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Phantaſus.

Eine Sammlung
von

Maͤhrchen, Erzaͤhlungen, Schauſpielen und Novellen,


Zweiter Band.

Berlin,: 1812.
In der Realſchulbuchhandlung.
[][[1]]

Phantaſus.
Zweite Abtheilung.


II. [ 1 ]
[[2]][[3]]

Am fruͤhen Morgen begegnete Anton dem um-
irrenden Friedrich in den Gaͤngen des Gartens.
Wie iſt dir, mein Geliebter? fragte Anton be-
ſorgt; ich hoͤrte dich in der Nacht dein Zimmer
verlaſſen und dann im Garten auf und nie-
der gehn; du ſcheinſt nicht geſchlafen zu haben:
haſt du traurige Nachrichten erhalten, oder biſt
du krank?


Geſund und froh, antwortete Friedrich, aber
ſo bewegt, daß alles mich nur wie ein Traum
umgiebt, daß ich nicht hoffen, oder mich freuen
kann, am wenigſten Rath erſinnen. Adelheid
hat mir durch den geſtrigen Boten geſchrieben,
daß ihr Oheim in wenigen Tagen eine Reiſe
unternehmen muͤſſe, dieſe Zeit will ſie benutzen,
um in Geſellſchaft und durch Huͤlfe meines
Freundes Ewald zu entfliehen, ich ſoll ihr ei-
nen ſichern Ort vorſchlagen, wo ſie eine Zeit
lang verborgen leben moͤge, und wo ich ſie tref-
fen koͤnne. Alles dieſes war faſt ſeit einem
Jahre unter uns beredet, aber nun es wirklich
eintrift und geſchehen ſoll, uͤberſchuͤttet es mich
ſo mit Verwirrung und Angſt, daß ich mir nicht
[4]Zweite Abtheilung.
zu helfen weiß, und einen Freund brauchte, der
fuͤr mich zu handeln im Stande waͤre.


Geht es uns nicht mit jedem Gluͤcke ſo? ant-
wortete Anton; es bemeiſtert ſich unſerer Sinne
um ſo mehr, um ſo groͤſſer es iſt, und um ſo
heftiger wir es gewuͤnſcht haben, im Ungluͤck
wiſſen wir uns ſchon eher zu faſſen, es iſt bei-
nah, als waͤre es uns in dieſem Leben mehr
geeignet, das Gluͤck aber bleibt uns immer ein
etwas fremder und ſeltſamer Gaſt.


Ich weiß es, fuhr Friedrich fort, daß ſie
nur im Vertrauen auf meinen Muth handelt,
und ſchaͤme mich darum, mich ſelbſt ſo weichlich
und ſchwach anzutreffen: es iſt aber auch nicht
Schwaͤche, ſondern nur der Mangel jener Ge-
laſſenheit, einer gewiſſen Kaͤlte, die uns in allen
Vorfaͤllen des Lebens zu Gebote ſtehen ſollte.
Ich bin uͤber mein ſo nahes Gluͤck außer mir,
alle meine Lebensgeiſter haben ſich meiner Dienſt-
barkeit entzogen, und ſchwaͤrmen fuͤr ſich und
kaͤmpfen gegen einander. Ich bin entzuͤckt, und
im Schwindel duͤnkt mir die feſte Erde nur ein
ſchwankendes Brett.


Manfred trat zu ihnen. Die Bewegung
Friedrichs konnte ihm nicht verborgen bleiben,
und dieſer vertraute ihm auch nach einigen Fra-
gen geruͤhrt das Geheimniß. O vortreflich! rief
Manfred aus; das fuͤgt ſich ja ſchoͤner, als wir
es hatten hoffen koͤnnen! Gerade eine Perſon,
wie deine ſchoͤne Adelheid, hat unſerm Zirkel
[5]Zweite Abtheilung.
noch gefehlt, um ihn recht intereſſant zu ma-
chen! Denn wohin ſollte deine zukuͤnftige Ge-
mahlin wohl fluͤchten, als in unſere Arme und
in dieſen Garten? Kann ſie etwas Beſſeres thun,
als uns alle insgeſammt kennen lernen, und
unſre Werke anhoͤren und ebenfalls beurtheilen?
Zugleich werden die uͤbrigen Weiber ſchuͤchterner
werden, wenn ſie eine Schoͤnere neben ſich ſehn;
unſere Clara wird ihr vorlautes Weſen etwas
beſchraͤnken, die ſchnippiſche Auguſte wird ler-
nen, daß hinter den Bergen auch Leute wohnen,
und, o Himmel! meine ſanfte Roſalie wird viel-
leicht ſogar eiferſuͤchtig! Denn ich will alle
meine Aufmerkſamkeit auf die ſchoͤne Gefluͤchtete
wenden, und mich als ihren Ritter und Ret-
ter darſtellen, nur muß dich, meinen weinerlichen
geruͤhrten Freund, der Teufel alsdann nicht mit
Grillen plagen; doch auch das wird nicht ſchaͤd-
lich ſeyn, ſondern nur die Verwirrung um ſo
vollſtaͤndiger machen. Sagt, Freunde, iſt dieſe
Ausſicht nicht entzuͤckend?


Aber die ernſthafte Emilie, wandte Friedrich
ein, wird dieſen Plan nicht mit derſelben Be-
geiſterung aufnehmen.


Laß mich nur ſorgen, ſagte Manfred, es
muß ſich alles von ſelbſt zur Ordnung fuͤgen,
wenn wir es nur wollen. Glaubt nur, ernſt-
haft geſprochen, die meiſten Weiber haben mehr
Hang zur Intrigue, als ſie ſich im gewoͤhnli-
chen Leben duͤrfen merken laſſen, meldet ſich nun
[6]Zweite Abtheilung.
die Gelegenheit einmal, daß ſie es ohne ſonder-
liche Gefahr koͤnnen, ſo greifen ſie mit beiden
Haͤnden hinein, und ſo wird ſich auch Emilie
fuͤr dieſe poetiſche Situation intereſſiren, das ro-
mantiſche Gedicht fortſchieben helfen, und ſich
ſelbſt Beifall zurufen, daß ſie eine Verwirrung
ſanft und anſtaͤndig geloͤſt hat, die nach ihrer
Meinung ohne ihre Huͤlfe leicht zu Ungluͤck, Miß-
helligkeit und Verzweiflung haͤtte ausſchlagen koͤn-
nen. Vergeßt auch nicht, meine Freunde, daß
die Menſchen zwar, wenn ihnen etwas Außer-
ordentliches als zukuͤnftig bevorſteht, ſich die
Haare ausraufen und Himmel und Erde in Be-
wegung ſetzen wollen, um es ſich abzuwehren,
daß ſie ſich aber gelinde das Seltſamſte gefallen
laſſen, ſo wie es nur einmal da iſt und nicht
mehr abzuwenden ſteht. Daher werde ich Emi-
lie von allem nichts wiſſen laſſen, bis Adelheid
in unſerm Hauſe iſt, oder dieſe vielleicht ſogar
einen Tag vor ihr verborgen halten, was in dem
weitlaͤufigen Gebaͤude, und wenn wir uͤbrigen
alle darum wiſſen, ſehr leicht geſchehn kann.
Eben ſo wird ſich der belobte Onkel zurecht fin-
den, wenn er erſt ſieht, daß das Abentheuer
nicht mehr abzuaͤndern ſteht. Ich reiſe dann wohl
nach einiger Zeit hin, um ihn zu ſondiren und
zu verſoͤhnen, oder wir ſchicken unſern ehrbaren
Ernſt zu ihm, um den Frieden mit ihm abzu-
ſchließen.


Sie wurden durch die Ankunft von einigen
[7]Zweite Abtheilung.
Fremden unterbrochen, die auf einer Reiſe durch
das Gebirge den Wirth des Hauſes aufſuchten,
den ſie vor einigen Jahren hatten kennen lernen.
Alle Freunde, ſo wie die Damen verſammelten
ſich zu den Reiſenden um das Fruͤhſtuͤck; nach-
her uͤbernahm es Manfred dieſe in den naͤch-
ſten Bergen herum zu fuͤhren, um ihnen die Aus-
ſichten, wie die Ruinen der Schloͤſſer, auch ei-
nige merkwuͤrdige Hoͤlen zu zeigen, auf welcher
Wanderung ſie Wilibald begleitete. Friedrich
verſchloß ſich in ſeinem Zimmer, weil er ſeine
Bewegung nicht bemeiſtern konnte, und Anton
leiſtete ihm Geſellſchaft. Ernſt, Theodor und
die Frauen beſchaͤftigten ſich mit Muſik, und Lo-
thar ritt nach dem naͤchſten Staͤdtchen, um einige
Comoͤdianten in Augenſchein zu nehmen, die ihre
Kunſtvorſtellungen fuͤr die naͤchſten Tage ange-
kuͤndigt hatten.


Zu Mittag war die ganze Geſellſchaft am
Tiſche wieder vereinigt. Die Fremden aber eil-
ten, um ihre Reiſe fortzuſetzen, und noch an
demſelben Tage eine Stadt zu erreichen. Ich
war ſchon beſorgt, fing Clara an, daß wir heute
unſere Unterhaltung entbehren muͤßten, doch ſind
zum Gluͤck die wißbegierigen Reiſenden weiter
geflogen.


In dieſer Nacht, ſagte Emilie, habe ich
noch oft an die geſtrige Tragoͤdie, und zwar mit
einer gewiſſen Ruͤhrung denken muͤſſen, aber heut
am Tage, ich geſteh es unverholen, und beſon-
[8]Zweite Abtheilung.
ders als die Herren zugegen waren, und ſo viel
uͤber Politik und die neuſten Weltbegebenheiten
ſprachen, erſchien ſie mir etwas zu kindiſch.


Es kann wohl nicht anders ſeyn, erwie-
derte Anton, denn gerade das ganz Kindiſche
des Gegenſtandes reizte mich, ihn zu bearbeiten.
Es ſchien mir, daß die Parodie der Tragoͤdie hier
mit der Tragoͤdie ſelbſt zuſammen fallen koͤnne.


Gozzi, ſagte Clara, hat einige Gegenſtaͤnde
gewaͤhlt, die eben nicht erhabener ſind, aber er
hat ſie pathetiſcher genommen; unmoͤglich war
die Aufgabe dieſer Kinder-Erzaͤhlung auf die-
ſem Wege zu loͤſen, und dennoch endigt ſie tra-
giſcher, als eins der Gozziſchen Maͤhrchen: Wald,
Morgen und Abend, frohes Lebensgefuͤhl und
ſchauerliche Ahndung ſind die Beſtandtheile die-
ſes Gedichts, und daß es ſich in lauter poeti-
ſchen Kindheits-Vorſtellungen umtreibt, hat mir
gerade gefallen.


In jener Zeit, ſagte Lothar, als ich den
Gozzi am eifrigſten las, machte ich auch den
Verſuch, ein Kindermaͤhrchen dramatiſch zu be-
arbeiten, welches, wenn ich mich nicht taͤuſche,
doch keine Nachahmung ſeiner Manier zu nen-
nen iſt. Die Reihe hat mich getroffen, Ihnen
dieſes heute vorzutragen. — Lothar fing an zu
leſen. —


[9]Der Blaubart.

Der Blaubart.



Ein Maͤhrchen in fuͤnf Akten.



Perſonen.


  • Hugo von Wolfsbrunn, mit dem Zunahmen der

  • Blaubart.

  • Mechthilde, ſeine Haushaͤlterin.

    • Anton,

    • Simon,

    • Leopold.
    • von Friedheim.


    • Anne,

    • Agnes.
    • ihre Schweſtern.


    • Heymon,

    • Conrad.
    • von Wallenrod.


  • Martin von Felsberg.

  • Hans von Marloff.

  • Brigitte, ſeine Tochter.

  • Reinhold, ſein Sohn.

  • Caspar, ſein Knappe.

  • Junker Winfred.

  • Ulrich, ein Knecht.

  • Ein Rathgeber.

  • Claus, ein Narr.

  • Ein Arzt.

  • Ritter und Knechte.
[10]Zweite Abtheilung.

Erſter Akt.


Erſte Scene.

(Saal auf dem Schloſſe Wallenrod.)

Heymon und Conrad von Wallenrod, Martin
von Felsberg, andere Ritter.

Heymon.

Sind wir nun alle verſammelt?


Martin.

Ja, es fehlt, denk' ich, Niemand-
denn hier bin erſtlich ich, euer Vetter Martin von
Felsberg, dann ſeyd ihr da, als das Haupt der
Familie, der Ritter Heymon von Wallenrod, hier
ſteht euer edler Bruder Conrad, auch ſtehn da
herum unſre uͤbrige werthen Verwandten und
wackern Freunde, ſo daß wir unſere Rathspflege
wohlgemuth und mit aller Beſonnenheit veranſtal-
ten koͤnnen.


Heymon.

So ſage ich denn noch einmal
oͤffentlich, wie ich es ſchon jedem insbeſondere
geſagt habe: Krieg! Fehde! — Wer iſt dieſer
Hugo vom Wolfsbrunn, daß er unſer Gebiet brand-
[11]Der Blaubart.
ſchatzen darf? Sollen wir denn immer in Furcht
und Sorgen leben vor einem Nichtswuͤrdigen?


Conrad.

Ja wohl, vor einem Kerl, der
nicht leſen, nicht beten kann? Vor einem Men-
ſchen, der einen blauen Bart hat? Vor einem
Taugenichts, den Gott auf eine wunderbare Weiſe
hat zeichnen wollen?


Martin.

Wie ſagt Ihr? Er haͤtte einen
blauen Bart?


Conrad.

Freilich, und der ſitzt ihm an einem
verhenkerten Geſichte, an einer wahren Galgen-
Phyſionomie.


Martin.

Ordentlich blau? Was man ſo
blau nennt?


Heymon.

Ihr wundert Euch mit Recht,
Vetter, und mein Bruder da hat ihn ganz rich-
tig beſchrieben. Er iſt ein wilder, unumgaͤnglicher
Menſch, raubt, pluͤndert, ſchlaͤgt todt, wenn er
dazu kommen kann, und ſieht dabei aus wie der
Satan.


Conrad.

Wie ihn euch mein Bruder da eben
ganz richtig beſchreibt, wie der leibhaftige Satan.


Martin.

Gottes Werke ſind doch wunder-
bar! — Hab' ich mein Lebtage von einem blauen
Barte gehoͤrt?


Conrad.

Aber, Herr Bruder, ehe wir un-
ſern Zug unternehmen, ſollten wir doch vorerſt
unſern Rathgeber befragen.


Martin.

Wer iſt denn das?


Heymon.

Ein alter Mann und weitlaͤufi-
ger Verwandter von uns, er iſt ſchon, wie geſagt,
[12]Zweite Abtheilung.
etwas ſtumpf und bei Jahren, und da hat er ſich
in muͤſſigen Stunden aufs Rathgeben gelegt. Aber
er giebt Euch treflichen Rath, das verſichre ich Euch.


Conrad.

Er hat ſchon manchen wackern
Rath gegeben, von dem es wohl gut geweſen waͤre,
wenn man ihn befolgt haͤtte.


Heymon.

Da koͤmmt er eben her.


Der Rathgeber (kommt herein.)

Heymon.

Nun, ſetzt Euch, ſetzt Euch. —
Jetzt alſo, meine verſammelten Freunde, ſind wir
in der Abſicht zuſammen gekommen, ein vernuͤnf-
tiges Wort mit einander zu reden. —

(es klopft.)


Wer klopft denn das Nur herein!


Claus. (der Narr tritt auf; er iſt klein und ungeſtalt,
pucklicht, hinkt auf einem Beine, und geht ſehr behende
an einer Kruͤcke.)

Conrad.

Ach! Es iſt unſer Narr.


Martin.

Ihr habt ja eine recht vollſtaͤn-
dige Haushaltung.


Conrad.

Gottlob! wir laſſen uns nichts
abgehn. Ein kleiner Mann, der Narr, wie Ihr
ihn da vor Euch ſeht, aber einen vortreflichen, dau-
erhaften Witz hat er an ſich. Man kann einen
ganzen Abend uͤber ihn lachen, wenn er auch kein
Wort ſpricht. Aber ſonſt ein gutes Gemuͤth.


Claus.

Iſt es erlaubt, Ihr Herren, daß
ein Narr in eine vernuͤnftige Rathsverſammlung
koͤmmt?


Conrad.

Du lieber Gott! er iſt ein Narr,
man muß ihm doch auch ein kleines unſchuldiges
[13]Der Blaubart.
Vergnuͤgen goͤnnen, denn er ſaͤuft nicht und iſt
uͤberhaupt ein ordentlicher Burſch. — Setz dich,
Narr, und wir andern Verſtaͤndigen wollen uns
auch ſetzen.

(alle ſetzen ſich.)

Heymon.

Nun ſo rathe ich alſo noch ein-
mal zum Kriege, damit wir dieſes uͤberlaͤſtigen
Hugo los werden moͤgen. Er ſteht jetzt eben im
Felde gegen Hermann Worbſen, laßt uns ſchnell
hinziehn, ſo ereilen wir ihn noch, ehe er nach ſei-
nem feſten Schloſſe zuruͤck kehrt. — Was meint
Ihr, Vetter Rathgeber?


Rathgeber.

Wenn ich Euch denn meinen
guten Rath geben ſoll, — ſo meine ich unmaß-
geblich, daß Ihr Recht habt, angeſehen Ihr ein
verſtaͤndiger, vollkommen ausgewachſener Ritter
ſeyd. — Ihr habt Recht, ich bin ganz Eurer
Meinung.


Heymon.

Wenn wir ihn denn nun beſiegt
haben, ſo beſtuͤrmen wir ſein Schloß und theilen
uns in ſeine Reichthuͤmer?


Claus.

Und wo bleibt denn der Blaubart?


Heymon.

Narr, der koͤmmt ja in der
Schlacht um.


Conrad.

Und wenn er auch nicht umkoͤmmt,
ſo wird er in ein Gefaͤngniß geſteckt.


Heymon.

Das wird er aber nicht zugeben;
beſſer, er koͤmmt in der Schlacht um.


Rathgeber.

Richtig, weit beſſer iſt es, er
koͤmmt in der Schlacht um, da habt Ihr, Ritter
Heymon, ganz meinen Gedanken.


[14]Zweite Abtheilung.
Conrad.

Aber wenn er nun doch nicht
umkommt?


Rathgeber.

Ja ſo! — Eine gute Anmer-
kung von Eurem Bruder, in der That. — Wenn
er nun nicht umkoͤmmt! — Er thut beſſer, wenn
er in der Schlacht umkoͤmmt, das iſt gewiß, —
aber die Menſchen ſind oft wunderlich. Ja, was
meint Ihr dann?


Martin.

Ihr ſeid ja der Rathgeber.


Rathgeber.

Sehr richtig, — ja, dann iſt
mein Rath, — daß man ſich nachher darauf be-
ſinne, wenn wir erſt ſo weit ſind; Ihr habt ihn
ja dann bei der Hand, und koͤnnt mit ihm machen
was Euch gut duͤnkt.


Conrad.

Das iſt auch wahr; warum wol-
len wir uns jetzt ſchon den Kopf zerbrechen?


Heymon.

Nun, ſo laßt uns denn nicht
zaudern, ſondern haſtig aufbrechen.

(ſie wollten gehn.)

Claus.

Aber halt! haltet doch! — Habt
Ihr ſo wenig Geduld, daß Ihr ins Schlachtfeld
hinein laufen wollt, als ging' es zum Fruͤhſtuͤck?
Wer langſam geht, koͤmmt auch zu ſeinem Tode
noch fruͤh genug.


Conrad.

Zum Tode?


Claus.

Nun, wenn Ihr nicht ſiegt, ſondern
beſiegt werdet? Und der Blaubart ſchneidet Euch
den Ruͤckzug ab? — Wie dann? — Wenn Ihr
nun beſiegt werdet, ſag' ich! Denn das kann man
doch ſo genau nicht wiſſen, man muß doch auf
alle Faͤlle denken, ein guter Feldherr wird auch
dafuͤr ſorgen.


[15]Der Blaubart.
Heymon.

Ein guter Feldherr, ſagt er?
Zum Henker, er hat Recht, und es ſoll jetzt gleich
daran gedacht werden. Nein, nur um Gottes
Willen die Sachen nicht einſeitig betrachtet!


Claus.

Nun alſo, ſo denkt! Rathgeber,
denkt einmal recht tuͤchtig!


Rathgeber.

Ja, der Kleine hat Recht, ſo
klein er auch iſt, und ſo rathe ich denn, nach reifli-
chem Ueberlegen, daß Ihr noch fuͤrs erſte den ganzen
Feldzug ſeyn laſſet.


Heymon.

Iſt das Euer Rath?


Rathgeber.

Wenn wirs beim Lichte be-
ſehn, wirds ohngefaͤhr auf ſo etwas hinaus laufen.


Heymon.

Das iſt nichts, Rathgeber. Et-
was Beſſeres.


Rathgeber.

Ihr glaubt wohl, daß man
den guten Rath nur ſo aus den Ermeln ſchuͤttelt.
Ich weiß nichts Beſſers.


Conrad.

Hm, — wenn man — nein!


Heymon.

Hm. — Koͤnnte man nicht, —
bewahre!


Martin.

Hm! — Ich daͤchte — Ich weiß
nicht, was ich dachte.


Ein Ritter.

Aber Herr Ritter, Ihr ver-
gaßt ja ganz, daß Claus nur ein Narr iſt.


Conrad.

Richtig! Da ſteckt der Knoten! —
Und wir ſtehn da alle und uͤberlegen!


Rathgeber.

Wir haben uns von dem Nar-
ren alle in den April ſchicken laſſen.


Heymon.

Kuͤnftig ſchweig bis man dich fraͤgt.


Claus.

Verzeiht, es geſchah nur, um mir
[16]Zweite Abtheilung.
mit dem Reden einen Zeitvertreib zu machen. Ihr
wißt, ich plaudre gern, und da beſeh' ich denn die
Worte vorher nicht ſo genau; es iſt doch bald vor-
bei, wenn man redet, und da lohnts der Muͤhe
nicht, daß man es ſo genau nimmt.


Heymon.

So wollen wir denn aufbrechen!


Martin.

Nehmt Ihr den Rathgeber nicht
mit?


Heymon.

Ja das verdient Ueberlegung.


Rathgeber.

Laßt mich lieber zu Hauſe,
hochgeſchaͤtzte Herren; ich bin alt, und ihr wißt
ja wohl das Sprichwort: guter Rath koͤmmt im-
mer hinter her. Ihr koͤnnt mich eilig holen laſſen,
wenn Ihr mich noͤthig habt.


Conrad.

Das iſt wahr, Ihr ſeid doch ein
kluger Mann. — Aber den Narren wollen wir
mitnehmen.


Claus.

Mich? — O ihr Herren, ich bin
im Felde ganz unnuͤtz, ich kann keine Trommel
hoͤren, ohne Colik zu bekommen, ich ſitze immer
bei den Marketendern und mache nur die Lebens-
mittel theuer; als Soldat bin ich gar nicht zu ge-
brauchen, weil ich vor Angſt die Parole vergeſſe.
Warum wollt Ihr mich denn mitnehmen?


Conrad.

Erſtlich zur Strafe, damit du ſiehſt,
daß wir wohl ſiegen werden; zweitens, damit
wir doch auch einen Narren unter uns haben.
Drittens, um den Feind durch deine Perſon zu
aͤrgern, — und viertens ſollſt du mitgehn!


Claus.

Dieſer letzte Grund iſt ſo verdammt
gruͤndlich, daß ſich nichts von Bedeutung dagegen
ein-
[17]Der Blaubart.
einwenden laͤßt. Nun, wenn es denn ſeyn muß,
ſo will ich nur mein Buͤndel ſchnuͤren und mein
Teſtament machen.


Heymon.

Dein Teſtament?


Claus.

Aus meinem Narrenſtock laͤßt ſich
ein herrlicher Commandoſtab machen, man darf
nur oben den Eſelskopf herunter brechen; den ver-
mach' ich Euch! Meine Muͤtze Eurem Bruder
Conrad, die Ohren ſind ſo ſchon ziemlich abgetra-
gen; meinen Witz dem Rathgeber da, und meine
Kruͤcke demjenigen, der nur mit einem Beine aus
dem Felde zuruͤck hinkt.


Rathgeber.

Deinen Witz magſt Du ſelbſt
behalten, er iſt ſo durchgeſcheuert, daß man die
Faͤden zaͤhlen kann.


Claus.

So koͤnnt Ihr immer noch euren
vernuͤnftigen Rath damit flicken, denn ich glaube,
daß Verſtand kein beſſeres Unterfutter finden kann,
als Narrheit. Ich verſichere Euch, nichts haͤlt ſo
warm und bewahrt vor Huſten und Schnupfen,
Schwindel und dergleichen, ſo gut, als ein Bruſt-
tuch von derber Narrheit. Truͤgt Ihr es nur un-
ter Eurem Panzer, Herr Ritter, Ihr wuͤrdet
Euch wohl dabei befinden, dann bliebet Ihr lieber
zu Hauſe, und ergoͤtztet Euch hier buͤrgerlich mit
mir, oder dem Rathgeber, oder ginget auf die
Jagd. Warum muß es denn gerade Krieg ſeyn?
Krieg iſt ein gefaͤhrliches Spiel; ich kann ſchon
das bloße Wort nicht leiden; glaubt mir, es lieſt
ſich beſſer davon in Buͤchern, als dort im Felde
zu ſtehn und zu paſſen und zu paſſen, — und
II. [ 2 ]
[18]Zweite Abtheilung.
wenn man nun in der Hinterhand ſitzt und der
Feind bekoͤmmt die Matadore!


Heymon.

Der Narr ſchwazt und kann kein
Ende finden. Du ſollſt uns den Marſch verkuͤr-
zen durch deine Maͤhrlein.


Claus.

Soll ich reiten oder gehn?


Conrad.

Gehn.


Claus.

Nun, Gott ſegne Euch, ich werde
ſo auf meine Art gehn muͤſſen.


Heymon.

Kommt, Vetter Martin, kommt
Ritter, der Sieg winkt uns, wir wollen uns nicht
ſaͤumig finden laſſen.


Conrad.

Wenn wir nur erſt die eroberten
Fahnen aufhaͤngen!

(alle ab.)

Claus.

O uͤber die lumpige Welt! — Wahr-
haftig, ich ſchaͤme mich jetzt. Ich werde dafuͤr
bezahlt, um ein rechter wahrer Narr zu ſeyn,
und nun bin ich ein Pfuſcher geweſen, und war
offenbar der verſtaͤndigſte von allen. Sie pfuſchen
dafuͤr in mein Handwerk, und ſo iſt kein Menſch
mit ſeinem Stande zufrieden. Wollte nur Gott,
ich koͤnnte die Klugheit ſo wacker ſpielen, als ſie
ſich in der Narrheit gut ausgenommen haben! —
Nun, Schickſal, du Vormund der Unmuͤndigen,
wirſt du dich ihrer ſo ſehr annehmen, als ſie feſt
auf dir vertrauen, ſo werden ſie dieſen Feldzug
bald geendigt haben. —

(ab.)

[19]Der Blaubart.
Zweite Scene.

(Zimmer.)

Winfred, ein Knecht.

Winfred.

Er iſt aber doch zu Hauſe, der
Junker Leopold von Friedheim? du mußt wiſſen,
ich bin ſein Freund.


Knecht.

Wer, ſag' ich, daß Ihr ſeid?


Winfred.

Ich nenne mich Winfred, ſage
nur dieſen Namen, ſo kennt mich dein Junker
ſchon daran.

(Knecht ab.)

Wie das Schickſal ſeine
Gaben ungleich und verwunderlich austheilt! So
kann ich es doch nun und nimmermehr dahin brin-
gen, daß mir der Hut ſo angenehm ſchief von der
Seite ſitzt, wie meinem Freunde Leopold, und
Schuh und Struͤmpfe und alles, es iſt und wird
nimmermehr der nachlaͤſſige liebenswuͤrdige Anſtand,
ſo viel ich mich auch uͤbe, ſo ſehr ich mich auch
von fruͤh Morgen darauf abarbeite. Freilich, meine
Beine haben auch nicht den gehoͤrigen Schnitt, ſie
ſind gar zu duͤnn. Und dann ſeine Art hinein zu
kommen, und mir nichts dir nichts den erſten be-
ſten Diskurs anzufangen, daß ihm die Worte nur
ſo aus dem Munde ſtaͤuben. Mir erſtirbt die Rede
auf der Zungenſpitze, und die beſten Einfaͤlle klam-
mern ſich ſo feſt, daß ich ſie nicht losſchuͤtteln kann.
Er gefaͤllt allen Menſchen, und auch den Weibern,
[20]Zweite Abtheilung.
aber wenn ſie auch manchmal uͤber mich lachen, ſo
kann ich doch nicht ihre rechte Liebe erwecken. Die
Sterne haben wohl bei meiner Geburt etwas in
der Queere geſtanden, ſo deutet auch Hand und
Fuß; ja wahrlich, wenn ich nicht ſo gar enge
Schue truͤge, ſchauten die Fuͤße aus, wie die einer
Gans; breit! breit!


Leopold kommt.

Leopold.

Ihr ſeid ſchon da? Ei, wie auf-
geputzt und praͤchtig! Das neue Wamms und die
Federn habe ich noch nicht an euch geſehn.


Winfred.

Nicht wahr, zierlich und anmu-
thig? Und wenn ich ſo mit den Armen ſchlenkre,
und den Mantel etwas ſo von der Schulter werfe,
ſo macht ſichs ſo ziemlich? Gelt! Seht, iſt es
ſo recht?


Leopold.

Vortreflich! Ihr ſeid ſchon ein
Meiſter, da Ihr vor kurzem nur als ein Schuͤler
angefangen habt.


Winfred.

Ach, Lieber, weit, weit iſts noch
zum Ziel. Nein, ich will mich nicht ſelber taͤu-
ſchen. — Aber ſagt, wie ſtehts um unſer Aben-
theuer? Wann lichten wir die Anker?


Leopold.

Es iſt noch zu fruͤh. Ich werde
euch ſchon Nachricht geben, wenn es an der Zeit iſt.


Winfred.

O was mich das gluͤcklich machen
wird, ſo in Eurer Geſellſchaft auszuziehn, hier
uͤber die Berge, dort durch die Staͤdte und Luft
und Gefahr mit Euch theilen, und Euch immer
ſehn und bewundern, und von Euch lernen! Und
[21]Der Blaubart.
dann ſpricht man von uns, und beſingt uns wohl
gar, und wenn uns dann die Leute kommen ſehn,
ſo heißt es: da, da gehn ſie, da reiten ſie die
beiden jungen Wagehaͤlſe! der da vorn iſt der Leo-
pold, der da hinter drein folgt iſt Junker Win-
fred, nicht ſo merkwuͤrdig wie jener, aber doch
auch nicht uͤbel, er hats hinter den Ohren, hat
Gruͤtz im Kopf, der Teufelskerl!

(umarmt Leopold.)


O Lieber, Beſter, Einziger, laßt uns doch bald,
bald ausziehn!


Leopold.

Ich ſage Euch, noch iſt es zu zei-
tig, der alte Hans von Marloff iſt zu ſehr auf
ſeiner Hut, er bewacht ſeine Tochter wie der
Drache den Schatz. Er iſt geizig, ich bin arm,
unſre Familie iſt zahlreich, und darum muß ich
zur Liſt meine Zuflucht nehmen, um gluͤcklich zu
werden.


Winfred.

Wieder auf unſer altes Geſpraͤch
zu kommen: nichts waͤrs mit Euren Schweſtern?
O Himmel, das Gluͤck Euer Schwager zu ſeyn!
Freundchen, nicht tauſcht' ich dann mit dem Sul-
tan von Babylon!


Leopold.

Schlagt Euch das aus dem Sinn,
es geht ein fuͤr allemal nicht. Mein Bruder An-
ton ſieht auf Geld und Gut, und da ſeid Ihr
nicht reich genug: Anne haͤngt noch immer ihrer
alten Liebe nach; ihr wißt ja, wie der Hans von
Marloff lieber ſeinen Sohn aus dem Lande getrie-
ben als ſeine Einwilligung gegeben hat, ſie will nun
gar nicht heirathen und Euch wohl am wenigſten;
Agnes muß durchaus einen reichen Mann haben.


[22]Zweite Abtheilung.
Winfred.

Da waͤre der Blaubart fuͤr ſie,
der ſchon ſo viele Weiber gehabt hat. Der Menſch
iſt mit Weibern geſegnet.


Leopold.

Seine Frau lebt ja mit ihm und
gluͤcklich.


Winfred.

Nein, ſie iſt auch ploͤtzlich wieder
geſtorben. Er thut nichts als Krieg fuͤhren und
Hochzeit machen. Gewiß ein merkwuͤrdiger Cha-
rakter, ſo widerwaͤrtig er auch ſonſt ſeyn mag.
Er ſoll unermeßliche Schaͤtze in ſeinen Schloͤſſern
aufbewahren. Was macht denn euer zweiter Bru-
der, der wunderliche Simon?


Leopold.

Wie immer, haͤngt ſeinen Grillen
nach und gruͤbelt.


Winfred.

Hoͤchſt kurios! Ha ha ha! Ich
muß lachen, ſo oft ich an ihn denke. Sagt, wie
in aller Welt wird man nur zum Narren? So
ſeinen Verſtand verlieren und unklug werden, es
iſt doch unbegreiflich, wie es die Leute anfangen.


Leopold.

Freiwillig kommen wohl die we-
nigſten dazu?


Winfred.

Hm, es iſt wunderlich, daruͤber
nachzudenken: vielleicht, daß der Menſch, wenn er
ſich auch recht was Beſonderes vorſetzt, und Gluͤck
und Sterne laſſen es gelingen, und ſein Vorſatz
paßt fuͤr ihn, daß er dann ein Held, ein Dichter,
ein Weiſer, oder ein großer Luftſpringer wird;
fuͤgt ſichs aber, daß die Sterne und die Schick-
ſale nicht damit harmoniren, ſondern ſich zwiſchen
ihn und ſeine Abſichten ſo recht mit breitem Ruͤk-
[23]Der Blaubart.
ken hinſtellen, ſo wird aus dem nemlichen Men-
ſchen wohl ein ſimpler Narr.


Leopold.

Du wirſt weiſe, Junker, trefliche
Einſichten ſtehn dir heut zu Gebot. Komm in den
Hof, ich will dir mein neues Roß zeigen, den
Schimmel.


Winfred.

Kommt, kommt, und laßt mich
ihn nachher auch verſuchen!

(gehn ab.)

Dritte Scene.

(Feld.)

Ritter, Knechte, Heymon, Conrad,
Martin
an ihrer Spitze, Fahnen,
Kriegsmuſik, Claus.

Heymon.

Er hat geſiegt?


Martin.

Ja. — Aber Ihr ſagtet ja, der
Mann habe einen blauen Bart.


Claus.

Nun, Ihr meint doch nicht, daß
er ihn durchs Viſir wird haͤngen laſſen.


Martin.

Euer Narr ſpricht immer mit,
wenn die verſtaͤndigen Leute reden.


Conrad.

Das hat er ſich ſo angewoͤhnt,
weil wir uns manchmal mit ihm eingelaſſen haben.


Claus.

Aber, meine gnaͤdige Herrn, warum
habt Ihr denn den Blaubart nicht angegriffen,
[24]Zweite Abtheilung.
als er ſich noch mit ſeinem Feinde in den Haaren
lag? Der Vortheil war ja dann offenbar auf
Eurer Seite.


Conrad.

Halt! das iſt wahr! — Daran
hat keiner von uns gedacht! Haͤtten wir doch nur
unſern Rathgeber bei uns gehabt!


Heymon.

Wirklich, wir haͤtten ihn angrei-
fen ſollen, dann wuͤrde er doch wahrſcheinlich von
zwei Feinden untergebracht worden ſeyn, jetzt hat
er jenen beſiegt, und es kann uns nun eben ſo er-
gehn. — Warum ſagteſt du das aber auch nicht
fruͤher?


Claus.

Eure Feldmuſik und Eure tapfern
kriegeriſchen Reden ließen mich ja gar nicht zu
Worte kommen. Wahrhaftig, ich wollte gewiß fuͤr
Euch einen ganz guten Rathgeber abgeben.


Conrad.

Du? — Bleib du nur bei deinem
Handwerk.


Claus.

Das gebe Gott nicht, daß Narr-
heit ein Handwerk ſey.


Conrad.

Was denn?


Claus.

Eine freie Kunſt, wir ſind nicht
zuͤnftig, ihr und jedermann darf ohne vorherge-
gangene Pruͤfung darin arbeiten.


Heymon.

Fort! Wir zoͤgern zu lange!

(ſie
ziehn voruͤber.)

Von der andern Seite koͤmmt Hugo mit
Knappen und Knechten.

Hugo.

Gelt? Das war ein gutes Stuͤck
Arbeit?


[25]Der Blaubart.
Knecht.

So ziemlich, gnaͤdiger Herr, aber
es waͤre Euch faſt uͤbel bekommen.


Hugo.

Ja, der Ritter, dem du den Reſt
gabſt, ſetzte mir nicht uͤbel zu.


Knecht.

Es war Schade um das junge Blut,
er hatte ganz goldgelbe Haare.


Hugo.

Was Schade? Waͤrs um mich we-
niger Schade geweſen? Meinſt du ſo?


Knecht.

Ha ha ha! Herr Ritter, das kann
wohl nur Euer Spaß ſeyn.


Hugo.

Jetzt kommt, nun wollen wir es
uns auch wohl ſeyn laſſen, die Ruhe ſchmeckt nach
ſolchem unruhigen Tage. — Aber ſeht, was iſt
das fuͤr eine Erſcheinung dort? — Geh doch einer
hin und frage, ob jene Menſchen uns etwas an-
haben wollen.

(Knecht ab.)

Es waͤre mir gar recht,
denn ich fuͤhle mich noch nicht matt. Seid Ihr
muͤde?


Knechte.

Nein, gnaͤdiger Herr.

(Knecht zuruͤck.)

Hugo.

Nun?


Knecht.

Es ſind die Gebruͤder von Wallen-
rod, ſie verlangen mit Euch handgemein zu werden.


Hugo.

So? deſto beſſer, ſo ſind es ja meine
alten Feinde! — Laßt uns ſogleich anruͤcken. —
Wie ſtark iſt ihre Mannſchaft?


Knecht.

Staͤrker als die unſrige.


Hugo.

Waͤren die uns vorher uͤber den
Hals gekommen, ſo haͤtte ſich ein ſauberes Unge-
witter uͤber uns zuſammen gezogen. Nun laßt die
Trompeten ſchmettern und ihnen raſch entgegen!


(Feldgeſchrei, Getuͤmmel, Kriegsmuſik hinter der Scene.)

[26]Zweite Abtheilung.
Claus.
(koͤmmt ſchnell herbei gehinkt.)

Ob ich
hier wohl ſicher bin? — Ach, wo iſt man im Felde
wohl ſicher? Auf wie vielen, weiten und meilen-
breiten Feldern thront jetzt die Sicherheit, und ich
Unſeliger muß mich nun durch ein boͤſes Schick-
ſal gerade hier an dieſem Ort der Unſicherheit be-
finden! — Hu! was das fuͤr eine Art iſt, mit
einander umzugehn! — Iſt es nicht laͤcherlich, daß
die Menſchen im gewoͤhnlichen Leben ſo viele Um-
ſtaͤnde mit einander machen, und wenn ſie nun
einmal die rauhe Seite heraus kehren, daß ſie ſich
mit denſelben Haͤnden todtſchlagen, mit denen ſie
ſonſt ſo viele Hoͤflichkeitsgeberden veranſtalten. —
Ach! das gewinnt fuͤr meine Herrſchaften ein
ſchlimmes Anſehn! So gehts, wenn man ſich
nicht von einem Narren will rathen laſſen. So-
bald der Verſtand bei der Thorheit bettelt, erfolgt
gewoͤhnlich ein gutes Almoſen, denn die Thorheit
giebt, ohne die Muͤnzſorten zu beſehn; wer aber
bei geſcheuten Leuten Huͤlfe ſucht, bekoͤmmt immer
nur Scheidemuͤnze. — Ach! wie ſind hier die Sen-
tenzen am rechten Ort! So lange der Menſch
nur noch eine Pfeffernuß zu beißen hat, wird er
keine Sentenzen ſprechen, wenn man aber ſo, wie
ich jetzt, an Leib und Seele bankrott iſt, ſo ſind
ſie das einzige Labſal. — Ich will mich hinter die-
ſen Strauch verbergen. Aber meine Narrheit
ſcheint ganz gewiß durch, wie ein Edelſtein: wenn
nicht das lahme Bein waͤre, wuͤrde ich fort lau-
fen. — O Himmel! ſie kommen ſchon zuruͤck. —


(ab.)

[27]Der Blaubart.
Hugo mit Knechten und Trompeten, Heymon,
Conrad, Martin
als Gefangene.

Hugo.

Seht, wie ſchnell wir mit Euch fer-
tig geworden ſind; aber jetzt iſt mein Arm lahm,
nun duͤrfte kein dritter kommen. — Ihr habt Euch
nicht beſonders gehalten, das muß ich Euch ſagen.


Heymon.

Jeder thut, was er kann.


Conrad.

Und das haben wir, hoff' ich,
auch gethan.


Martin.

Was unmoͤglich iſt, bleibt un-
moͤglich.


Hugo.

Jetzt will ich uͤberlegen, was ich
mit euch anzufangen habe.

(geht im Hintergrunde auf
und ab.)

Martin.

Ich hab' ihm doch nun endlich
ins Geſicht geſehn, ich hab' Euch immer nicht
glauben wollen, — aber ihr habt ganz Recht, er
hat einen blauen, wahrhaft blauen Bart.


Conrad.

Nun, ſeht Ihr wohl, ich habs
Euch ja vorher geſagt. Was ſollte mir das Luͤgen
nuͤtzen?


Martin.

Es giebt ihm ein recht grauſames,
widerliches Anſehn, und dabei ſieht er doch etwas
laͤcherlich aus.


Conrad.

Hat ſich was zu lachen, wir ſind
jetzt in ſeiner Gewalt, und es koſtet ihn nichts,
uns das Leben zu nehmen.


Heymon.

Das wird er gewiß nicht.


Martin.

Ich traue ſeinem verwuͤnſchten
blaubaͤrtigen Geſichte auch nicht.


[28]Zweite Abtheilung.
Conrad.

Nun hatte der weiſe Mann, unſer
Rathgeber, ja doch Recht, wenn er uns rieth, den
ganzen Feldzug zu unterlaſſen; aber wer nicht
hoͤren will, muß fuͤhlen, und das thun wir jetzt.
Wir thun weit mehr, wir haben nicht nur den
Krieg verloren, wir ſind noch dazu gefangen.
Wenn wir nur unſern Rathgeber hier haͤtten!


Heymon.

Das wuͤnſch' ich auch, denn ohne
ihn wiſſen wir doch nicht recht, was wir anfan-
gen ſollen.


Hugo.

Nun, was meint Ihr, meine Herren,
daß ich mit Euch thun werde?


Heymon.

Wahrſcheinlich uns gegen Kan-
zion frei laſſen.


Martin.

Uns auf unſer Verſprechen nach
Hauſe ziehn, dabei aber tuͤchtig bluten laſſen.


Conrad.

Wartet einmal! — Ihr werdet
uns vielleicht noch vorher irgend einen Schimpf
anthun, um Euch zu raͤchen.


Hugo.

Zum Beiſpiel, Euch haͤngen laſſen.


Conrad.

Ich muß geſtehn, das waͤre mir
ſehr unerwuͤnſcht, denn es iſt in unſrer Familie
bis jetzt noch keinem geſchehn.


Hugo.

Deſto beſſer. — Aber Ihr moͤchtet
lieber begnadigt ſeyn? — Wagt nur eine recht tuͤch-
tige Bitte daran, und ich laſſe mich vielleicht erwei-
chen denn ich bin nicht ſo ganz unbarmherzig. Iſt
kein rechter Redner unter Euch?


Conrad.

Ich bin immer noch der, der ſo
am meiſten ſpricht.


[29]Der Blaubart.
Hugo.

Nach welchem Muſter habt Ihr
Euch gebildet? Denn darauf kommt viel an.


Conrad.

Je nun, ich ſpreche ſo, was mir
ohngefaͤhr in den Kopf kommt.


Hugo.

Das iſt nicht recht, ich haͤtte mich
lieber nach Regeln ruͤhren laſſen.


Conrad.

Alſo, laßt Euch erbitten: ſeht, wir
ſind zwar in Eurer Gewalt, aber es iſt gegen
unſern Willen geſchehn, man kann nicht wiſſen,
wie ſich das Blatt einmal wendet, und Ihr kennt
ja wohl das Sprichwort: eine Hand waͤſcht die
andere.


Hugo.

Iſt das Eure ganze Redekunſt?


Conrad.

Ihr koͤnnt auch einmal uͤbel weg
kommen, denn es ſteht keinem an der Stirn ge-
ſchrieben, wes Todes er ſterben ſoll; es iſt noch
nicht aller Tage Abend, und Niemand, ſagte der
weiſe Croͤſus zum Koͤnige Salomon, der ihn wollte
verbrennen laſſen, kann ſich vor ſeinem Tode gluͤck-
lich preiſen.


Hugo.

Ihr ruͤhrt mich immer noch nicht. —
Kniet nieder.

(ſie knien.)

Heymon.

Habt Mitleid mit uns.


Hugo.

Steht auf! ich lache leichter als ich
weine; bringt mich zum Lachen, und ich ſchenke
Euch unter dieſer Bedingung das Leben.


Conrad.

Ich wollte, wir haͤtten unſern
Narren hier, es ſchickt ſich wenig fuͤr uns. —


Hugo.

Bin ich fuͤr Euren Witz zu ſchlecht?


Conrad.

Nein, das nicht, aber ich habe
mich nie auf dergleichen Kuͤnſte gelegt.


[30]Zweite Abtheilung.
Hugo.

Vielleicht hilft Euch das Naturell
durch.


Conrad.

Herr Ritter, mein Naturell iſt
ein gutes Naturell, und es waͤre manchen Leuten
zu wuͤnſchen, daß ſie nur ſolch Naturell aufzuwei-
ſen haͤtten.


Hugo.

Wie meint Ihr das?


Conrad.

Je nun, ich meine, daß ich ſonſt
wohl ſchon von Rothbaͤrten, aber wahrhaftig noch
von keinem Blaubart gehoͤrt habe.


Hugo.

Haha! wollt Ihr da hinaus? —
Fort mit Euch! der Tod iſt Euch gewiß, ob ich
gleich uͤber Eure dumme Ungeſchliffenheit von Her-
zen lachen moͤchte.


Heymon.

Aber hoͤrt doch nur. —


Hugo.

Sprecht kein Wort weiter, oder ich
ſpalte Euch mit meiner eignen Hand den Kopf.
Nichtswuͤrdiges Geſindel! — Fuͤhrt ſie fort, ſag'
ich, bindet ſie, und nachher, wenn ichs Euch be-
fehle, ſchlagt ihnen die Koͤpfe herunter. — Ihr
ſeid ein ſchoͤner Redner, das muß ich geſtehn. —


(Heymon, Conrad und Martin werden von den Knech-
ten abgefuͤhrt.)

Ein Knecht, der den Claus herbei bringt.

Knecht.

Gnaͤdiger Herr, hier iſt noch einer
von den Feinden, der ſich hinter jenen Buſch ver-
ſteckt hatte.


Hugo.

Komm her, ich bin grade in der
rechten Stimmung, dir dein Todesurtheil zu
ſprechen.


[31]Der Blaubart.
Claus.

Und ich ſage Euch, ich bin grade
in der rechten Stimmung, daß ich nichts darnach
frage.


Hugo.

Wer biſt du?


Claus.

Ein Narr.


Hugo.

So mußt du den andern Geſell-
ſchaft leiſten.


Claus.

Mir recht.


Hugo.

Wie? Du haſt das Leben nicht lieb?


Claus.

So wenig als einen ſauern Apfel.


Hugo.

Das waͤre faſt zu vernuͤnftig fuͤr
einen Narren.


Claus.

Ei, wenn es Thorheit iſt, das Leben
lieb zu haben, ſo waͤre am Ende der Zweck eines
jeden Philoſophen, ſich aufzuhaͤngen.


Hugo.

O ich habe nicht Luſt, mich mit dir
in einen Streit einzulaſſen. Aber wenn du Gruͤnde
haſt, ſo ſage ſie mir doch, warum du dein Leben
nicht achteſt.


Claus.

Herr! Gruͤnde, ſo groß und gewich-
tig wie die Felſen, und doch ſind die Felſen ſelbſt
nur kleine Kieſel, wenn man dabei an die ganze
Erde denkt. Doch das nur im Vorbeigehn geſagt.
Aber ſeht mich doch einmal an, und ſagt mir dann
ſelbſt eine vernuͤnftige Urſach, aus welcher ich das
Leben wohl lieb haben koͤnnte. Bin ich nicht ſo
gezeichnet, daß jeder Menſch von mir ſagen wird:
wenn der Kerl nicht zum Narren, oder zum Tau-
genichts zu gebrauchen iſt, ſo iſt er voͤllig in der
Welt uͤberfluͤßig? Bedenkt nur ſelbſt, gnaͤdiger
Herr, unter einem ſolchen Titel durch das Leben
[32]Zweite Abtheilung.
zu hinken, zeitlebens auf keine hoͤhere Ehre An-
ſpruͤche machen zu duͤrfen! Nicht wahr, es iſt gar
zu erbaͤrmlich? Denn Reichthuͤmer beſitze ich nicht,
und wenn ich ſie auch beſaͤße, was ſollte ich mit
ihnen wohl anfangen? Kein Maͤdchen wird ſo
wahnwitzig ſeyn, ſich in mich zu verlieben; Wohl-
wollen, Freundſchaft, Ehre, Ruhm, alles iſt fuͤr
dieſe arme verkruͤppelte widerwaͤrtige Geſtalt gar
nicht in der Welt. Was iſt denn alſo das Leben
fuͤr mich? Nichts als der große Fettſchweif des
Indianiſchen Schaafs, es iſt mir nur zur Laſt:
ich bin nicht froͤhlicher, als wenn ich vergeſſe, wer
ich bin, ich diene dazu, andre zum Lachen zu brin-
gen, und zwinge mich ſelbſt zum Lachen, ich bin
eine Medizin fuͤr verdorbene Maͤgen, ein Verdau-
ungsmittel, die Hunde ſelbſt ſehn mich von der
Seite an, und ich habe es noch nie dahin ge-
bracht, daß mich einer geliebt haͤtte. Aus welcher
Urſache, meint Ihr nun wohl, ſollte ich das Le-
ben lieben? Und was iſt denn das Leben ſelbſt?
Eine beſtaͤndige Furcht vor dem Tode, wenn man
an ihn denkt, und ein leerer, nuͤchterner, genußlo-
ſer Rauſch, wenn man ihn vergißt, denn man
verſchwendet dann einen Tag nach dem andern,
und vergißt daruber, daß die Gegenwart ſo klein
iſt, und daß jeder Augenblick vom naͤchſtfolgenden
verſchlungen wird. Jeder Menſch wuͤnſcht alt zu
werden, und wuͤnſcht damit nichts anders, als mit
tauſend Gebrechen, mit tauſend Schmerzen in
Bekanntſchaft zu treten. Da ſchleichen ſie denn
ohne Zaͤhne und ohne Wuͤnſche, mit leerem zit-
ternden
[33]Der Blaubart.
ternden Kopfe, mit Haͤnden und Armen, die ihnen
ſchon laͤngſt die Dienſte aufgekuͤndiget haben, und
die nur noch als abgeſchmackte Zierrathen von den
Schultern verwelkt herunter haͤngen, ihrem Grabe
keuchend und huſtend entgegen, dem ſie auf keine
Weiſe entlaufen koͤnnen. — Und ich, wie muͤßte
ich nun gar ſeyn, wenn ich alt wuͤrde? Wer wuͤrde
ſich die Muͤhe nehmen, mich zu bedienen, mich zu
troͤſten? Nein, gnaͤdiger Herr, laßt mich immer
friſch haͤngen, Ihr habt ganz Recht, das wird
wohl der beſte Rath ſeyn.


Hugo.

Kerl, du gefaͤllſt mir. Willſt du
mein Narr werden?


Claus.

Nein, ich bin des Dienſtes uͤber-
druͤßig.


Hugo.

Aber ich ſage Ja, ich will dich zu
meinem Narren haben, du ſollſt mir zuweilen
dergleichen auferbauliche Reden halten, und mir
in muͤßigen Stunden etwas vorſchwatzen; ich will
fuͤr dich ſorgen, aber du mußt mir dienen.


Claus.

Nun, es ſey, wenn es nicht anders
ſeyn kann; aber dann, Herr Ritter, habe ich noch
eine Bitte an Euch.


Hugo.

Nun?


Claus.

Wir haben einen herrlichen Mann
zu Hauſe ſitzen, der jetzt ohne Eure Huͤlfe noth-
wendig verhungern muß. Er giebt andern Leuten
vortreflichen Rath, und wie es ſolchen weiſen Maͤn-
nern meiſtentheils geht, ſie wiſſen ſich ſelber nicht
zu rathen; ohne ihn bin ich nichts, und wenn ich
II. [ 3 ]
[34]Zweite Abtheilung.
in meiner Kunſt etwas geworden bin, ſo habe ich
es nur ſeiner vortreflichen Geſellſchaft zu danken.


Hugo.

Wer iſt denn der?


Claus.

Wir nennen ihn nur kurzweg den
Rathgeber, Rath zu geben iſt auch ſein eigentli-
ches Handwerk, und ich muß geſtehn, daß er es
darin zu einer großen Fertigkeit gebracht hat. Je-
der von uns beiden, einzeln genommen, iſt nur
ein ſchwaches Rohr, ein faules Holz, das nur
glaͤnzt, wenn kein anderer Schimmer in der Naͤhe
iſt; aber wenn unſer Verſtand zuſammen gethan
wird, ſo entſteht daraus eine Kompoſition, eine
Art von Prinzmetall, das außerordentlich dauer-
haft iſt.


Hugo.

Nun, ſo bringe ihn mir. Du magſt
ihn ſelber abholen, ich vertraue dir. Weißt du
mein Schloß?


Claus.

O ja, gnaͤdiger Herr.


Hugo.

Ich mag mit andern Menſchen nicht
gern umgehn, aber ſolche Eures Gelichters ſind
mir lieb, bei Euch weiß man, woran man iſt, Ihr
gebt Euch fuͤr nichts aus, Ihr heuchelt keinen
Werth, keine Wuͤrde, die ich ſo oft die Wuͤrde des
Menſchen nennen hoͤre: ich kenne nichts ſo Jaͤm-
merliches. Wir bleiben beiſammen, und wenn mir
dein Rathgeber gefaͤllt, ſo ſoll ers gut bei mir
haben. — Du da! liegt Friedheim weit von hier?


Knecht.

Nur eine Tagereiſe.


Hugo.

Es ſollen zwei ſchoͤne Fraͤulein dort
ſeyn, dahin will ich mit kleiner Begleitung; ihr uͤbri-
gen zu meinen Schloͤſſern zuruͤck! — Jetzt will ich
[35]Der Blaubart.
jene Narren ſterben ſehn. —

(geht ab, die Knechte
ziehn fort.)

Claus.
(allein)

Kann man mit einer ſo ge-
ringen Verſtellung ſelbſt ſo liſtige Fuͤchſe hinter-
gehn? Mit den wenigen Worten alſo hab ich mein
Leben von dem blutduͤrſtigen grimmigen Menſchen
zuruͤck kaufen koͤnnen? Aber, wenn ich es recht
ernſthaft uͤberlege, iſt mein Leben auch nicht viel
werth. Ho ho! das fehlte nur noch, das waͤre ein
Hauptſpaß, daß ich mich ſelbſt aus Desperation
aufknuͤpfte, nachdem er mich verſchont hat. Aber
meine armen Herren! — Ich koͤnnte weinen. —
Und warum ſoll ich nicht weinen? Es iſt eben ſo
thoͤricht, als zu lachen, es liegt alſo nicht außer
meinem Berufe. —

(er ſetzt ſich auf die Erde.)

Sie
ſind gewiß ſchon todt, — hier will ich um ſie
trauern, denn kein anderes Auge geht doch ihret-
wegen uͤber.

(Er verhuͤllt das Geſicht. Der Vorhang faͤllt.)

[36]Zweite Abtheilung.

Zweiter Akt.


Erſte Scene.

(Die Burg Friedheim.)

Agnes, Anne.

Agnes
mit einer Laute.

Nun hoͤre mir zu, liebe Schweſter, ob ich jetzt
im Stande bin, das Lied recht zu ſpielen.


Anne.

Du haſt kein Talent zur Muſik, es
wird dir zeitlebens nicht gelingen.


Agnes.

Und warum denn nicht ſo gut, wie
andern? — Hoͤre nur:


Wie rauſchen die Baͤume

So winterlich ſchon;

Es fliegen die Traͤume

Der Liebe davon!

Und uͤber Gefilde

Ziehn Wolkengebilde,

Die Berge ſtehn kahl,

Es ſchneidet ein Regen

Dem Wandrer entgegen,

Der Mond ſieht ins Thal,

Ein Klagelied ſchallt

Aus Daͤmmrung und Wald:

[37]Der Blaubart.
Es verwehten die Winde

Den treuloſen Schwur,

Wie Blitze geſchwinde

Verſchuͤttet vom Gluͤck ſich die goldene Spur;

O dunkles Menſchenleben,

Muß jeder Traum einſt niederſchweben?

Roſen und Nelken

Bekraͤnzen das Haupt,

Und ach! ſie verwelken,

Der Baum ſteht entlaubt;

Der Fruͤhling er ſcheidet

Macht Winter zum Herrn,

Die Liebe vermeidet

Und fliehet ſo fern. —

Verworrenes Leben,

Was iſt dir gegeben? —

Erinnern und Hoffen

Zur Qual und zur Luft —

Ach! ihnen bleibt offen

Die zitternde Bruſt.

Anne.

Beſſer, als ich gedacht haͤtte.


Agnes.

Aber ſage mir einmal, warum in
allen dieſen Liedern immer ſo viel von Liebe die
Rede iſt? Wiſſen dieſe Liedermacher denn keinen
andern Gegenſtand?


Anne.

Sie glauben, daß jedermann daran
Theil nimmt.


Agnes.

Ich wahrlich nicht. Mir iſt nichts
widerwaͤrtiger, als dieſe ewigen Klagen. Ich
wuͤnſchte, es gaͤbe ſo Geſaͤnge fuͤr alle moͤgliche
[38]Zweite Abtheilung.
Sinnesarten, und alles froh und heiter. — Er-
zaͤhle mir doch, wie iſt es denn eigentlich mit dei-
ner
Liebe, ich weiß faſt kein Wort davon.


Anne.

O laß mich, liebe Schweſter.


Agnes.

Wie lange iſt er nun ſchon fort? —
Drei Jahr?


Anne.

Ach!


Agnes.

Siehſt du, du ſeufzeſt noch immer,
aber du ſollteſt lieber einmal vernuͤnftig erzaͤhlen.


Anne.

Ich bin eine ſchlechte Erzaͤhlerinn.


Agnes.

Aber im Ernſt, es muß mit der
Liebe ein aͤußerſt wunderbares Ding ſeyn.


Anne.

Du biſt gluͤcklich, daß du es nicht
begreifſt.


Agnes.

Mir iſt immer leicht und heiter,
aber du biſt die Schwerfaͤlligkeit ſelbſt, ohne Le-
ben, ohne Theilnahme fuͤr die Welt und ihre Be-
gebenheiten, du lebſt nur noch zum Schein, nur
ein geringfuͤgiges aͤußerliches Leben, aber innerlich
biſt du ſchon lange abgeſtorben.


