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FRÜHLINGS
ERWACHEN

Eine Kindertragödie


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ZÜRICH.:
VERLAG VON JEAN GROSS.

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Nach einem Porträt von K. Juncker.


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Frühlings Erwachen.

Eine Kindertragödie.

Zürich.:
Verlag von Jean Groß.

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Dem vermummten Herrn
der Verfaſſer.


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Erſter Act.


Erſte Scene.


Wohnzimmer.

Wendla.

Warum haſt du mir das Kleid ſo lang gemacht,
Mutter?


Frau Bergmann.

Du wirſt vierzehn Jahr heute!


Wendla.

Hätt' ich gewußt, daß du mir das Kleid ſo lang
machen werdeſt, ich wäre lieber nicht vierzehn geworden.


Frau Bergmann.

Das Kleid iſt nicht zu lang, Wendla.
Was willſt du denn! Kann ich dafür, daß mein Kind mit jedem
Frühjahr wieder zwei Zoll größer iſt. Du darfſt doch als aus-
gewachſenes Mädchen nicht in Prinzeßkleidchen einhergehen.


Wendla.

Jedenfalls ſteht mir mein Prinzeßkleidchen beſſer
als dieſe Nachtſchlumpe. — Laß' mich's noch einmal tragen,
Mutter! Nur noch den Sommer lang. Ob ich nun vierzehn
zähle oder fünfzehn, dies Bußgewand wird mir immer noch recht
ſein. — Heben wir's auf bis zu meinem nächſten Geburtstag;
jetzt würd' ich doch nur die Litze heruntertreten.


Frau Bergmann.

Ich weiß nicht, was ich ſagen ſoll.
Ich würde dich ja gerne ſo behalten, Kind, wie du gerade biſt.
Andere Mädchen ſind ſtakig und plump in deinem Alter. Du
Wedekind, Frühlings-Erwachen. 1
[2] biſt das Gegentheil. — Wer weiß wie du ſein wirſt, wenn ſich
die Andern entwickelt haben.


Wendla.

Wer weiß — vielleicht werde ich nicht mehr ſein.


Frau Bergmann.

Kind, Kind, wie kommſt du auf die
Gedanken!


Wendla.

Nicht, liebe Mutter; nicht traurig ſein!


Frau Bergmann
(ſie küſſend).

Mein einziges Herzblatt!


Wendla.

Sie kommen mir ſo des Abends, wenn ich nicht
einſchlafe. Mir iſt gar nicht traurig, und ich weiß, daß ich dann
um ſo beſſer ſchlafe. — Iſt es ſündhaft, Mutter, über derlei zu
ſinnen?


Frau Bergmann.

— Geh' denn und häng' das Bußgewand
in den Schrank! Zieh' in Gottes Namen dein Prinzeßkleidchen
wieder an! — Ich werde dir gelegentlich eine Handbreit Volants
unten anſetzen.


Wendla
(das Kleid in den Schrank hängend).

Nein, da möcht'
ich ſchon lieber gleich vollends zwanzig ſein …!


Frau Bergmann.

Wenn du nur nicht zu kalt haſt! —
Das Kleidchen war dir ja ſeinerzeit reichlich lang; aber …


Wendla.

Jetzt, wo der Sommer kommt? — O Mutter,
in den Kniekehlen bekommt man auch als Kind keine Diphteritis!
Wer wird ſo kleinmüthig ſein. In meinen Jahren friert man
noch nicht — am wenigſten an die Beine. Wär's etwa beſſer,
wenn ich zu heiß hätte, Mutter? — Dank' es dem lieben Gott,
wenn ſich dein Herzblatt nicht eines Morgens die Aermel wegſtutzt
und dir ſo zwiſchen Licht Abends ohne Schuhe und Strümpfe
entgegentritt! — Wenn ich mein Bußgewand trage, kleide ich mich
darunter wie eine Elfenkönigin. ... Nicht ſchelten, Mütterchen!
Es ſieht's dann ja niemand mehr.


[3]

Zweite Scene.


Sonntag Abend.

Melchior.

Das iſt mir zu langweilig. Ich mache nicht
mehr mit.


Otto.

Dann können wir Andern nur auch aufhören! —
Haſt du die Arbeiten, Melchior?


Melchior.

Spielt ihr nur weiter!


Moritz.

Wohin gehſt du?


Melchior.

Spazieren.


Georg.

Es wird ja dunkel!


Robert.

Haſt du die Arbeiten ſchon?


Melchior.

Warum ſoll ich denn nicht im Dunkeln ſpa-
zieren gehn!


Ernſt.

Centralamerika! — Ludwig der Fünfzehnte! —
Sechzig Verſe Homer! — Sieben Gleichungen!


Melchior.

Verdammte Arbeiten!


Georg.

Wenn nur wenigſtens der lateiniſche Aufſatz nicht
auf [morgen] wäre!


Moritz.

An nichts kann man denken, ohne daß Einem
Arbeiten dazwiſchen kommen!


Otto.

Ich gehe nach Hauſe.


Georg.

Ich auch, Arbeiten machen.


Ernſt.

Ich auch, ich auch.


Robert.

Gute Nacht, Melchior.


Melchior.

Schlaft wohl!


(Alle entfernen ſich bis auf Moritz und Melchior.)

[Melchior].

Möchte doch wiſſen, wozu wir eigentlich auf
der Welt ſind!


1*
[4]
Moritz.

Lieber wollt' ich ein Droſchkengaul ſein um der
Schule willen! — Wozu gehen wir in die Schule? — Wir gehen
in die [Schule], damit man uns examiniren kann! — Und wozu
examinirt man uns? — Damit wir durchfallen. — Sieben müſſen
ja durchfallen, ſchon weil das Klaſſenzimmer oben nur ſechzig
faßt. — Mir iſt ſo eigenthümlich ſeit Weihnachten … hol'
mich der Teufel, wäre Papa nicht, heut' noch ſchnürt' ich mein
Bündel und ginge nach Altona!


Melchior.

Reden wir von etwas anderem. —

(Sie gehen
ſpazieren.)

Moritz.

Siehſt du die ſchwarze Katze dort mit dem empor-
gereckten Schweif?


Melchior.

Glaubſt du an Vorbedeutungen?


Moritz.

Ich weiß nicht recht. — — Sie kam von drüben
her. Es hat nichts zu ſagen.


Melchior.

Ich glaube das iſt eine Charybdis, in die
Jeder ſtürzt, der ſich aus der Scylla religiöſen Irrwahns empor-
gerungen. — — Laß uns hier unter der Buche Platz nehmen.
Der Thauwind fegt über die Berge. Jetzt möchte ich droben im
Wald eine junge Dryade ſein, die ſich die ganze lange Nacht in
den höchſten Wipfeln wiegen und ſchaukeln läßt. ...


Moritz.

Knöpf' dir die Weſte auf, Melchior!


Melchior.

Ha — wie das Einem die Kleider bläht!


Moritz.

Es wird weiß Gott ſo ſtockfinſter, daß man die
Hand nicht vor den Augen ſieht. Wo biſt du eigentlich? — —
Glaubſt du nicht auch, Melchior, daß das Schamgefühl im Menſchen
nur ein Product ſeiner Erziehung iſt?


Melchior.

Darüber habe ich erſt vorgeſtern noch nach-
gedacht. Es ſcheint mir immerhin tief eingewurzelt in der menſch-
lichen Natur. Denke dir, du ſollteſt dich vollſtändig entkleiden
vor deinem beſten Freund. Du wirſt es nicht thun, wenn er es
[5] nicht zugleich auch thut. — Es iſt eben auch mehr oder weniger
Modeſache.


Moritz.

Ich habe mir ſchon gedacht, wenn ich Kinder
habe, Knaben und Mädchen, ſo laſſe ich ſie von früh auf im
nämlichen Gemach, wenn möglich auf ein und demſelben Lager,
zuſammenſchlafen, laſſe ſie Morgens und Abends beim An- und
Auskleiden einander behülflich ſein und in der heißen Jahreszeit,
die Knaben ſowohl wie die Mädchen, tagsüber nichts als eine
kurze, mit einem Lederriemen gegürtete Tunica aus weißem Wollſtoff
tragen. — Mir iſt, ſie müßten, wenn ſie ſo heranwachſen, ſpäter
ruhiger ſein, als wir es in der Regel ſind.


Melchior.

Das glaube ich entſchieden, Moritz! — Die
Frage iſt nur, wenn die Mädchen Kinder bekommen, was dann?


Moritz.

Wie ſo Kinder bekommen?


Melchior.

Ich glaube in dieſer Hinſicht nämlich an einen
gewiſſen Inſtinkt. Ich glaube, wenn man einen Kater zum Beiſpiel
mit einer Katze von Jugend auf zuſammenſperrt und Beide von
jedem Verkehr mit der Außenwelt fernhält, d. h. ſie ganz nur
ihren eigenen Trieben überläßt — daß die Katze früher oder
ſpäter doch einmal trächtig wird, obgleich ſie ſowohl wie der
Kater niemand hatten, deſſen Beiſpiel ihnen hätte die Augen
öffnen können.


Moritz.

Bei Thieren muß ſich das ja ſchließlich von
ſelbſt ergeben.


Melchior.

Bei Menſchen glaube ich erſt recht! Ich
bitte dich, Moritz, wenn deine Knaben mit den Mädchen auf ein
und demſelben Lager ſchlafen und es kommen ihnen nun unver-
ſehens die erſten männlichen Regungen — ich möchte mit jedermann
eine Wette eingehen. ...


Moritz.

Darin magſt du ja Recht haben. — Aber
immerhin …


[6]
Melchior.

Und bei deinen Mädchen wäre es im entſprechenden
Alter vollkommen das nämliche! Nicht daß das Mädchen
gerade … man kann das ja freilich ſo genau nicht beurtheilen …
jedenfalls wäre vorauszuſetzen ...... und die Neugierde würde
das Ihrige zu thun auch nicht verabſäumen!


Moritz.

Eine Frage beiläufig —


Melchior.

Nun?


Moritz.

Aber du antworteſt?


Melchior.

Natürlich!


Moritz.

Wahr!


Melchior.

Meine Hand darauf. — — Nun Moritz?


Moritz.

Haſt du den Aufſatz ſchon??


Melchior.

So ſprich doch friſch von der Leber weg! —
Hier hört und ſieht uns ja niemand.


Moritz.

Selbſtverſtändlich müßten meine Kinder nämlich
tagsüber arbeiten, in Hof und Garten, oder ſich durch Spiele
zerſtreuen, die mit körperlicher Anſtrengung verbunden ſind. Sie
müßten reiten, turnen, klettern und vor allen Dingen Nachts nicht
ſo weich ſchlafen wie wir. Wir ſind ſchrecklich verweichlicht. —
Ich glaube, man träumt gar nicht, wenn man hart ſchläft.


Melchior.

Ich ſchlafe von jetzt bis nach der Weinleſe
überhaupt nur in meiner Hängematte. Ich habe mein Bett hinter
den Ofen geſtellt. Es iſt zum Zuſammenklappen. — Vergangenen
Winter träumte mir einmal, ich hätte unſern Lolo ſo lange ge-
peitſcht, bis er kein Glied mehr rührte. Das war das grauen-
hafteſte, was ich je geträumt habe. — Was ſiehſt du mich ſo
ſonderbar an?


Moritz.

Haſt du ſie ſchon empfunden?


Melchior.

Was?


Moritz.

Wie ſagteſt du?


[7]
Melchior.

Männliche Regungen?


Moritz.

M—hm.


Melchior.

— Allerdings!


Moritz.

Ich auch. — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — — — —


Melchior.

Ich kenne das nämlich ſchon lange! — ſchon
bald ein Jahr.


Moritz.

Ich war wie vom Blitz gerührt.


Melchior.

Du hatteſt geträumt?


Moritz.

Aber nur ganz kurz ....... von Beinen im
himmelblauem Tricot, die über das Katheder ſteigen — um auf-
richtig zu ſein, ich dachte, ſie wollten hinüber. — Ich habe ſie
nur flüchtig geſehen.


Melchior.

Georg Zirſchnitz träumte von ſeiner Mutter.


Moritz.

Hat er dir das erzählt?


Melchior.

Draußen am Galgenſteg!


Moritz.

Wenn du wüßteſt, was ich ausgeſtanden ſeit
jener Nacht!


Melchior.

Gewiſſensbiſſe?


Moritz.

Gewiſſensbiſſe?? — — — Todesangſt!


Melchior.

Herrgott …


Moritz.

Ich hielt mich für unheilbar. Ich glaubte, ich
litte an einem inneren Schaden. — Schließlich wurde ich nur
dadurch wieder ruhiger, daß ich meine Lebenserinnerungen auf-
zuzeichnen begann. Ja ja, lieber Melchior, die letzten drei Wochen
waren mein Gethſemane.


Melchior.

Ich war ſeinerzeit mehr oder weniger darauf
gefaßt geweſen. Ich ſchämte mich ein wenig. — Das war aber
auch alles.


[8]
Moritz.

Und dabei biſt du noch faſt um ein ganzes Jahr
jünger als ich!


Melchior.

Darüber, Moritz, würd' ich mir keine Ge-
danken machen. All' meinen Erfahrungen nach beſteht für das
erſte Auftauchen der Phantome keine beſtimmte Altersſtufe. Kennſt
du den großen Lämmermeier mit dem ſtrohgelben Haar und der
Adlernaſe? Drei Jahre iſt der älter als ich. Hänschen Rilow
ſagt, der träume noch bis heute von nichts als Sandtorten und
Aprikoſengėlėe.


Moritz.

Ich bitte dich, wie kann Hänschen Rilow dar-
über urtheilen.


Melchior.

Er hat ihn gefragt.


Moritz.

Er hat ihn gefragt? — Ich hätte mich nicht
getraut, jemanden zu fragen.


Melchior.

Du haſt mich doch auch gefragt.


Moritz.

Weiß Gott ja! — Möglicherweiſe hatte Hänschen
auch ſchon ſein Teſtament gemacht. — Wahrlich ein ſonderbares
Spiel, das man mit uns treibt. Und dafür ſollen wir uns dankbar
erweiſen! Ich erinnere mich nicht, je eine Sehnſucht nach dieſer
Art Aufregungen verſpürt zu haben. Warum hat man mich nicht
ſchlafen laſſen, bis alles wieder ſtill geweſen wäre. Meine lieben
Eltern hätten hundert beſſere Kinder haben können. So bin ich
nun hergekommen, ich weiß nicht wie, und ſoll mich dafür ver-
antworten, daß ich nicht weggeblieben bin. — Haſt du nicht auch
ſchon darüber nachgedacht, Melchior, auf welche Art und Weiſe
wir eigentlich in den Strudel hineingerathen?


Melchior.

Du weißt das alſo noch nicht, Moritz?


Moritz.

Wie ſollt' ich es wiſſen? — Ich ſehe, wie die
Hühner Eier legen, und höre, daß mich Mama unter dem Herzen
getragen haben will. Aber genügt denn das? — Ich erinnere
[9] mich auch, als fünfjähriges Kind ſchon befangen worden zu ſein,
wenn einer die decolletirte Coeurdame aufſchlug. Dieſes Gefühl
hat ſich verloren. Indeſſen kann ich heute kaum mehr mit irgend
einem Mädchen ſprechen, ohne etwas Verabſcheuenswürdiges dabei
zu denken, und — ich ſchwöre dir, Melchior — ich weiß nicht was.


Melchior.

Ich ſage dir alles. — Ich habe es theils aus
Büchern, theils aus Illuſtrationen, theils aus Beobachtungen in
der Natur. Du wirſt überraſcht ſein; ich wurde ſeinerzeit Atheiſt.
Ich habe es auch Georg Zirſchnitz geſagt! Georg Zirſchnitz wollte
es Hänschen Rilow ſagen, aber Hänschen Rilow hatte als Kind
ſchon alles von ſeiner Gouvernante erfahren.


Moritz.

Ich habe den Kleinen Meyer von A bis Z
durchgenommen. Worte — nichts als Worte und Worte! Nicht
eine einzige ſchlichte Erklärung. O dieſes Schamgefühl! — Was
ſoll mir ein Converſationslexikon, das auf die nächſtliegende
Lebensfrage nicht antwortet.


Melchior.

— Haſt du ſchon einmal zwei Hunde über
die Straße laufen ſehen?


Moritz.

Nein! — — Sag mir heute lieber noch nichts,
Melchior. Ich habe noch Mittelamerika und Ludwig den Fünf-
zehnten vor mir. Dazu die ſechzig Verſe Homer, die ſieben
Gleichungen, der lateiniſche Aufſatz — ich würde morgen wieder
überall abblitzen. Um mit Erfolg büffeln zu können, muß ich
ſtumpfſinnig wie ein Ochſe ſein.


Melchior.

Komm doch mit auf mein Zimmer. In drei-
viertel Stunden habe ich den Homer, die Gleichungen und zwei
Aufſätze. Ich corrigire dir einige harmloſe Schnitzer hinein, ſo
iſt die Sache im Blei. Mama braut uns wieder eine Limonade
und wir plaudern gemüthlich über die Fortpflanzung.


Moritz.

Ich kann nicht. — Ich kann nicht gemüthlich
über die Fortpflanzung plaudern! Wenn du mir einen Gefallen
[10] thun willſt, dann gieb mir deine Unterweiſungen ſchriftlich.
Schreib' mir auf, was du weißt. Schreib' es möglichſt kurz und
klar und ſteck' es mir morgen während der Turnſtunde zwiſchen
die Bücher. Ich werde es nach Hauſe tragen, ohne zu wiſſen,
daß ich es habe. Ich werde es unverhofft einmal wiederfinden.
Ich werde nicht umhinkönnen, es müden Auges zu durchfliegen …
falls es unumgänglich nothwendig iſt, magſt du ja auch einzelne
Randzeichnungen anbringen.


Melchior.

Du biſt wie ein Mädchen. — Uebrigens wie
du willſt! Es iſt mir das eine ganz intereſſante Arbeit. — —
Eine Frage, Moritz.


Moritz.

Hm?


Melchior.

— Haſt du ſchon einmal ein Mädchen geſehen?


Moritz.

Ja!


Melchior.

Aber ganz?!


Moritz.

Vollſtändig!


Melchior.

Ich nämlich auch! — Dann werden keine
Illuſtrationen nöthig ſein.


Moritz.

Während des Schützenfeſtes, in Leilich's ana-
tomiſchem Muſeum! Wenn es aufgekommen wäre, hätte man
mich aus der Schule gejagt. — Schön wie der lichte Tag, und —
o ſo naturgetreu!


Melchior.

Ich war letzten Sommer mit Mama in Frank-
furt — — Du willſt ſchon gehen, Moritz?


Moritz.

Arbeiten machen. — Gute Nacht.


Melchior.

Auf Wiederſehen.


[11]

Dritte Scene.


Thea, Wendla und Martha kommen Arm in Arm die
Straße herauf.

Martha.

Wie Einem das Waſſer in's Schuhwerk dringt!


Wendla.

Wie Einem der Wind um die Wangen ſauſt!


Thea.

Wie Einem das Herz hämmert!


Wendla.

Geh'n wir zur Brücke hinaus! Ilſe ſagte, der
Fluß führe Sträucher und Bäume. Die Jungens haben ein Floß
auf dem Waſſer. Melchi Gabor ſoll geſtern Abend beinah' er-
trunken ſein.


Thea.

O der kann ſchwimmen!


Martha.

Das will ich meinen, Kind!


Wendla.

Wenn er nicht hätte ſchwimmen können, wäre
er wohl ſicher ertrunken!


Thea.

Dein Zopf geht auf, Martha; dein Zopf geht auf!


Martha.

Puh — laß ihn aufgehn! Er ärgert mich ſo
Tag und Nacht. Kurze Haare tragen wie du darf ich nicht, das
Haar offen tragen wie Wendla darf ich nicht, Ponyhaare tragen
darf ich nicht und zu Hauſe muß ich mir gar die Friſur machen
— alles der Tanten wegen!


Wendla.

Ich bringe morgen eine Scheere mit in die
Religionsſtunde. Während du „Wohl dem, der nicht wandelt“
recitirſt, werd' ich ihn abſchneiden.


Martha.

Um Gottes Willen, Wendla! Papa ſchlägt
mich krumm und Mama ſperrt mich drei Nächte in's Kohlenloch.


Wendla.

Womit ſchlägt er dich, Martha?


Martha.

Manchmal iſt mir, es müßte ihnen doch etwas
abgehen, wenn ſie keinen ſo ſchlechtgearteten Balg hätten.


Thea.

Aber Mädchen!


[12]
Martha.

Haſt du dir nicht auch ein himmelblaues Band
durch die Hemdpaſſe ziehen dürfen?


Thea.

Roſa Atlas! Mama behauptet, Roſa ſtehe mir
bei meinen pechſchwarzen Augen.


Martha.

Mir ſtand Blau reizend! — Mama riß mich
am Zopf zum Bett heraus. So — fiel ich mit den Händen
vorauf auf die Diele. — Mama betet Abend für Abend mit uns. ...


Wendla.

