[][][][][][][]
Lyriſche
und
andere Gedichte.
Neue und um die Haͤlfte vermehrte Auflage.

Mit allergnaͤdigſten Freyheiten.

[figure]

Anſpach: ,
zu finden bey Jacob Chriſtoph Poſch.
1755.
[][]

Dieſe wenigen Gedichte brauchen kei-
ner weitlaͤuftigen Vorrede. Ein
großer Theil derſelben iſt nicht
neu, ſondern ſchon ſeit einiger
Zeit gedruckt. Es ſind die lyri-
ſchen Gedichte, die in den zweyen erſten Buͤ-
chern dieſer Sammlung enthalten ſind, meh-
rentheils vor fuͤnf Jahren bereits von einem
beruͤhmten Freunde zum Drucke befoͤrdert,
itzo aber nochmals ſorgfaͤltig durch ſehen, und
vieles daran geaͤndert, wo nicht verbeſſert wor-
den. Jm dritten und vierten Buche befin-
den ſich diejenigen Lieder, welche die lyriſche
Muſe erſt nach jener Sammlung gedichtet
hat. Sie ſind in der Ordnung verfertiget
worden, wie ſie hier ſtehen.


Der Sieg des Liebesgottes hat ebenfalls
ſchon im abgewichenen Jahre die Preſſe ver-
laſſen; da hingegen die vier angehangnen
Briefe ſich zum erſtenmal der oͤffentlichen
Critik darſtellen.


Es iſt gar kein Zweifel, daß ohngeachtet
aller angewandten Muͤhe noch ſehr viel an
allen dieſen Stuͤcken mit Grunde getadelt
werden koͤnne. Die ausbeſſernde Hand des
Dichters ſelbſt iſt mehr aus Muͤdigkeit, als
)( 2in
[] in der ſtolzen Einbildung, daß nunmehr al-
les vollkommen ſey, zuruͤckgezogen worden.


Da uͤbrigens der deutſche Parnaß mit ſich
ſelbſt uneinig und in gewiſſe Secten getren-
net iſt: ſo kann kein heutiger Dichter ſich ei-
nen gewiſſen und allgemeinen Beyfall verſpre-
chen. Er wird allezeit von einigen getadelt
werden, bloß weil er von andern gelobet
wird. Es koͤnnte leicht kommen, daß dieſe
Gedichte noch ein haͤrteres Schickſal zu ge-
warten haͤtten, und vielleicht dem Dichter aus
dem Petronius zugeruffen wuͤrde:
Adoleſcens, ſermonem habes non publici
ſaporis.


Sollte er aber bloß deswegen mit ſeinen
Meinungen, in Sachen, die den guten Ge-
ſchmack betreffen, geheuchelt haben, weil ſie
von den Grundſaͤtzen anderer angeſehenen
Kunſtrichter abgehen?


Wie er ſich ſelbſt der im Reiche der Wiſ-
ſenſchaften hergebrachten Freyheit, ſeine Ge-
danken offenherzig herauszuſagen, mit Be-
ſcheidenheit bedienet hat: ſo wird es ihm
auch nicht znwider ſeyn, wenn andere ſich ei-
ner gleichen Freyheit gegen ihn ſelbſt gebrau-
chen. Er wird ſich zu belehren ſuchen, wo
er Unterricht findet; und wo er dieſen nicht
findet, wenigſtens zu ſchweigen wiſſen.


Jnn-
[]

Jnnhalt.
Lyriſche Gedichte.


  • Erſtes Buch.
    Seite
    • An Herrn Secretaͤr Gleim 1742.   3
    • Der Fruͤhling 1742.   7
    • An Chloen.   11
    • An Chloen.   13
    • An Chloen.   15
    • An Chloen.   17
    • Der Traum.   18
    • Der Morgen.   19
    • Morgenlied der Schaͤfer.   21
    • Fruͤhlingsluſt.   23
    • Die Zufriedenheit.   25
    • Magiſter Duns   28
    • Die Wuͤnſche.   30
    • An Amorn.   31
    • Die Muſe bey den Hirten.   32
    • Das beunruhigte Deutſchland.   33
    • Die lyriſche Muſe.   36
  • Zweytes Buch.
    • An das Gluͤck.   39
    • Weinleſe.   42
    • Vergleichung der alten und heutigen Deutſchen.   44
    • )( 3Der
    • Seite
    • Der Abend,   47
    • Das Orakel.   49
    • Die Geliebte.   51
    • Die Liebesgoͤtter.   52
    • Ermunterung zum Vergnuͤgen.   54
    • Der Weiſe auf dem Lande.   56
    • An Venus.   60
    • Die verſoͤhnte Daphne.   62
    • Der verlohrne Amor.   64
    • Der May.   65
    • Die Wolluſt.   67
    • Silen   71
  • Drittes Buch.
    • Tempe.   75
    • Morpheus.   79
    • Ein Gemaͤhlde.   82
    • Neujahrswunſch des Nachtwaͤchters von Ternate.   84
    • Amor und ſein Bruder.   87
    • Die Wiſſenſchaft zu leben.   89
    • Der ſtandhafte Weiſe.   92
    • Die Sommerlaube   97
    • Die Roſe.   99
    • Der Sommer und der Wein.   100
    • Die Freude.   101
    • Die wahre Groͤſſe.   104
    • Der Winter.   109
    • Seite.
    • Die Nacht.   111
    • Die froͤhlige Dichtkunſt.   112
  • Viertes Buch.
    • Die Gluͤckſeligkeit.   117
    • Der Tobacksraucher.   120
    • An die Muſen.   123
    • Die Trinker.   125
    • An Galathee.   127
    • Die Grotte der Nacht.   129
    • Die Dichtkunſt.   133
    • An die Deutſchen.   138
    • An Herrn Baron von C*.   141
    • Empfindungen an einem Fruͤhlingsmorgen.   143
    • Die Liebe   147
    • Der Schaͤfer.   150
    • Palinodie   151
    • An die Scherze.   153
    • Die ruhige Unſchuld.   155
    • Theodicee.   157

Der
[]
  • Seite.
  • Der Sieg des Liebesgottes,
    ein Gedicht.
      165

  • Briefe.
    • An Herrn Hofrath B*   201
    • An Herrn Secretaͤr G*   218
    • An Herrn Hof-Advocat Gr**   229
    • An Herrn Hofrath C*   235


Jn der Poſchiſchen Buchhandlung, iſt neu zu finden:
Der Freund, 1ter Band, in gros Octav, koſt 1.
Rthl. 2. gute Groſchen. Wird woͤchentlich mit ei-
nem Bogen fortgeſetzet.


Hn. von Hagendorns, Fabeln und Erzaͤhlungen in 8.
1753. vor 8. gute Groſchen.

[[1]]

Lyriſche Gedichte
in
Vier Buͤchern.


[[2]][[3]]
[figure]

Erſtes Buch.


An Herrn Secretaͤr Gleim.
Mein Gleim, der in begluͤcktrer Luft

Mich halben Wilden oft bedauert,

Mich oft aus dieſer Wuͤſte ruft,

Wo noch mein Saitenſpiel an duͤrren

Straͤuchen trauert!

Wie reizet mich der Muſen Ruhm,

Die um die ſtolze Spree erwachen,

Wo ihr verfallnes Heiligthum

Mit neuem Glanze ſtrahlt, und Roſen ihnen lachen!

Denn hoͤre, was dein Freund hievon,

Bey dieſes Gluͤckes Anbruch, hoͤrte,

Am bluhmenvollen Helicon,

Als tief im Lorbeerwald ihn Pindar einſam lehrte.

A 2Den
[4]Lyriſche Gedichte
Den Hayn durchflog ein Luſtgeſang;

Die heilge Stille wich von hinnen:

Jch ſah, indem ich naͤher drang,

Jch ſah den Muſengott und alle Pierinnen.

Sie ſungen voll zufriedner Luſt;

Der necktarvolle Becher glaͤnzte;

Es reichten ihn, mit nackter Bruſt,

Die jungen Grazien, die Roſ’ und Myrth umkraͤnzte.

Bald ſchloſſen Alle Hand in Hand;

Ein Reihentanz ward angefangen:

Da floß ihr unbewahrt Gewand

Jn Thau und Bluhmen hin; es brannten ihre Wangen.

Mit Recht war iede Muſe froh:

Dein Koͤnig hieß die Waffen ſchweigen.

Wer hoffte nicht, als Mavors floh,

Nun wuͤrde Friedrichs Huld ſich zu den Muſen neigen?

Und gleich lud Fama, froh erhitzt,

Sie nach Berlins gewuͤnſchten Auen:

Dort, Muſen! ſprach ſie, ſollt ihr itzt

Athen zum andernmal im alten Flore ſchauen.

Sie
[5]Erſtes Buch.
Sie ſprach und floh; und Phoͤbus fiel

Mit raſcher Hand in ſeine Saiten:

Er ſang und ließ ſein Saitenſpiel,

Voll Necktars und voll Luſt, ſein goͤttlich Lied begleiten.

Begluͤcktes Reich! der Laͤnder Zier!

Brach Phoͤbus aus; und alles lauſchte:

Es ſchwieg das luͤſterne Revier;

Es ſchwieg der laute Weſt, der in den Lorbeern rauſchte.

Ja! fuhr er fort, begluͤcktes Reich,

Wo Friedrich herrſcht, wie Vaͤter pflegen,

Gleich groß und ſtets Minerven gleich,

Es ſchwinge ſeine Fauſt den Oelzweig oder Degen!

Jch ſeh ihn! welch ein kuͤhner Held!

Der ſchnelle Sieg fliegt ihm zur Seite.

So kommt der Kriegsgott aus dem Feld;

So furchtbar gluͤht ſein Blick, entflam̃t vom wilden Streite!

Doch Friedrich will geliebet ſeyn:

Er wird bald muͤde, ſtets zu ſchrecken;

Und haͤngt im nahen Palmenhayn

Die guͤldnen Waffen auf, die Staub und Blut dedecken:

A 3Und
[6]Lyriſche Gedichte
Und wirft ſich, da der Sieg ihm lacht,

Dem Frieden in die holden Arme,

Da neben ihm die Weisheit lacht,

Voll Glanzes und umringt von kluger Freuden Schwarme.

Wie wird nunmehr die guͤldne Zeit

Jn ſeinen Staaten ſich verjuͤngen,

Und uͤberall Zufriedenheit

Und reicher Ueberfluß die ſichren Fluͤgel ſchwingen!

Drum eilt auch ihr an Friedrichs Bruſt,

Jhr Muſen, mit dem aͤchten Witze!

Er winket euch! ſeyd ſeine Luſt,

Und weicht hinfort nicht mehr vom koͤniglichen Sitze:

Und lehrt am ewigen Berlin,

Auf das die Welt bewundernd ſchauet,

Wie herrlich alle Kuͤnſte bluͤhn,

Wenn ein Monarch ſie pflegt, und Gnade ſie bethauet.


Der
[7]Erſtes Buch.

Der Fruͤhling.
Jch will, vom Weine berauſcht, die Luſt der Erde

beſingen,

Jhr Schoͤnen! eure gefaͤhrliche Luſt,

Den Fruͤhling, welcher anitzt, durch Florens Haͤnde be-

kraͤnzet,

Siegprangend unſre Gefilde beherrſcht.

Fangt an! ich gluͤhe bereits; fangt an, holdſelige Saiten!

Entzuͤckt der Eccho begieriges Ohr!

Toͤnt ſanft durchs ruhige Thal! da lauſchen furchtſame

Nymphen,

Nur halb durch junge Geſtraͤuche bedeckt.

Wer kommt vom Huͤgel herab, voll unausſprechlicher

Anmuth,

Dem Glanz die froͤhlige Stirne beſtrahlt,

Den Philomele begruͤßt? Jhm duͤften fruͤhe Violen;

Jhm gruͤnt der Erde beſchattete Schoos.

Wunſch meiner Muſe, du kommſt! O Fruͤhling,

Wonne Dionens,

Du kommſt, vom feurigen Amor umarmt!

Und Amors muthige Fauſt ſchwingt ſiegbegierige Pfeile:

Die ſtolzen Sterblichen huldigen ihm.

A 4Ein
[8]Lyriſche Gedichte
Ein Schwarm der Freuden ereilt vor dir muthwillige

Weſte,

Jn Taͤnzen, welche die Floͤte belebt:

Vor dir ſcherzt Hebe dahin: es lachen lauere Luͤfte

Dich, Kind der Sonne! gefaͤlliger an.

Durchzeuch nicht laͤnger, o Nord! verheerend unſre Gefilde!

Entfleuch nach ewigem Eiſe zuruͤck:

Weil nun der ſchoͤnere Lenz, den Zephyrs Fittige kuͤhlen,

Siegprangend unſre Gefilde beherrſcht!

Sie bluͤhn, vom Thaue beperlt, und Anmuth lachet

in allen;

Es lacht die ganze ſmaragdene Flur,

Jn deren Arme ſo oft, bey friſcher Baͤche Geſchwaͤtze,

Der Schlaf mein williges Auge beſchleicht.

Berg, Thal und Aue beſaͤt der Bluhmen praͤchtige

Menge:

Voll Stolz auf ihre beliebte Geſtalt,

Buͤckt ſich doch iede daſelbſt vor dir, du Bluhme Lyaͤens,

Die ſuͤſſem Scherze geheiliget iſt!

Schmuͤck
[9]Erſtes Buch.
Schmuͤck itzt mein finſteres Haar! Wenn du mich, Roſe!

bekraͤnzeſt,

Und Bacchus meine Geſaͤnge beſeelt:

Flieht ſchnell mein trauriger Ernſt; da klingt die Laute

bezaubernd

Jn meiner Muſe geſchaͤftigen Hand.

Sie ſelbſt auch werde bekraͤnzt, die nicht mehr ſchlaͤf-

rige Laute:

Denn itzt (willkommen o liebliche Zeit!)

Erwacht der frohe Geſang, und ied’ entſchlafene Cyther

Jſt auf erhabnere Toͤne bedacht:

Und auch die ganze Natur fuͤhlt ſich aufs neue begeiſtert,

Da ſich die Sonne der Erde genaht;

Und iedes froſtige Thal, ſo Wald, als gruͤne Gebuͤrge

Sind reg, und alle Gefilde belebt.

Drum iſt die Stille geflohn, auch aus dem heiligen

Hayne;

Der Laͤrm regieret im heiligen Hayn:

Bald rauſcht ein froͤhliger Hirſch, der ſich im Fluſſe ge-

badet,

Durch friſchbethaute Gebuͤſche zuruͤck:

A 5Bald
[10]Lyriſche Gedichte
Bald toͤnt durchs duͤſtre Revier die Brunſt unbaͤndiger

Heerden:

Wie girrt die zaͤrtere Taube ſo ſanft!

Wie ſeufzt vom Laube bedeckt, Pandions einſame Tochter,

Wann kaum die naͤchtliche Stille beginnt!

Denn alles fuͤhlet anitzt des Fruͤhlings maͤchtige Triebe:

Nun hat der Liebe gefuͤrchteter Arm

Was blauer Luͤfte Gebiet und Meer und Erde bewohnet;

Nur dich nicht, ſtolze Dorinde! beſiegt.

Doch Amor baͤndige dich! Er kommt zum Kampfe ge-

ruͤſtet,

Und hat die blutige Sehne geſpannt.

Wie will ich ſeine Gewalt, bey frohem Weine, beſingen,

Wann du einſt ſeine Triumphe gemehrt!


An
[11]Erſtes Buch.

An Chloen.
O Chloe! hoͤre du

Der neuen Laute zu,

Die juͤngſt, bey ſtiller Nacht,

Mir Cypripor gebracht.

Nimm dieſe, war ſein Wort,

Statt jener Stolzen dort!

Die buhlt ſo lange ſchon

Um Pindars hohen Ton:

Doch da ſie Siegern froͤhnt,

Wird ſie und du verhoͤhnt.

Thu, wie der tejer Greis,

Der keines Helden Preis

Jn ſeine Leyer ſang,

Die nur von Liebe klang.

Er ſang voll Weins und Luſt

Und an der Maͤdchen Bruſt.

Da ſann er auf ein Lied,

Das noch die Herzen zieht:

Das machten ihm alsdenn

Jch und die Grazien.

Ver-
[12]Lyriſche Gedichte
Verfolge ſeine Spur;

Er folgte der Natur.

Du ſollſt bey Lieb und Wein,

Wie er, mein Dichter ſeyn.

Lyaͤen kennſt du ſchon;

Doch nicht Cytherens Sohn.

Dir mache, wer ich bin,

Die ſchoͤne Nachbarinn

Und meine ſchnelle Hand

Durch dieſen Pfeil bekannt.

Kaum ſprach der Bube ſo,

So ſchoß er und entfloh;

So fuͤhlte ſchon mein Herz

Noch ungefuͤhlten Schmerz;

So ſah ich voll Begier,

O Chloe! nur nach dir.

Nun ſiege wer da will!

Mein neues Saitenſpiel

Soll nur dem frohen Wein

Und Chloen heilig ſeyn.


An
[13]Erſtes Buch.

An Chloen.
Die Munterkeit iſt meinen Wangen,

Den Augen Glut und Sprach entgangen;

Der Mund will kaum ein Laͤcheln wagen;

Kaum will der welke Leib ſich tragen,

Der Bluhmen am Mittage gleicht,

Wann Flora lechzt und Zephyr weicht.

Doch merk ich, wann ſich Chloe zeiget,

Daß mein entflammter Blick nicht ſchweiget,

Und Suada nach den Lippen flieget;

Ein gluͤhend Roth im Antlitz ſieget,

Und alles ſich an mir verjuͤngt,

Wie Bluhmen, die der Thau durchdringt.

Jch ſeh auf ſie mit bangem Sehnen,

Und kann den Blick nicht weggewoͤhnen:

Die Anmuth, die im Auge wachet

Und um die jungen Wangen lachet,

Zieht meinen weggewichnen Blick

Mit guͤldnen Banden ſtets zuruͤck.

Mein
[14]Lyriſche Gedichte
Mein Blut ſtroͤmt mit geſchwindern Guͤſſen;

Jch brenn, ich zittre, ſie zu kuͤſſen;

Jch ſuche ſie mit wilden Blicken,

Und Ungeduld will mich erſticken,

Jndem ich immer ſehnſuchtvoll

Sie ſehn und nicht umarmen ſoll.


An
[15]Erſtes Buch.

An Chloen.
Weis Chloe mein geheim Verlangen?

Verrieth mein Auge mich vielleicht,

Das nach den Roſen ihrer Wangen

Durch manchen Umweg luͤſtern ſchleicht?

Jhr Blick begegnet meinem Blicke:

Jhr Auge ſieht mich ſchalkhaft an,

Oft nur im Flug und ſchnell zuruͤcke;

Doch daß ich es bemerken kann.

Oft blitzen, von Gefahr begleitet,

Die blauen Augen frey auf mich,

Aus welchen Amor mich beſtreitet,

Der ſtets aus ihnen ſiegreich wich.

Jch kann die Grazien darinnen

Ein ſchmeichelnd Laͤcheln bilden ſehn:

Das uͤberraſchet meine Sinnen;

Wie kann das Herz ihm widerſtehn?

Kein Schnee gleicht ihres Armes Weiſſe,

Der vor dem Fenſter in der Luft,

Mit einem ungewohnten Fleiſſe,

So ſinnreich meiner Sehnſucht ruft!

Nun ſchaut ſie ruͤckwaͤrts, doch geſtrecket,

Bis ſich die volle Bruſt empoͤrt,

Und halb entwiſcht, und, unverdecket,

Auch eines Cato Runzeln ſtoͤrt.

Jch
[16]Lyriſche Gedichte
Jch aber ſteh und ſtrampf und gluͤhe,

Flieg in Gedancken hin zu ihr,

Und ſehe, mit verlohrner Muͤhe,

Mich unſtaͤt, aber immer hier:

Weil, bis mich Gluͤck und Freundſchaft retten,

Die oft ein langer Schlaf befaͤllt;

Mich hier mit diamantnen Ketten

Das Schickſal angefeſſelt haͤlt.


An
[17]Erſtes Buch.

An Chloen.
Cytherens muntrer Sohn

Hat nun ſo lange ſchon,

So manche lange Nacht,

Auf meinem Schoos gelacht.

Sang meine Muſe doch

So ziemlich artig noch.

Oft hielt ihn ſchon im Lauf

Jhr ſchmeichlend Liedchen auf.

Oft lockte Chloens Blick

Liebkoſend ihn zuruͤck.

Nun locket ſie nicht mehr,

Und zuͤrnt, wer weis wie ſehr!

Der Schalk aus Paphos gaͤhnt,

Der, da mein Auge thraͤnt,

Und keine Muſe ſingt,

Sein leicht Gefieder ſchwingt.

Halt, wenn er mich verlaͤſt,

Du deinen Sklaven feſt!

Er wird gehorſam ſeyn,

Und, Chloe! dir allein,

Die du ihm Venus biſt,

Auch wann er zornig iſt.

Ein holder Blick von dir

Verſoͤhnet ihn mit mir.

BEin
[18]Lyriſche Gedichte

Ein Traum.
O Traum, der mich entzuͤcket!

Was hab ich nicht erblicket!

Jch warf die muͤden Glieder

Jn einem Thale nieder,

Wo einen Teich, der ſilbern floß,

Ein ſchattigtes Gebuͤſch umſchloß.

Da ſah ich durch die Straͤuche

Mein Maͤdchen bey dem Teiche.

Das hatte ſich, zum Baden,

Der Kleider meiſt entladen,

Bis auf ein untreu weiß Gewand,

Das keinem Luͤftchen widerſtand.

Der freye Buſen lachte,

Den Jugend reizend machte.

Mein Blick blieb luͤſtern ſtehen

Bey dieſen regen Hoͤhen,

Wo Zephyr unter Liljen blies,

Und ſich die Wolluſt greifen ließ.

Sie fieng nun an, o Freuden!

Sich vollends auszukleiden:

Doch, eh’ es noch geſchiehet,

Erwach ich und ſie fliehet.

O ſchlief ich doch von neuem ein!

Nun wird ſie wohl im Waſſer ſeyn.

Der
[19]Erſtes Buch.

Der Morgen.
Auf! auf! weil ſchon Aurora lacht;

Jhr Gatten junger Schoͤnen!

Jhr muͤßt nunmehr, nach fauler Nacht,

Dem Gott der Ehe froͤhnen.

Erneuert den verliebten Zwiſt,

Der ſuͤſſer, als die Eintracht iſt,

Nach der ſich Alte ſehnen.

Jſts moͤglich, daß, geweckt von Luſt,

Ein Gatte nicht erwache?

Daß eine nahe Liljen-Bruſt

Jhn nicht geſchaͤftig mache?

Jndeß ſchwebt um der Gattinn Haupt

Der Morgentraum, mit Mohn umlaubt;

Jhr traͤumt von eitel Rache.

Dort, wo Cytherens waches Kind

Den Schlaf vom Bette ſcheuchet;

Dort rauſchts, wie wann ein Morgenwind

Bethautes Laub durchſtreichet.

Dort lauſcht auch meine Muſe nun,

Die, wie die Maͤdchen alle thun,

Verliebte gern beſchleichet.

B 2Der
[20]Lyriſche Gedichte
Der Vorhang weicht: welch reizend Weib!

Jch ſehe Venus liegen,

Und leichten Flohr den Marmorleib

Verraͤtheriſch umfliegen.

Wie ſucht ihr Blick, der kriegriſch gluͤht,

Wie ſucht er, wenn der Streit verzieht,

Streit, Gegner und Vergnuͤgen!

Du itzo noch verliebtes Paar,

Was mangelt deinem Gluͤcke?

Jch werde ſelbſt entzuͤckt, gewahr,

Daß Hymen auch entzuͤcke.

Die Muſe ſieht hinweg und weicht:

Doch manchmal und verſtohlen ſchleicht

Ein halber Blick zuruͤcke.


Mor-
[21]Erſtes Buch.

Morgenlied der Schaͤfer.
Die duͤſtre Nacht iſt hin,

Die Sonne kehret wieder.

Ermuntre dich, mein Sinn!

Und dichte Freudenlieder.

Die ihr, wann Hirten flehn,

Ein willig Ohr gewaͤhret,

Jhr Goͤtter! laſt geſchehn,

Was itzt mein Mund begehret.

Gebt mir ein weiſes Herz,

Das allen Gram verfluche;

Und mehr den Jugendſcherz,

Als Gold und Sorgen ſuche.

Es rufe nie die Nacht

Den guͤldnen Tag zu Grabe,

Bis ich beym Wein gelacht,

Das iſt, gelebet habe.

Schuͤtzt Amors frohes Reich,

Schuͤtzt unſre frohen Reben,

Daß Lieb und Wein zugleich

Stets iedes Herz beleben.

Wird Waſſerbad und Liſt

Lyaͤens Gottheit ſchwaͤchen;

Wird ſtuͤndlich nicht gekuͤſſt:

So wollet ihr es raͤchen!

B 3Nie
[22]Lyriſche Gedichte
Nie muͤſſ’ ein artig Kind

Die wilde Strenge lieben!

Nur die nicht artig ſind,

Laßt Grauſamkeiten uͤben!

Auch ſegnet nun den May,

Der manche zaͤrtlich machte;

Daß keine Schoͤne ſey,

Die nicht nach Kuͤſſen ſchmachte.

Wenn mancher, den ihr wiſſt,

Sich doch verlaͤugnen koͤnnte,

Daß, was ihm unnuͤtz iſt,

Er ſeinem Naͤchſten goͤnnte!

Was ſoll der ſchwache Mann

Beym jungen Weibchen keichen?

Was er nicht brauchen kann,

Das laß er meines gleichen.

So muͤſſe meine Bruſt

Ein ieder Tag entzuͤcken,

Und eine friſche Luſt

Mit ieder Nacht begluͤcken!

Bey Maͤdchen und bey Wein,

Mit Bluhmen um die Haare,

Will ich euch dankbar ſeyn,

Jm Fruͤhling meiner Jahre.

Fruͤh-
[23]Erſtes Buch.

Fruͤhlingsluſt.
Seht den holden Fruͤhling bluͤhn!

Soll der ungenoſſen fliehn?

Fuͤhlt ihr niemals Fruͤhlingstriebe?

Freunde! weg mit Ernſt und Leid!

Jn der frohen Bluhmenzeit

Herrſche Bacchus und die Liebe!

Die ihr heute ſcherzen koͤnnt,

Braucht, was euch der Himmel goͤnnt,

Und wohl morgen ſchon entziehet!

Lebt ein Menſch, der wiſſen mag,

Ob fuͤr ihn ein Fruͤhlingstag

Aus Aurorens Armen fliehet?

Hier ſind Roſen! Hier iſt Wein!

Soll ich ohne Freude ſeyn,

Wo der alte Bacchus lachet?

Herrſche, Gott der Froͤlichkeit!

O es kommt, es kommt die Zeit,

Die zur Luſt uns traͤge machet.

B 4Aber
[24]Lyriſche Gedichte
Aber Phyllis laͤßt ſich ſehn!

Seh ich Amorn mit ihr gehn?

Jhm wird alles weichen muͤſſen.

Weiche, Wein! Wo Phyllis iſt,

Trinkt man ſeltner, als man kuͤßt!

Bacchus, weg! ich will nun kuͤſſen.


Die
[25]Erſtes Buch.

Die Zufriedenheit.
Ein Geiſt, der ſich zu keiner Zeit

Jn feiger Ungeduld verlieret,

Und ſtets die Weisheit hoͤrt, die, wie das Gluͤck

uns ſuͤhret,

Mit Roſen ieden Pfad beſtreut:

Freund! ein wahrhaftig weiſer Geiſt

Fuͤhlt kaum die halbe Laſt der Plagen,

Und lacht bey truͤber Luft in angenehmern Tagen,

Als Thoren, die man gluͤcklich preiſt.

Schilt nicht des Himmels Tyranney,

Von ihm kommt unſer wenigſt Leiden.

Kein Zuſtand iſt ſo hart: ein Chor der ſtillen Freuden

Geſellt ſich ihm mitleidig bey.

Wir froͤhnen thoͤrichter Begier,

Die auch bey nahen Quellen ſchmachtet.

Vergnuͤgen beut ſich an: umſonſt! es wird verachtet;

Nur was uns flieht, verfolgen wir.

B 5Zu
[26]Lyriſche Gedichte.
Zu ekel ſind wir, uns zur Pein:

Wir laſſen Weſt und Sommer weichen,

Und wollen, wann ſie fliehn, in ſchattigten Geſtraͤuchen,

Um murmelnd Waſſer froͤhlig ſeyn.

Der warme Fruͤhling kommt zuruͤck:

Da braucht ein Weiſer ihn beyzeiten.

Er laͤßt Vernunft allein die blinden Wuͤnſche leiten,

Und wuͤnſcht kein ſchimmerreiches Gluͤck.

Kein ſtolzer Schein bethoͤrt ſein Herz:

Er ſchaͤtzt nicht bloß ein theures Lachen;

Und kan des Poͤbels Wahn durch ſich zu ſchanden machen,

Ob floͤh uns Arme Luſt und Scherz.

Weil ich nicht praͤchtig ſchmauſen kann,

Soll ich nicht froͤhlig ſchmauſen koͤnnen?

Will Flora, fuͤr mein Haar, mir holde Roſen goͤnnen;

Was geht der Fuͤrſten Pracht mich an?

Was hilfts zur Luſt, wann ihre Wand

Sich in gewuͤrktes Gold verhuͤllet,

Und ein Bedienten-Schwarm die Marmor-Saͤle fuͤllet,

Mit guͤldnen Schuͤſſeln in der Hand?

Sieh
[27]Erſtes Buch.
Sieh hin, wo keine Pracht gebricht!

Man gaͤhnt auch mitten im Gepraͤnge;

Der Necktar Jupiters, der Speiſen ekle Menge,

Die feſſeln, ach! die Freude nicht.

Die Freude, des Lyaͤus Kind,

Entflieht unruhigen Palaͤſten,

Und ſchwaͤrmt zu Huͤtten hin, die nur gewaͤhlten Gaͤſten,

Nur dir, o Freundſchaft! heilig ſind.

Fleußt nicht fuͤr ſie der Reben Blut,

Die Chios edle Berge ſchwaͤrzen?

Auch Bacchus unſers Rheins floͤßt in zufriedne Herzen

Vertraulichkeit und guten Muth.

Wo Bacchus lacht, wer bleibt betruͤbt?

Der Gott begeiſtert aller Buſen,

Und laͤßt den Satyr los, und laͤdt die muntern Muſen

Und Amorn, der die Muſen liebt:

Und Lieder der Zufriedenheit

Ertoͤnen aus dem trunknen Munde;

Bis, nach durchſcherzter Nacht, die kuͤhle Morgenſtunde

Die Schatten und den Schmaus zerſtreut.

Ma-
[28]Lyriſche Gedichte

Magiſter Duns.
Magiſter Duns, das groſſe Licht,

Des deutſchen Pindus Ehre,

Der Dichter, deſſen Muſe ſpricht,

Wie ſeine Dingerlehre;

Der lauter Metaphyſik iſt,

Und metaphyſiſch lacht und kuͤßt;

Ließ juͤngſt bey ſeiner Schoͤnen

Ein zaͤrtlich Lied ertoͤnen.

Er ſang: o Schmuck der beſten Welt!

Du Vorwurf meiner Liebe!

Dein Aug iſts, das den Grund enthaͤlt

Vom Daſeyn meiner Triebe.

Die Monas, die in mir gedenkt,

Vermag, in deinen Reiz verſenkt,

Die blinden Sinnlichkeiten

Nicht laͤnger zu beſtreiten.

Drauf nannt er gruͤndlich hier und dort

Den Grund des Widerſpruches

Und noch ſo manches Modewort,

Die Weisheit manches Buches.

Der Mann bewies, wie ſichs gehoͤrt,

Und bat, abſtract und tiefgelehrt,

Durch ſchulgerechte Schluͤſſe

Um ſeiner Chloris Kuͤſſe.

Das
[29]Erſtes Buch.
Das arme Kind erſchrack und floh;

Die Grazien entſprungen.

Kein Dichter hatte noch alſo,

Seit Muſen ſind, geſungen.

Bey Hecatens erbleichtem Schein

Laͤßt murmelnd im erſchrocknen Hayn

Ein Meiſter im Beſchwoͤren

Dergleichen Lieder hoͤren.

Das Maͤdchen eilt ins nahe Thal,

Aus dieſem Zauberkreiſe.

Da ſang Damoͤt von gleicher Qual;

Doch nach der Schaͤfer Weiſe.

Sein Lied, bey manchem ſtillen Ach!

Floß heiter, wie der ſanfte Bach,

Und floß ihm aus dem Herzen,

Der Quelle ſeiner Schmerzen.

Jhm wollte Chloris nicht entfliehn;

Jhm ward ein Kuß zu Lohne.

Die Muſen ſelbſt belohnten ihn

Mit einer Myrthenkrone.

So ſinnlich ſchaͤtzt man ein Gedicht!

O Muſen! Muſen! wollt ihr nicht

Vom Poͤbel euch entfernen,

Und Metaphyſtk lernen?

Die
[30]Lyriſche Gedichte

Die Wuͤnſche.
Welche Gottheit ſoll auch mir

Einen Wunſch gewaͤhren?

Unentſchloſſen irr ich hier

Zwiſchen den Altaͤren.

Sorgen ſchwaͤrmen rund herum

Um den Gott der Schaͤtze;

Und der Ehre Heiligthum

Liegt voll falſcher Netze.

Jn der Schoͤnheit Schooſe liegt

Amor, der mit Kuͤſſen

Sich an ihren Buſen ſchmiegt,

Da wir zittern muͤſſen.

Amor ſoll willkommen ſeyn:

Doch ich will nur lachen;

Und er muß bey meinem Wein

Mich nicht irre machen.

Ruhm und du, gefluͤgelt Gold!

Jch entſag euch beyden.

Wenn ihr ſelbſt mich ſuchen wollt;

Will ich euch nicht meiden.

An
[31]Erſtes Buch.

An Amor.
Amor, Vater ſuͤſſer Lieder,

Du mein Phoͤbus, kehre wieder!

Kehre wieder in mein Herze!

Komm! doch mit dem ſchlauen Scherze:

Komm und laß zugleich Lyaͤen

Dir zur Seite lachend gehen!

Komm mit einem holden Kinde,

Das mein traͤges Herz entzuͤnde,

Und durch feuervolle Kuͤſſe

Zum Horaz mich kuͤſſen muͤſſe!

Willſt du, Gott der Zaͤrtlichkeiten:

Laß auch Schmerzen dich begleiten!

Jch will lieber deine Schmerzen,

Als nicht kuͤſſen und nicht ſcherzen.


Die
[32]Lyriſche Gedichte.

Die Muſe bey den Hirten.
O artigſte der Muſen,

Um deren vollen Buſen

Die friſchen Roſen duͤften!

Willſt du auf unſern Triften

Mit armen Hirten weiden,

Und aus den Staͤdten ſcheiden?

Jch bin der Stadt entgangen:

Da war ich wie gefangen.

Da will man Muſen dingen:

Sie ſollen iedem ſingen,

Bey ieder Hochzeit leyern,

Und Nahmenstage feyern.

Bey euch lacht meinen Saiten

Die Freyheit guͤldner Zeiten:

Jch mag die guͤldnen Saiten

Dem Poͤbel nicht verdingen:

Jch mag nicht iedem ſingen.

O Muſe, ſey gegruͤſſet!

Hier, wo man lacht und kuͤſſet,

Laß unter Nachtigallen

Dein ſuͤſſes Lied erſchallen!

Das
[33]Erſtes Buch.

Das bedraͤngte Deutſchland.
Wie lang zerfleiſcht mit ſchwerer Hand

Germanien ſein Eingeweide?

Beſiegt ein unbeſiegtes Land

Sich ſelbſt und ſeinen Ruhm, zu ſchlauer Feinde Freude?

Sind, wo die Donau, wo der Mayn

Voll fauler Leichen langſam fließet;

Wo um den rebenreichen Rhein

Sonſt Bacchus froͤhlich gieng, und ſich die Elb’ ergießet:

Sind nicht die Spuren unſrer Wuth

Auf ieder Flur, an iedem Strande?

Wo ſtroͤmte nicht das deutſche Blut?

Und nicht zu Deutſchlands Ruhm: Nein! meiſtens ihm

zur Schande!

Wem iſt nicht Deutſchland unterthan!

Es wimmelt ſtets von zwanzig Heeren:

Verwuͤſtung zeichnet ihre Bahn;

Und was die Armuth ſpart, hilft Uebermuth verzehren.

CVor
[34]Lyriſche Gedichte
Vor ihnen her entflieht die Luſt;

Und in den Buͤſchen oͤder Auen,

Wo vormals an geliebter Bruſt

Der ſatte Landmann ſang, herrſcht Einſamkeit und Grauen.

Der Adler ſieht entſchlafen zu,

Und bleibt bey ganzer Laͤnder Schreyen

Stets unerzuͤrnt in traͤger Ruh,

Entwaffnet und gezaͤhmt von falſchen Schmeicheleyen.

O Schande! ſind wir euch verwandt,

Jhr Deutſchen jener beſſern Zeiten,

Die feiger Knechtſchaft eiſern Band

Mehr, als den haͤrtſten Tod im Arm der Freyheit ſcheuten?

Wir, die uns kranker Wolluſt weihn,

Geſchwaͤcht vom Gifte weicher Sitten;

Wir wollen deren Enkel ſeyn,

Die, rauh, doch furchtbarfrey, fuͤr ihre Waͤlder ſtritten?

Die Waͤlder, wo ihr Ruhm noch izt

Um die bemooſten Eichen ſchwebet,

Wo, als ihr Stahl vereint geblitzt,

Jhr ehrner Arm geſiegt und Latium gebebet?

Wir
[35]Erſtes Buch.
Wir ſchlafen, da die Zwietracht wacht,

Und ihre bleiche Fackel ſchwinget,

Und, ſeit ſie uns den Krieg gebracht,

Jhm ſtets zur Seite ſchleicht, von Furien umringet.

Jhr Natternheer ziſcht uns ums Ohr,

Die deutſchen Herzen zu vergiften;

Und wird, kommt ihr kein Hermann vor,

An Hermanns Vaterland ein ſchmaͤhlig Denkmaal ſtiften.