Anne.

Jeder Menſch hat ſeine eigene Weiſe,
laß mir die meinige.


Agnes.

Daß man ſich ſelbſt ſo alle Freuden
verderben kann! Die Welt iſt ſo ſchoͤn und freund-
lich, alles ſo mannigfaltig durch einander, daß man
nicht genug ſehen, nicht genug erfahren kann. Ich
moͤchte immer auf Reiſen ſeyn, durch unbekannte
Staͤdte gehn, fremde Berge beſteigen, andre Trach-
ten, andre Sitten kennen lernen. Dann mich
wieder ganz allein in einem Pallaſte einſperren
laſſen, und die Schluͤſſel zu jedem Gemach, zu
[39]Der Blaubart.
jedem Schranke in Haͤnden: dann wuͤrde eins nach
dem andern aufgeſchloſſen, die Schraͤnke thaͤten ſich
von einander, und ich holte von den ſchoͤnen und
ſeltſamen Koſtbarkeiten eins nach dem andern her-
vor, traͤte damit ans Fenſter und beſaͤhe es ganz
eigen, bis ich ſeiner uͤberdruͤßig waͤre und zu einem
andern eilte, und ſo immer fort, immer fort,
ohne Ende.


Anne.

Und ſo wollteſt du alt werden? dich
durch ein truͤbes, unzuſammenhaͤngendes Leben ar-
beiten?


Agnes.

Ich verſteh dich nicht. — Ich habe
mir ſchon oft gedacht, wenn ich ploͤtzlich in ein
fremdes Schloß geriethe, wo mir alles neu, alles
merkwuͤrdig waͤre; wie ich aus einem Zimmer in
das andre eilen wuͤrde, immer ungeduldig, immer
neugierig, wie ich mich nach und nach mit den
Sachen und Geraͤthſchaften bekannt machte. Hier
weiß ich ja jeden Nagel auswendig.


Anne.

Gieb mir einmal die Laute.

(ſingt.)

Begluͤckt, wer an des Treuen Bruſt,

In voller Liebe ruht,

Kein Kummer naht und ſtoͤrt die Luft,

Nur heller brennt die Glut.

Kein Wechſel, kein Wanken,

Zum ruhigen Gluͤck

Fliehn alle Gedanken

Der Ferne zuruͤck.

Und lieber und haͤnger

Druͤckt Mund ſich an Mund,

[40]Zweite Abtheilung.
So inn'ger, ſo laͤnger:

Von Stunde zu Stund.

Beſchraͤnkter und enger

Der liebliche Bund.

Agnes.

Das iſt eins von den Liedern, die
ſich leichter ſingen, als verſtehn laſſen.


Anton tritt auf.

Anton.

Das iſt hier eine wunderliche Haus-
haltung; Geſang in allen Zimmern, Simon wan-
delt umher und betrachtet die Waͤnde, Leopold will
auf Abentheuer ziehn, — wahrlich, wenn ich nicht
noch das Ganze etwas zuſammen hielte, es floͤge
alles wie Spreu aus einander.


Agnes.

Dafuͤr biſt du auch der aͤlteſte von
uns allen, du haſt den Verſtand fuͤr die ganze
Familie.


Anton.

Wißt Ihr denn, was Leopold ei-
gentlich will?


Agnes.

Was will er denn?


Anne.

Gewiß einen unbeſonnenen Streich
ausfuͤhren.


Agnes.

Ihr nennt auch oft etwas unbeſon-
nen, was nur nicht ſo iſt, wie ihr es alle Tage treibt.


Leopold tritt auf.

Leopold.

Nun ſo lebt wohl auf einige Zeit,
ich muß Euch auf ein Paar Tage verlaſſen.


Anton.

Aber wo willſt du hin?


Leopold.

Recht weiß ichs ſelbſt noch nicht.
[41]Der Blaubart.
Lieber Bruder, ich habe immer gefunden, daß der
Menſch ſich jeden Schritt im Leben erſchwert,
wenn er ihn recht genau uͤberlegt. Am Ende iſt
doch alles nur einfaͤltig, wir moͤgen es auch an-
fangen, wie wir wollen, und Gluͤck und Zufall
machen unſre Plaͤne nur geſcheidt oder unbeſonnen.


Anton.

Bruder, ſolche Reden ſind einem
Manne ganz unanſtaͤndig.


Leopold.

Ja, was ihr euch immer ſo un-
ter Mann denkt: ein altes, verjaͤhrtes Thier, das
uͤber die Jugend weggekommen iſt, wie uͤber eine
Bruͤcke, die zuſammen fallen will, und das ſich
nun herzlich freut, daß es ein ſauer Geſicht ma-
chen darf und Rath ertheilen, ſitzen und zuhoͤren
wenn andre ſprechen, und alles links und unrich-
tig finden. So ein Mann nach Eurer Vorſtellung
darf ſogar den Kater tadeln, daß er die Maͤuſe
nicht auf die rechte Art und nach ſeinem Sinne
faͤngt. Es wird mir immer ſeltſam zu Muthe,
wenn ich die Redensarten hoͤre: er handelt wie
ein Mann, er iſt das Muſter eines Mannes; —
meiſtentheils ſind es doch nur verdorbene ausge-
wachſene Knaben, die durch die Welt auf allen
Vieren kriechen, ſtatt aufrecht zu gehn, und die
daher weit mehr Steine des Anſtoßes finden, —
und dann rufen die Umherſtehenden: Um Gottes-
willen! ſeht, wie viele Erfahrung der Mann hat!


Anton.

Das waͤre alſo nach deiner Meinung
auch das Bild von mir?


Leopold.

Ach nein, du biſt im Grunde ge-
[42]Zweite Abtheilung.
ſcheuter, aber du willſt es dir ſelber nicht geſtehn. So
halten die meiſten Menſchen die langſame Einfalt fuͤr
verſtaͤndiger, als die beruͤhrige Unachtſamkeit, und
der Unterſchied liegt doch wahrhaftig nur im Gange.


Anton.

Aber du wirſt doch zugeben, daß
dem Unachtſamen manches mißlingt.


Leopold.

O ja, natuͤrlicher Weiſe, weil er
viel unternimmt. Eurem bedaͤchtigen Manne kann
nichts mißlingen, weil er immer nur rechnet, und
mit allen ſeinen Gedanken, mit aller Beleſenheit
wie mit Fuͤhlhoͤrnern voraus fuͤhlt. Ach, Bruder,
wenn wir ſehn koͤnnten, wie vielleicht ſchon alles
im Voraus beſtellt und in Richtigkeit gebracht iſt,
wie laͤcherlich wuͤrden uns da wohl unſre tiefe an-
gelegten Plaͤne vorkommen?


Anton.

Eine ſchoͤne Philoſophie.


Leopold.

Doch wir wollen abbrechen, und
ich will Abſchied von Euch nehmen, mir iſt ſo leicht,
daß ich gewiß glaube, ich werde gluͤcklich ſeyn.


Simon tritt ein.

Simon.

Du willſt verreiſen, Bruder?


Leopold.

Ja.


Simon.

Mir ſcheinen die Umſtaͤnde nicht
guͤnſtig.


Leopold.

Wie ſo?


Simon.

Es iſt ſo ein Weſen, ſo ein Kla-
gen, ſo ein Zittern in der Luft.


Agnes.

Wie meinſt du das, Bruder?


Anton.

So wie er alles meint, — er weiß
nicht warum, er meint es nur ſo.


[43]Der Blaubart.
Simon.

Sieh, man kann eigentlich nicht
ſagen, warum man Ungluͤck voraus ahndet, aber
es iſt doch manchmal etwas im Herzen, — das —


Leopold.

Nun?


Simon.

Ach! wer kann dir das deutlich
machen.


Anton.

Sollte man unter dieſen naͤrriſchen
Geſchoͤpfen nicht ſelber naͤrriſch werden?


Leopold.

Nun, weil dus alſo nicht recht
beſchreiben kannſt, ſo lebe wohl. Wenn ich wieder
komme, will ich mir deinen Rath ausbitten.

(ab.)

Anton.

Seine Wildheit wird ihn noch ein-
mal ungluͤcklich machen.


Simon.

Gewiß.


Anne.

Wie geht es dir, Bruder?


Simon.

Gut, — ich habe nur heut Mor-
gen mancherlei gedacht, — es kann ſich bald man-
cherlei aͤndern.


Anne.

Wie ſo?


Anton.

Frage ihn doch nicht, es iſt ja nur
eine weggeworfene Muͤhe, er weiß es ſo wenig
als du, und eben durch ſolche Aufmerkſamkeit wird
ſeine Narrheit nur zum Wachſen gebracht, die ohne
dieſe Nahrung ſchon laͤngſt abgeſtorben waͤre.


Agnes.

Aber ſo laß ihn doch reden, Bruder.


Anton.

Nun, wie Ihr wollt, aber Ihr
werdet mich nicht zwingen wollen, ſein Geſchwaͤtz
mit anzuhoͤren.

(ab.)

Simon.

Ich ſpreche viel lieber, wenn Bru-
der Anton nicht dabei iſt. Er zuckt uͤber alles die
Schultern, wenns nicht nach ſeinem Sinne iſt,
[44]Zweite Abtheilung.
und er hat doch nur einen ſehr engen Sinn, ſo
wie die meiſten Menſchen, ſie wiſſen oft nicht,
warum ſie etwas tadeln, es ſcheint ihnen bloß ver-
werflich, weil ſie noch nicht darauf gekommen ſind.


Anne.

Ja wohl.


Simon.

Und doch ſollte das grade der Grund
ſeyn, eine ſolche Sache ihrer naͤheren Aufmerkſam-
keit zu wuͤrdigen; denn wenn wir nichts Neues
zulernen wollen, ſo verſchimmeln am Ende auch
die alten Kenntniſſe in uns.


Agnes.

Bruder Simon ſpricht heute mit
ungemeiner Weisheit.


Simon.

Ihr verſteht mich nur ſo ſelten;
dies ſcheint dir nur deswegen klug, weil du auch
ſchon etwas Aehnliches gedacht haſt.


Agnes.

Was iſt denn aber am Ende der
menſchliche Verſtand?


Simon.

Ja, das koͤnnen wir mit unſerm
eigenen Verſtande nicht leicht begreifen; aber er
hat gewiß, wie eine Zwiebel, eine Menge von
Haͤuten; jede dieſer Haͤute wird auch Verſtand ge-
nannt, und der letzte, inwendige Kern iſt der ei-
gentliche beſte Verſtand. Recht verſtaͤndig ſind nun
alſo die Menſchen, die ihren zwiebelartigen Ver-
ſtand durch lange Uebung ſo abgerichtet haben, daß
ſie jeden Gedanken, nicht nur mit den aͤußern Haͤu-
ten, ſondern auch mit dem innern Kerne denken.
Bei den meiſten Leuten aber, wenn ſie auch die
Haͤnde vor den Kopf halten, iſt nur die oberſte
Haut in einiger Bewegung, und ſie wiſſen es gar
[45]Der Blaubart.
nicht einmal, daß ſie noch mehrere Arten von Ver-
ſtand haben, und ſo iſt Bruder Anton.


Agnes.

Ha ha ha! das iſt luſtig! Zwiebel
und Verſtand, das iſt eine artige Vorſtellung. —
Und wie denkt denn Bruder Leopold?


Simon.

Gar nicht! er denkt nur mit der
Zunge; wie andre Menſchen eſſen, um zu leben,
ſo ſpricht er unaufhoͤrlich, damit er nur etwas zu
denken hat, und was er geſprochen hat, hat er
auch in demſelben Augenblick wieder vergeſſen, in-
dem er es von der Zunge geſchuͤttelt hat; ſeine
Gedanken ſind wie der Spargel, der abgeſchnitten
wird, ſo wie man nur die gruͤne Spitze aus der
Erde bemerkt, er ſchießt noch bis im Sommer,
dann laͤßt man ihn Saamen treiben; um die Zeit
wird Bruder Leopold nicht viel mehr ſprechen und
denken, und die Leute werden von ihm ſagen: das
iſt ein vortreflicher Hausvater!


Agnes.

Aber wie denkſt du denn?


Simon.

Ich? — das iſt eben die Schwie-
rigkeit und meine Unruhe, — ſeht, es iſt ſchwer
zu denken, auf welche Art man denkt: denn, ver-
ſteht das, was gedacht wird, ſoll denken; ein Ca-
ſus, der einen ſonſt ganz vernuͤnftigen Menſchen
wohl toll machen koͤnnte.


Agnes.

Wie ſo?


Simon.

Siehſt du, jetzt verſtehſt du mich
gar nicht, weil du auf dieſen Gedanken noch gar
nicht gekommen biſt. — Suche zu begreifen: ich
denke, und mit dem Zeuge, womit ich denke, ſoll
ich denken, wie dieſes Zeug ſelbſt beſchaffen ſei.
[46]Zweite Abtheilung.
Es iſt pur unmoͤglich. Denn das, was denkt,
kann nicht durch ſich ſelbſt gedacht werden.


Agnes.

Es iſt wahr, daruͤber koͤnnte man
wirklich toll werden.


Simon.

Nun ſeht Ihr, und doch fragt Ihr
immer noch, warum ich melankoliſch bin.


Ein Arzt tritt ein.

Arzt.

Verzeiht, meine Fraͤulein, ich ritt eben
vorbei — wie geht es Euch, Junker!


Simon.

Gut in ſo weit, ich habe Eure
Sachen gebraucht, es hilft fuͤr den Magen, aber
nicht fuͤr den Verſtand.


Arzt.

Wie kommt Ihr darauf, daß die Me-
dizin fuͤr den Verſtand ſeyn koͤnnte?


Simon.

Aber je beſſer mein Magen wird,
je ſchwaͤcher wird mein Verſtand.


Arzt.

Das iſt nicht anders.


Simon.

So werd ich ja aber auf der einen
Seite nur krank, wenn auf der andern die Geſund-
heit anſchießt.


Arzt.

Freilich wohl.


Simon.

So iſt man am Ende in der ſchoͤn-
ſten Bluͤte der Geſundheit, wenn man ſchon in
den letzten Zuͤgen liegt.


Arzt.

Das kann wohl ſeyn.


Simon.
(zu den Schweſtern).

Nun, ſeht Ihr,
und man ſoll nicht melankoliſch werden.


Arzt.

Der Magen iſt nichts als ein Gegen-
bild zum Kopfe, ja ich moͤchte ſagen, ein Vater
des Kopfes. Wenn der Magen tuͤchtig denkt, und
[47]Der Blaubart.
ſich an den Speiſen uͤbt, und immer neue fordert,
und dieſes wiederholten Studiums nicht uͤberdruͤ-
ßig werden kann, ſo ſteht der Kopf unter der Vor-
mundſchaft, und iſt gleichſam nur ein Bedienter
ſeines Herrn Vaters; wird er muͤndig geſprochen
und die Herrſchaft faͤllt ihm zu, ſo macht er ſich
gierig uͤber die Nahrung her, die ihm gefaͤllt, er
denkt unermuͤdet und ſucht immer nach neuen Ideen,
indeß ſein armer alter Vater unter ihm zuſammen
ſchrumpft, und es am Ende ſehr uͤbel nimmt,
wenn man ihm nur irgend eine Speiſe zumuthet.


Agnes
(lacht uͤberlaut).

Noch nie habe ich eine
ſo luſtige Philoſophie gehoͤrt, — der Magen ein
Vater, — der Verſtand eine Zwiebel.


Arzt
(fuͤhlt Simons Puls)

Ich habt nicht
gut geſchlafen.


Simon.

Ach nein, — es liegt mir beſtaͤn-
dig etwas im Kopfe, —


Arzt.

Was denn?


Simon.

Seht, der Menſch kann alle An-
lagen entwickeln, die in ihm liegen, alle ſeine dun-
keln Empfindungen aufklaͤren, — ob man es denn
gar nicht bis zum Prophezeien ſollte bringen koͤnnen!


Arzt.

Ja, lieber Ritter —


Simon.

Es hat aber doch ſchon Propheten
gegeben, und vielleicht hat man ihrer noch jetzt,
und vielleicht kann man einer werden, wenn man
nur auf den richtigen Weg geraͤth.


Arzt.

Das iſt nur Schimaͤre.


Simon.

Und dann aͤngſtigts mich ſo oft,
warum eine Sache gerade ſo und nicht anders iſt.


[48]Zweite Abtheilung.
Arzt.

Wie meint Ihr?


Simon.

Seht, dieſe Thuͤr geht nach außen
hinaus, wenn man ſie aufmacht; warum koͤnnte
ſie nicht eben ſo gut ins Zimmer herein gehn?


Arzt.

Da habt Ihr Recht; — aber auf ir-
gend eine Art muß ſie doch beſchaffen ſeyn.


Simon.

Wer laͤugnet das? — Und manch-
mal iſt mir, als muͤßt ich durchaus auf meine Puls-
ſchlaͤge Acht geben, und als wuͤrde bei dem einen
ploͤtzlich eine ſchmerzhafte Krankheit ausbrechen.


Arzt.

Ihr muͤßt die Pulver nehmen.


Simon.

Manchmal muß ich einen halben
Tag hinter einander funfzehn zaͤhlen.


Arzt.

Und den Trank. —


Simon.

Manchmal, als waͤret Ihr mit al-
len Euren Arzneien nur ein Narr.


Arzt.
(ſetzt ſich).

Ja, da muß ich Euch nur
noch Pillen verſchreiben. —

( [...]reibt)

Und nun lebt
wohl, ich beſuche Euch bald wieder.

(ab.)

Simon.

Es iſt nichts mit ihm anzufangen.


(geht ab.)

Anton (kommt zuruͤck.)

Anton.

So eben iſt ein Bote bei uns ein-
geritten, der uns einen Beſuch meldet, den Rit-
ter Hugo vom Wolfsbrunn.


Agnes.

Ei! da kriegen wir ja auch einmal
den Blaubart zu ſehn!


Anton.

Wie ungezogen! Geht in Euer Zim-
mer und ſchmuͤckt Euch ſo gut Ihr koͤnnt, denn
wir
[49]Der Blaubart.
wir muͤſſen ihn hoͤflich und anſtaͤndig empfangen.
Ich will ihm entgegen.

(ab.)

Agnes.

Komm, Schweſterchen, ſo faͤllt doch
Gottlob einmal etwas Neues vor. Komm, hilf
mir beim Putz, du biſt gar geſchickt und verſtaͤn-
dig.

(ſie gehn.)

Zweite Scene.

(Burg Marloff.)

Hans von Marloff, Brigitte.

Brigitte.

Aber Ihr kehrt doch bald zuruͤck,
lieber Vater?


Hans.

Sobald es das Ceremoniel, der
Wohlſtand, die Ehre erlaubt, Kind. Es iſt keine
Kleinigkeit, meine Tochter; Agnes iſt meine Pathe
und Hugo vom Wolfsbrunn, ein angeſehener rei-
cher Rittersmann will um ſie werben, und das
muß ich jetzt, verſtehſt du mich, vollends zu Stande
bringen. Der Ritter hat ſich noch nicht voͤllig
erklaͤrt, aber mir ein Sendſchreiben zugeſandt,
worinnen er um mein Fuͤrwort bei dem Fraͤulein
und den Gebruͤdern hoͤflichſt anſucht.


Brigitte.

Mir iſt bange, da Ihr mich ſo
allein laßt.


Hans.

Dir ſollte nicht bange ſeyn, meine
Tochter, denn mein Seegen bleibt bei dir zuruͤck.
II. [ 4 ]
[50]Zweite Abtheilung.
Bleib nur fein fleißig in deinen Zimmern, ich habe
auch dem alten Caspar ſchon Auftraͤge daruͤber
gegeben, er iſt ein alter und ein uͤberaus verſtaͤn-
diger Mann. Geh alſo nicht aus, mein Kind,
denn man kann manchmal nicht wiſſen, wie Un-
gluͤck entſteht, es iſt oft fruͤher da, als wir es
gewahr werden, und indem wir es gewahr werden,
iſt es gewoͤhnlich zu ſpaͤt, es zu vermeiden: ſiehe,
ſo lauten meine Grundſaͤtze daruͤber.


Brigitte.

Aber in den Burggarten darf
ich doch kommen?


Hans.

Das wird dir immer unverwehrt
bleiben, meine Tochter, denn dort biſt du voͤllig
geſichert, dort kann dir Niemand etwas anhaben.
Ich bin ſonſt ſchon alt und ſchwach, aber ich habe
denn doch die Vorſicht eines Vaters, und eine
ſolche Vorſicht ſieht weit, wenn ich aber abweſend
bin, mußt du ſelbſt huͤbſch vorſichtig ſeyn.


Brigitte.

Ich will es gewiß.


Hans.

Der Leopold von Friedheim, er hat
dir ſchon einigemal nachgeſtellt, huͤte dich beſonders
vor ihm.


Brigitte.

Warum? Ich ſollte meinen, daß
ich mich vor dem nicht zu huͤten brauchte.


Hans.

Du liebe Einfalt! Gerade am mei-
ſten, Kind. Ja, was ſag ich, am meiſten? Am
allermeiſten! — Du liebſt ihn doch nicht? Du haſt
ihm doch nicht dein Herz gegeben? Denn du weißt,
daß ich dieſe Heirath niemals zugeben wuͤrde.


Brigitte.

Ach, lieber Vater, wie ſollt' ich
jemand anders lieben, als Euch?


[51]Der Blaubart.
Hans.

Ich will dir glauben, denn du haſt
mich noch nie betrogen. — Nun, ſo lebe denn
wohl, meine Tochter, ich weiß nichts mehr, was
ich dir noch ſagen koͤnnte. — Bleibe immer gehor-
ſam, folgſam deinem Vater, und es wird dir im-
mer wohl auf Erden gehn.


Brigitte.

Lebt wohl.

(ſie umarmen ſich.)

Hans.

Caspar!


Caspar tritt auf.

Hans.

Caspar, iſt mein Pferd nunmehr be-
reit? Iſt alles im gehoͤrigen Zuſtande?


Caspar.

Ja, Herr.


Hans.

Und ſind alle die noͤthigen Sachen
eingepackt? Und daß nichts verſehrt wird, wenn es
etwa regnen ſollte? Die goldnen Strumpfbaͤnder,
die ſeidenen Baͤnder? Die Gedichte?


Caspar.

Hab alles ſelbſt beſorgt, Herr.


Hans.

Nun, dann iſt es gut. — Du haſt
die Schluͤſſel zu der ganzen Burg, Caspar?


Caspar.

Ja, Herr.


Hans.

Und du haſt verſprochen, auf meine
Tochter ein wachſames Auge zu haben?


Caspar.

Das hab ich, Herr.


Hans.

Nun, ſo kann ich denn in Gottes
Namen abreiſen. — Das Abreiſen wird mir doch
ſauer, Caspar.


Caspar.

Ihr ſeyd lange nicht aus eurem
Schloſſe gekommen, Herr.


Hans.

Sollts das wohl ſeyn, Caspar?
Mir iſt ſo truͤbe vor den Augen.


[52]Zweite Abtheilung.
Caspar.

Da ſind wir immer denſelben Weg
vom Thurm um den Wall gegangen, da haben
wir mal im Forſt einem Haaſen aufgelauert, da
hat Euch das Fraͤulein von den Roͤmiſchen Bur-
gemeiſtern und von Troja vorgeleſen, und ſo einen
Tag wie alle Tage, und damit ſeid Ihr gleichſam
hier ganz eingeroſtet, Herr.


Hans.

Und du glaubſt an keine boͤſen Ahn-
dungen, Caspar?


Caspar.

Man kann eben nicht wiſſen, wie
es damit iſt, und darum glaub ich halt nicht daran,
Herr: ſeht, das iſt ſo mein Grundſatz daruͤber.


Hans.

Haſt recht, Caspar, wenn man es
ſich genau uͤberlegt. — Nun, ſo lebt wohl! —
Ade, meine Tochter, denk fleißig an meine Leh-
ren. — Komm, Caspar, hilf mir zu Pferd.

(beide
gehn ab.)

Brigitte.
(allein)

Vor Leopold ſoll ich mich
huͤten? — Dann muß man ſich gewiß vor allen
Menſchen huͤten, auch vor den allerbeſten, denn
er iſt doch die Liebe und Unſchuld ſelbſt. Aber
das Alter ſieht alles mit andern Augen an, und
die Jugend weiß daruͤber nicht, was ſie denken
ſoll.

(geht ab.)

[53]Der Blaubart.
Dritte Scene.

Garten).

Hugo, Agnes.

Agnes.

Ihr ſeid ſehr dringend, Herr Ritter.


Hugo.

Wie ſoll ich es anders anfangen,
Eure Liebe zu gewinnen?


Agnes.

Liebt Ihr mich denn, wie Ihr ſagt?


Hugo.

Von Herzen, mein Fraͤulein.


Agnes.

Was nennt Ihr aber Liebe?


Hugo.

Wenn Ihr es nicht empfindet, ſo
laͤßt ſichs unmoͤglich beſchreiben.


Agnes.

Das hoͤr ich von allen, die ſich fuͤr
verliebt ausgeben.


Hugo.

Weil es die Wahrheit iſt; oder
zweifelt Ihr an meiner Aufrichtigkeit?


Agnes.

Das nun eben nicht, — allein


Anton tritt zu ihnen.

Hugo.

Ich mache ſchlechtes Gluͤck mit mei-
ner Bewerbung, Herr Ritter.


Anton.

Wie das?


Hugo.

Eure ſchoͤne Schweſter glaubt mei-
nen Worten nicht.


Agnes.

Wie Ihr es auch ausdeutet.


Hugo.

Seht, ich bin kein Redner, ein recht-
licher, ſchlichter Mann, unter Waffen und Getuͤm-
mel aufgewachſen, darum ſtehn mir ſchoͤne und
[54]Zweite Abtheilung.
ſuͤße Reden nicht zu Gebot; ich kann nur ſagen:
ich liebe! und damit iſt meine ganze Redekunſt zu
Ende. Aber man ſollte auf die Worte ſolcher
Leute, die nicht viel zu ſprechen verſtehn, mehr
achten, als auf die Reden derjenigen, welche taͤg-
lich mit ſchoͤngewandten Phraſen handeln und be-
truͤgen. Wenn ich mich nicht zierlich auszudruͤcken
weiß, ſo bin ich doch wenigſtens in der Kunſt der
Luͤgen unerfahren, und das iſt nach meiner Mei-
nung ſchon immer einiges Verdienſt. Darum
muͤßt Ihr mir auf mein Wort glauben, wenn ich
Euch ſage, daß ich Euch recht von Herzen liebe.


Agnes.

Und wenn ich Euch glaube?


Hugo.

Seltſame Frage! dann muͤßt Ihr
mich von Herzen wieder lieben. — Oder, iſt Euch
vielleicht, — wie ſoll ich mich ausdruͤcken? —
meine Geſtalt, mein Weſen nicht angenehm genug,
oder vielmehr widerwaͤrtig? Es iſt wahr, ich kann
etwas Seltſames an mir haben, das den Leuten
auffaͤllt, ehe ſie mich naͤher kennen, aber das ſollte
doch nicht die Urſach ſeyn, einen Mann zu ver-
ſtoßen, der es ſonſt redlich meint. Ihr werdet
zugeben, daß Redlichkeit mehr werth iſt, als eine
ſchoͤne Außenſeite. Wenn ich alſo auch, wie die
Leute von mir ſagen wollen, einen blaͤulichen, oder
blauen Bart habe, ſo iſt das doch immer noch
beſſer, als wenn ich ganz ohne Bart auf die Freye-
rei ginge.


Anton.

Nun, Schweſter!


Hugo.

Ihr glaubt vielleicht — das iſt aber
ein menſchenfeindlicher Aberglaube — ich muͤſſe des-
[55]Der Blaubart.
wegen auch innerlich anders ſeyn, wie die uͤbrigen
Menſchen, und geringer, weil, wie geſagt, mein
Bart nicht von der beſten Farbe iſt. Die Damen
wiſſen ja die Farbe ihrer Haare zu verbeſſern, und
Euch zu Gefallen will ich mich auch auf derglei-
chen Kuͤnſte legen. Zeigt mir den Mann, der
mehr fuͤr Euch zu thun geſonnen waͤre!


Agnes.

Ihr legt mein Zoͤgern unrecht aus.


Hugo.

Ihr koͤnnt nur Ja oder Nein ſagen,
das Uebrige, was dazwiſchen liegt, iſt nur zu die-
ſen Worten eine Vorbereitung. — Ich habe ſchon
mehr Weiber gehabt, und ich ſollte es freilich ge-
wohnt ſein, daß ſie ihre Meinung vor der Hoch-
zeit immer nur durch einen Umweg zu erkennen
geben, nachher iſt ihre Art zu ſprechen deſto kuͤr-
zer und verſtaͤndlicher. — Nun, mein Fraͤulein?


Agnes.

Ihr muͤßt mir noch Zeit laſſen —
Auch vor der Einſamkeit auf Eurem Schloſſe
fuͤrchte ich mich etwas.


Hugo.

Dem laͤßt ſich bald abhelfen; wenn
ich Euch nicht genug bin, ſo wollen wir Geſell-
ſchaft bitten, Menſchen von aller Art, Ihr wer-
det ihrer bald uͤberdruͤßig werden. Aber Euch ſoll
die Zeit nicht lang waͤhren. Wenn Ihr Neuig-
keiten, oder ſeltſame Koſtbarkeiten liebt, ſo findet
Ihr auf meinem Schloſſe mancherlei, das wohl
der Betrachtung wuͤrdig iſt, und mit dem Ihr
nicht ſo bald zu Ende kommt. Auf meinen Rei-
ſen und in vielen Fehden habe ich mancherlei er-
beutet, das mich ſelbſt in manchen Stunden noch
ergoͤtzt.


[56]Zweite Abtheilung.
Agnes.

Duͤrfte ich meine Schweſter Anne
wohl mit mir nehmen?


Hugo.

Wenn ſie Euch folgen will, mit vie-
len Freuden.


Anton.

Ihr ſeid alſo ſo gut als richtig?


Hugo.

Es ſieht faſt ſo aus. — Nun habt
Ihr mir das Herz leicht gemacht. Man muß nur
nicht verzagen, ſo ſiegt man am Ende doch.


(ſie gehn ab.)

Simon, Anne.

Anne.

Du biſt heut ungemein mißvergnuͤgt,
Bruder.


Simon.

Was ſoll man anders ſeyn? Ich
finde keine Ruhe in mir ſelber; alles iſt mir zu-
wider, und wenn es mir manchmal vorkoͤmmt, als
wuͤrde ſich jetzt ein Raͤthſel aufloͤſen, ſo verfliegt
alles im Augenblicke wieder.


Anne.

Aber warum hefteſt du auch deinen
Geiſt immer ſo auf einen Gedanken?


Simon.

Frage doch, warum er ſich ſelbſt
ſo heftet? Ich kann dabei nichts thun und laſſen.
— Ich moͤchte lachen, denn dieſer ſogenannte Geiſt
iſt ja Niemand anders, als ich ſelbſt.


Anne.

Es iſt mit Dir nicht zu ſprechen, —
man hat doch Gewalt uͤber ſich.


Simon.

Das ſagt der Arzt auch immer,
und bei Euch andern, die Ihr in einer unbegreif-
lichen Traͤgheit fortlebt, mags auch wohl wahr
ſeyn, denn Euch liegt nichts ernſthaft am Herzen;
[57]Der Blaubart.
Ihr koͤnnt euch leicht zwingen, weil Ihr im Grunde
gar nichts wollt. Der Geiſt iſt nur ein Diener
Eures Koͤrpers, eine faſt unnoͤthige Zugabe zu dem
Dinge, das da ißt und trinkt, folglich, wenn Ihr
von Euch ſelbſt ſprecht, ſo meint Ihr immer je-
mand anders, im Grunde Eure Launen, Euren
Appetit; dieſem thut Ihr alles zu Gefallen, ihm
zu Gefallen denkt und ſorgt Ihr nicht, ihn auf-
recht zu erhalten zerſtreut Ihr Euch, wie Ihr es
nennt. Wenn Ihr alſo von Eurem Ich ſprecht,
ſo meint Ihr nur Euren Magen, Ihr koͤnnt nicht
ernſthaft an Euch ſelbſt denken, ohne daß Ihr ſo-
gleich mit einem Seufzer dazwiſchen rennt: ach!
heute Mittag wird mir gewiß das Eſſen nicht
ſchmecken! und ſo Euren Sinn gewaltſam wieder
von Euch abwendet.


Anne.

Ach, Bruder, ich verſtehe dich recht
gut, und das Schlimmſte iſt, daß Du Recht haſt.


Simon.

Wann haͤtte ich denn wohl Unrecht?
Ihr gebt Euch nur niemals die Muͤhe, mich zu
verſtehn. Alle Gedanken, die Euch nicht gefallen,
moͤchtet Ihr gar zu gern fuͤr Unſinn ausgeben,
damit Ihr nur behaupten koͤnnet, das Leben ſei
doch etwas werth. Alle Menſchen wuͤrden melan-
koliſch ſeyn, wenn ſie ſich nur vor ihren Nichts-
wuͤrdigkeiten die Zeit dazu ließen. — Da koͤmmt
der Arzt ſchon wieder, und meint, wenn ich nur
ſeine Pulver nehmen wollte, wuͤrde es ſchon beſſer
mit mir werden.


[58]Zweite Abtheilung.
Der Arzt zu den Vorigen.

Arzt.

Ich freue mich, Euch wohl zu ſehn,
mein Fraͤulein. Und wie geht es Euch?


Simon.

Soll ich wieder klagen? Soll ich
Euch weitlaͤufig meine Empfindungen ſchildern?
Ihr verſteht mich nicht, und koͤnnt alſo auch
nicht daran glauben. Wozu ſoll ich immer in den
Wind reden!


Arzt.

Daß jeder Kranke doch immer glaubt,
er ſei nur der einzige auf der Welt, der ſolche Art
zu empfinden habe!


Simon.

Nun, koͤnnt Ihr mir zu dem ver-
helfen, was ich wuͤnſche? — Koͤnnt Ihr machen,
daß ich die Zukunft ergruͤnde, wie ein Exempel,
das ich berechne? Wohlan, dann will ich das Le-
ben und Eure Kunſt fuͤr etwas halten.


Arzt.

Ihr muͤßt Euch dergleichen Gedanken
aus dem Sinn ſchlagen.


Simon.

Nun, ſeht Ihr wohl? Dieſer
Wunſch koͤmmt Euch als etwas ganz Abgeſchmack-
tes vor, folglich iſt Euch dieſe Empfindung noch
niemals nahe getreten, denn ſonſt wuͤrdet Ihr mir
nicht ſo antworten, folglich verſteht Ihr mich nicht,
folglich koͤnnt Ihr mich auch nicht heilen.


Arzt.

Wenn ich Euch auch das Uebrige zu-
gebe, warum ſollte ich Euch nicht heilen koͤnnen?


Simon.

Ach, Ihr ſeid — ein Arzt! — Es
iſt gut, daß Ihr mich ſelbſt durch dergleichen Re-
den nicht aufbringen koͤnnt, weil es mir immer
gar zu gegenwaͤrtig iſt, wie Ihr meinen Zuſtand
anſeht. Ich will naͤchſtens eine Reiſe antreten,
[59]Der Blaubart.
vielleicht finde ich Leute, die mich beſſer verſtehn.


Arzt.

Wie Ihr wollt.


Hugo zu den Vorigen.

Hugo.

Mein Fraͤulein, Eure Schweſter
wuͤnſcht Euch zu ſprechen. Sie hat eine Bitte
an Euch.


Anne.

Ich gehe, ſie aufzuſuchen.

(ab.)

Hugo.

Und Ihr ſeid noch immer ſo finſter,
Junker? — Ihr ſolltet heirathen, die Liebe wuͤrde
Euch wie eine Sonne aufgehn, und Ihr wuͤrdet
dann die Welt nicht mehr ſo dunkel finden.


Arzt.

Er ſollte nur Arznei nehmen, ſo wuͤrde
er ſchon beſſer werden. Koͤnnt ich ihn nur von
der Verachtung gegen meine Wiſſenſchaft heilen,
ſo waͤre ſchon das meiſt. geſchehn.


Hugo.

Vielleicht iſt eine ungluͤckliche Liebe
an Eurem Zuſtande Schuld.


Arzt.

Ach nein! Er hat gewiß ſchon ſeit
mehreren Jahren keine Diaͤt gehalten, und da
raͤcht ſich die Natur nachher.


Hugo.

Sucht Euch ein ſchoͤnes Maͤdchen aus.


Arzt.

Es ſind nur Unordnungen im Un-
terleibe.


Hugo.

Ihr ſcheint ein verſtaͤndiger Mann,
nehmt Euch meines Freundes an.


Arzt.

Er laͤßt ſich nicht rathen.


Hugo.

Es wird noch mit ihm beſſer werden,
wenn er nur erſt heirathet.


Simon.

Ihr ſeid ein ſchlechter Prophet,
Herr Ritter. — Seht, Doktor, alle Leute geben
[60]Zweite Abtheilung.
ſich mit Prophezeien ab, ſie thun nichts lieber als
die Zukunft vorher ſagen, und doch findet Ihr es
bei mir ſo ſonderbar, daß ich auf dieſen Wunſch
verfallen bin. Sie meinen alle, ſie haben Recht,
und meine Krankheit beſteht bloß in einer zu gro-
ßen Beſcheidenheit, daß ich ſelbſt an meine Pro-
phezeiungen nicht glaube, ich darf nur mehr Ver-
trauen haben, und ich bin ſo geſund wie die uͤbri-
gen Menſchen.

(geht ab.)

Hugo.

Ein ſeltſamer Charakter!


Arzt.

Er hat ſich, moͤcht ich ſagen, in dem
Hang zum Wunderbaren, den jeder Menſch in
ſich ſpuͤrt, uͤbergeſſen, und dadurch ſind ihm dieſe
Unverdaulichkeiten entſtanden.


Hugo.

Was koͤnnte aber dagegen helfen?


Arzt.

Ein tuͤchtiges Vomitiv, irgend eine ge-
waltſame Veraͤnderung ſeiner Lebensart, viel Thaͤ-
tigkeit, Umgang mit vielen vernuͤnftigen Leuten.
Jede Tollheit iſt nichts, als ein Roſtfleck im Ei-
ſen, er muß wieder herunter geſchliffen werden.
Allen unverſtaͤndigen Leuten fehlt es nur an gutem
Willen, um wieder verſtaͤndig zu werden.


Hugo.

Giebt es keine Arzenei, keine zuſam-
menziehende Mittel, um dieſen ſchlaff gewordenen
Willen wieder anzuſpannen?


Arzt.

Bis jetzt iſt noch nichts entdeckt, die
Philoſophie geht auf Praͤparate aus, aber es iſt
ihr nur auch noch wenig gelungen.


Hugo.

Sagt mir einmal, Eure Kunſt iſt
ein weites Gebiet, — Ihr wißt gewiß manches
[61]Der Blaubart.
Geheimniß, — ich wollte Euch in einer Sache um
Rath fragen.


Arzt.

Ich ſtehe zu Eurem Befehl.


Hugo.

Ich weiß nicht, — ich mag ungern
davon ſprechen, — und es macht mich boͤſe. —


Arzt.

Herr Ritter —


Hugo.

Nun, ſeid nur ſtill, ſeid ruhig, ich
will mich in Acht nehmen, daß ich nicht zornig
werde, aber hoͤrt mir ruhig zu: — die Leute ſa-
gen, ich haͤtte einen blauen Bart, — ich weiß
nicht, ich ſehe eben nicht viel in den Spiegel, —
betrachtet mich einmal genau, und ſagt mir die
aufrichtige Wahrheit.


Arzt.

Ich koͤnnte eben nicht ſagen, — ich
muß Euch geſtehn, es koͤmmt viel auf die Beleuch-
tung an, — blau eben nicht, das nun wohl nicht,
— aber ſo gleichſam blaͤulich, — aber es verſtellt
Euer Anſehn gar nicht, im Gegentheil, es giebt
Euch ein gewiſſes maͤnnliches Weſen.


Hugo.

Man ſagt mir doch, es waͤre wi-
derlich.


Arzt.

Nicht im mindeſten, und gewiß, wenn
Ihr im Schatten ſteht, ſieht Euer Bart aus, wie
jeder andre Bart, — und wer nicht ein recht ſchar-
fes Geſicht hat, findet auch in der Sonne keinen
Unterſchied.


Hugo.

Nun mags ſeyn, wies will; wißt
Ihr kein Mittel dagegen?


Arzt.

Die Arbeiter in den Kupferwerken
kriegen gruͤnes Haar; aber Ihr habt den Scha-
den von Natur? Nicht wahr?


[62]Zweite Abtheilung.
Hugo.

Ja doch.


Arzt.

Nun, gruͤn koͤnnten wir ihn bald
kriegen, aber damit waͤre Euch auch nicht gedient,
eine Fruͤhlingskur, oder ein Eiſenbad koͤnnten ihn
gar ſcheckig machen, halb roth, halb blau, — die
Kunſt iſt hier ſehr beſchraͤnkt, — aber ſeid nur
getroſt, mit dem Alter, ſo wie das Haar etwas
ergraut, wird Euer Bart binnen wenigen Jahren
noch lichter oder himmelblau werden, dann in das
Muͤllerblau fallen, und ſo unvermerkt in die ehr-
wuͤrdige und unanſtoͤßige weiße Farbe.


Hugo.
(fuͤr ſich.)

Himmelblau! Muͤllerblau!

(laut.)

Luͤmmel von Arzt!

(geht ſchnell ab.)

Arzt.

Es giebt wunderliche Menſchen!


(von der andern Seite ab.)

Simon, Anton.

Anton.

Du weißt nie recht, was du willſt.


Simon.

Sei geduldig, Bruder, ich kann
doch nicht dafuͤr, daß ich ſo bin.


Anton.

Das kann jeder Narr fuͤr ſich ſagen.


Simon.

Was wuͤrde daraus werden, wenn
ich eben ſo hitzig waͤre, als du?


Anton.

Waͤreſt du das, ſo waͤreſt du auch
nicht ein ſolcher Traͤumer.


Simon.

Man kann nicht wiſſen, wie ich
in dem Falle gebaut waͤre. — Aber, wie geſagt,
ich traue ihm nicht, ich glaube, daß unſre Schwe-
ſter mit ihm ungluͤcklich ſeyn wird.


Anton.

Und was haſt du denn fuͤr Gruͤnde?


Simon.

Sieh nur fuͤrs erſte ſein Geſicht
[63]Der Blaubart.
an. — Faͤllt dir wirklich nichts dabei ein? Kriegſt
du kein Mißtrauen gegen ihn? Wendet ſich dir
das Herz nicht um?


Anton.

Poſſen.


Simon.

Und dann hat er mehrere Frauen ge-
habt, und ſie ſind immer ſehr ſchnell wieder geſtorben.


Anton.

Aber Agnes kann ihn uͤberleben;
er iſt reich, er hat mehrere Schloͤſſer, viel Gold
und Juwelen, ſie iſt gut bei ihm verſorgt.


Simon.

Nun, wenn ſie ſelber will, ſo
mags darum ſeyn. — Aber ich habe in dieſer Nacht
einen wunderbaren Traum gehabt; wenn du gedul-
dig ſeyn willſt, ſo will ich ihn Dir erzaͤhlen.


Anton.

Sprich nur.


Simon.

Wie es geſchah, weiß ich nicht,
aber ich ward im Schlafe ſehr bedraͤngt und ge-
aͤngſtigt, daruͤber griff ich endlich nach meinem
Schwerdte, um mir Ruhe zu verſchaffen. Ich
lief wuͤthend herum, und traf auf den Ritter
Hugo; er war mir noch mehr zuwider als ſonſt,
und ohne daß ich mir bewußt war, wie es ſo weit
kam, hatt ich ihn bei der Schulter ergriffen, und
ſtieß ihm mit großer Herzensangſt das Schwerdt
durch die Bruſt, er fiel auf den Boden und ich
war ruhig. — Das Seltſamſte iſt, daß ich nun
ſeit dem Erwachen unaufhoͤrlich an dieſen Traum
denke, und ich muß es dir geſtehn, Bruder, ſo
wie ich den Ritter vor mir ſehe, wandelt mich eine
unbeſchreibliche Luſt an, ihm mit dem Schwerdte
eins zu verſetzen; ich kann mich dann kaum halten,
ich denke es mir ſogleich als das groͤßte Vergnuͤ-
[64]Zweite Abtheilung.
gen, zu fuͤhlen, wie ihm der Degen im Leibe um-
gekehrt wird. — Mir iſt ſchon ein Grauſen daruͤ-
ber angekommen. — Iſt das nicht ſonderbar?


Anton.

Toll iſt es! Dumm iſt es!


Vorige, Hugo mit Hans von Marloff.

Hugo.

Hier bringe ich Euch, edler Ritter,
meinen lieben Freiwerber, der fuͤr mich ſprechen will.


Hans.

Ich freue mich, Euch einmal wieder
zu ſehn. Ich bin des Reitens nicht mehr gewohnt,
und ordentlich ganz muͤde. — Ihr ſeid wohl?


Anton.

Vollkommen.


Hans.

Und meine liebe Pathe? Ihr wißt
doch, ich bin bei Eurer Schweſter Agnes Gevat-
ter geſtanden?


Anton.

Sie wird ſich freuen, Euch zu ſehn.


Hans.

Ach ſie war ſchon damals ein gar
liebes Kind.


Simon.
(mit der Hand an den Degen, leiſe zu An-
ton)

Wie ich dir vorher ſagte, Bruder.


Anton.

Ich rathe Dir Gutes! —


Hans.

Aber kommt hinein, in den Saal,
da wollen wir uns niederſetzen, und da will ich
Euch dann meine Rede, wie es ſich ſchickt und
gebuͤhrt, vorbringen, denn ich nehme keine Notiz
davon, daß Ihr ſchon ſo gut wie richtig ſeid;
Ordnung muß walten.

(gehn.)

Anne, Agnes.

Agnes.

Du koͤnnteſt mich faſt mit melanko-
liſch machen, liebe Schweſter.


Anne.
[65]Der Blaubart.
Anne.

O ſein Vater, der eben angekommen
iſt, hat alles in mir erneut und ſein Bild wieder
lebhaft vor meine Seele gerufen. — O, Reinhold,
Geliebteſter, ſoll ich dich nie wieder ſehn? — Ja,
liebe Schweſter, ich will mit Dir ziehn, aber wir
muͤſſen in der Einſamkeit recht viel von ihm, von
Reinhold ſprechen.


Agnes.

Wie du willſt, Schweſter.


Anne.

Ich freue mich darauf, denn unſer
Bruder Anton iſt hart und unfreundlich, er ver-
ſteht die Empfindungen des Herzens nicht, ſeine
Gegenwart bedraͤngt mich, und ich wage es nicht,
ſo zu ſeyn, wie ich meiner Natur nach bin. Aber
komm, liebe Agnes, wir muͤſſen hinein gehn, denn
alle werden uns erwarten.


Agnes.

Der alte Ritter Hans will uns al-
len eine feierliche Rede halten und um mich anwer-
ben. Was man ſich immer zwingen muß, bei ſo
vielen Dingen ernſthaft zu bleiben!

(gehn ab.)

II. [ 5 ]
[66]Zweite Abtheilung.

Dritter Akt.


Erſte Scene.

(Feld.)

Der Rathgeber, Claus welcher einen
Korb traͤgt.

Claus.

Hier wollen wir eine Weile ruhn; wir
kommen immer noch fruͤh genug. Setzt Euch, hier
iſt Schatten. — Das Botenlaufen will mir und
meiner Kruͤcke gleich wenig bekommen. Ja, ſo iſt
das menſchliche Schickſal, es koͤmmt wohl vor,
daß man die Dienſte wechſeln muß.


Rathgeber.

Was ſprichſt Du von Dienſt?
Ich habe nie gedient.


Claus.

Nun, nennt es, wie Ihr wollt.
Unſre Herren ſind todt, und es iſt doch gut, daß
ſich der Blaubart unſrer annehmen will, ſo duͤr-
fen doch unſre Talente nicht betteln gehn. — Da,
hier, trinkt eins auf des Blaubarts Geſundheit;
eßt, wir haben ja noch Vorrath; dieſer Raſen
ſey unſer Tiſch und Stuhl.


Rathgeber.

Ich hatte mich da in dem
Schloſſe ſo eingewohnt. —


Claus.

Die Zeiten ſind vorbei. — Aber ich
[67]Der Blaubart.
bin doch neugierig, — ſagt mir einmal, ſo lange
ich Euch kenne und weiß, habe ich Euch immer
den Rathgeber nennen hoͤren, wie heißt Ihr denn
eigentlich? Oder habt Ihr etwa keinen andern
Namen?


Rathgeber.

Narr, ich keinen andern Na-
men? — Ich hatte ſonſt einmal einen ganz vor-
treflichen Namen, aber ich muß dir geſtehn, durch
die Laͤnge der Zeit hab ich ihn faſt vergeſſen, ich
kann mich nur noch dunkel daran erinnern. — So
gehts dem menſchlichen Geiſte. Ich habe mich an-
gewoͤhnt, immer nach dem Titel Rathgeber zu hoͤ-
ren und mich ſelbſt ſo zu denken, — wart! —
Ferdinand von Eckſtein hieß ich ehemals. — Ja.
— Aber die Zeiten ſind freilich voruͤber. Die Ge-
wohnheit, ſagt man wohl mit Recht, iſt unſre
zweite Natnr; wenn ich jetzt nur von Rath reden
hoͤre, oder ſo im Sprichwort: hier iſt guter Rath
theuer, — guter Rath koͤmmt hinten nach, — ſo
denk ich immer dabei an mich.


Claus.

Geht es mir denn anders? Man
darf nur von irgend einem Narren in Afrika ſpre-
chen, ſo iſt mir gleich, als wenn nothwendig von
mir die Rede ſeyn muͤſte. So hat man gar keine
rechte Ruhe im Leben. Sagt mir nur, wozu man
getauft wird, wenn der Taufname gar nicht ge-
braucht werden ſoll?


Rathgeber.

Es iſt unrecht.


Claus.

Seht Euch nur etwas vor, ich
glaube, der Blaubart wird ein ſcharfes Examen
mit Euch anſtellen.


[68]Zweite Abtheilung.
Rathgeber.

Lieber Gott, was kann er fra-
gen, worauf ich nicht eine Antwort zu geben wuͤßte!


Claus.

Da muͤßt Ihr in Eurem Berufe gut
beſchlagen ſeyn.


Rathgeber.

Ein Narr, wie Du, kann ſo
etwas freilich nicht begreifen. — Es aͤrgert mich
nur, daß ich ſo mit Dir in Geſellſchaft reiſen
muß, mit dieſer armſeligen Gelegenheit; was wer-
den die Leute denken?


Claus.

Sie werden Euch fuͤr einen blinden
Paſſagier halten, der grade nicht Weisheit genug
bei ſich hat, um auf eine beſſere Art fortzukommen.


Rathgeber.

Wir ſollten wenigſtens die große
Landſtraße meiden.


Claus.

Narrheit geht nie anders. — Narr-
heit mit Weisheit, das iſt die beſte Geſellſchaft.


Rathgeber.

Ja, fuͤr den Narren, aber
der weiſe Mann koͤmmt ſehr dabei zu kurz.


Claus.

Ihr duͤrft ja nur an mir ein Bei-
ſpiel nehmen, um immer noch mehr Abſcheu vor
der Narrheit zu bekommen. — Nun, eßt, eßt
und trinkt und laßt es Euch wohl ſchmecken.


Ulrich zu den Vorigen.

Ulrich.

Das iſt ein verdammter Auftrag,
den mir mein Herr gegeben hat, zu lauern, zu
ſpaͤhen, Geruͤchte einzuziehen, mit einem Worte
zu ſpionieren, was niemals meines Thuns geweſen
iſt. Da will er im Gebirge auf mich warten, bis
ich ihm Nachricht bringen kann, ob ſein Vater
[69]Der Blaubart.
auf Marloff noch lebt, wie es in Friedheim ſteht,
und doch ſoll ich den Orten nicht zu nahe kommen,
daß man nichts merkt. Und, weiß der Satan,
allenthalben, ſtatt daß ich die Leute ausfrage, fra-
gen ſie mich aus, man ſieht mirs an der Naſe an,
daß ich aus der Fremde komme, und ehe ichs mir
verſehe, ſitze ich bis uͤber die Ohren im Erzaͤhlen
anſtatt zuzuhoͤren. Ei ſieh, da iſt ja Geſellſchaft.
Guten Tag, Landsleute.


Claus.

Schoͤn Dank. Woher des Wegs!


Ulrich.

Weit her, kleines freundliches Maͤnnel.


Claus.

Das ſieht man, Ihr ſeid von der
Sonne verbrannt, kommt vielleicht gar aus dem
Orient.


Ulrich.

Richtig, aus dem gelobten Lande,
da haben wir die Heiden ein biſſel gejagt, daß
ſies geſpuͤrt haben, und mein Herr —

(fuͤr ſich.)


Schau, ſchau, alter Schwaͤtzer, biſt wieder auf
dem graden Wege alles auszuplaudern.


Claus.

Wer iſt Euer Herr?


Ulrich.

Das bleibt noch fuͤrs erſte ein Ge-
heimniß. — Aber ſagt, wißt Ihr, wo Marloff
oder Friedheim zu liegt?


Claus.

Wir ſind hier auch fremd; ſetzt
Euch doch zu uns, und nehmt mit unſrer laͤndli-
chen Mahlzeit vorlieb.


Ulrich.

Herzlich gern. Da komm ich ja
unverſehens in eine beſondre Compagnie. Wer
ſeid Ihr denn?


Claus.

Wir ſind Reiſende, die auf der Land-
[70]Zweite Abtheilung.
ſtraße fortzukommen ſuchen, bis ſie den Ort ihrer
Beſtimmung erreicht haben.


Ulrich.

Ach ſo!


Winfred zu den Vorigen, in bunter Tracht.

Winfred.

Das iſt ein luſtiges Leben. Er
hat ſich als Meiſterſaͤnger verkleidet, und ich bin
ſein Jongleur, und ſo haben wir ſchon Kirmſen
und Jahrmaͤrkte beſucht, Haͤndel gehabt, Spaß
gemacht und tauſend Narrheiten getrieben. Es
wollen ſich aber immer noch nicht die rechten Aben-
theuer finden laſſen, die großen, gefaͤhrlichen, die
Ruhm eintragen. — Hier iſt ja doch der Ort, wo
ich ihn erwarten ſollte. Ja, richtig, bei der Eiche
auf dieſem Huͤgel. — Was iſt denn das fuͤr eine
ehrbare Geſellſchaft dort? Nichts mag ich lieber,
als die Leute ſchrauben; man glaubt nicht, wie
ſelten der Witz in der Welt iſt, die wenigſten mer-
ken es nur.


Ulrich.

So iſt es. Nun hab ich Euch
alles geſagt, denn Ihr ſeid ehrbare Leute, die den
Fremden nicht ausforſchen wollen: wer mir nun
aber wieder mit einer naſeweiſen Frage angeſto-
chen kommt, der ſoll es mit mir zu thun haben.


Winfred.

Guten Tag, Freunde. Wuͤnſche
guten Appetit.


Claus.

Danken.


Winfred.

Ha ha ha! Eine poſſierliche Fi-
gur, der kleine pucklichte Zwerg! Und der Alte
ſieht aus wie die Zeit mit ſeinem ehrwuͤrdigen
[71]Der Blaubart.
Bart, wie Saturn, der eben einige Kinder gefreſ-
ſen hat, oder dem ſie Steine untergeſchoben haben,
die er nur ſchwer verdauen kann.


Claus.

Wer ſeid Ihr denn, luſtiger Camerad?


Winfred.

Ich bin nicht dein Camerad,
wenn ich auch dies buntfarbige Kleid trage; ich
diene beim groͤßten Saͤnger im Deutſchen Reich
als Jongleur.


Ulrich.

Was iſt das fuͤr ein Amt?


Winfred.

Das bedeutet den, der ſeine Ge-
dichte abſingt und deklamirt, und mit den Haͤnden
dazu arbeitet, bald die Leute ruͤhrt und zum Wei-
nen bringt, dann wieder Lachen erregt, allerhand
Spruͤnge und Taͤnze verſteht, und ſich ſo im Lande
von ſeiner Kunſt und durch ſeinen Herrn ernaͤhrt.


Ulrich.

Alſo ein Hanswurſt? Habs gleich
gedacht.


Winfred.

Toͤlpel, ich will dich lehren, Un-
terſchiede machen.


Ulrich.

Nicht ſo grob, Hanswurſt, du haſt
erſt ſchon uͤber das kleine Maͤnnel gelacht und ge-
ſpottet, huͤte dich, daß du es nicht mit mir zu
thun kriegſt.


Winfred.

Wer biſt du, Großſprecher denn?
Wohl einer von den Paladinen, Roland, oder
Reinald von Mantalban, daß du das Maul ſo
aufreißen darfſt?


Ulrich.

Halunk du! Alſo wer ich bin, willſt
du wiſſen? Und kennſt ſchon meinen Herren Rein-
hold, und ſchimpfſt ihn mit Ekelnamen? Gleich
mach dich fort!


[72]Zweite Abtheilung.
Winfred.
(zieht)

Hier iſt ein Schwerdt, das
deinen Trotz verachtet, Bauer du!


Claus.
(packt zuſammen)

Kommt, Gevatter
Rathgeber, hier iſt nicht gut weilen.


Rathgeber.

Friede ernaͤhrt, Unfriede ver-
zehrt.

(beide ſchnell ab.)

Ulrich.

Vor dir fuͤrcht ich mich nicht.

(ſie
fechten, Winfred faͤllt.)

Siehſt? Ich habs dir wohl
voraus geſagt, naſeweiſer Burſche.

(ab.)

Winfred.
(allein)

O weh! o weh! da fließt
mein theures Blut! das war ein Hieb, als wenn
er mir den Kof herunter ſchluͤge. O uͤber das
verfluchte Abentheuerſuchen! O verflucht ſei die
Stunde, in der ich ausgegangen bin! O weh,
um mein Leben iſt es gethan. Ich bin dahin.


Leopold. koͤmmt.

Leopold.

Hier ſoll er ſeyn, ich verſaͤume
die Zeit mit Poſſen, und erfahre eben erſt, daß
die Alte jetzt nicht zu Hauſe iſt, und das bei uns
großes Hochzeitsfeſt war. — Wer winſelt dort?
Seid Ihr es, Junker? Was ſoll das?


Winfred.

Sterbend trefft Ihr mich an, in
eurem Dienſte bin ich umgekommen, laßt uns hier
zaͤrtlichen Abſchied nehmen.


Leopold.
(verbindet ihm mit einem Tuch den Kopf)

Die Wunde ſcheint nicht gefaͤhrlich, rafft Euch nur
auf, Marloff iſt nicht weit, es iſt die hoͤchſte Zeit,
daß wir hinkommen. Nun gerade haͤtt ich Eure
Dienſte noͤthig.


Winfred.

Helft mir auf. So, ſo. Ach,
[73]Der Blaubart.
mein lieber Leopold, ich habe allen Muth verlo-
ren. Das war ein rieſenhafter Kerl, der mich ſo
zugerichtet hat. Sacht! Sacht!


Leopold.

Lehnt Euch auf mich. Kommt,
daß wir wo eintreten koͤnnen und ihr euch erquickt.
Verdammter Streich! Was habt Ihr denn gehabt?


Winfred.

O weh! o ſacht! o ſacht! —
Das Gaukeln, der Uebermuth ſind mir ſchlecht
bekommen. Ich will Euch alles erzaͤhlen, wenn
wir unter Dach und Fach ſind.

(beide ab.)

