieb, ſo muß ich denken,
er hat fortgegruͤbelt, und ſich ein Syſtem erbauet,
das nicht fern iſt vom kalten Spinozismus, der das
Herz ſo leer laͤſt und ſchwache Seelen leicht zu Miſan-
tropen machen kann. Ich vermuthe aber, daß das
leztere bei ihrem alten Vater der Fall nicht iſt: er war
dazu immer zu human und zu liberal.
Ich fand dieſes Urtheil des rechtſchaffnen
Doctors uͤber meinen Vater ſehr gegruͤndet und
[90] mußte ihm Beifall geben. Semler ſprach endlich
lateiniſch mit mir, um, wie er ſagte, zu ſehen, ob
ich fleißig in dieſer Sprache geleſen haͤtte: Denn
wenn man fleißig lateiniſche Buͤcher geleſen haͤtte,
wie er hinzu ſezte, ſo muͤßte man ſich auch, dem Ge-
nius derſelben gemaͤß, ausdruͤcken koͤnnen; geſezt
auch, man koͤnne es, aus Mangel der Uebung,
nicht fertig. Wir ſprachen lateiniſch, und er war
mit mir zufrieden — ich ſage, er war es, und
nicht: er ſchien es zu ſeyn; denn Semlers Karakter
war ſo, daß er in ſolchen Faͤllen niemals ſchien
zu ſeyn. — Dann erkundigte er ſich nach meiner
Baarſchaft und rieth mir, nachdem ich ihm eine ge-
naue Berechnung meines Geldes abgelegt hatte, zur
Sparſamkeit: einer Tugend, die niemals die meine
war; denn dazu war ich ſchon in der fruͤhern
Jugend verdorben worden. Endlich ſchickte mich
Semler zum Herrn D.Noͤſſelt, dem damaligen
Prorektor, wo ich fuͤr die Haͤlfte der Gebuͤhren,
auf Semlers Empfehlung, die Matrikel und ein
großes Pack akademiſcher Geſetze in Empfang
nahm. Herr Noͤſſelt gab mir verſchiedene gute
Ermahnungen, aber auf ein gelehrtes Geſpraͤch,
ſo ſtark ich auch auf den Buſch ſchlug, wollte er
ſich nicht einlaſſen. Ich habe hernach mehrmals
mit ihm geſprochen, ihn aber immer ſehr zuruͤck-
haltend gefunden.
[91]
Herr Semler hatte mir aufgetragen, ihn den
andern Morgen wieder zu beſuchen, um wegen mei-
ner Beſtimmung weiter mit mir zu reden. Als ich
nun kam, gab er mir einen Brief an den verſtor-
benen Direktor des Waiſenhauſes, Herrn Frei-
lingshauſen. Dieſer empfing mich ſehr freund-
lich, ließ mich den 28. Pſalm exponiren, wie auch
die Ode des Horatius: Qualem miniſtrum fulmi-
nis alitem, lobte meine Kenntniſſe und ſchickte mich
an den verſtorbenen Inſpektor Melle, welcher mir
im ſechſten, oder dem ſogenannten Knappiſchen, Ein-
gange auf Nummer 16 ein Logis anwies. Meine
Stubenburſchen waren Poͤhler, ein naher An-
verwandter des D. Semlers, ein Mann von viel
Kopf und viel litterariſchen Kenntniſſen. Der an-
dere hieß Molweide. Beide waren ſeelengute
Leute und wir lebten ſo friedlich und einig beiſam-
men, wie Bruͤder. Mit Vergnuͤgen erinnere ich mich
noch der herrlichen Tage, die ich auf dem Waiſen-
hauſe zu meinem wahren Nutzen verlebt und her-
nach nicht mehr geſchmeckt habe. Auſſer dieſen lern-
te ich bald noch einen ſehr wuͤrdigen jungen Mann
kennen, der bei Herrn Profeſſor Niemeyer wohnte
und Bartholdi hieß. Dieſer ſchien gar nicht
Student zu ſeyn: ſo wenig kam er in Studenten-
geſellſchaften und ſo wenig verſtand er vom Com-
ment. Dafuͤr hatte er aber reine Sitten und viel
[92] geſezte Rechtſchaffenheit. Er war nie auf Schulen
geweſen, hatte ſich jedoch fuͤr ſich auf die Wiſſen-
ſchaften und alte Sprachen gelegt und nicht gemeine
Kenntniſſe erlangt. Dieſe Kenntniſſe ſuchte er durch
ununterbrochnen Fleiß zu vermehren. Herr Prof.
Niemeyer wuͤrdigte ihn ſeiner Freundſchaft und
ſeines Umgangs; und ich muß hier dieſem Manne
das Zeugniß geben, daß er dadurch, daß er hof-
nungsvollen jungen Leuten zu der Zeit den Zutritt
zu ſich geſtattete und ſie ſeines Umgangs wuͤrdigte,
ſehr viel Gutes geſtiftet hat. So was praͤgt eine
gewiſſe edle Ambition in die Gemuͤther, welche zu
lauter guten Thaten anſpornt p).
[93]
Meine Lebensart war um dieſe Zeit ſehr or-
dentlich. Ich hoͤrte zwei Kollegia bei Herrn Sem-
ler, und die Phyſik bei Karſten. Herrn Knapps
Pſalmen beſuchte ich auch einige Monathe. Herr
Semler ermahnte mich, brav alte Schriftſteller zu
leſen, und borgte mir den Homer von Barneſius,
der griechiſchen Scholien wegen; ſodann auch, um
mir Geſchmack an der Lectuͤre der Vaͤter beizubrin-
gen, die Opera Baſilii Magni, wovon ich verſchie-
denes mit Vergnuͤgen geleſen habe.
Indeſſen hatte mir Herr Freilingshauſen
die ordinaire Praͤparanz auf dem Werke — ſo nann-
ten die Studenten das Waiſenhaus — gegeben,
und Herr Paſtor Nebe forderte jezt, daß ich ſeinen
ſogenannten Katechetiſchen Vorleſungen uͤber den al-
ten Schmoͤcher des ehemaligen Prof. Joh. Jacob
Rambachs, beiwohnen ſollte. Gleich in der erſten
Stunde hatte ich aber an dieſen Vorleſungen ſo ſatt,
daß ich ſehr ungern weiter hinging. Das abge-
ſchmackte Kompendium: „Wohlunterrichteter Ka-
techet,“ und noch mehr, die angeſtellten Uebungen
p)
[94] mit Studenten und deutſchen Schuͤlern, machten
mir dieſe Lectionen gar zum Eckel. Allein ich mußte
mich fuͤgen.
Waͤhrend dieſes Kollegiums trug mir einer mei-
ner Bekannten auf, einige Tage in ſeiner Abweſen-
heit, fuͤr ihn in der erſten Maͤdchen-Klaſſe zu vika-
riren, oder ſtatt ſeiner das Kompendium uͤber die
Dogmatik von Anaſtaſius Freilingshauſen, dem Va-
ter des damaligen Direktors, zu erklaͤren. Ich ging
ohne Vorbereitung in die Klaſſe und fand, daß ich
den Kindern ein Stuͤck aus dem lieblichen Artikel
von der Rechtfertigung vortragen ſollte. Ich war
lange mit den Fratzen bekannt, welche die Theologen,
ſeit Auguſtins und beſonders ſeit Anſelmus Zeiten,
uͤber dieſen Artikel verbreitet hatten, und nahm mir
vor, meinen Unterricht auf folgende Saͤtze einzu-
ſchraͤnken: der Chriſt wird durch die Religion Jeſu,
d. h. durch die Befolgung ſeiner Sittenlehre, ge-
recht und ſelig. Chriſtus hat ſich auf mehr als eine
Art um das Juden- und Menſchengeſchlecht ver-
dient gemacht; ſein vornehmſtes Verdienſt aber be-
ſteht darin, daß er den Willen ſeines und unſers
himmliſchen Vaters, beſſer als ſonſt irgend ein Pro-
phet, geoffenbaret hat. Wer ihn alſo fuͤr einen goͤtt-
lichen Propheten haͤlt und alles glaubt und ausuͤbt,
was er gelehrt hat, iſt ein gerechtfertigter Chriſt
und wird ſelig.
[95]
Dieſe Saͤtze trug ich den Kindern vor. Ob ſie
ſelbige beſſer verſtanden haben, als die abgeſchmack-
ten Lehren des Kompendiums, weiß ich nicht; aber
das weiß ich, daß Herr Paſtor Nebe entweder
ſelbſt, oder ſonſt ein Jemand, welcher die heiligen
Anſtalten vor Ketzerei ſchuͤtzen wollte, gehorcht hatte.
Dann gleich einige Tage nachher citirte mich Herr
Nebe und befragte mich in merklich rauhem Ton,
uͤber die Ketzereien, die ich mich erdreiſtet haͤtte, den
Kindern zum Schaden ihrer Seelen vorzutragen.
Sogleich erklaͤrte er mir auch, daß ich des Tiſches,
den ich damals genoß, verluſtig waͤre. Nun war
mirs freilich nicht ſo ſehr um den Tiſch zu thun, als
um die Furcht, der Herr D. Semler moͤchte dies er-
fahren und boͤſe werden: denn als ich dieſem to-
leranten Manne meine freiern Meinungen in
ſeinem Zwinger mittheilte, gab er mir den wei-
ſen Rath, ja auf dem Waiſenhauſe nichts davon
merken zu laſſen. Daher lenkte ich jezt bei Herrn
Nebe ein und verſprach, meine Gedanken uͤber
Rechtfertigung und Verdienſt Chriſti ſchriftlich auf-
zuſetzen und ſie der Cenſur des hochwuͤrdigen
Herrn Paſtors vorzulegen. Das that ich auch
in lateiniſcher Sprache, aber ſo unbeſtimmt und
ſo zweideutig, daß der arme Nebe gewiß ſelbſt
nicht wußte, was er aus meinem Aufſatz ma-
chen ſollte.
[96]
Ich ging hierauf zum Direktor, erzaͤhlte ihm
den Vorfall und bat: er moͤchte mir, im Fall er
meiner ſich ferner bedienen wollte, eine Stunde auf
der lateiniſchen Schule anweiſen. Das Kollegium
uͤber Rambach ſey fuͤr mich eine arge Poͤnitenz.
Freilingshauſen laͤchelte und einige Tage hernach er-
hielt ich die dritte griechiſche und zweite hebraͤiſche
Klaſſe.
In der dritten griechiſchen Klaſſe las man da-
mals noch, nach der gewoͤhnlichen Unart, nichts als
das Neue Teſtament q), ein Buch, das ſich eben ſo
gut zum Geiechiſch-Lernen ſchickt, als das Brevia-
rium oder Miſſale Romanum zum Latein-Lernen.
Ich bat meine mir gewiß ſehr ergebenen Schul [...]
doch die vom Herrn Prof. Schulze herausgegebe-
[97] nen Selecta Capita ſich anzuſchaffen, welche wir
ſtatt der Epiſteln St. Pauli leſen wollten. Die
Schuͤler folgten meinem Rath und ſo war ich der er-
ſte, welcher es wagte, in graeca tertia auf dem
Waiſenhauſe zu Halle, etwas anders zu leſen, als
das ſo dunkel und altmodiſch geſchriebene Buch,
Neues Teſtament genannt.
Im Hebraͤiſchen fand ich meine Schuͤler in den
erſten Grundregeln der Grammatik verſaͤumt, und
doch ſollte ich ihnen die Pſalmen, ein an tauſend
Stellen korruptes, ſchweres Buch vorerklaͤren. Ich
ermahnte ſie, mir zu folgen und Grammatik zu trei-
ben. Auch hierin fand ich folgſame Juͤnglinge, die
ſichs gefallen ließen, daß ich ihnen die einfachſten
Regeln vordemonſtrirte, welche ſonſt ſchon ein An-
faͤnger wiſſen muß.
Ein Hauptfehler der damaligen Einrichtung auf
dem Waiſenhauſe war, daß die Inſpektoren, den
Herrn Feldhan ausgenommen, in Abſicht der
Schulwiſſenſchaften ſehr kleine Meiſter waren, um
nichts ſchlimmeres zu ſagen. Daher konnten ſie un-
moͤglich die Faͤhigkeiten der Lehrer pruͤfen: wer nur
vor ihnen ſich ſchmiegen konnte, erhielt eine Klaſſe,
wie er ſie verlangte; wer aber das nicht konnte, der
mußte nehmen, was man ihm gab, und gefiel
ihm das nicht, ſo konnte er wegbleiben. Als Herr
Zweiter Theil. G
[98]Wald, jezt Profeſſor der Philoſophie zu Koͤnigs-
berg, mein geweſener fidus Achates in Halle, ein
in allem Betracht gelehrter Mann, ſich mit dem
Inſpektor Schmidt entzweite und deshalb die gro-
be Antwort erhielt: „Wenns ihm nicht anſtaͤnde, ſo
koͤnnte er ſich packen, wohin er wollte,“ — ging
er ab und hatte Recht dazu; denn er wußte gewiß
mehr als alle Herren Inſpektoren, ſelbſt Herrn
Feldhan nicht ausgenommen. Der Inſpektor,
welchem die Wahl der Lehrer anvertrauet war, troͤ-
ſtete ſich gleich uͤber den Abgang des Herrn Walds
und ſagte: „Lehrer koͤnne man genug haben, wenn
man nur genug haben wollte! Wald habe ohnehin
von Subordination nicht viel hoͤren wollen.“
Man muß wiſſen, daß die damaligen Herren
Inſpektoren einen gewiſſen geiſtlichen Stolz beſaßen,
der freilich ſich blos in der Stuzperuͤcke gruͤndete,
aber eben deswegen, weil er ein ſo ſeichtes Funda-
ment hatte, ganz unertraͤglich war. Ueberhaupt
haͤtte ich gar viel an ſo mancher oͤffentlichen Schul-
anſtalt, beſonders in Ruͤckſicht auf Erzie-
hung zu tadeln; aber hier iſt der Ort nicht dazu,
und was wuͤrde es frommen? Genug, wer dieſe
Schrift lieſt, den ermahne ich, durch Erfahrungen
belehrt, ſein Kind ja nicht auf zu große, ſchwer zu
uͤberſehende Schul- und Erziehungsanſtalten zu
ſchicken, wenn er nicht will, daß es Gefahr laufe,
[99] an Leib und Seele verdorben zu werden. Von Er-
ziehung uͤbrigens abgeſehen, muß ich bekennen, daß
unter den vielen Lehranſtalten, die ich weit und
breit kenne, das Halliſche Waiſenhaus, noch immer
eine der vorzuͤglichſten iſt, und die vorzuͤglichſte als-
dann gewiß werden koͤnnte, wenn man auf einen
Fond bedacht waͤre, um durch angemeſſene Beſol-
dungen den faͤhigſten Koͤpfen unter den vielen in
Halle Studierenden Muth und Luſt zu einer ſtabi-
len Inſpections- oder Lehrſtelle beizubringen, und
dadurch dem zu oͤftern und zu ſchnellen Abwechſeln
mit beiden vorzubeugen. — Den Fond dazu koͤnnte
man wohl leicht alsdann haben, wenn — nach Schad-
loshaltung der jezt einmal beſtallten Lehrer durch an-
derweitige Verſorgung — die Einkuͤnfte des Halliſchen
reformirten und lutheriſchen Gymnaſiums, deren An-
ſehn ohnehin das bluͤhendſte nicht iſt, dem Waiſen-
hauſe zufielen, und dann dieſes ſelbſt angehalten wuͤr-
de, durch eine ſyſtematiſchere Aufſicht auf Buchla-
den, Apotheke, Seidenbau und Landoͤkonomie die
Verſuchung unmoͤglich zu machen, auf Koſten des
Ganzen — ſich einzeln zu bereichern. —
Ich fand gar bald die ſeligen Folgen einer or-
dentlichen Lebensart: Mein Koͤrper war geſund und
munter und meine Seele erhielt eine Heiterkeit, wel-
che von jener burſchikoſen Luſtigkeit weit entfernt
war. Faſt taͤglich, wenigſtens viermal die Woche,
[100] beſuchte ich den treflichen Semler, und begleitete
ihn zuweilen auf ſeinen Spaziergaͤngen, die er alle
Tage anſtellte. Bei ſolchen Gelegenheiten waren die
Reden dieſes großen Mannes jedesmal ſehr lehrreich
und fuͤr mich aͤuſſerſt intereſſant. Ich las mehrere
ſeiner Schriften, beſonders ſein unſterbliches Werk
vom Kanon, und ſeine Selecta capita Hiſtor.
eccleſ. Stieß ich auf etwas, was ich nicht ver-
ſtand, oder anders verſtand als er, da bat ich ihn um
Belehrung oder diſputirte dag[e]gen. In beiden Faͤl-
len betrug ſich Semler als ein Mann, dem es da-
rum zu thun iſt, daß der, welcher ihn hoͤrt, die
Wahrheit kennen lerne, und nicht, daß er ſeine
Gelehrſamkeit bewundere, welches ſo viele bezwecken
wenn ſie uͤber wiſſenſchaftliche Dinge mit Andern
ſich unterhalten.
Semler hatte mir vor allen Dingen ein ge-
naues Studium der Geſchichte empfohlen, ohne wel-
che, wie er dachte, gar keine gelehrte Kenntniß ſtatt
finden koͤnne: beſonders hatte er mir Kirchenhiſtorie
empfohlen, und in dieſer Abſicht mußte ich, auf ſei-
nen Rath das Neue Teſtament ſtudiren. Er borgte
mir zu dieſem Behuf Wettſteins Ausgabe und
mehrere gute Buͤcher. Da ich wußte, daß Semler
von den ſogenannten Zeichen und Wundern durchaus
nichts hielt, ſo bat ich ihn einſt, in ſeinem Garten,
mir einen Weg zu zeigen, dieſe Geſchichten ver-
[101] nuͤnftig zu erklaͤren. Allein er erklaͤrte mir gerade
heraus: dieſe Hiſtorien litten gar keine vernuͤnftige
Erklaͤrung: man muͤſſe ſie ſtehen laſſen: ſie enthiel-
ten ja keine Glaubensartikel, ſo wenig uͤberhaupt
Glaubensartikel in einem geſchriebenen Buche ſtehen
und geſchriebene Autoritaͤt haben koͤnnten. Ich be-
ſtand aber auf meiner Behauptung, daß, wenn ge-
wiſſe Wunder, z. B. die Auferſtehung Jeſu wegfie-
len, auch der Grund der Religion wegfiele, da die
Apoſtel ihren einzigen Beweis von daher genommen
haͤtten. „Was wollen Sie damit ſagen? — er-
wiederte Herr Semler mit Hitze, —“ die Apoſtel
nehmen ihren Beweis von Jeſu Religion aus ſeinen
Wundern? das war ja ſehr natuͤrlich! woher, um
Gottes Willen, ſollten ſie ihn denn ſonſt nehmen,
bei einem Volke, das Wunder uͤber Wunder haben
mußte und wollte? Hat das aber bei uns auch noch
ſtatt? Koͤnnen wir aus der Uebereinſtimmung unſe-
rer Vernunft mit Jeſu Religion nicht Beweis genug
fuͤr uns finden, daß er ein Geſandter Gottes war?
Iſt ſeine Sittenlehre nicht gut? iſt ſein moraliſches
ewiges Leben nicht wuͤnſchenswerth? — Und was
gut und wuͤnſchenswerth iſt, muß doch wohl ver-
nuͤnftig und wahr ſeyn?“ Ich wendete ein: daß
auf dieſe Art das Neue Teſtament gar keine eige-
ne Autoritaͤt behalte, keine Offenbarung ſey, und
daß folglich der Deiſt recht habe, wenn er mit Hin-
[102] tenanſetzung aller ſo genannten Religionslehren, al-
lein das fuͤr wahr halte, was er mit ſeiner Vernunft
in Uebereinſtimmung bringen koͤnnte. Herr Sem-
ler hatte wider dieſes nichts einzuwenden; doch
meinte er, der Deismus, wie er vorlaͤge und in
Schriften vorgetragen wuͤrde, ſey mehr ſchaͤdlich als
nuͤtzlich wegen des polemiſchen Tons, womit die
Verfechter deſſelben zu Werke gingen r). Spoͤtterei
in Religionsſachen waͤre uͤberall nichts: und die faͤn-
de man doch beinahe bei allen Deiſten s).
Doch ich wuͤrde meine Leſer ermuͤden, wenn
ich mehrere Aeuſſerungen dieſes Mannes anbringen
wollte: fuͤr mich waren ſie immer lehrreich und be-
ſtaͤrkten mich in dem Gedanken, den ich ſchon lange
zur Grundlage meiner Religion gemacht hatte, naͤm-
lich, es giebt uͤberhaupt keine goͤttliche unmittelbare
Offenbarung: die gewoͤhnlichen beruhen auf Mißver-
ſtaͤndniß oder hoͤchſtens auf fanatiſchen Grillen; es
giebt daher auch keine Geheimniſſe, keinen Gottes-
dienſt nach hoͤhern Vorſchriften und keine uͤberna-
[103] tuͤrliche Gnade. Was ich begreifen kann, iſt fuͤr
mich wahr; und was mich beſſer und ruhiger ma-
chen kann, iſt fuͤr mich ein Gut, nach deſſen Beſitz
ich ſtreben muß. — Ich hatte freilich viel moraliſche
Kenntniſſe; allein, leider auch ich erfuhr, daß Theo-
rie und Praxis, Denken und Handeln himmelweit
von einander verſchieden ſind.
Zehntes Kapitel.
Auch ein Wort vom halliſchen Komment!
Die Herren Gieſſer, Jenaer, Goͤttinger, Heidel-
berger, Strasburger, Mainzer und andere, deren
Comment ich in meiner Biographie bisher beſchrie-
ben habe, moͤchten boͤſe werden, wenn ich ganz von
dem Weſen der Hallenſer ſchwiege; und dazu haͤtten
ſie auch Recht. Ja, wuͤrden ſie ſagen, da ſieht
mans, er lebt in Halle und hat da ſo ſein Weſen un-
ter den Studenten; daher findet man von dieſen kein
Wort. Vielleicht war auch der Herr Cenſor ſchuld,
welcher das Nachtheilige fremder Univerſitaͤten ſte-
hen ließ; das aber von der Halliſchen wegſtrich. —
Allein, gemach, meine Herren! Sie irren, wenn
ſie glauben, ich wuͤrde hier partheiiſch ſeyn. Eben
[104] ſo freimuͤthig, wie ich von andern Univerſitaͤten ge-
ſchrieben habe, werde ich auch von der Halliſchen
ſchreiben, und eben ſo werde ich von den hieſigen
Studenten das ſagen, was der Zweck meines Bu-
ches mit ſich bringt.
Warum ich aber keine Bildergallerie der Halli-
ſchen Profeſſoren aufſtelle? Ob ich die Herren viel-
leicht nicht kenne? — Hoͤren Sie, meine Herren,
ich kenne die Herren meiſt alle, ſowohl von Perſon,
als nach ihren Schriften: — aber urtheilen mag
ich doch nicht uͤber alle. Die meiſten ſind uͤber
meine Schilderung erhaben; und bei einigen koͤnnte
ich mir den Verdacht der Schmeichelei zuziehen;
alſo — oder vielmehr bedenken ſie, meine Herren,
daß Friedrich II. allezeit ganz beſonders fuͤr die hie-
ſige Akademie geſorgt hat, und daß ein Zedlitz ſehr
lange ihr Curator geweſen iſt: und nun machen Sie
den Schluß, daß ein Ouvrier oder ein Bech-
told hier ſchwerlich Profeſſoren werden konnten
oder bleiben, wie man noch vor kurzem an einem
Herrn Peucker geſehen hat. Iſt ja dann und
wann ein Nebenfaden paſſirt, je nun, — keine Re-
gel ohne Ausnahme!
Aber ich vergeſſe die Ueberſchrift dieſes Kapi-
tels: Alſo vom Burſchen-Komment in Halle!
Als ich ankam, fand ich den Comment ſehr
verſchieden, wie es auf einer ſo zahlreichen Univer-
[105] ſitaͤt nicht anders zu erwarten iſt. Meine Lands-
leute, die Pfaͤlzer und alle ſogenannten Reichslaͤn-
der, zeichneten ſich damals nicht vortheilhaft aus.
Herr Dambmann, den ich gleich anfangs kennen
lernte, beſchrieb mir die Leute und warnte mich vor
ihnen. Willſt du bei Kredit bleiben, ſo meide die
Reichslaͤnder: das ſind groͤßtentheils Leute, die ſich
in allerlei Haͤndel verwickeln und endlich, wenn ſie
in Schulden bis uͤber die Ohren ſtecken, ſich heim-
lich davon machen t). Das Ding gefiel mir nicht;
aber leider die Erfahrung beſtaͤtigte mirs.
Warum die Reichslaͤnder in Halle ſo wa-
ren? — Der Grund iſt leicht einzuſehen. Wer
drauſſen Geld hat und liberal erzogen iſt, laͤuft nach
Goͤttingen, Jena oder Erlangen; wer aber keins
hat, kommt nach Halle, um ſich da ans Waiſen-
haus zu halten, und ſo ſeine Brodſtudien durchzu-
laufen. Was aber aus dergleichen Leuten zu werden
pflege, wiſſen wir.
Ich beſuchte bald nach meiner Ankuuft die
Breuhansſchenke foͤrmlich und traf eine ganze Menge
Studenten an. Ich forderte zu trinken; der Wirth
Trautmann brachte Breuhan und trank mir zu
mit den Worten: Proſt (proſit) Mosje Fuchs!
[106] dies fand ich impertinent und als ich dem Kerl einen
Filz gab, hieß es: das ſey ſo Mode: man muͤſſe
bei ihm erſt commerſiren; ſonſt ſey man noch
Fuchs. — Die Studenten, lauter Reichslaͤnder,
die zu der Zeit ihren Zug dahin hatten, ſezten ſich
nun hin, ſtimmten das: „Luſtig ſind wir, lieben
Bruͤder!“ an und luden meinen Begleiter, den
Herrn Schellenberg und mich zum Mitcommer-
ſiren ein; aber wir hatten keine Lu [...] Bruͤderſchaft-
Trinken konnte ich indeſſen nicht vermeiden. Ich
muß ſagen, daß dieſer Commerſch nach den Regeln
des Jenaer Comments ſehr elend war: es wurden
gar Gnoten-Lieder geſungen. An Saufen aber,
Schuldigbleiben und endlich nicht bezahlen, lieſſen
die Herren Reichslaͤnder es nicht ermangeln. Kurz,
der Commerſch und der Ton dieſer Leute gefiel mir
nicht. Die andern Landmannſchaften, die Schlettau,
Paſſendorf, Riedeburg, oder die Koffeehaͤuſer in
Halle beſuchten, gefielen mir beſſer. Beſonders ge-
fielen mir die Maͤrker. Dieſen kann ich mit Wahr-
heit nachruͤhmen, daß ſie groͤßtentheils Leute von
ſehr guten Grundſaͤtzen ſind. Die Urſache davon
iſt auch leicht einzuſehen. Sie gehen meiſtens, ohne
in ihrer fruͤheſten Jugend, wie die Berliner Kinder
ſelbſt, durch Luxus und den Reſidenzien-Ton ver-
hunzt zu ſeyn, nach Berlin auf Schulen, wo durch-
aus ein guter Ton herrſcht, wo Orbilismus und
[107] Pedanterei eben ſo weit entfernt ſind, als Zuͤgello-
ſigkeit oder Unflaͤterei. O wenn ich das Gluͤck ge-
habt haͤtte, einem Gedike, Buͤſching oder
Meierotto in die Haͤnde zu fallen! — — —
— — — — u).
Die Pommeraner, Magdeburger, Halber-
ſtaͤdter, Weſtphaͤlinger und Oſtfrieſen, ſind meiſt
robuſt, ſchlicht und ehrlich; gewandter, poetiſcher
und muſikaliſcher ſind die Schleſier. Profeſſioniſten
und Speiſewirthe verſtehen ſich auf die moraliſche
Phyſiognomik der Landmannſchaften ſehr genau.
Die wiſſen einem beinahe aufs Haar anzugeben,
wem man im Durchſchnitt mit Sicherheit borgen
koͤnne oder nicht. Daß es aber auch hierbei Aus-
nahmen gebe, weiß man. Wohl der Landmann-
ſchaft, bei der es ein gewiſſes National-Ehrgefuͤhl
giebt, das ſie antreibt, gemeinſchaftlich fuͤr Abwen-
dung der Schande von ſich zu ſorgen.
Nach und nach lernte ich die Herren Hallenſer
naͤher kennen, und machte manch artige Bekannt-
ſchaft. Mein angenehmſter Umgang waren die Her-
ren, Wald, jetzt Profeſſor in Koͤnigsberg, Schel-
lenberg, mein Landsmann, Moes aus Weſt-
phalen, Bartholdy, Kiefer aus Saarbruͤcken,
[108] Herr von Hammerſtein und einige andere. Wir be-
ſuchten uns gegenſeitig, unterhielten uns uͤber Sa-
chen aus dem Fache der Gelehrſamkeit, und mach-
ten uns dann und wann uͤber die hochheiligen Dog-
men luſtig, doch niemals, wie mein Deiſten-Club
in der Pfalz gewohnt war, mit Frechheit und So-
phiſterei. Zotologie oder anderes verfaͤngliches Zeug
wurde gar nicht gehoͤrt.
Die Unart der Orden hatte auch die Halliſche
Univerſitaͤt vergiftet. Beſonders regten ſich da-
mals die Konſtantiſten und Unitiſten und
ſuchten die andern Orden, die ſo unter der Hand
entſtehen wollten, z. B. den der Deſparatiſten,
deren Amulet ein Todtenkopf mit einem daran haͤn-
genden Kreutze war, und den der Juviolabili-
ſten und noch mehr dergleichen — in der erſten
Geburt zu erſticken und eine gewiſſe dirigirende Su-
perioritaͤt auf der Univerſitaͤt zu behaupten. Aber
das wollte ihnen doch in Halle, bei der großen
Menge der Studirenden, niemals ſo recht gelingen.
Da gab es ſelbſt unter den beiden Orden Schlaͤge-
reien, aber auch Profane und Landmannſchaften,
welche Muth genug hatten, den Ordensbruͤdern bei
Aufzuͤgen und andern Feierlichkeiten die Spitze zu
bieten und ſie von ihren Zuſammenkuͤnften auszu-
ſchließen. Dies letztere verfuͤgten die Weſtphaͤlinger
zuerſt, drangen gluͤcklich durch, und erhielten mit
[109] der Zeit die Schleſier zu Bundesgenoſſen wider die
Orden. Durch ihr Hauptgeſetz: keinen Ordensbru-
der oder Anhaͤnger derſelben in ihr Kraͤnzchen auf-
zunehmen, oder ihres Umganges zu wuͤrdigen, hat-
ten ſie es dahin gebracht, daß zu der Zeit, da ich
dieſes ſchreibe, die Orden beinahe all ihr Anſehn
verlohren haben und in den letzten Zuͤgen zu liegen
ſcheinen. Die Univerſitaͤt hat zwar beſtaͤndig ſehr
ſcharf auf die Orden inquirirt, und es befinden ſich
unter den akademiſchen Geſetzen ſtrenge Verordnun-
gen gegen dieſes Unweſen. Aber, wie ich ſchon
oben bemerkt habe, Poͤnal-Proceduren tilgen der-
gleichen nicht. Nur von Seiten der Obrigkeit ſie
nicht geneckt, ſie keiner inquirirenden Aufmerkſam-
keit gewuͤrdigt, und ſie verſchwinden nach und nach
von ſelbſt.
Die Sprache der halliſchen Studenten war da-
mals viel ruͤder als ſie jetzt iſt. Man weis, daß die Stu-
denten uͤberhaupt ihre ganz eigene Sprache haben, die
man auſſer der Burſchenwelt nicht wohl verſteht. Sie
iſt ein Aggregat von den ſchnurrigſten Ausdruͤcken
dieſer oder jener Provinz, Stadt, Schule, Univer-
ſitaͤt, und oft eines einzelnen luſtigen Kopfs. Je
fideler aber der Comment irgendwo iſt, deſto reicher
iſt die Burſchenſprache, und umgekehrt. In Jena
koͤnnte ein großes Woͤrterbuch mit dieſem Dialekt an-
gefuͤllt werden. Den Halliſchen hat der bekannte
[110] Magiſter Kindleben in ein Lexicon gefaßt und
bei Hendeln herausgegeben. Wer hoͤrt aber der-
gleichen heut zu Tage noch! Alles iſt jetzt edler. Die
Waiſenhaͤuſer haben indeß noch eine ganz beſondere
Mundart. So heißt z. B. ſchieſſen in der ge-
meinen Burſchenſprache ſoviel, als heimlich entwen-
den; bei den Herren Waiſenhaͤuſern aber — auf-
paſſen. Daher Schießhund ein Aufpaſſer. Ich
hatte mir es ehedem ſehr angelegen ſeyn laſſen, die
akademiſche Burſchenſprache in ihrer ganzen Ausdeh-
nung zu erlernen, und daher kommt es, daß ich jetzt
bei jeder Gelegenheit dergleichen unwillkuͤhrlich an-
bringe. Die Leſer moͤgen mir das verzeihen, und der-
lei Kleinigkeiten nicht als große Suͤnden anrechnen,
wie der Recenfent meiner Beitraͤge zu Bahrdts
Leben — in der Greifswalder Zeitung. Ich gehe
ja noch immer mit Studenten um; warum ſollte
mir ihre Sprache nicht anhaͤngen? x)
[111]
Einen Gebrauch habe ich bei den Halliſchen
Studenten — denn hier heißen ſie nicht Burſche —
bemerkt, den ich noch nirgends gefunden hatte. Das
war das Singen bei der Prorektor-Wahl. Dieſe
wird in Halle auf den 12. Julius, als den Stif-
tungstag der Univerſitaͤt, bekannt gemacht. An die-
ſem Tage zogen die Studenten ſonſt ſchaarenweiſe zu
ſechs, acht und mehreren Hunderten durch alle
Straßen und groͤlten Burſchenlieder, auch die aller-
ſchaͤndlichſten. Das Weſen [...]ing ſchon gegen fuͤnf
Uhr an, und dauerte bis in die ſpaͤte Nacht. Keine
Straße wurde vergeſſen: die Herren durchbruͤllten
auch die Winkel der Stadt. Man denke, welches
Feſt das fuͤr den Poͤbel, oder wie's in Halle
heiſt, fuͤr das grobe Zeug geweſen ſey und wie
ſich der Jan Hagel muͤſſe gefreut und angeſchloſ-
ſen haben.
Daß bei dieſer ſchoͤnen Expedition manche Ex-
ceſſe vorfielen, ohne gerade allemal von Studenten
herzuruͤhren, laͤßt ſich vermuthen. So ſehr aber
dies ſpektakuloͤſe Singen ehedem allgemein beliebt
war, ſo allgemein verhaßt und veraͤchtlich iſt es nach
und nach geworden. Der edlere Theil der Stu-
denten fand es unter ſeiner Wuͤrde, bacchantenmaͤſ-
ſig auf der Straße herum zu groͤlen und ſich zum
ſkurriliſchen Poͤbelſaͤnger herabzuſetzen, und unter-
ließ es. Der kleine obſkure Theil, der ſein Gaſſen-
[112] jungen-Recht behaupten zu muͤſſen waͤhnte, ward
des Schreiens endlich auch muͤde, und ſo kam es
dahin, daß im Jahr 1789 als Herr Semler Pro-
rector ward, die Kinderei aufhoͤrte, und ſeitdem
nicht wieder gehoͤrt iſt.
Die erſte Prorector-Wahl, welche ich 1782
in Halle erlebte, traf den Herrn Profeſſor Wol-
taͤr. Er befand ſich gerade zu Lauchſtaͤdt im Bade.
Um ihm ihre allgemeine Liebe und Hochachtung
feierlich zu bezeugen, hatten die Studenten beſchloſ-
ſen, ihn im Aufzuge mit Muſik von Lauchſtaͤdt nach
Halle abzuholen. Dies ſtritte wider die akademi-
ſchen Geſetze, und eben darum ließ der abgehende
Prorektor, Herr D.Noͤſſelt, dieſe Feierlichkeit
unterſagen. Herr Profeſſor Woltaͤr hatte ſie
ohnehin ſchon verbeten. Er war zu einſichtig, um
ſich dem Neide preis zu geben. Hinausgeritten und
gefahren wurde indeß doch, und auf lautes Murren
folgten endlich Exceſſe. Man erwiſchte einige Tu-
multuanten, ſchleppte ſie ins Carcer, und andere
beſtrafte man anders. Dies empoͤrte noch mehr
und lenkte den Tumult bis zum Einſchmeiſſen der
Fenſter. — — — — — — —
Herr Profeſſor Woltaͤr iſt aber immer der
Liebling der Studenten geblieben. So viel vermag
Fleiß und Leutſeligkeit! Grobiane und Bequemlinge
liebt man nirgends.
[113]
Das Beſuchen der Doͤrfer iſt in Halle eben ſo
ſehr Mode, als immer in Gieſſen und Jena. Der
Student liebt uͤberall Natur und Zerſtreuung. Auf
den Doͤrfern um Halle findet ſich freilich eben nichts
beſonders, nicht einmal eine gute Kegelbahn. Aber
der Halliſche Student muß einmal Doͤrfer beſuchen,
und wenns auch nur waͤre, um gekuͤnſtelte Geſichter
zu begaffen, Merſeburger Bier zu trinken, mit die-
ſer oder jener Schneidertochter, Stiefelwichſerinn
oder Peruͤckenmacherhure zu tanzen, oder des Som-
mers irgend einer Kornnymphe nachzuwittern, und
der Acciſe ein Compliment zu machen.
Da die von den Hallenſern beſuchten Doͤrfer
meiſt Saͤchſiſch ſind, ſo wird viel Geld auſſer Landes
geſchleppt. Schlettau, Paſſendorf und Reideburg
ſind daher wahre Blutigel fuͤr die Beutel der Stu-
denten. Das Acciſe-Departement hat eben darum
ſehr klug gethan, daß es dem Bahrdtiſchen Wein-
berg, der ſchon ſeiner Lage wegen, einer der ange-
nehmſten Zerſtreuungsoͤrter um Halle iſt, erlaubt
hat, Merſeburger Bier zu fuͤhren, und dadurch das
Ausſchwaͤrmen auf die Saͤchſiſchen Doͤrfer, wenig-
ſtens von dieſer Seite, unvermerkt einzuſchraͤnken.
Wer jetzt um dieſes Biers willen ſich eine Motion
machen will, hat es im Preuſſiſchen und na [...]e: er
verſaͤumt alſo weniger Zeit, erſpart Reitkoſten, da
Zweiter Theil. H
[114] er dieſe kleine Tour leicht zu Fuße macht, laͤuft nicht
Gefahr, mit ſaͤchſiſchen Soldaten oder Bauern hand-
gemein zu werden, und entgeht der Verſuchung, bei
Gelegenheit des Merſeburger-Bier-Trinkens auf
ſaͤchſiſchen Doͤrfern, auch von da aus zu contreban-
diren. Wahrlich, wer Halle und die Hallenſer
kennt, und Patriotismus hat, wuͤrde eben dieſer
Gruͤnde wegen es gern ſehen, wenn das Acciſe-De-
partement es dahin braͤchte, daß das Merſeburger-
Bier eben ſo wohlfeil in Halle waͤre, als es um
Halle herum iſt: dadurch wuͤrde mancher Unfug ge-
hoben, und gewiß an Tauſenden weniger auſſer Lan-
des geſchleppt werden.
Auch Lauchſtaͤdt iſt des Sommers ein wahres
Verderben fuͤr die halliſche Univerſitaͤt, ja ſelbſt fuͤr
die Buͤrgerſchaft. Im Jahr 1783 kam ein Brief
eines Reiſenden, und 1787 ein Schriftchen:
Lauchſtaͤdt, ein kleines Gemaͤhlde — her-
aus, worin von den Tugenden dieſes Bades und
der gewoͤhnlichen Badegaͤſte ſehr zweideutig geſpro-
chen wird; das kuͤmmert aber den Studenten nicht:
genug, wenn er nur ſeine Tour nach Lauchſtaͤdt ma-
chen kann! Und warum denn wohl? Welches Ver-
gnuͤgen kann der Herr Student in Lauchſtaͤdt erwar-
ten? Die Geſellſchaften der Badegaͤſte ſtehen ihm
nicht offen: keine Dame, kein Herr von Stande
wuͤrdigt ihn eines Anblicks, er ſey denn von Adel,
[115] und zwar von bekanntem Adel. Der Ton iſt die Ba-
dezeit uͤber ſo ſteif, als er es nur da ſeyn kann, wo
Stiftsadel den Ton angiebt: Was ſucht er alſo da?
Er, der ſonſt Ehrgefuͤhl zu haben praͤtendirt? —
Je nun, was der Student ſucht! Er geht dahin,
weils zum halliſchen Komment gehoͤrt! Da ſitzen ſie
beiſammen, die Herren, gehen herum, vigiliren,
und machen ſich ſelbſt Geſellſchaft, ſpielen mit ein-
ander, beſuchen die Komoͤdie und helfen das Geld
unter die Leute bringen. Viele ruiniren gleich den
erſten Sommer ihre Kaſſe durch das Rennen nach
Lauchſtaͤdt dergeſtalt, daß ſie die Zeit ihres Studie-
rens uͤber nicht wieder zu Kraͤften kommen koͤnnen,
und immer große Schulden haben.
Durch nichts aber ſetzen ſich die Hallenſer mehr
zuruͤck, als durch ihre ewige Touren auf Leipzig zur
Meßzeit. Es iſt nichts ſeltenes, daß einige ihren
ganzen Wechſel da ſitzen laſſen. Viele Tauſende rei-
chen wahrſcheinlich nicht zu, das alles baar zu ma-
chen, was ihnen Jubel, Komoͤdie, Maͤdchen, Pfer-
de, neumodiſche Kleidungen und der uͤbrige Stu-
dentenkram Jahr fuͤr Jahr blos in Leipzig koſtet.
Ich weiß gewiß, daß noch die vorige Oſtermeſſe ei-
nem halb bemittelten Baron nur die Livree fuͤr ſei-
nen Bedienten 129 Rthlr. gekoſtet hat. Nun
ſchließe man weiter. — Und unter dieſen luſtigen
Bruͤdern gibts leider manchen armen Schlucker, deſ-
[116] ſen Eltern es blutſauer wird, ihn nur halbweg zu
unterhalten, oder die ſich ſeinetwegen in Schulden
ſtecken, oder gar kuͤmmerlich zu Hauſe behelfen muͤſ-
ſen. Aber wer denkt an dieſen Hochverrath der kind-
lichen Liebe eher, als bis alles verjubelt, nichts ge-
lernt, und oft Ohre und Geſundheit zum groͤßten
Kummer der Eltern zu Grunde gerichtet iſt! —
Die Buͤrger in Halle machens den Studenten
treulich nach, und laufen eben ſo wie dieſe auf die
Doͤrfer, nach Lauchſtaͤdt und nach Leipzig, auch um
ſich zu verluſtiren und ihr Geld an den Mann zu
bringen. Ueberhaupt wird man finden, daß da, wo
Univerſitaͤten ſind, die Buͤrger groͤſtentheils ſtuden-
tenmaͤßig leben, und den Ton derſelben nachaͤffen.
Man gehe z. B. nach Berlin oder nach Frankfurt
am Main, auch nur nach Mainz und Strasburg,
als wo die Univerſitaͤt von gar keiner Bedeutung iſt,
und daher keinen Einfluß auf den allgemeinen Ton
hat, — und ſehe, ob da die Buͤrger in den Wein-
Bier- und Schnappshaͤuſern ihre Zeit verſchleu-
dern. Da findet man arbeitſame, haushaͤlteriſche
Leute: hingegen in Jena, Halle, Gieſſen und an
andern Orten, wo Burſchenkomment herrſchender
Ton geworden iſt, ſieht es anders aus. In Halle
zum Exempel ſind alle Kneipen taͤglich voll: man ge-
he zu welcher Stunde man will, auf den Rathskel-
ler, in die Bierhaͤuſer und Branteweinſchenken, und
[117] man wird da nicht eine finden, wo nicht mehrere
Schneider, Schuſter, Peruͤckenmacher u. a. m. an-
zutreffen waͤren. Daß dieſes kein gutes Zeichen iſt,
verſteht ſich von ſelbſt: daß man wenig wohlhabende
Handwerker da antreffen werde, kann man ſchließen,
und man ſchließt ganz richtig. Die Leute haben gu-
ten Verdienſt; aber ihre ſtudentiſche Lebensart bringt
ſie um deſſen Fruͤchte. In Jena iſt das noch viel
aͤrger: da glaubt der Philiſter, es bringe ihm Schan-
de, wenn er von ſeinem Verdienſte des einen Tages
mehr auf den andern ſpare, als er gerade noch fruͤh
zu ſeinem Schnapſe braucht. Leicht verdienen koͤn-
nen, macht alſo nicht haushaͤlteriſch. —
Eilftes Kapitel.
Fortſetzung. Bordelle in Halle. Waiſenhaus.
Profeſſor Wolf.
Im Sommer 1782 war der bekannte Aventurier
Abt mit einer Geſellſchaft groͤſtentheils elender
Schauſpieler zu Reideburg angekommen, und hatte
da bei Meiſter Zacharias Schmid Quartier ge-
nommen. Abt hatte dieſem Schmid und ſeiner Frau
weis gemacht, daß er durch ihn reich werden koͤnnte,
[118] und Schmid ließ ſich bereden, ein Schauſpielhaus
von Brettern aufzubauen. Nun ward angefangen
zu ſpielen. Ich beſuchte gleich anfangs dieſes Spekta-
kel, fand aber eine ſehr elende Vorſtellung recht gu-
ter Stuͤcke, obgleich einige Akteurs, vorzuͤglich die
Madame Abt, noch ziemlich waren. Allein die hal-
liſchen Studenten, die groͤſtentheils noch nichts von
dergleichen geſehen hatten, und die Philiſter mit ih-
ren Weibern und Toͤchtern liefen nach Reideburg
ſchaarweiſe, und beklatſchten die Aktionen, als haͤtte
ein Reinike oder Fleck agirt, und eine Mara
oder Claͤron geſungen. Das Schauſpielhaus war
immer voll, und wer ein wenig ſpaͤt kam, fand kei-
nen Platz.
Der Prorektor ließ ſcharfe Befehle wider das
Komoͤdienbeſuchen anſchlagen: wer einen angeben
wuͤrde, naͤmlich von den Studenten, der wirklich in
der Komoͤdie geweſen waͤre, ſollte fuͤnf Thaler Be-
lohnung erhalten, und ſein Name ſollte verſchwie-
gen bleiben. Der Schuldige ſollte in ſolchen Faͤllen
zehn Thaler Strafe geben. Dieſer Verordnung ohn-
erachtet, und ſo viele auch darnach geſtraft wurden,
wurde doch Abts Theater noch immer beſucht. Und
Abt konnte dennoch nicht ſubſiſtiren: er war ein
Menſch, der die Rechnung ohne den Wirth machte,
und ins Gelag hinein lebte, in Hoffnung beſſerer
Zeiten. Nachdem er demnach eine Menge Schulden
[119] gemacht hatte, ging er fort, und ließ dem hochwei-
ſen Zacharias Schmid ſeine Garderobe zum Erſatz.
Das Jahr darauf kam eine noch weit elen-
dere Bande nach Paſſendorf. Ihr Direktor hieß
Schmettau. Sie ſpielten abſcheulich, und ſpiel-
ten, wenn ſie gleich nicht mehr als zwei Thaler loͤſen
konnten. Minna von Barnhelm habe ich auch da
geſehen. Das Ding wurde aͤrgerlich verhunzt.
Schmettau hatte ſich in die ſogenannte Oberſchenke
einlogirt; ſeine Leute waren im Dorfe verſtreut. Er
konnte ſich nicht lange halten. Denn ſeine Buͤhne
wurde nur ſelten beſucht, weil das Verbot noch im-
mer fortdauerte, ja gar erneuert und mit aller
Strenge befolgt wurde. Zwar verkleideten ſich die
Studenten, welche die herrlichen Schauſpiele den-
noch ſehen wollten, in Bauern, Fleiſcher, Maͤdchen,
Peruͤckenmacher u. dergl. ſie vermaskirten ſich, und
ſuchten auf dieſe Art den Spuͤrhunden zu entgehen:
allein die Anzahl der Zuſchauer reichte doch zum
Auskommen nicht zu. Endlich machte ein Verbot
des Dresdner Hofes dieſem theatraliſchen Unweſen
auf den Doͤrfern um Halle ein Ende: die halliſche
Univerſitaͤt hatte dies durch Vermittelung des Berli-
ner Hofes bewirkt: und ſeitdem waren keine Komoͤ-
dianten mehr um Halle herum.
Saufen und Beſaufen iſt der halliſchen Stu-
denten Fehler nicht: das iſt in Jena und Gießen
[120] Mode; in Halle herrſcht in Abſicht des Trinkens
viel Decenz. Das Bier iſt hier nicht ſtark, und
wer ſich darin benebeln wollte, muͤſte eine gewaltige
Portion zu ſich nehmen. Brantewein wird noch we-
niger, oder vielmehr gar nicht getrunken. Wenn
daher ſchon dieſer oder jener ſich nun und dann den
Kopf ſchwer macht durchs kleine Glas, oder durch
Wein und Punſch, ſo kommt dergleichen doch nicht
auf die Rechnung der ganzen Studentenſchaft. Ge-
nug, daß die meiſten ſehr ſauber und ordentlich —
in Abſicht des Trunkes ſind.
Ich wuͤnſchte, daß ich unſere Studenten in
Abſicht der uͤbrigen jugendlichen Ausſchweifungen
eben ſo ruͤhmen koͤnnte. Allein ich muß, um die
Aufrichtigkeit nicht zu beleidigen, mit welcher ich
meine und meiner Bekannten Haͤndel erzaͤhlen will,
geſtehen, daß hier manches peccirt wird. Es giebt
zwar keine Bordelle oͤffentlich in Halle: aber es
giebt doch Loͤcher, worin der Auswurf des weiblichen
Geſchlechts dem thieriſchen Wolluͤſtling mit ihrer
halbfaulen Fleiſchmaſſe fuͤr ein geringes Geld zu Ge-
bote ſteht. Doch muß ich gleich auch bekennen, daß
die Zahl dieſer Loͤcher ſich ſeit einiger Zeit ſehr ver-
mindert hat. Ich berichte alſo denen, welche ſonſt
in Halle geweſen ſind, und den Buffkeller, die tiefe
Demuth, das rothe Laͤppchen, den Korb und mehr
dergleichen ſcheusliche Loͤcher gekannt haben, daß dieſe
[121] nicht mehr ſind, und daß nur noch einige meiſt ganz
unbekannte Spelunken dieſer Art uͤbrig ſind. Frei-
lich ſchaden dieſe unbekannten Moͤrdergruben um ſo
mehr, je unbekannter und verborgener ſie ſind. Die
Menſcher, welche ſich da bei kuppelnden Soldaten-
weibern hinlegen, kommen gewoͤhnlich von Leipzig,
ſind groͤſtentheils inficirt, und verbreiten ihr Gift
weiter. Und wie es nun ſonſt geht, daß Pfuſcher
die veneriſchen Kuren uͤbernehmen, ſo geht es auch
hier. Mir ſind mehrere traurige Exempel bekannt,
wie dieſe Pfuſcher zu Moͤrdern geworden ſind. Ein
gewiſſer B... der hier zweien abſcheulichen Bart-
kratzern uͤber 50 Thaler fuͤr ihre Sudelei hatte ge-
ben muͤſſen, verließ im Herbſt das Waiſenhaus, um
nach ſeiner Heimath zuruͤck zu kehren; er kam aber
nicht weiter als nach Jena, und ſtarb da. Schur-
ken waren ſeine Aerzte geweſen. Ein Lieflaͤnder, der
im Jahre 1785 gleichfalls einem von jenen beiden
Pfuſchern in die Haͤnde gefallen war, muſte in Luͤ-
beck den Geiſt aufgeben. Eben ſo ging es 1786 ei-
nem meiner Landsleute: er erreichte zwar noch ſei-
ne Vaterſtadt, ſtarb aber gleich den folgenden Tag
nach ſeiner Ankunft: den hatten die Bartkratzer auch
verpfuſcht!
Es iſt hier der Ort nicht, zu unterſuchen, ob
man uͤberhaupt Bordelle dulden ſolle: aber derglei-
chen Loͤcher, wie die halliſchen ſind, ſollten durch-
[122] aus nicht geſtattet werden: die Policei koͤnnte ſich
ein Verdienſt erwerben, wenn ſie dieſe Kammern der
niedrigſten Wolluſt vernichten und zerſtoͤren ließ.
Pflicht iſt es doch immer, als Vormund der ganzen
Buͤrgerſchaft auch fuͤr das Wohl der Jugend zu ſor-
gen und dieſe vor Schaden zu ſichern. Der Uni-
verſitaͤt kann die Fortdauer dieſes Unweſens auf kei-
ne Weiſe zur Laſt gelegt werden. Der Prorektor
hat den abſcheulichen Makeros und Makerellen nichts
zu befehlen: er kann hoͤchſtens die Studenten beſtra-
fen, von denen er erfaͤhrt, daß ſie an ſolchen Oer-
tern geweſen ſind. Aber die Policei kann und ſollte
auch billig die Loͤcher ſelbſt zerſtoͤren; oder wenn es
durchaus noͤthig iſt, mit den Bordellen durch die
Finger zu ſehen, je nun, ſo koͤnnte man von Poli-
cei wegen ſolche Einrichtungen treffen, daß der
Schaden, der ſonſt geſtiftet wird, wo nicht ganz
verhuͤtet, doch verringert wuͤrde.
Auſſerdem geht es den Hallenſern, wie den
Goͤttingern, Gieſſern, Jenenſern und andern Uni-
verſitaͤtern: ſie muͤſſen oft wegen anomaliſcher Bei-
traͤge zur Bevoͤlkerung ſtarke Summen y) auszah-
len; doch ſoll man auf der hieſigen Univerſitaͤt ſich
alle gerichtliche Verſchwiegenheit verſprechen koͤnnen.
[123] Ein gewiſſer R..., der ohngefaͤhr vor 16 Jahren
in Halle ſtudirt hatte, ſollte in der Pfalz bei einem
Edelmanne Pfarrer werden: die Bauern, die den
Mann Gottes aus andern Gruͤnden nicht haben woll-
ten, entdeckten, daß Herr R... in Halle zu zaͤrt-
lich geweſen waͤre. Ihr Advokat muſte dahin ſchrei-
ben, bekam aber zum Beſcheid: daß dergleichen nicht
bekannt geworden waͤre. — Das iſt loͤblich! wozu
Bekanntmachung von Dingen dieſer Art? Die hal-
liſche Univerſitaͤt verfaͤhrt in dieſem Stuͤck kluͤger,
als die Marburger. Dieſe ſchickte noch vor kurzem,
wie ſonſt, eine große Liſte ihrer Relegirten, oder
mit dem Conſilium abeundi entlaſſenen an andere
Univerſitaͤten herum, und ließ die Namen derſelben
an die ſchwarzen Bretter anſchlagen. Dieſe Proce-
dur hat der Marburger Univerſitaͤt ſehr geſchadet.
Wer will wohl gern einen Sohn auf eine Univer-
ſitaͤt ſchicken, wo er Gefahr laͤuft, wegen einer
Lapperei relegirt, und hernach an allen ſchwar-
zen Brettern, wie auch im frankfurter Riſtretto
blamirt zu werden? Quaevis caſtigatio ca-
lumnia vacare debet, lehren die Juriſten. Ich
kenne Maͤnner, welche jezt in großen Aemtern
ſtehen, und doch ehedem von Halle relegirt
wurden. Aber man iſt hier vernuͤnftig, und
dehnt ſeine Gewalt nicht uͤber die Graͤnzen der
Univerſitaͤt hinaus.
[124]
Das aͤuſſere der Hallenſer haͤlt eine gute Mittel-
ſtraße zwiſchen dem ruͤden Weſen der Jenenſer und
Gieſſer, und der firlefanziſchen Ziererei der Herren
Leipziger. Vor zehn Jahren war die Kleidung der
halliſchen Studenten noch ſehr mittelmaͤßig. Rei-
chere kleideten ſich gut, einige gar praͤchtig: bei den
uͤbrigen war ein Flauſch, oder ein Rock der ganze
Putz. Geſtiefelt gehen beinahe alle, Winters und
Sommers, wegen des elenden halliſchen Pflaſters
und um ſeidene Struͤmpfe zu erſparen. Die Form
der Stiefeln iſt meiſt reutermaͤßig, ſo wie der Stutz
der Huͤte, die jedoch mehr rund getragen werden.
Dies Reutermaͤßige ſchreibt ſich von denen her, die
aus Reuter-Cantons gebuͤrtig ſind, und aus der all-
gemeinen Begierde junger Leute, zu Pferde zu para-
diren. Alles Uebrige iſt jetzt entweder engliſch oder
franzoͤſiſch, und veraͤndert ſich von der einen Leipziger
Meſſe zur andern: und gerade dieſe ſchleunige Ab-
aͤnderung in der Kleidung, in Ruͤckſicht auf Mate-
rie, Farbe und Zuſchnitt, macht, daß man auf den
Troͤdeln eine Menge recht niedlicher Kleider antrifft,
und der halliſche Buͤrger und Handwerksburſche ſich
um ein geringes ſehr elegant kleiden kann. Dieſe
Art Luxus iſt erſt ſeit zehn Jahren nach und nach
hier ſo eingeriſſen, daß unſere jetzigen Studenten
an guter Kleidung den Goͤttingern nichts nachgeben,
obgleich ſie noch weit von der Leipziger Pinſelei ent-
[125] fernt ſind, und wahrſcheinlich auch noch ſo lange
bleiben werden, als das Martialiſche der Preußi-
ſchen Verfaſſung fortdauern wird.
Vor Zeiten hatten die Studenten in Halle den
Ruf, daß ſie uͤbertrieben heilig waͤren. Man ſieht
dies aus dem erſten jener Verſe, die man ehedem
zur Karakteriſirung einiger Univerſitaͤten geſchmiedet
hat. Ich will ſie herſetzen:
Der erſte dieſer Verſe zielte auf Halle, der zweite
auf Leipzig, der dritte auf Jena, und der vier-
te auf Gießen.
Daß die Hallenſer von der Stiftung der Uni-
verſitaͤt an, bis ohngefaͤhr auf die Zeiten des ſieben-
jaͤhrigen Krieges Froͤmmlinge geweſen ſind, iſt aller-
dings wahr, und daß der boͤsartige Einfluß dieſes
froͤmmlichen Weſens ſich von da aus weit und breit
ausgedehnt hat, iſt auch wahr. Allein wer noch jetzt
uͤber Hyperdulie der Hallenſer klagen wollte, wuͤrde
ihnen wahrlich zu viel thun. Seitdem ich die Stu-
denten in Halle kenne, waren ſie zwar keine Athei-
ſten, aber auch keine pietiſtiſchen Kopfhaͤnger. Die
[126] Kopfhaͤngerei hat ehedem ihren Urſprung zu Leipzig
in den frommen Zuſammenkuͤnften einiger ſuperfrom-
men Magiſter gehabt, und wuchs hernach auf dem
halliſchen Waiſenhauſe zu einer ſolchen Groͤße her-
an, daß man alle fuͤr Satanskinder ausſchrie, die
den Kopf gerade trugen, und ihre freie unbefangene
Mine jederman hinzeigten. Luſtigkeit und aufge-
wektes Weſen hießen grobe Suͤnden, und nur der
war Gott, oder was gleich viel galt, den Vorſte-
hern der heiligen Waiſen-Anſtalten angenehm, wel-
cher ausſah, wie ein Buͤßender. Kirchen verſaͤumen
war Hochverrath, und nicht alle Jahre vier oder
acht mal zum Nachtmal gehen, hieß den Heiland
verleugnen. Die meiſten theologiſchen Studenten,
wenn ſie auch die Waiſenhaͤuſer Beneficien nicht ge-
noſſen, ahmten dieſem froͤmmelnden Weſen nach, und
lernten ſehr bald die Kunſt, wie ſo mancher uͤber-
tuͤnchte Pietiſt, in der Welt ohne Kopf, ohne Herz,
ohne Kenntniſſe und ohne reelle Sitten ſein Gluͤck
zu erheucheln. So wurden nun die meiſten Stu-
denten Froͤmmlinge, und ſeufzten: „Ach Gott, wie
iſt die Welt ſo blind!“ —
Aber Dank ſey es dem beſſern Genius der
Muſenſitze! Unter Friedrichs des Großen
Regierung fiel dieſe Froͤmmelei in die verdiente Ver-
achtung. Die Singereien, die Stuben-Betſtun-
den und andre ſogenannten Andachtsuͤbungen wurden
[127] als Fratzen und Poſſen angeſehen, woran nur ein
Schwindelkopf oder ein Heuchler Gefallen finden
koͤnnte. Der Waiſenhaͤuſer Ton verlohr gluͤcklich ſein
Anſehn, und niemand, als wer mußte, machte ihn
noch ſo zum Scheine mit; ja man ging noch weiter:
man fing an, den Ton des Waiſenhauſes zu verach-
ten und zu ſpoͤttiſchen Vergleichungen anzuwenden.
Studenten koͤnnen auch keine Heilige ſeyn. Selbſt
auf dem Waiſenhauſe lebt und denkt man ſchon men-
ſchenwuͤrdiger: die alte pietiſtiſche Moͤncherei hat nur
noch wenig Spuren. Die Stutzperuͤcken ſind ſchon
meiſt verſchwunden: die beiden Herren Mitdirecto-
ren, Knap, Niemeyer und die Inſpectoren der
lateiniſchen Schulen dieſer Anſtalt tragen ihr ei-
gnes Haar, und kleiden ſich nach der Mode. Das
ewige Geſinge hat auch ſchon nachgelaſſen. Kurz,
auch hier wird ſchon alles werden gut, und Froͤmme-
lei ſeyn und bleiben der Brandmark — verſchmitz-
ter kleiner Seelen.
An Fleiß laſſen es die Hallenſer nicht fehlen —
im Allgemeinen, verſteht ſich: denn es giebt auch
traͤge und nachlaͤſſige Studenten hier, wie uͤberall.
In Gießen und Jena ſind freilich die Burſche auch
nicht faul; aber den Hallenſern kommen ſie im Ei-
fer zu ſtudiren nicht gleich. Ob aber der Hallenſer
allemal den rechten Weg bei ſeinem Studiren ein-
ſchlage, iſt eine andre Frage, und ob das Einige der
[218[128]] Herren Profeſſoren ſelbſt thun, moͤchte noch zu un-
terſuchen ſeyn. Einige leſen ihre Wiſſenſchaften nach
Dictaten, und das iſt allemal verfaͤnglich. Warum
laſſen die Herren kein Kompendium drucken, oder
warum nehmen ſie nicht ſchon gedruckte Kompen-
dien zum Leitfaden ihrer Vorleſungen? Man beden-
ke die Zeit, welche mit dem Dictiren der Paragra-
phen hingebracht wird, — wie fehlerhaft ſelbſt dieſe
Paragraphen aufgeſchrieben werden: und man wird
finden, daß die Kuratoren der goͤttingiſchen Univer-
ſitaͤt Recht hatten, da ſie den Profeſſoren befahlen,
nur uͤber gedruckte Compendien zu leſen.
Bei meiner Ankunft in Halle waren alle Facul-
taͤten vortreflich beſetzt: bei den Theologen lehrten
Semler und Noͤſſelt: in der Juriſtenfakultaͤt
waren Nettelbladt und Woltaͤr: Goldha-
gen und Meckel waren Mediciner, und bei den
Philoſophen waren Karſten und Eberhard:
das waren Maͤnner, deren Einer ſo eine ganze an-
dre Akademie aufwog! Die uͤbrigen waren entweder
Anfaͤnger, oder noch ohne großen Ruf und Kredit.
Nur die Philologie ſchien vernachlaͤßigt zu ſeyn. Der
einzige Herr Niemeyer las zuweilen einige Phi-
lologica, z. B. uͤber Ciceros Redner, uͤber einige
griechiſche Tragoͤdien u. ſ. w. Die philologiſchen Vor-
leſungen des Herrn M.Fabri kamen noch weniger
in Anſchlag.
[129]
Aber im Herbſt 1783 wurde Herr Profeſſor
Wolf hieher gerufen, und der hat die ganze Lage
der Sachen in dieſem Stuͤck gewaltig veraͤndert.
Ich werfe mich zwar nicht zum Richter auf, aber
das muß ich ſagen, daß Herr Wolf das philologi-
ſche Studium in Halle recht wieder empor gebracht
hat, ſo ſehr es auch, ſeit Herrn Schuͤtzens Abzug
nach Jena, gaͤnzlich darnieder lag. Dieſer recht-
ſchaffene Mann, Herr Schuͤtz, hatte ſonſt hier
viel geleiſtet; allein gewiſſe unruͤhmliche Kabalen,
welche auf Akademien nicht ſelten ſind, machten, daß
der vortrefliche Mann wegging, ſo ſehr auch Herr
Semler ſich bemuͤhte, ihn hier zu behalten. Das
geſchah ſchon, wenn ich nicht irre, 1780. — Wolf
fing an, Kollegien zu leſen; aber da die Studenten
auf dergleichen gar nicht achteten, ſo waren anfaͤng-
lich ſeine Lehrſtunden wenig beſetzt. Aber bald lern-
te unſre Jugend, was ſie an Wolfen hatte, und
Wolf wurde fleißiger beſucht. Selbſt Herr D.Sem-
ler war ſein gefliſſentlichſter Werber. Wolf iſt in-
deß der Mann nicht, der erſt in die Welt hinein-
poſaunt, und à la Baſedow allerhand philanthro-
piniſche Luftſchloͤſſer baut; daher wurde auch ſein
Seminarium der Welt erſt durch durch den Effekt
bekannt: und doch hat dieſes Seminarium ſchon
mehr Gutes geleiſtet, als alle Deſſauiſche, Marſch-
Zweiter Theil. I
[130] linzer und Heidesheimer Philanthropine: ſelbſt Herrn
Heynes Seminarium iſt mit dem halliſchen in
Ruͤckſicht des wirklich geſtifteten Nutzens kaum zu
vergleichen. Ich ſage nur noch, daß die ſchon
ruͤhmlich bekannten jungen Maͤnner, Schellen-
berg, Fuͤlleborn, Ideler, Fiſcher, Koch,
Rambach und mehr andere, Herrn Wolfs
Schuͤler geweſen, und durch ſeine Bemuͤhung in
den Stand geſetzt ſind, die alte griechiſche und
roͤmiſche Litteratur und nach beiden die deutſche zweck-
maͤßig zu benutzen. — Semler ehrte und liebte
Wolfen ſehr: eſt, ſagte er einſt zu mir: [...]in
graecis et latinis atque adeo in omni antiqui-
tate [...] [...] [...].
Ich werde aber ſchon noch in der Folge das
eine und andere von unſerer Univerſitaͤt anbringen:
nun iſt es einmal Zeit, zu meinen eigenen Begeben-
heiten zuruͤck zu kehren.
[131]
Zwoͤlftes Kapitel.
Anekdoten von Semler. Gelehrte Unternehmungen.
M. Kindleben. Leipzig.
Meine Auffuͤhrung in Halle war die erſte Zeit uͤber
ſo beſchaffen, daß ſelbſt Herr Semler mir in ſei-
nen Briefen an meinen Vater das beſte Zeugniß er-
theilte. Der gute Mann both mir ſogar ſeine Kaſſe
an, damit, wie er ſich ausdruͤckte, unſre Freund-
ſchaft nicht blos moraliſch bleiben moͤchte. Er gab
mir einen Zettel, worauf ich von der Univerſitaͤts-
Bibliothek die mir nothwendigen Buͤcher holen konn-
te; ja, er bath mich mehrmals zu Gaſte, und erwies
mir mehr Freundſchaft, als ich von einem ſolchen
Manne erwarten konnte.
Sehr oft war ich bei Semlern, und jedesmal
lernte ich dies oder jenes. Er erzaͤhlte mir auch
manche Anekdoten von ſeinem eignen Leben, und von
ſeinen Bekannten. Ich denke, daß es meinen Le-
ſern nicht unangenehm ſeyn wird, einige davon zu
erfahren.
Der verſtorbene Doctor Gruner, fuͤr deſſen
Gelehrſamkeit und hellen Kopf Semler große Ach-
tung bezeugte, war ein litterariſcher [...]. [...]
[132] und Semler waren darin einig, daß viele Fratzen
im kirchlichen Syſteme herrſchten: Aber daruͤber
hatten ſie verſchiedene Gedanken, wie dieſe Fratzen
entſtanden waͤren. Gruner leitete alles aus der
Neuplatoniſchen Philoſophie her, und brachte immer
ſeine veteres Platonizantes an; Semler hinge-
gen hatte ſeine Judaizantes, und ſo entſtand bei
ihren Unterredungen mancher Zwiſt. Einſt war Gru-
ner am Neujahrstage bei Semlern zu Tiſche gebeten:
ſie gingen, um Luft zu ſchoͤpfen, in den Garten, wo
ſich gleich ihr Zank erhob uͤber Platonizantes und
Judaizantes. Semler warf Grunern vor, daß es
ihm an Einſicht in die aͤltere Kirchengeſchichte fehlte,
und dieſer raͤchte ſich, daß er Semlern ſagte, er
ſpraͤche und ſchrieb kein reines roͤmiſches Latein.
Nachdem der Streit eine Zeitlang gewaͤhrt hat-
te, gerieth Gruner dergeſtalt in Hitze, daß er davon
lief, und noch auf der Straße uͤberlaut Semlern des
Starrſinns beſchuldigte. Man ſchickte zu ihm, und
ließ ihn bitten, zuruͤck zu kommen; aber dazu war
er dieſen Tag nicht zu bewegen.
Der halliſche Stadtpopanzz), der Moͤnch
genannt, hat dem guten Semler auch zu ſchaffen
[133] gemacht. Der brave Mann lachte allemal recht herz-
lich, wenn er auf das Kapitel vom Moͤnch kam. Da
wuſte er Maͤnner zu nennen, die ſich durch die laͤp-
piſchen Erzaͤhlungen der Halloren hatten bewegen laſ-
ſen, an den Moͤnch zu glauben. Unter dieſen Maͤn-
nern waren wirklich Gelehrte, die auch Philoſophen
heißen wollten, und doch großen Glauben ans Gei-
ſterreich aͤußerten. Einer davon ging einſt mit Sem-
lern ſpatziren: auf dem Ruͤckwege kehrten ſie auf
Begehren eines angeſehenen Mannes ein, und aßen
zu Nacht. Beim Zuhauſegehen nach zehn Uhr geht
ihnen jemand vorbei, ohne daß Semler ihn beſon-
ders beachtet hatte. Der Freund des ſeligen
Doktors ſchweigt zehen oder zwoͤlf Schritte ſtill,
zupft aber den Doktor aͤngſtlich und ſagt endlich leiſe:
Haben Sie den Kerl da nicht geſehn? das war der
Moͤnch wahr und wahrhaftig! — Semler, ohne
weiter zu fragen, kehrte ſich um und rief: hoͤr' er
guter Freund, ein Wort! — Da kam nun jemand
z)
[134] heran, und ſiehe da, es war ein Schaͤfer, welcher
ſpaͤt zur Stadt gekommen war. Freilich ſchaͤmte ſich
jetzt der Herr Philoſoph ſeines unphiloſophiſchen Ir-
thums, wollte aber dennoch, da Semler von hieraus
Gelegenheit nahm, das Daſeyn ſolcher Dinge zu
leugnen, durchaus nicht einſtimmen, und allegirte ſo
viel Begebenheiten und Erſcheinungen, welche ſei-
nem Vater, Großvater, Mutter und Großmutter
ſeinen Tanten und ihm ſelbſt ſichtbar geworden waͤ-
ren, daß Semler ſein Raiſonniren aufgab. Wer kann,
ſagte er, geglaubte Thatſachen widerlegen? der
Glaube an Mirakel iſt ja auch hiſtoriſch: und den
hiſtoriſchen Glauben reſutirt keine Philoſophie a).
Dieſer Satz war ſo Semlers Steckenpferd, dem ich
ſelbſt gern nachſuckelte.
Durch meinen Umgang mit Semlern, durch
mein haͤufiges Leſen und Vorzeigen guter Buͤcher,
und ſelbſt durch meine wenigen Kenntniſſe war ich
unter meinen Bekannten in einiges Anſehn gekom-
men, und wurde uͤberhaupt auf der Univerſitaͤt als
ein Menſch betrachtet, der das Seine gelernt haͤtte.
[135] Mehrere Studenten beredeten mich daher, ihnen die
hebraͤiſche Grammatik zu erklaͤren. Ich that das,
und die Studenten waren mit meinem Unterrichte
zufrieden, ſo daß ich im folgenden Winter nochmals
dergleichen Unterricht ertheilen muſte. Ich hatte
von Semlern Schultens Proverbia und einige ande-
re ſehr gute Buͤcher zur hebraͤiſchen Litteratur ge-
borgt, welche mir einſt gute Dienſte leiſteten.
Semler bekannte mir ſehr aufrichtig, daß er in
ſeiner Jugend auf Schulen das Hebraͤiſche we-
nig getrieben haͤtte, daß er erſt als Magiſter und
Profeſſor den Nutzen der morgenlaͤndiſchen Spra-
chen eingeſehn, und ſie folglich fuͤr ſich ſelbſt ge-
trieben haͤtte. Im hebraͤiſchen hatte es der große
Mann nach ſeinem eignen Geſtaͤndniß nur ſo
weit gebracht, daß er den Kodex nothduͤrftig expo-
niren konnte In den andern orientaliſchen Spra-
chen und Dialekten war er gar nicht vorwaͤrts ge-
ruͤckt: arabiſch, ſyriſch und ſamaritaniſch konnte er
blos leſen, aber nicht wohl verſtehen: kaum leiſtete
er das mit Huͤlfe eines Woͤrterbuchs, wie er mir
ſelbſt bekannt hat. Aber nach Herrn Semlers
Meinung war das auch nicht ſehr noͤthig: denn die
Ueberſetzungen in ſyriſcher, arabiſcher und andern
Sprachen ſind einmal ſehr neu, ſagte er, und ſind
aus korrupten griechiſchen, ja, aus lateiniſchen Co-
dicibus gemacht worden: und dann findet ſich auch
[136] nicht ſehr viel darin, was man brauchen koͤnn-
te. Mehr ſollte noch in den juͤdiſchen Schriften, im
Talmud und andern Fratzen-Buͤchern zu holen ſeyn
fuͤr die Erklaͤrung einzelner Stellen des alten Teſta-
ments, — auch des Neuen. Bei allem dem aber
wuͤrde man doch wenig Nutzen haben: denn ob man
z. B. wiſſe, wie das erſte Kapitel im Buch Eſther
zu erklaͤren ſey, daran liege nichts b). Ueberhaupt
ſey die Philologie des alten Teſtaments ſehr unfrucht-
bar, und fuͤr den Mann von Einſicht und billiger
Denkungsart vollends abſcheulich und ekelhaft.
Nach ſolchen Urtheilen des großen Mannes
dachte ich, daß ich immer noch ſo viel hebraͤiſch, ara-
biſch nun ſyriſch lernen koͤnnte, als ein Gelehrter,
der nun auch Theolog von Profeſſion werden woll-
te — denn das war mir jetzt wieder angekommen,
um dereinſt Profeſſor, und zwar theologiſcher Pro-
feſſor werden zu koͤnnen — noͤthig haͤtte.
Meine Leſer fragen hier ohne Zweifel: ob ich
mich denn nun bekehrt, und die Theologie lieb gewon-
nen habe? denn oben habe ich doch die deutlichſten
Bekaͤnntniſſe meines Deismus abgelegt. Nein, mei-
[137] ne Herren! Ich haßte die Pfafferei, fand aber bei
Semlers Gedanken uͤber Theologie, daß man dar-
aus ein ſehr angenehmes Studium fabriciren koͤnnte.
Da war mir Theologie nicht mehr Syſtem, ſon-
dern Kritik, Raͤſonnement, hiſtoriſche Bemerkun-
gen uͤbers Syſtem. Da hatte man gute Gelegenheit,
die Grillen, Poſſen und Alfanzereien der Pfafferei
kennen zu lernen, und dieſe Dinge von Hauſe aus
herunter zu machen. Da entſtand aus Theologie
wahre Gelehrſamkeit und nuͤtzliche Wiſſenſchaft, und
ſo gefiel mir das Ding. Ich fing daher an, nach
Semlers Rath, Theologie zu treiben, d. i. ich
hoͤrte ſeine Dogmatik, eine Vorleſung, worin ein
Schatz von guten treffenden Bemerkungen vor-
kam — freilich nach Semlers Art, ziemlich verwor-
ren, und das Naͤmliche wol dreimal in einer Stunde.
Dann las ich ſeine Vorrede zu Baumgartens
Polemik und einige andre Buͤcher, welche der
große Mann zu Aufhellung der hiſtoriſchen Theolo-
gie, oder wenn man lieber will, der theologiſchen
Hiſtorie geſchrieben hat. Da Semler das Philo-
ſophiren in hiſtoriſchen Dingen verwarfc), ſo wi-
[138] derrieth er mir philoſophiſch-theologiſche Buͤcher zu
leſen, bis ich erſt den Miſt hinlaͤnglich aus der Ge-
ſchichte kennen wuͤrde. Die Exegeſe lobte Semler;
aber ohne große Kenntniß der alten chriſtlichen Hi-
ſtorie ſey auch Exegeſe ein ſehr geringes Huͤlfsmittel,
um in der eigentlichen Theologie klug zu werden.
Meine Leſer verzeihen mir, daß ich ſo manche
Urtheile des vortreflichen Semlers anfuͤhre: ſie
waren gewiß von ihm durchdacht, und verdienen
allemal von Liebhabern der Theologie, die keine bloßen
Nachbeter oder Syſtematiker ſeyn und bleiben wol-
len, uͤberlegt zu werden.
Semler empfahl mir, Vorleſungen zu halten.
Man lernt da viel, ſagte er, und fuͤhlt die Luͤcken
beſſer, als wenn man ſo blos fuͤr ſich ſtudirt: man
ſetzt ſich auch in den Principien feſter. Er hob
ſogar die Schwierigkeiten, die ich ihm entgegenſtell-
te, und rieth mir, deutſche Reichshiſtorie vorzutra-
gen. Semler wuſte recht wohl, daß dieſe Hiſtorie
viele Schwierigkeiten hat; aber er wuſte auch, daß ich
c)
[139] ſchon ziemlich viel vorgearbeitet finden koͤnnte. Ich
folgte alſo dem Rath des Herrn Doctors, und fing
ſchon im Auguſt 1782 an, uͤber Herrn Selchows
Kompendium die vaterlaͤndiſche Geſchichte abzuhandeln.
Ich hatte zwoͤlf Zuhoͤrer, und las auf einer Stube im
Hauſe des ſel. Buchbinders Muͤnnich, gerade gegen
Semlern uͤber. Meine Huͤlfsmittel waren wenig und
einfach: es waren die hieher gehoͤrigen Schriften des
Mascow, des Grafen von Buͤnau, Hahns,
Struvs, Schmidts und Haͤberlins. Meine
Zuhoͤrer waren mit mir zufrieden, und ſchwaͤnzten nur
ſelten, weil ich nicht vergaß, Anekdoten anzubringen,
welche ich bei Struv und Hahn in Menge vor-
fand. Ich bekam von der Perſon zwei Thaler Hono-
rar: aber nicht ſowol des Honorars als der eignen
Uebung wegen las ich, und erhielt auch dadurch eine
ziemliche zuſammenhaͤngende Kenntniß der vaterlaͤn-
diſchen Geſchichte.
Ich ſetzte den Winter uͤber dieſe Lektionen fort
bis zu Ende des Februars, und kam bis auf das En-
de des dreißigjaͤhrigen Kriegs. Auch las ich von
Michaelis an uͤber die Kirchengeſchichte, nach den
Tabellen des Herrn Seilers, nicht wegen der in-
nern Vortreflichkeit dieſer Tabellen: denn die ſind
leider nichts, als eine Aneinanderreihung der Mos-
heimiſchen Lemmaten, wobei noch ſehr grobe Fehler
mit untergelaufen ſind, die der Herr Editor wahr-
[140] ſcheinlich, weil er ſie nicht wahrnahm, bei allen vie-
len Editionen dieſer Tabellen nicht verbeſſert hat, —
ſondern weil die Dingerchen ſo huͤbſch leicht zu er-
klaͤren ſind. Wer Mosheims Inſtitutionen und den
Weismann hat, kann immer mit Seilers Ta-
bellen fertig werden. Ich hatte aber noch nebenher
Semlers ſelecta capita, ſeinen fruchtbaren Aus-
zug und den Heinſius, in welchem letztern ich
nicht wenig gutes fand, obgleich auch viel Aus-
ſchuß. Herr Semler lieh mir ferner Baronii an-
nales, mit den notis criticis des Pagi: allein
das Zeug war mir zu weitlaͤuftig, und daher habe
ich es nur ſelten gebraucht. Auch hier waren meine
Zuhoͤrer mit mir zufrieden. Ich kam vom Herbſt
bis zu Ende des Februars bis auf die ſo genannte
Reformation.
Meine Leſer muͤſſen doch hier meine Aufrichtig-
keit merken: — ich muß doch auch dann und wann
ſagen, daß etwas gutes an mir geweſen iſt! —
Wollte ich prahlen, ſo koͤnnte ich hier oͤffentlich, wie
auch damals in den Vorleſungen, mich ruͤhmen, daß
ich die Quellen der Kirchengeſchichte — deren einige
ich in der That aus der Semleriſchen Bibliothek auf
meiner Stube hatte, ſelbſt benutzt haͤtte: aber wozu
das? Ich war ſchon zufrieden, daß ich meine That-
ſachen in andern ſyſtematiſchen Buͤchern vorfand,
und da hab ichs ehrlicher gemacht, als mancher pro-
[141] feſſorirende Herr Blaſius, der blos aus Huͤlfsmit-
teln kopirt, und dennoch ſeine Kopieen fuͤr Reſultate
einer ſtarken Lektuͤre der Quellen ſelbſt den Herren
Zuhoͤrern, ja gar oft auch dem lieben Publikum auf-
tiſcht. Im Grunde ſchadet das auch nicht viel;
denn wenn der Student nur das lernt, was ihm
vorgeſagt wird, ſo lernt er fuͤrs Kollegium allemal
genug: freilich koͤnnte der Student dieſer Art Weis-
heit leichter ſelbſt fuͤr ſich aus den Buͤchern ſchoͤpfen:
allein der Herr Student muß ja nach der eingefuͤhr-
ten loͤblichen Gewohnheit alles von der Katheder hoͤ-
ren, was er lernen ſoll und lernen will!
Ich habe in dem Sommer dieſes Jahres 1782
auch einmal im theologiſchen Seminarium des Herrn
Profeſſor Niemeyers diſputirt als Opponent. Herr
Wald vertheidigte den Satz, daß die Unſterblich-
keit der Seelen im alten Teſtament nicht gelehrt
wuͤrde. Meiner Meynung nach, kam aber die Leh-
re von der Unſterblichkeit, ſo wie ſie als eine Fort-
dauer dieſer gegenwaͤrtigen Seele mit ihren jetzigen
Moraliſchen und intellectuellen Faͤhigkeiten beſchrie-
ben wird, aus dem Judenthume her, oder vielmehr
aus den chaldaͤiſchen Traͤumereien, welche die Ju-
den hernach aufnahmen. So dachte ich damals, und
muſte folglich aus Ueberzeugung widerſprechen. Ich
that das fleiſſig, und fuͤhrte vielle Stellen aus dem
alten Teſtamente an, die von der Fortdauer der See-
[142] len, von kuͤnftigen Belehnungen und dergleichen zu
ſprechen ſcheinen. Ich muß ſagen, daß die Ant-
worten ſowol des Reſpondenten als des Herrn Nie-
meyers, mir gar nicht genuͤgten: doch mußte ich nach-
geben, um meine Nebenopponenten auch ein Biſſel
mit katzbalgen zu laſſen.
Den Magiſter Kindlebend) lernte ich die-
ſen Sommer auch kennen. Er war ſonſt in Halle
geweſen, hatte das dortige Wochenblatt geſchrieben,
und ſelbſt, wie der Katalogus ausweiſt, Vorleſun-
gen gehalten. Hernach wurde er wegen ſeines Sau-
fens und anderer groͤberer Exceſſe fortgewieſen: man
ſagte damals, die Haͤſcher haͤtten ihn fortgebracht.
Kindleben war wirklich kein Dummkopf, ob er gleich
blutwenig litterariſche Kenntniſſe inne hatte: er ver-
ſtand ziemlich Latein und franzoͤſiſch, ſeine Verſe wa-
ren auch nicht ſchlecht; aber an Politur fehlte es ih-
nen durchaus. Seine Sitten waren aͤuſſerſt ver-
derbt, ſelbſt niedertraͤchtig. Hieher gehoͤrt, daß er
ſo gar am hellen Tage in die Puffkeller ging, daß er
Reiſen that und unterwegs die Gaſtwirthe prellte
u. ſ. w. Ich ſprach ihn zuerſt auf der Mail oder
[143] Malje, wies in Halle heiſt, und war froh, den
Mann kennen zu lernen, welcher durch allerhand
Schriften ſchon weit und breit bekannt war. Kind-
leben hatte kein Geld: er geſtand dies frei heraus;
aber jeder von uns machte ſich ein Vergnuͤgen dar-
aus, ihn zu bewirthen. Da kamen denn derbe Apo-
ſtrophen auf dieſen und jenen zum Vorſchein — doch
mit Maͤßigung: denn Kindleben beklagte ſich nur,
und ſchalt und ſchimpfte nicht: und dergleichen macht
gewaltigen Eindruck. Ich weiß nicht, ob alle Be-
ſchwerden, die dieſer ungluͤckliche Mann vorbrachte,
wahr geweſen ſind — einige waren indeß gewiß
wahr: und da fiel mir jene Stelle ein aus dem
Dichter —: inſtant morientibus urſae. Wa-
rum muſte der armſelige Kindleben ſo lange hinge-
halten werden, bis er beinahe Hungers ſtarb? Er
war freilich ein ausſchweifender ungeſitteter Menſch;
aber doch immer ein Menſch. — — Die Sache iſt
aͤrgerlich: ich will ſie daher nicht weiter beruͤhren.
Kindleben ſchwebte ſo in der Welt herum, und
hielt ſich meiſtens im Saͤchſiſchen auf: das Saufen
war ſein Hauptfehler; und in der Beſoffenheit be-
ging er manchen Exceß. Bald verbreitete ſich das
Geruͤcht, dieſer Meiſter der freien Kuͤnſte — wie er
ſich gewoͤhnlich nannte, ſey in einem Saͤchſiſchen Dor-
fe ohnweit Leipzig auf dem Miſt krepirt. So un-
wahrſcheinlich nun auch dieſe Maͤhre war, ſo hatte
[144] doch der verſtorbene Paſtor Niemeyer, Verfaſſer
des Journals fuͤr Prediger, ſie in ſein Buch
aufgenommen. Nicht lange hernach erſchien Kind-
leben wieder, und beſchwerte ſich laut uͤber die von
ſeinem Tode verbreiteten Luͤgen. Der Paſtor hatte
zwar vom Sterben auf dem Miſt nichts geſagt, doch
aber Kindleben als todt angegeben e), woraus man
ohngefaͤhr auf die in dieſer Schrift vorfindliche Rich-
tigkeit der Begebenheiten und auf die Genauigkeit
des Herrn Herausgebers ſchließen kann.
In Leipzig bin ich auch einmal geweſen: Herr
Kaufmann Rummel zahlte mir da mein Geld aus.
Gleich das erſtemal als ich da war, ſpielte ich auf
einem Koffeehauſe und gewann eine anſehnliche Sum-
me. Ich weis nicht, da ich allemal im Spiel gluͤck-
lich geweſen bin, daß ich doch ſo ſelten geſpielt, und
das liebe Spiel niemals geliebt habe! — Einige Ge-
lehrte lernte ich auch kennen: es waren die Herren
Morus, Dathe, Beck und Platner. Plat-
ners Vorleſungen wohnte ich einigemal bei, und be-
wunderte deſſen huͤbſchen Vortrag nebſt dem huͤbſchen
ſchoͤn gezierten Auditorium. Herrn Fiſcher hab
ich auch geſprochen, und das an ihm gefunden, was
[145] ſo viele ſchon an ihm gefunden hatten — viel philo-
logiſchen Stolz und Pedanterie. Herr Burſcher
iſt ein gelehrter Mann — aber graͤulich orthodox,
und zwar demonſtrativ orthodox: und mit ſolchen
Maͤnnern iſt nicht gut auszukommen.
Die Studenten in Leipzig haben mir durchaus
nicht gefallen: ihr Weſen iſt weder burſchikos noch
fein, und an Fleiß laſſen ſies auch nicht wenig fehlen.
Sie haben der Zerſtreuungen zu viel, vorzuͤglich des
Sommers und zur Meßzeit. Aus Rouſſeaus
Kapitel uͤber die Erziehung und Bildung der uns
umgebenden Gegenſtaͤnde, ließe ſich hier Manches
anbringen. — Viele, beſonders Theologen naͤhren
ſich von Informationen, und kommen den oben be-
ſchriebnen Strasburger Schanzern ziemlich gleich.
Es iſt ein trauriges Leben fuͤr einen Studenten, wenn
er der Gnade eines Philiſters leben muß: der Phi-
liſter betrachtet ihn, als ſeinen erſten Bedienten.
Ich hatte ſchon im Jahr 1777 in Gießen einen
gewiſſen Liſchke kennen gelernt, welcher ſonſt in Leip-
zig Theologie ſtudirt hatte, und damals in die Pfalz
reiſete, um ſich dort zu einer Pfarre zu empfehlen f).
Zweiter Theil. K
[146] Auf dem Wege dahin ſprach er in Gießen zu. Liſchke
kam in der Pfalz nicht unter, entweder weil er her-
nach nicht wollte, oder weil er fuͤr die Herren Kon-
ſiſtorial- und andern Raͤthe kein Geld hatte, oder
weil er ſeiner großen Unwiſſenheit wegen das ſonſt
aͤußerſt leichte Examen in Heidelberg ſcheute: Kurz,
er kehrte zuruͤck in die Lauſiz, wo er zu Hauſe war,
verging ſich aber in puncto puncti — wie Herr
D. Bahrdt zu ſagen pflegte, da er in puncto puncti
das Seine noch leiſten konnte — und verdarb ſich
dadurch ſeine geiſtliche Hoffnungen. Er ſattelte jezt
um, und lernte Juriſterei. In Halle hatte er mich
ſchon bald nach meiner Ankunft beſucht und mir da
viel von Leipzig vorgeruͤhmt, Halle aber dagegen her-
abgeſetzt. In Leipzig ſuchte ich ihn auf, und bath
ihn, mich in Studentengeſellſchaften einzufuͤhren.
