deutſche Einheit und der Preußenhaß.
deutſche Einheit
und
der Preußenhaß.
politiſches Bekenntniß,
allen Urtheilsfähigen und Vorurtheilsfreien
1849.
Bei Paul Neff.
Die Worte des Erzherzogs Johann: „Kein Oeſtreich, kein Preußen
mehr, ſondern ein einiges, ſtarkes Deutſchland!“ dieſe Worte haben in
Millionen Herzen einen Widerhall gefunden, ſie haben fördernd auf die
Wahl dieſes Fürſten zum Reichsverweſer gewirkt und ſie ſind ſozuſagen
die Summe des politiſchen Glaubensbekenntniſſes von Tauſenden geworden.
Ich würde denjenigen bedauern, der nicht empfände, daß in dieſen Worten
im Munde eines bejahrten Fürſten, über deſſen Haupt gar manche
Schickſalswechſel gegangen, ein ſchönes, edles, nationales Gefühl ſich
kund gibt. Aber ich geſtehe auch, daß ich in dieſen Worten immer nur
einen frommen Wunſch, eine patriotiſche Phantaſie erkannt habe. Die
meiſten Chriſten würden wohl in den Wunſch einſtimmen; keine römiſche
und griechiſche, keine katholiſche und proteſtantiſche Kirche mehr, ſondern
Eine, die allgemein chriſtliche Kirche! Aber iſt mit ſolchen Wünſchen
etwas ausgerichtet? iſt damit ein Ausweg angedeutet, um aus dem Zwie-
ſpalt herauszukommen, eine Bahn vorgezeichnet, um das traumhaft vor-
ſchwebende Ziel zu erreichen? Gewiß nicht! Es iſt nicht zu tadeln, wenn
ein Trinkſpruch ſolche Phantaſien heraufbeſchwört; ſie mögen im Augen-
blick günſtig gewirkt haben auf Millionen von Deutſchen; aber nüch-
ternen Männern des Gedankens, des Rathes und der That iſt damit
nicht geholfen.
Die Einheit Deutſchlands iſt ſeit März 1848 die Loſung aller
ehrliebenden Deutſchen geworden, aber man hat mit dieſem Begriff viel-
fach, abſichtlich oder unabſichtlich Verſteckens geſpielt, man hat ihn im
verſchiedenſten Sinn genommen und ausgelegt. Das wichtigſte Mißver-
ſtändniß, der folgenreichſte Differenzpunkt läßt ſich wohl ſo bezeichnen:
Die Einen ſetzten die Einheit Deutſchlands vorzugsweiſe in die Ganz-
heit, die Totalität, die Andern in die Centraliſirung, darein,
daß Deutſchland einen feſten Mittelpunkt, eine einheitliche Leitung, ge-
tragen von einer ſtarken, Achtung gebietenden Macht, bekomme. Aus
dieſer verſchiedenen Auffaſſung der Einheit laſſen ſich großentheils die
1
[2] entgegengeſetzten Anſichten über die Neugeſtaltung Deutſchlands erklären;
aber damit will ich nicht behaupten, dieſe beruhen nur auf der Ver-
ſchiedenheit der Begriffe, ſondern die Verſchiedenheit, der Gegenſatz
der Intereſſen hat auf die Begriffe ſelbſt influirt.
Wenn ſich die Totalität und die Centraliſirung Deutſch-
lands verbinden ließe, ſo wäre die Aufgabe am vollſtändigſten gelöst,
der Wunſch am ſchönſten erfüllt. Wenn dieß nicht möglich iſt, ſo muß
man ſich zu einer, immerhin bittern Wahl entſchließen; und es fragt
ſich: auf was ſoll man eher verzichten, was müſſen wir zuerſt zu
retten ſuchen?
Die Antwort der Einen iſt: die Ganzheit; das ſind die An-
hänger des Staatenbundes, des Direktoriums, der öſterreichiſchen Ober-
hauptſchaft, die ſogenannten Großdeutſchen; die Andern ſagen: die Cen-
tralität; das ſind die Anhänger des Bundesſtaats, des Centralſtaats,
der preußiſchen Hegemonie, die Erbkaiſerlichen, die ſogenannten Klein-
deutſchen.
Nicht ſchwer iſt es, bei Gemüthern, die ſich von Worten be-
ſtechen, von Gefühlen beſtimmen laſſen, die letztere Anſicht in Miß-
kredit zu bringen. Man wirft den Anhängern derſelben vor, daß ſie
ein kleines Deutſchland einem großen, daß ſie ein Dreiviertels-,
ein zerſtückeltes Deutſchland dem Ganzen vorziehen, daß ſie die öſt-
reichiſchen Bruderſtämme zurückſtoßen, wegſchneiden, das herrliche Vater-
land verſtümmeln, — und das Alles am Ende nur aus Vorliebe für
Preußen, im Dienſte preußiſcher Herrſchſucht, preußiſcher Intriken,
um dieſem Staat zu größerer Macht zu verhelfen.
Ob die Großdeutſchen oder die Kleindeutſchen beſſere, aufrich-
tigere, uneigennützigere Patrioten ſind? das läßt ſich von
vornherein nicht mit Sicherheit entſcheiden, denn man kann nicht in die
Herzen ſchauen, und jeder Unbefangene wird zugeben: es gibt Aufrich-
tige und Unaufrichtige, Selbſtſüchtige und Selbſtſuchtsloſe unter beiden
Parteien; die Frage, die uns beſchäftigen muß, iſt zunächſt die: auf
welcher Seite iſt die größere politiſche Einſicht?
Einen thatſächlichen Beweis dafür, daß die größere Einſicht auf
Seiten der Partei des Central- oder Bundesſtaats, der ſogenannten
Kleindeutſchen iſt, möchten wir darin finden, daß ſie in Frankfurt eine
deutſche Reichsverfaſſung auf dieſer Grundlage entworfen und beſchloſſen
hat, welcher ein großer Theil der deutſchen Staaten beitrat und die
hauptſächlich nur an der Weigerung der preußiſchen Regierung
ſcheiterte. Der Widerſpruch der baieriſchen Regierung wäre vermuth-
lich, der der ſächſiſchen und hannöverſchen ohne Zweifel noch zu über-
[3] winden geweſen. Aber das Weſentliche dieſer deutſchen Reichsver-
faſſung iſt doch in den Entwurf der drei Königreiche aufge-
nommen, und es liegen ſomit zwei poſitive Entwürfe einer deutſchen,
die Einheit im Sinne der Centralität feſthaltenden Reichs-
verfaſſung vor, während die Gegenpartei der Großdeutſchen noch keinen
ins Einzelne eingehenden Vorſchlag und Entwurf einer deutſchen Reichs-
verfaſſung, auf der Grundlage der Totalität Deutſchlands,
aufzuſtellen vermocht hat.
Dagegen hat Oeſtreich, deſſen Aufnahme in die deutſche Einheit
den Großdeutſchen am Herzen liegt, durch die von ihm ſeinen ſämmt-
lichen Völkern und Staaten verliehene einheitliche Verfaſſung, in
welcher vom Verhältniß zu Deutſchland nicht mit einem Wort die Rede
iſt, ſich, d. h. ſeine deutſchen Provinzen, von Deutſchland zurückgezogen und
abgeſchloſſen, während es daneben immer noch die erſte Stelle in Deutſch-
land, auf Grundlage der alten Bundesakte und der Verträge von 1815
in Anſpruch nimmt. Wie die öſtreichiſche Regierung ſich die neue
Geſtaltung Deutſchlands vorſtellt, darüber hat ſie ſich noch nie offen
und ausführlich, ſondern nur in einzelnen geheimnißvollen und nebel-
haften Andeutungen vernehmen laſſen. Aber die Berufung auf die
Bundesakte, das Bündniß mit Rußland, der ganze Charakter der Re-
gierung, ſo wie einzelne beſtimmte Erklärungen laſſen kaum bezweifeln,
daß Oeſtreich den gerechten Forderungen politiſcher Freiheit Deutſchlands
nichts weniger als günſtig iſt, daß es ein Volkshaus verwirft und daß
es im Weſentlichen die Herſtellung des alten deutſchen Bundes als Ziel
ſeiner Beſtrebungen betrachtet.
Es ſoll jedoch dem Umſtand, daß die Partei des Bundesſtaats, die
ſogenannte kleindeutſche, eine Verfaſſung aufgeſtellt hat, welcher die
Möglichkeit der Ausführung ſelbſt von den Gegnern nicht ſchlechthin
abgeſprochen wird, während die Großdeutſchen uns einen ſolchen Entwurf
zur Zeit [noch] ſchuldig ſind, kein zu großes Gewicht beigelegt werden.
Vielmehr ſoll hingewieſen werden auf die in der Sache ſelbſt liegenden
Schwierigkeiten, ja Unmöglichkeiten, bei Aufnahme des geſammten
Deutſchlands eine ſonſt befriedigende, ſtarke und volksthümliche Verfaſ-
ſung und Regierung zu ſchaffen.
Die Großdeutſchen wollen entweder die öſtreichiſche Oberhaupt-
ſchaft, ein habsburgiſches Kaiſerthum, oder ein Direktorium, oder
am Ende den alten Bundestag mit einigen Modifikationen.
Was das Erſte betrifft, ſo erinnert man an das alte hiſtoriſche
Recht des Kaiſerhauſes, an ehrwürdige Traditionen, an die Macht und
Größe Oeſtreichs, die es zum kräftigen Beſchützer, aber ebenſo zum ge-
1*
[4] fährlichen Feind Deutſchlands mache. So gut man andrerſeits die Unter-
werfung der vier Königreiche unter die preußiſche Oberhauptſchaft, im
Intereſſe der deutſchen Einheit, des Vaterlands, fordere, ſo gut könne
man von großdeutſchem Standpunkt aus die Unterordnung auch Preu-
ßens unter das viel größere und mächtigere Oeſtreich verlangen, zumal
da Oeſtreich bisher mit Zuſtimmung Preußens unbeſtritten an der
Spitze Deutſchlands geſtanden ſey und Deutſchland ſchon den Reichsver-
weſer gegeben habe.
Aber Preußen verhält ſich ganz anders zu Oeſtreich, als die klei-
nern Königreiche, als ſelbſt Baiern zu Preußen. Während Baiern,
ein Staat untergeordneten Ranges, nur in Verbindung mit andern
Staaten ein Gewicht in die Wagſchale der politiſchen Entſcheidungen zu
legen vermag, iſt Preußen zwar die kleinſte, aber doch eine der euro-
päiſchen Großmächte, und iſt eine rein deutſche Macht.
