Hochbau-Ausführungen
des
Preußiſchen Staates.
der
Vereinigung zur Vertretung baukünſtleriſcher Intereſſen
in Berlin.
Ernſt Toeche.
Die Verhandlungen, welche das Haus der Abgeordneten in
ſeiner 20. Sitzung vom 6. Dezember 1879 der Organiſation
des preußiſchen Staats-Bauweſens gewidmet hat, insbeſondere
die entgegen kommenden Erklärungen des Herrn Miniſters der
öffentlichen Arbeiten auf die dort geäußerten Wünſche nach einer
zeitgemäßen Reform der Bauverwaltung und ſeine Andeutungen
über die von ihm bereits in Ausſicht genommenen Ziele einer
ſolchen Reform, haben ſicherlich bei allen Angehörigen des
preußiſchen Bauweſens die lebhafteſte Aufmerkſamkeit erregt.
Mit dieſer zugleich mußte natürlich auch der Wunſch er¬
wachen, daß es vor Einleitung beſtimmter Maaßregeln ihnen,
den zunächſt Betheiligten, vergönnt werden möge, ihre Anſichten
über die gegenwärtigen Verhältniſſe jenes Gebiets geltend zu
machen und Mittel zur Beſeitigung der zur Zeit auf ihm vor¬
handenen Uebelſtände in Vorſchlag zu bringen.
Da es, neben praktiſchen, beſonders auch künſtleriſche Ge¬
ſichtspunkte waren, aus denen man im Abgeordnetenhauſe das Be¬
dürfniß nach einer Reform unſeres Staats-Bauweſens ableitete,
ſo hat ſich die im vorigen Jahre begründete, aus c. 60 unab¬
hängigen Architekten der Landes-Hauptſtadt beſtehende „Ver¬
einigung zur Vertretung baukünſtleriſcher Intereſſen“
für verpflichtet gehalten, jene Fragen — ſoweit ſie in den Kreis
ſpezifiſch baukünſtleriſcher Intereſſen fallen — auch ihrerſeits in
eingehende Erwägung zu ziehen. Sie beehrt ſich, das Ergebniß
derſelben im Folgenden zur Kenntniß der hohen Staatsregierung,
ſowie der beiden hohen Häuſer des Landtags zu bringen. —
I.
Es kann nicht beſtritten werden, daß der im Lande vielfach
verbreiteten Unzufriedenheit mit den architektoniſchen Leiſtungen
unſeres Staats-Bauweſens eine gewiſſe Berechtigung zu Grunde
liegt. Die Nation kann und muß verlangen, daß die aus
Staatsmitteln errichteten öffentlichen Bauten, ſowohl nach ihrer
Anlage wie nach ihrer techniſchen und künſtleriſchen Durchführung,
die Höhe deſſen bezeichnen, was die architektoniſchen Kräfte des
Landes zur Zeit zu leiſten vermögen. Dies iſt bei uns gegen¬
wärtig leider nicht durchweg der Fall. Wohl finden ſich auch
unter den Hochbau-Ausführungen des preußiſchen Staates —
namentlich in den größeren Städten — tüchtige und anerkennens¬
werthe Werke: in ihrer großen Mehrzahl zeigen dieſelben jedoch
nicht jenen Grad architektoniſcher Reife und Vollendung, der in
vielen Privatbauten unſeres Landes ſich kund giebt und durch¬
ſchnittlich auch von den öffentlichen Bauten anderer Nationen
erreicht wird.
Die Urſache dieſer auffälligen Erſcheinung, welche gewiß von
Niemand ſchmerzlicher empfunden wird, als von den preußiſchen
Architekten, iſt nicht etwa darin zu ſuchen, daß für die Hochbau-
Ausführungen unſeres Staates zu geringe Mittel bewilligt wür¬
den, wie dies in einer früheren Periode allerdings häufig der
Fall war. Die in neuerer Zeit für jenen Zweck zur Verfügung
geſtellten Geldmittel haben wohl ſtets ausgereicht, um mit den¬
ſelben eine nach jeder Beziehung genügende Löſung der Aufgabe
zu ermöglichen. — Eben ſo wenig wird man angeſichts der nam¬
haften Zahl gediegener Bauwerke aus älterer und neuerer Zeit,
die jenen angreifbaren Leiſtungen gegenüber ſtehen und die mit
den beſten Schöpfungen des Auslandes ſich meſſen können, be¬
haupten wollen, daß es unſerem Lande an fähigen Bautechnikern
und Baukünſtlern fehle.