Aber, ſiehe da, es gab dergleichen nicht. Die Stu-
denten verlieren ſich unter Kaufmannsdienern und
Gnoten, und machen nirgends eine Geſellſchaft fuͤr
ſich aus: auch nicht ein einziges Leipziger Koffeehaus
oder Billard iſt den Studenten eigen: nicht einmal
ein Traͤtoͤrhaus. Sie ſitzen, je nachdem ſie Geld
haben, in den Gaſthaͤuſern zerſtreut, wohl auch kom-
men einige dann und wann auf Richters Koffeehaus,
oder auf die Hotels de Baviere und de Saxe: jedoch
ſelten. Man findet aber auch Studenten in den
allerniedrigſten Kneipen, in Kneipen, wohin kein
[147] Hallenſer gehen wuͤrde. Nein! die Leipziger moͤgen
an ſich ruͤhmen was ſie wollen, — da lob ich mir
doch den Hallenſer! Man ſuche in Halle einen Stu-
denten in einem Bier- oder Branteweinhaus, ob
man ihn da finden wird. Bei der Jungfer Flei-
ſchern auf dem Rathskeller laͤßt ſich gewiß kein Stu-
dent ſehen, oder in der Knochenkammer bei Lukas.
Das wird in Halle fuͤr weggeworfen gehalten, und
nicht ohne Urſache. In Jena iſt man daruͤber nicht
ſo delikat: man laͤßt ſichs da nicht verdrieſſen, mit
einem Fleiſcher, Friſeur u. dergl. zuſammen zu zechen,
und gar Bruͤderſchaft zu machen. In Leipzig und
Wittenberg geht es darin nicht viel beſſer: da ſitzt
der Mosjeh Student mitten unter Gnoten, Phili-
ſtern und anderm Geſindel in den Kneipen, und ſpielt
ſogar unter dieſen keine Figur, wie er denn in Leipzig
uͤberhaupt keine Figur ſpielt. Freilich wer dort viel
Geld hat, der kann es zur Noth einem Ladenſchwen-
gel gleich thun; aber das koͤnnen Wenige: — und
ſo hat der Scheeren- und Ellen-Major in genere
große Vorzuͤge vor den Studenten.
Meine guten Leſer glauben vielleicht, ich uͤber-
treibe die Sache: aber ich verſichere, daß ſich das
Ding ſo verhaͤlt, ob ich gleich mehrere Ausnahmen
gern zugebe.
Liſchke hat mich auch auf einige Stuben zu ſei-
nen Bekannten gefuͤhrt. Da fand ich ſteife Men-
[148] ſchenkinder, welche das Ungezwungene und Unbefan-
gene nicht an ſich hatten, das man ſonſt am Stu-
denten gewohnt iſt. Die Leutchen machen Kompli-
mente und ſchneiden Reverenzen bis zur Erde: alles
geht da perSie: das trauliche dem Studenten ſo
angemeſſene Du iſt verbannt: da werfen ſie mit ge-
horſamſter Diener, mit — ich empfehle mich, —
haben Sie doch die Guͤte! — o ich bitte ganz gehor-
ſamſt! und aͤhnlichen Floskeln um ſich, daß es einem
ſchlimm wird. Das heißt denn guter Ton! darin
beſteht das feine Weſen, welches die Mosjehs zu
Leipzig von allen andern ſo vortheilhaft unterſcheiden
ſoll! O weh, dachte ich, als ich auf eine andere
Stube kam, und fuͤnf bis ſechs ſolcher Herren vom
edlen Ton beaͤugelte, o weh, das iſt ſchofele Peti-
maͤterei! Ich hatte zwar damals keine Anhaͤnglich-
keit mehr an dem eigentlichen Komment; allein ich
fing doch mit einigen folgendes Geſpraͤch an. „Meine
Herren, ſagte ich, ihre Univerſitaͤt iſt wohl ſtark?
Herr A: O ja, uͤber 1400.
Herr B: Bitte gehorſamſt, mein Beſter: es
ſind uͤber 1600 Studenten hier.
Ich: Darf man nichts von der Summe ab-
ziehen?
Herr B: Nein, noch eher hinzuſetzen, wenn
Sie's guͤtigſt erlauben wollen.
[149]
Ich: Ja, ja, ich weis es ſchon: man macht
Fremden immer weis, die Univerſitaͤt ſey ſo oder ſo
ſtark, wenns ſchon uͤbertrieben iſt. — Aber Leipzig
iſt immer noch ſtark genug, zumal wenn man die
Laden-Studenten mit hinein rechnet. Aber der
Ton hier — wie iſt der?
Herr A: Unverbeſſerlich, mein Theuerſter!
Ich: So? — und worin beſteht die Unver-
beſſerlichkeit?
Herr A: Je, mein Himmel! Beſter, es faͤllt
doch in die Augen, daß der Leipziger Student
zehnmal artiger und hoͤflicher iſt, als der ruͤde
Jenaer!
Ich (aͤrgerlich): Ja, ja ich weis ſchon: es
ſind mehrentheils Jungfernknechte, welche mit den
Ladendienern und Gnoten um die Wette hinter den
Maͤdchen herrennen, und nach dem hohen Gluͤck
ſchnappen, ein Pfoͤtchen zu lecken, oder ein Maͤul-
chen zu ganfen (ſtehlen).
Herr B: Ei, da beſchreiben Sie uns ja
huͤbſch! Verzeihn Sie aber guͤtigſt, daß ich einiges
erinnere. Sie wiſſen doch, daß ein junger Menſch
in Geſellſchaft der Frauenzimmer feiner —
Ich (einfallend): Ich verſtehs ſchon. Aber
hole mich der Teufel, ich kann nicht begreifen, wie
ein Student in Geſellſchaften von Frauenzimmern
[150] kommen will, worin er profitiren koͤnnte. Frauen-
zimmer, welche dem Burſchen Zugang verſtatten,
taugen ſamt und ſonders nichts: das ſind meiſt
luftige, habſuͤchtige oder verbuhlte Dingerchen, an
denen ſelten etwas gelegen iſt. So mags auch in
Leipzig ſeyn.
Liſchke: Du haſt nicht Unrecht, Bruder
Herz: unſre hieſigen Studenten machen Kuͤchenmaͤd-
chen, Aufwaͤrterinnen und Buͤrgerdirnen ihren Hof,
und fuͤhren ſich ſogar mit Menſchern aus den Par-
duzloͤchern, mit Etceterasg) auf den Straßen und
Promenaden herum. Das ſind ſo die Frauenzim-
mer, womit unſre Herren Umgang haben.
Ich: Und bei denen kann man ſeine Sitten
doch beim Teufel nicht poliren! In ſolchem Umgang
wird man zum Firlefanz. Aber um von was an-
derm zu reden: wie ſtehts mit den Schlaͤgereien?
Herr A: Je nun, wenns an uns gebracht
wird, ſo machen wir unſre Sachen aus, wie's ho-
netten Maͤnnern ziemt.
Liſchke: Ja, mit dem Schuhpfriemen. Wann
fallen denn hier Schlaͤgereien vor? die Kerls laſſen
ſich ausmaulſchelliren und muchſen nicht: oder wenn
[151] ſie ſich ja ſchlagen, ſo geſchieht es à la mode der
Gaſſenbuben mit Stoͤcken und Faͤuſten. —
Ich war dieſes Geſpraͤches muͤde, und brach
es ab. Ueberall fand ich bei den Herren Leipzigern
große Armſeligkeit und glaͤnzendes Elend. Sie tra-
gen zwar ſeidne Struͤmpfe beim tiefſten Dreck, gehn
wie die Tanzmeiſter pariſiſch: ſchleichen hundertmal
des Tags vor den Fenſtern vorbei, wo ſie ein huͤb-
ſches Geſicht wittern, und werden in den dritten
Himmel entzuͤckt, wenn ihnen ein ſolches Geſicht
freundlich zulaͤchelt: iſt das aber maͤnnliches Weſen,
das den Hallenſer ſo kenntlich auszeichnet? — Sonſt
iſt das l'Hombre-Spiel unter den Leipzigern ſehr ge-
woͤhnlich. Zur Zeit der Meſſe muͤſſen die meiſten auf
dem Boden unterm Dache, oder hinten neben dem
Abtritt wohnen, weil zu dieſer Zeit ihre Stuben von
Fremden bezogen werden. — Wenn die Hallenſer
nach Leipzig kommen, ſo machen ſie da doch Figur,
und jederman ſieht nach ihnen: wenn aber Leipziger
ſich zu Halle einfinden, ſo werden ſie gar nicht be-
merkt, wenigſtens nicht fuͤr Studenten angeſehen. —
Uebrigens ſind die Herren gut zu Fuße, und koͤnnen
taͤglich fuͤnf, ſechs, acht Meilen laufen. Doch ge-
nug von dieſem Artikel.
[152]
Dreizehntes Kapitel.
Meine Wenigkeit von ohngefaͤhr im Bordell ertappt.
Semlers Strafpredigt. Mein Bruder.
Liebelei.
Herr Semler, dem mein bisheriges Betragen ge-
fallen hatte, rieth mir, vom Waiſenhauſe in die
Stadt, und zwar in ſein Haus zu ziehen. Es war
naͤmlich ein gewiſſer Schmitz von Mont-Joie aus
dem Herzogthum Juͤlich von Erlangen nach Halle ge-
kommen. Mit dieſem Herrn Schmitz war ich bekannt
und Freund geworden. Er miethete ſich ein Zim-
mer in Semlers Hauſe, und bath mich, zu ihm zu
ziehen: er wolle die Miethe fuͤr mich mit bezahlen.
Der Vorſchlag gefiel mir: ich ſprach mit Semlern
daruͤber, und erhielt den Rath, nicht zu ſaͤumen:
ich koͤnnte ſodann ſeine Bibliothek beſſer benutzen,
und beſſer ſtudiren.
Alſo zog ich zu Anfange des Oktobers vom
Waiſenhauſe zum Leide meiner guten Kameraden
Poehler und Molweide, mit welchen ich ſehr
bruͤderlich gelebt hatte, und bezog Num. 20 im Sem-
leriſchen Hauſe.
Ich war auf dem Examen Lehrer der erſten he-
braͤiſchen und der zweiten griechiſchen Claſſe gewor-
[153] den. Dieſes ſchmeichelte meinen Ehrgeitze ſo, daß ich
beſchloß, beide Claſſen beizubehalten, und meiner
Pflicht in Unterrichtung meiner Schuͤler nach meinen
Kraͤften Genuͤge zu leiſten. Herr Freylingshauſen
mißbilligte zwar meinen Abzug vom Waiſenhauſe
nicht, doch ſetzte er gleichſam ahndend hinzu: es waͤ-
re ſchon mancher in der Stadt verdorben worden,
der ſich auf dem Waiſenhauſe recht gut betragen
haͤtte.
Ich wohnte alſo bei Semlern. Gleich in den
erſten vier Tagen begegnete mir ein Poſſen, den ich
erzaͤhlen will. Ich hatte mit einem gewiſſen Herrn
Koͤſter, einem alten Kandidaten, der alle Akade-
mien beſucht und viele Schickſale erlitten hatte, da-
mals aber auf dem Waiſenhauſe Lehrer war, Be-
kanntſchaft gemacht, und konnte ihn ſeiner Ehrlich-
keit und ſeiner Kenntniſſe wegen, gut leiden. Die-
ſer beſuchte uns eines Abends, Herrn Schmitz und
mich, und als wir ihn fragten, wo man ſich ein we-
nig zerſtreuen koͤnnte, verſprach er uns an einen Ort
zu fuͤhren, wo es uns gefallen wuͤrde. Wir gingen
und wurden von ihm vors Moritzthor in das erſte
gelbe Eckhaus, das man damals den Korb nannte,
gefuͤhrt. In dieſem Hauſe wohnte eine Muͤllers Frau
von Wettin, mit fuͤnf nicht haͤßlichen Toͤchtern; und
dieſe Toͤchter ſtanden — wie Schmitz und ich erſt
nachher erfuhren — im Rufe, als wenn ſie eben
[154] nicht grauſam gegen ihre Anbeter waͤren — wenn
man das ſonſt von einem großen Theil der Hallenſe-
rinnen auch nur uͤberhaupt ſagen koͤnnte.
Wir mochten wohl eine Stunde da geweſen
ſeyn, ohne jedoch das geringſte Unanſtaͤndige unter-
nommen zu haben: denn, wie geſagt, Schmitz und
ich wuſten von der Beſchaffenheit dieſes Hauſes gar
nichts, als noch vier Studenten, die wir aber nicht
kannten, herein traten, und ſich bei den Maͤdchen
etwas mehr Freiheit herausnahmen. Koͤſter und
Schmitz zankten uͤber eine Stelle im Horatz, und
dieſer Zank ſchien dem einen Studenten, Namens
Kuͤhkaͤfer, in einem ſolchen Hauſe ſehr uͤbel ſtatt zu
finden. Er trat alſo zu den Streitenden, und zog
ſie mit ihrer Pedanterei auf; allein Koͤſter, ſchon
durch den Schnapps erhitzt, trumpfte ihn gewaltig
ab, und hieß ihn einen dummen Jungen. Dar-
uͤber kam alles in Harniſch, und ich muſte mit zu-
greifen, um meine beiden Compagnons nicht im
Stick zu laſſen. Es ſetzte Ohrfeigen, und die Glaͤ-
ſer flogen ſchon hin und her, als auf einmal Min-
chen, die ſchoͤnſte h) der Nymphen, hereinſprang,
[255[155]] und mit aͤngſtlichem Tone ausrief: der Pedell! die
Haͤſcher! — Die Studenten fuhren zuſammen; ich
nicht: ich glaubte unſer Zank haͤtte den Pedell von
ohngefaͤhr herbei gelockt. Der Pedell Huͤbner trat
jezt herein und fing an: „Im Namen ſeiner Ma-
gnifizenz“ — Ich fiel ihm in die Rede, um ihm
den Hergang des Zanks zu erklaͤren; aber vergebens:
ich und die andern wurden demnach grob: aber auch
Grobheit half nicht. — „Wir ſollten uns ſchleppen
laſſen aufs Karzer!“ — Ich fluchte wie ein Boots-
knecht: Koͤſter wimmerte, Schmitz zitterte wie Eſpen-
laub: die vier andern Studenten brummten in den
Bart und lieſſen dann und wann einen Fluch hoͤren:
von den Menſchern und ihrer Mutter hoͤrte man
nichts, als — ach Herr Je — daß Gott erbarm!
Herr Huͤbner wiederholte ſein „No, meine Herren,
no, no! gehn Sie mit!“ — Ins Teufels Namen
rief ich endlich, Minchen ſchenk ein! Minchen griff
zitternd nach dem Glaͤschen. „Laß ſie das ſeyn,
Jungfer, ſagte der Pedell, dazu iſt keine Zeit mehr!“
Was, ſchrie ich! will Er mir verbieten, Schnapps
zu trinken? — Nur immer eingeſchenkt! — Ich
nahm mein Glaͤschen, bot mit laͤcherlichen Grimaſ-
ſen dem Pedell es an und fuͤgte hinzu: das waͤre ſo
gut wie Markgrafen-Pulver: es ſchluͤge den Aer-
ger nieder. Er trank nicht: ich leerte das Glaͤschen,
ſtreckte mich hin auf einen Stuhl, und ließ mir noch
[156] eins geben. Meine Conſorten ſtanden ſchon bereit,
dem Pedell und dem Haͤſcher Baͤr, der mit ſeinen
Trabanten vor der Thuͤr wartete, zu folgen: aber
ich war in dieſer halben Stunde wieder ganz Bur-
ſche und neckte den Pedell auf alle nur moͤgliche
Weiſe i)! Herr Huͤbner, ein wirklich feiner, hoͤf-
licher Mann, gerieth dadurch in Verlegenheit, bis
endlich auch ich aufbrach, und mich ſo mit fortbrin-
gen ließ. Meiſter Baͤr naͤherte ſich mir, und gab
mir mit einem wichtigen Tone zu verſtehen, daß die
Sache nichts zu bedeuten haͤtte. Denks auch, er-
wiederte ich: nur nicht wie Spitzbuben geſchleppt! —
Bewahr der Himmel! verſetzte Baͤr, Sie werden
ja nicht als Spitzbuben geſchleppt: es geſchieht ja
blos, weil Sie im Bordell geweſen ſind. Das
beſtaͤtigte auch Herr Huͤbner: und ſo wußte ich,
warum. —
Als wir aufs Carcer kamen, alle ſieben in eine
Stube, weil wir durchaus zuſammen bleiben woll-
ten, rief ich mit ſtarker Stimme: wo iſt der Car-
[157] cerknecht? ich dachte mir hier den Gießer Carcer-
knecht, den Cordanus. — Man antwortete mir
nicht: wo iſt der verdammte Carcerknecht? ſchrie ich
nochmals: der Kerl ſoll herkommen, oder der Teu-
fel ſoll ihm in den Magen fahren! Klappenbach
kam, und fragte, was ich haben wollte. So, ſagte
ich, er iſt alſo der Carcerknecht? das nahm Klap-
penbach, ein ſonſt braver Mann, uͤbel, einmal we-
gen des Titels und dann, daß ich Er und nicht Sie
geſagt hatte. Er machte alſo ſeine Remonſtranz; doch
verſprach er zu holen, was wir verlangten: „wir waͤ-
ren ja alle ſo huͤbſche Herren: es thue ihm leid, daß
wir ſo ein Malheur gehabt haͤtten, und was ihm die
Stockmeiſteriſche Hoͤflichkeit noch ſonſt eingab. Ich
forderte Schreibzeug, und ſchrieb dem D. Semler:
daß Schmitz und ich aus dem Korbe waͤren geſchleppt
worden: daß der Korb ein Hurenhaus waͤre, daß wir
aber dieſes nicht gewußt, ſondern ihn fuͤr eine ordinaͤ-
re Kneipe (caupona) gehalten haͤtten: daß er auf
unſre Befreiung bedacht ſeyn moͤchte, u. dgl. — Eine
halbe Stunde nachher kam Herrn Semlers Aufwaͤrter,
Feyge, und ſagte, daß der Doctor gleich mein Billet
nebſt einem von ſeiner Hand an den Prorector abge-
ſchickt haͤtte. — Feyge mußte uns allen nun Pro-
viant holen, — Wein, Schnapps und Chokolade:
dann fingen wir an, Tarok und luſtig zu ſpielen, und
verbrachten die Nacht ohne weitere Grillen.
[158]
Fruͤh um neun Uhr wurden wir vors Conci-
lium gefordert, wobei aber niemand als der Pro-
rector, Herr Woltaͤr, und Herr Prof. Schulze
gegenwaͤrtig waren. Ich und Schmitz wurden be-
ſonders verhoͤrt. Schmitz ſprach kein Wort; ich
deſto mehr. Aber was halfs? Nach einigen Debat-
ten uͤber unſre Unſchuld u. dgl. ſahen wir uns genoͤ-
thigt, jeder 4 Rthl. 12 gl. Schleppgebuͤhren fuͤr die
Herren Haͤſcher auszuzahlen: und ſo waren wir wie-
der frei und ſo ehrlich als vorhin.
Kaum war ich und Schmitz in unſrer Woh-
nung angekommen, als ſchon Herrn Semlers Feyge
da war, und uns zu ihm in ſeinen Garten einlud.
Hier ließ ſich der gute Mann ſehr wider uns aus:
er nannte unſer Betragen unwuͤrdig, ſchlecht und
poͤbelhaft: da galt auch nicht einmal die Ausflucht,
daß wir nicht gewuſt haͤtten, daß der Korb ein Hu-
renhaus waͤre. Es ſey ſogar, ſagte er, einem Man-
ne, der den Wiſſenſchaften obliege, unanſtaͤndig,
Wirthshaͤuſer und Kneipen zu beſuchen. Ich erin-
nere mich noch, daß er bei dieſer Gelegenheit einige
bittere Anmerkungen uͤber den Moraliſten Bahrdt
anbrachte, der auch Kneipen und Bordelle beſuchen
ſollte. Und ſo gings fort in einem Schelten ohnge-
faͤhr eine Viertelſtunde: denn wenn Semler einmal
ins Keifen kam, ſo konnte er das Ende nicht leicht
wieder finden. Indeß alle ſeine Bemerkungen tra-
[159] fen zu, und vertrieben den Burſchen wieder aus mei-
nem Sinn, der ſeit geſtern Abend da Platz genom-
men hatte.
Endlich, nachdem er vom Keifen muͤde war,
lud er uns zum Abendeſſen ein, um uns zu zeigen,
wie er ſagte, daß man in muͤßigen Abendſtunden
Vergnuͤgen und Nutzen verbinden koͤnnte. Wir wa-
ren auch wirklich ſelbigen Abend ſehr aufgeraͤumt. —
Nachher hat Herr Kiefer ein ganz niedliches Sing-
ſpiel gemacht, den Korb, worin die Begebenheit
auf eine drolligte Art abgehandelt war. Das Ding
ſollte auch gedruckt werden; weil aber ſehr viele An-
zuͤglichkeiten auf gewiſſe Leute darin vorkamen, die,
wie alle wohlbeſtalten Heuchler, oft manch dummen
Streich ausuͤben und doch als Heilige unangetaſtet
bleiben wollen, ſo unterblieb der Druck; deſto haͤu-
figer aber circulirte es im Manuſcript.
Um dieſe Zeit kam mein Bruder, welcher ſchon
zwei Jahre in Goͤttingen ſtudirt hatte, nach Halle,
um ſeine Studien hier fort zu ſetzen. Ich muß ſa-
gen, daß ich uͤber ſeine Ankunft erfreut war, ob wir
gleich ſonſt niemals ſolche herzliche Freunde geweſen
waren, als es ſich fuͤr Bruͤder geſchickt haͤtte. Er
bat mich, ihm ein gutes Logis auszumachen, und
ich verſchaffte ihm ein ſchlechtes. Dies hatte folgen-
den Zuſammenhang. In der Klausſtraße, rechter
Hand, ohnweit dem halben Mond, wohnte eine Frau,
[160] welche außer andern Schimpfnamen auch Beutlersba-
niſe genannt wurde. Mit dieſer Frau ward ich durch
deren Haus-Studenten bekannt, beſonders durch
einen gewiſſen Hano, welcher ihrer Tochter Chri-
ſtel die Cour machte. Ich ließ mirs gefallen, auch
den Tiſch bei ihr anzunehmen. Das alte Weib war
wie mehrere ihres Gleichen, eitel genug, ſich Ma-
dam nennen zu laſſen. Sie wußte von ihren jugend-
lichen Aventuͤren ſehr viel zu erzaͤhlen k). Ich hoͤrte
ihre Schnurren gern, und konnte ſo beim Bierglas
und einer Pfeiffe Taback bis zehn Uhr Abends ſitzen,
und mich beluͤgen laſſen. Dieſe Madam Chemi-
non — ſo hieß ſie, vorher Frau Doͤrnerin — hatte
erfahren, daß mein Bruder kommen wuͤrde, und
erſuchte mich, ihn bei ihr einzumiethen; und ich
thats, und mein Bruder zog mit einem gewiſſen
Herrn Michaelis, der auch von Goͤttingen gekom-
men war, bei ihr ein.
Herr Semler erfuhr das, und nahm mir es
uͤbel: er hatte von ſeinem Aufwaͤrter gehoͤrt, daß
das Haus eben nicht im beſten Rufe ſtehen ſollte.
Wirklich fuͤhrte es damals den Beinamen Hanauer
Puff, weil immer mehrere Hanauer da gewohnt
hatten. Aber es war nun einmal nicht anders! An-
[161] faͤnglich war auch mein Bruder und ſein Freund
Michaelis ungehalten, daß ich ſie in ein ſolches Loch
gebracht hatte; aber dies gab ſich: ſie fanden bald
Geſchmack an der daſigen Fidelitaͤt, und wohnten
gern weiter da. Es kamen immer viele Studenten
und huͤbſche Maͤdchen dahin, und das war ſo was
fuͤr ſie. Noch jetzt ſehe ich manche angeſehene Frau
hier herum figuriren, welche vor Zeiten im Hanauer
Puff ihre Rolle geſpielt hat. So geht es in der
Welt!
Hand, Chriſtchens Liebhaber, war im Herbſt
abgegangen, und mehrere Studenten ſtrebten nach
ſeiner Stelle bei dem Maͤdchen. Das merkte ich,
und beſchloß mein Gluͤck auch zu verſuchen — nicht
aus Drang der Liebe, ſondern um meine Nebenbuh-
ler zu necken: das war ſo mein Zweck, und ich fing
wirklich an, mit Chriſtchen Doͤrnerin ſchoͤn zu thun,
und den Verliebten ſo ganz nach meiner Art zu er-
zwingen. Meine Liebelei gelang mir, und Chriſtel
ward meine erklaͤrte Geliebte: von der Zeit an hoͤr-
ten die Bemuͤhungen meiner Nebenbuhler auf; aber
eben deswegen verringerte ſich auch meine Anhaͤng-
lichkeit merklich. Es war eine Liebſchaft, der es auf
meiner Seite an Grund fehlte; doch kam ſie in der
ganzen Stadt herum, ſogar bis zu Semlern, der
mir Vorwuͤrfe daruͤber machte, und im Ernſte dro-
Zweiter Theil. L
[162] hete, meinem Vater von ſolchen laͤppiſchen Hiſto-
rien l) Nachricht zu geben. Ich waͤre ihm einmal
empfohlen, ſagte er, er muͤſſe alſo auch ehrlich fuͤr
mich ſorgen. — Ich bemaͤntelte die Sache, und
verſprach forthin mehr auf meiner Hut zu ſeyn: und
damit war er zufrieden.
Semlers Haus ſahe den Winter uͤber einem
Traiteur-Hauſe aͤhnlich. Moes, Schmitz, Schmid
und ich wohnten bei ihm, und lieſſen unſer Eſſen
von Pauli holen: darneben kamen noch taͤglich um
zwoͤlf Uhr neun andre Bekannte, die anderwaͤrts
wohnten, aber mit uns zuſammen aßen: und ſo war
unſre Tiſchgeſellſchaft dreizehn Mann ſtark. Das
Bier gab Semlers Aufwaͤrter fuͤr uns alle her, und
ſeine Tochter holte das Eſſen. Um ein Uhr jagte ich,
auf den Schlag, alle Gaͤſte aus der Stube, damit ich,
mich auf meine Lectionen vorbereiten koͤnnte, und
dieſe fuhren dann mit der groͤſten Eile auf ihren be-
hufeiſeten Stiefeln zur Treppe hinab, daß das Haus
erbebte. D. Semler litt dieſen Tumult einige Wo-
chen, dann aber ward es ihm zu viel: er ließ mich
[163] kommen, und ſtellte mir vor, daß es ihm allemal
vor dem Schlage ein Uhr graute: da entſtaͤnde ein
Laͤrmen und ein Geraſſel die Treppe herab, als wenn
der wilde Jaͤger ſeinen Aufzug hielte. Dabei kam
der gute Mann recht in Hitze: ſein Haus ſey ein
Haus des Friedens und der Ruhe; und wir haͤtten
es zu einer Garkuͤche gemacht. Ich verſprach das
Unweſen einzuſtellen, und hielt Wort: denn die
Speiſerei wurde in Muͤnnichs Haus auf die Stube
des Studenten Dykershoff verlegt. Muͤnnich
muſte das ſchon eher leiden, als Semler, welcher
mir hernach ſogar dafuͤr dankte, daß ich ſein Haus
vom Tumulte befreit haͤtte.
Einmal habe ich mich auch geſchlagen, und zwar
wegen einer Lumperei mit einem meiner Landsleute.
Die Schlaͤgerei hatte eine kleine Verwundung auf
meiner Seite zur Folge, und kam nicht heraus,
weil keine Zeugen auſſer den beiden Sekundanten
dabei waren.
[164]
Vierzehntes Kapitel.
Siehe da, ein Herr Magiſter! — Gelehrte
Unternehmungen.
Mein Kollegienleſen war bekannt geworden, und
Herr Semler befuͤrchtete, man moͤchte mir das Hand-
werk verbieten, wenn ich mich nicht in die gelehrte
Innung einſchreiben ließ, oder nicht Magiſtrirte.
Ich war dazu bereit: denn ich wußte ſchon, wie we-
nig man zu wiſſen noͤthig hat, um dieſe akademiſche
Spiegelfechterei mit zu machen. Ich verſchrieb mir
alſo von meinem Vater Geld, um die Fakultaͤt und
andere Promotionskoſten bezahlen zu koͤnnen. Mein
Vater zeigte ſich froh, daß ich Magiſter Legens wer-
den wuͤrde, und ſchickte mir dreißig Louisd'ors. Dieſe
reichten zu, da er mir nicht lange vorher einen huͤb-
ſchen Wechſel geſchickt hatte.
Jetzt meldete ich mich beim Dekan, dem Herrn
Schulze, und dieſer beſtimmte mir einen Tag zum
Examen. Zugleich ſchritt ich zur Ausarbeitung einer
Diſſertation uͤber Ruprecht, den Pfalzgrafen, der
von 1400 bis 1410 die Roͤmiſche Koͤnigskrone ge-
tragen, und einigen Antheil an dem 1409 zu Piſa
veranſtalteten Concilium gehabt hatte. So wenig
[165] Huͤlfsmittel ich außer der Sammlung des Piſtorius
und dem Theſaurus Anecdotorum hatte, ſo ſu-
delte ich doch ſo ein Ding de Ruperto Palatino zu-
ſammen, das ich Diſſertatio inauguralis betitelte.
Nach Semlers Rath ſollten blos Ruprechts Bemuͤ-
hungen fuͤr die Herſtellung der Einigkeit der Kirche
und fuͤr die Aufhebung des damals fuͤrchterlichen
Schismas der Paͤbſte, der Gegenſtand der Diſpu-
tation ſeyn; da ich aber kaum acht Tage uͤbrig hatte,
ſo war mir dies Thema zu weitlaͤuftig und muͤhſam.
Wie viel haͤtte ich da nicht leſen muͤſſen! Ich ſtop-
pelte alſo zuſammen, was ich vorfand, und theilte das
Zuſammengeſtoppelte in §§ ein. Machens doch viele
Diſſertationen-Schmiede auch ſo! Und meiner Mei-
nung nach ſollte niemals eine wichtige Materie in einer
Diſputation verhandelt werden. Solche Kleinigkeiten
werden auf den Jahrmaͤrkten der Litteratur ſelten ver-
handelt, und ihr Inhalt geht mit ihnen verlohren. Es
giebt beſonders aͤltere von reichhaltigem Werthe, die
man jetzt vergeblich ſucht. — Und an jeder noch ſo
kleinen Abhandlung kann man doch ſo ohngefaͤhr ſehen,
ob der Verfaſſer wiſſenſchaftlich ſchreiben kann, oder
nicht m); und dann kommt doch die Hauptſache auf
[166] die Vertheidi [...]ng an. Nach dieſen Regeln betrachtet,
war meine Diſputation immer gut.
Nun ſollte ich ins Examen, welches im Hauſe
des Herrn Schulze gehalten wurde. Ich erſchien
nachdem ich den Tag vorher die Herren von der phi-
loſophiſchen Fakultaͤt alle eingeladen hatte, am 11ten
Jaͤnner 1784, nachmittags um zwei Uhr. Nicht
alle Fakuliſten waren zugegen. Herr Forſter ſag-
te mirs gleich ab, mit dem Zuſatz: er liebe dergleichen
Pruͤfungen nicht, wo man nicht wiſſen koͤnnte, ob
man examinirte oder examinirt wuͤrde. — — —
— — — — ‒
Herr Sprengel war ebenfalls nicht da: Herr
Trapp entſchuldigte ſich damit, daß er nicht gern
Maͤnner ſaͤhe, die ihm nicht wohl wollten. Zudem
wuͤrde er der Fakultaͤt, oder vielmehr den Herren
Profeſſoren nicht lange mehr laͤſtig ſeyn. Herr
Goldhagen war verreiſet. Alſo waren nur die
Herren Eberhard, Chriſtian Foͤrſter, der
m)
[167] verſtorbene Hofrath Karſten und Herr Schulze,
der Dekan, gegenwaͤrtig. Es wurde uͤberall Latein
geſprochen, welches ich ziemlich fertig mitreden konnte.
Die Fragen und Antworten uͤbergehe ich: ſie betra-
fen meiſtens philoſophiſche, hiſtoriſche, geographiſche
und philologiſche Gegenſtaͤnde. Das Examen dauer-
te bis gegen ſieben Uhr Abends, wo ich abtrat, und
bald zuruͤck gerufen wurde, und die troͤſtliche Ent-
ſcheidung vernahm, daß ich immerhin promoviren
koͤnnte. Wer war froher als ich! ich lief gleich zu
meinem Bruder, theilte ihm meine Freude mit, und
ſchlief hernach ganz unvergleichlich wol.
Meine Diſputation wurde inzwiſchen abgedruckt,
und am 18ten Jaͤnner diſputirte ich. Meine Op-
ponenten waren Herr D.Semler, Herr Wald
und mein Bruder, nebſt einem Schleſier Teisner.
Ich hatte am Ende meiner Diſſertation einige Saͤtze
aus meines Vaters Syſtem angehaͤngt, und man
hatte das nicht einmal bemerkt n): ich war froh dar-
uͤber; ſonſt haͤtte man ſie vielleicht geſtrichen.
[168]
Den Tag vor der Diſputation machte mein
Bruder uͤber meinen Umgang mit ſeiner Hausjung-
fer einige ſpoͤttiſche Anmerkungen, welche mich auf-
brachten, ſo daß es zu Bitterkeiten kam: das Ge-
zaͤnk endigte ſich damit, daß er mir erklaͤrte, er wuͤr-
de nicht opponiren. Meine Antwort hierauf war
protzig; und er ging fort, ſchmollend. — Fruͤh, da
der Tanz vor ſich gehen ſollte, ſchickte er mir ein
Billet, worin er mir meldete, daß er allerdings op-
poniren wuͤrde, entweder ordentlich, wenn ich nichts
dawider haͤtte, oder auſſerordentlich, wenn ich ihm
unter den ordentlichen Opponenten keine Stelle ge-
ſtatten wollte. Ich ſollte mich nur auf ganz neue
Argumente gefaßt halten: denn er habe ſich vorge-
nommen, mich zu hecheln (carminare). Ich ſchrieb
ihm wieder, er ſolle immer den dritten Platz einneh-
men: ſeine Argumente wuͤrde ich auch ſchon beant-
worten: davor ſey mir nicht bange u. dgl.
Als wir auf die Wage kamen, war dieſe ſo voll
Studenten, daß wir kaum durchkonnten: denn faſt
die ganze Univerſitaͤt kannte mich, und jeder wollte
gern hoͤren, wie ich meine Sachen machen wuͤrde.
Herr D.Semler fing die Oppoſitionen an, und
brachte einige Schluͤſſe vor, welche von ſeiner Ge-
lehrſamkeit allerdings zeugten. Er machte es aber,
weil ihm nicht recht wohl war, gar nicht lange. Ich
hatte bei dieſem Umſtand die ſchoͤnſte Gelegenheit, oͤf-
[169] fentlich zu bezeugen, wie viel ich Semlern ſchuldig
war, wie ſehr ich ihn verehrte: und das that ich mit
einem mir ſonſt ungewoͤhnlichen Feuer. Ich konnte
dazu meinen zu Hauſe entworffenen Aufſatz nicht
brauchen, ſondern ließ hier meiner Empfindung freien
Lauf, und dieſe bildete meinen Vortrag ſo gluͤcklich,
daß ich mit mir in Abſicht deſſen, was ich Semlern
ſagte, ſelbſt zufrieden war. — Herr Wald hat
auch recht artig opponirt.
Nun kam die Reihe an meinen Bruder, welcher
freilich ganz neue Argumente auftiſchte. Ich hatte
meine Diſſertation dem Herrn von Oberndorf,
Kurpfaͤlziſchen erſten Staatsminiſter zugeſchrieben,
und in der Dedication freilich Vorzuͤge an dieſem
Herrn geruͤhmt, die ich ihm im Herzen ſelbſt ab-
ſprach. Allein das iſt ja der Fall bei den meiſten
Dedicationen! Mein Bruder griff alſo die Zuſchrift
an, und zwar mit Argumenten von folgender Art:
Ein niedertraͤchtiger Schmeichler iſt ein Luͤgner, je-
ner biſt du; folglich biſt du auch dieſer. Ich ſtutzte
gewaltig bei dieſem Schluß, leugnete aber natuͤrlich
den Unterſatz; er indeß bewies ihn aus meiner Zu-
ſchrift. Ich hatte hier geſagt, Herr von Oberndorf
mache die Pfalz gluͤcklich: mein Bruder fuͤhrte meh-
rere Thatſachen an, woraus das Gegentheil erhellete,
und woruͤber die Zuhoͤrer lachten. Ich hatte ferner
geſagt, Herr von Oberndorf ſorge fuͤr die Heidelber-
[170] ger Univerſitaͤt: mein Bruder bewies, daß die Uni-
verſitaͤt zu Heidelberg nie elender geweſen ſey, als
gerade ſeit der Zeit Herr von Oberndorf am Ruder
ſaͤße. — Daß dabei manche groͤbere Invektiven un-
terliefen, kann man ſich vorſtellen. Herr Schulze,
der Promotor, ſagte kein Wort, wie er mich denn
ganz allein meine Siebenſachen defendiren ließ. End-
lich wandte ſich mein Bruder zu den Zuhoͤrern und
ſagte: Auctor diſſertationis ſe veritati colaphos
infregiſſe optume et ipſe perſpicit; verum ſi-
bi amiſſum patriae magnatum favorem ſua ſe
impudentia adulandique ſtudio recuperaturum
perſuadet. Was ſollte ich auf dergleichen Sar-
kasmen antworten? Mein Bruder hatte freilich
Recht; aber ſagen haͤtte ers doch nicht ſollen. Herr
Teisner hat nicht viel geſagt.
So hatte ich nun einen akademiſchen Gradus,
und konnte ein großes M. vor meinem Namen hin-
pflanzen: das hab ich aber doch nur ſelten gethan.
Auch hoͤrte ich lieber meinen Namen, als den Ma-
giſter-Titel: denn alle akademiſchen Wuͤrden kommen
mir ſo zunftmaͤßig vor, und waren mir immer laͤ-
cherlich. Ich hatte dergleichen bei den Alten nicht
gefunden, und wuſte recht gut, daß dieſe Titulatu-
ren und die Art, ſie zu erlangen, Erfindungen der
barbariſchen Zeiten waren. Daher hat der Doktor,
Licentiat, Magiſter und andere dergleichen Frivoli-
[171] taͤten wenig bei mir gegolten. Auch hab ich mich
immer gewundert, wie Herr Bahrdt, der ſich doch
uͤber manches Vorurtheil weggeſetzt hatte, wenig-
ſtens vorgab, ſich daruͤber weggeſetzt zu haben, noch
immer den theologiſchen Doktor vor ſeinem Namen
figuriren ließ. Er war, wie er in ſeiner Lebens-
geſchichte ſelbſt geſteht, auf ſehr anomaliſche Weiſe
dazu gelangt: hatte hernach alles Verhaͤltniß mit
der lieben Theologie aufgegeben, und war Billar-
deur und Schenkwirth geworden; und doch blieb
er dem Titel nach — noch immer Doktor der
Theologie. Das hat mich ſehr befremdet. Er haͤtte
ſollen ſchlechtweg Herr Bahrdt heißen: das wuͤrde
ihm an ſeinem Anſehn und an ſeiner Gelehrſam-
keit gar nichts geſchadet haben. Doch dies im
Vorbeigehn!
Da ich jetzt mehr Recht als vorher hatte, Vor-
leſungen zu halten, ſo erklaͤrte [...] um mich als
Magiſter zu produciren, die dunkeln [...]atyren des
Perſeus; und ſo gewaltig viel Erudition ich auch da-
bei auskramte, ſo war ich doch mit meinen Lektionen
innerhalb zwei Monaten fertig. Dieſe Vorleſung
war gratis, und meine Zuhoͤrer hoͤrten mich gern.
Daraus ſchloß ich, daß wenn ich auf Oſtern meine
Kollegien ankuͤndigen wuͤrde, ich nicht wenig Zuhoͤ-
rer haben duͤrfte. In wie fern dieſe Hoffnung ge-
gruͤndet war, wird die Folge zeigen.
[172]
Ich nahm mir nun vor, auch etwas zu ſchrei-
ben, und in der Welt als Schriftſteller aufzutre-
ten. Auch das hatte mir Herr Semler empfohlen,
weil, wie er ſagte, ein junger Mann ſchreiben muͤßte,
um bekannt zu werden. Ich wollte ein hiſtoriſches
Thema behandeln, und zwar eins aus der Pfaͤlzi-
ſchen Geſchichte, naͤmlich die Geſchichte der Graf-
ſchaft Sponheim. Ich ſuchte alſo auf der hieſi-
gen Univerſitaͤts-Bibliothek mit vieler Muͤhe und
Geduld das auf, was dahin gehoͤrt, fand aber lei-
der ſehr wenig. Doch ließ ich mich nicht abſchre-
cken, und brachte wirklich vielerlei zuſammen, was
mir bei meiner Abſicht nuͤtzlich werden konnte.
Ich wuͤnſchte, daß ich meine Schreibereien noch
haͤtte, beſonders meine Briefe: allein durch einen
Zufall ging alles zum Kaͤſekraͤmer: ich werde die-
ſen Zufall mit Anmerkungen weiter unten anfuͤh-
ren. Es waren einige Sammlungen hiſtoriſcher
Denkwuͤrdigkeiten darunter, welche freilich fuͤr den
Liebhaber abgeſchmackt, aber fuͤr den Kenner in-
tereſſant ſeyn muſten. Ich habe insbeſondere viel
geſammelt von meinem Helden, dem Kaiſer Ju-
lian II. den man aus chriſtlicher Liebe den Apo-
ſtaten nannte, und dem Voltaire den Beina-
men des Philoſophen gab. Beide Namen ſchi-
cken ſich fuͤr den vortreflichen Julian nicht recht.
Jenes iſt ein Sektenname, und dieſes ein Kom-
[173] pliment: es iſt hier der Ort nicht, meine Behaup-
tung zu beweiſen.
Meine Stunden auf dem Waiſenhauſe gab ich
indeß auf, muſte aber mit Unmuth von meinen
Schuͤlern hoͤren, daß mein Nachfolger in der hebraͤi-
ſchen Klaſſe kein Verbum analyſiren koͤnnte. Das
that mir leid, denn ich wuſte, wie ſehr noch Analyſe
den Schuͤlern in prima hebraea noͤthig war.
Ueberhaupt wurden damals auf dem Waiſenhauſe
die Grundſaͤtze der Sprachen zu ſehr verſaͤumt: acht-
zehnjaͤhrige Schuͤler machten die groͤbſten Schnitzer
wider die lateiniſche Grammatik: allein — da gar
die Lehrer ſich dergleichen erlaubten, ſo muſtens
ihnen die Schuͤler ja wol abſehen!
Ich muß hier eine philologiſche Schnurre er-
zaͤhlen. Mein Landsmann Sch***, ein nicht un-
ebner Lateiner, wollte nach Art aller Philologen von
geringerm Gehalt, nichts Lateiniſches leiden, was in
Meiſter Marx Tullius hinterlaſſenen Buͤchern nicht
befindlich waͤre. Sein zweites Wort war immer
ciceronianiſch o). Ich hatte fuͤr jemanden ein ſoge-
[174] nanntes Curriculum Vitaͤ aufgeſetzt, und Herr
Sch*** hatte es wohl an funfzehn Stellen verbeſ-
ſert, weil es nicht aͤcht ciceronianiſch abgefaßt waͤre.
Dies aͤrgerte mich, und ich beſchloß, dem Kritiker
einen Poſſen zu ſpielen. Ich ſtellte mich alſo, als
hielt ich ihn fuͤr einen Mann, der den Geiſt des
Cicero neun und neunzigfach inne haͤtte, und un-
terwarf Einiges ſeiner Kritik. Das freute dem Ci-
[...]roner ſo ſehr, daß er mich mit lateiniſirender Sal-
baderei fuͤrchterlich quaͤlte, und mir da ein langes
und breites von der ciceroniſchen Wortſtellung
herſchwazte, wovon er ein Buch ſchreiben wollte.
Ich uͤberſetzte endlich ein Stuͤck aus Cicero's Bu-
che von der Natur p) der Goͤtter, ſchrieb Cicero's
Latein darneben, und gab mein Geſchreibſel dem
Herrn Sch***, um ſeine Cenſur zu vernehmen.
Herr Sch*** korrigirte den Text des Cicero an
mehr als dreißig Stellen, und gab mir ihn ſo wie-
der. Ich verſuchte es, meine Conſtructionen in
Gegenwart mehrerer Studenten als ciceroniſch zu
vertheidigen; aber vergebens: Sch*** wollte und
mußte recht haben. Endlich holte ich meinen Cicero
aus der Taſche, und zeigte ihm, daß er den Mei-
ſter ſelbſt, ſeinen angebeteten Cicero, korrigirt hatte.
Gelaͤchter auf meiner und der Studenten, und große
[175] Beſchaͤmung auf Sch***s Seite, war die Folge.
Nachher iſt Herr Sch*** mir niemals wieder recht
gut geworden. — Man werfe dem Afterphilologen
allerhand dumme Streiche vor, ſchelte ihn einen
Eſel: er wird nicht ſo boͤſe werden, als wenn man
ihm beweißt, er verſtehe das Weſen des ciceroniani-
ſchen Styls ſelbſt nicht recht q). — Wer ſchoͤn
denkt, wird ſchoͤn ſchreiben: und wenn er gleich mit
Fehlern ſchreibt, wird man doch lieber ſein Geſchrie-
benes leſen, als das allerfeinſte grammatiſch-rich-
tige, welches ohne Gedanken iſt. Wer mag gern
die Deklamationen des Quintilians leſen, mit ſamt
dem ſchoͤnen Latein?
Um ſelbige Zeit war ich nirgends lieber, auſſer
meinem redlichen Semler, als bei Herrn Profeſ-
ſor Sprengel, nicht dem jetzigen Vicharzte, ſon-
dern dem alten und beruͤhmten Hiſtoriker. Der
freie offene Karakter dieſes Mannes freute mich un-
endlich, und ob ich gleich in einem Fache leſen wollte,
worin auch er las, ſo war er doch freundſchaftlich
gegen mich, und theilte mir ſowohl von der Univer-
ſitaͤts-Bibliothek, als aus ſeiner eignen mit, was
[176] ich begehrte. Weit anders dachte ein anderer Herr,
der damals Magiſter war: er offenbarte den Stu-
denten, und namentlich Herren Suſſenbeth und
Rebenack meine Schwaͤche in der Reichsgeſchichte,
und ſagte ihnen, daß ich die Quellen nicht recht
kennte: daß ich ein Wicht waͤre: — gerade als wenn
der liebe Herr Magiſter nicht haͤtte denken ſollen, daß
ich, wie er, ja noch lernen koͤnnte, was ich zur Zeit
nicht wuſte!
Herrn M. Fabri habe ich mir auch zum Feinde
gemacht. Er hatte den alten Zopf verbeſſert r);
hatte aber bei ſeiner Arbeit derbe Schnitzer gemacht.
So hieß es z. B. daß Philipp der Schoͤne, von
Oeſterreich, der Tochtermann Ferdinands des Ka-
tholiſchen, die ganze Spaniſche Monarchie geerbt
haͤtte: daß Emmerich Joſeph, Erzbiſchof zu Mainz
noch 1783 lebte, und was der Balhornereien mehr
waren. Ich raiſonnirte alſo derb uͤber dieſes Brod-
buch, wodurch Herr Fabri meinem Freund, dem
Herrn Profeſſor Mangelsdorf, wehe gethan hatte:
die Studenten referirten Herrn Fabri, was ich ge-
ſagt haͤtte, und Herr Fabri raͤchte ſich durch Anekdo-
[177] tenſammlungen von mir: ſogar ſuchte er Herrn
Semler wider mich einzunehmen, das ihm aber
nicht gelang.
Ueber die Syriſche Sprache hoͤrte ich ein Kol-
legium bei Herrn Profeſſor Schulze, dem jetzigen
Direktor unſers Waiſenhauſes, und profitirte wenig-
ſtens ſo viel, daß ich die Michaeliſche Chreſtomathie,
nebſt dem ſyriſchen neuen Teſtamente ziemlich verſte-
hen konnte. Ich fing auch an, in den Werken des
Ephraem zu gruͤbeln, und kam mit Huͤlfe der Ueber-
ſetzung ſo halb und halb zu rechte. Ich habe die
orientaliſchen Sprachen immer ſehr leicht gefunden,
und wundre mich eben darum ſehr uͤber den Unfleiß
unſrer Studenten auf allen Akademien in dieſem
Stuͤck. Die Herren begehren gelehrte Religion ken-
nen zu lernen, und lernen die Sprachen ihrer hei-
ligen Buͤcher nicht! Das kommt mir vor, als wenn
ein Pandektenkauer das Latein, oder eine Hofdame
das Franzoͤſiſche verſaͤumen wollte.
Das waren nun ſo meine gelehrten Arbeiten
den Winter uͤber; aber meine Leſer werden ſich jetzt
auch wieder gefallen laſſen, dumme Streiche von
mir zu hoͤren! Alſo uͤberſchreibe ich mein
[178]
Funfzehntes Kapitel,
Dumme Streiche von allerhand Art.
Ein kuͤnftiger Dozent haͤtte billig ſollen klug han-
deln. Wir brauchen keine Tugend, ſagt der große
Rouſſeau, wenn wir nur klug ſind s). Ich habe
nachher gelernt, daß man unter dem Namen Recht-
ſchaffenheit, Menſchenliebe und uͤberhaupt Tugend
blos Klugheit — ſo oder ſo modificirt — meynt.
Damals aber verband ich noch mit dieſen Worten die
Bedeutungen, welche ich in der Moralphiloſophie
gelernt hatte, und fand erſt ſpaͤterhin, daß die Mo-
raliſten gar uͤble Sprachmeiſter ſind, ſo wie die Her-
ren Metaphyſiker.
Das war nun ſchon dumm genug! Dem zu-
folge ſchmeichelte ich niemanden, ich beſuchte ſogar
keinen, weil ich mich nicht ſcheniren wollte; und die
Herren ſagten denn, wenn von mir die Rede war,
allemal: den Magiſter Laukhard kennen wir nicht;
wie wir aber hoͤren, ſo ſoll er ein Kerl ohne Kopf
[179] und von ſehr ſchlechten Sitten ſeyn. Dieſes loͤbliche
Gezeugniß gaben mir die Herren aus Menſchenliebe,
um die Leute vor mir zu warnen. Ganz unrecht
hatten ſie wohl nicht: denn im Grunde hatte ich
dieſe Stimmung der Herren gegen mich vielleicht
ſelbſt verſchuldet; und ſo — mag ich den Herren
Theologen und Philoſophen nichts aufbuͤrden, was
ihnen vielleicht nicht gehoͤrt.
Ich machte einen Aufſatz, dem ich den Ti-
tel gab, deutſche Synonymen. Da brach-
te ich alle mir bekannten Woͤrter zuſammen, wel-
che die Beſoffenheit und den unflaͤtigen Umgang
mit Frauenzimmern auf deutſch bezeichnen. Das
war nun ſo ein Stuͤckchen Arbeit aus der lieben
Zotologie! Ich machte den Aufſatz gemeinnuͤtzig,
indem ich erlaubte, daß jeder Student, der nur
wollte, ihn abſchrieb: ich war ſogar willens, ihn
drucken zu laſſen, und Herr Adelung haͤtte
alsdann einen derben Beitrag zu ſeinem Woͤr-
terbuch gefunden. Herr Semler erfuhr das,
und koramirte mich nicht ſchlecht: da ließ ich
denn das Ding; abes mein Aufſatz war ſchon zu
ſehr ins Publikum, als daß er haͤtte koͤnnen unter-
druͤckt werden: ſogar die Philiſter auf dem Raths-
keller laſen die deutſchen Synonymen von Magiſter
Laukhard und gaudirten ſich hoͤchlich uͤber die drollig-
ten Ausdruͤck.
[180]
Auch hab ich Skandal in Reideburg gehabt.
Ich war da ſehr oft beim Einne [...]mer, welcher da-
mals drei ledige Toͤchter hatte, wovon jetzt zwei ver-
heirathet ſind. Bei der aͤlteſten ſoll man contra
formam excipirt haben, denn in Hinſicht auf die
Materie war nichts einzuwenden. Ich habe mich
niemals mit den Maͤdchen eingelaſſen: ſie hatten
ſchon das Ihrige, naͤmlich Anhang unter den Stu-
denten von einer gewiſſen Geſellſchaft, mit denen ich
nicht gern zu ſchaffen haben mochte. Einſt war ich
nebſt mehrerern Studenten beim Einnehmer, und
ſtimmte ſein Klavier. Dieſe Arbeit hielt mich bis
in die Nacht auf, und dabei tranken wir einen Krug
nach dem andern. Der Spiritus war uns allen zu
hoch geſtiegen, und wir beſchloſſen, noch erſt zu
Nacht zu eſſen, und hernach mit Eberts Kutſche zu-
ruͤck zu fahren. Ueber Tiſche fielen allerlei Geſpraͤche
vor: unter andern machte der Einnehmer uͤber eine
gewiſſe Jungfer Brillmeiern aus Halle, mit
der ich um dieſe Zeit vertraut umging, einige An-
merkungen, die mir misfielen. Ich wollte das Ge-
ſpraͤch ablenken, aber der Einnehmer ſetzte es gefliſ-
ſentlich fort: er ſahe, daß es mir nahe ging. Da
fragte ich ihn mit recht unverſchaͤmtem Ton, ob ſeine
Toͤchter bald heurathen wuͤrden, und ob er glaubte,
Großvater zu werden? — Letztere Frage befremdete
ihn; ich machte aber zu ihrer Erklaͤrung ſolche Gloſ-
[181] ſen, daß ihm ein Licht aufging. Meine Leſer wuͤrde
ich beleidigen, wenn ich dieſe Gloſſen herſetzen wollte.
Freund Einnehmer fing Feuer, und gab mir ſeinen
Zorn durch einen Stoß zu erkennen. Nun fiel alles
uͤber mich her, ſogar die Toͤchter und der Sohn:
kurz, es wuͤrde mir klaͤglich ergangen ſeyn, wenn
nicht meine Begleiter recht handfeſte Leute geweſen
waͤren. Es war eine allgemeine Balgerei: am En-
de zogen wir ab, und fuhren nach Halle — ohne
zu bezahlen.
Den andern Tag fuhr ich mit drei Studenten
abermals nach Reideburg; aber zu Zacharias Schmid.
Dieſer freute ſich unendlich uͤber den geſtrigen Vor-
fall, wie ſich denn immer ein Wirth freut, wenn
bei dem andern Spektakel geweſen iſt. Von da aus
ſchickte ich zum Einnehmer zwei Briefe, einen an ihn,
und den andern an die juͤngſte Mamſell, worin ich
beide nach meiner Art — ohne es recht zu wollen,
um Pardon anſprach, und mir meine Rechnung vom
vorigen Tage ausbat. Der Einnehmer ließ mir wie-
der ſagen: es wuͤrde ihm lieb ſeyn, wenn ich ihn
beſuchte. Aber das konnte ich nicht; ſchickte jedoch
die 20 Groſchen, die ich ſchuldig war.
Mit der Jungfer Brillmeierin habe ich freilich
einen kleinen Roman geſpielt. Sie war die Tochter
eines hieſigen Buchbinders, und ich war mit ihr auf
der ſogenannten Loge bekannt geworden. Sie hing
[182] ſich feſt an mich, und wo ich hinging, war ſie auch:
ſogar beſuchte ſie mich auf meiner Stube, bald in
Geſellſchaft ihres Vaters, bald allein. Dieſer Ro-
man hat mir viel Zeitvertreib, aber auch manche
Koſten gemacht, und ich wiederhole es noch einmal,
daß ein Akademiker allemal einen kreuzdummen
Streich macht, wenn er ſich mit einem Maͤdchen
abgiebt. Wenn alles noch hingeht, ſo empfindet
doch der Beutel ſehr nachtheilige Folgen. — —
In Jungfer Fieckchens Boͤrnerin Gunſt war ich der
Dritte: mein Succeſſor war Herr Stork, auf
welchen noch fuͤnf andre folgten: der letzte verdarb
dem guten Maͤdchen die Taille. Dann ging ſie nach
Berlin, und ließ ihr Kind bei ihrem Alten.
Einſt kam ich nach Reideburg, wo gerade eine ge-
wiſſe Studenten-Innung ihren Landtag hielt. Der
Beſchluß davon war ein Kommers, zu dem ich ein-
geladen wurde. Ich ging hin und mußte, weil ich
Magiſter war, honoris cauſſa das Praͤſidium uͤber-
nehmen. Ich praͤſidirte mit allem Anſehn und aller
Wuͤrde eines aͤchten alten Burſchen, der nicht rien!
rien! ſondern courage! courage! ruft, und den
Komment recht verſteht. Da gings munter uͤber
munter! Es leb der Bruder Magiſter hoch! Ein
Hunzfott, der ihn ſchimpfen ſollte! erſchallte zu mei-
ner Freude aus allen Kehlen. Ich dachte dabei an
nichts Arges; doch kam es mir ſelbſt etwas ſpaniſch
[183] vor, daß ein Mann, der auf dem Catheder docirte,
auch Praͤſes eines Burſchenkomments ſeyn ſollte;
aber — ich ſetzte mich daruͤber weg. Zwei Tage
nachher wußte mein Semler ſchon alles: er nahm
mich vor und las mir den Text nach Noten. Ich
haͤtte ohnehin, ſagte er, bei der philoſophiſchen Fa-
kultaͤt keine Freude: ich ſollte ſehen, daß man mir
die Erlaubniß, Kollegien zu leſen, verweigern und
mich aus der Lehrer Liſte ausſtreichen wuͤrde. —
Das that mir freilich wehe, machte mich aber nicht
kluͤger. Ich fuhr fort, die Wirthshaͤuſer nach wie
vor zu beſuchen und mich in den Geſellſchaften einzu-
finden, an die ich einmal gewoͤhnt war.
Ein gewiſſer Heuſer hatte auf ſeiner Stube
im Schmiediſchen Hauſe auf dem alten Markte eine
ſogenannte gelehrte Societaͤt geſtiftet, wobei auch
ich war. Die Perſon zahlte jedesmal 8 Gr. wofuͤr
Kaffee, Taback, Bier und Abendbrod gegeben wurde.
Einer um den andern mußte eine Vorleſung halten,
und ich machte den Anfang. Etwan ſechs Wochen
blieb unſre Geſellſchaft ungeſtoͤhrt: dann bekam einer
von uns mit einem Innungs- oder Ordensbruder in
Paſſendorf Haͤndel. Man hatte naͤmlich unſre ge-
lehrte Geſellſchaft fuͤr einen neu aufkeimenden Orden
angeſehn, und war daruͤber nach aͤchten Ordens-
grundſaͤtzen eiferſuͤchtig. Man beunruhigte uns ſo
ſo lange, bis es endlich zur foͤrmlichen Schlaͤgerei
[184] [...]am. Unſer Kumpan hatte indeß Gluͤck, und ver-
wundete den Ordensmann: dieß brachte alle Ordens-
Kinder auf, daß ſie in allen ihren Gelagen uͤber unſre
Geſellſchaft ſpoͤttelten. Es entſtunden daher mehrere
Haͤndel, und am Ende wurde alle gelehrte Beſchaͤf-
tigung vergeſſen, da wir nur mit Haͤndeln und Schlaͤ-
gereien zu thun hatten. Ich nahm zwar keinen An-
theil an den Haͤndeln ſelbſt, ſprach aber doch immer
in der Verſammlung, was jedesmal der Komment
forderte.
Auf einen Sontag war ich bei Herrn Prof.
Trapp zu Gaſte. Ich war gut angezogen, und
trug ſeidne Struͤmpfe. Abends gegen zehn Uhr ging
ich fort, traf unterwegs meinen alten Koͤſter, der
mich bat, ihn in den Puffkeller auf dem Markt un-
term Rathhauſe zu begleiten t). Ich ſtellte ihm vor,
daß es fuͤr einen Magiſter ſich ſchlecht ſchicken wuͤrde,
in den Puffkeller zu gehen: aber Koͤſter beſiegte alle
meine Gruͤnde und Einwendungen, und der Herr
Magiſter ging in den Puffkeller. Im Puffkeller
war ein gewiſſer Herr, den ich noch taͤglich herum-
[185] gehen ſehe: er wird es vielleicht auch nicht vergeſſen
ſeyn. Ich ließ mir Schnapps geben, konnte ihn
aber nicht trinken, und ſtellte ihn mit einem Fluche
auf den Tiſch. Mosjeh Firlefanz ſagte drauf mit
einer altklugen Mine, es ſey freilich kein Magiſter-
ſchnapps! Blox! ſteckte ich ihm eine Ohrfeige, Koͤ-
ſter half, und Meiſter Firlefanz wurde zum Loch
hinaus geſchmiſſen. Wir blieben nicht ſehr lange.
Als wir in der Galgſtraße der Ulrichskirche nahe ka-
men, trat ploͤtzlich Mosjeh Firlefanz vor uns, und
forderte Rechenſchaft wegen der Beleidigung im Puff-
keller. Da wir ihm jetzt noch groͤber antworteten,
und mit Pruͤgeln droheten, ſiehe, da kamen noch
zwei baumſtarke Bengel aus dem Hinterhalt, und
ſchlugen auf uns zu. Wir wehrten uns ritterlich,
warfen einen von den Bengeln zur Erde, und Mos-
jeh Firlefanz ſelbſt bekam derbe Schlaͤge mit der Fauſt
ins Geſicht, daß die Marken davon noch vierzehn
Tage zu ſehen waren. Endlich kam der Nachtwaͤch-
ter, der alte ehr [...]Haſe: er kannte den Firlefanz
und mich, und drohte uns, wenn wir nicht Ruhe
hielten, mit der Compagnie des Herrn Baͤrs. Wir
hielten alſo inne, und ſchieden von dannen. Aber man
denke, wie mein hellgruͤner Rock, meine ſeidne Weſte
und meine ſeidnen Struͤmpfe ausgeſehen haben!
Ich muſte ſelbſt uͤber meine Figur lachen: Koͤſter ſah
nicht beſſer aus: er ſchlief die Nacht bei mir.
[185[186]]
Den folgenden Tag erhielt ich einen anonymi-
ſchen Zettel durch einen Soldaten. Man ſchrieb
mir, daß man mich auf der Maille zu ſprechen
wuͤnſchte: ich moͤchte zwiſchen drei und vier Uhr hin-
kommen. Das that ich, und ecce homo, mein
Herr Firlefanz ſtand mit ſeinem zerkratzten Geſichte
vor mir. Er bath mich, die Sache geheim zu hal-
ten: denn er haͤtte von ſeiner Madam — ſo nannte
er ſeine rothhaarige Frau — großen Skandal, wenn
ſie erfuͤhre, daß er im Puffkeller geweſen waͤre. Er
ſey beſoffen geweſen u. dgl. — Ich war willig, die
Sache zu unterdruͤcken, und trug dem Firlefanz auf,
auch den Nachtwaͤchter Haſe zu befriedigen, damit
nur der keinen Spuck machte. Und ſo ging jeder ſei-
nen Weg. — Aber nicht wahr, mein Herr, ich habe
Wort gehalten, und nenne Sie noch jetzt nicht! —
Ich habe noch einmal einen Handel in eben
demſelben Puffkeller gehabt mit einem gewiſſen noch
hier lebenden Chirurgus, den ich aber uͤbergehe: es
kam nicht zum balgen.
Bei allen meinen erzdummen Streichen, die
einem akademiſchen Docenten ſo ſehr unanſtaͤndig
waren, machte ich immer meine Apologie, und ver-
theidigte mich mit dem Beiſpiele andrer angeſehener
Maͤnner, welche auch dergleichen getrieben haͤtten:
beſonders half ich mir mit den Thaten des verſtorb-
nen Geheimenraths Klotz, des Herrn M.Schi-
[186[187]]rachu), des Profeſſors Hauſen und des M.Traͤ-
ger, von welchen damals noch allerhand ſkandaloͤſe
Anekdoͤtchen herum gingen. Es iſt eine wunderliche
Sache um den Eindruck, den das boͤſe Beiſpiel, vor-
[188] zuͤglich von ſonſt angeſehenen Maͤnnern, auf die
Seele derer macht, die mehr vom Anſehn und dem
Schlendrian, als von den Vorſchriften einer unbe-
fangenen Vernunft abhaͤngen. Billig haͤtte mich da-
mals das Beiſpiel dieſer großentheils ſonſt verdien-
ter und wirklich gelehrter Maͤnner von aͤhnlichen
Streichen abziehen ſollen, um ſo mehr, da man mir
zugleich erzaͤhlte, daß ſie durch ihre Poſſen allen Kre-
dit verlohren haͤtten, und ſogar der Kinder Spott
geworden waͤren. Aber bei mir war gerade entge-
gengeſetzte Wirkung: ich entſchuldigte mich ſelbſt bei
mir mit dieſen Beiſpielen: haben es jene nicht beſſer
gemacht, ſagte ich mir, je nun, ſo kann dir es auch
hingehen! Ein ſehr ſchiefer, ſchaͤdlicher, aber doch
ſehr gewoͤhnlicher Syllogismus!
Mein Schmitz legte ſich auch ſtark aufs Trin-
ken, und that es mir immer zuvor; wenigſtens
konnte er noch einmal ſo viel ſaufen als ich, ohne
beſoffen zu werden.
In unſerm Hauſe wohnte ein gewiſſer Z***
aus Berlin, ein witziger, heller Kopf, aber ein
Hans ohne Sorgen, wie jener Ukalegon in der Ge-
ſchichte des Aeſopus. Er ging beinahe in kein Kol-
legium, ſtudirte aber doch fleißig fuͤr ſich, und lernte
mehr als die Herren Heften-Schmierer: er war
vollkommen erfahren in der lateiniſchen, griechiſchen
und deutſchen Sprache; denn ſein Vetter, der ver-
[189] ſtorbene gelehrte Profeſſor Z*** zu Berlin, hatte
ihn vortreflich unterrichtet. Er las die beſten Aus-
gaben der klaſſiſchen Schriftſteller mit der groͤßten
Emſigkeit. Er machte viele Noten uͤber das, was
er las; und die Noten waren immer ſehr treffend,
beſſer als die, welche große Philologen uͤber die alten
Schriftſteller hinzugieſſen gewohnt ſind. Aber ich
will ja der Gelehrſamkeit meines redlichen Z***
keine Lobrede halten! die vermuthet doch niemand
in einem Kapitel, das ſo eine Ueberſchrift traͤgt, wie
das meinige! Z*** war ein Ohneſorg und zog ſich
nicht eher an, als bis er ausgehen wollte, und er
ging nur alle drei oder vier Tage einmal aus. Er
ſaß da ohne Beinkleider in der warmen Stube, und
zeigte ſich nicht ſelten in puris naturalibus. Wenn
nun Ein Narre iſt, ſo machen gleich ihrer zehn die
Thorheit nach, und ſo ging es auch hier: die Ge-
wohnheit, ſich nicht anzuziehen, riß im ganzen Sem-
leriſchen Hauſe ein — mich ausgenommen: denn an
dieſer Saͤuerei fand ich trotz meiner zotologiſchen
Ideen doch keinen Geſchmack. Semler ſelbſt erfuhr
es, und ermahnte mich, dieſem Unweſen Einhalt zu
thun, und das Rauhe heraus zu kehren. Ich thats
zum Theil; aber die Hoſen wurden noch nicht ange-
zogen. Da ſchrieb uns Semler in lateiniſcher Spra-
che: er wundre ſich ſehr, wie Leute, quorum alii
bonas litteras diſcere ſe dicerent, quidam et
[190] docere ſo weit ſich vergeſſen koͤnnten, in ſeinem
Hauſe die honeſtatem publicam zu beleidigen, und
den Maͤdchen, quae eſſenta ſervitiis, quin et ſuis
interdum filiabus partes corporis hinzuweiſen,
quas melior mos verdeckt wiſſen wollte. Er muͤßte
uns nur ſagen, wenn der Skandal fortwaͤhrte, er
ſchlechterdings den Herrn Prorector angehn, und um
unſre Wegſchaffung aus ſeinem Hauſe anhalten wuͤrde,
u. ſ. f. das Briefchen that ſeine Wirkung; doch nur
halb: denn Herr Z*** zog ſich, ſo lange er da war,
naͤmlich bis auf den Herbſt 1783 wo er nach Jena ging,
dennoch nicht mehr als zweimal die Woche uͤber an.
Sechszehntes Kapitel.
Jenaiſcher Komment.
Mein Freund Dambmann war nach Jena ge-
zogen, und hatte mich in ſeinen Briefen immer ge-
beten, ihn da zu beſuchen. Ich nahm mir alſo dieſe
Reiſe vor, und marſchirte zu Anfang des Maͤrzen
1783 zu Fuße nach Jena.
In Lauchſtaͤdt traf ich einen Franzoſen an,
einen Tabuletkraͤmer, den ich ſchon in Manheim
gekannt hatte. Der Kerl erkannte mich nicht. Als
ich daher hin und her uͤber die Pfalz fragte, n [...]
[191] er unter andern auch meinen Namen, und ſetzte da
einen Roman zuſammen, uͤber den ich erſchrack. Ich
fing an zu widerlegen, bis endlich der Kerl meiner
Perſon ſich wieder beſann, und um Vergebung bath
mit dem Vorgeben: man ſpraͤche ſo von mir in der
Pfalz: er erzaͤhle blos wieder, was andre Leute uͤber
mich geſagt haͤtten. Zugleich erfuhr ich, daß ein
gewiſſer Herr Latus, ſonſt Huber genannt, um
mein Thereschen angehalten; aber den Korb erhalten
haͤtte. Dieſe Nachricht beſtaͤtigte ſich 1787, wo Herr
Latus noch immer nach Thereschen freite, den Korb
abermals erhielt, und von mir, wie ich nachher er-
zaͤhlen werde, beinahe waͤre ausgehaͤnſelt worden.
Den Namen Latus hatte Meiſter Huber in
Erbesbudesheim bekommen, als er fuͤr den Paſtor
Neuner die Zinſen einheben wollte. Alle Bauern
brachten die Zinſen; aber Mosjeh Latus — das war
unten die Summe — wollte nicht erſcheinen, und
hatte doch natuͤrlich den ſtaͤrkſten Poſten. Huber
ging daher zum Schulzen und verklagte den Latus:
der Schulz, ein Pfiiffiker, lachte derb, machte die
Hiſtorie des Dumkopfs bekannt, und Herr Huber
behielt den Beinamen Latus, nach der edlen Ge-
wohnheit der Pfaͤlzer x).
[192]
In Neumark kehrte ich bei dem Wirth Tho-
mas ein. Das iſt ein Original von Wirth: Er iſt
immer eher beſoffen, als ſeine Gaͤſte, und dabei ein
gefaͤhrlicher Menſch. Kaum war ich bei ihm einge-
kehrt, als er mir Bruͤderſchaft anboth, und mich
zum Trinken noͤthigte. Ich mußte uͤber Nacht bei
ihm bleiben. Abends wurde geſpielt, ich nahm Theil
an dem Spiele — es war Tippen — und verlohr
mein Reiſegeld bis auf 12 Groſchen. Nach meinem
Leichtſinn machte ich mir nicht viel daraus, und hoffte
noch immer nach Jena reiſen zu koͤnnen mit 12 Gr.
Den folgenden Tag regnete es, und ich kam nicht
weiter, als nach Leiha; einem Dorfe ohnweit Roß-
bach. Hier ward mein Geld alle. Ich ſchickte alſo
den Sohn des Wirths nach Halle an meinen Bru-
der, und bat ihn um einige Thaler Reiſegeld. Mein
Bruder ſchickte ſie, aber er ſchickte auch einen Stu-
denten mit, Namens Stork, einen Landsmann,
der an Liederlichkeit, und Sauferei alle andre auf
der Univerſitaͤt uͤbertraf. Das war mir freilich ſehr
zuwider. Ich kannte den Stork, und dachte mir
x)
[193] ſchon, wie unanſtaͤndig er ſich in Jena betragen
wuͤrde. Aber was wollt' ich machen! Wir blieben
uͤbernacht in Leiha, und marſchirten den folgenden
Tag nach Naumburg. Stork fuͤhrte mich da ins
Sieb, einen Gaſthof. Des Abends ging ich auf
den Rathskeller, Billard zu ſpielen, und kriegte mit
einem Officier Haͤndel, aber blos in Worten. Mein
Spektakel hatte indeß doch Aufſehn gemacht, und
nach meiner Abreiſe dem Officier Verdruß zugezogen.
Im Grunde war er Schuld daran: warum nannte
er mich einen Bengel, da ich den Hund eines Frauen-
zimmers, fuͤr welches er Achtung haben muſte, ge-
treten hatte?
Am folgenden Tag kamen wir endlich nach Je-
na: wir hatten wegen des ſchlechten Wetters, und
weil Stork ſich die Fuͤße aufgegangen hatte, in
Naumburg Pferde genommen. Stork ritt in Jena
vorweg, und rannte im vollſten Galopp vor das
Haus, wo Herr Dambmann wohnte: es war des
Protonotarius Hoffmanns Haus. Er ſchrie auf der
Straße, wie unſinnig: Dambmann! Dambmann!
einmal uͤbers andre, ſo, daß die Leute an der Straße
alle zum Fenſter hinausgukten, den Menſchen zu ſe-
hen, der ſo fuͤrchterlich ſpektakeln konnte. Alſo wurde
gleich in ganz Jena herumpoſaunt: der Magiſter Lauk-
hard von Halle und ein halliſcher Burſch ſeyen eben
Zweiter Theil. N
[194] angekommen, waͤren abſcheulich betrunken — was
doch nicht wahr war — und haͤtten einen fuͤrchter-
lichen Skandal ſchon auf der Gaſſe angehoben.
Ich logirte in Jena bei Herrn Dambmann;
Stork trieb ſich bei den Moſellanern herum, und
beſoff ſich alle Tage zweimal.
Ich hatte in Halle ſchon angefangen, einen Ro-
man zu ſchreiben, naͤmlich Leben und Thaten
des Herrn Magiſters Baldrian Weit-
maul. Meine Leſer wiſſen ſchon, wen ich zunaͤchſt
gemeint habe. In Jena arbeitete ich fleißig daran,
webte noch Jenaiſche Schnurren hinein, und brachte
ihn zu Stande. Das Buch iſt aber damals nicht
gedruckt worden, weil man ihm in Halle die Cenſur
weigerte, wie ich bald erzaͤhlen werde.
Ich fand den jeniſchen Komment 1784 noch
immer, wie ich ihn ſchon ſechs Jahre vorher gefun-
den hatte: nur etwas feiner war er geworden, wie
der Anzug der Burſche. Im Ganzen waren die
Herren auch fleißiger. Ich ſprach einen gewiſſen
Ißbeck aus Saarbruͤcken, den ich ſchon in Darm-
ſtadt gekannt hatte: er erzaͤhlte mir ſeine Fatalitaͤten,
wie er von Gießen und Erlangen waͤre relegirt wor-
den, und nun in Jena auf der Schaukel ſtuͤnde; er
mache ſich aber nichts daraus! Seine Bruſt ſey
durch das unbaͤndige Saufen und andre wilde zer-
ſtoͤrende Lebensart ganz ruinirt, und er haͤtte die
[195] Schwindſucht: es moͤchte indeß werden, wie es wolle,
er muͤſſe doch bald ſterben, ſtuͤrbe aber mit Vergnuͤ-
gen, weil er doch den Burſchen nach dem aͤchten
Komment geſpielt haͤtte. — Schoͤner Troſt!
Die Moſellaner zeichneten ſich noch immer
durch fidele Lebensart von den andern Landmann-
ſchaften aus, und ſaßen mehr als die uͤbrigen auf
dem Fuͤrſtenkeller und in den Schenken der Doͤr-
fer y). Ich ſaß auch oft bei ihnen, als meinen Lands-
leuten, und brachte mich dadurch in ſehr uͤblen Kre-
dit, ſo daß auch Herr D.Griesbach, den ich
wiederum beſuchte, mir nicht undeutlich zu verſtehen
gab, daß ihm mein Betragen nicht gefiele: ein gra-
duirter Mann, meinte er, muͤßte mehr Decenz in
ſein Benehmen zu bringen ſuchen. Er hatte Recht:
ich that mir eben darum auch wirklich Zwang an,
und beſuchte den Fuͤrſtenkeller nicht weiter.
Das Kommerſiren auf den Stuben waͤhrte
auch damals noch fort: ich ſelbſt habe einem ſolchen
luſtigen Gelage beigewohnt, in D.Doͤderleins
Behauſung. So wenig Reſpekt hatten die Herren
Jenenſer fuͤr einen Doctor der Theologie!
[296[196]]
Der Kirchmeſſe in Lobſtaͤtt habe ich ebenfalls
beigewohnt: es ging recht luſtig da zu. Die Nym-
phen aus Jena waren mit ihren Scharmanten zuge-
gen, und tanzten ſich recht ſatt. Das jenaiſche
Frauenzimmer iſt uͤberhaupt nicht ſproͤde.
In Halle miſcht kein gemeiner Philiſter ſich in
die Gelage der Studenten: aber in Jena iſt das
anders. Die Philiſter ſitzen in den Schenken neben
dem Studenten, und mit vielen hat der Student
gar Bruͤderſchaft. Ich ſelbſt erinnere mich noch gut,
damals mit dem Friſeur Stahlmann und dem dicken
Fleiſcher Schmid Bruͤderſchaft gemacht zu haben,
und zwar auf der Schneidemuͤhle, wo damals fluͤch-
tige Wirthſchaft gefuͤhrt wurde. In Wenigen-Jena
bin ich auch geweſen, und habe da die Wirthſchaft des
luſtigen Schneiders angeſehn. Es war doch auch gar
nicht der geringſte Anſtand mehr in dieſer Wirthſchaft!
Das Puffloch zu Wenig-Jena iſt noch elender als
die Schandloͤcher dieſer Art zu Halle: Pfui!
Damals kam in Jena eine Zeitung heraus,
deren Verfaſſer der Herr Hoffactor war. Sie war
uͤber alle Beſchreibung elend, elender noch als die
ſagenannten Bauern, welche in Merſeburg und Halle
herauskommen z). Sie iſt nicht fortgeſetzt worden.
[197]
In Kala hatte ich einige luſtige Auftritte.
Meine Jenaiſchen Freunde wollten mir ein Vergnuͤ-
gen machen, und fuhren mit mir dahin. Es iſt ein
Staͤdtchen ohngefaͤhr zwei Meilen von Jena. Wir
divertirten uns da im Stern, wo die Toͤchter des
z)
[198] Wirthes die Burſchen gehoͤrig zu unterhalten wußten.
Mir haben die Maͤdchen wegen ihres offenen Weſens
gefallen: um ihr geheimes Betragen bekuͤmmerte ich
mich wenig.
Der Herzog von Wuͤrtemberg war damals mit
dem Herzoge von Weimar in Jena, und ließ ſich
auf dem Kollegienhauſe von den Profeſſoren Vorle-
ſungen halten. Ich habe da viele Herren gehoͤrt, und
ihre Lectionen gut vorbereitet gefunden — wahrſchein-
lich mehr wegen ihrer zuhoͤrenden Herren Kollegen
als wegen der beiden Fuͤrſten. — Herr Gruner
hat mir damals beſonders gefallen: er war freimuͤ-
thig genug, ſeinen vortreflichen Fuͤrſten auf viele
wichtige Wahrheiten oͤffentlich aufmerkſam zu ma-
chen. Ueber einige ſehr hoͤrbare Anmerkungen, die
auf einen gewiſſen Gelehrten zielten, applaudirten ihm
die Studenten laut.
Der Herzog von Wuͤrtemberg hatte auch in
Halle den Vorleſungen des Herrn D.Semlers,
Eberhards, Karſten und einiger andern bei-
gewohnt. Man ſagte damals, er ſuchte Maͤnner
fuͤr ſeine neue Akademie zu Stuttgard. An Anek-
doten uͤber den Herzog fehlte es nicht: in Halle er-
innerten ſich die aͤltern Buͤrger einander an das Be-
nehmen der ſchwaͤbiſchen Truppen in dem ſiebenjaͤh-
rigen Krieg. Herr Semler erzaͤhlt im erſten Bande
ſeiner Lebensgeſchichte Einiges aus jenen Zeiten, das
[199] den Wuͤrtembergiſchen Herren Kriegern zur War-
nung fuͤr die Zukunft dienen kann. Galgen anzuͤn-
den, die Leute zum Zeitvertreibe necken, das Stall-
vieh ohne Noth fortſchleppen, und die Pfluͤge im
Felde verbrennen, iſt nicht die Sache eines wahren
Soldaten. Der Herzog ſoll auch das Benehmen
ſeiner Truppen, im ſiebenjaͤhrigen Kriege, oͤffentlich
getadelt haben: das hat ihm Lob und Ausſoͤhnung
in Halle bewirkt.
Ich blieb wohl vier Wochen in Jena, und die
Jenenſer erwieſen mir alle Freundſchaft, beſonders
die Herren Aſol, Loͤw, Dambmann, Merk,
Eiſenlohr, Albrecht und andre Reichslaͤnder
oder Moſellaner. Der Senior dieſer Landmann-
ſchaft, Herr Weisgerber, kettete ſich ſehr feſt
an mich, und machte mir viel Vergnuͤgen: er
war auch mein Landsmann, und aus Gruͤnſtadt
gebuͤrtig.
Wenn Schadenfreude dem Menſchen uͤberhaupt
anſteht, ſo hat mir der jenaiſche Pedell viel anſtaͤn-
diges Vergnuͤgen verurſacht: er erzaͤhlte mir in Lob-
ſtaͤdt von dem jungen Koch aus Gießen, von deſſen
ausſchweifender Lebensart in Gießen und Jena ich
ſchon vieles gehoͤrt hatte. Der Pedell beſchrieb mir
die Bemuͤhungen des verſtorbenen Hellfelds fuͤr
die Beſſerung dieſes Menſchen; der aber nicht mehr
zu beſſern geweſen waͤre, und der ſich ſo weit ver-
[200] gangen haͤtte, daß er ſich oͤffentlich geruͤhmt habe,
ſogar ſeine eigne Schweſter — doch wozu das wei-
tere! von Kochs Hannchen auch nichts weiter: In
Jena wiſſen das die Leute doch.
Von Herrn D.Danows Tod zog ich in
Jena genaue Nachrichten ein: ſie liefen alle dahin
aus, daß der gute Mann ſich aus Aerger uͤber ſeine
Frau erſaͤuft haͤtte. Das kraͤnkte mich in der Seele,
und ich ward im Ernſt boͤſe uͤber das Weib. Ich
kannte den verſtorbenen Doctor, und wußte, daß er
zu den wenigen wuͤrdigen Theologen gehoͤrte, die einen
hellen Kopf mit einem guten Herzen verbinden.
Mein Stork, der immer blieb, und nicht eher
zuruͤck wollte, als bis ich mitginge, trieb taͤglich
neue Poſſen, und war ſelten nuͤchtern. Die Jenen-
ſer hatten ihren wahren Spaß mit ihm, und nannten
ihn den Doctor. Er ſtiftete auch ein laͤcherliches Lie-
besverſtaͤndniß mit einem Aufwaͤrtermaͤdchen, wel-
ches er anbetete, und fuͤr welches ich ihm Verſe
machen muſte. Er hat noch von Halle aus an das
Maͤdchen geſchrieben.
Endlich begab ich mich nach Halle zuruͤck, wohin
mich Herr Merk und Brachel begleiteten. Keiner
von uns hatte Geld, ſowohl wir, als die Jenenſer
nicht. Was war zu thun? Ich verſetzte meine Uhr,
und ſo war uns geholfen. Der Doctor Stork machte
unterwegs allerhand Poſſen, und amuſirte uns nicht
[201] uͤbel. In drei Tagen waren wir in Halle, wo ich
meine Herren Begleiter gleich auf die Loge fuͤhrte,
um ſie mit der halliſchen Lebensart bekannt zu ma-
chen. Sie gefiel ihnen und kam ihnen viel huͤbſcher
vor, als die ſchmutzige Lebensart auf den jenaiſchen
rauchrichten Kneipen.
Semler ließ mich gleich den folgenden Tag
zu ſich kommen und las mir die Leviten: er hatte
von Jena aus Briefe erhalten, worin mein Beneh-
men eben nicht vortheilhaft geſchildert war. Es hieß
darin: der Magiſter Laukhard fuͤhre mit den Stu-
denten auf allen Doͤrfern herum, laͤge auf den Muͤh-
len, mache Kommerſe mit, kurz, er betruͤge ſich
hoͤchſt unanſtaͤndig. S [...]mler machte mir, wie billig,
ernſtliche Vorwuͤrfe: und ich Thor ward empfindlich;
aber nicht zu meiner Beſſerung: vielmehr beſchloß
ich, Semlers Haus zu verlaſſen, um mir die be-
ſtaͤndigen Vorwuͤrfe zu erſparen. Herr Semler ſah
dies freilich gern. Ich miethete mich alſo ein in das
Haus des Buchbinders Muͤnnich. Schmitz war ſchon
abgegangen waͤhrend der Zeit ich in Jena war, und
meine uͤbrigen Bekannten waren faſt alle fort. Ich
bath jezt meinen Bruder, das liederliche Haus, den
ſogenannten Hanauer Puff zu verlaſſen, und zu mir
zu ziehen. Er that es, und von dieſer Zeit an kam
ich hoͤchſt ſelten dahin. Dies benutzte Jungfer Chri-
ſtel und hing ſich an einen andern Studenten: ſie
[202] kam aber hernach doch wieder zu mir, erhielt mir
ihre Gunſt, auch noch in der Zeit, da ich ſchon
Soldat war, und bezeigte ſich dann und wann
recht zaͤrtlich. Ihre Zaͤrtlichkeit hat mich manch-
mal gefreut, manchmal aber belaͤſtiget, je nach-
dem ich geſtimmt war. Sie iſt noch jetzt unver-
heurathet, und dienet auf einem Edelhofe zehn
Meilen von hier.
Meine beiden Begleiter machten, als Bruͤder
des ſchwarzen Ordens zu Jena, gar bald mit den
hieſigen Unitiſten Bekanntſchaft, und lagen von der
Zeit an immer auf den Doͤrfern, groͤßtentheils in
Reideburg, wo dieſe Innung damals ihre Auflage
hatte a). Ich glaube ſie haben ſich hier auch ge-
ſchlagen, und giengen erſt nach ſechs Wochen wie-
der nach Jena.
[203]
Achtzehntes Kapitel.
Cenſur-Angelegenheiten. Gelehrte Unternehmungen.
Ungeſchliffenheit.
Ich wollte auf Oſtern meine Vorleſungen anfangen
und hatte die Anzeige davon gehoͤrigen Orts einge-
reicht. Zu gleicher Zeit hatte ein hieſiger Buchdru-
cker meinen Roman, den Baldrian Weitmaul,
der Cenſur uͤbergeben. Ungluͤcklicher Weiſe enthielt
dies Buch einige Stellen, die auf eine verſteckte
Art eben den Mann betrafen, dem es zur Cenſur
mitgetheilt war. Als Cenſor ſtrich er alſo dieſe
Stellen, und unterſagte den Abdruck des Buches
gaͤnzlich. Er theilte mir dieſe Nachricht ſelbſt mit,
und als ich hierauf meine Handſchrift in Schutz neh-
men wollte, fuͤgte er hinzu: er habe ſie bei der Fa-
kultaͤt cirkuliren laſſen, und die vota der Herren Fa-
kultiſten gingen einſtimmig dahin, den Abdruck der-
ſelben zu verbiethen, ja, Einige beſtaͤnden ſogar
darauf, daß man mir das Collegienleſen verbiethen
ſollte — eben wegen meines Romans.
Ich machte große Augen uͤber dieſe Aeußerun-
gen meines Herrn Cenſors, aber noch groͤßere, als
er mir obendrein zu verſtehen gab: daß in Halle
[204] jetzt fuͤr mich nichts mehr zu machen waͤre, und daß
ich wol thun wuͤrde, wenn ich mich anderswohin
begaͤbe. Ja, er fuͤgte ſogar hinzu: „Gleichwie die
Schuſter- und Schneider-Zunft, wenn ſie wollten,
allen Pfuſchern das Handwerk legen koͤnnten; eben ſo
koͤnnte es auch die Fakultaͤt.“ — Ich aͤrgerte mich
haͤßlich uͤber dieſe Parallele, wodurch er mir ſo deut-
lich zu verſtehen gab, daß er mich als einen Pfu-
ſcher anſaͤhe, und erklaͤrte gerade heraus: daß als-
dann Mancher gewiß große Urſache haͤtte, ſich zu der
beſondern Gunſt ſeiner philoſophiſchen Mitgenoſſen-
ſchaft Gluͤck zu wuͤnſchen. —. Kurz, wir debat-
tirten nicht wenig, und, um meiner auf eine glimpf-
liche Art los zu werden, hieß es: er koͤnne eigentlich
nichts davor, und wenn ich mich nicht fuͤgen wollte,
ſo ſtuͤnde wir ja der Weg noch offen, mit einer
Schrift bei der Fakultaͤt einzukommen! — Ich ſollte
alſo an eben diejenigen appelliren, von denen es zu-
vor hieß, daß ſie mich und mein Buch verdammt
haͤtten! — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
— — — — —
Daß es bei dieſer Verhandlung dienſtfertige
Geiſter gab, die aus purer Menſchenliebe Jagd auf
Anekdoten uͤber mich machten, um mich als einen
ſchaͤdlichen Menſchen darzuſtellen, der ſich zum Do-
centen durchaus nicht ſchickte, iſt nicht noͤthig, erſt
[205] zu erinnern. Freude war mir es aber und Genug-
thuung zum Theil, hintendrein zu erfahren, daß
einige anſehnliche Maͤnner ſich meiner angenommen
hatten, und man mir das Collegienleſen fernerhin
erlaubte, nachdem ich mich in einer Schutzſchrift ver-
theidigt und um die erwaͤhnte Erlaubniß ſchriftlich
angeſucht hatte. Semlern gab ich jedesmal Nach-
richt von den einzelnen Auftritten dieſes Vorfalls,
und Semler ſchuͤttelte gewaltig den Kopf, mit dem
Zuſatz: es ginge auf Univerſitaͤten nicht anders
zu: — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — —
ich ſollte aber hierdurch gewitzigt, und doch endlich
einmal kluͤger werden! Wohl wahr! —
Indeſſen kam die Zeit heran, wo die Sommer-
kollegien ihren Anfang nahmen, und da las ich alte
Geſchichte nach Mangelsdorf, und Roͤmiſche
nach meinem eignen Kompendium. Ich hatte viele
Zuhoͤrer, beſonders wurde meine Roͤmiſche Geſchichte
fleißig beſucht. Ich freute mich uͤber den Beifall,
und fragte nach den Kabalen und nach der Abgunſt
gewiſſer Herren nicht viel.
Da ich wenig Buͤcher ſelbſt beſaß, ſo muſte mir
die Univerſitaͤts-Bibliothek, nebſt der des Herrn
Semlers aushelfen. Auch Herr D.Knapp, Herr
Profeſſor Sprengel, der Hiſtoriker, und Herr
Profeſſor Forſter hatten die Guͤte, mir mit manch
[206] gutem Buche auszuhelfen. Alſo hatte ich in dieſem
Stuͤck keinen Mangel, und konnte meinen Vorle-
ſungen allemal die erforderliche Vollſtaͤndigkeit geben,
und ſie mit allerlei Anekdoten ausſchmuͤcken, um die
Aufmerkſamkeit meiner Zuhoͤrer mehr zu fixiren. Ich
las in dem Auditorium des Herrn Profeſſor Wol-
taͤrs, welcher mir daſſelbe in ſeiner Zwiſchenzeit
uͤberließ.