Doch mein Geſang wagt allzuviel!

O Muſe! fleuch zu dieſen Zeiten

Alkaͤens kriegriſch Saitenſpiel,

Das die Tyrannen ſchalt, und ſcherz auf ſanftern Saiten.


C 2Der
[36]Lyriſche Gedichte

An die lyriſche Muſe.
Wohin, wohin reißt ungewohnte Wuth

Mich auf der Ode kuͤhnen Fluͤgeln,

Fern von der leiſen Fluth

Am niedern Helikon und jenen Lorbeer-Huͤgeln!

Jch fliehe ſtolz der Sterblichen Revier;

Jch eil in unbeflogne Hoͤhen:

Wie keichet hinter mir

Der Vogel Jupiters, beſchaͤmt mir nachzuſehen!

Jn Gegenden, wo mein entzuͤcktes Ohr

Der Sphaͤren Harmonie verwirret,

O Muſe! fleug mir vor,

Du, deren freyer Flug oft irrt, nie ſich verirret!

Jch folge dir bald bis zur Sonne hin,

Bald in den ungebahnten Haynen

Mit Libers Prieſterinn,

Wo keine Muſe gieng und andre Sterne ſcheinen.

An
[37]Erſtes Buch.
An deiner Hand, wann mich Lyaͤus ruft,

Was kann den kuͤhnen Dichter ſchrecken?

Jn welch entfernter Kluft

Wird meiner Leyer Scherz ein ſchlafend Echo wecken?

Denn nur von Luſt erklingt mein Saitenſpiel,

Und nicht von leichenvollem Sande,

Von kriegriſchem Gewuͤhl

Und vom gekroͤnten Sieg im blutigen Gewande.

Die Zeit iſt hin, da unter ſtolzer Luſt,

Mit Lorbeern, wie ihr Held, bekraͤnzet

Und oft an ſeiner Bruſt

Die Muſe Necktar trank, durch die er ewig glaͤnzet:

Wie Phoſphor glaͤnzt, der um den Morgenthau

Aus Thetis Armen ſich entziehet,

Und ans geſtirnte Blau

Mit heitrem Laͤcheln tritt, und vom Olympe ſiehet.

C 3Ein
[38]Lyriſche Gedichte
Ein Sternenheer, das letzte Chor der Nacht,

Traurt um ihn her in mattem Lichte:

Die muntre Welt erwacht,

Und Schlaf und Schatten fliehn vor ſeinem Angeſichte.


Zwey-
[39]Zweytes Buch.

Zweytes Buch.


An das Gluͤck.
Falſches Gluͤck, das unter finſtern Straͤu-

chen

Sich verbirgt, wo kuͤhne Tuͤcke ſchlei-

chen!

Sollt’, o Abgott niedrer Seelen!

Sollt ich mich in deinem Dienſte quaͤlen?

Dich wird nie die ſcheue Tugend finden;

Du wirſt ſtets vor ihrem Blick verſchwinden:

Aber auf bebluͤhmten Wegen

Taumelſt du den Thoren ſelbſt entgegen.

Kann ich mich doch ohne dich vergnuͤgen!

Und wie ſchnell muß alles Leid verfliegen,

Wenn ich unter Freunden ſinge!

Hoͤre ſelbſt, wie meine Cyther klinge!

C 4Wen
[40]Lyriſche Gedichte
Wen beſing ich, als den Gott der Reben?

Dieſe Roſen, die mein Haupt umgeben,

Dieſer Glaͤſer frohe Menge

Sind ihm heilig, und er liebt Geſaͤnge.

Faunen! tanzt vor mir mit frohen Spruͤngen!

Von Lyaͤens Liebe will ich ſingen:

Seine Schoͤne war noch bloͤde,

War voll Unſchuld und aus Unſchuld ſproͤde.

Aber Bacchus wurde kaum zur Traube;

O wie luͤſtern nahm ſie ihn vom Laube!

Sie begluͤckte ſeine Triebe;

Und noch immer dient ſein Wein der Liebe.

Suͤſſer Ton! wem ſollt er nicht gefallen?

Nur von Luſt ſoll meine Cyther ſchallen,

Wenn ich hier am kuͤhlen Bache,

Hingeſtreckt auf weichen Bluhmen, lache:

Hier im Buſch, in ſichren Finſterniſſen,

Wo ich oft, berauſcht von Wein und Kuͤſſen,

Die ich um kein Gluͤck vertauſche,

An der Phyllis vollem Buſen lauſche.

Fah-
[41]Zweytes Buch.
Fahre hin, du ſorgenreiches Gluͤcke!

Wer dich kennt, buhlt nicht durch Bubenſtuͤcke

Um das fluͤchtige Vergnuͤgen,

Dir im Schoos, verliebt in Rauch, zu liegen.

Wenn kein Ruhm, mit Lorbeern ſtolz bedecket,

Wenn kein Gold mein Lebensziel erſtrecket;

Wenn ich nicht vergnuͤgter kuͤſſe:

Miß ich viel, wenn ich nur dich vermiſſe?


C 5Die
[42]Lyriſche Gedichte

Die Weinleſe.
Willkommen, Weinles, unſre Freude!

Sey ewig unſer groſſes Feſt!

Wie jauchzen wir, nach langem Leide,

Daß Bacchus uns nicht gar verlaͤßt!

Du ſchenkeſt uns das Mark der Reben,

Den Greis und Juͤngling zu erfreun.

Ja, ja! nun mag ich wieder leben:

Was iſt ein Leben ohne Wein?

Der Erdkreis drohte zu vergehen:

Denn, ach! die Rebe ſtund betruͤbt.

Nun fließt ihr Necktar auf den Hoͤhen,

Der allem neues Leben giebt.

Erfrorne Dichter, ſingt nun wieder!

Will keine Muſe guͤnſtig ſeyn?

Lyaͤus lehret beſſre Lieder:

Nichts iſt ſo ſinnreich, als der Wein.

Ver-
[43]Zweytes Buch.
Verſchmachtend lag mit ſchlaffem Bogen

Die matte Liebe hingeſtreckt.

Wie muthig iſt ſie aufgeflogen,

Nachdem ſie jungen Wein geſchmeckt!

Er hilft ihr feine Freunde kroͤnen:

Es iſt bequem, ihr Weib zu ſeyn:

Sie kuͤſſen immer treue Schoͤnen;

So uͤberredend iſt ihr Wein!

Jſmenen quaͤlt ein traͤger Gatte,

Der ganze Naͤchte ſchlafen kann.

Weil Amor nicht geholfen hatte,

So ruft ſie Vater Bacchum an.

Der Alte zecht, wird loſ’ und herzet,

Und ſchlaͤft erſt ſpaͤt und kuͤſſend ein.

Daß der mit halber Jugend ſcherzet;

O Wunder! thut es nicht der Wein?

Der Wein kann alles moͤglich machen:

Dir, Wein, ſey dieſer Tag geweiht!

Es herrſche Scherz, Geſang und Lachen;

Man zech’ aus frommer Dankbarkeit!

Was fehlt? Jhr Freunde, nur noch eines!

Den frohen Amor ladet ein:

Denn Amor iſt ein Freund des Weines,

Und ohne Kuͤſſe ſchmeckt kein Wein.

Die
[44]Lyriſche Gedichte

Die alten und heutigen deut-
ſchen Sitten.

Wie wenig gleichen wir den Alten!

Was wir fuͤr ungeſittet halten,

Hieß ihnen Maͤnnlichkeit.

Nur wenig aͤchte deutſche Braͤuche

Sind unverjaͤhrt im deutſchen Reiche

Zu unſrer Zeit.

Zuſammen kommen, um zu zechen,

Bis alle Zungen ſtammelnd ſprechen,

Hieß ihnen Froͤhlichkeit.

Noch ſchwingt bey manchem Freudenmahle

Lyaͤus drohende Pocale

Zu unſrer Zeit.

Doch Recht und Menſchheit nicht verletzen,

Auch bey ermangelnden Geſetzen,

Hieß ihnen Billigkeit.

Jch finde mehr gelehrt Geſchwaͤtze,

Sehr wenig Tugend, viel Geſetze

Zu unſrer Zeit.

Daß
[45]Zweytes Buch.
Daß ſich getreue Weiber funden,

Die auch dem Golde widerſtunden,

Hieß keine Seltenheit.

Man ſagt, zur Schande karger Reichen,

Es geb auch etliche dergleichen

Zu unſrer Zeit.

Doch auch, wann Reiz und Jugend bluͤhen,

Vom Kuß nichts wiſſen, ihm entfliehen,

Hieß ihnen Ehrbarkeit.

Die iſt nur eine Schaͤfertugend

Und abgeſchmackt an muntrer Jugend

Zu unſrer Zeit.

Daß ſtets der kuͤhne Junker jagte,

Auch eh es auf den Bergen tagte,

Hieß ihnen Streitbarkeit.

Noch jagt und ſchmauſt er um die Wette,

Jndeß beſorgt ein Freund ſein Bette,

Zu unſrer Zeit.

Doch Anſehn und erhabne Wuͤrden

Nur auf verdiente Schultern buͤrden,

Hieß ihnen Schuldigkeit.

Zu Aemtern kann ein ieder kommen,

Die Wuͤrdigen bloß ausgenommen,

Zu unſrer Zeit.

Die
[46]Lyriſche Gedichte
Die prophezeyenden Matronen

Fuͤr ihre Luͤgen noch belohnen,

Hieß ihnen ſehr geſcheidt.

Sagt, kluge Frauen! Zeichendeuter!

Zigeuͤner! ſagt: ſind wir geſcheidter

Zu unſrer Zeit?

Doch edler Vorzug grauer Alten!

Die Treue, Wort und Bund zu halten,

Hieß ihnen Redlichkeit.

Die ſchlummert auf beſtaͤubtem Boden,

Bey andern abgelebten Moden,

Zu unſrer Zeit


Der
[47]Zweytes Buch.

Der Abend.
Mit finſtrer Stirne ſtehn wir da,

Und ordnen das Geſchick der Staaten,

Und wiſſen, was bey Sorr geſchah,

Und wiſſen Oeſterreich zu rathen.

Jndeß verſchließt ſich unſre Bruſt

Dem Ruf der lockenden Cythere:

Denn ſteigt nicht ſchon, zu Amors Luſt,

Der Abend aus dem kuͤhlen Meere?

Erkennet euern Eigenſinn

Und daß die Zeit gefluͤgelt ſcheide!

Jhr ſchwatzt, ſie fliegt, ſie iſt dahin

Mit aller angebothnen Freude.

Jch will zu jenen Buͤſchen gehn,

Die ſanft von Zephyrs Ankunft beben.

Da hoff ich Lesbien zu ſehn,

Wenn ſichre Schatten uns umgeben.

Bereits
[48]Lyriſche Gedichte
Bereits ertoͤnt in ſtiller Luft

Der Nachtigall verliebte Klage:

Sie huͤpft von Zweig auf Zweig und ruft

Mit ſuͤſſern Liedern, als am Tage.

Was Wunder, wenn ſie bruͤnſtig girrt,

Seit Amor mit geſpanntem Bogen,

Bey dem ein voller Koͤcher ſchwirrt,

Dem jungen Fruͤhling nachgeflogen!


Das
[49]Zweytes Buch.

Das neue Orakel.
Propheten unſrer Zeit, Zigeuner, kluge Weiber!

Weh euch! ihr alle ſeyd verſchmaͤht!

Seht, wie der Coffeeſatz, der Neugier Zeitver-

treiber,

Sich als Orakel blaͤht.

Die ſchlaue Phantaſie ſieht in geheimen Zeichen

Des weiſen Schlammes Antwort ſtehn:

Wie die um Mitternacht durch oͤde Waͤlder ſtreichen,

Geſpenſt und Schaͤtze ſehn.

Auch mir verkuͤndigt ſie, und Liebe hilft mir glauben,

Daß ich mein Maͤdchen kuͤſſen ſoll.

Nichts kann gewiſſer ſeyn! da ſchnaͤbeln ſich zwo Tauben:

Das iſt geheimnißvoll!

Zwar ſieht mein Auge nichts; doch glaub ich mei-

nem Gluͤcke:

Die Tauben ſind unſichtbar da:

Auch Bileam ſah nicht, was mit erſtauntem Blicke

Sein Thier erleuchtet ſah.

DSey
[50]Lyriſche Gedichte
Sey glaͤubig, loſes Kind! und komm und laß dich

kuͤſſen!

Umſonſt iſt alle Sproͤdigkeit.

Dein Stolz wird endlich doch dem Schickſal weichen muͤſ-

ſen:

Es iſt mir prophezeyt!


Die
[51]Zweytes Buch.

Die Geliebte.
Die ich mir zum Maͤdchen waͤhle,

Soll von aufgeweckter Seele,

Soll von ſchlanker Laͤnge ſeyn.

Sanfte Guͤte, Witz im Scherze

Ruͤhrt mein Herze;

Nicht ein glatt Geſicht allein.

Allzujung taugt nur zum Spielen!

Fleiſchigt ſey ſie anzufuͤhlen,

Und gewoͤlbt die weiſſe Bruſt.

Die Brunette ſoll vor allen

Mir gefallen:

Sie iſt dauerhaft zur Luſt.

Setzt noch unter dieſe Dinge,

Daß ſie artig tanz’ und ſinge:

Welches Maͤdchen iſt ihr gleich?

O ihr Maͤdchenkenner! ſaget:

Wers erjaget,

Hat der nicht ein Koͤnigreich?

Siehe Oeuvres de Clement Marot, chanſon 24.


D 2Die
[52]Lyriſche Gedichte

Die Liebesgoͤtter.
Cypris, meiner Phyllis gleich,

Saß von Grazien umgeben!

Denn ich ſah ihr frohes Reich;

Mich berauſchten Cyperns Reben.

Ein geweihter Myrthenwald,

Den geheime Schatten ſchwaͤrzten,

War der Goͤttinn Aufenthalt,

Wo die Liebesgoͤtter ſcherzten.

Viele giengen Paar bey Paar:

Andre ſungen, die ich kannte,

Deren Auge ſchalkhaſt war,

Und voll ſchlauer Wolluſt brannte.

Viele flogen ruͤſtig aus,

Mit dem Bogen in der Rechten.

Viele waren nicht zu Haus;

Weil ſie bey Lyaͤen zechten.

Der voll bloͤder Unſchuld ſchien,

Herrſcht auf ſtillen Schaͤferauen.

Feuerreich, verſchwiegen, kuͤhn

Sah der Liebling junger Frauen.

Doch, ermuͤdet hingekruͤmmt,

Schlief der Liebesgott der Ehen:

Zu Lyaͤen hieß, ergrimmt,

Venus dieſen Schlaͤſer gehen.

Un-
[53]Zweytes Buch.
Unter gruͤner Buͤſche Nacht,

Unter abgelegnen Straͤuchen,

Wo ſo manche Nymphe lacht,

Sah ich ſie am liebſten ſchleichen.

Viele flohn mit leichtem Fuß

Allen Zwang bethraͤnter Ketten,

Flatterten von Kuß zu Kuß

Und von Blonden zu Brunetten.

Kleine Goͤtter voller Liſt,

Deren Pfeil kein Herz verfehlet,

Und vom Necktar trunken iſt,

Ob er gleich die Thoren quaͤlet:

Bleibt auf meinen Ruf bereit,

Meine Jugend froh zu machen!

Jn der Jugend Fruͤhlingszeit

Wuͤnſch ich unter euch zu lachen.


D 3Er-
[54]Lyriſche Gedichte

Ermunterung zum Vergnuͤgen.
Wird ſtets dein Stolz der falſchen Hoffnung trauen,

Die ihn mit Traͤumen unterhaͤlt;

Und in der Luft manch glaͤnzend Schloß erbauen,

Das ploͤtzlich ohne Spur zerfaͤllt?

Die Hoffnung traͤumt, was oͤfters nie geſchiehet,

So hitzig wir ihm nachgeſtrebt:

Jndeſſen flieht und ungekannt entfliehet

Die Freude, die uns nahe ſchwebt.

Die Raſen hier, die weiches Gras bedecket,

Und uͤber die zu freyer Luſt

Sich, ſchattenreich, die breite Linde ſtrecket,

Erwarten dich an meiner Bruſt.

Hier laß uns, Freund! bey Wein und Liedern liegen:

Wie ſuͤß iſts, von Lyaͤen gluͤhn!

Auf! hohl’ ihn her! ihm folge das Vergnuͤgen,

Und eitle Sorge muͤſſe fliehn!

Denn
[55]Zweytes Buch.
Denn tiefe Nacht deckt vor uns her die Tage,

Die ieder noch durchwandern wird.

Jch ſchleiche fort, bereit zu Luſt und Plage,

Gleich einem, der im Nebel irrt.

Wie Schritt vor Schritt die ſchwarze Wolke flie-

het,

Entdeckt ſich ihm bald oͤder Sand,

Der, unerfriſcht von kalten Quellen, gluͤhet,

Ein rauhes und unwirthbars Land.

Bald aber wird ſein frohes Lied erſchallen,

Wann, auf ſo viel Beſchwerlichkeit,

Am kuͤhlen Bach, ein Wald voll Nachtigallen

Jhm angenehme Schatten beut.


D 4Die
[56]Lyriſche Gedichte

Der Weiſe auf dem Lande.
O Wald! o Schatten gruͤner Gaͤnge!

Geliebte Flur voll Fruͤhlings Pracht!

Mich hat vom ſtaͤdtiſchen Gedraͤnge

Mein guͤnſtig Gluͤck zu euch gebracht:

Wo ich, nach unruhvollen Stunden,

Die Ruhe, die dem Weiſen lacht,

Jm Schooſe der Natur gefunden.

Jch fuͤhle mich wie neugebohren,

Und fang erſt nun zu leben an,

Seit, fern vom Trotze reicher Thoren,

Jch hier in Freyheit athmen kann.

Es krieche wer nach Ehre flieget!

Jch werde nie ein groſſer Mann,

Weil ich mich knechtiſch nicht geſchmieget.

Es moͤgen andre hoͤher trachten:

Sie moͤgen, hungrig nach Gewinn,

Jm Joche der Geſchaͤfte ſchmachten,

Da ich der Knechtſchaft muͤde bin!

Sie draͤngen ſich durch Liſt und Gaben

An ihre Ruderbaͤnke hin;

Dieweil ſie Sklavenſeelen haben.

Du
[57]Zweytes Buch.
Du glaͤnzend Nichts! o Rauch der Ehre!

Dich kauf ich nicht mit wahrem Weh.

Mein Geiſt ſey, nach der Weisheit Lehre,

So ſtille, wie die Sommerſee:

So ruhig im Genuß der Freuden,

Als dort, im perlenreichen Klee,

Die unſchuldvollen Laͤmmer weiden!

O ſeht, wie uͤber gruͤne Huͤgel

Der Tag, bekraͤnzt mit Roſen, naht!

Jhn kuͤhlen Zephyrs linde Fluͤgel:

Vom Thau glaͤnzt ſein bebluͤhmter Pfad.

Wie taumelt Flora durch die Triften!

Die Lerche ſteigt aus trunkner Saat,

Und ſingt in unbewoͤlkten Luͤften.

Dort, wo im Schatten ſchlanker Buchen

Die Quelle zwiſchen Bluhmen ſchwaͤtzt;

Seh ich die Muſe mich beſuchen,

Und werde durch ihr Lied ergoͤtzt.

Sie ſingt entzuͤckt in guͤldne Saiten,

Jndeß, von Morgenthau benetzt,

Die Haare flatternd ſich verbreiten.

D 5Noch
[58]Lyriſche Gedichte
Noch ſuͤſſer toͤnt um friſche Roſen

Jhr angenehmes Hirtenrohr;

Und Amor kommt, ihr liebzukoſen,

Und ieder Ton entzuͤckt ſein Ohr.

Auch er verſucht, wies ihm gelinget:

Ein ſchwaches Murmeln quillt hervor,

Das ungeuͤbte Hand erzwinget.

Geht hin, die ihr nach Golde ſchnaubet!

Sucht Freude, die mein Herz verſchmaͤht!

Betruͤgt, verrathet, ſchindet, raubet

Und erndet, was die Wittwe ſaͤt!

Damit, wann ihr in Gold und Seide

Euch unter klugen Armen blaͤht,

Der dumme Poͤbel euch beneide.

Dem Reichthum, bleicher Sorgen Kinde,

Schleicht ſtets die bleiche Sorge nach:

Sie brauſt, wie ungeſtuͤme Winde,

Durch euer innerſtes Gemach.

Der ſanfte Schlummer flieht Palaͤſte,

Und ſchwebet um den kuͤhlen Bach,

Und liebt das Liſpeln junger Weſte.

Mir
[59]Zweytes Buch.
Mir gnuͤget ein zufriednes Herze

Und was ich hab und haben muß,

Und, kann es ſeyn, bey freyem Scherze,

Ein kluger Freund und reiner Kuß:

Dieß kleine Feld und jene Schafe,

Wo, ohne ſtolzen Ueberfluß,

Jch ſinge, ſcherze, kuͤſſe, ſchlafe.


An
[60]Lyriſche Gedichte

An Venus.
OGoͤttinn, die in Amathunt

Und uͤber Paphos herrſcht, du Mutter ſuͤſſer Kla-

gen!

Wie lang ſoll ieder rauher Mund

Jm Ton Anakreons dich zu beſingen wagen?

Wenn manche deutſche Muſe nun

Von Lieb und Kuͤſſen ſingt; wie eckelt mir vor Kuͤſſen!

Gib acht, wie, wann ſie artig thun

Und ſchalkhaft taͤndeln will, die Maͤdchen gaͤhnen muͤſſen!

Jhr iſt Lyaͤus unbekannt;

Sie ſieht ſo nuͤchtern aus, als Waſſer, ihr Getraͤnke.

Doch jauchzt ſie, als vom Wein entbrannt,

Und jauchzt, wie ein Student in ſchwarzberauchter Schen-

ke.

Unleidlich ſtraͤubt ſich ieder Ton:

Jhr traͤger Witz gebiert nur woͤrterreiche Saͤtze.

Nie war dein Freund Anakreon

So ſchwatzhaft, obgleich aͤlt; und Amor haſſt Geſchwaͤtze.

Die
[61]Zweytes Buch.
Die Vaͤtter dieſer Lieder-Brut,

Die Affen deines Gleims, o ſchoͤne Goͤttinn! ſtrafe.

Von Lieb entbrenn’ ihr kaltes Blut!

Jhr Maͤdchen leſ’ ihr Lob, ihr froſtig Lob und ſchlafe!

Nie ſchall’ ihr ungerathnes Lied,

Bey ſanftem Saitenſpiel, von Lippen kluger Schoͤnen,

Noch wo der junge Bacchus gluͤht,

Wenn ihn die Grazien mit ihren Roſen kroͤnen!


Die
[62]Lyriſche Gedichte

Die verſoͤhnte Daphne.
Jm Schatten einer alten Eiche

Saß Daphne, da die Sonne wich;

Als in dem einſamen Geſtraͤuche

Myrtill ſich ihr zur Seite ſchlich.

Er will den Liljenhals umfaſſen,

Der ſeinen Kuͤſſen ſich entzieht.

Nichts, leider! wird ihm zugelaſſen:

Sie rafft ſich zornig auf und flieht.

Was wird von Schoͤnen uns verſaget,

Das kuͤhne Schalkheit nicht erpreſſt?

Da Daphne flieht und fliehend klaget,

Haͤlt ihr Myrtill ſie ſchmeichlend feſt.

Myrtill erzwingt von Daphnen Kuͤſſe,

Die ihre Hand nur ſchwach bekaͤmpft:

Denn, ach! ein Kuß iſt viel zu ſuͤſſe!

Ein Kuß hat manchen Zwiſt gedaͤmpft.

Sie ſchlaͤgt die Augen ſchamroth nieder:

Das bloͤde Maͤdchen thut ſich Zwang

Und eifert auf gewiſſe Lieder,

Die juͤngſt Myrtill der Chloe ſang.

Doch,
[63]Zweytes Buch.
Doch, faͤhrt ſie fort, um dir zu zeigen,

Daß ich mit dir nicht zuͤrnen will;

Jch will zu neuem Frevel ſchweigen;

Kuͤß immer noch einmal, Myrtill!


Der
[64]Lyriſche Gedichte.

Der verlohrne Amor.
Amor hat ſich juͤngſt verlohren;

Und nun will, die ihn gebohren,

Jhren Fluͤchtling wieder kuͤſſen;

Und man hat ihn ſuchen muͤſſen.

Jn dem Schatten dunkler Linden,

Wo wir Dichter Amorn finden;

Unter froher Dichter Myrthen,

Jn den Staͤdten, bey den Hirten,

Kann man nichts von ihm erfragen.

Maͤdchen! wollt ihr mirs nicht ſagen?

Denn ihr hegt den Gott der Sorgen:

Hat er ſich bey euch verborgen?

Jn den Roſen eurer Wangen,

Die mit friſcher Jugend prangen?

Oder auf den Liljenhuͤgeln,

Wo der Gott mit leiſen Fluͤgeln

Sich ſchon oͤfters hingeſtohlen?

Darf ich ſuchen und ihn hohlen?


Der
[65]Zweytes Buch.

Der May.
Der holde May hat endlich obgeſiegt,

Und Boreas muß lauem Weſte weichen:

Der laue Weſt lockt Floren, wo er fliegt,

Jhm bruͤnſtig laͤchelnd nachzuſchleichen.

Laß uns den Wald, wo itzt manch ſpielend Reh

Durch Buͤſche rauſcht; laß uns die gruͤnen Buchen

Und Feld und Bach und den bethauten Klee,

O Freund! auch wiederum beſuchen.

Umwoͤlkt annoch der Unmuth unſern Blick,

Da uͤberall Natur und Erde lachen?

Sey auch vergnuͤgt und laß das wilde Gluͤck

Die Zeiten mehr als eiſern machen!

Es zieh uns aus, was wir von ihm geborgt,

Und werf allein dem ihm verkauften Schwarme

Die Guͤter zu, um die ich nie geſorgt!

Nackt flieh ich in der Weisheit Arme.

Es bleibt mir doch der ſtets zufriedne Sinn

Und Muths genug, mein Gluͤck in mir zu ſuchen,

Und edler Stolz, auch wann ich niedrig bin,

Unedle Tuͤcke zu verfluchen.

EEs
[66]Lyriſche Gedichte
Es bleibt mir auch, vom Zufall unentwandt,

Das Saitenſpiel der griechiſchen Camoͤne,

Das, trotz dem Gluͤck, ich mit gedungner Hand

Zu feigem Schmeicheln nicht verwoͤhne.


Die
[67]Zweytes Buch.

Die Wolluſt.
Hier im Geſtraͤuch, an Florens weichem Buſen,

Die Balſam haucht, geruhig hingeſtreckt,

Erwart ich ſie, die goͤttlichſte der Muſen,

Die ſich im Buſch vor meinem Wunſch verſteckt.

Sie kommt, ſie kommt! ich hoͤre ſchon vom weiten,

Jn ſtiller Luft, die Stimme guͤldner Saiten.

Jhr Sterblichen, die ihr dem Schickſal fluchet,

Wenn euern Arm gewuͤnſchte Ruhe flieht;

Die ihr umſonſt ſie unter Dornen ſuchet!

O hoͤret mich! o hoͤrt mein lehrend Lied!

Was quaͤlt ihr euch? die holde Wolluſt winket,

Und beut euch an, was euch ſo ſchaͤtzbar duͤnket:

Die Wolluſt nicht, die auch der Poͤbel kennet;

Die viehiſch raſ’t, nicht ſich vernuͤnftig freut;

Von Lieb und Wein, umkraͤnzt mit Epheu, brennet,

Und Lieb und Wein durch Uebermaaß entweiht!

Nein! die zugleich Natur und Weisheit preiſen;

Der Weisheit Kind, die Koͤniginn der Weiſen!

E 2Jch
[68]Lyriſche Gedichte
Jch ſehe ſie, und Morgen-Roſen ſchmuͤcken

Die heitre Stirn und glaͤnzen um ihr Haupt.

Wie ruhig ſtrahlt aus ihren ſuͤſſen Blicken

Die reine Luſt, die kein Verhaͤngniß raubt!

Durch ſie wird ſelbſt Lyaͤus zahm gemachet,

Der hinter ihr mit einer Muſe lachet.

Die Freude ſchwingt um ſie die guͤldnen Fluͤgel

Zu aller Zeit, auch wenn das Gluͤck entflieht.

So oͤde ſcheint kein duͤrrverbrannter Huͤgel,

Wo nicht fuͤr ſie noch manche Bluhme bluͤht:

Und rings umher ſchwatzt unter Laub und Zweigen

Ein ſanfter Weſt, und rauhe Stuͤrme ſchweigen.

Wie ſollte dir nicht alles dienen muͤſſen,

Du, die allein die Sterblichen begluͤckt!

Gefeſſelt liegt, o Goͤttinn! dir zu Fuͤſſen

Der bleiche Gram, der ſchwache Seelen druͤckt.

Du baͤndigeſt die hungrigen Begierden,

Die ohne dich verderblich herrſchen wuͤrden.

Wie, wann der Sud ſein ſchwarz Gefieder ſchuͤttert,

Und auf der See ſich als Tyrann erhebt;

Der Ocean bis an den Grund erzittert,

Und weißbeſchaͤumt hoch in die Luͤfte ſtrebt:

Jndem kein Stern die bange Nacht erheitert,

Verirret ſich das kranke Schiff und ſcheitert:

So
[69]Zweytes Buch.
So wuͤthen auch die zuͤgelloſen Triebe,

Die uns Natur mitleidig eingeſenkt.

Sie brechen los; und Recht und Menſchenliebe,

Was heilig iſt, wird unbereuͤt gekraͤnkt.

Nicht ungeſtraft! der Frevelthaten Menge

Beſtraft in uns ein Richter voller Strenge.

Die Furien, in deren blutgen Haͤnden,

Stets fuͤrchterlich, die Dornen-Peitſche brauſt,

Verfolgen ihn, wann zwiſchen Marmor-Waͤnden

Der Luͤſte Sklav erraubtes Gut verſchmauſt.

Sein Aug entſchlaͤft: ſein wachendes Gewiſſen

Stoͤrt ſeinen Schlaf mit gelber Nattern Biſſen.

Unſelig Gluͤck! o ungeliebtes Leben!

Dergleichen Qual bezahlt kein Schatz der Welt.

Der Weiſe muß nach aͤchtern Freuden ſtreben,

Die Klugheit wuͤrzt und Reue nicht vergaͤllt.

Bin ich geſund an Leib und an Gemuͤthe;

So dank ich froh des Himmels milder Guͤte.

Wie thoͤrigt iſt, ſich vieles noͤthig machen,

Da die Natur nur weniges verlangt?

Jch werde ſatt und kann mit Freunden lachen,

Obgleich mein Tiſch nicht fuͤrſtenmaͤßig prangt.

Muß edler Wein, den Blut und Seele fuͤhlen,

Den eklen Durſt allein aus Golde kuͤhlen?

E 3Gold
[70]Lyriſche Gedichte
Gold giebt das Gluͤck, und giebt es auch den Thoren:

Die Weisheit lehrt auch ſchimmernd Gold verſchmaͤhn

Und froͤhlich ſeyn, wann die das Gluͤck erkohren,

Sich, unvergnuͤgt, in ſeinem Schooſe blaͤhn.

Das wahre Gluͤck iſt nicht was Thoren meinen:

Sey in der That, was tauſend andre ſcheinen.


Si-
[71]Zweytes Buch.

Silenus.
Jch ſah den Gott Silen! mit heiligem Erſtaunen,

Jhr Enkel! ſah ich ihn! er zechte mit den Faunen,

Und lehrte die betrunkne Schaar!

Er ſang, erfuͤllt vom Gott der traubenvollen Hoͤhen:

Ein Epheukranz verbarg des Alten graues Haar;

Die Adern ſchwollen von Lyaͤen.

Der Muſe ſey vergoͤnnt, dir, Vater, nachzulallen!

Jch hoͤr ihr Saitenſpiel von deinem Lied erſchallen:

Auch Nymphen merkten auf dein Lied!

Du ſangſt, wie ungeſtuͤm das finſtre Chaos bruͤllte,

Bis Erd und ſchwarze Fluth und Luft und Feuer ſchied,

Und ſich die alte Zwietracht ſtillte.

Nun ward die Harmonie, des Himmels Kind, ge-

bohren:

Der neuen Sonne ward ihr neu Gebieth erkohren:

Der Mond nahm ſeine Herrſchaft ein.

Bald hoͤrte der Parnaß die jungen Muſen ſingen,

Und ſah die Grazien in ſeinem Lorbeerhayn

Die Arme durcheinander ſchlingen.

E 4Du
[72]Lyriſche Gedichte.
Du lehrteſt, wie Mercur der Leyer Scherz erfun-

den;

Und wie das erſte Rohr, mit fremder Kunſt verbunden,

Jn Pans betruͤbter Hand geklagt

Als Pan von Syrinx, ach! der ſchoͤnſten Nais, brann-

te,

Die Ladons Tochter war und in geliebter Jagd

Arkadiens Gehoͤlz durchrannte.

Die ſah der Hirten Gott nach ſcheuem Wilde jagen;

Und ihr verirrtes Haar die weiſſen Schultern ſchlagen,

Und ihre holden Wangen gluͤhn.

Er ſah die ſchoͤnſte Bruſt den freyen Weſten offen:

Jhn brannte, was er ſah: er war verliebt und kuͤhn,

Und fleht’ und wagte, ſtolz zu hoffen.

Umſonſt! weil Syrinx floh, wie ein gejagtes Rehe

Dem Tode, der ihm folgt, auf ſchwarzbebuͤſchter Hoͤhe

Mit fluͤgelſchneller Flucht entweicht.

Es hemmen ſeinen Lauf nicht bluhmenvolle Felder,

Durch die ein lautrer Bach mit heiſcherm Murmeln

ſchleicht;

Nicht Schatten ſonſt gewuͤnſchter Waͤlder.

Sie
[73]Zweytes Buch.
Sie floh: ihr folgte Pan, auf ungebahnten We-

gen;

Aus voller Urne rauſcht’ ihr Ladons Fluth entgegen;

Kein Weg war offen, zu entgehn.

Hier, wo zum erſtenmal die bangen Fuͤſſe ruhten,

Hier, Schweſtern! rief ſie, eilt, mir huͤlfreich beyzuſtehn!

Und ſprang verzweiflend in die Fluthen.

Gleich blieb ihr leichter Fuß an traͤgen Wurzeln han-

gen;

Der ſchlanke Leib ward Schilf, als Pan, ſie zu umfan-

gen,

Um ihn die braunen Arme wand.

Nun ſpielte Zephyrs Hauch in ungewohnten Rohren:

Sie taumeln, ſanftbewegt, und fliſtern um den Strand

Jhm ſchwache Seufzer in die Ohren.

Wie ſinnreich machen uns, o Liebe! deine Lehren!

Pan hoͤrte dieſen Laut und wuͤnſcht’, ihn ſtets zu hoͤren,

Auch wann der muͤde Wind entſchlief.

Er fuͤgte Halm an Halm, die er verſchieden waͤhlte,

Von Rohr zu Rohr alsdenn mit ſchnellen Lippen lief,

Und ſie durch ſanften Hauch beſeelte.

E 5Pan
[74]Lyriſche Gedichte
Pan lehrte nachmals auch die Floͤte ſeine Hirten,

Und ieden Hirtentanz, im Schatten froher Myrthen,

Belebte ſuͤſſer Floͤten Klang.

Sie gieng vor Sparta her, das ſich mit Bluhmen kroͤnte,

Und ſtimmte kriegriſch ein, wann Caſtors Lobgeſang

Dem nahen Feind entgegen toͤnte.


Drit-
[75]Drittes Buch.

Drittes Buch.


Tempe.
Durch welch geheimen Zwang

Erwacht mein ſchlafender Geſang?

Jch fuͤhle wiederum die Herrſchaft weiſer

Muſen.

Wie ſtuͤrmet nicht in meinem Buſen

Die ungeſtuͤme Glut,

Und reiſſt mich hin in trunkner Wuth!

Taͤuſcht mich der ſuͤſſe Wahn?

Welch Thal der Freuden lockt mich an

Mit friſchbethautem Gruͤn, mit ambrareichen Luͤften?

Wie plaudert in der Berge Kluͤften

Der wache Wiederhall!

Die Voͤgel ſingen uͤberall!

Durch
[76]Lyriſche Gedichte
Durch kuͤhle Buͤſche rauſcht

Ein Zephyr, der um Floren lauſcht:

Es murmelt mancher Bach; es wandelt unter Baͤumen

Der holde Schlaf mit holdern Traͤumen.

Entzuͤckendes Revier!

Dich, himmliſch Tempe, ſeh ich hier!

Hier, wo der Pelion,

Wo der Olymp, der Goͤtter Thron,

Sich in die Wolken thuͤrmt aus heerdenvollen Matten:

Jn dieſer gruͤner Lorbeern Schatten

Glaͤntzt, als ein glatter See,

Der Peneus durch bebluͤhmten Klee.

Die Gegend iſt ſo ſchoͤn,

Daß hier die Muſen ſich ergehn.

Thalien ſeh ich dort bedornte Roſen pfluͤcken:

Die Schalkheit ſpricht aus ihren Blicken;

Und ihren Mund beſeelt

Ein Laͤcheln, das die Thoren quaͤlt.

Wer ſcherzt an ihrer Hand?

Jſts Clio, deren leicht Gewand

Nachlaͤſſig flatternd wallt und nicht mit Golde prahlet?

Fontaine, der verewigt ſtrahlet,

Sang einſt an ihrer Bruſt

Von Hymens Qual und Amors Luſt.

Du
[77]Drittes Buch.
Du aber irrſt allein,

O Uranie! durch Thal und Hayn!

Dein heilig Saitenſpiel ſchlaͤft unter ſtillem Laube:

Bis von verſchmaͤhtem niedern Staube

Sich dein entbundner Geiſt

Zum Himmel, ſeinem Urſprung, reiſſt.

Den Sternen ſchwingeſt du

Dein brauſendes Gefieder zu,

Durch unſre groͤbre Luft, die Werkſtatt rother Blitze;

Und wo, wann Gott von ſeinem Sitze

Die Welt im Wetter ſchilt,

Sein ausgeſandter Donner bruͤllt.