Preußen unterhält, wenn auch mit ungemeiner Anſtrengung, ein ge-
waltiges Heer, deſſen treffliche Zuſammenſetzung und Organiſation, deſſen
tüchtiger, ſittlich geſunder und dabei volksthümlicher Geiſt mit Recht
die Bewunderung Aller iſt, die es kennen; das, nicht nur phyſiſch und
materiell kraftvoll, das auch durchdrungen und gehoben iſt von den
Erinnerungen, vom Bewußtſeyn des preußiſchen Kriegsruhms aus der
Zeit des Befreiungskriegs, deſſen ſchönſte Lorbeeren Preußen gebühren,
ſo wie des ſiebenjährigen Kriegs, wo Preußen durch das Genie ſeines
großen Königs und die Tapferkeit ſeiner Söhne nicht nur Oeſtreich,
ſondern dem von dieſem aufgebotenen halben Europa unüberwunden
widerſtand. Zwar beſitzt Preußen nicht die Hälfte der Volkszahl und
des Ländergebiets der öſtereichiſchen Monarchie; aber in welchem Zu-
ſtand der Auflöſung, des Bürgerkriegs, der finanziellen Zerrüttung und
des erbitterten Kampfes der Nationalitäten befindet ſich dermalen Oeſt-
reich gegenüber von Preußen, welches nach den Stürmen des vorigen
Jahres zum Verwundern ſchnell ſeine kräftige und achtunggebietende
Haltung, ſeine innere Geſchloſſenheit wieder gefunden und in ſo ſchweren
Zeiten ſeinen Staatshaushalt, ſeinen Kredit aufrecht erhalten hat! Was
iſt dagegen Baiern, welchem Preußen ſeine Pfalz wieder pacificiren
mußte? Und Preußen ſollte ſich, ſollte ſich jetzt dem tief zerrütteten
Oeſtreich unterordnen? ſollte aufhören zu ſeyn, was es in der That
ſeit Friedrich II., ſeit mehr als hundert Jahren geweſen, eine ſelbſt-
ſtändige Macht? Dagegen ſträubt ſich nicht etwa nur Eitelkeit
und Eigenſinn, ſondern der natürliche, der berechtigte Stolz des
preußiſchen Volkes; es iſt eine moraliſche und politiſche Unmög-
lichkeit.
[5]
Aber ſoll das größere, das mächtigere Oeſtreich ſich Preußen unter-
ordnen? Das wird nicht verlangt. Die öſtreichiſche Monarchie würde
vom deutſchen Reich als ebenbürtig und ſelbſtſtändig anerkannt; und
wenn, wie zu wünſchen, die deutſchen Provinzen Oeſtreichs mit Deutſch-
land in ein engeres Verhältniß treten wollen und ſollen, ſo wird hiefür
eine Form ſich finden laſſen, welche alle Anſprüche der hohen Würde
des öſtreichiſchen Kaiſers wahrt. Oeſtreich bleibt nach wie vor eine
europäiſche Großmacht, wenn auch Preußen an die Spitze des übrigen
Deutſchlands tritt, während Preußen aus der Reihe der Großmächte
geſtrichen würde, wenn Oeſtreich auch das deutſche Kaiſerthum bekäme.
Allerdings verlöre Oeſtreich bei dieſer Neugeſtaltung die bis zum Jahr
1848 geführte Vorſtandſchaft in Deutſchland; denn es iſt in der That
nicht leicht einzuſehen, wie dieſelbe doch noch in einem weitern
Bunde, innerhalb deſſen der engere, mit Preußen an der Spitze, fiele,
ſollte aufrecht erhalten werden; aber hat nicht Oeſtreich durch ſeine
Mißregierung während der 33 Jahre Metternichſcher Herrſchaft die
Vorſtandſchaft von Gott und Rechtswegen verwirkt? oder war es
nicht der Alp des Metternichſchen, des Oeſterreichiſchen
Syſtems, der ein Menſchenalter lang verderblich auf Deutſchland ge-
laſtet hat? Iſt nicht der Anſtoß zu allen freiheitsfeindlichen, das Na-
tionalgefühl verletzenden und empörenden Bundesbeſchlüſſen und Maß-
regeln aus jenem verhaßten Kabinet gekommen? Fragen mag man, durch
welche Verdienſte Preußen ſich einen Anſpruch auf die Leitung Deutſch-
lands erworben? ob es nicht jenem Syſtem der Unterdrückung ſich ge-
fällig gefügt und bereitwillig angeſchloſſen habe? Man muß dieß be-
jahen; aber nicht von einer Belohnung der Verdienſte Preußens handelt
es ſich, ſondern davon, das für Deutſchland Heilſame und Nothwendige
zu ergreifen; und jedenfalls hat Preußen, wenn es auch dem Metternich-
ſchen politiſchen Unterdrückungsſyſtem folgte, doch den Zoll- und Handels-
verein begründet; und ſo manche Beſchwerden auch gegen dieſen und
Preußens Leitung vorliegen, zuverſichtlich wird man doch fragen dürfen:
ob der preußiſche Zollverein ſeinen Zwecken nicht beſſer entſprochen habe,
als der deutſche Bund, unter Oeſtreichs Leitung, den ſeinigen? Im
Gegenſatz zu dem durchaus ſtabilen und reaktionären Oeſtreich hat
Preußen im Innern den Grundſätzen der Humanität, der Aufklärung,
des Fortſchritts gehuldigt; es hat deſſen Regierung im Jahr 1847 den
wichtigen, von Oeſtreich und Rußland mit bitterm Verdruß betrachteten
Schritt der Berufung des vereinigten Landtags freiwillig gethan,
damit auf die konſtitutionelle Bahn eingelenkt, und ſich dem übrigen,
konſtitutionellen Deutſchland genähert.
[6]
Annehmbarer für Preußen, als ein öſtreichiſches Kaiſerthum
über Deutſchland wird nun aber von Andern der Plan einer gemein-
ſamen Oberleitung der deutſchen Angelegenheiten durch Oeſtreich und
Preußen, oder durch ein mit weitern Theilhabern an der Regierung ver-
ſtärktes Direktorium gefunden. Mit ſolchem Enthuſiasmus wird dieſer
ſchöne Plan, als alle Wünſche befriedigend, von Manchen gerühmt, daß
man ſich nur über die Thorheit des deutſchen Volkes in den Frühlings-
monaten von 1848 wundern muß, indem es nach etwas ſtrebte, was
es ja ſchon beſaß. In Wahrheit, die Annahme jenes Planes wäre
im Weſentlichen ein Zurückkommen auf den alten Staatenbund und den
Bundestag mit all ſeinem Jammer und ſeiner Schmach für Deutſchland.
In Bezug auf die Freiheit im Innern möchte Manches verbeſſert wer-
den, aber in Bezug auf Macht und Ehre, auf Einheit, ja auf die
Exiſtenz Deutſchlands bliebe Alles beim Alten.
Das war der Fluch des deutſchen Bundes, — und das würde im
Weſentlichen immer wiederkehren! — daß zwei, verglichen mit den übrigen
Bundesgliedern unverhältnißmäßig mächtige Staaten, deren Geſammt-
macht die der übrigen Bundesgenoſſen ſchon numeriſch um das Vier-
fache überſtieg, an der Spitze ſtanden. Oeſtreich, den Vorſitz und da-
mit die eigentliche Oberleitung führend, und der Zahl ſeiner Unter-
thanen und ſeiner Länderausdehnung nach, Preußen ums doppelte
überlegen, iſt nun aber nur zum vierten oder fünften Theil eine deutſche
Macht, und natürlich ordnete es die deutſchen Intereſſen immer ſeinen
Reichsintereſſen unter. Nicht nur die Freiheit in Deutſchland
litt darunter Noth, ſondern auch die nationale Geltung Deutſchlands
galt für Oeſtreich nur als Mittel für ſeine Zwecke als Großmacht.
Von der öſtreichiſchen Diplomatie überflügelt, von der öſtreichiſchen
Politik umſtrickt, verſtand ſich Preußen lange Jahre hindurch zu der
wenig ehrenhaften Rolle, Schleppträger von Oeſtreich im deutſchen
Bunde zu ſeyn, — eine Rolle, welche äußerlich dadurch etwas geſchmückt
wurde, daß Preußen, ſo lange es ſich gefügig zeigte, von Oeſtreich auf
den Fuß der Gleichheit behandelt wurde. Die ſchlimmen Folgen des
Einverſtändniſſes der zwei großen Mächte für die deutſche Freiheit
liegen offen vor Jedermanns Auge; die ſchlimmen Folgen für die Ein-
heit, für eine wirkliche nationale Exiſtenz und Geltung Deutſchlands
treten nicht in einzelnen, gereifbaren Erſcheinungen hervor, aber der
ganze klägliche Zuſtand, die ganze politiſche Nullität des deutſchen
Bundes, — der in der That nur ein Werkzeug und Spielball in den
Händen der zwei Mächte war, — iſt dadurch bedingt geweſen. Hätte
Preußen ſich kräftig von der öſtreichiſchen Bevormundung emancipirt,
[7] hätte es ſeinen Beruf, mit den preußiſchen auch die deutſchen nationalen
Intereſſen zu vertreten und zu fördern, begriffen und erfaßt: ſo würde
ſich gezeigt haben, wie durch jenen Dualismus Deutſchland auseinander
gezerrt und die Verwirklichung ſeiner nationalen Exiſtenz gehemmt
wurde. Es würde ſich jetzt, wo das Verlangen nach nationalem Fortſchritt
unabweislich ſich geltend macht, erſt recht zeigen, daß zwei Großmächte
an der Spitze Deutſchlands, ſelbſt ihren beſten Willen vorausgeſetzt,
unmöglich gleichen Schritt halten können, weil ihre Intereſſen ver-
ſchieden ſind, weil Oeſtreich, eine Macht mit faſt 30 Millionen nicht-
deutſcher Unterthanen, in ſeiner Politik andere Rückſichten zu nehmen,
andere Ziele zu verfolgen hat, als das, bis auf einen Theil Poſens,
reindeutſche Preußen. Daß die Intereſſen Preußens mit denen des übri-
gen Deutſchlands mehr zuſammenfallen als die Oeſtreichs, hat ſich in
der Gründung des Zollvereins bewährt, welchem Oeſtreich nicht beitreten
wollte oder nicht konnte. Man braucht dieſen nicht gerade für eine
tadelloſe Schöpfung zu erklären, wenn man behauptet, durch dieſe Han-
dels- und Zolleinigung ſey die politiſche Einigung angebahnt, aber
auch die Grenze angedeutet worden, welche dieſer durch die innere
Nothwendigkeit der Dinge geſteckt ſey.
Will man ſich das Unmögliche einer von unklaren Köpfen ganz
idylliſch und ſentimental ausgedachten einträchtigen Doppelregierung, auf
„deutſche Treue“ gegründet, etwa nach der (ganz unpaſſenden) Analogie
der zwei Könige von Sparta oder der zwei römiſchen Conſuln, — ver-
anſchaulichen, ſo beantworte man die Frage: Wie ſoll Deutſchland dann
gegen Außen vertreten ſeyn? Würden Oeſtreich und Preußen als Groß-
mächte jedes einen Geſandten unterhalten, und dann einen weitern gemein-
ſamen im Namen Deutſchlands? Oder ſoll nur Oeſtreich einen ſolchen
behalten, und Preußen nicht? Und welche von beiden Mächten ſoll dann
den deutſchen Geſandten ernennen und inſtruiren? Wo wird man den
Phönix von einem Diplomaten finden, auf welchen das Wort keine An-
wendung fände: „Niemand kann zwei Herren dienen!“
Taugt der Dualismus einer doppelköpfigen Oberleitung nichts, ſo
taugt ein Direktorium aus drei, fünf, ſieben Mitgliedern ebenſo we-
nig. Nicht nur fehlt bei einer ſolchen Vielheit die erforderliche Con-
centration und Raſchheit der Regierung, der vollziehenden Gewalt; es
iſt auch der leitende Gedanke durch die Wahrſcheinlichkeit von Intriken
einem ſteten Schwanken ausgeſetzt, und abgeſehen von der Nothwendig-
keit für die großen Mächte, die Stimmen der Kleineren für ſich zu ge-
winnen, wodurch Mißtrauen und Eiferſucht entſteht, bleibt doch das
[8] Uebergewicht der zwei Großmächte, wo dieſe einig ſind, über alle
übrigen, wie im deutſchen Bund.