Ich war den Sommer uͤber ſehr fleißig, und
ſtudirte ohne Unterlaß: ich bereitete mich jedesmal
auf meine Lectionen gehoͤrig vor, hielt ſie gewiſſen-
haft, und erwarb mir dadurch einen nicht uͤblen Kre-
dit. Man fand in meinen Vorleſungen mehr Zu-
ſammenhang und Deutlichkeit, als in denen eines
gewiſſen andern Herrn Magiſters — und ich hatte
eben darum mehr Zuhoͤrer als dieſer. Ich bin nie-
mals fleißiger geweſen, als dieſen Sommer: waͤre
ich doch ſo geblieben! Allein es eraͤugneten ſich Um-
ſtaͤnde, die mich aus meinem Gleiſe herausriſſen.
Man hoͤre erſt weiter!
Eben der Herr Cenſor ließ mir von Zeit zu Zeit
ſagen, „daß ich noch einmal diſputiren muͤßte pro
loco: wuͤrde ich es nicht thun, ſo muͤßte er mir
auf den Herbſt da [...] Leſen uͤberhaupt unterſagen: ich
muͤßte mich durchaus habilitiren.“ Ich ſtellte dem
Herrn vor, daß ich ja doch eben ſo viel jetzt wuͤſte,
als dann, wenn ich noch einmal diſputirt haͤtte: ich
[207] ſey eben nicht reich, und baͤte alſo ſehr, mir die
Diſputation pro loco zu erlaſſen. — Aber ver-
gebens. — — — — — — — —
— — — — — — — —
Da ich hierbei einige Animoſitaͤt wahrzuneh-
men glaubte, ſo nahm ich mir vor, mich nach einer
andern Univerſitaͤt zu begeben, und zwar nach Jena.
Ich ſchrieb demnach an den dortigen Prorector, den
Herrn Profeſſor Wiedeburg, und an Herrn
Profeſſor Schuͤtz. Beide gaben mir ſehr bald und
freundſchaftlich genaue Auskunft uͤber alles; jedoch
mit der Beſorgniß, daß ich mich durch Kollegienleſen
auf dieſer mittelmaͤßigen Univerſitaͤt ſchwerlich wuͤrde
ernaͤhren koͤnnen. Herr Schuͤtz beſonders ſuchte mir
das Vorurtheil zu benehmen, als wenn außer einer
Akademie kein Heil zu hoffen ſey. Ich war zwar
wegen der fehlgeſchlagenen Hoffnung etwas nieder-
geſchlagen: aber die gutmuͤthige Freundſchaft zweier
großer Maͤnner ſtaͤrkte meinen Muth, und machte,
daß ich nun auf Alle die, welche mich vielleicht
druͤcken wollten, mit ziemlich veraͤchtlichem Blick
herabſah.
Ich blieb alſo in Halle, und ſuchte hier das zu
thun, was ich thun ſollte, naͤmlich noch einmal zu
diſputiren. Ich ſchrieb einige Bogen zuſammen uͤber
den zu Anfang des vorigen Jahrhunderts zu Rom
wegen Atheiſterei oder Pantheiſterei verbrannten
[208] Aventuriers, Jordan Brunus, deſſen Leben
Herr Adelung in ſeiner Geſchichte der menſchli-
chen Narrheit beſchrieben hat. Ich nahm meine
Data aus Bayle's Woͤrterbuch, Brucker und
la Croze: hinten hing ich aus dem Syſtem der
bruniſchen Metaphyſik einige Saͤtze an, welche ich
glaubte mit andern ſchon bekannten Syſtemen ver-
einigen zu koͤnnen, ja, es ſollte nach meiner Meinung
zwiſchen den Saͤtzen des Brunus und denen des
Herrn von Leibnitz einige Aehnlichkeit ſtatt finden.
Dieſen Aufſatz erhielt eben der Mann zur Cen-
ſur, der meinen Roman verworfen hatte. Ich kam
um meiner Diſputationsſchrift einigemal zu ihm,
und mußte mir in aller Demuth gefallen laſſen, ge-
fragt zu werden: ob ich mich auch auf Philoſophie
gelegt haͤtte? Ob ich wuͤßte, worin die formelle
Wahrheit der Syllogismen beſtehe? Was eine adaͤ-
quate Idee ſey? u. dgl. Da mir dieſe Fragen ein
wenig kindiſch vorkamen, beantwortete ich ſie auch
nur obenhin. Dies mußte den guten Herrn verdroſ-
ſen haben, und daher vielleicht die Aeußerung gegen
ſeine damalige Hausmamſell, die jetzt einen Schuſter
geheurathet hat: „Ich ſey ein naſeweiſes Magiſter-
lein, das gern gelehrt thun wollte, aber noch erfah-
ren muͤſte, daß ein Profeſſor Ordinarius ein ganz
anderer Mann ſey, als ſo ein Magiſterlein.“ Die
Hausmamſell ſagte dieſes ihrem damaligen Liebhaber,
[209] einem Peruͤckenmacher, der Peruͤckenmacher verkuͤn-
digte es Studenten, und durch dieſe erfuhr es
endlich ich. Wenn ich zu der Zeit noch ſo raſch em-
pfindlich geweſen waͤre, als einige Zeit vorher in der
Pfalz, oder wenn ich — um die Sache beſſer zu
ſagen — wirkliche Achtung fuͤr den Mann gehegt
haͤtte, ſo haͤtte ich mich zu raͤchen geſucht, und
von ihm auch raͤſonnirt. Der gute Herr haͤtte
mir ja auch herhalten muͤſſen, wenn ich die Anek-
doten, die damals von ihm und ſeiner Frau her-
umkurſirten, haͤtte in meinen Zirkeln ſo aufti-
ſchen wollen, wie er allerlei dergleichen von mir
auftiſchte, um mich dadurch zu blamiren! Ich
weiß es recht ſehr gut, daß ich damals den
gelehrten und ungelehrten Muͤßiggaͤngern in und
um Halle reichlichen Stoff hergab, zum Zeitver-
treib: aber das iſt nun einmal ſo Mode, und
ich hatte mir es im Grunde doch meiſtentheils
ſelbſt zuzuſchreiben.
Ich diſputirte pro loco als Praͤſes, und mein
Bruder reſpondirte: dieſer konnte mit dem Latein
ziemlich zurechtekommen, und befriedigte ſeine Op-
ponenten nicht uneben. Meine Abhandlung, deren
Abdruck ich nicht ſelbſt korrigirt hatte, war voll
Druckfehler, doch nicht ſo, daß ſie den Sinn
verſtellt haͤtten und ausgeſehen, wie grammatika-
Zweiter Theil. O
[210] liſche Schnitzer, nach Art jener Diſſertation pro loco,
wovon ich oben geredet habe.
Außer meinen Kollegien unterrichtete ich auch
noch in der hebraͤiſchen Sprache, und in der Dog-
matik. Man denke ſich ein Privatiſſimum, welches
ich einigen Theologen uͤber die Dogmatik hielt. Ich
hatte laͤngſt das ganze Syſtem mit allen ſeinen In-
gredienzien weggeworfen, und nun, da ich es vortra-
gen ſollte, ſchlug ich folgenden Weg ein. Ich er-
klaͤrte gleich Anfangs, daß ich meine guten Gruͤnde
haͤtte, ein Syſtem zu verwerfen, welches auf Offen-
barung gebaut waͤre. Darnach trug ich auf gut Tin-
daliſch meine Argumente daruͤber vor. So brachte
ich mit meinen Saͤtzen ohngefaͤhr acht Stunden zu.
Hernach griff ich das Werk anders an. Wir muͤſſen,
ſagte ich, Syſtem wiſſen, um gelehrte Theologen
heiſſen zu koͤnnen, und um im Examen zu beſtehen.
Nach dieſem fuͤhrte ich alle Artikel aus, und ſprach
uͤber die heilige Schrift, uͤber Dreieinigkeit, Satis-
faction, und die andern Theile des dogmatiſchen
Syſtems gerade ſo, wie einſt Johann Jakob
Rambach, Siegmund Jakob Baumgar-
ten, und Johann Ernſt Schubertb), deren
[211] dogmatiſche Schriften ich zu meiner Vorbereitung
benutzte. Ich verfaßte die Lehren (dogmata) in
kurze Saͤtze, verſah dieſe mit den gewoͤhnlichen
Spruͤchen, und ſo ging ich in wenigen Monaten die
heiligen Schibbolets durch, und meine Zuhoͤrer wa-
ren zufrieden. Sonnabends hielt ich ein Repetito-
rium, worin ich in lateiniſcher Sprache meine Stu-
denten uͤber die durchgegangenen Artikel befragte,
gerade wie es in den meiſten Conſiſtorien Mode iſt,
wo man blos nach dem fragt, was der Kandidat
im Gedaͤchtniß hat, ſeinen Verſtand aber und ſeine
praktiſchen Kenntniſſe ganz und gar in Ruhe laͤßt —
fuͤr die denn manches auch freilich nicht iſt.
Ich habe hernach noch als Soldat dergleichen
Uebungen mehrmals angeſtellt, und dabei mich der
Tab [...]len bedient, die Luͤdecke aus den Theſen des
Baumgartens fabricirt hat. Die Tabellen enthalten
wirklich einen Schatz von dogmatiſchen Grillen von
theologia archetypos und ectypos, von pecca-
tum clamans und non clamans, von genera
communicationis u. dergl. Aber bekennen kann
ich's und mich ruͤhmen, daß ich zwar den alten
b)
[212] Sauerteig bei ſolchen Gelegenheiten vortrug, ihn
aber doch immer als alten Sauerteig beſchrieb,
und meine Freunde, welche ſolchen Sauerteig von
mir foderten, jederzeit und angelegentlich ermahnte,
ja dem alten unbrauchbaren Wuſt nicht nachzuhaͤn-
gen, und lieber ſonſt was zu ſtudieren, als Dogma-
tik, es ſey denn, daß es geſchaͤhe, um das Syſtem
naͤher kennen zu lernen und zu verwerfen: das ſagte
ich ſelbſt Semlern, und Semler hieß mein Beneh-
men gut.
Das erſte halbe Jahr meiner oͤffentlichen Leſe-
reien verging ruhig, wenn ich die vorhin erzaͤhlten
Haͤndel mit meinem Herrn Cenſor ausnehme, welche
ich aber bald vergaß. Meine Sitten waren den
Sommer uͤber ſehr gut, naͤmlich wie man Sitten
von außen als ſehr gut anſehen muß. Ich beſuchte
keine Kneipen, keine Doͤrfer, als nur hoͤchſt ſelten,
und wo ich hinkam, ging wenigſtens alles ehrbar
zu, ſo lange ich da war. Große Geſellſchaften habe
ich ſelten beſucht, und vornehme ganz und gar nicht.
Einmal haßte ich allen Zwang, der in vornehmern
Zirkeln gewoͤhnlich iſt, und war ſodann in Halle zu
wenig bekannt, als daß ich auch nur Eingang dazu
haͤtte finden koͤnnen. Meine Sitten waren oben-
drein zu rauh und zu wenig abgehobelt, als daß ich
haͤtte gefallen koͤnnen. Der Burſchenkomment macht
keine feinen Sitten; und ich hatte von jeher das
[213] Petimaͤterweſen gehaßt, konnte mich deshalben we-
der in die Komplimente noch in die Geſpraͤche der
ſchoͤnen Welt ſchicken: und ſo wuͤrde ich aller Orten,
wo ich zur feinen Welt gekommen waͤre, das fuͤnfte
Rad am Wagen geweſen ſeyn. — Ein hieſiges
Frauenzimmer ſagte mir einmal unter die Augen, daß
ich in der feinen Monde niemals mein Fortune ma-
chen wuͤrde, weil mir das bel air fehlte. Aber ſtatt
uͤber die richtige Bemerkung dieſer Dame nachzuden-
ken, fiel mir es nur auf, daß ſie deutſch und fran-
zoͤſiſch untereinander ſprach. So geht es aber in
der Welt! Man gewoͤhnt ſich aus ſtudentiſchem He-
roismus einen ungeſchliffenen Ton an, und behaͤlt
ihn hernach immer, weil man ſich ſchaͤmt, den ein-
mal angenommenen Ton abzulegen, oder weil man
keine Gelegenheit mehr hat, ſich abzufeilen. — Ich
war von Jugend auf ſelten unter feinen Leuten ge-
weſen: Vornehme hatte ich zwar mehrmals um mich
gehabt, und war mit Vornehmen auch umgegangen;
allein die waren entweder ſelbſt nicht fein, oder zeig-
ten damals, als ich mit ihnen umging, ihre Fein-
heit nicht: und wenn ſie es auch gethan haͤtten,
ſo wuͤrde ich gelacht und ihre Geſellſchaft vermieden
haben.
In meiner Jugend war ich unter rohen Leuten
aufgewachſen, hatte hernach auf einer aͤußerſt ruͤden
Akademie meine Bildung geſucht, war dem Burſchen-
[214] komment nachgelaufen, und ſo ein vollkommener
Burſche, im burſchikoſeſten Sinn geworden. Ueber-
haupt ſcheinen mir die Univerſitaͤten gar der Ort
nicht zu ſeyn, wo man feine Sitten lernen koͤnnte.
In der Pfalz hatte ich zwar vielerlei Umgang; allein
dieſer Umgang konnte mich nicht beſſern. Die Frauen-
zimmer, mit denen ich umging, waren auch nicht
dazu geſchickt. Mit Thereschen ſtand ich, wie man
ſchon weis: und da ſah das Maͤdchen nur mich;
und alles, was an mir war, gefiel ihr. — Die an-
dern Damen und Mamſellen, mit denen ich umging,
freuten ſich, nach Art des Pfaͤlziſchen Frauenzim-
mers, mehr uͤber mein ungezwungenes Benehmen
und meine Luſtigkeit, als wenn ich noch ſo ſein ge-
weſen waͤre. — Jetzt freilich mache ich mir gar nichts
mehr daraus: Komplimente und dergleichen Poſſen
ſchicken ſich fuͤr einen Soldaten eben ſo wenig, wie
fuͤr den Moſellaner Senior in Jena. Aber damals
bedaurte ich doch, daß ich nicht beſſer Komplimente
machen und mit Dezenz ein Pfoͤtchen kuͤſſen und
nicht Stundenlang die Weibleins mit Taͤndeleien und
nichts und wieder nichts unterhalten konnte, und
tauſend andre Poſſen nicht verſtand, wodurch ſich
die beſſere Lebensart markirt. Denn dieſer Mangel
zog mir den Namen eines Toͤlpels und Grobians zu,
und verſperte mir den Zutritt zu vornehmen Zirkeln
wie zur Gunſt der Damen. Tanzen konnte ich auch
[215] nur wenig, und hatte es niemals ordentlich getrieben.
Zudem hatte ich den Grundſatz, und habe ihn noch:
jemehr feine Gewandheit, deſto mehr Schein, Liſt, Be-
trug und Schelmerei: jemehr Geradheit, deſto mehr
Wahrheit, Ehrlichkeit und Biederſinn. Man denke an
Semlern! — Daher beſaß ich die Kuͤnſte nicht,
welche in ſogenannten Honoratiorenklubs hauptſaͤch-
lich empfehlen, und muſte immer hoͤren, daß ich außer
andern Maͤngeln auch den Mangel der feinen Lebens-
art haͤtte. Und das muſte ich mir ſogar von Maͤd-
chen ſagen laſſen, die ich wegen ihrer Lebensart und
wegen ihres laͤppiſchen Weſens verachtete!
Auch in dieſer Ruͤckſicht muͤſſen ſich meinen
Leſern Anmerkungen darbieten, von welchen ich ihnen
viel Nutzen wuͤnſche. Wehe dem, uͤber den die
Weiber und die — Gelehrten erſt herfallen!
Neunzehntes Kapitel.
Geſchichtchen von anderer Art.
Der Sohn des Herrn Kanzlers Koch zu Gießen
hat mich dieſen Sommer auch beſucht, der juͤngere
naͤmlich, welcher jetzt Regierungsrath in Gießen iſt.
Sein Beſuch war mir ſehr angenehm: denn ob ich
[216] gleich mit ſeinem Vater niemals zufrieden war, wie
ich ſchon im erſten Theile berichtet habe, ſo konnte
ich doch dieſen jungen Herrn Koch gut leiden, und
war ihm wirklich gewogen, mehr als ſeinem Bruder.
Er blieb ohngefaͤhr acht Tage bei mir, und nahm
hernach ſeinen Ruͤckweg uͤber Goͤttingen nach Gießen.
Von ihm hoͤrte ich damals, wie es in Gießen her-
ging, und bedauerte, daß die Univerſitaͤt von Zeit
zu Zeit herabſank. Es konnte auch nicht anders
ſeyn, da man die Lehrſtellen mit immer traurigern
Subjecten beſetzte. Herr Roſenmuͤller war
zwar an D. Benners Stelle gekommen; verließ aber
bald nachher Gießen, um eine Profeſſur in Leipzig
anzutreten. Hierauf ward Freund Bechthold erſter
Profeſſor der Theologie! — So ging es auch in
den andern Fakultaͤten, bis endlich in ganz neuern
Zeiten beſſere Maͤnner angeſtellt wurden, z. B. Herr
Roos und Herr Schmid. —
Im Sommer dieſes Jahres habe ich wieder
eine Liebſchaft geſtiftet; bin aber ſchoͤn angekommen!
In Reideburg lernte ich die Tochter eines Saͤchſiſchen
Amtmanns kennen, welche an meinem damals noch
ſehr muntern Weſen Geſchmack fand. Sie gab mir
das ſehr deutlich zu verſtehen, und ich verſicherte ſie
gegenſeitig meiner Achtung, und ſo war unſre Lieb-
ſchaft abgeſchloſſen. Ich ſah das Maͤdchen hernach
bei ihren Verwandten in Halle, und hier lud ſie
[217] mich ein zu einem Beſuch bei ihrem Vater aufs Land.
Ich machte Schwierigkeiten, die ſie aber hob, da
ſie mich verſicherte, ihr Vater kenne mich ſchon, und
denke ſehr vortheilhaft von mir. Ich war im Grun-
de nicht verliebt in ſie; aber ein gewiſſes Beduͤrfniß
zog mich zu dem Maͤdchen hin, das ſo ziemlich alles
beſaß, was man an einer Geliebten nur wuͤnſchen
mag. Sie war huͤbſch gewachſen, hatte eine zarte
Hand, blaue Augen, einen ziemlichen Verſtand, und
was mir mehr als alles das gefiel, ſie liebte meine
Schnurren, lobte meine Einfaͤlle, und ſagte mir
tauſendmal in einem Athem, daß ich ihr angenehmer
waͤre, als ihr Junker, der auch Liebſchaft mit ihr
habe ſtiften wollen, den ſie aber ſchoͤn abgewieſen
haͤtte.
Ich beſuchte ſie alſo bei ihrem Vater auf einen
Sonnabend, da ich keine Kollegien las. Der Alte
war ſehr artig gegen mich, und lobte ſeine Tochter,
daß ſie mit einem ſo huͤbſchen Manne Bekanntſchaft
gemacht haͤtte: er hoffe, wir wuͤrden ſchon noch be-
kannter werden, und einander mit der Zeit naͤher
angehoͤren. Ich hoͤrte dergleichen Reden nicht ohne
innigſtes Vergnuͤgen. Acht Tage hierauf beſuchte
mich Vater und Tochter auf meiner Stube. Ich
war ſehr erfreut, und bemuͤhte mich, ſie recht huͤbſch
zu bewirthen. Beide verbatens und wuͤnſchten
nichts, als meine Geſellſchaft, beſonders das Maͤd-
[218] chen, welches nach meinem Vornamen fragte, und
mich nun ihren lieben Fritz nannte, da ich vor-
her lieber Herr Magiſter hieß.
Nicht lange, ſo erhielt ich auch einen Brief
vom Alten, worin er ſich nach meiner eigentlichen
Geſinnung gegen ſeine Tochter erkundigte: es waͤre
Zeit, daß ich mich erklaͤrte. Ich antwortete, daß
ich nur ehrliche Abſichten hegte, daß ich aber jetzt
wegen der Lage meiner Umſtaͤnde noch an keine naͤhe-
re Aeußerung denken duͤrfte: inzwiſchen hoffte ich,
es wuͤrde nach und nach beſſer gehen, und alsdann
wollte ich beweiſen, wie gut ich es meinte. —
Man war mit meiner Erklaͤrung zufrieden, und der
Umgang wurde fortgeſetzt, bis auf die Reideburger
Kirchmeſſe, wo meine Liebſchaft eine fatale Kata-
ſtrophe erlitt.
Ich kam naͤmlich nach Reideburg zum Einneh-
mer, und hoͤrte die Studenten unter ſich erzaͤhlen,
wie des Amtmanns Tochter von ... ſeit geſtern
ſchon da ſey beim Zacharias Schmid, wie ſie nebſt
ihren Kuſinen von Halle, den verheuratheten und
unverheuratheten uͤber Nacht auf dem Stroh mit-
ten unter Studenten gelegen, wie da dies und jenes
vorgegangen ſey, und was des Skandals mehr war.
Ich fiel wie aus den Wolken, ſchwieg aber ſtill, und
ging, wie wenn ich jemanden aufſuchte, zum Zacha-
rias, traf da meine Dulcinea mitten unter den Stu-
[219] denten, mit denen ſie ſchmaußte. Als ſie mich er-
blickte, ſprang ſie auf, umarmte mich mit der
groͤßten Frechheit, und fuͤhrte mich auf die Bank
neben ſich. Die Kuſinen kamen dazu. Ich konnte
nicht reden, bis die Reflexion, daß ich mich durch
Vorwuͤrfe laͤcherlich machen wuͤrde, meinen Unwil-
len beſiegte. Jetzt ſucht' ich mein luſtiges Weſen
hervor, und ſchaͤkerte mit Mamſell Dorchen und
ihren Kuſinen; ja ich konnte ſie ſogar nach Halle
begleiten, am Arme fuͤhren, kuͤſſen, u. dgl.
Zu Hauſe uͤberlegte ich die Beleidigung, und
beſchloß, geradezu zu brechen. Ich ſchrieb einen
Brief an Dorchen, und ſagte ihr derbe Wahrheiten,
und bath, ferner nicht an mich zu denken. Das
war ein erzdummer Streich, den ich nicht haͤtte
ſpielen ſollen! Verachtung und nicht Empfindlichkeit
muß man bei dergleichen Gelegenheiten zeigen. Jung-
fer Dore ſchrieb mir wieder: meine Vorwuͤrfe ſeyen
zwar ungerecht, doch aber ſey ſie froh, daß ſie mei-
ner los waͤre: es haͤtte aus uns ohnedies nichts wer-
den koͤnnen: ſie moͤchte keine Liebſte eines Menſchen
ſeyn, der ſie doch nimmermehr nehmen koͤnnte u. ſ. w.
Bald hernach hoͤrte ich, daß Mamſell Dorchen aus-
ſprengte, ich haͤtte um ſie angehalten; aber den Korb
bekommen. Das war mir ſchon recht! Wer hieß
mich ſo einen tollen Roman anzufangen? — Welch
ein Unterſchied zwiſchen einer ſo feilen Nymphe und
[220]
einem unſchuldigen verliebten Maͤdchen, wie weiland
meine Thereſe war! Noch kraͤnkt mich der Gedanke
an dieſes gute, ehrliche Geſchoͤpf!
Nun muß ich meine Begebenheit mit dem hal-
liſchen Nachtwaͤchter erzaͤhlen. — Ich war in dem
Hauſe des Kaufmanns c) Moͤrtſchke auf dem alten
Markte bekannt geworden. In dieſem Hauſe war
des Abends ein Schnapps- und Tabacks-Kollegium.
Es beſtand aus dem Zinngießer Leiche, dem Kauf-
mann Moͤrtſchke, ſeinem Bruder, dem Traͤtoͤhr, dem
Kaufmann Kraft vom Strohhofe, ferner aus dem
Kontrolloͤhr Bauer, aus zwei Waiſenhaͤuſer Stu-
denten, deren einer hernach Inſpector ward, und
endlich aus mir. Ich muß geſtehen, daß ich in die-
ſer ſehr gemiſchten Geſellſchaft manche angenehme
Stunden verlebt habe: es wurde Taback geraucht,
Schnapps dazu getrunken, und uͤber die Zeitungen,
auch wohl manchmal uͤber gelehrte Dinge gekannen-
gieſſert. Selten paßirte eine Schnurre; und gewoͤhn-
lich gingen wir ſo vergnuͤgt auseinander, als wir
zuſammen gekommen waren. Der Kaufmann hatte
zwei Toͤchter, damals noch Kinder: die aͤlteſte gefiel
[221] dem Kaufmann Kraft, und er hat ſie hernach
geheurathet.
An einem Sonntag-Abend hatte ich mir dort
aus Aerger, den ich damals genug hatte, eine Schnur-
re getrunken. Auf meinem Ruͤckwege rennte ich
gegen den Nachtwaͤchter: der Kerl gab mir einen
Schupp, der mich verdroß. Ich nahm mein Stoͤck-
chen, und ſchlug auf den baumſtarken Bengel los:
er wehrte ſich tuͤchtig, bis endlich einige Haͤſcher dazu
kamen, und mich nebſt ihm aufs Rathhaus ſchlepp-
ten. Ich hatte den Kerl in ſeiner Verrichtung ge-
ſchuppt und geſchlagen; ich mußte daher, wie billig,
Unrecht haben. Alſo kam ich aufs Karzer. Fruͤh
ließ der Prorector Schulze befehlen, daß man
mich gegen Erlegung des Schleppegeldes loslaſſen
ſollte. Das geſchah, und Meiſter Klappenbach ver-
ſprach mir, die ganze Sache zu unterdruͤcken. Er
ſelbſt mag Wort gehalten haben; allein ein Stiefel-
wichſer, der damals an Klappenbachs Tochter liebelte,
erzaͤhlte mir ſchon gleich den folgenden Tag meinen
Skandal. Leute dieſer Art wollen ſich bei uns in
Anſehn ſetzen dadurch, daß ſie ſich als Mitwiſſende
unſrer dummen Streiche angeben; aber die guten
Menſchenkinder wiſſen nicht, daß eben dergleichen
Mitwiſſenſchaft verhaßt macht!
Nachmittags muſte ich zum Prorektor kom-
men: dieſer gab mir einen ſehr freundſchaftlichen
[222] Verweis und vielen guten Rath. Die Sache,
meinte er, wuͤrde verſchwiegen bleiben, und das
waͤre auch recht gut: ſonſt moͤchten meine Gegner
von neuem gegen mich debattiren wollen. — Ich
dankte dem Herrn Schulze fuͤr ſeinen vaͤterlichen
Rath, und verſprach, mich darnach zu fuͤgen. Daß
ich es nicht that, war hernach nicht ganz meine
Schuld. — Bahrdt hat, wie er in ſeiner Le-
bensgeſchichte III. B. erzaͤhlt, einmal mit einem
Juden und einem Handwerkspurſchen um Papier-
ſchnitzeln geſpielt. Er meinte, das waͤre ſo eine ar-
tige Spielgeſellſchaft fuͤr einen Doctor der Theologie
geweſen! Eine Balgerei zwiſchen einem Magiſter
und einem Nachtwaͤchter war gewiß auch artig! —
Aber ſo geht es: Nil admirari!
Ich bin von jeher — weil ich Nerven darnach
habe — ein Liebhaber der rauſchenden luſtigen Mu-
ſik geweſen: aus dieſem Grunde ſuchte ich die Oer-
ter auf, wo dergleichen Muſik gemacht wurde, Paſ-
ſendorf, Schlettau und die Loge. Den Sommer
uͤber beſuchte ich dieſe Oerter wenig oder gar nicht,
weil ich alsdann zu viel zu thun hatte, und mich
nicht viel abmuͤßigen konnte. Des Winters und
waͤhrend der Ferien d), wo ich mehr Zeit hatte,
[223] meiner Neigung abzuwarten, beſuchte ich die genann-
ten Doͤrfer und die Loge fleißiger, Sonntags naͤm-
lich und Montags: denn an dieſen Tagen konnte ich
meine Begierde, Muſik zu hoͤren, und tanzen zu
ſehen, befriedigen. Bei dergleichen Spatziergaͤngen
ward ich mit vielen Buͤrgern bekannt, worunter ei-
nige ſehr vernuͤnftige Maͤnner waren, mit denen ich
ein weit angenehmeres Geſpraͤch fuͤhren konnte, als
mit manchem haͤmiſchen Gelehrten.
Allein es geſchah auch zuweilen, daß ich unan-
genehme Auftritte erlebte. So kam ich einmal auf
der Loge mit einem Philiſter zuſammen, weil ich
[224]
mich zum Schiedsrichter zwiſchen ihm und ſeiner
Frau aufwarf, die auf ihn ſchroͤcklich eiferſuͤchtig
war. Die Frau mochte, wie ich aus vielen Um-
ſtaͤnden ſchon damals ſchloß, und in der Folge noch
mehr inne ward, große Urſach haben, eiferſuͤchtig zu
ſeyn. Ich legte mich, als die Frau zu derbe loszog,
ins Mittel, und wollte ſie beruhigen. Dies aber
brachte ſie noch mehr auf, und ſie fing an, nun auch
auf mich zu ſchelten. Sie griff gar nach mir aus, als
ich ſie einen alten Drachen nannte, dem ein geſchma-
ckiger Mann unmoͤglich treu bleiben koͤnnte. Was,
ſchrie ſie, einen alten Drachen? alten? Ich alt e)?
[225]
Ploͤtzlich kehrte ſich auch die Wuth des Mannes wi-
der mich, und beide gingen ganz unbarmherzig mit
mir um, bis ich endlich dem Manne einen Stoß
gab, daß er ruͤcklings wider den Tiſch fuhr. Nun
ward der Krieg allgemein, und es gab von beiden
Seiten tuͤchtige Rippenſtoͤße. Koͤſter, von dem ich
ſchon oben geredet habe, war mein Beiſtand. Der
Mann hatte aber auch ſeine Helfershelfer, als Faͤr-
ber unter den Faͤrbern und Conſorten, und ſo mußten
wir uns zuruͤckziehen. — Dieſe am hellen Tage
vorgefallene Katzbalgerei hat mir viel uͤble Nachrede
zugezogen: der Herr Schulze ließ mir einen Verweis
daruͤber geben: er theilte naͤmlich das Spaͤßchen
dem D. Semler mit f).
San Faſſon trat im Sommer 1783 jemand in
meine Stube, und fragte: Sind Sie der Magiſter
Laukhard?
Ich: Ja, mein Herr, was ſteht zu Dienſten?
Fremder: Nichts zu Dienſten! (ſetzt ſich)
doch ehe wir weiter reden (er ergreift eine Taſſe
Kaffee, die vor mir eingeſchenkt ſtand und trinkt ſie
aus). Geben Sie mir doch eine Pfeiffe Taback!
Zweiter Theil. P
[226] (Nachdem er angeraucht): Hoͤrt Freund, ich bin der
Komoͤdiant Schloſſer — hab hier und da Ehre und
Applaus, aber auch hier und da Spott und Aus-
ziſchung eingeerndet. Aber ich ſcheere mich den Hen-
ker drum! Ich weiß von meinem Collegen Keller g),
daß es Euch eben ſo gegangen iſt, wenn Ihr ſchon
kein Komoͤdiant von meiner Art ſeyd. Alſo muͤſſen
wir Freunde werden. Schlagt ein!
Der Ton des Herrn Schloſſers gefiel mir. Ich
erzaͤhlte ihm meine und er mir ſeine Schickſale, und
da lachten wir uns herzlich ſatt. Ich behielt ihn den
Tag uͤber bei mir, des Nachts ſchlief er auf dem
Loͤwen. Einſt trat er fruͤh morgens mit tauſend
Fluͤchen in meine Stube. Nachdem er viele tauſend
Schock Teufel und viele Wagen voll Schwerenoth
den halliſchen Philiſtern in den Wanſt gewuͤnſcht
hatte, erzaͤhlte er mir, er habe einen Louisd'or wech-
ſeln wollen; die Philiſter haͤtten aber nur 2 Thaler
12 Groſchen darauf geboten, und doch ſey der Louis-
d'or Preußiſch. Da muͤßte doch der Teufel drein
ſchlagen, daß Preußiſches Geld im Preußiſchen ſelbſt
nicht gelten ſollte u. ſ. w. Ich ließ mir das Gold-
ſtuͤck zeigen, und fand, daß es eins von jenen aus
dem ſiebenjaͤhrigen Kriege war. Ich ſtellte ihm vor,
[227] daß dieſe herabgeſetzt waͤren, aber das half nicht: er
konnte des Raͤſonnirens kein Ende finden. Um klein
Geld zu haben, ließ er zwar bei meinem Wirthe
einen andern Louisd'or wechſeln; allein dabei ver-
ſicherte er, die Preuſſen muͤſten den vorigen auch
noch nehmen, oder der Teufel ſollte ſie frikaſſiren.
Des Nachmittags beſuchten wir Paſſendorf:
die Nacht ſchlief er wieder auf dem Loͤwen, den fol-
genden Tag wollte er nun mit Gewalt ſeinen Louis-
d'or gewechſelt wiſſen. Kein Kaufmann wollte ihn
fuͤr den Stempelwerth, und einige boten ihm gar
ein Spottgeld. Schloſſer erkundigte ſich nach dem
Stadtpraͤſidenten, und da dieſer gerade nicht zu
Hauſe war, lief er hin zum Kriegsrath Quein-
zius, und ſtellte dem das Unrecht, das ihm mit
unguͤltigem Gelde angethan wuͤrde, in ſehr derben
Ausdruͤcken vor. Queinzius ſuchte ihm Gruͤnde ent-
gegen zu ſtellen: aber Schloſſer fing an zu bramar-
baſiren. Der alte Kriegsrath aͤrgerte ſich uͤber die
Dreiſtigkeit des Komoͤdianten, beſonders da er ſelbſt
einſehen muſte, daß er Unrecht hatte. Um alſo dem
Spektakel ein Ende zu machen, ließ er ſich den Louis-
d'or nochmals vorzeigen, trat dann hin, warf ihn
in ſeinen Spint, und gab dem Bramarbas fuͤnf
Thaler acht Groſchen Preußiſche Sechſer. Hier,
ſagte er, iſt Ihr Geld! nehmen Sie's: aber huͤten
Sie ſich, ferner ſo zu raͤſonniren! — Schloſſer
[228] ward betroffen, forderte ſein Goldſtuͤck zuruͤck: aber
er muſte mit ſeinen Sechſern abziehen. — „Das
haͤtte ich nicht gedacht, ſagte er hernach zu mir: ich
hatte ſo meine Luſt, uͤber Ungerechtigkeit zu ſpekta-
keln! Wenn ich gewußt haͤtte, daß der Alte mir
das Maul ſo ſtopfen wuͤrde, ich haͤtte gewartet, bis
der Praͤſident zu ſprechen geweſen waͤre.“ —
Wahrſcheinlich wuͤrde der Herr Praͤſident nicht auf
ſolche Art die Ehre ſeines Landesherrn gerettet
haben. —
Schloſſer iſt uͤber acht Tage in Halle geblieben:
wohin er nachher gegangen iſt, weis ich nicht: ich
habe nichts weiter von ihm gehoͤrt. Wieder ein
ſeltſames Stuͤck von Menſchen!
Zwanzigſtes Kapitel.
Schulden ſind eine ſchwere Buͤrde: ſie verleiten oft
zur Verzweiflung.
Bewirthungen von der vorigen Art, meine Reiſe
nach Jena, meine Liebeleien, meine beiden Diſpu-
tationen, der Verluſt des Honorars fuͤr meinen
Baldrian, die Geldausgaben, um mich durch
Zerſtreuungen von dem Aerger uͤber dies und jenes
[229] zu erholen, nebſt meiner Gutmuͤthigkeit, einem jeden
gern mitzutheilen, was ich hatte: — das alles hatte
mir Schulden zugezogen, zu deren Tilgung mein
Wechſel nicht zureichte. Daß ich mit meinen Colle-
gien wenig werde verdient haben, verſteht ſich fuͤr
mich als Anfaͤnger ſchon von ſelbſt. Einmal iſt in
Halle das Freirennen der Collegien gar ſehr gewoͤhn-
lich: da denken viele Studierende, das Geld koͤnne
in Lauchſtaͤdt, Leipzig, auf den Doͤrfern und beim
Spiel beſſer angewandt werden, als zum Honorar
fuͤr die Docenten h). Zu dem war ich von jeher
[230] nachgiebig, und wer mich um etwas bath, dem
konnte ich nichts abſchlagen. Und ſo hatte ich von
dreißig Zuhoͤrern kaum zehne, die bezahlen wollten;
und unter dieſen Zehnen waren doch einige, die es
hernach ganz und gar vergaßen. Ich glaube aber
doch, wenn ich weiterhin bei der Univerſitaͤt geblie-
ben waͤre, daß ich in Zukunft beſſere Einkuͤnfte von
Collegien wuͤrde gehabt haben; weil ich mehr in
Rutine gekommen waͤre, und ohne Zweifel auch ei-
nige Kuͤnſte gelernt haͤtte, wie man gutzahlende Zu-
hoͤrer in ſein Auditorium hineinlockt.
[231]
Meine Schulden haͤuften ſich alſo von Tag zu
Tag, und ich ſahe weiter kein Mittel, mich zu ret-
ten, als auf das Verſprechen meines Bruders zu
rechnen, der meine Umſtaͤnde kannte, und wußte,
wie mir zu helfen war. Dieſer war im Herbſte
nach Hauſe abgegangen und hatte mir wie eidlich
verſprochen, gleich nach ſeiner Ankunft unſern Vater
dahin zu bewegen, daß, außer 40 Rthlr. zur Til-
gung ſeiner Schulden, ich noch 100 Rthlr zur Til-
gung der meinigen erhalten ſollte. Wie er Wort
gehalten habe, wollen wir gleich ſehen, ſo leid es
mir auch thut, meinen Bruder der Welt als einen
ſchlechten Menſchen darzuſtellen. Ich kann aber
einmal nicht anders: es iſt gar zu noͤthig zum Ver-
ſtaͤndniß der folgenden Kataſtrophe.
Mein Bruder war ſchon lange fort, ehe er
oder der Vater ſchrieb: endlich ſchrieb der letztere,
und ſein Brief war — kalt. Er enthielt viel hoͤfliche
Vorwuͤrfe, und ſpielte auf Dinge an, welche ihm
wohl niemand konnte berichtet haben, als eben mein
Bruder. So wußte er zum Beiſpiel von meiner
Liebelei und von meinem Skandal im Hauſe des Ein-
nehmers zu Reideburg. Doch fuͤgte er hinzu: er
wuͤrde mir noch einmal Geld ſchicken, ich ſollte aber
einen beſſern Gebrauch davon machen, als von dem,
das er mir ſonſt geſchickt haͤtte: es waͤre doch wahr-
lich einmal die hoͤchſte Zeit, klug zu werden. —
[232] Dieſer Brief kraͤnkte mich um ſo mehr, je wahrſchein-
licher ich ſchließen konnte, daß meinem falſchen Bru-
der ich das alles zu verdanken hatte. Um mir indeß
volles Licht zu verſchaffen, ſchrieb ich erſt meinem
Bruder einen recht derben Brief, worin ich ihm
ſein Verſprechen vorhielt, und auf die Erfuͤllung
deſſelbigen drang. Dann ſchrieb ich auch an einen
andern Freund i), und bath dieſen, mir von mei-
nes Bruders Geſinnungen gegen mich ehrliche Re-
chenſchaft zu geben: ich wollte ihn nie verrathen.
Ich merkte, ſchrieb ich, daß mein Vater gegen mich
erkaͤltete: ich ſchriebe dies meinem Bruder zu; doch
koͤnnte ich vielleicht irren: ich wuͤnſchte daher Ge-
wißheit zu haben: er moͤchte mir alſo Auskunft ge-
ben. Mein Freund antwortete bald, und bedaurte
ſehr, daß er mir einen Beitrag zu dem Beweiſe der
Wahrheit liefern muͤßte: daß man ſich auf ſeine Ver-
wandten — die Eltern ausgenommen — nicht oder
doch ſehr ſelten verlaſſen duͤrfe. Er berichtete mir,
daß mein Herr Bruder gleich bei ſeiner Zuhauſekunft
vorgegeben habe: er habe auch nicht einen Kreutzer
Schulden zu Halle hinterlaſſen. Nicht lange hernach
[233] waͤre aber ein Brandbrief von einem halliſchen Ma-
nichaͤer k) eingelaufen, und als jetzt der Vater den
Bruder koramirt haͤtte, da habe dieſer alle Schuld
auf mich geſchoben, habe abſcheulich uͤber meine Aus-
ſchweifungen geklagt, habe geſagt, daß ich alles den
Maͤdchen hingaͤbe, daß ich alle Tage auf den Doͤr-
fern laͤge u. dergl.
Nun ſahe ich deutlich, daß mein Bruder Schuld
an meines Vaters Kaͤlte und an den Vorwuͤrfen war,
welche mir der ehrliche Alte gemacht hatte. Ich er-
grimmte in der Seele, um ſo mehr, da ich dem
Menſchen alle bruͤderliche Freundſchaft erwieſen hatte.
Kein Menſch kann es mir verargen, daß ich damals
voll Tuͤcke ward.
Etwan acht Tage nach dem Empfang dieſes
Briefes kam auch einer von meinem Bruder. Da
war nun der Ton gar maͤchtig anders geworden! Er
ſchrieb mir ſteif und protzig: hier waͤren 40 Thaler,
ſeine Schulden zu bezahlen: ich ſollte es nur ſogleich
thun, oder wenn ich es nicht thaͤte, ſo ſollte ich mich
ja auf keine weitere Unterſtuͤtzung von Haus aus
verlaſſen. Auch waͤre der Vater durch Briefe des
[234] Doctor Semlers — ſo wuſte er, oder ſo wollte er
den ehrlichen Herrn Semler zum Urheber der Ab-
neigung meines Vaters gegen mich, und der daher
entſtandenen Verſchlimmerung meiner Lage ma-
chen! — von meinen Ausſchweifungen und unnoͤ-
thigen Geldausgaben unterrichtet: ich moͤchte alſo
an ihn ja nicht ſchreiben. Dann ſollte ich auch alle
meine Briefe an ihn — den Bruder — die er aber
ſich ſelten ausbaͤte — wegen des großen Porto's —
unter der Adreſſe des Schulmeiſters von Wendels-
heim, Forchers, ihm zuſchicken, und was des laͤp-
piſchen Geſudels mehr war. Ich warf den Brief
mit innigſter Verachtung weg, erboßte gewaltig, und
ſtieß graͤßliche Verwuͤnſchungen aus. An jenem Tage
waͤre ich im Stande geweſen, einen Mord zu bege-
hen, wenn ich von jemanden grob waͤre beleidiget
worden.
Um mich auf der Stelle zu raͤchen, griff ich die
geſchickten 40 Rthlr an, kaufte mir Tuch zu einem
Ueberrock und bezahlte meine druͤckendſten Schulden,
ſo daß ich ſchon zwei Tage hernach keinen Pfennig
mehr in Haͤnden hatte. Einiges Holz ſchafte ich
mir auch.
Meine Manichaͤer hatten von dieſem Gelde
gehoͤrt, und quaͤlten mich nun auf Rothwaͤlſch, daß
ich einigemal ungeduldig ward, und die groben
Kerls, beſonders den Schuſter Sauer, und den
[235] Schneider Thieme zur Thuͤr hinaus ſchmiß. Die
Kerls liefen nun hin zum Prorector; allein da wur-
den ſie mit dem alten Weidſpruche abgewieſen: wo
nichts iſt, hat der Kaiſer ſein Recht verloren. Dieſes
mußte ich mir dann wider ſagen laſſen, und aͤrgerte
mich nicht wenig.
Indeſſen ſetzte ich doch meine Vorleſungen fleiſ-
ſig fort: da es mir aber an Holz fehlte, auch das
Auditorium zu heitzen, ſo verloren ſich meine Zuhoͤ-
rer nach und nach. Die Studenten hatten ſich zwar
zum Holzgelde unterſchrieben: allein nur wenige zahl-
ten; und das Biſſel Holz, welches fuͤr das wenige
Geld angeſchaft werden konnte, war gar bald ver-
brannt, zumal, da ich das Einheitzen durch Leute
mußte geſchehen laſſen, welche mich derb prellten.
Was Wunder, wenn nun der eine Student — wie
ich es ſelbſt gehoͤrt habe — zum andern ſagte: gern
ging ich in Laukhards Reichshiſtorie: er gefaͤllt mir
beſſer, als der —; aber es iſt zu kalt in ſeinem
Kollegium: man moͤchte das Fieber kriegen: — und
der andre dann replicirte: es iſt Schade, daß der
Mann ſo in Noth iſt: haͤtt' ich Geld, ich kauf-
te ihm Holz. — Wie geſagt, ich hoͤrte dies von
ohngefaͤhr, und hoͤrte hintendrein noch eine weit-
laͤuftige Beſchreibung meiner fatalen Lage, welche
durchaus wahr aber deſto ſchmerzhafter fuͤr mich
war.
[236]
Unter dieſen Umſtaͤnden wuͤnſchte ich mich wie-
der in die Pfalz zuruͤck, und bedaurte, daß ich kein
Bonzen- oder Talapoinen-Gehirn von der Natur
bekommen hatte.
Ich rannte nach Haus, als ich dies gehoͤrt
hatte, — ich hoͤrte es auf der Straße — es war
ohngefaͤhr den 6ten Dezember 1783, — und ſchrieb
einen aͤuſſerſt heftigen Brief an meinen Vater, dem
ich einen an meinen Bruder beiſchloß. Daß ich im
letztern ſchroͤcklich loszog, vermuthet jeder. Ich bat
um ſchleunige Antwort, und ſetzte dazu den 21ſten
Dezember feſt. Wuͤrde ich in dieſer Zeit keinen Brief
erhalten und kein Geld, ſo muͤſte ich das aͤußerſte
wagen: es kaͤme auf ſie an, ob ſie mich retten woll-
ten, oder nicht. — Bitten konnte ich nicht mehr,
blos trotzen und raſen. Solch abſcheuliche Briefe
ſind noch niemals aus meiner Feder gefloſſen. Fruͤh
ſchickte ich ſie auf die Poſt, und ſchien mir ſelbſt
ruhiger zu ſeyn.
Indeſſen ward ich krank, und mußte einen Arzt
haben. Der Chirurgus Noskovius hielt meine
Krankheit fuͤr ein Faulfieber: aber er irrte. Ich
mußte aber einen Arzt haben. Goldhagen kannte
ich noch nicht: ich ſchickte alſo zu einem gewiſſen an-
dern Herrn, und ließ ihn bitten, mich zu beſuchen.
Es hieß, er waͤre nicht zu Hauſe: ich jagte die Auf-
waͤrterin in einem Tage wohl zehnmal hin, aber der
[227[237]] Herr kam nicht. — — — — — —
— — — — — — — — — —
Das druͤckte mich beinahe ganz zu Boden: ich ließ
mir alſo von Noskovius Arzenei vorſchreiben. Den
falgenden Tag kam der Student Dykershof, ein
Weſtphaͤlinger, zu mir, dem ich meine traurige Lage
in Ruͤckſicht meiner Geſundheit und der verſagten
Huͤlfe vorſtellte. Er lief augenblicklich zum Herrn
Goldhagen, und dieſer große menſchenfreundliche
Arzt erſchien ohne Verzug, gab mir Arzenei, und
erklaͤrte meine Krankheit zwar fuͤr ein Fieber, aber
fuͤr eine Art von hitzigem Fieber. — Im Bette
blieb ich nicht lange, und war bald im Stande, zwei
Lectionen auf meiner Stube zu halten, wozu ich meine
Zuhoͤrer einladen ließ. Einige Tage vor Weynachten
gieng ich ſchon trotz des Verbots des Herrn Goldha-
gens wieder aus, und beſuchte einige Bekannte im
Semleriſchen Hauſe.
Das Fieber hatte mich zwar bald verlaſſen, aber
meine Geſundheit war zerruͤttet, und meine ganze
Munterkeit niedergeſchlagen. Ich troͤſtete mich noch
auf den letztern Poſttag vor dem Feſte: dann aber,
wenn ich dann nichts erhielte, wußte ich wahrlich
nicht, was ich ergreifen ſollte. Ich geſtehe, daß ich
mir damals Glauben, und rechten Heldenglauben an
Vorſehung gewuͤnſcht habe; aber leider war Vorſe-
hung fuͤr mich ein wahres Wunderding, und Wun-
[228[238]] derdinge hatte ich ſchon laͤngſt aus meinem Gehirne
verbannt. Ach, wie traurig war meine Lage! Phan-
taſtiſche Troſtgruͤnde ſchlugen bei mir nicht an; und
im Reiche der Wirklichkeit fand ich keine.
Eine Frau, Namens Wilkin, welche mit
den Studenten fleißig handelte, und ſie auf gut
halliſch derb dafuͤr prellte, war auch meine Geſchaͤfts-
traͤgerin in der Noth. Dieſe Frau hatte mir ſo nach
und nach, ſeit dem Abſchiede meines Bruders, meine
beiden guten Kleider, meine Waͤſche, kurz alles, was
ich entbehren konnte, verſetzt. In meiner Krank-
heit muſte ſie wieder Rath ſchaffen, und jetzt verkaufte
ſie mein uͤbriges rothes Kleid mit Weſte und Hoſen,
und brachte mir nur fuͤnf Thaler und einige Gro-
ſchen. Aber was wollte ich machen? ich mußte ein-
mal ſo handeln. Dem Herrn Semler war ich ſchon
6 Thaler ſchuldig, welche mein Vater erſt im Fe-
bruar des folgenden Jahres bezahlt hat: und an
wen ſonſt ſollte ich mich wenden? Ich hatte ja keine
Bekannten in Halle weiter; und die Erfahrung hat
mich nachher noch belehrt, daß ich auch da wuͤrde
umſonſt gebeten haben: und in dieſem Falle waͤre
mein Unmuth in Raſerei uͤbergangen.
Ich uͤberlegte in dieſer Noth, wie es wohl wer-
den wuͤrde, wenn ich mich anderswohin begaͤbe?
Allein wohin? Ich traute den Menſchen einmal
nicht mehr, weil ich Vater und Bruder nicht mehr
[229[239]] traute: und wie ſollte ich fortkommen? Ich hatte
weder Waͤſche noch ganze Stiefeln, und im Winter,
der es war, mußte ich befuͤrchten, unterwegs gar
umzukommen!
Der beſtimmte Poſttag kam heran; aber leider
wieder kein Brief! Man verſetze ſich in meine Lage,
und ermeſſe darnach den Drang und Sturm meiner
Empfindungen. Abends durchlief ich alle Gaſſen,
gleichſam auſſer mir: es war der heilige Abend vor
Weinachten. Koͤſter begegnete mir, und fragte, wie
mir's ginge? Ich ſtieß ihn zuruͤck ohne zu antwor-
ten, und rennte weiter. Koͤſter mir nach, und bath
mich um Gottes willen, ihm meine Noth oder
den Grund meines Unwillens zu entdecken. Ich
ſchwieg hartnaͤckig. Er wiederholte ſeine Frage mehr-
mals, warum ich ihm nicht antworten wollte?
Weil du ein Schurke biſt, erwiederte ich endlich.
Koͤſter: Ums Himmels willen Bruder, ſag',
was iſt dir? So ſpricht mein Laukhard nicht! ſo
ſpricht ein boͤſer Genius aus dir.
Ich: Du biſt ein Menſch: alle Menſchen ſind
Schurken, alſo auch du! Haſt du meinen Schluß
verſtanden? Geh! —
Koͤſter: Ich laſſe dich nicht gehn: Bruder
ſag', wo du hin willſt? ich gehe mit und wenn du
zum Teufel gingſt. Ich laſſe dich ſo nicht gehn!
[230[240]]
Koͤſter verfolgte mich, ſo ſehr ich mich bemuͤhte
auszureiſſen. Endlich fuhr ich in ein Loch, worin
ich noch niemals geweſen war. Koͤſter fuhr mir nach.
Es ſaßen Gnoten, Soldaten und Menſcher drin l).
Die Leute waren gewaltig luſtig, tanzten, huͤpften,
ſpielten, thaten ſchoͤn und zeigten auch keine Spur
von Gram oder Unmuth. O wie beneidete ich dieſe
Gnoten und dieſe Soldaten! — Soldaten, und
vergnuͤgt? — Und du Magiſter, und ſo elend? —
Soldaten? — Dieſer Gedanke umfaßte meine ganze
Seele, hallte anhaltend wieder, und vertiefte mich
immer mehr in mich. — Koͤſter forderte Brandte-
wein, ſetzte ſich, fing an lateiniſch zu ſprechen, und
drang jetzt dringender in mich, um die Urſache mei-
nes Kummers mir zu entlocken: aber ich war ſtumm:
es ſchwaͤrmten dunkle Bilder in mir herum, von
dem, was ich thun wollte. So ſehr auch Koͤſter
zudrang, ſo ſehr verhaͤrtete ich mich. Endlich ſagte
er: Hoͤr' Bruder, ich habe noch deine particulas
graecas: vergieb, daß ich ſie noch habe. — Es
hat nichts zu ſagen, erwiederte ich. Wenn du je-
manden weiſt, der ſie kaufen will, ſo gieb ſie hin, und
[231[241]] ſtelle mir das Geld zu: weiſt du aber keinen, ſo ſchick
ſie mir Morgen fruͤh. — Koͤſter fragte, ob ich ſie
ihm fuͤr den Praͤnumerationspreis, 1 Thaler 14 Gr.
ablaſſen wollte? Ich hatte nichts dawider, und Koͤ-
ſter lief den Augenblick nach Hauſe, um mir das
Geld zu holen. Vielleicht war er auf den Gedanken
gekommen, daß die hoͤchſte Geldnoth der Grund
meines Kummers ſey. Er kam wieder, und wir
verließen das liederliche Loch. Ich lief noch einige-
mal durch die Straßen, lief auch zum Kaufmann
Moͤrſchke, und kam gegen gegen eilf Uhr — aber
ohne Trunkenheit — nach Hauſe. Vor lauter Aer-
ger warf ich mein Bette auf den Fußboden, und
legte mich drauf. Aber meine Unruhe war zu groß:
ich konnte nirgends bleiben, wuſte auch nicht, wo
ich war, und was ich that. Das war ein ſchroͤck-
licher Zuſtand! Lachen konnte ich uͤberlaut: Alles,
woran ich dachte, kam mir ſehr laͤcherlich vor, aber
fuͤr den traurigſten Gedanken hatte ich keine Em-
pfindung.
Fruͤh war ich noch in Kleidern. Ich las in
Taſſo's Gieruſalemme liberata, und las die
aͤuſſerſt ruͤhrende Stelle, wo Tancredi ſein Maͤd-
chen ermordet. Dieſe Stelle hatte mich mehrmals
innigſt geruͤhrt; aber damals muſte ich uͤberlaut da-
bei lachen.
Zweiter Theil. Q
[232[242]]
Ich ließ mich friſiren, und lief ſodann ſporen-
ſtreichs zur Chriſtmette um 6 Uhr: aus der Chriſt-
mette lief ich, ohne zu wiſſen wohin, zum Thor
hinaus, zu dem Wirthe in den Pulverweiden. Ich
forderte Breuhan; und die guten Leute wunderten
ſich, daß ich ſchon ſo fruͤh Breuhan trinken wollte.
Hier ſaß ich nun faſt drei Stunden, ehe ich recht
zu mir kam, und unterſuchte meine Empfindungen.
Die geſtrige Luſtigkeit der Gnoten und der Soldaten
kam mir zuerſt wieder in den Sinn, und da hob ſich
denn der Gedanke aus dem Gewuͤhl der verwirrten
Vorſtellungen heraus: es waͤre doch huͤbſch fuͤr dich,
wenn du Soldat wuͤrdeſt m)!
Dieſer Gedanke ſchuͤttelte mich anfaͤnglich frei-
lich gewaltig zuſammen, kam aber immer wieder,
und wieder, und ich ward endlich mit ihm vertrau-
ter. Das war alles noch bloße Vorſtellung; aber
von nun an kam auch Ueberlegung dazu. Wenn du
Soldat wirſt, dachte ich, ſo biſt du auf einmal von
den halliſchen Manichaͤern los: dann biſt du auch an
[233[243]] deinem Bruder und Vater geraͤcht — an deinem
Vater? — deinem guten biedern Vater? — o, man
vergebe mir dieſen tollen Gedanken, und denke an
meine Lage! — und endlich findeſt du ohne Zwei-
fel Mittel und Wege, dir ein ruhigeres Leben zu
verſchaffen. Ruhe, von welcher Art ſie ſeyn, welchen
Aufwand ſie auch koſten moͤchte, Ruhe ſchien mir da-
mals bei der gewaltig anhaltenden Unruhe, worin ich
ſchwebte, das hoͤchſte Gut auf Erden zu ſeyn.
Aber wo denn willſt du Soldat werden? —
Dieſe Frage loͤßte ſich bald auf. In Halle und an
keinem andern Orte! In Halle biſt du gekraͤnkt, in
Halle mußt du geraͤcht werden. — So kindiſch rach-
ſuͤchtig dachte ich damals in der Verwirrung!
Ein und zwanzigſtes Kapitel.
Der Herr Magiſter wird endlich gar — Soldat.
In dieſen Gedanken ſaß ich bis Nachmittags um
drei Uhr bei meinem Philoſophen n), der immer
mit mir reden wollte, aber wenig Worte von
mir herauszerren konnte: ich war zu ſehr weg, und
[234[244]] blos mit dem Gedanken, Soldat zu werden, be-
ſchaͤftiget.
Ich kam gegen Abend in die Stadt zuruͤck,
ging in die Knochenkammer, nicht um zu trin-
ken, ſondern um frohe Leute aus der Klaſſe zu
ſehen, zu welcher ich von nun an gehoͤren wollte.
Ich ſprach mit einigen, fragte ſie, wie es ihnen gin-
ge? und erhielt natuͤrlich lauter befriedigende Ant-
worten. Dieſes machte meinen Entſchluß immer
feſter. Nun war die Frage, an wen ich mich wen-
den ſollte? — Allein dazu dacht' ich, ſollte gleich
fruͤh Rath werden. Alſo verließ ich dieſen Ort des
laͤrmenden Vergnuͤgens froh, ſo froh, als ich ſeit
einem Vierteljahre nicht geweſen war. Zum Ueber-
fluß beſuchte ich noch einen Klub bei Buſch auf dem
Rathskeller, wozu ich ſchon laͤngſt gehoͤrt hatte, und
der ſich ſehr oft, allemal aber Sonntags und Frei-
tags regelmaͤßig verſammelte. Die Leute waren alle
froh, mich wieder zu ſehen, da ſie mich ſchon ſeit ſo
langer Zeit nicht mehr geſehen hatten. Ich war
uͤber alle Gewohnheit luſtig, und dies kam dem Ex-
Schuſtermeiſter Michaelis, welcher eben auch zu
dieſem Klub gehoͤrte, ſo befremdend vor, daß er
nach ſeiner Art Anmerkungen daruͤber machte. Man
ſtutzte aber nicht wenig, als ich meinen Entſchluß,
Soldat zu werden, deutlich genug zu verſtehen gab.
Wir waren indeß im Preußiſchen, und ſo widerſprach
[235[245]] keiner. — So weicht der Menſch dem Buͤrger: der
Ernaͤhrer dem Zuchtmeiſter! —
Vom Rathskeller ging ich in das Haus, wo-
rin ſonſt mein Bruder gewohnt hatte, und welches,
wie ich ſchon geſagt habe, der Hanauer-Puff hieß.
Hier wohnte die oben beſchriebene Cheminonin mit
ihrem Manne, einem Soldaten von des dama-
ligen Hauptmanns von Muͤffling Compagnie. Ich
kannte dieſen Cheminon, und beſchloß, ihm meine
Abſicht zu entdecken. Nachdem ich mehrere Glaͤſer
Schnapps — alles aus betaͤubender Luſtigkeit —
eingeſtuͤrzt hatte, nahm ich ihn auf die Seite, und
bath ihn, doch ja dafuͤr zu ſorgen, daß ich ganz fruͤh
einen Hauptmann ſprechen koͤnnte, gleichviel welchen.
Ich kannte damals noch keinen Officier, als den
Leutenant, jetzt Hauptmann von Knoblauch, und
den Leutenant von Bomsdorff: erſterer hatte
mich damals mit ſeiner Freundſchaft beehrt, und hat
ſeine gute Geſinnung gegen mich auch nachher nicht
geaͤndert.
Cheminon machte große Augen, als er von mir
vernahm, daß ich Soldat werden wollte: er wollte
es Anfangs nicht einmal glauben, und dachte, ich
haͤtte ihn zum Beſten. Allein ich betheuerte ihm
hoch und theuer, das ſey mein Ernſt, und ſo glaubte
ers. Nun lobte er mir, wie natuͤrlich, ſeinen eignen
Hauptmann, den Herrn von Muͤffling, und
[236[246]] verſprach mir, mich gleich am folgenden Mor-
gen fruͤh zu ihm zu begleiten. Ich blieb daher dieſe
Nacht uͤber in Cheminons Wohnung, und — ſoff
mich voll in lauter Fuſelbrantewein, welchen Ma-
dam Cheminon damals fuͤr Likoͤr ausſchenkte. Ich
glaube, daß ich vergeſſen habe, zu ſagen, daß der
beruͤchtigte Hanauer-Puff weiter nichts war, als
eine Schnappskneipe. Madam Cheminon wußte
aber auch zu leben, und ſorgte fuͤr immer artige
Jungferno). Das ſahen einige Studenten gern,
fanden ſich fleißig ein, und tranken den elenden Fuſel
fuͤr Likoͤr.
Fruͤh erinnerte ich den Cheminon an ſein Ver-
ſprechen: er war willig dazu, ſagte mir aber: ſein
Hauptmann kaͤme dieſen Tag auf die Wache; da
koͤnnte ich ihn auf der Hauptwache ſprechen. Das
war mir denn recht. Nachdem alſo die Wache auf-
gezogen war, ging ich mit Cheminon zum Haupt-
mann, deſſen offenes Weſen mir gleich gefiel. Er
[237[247]] war ſehr gefaͤllig, und wir redeten von allerlei, doch
aber kam das Geſpraͤch immer wieder auf mein Sol-
datwerden. Herr von Muͤffling hatte einen Band
von der deutſchen Ueberſetzung des Polybius vo [...]
ſich, worin er leſen wollte. Ich hatte auch viel von
Polybius geleſen, und war mit der Hiſtorie dieſes
Schriftſtellers bekannt. Daher raͤſonnirten wir lange
uͤber die Kriegskunſt der Alten, von welcher wir aber
beide wenig verſtanden. Der Leutenant von Dry-
galsky war die dritte Perſon.
Endlich kamen wir unſerm Zwecke naͤher: wir
kamen auf gewiſſe Punkte, welche mir Herr von
Muͤffling zu erfuͤllen verſprach. Einige davon ſind
freilich gehalten worden, aber — — —: doch ich
enthalte mich aller Anmerkungen, die ſich mir hier
aufdringen wollen: vielleicht theile ich dergleichen
einmal in meinem Alter — wenn naͤmlich das gute
oder ſchlechte Schichſal mich alt werden laͤßt — der
Welt mit, unter der Aufſchrift: Bemerkungen eines
alten Soldaten uͤber das Soldatenweſen uͤberhaupt,
und uͤber das Preußiſche insbeſondere. Ein Mus-
ketier ſieht oft mehr, und richtiger, als mancher
Herr Officier, ſammt ſeinem Koͤnig. Dieſen fehlt
es an geſchaͤrftem Gefuͤhl dazu. —
Herr von Muͤffling both mir 8 Louisd'ors
Handgeld, und drang in mich, daß ich jetzt gleich
entweder ja ſagen, oder alles abbrechen ſollte: und
[238[248]] ich ſagte — Ja. So war ich alſo angeworben.
Nun ließ der Hauptmann einſchenken, was das
Zeug hielt, und da ich die Schnurre noch von der
vorigen Nacht im Kopfe hatte, ſo war es natuͤrlich,
daß ich derb beſoffen ward. Ich ging nach der
großen Wachtſtube, machte mit allen Soldaten, die
da waren, Bruͤderſchaft, und war nun ſeelenfroh,
daß ich — Soldat war. Die Nacht uͤber ſchlief ich
in der großen Wachtſtube, und zwar auf der Prit-
ſche, obgleich Herr von Muͤffling mir in der Officier-
ſtube ein Bette hatte bereiten laſſen.
Man ſollte denken, daß ich fruͤh die Sachen
anders, als den vorigen Abend angeſehn, und mich
derb uͤber meinen unbeſonnenen Schritt werde ge-
kraͤnkt haben. Das war aber nicht ſo: meine Stim-
mung hatte ſich nicht geaͤndert, und als ich erwachte,
freute ich mich noch immer uͤber das, was ich gethan
hatte. Das Grundgefuͤhl von Rache, die Sehnſucht
nach Ruhe, nebſt der taͤuſchenden Erwartung der
Dinge, die jetzt alle kommen wuͤrden, unterhielten die
Spannung meiner Seele, und verſetzten mich zu ſehr
außer mir, als daß ich meinen damaligen gegenwaͤrti-
gen Zuſtand haͤtte nach der Wahrheit pruͤfen und
werthigen koͤnnen. Ich ſprach mit dem Hauptmann
ſo unbefangen, als wenn ich ſchon zehn Jahre bei
den Soldaten geweſen waͤre. Herr von Muͤffling
freute ſich uͤber dies mein aufgeraͤumtes Weſen, und
[239[249]] wiederholte mir ſein Verſprechen, daß ich es gut
bei ihm haben ſollte.
Ich hatte ſchon am vorigen Abend auf Begeh-
ren des Hauptmanns einen Zettel an den Prorector
geſchrieben, und ihm berichtet, daß ich aus gewiſſen
Gruͤnden Soldat geworden waͤre. Das war nun
freilich unnoͤthig: denn der Prorector hat in ſolchen
Dingen nichts zu verfuͤgen. Der Hauptmann fragte
mich, ob ich noch haben wollte, daß er den Zettel
an den Herrn Schulze abſchicken ſollte: ich bejahte
es, und Zutzel, der Unterofficier, muſte ihn hintra-
gen. Herr Schulze ließ dem Hauptmann wieder
ſagen, daß er ihm zu mir gratulire. Auf meine
Frage, was Schulze fuͤr eine Mine gemacht habe,
antwortete Zutzel, er habe gelacht, und ſeiner Frau
die Sache mit Lachen erzaͤhlt. Das aͤrgerte mich.
Der Unbefangene findet aber freilich manches nicht
ſo wichtig, als der Befangene — im Taumel. Wohl
dem, der hierdurch allmaͤlig ein Koͤrnchen vom Salz
der Weisheit einſammelt, um nichts wichtiger zu
finden, als es — iſt.
Ich wurde noch auf der Hauptwache eingeklei-
det, und kam zu dem Unterofficier Zutzel ins Quar-
tier: das war am dritten Weinachtstage, 1783.
Aber nun kam der Laͤrmen in der ganzen Stadt
herum, und alle Straßen, alle Kneipen, alle vorneh-
me Zirkel und alle Puffkeller ertoͤnten von der einzi-
[240[250]] gen Nachricht: „Magiſter Laukhard iſt Soldat
geworden!“ Man ſchrieb es gar weit und breit
herum. — Wer die Hallenſer kennt, der weis, daß
das rechtes Waſſer auf ihre Muͤhle war. Ich habe
wenig Oerter gefunden, wo der vornehme und der
niedrige Poͤbel ſo neugierig waͤre, als in Halle.
Wenn etwas zu ſehen iſt, und ſey es auch noch ſo
unbedeutend, ſo laͤuft gleich alles zuſammen, bleibt
ſtehen, und gafft halbe Tage lang, als wenn eine
Kaiſerkroͤnung zu ſehen waͤre. An den Verluſt, den
dieſes Stillſtehn des Erwerbſtandes nach ſich zieht,
denkt man nicht. Sodann werden alle Neuigkeiten,
alle Maͤhren, ſie moͤgen wichtig oder laͤppiſch ſeyn,
in allen Zirkeln herum auspoſaunt, und ohne alle
weitere Unterſuchung geglaubt. Womit wollten die
vielen Haar- und Bart-Putzer ihre leerkoͤpfigen
Kunden in Halle auch ſonſt unterhalten? Wie ſtill
wuͤrde es in den Damen-Klubs zugehen, wenn ſie
das Hoͤckerweiber-Geſchaͤfte unter ihrer Wuͤrde fin-
den ſollten! Wie mancher Herr Profeſſor, Student,
Buͤrger und Soldat wuͤrde vom Langweilen-Fieber
ergriffen werden, wenn er an der Zeitverkuͤrzung der
Janhagelſchaft keinen Antheil nehmen koͤnnte! Jetzt,
da ich dieſes ſchreibe, troͤdelt man ſo viele ſich ſelbſt
widerſprechende Maͤhren uͤber den Feldzug gegen die
Neufranken herum, daß einem die Ohren davon
gaͤllen moͤchten. Insbeſondere verſtehn die Herren,
[241[251]] welche den Rathskeller beſuchen, und die Geſellſchaf-
ten bei Sandern, dem Branteweinſchenken, recht
derb zu kanngießern, und die politiſchen Poſſen
und Stadtmaͤrchen jeder nach ſeiner Art auszu-
ſchmuͤcken. Alſo war auch ich damals die Maͤhre
des Tages: viele Philiſter, Menſcher, und ander
Grobzeug, kamen vor das Haus, wo ich logirte,
mich zu ſehen, und zu ſchauen, wie mir die
Montur wohl ſtehen moͤchte. Ich ging dieſen
Tag einigemal aus, und jedesmal begleitete mich
ein Haufen Jungen, Menſcher, Studenten und
Philiſter.
Die Kinder ſangen ſogar: Laukhard hin, Lauk-
hard her, Laukhard iſt ein Zottelbaͤr! — Andere:
Laukhard hin, Laukhard her, Laukhard iſt kein Magi-
ſter mehr! — Und das alles ſah und hoͤrte Laukhard
mit vieler Gleichguͤltigkeit. Wohl ihm, daß er Faſ-
ſung und Selbſtgewalt genug hatte, als ein iſolirter
Diogenes bei dem allen kalt zu bleiben! Man hatte
ihn vorher hier und da degradirend genug dazu be-
handelt. Denn wer kann ſich ſelbſt noch achten,
wenn Andere ſich bemuͤhen, ihn politiſch zu vernich-
ten! Aber ſo ſaͤget man die Menſchen ab! — Ueber-
dem reiniget das Recenſenten-Weſen von der Galle,
und ſchafft manchem milzſuͤchtigen Thoren, Schurken
und Muͤſſiggaͤnger, wo nicht immer Geld, doch Zeit-
vertreib.
[242[252]]
Gegen Mittag ſchickte mir Herr Schulze zwei
Studenten, und ließ mir ſagen, daß wenn ich wie-
der los ſeyn wollte, und Mittel dazu angeben koͤnnte,
er bereit waͤre, alles fuͤr mich thun. Ich ſchrieb ihm
einen lateiniſchen Brief, dankte ihm, und bezeigte,
daß das wohl nicht mehr gehen wuͤrde: wenn er
aber mich befreien koͤnnte, haͤtte ich nichts dawi-
der. — Ich wußte aber ſchon, daß dieſes nicht mehr
moͤglich war. — — —
Meine Bekannten und Freunde unter den Stu-
denten, beſonders einige meiner Landsleute kamen
haͤufig und mit Thraͤnen in den Augen zu mir, und
baten mich, doch Himmel und Erde fuͤr meine Be-
freiung zu bewegen: es wuͤrde ja alles noch gehen.
Ich wurde ſehr geruͤhrt durch die Vorſtellungen der
ehrlichen gutmeinenden Juͤnglinge, beſonders durch die
Thraͤnen meines Stubers, Sohns des ſchon im
erſten Theile mehrmals genannten Paſtors von Flon-
heim, dann des Rebenacks und des Kiefers.
Die guten Leute nahmen ſich meiner ſehr thaͤtig an,
ohnerachtet ich es verbath. Sie liefen mehrmals zum
Hauptmann, und als dieſer ſich nicht ſo erklaͤrte, wie
ſie es wuͤnſchten, bombardirten ſie den damaligen
General des Regiments, den Fuͤrſten Adolph von
Anhalt-Baͤrenburg. Der Fuͤrſt verſprach den
Studenten, um ſich von ihnen los zu machen, daß
er mich ſelbſt vernehmen, und dann reſolviren wollte,
[243[253]] was Rechtens waͤre. Als ich dieſe Nachricht hoͤrte,
hatte ich genug, und erklaͤrte den Studenten, daß
alle ihre Muͤhe verlohren waͤre: es wuͤrde bleiben,
wie es waͤre.
Nachmittags ſchrieb mir auch Herr D. Sem-
ler einen großen lateiniſchen Brief, welchen ich 1787
nebſt mehr andern Schreibereien mit nach Hauſe
nahm, und zu Wendelsheim zuruͤck ließ. In dieſem
Briefe erſchien das edle Herz des guten Mannes auf
eine ſehr ſichtbare Weiſe. Ich haͤtte, ſchrieb er,
dergleichen nicht unternehmen koͤnnen, wenn ich nicht
allen Glauben an die goͤttliche Vorſehung verlohren
haͤtte: dieſer Glaube ſey das hoͤchſte Gut des Men-
ſchen: man muͤſſe ihn beibehalten, geſetzt auch,
er ſey Vorurtheil. Haͤtte ich mich in meinen
uͤbeln Umſtaͤnden, die ihm nun recht gut bekannt
waͤren, mich an ihn gewandt, ſo wuͤrde er wohl
Wege zu meiner Beruhigung entweder ſelbſt einge-
ſchlagen, oder ſie mir doch gewieſen haben. Indeſſen
ſey das nun einmal nicht mehr zu aͤndern; deswegen
ſollte ich auf eine Zeitlang Geduld haben, und er-
warten und hoffen, daß alles koͤnnte verbeſſert und
fuͤr meine Ruhe gut eingerichtet werden. Auf ihn
ſollte ich mich immer verlaſſen: er wuͤrde mir immer
Freund und Beiſtand ſeyn: ſe enim nemini eſſe
alienum, multo minus ei, quem ſciret eſſe in-
f [...]licem, quocunque modo adverſa fuerit accita
[244[254]] fortuna. Am Ende ermahnte er mich, ja fleißig
zu ſtudieren: die Studia waͤren wahrer Balſam fuͤr
Ungluͤckliche. Dabei fuͤhrte er mir einige Stellen
aus Cicero und Ovidius an. Semlers Brief ruͤhrte
mich im Innern meiner Seele: ich kannte den Mann
und wußte, daß ſeine Worte Realitaͤten bezeichneten.
Ich habe ſelten den Worten getraut, womit mir je-
mand ſeine Freundſchaft und Dienſte beweiſen wollte:
aber bei den Worten einiger redlicher Maͤnner machte
ich immer eine Ausnahme, und das war auch bei
Semlern der Fall. Semler war der wohlwollend-
ſte, thaͤtigſte Menſchenfreund.
Den folgenden Tag — es war ein Sonn-
abend — war ich viel ruhiger, als den vorigen:
ich konnte uͤber alles, was mir begegnete, gehoͤrig
nachdenken; und wenn ich nun ſo meine vorige Lage
mit der gegenwaͤrtigen verglich, fand ich dieſe eben
nicht ſehr ſchlimm. Mein natuͤrlicher Leichtſinn kam
mir hier, wie ſonſt bei vielen Vorfaͤllen meines Le-
bens, zu ſtatten: ich legte alles auf die leichte Achſel.
Es wird ſchon alles noch gut werden, dacht ich; und
wenns nicht gut werden will, je nun, am Ende bleibt
dir doch das Mittel uͤbrig, welches keinem Menſchen
entſteht — das Piſtol oder der Strick. Auch in
dieſer Vorſtellung lag damals Beruhigung und etwas
Angenehmes fuͤr mich. Die ſtoiſche Philoſophie iſt
wahrlich kein dummes Syſtem, und der Menſch,
[245[255]] welcher ſich mit ihren Grundſaͤtzen vertraut macht,
kann unmoͤglich verzweifeln. Denn was die Mora-
liſten, insbeſondere die Pfaffen ſagen: Selbſtmord
ſey allemal Verzweiflung, iſt mit der gnaͤdigen Er-
laubniß dieſer Herren ſo wenig wahr, als er allemal
Kleinmuth oder Verbrechen iſt. Ich habe meine
guten Gruͤnde fuͤr dieſe Behauptung. Meine Leſer
werden daher nicht zuͤrnen, wenn ich ihnen meine
Gedanken ſo ganz trocken hinlege. Ich gehoͤre nicht
zu denen, welche aus Heroismus, zur Ehre Gottes
oder zum Preis der Tugend alles Ungluͤck und alle
Noth gern ertragen moͤchten. Wuͤrde ich meinen
Zuſtand uͤbermaͤßig elend fuͤhlen, ſo wuͤrde ich ihn
ſchon endigen. Alle Gruͤnde und Beweiſe fuͤr die
ſogenannte allwaltende Vorſehung, wie dieſe von
Leß, Hermes und Jeruſalem beſchrieben wird,
haben mich niemals uͤberfuͤhren koͤnnen. Ich will
gern jedem ſeinen Glauben in dieſem Stuͤck laſſen,
und es jedem gern goͤnnen, in dem Vertrauen auf
die goͤttliche Vorſehung und Regierung der Welt ſei-
ne Beruhigung zu finden: aber mir muß man es
auch laſſen, daß ich mich auf eine gewiſſe fatale Ver-
kettung der Dinge gruͤnde, und dadurch mein Schick-
ſal mir erleichtere. Mein Fatalismus hebt die
Freiheit nicht ganz auf, und iſt daher unſchaͤdlich.
Friedrich der Große, und ſein ſcharfſinniger
Commentator, Schulz in Gielsdorf, lehrten das
[246[256]] auch p). Wer ſich aber an dieſem meinen of-
fenherzigen Bekenntniß ſtoßen will, der muß ſich
noch mehr an den Leiden des jungen Werthers
von Goͤthe ſtoßen: dieſe gehen dogmatiſch zu
werke, da ich es blos hiſtoriſch thue. Doch was
hilft hier diſputiren! Wem es wohlgeht, erſchießt
oder erhaͤngt ſich nicht; und wem es ſo uͤbel geht,
daß ers thut, dem iſts zu verzeihen: Er geht
mehr mechaniſch, als moraliſch zu Werke. Und
darum hob Friedrich II. die ſchaͤndlichen Strafen
dafuͤr auch auf.
Sonntags fruͤh wurde ich zum Fuͤrſten gefuͤhrt:
er bewies mir in Form Rechtens, daß ich mich wirk-
lich haͤtte anwerben laſſen, und folglich Soldat blei-
ben muͤßte. Er ſprach mir noch allerhand Troſt zu,
der aber bei mir nicht anſchlug: Zutzel hatte mir den
Herrn Fuͤrſten ſchon den Tag vorher naͤher beſchrie-
ben. Man legte mir ohne weitere Complimente den
Soldaten-Eid vor, und ich ſchwur ihn: und ſo war
mein Herr Soldat voͤllig fertig.
Mein Handgeld wollte mir der Hauptmann
zwar uͤbergeben, doch ſtellte er mir vor, daß ich beſ-
ſer thaͤte, wenn ichs in ſeinen Haͤnden lieſſe: ich
wuͤrde ſonſt drum geprellt werden. Er hatte Recht!
[147[257]] Auf der Revuͤe 1787 hatte ich noch einen Reſt
davon. Freilich muſte ich jedesmal, wenn ich
etwas haben wollte, mein eigen Geld gleichſam
herausbetteln, wenigſtens genau angeben, wozu
ich es haben wollte: allein da dieſes Benehmen
des Herrn von Muͤffling, zu meinem Nutzen ab-
zweckte, ſo hat es mich niemals verdroſſen, ſo
empfindlich mir es ſonſt iſt, wenn man mir Un-
recht thut.
Der Hauptmann wollte mich zu Cheminon ins
Quartier legen, allem da Zutzel mir Anfaͤnglich nicht
uͤbel gefallen hatte, und ich bei Cheminon nicht gern
ſeyn wollte, weil immer Studenten hinkamen, ſo
bath ich den Herrn von Muͤffling, mich bei Zutzeln
zu laſſen. Er wollte mirs freilich nicht verſagen,
und ſagte mir gleich, Zutzel ſey ein wunderlicher
Menſch, und ſeine Frau ſey vollends des Sa-
tans; ich moͤchte alſo ſehen, wie ich mit ihnen
zurecht kaͤme. Um mich indeß mehr zu ſichern,
ſchaͤrfte er beiden ein, mit mir ordentlich umzu-
gehen, und nicht zu machen, daß ich klagen muͤſte.
Wuͤrde man mir aber dennoch etwas in den Weg
legen, ſo ſollte ich es ihm nur gleich anzeigen:
er wollte dann ſeine Sachen ſchon machen u. ſ. w.
Wie uͤbel ich aber fuͤr mich geſorgt hatte, wird die
Folge ausweiſen.
Zweiter Theil. R
[248[258]]
Der andre Soldat, der mit mir bei Zu-
zeln lag q), hieß Trautwig, und war ein ſehr
guter treuer Burſche, der mir gerade alles that,
was er nur von weitem errathen konnte, daß es
mir gefallen wuͤrde.
Ich ſchafte mir nun alles an, was der Sol-
dat ſo an Kleinigkeiten haben muß, Buͤrſten,
Haarwachs, Kreide, Thon, Puder, und andre
Kleinigkeiten, welche zur ſogenannten Propretaͤt
erfordert werden. Meine Gewaͤhrs-Sachen ha-
be ich immer von Andern, wenn ich naͤmlich
nicht fuͤr gut fand, es ſelbſt zu thun, rein machen
laſſen.
[249[259]]
Zwei und zwanzigſtes Kapitel.
Meine erſte Lage bei den Soldaten.
Mein Wirth, der Untrrofficier Zutzel, war ein
aͤuſſerſt ſchnurriger Menſch, von haͤmiſchem Karakter,
der ſich ſo recht freute, wenn er jemanden einen
Stein ſtoßen konnte. Ich muß ihn etwas naͤher
beſchreiben, vorher aber anmerken, daß die meiſten
Unterofficiere, die ich habe kennen lernen, Preußi-
ſche ſowohl als andere, eine große Aehnlichkeit mit
den Verſchnittenen haben, welche die Weiber im
Orient bewachen muͤßen. Da ſie, wie dieſe, ihren
Vorgeſetzten auf eine ganz vorzuͤgliche Art, und noch
unendlich mehr als der gemeine Burſche unterworfen
und gehorſam ſeyn muͤſſen, auch ſehr oft mishan-
delt und belaſtet werden, ſo ſuchen ſie ihren Un-
muth und ihre beleidigte Eigenliebe an den Soldaten
auszuuͤben, wie jene an den Weibern; werden aber
auch nicht ſelten von den pfiffigen Burſchen ange-
fuͤhrt, wie die ſchwarzen Kaſtraten von ihrem intri-
ganten Frauenzimmer: dies nebenher.
Zutzel mit ſeiner Eheliebſten war ſehr fromm,
das heißt, er las alle Tage in einer alten dicken Po-
[250[260]] ſtille, und ging alle Sonntage regelmaͤßig zur Kirche.
Er iſt, wie er mir ſelbſt oft geſagt hat, recht froh
geweſen, als man ihn zum Abend- und Fruͤh-Viſi-
tiren ernannt hat — blos weil er dadurch vom
Wachtthun befreit wurde, und alſo jeden Sonntag
die Kirche beſuchen konnte, welches bei den Dienſt-
thuenden den Monat zweimal wegfaͤllt. Vom lieben
allmaͤchtigen Gott wußte Zutzel ſehr viel zu reden,
wie auch vom frommen Koͤnige und Propheten Da-
vid, vom lieben Gebet und andern dergleichen Din-
gen. Bei jeder Gelegenheit kam ſo was Geſalbtes
vor: aber man denke ja nicht, daß dieſer Menſch
nicht auch geflucht habe. Es giebt wohl keinen Boots-
knecht bei der oſtindiſchen Kompagnie, der beſſer flu-
chen und ſchwoͤren koͤnnte, als Freund Zutzel: beten
und fluchen war bei ihm in einem Oden. Bei dieſen
Tugenden beſaß er, wie manche ſeines Gleichen, eine
große Fertigkeit im Branteweinſaufen, den er ſich
jedesmal ſelbſt holte, und mit ſeiner Eheliebſten —
welche ein ganzes Noͤßel doch immer noch ein Troͤpf-
chen nannte — in bona pace verzehrte. Nichts
war poſſirlicher anzuſehen, als wenn Freund Zutzel
da ſaß mit dem Seitengewaͤhr, und einen blauen
Mantel um hatte, eine ſchwarze Pudelmuͤtze auf dem
Kopf, die Brille auf der Naſe, die Schnappspulle
vor ſich, und ſo — Struͤmpfe ſtopfte, oder ſtrickte,
welches beides er aus dem Fundament verſtand.
[251[261]]
Die Madam Zutzel war ordentlich gemacht,
einen Mann unter die Erde zu bringen, wenn er
weniger unempfindlich geweſen waͤre, als der ihrige.
Einer war ihr ſchon davon gelaufen, weil er ihre ab-
ſurde Grillen nicht weiter vertragen konnte: darauf
war ſie geſchieden worden, und ſo hatte ſie Freund
Zutzel genommen. Den ganzen langen Tag noͤrgelte
ſie, beſonders wenn ſie beſoffen war, zankte mit
ihrem Manne und ihren Soldaten, und wenn ſie
nichts zu zanken hatte, ſo ſchlug ſie ihren Hund
Perl oder ihre Katze Minette.
In dieſem Quartire lag ich nun! Wie wirds
da dem armen Schelm gegangen ſeyn? werden mei-
ne gutmuͤthigen Leſer ausrufen: und wenn ſie das
thun, ſo will ich ihnen mit einem Worte antworten:
ſehr ſchlecht, meine Herren! Einige Proͤbchen.
Ich fing gleich, wie es ſich von ſelbſt verſteht,
an zu exerciren, und zwar in Zutzels Stube. Freilich
lernte ich nicht ſchnell: theils war ich des Dings
nicht gewohnt, theils dachte ich, Zeit genug zu haben,
dieſe große Kunſt, welche hauptſaͤchlich in der gleich-
maͤßigen Fertigkeit und Akkurateſſe beſteht, und vom
duͤmſten Bauerjungen begriffen wird, zu erlernen.
Daß ich nun nicht fluchs lernte, aͤrgerte meinen
Zutzel, und er klagte mich beim Hauptmann als einen
Menſchen an, der viel zu dumm und zu tuͤckiſch zum
Exerciren ſey. Herr von Muͤffling verſchwieg mir
[252[262]] das nicht, und ich konnte mich nicht beſſer rechtfer-
tigen, als wenn ich fleißiger und aufmerkſamer ward.
Das ward ich, und Zutzels Klagen von dieſer Seite
fielen weg.
Freund Zutzel war gewohnt, mit den Rekruten,
die er uͤbte, umſonſt zu fruͤhſtuͤcken. Einige Zeit uͤber
ließ ich mir das auch gefallen: allein da er gar anfing
zu fordern, wies ich ihn ab, und trank meinen
Schnapps fuͤr mich allein. Das verdroß ihn haͤßlich.
Da er nun ſahe, daß ich oft mit andern Kamera-
den zur Frau Buchin oder auf die Baͤckerherberge
ging, ſo beſchrieb er mich dem Hauptmann als einen
Trunkenbold, der taͤglich in den Kneipen ſaͤße, ſich
voll ſoͤffe, und ſich von andern prellen ließe. Der
Hauptmann ließ dieſes Vorgeben durch den Feldwe-
bel unterſuchen, und da er keine Exceſſe fand, ſchwieg
er. Der Feldwebel Wurm rieth mir aber, wenn
ich ausginge, ſollte ich nur den Unterofficier nicht
wiſſen laſſen, wohin: der ſey ein Kalefaktor r), vor
dem man ſich huͤten muͤßte.
[253[263]]
Ein Student aus Weſtphalen, Namens Huͤ-
king, hatte mich zu einer Nachmittags-Schmauſerei
eingeladen. Weil aber Freund Zutzel nicht dabei
ſeyn konnte, ſo misgoͤnnte er mir dieſes Vergnuͤgen,
und machte mir weis, der Hauptmann wolle den-
ſelben Machmittag zu uns kommen und ſehen, wie
weit ich im Exerciren gekommen waͤre. Alſo lauer-
ten wir bis Abends um ſechs Uhr, und es kam kein
Hauptmann. Zu Herrn Huͤking hatte er geſagt, der
Hauptmann wollte nicht zugeben, daß ich Studen-
ten beſuchen duͤrfte. Ich entdeckte dieſe Kabbaliſtik,
und als ich mich beim Herrn von Muͤffling daruͤber
beſchwerte, wußte dieſer von nichts, und erlaubte
mir, Studenten zu beſuchen, wenn und ſo oft ich
wollte.
Aber nun ein Stuͤckchen von ſchaͤndlicherer Art.
Es war uns ein Soldate deſertirt, deſſen hinterlaſſene
Sachen Zutzel in die Kammer gelegt hatte, wo
Trautwig und ich ſchliefen. Etwan acht Tage her-
nach wollte Zutzel die Sachen wegtragen, und ſiehe
da, es fehlten einige Stuͤcke an der Waͤſche. Ohne
weiter zu unterſuchen, ob das jetzt Fehlende nicht
ſchon vorhin gefehlt habe, behauptete er: entweder
Trautwig oder ich muͤſte ſie verkauft oder verſetzt
haben. Trautwig nahm das Ding ſehr uͤbel, und
ſuchte mich ſogleich auf, um mir dieſe Beſchuldigung
mitzutheilen. Ich lief zu Hauſe, und nun gabs
[254[264]] ſchoͤne Auftritte; wir ſchlugen uns bald mit einander.
Unſern Hauptmann fand ich nicht zu Hauſe: Zutzel
aber wußte, daß er beim Oberſten war; er ging
alſo hin, und klagte uns an, Herr von Muͤffling
ſchwieg fuͤr den Tag, und befahl dem Unterofficier
bei Fuchteln und Arreſt, zu uns von der Sache nichts
zu ſagen: er wuͤrde das Ding ſelbſt unterſuchen.
Fruͤh ließ mich Herr von Muͤffling zu ſich
holen, und fragte ſehr freundlich, ob ich nichts
um die verlohrne Waͤſche wuͤſte? Er ſupponire zwar
nicht, das ich ſelbige genommen haͤtte, allein mein
Kamerad koͤnnte es doch gethan haben: und wenn
ich davon wuͤſte, ſollte ich es nur ſagen; es ſollte
verſchwiegen bleiben, ja es ſollte ſogar keine Strafe
erfolgen, weil er die Sache erſetzen wollte! Ich leug-
nete alles, weil ich wirklich nichts wuͤſte, und der
Hauptmann war ſehr in Verlegenheit, was er thun
ſollte.