Du dringſt Auroren nach

Jn ihr bepurpert Schlafgemach;

Und ſiehſt aus blauer Hoͤh die Erde ſilbern glaͤnzen.

Bald reiſſt aus unſers Titans Graͤnzen

Dich dein entflammter Sinn

Jn andrer Sonnen Herrſchaft hin.

Die Erde ſcheint wie Nichts

Jn jenen Gegenden des Lichts,

Wo deiner Blicke Flug an fremde Welten landet.

Dort wo ihr niemals uͤberwandet,

Jhr Weltbezwinger! ſeht,

Wie euer Stolz euch hintergeht.

O goͤtt-
[78]Lyriſche Gedichte
O goͤttlich hoher Flug!

Mein Fluͤgel iſt nicht ſtark genug,

Sich dir auf Neutons Pfad, o Muſe! nachzuſchwingen.

Jch will im niedern Buſche ſingen,

Wo Erato ſich kuͤhlt

Und Amorn lockt, mit Amorn ſpielt.


Mor-
[79]Drittes Buch.

Morpheus.
Bey Venus ward von Schaͤferinnen

Der holde Morpheus hart verklagt:

Wird ſein abſcheuliches Beginnen

Jhm, ſprachen ſie, nicht unterſagt.

Bey Tage ſind wir Schaͤfern ſproͤde:

Doch ſieh, wie ſchalkhaft Morpheus iſt!

Jm Traum iſt keine Hirtinn bloͤde;

Ja, leider! auch die Unſchuld kuͤſſt.

Die Schaͤfer weihen ihm Geſaͤnge:

Er heuchelt ihrer Zaͤrtlichkeit,

Und ſpottet unſrer keuſchen Strenge,

Die ach! uns manche Luſt verbeut.

Ein Thyrſis, der zu Doris Fuͤſſen

Vor wenig Stunden troſtlos lag,

Kann traͤumend ſeine Sproͤde kuͤſſen,

Die alles will, was Morpheus mag.

Hier
[80]Lyriſche Gedichte
Hier unterbrach die langen Klagen

Der Traumgott voller Ungeduld,

Und ſprach: o Goͤttinn! darf ichs wagen;

So hoͤre mich mit gleicher Huld.

So muͤſſe dir der Weltkreis froͤhnen,

Und Amors Bogen ſey begluͤckt,

Solang auf Wangen junger Schoͤnen

Ein bluͤhend Morgenroth entzuͤckt!

Jch muß der frommen Maͤdchen lachen:

Sie traͤumen von verliebter Luſt!

Welch Wunder? herrſcht, wann Maͤdchen wachen,

Die Liebe nicht in ihrer Bruſt?

Jch weis, was ieder Schoͤnen fehlet,

Um die mein ſtiller Fittig ſpielt;

Und ſehe was ihr Herz verhehlet,

Und oft ſie ſelbſt nur dunkel fuͤhlt.

Manch Maͤdchen prangt mit ſcheuer Tugend,

Das ingeheim zu Amorn fleht,

Wann itzt im Fruͤhling muntrer Jugend

Jhr Buſen in der Fuͤlle ſteht.

Sie ſeufzt, und, o gerechter Kummer!

Es jammert mich der Schaͤferinn:

Jch fuͤhre ſie bey fruͤhem Schlummer

Jn ihres Hirten Arme hin.

Liebt
[81]Drittes Buch.
Liebt Chloe nichts, als ihre Heerde?

Sie glaubts! ihr Auge ſaget mir,

Daß Chloen Damon kuͤſſen werde;

Und ich verrath es ihm und ihr.

Die Sproͤde ſchleicht mit mir in Gruͤnde

Zu Buͤſchen, wo kein Fremder lauſcht,

Wann beym Geſchwaͤtze ſanfter Winde

Der Scherz geheimer Schmaͤtzchen rauſcht.

Ein ieder gleichet ſeinen Traͤumen:

Jm Traume zecht Anakreon:

Ein Dichter jauchzt bey ſeinen Reimen,

Und flattert um den Helikon.

Fuͤr euch, Monaden! ficht mit Schluͤſſen

Ein Liebling der Ontologie;

Und allen Maͤdchen traͤumt von Kuͤſſen:

Denn was iſt wichtiger fuͤr ſie?

Der Traumgott wollte weiter ſprechen:

Doch itzt rief ihm die braune Nacht:

Sie lag ſchon uͤber dunkeln Baͤchen;

Und Philomela war erwacht.

Er floh, und laͤchelnd ſprach Cythere:

Jhr Kinder! wißt nicht, was ihr wollt.

O predigt nur von ſtrenger Ehre!

Mir ſeyd ihr doch im Herzen hold.

FEin
[82]Lyriſche Gedichte

Ein Gemaͤhlde.
Sieh! welche Schilderey!

Bebluͤhmt kein wahrer May,

Jm Schooſe der Natur,

O Phyllis! dieſe Flur?

Ein dick Gebuͤſch umkraͤnzt

Die Quelle, die hier glaͤnzt:

Am gruͤnen Ufer hin

Schlaͤft eine Schaͤferinn.

Sie liegt, nur leicht bedeckt,

Jn Bluhmen hingeſtreckt.

Mit ihren Locken ſpielt

Ein Zephyr, der ſie kuͤhlt;

Und ihre weiſſe Bruſt,

Schon reif zu ſchlauer Luſt,

Verraͤth ſich unterm Flohr,

Und wallt im Schlaf empor.

Sieh dieſen Schaͤfer hier,

Der, unbewegt, nach ihr

Mit weiten Augen ſieht:

Wie ſeine Wange gluͤht!

Sein Leib hangt ungeſchickt,

Auf einen Stab gebuͤckt,

Jn plumper Stellung hin

Zur holden Schlaͤferinn.

Der
[83]Drittes Buch.
Der Wilde fuͤhlt ein Herz!

Hat ihn der Liebe Scherz,

Als Zeugen ihrer Macht,

Zur Schoͤnen hergebracht?

Er hat ſchon mehr Verſtand;

Und wird ganz umgewandt

Zu ſeinen Schafen gehn,

Nachdem er ſie geſehn.


F 2Neu-
[84]Lyriſche Gedichte

Neujahrs-Wunſch
des
Nachtwaͤchters zu Ternate.
Weckt eure Gatten kuͤſſend auf,

Jhr Schoͤnen von Ternate!

Hoͤrt, bey des Jahres neuem Lauf,

Wie mir ein Wunſch gerathe!

Ein Maͤdchen, das ſich Muſe nennt,

Durchſtreicht mit mir die Straſſen;

Und was mein Herz euch gutes goͤnnt,

Will ſie in Reime faſſen.

Wohlan! die Freude werde neu,

Wie ſich das Jahr verneuet!

Es fliehe finſtre Heucheley,

Die ſich im Winkel freuet!

Richt Eigennutz, nur Zaͤrtlichkeit

Sey Stifter unſrer Ehen:

So wird man Hymens guͤldne Zeit

Auch Jahre dauern ſehen.

Die
[85]Drittes Buch.
Die ſuͤſſe Falſchheit unſrer Zeit

Entweiche von der Erde,

Daß alte wahre Redlichkeit

Noch einmal Mode werde.

Es drohe Miswachs und Verluſt

Gelehrten Schmierereyen:

Nur muͤſſe junger Maͤdchen Bruſt

Und guter Wein gedeihen!

Gib, Himmel! deinen alten Wein

Den froͤhligen Poeten,

Die in der Muſen Lorbeerhayn

Oft, leider! durſtig treten.

Nur Waſſer, alter Weiſen Trank,

Gib unſern jungen Weiſen;

Und jage den Monaden-Zank

Von freudenvollen Schmaͤuſen.

Der Geiz mag ſein erwuchert Gut

Nur huͤten, nicht genießen!

Doch laß ein Baͤchlein guͤldner Fluth

Auch auf den Weiſen flieſſen!

F 3Denn
[68[86]]Lyriſche Gedichte
Denn unſre Weibchen koſten viel,

Wenn ſie uns lieben ſollen:

Wieviel erfordert Putz und Spiel

Und wann wir ſchmauſen wollen!

Heil allen, denen Heil gebricht;

Heil ſey dem ganzen Staate!

Dieß wuͤnſch ich aus bezahlter Pflicht,

Nachtwaͤchter von Ternate.


Amor
[87]Drittes Buch.

Amor und ſein Bruder.
Um die ſtille Mitternacht,

Wenn allein die Liebe wacht;

Wenn die ſchattenvolle Welt

Nur der hohe Mond erhellt:

Schlief die Nachbarinn Elmire;

Wenigſtens ihr Alter ſchlief:

Als vor ihres Hauſes Thuͤre

Cyperns Gottheit pocht’, und rief.

Wer iſt hier? wer laͤrmt noch ſo?

Ach! mein guͤldner Traum entfloh!

Rief die Magd halbſchlafend aus,

Gaͤhnt’ und taumelte vors Haus.

Amor fleht’ in ihren Armen;

Und, wie alle Welt geſteht,

Muß ein Maͤdchen ſich erbarmen,

Wann ein milder Amor fleht.

F 4Jhm
[88]Lyriſche Gedichte
Jhm wird willig aufgethan;

Und ſein Bruder haͤngt ſich an:

Halb bedeckt ein Epheuͤ-Kranz

Seines guͤldnen Hornes Glanz.

Seine ſchlauen Blicke brennen;

Jede Sehne ſchwillt von Kraft:

Die ihn kennen wollen, nennen

Jhn den Gott der Hahnreyſchaft.

Amor thut ſogleich bekannt,

Lehnet an die naͤchſte Wand

Seinen Bogen lachend hin,

Huͤpft und ruft mit frohem Sinn:

Troz der feſt verſchloſſnen Thuͤre,

Bruder! half ich dir herein.

Jung und feurig iſt Elmire:

O ſie wird nicht grauſam ſeyn!


Die
[89]Drittes Buch

Die Wiſſenſchaft zu leben.
Ein großer und vielleicht der groͤßte Theil des Lebens,

Das mir die Parce zugedacht,

Schlich, wie ein Traum der Nacht,

Mit leiſen Fluͤgeln hin, und war vielleicht vergebens!

Vergebens flammten mir ſo vieler Tage Sonnen,

Wenn ich, vom Schoͤpfer aufgeſtellt,

Als Buͤrger einer Welt,

Durch eine gute That nicht ieden Tag gewonnen:

Wenn ich der Tugend Freund und groß durch Men-

ſchenliebe,

Frey von des Wahnes Tyranney,

Wahrhaftig groß und frey,

Erſt werden ſoll, nicht bin, und es zu ſeyn verſchiebe.

Wie? wer nach Golde geizt, obgleich kein Gold

begluͤcket,

Braucht alle Stunden zum Gewinn,

Und laͤuft nach Wucher hin,

Wann kaum der junge Tag aus weiſſen Wolken blicket.

F 5Jn-
[90]Lyriſche Gedichte
Jndeß die halbe Welt, vom ſanften Schlaf umflogen,

Jn bleicher Daͤmmrung Stille traͤumt;

Hat jener, ungeſaͤumt,

Schon Gelder angelegt, ſchon Zinſen abgezogen.

Wir leben niemals heut! wir ſchieben auf, zu le-

ben,

Bis einſt ein guͤnſtiges Geſchick

Uns ein getraͤumtes Gluͤck

Nach Vorſchrift unſers Plans und Eigenſinns gegeben.

So ſtark herrſcht uͤberall der Thorheit alter Glaube,

Als koͤnnten wir uns nicht erfreun,

Nicht weiſ’ und gluͤcklich ſeyn

Jn einem ieden Stand, im Purpur und im Staube!

Auf Bluhmen ſeh ich hier den armen Landmann lie-

gen,

Den ein gepachtet karges Feld

Nur kuͤmmerlich erhaͤlt:

Um ſeine braune Stirn lacht ruhiges Vergnuͤgen.

Er lebt, wann ſein Tyrann, der ieden Tag bethraͤnet,

Sich um das Leben ſelbſt betruͤgt,

Und, immer unvergnuͤgt,

Reich, aber hungrig ſtets, nach groͤſſerm Reichthum gaͤh-

net.

Doch
[91]Drittes Buch.
Doch Chlotho wartet nicht, bis wir genug erlangen;

Und wann ſie uns zur kuͤhlen Gruft

Und in die Stille ruft,

So haben viele nie zu leben angefangen.


Der
[92]Lyriſche Gedichte

Der ſtandhafte Weiſe.
An Herrn Hof-Rath C*

Hat nun dein Saitenſpiel den ſuͤſſen Scherz vergeſ-

ſen,

Und ſchweigt, ſtets ungeſtimmt, an traurigen Cy-

preſſen,

Um deiner holden Gattinn Grab?

Wer kann, o weiſer C* den wilden Schmerz beſiegen,

Wenn Seelen, deren Muth erhabne Proben gab,

Wenn ſtarke Seelen unterliegen?

Wie? ſoll die Traurigkeit unwiderſetzlich wuͤthen,

Und wo ſie einmal herrſcht, ſtets fuͤrchterlich gebiethen,

Jn ewig unerhellter Nacht?

Nein! von dem Weiſen muß die Welt und Nachwelt leſen,

Er ſey gemaͤſſigt froh, wenn ihm das Gluͤck gelacht,

Und auch in Leiden groß geweſen.

Jhm darf die traͤge Zeit auf mitleidvollen Schwin-

gen

Nicht ihren ſpaͤten Troſt, nicht ihre Lindrung bringen:

Sie ſey des Poͤbels Troͤſterinn!

Der Weiſe braucht ſie nicht, er troͤſtet ſich aus Gruͤnden:

Die Wahrheit ſchimmert ihm durch truͤbe Nebel hin;

Er kann ſie ſehen und empfinden.

Sein
[93]Drittes Buch.
Sein lehrend Beyſpiel ſtrahlt auch auf entfernte

Tage:

Der Schwache, der es hoͤrt, ſchaͤmt ſich der feigen Kla-

ge,

Und fuͤhlet ungewohnten Muth.

Um ſeine Helden-Stirn muͤſſ’ ewig Lorbeer gruͤnen!

O Lorbeer beſſrer Art, als den durch fremdes Blut

Die Weltverwuͤſter ſich verdienen!

Kein ſtoiſcher Geſang ertoͤnt von meinen Saiten;

Jch waffne nicht den Stolz, die Thraͤnen zu beſtreiten;

Jhm widerſteht ein zaͤrtlich Herz.

Die Stimme der Natur gebeut in allen Seelen,

Und falſcher Großmuth Zwang kann einen wahren

Schmerz

Nicht uͤberwinden, nur verhehlen.

Doch was kein Stolz vermag, kann Weisheit moͤg-

lich machen:

Auch Triebe der Natur, die herrſchbegierig wachen,

Gewoͤhnt ſie zum Gehorſam an.

Sie muͤſſen ſich vor ihr, ſo wild ſie brauſen, ſchmiegen,

Wie in verſchloſſner Gruft, dem Aeol unterthan,

Die lauten Winde knirſchend liegen.

Sieh
[94]Lyriſche Gedichte
Sieh auf den ſtarken Trieb, der uns zur Wolluſt

reiſſet,

Jm freyen Wilde Brunſt, in Menſchen Liebe heiſſet,

Und, unbeherrſcht, ſich leicht verirrt.

Er wird Geſetz und Recht und Menſchlichkeit verletzen,

Wenn ihn kein Zuͤgel haͤlt, und ihm erlaubet wird,

Sich hoͤhern Pflichten vorzuſetzen.

Aus ihren Schranken darf auch die Natur nicht

ſchreiten:

Soll nicht ein gleicher Zaum die weiche Wehmuth lei-

ten,

Die ein verlohrnes Gut bedaurt?

Kein allzulanger Schmerz muß unſre Ruhe ſtoͤren;

Und wenn es Menſchheit iſt, daß unſre Seele traurt,

So iſt es Weisheit, aufzuhoͤren.

Was kann den Sterblichen das wilde Gluͤck entzie-

hen,

Das ewig Leid verdient? Jſt alles nicht geliehen?

Gebuͤhrt nicht alles ihm zuruͤck?

Die Guͤter, die es giebt, verſchenkt es nicht auf immer:

Sein ſchmeichlend Laͤcheln iſt ein kurzer Sonnenblick,

Ein kaum genoſſner Fruͤhlings-Schimmer.

Wann
[95]Drittes Buch.
Wann ſich die dunkle Luft mit Winter-Wolken

ſchwaͤrzet;

Wann Philomele ſchweigt, kein lauer Zephyr ſcherzet,

Kein Zephyr Morgen-Roſen kuͤſſt:

Was hilfts, mit finſtrer Stirn den Unbeſtand beklagen?

Es kommt nicht mehr zuruͤck, was einſt entflohen iſt;

Doch leicht wird, was wir freudig tragen.

Der Weiſe bleibt ſich gleich im Schoos erwuͤnſchter

Freuden,

Und ſieht, noch ehe ſie, bald oder ſpaͤte, ſcheiden,

Die leichten Fluͤgel ieder Luſt.

Wenn ihr Gefieder ſich in ſchneller Flucht verſpreitet,

So ſieht ers unbetaͤubt: er hatte ſeine Bruſt

Zu iedem Unfall vorbereitet.

Richt unſer ganzes Herz muß am Vergnuͤgen hangen:

Zu einem hoͤhern Zweck hat uns die Welt empfangen,

Wo ieder eine Rolle ſpielt.

Nicht bloß zu trunkner Luſt im Umgang eines Weibes

Bewohnt ein freyer Geiſt, der ſich unſterblich fuͤhlt,

Die irdne Huͤtte ſeines Leibes.

Durch Tugend muͤſſen wir des Lebens wuͤrdig werden,

Und ohne Tugend iſt kein daurend Gluͤck auf Erden:

Mit ihr iſt niemand unbegluͤckt.

Der Laſterhafte nur iſt elend, arm, verachtet,

Auch wann er gluͤcklich heißt und ſich vom Raube ſchmuͤckt,

Und juͤdiſch ganze Laͤnder pachtet.

Kein
[96]Lyriſche Gedichte
Kein fremder Zufall kann der Seelen Hoheit min-

dern;

Kein widriges Geſchick ihr wahres Wohl verhindern:

Kann was geſchieht, uns boͤſe ſeyn?

Der Schoͤpfer einer Welt wird ſeine Schoͤpfung lieben,

Und wenn er ſie betruͤbt, aus weiſer Huld allein

Und nicht aus blindem Haß betruͤben.

Vom ſtrengen Strom der Zeit wird ieder hingeriſ-

ſen,

Bald unter heitrer Luft, bald unter Finſterniſſen

Und ſchwarzer Ungewitter Wuth:

Strom, wo ſich allzuoft beſchaͤumte Wellen thuͤrmen,

Stets brauſend, wie das Meer! o ungeſtuͤme Fluth,

Beruͤchtigt von erzuͤrnten Stuͤrmen!

Wohin der Sturm uns fuͤhrt, bleibt oft vor uns

verſtecket,

Weil fuͤrchterlich Gewoͤlk die gruͤnen Ufer decket,

Und unſrer Blicke Lauf begraͤnzt.

Die Schatten werden fliehn, die unſer Auge banden,

Vielleicht wohl, ehe noch der andre Morgen glaͤnzt,

Vielleicht nicht ehe, bis wir landen.


Die
[97]Drittes Buch.

Die Sommerlaube.
Die Laube prangt mit jungem Gruͤn:

Es toͤnen ihre dunkeln Buchen

Von Voͤgeln, die voll Wolluſt gluͤhn,

Von Fruͤhlingstrieben gluͤhn und Scherz und Schatten ſu-

chen.

Soll, was der Wahn Geſchaͤfte nennt,

Uns um ſo ſchoͤne Zeit betruͤgen?

Freund! wer des Lebens Kuͤrze kennt,

Der legt es kluͤger an und braucht es zum Vergnuͤgen.

Geneuß den feuervollen Wein:

Beym Weine herrſcht vertraulich Scherzen.

Oft ladet Amor ſich mit ein,

Und ſein verborgner Pfeil ſchleicht in die offnen Herzen.

Der ſchlaue Gott iſt niemals weit;

Jch wittre ſeine ſanften Triebe:

Denn gruͤner Lauben Dunkelheit

Jſt fuͤr den Weingott ſchoͤn, noch ſchoͤner fuͤr die Liebe.

GGe-
[98]Lyriſche Gedichte
Geliebte Schatten! weicher Klee!

Ach! waͤre Galathee zugegen!

Ach! ſollt ich, holde Galathee,

Um deinen weiſſen Hals die Arme bruͤnſtig legen

Wo ſuͤſſer Lippen Roſen bluͤhn,

Wer kann ſie ſehn und nicht verlangen?

Die jugendlichen Kuͤſſe fliehn

Bey welkem Reiz vorbey und ſuchen friſche Wangen.

Ein leblos Auge ruͤhrt mich nicht;

Kein bloͤdes Kind wird mich gewinnen,

Das reizt, ſolang der Mund nicht ſpricht,

Und eine Venus iſt, doch ohne Charitinnen.


Die
[99]Drittes Buch.

Die Roſe.
Der Fruͤhling wird nun bald entweichen:

Die Sonne faͤrbt ſein Angeſicht:

Er ſchmachtet unter welken Straͤuchen;

Und findet ſeinen Zephyr nicht.

Er hinterlaͤßt uns, da er fliehet,

Den Ausbund ſeiner Lieblichkeit.

Die Roſe, die in Purpur bluͤhet,

Verherrlicht ſeine lezte Zeit.

Du, Roſe! ſollſt mein Haupt umkraͤnzen:

Dich lieben Venus und ihr Sohn.

Kaum ſeh ich dich im Buſche glaͤnzen,

So wallt mein Blut, ſo brenn ich ſchon.

Jch fuͤhl ein jugendlich Verlangen,

Ein bluͤhend Maͤdchen hier zu ſehn,

Um deſſen roſenvolle Wangen

Die jungen Weſte ſuͤſſer wehn.


G 2Der
[100]Lyriſche Gedichte

Der Sommer und der Wein.
Jn dieſen ſchwuͤlen Sommertagen

Fliegt Amor nur in kuͤhler Nacht,

Und ſchlummert, wann die Sonne wacht:

Die Muſe traͤumt nur matte Klagen.

Jch haͤnge mit verdroſſner Hand

Die traͤge Leyer an die Wand.

Doch, Freund! in ſchwuͤlen Sommertagen,

(Ziſcht mir Lyaͤus in das Ohr:)

Hebt ſich der Weinſtock ſtolz empor,

Den Froſt und Regen niederſchlagen:

Und nur der hoͤhern Sonne Glut

Kocht ſeiner Trauben goͤttlich Blut.

So mag in ſchwuͤlen Sommertagen

Der Weichling, Amor, ſchuͤchtern fliehn,

Und Scherz und Muſe ſich entziehn:

Der Wein wird ſie zuruͤcke jagen.

Es reife nur der frohe Wein:

Was kann mir unertraͤglich ſeyn?


Die
[101]Drittes Buch.

Die Freude.
Ergetzt euch, Freunde, weil ihr koͤnnt!

Den Sterblichen iſt nicht vergoͤnnt,

Von Leiden immer frey zu bleiben.

Vernunft wird oͤfters ohne Frucht

Sich wider ſchwarzen Unmuth ſtraͤuben:

Lyaͤus weis ihn zu betaͤuben,

Und ſingt ihn ſieghaft in die Flucht.

Lernt, wie ſich finſtrer Unverſtand,

Verhuͤllt in trauriges Gewand,

Von wahrer Weisheit unterſcheide,

Die mit entwoͤlkter Stirne glaͤnzt,

Und in der Wolluſt leichtem Kleide,

Wie ſie, im Schooſe ſanfter Freude,

Auch oft mit Roſen ſich bekraͤnzt.

O ſegnet ieden Augenblick,

Da ihr ein unvergaͤlltes Gluͤck

Jn ſuͤſſer Freundſchaft Armen ſchmecket:

Da Bacchus euch mit Epheuͤ kroͤnt,

Und Witz und attiſch lachen wecket;

Und muntrer Scherz, der Narren ſchrecket,

Die Narren und ihr Gluͤck verhoͤhnt.

G 3Doch
[102]Lyriſche Gedichte
Doch hoͤrt ihr, was die Wahrheit ſpricht?

Verwoͤhnt, verwoͤhnt die Seele nicht

Zu rauſchenden Ergoͤtzlichkeiten,

Die, wann der Geiſt ſie lieb gewinnt,

Von Roſen unter Doͤrner leiten;

Und kein Vergnuͤgen aller Zeiten,

Nur Augenblicke reizend ſind.

Die Weisheit richtet meinen Sinn

Auf dauerndes Vergnuͤgen hin,

Das aus der Seele ſelbſt entſpringet.

Geſchmack und Wahrheit! ihr entzuͤckt,

Auch wann kein Saitenſpiel erklinget:

Auch wann mein Mund nicht lacht und ſinget,

Bin ich in euerm Arm begluͤckt.

Die Anmuth praͤchtiger Natur

Vergnuͤgt mich auf bebluͤhmter Flur,

Auf Huͤgeln und im dunkeln Hayne.

Jch jauchz’ an ſtiller Muſen Bruſt

So froͤhlig, als bey Cyperns Weine:

Ja wenn ich Thoren einſam ſcheine,

Vertraut ſich mir die reinſte Luſt.

So
[103]Drittes Buch.
So lockend jene Freude lacht,

Die nur die Sinne trunken macht,

So nah iſt ſie dem Ueberdruſſe.

Die Wolluſt, vom Geſchmack ernaͤhrt,

Stirbt unter dummem Ueberfluſſe:

Sie bleibt bey ſparſamem Genuſſe

Weit laͤnger ſchoͤn und liebenswerth.

Du Tochter wilder Trunkenheit!

Fleuch, ungeſtalte Froͤhligkeit,

Und raſe nur bey bloͤden Reichen!

Sie moͤgen durch entweihten Wein

Die ſanften Grazien verſcheuchen!

Sie, Bacchus! moͤgen Thieren gleichen:

Uns Freunde! laſſ’ er Menſchen ſeyn.


G 4Die
[104]Lyriſche Gedichte

Die wahre Groͤſſe.
An Herrn Gleim.

Jn meinen Adern tobt ein juvenaliſch Feuer;

Der Unmuth reichet mir die ſcharfgeſtimmte Leyer:

Maßt ſich des Poͤbels Wahn

Das Urtheil nicht von groſſen Seelen an?

Sey Richter, liebſter Gleim! der Poͤbel ſoll nicht

richten,

O du, der iedes Herz mit lieblichen Gedichten

Nach Amors Willen lenkt,

Der ſchalkhaft ſcherzt und frey und edel denkt!

Ein Mann, der gluͤcklich kuͤhn zur hoͤchſten Wuͤr-

de flieget,

Und, weil er Sklaven gleich, vor Groſſen ſich geſchmieget,

Nun, als ein groſſer Mann,

Auch endlich ſelbſt in Marmor wohnen kann:

Der heißt beym Poͤbel groß, da ihn ſein Herz ver-

dammet;

Und wann der Buͤrger Gold auf ſeinem Kleide flammet,

So ſieht die Schmeicheley

Fuͤr Schimmer nicht, wie klein die Seele ſey.

Soll
[105]Drittes Buch.
Soll ſeines Nahmens Ruhm auf ſpaͤte Nachwelt

gruͤnen?

Dem Staate dient er nur, ſich Schaͤtze zu verdienen:

Bereichert ein Verrath,

So, zweifle nicht, verraͤth er auch den Staat.

Der Abſicht Niedrigkeit erniedrigt groſſe Thaten:

Wem Geiz und Ruhmbegier auch Herculs Werke rathen,

Der heißt vergebens groß:

Er ſchwingt ſich nie vom Staub des Poͤbels los.

Zeuch, Alexander! hin bis zu den braunen Scythen;

Jrr um den traͤgen Phrat, wo heiſſre Sonnen wuͤthen,

Und reiß dein murrend Heer

Zum Ganges hin, bis ans entfernte Meer!

Du kaͤmpfeſt uͤberall und ſiegeſt, wo du kaͤmpfeſt,

Bis du der Barbarn Stolz, voll groͤſſern Stolzes, daͤmp-

feſt,

Und die verheerte Welt

Vor ihrem Feind gefeſſelt niederfaͤllt.

G 5Doch
[106]Lyriſche Gedichte
Doch laß dich immerhin der Menſchheit nicht erbar-

men!

Von deinem Haupte reiſſt, auch in des Sieges Armen,

Der Tugend rauhe Hand

Die Lorbeern ab, die Ehrſucht ihr entwandt.

Mit Lorbeern wird von ihr der beſſre Held bekraͤnzet,

Der fuͤr das Vaterland in furchtbarn Waffen glaͤnzet,

Und uͤber Feinde ſiegt,

Nicht Feinde ſucht, nicht unbeleidigt kriegt:

Der Weiſe, der voll Muths, wann Aberglaube

ſchrecket,

Und Wahn die halbe Welt mit ſchwarzen Fluͤgeln decket,

Allein die Wahrheit ehrt,

Und ihren Dienſt aus reinem Eifer lehrt:

Der aͤchte Menſchenfreund, der bloß aus Menſchen-

liebe

Die Voͤlker gluͤcklich macht und gern verborgen bliebe;

Der nicht um ſchnoͤden Lohn,

Nein! goͤttlich liebt, wie du, Timoleon!

Zu
[107]Drittes Buch.
Zu dir ſchrie Syracus, als unter Schutt und Flam-

men

Und Leichen, die zerfleiſcht in eignem Blute ſchwammen,

Der wilde Dionys

Sein eiſern Joch untraͤglich fuͤhlen ließ.

Du kamſt und ſtuͤrzteſt ihn, zum Schrecken der

Tyrannen,

Wie, wann ein Winter-Sturm die Koͤniginn der Tan-

nen

Aus tiefen Wurzeln hebt,

Von ihrem Fall ein weit Gebuͤrge bebt.

Durch dich ward Syracus der Dienſtbarkeit ent-

zogen;

Und ſichrer Ueberfluß und heitre Freude flogen

Den freyen Mauern zu,

Held aus Corinth! was aber hatteſt du?

Nichts, als die edle Luſt, ein Volk begluͤckt zu ha-

ben!

Belohnung beſſrer Art, als reicher Buͤrger Gaben!

Du Stifter guͤldner Zeit,

Der Hoheit werth, erwaͤhlteſt Niedrigkeit.

Doch
[108]Lyriſche Gedichte
Doch dein gerechtes Lob verewigt ſich durch Lieder,

Nachdem die Ehre dich auf glaͤnzendem Gefieder

Den Muſen uͤbergab:

Noch ſchallt ihr Lied in Lorbeern um dein Grab.


Der
[109]Drittes Buch.

Der Winter.
Die Erde druͤckt ein tiefer Schnee:

Es glaͤnzt ein blendend Weiß um ihre nackten

Glieder:

Es glaͤnzen Wald, Gefild und See.

Kein muntrer Vogel ſingt:

Die truͤbe Schwermuth ſchwingt

Jhr trauriges Gefieder.

Der Weiſe bleibt ſich immer gleich:

Er iſt in ſeiner Luſt kein Sklave ſchoͤner Tage,

Und ſtets an innrer Wolluſt reich.

Was Zephyrs Unbeſtand,

Was ihm die Zeit entwandt,

Verliert er ohne Klage.

Wer euch, ihr ſuͤſſen Muſen! liebt,

Der ſcherzt an eurer Hand in bluhmenvollen Feldern,

Wann Boreas die Luͤfte truͤbt.

Der Fruͤhling mag verbluͤhn!

Jhm lacht ein ewig Gruͤn

Jn euern Lorbeer-Waͤldern.

Und
[110]Lyriſche Gedichte
Und wie? Lyaͤus flieht ja nicht,

Um deſſen Epheuͤ-Stab die leichten Scherze ſchweben!

Noch gluͤht ſein purpurnes Geſicht:

Noch will er guten Muth

Und aͤchte Dichterglut,

Troz rauhen Froſte, geben.

Dem Weingott iſt es nie zu kalt,

Und auch der Liebe nicht, lockt Venus gleich nicht immer

Jn einen gruͤnbelaubten Wald.

Jn Buͤſchen rauſcht kein Kuß:

Doch Amors zarter Fuß

Entweicht in warme Zimmer.

Jhm dient ein weiches Canapee

So gut und beſſer noch, als im geheimen Hayne

Bebluͤhmtes Gras und ſanfter Klee.

O welche Welt von Luſt

An einer Phyllis Bruſt

Und, Freund, bey altem Weine!

Stoß an! es leb’ ein holdes Kind,

Von Grazien gepflegt, erzogen unter Muſen

Und ſchaͤtzbarer, als Phrynen ſind,

Durch Unſchuld, klugen Scherz

Und durch ein gutes Herz

Jn einem ſchoͤnen Buſen!

Die
[111]Drittes Buch.

Die Nacht.
Du verſtoͤrſt uns nicht, o Nacht!

Sieh! wir trinken im Gebuͤſche;

Und ein kuͤhler Wind erwacht,

Daß er unſern Wein erfriſche.

Mutter holder Dunkelheit,

Nacht! Vertraute ſuͤſſer Sorgen,

Die betrogner Wachſamkeit

Viele Kuͤſſe ſchon verborgen!

Dir allein ſey mitbewuſt,

Welch Vergnuͤgen mich berauſche,

Wann ich an geliebter Bruſt

Unter Thau und Bluhmen lauſche!

Murmelt ihr, wann alles ruht,

Murmelt, ſanftbewegte Baͤume,

Bey dem Sprudeln heiſchrer Fluth,

Mich in wolluſtvolle Traͤume!


Die
[112]Lyriſche Gedichte

Die froͤhliche Dichtkunſt.
Oſchattigter Parnaß! ihr heiligen Geſtraͤuche,

Wo oft um Mitternacht ich einſam wachend ſchlei-

che!

Nie hab ich klagend euch entweiht.

Nur Scherz mit heitrem Angeſichte,

Nur Wein und freye Zaͤrtlichkeit

Begeiſtern mich, gefaͤllig, wenn ich dichte.

Wann mich ein Kummer druͤckt, ſo mag die Mu-

ſe ſchweigen,

Den Nachtigallen gleich, die auf begruͤnten Zweigen

Nur ſingen, wenn ſie ſich erfreun.

Welch aͤchter Prieſter froher Muſen

Vermiſcht mit Thraͤnen ſeinen Wein,

Und aͤchzet ſtets, auch an der Daphne Buſen?

Einſt lag ich ſorgenvoll im Schatten finſtrer Buchen,

Wo ſich ein traͤger Bach, den Faunen bloß beſuchen,

Durch einſames Gefilde wand.

Mein Saitenſpiel vergaß der Schoͤnen,

Und meine ſcherzgewohnte Hand

Verirrte ſich zu trauervollen Toͤnen.

Bereits
[113]Drittes Buch.
Bereits entſchloß mein Mund ſich unvergnuͤgter Kla-

ge,

Als mit entwoͤlkter Stirn, gleich einem Fruͤhlingstage,

Die holde Muſe mir erſchien.

Der Lippen Anmuth war den Roſen,

Den Morgen Roſen vorzuziehn,

Und ieder Blick ſchien laͤchelnd liebzukoſen.

Mein Geiſt erwachte ſchnell aus allen truͤben Sorgen:

Wie, wann im rothen Oſt der angenehme Morgen

Jtzt in Aurorens Arm erwacht;

Alsdann die bangen Traͤume fliehen

Und ſchwarzgefluͤgelt, wie die Nacht,

Mit ihr zugleich in ihre Grotte ziehen.

Soll Unmuth, ſchalt ſie mich, dein Saitenſpiel ver-

ſtimmen?

Sieh auf! Anakreon, den Wein und Alter kruͤmmen,

Scheucht ſingend eitler Sorgen Heer!

Weicht auch die Freude von Alkaͤen?

Sie ſchwimmt ihm nach durchs rauhe Meer,

Und ſingt mit ihm von Amorn und Lyaͤen.

HHo-
[114]Lyriſche Gedichte
Horaz trinkt Chier-Wein und jauchzt bey ſeinem

Weine:

Sein ewiger Geſang ertoͤnt in Tiburs Hayne

Nur an der weiſen Wolluſt Bruſt.

Der Wolluſt weihe deine Leyer!

Bloß dieſe Mutter wahrer Luſt

Beſeelt ein Lied mit aͤchtem Reiz und Feuer.

Die wache Sorge mag an ſchlechten Seelen nagen!

Dem Thoren fehlt es nie an ſelbſtgemachten Plagen:

Jhn quaͤlt ein Tand, ein dunkler Traum.

Der Weiſe kann das Gluͤck betruͤgen:

Auch wahres Uebel fuͤhlt er kaum;

Und macht ſichs leicht und macht es zu Vergnuͤgen.

Mit mancher Bluhme lacht die rauhe Bahn des Le-

bens:

Auf! pfluͤckt ſie! ſaͤumt ihr euch? ſie welkt und war ver-

gebens,

Und ihr’ und eure Zeit verlaͤuft.

O Thorheit! daß mit faulen Haͤnden

Jhr nach erwuͤnſchten Freuden greift,

Die doch ſo ſchnell die leichten Fluͤgel wenden!

Seyd
[115]Drittes Buch.
Seyd langſam, eh ihr wuͤnſcht, und zum Genuß

geſchwinde:

Denn wiſſt ihr, was euch nuͤtzt, die ihr, gleich einem

Kinde,

Ohn’ Urſach lacht, ohn’ Urſach weint?

Jſt euer Auge nicht gebunden?

Was in der Ferne boͤſe ſcheint,

Wird in der Naͤh ausbuͤndig gut befunden:

Wie, als ein holder Wind auf unbeſchifftem Pfade,

Die Helden Portugalls an dein gewuͤnſcht Geſtade,

Madera, Sitz der Wolluſt! riß:

Dich eine ſchwarze Wolke deckte,

Und ſtygiſchdicke Finſterniß

Sich fuͤrchterlich bis hoch zum Himmel ſtreckte!

Die blinde Nacht verließ die ungeſtuͤmen Wellen;

Der Thetis Angeſicht fieng an, ſich aufzuhellen;

Sie ſpielte ruhig um den Strand:

Jndem ſie ſich dem Ufer nahten,

Und jauchzend ein entzuͤckend Land

Hier uͤberſahn, und ans Geſtade traten.