Die Idee des Direktoriums wurde und wird am meiſten gehegt
von den mittlern Fürſten, den Königen der kleinern Länder, am
eifrigſten von Baiern, weil dieſes, ehrgeizig, entweder ſelbſt als dritte
Großmacht in das dreiköpfige Direktorium mit aufgenommen zu
werden hoffte, oder doch, eiferſüchtig und neidiſch, jedenfalls auf dieſem
Wege die ihm ſo verhaßte preußiſche Oberhauptſchaft zu vereiteln ſtrebt.
Den andern Königen leuchtete ein ſechs- oder ſiebenköpfiges Direktorium,
das ihren Einfluß vielmehr vermehrt als vermindert hätte, wohl auch
nicht übel ein; und die Abneigung, die Eiferſucht, der Haß mancher,
beſonders ſüd- und weſtdeutſcher Stämme gegen Preußen ergriff begierig
dieſe Scheinrettung der deutſchen Einheit, weil man dadurch der
entſetzlichen, wirklichen Gefahr entging, den Mächtigen auch wirk-
lich als Solchen anerkennen zu müſſen, und dem Heile, der Ehre und
Größe des Vaterlands das provinzielle Vorurtheil, die bornirte Stam-
meseitelkeit zum Opfer bringen. Daran aber, daß, um nur noch Ei-
nes zu erwähnen, bei einem Direktorium von einem verantwortlichen
Miniſterium, von einer parlamentariſchen Regierung im Ernſte nicht
die Rede ſeyn kann, weil ein fürſtliches Direktorium ſelbſt ein unver-
antwortliches Miniſterium wäre, daran haben, ſcheint es, die
Direktoriums-Enthuſiaſten gar nicht gedacht. Welche Bedeutung aber
dann die Vertretung der Nation, ſey es in einem oder in zwei Häuſern,
haben würde, dieß zu ahnen erfordert wenig Scharfſinn. Reden und
Debatten bekäme man genug, aber einen wirklichen Einfluß auf die
Direktorialregierung würde ſelbſt die pomphafteſte Volksvertretung nur
in den ſeltenſten Fällen, nur in Kleinigkeiten üben; die dynaſtiſchen
Verabredungen, Intereſſen und Intriken würden nahezu Alles ent-
ſcheiden, d. h. wir würden wieder auf den Standpunkt des deutſchen
Bundes und des Bundestags zurückgeſchraubt.
Wenn das deutſche Volk dieß nicht will, wenn es ihm Ernſt war
und iſt mit der Forderung einer politiſchen und nationalen Einheit
Deutſchlands, ſo geſtehe ich, keinen andern Weg zu Erreichung dieſes
Ziels abzuſehen, als den Anſchluß an Preußen, als leitende Macht des
deutſchen Reichs oder Bundesſtaats. Auf den Namen und die Form,
ſogar auf die augenblickliche größere oder geringere Vollkommenheit des
zu gründenden Bundesſtaats lege ich geringeres Gewicht, wenn nur die
Hauptſache, von der das Heil abhängt, ſicher und feſt geſtellt wird.
Auch von Perſonen und Gefühlen muß, nach meiner Ueberzeu-
gung, abzuſehen vermögen, Wer den Namen eines politiſchen
[9] Mannes und eines Patrioten in Anſpruch ninmt; er muß ver-
nünftigen Gründen zugänglich ſeyn und ſeine Antipathien, Sympathien
und Vorurtheile verläugnen können.
Faſt nur auf ſolchen Beweggründen aber beruht bei den allermeiſten
Gegnern oder Feinden der Hegemonie Preußens ihr Widerſpruch. Wenn
die Einheit Deutſchlands im Sinne der Totalität, neben der Cen-
tralität, nicht zu erreichen ſteht, ſo bleibt nur übrig, die Einheit im
Sinne der Centralität, in möglichſter Ausdehnung, zu retten. Oeſtreich
will in den wahren deutſchen Bundesſtaat mit Volkshaus nicht eintre-
ten, weil es nicht kann, wie es dieß zuerſt, im Programm von Krem-
ſier ſelbſt bekannte; [die] Forderungen, die es ſtellt, die Bedingungen
ſeines Eintritts, zerſtören das Weſen des Bundesſtaats, und darauf wird
Deutſchland doch nicht wieder verzichten wollen? Oder doch? Ueberwiegt
der Haß und Neid gegen Preußen ſo ſehr die vielgerühmte Liebe zu
Deutſchland, daß man lieber nichts will, als das Gewünſchte
aus der Hand Preußens? Wir lachen über den Bauerknaben, welcher
zähnklappernd und heulend vor Froſt, ſich ſelbſt tröſtete: „es geſchieht
meinem Vater Recht, daß es ſeinen Jakob ſo friert, weil er mir keine
Lederhoſen hat machen laſſen, und ich die tuchenen nicht anziehe,“ aber
müßte man nicht lachen und weinen zugleich über einen ſchadenfrohen
Eigenſinn, der einer Antipathie das Heil des Vaterlands aufopferte,
und ausriefe: „Mag Deutſchland politiſch, ökonomiſch und moraliſch
untergehen, mag es eine rothe Republik, franzöſiſch oder ruſſiſch wer-
den, wenn nur Preußen nicht obenan kommt!“
Iſt das übertrieben? Leider nein! Aber ſo häufig man in Süd-
deutſchland, in Baiern und auch in Württemberg überall Gelegenheit
hat, Aeußerungen des wüthendſten und offen, ja mit Stolz eingeſtand-
nen Preußenhaſſes zu vernehmen: ſo ſelten hört man irgend einen ſtich-
haltigen, durchdachten Vorſchlag, was denn nun in Deutſchland ſtatt der
preußiſchen Oberhauptſchaft werden ſolle? — „Das wird ſich zeigen!“
ſagt der Eine; „es hat mit der Entſcheidung keine Eile! kommt Zeit,
kommt Rath!“ der Andere. Die ariſtokratiſche und reaktionäre Partei
und manche Katholiken, — freilich nur Solche, die nach der deutſchen
Einheit und Freiheit nie großes Verlangen getragen, — deuten freude-
ſtrahlend auf Oeſtreich und deſſen zeitweiligen Trabanten, Baiern
hin, — Baiern, das ſich jetzt als der deutſcheſte Staat geberdet,
obgleich es ſeit Jahrhunderten mit dem Reichsfeind, Frankreich, faſt in
allen Kriegen ſich verbündete, das eine ungemeine Zärtlichkeit für
Oeſtreich an den Tag legt, gegen deſſen Verſchlingungsgelüſte unter
JoſephII. es durch das Schwert und die Energie des preußiſchen
[10]FriedrichsII. geſchützt wurde! — und ſelbſt von den ſich liberal und
patriotiſch Dünkenden neigen nicht Wenige hinüber zur Heimath Metter-
nichs und Abels, an deren Stelle jetzt Schwarzenberg und Schmer-
ling und von der Pfordten, die Helden der diplomatiſchen Doppel-
züngigkeit und der Reisläufer des Partikularismus, getreten ſind! Vom
Preußenhaß geblendet überſieht oder verzeiht man, daß Oeſtreich ſich
als ſeinem Retter und Beſchützer Rußland in die Arme geworfen,
ruſſiſchen Heeren ſein Reich geöffnet, ſeine Unterthanen preis gegeben
hat! und endlich gibt es, trotz der Unterdrückung und dem des Anfangs
würdigen ſchmachvollen Ende des Aufruhrs in Baden, ſo wie in der
Pfalz, noch immer Leute, die von einer ſüdweſtdeutſchen Republik
träumen — etwa unter dem Protektorat der freilich jetzt nicht ſonder-
lich empfehlenswerthen franzöſiſchen Republik. Oder wenn man in den
jetzigen Zeitläuften das Wort „Republik“ ſcheut, ſpricht man von einem
ſüdweſtdeutſchen Bunde von Württemberg, Baiern und was ſich etwa
noch dazu gewinnen laſſen mag. Dieſer Bund ſoll Oeſtreich und Preu-
ßen Trotz bieten und die deutſche Freiheit retten, mag aus der Ein-
heit werden, was da will!
Wenn man die Freiheit der Einheit Deutſchlands vor-
zieht, ſo iſt das meinetwegen Geſchmacksſache; aber zu glauben,
ein kleiner Theil Deutſchlands, am Ende Württemberg allein,
könne in einer völlig ſelbſtſtändigen und unabhängigen Stellung den
Schatz der Freiheit, die Edelſteine der Grundrechte retten, das iſt der
Gipfel des politiſchen Unverſtandes. Und wenn man die Rettung und
Gewährleiſtung dieſer Freiheit beim Ausland, bei Frankreich
ſucht, überhaupt wenn man zur Löſung, oder vielmehr zur Ver-
wirrung der deutſchen Frage, zur Vereitlung der gerechteſten Wünſche
nach Einheit und Freiheit, die Fremden herbeizieht, ſich in dieſem
Sinne auf die Verträge von 1815 beruft, ſo tritt zum Unverſtand noch
der Verrath am Vaterland hinzu. Denn Verrath iſt es, zur Entſchei-
dung innerer Angelegenheiten eines Landes Fremde herbeirufen, die
ſicherlich nicht von Großmuth zu ſolcher Einmiſchung getrieben werden.
Wenn Württemberg ſich dem zehnmal größeren Preußen nicht
unterordnen will, ſoll es ſich dem an Größe es dreimal übertreffenden
Baiern unterordnen wollen? Das wäre ein unbegreiflicher Widerſpruch.
Oder glaubt es, ſich Baiern gleich ſtellen zu können? So wird es
Baiern wenigſtens ſpäter gewiß nicht meinen! Was aber eine bai-
riſche Hegemonie Lockendes haben ſolle, iſt ſchwer einzuſehen; denn ſie
böte nur das etwa Unbequeme, ohne die Vortheile, den Schutz der
Hegemonie eines mächtigen Staates.
[11]
Und wie ſtände es, wenn Preußen den Zollverein aufkündigte?
Wäre dann der Jubel ſo laut, als jetzt das Geſchrei gegen Preußen,
namentlich wenn die durch den Wegfall der Zolleinnahmen nothwendig
gemachten Steuererhöhungen einträten?
Soll ſich aber Württemberg mit Baiern ganz an Oeſtreich anſchlie-
ßen, nun dann iſt einmal deſſen frühere oder ſpätere Verſchlingung von
dieſer großen Monarchie eingeleitet und die muthmaßlich unwiderrufliche
Entzweiſpaltung Deutſchlands iſt geſchehen. Nur daß dem Norddeutſch-
land unter Preußen kein reines Süddeutſchland, ſondern das zum
kleinſten Theil deutſche Oeſtreich mit deutſchen Provinzen gegen-
überſtände. Und falls es den öſtreichiſch-bairiſchen Künſten gelänge,
noch mehr Staaten vom Bundesſtaat abwendig zu machen, würde Preußen,
hierdurch geſchwächt, um ſo mehr gegen Rußland hingedrängt, um
ſo weniger fähig, gegen England eine ſelbſtſtändigere Handelspolitik
zu entwickeln; mit einem zu ſchwachen Preußen und einem undeutſchen
Oeſtreich endigte dann der ſchöne Traum von einem einigen großen,
mächtigen Deutſchland!