Es vergingen mehrere Tage: die Sache blieb
wie ſie war, und wir muſten manche Anſpielungen
von Zutzeln anhoͤren, worauf allemal ein derbes
Gezaͤnk folgte. Endlich auf einen Sonnabend kam
eine alte Frau zum Feldwebel Wurm, welche fuͤr
den deſertirten Soldaten gewaſchen hatte, und zeigte
an, daß ſie noch einige Waͤſche von dieſem habe,
welche ſie an die Kompagnie abgeben wollte. Und
ſiehe da, die Waͤſche war die verlohrne. Wurm
[255[265]] zeigte die Sache alſobald dem Kapitain an, und der
gute Angeber erhielt den folgenden Sonntag bei der
Kirchenparade durch den Faͤhndrich Roeder fuͤnf
und zwanzig derbe Fuchtel. „Das iſt, ſagte der
Kapitain fuͤr Lug und Trug und Fikfakkerei s): wer
mir einen Soldaten faͤlſchlich angiebt, der kriegt ſeine
fuͤnf und zwanzig Fuchtel aus dem Salze.“ Es war
mir, ohnerachtet der groben Beleidigung, die mir
Zutzel zugefuͤgt hatte, doch unangenehm, daß er ſo
war geſtraft worden: wer aber das Ding mit kaltem
Blute uͤberlegt, wird finden, daß er ſich ſehr grob
vergangen, und die Fuchtel verdient hatte. Freilich
mochte er wohl geglaubt haben, daß er die fehlende
Waͤſche in unſre Kammer wirklich gebracht haͤtte:
aber da haͤtte er vorher beſſer zuſehen und nicht auf
ſein bloßes Dafuͤrhalten gleich unſchuldige Leute des
Diebſtahls beſchuldigen ſollen.
Der Hauptmann nahm hierauf Zutzeln die Sol-
daten, und legte mich zu einem gewiſſen Muͤller, wo
es mir beſſer ging. Zutzel beging hernach die Toll-
heit, und begab ſich freiwillig in Arreſt; allein da
ihm Herr von Muͤffling ſchlimmere Folgen von die-
ſem Schritt vorſtellte; ſo beſann er ſich eines beſſern,
und ging zu Hauſe.
[256[266]]
Daß von dieſer Zeit an mein Exerciermeiſter
Zutzel werde geſucht haben, mir beim Exerciren ſeine
Ungnade ſehr merkbar zu machen, daß ich mich aber
auch beſſer angriff, laͤßt ſich denken. Schlagen und
ſchimpfen durfte er ohnehin nicht, und ſo hatte ich
eben nicht viel von ihm zu fuͤrchten.
Mit meinen Kameraden lebt ich in gutem
Vernehmen, und gleich wie ich ehedem mir den Bur-
ſchenkomment bald eigen machte, ſo lernte ich auch
in kurzer Zeit jetzt den Sodatenkomment, der aber
freilich, weil manches dahin Gehoͤrige, verſteckt
ausgefuͤhrt werden muß, weit ſchwerer in ſeiner
Theorie und Praxis iſt, als der der Burſchen.
Meine Leſer kennen mich ſchon ſo viel, daß ſie
mir ohne Muͤhe glauben werden, wenn ich ihnen
ſage, daß ich die Soldaten-Kneipen fleißig beſucht
habe, namentlich die Preußiſche Krone, die Kutſche,
die Frau Buchin — ja auch manchesmal die Kno-
chenkammer und Meiſter Philipp Schauffert. Wo
ſoll der Soldat auch ſonſt hingehen? was ſoll er
machen? Soll er zu Hauſe ſitzen, und ſich mit Gril-
len herumſchlagen? Vornehme Geſellſchaften ſind fuͤr
ihn ja verſchloſſen: alſo, da der Soldat meiſt raſch
und ohne Umſtaͤnde iſt, ſo ſucht er Geſellſchaften
ſeines Gleichen, und findet ſie in den Bier- und
Schnapps-Kneipen.
[257[267]]
Daß mir dieſe Geſellſchaften bas behagten, iſt
keinem Zweifel unterworfen. Sie hatten die meiſte
Aehnlichkeit mit dem Gießer Burſchen Komment,
an dem ich einmal gewohnt geweſen war. Zudem
muß ich hier einmal fuͤr allemal ſagen, daß meine
Kameraden von der ganzen Garniſon mich alle gern
um ſich hatten, und mir mit einer gewiſſen Art von
Diſtinktion begegneten. Wer iſt aber nicht gern bei
ſeines Gleichen, wenn er mit einiger Auszeichnung
behandelt wird! Jeder Soldat, den ich Du hieß,
rechnete es ſich zur Ehre, der Dutzbruder eines ge-
weſenen Magiſters zu ſeyn. Außerdem iſt auch die
Lebensart unſrer Soldaten bei weitem ſo ruͤde und
roh nicht, als ſich mancher wohl vorſtellt, der ſie
weniger kennt: denn obgleich unſre Leute den Fran-
zoͤſiſchen Truppen in dieſem Stuͤck, wie in ſehr vielen
andern, noch weit nachſtehen, ſo iſt doch gewiß,
daß viele unter ihnen recht wohl gezogen und artig
ſind. Freilich werden die Soldatengeſellſchaften
ekelhaft und fatal, wenn die Exercierzeit iſt, und
die Landbeurlaubten ſich in der Garniſon einfinden.
Dieſe ſind meiſtens Bauern, Bergleute oder Tage-
loͤhner, und haben neben ihrer angeerbten Grobheit
und Ungeſchliffenheit, auch noch einen hohen Grad
von dummen Stolz und Impertinenz, wodurch
ihr Umgang hoͤchſt abgeſchmackt und ekelhaft aus-
faͤllt.
[258[268]]
In Ruͤckſicht der Liebſchaften ahmen unſre Sol-
daten den Jeniſchen Studenten nach t): denn gleich
wie dieſe faſt alle ihre Scharmanten haben, ſo haben
unſre Leute, die Ledigen, auch faſt alle ihre Lieb-
chen. Was das aber auch immer fuͤr welche ſind —
laͤßt ſich leicht denken. Herr von Muͤffling mora-
liſirte einſt uͤber dieſe Creaturen, und ſchloß ſeine
Rede mit den Worten: „So gehts aber! wenn die
Beeſter das halbe Land ausgehurt haben, duͤnken
ſie doch noch fuͤr einen Soldaten gut genug, und
mehr als zu gut zu ſeyn. Einen Achtgroſchen-
mannu) denken ſie, kriegen wir noch immer!“
Dieſes Urtheil, welches ſich auf Erfahrung gruͤndet,
iſt ſehr wahr. Die Maͤdchen, welche von den Sol-
daten kareſſirt werden, ſind groͤßtentheils aus der
niedrigſten Klaſſe, und von der ſchlechteſten Lebens-
art — Soldatentoͤchter gemeiniglich, die da denken,
ſie muͤßten in der Freundſchaft bleiben. Ihre Lieb-
ſchaften ſpinnen ſie meiſtens auf der Straße, oder in
den Kneipen an. In den Soldaten-Kneipen naͤm-
lich wird faſt taͤglich muſicirt: freilich hoͤchſt elend,
[259[269]] aber es kann doch dabei getanzt werden, oder mit
andern Worten, man kann doch nach dem Takt
Bocksſpruͤnge machen, und das iſt fuͤr den Geſchmack
der beſagten Nymphen genug. Wer nun Luſt hat,
eine Liebſchaft von der Art anzufangen, der darf
nur dieſe Oerter beſuchen, und da wird er ſchon
ankommen. Freilich ſind die Gegenſtaͤnde, wenig-
ſtens in moraliſcher Ruͤckſicht — denn im Geſicht
und Schnitt ſehen einige noch ſo halbwege aus —
von ſehr trauriger Art, und unterſcheiden ſich von
den Bordelnymphen beinahe blos durch Concentra-
tion, wie Freund Yorik ſagt. — Was fuͤr Folgen
von daher auf die Geſundheit der Soldaten entſte-
hen, kann man daraus abnehmen, daß die Herren
Feldſcheerer zuweilen eine gewiſſe Beſichtigung vor-
nehmen muͤſſen, die von den Soldaten Schw —
Viſitation genannt wird.
Dennoch iſt der Soldat oft froh, wenn er mit
ſo einer Kreatur zuſammen kommen kann: ſie ſorgt
nicht nur fuͤr ſeine thieriſchen Beduͤrfniſſe, ſondern
naͤhrt ihn oft noch obendrein. Bei dieſem Stande
iſt es nicht, wie bei andern, wo die Mannsperſon
dem Frauenzimmer kontribuiren muß; denn der
Soldat laͤßt ſich fuͤr ſeine Aufwartung belohnen, und
das Maͤdchen muß losziehen, wenn es will, daß
ihr Galan Stich halte. Daher kommt es auch,
daß viele Menſcher ihre Kleider im Fall der Noth
[260[270]] verkaufen oder verſetzen, und ihre Burſchen, oft auch
einen Herrn Officier, aushelfen: beſonders iſt das
bei alten verſchabten abgenutzten Dirnen der Fall.
Ja, ich habe ſogar einige gekannt, die das Verdienſt
ihres niedertraͤchtigen Hurengewerbes x) ihren Lieb-
habern hernach hingaben. Dieſe wußten zwar um
die Natur des Erwerbes, wurden aber nicht boͤſe,
da das Geloͤßte ihnen zufiel.
Aber was wird denn endlich aus dergleichen
Kommers? Je nun, wies koͤmmt! Sehr oft werden
die Leutchen getraut, und leben hernach ſo gut ſie
koͤnnen, wie Mann und Frau. Daß die meiſten
dieſer Ehen ſehr ungluͤcklich, groͤßtentheils kinderlos,
und ſelbſt dann, wenn Kinder daher kommen, fuͤr
den Staat wegen der nothwendig ſchlechten Kinder-
zucht, von gar geringem Nutzen ſind, laͤßt ſich ohne
große Unterſuchung abnehmen. Der Soldat, wel-
cher ſo heurathet, thut doch fuͤr ſich eben nicht
unrecht. Soll er denn ewig im Quartier bei andern
[261[271]] [...]egen, wo er gleichſam wie im Gefaͤngniß ſitzen muß?
Lieber nimmt er ſich eine Frau, wie er ſie kriegen
kann, und dann iſt er doch gewiſſermaßen ſein eigner
Herr. Daher kann ichs keinem verdenken, der heu-
rathet, geſetzt auch, er muͤſte eine Nymphe von ge-
woͤhnlichem Schlage nehmen.
Was ich hier von den Soldatenſchaͤtzchen geſagt
habe, iſt zwar meiſtentheils wahr: doch giebt es
einige, obgleich ſeltenere Ausnahmen. Dann und
wann geraͤth wohl einer an ein ehrliches Maͤdchen,
mit der er, ſo viel ſein Stand und ſeine Lage es
erlauben, ruhig, vielleicht auch gluͤcklich leben kann;
aber der Anblick der meiſten Soldaten-Ehen verlei-
det jedem Nachdenkenden eine Verbindung von der
beſchriebenen Art.
Aber ich will meine Leſer nicht laͤnger bei einem
Gegenſtande aufhalten, woruͤber ſich ſonſt gar vieles
ſagen ließe.
In ſolchen Kommerſchen, wo getanzt und lu-
ſtig gelebt wurde, befand ich mich oͤfters, und war
allemal froh, wenn ich mich da mit einigen unterhal-
ten konnte, die nach meinem Geſchmack waren. Man
kann wirklich mehr nach Geſchmack ſeine Kameraden
bei den [Soldaten] waͤhlen, als bei den Studenten:
wer mir dort nicht gefaͤllt, den laſſe ich gehn; aber
bei den Studenten geht dieſes, gewiſſer Verhaͤltniſſe
wegen, nicht allemal an, vorzuͤglich wenn man mit
[262[272]] Landsleuten oder Ordensbruͤdern umgeben iſt. Ich
hatte beſonders mit einigen Franzoſen, die ihre Spra-
che gut redeten, Umgang, und da ich ſeit ſehr langer
Zeit nicht mehr franzoͤſiſch zu ſprechen Gelegenheit
gehabt hatte, ſo war es mir lieb, mir bei ihnen die
verlohrne Fluͤchtigkeit im Reden wieder zu verſchaf-
fen. Oft hab ich die Bemerkung gemacht, daß
eine vier Wochen unterlaſſene Uebung in einer
Sprache die Fertigkeit im Reden gleich hemmt; eine
Uebung aber nur einige Tage fortgeſetzt, dieſelbe
wieder herſtellt.
Daß ich auch bei den Soldaten ein Fuchs war,
und als Fuchs geprellt worden bin, laͤßt ſich leicht
abnehmen. Oft mußte ich fuͤr meine Mitkonſorten
die Zeche bezahlen, bald ihnen Geld borgen, das ich
niemals wieder bekam, bald mich ſonſt anfuͤhren laſ-
ſen. Allein das iſt einmal nicht anders: Fuͤchſe muͤſ-
ſen geprellt ſeyn, und unter dem Militair giebt es
eben ſo pfiffige, ja noch viel pfiffigere, als unter den
Studenten.
[263[273]]
Drei und zwanzigſtes Kapitel.
Sturm und Sonnenſchein.
Das deutſche Sprichwort: Jung gewoͤhnt,
alt gethan, — ich wiederhole es — iſt ſehr
gegruͤndet. Ich war, wie meine Leſer ſchon wiſſen,
von Jugend auf ans Trinken gewoͤhnt, und hatte
hernach dieſe ſchoͤne Gewohnheit ſo fortgeſetzt, daß
ich zwar dann und wann einige Pauſen, ſelbſt recht
lange Pauſen machte; aber doch immer wieder zur
alten Unart zuruͤckkehrte. Als ich Soldat ward,
faßte ich den feſten Vorſatz, nur nach Nothdurft zu
trinken und dem Saufen gaͤnzlich zu entſagen. Ich
blieb dieſem Vorſatz auch eine Zeitlang getreu, und
konnte wenigſtens ſchon Monate zaͤhlen, daß ich nicht
betrunken war. Allein was helfen alle guten Vor-
ſaͤtze, wenn die Neigung aus Gewohnheit uns ſchon
verdorben und verhunzt hat!
Ich war an einem Sonntage bei der Frau Bu-
chin, wo ein gewiſſer Soldat, Bornmeiſter, mir
ſtark zuſetzte, und zum Trinken noͤthigte. Der Kerl
raͤſonnirte von vielerlei Dingen, und da er kein
Dummkopf, und weit in der Welt herumgeflogen
Zweiter Theil. S
[264[274]] war, als Schuhknecht, ſo raͤſonnirte er gar nicht
uͤbel. Ich will lieber einem gereiſeten Schuhknecht,
der kein Dummkopf iſt, zuhoͤren, als manchem Pro-
feſſor, der die Dogmatik herbetet. Locke ward erſt
durch den Umgang mit dieſer Art Leuten praktiſch,
oder das, was Baco von Verulam an den
Gelehrten foderte. Kurz, Meiſter Bornmeiſter zog
mich an ſich, und da kam es einſt ſo weit, daß wir
beide im Kopf warm wurden. Endlich, es mochte
wohl neun Uhr ſeyn, ſagte Bornmeiſter: „Hoͤr',
was ſitzen wir da hier bei dem elenden Brantewein?
komm, wir wollen wo ſonſt hinwandern!“ Ich ging
gern mit: denn wohin folgte ich nicht gern, wenn
mich ein Trinkbruder einlud? Und Ehrgefuͤhl, —
du lieber Gott! Gießen und Ehrgefuͤhl, — uͤber-
haupt Univerſitaͤt und Delikateſſe! — Freund Bor-
meiſter fuͤhrte mich alſo in die Halle, wo damals ein
beruͤchtigter, jetzt aber ausgeſtorbener Pufkeller war:
wir traten hinein, und blieben da bis gegen Mitter-
nacht; dann verlieſſen wir dieſen Ort der ſchmutzigen
Freude, und wanderten oder ſtolperten vielmehr auf
die Bruno's-Warte — Braune Schwarte in Halle
genannt — wo gleichfalls ein ſolches beruͤchtigtes
Haus anzutreffen war. Ich fand einige Studenten y)
[265[275]] von meiner Bekanntſchaft, mit denen ich mich ſo
gut unterhielt, als mir es moͤglich war — mit mei-
nem ſchweren Kopfe.
Indeſſen hatten die Unterofficiere mein allzulan-
ges Auſſenbleiben bemerkt, und rannten nun Straße
auf Straße ab, um mich und den Bornmeiſter in
allen Kneipen aufzuſuchen. Endlich kamen ſie auch
in das Loch, wo wir uns befanden, und brachten
uns nach Hauſe.
Am folgenden Morgen fruͤh kam mein Kapi-
tain, und nachdem er mir einen ſehr derben Ver-
weis gegeben hatte, ließ er mich in Arreſt bringen,
wo ich auf 12 Stunden krumm geſchloſſen wurde.
Meinem Compagnon widerfuhr das naͤmliche. Es
iſt uͤberhaupt eine ſehr inkommode Sache, krumm
zu liegen: man iſt ganz gewaltig dabei ſchenirt!
Mein Bornmeiſter machte ſich zwar nicht viel dar-
aus, da er an dergleichen Tractament ſchon gewoͤhnt
war; ich aber hatte nie ſo etwas erfahren, und da-
her muſte mich dieſer Auftritt ſehr auffallend inkom-
modiren. Fruͤh Morgens wurden wir unſers Arre-
ſtes entlaſſen, und ich vergaß in wenig Tagen den
ganzen Handel um ſo eher, da meine Kameraden
mir begreiflich zu machen ſuchten, daß der Soldat
y)
[266[276]] keine Schande von Strafen haͤtte, außer denen fuͤr
Diebſtahl. Strafen an ſich naͤmlich beſchimpfen den
Soldaten und den Officier uͤberhaupt nicht, wohl
aber die Urſache der Strafen. Iſt dieſe beſchimpfend
und entehrend, ſo wird der Soldat ſelbſt proſtituirt,
geſetzt auch, die Strafe ſey noch ſo klein. Man er-
faͤhrt dies beim Spiesruthenlaufen unwiderſprech-
lich: der Dieb wird da am wenigſten geſchont.
Und das iſt ſchon recht ſo! Aber leider rechnet man
gar viele Exceſſe nicht unter die entehrenden, obgleich
ſie wirklich als ſolche angeſehen werden ſollten —
Saufereien, Balgereien, Vernachlaͤſſigung des Dien-
ſtes, und andre Dinge, welche eben ſo gut ihren
Veruͤber beſchimpfen, als Diebſtahl. Aber das iſt
ſo die eigne Moral der Staͤnde! —
Da dies nun einmal ſo iſt, ſo ließ ich mir
den erſten Arreſt nicht zur Warnung dienen, und
zog mir bald einen zweiten zu. Ich wuſte naͤmlich,
daß ich damals, als unvertrauter Auslaͤnder, ſchlech-
terdings um acht Uhr Abends zu Hauſe ſeyn ſollte.
Dieſen Befehl uͤbertrat ich oft, und dann muſten
mich die Unterofficiere uͤberall aufſuchen. Das Auſ-
ſenbleiben an ſich hatte wohl wenig zu ſagen: der
Kapitain Muͤffling hatte das gute Zutrauen zu mir,
daß ich nicht davonlaufen wuͤrde, und dieſes Zu-
trauen habe ich auch niemals gekraͤnkt oder gemis-
braucht. Aber Ordnung muß einmal ſeyn, zumal
[267[277]] beim Militair. — Einſtmals war ich auch wegge-
gangen, und in einer Kneipe bis zehn Uhr oder wohl
noch laͤnger ſitzen geblieben. Philiſter und Gnoten
waren da in einer Geſellſchaft, und mit dieſen wuſte
ich mich ſo zu divertiren, daß die Kerls mir ſtark
zutranken, wodurch ich eine Schnurre bekam, ſitzen
blieb, und die Zeit vergaß. Endlich kam der Feld-
webel Wurm, welcher mich, wer weis wie lange,
mochte geſucht haben, und brachte mich nach dem Ar-
reſt. Doch wurde ich diesmal nicht krumm gelegt,
und ſchon fruͤh um ſechs Uhr nach Hauſe geſchickt.
Das waren denn ſo die erſten Wehen, die ich
bei meinem neuen Stand erfahren habe. Viel mehr
als dieſes, iſt es auch nicht geworden. Ich muß
freilich noch einige Exceſſe weiter unten anfuͤhren,
allein das waren doch nur Kleinigkeiten, und wur-
den — einen ausgenommen, der am gehoͤrigen Orte
vorkommen wird — von meinen heroiſchen Stu-
dentenſtuͤckchen weit uͤbertroffen. Das Studenten-
weſen verleitet uͤberhaupt zu Geſetzloſigkeit, und ver-
woͤhnt uns fuͤr uns und Andere.
In ganz Halle hatte man ausgeſprengt, ich
waͤre Soldat geworden, um die Jungfer Chriſtel
Doͤrnerin zu heurathen: man wußte meinen Umgang
mit dieſem Maͤdchen Allein man ward bald inne,
daß das meine Abſicht weder war, noch ſeyn konnte,
und ſchwieg davon. Ich widerlegte ſelbſt dieſes Ge-
[268[278]] ruͤcht recht ernſtlich; aber wohl aus uͤbertriebener
Delikateſſe, die ſonſt mein Fehler nicht war: denn
wenn ein Herr Profeſſor ſich mit einem huͤbſchen
Maͤdel auf eine Viertelſtunde einlaſſen kann, ohne
auf Stand und dergleichen zu achten: warum ein
Magiſter nicht auf immer? die Liebe laͤßt ſich doch
wahrlich durch einen geſetzlichen Machtſpruch nicht
ſo modificiren, wie man einen Bauerkerl durch den
Korporalſtock modificirt: Sonſt muͤßten die Herren
Moraliſten und Regenten die untadelhafteſten Mu-
ſter in der Liebe ſeyn!
Madam Cheminon hatte ein Maͤdchen, Namens
Fiekchen — den Zunamen habe ich vergeſſen —
zu ſich genommen, weil das Maͤdchen Obdach ſuchte,
und woͤchentlich 16 Groſchen zu verzehren hatte.
Fiekchen war noch nicht 16 Jahre alt, ſah ſehr gut
aus, und hatte durch ihr gutes Anſehen einen Stu-
denten, S* aus M***, in ſich verliebt gemacht.
Dieſer hatte ihr verſprochen, ſie zu heurathen, und
bis dahin das Koſtgeld fuͤr ſie herzugeben. Anfaͤng-
lich wurde Fiekchen gut gehalten, hernach aber ver-
ſtoßen, weil ſie den Reſpekt gegen das alte gebiete-
riſche Fegfeuer manchmal aus den Augen ſetzte, und,
was das wichtigſte war, endlich das Koſtgeld aus-
blieb. In dieſer traurigen Lage begegnete mir
das arme Maͤdchen mit roth geweinten Augen.
Auf meine Frage nach der Urſache ihrer Thraͤnen,
[269[279]] erwaͤhnte ſie der Grauſamkeit der alten Cheminon,
von der ſie nicht nur verſtoßen, ſondern auch unter
dem Vorwande einer Schuldfoderung ihrer wenigen
Kleider waͤre beraubt worden. Dieſes Unrecht
brachte mich ſo auf, daß ich die Verlaſſene auf der
Stelle mitnahm, und ihr verſprach, fuͤr ſie zu ſor-
gen — und das, lieben Leſer, aus der reinſten Ab-
ſicht. Ungluͤckliche gingen mir von jeher nahe, und
fremde Beleidigungen wieder ins Gerade bringen
helfen, war ſtaͤts meine Sache.
Meine Wirthin, die Muͤllern, welche viel auf
mich hielt, und mir in allem gern willfahrte, haͤtte
das arme Maͤdchen den Augenblick aufgenommen,
wenn ſie nur Platz dazu gehabt haͤtte: — doch be-
ſorgte ſie ihr ein wohlfeiles Obdach, und verkoͤſtigte
ſie auf meine Koſten, bis das Maͤdchen wieder Geld
erhielt. Und dies erhielt ſie, nachdem ich ihrem
Liebhaber ſo nach meiner Art ſehr dringend einge-
ſchaͤrft hatte, eine Ungluͤckliche nicht zu verlaſſen, die
es doch durch ihn geworden waͤre u. dgl.
Die Frau Cheminon erfuhr nicht ſobald, wo
das Maͤdchen ſich aufhielt, als ſie ſich hinter den
Feldwebel Wurm ſteckte, der mir es verbieten,
oder es doch beim Hauptmann dahin bringen ſollte,
daß mirs verboten wuͤrde, ſie zu naͤh [...]en. Aber da
traf ſie es gar ſchlecht! Wurm kam zwar, und
widerrieth mir den Umgang mit einem veneriſchen
[270[280]] Menſch — ſo hatte die alte Madonna das Maͤdchen
beſchrieben, nach Art aller alten Weiber, welche
Fehler an Andern erdichten, um dadurch ihre eigenen
zu begruͤnden oder zu beſchoͤnigen: — ich aber ſtellte
dem Feldwebel die wahre Beſchaffenheit der Sache
vor, und belehrte ihn uͤber die Haͤrte und die Un-
gerechtigkeit der alten Tyrannin. Dies war genug:
denn Herr Wurm, welcher im Grunde auch wußte
und fuͤhlte, was Schufterei war, brachte es jetzt
beim Hauptmann dahin, daß das alte Fegefeuer
nebſt einem großen ellenlangen Wiſcher, den Befehl
erhielt; auf der Stelle die vorenthaltenen Sachen
herauszugeben. Das war recht, und machte mir die
lebhafteſte Freude!
Aber was halfs! Fiekchen ſtarb ohngefaͤhr drei
Monate nachher, und Herr S* ſchickte das Geld zu
ihrem Begraͤbniß. Das halliſche Grobzeug ſprengte
gleich aus, ſie ſey an der veneriſchen Krankheit ge-
ſtorben, das aber blos eine Erdichtung der Chemi-
non war, wie ich und der Chirurgus bezeugen koͤn-
nen. So geht es aber! hat doch das Grobzeug
auch dergleichen von D.Bahrdt ausgeſprengt!
Man moͤchte beinahe ſagen: Wohl dem, der keine
Vorzuͤge hat: man wird ihn nicht beneiden und we-
niger verſchwaͤrzen.
Ich habe dieſe Hiſtorie hier angefuͤhrt, weil ich
doch auch einmal zeigen muß, daß an dem boͤſen
[271[281]] Laukhard zuweilen noch ein Fleckchen Gutes war: denn
ſich der Bedraͤngten mit Aufopferung annehmen und
ſie nach Vermoͤgen unterſtuͤtzen, iſt gut und loͤblich.
Herr von Muͤffling vertraute mir bald nach
meiner Annahme bei ſeiner Kompagnie, den Unter-
richt ſeines aͤlteſten Sohns, des jetzigen Herrn
Leutenants, Friedrich von Muͤffling, in der
franzoͤſiſchen Sprache an. Er wußte, daß ich ſchon
damals auf wohlfeilerm Fuß, als die gewoͤhn-
lichen Sprachmeiſter, unterrichtete, und gab mir
doch, ſo ſehr ich auch widerſprach, eben ſo viel, als
einem ordentlich privilegirten Univerſitaͤts-Sprach-
meiſter und Lector gegeben wird. Die Frau von
Muͤffling, eine Dame, die alle Ehrfurcht verdient,
und die die Menſchenliebe und Leutſeligkeit ſelbſt iſt,
behandelte mich beſonders guͤtig. Die Muͤfflingiſchen
Kinder hatten zwar ſchon einen Hofmeiſter, Herrn
Schimmelpfennig aus Weimar; da dieſer aber
wenig franzoͤſiſch verſtand, wenigſtens es nicht ſpre-
chen konnte, ſo erſetzte ich das, und ich muß beken-
nen, daß der junge Baron ſichtbar zunahm. Ueber-
haupt waren die Kinder des Hauptmanns fuͤr ihr
Alter ſehr gut erzogen und unterrichtet: ihr Vater
gab genau auf alle ihre Schritte und Tritte ſelbſt mit
Acht, und auſſer den Lehrſtunden, waren ſie gemei-
niglich bei ihrer vortreflichen Mutter. Die beiden
juͤngern Soͤhne, Franz und Wilhelm waren
[272[282]] fuͤr den franzoͤſiſchen Unterricht damals noch zu jung;
alſo hatte ich blos mit dem aͤltern zu thun. Ich habe
dieſen Unterricht zwar nur bis nach Michaelis des
Jahres fortgeſetzt, hernach aber dennoch immer
freien Zutritt ins Muͤfflingiſche Haus behalten, bis
endlich der Herr von Muͤffling Chef eines gruͤnen
Bataillons in Magdeburg ward. Wollte Gott, alle
Compagnien haͤtten einen ſolchen Vorgeſetzten, und
alle Kinder ſolche Eltern!
Sehr ungerecht wuͤrde ich ſeyn, wenn ich uͤber-
haupt es nicht oͤffentlich ruͤhmen wollte, daß auch die
uͤbrigen Haͤupter der Kompagnie mich jederzeit gut
und gewiſſermaßen mit Diſtinktion behandelt haben.
Freilich muſte ich die Exercitien lernen; allein da dies
auf ſehr verſchiedene Art geſchehen kann, ſo war es
ein Gluͤck fuͤr mich, daß man viel Geduld mit mir
hatte. Damals lebte der große Koͤnig noch; und der
Grundſatz, daß derbe Hiebe gute Exerciermeiſter
waͤren, war ein Lieblingsgrundſatz des damaligen
Inſpectors der Magdeburger Brigade, des General-
Leutenants von Saldern, bei deſſen Namen unſre
alten Krieger noch zittern. Aber dieſer Grundſatz
wurde bei mir nicht angewandt, und kein Officier
hat mir jemals Hiebe angeboten, vielweniger gegeben
oder geben laſſen. Das verdient meinen Dank! —
Herr von Henning, der damals als erſter Leute-
nant bei der Kompagnie ſtand, war mir merklich
[273[283]] gewogen, und unterhielt ſich gern mit mir in der
franzoͤſiſchen Sprache, welche er mit guter Fertig-
keit redete.
Mein Vater lag mir, wie billig, gleich vom
Anfang meiner neuen Lebensart, ſtark im Sinne.
Was wird der ehrliche Alte empfinden und ſagen,
wenn er erfaͤhrt, daß nun alles an dir auf einmal,
ohne alle Hoffnung verlohren iſt? Dieſer Gedanke
fuhr mir immer durch Kopf und Herz, und vergaͤllte
mir jeden Augenblick. Um dieſer Quaal los zu wer-
den, bath ich den D. Semler ſchriftlich — denn per-
ſoͤnlich wollte ich den ehrwuͤrdigen Mann in meiner
Soldaten-Uniform noch nicht angehen — er moͤchte
ſuchen, meinem Vater meinen Schritt zum Soldaten-
ſtande auf die glimpflichſte Art beizubringen. Der
gute Mann antwortete mir, das ſey ſchon geſchehen:
er hoffe, mein Vater wuͤrde mich mehr bedauren,
als uͤber mich zuͤrnen. Der Hauptmann hatte auch
ſchon geſchrieben: allein lange erſchien keine Ant-
wort. Endlich kam ein Brief von meinem Vater an
den Herrn von Muͤffling in ſehr gemaͤßigtem und ge-
ſetztem Ton. „Er kenne, ſchrieb er, das menſch-
liche Herz, und mein Schritt kaͤme ihm, da er meine
Sitten, meine Denkungsart, und meinen Leichtſinn
auch kenne, gar nicht fremde vor. Er vergaͤbe mir
von Herzen meine Verirrungen, ſogar den letzten
deſperaten Schritt, ſo ſehr er ihn ſonſt ſchmerzte,
[274[284]] Ich wuͤnſche, fuhr er fort, einen recht langen Brief
von meinem Sohn zu leſen, und bitte Ew. Hoch-
wohlgeboren, ihn denſelben in Ihrer Gegenwart
oder in Gegenwart eines andern braven Mannes
ſchreiben zu laſſen, damit er gerade ſo ſchreibe, wie
es ihm ums Herz iſt, ohne lange herumſinnen und
kuͤnſteln zu koͤnnen: ich moͤchte gern aus dem Briefe
ſehen, wie er jetzt wohl denkt.“ — Ich ſchrieb die-
ſem gemaͤß, in der Stube des Herrn von Muͤfflings
an meinen Vater, und dieſer Brief beſaͤnftigte ihn
ſo, daß alle ſeine folgenden Briefe an mich, an den
Hauptmann und an den D. Semler auch nicht
die geringſte Spur von Vorwuͤrfen oder Unwillen
enthielten.
Meinem Bruder ſchrieb ich auch, jedoch in
einem galligtbittern Ton: er antwortete mir nicht. —
Aber Haag, der ehrliche Freund, ſchrieb mir dafuͤr
deſto oͤfterer, und ſeine Briefe goſſen jedesmal bele-
bende Wonne in meine Seele.
Die erſte Exercierzeit z) iſt mir, wie jedem
Soldaten, beſchwerlich gefallen: allein ich uͤberſtand
[275[285]] ſie, und die folgenden Exercierzeiten ſind mir immer
leichter geworden. Es fiel mir oft der Gedanke da-
bei ein, ob die Verdammten in der Hoͤlle, welche
doch nach der erbaulichen Lehre der orthodoxen Buch-
ſtaben-Kirche ewig gepeiniget werden ſollen, nicht
endlich allen Sinn fuͤr Quaal und Angſt und Noth
verlieren, und alle Feuer- und Schwefelpfuͤhle, alle
Haken des Satans u. dergl. nicht fuͤr Kleinigkeiten
halten werden? Die Gewohnheit vermag doch ge-
waltig viel! —
Im Mai 1784 machte ich meine erſte Revuͤe
bei Magdeburg, und ſah da den großen Koͤnig zum
erſtenmal. Sein Anblick erſchuͤtterte mich durch und
durch: ich hatte nur Auge und Sinn blos fuͤr Ihn!
Auf Ihn war ich und alles concentrirt! viele tau-
ſend Perſonalitaͤten in eine einzige umgeſchmolzen!
Ein Heer, Eine Handlung! — — Mit ſeinen
Thaten war ich ſchon bekannt durch Buͤcher und Er-
zaͤhlungen. Es iſt wahrlich etwas Goͤttliches, einen
ſo großen Mann zu ſehen! der Gedanke, daß man
zu Ihm mit gehoͤre, erhebt zum Olymp hinaus. —
— — — — — — — —
— —
— — Aber ſiehe da den Unterſchied zwiſchen den
orientaliſchen Deſpoten und unſern Fuͤrſten! In
Orient ehrt man die Deſpotie und nicht den Deſpo-
ten. Die Perſon des Regenten kommt da gar nicht
in Anſchlag: ein Abkoͤmmling des aͤlteſten Koͤnigs-
[276[286]] ſtamms hat eben nicht mehr Gewalt, als der nie-
drigſte Sklav, wenn dieſer ſich auf den Thron hin-
aufſchwingt. So lange der Regent auf dem Throne
ſitzt, wird er verehrt oder vielmehr knechtiſch ange-
betet, ſey er auch der aͤrgſte Bube. Der verſtorbene
Regent aber wird ſogleich verachtet und vergeſſen,
wenn er auch noch ſo vortreflich regiert hat: das be-
weißt das Beiſpiel des Schach Nadir und So-
limans des Andern.
In Europa iſt das anders. Die fuͤrſtliche Wuͤr-
de giebt hier zwar etwas; aber die Ehrfurcht fuͤr den
Regenten, ſelbſt ſeine Gewalt muß ſich auf perſoͤn-
liche Eigenſchaften und Verdienſte gruͤnden. Wer
hat je unumſchraͤnkter regiert, als Friedrich der
Zweite? Und welcher Koͤnig war je ohnmaͤchtiger
als LudwigXV gegen das Ende ſeines Lebens?
Er hing ſogar von ſeinem Koch und einem Gaͤrtner-
maͤdchen ab, und ließ von dieſen ſein Verhalten len-
ken. Ich mag dieſe Bemerkung nicht weiter aus-
fuͤhren; aber ſie iſt wahr, und darf beim Unterricht
der Fuͤrſten-Kinder nicht uͤbergangen werden. Im
Orient braucht der Regent keine Tugenden; aber im
Occident muß er ſie haben: ſonſt iſt er nicht Regent
in der That, ſondern blos nach dem Namen. —
Die Revuͤe war ein rechtes Feſt fuͤr mich. Ich
muſte zwar derbe Maͤrſche thun — man geht in drei
Maͤrſchen eilf Meilen — allein die Neuheit der
[277[287]] Sache und die Abwechſelung der Gegenſtaͤnde mach-
ten, daß ich alle Muͤhe vergaß, und blos an dem
hing, was ich noch nicht geſehen hatte. In Mag-
deburg beſuchten mich meine Freunde, beſonders Herr
Molweide, von welchem ich ſchon oben geredet habe.
Jeder bedaurte mich, und jeder ſprach mir guten
Muth ein. Ich hatte aber die Troͤſtungen nicht
noͤthig. Man maaß mich nach ſich, und — irrte.
Man hat hin und wieder die Gewohnheit
zu ſagen: „So grob, wie ein Magdeburger!“
Dieſes Sprichwort thut den guten Magdeburgern
zu viel. Ich habe die Leute oͤfters geſehen, und
bin ſeit neun Jahren, alle Jahr zur Revuͤezeit,
mit ihnen umgegangen. Es giebt freilich einige
Superfeine, auch Grobe und Ungeſchliffene zu
Magdeburg, wie uͤberall; im Durchſchnitt aber
ſind die Einwohner dieſer Stadt nach aͤcht deutſcher
Sitte bieder, zuvorkommend und mittheilend, be-
ſonders das Frauenzimmer — in allen Ehren, —
welchem auch der Ruhm der Schoͤnheit vor andern
Staͤdterinnen zukoͤmmt.
[278[288]]
Vier und zwanzigſtes Kapitel.
Gelehrte Beſchaͤftigung waͤhrend meines Soldatenſtandes.
Etwas uͤber Romanenleſerei und Leſebibliotheken.
Ich hatte ſchon vor der Revuͤe einige Stundenten zu
unterrichten im Lateiniſchen und Franzoͤſiſchen. Mei-
ne erſten Scholaren waren Herr Salpius, aus der
Mark, Herr Boͤhm, jetzt Doktor der Medicin in
Berlin, und Herr Gaſſel aus Weſtphalen. Nach
und nach erhielt ich mehrere. Wenn einige, welche
ich zu unterrichten die Ehre gehabt habe, ihre Na-
men in meinem Buche nicht finden, ſo koͤnnen ſie
verſichert ſeyn, daß dies nicht daher ruͤhre, weil ich
ſie vergeſſen haͤtte, oder es fuͤr zu gering hielte, ſie
zu nennen: ich verehre vielmehr jeden, der zugleich
mein Freund war, und das ſehr aufrichtig; ſondern,
weil ich befuͤrchte, manchem Leſer lange Weile zu
machen, wenn ich da ein großes Namen-Regiſter
anfuͤhren wollte, wobei ich doch weiter nichts zu
ſagen haͤtte, als dem gab ich Stunden im Lateini-
ſchen, Italiaͤniſchen — Franzoͤſiſchen: mit dem las
ich den Livius — dieſen lehrte ich dies, jenen jenes.
Als ich von der Revuͤe zuruͤck kam, nahm ich
Stadt-Urlaub, das heißt, ich ließ das Traktament
[279[289]] dem Kapitain, that keine Wachen, und konnte da-
her meine Lehrſtunden nach mehr Ordnung und Be-
quemlichkeit abwarten. Dies noͤthigte mich aber,
meine Sachen ſo einzurichten, daß ich von meinem
Verdienſt bei Studenten leben konnte, welches an
einem Orte, wie Halle, wo ſo ziemlich alles theuer
iſt, und bei einer blos von Studenten abhaͤngenden
Lebensart etwas ſchwer haͤlt. Ich kann indeß nicht
klagen, daß es mir jemals an Scholaren gefehlt habe:
meine Stunden waren ſo ziemlich beſetzt; wuͤrden es
aber nicht geweſen ſeyn, wenn ich ſoviel dafuͤr haͤtte
nehmen wollen, als die gewoͤhnlichen Sprachmeiſter.
Daß ich das nicht that, kann man mir im geringſten
nicht verdenken: ich konnte ja meine Lektionen ganz
und gar umſonſt geben, und folglich auch ſo wohl-
feil, als ich dies fuͤr mich und meine Kundſchaft fuͤr
gut fand. Wie es indeß zu gehen pflegt, daß das
Handwerk neidet, ſo ging es auch hier. Der hieſige
italiaͤniſche Sprachmeiſter Boſelli, ſetzte meine
Lectionen uͤberall herab, blos darum: weil ich mir
ja nur zwei Groſchen fuͤr die Stunde geben ließe!
Eben ſo machten es einige andere dieſer Herren: ich
ließ ſie aber machen, und verſah meine Scholaren
ſo gut ich konnte.
Fuͤr mich ſelbſt ſtudirte ich nach Semlers Rath
in Tertullians Werken, aus welchen ich die dogmati-
Zweiter Theil. T
[280[290]] ſchen Stellen auszeichnen ſollte. Es iſt gewiß ſehr
ſeltſam, daß ein Soldat den alten Knaſter lieſt, und
noch ſeltſamer, daß er ihn lieſt, um die Hiſtorie der
ſogenannten heiligen Lehren und Fratzen dadurch auf-
zuhellen. Herr Semler hielt, wie jederman weis,
ſehr viel auf das Leſen der aͤltern Kirchenvaͤter, und
das blos aus dem Grunde, weil man ſehr viel zur
allmaͤligen Entſtehung der Dogmengeſchichte aus ih-
nen lernen koͤnnte: in jeder andern Ruͤckſicht hielt er
ſie groͤßtentheils fuͤr arme Suͤnder, die weder gelehrt
geweſen waͤren, noch hell und richtig gedacht haͤtten.
Tertullianus war fuͤr mich wirklich ſchwer, und an
mancher Stelle muſte ich lange klauben, ehe ich einen
Sinn in das hoͤchſt verworrene Zeug des ſchwaͤrme-
riſchen Afrikaners bringen konnte: doch gefiel mir
manches an dieſem Schriftſteller, beſonders ſeine Frei-
muͤthigkeit und ſein Haß gegen die Pfaffen. Ich kam
aber nicht weit, und durchging blos die Buͤcher von
der Keuſchheit, vom Mantel, das gegen
den Marcion nebſt dem von der Soldaten-
Krone. Dogmatiſche Stellen zog ich viele heraus,
die ich nach dem Kompendium des Baumgartens
ordnete, und Semlern hernach vorzeigte: er war
damit zufrieden, und rieth mir, fortzufahren. Weil
es aber eine Holzmacher-Arbeit iſt, den Tertullian
ſo zu leſen, mir auch das Ding weiter keinen Nutzen
brachte, ſo gab ich dieſe Arbeit auf. So etwas war
[281[291]] nicht fuͤr einen Menſchen, der fuͤrs liebe Brod ar-
beiten muß: dergleichen Geſchaͤfte muͤßte man den
muͤßigen Dickwaͤnſten auftragen, welche in der chriſt-
lichen Kirche ſich nach Pauli Ausſpruch, vom Evan-
gelio maͤſten — einem Brum* und Conſorten, um
dieſer Art Leuten das niedertraͤchtige Geſchaͤft eines
verraͤtheriſchen Spions gegen Maͤnner zu legen, deren
Schuhriemen ſie nicht werth ſind aufzuloͤſen.
Um dieſe Zeit fing ich auch an, Romane und
Komoͤdien zu leſen. Ich hatte zwar ſchon vorher
dergleichen Saͤchelchen in Haͤnden gehabt, ſowohl
franzoͤſiſche als deutſche: aber niemals war ich er-
picht darauf, und ward es erſt im Jahr 1784 und
blieb es lange Zeit. Der verſtorbene Antiquar Ernſt,
welcher mit guten und ſchlechten Buͤchern der ange-
nehmen Leſerei mittelmaͤßig verſehn war, und um
den ich mich auf mehr als eine Art verdient gemacht
hatte, brachte mir, da er fand, daß ich dergleichen
Buͤchleins liebte, faß taͤglich einige, die ich Anfangs
nur ſo durchblaͤtterte, dann mit Behagen las, und
endlich gar verſchlang. Dies ging ſo weit, daß ich
zuletzt nicht mehr im Stande war, zwei Stunden
nach einander bei einem ernſthaften Buche auszuhal-
ten, ob ich gleich Tage lang in den abgeſchmackteſten
Romanen leſen konnte, ſogar in denen, welche vom
Verfaſſer der Emilie Sommer und Conſorten
fabricirt waren.
[282[292]]
Fuͤr mich konnte das noch ſo hingehen, wie-
wol auch ich meine Zeit haͤtte beſſer anwenden koͤnnen
und ſollen: wenn aber junge Studierende nichts leſen,
als Skarteken dieſer Art, ſo iſt es beinahe unver-
zeihlich. In Gieſſen war dieſes Unweſen zu meiner
Zeit noch nicht Mode; denn da hatte es dem Herrn
Buchhaͤndler Krieger a) noch nicht beliebt, ſein Roma-
[283[293]] nenmakulatur einbinden und zirkuliren zu laſſen: und
der Gieſſer Burſche kauft ſelten ein anderes Buch, als
was er im Kollegium braucht: und ſo war die ſo
genannte ſchoͤne Lektuͤre, oder das Romanen- und
Komoͤdienleſen zu der Zeit in Gieſſen ganz fremde b).
a).
[284[294]] Mit Zotologie hat man ſich da beſchaͤftiget, und zo-
tologiſche Gedichte waren die Modelektuͤre, bis end-
lich die Studenten-Komoͤdie und mit ihr das Leſen
der Komoͤdien ſeinen rechten Anfang nahm. In
Goͤttingen waren zu meiner Zeit zwar einige Anti-
quarien, die Romane u. dergl. zum Verleihen hat-
ten. — Aber in Leipzig und Halle ſind jetzt mehrere
Buͤchereien, die einen reichen Vorrath fuͤr den Ro-
manenleſer enthalten. Man kann da Tag und Nacht
leſen, und lieſt doch kaum den meßlichen Zuwachs
dieſer Stuͤtzen ſchwacher, weibiſcher Seelen durch.
Da hab ich denn ſehr viele gekannt, und kenne noch
viele, die woͤchentlich drei, vier und mehrere Baͤnde
Romane und Komoͤdien durchleſen. Wie viel bei ſolcher
unſinnig aͤmſiger Lektuͤre fuͤr andre Berufsarbeiten
Zeit uͤbrig bleibe, laͤßt ſich denken, und wie ſehr
dadurch der Geſchmack verdorben werde, lehrt die
leidige Erfahrung. Ein fleißiger Romanleſer ſcheut
ernſthaftes wiſſenſchaftliches Leſen eben ſo ſehr, als
einer, der ſaure Gurken gegeſſen, und ſich die Zaͤhne
b)
[285[295]] abgeſtampft hat, feſte Speiſen ſcheut. Solche Le-
ſer ſind und bleiben unwiſſende Stuͤmper, und
dann, wenn ſie die Akademie verlaſſen, ſehen ſie
ein, daß ſie nichts gelernt haben. Erſt vorige Woche
gi [...] [...] gewiſſer P... von hier ab, der den ganzen
R [...] [...]ram beim Buchdruckergeſellen Wolf und
dem Soldaten Schneider durchſtudiert hatte; nun
aber, da er fort ſollte, nicht einmal ein Thema aus
einem ſehr leichten Text finden konnte, der ihm von
Konſiſtorium aufgegeben war. Herrliche Zuberei-
tung auf Brod und kuͤnſtige Gemeinnuͤtzigkeit!
Ich misbillige keinesweges die Leſebibliothe-
ken c): ich weiß, daß ſie das beßte Mittel ſind, gute
[286[296]] Kenntniſſe und deren Anwendung durch wohlfeilen
Umlauf gemeiner zu machen; aber wer in einer ſol-
chen Bibliothek nichts ſucht oder aufſtellt, als Ro-
mane, verfehlt dieſen Zweck ſehr: ja, Bibliotheken,
die weiter nichts enthalten, als Romane, ſind von
keinem Nutzen, ſind ſogar offenbar ſchaͤdlich. Sie
verwoͤhnen die Seele zu einem unverhaͤltnißmaͤßigen
Gebrauch ihrer Kraͤfte, ſie bringen ihr einen ent-
ſcheidenden Hang bei, ſich mehr mit Vorſtellungen
von beſtimmter als unbeſtimmter Art abzugeben, und
erhoͤhen dadurch die Empfindungs- und Einbildungs-
kraft auf Koſten der Denkkraft oft ungeheuer. Da
uͤberdies die Gegenſtaͤnde, oder die Bearbeitung
der meiſten Romane uͤber das Gebiet der wirklichen
Welt hinausſchwaͤrmen, ſo floͤßen ſie jungen Koͤpfen
idealiſche Maaßſtaͤbe ein, die, gegen die wirkliche
Welt gehalten, nie und nirgend paſſen, und bilden
c)
[287[297]] ſie ſo zu Myſanthropen, denen uͤberall nichts recht
iſt d). Im geſchaͤftigen Leben, wo ernſthaftes und
angeſtrengtes Ueberlegen erfordert wird, kann man
aber dieſe Leutchen nicht brauchen, und am Ende
werden ſie politiſche oder geiſtliche Hieremiaſſe oder
Jonaſſe, die weit eher im Stande waͤren, allgemeine
Unzufriedenheit anzuzetteln und dadurch nach und
nach zum Aufruhr zu verleiten, als die freimuͤthig-
ſten Schriften, die irgend ein Philoſoph zum Zucht-
ſpiegel fuͤr Regenten und Unterthanen aufſtellt. Iſt
aber hieran unſere heutige Lehrmethode nicht haupt-
ſaͤchlich Schuld? Kann das uͤbertriebene Baſedo-
wiſiren zum geſetzten maͤnnlichen Denken vorbe-
reiten? Wird nicht uͤberall mehr getaͤndelt und ge-
ſpielt, als allmaͤlig zum ausdauernden Fleiß bei Ge-
genſtaͤnden des Denkens und Handelns angefuͤhrt?
Wird nicht mehr auf aͤſthetiſches Scheinen als auf
philoſophiſches Seyn gearbeitet e)? — Aber wir
[288[298]] leben in den Zeiten der Spiele und der Taͤuſchung!
Koͤnige ſpielen, Miniſter ſpielen, Soldaten ſpie-
len, Univerſitaͤter ſpielen, Conſiſtorialraͤthe ſpielen,
und nur der geplagte Buͤrger und Bauer arbeitet
oft bis aufs Blut, und rechnet auf [Belohnung] im
Himmel! —
Wer da glaubt, daß ich das Weſen und die
Folgen des Romanleſens zu hoch berechne, den wird
ſchon der bloße Anblick einer Leſebibliothek, und
etwas Umgang mit Romanenleſern belehren koͤnnen.
Wenigſtens ſtehen in der akademiſchen Leſebibliothek
zu Halle die wiſſenſchaftlichen Werke, wie alle Werke
von mehreren Baͤnden, ſobald ſie nicht Romane
ſind, noch beinahe wie ganz neu da, und die lieben
Romane ſind beſchmutzt und beſchaͤdiget. Ich be-
e)
[289[299]] daure den Herrn Bispink, als den Inhaber die-
ſer Anſtalt, daß er ſein ſaures Verdienſt fuͤr eine
Grille hingiebt, die weder ihm noch Andern from-
met. Er faͤhrt naͤmlich eigenſinnig fort, die beßten
Werke von Meſſe zu Meſſe anzuſchaffen, die in Ge-
ſchichte, Statiſtik, Laͤnder- und Voͤlkerkunde, Phi-
loſophie, Theologie u. dgl. einſchlagen: und wer
lieſet ſie! Er hat nicht einmal in Halle ſo viel Lieb-
haber der ernſthaften Lectuͤre finden koͤnnen, um ein
Journaliſtikum aus den beſten Engliſchen, Franzoͤſi-
ſchen und Italiaͤniſchen Zeitſchriften gegen die billig-
ſten Bedingungen zu Stande zu bringen. Wenn es
aber auf der beruͤhmten halliſchen Univerſitaͤt ſo iſt,
wie mag es an kleinern und minderberuͤhmten Oer-
tern ſeyn! Wie geſagt, wir leben in den Tagen der
Spiele und der Taͤuſchung f).
So denke ich jetzt; 1784 dachte ich anders:
und daher kam es denn, daß ich das Romanleſen ſo
lange fortſetzte, als meine Freundſchaft mit dem An-
[290[300]] tiquar Ernſt waͤhrte. Dieſe hoͤrte aber auf, als ich
einigen Philiſtern beiſtand, welche von der Donna
Ernſtn eben nicht vortheilhaft ſprachen. So ſehr nun
Ernſt geduldiger Ehemann war, ſo wollte er doch
nicht leiden, daß die Philiſter und Soldaten die Sti-
chelsdoͤrfer und Reideburger Geſchichtchen, die ſeine
Frau betrafen, auf dem Rathskeller durchgehen ſoll-
ten: er wurde, da das Geſpraͤch trotz ſeines Wider-
ſpruchs und Bittens nicht aufhoͤren wollte, im Ernſt
boͤſe, und unſer Umgang hatte auf lange Zeit ein
Ende, und damit auch mein Romanleſen.
Ich legte mich um dieſe Zeit auch ſtaͤrker, als
ſonſt, auf die italiaͤniſche Sprache. Es kam damals,
als ich ohngefaͤhr ein halbes Jahr beim Regiment war,
ein gewiſſer Italiaͤner hieher, Namens Barto-
lini, der ſich fuͤr adelich ausgab, und mit dem be-
ruͤhmten Pilati verwant ſeyn wollte. Der Menſch
hatte ſich im Reiche anwerben laſſen, und kam ſo
zum halliſchen Regiment. — Er iſt ſchon vor zwei
Jahren wieder weggelaufen. — Er hatte in ſeiner
Jugend bei den Jeſuiten ſtudirt, und aͤchte Jeſuiti-
ſche Grundſaͤtze eingeſogen, auch aͤchtes Jeſuitiſches
Latein Sonſt war er ein ganz guter Menſch, und
mir beſonders zugethan. Da er ſahe, daß ich ſeine
Mutterſprache liebte, ſo gab er ſich Muͤhe, mich in
derſelben weiter zu bringen, und ſprach, wenn wir
beiſammen waren, beſtaͤndig italiaͤniſch mit mir.
[291[301]] Seine Schickſale hat er mir oft erzaͤhlt, wie er den
Venedigern, Franzoſen und Spaniern gedient ha-
be, wie er als Schnurrant durch ganz Italien, die
Schweitz und Deutſchland gereiſet ſey, in Heidel-
berg, Gießen und Goͤttingen Kollegia gehoͤrt habe,
u. ſ. w. Er war ein wahrer Aventurier, deſſen Um-
gang allemal unterhaltend war, ob er gleich ſelbſt
jene Wiſſenſchaften bei weitem nicht beſaß, die er zu
beſitzen vorgab. Er war kein Badiggi, aber doch
zehnmal ehrlicher als Badiggi.
Bartolini gab hier in ſeiner Sprache Unter-
richt, und ernaͤhrte ſich ganz ordentlich. Unſer ge-
meinſchaftliche Brodt-Erwerb verband uns noch
genauer, beſonders da wir niemals in Kolliſion ka-
men, indem er ganz andre Lectionen gab, als ich.
Allein fuͤr mich hatte Bartolinis Umgang eben nicht
die beſten Folgen. Freund Bartolini war ſtark an
die geiſtigen Getraͤnke gewoͤhnt, und trank den Bran-
tewein wie Waſſer. Ich habe ihn mehrmals bei
Schaͤfern auf dem Schlamm drei bis vier Noͤſel oder
zwei Kannen binnen ſechs Stunden ſaufen geſehen,
ohne daß er ſtark waͤre beſoffen worden. Wollte ich
alſo ſeinen Umgang recht genieſſen, ſo mußte ich die
Schnappskneipen auch beſuchen, die er beſuchte,
muſte mich oft halbe Tage lang bei Schaͤfern oder
Tanneberg hinſetzen, und beim kleinen Glas philoſo-
phiren. — Ein gewiſſer Stantke, welcher eben-
[292[302]] falls poſt varios caſus, unter die Soldaten ge-
kommen war, und ſich von Gelegenheits-Dichterei
und Collegien-Repetiren mit Juriſten naͤhrte, ſchloß
ſich auch an uns an: weil er aber durch ſein uͤbertrie-
benes Saufen ſich ſogar zum Kinderſpott machte,
und den Philiſtern in den Kneipen jeden Tag reich-
lichen Stoff zum Raͤſonniren gab, ſo entfernten wir
ihn von unſern Gelagen. Er durfte ohnehin nicht
oft in eine Kneipe kommen, weil er immer ſchuldig
blieb, und keinen Credit mehr hatte.
Der Umgang mit Bartolini zog mir einmal einen
verdruͤßlichen Handel auf den Hals. Er hatte mit
einem Erzſaufer, Schulz, Bekanntſchaft gemacht,
und ſich in deſſen funfzehnjaͤhrige Tochter vergaffet.
Ich muſte ihn bei dieſem mehrmals aufſuchen, und
mein guter Kerl ſchrieb mein wiederholtes Dahinkom-
men meiner Neigung zu Lottchen zu — ſo hieß die
Schoͤne. Er ward alſo eiferſuͤchtig, und zeigte
mir ſeinen ganzen italiaͤniſchen Karakter. Ich merk-
te das bald, ſprach mit dem Verliebten deutſch, und
bewies ihm, daß mir Jungfer Lottchen — die ſich
auch gern Mamſell ſchelten ließ, weil Bartolini ihr
ein Biſſel franzoͤſiſch beigebracht hatte — ganz gleich-
guͤltig ſeyn muͤßte. Da beſaͤnftigte er ſich, und wir
machten nun gemeinſchaftliche Sache gegen einen
gewiſſen Feldſcheerer Dachmann, welcher ſich um
Lottchen gewaltige Muͤhe gab. Dieſer Firlefanz war
[293[303]] mir zuwider, weil er einen unausſtehlichen Hoch-
muth beſaß, wie mancher Buchdruckerherr, und dabei
doch ein elender Stuͤmper in ſeiner Kunſt war, wie
dieſer in der Orthographie und den erſten Elementen
der Litteratur. Er hatte einmal einem Soldaten ein
Brechpulver wider die Apoplexie gegeben g). Als
nun einſt Meiſter Dachmann bei Schulzen war, und
wir unſer Konvivium, wie man ſagt, auch daſelbſt
hatten, kam Lottchen, und brachte Birnen, davon
ſie mir und Bartolini mittheilte. Das verdroß den
guten Freund, und er ließ ſich ſogar in groben An-
merkungen daruͤber aus. Ich nahm mich hierauf der
Sache an, und ſprach da viel von dummen Ker-
len, die, weil ſie Feldſcheerer hießen, nun auch große
Helden ſeyn wollten. — Meiſter Dachmann nahm
[294[304]] meine Apoſtrophe ſehr uͤbel, und ſchimpfte: ich
ſchimpfte auch; endlich kam es zum Katzbalgen, wo
denn freilich Meiſter Dachmann verlohr, und tuͤch-
tig abgedroſchen wurde. Nun fanden wir fuͤr gut,
uns zu entfernen, damit der Laͤrmen nicht Andere
herbeizoͤge und die Wache uns nicht uͤberraſchen moͤch-
te. Wir ſetzten uns zu Schaͤfers, und blieben da
bis auf den Abend. Allein obgleich Meiſter Dach-
mann ſeiner eignen Beſchimpfung wegen ſtill ſchwieg,
ſo war die Sache doch durch die Weibsleute und den
alten Saufaus Schulz ruchtbar geworden und dem
Obriſten zu Ohren gekommen. Dieſer gab den an-
dern Tag unſern Hauptleuten davon Nachricht, und
wir ſpazierten alle drei, den Feldſcheerer nicht aus-
genommen, in — Arreſt. Von dieſer Zeit an wur-
de uns Schulzens Haus verboten, woruͤber ich aber
nicht boͤſe ward, weil ich einſah, daß dieſes Haus
denen, die es beſuchten, zum groͤßten Nachtheil ge-
reichte.
Im Sommer 1784 war auch ein großer Krieg
zwiſchen den Studenten und dem Prorektor (noch
immer wegen der Folgen des Komoͤdiebeſuchens) wo-
bei gar viele Fenſter, beſonders die des Antiquarius
Specht k) eingeſchmiſſen, und einige Haͤſcher derb
[295[305]] ausgepruͤgelt wurden. Der Ausgang war, daß man
einige verwies, viele um Geld beſtrafte, und an-
dere ins Carcer ſetzte. Dieſer Spektakel hatte eine
Unterſuchungs-Commiſſion von Berlin nach Halle
gezogen, die vorzuͤglich Semlern gar nicht genuͤgte.
Semler zeigte hier neuerdings ſein Vaterherz ge-
gen die Studenten. — —
Unter dem verſtorbenen Koͤnig muſte ſich die
Magdeburgiſche Brigade jaͤhrlich im Oktober in
Magdeburg verſammeln, und da manoͤvriren. Der
Koͤnig wohnte dieſem Manoͤver nicht bei, ſondern
der Guverneur zu Magdeburg, der General Sal-
dern mußte die Regimenter drei Tage nach einander
exerciren laſſen. Daß dergleichen Marſch im Herbſte
nicht allein ſehr beſchwerlich, ſondern auch fuͤr den
armen Soldaten, der dabei alle geſpahrte Habe zu-
ſetzte, ein rechter Ruin war, iſt gewiß. Ich habe
drei ſolche Manoͤver in Magdeburg mitgemacht, und
allemal iſt meine Kleidung von dem uͤblen Wetter
verdorben, und meine kleine Kaſſe rein ausgeleert
k)
Zweiter Theil. U
[296[306]] worden. Die Revuͤe im Fruͤhling iſt nicht ſo be-
ſchwerlich. Der jetzige Koͤnig hat aber unter andern
fuͤr uns Soldaten vortheilhaften Anordnungen auch
die getroffen, daß das Halliſche Regiment ſeine Herbſt-
uͤbungen jetzt bei Halle macht, und nicht mehr nach
Magdeburg zu marſchiren braucht. Man will auch
ſagen, daß in Zukunft die Revuͤe nur alle drei Jahre
gehalten werden ſolle. Das waͤre eine herrliche An-
ſtalt, und ein wahrer Vortheil fuͤr den armen Sol-
daten. Man koͤnnte zwar einwenden: eine beſtaͤn-
dige Uebung ſey eigentlich die Seele des Soldaten-
ſtandes. Allein wenn nur die Officiere, Unteroffi-
ciere und etwan die Haͤlfte der Soldaten den Dienſt
puͤnktlich verſtehen, ſo hat es fuͤr das Ganze keine
Noth. Doch hier iſt der Ort nicht, hieruͤber zu
raͤſonniren.
[297[307]]
Sechs und zwanzigſtes Kapitel.
Meines Vaters Bemuͤhungen, mich vom Soldatenſtande
zu befreien. Caution zu Urlaub. Folgen davon.
Heuraths-Project.
Mein Vater ſchrieb mir fleißig, wenigſtens hatte
ich alle zwei Monate einen recht langen Brief von
ihm, worin er ſogar uͤber Dinge ſchrieb, welche in
die Gelehrſamkeit einſchlugen: von meinem tuͤckiſchen
Bruder konnte ich aber keine Zeile herauszwingen,
ſo ſehr ich ihn auch darum bath. Ich hatte ihn ein-
mal ſeiner Meinung nach beleidigt, und das vergab
er mir auf ſich levitiſch nicht mehr. Mein guter
Vater bemuͤhte ſich auch recht ernſtlich, mich vom
Soldaten-Stande loszumachen: er ſchrieb an den
General Leipziger, ſogar an den Herzog von
Braunſchweig; aber alles war umſonſt: ich ſelbſt
wuͤnſchte es nicht einmal im Ernſt. Meines Vaters
wegen waͤre ich freilich gern los geweſen; aber wenn
ich nun uͤberlegte, was alsdann aus mir werden
wuͤrde, ſo fiel mir aller Muth, und ich dachte mir
weiter nichts, als Soldat zu bleiben. Ich war
nicht verliebt in mich ſelbſt: ich kannte meine Fehler,
fuͤhlte, daß ich zu ſchwach war, meine tief eingewur-
[298[308]] zelten Unarten abzulegen. Daher ſah ich auch recht
wohl ein, daß ich mich zu andern Geſchaͤften und
zu einer andern Lebensart nicht gut ſchicken wuͤrde.
Erinnerte ich mich ferner an meine Feinde, und an
die Ohnmacht und den Leichtſinn meiner Goͤnner, ſo
verlohr ich vollends alles Vertrauen, und das „du
mußt Soldat bleiben“ blieb mir allein zuruͤck. Weil
ich uͤberdies, ſeit dem ich dieſen Stand erwiſcht, —
ja, erwiſcht — hatte, mich niemals ganz ungluͤck-
lich fuͤhlte, vielmehr manchen frohen Augenblick ge-
noſſen hatte, ſo war mir die Vorſtellung einer ewi-
gen Soldatenſchaft gar nicht bitter, wielweniger
unertraͤglich. Du aber, junger Wuͤſtling, merke
dir das Spruͤchwort wohl: Wer nicht hoͤren will,
der muß fuͤhlen — oder wie man anderwaͤrts ſagt —
dem Kalbfell folgen, das iſt — der Trommel. —
Der redliche Hr. Baron von F***, welchen
ich ſchon als meinen beſten Freund beſchrieben habe,
ſchrieb mir auch, und hielt mir in ſehr derben Aus-
druͤcken meinen Schritt, und beſonders das vor,
daß ich ihn dabei vergeſſen haͤtte. Sein ganzer Brief
war in einem Ton geſchrieben, deſſen ſich ein aufrich-
tiger aber zum Zorn gereizter Freund bedienen muß.
Er warf mir vor, daß ich ſo ein Eſel geweſen waͤre,
und an meinem Gluͤck verzweifelt haͤtte, da doch er
mir noch uͤbrig geweſen waͤre! Wenn auch Alles zu
Grund ginge, ſo wollte er ſich meiner allein doch
[299[309]] noch annehmen, und dann muͤßte der Teufel ſelbſt
kommen, wenn mir Schaden geſchehen ſollte u. ſ. w.
Ich freute mich uͤber des Barons guten Willen, und
danke ihm noch heute dafuͤr, aber ich konnte und
mochte von ſeinen Anerbietungen keinen Gebrauch
machen. Ich habe ihm nicht einmal geantwortet,
welches freilich manchem Leſer undankbar ſcheinen
kann. Meine damalige Lage ließ es aber nicht an-
ders zu. Und bei ſo bewandten Sachen iſts am
beſten, man ſchweigt.
So ſchwieg ich auch auf einen Brief, den mir
meines Vaters Bruder aus Bauzen ſchrieb. Er war
auf einer Reiſe nach Halle gekommen, und wollte
mich beſuchen. Mein Wirth, Muͤller, lief aller Or-
ten herum, mich aufzufinden: er fand mich; als er
mir aber ſagte, mein Onkel waͤre da, mich zu ſpre-
chen, ſo ging ich nicht nach Hauſe, bis er fort war.
Das mußte ich ſchon thun: wie ſollte ich mich unter
den Augen eines ſo nahen Anverwandten haben ſtel-
len koͤnnen, welcher mich in meiner Kindheit gekannt
hatte, und um alle Hofnungen wuſte, welche mein
Vater auf mich geſetzt hatte? Er ſchrieb mir darauf
von Bauzen aus; allein dieſe Briefe — es kamen
deren mehrere — hab ich alle unbeantwortet gelaſſen.
Erſt noch im letzt vergangenen Winter hat er mir
aus Schleſien geſchrieben, wo er zu Michelwitz
bei Oels Verwalter fuͤr den Herzog von Wuͤrtemberg
[300[310]] iſt; allein das Geſetz, das ich mir gemacht habe,
keinem Anverwandten, ſelbſt meiner Mutter nicht zu
ſchreiben, ließ mich ſeinen Brief, der ſonſt nicht un-
intereſſante Nachrichten fuͤr mich enthielt, gleichguͤl-
tig hinlegen. Seit meines Vaters Tod hab ich alle
Liebe und alle Achtung fuͤr Verwandte und Bluts-
freunde verlohren: da mein Bruder ſelbſt ein Schuft
an mir geworden iſt, was kann ich mir von andern
noch verſprechen? Und was haͤlfe mein Schreiben
am Ende? Es wuͤrde uns alle durch Zuruͤckerinne-
rung kraͤnken; und – meine Lage bliebe dieſelbe. –
Da mein Vater ſahe, daß ich den Abſchied
nicht erhalten wuͤrde, ſo entſchloß er ſich, Kauzion
fuͤr mich zu ſtellen, damit ich ihn noch einmal beſu-
chen koͤnnte. Freilich war ſeine Abſicht dabei, mich
bei ſich zu behalten, den Preuſſen die 150 Rthlr. zu
Anwerbung eines Andern an meiner Stelle zu laſſen,
und ſo den Abſchied ſelbſt zu nehmen. Er eroͤffnete
mir ſein Vorhaben in einem Briefe, fuͤgte aber hin-
zu, daß ich es mir ja nicht ſollte in den Sinn kom-
men laſſen, ihn auf eine andere Art zu beſuchen: in
Deſertion koͤnne und wolle er aus gar vielen Gruͤn-
den nicht einwilligen, und er wuͤrde es mir ſehr uͤbel
nehmen, wenn ich ſo was auch gluͤcklich ausfuͤhrte.
Unſre Briefe waren in einer Sprache geſchrieben,
die nur mir, meinem Vater und Bruder bekannt
war: wir hatten ſie zuſammen erfunden, und oft
[301[311]] darin geſprochen und geſchrieben. Unten findet ſich
eine Probe fuͤr die Herren, die alle kryptiſche Schrif-
ten leſen und verſtehen koͤnnen i). Allein dieſe Vor-
ſicht war nicht noͤthig: Herr von Muͤffling for-
derte mir nie die Briefe ab, welche ich bekam, und
las auch die nicht, die ich fortſchickte. Ich muß
ihm nachruͤhmen, daß Mistrauen ſeine Sache nicht
war, ſo wie es uͤberhaupt den Karakter des redlichen
Mannes entehrt, und ſeiner Klugheit auch eben keine
Ehrenſaͤule ſetzt. Die ſchlechteſten Menſchen ſind
gewoͤhnlich die mistrauiſchten. Und da Herr von
Muͤffling das gegen mich nicht war, ſo waͤre es mir
unmoͤglich geweſen, ſein Zutrauen zu mir auf eine
ſchurkhafte Art zu misbrauchen.
Im Sommer 1786 trieb mein Vater das Ge-
ſchaͤfte mit dem Urlaub weit aͤmſiger, als die ganze
Zeit her. Er wollte mich durchaus noch einmal ſe-
hen, und ſo ließ ich mirs denn gefallen, ihn mit Ur-
laub zu beſuchen. Mein Vater hatte allemal mehr
Betriebſamkeit fuͤr dieſes Geſchaͤft, als ich ſelbſt, ſo
ſehr es mich auch zunaͤchſt anging. Der Kapitain
[302[312]] beſtimmte 150 Rthlr. zur Kaution, wofuͤr der hie-
ſige Herr Leveaux nur gut ſagen ſollte, wie
hernach auch geſchehen iſt. Mein Vater war das
zufrieden, und ſo wurde Anſtalt gemacht, daß ich
auf Jakobstag abreiſen ſollte; aber auf einmal mach-
ten mir die Herren Philiſter einen Queerſtrich.
Ich hatte, wie man ſchon weis, als ich Sol-
dat ward, noch eine artige Summe Schulden zu
bezahlen. Als Soldaten lieſſen mich die kluͤgern
meiner Glaͤubiger freilich gehen, und muſten mich
ſchon in Ruhe laſſen, weil ich von keinem Gericht
konnte zur Zahlung gezwungen werden, und – nichts
hatte. Der Schneider Thieme nur und der Buch-
binder Muͤnnich beliefen den Kapitain einigemal, und
forderten, daß er mich zum zahlen anhalten ſollte.
Dieſer endlich, des Lauffens uͤberdruͤſſig, ſchmiß ſie
zur Treppe hinunter: und ihr Rennen hatte ein Ende.
Freilich attakirten mich die Kerls oft auf der Straße:
allein da ich anfing, ihnen grob zu begegnen — es
war ja doch ein toller Gedanke, bei einem Menſchen
Zahlung zu fodern, der gar nichts hat! — ſo lieſſen
ſie mich alle in Ruhe. Der einzige Schuſter Sauer
ließ ſich durch die alleraͤrgſten Grobheiten und ange-
botenen Naſenſtuͤber nicht abhalten, mich beinahe
taͤglich anzuzapfen und nach Noten zu Manichaͤern.
Aber ich habe mich fuͤr ſeine Impertinenz auch an
ihm geraͤcht: denn als alle meine Glaͤubiger bezahlt
[303[313]] wurden, bekam meiſter Sauer nichts, blos deswe-
gen, weil er zu unbeſcheiden und zu grob geweſen
war. Als er hernach ſeine Flegeleien fortſetzte, ja
gar einige derbe Redensarten einflieſſen ließ, machte
ich meine Drohungen einmal reel, und da hoͤrte er
denn ganz und gar auf, mich zu quaͤlen. Wird er
ſo fortfahren, ſo ſoll ihm ſein Thaler 16 gr. binnen
hier und Weinachten richtig bezahlt werden, wenn
ich naͤmlich bis dahin wieder aus dem Felde zuruͤck
bin.
Meine Herren Manichaͤer alſo, da ſie vernah-
men, daß ich abreiſen wuͤrde, begaben ſich in cor-
pore zu einem gewiſſen Herrn, der in der Groſ-
ſingiſchen Geſchichte eben in keinem vortheilhaften
Lichte erſchienen iſt, und baten ihn um Rath, wie
ſie es machen muͤſten, daß ich ihnen nicht entſchluͤpfte.
Dieſer Herr rieth ihnen, eine Schrift – die Sache
konnte ja muͤndlich abgethan werden, da bei dem
Militaͤr die ſchriftlichen Verhandlungen nicht Mode
ſind; allein, ſo wuͤrde der gute Herr ſeinen Dukaten
nicht verdient haben; und um dergleichen ſoll es ihm,
wie ich hoͤre, eben ſo ſehr, und wohl noch mehr
zu thun ſeyn, als um die liebe Gerechtigkeit: vi-
deatur der Groſſingiſche Proceß! – alſo rieth ih-
nen dieſer Herr, eine Schrift durch ihn an den Ge-
neral Leipziger ergehen zu laſſen; und das ge-
ſchah. In dieſer Schrift war aber nicht wenig ge-
[304[314]] logen k): er hatte darin geſagt, ich beſaͤße zu Hauſe
uͤber 6000 Thaler Vermoͤgen, wuͤrde auch nie zu-
ruͤck kommen, indem man von ſicherer Hand wuͤßte,
daß ich eine Stelle bekommen ſollte, und was der
Poſſen mehr waren. Endlich wurde der General
erſucht, mich nicht eher zu beurlauben, bis ich mei-
ne Schulden bezahlt haͤtte.
Der General war ein guter Mann, der viel
Gefuͤhl fuͤr Recht und Billigkeit hatte l). Er ließ
[305[315]] alſo den Hauptmann Muͤffling wiſſen, daß ich erſt
zahlen muͤſte, ehe ich zu Hauſe reiſen koͤnnte. Dieſer
war ſehr daruͤber aufgebracht, und das mit Recht:
denn nach den Kriegsgeſetzen ging meine Schuld den
General gar nichts an: doch ließ er mich kommen,
und ſagte mir, daß ich mich ſelbſt beim General ſtel-
len und meine Sache ausfechten muͤßte: er hoffe, die
Philiſter wuͤrden abgewieſen werden. Allein als ich
einwendete, daß es doch Recht waͤre, daß ich meine
Schulden bezahlte, und ihn um die Guͤte erſuchte,
meinem Vater vorzuſtellen, daß ohne Zahlung mei-
ner Schulden, von 130 Thaler, kein Urlaub zu
haben ſey, ſo lobte er dies, ſchrieb gleich hin, und
in Zeit von drei Wochen antwortete mein Vater:
daß er ſeine Pflicht kenne, und jemanden ſchicken
wuͤrde, der in allen Stuͤcken thun ſollte, was man
von einem ehrlichen Manne fodern koͤnnte. An die-
ſen Aeuſſerungen erkannte ich meinen Vater.
Ehe ich weiter gehe, muß ich einiges nachho-
len — eine Heurathsgeſchichte. Ich war des Quar-
tierliegens bei Andern im Fruͤhling 1786 uͤberdruͤßig
geworden, und entſchloß kurz und gut, wie viele
meiner Mitbruͤder, zu heurathen, und fuͤr mich zu
leben. Ich entdeckte mein Vorhaben einem Officier,
auf den ich viel Vertrauen ſetzte, und dieſer billigte
es, nur meynte er, ich muͤſte mich in Acht nehmen,
daß ich kein Beeſt mir anſchafte, und ein geſchlagener
[306[316]] Menſch wuͤrde mein Lebelang. Ich dachte alſo mit
Ernſt, mir ſo was anzuſchnallen, und ſiehe da, ich
traf dergleichen auf dem kuͤhlen Brunnen. Hier
wohnte zu der Zeit eine gewiſſe Frau Pabſtin, die
Bier ſchenkte, und bei der ich eben darum zuweilen
einſprach. Sie hatte einige Toͤchter, welche nicht
ſchlimm ausſahen, und deren eine mir in die Au-
gen ſtach. Ich ſprach mit dem Maͤdchen: das Maͤd-
chen war mir nicht abgeneigt; ich ſprach mit der
Alten, und unſer Handel ward richtig. Man hieß
mich da ſchon ganz gewoͤhnlich — Herr Tochter-
mann: und das gefiel mir. Nun fehlte noch der
Trauſchein, auf den ich aber ohne alle Beſorgniß rech-
nete. Ich ging zum Herrn von Muͤffling, und
trug meine Angelegenheit vor. Er erſchrack, und
ſah mich haͤßlich an: „Iſt er ein Narre, Laukhard!
ſprach er, oder iſt er geſcheid? — Wie kanns Ihm
einfallen, ſo ein Nickel zu heurathen? Ich wußte
wohl, daß er da Umgang hatte; dacht' aber, das
waͤre ſo fuͤr Juxerey, und ſchwieg. Aber heurathen,
das iſt zu arg!
Ich: Herr Hauptmann, es iſt aber ein huͤb-
ſches Maͤdel!
Er: Ja, eine huͤbſche Hure. Pfuy, die ganze
Freundſchaft taugt nichts! Mutter, Toͤchter ſind kei-
nen Heller werth.
Ich: Aber ich kenne die Leute beſſer —
[307[317]]
Er (geſetzt): Weis er was, lieber Lauk-
hard, geh er hin, und wenn er in ſechs Wochen
das Menſch noch will, ſo ſoll er ſie auf mein
Wort haben; aber eher nicht: das iſt mein Be-
ſcheid. —
Die Worte meines Hauptmanns, der ſonſt nicht
gewohnt war, uͤbles von Andern zu reden, machten
mich aufmerkſam, und ich beſchloß, Unterſuchungen
anzuſtellen, welches ich bisher aus leichtſinniger Ver-
blendung unterlaſſen hatte, Ich nahm daher dann
und wann meinen Bartolini mit, und ging her-
nach fort, unter dem Vorgeben, daß ich Geſchaͤfte
haͤtte. Bartolini machte ſich alsdann an meine ſoge-
nannte Braut; aber die war klug genug, ſich mit ihm
nicht abzugeben: ſie kannte unſre genaue Bekannt-
ſchaft, und fuͤrchtete Verrath. Endlich kam das
Manoͤver herbei, und ich mußte als Freiwaͤchter die
letzte Wache vor dem Ausmarſch thun, welche da-
mals nur von Freiwaͤchtern oder Stadtbeurlaubten
gethan wurde. Ich kam auf die Hauptwache, und
zwar ins Stockhaus, wo ich, weil keine Arreſtanten
da waren, gar nichts zu thun hatte. Abends nach
neun Uhr fiel es unſerm Junker ein, noch auszuflie-
gen, und er bat mich, mitzugehen. Ich ließ mir
das gefallen, und wir liefen da und dort hin, und
endlich auch in den beruͤchtigten Puffkeller unterm
Rathhaus, wo damals Madam Plank ihre ſaubere
[308[318]] Wirthſchaft trieb. — Aber wie erſchrack ich, als
ich meine Schoͤne, meine unvergleichliche Jungfer
Braut hier auf dem Schooß eines Gnoten ſah!
Sie lief zwar ſogleich vom Gnoten weg, und ver-
barg ſich hinterm Ofen: mir aber verging die Luſt,
ſie dort hervor zu ſuchen, oder ihr gar Vorwuͤrfe zu
machen. Ich begab mich vielmehr auf meine Wache,
legte mich auf die Pritſche und ſchlief bis an den
Tag. Seit dieſem Abend war ich von meiner Liebe,
oder vielmehr von meiner Luſt, die Jungfer Pabſtin
zu heurathen, geheilt, und das kaum vier Wochen
nach obigem Geſpraͤch mit meinem Hauptmann. Da
war ich denn wieder haͤßlich geprellt!
Den beruͤchtigten Baron Groſſing lernte
ich 1785 kennen, nachdem er ſeine Spitzbubereien
in Leipzig nicht mehr fortſetzen konnte, und nach
Halle gekommen war. Ich habe auch einigemal mit
ihm geſprochen, und viele von ſeinen Großſpreche-
reien angehoͤrt. Seine betruͤgeriſchen Unternehmnn-
gen will ich vorbeigehen, da ſie ſchon in oͤffentlichen
Schriften, beſonders in der A. L. Z. in dem Leben
dieſes Schwindelkopfs von meinem Freunde, dem
Herrn Profeſſor Wadzeck zu Berlin, im deutſchen
Zuſchauer, und in der Beleuchtung der Trenkiſchen
Lebensgeſchichte hinlaͤnglich geruͤgt ſind. Ich fuͤhre
daher nur noch einen Handel an, den ich mit dieſem
Erzſchuft gehabt habe.
[309[319]]
Ich ging einmal mit einem Schleſier, Herrn
Martin, durch die Maͤrkerſtraße: Groſſing be-
gegnete uns, ſteif und gravitaͤtiſch auf dem breiten
Stein einherſchreitend. Herr Martin wich ihm
aus, ich aber ſagte aus Aerger auf franzoͤſiſch zu ihm:
warum weichen ſie denn einem Schuft aus? der Kerl
iſt ja ein Schurke! Groſſing ſchritt fort, mir nichts,
dir nichts. Am folgenden Tag ging ich uͤber den
großen Berlin, wo der Aventurier damals wohnte:
er erblickte mich aus ſeinem Fenſter, und ſchickte ſei-
nen Bedienten Zeiſing, der noch jetzt in Halle
iſt, hinter mir drein, daß ich zu ihm kommen ſollte.
Ich beſann mich einen Augenblick, und ging zu dem
ſogenannten Baron. Er redete mich dreiſte an, ob
ich franzoͤſiſch ſpraͤche, und ob ich geſtern ſo und ſo
geſprochen haͤtte? und ohne meine Antwort abzuwar-
ten, drohte er mir, mich beim Obriſten, unſerm
jetzigen General von Thadden, anzugeben. Da
wuͤrde ich denn auf ſein Wort in Arreſt geworfen
werden, und da ſollte mirs gehen, wie dem Gug-
genthalm). Die Großſprecherei und Imperti-
[310[320]] nenz des Betruͤgers aͤrgerte mich ſo ſehr, daß ich ihm
ſagte, er moͤchte ins Teufels Namen thun, was er
wollte — und ging. Noch an ſelbigem Tage des
Abends begegnete mir Zeiſing, welchen ich frag-
te, ob ſein Herr mich verklagt haͤtte? Zeiſing ver-
neinte es, und ſagte, Groſſing wuͤrde mich wohl
ſchwerlich verklagen, da er ſich vor Entdeckungen
fuͤrchtete. Es ſchien, als wenn er vermuthete, daß
ich um ſeine Geſchichten wuͤßte, und daher wuͤrde er
froh ſeyn, wenn die Sache liegen bliebe. — Nicht
lange hernach rief er mich von neuem aus ſeinem
Fenſter, und redete ſehr freundlich mit mir, ohne
der Geſchichte mit einem Worte zu gedenken. Er
ging bald hernach nach Berlin, wo er ſeine Rolle
weiter ſpielte. Mehr gehoͤrt von dieſem Charletan
hieher nicht. Wie er einige der hieſigen Gelehrten
in ſchriftſtelleriſche Thaͤtigkeit fuͤr ſeine Broſchuͤren
geſetzt und ſie hinten drein ſchelmiſch geprellt habe,
moͤgen dieſe Herren ſelbſt ruͤgen, oder es verſchmer-
zen, wenn ſie dem Schimpf entgehen wollen, in das
Netz eines Betruͤgers gefallen zu ſeyn.
[311[321]]
Sieben und zwanzigſtes Kapitel.
Urlaub. Kirchlicher Zuſtand im Weimariſchen. Abentheuer
des Hofrath Schnauberts in Jena.
Es war mitten im Winter 1786, als mich mein
Vetter, Herr Dietſch, der Weinhaͤndler, zu ſich
auf den Kronprinzen kommen ließ und mir ſagte:
er habe Vollmacht von meinem Vater, Kaution fuͤr
mich zu ſtellen und mir Urlaub auszuwirken. Ich
kann nicht ſagen, daß mich dieſe Nachricht ſehr er-
freut haͤtte. Ich hatte damals viele Herren, welche
mich alle ſehr ordentlich honorirten. Beſonders muß
ich die Herren Ideler, Schwerin, Buͤlow,
Kloſe, Gaͤrtner, Brau, von Faͤhrentheil
und andere meiner damaligen Scholaren in dieſem
Stuͤck ruͤhmen. Fuͤrs andre war es Winter, und das
Reiſen um dieſe Zeit ſehr beſchwerlich. Dann hatte ich
auch gar wenig Luſt, die Pfaͤlzer Mosjehs je wieder
zu ſehn und mich von den ſchwarzen Hans-Narren
in meinem Vaterlande bekritteln zu laſſen. Aber dieſe
und mehr andre Gruͤnde wichen dem Willen meines
ehrlichen Vaters, den ich zwar immer, leider nur nicht
auf die rechte Art, geehrt, und geliebt habe.
Zweiter Theil. X
[312[322]]
Herr Dietſch mahlte mir meinen Herrn
Bruder eben nicht vortheilhaft: er habe ſich, ſagte
er, ſehr gefreut, als er gehoͤrt haͤtte, daß ich Sol-
dat geworden waͤre: er habe naͤmlich geglaubt, daß
mein Vater ſich jetzt nicht ferner um mich bekuͤm-
mern, und blos ihn fuͤr ſeinen lieben Sohn halten
wuͤrde u. ſ. w.
Nun fragte ſichs, wie wirs mit meinen Schul-
den machen ſollten? Herr Pauli, der Traͤteur, er-
ließ mir gleich zehn Thaler, ſo auch der Buchbinder
Muͤnnich, aber der Schneider Thieme erſt nach
langem Akkordiren. Von kleinern Schulden wurde
nichts abgezogen. Nachdem die Schuldenſache in
Ordnung war, erlaubte der General, daß ich abrei-
ſen konnte.
Ich hatte noch einiges Geld von Studenten zu
fodern: an dieſe wies ich meinen Wirth Muͤller, der
es auch richtig bekommen hat. Eben dem Muͤller
ſchenkte ich meine ſonſtigen Effecten, die ich nicht
mitnehmen konnte. Auch loͤßte ich meine Uhr ein,
welche viele Jahre verſetzt geweſen war, kaufte mir
ein paar Stiefeln, und einen blauen Oberrock zur
Reiſe, erhielt meinen Paß, und ſchob ab. Herr
Leveaux hatte nach meines Vetters Einrichtung
die Kaution beim Regimente ausgeſtellt.
Man kann leicht denken, daß die Empfindung
der Freiheit, welche ich jetzt wieder genoß, eine ſehr
[313[323]] angenehme Empfindung geweſen ſey. In Paſſendorf
ſchon kehrte ich ein, ſo auch in Schlettau und Lauch-
ſtaͤdt. In Neumark traf ich beim Wirth Thomas,
von dem ich ſchon oben geſprochen habe, die Neu-
jahrsſaͤnger an: es war gerade der Tag nach Neu-
jahr. Es iſt naͤmlich in Sachſen Mode, daß die
jungen Burſche auf den Doͤrfern zur Neujahrszeit
in die Haͤuſer der beguͤterten Bauern einkehren,
und da Neujahrslieder, z. B. „Das alte Jahr ver-
gangen iſt“ — „Das neugeborne Kindelein“ —
„Hilf Herr Jeſu, laß gelingen“ u. a. herkraͤchzen,
und dafuͤr nach der Obſervanz belohnt werden. Das
Geld wird hernach gemeinſchaftlich verſoffen. In
der Pfalz ſingt blos der Nachtwaͤchter in der Neu-
jahrsnacht dergleichen Lieder, und die jungen Burſche
ſchießen das neue Jahr an, indeß die aͤltern Bauern
es anlaͤuten. Alle ſind zu der Zeit en canaille be-
ſoffen. Das iſt ſo der Anfang der neuen Zeit.
In Naumburg blieb ich uͤber Nacht, bekam
ſehr ſchlechtes Eſſen und noch ſchlechteres Quartier,
muſte aber doch den andern Tag fruͤh derb bezahlen.
Es waren noch andere Fremde da, welche auch ſehr
uͤber des Wirths Prellerei klagten. Das Wirths-
haus iſt vor dem Thore, wo man nach Erfurt zu
geht: den Namen hab ich vergeſſen; ſonſt ſetzte ich
ihn zur Warnung her. Auf dem Wege nach Erfurt
mußte ich liegen bleiben. Meine engen Stiefeln
[314[324]] hatten mir die Fuͤße n) aufgerieben. Schon in
Naumburg merkte ich das, und wuſch mir das Ge-
ſchundene mit Spiritus: aber es ward auf dem hol-
pricht-gefrornen Wege nur noch ſchlimmer, und
noͤthigte mich, in einem weimariſchen Doͤrfchen liegen
zu bleiben. Das Doͤrfchen hieß Neuſtaͤdt, gemein-
hin Neiſcht, und der Wirth Krippenſtapel. Dieſer
war Bierbrauer, Branteweinbrenner und maͤſtete
beiher auch Schweine. Es war ein luſtiger, mun-
trer Mann, der gern von politiſchen Neuigkeiten
ſchwadronirte: ſeine Frau und Toͤchter waren auch
recht gute Dinger. Der Mann ſchien Vermoͤgen zu
haben. Ich muſte vier ganze Tage da bleiben, bis
mein Fuß wieder fort konnte. Um mir die Zeit zu
vertreiben, las ich in einem lateiniſchen alten theo-
logiſchen Schmoͤcher, den mir der Hr. Kantor borg-
te — es war Waltheri Harmonia Biblica — und
unterhielt mich des Abends mit dem Herrn Kantor.