Ich an deiner Stelle wäre ihnen längſt in die
Welt hinausgelaufen.


Martha.

… Da habe man's, worauf ich ausgehe! —
Da habe man's ja! — Aber ſie wolle ſehen — o ſie wolle noch
ſehen! — Meiner Mutter wenigſtens ſolle ich einmal keine Vor-
würfe machen können. ...


Thea.

Hu — Hu —


Martha.

Kannſt du dir denken, Thea, was Mama damit
meinte?


Thea.

Ich nicht. — Du Wendla?


Wendla.

Ich hätte ſie einfach gefragt.


Martha.

Ich lag auf der Erde und ſchrie und heulte.
Da kommt Papa. Ritſch — das Hemd herunter. Ich zur Thüre
hinaus. Da habe man's! Ich wolle nun wohl ſo auf die Straße
hinunter. ...


Wendla.

Das iſt nicht wahr, Martha.


Martha.

Ich fror. Ich ſchloß auf. Ich habe die ganze
Nacht im Sack ſchlafen müſſen.


Thea.

Ich könnte meiner Lebtag in keinem Sack ſchlafen!


Wendla.

Ich möchte ganz gern mal für dich in deinem
Sack ſchlafen.


Martha.

Wenn man nur nicht geſchlagen wird!


[13]
Thea.

Aber man erſtickt doch darin!


Martha.

Der Kopf bleibt frei. Unter dem Kinn wird
zugebunden.


Thea.

Und dann ſchlagen ſie dich?


Martha.

Nein. Nur wenn etwas Beſonderes vorliegt.


Wendla.

Womit ſchlägt man dich, Martha?


Martha.

Ach was — mit allerhand. — Hält es deine
Mutter auch für unanſtändig, im Bett ein Stück Brod zu eſſen?


Wendla.

Nein, nein.


Martha.

Ich glaube immer, ſie haben doch ihre Freude —
wenn ſie auch nichts davon ſagen. — Wenn ich einmal Kinder
habe, ich laſſe ſie aufwachſen wie das Unkraut in unſerem Blumen-
garten. Um das kümmert ſich Niemand und es ſteht ſo hoch,
ſo dicht — während die Roſen in den Beeten an ihren Stöcken
mit jedem Sommer kümmerlicher blüh'n.


Thea.

Wenn ich Kinder habe, kleid' ich ſie ganz in Roſa.
Roſahüte, Roſakleidchen, Roſaſchuhe. Nur die Strümpfe — die
Strümpfe ſchwarz wie die Nacht! Wenn ich dann ſpazieren gehe,
laß ich ſie vor mir hermarſchiren. — Und du, Wendla?


Wendla.

Wißt ihr denn, ob ihr welche bekommt?


Thea.

Warum ſollten wir keine bekommen?


Martha.

Tante Euphemia hat allerdings auch keine.


Thea.

Gänschen! — weil ſie nicht verheirathet iſt.


Wendla.

Tante Bauer war dreimal verheirathet und hat
nicht ein einziges.


Martha.

— Wenn du welche bekommſt, Wendla, was
möchteſt du lieber, Knaben oder Mädchen?


Wendla.

Jungens! Jungens!


Thea.

Ich auch Jungens!


[14]
Martha.

Ich auch. Lieber zwanzig Jungens als drei
Mädchen.


Thea.

Mädchen ſind langweilig!


Martha.

Wenn ich nicht ſchon ein Mädchen geworden
wäre, ich würde es heute gewiß nicht mehr.


Wendla.

Das iſt, glaube ich, Geſchmackſache, Martha!
Ich freue mich jeden Tag, daß ich Mädchen bin. Glaub' mir,
ich wollte mit keinem Königsſohn tauſchen. — Darum möchte ich
aber doch nur Buben!


Thea.

Das iſt doch Unſinn, lauter Unſinn, Wendla!


Wendla.

Aber ich bitte dich, Kind, es muß doch tauſendmal
erhebender ſein, von einem Manne geliebt zu werden, als von
einem Mädchen!


Thea.

Du wirſt doch nicht behaupten wollen, Forſt-
referendär Pfälle liebe Melitta mehr als ſie ihn!


Wendla.

Das will ich wohl, Thea! — Pfälle iſt ſtolz.
Pfälle iſt ſtolz darauf, daß er Forſtreferendär iſt — denn Pfälle
hat nichts. — Melitta iſt ſelig, weil ſie zehntauſendmal mehr
bekommt, als ſie iſt.


Martha.

Biſt du nicht ſtolz auf dich, Wendla?


Wendla.

Das wäre doch einfältig.


Martha.

Wie wollt' ich ſtolz ſein an deiner Stelle!


Thea.

Sieh' doch nur, wie ſie die Füße ſetzt — wie ſie
geradaus ſchaut — wie ſie ſich hält, Martha! — Wenn das nicht
Stolz iſt!


Wendla.

Wozu nur?! Ich bin ſo glücklich, Mädchen zu
ſein; wenn ich kein Mädchen wär', brächt' ich mich um, um das
nächſte Mal …


Melchior.
(Geht vorüber und grüßt.)

Thea.

Er hat einen wundervollen Kopf.


[15]
Martha.

So denke ich mir den jungen Alexander als er
zu Ariſtoteles in die Schule ging.


Thea.

Du lieber Gott, die griechiſche Geſchichte! — Ich
weiß nur noch, wie Sokrates in der Tonne lag, als ihm Alexander
den Eſelsſchatten verkaufte.


Wendla.

Er ſoll der Drittbeſte in ſeiner Klaſſe ſein.


Thea.

Profeſſor Knochenbruch ſagt, wenn er wollte, könnte
er Primus ſein.


Martha.

Er hat eine ſchöne Stirne, aber ſein Freund
hat einen ſeelenvolleren Blick.


Thea.

Moritz Stiefel? — Iſt das eine Schlafmütze!


Martha.

Ich habe mich immer ganz gut mit ihm unter-
halten.


Thea.

Er blamirt Einen, wo man ihn trifft. Auf dem
Kinderball bei Rilow's bot er mir Pralinée's an. Denke dir,
Wendla, die waren weich und warm. Iſt das nicht …? —
Er ſagte, er habe ſie zu lang in der Hoſentaſche gehabt.


Wendla.

Denke dir, Melchi Gabor ſagte mir damals, er
glaube an nichts — nicht an Gott, nicht an ein Jenſeits — an
gar nichts mehr in dieſer Welt.


Vierte Scene.


Parkanlagen vor dem Gymnaſium. — Melchior, Otto, Georg, Robert,
Hänschen Rilow, Lämmermeier
.

Melchior.

Kann mir einer von euch ſagen, wo Moritz
Stiefel ſteckt?


Georg.

Dem kann's ſchlecht geh'n! — O dem kann's
ſchlecht ge'hn!


[16]
Otto.

Der treibt's ſo lange, bis er noch mal ganz gehörig
'reinfliegt!


Lämmermeier.

Weiß der Kuckuck, ich möchte in dieſem
Moment nicht in ſeiner Haut ſtecken!


Robert.

Eine Frechheit! — Eine Unverſchämtheit!


Melchior.

Wa — wa — was wißt ihr denn?


Georg.

Was wir wiſſen? — Na, ich ſage dir …


Lämmermeier.

Ich möchte nichts geſagt haben!


Otto.

Ich auch nicht — weiß Gott nicht!


Melchior.

Wenn ihr jetzt nicht ſofort …


Robert.

Kurz und gut, Moritz Stiefel iſt in's Con-
ferenzzimmer
gedrungen.


Melchior.

In's Conferenzzimmer …?


Otto.

In's Conferenzzimmer! — Gleich nach Schluß der
Lateinſtunde.


Georg.

Er war der letzte; er blieb abſichtlich zurück.


Lämmermeier.

Als ich um die Corridorecke bog, ſah
ich ihn die Thür öffnen.


Melchior.

Hol' dich der …!


Lämmermeier.

Wenn nur ihn nicht der Teufel holt!


Georg.

Vermuthlich hatte das Rectorat den Schlüſſel nicht
abgezogen.


Robert.

Oder Moritz S[t]iefel führt einen Dietrich.


Otto.

Ihm wäre das zuzutrauen.


Lämmermeier.

Wenn's gut geht, bekommt er einen
Sonntagnachmittag.


Robert.

Nebſt einer Bemerkung in's Zeugniß!


Otto.

Wenn er bei dieſer Cenſur nicht ohnehin in die Luft fliegt.


[17]
Hänschen Rilow.

Da iſt er!


Melchior.

Blaß wie ein Handtuch.


(Moritz kommt in äußerſter Aufregung.)

Lämmermeier.

Moritz, Moritz, was du gethan haſt!


Moritz.

— — Nichts — — nichts — — —


Robert.

Du fieberſt!


Moritz.

— Vor Glück — vor Seligkeit — vor Herzens-
jubel —


Otto.

Du biſt erwiſcht worden?!


Moritz.

Ich bin promovirt! — Melchior, ich bin pro-
movirt! — O jetzt kann die Welt untergehn! — Ich bin pro-
movirt! — Wer hätte geglaubt, daß ich promovirt werde! —
Ich faß' es noch nicht! — Zwanzig Mal hab' ich's geleſen! —
Ich kann's nicht glauben — du großer Gott, es blieb! — Es
blieb! Ich bin promovirt! —

(lächelnd)

Ich weiß nicht — ſo
ſonderbar iſt mir — der Boden dreht ſich … Melchior, Melchior,
wüßteſt du, was ich durchgemacht!


Hänschen Rilow.

Ich gratulire, Moritz. — Sei nur
froh, daß du ſo weggekommen!


Moritz.

Du weißt nicht, Hänschen, du ahnſt nicht, was
auf dem Spiel ſtand. Seit drei Wochen ſchleiche ich an der Thür
vorbei wie am Höllenſchlund. Da ſehe ich heute, ſie iſt ange-
lehnt. Ich glaube, wenn man mir eine Million geboten hätte
— nichts, o nichts hätte mich zu halten vermocht! — Ich ſtehe
mitten im Zimmer — ich ſchlage das Protocoll auf — blättere
— finde — — und während all der Zeit … Mir ſchaudert —


Melchior.

… während all der Zeit?


Moritz.

Während all der Zeit ſteht die Thür hinter mir
ſperrangelweit offen. — Wie ich heraus … wie ich die Treppe
heruntergekommen, weiß ich nicht.


Wedekind, Frühlings-Erwachen 2
[18]
Hänschen Rilow.

— Wird Ernſt Röbel auch pro-
movirt?


Moritz.

O gewiß, Hänschen, gewiß! — Ernſt Röbel wird
gleichfalls promovirt.


Robert.

Dann mußt du ſchon nicht richtig geleſen haben.
Die Eſelsbank abgerechnet zählen wir mit dir und Röbel zuſammen
einundſechzig, während oben das Klaſſenzimmer mehr als ſechzig
nicht faſſen kann.


Moritz.

Ich habe vollkommen richtig geleſen. Ernſt Röbel
wird ſo gut verſetzt wie ich — beide allerdings vorläufig nur
proviſoriſch. Während des erſten Quartals ſoll es ſich dann
herausſtellen, wer dem andern Platz zu machen hat. — Armer
Röbel! — Weiß der Himmel, mir iſt um mich nicht mehr bange.
Ich habe diesmal zu tief hinunterblickt.


Otto.

Ich wette fünf Mark, daß du Platz machſt.


Moritz.

Du haſt ja nichts. Ich will dich nicht ausrauben.
— Herrgott, werd' ich büffeln von heute an! — Jetzt kann ich's
ja ſagen — mögt ihr daran glauben oder nicht — jetzt iſt ja
alles gleichgültig — ich — ich weiß, wie wahr es iſt: Wenn ich
nicht promovirt worden wäre, hätte ich mich erſchoſſen.


Robert.

Prahlhans!


Georg.

Der Haſenfuß!


Otto.

Dich hätte ich ſchießen ſehen mögen!


Lämmermeier.

Eine Maulſchelle drauf!


Melchior.
(giebt ihm eine)

— — Komm, Moritz. Gehn wir
zum Förſterhaus!


Georg.

Glaubſt du vielleicht an den Schnak?


Melchior.

Scheert dich das? — — Laß ſie ſchwatzen,
Moritz! Fort, nur fort, zur Stadt hinaus!


(Die Profeſſoren Hungergurt und Knochenbruch gehen vorüber.)

[19]
Knochenbruch.

Mir unbegreiflich, verehrter Herr Collega,
wie ſich der beſte meiner Schüler gerade zum allerſchlechteſten
ſo hingezogen fühlen kann.


Hungergurt.

Mir auch, verehrter Herr Collega.


Fünfte Scene.


Sonniger Nachmittag. — Melchior und Wendla begegnen einander
im Wald.

Melchior.

Biſt du's wirklich, Wendla? — Was thuſt
denn du ſo allein hier oben? — Seit drei Stunden durchſtreife ich
den Wald die Kreuz und Quer ohne daß mir eine Seele begegnet,
und nun plötzlich trittſt du mir aus dem dichteſten Dickicht ent-
gegen!


Wendla.

Ja, ich bin's.


Melchior.

Wenn ich dich nicht als Wendla Bergmann
kennte, ich hielte dich für eine Dryade, die aus den Zweigen
gefallen.


Wendla.

Nein, nein, ich bin Wendla Bergmann. — Wo
kommſt du denn her?


Melchior.

Ich gehe meinen Gedanken nach.


Wendla.

Ich ſuche Waldmeiſter. Mama will Maitrank
bereiten. Anfangs wollte ſie ſelbſt mitgeh'n, aber im letzten
Augenblick kam Tante Bauer noch und die ſteigt nicht gern. —
So bin ich denn allein heraufgekommen.


Melchior.

Haſt du deinen Waldmeiſter ſchon?


Wendla.

Den ganzen Korb voll. Drüben unter den
Buchen ſteht er dicht wie Mattenklee. — Jetzt ſehe ich mich
2*
[20] nämlich nach einem Ausweg um. Ich ſcheine mich verirrt zu
haben. Kannſt du mir vielleicht ſagen, wie viel Uhr es iſt?


Melchior.

Eben halbvier vorbei. — Wann erwartet
man dich?


Wendla.

Ich glaubte es wäre ſpäter. Ich lag eine ganze
Weile am Goldbach im Mooſe und habe geträumt. Die Zeit
verging mir ſo raſch; ich fürchtete, es wolle ſchon Abend werden.


Melchior.

Wenn man dich noch nicht erwartet, dann laß
uns hier noch ein wenig lagern. Unter der Eiche dort iſt mein
Lieblingsplätzchen. Wenn man den Kopf an den Stamm zurück-
lehnt und durch die Aeſte in den Himmel ſtarrt, wird man
hypnotiſirt. Der Boden iſt noch warm von der Morgenſonne.
— Schon ſeit Wochen wollte ich dich etwas fragen, Wendla.


Wendla.

Aber vor fünf muß ich zu Hauſe ſein.


Melchior.

Wir gehen dann zuſammen. Ich nehme den
Korb und wir ſchlagen den Weg durch die Runſe ein, ſo ſind
wir in zehn Minuten ſchon auf der Brücke! — Wenn man ſo
daliegt, die Stirn in die Hand geſtützt, kommen Einem die ſonder-
barſten Gedanken …


(Beide lagern ſich unter der Eiche.)

Wendla.

Was wollteſt du mich fragen, Melchior?


Melchior.

Ich habe gehört, Wendla, du geheſt häufig
zu armen Leuten. Du brächteſt ihnen Eſſen, auch Kleider und
Geld. Thuſt du das aus eigenem Antriebe oder ſchickt deine
Mutter dich?


Wendla.

Meiſtens ſchickt mich die Mutter. Es ſind arme
Taglöhnerfamilien, die eine Unmenge Kinder haben. Oft findet
der Mann keine Arbeit, dann frieren und hungern ſie. Bei uns
liegt aus früherer Zeit noch ſo mancherlei in Schränken und
Kommoden, das nicht mehr gebraucht wird. — Aber wie kommſt
du darauf?


[21]
Melchior.

Gehſt du gern oder ungern, wenn deine Mutter
dich ſowohin ſchickt?


Wendla.

O für mein Leben gern! — Wie kannſt du fragen!


Melchior.

Aber die Kinder ſind ſchmutzig, die Frauen
ſind krank, die Wohnungen ſtrotzen von Unrath, die Männer
haſſen dich, weil du nicht arbeiteſt …


Wendla.

Das iſt nicht wahr, Melchior. Und wenn es
wahr wäre, ich würde erſt recht gehen!


Melchior.

Wieſo erſt recht, Wendla?


Wendla.

Ich würde erſt recht hingehn. — Es würde mir
noch vielmehr Freude bereiten, ihnen helfen zu können.


Melchior.

Du gehſt alſo um deiner Freude willen zu
den armen Leuten?


Wendla.

Ich gehe zu ihnen, weil ſie arm ſind.


Melchior.

Aber wenn es dir keine Freude wäre, würdeſt
du nicht gehen?


Wendla.

Kann ich denn dafür, daß es mir Freude macht?


Melchior.

Und doch ſollſt du dafür in den Himmel
kommen! — So iſt es alſo richtig, was mir nun ſeit einem
Monat keine Ruhe mehr läßt! — Kann der Geizige dafür, daß
es ihm keine Freude macht, zu ſchmutzigen kranken Kindern zu
gehen?


Wendla.

O dir würde es ſicher die größte Freude ſein!


Melchior.

Und doch ſoll er dafür des ewigen Todes
ſterben! — Ich werde eine Abhandlung ſchreiben und ſie Herrn
Paſtor Kahlbauch einſchicken. Er iſt die Veranlaſſung. Was faſelt
er uns von Opfer-Freudigkeit! — Wenn er mir nicht ant-
worten kann, gehe ich nicht mehr in die Kinderlehre und laſſe
mich nicht confirmiren.


[22]
Wendla.

Warum willſt du deinen lieben Eltern den
Kummer bereiten! Laß dich doch confirmiren; den Kopf koſtet's
dich nicht. Wenn unſere ſchrecklichen weißen Kleider und eure
Schlepphoſen nicht wären, würde man ſich vielleicht noch dafür
begeiſtern können.


Melchior.

Es giebt keine Aufopferung! Es giebt keine
Selbſtloſigkeit! — Ich ſehe die Guten ſich ihres Herzens freu'n,
ſehe die Schlechten beben und ſtöhnen — ich ſehe dich, Wendla
Bergmann deine Locken ſchütteln und lachen und mir wird ſo
ernſt dabei wie einem Geächteten. — — Was haſt du vorhin
geträumt, Wendla, als du am Goldbach im Graſe lagſt?


Wendla.

— Dummheiten — Narreteien —


Melchior.

Mit offenen Augen?!


Wendla.

Mir träumte, ich wäre ein armes, armes Bettel-
kind, ich würde früh fünf ſchon auf die Straße geſchickt, ich
müßte betteln den ganzen langen Tag in Sturm und Wetter,
unter hartherzigen, rohen Menſchen. Und käm' ich Abends nach
Hauſe, zitternd vor Hunger und Kälte, und hätte ſo viel Geld
nicht wie mein Vater verlangt, dann würd' ich geſchlagen —
geſchlagen —


Melchior.

Das kenne ich, Wendla. Das haſt du den
albernen Kindergeſchichten zu danken. Glaub' mir, ſo brutale
Menſchen exiſtiren nicht mehr.


Wendla.

O doch, Melchior, du irrſt. — Martha Beſſel
wird Abend für Abend geſchlagen, daß man andern Tags Striemen
ſieht. O was die leiden muß! Siedendheiß wird es Einem,
wenn ſie erzählt. Ich bedaure ſie ſo furchtbar, ich muß oft mitten
in der Nacht in die Kiſſen weinen. Seit Monaten denke ich
darüber nach, wie man ihr helfen kann. — Ich wollte mit Freuden
einmal acht Tage an ihrer Stelle ſein.


[23]
Melchior.

Man ſollte den Vater kurzweg verklagen. Dann
würde ihm das Kind weggenommen.


Wendla.

Ich, Melchior, bin in meinem Leben nie geſchlagen
worden — nicht ein einziges Mal. Ich kann mir kaum denken
wie das thut, geſchlagen zu werden. Ich habe mich ſchon ſelber
geſchlagen, um zu erfahren, wie Einem dabei um's Herz wird. —
Es muß ein grauenvolles Gefühl ſein.


Melchior.

Ich glaube nicht, daß je ein Kind dadurch
beſſer wird.


Wendla.

Wodurch beſſer wird?


Melchior.

Daß man es ſchlägt.


Wendla.

— Mit dieſer Gerte zum Beiſpiel! — Hu, iſt
die zäh und dünn.


Melchior.

Die zieht Blut!


Wendla.

Würdeſt du mich nicht einmal damit ſchlagen?


Melchior.

Wen?


Wendla.

Mich.


Melchior.

Was fällt dir ein, Wendla!


Wendla.

Was iſt denn dabei!


Melchior.

O ſei ruhig! — Ich ſchlage dich nicht.


Wendla.

Wenn ich dir's doch erlaube!


Melchior.

Nie Mädchen!


Wendla.