Man wird daher nicht irren, wenn man die Mängel unſerer
öffentlichen Bauten vor allem daraus ableitet, daß zur Löſung
der architektoniſchen Aufgaben des Staates im all¬
gemeinen nicht der richtige Weg eingeſchlagen wird.—
Bekanntlich unterhält Preußen ein zahlreiches, im weſent¬
[5] lichen nach dem Muſter der übrigen Verwaltungszweige organi¬
ſirtes Corps von Baubeamten, durch welches alle mit dem öffent¬
lichen Bauweſen zuſammen hängenden Aufgaben — alſo auch
die für Entwurf und Ausführung eines Baues erforderlichen
ſchöpferiſchen Leiſtungen — im Wege eines regelmäßigen,
nach drei Inſtanzen gegliederten Geſchäftsganges erledigt werden
ſollen. Da ausſchließlich Beamte zur Verwendung gelangen,
die gleichmäßig nach den höchſten Anſprüchen ausgebildet worden
ſind, ſo iſt die Vorausſetzung dieſer Organiſation offenbar die,
daß der zur Verwaltung eines Baukreiſes angeſtellte Lokal-Bau¬
beamte alle innerhalb ſeines Kreiſes zu errichtenden Neubauten
des Staates zu entwerfen und auszuführen hat, während der dem
Regierungs-Kollegium zugetheilte Regierungs- und Baurath die
Reviſion der bezgl. Arbeiten bewirken und die Bau-Abtheilung des
Miniſteriums der öffentlichen Arbeiten, als ſuperrevidirende Be¬
hörde, für Einhaltung einheitlicher, ſachgemäßer Prinzipien ſor¬
gen ſoll. —
Soweit es um die Entwürfe zu Staatsbauten höhe¬
ren Ranges ſich handelt, hat in Wirklichkeit längſt eine andere
Praxis ſich eingebürgert. Zwar werden die Entwürfe zu dieſen
Bauten, mit wenigen Ausnahmen, zunächſt noch immer durch die
Lokal-Baubeamten der betreffenden Baukreiſe aufgeſtellt: die Vor¬
lagen der letzteren werden jedoch nur ſelten zur Ausführung geneh¬
migt, ſondern häufig ſchon in der Reviſion ſtark geändert, in der
oberſten Inſtanz dagegen meiſt ganz verworfen und durch ein
von dort geliefertes Projekt erſetzt. Es iſt gegenwärtig faſt
zur Regel geworden, daß die Entwürfe zu den bedeu¬
tenderen Hochbauten des preußiſchen Staates in der
Bau-Abtheilung des Miniſteriums der öffentlichen Ar¬
beiten angefertigt oder durch dieſe beſchafft werden.—
Es mag dahin geſtellt ſein, ob ein ſolches Verfahren, das
in den Lokal-Baubeamten, ja ſelbſt in den Regierungs- und
Bauräthen, die Berufsfreudigkeit und das Gefühl der Verant¬
wortlichkeit nur beeinträchtigen kann, in jedem einzelnen Falle
dadurch nothwendig wurde, daß der von den unteren Inſtanzen
vorgelegte Entwurf ſich als unbrauchbar erwies. In ſehr vielen,
ja den meiſten Fällen dürfte eine ſolche Nothwendigkeit in der
[6] That vorgelegen haben; denn die Vorausſetzung, daß
unſere Lokal-Baubeamten zur Löſung ſchwieriger ar¬
chitektoniſcher Aufgaben allgemein im Stande ſein
ſollen, iſt eine durchaus irrige.
Man darf zunächſt nicht überſehen, daß der Ausbildungsgang
unſerer Baumeiſter bisher ein anerkannt mangelhafter war und es in¬
ſofern noch immer iſt, als faſt nur auf die theoretiſche Ausbildung
Werth gelegt wird, nicht aber auf die für den Baukünſtler be¬
ſonders wichtige praktiſche Schulung, zu der es im gewöhnlichen
Geſchäftsgange an Gelegenheit fehlt. Faſt alle Architekten un¬
ſeres Landes, die ſich zu höherer Leiſtungsfähigkeit entwickelt
haben, verdanken dies neben ihrem Talent und ihrem Fleiß in
erſter Linie dem Glückszufall, daß ſie im Atelier eines erfahrenen
Meiſters unter deſſen Leitung in künſtleriſche Thätigkeit ſich
einleben konnten. — Man muß ſodann aber vor allem ſich klar
machen, daß die Stellung des Lokal-Baubeamten und die Art
ſeiner Amtsgeſchäfte ihm in der Regel die Fähigkeit zu ſchöpfe¬
riſchen, insbeſondere zu künſtleriſchen Leiſtungen nehmen müſſen,
auch wenn er ſolche früher beſeſſen hat. Wohl jeder Künſtler
wird ſich zu ſchöpferiſcher Thätigkeit nur dann im Stande fühlen,
wenn er einerſeits ſeine Kraft in beſtändiger Uebung halten und
wenn er andererſeits in die ihm geſtellten Aufgaben ſich ver¬
tiefen kann; meiſt hält er es ſogar für erforderlich, auf ein
kleineres Spezialgebiet des Schaffens ſich zu beſchränken. Die
Lage unſerer Baubeamten zeigt von dem allem das gerade Gegen¬
theil. Meiſt an eine kleine Provinzialſtadt gefeſſelt und mit
mechaniſchen Bureau-Arbeiten überhäuft, von künſtleriſcher
Anregung und den Mitteln zur Fortbildung nahezu abge¬
ſchnitten — kommt der Einzelne unter ihnen überhaupt nur
ſelten und in längeren Zeitabſchnitten dazu, einer höheren archi¬
tektoniſchen Aufgabe ſich zu widmen, die er alsdann im Drange
des Dienſtes, zwiſchen Geſchäften der heterogenſten und meiſt der
trivialſten, Art als eine „Nummer“ erledigen muß. Beſſere
Verhältniſſe ſind lediglich in den wenigen größeren Städten vor¬
handen, wo es an Anregung nicht fehlt, der Geſchäftskreis ein
einheitlicherer iſt und künſtleriſche Aufgaben etwas häufiger ſich
darbieten. — Was Wunder, daß fähige Architekten, denen die
[7] Möglichkeit einer anderen Lebensſtellung ſich bot, von jeher nur
geringe Neigung gezeigt haben, dem Staate in den Formen des
Baubeamtenthums zu dienen. Innerhalb des letzteren dauernd
eine eigentliche künſtleriſche Wirkſamkeit zu entfalten, iſt that¬
ſächlich nur wenigen, beſonders glücklich veranlagten und ener¬
giſchen Naturen gelungen, und auch dieſen — welche dem Amte
als einem unvermeidlichen Mittel, um zu jenem Ziele zu kommen,
ſich fügen mußten — faſt nur dann, wenn die Gunſt der Vorge¬
ſetzten ihnen von vorn herein eine Ausnahme-Stellung einräumte. —
Unter ſolchen Umſtänden iſt es allerdings nur wünſchenswerth,
daß man von einer Aufſtellung der Entwürfe zu wichtigeren Staats¬
bauten durch die Lokal-Baubeamten endgültig abſehe. Aber die
gegenwärtig eingeführte Praxis, deren Anfang wohl bis auf
Schinkel zurückreicht und ſich aus dem gewaltigen Uebergewichte
dieſes Meiſters über ſeine Zeitgenoſſen erklärt, unterliegt nicht
minder ſchweren Bedenken und zeigt ebenſo offenkundige Uebelſtände.