Dieſer Mann, ſonſt ein großer Liebhaber vom
Schnapps, liebte das Sprechen uͤber theologiſche
Sachen, und haßte alle Freigeiſterei. Doch war
er, wie er ſagte, dem Aberglauben gram, und ſprach
von Geſpenſtern, Hexen und Kobolten mit Verach-
[315[325]] tung. Er erzaͤhlte mir eine Anekdote von ſeiner gnaͤ-
digen Herrſchaft, welche mir damals unwahrſchein-
lich vorkam, die ich aber hernach in einem Buche o)
beſtaͤtigt gefunden habe. Des jetzigen Herzogs von
Weimar Großvater ſollte naͤmlich vor ohngefaͤhr 40
Jahren befohlen haben, daß man in jedem Dorfe
an einem gewiſſen Tag einige hoͤlzerne Teller auf
eine gewiſſe Weiſe konſekriren ſollte. Dieſe konſekrir-
ten Teller ſollte man unter gewiſſen magiſchen Zeichen
und Worten, wenn eine Feuersbrunſt entſtuͤnde,
einen nach dem andern hinein werfen: es wuͤrde als-
dann beim Wurf des dritten Tellers das Feuer ge-
wiß erloͤſchen. — Wenn aber noch vor vierzig Jah-
ren der Weimariſche Landesherr und ſeine Raͤthe
ſo finſter waren: wen koͤnnte es wundern, daß noch
1787 die dickſte Finſterniß auf den Weimariſchen Doͤr-
fern herrſchte! Man ſollte gar nicht glauben, daß
dieſe einem Landesherrn angehoͤrten, deſſen Reſidenz-
ſtadt mit den hellſten Koͤpfen Deutſchlands geſchmuͤckt
iſt. Hier ſieht man recht augenſcheinlich, daß auch
die beſten Schriftſteller nicht einmal in ihrem naͤchſten
Umkreiſe auf die Volksklaſſe wirken, wenn Kirchen-
und Schullehrer nicht die verdollmetſchenden Vehikel
[316[326]] ihrer Belehrung werden. Selbſt leſen thut der ge-
meine Mann in Staͤdten und Doͤrfern ſelten: und
ließt er auch, ſo iſt das Meiſte fuͤr ihn zu ho [...]: wo
ſoll er alſo Licht hernehmen, wenn man es ihm in
der Schule und Kirche unter Scheffeln verſteckt, oder
was noch aͤrger iſt, wenn ſelbſt Schul- und Kirchen-
lehrer ſo duͤſter leuchten, daß ſie des Putzens von
allen Seiten ſelbſt beduͤrfen! Und daß dies der Fall
auf den meiſten Weimariſchen Doͤrfern ſei, wird uns
nicht befremden, wenn wir wiſſen, daß ſelbſt Wei-
mar hiervon nicht ausgenommen iſt. Gar Weime-
ranerinnen bekennen, daß es keinen elendern Maͤd-
chen-Schulmeiſter geben koͤnne, als ihr Hr. Knob-
lauch geweſen ſey: und dieſer Stuͤmper vor dem
Herrn iſt jetzt Paſtor auf einem Dorfe! Stecken
nicht auch die Predigten des jetzigen Vicepraͤſidenten
Herders gegen die Predigten ſeiner orthodoxen
Herren Amtsbruͤder in und um Weimar gegen ein-
ander ab, wie Tag gegen Nacht und Licht gegen
Finſterniß? Und doch haben die letztern mehr Zuhoͤ-
rer, als der erſtere — allerdings aus der Claſſe der
chriſtlichen Kretis und Pletis, die auch im Weima-
riſchen noch uͤber alle Erwartung hinaus iſt. Hierzu
nehme man den Weimariſchen Katechismus, nebſt
Geſangbuch und Kirchen-Agende: welch ein alter
Sauerteig riecht nicht in allen dreien! Herder,
der goͤttliche Herder, hat gewiß Verbeſſerungen
[317[327]] vorgeſchlagen; aber die uͤbrige liebe Geiſtlichkeit hat
vielleicht die Delikateſſe ihrer orthodoxen Denkungs-
art ſo weit getrieben, daß ſie lieber alles aufopfern,
als Herdern folgen wollte — ſo folgſam als naͤm-
lich die Buchſtaben-Theologen gegen Chriſti Geiſt
— den geſunden Menſchenverſtand — ſind, und ſo
zaͤrtlich leiſe ſie auf den Wunſch eines vaͤterlichen Lan-
desherrn horchen, um durch die Verbreitung beſſerer
Einſichten gluͤcklichere Menſchen machen zu helfen. —
Und ſo haͤtte auch Weimar ſeine Gelehte mehr fuͤrs
Ausland, als fuͤr ſich. —
Ich nahm mir, als ich wieder gehen konnte,
vor, nach Jena und von da aus weiter zu reiſen.
Ich hatte in Jena Freunde aus dem Vaterland und
ſogar einen Vetter Vitriarius. Alſo ging ich
von Neuſtaͤdt uͤber Apolda dahin. Ich kehrte ſogleich,
nachdem ich mich bei dem Invaliden-Major gemel-
det, und als beurlaubten Preuſſiſchen Soldaten le-
gitimirt hatte, im halben Mond ein, meinen hung-
grigen Magen auszufuͤllen. Nach dem Eſſen ging ich
auf den Fuͤrſtenkeller, wo ich Studenten anzutreffen
dachte. Ich betrog mich auch nicht: denn der Tiſch
war mit fidelen Moſellanern beſetzt. Ich forderte
ein Maaß Koͤſtritzer Bier, und ſetzte mich auf die
Seite. Da kam der Peruͤkenmacher Stahlmann
und klotzte mich an; hernach der dicke Fleiſcher
Schmidt, der es eben ſo machte. Sie wiederhol-
[318[328]] ten ihre Beſichtigung mehrmals, „Er iſts, hohl
mich der Teufel,“ fing endlich Schmidt an. „Frei-
lich iſt ers, oder ich will ein Hunzfott ſeyn,“ erwie-
derte Stahlmann. Ich hatte Muͤhe, mich des
Lachens zu enthalten. Nachdem ſie lange ſo raͤſon-
nirt hatten, trat Schmidt zu mir, und ſagte: Gelt
du biſts?
Ich: Herr, ſeit wann ſind wir denn Dutzbruͤ-
der? Weis der Herr nicht beſſer zu leben?
Schmidt: Sag du, was du willſt, du alter
lieber Burſche: mich ſoll gleich der Teufel holen, und
in Luͤften zerreiſſen, wenn ich dir nicht gut bin!
Ich: Herr, ich kenne Sie ja nicht!
Schmidt: Nicht! Alter Laukhard ſey kein
Narr! durch hundert Thuͤren kenn' ich dich durch!
Komm, trink! — Schmollis!
Indeſſen waren die Herren Burſche am langen
Tiſch auf uns aufmerkſam geworden, und hatten
von Stahlmann vernommen, wer ich waͤre. Sie
kamen alſo alle um mich herum, freuten ſich meiner,
und noͤthigten mich, mich mit an ihren Tiſch zu ſetzen,
und mit ihnen zu trinken — alles ſo recht nach dem
aͤchten jenaiſchen Moſellaner Kommang. Ich wollte
meinen Krug mitnehmen, aber Heinold, der da-
malige Senior der Moſellaner, nahm ihn, goß ihn
aus, und ließ mir gleich ein halb Stuͤbchen Koͤſtritzer
geben. Innerhalb einer halben Stunde hatte ich
[319[329]] ſchon alle die Herren, an der Zahl uͤber dreißig, zu
Dutzbruͤdern. Ich wollte wieder nach dem halben
Mond zuruͤckkehren; aber das hieße die jenaiſche Gaſt-
freiheit beleidigen, und daher muſte ich bei einem
Burſchen, eben bei dem obengenannten Herr Hei-
nold einkehren, und bei ihm uͤbernachten. Ich hab
drei Nachte bei ihm zugebracht, habe taͤglich den
Fuͤrſtenkeller beſucht, und bin einmal zu Dorfe ge-
weſen. Die beiden Nebel von Worms, Heinold,
Kaufmann, Vitriarius, Martin und an-
dre haben mir waͤhrend meines damaligen Auffent-
halts in Jena viel Vergnuͤgen gemacht. Noch ein-
mal Dank dafuͤr!
Ich kannte zwei Profeſſoren in Jena, die erſt
dahin gekommen waren, — die Herren Fabri und
Schnaubert. Letzteren wollte ich beſuchen, und
verſprach mir gute Aufnahme; allein ich irrte mich.
Schnaubert war ehemals, als katholiſcher Kapel-
lan ohnweit Bingen am Rhein, in einen zu genauen
Umgang mit ſeiner Koͤchin gerathen, und da die Fol-
gen dieſes Umgangs ſichtbar wurden, fuͤrchtete ſich
Meiſter Schnaubert vor Marienbornp), ward
[320[330]] mit ſeiner Dulcinea fluͤchtig, und kam nach Gieſſen,
einem Orte, wo man von jeher die Proſelyten will-
kommen hieß. Hier meldete er ſich bei der Geiſtlich-
keit, insbeſondere bei Bennern, der ihm aber ein
ſauer Geſicht machte: Benner naͤmlich, ſo or-
thodox er ſonſt war, hielt nichts auf Proſelyten, wel-
che mit dickbaͤuchigen Mamſellen ankamen. Bech-
told, Ouvrier und Diez nahmen ihn beſſer
auf. Ob man gleich keine Konvertitenkaſſe in Gieſ-
ſen hat, ſo erhielt doch Freund Schnaubert funfzig
Gulden, und dieſer heilige Geiſt machte, daß er das
lutheriſche Glaubensbekaͤnntniß in die Haͤnde des
Herrn Diez ablegte. Eben das that auch ſeine
Madonna. Nun adreſſirte ſich Schnaubert, der
von der Welt nichts mitgebracht hatte, als einen al-
ten verſchabten grauen Flauſch, ſchwarze Weſte, Ho-
ſen und dergleichen Struͤmpfe; einen Hut mit Ma-
rasmus Senilis, wie Herr Bahrdt ſpricht, und
deſſen Mamſell auch nichts hatte, als wie ſie ging
und ſtand — an die Studenten, und dieſe gutmuͤ-
thigen Juͤnglinge gaben her, ſo viel gerade in ihrem
Vermoͤgen war. Ich habe, ohne Ruhm zu melden,
auch zu denen gehoͤrt, welche Herrn Schnaubert
p)
[321[331]] unterſtuͤtzt haben; ja, ich habe in meinem Kraͤnz-
chen, deſſen Senior ich damals war, eine Kollekte
fuͤr ihn angeſtellt.
So verſorgt, ſtudierte Herr Schnaubert Jura,
und ward mit den Studenten ſo fideel, daß er fuͤr
einen ordentlichen Kerl und guten Zotologen gehalten
wurde. Durch Fleiß und Buͤcherleſen erlangte er
in kurzer Zeit eine artige Kenntniß der Rechte, und
ſein kriechendes jeſuitiſch-pfaffiſches Weſen erwarb
ihm die Gunſt des Kanzlers Koch in hohem Grade,
und er wußte ſich derſelben durch Anbringung neuer
Maͤhren von allerlei Art, beſonders von Studen-
tenhiſtoͤrchen immer mehr zu verſichern. Alles, was
in der Stadt bei den Burſchen-Parlamentern im
Rappen und Stern, bei den Expeditionen aufm
Schießhauſe u. ſ. w. vorging, wußte Herr Koch,
und warf es bei Gelegenheit den Studenten vor.
Man unterſuchte, woher wo [...] Koch das alles wiſſen
moͤchte: und ſiehe da, Meiſter Schnaubert ward
als Maͤhrentraͤger entdeckt. Als er hierauf einmal
zu Wieſek beim Schwarzen — wie wir den einen
der dortigen Wirthe nannten — in eine Studenten-
geſellſchaft eintrat; ſo wurde er nicht nur erbaͤrmlich
ausgehunzt, ſondern obendrein noch mit hundert
Rippenſtoͤßen aus der Stube herausgeſchmiſſen. Von
der Zeit an hatte Schnauberts Umgang mit den
Studenten ein Ende.
[322[332]]
Indeſſen ward Herr Schnaubert Doctor und
Schriftſteller: er ließ etwas uͤber Boͤhmers Lehrbuch
des Lehnrechts drucken, unter dem Titel — Kom-
mentar q) — verſprach auch einen aͤhnlichen uͤber
deſſelben Autors Kompendium des geiſtlichen Rechts.
Das verſchaffte ihm einigen Ruf — und er kam als
Profeſſor nach Helmſtaͤdt, und von da nach Jena,
wo er nach Art der Jenaiſchen Herren Profeſſoren,
die mit dem ſimpeln Profeſſor-Titel r) mein Tage
nicht zufrieden ſind, ſich mit dem Hofrathstitel
ſchmuͤcken ließ.
Schnaubert war noch nicht lange in Jena, als
ich jetzt dahin kam. Ich dachte gewiß von einem
Manne gut aufgenommen zu werden, um den ich
[323[333]] mich mehr als einmal verdient gemacht hatte. Ich
trat alſo an ſeine Thuͤr und klopfte; Herr Schnau-
bert kam heraus: „Was will Er?“ — Ei, ei,
Herr Profeſſor, Sie kennen mich wohl nicht mehr?
Hier hatte ich vergeſſen, den Hofraths-Titel herzu-
beten, und auf dieſe Art hatte ich den Meiſter vol-
lends außer Faſſung gebracht. „Ja, ja, ſagte er,
Sie ſind Laukhard: „iſt mir Lieb, Sie zu ſehen: aber
pardonniren Sie, ich hab' Geſchaͤfte!“ — Sapper-
ment, wie mich das Ding aͤrgerte! in die Augen
haͤtt' ich ihm ſpucken moͤgen. — „Ich habe, fuhr er
fort, von ihren Switen gehoͤrt: der Kanzler Koch
hat mirs nach Helmſtaͤdt geſchrieben.“ So! erwie-
derte ich: wahrſcheinlich wollte er Ihnen die Maͤhr-
chen wieder vergelten, die Sie ihm in Gießen ſo
reichlich zutrugen. Hat er Ihnen vielleicht auch ſein
Heft uͤbers Kanonikum von Boͤhmer geſchickt, daß
Sie es damit machen koͤnnen, wie Sie es mit dem
Gatzertiſchen s) gemacht haben?“ Mein Mann er-
boßte, und lief in ſeine Stube, und ich — ſchob ab.
Auf dem Keller erzaͤhlte ich, wie billig, die ganze
Hiſtorie mit allem Kolorit, den Studenten: dieſe
murrten gewaltig. „Es iſt 'n Schl**, ſagte der
[324[334]] eine: Es iſt 'n B**, ſagte der andere.“ Nein,
er iſt ein Jeſuit, ſagte ich: ein Menſch, der Pfaf-
fismus und Juriſtismus verbindet, und ſo allemal
ein — etc. iſt t)
[325[335]]
Wird Herr Schnaubert fuͤr gut finden, ſich
auch durch irgend einen getreuen Cumpan vertheidi-
gen zu laſſen, wie Kanzler Koch in Gießen durch
Herrn Schmidt gethan hat, ſo hat er die Litteratur-
Zeitung ja recht in der Naͤhe. Aber er mag ſich
vertheidigen laſſen, oder nicht, — ich werde noch
mehr Gelegenheit haben, mit ihm deutſch weiter zu
ſprechen: ſeine ſkandaloͤſe Geſchichte iſt mir zu gut
bekant. Du aber, lieber Leſer, lerne hieraus, Nie-
manden geringſchaͤtzig zu behandeln: denn Berg und
Thal begegnen ſich nicht; wohl aber der eine Menſch
dem andern: und wie dieſe in den Wald hineinru-
fen, ſo ſchallt es zuruͤck! —
Ich ſchied an einem Sonnabend von Jena in
Geſellſchaft mehrerer Studenten, welche mich bis
Weimar begleiteten, wo ſie die Komoͤdie ſehen woll-
ten. Ich hatte keine Luſt dazu, und lief noch eine
Meile weiter auf ein Mainziſches Dorf, wo ich die
Nacht blieb. In dieſem Dorfe war ein Kaiſerlicher
Werber, der mich gern anwerben wollte. Ich mußte
nur lachen uͤber die naͤrriſchen Bemuͤhungen des
Halters.
[326[336]]
Acht und zwanzigſtes Kapitel.
Gar zur Seite eines gnaͤdigen Fraͤuleins! Fernere Be-
gebenheiten zu Erfurt, Gotha, Hersfeld, Gießen, Frank-
furt am Mayn und Alzey. Ein Wink fuͤr Fuͤrſten.
Fruͤh wollte ich meine Reiſe fortſetzen, als ein
Kutſcher hereintrat und Schnapps foderte. Wohin
die Reiſe, Schwager? „Nach Gotha!“ — So?
kann ich mitfahren? „Warum nicht: acht Groſchen,
und Sie ſitzen hinten auf.“ — Ich praͤnumerirte,
und ſaß hinten auf. — Wer ſitzt denn da hinten?
fragte ein funfzigjaͤhriges Fraͤulein. — Ja, das
weis der liebe Gott, antwortete der Schwager: er
muß doch wohl einen Paß haben! er will ja durch
Erfurt. — Es waͤhrte nicht lange, und Fraͤulein
mußte ausſteigen: es war, wie Yorik ſagt, rien que
piſſer. Ich ſtieg auch ab, und ſteckte meine Pfeiffe
an. Da ließ ſich das Fraͤulein mit mir ein ins Ge-
ſpraͤch: erzaͤhlte, daß ſie ein Hoffraulein von Gotha
waͤre, in Weimar Freunde beſucht hatte, und daß
der junge Mosjeh, den ſie bei ſich haͤtte, Junker
Karl hieße. Ich belehrte ſie jetzt auch von meinen
Umſtaͤnden, und Fraͤulein, nach vielen „Herr Gott!
Herr Jeſus!“ geſtattete mir, mit in der Kutſche
[327[337]] zu ſitzen, und ſie da mit Geſpraͤch zu unterhalten.
Fraͤulein war beleſen, verſtand auch Franzoͤſiſch und
Muſik, wie ſie ſagte: hatte viel Freier gehabt, auch
recht angeſehene Kavaliers und Officire; hatte ſich
aber niemals entſchließen koͤnnen, ſich in die Bande
und ins Bloch der heiligen Ehe zu begeben. — Dieſe
Sprache war mir ſchon ſeit meiner lieben Jungfer
Tante bekannt.
Am Erfurter Thor muſte ich abſteigen, meinen
Paß vorlangen, und mich ſodann von einem Gefrei-
ten auf den Petersberg zum General fuͤhren laſſen.
Im Preußiſchen, wo doch gewiß das Militaͤr zur
hohen Vollkommenheit geſtiegen iſt, macht man nicht
ſo viel Umſtaͤnde: da iſt das Vorzeigen des Paſſes
am Thor hinlaͤnglich, weil die Preußiſchen Generale
mehr zu thun haben, als daß ſie jedes fremden Sol-
daten Paß durchſehen ſollten. Der Gefreite verlohr
den Paß, und darob wurde ſchwerer Mohr auf dem
Petersberg: denn ich beſtand ſchlechterdings auf
meinen Paß, und ſchimpfte auf die jaͤmmerliche Di-
ſciplin, welche Paͤſſe fremder Soldaten verlohren
gehen ließe. Der Herr General ſuchte mich mit al-
lerlei Gruͤnden zu beſaͤnftigen; ſagte aber zuletzt, da
ich durchaus nicht nachgab: „Es waͤre vielleicht nicht
einmal wahr, daß ich wirklich einen Preußiſchen Paß
gehabt haͤtte. „Hier erboßte ich und verſetzte: „Was
Zweiter Theil. Y
[328[338]] meynen Sie, Herr General, wenn das ſonſt jemand
ſo hoͤrte? Ihr Unterofficier laͤßt mich zum Thor
herein, und ſchickt den Gefreiten mit mir; und doch
laſſen Sie ſich einfallen, zu aͤußern, daß ich vielleicht
keinen Paß gehabt haͤtte!“ — Der General erroͤ-
thete uͤber meine Bemerkung, und befahl, daß mir
ſein Adjutant einen neuen Paß ſchreiben ſollte. Das
geſchah denn: allein kaum hatte ich den neuen Paß,
als ein Soldat meinen Preußiſchen herauf brachte:
er war auf der Straße gefunden worden, wo ihn
der Gefreite verlohren hatte.
Hierauf begab ich mich in das Wirthshaus, wo
meine Geſellſchaft abgeſtiegen war, aß daſelbſt zu
Mittage, und ging ſodann ins Thor, bis die Kutſche
ankam, und ich mich wieder einſetzen konnte. Fraͤu-
lein wollte doch nicht, daß ich mit ihr durch die
Stadt fahren ſollte! Junker Karl hatte ſich gar
ſehr bezecht, und machte allerlei naͤrriſche Poſſen,
welche erſt recht drolligt herauskamen, wenn er aus-
ſtieg, ſeine Nothdurft zu verrichten. Der Schwa-
ger lachte laut ob des Junkers Poſſen; dem Fraͤulein
aber war nicht recht wohl zu Muthe, und ich mußte
mich neben dem ſchnurrigen Junker hinſetzen, indeß
Fraͤulein ruͤckwaͤrts fuhr. Ich ſtellte ihr vor, daß
der Junker und ich ruͤcklings fahren koͤnnten, und ſie
nur geradeaus ſitzen bleiben moͤchte. Allein das
wollte ſie nicht: Junker Karl moͤchte ſchlimm werden,
[329[339]] und ſich uͤbergeben — das geſchah aber doch, trotz
der Vorſicht des Fraͤuleins, und ich hatte alle Muͤhe,
bei dem komiſchen Vorfall nicht uͤberlaut zu lachen.
Das Fraͤulein bedaurte nichts mehr, als daß nun
der Wagen den uͤblen Geruch behalten wuͤrde.
Wir kamen des Abends in Gotha an, wo ich
von Pontius zu Pilatus herumgefuͤhrt wurde, bis
ich mich endlich in die Schelle, einen Gaſthof hin-
ter der Hauptwache, einquartirte, mich am Waizen-
bier ergoͤtzte, und hernach den Kaufmann Made-
lung beſuchte, an den ich eine Adreſſe hatte, nach
welcher er mir fuͤnf Thaler Saͤchſ. auszahlte. Bei
meiner Zuruͤckkunft fand ich einige italiaͤniſche Tabu-
lettentraͤger und einige gothaiſche Soldaten, welche
ſich zu mir drangen, und vom Dienſt ſprachen. Un-
ſer Diskurs fiel bald auf den verſtorbenen Koͤnig,
und ich, voll Enthuſiasmus, den freilich das Wai-
zenbier vermehren half, breitete mich uͤber die Vor-
zuͤge des großen Friedrichs ſo aus, daß ich einige
eben nicht hoͤfliche Ausdruͤcke gegen andre Regenten
fallen ließ. Unter andern ſagte ich, der Koͤnig von
Sardinien ſey eigentlich ein Maͤuſefallen-Koͤ-
nig. Dieſer Ausdruck, der freilich nicht fein war,
brachte einen Piemonteſer auf, der mich deswegen
zur Rede ſtellte. Ich vertheidigte mich ſehr anzuͤg-
lich, und als mein Piemonteſer fortfuhr, loszuziehen,
ſchmiß ich ihm hinter die Ohren. Nun ward das
[330[340]] Geſchlaͤge allgemein: denn die andern Italiaͤner nah-
hen ſich ihres Landsmanns an, und ſpektakelten fuͤrch-
terlich. Die Gothaer ſtanden aber mir bei, und
die Italiaͤner wurden aufs Haupt geſchlagen und zur
Stube hinausgeſchmiſſen. — In Halle war dieſer
Auftritt ſchon bekannt worden, ehe ich dahin zu-
ruͤck kam.
Am folgenden Tage beſah ich die Gothaiſche
Wachtparade, wo mich die Hrn. Major und Haupt-
mann von Henning ſehr freundlich behandelten.
Letzterer iſt ein Bruder des Hrn. von Henning,
welcher Kapitain beim Halliſchen Regiment iſt. Ich
habe ihn bei meiner Ruͤckreiſe noch einmal beſucht,
wie er mir erlaubt hatte.
Auf [...] [...]ſe [...] Hersfe [...] fiel nichts vor. In
Hersfeld wollen [...]ch einen meiner ehemaligen Ordens-
bruͤder beſuchen N [...]ens Klemens, fuͤr den ich
mich einmal in G [...] [...] [...]haͤtig verwendet hatte.
Ich trat in ſein Haus [...] ſahe da eine alte Ma-
donna, [...] mir ſeine Mutter zu ſeyn ſchien, in
in der That aber ſeine Frau war. Nachdem ich mein
Anliegen, den Hr. Klemens zu ſprechen, angebracht,
und Madame mich von oben bis unten aus ſtark be-
gafft hatte, fuͤhrte ſie mich endlich an eine Thuͤr,
trat aber vor mir hinein, kam dann zuruͤck, und
erlaubte mir, auch einzutreten. Klemens empfing
mich ſo kalt, als immer Hr. Schnaubert in
[331[341]] Jena: er kannte mich kaum, ſtellte mir indeß doch
ein Glas Hersfelder Bier u) hin: ich aber aus Aer-
ger uͤber den undankbaren Ordensbruder machte, daß
ich fort kam. Ich fuͤhlte ſchon lange tiefe Verach-
tung gegen alle dergleichen Inſtitute, und dieſe Ver-
achtung gegen das Ganze heftete ſich jetzt auch an
den einzelnen Bruder, oder vielmehr dieſer einzelne
Bruder machte mir das ganze Inſtitut nur noch
verhaßter.
Aber nun hatte ich einen Auftritt von beſſerer
Art! Ich beſuchte die vortreflichen Limbergerin-
nen, von denen ich ſchon oben x) geſchrieben habe,
jedoch ohne ſie zu nennen. Lehnchen war verheu-
rathet, und recht gut verheurathet: ihr Mann war
ein gar guter Mann, den ich innigſt lieb hatte, und
dem ich ſeine liebe Frau herzlich goͤnnte. Marian-
chen war noch ledig. Die guten Leutchen, welche
ich bei dem jungen Manne aufſuchte, waren ſo froh,
als ſie mich wieder ſahen, daß ſie mir ihre Freude
nicht genug zu verſtehen geben konnten: ich wurde
gedruͤckt und gekuͤßt, ob ich gleich einen Bart hatte,
wie ein Jude, den ich aber noch ſelbigen Abend ra-
ſiren ließ. Die alte Mama war auch gar fideel mit
[332[342]] mir. Kurz, ich vergaß bei dieſen ehrlichen Leutchen
die Grobheiten meines maſſiven Ordensbruders. —
Was es doch eine herrliche Sache um Leutſeligkeit iſt!
In Alsfeld hoͤrte ich vor lauter langer Weile
den beruͤchtigten Saͤufer und H**jaͤger Schwarz,
D.Bahrdts ehemaligen Antagoniſten und großen
Kloppfechter in den theologiſchen Katzbalgereien y):
nach der Predigt beſuchte ich meinen Freund, den
Hn. Rektor Muͤnch, einen hellen Kopf, und ge-
lehrten Mann.
Zu Gruͤneberg erwieſen mir meine Freunde, be-
ſonders Hr. Aſſeſſor Briel, viel Ehre.
In Gießen kam ich gleich nach zwoͤlf Uhr Mit-
tags an, und die Gießer Buͤrger, welche mich noch
recht gut kannten, blieben auf der Straße ſtehen,
und ſagten zu einander: „da iſt ja Laukhard!“ oder:
„wißt ihr was neues? Laukhard iſt hier.“ Und
ſo war binnen einer Stunde die Nachricht von Lauk-
hards Ankunft durch die ganze Stadt. Als ich zu
Magnus in den Stern kam, hatte dieſer ſchon
laͤngſt gewußt, daß ich da war. — Auf dem Bil-
lard, wo ich den Billardeur Moͤller noch von der
Univerſitaͤt her kannte, verſammelten ſich die Burſche
um mich, und da mußte ich denn erzaͤhlen, was ich
ſo wußte. Sie waren von meinen Schickſalen un-
[333[343]] terrichtet, weil einige Hallenſer dorthin gekommen
waren, und von mir erzaͤhlt hatten. Von meinen
alten Bekannten beſuchte ich blos die Herren Koͤſter,
Roos, Boͤhm, den Sekretaͤr Reuß und einige
andere. Fuͤr mehrere blieb keine Zeit uͤbrig: die
Studenten blockirten mich ſo, daß ich die vier Tage,
die ich in Gieſſen war, beinahe immer in ihrer Ge-
ſellſchaft ſeyn mußte.
Der Kommang in Gieſſen hatte ſich zwar etwas
verfeinert, war aber noch immer Gieſſer Kommang:
ſogar die Gemaͤlde im Karzer waren noch zu ſehen:
die Eulerkappereien dauerten auch noch fort, wie das
Periren des Schuſters Wannig: die Bier- und
Schnappsgelage florirten nicht minder. — Ich
wuͤrde meine Leſer beleidigen, wenn ich ihnen aber-
mals eine Beſchreibung des Gieſſer Weſens auftiſchen
wollte; ſie haben im erſten Theil vielleicht ſchon mehr
als zu viel davon leſen muͤſſen. — Die Zahl der
Studenten hatte ſehr abgenommen, aber die der
Profeſſoren war geſtiegen. Bei Herrn Hetzel ho-
ſpitirte ich.
Den Tag vor meinem Abſchied kam der In-
ſpektor Birau von Alzey nach Gieſſen, aus dem
Hinterlande, wo er Geſchaͤfte gehabt hatte. Er
war froh, mich zu treffen, und ich, — einen Rei-
ſegefaͤhrten nach der Pfalz zu haben. Hr. Birau
fing an, mir allerhand vorzuwerfen; als er aber
[334[344]] merkte, daß mich das Ding verdroß, ſo ließ ers gut
ſeyn. Wir fuhren den folgenden Tag mit dem Poſt-
wagen fort, wurden in Nauheim bei Friedberg ge-
ſchnuͤrt, und kamen fruͤh um zehn Uhr zu Frankfurt
am Main an.
Ich ſuchte einige Bekannte auf, und ging auch
in ein Wirthshaus, wo Preuſſiſche Werber ſich auf-
hielten. Die Herren dachten anfangs, daß ich ſo
was fuͤr ſie werden koͤnnte; allein da ſie meinen Paß
ſahen, ſo lieſſen ſie zwar den Gedanken, mich anzu-
werben, fahren, behandelten mich aber doch aufs
freundlichſte, und gingen ſogar mit mir in den rothen
Ochſen z) als das Oeſtreichiſche, und den Tannen-
baum, als das Daͤniſche Werbhaus ſpatzieren. In
Frankfurt ſpielen die Preuſſen eine ganz andere Rolle,
als die Daͤnen und Oeſtreicher, welche freilich an der
Zahl die Preuſſen weit uͤbertreffen; aber kein Geld
haben, daher wenig Aufwand machen und ſo —
weniger locken koͤnnen.
Hr. Birau war in Frankfurt krank geworden,
und daher mußten wir einige Tage laͤnger bleiben.
Nachher reißten wir mit Retourſchaͤſen uͤber Mainz
nach Alzey. Am folgenden Tag kam mein Vater
und meine Mutter, und holten mich in ihrer Kaleſche
[335[345]] ab. In Alzey lernte ich den lutheriſchen Rektor ken-
nen, welcher dem Meiſter Grim, einem der groͤß-
ten Saufaußen in der ganzen Pfalz, nachgefolgt
war. Der neue Hr. Rektor hier Herrenſchnei-
der, ein Brudersſohn des im I. Theil beſchriebenen
Hofpredigers Herrenſchneider von Strasburg, und
war, nach Strasburger Zuſchnitt, Magiſter der
Philoſophie: dieſe Wuͤrde hatte er ſich durch eine
ganz exzellente Diſputation uͤber die Apokalypſe er-
worben! Einen ſchalern Kopf, der aber ſehr viel von
ſich und ſeiner Gelehrſamkeit aufſchnitt, hab' ich mein
Tage nicht geſehen. Ich kappte ihn einigemal derb
ab; allein er ließ ſich das nicht anfechten, ſondern
zwang mich gleich am erſten Tage unſrer Bekannt-
ſchaft, das fuͤrchterliche Ding, die Diſſertation uͤber
die Apokalypſe durchzuleſen, und ihm daruͤber mein
Urtheil zu eroͤffnen. Ich lobte ſie zwar uͤberhaupt;
bemerkte aber doch, daß der Autor manches neuere
Buch, beſonders die Semleriſchen Buͤcher uͤber den
Canon, und den Horus, oder das aſtrognoſtiſche
Endurtheil uͤber dieſes Sibillenbuch, gar nicht ge-
kannt, wenigſtens nicht benutzt haͤtte. Das verdroß
meinen Meiſter Herrenſchneider, und ich fand auch
bei dieſem faden Menſchen, daß, wenn ein Autor,
er ſey auch wer er wolle, jemanden um ſein Urtheil
uͤber eine Schrift fragt, er nur gelobt ſeyn will;
und wer ihn tadelt, ſein Freund geweſen iſt.
[336[346]]
Damals war der Landſchreiber von Alzey, der
Geheime-Rath Koch, gefaͤhrlich krank, ſo, daß
man jeden Augenblick ſein Ende erwartete. Ich hoͤrte
das in der Krone zu Alzey, wohin ich einiger Ver-
richtungen wegen gegangen war. Eine ganze Stube
voll Leute ſaß da, von welchen der eine immer mehr,
als der andere die Bedruͤckungen und Ungerechtigkei-
ten auffuͤhrte, welche dieſer Hr. v. Koch, oder wie
man ihn dort nannte, der große Mogul, veruͤbt
hatte. Die fuͤrchterlichſten Verwuͤnſchungen folgten
allemal auf die ſcheußlichſten Nachrichten. In ſol-
chen Gelagen ſollten ſich die Fuͤrſten dann und wann
inkognito einfinden: ſie wuͤrden Dinge von ihren
Lieblingen und vermeinten getreuen Bedienern hoͤren,
woruͤber ſie erſchrecken muͤßten. Der Kurfuͤrſt von
Pfalz-Baiern iſt gewiß ein recht gutmuͤthiger Fuͤrſt —
ſo kenne ich ihn, und ſo kennt ihn jedermann — und
doch wird kein Land mehr durch Ungerechtigkeit miß-
handelt, als eben ſein Pfalz-Baiern. Es geht ihm
wie allen gutmuͤthigen Fuͤrſten: ſie glauben wunder,
wie gut es in ihrem Lande zugehe! wie gluͤcklich ihre
Unterthanen ſeyen, indeß das Klagen und Lamenti-
ren beim geringern Stande kein Ende hat. —
Koch iſt damals zur hoͤchſten Betruͤbniß der Ein-
wohner im Oberamt doch nicht geſtorben.
[337[347]]
Neun und zwanzigſtes Kapitel.
Wie mich Vater, Mutter, Tante und Bruder
empfangen haben.
Mein Vater machte mir ganz und gar keine Vor-
wuͤrfe: geſchehene Sachen, meynte er, waͤren ein-
mal nicht zu aͤndern, und da muͤßte man auch nicht
weiter davon reden. — Ein nur halb wahrer Grund-
ſatz! Man muß allerdings davon reden, wenn man
Klugheitsregeln daraus fuͤr ſich oder Andere nehmen
kann. Allein mein Vater hatte ſo ſein Syſtem;
und nach demſelben war mehr das Schickſal, als ich
ſelbſt Schuld an meinen Unfaͤllen. Meine Mutter
bedaurte freilich hauptſaͤchlich das huͤbſche Geld, das
ich gekoſtet hatte, und das nun nach ihrem Ausdruck,
in'n Dreck geworfen war: aber der Alte bath ſie,
zu ſchweigen, und uns keine truͤben Stunden zu ma-
chen: Da ſchwieg ſie dann. Meine alte Tante war
vollends außer ſich, da ſie mich wieder ſah, und
konnte ihrer Fragerei gar kein Ende finden.
Ich mußte mit meinem Vater allein auf ſein
Stuͤbchen kommen: da erklaͤrte er mir, daß mein
Soldatenweſen die uͤblen Geſpraͤche, welche von mir
laͤngſt herumgegangen waͤren, ſtark vermehrt und
alle alten Geſchichtchen wieder ins friſche Andenken
[338[348]] gebracht haͤtte. Man hatte naͤmlich mein Soldatwer-
den in einige Zeitungen eingeruͤckt — als wenn
es eine ſo große Sache waͤre, wenn ein Magiſter
Soldat wird! Iſt denn uͤberhaupt der Herr Magi-
ſter eine ſo wichtige Creatur? Alsdann waͤren ja die
Herren Avenariusa), Meſeb), Weiſſe,
ſonſt Albusc) genannt, und hundert andere zu
[339[349]] zu Wittenberg, oder ſonſtwo fabricirte Magiſterlein,
auch ſehr wichtige Leute d)! Aber vielleicht hatten
die Herren Zeitungsſchreiber zu Gotha und Frank-
furt am Main damals gerade noch einige Zeilen noͤ-
thig, ihre Blaͤtter vollzumachen: vielleicht wollte ſich
ein haͤmiſcher Menſch an mir raͤchen! Wer es von
Halle aus nach Gotha geſchrieben habe, weis ich:
es war ein Herr Muͤßiggaͤnger. — Genug, mein
Soldatwerden war in den Zeitungen geſtanden, und
hatte die alten Maͤhren wieder aufgeregt. Daher
fuhr mein Vater fort, muͤßte ich, wenn ich da blei-
ben wollte, lange, lange Zeit einen ſehr eingeſchraͤnk-
ten Lebenswandel fuͤhren, damit das hundertmaͤulige
c)
[340[350]] Ungeheuer, die Pfaͤlziſche Fraubaſerei, ſonſt fama
genannt, endlich ſchweigen oder beſſere Nachrichten
von mir verbreiten muͤßte. — Ob mein Vater hier
fuͤr ſein Syſtem konſequent geſprochen habe, will ich
nicht unterſuchen: ich erklaͤrte nur kurz, daß ich nicht
bleiben wuͤrde: ich ginge nach Verlauf meines Ur-
laubs wieder zum Regiment. — Und dazu hatte ich
meine guten Gruͤnde, die ich hier angeben muß, weil
man ſich in Halle und anderwaͤrts ſehr gewundert
hat, daß ich zuruͤckgekommen bin.
Einmal war ich in der ganzen Pfalz verſchrieen,
als ein Menſch ohne Sitten, und ohne Religion;
und dieſes boͤſe Geruͤcht gruͤndete ſich auf unwider-
legliche Thatſachen. Die Nachrichten aus Halle und
andern Orten hatten es nur noch verſtaͤrkt: und ſo
hatte ein jeder Mosjeh Firlefanz Gelegenheit, mir
zu ſchaden, ſobald ſeine Firlefanzerei, ſein Intereſſe
oder ſeine Rachſucht es erfoderten. Wodurch haͤtte
ich nun den Leuten die Maͤuler ſtopfen ſollen? die
Pfaͤlzer vergeſſen alles eher, als die ſkandaloͤſen Ge-
ſchichtchen. — Man ſiehts ja an mir! — Und da
war nun gar keine Wahrſcheinlichkeit, jemals wieder
in Kredit zu kommen.
Zum andern konnte ich gleich in den erſten Ta-
gen mein Maul nicht bezwingen. Ich raͤſonnirte
ſchon in Alzey — von Frankfurt am Main, wo ich
mit den Leuten im Wirthshauſe uͤber Chriſti Geburt
[341[351]] ſprach, will ich nichts ſagen — im Beyſeyn des Jaͤ-
gers Damian und anderer theils Katholiken, theils
Proteſtanten, ſehr frei uͤber die heiligen Dogmen,
ſprach von Pfaffen uͤbel, und lachte uͤber alles, was
dort uͤbern Rhein heilige Waare iſt. Da hieß es
nun allgemein: Laukhard iſt noch der alte Spoͤtter:
ein alter Wolf laͤßt ſeine Nuppen nicht.
Und endlich drittens traute ich mir ſelbſt nicht
viel Gutes zu. Ich konnte mich nicht ſo weit ein-
ſchraͤnken, daß ich mein Trinken gemaͤßiget, und or-
dentlich gelebt haͤtte. Ich fuͤhlte das ſehr gut, und
beſchloß alſo, nicht da zu bleiben. Es fielen auch
gleich in den erſten Tagen einige Exceſſe vor, und
machten neues gehaͤſſiges Aufſehen. So war ich
eines Tages, nicht lange nach meiner Ankunft, zu
Flonheim im Bock, wo mir der Wirth, Herr Diel,
mein ſeit langer Zeit erprobter Freund, und treuer
Kumpan, recht derb auſwichſte, und rothen Wein
fließen ließ, ſo viel ich nur wollte. Wir waren [...]am [...]
und ſonders recht luſtig, bis endlich ein gewiſſer Herr
von Forſter aus Mainz, der Kleeſaamen e) ein-
kaufen wollte, im Bock ankam, und ſich mit mir
[342[352]] ins Geſpraͤch einließ. Herr von Forſter wußte um
meine Hiſtorien, und machte viel ſchiefe Anmerkungen
uͤber den Koͤnig von Preuſſen, und deſſen Militaͤr.
Das aͤrgerte mich, und ich ward grob, ſo grob,
daß der Edelmann foderte, Herr Diel ſollte den
Schulzen holen laſſen, der mir das Maul ſtopfen
wuͤrde. Aber nun ging erſt der Skandal recht an,
bis ich endlich ſelbſt aufbrach, und meinen Her-
mann beſuchte. Die Geſchichte hat mir einigen Ver-
druß und Vorwuͤrfe bei meinem Vater zugezogen.
Meinen Bruder ſah ich in den erſten Tagen
nicht: er war Vikarius in Dalheim, einem zur kai-
ſerlichen Grafſchaft Falkenſtein gehoͤrigen Dorfe. Er
wußte zwar, daß ich da war, allein er uͤbereilte ſich
nicht: unſre Freundſchaft hatte laͤngſt aufgehoͤrt, und ſo
waren wir eben nicht verſeſſen, uns zu ſehen. Endlich
kam er doch; empfing mich aber kalt, und ich bewill-
kommte ihn noch kaͤlter. Er bath mich, ihn zu beſuchen:
das hab ich einmal gethan, aber nur ohngefaͤhr auf
vier Stunden. Seine Unterhaltung gefiel mir nicht,
und die meinige muͤßte ihm laͤſtig ſeyn. Meines Bru-
ders Bibliothek muſterte ich damals auch: ich fand
unter andern die beruͤchtigte Aloyſia Sigaeaf),
[343[353]] ein Buch, nach welchem mich ſchon lange verlangt
hatte. Ich nahm es mit, las es zu Hauſe durch
und bewunderte die unſelige Muͤhe des gewiß geſchick-
ten Verfaſſers, welcher in dem feinſten lateiniſchen
Styl die allerabſcheulichſten Zoten und Schweinige-
leien hingeſtellt hat. Gegen dieſe Aloyſia ſind einige
unſerer neuern verfaͤnglichen Buͤcher dieſer Art, noch
ſehr ertraͤgliche Buͤcher. Es wundert mich, daß man
ſie in unſern zotologiſchen Zeiten noch nicht uͤberſetzt
hat. Vielleicht macht das die Seltenheit des Buchs,
das man oft mit drei bis vier Karolinen bezahlt hat,
oder auch die Unerfahrenheit unſrer Zotologen in der
lateiniſchen Sprache.
Daß ich viel angenehme Stunden im Umgang
mit meinem lieben Haag genoſſen habe, iſt außer
Zweifel. Der rechtſchaffene Mann war noch immer
derſelbe. Er hatte kurz vorher die Schweſter ſeiner
Frau heurathen wollen; hatte aber die Erlaubniß da-
zu vom Vikariat zu Mainz nicht erhalten koͤnnen. Er
mußte ſich daher an den Nuntius des heiligen Va-
ters Pabſt, den der Kurfuͤrſt gegen alle Grundre-
geln und gegen das Intereſſe und die Ehre des deut-
ſchen Reichs zu Muͤnchen hielt, wenden; und dieſer
ertheilte ex plenaria poteſtate ſibi conceſſa, die
Erlaubniß: und die Herren Vikariatsraͤthe zu Mainz
gaben durch ihre Nachgiebigkeit zu verſtehen, daß der
Zweiter Theil. Z
[344[354]] Nuntius mehr zu befehlen habe, als ihr Erzbiſchof. —
Hilf heiliger Febronius!
Meine wenigen andern Pfaͤlzer Freunde waren
mir treu geblieben: das waren die Herren Stuber
zu Flonheim, Freſenius, Hermann, beide
Koͤſter, J [...]b zu Erbesbudesheim und einige andre.
Dieſe hab ich beſucht, und ſie haben mir viel Freude
gemacht. Insbeſondere beehrten mich die Herren
von la Roche, der Major und der Hauptmann,
mit ihrer immer ununterbrochenen Freundſchaft. —
Die im erſten Theil S. 373. genannte Tochter des
reformirten Predigers hab ich auch geſehen, und mein
Verſtaͤndniß mit ihr erneuert.
Thereschen haͤtte ich ſehen und ſprechen koͤn-
nen; aber ich fuͤrchtete mich vor dem Eindruck, den
ſie auf mich machen wuͤrde, und ſo wollte ich ſie lie-
ber gar nicht ſehen. Sie war noch ledig. Ein ge-
wiſſer Herr Huber, ſonſt Latus genannt, hatte,
wie wir wiſſen, um ſie angehalten, aber den Korb
bekommen. Ich aͤrgerte mich haͤßlich uͤber den La-
[...]us, daß er mein Maͤdchen hatte haben wollen, und
war froh, daß ſie ihn abgewieſen hatte. Was man
aber ein Thor iſt! Man mißgoͤnnt Andern ein
Gut, woran man keinen Theil haben kann und kei-
nen haben will.
Sonſt war es noch in der Pfalz, wie ich es
im erſten Theil beſchrieben habe. Der Schlappohr,
[345[355]] und der alte Schulz, Hahn, ſpuckten noch immer:
noch immer lief der feurige [...] herum, und das
Maar druͤckte noch i [...] Doch ſahe ich auch
da einen katholiſchen [...], [...] den Herrn Paſtor
Hoffmann zu [...] [...]an des ver-
ſetzten Neun [...] [...] war, und ſtark
wider Geſpenſter und [...], auch den Ka-
techismus des Pater Vogels nicht mehr oͤffentlich
lehrte. Gott vergelte dem redlichen Mann ſeine
Bemuͤhungen, und gebe ihm viele Nachfolger unter
allen drei Religionen in der Pfalz, auch ſonſt wo,
wenns noͤthig iſt!
Die Pfaͤlzer Firlefanze, die orthodoxen Pfaf-
fen, welche mich ſonſt gedruͤckt und geplagt hatten,
ließ ich gehen, und ſah ſie nicht. Doch habe ich den
theuren Schmuckmann in Bechtolsheim geſpro-
chen, und ganz abgeſchmacktes Zeug von ihm hoͤ-
ren muͤſſen.
Ueber den D.Bahrdt mußte ich hundert tau-
ſend Fragen beantworten: denn wohin ich kam, woll-
ten die Leute etwas von ihm wiſſen. Bahrdt
hatte ſich zu ſehr in der Pfalz bekannt gemacht; und
von Halle aus waren viele Schnurren und Luͤgen
uͤber ihn dorthin verſprengt worden. Ich war da-
mals noch ein großer Verehrer dieſes Mannes, den
ich noch immer von der beßten Seite anſah, und ihn
folglich manchmal vertheidigte. Und wenn ich auch
[346[356]] damals ſchon in Abſicht des verſtorbenen Doctors ſo ge-
dacht haͤtte, wie ich hernach dachte, ſo wuͤrde ich doch
den Pfaͤlzer Bonzen, Derwiſchen und Fraubaſen die
Freude nicht gemacht haben, uͤber ihn zu raͤſonniren.
Die Pfaͤlzer kennen keinen Ketzer weiter, als den D.
Bahrdt: der hat unter ihnen gehauſet; die andern
aber, z. B. Semler, ſind ihnen blos dem Namen
nach bekannt: ihre Schriften haben ſie nicht geleſen.
Alles, was ich ſah und hoͤrte, machte den Ent-
ſchluß immer mehr bei mir feſter, nach Halle zuruͤck zu
gehen, ja, oft wuͤnſchte ich mich ſchon wirklich wieder
da. Die Geſellſchaften auf dem Keller bei der Jungfer
Fleiſchern zu Halle, ſo abgeſchmackt dieſe ſonſt ſeyn
moͤgen, ſchienen mir doch lange ſo abgeſchmackt
nicht, als die Verſammlungen der Pfaͤlzer Herren
und Damen. Mein Gluͤck in der Pfalz war einmal
verſcherzt, und ich war der Mann nicht, der es
haͤtte wieder herſtellen koͤnnen. Sollte ich nun durch
meine Gegenwart den Kummer meiner Eltern ver-
mehren, und ſie mir noch abgeneigter machen? Ich
ſprach deswegen ſehr ernſtlich mit meinem Vater,
und er hatte nichts dagegen, ſo ſehr auch meine
Mutter ſich zu widerſetzen ſchien. Denn daß ſie es
nicht ernſtlich mit mir meinte, und mich lieber weit
von ſich weg wuͤnſchte, hab' ich nachher erfahren. Sie
war meinem Bruder einmal gewogen, und dieſer
wollte nicht, daß ich in der Naͤhe bleiben ſollte.
[355[357]]
der bei ſich zu ſehen. Krippenſtapel begleitete mich
bis Steckelbergen, und am folgenden Tage kam ich
zu Halle an.
Der Major von Muͤffling freute ſich ſehr
uͤber meine Zuruͤckkunft, die er, wie er ſagte, im-
mer erwartet haͤtte, obgleich alle Andere daran ge-
zweifelt haͤtten. Er ermahnte mich, beſonders nun,
da ich gleichſam wieder von neuem anfing in Halle
zu leben, die verfuͤhreriſchen Gelage, und den Trunk
zu meiden, welche Dinge allemal die ſchaͤdlichſten
Folgen haben muͤßten.
Freilich hatte der gute Mann recht: denn nichts
hat mir mehr geſchadet, als der Trunk: der hat
mich ſogar zu Vergehungen verleitet, die ich mich
zu bekennen ſchaͤme; doch aber bekennen muß, theils,
weil ſie in meine Geſchichte gehoͤren, theils aber, um
die Folgen des Trunkes deſto anſchaulicher zum Ver-
abſcheuen darzuſtellen. Wollte ich dergleichen aus-
laſſen, ſo wuͤrde ich erſtlich nicht durchaus aufrichtig
ſeyn, und dann wuͤrde man Beitraͤge liefern und
mich einer Luͤge oder Verheimlichung zeihen koͤnnen,
welches mir ſehr unangenehm ſeyn wuͤrde. Alſo will
ich noch einiges geſtehen; ſo hart mir ſonſt das Ge-
ſtaͤndniß deſſen ankommt, wozu mich die Trunken-
heit verleitet hat.
Ich habe, wenn ich in Saufgelagen war, und
das Geld fehlte, einigemal Dinge, die nicht mein
[356[358]] waren, veraͤuſſert, um nur Geld zu bekommen und
der einmal rege gemachten Begierde zu trinken, und
mit andern luſtig zu leben, genug zu thun. Freilich
geſchah dieſes allemal in der Abſicht, das z. B. ver-
ſetzte Buch, wieder bei Gelegenheit einzuloͤſen, und
es dem Eigenthuͤmer zuzuſtellen. Es iſt auch groͤßten
theils geſchehen! — Alle die, welche ich auf ſolche
Art beleidigt habe, koͤnnen meiner Reue daruͤber,
nebſt der Schaam, verſichert ſeyn, und ſo vergeben
ſie mir herzlich gern, was ich that: folglich iſts nicht
noͤthig, die Herren mit Namen zu nennen, denen
ich auf dieſe Art zu nahe getreten bin. Eben ſo hoffe
ich, wird man mirs verzeihen, wenn ich im Tau-
mel der Trunkenheit, meine Lehrſtunden nicht gehoͤ-
rig abgewartet, oder waͤhrend derſelben vielleicht ſelbſt
dummes Zeug getrieben habe.
Weil ich aber einmal dran bin, die uͤblen Fol-
gen meines Saufens zu erzaͤhlen, ſo will ich noch
aus dem erſten oder zweiten Jahre — ich weis es
nicht mehr recht — meines Soldatenlebens einen
Spektakel anfuͤhren, den ich mit einen hieſigen Pfaf-
fen, und hernach mit einem alten Magiſter, der ſonſt
Prediger geweſen war, gehabt habe.
Ich kam einmal mit einem gewiſſen Buͤrger
aus einer Schenke, und raͤſonnirte gerade auf der
Straße uͤber Pfaffen, uͤber ſogenannten Gottesdienſt
und dergleichen. Ein hieſiger Schwarzrock, der hin-
[357[359]] ter uns her kam, widerſprach oͤffentlich, und drohte
mir auf gut pfaffiſch, mich zu verklagen, und mir
durch meine Vorgeſetzten das laͤſterliche Maul ſtopfen
zu laſſen. Dieſe Bravade brachte meinen ohnehin
ſchon heroiſchen Kopf vollends in Harniſch, ſo daß
ich dem Gottesmann mit Nachdruck vorwarf: Er,
ja Er waͤre der Rechte, der noch Urſache haͤtte, ſich
zu bruͤſten! Er moͤchte doch nur erſt ſein Haloren-
Menſch fahren laſſen, und durch die ſeine Frau
nicht noͤthigen, ihren Kummer in Brantewein zu
verſaufen. Es ſey wahrlich ſehr ſauber, ſich nach-
ſagen zu laſſen, daß er ſeine viehiſchen Triebe nicht
einmal im Beichtſtuhl baͤndigen koͤnnte! Er moͤchte
ſich zum Teufel ſcheeren, wohin er gehoͤrte! u. dgl.
Jetzt wollte ich auf den gleißneriſchen Hurenbengel
mit geballter Fauſt los, und ich wuͤrde wahrſchein-
lich ſehr unſanft mit ihm verfahren ſeyn, wenn mich
mein Begleiter nicht abgehalten, und in eine nahe
Kneipe gefuͤhrt haͤtte. Hier ſaßen wir, bis ich vol-
lends meine Ladung hatte, und endlich aufbrach.
In der Maͤrkerſtraße begegnete mir der alte Magi-
ſter von Sangerhauſen, den ich aus Verſe-
hen ſchuppte, und der nun anfing loszuziehen. —
„Was willt du alter Pfaffe,“ ſchrie ich, und lief
ihm nach. Er rettete ſich in des Juden Joſephs
Haus, wohin ich ihn verfolgte: weil aber die Thuͤr
verſchloſſen wurde, ſo klopfte ich ſo ſtark an die Fen-
[358[360]] ſter, daß dieſe hineinſtuͤrzten und einige Scheiben
zerbrachen. Der Spektakel ward auf der Straße
allgemein, bis endlich Bartolini hinzukam, und
mich nach Hauſe fuͤhrte. Die Sache kam zwar vor
meine Vorgeſetzte, allein da weiter niemand klagte,
ſo blieb es bei einem Wiſcher.
Der Schwarzrock that freilich klug, daß er
meine Vorwuͤrfe geduldig einſtach und verſchmerzte.
Haͤtte er ſich rein gefuͤhlt, ſo wuͤrde er ſchon als
hochhinauswollender Pfaffe geklagt haben; ſo aber
ſchwieg er, um ſeine Schande nicht auch noch gericht-
lich zu vernehmen. Was fuͤr Erbauung laͤßt ſich in-
deß von einem Mann erwarten, der die aͤrgſten
Praͤſumptionen durch ſelbſtverſchuldete boͤſe Geruͤchte
wider ſich hat? Und doch will dieſer Mann die reine
Lehre retten helfen!! Sonderbar iſt das immer! —
— — — — — — — — — —
— — — — — — — Doch was iſt
leichter, als kirchliche Schibolets papageienmaͤßig nach-
zubeten; und was iſt ſchwerer, als als Mann von
Einſicht und Ehre zu handeln? Zu jenem ließe ſich
gar ein Rabbi beſtechen; und nur ein Vanini be-
ſteigt fuͤr dieſes den Scheiterhaufen als — Mann i).
[359[361]] Und was gewinnt man mit dem ganzen Braſt
von — — ſogenannter reiner Lehre? Nirgend
ſieht man auf dieſe eifriger, als in Italien, Portu-
gal und Spanien: und wo herrſcht oͤffentliche Sicher-
heit, National-Induſtrie, Commerz und Wohl-
ſtand weniger als dort? Kurz, je naͤher bei der Kir-
che, — ſo ſagt der Englaͤnder — deſto ferner von
Gott, und je naͤher bei Rom — ſo ſagt der Katho-
lik — deſto aͤrgerer Chriſt k)! — Doch zuruͤck
zu mir!
Ich habe die vorhin erzaͤhlten Begebenheiten
auch noch anfuͤhren wollen, weil ſie in Halle damals
ſehr bekannt waren, und weil ſie doch auch zu mei-
i)
Zweiter Theil. Aa
[360[362]] ner Geſchichte gehoͤren. Wenn ich ſie aber auch weg-
gelaſſen haͤtte, ſo wuͤrde doch an dummen Streichen
von meiner Seite kein Mangel geweſen ſeyn, und
der Beweis, der praktiſche Beweis, daß Beſoffen-
heit allemal ſchlimme beſchimpfende Folgen hat, wuͤr-
de doch ſeine hinlaͤngliche Vollſtaͤndigkeit auch in mei-
nem Buche gehabt haben. Aber niemand ſoll mir
vorwerfen, daß ich etwas weſentliches, das mich
angehe, abſichtlich ausgelaſſen, oder bemaͤntelt habe.
Das bin ich dem Publikum, und beſonders jenen
ſchuldig, welche bei mir uͤbel weggekommen ſind.
Das freie unbefangene Geſtaͤndniß meiner eignen
Thorheiten muß die Freimuͤthigkeit rechtfertigen, mit
welcher ich die dummen Streiche Anderer angefuͤhrt
und geruͤgt habe. Ich bin wirklich nach und nach
von dergleichen Poſſen, beſonders von dem un-
baͤndigen Saufen zuruͤckgekommen; doch davon wei-
ter unten.
Ein und dreißigſtes Kapitel.
Militaͤriſche Metamorphoſe. Wiederum Liebelei. Patrioten-
Spektakel in Holland. Kirchenparade. Folgen des Kir-
chenzwangs. Avis an die Prediger.
Bei meiner Zuruͤckkunft nach Halle, war die Exer-
cierzeit angegangen, und weil alle Quartiere belegt
[361[363]] waren, ſo mußte ich bei einem gewiſſen Kolbach fuͤr
lieb nehmen. Hier lag noch ein Soldat, Namens
Koggel, der vorzeiten in Halberſtadt die Schule
beſucht hatte, hernach aber zum Soldatenſtand ge-
zwungen war. Mit dieſem braven geſchickten Mann,
der endlich Unterofficier geworden iſt, habe ich da-
mals die genaueſte Freundſchaft geſtiftet und bis jezt
fortgeſezt. Ich habe viel Vergnuͤgen in ſeinem Um-
gang genoſſen.
Meine Stunden fing ich gleich nach meiner Zu-
ruͤckkunft wieder an; und meine damaligen Scho-
laren waren Kochlovius, Verfaſſer eines Ro-
mans und vertrauter Freund des beruͤchtigten Groſ-
ſings, Herr Richter aus Schleſien, Buchholz,
Schulz, Solbrig, Preuß, Martin und
andere. Allen meinen Scholaren danke ich, und
werde ihnen immer danken fuͤr ihre Freundſchaft
gegen mich.
Nach dem Abſterben unſers großen Koͤnigs,
fand der jetzige Wilhelm bei der naͤchſten Revuͤe fuͤr
gut, mit der Armee einige Abaͤnderungen vorzuneh-
men, welche aͤhnliche bei den Regimentern nach ſich
zogen. Das unſrige beſtand ſeit 1783 aus achtzehn
Compagnien: von dieſen nahm Wilhelm ſechſe weg,
ließ zwei von Briezen dazu ſtoßen und richtete ſo zwei
Fuͤſelier-Bataillons auf. Die Compagnie, bei der
ich ſtand, war auch eine von denen, welche zu den
[362[364]] neuen Battaillons gezoge wurden; und da alle
großen Leute beim Regiment bleiben ſollten, ſo wur-
de auch ich ausgehoben und zur Kompagnie des da-
maligen Hauptmanns von Manteufel abgegeben.
Ich verließ meine vorige Kompagnie und den Ma-
jor von Muͤffling ſehr ungern: ich war einmal
der Leute gewohnt, kannte ſie alle und wußte, wie
man mit ihnen leben mußte; allein nun kam ich zu
einer Kompagnie, deren Officiere und Soldaten mir
alle unbekannt waren. Da war ich gleichſam wie-
der Rekrut. Ich kam ins Logis zum Feldwebel
Gruneberg, einem recht guten Mann, wo ich auch
bis auf dieſen Tag geblieben bin. Ich wuͤrde ſehr
wenig Achtung gegen meine Leſer aͤußern, wenn ich
meine oͤkonomiſche Lage naͤher beſchreiben wollte:
das ſind fuͤr ſie Kleinigkeiten, welche man uͤbergehen
muß: kuͤmmerlich war freilich alles!
Ich habe ſchon oben geſagt, daß es mir einmal
eingefallen ſey, eine Frau zu nehmen, weil ich des
Quartierliegens bei andern uͤberdruͤſſig war. Eben
ſolche Gedanken hatte ich auch 1787. Ich ward
naͤmlich mit einem robuſten vollbuſigten Maͤdchen be-
kannt, das mit Vornamen Roͤſe hieß. Ich fand,
wenn ich mich ſelbſt ſo fragte, daß ich mit ihr wuͤrde
leben koͤnnen, und beſchloß, da ſie und ihre Eltern
einwilligten ſie auf Oſtern des folgenden Jahres zu
heurathen. Wir gingen ſchon ziemlich vertraut mit
[363[365]] einander um, doch ohne den Wohlſtand oder die Ehr-
barkeit zu beleidigen. Dieſes habe ich auch niemals
bei Frauenzimmern gethan, fuͤr welche ich einige
Achtung hatte: der rohe ungeſchliffene Menſch nur
kann dergleichen unternehmen.
Indeſſen war ich von Liebe weit entfernt: ich
ſahe in Roͤſen blos ein Geſchoͤpf, in deſſen Geſell-
ſchaft ich meine noch uͤbrige Zeit ruhig und friedlich
zubringen koͤnnte: und ſo ſchaͤtzte ich ſie allerdings,
ohne jemals von dem einiges zu fuͤhlen, was ich bei
meinem Thereschen vor dreizehn Jahren ſo lebhaft
gefuͤhlt hatte. Ich konnte drei Wochen leben, ohne
Roͤſen zu ſehen, und machte mir daruͤber keinen truͤ-
ben Augenblick. Zum Eheſtande, dachte ich aber,
gehoͤre ganz und gar keine Liebe: dieſe ſey oft die
Quelle von tauſend Unannehmlichkeiten und Qua-
len — folglich mehr ſchaͤdlich als nuͤtzlich. Ich
hatte dergleichen geleſen, gehoͤrt und mir es auch
durch Reflexion abſtrahirt. Es ſollte aber aus mei-
nem Vorhaben auch dieſesmal nichts werden. Ich
war zu der Zeit noch immer ziemlich luſtig, lebte in
den Tag hinein, und verthat mein Geld, wie und
wo ich konnte. Dieſe Wirthſchaft gefiel meiner Mam-
ſel nur halb, und ſie machte mir deswegen Vorſtel-
lungen und Vorwuͤrfe. Allein ich kehrte mich wenig
daran, und ſo ward unſer Umgang immer kaͤlter.
Vorwuͤrfe und dergleichen ſind allemal der kuͤrzeſte
[364[366]] Weg zur Trennung. — Auſſerdem bemerkte ich, daß
meine Scharmante einen ihrer Vorder-Zaͤhne ver-
lohren hatte: und dieſe Endeckung zog wirklichen
Widerwillen von meiner Seite nach ſich. Ich hatte
ſie gewiß der Schoͤnheit wegen nicht fuͤr mich be-
ſtimmt: ſie war nichts weniger, als ſchoͤn: jedoch
wollte ich auch nicht haben, daß ſie haͤßlicher werden
ſollte, als ſie war: und daher verminderte die bloße
Bemerkung eines fehlenden Zahns ihren Werth fuͤr
mich gar ſehr. Das Ding geht, duͤnkt mich, ganz
natuͤrlich zu.
Allein es kam noch mehr, das uns trennen
ſollte. Ich erfuhr, daß meine Roͤſe vorher mit
einem andern Soldaten gut geweſen war, wie man
in Halle ſagt: ihre eigne Mutter eroͤffnete mir dieſes
Geheimniß, ſetzte aber hinzu, daß ſie dem Dinge
ein Ende gemacht haͤtte. Das gefiel mir noch weni-
ger, und machte meine Eiferſucht, oder vielmehr
meinen Stolz gewaltig rege. Sollſt du denn, dachte
ich, der Nachfolger eines andern dummen Kerls
ſeyn? Dieſer Gedanke quaͤlte mich bis zur reifen
Ueberlegung. Waͤre ich verliebt geweſen, ſo haͤtte
ich dergleichen vielleicht uͤberſehen, aber ſo behandelte
ich meine Liebſchaft nach gewiſſen Grundſaͤtzen, mit
welchen eine fruͤhere durch die Mutter verhinderte
Liebſchaft ſchlechterdings nicht uͤbereinkam. Ich
unterſuchte die Sache genauer, und da erfuhr ich
[365[367]] denn, daß mein Maͤdchen ſehr traulich mit ihrem
vorigen Galan, der aber bei weitem nicht ihr erſter
geweſen war, umgegangen ſey. Das verdroß mich
ſchroͤcklich, und ich beſchloß, zu brechen. Dieſes Vor-
haben wurde noch beſchleunigt, als ich erfuhr, daß
ſie ſich, um ſich vielleicht fuͤr meine Kaͤlte ſchadlos
zu halten, an den Bedienten der Herrſchaft, bei
welcher ſie damals diente, gehaͤngt hatte, und fleißig
mit demſelben die Kneipen in und außerhalb der
Stadt beſuchte. Nun war es bei mir alle, und ich
bekuͤmmerte mich gar nicht weiter um ein Maͤd-
chen, von dem ich vorausſahe, daß es mich, wenn
es meine Frau ſeyn wuͤrde, mit Hoͤrnern kroͤnen
muͤßte.
Das Maͤdchen hat hernach einen Leinenweber
geheurathet, mit welchem ſie ziemlich vergnuͤgt lebt.
Ich goͤnne ihr alles Gluͤck. — Dieſe Erzaͤhlung ſoll
auch die letzte dieſer Art ſeyn, welche ich meinen Le-
ſern auftiſche. Ich glaube, daß ſie eben ſo viel Un-
luſt empfinden, derlei Poſſen zu leſen, als ich — ſie
zu beſchreiben. Sinds doch Lappereien!
Im Sommer 1787 mußten die Fuͤſelier nach
Holland marſchiren, um da den Patrioten-Spekta-
kel beizulegen. Sie kamen ſchon zu Anfang des fol-
genden Jahres zuruͤck und hatten beinahe alle eine
Sackuhr u. dgl. erobert; aber nur einen einzigen
Mann, Schauerte, durch das feindliche Geſchuͤtz
[366[368]] eingebuͤßt. Durch Deſertion gingen freilich viele ab;
aber das iſt nun einmal bei den Soldaten nicht an-
ders. Mich wunderts, daß kein Preußiſcher Augen-
zeuge die Beſchuldigungen widerlegt hat, die den Pa-
trioten-Baͤndigern von dem Verfaſſer der Schrift:
Die Preuſſen vor Europas Richterſtuhl
angeklagt, gemacht ſind.
Fuͤr mein Theil lebte ich ziemlich ruhig, und
da ich immer Stadt-Urlaub hatte, kam ich weiter
nicht zur Kompagnie, als zu Zeiten bei der ſogenann-
ten Kirchenparade. Ich muß doch hiervon auch ein
Woͤrtchen anbringen. Dieſe Parade, welche Sonn-
und Feiertags fruͤh gehalten wird, hat allerdings ih-
ren mannigfaltigen Vortheil. Sie macht, da man
dabei deſonders auf guten Anzug ſieht, daß der Sol-
dat nicht vergißt, ſich reinlich und proper anzuziehen.
Das ſollte aber auch billig das Einzige ſeyn, was
man dabei beabſichtete. Wer ſonſt in die Kirche ge-
hen will, — und das wollen allemal Viele, da viele
Soldaten noch große Verehrer des Kirchengehens
u. dgl. ſind — der geht ohne allen Zwang hinein;
und wer nicht hinein will, den ſollte man durchaus
nicht hineinzwingen. Es iſt ja ſelbſt nach den ortho-
doxeſten chriſtlichen Begriffen ein toller Gedanke, je-
manden zum Gottesdienſt, wie das Predigthoͤren,
Nachtmahllaufen u. dgl. misbraͤuchlich genannt wird,
zu zwingen und die Verſaͤumniß derſelben zu beſtra-
[367[369]] fen. Ich darf nicht erſt die Tollheit dieſes Gedan-
kens beweiſen. Selbſt unter Katholiken erregte es
bei den Vernuͤnftigern ein lautes Gemurre, als der
Geheimerath Babo, der Onkel des braven Herrn
Profeſſors Babo zu Muͤnchen, weil er einige oͤſter-
liche Zeiten verſaͤumt und die Meſſe ſelten beſucht
hatte, mit dem Herrn von Montbuiſſon, der
des naͤmlichen Staatsverbrechens beſchuldigt war,
in Manheim mit kirchlichen Strafen belegt wurde.
Das geſchah, wenn ich nicht irre, 1784 und zwar
in der Pfalz, wo Pfaffen immer das Regiment ge-
fuͤhrt haben und noch fuͤhren l). Allein in einem
Lande, wie das Preußiſche iſt, wo die Pfafferei
kein ſelbſtaͤndiges Pfaffenrecht mehr hat, ſollte billig
dergleichen nicht weiter gehoͤrt werden. Es hat mich
daher immer ſehr gewundert, daß bei uns noch ein
ſolcher kirchlicher Zwang ſtatt findet: ja, nichts hat
mich mehr gekraͤnkt und aufgebracht, als wenn ich
die Kirche beſuchen mußte. Ich hatte zwar vernuͤnf-
tige Vorgeſezte, welche es nicht ſo genau nahmen,
[368[370]] wenn ich zuweilen vorbeiſpazierte: allein um dem
Arreſt zu entgehen, ſah ich mich doch oft genoͤthigt,
mich in der Kirche pfahlweiſe hinzuſtellen: denn die
Sitze ſind ſchon vorher alle durch Buͤrger, Weiber,
Maͤdchen, Nymphen u. dgl. in Beſchlag genommen.
Da ich nun einen unbezwinglichen Widerwillen gegen
alle und jede Pfafferei in mir fuͤhle, ſo glaubte ich
mir keine beſſere Genugthuung gegen dieſen Zwang
verſchaffen zu koͤnnen, als wenn ich meine Kirchzeit
mit Buͤcherleſen hinbrachte: und gerade waͤhlte ich
zu dieſem Behufe Buͤcher, welche ich zu Hauſe gewiß
nie geleſen haͤtte. Um keinen zu aͤrgern, mag ich ſie
nicht einmal nennen: genug, ſie waren hoͤchſt profan
und ſchaͤndlich. Die andere Art, mich gegen dieſen
Zwang ſchadlos zu halten, war, daß ich die nun und
dann aufgefangen, oder mir von meinen Cameraden
vorgeruͤhmten Lehrſaͤtze derb perſiflirte, und von da
auf Pfaffen und Pfaffenweſen in den bitterſten Aus-
druͤcken losfuhr. Auch habe ich bemerkt, daß dieſer
verbitterte Zuſtand meines Innern mich die lezte Zeit,
wo ich oft Monate lang meine Neigung zum Trunke
gluͤcklich bezwungen hatte, gerade an dieſem Tage
hinriß, meinen geaͤrgerten Muth durch ein Getraͤnke
nur noch mehr zu erhitzen, wodurch ich ihn zu kuͤh-
len dachte. — Dies und die Erfahrung, daß gerade
Italien und Frankreich die meiſten und ſcharfſinnig-
ſten ſogenannten Freigeiſter erzeugt haben, lehrt, wie
[369[371]] mich duͤnkt, unwiderſprechlich: Daß Religion oder
Religioͤſitaͤt erzwingen wollen, gerade das Mittel
ſey, ſie vollends zu untergraben. —
Des Predigers Pflicht waͤre es allerdings, dar-
auf zu ſehen, daß niemand mit Gewalt ihm zuhoͤren
duͤrfte. Um aber dies zu bewirken, muͤßte der groͤßte
Theil dieſer Herren das Geſchick haben, moraliſche
Wahrheiten ſo gemeinverſtaͤndlich, buͤndig und ſchoͤn,
[...] hinreiſſend vorzutragen, wie vor Zeiten De-
moſthenes und Cicero politiſche vortrugen. Wer
zwang hier jemanden, dieſen zuzuhoͤren? Jeder,
auch der gemeinſte Mann, drang ſich von ſelbſt hin-
zu, horchte, begriff und folgte. Der Vortrag hatte
Intereſſe fuͤr Alle! War das aber zu der Zeit moͤg-
lich: warum nicht auch noch jezt — wenn wir naͤm-
lich nur auch noch jezt ſolche Redner und Rednerfrei-
heit haͤtten, wie man ſie damals hatte? Das iſt in-
deß der Knoten! Haͤtten jene Fuͤrſten der Redner
vorſchriftsmaͤßig unnuͤtzes, unbegreifliches Zeug her-
faſeln muͤſſen: wuͤrde der einſichtigere Theil ihrer
Mitbuͤrger ihr Zuhoͤrer geworden ſeyn? Wuͤrden die
Herren Redner nicht ſich und ihr Fach veraͤchtlich ge-
macht haben? — Haͤtten ſie hingegen gemeinnuͤtzige
Wahrheiten ſchwuͤlſtig oder ſchwerbegreiflich vorge-
tragen: wuͤrde der gemeine Mann nicht aus Furcht
vor Langerweile weggeblieben ſeyn? — Alſo huͤbſch
den Mittelweg gegangen wie jene, aber ja praktiſch,
[370[372]] praktiſch und nicht myſterioͤs, nicht hyperphyſiſch:
und wer wuͤrde es verſchmaͤhen — hoch oder nie-
drig, gelehrt oder ungelehrt — ſich von einem geſez-
ten, ſachkundigen Mann uͤber moraliſche Angelegen-
heiten ein ſtuͤndchenlang gemeinſchaftlich unterhalten
zu laſſen? — So machte es groͤßtentheils Herr
Tiede, jezt Inſpector zu Liegnitz. Dieſer ehrwuͤr-
dige Mann verband mit einem gemeinnuͤtzigen und
leicht faßlichen Vortrag den ſchoͤnſten Ausdruck in
Worten und Gebaͤhrden: und ſeine Kirche war im-
mer voll. Allein mancher Herr wuͤrde keine oder doch
nur wenige Zuhoͤrer haben, wenn ihm nicht ein Hau-
fen gezwungener Menſchen zuhoͤren muͤßte. Freilich
ſtiften dieſer Art Herren heilige Reden von der Erge-
bung in den Willen Gottes — von den Ausſichten
in die Ewigkeit und andern dergleichen Siebenſachen
blutwenig Nutzen; aber ſie haben doch ein zahlreiches
Auditorium, und daran haben ſie genug. —
Zwei und dreißigſtes Kapitel.
Herr Bispink. Kryptokatholizismus. Proſelyterei. Almaͤ-
lige Beſſerung von meiner Seite. Verluſt meines
Stadt-Urlaubs.
Im Jahre 1787 kam ich in naͤhere Bekanntſchaft
mit einem Mann, der hernach mein beßter Freund
[371[373]] und wahrer Wohlthaͤter geworden iſt. Dieſer Mann
iſt Herr Bispink. Ich kannte ihn vorher ſchon et-
was; allein unſer naͤhere Umgang entſtand erſt, als
er mir eine Abhandlung aus dem Italiaͤniſchen zu
uͤberſetzen auftrug. Sie hieß im Original: Dell
influenza del Commercio ſopra i Talenti e ſui
Coſtumi. Eine Ueberſetzung davon hatte der hieſige
Buchdrucker, Herr Francke, zum Verlag uͤber-
nommen und ſchon bis zum dritten Bogen abſetzen
laſſen. Von ohngefaͤhr war dem Herrn Bispink ein
Bogen davon zu Geſicht gekommen, und gleich war
ihm die Unbrauchbarkeit dieſer Ueberſetzung fuͤrs Pu-
blikum aufgefallen, die auch wirklich, außer der ſkla-
viſchen Wortfolge, ſo verworren und verſtuͤmmelt
ausſah, daß ſich bei mehreren Stellen gar kein Sinn
herausklauben ließ. Um alſo den Herrn Francke vor
Makulatur zu ſichern, trug mir Herr Bispink, der
zu der Zeit noch in keiner naͤhern Verbindung mit
Herrn Francke ſtand, auf, das Original noch einmal
woͤrtlich zu uͤberſetzen. Ich that dies: und dieſe
meine Arbeit, verglichen mit dem Original, ſezte den
Herrn Bispink in Stand, mit weniger Zeitverluſt,
eine ganz neue Ueberſetzung vorzunehmen, die dem
Sinn und der Gedankenfolge des Originals mehr
angemeſſen war. Ich muß geſtehen, daß ich hier
den Unterſchied zwiſchen einer woͤrtlichen und ſaͤch-
lichen Ueberſetzung recht auffallend bemerkt habe.
[372[374]] Wie gluͤcklich die leztere dem Herrn Bispink gera-
then ſey, haben die Goͤttinger Anzeigen ent-
ſchieden, und es lehrt es der Augenſchein in — des
Grafen von Arco Abhandlung uͤber den
Einfluß des Handels auf den Geiſt und
die Sitten der Voͤlkerm). Waͤhrend dieſer
Arbeit kam ich mehrmahls zu Herrn Bispink: und
ſo lernten wir uns gegenſeitig naͤher kennen, und er
fand an mir vielleicht Einiges, das mir ſeine Ach-
tung zuzog.
Ich will den Herrn Bispink hier eben nicht
karakteriſiren: das wuͤrde ihm ſelbſt, als dem Mit-
verleger dieſer Schrift, am wenigſten lieb ſeyn. Aber
Einiges muß ich doch von ihm ſagen, da er ſo vielen
Einfluß auf meine Lage gehabt hat.
Herr Bispink war, wie bekannt iſt, vor Zeiten
Franziskaner. Wer ihn naͤher kennt, wird gern
glauben, daß das Moͤnchsweſen fuͤr ſeinen Kopf eben
ſo wenig war, als fuͤr ſein Herz. Durch Huͤlfe des
Selbſtgruͤbelns und des fleißigen Leſens in den Wer-
ken der Kirchenvaͤter hatte er ſich allmaͤlig ſeiner Ge-
wiſſensfeſſeln ſo weit entledigt, daß er nach und nach
anfing, ohne Skrupel proteſtantiſche Schriften zu
Rathe zu ziehen und die Unfehlbarkeit der Kirche zu
bezweifeln. Volle neun aͤngſtliche Jahre ſoll es ge-
[373[375]] koſtet haben, ehe es ihm gelungen ſey, nach gewiſſen-
hafter, ſorgfaͤltiger Pruͤfung ſich erſt uͤber den Ka-
tholicismus und endlich gar uͤber Alles, was hoͤhere
Offenbarung heißt, mit ruhiger Ueberzeugung weg-
zuſetzen. Bei dieſer Denkungsart war es wohl un-
vermeidlich, nicht hier und da durch freimuͤthigere
Aeußerungen im Sprechen und Handeln den Ver-
dacht und Haß ſeiner Ordens- und Glaubensgenoſſen
ſich zuzuziehen. Dies geſchah vorzuͤglich die vier
Jahre hindurch, die er als Profeſſor der Philoſo-
phie im Franziskanerkloſter zu Warendorf docirte.
Der Erfolg davon war, daß man ihn bei den Fran-
ziskanern zu Rittberg ſo lange gefaͤnglich verwahrte,
bis man ihn im dritten Jahre fuͤr todt erfroren ſei-
ner Gefangenſchaft entließ. Drei Vierteljahre gin-
gen hin, ehe er ſich von den Folgen dieſes Zuſtandes
erholte. Kaum war er aber ſeiner Glieder wieder
maͤchtig, ſo ſann er auf Mittel, ſich den geiſtlichen
Cannibalen, ſamt allem, was Gewiſſens- und Kir-
chenzwang heißt, auch auf Koſten ſeines Lebens, zu
entziehen, und auf Gottes weiter Welt als freier
Menſch zu beſtehen. Er entwarf lange und vorſichtig,
und es gelang ihm, 1783 aus dem Franziskanerklo-
ſter zu Hardenberg nach Schwelm in der Grafſchaft
Mark gluͤcklich zu entwiſchen. Hier begab er ſich
unter Preußiſchen Schutz, fand an Herrn Paſtor
Spitzbarth einen zweiten Vater, und kam end-
[374[376]] lich 1784, auf des Herrn Profeſſor Eberhards
Rath, nach Halle.
Und dieſen Mann der Leiden — wer ſollte es
glauben! — hielten anſehnliche Hallenſer eine Zeit-
lang fuͤr einen — Kryptokatholiken. Ich ſelbſt habe
dergleichen ſchnurrige abſurde Urtheile uͤber ihn ge-
hoͤrt. Aber ſo uͤber Herrn Bispink zu urtheilen,
hieß doch gewiß recht komiſch urtheilen! Ein Mann,
welcher drei Jahre lang im Gefaͤngniß ſchmachten
mußte, wegen Antijeſuitismus und Antimonachismus,
ſollte nun ein Emiſſar ſeiner Peiniger werden? —
ſollte ein Unweſen verbreiten helfen, das ihm ſo viel
Ungluͤck und Verfolgung und dadurch einen unver-
ſoͤhnlichen Haß gegen Alles, was Pfaffe und poſitive
Religion heißt, zugezogen hatte? Kein Vernuͤnftiger
haͤtte ſo denken ſollen: und doch dachten und ſprachen
mehrere ſo, welche ſich, wer weis, fuͤr welche helle
Koͤpfe halten.
Da ich den katholiſchen Pfaffismus ziemlich aus
der Pfalz her kannte, ſo war mir es immer ange-
nehm, wenn unſer Geſpraͤch auf dieſen Gegenſtand
ſich lenkte, und Herr Bispink ſeine freiern Urtheile
uͤber dergleichen Fratzen aͤußerte. Er hat auch eini-
ges uͤber dieſe Poſſen anonymiſch geſchrieben, wel-
ches, ſo viel ich davon verſtehe, in nuce das Beßte
iſt, was man uͤber dieſe Materie hat. Ließen ge-
wiſſe Umſtaͤnde es zu, ihn als den Verfaſſer dieſer
[375[377]] Werkchen zu nennen, ich bin gewiß, der vorhin
angefuͤhrte Verdacht wuͤrde ſich ſelbſt zernichten.
Schade! daß der gute Mann ſich im Gefaͤngniß zu-
viel Stoicismus eigen gemacht hat, um ſich nirgend
auf- oder vorzudraͤngen.
Die vielen und mannigfaltigen Kenntniſſe, wel-
che er troz allem pfaffiſchen Druck der Kloͤſter, und
troz der fuͤrchterlichen Unterrichtsmethode der Jeſui-
ten und Franciskaner, blos durch eignen verſtohlnen
Fleiß, der freilich von heißer Lernbegierde unterſtuͤzt
wurde, erwarb, machten mir ihn eben ſo ſchaͤtzbar,
als ſeine unveraͤnderliche Anhaͤnglichkeit an allem,
was liberal, edel und recht iſt. In ſeinem Umgang
haͤtte ich bald ein guter Menſch werden koͤnnen,
wenn die Krankheit bei mir nicht zu tief eingewur-
zelt geweſen waͤre, und wenn nicht Jahre, viele
Jahre erfordert wuͤrden, ſolche ulcera inveterata zu
heilen. Daß ich aber bei ihm in manchen Kenntniſ-
ſen weiter gekommen bin, bekenne ich mit Dank.
Oft hat es mich gewundert, warum Herr Bispink,
der doch unſern hieſigen Gelehrten, durch ſein oͤfteres
Diſputiren bei Semler, Eberhard und Nie-
meyer, von der vortheilhafteſten Seite bekannt
war, und um deſſen willen der verſtorbene Baſedow
ſich dreimal hieher begeben hatte, um ihn zu ſeinem
Mitarbeiter anzuwerben, nicht als Schulmann auf
Zweiter Theil. Bb
[376[378]] einen Poſten geſtellt wurde, der ſeinen Kenntniſſen
und Talenten entſprochen haͤtte? Allein hernach konnte
ich mir dieſe Frage leicht aufloͤſen: Herr Bispink iſt
ein Philoſoph zu Fuße, der ſich aus der Complimen-
ten-Welt nicht viel macht, und Freimuͤthigkeit ge-
nug beſizt, das zu tadeln, was Tadel verdient. Auch
mag es ſeyn, daß einige Herren nicht gern mit einem
Mann zuſammenkommen mochten, der in manchem
Stuͤcke ſie uͤberſah. Ueberdies weiß man, daß der
liebe Nepotismus viele wuͤrdige und verdienſtliche
Maͤnner zuruͤckſezt, um die Herren Vetter zu Amt
und Brodt zu verhelfen.
„Aber Herr Bispink iſt — Proſelyt!“ —
Gut! er wards, um ſeine buͤrgerliche Freiheit auf
ſeiner Reiſe nach Halle im Koͤllniſchen Sauerland
wider alle moͤglichen Anfaͤlle der dortigen katholi-
ſchen Obrigkeit, nach dem Weſtphaͤliſchen Frie-
den und Bergiſchen Receß, zu ſichern. Wer ihn
kennt, wird wiſſen, daß Brodſucht oder eingeengte
theologiſche Denkungsart der Grund davon bei ihm
nicht war. Er weis ſehr wohl, daß es immer Thor-
heit iſt, die eine Thorheit gegen die andere auszu-
tauſchen: aber warum machen unſere buͤrgerlichen
Verfaſſungen dies oft zur Noth? — Und was iſt
denn ein Proſelyt? Nicht wahr, ein Menſch, dem es
beliebt, mit den Materialien und der Form ſeines
kirchlichen Denkens und Handelns eine autori-
[377[379]] ſirte Umaͤnderung vorzunehmen? Iſt dies ein Fehl-
tritt, um deſſen willen — zumal wenn er vom Ka-
tholicismus zum Proteſtantismus geſchieht — man
jemanden ſein buͤrgerliches Fortkommen erſchweren
muß? Iſt denn der philoſophiſche Proſelytismus —
im Ganzen genommen — von dem theologiſchen ver-
ſchieden? Iſt Herr Rheinold zu Jena darum
minder zu ſchaͤtzen, weil er vom Leibnitzismus zum
Kantismus uͤbergangen iſt? Oder kann man es dem
Herrn Profeſſor Eberhard verargen, daß er in
ſeiner Apologie des Sokrates ganz anders
ſich aͤußert, als die gewoͤhnlichen kirchlichen Denk-
und Lehrformen es erheiſchen? Iſt ferner — dem
Geſetze der Perfectibilitaͤt gemaͤß — nicht jeder
Menſch, in gewiſſer Ruckſicht, Proſelyt? — —
Aber ſo widerſprechend handeln wir Menſchen, zu-
mal wir Proteſtanten! Ueberall wollen wir auf-
klaͤren, uͤberall Gewiſſensfreiheit als ein Heilig-
thum aufrecht erhalten: und treten Maͤnner, von
eben dieſen Grundſaͤtzen und Geſinnungen beſeelt,
aus dem Gedraͤnge einer andern Kirchenparthei
zu uns heruͤber, ſo erſchweren wir ihnen ihr
Vorankommen als Buͤrger, achten ihre Brauch-
barkeit weniger und brandmarken eben dadurch
den deſpotiſch-paͤpſtelnden Geiſt unſers Mittel-
dings von — Proteſtantismus. Fort daher mit
allem Kirchenplunder, der nur das kuͤnſtlich
[378[380]] trennt, was Vernunft natuͤrlich vereinigt wiſſen
will! —
Man wuͤrde mich misverſtehen, wenn man
dieſe meine Aeußerung dahin deuten wollte, daß man
jeden Proſelyten gleich mit offenen Armen empfan-
gen ſollte. Dies waͤre wider alle Menſchenkennt-
niß und Klugheit. Nein, man pruͤfe hier, wie
uͤberall, erſt ſeinen Mann recht und lange, und be-
handle ihn dann nach Befinden. Iſt er gut, iſt er
brauchbar, und hat man an ihm weiter nichts aus-
zuſetzen, als daß er ein Proſelyt iſt; ſo finde ich es
aͤußerſt hart, ihn blos darum zuruͤckzuſetzen. Ich
denke, jeder Vernuͤnftige wird hierin mit mir uͤber-
einſtimmen. Zu wuͤnſchen waͤre es alſo immer,
daß man zur Ehre der Toleranz in Preußen das alte
Geſez: daß kein Proſelyt irgend ein Kirchen- oder
Schulamt bekleiden ſolle, dahin abaͤnderte, daß man
dies nur von ungepruͤften, unbewaͤhrtgefundener,
oder notoriſch ſchlechten Proſelyten verſtanden wiſ-
ſen wolle.
Daß man dem Herrn Bispink von Seiten
ſeiner Lebensart nichts Nachtheiliges vorwerfen kann,
werden alle diejenigen gern bezeugen, welche ihn die
acht Jahre hindurch, die er jezt hier iſt, genauer
gekannt haben. Stiller, haͤushaͤlteriſcher, thaͤtiger,
wohlwollender, kurz, vernuͤnftiger und nuͤtzlicher,
als er, leben wohl wenige in Halle — troz ſeiner
[379[381]] ſchwaͤchlichen Geſundheit und troz dem kuͤmmerlichen
Druck, mit dem er die ganze Zeit uͤber noch bis
jezt zu kaͤmpfen gehabt hat. Weiter will ich von
Herrn Bispink hier nichts ſagen: vielleicht tritt er
bald ſelbſt mit ſeiner Lebensgeſchichte hervor. Was
ich aber geſagt habe, iſt ſo wahr, daß ich den
Vorwurf der Schmeichelei gegen ihn, als meinen
Freund und Wohlthaͤter, nicht befuͤrchte. Man er-
kundige ſich: und man wird hoͤren, daß ich die
Wahrheit geſagt habe.
Die Freundſchaft dieſes Mannes blieb nicht
blos beim Moraliſchen ſtehen: er kannte meine Lage
genau, und ohne mein Bitten zu erwarten, kam er
meinen Beduͤrfniſſen ſehr oft zuvor. Und dieſer
ſeiner Unterſtuͤtzung verdanke ich es, daß ich anfing,
weit gemaͤchlicher, aber auch mit mehr Beſinnung
zu leben, als meine Lage vorher es zuließ. Nach
meiner eignen Empfindung habe ich freilich die Guͤ-
te dieſes Mannes nicht allemal ſo gebraucht, wie
ein guter Menſch mit der Wohlthaͤtigkeit anderer
braver Leute ſchalten muß; aber er ſelbſt hat nie-
mals uͤber Misbrauch geklagt. Allerdings billigte er
nicht immer, was ich that; aber grobe Vorwuͤrfe
oder kraͤnkende Verweiſe habe ich niemals von ihm
gehoͤrt. Vielmehr verriethen alle ſeine Winke auf
mich und meine Lebensart, eine gewiſſe Delikateſſe,
die mehr Mitleid mit mir, und mehr regen Wunſch
[380[382]] meiner Beſſerung zum Grunde hatte, als herrſch-
ſuͤchtige Ruͤge. Ja, von allen meinen Zuchtmei-
ſtern hat er am angemeſſenſten auf mich gewirkt.
Meine meiſten Fehltritte in Halle entſtanden aus
Mangel an Lebensunterhalt und Beſchaͤftigung. Die-
ſem Mangel half er abſichtlich, wie ich hintendrein
bemerkte, auf allerhand Art ab. Bald unterſtuͤzte
er mich mit Geld, bald gab er mir etwas zu uͤber-
ſetzen oder auszuziehen: uͤber dieſes wurde gemein-
ſchaftlich geſprochen, dies oder jenes geruͤgt und ver-
beſſert: bald uͤber allerhand philoſophiſche Materien
ſowohl dentſch als lateiniſch diſputirt: zur andern
Zeit machte er mich auf neuere Buͤcher aufmerkſam,
und hatte uͤberhaupt die Guͤte, mir zu jeder Zeit
freien Zutritt zu ihm, und freien Gebrauch von ſei-
ner Bibliothek zu erlauben. Hierdurch ward ich
allmaͤlig an beſtimmte Arbeiten und Lectuͤre
gewoͤhnt, fand ſogar endlich Geſchmack daran, und
entzog mich, um dieſen zu befriedigen, meinen ehe-
maligen ſchlechten Zuſammenkuͤnften, uͤbernahm mich
ſeltner im Trunk, und kurz, ich fing allmaͤlig an, —
mich zu beſſern. So viel vermag die Behandlung
eines Mannes, der, durch die Nothphiloſophie ge-
uͤbt, mit Dido ſagen kann:
Non ignara mali, Miſeris fuccurrere diſco.