H 2Hier
[116]Lyriſche Gedichte
Hier lachte die Natur, die Flora ſtets bekraͤnzte;

Die Bluhmen duͤfteten; von hellen Baͤchen glaͤnzte

Manch rauſchender Oranſchen-Hayn.

Nichts fehlte zu begluͤcktem Leben;

Nichts, als Lyaͤus und ſein Wein:

Lyaͤus kam und pflanzte ſuͤſſe Reben.


Vier-
[117]Viertes Buch.

Viertes Buch.


Die Gluͤckſeligkeit.
Der Wahrheit ernſte Stimm erſchallt in mei-

nem Buſen:

Hoͤrt eure Lehrerinn! ſie ſelbſt hat mich er-

nannt

Und auf den Fluͤgeln ſuͤſſer Muſen

An euch, ihr Sterblichen! geſandt.

Es flammt ein Welten-Heer in angewieſnen Graͤn-

zen:

Es iſt im lichten Raum, wo in beſtimmter Bahn

Die ungezaͤhlten Sonnen glaͤnzen,

Der Ordnung alles unterthan.

H 3Zur
[118]Lyriſche Gedichte
Zur Ordnung ward, was iſt, eh etwas war, erleſen:

Sie fordert ſanften Weſt und ſtuͤrmiſch Ungeſtuͤm:

Jhr Band verknuͤpfet alle Weſen,

Vom Staube bis zu Cherubim.

Der ganzen Schoͤpfung Wohl iſt unſer erſt Geſetze:

Jch werde gluͤcklich ſeyn, wenn ich durch keine That

Dieß allgemeine Wohl verletze,

Fuͤr welches ich die Welt betrat:

Wenn wider meine Pflicht mein Herz ſich nicht em-

poͤret,

Und niedrer Eigennutz, der die Begierden ſtimmt

Und ihre Harmonie zerſtoͤret,

Nicht unter meinen Trieben glimmt.

Die Quelle falſcher Luſt, die Ariſtipp gefunden,

Haucht ekle Bitterkeit ſelbſt unter Bluhmen aus.

Den Weichling druͤcken leere Stunden:

Die Ruhe flieht ſein marmorn Haus.

Denn reine Freude quillt allein aus reinem Herzen:

Sein Zeugniß, daß wir thun, was unſre Pflicht gebeut,

Entwaffnet Ungeduld und Schmerzen,

Jn Tagen voller Dunkelheit.

Quaͤlt
[119]Viertes Buch.
Quaͤlt mich ſein Urtheil nicht mit nagendem Verdruſſe,

So ſey mein Eigenthum der ſchlauen Bosheit Raub;

So trete mich mit ſtolzem Fuſſe

Das ungeſtuͤme Gluͤck in Staub.

Jch winſle nicht um Troſt, nicht weibiſch um Er-

barmen:

Die Ruhe folget mir zum armen Strohdach hin,

Wo ich in reiner Wolluſt Armen

Durch Unſchuld reich und gluͤcklich bin.

Fehlt innre Ruhe nicht; was fehlet meinem Leben,

Als was entbehrlich iſt und unentbehrlich ſcheint?

Sollt ich bey iedem Unfall beben,

Und weinen, wann die Thorheit weint?

Mit weiſer Huld vertheilt das Schickſal Weh und

Freuden,

Das bald auf Roſen uns durchs Leben wandern heißt,

Bald aber durch bedornte Leiden

Des Laſters Armen uns entreißt.

Ein Blick in vorig Leid wird kuͤnftig uns entzuͤcken,

Wenn unſrem Auge ſich der Ordnung Plan entdeckt,

Der nun vor unſern kuͤhnen Blicken

Jn heilig Dunkel ſich verſteckt.

H 4Der
[120]Lyriſche Gedichte

Der Tobacksraucher.
Soll ich ſtets die trunknen Reben,

Soll ich nur den Gott erheben,

Der aus holden Augen blitzt?

Werd ich nie zu deinem Preiſe,

Pflanze, meine Luſt! erhitzt,

Unterdeß der Thor und Weiſe

Beym verblaſnen Rauche ſitzt?

O wie viele guͤldne Stunden

Sind mir unbereut verſchwunden,

Bey geliebter Blaͤtter Glut!

Da empoͤrt mein raſcher Wille

Sich fuͤr kein verderblich Gut:

Jch genieße ſuͤſſer Stille;

Meine ganze Seele ruht.

Weg mit laͤrmendem Gepraͤnge!

Wo ich mich durch Narren draͤnge,

Gaͤhn’ ich bey dem beſten Wein.

Laͤchle, Venus! unter Thraͤnen;

Sey die Mutter ſuͤſſer Pein!

Aber zeuch mit deinen Schwaͤnen,

Zeuch bey mir nicht ſieghaft ein.

Jch
[121]Viertes Buch.
Jch beneide keine Krone,

Wann aus weißgebranntem Thone

Manch balſamiſch Woͤlkchen dringt;

Und in meiner Muſe Haͤnden

Jhrer Leyer Scherz erklingt;

Oder hoͤhern Gegenſtaͤnden

Sich mein Geiſt entgegen ſchwingt.

Die gefluͤgelten Gedanken

Fliehn des Wahnes enge Schranken:

Nur der Weiſe ſcheint mir groß.

Nur des Gluͤckes falſches Lachen

Und ſein oft entweihter Schoos,

Reichthum, Hoheit, (ſchlechte Sachen!)

Sind betrogner Thorheit Loos.

Flieht, Entwuͤrfe groͤſſern Gluͤckes,

Die der Odem des Geſchickes,

Wie den Sommer-Staub, verweht!

Flieht im aufgewoͤlkten Rauche,

Der, wie ihr, ſich ſtolz erhoͤht,

Und, wie ihr, bey ſchwachem Hauche

Schnell erſcheinet, ſchnell vergeht!

Rauch
[122]Lyriſche Gedichte
Rauch iſt alles, was wir ſchaͤtzen:

Unſer theuerſtes Ergetzen,

Unſer Leben ſelbſt iſt Rauch.

Weht nicht uͤber friſche Leichen

Jedes Morgens kuͤhler Hauch?

Viele werden heut erbleichen;

Und vielleicht ich ſelber auch.

Alles muß verlaſſen werden!

Nackend gehn wir von der Erden

Jn die oͤde Dunkelheit.

Was wir guts verrichtet hatten,

Folgt uns in die Ewigkeit,

Wann das blaſſe Reich der Schatten

Allen fremden Glanz zerſtreut.


An
[123]Viertes Buch.

An die Muſen.
Jhr holden Muſen! wer, an eurer Bruſt erzogen,

Den Weg zum gruͤnen Pindus weis,

Wird nicht von Golddurſt aufs erzuͤrnte Meer be-

trogen,

Nicht auf des Hofes truͤglich Eis.

Er, deſſen Scheitel unbethraͤnter Lorbeer decket,

Glaͤnzt in der Themis Tempel nicht,

Wo Dorngeſtraͤuche, mit verſpritztem Blut beflecket,

Sich um die finſtern Pfade flicht.

Begluͤckter Weiſer, der im Stillen ſich erfreuet!

Die Tage werden uns gezaͤhlt,

Uns aufgerechnet, die wir kluger Luſt geweihet,

Und wo wir thoͤricht uns gequaͤlt.

Sollt ich, wie Harpax, wund von ungeliebter Buͤrde,

Unausgeruht im Joche ziehn,

Daß ich, wie Harpax, Huͤter ſtolzer Schaͤtze wuͤrde,

Die eine ſcheue Tugend fliehn?

Er-
[124]Lyriſche Gedichte
Erkargte Schaͤtze, ſchlummert nur bey meinen Feinden!

Jch wuͤnſche nichts, als daß ich frey,

Als daß ich froͤhlig unter Muſen, Wein und Freunden,

Nie fremder Thorheit Sklave ſey!


Die
[125]Viertes Buch.

Die Trinker.
Mit Narren ſollt ich mich erfreun?

Jhr Wein ſchmeckt ekelhaft gemein,

Wie Waſſer, das die Muſen ſcheuchet;

Und waͤr es auch der beſte Wein,

Der an der Moſel bleichet.

Kann ich mit Klugen mich erfreun;

So ſchmeckt auch Waſſer ungemein

Und gleich burgundiſchem Lyaͤen.

Doch, Freunde! ſeht, wir haben Wein!

Wer wollte Wein verſchmaͤhen?

Es muͤſſe kuͤhne Voͤllerey

Nicht, unter baͤuriſchem Geſchrey,

Mit ihrem Thyrſus hier gebiethen!

O Bacchus! gehe ſtill vorbey,

Und raſe bey den Scythen!

Wie fuͤrcht’ ich deinen trunknen Blick!

Wie droht manch fliegend Felſenſtuͤck!

Seh ich die wuͤthende Maͤnade?

Welch rauher Jubel bruͤllt zuruͤck

Vom Thraziſchen Geſtade!

Trinkt
[126]Lyriſche Gedichte
Trinkt nicht, von wilder Luſt entbrannt,

Bis an des Rauſches welker Hand

Der blinde Bacchus taumlend ſchleichet!

Sonſt flieh ich ſchneller, als der Sand

Vom Wirbelwind entweichet.


An
[127]Viertes Buch.

An Galathee.
Fleuch, Galathee! den Stolz verlebter Schoͤnen!

Schilt auf die Liebe nicht.

Du wirſt ſie nur mit falſchen Lippen hoͤhnen:

Dein Auge widerſpricht.

Es muͤſſe dich die ſuͤſſe Leyer lehren,

Die uͤberredend klingt,

Und, wie man glaubt, trotz heuchleriſchem Wehren,

Von manchem ſproͤden Mund oft manchen Kuß erzwingt.

Der Liebesgott ſchlief unter Myrthenbuͤſchen,

Jn Bluhmen hingeſtreckt;

Und ließ im Schlaf durch Nymphen ſich erwiſchen,

Die er ſo oft erſchreckt.

Nur eingedenk, wie Amor ſie geplaget,

Nicht, wie er ſie entzuͤckt,

Veruͤbten ſie, was niemand noch gewaget:

Sie feſſelten den Gott, der Goͤtter ſelbſt beſtrickt.

Der ſchlaue Gott ſah, als er ſchnell erwachte,

Den ihm geſpielten Streich.

O loſes Volk! ſprach dieſer Schalk und lachte;

Wie liſtig raͤcht ihr euch!

Jch laͤugne nicht, was ich an euch begangen:

Jch macht’ euch tauſend Pein.

Beſaͤnftigt euch! nun habt ihr mich gefangen:

Jhr werdet ungequaͤlt und ungekuͤſſet ſeyn.

Und
[128]Lyriſche Gedichte
Und ungekuͤfſt? welch grauſamer Gedanke!

Man dachte reifer nach,

Und ſah beſchaͤmt, wie dem verwegnen Zanke

Das Herze widerſprach.

Sie thaten ‒‒ was? was alle Maͤdchen thaͤten!

Sie banden Amorn los,

Und Amor flog, da ſie um Gnade flehten,

Von ihnen lachend weg in ſeiner Mutter Schoos.


Die
[129]Viertes Buch.

Die Grotte der Nacht.
Wohin wird mein Geſang verſchlagen?

Der Ocean iſt voller Glut:

Denn Titan kommt; ſein ſtrahlenreicher Wagen

Schwebt feurig uͤber blauer Fluth:

Jndeſſen auf bethauten Schwingen

Die braune Nacht entlaſſen flieht,

Und Nymphen ſie zu ihrer Grotte bringen,

Die kein unheilig Auge ſieht.

Wird meinem Blick im tiefſten Meere

Dort ihre Herrſchaft aufgethan?

Es trennen ſich erſchrockner Schatten Heere;

Sie machen mir entfliehend Bahn.

O Ruh! o welch ein heilig Schweigen

Beherrſcht ihr ſchattigtes Revier!

Kein Vogel ſchwatzt auf duͤſtrer Ulmen Zweigen;

Der muntre Weſt entſchlummert hier.

Ein zitternd Schimmern bleicher Kerzen

Erleuchtet ihren dunkeln Sitz,

Wo rings umher die leichten Traͤume ſcherzen,

Gefluͤgelt, wie der ſchnelle Blitz.

JVon
[130]Lyriſche Gedichte
Von welchem angenehmen Kinde

Kommt hier der ſchoͤne Morgentraum?

Seht! Phantaſus huͤllt ſich in rauhe Rinde

Und gruͤnt, beblaͤttert, als ein Baum.

Nun, da in junger Nymphen Haͤnden

Gedaͤmpfter Saiten Scherz erklingt:

Ertoͤnt ein Lied von muſchelreichen Waͤnden,

Das eine der Najaden ſingt.

Geneuß die Ruhe, die du zeugeſt,

O Goͤttinn! ſingt ſie; holde Nacht!

Der Laͤrm entſchlaͤft, wenn du zum Himmel ſteigeſt;

Und nur der Progne Schweſter wacht.

Wie leiſe gehn in feuchten Buͤſchen

Die Winde durch den finſtern Hayn!

Die Ruhe will, was Odem ſchoͤpft, erfriſchen:

Doch koͤnnen Menſchen ruhig ſeyn?

Umſonſt ſind ihre muͤden Glieder

Auf Sidons Purpur hingeſtreckt,

Wenn Mitternacht mit ſchweigendem Gefieder

Den Marmor der Palaͤſte deckt:

Um-
[131]Viertes Buch.
Umſonſt ſind ſchwanenweiche Betten,

Bey ſtuͤrmiſcher Begierden Wuth:

Der kranke Geiſt ſchleppt ſeine Sklaven-Ketten,

Stets ohne Ruh, wann alles ruht.

Der Menſch entflieht bebluͤhmten Pfaden,

Wo ihm die ſtille Freude winkt.

Das Gute ſelbſt misbraucht er ſich zum Schaden:

Zu Gift wird Necktar, den er trinkt.

Wenn Tantalus im hoͤchſten Gluͤcke

Selbſt an der Goͤtter Tafel ſitzt:

Denkt nicht ſein Herz auf ſchwarze Bubenſtuͤcke,

Noch da ihn Himmelstrank erhitzt?

Fern von Olymps geſtirnter Schwelle

Verbannt ihn Jupiters Entſchluß:

Unſeliger! ihn peinigt eine Hoͤlle,

Mehr Hoͤlle, denn der Tartarus.

Sein Reichthum wird ihm zum Verdruſſe,

Zum Qual-Gepraͤnge des Geſichts:

Er hungert, arm, in vollem Ueberfluſſe,

Hat alles und genießet nichts.

J 2Wenn
[132]Lyriſche Gedichte
Wenn Wolken meinen Geiſt umziehen,

Durch ſtuͤrmiſcher Begierden Wuth:

Beruhig’ ihn mit ſuͤſſen Harmonien,

O Muſe, die auf Roſen ruht!


Die
[133]Viertes Buch.

Die Dichtkunſt.
Jch liebe Feld und Bach, der Sonne Morgenſtrahl,

Ein ſchwarzbeſchattet einſam Thal,

Und jenen ſtillen Lorbeer-Wald,

Wo keuſcher Muſen Floͤte ſchallt.

Jch miſche mich in ihre Choͤre;

Sie weihten mich zum Prieſter ein:

Und ſollten Wuͤnſche mindrer Ehre

Mein ruhig Herz entweihn?

Entzeuch, o Dichtkunſt! mir dein glaͤnzend Angeſicht,

O du der Liebe Tochter! nicht:

Denn in der erſten Schaͤfer-Welt,

Die uns im Bilde noch gefaͤllt,

Gebahr dem Gotte frohes Weines

Die Liebe dich, ihr aͤhnlich Kind,

Jn dunkeln Schatten eines Haynes,

Die dir noch heilig ſind.

J 3Wie
[134]Lyriſche Gedichte.
Wie ſchoͤn erzogen dich die Unſchuld und Natur

Auf Triften und bebluͤhmter Flur!

Noch nicht um ſtolzen Schmuck bemuͤht,

Ertoͤnte hier dein ſanftes Lied.

Es hoͤrten die erſtaunten Hirten

Den ungekuͤnſtelten Geſang,

Der oͤfters um geheime Myrthen

Und oft beym Wein erklang.

Die Weisheit bracht’ alsdann dich, junge Schaͤferiñ!

Zum unbewohnten Haͤmus hin;

Und lehrte dich der Dinge Grund,

Und wie das Weltgebaͤud entſtund:

Warum der Fruͤhling gruͤne Huͤgel

Und lauen Weſt und Floren liebt,

Und was den Winden ihre Fluͤgel,

Dem Donner Kraͤfte giebt.

Du lernteſt, wer mit Recht hoch oder niedrig heißt!

Uns adelt nur ein edler Geiſt,

Und nicht ein ſchimmernd hoher Stand,

Nicht ein verguͤldetes Gewand;

Noch daß man groß genennet werde

Von Lippen feiger Schmeicheley,

Und einem Winkel weiter Erde

Bekannt und furchtbar ſey.

Die
[135]Viertes Buch
Die Aue ſchwieg vor dir, als du vom Haͤmus kamſt,

Und eine kuͤhnre Leyer nahmſt.

Es wallte junger Hirten Blut;

Sie fuͤhlten ungefuͤhlte Glut,

Als nun dein hoͤhers Lied ertoͤnte,

Das, reizend, wann es unterwies,

Von rauher Wildheit ſie entwoͤhnte,

Und Menſchen werden hieß.

Du ſangſt: es riſſen ſich bemooſte Felſen los

Aus drohender Gebirge Schoos,

Und rollten fort mit eignem Lauf,

Und thuͤrmten ſich zu Mauern auf.

Die Tieger unter duͤſtern Straͤuchen

Behorchten dein entzuͤckend Spiel;

Und auch die unbelebten Eichen

Erhielten ein Gefuͤhl.

Die Wahrheit ruͤhrt uns nicht entbloͤßt und unge-

ſchmuͤckt,

Wenn ſie die Sinne nicht beruͤckt.

Wer unſer Herz erſt uͤberwand,

Gewinnt auch leichtlich den Verſtand.

Wir bleiben kalt bey kalten Schluͤſſen;

Sie ſauſen ſchwach um unſer Ohr:

Wir lernen, wie wir leben muͤſſen;

Und leben, wie zuvor.

J 4Du
[136]Lyriſche Gedichte
Du weckeſt uns zur Luſt, befriedigſt unſern Schmerz,

Du, Dichtkunſt! oͤffneſt unſer Herz

Der Warheit, welcher deine Hand

Aus Myrth und Roſen Kraͤnze band.

Dich muß der taube Wille hoͤren,

Die du nicht finſtern Schulwitz liebſt,

Und was die Weiſen muͤhſam lehren,

Uns zu empfinden giebſt.

Vor dir eroͤffnet ſich der Ehre Heiligthum,

Und lorbeerreicher Helden Ruhm

Vertraut ſich deiner Leyer an,

Durch die er ewig ſchimmern kann.

Doch Dunkelheit und kalte Schatten

Begraben ungeprieſnen Muth,

Den Voͤlker einſt bewundert hatten,

Der nun vergeſſen ruht.

Du folgeſt kriegeriſch durch Blut und heiſſen Dampf

Dem Helden in den rauhſten Kampf:

Und wann, vom guͤldnen Sieg umkraͤnzt,

Sein Haupt von Lorbeern furchtbar glaͤnzt;

Alsdann erwachen deine Lieder,

Und bringen ihn vom wilden Streit

Auf unermuͤdetem Gefieder

Der fernen Ewigkeit.

Wo
[137]Viertes Buch.
Wo Titans Aug entſchlaͤft und wo er fruͤh erwacht,

Die Gegenden der Mitternacht,

Und wo der Mittag Flammen ſpruͤht,

Durchfliegt mit ihm dein hohes Lied:

Jndeß die Muſe der Geſchichte

Nur niedrig an der Erde ſtreicht,

Und mit erhitztem Angeſichte

Nie deinen Flug erreicht.


J 5An
[138]Lyriſche Gedichte

An die Deutſchen.
Jhr Deutſchen, die an Ruhm beruͤhmtern Vaͤtern wei-

chen!

Verlangt ihr, groß zu ſeyn, ſo muͤßt ihr ihnen glei-

chen;

Nicht an der alten Rauhigkeit!

Die Helden-Tugend jener Zeit

Ruht nicht auf ungeſchlachten Sitten,

Auf nackter Armuth, nackten Huͤtten.

Jn Freundſchaft Redlichkeit und ehrner Muth im

Streite,

Der ieden Tropfen Bluts dem Vaterlande weihte,

Und jener unbewegte Sinn,

Der, taub zu niedrigem Gewinn,

Allein der Ehre Stimme kannte,

Fuͤr Vaterland und Freyheit brannte:

Das machte Deutſchland groß; das eifert, nachzu-

ahmen:

So ſeyd ihr deutſcher Art, nicht bloß aus deutſchem Saamen.

Jhr ſtarrt? ihr zittert und erbleicht?

Warum irrt euer Blick verſcheucht?

Die Ahndung hat mich nicht betrogen!

Zu Sklaven werdet ihr erzogen.

O un-
[139]Viertes Buch.
O unſrer Schande Quell, Erziehung deutſcher Ju-

gend!

Wer pflanzt in ihre Bruſt Empfindungen der Tugend

Und Liebe fuͤr das Vaterland,

Die unſerm Hermann Lorbeern wand?

Wer bildet ihre jungen Seelen,

Noch ehe ſie das Laſter waͤhlen?

Man bildet nur den Leib: der Juͤngling lernt gefallen,

Lernt freyen Tanz und Spiel, in fremder Sprache lallen

Und buhlen, eh er mannbar iſt,

Betruͤgen, die er kaum gekuͤßt,

Und ſeinen Hals zu ſchlauen Tuͤcken

Jm Joche weicher Sitten buͤcken.

Zur Ueppigkeit verwoͤhnt, wie kann er edel denken?

Wie ſoll er ſich, als Mann, zur ſtrengen Tugend lenken?

Und wird er, ſeiner Pflicht getreu,

Jm Schooſe fauler Schwelgerey,

Nie mit erkauften Uebelthaten

Des Vaterlandes Wohl verrathen?

Entkraͤftet vor der Zeit in Amors Myrthenſtraͤuchen,

Baut er die Nachwelt an mit Kindern, die ihm gleichen,

An einer gleichen Gattinn Bruſt,

Die ſorglos, unter eitler Luſt,

Nur ihren Putz und Schooshund liebet,

Und ihren Witz beym Spieltiſch uͤbet.

Aus
[140]Lyriſche Gedichte
Aus beſſrer Eltern Schoos entſprungen jene Helden,

Von derer hellem Ruhm des Nachruhms Buͤcher melden,

Die keinem Weltſtrich unbekannt,

Als Geiſſeln in des Schickſals Hand,

An Rom, das feige Laſter ſchwaͤchten,

Der halben Erde Knechtſchaft raͤchten:

Ein maͤnnliches Geſchlecht, ſtark, alles zu ertragen,

Gleich ſtreitbar, wann der Suͤd, in traͤgen Sommertagen,

Die Wuͤſte Lybiens verließ;

Und wann der alte Nordwind blies,

Und ſeine furchtbarn Fluͤgel ſtuͤrmten,

Die Schnee auf Schnee verderblich thuͤrmten.

Zu welchem Wechſel iſt der Voͤlker Gluͤck verdammet!

Ein rauh verachtet Volk, das edler Muth entflammet,

Macht ſich der Erde fuͤrchterlich,

Wird uͤppig und entkraͤftet ſich,

Und faͤllt, nach kurzgenoſſnem Gluͤcke,

Schnell in ſein erſtes Nichts zuruͤcke.


An
[141]Viertes Buch.

An Herrn Baron von C**.
Du, der des Adels Glanz mit ſchim̃erndem Verſtande,

Mit Muſen und Geſchmack vereint,

Entreiſſe dich, o C**! edler Freund!

Der Pleiſſe liederreichem Strande.

Jn jener hohen Burg, wo Epheuͤ an den Mauern

Sein dauernd Gruͤn dir aufbewahrt,

Erwarten dich nur Freuden aͤchter Art,

Die nie vergruͤnen, immer dauern.

Hier mahle die Natur, die nun, vom Lenz umkraͤnzet,

Jn iedem Auftritt hier entzuͤckt,

Und ungeſchminkt, nur landhaft aufgeſchmuͤckt,

Doch in verſchiednem Schmucke, glaͤnzet.

Welch liebliches Gemiſch von ſonnenreichen Hoͤhen

Und rauhbebuͤſchter Thaͤler Nacht,

Und gruͤner Saat und junger Bluhmen Pracht

Und Baͤchen und beſtrahlten Seen!

Das Aug iſt unbeſchraͤnkt, die freyen Blicke fliegen

Hoch uͤber furchtbarn Waͤldern hin,

Und ſehn erſtaunt, mit angeſpanntem Sinn,

Noch zwanzig Staͤdte duftig liegen.

O Au-
[142]Lyriſche Gedichte.
O Aufenthalt der Luſt fuͤr unverwoͤhnte Weiſen!

Der Muſen liebſter Aufenthalt,

Wo aus der Flur der Lerchen Lied erſchallt,

Die ihre Schoͤpfung froͤhlig preiſen!

Die guͤtige Natur verlangt nicht unſre Plagen:

O ruhten wir an ihrer Bruſt,

Und lieſſen ihr die Wahl der beſſern Luſt:

Wie heiter floͤſſen unſre Tage!

Die Freude, welche ſie mit milder Hand bereitet,

Reizt ungekauft, ermuͤdet nicht,

Jſt ruhig, rein, ſanft, wie das Morgenlicht,

Das uͤber friſche Roſen gleitet.

Die Quellen wahrer Luſt ſtehn allen Menſchen offen:

Vergnuͤgungen der Phantaſie,

Euch kaufen wir mit unvergoltner Muͤh:

Wie tauͤſcht ihr unſer ſchmachtend Hoffen!

Pracht, Hoheit, Ruhm, die ihr vom Wahn geſchmuͤ-

cket,

Den Sterblichen ſo blendend gleiſſt!

Jhr ſaͤttigt nicht, weil ihr mit Rauche ſpeiſt;

Und flieht, indem ihr uns entzuͤcket.

Em-
[143]Viertes Buch.

Empfindungen
An einem Fruͤhlings-Morgen.

O welche friſche Luft haucht vom bebuͤſchten Huͤgel!

Welch angenehmer Weſt durchzieht

Mit rauſchendem bethauten Fluͤgel

Dieß holde Thal, wo alles gruͤnt und bluͤht!

Hier, wo die Grazien ſich ihre Bluhmen hohlen,

Hier ſeh ich, wie der Morgen lacht,

Der unter duͤftenden Violen

Und beym Geſang der Voͤgel aufgewacht.

Das kleinſte Graͤschen blitzt vom farbenreichẽ Thaue

Wie himmliſch laͤchelt die Natur,

Wohin ich um und bey mir ſchaue,

Dort im Geſtraͤuch und hier auf gruͤner Flur!

Die ganze Schoͤpfung zeugt von weiſer Gute Haͤndẽ;

Mit Schoͤnheit pranget unſre Welt.

Muß nur der Menſch die Schoͤpfung ſchaͤnden,

Der ſich ſo gern fuͤr ihre Zierde haͤlt?

Der
[144]Lyriſche Gedichte
Der Menſch darf ſich nur ſehn, damit er ſich nicht

bruͤſte,

Wie, an der Thorheit Bruſt geſaͤugt,

Er ſich im Taumel wilder Luͤſte

Bald laͤcherlich und bald abſcheulich zeigt.

Um Tand und Puppenwerk vertauſcht er ſeine Rechte

Zu glaͤnzender Unſterblichkeit,

Erniedrigt ſich und ſein Geſchlechte,

Sucht kurze Luſt und findet ewig Leid.

Ein denkendes Geſchoͤpf kann ſo verderblich waͤhlen,

Als waͤr es nur zum Thier beſtimmt?

Herrſcht ſolche Blindheit uͤber Seelen,

Jn welchen doch der Gottheit Funke glimmt?

Umſonſt! weil dieſer Strahl nur wenig Weiſen funkelt!

Er wird von Leidenſchaft und Wahn

Jn tauſend Sterblichen verdunkelt,

Oft eh er ſich ſiegprangend kundgethan:

Wie, wann die Sonne kaum dem Ocean entfliehet,

Des dunkeln Mondes Zwiſchenlauf

Jhr flammend Antlitz uns entziehet:

Vor ihrem Thron ſteigt ſchwarzer Schatten auf.

Die
[145]Viertes Buch.
Die Voͤgel hemmen ſchnell die angefangnen Lieder;

Der halbverirrte Wandrer bebt,

Jndeß mit ſchreckendem Gefieder

Die fruͤhe Nacht um Erd und Himmel ſchwebt:

Bis Titans froher Blick, nach uͤberwundnen Schatten,

Jtzt wieder unverfinſtert ſtrahlt,

Und in den aufgehellten Matten

Um Floren lacht und ihre Bluhmen mahlt.

So ſtrahlet unſer Geiſt, mit angebohrnem Lichte,

Durch dicke Finſterniß hervor,

Wenn vor der Weisheit Angeſichte

Die Nebel fliehn, worinn er ſich verlohr.

Geh auf mit vollem Tag, und herrſch’ in Glanz und

Ehre,

Und herrſch’, o Weisheit! unbegraͤnzt,

Von einem bis zum andern Meere,

Ja weiter noch, als unſre Sonne glaͤnzt!

Wie lang ſoll Finſterniß den Erdkreiß uͤberziehen?

Es muͤſſe, wer im Schatten ſitzt,

Auf deine lichten Hoͤhen fliehen,

Wo Klarheit uns in Aug und Seele blitzt!

KDie
[146]Lyriſche Gedichte
Die Seele, die alsdann kein aͤuſſrer Schmuck betruͤ-

get,

Dringt in das nackte Weſen ein,

Und was beſtaͤndig ſie vergnuͤget,

Muß edel, groß, muß ihrer wuͤrdig ſeyn.

Sie ſuchet nicht ihr Gluͤck in ſchimmerreichen Buͤr-

den,

Jn Ehre, Gold und ekler Pracht,

Nicht bey den thieriſchen Begierden,

Durch die ein Geiſt ſich Thieren aͤhnlich macht.

Sie ſucht und findet es in reiner Tugend Armen,

Die ſich fuͤr Andrer Wohl vergiſſt,

Und, reich an goͤttlichem Erbarmen,

Vom Himmel ſtammt, und ſelbſt ein Himmel iſt.


Die
[147]Viertes Buch.

Die Liebe.
Da auf rauſchendem Gefieder

Zephyr uns den Fruͤhling bringt:

So erwacht die Freude wieder;

Alles lacht und ſcherzt und ſingt.

Tanzt, o tanzet, junge Schoͤnen!

Meiner ſanften Leyer nach,

Welche nie mit leichtern Toͤnen

Unter meinen Haͤnden ſprach.

Alles fuͤhlet nun die Triebe,

Die kein Herze ſtets verſchwur:

Alles ladet euch zur Liebe,

Jugend, Fruͤhling und Natur.

Wie bekannt wird euerm Ohre

Nun die Stimme ſchlauer Luſt!

Und wie ſtraubt im regen Flohre

Sich die halbumflohrte Bruſt!

K 2Soll-
[148]Lyriſche Gedichte
Sollt ihr eine Wolluſt melden,

Die den Weiſen ſelbſt bethoͤrt,

Und mit Bildern trunkner Freuden

Auch der Frommen Andacht ſtoͤrt?

Duͤrft ihr die Natur verdammen?

Jhr aufruͤhriſch widerſtehn?

Uns mit Liebe zu entflammen,

Schoͤnen! wurdet ihr ſo ſchoͤn.

Liebet, weil ihr lieben ſollet!

Fliehet Platons Unterricht!

Wenn ihr niemals kuͤſſen wollet,

O ſo liebet lieber nicht.

Weg mit Liebe, die nur denket,

Und, voll Schul-Gelehrſamkeit,

Stets im kalten Ernſt verſenket,

Auch Begierden ſich verbeut!

Als in jenen dunkeln Jahren

Amor ganz platoniſch hieß,

Und ihm von beſtaͤubten Haaren

Keine Roſe duͤftend blies:

Flog er fern vom ſtillen Scherze,

Bis zum Sirius hinauf,

Und beſorgte ſeine Kerze

Schlechter, als der Sterne Lauf.

Jhn
[149]Viertes Buch.
Jhn vom Himmel abzubringen,

Da ihn Erd und Menſchheit rief;

Kuͤrztet ihr die ſtolzen Schwingen,

Holde Nymphen! da er ſchlief.

Da der Himmel ihm entgangen,

Flattert nun der Gott der Luſt

Um die roſenvollen Wangen

Und um iede Liljen-Bruſt.

Aber wie an Fruͤhlings-Morgen,

Einer jungen Roſe Pracht,

Wuͤrdig Zephyrs liebſter Sorgen,

Wuͤrdig aller Wuͤnſche, lacht;

Die bis Titans niedrer Wagen

Sich im Abend-Meer verliert,

Welket und in kuͤnftgen Tagen

Keine Blicke mehr verfuͤhrt:

So verbluͤhn mit kurzem Prangen

Auch die Bluhmen unſrer Luſt,

Dieſe Roſen friſcher Wagen,

Dieſe Liljen einer Bruſt.

Amor, fliehend, folgt der Jugend;

Und es feſſelt nur Verſtand,

Jn dem Schooſe ſanfter Tugend,

Jhn durch ein begluͤcktes Band.

K 3Der
[150]Lyriſche Gedichte

Der Schaͤfer.
Arkadien! ſey mir gegruͤſſt!

Du Land begluͤckter Hirten,

Wo unter unentweihten Myrthen

Ein zaͤrtlich Herz allein noch ruͤhmlich iſt!

Jch will mit ſanftem Hirtenſtab

Hier meine Schafe weiden.

Hier, Liebe! ſchenke mir die Freuden,

Die mir die Stadt, die ſtolze Stadt nicht gab.

Wie ſchaͤfermaͤſſig, wie getreu

Will ich Climenen lieben,

Bis meinen ehrfurchtvollen Trieben

Jhr Mund erlaubt, daß ich ihr Schaͤfer ſey!

Welch ſuͤſſem Traume geb ich Raum,

Der mich zum Schaͤfer machet!

Die traurige Vernunft erwachet:

Das Herz traͤumt fort und liebet ſeinen Traum.


Pa-
[151]Viertes Buch.

Palinodie.
Laßt ab von mir, ich will mich ſelbſt verdammen;

Geſpenſter! ach! die ihr mit Klauen draͤut,

Um Graͤber ſpuͤkt und Kindern oder Ammen

Am liebſten ſichtbar ſeyd!

Jch glaubte ſonſt: der Todte kommt nicht wieder;

Ein eiſern Band haͤlt ſeine Fuͤſſe feſt:

Wo iſt ein Grab, das die vermorſchten Glieder

Aus kalten Armen laͤßt?

Jm Grabe ſchlaͤft Ulyß, nach langen Reiſen;

Da ſchlaͤft Achill, nur lebend im Gedicht:

Da kuͤmmern ſich die Narren, wie die Weiſen,

Um andre Narren nicht.

So ſchwatzt Vernunft, die immer naͤrrſchgeweſen:

Jch glaub indeß, was mein Balbier bezeuͤgt,

Was wir im Fauſt und im Kalender leſen;

Und kein Kalender leugt.

K 4Jch
[152]Lyriſche Gedichte
Jch glaube nun die klaͤgliche Geſchichte

Vom ſchwarzen Moͤnch, der naͤchtlich wachen muß;

Den Hexen-Tanz und Marthens Nacht-Geſichte,

Selbſt Satans Pferdefuß.

Was Aberglaub im Finſtern ausgebruͤtet,

Hoͤrt itzt mein Ohr, von banger Luſt entzuͤckt,

Seit uͤber mich der Hypochonder wuͤthet,

Und mein Gehirn verruͤckt.

Der Jugend Roth flieht meine blaſſen Wangen:

Jch ſeh, erſtaunt, mein ſchwarzes Haar gebleicht,

Und welke Haut um meine Knochen hangen:

Mein ſchwerer Odem keicht.

Jhr Larven, ſchont! verſchont mein einſam Bette,

Wo ich allein und ohne Maͤdchen bin!

Was raſſelt ihr mit nachgeſchleppter Kette

Vor meinen Ohren hin?

Will ein Geſpenſt bey meinem Bett erſcheinen,

So ſey es Fleiſch und faͤhig ſchlauer Luſt,

(Verſteht mich recht!) mit runden weiſſen Beinen

Und einer weiſſen Bruſt.


An
[153]Viertes Buch.

An die Scherze.
Wo ſeyd ihr hin, ihr ſchlauen Scherze?

Vermiß ich euch mit fruͤhem Schmerze,

Noch ehe mich die Jugend flieht?

Die ihr muthwillig um mich ſchwebtet,

Und oft mein leichtgefluͤgelt Lied

Mit ſchalkhaftmunterm Witz belebtet!

Seht hier die vollen Glaͤſer blinken!

Wie? meine Muſe ſieht mich trinken,

Und ſchlummert unermuntert ein?

Winkt Bacchus euerm ſtolzen Schwarme

Umſonſt mit feuervollem Wein

Und in der Freundſchaft holdem Arme?

Umſonſt! wenn Amor euch verlanget,

Der immer an Cytheren hanget!

Seyd ihr auf ieden Wink bereit:

Und alle Grazien begleiten

Den Gott begluͤckter Zaͤrtlichkeit,

Und Freude flattert ihm zur Seiten.

K 5Bey
[154]Lyriſche Gedichte
Bey mit wird iede Mufe wilde:

Wir irren einſam durch Gefilde,

Durch Waͤlder, die der Herbſt entlaubt;

Und ſcheinen, wenn durch oͤde Gruͤnde

Der greiſe Nord verheerend ſchnaubt,

Noch rauher, als die rauhen Winde.

Da preiſ’ ich ruhiges Ergetzen:

Kein Wunſch nach aufgehaͤuften Schaͤtzen

Ermuͤde, ſing ich, meine Nacht!

Mein freyes Herz trotz’ unbeſieget

Dem Ehrgeiz, der nur Sklaven macht,

Und ſeine Sklaven ſtets betruͤget!

O moͤchte zwiſchen Wald und Straͤuchen

Mein Leben ſtill voruͤber ſchleichen,

Wie jener Bach geruhig fleuſſt!

Wo in den Thaͤlern, in den Triften

Sich ſeine milde Fluth ergeuſſt,

Lacht fetter Klee und Bluhmen duͤften.