Aber wenn ich dich darum bitte, Melchior!


Melchior.

Biſt du nicht bei Verſtand?


Wendla.

Ich bin in meinem Leben nicht geſchlagen worden!


Melchior.

Wenn du um ſo etwas bitten kannſt …!


Wendla.

— Bitte — bitte —


Melchior.

Ich will dich bitten lehren! —

(er ſchlägt ſie)

[24]
Wendla.

Ach Gott — ich ſpüre nicht das Geringſte!


Melchior.

Das glaub' ich dir — — durch all' deine
Röcke durch. …


Wendla.

So ſchlag' mich doch an die Beine!


Melchior.

Wendla! —

(er ſchlägt ſie ſtärker)

Wendla.

Du ſtreichelſt mich ja! — Du ſtreichelſt mich!


Melchior.

Wart' Hexe, ich will dir den Satan austreiben!

(Er wirft den Stock bei Seite und ſchlägt derart mit den Fäuſten d'rein, daß
ſie in ein fürchterliches Geſchrei ausbricht. Er kehrt ſich nicht daran, ſondern driſcht
wie wüthend auf ſie los, während ihm die dicken Thränen über die Wangen rinnen.
Plötzlich ſpringt er empor, faßt ſich mit beiden Händen an die Schläfen und ſtürzt, aus
tiefſter Seele jammervoll aufſchluchzend, in den Wald hinein.)
[[25]]
[figure]

Zweiter Act.


Erſte Scene.


Abend auf Melchior's Studierzimmer. Das Fenſter ſteht offen, die
Lampe brennt auf dem Tiſch. — Melchior und Moritz auf dem Kanapee.

Moritz.

Jetzt bin ich wieder ganz munter, nur etwas
aufgeregt. — Aber in der Griechiſchſtunde habe ich doch geſchlafen
wie der beſoffene Poliphem. Nimmt mich Wunder, daß mich der
alte Zungenſchlag nicht in die Ohren gezwickt. — Heut früh
wäre ich um ein Haar noch zu ſpät gekommen. — Mein erſter
Gedanke beim Erwachen waren die Verba auf μι. — Himmel-
Herrgott-Teufel-Donnerwetter, während des Frühſtücks und den
Weg entlang habe ich conjungirt, daß mir grün vor den Augen
wurde. — Kurz nach drei muß ich abgeſchnappt ſein. Die Feder
hat mir noch einen Klex in's Buch gemacht. Die Lampe qualmte
als Mathilde mich weckte; in den Fliederbüſchen unter dem
Fenſter zwitſcherten die Amſeln ſo lebensfroh — mir ward gleich
wieder unſagbar melancholiſch zu Muthe. Ich band mir den
Kragen um und fuhr mit der Bürſte durch's Haar. — — Aber
man fühlt ſich, wenn man ſeiner Natur etwas abgerungen!


Melchior.

Darf ich dir eine Cigarette drehen?


Moritz.

Danke, ich rauche nicht. — Wenn es nun nur ſo
weiter geht! Ich will arbeiten und arbeiten bis mir die Augen
zum Kopf herausplatzen. — Ernſt Röbel hat ſeit den Ferien
[26] ſchon ſechsmal nichts gekonnt; dreimal im Griechiſchen, zweimal
bei Knochenbruch; das letztemal in der Literaturgeſchichte. Ich war
erſt fünfmal in der bedauernswerthen Lage; und von heute ab
kommt es überhaupt nicht mehr vor! — Röbel erſchießt ſich nicht.
Röbel hat keine Eltern, die ihm ihr Alles opfern. Er kann,
wann er will, Söldner, Kawboy oder Matroſe werden. Wenn
ich durchfalle, rührt meinen Vater der Schlag und Mama kommt
in's Irrenhaus. So was erlebt man nicht! — Vor dem Examen
habe ich zu Gott gefleht, er möge mich ſchwindſüchtig werden
laſſen, auf daß der Kelch ungenoſſen vorübergehe. Er ging
vorüber — wenngleich mir auch heute noch ſeine Aureole aus
der Ferne entgegenleuchtet, daß ich Tag und Nacht den Blick nicht
zu heben wage. — Aber nun ich die Stange erfaßt, werde ich
mich auch hinaufſchwingen. Dafür bürgt mir die unabänderliche
Conſequenz, daß ich nicht ſtürze ohne das Genick zu brechen.


Melchior.

Das Leben iſt von einer ungeahnten Gemeinheit.
Ich hätte nicht übel Luſt, mich in die Zweige zu hängen. — Wo
Mama mit dem Thee nur bleibt!


Moritz.

Dein Thee wird mir gut thun, Melchior! — Ich
zitt're nämlich. Ich fühle mich ſo eigenthümlich vergeiſtert.
Betaſte mich bitte mal. Ich ſehe — ich höre — ich fühle viel
deutlicher — und doch alles ſo traumhaft — o ſo ſtimmungs-
voll. — Wie ſich dort im Mondſchein der Garten dehnt, ſo ſtill,
ſo tief als ging er in's Unendliche. — Unter den Büſchen treten
umflorte Geſtalten hervor, huſchen in athemloſer Geſchäftigkeit
über die Lichtungen und verſchwinden im Halbdunkel. Mir ſcheint,
unter dem Kaſtanienbaum ſoll eine Rathsverſammlung gehalten
werden. — Wollen wir nicht hinunter, Melchior?


Melchior.

Warten wir, bis wir Thee getrunken.


Moritz.

— Die Blätter flüſtern ſo emſig. — Es iſt als
hörte ich Großmutter ſelig die Geſchichte von der „Königin ohne
[27] Kopf“ erzählen. — Das war eine wunderſchöne Königin, ſchön
wie die Sonne, ſchöner als alle Mädchen im Land. Nur war
ſie leider ohne Kopf auf die Welt gekommen. Sie konnte nicht
eſſen, nicht trinken, [konnte] nicht ſehen, nicht lachen und auch
nicht küſſen. Sie vermochte ſich mit ihrem Hofſtaat nur durch
ihre kleine weiche Hand zu verſtändigen. Mit den zierlichen
Füſſen ſtrampelte ſie Kriegserklärungen und Todesurtheile. Da
wurde ſie eines Tages von einem Könige beſiegt, der zufällig
zwei Köpfe hatte, die ſich das ganze Jahr in den Haaren lagen
und dabei ſo aufgeregt disputirten, daß keiner den andern zu
Wort kommen ließ. Der Oberhofzauberer nahm nun den kleineren
der beiden und ſetzte ihn der Königin auf. Und ſiehe, er ſtand
ihr vortrefflich. Darauf heirathete der König die Königin, und
die Beiden lagen einander nun nicht mehr in den Haaren, ſondern
küßten einander auf Stirn, auf Wangen und Mund und lebten
noch lange lange Jahre glücklich und in Freuden. … Ver-
wünſchter Unſinn! Seit den Ferien kommt mir die kopfloſe
Königin nicht aus dem Kopf. Wenn ich ein ſchönes Mädchen
ſehe, ſeh' ich es ohne Kopf — und erſcheine mir dann plötzlich
ſelber als kopfloſe Königin. … Möglich, daß mir nochmal
einer aufgeſetzt wird.

(Frau Gabor kommt mit dem dampfenden Thee, den ſie vor Moritz und Melchior
auf den Tiſch ſetzt.)

Frau Gabor.

Hier Kinder, laßt es euch munden. —
Guten Abend, Herr Stiefel; wie geht es Ihnen?


Moritz.

Danke Frau Gabor. — Ich belauſche den Reigen
dort unten.


Frau Gabor.

Sie ſehen aber gar nicht gut aus. —
Fühlen Sie ſich nicht wohl?


Moritz.

Es hat nichts zu ſagen. Ich bin die letzten
Abende etwas ſpät zu Bett gekommen.


[28]
Melchior.

Denke dir, er hat die ganze Nacht durch
gearbeitet.


Frau Gabor.

Sie ſollten ſo etwas nicht thun, Herr
Stiefel. Sie ſollten ſich ſchonen. Bedenken Sie Ihre Geſundheit,
Die Schule erſetzt Ihnen die Geſundheit nicht. — Fleißig ſpazieren
geh'n in der friſchen Luft! Das iſt in Ihren Jahren mehr werth
als ein correctes Mittelhochdeutſch.


Moritz.

Ich werde fleißig ſpazieren geh'n. Sie haben
recht. Man kann auch während des Spazierengehens fleißig ſein.
Daß ich noch ſelbſt nicht auf den Gedanken gekommen! — Die
ſchriftlichen Arbeiten müßte ich immerhin zu Hauſe machen.


Melchior.

Das Schriftliche machſt du bei mir; ſo wird
es uns Beiden leichter. — — Du weißt ja, Mama, daß Max
von Trenk am Nervenfieber darniederlag! — Heute Mittag kommt
Hänschen Rilow von Trenk's Todtenbett zu Rector Sonnenſtich,
um anzuzeigen, daß Trenk ſoeben in ſeiner Gegenwart geſtorben
ſei. — „So?“ ſagt Sonnenſtich, „haſt du von letzter Woche her
nicht noch zwei Stunden nachzuſitzen? — Hier iſt der Zettel an
den Pedell. Mach, daß die Sache endlich in's Reine kommt!
Die ganze Klaſſe ſoll an der Beerdigung theilnehmen.“ —
Hänschen war wie gelähmt.


Frau Gabor.

Was haſt du da für ein Buch, Melchior?


Melchior.

„Fauſt.“


Frau Gabor.

Haſt du es ſchon geleſen?


Melchior.

Noch nicht zu Ende.


Moritz.

Wir ſind gerade in der Walpurgisnacht.


Frau Gabor.

Ich hätte an deiner Stelle noch ein, zwei
Jahre gewartet.


Melchior.

Ich kenne kein Buch, Mama, in dem ich ſo
viel Schönes gefunden. Warum hätte ich es nicht leſen ſollen.


[29]
Frau Gabor.

— Weil du es nicht verſtehſt.


Melchior.

Das kannſt du nicht wiſſen, Mama. Ich fühle
ſehr wohl, daß ich das Werk in ſeiner ganzen Erhabenheit zu
erfaſſen noch nicht im Stande bin …


Moritz.

Wir leſen immer zu zweit; das erleichtert das
Verſtändniß außerordentlich!


Frau Gabor.

Du biſt alt genug, Melchior, um wiſſen
zu können, was dir zuträglich und was dir ſchädlich iſt. Thu,
was du vor dir verantworten kannſt. Ich werde die Erſte ſein,
die es dankbar anerkennt, wenn du mir niemals Grund giebſt,
dir etwas vorenthalten zu müſſen. — Ich wollte dich nur darauf
aufmerkſam machen, daß auch das Beſte nachtheilig wirken kann,
wenn man noch die Reife nicht beſitzt, um es richtig aufzunehmen.
— Ich werde mein Vertrauen immer lieber in dich als in irgend-
beliebige erzieheriſche Maßregeln ſetzen. — — Wenn ihr noch
etwas braucht, Kinder, dann komm herüber, Melchior, und rufe
mich. Ich bin auf meinem Schlafzimmer.

(Ab.)

Moritz.

— — Deine Mama meinte die Geſchichte mit Gretchen.


Melchior.

Haben wir uns auch nur einen Moment dabei
aufgehalten!


Moritz.

Fauſt kann ſich nicht kaltblütiger darüber hin-
weggeſetzt haben!


Melchior.

Das Kunſtwerk gipfelt doch ſchließlich nicht
in dieſer Schändlichkeit! — Fauſt könnte dem Mädchen die Heirath
verſprochen, könnte es daraufhin verlaſſen haben, er wäre in
meinen Augen um kein Haar weniger ſtrafbar. Gretchen könnte ja
meinethalben an gebrochenem Herzen ſterben. — Sieht man wie Jeder
darauf immer gleich krampfhaft die Blicke richtet, man möchte
glauben, die ganze Welt drehe ſich um P .... und K ....!


Moritz.

Wenn ich aufrichtig ſein ſoll, Melchior, ſo habe
ich nämlich thatſächlich das Gefühl, ſeit ich deinen Aufſatz geleſen.
[30] — In den erſten Ferientagen fiel er mir vor die Füße. Ich
hatte den Plötz in der Hand. — Ich verriegelte die Thür und
durchflog die flimmernden Zeilen, wie eine aufgeſchreckte Eule
einen brennenden Wald durchfliegt — ich glaube, ich habe das
meiſte mit geſchloſſenen Augen geleſen. Wie eine Reihe dunkler
Erinnerungen klangen mir deine Auseinanderſetzungen in's Ohr,
wie ein Lied, das Einer als Kind einſt fröhlich vor ſich hin-
geſummt und das ihm, wie er eben im Sterben liegt, herz-
erſchütternd aus dem Mund eines Andern entgegentönt. — Am
heftigſten zog mich in Mitleidenſchaft, was du vom Mädchen
ſchreibſt. Ich werde die Eindrücke nicht mehr los. Glaub' mir,
Melchior, Unrecht leiden zu müſſen, iſt ſüßer, denn Unrecht thun!
Unverſchuldet ein ſo ſüßes Unrecht über ſich ergehen laſſen zu
müſſen, ſcheint mir der Inbegriff aller irdiſchen Seligkeit.


Melchior.

— Ich will meine Seligkeit nicht als Almoſen!


Moritz.

Aber warum denn nicht?


Melchior.

Ich will nichts, was ich mir nicht habe er-
kämpfen müſſen!


Moritz.

Iſt dann das noch Genuß, Melchior?! — Das
Mädchen, Melchior, genießt wie die ſeligen Götter. Das Mädchen
wehrt ſich dank ſeiner Veranlagung. Es hält ſich bis zum letzten
Augenblick von jeder Bitterniß frei, um mit einem Mal alle Himmel
über ſich hereinbrechen zu ſehen. Das Mädchen fürchtet die Hölle
noch in dem Moment, da es ein erblühendes Paradies wahrnimmt.
Sein Empfinden iſt ſo friſch, wie der Quell, der dem Fels ent-
ſpringt. Das Mädchen ergreift einen Pokal, über den noch kein
irdiſcher Hauch geweht, einen Nektarkelch, deſſen Inhalt es, wie er
flammt und flackert, hinunterſchlingt … Die Befriedigung, die der
Mann dabei findet, denke ich mir ſchaal und abgeſtanden.


Melchior.

Denke ſie dir, wie du magſt, aber behalte ſie
für dich. — Ich denke ſie mir nicht gern …


[31]

Zweite Scene.


Wohnzimmer.

Frau Bergmann
(den Hut auf, die Mantille um, einen Korb am Arm,
mit ſtrahlendem Geſicht durch die Mittelthür eintretend).

Wendla! — Wendla!


Wendla
(erſcheint in Unterröckchen und Corſet in der Seitenthür rechts).

Was giebts, Mutter?


Frau Bergmann.

Du biſt ſchon auf, Kind? — Sieh,
das iſt ſchön von dir!


Wendla.

Du warſt ſchon ausgegangen?


Frau Bergmann.

Zieh dich nun nur flink an! — Du
mußt gleich zu Ina hinunter. Du mußt ihr den Korb da bringen!


Wendla
(ſich während des Folgenden vollends ankleidend).

Du warſt
bei Ina? — Wie geht es Ina? — Will's noch immer nicht beſſern?


Frau Bergmann.

Denke dir, Wendla, dieſe Nacht war
der Storch bei ihr und hat ihr einen kleinen Jungen gebracht.


Wendla.

Einen Jungen? — Einen Jungen! — O das
iſt herrlich! — — Deshalb die langwierige Influenza!


Frau Bergmann.

Einen prächtigen Jungen!


Wendla.

Den muß ich ſehen, Mutter! — So bin ich
nun zum dritten Mal Tante geworden — Tante von einem
Mädchen und zwei Jungens!


Frau Bergmann.

Und was für Jungens! — So geht's
eben, wenn man ſo dicht beim Kirchendach wohnt! — Morgen
ſind's erſt zwei Jahr, daß ſie in ihrem Mullkleid die Stufen
hinanſtieg.


Wendla.

Warſt du dabei, als er ihn brachte?


Frau Bergmann.

Er war eben wieder fortgeflogen. —
Willſt du dir nicht eine Roſe vorſtecken?


Wendla.

Warum kamſt du nicht etwas früher hin, Mutter?


[32]
Frau Bergmann.

Ich glaube aber beinahe, er hat dir
auch etwas mitgebracht — eine Broſche oder was.


Wendla.

Es iſt wirklich ſchade!


Frau Bergmann.

Ich ſage dir ja, daß er dir eine
Broſche mitgebracht hat!


Wendla.

Ich habe Broſchen genug …


Frau Bergmann.

Dann ſei auch zufrieden, Kind. Was
willſt du denn noch?


Wendla.

Ich hätte ſo furchtbar gerne gewußt, ob er
durchs Fenſter oder durch den Schornſtein geflogen kam.


Frau Bergmann.

Da mußt du Ina fragen. Ha, das
mußt du Ina fragen, liebes Herz? Ina ſagt dir das ganz genau.
Ina hat ja eine ganze halbe Stunde mit ihm geſprochen.


Wendla.

Ich werde Ina fragen, wenn ich hinunterkomme.


Frau Bergmann.

Aber ja nicht vergeſſen, du ſüßes
Engelsgeſchöpf! Es intereſſirt mich wirklich ſelbſt, zu wiſſen, ob
er durchs Fenſter oder durch den Schornſtein kam.


Wendla.

Oder ſoll ich nicht lieber den Schornſteinfeger
fragen? — Der Schornſteinfeger muß es doch am beſten wiſſen,
ob er durch den Schornſtein fliegt oder nicht.


Frau Bergmann.

Nicht den Schornſteinfeger, Kind;
nicht den Schornſteinfeger. Was weiß der Schornſteinfeger vom
Storch! — Der ſchwatzt dir allerhand dummes Zeug vor, an das
er ſelbſt nicht glaubt … Wa — was glotzſt du ſo auf die Straße
hinunter??


Wendla.

Ein Mann, Mutter — dreimal ſo groß wie
ein Ochſe! — mit Füßen wie Dampfſchiffe …!


Frau Bergmann
(an's Fenſter ſtürzend).

Nicht möglich! —
Nicht möglich! —


[33]
Wendla
(zugleich).

Eine Bettlade hält er unterm Kinn,
fiedelt die Wacht am Rhein drauf — — eben biegt er um die
Ecke …


Frau Bergmann.

Du biſt und bleibſt doch ein Kinds-
kopf! — Deine alte einfältige Mutter ſo in Schrecken jagen! —
Geh, nimm deinen Hut. Nimmt mich Wunder, wann bei dir einmal
der Verſtand kommt. — Ich habe die Hoffnung aufgegeben.


Wendla.

Ich auch, Mütterchen, ich auch. — Um meinen
Verſtand iſt es ein traurig Ding. — Hab' ich nun eine Schweſter,
die iſt ſeit zwei und einem halben Jahre verheirathet, und ich
ſelber bin zum dritten Male Tante geworden, und habe gar
keinen Begriff, wie das alles zugeht … Nicht böſe werden,
Mütterchen; nicht böſe werden! Wen in der Welt ſoll ich denn
fragen als dich! Bitte, liebe Mutter, ſag es mir! Sag's mir,
geliebtes Mütterchen! Ich ſchäme mich vor mir ſelber. Ich bitte
dich, Mutter, ſprich! Schilt mich nicht, daß ich ſo etwas frage.
Gieb mir Antwort — wie geht es zu? — wie kommt das alles?
— Du kannſt doch im Ernſt nicht verlangen, daß ich bei meinen
vierzehn Jahren noch an den Storch glaube.


Frau Bergmann.

Aber du großer Gott, Kind, wie biſt
du ſonderbar! — Was du für Einfälle haſt! — Das kann ich
ja doch wahrhaftig nicht!


Wendla.

Warum denn nicht, Mutter! — Warum denn
nicht! — Es kann ja doch nichts Häßliches ſein, wenn ſich Alles
darüber freut!


Frau Bergmann.

O — o Gott behüte mich! — Ich
verdiente ja … Geh', zieh' dich an, Mädchen; zieh' dich an!


Wendla.

Ich gehe, … Und wenn dein Kind nun hingeht
und fragt den Schornſteinfeger?


Frau Bergmann.

Aber das iſt ja zum Närriſchwerden!
— Komm' Kind, komm' her, ich ſag' es dir! Ich ſage dir
Wedekind, Frühlings-Erwachen. 3
[34] Alles … O du grundgütige Allmacht! — nur heute nicht,
Wendla! — Morgen, übermorgen, kommende Woche … wann
du nur immer willſt, liebes Herz …


Wendla.

Sag' es mir heute, Mutter; ſag' es mir jetzt!
Jetzt gleich! — Nun ich dich ſo entſetzt geſehen, kann ich erſt
recht nicht eher wieder ruhig werden.


Frau Bergmann.

— Ich kann nicht, Wendla.


Wendla.

O warum kannſt du nicht, Mütterchen! —
Hier knie ich zu deinen Füßen und lege dir meinen Kopf in den
Schooß. Du deckſt mir deine Schürze über den Kopf und erzählſt
und erzählſt, als wärſt du mutterſeelenallein im Zimmer. Ich
will nicht zucken; ich will nicht ſchreien; ich will geduldig aus-
harren, was immer kommen mag.