Es mag zunächſt beiläufig darauf hingewieſen werden, daß
die Bearbeitung der Entwürfe durch die Behörde, welcher zugleich
die Reviſion derſelben obliegt, der in jedem geordneten Staats¬
weſen gültigen Regel zuwider läuft, daß Niemand in eigener Sache
Richter ſein darf. Wenn die bautechniſchen Räthe des Miniſteriums
auch wohl nur ſelten einem Entwurf perſönlich ſich widmen können,
ſondern hierzu der Kräfte ihres, zu immer größerem Umfange an¬
ſchwellenden Techniſchen Bureaus, vereinzelt ſogar der Unterſtützung
von Privat-Architekten, ſich bedienen müſſen, ſo führen ſie doch die
obere Leitung jener Arbeiten und ſind demzufolge meiſt nicht in der
Lage, über dieſelben ſpäterhin ein völlig objektives Urtheil abzugeben.
Die Gefahr, daß auf dieſem Wege manche mehr oder minder
anfechtbare Entwürfe zur Genehmigung gelangen, iſt gewiß nicht
ausgeſchloſſen, zumal bei Berufung jener leitenden Beamten des
Staats-Bauweſens doch nicht an erſter Stelle deren ſchöpferiſche
Befähigung berückſichtigt werden kann und da die Hülfskräfte ihres
Techniſchen Bureaus vorzugsweiſe doch nur aus jüngeren Beamten
beſtehen, die über eine reiche Erfahrung in künſtleriſcher Praxis
nicht gebieten. — Aber ſelbſt, wenn dieſes Bedenken dadurch ver¬
ringert würde, daß man an jener Zentralſtelle in Wirklichkeit ſtets
die hervorragendſten und leiſtungsfähigſten Architekten des Landes
[8] zu vereinigen wüßte, ſo würde dennoch niemals der künſtleriſche
Nachtheil beſeitigt werden, der an den Entwürfen zu unſern Staats¬
bauten ſeither am auffälligſten und ſchlimmſten ſich geltend ge¬
macht hat: die bei einer ſolchen fabrikartigen Maſſen¬
produktion der Entwürfe an einer Stelle unvermeid¬
liche, ſchablonenhafte Auffaſſung derſelben.
Eine ausreichende Berückſichtigung der eigenartigen Be¬
ſchaffenheit des Bauplatzes, der landesüblichen Baumaterialien und
der aus hiſtoriſcher Tradition entwickelten Bauformen des be¬
treffenden Gebiets, welche erforderlich iſt, um ein Bauwerk
charakteriſtiſch und intereſſant zu machen, kann in der Regel nicht
ſtattfinden, weil der Entwerfende von jenen Momenten keine oder
doch nur geringe Kenntniß beſitzt. Von einer Vertiefung in der
Aufgabe kann gleichfalls kaum die Rede ſein. — So ſind die
Provinzen unſeres Landes, für welche die vom Staate aus¬
geführten Neubauten ein Gegenſtand des Stolzes ſein ſollten,
ſeit langer Zeit mit einer Reihe von Gebäuden überſäet worden,
die — aus einem begrenzten Vorrath von Formen und Motiven
zuſammengeſetzt — eine nüchterne Uniformität zur Schau tragen
und ſelten zu ihrer Umgebung paſſen, aber demnächſt leider viel¬
fach als Vorbilder für den handwerkmäßigen Privatbau benutzt
worden ſind und durch dieſen Einfluß die eigenartige Phyſiognomie
zahlreicher Ortſchaften aufs tiefſte geſchädigt haben. —
Dieſe Nachtheile werden noch verſtärkt durch die Art und
Weiſe, in welcher die Ausführung der bezgl. Entwürfe erfolgt.
Die letztere wird nämlich, wie dies der Organiſation der Staats-
Bauverwaltung entſpricht, mit wenigen Ausnahmen, nach wie
vor den Lokal-Baubeamten überlaſſen, denen zu dieſem
Zweck jüngere diätariſch beſchäftigte Bauführer und Reg.-Bau¬
meiſter zur Seite geſtellt werden. Sind aber jene Beamten,
wie nachgewieſen wurde, nur ausnahmsweiſe in der Lage, einen
befriedigenden Entwurf zu einem öffentlichen Gebäude höherer
Art anzufertigen, ſo ſind ſie aus denſelben Gründen noch viel
weniger im Stande, einen ſolchen Entwurf im künſtleri¬
ſchen Sinne auszugeſtalten. Während zum Entwerfen einer
Skizze — natürlich bis zu gewiſſen Grenzen — die akademiſche
Vorbildung genügt, iſt letzteres nicht möglich ohne eine in der
[9] Praxis gereifte künſtleriſche Erfahrung. Eine ſolche beſitzen
die Kreis-Baubeamten ebenſo ſelten, wie die ihnen zugewieſenen
jungen Hülfsarbeiter; ſie ſtehen demnach den ihnen zur Ausfüh¬
rung überſandten, meiſt in kleinem Maßſtabe gezeichneten Ent¬
würfen rathlos gegenüber und ſind darauf angewieſen, mit der
Detaillirung derſelben auf gut Glück zu experimentiren, bezw.
ein ſolches Experiment den zur ſpeziellen Bauleitung beſtellten
Kräften zu überlaſſen. Das Ergebniß kann unmöglich ein glück¬
liches ſein. So ſtellt ſich die künſtleriſche Ausgeſtaltung
im Einzelnen bei unſern Staatsbauten nur gar zu
häufig als eine dürftige und mißverſtandene dar. *)—
Hiermit iſt es wohl in ausreichender Weiſe erklärt, daß
auf dem für die Herſtellung unſerer Staatsbauten üblichen Wege
nur höchſt ſelten — durch ein Zuſammentreffen beſonders glück¬
licher Umſtände — Werke entſtehen können, die ganz und voll
das Gepräge einer künſtleriſchen Leiſtung tragen. Iſt doch
eine ſolche ſtets nur als individuelle Schöpfung eines ein¬
zelnen Künſtlers denkbar, während in die Autorſchaft unſerer
Staatsbauten eine ſo große Zahl verſchiedener Perſönlichkeiten ſich
theilt, daß es in den meiſten Fällen gar nicht möglich iſt anzu¬
geben, von wem das betreffende Gebäude eigentlich herrührt. —
Eine Thatſache, die für ſich allein hinreicht, den künſtleriſchen
Rang dieſer Werke mit einem Schlage zu kennzeichnen!
Es mag daneben noch hervor gehoben werden, daß jener für
den künſtleriſchen Werth unſerer Staatsbauten ſo nachtheilige Weg
ihrer Herſtellung auch ein unverhältnißmäßig koſtſpieliger iſt.