Zweite Scene.

(Herberge an der Landſtraße.)

Hans von Marloff, Anton, Simon,
Hugo, Agnes, Anne
.

Hans.

So weit haben wir Euch mit Got-
tes Huͤlfe begleitet, und nun werden wir unter
ſeinem Schutze wohl zuruͤck reiten muͤſſen.


Hugo.

Ich danke Euch fuͤr die Ehre, die
Ihr mir dadurch erzeigt habt.


Hans.

Daß Euer Bruder Leopold nicht zu
Hauſe war, daß er ſogar die Hochzeit ſeiner
Schweſter verſaͤumt hat, faͤllt mir aus mehr als
einer Urſach ſchwer aufs Herz. Meine Tochter
iſt allein zu Hauſe; Herr Ritter ich habe boͤſe
Ahndungen.


[74]Zweite Abtheiluug.
Hugo.

Ahndungen muß man nicht trauen,
ſie hintergehn uns faſt immer.


Simon.

Du biſt vergnuͤgt, Schweſter?


Agnes.

Recht ſehr, wenn ich Euch nur
nicht verlaſſen duͤrfte.


Anton.

Ja, das iſt nicht anders im menſch-
lichen Leben, die Zeit bringt die Abwechſelungen
herbei.


Hans.

Ja wohl.


Simon.

Die Zeit nun wohl nicht, denn,
genau genommen, macht ja eben die Folge dieſer
Abwechſelungen das aus, was wir Zeit nennen.


Anton.

Das iſt mir zu ſpitzfindig.


Hans.

Aber noch einmal Muſik! —

(zum
Fenſter hinaus)

Hoͤrt Ihr Spielleute! Noch eins,
der jungen Frau zu Ehren! Huͤbſch luſtig mit
Trompeten und Pauken — das Jaͤgerlied.


(Muſik und Geſang hinter der Scene.)

Es ging ein Jaͤger wohl auf dem Fang,

Trarah! trarah!

Das Wildpret ſprang die Bahn entlang,

Hopſa! hopſa!

Die Buͤſche hinab ertoͤnt das Horn,

Trarah! trarah!

Der Jaͤger er nahm ein Reh aufs Korn,

Eiah! eiah!

Das ſchlankſte Thierchen im ganzen Wald,

Trarah! trarah!

Recht dreiſt huͤpft es ihm entgegen bald,

Sieh da! ſieh da!

Zur gluͤcklichen Stunde ritt ich aus,

Trarah! trarah!

[75]Der Blaubart.
Und bring ein jung Weibel mit mir nach Haus,

Hopſa! hopſa!

Das iſt wohl, traun die beſte Jagd,

Sa ſa! ſa ſa!

Feins Liebchen komm, es wird ſchon Nacht,

Ha ha! Ha ha!

Hans.

Nun lebt wohl, meine werthen
Freunde. Ich habe Euch ſo viel Ehre angethan,
als mir in meinen alten Tagen moͤglich war; wenn
mein Sohn waͤre hier geweſen, haͤtte alles ſollen
beſſer eingerichtet ſeyn. — Aber der iſt vielleicht
ſchon lange todt und begraben. — Nun, lebt wohl,
ich habe noch weiten Weg vor mir.

(ab.)

Simon.

Adieu, liebe Schweſtern: ſchreibt
manchmal, bleibt geſund.


Anton.

Gluͤck auf den Weg!


Anne.

Lebt wohl, lieben Bruͤder.


(die Bruͤder gehn, Anne folgt ihnen.)

Hugo.

Du haſt kein Wort geſprochen, Agnes?


Agnes.

Ich muß Euch geſtehn, daß mir
die Thraͤnen ſo in die Augen kamen, daß ich un-
moͤglich ein Wort ſagen konnte.


Hugo.

Woruͤber weinſt du?


Agnes.

Meine Bruͤder, — ſie gehn fort,
wer weiß, wann ich ſie wieder ſehe.


Hugo.

Ach! wenn man ſeinen Mann recht
lieb hat, muß man Bruͤder und Schweſtern dar-
uͤber vergeſſen koͤnnen. — Nun ſind wir beide
allein: gieb mir einen Kuß, Agnes.

(er kuͤßt ſie.)

Agnes.

Aber, ich bitte Euch, wenn wir
weiter reiſen, ſo jagt nicht ſo mit Eurem Pferde,
[76]Zweite Abtheilung.
das arme Thier waͤre faſt unter Euch zuſammen
geſunken.


Hugo.

Deſto mehr wird es ſich auf den
Stall freuen. Nur, wenn wir recht viel Beſchwer-
lichkeiten uͤberſtanden haben, koͤmmt uns die Ruhe
wie Ruhe vor. Laß das, mein Kind.


Agnes.

Ihr koͤnntet ſtuͤrzen.


Hugo.

Ich bin ſchon oft geſtuͤrzt, das thut
nichts.


Agnes.

Ihr macht mir aber ſolche Angſt.


Hugo.

Das iſt gut, es iſt ein Beweis dei-
ner Liebe.


Agnes.

Wahrlich', da ich jetzt mit Euch
allein bin, koͤnnt ich mich vor Euch fuͤrchten.


Hugo.

Wirklich? — Nun, das iſt mir lieb,
ſo etwas hab ich gern. Aber du wirſt dich ſchon
noch ganz an mich gewoͤhnen, Kind.


Agnes.

Die Gegend hier herum iſt doch
recht wuͤſte. Die Muͤhle dort unten ſauſt ſo
ſchauerlich durch die Einſamkeit. — Seht, da rei-
ten meine Bruͤder ſchon den Fels hinauf.


Hugo.

Meine Augen tragen nicht ſo weit.


Agnes.

Als ich von dort herunterritt, dacht
ich nicht, daß der Ort ſchon ſo nahe ſei, wo wir
Abſchied nehmen ſollten.


Hugo.

Schlage dir das aus dem Sinn.


Agnes.

Als ich noch nie gereiſt war, wuͤnſcht
ich nichts ſo ſehnlich, als eine recht weite Reiſe;
ich dachte mir in meiner Vorſtellung immer nur
ſchoͤne unbegreiflich ſchoͤne Gegenden, Burgen
und Thuͤrme mit wunderbaren Zinnen, mit Gold
[77]Der Blaubart.
ausgelegte Daͤcher im Schein der Morgenſonne
funkelnd: ſteile Berge und weite Ausſichten von
oben, immer neue Menſchengeſichter, dichte Waͤl-
der, und einſame verſchlungene Fußpfade durch
das dunkelgruͤne Labyrinth im Widerklang der
Nachtigallen: — und nun iſt alles ſo anders, und
mir wird immer baͤnger und baͤnger, je mehr ich
mich von der gewohnten Heimath entferne.


Hugo.

Wir treffen unterwegs noch auf merk-
wuͤrdige Gegenden.


Agnes.

Seht, wie das Feld wuͤſt iſt dort-
hin, die ſandigen, kahlen Huͤgel, uͤber denen die
dunkeln Regenwolken ſtehn.


Hugo.

Mein Schloß liegt angenehmer.


Agnes.

Es regnet ſchon, und der Himmel
wird immer finſterer.


Hugo.

Wir muͤſſen wohl aufbrechen, es
wird ſonſt zu ſpaͤt. Wo iſt denn deine Schweſter?
Rufe ſie und hoͤre auf zu wimmern. Komm,
unſre Pferde ſind auch abgefuͤttert.

(ſie gehn ab.)

Dritte Scene.


(Saal mit Thuͤren, im Hintergrunde eine Stiege, die
zu einem obern Zimmer fuͤhrt.)

Brigitte, Caspar.

Caspar.

Nichts! Zimmer und Garten ſind
genug fuͤr Euch, Fraͤulein; was braucht Ihr da
[78]Zweite Abtheilung.
auf dem Wall umher zu laufen und zu gaffen?
Was giebt es da zu gaffen? Euer Vater hat mir
nicht umſonſt die Aufſicht uͤber Euch anvertraut,
ich will in meiner Rechenſchaft, die ich abzulegen
habe, Rede ſtehen koͤnnen.


Brigitte.

Aber was kann es denn ſchaden,
Griesgram?


Caspar.

Und was kann es denn nutzen?

(es pocht.)

Da wird ans Thor gepocht, geht, geht
ſchleunig in Euer Gemach, daß Euch kein Fremder
hier findet.

(Brigitte geht ab, ein Knecht tritt ein.)

Knecht.

Da iſt ein junger Mann, der Euch
zu ſprechen begehrt.


Caspar.

Laßt ihn ein.

(Knecht ab.)

Wer kann
denn das ſeyn? Wir halten ja doch nicht ſo viel
Geſellſchaft und Umgang, daß uns die Leute ſo
unverſehens beſuchen ſollten.


Leopold. kommt herein.

Leopold.

Verzeiht einem armen Manne, der
ſeinen Weg verloren hat, und Euch um Obdach
anſpricht, da kein Kloſter, oder die Burg eines
Freundes in der Naͤhe iſt.


Caspar.

Wer ſeid Ihr denn?


Leopold.

Wie Ihr ſeht, ein umſtreifender
Saͤnger, der mit ſeinen Liedern ſchon vielen das
Herz erfreut, und die Gunſt manches Fuͤrſten und
vornehmen Ritters gewonnen hat.


Caspar.

Mein Herr iſt nicht daheim, —
ich weiß nicht —


Leopold.

Am meiſten hat mich ein Ungluͤck
dazu getrieben, Eure guͤtige Huͤlfe zu ſuchen, denn
[79]Der Blaubart.
mein armer Diener, der meine Lieder zu ſingen
pflegt, und ſonſt ein aufgeweckter luſtiger Burſche
iſt, und vielfache Gaukeleien anzuſtellen weiß, lei-
det an einer Wunde, die ihm toͤdlich wird, wenn
er nicht einiger Pflege genießt.


Caspar.

So? So? Alſo einen Gaukler und
Poſſenreißer fuͤhrt Ihr auch mit Euch? So ſeid
Ihr doch nicht von den ganz gemeinen Muſikan-
ten? Ich habe immer dergleichen Volk geliebt, ab-
ſonderlich in meiner Jugend, jetzt hab ich lange
keinen mit Augen geſehn. Man muß doch auch
chriſtlich denken. Laßt ihn nur herein, euren Fraz-
zenmacher, und nehmt dann ſo vorlieb, wie Ihr
es findet, dafuͤr werdet Ihr uns aber auch von
Euren Spaͤßen etwas zum Beſten geben.


Leopold.

Herzlich gern, ſobald der arme Narr
nur erſt etwas wieder bei Kraͤften iſt. —

(oͤffnet die Thuͤr)


Nur herein hier, mein Winfred, der gute liebe freund-
liche Alte will uns nicht von ſeiner Thuͤre weiſen.


Winfred kommt mit verbundenem Kopfe.

Caspar.

Der da iſt der Spaßvogel? der
ſieht ja eher zum Erbarmen aus.


Leopold.

Laßt ihn nur erſt etwas erquickt
ſeyn, ſo ſollt Ihr Wunder ſehn.


Winfred.

O ein Bett, — ein weniges Wein,
— eine chriſtliche Huͤlfe und mitleidige Pflege.


Caspar.

Da, geht nur da oben hinauf,
Gaukler, und Ihr auch, Freund Meiſterſaͤnger; da
oben kann ich Euch ein Zimmer anweiſen, mein ei-
genes. Kommt.

(ſie ſteigen hinauf in das obere Gemach.)

[80]Zweite Abtheilung.

Vierter Akt.


Erſte Scene.

(Hugos Schloß.)

Agnes, Mechtilde.

Mechtilde.

Ja, liebe gnaͤdige Frau, Ihr ſeid
nun gerade die ſiebente, der ich gedient habe.


Agnes.

Die ſiebente?


Mechtilde.

Euch faͤllt vielleicht dabei ein,
daß das keine gute Zahl ſeyn ſoll, weil Ihr ſo fragt.


Agnes.

Nein, ich dachte daran nicht.


Mechtilde.

Ihr werdets hier gut haben,
denn ich kenne das Gemuͤth des Herrn Ritters
nun ſchon ſeit lange, aber ich kann nichts als
alles Gute von ihm ſagen, wenn ich die Wahr-
heit ſagen ſoll.


Agnes.

Das Schloß hat eine ſchoͤne Lage.


Mechtilde.

Die ſchoͤnſte Gegend iſt hier,
weit und breit umher, man hat beſonders oben
auf dem Dache eine ſehr freie Ausſicht. — Seid
Ihr ſchon oben geweſen?


Agnes.

O ja. — Doch hoͤrt, der Ritter
ſagte mir von vielen Koſtbarkeiten; habt Ihr ſie
auch geſehn?


Mech-
[81]Der Blaubart.
Mechtilde.

O ja, ganze Zimmer voll; die
haͤlt er immer verſchloſſen. Ich muß Euch ſagen,
meine ſchoͤne gnaͤdige Frau, er iſt ein gar reicher
Herr, ich glaube, er weiß ſelber nicht, wie reich
er iſt. Ich ſchwoͤre, daß Euch alle Damen hier
herum, weit und breit, arm und reich, beneiden
werden.


Agnes.

Ich moͤchte wohl einmal dieſe Sel-
tenheiten ſehen.


Mechtilde.

Die Gelegenheit dazu trifft
ſich wohl.


Agnes.

Ihr ſeid wohl ſchon ſehr alt?


Mechtilde.

Wie ſo?


Agnes.

Ihr geht ſo gebuͤckt, der Kopf zit-
tert Euch ſo.


Mechtilde.

Ich habe auch ſchon ſiebenzig
Jahre auf dem Ruͤcken; das will ſchon ſehr viel
ſagen, wenn man das an ſeinem Koͤrper ableben
ſoll. — Ihr werdets nicht glauben wollen, aber
ich war auch einmal huͤbſch, und die Leute ſagten,
ich ſey außerordentlich ſchoͤn. Ach Gott, das ver-
ſchwindet alles, als wenn es nimmermehr da ge-
weſen waͤre, und es kraͤht kein Hahn darnach.
Die ganzen ſiebenzig Jahre ſind hin, ich weiß nicht
wie. — Nun, man kann nicht immer jung blei-
ben, es muß auch alte Leute geben: das iſt mein
Troſt. Es wird Euch auch ſo gehn.


Agnes.

Mir?


Mechtilde.

Ja, das will das junge Blut
immer nicht glauben, ſie denken gewoͤhnlich: das
bleibt beſtaͤndig ſo wie heute? Ja, heute, und
II. [ 6 ]
[82]Zweite Abtheilung.
morgen iſt wieder ein Heute, und uͤbermorgen auch,
und ſo nimmt ein Tag nach dem andern Abſchied,
und man denkt in der jugendlichen Vergeßlichkeit
nicht daran, daß daraus die Zeit beſteht. Eh wir
es uns dann verſehn, heißt es hinter uns: ſeht
die alte Frau, die dahin geht! Die erſten Male
wollt' ichs ordentlich nicht glauben, daß das mir
gaͤlte, ich bin es aber nachher wohl inne geworden.


Agnes.

Siebenzig Jahr ſind aber doch eine
lange Zeit.


Mechtilde.

Wenn man ſie vor ſich hat.
In meiner Jugend dachte ich grade ſo, und — wollt
Ihrs wohl glauben — des Nachts traͤumt mir manch-
mal noch, ich waͤre jung; dann iſt mir, als waͤre
das Wahre, Wirkliche, nur ein Traum geweſen,
in welchem ich mir naͤrriſcher Weiſe eingebildet
haͤtte, ich ſey eine alte, krumme, pucklichte Frau.
Ich habe ſchon oft daruͤber lachen muͤſſen. — Un-
ſer Ritter wird ſogleich wieder abreiſen.


Agnes.

Schon wieder abreiſen?


Mechtilde.

Ja, er hat immer viel Geſchaͤfte,
er iſt aber noch immer aus allen Fehden und Haͤn-
deln gluͤcklich zuruͤck gekommen.

(geht ab.)

Agnes.

Wie neu mir hier alles iſt! Ich
kann mich immer noch nicht gewoͤhnen, und an
ſeine Geſtalt am wenigſten; ich weiß manchmal
nicht, ſoll ich lachen, oder mich vor ihm fuͤrchten.
— Meine Schweſter iſt noch nicht aufgeſtanden;
ſie iſt nicht wohl: ihr ganzes Leben iſt nur mit
einem einzigen Gedanken ausgefuͤllt; ich kann mir
nicht denken, wie es moͤglich iſt.


[83]Der Blaubart.
Hugo kommt.

Hugo.

Du wirſt ſchon gehoͤrt haben, liebe
Agnes, daß ich Dich verlaſſen muß.


Agnes.

Ja.


Hugo.

Es giebt kein ſo zaͤnkiſches, unbaͤn-
diges Thier, als den Menſchen, Agnes. Sie ſehn
nun, daß ſie mich nicht uͤberwaͤltigen koͤnnen, und
doch iſt es ihnen nicht moͤglich, Ruhe zu halten.
Aber ſie ſollen auch dafuͤr gezuͤchtiget werden! Die-
ſelben wenigſtens ſollen nicht wieder kommen.


Agnes.

Lieber Mann! —


Hugo.

Sei ruhig, ich habe noch nie etwas
gefuͤrchtet. — So eben ſind zwei Narren ange-
kommen, die noch zu meinen Dienern gehoͤren.
Ich denke, ſie werden Dir Spaß machen.


Der Rathgeber und Claus treten ein.

Hugo.

Ihr kommt ziemlich ſpaͤt, noch ge-
rade zur rechten Zeit, um mich abreiſen zu ſehn.


Claus.

Wir ſind beide nicht gut zu Fuß,
Herr Ritter, und das hat uns unterwegs ein we-
nig aufgehalten.


Hugo.

Ihr ſeid der ſogenannte Rathgeber?
— Nehmts nicht uͤbel, wenn ich uͤber den naͤrri-
ſchen Titel lachen muß.


Rathgeber.

Ich bin derſelbe.


Claus.

Unterwegs gab er immer den Rath,
in jede Herberge, die ſich finden ließ, einzukehren.
Ich hoffe, Ihr ſollt noch bis Dato die Spuren
davon an ihm gewahr werden.


[84]Zweite Abtheilung.
Hugo.

Ihr ſprecht ja gar nicht.


Rathgeber.

Der Narr laͤßt mich nicht zu
Worte kommen.


Claus.

Kommt zu Worte, kommt immerhin
zu Worte! Es wird ſich zeigen, ob Ihr was Ge-
ſcheidtes zu Markte zu bringen wißt. — Da ſeid
Ihr der erſte Menſch auf der Welt, welcher be-
hauptet, ich ließe ihn nicht zu Worte kommen. —
Ei, das verletzt meine Ehre und Reputation, wer
mich nicht naͤher kennte, ſollte mich nach ſolcher
Behauptung wohl gar fuͤr einen ziemlichen Schwaͤ-
tzer halten. Ihr ſeht, Herr Ritter, wie leicht
man in dieſer boͤſen Welt um ſeinen guten Na-
men kommen kann.


Rathgeber.

Herr Ritter, Ihr ſeht ſelbſt,
er kann unmoͤglich ſchweigen. — Wenn ich Euch
uͤbrigens manchmal mit meinem Rathe dienen kann —


Hugo.

Wenn er nur gut iſt.


Rathgeber.

Es ſchickt ſich nicht, daß ich
ihn herausſtreiche, denn jede Waare ſollte ſich ei-
gentlich ſelber loben; aber fragt nur den Narren.


Claus.

Sein Rath iſt immer uͤberaus ſchoͤn
geweſen, und das Beſte iſt, er giebt beſtaͤndig zu-
gleich mehrere Sorten aus, ſo daß, wenn man
den einen nicht befolgen will, man immer noch
zum zweiten ſeine Zuflucht nehmen kann, der dem
erſten gewoͤhnlich gerade zu entgegen ſteht.


Hugo.

Nun wohl! ich ziehe jetzt ins Feld,
mein Feind iſt ſtaͤrker als ich: ſoll ich ihn angreifen?


Rathgeber.

Wartet einen Augenblick. —
[85]Der Blaubart.
Wenn Ihr ihn zu bezwingen gedenkt, ſo rathe
ich Euch ſelbſt, ihn anzugreifen.


Hugo.

Aber wenn ich nun geſchlagen werde?


Claus.
(leiſe zum Rathgeber)

Nehmt ums
Himmels Willen Euren ganzen Verſtand zuſam-
men, ſonſt iſt es um unſre Verſorgung geſchehn.


Rathgeber.

Wenn Ihr geſchlagen wer-
det? — Ja, da ſeid Ihr denn wahrhaftig in einer
uͤblen Lage.


Hugo.

Was iſt aber dabei zu thun?


Rathgeber.

Wenn man das Ding von
allen Seiten uͤberlegt, ſo wird es noch immer das
Beſte ſeyn, Euch alsdann zuruͤck zu ziehn.


Hugo.

Wenn mir aber der Ruͤckzug abge-
ſchnitten wird?


Rathgeber.

Dann, — haltet, — dann, —
Das iſt ein ſchwieriger Fall!

(geht auf und ab)


dann, — nun hab ichs! — dann, — nur einen
Augenblick Geduld! — das iſt mir in meiner Pra-
xis noch nicht vorgekommen. — Hm! hm! —
Aber wie kommt Ihr denn auf ſo naͤrriſche
Ideen? — Das nenn' ich einem auf den Zahn
fuͤhlen!


Hugo.

Nun?


Rathgeber.

Gleich! gleich! — Koͤnntet
Ihr denn nicht entwiſchen?


Hugo.

Wenn mir der Ruͤckzug abgeſchnit-
ten iſt, unmoͤglich.


Rathgeber.

Ja, da mag Euch der Henker
Rath geben! — Ich glaube, ich koͤnnte eine Reihe
von Jahren hinter einander denken, und braͤchte
[86]Zweite Abtheilung.
nichts Kluges heraus. — Ein Narr kann in einem
Tage, — Ihr kennt wohl das Sprichwort.


Claus.

Um Gottes Willen, Herr, thut
ihm nichts, Ihr ſeht ja, wie er ſich angreift.


Hugo.

Wenn ich dich nun zum Fenſter
hinaus aufhaͤngen ließe? — Ich habe jetzt nur
keine Zeit, ſonſt wuͤrde ich dich wenigſtens noch
etwas aͤngſtigen.


Claus.

Ach, er iſt ſchon geaͤngſtigt genug,
ſeht nur, wie ihm der Schweiß auf der Stirne
ſteht. — Ich ſagts Euch wohl, Rathgeber, daß
Ihr einen harten Stand haben wuͤrdet. — Er
hat bis jetzt nur nach ſeiner Bequemlichkeit Rath
gegeben, nun iſt es ihm etwas Neues, daß er
mehr ins Große gehn ſoll, und da fehlt dem
Manne freilich die Uebung.


Hugo.

Nun, geht nur, ich ſehe ſchon, wozu
ihr zu brauchen ſeid. Laßt euch zu eſſen geben.
Der Rath griff euch tuͤchtig an.


Claus.

Er wird uͤberhaupt wohl bald muͤſ-
ſen auf Penſion geſetzt werden, und dann krieg
ich vielleicht ſeine Stelle.


Rathgeber.

Du? Wann haſt du denn
ſchon einen Rath gegeben?


Claus.

Ich muß es von Euch lernen, Ihr
muͤßt mir Stunden geben.


Rathgeber.

Damit werd ich mich nicht
einlaſſen.


Claus.

Kommt nur, wir wollen jetzt erſt
mitſammen ſpeiſen.

(beide ab.)

Hugo.

Wie gefallen ſie dir?


[87]Der Blaubart.
Agnes.

So ziemlich! ſie haben mich an die
Puppen meiner Kindheit erinnert.


Hugo.

Das Leben von uns allen iſt wohl
nur ein albernes Puppenſpiel. — Agnes, ich will
dir waͤhrend meiner Abweſenheit alle meine Schluͤſ-
ſel in Verwahrung geben. Hier. Ich denke in
einigen Tagen zuruͤck zu kommen. Du magſt dir
die Zwiſchenzeit damit verkuͤrzen, daß du die Ge-
maͤcher betrachteſt, in die ich dich noch nicht gefuͤhrt
habe. Sechs Zimmer ſtehn dir gaͤnzlich offen,
aber das ſiebente, welches dieſer goldene Schluͤſſel
oͤffnet, bleibt dir verſchloſſen. — Haſt du mich
verſtanden?


Agnes.

Vollkommen.


Hugo.

Agnes! laß dich nicht geluͤſten, das
ſiebente Zimmer zu oͤffnen!


Agnes.

Gewiß nicht.


Hugo.

Ich koͤnnte den Schluͤſſel mit mir
nehmen und es waͤre dir unmoͤglich; aber ich will
dir trauen, du wirſt nicht ſo thoͤricht ſeyn. —
Nun, lebe wohl!


Agnes.

Lebe wohl!


Hugo.

Wenn ich wieder komme, und du
biſt in dem verbotenen Zimmer geweſen —


Agnes.

Erhitze dich nicht ſo umſonſt, ich
will nicht hinein gehn, und damit gut.


Hugo.

Ob es gut iſt, zeigt ſich erſt, wenn
ich zuruͤck komme. —

(ab.)

Agnes.

Nun ſteht es endlich in meiner Ge-
walt, die laͤngſt gewuͤnſchten Koſtbarkeiten zu be-
trachten. — Laͤcherlich, daß wenn uns ſechs große
[88]Zweite Abtheilung.
Zimmer mit ihren Kleinodien offen ſtehen, wir
noch nach dem ſiebenten ſollten luͤſtern ſeyn: das
waͤre ja eine mehr als kindiſche Neugier. — Wie
er uͤber alles wild wird. Ich moͤchte ihn nicht
vor mir ſehn, wenn ich einmal etwas gegen ſeinen
Willen gethan haben ſollte.


Anne tritt ein.

Agnes.

Wie gehts dir, Schweſter? Iſt
dir beſſer?


Anne.

Etwas.


Agnes.

Ich habe jetzt die Schluͤſſel zu den
Zimmern. Der Ritter iſt abgereiſt.


Anne.

So?


Agnes.

In eins duͤrfen wir nicht hinein. —
In das ſiebente kann ich dich unmoͤglich hinein
laſſen, Anne.


Anne.

Mir gleich.


Agnes.

Er hat es ſehr ſtrenge verboten.


Anne.

Ich bin nicht luͤſtern darnach.


Agnes.

Freuſt du dich denn aber gar nicht?


Anne.

Woruͤber denn?


Agnes.

Daß ich die Schluͤſſel habe.


Anne.

Wenn du dich daruͤber freuſt, — o ja.


Agnes.
(am Fenſter)

Da reitet er fort mit
ſeinem Gefolge. —

(oͤfnet das Fenſter)

Viel Gluͤck! —
Kehre bald wieder heim!

(Trompeten von außen.)

Anne.

Wie munter ſie fort ziehn! Gebe
der Himmel nur, daß ſie eben ſo froͤhlich wieder
kommen.


Agnes.

Sollten ſie nicht?


[89]Der Blaubart.
Anne.

Nicht immer iſt der Fortgang ſo
munter und friſch wie der Anfang. Die neuen
Kleider tragen ſich ab, der friſche Baum wird
entlaubt, und der Abend ſieht oft ganz anders
aus, als es der Morgen verſprach. Wie froͤlich
beginnt der Juͤngling oft, was die ſpaͤtern Jahre
ihm ernſthaft verweiſen, und zuweilen iſt ein an-
ſcheinendes Gluͤck nur die Vorbereitung zum Elend.


Agnes.

Du machſt mich bange, Schweſter.


Anne.

Ich bin heut ſchwermuͤthig geſtimmt.


Agnes.

Komm, zerſtreue dich, hier ſind ja
die Schluͤſſel, ſei wieder froͤhlich.


Anne.

Gutes Kind.


Agnes.

Wir wollen die Alte rufen, ſie ſoll
mit uns gehn, denn ſie kennt wohl alles.


Anne.

Wie du willſt, aber ſie iſt mir recht
im Herzen zuwider.


Agnes.

Ja, ſie iſt haͤßlich genug und ihre
kraͤchzende Stimme hoͤchſt widerwaͤrtig, indeſſen
ſind das die Gebrechlichkeiten des Alters, fuͤr die
ſie nicht kann. — Komm! komm! ich bin unend-
lich begierig, was wir alles ſehn werden.

(ſie gehn.)

[90]Zweite Abtheilung.
Zweite Scene.

(Der Saal auf Marloff.)

Gelag von trunkenen Knechten. Einige ſchlafen,
andere ſind halb wach; Caspar iſt noch am
munterſten, Leopold ſitzt oben am Tiſch und
ſpielt, Winfred ſitzt mit verbundenem Kopf
im Lehnſeſſel und trinkt.


Leopold.

Traun, Bruͤder, wer den Wein erfand,

Entdeckte wohl das ſchoͤnſte Land!

Schoͤner als Gold und Edelſtein

Funkelt im Becher der liebliche Wein,

Schaut hinein;

Trinkt luſtig und keck von dem labenden Schein.

Alle.

Schoͤner als Edelſtein

Funkelt der ſuͤße Wein,

Trinket den goldenen Schein

Muthig in Euch hinein!

Caspar.

Das heiß ich Wein! — ſolchen
Wein, ich habe ſchon viel Wein getrunken, aber
ſolchen Wein, — wenn von Wein die Rede iſt,
— als was. —


Leopold.

Ich verſtehe ſchon, was Ihr ſa-
gen wollt. Trinkt nur immer, er iſt Euch gern
gegoͤnnt, hab ich ihn doch ganz eigen fuͤr Euch
kommen laſſen.


[91]Der Blaubart.
Caspar.

Nun, wenn Ihr ſo meint. — Aber
Euer luſtiger Menſch, der die vielen Spruͤnge ma-
chen ſollte, — da ſitzt er im Stuhl mit ſeinem
verbundenen Kopf, — ſieht aus wie die Reue und
Buße ſelber, und ſaͤuft einen Becher nach dem an-
dern. Er ruͤhrt ſich ja nicht.


Leopold.

Auf, Winfred, Muſenliebling, ſei
begeiſtert und tummle Dich etwas.


Winfred.

Ich kann wahrhaftig nicht, ich
bin am ganzen Leibe wie zerſchlagen.


Leopold.

Deine Zunge lallt, ruͤhr Dich,
jetzt gilts.

(er geht zu ihm.)

Nur etwas, ein weni-
ges nur, lieber Junker, mach mich vor den Leu-
ten nicht zu Schanden, greif Dich mir zu Liebe
etwas an.


Caspar.

Guten Wein habt Ihr hergeſchaft,
Gott weiß woher, aber Euer Tandmann, Euer
Pickelhering iſt ein erbaͤrmlicher Kerl, den muͤſtet
Ihr ins alte Eiſen ſchmeißen, den Lumpenhund,
der iſt abgenutzt, und verdient keinen Trunk
Wein mehr.


Winfred.
(ſteht auf.)

Ich komme ja ſchon.
Wollt Ihr nun eine tragiſche Pantomime, edle
Stellung und Schwung der Geberde, ein Bein
im rechten Winkel vom Leibe weit weg geſtreckt,
und dann auf dem andern Fuße umgedreht, im
großen Styl?


Caspar.

Macht, was ihr machen koͤnnt.


Winfred.
(tanzt.)

Nun ſeht, das iſt was
fuͤr den Kenner.


[92]Zweite Abtheilung.
Caspar.

Das iſt nichts, nichts, wahre
Lumperei.


Winfred.

Fuͤr die Deklamation edler Ge-
dichte ſeid Ihr auch nicht?


Caspar.

Nichts da, — Katzenſpruͤnge, Bock-
ſpruͤnge, das iſt unſer Geſchmack.


Winfred.
(tanzt und ſpringt.)

Seht Freunde,
das ſind Kuͤnſte, Gelt?

(alle lachen.)

Caspar.

Recht ſo! Was er die duͤnnen
Beine kann durch einander werfen!


Winfred.
fallt nieder.)

O weh! o weh! mein
Kopf! mein Arm! Ungluͤck uͤber Ungluͤck!


Leopold.

Komm! hilf dir auf.


Winfred.

Ade, ich gehe wieder auf mein
Zimmer, ich bin fuͤr dergleichen nicht gemacht. Ich
lege mich wieder zu Bett und will ſchlafen.


(geht hinkend nach dem obern Gemach.)

Caspar.

Ich kann kaum noch die Augen
offen halten, — und die Beine liegen ſchon ſeit
einer Stunde ſtockſtill unter dem Tiſche. — Wo iſt
denn unſer Gaukler? — Wahrlich, in die Erde
hinein geſchlagen, und verſchwunden. — Je nun,
eben ſo gut. —

(ſchlaͤft ein. Alle uͤbrigen ſchlafen bereits.)

Leopold.
(ſingt vor der einen Thuͤr.)

Wer klopft an die Thuͤr?

Ich, Liebſte, bin hier,

Wo iſt dein Gemach?

Erkennſt du mein Ach?

Auf, liebſt du mich kuͤhn,

So laß uns entfliehn,

Schnell ſchwindet die Zeit

[93]Der Blaubart.
Und Zoͤgern gereut:

Die Stunde vergeht,

Dann iſt es zu ſpaͤt.

Brigitte zeigt ſich an der Thuͤr.

Brigitte.

Leopold.


Leopold.

Liebſte Brigitte.


Brigitte.

Ich habe Euch ſchon lange an
Eurer Stimme erkannt. Was wollt Ihr hier?


Leopold.

Du kannſt noch fragen? Folge
mir, wenn Du mich liebſt. Zwei Pferde ſtehn drau-
ßen geſattelt, alle ſchlafen, es iſt Nacht; Dein
Vater kehrt zuruͤck, dort auf dem Tiſche liegen
die Schluͤſſel der Burg.


Brigitte.

Ich ſollte meinen alten Vater
verlaſſen?


Leopold.

Er wird nachher unſre Ehe ſeg-
nen, aber vorerſt muͤſſen wir in Sicherheit ſeyn.
Folgſt du mir nicht, ſo lebe wohl, dann ſeh ich,
daß du mich nie geliebt haſt.


Brigitte.

Ich bin Dein.


Leopold.

Eilen wir, ehe man uns uͤbereilt.


(er nimmt die Schluͤſſel, ſie gehen ab; bald darauf hoͤrt man
den Thuͤrmer blaſen.)

Caspar.
(richtet ſich etwas auf.)

Was war
denn
das? — War das nicht der Thuͤrmer? — Aber
ich glaube, es hat mir nur getraͤumt. Was ſagt
Ihr, Spielmann? — Hanswurſt, Ihr habt ganz
Recht, ja, Ihr ſeid ein ſolider Mann. — Wie?
— Richtig, ganz recht, das iſt auch meine Mei-
nung.

(er legt ſich wieder zum Schlafen hin; es blaͤſt von
[94]Zweite Abtheilung.
neuem.)

Nein, das iſt kein Traum, — ſo lebhaft
hat mir noch zeitlebens nichts getraͤumt. — Dar-
nach muß ich ſehen. — Wenn nur die Beine —
Wie? Was iſt das?


Hans von Marloff tritt herein.

Gott im Himmel! was iſt denn das? Die
Thore der Burg, alle Thuͤren ſind offen! — Und
hier! Wie ſieht es hier aus! Caspar!


Caspar.

Ja, Herr!


Hans.

Liegſt du auch unter dem tollen
Haufen?


Caspar.

Ja, Herr!


Hans.

Caspar, ich bitte dich, — mach mich
nicht toll, — mir ſchwindelt ſchon der alte Kopf, —
ſteh auf! ich bitte dich.


Caspar.

Herr, das wird ſo geſchwinde
nicht gehn.

(richtet ſich muͤhſam auf.)

Hans.

Laß mich nicht das Aergſte fuͤrch-
ten, — Caspar, — meine Tochter —


Caspar.

Ich habe immer ein Auge auf ſie
gehabt. Streng! ſtreng!


Hans.

Aber wie kommt Ihr denn dazu —


Caspar.

Herr, da war ein Spielmann hier,
und der hatte einen ſo koͤſtlichen Wein bei ſich, —
den Wein bracht er ins Haus, — und er hatte
einen kranken Narren bei ſich, — und da weiß
ich nicht, wie es kam, aber kurz und gut —


Hans.

Es mag fuͤr diesmal gut ſeyn, aber
ich muß nach meiner Tochter ſehn.

(ab.)

Caspar.

Wo iſt denn der Spielmann geblie-
[95]Der Blaubart.
ben? — Ermuntert Euch, Kerl, ſag ich, ſteht auf!

(die Knechte erheben ſich nach und nach und gehn)

Der Spiel-
mann — Caspar, Caspar! mir faͤngt an der Ver-
ſtand wieder zu kommen, und ich merke Unrath, —
ach! der arme Herr, wenn es wahr ſeyn ſollte!


Hans ſtuͤrzt außer ſich herein.

Hans.

Du Schurke! — du ſchlechter Kerl!
Liebſt du deinen Herren ſo? — O meine Tochter!


Caspar.

Herr, — maͤßigt Euch, Herr —


Hans.

Nein, ich will jetzt vor Zorn und
Gram ſterben! Ich will mich nicht maͤßigen, damit
ich nur das Ungluͤck, die Schande nicht uͤber-
lebe. — Meine Tochter, ſie iſt fort!


Caspar.

Nimmermehr!


Hans.

Muß mir das begegnen, der ich
mein Kind ſo liebte? — Schaff ſie mir wieder,
Caspar! — Fort! Geh mir aus den Augen, du
Niedertraͤchtiger!


Caspar.

Herr, ſo habt Ihr mich noch nie
geſcholten, — aber ich verdiene, ganz verdien ich
das.— O ich Dummkopf! O vergebt mir, mein
Herr, faßt euch wieder; — ach nein! Ihr koͤnnt
mir nicht vergeben.


Hans.

Caspar, iſt das deine Vernunft?
Sind das deine Grundſaͤtze, von denen du ſo viel
ſprechen konnteſt? — Wenn nur meine Brigitte
da waͤre! — Und wie konnte ſich mein Kind ſo
vergeſſen? — Mit dem Spielmann, mit einem
Nichtswuͤrdigen iſt ſie davon gelaufen?


Caspar.

Es muß ſo ſeyn, Herr, denn ich
[96]Zweite Abtheilung.
ſehe ihn nirgends. — Ach Gott! wie wird mir,
da nun mein Verſtand wieder kommt! Ich ſchaͤme
mich vor Euch und vor mir, — ich moͤchte in
Verzweiflung fallen, — o daß ich an dem Ungluͤck
Schuld bin! Ja mit dem Kopf moͤcht ich gegen
die Mauer laufen! Und meinen lieben, guten,
alten Herrn! O Sapperment!


Hans.

Maͤßige dich, Caspar, faſſe deine
Vernunft zuſammen, bleib bei dir.


Caspar.

Giebt es denn keinen Troſt, keine
Huͤlfe?


Hans.

Ach nein! nein! O das wird mich
noch wahnſinnig machen. — Es iſt zu viel, zu
viel, Caspar, wenn ich von neuem daran denke.
Es iſt mein Tod, ich fuͤhls.


Caspar.

Lieber gnaͤdiger Herr, bedenkt
Euer Alter.


Hans.

Ich mag nichts bedenken, du haſt
keine Tochter verloren, du haſt gut ſprechen. Und
du biſt Schuld daran! Einzig du! Du alter Spitz-
bube! Saͤuft ſich voll in ſeinen alten Tagen, laͤßt
ſich zum Narren machen, der Eſel!


Caspar.

Soll ich ins Waſſer laufen? Soll
ich vom Thurm herunter ſpringen? Befehlt doch
nur, wie ich mich abſtrafen ſoll, und ich wills ja
von Herzen gerne thun, nur daß ich wieder Ruhe
habe, daß ich Eure Vorwuͤrfe nicht mehr hoͤre.
Nehmt doch auch Vernunft an, Herr, beſter Herr,
Ihr ſeyd ja auch ſchon in den Jahren und habt
die Kinderſchuhe vertreten. Ach du lieber Him-
mel! Wo renne ich nur hin? Wo bleib ich? O
Sap-
[97]Der Blaubart.
Sapperment! das ganze Gehirn iſt mir durch ein-
ander geworfen!


Hans.

Caspar! Caspar! ich merks, wir
werden uns beide toll machen. — Meine Tochter,
meine Brigitte, ſie haͤtte auch vorſichtiger ſeyn ſol-
len, du biſt ja nicht allein Schuld. Komm, laß
uns beide unſre Vernunft zuſammen faſſen, —
aus dem Raſen kann doch nichts heraus kom-
men, — faſſe dich nur, Caspar, und ſteh mir bei.


Caspar.

Von Herzen gern, mein lieber
gnaͤdiger Herr, wenn Ihr mir nur wieder gut ſeid.


Hans.

Komm, wir wollen uns gleich zu
Pferde ſetzen, wir muͤſſen ſie wieder finden, wir
wollen eher kein Auge zuthun.


Caspar.

Aber Euer Alter, Eure Schwach-
heit —


Hans.

Es kommt ja hier auf meine Toch-
ter an, Caspar!


Caspar.

Nun, wie Ihr wollt. Aber Ihr
haltet mich doch fuͤr keinen Spitzbuben? Ein
Dummkopf bin ich, ein rechter Eſel, ja, darin
habt Ihr Recht, aber doch kein Spitzbube.


Hans.

Vergiß es, Caspar, ich wußte grade
nicht, was ich ſagte; ich mußte mir ja mit Schim-
pfen Luft machen, ſieh, das iſt in der menſchlichen
Natur. Du haſt mir dreißig Jahr redlich gedient,
das kann wohl einen Fehler mit eindienen. —
Komm! aus der Burg mag indeß werden, was
will; wenn ich mein Kind nicht wieder finde,
komm ich ſo nicht zuruͤck. — Ihr Knechte! Heda!
Knechte!


II. [ 7 ]
[98]Zweite Abtheilung.
Caspar.

Das hoͤren ſie nicht, ſie ſind all
im Schlaf.


Hans.

Nimm da, blas die Trompete, blaſe,
daß ſie kommen!


Caspar.

Nehmt Ihr das Horn, ſo werden
ſie ſchon munter werden.


(beide blaſen, die Knechte kommen taumelnd herein.)

Hans.

Nehmt Pferde! Jeder ſetze ſich zu
Pferde: Jagt, rennt, ſucht, alle Landſtraßen, alle
Fußſtege, alle Thaͤler durch, — du rechts! — du
links! — du hinuͤber nach dem Gebirge! — du in
den Wald hinein! — Fort! bringt mir meine Toch-
ter wieder, und wer ſie findet, den will ich ſo be-
lohnen, daß er mir danken ſoll. —

(Knechte ab)


Komm Caspar.


Winfredzeigt ſich oben.

Winfred.

Das iſt ein Laͤrmen! — Herr
Ritter.


Hans.

Wer iſt der?


Caspar.

Unſer Poſſenreißer, das kranke
Gaukelmaͤnnlein.


Hans.

O du Haſenfuß! O du Hansnarr!


Winfred.

Hoͤrt doch nur einen armen be-
trunknen Menſchen an —


Hans.

Schweig, Dummkopf!


Winfred.

Nur zwei elende Worte, die euch
vielleicht nuͤtzlich —


Hans.

Komm, Caspar, reiten wir, was die
Pferde und wir ertragen moͤgen. — Komm, ſieh
dich nicht um nach der Vogelſcheuche dort!

(beide ab.)

[99]Der Blaubart.
Winfred.

Alle fort! Mein Freund Leo-
pold, ſo hoͤr ich, mit der Tochter, der Alte ihr
nach, laͤßt ſich nicht von mir bedeuten, die Knechte
auf allen Landſtraßen, und ich Armſeliger bleibe
ohne Huͤlfe hier wie in einem verzauberten Schloſſe
allein zuruͤck. — O haͤtte ich dergleichen Unfaͤlle
vorher ſehn koͤnnen, wie ſauber waͤr ich zu Hauſe
geblieben. Mein hochſtrebender Sinn hat mir
ſehr, ſehr zu nahe gethan. — Und der Leopold
handelt auch nicht freundlich an mir: wenn nur
ein altes Weib, ein zahnloſes Muͤtterchen hier im
Hauſe waͤre! Aber keine Seele! Ich muß ſehn,
wie ich mir Beiſtand anſchaffe.

(geht hinein.)

Dritte Scene.

(Saal auf Hugos Schloß.)

Agnes, Anne, Mechtilde, Knechte, die
das Abendmahl abraͤumen.

Agnes.

Ich bin von allen den herrlichen Sa-
chen, die ich heut geſehn habe, ganz ſchwindlicht.
Mir iſt jetzt, als haͤtte mir alles nur getraͤumt.


Anne.

Die Sinne ermuͤden am Ende, und
ſelbſt das Mannigfaltigſte wird einfoͤrmig.


Agnes.

Die Mutter Mechtilde iſt ſchon
ganz ſchlaͤfrig.


[100]Zweite Abtheilung.
Mechtilde.

Ja, Kinder, ich gehe gewoͤhn-
lich um die Zeit zu Bette, und da meldet ſich denn
der Schlaf bei mir ganz von ſelbſt


Agnes.

Geht immer zu Bette, ich bleibe
noch ein wenig auf; der Mond ſcheint ſo hell,
ich trete nachher noch etwas auf den Altan hin-
aus, um friſche Luft zu ſchoͤpfen.


Mechtilde.

Nehmt Euch vor den Fleder-
maͤuſen in Acht, ſie pflegen um dieſe Jahrszeit
umher zu ſchwaͤrmen.


Agnes.

Es iſt uns doch nicht einmal einge-
fallen, das ſiebente Zimmer zu beſehen, und der
Ritter war ſo beſorgt: am Ende iſt auch gar nicht
einmal etwas Merkwuͤrdiges darin.


Mechtilde.

Das iſt wohl moͤglich.


Agnes.

Wie? Ihr ſeid auch niemals hin-
ein gekommen?


Mechtilde.

Niemals.


Agnes.

Das iſt doch wunderbar. — Wollt
Ihr jetzt, Mutter, die Schluͤſſel zu Euch nehmen?
Wir brauchen ſie doch nicht mehr.


Mechtilde.

Recht gern.


Agnes.

Die Maͤnner haben, wie ich ſehe,
eben ſo gerne Geheimniſſe, als die Frauenzimmer.


Mechtilde.

Noch lieber, ſie wollen es nur
nicht zugeben.


Agnes.

Gebt mir doch die Schluͤſſel wie-
der zuruͤck.


Mechtilde.

Hier ſind ſie.


Agnes.

Der Ritter moͤchte ungehalten wer-
[101]Der Blaubart.
den, da er ſie doch in meine eigene Haͤnde uͤber-
liefert hat.


Anne.

Nun gute Nacht, ich gehe zu Bett.


Mechtilde.

Ich wuͤnſche Euch eine gluͤck-
ſelige Nacht.

(beide ab.)

Agnes.

Welche herrliche Nacht! — Man
ſpricht ſo viel von der Neugier der Weiber, und
jetzt ſtaͤnde es doch gerade zu nur in meiner Ge-
walt, in das verbotene Zimmer hinein zu gehen.
— Ich habe mir zum Theil den Schluͤſſel wieder
geben laſſen, weil ſonſt mein Mann haͤtte denken
koͤnnen, ich traue mir nicht Staͤrke genug zu. —
Nun, wenn ich denn auch der Verſuchung nach-
gaͤbe, ſo erfuͤhre kein Menſch, daß ich in dem
Zimmer geweſen waͤre, und kein andres Ungluͤck
koͤnnte doch daraus entſtehn; meine Schweſter, die
Sittenpredigerin ſchlaͤft jetzt, — o ich wollte, ich
haͤtte dem alten garſtigen Weibe die Schluͤſſel ge-
laſſen! — Am Ende iſt das Ganze nur darauf
angeſehn, daß mein Mann mich auf die Probe
ſtellen will, und ich will mich gewiß nicht ſo leicht
fangen laſſen. —

(geht auf und ab.)

Die Alte iſt
ſelbſt noch nicht einmal in dem Zimmer geweſen,
der Ritter muß doch alſo etwas Beſondres dabei
haben. — Ich will nicht weiter daran denken. —

(ſie tritt ans Fenſter)

Wenn ich nur wuͤßte, warum
er es mir verboten hat? — Der Schluͤſſel iſt gol-
den, die uͤbrigen ſind es nicht; es iſt gewiß das
koſtbarſte Gemach von allen, und er will mich
naͤchſtens einmal damit uͤberraſchen. — Narrheit,
daß ich es nicht gleich jetzt ſehn ſollte! Mir iſt
[102]Zweite Abtheilung.
uͤberhaupt nichts ſo verhaßt, als wenn ein Menſch
dem andern eine heimliche Freude machen will, je-
ner kann ſich in der Ueberraſchung niemals freuen,
beſonders wenn er die einfaͤltigen Anſtalten vorher
ſchon gewahr wird. — Agnes! Agnes! huͤte Dich!
das was Dich jetzt peinigt, iſt wohl jene beruͤch-
tigte weibliche Neugier. — Und warum ſollte ich
nicht ein Weib ſeyn duͤrfen, ſo gut wie andre? —
Die bloße Neugier iſt noch keine Suͤnde. — Ich
moͤchte den Menſchen ſeyn, der an meiner Stelle
nicht neugierig waͤre. — Meine Schweſter wuͤrde
eben ſo ſeyn wie ich, wenn ſie nicht ihre Liebe
unaufhoͤrlich im Kopfe haͤtte, wenn ſie aber darauf
fiele, daß ihr Reinhold in dem Zimmer ſtecken
koͤnne, ſo wuͤrde ſie mich auf den Knieen um den
Schluͤſſel bitten. Die Menſchen ſind immer nur
nachſichtig gegen ihre eignen Schwachheiten. —
Und es iſt am Ende nicht einmal eine Schwach-
heit von mir, in dem Zimmer kann ein Geheim-
niß verborgen liegen, von welchem mein Gluͤck ab-
haͤngt; ich ahnde faſt ſo etwas: — und ich will
nur ſo eben hinein ſehn, — wovon ſoll er denn
nachher wiſſen, daß ich drinne geweſen bin? —
Es muß doch irgend einen Grund haben, warum
er es mir ſo ſtrenge verboten hat, und den Grund
haͤtte er mir ſagen ſollen, dann waͤre meine Folg-
ſamkeit ein vernuͤnftiger Gehorſam, aber ſo han-
dle ich nur aus einer blinden Unterwuͤrfigkeit, eine
Art zu leben, wogegen ſich mein ganzes Herz em-
poͤrt. — Ei! bin ich nicht eine Naͤrrin, daß ich
ſo viel uͤberlege? Am Ende iſt es eine Narrheit
[103]Der Blaubart.
und gar nicht der Muͤhe werth. —

(ſie nimmt den
Schluͤſſel.)

Nun, warum geh ich denn nicht? —
Wenn er aber zuruͤck kaͤme, indem ich in dem Ge-
mach ſtecke? — Es iſt Nacht, und ehe er die Trep-
pen herauf kaͤme, waͤre ich ſchon laͤngſt in meinem
Zimmer; in einigen Tagen will er ja auch erſt
wieder kommen. — Er haͤtte ſeinen Schluͤſſel be-
halten muͤſſen, wenn ich nicht hinein gehn ſollte.


(geht ab mit einem Lichte.)

Claus, der Rathgeber.

Claus.

Nun, wie gefaͤllt es Euch hier?


Rathgeber.

Ich weiß noch nicht, ich habe
bis jetzt geſchlafen, ſo muͤde bin ich geweſen. —
Wie hell die Sterne ſcheinen!


Claus.

Koͤnnt Ihr in den Sternen leſen?


Rathgeber.

Ich wollte, daß ich es gelernt
haͤtte. Es muß des Nachts doch immer eine ange-
nehme Beſchaͤftigung ſeyn.


Claus.

Man kann auch ſein Schickſal dar-
aus wiſſen.


Rathgeber.

Jezuweilen.


Claus.

Glaubt Ihr an Geſpenſter?


Rathgeber.

O ja.


Claus.

Jetzt iſt grade die ſchauerliche Stunde.


Rathgeber.

Wer umgehn will, fuͤr den iſt
eben jetzt die wahre Zeit. — Darum will ich mich
auch nur wieder zu Bette legen.


Claus.

Ich denke, Ihr habt nun ausge-
ſchlafen?


Rathgeber.

Bloß der Geſpenſter wegen,
[104]Zweite Abtheilung.
— es iſt nicht gut, wenn man ſich jetzt wach fin-
den laͤßt.


Claus.

Nun ſo geht.


(Eine Thuͤr wird mit Gewalt zugeſchlagen.)

Rathgeber.

Hoͤrſt du wohl?

(laͤuft ſchnell ab.)

Agnes.tritt bleich und zitternd herein.

Claus.

Was iſt Euch, gnaͤdige Frau? —


Agnes.

Nichts, nichts, — ſchaff mir doch
ein Glas friſches Waſſer. —

(Claus geht, ſie ſinkt
in einen Seſſel.)

Leb ich noch? — Wo bin ich? —
Gott im Himmel! wie ſchlaͤgt mir das Herz, —
bis zum Halſe hinauf.


Claus kommt mit Waſſer.

Agnes.

Stell es nur dorthin, — ich kann
jetzt noch nicht trinken, — geh, geh, — mir fehlt
nichts, gar nichts. — Geh!

(Claus geht.)

Ich weiß
nicht, wie ich wieder hieher gekommen bin, —

(ſie trinkt.)

jetzt wird mir beſſer. — Es iſt tiefe
Nacht, die uͤbrigen ſchlafen ſchon. —

(ſie betrachtet
den Schluͤſſel.)

Hier iſt ein blutiger dunkelrother Fleck,
— war der ſchon vorher da? — Ach nein, ich
ließ ihn fallen, — alles um mich her riecht noch
nach Blut. —

(Sie reibt mit ihrem Schnupftuche den
Schluͤſſel.)

Er will nicht fort, das iſt doch wunder-
bar. — O Neugier, verdammte, ſchaͤndliche Neu-
gier! ich glaube, es giebt keine groͤßere Suͤnde als
die Neugier! — O und mein Mann, wie kommt
der mir jetzt vor? — Mein Mann konnt' ich ſa-
gen? Mein Mann? Das ſchaͤndlichſte, mir frem-
[105]Der Blaubart.
deſte Ungeheuer, — wildfremd und entſetzlich, wie
ein ſchuppiger Drache, von dem ſich das Auge
ſcheu zuruͤck reißt. — Ach ich muß zu Bette, mein
armer Kopf iſt ganz wuͤſt: — aber die Schluͤſſel
darf ich hier nicht ſo liegen laſſen. — Gott ſei
Dank, daß der Flecken fort iſt! — Ach nein! ich
armes Kind! auf dieſer Seite, hier iſt er. Ich
weiß nicht, was ich anfangen ſoll, ich will ſehn,
ob ich ſchlafen kann. Ach ja, ſchlafen, ſchlafen,
und andre, ganz andre Dinge traͤumen, alles ver-
geſſen, ja, ja das wird ſchoͤn, das wird lieblich ſeyn.


(geht ab.)

[106]Zweite Abtheilung.

Fuͤnfter Akt.


Erſte Scene.

(Saal auf Friedheim.)

Simon kommt mit einer Fackel.

Simon.

Er muß aufſtehn, er mag wollen oder
nicht, denn ich weiß es nun gewiß. Er kann mir
nun nichts mehr einwenden

(er pocht an eine Thuͤr.)


Anton! Anton! ermuntre dich!


Anton.
(inwendig.)

Wer iſt da?


Simon.

Ich, Simon, dein Bruder, ſteh
ſchnell auf, ich habe etwas Nothwendiges mit Dir
zu ſprechen.


Anton.

Stoͤrt Dein Wahnſinn jetzt ſogar
die Ruhe der Mitternacht?


Simon.

Sprich nicht ſo, Bruder, es wird
Dich gereuen. — Ich glaube, er iſt wieder einge-
ſchlafen. — Auf! auf! ermuntre Dich!


Anton.

Wirſt du des Raſens nicht muͤde
werden?


Simon.

Schimpfe, ſo viel du willſt, nur
ſteh auf. — Steh auf! ich laſſe Dir doch nicht
eher Ruhe, Bruder.


Anton.
(kommt im Schlafkleide heraus.)

Sage
mir
nur, was Du willſt.


[107]Der Blaubart.
Simon.

Bruder, ich habe die ganze Nacht
nicht ſchlafen koͤnnen. —


Anton.

So? — Ich ſchlief deſto beſſer.


Simon.

Du ſiehſt, daß jetzt meine Prophe-
zeiungen, oder Ahndungen, Du magſt es nennen,
wie Du willſt, etwas mehr eintreffen als ſonſt.


Anton.

Deine Narrheit anzuhoͤren hab ich
alſo aufſtehn muͤſſen?


Simon.

Ich habs vorher geſagt, daß un-
ſer Bruder die Tochter des Ritters Hans von
Marloff entfuͤhrt habe, und geſtern Abend war
der alte Mann auch deswegen hier.


Anton.

Das konnte jedermann errathen.


Simon.

Und in dieſer Nacht hab ich unſre
Schweſter unaufhoͤrlich weinen ſehn, und ich habe
mich beſtaͤndig mit dem Blaubart herum geſtochen.


Anton.

Und was folgt daraus?


Simon.

Sie iſt in Lebensgefahr, ich ver-
ſichre es Dir, Bruder, der Blaubart iſt ein Boͤ-
ſewicht, das Naͤhere kann ich nicht wiſſen, aber
genug, daß er es iſt. Wenn aber nur die Moͤg-
lichkeit nicht zu laͤugnen ſteht, ſo mußt du mich
anhoͤren; dieſe aber kannſt du unmoͤglich laͤugnen,
oder Du biſt der Unſinnige.


Anton.

Gute Nacht, Bruder, deine Art
zu raͤſonniren iſt mir zu buͤndig.


Simon.

Bruder, iſt es nicht genug, daß
Du Deine Schweſter an einen ſolchen Verworfnen
verſchleudert haſt? Willſt Du ſie nun auch noch
ſchaͤndlicherweiſe in der hoͤchſten Noth ihres Lebens
verlaſſen? Biſt du bloß deswegen ihr Bruder,
[108]Zweite Abtheilung.
um ihr Verraͤther zu ſeyn? — Anton, erweiche
einmal Dein bruͤderliches Herz; ſie ſieht jetzt viel-
leicht mit Sehnſucht aus dem Fenſter des Schloſ-
ſes nach der Gegend hieher, ſie wuͤnſcht vielleicht,
daß ihre tiefen Seufzer uns beide allgewaltig hin-
ziehn koͤnnten, ſie klagt uͤber uns, — nachher fin-
den wir ſie wohl todt, blaß auf der Bahre aus-
geſtreckt.


Anton.

Aber wie kommſt Du nur darauf?


Simon.

Meine ganze Phantaſie iſt von die-
ſen betruͤbten Vorſtellungen angefuͤllt; ich kann
nichts Frohes denken und traͤumen, ich ſinne nur
Tod. Ich habe keine Ruhe, bis ich dieſen Hugo
mit dem Schwerdt unter mich gebracht habe. —
Komm, mich duͤnkt, ich hoͤre unſre Schweſter, ſo
weit es auch iſt. Wie bald ſind unſre Pferde ge-
ſattelt, wie bald koͤnnen wir dort ſeyn!


Anton.

Das Tollſte bei der Tollheit iſt, daß
ſie vernuͤnftige Menſchen anſteckt.


Simon.

Du wirſt ſeyn, daß ich mich nicht
irre.


Anton.

Ich begreife ſelbſt nicht, warum ich
dir nachgebe.


Simon.

Zieh dich an, ich ſattle indeß die
Pferde, dieſe Fackel leuchtet uns, bis die Sonne
aufgeht.

(von verſchiedenen Seiten ab.)

[109]Der Blaubart.
Zweite Scene.

(Hugos Schloß.)