Frau Bergmann.

— Der Himmel weiß, Wendla, daß
ich nicht die Schuld trage! Der Himmel kennt mich! — Komm'
in Gottes Namen! — Ich will dir erzählen, Mädchen, wie du in
dieſe Welt hineingekommen. — So hör' mich an, Wendla …


Wendla
(unter ihrer Schürze).

Ich höre.


Frau Bergmann
(ekſtatiſch).

— Aber es geht ja nicht,
Kind! — Ich kann es ja nicht verantworten. — Ich verdiene
ja, daß man mich in's Gefängniß ſetzt — daß man dich von mir
nimmt …


Wendla
(unter ihrer Schürze).

Faß' dir ein Herz, Mutter!


Frau Bergmann.

So höre denn …!


Wendla
(unter ihrer Schürze, zitternd).

O Gott, o Gott!


Frau Bergmann.

Um ein Kind zu bekommen — du
verſtehſt mich, Wendla?


Wendla.

Raſch, Mutter — ich halt's nicht mehr aus.


Frau Bergmann.

— Um ein Kind zu bekommen —
muß man den Mann — mit dem man verheirathet iſt …
[35]lieben — lieben ſag' ich dir — wie man nur einen Mann
lieben kann! Man muß ihn ſo ſehr von ganzem Herzen
lieben, wie — wie ſich's nicht ſagen läßt! Man muß ihn lieben,
Wendla, wie du in deinen Jahren noch gar nicht lieben kannſt …
Jetzt weißt du's.


Wendla
(ſich erhebend).

Großer — Gott — im Himmel!


Frau Bergmann.

Jetzt weißt du, welche Prüfungen
dir bevorſtehen!


Wendla.

— Und das iſt Alles?


Frau Bergmann.

So wahr mir Gott helfe! — —
Nimm nun den Korb da und geh' zu Ina hinunter. Du bekommſt
dort Chokolade und Kuchen dazu. — Komm', laß dich noch
einmal betrachten — die Schnürſtiefel, die ſeidenen Handſchuhe,
die Matroſentaille, die Roſen im Haar ..... dein Röckchen
wird dir aber wahrhaftig nachgerade zu kurz, Wendla!


Wendla.

— Haſt du für Mittag ſchon Fleiſch gebracht
Mütterchen?


Frau Bergmann.

Der liebe Gott behüte dich und ſegne
dich! — Ich werde dir gelegentlich eine Handbreit Volants unten
anſetzen.


Dritte Scene.


Hänschen Rilow
(ein Licht in der Hand, verriegelt die Thür hinter
ſich und öffnet den Deckel).

Haſt du zu Nacht gebetet, Desdemona?


(Er zieht eine Reproduction der Venus von Palma Vecchio aus dem Buſen.)

— Du ſiehſt mir nicht nach Vaterunſer aus, Holde — contem-
plativ des Kommenden gewärtig, wie in dem ſüßen Augenblick
aufkeimender Glückſeligkeit, als ich dich bei Jonathan Schleſinger
3*
[36] im Schaufenſter liegen ſah — ebenſo berückend noch dieſe ge-
ſchmeidigen Glieder, dieſe ſanfte Wölbung der Hüften, dieſe
jugendlich ſtraffen Brüſte — o wie berauſcht von Glück muß der
große Meiſter geweſen ſein, als das vierzehnjährige Original vor
ſeinen Blicken hingeſtreckt auf dem Divan lag!


Wirſt du mich auch bisweilen im Traum beſuchen? — Mit
ausgebreiteten Armen empfang ich dich und will dich küſſen, daß
dir der Athem vergeht. Du ziehſt bei mir ein wie die ange-
ſtammte Herrin in ihr verödetes Schloß. Thor und Thüren öffnen
ſich von unſichtbarer Hand, während der Springquell unten im
Parke fröhlich zu plätſchern beginnt …


Die Sache will's! — Die Sache will's! — Daß ich nicht
aus frivoler Regung morde, ſagt dir das fürchterliche Pochen in
meiner Bruſt. Die Kehle ſchnürt ſich mir zu im Gedanken an
meine einſamen Nächte. Ich ſchwöre dir bei meiner Seele, Kind,
daß nicht Ueberdruß mich beherrſcht. Wer wollte ſich rühmen,
deiner überdrüßig geworden zu ſein!


Aber du ſaugſt mir das Mark aus den Knochen, du krümmſt
mir den Rücken, du raubſt meinen jungen Augen den letzten
Glanz. — Du biſt mir zu anſpruchsvoll in deiner unmenſchlichen
Beſcheidenheit, zu aufreibend mit deinen unbeweglichen Glied-
maßen! — Du oder ich! — und ich habe den Sieg davongetragen.


Wenn ich ſie herzählen wollte — all die Entſchlafenen, mit
denen ich hier den nämlichen Kampf gekämpft! —: Pſyche von
Thumann — noch ein Vermächtniß der ſpindeldürren Made-
moiſelle Angelique, dieſer Klapperſchlange im Paradies meiner
Kinderjahre; Jo von Corregio; Galathea von Loſſow; dann
ein Amor von Bouguereau; Ada von J. van Beers — dieſe
Ada, die ich Papa aus einem Geheimfach ſeines Sekretärs ent-
führen mußte, um ſie meinem Harem einzuverleiben; eine zitternde,
zuckende Leda von Makart, die ich zufällig unter den Collegien-
[37] heften meines Bruders fand — ſieben, du blühende Todes-
kandidatin, ſind dir vorangeeilt auf dieſem Pfad in den Tartarus!
Laß dir das zum Troſte gereichen und ſuche nicht durch dieſe
flehentlichen Blicke noch meine Qualen in's Ungeheure zu ſteigern.


Du ſtirbſt nicht um deiner, du ſtirbſt um meiner Sünden
willen! — Aus Nothwehr gegen mich begehe ich blutenden Herzens
den ſiebenten Gattenmord. Es liegt etwas Tragiſches in der
Rolle des Blaubart. Ich glaube, ſeine gemordeten Frauen ins-
geſammt litten nicht ſo viel wie er beim Erwürgen jeder Einzelnen.


Aber mein Gewiſſen wird ruhiger werden, mein Leib wird
ſich kräftigen, wenn du Teufelin nicht mehr in den rothſeidenen
Polſtern meines Schmuckkäſtchens reſidirſt. Statt deiner laſſe ich
dann die Lurlei von Bodenhauſen oder die Verlaſſene von
Linger oder die Loni von Defregger in das üppige Luſt-
gemach einziehen — ſo werde ich mich um ſo raſcher erholt
haben! Noch ein Vierteljährchen vielleicht und dein entſchleiertes
Joſaphat, ſüße Seele, hätte an meinem armen Hirn zu zehren
begonnen wie die Sonne am Butterklos. Es war hohe Zeit, die
Trennung von Tiſch und Bett zu erwirken.


Brrr, ich fühle einen Heliogabalus in mir: Moritura me
salutat!
— Mädchen, Mädchen, warum preß'ſt du deine Kniee
zuſammen? — warum auch jetzt noch? — warum jetzt noch, ſo
Kind — angeſichts der unerforſchlichen Ewigkeit?? — Eine
Zuckung, und ich gebe dich frei! — Eine weibliche Regung,
ein Zeichen von Lüſternheit, von Sympathie, Mädchen! — ich
will dich in Gold rahmen laſſen, dich über meinem Bett auf-
hängen! — Ahnſt du denn nicht, daß nur deine Keuſchheit
meine Ausſchweifungen gebiert? — Wehe, wehe über die Un-
menſchlichen!


… Man ſieht eben immer, daß ſie eine muſterhafte
Erziehung genoſſen. — Mir geht es ja ebenſo.


[38]

Haſt du zu Nacht gebetet, Desdemona?


Das Herz krampft ſich mir zuſammen — — Unſinn! —
Auch die heilige Agnes ſtarb um ihrer Zurückhaltung willen
und war nicht halb ſo nackt wie du! — Einen Kuß noch auf
deinen blühenden Leib, — deine kindlich ſchwellende Bruſt —
deine ſüßgerundeten — deine grauſamen Kniee. …


Die Sache will's, die Sache will's, mein Herz!


Laßt ſie mich euch nicht nennen, keuſche Sterne!


Die Sache wills! —


(Das Bild fällt in die Tiefe; er ſchließt den Deckel.)

Vierte Scene.


Ein Heuboden. — Melchior liegt auf dem Rücken im friſchen Heu.
Wendla kommt die Leiter herauf.

Wendla.

Hier haſt du dich verkrochen? — Alles ſucht
dich. Der Wagen iſt wieder hinaus. Du mußt helfen. Es iſt
ein Gewitter im Anzug.


Melchior.

Weg von mir! — Weg von mir! —


Wendla.

Was iſt dir denn? — Was verbirgſt du dein
Geſicht?


Melchior.

Fort, fort! — Ich werfe dich in die Tenne
hinunter.


Wendla.

Nun geh' ich erſt recht nicht. —

(Kniet neben ihm
nieder.)

Warum kommſt du nicht mit auf die Matte hinaus,
Melchior? — Hier iſt es ſchwül und düſter. Werden wir auch
naß bis auf die Haut, was macht uns das!


Melchior.

Das Heu duftet ſo herrlich. — Der Himmel
draußen muß ſchwarz wie ein Bahrtuch ſein. — Ich ſehe nur
[39] noch den leuchtenden Mohn an deiner Bruſt — und dein Herz
hör' ich ſchlagen —


Wendla.

— — — Nicht küſſen, Melchior! — Nicht küſſen!


Melchior.

— dein Herz — hör' ich ſchlagen —


Wendla.

— Man liebt ſich — wenn man küßt — —
— — — Nicht, nicht! — —


Melchior.

O glaub' mir, es giebt keine Liebe! —
Alles Eigennutz, Alles Egoismus! — Ich liebe dich ſo wenig,
wie du mich liebſt. —


Wendla.

— — Nicht! — — — — — — — Nicht,
Melchior! — —


Melchior.

— — — Wendla!


Wendla.

O Melchior! — — — — — — — — nicht
— — nicht — —


Fünſte Scene.


Frau Gabor
(ſitzt, ſchreibt):

Lieber Herr Stiefel!


Nachdem ich 24 Stunden über Alles, was ſie mir ſchreiben,
nachgedacht und wieder nachgedacht, ergreife ich ſchweren Herzens
die Feder. Den Betrag zur Ueberfahrt nach Amerika kann ich
Ihnen — ich gebe Ihnen meine heiligſte Verſicherung — nicht
[verſchaffen]. Erſtens habe ich ſo viel nicht zu meiner Verfügung,
und zweitens, wenn ich es hätte, wäre es die denkbar größte
Sünde, Ihnen die Mittel zur Ausführung einer ſo folgenſchweren
Unbedachtſamkeit an die Hand zu geben. Bitter Unrecht würden
Sie mir thun, Herr Stiefel, in dieſer meiner Weigerung ein Zeichen
mangelnder Liebe zu erblicken. Es wäre umgekehrt die gröbſte
[40] Verletzung meiner Pflicht als Ihre mütterliche Freundin, wollte
ich mich durch Ihre momentane Faſſungsloſigkeit dazu beſtimmen
laſſen, nun auch meinerſeits den Kopf zu verlieren und meinen
erſten nächſtliegenden Impulſen blindlings nachzugeben. Ich bin
gern bereit — falls Sie es wünſchen — an Ihre Eltern zu
ſchreiben. Ich werde Ihre Eltern davon zu überzeugen ſuchen,
daß Sie im Laufe dieſes Quartals gethan haben, was Sie thun
konnten, daß Sie Ihre Kräfte erſchöpft, derart, daß eine riguroſe
Beurtheilung Ihres Geſchickes nicht nur ungerechtfertigt wäre,
ſondern in erſter Linie im höchſten Grade nachtheilig auf Ihren
geiſtigen und körperlichen Geſundheitszuſtand wirken könnte.


Daß Sie mir andeutungsweiſe drohen, im Fall Ihnen die
Flucht nicht ermöglicht wird, ſich das Leben nehmen zu wollen,
hat mich, offen geſagt, Herr Stiefel, etwas befremdet. Sei ein
Unglück noch ſo unverſchuldet, man ſollte ſich nie und nimmer
zur Wahl unlauterer Mittel hinreißen laſſen. Die Art und Weiſe,
wie Sie mich, die ich Ihnen ſtets nur Gutes erwieſen, für einen
eventuellen entſetzlichen Frevel Ihrerſeits verantwortlich machen
wollen, hat etwas, das in den Augen eines ſchlechtdenkenden
Menſchen gar zu leicht zum Erpreſſungsverſuch werden könnte.
Ich muß geſtehen, daß ich mir dieſes Vorgehens von Ihnen, der
Sie doch ſonſt ſo gut wiſſen, was man ſich ſelber ſchuldet, zu
allerletzt gewärtig geweſen wäre. Indeſſen hege ich die feſte
Ueberzeugung, daß Sie noch zu ſehr unter dem Eindruck des
erſten Schreckens ſtanden, um ſich Ihrer Handlungsweiſe voll-
kommen bewußt werden zu können.


Und ſo hoffe ich denn auch zuverſichtlich, daß dieſe meine
Worte Sie bereits in gefaßterer Gemüthsſtimmung antreffen.
Nehmen Sie die Sache, wie ſie liegt. Es iſt meiner Anſicht nach
durchaus unzuläſſig, einen jungen Mann nach ſeinen Schulzeug-
niſſen zu beurtheilen. Wir haben zu viele Beiſpiele, daß ſehr
ſchlechte Schüler vorzügliche Menſchen geworden, und umgekehrt
[41] ausgezeichnete Schüler ſich im Leben nicht ſonderlich bewährt
haben. Auf jeden Fall gebe ich Ihnen die Verſicherung, daß
Ihr Mißgeſchick, ſoweit das von mir abhängt, in Ihrem Verkehr
mit Melchior nichts ändern ſoll. Es wird mir ſtets zur Freude
gereichen, meinen Sohn mit einem jungen Manne umgeh'n zu
ſehen, der ſich, mag ihn nun die Welt beurtheilen, wie ſie will,
auch meine vollſte Sympathie zu gewinnen vermochte.


Und ſomit Kopf hoch, Herr Stiefel! — Solche Kriſen
dieſer oder jener Art treten an jeden von uns heran und wollen
eben überſtanden ſein. Wollte da ein Jeder gleich zu Dolch und
Gift greifen, es möchte recht bald keine Menſchen mehr auf der
Welt geben. Laſſen Sie bald wieder etwas von ſich hören und
ſeien Sie herzlich gegrüßt von Ihrer Ihnen unverändert zugethanen
mütterlichen Freundin
Fanny G.


Sechſte Scene.


Bergmanns Garten im Morgenſonnenglanz.

Wendla.

Warum haſt du dich aus der Stube geſchlichen?
— Veilchen ſuchen! — Weil mich Mutter lächeln ſieht. — Warum
bringſt du auch die Lippen nicht mehr zuſammen? — Ich weiß
nicht. — Ich weiß es ja nicht, ich finde nicht Worte. ...


Der Weg iſt wie ein Pelücheteppich — kein Steinchen, kein
Dorn. — Meine Füße berühren den Boden nicht … O, wie
ich die Nacht geſchlummert habe!


Hier ſtanden ſie. — Mir wird ernſthaft wie einer Nonne
beim Abendmahl. — Süße Veilchen! — Ruhig, Mütterchen. Ich
will mein Bußgewand anzieh'n. — Ach Gott, wenn jemand käme,
dem ich um den Hals fallen und erzählen könnte!


[42]

Siebente Scene.


Abenddämmerung. Der Himmel iſt leicht bewölkt. Der Weg
ſchlängelt ſich durch niedres Gebüſch und Riedgras. In einiger
Entfernung hört man den Fluß rauſchen.

Moritz.

Beſſer iſt beſſer. — Ich paſſe nicht hinein. Mögen
ſie einander auf die Köpfe ſteigen. — Ich ziehe die Thür hinter
mir zu und trete in's Freie. — Ich gebe nicht ſoviel darum, mich
herumdrücken zu laſſen.


Ich habe mich nicht aufgedrängt. Was ſoll ich mich jetzt
aufdrängen! — Ich habe keinen Vertrag mit dem lieben Gott.
Mag man die Sache drehen, wie man ſie drehen will. Man hat
mich gepreßt. — Meine Eltern mache ich nicht verantwortlich.
Immerhin mußten ſie auf das Schlimmſte gefaßt ſein. Sie waren
alt genug, um zu wiſſen, was ſie thaten. Ich war ein Säugling
als ich zur Welt kam — ſonſt wär' ich wohl auch noch ſo
ſchlau geweſen, ein Anderer zu werden. — Was ſoll ich dafür
büßen, daß alle Andern ſchon da waren!


Ich müßte ja auf den Kopf gefallen ſein … macht mir
jemand einen tollen Hund zum Geſchenk, dann gebe ich ihm ſeinen
tollen Hund zurück. Und will er ſeinen tollen Hund nicht zurück-
nehmen, dann bin ich menſchlich und …


Ich müßte ja auf den Kopf gefallen ſein!


Man wird ganz per Zufall geboren und ſollte nicht nach
reiflichſter Ueberlegung — — — es iſt zum Todtſchießen!


— Das Wetter zeigt ſich wenigſtens rückſichtsvoll. Den
ganzen Tag ſah es nach Regen aus und nun hat es ſich doch
gehalten. — Es herrſcht eine ſeltene Ruhe in der Natur. Nirgends
etwas Grelles, Aufreizendes. Himmel und Erde ſind wie durch-
ſichtiges Spinnewebe. Und dabei ſcheint ſich alles ſo wohl zu
fühlen. Die Landſchaft iſt lieblich wie eine Schlummermelodie
— „ſchlafe, mein Prinzchen, ſchlaf ein“, wie Fräulein
[43]Snandulia ſang. Schade, daß ſie die Ellbogen ungraziös
hält! — Am [Cäcilienfeſt] habe ich zum letzten Male getanzt.
Snandulia tanzt nur mit Partien. Ihre Seidenrobe war
hinten und vorn ausgeſchnitten. Hinten bis auf den Taillengürtel
und vorne bis zur Bewußtloſigkeit. — Ein Hemd kann ſie nicht
angehabt haben …
— — — — — — — — — — — — — —


— das wäre etwas, was mich noch feſſeln könnte. —
Mehr der Curioſität halber. — Es muß ein ſonderbares Empfinden
ſein — — ein Gefühl, als würde man über Stromſchnellen ge-
riſſen — — — Ich werde es niemandem ſagen, daß ich unver-
richteter Sache wiederkehre. Ich werde ſo thun, als hätte ich
alles das mitgemacht … Es hat etwas Beſchämendes, Menſch
geweſen zu ſein, ohne das Menſchlichſte kennen gelernt zu haben.
— Sie kommen aus Aegypten, verehrter Herr, und haben die
Pyramiden nicht geſeh'n?!


Ich will heute nicht wieder weinen. Ich will nicht wieder
an mein Begräbniß denken — — Melchior wird mir einen
Kranz auf den Sarg legen. Paſtor Kahlbauch wird meine
Eltern tröſten. Rektor Sonnenſtich wird Beiſpiele aus der
Geſchichte citiren. — Einen Grabſtein werd' ich ja wahrſcheinlich
nicht bekommen. Ich hätte mir eine ſchneeweiße Marmorurne
auf ſchwarzem Syenitſockel gewünſcht — ich werde ſie ja gottlob
nicht vermiſſen. Die Denkmäler ſind für die Lebenden, nicht
für die Todten.


Ich brauchte wohl ein Jahr, um in Gedanken von allem
Abſchied zu nehmen. Ich will nicht wieder weinen. Ich bin ſo
froh, ohne Bitterkeit zurückblicken zu dürfen. Wie manchen ſchönen
Abend ich mit Melchior verlebt habe! — unter den Uferweiden;
beim Forſthaus; am Herrweg draußen, wo die fünf Linden ſtehen;
auf dem Schloßberg, zwiſchen den lauſchigen Trümmern der
Runenburg — — — Wenn die Stunde gekommen, will ich aus
[44] Leibeskräften an Schlagſahne denken. Schlagſahne hält nicht
auf. Sie ſtopft und hinterläßt dabei doch einen angenehmen
Nachgeſchmack … Auch die Menſchen hatte ich mir unendlich
ſchlimmer gedacht. Ich habe keinen gefunden, der nicht ſein
beſtes gewollt hätte. Ich habe manchen bemitleidet um meinet-
willen.


Ich wandle zum Altar wie der Jüngling im alten Etrurien,
deſſen letztes Röcheln der Brüder Wohlergehen für das kommende
Jahr erkauft. — Ich durchkoſte Zug für Zug die geheimnißvollen
Schauer der Loslöſung. Ich ſchluchze vor Wehmuth über mein
Loos. — — Das Leben hat mir die kalte Schulter gezeigt. Von
drüben her ſehe ich ernſte freundliche Blicke winken: die kopfloſe
Königin, die kopfloſe Königin — Mitgefühl, mich mit weichen
Armen erwartend … Eure Gebote gelten für Unmündige; ich
trage mein Freibillet in mir. Sinkt die Schale, dann flattert
der Falter davon; das Trugbild genirt nicht mehr. — Ihr ſolltet
kein tolles Spiel mit dem Schwindel treiben! Der Nebel zerrinnt;
das Leben iſt Geſchmackſache.