Die zwei- und dreimalige Bearbeitung des Entwurfs erfordert
natürlich auch zwei- bis dreifache Projektirungskoſten,
die um ſo höher ſich zu ſtellen pflegen, als zu dieſen Arbeiten
großentheils diätariſch beſoldete Hülfsarbeiter verwendet werden
müſſen. — Die Ausführung der Bauten wird in's Endloſe ver¬
[10] ſchleppt, ſo daß für ihre Herſtellung günſtige Geſchäfts-Kon¬
junkturen häufig nicht ausgenutzt werden können. — Für
die unvermeidlichen Sünden des Ausführenden muß der
Staat das Lehrgeld zahlen. — Und bei alledem iſt derſelbe durch
einen ſo ſchwerfälligen und komplizirten Apparat nicht einmal
davor geſchützt, daß die veranſchlagten und bewilligten Baukoſten
eingehalten werden! — —
II.
Mängel ſo tief greifender Art laſſen das Verlangen nach
einer radikalen Reform des preußiſchen Staats-Bau¬
weſens allerdings als ein ſehr gerechtfertigtes erſcheinen. Auch
die weſentlichſten Zielpunkte dieſer Reform ſind — ſoweit es um die
hier vorzugsweiſe in Betracht gezogene Seite unſerer Staats¬
bauten ſich handelt — kaum noch zweifelhaft.
Man wird einerſeits dafür ſorgen müſſen, daß
die den Staatsbauten zugewendete baukünſtleriſche
Thätigkeit des Landes hinfort nicht mehr durch die
Hauptſtadt allein aufgeſaugt werde, daß vielmehr in
den Provinzen des Staates wiederum ein eigenartiges
architektoniſches Leben ſich entfalte!
Man wird andererſeits von der Herſtellung bau¬
künſtleriſcher Werke im Wege eines bureaukratiſch ge¬
regelten, amtlichen Geſchäftsganges abſehen müſſen,
wie man längſt überall darauf verzichtet hat, Schöpfun¬
gen der übrigen Künſte durch amtliche Anſtellung von
Malern, Bildhauern, Dichtern und Komponiſten her¬
vor rufen zu wollen! —
Wenn der Bruch mit den durch lange Zeit feſtgehaltenen
Traditionen des Staats, welchen die zweite Forderung enthält,
zunächſt bedenklich erſcheinen ſollte, ſo wird ein Rückblick auf den
hiſtoriſchen Urſprung der bisherigen Einrichtungen unſeres Staats-
Bauweſens dieſe Bedenken leicht zerſtreuen.
Daß ſich in Deutſchland ein Inſtitut der Baubeamten ent¬
wickelt hat, wie es die übrigen Kulturſtaaten in gleichem Sinne
und namentlich in gleicher Anwendung auf das Gebiet der ſchöpfe¬
riſchen architektoniſchen Leiſtungen nicht kennen, iſt die natürliche
[11] Folge der Zuſtände, in denen unſere Nation während der letzten
2 Jahrhunderte ſich befand. Ihre alte Kultur und ihr Wohl¬
ſtand waren nahezu vernichtet und konnten ſich unter den unauf¬
hörlichen Erſchütterungen langwieriger Kriege nur langſam wieder
erholen. Das Bedürfniß nach höheren architektoniſchen Leiſtungen
beſchränkte ſich damals faſt ausſchließlich auf die Höfe der Fürſten
— die Brennpunkte, an denen ſich ſchöpferiſche Initiative und Kunſt¬
übung konzentrirten, um von da aus allmählich auf die Provinzen
ausgeſtrahlt zu werden. Für eine ſolche Ausſtrahlung aber gab es,
im Geiſte der Zeit, keine andere Form, als die des Beamtenthums.
So iſt in Preußen, namentlich unter dem landesväterlichen Regi¬
ment Friedrich Wilhelms I. und Friedrich's des Großen, der
Grund zu unſerem Baubeamtenthum gelegt worden, das dem¬
nächſt im Anfange dieſes Jahrhunderts, bei der Reform der ge¬
ſammten inneren Verwaltung unter Friedrich Wilhelm III., ſeine
feſte Organiſation erhalten hat.
Das Baubeamtenthum war in jenen Zeiten ohne
Zweifel eine Nothwendigkeit. Was es im Dienſte des Staates
leiſten und ſchaffen mußte, war damals überhaupt auf keinem an¬
deren Wege zu erzielen, weil unſer Land, mit verſchwindenden Aus¬
nahmen, keine anderen Architekten und Ingenieure beſaß, als die
vom Staate ausgebildeten und angeſtellten Baubeamten!
Eine ſolche Nothwendigkeit iſt heute nicht mehr in gleichem
Grade vorhanden — zum mindeſten nicht auf baukünſtleriſchem
Gebiete. Seit 40 Jahren iſt unſer Vaterland, das ſeine Kräfte
geſammelt hat, wieder im Aufblühen begriffen. Mit dem wachſen¬
den Wohlſtande mehrte ſich die Zahl der künſtleriſchen Aufgaben,
die neben dem Staats-Bauweſen auch der Privatbau zu ſtellen
hatte und es entſtand ein Bedürfniß nach Architekten, welche ſich
der Löſung derſelben unterziehen konnten. Waren dieſelben an¬
fänglich nur unter den Baubeamten zu finden, ſo verzichteten doch
bald einige der für den Staatsdienſt ausgebildeten Baumeiſter auf
eine amtliche Stellung, um ſich ganz jenen Aufgaben widmen zu
können. Es bildete ſich wiederum ein Stand unabhängiger, eine
rein künſtleriſche Thätigkeit ausübender Architekten. — Das letzte
Jahrzehnt, dem wir, trotz mancher Auswüchſe und Verirrungen,
doch einen mächtigen und nachhaltigen Aufſchwung unſerer ge¬
[12] ſammten Kulturformen verdanken, hat dieſen Prozeß raſch gezeitigt,
zumal die Freigebung der Baugewerbe auch die Schranken beſeitigte,
welche der ſelbſtändigen Thätigkeit des Architekten bisher in der
Forderung eines beſtimmten, zeitraubenden Ausbildungsganges und
mehrfacher Prüfungen, zum Nachtheil vieler auf dem Boden künſt¬
leriſcher Praxis entwickelter Talente, geſetzt waren. So iſt, dem
in ungeahnter Weiſe geſteigerten Bedürfniß entſprechend, die Zahl
der ſogen. Privat-Architekten außerordentlich gewachſen und
faſt ſchon in allen größeren Städten des Landes ſind ſie vertreten.