Verflieſſt, ihr Tage meines Lebens,

Zwar unbemerkt, nur nicht vergebens

Fuͤr meiner Mitgeſchoͤpfe Gluͤck!

So mag von mir die Nachwelt ſchweigen!

So ſey ein glaͤnzendes Geſchick

Dem gluͤcklichkuͤhnen Laſter eigen!

Die
[155]Viertes Buch.

Die ruhige Unſchuld.
Ein Strahl der Froͤhligkeit

Erheitert meine Stirn auch in der boͤſen Zeit,

Jndeß aus grauenvollen Buͤſchen

Voll ungetreuer Dunkelheit,

Die Nattern der Verlaͤumdung ziſchen.

Sie lauert fuͤrchterlich,

Still, wie die Mitternacht: ihr Koͤcher leeret ſich

Von Pfeilen, die verderblich gluͤhen,

Und ihre Funken rings um mich,

Entzuͤndet in der Hoͤlle, ſpruͤhen.

Zu meinem Schutze flammt

Der Unſchuld feurig Schild! ich werd umſonſt verdammt:

Die Tugend hat mich losgeſprochen,

Da Schmaͤhſucht, die vom Neide ſtammt,

Mir tuͤckiſchfluͤſternd nachgekrochen.

Es faͤllt des Laͤſtrers Zahn

Des Weiſen Schaͤtze nicht, nur ſeine Puppen an,

Die Puppen unſrer Kinderjahre,

Verdraͤngt uns auf der Ehre Bahn,

Und nagt am Lorbeer unſrer Haare.

Jch
[156]Lyriſche Gedichte
Jch ſchwing an deiner Hand,

O Weisheit! mich empor, hoch uͤber ſtolzen Tand,

Und kurzen Sonnenſchein des Gluͤckes,

Und ſeiner Freuden Unbeſtand,

Nur Freuden eines Augenblickes.

Es bruͤllt aus dicker Nacht

Der Donner unter mir, indeß mir Titan lacht,

Und reine Luͤfte mich umwehen,

Und uͤber giftigen Verdacht

Und niedre Schmaͤhſucht mich erhoͤhen.

Hoch in den Wolken fleugt

Der Adler, wo ein Blick ihm ferne Raben zeigt,

Die ſich beym Aas geſchwaͤtzig freuen:

Der koͤnigliche Vogel ſchweigt,

Und laͤßt die traͤgen Thiere ſchreyen.


Theo-
[157]Viertes Buch.

Theodicee.
Mit ſonnenrothem Angeſichte

Flieg ich zur Gottheit auf! Ein Strahl von ih-

rem Lichte

Glaͤnzt auf mein Saitenſpiel, das nie erhabner klang.

Durch welche Toͤne waͤlzt mein heiliger Geſang,

Wie eine Fluth von furchtbarn Klippen,

Sich ſtroͤmend fort und brauſt von meinen Lippen!

Jch will die Spoͤtter niederſchlagen,

Die vor dem Unverſtand, o Schoͤpfer! dich verklagen:

Die Welt verkuͤndige der hoͤhern Weisheit Ruhm!

Es oͤffnet Leibnitz mir des Schickſals Heiligthum;

Und Licht bezeichnet ſeine Pfade,

Wie Titans Weg vom oͤſtlichen Geſtade.

Die dicke Finſterniß entweiche,

Die aus dem Acheron, vom ſtygiſchen Geſtraͤuche

Mit kaltem Grauſen ſich auf meinem Wege haͤuft,

Wo ſtolzer Thoren Schwarm in wilder Jrre laͤuft,

Und auch der Weiſe furchtſam ſchreitet,

Oft ſtille ſteht und oft gefaͤhrlich gleitet.

Die
[158]Lyriſche Gedichte
Die Riſſe liegen aufgeſchlagen,

Die, als die Gottheit ſchuf, vor ihrem Auge lagen:

Das Reich des Moͤglichen ſteigt aus gewohnter Nacht.

Die Welt veraͤndert ſich, mit immer neuer Pracht,

Nach tauſend lockenden Entwuͤrfen,

Die eines Winks zu ſchnellem Seyn beduͤrfen.

Der Sextus einer beſſern Erden

Zwingt nicht Lucretien, durch Selbſtmord groß zu werden:

An keinem Dolche ſtarrt ihr unbeflecktes Blut.

Das leichenvolle Rom, der Schauplatz feiger Wuth

Und viehiſcher Domitiane,

Herrſcht unverheert in einem ſchoͤnern Plane.

Doch Daͤmmerung und kalte Schatten

Gehn uͤber Welten auf, die mich entzuͤcket hatten:

Der Schoͤpfer waͤhlt ſie nicht! Er waͤhlet unſre Welt,

Der Ungeheuer Sitz, die, Helden beygeſellt,

Jn ewigen Geſchichten ſtrahlen,

Der Menſchheit Schmach, das Werkzeug ihrer Qualen.

Eh
[159]Viertes Buch.
Eh ihn die Morgenſterne lobten,

Und auf ſein ſchaffend Wort des Chaos Tiefen tobten,

Erkohr der Weiſeſte den ausgefuͤhrten Plan:

Und wider ſeine Wahl will unſer Maulwurfs-Wahn

Jn ſtolzer Blindheit Recht behalten,

Und eine Welt im Schoos der Nacht verwalten?

Von welcher Sonne lichtem Strahle

Weicht meine Finſterniß! Wie, wann aus feuchtem Thale

Der fruͤhe Wandersmann auf hohe Berge dringt,

Schnell eine neue Welt vor ſeinem Aug entſpringt,

Und Reiz die groſſe Weite zieret,

Wo ſich der Blick voll reger Luſt verlieret:

Denn Fluren, die von Bluhmen duͤften,

Gefilde voll Geſangs und heerdenvolle Triften,

Und hier cryſtallne Fluth, vom gruͤnen Wald umkraͤnzt,

Dort ferner Thuͤrme Gold, das durch die Wolken glaͤnzt,

Begegnen ihm, wohin er blicket:

So wird mein Geiſt auf ſeinem Flug entzuͤcket.

Jch
[160]Lyriſche Gedichte
Jch habe mich empor geſchwungen!

Wie groß wird mir die Welt! die Erde flieht verſchlungen:

Sie macht nicht mehr allein die ganze Schoͤpfung aus!

Welch kleines Theil der Welt iſt Rheens finſtres Haus!

Und, Menſchen! welche kleine Heerde

Seyd ihr nur erſt auf dieſer kleinen Erde!

Goͤnnt gleiches Recht auf unſerm Balle

Geſchoͤpfen andrer Art! Jhr Schoͤpfer liebt ſie alle:

Die Weisheit ſelbſt entwarf der kleinſten Fliege Gluͤck.

Jhr Schickſal iſt beſtimmt ſo gut, als Roms Geſchick

Und als das Leben einer Sonne,

Die glaͤnzend herrſcht in Gegenden der Wonne.

Seht, wie in ungemeſſner Ferne

Orion und ſein Heer, ein Heer bewohnter Sterne,

Vor ſeinem Schoͤpfer ſich in lichter Ordnung draͤngt.

Er ſieht, er ſieht allein, wie Sonn an Sonne haͤngt,

Und wie zum Wohl oft ganzer Welten

Ein Uebel dient, das wir im Staube ſchelten

Er
[161]Viertes Buch.
Er ſieht mit heiligem Vergnuͤgen

Auf unſrer Erde ſelbſt ſich alle Theile fuͤgen,

Und Ordnung uͤberall, auch wo die Tugend weint:

Und findet, wann ſein Blick, was boͤſ’ und finſter ſcheint,

Jm Schimmer ſeiner Folgen ſiehet,

Daß, was geſchieht, aufs beſte ſtets geſchiehet.

Es leide mit geprieſnem Muthe

Die Gattinn Collatins! Es keimt aus ihrem Blute

Die Freyheit eines Volks, die einſt Catone zeugt:

Bis kuͤhne Tyranney, vom Laſter groß geſaͤugt,

Die ſpaͤtverlaſſne Tugend raͤchet,

Und Rom durch Rom beſtraft und ſtrafend ſchwaͤchet.

Entkraͤftet in verdienten Ketten,

Wie ſoll ſich Latium vor fremdem Joche retten?

Sieh! das entmannte Rom verfaͤllt in Schutt und Graus.

Der kalte Norden ſpeyt ein Volk der Wilden aus,

Das durchs Verhaͤngniß uͤberwindet,

Jm Finſtern ſaß und Licht und Wahrheit findet.

LDie
[162]Lyriſche Gedichte
Die ihr ein Stuͤck vom Ganzen trennet,

Vom Ganzen, das ihr bloß nach euerm Winkel kennet;

Verwegen tadelt ihr, was Weiſe nicht verſtehn.

O koͤnnten wir die Welt im Ganzen uͤberſehn,

Wie wuͤrden ſich die dunkeln Flecken

Vor unſerm Blick in groͤſſern Glanz verſtecken!

Soll Welten alles Boͤſe fehlen?

So muſſte nie den Staub der Gottheit Hauch beſeelen;

Denn alles Boͤſe quillt bloß aus des Menſchen Bruſt:

So muß der Menſch nicht ſeyn: welch groͤſſerer Verluſt!

Die ganze Schoͤpfung wuͤrde trauern,

Die Tugend fliehn und ihren Freund bedauern.

Jhr Weiſen! haͤttet nie entzuͤcket,

Die ihr die Schoͤpfung mehr, als hundert Sonnen, ſchmuͤcket,

Und Ordnung herrſchte nicht im Reiche der Natur,

Die niemals fluͤchtig ſpringt, und ſtuffenweiſe nur

Auf ihrer guͤldnen Leiter ſteiget,

Wo ſich der Menſch auf mittlern Sproſſen zeiget.

Vorm
[163]Viertes Buch.
Vom Wurme, der voll groͤſſrer Maͤngel

Auf ſchwarzer Erde kreucht, und vom erhabnen Engel

Sind Menſchen gleich entfernt, und beyden gleich verwandt.

Jhr freyer Wille fehlt, ihr himmliſcher Verſtand

Entflieget nie der engen Sphaͤre:

Stets feſſelt ihn des Leibes traͤge Schwere.

Es rauſchen laute Spoͤttereyen

Um mein verachtend Ohr: viel ſtolze Klugen ſchreyen

Dem armen Sterblichen des Willens Freyheit ab.

Die Sklaven! welche das, was weiſe Guͤte gab,

Der Menſchheit Vorrecht, nicht erkennen,

Und, gleich dem Vieh, ſich deſſen unwerth nennen!

Verzaͤrtelt eure Leidenſchaften;

So herrſchen ſie zuletzt: ſie bleiben ewig haften;

Ein diamantnes Band knuͤpft ſie an euer Herz.

Der freygeborne Geiſt erblickt, nicht ohne Schmerz,

Sich endlich in verjaͤhrten Banden,

Und iſt ein Knecht, weil er nicht wiederſtanden.

L 2Jn
[164]Lyriſche Gedichte
Jn allen Ordnungen der Dinge,

Die Gott als moͤglich ſah, war Menſchenwitz geringe:

Der Menſch war immer Menſch, voll Unvollkommenheit.

Durch Tugend ſoll er ſich aus dunkler Niedrigkeit

Zu einem hoͤhern Glanz erheben,

Unſterblich ſeyn, nach einem kurzen Leben.

Mein Schickſal wird nur angefangen,

Hier, wo das Leben mir in Daͤmmrung aufgegangen:

Mein Geiſt bereitet ſich zu lichtern Tagen vor,

Und murrt nicht wider den, der mich zum Staub erkohr,

Mich aber auch im Staube liebet,

Und hoͤhern Rang nicht weigert, nur verſchiebet.


Sieg
[[165]]

Sieg
des
Liebesgottes.
Ein Gedicht.


[[166]][[167]]
Erſtes Buch.
Jch will den Liebesgott und ſeinen Sieg beſingen:

O lorbeernwerther Sieg! Selinden zu be-

zwingen,

War Stutzern zwar zn ſchwer, zu groß ihr

Widerſtand:

Umſonſt! ſie ward beſiegt, und Amor uͤberwand.

Es muͤſſe dieſes Lied kein rauher Ton entehren!

Doch wer von Liebe ſingt, den muß die Liebe lehren.

Begeiſtre du mich ſelbſt, o Goͤttinn ſchlauer Liſt,

Die du der Grazien, wie Amors Mutter biſt!

Entflammt mich deine Glut, ſo wird mein Lied gefallen;

So wird mein ewig Lied um Paphos wiederſchallen.

Vergnuͤgt mein Saitenſpiel, ihr Schoͤnen! euer Ohr:

So zieh ich dieſen Ruhm zehn Lorbeerkraͤnzen vor.

Es war die heiſſe Zeit, und Luft und Erde gluͤhten;

Es lechzte duͤrres Gras, wo juͤngſt Violen bluͤhten;

Die Aue war verbrannt und Sirius erwacht,

Der manch Gehirn verruͤckt, manch neuen Dichter macht.

Kein Amor zeigte ſich: er war mit ſchlaffem Bogen,

Verdroſſen, unbelebt, nach Paphos hingeflogen.

L 4Dort
[168]Sieg des Liebesgottes
Dort rauſcht von holdem Weſt ein ihm geweihter Wald,

Der Freuden Sammelplatz, der Wolluſt Aufenthalt.

Mit Luſt verirrt man ſich in dichtverwachſnen Gaͤngen,

Wo in geheimer Nacht ſich Myrth und Lorbeer draͤngen.

Auf allen Seiten lockt die ſuͤſſe Nachtigall:

Hier murmelt nur ein Bach, dort brauſt ein Waſſerfall.

Die weißbeſchauͤmte Fluth ſtuͤrzt von bebuͤſchten Huͤgeln,

Und wird ein ſtiller See, in dem ſich Bluhmen ſpiegeln.

Der weichen Raſen Gruͤn, der Buͤſche Dunkelheit

Und alles reizet hier verbuhlte Zaͤrtlichkeit.

Das ſtumme Schweigen ſtund vor dieſem Goͤtterhayne,

Der, allzeit anmuthvoll beym ſchwuͤlſten Sonnenſcheine,

Nun unter kuͤhlem Laub den Liebesgott empfieng,

Um deſſen heiſſe Stirn die matte Roſe hieng.

Hier gaukelten um ihn in jugendlichen Reihen

Der Scherze reger Schwarm, die ſanften Schmeicheleyen,

Die leichte Hoffnung ſelbſt, verhuͤllt in duͤnnem Flohr,

Betrug und Luͤſternheit und Amors ganzes Chor.

Es miſchte ſich verwirrt in ihre Luſtbarkeiten

Der Stimmen Zauberton, die Anmuth reiner Saiten.

Aus euerm ſchoͤnen Mund, ihr Grazien! erklang

Manch Lied Anakreons, manch ſapphiſcher Geſang.

O ſagt, (euch iſts bewuſt,) was Amors Ruhe ſtoͤrte,

Der in der Wolluſt Schoos auf eure Lieder hoͤrte?

Rief dieſen Gott ein Schmaus, den ihm Lyaͤus gab,

Ein feyerlicher Tanz, zu Cyperns Nymphen ab?

Nein!
[169]Ein Gedicht.
Nein! Zephyr hatte nun was groͤſſers vorzutragen.

Man weis ja Zephyrs Dienſt: er traͤgt verliebte Klagen

Dem Liebesgotte vor: ein muͤhevolles Amt,

Zu welcher Sklaverey die Dichter ihn verdammt!

Er flog halb athemlos vor Amors Antlitz nieder,

Und ſtund und ſchuͤttelte ſein thauendes Gefieder.

Die Buͤſche fliſterten den Lippen Zephyrs nach,

Der Bluhmenduͤfte blies und liſpelnd alſo ſprach:

Dorante ſendet mich; wie lange ſoll er leiden?

Du biſt ihm ein Tyrann, kein Gott gewuͤnſchter Freuden.

Jch liebe, ſprach er heut, und ſaß beym fruͤhen Thee,

Jm Schlafrock eingehuͤllt, auf einem Canapee.

Jch liebe! fuhr er fort; wie rein ſind meine Triebe!

Zu redlich iſt vielleicht, zu ſtandhaft meine Liebe,

Nicht wie der Stutzer liebt, der niemals zaͤrtlich iſt,

Und ſich fuͤr zaͤrtlich haͤlt, bloß weil er gerne kuͤßt.

Der Sommer kam und wich, eh ich Selinden ſagte,

Was doch mein ſtilles Ach! ihr oͤfters furchtſam klagte:

Und ſeit mein kuͤhnrer Mund um ſpaͤtes Mitleid bat,

Reift nun zum andernmal der Felder bleiche Saat.

Wie oft hat in der Zeit die Hoffnung mich betrogen!

Die heute mich verſchmaͤht, ſchien geſtern mir gewogen.

Wie oft hat nur ein Blick, ein Druck der ſchoͤnen Hand

Jhr mein empoͤrtes Herz aufs neue zugewandt!

Doch ſah ich ſie vielleicht, nach dreyen Augenblicken,

Auf andre ſchmachtend ſehn, auch andrer Haͤnde druͤcken.

Wer fuͤr Selinden ſeufzt, wird niemals abgeſchreckt;

Und ſchlummert Amor ein, ſo wird er aufgeweckt.

L 5O Lie-
[170]Sieg des Liebesgottes.
O Liebe! duldeſt du ſo ſehr getheilte Flammen?

Muß nicht Selinde ſelbſt ihr zweiflend Herz verdammen?

Sie liebet mich vielleicht: vielleicht betaͤubet nur

Der Mode Tyranney die Stimme der Natur.

Jch ſoll bey Lesbien ſie heut im Garten ſehen:

Begleite mich dahin, mir huͤlfreich beyzuſtehen.

Wenn etwas ruͤhren kann, ſo ruͤhre ſie mein Schmerz,

Mein Herz voll Zaͤrtlichkeit, mein ehrfurchtvolles Herz!

Als Zephyr ausgeredt, entwich er ins Geſtraͤuche.

Dorante kennt nicht ſehr die artigen Gebraͤuche,

Sprach Amor: Ehrfurcht macht ihn ſchwerlich liebenswerth:

Nicht allzu zaͤrtlich ſey, wer Gegengunſt begehrt.

Jhn liebt Selinde nicht; ſie liebt allein Selinden:

Doch heute ſoll ihr Herz bey Lesbien mich finden.

Es fall ihr alter Trotz zu meinen Fuͤſſen hin,

Wofern ich was ich war, wofern ich Amor bin!

Er ſchwieg und wollte fliehn, voll muthiger Entſchluͤſſe:

Die Wolluſt widerſprach durch ſchlauberedte Kuͤſſe;

Und ihr entbloͤßter Arm, dem Schnee an Weiſſe wich,

Hieng um des Gottes Hals, und widerſetzte ſich.

Du reiſeſt? ſeufzte ſie, und wie? trotz wilder Hitze,

Nach Deutſchlands Wuͤſteney, nach dummer Gothen Sitze?

Ein Franzmann machte mir dieß rauhe Volk bekannt:

Dort feſſelt ewig Eis die Herzen, wie das Land.

Du ſucheſt Palmen dort, wo ich nur Barbarn ſehe?

Man weis von Liebe nichts, man weis nur von der Ehe:

Da iſt ein Ehverſpruch ein haͤuslicher Vertrag,

Der nur die Nachwelt pflanzt, nur ſuͤſſ’ auf einen Tag.

Soll
[171]Ein Gedicht.
Soll eine Heirath dich von meiner Seite trennen?

Der traͤge Hymen mag den Garten einſt benennen,

An deſſen treuer Bruſt Selinde gaͤhnen ſoll,

Von deren Reiz bisher ſo manch Sonnett erſcholl!

Ein himmliſch Laͤcheln ſtrahlt in Amors Angeſichte,

Jndem die Wolluſt ſprach, betrogen vom Geruͤchte.

Er ſpricht: was du geſagt, mag wahr geweſen ſeyn;

Doch, Freundinn! dein Bericht trift heute nicht mehr ein.

Dem Gallier hat ſtets dein willig Ohr geglaubet,

Der dir den Weihrauch brennt, den er der Liebe raubet;

Dem alles, wo nicht ganz, doch halb barbariſch duͤnkt,

Was nicht mit erſter Luft die beſſre Seine trinkt.

Die Deutſchen ſind nicht mehr die rohen Alemannen,

Die nur auf Jagd und Krieg in armen Huͤtten ſannen;

Die liebten, (lache nicht und hoͤre noch ein Wort!)

Zwar nicht, wie in Paris, doch redlicher, als dort.

Sie haben nun gelernt, ihr Vaterland verlernen,

Und mit dem ſtarren Bart auch die Natur entfernen.

Nun modelt Frankreichs Witz das weite deutſche Reich:

Es wird ein maͤnnlich Volk den Sybariten gleich.

Durch Stutzer fuͤhrt es Krieg, durch Stutzer macht es Friedẽ,

Stellt Stutzer zum Altar ſtatt baͤrtiger Druiden.

Tracht, Witz und Sprache hohlt ſich Deutſchland aus Paris,

Das Fremde fuͤr ihr Geld ſtets willig unterwies.

Ein Volk, das uͤberall, was Frankreich vorgeſchrieben,

Als ein Geſetz befolgt, wird auch franzoͤſiſch lieben:

Das iſt, nur obenhin, von Zwang und Ehrfurcht frey,

Stets lebhaft, ungeſtuͤm und immer ungetreu.

Auch
[172]Sieg des Liebesgottes
Auch Deutſche lieben ſo, entbrannt von edlem Neide:

Sie ſind ganz umgewandt; man ſieht nur ſeine Freude.

Die Dichtkunſt nehm ich aus, die unvollkommner bleibt:

Halb Deutſchland lieſt entzuͤckt, was ieder Knabe ſchreibt.

Einſt flog ich durch ein Thal, in deſſen friſchen Schatten

Die Knaben einer Trift ſich hingelagert hatten.

Sie ſpielten, und ihr Spiel hieß das Poetenſpiel:

Der Nahme war mir neu, der Nahme ſelbſt gefiel.

Hans trat wie raſend auf, und ſang in wilder Ode,

Mit einem rauhen Ton, ein Spruͤchelchen vom Tode;

Und pries den weiſen Mann, der ſchlau die Sorgen ſchwaͤcht,

Und, im betrunknen Gras ſanft hingegoſſen, zecht.

Schalkhafte Scherze ließ der dicke Kunz erſchallen:

Jch haͤtte faſt geweint; er durfte nichts, als lallen.

So lallt ein jaͤhrig Kind mit kindiſch reger Luſt,

Bey einem Zucker-Brot, an ſeiner Mutter Bruſt.

Kaum lallte Matz, wie er, und ſang doch von der Liebe!

Ach! Hanne! rief er aus; ſieh, wie ich mich betruͤbe!

Jn Thraͤnen bad ich mich, indem ich deinen Kuß,

Dein ſeelenvolles Aug abweſend miſſen muß.

Du haͤtteſt ſollen ſehn, wie Matz mit ſeinen Thraͤnen

Die Dichterprobe hielt! wir mußten alle gaͤhnen.

Wie hat durchs Hirtenlied des Hirten Sohn entzuͤckt,

Der ſeines Vaters Ton vollkommen ausgedruͤckt!

Ein deutſcher Schaͤfer nur kann, wie der Junge, ſpaſſen:

Goͤrgs Luſtſpiel ſelbſt mußt ihm der Schwaͤnke Vorzug laſſẽ.

Zuletzt erzehlte Mops, mit Pappeln um ſein Haupt,

Wie Muthe, da er ſchlief, ihm ſeinen Hut geraubt.

Mehr
[173]Ein Gedicht.
Mehr Sylphen dienten ihm, als zwanzig Hexenmeiſtern,

Als einem Gabalis; es ſpuͤckte recht von Geiſtern.

Jch lacht und eilte fort; und kaum verfloß ein Jahr,

Als alles nett gedruckt und ſchnell verkaufet war.

Zu lange ſaͤum ich mich, da Lorbeern meiner warten:

O Goͤttinn, lebe wohl! ich eile nach dem Garten.

So ſprach er und verließ der Wolluſt weichen Schoos;

Mit Muͤhe riß er ſich von ihren Kuͤſſen los:

Wie Hektor in den Streit aus Priams Mauern eilte;

Und wann Andromacha in ſeinem Arm verweilte,

Sich ohne Wehmuth nicht, doch als ein Held, entzog,

Und von geliebter Bruſt dem Sieg entgegen flog.

Der volle Koͤcher ſchwirrt um Amors nackte Lenden;

Sein guͤldner Bogen droht in ſieggewohnten Haͤnden.

Nun ſchwingt er ſich empor: auf ſein gebiethend Wort

Rauſcht ſein Gefolg mit ihm aus Cyperns Buͤſchen fort.

Jndeſſen rings um ihn gelinde Weſte ſpielen,

Und die erhitzte Luft mit ihren Fluͤgeln kuͤhlen;

Entbrennt, wo Amor fliegt, in ungewohnter Glut,

Das Herz der Sterblichen und alt und junges Blut.

Die Seufzer ſteigen auf, mit Klagen uͤber Wunden

Und Schwuͤren ſteter Treu, die in der Luft verſchwunden.

Des Gottes Ungeduld und blitzgeſchwinden Lauf

Hemmt kein gemeiner Sieg: er ſucht Selinden auf.


Zwey-
[174]Sieg des Liebesgottes.

Zweytes Buch.
Jndeß prangt Lesbia in ihren kuͤhlen Zimmern,

Die nach dem Garten ſehn und reichbekleidet ſchim-

mern.

Daſelbſt verſammeln ſich, indem der Coffee winkt,

Die Artigſten der Stadt und wer ſich artig duͤnkt.

Von allen Lippen rauſcht ein flieſſend Wortgepraͤnge:

Die Neugier ſchleicht herum im laͤrmenden Gedraͤnge,

Und ſtarrt mit gleicher Luſt bald glaͤnzend Porcellan,

Bald einen jungen Herrn und bald ein Moͤpschen an.

Die Wirthinn geht und koͤmmt; und all ihr Thun belebet

Der freyen Sitten Reiz, die unſre Zeit erhebet.

Wer nennt ſo oft, wie ſie, Paris und große Welt,

Und mahlt mit hoͤherm Roth verbluͤhter Wangen Feld?

Doch, Muſe! ſteige ſelbſt von deinem ſteilen Huͤgel:

Criſpin fliegt immer hoch; ich ſchone meine Fluͤgel.

Steig auch einmal herab, und ſage mir getreu,

Was dieſen Tag geſchehn, wer hier geweſen ſey.

Die ſtille Galathee, die Spielerinn Chlorinde,

Nebſt Chloen, die ich ſtets bey ihrer Mutter finde;

Die fromme Dorilis, die ihren Ehmann plagt,

Und bis er mit ihr ſingt, ihm ihren Kuß verſagt:

Und andre mehr ſind hier, wovon die Muſe ſchweiget,

Weil ſich Selinde ſelbſt im hoͤhern Reize zeiget.

Wie
[175]Ein Gedicht.
Wie ſtrahlt die weiſſe Haut! der blauen Augen Scherz,

Der feuervolle Blick verraͤth ein loſes Herz.

Der ſchlanken Glieder Bau, durch Grazien geſchmuͤcket,

Der anmuthvolle Gang, die Stimme ſelbſt entzuͤcket.

Der Schultern Marmor glaͤnzt zu aller Augen Luſt,

Und unverborgen hebt ſich ihre volle Bruſt.

Denn was die alte Welt in dreyfach Tuch verſtecket,

Hat unſre kluͤgre Zeit den Kennern aufgedecket.

Die Schoͤnen gehn halbnackt: o angenehme Zeit!

Wer ſieht ſo ſchoͤnes Fleiſch nicht lieber, als ein Kleid?

Wie kann ein Stutzer-Herz ſich vor Selinden retten?

Sie laͤchelt ieden an, man hofft nur leichte Ketten.

Jhr gaukelt alles zu, was wohl zu leben weis:

Sie ſcheinet lauter Glut, und bleibet lauter Eis.

Dorante hangt entzuͤckt an ſeiner Goͤttinn Augen,

Und will Unſterblichkeit aus ihren Blicken ſaugen,

Und will auf ihrer Stirn, wo ſelten Wolken ſtehn,

Des Himmels Wiederſchein, platoniſch zaͤrtlich, ſehn.

So denkt nicht Ganymed aus der Erobrer Orden;

Nicht Mokles, welcher doch Magiſter juͤngſt geworden;

Gewiß auch nicht Cleanth, der zum Scribenten reift,

Bald dieß, bald jenes Bein tiefſinnig hebt und pfeift.

So denkt nicht Selimor: ſein Kleid und ſeine Sitten

Sind nach der beſten Art franzoͤſiſch zugeſchnitten,

Und einem Herrn gemaͤß, der Gallien betrat,

Und erſt beym letzten Schnee die große Reiſe that.

Er buhlt, er ſpielt, er flucht, nimmt Spaniol und lachet:

Ein Held in allem dem, was Frankreich artig machet,

Der
[176]Sieg des Liebesgottes
Der uͤber Schoͤnen leicht, auch ohne Liebe, ſiegt,

Bey Zehnen zaͤrtlich iſt, ſie alle Zehn betruͤgt.

Der ſtolze Selimor erblickte kaum Selinden,

Sogleich entſchloß er ſich, auch ſie zu uͤberwinden.

Sein Herz verbarg ſich nicht, auch vor der Lesbia,

Die ihn doch geſtern erſt zu ihren Fuͤſſen ſah.

Er dacht auf neuen Sieg, bey dieſem Freudenfeſte,

Und ſeufzte kriegeriſch zu ſeiner liebſten Weſte.

Sie ſtammt’ aus Lyon her, von Golde ſtarrt’ ihr Grund,

Worauf in buntem Flor ein ganzer Fruͤhling ſtund.

Er neigte ſich zu ihr in Demuth bis zur Erde,

Und redete ſie an, wie Hecktor ſeine Pferde.

Nun, ſprach er, iſt es Zeit, o Wunder kluger Kunſt!

Beweiſe, was du kannſt, ſey wuͤrdig meiner Gunſt!

Heut iſt Gelegenheit, die Liebe zu belohnen,

Da ich dich hoͤher hielt, als Wiſſenſchaft und Kronen.

Jch theilte ſtets mit dir der Lorbeern ſuͤſſe Laſt,

Die bey den Schoͤnen du fuͤr mich erkaͤmpfet haſt.

Selinde ſcheint mir ſchoͤn: wird ſie mich lieben muͤſſen,

So werd ich oͤfter dich, als ihre Lippen kuͤſſen;

Und wann der Mode Stolz dich nicht mehr leiden kann,

So weis ich deinen Platz bey Orpheus Leyer an.

So ſprach er und beſah die Baukunſt ſeiner Locken,

Und fuͤhlte ſeinen Werth und ward ſo unerſchrocken,

Als unter Feinde ſich der feige Neger draͤngt,

Wann ihm des Prieſters Hand geweiht Papier umhaͤngt.

Zum Teufel! faͤngt er an; ich liebe ja zum Raſen!

Selinde! weil Sie ſelbſt mein Feuer aufgeblaſen,

So
[177]Ein Gedicht.
So lieben Sie mich bald: welch langer Widerſtand!

Der Held bemaͤchtigt ſich der liljenweiſſen Hand:

Er kuͤßt ſie zwanzigmal und feufzt bey dreiſtem Scherze:

Wer liebt ſo ehrfurchtvoll? wie zaͤrtlich iſt mein Herze!

Drauf ſeufzt er noch einmal, und flattert ſingend fort,

Und flattert wieder her an ſeinen alten Ort.

Dorante girrt indeß, gleich einem Turteltaͤuber:

Doch jener fordert kuͤhn, faſt wie ein Straſſenraͤuber,

Der, wann die Finſterniß die traͤgen Fluͤgel ſchwingt,

Des bangen Wandrers Geld mit bloßem Stahl erzwingt.

Selinde ſaß voll Ruh und uͤberſah im Streite

Die Scenen eines Kriegs, der ihrem Herzen draͤute

Und flammte ſelbſt ihn an und wich und bebte nicht,

Und wies dem ſchwerſten Sturm ein laͤchelnd Angeſicht:

*Wie unter ſchwarzer Nacht und heiſchrer Donner Bruͤllen

Der Cherub Addiſons, ſein Strafamt zu erfuͤllen,

Mit himmliſch heitrer Stirn dem wilden Sturm gebeut,

Auf Wirbelwinden ſchwebt und rothe Blitze ſtreut.

So ſah die Heldinn aus, die unbeſchaͤdigt lachte,

Da uͤber ihrem Haupt ihr treuer Schutzgeiſt wachte.

Den angenehmen Geiſt beſeelt ein Frauenſinn:

Er ſchielt nach ſeinem Reiz in alle Spiegel hin.

Um ſeine Schultern rauſcht ein purpurnes Gefieder,

Und frey und offen fließt um ſeine leichten Glieder

MEin
[178]Sieg des Liebesgottes
Ein ſchimmerndes Gewand, das alle Farben ſtrahlt,

Die friſchgefallner Thau auf bunte Wieſen mahlt.

Er liebt Geraͤuſch und Putz, und ſeine Locken wallen,

Die, duͤftend von Jeſmin, unaufgebunden fallen.

Es flammt ſein guͤldner Schild, auf dem in voller Pracht

Die Roſe buhleriſch zehn Schmetterlingen lacht.

Nun hieng ſein ſuͤſſer Mund am Ohre ſeiner Schoͤnen,

Ward bloß von ihr gehoͤrt und ſprach mit ſanften Toͤnen:

Sieh, Schoͤnſte, deinen Sieg! der Stutzer Auge ſtarrt;

Und keine Schoͤnheit gilt in deiner Gegenwart.

Dein Joch komm’ heute noch auf alle dieſe Seelen!

Kann doch ſelbſt Selimor ſein Feuer nicht verhehlen.

Er liegt vor dir, beſiegt, der allzeit Sieger war:

Und ſieh, welch glaͤnzend Kleid! wie lockigt iſt ſein Haar!

Dorante muß indeß nicht ganz verſaͤumet werden:

Mit gleicher Ehrfurcht liebt kein Sterblicher auf Erden.

Sein edles Herz erzwingt den Beyfall aller Welt;

Er werde hochgeſchaͤtzt; doch Selimor gefaͤllt.

Erhalte ſie durch Huld; erklaͤre dich fuͤr keinen:

So ſind ſie beede dein; doch du verliereſt Einen,

Wann dein erweichtes Herz dem andern ſich ergiebt,

Und buͤrgerlich nur ihn mit kalter Treue liebt.

Verfolge deinen Sieg, erhitze die Begierden

Durch unbemerkte Kunſt und ſchlau verrathne Zierden.

Ruht ein ſo ſchoͤner Arm, durch Brabants Fleiß verhuͤllt?

Er zeige ſich entbloͤßt und weis auf iedes Bild!

Vortrefflich! ſieh umher! der Stutzer Wangen gluͤhen.

Der Schoͤnen Auge will veraͤchtlich vor dir fliehen:

Doch
[179]Ein Gedicht.
Doch ihr zerſtreuter Blick geſteht Verdruß und Neid;

Und alles huldigt hier nur deiner Goͤttlichkeit.

Wenn ein Verehrer-Schwarm dein ſtolzes Herz begluͤcket;

Wenn ihrer Lippen Ach! dein luͤſtern Ohr entzuͤcket,

Und neuer Siege Ruhm, Selinde! dich vergnuͤgt:

So ſiege, weil du kannſt, und werde nie beſiegt.

So ſprach der ſchlaue Geiſt, dem auch Selinde glaubte,

Jhr eigen Herz behielt und andrer Herzen raubte.

Bald matt, bald feurig flog ihr unterwieſner Blick

Auf Sieg begierig aus und ſiegreich ſtets zuruͤck.

Der muntre Selimor betaͤubt ſie nicht mit Klagen:

Er hat auch Lesbien und allen was zu ſagen;

Und wann er gnug geſchwatzt, ſo trillert iedem Ohr

Sein liederreicher Hals ein Gaſſenliedchen vor.

Er wuͤrzet ſein Geſpraͤch mit klugerlerntem Spotte,

Scherzt bald mit ſeinem Hund und bald mit ſeinem Gotte.

Denn welcher junger Herr, der nach Paris gereiſt,

Stellt keinen Witzling vor, ſpielt keinen ſtarken Geiſt?

Die Freude lachte laut an dieſem ſchoͤnen Orte;

Ein guter Nahme ſtarb von iedem ihrer Worte:

Man ſetzte ſich zum Spiel, man gaͤhnte, man betrog,

Bis Amor ins Gemach durchs offne Fenſter flog.

Er wurde nicht geſehn, er wurde nur empfunden:

O welche Regungen, welch ſanft Geziſch entſtunden!

Man ſah, wohin man ſah, verſtohlner Blicke Lauf,

Und ſchnelle Roͤthe gieng in iedem Antlitz auf.

Selinde ſchien bewegt; ihr ſichres Herz erbebte

Von Amors Gegenwart, der ihr ſo nahe ſchwebte.

M 2Jhr
[180]Sieg des Liebesgottes
Jhr Schutzgeiſt aber warf ſein trotzig Haupt empor,

Und ſetzte ſeinen Schild den Pfeilen Amors vor.

Welch unertraͤglich Bild! ein Liebesgott mit Pfeilen,

Die mit verwegnem Flug auf ſchoͤne Buſen eilen!

Die alte Ruͤſtung weg! wer wird ſo griechiſch gehn?

Allein die Muſe ſagts: die hat ihn doch geſehn.

Sie hat mit angeſchaut, wie ſeine Pfeile flogen,

Geſchnitzt aus leichtem Buchs: verguͤldet war der Bogen;

Und haͤtte ſie nur Zeit, ſtets mahleriſch zu ſeyn:

So ſagte ſie uns mehr; wir ſchliefen aber ein.

Sie ſah den guͤldnen Schild vor ihren Augen blitzen:

Die Pfeile prallten ab mit umgebognen Spitzen.

O welch verfluchter Geiſt! rief Amor voller Wuth;

Geiſt naͤrrſcher Eitelkeit, Veraͤchter ſuͤſſer Glut!

Soll ſich Selinde nie zu ihrem Heil entſchließen,

Nur immer ſieghaft ſeyn und keinen Sieg genießen?

Und lernt ſie nicht verſtehn, wie ſchnell die Zeit verfliegt?