Welchen Antheil am Regiment würde aber Oeſtreich ſeinen Verbün-
deten, Baiern und Württemberg, gewähren? Das würde eine Löwen-
theilung werden! Und welche Vortheile in Bezug auf Handel, Zoll,
Schifffahrt könnte und wollte es ihnen anbieten, nachdem ſie ſich einmal
ihm hingegeben? Würden ſie ſich etwa abfinden laſſen müſſen durch
die Erlaubniß, Colonien in das durch Krieg entvölkerte und verwüſtete
Ungarn und Siebenbürgen zu ſchicken? Möchte ſelbſt Herr M. Mohl,
der erbittertſte Gegner Preußens und des preußiſchen Zollvereins, dafür
bürgen, daß man nicht vom Regen in die Traufe käme?
Es wäre freilich für Württemberg leidig, wenn Baiern ſich vom
deutſchen Bundesſtaat fern hielte und es dadurch das Grenzland des
letzteren würde; aber im anderen Falle, wenn es ſelbſt als Trabant der
Sonne Oeſtreichs folgte, würde es möglicherweiſe Grenzland gegen den
deutſchen Bundesſtaat, gegen Baden; und wenn Württemberg ſich für
den Bundesſtaat erklärt, wird auch Baiern auf die Länge nicht wider-
ſtehen können, zumal da manche ſeiner Provinzen vom Preußenhaß nicht
angeſteckt ſind.
Wie ſo gar nicht unüberwindlich die von Vielen vorgebrachten
Gründe gegen den Anſchluß von Preußen ſind, erhellt daraus, daß im
April die weit überwiegende Stimmung in Baiern wie in Württemberg,
namentlich in den größeren Städten, ſich für Anerkennung der Reichs-
verfaſſung mit dem Könige von Preußen, als deutſchem Kaiſer, ausſprach.
Im inneren, tieferen Weſen der Dinge, an den materiellen und indu-
[12] ſtriellen Intereſſen, an der geographiſchen Lage, an Grenzen und Strö-
men hat ſich ſeither Nichts geändert: mithin muß das jetzige Sichſträuben
gegen den Anſchluß an Preußen ſeinen Grund in zeitweiligen po-
litiſchen Stimmungen haben. So iſt es auch. Hierüber einige Worte.
Je weniger die Feinde Preußens einen befriedigenden poſitiven Vor-
ſchlag zur Herſtellung der Einheit Deutſchlands zu machen wiſſen und
nur bald dieſen bald jenen unausführbaren Gedanken oder Einfall hin-
werfen, um ſo wüthender ſpeien ſie ihre Vorwürfe und Anklagen gegen
Preußen aus, um ſo argliſtiger und böswilliger verdächtigen ſie Jeden,
der an der klar erkannten politiſchen Nothwendigkeit feſthält, während
die politiſchen Wetterfahnen immer im Kreiſe herumfahren. Da wird
Wahres und Falſches, Großes und Geringfügiges, Altes und Neues zu
einem Gebräu zuſammengerührt und mit patriotiſch ſich ſtellendem Pathos
und unverſtelltem Haß verquickt, daß die ſolchen Haſſespredigern lau-
ſchende Menge in Preußen das Reich des inkarnirten Teufels erblickt
und die Preußen, die „deutſchen Ruſſen“, wie ein ebenſo ſchmach-
voller als dummer und boshafter Hochmuth ſie nennt, für wilde, faſt
menſchenfreſſende Barbaren hält. In Folgendem etwa faßt ſich die Summe
der Hauptvorwürfe zuſammen: „Einer Regierung, welche das heroiſche,
für ſeine Rechte kämpfende Volk verrätheriſch angreifen und mit Kar-
tätſchen niederſchmettern ließ; welche die preußiſche Nationalverſammlung
im November vorigen Jahrs mit roher Waffengewalt auseinandertrieb;
welche Wrangel’s Säbelregiment einführte; welche mit einem Miniſterium
Brandenburg-Manteuffel den konſtitutionellen Geiſt unaufhörlich verletzt
und in der Demokratie den Geiſt der Freiheit ſyſtematiſch verfolgt; einer
Regierung, welche den Malmöer Waffenſtillſtand und den noch viel
ſchmachvolleren vom 10. Juli 1849 abſchloß und die Herzogthümer
Schleswig-Holſtein verrätheriſch den übermüthigen und an ſich ohn-
mächtigen Dänen preisgibt; einer Regierung, welche die preußiſchen Ab-
geordneten von Frankfurt abberief und hierdurch faktiſch die Verſammlung
ſprengte, die dann ſelbſt vor preußiſchen Bajonnetten nicht ſicher war; einer
Regierung, welche in Sachſen das für Durchführung der Reichsverfaſſung
aufgeſtandene Volk bekämpfte; welche die Erhebung in der Pfalz und in
Baden niederwarf, ihre uſurpatoriſchen Eroberungsgelüſte offen an den
Tag legte und Blutgerichte gegen die Volksmänner anordnete; einem
Könige, welcher die ihm dargebotene Kaiſerkrone aus den Händen der
Vertreter der Nation anzunehmen verſchmähte, aber ſtatt das freiwillig
Angebotene anzunehmen, Deutſchland die preußiſche Herrſchaft mit einer
oktroyirten Verfaſſung gewaltſam aufzudrängen ſucht — unterwerfen
wir uns nie!“
[13]
Dies ungefähr iſt das Hauptthema der Philippiken und Capuzinaden
gegen Preußen, je nach den Geſinnungen der Volksredner und Jour-
naliſten gewürzt mit ſchamloſen Schmähungen des Königs von Preußen,
ſowie mit Verunglimpfungen des preußiſchen Volkes, und in allen
denkbaren Variationen mit der Unermüdlichkeit des fanatiſchen Haſſes
abgehandelt. Schmähungen der Regierung oder des Königs und ein-
zelner Miniſter und Generale werden kunſtreich mit Verunglimpfungen
des preußiſchen Staates und Volkes durchwoben und verſetzt, und der
Name Preußen wird zum Schreckbild und zur Vogelſcheuche, zum
entſetzlichen „Wahnbild“ für jeden Demokraten nicht nur, ſondern auch
ſonſt für manchen harmloſen und wohlmeinenden Mann. So kann der
Beobachter ſagen: „Das Volk haßt jenes Wahnbild *) mit Recht,
es hat die preußiſche Politik ſeit einem Jahre beobachtet und weiß, was
es von einem Preußiſchwerden zu erwarten hätte.“ — Das Volk haßt
Preußen, nicht, weil es deſſen Politik beobachtet hat, ſondern weil
es ſeit einem Jahre unabläſſig Beobachtert worden, weil es auf jede
Weiſe aufgeſtachelt, verhetzt, in ſeinen Antipathieen wie in ſeinen ſelbſt-
gefälligen Vorurtheilen beſtärkt worden iſt.
Zu dem Gewebe von Vorwürfen, die gegen Preußen erhoben wer-
den, hat die preußiſche Regierung allenfalls den Zeddel vielfacher und
großer Fehler und Mißgriffe hergegeben (und wo ſind in den letzten
Zeiten ſolche nicht begangen worden?); den Eintrag aber haben
unſere raſenden Preußenfeinde aus ihrem Eigenen hinzugethan, ihn,
wie die Kreuzſpinne, aus ſich herausgeſponnen. Bekennen und beklagen
muß man die lange Zögerung der preußiſchen Regierung, den ge-
rechten Erwartungen Preußens und Deutſchlands zu entſprechen, das
Haften an der alten, Metternich huldigenden Politik, das zaghafte Vor-
ſchreiten und Wiederzurückgehen beim vereinigten Landtag, das Verſäumen
des rechten Augenblicks nach dem Ausbruch der Februar-Revolution,
das ſchwankende und unſichere Benehmen nach den Märztagen; bedauern
und für einen politiſchen Fehler halten kann man die Nichtannahme der
Kaiſerkrone und die Mißſtimmung erregende Aufnahme der Kaiſerdepu-
tation; verletzt endlich, ja entrüſtet ſind viele Redlichgeſinnte worden
durch die Art, wie der däniſche Krieg geführt und noch mehr wie er
beendigt wurde, durch den Malmöer und den neuen Waffenſtillſtand;
auch ſonſt mancherlei einzelne Maßregeln, manche Verfolgungen und die
[14] Wahl mancher Männer ſind als Mißgriffe zu bezeichnen. Endlich konnte
die nach wenigen Monaten erfolgte Abänderung des oktroyirten
Wahlgeſetzes als eine Maßregel gefährlicher Willkür erſcheinen und den
Glauben an die Geltung der Verfaſſung ſelbſt tief erſchüttern. Ein un-
günſtiges Licht mochte auch auf den Geiſt und die Abſichten der preußi-
ſchen Regierung die auf- und zudringliche Neue Preußiſche (oder Kreuz-)
Zeitung werfen, nach deren allerdings reaktionärer, abſolutiſtiſcher Ten-
denz Viele die Geſinnungen der höchſten Regionen in Preußen glaubten
bemeſſen zu dürfen.
Am meiſten iſt wohl die Art der Kriegführung und der neue
Waffenſtillſtand geeignet, Mißſtimmung gegen Preußens Regierung zu
erzeugen und harte Anklagen zu rechtfertigen. Ein mit friſch aufflam-
mendem nationalem Enthuſiasmus begonnener Krieg endigt, nach ſieg-
reichem Vorrücken der Deutſchen und nach einem ungerächt bleibenden
mörderiſchen Ueberfall der Schleswig-Holſteiner in Folge, wie es ſcheint,
ſchuldhafter Fahrläſſigkeit, mit einem ruhmloſen, die Anſprüche und
Hoffnungen der Schleswiger preisgebenden Frieden! Zudem hatten be-
denkliche diplomatiſche Unterhandlungen zuvor ſchon Mißtrauen und Ver-
dacht rege gemacht. Preußen ſelbſt hat ſeine Vertheidigung noch nicht
geführt. Wir müſſen ſie abwarten; der Zweifel, ob ſie ganz befriedigen
könne, muß erlaubt ſein; die Beachtung einiger Punkte aber, die die
Erbitterung meiſt überſieht, dürfte Vieles in milderem Licht erſcheinen
und den dunkelſten Schatten zum Theil anderswohin fallen laſſen.
Durch die Blokade leidet die Schifffahrt und der Handel der preu-
ßiſchen und der übrigen norddeutſchen Seeſtädte und Staaten ungeheuer.
Keine Regierung kann die materiellen Intereſſen und die durch deren
Verletzung entſtehende Unzufriedenheit unbeachtet laſſen. Wir Süddeutſche
empfinden Nichts von dem in die Millionen ſich belaufenden Verluſten
in Folge der Blokade, der Wegnahme von Schiffen, der Stockung des
Verkehrs; aber als im vergangenen Herbſt nur ein paar Wochen
lang eine Sperre gegen die Schweiz angeordnet wurde: welche Klagen
wurden da ſchon angeſtimmt und kaum durch die Schaam einigermaßen
zurückgedrängt!