Es dürfte keine Ueberhebung ſein, wenn man es ausſpricht,
daß die Leiſtungen dieſer Privat-Architekten denen des Staats-
Bauweſens den Vorrang abgewonnen haben. Der hohen Begabung
und dem ſoliden künſtleriſchen Können einzelner Baubeamten ſoll
damit eben ſo wenig zu nahe getreten werden, wie das offene
Urtheil über die aus den Einrichtungen des preußiſchen Staats-
Bauweſens hervorgehenden Uebelſtände ſich überhaupt gegen die
Perſonen wenden kann, welche demſelben zur Zeit angehören.
Denn es liegt doch in der Natur der Dinge, daß die Mehrzahl
der Baubeamten es nicht Künſtlern gleich zu thun vermag, die in
ſchöpferiſcher Thätigkeit lebend und webend, ihre zu voller Reife
gediehene Kraft auf die ihnen geſtellten Aufgaben konzentriren
können. Mag man die architektoniſchen Entwürfe auf öffentlichen
Ausſtellungen in Betracht ziehen, mag man die Bauten an den
Straßen und Plätzen unſerer Städte vergleichen, mag man dem
Einfluſſe nachſpüren, dem die natürliche Grundlage und Ergänzung
aller hohen Kunſt, das Kunſtgewerbe, ſein Wieder-Aufleben
verdankt: überall wird man finden, daß gegenwärtig die Pri¬
vat-Architekten die Führung behaupten!
Bei ſolcher Sachlage würde ein längeres Feſthalten an der tra¬
ditionellen Herſtellung unſerer öffentlichen Bauten dem Intereſſe des
Staates gewiß nicht entſprechen. Schon ſeit geraumer Zeit iſt man
ja auch in einzelnen Fällen zu dem Entſchluß gelangt, Architekten,
welche außerhalb des Baubeamtenthums ſtehen, theils zum Entwurf,
theils zu Entwurf und Ausführung öffentlicher Gebäude — darunter
der wichtigſten Monumental-Bauten — heranzuziehen. Angeſichts
ihrer Zahl, angeſichts der Bedeutung, welche ihre Leiſtungen im
Kunſtleben der Nation gewonnen haben, können dieſe Architekten
[13] es jedoch verlangen, daß man bei einem ſolchen, von perſönlichem
Ermeſſen abhängenden und darum ſchwer zu kontrollirenden Ver¬
fahren nicht ſtehen bleibe. Sie können fordern, daß man
ihnen einen Antheil an der Bauthätigkeit des Staates
nicht blos wie ein Almoſen, ſondern als ein Recht ge¬
währe! Ein Recht, das auf die Pflicht des Staates ſich
ſtützt, für die Löſung ſeiner Aufgaben denjenigen Weg zu wählen,
der ihm die beſten Erfolge in Ausſicht ſtellt! —
III.
Die im Vorhergehenden aufgeſtellten und begründeten Forde¬
rungen prinzipieller Art erſchöpfen natürlich in keiner Weiſe die
Wünſche, welche man von einem allgemeineren Standpunkte aus
an die Reform der preußiſchen Staats-Bauverwaltung zu ſtellen be¬
rechtigt iſt. Dieſe weiter gehenden Wünſche, welche nur im
Zuſammenhange mit einer tief eingreifenden, längere Zeit zur
Vorbereitung und Durchführung erheiſchenden neuen Organi¬
ſation des Baubeamtenthums ſich erfüllen laſſen, können
jedoch an dieſem Orte nicht näher dargelegt werden. Es mag —
von den weſentlich aus andern Rückſichten zu beurtheilenden Ein¬
richtungen zur Herſtellung und Unterhaltung der Ingenieur-
Bauten des Staates völlig abgeſehen — an der Andeutung ge¬
nügen, daß für das Hochbauweſen deſſelben in Zukunft vielleicht
eine verhältnißmäßig geringe Zahl künſtleriſch und wiſſenſchaftlich
vorgebildeter Kontroll-Beamten genügen wird, die den mittleren
und höchſten Verwaltungs-Behörden beizugeben wären und denen
für die Ueberwachung und Unterhaltung der Staatsgebäude event.
ein Corps von Unterbeamten mittlerer, vorzugsweiſe prak¬
tiſcher Vorbildung unterſtellt werden könnte.
An dieſem Orte kann es ſich vorläufig nur darum handeln,
jenen Forderungen einige poſitive Vorſchläge anzuſchließen,
welche darthun ſollen, wie man — auch ohne Auf¬
löſung der bisherigen amtlichen Organiſation — die
Hochbau-Ausführungen des preußiſchen Staates fortan
in künſtleriſch befriedigenderer Weiſe beſchaffen könnte.