Daß aber Herr Bispink die Nothphiloſophie theore-
tiſch und praktiſch gelernt habe, beweiſen ſeine Ge-
[381[383]] faͤngniß-Gedichte unter dem Titel: Fragmenta
pſychologico-moralian). — Wie viel Gutes
ließe ſich von vielen verirrten Ungluͤcklichen, oder
moraliſchen Kruͤppeln erwarten, wenn ihre Vorge-
ſezten ein — Bispink waͤren! — Doch ich muß
ja noch mehr von dieſem rechtſchaffenen Mann ſa-
gen: daher will ich jezt in meiner uͤbrigen Erzaͤhlung
fortfahren.
Um Weihnachten dieſes Jahres (1787) kam
Herr Dietſch, der Weinhaͤndler, der mir den Ur-
laub bewirkt hatte, nach Halle. Er ließ mich kom-
men, und ich mußte ihm die Gruͤnde meiner Ruͤck-
kehr anzeigen, womit er ſich auch vollkommen be-
gnuͤgte. Er ſtreckte mir einen Louisd'or vor auf
Rechnung meines Vaters. Er gab mir viele Nach-
richten von meinen Verwandten, woruͤber ich zum
Theil lachte, zum Theil aber mich gewaltig aͤrgerte.
Von letzterer Art war folgende:
Herr Leveaux hatte, wie ich erzaͤhlt habe,
fuͤr mich Kaution gemacht, und wuͤrde ſie fortgeſetzt
haben, wenn mein Vater nicht hieher geſchrieben
haͤtte, daß ſie aufgehoben ſeyn ſollte. Ich konnte
mir dies von Seiten meines Vaters nicht erklaͤren:
denn er ſowohl, als meine Mutter, hatten mir hei-
lig verſprochen, die Kaution fuͤr mich ſtehen zu laſ-
[382[384]] ſen. Ich ſchrieb freilich an meinen Vater; aber ſeine
Antwort war ſo allgemein, daß ich ſelbſt nicht klug
daraus werden konnte. Nun aber erfuhr ich, daß
mein Bruder meinem Vater vorgeſtellt hatte: ich
koͤnnte ja, wenn die Kaution ſtehen bliebe, im Lande
herumſtreichen, allerlei Poſſen ausuͤben, und mei-
ner Familie noch mehr Schimpf und Schande an-
haͤngen. — Mein Vater hatte den Vorſtellungen
des theuren Herrn Sohns Gehoͤr gegeben, und mei-
ne Kaution aufgehoben. Dadurch verlohr ich mei-
nen Thorpaß, und muſte mit dem Bezirk in den
halliſchen Ringmauern fuͤr lieb nehmen. Aber trotz
den Anſtalten meines ſaubern Herrn Bruders hab
doch durch mein Betragen, und meine Dienſt-Treue
mich zum vertrauten Mann gemacht. —
Mein Bruder dachte freilich recht pfaffiſch-po-
litiſch: er befuͤrchtete naͤmlich, wenn ich noch einmal
nach Hauſe kommen moͤchte — und das konnte er
nur immer in ſeiner Rechnung ſtreichen: ich hatte
gar keine Luſt, jemals das liebe Bonzenland, die
theure Pfalz, wieder zu ſehen — ſo wuͤrde ich mich
vielleicht wieder in die Gunſt meiner Eltern und An-
derer ſetzen, und ſein Intereſſe dadurch ſtoͤren oder
doch hindern. Ein Beweis, zu dem Ovidiſchen
Fratrum quoque gratia rara eſt!
Herr Dietſch berichtete mir auch, daß mein
Bruder habe wollen Pfarrer zu Dahlheim werden;
[383[385]] daß ihm aber das kaiſerliche Oberamt zu Winweiler
allerhand Haͤndel gemacht habe, obgleich mein Bru-
der die Praͤſentation vom Herrn von Dienheim,
als dem Patron, gehabt haͤtte. Mein Bruder hatte
daruͤber mit dem Oberamte proceſſirt, und war ſo-
gar ſelbſt nach Freiburg, zur Regierung gereiſet;
aber alles vergeblich: ein gewiſſer Schweikert
hatte auf Betrieb des Oberamtmanns zu Winweiler
die Pfarre erhalten. Ich muß geſtehen, daß ich
mich bei dieſer Erzaͤhlung gar nicht betruͤbt habe:
Vielmehr empfand ich eine Art von Schadenfreude,
die freilich unanſtaͤndig, aber doch ſehr natuͤrlich iſt,
zumal wenn der Schade Menſchenkinder betrift, die
uns empfindlich gekraͤnkt haben. Her Dietſch treibt
auch Weingeſchaͤfte in Halle, und ſo habe ich ihn
hernach mehrmals geſprochen.
Zwei und dreiſſigſtes Kapitel.
Maskirte Schlittenfahrt. Haͤndel mit Quackſalbergeſindel.
Tod meines Vaters.
Im Winter 1788 hielten die Studenten eine mas-
kirte Schlittenfahrt, dergleichen ich noch nie geſehen
hatte. Die Gießer Schlittenfahrten en masque wa-
ren zwar grell genug; hatten aber weiter nichts als
[384[386]] Fratzen, Schlotfeger, Juden, Hanswuͤrſte, Bauern,
Menſcher u. dgl. Allein die Halliſche enthielt Mas-
ken, welche zu allerlei Auslegungen Gelegenheit ga-
ben, und als perſoͤnliche Anſpielungen von verſchiede-
nen gedeutet wurden. So fuhr zum Beiſpiel ein
Schwarzrock mit einer Ente im Arme herum, welche
[...]koßte und kuͤßte: und das ſollte auf einen ge-
wiſſen Herrn nebſt Appenbix zielen. Eine andere
Maske perſifflirte die Lehre vom Teufel u. ſ. w. —
Der Prorektor ſchickte den Pedell zwar hin, und
ließ die Fortſetzung der Schlittenfahrt verbieten; al-
lein die Stunde war herum, und die halliſche Welt
hatte neuen Stoff zur Erſchuͤtterung des Zwergfells
und zur Mediſan [...]e.
In eben dieſem Winter kam ein gewiſſer Augen-
arzt nach Halle, einer von jenen hundert und neun
und neunzig Hallunken o), welche in Deutſchland
herumziehen, ſich großer geheimniſſe ruͤhmen, den
Leuten die Beutel fegen, und ſie, wenn ſie ihnen
trauen, um Geſundheit und Leben bringen. Solche
Afteraͤrzte, die alle Krankheiten kennen und heilen
wollen, und doch arme Suͤnder in dem A B C der
Arzneikunde ſind, ziehen mit Privilegien im Lande
[385[387]] herum, und haben ſich fuͤr ihr geſtohlnes Geld das
Recht erkauft, durch Betruͤgereien ferner zu ſtehlen.
Das iſt abſcheulich, und Obrigkeiten, denen das Le-
ben ihrer Unterthanen theuer iſt, ſollten allen ſolchen
Schuften eine Stelle im Zuchthauſe oder auch nach
Befinden, am Galgen anweiſen. Denn wenn ja
jemand Zuchthaus oder Galgen verdient, ſo iſt es
gewiß ein ſolcher Doktor Theriak.
Der, von dem ich jetzt rede, ſchlug ſeine Bude
mitten auf dem Markte auf. Seine Begleiter wa-
ren eine alte Matrone, welche ſeine Frau hieß, aber
nach dem Bericht ſeines Hanswurſtes eine verloſſene
Kaufmannsfrau war, die den Mosjeh in Stand ge-
ſetzt hatte, Arzneyen und andere Hanswurſtiaden an-
zuſchaffen: ſodann ein junges Maͤdchen, das in
Mannskleidern auf dem Seil tanzte: endlich ein Hr.
Hanswurſt, ohne welchen kein Doktor von dieſer
Art ſubſiſtiren kann. Der Halliſche Poͤbel von ver-
ſchiedenen Staͤnden lief da zuſammen, gaffte den
Wundermann an und freute ſich gewaltig, wenn er
ſeine unglaublichen Kuren mit aller nur denkbaren
Unverſchaͤmtheit h [...]rperorirte. Die mediciniſche Rede
des Kerls ſchien aber doch nicht hinlaͤnglich: es mußte
auch noch der Hanswurſt auftreten, und mit aller-
hand Zoten und Schnurren, das Halliſche Grob in
Bewegung ſetzen. Hier zur Probe ein Geſpraͤch,
[386[388]] das er unter dem groͤßten Beifall des hieſigen Publi-
kums mit ſeinem Herrn hielt.
Herr: Hoͤre du, mein lieber Bigaz, wo biſt
denn du geſtern Abend geweſen?
Hanswurſt: In einer recht vornehmen Ge-
ſellſchaft.
Herr: Du kaͤmſt in vornehme Geſellſchaften?
Sag, wer war denn alle da?
Hanswurſt: Da waren lauter Leinweber,
Schornſteinfeger, Bruchſchneider, wie auch die hoch-
loͤbliche Innung der Beſenbinder und Privetputzer.
(ſtarkes Gelaͤchter von Seiten der Zuſchauer) Sie
haben auch von Euch geredet, Herr Doktor!
Herr: Was ſagten ſie denn von mir?
Hansw.: Ja, das darf ich nicht ſagen.
Herr: Sags doch, lieber Bigaz!
Hansw.: Ja, wenn Ihr mich nicht ſchlagen
wollt!
Herr: Nein, es mag ſein, was es will: ſags
gerade heraus; ich will dir auf Ehre nichts thun.
Hansw.: Sie ſagten Ihr waͤrt ein E.. E..
(die Zuſchauer ſperrten die Maͤuler auf.)
Herr: Ein E.. E.. was ſoll das ſeyn?
Hansw.: Ja, ja ein E.. E.. ſagten ſie,
waͤrt Ihr.
Herr: Sie ſagten vielleicht, ich ſey ein ehr-
licher Mann?
[387[389]]
Hansw.: Warum nicht gar, ein ehrlicher
Mann! Ein E.. E.. ſagten ſie, waͤrt Ihr.
Herr: Vielleicht ſagten ſie, ich ſey ein Ehe-
mann.
Hansw.: Prooſt die Mahlzeit! Ein E..
E.. ſagten ſie. (die Maͤuler der Zuſchauer gingen
noch weiter auf.)
Herr: Nun, was mag denn das ſeyn, ein
E.. E.. So ſags doch, lieber Bigaz!
Hansw.: Je nun, weil Ihrs mit Gewalt
wiſſen wollt (dem Herrn in die Ohren, aber aus
allen Kraͤften ſchreiend) Sie ſagten, Ihr waͤrt ein —
Eſel. (Allmaͤchtiges Gelaͤchter und unſinniges Haͤn-
deklatſchen des Poͤbels.)
An ſolchen Poſſen und kindiſchem Geſchwaͤtz
konnte ſich der Poͤbel von der niedrigen Klaſſe wohl
noch vergnuͤgen; aber ich habe da auch Leute ſtehn
und ſich gaudiren ſehn, welche Erziehung und Sit-
ten haben wollen. Das war unverzeihlich.
Das Maͤdchen, welches auf dem Seile tanzte,
war eben nicht haͤßlich, und hatte auch ſchon deswe-
gen, daß ſie auf dem Seile tanzte, einiges Anſehn.
Eben darum zogen auch die Studenten fleißig nach
dem blauen Hecht, wo die noble Geſellſchaft logirte,
machten dem Maͤdchen ihre Kur, und verjubelten ihr
Geld mit ihr. Eiferſuͤchtig war der Herr Doktor
keinesweges, und der Wirth noch weniger. Ein
[388[390]] gewiſſer Student, Namens Zander, den ich da-
mals unterrichtete, fuͤhrte mich auch einmal in den
blauen Hecht, wo ich den Quackſalber bramarbaſiren
hoͤrte. Ich war ſo lang ſtill, bis der Kerl endlich
gar anfing, ſich uͤber alle Aerzte hinauszuſetzen, und
unſern Meckel, Reil und andere Maͤnner als Leute
zu beſchreiben, die weit unter ihm ſtaͤnden, und wohl
noch von ihm, dem Dokter Theriak, lernen muͤßten.
Das verdroß mich haͤ [...]lich, und ich ſagte ihm derb
die Wahrheit, ſo derb, daß ich meine Diſſertation
mit Schurken, Betruͤgern, u. dergl. ausſtaffirte, und
von Galgen und Staupbeſen ſprach. Wer mich kennt,
und bedenkt, daß ich damals eine halbe Schnurre
hatte, der kann ſich vorſtellen, wie ich werde Diſſerirt
haben. Den Quackſalber verdroß das Ding gewal-
tig, und ſogar der Hanswurſt und das Nymphchen
legten ſich drein. „Ja, ſagte ich, wenn das Quack-
ſalbergeſindel nicht Hanswuͤrſte und Menſcher mit
ſich 'rum fuͤhrte, wuͤrden ſie keinen Abgang haben.“
Nun war vollends alles wider mich! ſogar nahmen
ſich die Studenten aus Gefaͤlligkeit fuͤrs Nymphchen
des Dokters an, und beinahe haͤtte ich Haͤndel mit
der Fauſt bekommen: aber Herr Zander nahm mich
weg. Der Wirth, Meiſter Frenzel, verwies
mir meine Heftigkeit. Ei was, ſagte ich, darf ſo
ein Spitzbube, auſſer ſeinen Betruͤgereien, denn
auch noch wuͤrdige Maͤnner verkleinern, und von
[389[391]] ihnen ſchlecht ſprechen? Hohl ihn der Teufel den
Hallunken! — Ja, erwiederte Meiſter Frenzel,
weder Meckel noch Reil trinken ein Glas Brante-
wein bei mir, oder auch nur eine Bouteille Bier:
aber der Doktor und ſeine Leute verzehren hier ihr
Geld. — Das war freilich ein oͤkonomiſches Argu-
ment, worauf ich nichts antworten konnte. Uebri-
gens war es doch eine wahre Suͤnde, daß ein ſolcher
Afterarzt, ein Kiliansbruſtfleck, in Halle, wo ſo
beruͤhmte, große Aerzte ſind, ohngehindert Arzneien
geben durfte, und dabei Beifall und Verdienſt fand.
Pfuy! — Dieſe Nachricht iſt freilich etwas weit-
l [...]uſtig gerathen; aber man muß wiſſen, daß ich die
Quackſalber beinahe eben ſo ſtark haſſe, als die
Pfaffen!
Im Fruͤhling 1789 ſtarb mein ehrlicher Vater.
Er war nur ſieben Stunden krank geweſen, und war
ſo ruhig, ſo ſchmerzenlos ad aethereum patrem
— wie er ſich immer ausdruͤckte — hinuͤbergeſchwun-
den, als er es jederzeit gewuͤnſcht hatte. Er ſtarb
bei ſehr heiterer Seele, und ſprach bis auf den letzten
Augenblick. Er hatte mich meinem Bruder drin-
gend empfohlen, wie dieſer mir ſelbſt geſchrieben hat.
Ich bin verſichert, daß der gute Mann keine Ge-
wiſſensbiſſe wegen ſeines Lebens empfunden hat; und
wegen ſeines Glaubens und der Zukunft konnte er
[390[392]] ſeinem philoſophiſchen Syſtem p) zufolge, keine Un-
ruhe fuͤhlen.
Ich darf meinen Leſern wohl nicht ſagen, daß
ich den Tod meines biedern Vaters ſehr tief gefuͤhlt,
und ihm viele Thraͤnen geſchenkt habe. Noch jetzt
ſchmerzt mich ſein Verluſt. — O, uͤber mich! —
Mein Bruder berichtete mir dieſe Trauerpoſt,
und ſchien in ſeinem Briefe vielen Antheil an meinem
Schickſal zu nehmen. Er fuͤgte hinzu, er wolle fuͤr
mich ſorgen; denn mein Vater habe noch etwas An-
ſehnliches hinterlaſſen. Er hoffe ſein Nachfolger zu
werden, und dann wollte er mich los machen, und
[391[393]] zu ſich nehmen, und was des Dinges mehr war.
Da mir aber ſeine Geſinnungen bekannt waren, ſo
bauete ich auf ſeine Verſprechungen wenig. Er wird
doch nichts halten, dacht ich, und dies mein Denken
traf zu, wie die Folge zeigen wird. Ich ſchrieb an
meine Mutter und ihn, und bat ſie, mir mit etwas
Geld beizuſtehen: ſie verſprachens; aber drei Monate
vergingen, ehe ich etwas erhielt..
Mein Bruder iſt indeſſen nicht Pfarrer an der
Stelle meines Vaters geworden: denn ein gewiſſer
Schoͤnfeld, ein Pfaͤlzer Pfarrer, einer von de-
nen, die ich im I. Th. S. 38. beſchrieben habe, hat
zu Mainz tauſend Gulden ſpendirt, und durch dieſen
Kanal die Pfarre erwiſcht. — — — Mein
Bruder wurde aber auch bald verſogt. Seit dem
Briefe, den er mir wegen des Abſterbens meines
Vaters geſchrieben hatte, hab ich auch weiter keine
Zeile von ihm geſehen, ob ich ihm gleich mehr als
ſechsmal geſchrieben habe. — — Herr Haag,
Herr Gimpel und noch einige Freunde haben mir
doch noch von Zeit zu Zeit aus der Pfalz Nachrichten
mitgetheilt, wofuͤr ich ihnen recht ſehr danke.
[392[394]]
Drei und dreiſſigſtes Kapitel.
Kriegeriſche Ausſichten. Hartherzigkeit meiner Mutter, und
daher entſtandene Fatalitaͤt mit meiner Wirthin.
Rettung. Tagebuch.
Schon ſeit dem Tode Koͤnig FriedrichsII ſchien
das gute Vernehmen zwiſchen Preuſſen und Oeſtreich
ſehr erſchuͤttert zu ſeyn. JoſephII war, nach
dem Bericht einiger Schriftſteller q) eben kein per-
ſoͤnlicher Freund von unſerm jetzigen Koͤnig, und das
Buͤndniß des Kaiſers mit Rußland ſchien vollends
gegen das Intereſſe von Preuſſen zu verſtoßen. Da-
her plauderte man immer ſehr viel von einem nahen
Krieg, wenigſtens hatten die politiſchen Kanngieſer
aller Staͤnde reichhaltigen Stoff bei Wein, Bier
und Schnapps uͤber Krieg und Frieden ihre Lungen
zu erſchuͤttern. Ich habe mich mein Tage uͤber ſolche
Sachen wenig bekuͤmmert, doch hab ich meine Zirkel
gern uͤber dergleichen raͤſonniren hoͤren. Dabei wer-
den oft recht komiſche Urtheile gefaͤllt, die in der
Unwiſſenheit der Raͤſonneurs ihren Grund haben.
Beſonders ſieht man da recht deutlich den Unterſchied
in den Geſinnungen und Urtheilen der Proteſtanten
[393[395]] und Katholiken. Letztere ſehen den Kaiſer, als den
oberſten Beſchuͤtzer ihres Glaubens an, ſind ihm da-
her mit Leib und Seele gewogen, und goͤnnen dem
Koͤnige von Preuſſen, als einem Ketzer, Niederlage
und Ungluͤck, ob ſie gleich in ſeinem Lande Schutz
und Brod finden und genieſſen. Es iſt doch eine
wunderbare Sache mit dem Religionsweſen, vorzuͤg-
lich von Seiten der katholiſchen: dieſe iſt immer
egoiſtiſch, immer rechthaberiſch, immer despotiſch. —
„Der Proteſtant darf dem aͤchten Katholiken nie
trauen!“ ſagte FriedrichV. Koͤnig von Daͤne-
mark, als ſich ein vornehmer Katholik bei ihm zu
einer Officierſtelle beim Seeweſen meldete. „Ich
bin ein Ketzer, und Sie muͤſſen mich ſchon nach den
Grundſaͤtzen Ihrer Kirche haſſen: wie ſollten Sie
alſo im Stande ſeyn, mein Intereſſe gegen den aller-
chriſtlichſten oder gegen irgend einen katholiſchen Koͤ-
nig zu vertheidigen?“ Sehr wahr r).
[394[396]]r)
Im Februar 1790 ſtarb K. JoſephII, und
nun kam es bald zu Irrungen. Preuſſen verlangte,
Oeſtreich ſollte Frieden mit den Tuͤrken machen, aber
Leopold ſtraͤubte ſich. Alſo wurden von Preuſſiſcher
Seite Anſtalten zum Feldzuge gemacht, und endlich
wurde ſelbſt marſchirt.
Der Preuſſiſche Soldat, im ganzen genommen,
geht weit ungerner ins Feld, als irgend ein anderer.
Ich ſage dieſes gar nicht, als zweifelte ich an dem
Muth unſerer Krieger: ich bin vielmehr verſichert
daß ſich bei keiner Armee mehr wahrer Muth reget,
als bei der Unſrigen. Die Sache hat aber einen
ganz andern Grund. Bei der kaiſerlichen Armee,
und bei der ehemaligen Franzoͤſiſchen, wie auch bei
andern Heeren, iſt das Heurathen dem Soldaten
ſehr erſchwert: kaum kann langer Dienſt und beſon-
dere Umſtaͤnde endlich ihm die Erlaubniß dazu aus-
wirken. Allein bei unſerer Armee iſt nichts leichter,
als einen Trauſchein zu erhalten. Es iſt daher ſogar
das Spruͤchwort entſtanden: „fuͤr einen Thaler und
[395[397]] vierzehn Groſchen bekommt man eine Frau!“ Eben
darum ſind auch unſre meiſten Soldaten verehlicht,
und wenn es kaͤme, daß unſre Weiber und Kinder
mit ins Feld zoͤgen, ſo wuͤrde unſre Armee allerdings
einem Haufen ziehender Nationen aus den Zeiten der
Voͤlkerwanderungen aͤhnlich ſehen. Auſſer dem ſind
wenigſtens die Haͤlfte unſrer Krieger Landeskinder,
welche immer Urlaub haben, auf dem Lande bei den
ihrigen leben, und ſich da von Ackerbau, und andern
Gewerben naͤhren. Nimmt man das alles zuſam-
men, ſo findet man den wahren Grund, warum ich
ſagen kann, daß unſre Leute ungern ins Feld ziehen.
Weib und Kind und Nahrung feſſeln ſie ans Haus,
und machen ihnen den Feldzug verhaßt. Allein eben
das, was den Feldzug erſchwert, macht die Leute auf
der andern Seite getreu, giebt ihnen Anhaͤnglichkeit
an ihr Vaterland, und bewahrt ſie vor dem Aus-
reiſſen. Man halte mir dieſe Anmerkung zu gute:
ſie ſchien mir hier am rechten Ort zu ſtehen.
Unſer Regiment brach den fuͤnften Junius auf.
Ich hatte vorher meiner Mutter geſchrieben, und ſie
um etwas Geld gebeten, damit ich meine Schulden
bezahlen koͤnnte. Ich war meiner Wirthin gegen die
acht Thaler ſchuldig, und dieſe plagte mich darob nicht
ſchlecht: ſie hielt mir immer vor das Beiſpiel eines
gewiſſen Gutgluͤcks, der ſie ehedem auch bei ſeiner
Abfahrt um einiges Geld betrogen haͤtte, und machte
[396[398]] die Anwendung ſo unter der Hand auf mich. Es
giebt uͤberhaupt eine gewiſſe Menſchenart, welche in
der Anwendung und Deutung ſkandaloͤſer ſchlechter
Hiſtoͤrchen recht erfahren iſt, und dadurch aͤuſſerſt
beleidigend wird: und das war auch der Fall bei der
Frau Gruneberg. Doch es ſei darum! — Alſo
ich bat meine Mutter, mir zur Tilgung meiner
Schulden einiges Geld zu ſchicken: der aber weder
Antwort noch Geld erhielt, war ich — wahrſchein-
lich durch die Bemuͤhungen meines Herrn Bruders.
Ich ſchrieb demnach an den Paſtor Stuber und
an den Inſpektor Birau, aber auch vergebens:
denn auch dieſe antworteten nicht. Endlich ging ich
zu D.Semlern, der mir nach ſeiner bekannten
Dienſtwilligkeit verſprach, mein Anliegen bei der
Mutter auszuwirken. Dies machte denn, daß ſich
endlich meine Wirthin beruhigte. Bezahlt iſt dieſe
aber nicht eher, als gegen den Herbſt, nachdem Hr.
Bispink einen durchdringenden Brief an meine
Mutter geſchrieben, und dieſe dann meine Schulden
bezahlt hat. Als ich nach Halle zuruͤckkam, war die
Frau Gruneberg und mein Gewehrpolierer Rich-
ter befriedigt: wer war froher als ich! denn welche
Neckereien haͤtte ich nicht von neuem ausſtehen muͤſ-
ſen, wenn die Leute noch Forderungen an mir ge-
habt haͤtten? Ich habe mir es oft ſo abſtrahirt, daß
man beim Schuldenmachen, welches doch ſehr oft
[397[399]] ganz unvermeidlich iſt, hauptſaͤchlich auf die Perſonen
ſehen muͤſſe, denen man in die Kreide geraͤtht. Den-
ken dieſe gut, je nun, ſo haben ſie Geduld, und
warten, bis man bezahlt: ſind ſie aber von gemeiner
niedriger Denkungsart, ſo quaͤlen ſie Euch, daß Ihr
moͤchtet ſchwarz werden. Da iſt des Erwaͤhnens
ihrer Guͤte gegen Euch kein Ende! Da giebts Vor-
wuͤrfe uͤber Vorwuͤrfe, Verdacht uͤber Verdacht, zu-
mal bei denen, die ſelbſt keiner Puffbohne werth
ſind! — Da verlangt man oft gar die groͤßten Un-
gerechtigkeiten von Euch, blos, weil Ihr ihre Schuld-
ner ſeyd — und folgt ihr nicht, ſo ſchilt man Euch
undankbar, weil Ihr rechtſchaffner denkt und handelt
als ſie, und iſt eben dann am zudringlichſten, wenn
Ihr durchaus nicht bezahlen koͤnnt. Ich habe dieſes
in meinem Soldatenſtand bitterer erfahren, als da-
mals, da ich noch Student war. Wie oft hat mich
meine Wirthin, die doch, wenn ich ihr in allem
Recht gab, ihr nie widerſprach, und fuͤnf gerade
ſeyn ließ, mir allen Gefallen erzeigen zu wollen ſchien,
bei dem erſten Widerſpruch gegen ihre Behauptungen,
oder bei dem erſten Verweiſe und der geringſten Be-
ſchwerde, die ich wegen mancher Vorfaͤlle anbringen
mußte — blos wegen einer ganz geringen Schuld
gedruͤckt, und mir in Beiſeyn anderer fremder Leute,
das Wenige, was ſie von mir bekam, in den belei-
digendſten Ausdruͤcken abgefordert! Die Vorfaͤlle
[398[400]] ſind fuͤr mich zu aͤrgerlich, als daß ich ſie hier erzaͤh-
len moͤchte. — Wohl mir, daß Herr Bispink
oft im Stillen, ohne daß ich darum wußte, ſie be-
friedigte, und mir dadurch auf eine Zeitlang Frieden
und Ruhe verſchafte!
Ob ich gern aus Halle ging? — je nun, wie
mans nimmt! Meine Lage war damals ſo, daß ich
ohne Ungemach leben konnte. Ich wußte zwar nicht
aus eigner Erfahrung, doch aus Nachrichten meiner
Kameraden, daß das Marſchiren und im Felde ſte-
hen eine ſehr boͤsartige beſchwerliche Sache ſey —
allein ich hoffte auch viel zu ſehen, viel zu erfahren:
und da machte die dem Menſchen ſo natuͤrliche Neu-
gierde, daß ich an das Ungemach nicht mehr dachte,
welches ein Feldzug mit ſich fuͤhrt.
Ich hatte mich durch Unterſtuͤtzung meiner
Freunde, beſonders des Herrn Bispink, nicht nur
mit allem Nothwendigen verſehen, ſondern konnte
auch noch etwas zu meinem Traktament hinzulegen,
und dadurch weit gemaͤchlicher leben, als andere, die
ſonſt nichts hatten, als ihre Loͤhnung.
D. Semler ließ mich den Tag vor unſerm
Ausmarſch zu ſich kommen, und trug mir auf, auf
die Lage und die Denkungsart der Laͤnder Acht zu
geben, durch die ich kommen wuͤrde. Der gute
Mann bedachte wohl nicht, daß dieſes fuͤr einen Sol-
[399[401]] daten ſehr ſchwer, ja oft ganz unmoͤglich iſt. Wo
ſoll der in Reih und Glied, oder vom Marſche ab-
gemattet, Ort, Zeit und Luſt hernehmen, um etwas
Befriedigendes von der Art zu ſammeln? — Dabei
rieth er mir, ein Tagebuch zu fuͤhren, und taͤglich
aufzuſchreiben, was mir begegnen oder merkwuͤrdig
ſcheinen wuͤrde. Eben dieſen Rath hatte mir ſchon
Herr Bispink gegeben, und ich habe ihn auch in
ſofern befolgt, daß ich taͤglich Einiges aufſchrieb.
Da ich aber damals das Tagebuch, oder wie es mei-
me Kameraden nannten, das Strambuch, blos zu
meinem kuͤnftigen Gebrauch beſtimmte, ſo ließ ich
alles Allgemeine weg, und blieb blos bei Einzelhei-
ten ſtehen, welche mir dereinſt eine angenehme Zu-
ruͤckerinnerung machen ſollten. Schon jetzt macht
mir das Nachleſen meines Buͤchleins angenehme Au-
genblicke: denn auch Kleinigkeiten werden intereſſant,
wenn ſie zu einer Zeit aufgezeichnet wurden, die in-
dividuel wichtig iſt.
Noch ehe wir abgingen, hieß es ſchon durchaus,
daß der Krieg nicht vor ſich gehen wuͤrde: man wuͤr-
de alles zwiſchen Preuſſen und Oeſtreich mit der Fe-
der ausmachen: dieſe Vorherſagung iſt auch hernach
wirklich eingetroffen. Meine Leſer werden es indeß
nicht ungern ſehen, wenn ich ihnen den Feldzug, in
ſo fern er mich anging, beſchreibe. Ich wuͤnſche,
daß ſie keine Langeweile dabei haben moͤgen.
[400[402]]
Vier und dreiſſigſtes Kapitel.
Der Feldzug 1790. Deſſau, Nowaweß. Berlin. Ein No-
tabene fuͤr den theologiſch- politiſchen Wiener Kaſperl,
Bulgo Hoffmann. Berliniſches Bordelweſen.
Wie geſagt, wir marſchirten den 5ten Junius 1790
aus der Garniſon zu Halle, und unſer erſter Ruhe-
tag war in Deſſau. Unterwegs waren unſre jungen
Soldaten gleich von Anfange munter und luſtig: die
aͤltern aber hingen den Kopf, und ſahen muͤrriſch
aus, bis ſich endlich nach und nach der Geiſt der
Munterkeit durchaus verbreitete, und das ganze Re-
giment zu einem Haufen luſtiger Bruͤder ward. Ich
habe es immer recht gern geſehen, wenn unſre Leute
ſangen und jubelten, ob ich gleich ſelbſt nicht mitſinge.
Die gewaltigen Zoten, welche gewoͤhnlich geſungen
werden, konnten mich nicht beleidigen, ſie beleidigen
auch wohl niemanden, weil ſie zu dieſem Weſen zu
gehoͤren ſcheinen. Das macht ſo das Hergebrachte!
In Deſſau hatte der dortige Fuͤrſt die Anſtalt
getroffen, daß wir alle recht gut bewirthet wurden.
Die Deſſauer ſind uͤberhaupt artige, gute Leute,
welche ſich alle Muͤhe gaben, uns Vergnuͤgen zu
machen; beſonders war mein Wirth, ein Ziegeldecker,
ein recht guter Mann. Ich ließ mir in Deſſau aller-
[401[403]] lei erzaͤhlen, und hoͤrte da manche Anekdote von
Baſedow, Wolke, Reiche, Demaree, und
Andern, die ich in mein Tagebuch eintrug. Baſe-
dow ſteht bei dem Deſſauer Buͤrger in geringem
Kredit, wahrſcheinlich weil ihn die Pfaffen als einen
Freigeiſt beſchrieben haben. Seine Haͤndel mit Rei-
che werden noch auf Befragen in den Schenken weit-
laͤuftig erzaͤhlt. Wie noͤthig iſt es doch, ſich vor der
Publizitaͤt des Poͤbels zu huͤten! — Dem Prinzen
Albert ſind die Hrn. Deſſauer nicht gewogen, weil
er blos fuͤr ſich lebt, und einige Gewohnheiten an
ſich hat, die ihnen nicht behagen. Aber Meiſter
Demaree, dieſer hochbornirte Zioniſt, ſteht bei
ihnen in großem Anſehen. Als ich dies und jenes
von ihm ſagte, ſah man mich haͤßlich an. Ich
glaubte nicht, die Leute in ihrer Orthodoxie irre ma-
chen zu muͤſſen, und ſchwieg. — Hier wurde auch
ein Deſerteur von uns eingebracht; allein weil der
Fuͤrſt fuͤr ihn bat, ſo kam er ohne weitere Strafe da-
von. Die Fuͤrbitte, wozu ſich der menſchenfreundliche
Fuͤrſt herabließ, hat ihn in meinen Augen ſehr erhoͤht.
Ueberhaupt verdient der Fuͤrſt von Anhalt Deſ-
ſau den Ruhm, den er durch ganz Deutſchland hat.
Alle ſeine Unterthanen lieben ihn, und ruͤhmen die
trefflichen Anſtalten, welche er zur Verbeſſerung ſei-
nes Landes, und zum Wohl ſeiner Unterthanen ge-
macht hat. Wie herrlich reiſet es ſich durch ein Land,
[402[404]] deſſen Fuͤrſt ein rechtſchaffener Mann iſt! Aber wo
man Jeremiaden hoͤren muß, wie in der Pfalz und
im Heſſenland, da fallen einem alle Suͤnden der
Großen bei, und man wuͤnſcht ſich weit weg.
Unſer Marſch ging uͤber Berlin, oder vielmehr
in Berlin ſollten wir bis auf weitere Order kantoni-
ren: und ſo war unſer naͤchſtes Nachtquartier in No-
waweß, einem boͤhmiſchen Koloniſtendorf bei Pots-
dam. Ich logirte beim Schulmeiſter, welcher auch
zugleich ein Kattunweber war. Der Mann klagte
ſehr uͤber den Verfall der boͤhmiſchen Sprache in ſei-
nem Dorfe, ſo, daß die Jugend nicht mehr Boͤh-
miſch lernen wollte, die boͤhmiſchen Buͤcher nicht
mehr verſtuͤnde, und daß die Leute ſogar keine Boͤh-
miſchen Predigten mehr verlangten; alles ſollte auf
deutſch gehen! Ich ſtellte dem Manne vor, daß es
großer Unſinn ſey, mitten in Deutſchland noch die
boͤhmiſche Sprache unter den gemeinen Leuten fort-
ſetzen zu wollen: die Leute koͤnnten ſonſt was nuͤtzli-
chers lernen. Aber da hatte ich des Herrn Schul-
meiſters Gunſt gehabt! Er behauptete den Vorzug
ſeiner Sprache vor allen andern, und als ich ihn
noch weiter widerlegte, ward er grob, und ich muſte,
um Haͤndeln vorzubeugen, dem Meiſter nachgeben,
und ſtille ſeyn. Er ſagte nachher zu einem meiner
Kameraden, ich ſey ein ſuperkluger Menſch, ders
Gras wachſen hoͤrte! — Du lieber Gott!
[403[405]]
Mein Hauptmann, Hr. v. Mandelslohe —
der Major von Manteuffel war den Tag vor
dem Ausmarſch aus Halle vom Regiment weg zu
einem Depotbataillon verſetzt worden, und Herr v.
Mandelslohe hatte unſre Kompagnie erhalten —
logirte beim Hrn. Paſtor. Dieſer hatte von mir ge-
hoͤrt, und wuͤnſchte mich zu ſprechen. Das war mir
ſchon recht: denn fremde Geiſtliche habe ich immer
gern geſprochen: man ſieht da oft ſeine Luſt, wenn
man ſo rechte Vorfechter aus der Schule des Paſtor
Goͤtzen antrift. Aufgeklaͤrte Maͤnner darf man unter
Profeſſioniſten dieſer Art nicht erwarten, ob es gleich
keine geringe Freude iſt, einen hellen Kopf unter Leu-
ten dieſes Standes anzutreffen. Letzteres war bei dem
Herrn Paſtor zu Nowaweß der Fall nicht: er raͤſon-
nirte ſtark uͤber den D. Bahrdt und Semler, welche er
als Kompagnons anſah: Sehr gewogen war er dage-
gen dem Halliſchen Hrn. Schulze, von welchem er we-
gen der Orthodoxie maͤchtig viel Gutes gehoͤrt haͤtte.
Seine Kinder informirt dieſer Herr Paſtor ſelbſt,
und zwar ſo, daß er ſie das Cellariſche Vokabelbuch der
Naſe nach auswendig lernen laͤßt, ohne auf Anwen-
dung zu ſehen: eben ſo macht ers mit der Gramma-
tik. Die Jungens koͤnnen eine Menge Vokabeln und
Regeln auswendig, aber an Verbindung und Anwen-
dung haben ſie noch nicht gedacht. Ich aͤuſſerte uͤber
dieſe verkehrte Lehrmethode, in welche er doch ſehr ver-
[404[406]] liebt iſt, mein Befremden; allein der Herr Paſtor
verſicherte mich, daß ich das Ding nicht verſtuͤnde:
einer, der da ein Haus bauen wollte, hohlte erſt die
Materialien zuſammen u. ſ. w. Seine Tochter erſter
Ehe iſt ſehr beleſen in — Romanen, und erhaͤlt dieſe
herrlichen Produkte von den Officiren aus Potsdam,
welche, wie ſie verſicherte, ganz artige Leute ſind.
In Berlin bemerkte ich den großen Unterſchied
zwiſchen den Einwohnern großer und denen kleiner
Staͤdte. Wenn in Halle oder ſonſt wo etwas vor-
geht, dann ſteht der Poͤbel auf allen Gaſſen und
gafft; hingegen in Berlin ſahen uns nur wenige zu,
als wir einzogen. Sie hielten dergleichen ihrer Auf-
merkſamkeit nicht werth, und hatten Recht. — Es
waren mehrere fremde Regimenter in Berlin zuſam-
men gekommen, nachdem die ganze daſige Garniſon
ausmarſchiert war. Unter dieſen hatte unſer Regi-
ment, nach dem Geſtaͤndniß aller Berliner, den
Vorzug ſowohl in Abſicht der Sitten der Soldaten,
als in Ruͤckſicht auf ihren guten Anzug. Herzog
Friedrich von Braunſchweig, ein Bruder
des regierenden Herzogs, uͤbernahm hier das Kom-
mando uͤber unſer Korps.
Berlin hat zwar recht huͤbſche Haͤuſer, und in
dieſen Haͤuſern giebt es ganz artige Zimmer, allein wir
wurden groͤßtentheils in Gemaͤcher geworfen, welche
den Hoͤlen wilder Thiere aͤhnlicher ſahen, als Lager-
[405[407]] ſtaͤtten fuͤr Menſchen. Die reichen Buͤrger gaben
den aͤrmern, beſonders Soldatenweibern u. dergl.
Geld, daß ſie ihre Mannſchaft einnehmen mußten:
und ſo wurden wir zu armen Leuten hingelegt, welche
freilich nicht in Palaͤſten wohnen. Wer uns ſelbſt
aufnahm, der hatte entweder eine unterirdiſche Woh-
nung oder einen Boden oder ſonſt ein Loch, wohin
er uns werfen konnte: kurz, die Quartiere in Ber-
lin waren durchaus ſchlecht, und gaben zu ſehr vielen
Klagen der Soldaten Anlaß: allein was war zu
thun: man muſte Geduld haben!
Ich hatte in dieſer Stadt viele Bekannte, de-
ren Einige meine Schuͤler geweſen waren. Etliche
kamen ſelbſt, mich zu beſuchen, und etliche ſuchte ich
auf, und fand, wo ich hinkam, unveraͤnderte Freund-
ſchaft und viel Gefaͤlligkeit. Die Herren Zierlein,
Uhde, Stahn, Boehm, Zieſemer, Rhau,
von Hagen, Zaehr, Schul [...] der Poete, und
andere haben mir recht viel ver [...]n [...]gte Stunden waͤh-
rend meines Auffenthalts in Berlin gemacht. Herr
Zierlein hat mir wegen ſeiner philophiſchen Le-
bensart beſonders gefallen. Er hat Theologie und
andre Wiſſenſchaften recht gut ſtudiert, ob er gleich
auf Univerſitaͤten nicht taͤglich ſieben bis acht Stun-
den in den Kollegien zubrachte, und noch weniger
Hefte ſudelte. Da er ſo viel Vermoͤgen hat, als
ſeine wenigen Beduͤrfniſſe fodern, ſo hat er ſich bis-
[406[408]] her noch um kein Amt bemuͤhet, und wird ſich auch
wohl ſchwerlich jemals um eins bemuͤhen. — — —
— — — — — — — — — —
Herr Zierlein hat eine auserleſene Bibliothek von
philologiſchen und hiſtoriſchen Buͤchern, und einen
Schatz guter Muſikalien, womit er, wie er ſagt,
ſeine Einſamkeit troͤſtet. So ein Leben iſt wirklich
beneidenswerth fuͤr den, der es zu ſchaͤtzen weis. Er
erzaͤhlte mir von Bruder Hochhauſen aus Jena
das, was in dieſem Bande S. 86. ſchon ſteht.
Den Berlinern fiel der Jenaiſche Ton anfaͤnglich auf,
und die Burſchenſprache, deren ſich Hochhauſen aller
Orten, wohin er kam, als Renommiſt bediente:
aber eben dieſe Burſchenſprache — die freilich von
Manchen als Ausdruck des Kraftgefuͤhls faͤlſchlich ge-
nommen wird — verſchafte ihm endlich Eingang in
ſehr viele auch vornehmere Zirkel — und Hoch-
hauſen ward beliebt. So verſchieden iſt der Ge-
ſchmack! — Herr Stahn iſt jetzt Lehrer auf dem
Schindleriſchen Waiſenhauſe: er ſtudiert noch im-
mer fleißig Philologie, und hat es darin gewiß weit
gebracht. Herr D.Boehm, ein juͤdiſcher Arzt,
hat ſtarke Praxis, beſonders unter den Chriſten: in
Berlin iſt man von dem Vorurtheil geheilt, daß der
Chriſt ceteris paribus beſſer ſey, als der Nicht-
chriſt. Sonſt iſt Boehm ganz Philoſoph, der den
Menſchen ſchaͤtzt, ohne auf ſeinen Stand und Rock
[407[409]] zu ſehen. An mir hat er dieſe brave Denkungsart
bewieſen, indem er ſich nicht ſcheute, mit mir unter
den Linden und an andern oͤffentlichen Orten ſpa-
tziren zu gehen und ſich mit mir ganz freundſchaftlich
zu unterhalten. So was verſoͤhnt uns allemal ge-
wiſſermaßen mit unſerm Schickſal. — Ich wuͤrde
nur ohne Noth weitlaͤuftig ſeyn, wenn ich von mei-
nen andern Freunden, die ich zu Berlin antraf, viel
ſagen wollte. Sie haben mich alle mit viel Wohl-
wollen empfangen, wofuͤr ich ihnen hier noch ein-
mal oͤffentlich danke.
In der Strahlauer Straße auf einem Keller
oder Garten ward ich mit einem Klub berliniſcher
Buͤrger bekannt, welche mir auch manche frohe
Stunde gemacht haben. Ich kam durch einen Zufall
dahin, foderte eine Buteille Bier 8, und trank ru-
hig bei meiner Pfeife Taback. Die Herren des
Klubs ſprachen von dem verſtorbenen Koͤnig, und
da hatte ich Gelegenheit mitzureden, weil man mich
auffoderte, zu ſagen: ob es je einen Koͤnig gegeben
haͤtte, der koͤniglicher und ohne Miniſter, Maͤtreſ-
ſen, und — — mehr ſelbſt regiert haͤtte, als Er?
Zweiter Theil. Dd
[408[410]] Er, der groſſe Fritze? Dieſe Aufforderung war
mir gerade recht. Voll Enthuſiasmus ruͤhmte ich
unter andern ſeine — — — Toleranz und Gewiſ-
wiſſensfreiheit, die er allen und jeden ſeiner Unter-
thanen geſtattet habe, und wodurch er eigentlich den
rechten Grund zu der jetzigen Groͤße der Preuſſiſchen
Monarchie gelegt haͤtte. — Das gefiel den Buͤrgern,
und ſie noͤthigten mich, mitten unter ihnen Platz zu
nehmen, welches ich auch that, da es lauter artige
ſehr geſcheute Maͤnner waren. Sie hatten alle eini-
ge gute Buͤcher geleſen, waren alle aufgeklaͤrt, —
— — — und wuͤnſchten, daß gewiſſe Anſtalten
zur Aufrechthaltung der ſogenannten reinen Lehre
nicht moͤchten getroffen ſeyn. Unſer Geſpraͤch dehnte
ſich aus, und als ich vergnuͤgt von ihnen ſchied,
mußte ich verſprechen, den folgenden Tag wieder zu
kommen. Ich habe hernach dieſen Buͤrgerklub noch
ſehr oft beſucht, und allemal mit Vergnuͤgen. Oft
hat es mich gewundert, wie frei der Berliner uͤber
alles, was vorgeht, urtheilt, und wie richtig alle-
mal ſein Urtheil zutrift. Hierdurch unterſcheidet er
er ſich merklich von andern Preuſſiſchen Unterthanen.
Ueberhaupt ſind die Raͤſonnements der Preuſſen weit
lieberaler als die der Sachſen, der Heſſen, oder gar
der Pfaͤlzer. In manchen Laͤndern darf man ſich
kaum ins Ohr ſagen, was man im Preuſſiſchen oͤf-
fentlich zu predigen wagt. Unter den Preuſſen ſelbſt
[409[411]] trift man aber nirgends freiere Raͤſonnements als in
Berlin. Die Leute ziehen hier alles unter ihre Kri-
tik, beleuchten alles, und loben ſelten. Ich ſchloß
von dieſer Freiheit im Urtheilen auf das Wohl des
Buͤrgers und auf die Guͤte der Regierung, worunter
die Leute ſtehen muͤſſen. Denn eine Regierung, wel-
che niemanden verbietet, ſeine Gedanken laut zu ſa-
gen, muß eine — gute Regierung ſeyn, weil eine
ſchlechte dieſe Urtheile ſcheuen und verhindern wuͤrde.
Das iſt allemal ſo der Fall! Verdunkeln doch gar
Kaufleute, die verdorbene, ſchlechte Waaren fuͤhren,
ihre Laden! Und warum verbietet die Roͤmiſche
Kirche die Unterſuchung ihrer Dogmen? deswegen,
weil bei einer halbweg freien Unterſuchung der Un-
grund und die Alfanzerei vieler ſolcher Fratzen ans
Licht kommen wuͤrde. Und warum unterſagt die Regie-
rung zu Venedig alles Geſpraͤch uͤber Staatsſachen?
damit man die Schwaͤchen und Maͤngel der Regie-
rung nicht einſehen und vielleicht zu ihrem Nachtheil
benutzen moͤge. Gluͤcklich wird Preuſſen ſeyn, ſo
lange noch in Berlin Klubs exiſtiren, die ihr Lob
und ihren Tadel frey und ungeſcheut ſagen duͤrfen. —
Mag doch ein dummer Meiſter Hoffmann zu
Wien, der leibliche Verfaſſer einer ſogenannten Zeit-
ſchrift, Gift und Galle uͤber alle die ausſchuͤtten,
welche Deſpotismus und Pfafferei nicht fuͤr Dinge
halten, die der liebe Gott ſelbſt vom Himmel auf die
[410[412]] Erde geſchickt und da als ewige Norm aller Zukunft
beſtaͤtigt habe: wir fuͤhlen zu gut, was wir als Men-
ſchen, die keine Heuochſen ſind, fuͤhlen muͤſſen, und
lachen den Meiſter Dummkopf aus!
Doch was hilft Lachen! Lieber ſey es mir er-
laubt, zur Erbauung fuͤr Herrn Hoffmann, ſamt
deſſen hohen und niedrigen Patronen, Anhaͤngern
und Goͤnnern, beſoldeten Wiſchſchmierern und Rau-
pen, Weibverkupplern und Heuchlern, denen wir
zum zehnten Heft der Fragmente von Cranz, Gluͤck
wuͤnſchen — falls dieſe alle ſamt und ſonders nicht
ſchon, nach dieſem oder jenem Ordenszuſchnitt, zu
ſehr verjeſuitet ſind, um noch einiger Erbauung faͤhig
zu ſeyn, — hier eine Stelle aus der allgemeinen
Schreib- und Druck-Freiheits-Verordnung fuͤr
Schweden herzuſetzen, die ſich, wie mich duͤnkt,
ad majorem Dei und Sanae mentis gloriam leſen
laͤßt weit beſſer, als manches Edikt, Manifeſt, und
Zeitſchriftel vom Wiener-Kaſperl, Vulgo Hoff-
mann. — Unter andern merkwuͤrdigen Saͤtzen heißt
es in dieſer Verordnung: „Daß eine allgemeine
„Aufklaͤrung der erſte und ſicherſte Schritt zum allge-
„meinen Wohl iſt, und daß die Denk- und Preß-
„freiheit eines der theuerſten Guͤter eines freyen
„Volks, und eine unſchaͤtzbare Gabe iſt, die der
„Schoͤpfer ſelbſt dem menſchlichen Geſchlechte ver-
„liehen hat, und die man, ohne deſſen in der Na[-]
[411[413]] „tur gegruͤndete Rechte zu verkennen und zu beleidi-
„gen, nicht einſchraͤnken kann, und daß dieſe Freiheit,
„weit entfernt, die Ordnung und Ehrfurcht gegen
„die Geſetze, worauf aller Staaten Wohl und Be-
„ſtand beruhet, zu ſtoͤhren, vielmehr, wenn man
„ſie recht handhabet, hauptſaͤchlich zu deren Befeſti-
„gung dadurch leitet, daß ſie ſchaͤdliche Vorurtheile
„aufdeckt, die Finſterniſſe der Unwiſſenheit zerſtreuet,
„und ſtatt deren im Lichte der Wahrheit die Beloh-
„nung fuͤr die Ausuͤbung theurer Pflichten gegen
„Gott, den Koͤnig und das Vaterland zeigt, deren
„eifrige und unbedingte Erfuͤllung, wie Wir uͤber-
„zeugt ſind, das wahre Ziel der Ehrbegierde eines
„jeden redlichen Schweden ausmacht, und wodurch
„allein die entflohene Ruhe und die Gluͤckſeligkeit der
„Vorfahren mit deren auf Treue und Redlichkeit ge-
„gruͤndeten Ehre wieder zu uns gefuͤhret werden
„koͤnnen, und daß dieſe Freyheit auch die wuͤrdigen
„und edlen Geſinnungen unterhalten, anfeuern und
„beleben wird, die in allen Zeiten der Nation eigen
„geweſen, und deren Erloͤſchung fuͤr Uns das groͤſte
„Ungluͤck waͤre: eine Freyheit, die vom Zwang nicht
„leiden, noch unter der Menge mehrerer widerſpre-
„chender Verordnungen, die ſeit laͤngern Zeiten dar-
„uͤber gegeben worden, erſtickt werden und ſchwin-
„den mag. Es geſchieht alſo mit einem wahren
„Vergnuͤgen, daß Wir jetzt eilen, ſolches zu verbeſ-
[412[414]] „ſern, da Wir auch dadurch eine gewuͤnſchte Gele-
„genheit gewinnen, Unſern treuen Unterthanen einen
„neuen Beweis Unſerer zaͤrtlichen Fuͤrſorge fuͤr ihr
„Wohl, und unſerer ungezwungenen Achtung fuͤr
„ihre und der Menſchheit geheiligten Rechte zu geben,
„doppelt ſprechend zu einer Zeit da, — die meiſten —
„europaͤiſchen — Regenten — beſchaͤftiget ſind, neue
„Verſchanzungen gegen das Volk um ihre Throne
„aufzuwerfen. — Wir freuen Uns, auf dieſe
„Weiſe der Zukunft einen lichtvollern Zeitpunkt, der
„Wahrheit und Stimme des Volks einen Weg, zum
„Throne zu dringen; der Klage des Gedruͤckten und
„der Unſchuld eine Leichtheit, an den Tag zu kom-
„men; der Gerechtigkeit eine Staͤrke; der Parthey-
„lichkeit, Gewaltthaͤtigkeit und Ungerechtigkeit neue
„Schranken; dem tugendhaften guten Mitbuͤrger
„einen Sieg; dem Verbrecher und Laſterhaften ein
„Grauen; dem Armen eine Stuͤtze; dem Leidenden
„einen Troſt, und Uns ſelbſt, da wir beſtaͤndig bloß
„die Befeſtigung des wahren Beſtens Unſerer treuen
„Unterthanen ſuchen, die angenehmſte Belohnung
„verſchaffen zu koͤnnen.“ —
So etwas, mein lieber Herr Hoffmann,
enthalten ihre Exercitia ſpiritualia nicht, auch
nicht ihr La Croix und Buſenbaum. Iſt es
Ihnen daher vielleicht zu hoch: ſo kriechen Sie als
animal inplume bipes, nicht als jeſuitiſirender
[413[415]] Probabiliſt, zum Kreutze; und die Herren Mauvil-
ton und Campe denken mitleidig genug, auch einem
reumuͤthigen Lojoliſten die erſten Elemente des Men-
ſchenverſtandes und des Menſchenrechts einzuimpfen,
wenn naͤmlich des Patienten Kopf nur noch etwas
Empfaͤnglichkeit fuͤr eine Einaͤugelung von der Art an
ſich hat, woran doch viele in Ruͤckſicht auf Sie, mein
Herr, zweifeln, indem Sie als ein Incorrigibilis,
ſtatt Sich zu beſſern, Sich immer mehr und mehr
verſchlimmern. Fatale Jeſuiten-Natur! Fort da-
mit! Lieber hinuͤber zu den Jeſuiteſſen des ſchoͤnen
Geſchlechts in Berlin!
Alſo — die Berliner Bordelle hab ich auch be-
ſucht; allein in ganz anderer Abſicht, als ehemals
die der Madam Agrikola zu Frankfurt am Main,
oder die der Poſtmeiſterin zu Wezlar. Da ich in
dieſem Fache bisher ſehr aufrichtig im Bekennen ge-
weſen bin, ſo werden mir meine Leſer doch auf mein
Wort glauben, daß ich in Berlin mit keinem feilen
Maͤdchen naͤhern Umgang gehabt habe: aber die
Bordelle habe ich beſucht, oder beſehen, und muß
daher auch von dem, was ich geſehn habe, meinen
Leſern Notiz geben. Es verſteht ſich hier von ſelbſt,
daß ich weder bei der Madam Schuwitzn, noch bei
der Madam Lindemann, noch ſonſt in einer vor-
nehmen ſtillen Wirthſchaft, wie man dergleichen in
Berlin nennt, geweſen bin: denn wie ſollte ich, als
[414[416]] Soldat, eine Schuwitzn beſuchen, die ſogar Kandi-
daten der hochheiligen Theologie abgewieſen hat u)!
Die Schuwitzn hatte kurz vor der Zeit, als
wir nach Berlin kamen, ſehr gelitten. Ihre Maͤd-
chen, oder ihre Damen waren eines Abends unter
den Linden genekt worden, und hatten angefangen,
dagegen zu ſchimpfen. Einige Officiers beſtellten
hierauf einen pudelnaͤrriſchen Kerl, welcher die Gaſ-
ſenbuben wider die Nymphen aufbringen mußte. Die
Jungen inſultirten die Maͤdchen nach Noten, bis
ſie ſich endlich aus lauter Angſt in ihren Wagen zu-
ſammenpackten, und nach Hauſe fuhren. Die Jun-
gen waren aber auf Anſtiften ihrer Fuͤhrer noch
nicht zufrieden, und verfolgten den Wagen mit Stei-
nen und Koth, und machten ſelbſt bei dem Hauſe der
Schuwizn einen gefaͤhrlichen Spektakel. Die Dame,
welcher es bekannt ſeyn mochte, woher eigentlich der
Skandal entſpringe, wollte eine Klage einlegen; allein
das Reſultat davon war, daß ihr unterſagt wurde,
Kutſche und Bedienten zu halten.
In Berlin iſt das Haus dieſer Markerelle ſehr be-
kannt, und wer die Friedrichsſtraße mit einem Frem-
den geht, und an das kleine niedliche Haͤuschen
koͤmmt, der ſpricht: „Sehn Sie hier das Haus der
[415[417]] Madam Schuwitz!“ In allen vornehmen und ge-
ringern Geſellſchaften wird von Madam Schuwitzn
geſprochen, und die Berliner beruͤhmen ſich, daß
ſelbſt ein gewiſſer Herzog, welcher waͤhrend ſeines
erſten Aufenthalts in Berlin beinahe von dieſem Freu-
denorte nicht weg kam, geſtanden habe, er habe ſo-
gar in London keine ſo gute Wirthſchaft von der Art
angetroffen. Die Dame ſoll auch wirklich immer fuͤr
recht gute Waare ſorgen, d. h. fuͤr Maͤdchen von
ſchlankem Wuchs, und einnehmenden Geſichtszuͤgen,
welchen hernach die Schminke, dieſes große Ingre-
dienz aller feilen Maͤdchen, noch zu Huͤlfe kommen
muß. Wenn nun Madam Schuwiz eine ſolche Per-
ſon annimmt, ſo laͤßt ſie ſelbige einige ſchoͤne Stellen
aus empfindſamen Romanen, Dichtern und Schau-
ſpielen auswendig lernen x), uͤbt ſie im Komplimen-
temachen, und im Putzen: und das gefaͤllige Maͤd-
chen, vulgo Hure, iſt fertig. Bei der Madam Linde-
mann und einigen andern vornehmen Orten iſts bei-
nahe eben ſo, obgleich die Schuwizn allemal das Praͤ
hat, wie man ſagt.
[416[418]]
Wolluſt iſt uͤberhaupt dem Beutel gefaͤhrlich:
das hab ich ſelbſt erfahren, wie ich ſchon aufrichtig
genug bekannt habe; aber niemals iſt ſie koſtſpieliger,
als wenn man ſie bei habſuͤchtigen Schoͤnen, oder in
koſtbaren Bordellen ſucht, und das iſt auch der Fall
in den beſagten berliniſchen Wirthſchaften. In den
Galanterien von Berlin hat Herr Cranz
oder wer ſonſt Verfaſſer dieſes Buches iſt, geſagt:
an manchen theuren Orten dieſer Art muͤſſe man ei-
nen Louisd'or zuviel haben, wenn man ſich ein Ver-
gnuͤgen machen wolle. Allein bei der Schuwizn reicht
wirklich der Louisd'or nicht zu, auch bei der Linde-
mann ſchwerlich. Wer nun vollends ſich will ſehen
und etwas aufgehen laſſen, der koͤmmt unter vielem
ſchweren Gelde nicht weg.
Den neueſten Nachrichten aus Berlin zufolge
ſoll die Wirthſchaft der Madam Schuwizn jetzt gaͤnz-
lich zu Grunde gerichtet ſeyn. Ein gewiſſer in die-
ſem Bordel beleidigter Graf ſchickte, wie man erzaͤhlt,
einen Schinderknecht dahin, der ſich wer weis wofuͤr
ausgab, und daſelbſt die Nacht zubrachte. Den folgen-
den Morgen verſetzte der Kerl ſelbſt bei der Schuwizn
ſeine Uhr, weil er, wie er vorgab, nicht Geld genug
bei ſich haͤtte, ſeine Schuldigkeit abzutragen. Gegen
Mittag fuhr er mit einer krepirten Sau auf ſeinem
Karren vor das Haus der Schuwizn, trat in ſeiner
Schinderuniform hinein, und foderte ſeine Uhr, um
[417[419]] ſie auszuloͤſen. Dieſe Begebenheit wurde gleich in
der ganzen Stadt bekannt, und das beruͤhmte Bor-
dell verlohr durch dieſe ſkandaloͤſe Geſchichte alles
Anſehn, und ſoll ſeit dem wenig oder gar nicht mehr
beſucht werden. So viel vermag ein politiſches
Minimum auch gar uͤber Triebe der ſtuͤrmiſchen
Natur.
Fuͤnf und dreißigſtes Kapitel.
Fortſetzung. Rettung einer Ungluͤcklichen. Huren-Comment.
Koͤnigliche Bibliothek.
Die Bordelle waren von der Einquartirung nicht
frei, naͤmlich die vom geringern Kaliber, und ich ha-
be ſelbſt, nachdem ich mich mit meinem erſten Wirth
uͤberworfen hatte, einige Tage in einem ſolchen Loche
gewohnt. Ich hatte ſchon von langen Zeiten her ſo-
viel von Berliniſchen Bordellen gehoͤrt: hatte ge-
hoͤrt, daß ſie alle andre, ſelbſt die zu Strasburg
und zu Frankfurt am Main uͤbertreffen ſollten: man
hatte mir viel von ihrer guten Policei geſagt, und
von der Fuͤrſorge fuͤr die Reinlichkeit der Maͤd-
chen u. ſ. w. daß ich recht im Ernſt begierig war,
dieſe Dinge in Natura zu beſehen. Was ich fand,
will ich kuͤrzlich mittheilen.
[418[420]]
Ich beſuchte die Talgfabrike, die Tranbulle,
den zotlichen Jud [...]y), Legers- und Heils-Saal
und einige andre. Aller Orten wars daſſelbe. Es
halten ſich gemeiniglich ſechs, acht bis zwoͤlf Nym-
phen in einer Wirthſchaft auf, meiſt Maͤdchen von
ganz geringem Stande, welche ehemals von adlichen
und unadlichen Wolluͤſtlingen verfuͤhrt oder benutzt
wurden, und hernach, der Arbeit entwoͤhnt, keinen
andern Weg, ſich zu naͤhren wußten, als den der
feilen Wolluſt. Einige davon fuͤhlen das Unwuͤr-
dige ihrer Handthierung, und wuͤnſchen ſich eine
beſſere Lebensart. So fand ich in der Talgfabrike
ein Maͤdchen, Namens Jettchen, von Schwed,
welche mir feine Geſichtszuͤge zu haben ſchien, und
mit der ich mich daher abgab. Sie erzaͤhlte mir ih-
[419[421]] ren Lebenslauf, und ich ward geruͤhrt. Ich fragte
ſie, ob ſie Luſt haͤtte, aus dieſem Leben herauszu-
kommen, und ſie geſtand: — nur ihre Schulden
hielten ſie zuruͤck: ſonſt ging ſie herzlich gern gleich
wieder weg. — Das Ding fuhr mir im Kopf her-
um; ich wußte aber nicht, wie ich es anfangen ſollte,
ſie zu retten, da ich kein Geld hatte, um fuͤr ſie zu
bezahlen, und ſie dadurch auszuloͤſen. Endlich machte
ich gemeinſchaftliche Sache mit einigen derben Kava-
leriſten und zwei Soldaten von unſerm Regimente.
Ich ſtellte ihnen die abſcheuliche Lage des ungluͤckli-
chen Maͤdchens vor, und den Wunſch, den ſie hatte,
zu ihren Verwandten zuruͤckzukehren. Dann ver-
ſicherte ich ſie, das Vorgeben ſolcher Wirthe von
Schuld, ſey nur ein Kniff, die Maͤdchen feſtzuhal-
ten: die Kerls waͤren Erzpreller: es ſey uͤbrigens ein
ſehr gutes verdienſtliches Werk, ein ſolches Geſchoͤpf
vom Untergang zu retten. Dabei brauchte ich mei-
ne militaͤriſche Beredſamkeit dergeſtalt, daß die bra-
ven Kavaleriſten und Musketiers ſchwuren: „der
Teufel ſollte ſie alle ſamt und ſonders holen, wenn
das Maͤdchen nicht innerhalb 24 Stunden frey ſeyn
ſollte! Den folgenden Tag gegen Abend gingen wir
alle auf einen Haufen in die Talgfabrike, tranken
Bier und ſchaͤkerten ſo herum. Endlich gab ich Jett-
chen ein Zeichen, daß ſie ſich nur zu uns halten ſollte:
dann nahm ein Kavaleriſt ſie beim Arm, und wollte
[420[422]] mit ihr weg. Der Wirth aber hatte helle Augen,
lief hinzu und ſagte: „Wohin mein Herr?
Der Kavaleriſt: Spatziren!
Der Wirth: Die Mamſell geht nicht ſpa-
tziren!
Der Kavaleriſt: Warum denn nicht? —
Ich will ſehen, wer ihrs wehren ſoll!
Der Wirth: Sie ſoll nun nicht! (will ſie
wegreißen).
Ein andrer Kavaleriſt: Kerl reiſe, oder
der Teufel ſoll dich frikaſſiren! (ſchleudert ihn weg).
Der Wirth ſetzte ſein loſes Maul fort; bekam
aber derbe Rippenſtoͤße: der Kavaleriſt und einige
andre waren indeß mit Jettchen abgefahren, und
Meiſter Maquerau hatte das Nachſehen. Er ſprach
zwar viel von Raͤubereien, drohte mit Verklagen;
aber wir lachten ihn nur aus, da er uns alle nur
nach der Uniform, nicht aber nach dem Namen, ja
nicht einmal nach der Kompagnie kannte. Jettchen
ging nach der Neuſtadt, zu einer alten Frau, mit
der ſie bekannt war, und begab ſich hernach, wie
ich gehoͤrt habe, zu den Ihrigen nach Schwed. Viel-
leicht iſt ſie auf den Weg der Tugend zuruͤck ge-
kehrt, und wenn das iſt, ſo haben wir ein gutes
Werk gethan.
Um den reumuͤthigen Maͤdchen es unmoͤglich
zu machen, ihr ſchaͤndliches Gewerbe zu verlaſſen,
[421[423]] ſo ſorgen die Wirthe dafuͤr, daß ſie immer viel an
ihnen zu fordern haben. Der Wirth ſchaft der Un-
gluͤcklichen Kleider, Waͤſche und Putz, bekoͤſtigt ſie
und giebt ihr Quartier: alles rechnet er uͤbermaͤßig
theuer an, ſo daß ein Maͤdchen nimmermehr bezah-
len kann. Ihren Verdienſt theilt er obendrein mit
ihr, und laͤßt ihr nur eine Kleinigkeit, welche das
zu Leckereien verwoͤhnte Maͤdchen in lauter Kuchen
und Zuckerwerk vernaſcht. So muͤſſen denn die
Kreaturen bleiben, bis entweder der Wirth ſelbſt ſie
fortjagt, oder bis ſie entwiſchen, oder irgend ein
Liebhaber ſie ausloͤßt. Zu wuͤnſchen waͤre es immer,
daß die Berliniſche Policei hier angemeßne Gegen-
anſtalten traͤfe, um einer Ungluͤcklichen das Laſter
nicht wider Willen zur Zwangspflicht werden zu
laſſen.
Im Durchſchnitt ſind die Maͤdchen unverſchaͤm-
te Nickel, die gar nichts von Anſtand und Delikateſſe
wiſſen. Schaamloſe Worte begleiten alle ihre Reden,
und durch ſchaͤndliche Gebehrden wiegeln ſie die thie-
riſche Luͤſternheit nur noch frivoler auf. Dabei koͤn-
nen ſie ſaufen, ſogar Brantewein, wie die Pack-
knechte. Koͤmmt jemand in ſo ein Haus, ſo greift
ihn gleich die erſte beſte an, nennt ihn lieber Junge,
dutzet ihn, und fodert ſogleich, daß er ihr Wein,
Chokelade, Kaffe, Brantewein und Kuchen geben
laſſe: Und das alles iſt in dieſen Haͤuſern noch ein-
[422[424]] mal ſo ſchlecht, als anderswo; und doch noch ein-
mal ſo theuer. Nun kommt es darauf an, ob der
angehaltene Mosjeh ſo galant iſt, daß er dem Nymph-
chen willfaͤhrt, oder nicht. Im erſtern Falle bleibt
das Maͤdchen bei ihm, ſtreichelt ihm die Backen,
nennt ihn allerliebſt — bis ihre Viktualien verzehrt
ſind, oder jemand anders zu einem ernſtlichern Ge-
ſchaͤft ſie auffordert. Im andern Fall trollt ſich das
Kreatuͤrchen gleich, und ſucht eine willfaͤhrigere Ge-
ſellſchaft. Und auf dieſe letztere Weiſe kann man
ganz ungeſtoͤrt in einem Bordelle ſitzen, ſeine Pfeife
rauchen, und dem Spektakel zuſehen, ohne daß man
noͤthig habe, der niedern Wolluſt zu froͤhnen, oder
etwas mehr, als das, was man ſelbſt verzehrt, zu
bezahlen.
Es wird uͤberhaupt in Berlin gar nicht fuͤr an-
ſtoͤßig oder ſchaͤndlich gehalten, in ein Bordel zu
gehen. Viele, ſelbſt angeſehene Ehemaͤnner gehen
dahin; und kein Menſch, ſelbſt ihre Weiber, nehmen
ihnen das nicht uͤbel. Man weis, daß der Zehnte
blos aus Neugierde hingeht, oder zum Zeitver-
treib. — Sonſt ruͤhmt man, daß wegen der ſtren-
gen Aufſicht niemand Gefahr laufe, in einem Berli-
niſchen Bordel inficirt zu werden, oder doch nur
ſehr ſelten. Allein welcher Arzt kann hieruͤber mit
Gewißheit entſcheiden! wenigſtens in den gemeinen
Bufkellern habe ich das Gegentheil bemerkt. Viele
[423[425]] unſrer Leute, wie man leicht denken kann, beſuchten
dieſe Kneipen, und waren uͤber die friſirten Koͤpfe
und die gemalten Geſichter und den mamſellmaͤßigen
Anzug der Frauenzimmer ganz entzuͤckt! Sie eilten
alſo, um an dem Gluͤck, ſolche Maͤdchen zu umar-
men, Theil zu nehmen: und ſiehe da — viele wur-
den mit dem haͤßlichen Uebel begabt, dem unſre Leu-
te hernach den Namen der berliniſchen Stramkrank-
heit gaben. — Durch die Muſik, welche taͤglich in
den niedrigen Loͤchern gemacht wird, erhalten dieſe
noch mehr Zulauf.
Waͤhrend der Zeit, da ſich die fremden Regi-
menter in Berlin aufhielten, ſtanden viele Bordelle
den Soldaten offen, wohin ſonſt blos Vornehmere
zu kommen pflegen. Ob das vielleicht Achtung fuͤr
die Fremden war? Genug der Saal des Legers,
jetzt Solbrigs, dann Heils Wirthſchaft, wur-
den von jedem beſucht. Die Maͤdchen ſelbſt waren
ſo hoͤflich, ihren Preis auf die Haͤlfte herabzuſetzen:
wo man ſonſt zwoͤlf Groſchen zahlen mußte, zahlte
man jetzt nur ſechs, doch ohne den Pudergroſchen
mit zu rechnen.
Nur noch ein Wort von den berliniſchen Straſ-
ſennymphen! Von dieſen giebt es eine ſehr große
Anzahl: man heißt ſie ſchlechthin Straßenmenſcher,
Kurantmenſcher und dergl. Sie ſchwaͤrmen, trotz
Zweiter Theil. Ee
[424[426]] der ſcharfen Aufſicht, die ganze Nacht auf den Gaſ-
ſen, theils einzeln, theils haufenweiſe herum, und
ſehen zu, wer ihnen fuͤr den Genuß ſchmutziges Ver-
gnuͤgens einige Groſchen zollen will. Ich bin einige-
mal Augenzeuge von Auftritten geweſen, woruͤber
ich erroͤthete. — Die Geſellſchaftsmamſellen, welche
ganz einzeln fuͤr ſich wohnen, und dann und wann
fuͤr Geld und gute Worte ſich von ſchmucken jungen
Leuten beſuchen laſſen, habe ich nicht kennen gelernt.
Aber nun mags von der Schwelgerei des Herzens
genug ſeyn: jetzt zur Schwelgerei des Kopfs!
Die Koͤnigliche Bibliothek wurde eben damals
in Ordnung gebracht. Einer meiner Bekannten,
Herr Julius Erduin Koch, Wolfs Schuͤler, und
Verfaſſer einiger huͤbſcher Werkchen, half bei dieſem
Geſchaͤfte. Die Bibliothek hat einen großen Vor-
rath recht guter, auch mit unter rarer Buͤcher und
Handſchriften; aber an einen Katalogus hatte man
bis jetzt noch nicht gedacht. Dies hatte die Folge,
daß viele Buͤcher, welche allerdings da waren, ver-
gebens geſucht wurden, und daß man endlich ein und
eben daſſelbe Werk doppelt, dreifach, ja oft mehrfach
ankaufte. Wer konnte nun auch wiſſen, ob das ge-
ſuchte Werk da war oder nicht! Dieſe artige Einrich-
tung machte den Herren Bibliothekaren freilich nicht
viel Ehre: ihr Buͤcherſaal glich dadurch einem Koͤr-
per ohne Seele. —
[425[427]]
Unſre Soldaten, welche Arbeit fanden, verdien-
ten ſich huͤbſches Geld: der Arbeitslohn iſt in Berlin
weit hoͤher als in Halle und ſonſtwo. Vielleicht ga-
ben auch die Herren Berliner etwas mehr, um ſich
bei den Fremden einen Namen zu machen. Immer
gut! Wer aber nichts verdienen konnte, mußte in
Berlin ganz kuͤmmerlich leben, wegen der dortigen
großen Theurung. Daher ſehnten wir uns beinahe
alle wieder weg, und wuͤnſchten, daß wenns einmal
vorwaͤrts gehen ſollte, es nur recht bald vorwaͤrts
gehen moͤchte. Ich ſelbſt fing an, des Dings uͤber-
druͤſſig zu werden, und ob ich gleich im Vergleich mit
Andern ein recht gutes Logis hatte, ſo war mir doch
das Herumliegen verhaßt, und ich ſtrebte weiter zu
kommen. Wo man nicht immer bleiben kann, da
mag man auch nicht gern lange bleiben.
Sechs und dreiſſigſtes Kapitel.
Vorwaͤrts. Schon wieder ein luͤderlicher Pfaffe! Reſpekt vor
dem Herrn Paſtor Schulz in Gielsdorf! Naturalismus mit
Poſitivismus verglichen. Etwas uͤber Frankfurt an der
Oder, und Leopolds Ehrenſaͤule.
Im Anfang des Julius marſchirten wir an einem
Montag aus Berlin auf Frankfurt zu. Das Land
hier iſt ſehr ſandigt und unfruchtbar, und die Leute
[426[428]] ſind groͤßtentheils arm. Sie heiſſen nach der Berli-
ner Sprache die Sandmaͤrker.
In Petershagen, ohngefaͤhr fuͤnf Meilen
von Berlin, hoͤrte ich, daß die Bauern uͤber ihren
Herrn Seelſorger ſehr ſchwierig waren. Die Urſache
dieſer Feindſchaft lag in der Neigung des Ehrenman-
nes zu den Grasnymphen. Man hatte ihn mehr-
mals im Felde und im Walde mit Maͤdchen und
Weibern angetroffen, ihn deshalb verklagt, und ſei-
ne Predigten verachtet. Ob ſeine Bauern den Pro-
ceß gewonnen haben, weis ich nicht; allein das ganz
allgemeine Geruͤcht nicht nur im Dorfe, ſondern in
der ganzen Gegend von des Paſtors verliebten Le-
bensart, bewies hinlaͤnglich, daß er die Klage ſelbſt
verſchuldet hatte. An ſeiner Orthodoxie war uͤbri-
gens nichts zu tadeln.
Erfreulicher waren die Nachrichten, die ich uͤber
den Herrn Paſtor Schulz zu Gielsdorf von einigen
ſachkundigen Maͤnnern einzog. Man ruͤhmte ihn
durchaus als den hellſten, wohlwollendſten und thaͤ-
tigſten Menſchenfreund. Seine Gemeinden ſollen
unter allen Sandmaͤrkern die friedfertigſten Leute
ſeyn und wohlhabender, als alle ringsherumwohnen-
de: und das ſollen ſie ſeinem vaͤterlichen Umgang
und ſeinen oͤkonomiſchen und moraliſchen Belehrun-
gen zu danken haben. Er iſt wohl der Erſte, der
durch eine zweiundzwanzigjaͤhrige Erfahrung bewie-
[427[429]] ſen hat: daß die natuͤrliche Religion oder vielmehr
die Moral ſchon vollkommen genug ſey, auch die
gemeinſten Leute zu recht guten Menſchen und ge-
treuen Unterthanen zu bilden — was ſonſt angeſeh-
ne Theologen und Politiker nach ihrer Stubenge-
lehrtheit laͤugneten. Einige derſelben ſind noch jezt
hartnaͤckigt der Meinung: daß ohne poſitive Reli-
gion das gemeine Weſen nicht beſtehen koͤnne, wie
wenn dies da ſo recht bluͤhend beſtaͤnde, wo man
recht viel poſitive Religion gehabt hat und noch
hat — in Italien, Portugal und Spanien! Ich
weis nicht: es giebt gewiſſe Leute, die, trotz aller
Belehrung der Geſchichte und der Laͤnder- und Voͤl-
kerkunde, dennoch in Abſicht auf poſitive Religion,
wie mit ſehenden Augen blind ſind. Aber freilich
um Licht zu ſehen, muß man Licht haben, und wer
dies hat, ſieht durch den umnebelnden Wuſt durch
und iſt feſt uͤberzeugt: daß es wenig Ehre fuͤr den
Urheber der Menſchheit ſeyn wuͤrde, wenn man dieſe
durch Wahn, Aberglauben und Irrthum weiter brin-
gen koͤnnte, als durch Wahrheiten, die das Gepraͤge
der ſimpeln Natur an ſich haben. Ich meyne: hat
man die Menſchen durch poſitive Religion bisher ſo
palliativ gaͤngeln konnen, warum ſollte man ſie durch
die natuͤrliche nicht ganz curativ fuͤhren und behan-
handeln koͤnnen! Fuͤr Wahrheit ſind wir doch mehr
geſchaffen als fuͤr Irrthum: mehr fuͤr Licht — wenn
[428[430]] wir wachen — als fuͤr Finſterniß! „Allein das Un-
„natuͤrliche iſt uns“ — wie Herr Pofeſſor Muͤl-
ler, der Schweitzer, bemerkt z) — „in ſehr vie-
„len Dingen gewoͤhnlich geworden; und deswegen
„ſcheint uns das Natuͤrliche unnatuͤrlich. Man iſt
„nun ziemlich darin einig, daß Orthodoxie einzig
„bei den Heterodoxen zu finden ſey. „— Gebetbuͤ-
„cher —“ faͤhrt er fort — „die voller Unſinn, Ab-
„geſchmacktheit, Unmoralitaͤten und zuweilen wohl
„gar Laͤſterungen ſind: Predigten, die an dieſen Ei-
„genſchaften die Gebetbuͤcher noch uͤbertreffen: an-
„dere Erbauungsbuͤcher von gleichem Schlage: die
„Bibel ſelbſt iſt ſolchen ſimpeln und ungelehrten
„Menſchen mehr zum Schaden, als zum Nutzen:
„Fuͤr einen Punkt, den ſie recht verſtehen, ſind
„hundert, die ſie misverſtehen.“
„Wie konnte man doch ein Buch zum allge-
„meinen Geſetzbuch machen, in welchem jedes
„Wort eine ſcharfe kritiſche Pruͤfung, dieſe eine ge-
„laͤuterte Philoſophie, und beides die ausgebreiteſte
„Gelehrſamkeit erfodert, die wieder der ſchaͤrfſten
„Kritik bedarf! Wenn ich dieſes auseinander ſetze,
„ſo thuͤrmt ſich die Unvernunft einer ſolchen Ein-
„richtung zu einem Alpengebuͤrge auf: alle meine
„Sinnen ſtehen ſtille.“
[429[431]]
„Es iſt vielleicht kein Buch, das dem gemei-
„meinen Mann ſchaͤdlicher waͤre: denn es ſchadet
„nur dem Verſtaͤndigen, dem Redlichen. Der
„Schlimme lieſet es nicht: der Gleichguͤltige kehrt
„ſich daran nicht: der Stumpfe verſteht es nicht:
„der Verſtaͤndige, der Gewiſſenhafte allein ſtudiert
„es, verwirrt ſich und wird ein Opfer ſeiner Gewiſ-
„ſenhaftigkeit. Mir blutet die Seele, wenn ich an
„die vielen redlichen Menſchen aus meiner Bekannt-
„ſchaft denke, die durch ihre eigene Froͤmmigkeit bei
„Leſung der Bibel ungluͤcklich geworden ſind. Einer
„haͤngte ſich, zwei ſtuͤrzten ſich ins Waſſer, mehrere
„verloren den Gebrauch ihres Verſtandes: eine noch
„weit groͤßere Anzahl wurden von ihren Zweifeln
„herumgetrieben, Tag und Nacht gemartert, fuͤr
„ihr Hausweſen unbrauchbar und den Ihrigen zur
„Laſt. Sprecht redliche Pfarrer in Laͤndern, wo
„dem Landmann Muße gelaßen iſt zu denken: wie
„oft Ihr mit dieſen Bibelleſern zu kaͤmpfen hab't!
„Welch unſinniges Zeug ſich aus dieſem Leſen in den
„Koͤpfen ſolcher Leute erzeugt! Welcher Aberglaube
„iſt moͤglich, den ſie nicht in dieſem Buche beſtaͤtigt
„glauben! Geiſterbeſchwoͤrung, Schatzgraͤberei, Teu-
„felsbannerei, Hexen, Geſpenſter, Goldmacherei,
„Zauberei: alle dieſe Undinge finden Sie in Glau-
„bensartikel verwandelt, und manche wohl gar, wie
„ſie meynen, als erlaubt gerechtfertigt. Schwaͤrme-
[430[432]] „reien aller Arten nehmen Stoff aus dieſem Buche,
„und Betruͤger, Sektenſtifter, falſche Meſſias, fal-
„ſche Propheten, falſche Apoſtel, gewinnen die Ein-
„faͤltigen durch dieſes Buch. Allein, ſagt man, gute
„Erklaͤrungen koͤnnen allem dieſem vorbeugen. Dieſe
„Sage iſt wahrer Unſinn! Hart, aber wahr! Es
„iſt ein Widerſpruch, ein Buch von dieſer Art à la
„portée de tout le monde einzurichten a). —
„Natuͤrliche Religion iſt aber die faßlichſte und
„einfachſte Religion: ſie iſt ſo leicht, ſo jedermans Faͤ-
„higkeiten angemeſſen, daß man erſtaunen muß, wenn
„man Philoſophen ernſthaft behaupten hoͤrt: —“
„ſie ſey nicht fuͤr den gemeinen Mann, und koͤnne
„niemals allgemein werden b)!“ Dieſe Herren ver-
[431[433]] „rathen dadurch eine doppelte ſehr unphiloſophi-
„ſche Unwiſſenheit: ſie kennen weder den gemeinen
„Mann, noch ihre eigene Religion. Natuͤrliche Re-
„ligion iſt Religion, auf welche — dem Geſetze der
„reellen Cauſſalitaͤt zu folge — ſowohl aͤußere Na-
„tur als die Natur des Menſchen von ſelbſt fuͤhret;
„ſie aber ſetzen metaphyſiſche Schulreligion an deren
„Stelle.“ —
„Vielfaͤltig habe ichs beim Landmann verſucht,
„ihm die natuͤrlichen Ideen vom oberſten Weſen
„vorzulegen: jedesmal begriff er ſchnell, behielt feſt,
b)
[432[434]] „urtheilte richtig: er fuͤhlte ihre Kraft, ſie erheiter-
„ten, ſie beruhigten, ſie ſtaͤrkten ſeine Seele. Dieſe
„Ideen ſind mit allem, was ſchoͤn, gut und voll-
„kommen unter den Menſchen iſt, verwandt: ſie
„geben dieſem Licht und erhaltens von ihm: eins
„macht das andere anſchaulich, eines verſtaͤrkt das
„andere.“
„Halte ich die Leichtigkeit natuͤrlicher und die
„Schwierigkeit ſogenannter geoffenbarter Begriffe
„gegen die Behauptung: — der Bauer koͤnne die
„zweiten, nicht aber die erſten verſtehen, ſo ſteht
„mein Verſtand ſtille. Sonderbare Behauptung!
„Das Leichteſte iſt nicht fuͤr den Schwaͤchſten! Was
„hell iſt, wie der Tag, was von allen Seiten ſtar-
„kes Licht empfaͤngt, iſt ſchwer zu ſehen: man braucht
„philoſophiſche, metaphyſiſche Augen dazu! Aber ge-
„heimnißvolle Saͤtze, durch eine Menge exegetiſcher
„Regeln herausgebrachte, ſehr componirte, ſehr ver-
„wickelte Syſteme — das ſoll Religion ſeyn, die
„dem gemeinen Mann verſtaͤndlicher waͤre, als die
„natuͤrliche!“ — Sehr wahr! Doch wieder ins
Geleis!
Gern haͤtte ich die Univerſitaͤt zu Frankfurt an
der Oder naͤher kennen gelernt; allein wir gingen
dieſe Stadt nur eben durch: und da ließ ſich freilich
wenig bemerken. Ich ſahe zwar einige Studenten
auf der Straße, die alle recht artig gekleidet gingen
[433[435]] und gar nicht renommiſtiſch ausſahen: ich ſchloß da-
her, daß der Komment auf dieſer Univerſitaͤt jezt
auch ſehr verfeinert ſey. Allein nach meiner Zuruͤck-
kunft nach Halle ſprach ich mit einigen, welche ſonſt
zu Frankfurt ſtudiert hatten, unter andern auch mit
einem, der von da religirt war: und dieſe Herren
beſchrieben mir den Frankfurter Ton als ſehr roh,
viel roher, als er in Halle iſt, und, um dieſes
zu beweiſen, erzaͤhlten ſie mir, wie vor noch nicht
langer Zeit die Studenten die Hauptwache geſtuͤrmt
und allerlei Unfug veruͤbt hatten. Ueberdem hat
auch das Ordensgift die dortige Univerſitaͤt inficirt;
denn auch da findet man Unitiſten und Conſtantiſten,
wider welche die Univerſitaͤt zwar von Zeit zu Zeit
procedirt, aber wenig ausrichtet: und wo es Orden
giebt, da kann es an Unordnungen nicht fehlen.
Unter dem vielen Frauenzimmer, welches ich
in Frankfurt auf der Straße und an den Fenſtern
geſehen habe, ſah ich auch nicht eine einzige Schoͤn-
heit. Ob dieſe da ſo rar iſt?
An der Oder betrachtete ich die Saͤule, welche
dem vortreflichen Herrn Leopold von Braun-
ſchweig errichtet iſt, und fuͤhlte recht lebendig, daß
dieſer edle Fuͤrſt eines ſchoͤnern Todes ſtarb, als man-
cher Held, der hunderttauſend unſchuldige Menſchen
auf die Schlachtbank fuͤhrt, und endlich auf Truͤm-
mern der Menſchheit im Triumphe als Sieger ein-
[434[436]] herſchreitet, uneingedenk des ſchoͤnen Leſſingi-
ſchen Spruchs: — „Was Menſchenblut koſtet,
iſt Menſchenblut nicht werth, „— dann ſich hinlegt
und ſtirbt, und nun aus widervernuͤnftiger Verwoͤh-
nung ein Mauſolaͤum erhaͤlt! — Wahrlich Leopold
hat die Ehrenſaͤule mit groͤßerm Recht verdient! Aber
einen beſſern Biographen haͤtte er haben ſollen, als
er an Meiſter Geißler dem Juͤngern gefunden hat.
Die Sudelei dieſes General-Stuͤmpers lieſt nie-
mand ohne Ekel.
Zu Trettin, einem Dorfe ohnweit Frank-
furt, konnte ich das Feld uͤberſchauen, wo vorzeiten
Friedrich der Zweite die ungebetenen Gaſte,
die Ruſſen, theils zuſammengehauen, theils in die
Oder gejagt hat. Mein Wirth hatte dieſer Men-
ſchenſchlachterei beigewohnt, und konnte vielerlei
Partikularitaͤten davon erzaͤhlen. Er war ein aufge-
weckter muntrer Mann, mit welchem ich mir die
Zeit recht angenehm vertrieb. Er ſprach von den
Ruſſen ſehr erniedrigend, und fuͤhrte viele Beiſpiele
von Grauſamkeiten an, welche ſie in jenen Gegenden
veruͤbt haͤtten. Sie pflegten, um nur eins anzufuͤh-
ren, die Haare der Weiber und Maͤdchen um ihre
Saͤbel zu wickeln, hernach die armen Geſchoͤpfe ver-
mittelſt des Saͤbels an der Erde zu befeſtigen, und
auf dieſe Art ihre viehiſche Wolluſt ungeſtoͤhrter zu
ſtillen. Die Ruſſiſchen Officiere erlaubten das alles
[435[437]] und lachten uͤber die Klagen des gedruͤckten Land-
manns. Aber ſo ſoll auch ihre Schande fortdauern
bis an den juͤngſten Tag! Der Feind ſey immerhin
Feind, nur vergeſſe er die Menſchlichkeit nicht, und
man wird ihn loben und ehren! Aber wenn er bru-
taliſirt, und ſich gegen die Unterthanen deſſen, gegen
den er ſtreitet, alle Bubereien erlaubt, ſo mag ihn
ewige Schande brandmarken und allen kuͤnftigen Zei-
ten als einen Schuft darſtellen.
In Croſſen hat es mir gefallen: die Stadt
ſcheint ſich gut zu naͤhren. Hier giebt es herrliches
Bier. — Freilich eine Kleinigkeit fuͤr den, der
Wein hat!
Im erſten ſchleſiſchen Dorfe, Reichenau, kam
Herr Friſch, der Candidat zu mir und bewies mir
viel Freundſchaft. Er war in Halle mein Schola [...]
geweſen.
Zu Dittersbach bei Sagan ſtanden wir,
das zweite Bataillon, wobei ich mich befand, 14
Tage ſtill. Dies verurſachte der Reichenbacher-
Congreß, von deſſen Ausgang Krieg und Frieden
nun abhing. Unſere Leute diſputirten taͤglich bis zum
Zanken und zu Grobheiten, ob Leopold nachgeben,
oder den Krieg fortſetzen wuͤrde? Viele behaupteten
das erſtere; viele das leztere, und wurden oft ſo auf
einander erbittert, daß ſie ſich mit Schlaͤgen drohe-
ten. Ich ſah dergleichen Auftritte gern: ſie erin-
[436[438]] nerten mich an die Zaͤnkereien und die Spektakel der
aͤltern und neuern Theologen und Philoſophen, wel-
che oft uͤber Dinge diſputirten, die kein Menſch be-
jahend oder verneinend entſcheiden kann c).
Hier in Dittersbach machte ich mich mit der
Landesart und andern dahin gehoͤrigen Sachen be-
kannt, und ich muß mit Erlaubniß der Herren
Schleſier bekennen, daß ich wenig Genugthuung ge-
funden habe. Die Ackerfruͤchte waren freilich dieſes
Jahr wegen der großen Duͤrre ſchlecht: dabei war
es aber doch nicht ſchwer, einzuſehen, daß an dem
Schleſiſchen Ackerbau noch gar viel zu verbeſſern ſey.