Wie ſchnell die Schoͤnheit welkt und wenig Jahre ſiegt?

Wird, immer unruhvoll, ſie nur Begierden fuͤhlen,

Die iedes Nichts entflammt und Augenblicke kuͤhlen?

Die Wolluſt ſelbſt iſt matt, wenn, kalt und unergetzt,

Das Herz nicht Antheil nimmt, ſich ſtraͤubt und widerſetzt

Selinde ſoll durch mich der Liebe Necktar ſchmecken:

Jch will Natur und Wunſch in ihrer Bruſt erwecken:

Jch will, verhaßter Geiſt, der mir zuwider iſt!

Und wenn Gewalt nicht hilft, ſo zittre vor der Liſt.

Er
[181]Ein Gedicht.
Er ſchwieg und ſah umher auf andrer Schoͤnen Wangen

Die Wuͤrkung ſeiner Macht, ein gluͤhendes Verlangen.

Voll Unruh war ihr Blick, Geſpraͤch und Scherz mißfiel,

Und auch das Lomber hieß ein unertraͤglich Spiel.

Nur ein Qvatrille-Tiſch blieb ungetrennt beyſammen,

Und Matadoren wich der Gott verliebter Flammen.

Zween Herren ſpielten fort: bereut wird ieder Tag

Von Seelen ihrer Art, wo niemand ſpielen mag.

Hierzu verſchwuren ſich zwo aͤchte Spielerinnen,

Mit hohlen Augen, bleich, voll Eifers zu gewinnen,

Der ſich bey ſchlimmem Gluͤck in wilden Blicken wies,

Und alle Grazien aus ihrem Antlitz ſtieß.

Die andern ſprungen auf und flogen nach dem Garten,

Und iedes Herze ſchlug von freudigem Erwarten.

Des Wunſches Ungeduld riß ihre Fuͤſſe fort:

Der Garten zeiget ſich: die Schoͤnen ſind ſchon dort.

[figure]
M 3Drit-
[182]Sieg des Liebesgottes

Drittes Buch.
Nun kuͤhlte ſich die Luft bey Titans niederm Lichte,

Der zur beſtrahlten See mit rothem Angeſichte

Jn guͤldnen Wolken ſank, indeß der Pflanzen Gruͤn

Und Flora glaͤnzender und alles lachend ſchien.

Es weht’ ein friſcher Weſt und blies auf allen Wegen

Der Bluhmen Ambraduft mit ſuͤſſem Hauch entgegen.

Die Ferne ſchwaͤrzte ſich durch manchen Lindengang,

Wo nie der volle Tag durch gruͤne Waͤnde drang.

Dort war ein Ueberfluß an dunkeln Cabinetten

Und Schatten, hohem Gras und ſanften Raſenbetten,

An allem, was mit Fleiß die Wolluſt ausgedacht,

Was ihren Gartendienſt bequem und reizend macht.

Dahin vertheilte ſich die ſchnell zerſtreute Menge.

Ein Paar ums andre ſchmilzt in die verſchwiegnen Gaͤnge

Vom großen Haufen weg, wie wann ein Fruͤhlingswind

Die lauen Fluͤgel regt und ſein Geſchaͤft beginnt:

Alsdann der lockre Schnee von ſchimmerreichen Hoͤhen

Jn Thaͤler murmelnd ſchleicht, die Berge fleckigt ſtehen,

Bis aller weiſſer Glanz allmaͤhlig ſich verliert,

Und nur ein ſeltnes Gruͤn die nackten Gipfel ziert.

Die weiſe Dorilis, die lauter Seele ſcheinet,

Oft auf die Weltluſt ſchmaͤhlt und oft beym Cubach weinet,

Vertrug den Ganymed, der manchmal kluͤglich ſchwur,

Daß ein Geheimniß nie dem treuen Mund entfuhr.

Sie
[183]Ein Gedicht.
Sie ſchwatzte ſo vertieft, vielleicht, wie ich vermuthe,

Von Pflicht und keuſchem Stolz und von dem hoͤchſten Gute;

Daß ihr verirrter Fuß in finſtre Buͤſche kam,

Wo ihre Geiſtigkeit ein ſinnlich Ende nahm.

Auch Chloe wagt ſich hin: ſie, die erſt aufgebluͤhet,

Und ſich um neuen Putz und nicht um Witz bemuͤhet,

Wie ihre Mutter denkt, wie ihre Koͤchinn ſpricht,

Hoͤrt dem Magiſter zu; verſteht ihn aber nicht.

Nachdem zween Sommer lang der Mann ſich blaß geleſen,

Und nun aus Wolfen weis, was beſte Welt und Weſen

Und Lieb und Schoͤnheit ſind: ſo wuͤnſcht ſein menſchlich Herz

Nun auch verliebte Luſt und ungelehrten Scherz.

Er fuͤhlet ſich bereit, nach ehlichen Geſetzen

An ſeiner Chloen Werth ſich ſinnlich zu ergetzen;

Und folglich liebt er ſie, und fraget mit Geſchrey,

Ob ſie nicht auch entzuͤckt von ſeinem Werthe ſey.

Das unſchuldvolle Kind! was hat ſie ihm zu ſagen?

Sie weis nur Ja und Nein; und weil auf ſeine Fragen

Sie deren keines waͤhlt, und keine Mutter ſieht,

Erroͤthet ſie, verſtummt, weint endlich und entflieht.

Der ſuͤſſe Selimor, der zaͤrtliche Dorante,

Selinde, Lesbia, die allen Zwang verbannte,

Verweilten um den Ort, wo rauſchend Waſſer ſprang,

Das eines Tritons Mund aus krummem Horne zwang.

Dort glaͤnzte Tyndaris, von Marmor ausgehauen:

Jhr holdes Angeſicht wies Liebe, Scham und Grauen,

M 4Und
[184]Sieg des Liebesgottes
Und wandte ſich verwirrt vom Paris, der ſie trug,

Und ſeinen weichen Arm um ihre Lenden ſchlug.

Jhr thraͤnend Auge ſchien den Himmel anzuflehen:

Die Haare flogen wild nach reger Luͤfte Wehen:

Den ſchoͤnſten Leib verrieth ihr fliehendes Gewand:

Dem Paris wird verziehn; wer haͤtte nicht gebrannt?

O welche volle Bruſt! ruft Selimor entzuͤcket:

Doch eine bluͤht fuͤr mich, die groͤſſre Schoͤnheit ſchmuͤcket.

Er blickt, indem er ſpricht, Selinden ſchalkhaft an,

Die durch ein Laͤcheln dankt und kaum erroͤthen kann.

Wie ſchlau weis Lesbia dieß kuͤhne Lob zu raͤchen!

Ach! ſpricht ſie, Selimor! Sie wollten mit mir ſprechen!

Was iſts? recht ſehr geheim? ſo kommen Sie geſchwind!

Jch glaube, daß Sie toll mit Jhrem Zaudern ſind.

Ja-doch-ein andermal! ſprach Selimor mit Lallen;

Und ſeine Zunge ließ nur halbe Worte fallen.

Doch folgt’ er Lesbien, die unbarmherzig gieng,

Und ſich an ſeinen Arm gebietriſch laͤchelnd hieng.

Der Henker hohle ſie mit ihren Teufelsraͤnken!

Murrt Selimor bey ſich: was wird Selinde denken?

Jch weis, das gute Kind iſt inniglich betruͤbt:

Allein kann ich dafuͤr, daß iedermann mich liebt?

Die Schoͤnheit feſſelt mich, wo ich die Schoͤnheit finde:

Drum lieb ich Lesbien; drum lieb ich dich, Selinde!

Vergebens bildet ſich dein Stolz ein anders ein:

Nie wird ein Selimor ein treuer Schaͤfer ſeyn.

Paris und London denkt, wie Selimor gedachte,

Der nun mit Lesbien ganz unbekuͤmmert lachte.

Sie
[185]Ein Gedicht.
Sie kamen im Gebuͤſch an eine Raſenbank,

Wohin, um auszuruhn, die muͤde Schoͤne ſank.

Nun raubt er einen Kuß von ihren warmen Wangen:

Jhr unberedter Mund beſtraft ſein Unterfangen:

Ach! plagen Sie mich nicht! ‒ Vergeben Sie, ich muß!

Dem erſten folgte bald ein zweyter, dritter Kuß.

Allein was wollen Sie? es iſt nicht auszuſtehen!

Sie muͤſſen, Selimor, hin zu Selinden gehen.

Selinden ſagen Sie? und ſehn ich mich nach ihr,

Verſetzte Selimor? bin ich nicht beſſer hier?

Wie aber? fuhr er fort; Sie wollen meine Flammen

Zu peinlichem Verzug, wie ein Roman, verdammen?

Soll dieſer dunkle Buſch vergebens dunkel ſeyn?

Jſt uns die Liebe fremd? und ſind wir nicht allein?

Nun warf er ungeſtuͤm ſich Lesbien zu Fuͤſſen,

Fiel uͤber ihre Hand mit gierigheiſſen Kuͤſſen,

Und kuͤßte Mund und Bruſt: ſie hielt ihn ſchwach zuruͤck;

Und nur von Wolluſt ſprach ihr halbgebrochner Blick.

Die ſchwere Zunge ſchwieg, von ſtummer Luſt gebunden:

Da war kein Widerſtand; ſie gab ſich uͤberwunden.

Sie ſeufzte: Selimor! ‒ ‒ Auch Zephyr ſeufzte nach,

Der liſpelnd im Gebuͤſch von ihren Kuͤſſen ſprach.

Du kuͤſſeſt, Selimor? und nicht Selindens Wangen?

Wohin verirret ſich dein flatterndes Verlangen?

Selinden, welche dir ſo liebenswuͤrdig ſchien,

Die dich vielleicht ſchon liebt, kannſt du gelaſſen fliehn?

M 5Do-
[186]Sieg des Liebesgottes
Dorante war allein bey ihr zuruͤckgeblieben,

Und ſprach nun ungeſtoͤrt von ſeinen beſſern Trieben.

Durch ſeine Lippen ſprach Natur und Zaͤrtlichkeit,

Da iede reizend iſt und allem Reiz verleiht.

Doch welche Muſe darf ihm nachzuſprechen wagen?

Romanenmaͤßig ſchallt die Zaͤrtlichkeit der Klagen

Jn unſer ekles Ohr, das Crebillon ergetzt,

Der Wolluſt Girren ruͤhrt und Amors Ach! verletzt.

Ein ſchalkheitvoller Mund mit ungetreuen Schwuͤren,

Nicht aͤchte Liebe, kann ein heutig Herze ruͤhren.

Die Schoͤne, wenn ſie liebt, denkt nur auf ſuͤſſen Scherz,

Und ſieht auf aͤuſſern Glanz und ſieht nicht auf das Herz.

Dorante ſprach umſonſt, der nicht von Golde ſtrahlte,

Nicht fremdes Geld verthat und ſeine Schulden zahlte.

Selinde blies durch Lob in ſeiner Liebe Brand,

Und lobend gaͤhnte ſie mit vorgehaltner Hand.

Sie wallten auf und ab in bluhmenvollen Steigen,

Mit feyerlichem Ernſt und oft in tiefem Schweigen;

Und kamen an den Buſch, wo im bethauten Gras

Sich Selimor berauſcht bey Lesbien vergaß.

Kaum hoͤrte Lesbia das Raſcheln fremder Tritte,

So wiſchte ſie davon mit unbemerktem Schritte:

Jndeß mit offner Stirn, wie nach der beſten That,

Der dreiſte Selimor hin zu Selinden trat.

Vergebens, fieng er an, mit wahrem Stutzer-Witze;

Entflieh ich im Geſtraͤuch entflammter Sonnenhitze!

Auch in den dickſten Buſch, wohin mein Fuß entwich,

Folgt mir die Sonne nach und wuͤthet uͤber mich.

Der
[187]Ein Gedicht.
Der Weihrauch ſeines Lobs ward guͤnſtig angenommen,

Selinde ſchien vergnuͤgt und Selimor willkommen.

Die truͤbe Daͤmmerung, die um ihr Auge lag,

Zerſtreute ſich und floh: es wurde wieder Tag.

Dorante ſahs erzuͤrnt; und mit verſtoͤrten Blicken

Entzog er ſich ſchon halb Selindens Zauberſtricken.

Doch, ach! ſie hatte kaum ihn zaͤrtlich angeſchielt,

Als ihr geuͤbter Blick ihn wieder feſte hielt.

Er wollt’ und wollte nicht und mußte ſie begleiten:

Wie unterſtund er ſich, ſein Herze zu beſtreiten?

Man gieng, nach langem Gehn, das Gartenhaus vorbey:

Nun hoͤrten ſie von fern ein weibliches Geſchrey.

Sie ſahen Lesbien: eh, rief ſie, will ich ſterben,

Und mit verſpritztem Blut Papier und Erde faͤrben!

Da hinter ihr Cleanth beſtaͤubt und keichend lief,

Und immer: warten Sie! mit ſanfter Stimme rief.

Umſonſt! ſie floh erblaßt, ſchrie klaͤglich um Erbarmen,

Und bebte voller Angſt noch in Selindens Armen.

Ach! fieng ſie endlich an; ich bin doch ſicher da?

Jndem ſie wild umher mit finſtern Blicken ſah.

O Schande! fuhr ſie fort; in abgelegnen Straͤuchen

Begegnet mir Cleanth: ich ſuch ihm auszuweichen.

Er tritt mich ſchmeichelnd an, und, Himmel! was geſchieht?

Nach einem, apropos! lieſt mir Cleanth ein Lied.

Bis an den kalten Mond entfliegt in ſeiner Ode

Der Unſinn, dickumwoͤlkt und ſcheckigt nach der Mode;

Der
[188]Sieg des Liebesgottes
Der Henker flieg ihm nach! doch lob ich, was er ſchrieb:

Verfluchte Schmeicheley, die ihn zum Frevel trieb!

Nun aber, faͤhrt er fort und runzelt ſeine Stirne;

Bemuͤht ein Heldenlob mein kreiſſendes Gehirne:

Und ſchoͤne Lesbia! ich kenn ihr feines Ohr,

Wofern es nicht mißfaͤllt, ſo leſ’ ich etwas vor.

Er langt mit voller Hand und vornehm ſproͤdem Weſen

Ein drohend Buch hervor, und alles will er leſen.

Jch flieh, er laͤuft mir nach, und lieſt, indem er laͤuft:

Warum wird ein Poet nicht, eh er ſchreibt, erſaͤuft!

Jch fuͤhlte, da er las, mein Blut im Leib erkalten:

Ach! konnte mich Cleanth nicht ſuͤſſer unterhalten?

Verdruͤßlicher Poet! wie artig ſchickt ſich nicht

Jn ſchattigtes Gebuͤſch ein epiſches Gedicht!

Nein! widerſprach Cleanth; ſo wahr die Muſen leben!

Nie hab ich meiner Schrift ſolch ſtolzes Lob gegeben.

Sie iſt nur ein Entwurf, noch rauh und maͤngelvoll,

Kein epiſches Gedicht, nicht was ſie werden ſoll.

Doch, ſprach Dorante drauf, wen waͤhlen ſie zum Helden?

Und welche große That wird ihre Muſe melden?

Das iſts, erwiedert er, was meinem Werke fehlt!

Die Handlung fehlt mir noch, der Held iſt nicht gewaͤhlt.

Jch habe Zeit hierzu, und kann mit Muße dichten:

Doch eines Cherubs Bild zu kuͤnftigen Geſichten,

Und acht Beſchreibungen ſind voͤllig ausgemahlt,

Wo ieder Pinſelzug mit hohen Farben ſtrahlt.

Denn
[189]Ein Gedicht.
Denn meine Muſe zuͤrnt auf Deutſchlands bloͤde Muſen:

Ein ſtuͤrmiſch Feuer keicht in ihrem Goͤtterbuſen:

Von weicher Anmuth fern, auf unbeflogner Spur,

Entzieht ihr kuͤhner Schwung ſich kriechender Natur.

Mit allem, was mir fehlt, wird Milton mich verſorgen;

Nur will ich einen Sturm vom ſchwachen Maro borgen.

Doch welcher Held bey mir die krauſe See durchſtreicht,

Beym Zevs! das weis ich nicht: ein Patriarch vielleicht!

Nimm, rief Dorante laut, o Deutſchland! nimms zu Ohren!

Aus deutſchem Hirne wird ein undeutſch Werk gebohren:

Ein Werk, das wenigſtens Homers berauchte Schrift

Und alle Kunſt Virgils beſchaͤmend uͤbertrift.

Dem Franzmann zum Verdruß, zu Deutſchlands Ruhm

und Freude

Baut unſers Freundes Witz ein epiſches Gebaͤude:

Faſt wie der Muſelmann Moſcheen kuͤnſtlich baut,

Der Truͤmmer Griechenlands aus altem Schutte haut:

Alsdann ſich Muͤhe giebt, mit friſchgebrannten Steinen

Manch altes Marmorſtuͤck willkuͤhrlich zu vereinen;

Und Saͤulen Joniens mit rauher Dorer Art,

Nicht nach geſchickter Wahl, bloß nach der Groͤße paart.

Jch ſeh, ich ſehe ſchon mit gruͤnen Lorbeerkranzen

Die breite Stirn Cleanths, des Heldendichters, glaͤnzen.

Der Zeitungſchreiber Lob laͤrmt vom erſtaunten Belt

Bis an der Alpen Eis und in der halben Welt.


Vier-
[190]Sieg des Liebesgottes

Viertes Buch.
Es war der Liebesgott Selinden nachgeflogen,

Und hatte jeden Blick mit ſtummem Ernſt erwogen:

Sein ſcharfes Auge ſah die große Wahrheit ein,

Selinde wuͤrde nicht unuͤberwindlich ſeyn.

Sie ſoll, vermaß er ſich, doch endlich unterliegen;

Und kann der Weiſe nicht ihr weiblich Herz beſiegen,

So ſiege Selimor und ohne Hinderniß!

Nur er iſt ihrer werth, ihm iſt ihr Herz gewiß.

Der Gott verſuchte nun, zu gluͤcklichem Beſtreben

Des muͤden Stutzers Muth aufs neue zu beleben.

Dir iſt Selinde hold, blies Amor ihm ins Ohr;

Du aber wageſt nichts, o nicht mehr Selimor!

Du zauderſt, bis vielleicht dich ein Pedant verdrungen,

Nachdem ſo mancher Sieg dir in Paris gelungen,

Wo manche Graͤfin von * *, die Venus ihrer Stadt,

Selbſt eine *Paris einſt dich angebetet hat.

Nun uͤbe, was du weiſt, was Frankreich dich gelehret!

Verſchmaͤht Selinde dich, ſo ſeh ich dich entehret.

Auf! ſchleiche dich mit ihr ins nahe Gartenhaus!

Was kluge Liebe wuͤnſcht, fuͤhr’ edle Kuͤhnheit aus.

Er
[191]Ein Gedicht.
Er ſchwieg; und Selimor, entbrannt von ſtolzem

Grimme,

Sprach zu Selinden kuͤhn, doch mit gedaͤmpſter Stimme:

Dorante, glaub ich, raſt! verdammt ſey ſein Poet,

Der uns von Dingen ſchwatzt, die niemand hier verſteht!

Soll meine Liebe ſtets dem Schulgeſchwaͤtze weichen?

Was hindert uns, mein Herz! allein hinweg zu ſchleichen?

Selinde folge mir und gebe mir Gehoͤr:

Geſellſchaft ſolcher Art erniedrigt uns zu ſehr.

Er ſprach, indem er ihr die Hand vertraulich druͤckte,

Und ihren Arm ergriff und nach dem Hauſe ruͤckte.

Die Schoͤne folgte traͤg als wider Willen, nach,

Jndeß Dorante noch mit jenem Dichter ſprach.

Er ließ ihr Zeit genug, ins Zimmer zu verſchwinden:

Zuletzt vermißt’ er ſie: er fragte nach Selinden.

Von banger Ahndung ſchlug ſein furchtſam liebend Herz,

Und auf umwoͤlkter Stirn erſchien ein finſtrer Schmerz.

Selinde! rief er aus, mit todtenbleichen Wangen;

Wo iſt die Grauſame? wo iſt ſie hingegangen?

Jhm ſagt es Lesbia, bey ihres Buhlen Flucht.

Von Rachluſt angeflammt, erhitzt von Eiferſucht.

Dorante, der, betaͤubt vom Donner ihrer Worte,

Wie eingewurzelt ſtund, wich nicht von ſeinem Orte.

Er ſtund und ſah umher mit ſtarrem Blick und ſchwieg,

Bis einſt ein dunkles Ach! von ſeinen Lippen ſtieg.

Er nahm ſich ploͤtzlich vor, Selinden zu erbitten:

Er gieng: blieb wieder ſtehn: Vernunft und Liebe ſtritten.

Es wankte ſein Gemuͤth, wie, durch den Herbſt entlaubt,

Die ſchwache Weide wankt, wann Eurus zornig ſchnaubt.

Zu-
[192]Sieg des Liebesgottes
Zuletzt ermannt’ er ſich zu muthigern Entſchluͤſſen,

Entſagte mit Bedacht umſonſt gewuͤnſchten Kuͤſſen,

Und wollte laͤnger nicht an einem Joche ziehn,

Das ihm ſo ſuͤſſe ſonſt, nun aber eiſern ſchien.

Sey gluͤcklich, rief er aus, mit deinem jungen Thoren!

Selinde! nun fuͤr mich, auf ewig nun verlohren!

Die Hoffnung, welche mir dein ſchmeichlend Auge gab,

Die mir ſo bluͤhend ſchien, faͤllt nun verwelket ab.

Betruͤgliches Geſchlecht, geſchaffen, uns zu quaͤlen!

Wird einer Schoͤnen Herz ie nach Verdienſten waͤhlen?

Jhr faͤllt ein ſchimmernd Nichts zu reizend ins Geſicht:

Sie ſieht das guͤldne Kleid; den Thoren ſieht ſie nicht.

Zu ſpaͤt erblickt ſie ihn, wann, der fuͤr ſie geſchmachtet,

Geſaͤttigt vom Genuß, einſt ihren Kuß verachtet,

Sie ohne Liebe kuͤßt, ihr als Tyrann befiehlt,

Und an erkaufter Bruſt ſein wildes Feuer kuͤhlt.

Dorante wollte mehr in vollem Eifer klagen:

Die leichte Lesbia belachte ſeine Plagen.

Er floh, indem ſie ihm die Hand gefaͤllig both,

Und klagte, Dichtern gleich, den Buͤſchen ſeine Noth.

Dorante war geflohn, Begluͤcktern Platz zu machen,

Da Amor unterdeß, nicht ohne boshaft Lachen,

Den Garten ſchnell verließ; und ein geſchwinder Flug

Zur Wohnung Selimors ihn augenblicklich trug.

Daſelbſt verlaͤugnet er ſein goͤttliches Gefieder:

Das Dienſtkleid Selimors glaͤnzt um die nackten Glieder:

Am glatten Kinne ſchlaͤgt ein ſchwarzes Baͤndchen an;

Die Stirn iſt unverſchaͤmt: kurz, Amor wird Johann,

Der
[193]Ein Gedicht.
Der Diener Selimors, ein Stutzer in den Sitten,

Der, witzig, wie ſein Herr, bey Maͤgden wohl gelitten,

Nie ohne Karten geht, ſich oft beym Wein vergißt,

Und alle Wirthe kennt und allen ſchuldig iſt.

Da Amor laͤrmt und flucht; entſpringt vom Ruhebette,

Ermuntert vom Geſchrey, die junge Magd Liſette:

Ein Maͤdchen, ſchlank von Leib, in Schelmerey geuͤbt,

Die wechſelsweis ihr Herr und ſein Bedienter liebt.

Ein faltigter Muslin, der ihren Hals bedecket,

Laͤßt ihre weiſſe Bruſt nachlaͤßig unverſtecket.

Ein kurzer Unterrock zeigt ihr gedrechſelt Bein,

Und auch ihr Sproͤdethun floͤßt Buhlern Kuͤhnheit ein.

Sie koͤmmt, ſie fliegt herbey, heißt ihren Johann ſchweigen,

Der, nach Lackayen-Art ſich artig zu bezeigen,

Jhr in den Buſen greift, und auf den Kutſcher ſchmaͤhlt,

Weil ſeine Kutſche noch beym fernen Garten fehlt.

Der Kutſcher koͤmmt; man ſchilt; er fragt noch eine Weile,

Warum doch Selimor ſo ungewoͤhnlich eile.

Doch hat ein junger Herr nicht ſeinen Eigenſinn?

Der Kutſcher ſchleicht belehrt zu ſeinen Pferden hin.

Ein braungeapfelt Paar wird praͤchtig aufgezaͤumet,

Und beißt auf blanken Stahl und ſcharrt in Sand und ſchaͤu-

met.

Der neue Wagen glaͤnzt, auf dem, noch unbezahlt,

Manch guͤldner Liebesgott, geſchnitzt aus Holze, prahlt.

Jn Wolken braunen Staubes fliehn die muntern Pferde,

Und unter ihrem Huf erſchuͤttert ſich die Erde.

Die Fenſter fliegen auf, wo, ſtolz auf ſchimmernd Gold,

Die Kutſche Selimors mit raſchem Raſſeln rollt.

NDoch
[194]Sieg des Liebesgottes
Doch Amors Ungeduld kann dieſe nicht erwarten:

Er iſt nicht mehr Johann; er eilet nach dem Garten,

Als Liebesgott, voraus, fliegt ins Gemach und ſieht,

Wie Selimor verliebt vor ſeiner Goͤttinn kniet.

Noch muſte dieſer Held um Sieg und Lorbeern kriegen:

Was hatt’ er nicht gethan, Selinden zu beſiegen!

Wie reizend unverſchaͤmt durch freyen Scherz geſtrahlt,

Mit fremden Fluͤchen ihr ſein Feuer vorgemahlt,

Gedankenlos gelacht, bald ſie, bald ſich geprieſen,

Mit ungezwungner Art die Londner Uhr gewieſen,

Des Franzmanns Dreiſtigkeit mit Anmuth nachgeahmt,

Kurz, allen ſeinen Werth Selinden ausgekramt!

Sie ſah den Selimor: wie konnte ſie ihn haſſen?

Doch wollt ihr ſteinern Herz ſich nicht entfelſen laſſen.

Oft ſchien ſie zwar erweicht: ihr Blick voll Mattigkeit

Jrrt’ ungewiß und ſcheu; ach! aber kurze Zeit.

Jhr unbeſiegter Stolz erhohlte ſich geſchwinde:

Sie wurde, was ſie war, die grauſame Selinde;

Und eben da ſie ihm gewiß gefangen ſchien,

Sah ſich der Held getaͤuſcht und ſeinen Raub entfliehn:

Wie, wann ein Junker einſt, mit Huͤlfe kluger Hunde,

Den Rammler aufgeſpuͤrt; nach mancher muͤden Stunde

Spur, Haſ’ und Froͤhlichkeit auf einmal wieder flieht,

Der edle Jaͤger flucht und leer nach Hauſe zieht.

Doch ſollte Selimor den Sieg verlieren muͤſſen?

Verzweiflend warf er itzt Selinden ſich zu Fuͤſſen.

Er flehte, feufzte, ſchwur: wie manch franzoͤſiſch Ach

Entflog dem ſuͤſſen Mund und ſaͤuſelt’ im Gemach!

Ur-
[195]Ein Gedicht.
Urploͤtzlich ſprang er auf mit freudigem Vertrauen:

Er hatte Zeit gehabt, ſich achtſam zu beſchauen;

Und nahm, noch mehr gereizt durch kuͤhnen Widerſtand,

Halb ſcherzhaft, halb verliebt, Selinden bey der Hand.

Wie iſts nun? fieng er an; o Bluhme junger Schoͤnen!

Wird ihre Zaͤrtlichkeit bald meine Treue kroͤnen?

Jch kann Sie nicht verſtehn, nein! meine Koͤniginn!

Und wiſſen Sie, im Ernſt, daß ich verdruͤßlich bin?

Mich duͤnkt, ich liebe Sie ſchon volle hundert Jahre:

Verſchieben Sie mein Gluͤck auf meine grauen Haare?

Sie lieben mich ja doch; das iſt ſo offenbar, ‒ ‒

Wie? unterbrach ſie ihn; Sie halten das fuͤr klar?

Fuͤr klar? o fuͤr gewiß! Sie werden mir erlauben,

Erwiedert Selimor; wie kann ich anders glauben?

Man weiß ſich liebenswerth, man liebt, man wird geliebt:

Was iſt hier wunderbars, das Recht zu zweifeln giebt?

Jch aͤrgre mich zum Narrn bey Jhrem Widerſtreben.

Wie lange zoͤgern Sie, ſich ruͤhmlich zu ergeben?

Fort! machen Sie geſchwind! beſchwoͤren ſie den Bund;

Und weil Jhr Herz mich liebt, ſo ſage mirs Jhr Mund.

Vor einem Selimor muß Trotz und Haͤrte brechen:

Jhm, der ſo dreiſte hofft, kann jemand widerſprechen?

Wie gluͤcklich wart ihr einſt, ihr Schoͤnen alter Zeit!

Die Ehrfurcht eurer Welt war eure Sicherheit.

Nur jaͤhriger Beſtand hieß aͤchter Liebe Zeichen:

Man wollte ſeinen Sieg verdienen, nicht erſchleichen.

N 2Da
[166[196]]Sieg des Liebesgottes
Da hatte die Vernunft zur Ueberlegung Raum;

Nun wird ſie uͤberraſcht; die Schoͤne faßt ſich kaum.

Man buhlt nicht um ihr Herz; man ſchmeichelt ihren Sin-

nen:

Und kann was leichter ſeyn, als dieſe zu gewinnen?

Wie glaͤnzt ein junger Herr! er iſt voll Ungeduld:

Und wann die Sproͤde ſaͤumt, ertrotzt er ihre Huld.

Selinde wankte ſchon, wie unter ſtarken Streichen,

Von ſcharfer Axt beſtuͤrmt, die ſchoͤnſte ſchoͤner Eichen

Auf alle Seiten droht und hin und wieder winkt,

Bis ihr bemooſter Stamm mit Praſſeln ſplitternd ſinkt.

Doch fiel die Schoͤne nicht, fuͤr die ihr Schutzgeiſt kaͤmpfte,

Der ſtets durch kalten Stolz der Liebe Regung daͤmpfte:

Als einer Kutſche Laͤrm, die durch die Straſſe flog

Und vor dem Garten hielt, ſie ſchnell ans Fenſter zog.

Jhr Herze ſchlug ſogleich von weiblichem Verlangen;

Jhr funkelnd Auge blieb an dieſem Anblick hangen:

Entzuͤckt vertheilte ſich der Blicke ſchneller Blitz

Auf Wagen, Roß und Mann, bis auf den Kutſcherſitz.

Bewundernd rief ſie aus: der allerliebſte Wagen!

Wer iſt der gluͤckliche, den ſolche Roſſe tragen?

Jch ſelbſt, ſprach Selimor mit ernſter Majeſtaͤt:

Die Unterkehle ſchien hochmuͤthig aufgeblaͤht.

Wie aber? fuhr er fort, mein Kutſcher, glaub ich, traͤumet,

Der nun zu zeitig koͤmmt, ſonſt immer ſich verſaͤumet.

Jch ſoll von Jhnen gehn? von Jhnen, goͤttlich Kind?

Und ehe, toller Streich! wir vollends richtig ſind?

Nein!
[197]Ein Gedicht.
Nein! das geſchehe nicht! ich laß es nicht geſchehen:

Jch ſchwoͤre bey der Uhr, die Sie hier glaͤnzen ſehen,

(Er legt ſie auf den Tiſch), und ich vor kurzer Zeit

Aus London mitgebracht, nicht ohne Vieler Neid.

Es hatte ſie ein Lord bey Sweerts beſtellen laſſen:

Jch kaufte ſie ihm aus; der Junker mußte paſſen.

Bis dieſer Zeiger hier auf zwo Minuten ſchleicht,

Ergebe ſich Jhr Herz, das doch vergebens weicht.

Er ſchweigt: Selinde ſteht noch immer unentſchloſſen:

Noch hangt ihr ſtarrer Blick an jenen edlen Roſſen.

Sie machen ihren Herrn der Schoͤnen doppelt lieb,

Der ſein verdientes Gluͤck nun muthiger betrieb.

Der Schutzgeiſt mußte ſelbſt dem Vorwitz unterliegen,

Und ſchlich dem Fenſter zu, die Neugier zu vergnuͤgen.

Der leichtgeſinnte Geiſt! raubt einer Kutſche Putz,

Ein Pferd, ein ſchoͤner Tand, Selinden ſeinen Schutz?

Durch keine Zeichen ward ſein taubes Herz beweget:

Der Schooshund hatte ſich aufs Canapee geleget:

Nun fuhr er bellend auf, verließ die ſanfte Ruh,

Und ſprang mit regem Schweif Selinden aͤngſtlich zu.

Es prangte der Camin mit glaͤnzenden Pagoden:

Sie bebten ungeregt und ſtuͤrzten auf den Boden.

Umſonſt! der Schutzgeiſt ſtund und ſah und hoͤrte nicht.

Verwundrung uͤberzog ſein laͤchelnd Angeſicht.

Nun zog der Liebesgott, der laͤngſt begierig lauſchte,

Den krummen Bogen an: mit ſchnellen Fluͤgeln rauſchte

Der abgedruͤckte Pfeil, der Glut und Flammen trug,

Und in Selindens Bruſt ſich ungehindert ſchlug.

N 3Durch
[198]Sieg des Liebesgottes
Durch Amors Jauchzen ließ der Schutzgeiſt ſich erwecken:

Vergebens wollt er ſie mit ſpaͤtem Schilde decken:

Denn eine ſchnelle Nacht verdunkelt’ ihren Blick:

Sie ſank, o Selimor! in deinen Arm zuruͤck.

Ein fremdes Feuer floß durch ihre ſchoͤnen Glieder:

Sie hob die Augen auf und ſchlug ſie wieder nieder.

Jhr fliehend Auge ſelbſt bekannte deinen Sieg,

Ob gleich ihr ſtolzer Mund noch uneroͤffnet ſchwieg.

Jndeſſen hatte ſie, bey dieſen kurzem Schweigen,

Des frohen Siegers Reiz und artiges Bezeigen,

Sein Lachen, ſeinen Gang, des Kleides reiche Pracht,

Der Kutſche Goͤttlichkeit, noch einmal uͤberdacht.

Erroͤthend ſagt ſie ihm: Sie haben uͤberwunden!

Und reicht ihm ihre Hand, vom alten Stolz entbunden;

So viel Verdienſten kann mein Herz nicht widerſtehn!

Ach! moͤcht ich Jhre Glut in ſteter Flamme ſehn!

Jhr dankte Selimor durch ungezaͤhlte Kuͤſſe,

Da Amor ſiegreich floh, und uͤber Berg und Fluͤffe,

Hoch auf des Adlers Bahn, in grauer Daͤmmerung

Und unter friſchem Thau, ſein feucht Gefieder ſchwung.

Nach Paphos trugen ihn die ſchnellbewegten Fluͤgel:

Die Wolluſt brachte ſelbſt ihn zum entlegnen Huͤgel,

Wo bey cryſtallner Flut, die heiſcher murmelnd lief,

Und unter Majoran, der muͤde Gott entſchlief.


Briefe
[[199]]

Briefe.


[[200]][201]

An Herrn Hofrath B*


Zum andernmal, o Freund! gruͤnt Roͤmhilds

Aue wieder,

Zum andernmal fuͤr mich! Mit rauſchen-

dem Gefieder

Scherzt uͤberall der ſanfte Weſt!

Die Nachtigall ſingt ihre Lieder:

Die fromme Schwalbe baut ihr Neſt.

Noch dieſen Fruͤhling wird mein Aufenthalt hier dauern:

Jch wuͤrde nicht untroͤſtlich trauern,

Wenn unter den bejahrten Mauern

Mein kuͤnftig Neſtchen aufbewahrt,

Mir angewieſen werden ſollte,

Wofern ein Vogel guter Art,

*Nett, ſchalkhaft, huͤpfend, zart,

Mit mir zu Neſte tragen wollte.

Aber, ohne Scherz! die hieſigen Gegenden ſind die ange-
nehmſten, die man ſehen kann. Der Fruͤhling iſt nir-
N 5gend
[202]Briefe.
gend reizender, als hier. Armer Freund! Sie reden
auch vom Fruͤhling? Sie, die im Rauch einer engen
Stadt eingeſchloſſen leben, und die Stimme der Nachti-
gall nur bey den Poeten hoͤren? Jn Staͤdten, glauben
Sie mir, iſt nur ein halber Fruͤhling: der Hauch der We-
ſte iſt daſelbſt nur halb ſo lieblich, und die Bluhmen la-
chen mit einem nur gemeinen Reiz. Dort kennet man
die Schoͤnheiten der Natur bloß dem Nahmen nach.
Nur auf dem Lande kennet, fuͤhlet und genießet man ſie:
und ich kann, ohne zu luͤgen, ſagen, daß ich auf dem Lande
bin, ob ich gleich in einer Stadt mich aufhalte, die nicht
wenig Laͤrm verurſachet.


Jch kann wie auf dem Land und als ein Schaͤfer leben:

Als Schaͤfer? ich betruͤge mich!

Wer wird mir Schaͤferinnen geben?

Und ohne Schaͤferinn ſind Schaͤfer jaͤmmerlich.

Zwar Maͤdchen ſind hier, wie Goͤttinnen,

So artig, als die Schaͤferinnen;

Doch nicht ſo fromm, wie ſie und ich.

Sie ſind, wie uͤberall die Quelle ſuͤſſer Schmerzen,

Voll Unſchuld auf der Stirn, voll Schelmerey im Herzen.

So ſchlimm dieß Voͤlkchen iſt, wer liebt es, leider! nicht?

Ein ſchoͤner Blick war ſtets dem Weiſen uͤberlegen:

Ein Blick entrunzelt ſein Geſicht:

Der Fromme ſuͤndigt ihrentwegen,

Schielt uͤbern Cubach weg und ſpricht:

Ach!
[203]Briefe.
Ach! waͤr kein Maͤdchen auf der Erden,

Wir wuͤrden alle ſeelig werden!