Der Kampf war und blieb ein ungleicher, weil die Dänen eine
Seemacht haben, die Deutſchen aber leider noch immer nicht, wenigſtens
keine, die es mit der däniſchen aufnehmen, eine Unternehmung gegen die
däniſchen Inſeln machen könnte. Es blieb immer der Kampf eines
Löwen gegen einen Hayfiſch. Stände freilich Dänemark allein, auf ſeine
eigenen Mittel beſchränkt, ſo dürfte man wohl hoffen, dieſe durch Be-
harrlichkeit bald zu erſchöpfen; aber Dänemark hat einen gewaltigen
[15] Rückhalt an Rußland, an Frankreich, an England — wäh-
rend ſelbſt Oeſtreich ſeinen Geſandten von Copenhagen nie abrief,
nie ein Bataillon zum Krieg ſtellte, wohl aber von Dänemark während
des Krieges ſich einen Admiral erbat und erhielt! An der Spitze des
Reichsminiſteriums aber ſtand bis Ende des vorigen Jahres der Oeſt-
reicher v. Schmerling, der ſich „immer vor Allem als
Oeſtreicher fühlte!“
In Preußen beſteht ein anderes Miniſterium, als dasjenige, welches
den Krieg begann. Vermuthlich betrachtet es die Veranlaſſung des
Kriegs, die Rechte der Herzogthümer aus einem anderen Geſichtspunkt,
als das frühere, und zeigte deshalb eine Nachgiebigkeit, die ihm bitter
verargt wird, die aber mit weit mehr Grund ihm zum Verbrechen an-
gerechnet werden würde, wenn es ſelbſt den Krieg begonnen hätte.
Man weist mit Bitterkeit hin auf jenes Schreiben des Königs von
Preußen an den Herzog von Auguſtenburg und deſſen Zuſagen. Die
Verſprechungen und die Wirklichkeit ſind wohl gar nicht, oder nur mit-
telſt höchſt künſtlicher Deutung in Uebereinſtimmung zu bringen; ent-
weder jenes Schreiben, oder dieſer Waffenſtillſtand, oder Beides war ein
Fehler. Wenn aber der Waffenſtillſtand an ſich zu rechtfertigen oder
doch zu entſchuldigen ſein ſollte, ſo ſollte man daraus, daß er mit jenem
Brief im Widerſpruch ſteht, keine allzuharte Anklage bilden. Ein con-
ſtitutioneller König ſollte ſich wohl hüten, durch Ausſprechen ſeiner per-
ſönlichen Anſichten und Geſinnungen, mögen ſie ihm noch ſo ſehr
zur Ehre gereichen, ſeine Regierung zu binden und zu einer Handlungs-
weiſe zu verpflichten, welcher ſich die wichtigſten Bedenken hemmend in
den Weg ſtellen können. Es iſt wenigſtens denkbar, daß der König
die Durchführung des von ihm perſönlich Zugeſagten den politiſchen
Erwägungen ſeines Miniſteriums zum Opfer gebracht hätte.
Die öſtreichiſche und bairiſche miniſterielle Preſſe iſt eifrigſt be-
müht, die Schmach des abgeſchloſſenen Waffenſtillſtandes in’s grellſte
Licht zu ſetzen und der Erbitterung gegen Preußen, ſtatt der bisherigen
provinzlich- und dynaſtiſch-partikulariſtiſchen, eine ſcheinbar nationale Farbe
zu geben. Aber gerade der Umſtand, daß von dieſer Seite her der Un-
muth und Zorn über das für Deutſchland jedenfalls unrühmliche Ereig-
niß geſchürt wird, iſt geeignet, dem patriotiſchen Unmuth eine andere
Wendung zu geben und von einer übereilten Verdammung Preußens
abzumahnen. Aufrichtig iſt der Verdruß der öſtreichiſchen und bai-
riſchen officiellen Preſſe gewiß; aber was liegt demſelben zu Grunde?
etwa patriotiſches Ehrgefühl bei Oeſtreich, das ſich offen auf die Seite
des Feindes ſtellte, und bei Baiern, welches emſig das Zuſtandekommen
[16] eines Friedens betrieb, über deſſen unbefriedigenden Ausfall ſich Herr von
der Pfordten gewiß nicht täuſchte, und welches doch, trotz alles Schel-
tens über den Waffenſtillſtand, nicht ſäumte ſeine Truppen aus Schles-
wig zurückzuziehen? Nein! Verdruß darüber war es, daß Preußen
durch den Frieden der koſtſpieligen Laſt jenes, an ſeinen Hülfsquellen
und ſeinem Wohlſtand zehrenden Krieges entledigt, von der Gefahr
weiterer feindſeliger Verwicklung mit fremden Mächten befreit ward und
eine anſehnliche Truppenmacht zur freien Verfügung anderswo zurück-
erhielt. Eben dies aber, die Vorausſicht der Möglichkeit, aller ſeiner
Kräfte auf einem anderen Punkte, in Deutſchland ſelbſt, deſſen Neuge-
ſtaltung jetzt durchgeführt werden ſoll, dringend benöthigt zu ſein, mochte
auch zu dem Entſchluß der preußiſchen Regierung mitwirken, jenem Krieg
ein Ende zu machen, ſelbſt mit an ſich wenig rühmlicher Nachgiebigkeit.
Gern freilich hätten Oeſtreich und Baiern geſehen, daß Preußen ſeine
Kräfte dort und am Ende doch fruchtlos vergeudete, und hätten ſich jene
Verwicklung zu Nutze gemacht, um in Deutſchland ſeinen Beſtrebungen
entgegenzutreten, ſeinen Einfluß zu lähmen. Aber dieſe Politik iſt zu
plump, um Andere als von Leidenſchaft Verblendete zu täuſchen.
In der Kaiſer- und Verfaſſungsfrage hat die preußiſche Regierung
die öffentliche Meinung der deutſchen Nation hart vor den Kopf geſto-
ßen, freudige, der Erfüllung nahe ſcheinende Hoffnungen getäuſcht und
vereitelt.
In formeller Beziehung wäre etwas mehr Entſchiedenheit und Offen-
heit zu wünſchen geweſen; warum wurde z. B. dem von der National-
verſammlung zugeſtandenen Prinzip der Verſtändigung erſt ſo ſpät
und ganz plötzlich das einmal verworfene, obwohl am Ende gleichbedeu-
tende der Vereinbarung ſubſtituirt? Im Ganzen aber hielt
die preußiſche Regierung immer dieſelbe Richtung ein (man vergleiche
damit das Umſpringen Oeſtreichs!) und bewies der Nationalverſammlung
die gebührende Achtung, bis dieſe ſelbſt feindſelig auftrat. Erkältend
wirkte der Empfang der Kaiſerdeputation; aber das Schwankende, Un-
ſichere, Verletzende in der Haltung der Regierung hatte wohl ſeinen
Grund in dem Kampf, welcher die Seele des Königs ſelbſt bewegt
zu haben ſcheint. Vieles in ihm ſprach für, Vieles gegen die An-
nahme; die Gegengründe ſiegten, vielleicht durch den Einfluß von Per-
ſonen unterſtützt, aber die Ablehnung koſtete ihm ſelbſt ein Opfer.
Viele einſichtsvolle Patrioten ſind der Anſicht, daß durch die Annahme
mit der gewonnenen Einheit im deutſchen Reich auch die Sache der
conſtitutionellen Monarchie, der Ruhe und Ordnung im Bunde mit der
Freiheit befeſtigt worden wäre; die Republikaner aber, die Demokraten
[17] rechneten, wie Vogt offen geſſtand, darauf, daß mittelſt des bloßen Sus-
penſiv-Veto auch in Verfaſſungsfragen und des faſt ſchrankenloſen Wahl-
rechts das Kaiſerthum ſelbſt werde auf geſetzlichem Wege abgeſchafft
werden, zu Gunſten der Republik! Wer Recht behalten hätte, läßt ſich
nicht entſcheiden; aber begreifen läßt ſich leicht, wie der König eine mit
ſolchen Hintergedanken Vieller übertragene Krone abzulehnen ſich ent-
ſchloß, um ſo mehr, als noch viele Bedenken dazu kamen, welche theils
in ſeiner politiſchen und Rechts-Anſchauung, theils in perſönlichen Ge-
fühlen wurzelten. Niemand aber hat das Recht, ihm diejenigen Beweg-
gründe anzudichten, womit die reaktionäre Kreuzzeitung und verwandte
Blätter in giftigem Groll und cyniſchem Hohn gegen Frankfurt ihm zur
Ablehnung riethen. Für ein Wageſtück erklärten Viele auch von
denen die Annahme, welche ſie ſehnlich wünſchten. Daß aber auch der
andere Weg, auf welchem die preußiſche Regierung im Weſentlichen
daſſelbe Ziel, den deutſchen Bundesſtaat mit einheitlicher Spitze
(nur ohne Kaiſer), auf der Grundlage der Volksfreiheit und Volksver-
tretung, zu erreichen ſich vorſetzte, nicht ohne Steine und Dornen und
Hinderniſſe jeder Art iſt, daß Gefühle, deren Verletzung man auf jenem
Wege fürchtete, auch auf dieſem ſich entgegenſetzten: — das hat die
preußiſche Regierung wohl zur Genüge erfahren, und noch iſt das Ge-
lingen des Werkes nicht geſichert. Nur der Unterſchied verdient aller-
dings Beachtung, daß, wenn es auch gänzlich ſcheitert, Preußen dann
doch bleibt, was es war, während im anderen Falle Preußens Schickſal
an die künftige Entwicklung, an die möglichen Kataſtrophen des deutſchen
Staates geknüpft geweſen wäre.
Das war auch die Hoffnung vieler Republikaner und Demokraten.