Man wird hierbei zwiſchen Aufſtellung der Entwürfe,
Prüfung und Beurtheilung derſelben und Leitung der
[14] Bau-Ausführung unterſcheiden müſſen und hat ſich die Frage
vorzulegen, welche Perſönlichkeiten zu jeder dieſer drei Funktionen
herangezogen werden ſollen. — Da den Technikern, welchen
Prüfung und Beurtheilung der Entwürfe obliegt, naturgemäß
ſtets ein gewiſſer Einfluß auf die Auswahl der Entwerfenden zu¬
fallen muß, ſo möge der auf ſie bezügliche Theil der Frage an
erſter Stelle beſprochen werden, während Entwurf und Aus¬
führung, die bei rationellem Verfahren in der Regel ſtets in
eine Hand zu legen ſind, zuſammen behandelt werden können. —
Ob ein Entwurf das Bauprogramm erfüllt und in wie
weit er den zur Verfügung ſtehenden Koſten entſpricht, wird in
jedem Falle von der Behörde, bezw. den Behörden verſchiedener
Inſtanz, beurtheilt werden müſſen, in deren Dienſtkreis der be¬
treffende Bau gehört — d. h. dieſes Urtheil wird nach wie vor
in den Händen derjenigen Techniker liegen, die jenen Amtsſtellen
als Kontroll-Beamte beigegeben ſind. Auch ein weſentlicher
Antheil an der Entſcheidung über die techniſche und künſt¬
leriſche Seite des Entwurfs gebührt ihnen ohne Zweifel,
wenn ihnen dieſe auch nicht allein verbleiben darf. Um jeder
Einſeitigkeit eines ſolchen Urtheils von vorn herein vorzubeugen
— zugleich auch um die öffentlichen Bauunternehmungen, welche
jetzt lediglich im Schooß der Behörden vorbereitet werden, wieder
zu dem zu machen, was ſie ſein ſollen: zu einer Angelegenheit
des ganzen Volkes — empfiehlt es ſich vielmehr, jene Entſcheidung
fernerhin von einer Körperſchaft fällen zu laſſen, in
der neben einigen Baubeamten des Staates auch eine
Anzahl der durch ihre Fachleiſtungen hervorragenden
unabhängigen Architekten Sitz und Stimme führt.
Der Grundgedanke einer ſolchen Körperſchaft, der dem Zuge
unſerer Zeit nach Selbſtverwaltung wohl durchaus entſpricht, iſt
ja bereits ſeit 30 Jahren in der Techniſchen Bau-Depu¬
tation verwirklicht; nur daß die Mitglieder der letzteren dauernd
berufen ſind, während im Intereſſe eines friſcheren Lebens und
eines ſtetigen Zuſammenhanges mit den Strömungen der Gegen¬
wart ein periodiſcher Wechſel der Perſönlichkeiten zu for¬
dern wäre. Daß dieſelben an der Beurtheilung eigener Projekte
ſich nicht betheiligen dürften, iſt vorausgeſetzt.
Eine Zentraliſation der betreffenden Arbeiten an einer
Stelle, bei welcher die Gefahr einer etwas zu ſchematiſchen Auf¬
faſſung derſelben leicht wiederum eintreten könnte, verbietet ſich
ſchon durch deren Umfang. Vorausſichtlich würde man nicht
darauf verzichten, die Techniſche Baudeputation nach deren bevor¬
ſtehender Reorganiſation als ein oberſtes Kollegium jener Art
beizubehalten, das in zweifelhaften Fällen und über Bauten von
beſonders hoher Bedeutung ein letztes Gutachten abzugeben hätte.
Im übrigen dürfte es angemeſſen ſein, in jeder Provinz des
preußiſchen Staates eine der beſprochenen Körper¬
ſchaften einzuſetzen. Es iſt anzunehmen, daß man denſelben
für die Mehrzahl aller an ſie gelangenden Fragen das Recht
einer endgültigen Entſcheidung bezw. eines maßgebenden Vetos
einräumen würde und daß ſie demzufolge Gelegenheit hätten, in
Bezug auf unſere Staatsbauten nicht blos den allgemeinen tech¬
niſchen und künſtleriſchen Anforderungen, ſondern auch den eigen¬
artigen Verhältniſſen ihrer Provinz volle Geltung zu verſchaffen.
Soweit den Organen der Staatsregierung zur Zeit ein Auf¬
ſichtsrecht über die architektoniſchen Schöpfungen der
Gemeinden und Korporationen zuſteht, würde daſſelbe
natürlich gleichfalls von den betreffenden Kollegien zu handhaben
ſein. Vorauſſichtlich würde ſich jedoch der Einfluß ihrer Thä¬
tigkeit bald zu ſolcher Bedeutung erheben, daß die Provinzial-
und Stadtbehörden, die religiöſen und wirthſchaftlichen Korpora¬
tionen alle Entwürfe zu den von ihnen zu errichtenden Monu¬
mentalbauten freiwillig der Prüfung jener Sachverſtändigen
unterbreiten dürften. Ja, es iſt vielleicht zu hoffen, daß auch die
Behörden des Deutſchen Reiches, die Militär- und die Poſt¬
verwaltung, ihnen das gleiche Vertrauen zuwenden würden. —
Die zweite, ungleich wichtigere Frage iſt darauf gerichtet,
wem fortan Entwurf und Ausführung der monumen¬
talen Bauten des Staates übertragen werden ſoll.
Der bisher üblichen Methode amtlicher Behandlung dieſer
Aufgaben iſt als allgemeiner Grundſatz gegenüber zu ſtellen,
daß dieſelben in jedem Falle von demjenigen Archi¬
tekten zu löſen wären, der hierzu am meiſten geeignet
erſcheint!
Für die Auswahl der betreffenden Perſönlichkeiten ſind nur
zwei Wege möglich: entweder die direkte Uebertragung des
Baues an einen vertrauenswürdigen Architekten oder
die Vergebung deſſelben auf Grund einer vorher ge¬
gangenen Konkurrenz, welches letztere Verfahren in ver¬
ſchiedenen Abarten zur Anwendung gelangen kann. Beide Wege
können gute Ergebniſſe liefern und es würde von der Eigenart
jedes einzelnen Falles abhängig gemacht werden müſſen, welcher
von ihnen als der ausſichtsvollere und deshalb beſſere einzu¬
ſchlagen wäre. —
Die direkte Uebertragung öffentlicher Bauten
an Architekten, deren bisherige Leiſtungen und deren perſön¬
liche Eigenſchaften für eine gediegene, den Intereſſen des Staates
nach jeder Richtung hin entſprechende Löſung der Aufgabe bürgen,
iſt ein Verfahren, von dem bekanntlich ſchon wiederholt mit aus¬
gezeichnetem Erfolge Anwendung gemacht worden iſt. Es empfiehlt
ſich vor allem durch ſeine Einfachheit und wird in vielen Fällen,
wo der Gegenſtand der Aufgabe, die durch beſtimmte Verhältniſſe
gebotene Art des Geſchäftsbetriebes ꝛc. die Zahl der Bewerber ohnehin
einſchränkt, jedem andern vorzuziehen ſein. In der Periode des
Ueberganges zu einer andern Organiſation der Bauverwaltung würde
es auch vielleicht inſofern noch eine beſondere Bedeutung erlangen,
als der Staat die innerhalb ſeines Beamtenthums vertretene
ſchöpferiſche Kraft auf dieſe Weiſe wohl am beſten nutzbar
machen könnte. Natürlich würden die betreffenden Aufgaben den
Beamten nicht nach Maaßgabe ihrer amtlichen Stellung, ſondern
lediglich nach Maaßgabe ihrer individuellen Leiſtungsfähigkeit zu
übertragen ſein.