Agnes.
tritt mit einer Lampe auf; ſie ſtellt ſie
auf einen Tiſch und ſetzt ſich daneben, dann
nimmt ſie den Schluͤſſel aus der Taſche.

Immer will der Fleck noch nicht fort, ich
habe ſchon den ganzen Tag gerieben, auf alle
Art gewaſchen, aber er bleibt. — Wenn ich ſo
ſtarr darauf hinblicke, ſo iſt es, als wollte er ſich
verlieren, aber wenn ich die Augen nach andern
Gegenſtaͤnden richte, und dann zu ihm zuruͤck kehre,
ſo iſt er immer wieder da, und wie mich duͤnkt,
dunkler als zuvor. Ich koͤnnte ſagen, ich haͤtte
ihn verloren, aber das wuͤrde ſeinen Argwohn nur
im hoͤchſten Grade reizen: — vielleicht fordert er
mir den Schluͤſſel nicht gleich ab, — vielleicht be-
merkt ers auch nicht; — wenn ich ihn abgebe,
will ich ihm ſo die reine Seite hinreichen; wird er
wohl darauf fallen, ihn ſo genau zu betrachten? —
Es kann ja auch ſeyn, daß der Flecken ausgeht,
noch ehe er zuruͤck koͤmmt. — Ach! wenn mir der
guͤtige Himmel doch ſo gnaͤdig ſeyn wollte!


Anne tritt herein.

Anne.

Was iſt dir, liebe Schweſter?


Agnes.

Und wenn es nun nicht geſchieht? —
Es fehlt nicht viel, ſo bilde ich mir ein, der
[110]Zweite Abtheilung.
Schluͤſſel weiß um alles, und will zu meinem Un-
gluͤcke nicht wieder rein werden.


Anne.

Schweſter!


Agnes.

Gott im Himmel! — wer iſt da?


Anne.

Wie du erſchrickſt! Ich bin es.


Agnes.
(die ſchnell den Schluͤſſel verbirgt.)

Dachte
ich nicht —


Anne.

Wie haſt du dich ſeit wenigen Tagen
veraͤndert, Agnes. Sprich doch zu mir, deiner
Schweſter, die dich ſo herzlich liebt: Du biſt in
einer Fieberhitze, — wie du gluͤhſt! — Sage doch,
fehlt dir etwas?


Agnes.

Nein, Schweſter; komm, wir wol-
len wieder zu Bette gehn.


Anne.

Es iſt etwas mit dir vorgegangen,
das wirſt du mir nicht ausreden. Warum willſt
du mir aber nicht trauen? Hab ich dich ſchon je
hintergangen? Haſt du mich ſchon ſonſt einmal
heimtuͤckiſch und ohne ſchweſterliche Liebe gefunden?


Agnes.
(weinend)

Niemals, niemals, du biſt
immer ſo gut, — o viel, viel beſſer als ich.


Anne.

Nein, das nicht; ach! Du haſt oft
von meinen Launen leiden muͤſſen: vergieb mir
das. Kannſt du?


Agnes.

Wie du ſprichſt!


Anne.

Ich habe dich nun ſeit zweien Ta-
gen beobachtet, — du ſprichſt nicht, du ſchleichſt
am Tage umher und verbirgſt dich in einem Win-
kel, des Nachts ſchlaͤfſt du nicht, ſondern ſeufzeſt
ſo ſchwer, — theile mir deinen Kummer mit, wenn
[111]Der Blaubart.
ich dich auch nicht troͤſten kann, ſo kann ich doch
wohl mit dir deine Leiden tragen.


Agnes.

Nun, ſo hoͤre: — aber du wirſt
auf mich ſchelten —


Anne.

Nur, wenn du kein Zutrauen zu
mir haſt.


Agnes.

Du haͤtteſt es auch vielleicht ge-
than. — Du weißt, daß ich von Jugend auf
gern etwas Neues ſah und hoͤrte, — dieſe unſee-
lige Sucht macht mich jetzt ungluͤcklich, koſtet mich
gewiß mein Leben.


Anne.

Du erſchreckſt mich.


Agnes.

Ich habe es nicht unterlaſſen koͤn-
nen, neulich in der Nacht in das Zimmer zu gehn,
das mir der Ritter zu ſehn verboten hatte.


Anne.

Und?


Agnes.

O waͤr ich doch zuruͤck geblieben!
Warum iſt der menſchliche Geiſt ſo eingerichtet, daß
ein ſolches Verbot nur ſeinen Vorwitz ſchaͤrft? —
Ich weiß nicht, wie ich dir alle Umſtaͤnde erzaͤh-
len ſoll, denn ſo oft ich nur daran denke, uͤberlaͤuf
mich immer noch ein kalter Schauer. — Ich ſchloß
behutſam auf, und hatte ein Licht in der Hand,
ich nahm mir vor, nur ein wenig hinein zu ſehn,
und dann ſogleich wieder umzukehren, — als ich
alſo die Thuͤr aufmachte, ſah ich nichts als ein
leeres Gemach, im Hintergrunde einen gruͤnen
Vorhang, wie vor einem Alkoven, oder einem
Schlafzimmer. — Ich konnte unmoͤglich wieder
umkehren, der Vorhang ſah ſo geheimnißvoll aus,
[112]Zweite Abtheilung.
es war mir, als wenn er ſich bewegte — es war
von dem Zugwinde, durch die offen gelaſſene Thuͤr.
Im Gemach war ein druͤckender ſeltſamer Dunſt. —
Um recht vorſichtig zu ſeyn, zog ich den Schluͤſſel
ab, mit Schauern trat ich herein, und ich hatte
eine heimliche Furcht, daß die Thuͤr hinter mir
zufallen koͤnnte. — Nun naͤherte ich mich dem
Vorhange. Das Herz klopfte mir, ich kann dich
verſichern, nicht mehr aus Neugier. Ich ſchlug
ihn mit der Hand zuruͤck und ſah immer noch
nichts, denn das Licht warf nur einen ſchwachen
ungewiſſen Schein hinein. — Nun trat ich hinter
den Vorhang, — und nun, Schweſter! denke,
fuͤhle mein Entſetzen, — an den Waͤnden ſtanden
ſechs Knochengerippe umher, — Blut faͤrbte die
Waͤnde, Blut bedeckte den Boden, — ich hoͤrte
einen lauten Aufſchrei im Fenſter klingen — ich war
es gewiß, die ſo ſchrie; der Schluͤſſel fiel mir aus
der Hand, ich war betaͤubt, es klang, als wenn
das Schloß zuſammen braͤche, — uͤber den Gerip-
pen ſtanden Zettel, mit dem Namen der Geſchlach-
teten, ſeine ſechs vorigen Weiber, und an welchem
Tage ſie fuͤr ihre Neugier beſtraft worden ſind, —
oder ob ich mir das nur nachher eingebildet habe,
denn ich weiß nicht, wie ich zuruͤck gekommen
bin. — O mit welchen Bildern iſt ſeitdem meine
Phantaſie angefuͤllt! — Ich hatte den Schluͤſſel
aufgenommen, er war in Blut gefallen, — nun
war ich in der groͤßten Angſt, die Thuͤr moͤchte
ſich zugeſchloſſen haben. Ich ſtuͤrzte gegen den
Vor-
[113]Der Blaubart.
Vorhang mit einer Gewalt, als wenn ich einen
Rieſen umwerfen wollte, und nun ſtand ich wieder
in dem leeren Gemach. — O denke dir, Schweſter,
wenn ich die Nacht uͤber in der Behauſung des
Jammers haͤtte bleiben muͤſſen! — Nun haͤtte
der Mond in die Blutkammer hinein geſchienen, —
die Gerippe haͤtten ſich wohl bewegt, oder meine
erhitzte Einbildung haͤtte es mir ſo vorgeſtellt, —
ich waͤre mit dem Kopf gegen die Mauer gerannt,
ich haͤtte meine wuͤthenden Arme in die Knochen-
gebaͤude verwickelt, — ich haͤtte mich mit dem
Tode und Entſetzen wild herum getummelt, —
denke dir, denke dir nur, Schweſter, — o uͤber
ſolche Vorſtellungen kann man wahnſinnig werden.


Anne.

Faſſe dich, Agnes, ich halte dich ja
hier in meinen Armen.


Agnes.

Was macht das? — die Entſetzlich-
keit iſt doch nicht weit von uns. Du darfſt nur
zu jener Thuͤr hinaus treten, ſo liegt die andre
vor dir, — o Schweſter! welch ein Schloß iſt
dies! ein Schlachthaus!


Anne.

Kind, wir muͤſſen fort, unſre Bruͤ-
der muͤſſen uns ſchuͤtzen. — Wenn nur die Alte
nicht waͤre.


Agnes.

Sie hilft uns vielleicht.


Anne.

Armes Kind! ſie iſt gewiß mit dem
Boͤſewicht einverſtanden.


Agnes.

Gott, und ſie iſt ſo alt!


Anne.

Ungluͤckliche Schweſter! —


Agnes.

Aber er koͤmmt vielleicht nicht wie-
der! du machteſt mich neulich noch mit dieſem Ge-
II. [ 8 ]
[114]Zweite Abtheilung.
danken traurig, — o jetzt iſt er faſt mein einzi-
ger Troſt. —


Anne.

Und wenn er nun zuruͤck koͤmmt —


Agnes.

Ach, Schweſter, ich glaube, ich bin
verloren! — Und die Alte ſollte um alles wiſſen!
Wie muͤßte ihr dabei zu Muthe ſeyn, — ach!
aber ſie hat ein entſetzliches Weſen. — Wenn ſie
nun an alles denkt, wenn ihr die Blutkammer
immer gegenwaͤrtig iſt, wie kann ſie eſſen, trinken
und ſchlafen; und er, — er, — ſage mir, wie
kann ein ſolches Ungeheuer aus dem Menſchen
werden! — Es iſt alles wie ein fremdes Maͤhr-
chen, wenn ich es aus der Ferne anſehe, — und
dann, — daß ich im Mittelpunkte dieſes entſetzli-
chen Gemaͤhldes ſtehe! —


Anne.

Faſſe dich nur, damit wenigſtens
deine Rettung noch moͤglich iſt, damit nur dein
Verſtand nicht leidet.


Agnes.

Er hat vielleicht ſchon gelitten. —
Ach, Anne, es waͤre ſchrecklich, wenn ich mir nur
einbildete, daß du mich ſo ſchweſterlich troͤſteteſt,
wenn die Alte es waͤre, die mir jetzt gegenuͤber
ſaͤße. —

(ſie greift ſie an)

Aber du biſt es, nicht wahr?


Anne.

Agnes! Agnes! thue dir ſelbſt Ge-
walt an, laß den Wahnſinn fahren.


Agnes.

Nein, du biſt es ſelbſt. — Sieh
dieſen verraͤtheriſchen Schluͤſſel, Tag und Nacht
habe ich daran gearbeitet dieſen ſchrecklichen Flek-
ken zu vertilgen, aber alles iſt umſonſt.


Anne.

Erhitze dich nicht noch mehr, ſei
gelaſſen.


[115]Der Blaubart.
Mechtilde koͤmmt mit einer Laterne.

Anne.

Seid Ihr auch ſchon ſo fruͤh auf?


Mechtilde.

Ja, ich bin ſchon das ganze
Haus durchkrochen, denn ich habe eine Ahndung,
daß unſer Herr heut wieder kommt.


Agnes.

Der Herr?


Mechtilde.

Erſchreckt Ihr doch ordentlich
vor Freuden. — Aber wie kommt Ihr beide ſchon
ſo fruͤh aus den Federn?


Anne.

Meine Schweſter iſt nicht wohl —


Mechtilde.

Nicht wohl? Ihr ſeid auch
ganz blaß; ei, das wird dem Ritter nicht lieb
ſeyn. — Ich will mich zu Euch ſetzen, denn mit
dem Schlafen iſt es jetzt doch vorbei: wenn es
einmal ſo fruͤh geworden iſt, ſchlaͤft man nicht
leicht wieder ein.


Agnes.

Setzt Euch. —


Mechtilde.

Wir wollen uns Maͤhrchen zur
Kurzweil erzaͤhlen, das haͤlt die Augen huͤbſch
offen, beſonders wenn ſie etwas fuͤrchterlich ſind.


Anne.

Ich weiß keine, erzaͤhlt Ihr uns
etwas.


Mechtilde.

Seht, da geht der liebe Mond
unter, nun wird der Himmel recht ſchwarz und
finſter. — Eure Lampe geht ja auch aus, ich will
meine Laterne auf den Tiſch ſtellen. — Freilich
weiß ich auch nicht viel, und Erzaͤhlen iſt ſonſt
nicht meine Sache; doch ich wills verſuchen. —
Es wohnte einmal ein Foͤrſter in einem dicken,
dicken Wald; der Wald war ſo dick, daß der
[116]Zweite Abtheilung.
Sonnenſchein nur in gebrochenen Schimmern her-
unter fallen konnte; wenn das Jagdhorn gebla-
ſen ward, ſo klang es fuͤrchterlich in der gruͤnen
Einſamkeit. In der dichteſten Gegend des Forſtes
lag nun grade das Haus des Jaͤgers. — Die
Kinder wuchſen in der Wildniß auf, und ſahen gar
keine Leute als ihren Vater, denn die Mutter war
ſchon ſeit lange geſtorben.


Um eine gewiſſe Jahrszeit traf ſichs immer,
daß der Vater ſich den ganzen Tag im Hauſe
eingeſchloſſen hielt, und dann hoͤrten die Kinder
ein ſeltſames Rumoren um das Haus herum, ein
Winſeln und Jauchzen, ein Laufen und Schreien,
in Summa, ein Gelaͤrm, wie vom leibhaftigen
Satanas. Man brachte dann die Zeit in der
Huͤtte mit Singen und Beten zu, und der Vater
warnte die Kinder, ja nicht hinaus zu gehn.


Es traf ſich aber, daß er einſt in der Woche,
in welche dieſer Tag fiel, verreiſen mußte. Er
gab die ſtrengſten Befehle, aber das Maͤdchen,
theils aus Neugier, theils weil ſie den Tag aus Un-
achtſamkeit vergeſſen hatte, geht aus der Huͤtte. —
Nicht weit vom Hauſe lag ein grauer ſtillſtehender
See, um den uralte verwitterte Weiden ſtanden.
Das Maͤdchen ſetzt ſich an den See, und, indem
ſie hinein ſieht, iſt es ihr, als wenn ihr fremde
baͤrtige Geſichter entgegen ſchauen; da fangen die
Baͤume an zu rauſchen, da iſt es, als wenn es in
der Ferne geht, da kocht das Waſſer und wird
ſchwarz und immer ſchwaͤrzer; — mit einem male,
ſieh, ſpringt es in der truͤben Woge wie Fiſch-
[117]Der Blaubart.
lein oder Froͤſche, und drei blutige, ganz blutige
Haͤnde tauchen ſich hervor, und weiſen mit dem
rothen Zeigefinger nach dem Maͤdchen hin —


Agnes.

Blutig? — Schweſter! um Gottes
willen ſieh die alte Hexe! wie ſie ihr Geſicht ver-
zogen hat! ſieh, Schweſter!


Mechtilde.

Kind, was iſt dir?


Agnes.

Blutig, ſagſt du? — Ja, blutig,
du wildes Scheuſal! — Blutig iſt Euer Leben,
ihr Schlaͤchter, ihr graͤßlichen Moͤrder! Fort! Ich
mag dein grinſendes Antlitz mir nicht gegenuͤber!
fort! — So lange ich noch hier zu befehlen habe,
ſollſt du mir gehorchen!


Mechtilde.

Das ſind ja ganz beſondre
Einfaͤlle.

(geht.)

Anne.

Schweſter, maͤßige dich doch.


Agnes.

Du haſt es nicht geſehn, wie ſie
ſich unter der Erzaͤhlung verwandelte.


Anne.

Du biſt erhitzt, das ſind Einbildungen.


Agnes.

Nun, warum ſpricht ſie auch von
Blut? — Ich kann das Wort nicht hoͤren, ohne
toll zu werden.


Anne.

Du mußt dich nothwendig noch zu
Bette legen, Schlaf muß dich abkuͤhlen. Komm!


Agnes.

Schlaf? O nein, nicht ſchlafen,
ich kann nicht ſchlafen, aber ruhen will ich neben
dir, und deine liebe Hand faſſen, indem du mir
Troſt einſprichſt.

(gehn.)

[118]Zweite Abtheilung.
Dritte Scene.

(Dichter Wald.)

Leopold, Brigitte.

Brigitte.

Wie ewig lange waͤhrt dieſe
Nacht! Wird der Tag nicht bald grauen?


Leopold.

Beruhige dich, geliebtes Kind,
wir finden wohl aus dem Walde, auch kann der
Tag nicht lange mehr ausbleiben: die Finſterniß
brach mit dem untergehenden Monde zu ploͤtzlich
herein: wir muͤſſen der Waldhuͤtte ganz nahe ſeyn,
von der man uns ſagte, daß wir ſie nicht verfeh-
len koͤnnten. Nun haben wir ſie doch verfehlt.


Brigitte.

Wohin denkſt du jetzt?


Leopold.

Ich bin verdruͤßlich, geſteh ich Dir,
recht durch und durch boͤſe auf die Menſchen, die
ſich meine Freunde nannten, und da ich nun in
dieſer Verlegenheit anfrage und aushorche, ſo ver-
ſagt mir dieſer ſeinen Schutz unter der armſelig-
ſten Ausflucht, jener ſeine Huͤlfe mit einer mora-
liſchen Ausbeugung, ſo daß ich die gewiſſenhaften
Eſel alle nach der Reihe zum Kampf fodern moͤchte.


Brigitte.

Das haͤtten wir vorher beden-
ken ſollen.


Leopold.

Laß uns zu meiner Schweſter und
meinem Schwager, dem Blaubart hin, der Menſch
iſt eine gute, ehrliche Haut, und ſteht uns gewiß
bei. Sind wir erſt vermaͤhlt und haben ſolchen
[119]Der Blaubart.
maͤchtigen Fuͤrſprecher, ſo verſoͤhnt ſich auch Dein
Vater leicht. Sei nur getroſt, mein Herz, alles
wird noch gut.


Brigitte.

Ach, Leopold, ich verberge Dir
alle meine Thraͤnen und Seufzer.


Leopold.

Verlier den Muth nicht, morgen
hat nun das Herumziehn im Lande ein Ende, ich
ſage Dir, es muß alles gut werden, es mag wol-
len oder nicht, und dann ſind wir gluͤcklich. Hier
ſcheint eine lichtere Stelle. Wir wollen hindurch,
vielleicht finden wir noch die vermaledeite Huͤtte,
daß uns Feuer und Speiſe etwas erquickt. Gieb
mir die Hand und folge mir.

(gehn ab.)

Hans, Caspar.

Hans.

Hoͤrteſt Du hier nicht Stimmen,
Caspar?


Caspar.

Es klang mir auch ſo vor den
Ohren; wer weiß, was es geweſen iſt.


Hans.

Wie ſo, Caspar?


Caspar.

Nun, man ſpricht nicht gern da-
von und nennts noch weniger bei ſeinen Namen.
Den wilden Jaͤger muͤßt Ihr ja ſo gut gehoͤrt
haben, wie ich. Saht Ihr nicht vor einiger Zeit
das Feuer in der Ferne laufen? das iſt der Drache
geweſen.


Hans.

Du biſt aberglaͤubiſch, Caspar? das
iſt ja gegen alle vernuͤnftige Grundſaͤtze.


Caspar.

Herr, am Tage hab ich Grund-
ſaͤtze trotz einem, aber in der Nacht, verirrt, im
finſtern Wald, wo die Baͤume ſo ſauſen, wie hier,
[120]Zweite Abtheilung.
wo es aus der Dunkelheit aͤchzt und ſtoͤhnt, und
ſich alles in mir und außer mir ſo ſeltſam gebehr-
det, da, beſter Herr, laſſen mich meine Grundſaͤtze
im Stich.


Hans.

Haſt Recht, Caspar, Schauder uͤber
Schauder laufen einem den Ruͤcken hinab, und
griſſeln in den Haaren, und die Vernunft duckt
tief, tief unter, und thut, als wenn ſie gar nicht
zu Hauſe waͤre.


Reinhold tritt auf.

Reinhold.

Ich irre mich nicht, es ſprach
hier jemand. Er iſt gewiß zuruͤck gekommen, und
kann in der Finſterniß das Haus nicht wieder fin-
den. Ulrich!


Caspar.

Hier!


Hans.

Was machſt du, Caspar? Keiner
von uns heißt Ulrich.


Caspar.

Wenn ſolche richtige, offenbare Men-
ſchenſtimme ruft, ſo heiß ich in der Finſterniß wie
man will.


Reinhold.

Wo biſt du? Warum kommſt
du nicht naͤher?


Caspar.

Sieht man doch keinen Stich vor
den Augen.


Reinhold.

Das iſt nicht ſeine Stimme.
Wer ſpricht da?


Hans.

Freund, wer Ihr auch ſeyn moͤgt,
helft uns zur Landſtraße, wenn Ihr ſie wißt.


Reinhold.

Die Sprache iſt mir bekannt.
Erlaubt die Frage, Herr wer ſeid Ihr?


[121]Der Blaubart.
Hans.

Ich bin der Ritter Hans von Marloff.


Reinhold.

Himmel! mein Vater! ſo un-
verhoft! O laßt Euch in meine Arme druͤcken.
Wie bin ich ſo gluͤcklich, Euch ſo unvermuthet
zu finden?


Hans.

Biſt du mein Sohn? biſt du Rein-
hold? laß Dich anfuͤhlen, laß Dich druͤcken und
umarmen, herzen und kuͤſſen! Ei du lieber Gott!
Caspar, liegen wir nicht etwa im Traume? Iſt
es denn wahr? So gehts in der Welt: ein Kind
verloren, eins gefunden.


Reinhold.

Iſt meine Schweſter todt?


Hans.

Ach nein, zu lebendig, auf und da-
von, mit einem Spielmann — ich vertroͤſte mich
noch, es wird der Leopold von Friedheim ſeyn —
und ſo reite ich alter Narr ihr nach, und wollte
nun zum Ritter Hugo vom Wolfsbrunn, und an-
fragen, denn der hat kuͤrzlich die Agnes, meine
Pathe, des Leopolds Schweſter geheirathet.


Reinhold.

Und was macht Anne?


Hans.

Auf dem Wege will ich dir alles er-
zaͤhlen, ſie iſt der Schweſter gefolgt, harrt und
hofft immer noch auf Dich, wie ich mir habe ſa-
gen laſſen. Aber wo finden wir nur den Weg?


Reinhold.

Es iſt nur drei Schritt von hier.


Caspar.

Und ſeit drei Stunden ſuchen wir
ihn mit Haͤnden und Fuͤßen. Zweifelt Ihr nun
noch, Herr, daß wir verhext geweſen ſind? —
Nun, lieber junger Herr, gebt mir doch auch die
Hand. Ha, der Tag koͤmmt auch ſchon herauf.
Seht, Herr, er iſt noch ſchoͤner und groͤßer geworden.


[122]Zweite Abtheilung.
Reinhold.

Sei mir gegruͤßt, Caspar. Va-
ter kommt mit mir, nur hundert Schritt von
hier findet Ihr eine Huͤtte und Erquickung; mit
dem Tage begleite ich Euch. Mein Knappe muß
auch ſogleich eintreffen, den ich ausgeſandt habe.
Hier geht der Weg.

(gehn ab.)

Vierte Scene.

(Platz vor der Burg mit Baͤumen. Rechts iſt ein Theil der
Burg mit dem großen Thore ſichtbar; das Schloß hat ein plattes
Dach, wie einen großen Altan, auf der Seite des Daches einen
Thurm, zu welchem eine Stiege hinauf fuͤhrt.)

Anne, Agnes oben auf dem Dache.

Anne.

Wie ſchoͤn die Sonne aufgegangen iſt!


Agnes.

Das kann mich nicht troͤſten.


Anne.

Sieh, wie der friſche rothe Strahl
zwiſchen den fernen Bergen liegt, wie die Gegend
nach und nach in den Morgenglanz hinein tritt.


Agnes.

Ach, Anne!


Anne.

Was iſt, Schweſter?


Agnes.

Vielleicht kehrt er nicht zuruͤck. —
Du haſt mich ſeit der Nacht ſo verwoͤhnt, daß ich
zuſammen fahre, wenn du nur nicht im allerzaͤrt-
lichſten Tone mit mir ſprichſt. In der Krankheit
ſo wie im Ungluͤck werden wir gar zu leicht ver-
zogene Kinder.


[123]Der Blaubart.
Anne.

Ich meine es gewiß gut mit Dir.


Agnes.

Das weiß ich, und das haͤlt mich
auch noch aufrecht. — Hoͤrſt du nicht Muſik?


Anne.

Nein.


Agnes.

Es kommt von der Waldecke dort.


Anne.

Du biſt uͤberwacht, und davon klingt
es Dir wohl im Ohr.


Agnes.

Nein, ich hoͤre die Trompeten gar
zu deutlich.


Anne.

Jetzt hoͤre ich es auch.


Agnes.

O mein Herz klopft gar zu unge-
ſtuͤm, — ſie ſinds gewiß. — Indeſſen will ich
mich faſſen; es wird vielleicht nicht ſo boͤſe wer-
den, als ich fuͤrchte, in der Angſt uͤbertreiben wir
nur gar zu leicht vor uns ſelber, — nicht wahr
Schweſter?


Anne.

Gewiß.


Agnes.

Es koͤmmt immer naͤher — es iſt mein
Mann, — ich kann ſchon die Fahnen erkennen.


Anne.

Sie ſinds.


Feldmuſik naͤher. Ein Zug von Knechten.
Hugo zu Pferde.

Hugo.

Sieh da, meine Gemahlin! — Gu-
ten Morgen Agnes!


Agnes.

Guten Morgen.


Hugo.

Bleib oben, ich komme hinauf. —
Laßt die Thore offen, die uͤbrigen kommen ſogleich
mit der Beute.

(ziehn in das Thor.)

Agnes.

Er koͤmmt herauf! Er war es wirk-
lich!


[124]Zweite Abtheilung.
Anne.

Nimm dich zuſammen, liebe Schwe-
ſter, es kann noch alles gut werden.


Agnes.

Das Leben iſt mir zuwider, und
doch kann ich vor nichts anderm, als dem Tode
zittern. Ich begreife mich ſelber nicht.


Hugo kommt herauf.

Hugo.

Und ſchon ſo fruͤh biſt Du wach?


Agnes.

Ich hatte eine Ahnung, daß du
kommen wuͤrdeſt.


Hugo.

Ich komme eher zuruͤck, als ich ver-
muthen konnte, der Feind iſt geſchlagen, und viele
Reichthuͤmer ſind in meine Gewalt gekommen.


Agnes.

Das Gluͤck begleitet Dich allent-
halben.


Hugo.

Meinſt du? — Und wie haſt du ge-
lebt unterdeſſen?


Agnes.

Ganz wohl.


Hugo.

Mich duͤnkt Du ſiehſt blaß aus.


Agnes.

Weil wir heute ſo fruͤh aufgeſtan-
den ſind.


Mechthilde kommt herauf.

Hugo.

Koͤmmſt du auch heraufgekrochen, al-
ter Hausdrache?


Mechthilde.

Ich muß Euch doch wohl Gluͤck
wuͤnſchen, Herr Ritter.


Hugo.

Ich danke Dir.


Mechthilde.

Das Fruͤhſtuͤck iſt auch fertig.


Hugo.

Schon gut. — Es iſt eine ſchoͤne
Ausſicht von hier oben; wenn man aber ſo hoch
[125]Der Blaubart.
ſteht, muß man ſich in Acht nehmen, daß man
nicht die Luſt bekoͤmmt hinunter zu ſpringen; die
Hoͤhe des Abſturzes lockt das Gemuͤth.


Anne.

Eine Frau denkt an ſo etwas nicht,
aber mein Bruder Simon konnte ſtundenlang da-
ruͤber ſprechen.


Agnes.

Hier ſind auch die Schluͤſſel, —
doch, ich will ſie Dir lieber nachher geben.


Hugo.

Schon gut. — Und Du haſt alles
beſehn?


Agnes.

Mit vielen Freuden; ich habe mich
recht an den Koſtbarkeiten ergoͤtzt.


Hugo.

Gieb ſie mir doch lieber jetzt.


Agnes.

Hier. — Den goldnen behalte ich
noch zuruͤck.


Hugo.

Wozu denn?


Agnes.

Zum Angedenken.


Hugo.

Naͤrrchen.


Agnes.

Nein, ich gebe ihn Dir im Ernſt
noch nicht zuruͤck, ich will Deine Ungeduld einmal
auf die Probe ſtellen.


Hugo.

Ich werde leicht ungeduldig.


Agnes.

Und doch iſt unſre Ehe noch zu jung,
als daß wir uns jetzt ſchon zanken ſollten.


Hugo.

Nach dem Zank folgt eine deſto an-
genehmere Verſoͤhnung.


Agnes.

Du trauſt mir gewiß nicht recht,
und, ſiehſt du, lieber Mann, darum will ich, Dir
zum Poſſen, den Schluͤſſel noch zuruͤck behalten.


Hugo.

Meinetwegen. — Aber du giebſt ihn
mir doch, wenn ich recht ernſtlich darum bitte.


[126]Zweite Abtheilung.
Agnes.

Wenn ich es Dir nun abſchlage?


Hugo.

Je nun, ſo magſt Du ihn ganz
behalten.


Agnes.

Ich habe Dich noch nicht bei ſo gu-
ter Laune geſehn.


Hugo.

Mir iſt heut wohl, es geht mir alles
nach Wunſch. — Nun, kindiſche Frau, gieb mir
den Schluͤſſel.


Agnes.

Hier. —


Hugo.

Gut, wir wollen hinunter gehn und
fruͤhſtuͤcken.


Mechthilde.

Kommt, gnaͤdiger Herr.


Hugo.

Was fehlt Dir denn?


(mit dem Schluͤſſel ſpielend.)

Agnes.

Nichts; — wollen wir gehn?


Hugo.

Was iſt denn das hier fuͤr ein Fleck?


Agnes.

Ein Fleck? — Iſt der vielleicht jetzt
darauf gekommen?


Hugo.

Jetzt? — Heuchleriſche Schlange! O
Agnes, ich dachte nicht, Dich ſo ſchnell wieder
zu verlieren. So geſchwind hat mich noch keins
meiner Weiber verlaſſen, denn mein Befehl galt
ihnen immer doch in den erſten Wochen etwas,
und Du —


Agnes.

Erzuͤrnt Euch nicht!


Hugo.

Verfluchte Neugier! —

(er wirft zor-
nig den Schluͤſſel hin.)

Durch Dich kam die erſte
Suͤnde in die unſchuldige Welt, und immer noch
lenkſt du den Menſchen zu ungeheuren Verbrechen,
die oft zu ſchwarz und greulich ſind, um nur ge-
nannt zu werden. Die Suͤnde der erſten Mutter
[127]Der Blaubart.
des Menſchengeſchlechts hat alle ihre nichtswuͤrdi-
gen Toͤchter vergiftet, und wehe dem betrogenen
Manne, der Eurer falſchen Zaͤrtlichkeit, Euren un-
ſchuldigen Augen, Eurem Laͤcheln und Haͤndedruck
vertraut! Betrug iſt Euer Handwerk, und um
bequemer betruͤgen zu koͤnnen, ſeid Ihr ſchoͤn.
Man ſollte Euer ganzes Geſchlecht von der Erde
vertilgen. Dieſe ſchaͤndliche Neugier, dieſe Bos-
heit des Herzens, dieſe veraͤchtliche Schwachheit
Eures Gemuͤthes iſt es, was Euch alle Bande
zerreißen, die Treue, die Ihr gelobt, brechen laͤßt,
die Euch dann, mit Feigheit geſellt, zu den ver-
ruchteſten Mordthaten reißt. Ja zur Hoͤlle, in
die Umarmung der Teufel werdet Ihr gelockt, um
dieſe Luſt zu buͤßen. — Gut, Du haſt Dir ſelbſt
Dein Schickſal gewaͤhlt.


Agnes.

Ihr ſeid mir fuͤrchterlich, erbarmt
Euch meiner.


Hugo.

Alte, nimm den Schluͤſſel auf.


Mechthilde.

Ich ſoll wohl das Kabinet auf-
ſchließen? — Gut. — Seht Ihr, nun kommt
Ihr ja immer noch fruͤh genug in die Kammer.


(geht ab.)

Agnes.
(kniet nieder.)

Habt Mitleid!
vergebt
mir meinen Fuͤrwitz, es ſoll Euch nicht gereuen;
ich will Euch mit aller meiner Liebe dafuͤr lohnen.


Hugo.

Wenn ich Euch nicht kennte! Ihr
verabſcheut mich jetzt, Ihr wuͤrdet entfliehn ſobald
ſich nur eine Gelegenheit zeigte.


Agnes.

So jung, und ich ſoll ſchon eines
ſo ſchrecklichen Todes ſterben? — O verſtoßt mich
[128]Zweite Abtheilung.
als Eure Gattin, und laßt mich als eine Magd
hier dienen; laßt mich der Alten unterthaͤnig ſeyn,
nur ſchenkt mir das Leben.


Hugo.

Alle deine Bitten ſind vergebens, es
iſt gegen mein Geluͤbde.


Anne.
(kniet nieder)

Seid meiner Schweſter
gnaͤdig, laßt Euer Herz ſich erweichen, wie es dem
Menſchen geziemt, ertheilt Gnade um Gnade
erwarten zu duͤrfen; o ſeht die Angſt des armen
Maͤdchens, laßt meine Thraͤnen Euch zu Herzen
gehn; ich will nicht ſagen, ihr Fehler iſt gering,
aber um ſo groͤßer er iſt, um ſo preiswuͤrdiger iſt
Eure Milde.


Agnes.

Lieber, Theurer, ſieh aus guͤtigen
Augen, nicht ſo; o laß mich dein Knie flehend
beruͤhren, wende dich nicht ſo kalt von mir ab,
gedenke der Liebe, die du mir verheißen haſt. Ach,
nicht ſo ſchrecklich, ſo ſchrecklich nicht laß mich
enden, ſchleppe mich nicht in die Blutkammer, ver-
treibe mich in den Wald, zu Hirſchen und Woͤl-
fen, nur hier nicht, — nur heut nicht enden!


Hugo.

Alles iſt umſonſt.


Agnes.

Jede Bitte, jede Thraͤne iſt vergebens?


Hugo.

Beim Himmel!


Agnes.
(ſteht heftig auf)

Nun ſo ſteh auf,
Schweſter, entweihe deine Knie nicht laͤnger! So
hoͤre mich denn zuletzt, du kaltbluͤtiges, blutduͤrſti-
ges Ungeheuer, hoͤre, daß ich dich verabſcheue, daß
jeder Menſch dich verabſcheuen muß, daß du dei-
ner Strafe nicht entrinnen wirſt!


Anne.

Waͤren nur noch zwei Maͤdchen hier,
ſo
[129]Der Blaubart.
ſo wollten wir dir mit unſern Naͤgeln die kleinen
blinzelnden grauen Augen auskratzen.


Agnes.

Widerliches Unthier! kein Menſch,
ſondern eine Mißgeburt! Als deine Mutter dich
geboren hatte, haͤtte ſie dich wie einen jungen
Hund erſaͤufen ſollen, damit du nicht Ungluͤck in
die Welt gebracht haͤtteſt.


Hugo.

Ho ho! was haͤlt mich denn ab, Euch
beide von hier hinunter zu ſtuͤrzen? Beſinnt Euch
doch, Ihr ſeid ja toll! — Iſt das eine Sprache
fuͤr Maͤdchen? — Nun komm, Agnes, unten iſt
aufgeſchloſſen.


Agnes.

Und es iſt alſo dein Ernſt? — O
weh! ich kann nicht mehr, meine Kraͤfte ſind
erſchoͤpft.


Hugo.

Komm!


Agnes.

Ein Gebet zum Himmel zu ſen-
den, — ſo viele Zeit wirſt du mir doch noch uͤbrig
laſſen?


Hugo.

Aber mach ſchnell, ich warte unten
auf dich. —

(geht ab.)

Agnes.

Ach, Schweſter, waͤre es nicht eben
ſo gut, wenn ich jetzt gleich hier hinunter ſpraͤnge? —
Aber mir fehlt der Muth. —

(ſie kniet nieder)

Ich
will beten. — O wenn doch jetzt meine Bruͤder
kaͤmen! — Schweſter, ſieh doch einmal ins Feld
hinaus; es waͤre ja doch moͤglich. — Ach! kein
Gedanke zum Himmel! — Siehſt du nichts?


Hugo.
(von unten)

Agnes!


Agnes.

Sogleich.


Anne.

Ich ſehe nichts als Feld und Wald
II. [ 9 ]
[130]Zweite Abtheilung.
und Berg, alles ruhig, kein Wind regt ſich; —
die Baͤume hindern hier die Ausſicht.


Agnes.

Wenn du nicht ſchwindelteſt, wollte
ich dich wohl bitten, auf den Thurm zu ſteigen, —
aber falle ja nicht. — Siehſt du noch nichts?


Hugo.
(unten)

Agnes!


Agnes.

Den Augenblick!


Anne.

Nichts, Baͤume, Felder und Berge,
und die Luft ſchlaͤgt auf dem Boden kleine Wel-
len, ſo warm ſcheint die Sonne.


Agnes.

Ach, und ich kann nicht beten, im-
mer ruf ich innerlich wider meinen Willen: Si-
mon! Anton! als wenn mir dadurch geholfen
wuͤrde.


Hugo.
(unten.)

Agnes, du machſt mich un-
geduldig.


Agnes.

Nur noch ein klein Gebet. — Siehſt
du noch nichts?


Anne.

Ich ſehe Staub aufſteigen!


Agnes.

Wohl! wohl!


Anne.

Weh! weh! es iſt eine Herde Schaafe.


Agnes.

Bin ich aber auch nicht eine Thoͤ-
rinn, auf etwas Unmoͤgliches zu hoffen? Ich will
mich in mein Schickſal ergeben, und der Tod ſoll
mir jetzt lieb ſeyn. Komm herunter, Schweſter,
du ſiehſt ja doch nichts, ich will Abſchied von dir
nehmen.


Anne.

Ich ſehe einen Reuter, — zwei.


Agnes.

Wie? Sollt' es moͤglich ſeyn?


Anne.

Sie ſtuͤrzen wie Blitze den Berg her-
unter, — einer hinter dem andern. —


[131]Der Blaubart.
Agnes.

O Gott!


Anne.

Der eine voran, — weit voran.


Hugo.
(unten.)

Agnes, jetzt komm ich hinauf!


Agnes.

Ich bin ſchon auf dem Wege zu
Euch, meine Schweſter umarmt mich nur noch
einmal.


Anne.

Er koͤmmt immer naͤher und naͤher.


Agnes.

Kennſt Du ihn nicht?


Anne.

Nein, — doch — es iſt Simon. —

(ſie laͤßt ihr Tuch wehen.)

O weh! — Da ſtuͤrzt er
mit dem Pferde den Huͤgel hinunter, — er rennt
zu Fuß. —


Agnes.

Wie iſt mir? — Ich weiß nicht
mehr, ob ich lebe oder todt bin.


Anne.

Er iſt ſchon ganz nahe!


Agnes.

Welch ein ſeltſamer Traum! — Wenn
ich doch erſt erwacht waͤre!

(ſie ſinkt nieder.)

Hugo kommt mit bloßem Schwerdt herauf.

Hugo.

Ins Teufels Namen! wo bleibſt du?
— Wie? todt? ohnmaͤchtig? — Bei den Haaren
ſchleif ich Dich hinunter zur Stelle, wo du blu-
ten ſollſt!


Simon tritt unten haſtig mit bloßem Schwerdt auf.

Simon.
(ſchreiend.)

Halt! halt! Moͤrder! Boͤ-
ſewicht!

(rennt ins Thor.)

Anne.
(oben.)

Huͤlfe! Huͤlfe!


Hugo.
(laͤßt Agnes fallen.)

Welche
Stimme? —
Welcher Ton, der ſo kreiſchend herauf drang?

(ec-
[132]Zweite Abtheilung.
greift ſie wieder.)

Hinunter mit dir! Allen Engeln,
allen Teufeln zum Trotz!

(er will ſie fortſchleppen.)

Simon.
(ſtuͤrzt ihm entgegen)

Steh, Boͤ-
ſewicht!


Hugo.

Wie? Du wagſt es?


Simon.

Nicht ſprich! das Schwerdt ſoll
hier entſcheiden! —

(Gefecht, Hugo faͤllt, Simon ſtoͤßt ihm
das Schwerdt durch die Bruſt.)

Nun iſt mir wohl!
Nun bin ich beruhigt. — Agnes! Gott im Him-
mel, ſie iſt todt!


Anne.

Agnes! liebſte Schweſter! — O
Bruder, Dank dir! — Agnes, alle Gefahr iſt
voruͤber. — Sie ſchlaͤgt die Augen auf.


Agnes.

Wo bin ich? — Ach Gott, Simon!
Du biſt wirklich da? — Wo biſt du hergekom-
men? — Und der Moͤrder —


Simon.

Da liegt er todt zu deinen Fuͤßen.
— O ich weiß kaum, wie ich hergekommen bin,
wie Sturmwinde trug es mich her, und als ich
erſt der Burg anſichtig ward, dein Tuch flattern
ſahe — Alles iſt jetzt gut. — Komm hinunter,
der Anblick dieſes Scheuſals ſoll dich nicht mehr
aͤngſtigen.

(ſie fuͤhren ſie hinab.)

Anton
tritt auf.

Unſre Pferde geſtuͤrzt, — und hier iſt alles
jetzt ruhig. — Die Schweſter winkte, mich duͤnkt,
Hugo und Simon kaͤmpften, — ich geh hinein,
um dem Bruder zu helfen.

(geht ins Thor.)

[133]Der Blaubart.
Von der einen Seite treten auf Leopold und
Brigitte, von der andern Hans, Reinhold,
Caspar, Ulrich
.

Hans.

Was ſeh ich? Mir entgegen kommt
Ihr ſo dreiſt?


Brigitte.
(kniet)

O mein Vater, der Zufall
fuͤhrt mich wieder zu Euren Fuͤßen; um ſo un-
erwarteter, um ſo guͤtiger ſei Eure Vergebung.


Hans.

Biſt du noch mein Kind? Kennſt
du noch deinen alten Vater? Nein, ein Kind
kraͤnkt den Vater nicht, haͤuft nicht Schmach auf
ſein greiſes Haupt.


Brigitte.

Verzeihung.


Leopold.

Vergebt uns.


Hans.

Alſo der Leopold hat mir ſo loſen
Streich geſpielt?


Leopold.

Alles vergeſſen und vergeben.
Nicht wahr, mein lieber Vater?


Hans.

Vater! Ziemlich vorlaut. Indeſſen
es ſei, mein wiedergefundener Sohn Reinhold hat
ſchon fuͤr euch gebeten; Brigitte, du kannſt dich
bei deinem Bruder bedanken. Ich muß ja froh
ſein, daß der junge Wildfang nur kein Spiel-
mann iſt.


Aus der Burg treten Simon und Anton,
welche Agnes fuͤhren, Claus, der Rath-
geber
, Knechte.

Simon.

Hier unter dieſen Baum ſetz
dich, —

(zu Claus)

Kleiner, gieb den Becher Wein
[134]Zweite Abtheilung.
her. So, trink, erhole dich und faſſe deine Ver-
nunft wieder zuſammen. Die Alte hat ſich auch
verzweifelnd aus dem Fenſter geſtuͤrzt. — Nun,
Bruder Anton, gelt, du wirſt mich nicht mehr
fuͤr einen Narren halten?


Anton.

Nein, Bruder, wir alle haben dir
unſer Gluͤck zu danken. Dieſe Knechte haben
mich fuͤr ihren Herrn erkannt, wir theilen uns
die Schaͤtze des Gefallenen und Agnes kehrt wie-
der nach Friedheim zuruͤck.


Reinhold.
(der ſich mit Anne umarmt haͤlt)

Euern Seegen mein Vater, dann ſind wir alle
gluͤcklich.


Hans.

Der Himmel ſeegne euch, meine
geliebten Kinder.


Zwei Traͤger bringen eine verdeckte Saͤnfte herein.

Caspar.

Was iſt denn das?


Claus.

Das iſt der Schatz des Blaubarts,
den er noch erwartet hat.


Anton.

Was ſich in dieſer Saͤnfte befindet,
ſei Euch, Ihr Knappen und Knechte, uͤbergeben,
ich verlange keinen Theil daran.


Alle.

Es lebe der edle Ritter Anton von
Friedheim!

(Alle draͤngen ſich zu der Saͤnfte, ſie wird
eroͤffnet, Winfred ſteigt heraus.)

Winfred.

Zu viel Huͤlfe, wie erſt zu wenig,
laßt gut ſein, Leute, ich komme ſchon. — Ach,
da iſt ja auch der Leopold! Iſt das recht, ſeinen
Bundesgenoſſen ſo in Stich zu laſſen? Wie hab
ich mich fuͤr Euch aufgeopfert!


[135]Der Blaubart.
Leopold.

Seid nicht ungeduldig, ich bin
Euch dankbar fuͤr Eure Freundſchaft.


Anton.

Meine Freunde, laßt uns in den
Saal gehn und beim froͤhlichen Mahl, in welchem
der Becher kreiſet, alle Sorgen und die Erinne-
rungen der Leiden nieder trinken, auch den Knap-
pen und Knechten ſoll Wein und Speiſe geſpendet
werden, ſo wie ihnen allen der Theil am Reich-
thum des erſchlagenen Hugo nicht entgehn wird,
den ich ihnen beſtimmt hatte.


Alle.

Wir danken, wir danken, edler Herr.


Winfred.

Wie? und die ſchoͤne Agnes iſt
wieder Wittwe? — Hoͤrt doch, Freund Leopold,
nicht wahr, da koͤnnte ich mich doch nun wieder
praͤſentiren, ſeht, ich wollte ein Ehemann wie ein
Lamm, wie ein Engel ſeyn, das muͤſte ihr denn
doch nach dem Wuͤthrich gut ankommen. Nicht?


Leopold.

Fallt nur nicht mit der Thuͤr ins
Haus, verſucht uͤber Jahr und Tag euer Gluͤck.


Anton.

Tretet hinein, meine Freunde.


Winfred.

O mein Hut, mein ſchoͤner Hut,
der liegt noch in der Saͤnfte. Schnell! Wie
konnte ich das nur vergeſſen? Mit dem verbunde-
nen Kopf und mit dieſer Muͤtze ſehe ich zu er-
baͤrmlich aus. — So, nun ſind die Spuren aller
Leiden vertilgt, nun koͤnnen wir wieder froͤhlich
ſein.

(gehn alle in die Burg: Trompeten, Freudengeſchrei.)

[136]Zweite Abtheilung.

Die Damen bezeigten ihren Beifall; nach-
dem man eine Weile uͤber das Schauſpiel ge-
ſprochen hatte, fragte Clara, woher nur dieſe
Angewoͤhnung, ja dieſes Geſetz, die dramatiſchen
Gedichte in fuͤnf Akte abzufaſſen?


Es iſt ſchwer zu ſagen, antwortete Lothar,
warum dieſer Gebrauch uns ſo durchaus noth-
wendig duͤnkt; bloße Gewohnheit und Conven-
tion iſt wohl dieſe ſcheinbare Zufaͤlligkeit nicht,
ſondern dieſe Sitte entſpringt wohl auch, wie
ſo manches andre, von dem wir keine Rechen-
ſchaft geben koͤnnen, aus einer innern verhuͤllten
Nothwendigkeit. Ein dramatiſches Gedicht von
groͤßerem Umfange muß ſeine Pauſen und Ru-
hepunkte haben, das fuͤhlen und wuͤnſchen wir
alle, denn wir wollen die einzelnen Theile be-
merken, aus welchen das Ganze zuſammen ge-
ſetzt iſt, um in ihnen das Ganze leichter zu faſ-
ſen und lebendiger uns vorzuſtellen. Die Ge-
wohnheit, ein dramatiſches Gedicht in fuͤnf Theile
zu zerwerfen, iſt ſchon ſehr alt, die Neuern ha-
ben ebenfalls dieſe Zahl angenommen, außer die
Spanier, welche drei Abſchnitte feſt geſezt ha-
ben, die man in den meiſten ihrer Dramen fin-
det. Shakſpear ſpielte ſeine Schauſpiele wohl
faſt alle ohne bedeutende Unterbrechung, doch
laͤßt ſich die Eintheilung in fuͤnf Akte auch bei
ihm nachweiſen, und es iſt wahrſcheinlich, daß
dieſe Pauſen, wenn ſie gleich in ſeinem Theater
[137]Zweite Abtheilung.
nicht mit Muſik ausgefuͤllt, doch wenigſtens an-
gedeutet wurden.


Laͤßt ſich denn aber gar kein Grund fuͤr oder
wieder gewiſſe Zahlen angeben? fragte Clara.


Es muß wohl, antwortete Lothar, ein Ge-
fuͤhl fuͤr Schoͤnheit, Proportion und Harmonie
ſeyn, welches uns hierin beſtimmt. Hans Sachs
theilt die meiſten ſeiner Schauſpiele in ſieben
Akte, und er hat dies, glaub ich, mit andern
alten Dichtern jener Zeit gemein. Dieſe Zahl
empfiehlt ſich durch den groͤßern Umfang, den
ſie zulaͤßt, da in den vielfachen Pauſen die Ge-
ſchichte außerordentlich fortruͤcken kann, ſie haͤngt
wohl mit der Anzahl der Planeten und der Le-
bensſtufen zuſammen, und noch Shakſpear ſagt:
„das Schauſpiel des Lebens beſteht aus ſieben
Akten;“ dieſe Eintheilung waͤre mit Vortheil in
Gedichten, die nicht fuͤr die Buͤhne geeignet ſind,
anzuwenden, um ein großes, mannichfaltiges Ge-
webe zuſammen zu halten, und die Ueberſicht zu
erleichtern, denn die Eintheilung in ſechs Akte,
wie im Zarbino, iſt gerade hin zu verwerfen, da
ſich bei dieſer das Gedaͤchtniß verwirrt, oder
das Ganze wieder in drei Abtheilungen aufloͤſt.
Sechs iſt in aller Kunſt eine ungeſchickte Zahl.
Eben ſo unerlaubt iſt es, ein Nachſpiel in zwei
Akten zu ſchreiben, (viele Opern ſind zu meinem
Mißvergnuͤgen ſo eingetheilt) denn wir wollen
Anfang, Mittel und Ende in allen Dingen, nicht
bloß zwei Haͤlften. Der Dichter, welcher ein
[138]Zweite Abtheilung.
kleines Stuͤck nicht in einen Akt zu bringen ver-
mag, iſt ſeines Gegenſtandes entweder noch nicht
maͤchtig geworden, oder er hat ein groͤßeres Ge-
dicht zu ſehr zuſammengedraͤngt, und es an ei-
nem Akte fehlen laſſen.


So muͤſſen alſo die Spanier wohl, ſagte
Clara, die vollkommenſte Eintheilung ihrer Schau-
ſpiele getroffen haben.


Fuͤr die ſymmetriſche Bearbeitung ihrer Ge-
genſtaͤnde ohne Zweifel, antwortete Lothar, doch
ſcheint die Zahl Fuͤnf nur eine kuͤnſtlich erwei-
terte und verhuͤllte Drei; ich meine nehmlich,
daß ſich hier die Symmetrie, Theſis, Antithe-
ſis und Syntheſis mehr verbirgt und weniger
in die Augen faͤllt; die Regel iſt hier beſcheide-
ner und die Aufgabe einer richtigen Abtheilung
daher um ſo ſchwieriger. Drei iſt mehr mathe-
matiſch, Fuͤnf organiſch, Sieben myſtiſch; durch
die Einfachheit neigt ſich die Drei mehr zur Alle-
gorie, die Fuͤnf iſt leichtſinniger und verſtaͤndiger,
wenn gleich weniger philoſophiſch.


Gewiß, warf Manfred ein, iſt in dieſen
anſcheinenden Zufaͤlligkeiten, die ſeltſam klingen,
wenn man ſie motiviren will, doch Grund und
Urſach anzutreffen, denn ein Schauſpiel in fuͤnf
Akten ſoll gleich von innen heraus anders ge-
arbeitet ſeyn, als dasjenige, welches in drei
Theile zerfaͤllt. Die Franzoͤſiſche Buͤhne haͤtte
in allen ihren Tragoͤdien nicht die vielen Luͤcken-
buͤßer und leeren Epiſoden erhalten, wenn der
[139]Zweite Abtheilung.
Eid in drei ſtatt in fuͤnf Akten waͤre geſchrieben
worden (ſo wie er wohl im Spaniſchen Ori-
ginal war, welches ich nie geſehn habe), und
wenn dieſes Beiſpiel ſogleich Autoritaͤt genug
erhalten haͤtte, um nachgeahmt zu werden.


Im erſten Entwurf, fuhr Lothar fort, zer-
faͤllt dem Dichter, zumal demjenigen, der eine
ſogenannte regelmaͤßige Tragoͤdie ſchreiben will,
die Materie gewiß in vier Theile; die naͤchſte,
natuͤrlichſte, aber auch unkuͤnſtlichſte Anordnung
eines Schauſpiels. Die Begebenheit kuͤndigt ſich
an, verwirrt ſich, erreicht ihr hoͤchſtes Intereſſe
und wird beſchloſſen. In dieſer Anordnung bleibt
aber unſer Gemuͤth voͤllig unbefriedigt, weil wir
fuͤhlen, daß ſie keine iſt, ſondern daß Willkuͤr
und Anarchie in ſolchem Werke herrſchen, oder
jene Bequemlichkeit, die mit der Kunſt ganz un-
vereinbar iſt. Fruͤhere Spaniſche Theaterſtuͤcke
waren ſo abgefaßt, und Cervantes ſagt, die
Kunſt ſey damals auf allen Vieren gegangen.


Es iſt ſehr wahr, fuͤgte Ernſt hinzu, daß
in vielen dieſer regelmaͤßigen einfachern Werke
der vierte Akt nur eine Vorbereitung zum fuͤnf-
ten iſt, oft ſcheint auch mit dem vierten Akte
ein neues Schauſpiel zu beginnen, weil das
Hauptintereſſe mit dem dritten beſchloſſen wurde.
Alfieri klagt in den Bemerkungen uͤber ſeine Tra-
goͤdien mehr als einmal, wie ſchwer ihm der
vierte Akt geworden, und wie unnuͤtz er ſey.
So iſt in unſerer vortreflichen Iphigenia nach
[140]Zweite Abtheilung.
dem dritten Aufzuge ein Stillſtand, wir ſehn
nur eine Vorbereitung des Schluſſes; im Taſſo
iſt der vierte Akt vielleicht der ſchoͤnſte, aber der
dritte enthaͤlt dafuͤr dieſe Vorbereitungen zum
vierten; die Eugenie, moͤchte ich ſagen, beſteht
faſt nur aus fuͤnf erſten Akten.


Viele Dichter, fuhr Lothar fort, haben den
Schluß fuͤr die ſchwierigſte Aufgabe der Kunſt
gehalten, gewiß aber iſt der vierte Akt die Klip-
pe, an welcher ſo manches, ſonſt auch gute
Stuͤck, ſcheitert. Jeder von uns wird die Er-
fahrung gemacht haben, wie friſch unſre Auf-
merkſamkeit beim Anfang des Schauſpiels iſt,
wie ſchnell uns der erſte Akt verſchwindet: die-
ſelbe Theilnahme am zweiten und Neugier auf
den dritten, der uns gewiß noch unterhaͤlt, nach
dieſem aber tritt eine Ermattung ein, eine Zer-
ſtreutheit bei allen Zuſchauern, durch welche man-
cher Dichter wohl ſchon zu dem Wunſch mag
gebracht worden ſeyn, daß nach dem dritten
Akt ſogleich der fuͤnfte folgen koͤnnte. Es iſt
daher gut, wenn nach einer lebhaften Einleitung
ſich im zweiten Akt neben der Handlung eine
ſcheinbare Epiſode etwas ausbreitet, im dritten
Akt die Verwirrung und die Leidenſchaften noch
nicht auf das hoͤchſte geſpannt ſind, damit er-
greifende Scenen dem vierten uͤbrig bleiben, und
ſo die Cataſtrophe etwas Ueberraſchendes ent-
haͤlt, und immer noch fruͤh genug zu kommen
[141]Zweite Abtheilung.
ſcheint, indem ſie aufgehalten wird. Shakſpear
iſt auch hierin Meiſter.


Außer im Hamlet, ſagte Ernſt, denn man
mag den vierten Akt anheben, wo man will,
ſo erſcheint er gegen die vorhergehenden Scenen
kalt und leer: es iſt, als wenn ein neues Schau-
ſpiel beginnen wollte.


Wie haben Sie denn, um etwas anders zu
ſprechen, im Staͤdtchen die Schauſpielergeſell-
ſchaft gefunden? fragte Auguſte, gegen Lothar
gewendet.


Merkwuͤrdig genug, antwortete dieſer, und
ich fuͤrchte nur, zu weitlaͤufig zu werden, da
es ſchon ſpaͤt iſt, ſonſt wollte ich Ihnen noch
heut meinen Bericht daruͤber abſtatten. Und wie
haben Sie Ihren Morgen angewendet, indeß
die Reiſenden die Gegenden betrachteten?


Wir waren mit Muſik beſchaͤftigt, antwor-
tete Auguſte, hauptſaͤchlich mit den Pſalmen des
Marcello.


Kann man auch nicht umhin, ſagte Ernſt,
dieſen Muſiker einen Manieriſten zu nennen, denn
man erkennt ihn ſogleich in den erſten Takten
eines jeden Singeſtuͤckes, ſo hat ſeine Phantaſie
doch einen großartigen Schwung, und alle ſeine
Werke ſind wahrhaft enthuſiaſtiſch. Wie herr-
lich iſt ſein Pſalm: Qual anelante, oder Grand'
Iddio,
ſo wie O d'immensa pieta, nicht min-
der Signor quanto etc., — und ſelbſt dann,
wenn er ſich in das Gewoͤhnliche verliert, ha-
[142]Zweite Abtheilung.
ben ſeine Werke noch einzelne wunderbar ſchoͤne
Stellen. Von einigen Gedichten, die ich ihm
gewidmet habe, erlauben Sie mir noch, Ihnen
folgendes herzuſagen, bevor wir uns trennen.
Alle waren begierig, und Ernſt deklamirte fol-
gende Verſe:


Marcello.
Aus den uralten Tiefen,

In denen Sehnſucht, Schmerz und Wolluſt brannte,

Die Welt ſich ſelbſt erkannte

Und nicht mehr ihre ewgen Keime ſchliefen,

Entzuͤnden ſich von neuen

Die Strahlen, wollen mich von mir befreien. —

O Menſch, was koͤnnen Sinnen,

Gefangen in den alten Frevel-Banden,

In den erſtorbnen Landen,

Vor Zittern, Qual und herber Angſt beginnen?

So hellres Sehnſuchtſcheinen

Muß dich nur feſter in dir ſelbſt verſteinen!

Da bricht der Zorn in Wogen

Heruͤber, reißt das Herz mit Sturmgewalten;

Wie kann da immer halten

Der Panzer, der mit Dumpfheit es umzogen?

Gieb, Seele, dich gefangen,

Errette dich zerſchmelzend von dem Bangen.

Vom Abgrund ſeh ich ſpiegeln

Die gruͤnen Blitze durch das naͤchtge Dunkel,

Ein freudenreich Gefunkel

Erroͤthet ſich, da klingt mit Engelfluͤgeln

Entbunden und gefunden

Der Wollhaut, zitternd, aus des Herzens Wunden.