Ilſe
(in abgerißenen Kleidern, ein buntes Tuch um den Kopf, faßt ihn von
rückwärts an der Schulter).

Was haſt du verloren?


Moritz.

Ilſe?!


Ilſe.

Was ſuchſt du hier?


Moritz.

Was erſchreckſt du mich ſo?


Ilſe.

Was ſuchſt du? — Was haſt du verloren?


Moritz.

Was erſchreckſt du mich denn ſo entſetzlich?


Ilſe.

Ich komme aus der Stadt. — Ich gehe nach Hauſe.


Moritz.

Ich weiß nicht, was ich verloren habe.


Ilſe.

Dann hilft auch dein Suchen nichts.


Moritz.

Sakerment, Sakerment!!


Ilſe.

Seit vier Tagen bin ich nicht zu Hauſe geweſen.


[45]
Moritz.

— Lautlos wie eine Katze!


Ilſe.

Weil ich meine Ballſchuhe anhabe. — Mutter wird
Augen machen! — Komm bis an unſer Haus mit!


Moritz.

Wo haſt du wieder herumgeſtrolcht?


Ilſe.

In der Priapia.


Moritz.

Priapia?


Ilſe.

Bei Nohl, bei Fehrendorf, bei Pradinsky,
bei Lenz, Rank, Spühler — bei allen möglichen! — Kling,
kling — die wird ſpringen!


Moritz.

Malen ſie dich?


Ilſe.

Fehrendorf malt mich als Säulenheilige. Ich
ſtehe auf einem korinthiſchen Kapitäl. Fehrendorf, ſag' ich
dir, iſt eine verhauene Nudel. Das letzte Mal zertrat ich ihm
eine Tube. Er wiſcht mir die Pinſel in's Haar. Ich verſetze
ihm eine Ohrfeige. Er warf mir die Palette an den Kopf. Ich
ſchmiß die Staffelei um. Er mit dem Malſtock hinter mir drein
über Divan, Tiſche, Stühle, ringsum durch's Atelier. Hinterm
Ofen lag eine Skizze: — Artig ſein, oder ich reiße ſie durch! —
Er ſchwor Amneſtie und hat mich dann ſchließlich noch ſchrecklich
— ſchrecklich, ſag' ich dir — abgeküßt.


Moritz.

Wo übernachteſt du, wenn du in der Stadt bleibſt?


Ilſe.

Geſtern waren wir bei Nohl — vorgeſtern bei Bojoke-
witſch
— am Sonntag bei Oikonomopulos. Bei Padinsky
gab's Sekt. Valabregez hatte ſeinen Peſtkranken verkauft.
Adelar trank aus der Zuckerdoſe. Lenz ſang die Kinds-
mörderin
und Adolar ſchlug die Guitarre krumm. Ich war
ſo betrunken, daß ſie mich zu Bett bringen mußten. — — Du
gehſt immer noch zur Schule, Moritz?


Moritz.

Nein, nein … dieſes Quartal nehme ich meine
Entlaſſung.


[46]
Ilſe.

Du haſt Recht. Ach wie die Zeit vergeht, wenn
man Geld verdient! — Weißt du noch, wie wir Räuber ſpielten
Wendla Bergmann und du und ich und die Andern,
wenn ihr Abends herauskamt und kuhwarme Ziegenmilch bei
uns trankt? — Was macht Wendla? Ich ſah' ſie noch bei der
Ueberſchwemmung. — Was macht Melchi Gabor? — Schaut
er noch ſo tiefſinnig drein? — In der Singſtunde ſtanden wir
einander gegenüber.


Moritz.

Er philoſophirt.


Ilſe.

Wendla war derweil bei uns und hat der Mutter
Eingemachtes gebracht. Ich ſaß den Tag bei Iſidor Landauer.
Er braucht mich zur heiligen Maria, Mutter Gottes, mit dem
Chriſtuskind. Er iſt ein Tropf aber widerlich. Hu, wie ein
Wetterhahn! — Haſt du Katzenjammer?


Moritz.

Von geſtern Abend! — Wir haben wie Nilpferde
gezecht. Um fünf Uhr wankt' ich nach Hauſe.


Ilſe.

Man braucht dich nur anzuſeh'n! — Waren Mäd-
chen dabei?


Moritz.

Arabella, die Biernymphe, Andaluſierin! — Der
Wirth ließ uns die ganze Nacht durch mit ihr allein.


Ilſe.

Man braucht dich nur anzuſehen, Moritz! —
Ich kenne keinen Katzenjammer. Vergangenen Carneval kam
ich drei Tage und drei Nächte in kein Bett und nicht aus den
Kleidern. Von der Redoute in's Café, Mittags in Ballaviſta,
Abends Tingl-Tangl, Nachts zur Redoute. Lena war dabei und
die dicke Viola. — In der dritten Nacht fand mich Heinrich.


Moritz.

Hatte er dich geſucht?


Ilſe.

Er war über meinen Arm geſtolpert. Ich lag
bewußtlos im Straßenſchnee. — Darauf kam ich zu ihm hin.
Vierzehn Tage verließ ich ſeine Behauſung nicht — eine gräuliche
[47] Zeit! — Morgens mußte ich ſeinen perſiſchen Schlafrock über-
werfen und Abends in ſchwarzem Pagenkoſtüm durch's Zimmer
geh'n; an Hals, an Knien und Aermeln weiße Spitzenaufſchläge.
Täglich photographirte er mich in anderem Arrangement —
einmal auf der Sophalehne als Ariadne, einmal als Leda, einmal
als Ganymed, einmal auf allen Vieren als weiblicher Nebuchod-
Noſor. Dabei ſchwärmte er von Umbringen, von Erſchießen,
Selbſtmord und Kohlendampf. Frühmorgens nahm er eine Piſtole
in's Bett, lud ſie voll Spitzkugeln und ſetzte ſie mir auf die
Bruſt: Ein Zwinkern, ſo drück' ich! — O er hätte gedrückt,
Moritz; er hätte gedrückt! — Dann nahm er das Dings in den
Mund wie ein Puſterohr. Das wecke den Selbſterhaltungstrieb.
Er tändelte damit wie Lena mit ihrem Ridicül. Brrrr — die
Kugel wäre mir durch's Rückgrat gegangen.


Moritz.

Lebt Heinrich noch?


Ilſe.

Was weiß ich! — Ueber dem Bett war ein Decken-
ſpiegel im Plafond eingelaſſen. Das Cabinet ſchien thurmhoch
und hell wie ein Opernhaus. Man ſah ſich leibhaftig vom Himmel
herunterhängen. Grauenvoll habe ich die Nächte geträumt. —
Gott, o Gott, wenn es erſt wieder Tag würde! — Gute Nacht,
Ilſe. Wenn du ſchläfſt, biſt du zum Morden ſchön!


Moritz.

Lebt dieſer Heinrich noch?


Ilſe.

So Gott will nicht! — Wie er eines Tages Abſynth
holt, werfe ich den Mantel um und ſchleiche mich auf die Straße.
Der Faſching war aus; die Polizei fängt mich ab; was ich in
Mannskleidern wolle? — Sie brachten mich zur Hauptwache.
Da kommen Nohl, Fehrendorf, Padinsky, Spühler,
Oikonomopulos
, die ganze Priapia, und bürgen für mich.
Im Fiaker transportirten ſie mich auf Adolar's Atelier. Seither
bin ich der Horde treu. Fehrendorf iſt ein Affe, Nohl iſt
ein Schwein, Bojokewitſch ein Uhu, Loiſon eine Hyäne,
Oikonomopulos ein Kameel — darum lieb' ich ſie doch
[48] einen wie den andern und möchte mich an ſonſt niemand hängen,
und wenn die Welt voll Erzengel und Millionäre wär'!


Moritz.

— Ich muß zurück, Ilſe.


Ilſe.

Komm' bis an unſer Haus mit!


Moritz.

— Wozu? — Wozu? —


Ilſe.

Kuhwarme Ziegenmilch trinken! — Ich will dir
Locken brennen und dir ein Glöcklein um den Hals hängen. —
Wir haben auch noch ein Hü-Pferdchen, mit dem du ſpielen kannſt.


Moritz.

Ich muß zurück. — Ich habe noch die Saſſa-
niden, die Bergpredigt und das Parallelepipedon auf dem Ge-
wiſſen. — Gute Nacht, Ilſe!


Ilſe.

Schlumm're ſanft! … Geht ihr wohl noch zum
Wigwam hinunter, wo Melchi Gabor mein Tomahawk
begrub? — Brrr! Bis es an euch kommt, lieg' ich im Kehricht.


(Eilt davon.)

Moritz
(allein).

— — — Ein Wort hätte es gekoſtet.
— — Ilſe! — Ilſe! — — Gottlob ſie hört nicht mehr.


— Ich bin in der Stimmung nicht. — Dazu bedarf es
eines freien Kopfes und eines fröhlichen Herzens. — Schade,
ſchade um die Gelegenheit!


… ich werde ſagen, ich hätte mächtige Kryſtallſpiegel
über meinen Betten gehabt — hätte mir ein unbändiges Füllen
gezogen — hätte es in langen ſchwarzſeidenen Strümpfen und
ſchwarzen Lackſtiefeln und ſchwarzen, langen Glacé-Handſchuhen,
ſchwarzen Sammt um den Hals, über den Teppich an mir vorbei-
ſtolziren laſſen — hätte es in einem Wahnſinnsanfall in meinen
Kiſſen erwürgt … ich werde lächeln wenn von Wolluſt die
Rede iſt … ich werde —


Aufſchreien! — Aufſchreien! — Du ſein, Ilſe! —
Priapia! — Beſinnungsloſigkeit! — Das nimmt die
[49] Kraft mir! — Dieſes Glückskind, dieſes Sonnenkind —
dieſes Freudenmädchen auf meinem Jammerweg! — —
Oh! — Oh
!


— — — — — — — — — — — — — —
— — — — — — — — — — — — — —


(Im Ufergebüſch.)

Hab' ich ſie doch unwillkürlich wiedergefunden — die
Raſenbank. Die Königskerzen ſcheinen gewachſen ſeit geſtern.
Der Ausblick zwiſchen den Weiden durch iſt derſelbe noch. — Der
Fluß zieht ſchwer wie geſchmolzenes Blei. Daß ich nicht ver-
geſſe …

(er zieht Frau Gabor's Brief aus der Taſche und verbrennt ihn)


Wie die Funken irren — hin und her, kreuz und quer —
Seelen! — Sternſchnuppen! —


Eh' ich angezündet, ſah man die Gräſer noch und einen
Streifen am Horizont. — Jetzt iſt es dunkel geworden. Jetzt
gehe ich nicht mehr nach Hauſe.


Wedekind, Frühlings-Erwachen. 4
[[50]]
[figure]

Dritter Act.


Erſte Scene.


Conferenzzimmer. — An den Wänden die Bildniſſe von Peſtalozzi
und J. J. Rouſſeau. Um einen grünen Tiſch, über dem mehrere Gas-
flammen brennen, ſitzen die Profeſſoren Affenſchmalz, Knüppeldick,
Hungergurt, Knochenbruch, Zungenſchlag
und Fliegentod.
Am oberen Ende auf erhöhtem Seſſel Rektor Sonnenſtich. Pedell
Habebald kauert neben der Thür.

Sonnenſtich.

… Sollte einer der Herren Collegen noch
etwas zu bemerken haben? — — Meine Herren! — Wenn wir
nicht umhin können, bei einem hohen Cultusminiſterium die
Relegation unſeres ſchuldbeladenen Schülers zu beantragen, ſo
können wir das aus den ſchwerwiegendſten Gründen nicht. Wir
können es nicht, um unſerer Anſtalt ihren bisherigen fleckenloſen
Ruf, wir können es nicht, um unſeren Bemühungen ihre bisherigen
glanzvollen Reſultate zu wahren. Wir können es nicht, meine
Herren, um das leider bereits hereingebrochene Unglück zu ſühnen,
wir können es ebenſo wenig, um unſere Anſtalt für die Zukunft
vor ähnlichen tieferſchütternden Schlägen ſicher zu ſtellen. Wir
können es nicht, um unſeren ſchuldbeladenen Schüler für den
demoraliſirenden Einfluß, den er auf ſeinen durch ihn bedauerns-
[51] werth gewordenen Klaſſengenoſſen ausgeübt, zu züchtigen; wir
können es zu allerletzt, um unſeren ſchuldbeladenen Schüler zu
hindern, den nämlichen demoraliſirenden Einfluß auf ſeine noch
unberührt gebliebenen Klaſſengenoſſen auszuüben. Wir können
es — und der, meine Herren Collegen, möchte der ſchwerwiegendſte
ſein — aus dem jedwelchen Einwand niederſchlagenden Grunde nicht,
weil wir unſere Anſtalt vor den Verheerungen einer Selbſtmord-
Epidemie
zu ſchützen haben, wie ſie bereits an verſchiedenen
Gymnaſien zum jähen Ausbruch gelangt und bis heute noch allen
Mitteln, den Gymnaſiaſten an ſeine durch ſeine Heranbildung
zum Gebildeten gebildeten Exiſtenzbedingungen zu feſſeln, geſpottet
hat. — — Sollte einer der Herren Collegen noch etwas zu
bemerken haben?


Knüppeldick.

Ich kann mich nicht länger der Ueber-
zeugung verſchließen, daß es endlich an der Zeit wäre — irgendwo
ein Fenſter zu öffnen.


Knochenbruch.

Ich ſchließe mich Ihrer Anſicht an, Herr
Collega.


Zungenſchlag.

Es herrſcht hier nämlich eine A-A-Athmo-
ſphäre wie in den unterirdiſchen Kata-Katakomben der ewigen
Stadt — wie unter den Bleidächern Ve-Ve-Ve-Venedigs — wie
in den A-Aktenſälen des weiland Wetzlarer Ka-Ka-Ka-Ka-Kammer-
gerichtes.


Sonnenſtich.

Habebald!


Habebald.

Befehlen, Herr Rektor!


Sonnenſtich.

Oeffnen Sie ein Fenſter! — Wir haben,
Gott ſei Dank, Atmoſphäre genug in Gottes freier Natur. — —
Sollte einer der Herren Collegen noch ſonſt etwas zu bemerken
haben?


Fliegentod.

Wenn meine Herren Collegen ein Fenſter
öffnen laſſen wollen, ſo habe ich meinerſeits nichts dagegen ein-
4*
[52] zuwenden. Nur muß ich dringend darum erſuchen, das Fenſter
nicht gerade hinter meinem Rücken öffnen laſſen zu wollen!


Affenſchmalz.

Ich ſchließe mich Ihrer Anſicht an, Herr
Collega.


Sonnenſtich.

Habebald!


Habebald.

Befehlen, Herr Rektor!


Sonnenſtich.

Oeffnen Sie das andere Fenſter! — —
Sollte einer der Herren Collegen noch ſonſt etwas zu bemerken
haben?


Hungergurt.

Ohne daß ich die Controverſe in dieſer
oder in jener Hinſicht belaſten möchte, möchte ich an die dabei
vollkommen außer Acht gelaſſene Thatſache erinnern, daß das
andere Fenſter ſeit den Herbſtferien zugemauert iſt.


Sonnenſtich.

Habebald!


Habebald.

Befehlen, Herr Rektor!


Sonnenſtich.

Laſſen Sie das andere Fenſter geſchloſſen!
— Ich ſehe mich genöthigt, meine Herren, den Antrag unſeres
Herrn Collega Knüppeldick zur Abſtimmung zu bringen. Ich
erſuche diejenigen Herren Collegen, die dafür ſind, daß das einzig
hier in Frage kommen könnende Fenſter geöffnet werde, ſich von
ihren Sitzen zu erheben. — Eins, zwei, drei. — Eins, zwei,
drei. — Habebald!


Habebald.

Befehlen, Herr Rektor!


Sonnenſtich.

Laſſen Sie das eine Fenſter gleichfalls
geſchloſſen! — Ich meinerſeits hege die Ueberzeugung, daß die
hier herrſchende Athmoſphäre wenig oder nichts zu wünſchen
übrig läßt. — — Sollte einer der Herren Collegen noch ſonſt
etwas zu bemerken haben? — — Meine Herren! — Setzen wir
den Fall, daß wir die Relegation unſeres ſchuldbeladenen Schülers
bei einem hohen Cultusminiſterium zu beantragen unterlaſſen, ſo
[53] wird uns ein hohes Cultusminiſterium für das hereingebrochene
Unglück, an dem neben dem Verunglückten unſer ſchuldbeladener
Schüler die Hauptſchuld trägt, verantwortlich machen. Von den
verſchiedenen von der Selbſtmord-Epidemie heimgeſuchten Gym-
naſien ſind diejenigen, an denen fünfundzwanzig Prozent den
Verheerungen der Selbſtmord-Epidemie zum Opfer gefallen, von
einem hohen Cultusminiſterium ſuſpendirt worden. Vor dieſem
erſchütterndſten Schlage unſere Anſtalt, deren Hüter und Bewahrer
wir ſind, zu wahren, iſt unſere Pflicht als Hüter und Bewahrer
unſerer Anſtalt. Es ſchmerzt uns tief, meine Herren Collegen,
daß wir die ſonſtige Qualification unſeres ſchuldbeladenen Schülers
als mildernden Umſtand gelten zu laſſen nicht in der beneidens-
werthen Lage ſind. Ein nachſichtiges Verfahren, das ſich unſerem
ſchuldbeladenen Schüler gegenüber rechtfertigen ließe, ließe ſich
der zur Zeit in denkbar bedenklichſter Weiſe gefährdeten Exiſtenz
unſerer Anſtalt gegenüber nicht rechtfertigen. Wir ſehen uns,
wie wir einander einſtimmig eingeſtehen, in die zwingende Noth-
wendigkeit verſetzt, den Schuldbeladenen zu richten, um nicht als
die Schuldloſen gerichtet zu werden. — Habebald!


Habebald.

Befehlen, Herr Rektor!


Sonnenſtich.

Führen Sie ihn herauf!


(Habebald ab.)

Zungenſchlag.

Wenn die he-herrſchende A-A-Athmo-
ſphäre maßgebenderſeits wenig oder nichts zu wünſchen übrig
läßt, ſo möchte ich den Antrag ſtellen, während der So-Sommer-
ferien auch noch das andere Fenſter zu-zu-zu-zu-zu-zu-zu-zu-zuzu-
mauern!


Fliegentod.

Wenn unſerem lieben Herrn Collega Zungen-
ſchlag unſer Lokal nicht genügend ventilirt erſcheint, ſo möchte
ich den Antrag ſtellen, unſerm lieben Herrn Collega Zungenſchlag
eine Drainage in die Stirnhöhle appliciren zu laſſen.


[54]
Zungenſchlag.

Da-da-das brauche ich mir nicht gefallen
zu laſſen! — Gro-Grobheiten brauche ich mir nicht gefallen zu
laſſen! — Ich bin meiner fü-fü-fü-fü-fünf Sinne mächtig …!


Sonnenſtich.

Ich muß unſere Herren Collegen Fliegentod
und Zungenſchlag um einigen Anſtand erſuchen. Unſer ſchuld-
beladener Schüler ſcheint mir bereits auf der Treppe zu ſein.


(Habebald öffnet die Thür, worauf Melchior, bleich aber gefaßt, vor die Verſammlung tritt.)

Sonnenſtich.

Treten Sie näher an den Tiſch heran! —
Nachdem Herr Rentier Stiefel von dem ruchloſen Frevel ſeines
Sohnes Kenntniß erhalten, durchſuchte der faſſungsloſe Vater, in
der Hoffnung, auf dieſem Wege möglicherweiſe dem Anlaß der
verabſcheuungswürdigen Unthat auf die Spur zu kommen, die
hinterlaſſenen Effekten ſeines Sohnes Moritz und ſtieß dabei an
einem nicht zur Sache gehörigen Orte auf ein Schriftſtück, welches
uns, ohne noch die verabſcheuungswürdige Unthat an ſich ver-
ſtändlich zu machen, für die dabei maßgebend geweſene moraliſche
Zerrüttung des Unthäters eine leider nur allzu ausreichende
Erklärung liefert. Es handelt ſich um eine in Geſprächsform
abgefaßte, „der Beiſchlaf“ betitelte, mit lebensgroßen Abbil-
dungen verſehene, von den ſchamloſeſten Unfläthereien ſtrotzende,
zwanzig Seiten lange Abhandlung, die den geſchraubteſten An-
forderungen, die ein verworfener Lüſtling an eine unzüchtige
Lektüre zu ſtellen vermöchte, entſprechen dürfte. —


Melchior.

Ich habe …


Sonnenſtich.