Der gewaltigen Stürme im Innern war Preußen wieder Meiſter gewor-
den und hatte die Hoffnungen Derer getäuſcht, die es im Geiſte ſchon
zerbröckelt und aufgelöst ſahen. Durch die demokratiſchen, die anarchi-
ſchen Elemente des übrigen Deutſchlands, der Kleinſtaaten, konnten und
ſollten, unter Begünſtigung des Wahlrechts und der theilweiſe geradezu
antiſocialen Grundrechte, die feſten Fundamente der preußiſchen
Monarchie angefreſſen und aufgelöst werden. Das große Verbrechen
Preußens in den Augen der Demokraten war und iſt das: daß es, eine
Zeitlang ſcheinbar bedroht, die (falſche) Demokratie niedergeſchlagen, der
Hyder der Anarchie den Fuß auf den Kopf geſetzt hat, in Preußen ſelbſt
zuerſt, dann in Sachſen, in der Pfalz, in Baden. Nach den Deklama-
tionen wüthender Journaliſten von „verrätheriſcher Niederkartätſchung der
Bürger, von Wrangel’ſchem Säbelregiment, von Manteuffel’ſcher Will-
kürherrſchaft, von Gefangnen-Mord“ u. ſ. w. ſollte man meinen, daß in
2
[18] Preußen ein Philipp II., ein Alba ſchalten und walten; in Wahrheit
wurde erſt ganz ſpät, als das Uebel ſchon faſt unheilbar ſchien, einem
ebenſo entſetzlichen als ekelhaften Pöbelterrorismus durch ein entſchloſſe-
nes, zur Aufopferung bereites Miniſterium und einen kraftvollen aber
dabei humanen General ein Ende gemacht — unter der Zuſtimmung
aller Freunde der wahren Freiheit; durch Ausnahmsmaßregeln aber, in
ſolcher Zeit und durch den Erfolg gerechtfertigt, wurde ein Ende gemacht
den eben ſo unfruchtbaren als gefährlichen und unpatriotiſchen Aus-
ſchweifungen einer nur in demokratiſchen Reden und Wühlereien ſtarken,
im Uebrigen ſchwachen Verſammlung von Volksvertretern. Wurde auch
durch ſolche Staatsſtreiche und was ſich daran knüpfte, das formelle, das
noch ſo junge Recht bedroht oder verletzt, ſo läßt ſich ihnen doch der
Charakter und das Lob der „rettenden That“ nicht abſprechen; und
wenn auch in Einzelnem fehlgegriffen, die richtige Grenze über-
ſchritten und unnöthig Argwohn und Erbitterung geweckt wurde:
im Ganzen drückten die muthigen und energiſchen Vollſtrecker der retten-
den That ihrem Werke das Gepräge der Humanität, der Milde, des
Anſtands auf; nicht zertreten und geknickt ward die zarte Pflanze der
Freiheit; ſie richtete ſich vielmehr erſt wieder geſund und freudig auf,
nachdem das erſtickende, überwuchernde Unkraut der falſchen, terrori-
ſirenden Freiheit einer zuchtloſen Partei weggeräumt war. Der
Belagerungszuſtand iſt aufgehoben, die Preſſe frei, das Vereinsrecht wie-
der in Kraft, Geſchworne richten über politiſche Vergehen, Vertrauen
und Hoffnung ſind wiedergekehrt, Preußen kann viele Tauſende ſeiner
Krieger über ſeine Grenzen ſenden, wo ihr patriotiſcher Sinn Bewun-
derung, freilich auch den Ingrimm heimatloſer Wühler erregt. Daß in
einem Staat, der erſt ſeit drei Jahren auf die conſtitutionelle Bahn ein-
zulenken begonnen, manche Fehlgriffe, manche Reminiscenzen an die alte
Zeit und Form vorkommen, kann nicht befremden; es fällt kein Gelehr-
ter, kein Staatsmann vom Himmel und ebenſowenig eine conſtitutionelle
Muſterregierung; das könnte man in Deutſchland wiſſen; daß aber in
Preußen der Wille beſteht, auf der neuen Bahn zu beharren, darf
kein Vernünftiger bezweifeln, denn ſonſt wäre die Gelegenheit, das Zu-
geſtandene zurückzunehmen, ſchwerlich verſäumt worden.
Mit Strenge wird jetzt gegen die Schuldigſten beim badiſchen Auf-
ſtand verfahren; Todesurtheile ſind gefällt und vollzogen worden. Da
wird alsbald geſchrieen über „Gefangenen-Mord“, an den „beſten Män-
nern“ Deutſchlands begangen, und die Herrſchaft der Barbarei Europa
geweiſſagt. Ueber ſolches Gebahren wird man ſich nicht erhitzen. Leute,
die das Hetzen, Verführen, Aufſtändemachen, Fürſten- und Ariſtokraten-
[19] Mord-Predigen und Atheismus als Profeſſion treiben — das ſind die
„beſten Männer!“ Aufrührer und Volksverderber, mit Verbrechen jeder
Art befleckt, werden gleichbedeutend genommen mit „Kriegsgefangenen!“
Die „Civiliſation“ wird da geſucht und gefunden, wo das unbefangene
Auge Rohheit, Entſittlichung, Verwilderung, Brutalität erblickt!
Beklagenswerth, daß es zu ſolcher Strenge hat kommen müſſen!
Aber was waren die Früchte der Milde und Langmuth gegen einen
Struve und Leute ſeines Gelichters? Was der Dank für die, jetzt frei-
lich wieder geforderte Amneſtie? Viel Unheil wäre vielleicht ungeſchehen
geblieben, wenn der König von Preußen in jener Märznacht ſich hätte
entſchließen können, die noch übrigen Barrikaden nehmen zu laſſen,
und dann, als Sieger, nicht ein Jota zurückgenommen hätte von
dem, was er ſeinem Volke zugeſagt hatte. In dieſem Sinne hat ſich
nicht nur E. M. Arndt, ſo hat ſich auch J. Venedey ausgeſpro-
chen, dem Niemand eine königliche, eine ausſchließend preußiſche Geſin-
nung zuſchreiben wird. Verrath iſt damals geübt worden, ja! aber
nicht von Seiten des Königs, oder des Prinzen von Preußen, ſondern
von der Partei des Umſturzes, die allein dadurch zu gewinnen hoffen
konnte.
Die Monarchie iſt es, die Feſtigkeit und die Einheit
Deutſchlands, was die fanatiſche Demokratie in Preußen haßt;
das Stammesvorurtheil und die eingewurzelte Antipathie erhalten ihre
Weihe durch das politiſche Princip. Die Hoffnung, das feſte Preußen
mit ſeiner conſtitutionellen Monarchie im übrigen demokratiſch-geſinnten
Deutſchland aufzulöſen mittelſt der Reichsverfaſſung, iſt ihr vereitelt
durch den von Preußen, mit Hannover und Sachſen, vorgelegten Ver-
faſſungsentwurf, mit verändertem Wahlgeſetz; und daraus erklärt ſich
zum Theil der erbitterte Widerſpruch gegen die „oktroyirte“ Verfaſſung,
gegen den Anſchluß an Preußen. Die Demokratie handelt in ihrem
Sinne folgerecht; aber mögen die Conſtitutionellen ſich vorſehen, daß ſie
nicht mit den Republikanern in Ein Horn des Haſſes gegen Preußen
blaſen, zu ihrem eigenen und des Vaterlandes Unheil! Was den De-
mokraten Preußen verhaßt macht, das muß es ihnen werth
machen; eine Coalition aber, deren Kitt nur der hier blinde und
dort principmäßige Preußenhaß wäre, trüge den Keim des Ver-
derbens und des Fluches in ſich ſelbſt.
Freilich trifft Verſchiednes zuſammen, was, geſchickt benützt, die
Abneigung gegen den Anſchluß zu verſtärken geeignet iſt; zu dem alten
Preußenhaß kommt der Inhalt des preußiſchen Verfaſſungsentwurfs,
und die Form der Darbietung.
2*
[20]
Die preußiſche Verfaſſung weicht in manchen auch wichtigen Punk-
ten von der Frankfurter ab, namentlich darin, daß ein Fürſtenkollegium,
den Reichsvorſtand umgebend, eingeſchoben iſt, (womit Preußen den
Dynaſtien ein Zugeſtändniß gemacht hat) ſo wie in der Wiederherſtel-
lung der Matrikularbeiträge ſtatt Reichsſteuern. Der Einheit und Cen-
tralität geſchieht hiedurch offenbar Abbruch, und die Regierung wird
ſchwerfälliger und verwickelter. Aber welcher aufrichtige und beſonnene
Vaterlandsfreund ſollte ſich durch dieſe Mängel abhalten laſſen, zuzu-
greifen! und hätte nicht Jedermann gejubelt, wenn vor anderthalb
Jahren ſo Viel zu bekommen geweſen wäre? Auch an den Grund-
rechten iſt einiges geändert worden, aber, nach dem Urtheil vieler Ein-
ſichtiger und Freiſinniger: meiſt nicht zum Nachtheil der Verfaſſung.
Denn manche Beſtimmungen der Grundrechte ſind nicht aus gehöriger
[Sachkenntniß], Erwägung der Verhältniſſe und Folgen hervorgegangen,
und würden ſich entweder bei der Durchführung als unmöglich, oder
in ihren Wirkungen als nachtheilig und verderblich erweiſen.
Eine ſehr wichtige Veränderung betrifft das Wahlgeſetz, von wel-
chem auch allein die Bezeichnung gilt, welche man häufig auf die ganze
Verfaſſung anwenden hört, die der Oktroyirung. Das Reichswahl-
geſetz wurde ſogleich von allen einſichtsvollen Männern als eine Cala-
mität betrachtet und nur von den Männern der ewigen Neuerung mit
Jubel begrüßt. Die Wirkungen eines noch weniger allgemeinen gleichen
Wahlrechts liegen in den neuen württembergiſchen Wahlen zu Tage.
Mit jenem Wahlgeſetz wäre allerdings die Reichsverfaſſung auf Flug-
ſand geſtanden, und eine Aenderung durch den Reichstag ſelbſt wäre
durchaus wünſchenswerth geweſen. Das preußiſche Wahlgeſetz iſt nun
allerdings oktroyirt, d. h. einſeitig von den drei Regierungen erlaſ-
ſen, und enthält manche Beſtimmungen, welche ſofort als unſtatthaft
erkannt wurden. Aber das Prinzip deſſelben, daß die Stimmgebung
bei Wahlen, ausgedehnt zwar auf alle unbeſcholtene und ſelbſtſtändige
Bürger, im Verhältniß ſtehen müſſe mit den Leiſtungen der Bürger
an den Staat und mit der Intelligenz, ſoweit ſie ſich aus äußern
Merkmalen vermuthen läßt, dieß Prinzip iſt ohne Zweifel richtiger
als dasjenige, welches, unter dem Namen der höchſten Gerechtigkeit
und Gleichheit, der Maſſe der politiſch Ungebildeten und der Beſitz-
loſen das Uebergewicht über die Gebildeten und Beſitzenden verleiht, und
blinde oder gewiſſenloſe Demagogen, denen die unſelbſtſtändige Menge
anhängt, mit Vernichtung der Bedeutung der wahrhaft ſelbſtſtändigen
Bürger, zu Herren der Wahlen macht. Auch ſind von Seite Preußens
ſofort den übrigen Staaten die nach den Verhältniſſen nothwendigen
[21] Modifikationen des Wahlgeſetzes für die Reichstagswahlen zugeſtanden
worden, wenn nur das Prinzip, die Wahl nach drei Curien, beibehal-
ten wird, — ein Prinzip das auch für das würtembergiſche Wahlgeſetz
in Berathung kam, aber allzuraſch aufgegeben wurde.
Die ganze Verfaſſung wird mit Unrecht, aus Gehäſſigkeit, eine
oktroyirte genannt, denn ſie iſt vorläufig nur Entwurf und wird
dem zuſammenzuberufenden Reichstag zur Vereinbarung vorgelegt. Es
wäre ſchön, vielleicht zu ſchön geweſen, wenn aus dem Schooße
der Nationalverſammlung die Neugeſtaltung Deutſchlands hervorgegangen
wäre; davon, daß es nicht geſchehen, ſuche man die Schuld nicht aus-
ſchließlich in Einer Perſon, in Einer Partei; Vieles, die ganze
Lage der Dinge, die ganze Geſchichte und Vergangenheit Deutſchlands,
hat mitgewirkt. Aber wäre uns auch jener Freudenbecher eingeſchenkt
worden: bald wären wir doch auf eine bittere Hefe geſtoßen; und viel-
leicht iſt es beſſer, mit dem Herben und Bittern anzufangen, aus dem
ſich hoffentlich das Süße entwickelt.