Um den Schein einer Bevorzugung beſtimmter Perſönlich¬
keiten, dem ſich der Staat niemals ausſetzen darf, möglichſt zu ver¬
meiden, müßte jedoch bei dieſem Verfahren darauf geachtet werden,
daß es niemals einer einzigen Stelle anheim gegeben würde,
Aufträge jener Art nach eigenem Ermeſſen zu vergeben. Es
dürfte ſich vielleicht empfehlen, den vorher beſprochenen Provinzial-
Baukollegien ein Vorſchlags-Recht zu gewähren, die Auswahl
unter den vorgeſchlagenen Architekten aber derjenigen Behörde
zu überlaſſen, für welche der betreffende Bau ausgeführt wird.
[17] Sowohl der Staat, wie vor allem auch die Volksthümlichkeit
der Baukunſt könnten nur gewinnen, wenn dieſen Behörden,
welche in Wirklichkeit doch offenbar die Stelle des Bauherrn
zu vertreten haben, bei Herſtellung unſerer öffentlichen Gebäude
eine weniger paſſive Rolle zugewieſen würde, als dies bisher
in der Regel geſchehen iſt. —
Wo eine größere Zahl von Bewerbern vorhanden, die Aus¬
wahl unter denſelben alſo ſchwieriger iſt, ſowie für eine gewiſſe
Art von Aufgaben wird ſich das in anderen Ländern auch für
Staatsbauten mit Vorliebe angewandte Syſtem der Kon¬
kurrenz empfehlen. Dank der unabläſſigen Mühe, welche die
Architekten Deutſchlands ſeit geraumer Zeit an die Verbeſſerung
des Konkurrenzweſens gewandt haben und angeſichts ſo mancher
Erfolge, die mit demſelben ſeither erzielt wurden, iſt ja das aus
mangelhaft vorbereiteten und geleiteten Konkurrenzen entſprungene
Vorurtheil gegen dieſelben mehr und mehr im Entſchwinden be¬
griffen. Selbſtverſtändlich würde in jedem einzelnen Falle nicht
nur die rein künſtleriſche, ſondern auch die praktiſche und
namentlich die finanzielle Seite des Baues zur Konkurrenz
ſtehen und bei der Entſcheidung eine weſentliche Rolle ſpielen. —
Die allgemeine und öffentliche Konkurrenz, gegen
welche jenes Vorurtheil hauptſächlich ſich richtete, iſt in ihrer
Anwendung auf einen beſtimmten Kreis von Aufgaben begrenzt.
Sie wird in allen den Fällen am Platze, hier aber auch un¬
bedingt zu wählen ſein, in denen es vorzugsweiſe um eine
originelle — bekanntlich nur durch einen glücklichen Wurf zu
gewinnende — Grundidee des Projekts ſich handelt. Die für das
Gelingen einer öffentlichen Konkurrenz in erſter Linie verantwort¬
liche Aufſtellung des Programms, ſowie die Funktion des Preis¬
gerichts würde Mitgliedern jener mehrfach erwähnten Provinzial-
Baukollegien obliegen; auch würden die letzteren zu entſcheiden haben,
ob die Ausführung eines aus der Konkurrenz hervorgegangenen
Entwurfs dem Verfaſſer deſſelben anvertraut werden darf.
Weitaus häufiger würde für die Löſung der architektoniſchen
Aufgaben des Staates die beſchränkte Konkurrenz unter
mehren, in gleicher Weiſe zur Uebernahme des Baues geeigneten
Architekten ſich eignen, bei welcher dem Verfaſſer des zur Aus¬
[18] führung gewählten Entwurfs die letztere ohne weiteres als Preis
zufällt. Das Amt der Preisrichter dürfte auch hier von Mitglie¬
dern jener Baukollegien auszuüben ſein. Bei der Auswahl der
zur Konkurrenz einzuladenden Architekten würde man nach den¬
ſelben Grundſätzen zu verfahren haben, wie bei direkter Ueber¬
tragung eines Baues an einen einzelnen Fachmann.
Für eine gewiſſe, nicht wenig umfangreiche Klaſſe von
Staatsbauten, deren Typus von vorn herein feſt ſteht und nur
geringen, durch die Lokalverhältniſſe bedingten Modifikationen
unterliegt, wird — ſoweit ſie mehr dem Bedürfnißbau als dem
Monumentalbau angehören — mit großem Vortheil ein ſpe¬
zielles Syſtem der beſchränkten Konkurrenz Verwendung
finden können, bei welchem in erſter Linie die General-Ueber¬
nahme der Bauarbeiten und im Zuſammenhange mit dieſer
die Aufſtellung des Entwurfs zum Gegenſtande der Konkurrenz
gemacht wird; ein Verfahren, das bei Maſchinenlieferungen ꝛc.
ſchon längſt üblich iſt und bei dem heutigen Stande der Bau¬
induſtrie unbedenklich auch auf dieſe übertragen werden kann, da
ſich bald zuverläſſige und leiſtungsfähige Spezialiſten zur Ueber¬
nahme ſolcher Arbeiten in genügender Anzahl anbieten würden. —
Wenn man berückſichtigt, daß auf jedem der in Vorſchlag
gebrachten Wege nur Architekten von erprobter Befähigung
und Erfahrung zu Entwurf und Leitung unſerer Staatsbauten
gelangen würden und daß dieſe Architekten im Intereſſe ihres
Rufes und ihrer Zukunft jederzeit ihre volle Kraft an die Löſung
der übernommenen Aufgabe ſetzen müßten, ſo kann man für
den techniſchen und künſtleriſchen Werth der in dieſer
Weiſe hergeſtellten Staatsbauten wohl die beſte Hoffnung hegen.