Sie haben ſich ruhig zu verhalten! —
Nachdem Herr Rentier Stiefel uns fragliches Schriftſtück ausge-
händigt und wir dem faſſungsloſen Vater das Verſprechen ertheilt,
um jeden Preis den Autor desſelben zu ermitteln, wurde die uns
vorliegende Handſchrift mit den Handſchriften ſämmtlicher Mit-
ſchüler des weiland Ruchloſen verglichen und ergab nach dem
einſtimmigen Urtheil der geſammten Lehrerſchaft, ſowie in voll-
[55] kommenem Einklang mit dem Spezial-Gutachten unſeres geſchätzten
Herrn Collegen für Kaligraphie die denkbar bedenklichſte Aehn-
lichkeit mit der Ihrigen. —


Melchior.

Ich habe …


Sonnenſtich.

Sie haben ſich ruhig zu verhalten! —
Ungeachtet der erdrückenden Thatſache der von Seiten unantaſt-
barer Autoritäten anerkannten Aehnlichkeit, glauben wir uns
vorderhand noch jeder weiteren Maßnahmen enthalten zu dürfen,
um in erſter Linie den Schuldigen über das ihm demgemäß zur
Laſt fallende Vergehen wider die Sittlichkeit in Verbindung mit
daraus reſultirender Veranlaſſung zur Selbſtentleibung ausführlich
zu vernehmen. —


Melchior.

Ich habe …


Sonnenſtich.

Sie haben die genau präziſirten Fragen,
die ich Ihnen der Reihe nach vorlege, eine um die andere, mit
einem ſchlichten und beſcheidenen „Ja“ oder „Nein“ zu beant-
worten. — Habebald!


Habebald.

Befehlen, Herr Rektor!


Sonnenſtich.

Die Akten! — — Ich erſuche unſeren
Schriftführer, Herrn Collega Fliegentod, von nun an möglichſt
wortgetreu zu protokolliren. —

(zu Melchior)

Kennen Sie dieſes
Schriftſtück?


Melchior.

Ja.


Sonnenſtich.

Wiſſen Sie, was dieſes Schriftſtück enthält?


Me[l]chior.

Ja.


Sonnenſtich.

Iſt die Schrift dieſes Schriftſtücks die
Ihrige?


Melchior.

Ja.


Sonnenſtich.

Sind die in dieſes Schriftſtück eingeſtreuten
lebensgroßen Abbildungen gleichfalls von Ihrer Hand?


[56]
Melchior.

Ja … ich erſuche Sie …


Sonnenſtich.

Verdankt dieſes Schriftſtück, ſo wie es uns
hier vorliegt, Ihnen ſeine Abfaſſung?


Melchior.

Ja. Ich erſuche Sie, Herr Rektor, mir eine
Unfläthigkeit darin nachzuweiſen …


Sonnenſtich.

… Sind die in dieſes Schriftſtück ein-
geſtreuten lebensgroßen Abbildungen gleichfalls Originalarbeit?


Melchior.

Ich erſuche Sie, mir eine Unflätherei in dem
Aufſatz nachzuweiſen!


Sonnenſtich.

Sie haben die genau präziſirten Fragen,
die ich Ihnen vorlege, mit einem ſchlichten und beſcheidenen
„Ja“ oder „Nein“ zu beantworten!


Melchior.

Ich habe nicht mehr und nicht weniger ge-
ſchrieben, als was eine Ihnen ſehr wohl bekannte Thatſache iſt!


Sonnenſtich.

Dieſer Schandbube!!


Melchior.

Ich erſuche Sie, mir einen Verſtoß gegen die
Sittlichkeit in der Schrift zu zeigen!


[Sonnenſtich].

Bilden Sie ſich ein, ich hätte Luſt, zum
Hanswurſt an Ihnen zu werden?! — Habebald …!


Melchior.

Ich habe …


Sonnenſtich.

Sie haben ſo wenig Ehrerbietung vor der
Würde Ihrer verſammelten Lehrerſchaft, wie ſie Anſtandsgefühl
für das dem Menſchen eingewurzelte Empfinden für die Discretion
der Verſchämtheit einer ſittlichen Weltordnung haben! — Habe-
bald!!


Habebald.

Befehlen, Herr Rektor!


Sonnenſtich.

Es iſt ja der Langenſcheidt zur drei-
ſtündigen Erlernung des aggluttirenden Volapük!


Melchior.

Ich habe …


[57]
Sonnenſtich.

Ich erſuche unſeren Schriftführer, Herrn
Collega Fliegentodt, das Protokoll zu ſchließen!


Melchior.

Ich habe …


Sonnenſtich.

Sie haben ſich ruhig zu verhalten!! —
Habebald!


Habebald.

Befehlen, Herr Rector!!


Sonnenſtich.

Führen Sie ihn hinunter!


Zweite Scene.


Friedhof in ſtrömendem Regen. — Vor einem offenen Grabe ſteht Paſtor
Kahlbauch, den aufgeſpannten Schirm in der Hand. Zu ſeiner Rechten
Rentier Stiefel, deſſen Freund Ziegenmelker und Onkel Probſt.
Zur Linken Rektor Sonnenſtich mit Profeſſor Knochenbruch. Gym-
naſiaſten ſchließen den Kreis. In einiger Entfernung vor einem halbver-
fallenen Grabmonument Martha und Ilſe.

Paſtor Kahlbauch.

… Denn wer die Gnade, mit der
der ewige Vater den in Sünden Geborenen geſegnet, von ſich
wies, er wird des geiſtigen Todes ſterben! — Wer aber in
eigenwilliger fleiſchlicher Verleugnung der Gott gebührenden Ehre
dem Böſen gelebt und gedient, er wird des leiblichen Todes
ſterben! — Wer jedoch das Kreuz, das der Allerbarmer ihm um
der Sünde willen auferlegt, freventlich von ſich geworfen, wahr-
lich, wahrlich, ich ſage euch, der wird des ewigen Todes ſterben! —

(Er wirft eine Schaufel voll Erde in die Gruft.)

— Uns aber, die wir fort
und fort wallen den Dornenpfad, laſſet den Herrn, den allgütigen,
preiſen und ihm danken für ſeine unerforſchliche Gnaden-
wahl. Denn ſo wahr dieſer eines dreifachen Todes ſtarb,
ſo wahr wird Gott der Herr den Gerechten einführen zur [Selig-
keit]
und zum ewigen Leben. — Amen.


[58]
Rentier Stiefel
(mit thränenerſtickter Stimme, wirft eine Schaufel
voll Erde in die Gruft).

Der Junge war nicht von mir! — Der Junge
war nicht von mir! — Der Junge hat mir von kleinauf nicht
gefallen!


Rektor Sonnenſtich
(wirft eine Schaufel voll Erde in die Gruft).

Der Selbſtmord als der denkbar bedenklichſte Verſtoß gegen die
ſittliche Weltordnung iſt der denkbar bedenklichſte Beweis für die
ſittliche Weltordnung, indem der Selbſtmörder der ſittlichen Welt-
ordnung den Urtheilsſpruch zu ſprechen erſpart und ihr Beſtehen
beſtätigt.


Profeſſor Knochenbruch
(wirft eine Schaufel voll Erde in die
Gruft).

Verbummelt — verſumpft — verhurt — verlumpt —
und verludert!


Onkel Probſt
(wirft eine Schaufel voll Erde in die Gruft).

Meiner
eigenen Mutter hätte ich's nicht geglaubt, daß ein Kind ſo nieder-
trächtig an ſeinen Eltern zu handeln vermöchte!


Freund Ziegenmelker
(wirft eine Schaufel voll Erde in die Gruft).

An einem Vater zu handeln vermöchte, der nun ſeit zwanzig
Jahren von früh bis ſpät keinen Gedanken mehr hegt, als das
Wohl ſeines Kindes!


Paſtor [Kahlbauch]
(Rentier Stiefel die Hand drückend).

Wir
wiſſen, daß denen, die Gott lieben, alle Dinge zum beſten dienen
1. Corinth. 12, 15. — Denken Sie der troſtloſen Mutter und
ſuchen Sie ihr das Verlorene durch verdoppelte Liebe zu erſetzen!


Rektor Sonnenſtich
(Rentier Stiefel die Hand drückend).

Wir
hätten ihn ja wahrſcheinlich doch nicht promoviren können!


Profeſſor Knochenbruch
(Rentier Stiefel die Hand drückend).

Und wenn wir ihn promovirt hätten, im nächſten Frühling wäre
er des allerbeſtimmteſten durchgefallen!


Onkel Probſt
(Rentier Stiefel die Hand drückend).

Jetzt haſt du vor
allem die Pflicht, an dich zu denken. Du biſt Familienvater …!


[59]
Freund Ziegenmelker
(Rentier Stiefel die Hand drückend).

Ver-
traue dich meiner Führung! — Ein Hundewetter, daß Einem
die Därme ſchlottern! — Wer da nicht unverzüglich energiſch
eingreift, hat ſeine Herzklappenaffection weg!


Rentier Stiefel
(ſich die Naſe ſchneuzend).

Der Junge war
nicht von mir … der Junge war nicht von mir …


(Rentier Stiefel, geleitet von Paſtor Kahlbauch, Rektor Sonnenſtich, Profeſſor Knochen-
bruch, Onkel Probſt und Freund Ziegenmelker ab. — Der Regen läßt nach.)

Hänschen Rilow
(wirft eine Schaufel voll Erde in die Gruft).

Ruhe
in Frieden! — Grüße mir meine ewigen Bräute, hingeopferten
Angedenkens, und empfiehl mich ganz ergebenſt zu Gnaden dem
lieben Gott — armer Tollpatſch du! — Sie werden dir um
deiner Engelseinfalt willen noch eine Vogelſcheuche auf's Grab
ſetzen …


Georg.

Hat ſich die Piſtole gefunden?


Robert.

Man braucht keine Piſtole zu ſuchen!


Ernſt.

Haſt du ihn geſehen, Robert?


Robert.

Verfluchter, verdammter Schwindel! — Wer hat
ihn geſehen? — Wer denn?


Otto.

Da ſteckt's nämlich! — Man hatte ihm ein Tuch
übergeworfen.


Georg.

Hing die Zunge heraus?


Robert.

Die Augen! — Deshalb hatte man das Tuch
drübergeworfen.


Otto.

Grauenhaft.


Hänschen Rilow.

Weißt du beſtimmt, daß er ſich er-
hängt hat?


Ernſt.

Man ſagt, er habe gar keinen Kopf mehr.


Otto.

Unſinn! — Gewäſch!


[60]
Robert.

Ich habe ja den Strick in Händen gehabt. —
Ich habe noch keinen Erhängten geſehen, den man nicht zugedeckt
hätte.


Georg.

Auf gemeinere Art hätte er ſich nicht empfehlen
können!


Hänschen Rilow.

Was Teufel, das Erhängen ſoll ganz
hübſch ſein!


Otto.

Mir iſt er nämlich noch fünf Mark ſchuldig. Wir
hatten gewettet. Er ſchwor, er werde ſich halten.


Hänschen Rilow.

Du biſt ſchuld, daß er daliegt. Du
haſt ihn Prahlhans genannt.


Otto.

Paperlapap, ich muß auch büffeln die Nächte durch.
Hätte er die griechiſche Literaturgeſchichte gelernt, er hätte ſich
nicht zu erhängen brauchen!


Ernſt.

Haſt du den Aufſatz, Otto?


Otto.

Erſt die Einleitung.


Ernſt.

Ich weiß gar nicht, was ſchreiben.


Georg.

Warſt du denn nicht da, als uns Affenſchmalz
die Dispoſition gab?


Hänschen Rilow.

Ich ſtopſle mir was aus dem
Demokrit zuſammen.


Ernſt.

Ich will ſehen, ob ſich im kleinen Meyer was
finden läßt.


Otto.

Haſt du den Vergil ſchon auf morgen? — —
— — —


(Die Gymnaſiaſten ab. — Martha und Ilſe kommen an's Grab.)

Ilſe.

Raſch, raſch! — Dort hinten kommen die Todten-
gräber.


Martha.

Wollen wir nicht lieber warten, Ilſe?


[61]
Ilſe.

Wozu? — Wir bringen neue. Immer neue und
neue! — Es wachſen genug.


Martha.

Du haſt recht, Ilſe! —

(Sie wirft einen Epheukranz in
die Gruft. Ilſe öffnet ihre Schürze und läßt eine Fülle friſcher Kornblumen auf den
Sarg regnen.)

Martha.

Ich grabe unſere Roſen aus. Schläge bekomme
ich ja doch! — Hier werden ſie gedeihen.


Ilſe.

Ich will ſie begießen, ſo oft ich vorbeikomme. Ich
hole Vergißmeinnicht vom Goldbach herüber und Schwerdtlilien
bringe ich von Hauſe mit.


Martha.

Es ſoll eine Pracht werden! Eine Pracht!


Ilſe.

Ich war auf der Brücke, da hört' ich den Knall.


Martha.

Armes Herz!


Ilſe.

Und ich weiß auch den Grund, Martha.


Martha.

Sagte er was?


Ilſe.

Parallelepipedon! — Aber ſag' es Niemandem.


Martha.

Meine Hand darauf.


Ilſe.

— Hier iſt die Piſtole.


Martha.

Deshalb hat man ſie nicht gefunden!


Ilſe.

Ich nahm ſie ihm gleich aus der Hand, als ich am
Morgen vorbeikam.


Martha.

Schenk' ſie mir, Ilſe! — Bitte, ſchenk' ſie mir!


Ilſe.

Nein, die behalt' ich zum Andenken.


Martha.

Iſt's wahr, Ilſe, daß er ohne Kopf d'rinliegt?


Ilſe.

Er muß ſie mit Waſſer geladen haben! — Die
Königskerzen waren über und über von Blut beſprengt. Sein
Hirn hing in den Weiden umher.


[62]

Dritte Scene.


Herr und Frau Gabor.

Frau Gabor.

… Man hatte einen Sündenbock nöthig.
Man durfte die überall lautwerdenden Anſchuldigungen nicht auf
ſich beruhen laſſen. Und nun [hat mein] Kind das Unglück gehabt,
den Zöpfen im richtigen Moment in den Schuß zu laufen, nun
ſoll ich, die eigene Mutter, das Werk ſeiner Henker vollenden
helfen? — Bewahre mich Gott davor!


Herr Gabor.

— Ich habe deine geiſtvolle Erziehungs-
methode vierzehn Jahre ſchweigend mitangeſeh'n. Sie widerſprach
meinen Begriffen. Ich hatte von jeher der Ueberzeugung gelebt,
ein Kind ſei kein Spielzeug; ein Kind habe Anſpruch auf unſern
heiligſten Ernſt. Aber ich ſagte mir, wenn der Geiſt und die
Grazie des Einen die ernſten Grundſätze eines Andern zu erſetzen
im Stande ſind, ſo mögen ſie den ernſten Grundſätzen vorzu-
ziehen ſein. — — Ich mache dir keinen Vorwurf, Fanny. Aber
vertritt mir den Weg nicht, wenn ich dein und mein Unrecht an
dem Jungen gutzumachen ſuche!


Frau Gabor.

Ich vertrete dir den Weg ſo lange ein
Tropfen warmen Blutes in mir wallt! In der Corrections-
anſtalt iſt mein Kind verloren. Eine Verbrechernatur mag ſich
in ſolchen Inſtituten beſſern laſſen. Ich weiß es nicht. Ein
gutgearteter Menſch wird ſo gewiß zum Verbrecher darin, wie
die Pflanze verkommt, der du Luft und Sonne entziehſt. Ich
bin mir keines Unrechtes bewußt. Ich danke heute wie immer
dem Himmel, daß er mir den Weg gezeigt, in meinem Kinde
einen rechtlichen Charakter und eine edle Denkungsweiſe zu wecken.
Was hat er denn ſo Schreckliches gethan? Es ſoll mir nicht
einfallen, ihn entſchuldigen zu wollen — daran, daß man ihn
aus der Schule gejagt, trägt er keine Schuld! Und wär' es ſein
Verſchulden, ſo hat er es ja gebüßt. Du magſt das alles beſſer
[63] wiſſen. Du magſt theoretiſch vollkommen im Rechte ſein. Aber
ich kann mir mein einziges Kind nicht gewaltſam in den Tod
jagen laſſen!


Herr Gabor.

Das hängt nicht von uns ab, Fanny. —
Das iſt ein Riſiko, das wir mit unſerem Glück auf [uns] genommen.
Wer zu ſchwach für den Marſch iſt, bleibt am Wege. Und es
iſt ſchließlich das Schlimmſte nicht, wenn das Unausbleibliche
zeitig kommt. Möge uns der Himmel davor behüten! Unſere
Pflicht iſt es, den Wankenden zu feſtigen, ſo lange die Vernunft
Mittel weiß. — Daß man ihn aus der Schule gejagt, iſt nicht
ſeine Schuld. Wenn man ihn nicht aus der Schule gejagt hätte,
es wäre auch ſeine Schuld nicht! — Du biſt zu leichtherzig. Du
erblickſt vorwitzige Tändelei, wo es ſich um Grundſchäden des
Charakters handelt. Ihr Frauen ſeid nicht berufen, über ſolche
Dinge zu urtheilen. Wer das ſchreiben kann, was Melchior
ſchreibt, der muß im innerſten Kern ſeines Weſens angefault
ſein. Das Mark iſt ergriffen. Eine halbwegs geſunde Natur
läßt ſich zu ſo etwas nicht herbei. Wir ſind alle keine Heiligen;
jeder von uns irrt vom ſchnurgeraden Pfad ab. Seine Schrift
hingegen vertritt das Prinzip. Seine Schrift entſpricht keinem
zufälligen gelegentlichen Fehltritt; ſie dokumentirt mit ſchauder-
erregender Deutlichkeit den aufrichtig gehegten Vorſatz, jene
natürliche Veranlagung, jenen Hang zum Unmoraliſchen,
weil es das Unmoraliſche iſt. Seine Schrift manifeſtirt jene
exceptionelle geiſtige Corruption, die wir Juriſten mit dem Ausdruck
moraliſcher Irrſinn“ bezeichnen. — Ob ſich gegen ſeinen Zu-
ſtand etwas ausrichten läßt, vermag ich nicht zu ſagen. Wenn wir
uns einen Hoffnungsſchimmer bewahren wollen, und in erſter
Linie unſer fleckenloſes Gewiſſen als die Eltern des Betreffenden,
ſo iſt es Zeit für uns, mit Entſchiedenheit und mit allem Ernſte
an's Werk zu gehen. — Laß uns nicht länger ſtreiten, Fanny! Ich
fühle wie ſchwer es dir wird. Ich weiß, daß du ihn vergötterſt,
[64] weil er ſo ganz deinem genialiſchen Naturell entſpricht. Sei
ſtärker als du! Zeig' dich deinem Sohn gegenüber endlich einmal
ſelbſtlos!


Frau Gabor.

Hilf mir Gott, wie läßt ſich dagegen auf-
kommen! — Man muß ein Mann ſein, um ſo ſprechen zu
können! Man muß ein Mann ſein, um ſich ſo vom todten
Buchſtaben verblenden laſſen zu können! Man muß ein Mann
ſein, um ſo blind das in die Augen Springende nicht zu ſeh'n! —
Ich habe gewiſſenhaft und beſonnen an Melchior gehandelt vom
erſten Tag an, da ich ihn für die Eindrücke ſeiner Umgebung
empfänglich fand. Sind wir denn für den Zufall verant-
wortlich! Dir kann morgen ein Dachziegel auf den Kopf fallen,
und dann kommt dein Freund — dein Vater, und ſtatt deine
Wunde zu pflegen, ſetzt er den Fuß auf dich! — Ich laſſe mein
Kind nicht vor meinen Augen hinmorden. Dafür bin ich ſeine
Mutter. — Es iſt unfaßbar! Es iſt gar nicht zu glauben! Was
ſchreibt er denn in aller Welt! Iſt's denn nicht der ſtupendeſte
Beweis für ſeine Harmloſigkeit, für ſeine Dummheit, für ſeine
kindliche Unberührtheit, daß er ſo etwas ſchreiben kann! — Man
muß keine Ahnung von Menſchenkenntniß beſitzen — man muß
ein vollſtändig entſeelter Bureaukrat oder ganz nur Beſchränktheit
ſein, um hier moraliſche Corruption zu wittern! — — Sag'
was du willſt. Wenn du Melchior in die Correctionsanſtalt
bringſt, dann ſind wir geſchieden! Und dann laß mich ſehen,
ob ich nicht irgendwo in der Welt Hülfe und Mittel finde, mein
Kind ſeinem Untergang zu entreißen.


Herr Gabor.

Du wirſt dich drein ſchicken müſſen —
wenn nicht heute dann morgen. Leicht wird es keinem, mit dem
Unglück zu discontiren. Ich werde dir zur Seite ſtehen, und
wenn dein Muth zu erliegen droht, keine Mühe und kein Opfer
ſcheuen, dir das Herz zu entlaſten. Ich ſehe die Zukunft ſo
grau, ſo wolkig — es fehlte nur noch, daß auch du mir verloren gingſt.


[65]
Frau Gabor.