Dergleichen Gedanken ſchleichen, wenn ich mich der
hohen poetiſchen Sprache, ich der ich unpoetiſch bin, be-
dienen darf, ſelbſt in meinem geheimſten Herzen zu-
weilen herum, bey meinen einſamen Spaziergaͤngen, wo
alles um mich herum lachet. Was fuͤr entzuͤckende Spa-
tziergaͤnge! Hier verlohnt ſichs doch der Muͤhe, daß ich
meine verwoͤhnten Fuͤſſe ermuͤde. Sie ſollten nur ſehen,
wie ich laufe, ich, den ſie oft faul geſcholten haben, weil
ich Jhnen auf ihren Tagereiſen durch meiſt unangenehme
Oerter zu folgen, keine Luſt hatte! Hier bieten die ange-
nehmſten Scenen der Natur ſich mir ſelbſt und unge-
ſucht an.


Kaum eil ich fliegend aus den Thoren;

So kann ich mich im Gruͤnen ſehn;

So fuͤhl ich freyer Luͤfte Wehn:

Die Lerche ſingt; ich ſehe Floren

Durch hundert Gaͤrten landhaft gehn.

Nicht mit beſeeltem Marmor ſtrahlen,

Nicht mit Orange-Waͤldern prahlen

Die Gaͤrten hier zur ſchoͤnen Zeit.

Nebſt einem kleinen Sommerhauſe,

Zu einem abendlichen Schmauſe,

Gewaͤhren ſie der Froͤhligkeit

Viel
[204]Briefe.
Viel Gras, ſich ſcherzend hinzuſtrecken,

Und, Amors Freuden zu verſtecken,

Viel Schatten, viele Dunkelheit.

Die Anmuth lockt auf allen Wegen

Jm Schoos des Fruͤhlings mir entgegen:

Dem Reiz begegnet ieder Blick.

Er ſchweift herum in weiter Sphaͤre:

Damit kein Berg der Ausſicht wehre,

Steht ieder ehrfurchtvoll zuruͤck.

Der Steinsburg kahle Glatze ſtrecket

Sich in des Donners Aufenthalt;

Und ihre breite Schultern decket

Furcht, ſchwarze Finſterniß und Wald.

Gleich furchtbar, noch erhabner thuͤrmet

Das Gleichgebuͤrge ſich empor:

Von ſeinen duͤſtern Eichen ſtuͤrmet

Der Nord in muͤder Wandrer Ohr.

O du, die Buſch und Gras bekleiden,

Du, Hartenburg! ſtehſt zwiſchen Beyden,

Zwar niedrig, aber angenehm!

Das Klettern kan ich niemals leiden;

Doch dich beſteig ich ganz bequem.

Jch ſteig, in kuͤhlen Abendſtunden,

Zu dir an Gaͤrten ſpielend hin:

Jn dieſen kuͤhlen Abendſtunden

Wird hier der Buͤrger oft mit ſeiner Frau gefunden,

Oft auch mit einer Nachtbarin.

Auch
[205]Briefe.
Auch Bachus hat, wer ſollt es glauben?

Bekraͤnzt mit eſſigſauern Trauben,

Man weis nicht, wie? ſich hin verirrt,

Daß Roͤmhild nun durch Wein und Bier verherrlicht

wird.

O Luſt! wenn von bebluͤhmter Spitze,

Wo im Geſtraͤuch ich einſam ſitze,

Wo mich die Sommerluft vergnuͤgt;

Wenn ich von krausbebuͤſchter Hoͤhe

Die groſſen Weiten uͤberſehe,

Die itzt mein Auge frey umfliegt;

Wenn hier ein ſchattigt Waͤldchen rauſchet,

Wo Amor, flieht ihr Schoͤnen! lauſchet;

Dort unbeſtrahlte Waͤlder brauſen,

Und hier der Weſt mit ſanftem Sauſen

Auf wallendem Getraide liegt;

Wenn bald mit ſeinen weiſſen Waͤnden

Mir Breitenſee entgegen lacht,

Bald Milz mit ſeinem Thurm in gothiſch alter Tracht;

Und hier und dort, an allen Enden,

Mir eine Stadt, ein Dorf manch luſtig Schauſpiel

macht!

Jch ſeh, o Hartenburg! dich immer mit Entzuͤcken:

Dein Angedenken ſoll mir keine Zeit entruͤcken;

Und wenn ich deinen gruͤnen Ruͤcken

Und Roͤmhilds Grazien und Groͤtzners Wein und Kuß

Verlaſſen muß:

Will ich nach dir im Geiſte blicken;

Soll
[206]Briefe.
Soll meine Muſe dich mit ihren Lorbeern ſchmuͤcken,

Daß, wie man Tiburs Hayn, das holde Tempe preiſt,

Auch du der Nachwelt heilig ſeyſt.

Aber dieſe arme Muſe hat ſich ganz aus dem Odem gere-
det: ſie keichet fuͤr Muͤdigkeit, und wuͤnſchet, auszuru-
hen. Bis zu ihrer baldigen Wiederherſtellung, will ich
ihnen nur in der alltaͤglichen Sprache ſagen, daß mir auf
dieſer angenehmen Hartenburg ein Abentheuer zugeſtoſſen,
welches meine bisherige Vermuthung beſtaͤtiget hat, daß
ein ſo reizender Berg auch in andern Abſichten merkwuͤr-
dig ſeyn muͤßte. Die alten gefuͤrſteten Grafen von Hen-
neberg ſollen ein Bergſchloß daſelbſt gehabt haben; und
noch bey Lebzeiten des letzten Herzogs Sachſen-Roͤmhil-
diſcher Linie iſt ein Luſt- oder Trink-Ort hier geſtanden,
von welchem nichts mehr uͤbrig iſt, als ein ſchoͤner Felſen-
Keller und ein tiefer Brunnen. Sie muͤſſen, wenn ſie
uͤberhaupt von den Alterthuͤmern hieſiger Stadt, wider
Vermuthen, ein mehreres wiſſen wollen, gewiſſe gelehrte
Werkchen nachſchlagen, welche niemand lieſt. Als ich
ohnweit ermeldten Kellers meinen melancholiſchen Gedan-
cken nachhieng, noͤthigte mich ein ploͤtzlich einbrechender
Sturm hinein zu fluͤchten, bis der Regen voruͤber waͤre.
Kaum war ich einige Schritte von dem Eingang abge-
kommen, als ich durch die Erſcheinung eines ehrwuͤrdi-
gen Alten, der mich ihm folgen hieß, erſchrecket wurde.


Ein ſilberweiſſer Bart fließt ihm von muntern Wan-

gen

Bis
[207]Briefe.
Bis auf den Guͤrtel ab, wo ſchwere Schluͤſſel hangen:

Sein blendendes Gewand ſchleppt auf dem Boden hin:

Er geht; ich folg ihm nach; ich weis nicht, wo ich bin.

Ein zweifelhaftes Licht ſtielt ſich durch ſeltne Ritzen,

Wie in den Waͤldern herrſcht, wann die Geſtirne bli-

tzen,

Noch ehe Cynthia mit vollem Angeſicht

Aus neidiſchem Gewoͤlke bricht.

Jch ſehe tief hinein viel groſſer Faͤſſer liegen:

Huy! denk ich, hier giebts Wein! Fuͤr Sehnſucht und

Vergnuͤgen

Leckt meine duͤrre Zunge ſchon

Die Lippen, die dem Faß mit ihrem Durſte drohn.

Du ſieheſt, ſprach der Geiſt, den ehrlichſten der Geiſter!

Jch war in beßrer Zeit hier ehmals Kellermeiſter:

O Zeiten! euch vergeß ich nie,

Da Weins die Fuͤlle war, und alles trank und ſpie!

Auf dieſen Hoͤhen ſtund Lyaͤens liebſter Tempel:

Mein Schatten ſchwebet noch um den geliebten Ort.

Wie ofte taumelt’ ich, den Juͤngern zum Exempel,

Um jene fruchtbarn Faͤſſer dort!

Doch damals waren auch die guͤldenſten der Zeiten:

Da wuſte Roͤmhild nichts von Unruh, Zank und Strei-

ten:

Man zankte nur, wenn Wein gebrach:

Nur ſeit Lyaͤus floh, flog ihm der Friede nach.

O Roͤmhild! Roͤmhild! ſieh, was dir mit ihm entge-

het!

Die
[208]Briefe.
Die Zwietracht raſte ſtets, die ſtille Ruhe wich,

Seit Hartenburg verheeret ſtehet:

Ein Gott hat hier gewohnt, ein Gott verfolget dich.

* Du buͤſſeſt unverdient der Vaͤter Miſſethaten,

Bis du den Tempel wieder bauſt,

Das Haus des Rebengotts, das in Verfall gerathen,

Auf deſſen Truͤmmern du nur Gras und Moder ſchauſt:

Bis du die Faͤſſer fuͤllſt, wo ſonſt Lyaͤus brauſte;

Nun, leider! ſind ſie leer!

Der Alte ſeufzt’ und ſprach nicht mehr:

Die ſchreckenvolle Hoͤhle ſauſte

Und ſeufzte klaͤglich: ſie ſind leer!

Auch ich, der ſchon in Hoffnung ſchmauſte,

Schrie klaͤglich: ſie ſind leer!

Jch wuͤnſchte nunmehr von ganzem Herzen, aus dieſen
nnterirdiſchen Wohnungen je eher, je beſſer loszukommen:
denn mit leeren Faͤſſern und mit leeren Glaͤſern iſt mir
niemals viel gedient geweſen. Aber meine Beſtuͤrzung
ſtieg aufs hoͤchſte, als mein Kellermeiſter mich wieder
anredete. Der Sturm, ſprach er, welcher dich in dieſen
Keller genoͤthiget, o Sterblicher! iſt nicht von ungefehr
entſtanden. Ein Gnome, der in dieſem Berge ſich auf-
haͤlt, hat ihn veranſtaltet, weil er dich zu ſprechen ver-
langet. Er hat mit Vergnuͤgen bemerket, daß du die
ſchoͤne Hartenburg beſonders liebſt, und beym Spatzie-
ren
[209]Briefe.
rengehen dieſelbe nicht leicht uͤbergeheſt. Er hat geglaubt,
daß du vor dieſem Beſuch um ſo weniger erzittern wuͤr-
deſt, da du aus den cabbaliſtiſchen Briefen eines witzigen
Marquis, mit derer Durchleſung du einige Zeit her be-
ſchaͤftiget geweſen, eine richtigere Kenntniß der Geiſter
aller Arten geſchoͤpfet haͤtteſt. Jch werde dich zu ihm
fuͤhren: folge mir! Jch laͤugne nicht, wertheſter Freund,
daß ich dieſes unerwarteten Beſuches gern uͤberhoben ge-
weſen waͤre.


Poeten ſprechen zwar mit Geiſtern,

Trotz ausgelernten Hexenmeiſtern,

Vertraulich, kuͤhn und ohne Scheu;

Jedoch, ich ſag es frey,

Nur wann ſie auf dem Pindus traͤumen,

Jn ihren Reimen.

Jch habe auch, die Wahrheit zu ſagen, eben nicht viel
ruͤhmliches von den Herren Gnomen gehoͤrt: ſie ſollen et-
was boshaft und uͤberhaupt ſchlechte Chriſten ſeyn. Aber
ich war einmal in den Haͤnden des Staͤrkern: ich muſte
der Gewalt weichen, und folgte meinem Fuͤhrer, wohin er
mich leitete.


Wie, wenn des Muͤllers brauner Stecken

Dem Eſel, welcher ledig zeucht,

Von ſeiner Eſelinn vielleicht,

Vielleicht von diſtelreichen Hecken

Gebietheriſch verſcheucht;

ODas
[210]Briefe.
Das traͤge Thier alsdann, beſchwert mit neuen Saͤcken,

Die Ohren hangen laͤßt, und melancholiſch ſchleicht:

Mit gleicher traurigen Geberde

Gieng ich im Jnnerſten der Erde,

Wo durch die unerhellte Nacht

Mein Alter mich zum Gnomen fuͤhrte.

Er ſchien mir, wie ich ihn gedacht,

Klein, haͤßlich, erdenbleich und ſtolz auf ſeinen Schacht.

Die Hoͤhle, ſeine Wohnung, zierte

Was Tellus koſtbars zeugt, der Geiz mit Angſt bewacht,

Und Narren unertraͤglich macht.

Ein groſſer Affe warf beym Eingang mich mit Kothe:

Jch ſtutzt’ und wich zuruͤck; doch als der Gnom’ ihm

drohte,

Dann ihm zween derbe Streiche gab,

So ließ er zornig von mir ab,

Und hatte Luſt mich anzuſpeyen,

Wandt endlich ſich hinweg, und zeigte mir den Steis.

Mit Lachen ſprach der Geiſt zu ſeines Lieblings Preis:

Es iſt mein Hofpoet; man muß ihm was verzeihen.

Er ſpaßt ſtets aufgeweckt und fein.

Jch geb ihm Brod, mit Schaͤckereyen

Mich, eh ich ſchlafe, zu erfreuen:

Denn ſeine Scherze ſchlaͤfern ein.

Seyd ihr Poeten ſonſt was nuͤtze?

Wenn ihr nicht Poſſen macht, ſo bleibt bey eurer Pfuͤtze,

Bey Hypokrenen, ohne Wein!

Dieſer
[211]Briefe.

Dieſer unhoͤfliche Spaß des Gnomen verdroß mich. Ei-
ne Sprache dieſer Art, die nur der großen Welt natuͤrlich
laͤßt, ſchien mir in dem Munde eines kleinen Gnomen un-
verſchaͤmt zu ſeyn; und ich weis nicht, was ich ihm wuͤr-
de geantwortet haben, wenn er mich haͤtte reden laſſen.
Wie nun? fuhr er fort; wird die gewuͤnſchte Ruhe in
Roͤmhild auf den Fluͤgeln eines erfreulichen Concluſi (weil
dieſes doch dermalen ein Modewort, auch bey den Bau-
ern, iſt) bald zuruͤckkommen? Sollen wuͤrklich die Buͤr-
ger dieſes Ortes die gluͤckliche Gelegenheit bald verlieren,
ihre politiſchen Einſichten zum Wohl ihres Vaterlandes,
bey einem Krug Bier, in den Schenken auszukramen?
Jch daͤchte nicht! Nein! Es waͤre mir auch eben nicht
angenehm. Mein Hof wuͤrde doch in kuͤnftiger Zeit kei-
nen ſo ſtarken Zufluß mehr bekommen, als in dieſen Zei-
ten der Unordnung geſchehen koͤnnen.


Denn dieſe grauenvollen Hoͤhlen

Sind abgeſchiednen ſtrafbarn Seelen

Zu ihrem Aufenthalt ernannt.

Hier ſchwaͤrmen unter bangen Klagen

Die Werkzeug’ allgemeiner Plagen,

Die euch die Hoͤlle zugeſandt:

Verraͤther, Wuchrer, Ungerechte,

Die keinen Gott, kein Vaterland,

Als ihren Eigennutz, gekannt:

Der ſchwarzen Habſucht ſchlaue Knechte,

O 2Die
[212]Briefe.
Die auch ein Meineyd nicht erſchreckt,

Sobald ſich ein Gewinn entdeckt:

Die Heuchler, derer fromme Zungen

Bald andachtvolle Lieder ſungen,

Und bald, o heiliges Bemuͤhn!

Den Gift vergaͤllter Laͤſterungen

Auf ihren beſſern Naͤchſten ſpien:

Der Harte, der ſich nie erbarmet,

Nie auf den Armen huͤlfreich blickt:

Der Falſche, der den Freund umarmet,

Und ihm den Dolch ins Herze druͤckt:

Der giftigen Verlaͤumdung Freunde,

Die glaͤnzender Verdienſte Feinde,

Verfolger aller Tugend ſind;

Und jene plaudernde Sibyllen,

Die iedes Haus mit Zwiſt erfuͤllen,

Wo ihr Geſchwaͤtz ein Ohr gewinnt;

Verlebte muͤſſige Matronen,

Die Geiſſeln, ja die Peſt der Straſſen, wo ſie wohnen.

Kurz, aller Unflath des menſchlichen Geſchlechts fließet
in dieſen traurigen Gruͤften zuſammen; ein ieder zu ſeiner
beſtimmten Strafe. Sind dir, ſetzte der Gnome mit
ſeiner gewoͤhnlichen poſſenhaften Art hinzu, dergleichen
Leute, die ich einſtens hier zu ſehen hoffen darf, an dem
Orte deines itzigen Aufenthaltes bekannt? Welche ſind es?
Luſtig! erzehle mir was! Biſt du denn gar nicht aufge-
weckt? nicht boshaft? Jch erwiederte verdruͤßlich, daß
ich
[213]Briefe.
ich wohl wetten duͤrfte, dergleichen Menſchen, die ihm
lieb waͤren, wuͤrden hier gar nicht anzutreffen ſeyn.
Wenn ſie es aber auch waͤren, ſo moͤchte ich ſie nicht
ſehen: ſie wuͤrden mich nur traurig machen; und ich
lachte lieber. Roͤmhild waͤre gut genug: nur verdroͤſſe
mich der unter die Einwohner ausgegangene Rottengeiſt,
welcher die gute Geſellſchaft ſelten und die Freude ſchuͤch-
tern machte.


Wie? Buͤrger einer Stadt ſind Feinde?

Anſtatt geſellig und als Freunde

Bey Scherz und frohem Wein zu gluͤhn;

Seh ich ſie voreinander fliehn?

Und eh ſie einen Kuß auf holden Lippen wagen,

Erſt aͤngſtlich fragen,

Von welch politiſcher Parthey,

Der Torris oder Whigs, ein artig Maͤdchen ſey,

Das oft nicht weis, was beyde klagen?

Jhr Buͤrger! welche Wuth hat euer Hirn verbrannt?

Die Staatskunſt ſey euch unbekannt!

Trinkt euern Wein in Ruh, und ſchlaft bey euern Wei-

bern,

So nutzt ihr doch dem Vaterland,

Und wenigſtens mit euern Leibern.

Jch, der in kurzem ſcheiden muß,

Will meinen vaͤterlichen Segen

Auf dich, unruhig Roͤmhild! legen:

Es fehle nie an Wein! Lyaͤens Ueberfluß

O 3Ent-
[214]Briefe.
Entferne Zwietracht und Verdruß,

Die ſtets bey ſchlechtem Bier ſich regen!

Der Juͤngling ſchmachte nicht umſonſt um Wein und

Kuß,

Und ſterbe keiner Sproͤden wegen!

Sterben? und um eines ſproͤden Maͤdchens willen? un-
terbrach mich der unverſchaͤmte Gnome: o ſey des-
wegen unbeſorgt! Jch habe in dieſem meinen unterir-
diſchen Aufenthalt noch keinen Selbſtmoͤrder dieſer Art
geſehen; und vermuthe auch nicht, jemals einen ſolchen
zu ſehen. Die Schoͤnen und ihre Liebhaber haben ſeit
undenklichen Jahren einander ihr Wort gegeben, weder
durch eine uͤbertriebene Strenge dergleichen ſuͤndliche Ge-
waltthaͤtigkeiten zu veranlaſſen, noch bey unvermutheter Haͤr-
te ſich zu entleiben: alles aber, was, dieſem zuwider,
dann und wann geſagt, oder geſchrieben wuͤrde, ſollte als
ein unverbuͤndliches Compliment angeſehen werden.


Weil Phyllis untreu iſt, will Damon ſich erſtechen:

Doch will er kluͤglich erſt mit ſeinem Weine ſprechen.

Sein kluͤgrer Wein giebt ihm den Rath,

Er ſoll durch eine gleiche That

Sich an der Ungetreuen raͤchen:

Er thuts, und lebt noch itzt: gewiß ein guter Rath!

Der Liebesgott braucht ſein Gefieder,

Als Amor, als der Gott der Luſt:

Die Freude flieht; er ſucht ſie wieder;

Und
[215]Briefe.
Und findet ſie auf andrer Schoͤnen Bruſt.

Der Schoͤnen alte Strenge fliehet:

Sie ſind ja Fleiſch, wie ieder ſiehet,

Das ſchoͤnſte Fleiſch, nicht harter Stein.

Man gebe mir die groͤßte Sproͤde,

Doch in der Daͤmmrung und allein:

Sie ſoll nicht lange ſproͤde ſeyn.

Man weis, wir Gnomen ſind nicht bloͤde:

Wer muthig ſtuͤrmt, nimmt alles ein.

Jch konnte mich des Lachens ohnmoͤglich enthalten, da ich
einen Gnomen mit der zuverſichtlichen Mine eines Adonis
ſprechen hoͤrte. Jch glaubte, einen unbaͤrtigen Helden zu
hoͤren, welcher der aufmerkſamen Mama die Heldentha-
ten erzehlet, die ſein Arm in der Schlacht bey Mollwitz
verrichtet, wo er am erſten die Flucht genommen. Aber
der Gnome bezahlte mich fuͤr mein Lachen. Alles, was
ich bisher geſagt habe, ſprach er mit vieler Ernſthaftigkeit
zu mir, hilft dir nichts, mein Freund! Jch kenne dich
nun: du wirſt ſo wenig jemals ein gluͤcklicher Liebhaber,
als ein großer Mann werden. Wer nur ehrlich, niemals
unverſchaͤmt iſt, und mit guter Art weder zu betruͤgen,
noch der Welt Wind zu verkaufen weis, erſcheint ſehr ſel-
ten in einer glaͤnzenden Geſtalt. Wer dieſes wuͤnſchet,
ſoll billig alle erforderliche Eigenſchaften beſitzen, um unter
andern Umſtaͤnden auf einem Rad ſterben zu koͤnnen.
Du biſt zu nichts nuͤtze. Jch ſchaͤme mich der großen
Abſichten, die ich zu deinem Gluͤcke gehabt habe. Jch
O 4hatte
[216]Briefe.
hatte dir die ehrenvolle Stelle meines Hauspoeten zuge-
dacht: weil doch mein Affe anfaͤngt, alt zu werden. Du
haſt dein Gluͤck verſcherzet. Gehe hin, und erhenke dich?


Schnell hoͤrt ich einen Wind um alle Kluͤfte heulen:

Die Hoͤhlen donnerten, bewohnt von ſcheuen Eulen.

Der Sturm, der mich dahin gebracht,

Stieß aus dem Schoos der Nacht,

Nach zwoen jahrelangen Stunden,

Mich wieder an die Luft, wo Titans Auge lacht:

Gnom, Kellermeiſter, Aff und alles war verſchwunden.

Jch fand mich voll Erſtaunen wieder an eben dem Ein-
gange des Kellers, wo ich vor meinem wunderbaren Ge-
ſichte geweſen war. Niemand wollte auf meine Nach-
frage von einem Sturm wiſſen. Die Luft, ſagte man
mir, waͤre dieſen ganzen Nachmittag beſtaͤndig ſo heiter
geweſen, als ſie noch waͤre: nicht das geringſte Woͤlkchen
haͤtte ſich an dem blauen Himmel blicken laſſen. Jch
waͤre beynahe boͤſe geworden. Jch hielt alle Leute fuͤr
blind, und alle Leute hielten mich fuͤr betrunken. Jch
troͤſtete mich endlich, als ein Poet; und rief mit einer
Art von Entzuͤckung aus:


Jhr armen Sterblichen, die Wahn und Stolz bethoͤren,

Habt Augen, die nicht ſehn, und Ohren, die nicht hoͤren.

Geſtehts, der Wahrheit bloß zu Ehren,

Wie viel dem ſchaͤrfſten Aug entflieht,

Das nur ein Dichter ſieht.

Seht
[217]Briefe.
Seht ihr den Zephyr? Seht ihr Floren,

Auf Bluhmen, die ſie ſelbſt gebohren?

Soviele nackende Najaden,

Die ſich in kuͤhlen Fluthen baden?

Dryaden und Hamadryaden?

Seht ihr den Gott verliebter Pein

Auf ſchoͤnen Wangen, ſchoͤnen Buſen?

Die Grazien beym Mondenſchein?

Den Pegaſus und unſre Muſen

Und ihren gruͤnen Lorbeerhayn?

Gebt Antwort meiner kuͤhnen Frage:

Seht ihr ſie? Nein!

Wir Dichter ſehn ſie alle Tage.

Jch ſchließe unter der angenemen Hoffnung, werthe-
ſter Freund, daß ich nun bald das Vergnuͤgen haben
werde, ſie wieder zu umarmen. Sie werden es mit
mir wuͤnſchen, wenigſtens aus Furcht, daß Sie bey mei-
ner laͤngern Abweſenheit leichte noch einmal mit einem
poetiſchen Brief heimgeſuchet werden moͤchten. Abſit
Omen!
Jch bin ꝛc.



O 5An
[218]Briefe.

An Herrn Secretaͤr G*.


Freund! liebſter G*! iſt jemals wahr geweſen,

Was wir von Gnid, Cytherens Luſtſitz, leſen?

Wo Flora ſtets, im Schoos des Fruͤhlings lacht,

Und alles liebt, und Liebe gluͤcklich macht?

Wo reine Luſt nie unter bittern Thraͤnen,

Und Wolluſt herrſcht, ſtets fern von traͤgem Gaͤhnen;

Nichts Ehre macht, als einer Hirtinn Kuß,

Und wer nicht liebt, allein erroͤthen muß?

Wo uͤberall die Voͤgel bruͤnſtig ſchwirren,

Auf iedem Baum die Tauben ſchnaͤbelnd girren;

Und ieder Buſch, am ſchattigten Cephyß,

Und ieder Buſch, voll holder Finſterniß,

Jm ſtillen Thal und auf bebluͤhmter Hoͤhe,

Von Liebe ſchallt, und niemals von der Ehe?

Wenn dieſe Nachrichten wahr ſind; ſo kann ich kaum
zweifeln, daß nicht dieſes fatale Wort: Ehe, alle Un-
ordnungen erregen ſollte, wegen derer zu unſern eiſernen
Zeiten das Reich der Liebe beruͤchtiget iſt. Dieſes Wort
muß allein Urſache ſeyn, daß die Gluͤckſeeligkeit unſerer
heutigen Liebhaber ſo tief unter der Gluͤckſeeligkeit jener
verliebten Gnidier ſich erniedriget findet, wofern anders
der gnidiſche Geſchichtſchreiber uns nicht hintergangen
hat. Er ſagt viel von Liebe; nicht ein Wort aber von
Ehe.
[219]Briefe.
Ehe. Gleichwohl iſt der letzte Wunſch aller Liebenden,
mit dem geliebten Gegenſtande aufs genaueſte vereiniget
zu werden: und was iſt Ehe anders, als dieſe genaueſte
Verbindung derſelben? Warum ſind nun ihre guͤldnen
Tage insgemein diejenigen, da ſie ihres letzten Wunſches
noch nicht gewaͤhret worden? Sie haben auf ſolche Wei-
ſe, wertheſter Freund, das Gute von dem Eheſtande
ſchon gekoſtet, da ſie Braͤutigam geweſen, und ohnfehl-
bar die wohlhergebrachten Rechte eines Braͤutigams nicht
verſchlafen haben, aber doch kein Ehmann geworden ſind.
Jn was fuͤr ſeltſame Vorſtellungen ſtuͤrzet mich dieſer Ge-
danke?


Jch draͤng im Geiſte mich zum Tempel der Cythere,

Durch ſchwaͤrmender Verliebten Heere,

Durch den geweihten Myrthenhayn.

Die Freude reichet mir die Haͤnde;

Sie fuͤhrt mich ſchalkhaft laͤchelnd ein:

Ach! wenn ſie nicht ſo ſchnell verſchwaͤnde,

Wenn unſer Herz ſie rein empfaͤnde;

Wie goͤttlich wuͤrde ſie nicht ſeyn!

Die Ueberwinderinn der Herzen

Ruht unter gauckelhaften Scherzen:

Jhr Auge flammt voll ſchlauer Luſt,

Und Wuͤnſche ſchwellen ihre Bruſt.

Es dampft, mit Seufzern untermiſchet,

Der Weirauch wolkicht vom Altar;

Und ihres Zephyrs Hauch erfriſchet

Sie, ach! die manch verlohrnes Jahr.

Mir
[220]Briefe.
Mir fremde war.

Nun klopft mein Herz ihr wild entgegen;

Und Bluhmen duͤften auf den Wegen

Zum Sitz der großen Koͤniginn,

Zum innern Tempel hin,

Wohin Chlorinde mich begleitet,

Die, wenn ich ihr zu zaͤrtlich bin,

Sich ſcherzend ſtraͤubt und lockend ſtreitet.

Die Goͤttinn laͤchelt ſanft, und ihr entwoͤlkter Blick

Weiſſaget meiner Liebe Gluͤck:

Wie wird mein Feuer angefachet!

Doch wie? was Cypris mir verſpricht,

Vollzieht ſie ſelber nicht?

Sie winkt! und wem? verdruͤßliches Geſicht,

Auf dem die magre Sorge wachet,

Das niemals, oder froſtig lachet!

Ach! Hymen iſts, und ihn verlangt ich nicht!

Wie? Amor und ſein Chor verſchwand,

Sobald er neben ſich den traͤgen Hymen fand,

Den ekelhaft Gepraͤng noch ekelhafter machet?

O ſchrecklich Wort! o Eheſtand!

Mein Saitenſpiel entſchlaͤft, und ſchluͤpft mir aus der

Hand.

Ohne Scherz! Sobald ein liebendes Paar aus den Haͤn-
den der freyen Liebe in Hymens Haͤnde kommt; ſo ver-
ſchwindet Amor mit allem, was ihn reizend macht: Gra-
zien und Freuden und die Begierden, die noch angeneh-
mer, als die Freuden, ſind, werden nicht mehr gefun-
den,
[221]Briefe.
den, und ihre Staͤte kennet man nicht mehr. Der zaͤrt-
liche Geſang verſtummet, und ſtatt deſſen erſchallen
ſchwermuͤthige Klagen und Seufzer andrer Art, als die
in den Armen der Wolluſt gehoͤret werden. Wie viele
hoͤre ich den Tag, da ſie zu ihrer ewigen Sklaverey ein-
geweihet worden, verwuͤnſchen, und wie wenige denſel-
ben ſeegnen! B * * und Booth ſind unter dieſen weni-
gen. Denn wie man von Megaͤren und Meſſalinen
hoͤrt, ſo lieſt man auch von Pamelen und Amalien. Aber
ich finde doch dieſen Unterſchied hiebey: die leztern kommen
in den Romanen vor, die erſtern ſind hingegen wirklich,
in dieſer unſrer beſten Welt wirklich geweſen; und mich
duͤnket, dieſer Unterſchied ſey betraͤchtlich.


Leſ’ ich Amaliens Geſchichte,

Die bey dem ſchoͤnſten Angeſichte

Das beſte Herz und mehr Verſtand beſaß,

Als Booth, ihr Taugenichts, der ſie ſo oft betruͤbte,

So oft bey Metzen ſie vergaß,

Mit ihnen ſoff und fraß,

Da ihn Amalia ſtets gleich, ſtets zaͤrtlich liebte:

So wallt mein ſchnell erregtes Blut;

Jn einer Art von Wuth

Vergeß ich Hymens wahres Wehe:

Da ſeufz ich nach der Ehe.

Doch uͤberſieht mein ernſter Blick

Der Ehen trauriges Geſchick;

Wie
[222]Briefe.
Wie Hymen, der die Kunſt geerbet,

Die Proteus aufgebracht,

Das beſte Maͤdchen ach! verderbet,

Und oft in einer Nacht

Ein ſanftes Lamm zum Tieger macht;

Wie viel Vulcane ſich bey ihrer Venus haͤrmen,

Bey ihrem Feuer oft auch Sklaven ſich erwaͤrmen,

Bey ihrer Schmach die Welt nur lacht:

Jndeß die arme Treu, altvaͤteriſch gekleidet,

Stets hinder ihnen drein und ſtets vergeblich laͤuft;

Jndem ſie niemand hoͤrt, ſo ſehr ſie klagt und keift;

Wie, wann ein ſeltnes Paar nicht Hoͤllen-Qualen leidet,

Doch Langeweil und Ueberdruß

Vom ehelichen Kuß

Ach! allzuſelten ſcheidet:

So zittert mit gerechter Pein

Ein Schauer mir durch Mark und Bein;

So denk ich nur an Hymens Wehe,

So graut mir vor der Ehe.

Wen muͤſſen ſolche Betrachtungen nicht furchtſam ma-
chen? Und wie ſehr muß dieſe Beſorgniß durch die Nach-
richt wachſen, die Sie mir, mein liebſter Freund, von
Jhrem eigenen mislungenen Verſuch ertheilen? Gewiß,
Jhre Begebenheit iſt ſonderbar und einem Roman nicht
unaͤhnlich. Nichts kommt mit dabey wunderlicher fuͤr
als die abentheuerliche Vaterliebe des Vaters Jhrer Schoͤ-
nen, der nicht wiſſen will, daß die Frau Vater und
Mut-
[223]Briefe.
Mutter verlaſſen und einem Mann anhangen ſoll, auch
deswegen Maͤnninn heißt. Wie? Orpheus hat mit ſei-
ner Leyer, die vermuthlich lange nicht ſo reizend, als die
Jhrige, geklungen, ſeine Geliebte dem Teufel ſelbſt ab-
locken koͤnnen? Und Jhre Lieder haben Jhnen nicht helfen
moͤgen, Jhre Verlobte den Armen eines uͤbertriebenen from-
men Eigenſinns zu entreiſſen? Dieſer einige Umſtand macht
Jhre Erzehlung mir beynahe unglaublig. Denn was dieſes
anbelanget, daß Sie von einem Maͤdchen ſich betruͤgen
laſſen, und ſolches fuͤr eine Goͤttinn gehalten, hernach
aber als einen Menſchen, gleich denen uͤbrigen Kindern
der verderblichen Eva, befunden haben: liebſter Freund,
das iſt ganz begreiflich. Wer wird nicht auf dieſe Art
betrogen.


Du ſpielteſt, Freund, mit Lieb und Schoͤnen,

Als einer der ſie nicht gekannt,

Bis mitten in der Luſt und ſuͤſſer Saiten Toͤnen

Erfahrung peinlich dich verbrannt.

So ſcherzt ein munters Kind mit der geliebten Katze:

Der Knabe neckt ſie lang, und ihre fromme Tatze

Scheint Sammet, ſcheint ihm unbewehrt,

Bis ein geſchwinder Schmerz und rinnend Blut ihn

lehrt,

Daß auch ein artig Thierchen kratze.

O Maͤdchen! Maͤdchen! flieht! umſonſt iſt mein Be-

muͤhn:

Wann ihr nicht flieht, ich kann nicht fliehn;

Und
[224]Briefe.
Und wenn ich noch ſo gerne wollte,

Und als ein Weiſer ſollte.

Denn wider ein geliebt Geſicht

Und eine ſchoͤne Bruſt hilft alle Weisheit nicht.

Doch ſchwoͤr ich bey dem weiſen Bart

Des erſten Stoickers, des Mannes meiner Art:

Jch ſchwoͤr, und, o verzeiht, ihr Maͤdchen! daß ich

ſchwoͤre;

Mein Schwur gereichet euch zur Ehre:

Nie will ich euch ſehr nahe ſeyn;

Nie will ich bey vergnuͤgten Wein,

Wie, leider! ſonſt geſchehn, leichtſinnig euch beſin-

gen.

Soll meine Leyer ja von eurem Reiz erklingen:

So mach ich mich dazu mit Faſten erſt bereit,

Und ſinge fern von euch und voller Schuͤchternheit.

Denn o! ich ſeh es und mit Schmerzen:

Es laͤßt mit Maͤdchen ſich nicht ſcherzen.

Das muͤſſen herrliche Lieder werden, die ich nach dieſem
Plane ſinge. Ob ſie jemand leſen werde, das iſt eine
andere Frage. Sie werden eine ganz neue Gattung der
Lieder ausmachen, oder doch unmittelbar auf die feyerli-
chen Geſaͤnge der platoniſchen Liebhaber folgen, um die
es immer ſo finſter und melancholiſch ausſieht. Sie ha-
ben, wenn man ihren hohen Worten glaubt, kein groͤſ-
ſers Vergnuͤgen, als ihre Thraͤnen; und wuͤrden zeitle-
bens Thoren geblieben ſeyn, wenn ſie nicht zu gutem
Gluͤ-
[225]Briefe.
Gluͤcke geliebet haͤtten. Jhre Maͤdchen machen ſie nicht
bloß artig und geſittet; ſondern zu Weiſen, Menſchen-
freunden und guten Buͤrgern, ja mit der Zeit gar zu Se-
raphim. Das iſt viel!


Doch Amor lacht bey meinem kuͤhnen Schwur,

Und rauſcht mit glaͤnzendem Gefieder

Vor meiner Leyer hin, und fordert meine Lieder.

Es feſſelt mich die herrſchende Natur

Zu feſt an ſeinen Sieges-Wagen:

Wer widerſtrebt, verdoppelt ſeine Plagen.

Die Nacht, wer kennt ſie nicht, die Freundinn holder

Glut?

Verfolgt, wenn alles ruht,

Mich mit Erſcheinungen und flammenreichen Bildern,

Die mir die Liebe reizend ſchildern.

Wer gleichet nicht dem Wuchrer Alfius?

Wie rauſcht ſein Mund von weiſen Sittenſpruͤchen!

Die Landluſt wird herausgeſtrichen:

Sie iſt das hoͤchſte Gut, das ieder ſuchen muß.

O heldenmuͤthiger Entſchluß!

Er handelt ſchon um Wies und Felder;

Er kuͤndigt Gelder auf: wie? zeigt ſich ein Gewinn?

Er wankt und leihet ſeine Gelder

Auf neuen Wucher hin.

So ſind wir Menſchen miteinander!

Wir prahlen, wie die Alexander;

Und kommt ein holdes Maͤdchen, ach!

PWer
[226]Briefe.
Wer iſt nicht ſchwach?

Wer widerſteht erobernden Geberden?

Der geſtern, wie ein Almanach,

Von Eh und Weibern ſprach,

Kann heute Mann und morgen Hahnrey werden.

Denn ieder ſchilt und ieder wagt,

Was tauſenden mislung, was tauſend ſchon beklagt.

Die Wolluſt einer guten Ehe

Verdunkelt iedes Gut, verdunkelt alles Wehe

Vor unſerm trunknen Blick;

Und ieder hofft ein gleiches Gluͤck.