Ganze Strecken recht gutes Landes lagen oͤde, und
niemand konnte ſich entſinnen, daß je ein Pflug
darauf gekommen waͤre. Der Gartenbau taugt vol-
lends nichts, wenigſtens auf den Doͤ [...]ern nicht. Die
[437[439]] Leute ſehnen ſich nicht einmal nach Gartenfruͤch-
ten: ſie eſſen Jahr aus Jahr ein ihre Knoͤtel d)
und ihre Suppe, bloßes Mehl mit Salz und Waſ-
ſer, ſelten mit Milch, und ſind damit zufrieden.
Es giebt Familien, die das ganze Jahr hindurch
auch nicht ein Loth Fleiſch eſſen. An Einſchlachten
und an Geraͤuchertes iſt gar nicht zu denken, ich
meine noch immer, auf den Doͤrfern: denn in ſchle-
ſiſche Staͤdte bin ich nicht gekommen. Die Lebens-
art der dortigen Bauern iſt alſo ſehr einfach: ihre
allgemeine, ewige Koſt, von der ſie nie abgehen,
iſt — Suppe und Knoͤtel: ſelten etwas Butter
und Kaͤſe.
Die Tracht oder die Kleidung dieſer Leute iſt
ſehr einfach und zeugt von der Armuth der meiſten.
Faſt alle beklagten ſich, daß ſie kaum ſo viel erwer-
ben koͤnnten, als hinreicht, die Abgaben an den Koͤ-
nig und den Edelmann zu entrichten: woher nun
Koſt und Kleidung!
Der Schleſiſche Landmann iſt in allem Betracht
ein Sklave. Die koͤniglichen Abgaben, hoͤrte ich meh-
rere ſagen, wollten ſie gern geben, wenn ſie nur von
der Tyrannei des Adels befreit waͤren. Der groͤßte
[438[440]] Theil des Adels tyranniſirt zwar aller Orten, wo er
nur kann, und ſieht die Landleute als Geſchoͤpfe an,
welche aus einer ganz andern Maſſe gebildet ſind, als
der gnaͤdige Junker. Das thut der Adel ſogar in
der Pfalz, wo ihm ſonſt die Klauen gar ſehr ver-
ſchnitten ſind e). Auch da uͤbt er ſo unter der
Hand in den ſogenannten ritterſchaftlichen Doͤrfern
ſeine Obermacht aus, und ſaugt den Armen Unter-
thanen das Blut unter den Naͤgeln hervor. Aber
nirgend iſt die adeliche Tyrannei aͤrger als in Schle-
ſien: da koͤnnen die Herren Unmenſchen ſo recht nach
Herzensluſt die armen Unterthanen ſcheeren. Der
Bauer da muß ſeinem Edelmann oder Gutsherrn ar-
beiten, ſo oft und viel er es verlangt; und was der
Edelmann ihm dafuͤr erſtattet, iſt der Rede nicht
werth. Widerſezt ſich der Bauer, ſo laͤßt ihn der
Junker einſperren. — — — — — —
— — Ich habe Beiſpiele gehoͤrt, wobei mir die
Haut ſchauderte. Und geht auch endlich der Land-
mann klagen, ſo bekommt auf den aͤußerſten Fall der
Edelmann eine Naſe ſo ganz im ſtillen, wird auch
[439[441]] wohl einmal, wenn ers gar zu arg macht, etwas
derber beſtraft; behaͤlt aber doch immer die volle Ge-
walt, ſeinen Klaͤger nun noch weit aͤrger zu quaͤ-
len f). Ein Bauer wollte ſeinen Sohn zu einem
edelmaͤnniſchen Amtmann qualificiren laſſen und be-
diente ſich dabei in vollem Ernſt des Ausdrucks: Er
ſollte ein Bauernſchinder werden. Wer mehr
von den winzigkleinen Schleſiſchen Deſpoten wiſſen
will, der findet es im deutſchen Zuſchauer fuͤr
1791. — Und ſo faͤdelt man Volks-Aufſtand
— — — — — — — — — —
— — — —
Wenn alſo Schleſien auch gleich ein recht gutes
und fruchtbares Land iſt, ſo laͤßt ſichs doch leicht den-
ken, daß der Wohlſtand der arbeitenden Claſſe, vor-
zuͤglich auf dem Lande, ſehr gering ſeyn muͤſſe, und daß
die armen, gedruͤckten Leute das Unnatuͤrliche
noch nicht einſehen, was Herr Hofrath Schloͤzer
Zweiter Theil. Ff
[440[442]] darin findet: „Daß Ein Hochwohlgeborhner
Schwachkof und Faullenzer von dem Verſtand und
der Arbeit Hundert geſcheuter und arbeitſamer
Leute leben ſolle g).“ — An Holz haben die Leute
freilich einen Ueberfluß, gehen aber damit ſo unſpar-
ſam um, daß es eine Schande iſt h). Um eine Waſ-
ſerſuppe zu kochen, verbrennt der Schleſier ſo viel
Holz, als man in Halle braucht, eine ganze Mahl-
zeit zuzurichten. Den ganzen Tag brennt da das
Feuer auf dem Heerde, damit, wenn ja einem ein-
faͤllt, etwas anzuſetzen, er nicht noͤthig habe, erſt
Feuer anzumachen. Die Leute brauchen taͤglich drei-
mal warmes Waſſer fuͤr ihr Vieh: da nun das Waſ-
ſer in Ofenſchiffen gewaͤrmt wird, ſo werden die
Stuben in dieſem Lande taͤglich wenigſtens dreimal
geheizt. Ich konnte in ſolchen Stuben gar nicht
bleiben, eben ſo wenig meine Kameraden: die Ein-
wohner aber ruͤhrte das gar nicht. Wenn alſo uͤber-
haupt, wie man ſagt, dieſe Nation von etwas ſchwa-
chem Geiſte iſt, ſo mag das ewige Heizen der Stu-
[441[443]] ben vielleicht eben ſo viel dazu beitragen, als der
deſpotiſche Druck ihrer Gutsherren.
Schoͤne Maͤdchen in Schleſien habe ich wohl
bei Vornehmern einige geſehen; unter den Gemei-
nen aber nicht eine einzige. Bei Croſſen indeß in
Alt-Rehfeld ſah ich ein gemeines Croſſiſches Maͤd-
chen, Regine Schmidin genannt, welche da ſo
allerlei zum Verkauf herumtrug. Dieſe wuͤrde, als
Dame gekleidet, fuͤr eine vollkommne Schoͤnheit paſ-
ſiren koͤnnen. Mein Tagebuch enthaͤlt uͤber ſie noch
allerhand.
In Kleinigkeiten ſind die Schleſier erfinde-
riſch. So ſah ich in Sprottau eine Wiege, wel-
che vom Waſſer, durch ein angebrachtes Trieb-
werk, in Bewegung erhalten wurde. Ich habe
noch mehr Raritaͤten von der Art bemerkt, die
aber keinesweges Beweiſe fuͤr die Kultur eines Lan-
des ſind.
In Merzdorf, einem Dorfe uͤber Hirſch-
berg, nahe an der Boͤhmiſchen Graͤnze, war unſere
lezte Cantonnirung. Hier beſuchte mich der Candi-
dat Walter, der Hirſchberger. Er war der ein-
zige Sohn einer reichen Kaufmannswittwe, hatte in
Halle ſtudiert, ziemlich gut gelernt, auch meinen Un-
terricht benuzt. Allein, leider, muͤſſen ihn innere
Leiden gequaͤlt haben, welche zu lindern der aͤußere
Wohlſtand nicht zuließ: denn im vorigen Jahre hat
[442[444]] er ſich erſaͤuft. Was doch nicht alle mit den Men-
ſchenkindern geſchehen kann!
In Merzdorf weiß man recht viel zu erzaͤhlen
von Meiſter Ruͤbezal. Ueberhaupt ſind die Schle-
ſier ſehr orthodox, folglich auch ſehr aberglaͤubig; aber
die Bergſchleſier ſind es uͤber alle Maaßen. Stun-
denlang wiſſen ſie von ihrem Ruͤbezal und andern
Geſpenſtern zu ſchwatzen, faſeln tauſend Fratzen her,
und wenn man ihnen dieſe widerlegt, ſo werden ſie
grob und fangen an zu ſchelten. Wo Geſpenſter zu
Hauſe ſind, ſinds auch Hexen, alſo auch hier.
Eine gute Eigenſchaft darf ich aber nicht uͤber-
gehen, die ich an den Schleſiern bemerkt habe: ſie
iſt freilich zum Theil in ihrem Aberglauben gegruͤn-
det: — ſie fluchen und ſchwoͤren nicht, reißen auch
keine Zoten. Sie kreuzten und ſegneten ſich allemal,
wenn unſere Leute fuͤrchterliche Fluͤche und derbe Zo-
ten ausſtießen. — Die Schleſier Bauermaͤdchen ſind
auch lange nicht ſo gefaͤllig und aufgeweckt, als die
in der Mark, in Sachſen und anderswo.
An meinen braven Bispink hatte ich von
Dittersbach aus geſchrieben, und erhielt ſeine erſte
Antwort ſchon in Merzdorf. Ich freute mich, in
dem Briefe des ehrlichen Mannes alle Geſinnun-
gen zu finden, welche ich immer bei ihm gefunden
habe. Ich antwortete gleich wieder und bath ihn,
doch an meine Mutter zu ſchreiben, damit dieſe der
[443[445]] Grunebergen ihre Foderung bezahlen moͤchte: an un-
angenehmen Erinnerungen daran fehlte es ſogar nicht
im Felde. Herr Bispink thats, und was erfolgte,
wiſſen wir.
Eine kleine Rebellion bei unſerer Compagnie,
woran die Unterofficiere am meiſten ſelbſt Schuld
waren, noͤthigte unſern Hauptmann, hier Wachen
mit geladenem Gewaͤhre auszuſtellen. Die Burſche,
welche an dem Tumulte Theil gehabt hatten, wur-
den auch noch auf dem Marſch einige Zeit ſcharf be-
wacht. So Violent dieſe Vorkehrungen waren, ſo
konnte man ſie unſerm Hauptmann nicht verargen:
im Felde iſt nichts gefaͤhrlicher als Aufſtand und
Meuterei.
Sieben und dreiſſigſtes Kapitel.
Reichenbacher Frieden. Ruͤckmarſch. Orthodoxie in Schleſien.
Herzog Friedrich von Braunſchweig, einer
der erſten Menſchen!
Endlich that der Reichenbacher Congreß
ſeine Wirkung: es war Friede, und wir erhielten
Befehl, zuruͤck zu marſchiren. Ich bin nicht im
Stande, die Freude zu beſchreiben, welche den groͤßten
Theil unſerer Soldaten auf einmal beſeelte. Sie
[444[446]] gebaͤhrdeten ſich wie die Kinder, wenn ſie ein huͤb-
ſches Geſchenk erhalten haben. Nur wenige ſahen
es nicht gern, daß der Spektakel ein Ende haben
ſollte: dieſe wuͤnſchten ſich ihren alten Fritze zu-
ruͤck: Der, meynten ſie, wuͤrde kein Ungemach
geſcheut haben, wuͤrde entweder ganz ruhig zu Hauſe
geblieben, oder in Boͤhmen fluchs vorgedrungen ſeyn
ſo lange, bis die Tuͤrken von ſelbſt Frieden erhalten
haͤtten. Viel Blut wuͤrde es auch nicht gekoſtet ha-
ben: Oeſtreich waͤre ſchon zu ſchwach, um den Ueber-
reſt von Schleſien nicht gern willig abzutreten, die
Kriegskoſten zu erſetzen, und ſich wenigſtens in vier-
zig Jahren die Luſt nicht wieder werden zu laſſen,
Europa in Krieg zu verwickeln, und ſo auf Koſten
Anderer, im Truͤben fuͤr ſich zu fiſchen. — —
— — — — Die guten Leute ſprachen aber,
wie ſies verſtanden; und es war ſehr klug, einem je-
den dies nach ſeiner Art nicht zu wehren: dadurch
kuͤhlt ſich der erhizte Muth ab, und man iſt vor
anderartigen Thaͤtlichkeiten ſicher.
Ich hoͤrte dem allen ſo im Stillen zu, verglich,
pruͤfte, und wenn es mir auf der einen Seite auch
ſchien, daß der Reichenbacher Friede etwas vom
Frieden Gottes an ſich habe, der, wie Herr Cranz
in ſeinen Fragmenten ſagt, uͤber alle Vernunft erha-
ben iſt: ſo ſchien es mir doch auf der andern Seite,
daß unſer gutmuͤthiger Koͤnig ſich bei dieſem Feldzug
[445[447]] doppelten Ruhm erworben habe. Es gehoͤrt doch
wahrlich etwas mehr dazu, als eine kaufmaͤnniſche
Seele, um die Koſten zur Mobiliſirung der Armee
nicht zu achten, Verzicht auf Eroberungen zu thun,
und da dem Feinde ſelbſt die Hand zum Frieden
zu biethen, wo es etwas kleines geweſen waͤre, ihn
durch Krieg vollends aufzureiben. Und ſo war unſer
liberale Koͤnig in meinen Augen doppelt groß! Als
ich daher zu Merzdorf bei einem Leinweber ſein Bild-
niß auf einem Kupferſtich erblickte, worauf ſein Koͤ-
nigliches Koſtuͤme ziemlich getroffen war, außer dem
Kopf, ſo ſchrieb ich, ob ich gleich kein Verſifer bin,
folgendes Diſtichon darunter:
Ich weiß wohl, daß dieſe Zeiten nicht weit her
ſind: da ſie aber meine damalige Empfindung aus-
druͤcken, ſo moͤgen ſie hingehen.
Wir nahmen bis Sagan beinahe denſelben
Ruͤckweg, worauf wir hingezogen waren; doch ka-
men wir auf andern Doͤrfern ins Quartier. Das
Obſt fing an zu reifen, und der vollſte Baum war
oft in einer halben Stunde leer. Die Soldaten
machen es einmal nicht anders! Die Landleute ſchie-
[446[448]] nen uns auch gewogner zu ſeyn auf dem Ruͤckmarſch
als auf dem Hinweg, ob ich gleich uͤberhaupt ſagen
muß, daß die Schleſier eben kein großer Freund von
den Preußen und der Preußiſchen Regierung ſind.
Die Katholiken beſonders erinnern ſich noch mit vie-
lem [Vergnuͤgen] an die Oeſtreichiſche Herrſchaft, und
ruͤhmen es, wie gut ſie es damals gehabt haͤtten.
Die Proteſtanten geſtehen zwar, daß ſie fuͤr ihren
Gottesdienſt jezt Freiheit hinlaͤnglich haͤtten; meynen
aber doch auch, daß ſie weit mehr abgeben muͤßten,
als ſonſt. Ich belehrte bei ſolchen Geſpraͤchen die
Leute allemal, daß in den Kaiſerlichen Laͤndern jezt
auch alles anders ſey, und daß die dortigen Unter-
thanen in neuern Zeiten weit aͤrger mit Abgaben ge-
quaͤlt wuͤrden, als irgend andere in Europa...
Dieſe Rede gefiel den Bauern und da wuͤnſchten ſie
ſich denn doch, lieber Preußiſche Unterthanen zu ſeyn,
als Oeſtreichiſche.
In Hoßlau ohnweit Bunzlau traf ich mei-
nen alten Freund, Herrn Kieſel an, der an die-
ſem Orte Paſtor iſt. Er war ehedem Waiſen-
Praͤceptor zu Halle, und iſt jezt zu meiner Freude
recht gut verſorgt. Dieſer Herr Kieſel hat mir
eben keinen vortheilhaften Begriff von den Schleſi-
ſchen Pfarrern und der dortigen Landes-Toleranz
beigebracht. Die lieben Herren hoͤren meiſtens mit
ihrem Studieren auf, wenn ſie ein Amt weghaben.
[447[449]] Neue Buͤcher ſind bei ihnen Contrebande, und dies
ſoll es machen, daß von den Meſſen ſo wenig Buͤcher
nach Schleſien abgehen, und die noch dahin abge-
hen, meiſt an Adliche und dergleichen verkauft wer-
den. Da nun die Herren auch groͤßtentheils mit
Wiſſenſchaften uͤbel, mit Heften aber reichlich ver-
ſehen, die Univerſitaͤt verlaſſen — man muß naͤm-
lich wiſſen, daß unter allen Landmannſchaften in
Halle keine das Hefteſudeln mehr liebt, als die Schle-
ſiſche — ſo bleiben ſie, im Ganzen genommen, auch
meiſt Ignoranten ihr Lebelang. Daß die Herren bei
dieſen Qualitaͤten ſehr orthodox ſind, und dadurch
der Tirannei des Adels Vorſchub thun, zeigt die
Natur der Sache. Sie verfolgen zwar nicht oͤffent-
lich: aber durch haͤmiſche Raͤnke, die den Pfaffen al-
ler Voͤlker und aller Sekten ſo gewaltig eigen ſind,
ſuchen ſie doch denen zu ſchaden, die hier und da
vom Syſtem abweichen, oder gar ſich beigehen laſ-
ſen, an der Heiligkeit und den Vorrechten der Pfaf-
ferei und des Adels zu zweifeln. Ein liberaldenken-
der Kandidat koͤmmt in Schleſien an ſich ſchon nicht
fort, nicht einmal als Informator bei einem Edel-
mann. Wenn dieſer eines ſolchen Hausmoͤbels be-
darf und ſich jemand dazu antraͤgt, ſo iſt allemal die
erſte Frage: Ob der Herr Gevatter den alten oder
den neuen Glauben habe? Stuzt der Herr und
weiß er nicht, was dieſe Frage bedeute, ſo geht man
[448[450]] ins Detail, und fragt weiter: was er von Chriſto
halte? Ob dieſer wahrer Gott ſey? Ob er durch ſein
Blut, oder durch ſeine Lehre die Menſchen erloͤſet
und fuͤr die Suͤnden der Welt genug gethan ha-
be? — Beſteht hier der Meiſter als orthodox, ſo
wird er Hofmeiſter: beſteht er nicht — marſch mit
ihm! Nach andern Dingen, als Paͤdagogik, Spra-
chen, Wiſſenſchaften und Sitten wird wenig gefragt.
Ich berufe mich hier zum Ueberfluß noch auf das
Zeugniß der ſchleſiſchen Hofmeiſter in Halle, ſammt
dem ihrer Eleven. Ich mag die nicht nennen, de-
nen es ſo gegangen iſt. Das iſt aber noch ſo ein
Anſtrich oder Nachhall von dem Religionszuſtande
der Schleſier unter der Regierung Oeſtreichs. Laut
dieſes Anſtrichs galt ſelbſt Friedrich der Ein-
zige als Freigeiſt: und welcher Orthodoxe nimmt
gern von Freigeiſtern etwas an! Gut nur, daß
dieſer Freigeiſt recht wohl wußte, daß zum hoͤlzernen
Hermes freilich jeder Klotz ſchon tauge, aber nicht
zu einem Hermes nach der Vorſtellung der Alten
von dem es hieß:
Gut nur, ſage ich, daß Friedrich das wußte,
und darum es ſich nie einfallen ließ, nach Roms
Art, ſeine Privatmeynungen, ſo koͤniglich ſie auch
waren, — mit inquiſitoriſcher Gewalt Andern auf-
zudringen, und ſie auf dieſe Art zu herrſchenden zu
[449[451]] machen k). Was alſo einen anſehnlichen Haufen
Schleſier noch heut zu Tage, in gewiſſer Ruͤckſicht,
erniedrigt, das erhebt unſern Friedrich ewig.
[450[452]]
Die Edelleute in Schleſien ſind alſo ſehr or-
thodox, ſo wie die geiſtlichen; und ich erinnere mich
noch recht genau, im Jahr 1786 hier in Halle einem
gewiſſen Herrn von Frankenberg Stunden gege-
ben zu haben, dem ſein Vater ausdruͤcklich befahl,
und dies mehr als einmal: ein Collegium uͤber die
Dogmatik und eins uͤber die theologiſche Moral zu
hoͤren, aber ja bei Herrn D.Noͤſſelt: und doch
war Frankenbergs Hauptſtudium — Juriſterei! Herr
D.Noͤſſelt iſt das Orakel der Schleſier; und wer
einen Sohn nach Halle ſchickt, der empfiehlt demſel-
ben, wenigſtens die Dogmatik bei ihm zu hoͤren:
der habe doch noch Dreifaltigkeit und eine Genug-
thuung Jeſu — wie wenn Herr D.Noͤſſelt nicht
Einſicht und Geſchicke genug haͤtte, die Dinge ſo
vorzutragen, daß der Buchſtaben-Theologe Buch-
ſtaben, und der geiſtige, Geiſt daraus nehmen koͤnnte.
Wer Ohren hat zu hoͤren, der hoͤre, und wer
Kopf hat zu faſſen, der faſſe! Und wenn das je-
ſuitiſch iſt, dann war auch Chriſtus Jeſuit. — Der
gute ehrliche Semler ſtand bei dieſen Leuten in ſehr
uͤblem Ruf. Der haͤtte ſich ſogar in ſeinem Werke
uͤber den Canon ſelbſt am Worte des Lebens ver-
griffen! Herr D.Knapp paſſirte ſo halb und halb.
Aber niemand iſt in Schleſien beruͤchtigter als der
arme Bahrdt: den kannten und verfluchten ſogar die
gemeinen Leute aus den chriſtlich-milden Schilde-
[451[453]] rungen ihrer Prediger. Gewiß, wer bei Bahrd-
ten Collegia gehoͤrt, oder ſonſt nur Umgang mit
ihm gehabt hat, der darf nimmermehr auf eine Be-
foͤrderung in Schleſien rechnen. So tief verſteckt
ſteht dort das Licht unter den Scheffeln, und es
iſt ſobald nicht zu befuͤrchten, daß die ſogenannte
Aufklaͤrung das Geſicht der Schleſier abſtumpfen
werde.
Von Sagan gingen wir durch die Lauſitz nach
Berlin. Vor Sagan iſt das ganze Leiden Chriſti in
ſteinernen Figuren abgebildet und auf eine Viertel-
meile in Stationen vertheilt — ohne Zweifel zur
groͤßern Erbauung des hartgedruͤckten Landmanns.
Sorau war die erſte Saͤchſiſche Stadt, wo wir
Nachtquartier hatten. Hier war der Abſtand zwi-
ſchen Schleſien und der Lauſitz auffallend ſichtbar:
denn hier gabs Gartengemuͤß die Menge, und
doch war der Sommer hier eben ſo trocken gewe-
ſen als dort. Es muß doch viel Fehler in der Nie-
dergeſchlagenheit der Schleſiſchen Landleute, und der
daher entſtehenden Schlaffheit zur Induſtrie [...]-
gen. Wer zur Schadloshaltung ſich dumpf in
die Ewigkeit hinein bruͤtet, der iſt nicht fuͤrs Zeit-
liche! — Die Wendiſchen Meilen, welche in der
Lauſitz Mode ſind, wollten unſern Leuten gar nicht
behagen: ſie ſind beinahe noch einmal ſo ſtark als die
Schleſiſchen.
[452[454]]
In Leskow ließ uns der Herzog Friedrich
von Braunſchweig, unſer Generaliſſimus, die
Patronen abnehmen und ſie auf der Spree nach
Berlin ſchiffen. Das war ein großer Vortheil, den
uns der vaͤterliche Fuͤrſt verſchafte: denn nun mar-
ſchirten wir weit leichter, als zuvor.
Nicht weit von Berlin hatte ich ſelbſt das
Gluͤck, dieſem edlen Herrn perſoͤnlich bekannt zu wer-
den. Ich habe dieſen Vorfall ſchon in der Zuſchrift
des erſten Theils dieſer Biographie erwaͤhnt, und
halte ihn fuͤr einen der ſchoͤnſten meines Lebens mit
Recht. Ich muß ihn naͤher beſchreiben. Gute Fuͤr-
ſten findet man doch nicht ſehr oft.
In Guben, einer huͤbſchen Saͤchſiſchen Stadt,
ſpeiſeten unſere ſaͤmmtlichen Officiere bei dem genann-
ten Generaliſſimus. Unter andern fiel das Geſpraͤch
auf die verſchiedeuen Subjecte, welche ſich manchmal
bei den Soldaten einfanden. Der Herzog ſelbſt er-
zaͤhlte, daß er einmal zu gleicher Zeit drei Geiſtliche
von drei Religionen bei ſeinem Regimente gehabt
haͤtte — einen Lutheraner, einen Reformirten und
einen Katholiken, der Kapuziner geweſen war. Das
hatte meinem Hauptmann, dem Herrn von Man-
delsloh, Gelegenheit gegeben, dem Herzog zu ſa-
gen, daß bei ſeiner Compagnie ſich ein Magiſter be-
finde, der vorzeiten in Halle Collegia geleſen haͤtte.
Dieſe Nachricht war dem Herzog aufgefallen, und
[453[455]] er hatte geaͤußert, daß er mich ſprechen wolle. Mein
Hauptmann gab mir hiervon Nachricht, und ich
freute mich, daß ich einen Herrn ſprechen ſollte, deſ-
ſen vortreffliche Eigenſchaften mir ſchon aus vielen
Nachrichten bekannt waren, und den ich ſchon als
einen der erſten Menſchen verehrte.
Er kam an einem Morgen wirklich an die Com-
pagnie geritten mit dem Herrn Generalleutenant von
Kalkſtein. Ich trat aus, und Herzog Friedrich
redete mich ſehr herablaſſend an — wie er allerlei
Gutes von mir gehoͤrt haͤtte, und nun mich ſprechen
wollte. Er fragte hierauf bald nach dieſem, bald
nach jenem, was auf mich bezug hatte, und ſpaßte
nach ſeiner ihm ganz beſonders eignen witzigen Art
uͤber mancherlei. Sogar fiel unſer Geſpraͤch auf den
Ruͤbezal, und der Herzog machte ſehr treffende
Bemerkungen. Unter andern fragte er mich: ob ich
Theologie ſtudiert haͤtte, und als ich dies bejahte,
laͤchelte er und ſagte: „Siehe da, ſo ſind wir ja
alle drei Pfaffen: ich als Domprobſt, Sie Alter
(zum Generalleutenant Kalkſtein) als Domherr,
und Laukhard da, als theologiſcher Gelehrter. Nun,
nun die Pfaffen ſollen leben, die uns gleichen, und
es mit dem Vaterland und dem Koͤnige gut meynen!
(Zu mir) Nicht wahr, mein Freund? — Er hatte
von meinem Tagebuch gehoͤrt, und befahl mir, ihm
einen Auszug daraus in Berlin ſelbſt zu uͤberbrin-
[454[456]] gen. Er foderte zwar das Tagebuch ſelbſt; allein
ſo gern ich es gleich hingegeben haͤtte, war es doch
nicht ſo eingerichtet, daß es den Haͤnden eines ſol-
chen Fuͤrſten haͤtte koͤnnen uͤberliefert werden.
Ich ſprach beinahe eine halbe Meile mit dem
Herzog, indem ich immer neben ihm herging und
auf der andern Seite den Generalleutenant von
Kalkſtein hatte. Endlich kamen wir an ein Dorf
und wir mußten uns trennen. „Leb' er wohl, mein
Lieber,“ ſagte der Herzog,“ und in Berlin ſehen
wir uns wieder. Aber daß ers ja nicht vergißt, mich
zu beſuchen! Ich bin Soldat: alſo Sans façon!“
Darauf ritt er vorwaͤrts, und ſein Stallmeiſter
uͤberreichte mir in ſeinem Namen ein Goldſtuͤck. Da
ſtand ich, und das menſchenfreundliche Betragen des
herrlichen Fuͤrſten hatte mich ſo entzuͤckt, daß ich
vor Freude denen, die jezt mit mir ſprechen wollten,
kaum antworten konnte.
Wahrlich, ich weis es recht wohl, daß Fuͤr-
ſten Menſchen ſind, wie [...]ir [...] aber wenn der Menſch
durch Tugenden und Vorzuͤge des Geiſtes ſich der
Gottheit naͤhern kann: welche Ehrfurcht verdient
ein Fuͤrſt, der bei allen Reizen zum Stolz, zur
Deſpotie und zur Haͤrte, mitten im Haufen der
Schmeichler, Muth genug hat, Menſch zu bleiben
und ſeine wohlthaͤtigen, menſchenfreundlichen Geſin-
nungen nicht nur Andere fuͤhlen zu laſſen, ſondern
[455[457]] auch an den Freuden Anderer ſelbſt Vergnuͤgen zu
finden! — Ueber dieſe Betrachtung vergaß ich bei-
nahe, daß Herzog Friedrich mir Geld hatte ge-
ben laſſen. Seine herablaſſende Guͤte beſchaͤftigte
mich inniger. Und nur dieſe, Ihr Großen, koſtet
es Euch, Euch des Wohlwollens Eurer Unterge-
benen zu verſichern! Erſt ein Officier machte mich
auf das Geſchenk des Herzogs aufmerkſam, und rieth
mir, etwas zur Ausbeſſerung und Verneuerung mei-
ner Geraͤthſchaft anzuwenden, die auf dem Feld-
zuge beinahe ganz aufgerieben war. Ich fand ſeinen
Rath gut und befolgte ihn in Berlin. An Struͤmpfen
hatte ich beſonders gelitten: ich war ſchon von Merz-
dorf aus ohne Socken in den Bloßen Schuhen mar-
ſchiert bis nach Berlin.
Im lezten Nachtquartier vor Berlin reinigten
wir uns zum erſtenmal wieder recht und puzten uns
nach ordentlicher Soldaten-Art: denn bisher hatten
wirs gemacht, wie wirs gekonnt hatten. Es wurde
nicht darauf geſehen und konnte nicht darauf geſehen
werden. Doch ſahen wir noch immer aus als Sol-
daten: nur ein einziger von der Compagnie mußte ſei-
nen Rock wegen gewiſſer Inſekte wegſchmeißen: den
Rock hingen die Burſche an einen Baum nicht weit
von Kloſter Celle in der Lauſitz. Aber unſer Putz
in Buka war unnuͤtz: unterwegs durchnaͤßte uns ein
Zweiter Theil. Gg
[456[458]] Platzregen bis auf die Haut, und ſo hielten wir un-
ſern Einzug in Berlin — nach Studenten-Art zu
ſprechen — als naſſe Prinzen. —
Acht und dreißigſtes Kapitel.
Berlin zum andernmal. Haͤndel mit meinem Wirth. Arreſt.
Herr von La Roche. Aufwartung beim Herzoge Friedrich.
Krankheit. Univerſitaͤt zu Wittenberg. Endlich
wieder Halle.
Auch diesmal waren unſere Quartiere in Berlin
eben ſo elend als das erſtemal, fielen uns aber jezt,
da es ſchon anfing, unfreundliches Wetter zu werden,
weit beſchwerlicher. Wir brachten volle fuͤnf Wochen
hier zu, und da begegnete mir manches, was ich er-
zaͤhlen muß.
Daß ich meine Freunde und den oben beſchrie-
benen Buͤrgerklub beſucht, fleißig beſucht habe, er-
raͤtht man ſchon. Ich traf noch alles, wie ich es
verlaſſen hatte.
Ich bin zwar kein Freund von Zank und Streit
und liebe beſonders den Hausfrieden: dennoch konnte
ich einem Skandal mit meinem Wirth Paſenow,
einem Fuhrmann oder Kutſcher, nicht entgehen.
Dieſer Paſenow hatte uns ein unterirdiſches Gewoͤlbe
[457[459]] zum Aufenthalt angewieſen, wo man ſchon am hellen
Tag Licht haben mußte. Der Gang hinab war ſo
abſcheulich finſter, daß man die groͤßte Vorſicht noͤ-
thig hatte, um nicht Hals und Bein zu brechen.
Ueberdies war der Herr Fuhrmann ein geitziger gro-
ber Kerl, der uns ſogar das Holz zum Kochen ver-
ſagte, welches er doch zu geben ſchuldig war. Zu-
dem gab er uns taͤglich nur ein Dreierlicht, welches
kaum zwei Stunden zureichte. Ich war, wie alle
Kameraden, die da lagen, ſechs an der Zahl, ſehr
unzufrieden, und hatte allein das Herz, dem Mei-
ſter Paſenow vorzuſtellen, daß er uns beſſer behan-
deln muͤßte. Aber was halfs! So oft ich dieſe Vor-
ſtellung wiederholte, machte er eine haͤßliche Larve,
antwortete grob und ließ mich ſtehen. Dieſes gar-
ſtige Benehmen verdroß mich ſehr, zumal da ich hoͤr-
te, daß er mich gegen ſeine Frau als einen großmaͤu-
ligen Kerl beſchrieben hatte. Hierzu kam noch ein
anderer Umſtand. Neben unſerm Logis wohnte ein
Kaufmann, Herr Fiſcher, bei dem ich des Abends
einen Schnapps zur Erfriſchung trank. Gewoͤhnlich
ging ich erſt um 9 Uhr, auch wohl noch ſpaͤter hin, und
ſo war Paſenows Hausthuͤr oft ſchon zu, wenn ich zu-
ruͤck kam. Er muſte alsdann oͤffnen und brummte alle-
mal; ich kehrte mich aber an ſein Gebrumme wenig.
Eines Abends war ich ſpaͤter, als ſonſt, von
Herrn Fiſcher zuruͤckgekommen, doch nuͤchtern, wie
[458[460]] immer: Paſenow machte auf, und ſprach anzuͤglich:
ich antwortete eben ſo, und legte mich, nachdem wir
wir uns tuͤchtig herum gekampelt hatten, ſchlafen.
Fruͤh ging ich auf den Hof, mit der brennenden
Pfeife, welches in Berlin gar ſehr ſcharf, und das
mit Recht, verbothen iſt: ich dachte gerade nicht ans
Verboth. Paſenow hatte demnach gute Gelegenheit,
mit mir rechtſcheinlich anzubinden, und mir das Rau-
chen auf ſeinem Hof zu verbieten. Hierbei nahm er
ſich aber ſo brutal, daß ich ihn nicht nur einen Fle-
gel, Eſel u. dgl. ſchalt, ſondern auch, da er Anſtalt
machte, mich zu maulſchelliren, ſogar ein Stuͤck Holz
ergriff, und ihn damit bis in ſeine Wohnſtube fort-
trieb. Er verrammelte indeß die Thuͤre, und ſeine
Madam fing ein ſo hoͤlliſches Zetergeſchrei an, daß
alle Leute im Hauſe zuſammenliefen. Ich ging ruhig
in mein Souteraͤn. Paſenow lief zum Hauptmann,
und was ſollte der anders thun, als mich in Arreſt
ſchicken? Ich kam wirklich auf die Hauptwache, wo
ich aber einen Leutenant von dem Kalkſteiniſchen Re-
gimente antraf, der mir ſehr artig begegnete. Er
ſprach Latein, denn er hatte ſtudiert, und verſtand
Mathematik und Geſchichte. Sein Name iſt mir
entfallen: es war aber ein kreuzbraver Mann! Da
konnte ich wohl ſitzen in ſo guter Geſellſchaft! Ohn-
gefaͤhr zwoͤlf Stunden hernach kam ich los, und er-
hielt mein Quartier beim Schuſter Kirchner in
[459[461]] der Baͤrenſtraße. Meine neue Wohnung ſtand zwi-
ſchen zwei Bordellen: auf der einen Seite war Ma-
dam Lindemann, und auf der andern eine andere
ſtille Wirthſchaft, die man die diamantne Schnalle
nannte.
Der neue Wirth war ein aͤuſſerſt ſchnurriger
Menſch, alle Tage en canaille beſoffen mit allen
ſeinen Hausleuten, ſeiner Frau, Sohn, Sohnsfrau
und Nichte. Eine poſſirlichere Haushaltung habe
ich nie geſehen.
Ein Burſche von der Kompagnie hatte gerade
gegen uͤber ſein Quartier auch in einem Bordelle.
Man muß wiſſen, daß jenes ganze Viertel faſt aus
lauter Bordellen beſteht, und daher das Hurenviertel
heißt: es begreift die Baͤren-Franzoͤſiſche und Ka-
nonier-Straße in ſich. Der Burſche ſtand Abends
vor der Thuͤr, als ein Kanonier-Leutenant kam, und
in dieſes Stramhaus — ſo nannten die Soldaten
dieſe Haͤuſer in Berlin — gehen wollte. Er fragte
den Burſchen, was er da ſtuͤnde, und ohne ſeine
Antwort abzuwarten, hieß er ihn alſobald reiſen.
Der Burſche erwiderte, daß hier ſein Quartier ſey,
und daß er ſich da nicht wegjagen lieſſe. Das ver-
droß den Herrn Officier ſo ſehr, daß er nach dem
Degen griff, und Gerſtenbergen, ſo hieß der
Soldat, damit ſchlug. Gerſtenberg ſprang fort, und
verklagte den Officier, deſſen Nane nun bekannt ge-
[460[462]] worden war. Herr von Mandelsloh meldete die
Sache an den Obriſten der Kanonierer, und da mußte
der Herr Leutenant ſich mit dem Soldaten abfinden,
und ihm Abbitte thun. So war es auch ſchon recht!
Die Herren wuͤrden ſonſt denken, der Soldat ſey
blos da, ſich von ihren naͤrriſchen Grillen hudeln
zu laſſen!
Ich hatte das Vergnuͤgen, den Herrn von La
Roche, meinen Landsmann, in Berlin zu ſpre-
chen. Dieſer rechtſchaffene Mann iſt ein Sohn des
in unſrer Gegend ruͤhmlichſt bekannten Rittmeiſters
von la Roche, des beſten Freundes meines Vaters,
ein Bruder des Herrn von la Roche, deſſen Herr
Bahrdt in ſeiner Lebensbeſchreibung l) einigemal
Erwaͤhnung thut, der ihm ſogar auf ſeiner Flucht
behuͤlflich geweſen iſt. Dieſer, von welchem ich hier
rede, war ſonſt Major bei der Preußiſchen Cavale-
rie, hat aber nachher ſeinen Abſchied genommen, und
lebt jetzt in Berlin als — Philoſoph. Er hat ein
ganz artiges Vermoͤgen, und kann ſo fuͤr ſich ganz
bequem leben, ohne von jemanden abzuhaͤngen. Der
vortreffliche Mann hatte von mir gehoͤrt, und ließ
mich zu ſich bitten. Welche Freude war das, einen
wuͤrdigen rechtſchaffenen Mann aus meinem Vater-
[461[463]] lande zu ſehen, aus einem Lande, wo dergleichen
leider ſo ſelten iſt! Und daß ich hier einen ſo guten
Landsmann nennen kann, iſt mir jetzt, da ich dieſes
ſchreibe, noch immer ein Vergnuͤgen. Ich lobe
wahrlich gern, wenn ich etwas finde, das ich loben
darf, ohne zu luͤgen: allein nach meinem Vorneh-
men, die Sachen zu beſchreiben, wie ich ſie gefunden
habe, mußte ich gar oft ſcapham ſcapham, ligo-
nem ligonem nennen.
Herr von la Roche war vor einem Jahre zu
Hauſe geweſen, und hatte da eben die fatalen Ge-
ſinnungen meines Bruders gegen mich wohl eingeſe-
hen. Seine Nachrichten daruͤber ſtimmten mit de-
nen meiner andern Freunde uͤberein. — Ich habe
einige Stunden recht vergnuͤgt mit Herrn von la
Roche zugebracht, und rothen Wein bei ihm ge-
trunken, der auf ſeinen eignen Guͤtern waͤchſt, und
dem Burgunder nicht viel nachgiebt. Bei meinem
Abſchied gab er mir, ſo ſehr ich es auch verbath, ein
anſehnliches Praͤſent. Maͤnner von der Art ſoͤhnen
uns mit der neckenden Welt wieder aus
Indeſſen arbeitete ich an dem Aufſatz fuͤr Her-
zog Friedrich. Ich ſezte alles franzoͤſiſch auf,
haͤtte es aber gern durch einen andern abſchreiben laſ-
ſen, wenn er mir nicht ausdruͤcklich befohlen haͤtte,
alles ſelbſt zu ſchreiben: denn als ich mich unter an-
dern entſchuldigte: ich koͤnnte mein Tagebuch, wegen
[462[464]] meiner unleſerlichen Hand Seiner Durchlaucht nicht
uͤberreichen, ſagte der unvergleichliche Fuͤrſt: „Ich
kann alle Haͤnde leſen: was er in Berlin fuͤr mich
aufſetzt, muß er ſelbſt auch ſchreiben.“ — Wie ſehr
bedaure ich, daß ich in meiner Jugend nicht habe
lernen ſchoͤn ſchreiben!
Mein Aufſatz enthielt einen kleinen Abriß mei-
ner Schickſale, und dann einige Anmerkungen uͤber
den Schleſiſchen Feldzug. Ich gab ihm den Titel:
Extrait du Journal d'un Mousquetaire Pruſſien
fait dans la Campagne de 1790. Freilich war
das Ding mehr als ein bloßer Auszug aus meinem
ſogenannten Strambuch: es war vielmehr eine con-
centrirte Biographie. Nebenbei machte ich ein la-
teiniſches Karmen auf den Herzog: denn ich wußte,
daß er an der lateiniſchen Poeſie Vergnuͤgen fand,
und ſelbſt ganz artige Gedichte in dieſer fuͤr die Poe-
terei gewiß recht ſchicklichen Sprache gemacht hatte.
Herzog Friedrich iſt nicht blos ein Maͤcen der
Gelehrten: er iſt auch ein Kenner der Gelehrſamkeit
und der Wiſſenſchaften ſelbſt. Nachdem ich fertig
war — ich verſchob dieſes Geſchaͤft abſichtlich bis
kurz vor unſerm Auszug aus Berlin, um nicht zu-
dringlich zu ſcheinen — meldete ich meinem Kapitaͤn,
daß ich dem Herzoge einen Aufſatz uͤberreichen wollte.
Dieſer gab mir der Unterofficier Schaͤffer mit.
Schaͤffer dachte, weil er Unterofficier waͤre, ſo muͤßte
[463[465]] er natuͤrlich bei dem Herrn eher zur Sprache kom-
men, als ich: er ermahmte mich daher, ja nicht
eher zu reden, als bis er fertig waͤre: das ſchicke
ſich nicht anders u. ſ. w. O tempora, o mores!
dacht ich und zuckte die Achſeln uͤber die Praͤſumtion
dieſes Herrn Unterofficiers.
Als wir das Palais des Herzogs erreicht hat-
ten, kam dieſer eben von der Parade. Er erkannte
mich ſogleich, kam auf mich zu, ſagte: „Aha, da
iſt ja mein Gelehrter! reichte mir die Hand, wuͤnſch-
te mir guten Morgen, und fragte: hat er den Auf-
ſatz fertig?“ — Ich uͤbergab meine Papiere. „Nun
gut!“ fuhr er fort, in einem Augenblick ſprechen
wir uns weiter.“ — Sofort trat er in ſein Zim-
mer, aber nach einigen Minuten ließ er mich herein-
rufen. „Ich habe, ſagte er, ſchon etwas geleſen:
es gefaͤllt mir. Wenn er kuͤnftig was gutes macht,
ſchicke er mirs!“ — Dieſe Huld des edeln Fuͤrſten
machte mir Muth, und ich konnte nun unbefangen
mit dem wuͤrdigſten Enkel Heinrichs des Loͤ-
wen, des groͤßten deutſchen Helden, weiter ſpre-
chen. Unſere Unterredung war nicht kurz. Endlich
ſagte Friedrich: „Hier, mein Freund, ein Zehrpfen-
nig nach Halle! Gott ſtehe ihm bei, und erhalte
ihn geſund!“ Ich empfahl mich dem großen Fuͤr-
ſten zu Gnaden: er aber erwiederte: „Meine
Gunſt iſt ihm gewiß: ſey er ein braver Mann, und
[464[466]] dann rechne er auf mich: ich werde ihn niemals
vergeſſen.
So ſchied ich vom Herzoge Friedrich, dem
Menſchenfreunde, und ſegnete den beßten Fuͤrſten
von Grund meiner Seele. Ich hoffe, daß nun
meine Leſer einſehen werden, warum ich dieſe Bio-
graphie dieſem Fuͤrſten-Muſter zugeſchrieben habe.
In Berlin war bei unſrer Kompagnie ein klei-
ner Komplot zur Deſertion entſtanden. Die Schul-
digen wurden als Arreſtanten fortgebracht, und be-
kamen erſt in Halle eine ganz leidliche Strafe.
Den letzten Tag ward ich in Berlin krank: ich
marſchirte aber doch noch den erſten Marſch mit:
allein in Detow zeigte ſichs, daß ich eine Art von
Halsbraͤune hatte. Dieſe haͤtte ſehr gefaͤhrlich wer-
den koͤnnen, wenn mir der Feldſcheerer Haupt,
welcher bei aller ſeiner Faſelei, immer noch fuͤr einen
Feldſcheerer genug gelernt hat, nicht in vier Tagen
ſiebenmal zur Ader gelaſſen, und haͤufige Injektionen
gemacht haͤtte. Dem heroiſchen Aderlaſſen des Herrn
Haupt verdanke ich, daß ich damals nicht erſtickt
bin. Erſt vier Tage hernach konnte ich wieder
ſchlucken und reden. Wie abgemattet ich von dem
vielen Aderlaſſen werde geworden ſeyn, kann man
denken, wenn man dazu nimmt, daß ich innerhalb
fuͤnf Tagen keinen Biſſen Nahrung zu mir nehmen
konnte.
[465[467]]
Unſer Weg ging uͤber Treuenbriezen und Witten-
berg. Ich haͤtte ſchon fruͤher eine Beſchreibung von
dieſer aͤchtlutheriſchen Univerſitaͤt anbringen ſollen, da
ich ſie ſchon im Jahr 1782 beſucht habe. Ich hab's
aber damals vergeſſen, und will hier nur noch Eini-
ges nachholen, um doch dieſe theure Akademie nicht
ganz zu uͤbergehen.
Die Theologen in Wittenberg waren 1782
ſteif orthodox: ſelbſt Herr Schroͤeckh, einer der
groͤßten Hiſtoriker unſrer Zeit, haͤngt noch ſtark am
alten Syſtem, wie ſeine Schriften, beſonders ſeine
Lebensbeſchreibungen beruͤhmter Gelehrten auswei-
ſen, wo er die Fehler und die Bubenſtuͤcke ortho-
doxer Leute, eines Pfeffingers, Flacius I [...]-
lyricus und andrer huͤbſch mit dem Maͤntelchen
der chriſtlichen Liebe zudeckt. Chriſtus wußte vom
Maͤntelchen der chriſtlichen Liebe nichts, wenn er
uͤber die Phariſaͤer und Schriftgelehrten
herfuhr: und gerade dieſe Leute ſind es, die es
am wenigſten verdienen, wenn ſie es gleich am
anmaßlichſten fodern. Herr Reinhard iſt jetzt
zwar ein heller Kopf, aber leider, er darf nicht
reden.
Die Philoſophen dieſer Univerſitaͤt kenne ich
gar nicht: weiß auch nicht einmal, obs da Philoſophen
giebt! Den vortrefflichen Ze [...]e habe ich gekannt:
Schade, daß der große Mann todt iſt!
[466[468]]
Der Ton der Wittenberger Studenten iſt nicht
gar ſehr von dem der Gnoten unterſchieden: ſelbſt
ihre Kleidung iſt ziemlich gnotenmaͤßig, Sie treten
einher wie Leute ohne Erziehung — a potiori fit de-
nominatio — und ſitzen den ganzen Tag in den
Bierkneipen, wo ſie ihren Gukkuk trinken, und Ta-
back qualmen, bis keiner den andern mehr ſieht.
Der Fleiß der Herren Wittenberger ſoll ſehr klein
ſeyn. So viel im Vorbeigehen von Wittenberg. Es
ſind ohnehin Nachrichten, welche zum Jahr 1782
gehoͤren.
Die Sachſen bewirtheten uns, wo wir hinka-
men, recht gut. — Unſer letztes Nachtquartier war
zu Zoͤrbig. Am 10ten Oktober 1790 ruͤckten wir
wieder in Halle ein, nachdem wir gerade 18 Wochen
und einen Tag abweſend geweſen waren. Herr
Bispink kam mir vor der Stadt entgegen, und
empfing mich mit aller Freundſchaft eines treuen, bie-
dern Mannes. Ich mußte ſogleich zu ihm kommen;
und mit ihm zu Mittag eſſen. Meine andern Be-
kannten waren auch froh, daß ſie mich wieder ſahen,
und ich ſelbſt war froh, daß ein Feldzug geendigt war,
der nur muͤde Knochen gemacht hatte.
[467[469]]
Neun und dreißigſtes Kapitel.
Neue Lebensart in Halle. Lectuͤre. Dogmatik. Ueber Ge-
wiſſensbiſſe wider Rouſſeau. Folgen meiner Beſſerung.
Semlers Tod.
Ich mußte nun in Halle freilich meine Stunden
wieder anfangen, und diejenigen Scholaren, wel-
che von meinen vorigen noch da waren, nahmen
meinen Unterricht auch gleich wieder an. Das wa-
ren die Herren Kaumann, Muͤller, Segnitz,
Wiedt, Waſſerfuͤhrer, Joſſow und Herr
von Wuͤlknitz. Zu dieſen erhielt ich bald noch
mehrere. Ich kann mich ruͤhmen, daß ich jetzt in
meinem Stundengeben weit regelmaͤßiger geweſen
bin, als ſonſt. Allein ich war ja auch in meinem
Betragen, in meiner Auffuͤhrung ſelbſt viel regel-
maͤßiger und ordentlicher geworden. Der Trunk,
meine bisherige haͤßliche Leidenſchaft, hatte bei mir
um ein merkliches abgenommen. Die freundſchaft-
lichen Winke und die Unterredungen des Herrn Bis-
pinks hatten meine moraliſche Empfaͤnglichkeit ge-
weckt, und mich zu mehr Reflexion uͤber mich und
die Folgen meiner Handlungen angeſchaͤrft. Hierzu
kam der Feldzug, der auch nicht wenig zu meiner
wirklichen moraliſchen Beſſerung beitrug. Ich lernte
[468[470]] immer mehr ſelbſt nachdenken, und fand, daß das
Ungluͤck, ich meyne das moraliſche Ungluͤck, die Ver-
ſtimmung der moraliſchen Saiten, der fatale Mis-
klang der innern Gefuͤhlnerven, und was davon in
meinem Aeußern abhing, blos in meinem Leichtſinn
und in meinem ſchwaͤrmenden Weſen zu ſuchen war.
Aus Bosheit hatte ich wahrlich nie gefehlt: dazu hat-
te ich wirklich zu viel Leichtſinn und zu wenig Feſtig-
keit des Karakters. Wie kann ein Menſch aus Bos-
heit fehlen, der blos fuͤr den Augenblick ſorgt, und
das Gegenwaͤrtige entweder fuͤr das hoͤchſte Gut,
oder fuͤr das hoͤchſte Uebel haͤlt, und dann nach ſol-
chen ſchoͤnen, freilich ſehr wirkſamen Vorſtellungen
auch jedesmal handelt? Allein was hilfts dem Un-
gluͤcklichen, ob er es durch Bosheit oder durch Leicht-
ſinn geworden iſt! Genug, mein Leben war ein aus-
ſchweifendes zum Theil ſchaͤndliches Leben, wie meine
Leſer ja ſchon von Anfange dieſes Buches bis jetzt in
beinahe ununterbrochener Reihe von Erzaͤhlungen
geſehen haben. Ich ſah das endlich nach und nach
immer beſſer ein, und das hatte Einfluß auf meine
moraliſche Geneſung.
Dazu kam noch beſonders, wie ich zum Theil
ſchon oben beruͤhrt habe, eine meinem Zuſtande an-
gemeſſene Unterhaltung im Leſen. Ich hatte bisher
zwar viel, und ſehr viel geleſen und behalten. Die
meiſten alten Schriftſteller, und recht viele neuere
[469[471]] waren mir ganz gut bekannt — allein wie hatte ich
geleſen? — blos um zu lernen, oder um mich zu
zerſtreuen! Ich wußte und kannte keinen andern
Zweck der Lektuͤre, als Lernen oder Zeitvertreib: an
individuelle moraliſche Anwendung des Geleſenen
hatte ich noch nicht gedacht: ja, wenn ich das be-
kannte aut prodeſſe aut delectare haͤtte vorhin er-
klaͤren ſollen, ſo haͤtte ich jenes vom Nuͤtzen durch
Lehren oder Lernen, dieſes vom Unterhalten erklaͤrt.
Aber nach und nach aͤnderte ſich auch hierin meine
Einſicht, ſo wie mein Geſchmack: ich fing an, ſyſte-
matiſch zu leſen, und waͤhlte hierzu Buͤcher, die mei-
nen intellectuellen und moraliſchen Umſtaͤnden und
Beduͤrfniſſen angemeſſen waren, oder vielmehr —
warum ſollt ichs nicht ſagen? — gab mir Herr
Bispink eine ſolche Lektuͤre an die Hand, und
theilte mir die Buͤcher und Journale aus ſeiner Leſe-
bibliothek dazu mit m). Es verſteht ſich ſchon, daß
[470[472]] dieſer wohlwollende Mann mir ſeine Buͤcher unent-
geldlich gab: denn haͤtte ich fuͤr jedes Buch, das ich
aus ſeinem Vorrathe gehabt habe, nur einen Sech-
ſer zahlen ſollen, wie viele Thaler wuͤrden das be-
tragen haben?
Ueberhaupt muß ich hier, zur Nachahmung fuͤr
aͤhnliche Anſtalten es ruͤhmen, daß Herr Bispink je-
den duͤrftigen Landprediger, Schullehrer und Stu-
dierenden ganz unentgeldlich Theil an ſeiner Leſebi-
bliothek nehmen laͤßt, und dies ohne langes Nach-
forſchen nach dieſem oder jenem, ja gar mit zuvor-
kommender Guͤte und Bereitwilligkeit. „Darf ich
jetzt nicht mehr predigen,“ ſagte er einſt im Spaße,
„ſo moͤgen es ſtatt meiner meine Buͤcher thun: ich
bin verſichert, es ſind recht gute Apoſtel!“ Und auf
dieſe Art benuzte ich ſeine Apoſtel auch, eroͤffnete mir
das Verſtaͤndniß von moraliſcher Harmonie und
menſchlicher Wuͤrde taͤglich heller, ſpuͤhrte mehr ge-
ordnete Thaͤtigkeit bei allen meinen Verrichtungen:
mein Fleiß nahm im Halten meiner Stunden zu,
mein Unterricht war ordentlicher, deutlicher und
gruͤndlicher, und ſo fing ich wirklich an, der Uni-
verſitaͤt zu nuͤtzen.
Meine Leſer belieben aber nicht zu denken, daß
ich nun gar auch orthodox geworden ſey. Nein!
ich behielt meine freie theoretiſche Vorſtellungsart
uͤber die intellectuellen Dingen immer, und werde
[471[473]] ſie auch wohl ſo lange behalten, als ich ſie fuͤr wahr
halte, und das werde ich, wie mich duͤnkt, bis an
mein Ende thun. Und da man immer von aller po-
ſitiven Religion, Offenbarung und Syſtem nichts
halten, und doch die Dogmatik vortragen kann, ſo
uͤbernahm ich es dieſen Winter, die Dogmatik mit
einigen Studenten zu repetiren, und dies nach dem
Compendium des Herrn D.Doͤderleins. Ich
ſchlug hier folgenden Weg ein. Ich erzaͤhlte kurz die
Entſtehung der Meinung von Offenbarungen uͤber-
haupt, und der altjuͤdiſchen und der nicht weit davon
abgehenden chriſtlichen im beſondern. Dann zeigte
ich aus der Geſchichte, wie die in Buͤcher verfaßte
Offenbarung nach und nach entſcheidendes Anſehn er-
halten, und wie man das neue Teſtament inſonder-
heit zum Grund aller Chriſten-Religion gemacht
habe. Hierauf ſchritt ich zur Lehre der heutigen
Theologen von der Bibel, und fing an, die Artikel
der Reihe nach ſo durchzugehen und zu erklaͤren,
wie es einige Theologen der lutheriſchen Kirche, z. B.
Herr Doͤderlein, Noͤſſelt und andere zu thun
pflegen. Mir blieb immer mein freies Urtheil un-
befangen, und meine Scholaren lernten das, was
die Theologen lehren, hiſtoriſch-dogmatiſch: und das
war ja der Hauptzweck unſrer Lektionen. Ob die
Sachen an und fuͤr ſich wahr waren, oder nicht, das
Zweiter Theil. Hh
[472[474]] ging uns nichts an: ich wenigſtens hielt von hundert
Saͤtzen allemal 99 fuͤr ganz falſch, und den hunder-
ſten fuͤr ſchief. Was meine Scholaren ſonſt noch da-
bei dachten, kuͤmmerte mich nicht. So viel weiß ich
aber doch, daß ich einige recht gut zum Examen zu-
bereitet habe, welches auch um ſo leichter ward, da
ich jedesmal und zwar auf lateiniſch, den ganzen
Braſt mit allem ſeinem Anhange von Beweisſtellen,
wie ehedem, forſchweiſe durchnahm. Meine Vor-
bereitungsbuͤcher waren Doͤderleins groͤßere
Dogmatik, SchubertsInſtitutiones Theo-
logiae dogmat. und Bahrdtsſyſtema or-
thodoxum.
So beſchaͤftigte ich mich auf eine ſehr anſtaͤndige
Art, und meine Herren Scholaren fanden Genuͤge
und behandelten mich ſehr freundlich. Gaben ſie
mir gleich keine reichlichen Honorare, ſo bekam ich
doch ſo viel, daß ich ziemlich auskommen konnte.
Ich muß hier beſonders den Herrn Baron von
Wuͤlknitz ruͤhmen, welcher ſich uͤber alle Maaßen
freundſchaftlich und guͤtig gegen mich bewieſen
hat. Ich danke allen dieſen guten Leuten fuͤr ihre
Liebe!
Gute Menſchen machen wieder gute Menſchen,
und ich fuͤhlte immer neue Kraft und Muth, im Gu-
ten fortzufahren, zumal, wenn ich den Umgang ir-
[473[475]] gend eines rechtſchaffenen Mannes genoſſen hatte.
Da ſah ich, was auch ich haͤtte werden koͤnnen, und
fuͤhlte nun meinen Abſtand ſchmerzlicher. Freilich
war ich zu ſtark verdorben, als daß ich in Allem haͤtte
auf einmal gut werden koͤnnen. Gute und boͤſe Fer-
tigkeiten entſtehen nur nach und nach durch wieder-
holte Uebungen; und ſo wenig jemand auf einmal
ein Teufel wird, ſo wenig wird er auch auf einmal
ein Engel. Spruͤnge giebt es nirgend, trotz Predigt,
Sakramenten, Gnade und Allmacht. Dies erfuhr
ich nun auch an mir. Immer leuchteten die Spu-
ren der alten Verirrungen hervor, immer wollte
meine Sinnlichkeit mit meiner Vernunft davon lau-
fen, immer kaͤmpften meine verjaͤhrten boͤſen Ge-
wohnheiten wider meine neuen guten Entſchluͤſſe.
Allein abſichtlich aufgetragene oder ſelbſt gewaͤhlte
Arbeiten ließen mir keine Zeit, auf boͤſe Foderungen
von der Art zu hoͤren. Auch der Gedanke, daß ſich
ſelbſt uͤberwinden, der Siege ſchoͤnſter ſey, nebſt
der Hoffnung, durch meine Beſchaͤftigung und mein
Betragen den Beifall guter Menſchen zu verdienen,
halfen mir ſehr oft, meinen Kampf mit Ehren zu be-
ſtehen. Hierdurch gewann ich allmaͤlig an Selbſtge-
fuͤhl, Selbſtmacht und Selbſtſtaͤndigkeit: und ſo ge-
lang es mir groͤßtentheils, als ein moraliſches Men-
ſchen-Weſen zu handeln, und nicht immer als ein ver-
woͤhntes ſinnliches Thier. Das Geſetz der moraliſchen
[474[476]] Cauſalitaͤt trat bei mir als geltend wieder ein: meine
praktiſche Vernunft hoͤrte deſſen Vorſchriften an, und
mein Wille ward geneigter, ſie zu befolgen.
Der Ausſpruch des großen Rouſſeau: „Stre-
be nicht nach Beſſerung, verdorbener Menſch, du
machſt dir Gewiſſensbiſſe!“ traf allerdings auch
mich. Ich erblickte immer mehr Scheußlichkeit an
meiner vorigen Lebensart, und es entſtanden bittere
Gewiſſensbiſſe, gegen welche aller Glaube an Chriſti
Verdienſt und Gerechtigkeit nichts hilft. Ich habe
zwar dieſen Glauben niemals dawider angewandt;
deſto mehr aber mich beſtrebt, auf dem nun ein-
mal eingeſchlagenen beſſern Wege weiter zu gehen,
und die angewoͤhnten Laſter, beſonders das des Leicht-
ſinns, und der Verſoffenheit zu meiden. Schwer
hat das im Anfange freilich gehalten, und nicht ſel-
ten fiel ich dennoch ſo, daß ich manchmal mit einem
Rauſch zu Herrn Bispink, und einmal zum
Herrn Profeſſor Eberhard gekommen bin. Herr
Bispink that in ſolchem Falle, als merkte er nichts,
und gab mir erſt ſpaͤterhin einen freundſchaftlichen
Verweis. Auch hatte er die Vorſicht, mich zuwei-
len in meinem Quartier zu uͤberraſchen, und ſich nach
dem Fortgang meiner Beſchaͤftigung zu erkundigen.
Ich liebte und ſchaͤtzte ihn, und war ihm Dank ſchul-
dig. Um ihm dies in der That zu bezeugen, war ich
um ſo ſtrenger auf meiner Huth, und habe ſchon
[475[477]] uͤber zwei Jahre das Gluͤck gehabt, daß er mich zu
Hauſe ſtaͤts beſchaͤftiget und immer nuͤchtern gefunden
hat. Die Zufriedenheit, die er daruͤber bezeugte, war
mir ein ſuͤßer Lohn, und ſpornte mich zum Ausdauern
im Guten fernerhin an.
Alle Gelage konnte ich indeſſen nicht ganz mei-
den: und wer wuͤrde das fordern! Ich konnte nicht
immer ungeſtoͤhrt zu Hauſe arbeiten, hatte nicht im-
mer mit Studenten zu thun, und den Herrn Bis-
pink wollte ich bei ſeinen Beſchaͤftigungen nicht zu
oft ſtoͤhren: alſo ging ich zu Zeiten und gehe noch
auf den Keller, oder in eine andere honette Geſell-
ſchaft, wo ich Leute antreffe, die nicht alle Augen-
blicke den lieben Gott, das liebe himmliſche Vaͤter-
chen, und dergleichen im Munde fuͤhren, oder die
ſich nicht um alle Stadtmaͤhrlein, um alle Freiereien,
Schlaͤgereien, Saufereien und dergleichen bekuͤm-
mern. Auf dem Keller finde ich faſt immer Leute,
mit denen man ein geſcheutes Wort ſprechen und ſich
anſtaͤndig, auch lehrreich unterhalten kann. Aber
die niedrigen Kneipen, die Knochenkammer und an-
dere heilloſe Loͤcher vermeide ich ſchon ſeit langer
Zeit. Ich ſchreibe dies blos fuͤr halliſche Leſer:
denn Auswaͤrtige werden an dieſer Apologie wenig
Behagen finden. Sie wiſſen, wenn man den Bo-
gen zu hoch ſpannt, bricht er, oder, wie der Latei-
ner ſagt:
[476[478]]
Das heißt:
Gewiſſensbiſſe, um noch einmal darauf zuruͤck-
zu kommen, ſind freilich unangenehm, aber St.
Preux bei Rouſſeau hat Unrecht, wenn er ih-
rer wegen nichts von der Beſſerung eines Ver-
dorbenen wiſſen will. Aus eigener Erfahrung ſage
[477[479]] ich vielmehr: — Wohl dem, der ihrer noch em-
pfaͤnglich iſt! Sie ſind fuͤr die ſittliche Heilkunde das,
was der Schmerz einer Wunde fuͤr die koͤrperliche
iſt. Dieſer verraͤtht einen widernatuͤrlichen Zuſtand,
und fodert uns durch ſeinen wehen Eindruck auf, daß
wir ſuchen ihn zu heben. Ohne ſeine zweckmaͤßige
Einwirkung wuͤrde die Wunde um ſich greifen, und
endlich Unheilbarkeit und Tod nach ſich ziehen. So
auch Krankheiten der Seele! Fuͤr Misempfindung,
fuͤr Misklang, fuͤr Disharmonie ſind wir nicht:
Seelen-Toͤne von der Art ſind unangenehm, zumal
wenn ſie ſelbſt verſchuldet ſind, anhalten und in
Harmonie ſich nicht aufloͤſen. Und dies iſt nicht
Kunſt, nicht Folge der Erziehung: es iſt allgemein,
es iſt Natur hier, wie da beim Schmerz, wenig-
ſtens Grundlage der Natur, die nach Organiſation,
Gebluͤt, Clima, Nahrung, Umgang, Beiſpiel, Er-
ziehung, Unterricht, Leſerei, Religion, Regierung,
und wie die phyſiſchen und moraliſchen Beſtimmun-
gen alle heißen, von denen die Begruͤndung, Ent-
wickelung und Richtung der Charaktere der Menſchen-
kinder abhaͤngt, freilich unendlicher Modifikationen
empfaͤnglich, aber vom hoͤchſten Ideal der Natur —
der groͤbern und feinern – als Subſtrat einer jeden
richtigen Vervollſtaͤndigung ihrer Individuen einge-
richtet iſt. Hebt man dieſen Zweck aus der Natur
heraus, ſo gaͤbe es einen wichtigen Grund ohne eine
[478[480]] entſprechende Folge, und Gott waͤre ein Tyrann,
aͤrger als irgend ein Sultan, der nur neckte oder
necken ließ, blos — um zu necken. Gewiſſensbiſſe
ſind alſo ein weſentlich beſtimmender Beſtandtheil un-
ſerer moraliſchen Natur, und — ich wiederhole es —
wohl dem, der ihrer noch empfaͤnglich iſt! Benutze
ſie, wer du ſie fuͤhlſt: ſie benutzt zu haben, verſuͤßt
ihr erſtes Unangenehme ſo uͤberwiegend beruhigend,
daß es die Muͤhe reichlich lohnt, ſchon deswegen nach
Beſſerung zu ſtreben. Jede Beſſerung, ſo klein ſie
anfaͤnglich auch iſt, erſetzt ſchon alle ihre Marter. —
Und benutzt man ſie nicht: ſie ſchweigen darum doch
nicht ganz: einmal gewiß legt ſich der phyſiſche
Sturm, und iſt man dieſem blindlings gefolgt, ſo
tobt der moraliſche hernach um ſo aͤrger, aber leider
vielleicht zu ſpaͤt. —
Die mitbelohnenden Folgen meines beſſern Be-
tragens blieben nicht aus. Ich erhielt gleich mehr
Achtung meiner Vorgeſezten, und ich kann mich
ruͤhmen, das Zutrauen meines Hauptmanns und
anderer Officiere jezt in ziemlich hohem Grade zu
beſitzen. Die Herren Sojazinsky und von
Drygalsky, welche bei der Kompagnie ſtehen,
haben mir ſogar ſchon manche Gefaͤlligkeit erwie-
ſen. Auch dieſes beſtaͤrkt meinen Vorſatz, den
einmal gut angetretenen Weg fernerhin gut zu
verfolgen.
[479[481]]
Haͤtte ich nur auch noch das Gluͤck haben koͤn-
nen, mir den Beifall und die Achtung des Herrn
D.Semlers durch meine Beſſerung ganz wieder
zu erwerben! Allein der edle Mann, deſſen Ver-
dienſte ſo lange ſich im Segen erhalten werden, als
wahre Gelehrſamkeit geſchaͤtzt und geehrt ſeyn wird,
und deſſen gutes edles Herz die Achtung jedes Tu-
gendfreundes verdient, ſtarb im Fruͤhling 1791.
Glauben Sie mir, meine Leſer, auch ich habe an
dieſem großen Manne viel, viel verlohren! Er hat
es gewiß recht gut mit mir gemeint, hat mich gern
retten wollen, und hat meine Kenntniſſe be-
traͤchtlich vermehrt. Ich bin ihm alſo Dank
ſchuldig, und meine Verehrung gegen ihn, wird
erſt dann aufhoͤren, wenn die feine Modification
meiner Seele, die jetzt denken heißt, ſich ver-
aͤndern, und in eine andre Form uͤbergehen wird.
Daß dieſe aber laͤnger dauern wird, als die groͤ-
bere Organiſation meines Koͤrpers, davon bin ich
uͤberzeugt. —
Ich freute mich damals uͤber den Eifer aller
unſrer Studenten, dem großen Mann, dieſer ho-
hen Zierde der hieſigen Univerſitaͤt, ein angemeſſenes
Leichenbegaͤngniß zu verſchaffen. Semlers Schat-
ten verlangte zwar dergleichen Pomp nicht, aber der
Pomp war doch ein Beweis, daß unſre akademi-
ſchen Buͤrger die Verdienſte dieſes großen Lehrers
[480[482]] ſchaͤtzten o), und ihm ein Denkmal ſtiften wollten.
O moͤchte doch Semler bald wieder in Halle erſetzt
werden! Aber ein Semler iſt in ſeiner Art eben
ſo ſchwer zu erſetzen, als ein Friedrich der
Einzige.
Halle hat, ſeitdem ich mich hier aufhalte, viel
große, herrliche Maͤnner verloren: einen Gold-
hagen, Karſten, Semler, Nettelbladt —
o welche Namen! lauter Matadore der Gelehrſam-
keit, lauter Maͤnner, welche Epochen in ihrer Wiſ-
ſenſchaft gemacht haben. Es laͤßt ſich auf dieſe großen
Maͤnner anwenden, was Curtiusp) von Alexan-
der dem Großen ſagt: Illi ſucceſſor quaerebatur,
ſed major moles erat, quam ut ullus ſubire il-
lam poſſet. Dies iſt kein ſchiefer Seitenblick auf
unſre Herren Profeſſoren: es iſt eine Wahrheit, die
kein Menſch, und die Herren ſelbſt als kompetente
Richter, am wenigſten in Zweifel ziehen werden.
[481[483]]
Vierzigſtes Kapitel.
Haͤndel mitD.Bahrdt und Dreyſſig.
Herr D.Bahrdt hatte im Jahr 1790 angefan-
gen, ſeine Lebensbeſchreibung herauszugeben. Anfaͤng-
lich ſollte Herr Pott in Leipzig die Materialien dazu
von ihm erhalten, und ſie nach Belieben bearbeiten,
wie Herr D. Bahrdt es ſelbſt mit dieſem verabredet
hatte: beide Herren, die ſonſt ſo Herzensfreunde ge-
weſen waren, entzweiten ſich aber, und nun uͤber-
nahm Bahrdt ſelbſt dieſe Arbeit. Er bewerkſtelligte
ſie im Gefaͤngniſſe zu Magdeburg, worein er wegen
des beruͤchtigten Dramas, das Religionsedikt
benannt, 1789 geſteckt wurde. Jederman war be-
gierig, das Leben eines Gelehrten zu leſen, welcher
in der Welt ſo viele und ſo mancherlei Rollen geſpielt
hatte. Allein ſchon beim erſten Bande fanden ſich
manche Abweichungen von der hiſtoriſchen Wahrheit,
nebſt Verdrehung und Verfaͤlſchung der Begebenhei-
ten, und Mangel an Nachrichten uͤber gewiſſe Ge-
ſchichten, welche der Doktor fuͤr gut gefunden hatte
auszulaſſen, um vor dem Publikum durchaus in ei-
nem vortheilhaften Lichte zu erſcheinen. Die Bahrd-
tiſche Biographie iſt immer ein Meiſterſtuͤck von ei-
[482[484]] ner ſubtilen Einfaͤdelung der Begebenheiten, welche
endlich zu einem wo nicht durchaus vortheilhaften,
doch ſehr gemaͤßigten Urtheile den Leſer fuͤhren muß.
Seine guten Seiten — und deren hatte Bahrdt
mehrere — ſtellte er ins vortheilhafteſte Licht; ſeine
moraliſchen Krankheiten aber bemaͤntelte er ſo artig,
daß man, wie er ſie und ſich ſtellt, geneigt wird,
immer mit Schonung uͤber ihn zu urtheilen. Ich
will nur die Geſchichte mit ſeiner Frau anfuͤhren,
welche ſchon in dem zweiten Bande anfaͤngt, und
ſich am Ende des Vierten mit der Chriſtine endigt.
Die Chriſtiniade iſt wirklich etwas ſkandaloͤſes; wer
aber blos die Bahrdtiſche Biographie ließt, kann
hoͤchſtens die Achſel zucken, aber unmoͤglich uͤber den
Doktor zuͤrnen.
Nach meiner Zuruͤckkunft aus dem Felde kam
eben der zweite Band zum Vorſchein. Ich las ihn,
und merkte gleich, wo Bahrdt hinaus wollte. Es
kam endlich der dritte und vierte heraus: und, ſiehe
da, meine Bemerkung traf ein. Ueberall Kunſt,
uͤberall Verſtellung fuͤr einige der Hauptmomente
ſeines Lebens, uͤberall zu viel Licht in dieſem Gemaͤl-
de: und aus Mangel an Schatten glich es der dar-
geſtellten Perſon nicht mehr. Ich theilte meine Be-
merkungen dem Herrn Bispink mit, und dieſer
hatte die Guͤte, ſie noch mit einigen Hauptbemer-
kungen zu bereichern. Ich wußte zwar, daß Herr
[483[485]] Bispink des Doktors Freund war; aber ich wußte
auch, daß er Vieles an ihm nicht billigte. Er zeigte
die groͤßte Achtung gegen Bahrdts Talent und
Schriften, und bedaurte um beider willen, daß er
nicht mehr Mann im Leben waͤre. Einmal hoͤrte ich
ihn Bahrdten gar ein moraliſches Ungeheuer nen-
nen, das der Kraft nach zum Herrſchen beſtimmt
waͤre; aber, wie er ſie verſchwendete, zum Sklaven
herabſaͤnke.
Das alles wußte ich; dem aber ohngeachtet
konnte ich von Herrn Bispink, als Bahrdts Ver-
trauten und zugleich Mitverleger von deſſen Schrif-
ten, wohl nicht fuͤglich erwarten, daß er meine Be-
merkungen uͤber ihn und deſſen Lebensgeſchichte wuͤrde
drucken laſſen, wenn ich ſie auch fuͤrs Publikum be-
ſtimmen wollte. Sie ſchienen mir indeß wichtig ge-
nug zu ſeyn, um bekannt und verbreitet zu werden,
und ich entſchloß mich, ſie fuͤr irgend einen andern
Verleger auszufertigen und ſie ſo dem Publikum mit-
zutheilen. Ein Zufall uͤberhob mich der Nuͤhe, die-
ſen lange aufzuſuchen. Ich war naͤmlich m Som-
mer des vorigen Jahres in einer Geſellſchaft, wo
eben von D.Bahrdts Biographie geſprochen
wurde. Ich nahm das Buch — es war der dritte
Theil — und bemerkte und verdollmetſchte ſo fleißig,
daß die Geſellſchaft ihre große Freude — wie die
Menſchen nun einmal ſind! — daruͤber [...]ezeugte. In
[484[486]] eben dieſem Zirkel befand ſich der Corrector des Buch-
druckers Hendel, Herr Herold. Dieſer nahm mich
mit auf ſeine Stube, und ſprach alſo zu mir: Blitz,
wenn Sie ſo alles wiſſen, ſo ſetzen Sie's doch auf:
ich ſchaffe Ihnen einen Verleger. Nur machen Sie's
fein derb: je derber deſto beſſer! — Geſagt gethan!
Herr Hendel uͤbernahm den Verlag, und ſo entſtan-
den die leider der ſkandaloͤſen Kronik wegen ſo be-
kannten Beitraͤge und Berichtigungen
zu HerrnD.Carl Friedrich Bahrdts
Lebensbeſchreibung, in Briefen eines
Pfaͤlzers.
Nun ein Wort, ehe ich weiter gehe! die Bei-
traͤge haben wirklich grobe Fehler: dahin rechne ich
erſtlich die vielen und grellen Druckfehler. Ich habe
das Werkchen nicht ſelbſt korrigirt: daher ſind viele
Schnitzer eingelaufen. So ſteht oft Philantropin,
ſtatt Philanthropin: manche Stellen ſind ſo verhunzt,
daß man [...]e gar nicht verſtehen kann, z. B. S. 61.
S. 222 fehlt ein ganzer Abſatz, und mehr derglei-
chen. De eignen Namen ſind vollends hin und wie-
der ſehr verſtellt, z. B. Klokſon ſtatt Klokſin, Lu-
cerner fuͤr Lucomo, Herr bood fuͤr Herrnbrod. Al-
lein das moͤchte noch hi [...]ehen. Die rauhe Burſchen-
ſprache aber, welc [...]e de [...] Greifswalder Recenſent
mit Recht g [...]tadelt hat, haͤtte muͤſſen gemildert ſeyn.
So haͤtten auch viele, von den Kritikern geruͤgte, ſtu-
[485[487]] dentiſche Ausdruͤcke wegbleiben koͤnnen. Allein ich
ſollte ja derb ſchreiben, und in welchem Tone ſchreibt
man wohl derber, als im Burſchenton, mit Einmi-
ſchung ſolcher Woͤrter und Ausdruͤcke, wie die geruͤg-
ten ſind? Ich weis, daß Mancher blos wegen der
derben ungehobelten Schreibart dieſe Schrift gekauft
hat. Es giebt eine Klaſſe von Leſern, und dieſe iſt
bei weitem die ſtaͤrkſte, welche einen derben Ton
wohl leiden mag, und die nicht ſo delikat iſt, als die
Herren Kunſtrichter, die freilich auch nicht im-
mer die hoͤflichſten ſind. Das war aber ein Fehler,
den ich gern einraͤume.
Fuͤrs andere habe ich auch ohne Noth, blos weil
Gelegenheit dazu da war, manche Leute, nicht eben
groſſe wuͤrdige Maͤnner, in ein ſehr unvor-
theilhaftes Licht geſtellt. Das war Unrecht! In mei-
ner eignen Biographie — wenn dieſe anders voll-
ſtaͤndig werden ſollte — mußte ich das thun: allein
in einer Widerlegung der Bahrdtiſchen Lebensbe-
ſchreibung waren die Anekdoten vom Herrn Profeſ-
ſor Schulz, die weitere Ausfuͤhrung des Karakters
des D.Bechtold, die Schilderung des Kanzlers
Koch, und andere dergleichen Dinge entbehrlich. Ich
ſage nicht, daß ſie falſch ſind: ich bekenne nur, daß
ſie entbehrlich waren. Aber ich ſollte ja derb ſchrei-
ben, und Intereſſe hinein bringen: ſo wollt es ja
Herr Herold, Herrn Hendels Correktor! Und was
[486[488]] giebt einem Buche wohl mehr Intereſſe, als die
Chronique ſcandaleuſe! Freilich muͤßte es nicht ſo
ſeyn, freilich ſollte ein Herr Autor kluͤger als ein
Herr Corrector ſeyn; allein ich bin einmal hierin
dem großen Haufen gefolgt. Ich hatte die Bahrd-
tiſche Biographie und Petts Buch vor mir, und
beide habens eben ſo, wo nicht noch aͤrger gemacht.
Auf Ritter Zimmermann, Kotzebue, und die
politiſchen Kaſperle, Cranz, Schirach und Hoff-
mann mag ich mich nicht einmal berufen. Mancher
unſerer Musketiers iſt konſequenter, beſcheidener und
hoͤflicher als die! — Beſſere Muſter haͤtte ich aller-
dings waͤhlen koͤnnen. Ich geſtehe auch, daß man-
che Erzaͤhlung, die ich anbrachte, blos vom Hoͤren-
ſagen herruͤhrte, und folglich nicht hierher gehoͤrte.
Zu dieſen rechne ich vorz [...]lich die Aeußerung uͤber
Herrn Bispink S. 238. Hier ſchilderte ich ihn —
„als einen Mann von ſehr rechtſchaffenen Grundſaͤ-
tzen und einer ganz unerſchuͤtterlichen Anhaͤnglichkeit
an allem, was man ſonſt honeſtum und ae [...]uum
nennt; — und doch (fuͤgte ich hinzu) ließ er ſich da-
zu brauchen, daß er die Madame Bahrdt beredete,
zu weichen und Chriſtinen Platz zu machen.“ —
Inkonſequent war dies letztere immer, wenn ſchon
gangbare Sage vieler Hallenſer: ich haͤtte vorſichtiger
ſeyn und es nicht blos nach dem Geruͤchte in die Welt
hineinſchreiben ſollen: Jenes wußte ich aus Erfahrung;
[487[489]] dies — vom Hoͤrenſagen: es waͤre alſo vernuͤnftig
geweſen, mehr mir als Andern zu glauben. Billig
haͤtte ich Herrn Bispink ſelbſt um Auskunft hier-
uͤber bitten ſollen, wenigſtens ſchriftlich: denn muͤnd-
lich konnte ich es zu der Zeit, als ich das ſchrieb,
nicht, weil er damals zur Herſtellung ſeiner Geſund-
heit auf vier Wochen den Brunnen außer den Ring-
mauern der Stadt trank. Ich unterließ dies, hielt
es indeß fuͤr Pflicht, meine Aeußerung zuruͤck zu neh-
men, ſobald ich eines Beſſern belehrt wurde. Dies
iſt im Intelligenzblatt der allgemeinen Litte-
ratur-Zeitung fuͤr dieſes Jahr geſchehen. Den
Herren Herausgebern dieſer Zeitung danke ich fuͤr die
unentgeldliche Einruͤckung meines Aufſatzes hiermit
nach Schuldigkeit! Wohl uns, daß das Litteraͤr-We-
ſen noch nicht uͤberall blos merkantiliſch iſt! — Daß
meine Widerrufung Grund gehabt habe, zeigen die
Briefe, welche Herr Bispink von Bahrdts
Hand uͤber dieſe ganze Unterhandlung in Haͤnden
hat. Einige derſelben ſind auch in mancher andern
Ruͤckſicht wichtig. Ueberhaupt fodere ich den Herrn
Bispink auf, einen Auszug daraus dem Publikum
vorzulegen. Angemeßnere Aufſchluͤſſe uͤber einige
Hauptpunkte von Bahrdts Leben, Schriften,
deutſcher Union und Gefaͤngniß-Geſchichte findet
man nirgends. —
Zweiter Theil. Ii
[488[490]]
So viel uͤber meine Beitraͤge! Allein dies alles
abgerechnet, wuͤnſchte ich doch, daß der kuͤnftige Bio-
graph des D.Bahrdts meine Beitraͤge benutze, den
Waitzen von der Spreu abſondere: und er wird kei-
nen unebnen Beitrag fuͤr die Geſchichte dieſes gewiß
merkwuͤrdigen Mannes finden, beſonders was ſeine
Heidesheimer Geſchichten angeht.
Daß mich uͤbrigens die Recenſenten die Revuͤe
wuͤrden paſſiren laſſen, konnte ich mir ſchon im vor-
aus an den Fingern abzaͤhlen. Aber mit engbruͤſti-
gen Leuten habe ich nicht gern zu ſchaffen, zumal
wenn ſie, wie der Vicegott zu Rom, ex cathedra
ſprechen. Belehren laſſe ich mich indeß gern. Doch,
um auf Bahrdt zu kommen!
Bevor nun dieſe meine Beitraͤge ins Publikum
kamen, ſprach man ſchon in ganz Halle davon. Man
hatte Einiges von meinem Manuſcript ſogar im
Gelehrten-Club auf dem goldenen Loͤwen vorge-
leſen. Auch die Herren Gelehrten haben ihr Ste-
ckenpferd! Konnte es nun anders kommen, als daß
auch Bahrdt von meiner Schrift wider ihn er-
fuhr! Er erfuhr davon, und erhielt endlich durch
einen Zufall gar einen Correcturbogen, naͤmlich den
achten. Hier misfiel ihm Vieles und da ergrimmte
er hoͤchlich, und verklagte mich bei unſerm Genera
[489[491]] dem Herrn von Thadden. Seine Klagſchrift
war voll Bitterkeit, und ſeine Foderung, daß ich
einige Punkte oͤffentlich in den Zeitungen widerrufen
ſollte, war abgeſchmackt: dies weis jeder, der das
Kapitel de injuriis et libellis famoſis in dem Cri-
minalrecht inne hat. Die Geſetze kennen keinen Wi-
derruf als den coram judicio: Widerruf in Zeitun-
gen iſt abgeſchmackt: Bahrdt haͤtte keine neuen
Criminalgeſetze ſollen einfuͤhren wollen. Ja, von
Bahrdt haͤtte man eine Klage dieſer Art gar nicht
erwarten ſollen. Aber ſo geht es mit den Morali-
ſten! Sich — erlauben ſie alles und deklamiren ohne
Unterlaß gegen die Schaͤrfe der Geſetze — greift man
aber ſie an, o dann wuͤnſchten ſie, daß die Geſetze
zehnmal ſtrenger und die Richter zehnmal ſchaͤrfer
waͤren! Das iſt ſo der Gang der Moraliſten!
Bahrdt hatte die uneingeſchraͤnkteſte Preßfreiheit
behauptet theoretiſch und praktiſch und ſo ungeſcheut,
daß er ſelbſt Koͤnige nicht ſchonte. Da aber nun ich
ihn tadelte, ſo foderte er gleich Strafe und Zeitungs-
widerruf zur Genugthuung: denn ſeine Ehre —
ſchrieb er — ſey gekraͤnkt! —
Allein von Seiten des Regiments war man ge-
maͤßigter: man fuhr nicht faktiſch zu, wie Bahrdt
verlangt hatte: der Herr General geſtattete mir
Verhoͤr und Vertheidigung. Herr Kreie, der Au-
[490[492]] diteur, kommunicirte mir Herrn Bahrdts Schrift,
welche ich beantwortete, und dieſe Beantwortung
wurde dem Doktor zugeſchickt. Ich hielt ihn fuͤr
befriedigt, weil ich weiter nicht behelliget wurde. Er
ſoll aber doch, wie mir Herr Bispink geſagt hat,
noch einmal an den General haben ſchreiben wollen:
wenigſtens hat Herr Bispink unter dem Bahrdti-
ſchen Nachlaß den Aufſatz dazu vorgefunden. Dieſe
Schrift aber iſt entweder nicht eingegeben oder mir
nicht mitgetheilt. Freilich haͤtte er den rechten Weg,
mich vorm Publikum anzugreifen, vielleicht dereinſt
eingeſchlagen, wenn ihn der Tod nicht verhindert
haͤtte. Er ruhe indeß im Frieden, der Ungluͤck-
liche! —
Auch Herr Dreyßig ließ ſichs einfallen, wegen
meiner Beitraͤge mit mir anzubinden — ich mey-
ne den Dreyßig, welcher an der Poſt wohnt und da
mit Buͤchern, Bleiſtiften, Siegellack, Silhouetten,
Kupferſtichen, Zahnſtoͤchern, Nadelbuͤchſen, Strick-
beuteln etc. etc. etc. handelt. Er hatte waͤhrend des Ab-
drucks erfahren, daß ich ſeiner auch in meinen Bei-
traͤgen erwaͤhnt, und die Geſchichte erzaͤhlt haͤtte, wel-
che er auf dem Bahrdtiſchen Weinberge erlebt hatte.
Dreyßig hatte naͤmlich den Doktor auf eine ſehr gro-
be Art beleidiget: denn Beleidigung iſt es doch im-
mer, wenn man das Manuſcript eines Andern wider
[491[493]] deſſen ausdruͤckliches Verboth drucken laͤßt, und durch
Jungen gar im Bezirk des widerſprechenden Eigen-
thuͤmers zum Verkauf herumſchickt! — Dafuͤr hatte
Bahrdt mit ihm deutſch geſprochen. Dreyßig war
grob geworden, und da kam's denn zum Kazbalgen,
wobei Meiſter Dreyßig mit ſeinem eignen Handſtock
von Bahrdts Pferdeknecht und von der Chriſtine mit
deren Pantoffel ſo jaͤmmerlich ausgepruͤgelt wurde,
daß er ſchrie und winſelte, wer weis wie ſehr. Dieſe
Schnurre hatte ich dem wahren Hergange nach be-
richtet, und Mosjoͤh Dreyßig ließ es ſich einfallen,
dieſe Stelle unterdruͤcken zu wollen. Er kam alſo
in Herrn Hendels Druckerei, wo ich eben auch
gegenwaͤrtig war, und hier iſt unſer Geſpraͤch:
Dreyſſig: Hoͤren Sie, Liebeler, (ſo hieß
der Setzer der Beitraͤge) Sie ſollen die Paſſage in
Laukhards Schrift auslaſſen, welche da von mir vor-
koͤmmt — hat Herr Hendel geſagt.
Liebeler: Wo hat das Herr Hendel geſagt?
Dreiſſig: An der Poſt, wie er eben aufſtei-
gen wollte.
Liebeler: Ei, das iſt gelogen! wenn Herr
Hendel das haͤtte haben wollen, ſo wuͤrde ers wohl
ſelbſt geſagt haben: er war erſt noch vor kur-
zem hier!
[492[494]]
Dreyſſig: Er hats, hohl mich der Teufel,
geſagt!
Ich: Und wenn er's auch geſagt haͤtte, dann
ſoll und kann die Stelle nicht wegbleiben!
Dreyſſig: Das geht Sie eigentlich gar
nichts an! Herr Hendel kann auslaſſen, was er
will.
Ich: Ei, ſeht doch, Auslaſſen! Das Ding
iſt cenſirt, und da darf nun nichts ausgelaſſen oder
geaͤndert werden: verſtehn Sie das?
Dreyſſig (protzig): Ich will der Hacke
ſchon einen Stiel machen! ich gehe zum Cenſor, und
dann ſoll das Pasquill ſchon wegbleiben!
Ich: Hoͤren Sie, ſprechen Sie nicht von Pas-
quill! Iſt etwa die Begebenheit nicht wahr? Haben
Sie etwan Bahrdts Zettel nicht unrechtmaͤßiger
Weiſe und wider Ihr gegebenes Ehrenwort abdru-
cken laſſen? Haben Sie nicht des Pferdeknechts
ſchwere Hand, und Chriſtinens ſchmutzigen Pantof-
fel gefuͤhlt? Haben die Jungen ihre — Mamſells
nicht von Bahrdts Weinberge weggejagt? Haben
die Studenten Sie nicht als einen armen Suͤnder
von der hohen Bruͤcke zu Bahrdten unter allerhand
Beſchimpfungen zuruͤck gefuͤhrt? Haben Sie da
nicht im geſchloſſenen Kraiſe, und zwar auf den
[493[495]] Knieen, Ihre Inſolenz dem Doktor und den Stu-
denten abbitten muͤſſen? Haben Sie ihre endliche
Befreiung und Sicherheit nicht ſelbſt Bahrdts Fuͤr-
bitte bei den Studenten zu danken gehabt? Iſt das
nicht alles wahr? Und kurz, Liebeler, Du laͤßt
die Stelle ſtehen, wie ſie ſteht: Herr Profeſſor
Sprengel hat ſie cenſirt.