[143]Zweite Abtheilung.
Ich ſehe ſie entfliehen

Die ſchwarze Angſt, den Zorn, die wilden Qualen,

Die goldnen Sonnenſtrahlen

Wie im Triumphe nach dem Feinde ziehen:

So wohl thut mir das Reuen,

Daß Schmerzen, Wunden, Thraͤnen mich jetzt freuen.

Zum Paradieſesgarten

Hinauf, hinauf, erklimmt ihn ihr Geſaͤnge!

Ermuthigt im Gedraͤnge

Seht dort die Engel, welche auf euch warten.

Weß Auge ſchaut hernieder

Und blizt mir Lieb und Furcht in meine Lieder?

Des Auges ernſtes Blicken

Macht mich in ſtummer Freudenangſt vergehen;

O wunderſuͤße Wehen,

Euch bricht das Herz in Leid und im Entzuͤcken!

Hoſannah Dir zu ſingen

Wird dort vielleicht als Engel mir gelingen!

Als die Geſellſchaft ſich am folgenden Mor-
gen verſammelte, waren alle etwas verſtimmt,
denn ein truͤber Himmel lag auf der ſchoͤnen
Landſchaft, und ein Regen troͤpfelte herab, deſſen
ruhiger und langſamer Fall fortdauerndes ſchlech-
tes Wetter anzukuͤndigen ſchien. Da kein un-
terhaltendes Geſpraͤch in den Gang kommen
wollte, nahmen alle zum Fortepiano ihre Zu-
flucht, und Clara kramte in den Muſikalien, um
Stuͤcke auszuſuchen, die man vorzuͤglich liebte,
und die ſeit lange nicht waren geſungen wor-
[144]Zweite Abtheilung.
den. So vergingen die Stunden. Nach Tiſche
ſagte Clara: in dieſem kalten, herbſtaͤhnlichen
Wetter, koͤnnte man melankoliſch werden; Frie-
drich ſitzt tiefſinnig auf ſeinem Zimmer und
ſchreibt, Lothar hat ſich in ſeiner Leidenſchaft
fuͤrs Theater zu Pferde aufgemacht, um im Staͤdt-
chen ein Schauſpiel auffuͤhren zu ſehn; was fan-
gen wir uͤbrigen nur heut an? Heut ſollten uns
die Herren etwas recht Luſtiges, Seltſames vor-
tragen, dergleichen Zeug, wie ich immer mit
Wohlgefallen in Gherardis Italiaͤniſchem Thea-
ter geleſen habe, das in ſeinen Poſſen die ganze
Welt nach meiner Meinung anmuthig parodirt.


Eben ſo, ſagte Theodor, iſt mir der Ulyſ-
ſes von Ithaka von Holberg erſchienen. Ich
biete Ihnen heut an, ſo viel ich von dieſer
Art beſitze, eine luſtige Compoſition, die ganz
Schaum und leichter Scherz iſt, und die Sie
nicht ernſthafter nehmen muͤſſen, als ſie gemeint
iſt; doch kann man wohl nicht leicht uͤber das
Theater ſcherzen, ohne zugleich uͤber die Welt
zu ſcherzen, denn beides fließt, vorzuͤglich in un-
ſern Tagen, ſehr in einander. Unſer Manfred
wird an dieſes Gewebe, welches ich Ihnen vor-
lege, und das ehemals meinen Freunden unter-
haltend duͤnkte, ein aͤhnliches fuͤgen, denn heut,
ſo ſcheint es, behalten wir fuͤr unſre Vorleſun-
gen Zeit genug uͤbrig.


Er nahm ſein Manuſkript und fing an:


Der
[145]Der geſtiefelte Kater.

Der geſtiefelte Kater.



Ein Kindermaͤhrchen in drei Akten,
mit Zwiſchenſpielen, einem Prologe und Epiloge.



Perſonen.


  • Der Koͤnig.

  • Die Prinzeſſin,

    ſeine Tochter.


  • Prinz Nathanael von Malſinki.

  • Leander,

    Hofgelehrter.


  • Hanswurſt,

    Hofnarr.


  • Ein Kammerdiener.

  • Der Koch.

    • Lorenz,

      Bruͤder und Bauern.


    • Barthel,

    • Gottlieb.
    • Bruͤder und Bauern.


  • Hinze,

    ein Kater.


  • Ein Wirth.

    • Kunz,

    • Michel.
    • Bauern.


  • Geſetz,

    ein Popanz.


  • Ein Beſaͤnftiger.

  • Der Dichter.

  • Ein Soldat.

  • Zwei Huſaren.

  • Zwei Liebende.

  • Bediente.

  • II. [ 10 ]
    [146]
  • Muſiker.

  • Ein Bauer.

  • Der Soufleur.

  • Ein Schuhmacher.

  • Ein Hiſtoriograph.

    • Fiſcher,

    • Muͤller,

    • Schloſſer,

    • Boͤtticher,

    • Leutner,

    • Wieſener,

    • Deſſen Nachbar.
    • Zuſchauer.


  • ELE.

  • Loͤwen.

  • Baͤren.

  • Ein Amtmann.

  • Adler und andre Voͤgel.

  • Ein Kaninchen.

  • Rebhuͤner.

  • Jupiter.

  • Tarkaleon.

  • Der Maſchiniſt.

  • Geſpenſter.

  • Affen.

  • Das Publikum.

[147]Der geſtiefelte Kater.

Prolog.


(Die Scene iſt im Parterr, die Lichter ſind ſchon ange-
zuͤndet, die Muſiker ſind im Orcheſter verſammelt. —
Das Schauſpiel iſt voll, man ſchwatzt durcheinander,
mehr Zuſchauer kommen, einige draͤngen, andre beklagen
ſich. Die Muſiker ſtimmen.)

Fiſcher, Muͤller, Schloſſer, Boͤtticher
im Parterr, eben ſo auf der andern Seite
Wieſener und deſſen Nachbar.

Fiſcher.

Aber ich bin doch in der That neugierig. — Lie-
ber Herr Muͤller, was ſagen Sie zu dem heuti-
gen Stuͤcke?


Muͤller.

Ich haͤtte mir eher des Himmels
Einfall vermuthet, als ein ſolches Stuͤck auf un-
ſerm großen Theater zu ſehn — auf unſerm Na-
tional-Theater! Ei! ei! nach allen den Wochen-
ſchriften, den koſtbaren Kleidungen, und den vie-
len, vielen Ausgaben!


Fiſcher.

Kennen Sie das Stuͤck ſchon?


Muͤller.

Nicht im mindeſten. — Einen
wunderlichen Titel fuͤhrt es: Der geſtiefelte
Kater
. — Ich hoffe doch nimmermehr, daß man
die Kinderpoſſen wird aufs Theater bringen.


[148]Zweite Abtheilung.
Schloſſer.

Iſt es denn vielleicht eine Oper?


Fiſcher.

Nichts weniger, auf dem Komoͤ-
dienzettel ſteht: ein Kindermaͤhrchen.


Schloſſer.

Ein Kindermaͤhrchen? Aber ums
Himmels Willen, ſind wir denn Kinder, daß man
uns ſolche Stuͤcke auffuͤhren will? Es wird doch
wohl nun und nimmermehr ein ordentlicher Kater
aufs Theater kommen?


Fiſcher.

Wie ich es mir zuſammen reime,
ſo iſt es eine Nachahmung der neuen Arkadier,
und es kommt ein verruchter Boͤſewicht, ein kater-
artiges Ungeheuer vor, mit dem es faſt ſolche Be-
wandniß, wie mit dem Tarkaleon hat, nur daß
er etwa ſtatt roth ums Maul, ſchwaͤrzlich gefaͤrbt iſt.


Muͤller.

Das waͤre nun nicht uͤbel, denn
ich habe ſchon laͤngſt gewuͤnſcht, eine ſolche recht
wunderbare Oper einmal ohne Muſik zu ſehn.


Fiſcher.

Wie? Ohne Muſik? Ohne Muſik,
Freund, iſt dergleichen abgeſchmackt, denn ich ver-
ſichre Sie, Liebſter, Beſter, nur durch dieſe himm-
liſche Kunſt bringen wir alle die Dummheiten hin-
unter. Ei was, genau genommen ſind wir uͤber
Fratzen und Aberglauben weg; die Aufklaͤrung hat
ihre Fruͤchte getragen, wie ſichs gehoͤrt.


Muͤller.

So iſt es wohl ein ordentliches
Familiengemaͤhlde, und nur ein Spaß, gleichſam
ein einladender Scherz mit dem Kater, nur eine
Veranlaſſung, wenn ich ſo ſagen darf, oder ein
bizarrer Titel, Zuſchauer anzulocken.


Schloſſer.

Wenn ich meine rechte Mei-
nung ſagen ſoll, ſo halte ich das Ganze fuͤr einen
[149]Der geſtiefelte Kater.
Pfiff, Geſinnungen, Winke unter die Leute zu
bringen. Ihr werdet ſehen, ob ich nicht Recht
habe. Ein Revolutionsſtuͤck, ſo viel ich begreife,
mit abſcheulichen Fuͤrſten und Miniſtern, und dann
ein hoͤchſt myſtiſcher Mann, der ſich mit einer
geheimen Geſellſchaft tief, tief unten in einem
Keller verſammelt, wo er als Praͤſident etwa
verlarvt geht, damit ihn der gemeine Haufe fuͤr
einen Kater haͤlt. Nun da kriegen wir auf jeden
Fall tiefſinnige und religioͤſe Philoſophie und Frei-
maurerei. Endlich faͤllt er als das Opfer der
guten Sache. O du Edler! Freilich mußt du
geſtiefelt ſeyn, um allen den Schurken die vielen
Tritte in dem gefuͤhlloſen Hintern geben zu koͤnnen!


Fiſcher.

Sie haben gewiß die richtige Ein-
ſicht, denn ſonſt wuͤrde ja der Geſchmack abſcheu-
lich vor den Kopf geſtoßen. Ich muß wenigſtens
geſtehn, daß ich nie an Hexen oder Geſpenſter
habe glauben koͤnnen, viel weniger an den geſtie-
felten Kater.


Muͤller.

Es iſt das Zeitalter fuͤr dieſe
Phantome nicht mehr.


Schloſſer.

Doch, nach Umſtaͤnden. Koͤnnte
nicht in recht bedraͤngter Lage ein großer Abge-
ſchiedener unerkannt als Hauskater im Pallaſt wan-
deln, und ſich zur rechten Zeit wunderthaͤtig zu
erkennen geben? Das begreift ſich ja mit der Ver-
nunft, wenn es hoͤheren und myſtiſchen Endzwecken
dient. — Da koͤmmt ja Leutner, der wird uns
vielleicht mehr ſagen koͤnnen.


[150]Zweite Abtheilung.
Leutner draͤngt ſich durch.

Leutner.

Guten Abend, guten Abend!
Nun, wie gehts?


Muͤller.

Sagen Sie uns nur, wie es mit
dem heutigen Stuͤcke beſchaffen iſt.


(Die Muſik faͤngt an.)

Leutner.

Schon ſo ſpaͤt? Da komm ich ja
grade zur rechten Zeit. — Mit dem Stuͤcke? Ich
habe ſo eben den Dichter geſprochen, er iſt auf
dem Theater und hilft den Kater anziehn.


Viele Stimmen.

Hilft? — der Dichter?
— den Kater? — Alſo kommt doch ein Kater vor?


Leutner.

Ja freilich, und er ſteht ja auch
auf dem Zettel.


Fiſcher.

Wer ſpielt ihn denn?


Leutner.

Ja, der fremde Akteur, der große
Mann.


Boͤtticher.

Da werden wir einen Goͤtter-
genuß haben. Ei, wie doch dieſer Genius, der
alle Charaktere ſo innig fuͤhlt und fein nuancirt,
dieſes Individuum eines Katers heraus arbeiten
wird! Ohne Zweifel Ideal, im Sinn der Alten,
nicht unaͤhnlich dem Pygmalion, nur Soccus hier,
wie dort Cothurn. Doch ſind Stiefeln freilich
Cothurne, und keine Sokken. Ich ſchwebe noch
im Dilemma des Zweifels. — O, meine Herren,
nur ein wenig Raum fuͤr meine Schreibtafel und
Bemerkungen.


Muͤller.

Aber wie kann man denn ſolches
Zeug ſpielen?


[151]Der geſtiefelte Kater.
Leutner.

Der Dichter meint, zur Abwech-
ſelung, —


Fiſcher.

Eine ſchoͤne Abwechſelung! Warum
nicht auch den Blaubart, und Rothkaͤppchen oder
Daͤumchen? Ei! der vortrefflichen Sujets fuͤrs
Drama!


Muͤller.

Wie werden ſie aber den Kater an-
ziehn? — Und ob er denn wirkliche Stiefeln traͤgt?


Leutner.

Ich bin eben ſo begierig wie Sie alle.


Fiſcher.

Aber wollen wir uns denn wirk-
lich ſolch Zeug vorſpielen laſſen? Wir ſind zwar
aus Neugier hergekommen, aber wir haben doch
Geſchmack.


Muͤller.

Ich habe große Luſt zu pochen.


Leutner.

Es iſt uͤberdies etwas kalt. Ich
mache den Anfang.

(er trommelt, die uͤbrigen akkompagniren.)

Wieſener.
(auf der andern Seite.)

Weswegen
wird denn gepocht?


Leutner.

Den guten Geſchmack zu retten.


Wieſener.

Nun, da will ich auch nicht
der Letzte ſeyn.

(er trommelt.)

Stimmen.

Still! Man kann ja die Muſik
nicht hoͤren.

(alles trommelt.)

Schloſſer.

Aber man ſollte doch das Stuͤck
auf jeden Fall erſt zu Ende ſpielen laſſen, denn
man hat doch ſein Geld ausgegeben, und in der
Comoͤdie wollen wir doch einmal ſeyn, aber her-
nach wollen wir pochen, daß man es vor der
Thuͤr hoͤrt.


Alle.

Nein, jetzt, jetzt, — der Geſchmack, — die
Regeln, — die Kunſt, — alles geht ſonſt zu Grunde.


[152]Zweite Abtheilung.
Ein Lampenputzer
(erſcheint auf dem Theater.)

Meine Herren ſoll man die Wache herein
ſchicken?


Leutner.

Wir haben bezahlt, wir machen
das Publikum aus, und darum wollen wir auch un-
ſern eignen guten Geſchmack haben und keine Poſſen.


Lampenputzer.

Aber das Pochen iſt un-
gezogen und beweiſt, daß ſie keinen Geſchmack
haben. Hier bei uns wird nur geklatſcht und be-
wundert, denn ſolch honettes Theater, wie das
unſere hier, waͤchſt nicht auf den Baͤumen, muͤſſen
Sie wiſſen.


Der Dichter
(hinter dem Theater.)

Das Stuͤck wird ſogleich ſeinen Anfang nehmen.


Muͤller.

Kein Stuͤck, — wir wollen kein
Stuͤck, — wir wollen guten Geſchmack, —


Alle.

Geſchmack! Geſchmack!


Dichter.

Ich bin in Verlegenheit; — was
meinen Sie, wenn ich fragen darf!


Schloſſer.

Geſchmack! — Sind Sie ein
Dichter, und wiſſen nicht einmal, was Ge-
ſchmack iſt?


Dichter.

Bedenken Sie einen jungen An-
faͤnger —


Schloſſer.

Wir wollen nichts von Anfaͤn-
ger wiſſen, — wir wollen ein ordentliches Stuͤck
ſehn, — ein geſchmackvolles Stuͤck!


Dichter.

Von welcher Sorte? Von welcher
Farbe?


Muͤller.

Familiengeſchichten.


[153]Der geſtiefelte Kater.
Leutner.

Lebensrettungen.


Fiſcher.

Sittlichkeit und deutſche Geſinnung.


Schloſſer.

Religioͤs erhebende, wohlthu-
ende geheime Geſellſchaften!


Wieſener.

Huſſiten und Kinder!


Nachbar.

Recht ſo, und Kirſchen dazu,
und Viertelsmeiſter!


Der Dichter kommt hinter dem Vorhange hervor.

Dichter.

Meine Herren —


Alle.

Iſt der der Dichter?


Fiſcher.

Er ſieht wenig wie ein Dichter aus.


Schloſſer.

Naſeweis.


Dichter.

Meine Herren, — verzeihen Sie
meiner Keckheit —


Fiſcher.

Wie koͤnnen Sie ſolche Stuͤcke
ſchreiben? Warum haben ſie ſich nicht gebildet?


Dichter.

Vergoͤnnen Sie mir nur eine Mi-
nute Gehoͤr, ehe Sie mich verdammen. Ich weiß,
daß ein verehrungswuͤrdiges Publikum den Dich-
ter richten muß, daß von Ihnen keine Appellation
ſtatt findet, aber ich kenne auch die Gerechtigkeits-
liebe eines verehrungswuͤrdigen Publikums, daß
es mich nicht von einer Bahn zuruͤck ſchrecken
wird, auf welcher ich ſeiner guͤtigen Leitung und
ſeiner Einſichten ſo ſehr bedarf.


Fiſcher.

Er ſpricht nicht uͤbel.


Muͤller.

Er iſt hoͤflicher, als ich dachte.


Schloſſer.

Er hat doch Reſpekt vor dem
Publikum.


Dichter.

Ich ſchaͤme mich, die Eingebung
[154]Zweite Abtheilung.
meiner Muſe ſo erleuchteten Richtern vorzufuͤhren,
und nur die Kunſt unſrer Schauſpieler troͤſtet
mich noch einigermaßen, ſonſt wuͤrde ich ohne
weitere Umſtaͤnde in Verzweiflung verſinken.


Fiſcher.

Er dauert mich.


Muͤller.

Ein guter Kerl!


Dichter.

Als ich dero guͤtiges Pochen ver-
nahm, — noch nie hat mich etwas dermaßen er-
ſchreckt, ich bin noch bleich und zittre, und begreife
ſelbſt nicht, wie ich zu der Kuͤhnheit komme, ſo
vor Ihnen zu erſcheinen.


Leutner.

So klatſcht doch!


(Alle klatſchen.)

Dichter.

Ich wollte einen Verſuch machen,
durch Laune, wenn ſie mir gelungen iſt, durch Hei-
terkeit, ja, wenn ich es ſagen darf, durch Poſſen
zu beluſtigen, da uns unſre neuſten Stuͤcke ſo ſel-
ten zum Lachen Gelegenheit geben.


Muͤller.

Das iſt auch wahr.


Leutner.

Er hat Recht, — der Mann.


Schloſſer.

Bravo! bravo!


Alle.

Bravo! bravo!

(ſie klatſchen.)

Dichter.

Moͤgen Sie, Verehrungswuͤrdi-
ge, jetzt entſcheiden, ob mein Verſuch nicht ganz
zu verwerfen ſei. Mit Zittern zieh ich mich zu-
ruͤck, und das Stuͤck wird ſeinen Anfang nehmen.


(er verbeugt ſich ſehr ehrerbietig und geht hinter den Vorhang.)

Alle.

Bravo! bravo!


Stimme von der Gallerie.

Da Capo!


(alles lacht. Die Muſik faͤngt wieder an, indem geht der
Vorhang auf.)

[155]Der geſtiefelte Kater.
Erſter Akt.

Erſte Scene.

(Kleine Bauernſtube.)

Lorenz, Barthel, Gottlieb. Der Kater
Hinz liegt auf einem Schemel am Ofen.

Lorenz.

Ich glaube, daß nach dem Ableben unſers Vaters
unſer kleines Vermoͤgen ſich bald wird eintheilen
laſſen. Ihr wißt, daß der ſeelige Mann nur drei
Stuͤck von Belang zuruͤck gelaſſen hat: ein Pferd,
einen Ochſen und jenen Kater dort. Ich, als der
aͤlteſte, nehme das Pferd, Barthel, der naͤchſte
nach mir, bekoͤmmt den Ochſen, und ſo bleibt
denn natuͤrlicherweiſe fuͤr unſern juͤngſten Bruder
Gottlieb der Kater uͤbrig.


Leutner.
(im Parterr.)

Um Gottes Willen!
hat man ſchon eine ſolche Expoſition geſehn! Man
ſehe doch, wie tief die dramatiſche Kunſt geſun-
ken iſt!


Muͤller.

Aber ich habe doch alles recht gut
verſtanden.


Leutner.

Das iſt ja eben der Fehler, man
muß es dem Zuſchauer ſo verſtohlener Weiſe un-
[156]Zweite Abtheilung.
ter den Fuß geben, ihm aber nicht ſo geradezu in
den Bart werfen.


Muͤller.

Aber man weiß doch nun, woran
man iſt.


Leutner.

Das muß man ja durchaus nicht
ſo geſchwind wiſſen; daß man ſo nach und nach
hinein koͤmmt, iſt ja eben der beſte Spaß.


Schloſſer.

Die Illuſion leidet darunter,
das iſt ausgemacht.


Barthel.

Ich glaube, Bruder Gottlieb, du
wirſt auch mit der Eintheilung zufrieden ſeyn, du
biſt leider der juͤngſte, und da mußt du uns einige
Vorrechte laſſen.


Gottlieb.

Freilich wohl.


Schloſſer.

Aber warum miſcht ſich denn das
Pupillenkollegium nicht in die Erbſchaft? das ſind
ja Unwahrſcheinlichkeiten, die unbegreiflich bleiben!


Lorenz.

So wollen wir denn nur gehn, lie-
ber Gottlieb, lebe wohl, laß dir die Zeit nicht
lang werden.


Gottlieb.

Adieu.

(die Bruͤder gehn ab.)

Gottlieb.
(allein.) Monolog.

Sie gehn fort — und ich bin allein. — Wir
haben alle drei unſre Huͤtten; Lorenz kann mit
ſeinem Pferde doch den Acker bebauen, Barthel
kann ſeinen Ochſen ſchlachten und einſalzen, und
eine Zeitlang davon leben, — aber was ſoll ich
armer Ungluͤckſeeliger mit meinem Kater anfangen?
— Hoͤchſtens kann ich mir aus ſeinem Felle fuͤr
den Winter einen Muff machen laſſen, aber ich
glaube, er iſt jetzt noch dazu in der Mauße. —
[157]Der geſtiefelte Kater.
Da liegt er und ſchlaͤft ganz ruhig. — Armer
Hinze! Wir werden uns bald trennen muͤſſen. Es
thut mir leid, ich habe ihn auferzogen, ich kenne
ihn, wie mich ſelber, — aber er wird daran glau-
ben muͤſſen, ich kann mir nicht helfen, ich muß
ihn wahrhaftig verkaufen. — Er ſieht mich an,
als wenn er mich verſtaͤnde, es fehlt wenig,
ſo fang ich an zu weinen.


(er geht in Gedanken auf und ab.)

Muͤller.

Nun, ſeht Ihr wohl, daß es ein
ruͤhrendes Familiengemaͤhlde wird? Der Bauer iſt
arm und ohne Geld, er wird nun in der aͤußer-
ſten Noth ſein treues Hausthier verkaufen, an
irgend ein empfindſames Fraͤulein, und dadurch
wird am Ende ſein Gluͤck gegruͤndet werden. Sie
verliebt ſich in ihn und heirathet ihn. Es iſt eine
Nachahmung vom Papagey von Kotzebue, aus
dem Vogel iſt hier eine Katze gemacht, und das
Stuͤck findet ſich von ſelbſt.


Fiſcher.

Nun es ſo koͤmmt, bin ich auch
zufrieden.


Hinze der Kater
richtet ſich auf, dehnt ſich, macht
einen hohen Buckel, gaͤhnt und ſpricht dann:

Mein lieber Gottlieb, — ich habe ein ordent-
liches Mitleiden mit Euch.


Gottlieb.
(erſtaunt.)

Wie, Kater, du ſprichſt?


Die Kunſtrichter.
(im Parterr.)

Der Kater
ſpricht? — Was iſt denn das?


Fiſcher.

Unmoͤglich kann ich da in eine ver-
nuͤnftige Illuſion hinein kommen.


[158]Zweite Abtheilung.
Muͤller.

Eh ich mich ſo taͤuſchen laſſe, will
ich lieber zeitlebens kein Stuͤck wieder ſehn.


Hinze.

Warum ſoll ich nicht ſprechen koͤn-
nen, Gottlieb?


Gottlieb.

Ich haͤtt es nicht vermuthet, ich
habe zeitlebens noch keine Katze ſprechen hoͤren.


Hinze.

Ihr meint, weil wir nicht immer
in alles mitreden, waͤren wir gar Hunde.


Gottlieb.

Ich denke, Ihr ſeid bloß dazu
da, Maͤuſe zu fangen.


Hinze.

Wenn wir nicht im Umgange mit
den Menſchen eine gewiſſe Verachtung gegen die
Sprache bekaͤmen, ſo koͤnnten wir alle ſprechen.


Gottlieb.

Nun, das geſteh ich! — Aber
warum laßt Ihr euch denn ſo gar nichts merken?


Hinze.

Um uns keine Verantwortung zuzu-
ziehen, denn wenn uns ſogenannten Thieren noch
erſt die Sprache angepruͤgelt wuͤrde, ſo waͤre gar
keine Freude mehr auf der Welt. Was muß der
Hund nicht alles thun und lernen! Wie wird das
Pferd gemartert! Es ſind dumme Thiere, daß ſie
ſich ihren Verſtand merken laſſen, ſie muͤſſen ihrer
Eitelkeit durchaus nachgeben; aber wir Katzen ſind
noch immer das freieſte Geſchlecht, weil wir uns
bei aller unſrer Geſchicklichkeit ſo ungeſchickt anzu-
ſtellen wiſſen, daß es der Menſch ganz aufgiebt,
uns zu erziehen.


Gottlieb.

Aber warum entdeckſt Du mir
das alles?


Hinze.

Weil Ihr ein guter, ein edler Mann
ſeid, einer von den wenigen, die keinen Gefallen
[159]Der geſtiefelte Kater.
an Dienſtbarkeit und Sklaverei finden, ſeht, dar-
um entdecke ich mich Euch ganz und gar.


Gottlieb.
(reicht ihm die Hand.)

Braver Freund!


Hinze.

Die Menſchen ſtehn in dem Irr-
thume, daß an uns jenes ſeltſame Murren, das
aus einem gewiſſen Wohlbehagen entſteht, das ein-
zige Merkwuͤrdige ſey, ſie ſtreicheln uns daher oft
auf eine ungeſchickte Weiſe, und wir ſpinnen dann
gewoͤhnlich nur, um uns vor Schlaͤgen zu ſichern.
Wuͤßten ſie aber mit uns auf die wahre Art um-
zugehn, glaube mir, ſie wuͤrden unſre gute Natur
zu allem gewoͤhnen, und Michel, der Kater bei
Eurem Nachbar, laͤßt es ſich ja auch zuweilen
gefallen, fuͤr den Koͤnig durch einen Tonnenband
zu ſpringen.


Gottlieb.

Da haſt Du Recht.


Hinze.

Ich liebe Euch, Gottlieb, ganz vor-
zuͤglich. Ihr habt mich nie gegen den Strich ge-
ſtreichelt, Ihr habt mich ſchlafen laſſen, wenn es
mir recht war, Ihr habt Euch widerſetzt, wenn
Eure Bruͤder mich manchmal aufnehmen wollten,
um mit mir ins Dunkle zu gehn, und die ſoge-
nannten elektriſchen Funken zu beobachten, — fuͤr
alles dieſes will ich nun dankbar ſeyn.


Gottlieb.

Edelmuͤthiger Hinze! Ha, mit
welchem Unrecht wird von Euch ſchlecht und ver-
aͤchtlich geſprochen, Eure Treue und Anhaͤnglich-
keit bezweifelt! Die Augen gehn mir auf; welchen
Zuwachs von Menſchenkenntniß bekomme ich ſo
unerwartet!


[160]Zweite Abtheilung.
Fiſcher.

Freunde, wo iſt unſre Hofnung
auf ein Familiengemaͤhlde geblieben?


Leutner.

Es iſt doch faſt zu toll.


Schloſſer.

Ich bin wie im Traum.


Hinze.

Ihr ſeid ein braver Mann, Gott-
lieb, aber, — nehmts mir nicht uͤbel, — Ihr
ſeid etwas eingeſchraͤnkt, bornirt, keiner der beſten
Koͤpfe, wenn ich frei heraus ſprechen ſoll.


Gottlieb.

Ach Gott nein.


Hinze.

Ihr wißt zum Beiſpiel jetzt nicht,
was Ihr anfangen wollt.


Gottlieb.

Du haſt ganz meine Gedanken.


Hinze.

Wenn Ihr euch auch einen Muff
aus meinem Pelze machen ließet. —


Gottlieb.

Nimms nicht uͤbel, Kamerad, daß
mir das vorher durch den Kopf fuhr.


Hinze.

Ach nein, es war ein ganz menſch-
licher Gedanke. — Wißt Ihr kein Mittel, Euch
durchzubringen?


Gottlieb.

Kein einziges.


Hinze.

Ihr koͤnntet mit mir herumziehn und
mich fuͤr Geld ſehen laſſen, — aber das iſt immer
keine ſichre Lebensart.


Gottlieb.

Nein.


Hinze.

Ihr koͤnntet vielleicht ein Naturdich-
ter werden, aber dazu ſeid Ihr zu gebildet, Ihr
koͤnntet an aͤſthetiſchen Journalen mitarbeiten,
aber, wie geſagt, Ihr ſeid keiner der beſten Koͤpfe,
die dazu immer verlangt werden, da muͤßtet Ihr
noch Jahr und Tag abwarten, weil es nachher
nicht mehr ſo genau genommen wird, denn nur
die
[161]Der geſtiefelte Kater.
die neuen Beſen kehren ſcharf, — aber das Ding
iſt uͤberhaupt zu umſtaͤndlich.


Gottlieb.

Ja wohl.


Hinze.

Nun, ich will ſchon noch beſſer fuͤr
Euch ſorgen; verlaßt Euch drauf, daß Ihr durch
mich noch ganz gluͤcklich werden ſollt.


Gottlieb.

O beſter, edelmuͤthigſter Mann!


(er umarmt ihn zaͤrtlich.)

Hinze.

Aber Ihr muͤßt mir auch trauen.


Gottlieb.

Vollkommen, ich kenne ja jetzt
Dein redliches Gemuͤth.


Hinze.

Nun ſo thut mir den Gefallen und
holt mir ſogleich den Schuhmacher, daß er mir
ein Paar Stiefeln anmeſſe.


Gottlieb.

Den Schuhmacher? — Stiefeln?


Hinze.

Ihr wundert Euch, aber bei dem,
was ich fuͤr Euch zu thun geſonnen bin, habe ich
ſo viel zu gehn und zu laufen, daß ich nothwendig
Stiefeln tragen muß.


Gottlieb.

Aber warum nicht Schuh?


Hinze.

Gottlieb, Ihr verſteht das Ding
nicht, ich muß dadurch ein Anſehn bekommen, ein
imponirendes Weſen, kurz, eine gewiſſe Maͤnn-
lichkeit, die man in Schuhen zeitlebens nicht hat.


Gottlieb.

Nun, wie Du meinſt, — aber
der Schuſter wird ſich wundern.


Hinze.

Gar nicht, man muß nur nicht thun,
als wenn es etwas Beſondres waͤre, daß ich Stie-
feln tragen will; man gewoͤhnt ſich an alles.


Gottlieb.

Ja wohl, iſt mir doch der Dis-
kurs mit Dir ordentlich ganz gelaͤufig geworden.


II. [ 11 ]
[162]Zweite Abtheilung.

— Aber noch eins, da wir jetzt ſo gute Freunde
geworden ſind, ſo nenne mich doch auch Du; wa-
rum wollen wir noch Komplimente mit einander
machen; macht die Liebe nicht alle Staͤnde gleich?


Hinze.

Wie Du willſt.


Gottlieb.

Da geht gerade der Schuhma-
cher vorbei. — He! pſt! Herr Gevatter Leich-
dorn! Will er wohl einen Augenblick bei mir ein-
ſprechen?


Der Schuhmacher kommt herein.

Schuhmacher.

Proſit! — Was giebts
Neues?


Gottlieb.

Ich habe lange keine Arbeit bei
ihm beſtellt. —


Schuhmacher.

Nein, Herr Gevatter, ich
habe jetzt uͤberhaupt gar wenig zu thun.


Gottlieb.

Ich moͤchte mir wohl wieder ein
Paar Stiefeln machen laſſen. —


Schuhmacher.

Setz Er ſich nur nieder,
das Maaß hab ich bei mir.


Gottlieb.

Nicht fuͤr mich, ſondern fuͤr mei-
nen jungen Freund da.


Schuhmacher.

Fuͤr den da? — Gut.


Hinze. (ſetzt ſich auf einen Stuhl nieder, und haͤlt
das rechte Bein hin.)

Schuhmacher.

Wie beliebt Er denn Musje?


Hinze.

Erſtlich, gute Sohlen, dann braune
Klappen, und vor allen Dingen ſteif.


Schuhmacher.

Gut. —

(er nimmt Maaß.)


Will er nicht ſo gut ſeyn, — die Krallen, —
[163]Der geſtiefelte Kater.
oder Naͤgel etwas einzuziehen? Ich habe mich
ſchon geriſſen.


Hinze.

Und ſchnell muͤſſen ſie fertig werden.


(Da ihm das Bein geſtreichelt wird, faͤngt er wider Willen
an zu ſpinnen.)

Schuhmacher.

Der Musje iſt recht vergnuͤgt.


Gottlieb.

Ja, er iſt ein aufgeraͤumter Kopf,
er iſt erſt von der Schule gekommen, was man
ſo einen Vokativus nennt.


Schuhmacher.

Na, Adjes.

(ab.)

Gottlieb.

Willſt Du dir nicht etwa auch
den Bart ſcheeren laſſen.


Hinze.

Bei Leibe nicht, ich ſehe ſo weit ehr-
wuͤrdiger aus, und Du weißt ja wohl, daß wir
Katzen dadurch unmaͤnnlich und veraͤchtlich werden.
Ein Kater ohne Bart iſt nur ein jaͤmmerliches
Geſchoͤpf.


Gottlieb.

Wenn ich nur wuͤßte, was Du
vor haſt?


Hinz.

Du wirſt es ſchon gewahr werden.
— Jetzt will ich noch ein wenig auf den Daͤchern
ſpatzieren gehn, es iſt da oben eine huͤbſche freie
Ausſicht, und man erwiſcht auch wohl eine Taube.


Gottlieb.

Als guter Freund will ich Dich
warnen, daß ſie Dich nicht dabei ertappen, die Men-
ſchen denken meiſt in dieſem Punkt ſehr unbillig.


Hinze.

Sei unbeſorgt, ich bin kein Neuling.
— Adieu unterdeſſen.

(geht ab.)

Gottlieb.
(allein).

In der Naturgeſchichte
ſteht, daß man den Katzen nicht trauen koͤnne,
und daß ſie zum Loͤwengeſchlechte gehoͤren, und ich
[164]Zweite Abtheilung.
habe vor einem Loͤwen eine gar erbaͤrmliche Furcht;
auch ſagt man im Sprichwort: falſch wie eine
Katze; wenn alſo nun der Kater kein Gewiſſen
haͤtte, ſo koͤnnte er mir mit den Stiefeln nachher
davon laufen, fuͤr die ich mein letztes Geld hin-
geben muß, und ſie irgendwo vertroͤdeln, oder er
koͤnnte ſich beim Schuhmacher dadurch beliebt ma-
chen wollen, und nachher bei ihm in Dienſte tre-
ten. — Aber der hat ja ſchon einen Kater. —
Nein, Hinz, meine Bruͤder haben mich betrogen,
und deswegen will ich es mit deinem Herzen ver-
ſuchen. — Er ſprach ſo edel, er war ſo geruͤhrt,
— da ſitzt er druͤben auf dem Dache und putzt
ſich den Bart, — vergieb mir, erhabener Freund,
daß ich an deinem Großſinn nur einen Augenblick
zweifeln konnte.

(er geht ab.)

Fiſcher.

Welcher Unſinn!


Muͤller.

Warum der Kater nur die Stie-
feln braucht, um beſſer gehn zu koͤnnen! — dum-
mes Zeug!


Schloſſer.

Es iſt aber, als wenn ich einen
Kater vor mir ſaͤhe!


Leutner.

Stille! Es wird verwandelt!


[165]Der geſtiefelte Kater.
Zweite Scene.

(Saal im koͤniglichen Pallaſt.)

Der Koͤnig mit Krone und Zepter. Die
Prinzeſſin ſeine Tochter.

Koͤnig.

Schon tauſend ſchoͤne Prinzen, werth-
geſchaͤtzte Tochter, haben ſich um Dich beworben
und dir ihre Koͤnigreiche zu Fuͤßen gelegt, aber
Du haſt ihrer immer nicht geachtet; ſage uns die
Urſach davon, mein Kleinod.


Prinzeſſin.

Mein allergnaͤdigſter Herr Va-
ter, ich habe immer geglaubt, daß mein Herz erſt
einige Empfindungen zeigen muͤſſe, ehe ich meinen
Nacken in das Joch des Eheſtandes beugte. Denn
eine Ehe ohne Liebe, ſagt man, iſt die wahre
Hoͤlle auf Erden.


Koͤnig.

Recht ſo, meine liebe Tochter. Ach,
wohl, wohl haſt Du da ein wahres Wort ge-
ſagt: eine Hoͤlle auf Erden! Ach, wenn ich doch
nicht daruͤber mit ſprechen koͤnnte! Waͤr ich doch
lieber unwiſſend geblieben! Aber ſo, theures Klei-
nod, kann ich ein Liedchen davon ſingen, wie man
zu ſagen pflegt. Deine Mutter, meine hoͤchſt ſee-
lige Gemahlin, — ach, Prinzeſſin, ſieh, die Thraͤ-
nen ſtehn mir noch auf meinen alten Tagen in
den Augen, — ſie war eine gute Fuͤrſtin, ſie trug
die Krone mit einer unglaublichen Majeſtaͤt, —
aber mir hat ſie gar wenige Ruhe gelaſſen. —
[166]Zweite Abtheilung.
Nun, ſanft ruhe ihre Aſche neben ihren fuͤrſtlichen
Anverwandten!


Prinzeſſin.

Ihro Majeſtaͤt erhitzen ſich
zu ſehr.


Koͤnig.

Wenn mir die Erinnerung davon
zuruͤck koͤmmt, — o mein Kind, auf meinen Knieen
moͤcht ich Dich beſchwoͤren, — nimm Dich beim
Verheirathen ja in Acht. — Es iſt eine große
Wahrheit, daß man Leinewand und einen Braͤu-
tigam nicht bei Lichte kaufen muͤſſe; eine erhabene
Wahrheit, die jedes Maͤdchen mit goldenen Buch-
ſtaben in ihr Schlafzimmer ſollte ſchreiben laſſen.
— Was hab ich gelitten! Kein Tag verging ohne
Zank, ich konnte nicht in Ruhe ſchlafen, ich konnte
die Reichsgeſchaͤfte nicht mit Bequemlichkeit ver-
walten, ich konnte uͤber nichts denken, ich konnte
mit Verſtand keine Zeitung leſen, — bei Tiſche,
beim beſten Braten, beim geſundeſten Appetit, im-
mer mußte ich alles nur mit Verdruß hinunter wuͤr-
gen, ſo wurde gezankt, geſcholten, gegraͤmelt, ge-
brummt, gemault, gegrollt, geſchmollt, gekeift, ge-
biſſen, gemurrt, geknurrt und geſchnurrt, daß ich
mir oft an der Tafel mitten unter den Gerichten
den Tod gewuͤnſcht habe. — Und doch ſehnt ſich
mein Geiſt, verewigte Klotilde, jezuweilen nach
Dir zuruͤck. — Es beißt mir in den Augen, — ich
bin ein rechter alter Narr.


Prinzeſſin.
(zaͤrtlich.)

Mein Vater.


Koͤnig.

Ich zittre, wenn ich uͤberhaupt an
alle die Gefahren denke, die Dir bevorſtehn, denn
wenn Du dich nun auch wirklich verlieben ſollteſt,
[167]Der geſtiefelte Kater.
meine Tochter, wenn Dir auch die zaͤrtlichſte Ge-
genliebe zu Theil wuͤrde, — ach, Kind, ſieh, ſo
dicke Buͤcher haben weiſe Maͤnner voll geſchrieben,
oft eng gedruckt, um die Gefahren der Liebe dar-
zuſtellen, — eben Liebe und Gegenliebe koͤnnen ſich
doch elend machen: das gluͤcklichſte, das ſeeligſte
Gefuͤhl kann uns zu Grunde richten; die Liebe iſt
gleichſam ein kuͤnſtlicher Vexierbecher, ſtatt Nektar
trinken wir oft Gift, dann iſt unſer Lager von
Thraͤnen naß, alle Hofnung, aller Troſt iſt dahin.

(Man hoͤrt blaſen.)

Es iſt doch noch nicht Tiſch-
zeit? — Gewiß wieder ein neuer Prinz, der ſich
in Dich verlieben will. — Huͤte Dich, meine
Tochter, Du biſt mein einziges Kind, und Du
glaubſt nicht, wie ſehr mir Dein Gluͤck am Herzen
liegt.

(Er kuͤßt ſie und geht ab, im Parterr wird geklatſcht.)

Fiſcher.

Das iſt doch einmal eine Scene,
in der geſunder Menſchenverſtand anzutreffen iſt.


Schloſſer.

Ich bin auch geruͤhrt.


Muͤller.

Es iſt ein treflicher Fuͤrſt.


Fiſcher.

Mit der Krone brauchte er nun
gerade nicht aufzutreten.


Schloſſer.

Es ſtoͤrt die Theilnahme ganz,
die man fuͤr ihn als zaͤrtlicher Vater hat.


Die Prinzeſſin
(allein).

Ich begreife gar
nicht, warum noch keiner von den Prinzen mein
Herz mit Liebe geruͤhrt hat. Die Warnungen mei-
nes Vaters liegen mir immer im Gedaͤchtniß, er
iſt ein großer Fuͤrſt, und dabei doch ein guter Va-
ter, mein Gluͤck ſteht ihm beſtaͤndig vor Augen;
er iſt vom Volk geliebt, er hat Talente und Reich-
[168]Zweite Abtheilung.
thuͤmer, er iſt ſanft wie ein Lamm, aber ploͤtzlich
kann ihn der wildeſte Zorn uͤbereilen, daß er ſich
und ſeine Beſtimmung vergißt. Ja, ſo iſt Gluͤck
immer mit Ungluͤck gepaart. Meine Freude ſind
die Wiſſenſchaften und die Kuͤnſte, Buͤcher machen
all mein Gluͤck aus.


Die Prinzeſſin, Leander der Hofgelehrte.

Prinzeſſin.

Sie kommen gerade recht, Herr
Hofgelehrter.


Leander.

Ich bin zu den Befehlen Eurer
Koͤniglichen Hoheit.

(Setzen ſich.)

Prinzeſſin.

Hier iſt mein Verſuch, ich
hab ihn Nachtgedanken uͤberſchrieben.


Leander
(lieſt).

Treflich! Geiſtreich! — Ach!
mir iſt, als hoͤr ich die mitternaͤchtliche Stunde
Zwoͤlfe ſchlagen. Wann haben Sie das geſchrieben?


Prinzeſſin.

Geſtern Mittag, nach dem
Eſſen.


Leander.

Schoͤn gedacht! Wahrlich ſchoͤn
gedacht! — Aber, mit gnaͤdigſter Erlaubniß: —
„Der Mond ſcheint betruͤbt in der Welt herein,“
— wenn Sie es nicht ungnaͤdig vermerken wollen,
ſo muß es heißen: in die Welt.


Prinzeſſin.

Schon gut, ich will es mir
fuͤr die Zukunft merken. Es iſt einfaͤltig, daß ei-
nem das Dichten ſo ſchwer gemacht wird, man
kann keine Zeile ſchreiben, ohne einen Sprachfeh-
ler zu machen.


Leander.

Das iſt der Eigenſinn unſrer
Sprache.


[169]Der geſtiefelte Kater.
Prinzeſſin.

Sind die Gefuͤhle nicht zart
und fein gehalten?


Leander.

Unbeſchreiblich, o ſo, — wie ſoll
ich ſagen? — ſo zart und lieblich ausgezaſelt, ſo
fein gezwirnt, alle die Pappeln und Thraͤnenwei-
den, und der goldene Mondenſchein hinein wei-
nend, und dann das murmelnde Gemurmel des
murmelnden Gießbachs, — man begreift kaum,
wie ein ſanfter weiblicher Geiſt den großen Ge-
danken nicht hat unterliegen muͤſſen, ohne ſich vor
dem Kirchhofe und den blaß verwaſchenen Geiſtern
der Mitternacht bis zur Vernichtung zu entſetzen.


Prinzeſſin.

Jetzt will ich mich nun in
die griechiſchen und antiken Versmaße werfen; ich
moͤchte einmal die romantiſche Unbeſtimmtheit ver-
laſſen, und mich an der plaſtiſchen Natur verſuchen.


Leander.

Sie kommen nothwendig immer
weiter, Sie ſteigen immer hoͤher.


Prinzeſſin.

Ich habe auch ein Stuͤck an-
gefangen: Der ungluͤckliche Menſchenhaſ-
ſer
; oder: verlorne Ruhe und wiederer-
worbne Unſchuld
.


Leander.

Schon der bloße Titel iſt be-
zaubernd.


Prinzeſſin.

Und dann fuͤhle ich einen un-
begreiflichen Drang in mir, irgend eine graͤßliche
Geiſtergeſchichte zu ſchreiben. — Wie geſagt, wenn
nur die Sprachfehler nicht waͤren!


Leander.

Kehren Sie ſich daran nicht, Un-
vergleichliche, die laſſen ſich leicht herausſtreichen.


[170]Zweite Abtheilung.
Kammerdiener tritt auf.

Kammerdiener.

Der Prinz von Malſinki,
der eben angekommen iſt, will Ew. Koͤniglichen
Hoheit ſeine Aufwartung machen.

(ab.)

Leander.

So empfehle ich mich unterthaͤ-
nigſt.

(geht ab.)

Prinz Nathanael von Malſinki und
der Koͤnig kommen.

Koͤnig.

Hier, Prinz, iſt meine Tochter, ein
junges einfaͤltiges Ding, wie Sie ſie da vor ſich
ſehn. —

(Beiſeit)

Artig, meine Tochter, hoͤflich, er
iſt ein angeſehener Prinz, weit her, ſein Land
ſteht gar nicht einmal auf meiner Landkarte, ich
habe ſchon nachgeſehn: ich habe einen erſtaunlichen
Reſpekt vor ihm.


Prinzeſſin.

Ich freue mich, daß ich das
Vergnuͤgen habe, Sie kennen zu lernen.


Nathanael.

Schoͤne Prinzeſſin, der Ruf
Ihrer Schoͤnheit hat ſo ſehr die ganze Welt
durchdrungen, daß ich aus einem weit entlegenen
Winkel hieher komme, Sie von Angeſicht zu An-
geſicht zu ſehn.


Koͤnig.

Es iſt doch erſtaunlich, wie viele
Laͤnder und Koͤnigreiche es giebt! Sie glauben
nicht, wie viel tauſend Kronprinzen ſchon hier
geweſen ſind, ſich um meine Tochter zu bewerben,
zu Dutzenden kommen ſie oft an, beſonders wenn
das Wetter ſchoͤn iſt, — und Sie kommen nun
gar, — verzeihen Sie, die Topographie iſt eine
[171]Der geſtiefelte Kater.
gar weitlaͤufige Wiſſenſchaft, — in welcher Ge-
gend liegt Ihr Land?


Nathanael.

Maͤchtiger Koͤnig, wenn Sie
von hier ausreiſen, erſt die große Chaußee hinun-
ter, dann ſchlagen Sie ſich rechts und immer fort
ſo, wenn ſie aber an einen Berg kommen, dann
wieder links, dann geht man zur See und faͤhrt
immer noͤrdlich (wenn es der Wind nemlich zu-
giebt), und ſo koͤmmt man, wenn die Reiſe
gluͤcklich geht, in anderthalb Jahren in meinem
Reiche an.


Koͤnig.

Der Tauſend! das muß ich mir
von meinem Hofgelehrten deutlich machen laſſen. —
Sie ſind wohl vielleicht ein Nachbar vom Nord-
pol, oder Zodiakus, oder dergleichen?


Nathanael.

Daß ich nicht wuͤßte.


Koͤnig.

Vielleicht ſo nach den Wilden zu?


Nathanael.

Ich bitte um Verzeihung, alle
meine Unterthanen ſind ſehr zahm.


Koͤnig.

Aber ſie muͤſſen doch verhenkert
weit wohnen. Ich kann mich immer noch nicht
daraus finden.


Nathanael.

Man hat noch keine genaue
Geographie von meinem Lande, ich hoffe taͤglich
mehr zu entdecken, und ſo kann es leicht kommen,
daß wir am Ende noch Nachbarn werden.


Koͤnig.

Das waͤre vortreflich! Und wenn
uns am Ende ein Paar Laͤnder noch im Wege
ſtehen, ſo helfe ich Ihnen mit entdecken. Mein
Nachbar iſt ſo nicht mein guter Freund und er
hat ein vortrefliches Land, alle Roſinen kommen
[172]Zweite Abtheilung.
von dort her, das moͤcht ich gar zu gerne haben. —
Aber noch eins, ſagen Sie mir nur, da Sie ſo
weit weg wohnen, wie Sie unſre Sprache ſo
gelaͤufig ſprechen koͤnnen?


Nathanael.

Still!


Koͤnig.

Wie?


Nathanael.

Still! Still!


Koͤnig.

Ich verſteh nicht.


Nathanael
(leiſe zu ihm).

Seyn Sie doch
ja damit ruhig, denn ſonſt merkt es ja am Ende
das Publikum da unten, daß das eben ſehr unna-
tuͤrlich iſt.


Koͤnig.

Schadet nicht, es hat vorher ge-
klatſcht und da kann ich ihm ſchon etwas bieten.


Nathanael.

Sehn Sie, es geſchieht ja
bloß dem Drama zu Gefallen, daß ich Ihre Sprache
rede, denn ſonſt iſt es allerdings unbegreiflich.


Koͤnig.

Ach ſo! Ja freilich, den Damen
und den Dramen thut man manches zu gefallen,
und muß oft Fuͤnfe gerade ſeyn laſſen. — Nun
kommen Sie, Prinz, der Tiſch iſt gedeckt!


(der Prinz fuͤhrt die Prinzeſſin ab, der Koͤnig geht voran).

Fiſcher.

Verfluchte Unnatuͤrlichkeiten ſind
da in dem Stuͤck!


Schloſſer.

Und der Koͤnig bleibt ſeinem
Charakter gar nicht getreu.


Leutner.

Am meiſten erboßen mich immer
Widerſpruͤche und Unnatuͤrlichkeiten. Warum kann
denn nur der Prinz nicht ein Bischen eine fremde
Sprache reden, die ſein Dolmetſcher verdeutſchte,
warum macht denn die Prinzeſſin nicht zuweilen
[173]Der geſtiefelte Kater.
einen Sprachfehler, da ſie ſelber geſteht, daß ſie
unrichtig ſchreibt?


Muͤller.

Freilich! freilich! — das Ganze
iſt ausgemacht dummes Zeug, der Dichter vergißt
immer ſelber, was er den Augenblick vorher ge-
ſagt hat.


Dritte Scene.

(vor einem Wirthshauſe.)

Lorenz, Kunz, Michel, ſitzen auf einer
Bank, der Wirth
.

Lorenz.

Ich werde wohl gehn muͤſſen, denn
ich habe noch einen weiten Weg bis nach Hauſe.


Wirth.

Ihr ſeid ein Unterthan des Koͤnigs.


Lorenz.

Ja wohl. — Wie nennt Ihr Eu-
ren Fuͤrſten?


Wirth.

Man nennt ihn nur Popanz.


Lorenz.

Das iſt ein naͤrriſcher Titel. Hat
er denn ſonſt keinen Namen?


Wirth.

Wenn er die Edikte ausgehn laͤßt,
ſo heißt es immer: zum Beſten des Publikums
verlangt das Geſetz. — Ich glaube daher, das
iſt ſein eigentlicher Name: alle Bittſchriften wer-
den auch immer beim Geſetz eingereicht. Es iſt
ein furchtbarer Mann.


Lorenz.

Ich ſtehe doch lieber unter einem
[174]Zweite Abtheilung.
Koͤnige, ein Koͤnig iſt doch vornehmer. Man
ſagt, der Popanz ſei ein ſehr ungnaͤdiger Herr.


Wirth.

Gnaͤdig iſt er nicht beſonders, das
iſt nun wohl wahr, dafuͤr iſt er aber auch die Ge-
rechtigkeit ſelbſt; von auswaͤrts ſogar werden ihm
oft die Prozeſſe zugeſchickt, und er muß ſie ſchlichten.


Lorenz.

Man erzaͤhlt wunderliche Sachen
von ihm, er ſoll ſich in alle Thiere verwandeln
koͤnnen.


Wirth.

Das iſt wahr, und ſo geht er oft
inkognito umher, und erforſcht die Geſinnungen
ſeiner Unterthanen; wir trauen daher auch keiner
fremden Katze, keinem unbekannten Hunde, weil
wir immer denken, unſer Herr koͤnnte wohl da-
hinter ſtecken.


Lorenz.

Da ſind wir doch auch beſſer dran,
unſer Koͤnig geht nie aus, ohne Krone, Mantel
und Zepter anzuziehn, man kennt ihn daher auch
auf tauſend Schritt. — Nun, gehabt Euch wohl.


(geht ab).

Wirth.

Nun iſt er ſchon in ſeinem Lande.


Kunz.

Iſt die Graͤnze ſo nah?


Wirth.

Freilich, jener Baum gehoͤrt ſchon
dem Koͤnig, man kann von hier alles ſehn, was
im Lande dort vorfaͤllt. Die Graͤnze hier macht
noch mein Gluͤck, ich waͤre ſchon laͤngſt bankerott
geworden, wenn mich nicht noch die Deſerteurs
von druͤben erhalten haͤtten; faſt taͤglich kommen
etliche.


Michel.

Iſt der Dienſt ſo ſchwer?


Wirth.

Das nicht, aber das Weglaufen iſt
[175]Der geſtiefelte Kater
ſo leicht, und bloß weil es ſo ſehr ſcharf verbo-
ten iſt, kriegen die Kerle die erſtaunliche Luſt
zum deſertiren. — Seht, ich wette, daß da wieder
einer koͤmmt!


Ein Soldat koͤmmt gelaufen.

Soldat.

Eine Kanne Bier. Herr Wirth!
geſchwind!


Wirth.

Wer ſeid Ihr?


Soldat.

Ein Deſerteur.


Michel.

Vielleicht gar aus Kindesliebe;
der arme Menſch, nehmt Euch doch ſeiner an,
Herr Wirth.


Wirth.

Je, wenn er Geld hat, ſolls am
Bier nicht fehlen

(geht ins Haus).

Zwei Huſaren kommen geritten und ſteigen ab.

Erſter Huſar.

Nu, Gottlob, daß wir ſo
weit ſind. — Proſit, Nachbar.


Soldat.

Hier iſt die Graͤnze.


Zweiter Huſar.

Ja, dem Himmel ſei
Dank! — Haben wir des Kerls wegen nicht rei-
ten muͤſſen — Bier, Herr Wirth!


Wirth
(mit mehreren Glaͤſern).

Hier, meine
Herren, ein ſchoͤner friſcher Trunk, Sie ſind alle
drei recht warm.


Erſter Huſar.

Hier, Holunke! auf deine
Geſundheit!


Soldat.

Danke ſchoͤnſtens, ich will Euch
die Pferde unterweilen halten.


Zweiter Huſar.

Der Kerl kann laufen! Es
[176]Zweite Abtheilung.
iſt nur gut, daß die Graͤnze nicht ſo gar weit iſt,
denn ſonſt waͤre das ein Hundedienſt.


Erſter Huſar.

Nun, wir muͤſſen wohl wie-
der zuruͤck. Adieu, Deſerteur! viel Gluͤck auf den
Weg! —

(Sie ſteigen wieder auf, und reiten davon)

Wirth.

Werdet Ihr hier bleiben?


Soldat.

Nein, ich will fort, ich muß mich
ja beim benachbarten Herzog wieder anwerben laſſen.


Wirth.

Sprecht doch wieder zu, wenn Ihr
wieder deſertirt.


Soldat.

Gewiß. — Lebt wohl.—


(Sie geben ſich die Haͤnde, der Soldat und die Gaͤſte gehn
ab, der Wirth ins Haus Der Vorhang faͤllt).

Zwiſchenakt.


Fiſcher.

Es wird doch immer toller und tol-
ler. — Wozu war denn nun wohl die letzte Scene?


Leutner.

Zu gar nichts, ſie iſt voͤllig uͤber-
fluͤßig; bloß um einen neuen Unſinn hinein zu
bringen. Den Kater verliert man ganz aus den
Augen und man behaͤlt gar keinen feſten Standpunkt.


Schloſſer.

Mir iſt voͤllig ſo, als wenn ich
betrunken waͤre.


Muͤller.

In welchem Zeitalter mag denn
das Stuͤck ſpielen ſollen. Die Huſaren ſind doch
offenbar eine neuere Erfindung.


Schloſſer.

Wir ſolltens nur nicht leiden
und derbe trommeln. Man weiß durchaus jetzt
gar nicht, woran man mit dem Stuͤcke iſt.


Fiſcher.
[177]Der geſtiefelte Kater.
Fiſcher.

Und auch keine Liebe! Nichts fuͤrs
Herz darin, fuͤr die Phantaſie!


Leutner.

Sobald wieder ſo etwas Tolles
vorkoͤmmt, fang ich fuͤr meine Perſon wenigſtens
an zu pochen und zu ziſchen.


Wieſener
(zu ſeinem Nachbar.)

Mir gefaͤllt jetzt
das Stuͤck.


Nachbar.

Sehr huͤbſch, in der That huͤbſch;
ein großer Mann, der Dichter, — hat die Zau-
berfloͤte gut nachgeahmt.


Wieſener.

Die Huſaren gefielen mir beſon-
ders, es ſind die Leute ſelten ſo dreiſt, Pferde
aufs Theater zu bringen, — und warum nicht?
Sie haben oft mehr Verſtand als die Menſchen.
Ich mag lieber ein gutes Pferd ſehn, als ſo man-
chen Menſchen in den neueren Stuͤcken.


Nachbar.

Im Kotzebue die Mohren, — ein
Pferd iſt am Ende nichts, als eine andere Art
von Mohren.


Wieſener.

Wiſſen Sie nicht, von welchem
Regiment die Huſaren waren?


Nachbar.

Ich habe ſie nicht einmal genau
betrachtet. — Schade, daß ſie ſo bald wieder weg-
gingen, ich moͤchte wohl ein ganzes Stuͤck von lau-
ter Huſaren ſehn, — ich mag die Kavallerie ſo gern.


Leutner
(zu Boͤtticher).

Was ſagen Sie zu
dem allen?


Boͤtticher.

Ich habe nur immer noch das
vortrefliche Spiel des Mannes im Kopfe, welcher
den Kater darſtellt. Welches Studium! Welche
Feinheit! Welche Beobachtung! Welcher Anzug!


II. [ 12 ]
[178]Zweite Abtheilung.
Schloſſer.

Das iſt wahr, er ſieht natuͤr-
lich aus, wie ein großer Kater.


Boͤtticher.