Mögen alſo die Conſtitutionellen, die aufrichtigen Freunde eines
großen, einigen und mächtigen Deutſchlands in den für Manche ſauren
Apfel beißen, ſtatt ihn, nach dem unheilvollen Rathe der Demokraten,
wegzuwerfen! Mögen ſie reiflich und kaltblütig erwägen, was die Folgen
der Verweigerung des Anſchluſſes ſeyn werden! Die Demokraten, ſoweit
ſie Schwärmer und Fanatiker ſind, ohne politiſche Einſicht und ge-
ſchichtliche Kenntniß, Leute von „kürzeſtem Gedärm,“ ſo daß nur das
letzte Jahr für ſie exiſtirt, mögen im Ernſt die wahnſinnige Ueberzeu-
gung haben, daß Württemberg für ſich allein eine ſelbſtſtändige Stel-
lung einnehmen, Preußen die Stirne bieten, die Oaſe der Freiheit in
Deutſchland werden und am Ende ſiegreich die alleinſeligmachende Lehre
der Republik, wie den Koran mit dem Schwert, über die Welt ausbrei-
ten könne; die Peſſimiſten und Nihiliſten, deren es unter ihnen Viele
gibt, mögen wünſchen, daß nur Alles drunter und drüber gehe, daß
Umſturz und Chaos Alles verſchlinge, wenn ihre Plane ſcheitern; ſie
mögen Deutſchland lieber unter die Herrſchaft der Kutte und der Knute
kommen, als mit dem conſtitutionellen Preußen geeinigt ſehen: aber
können beſonnene und aufrichtige Patrioten jene Träume oder dieſe
Wünſche theilen? Und doch gibt es in der That kaum ein Drittes, —
wenn man nicht auf ganz unvorhergeſehene Wendungen der Dinge rech-
nen, oder vielmehr blind hoffen will, oder blos von der Zeit eine
günſtige Löſung erwartet. Aber ſchon das Zuwarten hat, wie die
Dinge ſtehen, ſeine Gefahren, denn es fördert den ſtets, wenn auch ge-
heim und unbemerkt fortſchreitenden Auflöſungsproceß, dem nur
[22] ein friſcher Entſchluß, eine entſchiedene That Grenzen ſetzen und eine
heilſame Wendung geben dürfte. Wir können, wir dürfen weder ſtehen
bleiben, noch von der Rückkehr zum Alten das Heil erwarten; wir
müſſen vorwärts, müſſen uns an der Schöpfung eines Neuen betheiligen.
Der Beobachter entblödet ſich nicht zu erklären: die Abneigung
gegen Preußen ſey noch „das einzige Glied, welches den Staatsrath
Römer mit dem württembergiſchen Volke verbinde!“ Und auf Grund
dieſer gemeinſamen Abneigung, dießes angeblich gemeinen Haſſes fordert
er ihn auf, ſeinen Collegen Duvernoy über Bord, und ſich der
„Volkspartei,“ gänzlich in die Arme zu werfen; — Eine faſt unglaub-
liche Naivetät! Wenn über Römer die Abneigung gegen Preußen
einigen Einfluß üben und ihn vom Anſchluß an die Verfaſſung der drei
Königreiche abhalten ſollte, — und eine Rechtfertigung der Weigerung
aus politiſchen Gründen iſt nirgends gegeben worden, wenn man
nicht die Verwahrung gegen eine „Selbſtverſtümmelung Deutſchlands“
dafür gelten laſſen will, — ſo müßte ihn, es muß alle verſtändige
Vaterlandsfreunde dieſe Aufforderung, dieſer Rath — ab hoste
concilium! — nachdenklich machen! Nur der Befriedigung dieſes Haſſes
ſollte Römer als willkommenes, Werkzeug dienen, und dann, wenn
ſie je gelänge, auch weggeworfen werden! Nachdem er ſich um das Va-
terland das Verdienſt erworben, die Verbreitung des Bürgerkriegs über
Württemberg zu verhindern, in welchem Falle deſſen Unterdrückung
lange Zeit und ungeheure Opfer gekoſtet hätte, ſoll er jetzt dem Zuſtan-
dekommen der Einheit, des deutſchen Bundesſtaats, — ſo groß er un-
ter den gegebenen Umſtänden möglich iſt, — entgegenarbeiten, und eine
Spaltung Deutſchlands fördern, weil eine Einigung des ganzen
(geographiſchen) Deutſchlands nicht möglich iſt! Man darf zu Römers
Verſtand und Ehrenhaftigkeit ein ganz anderes Vertrauen haben! Er
wird eine Antipathie nicht über ſich herrſchen laſſen, wird ſie überwin-
den, welcher nur patriotiſche Wünſche — die Einheit des geſammten
Deutſchlands — aber keine Ausſichten auf wirkliche Realiſirung zur
Seite ſtehen; er wird erkennen, daß Würtemberg ſich an einen größern,
ſtärkern Kern anſchließen muß, um nicht, ſtatt der geträumten Selbſt-
genugſamkeit, ſich innerlich aufzureiben und am Ende ganz verſchlungen
zu werden; er wird vor der Bundesgenoſſenſchaft Solcher, welche die
Reſtauration des Alten erſehnen und ſelbſt den Beiſtand der ſchon mit
Oeſtreich verbündeten ruſſiſchen Heere nicht ſcheuen würden, ſich ebenſo
hüten wie vor denen, welche vom Weg durch die Wüſte der Anarchie
und des Communismus und durch das „rothe Meer“ mit Entzücken
ſchwatzen oder träumen.
[23]
Man darf hoffen, daß, wenn das Miniſterium ſeine Vorlagen an
die Stände zu machen hat in Betreff der Beſchickung des beabſichtigten
Reichstags, dann bei genauerer Erwägung der ganzen Sachlage die
poſitiven Vortheile eines, für die Erhaltung der kleinern Staaten
unerläßlichen Bundesſtaats, wie ihn die preußiſche Verfaſſung aufſtellt,
über den ſchillernden Schimmer eines nur in ſchwankenden Umriſſen
„vorſchwebenden“ Geſammt- oder Großdeutſchlands, — d. h. eines
Staatenbundes unter zwei, drei, fünf oder ſieben Regenten, mit
ewigem Dualismus und Antagonismus im Innern, — daß die klare
politiſche Idee über die patriotiſche Phantaſie nnd die Antipathie ſiegen
werde! Iſt ja doch Römer ſonſt nicht der Mann der Phantaſie und des
Gefühls, ſondern des Verſtandes! Sollte er ſich hier verläugnen? Sollte
nicht, nach reiflicher Prüfung ſein ſcharfes Auge am Ende doch den
Kern erkennen, der ſich hinter den gleißenden Schaalen der angeblichen
Sorge um die Erhaltung der Freiheit, oder des Schutzes der materiel-
len und induſtriellen Intereſſen biegt, — den faulen Kern der Selbſtſucht,
der Leidenſchaft, des Neides, des Sondergeiſtes?
Nur kurz mögen noch einige oft gehörte Einwendungen gegen den
Anſchluß an Preußen berührt werden. Wenn einmal eine Großmacht an
die Spitze Deutſchlands geſtellt werden ſoll, ſagt man, ſo ſey es doch lieber
das Haus Habsburg, welches die vielhundertjährige Gewohnheit und
Tradition, ſomit ein gewiſſes hiſtoriſches Recht für ſich hat, als das
junge Haus Hohenzollern, dieſer Emporkömmling unter den Dyna-
ſtien! — Das mag im Munde von Ariſtokraten, die auf alte Stamm-
bäume halten, ſich hören laſſen; aber als ein Argument freiſinniger,
unbefangener Männer klingt es ſeltſam, das „hiſtoriſche Recht“ hier
anzurufen. „Das Alte ſtürzt, es ändern ſich die Zeiten!“
ſagt der Dichter; und auch im Leben der Völker, obwohl darin die-
ſelben Geſetze immer walten, kehrt doch nie das Alte in gleicher
Geſtalt wieder. Gerade durch ſeine vielhundertjährige Herrſchaft über
Deutſchland hat der öſtreichiſche Stamm ſeine Sendung erfüllt, und die
Vorſtandſchaft kommt jetzt, naturgemäß, an diejenige Macht, die ſich
immer mehr in Deutſchland hineingelebt hat, während Oeſtreich ſich
Deutſchland immer mehr entfremdete. Eine neue Aera Deutſchlands,
als Bundesſtaat, kann nur unter den Auſpicien einer jugendlichen Macht,
wie Preußen, beginnen.
„Im April haben wir uns dem Könige von Preußen, als deutſchem
Kaiſer, mit Selbſtverläugnung unterwerfen wollen; er hat die Krone
damals abgelehnt; jetzt wollen wir nun und nimmermehr!“ ſagen An-
dere. Aber wenn Ihr es damals aus vernünftiger Ueberlegung, aus
[24] ſelbſtverläugnender Vaterlandsliebe gethan habt, weil Ihr darin das
Heil für Deutſchland erkanntet, ſo müßt Ihr aus demſelben Grunde
auch jetzt und immer dazu bereit ſeyn, und dürft Euch durch äußere,
das Weſen der Dinge nicht verändernde Umſtände und ſelbſt durch einen
vielleicht gerechten Verdruß nicht umſtimmen laſſen. Wenn die preu-
ßiſche Regierung gefehlt hat, ſo bleibt doch das Verhältniß des, beim
Wechſel der Regenten und der Regierungen beharrenden preußiſchen
Staates zu Deutſchland das gleiche, und dieſes zum Heile beider
feſtzuſteilen, darum handelt es ſich, nicht von der Uebertragung einer
Würde an das preußiſche Staatsoberhaupt. Dadurch ſind zu allen
Zeiten Staaten und Völker groß geworden und geehrt, daß ſie einen
als nothwendig erkannten Zweck mit unermüdlicher Beharrlichkeit ver-
folgten, was auf dem einen Weg mißlang, auf einem andern verſuchten
und vorerſt mit dem Halben vorlieb nahmen, wo das Ganze nicht ſofort
zu erreichen war.