Sie dürften in dieſer Beziehung thatſächlich auf der Höhe deſſen
ſtehen, was unſere Zeit und unſer Volk architektoniſch zu ſchaffen
vermögen. Ebenſo dürfte der Gefahr einer ſchablonenhaften
Gleichartigkeit der Entwürfe wirkſam vorgebeugt und den ver¬
ſchiedenen Landestheilen eine charakteriſtiſche Geſtaltung
ihrer öffentlichen Bauwerke geſichert ſein.
Aber auch in finanzieller Hinſicht laſſen ſich die Vor¬
theile des Verfahrens unſchwer nachweiſen, trotzdem einer der
weſentlichſten unter ihnen — die Möglichkeit mit einer ſehr viel
[19] geringeren Anzahl von Baubeamten auszureichen — erſt all¬
mählich zur Geltung gelangen könnte.
Erhebliche Mehrkoſten durch die für Entwurf und Bau¬
leitung aufzuwendenden Honorare würden in Wirklichkeit nicht
entſtehen, da die Aufſtellung der Entwürfe außerhalb des ge¬
wöhnlichen Geſchäftsgangs auch gegenwärtig faſt regelmäßig
beſonders honorirt wird, die Koſten der oberen Leitung
des Baues aber in vielen Fällen dadurch nahezu gedeckt werden
würden, daß an den Koſten für Spezial-Leitung und Auf¬
ſicht, die bei Staatsbauten eine ganz unverhältnißmäßige
Höhe erreichen, namhaft geſpart werden könnte. Bei der an
letzter Stelle erwähnten Art der beſchränkten Konkurrenz kämen
Koſten für Entwurf und Bauleitung überhaupt nicht in Anſatz. —
Eine namhafte Erſparniß aber würde vorausſichtlich dadurch
herbei geführt werden, daß durch die Betheiligung der erfahren¬
ſten Fachmänner und deren Konkurrenz die Entwürfe im allge¬
meinen kompendiöſer ausfallen, die Koſten ihrer Aus¬
führung ſich alſo verringern würden.
Als ein nicht geringerer Vortheil iſt die Vereinfachung der
Verwaltungs-Formen, vor allem aber die Sicherheit anzu¬
ſchlagen, welche dem Staate eine derartige Herſtellung ſeiner
Hochbau-Ausführungen gewähren würde. Durch den Vertrag,
den er in jedem einzelnen Falle über Entwurf und Ausführung
des Baues abſchließen würde und für deſſen Einhaltung der be¬
treffende Architekt mit ſeinem Ruf und ſeinem Vermögen zu
bürgen hätte, würde er nicht allein die Gewähr erhalten, für
einen im voraus feſt geſetzten Preis und zu einem beſtimmten
Termin ein brauchbares Projekt zu gewinnen, ſondern er wäre
auch vor einer Ueberſchreitung der Bauzeit und des bewilligten
Baukredits geſchützt. — —
Daß bei ernſtlichem Willen die dargelegten Vorſchläge ohne
Mühe ſich durchführen laſſen, unterliegt gewiß keinem Zweifel.
Als einziges Bedenken könnte vielleicht geltend gemacht werden,
daß die Zahl der zum Eintritt in die Provinzial-Baukollegien und
zur Uebernahme öffentlicher Bauten geeigneten Architekten in den
verſchiedenen Provinzen unſeres Vaterlandes eine ſehr ungleiche
und in einzelnen offenbar eine unzureichende iſt. Aber abgeſehen
[20] davon, daß man bei Auswahl der betreffenden Perſönlichkeiten
zunächſt nicht gezwungen wäre, ſich überall nur an die in der
Provinz wohnenden Kräfte zu halten, würde die Ausſicht an
Staatsbauten betheiligt zu werden und dadurch die Grundlage
einer Exiſtenz zu gewinnen, bald eine genügende Anzahl von
Architekten in das fragliche Gebiet führen und damit jenes Be¬
denken gegenſtandslos machen. Es wäre nur zu wünſchen, wenn
auf dieſe Weiſe eine angemeſſene Vertheilung der zur Zeit an
einzelnen Punkten in Ueberzahl angeſammelten architektoniſchen
Kräfte ſich vollzöge. —
Was jene Vorſchläge im Gegenſatze zu ſo manchen weit
ausſehenden Reform-Plänen empfehlen dürfte, iſt vor allem der
Umſtand, daß ihre Annahme keine ſofortige und end¬
gültige Beſeitigung der gegenwärtigen Organiſation
bedingt. Die neue Ordnung des Verfahrens für Herſtellung
unſerer Staatsbauten kann neben den ſonſtigen Einrichtungen
der Bauverwaltung als ein Verſuch ins Leben gerufen werden,
von dem man wieder Abſtand nehmen möge, wenn er den ge¬
hegten Erwartungen nicht entſpricht!
Der Zweck dieſer Denkſchrift wird erfüllt ſein, wenn es ihr
gelingt, an den entſcheidenden Stellen der Ueberzeugung Eingang
zu verſchaffen:
daß es ſich lohnt, einen ſolchen Verſuch
zu unternehmen!
Berlin, den 3. Januar 1880.
Für die Verewigung zur Vertretung baukünſtleriſcher Intereſſen:
Der Ausſchuß:
I. C. Raſchdorff, A. Orth, W. Kyllmann,
Baurath u. Profeſſor. Baurath. Baumeiſter.
W. Böckmann, C. von Großheim,
Baumeiſter. Architekt.
Joh. Otzen,
Baumeiſter u. Profeſſor.
Appendix A
Druck von W. Pormetter in Berlin C., Neue Grünſtraße 30.
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vergeblich zu beſſern geſucht. Beſonders charakteriſtiſch iſt das auf die Aus¬
führung neuer Kirchen bezgl. Z.-R. vom 31. März 1856, das „eine zu
untergeordnete, ſogar mißverſtandene Behandlung der Details“, ſowie eine
anſcheinend auf willkürlicher Abſchätzung beruhende, meiſt zu große Bemeſſung
derſelben tadelt und ſtrenges Einhalten des Bauſtils vermißt.
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- TextGrid Repository (2025). Raschdorff, Julius. Die Hochbau-Ausführungen des Preußischen Staates. Denkschrift der Vereinigung zur Vertretung baukünstlerischer Interessen in Berlin. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq64.0