Und bemerken Sie nur ſeine
ganze Maske, wie ich ſeinen Anzug lieber nennen
moͤchte, denn da er ſo ganz ſein natuͤrliches Aus-
ſehn verſtellt hat, ſo iſt dieſer Ausdruck weit paſ-
ſender. Gott ſegne mir doch auch bei der Gele-
genheit die Alten! Sie wiſſen wahrſcheinlich nicht,
daß dieſe Alten alle Rollen ohne Ausnahme in
Masken ſpielen, wie Sie im Athenaͤus, Pollux
und andern finden werden. Es iſt ſchwer, ſehn
Sie, das alles ſo genau zu wiſſen, weil man mit
unter dieſe Buͤcher deswegen ſelber nachſchlagen
muß, doch hat man freilich nachher auch den Vor-
theil, daß man ſie anfuͤhren kann. Es iſt eine
ſchwierige Stelle im Pauſanias. —


Fiſcher.

Sie wollten ſo gut ſeyn, von dem
Kater zu ſprechen.


Boͤtticher.

Ja ſo. — Ich will auch alles
Vorhergehende nur ſo nebenher geſagt haben, ich
bitte Sie daher alle inſtaͤndigſt, es als eine Note
anzuſehn, und — um wieder auf den Kater zu
kommen, — haben Sie wohl bemerkt, daß er nicht
einer von den ſchwarzen Katern iſt? Nein, im Ge-
gentheil, er iſt faſt ganz weiß und hat nur einige
ſchwarze Flecke; das druͤckt ſeine Gutmuͤthigkeit
ganz vortreflich aus, man ſieht gleichſam den Gang
des ganzen Stuͤckes, alle Empfindungen, die es er-
regen ſoll, ſchon im Voraus in dieſem Pelze.


Fiſcher.

Der Vorhang geht wieder auf!


[179]Der geſtiefelte Kater.

Zweiter Akt.


Erſte Scene.

(Bauernſtube.)

Gottlieb, Hinze.

(Beide ſitzen an einem kleinen Tiſch und eſſen.)

Gottlieb.

Hats Dir geſchmeckt?


Hinze.

Recht gut, recht ſchoͤn.


Gottlieb.

Nun muß ſich aber mein Schick-
ſal bald entſcheiden, weil ich ſonſt nicht weiß, was
ich anfangen ſoll.


Hinze.

Habe nur noch ein Paar Tage Ge-
duld, daß Gluͤck muß doch auch einige Zeit haben,
um zu wachſen; wer wird denn ſo aus dem Steg-
reif gluͤcklich ſeyn wollen! Mein guter Mann, das
kommt nur in Buͤchern vor, in der wirklichen Welt
geht das nicht ſo geſchwinde.


Fiſcher.

Nun hoͤrt nur, der Kater unter-
ſteht ſich, von der wirklichen Welt zu ſprechen! —
Ich moͤchte faſt nach Hauſe gehn, denn ich fuͤrchte
toll zu werden.


Leutuer.

Es iſt beinahe, als wenn es der
Verfaſſer darauf angelegt haͤtte.


[180]Zweite Abtheilung.
Muͤller.

Ein exzellenter Kunſtgenuß, toll zu
ſeyn, das muß ich geſtehn!


Schloſſer.

Es iſt zu arg. Statt daß er
froh ſeyn ſollte, daß er nur, wenn auch in ima-
ginaͤrer Welt, wenigſtens exiſtieren darf, will er
den andern von phantaſtiſchen Hofnungen abbrin-
gen, und behandelt ihn als Schwaͤrmer, der doch
wenigſtens als Bauer nicht den Geſetzen unſerer
gewoͤhnlichen Welt widerſpricht!


Gottlieb.

Wenn ich nur wuͤßte, lieber Hinze,
wo Du die viele Erfahrung, den Verſtand herbe-
kommen haſt.


Hinze.

Glaubſt Du denn, daß man Tage-
lang umſonſt unterm Ofen liegt und die Augen
feſt zumacht? Ich habe dort immer im Stillen
fortſtudirt. Heimlich und unbemerkt waͤchſt die
Kraft des Verſtandes, daher hat man dann am
wenigſten Fortſchritte gemacht, wenn man manch-
mal Luſt kriegt, ſich mit einem recht langen Halſe
nach der zuruͤckgelegten Bahn umzuſehn. — Uebri-
gens ſei doch ſo gut und binde mir die Serviette ab.


Gottlieb.
(thuts).

Geſegnete Mahlzeit! —

(ſie kuͤſſen ſich.)

Nimm ſo vorlieb.


Hinze.

Ich danke von ganzen Herzen.


Gottlieb.

Die Stiefeln ſitzen recht huͤbſch,
und Du haſt einen ſcharmanten kleinen Fuß.


Hinze.

Das macht bloß, weil unſer eins im-
mer auf den Zehen geht, wie Du auch wirſt in
der Naturgeſchichte geleſen haben.


Gottlieb.

Ich habe einen großen Reſpekt
vor Dir, — von wegen der Stiefeln.


[181]Der geſtiefelte Kater.
Hinze.
(haͤngt ſich einen Torniſter um.)

Ich will
nun gehn. — Sieh, ich habe mir auch einen Sack
mit einer Schnurre gemacht.


Gottlieb.

Wozu das alles?


Hinze.

Laß mich nur, ich will einen Jaͤger
vorſtellen. — Wo iſt denn mein Stock?


Gottlieb.

Hier.


Hinze.

Nun ſo lebe wohl.

(geht ab.)

Gottlieb.

Einen Jaͤger? — Ich kann aus
dem Manne nicht klug werden.

(ab.)

Zweite Scene.

(Freies Feld.)

Hinze
mit Stock, Torniſter und Sack.

Herrliches Wetter! — Es iſt ein ſchoͤner war-
mer Tag, ich will mich auch hernach ein wenig in
die Sonne legen. —

(er ſpreitet ſeinen Sack aus.)

Nun,
Gluͤck, ſtehe mir bei! — Wenn ich freilich bedenke,
daß dieſe eigenſinnige Goͤttin ſo ſelten die klug an-
gelegten Plane beguͤnſtigt, daß ſie immer darauf
ausgeht, den Verſtand der Sterblichen zu Schan-
den zu machen, ſo moͤcht ich allen Muth verlieren.
Doch, ſei ruhig, mein Herz, ein Koͤnigreich iſt
ſchon der Muͤhe werth, etwas dafuͤr zu arbeiten
und zu ſchwitzen! — Wenn nur keine Hunde hier
in der Naͤhe ſind. Ich kann dieſe Geſchoͤpfe gar
[182]Zweite Abtheilung.
nicht vor Augen leiden; ſie ſind ein Geſchlecht, das
ich verachte, weil ſie ſich ſo gutwillig unter der
niedrigſten Knechtſchaft der Menſchen bequemen;
ſie koͤnnen nichts als ſchmeicheln und beißen, ſie
haben gar nichts von dem Ton, welcher im Um-
gange ſo nothwendig iſt. — Es will ſich nichts
fangen. —

(Er faͤngt an ein Jaͤgerlied zu ſingen: im Felde
ſchleich ich ſtill und wild u. ſ. w., eine Nachtigall im be-
nachbarten Buſch faͤngt an ſchmettern.)

Sie ſingt treflich,
die Saͤngerin der Haine, — wie delikat muß ſie
erſt ſchmecken! — Die Großen der Erde ſind doch
darin recht gluͤcklich, daß ſie Nachtigallen und Ler-
chen eſſen koͤnnen, ſo viel ſie nur wollen, — wir
armen gemeinen Leute muͤſſen uns mit dem Ge-
ſange zufrieden ſtellen, mit der ſchoͤnen Natur, mit
der unbegreiflich ſuͤßen Harmonie. — Es iſt fatal,
daß ich nichts kann ſingen hoͤren, ohne Luſt zu
kriegen, es zu freſſen. — Natur! Natur! Warum
ſtoͤrſt du mich dadurch immer in meinen allerzarteſten
Empfindungen, daß du meinen Geſchmack fuͤr Mu-
ſik ſo poͤbelhaft eingerichtet haſt? — Faſt krieg ich
Luſt, mir die Stiefeln auszuziehn und ſacht den
Baum dort hinauf zu klettern! ſie muß dort ſitzen.

(Im Parterre wird getrommelt.)

Die Nachtigall hat
eine gute Natur; ich habe immer nicht glauben
wollen, daß ſie am liebſten bei Sturm und Unge-
witter ſinge, aber jetzt erleb ich die Wahrheit die-
ſer Behauptung. — Ei! ſo ſinge und ſchmettre,
daß dir der Athem vergeht! — Delikat muß ſie
ſchmecken. Ich vergeſſe meine Jagd uͤber dieſe
[183]Der geſtiefelte Kater.
ſuͤßen Traͤume. — Es faͤngt ſich wahrhaftig nichts.
— Wer koͤmmt denn da?


Zwei Liebende treten auf.

Er.

Hoͤrſt du wohl die Nachtigall, mein ſuͤ-
ßes Leben?


Sie.

Ich bin nicht taub, mein Guter.


Er.

Wie wallt mein Herz vor Entzuͤcken
uͤber, wenn ich die ganze harmoniſche Natur ſo
um mich her verſammelt ſehe, wenn jeder Ton
nur das Geſtaͤndniß meiner Liebe wiederholt, wenn
ſich der ganze Himmel nieder beugt, um Aether
auf mich auszuſchuͤtten.


Sie.

Du ſchwaͤrmſt, mein Lieber.


Er.

Nenne die natuͤrlichſten Gefuͤhle meines
Herzens nicht Schwaͤrmerei.

(kniet nieder.)

Sieh, ich
ſchwoͤre Dir hier vor dem Angeſicht des heitern
Himmels —


Hinze
(hoͤflich hinzu tretend).

Verzeihen Sie guͤ-
tigſt, — wollen Sie ſich nicht gefaͤlligſt anders
wohin bemuͤhn? Sie ſtoͤren hier mit Ihrer hold-
ſeligen Eintracht eine Jagd.


Er.

Die Sonne ſei mein Zeuge, die Erde,
— und was ſonſt noch: Du ſelbſt, mir theurer
als Erde, Sonne und alle Planeten. — Was will
Er, guter Freund?


Hinze.

Die Jagd, — ich bitte demuͤthigſt.


Sie.

Barbar, wer biſt Du, daß Du es
wagſt, die Schwuͤre der Liebe zu unterbrechen?
Dich hat kein Weib geboren, Du gehoͤrſt jenſeits
der Menſchheit zu Hauſe.


[184]Zweite Abtheilung.
Hinze.

Wenn ſie nur bedenken wollten —


Sie.

So wart Er doch nur einen Augen-
blick, Er ſieht ja wohl, daß der Geliebte, in Trun-
kenheit verloren, auf ſeinen Knieen liegt.


Er.

Glaubſt Du mir nun?


Sie.

Ach! hab ich Dir nicht ſchon geglaubt,
noch ehe Du ein Wort geſprochen hatteſt? —

(ſie
beugt ſich liebevoll zu ihm hinab.)

Theurer! — ich —
liebe Dich! — o unausſprechlich.


Er.

Bin ich unſinnig? — O und wenn ich
es nicht bin, warum werd' ich Elender, Veraͤcht-
licher, es nicht urploͤtzlich vor uͤbergroßer Freude?
— Ich bin nicht mehr auf der Erde, ſieh mich
doch recht genau an, o Theuerſte, und ſage mir,
ob ich nicht vielleicht im Mittelpunkte jener un-
ſterblichen Sonne dort oben wandle.


Sie.

In meinen Armen biſt du, und die
ſollen dich auch nicht wieder laſſen.


Er.

O komm, dieſes freie Feld iſt meinen
Empfindungen zu enge, wir muͤſſen den hoͤchſten
Berg erklettern, um der ganzen Natur zu ſagen,
wie gluͤcklich wir ſind! —

(Sie gehen ſchnell und voll
Entzuͤckens ab. Lautes Klatſchen und Bravorufen im Parterre.)

Wieſener
(klatſchend).

Der Liebhaber griff ſich
tuͤchtig an. — O weh! da hab ich mir ſelber einen
Schlag in die Hand gegeben, daß ſie ganz aufge-
laufen iſt.


Nachbar.

Sie wiſſen ſich in der Freude nicht
zu maͤßigen.


Wieſener.

Ja, ſo bin ich immer.


[185]Der geſtiefelte Kater.
Fiſcher.

Ah! — das war doch etwas fuͤrs
Herz! — Das thut einem wieder einmal wohl!


Leutner.

Eine wirklich ſchoͤne Diktion in
der Scene.


Muͤller.

Ob ſie aber zum Ganzen wird
nothwendig ſeyn?


Schloſſer.

Ich kuͤmmere mich nie ums
Ganze; wenn ich weine, ſo wein' ich, und damit
gut; es war eine goͤttliche Stelle.


Hinze.

O Liebe, wie groß iſt deine Macht,
daß deine Stimme die Ungewitter beſaͤnftigt, ein
pochendes Publikum beſchwichtigt, und das Herz
kritiſcher Zuſchauer ſo umwendet, daß ſie ihren
Zorn und alle ihre Bildung vergeſſen. — Es laͤßt
ſich nichts fangen. —

(Ein Kaninchen kriecht in den Sack,
er ſpringt ſchnell hinzu und ſchnuͤrt ihn zuſammen.)

Sieh
da, guter Freund! Ein Wildprett, das eine Art
von Geſchwiſterkind mit mir iſt; ja, das iſt der
Lauf der heutigen Welt, Verwandte gegen Ver-
wandte, Bruder gegen Bruder; wenn man ſelbſt
durch die Welt will, muß man andre aus dem
Wege ſtoßen. —

(Er nimmt das Kaninchen aus dem Sacke
und ſteckt es in den Torniſter.)

Halt! Halt! — Ich
muß mich wahrhaftig in Acht nehmen, daß ich
das Wildprett nicht ſelber auffreſſe. Ich muß nur
geſchwinde den Torniſter zubinden, damit ich meine
Affekten bezaͤhme. — Pfui! ſchaͤme dich Hinz! —
Iſt es nicht die Pflicht des Edlen, ſich und ſeine
Neigungen dem Gluͤck ſeiner Meitgeſchoͤpfe aufzu-
opfern? Dies iſt der Entzweck, zu welchen wir ge-
ſchaffen worden, und wer das nicht kann, — o ihm
[186]Zweite Abtheilung.
waͤre beſſer, daß ſeine Mutter ihn nie geboren
haͤtte. —

(Er will abgehn, man klatſcht heftig und ruft all-
gemein da Capo, er muß die letzte ſchoͤne Stelle noch einmal
herſagen, dann verneigt er ſich ehrerbietig und geht mit dem
Kaninchen ab.)

Fiſcher.

O welcher edle Mann!


Muͤller.

Welche ſchoͤne menſchliche Geſin-
nung!


Schloſſer.

Durch ſo etwas kann man ſich
doch noch beſſern, — aber wenn ich Narrenpoſſen
ſehe, moͤcht ich gleich drein ſchlagen.


Leutner.

Mir iſt auch ganz wehmuͤthig ge-
worden, — die Nachtigall, — die Liebenden, —
die letzte Tirade, — das Stuͤck hat denn doch
wahrhaftig ſchoͤne Stellen!


Dritte Scene.

(Saal im Pallaſt.)

Große Audienz. Der Koͤnig, die Prinzeſſin,
der Prinz Nathanael, der Koch (in Galla).

Koͤnig
(ſitzt auf dem Thron).

Hieher, Koch, jetzt
iſt es Zeit, Rede und Antwort zu geben, ich will
die Sache ſelbſt unterſuchen.


Koch
(laͤßt ſich auf ein Knie nieder).

Ihro Maje-
ſtaͤt geruhen, Ihre Befehle uͤber Dero getreuſten
Diener auszuſprechen.


[187]Der geſtiefelte Kater.
Koͤnig.

Man kann nicht genug dahin arbei-
ten, meine Freunde, daß ein Koͤnig, dem das
Wohl eines ganzen Landes und unzaͤhliger Unter-
thanen auf dem Halſe liegt, immer bei guter Laune
bleibe; denn wenn er in eine uͤble Laune geraͤth,
ſo wird er gar leicht ein Tirann, ein Unmenſch;
denn gute Laune befoͤrdert die Froͤhlichkeit, und
Froͤhlichkeit macht nach den Beobachtungen aller
Philoſophen den Menſchen gut, dahingegen die
Melankolie deswegen fuͤr ein Laſter zu achten iſt,
weil ſie alle Laſter befoͤrdert. Wem, frag ich nun,
liegt es ſo nahe, in weſſen Gewalt ſteht es wohl
ſo ſehr, die Laune eines Monarchen zu befoͤrdern,
als eben in den Haͤnden eines Kochs? — Sind
Kaninchen nicht ſehr unſchuldige Thiere? Wer an-
ders denken oder ſprechen koͤnnte, von dem muͤßte
ich fuͤrchten, daß er ſelbſt den reinſten Schmuck
ſeiner Seele, ſeine Unſchuld ver[l]oren haͤtte. —
Durch dieſe ſanften Thierchen koͤnnte ich dahin
kommen, es gar nicht uͤberdruͤßig zu werden, mein
Land gluͤcklich zu machen, — und an dieſen Ka-
ninchen laͤßt Er es mangeln! — Spanferkeln und
alle Tage Spanferkeln, — Boͤſewicht, das bin ich
endlich uͤberdruͤßig.


Koch.

Verdamme mich mein Koͤnig nicht un-
gehoͤrt. Der Himmel iſt mein Zeuge, daß ich mir
alle Muͤhe nach jenen niedlichen weißen Thierchen
gegeben habe, ich habe ſie zu allen Preiſen ein-
kaufen wollen, aber durchaus ſind keine zu haben.
— Sollten Sie an der Liebe Ihrer Unterthanen
[188]Zweite Abtheilung.
zweifeln koͤnnen, wenn man nur irgend dieſer Ka-
ninchen habhaft werden koͤnnte?


Koͤnig.

Laß die ſchelmiſchen Worte, ſchier
Dich fort in die Kuͤche und beweiſe durch die That,
daß Du deinen Koͤnig liebſt. —

(Der Koch geht ab.)


— Jetzt wend ich mich zu Ihnen, mein Prinz,
— und zu Dir, meine Tochter. — Ich habe er-
fahren, werther Prinz, daß meine Tochter Sie
nicht liebt, daß ſie Sie nicht lieben kann; ſie iſt
ein unbeſonnenes unvernuͤnftiges Maͤdchen, aber
ich traue ihr doch ſo viel Verſtand zu, daß ſie
einige Urſachen haben wird. — Sie macht mir
Sorgen und Gram, Kummer und Nachdenken,
und meine alten Augen fließen von haͤufigen Thraͤ-
nen uͤber, wenn ich daran denke, wie es nach mei-
nem Tode mit ihr werden ſoll. — Du wirſt ſitzen
bleiben! hab ich ihr tauſendmal geſagt; greif zu,
ſo lange es Dir geboten wird! Aber ſie will nicht
hoͤren, nun ſo wird ſie ſich gefallen laſſen muͤſſen,
zu fuͤhlen.


Prinzeſſin.

Mein Vater, —


Koͤnig
(weinend und ſchluchzend).

Geh, Undank-
bare, Ungehorſame, — Du bereiteſt meinem grauen
Kopfe durch Dein Weigern, ein, ach! nur allzu-
fruͤhzeitiges, Grab! —

(Er ſtuͤtzt ſich auf den Thron,
verdeckt mit dem Mantel das Geſicht und weint heftig.)

Fiſcher.

Der Koͤnig bleibt ſeinem Charakter
doch nicht einen Augenblick getreu.


Ein Kammerdiener kommt herein.

Kammerdiener.

Ihro Majeſtaͤt, ein frem-
[189]Der geſtiefelte Kater.
der Mann iſt draußen und bittet vor Ihro Ma-
jeſtaͤt gelaſſen zu werden.


Koͤnig
(ſchluchzend).

Wer iſts.


Kammerdiener.

Verzeihung, mein Koͤnig,
daß ich dieſe Frage nicht beantworten kann. Sei-
nem langen weißen Barte nach ſollte er ein Greis
ſeyn, und ſein ganz mit Haaren bedecktes Geſicht
ſollte einen faſt in dieſer Vermuthung beſtaͤrken,
aber dann hat er wieder ſo muntre jugendliche
Augen, einen ſo dienſtfertigen geſchmeidigen Ruͤk-
ken, daß man an ihm irre wird. Er ſcheint ein
wohlhabender Mann, denn er traͤgt ein Paar vor-
trefliche Stiefeln, und ſo viel ich irgend aus ſei-
nem Aeußern abnehmen kann, moͤcht ich ihn fuͤr
einen Jaͤger halten.


Koͤnig.

Fuͤhrt ihn herein, ich bin neugierig
ihn zu ſehn.


Kammerdiener geht ab und kommt ſogleich
mit Hinze zuruͤck.

Hinze.

Mit Ihrer Majeſtaͤt gnaͤdigſter Er-
laubniß iſt der Graf von Carabas ſo frei, Ih-
nen ein Kaninchen zu uͤberſenden.


Koͤnig
(entzuͤckt).

Ein Kaninchen? — Hoͤrt
ihrs wohl, Leute? — O das Schickſal hat ſich
wieder mit mir ausgeſoͤhnt! — Ein Kaninchen?


Hinze
(nimmt es aus dem Torniſter).

Hier großer
Monarch.


Koͤnig.

Da, — halten Sie mal das Scep-
ter einen Augenblick Prinz, —

(er befuͤhlt das Kanin-
chen.)

fett! huͤbſch fett! — Vom Grafen von —


[190]Zweite Abtheilung.
Hinze.

Carabas.


Koͤnig.

Ei, das muß ein vortreflicher Mann
ſeyn, den Mann muß ich naͤher kennen lernen. —
Wer iſt der Mann? Wer kennt ihn von Euch?
— Warum haͤlt er ſich verborgen? Wenn ſolche
Koͤpfe feiern, wie viel Verluſt fuͤr meinen Staat!
Ich moͤchte vor Freuden weinen; ſchickt mir ein
Kaninchen
! Kammerdiener, gebt es gleich dem
Koch.

(Kammerdiener empfaͤngts und geht ab.)

Nathanael.

Mein Koͤnig, ich nehme mei-
nen demuͤthigſten Abſchied.


Koͤnig.

Ja ſo, das haͤtt ich uͤber die Freude
bald vergeſſen. — Leben Sie wohl, Prinz. Ja,
Sie muͤſſen andern Freiwerbern Platz machen, das
iſt nicht anders. — Adieu! Ich wollte, Sie haͤt-
ten Chauſſee bis nach Hauſe.


Nathanael (kuͤßt ihm die Hand und geht ab).

Koͤnig
(ſchreiend.)

Leute! — Mein Hiſtorio-
graph ſoll kommen!


Der Hiſtoriograph erſcheint.

Koͤnig.

Hier, Freund, kommt, hier giebts
Materie fuͤr unſre Weltgeſchichte. — Ihr habt
doch Euer Buch bei Euch?


Hiſtoriograph.

Ja, mein Koͤnig.


Koͤnig.

Schreibt gleich hinein, daß mir an
dem und dem Tage, (welch Datum wir nun
heut ſchreiben) der Graf von Carabas ein ſehr
delikates Kaninchen zum Praͤſent uͤberſchickt hat.


Hiſtoriograph ſetzt ſich nieder und ſchreibt.

Koͤnig.

Vergeßt nicht, anno currentis.
[191]Der geſtiefelte Kater.
Ich muß an alles denken, ſonſt wirds doch immer
ſchief ausgerichtet.

(man hoͤrt blaſen.)

— Ah, das
Eſſen iſt fertig. — Komm, meine Tochter, weine
nicht, iſts nicht der Prinz, ſo iſts ein andrer. —
Jaͤger, wir danken fuͤr Deine Muͤhe; willſt Du
uns nach dem Speiſeſaal begleiten?


(ſie gehn ab, Hinze folgt.)

Leutner.

Bald halt ichs nicht mehr aus!
Wo iſt denn nun der Vater geblieben, der erſt
gegen ſeine Tochter ſo zaͤrtlich war, und uns alle
ſo ruͤhrte?


Fiſcher.

Was mich nur aͤrgert, iſt, daß ſich
kein Menſch im Stuͤck uͤber den Kater wundert;
der Koͤnig und alle thun, als muͤßte es ſo ſeyn.


Schloſſer.

Mir geht der ganze Kopf von
dem wunderlichen Zeuge herum.


Vierte Scene.

(Koͤniglicher Speiſeſaal.)

Große ausgeruͤſtete Tafel. Unter Pauken und
Trompeten treten ein: der Koͤnig, die Prin-
zeſſin
, Leander, Hinze, mehrere vornehme
Gaͤſte und Hanswurſt, Bediente, welche
aufwarten.

Koͤnig.

Setzen wir uns, die Suppe wird
ſonſt kalt. — Iſt fuͤr den Jaͤger geſorgt?


[192]Zweite Abtheilung.
Ein Bedienter.

Ja, Ihro Majeſtaͤt, er
wird mit dem Hofnarren hier am kleinen Tiſch-
chen eſſen.


Hanswurſt
(zu Hinze).

Setzen wir uns, die
Suppe wird ſonſt kalt.


Hinze
(ſetzt ſich).

Mit wem hab ich die Ehre
zu ſpeiſen?


Hanswurſt.

Der Menſch iſt, was er iſt,
Herr Jaͤger, wir koͤnnen nicht alle dasſelbe treiben.
Ich bin ein armer verbannter Fluͤchtling, ein Mann,
der vor langer Zeit einmal ſpaßhaft war, den man
nachher fuͤr dumm, abgeſchmackt und unanſtaͤndig
hielt, und der nun in einem fremden Lande wie-
der in Dienſte getreten iſt, wo man ihn von
neuem auf einige Zeit fuͤr unterhaltend anſieht.


Hinze.

So? — Was ſeid Ihr fuͤr ein
Landsmann?


Hanswurſt.

Leider nur ein Deutſcher.
Meine Landsleute wurden um eine gewiſſe Zeit
ſo klug, daß ſie allen Spaß bei Strafe verboten,
wo man mich nur gewahr ward gab man mir un-
ausſtehliche Ekelnamen, als: gemein, poͤbelhaft,
niedertraͤchtig, ja mein guter ehrlicher Name Hans-
wurſt ward zu einem Schimpfworte herab gewuͤr-
digt. O edle Seele, die Thraͤnen ſtehn dir in den
Augen, und du knurrſt vor Schmerz, oder macht
es der Geruch des Bratens, der dir in die Naſe
zieht? Ja, lieber Empfindſamer, wer ſich damals
nur unterſtand, uͤber mich zu lachen, der wurde
eben ſo verfolgt, wie ich, und ſo mußt ich denn
wohl in die Verbannung wandern.


Hinze.
[193]Der geſtiefelte Kater.
Hinze.

Armer Mann!


Hanswurſt.

Es giebt wunderliche Hand-
thierungen in der Welt, Herr Jaͤger; Koͤche leben
vom Appetit, Schneider von der Eitelkeit, ich vom
Lachen der Menſchen, wenn ſie nicht mehr lachen,
ſo iſt meine Nahrung verloren.


Hinze.

Das Gemuͤſe eß ich nicht.


Hanswurſt.

Warum? Seid nicht bloͤde,
greift zu.


Hinze.

Ich ſage Euch, ich kann den weißen
Kohl nicht vertragen.


Hanswurſt.

Mir wird er deſto beſſer ſchmek-
ken. — Gebt mir Eure Hand, ich muß Euch naͤ-
her kennen lernen, Jaͤger.


Hinze.

Hier.

(Gemurmel im Parterr: ein Hans-
wurſt
! ein Hanswurſt!

Hanswurſt.

Empfangt hier die Hand eines
deutſchen Biedermannes, ich ſchaͤme mich nicht, wie
ſo viele meiner Landsleute, ein Deutſcher zu ſeyn.


(Er druͤckt dem Kater die Hand ſehr heftig.)

Hinze.

Au! au! —


(Er ſtraͤubt ſich, knurrt und klaut den Hanswurſt.)

Hanswurſt.

O weh! Jaͤger! plagt Euch
der Teufel? —

(er ſteht auf und geht weinend zum Koͤ-
nige.)

Ihro Majeſtaͤt, der Jaͤger iſt ein treuloſer
Mann, ſeht nur, wie er mir ein Andenken von
ſeinen fuͤnf Fingern hinterlaſſen hat.


Koͤnig
(eſſend).

Wunderlich, — nun, ſetz Dich
nur wieder hin, trage kuͤnftig Handſchuh, wenn
Du mit ihm gut Freund ſeyn willſt. Es giebt
vielerlei Arten von Freunden, man muß jedes Ge-
II. [ 13 ]
[194]Zweite Abtheilung.
richt zu eſſen, und jeden Freund zu behandeln ver-
ſtehn. Halt! Ich habe gleich gedacht, daß hinter
dem Jaͤger was beſonderes ſteckt: ſieh! ſieh! er iſt
ein Freimaurer, und hat Dir nur das Zeichen in
die Hand ſchreiben wollen, um zu ſehn, ob Du
auch von der Bruͤderſchaft biſt.


Hanswurſt.

Man muß ſich vor Euch huͤten.


Hinze.

Warum kneift Ihr mich ſo? Hole
der Henker Euer biederes Weſen!


Hanswurſt.

Ihr krazt ja wie eine Katze.


Hinze
(lacht boshaft).

Koͤnig.

Aber was iſt denn das heute? Wa-
rum wird denn kein vernuͤnftiges Tiſchgeſpraͤch ge-
fuͤhrt? Mir ſchmeckt kein Biſſen, wenn nicht auch
der Geiſt einige Nahrung hat. — Hofgelehrter,
ſeid Ihr denn heut auf den Kopf gefallen?


Leander
(eſſend).

Ihro Majeſtaͤt geruhn —


Koͤnig.

Wie weit iſt die Sonne von der Erde?


Leander.

Zweimal hundert tauſend, fuͤnf
und ſiebenzig und eine Viertel Meile, funfzehn
auf einen Grad gerechnet.


Koͤnig.

Und der Umkreis, den die Planeten
ſo insgeſamt durchlaufen?


Leander.

Wenn man rechnet, was jeder ein-
zelne laufen muß, ſo kommen in der Total-Summa
etwas mehr als tauſend Millionen Meilen heraus.


Koͤnig.

Tauſend Millionen! — Man ſagt
ſchon, um ſich zu verwundern: ei der Tauſend!
und nun gar tauſend Millionen! Ich mag auf der
Welt nichts lieber hoͤren, als ſo große Nummern,
— Millionen, Trillionen, — da hat man doch
[195]Der geſtiefelte Kater.
dran zu denken. — Es iſt doch meiner Seel ein
Bischen viel, ſo tauſend Millionen.


Leander.

Der menſchliche Geiſt waͤchſt mit
den Zahlen.


Koͤnig.

Sagt mal, wie groß iſt wohl ſo
die ganze Welt im Umfange, Fixſterne, Milch-
ſtraßen, Nebelkappen und allen Plunder mitge-
rechnet.


Leander.

Das laͤßt ſich gar nicht ausſprechen.


Koͤnig.

Du ſollſt es aber ausſprechen, oder

(mit dem Zepter drohend.)

Leander.

Wenn wir eine Million wieder als
Eins anſehn, dann ohngefaͤhr zehn mal hundert
tauſend Trillionen ſolcher Einheiten, die jede an
ſich ſchon eine Million Meilen ausmachen.


Koͤnig.

Denkt nur, Kinder denkt! — Sollte
man meinen, daß das Ding von Welt ſo groß ſein
koͤnnte? Aber wie das den Geiſt beſchaͤftigt!


Hanswurſt.

Ihro Majeſtaͤt, das iſt eine
kurioſe Erhabenheit, davon krieg ich noch weniger
in den Kopf als in den Magen; mir kommt die
Schuͤſſel mit Reiß hier viel erhabener vor.


Koͤnig.

Wie ſo, Narr?


Hanswurſt.

Bei ſolchen ungeheuren Zahlen
kann man gar nichts denken, denn die hoͤchſte Zahl
wird ja am Ende wieder die kleinſte. Man darf
ſich ja nur alle Zahlen denken, die es geben kann.
Wir koͤnnen nicht leicht, ohne uns zu verirren,
bis fuͤnfe zaͤhlen.


Koͤnig.

Aber da iſt was Wahres drinn.
[196]Zweite Abtheilung.
Der Narr hat ſeine Einfaͤlle. — Gelehrter, wie
viel Zahlen giebt es denn?


Leander.

Unendlich viel.


Koͤnig.

Sagt mal geſchwind die hoͤchſte Zahl.


Leander.

Es giebt gar keine hoͤchſte, weil
man zur hoͤchſten noch immer wieder eine neue
hinzufuͤgen kann; der menſchliche Geiſt kennt hier
gar keine Einſchraͤnkung.


Koͤnig.

Es iſt doch aber wahrhaftig ein
wunderliches Ding um dieſen menſchlichen Geiſt.


Hinze.

Es muß Dir hier ſauer werden, ein
Narr zu ſeyn.


Hanswurſt.

Man kann gar nichts Neues
aufbringen, es arbeiten zu viele in dem Fache.


Koͤnig.

Und du ſagſt alſo auch, daß die
Erde immer rundum, immer rundum geht, bald
ſo, bald ſo, wie ein beſoffener Menſch?


Leander.

Nicht eigentlich auf dieſe Weiſe,
ſondern mehr einem Walzenden aͤhnlich.


Koͤnig.

Und ſie iſt, wie Ihr meint, eine
Kugel?


Leander.

Allerdings, ſo daß unter uns
Menſchen wohnen, die ihre Fuͤße gegen die un-
ſrigen richten, oder unſre Antipoden ſind, ſo wie
wir wiederum die Antipoden von ihnen ſind.


Koͤnig.

Wir? Ich auch?


Leander.

Allerdings.


Koͤnig.

Ich verbitte mir aber dergleichen;
meint Er, daß ich mich ſo wegwerfen werde?
Er und ſeines gleichen moͤgen Antipoden ſeyn, ſo
viel ſie wollen, aber ich halte mich zu gut, jeman-
[197]Der geſtiefelte Kater.
des Antipode zu ſeyn, und wenn es ſelbſt der große
Mogul waͤre. Er denkt wohl, weil ich mich manch-
mal herab laſſe, mit ihm zu disputiren, ſo werde
ich mir auch alles bieten laſſen. Ja, ja, ich ſehe,
wer ſich zum Schaaf macht, den freſſen die Woͤlfe;
man darf ſolche Gelehrte nur ein weniges um ſich
greifen laſſen, ſo mengen ſie nach ihren Syſtemen
Kraut und Ruͤben durcheinander, und entbloͤden
ſich nicht, den regierenden Herren ſelbſt unter die
Antipoden zu werfen. Das dergleichen niemals
wieder geſchieht!


Leander.

Wie Ihro Majeſtaͤt befehlen.


Koͤnig.

Doch um nicht einſeitig bei einem
Gegenſtande zu verweilen, ſo bringt mir nun ein-
mal mein Mikroskop herein!

(Leander ab.)

Ich muß
Ihnen ſagen, meine Herren, daß ich es als eine
Andacht treibe, in das kleine Ding hinein zu kuk-
ken, und daß es mich in der That erbaut, und
mein Herz erhebt, wenn ich ſehe, wie ein Wurm
ſo ungeheuer vergroͤßert wird, wie eine Made und
Fliege ſo ſeltſamlich konſtruirt ſind, und wie ſie
in ihrer Pracht mit einem Koͤnige wetteifern koͤn-
nen. —

(Leander kommt zuruͤck.)

Gebt her! Iſt nicht
eine Muͤcke bei der Hand, ein Gewuͤrm, ſei es,
was es ſei, um es zu beobachten?


Hanswurſt.

Sonſt findet ſich dergleichen
oft, ohne daß mans wuͤnſcht, und nun es zur
Geiſtesbildung dienen ſoll, laͤßt ſich nichts betref-
fen: aber ich ſchlage Ihrer Majeſtaͤt unmaßgeblich
vor, eins von den ſeltſamen Barthaaren des frem-
[198]Zweite Abtheilung.
den Jaͤgers zu obſerviren, was ſich gewiß der
Muͤhe verlohnt.


Koͤnig.

Seht, der Narr hat heut ſeinen lu-
minoͤſen Tag. Ein treflicher Gedanke! Damit der
Jaͤger ſich aber nicht uͤber Gewalt zu beſchweren
hat, ſoll ihm das anſehnlichſte Haar durch Nie-
mand anders als durch zwei Kammerherren aus-
gerauft werden. Macht Euch dran, Leute.


Hinze
(zu den Kammerherren).

Das ſcheint mir
ein Eingriff in das Voͤlkerrecht. —

(ſie ziehn ihm das
Haar aus.)

Au! Mau! Miau! Prrrſt!


Koͤnig.

Hoͤrt, er maut faſt wie eine Katze.


Hanswurſt.

O ja, auch hat er eben ſo ge-
pruſtet; er ſcheint uͤberhaupt eine merkwuͤrdige Or-
ganiſation zu beſitzen.


Koͤnig
(durch das Glas ſehend).

Ei! ei! wie hoͤchſt
wunderbar! Da iſt doch auch kein Riß, keine un-
ebene Stelle, keine Rauhigkeit wahrzunehmen. Ja,
das ſollen mir einmal die engliſchen Fabriken nach-
ahmen! Ei! ei! wo der Jaͤger nur dieſe koſtbaren
Barthaare hergenommen hat!


Hanswurſt.

Sie ſind ein Werk der Natur,
mein Koͤnig. Dieſer fremde Mann hat noch eine
andre große Naturmerkwuͤrdigkeit an ſich, die ge-
wiß eben ſo unterhaltend als nachdenklich iſt. Ich
nahm vorhin wahr, als die Braten herein gebracht
wurden, und der angenehme Duft den ganzen
Saal erfuͤllte, daß ſich in ſeinem Koͤrper ein ge-
wiſſes Orgelwerk in Bewegung zu ſetzen anfing,
das mit luſtigen Paſſagen auf und nieder ſchnurrte,
wobei er die Augen aus Wohlgefallen eindruͤckte
[199]Der geſtiefelte Kater.
und ihm die Naſe lebhaft zitterte. Ich fuͤhlte ihn
zu der Zeit an, und der Tremulant war in ſeinem
ganzen Koͤrper, unter Nacken und Ruͤcken fuͤhlbar.


Koͤnig.

Iſt es moͤglich? Kommt mal her,
tretet zu mir, Jaͤger.


Hinze.

An dieſen Mittag werd ich gedenken.


Hanswurſt.

Kommt, edler Freund.

(indem er
ihn fuͤhrt.)

Nicht wahr? Ihr werdet wieder kratzen?


Koͤnig.

Hier tretet her. — Nun? —

(legt
ſein Ohr an ihn.)

Ich hoͤre nichts, es iſt ja maͤus-
chenſtill in ſeinem Leibe.


Hanswurſt.

Er hat es verloren, ſeit ihm
das Haar ausgeriſſen wurde, es ſcheint nur zu or-
geln, wenn ihm wohl iſt. Jaͤger, denkt einmal
recht was wohlgefaͤlliges, ſtellt Euch doch was An-
muthiges vor, ſonſt glaubt man, es iſt nur Tuͤcke,
daß es jetzt nicht in Euch ſpielt.


Koͤnig.

Haltet ihm den Braten vor die
Naſe. — So. — Seht, Jaͤger, davon ſollt Ihr
ſogleich bekommen. Nun? — Ich will ihm indeß
etwas den Kopf und die Ohren ſtreicheln, hoffent-
lich wirkt dieſe Gnade auf ſein Zufriedenheits-Or-
gan. — Richtig! Hoͤrt, hoͤrt, Leute, wie er
ſchnurrt, auf und ab, ab und auf, in recht huͤb-
ſchen Laͤufen! Und in ſeinem ganzen Koͤrper fuͤhl
ich die Erſchuͤtterung. — Hm! hm! aͤußerſt ſon-
derbar! — Wie ein ſolcher Menſch inwendig muß
beſchaffen ſeyn! Ob es eine Walze ſeyn mag, die
ſich umdreht, oder ob es nach Art der Claviere
eingerichtet iſt? Wie nur die Daͤmpfung angebracht
wird, daß augenblicks das ganze Werk ſtill ſteht?
[200]Zweite Abtheilung.
— Sagt mal, Jaͤger: (Euch acht' ich und bin
wohlwollend gegen Euch geſinnt) aber habt Ihr
nicht vielleicht in der Familie einen Vetter, oder
weitlaͤuftigen Anverwandten, an dem nichts iſt,
an dem die Welt nichts verloͤre, und den man
ſo ein weniges aufſchneiden koͤnnte, um ein Ein-
ſehn in die Maſchienerie zu bekommen?


Hinze.

Nein, Ihro Majeſtaͤt, ich bin der
einzige meines Geſchlechts.


Koͤnig.

Schade! — Hofgelehrter, denkt ein-
mal nach, wie der Menſch innerlich gebaut ſeyn
mag, und leſ't es uns alsdann in der Akademie vor.


Hanswurſt.

Kommt, Jaͤger, ſetzen wir
uns wieder und ſpeiſen.


Hinze.

Ich ſehe, mit Dir muß ich Freund-
ſchaft halten.


Leander.

Es wird mir eine Ehre ſeyn, mein
Koͤnig; ich habe auch ſchon eine Hypotheſe im Kopf,
die mir von der hoͤchſten Wahrſcheinlichkeit iſt; ich
vermuthe nemlich, daß der Jaͤger ein unwillkuͤhr-
licher Bauchredner iſt, der wahrſcheinlich bei ſtren-
ger Erziehung ſich fruͤh angewoͤhnt hat, ſein Wohl-
gefallen und ſeine Freude, die er nicht aͤußern durfte,
in ſeinem Innern zu verſchließen, dorten aber, weil
ſein ſtarkes Naturell zu maͤchtig war, hat es in
den Eingeweiden fuͤr ſich ſelbſt den Ausdruck der
Freude getrieben, und ſich ſo dieſe innerliche Spra-
che gebildet, die wir jetzt als eine ſeltſame Erſchei-
nung an ihm bewundern.


Koͤnig.

Laͤßt ſich hoͤren.


Leander.

Nun klingt es deshalb in ihm
[201]Der geſtiefelte Kater.
mehr wie ein verhaltner Grimm, als wie ein
Ausdruck der Luſt. Ihrer Natur nach ſteigt die
Freude nach oben, oͤffnet den Mund weit und
ſpricht in den offenſten Vokalen, am liebſten in
A, I oder Ei, wie wir in der ganzen Schoͤp-
fung, an Kindern, Schaafen, Eſeln, Stieren und
Betrunkenen wahrnehmen koͤnnen; er aber, bei
ſeinen tyranniſchen Eltern und Vormuͤndern, wo
er nichts durfte laut werden laſſen, mußte inner-
lich nur ein O und U brummen, und ſo angeſehn
muß dieſe Erſcheinung alles Wunderbare verlie-
ren, und ich glaube aus dieſen Gruͤnden nicht,
daß er eigene Walzen, oder ein Orgelwerk in ſei-
nem Leibe beſitze.


Hanswurſt.

Wenn es nun einmal dem
Herrn Leander verboten wuͤrde, laut zu philoſo-
phiren, und ſeine tiefſinnigen Gedanken muͤßten
ſich auch, ſtatt oben, in der Tiefe ausſprechen, welche
Sorte von Knarrwerk ſich wohl in ſeinem Bauch
etabliren wuͤrde?


Leander.

Der Narr, mein Koͤnig, kann
vernuͤnftige Gedanken nie begreifen; mich wundert
uͤberhaupt, daß ſich Ihro Majeſtaͤt noch von ſei-
nen geſchmackloſen Einfaͤllen beluſtigen laſſen. Man
ſollte ihn geradezu fortjagen, denn er bringt Ih-
ren Geſchmack nur in einen uͤblen Ruf.


Koͤnig
(wirft ihm das Zepter an den Kopf).

Herr
Naſeweis von Gelehrter! was unterſteht er ſich
denn? In ihn iſt ja heut ein ſataniſcher Rebel-
lionsgeiſt gefahren! Der Narr gefaͤllt mir, mir,
ſeinem Koͤnige, und wenn ich Geſchmack an ihm
[202]Zweite Abtheilung.
finde, wie kann Er ſich unterſtehn zu ſagen, daß
der Mann abgeſchmackt ſey? Er iſt Hofgelehrter
und der andre Hofnarr, Ihr ſteht beide in einem
Gehalte, der einzige Unterſchied iſt, daß er an
dem kleinen Tiſchgen mit dem fremden Jaͤger
ſpeiſt. Der Narr macht dummes Zeug bei Tiſche
und Er fuͤhrt einen vernuͤnftigen Diskurs bei Tiſche,
beides ſoll mir nur die Zeit vertreiben und machen,
daß mir das Eſſen gut ſchmeckt; wo iſt denn alſo
der große Unterſchied? — Und dann thuts einem
Herrn, wie mir, auch wohl, einen Narren zu
ſehn, der dummer iſt, der die Gaben und die Bil-
dung nicht hat, man fuͤhlt ſich mehr und iſt dank-
bar gegen den Himmel. Schon deswegen iſt mir
ein Dummkopf ein angenehmer Umgang. — Wenn
Er aber meint, daß der Narr in Religion und
Philoſophie zuruͤck iſt, daß er zu ſehr in der Irre
wandelt, kann er ſich denn nicht (da der Dumme
doch gewiß ſein Naͤchſter iſt) menſchenfreundlich
zu ihm ſetzen und liebreich ſagen: ſieh, Schatz,
das iſt ſo, und jenes ſo, Du biſt hierinn zuruͤck,
ich will Dich mit Liebe auf den Weg des Lichtes
bringen und dann etwas gruͤndliche Logik, Meta-
phyſik und Hydroſtatik ihm vorſprechen, daß der
Dumme in ſich ſchlaͤgt und ſich bekehrt? So muͤßte
einer handeln, der ein Weltweiſer heißen will.


Der Koch traͤgt das Kaninchen auf und entfernt ſich.

Koͤnig.

Das Kaninchen! — Ich weiß nicht,
— die andern Herren eſſen es wohl nicht gerne? —

Alle (verneigen ſich).


[203]Der geſtiefelte Kater.
Nun, ſo will ich es denn mit Ihrer Erlaubniß
fuͤr mich allein behalten. —

(er ißt.)

Prinzeſſin.

Mich duͤnkt, der Koͤnig zieht
Geſichter, als wenn er ſeine Zufaͤlle wieder be-
kaͤme.


Koͤnig.
(aufſtehend in Wuth).

Das Kaninchen iſt verbrannt! —
O Herr des Himmels! Erde? — Was noch ſonſt?
Nenn' ich die Hoͤlle mir? —


Prinzeſſin.

Mein Vater —


Koͤnig.

Wer iſt das?
Durch welchen Mißverſtand hat dieſer Fremdling
Zu Menſchen ſich verirrt? — Sein Aug iſt trocken!


Alle (erheben ſich voll Beſorgniß, Hanswurſt laͤuft ge-
ſchaͤftig hin und wieder, Hinze bleibt ſitzen und ißt heimlich).

Koͤnig.

Gieb dieſen Todten mir heraus. Ich muß
Ihn wieder haben!


Prinzeſſin.

Hole doch einer ſchnell den
Beſaͤnftiger.


Koͤnig.

Der Koch Philipp ſei das Jubel-
geſchrei der Hoͤlle, wenn ein Undankbarer ver-
brannt wird!


Prinzeſſin.

Wo nur der Muſikus bleibt.


Koͤnig.

Die Todten ſtehen nicht mehr auf. Wer darf
Mir ſagen, daß ich gluͤcklich bin? O waͤr er mir
geſtorben!
Ich hab ihn lieb gehabt, ſehr lieb.


[204]Zweite Abtheilung.
Der Beſaͤnftiger tritt mit einem Klockenſpiele
auf, das er ſogleich ſpielt.

Koͤnig.

Wie iſt mir? —

(weinend.)

Ach, ich
habe ſchon wieder meinen Zufall gehabt. — Schafft
mir den Anblick des Kaninchens aus den Augen. —


(Er legt ſich voll Gram mit dem Kopf auf den Tiſch und ſchluchzt.)

Ein Hofmann.

Seine Majeſtaͤt leiden viel.


(Es entſteht ein gewaltiges Pochen und Pfeifen im Parterr;
man huſtet, man ziſcht, die Gallerie lacht; der Koͤnig rich-
tet ſich auf, nimmt den Mantel in Ordnung und ſezt ſich mit
dem Zepter in groͤßter Majeſtaͤt hin. Alles iſt umſonſt, der
Laͤrm wird immer groͤßer, alle Schauſpieler vergeſſen ihre Rol-
len, auf dem Theater eine fuͤrchterliche Pauſe. — Hinze iſt
eine Saͤule hinan geklettert.)

Der Dichter koͤmmt beſtuͤrzt aufs Theater.

Dichter.

Meine Herren, — verehrungswuͤr-
digſtes Publikum, — nur einige Worte.


Im Parterr.

Still! ſtill! der Narr will
ſprechen.


Dichter.

Ums Himmelswillen, machen Sie
mir die Schande nicht, der Akt iſt ja gleich zu
Ende. — Sehn Sie doch nur, der Koͤnig iſt ja
auch wieder zur Ruhe, nehmen Sie an dieſer gro-
ßen Seele ein Beiſpiel, die gewiß mehr Urſache
hatte, außer ſich zu ſeyn, als Sie.


Fiſcher.

Mehr als wir?


Wieſener
(zum Nachbar.)

Aber warum trom-
meln Sie denn? Uns beiden gefaͤllt ja das Stuͤck.


Nachbar.

Iſt auch wahr, — in Gedanken,
weil es alle thun.

(klatſcht aus Leibeskraͤften.)

[205]Der geſtiefelte Kater.
Dichter.

Einige Stimmen ſind mir doch
noch guͤnſtig, laſſen Sie ſich aus Mitleid mein
armes Stuͤck gefallen, ein Schelm giebts beſſer,
als ers hat; es iſt auch bald zu Ende. — Ich bin
ſo verwirrt und erſchrocken, daß ich Ihnen nichts
anders zu ſagen weiß.


Alle.

Wir wollen nichts hoͤren, nichts wiſſen.


Dichter
(reißt wuͤthend den Beſaͤnftiger
hervor).

Der Koͤnig iſt beſaͤnftigt, beſaͤnftige nun auch
dieſe tobende Fluth, wenn Du es kannſt!


(ſtuͤrzt außer ſich ab.)

(Der Beſaͤnftiger ſpielt auf den Klocken, das Pochen ſchlaͤgt
dazu den Takt. Er winkt: Affen und Baͤren erſcheinen,
und tanzen freundlich um ihn her, Adler und andre Voͤgel;
ein Adler ſizt Hinzen auf dem Kopf, der in der groͤßten Angſt
iſt, zwei Elephanten und zwei Loͤwen tanzen auch.)

Ballet und Geſang.

Die Vierfuͤßigen.

Das klinget ſo herrlich, —


Die Voͤgel.

Das klinget ſo ſchoͤn, —


Vereinigtes Chor.

Nie hab ich ſo etwas gehoͤrt noch geſehn.


(Hierauf wird von allen Anweſenden eine kuͤnſtliche Quadrille
getanzt, der Koͤnig und ſein Hofſtaat wird in die Mitte ge-
nommen, Hinze und den Hanswurſt nicht ausgeſchloſſen; all-
gemeines Applaudiren. Gelaͤchter. Man ſteht im Parterr
auf, um recht genau zu ſehn, einige Huͤte fallen von der
Gallerie herunter.)

[206]Zweite Abtheilung.
Der Beſaͤnftiger
(ſingt waͤhrend dem Ballet
und der allgemeinen Freude der Zuſchauer).

Koͤnnte jeder brave Mann

Solche Kloͤckchen finden,

Seine Feinde wuͤrden dann

Ohne Muͤhe ſchwinden,

Und er lebte ohne ſie

In der ſchoͤnſten Harmonie.

(Der Vorhang faͤllt, alles jauchzt und klatſcht, man hoͤrt noch
das Ballet eine Zeitlang.)

Zwiſchenakt.


Wieſener.

Herrlich! herrlich!


Nachbar.

Das heiß ich mir noch ein he-
roiſch Ballet.


Wieſener.

Und ſo ſchoͤn in die Haupthand-
lung eingeflochten!


Leutner.

Schoͤne Muſik!


Fiſcher.

Goͤttlich!


Schloſſer.

Das Ballet hat das Stuͤck
noch gerettet.


Boͤtticher.

Ich bewundere nur immer das
Spiel des Katers. — An ſolchen Kleinigkeiten er-
kennt man den großen und geuͤbten Schauſpieler;
ſo oft er zum Beiſpiel das Kaninchen aus der Ta-
ſche nahm, hob er es jederzeit bei den Ohren, —
es ſtand ihm nicht vorgeſchrieben; haben ſie wohl
bemerkt, wie es der Koͤnig ſogleich an den Leib
[207]Der geſtiefelte Kater.
packte? Aber man haͤlt dieſe Thiere bei den Oh-
ren, weil ſie es dort am beſten vertragen koͤnnen.
Das nenn ich den Meiſter!


Muͤller.

Das iſt ſehr ſchoͤn auseinander
geſetzt.


Fiſcher
(heimlich).

Man ſollte ihn ſelbſt da-
fuͤr bei den Ohren nehmen.


Boͤtticher.

Und die Angſt, als ihm der
Adler auf dem Kopfe ſaß! Wie er ſich aus Furcht
ſo gar nicht bewegte, ſich weder ruͤhrte noch regte,
— nein, eine ſolche vollendete Kunſt kann keine
Beſchreibung ausdruͤcken.


Muͤller.

Sie gehen ſehr gruͤndlich.


Boͤtticher.

Ich ſchmeichle mir, nur ein
klein wenig Kenner zu ſeyn, das iſt freilich mit
Ihnen allen nicht der Fall, und darum muß man
es Ihnen ein wenig entwickeln.


Fiſcher.

Sie geben ſich viele Muͤhe.


Boͤtticher.

Wenn man die Kunſt ſo liebt,
wie ich, iſt das eine angenehme Muͤhe. — Mir
iſt auch jetzt uͤber die Stiefeln des Katers ein ſehr
ſcharfſinniger Gedanke eingefallen, und ich bewun-
dre darin das Genie des Schauſpielers. — Sehn
Sie, er iſt anfangs Kater, deshalb muß er ſeine
natuͤrliche Kleidung ablegen, um die paſſende Maske
einer Katze zu nehmen; jetzt ſoll er nun wieder
ganz als Jaͤger erſcheinen (dies ſchließe ich dar-
aus, daß ihn jeder ſo nennt, ſich auch kein Menſch
uͤber ihn verwundert), ein ungeſchickter Schauſpie-
ler wuͤrde ſich auch gewiß in einen Jagdhabit ge-
worfen haben: — aber — wie wuͤrde es um un-
[208]Zweite Abtheilung.
ſre Illuſion ausſehn? Wir haͤtten vielleicht daruͤber
vergeſſen, daß er doch im Grunde ein Kater iſt,
und wie unbequem muͤßte dem Schauſpieler eine
neue Kleidung uͤber dem ſchon vorhandenen Pelze
ſeyn? Durch die Stiefeln aber deutet er ſehr ge-
ſchickt die Jaͤgeruniform nur an, und daß ſolche
Andeutungen vollkommen kunſtgemaͤß ſind, bewei-
ſen uns ganz vorzuͤglich die Alten, die oft —


Fiſcher.

Schon wieder die Alten!


Boͤtticher.

Verzeihen Sie, es iſt eine an-
genehme, ſonſt loͤbliche Gewohnheit, die ich mir
zugelegt habe, vertraͤgt ſich auch mit aller moͤgli-
chen modernen Eleganz. Ich bin uͤbrigens geſon-
nen, meine Herren, ein eignes Buch uͤber die dar-
geſtellte Rolle des Katers herauszugeben (wozu
ich mir auch nachher von Ihnen allerſeits einige
ſcharfſinnige Bemerkungen ausbitten werde), und
darum wuͤnſchte ich wohl, daß das Stuͤck nicht ſo
oft unterbrochen wuͤrde. Die Scene, in welcher
er dem Koͤnige das Kaninchen mit ſo großer Kunſt
uͤberliefert, ſchien mir faſt ſein Triumph, wenn
ich die letzte ausnehme, in welcher ſich ſein Genie
noch glaͤnzender zeigte; denn jene ſpielte er ganz
und gar mit dem linken Zeigefinger und einer ge-
ringen Bewegung des rechten Fußes. Was wuͤrde
da mancher Schauſpieler ſich heftig bewegt und
laut geſchrieen haben? Aber Er, er ſteht ruhig
auf ſich ſelber da, ſich kennend, ſeiner Groͤße ver-
trauend, wohl wiſſend, daß das Kaninchen im
Torniſter ſteckt, den er nur aufknoͤpfen darf, um
ſein Gluͤck zu machen.


Schloſ-
[209]Der geſtiefelte Kater.
Schloſſer.

Uns duͤnkt der Menſch aber
ſehr langweilig.


Boͤtticher.

Sie ſind vielleicht nur verwoͤhnt,
meine Herren. Waren Sie denn nicht tief erſchuͤt-
tert, in jener einzigen, unnachahmlichen Scene,
als dem Wuͤrdigſten ſeines Geſchlechtes auf Be-
fehl des Tyrannen ſein ehrwuͤrdiger Bart ausge-
rauft ward? Nicht wahr, hier haͤtten Sie Ge-
ſchrei, Fußſtampfen, Zaͤhneknirſchen erwartet? Wie
mancher Schreier unſrer Buͤhnen, der in Helden-
rollen geruͤhmt wird, haͤtte hier die ganze Kraft
ſeines Organs aufgeboten, um ſich den Beifall
des Haufens zu ertoben? Nicht ſo unſer großer
origineller Kuͤnſtler. Da ſtand er, ſtill, in ſich
gezogen, ſeinen Schmerz zuruͤck zwaͤngend; waͤh-
rend die rechte Hand in der aufgeknoͤpften Weſte
unter dem Jabot ruhig ſteckt, iſt die linke mit der
ausgeſtreckten Flaͤche nach oben gewandt, ſie druͤckte
ſeinen Unwillen aus, und forderte gleichſam des
Himmels Unterſtuͤtzung; ſein Geſicht war ruhig,
faſt laͤchelnd, in Verachtung gegen die Diener des
Tyrannen, nur eine zwinkelnde Bebung zuckte im
aufwaͤrtsrollenden Auge, in der man ſein ganzes
Gefuͤhl erkannte, und nun ertoͤnt aus gehobener
Bruſt das herzdurchſchneidende Au, Mau, Miau,
ſo gedacht, ſo gezogen, ſo wimmernd klagend, daß
uns allen der Athem verging; doch das Gefuͤhl
des Unwillens laͤßt ſich nicht ganz zuruͤckhalten,
und nun der ploͤtzlich kuͤhne Uebergang in jenen
Ausruf des Zornes, den der Narr ein Pruſten
nannte, und vor dem ſelbſt die ſchamloſen Des-
II. [ 14 ]
[210]Zweite Abtheilung.
potenknechte zuruͤckfuhren. Wahrlich, dies war der
Gipfel aller Kunſt. Ja in dieſen marrenden, quar-
renden, pruſtigen Tone moͤcht ich von dieſem ein-
zigen Manne einmal den Koͤnig Lear, oder den
Wallenſtein ſpielen ſehn, ich bin uͤberzeugt, dieſe
Darſtellungen waͤren etwas Unerhoͤrtes, und wuͤr-
den gegen jene Schreier grell abſtechen, die die tra-
giſchen Rollen immer nur mit ſogenannter Kraft
und mit Nachdruck zu ſpielen ſuchen.


Fiſcher.

Das fehlt uns noch! Es iſt aber
unausſtehlich, wenn es da oben einmal ſtill iſt, ſo
martert uns der Kenner hier faſt eben ſo ſehr. —
Der Vorhang geht auf!


[211]Der geſtiefelte Kater.

Dritter Akt.


(Bauernſtube.)

Der Dichter, der Maſchiniſt.