„Preußen hat an Deutſchland nicht ſo gehandelt, wie dieſes wünſchte
und erwartete, vielmehr vielfach ſeine Hoffnungen getäuſcht, ſeine Plane
vereitelt, ſeinen Rechten vergeben, ſeine Ehre bloßgeſtellt,“ klagen An-
dere, „und zum Lohne dafür ſoll es an die Spitze geſtellt werden, und
die große Erhebung Deutſchlands nur dem preußiſchen Ehrgeiz, der
Vergrößerung und Stärkung des ſelbſtſüchtigen Preußens dienen! Nim-
mermehr!“ Auch dieß zeugt von einer durchaus verkehrten, unreifen
politiſchen Geſinnung. In der Politik nur Großmuth verlangen und
üben, iſt, jenes lächerlich, und dieß macht verächtlich; die Intereſſen
ſind in der Politik das Maßgebende, verſteht ſich mit Beachtung des
Rechts Anderer und der eignen Ehre. Kein Vernünftiger kann es
Preußen verargen, wenn es ſeine eignen Intereſſen überall zu wahren
ſucht, wie jeder lebenskräftige Staat thut, und dem würde man mit
Recht ins Geſicht lachen, der behaupten wollte: Preußen habe in der
letzten Zeit nur von großmüthiger Berückſichtigung der Intereſſen Deutſch-
lands ſich beſtimmen laſſen. Die Wahrheit iſt: Preußens eignes
wohlverſtandenes Intereſſe gebietet ihm, die engere Einigung mit dem
übrigen Deutſchland zu ſuchen, — eine Wahrheit, die nur von einer
beſchränkten, hochmüthigen, ausſchließlichen ſtockpreußiſchen Partei ver-
kannt und geläugnet wird; aber neben dem, daß ſie Preußen ſind,
fühlen ſich die beſten und weitherzigſten Männer Preußens auch, ja vor
Allem, als Deutſche; und als Solche ſind ſie geneigt, dem deut-
ſchen Intereſſe, das auch das ihrige iſt, Opfer zu bringen. Gewin-
nen wird Preußen durch das Zuſtandekommen des deutſchen Bundes-
ſtaats, an Macht, Anſehen, Einfluß nach Außen, zugleich aber auch
[25] manche Laſten und Opfer übernehmen müſſen; weit mehr gewinnen
jedoch wird das übrige Deutſchland, — die Rettung aus der drohenden
Auflöſung, den Beſtand, die Exiſtenz als Nation; gewinnen wird jeder
Deutſche ein Vaterland im vollen, politiſchen Sinne, ein Vater-
land, das ihn zu ſchützen und zu vertreten die Macht hat, deſſen er ſich
rühmen, auf das er ſtolz ſeyn kann. Eine thörichtere Handlungsweiſe
aber kann man ſich nicht [denken], als die des Neidiſchen, welcher, um
dem Andern keinen Vortheil zukommen zu laſſen, für ſich ſelbſt den
größern, die Rettung von Leben und Ehre verſchmähte! — — —
Dieſe Ausführung iſt umfaſſender geworden, als ich gewünſcht. Aber
es galt, den einzelnen Angriffen und Einwendungen eine geſchloſſene,
ſich gegenſeitig tragende und unterſtützende politiſche Anſchauung gegen-
überzuſtellen, mit der daran ſich anſchließenden Aufforderung an die
Gegner: nicht etwa nur wieder Einzelnes zu beſtreiten, dieſe und jene
Gedanken und Einfälle oder gar nur Machtſprüche und Schmähungen
vorzubringen, ſondern das Ganze und Poſitive auch wieder durch einen
poſitiven Vorſchlag zu bekämpfen. Ich läugne nicht, daß der hier ver-
theidigte politiſche Gedanke manche ſchwache Punkte und Blößen darbietet
und deſſen Verwirklichung im beſten Fall auf große Schwierigkeiten
ſtoßen wird; aber dieſe Schwächen beleuchten, dieſe Blößen aufdecken,
dieſe Schwierigkeiten vermehren mag der Ruhm eines ſcharfſinnigen Kopfes
und eines eiteln Nihiliſten ſeyn; Vaterlandsliebe dagegen und Ehrgefühl
ſollte Jeden davon zurückhalten, der nichts Beſſeres, Mögliches
vorzuſchlagen weiß. Welche Gefühle der Trauer, der Schaam und des
Ingrimms müßten in der Bruſt der deutſchgeſinnten Württem-
berger kochen an dem Tage, wo in andern deutſchen [Ländern] die Ab-
geordneten zum neuen Reichstage gewählt würden, während ſie ſelbſt in
grollendem Schweigen, in mißgünſtiger Unthätigkeit bei Seite zu ſtehen
verdammt wären oder ſich verdammt hätten!
Denen, die an Deutſchlands Zukunft ganz verzweifeln, iſt nichts
weiter zu ſagen. Wenn ſie auch Recht hätten, ſollten ſie doch nie als
Verzweifelnde handeln, oder vielmehr zu handeln aufhören. Auch
mit Solchen iſt nicht zu ſtreiten, welchen ein für alle Mal feſt ſteht,
nicht mit Preußen zuſammenzugehen. Aber das darf man von den
Letztern verlangen: wenn ſie ihre Vorurtheile keiner politiſchen Erwä-
gung unterordnen und aufopfern, wenn ſie aus der Enge und Kleinheit
ihrer partikulariſtiſchen Neigungen und Beſtrebungen nie auf einen
höheren Standpunkt emporſteigen, wenn ſie nur dem Orakel des Haſſes,
der Leidenſchaft nnd der Eiferſucht ihr Ohr leihen wollen, dann die
Einheit und Größe Deutſchlands, das Wort Vaterlandsliebe
[26] nicht mehr im Munde zu führen! Diejenigen Männer, deren ganzer
Patriotismus Preußenhaß, deren Politik nicht der Ausdruck einer
nationalen, und daher berechtigten, ſondern einer ſpießbürgerlichen,
provinziellen, kleinlichen auf den deutſchen Nachbar, auf den natürlichen
Beſchützer neidiſchen Selbſtſucht iſt, — die mögen nur am Ruin und
an der Schmach, aber nie an der Größe und am Ruhm des Vaterlands
bauen!
Hiemit habe ich mein politiſches Glaubensbekenntniß im Bezug auf
eine Lebensfrage unſeres Staates und des deutſchen Volkes ausgeſpro-
chen. Aus dieſen meinen Ueberzeugungen habe ich nie ein Geheimniß
gemacht; und wenn neulich angedeutet wurde, ich ſey, gegenüber den
Wählern des Amtsbezirks Stuttgart genöthigt worden, mich ent-
ſchieden und beſtimmt für den Anſchluß an den preußiſchen Verfaſſungs-
entwurf auszuſprechen, — wenn die damals vernommenen Aeußerungen
vorauszuſetzen ſchienen, daß ich eigentlich mit meiner Anſicht zurück-
zuhalten wünſche oder Urſache habe, ſo erkläre ich, daß ſolche An-
deutungen und Vorausſetzungen gänzlich unbegründet, daß mir jene
Interpellationen ganz erwünſcht waren. Uebrigens habe ich mit meiner
damaligen unumwundenen Erklärung ebenſo wenig „das Geheimniß des
Stuttgarter Vaterländiſchen Vereins verrathen,“ (das heißt wohl,
ich hätte es bewahren wollen oder ſollen?) als ich beauftragter oder
bevollmächtigter Dollmetſcher ſeiner Anſichten war. Ich habe nur
meine perſönlichen Anſichten ausgeſprochen, die ich allein zu vertreten
habe und immer vertreten werde. Der Stuttgarter Vaterländiſche Verein
hat allerdings ſeit Ende vorigen Jahres wiederholt dahin ſich ausge-
ſprochen, daß unter dem Vortritt Preußens der deutſche Bundesſtaat
oder das deutſche Reich gegründet werden möchte, und in dieſem Sinne
gewirkt; er hat neuerlich, mit andern Vaterländiſchen Vereinen, in
Plochingen ſein Vertrauen zu den gerade damals in Gotha verſammelten
Männern ausgeſprochen, und es iſt zu hoffen, daß die Mitglieder den
Mahnungen immer treu bleiben werden, welche ihnen der Name ihres
Vereins zuruft: der Ehre, Macht und Einheit des Vaterlandes, — aber
was man von verborgenen und enthüllten Planen deſſelben, von ſeinem
weitreichenden Einfluß und ſeiner Gefährlichkeit, von den Fäden, die er
ſpinne, und dem Schlepptau, das er führe, dem Publikum vorerzählt,
das ſind Phantaſien, über die man, ſeyen ſie nun harmlos oder fein
ausſtudirt, in mehr als Einer Hinſicht lächeln muß. Gleichwie der
Preußenhaß als Hebel benützt wird, um die deutſche Einheit, den
Bundesſtaat zu ſprengen, ſo wird derſelbe Hebel angeſetzt, um nicht etwa
nur den Vaterländiſchen Verein in Verruf zu bringen, — dieſer weiß
[27] ſich über ſolche Verfolgungen leicht zu tröſten! — ſondern ſogar, um
Römer und Murſchel der von Preußenhaß entflammten Menge zu
verdächtigen, oder ſie aus der verpeſtenden Nähe der mit kranken Ideen
behafteten Boruſſomanen in den Schooß der geſunden, preußenhaſſenden
und preußenfreſſeriſchen Volkspartei zurückzuſchrecken! „Preußiſch oder
Deutſch!“ ſtand in zollgroßen Lettern über dem Plakat, welches die
Wähler vor Murſchel, als einem Preußiſchgeſinnten warnte!
Ich wünſche nichts Anderes, als daß die wahrheitsliebenden Verfaſſer
des Plakats Propheten wider Willen geweſen wären!
Noch ein Wort über den Eid der Abgeordneten, von deſſen Leiſtung
ein zartbeſorgter Rathgeber eine Beſchwerung für mein Gewiſſen fürchtet.
Gewiß ſpiele ich nicht mit dem Eid! aber das verſteht ſich doch wohl
vom ſelbſt, daß die Reichsverfaſſung, von welcher der Eid ſpricht,
nur eine wirklich in’s Leben getretene ſeyn kann, ſey es nun
— was freilich jetzt undenkbar iſt — die Frankfurter oder die Preußiſche,
oder eine andere noch ungeborene. Das Geſchrei von Aufrechthaltung
der Frankfurter Reichsverfaſſung, in deren Anerkennung Württemberg
ſo gut wie allein ſteht, iſt eine baare Lächerlichkeit. Eine Reichs-
verfaſſung ohne Reich! — das iſt wie eine Paſtete ohne Fülle!
Die Grundrechte ſind ein Theil der Reichsverfaſſung; inſofern gälte
von ihnen daſſelbe; aber ſie ſind in Württemberg verkündigt und gelten
als Geſetz; als württembergiſches Geſetz aber fallen ſie ſo gut wie
die bisher gültige Verfaſſung der Reviſion der Ständeverſammlung
anheim. Ich erkenne ihre Beſtimmungen inſofern als durchaus heil-
ſam und maßgebend an, als ſie wirklich allgemein menſchliche und
politiſche Rechte der Einzelnen, wie Religions- und Gewiſſensfreiheit,
Freiheit, ſeine Gedanken zu veröffentlichen, Gleichheit vor dem Geſetz,
Gleichheit der bürgerlichen Ehrenrechte ohne Anſehn und Unterſchied der
Geburt u. ſ. w. betreffen; aber nicht ebenſo kann ich ihnen unbedingte
Gültigkeit zugeſtehen, ſofern ſie, die allgemeinen [Beſtimmungen] über-
ſchreitend, die Ausnahmen der Regel ausſchließend, der Geſetzgebung,
welche den Organismus der Staatseinrichtungen zu regeln hat, in oft
bedenklicher Weiſe vorgreifen, und eine vernünftige, zweckmäßige Aus-
bildung der Staatseinrichtungen erſchweren oder unmöglich machen.
[[28]][[29]][[30]][[31]]
viel mehr iſt das Bild, das er und Seinesgleichen von dem deutſchen Bundesſtaat
unter Preußens Leitung, vom preußiſchen Säbelregiment und Deſpotismus entwerfen,
ein — Wahnbild!
- Holder of rights
- Kolimo+
- Citation Suggestion for this Object
- TextGrid Repository (2025). Collection 3. Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Die deutsche Einheit und der Preußenhaß. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq73.0