Ich ſehe ihn nicht wieder; ich ſehe ihn
nicht wieder. Er erträgt das Gemeine nicht. Er findet ſich
nicht ab mit dem Schmutz. Er zerbricht den Zwang; das ent-
ſetzlichſte Beiſpiel ſchwebt ihm vor Augen! — Und ſehe ich ihn
wieder — Gott, Gott, dieſes frühlingsfrohe Herz — ſein helles
Lachen — alles, alles — ſeine kindliche Entſchloſſenheit, muthig
zu kämpfen für Gut und Recht — o dieſer Morgenhimmel, wie
ich ihn licht und rein in ſeiner Seele gehegt als mein höchſtes
Gut. .... Halte dich an mich, wenn das Unrecht um Sühne ſchreit!
Halte dich an mich! Verfahre mit mir wie du willſt! Ich trage die
Schuld. — Aber laß deine fürchterliche Hand von dem Kind weg.


Herr Gabor.

Er hat ſich vergangen!


Frau Gabor.

Er hat ſich nicht vergangen!


Herr Gabor.

Er hat ſich vergangen! — — — Ich
hätte alles darum gegeben, es deiner grenzenloſen Liebe erſparen
zu dürfen. — — Heute Morgen kommt eine Frau zu mir, ver-
geiſtert, kaum ihrer Sprache mächtig, mit dieſem Brief in der
Hand — einem Brief an ihre fünfzehnjährige Tochter. Aus
dummer Neugierde, ſagt ſie, habe ſie ihn erbrochen; das Mädchen
war nicht zu Haus. — In dem Briefe erklärt Melchior dem
fünfzehnjährigen Kind, daß ihm ſeine Handlungsweiſe keine Ruhe
laſſe, er habe ſich an ihr verſündigt ꝛc. ꝛc., werde indeſſen natürlich
für alles einſtehen. Sie möge ſich nicht grämen, auch wenn ſie
Folgen ſpüre. Er ſei bereits auf dem Wege Hülfe zu ſchaffen;
ſeine Relegation erleichtere ihm das. Der einmalige Fehltritt
könne noch zu ihrem Glücke führen — und was des unſinnigen
Gewäſches mehr iſt.


Frau Gabor.

Unmöglich!!


Herr Gabor.

Der Brief iſt gefälſcht. Es liegt Betrug
vor. Man ſucht ſich ſeine ſtadtbekannte Relegation nutzbar zu
machen. Ich habe mit dem Jungen noch nicht geſprochen —
aber ſieh' bitte die Hand! Sieh' die Schreibweiſe!


Wedekind, Frühlings-Erwachen. 5
[66]
Frau Gabor.

Ein unerhörtes, ſchamloſes Bubenſtück!


Herr Gabor.

Das fürchte ich!


Frau Gabor.

Nein nein — nie und nimmer!


Herr Gabor.

Um ſo beſſer wird es für uns ſein. —
Die Frau fragt mich händeringend, was ſie thun ſolle. Ich ſagte
ihr, ſie ſolle ihre fünfzehnjährige Tochter nicht auf Heuböden
herumklettern laſſen. Den Brief hat ſie mir glücklicherweiſe da-
gelaſſen. — Schicken wir Melchior nun auf ein anderes Gym-
naſium, wo er nicht einmal unter elterlicher Aufſicht ſteht, ſo
haben wir in drei Wochen den nämlichen Fall — neue Relegation
— ſein frühlingsfreudiges Herz gewöhnt ſich nachgerade daran.
— Sag' mir, Fanny, wo ſoll ich hin mit dem Jungen?!


Frau Gabor.

— In die Correctionsanſtalt —


Herr Gabor.

In die …?


Frau Gabor.

… Correctionsanſtalt!


Herr Gabor.

Er findet dort in erſter Linie, was ihm
zu Hauſe ungerechter Weiſe vorenthalten wurde; eherne Disciplin,
Grundſätze, und einen moraliſchen Zwang, dem er ſich [unter]
allen Umſtänden zu fügen hat. — Im Uebrigen iſt die Cor-
rectionsanſtalt nicht der Ort des Schreckens, den du dir darunter
denkſt. Das Hauptgewicht legt man in der Anſtalt auf Entwicklung
einer chriſtlichen Denk- und Empfindungsweiſe. Der Junge lernt
dort endlich, das Gute wollen ſtatt des Intereſſanten, und
bei ſeinen Handlungen nicht ſein Naturell, ſondern das Geſetz
in Frage ziehen. — — Vor einer halben Stunde erhalte ich ein
Telegramm von meinem Bruder, das mir die Ausſagen der
Frau beſtätigt. Melchior hat ſich ihm anvertraut und ihn um
200 Mark zur Flucht nach England gebeten …


Frau Gabor
(bedeckt ihr Geſicht).

Barmherziger Himmel!


[67]

Vierte Scene.


Correctionsanſtalt. — Ein Corridor. — Diethelm, Reinhold,
Ruprecht, Helmuth, Gaſton
und Melchior.

Diethelm.

Hier iſt ein Zwanzigpfennigſtück!


Reinhold.

Was ſoll's damit?


Diethelm.

Ich leg es auf den Boden. Ihr ſtellt euch
drum herum. Wer es trifft, der hat's.


Ruprecht.

Machſt du nicht mit, Melchior?


Melchior.

Nein, ich danke.


Helmuth.

Der Joſeph!


Gaſton.

Er kann nicht mehr. Er iſt zur Recreation hier.


Melchior
(für ſich).

Es iſt nicht klug, daß ich mich ſeparire.
Alles hält mich im Auge. Ich muß mitmachen — oder die
Creatur geht zum Teufel. — — Die Gefangenſchaft macht ſie
zu Selbſtmördern. — — Brech ich den Hals, iſt es gut! Komme
ich davon, iſt es auch gut! Ich kann nur gewinnen. — Ruprecht
wird mein Freund, er beſitzt hier Kenntniſſe. — Ich werde ihm
die Kapitel von Juda's Schnur Thamar, von Moab, von Loth
und ſeiner Sippe, von der Königin Vaſti und der Abiſag von
Sunem zum Beſten geben. — Er hat die verunglückteſte Phyſio-
gnomie auf der [Abtheilung].


Ruprecht.

Ich hab's!


Helmuth.

Ich komme noch!


Gaſton.

Uebermorgen vielleicht!


Helmuth.

Gleich! — Jetzt! — O Gott, o Gott …


Alle.

Summa — summa cum laude!!


Ruprecht
(das Stück nehmend).

Danke ſchön!


Helmuth.

Her, du Hund!


5*
[68]
Ruprecht.

Du Schweinethier?


Helmuth.

Galgenvogel!!


Ruprecht
(ſchlägt ihn in's Geſicht).

— Da!

(rennt davon).

Helmuth
(ihm nachrennend).

Den ſchlag ich todt!


Die Uebrigen
(rennen hinterdrein).

Hetz, Packan! Hetz! Hetz! Hetz!


Melchior
(allein, gegen das Fenſter gewandt).

— Da geht der
Blitzableiter hinunter. — Man muß ein Taſchentuch drumwickeln.
— Wenn ich an ſie denke, ſchießt mir immer das Blut in den
Kopf. Und Moritz liegt mir wie Blei in den Füßen. — — —
Ich gehe zur Redaktion: Bezahlen Sie mich per Hundert; ich
kolportire! — ſammle Tagesneuigkeiten — ſchreibe — lokal — —
ethiſch — — pſychophyſiſch … man verhungert nicht mehr ſo
leicht. Volksküche, Café Temperence. — Das Haus iſt ſechzig
Fuß hoch und der Verputz bröckelt ab … Sie haßt mich — ſie
haßt mich, weil ich ſie der Freiheit beraubt. Handle ich, wie ich
will, es bleibt Vergewaltigung. — Ich darf einzig hoffen, im
Laufe der Jahre allmählig … Ueber acht Tage iſt Neumond.
Morgen ſchmiere ich die Angeln. Bis Sonnabend muß ich unter
allen Umſtänden wiſſen, wer den Schlüſſel hat. — Sonntag Abend
in der Andacht kateleptiſcher Anfall — will's Gott, wird ſonſt
niemand krank! — Alles liegt ſo klar, als wär' es geſchehen,
vor mir. Ueber das Fenſtergeſims gelang ich mit Leichtigkeit —
ein Schwung — ein Griff — aber man muß ein Taſchentuch
drumwickeln. — — Da kommt der Großinquiſitor.

(Ab nach links.)

(Dr.Prokruſtes mit einem Schloſſermeiſter von rechts.)

Dr.Prokruſtes.

… Die Fenſter liegen zwar im dritten
Stock und unten ſind Brennneſſeln gepflanzt. Aber was kümmert
ſich die Entartung um Brennneſſeln. — Vergangenen Winter
ſtieg uns einer zur Dachluke hinaus und wir hatten die ganze
Schererei mit dem Abholen, Hinbringen und Beiſetzen …


[69]
Der Schloſſermeiſter.

Wünſchen Sie die Gitter aus
Schmiedeeiſen.


Dr.Prokruſtes.

Aus Schmiedeeiſen — und da man ſie
nicht einlaſſen kann, vernietet.


Fünfte Scene.


Ein Schlafgemach. — Frau Bergmann, Ina Müller und
Medizinalrath Dr. v. Brauſepulver. — Wendla im Bett.

Dr.von Brauſepulver.

Wie alt ſind Sie denn eigentlich?


Wendla.

Vierzehn ein halb.


Dr.von Brauſepulver.

Ich verordne die Blaud'ſchen
Pillen ſeit fünfzig Jahren und habe in einer großen Anzahl von
Fällen die eklatanteſten Erfolge beobachtet. Ich ziehe ſie dem
Leberthran und den Stahlweinen vor. Beginnen Sie mit drei
bis vier Pillen pro Tag und ſteigern Sie ſo raſch Sie es eben
vertragen. Dem Fräulein Elfriede, Baroneſſe von Witzleben,
hatte ich verordnet, jeden dritten Tag um eine Pille zu ſteigern.
Die Baroneſſe hatte mich mißverſtanden und ſteigerte jeden Tag
um drei Pillen. Nach kaum drei Wochen ſchon konnte ſich die
Baroneſſe mit ihrer Frau Mama zur Nachkur nach Pyrmont
begeben. — Von ermüdenden Spaziergängen und Extramahlzeiten
dispenſire ich Sie. Dafür verſprechen Sie mir, liebes Kind, ſich
um ſo fleißiger Bewegung machen zu wollen und ungenirt Nah-
rung zu fordern, ſobald ſich die Luſt dazu wieder einſtellt. Dann
werden dieſe Herzbeklemmungen bald nachlaſſen — und der
Kopfſchmerz, das Fröſteln, der Schwindel — und unſere ſchreck-
lichen Verdauungsſtörungen. Fräulein Elfriede, Baroneſſe von
Witzleben, genoß ſchon acht Tage nach begonnener Kur ein ganzes
Brathühnchen mit jungen Pellkartoffeln zum Frühſtück.


[70]
Frau Bergmann.

Darf ich Ihnen ein Glas Wein an-
bieten, Herr Medizinalrath?


Dr.von Brauſepulver.

Ich danke Ihnen, liebe Frau
Bergmann. Mein Wagen wartet. Laſſen Sie ſich's nicht ſo
zu Herzen gehen. In wenigen Wochen iſt unſere liebe kleine
Patientin wieder friſch und munter wie eine Gazelle. Seien Sie
getroſt. — Guten Tag, Frau Bergmann. Guten Tag, liebes
Kind. Guten Tag, meine Damen. Guten Tag.

(Frau Bergmann
geleitet ihn vor die Thür.)

Ina
(am Fenſter).

— Nun färbt ſich eure Platane ſchon
wieder bunt. — Siehſt du's vom Bett aus? — Eine kurze Pracht,
kaum recht der Freude werth, wie man ſie ſo kommen und gehen
ſieht. — Ich muß nun auch bald gehen. Müller erwartet mich
vor der Poſt und ich muß zuvor noch zur Schneiderin. Mucki
bekommt ſeine erſten Höschen, und Karl ſoll einen neuen Tricot-
anzug auf den Winter haben.


Wendla.

Manchmal wird mir ſo ſelig — alles Freude
und Sonnenglanz. Hätt' ich geahnt, daß es Einem ſo wohl
um's Herz werden kann! Ich möchte hinaus, im Abendſchein
über die Wieſen gehn, Himmelsſchlüſſel ſuchen den Fluß entlang
und mich an's Ufer ſetzen und träumen … Und dann kommt
das Zahnweh und ich meine, daß ich morgen am Tag ſterben
muß; mir wird heiß und kalt, vor den Augen verdunkelt ſich's,
und dann flattert das Unthier herein — — — So oft ich auf-
wache, ſeh' ich Mutter weinen. O das thut mir ſo weh — ich
kann's dir nicht ſagen, Ina!


Ina.

— Soll ich dir nicht das Kopfkiſſen höher legen?


Frau Bergmann
(kommt zurück).

Er meint, das Erbrechen
werde ſich auch bald geben; und du ſollſt dann nur ruhig wieder
aufſtehn. … Ich glaube auch, es iſt beſſer, wenn du bald
wieder aufſtehſt, Wendla.


[71]
Ina.

Bis ich das nächſte Mal vorſpreche, ſpringſt du
vielleicht ſchon wieder im Haus herum. — Leb' wohl, Mutter.
Ich muß durchaus noch zur Schneiderin. — Behüt' dich Gott,
liebe Wendla.

(Küßt ſie.)

Recht, recht baldige Beſſerung!


Wendla.

Leb' wohl, Ina. — Bring' mir Himmelsſchlüſſel
mit, wenn du wiederkommſt. Adieu. Grüße deine Jungens
von mir.


(Ina ab.)

Wendla.

Was hat er noch geſagt, Mutter, als er
draußen war?


Frau Bergmann.

Er hat nichts geſagt. — Er ſagte,
Fräulein von Witzleben habe auch zu Ohnmachten geneigt. Es
ſei das faſt immer ſo bei der Bleichſucht.


Wendla.

Hat er geſagt, Mutter, daß ich die Bleichſucht habe?


Frau Bergmann.

Du ſolleſt Milch trinken und Fleiſch
und Gemüſe eſſen, wenn der Appetit zurückgekehrt ſei.


Wendla.

O Mutter, Mutter, ich glaube, ich habe nicht
die Bleichſucht. …


Frau Bergmann.

Du haſt die Bleichſucht, Kind. Sei
ruhig, Wendla, ſei ruhig; du haſt die Bleichſucht.


Wendla.

Nein, Mutter, nein! Ich weiß es. Ich fühl' es.
Ich habe nicht die Bleichſucht. Ich habe die Waſſerſucht. …


Frau Bergmann.

Du haſt die Bleichſucht. Er hat ja
geſagt, daß du die Bleichſucht haſt. Beruhige dich, Mädchen.
Es wird beſſer werden.


Wendla.

Es wird nicht beſſer werden. Ich habe die
Waſſerſucht. Ich muß ſterben, Mutter. — O Mutter, ich muß
ſterben!


Frau Bergmann.

Du mußt nicht ſterben, Kind! Du
mußt nicht ſterben. … Barmherziger Himmel, du mußt nicht
ſterben!


[72]
Wendla.

Aber warum weinſt du dann ſo jammervoll?


Frau Bergmann.

Du mußt nicht ſterben — Kind! Du
haſt nicht die Waſſerſucht. Du haſt ein Kind, Mädchen! Du haſt
ein Kind! — O warum haſt du mir das gethan!


Wendla.

— ich habe dir nichts gethan —


Frau Bergmann.

O leugne nicht noch, Wendla! —
Ich weiß Alles. Sieh', ich hätt' es nicht vermocht dir ein Wort
zu ſagen. — Wendla, meine Wendla …!


Wendla.

Aber das iſt ja nicht möglich, Mutter. Ich bin
ja doch nicht verheirathet …!


Frau Bergmann.

Großer, gewaltiger Gott —, das iſt's
ja, daß du nicht verheirathet biſt! Das iſt ja das Fürchterliche!
— Wendla, Wendla, Wendla, was haſt du gethan!!


Wendla.

Ich weiß es, weiß Gott, nicht mehr! Wir lagen
im Heu. … Ich habe keinen Menſchen auf dieſer Welt geliebt
als nur dich, Mutter.


Frau Bergmann.

Mein Herzblatt —


Wendla.

O Mutter, warum haſt du mir nicht alles geſagt!


Frau Bergmann.

Kind, Kind, laß uns einander das
Herz nicht noch ſchwerer machen! Faſſe dich! Verzweifle mir
nicht, mein Kind! Einem vierzehnjährigen Mädchen das ſagen!
Sieh', ich wäre eher darauf gefaßt geweſen, daß die Sonne
erliſcht. Ich habe an dir nicht anders gethan, als meine liebe,
gute Mutter an mir gethan hat. — O laß uns auf den lieben
Gott vertrauen, Wendla; laß uns auf Barmherzigkeit hoffen und
das unſrige thun! Sieh', noch iſt ja nichts geſchehen, Kind.
Und wenn nur wir jetzt nicht kleinmüthig werden, dann wird
uns auch der liebe Gott nicht verlaſſen. — Sei muthig, Wendla,
ſei muthig! — — So ſitzt man einmal am Fenſter und legt die
[73] Hände in den Schooß, weil ſich doch alles zum Guten gewandt,
und da brichts dann herein, daß einem gleich das Herz berſten
möchte. … Wa — was zitterſt du?


Wendla.

Es hat geklopft.


Frau Bergmann.

Ich habe nichts gehört, liebes Herz. —


(Geht an die Thüre und öffnet.)

Wendla.

Ach, ich hörte es ganz deutlich. — — Wer iſt
draußen?


Frau Bergmann.

— Niemand — — Schmidt's Mutter
aus der Gartenſtraße. — — — Sie kommen eben recht, Mutter
Schmidtin.


Sechſte Scene.


Winzer und Winzerinnen im Weinberg. — Im Weſten ſinkt die Sonne
hinter die Berggipfel. Helles Glockengeläute vom Thal herauf. — Hänschen
Rilow
und Ernſt Röbel im höchſtgelegenen Rebſtück ſich unter den
überhängenden Felſen im welkenden Graſe wälzend.

Ernſt.

— Ich habe mich überarbeitet.


Hänschen.

Laß uns nicht traurig ſein. — Schade um
die Minuten.


Ernſt.

Man ſieht ſie hängen und kann nicht mehr —
und morgen ſind ſie gekeltert.


Hänschen.

Ermüdung iſt mir ſo unerträglich, wie mir's
der Hunger iſt.


Ernſt.

Ach, ich kann nicht mehr.


Hänschen.

Dieſe leuchtende Muskateller!


Ernſt.

Ich bringe die Elaſtizität nicht mehr auf.


[74]
Hänschen.

Wenn ich die Ranke beuge, baumelt ſie uns
von Mund zu Mund. Keiner braucht ſich zu rühren. Wir beißen
die Beeren ab und laſſen den Kamm zum Stock zurückſchnellen.


Ernſt.

Kaum entſchließt man ſich, und ſiehe, ſo dämmert
auch ſchon die dahingeſchwundene Kraft wieder auf.


Hänschen.

Dazu das flammende Firmament — und die
Abendglocken — Ich verſpreche mir wenig mehr von der Zukunft.


Ernſt.

— Ich ſehe mich manchmal ſchon als hochwürdigen
Pfarrer — ein gemüthvolles Hausmütterchen, eine reichhaltige
Bibliothek und Aemter und Würden in allen Kreiſen. Sechs
Tage hat man um nachzudenken und am ſiebenten thut man den
Mund auf. Beim Spazierengehen reichen Einem Schüler und
Schülerinnen die Hand, und wenn man nach Hauſe kommt,
dampft der Kaffee, der Topfkuchen wird aufgetragen und durch
die Gartenthür bringen die Mädchen Aepfel herein. — Kannſt
du dir etwas ſchöneres denken?


Hänschen.

Ich denke mir halbgeſchloſſene Wimpern,
halbgeöffnete Lippen und türkiſche Draperien. — Ich glaube nicht
an das Pathos. Sieh', unſere Alten zeigen uns lange Geſichter,
um ihre Dummheiten zu bemänteln. Unter einander nennen ſie
ſich Schafsköpfe wie wir. Ich kenne das. — Wenn ich Millionär
bin, werde ich dem lieben Gott ein Denkmal ſetzen. — Denke dir
die Zukunft als Milchſette mit Zucker und Zimmt. Der Eine
wirft ſie und heult, der Andere rührt alles durcheinander und
ſchwitzt. Warum nicht abſchöpfen? — Oder glaubſt du nicht,
daß es ſich lernen ließe.


Ernſt.

— Schöpfen wir ab!


Hänschen.

Was bleibt, freſſen die Hühner. — Ich habe
den Kopf nun ſchon aus ſo mancher Schlinge gezogen. …


Ernſt.

Schöpfen wir ab, Hänschen! — Warum lachſt du?


Hänschen.

Fängſt du ſchon wieder an?


[75]
Ernſt.

Einer muß ja doch anfangen.


Hänschen.