Maſchiniſt.

Meinen Sie denn wirklich, daß das etwas hel-
fen wird?


Dichter.

O mein verehrteſter Herr Maſchi-
niſt, ich bitte Sie, ich beſchwoͤre Sie, ſchlagen
Sie mir meine Bitte nicht ab, meine letzte Hof-
nung, meine Rettung beruht nur darauf.


Leutner.

Was iſt denn das wieder? — Wie
kommen denn dieſe Menſchen in Gottliebs Stube?


Schloſſer.

Ich zerbreche mir uͤber nichts
mehr den Kopf.


Maſchiniſt.

Aber, lieber Freund, Sie ver-
langen auch wahrhaftig zu viel, daß das alles ſo
in der Eil, ganz aus dem Stegereife zu Stande
kommen ſoll.


Dichter.

Sie verfolgen mich auch, einver-
ſtanden mit meinen Feinden drunten, erfreuen Sie
ſich meines Ungluͤcks.


Maſchiniſt.

Nicht im mindeſten.


Dichter
(faͤllt vor ihm nieder).

Nun ſo bewei-
ſen Sie es mir dadurch, daß Sie meinen Bitten
nachgeben; wenn das Mißfallen des Publikums
bei irgend einer Stelle wieder ſo laut ausbricht,
[212]Zweite Abtheilung.
ſo laſſen Sie auf einen Wink von mir alle Ma-
ſchinen ſpielen! Der zweite Akt iſt ſo ſchon
ganz anders geſchloſſen, als er in meinem Ma-
nuſcripte ſteht.


Maſchiniſt.

Was iſt denn das? — Wer
hat denn die Gardine aufgezogen?


Dichter.

Alles Ungluͤck ſtroͤmt auf mich ein,
ich bin verloren! —

(er flieht beſchaͤmt hinter die Couliſſen.)

Maſchiniſt.

Solche Verwirrung iſt noch an
keinem Abende geweſen.

(geht ab. — Eine Pauſe.)

Wieſener.

Gehoͤrt denn das zum Stuͤck?


Nachbar.

Natuͤrlich, das motivirt ja die
nachherigen Verwandlungen.


Fiſcher.

Den heutigen Abend ſollte man doch
wirklich im Theater-Calender beſchreiben.


Koͤnig
(hinter der Scene).

Nein, ich geh nicht
vor, durchaus nicht, ich kann es nicht vertragen,
wenn ich ausgelacht werde.


Dichter.

Aber Sie, — theuerſter Freund,
— es iſt doch einmal nicht zu aͤndern.


Hanswurſt.

Nun, ich will mein Gluͤck ver-
ſuchen.

(er tritt hervor, und verbeugt ſich poſſirlich gegen
das Publikum.)

Muͤller.

Wie koͤmmt denn der Hanswurſt
nun in die Bauerſtube?


Schloſſer.

Er wird gewiß einen abgeſchmack-
ten Monolog halten wollen.


Hanswurſt.

Verzeihen Sie, wenn ich mich
erkuͤhne, ein Paar Worte vorzutragen, die eigent-
lich nicht zum Stuͤcke gehoͤren.


Fiſcher.

O Sie ſollten nur ganz ſtille ſchwei-
[213]Der geſtiefelte Kater.
gen, Sie ſind uns ſchon im Stuͤcke zuwider, viel-
mehr nun gar ſo —


Schloſſer.

Ein Hanswurſt unterſteht ſich
mit uns zu reden?


Hanswurſt.

Warum denn nicht? denn,
wenn ich ausgelacht werde, ſo thut mir das nichts,
ſondern es iſt im Gegentheil mein heißeſter Wunſch,
daß Sie geruhen moͤchten, uͤber mich zu lachen.
Nein, nein, ich bitte, geniren Sie ſich nur gar
nicht, wir ſind hier unter uns.


Leutner.

Das iſt ziemlich poſſirlich.


Hanswurſt.

Was dem Koͤnige freilich we-
nig anſteht, ſchickt ſich deſto beſſer fuͤr mich, er
wollte daher auch gar nicht vorkommen, ſondern
uͤberließ mir dieſe wichtige Ankuͤndigung.


Muͤller.

Wir wollen aber nichts hoͤren.


Hanswurſt.

Meine lieben deutſchen Lands-
leute —


Schloſſer.

Ich denke das Stuͤck ſpielt drau-
ßen in Aſien?


Hanswurſt.

Kann ſeyn, ich weiß nicht,
jetzt aber, verſtehn Sie mich, jetzt rede ich ja zu
Ihnen als bloßer Schauſpieler zu den Zuſchauern,
nicht als Hanswurſt, ſondern als Menſch, zu ei-
nem Publikum, das nicht in der Illuſion begrif-
fen iſt, ſondern ſich außerhalb derſelben befindet,
kuͤhl, vernuͤnftig, bei ſich, vom Wahnſinn der
Kunſt unberuͤhrt. Capiren Sie mich? Koͤnnen
Sie mir folgen? Diſtinguiren Sie?


Schloſſer.

Adieu! Nun gehts fort mit mir,
[214]Zweite Abtheilung.
ich ſchnappe uͤber. Richtig, wie ich immer vorher
geſagt habe.


Muͤller.

Wir verſtehn Sie gar nicht.


Schloſſer.

Sagen Sie doch nicht zu einem
Hanswurſte Sie.


Muͤller.

Er ſagt ja aber, daß er jetzt nur
einen Menſchen vorſtellt.


Hanswurſt.

Geruhen Sie doch zu verneh-
men (und das iſt die Urſach, weshalb ich komme),
daß die vorige Scene, die Sie eben ſahen, gar
nicht zum Stuͤcke gehoͤrt.


Fiſcher.

Nicht zum Stuͤcke? Wie koͤmmt
ſie denn aber hinein?


Hanswurſt.

Der Vorhang war zu fruͤh
aufgezogen. Es war eine Privatunterredung, die
gar nicht auf dem Theater vorgefallen waͤre, wenn
man zwiſchen den Couliſſen nur etwas mehr Raum
haͤtte. Sind Sie alſo illudirt geweſen, ſo iſt es
wahrlich um ſo ſchlimmer, und es hilft nichts,
Sie muͤſſen dann ſo guͤtig ſeyn und die Muͤhe da-
ran ſetzen, dieſe Taͤuſchung aus ſich wieder aus-
zurotten; denn von jetzt an, verſtehn Sie mich,
von dem Augenblicke, daß ich werde abgegangen
ſeyn, nimmt der dritte Akt erſt ſeinen Anfang.
Unter uns: alles Vorhergehende gehoͤrt gar nicht
zur Sache; es iſt eine Zugabe, die wir uns jetzt
wieder von Ihnen zuruͤck erbitten. Aber Sie ſol-
len entſchaͤdigt werden, es wird im Gegentheil bald
manches kommen, das ziemlich zur Sache gehoͤrt,
denn ich habe den Dichter ſelber geſprochen und
er hats mir zugeſchworen.


[215]Der geſtiefelte Kater.
Fiſcher.

Ja, Euer Dichter iſt der rechte Kerl.


Hanswurſt.

Nicht wahr, er iſt nichts werth?


Muͤller.

Gar nichts, Hanswurſt, es iſt mir
lieb, daß Sie die Einſicht haben.


Hanswurſt.

Nun, das freut mich von Her-
zen, daß noch jemand anders meinen Geſchmack hat.


Das Parterr.

O wir alle, wir alle, kei-
ner denkt anders.


Hanswurſt.

Gehorſamer Diener, gar zu
viele Ehre. — Ja, es iſt, weiß Gott, ein elender
Dichter, — nur, um ein ſchlechtes Beiſpiel zu ge-
ben: welche armſelige Rolle hat er mir zugetheilt?
Wo bin ich denn witzig und ſpaßhaft? Ich komme
in ſo wenigen Scenen vor, und ich glaube, wenn
ich nicht noch jetzt durch einen gluͤcklichen Zufall
heraus getreten waͤre, ich erſchiene gar nicht wieder.


Dichter
(hervorſtuͤrzend)

Unverſchaͤmter Menſch


Hanswurſt.

Sehn Sie? Sogar auf die
kleine Rolle, die ich jetzt ſpiele, iſt er neidiſch.


Dichter.
(auf der andern Seite des Theaters, mit
einer Verbeugung).

Verehrungswuͤrdige! ich haͤtte es
nie wagen duͤrfen, dieſem Manne eine groͤßere Rolle
zu geben, da ich Ihren Geſchmack kenne —


Hanswurſt
(auf der andern Seite).

Ihren
Ge-
ſchmack! — Nun ſehn Sie den Neid. — Und ſo
eben haben Sie erklaͤrt, daß mein Geſchmack und
der Ihrige in Einer Form gegoſſen ſeyen.


Dichter.

Ich wollte Sie durch gegenwaͤrti-
ges Stuͤck nur vorerſt zu noch ausſchweifenderen
Geburten der Phantaſie vorbereiten.


Alle im Parterr.

Wie? — Was?


[216]Zweite Abtheilung.
Dichter.

Denn ſtufenweiſe nur kann die
Ausbildung geſchehn, die den Geiſt das Phantaſti-
ſche und Humoriſtiſche lieben lehrt.


Hanswurſt.

Humoriſtiſche! Was er die
Backen voll nimmt, und es iſt doch lauter Wind.
Aber Geduld, er hat gut Rollen-Schreiben, wir
machen im Spielen doch ganz andre daraus.


Dichter.

Ich empfehle mich indeß, um den
Gang des Stuͤckes nicht laͤnger zu unterbrechen,
und bitte der vorigen Stoͤrung wegen noch einmal
um Verzeihung.

(geht ab.)

Hanswurſt.

Adieu, meine Theuren, bis
auf Wiederſehn. —

(er geht ab, und koͤmmt ſchnell wieder.)


Apropos! noch eins! — Auch was jetzt unter uns
vorgefallen iſt, gehoͤrt, genau genommen, nicht
zum Stuͤck.

(ab.)

Das Parterr.
(lacht).

Hanswurſt.
(koͤmmt ſchnell zuruͤck).

Laſſen Sie
uns heut das miſerable Stuͤck zu Ende ſpielen,
thun Sie, als merken Sie gar nicht, wie ſchlecht
es iſt, und ſo wie ich nach Hauſe komme, ſetze
ich mich hin und ſchreibe eins fuͤr Sie nieder, das
Ihnen gewiß gefallen ſoll.

(ab. Viele klatſchen.)

[217]Der geſtiefelte Kater.
Erſte Scene.

Gottlieb und Hinze treten auf.

Gottlieb.

Lieber Hinze, es iſt wahr, Du
thuſt ſehr viel fuͤr mich, aber ich kann immer noch
nicht einſehn, was es mir helfen ſoll.


Hinze.

Auf mein Wort, ich will dich gluͤck-
lich machen, und ich ſcheue keine Muͤhe und Ar-
beit, keine Schmerzen, keine Aufopferungen, um
dieſen Endzweck durchzuſetzen.


Gottlieb.

Bald, ſehr bald muß es geſchehn,
ſonſt iſt es zu ſpaͤt, — es iſt ſchon halb acht, und
um acht iſt die Comoͤdie aus.


Hinze.

Was Teufel iſt denn das?


Gottlieb.

Ach, ich war in Gedanken! ſonſt,
wollt ich ſagen, verſchmachten wir beide. Aber
ſieh, wie ſchoͤn die Sonne aufgegangen iſt. — Der
verdammte Soufleur ſpricht ſo undeutlich, und
wenn man denn manchmal extemporiren will, gehts
immer ſchief.


Hinze
(leiſe).

Nehmen Sie ſich doch zuſam-
men, das ganze Stuͤck bricht ſonſt in tauſend
Stuͤcke.


Schloſſer.

Was ſprach der von Comoͤdie
und von halb acht?


Fiſcher.

Ich weiß nicht, mir daͤucht, wir
ſollten Acht geben, es wuͤrde bald aus ſeyn.


Schloſſer.

Ja wohl, Acht! gottlob, um
[218]Zweite Abtheilung.
Acht werden wir erloͤſt, wenn wir Acht geben, ſo
wird es um Acht fuͤr uns ein Losgeben, bis Neun,
nein, koͤnnt es keiner aushalten, um Zehn wuͤrd
ich mit Zaͤhnen um mich beißen.


Muͤller.

Beſter, Sie phantaſiren ſchon in
der Manier des Stuͤcks.


Schloſſer.

Ja, ich bin auf lange ruinirt.


Gottlieb.

Alſo heut noch ſoll ſich mein
Gluͤck entſcheiden?


Hinze.

Ja, lieber Gottlieb, noch ehe die
Sonne untergeht. — Sieh, ich liebe Dich ſo ſehr,
daß ich fuͤr Dich durchs Feuer laufen moͤchte, —
und Du zweifelſt an meiner Freundſchaft?


Wieſener.

Haben Sies wohl gehoͤrt? —
Er wird durchs Feuer laufen. — Schoͤn! da be-
kommen wir noch die Dekoration aus der Zauber-
floͤte, mit dem Waſſer und Feuer.


Nachbar.

Katzen gehn aber nicht ins Waſſer.


Wieſener.

Deſto groͤßer iſt ja des Katers
Liebe fuͤr ſeinen Herrn, merken Sie, das will uns
ja der Dichter eben dadurch zu verſtehn geben.


Hinze.

Was haſt Du denn wohl Luſt zu
werden in der Welt?


Gottlieb.

Das iſt ſchwer zu ſagen.


Hinze.

Moͤchteſt Du wohl Prinz oder Koͤ-
nig werden?


Gottlieb.

Das noch am erſten.


Hinze.

Fuͤhlſt Du auch die Kraft in Dir,
ein Volk gluͤcklich zu machen?


Gottlieb.

Warum nicht? Wenn ich nur
erſt gluͤcklich bin.


[219]Der geſtiefelte Kater.
Hinze.

Nun ſo ſei zufrieden, ich ſchwoͤre
Dir, Du ſollſt den Thron beſteigen.

(geht ab.)

Gottlieb.

Wunderlich muͤßt es zugehn. —
Doch kommt ja in der Welt ſo manches unerwartet.


(geht ab.)

Boͤtticher.

Bemerken Sie doch die unend-
liche Feinheit, mit der der Kater ſeinen Stock haͤlt,
ſo zart, ſo leutſeelig.


Fiſcher.

Sie ſind uns mit Ihren Feinheiten
ſchon laͤngſt zur Laſt, Sie ſind noch langweiliger
als das Stuͤck.


Muͤller.

Ja es iſt recht verdruͤßlich, immer
dieſe Entwicklungen und Lobpreiſungen anhoͤren
zu muͤſſen.


Boͤtticher.

Aber der Kunſt-Enthuſiasmus
ſucht ſich doch auszuſprechen.


Schloſſer.

O es ſoll nun gleich zu Ende
ſein! Faſſen Sie an, beſter Herr Leutner, Herr
Muͤller, halten Sie ihm den Kopf, ich habe hier
eine Maſchine, die ihm den Mund ſchließen und
das Sprechen unterſagen wird.


Boͤtticher.

Sie werden doch nimmermehr —


Schloſſer.

So, nun ſteckt ihm der Knebel
ſchon im Munde; Herr Fiſcher, laſſen Sie die
Feder zuſchnappen, ſo iſt die Sache gemacht.


(ſie knebeln ihn.)

Boͤtticher.

Das iſt doch himmelſchreiend,
daß ein Kunſtke — —


Schloſſer.

Kunſtkenner will er ſagen. So,
jetzt wird doch von der Seite Ruhe ſeyn. Nun
ſehn Sie huͤbſch ſtill und bedaͤchtlich zu.


[220]Zweite Abtheilung.
Zweite Scene.

(Freies Feld.)

Hinze
mit Torniſter und Sack.

Ich bin der Jagd ganz gewohnt worden, alle
Tage fang ich Rebhuͤner, Kaninchen und derglei-
chen, und die lieben Thierchen kommen auch im-
mer mehr in die Uebung, ſich fangen zu laſſen. —

(er ſpreitet ſeinen Sack aus.)

Die Zeit mit den Nachti-
gallen iſt nun vorbei, ich hoͤre keine einzige ſingen.


Die beiden Liebenden treten auf.

Er.

Geh, Du biſt mir zur Laſt.


Sie.

Du biſt mir zuwider.


Er.

Eine ſchoͤne Liebe!


Sie.

Jaͤmmerlicher Heuchler, wie haſt Du
mich betrogen!


Er.

Wo iſt denn Deine unendliche Zaͤrtlich-
keit geblieben?


Sie.

Und deine Treue?


Er.

Deine Wonnetrunkenheit?


Sie.

Deine Entzuͤckungen?


Beide.

Der Teufel hats geholt! das kommt
vom Heirathen!


Hinze.

So iſt die Jagd noch nie geſtoͤrt wor-
den. — Wenn Sie doch geruhen wollten, zu bemer-
ken, daß dieſes freie Feld fuͤr Ihre Schmerzen offen-
bar zu enge iſt, und irgend einen Berg beſteigen.


[221]Der geſtiefelte Kater.
Er.

Schlingel!

(giebt Hinzen eine Ohrfeige.)

Sie.

Flegel!

(giebt ihm von der andern Seite eine.)

Hinze.
(knurrt).

Sie.

Ich daͤchte, wir ließen uns wieder
ſcheiden.


Er.

Ich ſtehe zu Befehl.

(die Liebenden gehn
ab.)

Hinze.

Niedliches Volk, die ſogenannten
Menſchen. — Sieh da, zwei Rebhuͤner, ich will
ſie ſchnell hintragen. — Nun, Gluͤck, tummle dich,
denn faſt wird mir die Zeit auch zu lang. — Jetzt
hab ich gar keine Luſt mehr, die Rebhuͤner zu freſ-
ſen. So gewiß iſt es, daß wir durch bloße Ge-
wohnheit unſerer Natur alle moͤglichen Tugenden
einimpfen koͤnnen.

(geht ab.)

Boͤtticher
(unterm Knebel).

Himm — himm
— li — ſch!


Schloſſer.

Strengen Sie ſich nicht ſo an,
es iſt doch vergeblich.


[222]Zweite Abtheilung.
Dritte Scene.

(Saal im Pallaſt.)

Der Koͤnig auf ſeinem Thron mit der Prinzeſſin,
Leander
auf einem Katheder, ihm gegenuͤber Hans-
wurſt
auf einem andern Katheder, in der Mitte des
Saals ſteckt auf einer hohen Stange ein Hut, der mit
Gold beſetzt und mit bunten Federn geſchmuͤckt iſt; der
ganze Hof iſt verſammelt.

Koͤnig.

Noch nie hat ſich ein Menſch um
das Vaterland ſo verdient gemacht, als dieſer lie-
benswuͤrdige Graf von Carabas. Einen dicken
Folianten hat unſer Hiſtoriograph ſchon voll ge-
ſchrieben, ſo oft hat er mir durch ſeinen Jaͤger
niedliche und wohlſchmeckende Praͤſente uͤbermacht,
manchmal ſogar an einem Tage zweimal. Meine
Erkenntlichkeit gegen ihn iſt ohne Graͤnzen, und
ich wuͤnſche nichts ſo ſehnlich, als irgend einmal
eine Gelegenheit zu finden, etwas von meiner gro-
ßen Schuld gegen ihn abzutragen.


Prinzeſſin.

Liebſter Herr Vater, wollten
Dieſelben nicht gnaͤdigſt erlauben, daß jetzt die
gelehrte Disputation ihren Anfang nehmen koͤnn-
te? Mein Herz ſchmachtet nach dieſer Geiſtesbe-
ſchaͤftigung.


Koͤnig.

Ja, es mag jetzt ſeinen Anfang
[223]Der geſtiefelte Kater.
nehmen. — Hofgelehrter, — Hofnarr, — Ihr
wißt beide, daß demjenigen von Euch, der in die-
ſer Disputation den Sieg davon traͤgt, jener koſt-
bare Hut beſchieden iſt; ich habe ihn auch deswegen
hier aufrichten laſſen, damit Ihr ihn immer vor
Augen habt und es Euch nie an Witz gebricht.


(Leander und Hanswurſt verneigen
ſich.)

Leander.

Das Thema meiner Behauptung
iſt, daß ein neuerlich erſchienenes Stuͤck: der ge-
ſtiefelte Kater
, ein gutes Stuͤck ſei.


Hanswurſt.

Das iſt gerade das, was ich
laͤugne.


Leander.

Beweiſe, daß es ſchlecht ſei.


Hanswurſt.

Beweiſe, daß es gut ſei.


Leutner.

Was iſt denn das wieder?
— die
Rede iſt ja wohl von demſelben Stuͤcke, das hier
geſpielt wird, wenn ich nicht irre.


Muͤller.

Freilich von demſelben.


Leander.

Das Stuͤck iſt, wenn nicht ganz
vortreflich, doch in einigen Ruͤckſichten zu loben.


Hanswurſt.

In gar keiner Ruͤckſicht.


Leander.

Ich behaupte, es iſt Witz darinn.


Hanswurſt.

Ich behaupte, es iſt keiner
drinn.


Leander.

Du biſt ein Narr, wie willſt Du
uͤber Witz urtheilen?


Hanswurſt.

Und Du biſt ein Gelehrter,
was willſt Du von Witz verſtehn?


Leander.

Manche Charaktere ſind gut durch-
gefuͤhrt.


Hanswurſt.

Kein einziger.


[224]Zweite Abtheilung.
Leander.

So iſt, wenn ich auch alles uͤbrige
fallen laſſe, das Publikum gut darin gezeichnet.


Hanswurſt.

Ein Publikum hat nie einen
Charakter.


Leander.

Ueber dieſe Frechheit moͤcht ich
faſt erſtaunen.


Hanswurſt.
(gegen das Parterr).

Iſt es nicht
ein naͤrriſcher Menſch? Ich und das verehrungs-
wuͤrdige Publikum ſtehn nun beide gleichſam auf
Du und Du, und ſympathiſiren in Anſehung des
Geſchmacks, und doch will er gegen meine Mei-
nung behaupten, das Publikum im geſtiefelten Ka-
ter ſei gut gezeichnet.


Fiſcher.

Das Publikum? Es kommt ja kein
Publikum in dem Stuͤcke vor.


Hanswurſt.

Noch beſſer! Alſo koͤmmt gar
kein Publikum darin vor?


Muͤller.

Je bewahre! Wir muͤßten ja doch
auch darum wiſſen.


Hanswurſt.

Natuͤrlich. Nun, ſiehſt Du,
Gelehrter? Was die Herren da unten ſagen, muß
doch wohl wahr ſeyn.


Leander.

Ich werde konfus, — aber ich
laſſe Dir noch nicht den Sieg.


Hinze tritt auf.

Hanswurſt.

Herr Jaͤger, ein Wort! —


(Hinze naͤhert ſich, Hanswurſt ſpricht heimlich mit ihm).

Hinze.

Wenn es weiter nichts iſt.

(Er
zieht die Stiefeln aus, und klettert die Stange hinauf, nimmt
den Hut, ſpringt herunter und zieht die Stiefeln wieder an).

Hans-
[225]Der geſtiefelte Kater.
Hanswurſt.
(den Hut ſchwenkend).

Sieg! Sieg!


Koͤnig.

Der Tauſend! Wie iſt der Jaͤger
geſchickt!


Leander.

Es betruͤbt mich nur, daß ich von
einem Narren uͤberwunden bin, daß Gelehrſamkeit
vor Thorheit die Seegel ſtreichen muß.


Koͤnig.

Sei ruhig, Du wollteſt den Hut ha-
ben, er wollte den Hut haben, da ſeh ich nun
wieder keinen Unterſchied. — Aber was bringſt
Du, Jaͤger?


Hinze.

Der Graf von Carabas laͤßt ſich
Eurer Majeſtaͤt demuͤthigſt empfehlen, und nimmt
ſich die Freiheit, Ihnen dieſe beiden Rebhuͤner zu
uͤberſchicken.


Koͤnig.

Zu viel! zu viel! Ich erliege
unter der Laſt der Dankbarkeit. Schon lange
haͤtte ich meine Pflicht beobachten ſollen, ihn zu
beſuchen, heute will ich es nun nicht laͤnger auf-
ſchieben. — Laßt geſchwind meine Staatskaroſſe
in Ordnung bringen, acht Pferde vor, ich will
mit meiner Tochter ausfahren! — Du, Jaͤger,
ſollſt uns den Weg nach dem Schloſſe des Grafen
zeigen.

(geht mit ſeinem Gefolge ab.)

Hinze, Hanswurſt.

Hinze.

Woruͤber war denn Eure Dispu-
tation?


Hanswurſt.

Ich behauptete, ein gewiſſes
Stuͤck, das ich uͤbrigens gar nicht kenne: der ge-
ſtiefelte Kater
, ſei ein erbaͤrmliches Stuͤck.


Hinze.

So?


II. [ 15 ]
[226]Zweite Abtheilung.
Hanswurſt.

Adieu, Herr Jaͤger, viel Dank.


(ſetzt den Hut auf und geht.)

Hinze
allein.

Ich bin ganz melankoliſch. —
Ich habe ſelbſt dem Narren zu einem Siege ver-
holfen, ein Stuͤck herabzuſetzen, in welchem ich
die Hauptrolle ſpiele! — Schickſal! Schickſal! In
welche Verwirrungen fuͤhrſt Du ſo oft den Sterb-
lichen? Doch mag es hingehn, wenn ich es nur
dahin bringe, meinen geliebten Gottlieb auf den
Thron zu ſetzen, ſo will ich herzlich gern alles
Ungemach vergeſſen, will vergeſſen, daß ich mir
und meiner Exiſtenz zu nahe trete; indem ich die
beſſere Kritik entwaffnete und der Narrheit Waf-
fen gegen mich ſelbſt in die Haͤnde gegeben, will
vergeſſen, daß man mir den Bart ausgerauft und
faſt den Leib aufgeſchnitten haͤtte, ja ich will nur
im Freunde leben und der Nachwelt das hoͤchſte
Muſter uneigennuͤtziger Freundſchaft zur Bewun-
derung zuruͤck laſſen. — Der Koͤnig will den Gra-
fen beſuchen? das iſt noch ein ſchlimmer Umſtand,
den ich ins Reine bringen muß. — In ſeinem
Schloſſe, das bis jetzt noch nirgend in der Welt
liegt? — Nun iſt der große wichtige Tag erſchie-
nen, an dem ich Euch, ihr Stiefeln, ganz vorzuͤg-
lich brauche! Verlaßt mich heut nicht, zerreißt nur
heut nicht, zeigt nun, von welchem Leder ihr ſeid,
von welchen Sohlen! Auf denn! Fuͤß' und Stie-
feln an das große Werk, denn noch heut muß ſich
alles entſcheiden?

(geht ab.)

Schloſſer.

Was wuͤrgen Sie denn ſo?


Boͤtticher.

G — Gr — Großß!!


[227]Der geſtiefelte Kater.
Fiſcher.

Sagt mir nur, wie das iſt, —
das Stuͤck ſelbſt, — das koͤmmt wieder als Stuͤck
im Stuͤcke vor?


Schloſſer.

Ich habe jetzt keinen mehr, an
dem ich meinen Zorn, in welchen mich das Stuͤck
verſetzt hat, auslaſſen koͤnnte; da ſteht Er, ein
ſtummes Denkmal meiner eignen Verzweiflung.


Vierte Scene.

(Vor dem Wirthshauſe.)

Der Wirth (der mit einer Senſe Korn maͤht.)

Das iſt eine ſchwere Arbeit! — Je nun, die
Leute koͤnnen auch nicht alle Tage deſertiren; an
den guten Kindern liegts gewiß nicht, ſie haben
den beſten Willen, es geht aber halt nicht immer
an. Das Leben beſteht doch aus lauter Arbeit:
bald Bier zapfen, bald Glaͤſer rein machen, bald
einſchenken, nun gar maͤhen. Leben heißt arbeiten.
Es kam mal ein Gelehrter hier durch, der ſagte,
um recht zu leben, muͤſſe ſich der Menſch den
Schlaf abgewoͤhnen, weil er im Schlaf ſeine Be-
ſtimmung verfehle und nicht arbeite; der Kerl muß
gewiß noch niemals muͤde geweſen ſeyn, und noch
keinen guten Schlaf gethan haben, denn ich kenne
doch nichts herrlichers und ausbuͤndigers als den
[228]Zweite Abtheilung.
Schlaf. Ich wollte, es waͤre erſt ſo weit, daß ich
mich niederlegen koͤnnte.


Hinze tritt auf.

Hinze.

Wer etwas Wunderbares hoͤren will,
der hoͤre mir jetzt zu. Wie ich gelaufen bin! Erſt-
lich von dem koͤniglichen Pallaſt zu Gottlieb, zwei-
tens mit Gottlieb nach dem Pallaſt des Popanzes,
wo ich ihn draußen im Walde gelaſſen habe, drit-
tens von da wieder zum Koͤnige, viertens lauf ich
nun vor dem Wagen des Koͤniges wie ein Laufer
her und zeige ihm den Weg. O Beine, o Fuͤße,
o Stiefeln, wie viel muͤßt ihr heut verrichten! —
He! guter Freund!


Wirth.

Wer iſt da? — Landsmann Ihr
muͤßt wohl fremde ſeyn, denn die hieſigen Leute wiſ-
ſens ſchon, daß ich um die Zeit kein Bier ver-
kaufe, ich brauchs fuͤr mich ſelber; wer ſolche Ar-
beit thut, wie ich, der muß ſich auch ſtaͤrken; es
thut mir leid, aber ich kann Euch nicht helfen.


Hinze.

Ich will kein Bier, ich trinke gar
kein Bier, ich will Euch nur ein Paar Worte
ſagen.


Wirth.

Ihr muͤßt wohl ein rechter Tage-
dieb ſeyn, daß Ihr die fleißigen Leute in ihrem
Beruf zu ſtoͤren ſucht.


Hinze.

Ich will Euch nicht ſtoͤren. Hoͤrt
nur: der benachbarte Koͤnig wird hier vorbeifah-
ren, er ſteigt vielleicht aus und erkundigt ſich, wem
dieſe Doͤrfer hier gehoͤren; wenn Euch Euer Leben
lieb iſt, wenn Ihr nicht gehaͤngt, oder verbrannt
[229]Der geſtiefelte Kater.
ſeyn wollt, ſo antwortet ja: dem Grafen von Ca-
rabas
.


Wirth.

Aber Herr, wir ſind ja dem Ge-
ſetz unterthan.


Hinze.

Das weiß ich wohl, aber, wie ge-
ſagt, wenn Ihr nicht umkommen wollt, ſo gehoͤrt
dieſe Gegend hier dem Grafen von Carabas.

(geht
ab.)

Wirth.

Schoͤn Dank! — das waͤre nun
die ſchoͤnſte Gelegenheit, von aller Arbeit loszu-
kommen, ich duͤrfte nur dem Koͤnige ſagen, das
Land gehoͤre dem Popanz. Aber nein. Muͤßig-
gang iſt aller Laſter Anfang. Ora et labora iſt
mein Wahlſpruch.


Eine ſchoͤne Kutſche mit acht Pferden, viele Bedienten hinten;
der Wagen haͤlt, der Koͤnig und die Prinzeſſin ſteigen aus.

Prinzeſſin.

Ich fuͤhle eine gewiſſe Neugier
den Grafen zu ſeyn.


Koͤnig.

Ich auch meine Tochter. — Guten
Tag, mein Freund; wem gehoͤren dieſe Doͤrfer
hier?


Wirth.
(fuͤr ſich.)

Er fraͤgt, als wenn
er mich
gleich wollte haͤngen laſſen. — Dem Grafen von
Carabas, Ihro Majeſtaͤt.


Koͤnig.

Ein ſchoͤnes Land. — Ich habe
im-
mer gedacht, daß das Land ganz anders ausſehn
muͤßte, wenn ich uͤber die Graͤnze kaͤme, ſo wie es
auf der Landkarte iſt. — Helft mir doch einmal.


(er klettert ſchnell einen Baum hinauf.)

Prinzeſſin.

Was machen Sie, mein koͤnig-
licher Vater?


[230]Zweite Abtheilung.
Koͤnig.

Ich liebe in der ſchoͤnen Natur die
freien Ausſichten.


Prinzeſſin.

Sieht man weit?


Koͤnig.

O ja, und wenn mir die fatalen
Berge hier nicht vor der Naſe ſtaͤnden, ſo wuͤrde
ich noch weiter ſehn. — O weh! der Baum iſt
voller Raupen.

(er ſteigt wieder hinunter.)

Prinzeſſin.

Das macht, es iſt eine Na-
tur, die noch nicht idealiſirt iſt, die Phantaſie muß
ſie erſt veredeln.


Koͤnig.

Ich wollte, du koͤnnteſt mir mit der
Phantaſie die Raupen abnehmen. — Aber ſteig'
ein, wir wollen weiter fahren.


Prinzeſſin.

Lebe wohl, guter unſchuldiger
Landmann.

(ſie ſteigen ein, der Wagen faͤhrt weiter.)

Wirth.

Wie die Welt ſich umgekehrt hat! —
Wenn man ſo in alten Buͤchern lieſt, oder alte
Leute erzaͤhlen hoͤrt, ſo kriegte man immer Gold-
ſtuͤcke, oder herrliche Koſtbarkeiten, wenn man mit
einem Koͤnige oder Prinzen ſprach. Aber jetzt! —
Wie ſoll man noch ſein Gluͤck unverhoffter Weiſe
machen, wenn es ſogar mit den Koͤnigen nichts
mehr iſt? Wenn ich ein Koͤnig waͤre, ich unter-
ſtaͤnde mir nicht, den Mund aufzuthun, wenn ich
den Leuten nicht erſt Geld in die Hand geſteckt
haͤtte. — Unſchuldiger Landmann! Wollte Gott,
ich waͤre nichts ſchuldig. — Aber das machen die
neuen empfindſamen Schilderungen vom Landleben.
So ein Koͤnig iſt kapabel und beneidet unſer einen
noch. — Ich muß nur Gott danken, daß er mich
nicht gehaͤngt hat. Der fremde Jaͤger war am
[231]Der geſtiefelte Kater.
Ende unſer Popanz ſelber. — Wenigſtens koͤmmt
es nun doch in die Zeitung, daß der Koͤnig gnaͤdig
mit mir geſprochen hat.

(geht ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Eine andre Gegend.)

Kunz
der Korn maͤht.

Saure Arbeit! Und wenn ichs noch fuͤr mich
thaͤte, aber der Hofedienſt! Da muß man fuͤr den
Popanz ſchwitzen, und er dankt es einem nicht ein-
mal. — Es heißt wohl immer in der Welt, die
Geſetze ſind nothwendig, um die Leute in Ordnung
zu halten, aber warum da unſer Geſetz noth-
wendig iſt, der uns alle auffrißt, kann ich nicht
einſehn.


Hinze (koͤmmt gelaufen.)

Hinze.

Nun hab' ich ſchon Blaſen unter den
Fuͤßen! — Nun, es thut nichts, Gottlieb, Gott-
lieb muß dafuͤr auf den Thron! — He! guter
Freund!


Kunz.

Was iſt denn das fuͤr ein Kerl?


Hinze.

Hier wird ſogleich der Koͤnig vor-
beifahren, wenn er Euch fraͤgt, wem dies alles ge-
hoͤrt, ſo muͤßt ihr antworten, dem Grafen von
Carabas, ſonſt werdet Ihr in tauſend Millionen
[232]Zweite Abtheilung.
Stuͤckchen gehackt. Zum Beſten des Publikums
will es ſo das Geſetz.


Fiſcher.

Wie? zum Beſten des Publikums?


Schloſſer.

Natuͤrlich, weil ſonſt das Stuͤck
gar kein Ende haͤtte.


Hinze.

Euer Leben wird Euch lieb ſeyn!


(geht ab.)

Kunz.

Das iſt ſo, wie die Edikte immer
klingen. Nun, mir kanns recht ſeyn, wenn nur
keine neue Auflagen daraus entſtehen, daß ich das
ſagen ſoll. Man darf keiner Neuerung trauen.


Die Kutſche faͤhrt vor und haͤlt, Koͤnig und Prinzeſſin
ſteigen aus.

Koͤnig.

Auch eine huͤbſche Gegend. Wir
haben doch ſchon eine Menge recht huͤbſcher Gegen-
den geſehn. — Wem gehoͤrt das Land hier?


Kunz.

Dem Grafen von Carabas.


Koͤnig.

Er hat herrliche Laͤnder, das muß
wahr ſeyn, — und ſo nahe an den meinigen. Toch-
ter, das waͤre ſo eine Parthie fuͤr Dich. Was
meinſt Du?


Prinzeſſin.

Sie beſchaͤmen mich, Herr
Vater. — Aber was man doch auf Reiſen Neues
ſieht. Sagt mir doch einmal, guter Bauer, war-
um haut Ihr denn das Stroh ſo um?


Kunz.
(lachend.)

Das iſt ja die Ernte, Mam-
ſell Koͤniginn, das Getraide.


Koͤnig.

Das Getraide? — Wozu braucht
Ihr denn das?


Kunz.
(lachend.)

Daraus wird ja das Brodt
gebacken.


[233]Der geſtiefelte Kater
Koͤnig.

Bitt' ich Dich ums Himmelswillen,
Tochter! — daraus wird Brodt gebacken! — Wer
ſollte wohl auf ſolche Streiche kommen? — Die
Natur iſt doch etwas Wunderbares. — Hier, gu-
ter Freund, habt Ihr ein klein Trinkgeld, es iſt
heute warm. —

(Er ſteigt mit der Prinzeſſin wieder ein,
der Wagen faͤhrt fort.)

Kunz.

Kennt kein Getraide! Alle Tage er-
faͤhrt man doch mehr Neues. — Wenn er mir
nicht ein blankes Goldſtuͤck gegeben haͤtte, und
wenn er kein Koͤnig waͤre, ſo ſollte man denken,
er waͤre ein ganz einfaͤltiger Menſch. — Ich will
mir nur gleich eine Kanne gutes Bier holen.
Kennt kein Getraide!

(geht ab.)

Sechſte Scene.

(Eine andere Gegend an einem Fluſſe.)

Gottlieb.

Da ſteh ich nun hier ſchon ſeit zwei Stunden
und warte auf meinen Freund Hinze. — Er koͤmmt
immer noch nicht. — Da iſt er! Aber wie er laͤuft!
Er ſcheint ganz außer Athem.


Hinze (koͤmmt gelaufen.)

Hinze.

Nun, Freund Gottlieb, zieh Dir ge-
ſchwind die Kleider aus.


[234]Zweite Abtheilung.
Gottlieb.

Die Kleider?


Hinze.

Und dann ſpringe hier ins Waſſer. —


Gottlieb.

Ins Waſſer?


Hinze.

Und dann werf ich die Kleider in
den Buſch, —


Gottlieb.

In den Buſch?


Hinze.

Und dann biſt du verſorgt!


Gottlieb.

Das glaub ich ſelber, wenn ich
erſoffen bin, und die Kleider weg ſind, bin ich ver-
ſorgt genug.


Hinze.

Es iſt nicht Zeit zum ſpaßen, —


Gottlieb.

Ich ſpaße gar nicht. Hab' ich
darum hier warten muͤſſen?


Hinze.

Zieh Dich aus!


Gottlieb.

Nun, ich will Dir alles zu Ge-
fallen thun.


Hinze.

Komm, Du ſollſt Dich nur ein we-
nig baden.

(Er geht mit ihm ab, und koͤmmt mit den Kleidern
zuruͤck, die er in den Buſch hinein wirft.)

— Huͤlfe! Huͤl-
fe! Huͤlfe!


(Die Kutſche faͤhrt vor, der Koͤnig ſieht aus dem Schlage.)

Koͤnig.

Was giebts denn, Jaͤger? Warum
ſchreiſt Du ſo?


Hinze.

Huͤlfe, Ihro Majeſtaͤt, der Graf
von Carabas iſt ertrunken!


Koͤnig.

Ertrunken!


Prinzeſſin.
(im Wagen.)

Carabas!


Koͤnig.

Meine Tochter in Ohnmacht! —
Der Graf ertrunken!


Hinze.

Er iſt vielleicht noch zu retten, er
liegt dort im Waſſer.


[235]Der geſtiefelte Kater.
Koͤnig.

Bediente! wendet alles, alles an,
den edlen Mann zu erhalten.


Ein Bedienter.

Wir haben ihn gerettet,
Ihro Majeſtaͤt.


Hinze.

Ungluͤck uͤber Ungluͤck, mein Koͤnig. —
Der Graf hatte ſich hier in dem klaren Fluſſe ge-
badet, und ein Spitzbube hat ihm die Kleider ge-
ſtohlen.


Koͤnig.

Schnall gleich meinen Koffer ab!
Gebt ihm von meinen Kleidern! — Ermuntre
Dich, Tochter, der Graf iſt gerettet.


Hinze.

Ich muß eilen.

(geht ab.)

Gottlieb (in den Kleidern des Koͤnigs.)

Gottlieb.

Ihro Majeſtaͤt. —


Koͤnig.

Das iſt der Graf! Ich kenne ihn
an meinen Kleidern! — Steigen Sie ein, mein
Beſter, — was machen Sie? — Wo kriegen Sie
all die Kaninchen her? — Ich weiß mich vor
Freude nicht zu laſſen! — Zugefahren, Kutſcher! —


(der Wagen faͤhrt ſchnell ab.)

Ein Bedienter.

Da mag der Henker ſo
ſchnell hinauf kommen, — nun hab ich das Ver-
gnuͤgen zu Fuße nachzulaufen, und naß bin ich
uͤberdies noch wie eine Katze.

(geht ab.)

Leutner.

Wie oft wird denn der Wagen
noch vorkommen? — Dieſe Situation wiederholt
ſich auch gar zu oft.


Wieſener.

Herr Nachbar! — Sie ſchla-
fen ja.


Nachbar.

Nicht doch, — ein ſchoͤnes Stuͤck.


[236]Zweite Abtheilung.
Siebente Scene.

(Pallaſt des Popanzes.)

Der Popanz ſieht als Rhinozeros da, ein armer
Bauer
vor ihm.

Bauer.

Geruhn Ihr Gnaden Popanz —


Popanz.

Gerechtigkeit muß ſeyn, mein
Freund.


Bauer.

Ich kann jetzt noch nicht zahlen —


Popanz.

Aber Er hat doch den Prozeß ver-
loren, das Geſetz fordert Geld und ſeine Strafe;
ſein Gut muß alſo verkauft werden, es iſt nicht
anders und das von Rechtswegen!


Bauer (geht ab).

Popanz
(der ſich wieder in einen ordentlichen Po-
panz verwandelt).

Die Leute wuͤrden allen Reſpekt ver-
lieren, wenn man ſie nicht ſo zur Furcht zwaͤnge.


Ein Amtmann tritt mit vielen Buͤcklingen herein.

Amtmann.

Geruhen Sie, — gnaͤdiger
Herr — ich —


Popanz.

Was iſt ihm, mein Freund?


Amtmann.

Mit Ihrer guͤtigſten Erlaubniß,
ich zittre und bebe vor Dero furchtbaren Anblick.


Popanz.

O, das iſt noch lange nicht meine
entſetzlichſte Geſtalt.


Amtmann.

Ich kam eigentlich, — in Sa-
chen, — um Sie zu bitten, ſich meiner gegen
[237]Der geſtiefelte Kater.
meinen Nachbar anzunehmen, — ich hatte auch
dieſen Beutel mitgebracht, — aber der Anblick
des Herren Geſetzes iſt mir zu ſchrecklich.


Popanz (verwandelt ſich ploͤtzlich in eine Maus, und
ſitzt in einer Ecke).

Amtmann.

Wo iſt denn der Popanz ge-
blieben?


Popanz
(mit einer feinen Stimme).

Legen Sie
nur das Geld auf den Tiſch dort hin, ich ſitze hier,
um Sie nicht zu erſchrecken.


Amtmann.

Hier. —

(legt das Geld hin.)

O
das iſt eine herrliche Sache mit der Gerechtigkeit[.]
— Wie kann man ſich vor einer ſolchen Maus
fuͤrchten?

(geht ab.)

Popanz.
(nimmt ſeine natuͤrliche Geſtalt an).

Ein
ziemlicher Beutel, — man muß auch mit den
menſchlichen Schwachheiten Mitleid haben.


Hinze tritt herein.

Hinze.

Mit Ihrer Erlaubniß, —

(fuͤr ſich.)


Hinze, du mußt dir ein Herz faſſen, — Ihro
Excellenz —


Popanz.

Was wollt Ihr?


Hinze.

Ich bin ein durchreiſender Gelehr-
ter, und wollte mir nur die Freiheit nehmen, Ihro
Excellenz kennen zu lernen.


Popanz.

Gut, ſo lern Er mich kennen.


Hinze.

Sie ſind ein maͤchtiger Fuͤrſt, Ihre
Gerechtigkeitsliebe iſt in der ganzen Welt bekannt.


Popanz.

Ja, das glaub ich wohl. — Setz
Er ſich doch.


[238]Zweite Abtheilung.
Hinze.

Man erzaͤhlt viel Wunderbares von
Ihro Hoheit. —


Popanz.

Die Leute wollen immer was zu
reden haben, und da muͤſſen denn die regierenden
Haͤupter zuerſt dran.


Hinze.

Aber eins kann ich doch nicht glau-
ben, daß dieſelben ſich nehmlich in Elephanten und
Tieger verwandeln koͤnnen.


Popanz.

Ich will Ihm gleich ein Exempel
davon geben.

(er verwandelt ſich in einen Loͤwen.)

Hinze.
(zieht zitternd eine Brieftaſche heraus).

Erlau-
ben Sie mir, daß ich mir dieſe Merkwuͤrdigkeit
notire. — Aber nun geruhen Sie auch, Ihre na-
tuͤrliche anmuthige Geſtalt wieder anzunehmen, weil
ich ſonſt vor Angſt vergehe.


Popanz
(in ſeiner Geſtalt).

Gelt, Freund, das
ſind Kunſtſtuͤcke?


Hinze.

Erſtaunliche. Aber, noch eins: man
ſagt auch, Sie koͤnnten ſich in ganz kleine Thiere
verwandeln, das iſt mir mit Ihrer Erlaubniß noch
weit unbegreiflicher; denn, ſagen Sie mir nur, wo
bleibt dann Dero anſehnlicher Koͤrper?


Popanz.

Auch das will ich machen.

(er ver-
wandelt ſich in eine Maus, Hinze ſpringt hinter ihm her auf
allen Vieren; Popanz erſchreckt entflieht in ein andres Zim-
mer, Hinze ihm nach.)

Hinze
(zuruͤckkommend).

Freiheit und Gleich-
heit! — Das Geſetz iſt aufgefreſſen! Nun wird
ja wohl der Tiers état Gottlieb zur Regierung
kommen.


(Allgemeines Pochen und Ziſchen im Parterr.)

[239]Der geſtiefelte Kater.
Schloſſer.

Halt! Ein Revolutionsſtuͤck! Ich
wittre Allegorie und Myſtik in jedem Wort! Halt!
halt! Zuruͤck moͤcht ich nun alles denken und em-
pfinden, um all die großen Winke, die tiefen An-
deutungen zu faſſen, die religioͤſe Tiefe zu ergruͤn-
den! Halt! Nur nicht gepocht! Es ſollte lieber
von vorn geſpielt werden! Nur nicht weltlich ge-
trommelt!


(Das Pochen dauert fort; Wieſener und manche andre klat-
ſchen, Hinze iſt ſehr verlegen.)

Boͤtticher.

Ich — muß —


Fiſcher.

Halten Sie ſich nur ruhig.


Boͤtticher.

Muß — muß —


Muͤller.

Was er druͤckt! Wie er ſich aufblaͤſt!


Fiſcher.

Ich fuͤrchte, er platzt in der An-
ſtrengung.


Boͤtticher.

Muß — muß —


Fiſcher.

Ums Himmels Willen, Sie gehn
zu Grunde.


Boͤttcher.

Lo — lo —

(ſehr laut)


loben!! —


(der Knebel fliegt ihm aus den Munde, uͤber das Orcheſter weg
auf das Theater, und dem Hinze an den Kopf.)

Hinze.

O weh! o weh! ſie werfen mit Stei-
nen nach mir! Ich bin toͤdtlich am Kopf bleßirt!


(er entflieht.)

Boͤttcher.

Muß loben, preiſen, vergoͤttern
und auseinander ſetzen das himmliſche, das einzige
Talent dieſes unvergleichlichen Mannes, dem aͤhn-
lich nichts in unſerm Vaterlande noch den uͤbrigen
Reichen anzutreffen iſt. Und, o Jammer! er muß
nun glauben, daß meine Anſtrengung ihn zu erhe-
[240]Zweite Abtheilung.
ben ihn hat beſchaͤdigen wollen, weil dieſer verruchte
Knebel ihm an ſein ehrwuͤrdiges, lorbeerumkraͤnz-
tes Haupt geflogen iſt.


Fiſcher.

Es war wie ein Kanonenſchuß.


Muͤller.

Laſſen Sie ihn nur ſchwatzen und
loben, und halten Sie den Herren Schloſſer, wel-
cher auch wuͤthig geworden iſt.


Schloſſer.

O Tiefe, Tiefe der myſtiſchen
Anſchauungen! O gewiß, gewiß wird der ſoge-
nannte Kater nun in der letzten Scene auf dem
Berge im Aufgang der Sonne knien, daß ihm das
Morgenroth durch ſeinen transparenten Koͤrper
ſcheint! O weh! o weh! und darum kommen wir
nun. Horcht! das Pochen waͤhrt immer fort.
Nein, Kerle, laßt mich los, — weg da!


Leutner.

Hier, Herr Fiſcher, habe ich zum
Gluͤck einen ſtarken Bindfaden im Orcheſter gefun-
den, da, binden Sie ihm die Haͤnde.


Muͤller.

Die Fuͤße auch, er ſtoͤßt wie ein
Raſender um ſich.


Boͤttcher.

Wie wohl, wie leicht iſt mir, nun
du Knebel fort, fort flogeſt, weit in die Welt hin-
ein, und die Lobpreiſungen, einem Strome aͤhnlich,
der ſeinen Damm zerreißt, wieder ergiebig, wort-
uͤberfluͤßig, mit Anſpielungen und Citaten ſpielend,
Stellen aus alten Autoren waͤlzend, dahin fluten
kann. O welchen Anſtand hat dieſer Mann! Wie
druͤckte er die Ermuͤdung ſo ſinnreich aus, daß er
ein weniges mit den Knieen knickte und knackte,
wenn er zum Stillſtehn kam; nichts da vom Schweiß-
abtrocknen, wie ein ordinaͤrer Kuͤnſtler gethan ha-
ben
[241]Der geſtiefelte Kater.
ben wuͤrde; nein, dazu hatte er keine Zeit, der Er-
ſte, Einzige, Uebermenſchliche, Rieſenhafte, Tita-
nenmaͤßige!


Fiſcher.

Er faͤllt ordentlich in den Hymnus,
nun das Sperrwerk fort iſt.


Muͤller.

Laſſen Sie ihn, mit dem Herrn
Schloſſer ſteht es viel ſchlimmer.


Schloſſer.

Ach! nun wuͤrde die geheime
Geſellſchaft kommen, die fuͤr das Wohl der Menſch-
heit thaͤtig iſt; die Freiheit wird nun proklamirt,
und ich bin hier gebunden.

(Das Getuͤmmel vermehrt
ſich, ſo wie das Geſchrei im Parterr und auf der Gallerie.)

Leutner.

Das iſt ja ein hoͤlliſcher Spekta-
kul, als wenn das ganze Haus einbrechen wollte.


Der Dichter.
(hinter der Scene.)

Ei was! laßt
mich zufrieden, — wohin ſoll ich mich retten? —

(er ſtuͤrzt außer ſich auf das Theater.)

Was fang ich an,
ich Elendeſter? — das Stuͤck iſt ſogleich zu Ende
— alles waͤre vielleicht gut gegangen — ich hatte
nun gerade von dieſer moraliſchen Scene ſo vielen
Beifall erwartet. — Wenn es nur nicht ſo weit
von hier — nach dem Pallaſt des Koͤnigs waͤre, —
ſo holt ich den Beſaͤnftiger, — er hat mir ſchon
am Schluß des zweiten Aktes — alle Fabeln vom
Orpheus glaublich gemacht. — Doch, bin ich nicht
Thor? — Ich bin ja voͤllig konfuſe; — auf dem
Theater ſteh' ich, — und der Beſaͤnftiger muß ir-
gendwo — zwiſchen den Couliſſen ſtecken. — Ich
will ihn ſuchen, — ich muß ihn finden, — er ſoll
mich retten! —

(Er geht ab, koͤmmt ſchnell zuruͤck.)

Dort
iſt er nicht. — Herr Beſaͤnftiger! — Ein hohles
II. [ 16 ]
[242]Zweite Abtheilung.
Echo ſpottet meiner. — Kommen Euer Wohlge-
boren! — Nur ein weniges vermittelnde Kritik, —
und das ganze Reich, — das jetzt empoͤrt iſt, —
koͤmmt zur Ruhe wieder. — Wir meinen es ja alle
gut, — wir haben ja nur den Mittelpunkt ver-
fehlt, — Publikum wie ich! — Herr Vermittler!
Herr Beſaͤnftiger! — Etwas beſſere Kritik, die Anar-
chie zu enden! — — O weh, er hat mich verlaſſen.
— Ha!! — dort ſeh ich ihn, — er muß hervor!


(Die Pauſen werden vom Parterr aus mit Pochen ausgefuͤllt,
und der Dichter ſpricht dieſen Monolog rezitativiſch, ſo daß da-
durch eine Art von Melodram entſteht.)

Beſaͤnftiger.
(hinter der Scene.)

Nein, ich gehe
nicht vor.


Dichter.

Kommen Sie, ſeyn Sie nur dreiſt,
Sie werden gewiß Gluͤck machen.


Beſaͤnftiger.

Der Laͤrm iſt zu ungeheuer.


Dichter.
(ſtoͤßt ihn mit Gewalt hervor.)

Die Welt
wartet auf Sie! Hinaus! Vermitteln Sie! Be-
ſaͤnftigen Sie!


Beſaͤnftiger.
(tritt vor mit dem Klockenſpiel.)

Ich
will mein Heil verſuchen.—

(er ſpielt auf den Klocken
und ſingt.)

In dieſen heilgen Hallen

Kennt man die Rache nicht,

Und iſt ein Menſch gefallen,

Fuͤhrt Liebe ihn zur Pflicht,

Dann wandelt er an Freundes Hand

Vergnuͤgt und froh ins beßre Land.

Wozu dies wilde Bruͤllen,

Die Excentricitaͤt?

[243]Der geſtiefelte Kater.
Das alles muß ſich ſtillen,

Wenn die Kritik entſteht,

Dann wiſſen wir woran wir ſind,

Das Ideal fuͤhlt jedes Kind.

(Das Parterr faͤngt an zu klatſchen, indem verwandelt ſich
das Theater, das Feuer und das Waſſer aus der Zauber-
floͤte faͤngt an zu ſpielen, oben ſieht man den offnen Son-
nentempel
, der Himmel iſt offen, und Jupiter ſitzt
darin, unten die Hoͤlle mit Tarkalevn; Kobolde und
Hexen auf dem Theater, viel Lichter. Das Publikum klatſcht
unmaͤßig, alles iſt in Aufruhr.)

Wieſener.

Nun muß der Kater noch durch
Feuer und Waſſer gehn, und das Stuͤck iſt fertig.


Der Koͤnig, die Prinzeſſin, Gottlieb,
Hinze (mit verbundenem Kopfe), Bediente treten herein.

Hinze.

Dies iſt der Pallaſt des Grafen von
Carabas. — Wie Henker, hat ſichs denn hier
veraͤndert?


Koͤnig.

Ein ſchoͤn Palais.


Hinze.

Weils denn doch einmal ſo weit iſt,

(Gottlieb bei der Hand nehmend)

ſo muͤſſen Sie erſt hier
durch das Feuer, und dann durch das Waſſer gehn.


Gottlieb geht nach einer Floͤte und Pauke durch
Feuer und Waſſer.

Hinze.

Sie haben die Pruͤfung uͤberſtanden;
nun, mein Prinz, ſind Sie ganz der Regierung
wuͤrdig.


Gottlieb.

Das Regieren, Hinze, iſt eine
kurioſe Sache. Mir iſt heiß und kalt dabei ge-
worden.


[244]Zweite Abtheilung.
Koͤnig.

Empfangen Sie nun die Hand mei-
ner Tochter.


Prinzeſſin.

Wie gluͤcklich bin ich!


Gottlieb.

Ich ebenfalls. — Mein Koͤnig
ich wuͤnſchte nun auch meinen Diener zu belohnen.


Koͤnig.

Allerdings, ich erhebe ihn hiermit in
den Adelſtand.

(Er haͤngt dem Kater einen Orden um.)


Wie heißt er eigentlich?


Gottlieb.

Hinze; ſeiner Geburt nach iſt er
nur aus einer geringen Familie, aber ſeine Verdienſte
erheben ihn.


Leander (tritt ſchnell herein).

Leander.

Platz! Platz!

(er draͤngt ſich durch.)


Ich bin mit Extrapoſt nachgereiſet, um meiner
anbetungswuͤrdigen Prinzeſſin und ihrem Herrn
Gemahl Gluͤck zu wuͤnſchen.

(er tritt vor, verbeugt ſich
gegen das Publikum.)

Vollendet iſt die That, trotz thaͤtgen Tatzen

Der Bosheit, glaͤnzt ſie in der Welt Geſchichten

Jahrhunderten, die nach Verdienſten richten:

Wenn dann vergeſſen ſind hochpralnde Fratzen,

Die oft im ſtolzen Duͤnkel gleichſam platzen,

Dann toͤnt im Lied, in lieblichen Gedichten

Von ſchoͤnen Lippen noch das Lob der ſchlichten,

Schmeich'lhaften, ſtillen, duldungsreichen Katzen.

Der große Hinz hat ſein Geſchlecht geadelt,

Er achtet nicht an Bein und Kopf der Wunden,

Nicht Popanz, Ungethuͤm, die ihn angrinzen.

[245]Der geſtiefelte Kater.
Wenn Unbill nun das Katzgeſchlecht bloͤd tadelt,

Irrwaͤhnend Vorzug geben moͤchte Hunden, —

Man widerlegt nicht, — nein! — nennt Ihn nur

— Hinzen!

(Lautes allgemeines Pochen, der Vorhang faͤllt.)

Epilog.


Der Koͤnig (tritt hinter dem Vorhang hervor).

Morgen werden wir die Ehre haben, die heu-
tige Vorſtellung zu wiederholen.


Fiſcher.

Welche Unverſchaͤmtheit!

(alles pocht.)

Koͤnig.
(geraͤth in Confuſion, geht zuruͤck und koͤmmt
dann wieder).

Morgen: — Allzuſcharf macht ſchartig.


Alle.

Ja wohl! ja wohl! —

(Applaudiren, der
Koͤnig geht ab.)

Man ſchreit:

Die letzte Dekoration!
Die letzte Dekoration!


Hinter dem Vorhange.

Wahrhaftig! Da
wird die Dekoration hervor gerufen!

(Der Vorhang
geht auf, das Theater iſt leer, man ſieht nur die Dekoration.)

Hanswurſt (tritt mit Verbeugungen hervor).

Hanswurſt.