Dreyßig war haͤßlich erboßt, und lief unter Flu-
chen und Drohungen fort, und die Jungen in der
Druckerei lachten hinter ihm drein. Einige Stun-
den hernach konſtituirte er mich von neuem, ſpannte
aber jetzt ſehr gelinde Saiten auf, und bat ganz er-
gebenſt um Weglaſſung des Vorfalls. Ich verſicher-
te ihn aber, daß ich dieſes nicht koͤnnte. Herr Hen-
del hat, ſagte ich, die Handſchrift geleſen, und hat
von Weglaſſen nichts erwaͤhnt, bezahlt hat er mir
auch. Soll ich nun dem Buͤchelchen ſeinen Werth
durch Weglaſſung unterhaltender und den groͤßten
Theil der Leſer anziehender Stellen verſchlechtern
und dem guten Manne ſeinen Gewinn ſchmaͤlern?
Ueberdem muͤßte er von der chriſtlichen Billigkeit
einen heidniſch unbilligen Begriff haben: denn ſonſt
muͤſte er auch das fuͤr ſich angemeſſen finden, was er
ſo oft und ſo famoͤs an Andern praktiſirt haͤtte. Er
haͤtte ja ordentlich in der Stadt herum ſpionirt und
herum ſpioniren laſſen, um nur die Schwaͤchen, oft
[494[496]] gar phyſiſche, an einzelnen Perſonen und ganzen
Familien auszuſpaͤhen: und haͤtte er etwas etdeckt,
fluchs haͤtte ers von ſeinen Helfershelfern auf eine haͤ-
miſche Art in ſeinem beruͤchtigten Wochenblatte auf-
mutzen laſſen, bis endlich die Obrigkeit ihm das
Handwerk gelegt haͤtte. Was er demnach von ſei-
ner Seite fuͤr Andere recht gefunden haͤtte, das
muͤßte er von der Seite Anderer nun auch fuͤr
ſich recht finden. Er haͤtte ja nicht einmal diejeni-
gen geſchont, von deren milden Guͤte den Seini-
gen eine Unterſtuͤtzung zufloͤſſe. Kurz, ich koͤnnte
ihm nicht helfen: auf einen ſolchen Klotz gehoͤre ein
ſolcher Keil! —
Dreyßig machte ſich nun an Liebeler, den Se-
tzer, und brachte es bei dieſem dahin, daß ohne des
Cenſors und meine Einwilligung Manches wegblieb,
und mein Bericht nun ſo verſtuͤmmelt erſchien, wie
er jetzt in den Beitraͤgen S. 247 vorkoͤmmt.
Ich hatte Dreyßig einen omnis homo, ein mo-
bile perpetuum genannt, und das war auch ge-
ſtrichen, auch die Beſchreibung jener beiden Mam-
ſells, welche er bei der Tragikomoͤdie auf Bahrdts
Weinberge bei ſich gehabt hatte u. dergl. Dieſe
Vermeſſenheit verdroß mich allerdings: allein da
Liebeler ein guter Menſch, und einer meiner laͤngſt
erprobten Freunde war, ſo beſchwerte ich mich
[495[497]] nicht hoͤhern Orts. Herr Hendel hatte auch zu
Dreyßigen gar nicht geſagt, daß die Stelle weg-
bleiben ſollte. Es war Dreyßigs Luͤge, und wei-
ter nichts.
Nachher, als die Beitraͤge erſchienen, kurſirten
ſie natuͤrlich fleißig unter den hieſigen Studenten,
welche dann den ſaubern Herrn unbarmherzig aufzo-
gen. Dreyßig ſchimpfte nun zur Schadloshaltung
auf mich ein wenig à la Dreyſſig, nannte mich
einen Skribar, elenden Sudler, — bei dem er wohl
leicht noch ein wenig in die Schule gehen koͤnnte, um
das ſuum cuique und dann etwas Orthographie ſo
fuͤrs Haus zu lernen — verdorbenen Exmagiſter,
Freundlein Laukhardchen u. dergl. Dies ſagten mir
die Studenten wieder, und ermunterten mich, an
Meiſter Dreyßig Revanche zu nehmen. Allein
was ſollte ich mit dem Menſchenkinde machen?
Ihn ſchimpfen? oder gar durchhauen? das brach-
te mir keine Ehre. Kurz, ich lachte uͤber die laͤp-
piſchen Sottiſen des laͤcherlichen Menſchen, und ließ
es gut ſeyn.
Wer Meiſter Dreyßigen kennt, der weis auch,
ohne daß ichs ihm ſage, daß er ein ſeltſames Stuͤck
von Menſchen iſt, der ſich alle Augenblicke proſti-
tuirt. Er macht Spekulationen, die alle ſo laͤppiſch
[496[498]] herauskommen, daß es zum Erbarmen iſt. Er nimmt
es ſich ſogar im Preußiſchen heraus, auf eine plumpe
Art, den Nachdrucker zu ſpielen. Kaum erſcheint
in Leipzig, Nuͤrnberg oder ſonſtwo irgend ein Ge-
ſellſchafts-Spiel oder eine Sammlung von Raͤth-
ſeln, Fragen u. dgl. — den Augenblick nimmt er —
unter getreuer Aſſiſtenz ſeiner Schmieraxe — dieſe
oder jene Veraͤnderung damit vor, laͤßt es friſch weg
nachſtechen und nachdrucken, und ſezt ſich durch dieſes
noble Handwerk in die Klaſſe jener Buͤcherdiebe her-
ab, welche in Reutlingen, Karlsruhe, Wien, Fran-
kenthal, Straßburg, Tuͤbingen und anderwaͤrts
den rechtmaͤßigen Verlegern ihren Verdienſt ſchwaͤ-
chen, und der Erwerbſamkeit den meuchelmoͤrderiſchen
Dolch an die Kehle ſetzen.
Wie uͤbrigens Meiſter Dreyßig ſo ganz unbe-
rufen bei jeder Gelegenheit ſein Publikum zu aͤffen
ſucht, davon gab er neulich bei Bahrdts Abſter-
ben eine koͤſtliche Probe. Die letztern Umſtaͤnde die-
ſes gewiß merkwuͤrdigen Mannes, auf den das ganze
Publikum ſchon ſo lange her aufmerkſam geweſen iſt,
verdienen allerdings, von einer guten Feder beſchrie-
ben zu werden: allein von einer ganz andern, als die
des armſeligen Stuͤmpers — Dreyßigs iſt. Indeſſen
ließ er doch — natuͤrlich fuͤr ſein Publikum, den
Poͤbel — einen Wiſch drucken, dem er — vor
[497[499]] ſelbſt eigner lauter Unruhe — den Titel gab:
„D. Bahrdts unruhiges Leben und ſchmerzvoller
Tod.“ — Das Ding war wie alle Dinger von
der Art, in den Bierſchenken, Kneipen und Gela-
gen ſo recht zu Hauſe. Wer Einſicht und Geſchmack
hat, nahm keine Notiz davon. Statt des Mottos
ſteht ein Citat aus dem Sirach, wo dieſer Mann ſo
nach ſeiner Art, derb genug von den ſchaͤdlichen Fol-
gen der Hurerei ſpricht. Das ſoll ſich nun auf
Bahrdts Lebensart beziehen! Der gute Dreyßig
muß doch in der Folgenkunde dieſer Art ziemlich be-
wandert ſeyn: denn — nur der Dieb ſieht uͤberall
Diebe, — wie es im Moͤnch von Libanon
heißt: auch deuten die Recenſenten des gruͤnen
Mannes auf etwas aͤhnliches in Ruͤckſicht ſeiner
Berichte: uͤber — Bordelle. Uebrigens iſt das
Ding, ſo klein es auch iſt, doch aͤuſſerſt nachlaͤſſig
und ſchlotrig geſchrieben, daß man es ohne Ekel nicht
leſen kann. Dreyßig hatte auch gar keine naͤhere
Nachrichten; denn zu Bahrdten ſelbſt durfte er nicht
kommen: Clarens Fauſt und Chriſtinens Pantoffel
ſcheuchten ihn da weg: und andere Freunde des
Doktors ſahen das Menſchenkind nur uͤber die Ach-
ſel an. Zuverlaͤſſige Auskunft konnte er alſo nicht
geben, und nun ſudelte er ſo hin, was er vom Hoͤ-
renſagen des Poͤbels und ſeines Gleichen hatte.
Man kann daher leicht denken, wie ſein Wiſch ge-
[498[500]] rathen mußte. Von ſich ſelbſt ſpricht er indeß
in ſehr hohem Ton, und wundert ſich hoͤchlich,
daß man ſeine Verdienſte verkenne, und ihn, wer
weiß, wozu! noch immer nicht mache. Ich den-
ke gar, er will das Privilegium haben, ausſchließ-
lich mit Pfeifenſpitzen und Zahnſtoͤchern zu han-
deln! —
Wie wichtig aber Meiſter Dreyßigen der Wiſch
uͤber Bahrdts Tod habe vorkommen moͤgen, ſehe
ich aus dem diesjaͤhrigen hieſigen Intelligenzblatt
St. 45. Hier berichtet er auf die abgeſchmackteſte
Art: daß der genannte Wiſch allein bei ihm, und
nicht auch beim Buͤcherverleiher Bispink zu haben
ſey. Dies iſt ſo ein Seitenblick nach dreyßigſcher
Manier! Der gute Mann haͤtte aber bedenken ſollen,
daß Herr Bispink zu viel Einſicht, Geſchmack
und Achtung gegen ſein Publikum hat, als daß er
es ſich auch nur aus der Ferne je ſollte beigehen laſ-
ſen, Wiſche von der Art aus dem dreyßigſchen Scho-
felarchiv zum Leſen aufzuſtellen. Herr Bispink iſt
indeß uͤber dergleichen Kleinigkeiten hinaus und wuͤr-
diget ſie nicht einmal eines Seitenblicks: ich aber
habe mich uͤber die Impertinenz des Menſchen nicht
wenig geaͤrgert. Daß Herr Bispink Buͤcher ver-
leiht, und recht ausgeſuchte neuere verleiht, und da-
durch die Luͤcken der hieſigen Univerſitaͤtsbibliothek
[499[501]] erſezt, iſt wahr ipſo facto: er fuͤhrt ja die hieſige
akademiſche Leſe-Bibliothek. Daß er aber auch noch
andere wichtigere Verrichtungen hat, daß er Gelehr-
ter und Buͤcherverleger iſt, und als ſolcher weit an-
ſehnlichere Werke ins Publikum foͤrdert, als Dreyſ-
ſig, iſt auch wahr. Warum mußte denn Meiſter
Dreyßig ſich blos am Buͤcherverleihen halten? Wenn
nun jemand — nach eben dieſem Zuſchnitt — den
einſeitigen Dreyßig ſo geradehin einen Zahnſtoͤ-
cher- oder Schweinebuchshaͤndler nennen
wollte, weil er unter andern Kleinigkeiten auch mit
Zahnſtoͤchern und einem Buͤchelchen uͤber die Schwei-
ne handelt: da wuͤrde er ſeine dreyßigſche Majeſtaͤt
gewiß hoͤchlich beleidigt finden, zumal er ja auch Sie-
gellacks-Lichtputzer-Federkiel-Lorgnetten- und Neu-
jahrwuͤnſche-Haͤndler iſt!
So viel von Meiſter Dreyßig: und ſo viel ſoll
auch meine Genugthuung ſeyn fuͤr ſeine Schimpfe-
reien auf mich: fuͤr ſeinen Scribax, Sudler, Ex-
magiſter, Freundlein Laukhardchen und andere Aus-
faͤlle des gruͤnen Mannes. Aber halt! Bald haͤtte
ich ja vergeſſen, daß Herr Dreyßig ein Wochenblatt
vom Halliſchen Carcer — bis zum drikten Stuͤck —
herausgegeben hat, und daß eine andere Wochen-
ſchrift, die er mit Huͤlfe ſeiner Mamſells beſorgte,
wegen ihres großen Elends und wegen vieler, laͤppi-
[500[502]] ſcher, ehrenruͤhriſcher Anzuͤglichkeiten, wie ich vor-
hin erwaͤhnte, iſt verbothen worden. — Meine Le-
ſer moͤgen mir dieſe Digreſſion zu gute halten: ich
dachte, ich muͤßte ſie doch mit dem gruͤnen
Mann, d. i. mit Herrn Dreyßig naͤher bekannt
machen. Mehr Auskunft uͤber dieſen Prinzen findet
man in der allgemeinen Litteratur-Zeitung und der
allgemeinen deutſchen Bibliothek, da, wo die Scho-
feleien des gruͤnen Mannes recenſirt ſind. Sein
verkupferter Kopf ſieht wohl auch eben ſo gruͤn aus
inwendig, als auswendig in Halle der rothe Thurm
als ein Paar edle Bruͤder! — Zum Beſchluß
moͤchte ich noch erinnern, daß die Buhlerinnen von
Athen nicht die einzigen waren, welche das Bereuen
theuer verkauft haben. Friedrich Chriſtian Dreyßig
handelt zu Halle, neben der Poſt, mit eben der
Waare: zuerſt bereuet man, etwas aus ſeinem Scho-
felarchiv geleſen, und dann noch mehr — etwas
daraus gekauft zu haben. Aber — wie das Huhn,
ſo das Ey, und — auf einen ſolchen Klotz gehoͤrt
ein ſolcher Keil!
[501[503]]
Ein und vierzigſtes Kapitel.
Meine jetzige Lage. Geſichtspunkte fuͤr die Beurtheiler
meiner Geſchichte.
Im vergangenen Winter gab Herr Bispink die
Buͤcherverlagsverbindung auf, in der er ſeit 1788
mit Herrn Francke geſtanden war. Wenn ich hier-
uͤber weiter nichts ſage, und die vielen und wichtigen
Gruͤnde nicht beruͤhre, welche den Herrn Bispink
dazu beſtimmt, ja genoͤthigt haben; ſo geſchieht es
aus Ruͤckſicht auf ſeine ausdruͤckliche Bitte, dieſe
ganze Sache, bis zur Herausgabe ſeiner Lebensge-
ſchichte, auf ſich beruhen zu laſſen. Großmuͤthig iſt
das in der That! Denn — Verunglimpfungen
Anderer durch allerhand Kunſtgriffe ..... kaltblu-
tig zuzuſehen, ohne uns einmal zu ruͤhren, wenn
es gleich etwas leichtes ſeyn wuͤrde, unſern Gegner
durch ſeine eigne Tollkuͤhnheit jeden Augenblick recht
empfindlich zu zuͤchtigen — iſt wohl mehr, als
die Sache kleiner, rachſuͤchtiger Seelen. Aber —
Herr Bispink iſt ein Stoiker.
Ich hatte die Freundſchaft dieſes guten Man-
nes, der Broſchuͤre wider Bahrdt ohngeachtet,
Zweiter Theil. Kk
[502[504]] immer behalten. Zwar haͤtte Herr Bispink boͤſe wer-
den koͤnnen, da ich eine Begebenheit, die ihn betraf,
zwar nicht ihm zum Nachtheil, auch nicht aus Er-
dichtung, aber doch nicht ſo, wie ſie eigentlich war,
vorgeſtellt hatte. Allein Herr Bispink nahm von
dem Dinge keine Notiz, und blieb nach wie vor
mein Freund.
Ich entdeckte ihm, in ſeiner neuen Lage, mein
Vorhaben, meine Lebensgeſchichte zu ſchreiben, und
zeigte ihm den Plan an, den ich befolgen wollte. Er
billigte ihn, und verſprach, den Verlag davon ſelbſt
zu uͤbernehmen. Ich fing alſo an, zu arbeiten, und
gegenwaͤrtiges Werkchen kam, troz der Exerzierzeit,
in vier Monaten zu Stande. Ob es dabei dem Pu-
blikum nun auch das ſeyn werde, was ich gern wollte,
daß es ſeyn moͤchte, muß erſt die Zeit lehren. Zwar
werden die Herren Recenſenten eben nicht uͤberall
gut darauf zu ſprechen ſeyn; denn ich habe Manches
von den Univerſitaͤten und den Univerſitaͤtern geſagt,
das ihnen ſchwerlich behagen wird. Wie koͤnnte ich
z. B. auf Unpartheilichkeit in Goͤttingen rechnen,
da ich einen Leß und Puͤtter nicht zum ruͤhmlichſten
geſchildert habe! Hier mich ohne Winkelzuͤge loben,
hieß ja mein Urtheil uͤber dieſe Herren beſtaͤtigen:
und dazu wiſſen die Herren Gelehrten, — auf einen
aͤhnlichen Nothfall, — fuͤr einander zu gut zu le-
[503[505]] ben. Die eine Hand waͤſcht die andere, iſt ſo das
alltaͤgliche Sprichwort: und fuͤrs Alltaͤgliche hat
auch mancher Recenſent Empfaͤnglichkeit. Ich ken-
ne dieſe Art von Etikette, und erwarte von
den Tribunalen aͤhnlicher Gelehrten-Fabriken das
Aehnliche.
Nun ſteht mir ein harter Stand vor, indem
unſer Regiment beſtimmt iſt, mit an den Rhein zu
gehen, um die Inkurſionen zu verhindern, womit
die Neufranken dem Kaiſer gedroht haben. Ich
fuͤhle ſchon im voraus, daß ich da manche un-
angenehme Stunde haben werde: allein es iſt
meine Pflicht, ſie zu uͤbernehmen, und was Pflicht
iſt, muß einem nie als boͤſe vorkommen.
[504[506]]
Das heißt auf deutſch:
Uebrigens habe ich den feſten Vorſatz, immer
nach mehr moraliſcher Beſſerung zu ſtreben, und
wenn nicht noch ganz gut zu werden, doch der mo-
raliſchen Vollkommenheit ſo nahe zu kommen, als es
mir moͤglich iſt. Ich habe doch gefunden, daß man,
ſo man nur will, manche Unart ablegen kann: wa-
rum ſollte ich mit der Zeit nicht alles wieder gut ma-
chen, was die lange Uebung in Poſſen und Aus-
ſchweifungen verdorben hat? Ob aber auch meine
Lage ſich ſo in koͤrperlicher Hinſicht und im aͤußern
Verhaͤltniß verbeſſern werde, muß das Schickſal ent-
ſcheiden, da es nicht ganz von mir abhaͤngt. Ich
fuͤhle nun zwar auch wieder Menſchen-Wuͤrde, und
fuͤhle recht gut, daß ich in einem andern Zuſtande,
in einer andern Lage, mehr nuͤtzen koͤnnte und nuͤtzen
wuͤrde, als ich im Soldatenſtande kann; allein es
mag mir in Zukunft ergehen, wie es will, ich werde
[505[507]] zufrieden ſeyn und mein Schickſal preiſen, daß es
mir nicht noch viel ſchlimmer geht. Meine Verir-
rungen waren wirklich zu grob, als daß ich murren
ſollte, wenn unangenehme Stunden eintreten. Jezt
iſt meine Zufriedenheit mit meinem Zuſtande nicht
mehr Leichtſinn oder Fuͤhlloſigkeit, wie ſonſt: es iſt
Reſultat mancher ernſthaften Reflexionen, welche
ich uͤber das menſchliche Leben im Allgemeinen
und uͤber das meinige im Beſondern angeſtellt
habe. Dieſe Reflexionen belehrten mich, daß nur
gedruͤcktes, unerkanntes Verdienſt ſich beklagen
darf, wenn es ihm nicht geht, wie es ſollte;
nicht aber ein Menſch, der ſein Gluͤck durch ſeine
Verirrungen auf die ſchaͤndlichſte Art von ſich ge-
ſtoßen hat, wie ich.
Meine Unfaͤlle haben mich indeß ſehr biegſam
gemacht, ſo, daß ich gar — wenn ich will — die
oftmals weitgehenden Grobheiten Anderer, auch
ſchlechter Leute, vertragen kann, ohne den Gedan-
ken, mich zu raͤchen. Ich bin mit allem zufrie-
den, bin auch gegen jederman dienſtfertig: daher
iſt auch jeder mit mir zufrieden, und ich habe
wenigſtens bei unſerm hieſigen Militaͤr lauter gute
Freunde.
Leid thut mir es uͤbrigens, daß ich meine hie-
ſigen Freunde verlaſſen muß: verlaſſen den biedern
[506[508]] deutſchen Bispink, den Herrn Cand. Buͤchling,
Verfaſſer einiger mit Recht gelobter philologiſcher
Schriften, auch einen von denen, die mir viel reelles
Gute erwieſen haben: die Herren Studenten, welche
mich mit ihrer Freundſchaft beehrt haben und meine
Scholaren zum Theil geweſen ſind, die Herren Kau-
mann, Muͤller, Wohlers, Richter, Gruel,
Bauer, Krauſe und mehr andere junge hoff-
nungsvolle Maͤnner mit biederer Seele: alle dieſe
verlaſſe ich mit Unluſt und Schmerzen. Allein wer
kann gegen das leidige Oportere!
Sollten meine lieben Leſer kein Misfallen an
meiner Biographie finden: ſollte dieſe vielleicht ihrer
Aufmerkſamkeit und ihres Beifalls nicht ganz unwuͤr-
dig ſeyn; ſo werde ich ihnen, wenn ich lebe, mit der
Zeit die Folge meiner Begebenheiten darlegen. Ich
hoffe ihnen alsdann viel mehr Gutes und Angeneh-
mes ſagen zu koͤnnen, als jezt und dies in einem an-
gemeßnern Ton, als der ſtudentiſche zuweilen hier
iſt. Ich weiß wirklich keinen, der ſo, wie ich, ſich
ohne alle Maske hingeſtellt haͤtte: dadurch rechne ich
auf die Freundſchaft des kluͤgern und unpartheiiſchen
Publikums, und bekuͤmmere mich nicht um den
Tadel und den Unwillen Einiger, denen ich et-
was nahe getreten bin. Und eben daher glaube
ich, daß mein Publikum es nicht ungern ſehen
[507[509]] wird, wenn ich zu ſeiner Zeit mit einem Nach-
trage herausruͤcke.
Außerdem habe ich mir vorgenommen, ein Ta-
gebuch auf dem bevorſtehenden Marſch zu halten:
finde ich viel Merkwuͤrdiges, ſo theile ich dereinſt
einen Auszug daraus mit.
Gute Leute kommen uͤberall gut bei mir
durch, und was nicht gut iſt, und es nicht von
ſelbſt werden will, dem mag eine Neckerei von
meiner Art zur Beſchaͤmung oder zur Beſinnung
eines Beſſern dienen: die uͤbrigen moͤgen ſich
daran ſpiegeln und ſich huͤten, nichts Boͤſes zu
thun, um ſich nichts Boͤſes nachſagen laſſen zu
muͤſſen.
Ich habe geſagt: daß ich keinen wuͤßte, der ſo,
wie ich, ſich ohne alle Maske hingeſtellt haͤtte. Ich
denke, man wird davon uͤberzeugt ſeyn. Ueberwin-
dung hat dies um ſo mehr gekoſtet: da ich troz allen
meinen Verirrungen noch Menſch genug bin, das
Schaͤndliche meines Betragens einzuſehen und nebſt
bitterer Reue tiefe Schaam zu empfinden, nicht nur
vor Andern, ſondern auch wieder vor mir. Mein
Sturm hat ſich gelegt: und nun ſehe ich ein,
was er zertruͤmmert und zerruͤttet hat. Es be-
[508[510]] trifft meine innere Perſonalitaͤt, und da ſchmer-
zen Wunden tiefer. Mein aͤußeres Gluͤck iſt auch
dahin! —
Moraliſirt habe ich ſelten: ich ſchrieb vorzuͤg-
lich fuͤr die akademiſche Jugend; und dieſe haͤlt vom
Predigen wenig. Ueberhaupt hoͤren und ſehen nicht
einmal Koͤnige gern, was ihre Sinnlichkeit ein-
ſchraͤnkt, zumal die Koͤnige auf Akademien nicht. Da-
her ſo ſparſam moraliſche Imperative! Die uͤbrigen
Bemerkungen moͤgen die Ganglienen meiner Ge-
ſchichte ſeyn fuͤr Denker von allerhand Art. Moͤch-
ten ſie doch viel Gutes ſtiften! —
Ich ſchrieb fuͤr die akademiſche Jugend vorzuͤg-
ich — ſagte ich vorhin: daher die eigene Art von
Anlage, Ausfuͤhrung und Ton. Alles raſch, vieles
ſtudentiſirt, burſchikos und Einiges gar renommi-
ſtiſch. Das Familiaͤre, dachte ich, das Aehnliche
gleitet bei ſeines Gleichen mit minderem Widerſtand
herab: — und das wollte ich, damit das Ganze
am Ende ſeinen Stachel deſto tiefer und ſicherer zu-
ruͤckließe. Habe ich hierin gefehlt, ſo war es ein
Fehler meiner Einſicht aus Erfahrung; nicht meines
Willens. Irren wuͤrde gewiß der, welcher aus dem
allen folgern wollte, daß ich noch immer Behagen
an meinen Verirrungen finden muͤßte. Du lieber
[509[511]] Gott, Behagen an dem, was mich ungluͤcklich ge-
macht hat! was mich jezt mit der bitterſten Reue
zuͤchtiget, was mir gewiß immer zur quaͤlendſten Zu-
ruͤckerinnerung dienen wird! O, es war keine
Kleinigkeit, da im Studenten-Ton zu ſchildern, wo
gepreßter Kummer mein Herz oft zerriß, und mich
zuweilen, vorzuͤglich bei Nachrichten uͤber meinen
biedern, edeln Vater, noͤthigte, die Feder hinzule-
gen, um mein Inneres zu luͤften! Es iſt etwas
Schroͤckliches um ein Geſpenſt in der Seele! —
Und daher Du, Juͤngling, mit feuriger, raſcher
Seele, der Du vielleicht auf eben dem Pfade herum-
ſchluͤpfſt, auf dem mich — das Ungluͤck erhaſcht und
zum Sklaven meines Irrſinns gemacht hat, Dich
beſchwoͤre ich bei Allem, was Dir lieb iſt, faſſe
meine Geſchichte recht ins Auge, entkleide ſie von
ihrem ſtudentiſchen Vehikel, erwaͤge meine Fehltritte
Schritt fuͤr Schritt — vorgezeichnet ſind ſie getreu
und lebhaft genug dazu — fuͤhre ſie auf ihre Urſa-
chen zuruͤck, betrachte ihre Folgen fuͤr mich, die Mei-
nen und den Stand, fuͤr den ich zunaͤchſt beſtimmt
war: — und ſchaudert Dich dann vor dem Stand-
ort, worauf Du mich endlich in der blauen Uniform
erblickſt: — dann, Freund, geh ein wenig ich Dich!
dann denke: — So gehts, wenn man leichtſinnig
in den Tag hineinlebt, wenn man ſich an Renommi-
[510[512]] ſten anſchmiegt, bei Gelagen den Vorrang im Sau-
fen erringen will, in Ordensverbindungen ſich ein-
laͤßt, kindiſch heroiſch ſich herumtummelt, die aka-
demiſche Freiheit bis zur Sittenloſigkeit ausdehnt, auf
Eltern, Freunde und gutmeinender Menſchen Rath,
Warnung und Bitten nicht achtet, Ehrgefuͤhl ab-
ſtumpft, luͤderlich ausſchweift, wenig lernt, Schul-
den anhaͤuft, allgemeine Verachtung verdient, allen
Anſpruch auf Befoͤrderung verſcherzt, und leider end-
lich der Welt zur Warnung, und ſich und den Seinen
zur druͤckenden Laſt und Schande kuͤmmerlich herum-
irrt. Dies, dies, Freund, ſey ein Wort ans Herz
gelegt: und, hier meine Hand, Du laͤſſeſt es Dir
wohlmeynend geſagt ſeyn!
Worauf Eltern, Erzieher und Lehrer bei
meiner Geſchichte zu ſehen haben, um ſie auf
dieſe oder jene Art fuͤr ihre Kinder und Zoͤglinge
zu benutzen, das ſey der Einſicht eines jeden von
ihnen uͤberlaſſen: Data und Winke enthaͤlt ſie ge-
wiß fuͤr alle. Wohl dem, der ſie gehoͤrig benu-
tzen wird!
Vielleicht finden Einige in meiner Biographie
Manches als uͤberfluͤßig, ja Einiges gar als ſchaͤdlich:
hieher rechne ich meine Bubenſtreiche, die Eul [...]ap-
pereien und Erzaͤhlungen von aͤhnlicher Art. Ich
ſtellte ſie aber hin, um mich ganz zu zeigen, und dann,
[511[513]] um Leuten, die immer das Alte loben, das Neue
herabſetzen, den ehemaligen Studenten-Ton anzu-
geben und ihnen dadurch das Bekenntniß abzunoͤthi-
gen: Nein, ſo toll treibens die Studenten doch jezt
nicht mehr! Heutzutage ſind ſie wirklich civiliſir-
ter! — Wem indeß das nicht behagt, oder wem
meine Gruͤnde dafuͤr nicht genug thun, und der alſo
den gekuͤnſtelten Laukhard lieber haͤtte haben moͤgen,
als den natuͤrlichen, den bedaur' ich ſchenirt zu haben,
und bitte ihn bei ſeiner Delikateſſe und Praͤciſion um
Verzeihung r)! — Fuͤr Fehler von anderer Art
ſage ich kurz:
oder:
Das Uebrige enthaͤlt die Vorrede, nebſt S. 11 [...]
im dieſem Theile. Hiernach richte man mich!
Da ſteht nun Laukhard, wie er leibt und lebt,
von vorzeiten und von jezt, ſo individualiſirt von
[512[514]] innen und von außen, nach Anlage, Ausfuͤhrung,
Folge — Grundſaͤtzen, Maximen, Geſinnungen,
Handlungen, Sprache — ſo, daß in der Gallerie
der Menſchen noch keiner ſich ihm gleich hingeſtellet
hat! Begaffe und begukke ihn denn jezt, wer da will
und kann! Mitleiden erregen wollte er nicht: nur
ein wenig warnen, zuruͤckſcheuchen und — beſſern!
Und ſo, meine theuerſten Leſer, leben Sie
wohl!, und goͤnnen Sie mirs, wenn mein moraliſcher
und oͤkonomiſcher Zuſtand ſich beſſert! Nach dem
Feldzuge ſprechen wir uns vielleicht wieder!
Ende des zweiten Theils.
Appendix A
Gedrukt bei Fr. Wilh. Michaelis.
[]
Appendix B Verbeſſerungen
im
erſten Theile.
Seite 2. Z. 3 von unten leſe man: der ontologi-
ſche Satz.
– 3. Z. 2. haͤngte.
– 7. Z. 11. Sendivogius.
– 9. Z. 1. von unten: Maͤure.
– 25. Z. 7. v. u. Grumbach.
– 39. Z. 6. wenn ihm.
– 64. Z. 18. Bloͤdigkeit.
– 135. lezte Zeile: mehrere.
– 136. Z. 16. oder.
– 150. Z. 20. ſo gut ich.
– 167. Z. 10. Empfindung.
– 192. Z. 10. leiden kann er.
– 229. Z. 15. dem Sechſten.
– 263. Z. 2. Frau Mag. F – –.
– 272. Z. 23. wegen, der.
– 289. Z. 19. Heddaͤus: und ſo in der Folge.
– 305. Z. 17. fuͤr uns nicht.
– 310. Z. 18. Allein das that ich.
– 314. Z. 4. aus einem, u. Z. 22. geheimer.
– 315. Z. 3. v. u. wo ſie ein.
– 316. Z. 5. Supe [...]ntendent.
– 317. Z. 2. rechtglaͤubigen.
– 320. Z. 6. Augenblicke.
– 322. Z. 15. langer Zeit.
– 332. Z. 21. verwendete.
– 334. Z. 21. uͤber die Naſe.
– 339. Z. 10. denen.
– 364. Z. 7. hatte.
– 393. Z. 23. einzelnen.
– 396. Z. 5. untergangen. Sobald dieſe Nachricht.
[]
Im zweiten Theile.
Seite 60. Z. 15. betrunken.
– 62. Z. 5. von unten: unſern.
– 65. Z. 6. v. u. Koridoniſchen.
– 66. Z. 4. leſe man ſtatt bloß – hauptſaͤchlich.
– 69. Z. 8. v. u. Teſta abgeſezt.
– 89. Z. 5. v. u. Miſanthropen.
– 95. Z. 7. Denn.
– 116. Z. 6. oft Ehre.
– 129. Z. 2. berufen.
– 136. Z. 14. und ſyriſch.
– 183. Z. 7. keine Freunde.
– 190. Z. 3. eſſent a ferv.
– 258. Z. 10. ſie ſich.
– 280. Z. 11. noch hell.
– 339. Z. 6. v. u. in Barcelona – geſezt auch,
daß es dort eine Univerſitaͤt
gaͤbe – als.
– 243. Z. 17. waͤren, nur an ihn.
– 358. Z. 8. geduldig einſteckte.
– 368. Z. 16. dann aufgefangenen.
– 412. Z. 6. Zeit, da.
– 424. Z. 14. Erduin Julius.
– 431. Z. 14. Sache – chriſtlich-theolo-
giſch davon zu ſprechen –
ſo ausfuͤhrlich.
– 433. Z. 6. relegirt.
– 436. Z. 16. Doͤrfern.
an den Domſtiftern. Es koͤnnen da blos uralte Fami-
lien Eingang finden. Und die Ahnenprobe, welche
bei der Aufnahme vorgenommen wird, iſt ſo ſtreng,
daß jeder Queerbalken im Stammbaum entdeckt wird.
Daher iſt der Ahnenſtolz der Familien in Mainz, Wuͤrz-
burg, Koͤlln, Muͤnſter, Paderborn — unausſprech-
lich; und ein [...]lcher Ritter, wie Dalberg, Dienheim,
Schoͤnborn, Elz, Bibra, kurz, ein Ritter, deſſen
Wappen in der Domkirche befindlich iſt, wird um alles
in der Welt nicht misheurathen; ja er wird eine Graͤ-
fin, und ſelbſt eine Prinzeſſin ausſchlagen, wenn ihr
Stamm nicht die erforderlichen Ahnen zaͤhlt. Das gilt
ſogar von den dortigen proteſtantiſchen Edelleuten, die
daß einmal einer von ihren Nachkommen katholiſch
wuͤrde, und dann koͤnnte er ja nicht Domherr, Bi-
ſchof oder Kurfuͤrſt werden!
Soͤhne hat, welche in Kriegsdienſten ſtehen, und ſehr
brave Maͤnner ſind. In jener Gegend kennt jederman
den Hrn. v. B.... Er beſaß ehedem mehrere Guͤter,
und unter andern ein huͤbſches Dorf, Hilsheim; aber
ein aͤuſſerſt aſotiſches Leben hatte ihn in Schulden ge-
ſteckt, und um alle ſeine Guͤter gebracht. Nachher
ging er herum ſchnurren, wie man ſagt, ſchickte Bet-
baſirte doch bei jeder Gelegenheit ſo ſch [...]cklich und ſo
unverſchaͤmt, als wenn ſein Adel ſich von Karl dem
Großen herſchriebe, und er im Beſitz eines Fuͤrſten-
thums waͤre!
ſoviel Originale! — Es muß alſo mit den Kri-
terien fuͤr die Aechtheit der Evangelien im vierten
Jahrhunderte ſehr mißlich ausgeſehen haben. Und nun
im Achtzehnten? —
tus der Fuͤnfte, Leo der Zehnte, Paulus
der Dritte, und alle uͤbrigen dictatoriſchen Beſtand-
theile der kathol. Kirche waren auch Menſchen, die auch
nur nach Sachkriterien entſcheiden koͤnnten — auſſer
wenn ſie fuͤr gut fanden, auf den aͤchten heiligen Geiſt,
d. i. die Eingebungen einer gelaͤuterten, geſunden
Vernunft Verzicht zu thun, und durch den Glauben
Weiß ſchwarz, und Schwarz weiß zu — brennen.
geſchieht aber nirgend ſo ſtark, als in der Pfalz. Geld
macht da des Maͤdchens Hauptverdienſt aus; und kein
Geld haben, und eine alte Jungfer werden muͤſſen,
iſt beinahe einerlei. Schoͤnheit, Sitten, Geſchicklich-
keit kommen da wenig in Anſchlag. Und daraus er-
wachſen denn mit der Zeit — Hoͤrner.
ren LudwigsXIII. und XIV. und unter der ganzen
ſchwachkoͤpfigen Regierung Ludwigs XV. Frankreich ge-
plagt hat, konnte ſich niemals uͤber die Armee erſtre-
cken. Da hat zu allenzeiten Religionsfreiheit ſtatt ge-
habt; und viele Proteſtanten haben da anſehnliche Po-
ſten bekleidet. Ganz anders wars in Spanien, Por-
tugal und Sardinien, wie auch auch ſonſt in Oeſter-
reich und noch jezt in — Baiern.
miren; daher Schanzer ein Informator. Sonſt be-
deutet ſchanzen in der Pfaͤlzer Sprache — Frohndien-
ſte zur Strafe thun. — Sehr bedeutend fuͤr die ar-
men Paͤdagogen!
ner Zeit, welcher jeden Monath eine ganze Chronik
nach Hauſe ſchickte. Die Frau Baſen in der Pfalz
wußten daher unſre Poſſen und Streiche ſo gut als
wir ſelbſt.
cher hier reſidirt hat. Er iſt der Verfaſſer von vier
Baͤnden Abhandlungen, welche le Philoſophe bien-
faiſant betitelt ſind.
ſigten Kreuze, mag hieraus lernen, daß das beſte
Mittel, ehrliche, kluge Koͤpfe von der Pfafferei zuruͤck
zu ſcheuchen, darin beſtehe, daß man ihnen die Pfaf-
fenlehren nur erſt verhaßt mache — durch Edikte
nach dieſem oder jenem Zuſchnitt und Namen. Heuch-
ler werden ſchon das Uebrige vollends zernichten. Und
Dumkoͤpfe —? Je nun, ſie muͤſſen auch placirt wer-
den — und finden immer ihres Gleichen – in der Tie-
fe wie in der Hoͤhe. –
wo noch Anverwandte von ihm ſind, die ſeinen Na-
men fuͤhren.
wie ich ihn in Goͤttingen geſehen und ſchon oben
(Th. I. S. 263.) beſchrieben habe; aber freien Zutritt
ſollte ein akademiſcher Lehrer ſeinen Zuhoͤrern immer
geſtatten. Ich hoͤrte einmal einen gewiſſen Herrn
ſich entſchuldigen, daß er mit Studenten gar nicht um-
gehen moͤchte, aus dem Grunde: es koͤnnte ſonſt ſchei-
nen, als wolle er ſich bei den jungen Leuten in Gunſt
ſetzen, damit ſie ſeine Kollegien hoͤren moͤchten; allein
dieſe Ausflucht iſt ſehr unſtatthaft. Es iſt ja bekannt,
daß man — cet [...]ris paribus — mehr Zuhoͤrer er-
wirbt, wenn man ſich in ein gewiſſes Dunkel zu ſte-
cken weiß, woraus man ſich ſelten entfernt, allen
Studenten-Umgang meidet und ihnen nur im Kolle-
gio ſichtbar wird; oder — was wenigſtens in Halle
unfehlbar wirkt — wenn man alles huͤbſch kurz und ſo
lieſet, daß jeder von Wort zu Wort alles nachſchreiben
fuͤr den Herrn Profeſſor und die Herren Studenten
gleich bequem und die beſten Lockvoͤgel. Hieraus er-
giebt ſich aber leider, daß ein feuriger und Vollſtaͤn-
digkeit liebender Mann in Halle nicht auf großen Bei-
fall rechnen darf.
gewoͤhnlich dieſen Nachtheil: da muß erſt die Auflage
vergriffen ſeyn, ehe ein beſſeres Lehrbuch ſtatt finden
koͤnne. Und iſt das Lehrbuch gar ein ſtehender Arti-
kel, — da iſt er allerdings eine res ſac [...]a! — Das
war vor Zeiten auch ſo die Maxime der Jeſuiten-Schu-
len! Ja, irgendwo lieſet ein ſehr anſehnlicher Mann
uͤber ein ſehr unanſehnliches Compendium, blos, um
den Verleger deſſelben — freilich nach dem Sprichworte:
die eine Hand waͤſcht die andere — ſeine ſtarke Auflage
unterbringen zu helfen, wozu ſonſt nach dem Abſter-
ben des Verfaſſers wenig Hoffnung geweſen waͤre. —
Eine merkantiliſche Art von den Hinderniſſen der Auf-
klaͤrung, die man nicht genug zu beachten ſcheint.
beinahe bei allen Theologen. Verſchmuzte Lumpen
erfordern Lauge, um rein zu werden: und Furcht vor
beſchaͤmt oder belacht zu werden, wirkt oft mehr, als
alle Logik.
nicht auch einen Anſtrich von Polemik gehabt haͤtte!
Gedankenſtrichen wird dereinſt geliefert werden.
kommt,“ — ſagt ſogar ein Salzmann — wird
man mir hoffentlich verzeihen Wenn man ſchildern
will, muß man die Sache vorſtellen, wie man ſie fin-
det. Ein netter, reinlicher Anzug, den der Maler um
den Koͤrper eines Bettlers haͤngen wollte, wuͤrde das
Auge des Kenners mehr beleidigen, als ein zerriſſener
Rock.“ — (Krebs-Buͤchlein 3te Auflage S.
XXIV. Vorrede.) — Und nun ein Musketier! —
Variatio delectat.
beſtehen.
ſehr aberglaͤubiſch. Er hat eine Menge Geſpenſter,
glaubt an Hexereien, giebt ſogar Karaktere von den
ſchneidet, befiehlt der Woͤchnerin waͤhrend der Wochen
ja nicht zum Fenſter hinaus zu ſehen, und was der
albernen Poſſen mehr ſind. Ich hab [...]ine Wirthin ge-
habt, welche die Traͤume recht gut erklaͤren und dar-
aus weiſſagen konnte. So giebt es hier Weiber, die
ſich mit Kartenſchlagen ernaͤhren, und jungen mann-
ſuͤchtigen Maͤdchen ihren kuͤnftigen Gatten ſchildern
u. dergl.
fieri potuiſſe, auf das ſemel oder usquam factum
eſſe geſchloſſen wird: ein Weg, auf dem D.Bahrdt
den Theologen zu Leibe ging, und in Ruͤckſicht auf un-
befangene Koͤpfe weit compendioͤſer als – Semler.
welche gern leer Stroh dreſchen, und fuͤrchterlich wich-
tige Unterſuchungen uͤber — Nichts anſtellen. Ich mag
keine neuern Beiſpiele anfuͤhren.
uͤber die goͤttliche Offenbarung und deren Inhalt, und
hernach auch dies Geſpinſt in den Dingen der Welt
allwege finden zu wollen. In factis, ſagte er, findet
ſich die Sache allemal anders, als im Gehirn. Die
loſophen und philoſophiſchen Hiſtoriker dienen zum Bei-
ſpiel. Die Herren machens um kein Haar beſſer, als
Duns Scotus, welcher ſchloß: Quicquid Deus
poteſt facere, quodque cum decet facere, id
et facit. Atqui matrem filii ſui facere immacu-
latam a labe originali etc. Ergo. —
triſten-Almanach, wie auch Kindlebens eignes
Buch: Matthias Lucretius, und den Flori-
do, worin er ſeine Begebenheiten ſelbſt erzaͤhlt.
Cranz, den Herrn Rath und Profeſſor Schiller in
ſeinem Geſchmiere — Fragmenten betitelt.
Saͤchſiſche Kandidaten in ihrem Lande nicht ankommen
konnten.
Man ſehe den ſonſt herzlich magern Roman: unter
dem Titel: Sie ſtudiren!
nennen koͤnne? — Vielleicht loͤſen uns der Herr Profeſ-
ſor Heidenreich nach Dero bekannten Gruͤndlichkeit die-
ſe Frage bald im 2ten Theile ihrer vortreflichen Aeſthe-
tik auf.
liche Liedlein: Gaudeamus igitur, wo es in einer
Strophe heißt:
Das gehoͤrt ſo zum Luſtmachen.
ten verſtehen will, muß die Bedeutung vieler Woͤrter
vorher wiſſen, welche der große Mann damit verband,
ſowol im Lateiniſchen als im Deutſchen: und dahin ge-
hoͤrt auch das Wort Hiſtorie.
tionen von Andern fabriciren: da giebt es expedite
Schreiber, welche in zwei oder drei Tagen ein Ding
aus alten und neuen, in- und auslaͤndiſchen Schrift-
ſtellern, ſogar aus Arabern und Rabbinen. So ein
Ding koſtet zwei, drei Louisd'ors, auch mehr, nach den
Umſtaͤnden Wer eins noͤthig hat, und ſelbſt derglei-
chen nicht fertigen kann, darf ſich nur bei mir mel-
den: ich will ihm ſo einen, oder auch, wenn er die
Auswahl haben will, mehrere Diſſertations-Fabrikan-
ten nachweiſen, die ſie ſchichtweiſe liegen haben.
numeri demonſtrabilis. Deus in rebus omnibus
exiſtit, ſed nulli rei coexiſtit: ipſa rerum poſſibili-
tas a Deo dependet: Deus ſupremam perfectionem
ſ. realitatem non gradu, ſed complexu poſſidet.
Die Saͤtze ſind freilich ſehr dunkel; aber ein Kenner des
Pantheismus ſieht leicht, daß hier eine Schlange im
Graſe liege.
ſoll ciceronianiſch griffeln lernen. Der Titel iſt: Prae-
cepta ſtili bene latini, imprimis ciceroniani.
Kennern muß bei dem Titel ſchon klar werden, daß man
aus dem Buche nicht kann ciceronianiſch ſchreiben lernen,
weil Herr Scheller ſelbſt — nicht ciceronianiſch ſchreibt.
Trenkiſchen Lebensgeſchichte kommt eine merk-
wuͤrdige Stelle uͤber dieſe Bemerkung vor. Die zweite
und dritte Auflage dieſes Werkchens ſoll von Herrn
Bispink ſeyn.
fall, den alten Zopf betreffend. Er ſagte: der alte
Zopf ſey ſchon von ſo manchem ausgekaͤmmt worden,
ſey aber immer der alte Zopf geblieben!
heißt der goͤttliche Spruch.
drigſten Gattung. Er gehoͤrte zum Rathhauſe, und
wurde fuͤr 12 Rthlr. jaͤhrlich vermiethet. Erſt ſeit der
Aufſicht des jetzigen Stadtpraͤſidenten, Herrn von
Barkhauſen, hat dieſe ſkandaloͤſe Wirthſchaft da
aufgehoͤrt.
hat ſo erhabene Begriffe uͤber Ehre und Schande ge-
hegt, daß er bei lichtem Tage die Bordelle in Halle be-
ſucht, und einmal die philoſophiſche Geduld gehabt hat,
ſich von da aus, von Haͤſchern zum Prorector, dem ver-
ſtorbenen Herrn Profeſſor Meyer, fuͤhren und von
dieſem die bitterſten Wahrheiten ſich in Gegenwart
einer vornehmen Tiſchgeſellſchaft — zu mehrerer Ein-
dringlichkeit — ſagen zu laſſen. Einige Augen- und
Ohrenzeugen dieſer Begebenheit leben noch. — ſonder-
bar aber, daß entmaͤrkelte Wolluͤſtlinge, die mit etwas
Kopf viel Freigeiſterei des Herzens verbinden, die
Großen der Erde fuͤr ſo gutmuͤthige Kurzſichtlinge
halten, daß ſie wie tollkuͤhn es wagen, ihnen Rechte
und Vorzuͤge anzuſchmeicheln, auf die jeder ſelbſtſtaͤn-
dige Fuͤrſt aus Ueberzeugung, als auf Uſurpationen
Verzicht thut. Indeß um koͤniglich ſeinen verwachſenen
Luͤſten froͤhnen zu koͤnnen, haben ſchlaue niedertraͤchtige
Seelen Koͤnigen von jeher geſchmeichelt, und Menſchen-
und Voͤlkerrecht als Kleinigkeit behandelt. Kurzſichtige
Theologen haben es mit dem lieben Gott nicht anders
gemacht. Dies ſollte der Herr Licentiat Wittenberg
in Erwaͤgung ziehen, um ſein vortrefliches hiſtoriſch-
politiſches Magazin nicht mit Debatten gegen einen ſo
elenden und niedertraͤchtigen Sudler, als Herr von
S** iſt, zu verſtellen. S**, Hoffmann und Con-
ſorten brandmarken ſich ſelbſt genug, um ſie der Ver-
achtung der Mit- und Nachwelt unbekuͤmmert zu
uͤberlaſſen.
vulgo in der Pfalz geheißen habe, ſo dient zur Ant-
den großen Gigo nannte. Ich war uͤber dieſe
Namen niemals boͤſe, weil ſie eigentlich auf nichts boͤ-
ſes deuteten: es war doch beſſer, ich hieß großer
Gigo, als — Magiſter Weitmaul, Curtius Rufus,
[...]anghals, Gaͤnshals, u. ſ. w.
tional Sitte geworden ſind verderben oft eine ganze
Univerſitaͤt. Nur erſt zu Hauſe den Brodkorb hoͤher
gehaͤngt!
burg und Halle erſcheint woͤchentlich ein Blatt, worin
uͤber neue Weltbegebenheiten ſich unterhalten. Das
Blatt wird wegen ſeiner Wohlfeilheit von der niedri-
gen Volksklaſſe ſtark geleſen. Es koͤnnte recht gut
Kenntniſſe verbreiten helfen, wenn es zweckmaͤßiger
eingerichtet waͤre. Allein ich habe vieles daran aus-
zuſetzen. Neulich ſtand im halliſchen Bauer: Anſpach
und Bayreut ſeyen groͤßer als Schleſien, haͤtten 5 Mil-
lionen Einwohner, und traͤgen 8 Millionen Thaler
ein. Das haͤtte Herr Kolbatzky, der ein Mathema-
tiker ſeyn will, nicht ſchreiben ſollen. — Von den
Schriften des D.Bahrdts hieß es: man haͤtte ſie in
Sachſen verboten, weil ſie die Leute zum Selbſtmord
verleiteten. — Noch auffallender iſt die Pluͤnderung
ſchwulſtiger Stellen aus der Schubartiſchen Chronik.
Hier ein Proͤbchen aus dem 19ten Stuͤcke dieſes Jah-
res 1792. „Europens grauer Weltgeiſt ſchreitet ernſt-
haft auf die Franzoſen los: ihm zur Seite der fuͤrch-
terliche Moloch: — ſchon haben Deutſchlands unge-
heure große und furchtbare Zughaͤuſer (Zeughaͤuſer)
ihre graͤulichen Eingeweide ausgeſpieen, und werden
den franzoͤſiſchen Stockſpielern einen ſcheußlichen An-
blick geben!“ — Das mag doch Styl ſeyn! — Ich
tadle den Bauer nicht ganz, ich wuͤnſche blos, daß
er beſſer eingerichtet werde: mehr faßliche Belehrung
und weniger ſchales Raiſonnement wuͤrde ihn nuͤtzlicher
machen.
ſtentheils des Freitags, weil gerade an dieſem Tage
faſt gar keine andern Gaͤſte herauskommen.
waren, und ſchaͤtze ſie deswegen hoch. Allein bei al-
lem dem wird jeder Sachkundige herzlich gern geſtehen,
leider alle dogmatiſchen Schriften, ſelbſt Herrn Sem-
lers Buͤcher nicht ausgenommen, wie dies der große
Mann gern eingeſtand.
Zu Frankfurt am Main, Mainz, Mannheim und ſonſt-
wo, weiß man ſehr gut zu unterſcheiden zwiſchen Kauf-
mann und Kraͤmer.
rien, welche aber in Halle und Leipzig laͤnger dauern
nige halliſche Profeſſoren kuͤrzen zwar dieſe [...]n da-
durch ab, daß ſie immer noch fortleſen, wenn ſchon
dieſelben angegangen ſind: aber manche Herren machen
im Fruͤhling ſieben, im Herbſt ſechs, auf Pfingſten eine
und auf Weihnachten zwei Wochen Ferien, und das
macht das Jahr uͤber nicht mehr als ſechzehn Wochen
Ferien, und weihet mehr als den vierten Theil des
Jahrs dem Muͤſſiggang: denn die Studenten ſtudieren
in den Ferien beinahe gar nicht, wie ich aus Erfahrung
weiß. Das Curatorium ſollte billig die Ferienzeit be-
ſtimmen, wie ſie in Gießen, wo es doch ſonſt hergeht,
wie es kann, und neuerdings im Oeſtereichiſchen, ziem-
lich enge begraͤnzt iſt – fuͤnf Wochen durchs ganze
Jahr, und mehr nicht. Dies wuͤrde auch das ewige
Wandern der Hallenſer zur Meßzeit nach Leipzig und
das damit verbundene Geldzerſplittern merklich ver-
mindern. Mich wundert, daß patriotiſche Profeſſoren
hierauf noch nicht ernſtlicher gedacht haben.
den koͤnnen, als alt genannt zu werden. Dies wird
man an denen vorzuͤglich bemerken, die von jeher ver-
ſtohlne Koketterie getrieben haben, und dann, wenn
ſie erſt uͤber die Funfzigen hinaus ſind, das durch Putz
oder Geſchenke zu erſchleichen ſuchen, was ſie ſonſt
durch etwas anderes eroberten Eiteler, eiferſuͤchtiger,
aber auch kurzſichtiger und anmaßlicher kann keine ab-
gelebte Theater Prinzeſſin verfahren, als eine funf-
zigjaͤhrige Creatur von der genannten Art. Zu Furien
koͤnnte Pluto nichts paſſender finden als ſie, vorzuͤglich,
wenn ihre Kehle hoͤckerweibermaͤßig abgeſchliffen iſt!
Wehe jedem jungen Weibe, das die Kunſt nicht ver-
ſteht, in ihrer Gegenwart ſich zu verkennen, um ihr den
Vorrang nirgend zu beſtreiten: aber auch wehe dem
Manne, der nicht dazu gemacht iſt, der Eitelkeit eines
ſolchen alten Weibes das aufzuopfern, was ſeine Wuͤrde
ausmacht! — So ſpricht Trublet und hat recht.
ſo miſche dich nicht hinein: es ſetzt Rippenſtoͤße, und
blamirt dich. – NB. Die emigrirten Franzoſen! –
und anderer.
Noch vor einem halben Jahre hoͤrte ich mit Verwun-
derung, wie ein Student, der doch, wie ich weis, woͤ-
chentlich einigemal ſpatzieren ritt oder fuhr, mit dem
Herrn D. Knapp ſo lange kriechend herumkapitulirte,
bis endlich der Herr Doctor, um der Bettelei los zu
werden, das Honorar fuͤr zwei Lehrſtunden erließ. Und
heute, da ich dieſes ſchreibe, bin ich in einer Studen-
ten-Geſellſchaft geweſen, wo folgendes Geſpraͤch zwi-
ſchen einem Fuchs und einem Veteran vorfiel.
Veteran: Welche Collegia willſt du denn hoͤren?
Fuchs: Die Logik und Metaphyſik bei Maaß, die
Exegeſe bei Noͤſſelt, und die Mathematik bei Kluͤgel.
Veteran: Nicht uͤbel gewaͤhlt! Aber wirſt du den
Braſt auch alle bezahlen?
Fuchs: Warum nicht? Ich praͤnumerire.
Veteran: (bißig) Du biſt nicht klug, Herr Bru-
der! Du mußt keinen Heller zahlen, vielweniger praͤ-
numeriren. Fuͤr die zwoͤlf Rthlr. kannſt du dreimal
den Sommer nach Lauchſtaͤdt fahren.
Fuchs: Ja, ſie werden's mir nicht freigeben!
Veteran: Warum denn nicht? Du mußt nur
huͤbſch arm thun — ſagen, du haͤtteſt wenig Wech-
ſel — es waͤren Eurer zu Hauſe Viele — dein Vater
haͤtte eine ſchlechte Beſoldung; oder ſag' gar, du f [...]eſt
ein Waiſe. Darnach mußt du da das Uhrband weg-
thun, und auch eine andere Weſte anziehen, wenn du
gehſt, dich zu melden. Verſtehſt du's?
Fuchs: Ja, wenn das die andern hoͤren, ſo bla-
mir ich mich ja!
Veteran: Was blamiren! Kein Satan nimmt
dir das uͤbel. Da ſind die und die — und die haben
alle huͤbſche Wechſel und prellen die Profeſſoren doch.
Das Geld kann man ſonſt geſcheuter brauchen. Mach
du's nur, wie ich dir's geſagt habe.
Der Fuchs verſprach, dem edlen Rathe ſeines Freun-
des zu folgen: er meldete ſich auf die angerathene Art;
und die Herren Maaß, Noͤſſelt und Kluͤgel wurden —
geprellt.
Freund hier nicht: mein Bruder wuͤrde ſich gewiß an
dem braven Manne zu raͤchen ſuchen, ſo recht nach
ſeiner Art, auf gut pfaffiſch. Unten ein mehreres
hiervon.
Schuldner, welche auf Bezahlung dringen: daher
manichaͤern. Die Sekte der Manichaͤer iſt die
ſchlimſte intoleranteſte Sekte aller Ketzereien — fuͤr
Burſche.
Dieſes fuͤr mich und meine Pſychologie ſo merkwuͤr-
dige Loch war eine Branteweinskneipe auf dem ſoge-
nannten Bechershofe zu Halle am Markte. Man nann-
te dieſe Kneipe gewoͤhnlich die Knochenkammer oder
Sankt Lukas Reſidenz.
zog, war, unter andern mit, wohl eine Folge von
den Schimpfnamen- womit der Herr Student den
Buͤrgerſtand zu bezeichnen pflegt. Buͤrgerlich intole-
rant; iſt dies doch, beim Lichte betrachtet, immer: aber
wer achtet auf Kinderei! Und doch hat ein Minimum
von der Art Kinderei oft Folgen, wie hier. —
weiden.
Buͤrgerstochter, die keinen Mann hat: Kinder mag ſie
gehabt haben, das ſchadet nichts. Mamſell wird jedes
mit friſirtem Kopf einhertretendes Frauenzimmer ohne
Mann genannt: doch faͤngt gegenwaͤrtig der Name
Mamſell auch ſchon an, unfriſirten Haubenſtoͤcken ge-
geben zu werden: daher Mamſell Minchen, Roͤschen,
Nanettchen.
Menſchen, Berlin 1783.
unverheurathete Soldaten bei einem Verheuratheten,
der ihnen Holz, Licht und Bette geben muß, dafuͤr
aber den Koͤnigl. Servis, d. i. die Miethe zieht. Es
ſteht den Verheuratheten frei, ſich nach Gefallen ein-
zumiethen: und da dieſen das Wohlfeilſte das Beßte
iſt, und ſie folglich ſehr ſchlechte Wohnungen miethen;
ſo ergiebt ſich von ſelbſt, daß manche Inkonvenienz bei
dieſen Quartiren vorfaͤllt. In dieſer Abſicht ſollte bil-
lig eine Aenderung getroffen werden. In Magde-
bung iſt die Einquartirung beſſer: der ledige Soldat
liegt da blos beim Buͤrger.
Bedienter, der einheitzen und andere Handdienſte ver-
richten muß, und zugleich Soldat iſt. Dieſer Name
wird aber auch denen aus Spott zugelegt, die bei
den Vorgeſetzten alles Nachtheilige, was ſie von ihren
Cameraden erfahren, anbringen. Daher das Zeitwort
Kal-faktern.
als liſtiges Hinterbringen.
zu gute halten: vor fuͤnf Jahren war es noch ſo, und
ſoll nach dem Berichte glaubwuͤrdiger Zeugen auch noch
jetzt ſo ſeyn. Wenns aber ja nicht mehr ſo iſt, ſo bitte
ich recht ſehr um Vergebung!
Et miſeras juſſo corpore quaerit opes,
ſagt Ovid. Vor acht Jahren hoͤrte ich gar einen Pro-
feſſor ſeinem Bedienten auftragen: daß er ihm ein
Maͤdchen ſchaffen ſollte; aber ja nicht hoͤher als 18
Pf. — Fuͤr dieſes aes parvum, das der geizige Mann
jedoch oͤfters ausgab, hat er endlich ſeine Geſundheit
ruinirt, ſich uͤberall Koͤrbe zubereitet, u. dgl. — Aber
ſo gehts! —
Halle delikater. Ich bitte, meine Zeitpunkte genau
nicht vorzurupfen.
giment woͤchentlich fuͤnfmal auf dem Felde exercirt
wird. Unter Friedrichs II. Regierung dauerte ſie ge-
woͤhnlich zwei Monate: der jetzige Koͤnig hat ſie ab-
gekuͤrzt.
haͤndler, welcher zugleich [...]ſewirth und Pferdever-
leiher iſt, in Gießen zu [...]age aß, hatte ich Gele-
genheit, die Leſebibliothek der Herren Gießer zu be-
ſchauen. Sie beſtand aus lauter Schofelzeug, welches
im Laden liegen geblieben und eingebunden worden
war, um wenigſtens das Lagergeld heraus zu bringen.
Gangbare und gute Artikel waren nicht darunter: wer
ſo was leſen wollte, hieß es, moͤchte ſichs ſelbſt kaufen.
Herr Krieger fuͤhrt keinen gedruckten Katalog von ſei-
ner Bibliothek; vielleicht weil er ſich ſchaͤmt, ſolch fata-
les Zeug zum Leſen aufzuſtellen — wie die Scharte-
kenkraͤmer, Wolf und Schneider, in Halle. Gut waͤr
es immer, wenn auch dieſen beiden ein wenig auf die
Finger geſehn wuͤrde. Es iſt doch aͤrgerlich, Saͤchel-
chen zum Leſen heimlich herum zu tragen, die durch-
aus die unerfahrne Jugend zu Ausſchweifungen ver-
leiten muͤſſen. Ich mag die Schriften nicht nennen,
die von ihnen zum Leſen verborgt werden, und worin
alle Arten von Wolluſt, ſogar die Beſtialitaͤt, in Kup-
fern abgebildet ſind. Ein ſchlechter Menſch kann noch
zuweilen, da er ſich nicht immer gleich bleibt, einen
guten Rath ertheilen, auch ſelbſt oft gut handeln;
aber ein Buch von der angefuͤhrten Art! — Wenn
phyſiſche Giftmiſcher beſtraft werden: warum auch nicht
fuͤr dieſes Jahr, wird Col.722. von Ulm aus gemeldet:
„Wir haben hier auch eine Leſegeſellſchaft, die aus
ſehr vielen Mitgliedern beſteht, und uͤbrigens ſehr gut
angelegt iſt; aber das Auffallende an ſich hat, daß kei-
nem der hieſigen Studierenden der Zutritt verſtattet
iſt. Es mag ſeyn, daß dieſe noch nicht den hoͤchſtmoͤg-
lichen Grad der Cultur erreicht haben; doch ſcheint mir
aber eine ſolche Herabwuͤrdigung alles Emporſtreben zu
unterdruͤcken“ — Ein ſonderbarer Bericht uͤber eine
noch ſonderbarere Einrichtung! Wer erreicht denn wohl,
ſo lange noch Odem in ihm iſt, den hoͤchſtmoͤgli-
chen Grad der Cultur? Und wozu Emporſtreben fuͤr
zum Leſen verleihen duͤrfen, woruͤber kein gedrucktes
Verzeichniß vorlaͤge. Wer kann ſonſt die heimlichen
Buͤcherverleiher kontrolliren, zurechtweiſen, oder ſie,
deren viele ſelbſt eben ſo wenig Geſchmack als Littera-
tur haben, hindern, das zum Sittenverderb anzuſchaf-
fen und herum zu leihen, was ihnen von verdorbenen
und luͤſternen jungen Wuͤſtlingen empfohlen wird?
Und nun die uͤbertriebene Prellerei fuͤr ein ſolches Buch
auf einige Tage! Das Buch zuweilen auf einen Tag
drei Groſchen! — Aber lucri bonus odor qualibet
ex re, iſt bei gewiſſen Leuten das, was Gefuͤhl und Ach-
tung fuͤr gute Sitten und brauchbare Kenntniſſe bei
andern iſt. — Indeß ex ungue leonem! —
Arztes, ſo wie der Hungrige der Speiſen. Vielleicht
iſt aber die Ulmer Leſebibliothek blos ein Zerſtreuungs-
mittel wider die Langeweile: und die ſoll ein Studie-
render freilich nicht haben, ob er gleich auch einer von
denen iſt, die die Veraͤnderung lieben. Eſt modus
in rebus! —
zu ſeiner Zeit — ſo wuͤrden die Paͤpſte uns Heu zu
freſſen verordnet haben. Die politiſchen Paͤpſte wuͤrden
heut zu Tage vielleicht das naͤmliche thun, wenn wir
keine Leſebibliotheken haͤtten. „Aber wir ſind nicht
geboren, ſagte Julius von Tarent, um neben
einander zu graſen; und der Menſch kann ſich mit
einem ſuͤßern Gedanken ſchlafen legen, als daß er ſatt
iſt. „Wer dies naͤher erwaͤgen will, der leſe die Ab-
handlung: — „Ueber das angemeſſenſte und ſicherſte
Mittel, den theologiſchen oder religioͤſen Despotismus
aus der Welt zu ſchaffen“ — und man wird meiner
Meinung ſeyn. Man findet ſie im XII. Heft des
neuen deutſchen Zuſchauers von S. 225-
261. Dieſe Abhandlung ſoll den D.Bahrdt veran-
laßt haben, ſeine Wuͤrdigung der natuͤrlichen
Religion zu ſchreiben. Auch hat er ſie wichtig genug
Obliegenheiten der Regenten und Unter-
thanen — von S. 273-299 aufzunehmen. Man
ſchreibt ſie dem Herrn Bispink zu. Merkwuͤrdig
und hiſtoriſch wahr iſt — beilaͤufig zu ſagen — der
Gedanke darin: „Daß gerade die ſchwaͤchſten Regen-
ten die Religion und die Prieſter am meiſten als eine
Stuͤtze ihrer Regierung gebraucht haben; und daß eine
Nation um deſto unreifer, kurzſichtiger, unmoraliſcher
und aͤrmer ſey, jemehr Kirchenreligion und Prie-
ſter-Anſehn man bei ihr antrift: und umgekehrt.
(Zuſchauer — S. 229.)
taine, verzeihen, wenn ich ſeiner Meynung nicht
bin, daß naͤmlich Romane mehr bilden helfen, als die
Geſchichte. Seine Gedanken daruͤber ſtehen im Iſten
St. des II. B. der Zeitſchrift fuͤr Gattinnen, Muͤtter
und Toͤchter — 1792.
Fehler unſerer modernen Erziehung, von
einer praktiſchen Erzieherin. Herausgegeben vom Ver-
faſſer des Siegfrieds von Lindenberg. Leipzig bei
neumodiſchen Erziehung wird auch hier oberflaͤch-
liche Vielwiſſerei, Duͤnkel und verfruͤhte
Reife angegeben: und dieſe Fehler ſollen ſich immer um
ſo viel deutlicher zeigen, jemehr man bei Behandlung
der Zoͤglinge von den neuern Kinderſchriften und Er-
ziehungsmethoden Gebrauch macht. Wer kann das leug-
nen? Es faͤllt doch gar ſehr auf, daß die allermeiſten
und beliebteſten neuen Kinderſchriften mehr Nahrung
fuͤr Sinne und Einbildungskraft, als fuͤr Verſtand
und Gedaͤchtniß liefern. — Kurz, man leſe dieſe merk-
wuͤrdige Schrift ſelbſt, und merke wohl, daß auch dieſe
[Verfaſſerin] ſagt: „Unſere Paͤdagogen verſuͤndigen ſich,
indem ſie Kindern alles verſinnlichen wollen.“
buches in der akademiſchen Leſebibliothek, Studenten
aus minder cultivirten Gegenden die ſolideſten Leſer im
Durchſchnitt ſind, und die unſolideſten — die aus cul-
tivirtern. Buͤcher von der Art koͤnnten vortrefliche
Dienſte thun, um Data zu Thermometern der Koͤpfe
zu ſammeln, fuͤr Gegenden, wo Nepotismus und an-
dere kleine Nebendinge die Poſten nicht vertheilen.
womit man die kranken Soldaten behandelt. Ich weis
wohl, daß es geſchikte Leute unter den Feldſcheerern,
oder wie ſie jetzt heißen ſollen, Chirurgen giebt: allein
der meiſte Haufen beſteht — ich muß es nur ſagen —
aus armen Suͤndern, welche nicht einmal das A B. C.
der Chirurgie, geſchweige denn der Medicin verſtehen.
Dieſes bekennt ſogar der Generalchirurgus, Herr The-
den. — Und ſolchen Stuͤmpern uͤberlaͤßt man alle,
auch die gefaͤhrlichſten Krankheiten, wenigſtens im An-
fang; und nur dann erſt, wenn die Krankheit ſelbſt
in den Augen des unwiſſenden Feldſcheerers gefaͤhrlich
ſcheint, nimmt ſich der Oberchirurgus des Patien-
ten an.
das, was Eulerkapper fuͤr die Gieſſer Burſche war.
lauf wurde Specht perirt, und mit einer Fenſterkano-
nade begruͤßet. Sonſt war er eben ſo poſſierlich, als
Eulerkapper. Er iſt jetzt todt, und mit ihm iſt der letzte
Gegenſtand des Perirens in Halle verſchwunden.
Monrip lirl, and mil noch on erſch. Wer ſich uͤben
will, bringt es in einigen Wochen in dieſer Sprache,
die nicht blos Steganographie iſt, zu einer großen
Fertigkeit.
theuren Mann Luͤgen vorwerfe, ich Belege dazu habe,
will ich kurz ſagen, daß der genannte Herr von dem be-
ruͤchtigten Schuft, Meiſter Rudolph Groſſinger ſich
hat mit Geld beſtechen laſſen, ſchriftlich zu bezeugen:
1) daß der Roſenorden, von welchem Meiſter Groſſinger
gewaltig viel Rotomontaden machte, wirklich exiſtire.
2) daß er aus den angeſehenſten Damen Deutſchlands
beſtehe, 3) daß eine deutſche Prinzeſſin Großmeiſterin
deſſelben ſey, daß endlich 4) die Frau von Roſenwald
keine erdichtete Perſon ſey, ſondern eine wirkliche Da-
me, die er nach ihrem eigentlichen Namen und Karak-
ter perſoͤnlich kenne. — Dieſes ſchoͤne Zeugniß ſteht ge-
druckt in Groſſings Damenjournal fuͤr den Mai
1785. Groſſings Bedienter, Namens Zeiſing, er-
zaͤhlte die Beſtecherei oͤffentlich. Die Herren Sommer
und Wagner wiſſen auch davon. Heu priſca fides!
wenn man obrigkeitlichen Perſonen auf Namen und
Siegel nicht mehr trauen darf! —
huͤlfe bei Huren- und Pasquillgeſchaͤften. Es iſt ſehr
wahrſcheinlich, daß eben er am hieſigen Soldatengalgen
die ſchaͤndliche Bemerkung geklebt habe: daß der Koͤnig
von England beſſer gethan haben wuͤrde, den Johann
Rheinhold Forſter zum Schweinhirten zu machen, als
weis noch, was fuͤr ein Skandal hieraus entſtanden iſt. —
Und dieſer Kerl, der auch ein Edelmann und vorher
oͤſterreichiſcher Officier geweſen ſeyn wollte, ward end-
lich ſelbſt an Groſſingen zum Verraͤther.
niß zu melden — oder ſo was ſage. Wir Soldaten
nehmens nicht ſo genau.
muͤſſens ja ſo kennen, und Andre geht der Name des
Buches nicht an. Fuͤr die mag die Autoritaͤt des Neu-
ſtaͤdter Kantors genug ſeyn.
Pfaffen, welche ſich vergangen haben, einſperrt. Der
ungluͤckliche Iſenbiehl iſt auch da geſeſſen. Sonſt iſt
ein Gnadenbild der heil. Maria zu Marienborn, das
durch Huͤlfe des Glaubens, der freilich ſehr oft ſelig, —
aber nicht minder auch naͤrriſch macht.
ſamkeit ausleben, wo ſolche Hefte oder Kommentare
mehrere Auflagen erleben koͤnnen, z. B. Hoͤpfners
Kommentar uͤber Heinneccius Inſtitutionen. Man ſehe
auch Bauriedels, des theologiſchen Kandidaten Kom-
mentar uͤber Hellfelds Pandekten, wie auch Herrn
Gluͤcks allmaͤchtigen dickleibigen und doch in den er-
ſten Grundſaͤtzen mangelhaften Kommentar uͤber das
naͤmliche Kompendium.
druckt nennen mag, aͤuſſerte neulich gegen einige Stu-
denten: Herr Eberhard waͤre doch immer weit we-
niger, als er: Er — ſey — — Rath, und Herr
Eberhard nur — Profeſſor! — O uͤber den theoretiſch-
philoſophiſchen Meiſter!
mentar uͤber das Kompendium juris feudalis weiter
nichts iſt, als die Vorleſungen des gelehrten Herrn
Gatzert.
Weiſſe noch vor kurzem begegnet ſey, iſt S. 244 u. f.
zu leſen in Weiſſens Schickſalen und Ver-
folgungen in Deutſchland und Spanien,
von ihm ſelbſt beſchrieben. (1792). „Das Benehmen
„dieſes Mannes, — des Herrn Hofrath und Profeſ-
„ſor Schnanberts — ſagt Herr Weiße – war
„ſo ganz wider alte konventionelle Lebensart, daß ich
„glaubte, nicht vor einem gebildeten Gelehrten und
„oͤffentlichen Beamten, ſondern vor irgend einem ge-
„meinen Manne zu ſtehen, der zwiſchen Er und Sie
„keinen Unterſchied zu machen, und uͤberhaupt von
„feiner Sitte, feiner Lebensart nichts weiß – „„Un-
„„willen empfindet man, wenn Leute, die ſelbſt den
„„Zuſtand der Duͤrftigkeit, die ſelbſt ſo manches Un-
„„angenehme in der Welt erfahren haben, dies alles
„„bei erfolgten gluͤcklichern Umſtaͤnden ſo weit vergeſ-
„„ſen, daß ſie ſogar uͤbermuͤthig in ihrem G [...]e werden.
„„Ich habe durchgehends die Bemerkung beſtaͤtigt ge-
„„funden, daß je hoͤhern Standes, je edlerer Geburt,
„„je feinerer Erziehung und Bildung ein Menſch iſt,
„„er auch um ſo viel hoͤflicher iſt, und ſelbſt dem
„„geringſten Menſchen die ihm zukommende Ach-
„„tung beweiſet: dahingegen ein Menſch von niedri-
„„ger Herkunft, von ſchlechter Erziehung und Bil-
„„dung gemeiniglich dieſes Gepraͤge behaͤlt, auch —
„„wenn – er – zu hoͤchſten – Wuͤrde gelangt iſt““
Und daher die vielen Hoͤckermaͤnner troz ihres Amtes
und Reichthums und die vielen Hoͤckerweiber troz ihrer
behuͤte uns alle vor dieſen Drachen der buͤrgerlichen
Geſellſchaft!
noch elender als das Gießer und Marburger Bier.
mehreres in Ruͤckſicht auf mich zu leſen war.
Schlucker zur Magiſterwuͤrde gelangt ſey, ſteht im II.
Band der Bahrdtiſchen Lebensgeſchichte.
Hamburg ſeine Spiegelfechtereien u. dgl. gelegt.
eine Schrift edirt, die manche intereſſante Bemerkun-
gen uͤber einige Gegenden Deutſchlands, die Schweiz
und Spanien enthaͤlt, auch etwas uͤber die Gießer
und Jenaer Univerſitaͤt. Sie heißt, wie wir ſchon
wiſſen: Weiſſens Schickſale und Verfol-
gungen. — Vergleicht man dieſe Schrift mit jener:
Weiſſens (ſonſt Albus genannt) Uebertritt
zur katholiſchen Kirche [...] ſo ſoll, wie ich von
Herrn Bispink gehoͤrt habe, Herr Weiſſe in die
Alternative gerathen: entweder vor Zeiten oder jetzt
hintergangen zu ſeyn, oder ſelbſt hintergangen zu ha-
ben. Das erſtere waͤre kurzſichtig; das andere nicht
brav. Ich muß die Gruͤnde fuͤr dieſe Behauptung hier
dahin geſtellt ſeyn laſſen, und will nur noch bemerken:
daß Herr Weiſſe vorgiebt, zu Barcelona zum Doctor
der Philoſophie — nicht zum Magiſter — promovirt
worden zu ſeyn. Hier moͤcht' ich beinahe ausrufen:
credat judaeus apella! Es iſt naͤmlich bekannt, daß
viel, als ein fettes Schwein.
in Spanien, der Promotions-Eid auch das Bekaͤnnt-
niß der unbefleckten Empfaͤngniß Mariaͤ einſchließt.
Hierauf ſchwoͤrt kein Proteſtant; und um dieſer bis
zum Tode bleiben zu koͤnnen, will Herr Weiße im In-
quiſitions-Gefaͤngniß zu Barcelona geſeſſen haben, —
ob er gleich auch, nach der andern Schrift, ſchon in
Prag katholiſch geworden ſeyn will. — Wie reimt ſich
das! Ein Diplom uͤber ſeinen Barcelonaiſchen Doctor
hat er auch nicht. Oder ſollte man bei Promotions-
faͤllen nachgiebiger ſeyn in Barcelona, als in Mainz,
wo man eben wegen des Promotions-Eides, meinen
Vetter, einen Mediciner, zuruͤckwies, wie ich im I.
B. erzaͤhlt habe? — Schwindelei iſt doch nirgend gut!
ein betraͤchtlicher Nahrungszweig in der Pfalz gewor-
den, und iſt es noch. Die Hollaͤnder kaufen den Klee-
ſaamen fleißig auf. Man ſagt, er wuͤrde zur Verfer [...]-
gung gewiſſer Farben gebraucht.
tini ſermonis libri quatuor. Ein im feinſten Latein
geſchriebenes, und dem beruͤhmten Meurſius zuge-
ſchriebenes Zotenbuch.
Angſt; ich aber gehe meinem Tod unbekuͤmmert entge-
gen,“ — verſezte Vanini, als auf der Hinfuͤhrung
zum Scheiterhaufen einer von den Inquiſitoren ihm
Pfaffen haben den Koͤnig — JakobII — zu Grun-
de gerichtet. — Beſſer iſt es, ſich an die irdiſche, als
himmliſche Sternſeherei zu halten: und ſo — bleibt es
wahr: Froͤmmelei und Pfaffen fuͤhren alle
diejenigen, die ſich von ihnen beherr-
ſchen laſſen, unvermeidlich ins Elend.“ —
Dies ſchrieb die endlich ſelbſt gewitzigte Koͤnigin, Chri-
ſtine von Schweden an Olivekrans uͤber die
Thronrevolution in England. Man leſe die Mémoires
concernant Chriſtine, Reine de Suede. T. II.
pag. 295. und 297. — Eben ſo bedaurte Friedrich
der Groſſe jedes Land, deſſen Regent ein Freund
der Pfaffen und der Pfafferei ſey.
dieſem zu ſpiegeln.
richten aus Muͤnchen, ein dortiger Hof-Jeſuit die
Wiedereinfuͤhrung des Jeſuiten-Ordens ſchon an fuͤnf
Hoͤfen, beſonders an einem maͤchtigen Proteſtanti-
ſchen zur Sprache gebracht hat, um — wer ſollte es den-
ken! — Revolutionen auf eine bequemere Art vorzubeu-
gen. Aber — ab inſidiis Diaboli — libera nos Domine!
heißt es in der Allerheiligen-Litanei der Katholiken.
die ein ſolcher Schuft verdient; daher wird man mir
meine derbe Sprache in Abſicht ſolcher Menſchenſchin-
[...] gute halten.
eine Religion, welche die Seele mehr aufheitern kann,
als der Pantheismus. Das iſt ſo meine Meinung.
Zenos Philoſophie konnte Helden hervorbringen, die
ſich mitten im Ungluͤck noch gluͤcklich fuͤhlten: aber wel-
che Maͤnner ſollte Spinoſas Lehre bilden, wenn ſie
gemeinnuͤtziger gemacht wuͤrde, und wenn das Volk
der Pfaffen und der Afterphi [...]oſophen dieſe trefliche Lehre
nicht mit dem Unnamen Atheiſterei gebrandmarkt
— und obendrein verdreht haͤtte? Man ſehe nur, wie
Brucker, der große Brucker! und ſelbſt der tolerante
Bayle die Lehre des Spinoſa verhunzt haben!
Von andern Wichten, die aus dieſen Werken abſchrie-
ben, ohne die Quellen ſelbſt zu Rathe zu ziehen, mag
ich nichts ſagen. Spinoſas Lehre zeigt Realitaͤten
fuͤr die Zukunft: die andern — nur Ideen. Man leſe:
Gott! — Einige Geſpraͤche von Herder. Go-
tha 1787.
logiſch nachgedacht, muß der Erfolg es lehren: ob die
Feldherren in dem Heerzuge gegen die Neufranken,
durch militaͤriſche Diſciplin und Politik, es werden da-
hin bringen koͤnnen, daß der Katholik und der Prote-
ſtant, der Oeſtreicher und der Preuſſe, ihre innere ſich
entgegenarbeitende Seelen-Maſchinerie — durch Reli-
gion und manch bitteres Andenken aus dem ſiebenjaͤh-
rigen Kriege geſchaͤrft — ſo baͤndigen, daß beide mit
als der Subalternen, ohne Eiferſucht und ohne Falſch,
auf Einen gemeinſchaftlichen Punkt hinarbeiten. Selt-
ſam komplicirt iſt die Kraft, Maſſe und deren Richtung
hier allerdings; und faͤhrt Freund Zufall, von Seiten
der Franzoſen ſelbſt keinen Alexander herbei, ſo
koͤnnte der jetzt geſchlungene Knoten weit ſchwerer zu
loͤſen ſeyn, als vorzeiten der Gordiſche.
lin. Ja, meine Herren, das iſt fuͤr mich und meines
gleichen etwas Wichtiges!
nichts Unreines ins Himmelreich hineingeht!
welches blos dadurch, daß ſie viel las, und das Gele-
ſene behielt und bei Gelegenheit wieder herſagen konn-
te, einen recht braven Studenten ſo einnahm, daß er
einige Jahre hernach, nachdem er ein Amt bekommen
hatte, kam, ſie abholte und heurathete. Es iſt doch
wahrlich eine huͤbſche Sache ums Buͤcherleſen!
ſchimpfliche Namen giebt. Das ſoll noch von einigem
guten moraliſchen Gefuͤhl des Publikums zeugen. Und
wer das bedenkt, der wird bei den Namen, blutiger
Finger, rothes Laͤppchen, ſchwarze Schuͤr-
ze, allemal huͤbſche Reflexionen machen koͤnnen. Es
ſoll hingegen eine große Verdorbenheit der Sitten an-
zeigen, wenn man dergleichen obſcure Sachen mit
feinen Namen belegt, wenn man z. B. eine Hure ein
Freudenmaͤdchen nennt: warum nicht ſchlechtweg ge-
ſagt Hure, Hurenhaus? Wer dieſe Woͤrter nicht hoͤren
kann, verraͤtht, daß er ein ſyſtematiſcher Wolluͤſtling
iſt. Doch ſolche Benennungen ſollen den Kindermord
befoͤrdern helfen. –
ches beſcheide ich mich hier, wie uͤberall gern, um uͤber
das Ruͤgen des theologiſchen Unſinns nicht ſelbſt in den
philoſophiſchen zu verfallen, oder gar in Intoleranz,
und erſuche daher jeden meiner cordaten Leſer, hier ja
das dagegen zu leſen, was der warme, edle Menſchen-
freund, der helle Herr von Rochow in ſeinen Be-
richtigungen S. 209. uͤber die Bibel geſagt hat.
Wie ſehr Er recht habe, beweiſet ſelbſt der Lehrvor-
trag und der Religionsproceß des Herrn Paſtors
Schulz zu Gielsdorf.
lich der Fall: warum denn auch nicht uͤberall, wenn
man uͤberall nur Prediger haͤtte, wie — Schulz?
Man ſieht aber den Wald vor lauter Baͤumen nicht!
ſo will ich ſie hier auf ein Buch aufmerkſam machen,
das uͤber die vorliegende Sache ſo ausfuͤhrlich, ſo gruͤnd-
lich und ſo unpartheiiſch handelt, wie es bis jezt ge-
wiß von wenig Theologen, und Philoſophen ge-
ſchehen iſt. Es heißt: Kritiſche Theorie der
Offenbarung, nebſt Pruͤfung der Schrift:
Chriſtus und die Vernunft. 1792. Ich will
alles verwettet haben, wenn es jemanden gereuen
wird, dieſe Theorie geleſen zu haben, gleichviel ob er
orthodox oder heterodox iſt, — vorausgeſezt, daß er
nur Kopf und Herz fuͤr Wahrheit hat. Der Name des
Verfaſſers wuͤrde auch ſchon dafuͤr buͤrgen, wenn ge-
wiſſe Zeit-Aſpekten es nicht noͤthig gemacht haͤtten,
ihn zu verſchweigen, um eine wichtige Angelegenheit
mit deſto groͤßerer Freimuͤthigkeit von jeder Seite un-
terſuchen und wuͤrdigen zu koͤnnen. Daß die wichtig-
ſten Schriften der neuern Zeit uͤber dieſen Gegenſtand
mit zur Pruͤfung gezogen ſind, zeigt der dreißigſte
Paragraph.
Rochow, heißen, nach dem Sprachgebrauch, ſolche
Zwiſten, die uͤber das Unbegreifliche entſtehen,
und wobei die Ehre Gottes ins Spiel gezogen wird,
um den Diſſidenten der Gotteslaͤſterung beſchuldigen,
ihn ſeines Amtes entſetzen, verdammen, und, wenn
die Macht da iſt, auch wohl verbrennen zu koͤnnen.“ –
Ueber Religions-Syſtem in den Berichtigun-
gen S. 69 u. f. – Im klaͤglichen Koͤnig heißt
es S. 33:
– – – Die Chriſtus-Religion
Liegt in den lezten Zuͤgen ſchon,
Stirbt an der Theologie!
geknetet, zu laͤnglichen Stuͤcken geformt und in bloßem
Waſſer geſotten. Das ſind Schleſiſche Knoͤtel, welche
noch obendrein ohne Schmelze gegeſſen werden.
ben dem Adel in der Pfalz bald durch feine Kunſtgriffe,
bald aber durch offenbare Gewalt beinahe alles Anſehn
genommen, ſo daß in der Kurpfalz kein Menſch mehr
der Deſpotie des Edelmanns unterworfen iſt: und ſo
waͤre doch noch etwas Gutes in der Pfalz!
ſichten vom Niederrhein: daß der Holzmangel
die Voͤlker dereinſt wieder noͤthigen werde, auszuwan-
dern: meynt aber, zum Troſt aller armen Suͤnder auf
dem Thron, daß es wohl noch tauſend Jahre waͤhren
koͤnnte.
Wer glich auf Deutſchlands Fluren Dir!
es eine Offenbarung gebe, dieſe nur eine moraliſche
Abſicht haben koͤnne, und daß jede vorgebliche Offenba-
rung, die etwas anders als blos Befoͤrderung
der Moralitaͤt zur Abſicht hat, gewiß nicht von
Gott iſt Daher ſeine ausgedehnte Toleranz fuͤr Kirchen-
Syſteme: daher ſeine Maxime: In meinem Lande kann
jeder glauben was er will u. dgl. Und daß er hierbei
ſehr richtig verfuhr, erhellt aus der Abſicht jeder Reli-
gion, die ihren Grund in der Offenbarung haben will.
„Die Endabſicht aller Offenbarung,“ ſchreibt der Ver-
faſſer der vorhingenannten kritiſchen Theorie der
Offenbarung — S. 54, „iſt die Befoͤrderung der
„reinen Moralitaͤt: Moralitaͤt aber iſt ganz allein durch
„Freiheit moͤglich, und durch keine Art von Gewalt,
„ſelbſt durch die Gewalt der Allmacht nicht. — Dem-
„nach ſind alle gewaltſamen Mittel zur Befoͤrderung
„der Moralitaͤt an und fuͤr ſich ungereimt. Da nun
„Gott zur Erreichung ſeiner Abſichten keine an ſich
„ungereimten Mittel kann gebrauchen wollen, ſo iſt
„jede Offenbarung, die ſich gewaltſamer Mittel
„auf irgend eine Art bedient, gewiß nicht von
„Gott. — Wenn alſo eine vorgeblich geoffenbarte
„Religion ſich durch Feuer und Schwert verbreitet
„ſich durch angezuͤndete Scheiterhaufen behauptet, und
„durch irgend eine Gewalt ſich ankuͤndigt oder auf-
„dringt, ſo iſt der ohnfehlbar getaͤuſcht, der ſie fuͤr
„goͤttlich haͤlt, und das, qui nolunt intrare in ec-
„cleſiam, fuſtibus coge, heißt die Religion ſelbſt fuͤr
„ungoͤttlich erklaͤren.
ſer Biographie S 105.
außer ihrer allerhoͤchſten Unvollſtaͤndigkeit, indem ſie die
guten Schriften unſrer Zeit gar nicht haben, noch mit
den ſchaͤdlichſten poͤbelhafteſten Fratzen angefaͤllt ſind.
Da findet man, wie ich ſchon einmal erwaͤhnt habe,
die abſcheulichſten Produkte unſrer unmoraliſchen faden
Skribaxen in Menge. Der unbeſonnene leichtſinnige
Leſer greift freilich am erſten nach ſolchem Sauzeug,
leidet aber großen Schaden fuͤr jetzt und fuͤr die Zukunft.
Ich ſpreche aus Erfahrung.
hoͤriges Silbenmaaß behalten ſoll. Dies hat der Leip-
ziger und Carlsruher Herr Corrector an dem Motto zu
Wielands Diogenes von Sinope uͤberſehen.
Da heißt es:
Inſani ſapiens, aequus ferat nomen iniqui.
Ueberhaupt bedaure ich, daß Bahrdt zu fruͤh verſtor-
ben iſt, um ſein Vorhaben, nach Art ſeines Kirchen-
und Ketzer-Almanachs auch einen Buchhaͤndler- und
Buchdrucker Almanach zu ſchreiben, auszufuͤhren. Da
wuͤrde mancher arme Suͤnder von den Handlangern der
Litteratur in ſeiner Bloͤße erſchienen ſeyn, vorzuͤglich
von Seiten der elenden Buchdrucker-Herren. Einige
derſelben ſind ſo gelehrt, wie mancher Schneidergeſelle,
und rechnen um ihre Siebenſachen nur ſo halbweg zu
machen, auf arme Gelehrte. Dieſe werden aber ſo
aͤrmlich, und ſo dummſtolz von ihnen behandelt, daß
es kein Wunder iſt, wenn jene ihre Correcturen u. dgl.
nicht beſſer liefern, als dieſe ihren Druck liefern. Hier-
uͤber zu ſeiner Zeit ein Mehreres mit Belegen.
jener abſcheulichen Bartholomaͤusnacht ermordet wor-
den war, ſchleppten die Studenten ſeinen Koͤrper her-
um [...] und trieben ihr Geſpoͤtte mit ihm. Der Leichnam
des großen Ramus von ſtudierenden Beſtien verun-
ehrt! Pfuy! Man leſe den de Thou.
richt zum I. Theil ſeiner kleinern proſaiſchen Schrif-
ten – iſt es der innere Gehalt einer Schrift, der den
Leſer feſſelt; zuweilen gewinnt ſie ihn bloß durch ka-
rakteriſtiſche Zuͤge, in denen ſich die Individualitaͤt ih-
res Urhebers offenbart.“ – Ein Schiller bin ich
nun freilich nicht!
- Lizenz
-
CC-BY-4.0
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- Zitationsvorschlag für diese Edition
- TextGrid Repository (2025). Laukhard, Friedrich Christian. F. C. Laukhards Leben und Schicksale. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq8x.0