Soll, nach des Himmels Rath, ich endlich mich ver-

maͤhlen;

So waͤhl er ſelbſt fuͤr mich: kein Sterblicher kann waͤh-

len,

Daß dieſe Wahl ihm nie gereut.

Liebt mich ein gutes Kind mit wahrer Zaͤrtlichkeit;

So hat ſie die Vollkommenheit,

Die mich entzuͤckt, die ich begehre:

Sie iſt mir Pallas und Cythere.

Das, Freund! iſt meine Sittenlehre!

Da inzwiſchen eine Hauptbeſchwerlichkeit der Ehen zu ſeyn
ſcheinet, daß ihre Vergnuͤgungen in kurzer Zeit matt
und froſtig werden: ſo will ich Jhnen, zu kuͤnftig beliebi-
gem Gebrauch, ein beſonderes Huͤlfsmittel wider dieſe
Plage nicht vorenthalten, das ich in einem alten unge-
druckten griechiſchen Buche gefunden habe. Ein alter A-
thenienſer hat ſich zwar durch unvorſichtigen Gebrauch
deſſel-
[227]Briefe.
deſſelben Schaden gethan; aber der Misbrauch hebet
niemals den wahren Gebrauch auf. Sie wiſſen die ſpar-
taniſche Policey-Ordnung, die einem jungen Ehemanne
nicht erlaubte, bey ſeiner Gattinn anders, als in geheim
und verſtohlen, einzugehen. Wie? Sie gaͤhnen bey dem
Worte: Sparta, und erwarten eine alte Geſchichte? Sie
rufen wohl gar aus:


O bleibt, ihr ſtaubichten Pedanten!

Jhr unertraͤglichen Citanten!

Bey euern lieben Folianten:

Was brauch ich den gelehrten Miſt?

Duͤrft ihr bey allen Lumpen-Dingen

Nach Rom und Griechenland mich bey den Haaren

zwingen,

Da, was ihr ſucht, in Deutſchland iſt?

Wie? koͤnnt ihr mich nicht uͤberfuͤhren,

Daß viele Hahnrey ſind, als wenn ihr griechiſch flucht,

Und eure Faͤuſte Rom citiren?

Kehrt immer erſt vor euern Thuͤren:

Jhr findet hier vielleicht, was ihr ſo ferne ſucht.

Machen Sie mich nicht boͤſe! Jch moͤchte ſonſt Luſt be-
kommen, Sie mit jenem Kutſcher zu vergleichen, der ſei-
nen gnaͤdigen Herrn vor einiger Zeit durch ein hieſiges
Amts-Dorf fuhr. Der Herr bemerkte daſelbſt ein an-
geſchlagenes Kayſerliches Patent; und erſterer ward ab-
geordnet, zu ſehen, was es waͤre. Er gieng hin. Das
erſte, was ihm in die Augen fiel, war in dem Kayſerli-
chen Titel das Wort: Jeruſalem. Sogleich gieng er
P 2wieder
[228]Briefe.
wieder weg zu ſeinen Pferden, ohne weiter zu leſen, ohne
was zu ſagen. Nun! rief ſein Herr ihm zu; was iſts?
was giebts neues, Hanns? Nichts! ‒ ‒ Wie? nichts? ‒ ‒
Nein! nichts! es iſt eine alte Hiſtorie von Jeruſalem! ant-
wortete der Kutſcher froſtig, und fuhr immer ſeiner We-
ge. Doch ich habe Jhnen etwas erzehlen wollen; ich ha-
be es verſprochen? Aber ‒ ‒ Sie werden meine Erzehlung
dießmal nicht bekommen. Jch bin durch die gemachten
Einwuͤrfe ganz auſſer meiner Faſſung gekommen. Als ein
anderer Fontaine,


Der ehmals Hymens Heimlichkeiten

Und ieden loſen Streich, den Amor ihm geſpielt,

Jn ſeine ſcherzgewohnten Saiten

So reizend ſang, daß wer nur menſchlich fuͤhlt,

Nach Hymens Freuden diebiſch ſchielt;

wollte ich Jhnen erzehlen, wie der vorgedachte Athenien-
ſer die Gewohnheit gehabt, ſein artiges Weibchen auf
ſpartaniſch zu lieben; und durch unbehutſame Entde-
ckung dieſes Geheimniſſes einen luͤſternen Freund veran-
laſſet habe, ihn mittelſt dieſer Mummerey zum Hahnrey
zu machen. Denn es iſt ein allzugroßes Kuͤnſteln, wie
in allen Sachen, alſo inſonderheit im Eheſtande gefaͤhr-
lich; und man handelt als ein Thor, wenn man die la-
chende Anmuth des Fruͤhlings dem fruchtbarn Herbſt ge-
ben zu wollen, ſich einfallen laͤßt. Mit wie vielem Ver-
gnuͤgen wuͤrde ich mit Jhnen uͤber dieſe und tauſend an-
dere Dinge plaudern, wenn ich Jhrer guͤtigen Einladung
mich gebrauchen und Sie beſuchen koͤnnte! Aber das hie-
ſige Commiſſions-Geſchaͤft iſt geendiget; und ich werde
zu Haus erwartet. Morgen reiſe ich von hier ab. Jch
verharre ꝛc.


An
[229]Briefe.

An Herrn Hof-Advocat G * * *


Du, den Lyaͤus mir, den mir die die jungen Freu-

den,

Umkraͤnzt mit Epheu, zugefuͤhrt,

Als mich der Himmel hieß auf Roͤmhilds Fluren wei-

den;

Der oft mit mir beym Wein dem Vorzug nachgeſpuͤrt,

Wie aͤchte Weiſen ſich vom Poͤbel unterſcheiden,

Wann, unbetaͤubt von rauhen Leiden,

Vom Glanz der Großen ungeruͤhrt,

Sie jenen ſtandhaft ſtehn, ſie dieſe nicht beneiden:

Mein G * *! wenn ſonſt nichts beweiſt,

Daß ein verwandtes Blut in unſern Adern fleuſſt;

Wenn weder Leichenſtein, noch Wapen uͤbrig bliebe:

So uͤberzeugen meinen Geiſt

Der Herzen gleichgeſtimmte Triebe,

Zu Wein und Muſen gleiche Liebe,

Zu Maͤdchen auch und ſchlauverwehrter Bruſt

Auf ihrem Mund, an ihrer Bruſt.

Jch hoͤre mit entzuͤckten Ohren,

Wenn Dein umlorbeert Saitenſpiel

Von unſrer Freundſchaft ſchallt, und wie ich dir ge-

fiel,

Und wie du mich gewaͤhlt und wie ich dich erkohren.

P 3Ach!
[230]Briefe.
Ach! Jude, Bauer, Schelm, Betruͤger oder Thoren

Sind, unter laͤrmendem Gewuͤhl,

Mein Umgang, ſeit ich dich verlohren:

Nachdem, im Schoos der Vaterſtadt,

Nun wieder, wie vorhin, zu dornichten Geſchaͤften,

Die unſer himmliſch Theil an Staub und Erde heften,

Mich Themis angewieſen hat.

Du, dem ein guͤnſtig Gluͤck ein ſorgenfreyes Leben

Und, ohne Sklavendienſt, was du bedarfſt, gegeben;

Dem unverwehrt iſt, frey zu ſeyn

Und ungeſtoͤrt ſich zu erfreun:

Darf meine Muſe dich in deinem Lehnſtuhl ſtoͤren,

Und achteſt du auf ihre Lehren,

Wann, mit entwoͤlktem Angeſicht,

Sie, als ein Seneca, im Schoos der Wolluſt ſpricht:

Freund! ſo verlange nicht,

Dein ſtilles Gluͤcke zu vertauſchen

Mit Ketten muͤhevoller Pflicht,

Die um der Ehrſucht Arme rauſchen.

Der Weiſe, deſſen Herz von Menſchenliebe flammt,

Flieht nicht vor anvertrauten Buͤrden:

Doch draͤngt ſich nie ſein Hals ins Joch geehrter Wuͤr-

den,

Aus einem niedern Stolz, den ſeine Bruſt verdammt.

Sein Herz iſt groß genug, die Groͤſſe zu verachten,

Die
[231]Briefe.
Die farbicht ſchwillt und platzt, eh kleine Seelen dach-

ten,

Die nach dem bunten Tande ſchmachten,

Und um ein ſchimmerreiches Amt,

Das ihrer nicht bedarf, noch ſie beduͤrfen, laufen,

Der Thorheit Sklaven ſind und neue Feſſeln kaufen.

Der Thor bleibt ſtets ein Thor, auch in der Ehre

Schoos;

Und wird von innrer Knechtſchaft Schande,

Von Knechtſchaft ſchlimmrer Art, als eines Rudrers

Bande,

Selbſt unterm Purpur niemals los.

Die Hoͤhe, wo er ſteht, macht keinen Gecken groß:

Sie laͤſſt, wie klein er ſey, nur deſto weiter ſehen.

Ein Sturm des Gluͤcks verſchlaͤgt ihn an entweihte

Hoͤhen;

Ein ſtuͤrmiſch Gluͤck

Schlaͤgt wieder ihn zuruͤck:

Wie eine traͤge Regenwolke

Sich auf des Windes Fluͤgeln hebt,

Und uͤber einem ganzen Volke

Mit fuͤrchterlichem Schatten ſchwebt.

Sie rauſcht in ungewohnter Sphaͤre:

Nicht lange! denn die eigne Schwere

Druͤckt ſie zur Erde bald herab,

Die ihr den Urſprung gab.

Gib nicht im Fruͤhling muntrer Jahr.

Verblendeten Begierden Raum;

P 4Und
[232]Briefe.
Und uͤberlaß den Geiz der Kindheit grauer Jahre,

Dem Stolz der Ehre Sommer-Traum.

Die Sorgen ſtoͤren ihn mit ſchreckenden Geſtalten:

Durch Niedertraͤchtigkeit wird, was ihn reizt, erlangt,

Durch Niedertraͤchtigkeit erhalten;

Und ſchmilzt, wie Fruͤhlings-Reif, der an der Son-

ne prangt.

Der große Liebling großer Fuͤrſten

Mag unerquickt nach Ruhe duͤrſten:

Sie flieht ihn ſchuͤchtern uͤberall.

Jn iedem dunkeln Laut, in Blicken und Geberden

Zeigt bange Furcht ihm ſeinen Fall:

Der Sklave fuͤrchtet, frey zu werden!

Freund! von des Jrrthums Bruſt entwoͤhnt,

Laß dich kein Puppenſpiel von guͤldner Freyheit ſchei-

den;

Und brich die Roſen aller Freuden,

Die keine Reu umdornt, kein ſpaͤtes Ach! umtoͤnt.

Der weiſen Wolluſt ſey dein Garten eingeweihet,

Die, von der Weisheit Hand gekroͤnt,

Mit ernſter Tugend nie entzweihet,

Die ernſte Tugend ſelbſt mit wahrer Luſt verſoͤhnt.

Seh ich unter gruͤnen Lauben,

Bey dem Gotte froher Trauben,

Und beym Saitenſpiel der Muſen,

An des beſten Maͤdchens Buſen,

Dich, vom ſichern Buſch verdeckt,

Unter
[233]Briefe.
Unter Bluhmen hingeſtreckt?

Hoͤr ich unter Nachtigallen

Deine ſuͤſſen Lieder ſchallen?

Lieder, wie mein Chaulieu ſang,

Wenn er frey von eklem Zwang

Und bey ſpaͤtem Weine lachte!

Bacchus, wenn ſein Lied erſcholl,

Ließ den trunknen Becher voll,

Der ihm in die Augen lachte;

Und, gelehnt auf ſeinen Stab,

Der vom heilgen Lorbeer rauſchte,

Hieng er ſchweigend hin und lauſchte,

Bis der Dichter durſtig ſchwieg, Bacchus ihm

den Becher gab.

Doch meinen Dichtergeiſt umnebeln leichte Traͤume!

Du ruheſt itzt wohl nicht im Schatten deiner Baͤume!

Nun, da ſie faſt entblaͤttert ſtehn,

Und rauhe Winde nur im oͤden Garten wehn:

Da, nach des Herbſtes mildem Segen,

Das greiſe Jahr mit kalten Regen

Die Fluren umgewuͤhlt, wo Raben einſam gehn.

Wenn Zephyr die verjuͤngten Blaͤtter

Und Floren und die Liebesgoͤtter

Auf duͤftendem Gefieder bringt;

Und in der Fruhlings-Luft die fruͤhe Lerche ſingt:

Alsdann wird Amor dich im Gruͤnen wieder finden;

Dich, der ſein Sklave ſchon, ihm nur entwiſchet war’,

An ſeinen flammenden Altar

P 5Mit
[234]Briefe
Mit Bluhmen ewig feſte binden,

Zu ſeiner andern Sklaven Schaar.

Laß von den Grazien die eine Gattinn waͤhlen,

Die nicht von den gemeinen Seelen,

Bloß wirthlich, reich, vielleicht getreu,

Doch ohne Zaͤrtlichkeit und lauter Poͤbel ſey.

Zwar wir, wie unſre Vaͤter, wiſſen

Von keinen engliſchen Clariſſen:

An ihre Wuͤrde reicht kein ſterblich Maͤdchen hin.

Ach! Harlows Tochter ſtarb! auf Erden war kein Gatte

Fuͤr dieſe, die nichts weiblichs hatte,

Als Reizungen und Eigenſinn.

Du, Freund! biſt ſelbſt ein Menſch, und wirſt ein

menſchlich Weſen

Zu einer Gattinn dir erleſen:

Zu gluͤcklich, wenn ſie dir, vom Himmel mild bedacht,

Jn einem holden Leib, zu ſchlauer Luſt gemacht,

Auch eine Seele zugebracht,

Die denkt und edel denkt, die Tugend liebt und kennet,

Und dich, als Freundinn, liebt, wenn ſie dich Gatten

nennet!

O Wolluſt, nicht bloß einer Nacht!

Die Tage werden dir in ihrem Arm verſchleichen,

So ruhig, als ein Bach, der unter finſtern Straͤuchen,

Von hohen Baͤumen rund umwacht,

Stets ungerunzelt lacht:

Hoch uͤber ihm hinweg brauſt unter nahen Eichen

Der ſchwarzen Stuͤrme Wuth, die niemals ihn erreichen.


An
[235]Briefe.

An Herrn Hofrath C*


Wie? Sie haben meinen Nahmen auf dem Parnaß
gehoͤrt? Jch ſoll daſelbſt nicht ganz unbekannt,
nicht ganz auſſer Achtung ſeyn? So zuverlaͤſ-
ſig Jhre Nachrichten von einem Orte, wo ſie einen ſo
hohen Platz behaupten, mir mit Recht ſcheinen muͤſſen,
ſo kann ich doch dieſe nur fuͤr einen freundſchaftlichen
Scherz anſehen. Wie koͤnnte ich eine Parthey auf dem
deutſchen Parnaß haben, da hier alles durch Cabalen zugeht,
und ich hingegen ein Feind aller ſolchen kleinen Rottie-
rungen bin? Jnzwiſchen hat Jhre ſinnreiche Dichtung
mich ungemein ergetzet. Weil ich den ganzen Tag uͤber
damit beſchaͤftiget geweſen; ſo iſt meine Seele ſelbſt im
Schlafe damit fortgefahren, hat dasjenige, was ich zu
verſchiedenen Zeiten und ſtuͤckweiſe gedacht, in eine be-
ſondere Vorſtellung zuſammengehaͤnget, und folgenden
Traum gebildet.


Jch ſchleiche mich aus einem Hayn,

Wo Myrthen unter Lorbeern rauſchen,

Und Liebesgott und Satyr lauſchen,

Jn einen lichten Tempel ein.

Die Muſen lachen mir entgegen:

Jn Marmor nachgeahmt, ſcheint iede ſich zu regen,

Und mehr, als bloßer Stein, zu ſeyn.

Der
[236]Briefe.
Der weiſe Marmor ſcheint beſeelet:

Von keinem neidiſchen Gewand

Wird auch der kleinſte Reiz verheelet;

Und weder ſchoͤnes Maaß, noch jenes Weiche fehlet,

Das alter Griechen leichte Hand,

Von Grazien gefuͤhrt, mit hartem Stein verband.

Jn Marmor ſtehn an ihren Seiten

Die Dichter neuer Zeit, bey Dichtern alter Zeiten:

Da Lieblichkeit am Griechen lacht,

Ein Ernſt voll Majeſtaͤt den Roͤmer kenntlich macht,

Und manche Haͤrte noch und wildere Geberden

Jn iedem Bild entdecket werden,

Das juͤngre Kunſt hervor gebracht.

Mein Auge ſaͤumt bey iedem Stuͤcke;

Doch Pindar feſſelt meine Blicke.

Sein ſtolzes Auge rollt, voll ungeſtuͤmer Glut,

Voll heilger Wuth.

Dem kuͤhnen Griechen gegen uͤber

Steht Flaccus, deſſen Blick ſatiriſch laͤchelnd blitzt:

Er ſingt, von ſanftern Gott erhitzt,

Und ohne Zuͤckung, ohne Fieber.

Oft nachgeahmt und nie erreicht,

Hebt ſein gefluͤgelt Lied ſich praͤchtig, hoch, doch leicht.

Jch betrachtete dieſe beeden großen Maͤnner mit einer ſo
ehrerbietigen Aufmerkſamkeit, daß ich lange Zeit den Laͤrm
nicht bemerkte, welcher immer mehr um mich herum an-
wuchs. Eine Menge Leute, die ich alle fuͤr deutſche er
kannte, waren in den Tempel eingedrungen; aber durch
zwey
[237]Briefe.
zwey verſchiedene Thore, welche, wie ich hernach zu er-
fahren Gelegenheit hatte, auch zu verſchiedenen Wegen
leiteten. Der eine, welcher der gebahnteſte ſchien, duͤf-
tete von den lieblichſten Bluhmen aller Arten. Diejeni-
gen, die auf demſelben in den Tempel kamen, raͤucherten
insgemein den ehrwuͤrdigſten Dichtern Griechenlands,
Roms und Frankreichs, und beſungen ihr Lob, wenigſtens
in einem verſtaͤndlichen Deutſch und unter dem Getoͤne
des Reims. Hingegen die uͤbrigen, die auf dem andern
Pfade wandelten, der ſehr rauh und uͤberhaupt nicht eben
der luſtigſte zu ſeyn ſchien, verſchwendeten allen ihren
Weihrauch bey einer dem Homer gegenuͤberſtehenden
brittiſchen Statue von ſchwarzem Marmor: ſie ſungen
ihm zu Ehren uraniſche Lobgeſaͤnge voll Olymp und zu
gleicher Zeit voll mizraimiſcher Finſterniß, in ſeltſamen
Versarten, die ſie mit gewißen griechiſchen Nahmen
guͤtig beehrten.


Jhr Liebling, unerquickt vom guͤldnen Sonnenlichte

Stund mit erſtauntem Angeſichte,

Dem Hoheit eines Gotts aus vielen Zuͤgen ſah,

Voll feuriger Entzuͤckung, da:

Und Engel, Teufel, Himmel, Hoͤlle

Vermiſchten, unverwirrt, ſich an dem Fußgeſtelle.

Fuͤr ihn, den Deutſchland halb vergoͤttert, halb ver-

dammt,

Fuͤr ihn und andre junge Britten,

Aus derer Augen ſelbſt, wie oft aus ihren Sitten,

Was kuͤhnes und faſt wildes flammt;

Steigt
[238]Briefe.
Steigt ſoviel Weihrauch auf aus hundert Opferſchaalen,

Daß dicker Wolken Dampf die alten Dichter deckt,

Verdunkelt, aber nicht befleckt:

Sie werden ewig ſchoͤn mit reinem Glanze ſtrahlen.

Jmmittelſt naͤherte ſich mir eine Weibsperſon von ernſt-
haftem, ſtrengem Anſehen, und mit einem blendend weis-
ſen Kleid angethan. Sie redete mich liebreich an. Jch
habe mit Vergnuͤgen geſehen, waren ihre Worte, auf
welche dieſer heiligen Denkmaale deine vorzuͤgliche Auf-
merkſamkeit gefallen iſt. (*) Jch billige deine Wahl,
welche von den herrſchenden Vorurtheilen dieſer Zeit nicht
hingeriſſen worden. Jch ſelbſt will dich durch dieſes
Heiligthum begleiten: ich will dir die Vornehmſten dei-
nes Volkes zeigen, die, nebſt andern, auf dem von Opitz
gebahnten Wege beharret, und ſich eine Stelle bey den
Lieblingen der Muſen erworben haben.


Sieh! Opitz ſteht voran: Sein Geiſt kennt keine

Schranken:

Natur iſt, was er denkt, und was er ſchreibt, Gedan-

ken:

Er ſang, unſterblicher Geſang!

Beſeelt von einem ſanften Feuer,

Noch rauh, doch maͤnnlich ſchoͤn, in ſeine neue Leyer:

Da
[239]Briefe.
Da deſſen fluͤchtig Lied, der bis zum Tigris drang,

Oft kuͤhner, oͤfter ſchwach erklang.

Wie richtig ſprach, wie edel dachte

Der weiſe Hofmann an der Spree,

Um den, in Blumbergs weichem Klee,

Ein wohlgezogner Satyr lachte!

Sieh einen Menſchenfreund, um reicher Elbe Strand,

Von reger Phantaſie entbrannt,

Sein irdiſches Vergnuͤgen mahlen,

Wo doch der uͤbereilten Hand

Manch ſchwacher Zug entwiſcht, oft falſche Farben

prahlen.

Bey Popen ſteht ein großer Mann,

Der auf der Alpen Lob im Schnee der Alpen ſann:

Des neuen Ausdrucks Glanz umleuchtet weiſe Lehren;

Und ſtimmt ſein Saitenſpiel ein feurig Straflied an,

Wer wird nicht ſeinen Schwung, den edlen Schwung

verehren,

Und harte Toͤne gern verhoͤren?

Mit ihm ſchwingt am entfernten Belt

Ein angenehmer Geiſt ſein glaͤnzendes Gefieder:

Nie fliegt er bis zum Poͤbel nieder:

Er unterrichtet, er gefaͤllt

Dem Weiſen, wie der großen Welt

Jm feinen Scherz der ſchoͤnſten Lieder

Und im Johann, dem Seifenſieder.

Auch dieſer junge Greis, der aller Freude Feind,

Um-
[240]Briefe.
Umwoͤlkt mit kranker Schwermuth, ſcheint,

Hat mit ſo heitrem Witz erzehlet,

Daß, wenn die Fabel ſpricht, ſie ſeine Sprache waͤh-

let.

Doch, ach! Melpomene beweint

Dich, welcher im Canut ihr Thraͤnen einſt entriſſen:

Sie ſelbſt hat ihren jungen Freund

Jn Marmor aufgeſtellt, bethraͤnt mit ihren Kuͤſſen.

Dem, deſſen ſanfter Schaͤfer-Ton

Die feinſte Schalkheit deckt, da ſeine leichten Saiten

Selbſt mit Fontainens Leyer ſtreiten;

Und deinem alten Freund, Berlins Anakreon,

Den alle Grazien begleiten,

Laͤſſt Amor ihren Ort beym Tejer zubereiten.

An ſeiner Seite wird noch einem ſeiner Art,

Dem Vater holder Kleinigkeiten,

Ein ehrenvoller Platz bewahrt.

Aber in dieſen Tagen, fuhr meine Begleiterinn fort, faͤngt
jener ſo ſchoͤne und ſichre Pfad von neuem an, zu verwil-
dern. Der engliſche Witz ſcheinet auf den deutſchen Par-
naß eben ſo vielen Einfluß zu haben, als die engliſchen
Krieges-Heere und Schaͤtze auf das Gleichgewichte von
Europa: London iſt, was Paris geweſen. Und wer
muß die brittiſche Muſe nicht verehren, die von einem
goͤttlichen Feuer begeiſtert, mit ungeſtuͤmem, aber oft
regelloſem Fluge ſich in Hoͤhen, wohin ihr niemand folgen
kann, ſchwinget, ob ſie gleich auch nicht ſelten um die
un-
[241]Briefe.
unfruchtbarn Klippen des froſtigen Schwulſtes flattert!
Jhre Schoͤnheiten ſind ungemein; aber ihre Fehler nicht
minder. Denn der Britte haͤlt in keiner Sache Maaß:
ſein Feuer reiſſet ihn hin, und er gefaͤllt auch ſelbſt in ſei-
nen Ausſchweifungen. Aber iſt der Deutſche zu entſchul-
digen, der bey ſeinem angebohrnen Phlegma ſich zwin-
get, ausgelaſſen hitzig zu thun, und mit kaltem Blute zu
raſen? Die engliſche Art zu ſchreiben iſt wie die engliſche
Regiments-Verfaſſung: ſie ſind beyde gut; aber nur
fuͤr engliſche Koͤpfe. Aus dieſer Urſache haben die kluͤgern
Deutſchen ſich niemals einfallen laſſen, die Engelaͤnder
durchgehends zu ihrem Muſter zu nehmen: ſie haben al-
lein ihre ſtarke, ihre gedankenreiche und koͤrnichte Art zu
dichten nachgeahmet. Dieß ſind wahre Schoͤnheiten,
Schoͤnheiten fuͤr alle Zeiten und alle Voͤlker. Eine be-
hutſame Nachahmung derſelben iſt dem deutſchen Parnaß
ſchon nuͤtzlich geweſen, und haͤtte noch nuͤtzlicher werden
koͤnnen, wenn nicht ſo viele andere einer gleichen Maͤſſi-
gung vergeſſen haͤtten.


Kann ein verblendet Volk die Thorheit hoͤher treiben?

Der nicht, wie Britten, denkt, will, als ein Brit-

te, ſchreiben!

Der Deutſche will ein Britte ſeyn,

Und kauft ein engliſch Kleid auf einem Troͤdel ein.

Der Aufwand iſt gering: ein ſchwuͤlſtiges Geſchwaͤtze,

Das der Vernunft vergißt, wie aller Sprachgeſetze,

Manch Schulwort, manch verwegner Schwung

Und ſchwaͤrmende Begeiſterung

QMacht
[242]Briefe.
Macht ſchon ein ziemlich Kleid nach Londons neuſtem

Schnitte:

Dem Kleide fehlt nur eins! der Britte.

Was hilft ein fremder Schmuck, der, im Gebrauch be-

fleckt,

Nur klappernde Gerippe deckt,

Die nach des Grabes Moder riechen?

Wie oft verbirgt in wilder Pracht

Des Ausdrucks unerhellte Nacht

Gedanken, die im Staube kriechen!

Die deutſche Dichtkunſt weicht von weiſrer Alten

Spur:

Der gruͤndliche Geſchmack an Wahrheit und Natur,

Der Wohlklang in geſunden Ohren,

Die Sprache ſelber geht verlohren,

Da alle Scham verlohren geht:

(††)Ein Deutſcher iſt gelehrt, wenn er ſolch

Deutſch verſtehr.

Unter dieſen Reden hatte ſich das Getuͤmmel im Tempel
dermaſſen vermehret, daß meine Gefaͤhrtinn und ich ein-
ander nicht mehr verſtunden, und endlich von dem ein-
dringenden Schwarm ganz von einander geriſſen wurden.
Jch
[243]Briefe.
Jch ſah, wie alles dieſes Volk, bis auf wenige Perſo-
nen, die bey den Dichtern des Alterthums ruhig ſtunden,
ſich in zween Haufen getheilet, ieder derſelben aber ſeinen
Liebling hatte, deſſen marmorne Statue ſie bey Milton
oder Virgilen aufzurichten ſuchten, und von andern ſich
daran verhindert ſahen. Jeder Theil hatte gewiſſe pa-
pierne Poſaunen zu ſeinem Dienſte, die mit einem lau-
ten, oft beſchwerlichen Gekreiſche vor dem Bilde hergien-
gen; indeß ihnen die Gegenparthey mit kleinen hellen Stu-
tzer-Pfeifchen antwortete. Jch hoͤrte hoͤhniſch lachen
und mit unter auch ſchimpfen: ja einige warfen ſogar
mit Kothe nach dem Helden des Gegentheils; und dieſe
ſchienen wohl eifrige, doch nicht eben die fuͤrchterlichſten
Feinde zu ſeyn. Jndeſſen wuchs der Streit, und das
Getoͤſe nahm uͤberhand.


Wie, wann der ſchwarzumwoͤlkte Suͤd,

Auf deſſen finſtrer Stirn ein wuͤthend Feuer gluͤht,

Am regenvollen Himmel bruͤllet,

Und ihm aus Scythien, in ſchauernd Eis verhuͤllet,

Der kalte Nord entgegen zieht;

Von ihrem Kampf die Luft erzittert,

Der Erden Veſte bebt, und im erſchrocknen Hayn

Was ſich nicht beuget, kracht und ſplittert,

Und alles taumelnd ſeufzt, vom furchtbarn Sturm

erſchuͤttert:

So nahm Getoͤs und Laͤrm den ganzen Tempel ein:

Q 2Als
[244]Briefe.

Als eine glaͤnzende Erſcheinung eine ploͤtzliche Stille verur-
ſachte. Jch ſah den Gott des guten Geſchmacks auf einer
leuchtenden Wolke und ſo, wie ihn Voltaire geſehen, in
den Tempel kommen. Seine heitre Stirne war mit den
Lorbeern des Maro, mit dem Epheu des Horaz und mit
Anakreons Roſen umkraͤnzet; und ſeine ganze Geſtalt
lachte von ungeſchminkter, doch ruͤhrender Anmuth. Er
ſprach; und ſeine Worte waren ſuͤſſer, als die Toͤne der
harmoniſchen Leyer:


Jhr Freunde! hoͤret mich, die ihr die Schoͤnheit nen-

net,

Fuͤr ihre Rechte kaͤmpft, und ſie vielleicht nicht kennet!

Es lacht auf ihrer Stirn die Einfalt der Natur:

Sie iſt auch nackend ſchoͤn; nicht ſchoͤn im Purpur nur.

Ein bunter Hurenſchmuck iſt falſcher Schoͤnheit eigen:

Die gleiſſt von Flittergold, und will ſich immer zeigen;

Und will vorwitzig ſtolz, auf Stelzen ſich erhoͤhn,

Dem Winde ſich vertraun, und auf den Wolken gehn.

(*) Das Wahre nur gefaͤllt; und wollt ihr wuͤrdig

dichten,

So muß die Dichtung nicht auch die Natur vernich-

ten.

Oft fliegt ſie ſchwaͤrmend auf; allein verflieget ſich,

Und wird nicht wunderbar, nur abentheuerlich.

Jn
[245]Briefe.
Jn Laͤndern voller Lichts, in anfgeklaͤrten Zeiten,

Soll wider die Vernunft allein die Dichtkunſt ſtrei-

ten?

Wie? dieſes Himmelskind ſchmuͤckt poͤbelhaften Wahn,

Pflanzt alten Jrrthum fort und pflanzet neuen an?

Mit Maͤhrchen ſpielt allein die lachende Satire:

Die hohe Muſe weis, was ihrem Ernſt gebuͤhre.

Dem Scherze wird verziehn, der eine Thorheit wagt:

Doch der wird ausgeziſcht, der ſie im Ernſte ſagt.

Nicht Schoͤnheit einer Art muß aller Orten lachen:

Was immer wiederkommt wird endlich muͤde machen.

Wer immer mahlt und mahlt, und ieden Muͤcken-

Fuß

Jn ſein Gemaͤhlde bringt, mahlt uns zum Ueberdruß.

Der Schuͤler der Natur verlangt nicht ſtets zu glaͤn-

zen:

Er laͤßt ein lebhaft Licht an ſanfte Schatten graͤnzen.

Es blendet unſer Aug ein ſteter Sonnenſchein:

(*) Wir ſuchen Dunkelheit und fliehen in den Hayn.

Der Bluhmen hohen Glanz wird falber Grund erhe-

ben;

Da Sudler uͤberall nur lichte Farben geben.

Was pfropft ihr ein Gedicht mit Gegenſaͤtzen voll,

Q 3Und
[246]Briefe.
Und ſtrahlt mit kuͤhnem Witz, auch wo er ſchweigen

ſoll?

Hoͤrt auf, ſtets raͤthſelhaft, in Spruͤchen ſtets zu ſpre-

chen:

Warum ſoll ieder Satz den muͤden Kopf zerbrechen?

Nicht ſeicht fließ’ euer Vers, nicht von Gedanken leer:

Er fließe klar dahin, obgleich von Golde ſchwer.

(†) Soll Deutſchland euer Haupt mit Lorbeern dank-

bar kroͤnen;

So lehret euer Lied, auch deutſch, nicht fremde toͤnen.

Der Alten Saitenſpiel ſchall’ eurer Leyer vor:

Sie dichten fuͤr den Geiſt, und ſingen fuͤr das Ohr.

Die ſchoͤnſte Sprach fließt von ihren reinen Lippen:

Sie fliehn ein freches Wort, gleich Jcars bleichen

Klippen.

Schleift alles Rauhe weg! waͤhlt; aber kuͤnſtelt nicht!

(*) Auch der wird laͤcherlich, der nie, wie andre,

ſpricht:

Der
[247]Briefe.
Der bald ein ſchimmelnd Wort bejahrter Nacht ent-

reiſſet,

Das niemand itzt mehr kennt, bald neue werden heiſ-

ſet;

Die kuͤhnſten Tropen haͤuft, verſetzt, verſtuͤmmelt, wagt,

Und doch nicht ſchoͤner ſagt, was andre laͤngſt geſagt.

Jhr Deutſchen, die erhitzt in meinem Tempel zanken!

Die Sucht, ſtets neu zu ſeyn in Worten und Gedan-

ken,

Umſchleicht, wie eine Peſt, auch euer Vaterland,

Sie, die mich aus Athen, die mich aus Rom verbannt.

Die Muſe Griechenlands, die Muſe Roms entzuͤckten,

So lang ſich beyde noch mit edler Einfalt ſchmuͤckten;

Und ihr beſcheidner Mund noch immer menſchlich ſprach,

Auch wann aus ihrem Blick ein goͤttlich Feuer brach.

(*) Doch, ach! als beyde ſich, wie feile Dirnen, ſchmink-

ten,

Von Salben duͤfteten, und ſich am ſchoͤnſten duͤnkten,

Wenn ſich zu frechem Blick ihr buhlend Auge zwang:

War ihre Schoͤnheit hin und kraftlos ihr Geſang.

Dieſe lange Rede wuͤrde vielleicht noch laͤnger und noch
entſcheidender fuͤr die ſtreitenden Theile geworden ſeyn;
wenn nicht das Getuͤmmel derer, die mit derſelben ſchlecht
zufrieden waren, den Gott unterbrochen und mich ſelbſt
Q 4auf-
[248]Briefe.
aufgewecket haͤtte. Jn der That! ein langer Traum!
werden Sie ſagen. Vielleicht haben die langen Winter-
naͤchte denſelben ſo lange gemacht. Vielleicht hat auch
der Traum der ſchoͤnen Mirzoza, den ich in einer der wi-
tzigſten Schriften des juͤngern Crebillon vor dem Schla-
fengehen geleſen, meine Phantaſie zu einem ſo langen und
critiſchen Traum vorbereitet. Er ſey inzwiſchen ſo gut
oder ſo ſchlecht, als er wolle, ſo habe ich Jhnen denſelben
erzehlen wollen. Jch bin mit ehrerbietiger Hochach-
tung ꝛc.



Appendix A

Nuͤrnberg, gedruckt bey Joh. Joſeph Fleiſchmain.


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Notes
*
Das erhabene Gleichniß, welches hier parodiret wird
ſtehet in Addiſons Campaign, einem Gedichte auf den
Sieg bey Hoͤchſtaͤdt.
*
S. Canevas l de l’ hiſtoire de la Paris ou de l’ Hôtel
du Roule.
1750.
*
Siehe Herrn von Hagedorn Fabeln und Erzehlungen.
*
Siehe Herrn von Hagedorn Fabeln und Erzehlungen.
Siehe Gebete eines Freygeiſts, eines Chriſten und eines
guten Koͤnigs.
*
Parodie der Worte Horatii in der 6. Ode des 3ten
Buchs: Delicta Majorum immeritus luis \&c. nach
Herrn von Hagedorn Ueberſetzung in Oden und Liedern
S. 8.
(*)
Ils ſe moquent de moi qui plein de ma lecture,
Vais par-tout prechant l’art de la ſimple Nature.
Malheureux, je m’attache à ce goût ancien.
Oeuvres divers. de Mr. de la Fontaine T. I.
(††)
Nous ſommes cinq ou ſix Novateurs hardis qui
avons entrepris de changer la langue du blanc au
noir. Et nous en viendrons à bout, s’il plait à
Dieu, en depit de Lope de Vega, de Cervantes \&
de tous les autres beaux eſprits qui nous chicannent
ſur nos nouvelles façons de parler.
Avantures de Gil Blas L. VII. c. 13.
(*)
Rien n’eſt beau que le Vrai, le Vrai ſeul eſt ai-
mable,
Il doit briller par tout \& même dans la Fable.
Boileau
(*)
Lorsque nous demandons des choſes qui nous pi-
quent \& nous reveillent, outre qu’il eſt à propos que
ces choſes ſoient menagées \& dans des diſtances
convenables, nous voulons encore qu’elles ſoient
placées ſur un fond ſimple. Lettr. II. ſur les cau-
ſes de la Decadence du gout par Remond de Saint
Mard.
(†)
Neque conamur ſperare, qui latine non poſſit, hunc
ornate eſſe dicturum: neque vero, qui non dicat,
quod intelligamus, hunc poſſe, quod admiremur,
dicere. Cic. de Orat. III.
Tanquam ſcopulum, ſic inauditum atque inſolens
verbum, fugiamus. Cæſar. L. I. de Analogia.
(*)
Le Seigneur Don Fabrizio, qui fait des Vers dignes
du Roi Numa, \& qui écrit en Proſe comme on n’é-
crit point. Avantures de GilBlas L. VIII. c. 9.
Hæc verba tam improbe ſtructa, tam negligenter
abjecta, tam contra conſuetudinem omnium poſita.
Senec. Epiſt. 114.
(*)
Ainſi dégénérèrent ces graces fieres \& modeſtes des
Romains; ainſi perit cette belle \& majeſtueuſe ſim-
plicité de Ciceron. Lettre 1. ſur la decadence du
gout par Remond de Saint Mard.

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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Uz, Johann Peter. Lyrische und andere Gedichte. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq5t.0