Wenn wir in dreißig Jahren an einen Abend
wie heute zurückdenken, erſcheint er uns vielleicht unſagbar ſchön!


Ernſt.

Und wie macht ſich jetzt alles ſo ganz von ſelbſt!


Hänschen.

Warum alſo nicht!


Ernſt.

Iſt man zufällig allein — dann weint man viel-
leicht gar.


Hänschen.

Laß uns nicht traurig ſein! —

(Er küßt ihn auf
den Mund.)

Ernſt
(küßt ihn).

Ich ging von Hauſe fort mit dem Gedanken,
dich nur eben zu ſprechen und wieder umzukehren.


Hänschen.

Ich erwartete dich. — Die Tugend kleidet
nicht ſchlecht, aber es gehören impoſante Figuren hinein.


Ernſt.

Uns ſchlottert ſie noch um die Glieder. — Ich
wäre nicht ruhig geworden, wenn ich dich nicht getroffen hätte. —
Ich liebe dich, Hänschen, wie ich nie eine Seele geliebt habe. …


Hänschen.

Laß uns nicht traurig ſein! — Wenn wir
in dreißig Jahren zurückdenken, ſpotten wir ja vielleicht! — Und
jetzt iſt alles ſo ſchön! Die Berge glühen; die Trauben hängen
uns in den Mund und der Abendwind ſtreicht an den Felſen hin
wie ein ſpielendes Schmeichelkätzchen. …


Siebente Scene.


Helle Novembernacht. An Buſch und Bäumen raſchelt das dürre
Laub. Zerriſſene Wolken jagen unter dem Mond hin. — Melchior
klettert über die Kirchhofmauer.

Melchior
(auf der Innenſeite herabſpringend).

Hierher folgt mir
die Meute nicht. — Derweil ſie Bordelle abſuchen, kann ich auf-
athmen und mir ſagen, wie weit ich bin. …


[76]

Der Rock in Fetzen, die Taſchen leer — vor dem Harmloſeſten
bin ich nicht ſicher. — Tagsüber muß ich im Walde weiter zu
kommen ſuchen. …


Ein Kreuz habe ich niedergeſtampft. — Die Blümchen
wären heut' noch erfroren! — Ringsum iſt die Erde kahl. …


Im Todtenreich! —


Aus der Dachluke zu klettern war ſo ſchwer nicht wie dieſer
Weg! — Darauf nur war ich nicht gefaßt geweſen. …


Ich hänge über dem Abgrund — alles verſunken, ver-
ſchwunden — O wär' ich dort geblieben!


Warum ſie um meinetwillen! — Warum nicht der Ver-
ſchuldete! — Unfaßbare Vorſicht! — Ich hätte Steine geklopft
und gehungert …!


Was hält mich noch aufrecht? — Verbrechen folgt auf
Verbrechen. Ich bin dem Moraſt überantwortet. Nicht ſo viel
Kraft mehr, um abzuſchließen. …


Ich war nicht ſchlecht! — Ich war nicht ſchlecht! — Ich
war nicht ſchlecht. …


— So neiderfüllt iſt noch kein Sterblicher über Gräber
gewandelt. — Pah — ich brächte ja den Muth nicht auf! — O,
wenn mich Wahnſinn umfinge — in dieſer Nacht noch!


Ich muß drüben unter den Letzten ſuchen! — Der Wind
pfeift auf jedem Stein aus einer anderen Tonart — eine
beklemmende Symphonie! — Die morſchen Kränze reißen entzwei
und baumeln an ihren langen Fäden ſtückweiſe um die Marmor-
kreuze — ein Wald von Vogelſcheuchen! — Vogelſcheuchen auf
allen Gräbern, eine gräulicher als die andere — haushohe, vor
denen die Teufel Reißaus nehmen. — Die goldenen Lettern blinken
ſo kalt. … Die Trauerweide ächzt auf und fährt mit Rieſen-
fingern über die Inſchrift. …


— Ein betendes Engelskind — Eine Tafel —


[77]

Eine Wolke wirft ihren Schatten herab. — Wie das haſtet
und heult! — Wie ein Heereszug jagt es im Oſten empor. —
Kein Stern am Himmel —


Immergrün um das Gärtlein? — Immergrün? — —
Mädchen …


Hier ruht in Gott
Wendla Bergmann,
geboren am 5. Mai 1878,
geſtorben an der Bleichſucht den
27. Oktober 1892.


Selig ſind, die reinen Herzens ſind ..


Und ich bin ihr Mörder. — Ich bin ihr Mörder! — Mir bleibt die
Verzweiflung. — Ich darf hier nicht weinen. — Fort von hier. — Fort. —


Moritz Stiefel
(ſeinen Kopf unter dem Arm, kommt über die Gräber
her).

Einen Augenblick, Melchior! Die Gelegenheit wiederholt
ſich ſo bald nicht. Du ahnſt nicht, was mit Ort und Stunde
zuſammenhängt. …


Melchior.

Wo kommſt du her?!


Moritz.

Von drüben — von der Mauer her. Du haſt
mein Kreuz umgeworfen. Ich liege an der Mauer. — Gieb
mir die Hand, Melchior. …


Melchior.

Du biſt nicht Moritz Stiefel!


Moritz.

Gieb mir die Hand. Ich bin überzeugt, du wirſt
mir Dank wiſſen. So leicht wird's dir nicht mehr! Es iſt ein
ſeltſam glückliches Zuſammentreffen. — Ich bin extra herauf-
gekommen. …


[78]
Melchior.

Schläfſt du denn nicht?


Moritz.

Nicht was ihr Schlafen nennt. — Wir ſitzen auf
Kirchthürmen, auf hohen Dachgiebeln — wo immer wir wollen. …


Melchior.

Ruhelos?


Moritz.

Vergnügungshalber. — Wir ſtreifen um Mai-
bäume, um einſame Waldkapellen. Ueber Volksverſammlungen
ſchweben wir hin, über Unglücksſtätten, Gärten, Feſtplätze. —
In den Wohnhäuſern kauern wir im Kamin und hinter den
Bettvorhängen. — Gieb mir die Hand. — Wir verkehren nicht
untereinander, aber wir ſehen und hören alles, was in der Welt
vor ſich geht. Wir wiſſen, daß alles Dummheit iſt, was die
Menſchen thun und erſtreben, und lachen darüber.


Melchior.

Was hilft das?


Moritz.

Was braucht es zu helfen? — Wir ſind für
nichts mehr erreichbar, nicht für Gutes noch Schlechtes. Wir
ſtehen hoch, hoch über dem Irdiſchen — jeder für ſich allein.
Wir verkehren nicht miteinander, weil uns das zu langweilig iſt.
Keiner von uns hegt noch etwas, das ihm abhanden kommen könnte.
Ueber Jammer oder Jubel ſind wir gleich unermeßlich erhaben.
Wir ſind mit uns zufrieden und das iſt alles! — Die Lebenden
verachten wir unſagbar, kaum daß wir ſie bemitleiden. Sie
erheitern uns mit ihrem Gethue, weil ſie als Lebende thatſächlich
nicht zu bemitleiden ſind. Wir lächeln bei ihren Tragödien —
jeder für ſich — und ſtellen unſere Betrachtungen an. — Gieb
mir die Hand! Wenn du mir die Hand giebſt, fällſt du um
vor Lachen über dem Empfinden, mit dem du mir die Hand
giebſt. …


[Melchior].

Ekelt dich das nicht an?


Moritz.

Dazu ſtehen wir zu hoch. Wir lächeln! — An
meinem Begräbniß war ich unter den Leidtragenden. Ich habe
[79] mich recht gut unterhalten. Das iſt Erhabenheit, Melchior! Ich
habe geheult wie keiner, und ſchlich zur Mauer, um mir vor
Lachen den Bauch zu halten. Unſere unnahbare Erhabenheit iſt
thatſächlich der einzige Geſichtspunkt, unter dem der Quark ſich
verdauen läßt. … Auch über mich will man gelacht haben,
eh' ich mich aufſchwang!


Melchior.

— Mich lüſtet's nicht, über mich zu lachen.


Moritz.

… Die Lebenden ſind als ſolche wahrhaftig
nicht zu bemitleiden! — Ich geſtehe, ich hätte es auch nie gedacht.
Und jetzt iſt es mir unfaßbar, wie man ſo naiv ſein kann. Jetzt
durchſchaue ich den Trug ſo klar, daß auch nicht ein Wölkchen
bleibt. — Wie magſt du nur zaudern, Melchior! Gieb mir die
Hand! Im Halsumdrehen ſtehſt du himmelhoch über dir. —
Dein Leben iſt Unterlaſſungsſünde. …


Melchior.

— Könnt ihr vergeſſen?


Moritz.

Wir können alles. Gieb mir die Hand! Wir
können die Jugend bedauern, wie ſie ihre Bangigkeit für Idealismus
hält, und das Alter, wie ihm vor ſtoiſcher Ueberlegenheit das
Herz brechen will. Wir ſehen den Kaiſer vor Gaſſenhauern und
den Lazzaroni vor der jüngſten Poſaune beben. Wir ignoriren
die Maske des Komödianten und ſehen den Dichter im Dunkeln
die Maske vornehmen. Wir erblicken den Zufriedenen in ſeiner
Bettelhaftigkeit, im Mühſeligen und Beladenen den Kapitaliſten.
Wir beobachten Verliebte und ſehen ſie vor einander erröthen,
ahnend, daß ſie betrogene Betrüger ſind. Eltern ſehen wir Kinder
in die Welt ſetzen, um ihnen zurufen zu können: Wie glücklich
ihr ſeid, ſolche Eltern zu haben! — und ſehen die Kinder hingehn
und desgleichen thun. Wir können die Unſchuld in ihren einſamen
Liebesnöthen, die Fünfgroſchendirne über die Lectüre Schiller's
belauſchen. … Gott und den Teufel ſehen wir ſich vor einander
blamiren und hegen in uns das durch nichts zu erſchütternde
[80] Bewußtſein, daß Beide betrunken ſind. … Eine Ruhe, eine
Zufriedenheit, Melchior —! Du brauchſt mir nur den kleinen
Finger zu reichen. — Schneeweiß kannſt du werden, eh' ſich dir
der Augenblick wieder ſo günſtig zeigt!


Melchior.

— Wenn ich einſchlage, Moritz, ſo geſchieht
es aus Selbſtverachtung. — Ich ſehe mich geächtet. Was mir
Muth verlieh, liegt im Grabe. Edler Regungen vermag ich mich
nicht mehr für würdig zu halten — und erblicke nichts, nichts, das
ſich mir auf meinem Niedergang noch entgegenſtellen ſollte. —
Ich bin mir die verabſcheuungswürdigſte [Creatur] des Weltalls. …


Moritz.

Was zauderſt du …?


(Ein vermummter Herr tritt auf).

Der vermummte Herr
(zu Melchior).

Du bebſt ja vor
Hunger. Du biſt gar nicht befähigt, zu urtheilen. —

(Zu Moritz)

Gehen Sie!


Melchior.

Wer ſind Sie?


Der vermummte Herr.

Das wird ſich weiſen. —

(Zu Moritz)

Verſchwinden Sie! — Was haben Sie hier zu thun? — Warum
haben Sie denn den Kopf nicht auf?


Moritz.

— Ich habe mich erſchoſſen.


Der vermummte Herr.

Dann bleiben Sie doch, wo
Sie hingehören. Dann ſind Sie ja vorbei! Beläſtigen Sie uns
hier nicht mit Ihrem Grabgeſtank. Unbegreiflich — ſehen Sie
doch nur Ihre Finger an. Pfui Teufel noch mal! Das zer-
bröckelt ſchon.


Moritz.

Schicken Sie mich bitte nicht fort. …


Melchior.

Wer ſind Sie, mein Herr??


Moritz.

Schicken Sie mich nicht fort! Ich bitte Sie.
Laſſen Sie mich hier noch ein Weilchen theilnehmen, ich will
Ihnen in nichts entgegenſein. — — Es iſt unten ſo ſchaurig.


[81]
Der vermummte Herr.

Warum prahlen Sie denn dann
mit Erhabenheit?! — Sie wiſſen doch, daß das [Humbug]
iſt — ſaure Trauben! Warum lügen Sie gefliſſentlich, Sie —
Hirngeſpinnſt! — — Wenn Ihnen eine ſo ſchätzenswerthe Wohlthat
damit geſchieht, ſo bleiben Sie meinetwegen. Aber hüten Sie ſich
vor Windbeuteleien, lieber Freund — und laſſen Sie mir bitte
Ihre Leichenhand aus dem Spiel!


Melchior.

Sagen Sie mir endlich, wer Sie ſind, oder
nicht?!


Der vermummte Herr.

Nein. — Ich mache dir den
Vorſchlag dich mir anzuvertrauen. Ich würde für's Erſte für dein
Fortkommen ſorgen.


Melchior.

Sie ſind — mein Vater?!


Der vermummte Herr.

Würdeſt du deinen Herrn Vater
nicht an der Stimme erkennen.


Melchior.

Nein.


Der vermummte Herr.

— Dein Herr Vater ſucht Troſt
zur Stunde in den kräftigen Armen deiner Mutter. — Ich
erſchließe dir die Welt. Deine momentane Faſſungsloſigkeit ent-
ſpringt deiner miſerablen Lage. Mit einem warmen Abendeſſen
im Leib ſpotteſt du ihrer.


Melchior
(für ſich).

Es kann nur einer der Teufel ſein!

(laut)

Nach dem, was ich verſchuldet, kann mir ein warmes
Abendeſſen meine Ruhe nicht wiedergeben.


Der vermummte Herr.

Es kommt auf das Abendeſſen
an! — Soviel kann ich dir ſagen, daß die Kleine vorzüglich
geboren hätte. Sie war muſterhaft gebaut. Sie iſt lediglich den
Abortivmitteln der Mutter Schmidtin erlegen. — — Ich führe
dich unter Menſchen. Ich gebe dir Gelegenheit, deinen Horizont
Wedekind, Frühlings-Erwachen. 6
[82] in der fabelhafteſten Weiſe zu erweitern. Ich mache dich aus-
nahmslos mit allem bekannt, was die Welt Intereſſantes bietet.


Melchior.

Wer ſind Sie? Wer ſind Sie? — Ich kann mich
einem Menſchen nicht anvertrauen, den ich nicht kenne.


Der vermummte Herr.

Du lernſt mich nicht kennen,
ohne dich mir anzuvertrauen.


Melchior.

Glauben Sie?


Der vermummte Herr.

Thatſache! — Uebrigens bleibt
dir ja keine Wahl.


Melchior.

Ich kann jeden Moment meinem Freunde die
Hand reichen.


Der vermummte Herr.

Dein Freund iſt ein Charlatan.
Es lächelt keiner, der noch einen Pfennig in baar beſitzt; der
erhabene Humoriſt iſt das erbärmlichſte, bedauernswertheſte
Geſchöpf der Schöpfung!


Melchior.

Sei der Humoriſt, was er ſei; Sie ſagen,
wer Sie ſind, oder ich reiche dem Humoriſten die Hand!


Der vermummte Herr.

— Nun?!


Moritz.

Er hat recht, Melchior. Ich habe bramarbaſirt.
Laß dich von ihm tractiren und nütz' ihn aus. Mag er noch ſo
vermummt ſein — er iſt es wenigſtens!


Melchior.

Glauben Sie an Gott?


Der vermummte Herr.

Je nach Umſtänden.


Melchior.

Wollen Sie mir ſagen, wer das Pulver
erfunden hat.


Der vermummte Herr.

Berthold Schwarz — alias
Conſtantin Anklitzen — um 1330 Franziskanermönch zu Freiburg
im Breisgau.


[83]
Moritz.

Was gäbe ich darum, wenn er es hätte bleiben
laſſen.


Der vermummte Herr.

Sie würden ſich eben erhängt
haben!


Melchior.

Wie denken Sie über Moral?


Der vermummte Herr.

Kerl — bin ich dein Schul-
knabe?!


Melchior.

Weiß ich, was Sie ſind!!


Moritz.

Streitet nicht! — Bitte, ſtreitet nicht. Was
kommt dabei heraus! — Wozu ſitzen wir, zwei Lebendige und
ein Todter, Nachts um zwei Uhr hier auf dem Kirchhof beiſammen,
wenn wir ſtreiten wollen wie Saufbrüder! — Es ſoll mir ein
Vergnügen ſein, der Verhandlung mitbeiwohnen zu dürfen —
Wenn ihr ſtreiten wollt, nehme ich meinen Kopf unter den Arm
und gehe.


Melchior.

Du biſt immer noch derſelbe Angſtmeier!


Der vermummte Herr.

Das Geſpenſt hat nicht Un-
recht. Man ſoll ſeine Würde nicht außer Acht laſſen. — Unter
Moral verſtehe ich das reelle Produkt zweier imaginärer Größen.
Die imaginären Größen ſind Sollen und Wollen. Das Pro-
duct heißt Moral und läßt ſich in ſeiner Realität nicht leugnen.


Moritz.

Hätten Sie mir das vorher geſagt! — Meine
Moral hat mich in den Tod gejagt. Um meiner lieben Eltern
willen griff ich zum Mordgewehr. „Ehre Vater und Mutter, auf
daß du lange lebeſt.“ An mir hat ſich die Schrift phänomenal
blamirt.


Der vermummte Herr.

Geben Sie ſich keinen Illuſionen
hin, lieber Freund! Ihre lieben Eltern wären ſo wenig daran
geſtorben wie Sie. Rigoros beurtheilt, würden ſie ja lediglich
aus geſundheitlichem Bedürfniß getobt und gewettert haben.


[84]
Melchior.

Das mag ſoweit ganz richtig ſein. — Ich kann
Ihnen aber mit Beſtimmtheit ſagen, mein Herr, daß, wenn ich
Moritz vorhin ohne weiteres die Hand gereicht hätte, einzig und
allein mein Gewiſſen die Schuld trüge.


Der vermummte Herr.

Dafür biſt du eben nicht Moritz!


Moritz.

Ich glaube doch nicht, daß der Unterſchied ſo
weſentlich iſt — zum mindeſten nicht ſo zwingend, daß Sie nicht
auch mir zufällig hätten begegnen dürfen, verehrter Unbe-
kannter
, als ich damals, das Piſtol in der Taſche, durch die
Erlenpflanzungen trabte.


Der vermummte Herr.

Erinnern Sie ſich meiner denn
nicht? — Uebrigens iſt hier meines Erachtens doch wohl nicht
ganz der Ort, eine ſo tiefgreifende Debatte in die Länge zu ziehen.


Moritz.

Es wird kühl, meine Herren! — Man hat mir
zwar meinen Sonntagsanzug angezogen, aber ich trage weder
Hemd noch Unterhoſen.


Melchior.

Leb wohl, lieber Moritz. Wo dieſer Menſch
mich hinführt, weiß ich nicht. Aber er iſt ein Menſch …


Moritz.

Laß mich's nicht entgelten, Melchior, daß ich dich
umzubringen ſuchte. Es war alte Anhänglichkeit. — Zeitlebens
wollte ich nur klagen und jammern dürfen, wenn ich dich nun
noch einmal hinausbegleiten könnte!


Der vermummte Herr.

Schließlich hat jeder ſein Theil
Sie das beruhigende Bewußtſein, nichts zu haben — du
den enervirenden Zweifel an allem. — Leben Sie wohl.


Melchior.

Leb wohl, Moritz. Nimm meinen herzlichen
Dank, daß du mir noch erſchienen. Wie manchen frohen unge-
trübten Tag wir nicht mit einander verlebt haben in den vierzehn
Jahren! Ich verſpreche dir, Moritz, mag nun werden was will,
mag ich in den kommenden Jahren zehnmal ein Anderer werden,
[85] mag es aufwärts oder abwärts mit mir geh'n, dich werde ich
nie vergeſſen …


Moritz.

Dank, dank, Geliebter.


Melchior.

… und wenn ich einmal ein alter Mann in
grauen Haaren bin, dann ſtehſt gerade du mir vielleicht wieder
näher als alle Mitlebenden.


Moritz.

Ich danke dir. — Glück auf den Weg, meine
Herren! — Laſſen Sie ſich nicht länger aufhalten.


Der vermummte Herr.

Komm Kind! —

(Er legt ſeinen
Arm in denjenigen Melchior's und entfernt ſich mit ihm über die Gräber hin.)

Moritz
(allein).

— Da ſitze ich nun mit meinem Kopf im
Arm. — — Der Mond verhüllt ſein Geſicht, entſchleiert ſich
wieder und ſieht um kein Haar geſcheidter aus. — — So kehre
ich denn zu meinem Plätzchen zurück, richte mein Kreuz auf, das
mir der Tollkopf ſo rückſichtslos niedergeſtampft, und wenn
alles in Ordnung, leg ich mich wieder auf den Rücken, wärme
mich an der Verweſung und lächle …

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Dieses Werk ist gemeinfrei.


Rechtsinhaber*in
Kolimo+

Zitationsvorschlag für dieses Objekt
TextGrid Repository (2025). Collection 3. Frühlings Erwachen. Frühlings Erwachen. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq8d.0