Verzeihen Sie, daß ich ſo frei
bin, mich im Namen der Dekoration zu bedanken,
es iſt nicht mehr als Schuldigkeit, wenn die De-
[246]Zweite Abtheilung.
koration nur halbweg hoͤflich iſt. Sie wird ſich
bemuͤhen, auch kuͤnftig den Beifall eines erleuchte-
ten Publikums zu verdienen, daher wird ſie es
gewiß weder an Lampen noch an den noͤthigen
Verzierungen fehlen laſſen, denn der Beifall einer
ſolchen Verſammlung wird ſie ſo — ſo — ſo an-
feuern, — o Sie ſehn ja, ſie iſt vor Thraͤnen
ſo geruͤhrt, daß ſie nicht weiter ſprechen kann. —


(Er geht ſchnell ab und trocknet ſich die Augen, einige im
Parterr weinen, die Dekoration wird weggenommen, man ſieht
die kahlen Waͤnde des Theaters, die Leute fangen an fortzu-
gehn, der Soufleur ſteigt aus ſeinem Kaſten, — der
Dichter erſcheint demuͤthig auf der Buͤhne.)

Dichter.

Ich bin noch einmal ſo frei —


Fiſcher.

Sind Sie auch noch da?


Muͤller.

Sie ſollten doch ja nach Hauſe ge-
gangen ſeyn.


Dichter.

Nur noch ein Paar Worte mit
Ihrer guͤtigen Erlaubniß! Mein Stuͤck iſt durch-
gefallen —


Fiſcher.

Wem ſagen Sie denn das?


Muͤller.

Wir habens bemerkt.


Dichter.

Die Schuld liegt vielleicht nicht
ganz an mir —


Muͤller.

An wem denn ſonſt, daß wir hier
einen wuͤrdigen jungen Mann gebunden halten muͤſ-
ſen, der ſonſt wie ein Raſender um ſich ſchlaͤgt?
Wer hat denn ſonſt wohl Schuld, als Sie, daß
wir alle konfuſe im Kopfe ſind?


Schloſſer.

Erleuchteter Mann! nicht wahr,
[247]Der geſtiefelte Kater.
Ihr hohes Schauſpiel iſt eine myſtiſche Theorie
und Offenbarung uͤber die Natur der Liebe?


Dichter.

Daß ich nicht wuͤßte, ich wollte
nur den Verſuch machen, Sie alle in die entfern-
ten Empfindungen Ihrer Kinderjahre zuruͤck zu
verſetzen, daß ſie dadurch das dargeſtellte Maͤhr-
chen empfunden haͤtten, ohne es doch fuͤr etwas
Wichtigeres zu halten, als es ſeyn ſollte.


Leutner.

Das geht nicht ſo leicht, mein
guter Mann.


Dichter.

Sie haͤtten dann freilich Ihre
ganze Ausbildung auf zwei Stunden beiſeit le-
gen muͤſſen, —


Fiſcher.

Wie iſt denn das moͤglich?


Dichter.

Ihre Kenntniſſe vergeſſen, —


Muͤller.

Warum nicht gar!


Dichter.

Eben ſo, was ſie in Journalen
gethan haben.


Muͤller.

Seht nur die Foderungen!


Dichter.

Kurz, Sie haͤtten wieder zu Kin-
dern werden muͤſſen.


Fiſcher.

Aber wir danken Gott, daß wir
es nicht mehr ſind.


Leutner.

Unſere Ausbildung hat uns Muͤhe
und Angſtſchweiß genug gekoſtet.


(Man trommelt von neuem.)

Soufleur.

Verſuchen Sie ein Paar Verſe
zu machen, Herr Dichter, vielleicht bekommen Sie
dann mehr Reſpekt vor Ihnen.


Dichter.

Vielleicht faͤllt mir eine Xenie ein.


Soufleur.

Was iſt das?


[248]Zweite Abtheilung.
Dichter.

Eine neuerfundene Dichtungsart,
die ſich beſſer fuͤhlen als beſchreiben laͤßt.

(gegen das Parterr.)


Publikum, ſoll mich Dein Urtheil nur einigerma-
ßen belehren,
Zeig erſt, daß Du mich nur einigermaßen verſtehſt.


(Es wird aus dem Parterr mit verdorbenen Birnen und Aep-
feln und zuſammengerolltem Papier nach ihm geworfen.)

Dichter.

Die Herren da unten ſind mir in
dieſer Dichtungsart zu ſtark.


Muͤller.

Kommen Sie, Herr Fiſcher und
Herr Leutner, daß wir den Herrn Schloſſer als
ein Opfer der Kunſt nach ſeinem Hauſe ſchleppen.


Schloſſer.
(indem ſie ihn fortſchleppen).

Zieht
nur, wie Ihr wollt, Ihr gemeinen Seelen, das
Licht der Liebe und der Wahrheit wird dennoch die
Welt durchdringen.

(Alle gehen ab.)

Dichter.

Ich gehe auch nach Hauſe.


Boͤtticher.

St! St! Herr Poet!


Dichter.

Was iſt Ihnen gefaͤllig?


Boͤtticher.

Ich bin nicht unter Ihren Geg-
nern geweſen, aber das hinreißende Spiel des ein-
zigen Mannes, welcher den tugendhaften Hinze
dargeſtellt, hat mich etwas gehindert, die Kunſt
der dramatiſchen Compoſition ganz zu faſſen, der
ich aber auch ohne das gern ihr Recht widerfah-
ren laſſe; jetzt wollte ich nur fragen, ob dieſer
große Menſch noch auf dem Theater verweilt?


Dichter.

Nein. Was wollten Sie aber
mit ihm?


Boͤtticher.

Nichts als ihn ein weniges an-
[249]Der geſtiefelte Kater.
beten und ſeine Groͤße erlaͤutern. — Reichen Sie
mir doch gefaͤlligſt den Knebel dort her, den ich
als ein Denkmal von der Barbarei meines Zeit-
alters und unſrer Landsleute aufbewahren will.


Dichter.

Hier.


Boͤtticher.

Ich werde mich Ihrer Gefaͤllig-
keit immer mit Dankbarkeit erinnern.

(geht ab.)

Dichter.

O du undankbares Jahrhundert!


(geht ab. Die wenigen, die noch im Theater waren, gehn
nach Hauſe.)

Voͤlliger Schluß.

Clara und Auguſte hatten ſich an dieſer
Vorleſung ergoͤtzt, Roſalie hatte weniger gelacht
und Emilie war faſt ernſthaft geblieben, welche
es tadelte, daß das Theater das Theater paro-
diren wolle, und man alſo ein Spiel mit dem
Spiele treibe.


Es iſt ein Zirkel, ſagte Wilibald, der in
ſich ſelbſt zuruͤckkehrt, wo der Leſer am Schluß
grade eben ſo weit iſt, als am Anfange.


Und was iſt hieran auszuſetzen? fragte
Manfred: mit der Entſtehung des Theaters ent-
ſteht auch der Scherz uͤber das Theater, wie wir
ſchon im Ariſtophanes ſehn, er kann es kaum
unterlaſſen, ſich ſelbſt zu ironiſiren, was der uͤbri-
gen Poeſie ferner liegt, und noch mehr der
[250]Zweite Abtheilung.
Kunſt, weil auf der Zweiheit, der Doppelheit
des menſchlichen Geiſtes, dem wunderbaren Wi-
derſpruch in uns, ſeine Baſis ruht. Die wun-
derliche Abſicht des Theaters, eine Geſchichte
in groͤßter Lebendigkeit vor uns hinzuſtellen, hat
Schakſpear mehr als einmal in der Tragoͤdie
ironiſirt, wo er in dieſem Augenblick ſein Schau-
ſpiel fuͤr Wahrheit ausgiebt, und im Gegengenſatze
dieſer vom Theater das Theater ſelbſt als Luͤge
und ſchwache Nachahmung herabſetzt. Er mußte
ſeiner Sache ſehr gewiß ſeyn, daß er jene Stoͤ-
rung der Illuſion nicht befuͤrchtete, die faſt alle
neueren Lehrbuͤcher der Kunſt prophezeien, wenn
im Theater das Theater erwaͤhnt wird.


Wilibald, ſagte Auguſte, hat ſich dieſe ganze
Zeit uͤber gegen uns und die Vorleſer unartig
betragen, und ich erklaͤre ihm hiermit meine voͤl-
lige Ungnade, wenn er ſein Vergehen nicht durch
ein aͤhnliches Luſtſpiel wieder gut macht, das,
wo moͤglich noch kindiſcher und thoͤrichter
ſeyn ſoll.


Wilibald verneigte ſich ſtillſchweigend, und
Emilie fuhr fort: auch kann ich den Scherz
nicht billigen, welcher Perſonen nahmhaft macht,
und ſie komiſch darſtellt; denn warum ſoll eine
heitere Stimmung Menſchen gegen einander
empoͤren?


Wenn das geſchieht, ſagte Manfred, ſo iſt
die Stimmung wohl keine heitre, doch hat das
Luſtſpiel und die Kuſt nicht leicht der Perſoͤnlich-
[251]Zweite Abtheilung.
keit entbehren koͤnnen, und wenn die Darſtellung
nur keine feindſelige gehaͤſſige Anklage iſt, ſo ſehe
ich nichts darin, was der Unſchuld der Freude
in den Weg treten koͤnnte. Daß die Phantaſie
in der Luſt uͤbertreibt, verſteht ſich von ſelbſt,
denn ſonſt waͤre ihre Darſtellung keine poetiſche,
oder uͤberhaupt keine Darſtellung, und darum
erfreuen wir uns beim Ariſtofanes der Carikatur
des Sokrates: ich glaube auch, daß, wenn wir
uns eine wahrhafte Vorſtellung dieſes beruͤhm-
ten Mannes machen wollen, wir uns neben den
Schilderungen des Xenophon und Plato die des
komiſchen Dichters in die Wirklichkeit uͤberſetzen
muͤſſen, um mehr als ein ehrwuͤrdiges Schatten-
bild von ihm zu erblicken; die Kunſt hat keine
Kraft hinzureißen, wenn nicht aus der Carikatur
die Wahrheit des Bildes hervor ſchaut. Doch,
ich breche ab, um zu meiner Vorleſung zu
kommen; ich hoffe daß die Humanitaͤt unſerer
Emilie meinem Schauſpiel obigen Vorwurf nicht
wird machen koͤnnen, wenn mein Freund auch
jene getadelte Zirkellinie, die zu nichts, als zu
ſich ſelber zuruͤck fuͤhrt, hier wieder finden moͤchte.


[252]Zweite Abtheilung.

Die verkehrte Welt.


Ein
hiſtoriſches Schauſpiel
in fuͤnf Aufzuͤgen
.


Symphonie.


Andante aus D dur.

Will man ſich ergoͤtzen, ſo koͤmmt es nicht ſo-
wohl darauf an, auf welche Art es geſchieht, als
vielmehr darauf, daß man ſich in der That ergoͤtzt.
Der Ernſt ſucht endlich den Scherz, und wieder
ermuͤdet der Scherz, und ſucht den Ernſt, doch be-
obachtet man zu ſich genau, traͤgt man in beides zu
viel Abſicht und Vorſatz hinein, ſo iſt es gar leicht
um den wahren Ernſt, ſo wie um die wahre Lu-
ſtigkeit geſchehen.


Piano.

Gehoͤren aber wohl dergleichen Betrachtungen
in eine Symphonie? Warum ſoll es denn ſo ge-
ſetzt anfangen? Ei nein! wahrhaftig nein, ich will
lieber ſogleich alle Inſtrumente durch einander
klingen laſſen!


[253]Die verkehrte Welt.
Crescendo.

Ich darf ja nur wollen, doch freilich mit Ver-
ſtand, denn nicht ſogleich, urploͤtzlich, erhebt ſich
der Sturm, er meldet ſich, er waͤchſt, dann erregt
er Theilnahme, Angſt, Furcht und Luſt, da er ſonſt
nur leeres Erſtaunen und Erſchrecken veranlaſſen
wuͤrde. Iſt es ſchwer vom Blatte zu ſpielen, ſo
iſt es noch ſchwerer, vom Blatte ſogleich zu hoͤren.
Aber nun ſind wir ſchon tief im Getuͤmmel; Pau-
ken, ſchlagt! Trommeten, klingt!


Fortiſſime.

Ha! das Getuͤmmel, die Attaken, das Schlacht-
gewuͤhl von Toͤnen? Wohin rennt ihr? Woher
kommt ihr? die ſtuͤrzen ſich wie Sieger durch das
lauteſte Gedraͤnge, jene fallen, verſcheiden; die dort
kommen verwundet, matt zuruͤck, und ſuchen Troſt
und Freundſchaft. Da trabts heran, wie Roſſes-
ſchnauben; da orgelts tief, wie Donner im Ge-
birg; da rauſcht es, tobt es, wie ein Waſſerſturz,
der verzweifelnd, ſich vernichten wollend, uͤber die
nackten Klippen ſtuͤrzt, und tiefer, immer tiefer
hinunter wuͤthet, und keinen Stillſtand, keine
Ruhe findet.


Adagio.

Und nun? — Was war es nun, daß ich die-
ſem Geluͤſte folgte? Da liegt nun hinter mir, ver-
ſunken, das erſt bewegte, lebendige Gefilde, und
nichts davon bleibt zuruͤck, und eben ſo eilt auch
[254]Zweite Abtheilung.
dieſer Ton, der gegenwaͤrtige, ſchon ſeinem Unter-
gang entgegen.


Tempo Primo.

Doch die Erinnrung bleibt, und ſie wird wie-
der Gegenwart: muß ich doch dieſe auch beleben
und mit meinem Bewußtſein durchdringen, darum
kann ich das was War und Iſt und ſeyn Wird
in Einem Zauber binden.


Violino Primo Solo.

Wie? Es waͤre nicht erlaubt und moͤglich, in
Toͤnen zu denken und in Worten und Gedanken
zu muſiziren? O wie ſchlecht waͤre es dann mit
uns Kuͤnſtlern beſtellt! Wie arme Sprache, wie
aͤrmere Muſik! Denkt Ihr nicht ſo manche Ge-
danken ſo fein und geiſtig, daß dieſe ſich in Ver-
zweiflung in Muſik hineinretten, um nur Ruhe
endlich zu finden? Wie oft, daß ein zergruͤbelter
Tag nur ein Summen und Brummen zuruͤck laͤßt,
das ſich erſt ſpaͤter wieder zur Melodie belebt?
Was redet uns in Toͤnen oft ſo licht und uͤber-
zeugend an? Ach ihr lieben Leute, (die Zuhoͤrer
mein ich) das meiſte in der Welt graͤnzt weit mehr
an einander, als Ihr es meint, darum ſeid billig
ſeid nachſichtig, und nicht gleich vor den Kopf ge-
ſchlagen, wenn Ihr einmal ein paradoxen Satz
antrefft; denn vielleicht iſt, was Euch ſo unbehag-
lich verwundert, nur das Gefuͤhl, daß Ihr dem
Magnetberge nahe kommt, der in Euch alle eiſernen
Fugen und Klammern los zieht: das Schiff, welches
[255]Die verkehrte Welt.
Euch traͤgt, zerbricht freilich, aber hofft, vertraut,
ihr kommt an Land, wo Ihr kein Eiſen weiter
braucht.


Pizzicato mit Accompagnemant
der Violinen
.

Die paradoxen Saͤtze ſind uͤbrigens fuͤr ver-
ſtaͤndige Leute weit ſeltener, als man denken ſollte.
Die verſtaͤndigen Leute ſind aber noch viel ſeltener.


Alle Inſtrumente.

Es iſt gar kein Zweifel, daß nicht die Ver-
ſammlung der verehrten Zuſchauer und Zuhoͤrer
aus dergleichen beſtehen ſollte, und darum freut
ſich ſo Theater als Orcheſter, vor einem ſo er-
lauchten oder erleuchteten Publikum zu ſpielen.
Nur muͤſſen alle die Geduld behalten, die Haupt-
tugend des Lebens, ohne welche das Leben ſelber
nicht zu tragen iſt.


Forte.

Alles iſt fertig, die Dekoration aufgeſtellt, der
Soufleur zugegen; mehr Zuſchauer kommen auch
nicht. Die Erwartung iſt rege, die Neugier ge-
ſpannt; nur wenige denken jetzt ſchon an das En-
de, und daß ſie alsdann fragen werden: nun, war
es denn etwas Beſonderes? — Gebt Acht! denn
das muͤßt Ihr, um nicht alles auf den Kopf zu
ſtellen. — Gebt aber auch nicht zu ſehr Acht, um
nicht mehr zu ſehn und zu hoͤren, als man euch
hat zeigen wollen. — Gebt Acht! gebt aber ja
[256]Zweite Abtheilung.
auf die rechte Art Acht! hoͤrt zu! hoͤrt zu! zu!
zu!! zu!!!


Der Vorhang geht auf. Daß Theater ſtellt ein Theater vor.

Der Epilogus tritt auf.

Epilogus.

Nun, meine Herrn, wie hat
Euch unſer Schauſpiel gefallen? Es war freilich
nicht viel, indeſſen da Ihr alles zu nehmen ge-
wohnt ſeid, ſo war es doch immer des Annehmens
werth. Man kann nicht alle Tage neu ſeyn, und
wenn man es ſeyn koͤnnte, wuͤrde man doch nicht
alle Tage vortreflich ſeyn, ja ſollten wir es ſelbſt
dahin bringen, alle Tage vortreflich zu ſeyn, ſo
wuͤrden wir dann gewiß die Alltaͤglichkeit nicht
mehr vortreflich finden, ſondern das Armſeelige
kaͤme dann gewiß zu der Ehre, fuͤr vortreflich
zu gelten.


Ihr muͤßt Euch uͤbrigens daruͤber nicht ver-
wundern, daß Ihr das Stuͤck noch gar nicht ge-
ſehn habt, denn hoffentlich ſeid Ihr doch in ſo
weit gebildet, daß das bei Euch nichts zur Sache
thut, um daruͤber zu urtheilen. Ei! wer haͤtte
die Zeit, alles das zu leſen, was wir verwerfen,
oder erheben! Wer wollte nur das beurtheilen,
was man kennt! Wahrlich, der meiſten Urtheil
wuͤrde dann noch kleiner ausfallen, als ein Lace-
daͤmoniſcher Brief: Ihr ſeid hoffentlich ſchon ge-
uͤbt
[257]Die verkehrte Welt.
uͤbt, und habt im Urtheilen etwas gethan, daß
Ihr alſo unſre Comoͤdie gar nicht zu ſehen braucht,
um zu wiſſen, was an ihr iſt. Der Name des
Verfaſſers, wenn er beruͤhmt iſt, das Urtheil eines
guten Freundes, dem Ihr Verſtand zutraut, ſind
ja gewoͤhnlich die Wegweiſer, die Euch leiten. Oder
Ihr ſagt mit jener huͤbſchen Kaltbluͤtigkeit, die
einen gebildeten, uͤberfuͤllten, von gelehrten Zei-
tungen aufgepaͤppelten Menſchen charakteriſirt: ei!
es iſt ſo uͤbel nicht; gut genug fuͤr jene Zeit, —
leidlich fuͤr die bornirte Abſicht, — nur, freilich,
fehlt es am Beſten. Wie denn? Wo denn? fragt
ein Wißbegieriger. O Freund, iſt die Antwort,
das waͤre gar zu weitlaͤufig, Sie ſind zuruͤck, wie
viele Zeit waͤre noͤthig, Ihnen die Sache klar zu
machen, ich will Ihnen die vorigen Jahrgaͤnge
ſchicken, wenn Sie nachgekommen ſind, ſprechen
wir uns wieder.


Es wird aber Zeit ſeyn, daß ich abtrete. Hin-
ter den Couliſſen herrſcht große Verwirrung, und
es iſt am beſten, ich gehe, damit ich nicht von
dem Strome fortgeriſſen werde.


II. [ 17 ]
[258]Zweite Abtheilung.

Erſter Akt.


Skaramuz. Der Poet.

Skaramuz.

Nein, Herr Poet, ſagt, was Ihr wollt, redet,
was Ihr moͤgt, denkt und wendet ein, ſo viel es
Euch nur moͤglich iſt, ſo bin ich doch feſt entſchloſ-
ſen, auf nichts zu hoͤren, nichts zu uͤberlegen, ſon-
dern auf meinem Willen zu beſtehn, und damit
Punktum!


Poet.

Lieber Skaramuz —


Skaramuz.

Ich hoͤre nichts. Da, mein
Herr Poet, ſeht, wie ich mir die Ohren zuhalte.


Poet.

Aber das Stuͤck, —


Skaramuz.

Was Stuͤck! Ich bin auch ein
Stuͤck, und ich habe auch das Recht, mit zu ſpre-
chen. Oder denkt Ihr, daß ich keinen Willen
habe? Meint Ihr Poeten, die Herren Schau-
ſpieler waͤren immer gezwungen, das zu thun,
was Ihr ihnen befehlt? O mein Herr, die Zeiten
aͤndern ſich manchmal ploͤtzlich.


Poet.

Aber die Zuſchauer —


Skaramuz.

Alſo, weil es Zuſchauer in der
Welt giebt, ſoll ich ungluͤcklich ſeyn? Ei, welcher
ſchoͤne Schluß!


Poet.

Freund, Ihr muͤßt mich nothwendig
anhoͤren.


[259]Die verkehrte Welt.
Skaramuz.

Wenn ich muß: gut. Hier
ſitz' ich; nun redet einmal wie ein verſtaͤndiger
Menſch, wenn Euch das moͤglich iſt.


(Er ſetzt ſich auf die Erde.)

Poet.

Werthgeſchaͤtzter Herr Skaramuz!
Dieſelben ſind beim hieſigen Theater zu einem ge-
wiſſen beſtimmten Rollenfach engagirt, Sie ſind
mit einem Worte, um mich kurz auszudruͤcken,
der Skaramuz. Es iſt auch nimmermehr zu laͤug-
nen, daß Sie es in dieſem Fache ſo ziemlich weit
gebracht haben, und kein Menſch auf der Welt
iſt mehr geneigt als ich, Ihren Talenten Gerech-
tigkeit widerfahren zu laſſen; aber, mein Theuer-
ſter, deswegen ſind Sie noch nimmermehr ein tra-
giſcher Schauſpieler, Sie ſind deswegen noch nicht
im Stande, einen edlen Charakter darzuſtellen.


Skaramuz.

Sapperlot! das waͤr ich nicht
im Stande? Mein Seel, ſo edel, wie Sie ihn
nimmermehr ſollen ſchreiben koͤnnen. Wenn es
ausgemacht iſt (wie es denn in unſern Tagen
ausgemacht iſt), daß eine edle Rolle einen ur-
ſpruͤnglich edlen Menſchen, Mann oder Herrn zur
Darſtellung erfordert, ſo halte ich Ihre Aeuße-
rung fuͤr eine perſoͤnliche Beleidigung, und ich fo-
dre hiemit die ganze Welt auf, groß und klein,
mich an Edelmuth zu uͤbertreffen.


Scaͤvola
(einer von den Zuſchauern).

O, Herr
Skaramuz, mit Ihnen nimmt man es noch auf.


Skaramuz.

Wie ſo? Ei, wie das? Ich muß
geſtehn, ich erſtaune uͤber dieſe Unverſchaͤmtheit.


Scaͤvola.

Nein, mein Herr, das haben
[260]Zweite Abtheilung.
Sie gar nicht Urſach. Ich bin fuͤr mein Geld
hier, Herr Skaramuz, und da kann ich hier den-
ken, was ich will.


Skaramuz.

Die Gedankenfreiheit iſt Ih-
nen unbenommen, aber das Sprechen iſt Ihnen
unterſagt.


Scaͤvola.

Wenn Sie ſprechen duͤrfen, wird
es mir auch noch immer erlaubt ſeyn.


Skaramuz.

Und was haben Sie denn Ed-
les gethan?


Scaͤvola.

Ich habe vorgeſtern fuͤr meinen
liederlichen Neffen Schulden bezahlt.


Skaramuz.

Und ich habe geſtern den Sou-
fleur geſchont, indem ich eine ganze Scene ausließ.


Scaͤvola.

Ich war vorige Woche bei Tiſch
bei guter Laune, und verſchenkte einen ganzen Tha-
ler an Almoſen.


Skaramuz.

Ich zankte mich vorgeſtern mit
dem Schneider, der mich mahnte, und behielt das
letzte Wort.


Scaͤvola.

Vor acht Tagen habe ich einen
beſoffenen Menſchen nach Hauſe gebracht.


Skaramuz.

Dieſer Beſoffene war ich, mein
Herr, aber ich hatte mich auf das Wohl unſres
Landesherrn betrunken.


Scaͤvola.

Ich bekenne mich fuͤr uͤberwunden.


Skaramuz.

Und dafuͤr ſind Sie nun ſo
undankbar, und kommen her, und wollen mir
meinen Edelmuth ſchmaͤlern?


Scaͤvola.

Ich bitte um Verzeihung, Herr
Skaramuz.


[261]Die verkehrte Welt.
Pierrot ſtuͤrzt herein.

Poet.

Was willſt Du, Pierrot?


Pierrot.

Was ich will? Ich will heute
nicht ſpielen, durchaus nicht!


Poet.

Aber warum nicht?


Pierrot.

Warum? Weil ich auch endlich
einmal einen Zuſchauer abgeben will; ich bin lange
genug Comoͤdiant gewegen.


Wagemann, der Direktor, kommt herein.

Poet.

Gut, daß Sie kommen, Herr Direk-
teur, hier iſt alles in der groͤßten Verwirrung.


Wagemann.

Wie ſo?


Poet.

Pierrot will heute nicht ſpielen, ſon-
dern Zuſchauer ſeyn, und Herr Skaramuz will in
meinem Stuͤcke durchaus nichts anders, als den
Apollo agiren.


Skaramuz.

Und mit Recht, Herr Direk-
teur, ich habe die Narren lange genug geſpielt, ſo
daß ich es nun wohl auch einmal mit den Klugen
verſuchen kann.


Wagemann.

Sie ſind zu ſtrenge, Herr
Poet, Sie muͤſſen den armen Leuten etwas mehr
Freiheit laſſen; man muß ihnen ein Bischen durch
die Finger ſehn.


Poet.

Doch das Schauſpiel, die Kunſt —


Wagemann.

Je, das fuͤgt ſich ja doch. Sehn
Sie, ich denke ſo: bezahlt haben die Zuſchauer nun
einmal, und damit iſt das Wichtigſte geſchehn.


Pierrot.

Adieu, Herr Poet, ich miſche mich
[262]Zweite Abtheilung.
unter die verehrungswuͤrdigen Zuſchauer. Ich will
einmal uͤber die Lampen hinweg den beruͤhmten
Sprung vom Felſen Leukate in das Parterre hin-
einthun, um zu ſehen, ob ich entweder ſterbe, oder
von einem Narren zu einem Zuſchauer kurirt
werde.


Lebe wohl du alte Liebe,

Jetzt beginnt ein neues Leben,

Und mit ſehr vernuͤnftgem Streben

Fuͤhl ich andre Herzenstriebe.

Keine Lampe ſoll mich ſchrecken,

Kein Soufleur haͤlt mich zuruͤck,

Nein, ich will das ruhge Gluͤck

Eines Auditoris ſchmecken.

Nun empfangt mich, wilde Wogen,

Du, Theater, fahre hin,

Zu dem herrlichſten Gewinn

Fuͤhl ich mich hinabgezogen.

(er ſpringt ins Parterr.)

Wo bin ich? o Himmel!

Ich athme noch immer?

O Wunder! ich ſtehe

Hier unten? die Schimmer

Der Lichter ſind dort? —

Ihr ſeht mich, ihr Goͤtter!

Von Leuten umgeben;

Stolz rag ich hervor!

Wem dank ich dies Leben?

Dies beſſere Leben?

Die Zuſchauer.

Herr Pierrot iſt zum
Zuſchauer aufgenommen!
[263]Die verkehrte Welt.
Zuſchauer Pierrot ſey willkommen!
Sey gegruͤßt, du großer Mann!


Pierrot.

Meint Ihr mich, Ihr Wohlgebohrnen?
Nehmt Ihr mich zum Bruder an?
O mein Dank ſoll nicht ermuͤden
Weil mein Buſen athmen kann.


Gruͤnhelm.
(ein Zuſchauer.)

Herrlich! herrlich! bei meiner Seele herrlich!
Aber, um nicht eins ins andre zu reden, ſo moͤchte
ich zur Abwechſelung gern einmal mitſpielen, das
wuͤrde mir in der Seele wohlthun.


Ich zittre nur, ich ſtottre nur,

Und kann es doch nicht laſſen,

Ich fuͤhls, ich geh auf falſcher Spur

Und dennoch muß ich ſpaßen.

(er ſteigt zum Theater hinauf.)

Und ſomit, Herr Skara-
muz, uͤberlaßt mir nur gutwillig Eure komiſche
Rolle, und Ihr moͤgt dann, wie geſagt, den
Apollo uͤbernehmen.


Skaramuz.

Ich ſtehe zu Befehl; wenn ich
Ihnen mit meiner ganzen Eigenthuͤmlichkeit auf-
warten kann, ſo haben Sie zu gebieten.


Gruͤnhelm.

Allzuguͤtig, allzuguͤtig, nur ganz
gehorſamſt zu bitten.


Poet.

Aber was ſoll denn aus meinem vor-
treflichen Schauſpiele werden?


Pierrot.
(zu den Zuſchauern um ihn.)

Meine
Herren, unterſtuͤtzen Sie des Skaramuz Geſuch,
ich verſichre Sie, ich ſchwoͤre es Ihnen zu, er
wird den Apollo herrlich machen.


[264]Zweite Abtheilung.
Zuſchauer.

Skaramuz ſoll den Apollo ſpie-
len, und zwar auf lautes Begehren.


Poet.

Nun gut, ich waſche meine Haͤnde,
ob ſie mir gleich gebunden ſind; das Publikum
mag alles zu verantworten haben.


Publikum.

Wir getrauen es uns zu ver-
antworten.


Poet.

Ich bin im groͤßten Elende, — ach
freilich, iſt es die Beſtimmung unſerer Kunſt, gaͤnz-
lich mißverſtanden und traveſtirt zu werden, und
leider gefallen wir dann am meiſten. Das Urtheil
das an dem Marſyas vollzogen wurde, wird zur
Vergeltung jetzt nur zur oft an der Poeſie aus-
geuͤbt. Ich weiß mich vor Schmerzen nicht zu
laſſen. Herr Gruͤnhelm Sie uͤbernehmen alſo das
Luſtigmachen?


Gruͤnhelm.

Allerdings, mein Herr Poet,
und ich will ganz gewiß meinen Mann ſtehn.


Poet.

Wie wollen Sies denn anfangen?


Gruͤnhelm.

Herr, ich habe ſelber lange als
ein Mann gedient, der ſich damit abgiebt, ſich amuͤ-
ſiren zu laſſen, ich meine als Zuſchauer, darum weiß
ich auch genau, was gefaͤllt. Die Leute da unten
wollen naͤmlich unterhalten ſeyn, das iſt im Grunde
der einzige Grund, warum ſie ſo ſtill und ruhig
da ſtehn.


Poet.

Gut! aber wie wollen Sie es denn
machen?


Gruͤnhelm.

Sehn Sie, auf den guten Wil-
len der Zuſchauer koͤmmt freilich das meiſte an,
das weiß ich ſo gut, wie Sie, die wahre Kunſt iſt
[265]Die verkehrte Welt.
daher die, dieſen guten Willen ſo recht empor zu
bringen, ich meine nemlich, daß die Gutherzigkeit
oben bleibt.


Poet.

Nun freilich, aber eben die Mittel —


Gruͤnhelm.

Nun, das iſt ja meine Sorge,
Herr Poet, darum haben Sie ſich ja gar nicht zu
kuͤmmern.

(ſingt:)

Der Vogelfaͤnger bin ich ja, u. ſ. w.


Zuſchauer.

Bravo! Bravo!


Gruͤnhelm.

Nun? Sehn Sie, mein Herr
das iſt nur eins von meinen Mitteln. — Sind
Sie nicht ziemlich gut amuͤſirt, meine Herren?


Zuſchauer.

Excellent! o ganz uͤberaus vor-
treflich!


Gruͤnhelm.

Haben Sie eine Sehnſucht
nach etwas Verſtaͤndigem?


Zuſchauer.

Nein, nein, aber nachher wollen
wir ein wenig geruͤhrt ſeyn.


Gruͤnhelm.

Nur Geduld, es kann ja nicht
alles in einem Haufen kommen. Vermiſſen Sie
alſo wohl den ordentlichen Apollo?


Zuſchauer.

Nicht im mindeſten.


Gruͤnhelm.

Nun Herr Poet, was haben
Sie alſo gegen den liebwertheſten Skaramuz?


Poet.

Nicht das mindeſte mehr, ich bin
uͤberfuͤhrt.

(geht ab.)

Zuſchauer.

Wir wollen aber auch nicht
lauter Poſſen haben.


Skaramuz.

Je behuͤt uns Gott vor ſolcher
Suͤnde! Was waͤre ich fuͤr ein Apollo, wenn ich
das litte oder zugaͤbe? Nein meine Herrn, ernſt-
[266]Zweite Abtheilung.
hafte Sachen die Fuͤlle, Sachen zum Nachdenken,
damit doch auch der Verſtand in einige Uebung
koͤmmt.


Ein Bote. (tritt auf.)

Skaramuz.

Was giebts?


Bote.

O maͤcht'ger Gott, der Du mit deinem Witze

Von fernher triffſt, der Du die Leyer ſchlaͤgſt,

Du, dem Homer noch manchen Namen giebt,

Die ich nicht all aus Eile nennen kann.

Ich komme Dir zu ſagen, daß dein Feind,

Den ſonſt die Sterblichen Apoll genannt

(Weil ſie in ſchnoͤder Unerfahrenheit

Die Tage ihres irdſchen Daſeyns lebten),

Daß dieſer, o Gebieter fortgeflohn,

Und, wie man ſagt, zu dieſer Friſt beim Koͤnig

Admet der Schafe Huͤrden ſtill bewahrt,

Dort uͤbt er einſam leichte Hirtenlieder,

Und zaͤhmt, wie uns Mythologie berichtet,

Die wilden Baͤren, Loͤwen, Panther, Tiger,

Und was ihm ſonſt noch vor die Faͤuſte koͤmmt,

Mit himmliſcher Gewalt der Harmonie,

Die er dem ſilbern Saitenſpiel entlockt.

Skaramuz.

Dort mag er bleiben, und ſich
alſo auf die Idylle appliciren, daß er ſich aber
nur nimmermehr innerhalb der Graͤnzen dieſes
Theaters betreffen laͤßt, ſonſt ſoll er mit ſeinem
Kopfe dieſen Frevel buͤßen. — zum Ueberfluß mag
noch ein Steckbrief in die Zeitungen geruͤckt
werden.


[267]Die verkehrte Welt.
Bote.

Dein Wille ſoll vollzogen werden.


(Geht ab.)

Scaͤvola.

Ob es wohl eine Tragoͤdie wird?


Pierrot.

Nein, meine Herren, wir Schau-
ſpieler haben uns alle die Hand darauf gegeben,
daß keiner von uns ſterben will, folglich gehts
nimmermehr durch, wenn es auch der Dichter im
Sinn haben ſollte.


Scaͤvola.

Es iſt auch beſſer ſo, denn ich
bin mit einem gar zu zaͤrtlichen Gemuͤth behaftet.


Pierrot.

Zum Henker, Herr, unſer eins
iſt auch nicht von Stahl und Eiſen. Ich habe
die Ehre, Ihnen zu verſichern, daß ich ungemein
fein empfinde; hol doch der Teufel das ungebil-
dete Weſen!


Scaͤvola.

Das ſag ich auch immer, denn
warum ſind wir wohl ſonſt Menſchen?


Pierro.

Und ſogar Zuſchauer?


Scaͤvola.

Ei freilich hat das Ding ſehr
viel auf ſich; ſo ein Zuſchauer iſt gleichſam das
Hoͤchſte, was man werden kann.


Pierrot.

Freilich! Sind wir denn nicht
mehr, als alle die Kaiſer und Fuͤrſten, die dort
nur vorgeſtellt werden?


Scaͤvola.

Eben darum muͤſſen wir uns
auch ganz gewaltig in der Bildung erhalten.


Pierro.

Hochmuth will Zwang haben.


Skaramuz.

Aber tauſend Element! wo
bleibt denn, ins Henkers Namen, mein Parnaß?


Gruͤnhelm.

Es iſt auch wahr, ich will ihn
den Augenblick ſchicken.

(ab.)

[268]Zweite Abtheilung.
Wagemann.

Nun iſt ja wohl alles in Ord-
nung. Adieu, Herr Skaramuz.


Skaramuz.

Ergebenſter, bitte der Frau Ge-
mahlin meine gehorſamſte Empfehlung zu machen.


(Der Direkteur geht ab. Vier Statiſten bringen den Parnaß
herein.)

Skaramuz.

Nur da hingeſtellt, — ſo, —
etwas hier weiter her, damit ich den Soufleur
beſſer hoͤren kann.

(Er ſteigt hinauf und ſetzt ſich.)

Recht
ſchoͤn ſitzt es ſich hier. — Wie viel traͤgt mir aber
der Berg ein? Wer weiß mir das zu ſagen? —
Der Schatzmeiſter ſoll kommen.


Schatzmeiſter tritt auf.

Skaramuz.

Was traͤgt mir der Berg jaͤhr-
lich?


Schatzmeiſter.

Unter Dero Vorweſer war
der Caſtaliſche Quell die einzige Einnahme.


Skaramuz.

Was war das fuͤr ein Quell?
Ein Geſundbrunnen etwa? ein Sauer- oder Schwe-
felbrunnen? Wurde er viel verſchickt? Wie theuer
verkaufte man die Flaſche?


Schatzmeiſter.

Er wurde ſelten verſchickt,
und das wenige wurde verſchenkt. Faſt Niemand
wollte das Waſſer gut finden; Ihr Vorweſer, der
ç devant Appollon mochte es gern.


Skaramuz.

Und weiter nichts? Haͤngt kein
Vorwerk mit dem Berge zuſammen, kein Wieſen-
wachs? Was hab ich an Vieh, an Gaͤnſen Huͤ-
nern und dergleichen einzunehmen?


[269]Die verkehrte Welt.
Schatzmeiſter.

Von allen dieſem weiß ich
nichts.


Skaramuz.

O ſo muß ich nothwendig meine
Grundſtuͤcke verbeſſern; da mag der Henker Euer
Apoll ſeyn, wenn ſo ein magres Einkommen bei
der Stelle iſt. — Und auch keine Zehnden?


Schatzmeiſter.

Nichts von dieſer Art.


Skaramuz.

Es ſind doch etwa nicht noch
gar Schulden auf dem Berg?


Schatzmeiſter.

Nein, Ihro Majeſtaͤt.


Skaramuz.

Nun, das iſt gut. So muͤßt
Ihr, Schatzmeiſter, aber gleich Geld aufnehmen,
der Creditor hat die erſte Hypothek. — Steht der
Parnaß in der Feuerkaſſe?


Schatzmeiſter.

O ja.


Skaramuz.

So ſind wir alſo vor Ungluͤck
geſichert. — Eine Brauerei und ein Backhaus ſoll
da unten zu meinen Fuͤßen angelegt werden.


Schatzmeiſter.

Ganz wohl.


Skaramuz.

Die Gemein-Weiden werden
abgeſtellt; mit dem Pegaſus und allem uͤbrigen
Vieh, das mir gehoͤrt, wird die Stallfuͤtterung
eingefuͤhrt.


Schatzmeiſter.

Ganz wohl.


Skaramuz.

Ihr werdet die Buͤcher daruͤ-
ber geleſen haben, es iſt von ausgemachtem Nutzen.
— Die Zuſchauer haben doch die Comoͤdie bezahlt?


Schatzmeiſter.

Ja Ihro Excellenz.


Skaramuz.

Ich erlaſſe ein ſtrenges Ver-
bot, daß alle Freibillets aufhoͤren ſollen.


Schatzmeiſter.

Das ſind aber alles ganz
[270]Zweite Abtheilung.
neue Einrichtungen, mein Koͤnig, von denen Grie-
chenland nichts wußte.


Skaramuz.

Was Griechenland! Wir leben
jetzt gottlob in beſſern Zeiten. — Apropos, gut,
daß ich daran denke. Du ſagteſt mir vorher vom
Caſtaliſchen Brunnen, aus dem Dinge muß ein
Geſundbrunnen gemacht werden.


Schatzmeiſter.

Wie iſt das moͤglich?


Skaramuz.

Die Moͤglichkeit iſt meine Sor-
ge; genug, daß ich viel Geld dafuͤr einnehmen
werde, denn ich will den Leuten weiß machen laſ-
ſen, daß ſie ſich alle Gebrechen der Seele und des
Leibes mit dieſem Waſſer heilen koͤnnen, — aber
— umſonſt iſt der Tod.


Schatzmeiſter.

Ihr Vorgaͤnger kannte keine
einzige Muͤnzſorte.


Skaramuz.

Das war auch ein Narr, und
ein Menſch, der, wenn man ihn beim Lichte be-
ſieht, in die fabelhaften Zeiten faͤllt. Jetzt aber
hat die Aufklaͤrung um ſich gegriffen und ich re-
giere. — Laßt mir einmal die Muſen kommen.


(Schatzmeiſter ab.)

Die neun Muſen treten auf, und verneigen ſich.

Skaramuz
(mit leichtem Kopfnicken).

Freut mich,
die werthgeſchaͤtzten Mademoiſells kennen zu ler-
nen. Hoffe, wir ſollen uns immer gut vertragen.
Sie wohnen nun bei mir auf dem Parnaß zur
Miethe, wenn Sie ausziehn wollen, muͤſſen Sie
mir ein Vierteljahr vorher aufkuͤndigen. — Wie
heißen Sie denn, mein ſchoͤnes Kind.


[271]Die verkehrte Welt.
Melpomene.

Ich bin Melpomene.


Skaramuz.

Sie ſehn ſo bekuͤmmert aus.


Melpomene.

Ach, Herr Apollo! ich bin
aus einem ſehr guten Hauſe. Mein Vater war
Hofrath, und der Edle ließ mir eine unvergleich-
liche Erziehung zukommen. Ach! wie war ich in
meiner guten Eltern Hauſe gluͤcklich, und wie be-
ſtrebte ich mich, eine gute zaͤrtliche Tochter zu ſeyn!
Ich hatte auch einen Geliebten, aber dieſer verließ
mich aus Stolz, weil er ſich hatte adeln laſſen,
meine Eltern ſtarben nachher vor Kummer. Ein
guter Menſch, unſer Hausdoktor, nahm ſich zwar
meiner an, aber er war zu arm, als daß er mich
haͤtte heirathen koͤnnen, und ſo bin ich denn aus
Desperation unter die Muſen gegangen. Hab ich
nun nicht ein Recht, traurig zu ſeyn?


Skaramuz.

Ja wohl, mein Kind, aber
ich will als ein Vater fuͤr Sie ſorgen.


Scaͤvola
(zu einem andern).

Nun ſeht doch
um Gottes Willen, wie mir da ſchon die Thraͤnen
aus den Augen laufen.


Der Andere.

Ei Gevatter, ſo ſchont Euch
doch zum fuͤnften Akt.


Skaramuz.

Und wer ſind Sie, ſchoͤnes Kind?


Thalia.

Danke der guͤtigen Nachfrage, mein
Herr, mit meinem Taufnamen heiße ich Thalia,
ich habe lange bei den werthgeſchaͤtzten Eltern die-
ſer guten Perſon gedient, und da will ich auch
jetzt nicht von ihr laſſen, ſondern bin ihr ſogar
bis unter die Muſen gefolgt.


Skaramuz.

Warte den letzten Akt ab, ſo
[272]Zweite Abtheilung.
kann Deine Treue unmoͤglich unbelohnt bleiben. —
Wo iſt mein Stallmeiſter?


Der Stallmeiſter kommt.

Skaramuz.

Den Pegaſus, ich will ſpazie-
ren reiten. —

(Stallmeiſter ab, und koͤmmt ſogleich mit
einem aufgezaͤumten Eſel zuruͤck.)

Skaramuz.

Hilf mir.

(er ſteigt hinauf.)

Stallmeiſter.

In welchem Sylbenmaße
wollen ſich Ihre Gnaden heut erluſtigen?


Skaramuz.

O Narr, ich will eine ſchlichte
vernuͤnftige Proſa reiten. Denkſt Du, daß ich
mich vom Alcaͤiſchen Vers will zerſtoßen laſſen,
oder gar in den verfluchten Proceleusmatikern den
Hals brechen? Nein, ich liebe Vernunft und
Ordnung.


Stallmeiſter.

Ihr Vorfahr flog immer in
der Luft.


Skaramuz.

Redet mir von dem Kerl nicht
mehr, das muß ja ein rechter Hans Narr, ein
rechter excentriſcher Eſel geweſen ſeyn. In der
Luft zu fliegen! Nein, die Luft hat keine Balken,
ich lobe mir die Erde. — Adieu, meine Freunde!
ich will nur eine kleine Abhandlung uͤber den Nuz-
zen der Familiengemaͤhlde reiten, und bin gleich
wieder da.

(Er reitet langſam fort.)

(Der Vorhang faͤllt.)

Scaͤ-
[273]Die verkehrte Welt.
Scaͤvola.

Das war nun nemlich die Ein-
leitung.


Pierrot.

So ein erſter Akt iſt immer zum
Verſtaͤndniß nothwendig.


Der Andre
(zu Scaͤvola).

In dem Stuͤck
liegt viel Moral.


Scaͤvola.

Gewiß, ich fange ſchon an, beſ-
ſer zu werden.


Pierrot.

Die Muſik!


Orcheſter.

Adagio. As Moll.

Wie alles fort eilt! Wie in dieſer Sterblich-
keit ſo gar nichts Stand haͤlt! Womit willſt du
das Leben des Menſchen vergleichen? Mit dem
Schatten? Mit der Wolke? Ach! beide ſind im-
mer noch zuverlaͤßiger, als dieſer Hauch, der uns
jetzt beſeelt, und im naͤchſten Augenblicke ver-
ſchwunden iſt.


So erfuͤllt jetzt der ſchmeichelnde Ton der Mu-
ſik die Luft, und jede Luftwelle erzittert vor Freu-
de, und doch darf nur der Finger inne halten, ſo
verſtummen alle dieſe beredten Geiſter, ſo faͤllt das
glaͤnzende Gebaͤude zuſammen, und keine Spur
aller der Kryſtalle und funkelnden Regenbogen bleibt
zuruͤck, die ſich jetzt ſo majeſtaͤtiſch auf und nieder
bewegen. Wenn nicht alles vergaͤnglich waͤre, o
was faͤnden wir dann noch zu klagen Urſach?


II. [18]
[274]Zweite Abtheilung.

Das Lachen ſchweigt, die Begebenheiten des
Stuͤcks laufen zu Ende, der Vorhang faͤllt endlich
zum letztenmal, die Zuſchauer gehn nach Hauſe.
Einmal kommen ſie dann nicht wieder, ſie ſind
fortgegangen, Niemand kann ſagen, wohin; Nie-
mand kann ſie erfragen, keiner betritt die ſchreck-
liche, grauenvolle Wuͤſte, der jemals wieder kaͤme.
Ach du ſchwaches, leichtzerbrechliches Menſchenle-
ben! Ich will dich immer als ein Kunſtwerk be-
trachten, das mich ergoͤtzt und das einen Schluß
haben muß, damit es ein Kunſtwerk ſeyn und mich
ergoͤtzen koͤnne. Dann bin ich ſtets zufrieden, dann
bin ich von gemeiner Freude und von dem laſten-
den Truͤbſinne gleich weit entfernt. O daß nur
alle Freude mit mir bleiben, bis ich ſelber nicht
mehr bin, daß ſie kein Seufzer und keine Thraͤne
vergebens ſuchen darf.


[275]Die verkehrte Welt.

Zweiter Akt.


Erſte Scene.

(Freies Feld.)

Apollo.
bei ſeiner Heerde.

Wie freundlich laͤchelt mir die ſtille Gegend,
Die gern und liebevoll den Gott empfaͤngt.
Hier hoͤr ich fruͤh der Lerche muntres Lied,
Die ſich mit hellen Toͤnen aufwaͤrts ſchwingt,
Die Nachtigall aus dichtbelaubten Buͤſchen,
Den ſtillen Gang der Waſſer, die melodiſch
Durch Felſen unter Epheuranken irren;
Wie ſpielende Weſte durch meine Locken flattern,
Und mich der holde Geiſt der Einſamkeit
Mit ſeinen ſuͤßen Fluͤgeln lieblich faͤchelt;
Das Rohr des Fluſſes girrt in leiſen Toͤnen,
Die Eiche brauſt und ſpricht mit ernſter Stimme,
Aufmerkſam horcht der junge kleine Wald
Und haͤlt die zarten Blaͤtter unbewegt.
Ob mir ein laͤndlich Lied gelingen mag
Will ich nach Hirtenweiſe jetzt verſuchen.


Wohl dem Mann, der in der Stille

Seine kleine Heerde fuͤhrt,

Weit von Menſchen, in der Huͤlle

Dunkler Baͤume ſie regiert.

[276]Zweite Abtheilung.
Wo er wohnet ſind die Goͤtter,

Sitzen bei dem kleinen Mahl,

Ewig ſonnt ihn Fruͤhlingswetter,

Fern von ihm die rege Qual,

Die mit ihren ſchwarzen Fluͤgeln

Um den Unzufriednen ſchwaͤrmt,

Daß er ſich von Thal zu Huͤgeln

Und von Huͤgeln thalwaͤrts haͤrmt.

Aber hier iſt Abendroͤthe

Widerſchein von Morgenroth,

Und die kleine Schaͤferfloͤte

Klinget bis zu unſerm Tod.

Mopſa und Phillis kommen.

Mopſa.

Wie lieblich klingt dein Lied holdſelger Schaͤfer,
Es lockte uns vom Wald ins freie Thal.


Phillis.

Ich hoͤrte niemals noch ſo ſuͤße Stimme.


Apoll.

Sollt Ihr den Saͤnger nicht begeiſtern? Kuͤhn
Fliegt von der Lippe der Geſang, das Bild
Von Euch macht jeden Ton melodiſch ſuͤß.


Phillis.

Willſt Du mit uns das Wechſelliedchen ſingen,
Das Du uns geſtern lehrteſt?


Apoll.

Fang nur an.


Phillis.

Warum in der Bruſt dies Schmachten?
Will kein Gott denn meiner achten?


[277]Die verkehrte Welt.
Mopſa.

Ach, ſo ſuͤße herbe Thraͤnen,
Ach, ein wunderbares Sehnen —


Apoll.

Liebe, Liebe uͤberwindet,
Wo ſie zarte Herzen findet.


Phillis.

Was iſt Liebe? Was iſt Sehnen?


Mopſa.

Warum dieſe ew'gen Thraͤnen?


Apoll.

Liebe glaͤnzt im naſſen Blick,
Thraͤn und Glanz ſpricht nur ihr Gluͤck.


Alle.

Wunden ſollen Dich nicht ſchmerzen,
Die die Bruſt mit Wonne fuͤllen,
Und den Blick in Thraͤnen huͤllen,
Denn in dieſen ſchoͤnen Schmerzen
Lernen lieben unſre Herzen.


Aulicus und Myrtill kommen.

Aulicus.

Singt Ihr ſchon wieder Eure ab-
geſchmackten Geſaͤnge? Schaͤfer, Ihr macht uns
alle unſre Maͤdchen abſpaͤnſtig, und das ſoll Euch
am Ende uͤbel gerathen.


Myrtill.

Lauter Geſang und Klang und
Klang und Geſang erfuͤllt jetzt unſre Felder, das
iſt nicht auszuhalten. Die Schaͤferinnen ſprechen
von nichts als Lied und Liebe, und Liebe und Lied,
und Lied und Liebe, und ſo immer fort; ich fuͤr
meine Perſon ſage: das iſt dumm!


[278]Zweite Abtheilung.
Aulicus.

Freilich iſts dumm, das iſt gar
keine Frage.


Phillis.

Aber was habt Ihr uns denn zu
befehlen?


Myrtill.

Ihr ſeid in uns verliebt, und da
haben wir Euch ſehr viel zu befehlen.


Der alte Damon tritt auf.

Damon.

Nun ja, da ſteht Ihr hier, wie
die Narren, und der Wolf macht ſich unterdeß in
Euren Heerden luſtig.


Myrtill.

Der Wolf? Nun wahrhaftig, der
Kerl ſoll zum laͤngſten ein Wolf geweſen ſeyn.
Kommt! der ſoll davon zu ſagen haben, wie viel
Wolle er laſſen muß.

(ſie gehen ab.)

Zweite Scene.

(Straße.)

Gruͤnhelm.

Es iſt ſchwer, ſeht Ihr, auf
lange Zeit einen Luſtigmacher abzugeben, und die
Rolle des Apollo iſt bei weitem leichter. Das hat
Herr Skaramuz auch recht wohl gewußt, und da-
rum iſt er ſo erpicht darauf geweſen. Man kann
nicht zwei zu zwei addiren, ohne in die Gefahr zu
kommen, ſich zu verrechnen, und manches Zeug
ſieht in der Ferne recht witzig aus, was in der
[279]Die verkehrte Welt.
Naͤhe nur eine abſolute Dummheit iſt. Indeß
wer noch nie einen Canarienvogel geſehen hat,
mag vielleicht einen Sperling dafuͤr halten, und
wie man ſich die Sachen will ſchmecken laſſen, ſo
ſchmecken ſie einem faſt immer. Da koͤmmt ja die
Muſe.


Thalia koͤmmt.

Gruͤnhelm.

Nun, meine ſchoͤnſte Liſette —


Thalia.

Herr Gruͤnhelm!


Gruͤnhelm.

Oder hoͤren Sie ſich lieber Co-
lombine nennen?


Thalia.

Das iſt mir nun faſt ganz einerlei,
denn Name iſt Name. Sind Sie wohl im Stande
zu lieben, Herr Gruͤnhelm?


Gruͤnhelm.

Ei warum das nicht? Ihre
ſchoͤne Phyſiognomie hat mich ſchon ſeit lange ent-
zuͤckt.


Thalia.

Ach, wenn wir nur erſt mit einan-
der verheirathet waͤren!


Gruͤnhelm.

Ja wohl, mein Schaͤtzchen, das
iſt ja Tag und Nacht mein Wunſch.


Thalia.

Wir lieben uns doch gewiß recht
innig.


Gruͤnhelm.

Das wollte ich wohl beſchwoͤren.


Scaͤvola.

Ob wohl ein Gewitter in dem
Stuͤck vorkoͤmmt?


Pierrot.

Wenn wirs begehren, bequemen
ſie ſich ſchon darnach.


Der Andre.

Gevatter, ja, wir wollen ihnen
das Gewitter nicht ſchenken.


[280]Zweite Abtheilung.
Gruͤnhelm.

Meine Herren, ein Gewitter
iſt ein ganz gutes Ding, aber es paßt da in unſer
Stuͤck gar nicht hinein.


Scaͤvola.

Ach was, paſſen! Es ſoll paſſen
und muß paſſen!


Pierrot.

Es muß biegen oder brechen, wir
wollen ein Gewitter haben.


Gruͤnhelm.

So komm nun, meine Geliebte,
und laß uns unter Dach und Fach kommen, da
das grauſame Publikum nach dem Donnerwetter
verlangt.


Thalia.

Unter Dach und Fach ſind wir
leicht, ich wollte, ich waͤre eben ſo geſchwind unter
die Haube gebracht.

(geht.)

Gruͤnhelm.

O ihr Goͤtter hoͤrt mein Flehen,

Ruͤhrt das Herz der ſtolzen Sproͤden,

Die ſich nimmer will entbloͤden

Kalt mein Elend anzuſehen.

Ja, das letzte will ich wagen,

Will noch einmal zu ihr gehen,

Kuͤrzlich ihr den Jammer klagen

Und in meinen alten Tagen

Endlich doch die Ruhe ſehen.
(ab.)

[281]Die verkehrte Welt.
Dritte Scene.

(Wald. Gewitter.)

Skaramuz. auf ſeinem Eſel.

Skaramuz.

Wo, Henker, kommt denn das
Gewitter her? davon ſteht ja kein einziges Wort
in meiner Rolle. Was ſind das fuͤr Dummheiten!
Und ich und mein Eſel werden daruͤber pudelnaß.
Ei das ſteht mir gar nicht an. — Maſchiniſt!
Maſchiniſt! So halt er doch ins Teufels Namen
inne! —

(es donnert und blitzt.)

Hoͤre mich Schlin-
gel von einem Maſchiniſten! Wie kannſt Du Dich
unterſtehen, Donner und Blitz ſo zu verſchwenden?
Das ſollſt Du mir gewiß theuer bezahlen. — Ich
ſage halt mit dem Donnern inne!


Maſchiniſt tritt auf.

Maſchiniſt.

Herr Skaramuz, ich kann nicht
dafuͤr, denn es muß ſeyn.


Skaramuz.

Muß ſeyn? Ich ſage aber, es
muß durchaus nicht ſeyn! Wer hat hier zu befeh-
len?


Maſchiniſt.

Das Publikum hat es ſo ge-
wollt.


Skaramuz.

Iſt das wahr, meine Herren?


Zuſchauer.

Ja, wir haben es ihm ſo be-
fohlen.


Skaramuz.

Aber, meine Herren, ich werde
naß.


[282]Zweite Abtheilung.
Scaͤvola.

Wir wollen uns eben an derglei-
chen Leiden ergoͤtzen, denn Lucrez ſagt wie bekannt:
quave mari magno etc.


Skaramuz.

Lukrez ſagt mir das zum Poſ-
ſen. — Meine Herren, laſſen ſie das Gewitter
aufhoͤren.


Zuſchauer.

Nein, es ſoll bleiben.


Skaramuz.

In einem ſtillen, ſanften hiſto-
riſchen Schauſpiel —


Zuſchauer.

Es ſoll eben etwas fuͤrchterlich
werden.


Skaramuz.

Muͤſſen denn auch die Goͤtter
von der Wuth der Elemente leiden? Ja, ja, jetzt,
erfahr ich es in der That, daß auch uͤber uns ein
dunkles, unausweichbares Fatum waltet. — O Ihr
undankbaren Zuſchauer! Habe ich Euch darum den
Apollo vertrieben, habe ich Euch darum von der
Poeſie erloͤſt, daß Ihr es mir nun ſo ſchnoͤde ver-
gelten muͤßt?


Maſchiniſt faͤhrt mit dem Gewitter fort.

Skaramuz.

Ich leide von Eurer Wuth,
aber ich will es Euch gewiß gedenken. Wenn mir
vom Regen der Eſel da verdorben wird, ſo koͤnnt
Ihr Euch nur nach einem neuen fuͤr mich umſehn.
Daß Ihrs nur wißt, meine Herrn, es iſt der
Pegaſus, er iſt mehrmals in Kupfer geſtochen,
und nun muß er ſo im Regenwetter daſtehn, und
hat nicht einmal einen Mantel umzuhaͤngen. — O
mein Kopf faͤngt an zu ſchwaͤrmen.


Maſchiniſt.

Herr Skaramuz, ich glaube es
wird bald vorbei ſeyn.


[283]Die verkehrte Welt.
Skaramuz.

Im Grunde iſt er doch meines
Gleichen, und die Menſchenliebe gebietet mir, ihn
zu bemitleiden, — Da, hier will ich Dich mit mei-
nem Mantel bekleiden, ich will mich in meine Ver-
nunft und Philoſophie einhuͤllen, die Dir gaͤnzlich
mangeln. — Wenn ichs recht bedenke, ſo kann es
gar nicht anders ſeyn, als daß einen der Regen
naß macht.


Scaͤvola.

Gehn Sie bald ab, Herr Ska-
ramuz?


Skaramuz.

Warum, mein Geehrteſter?


Scaͤvola.

Die Scene greift mich zu ſehr
an, das alles iſt fuͤr mich ein bischen zu erhaben.


Skaramuz.

Ha ha, wie thuts? Im Regen
ſtehn, iſt noch ſchlimmer. Ja, mein Beſter, bei
uns geht es manchmal verteufelt hoch her.


Scaͤvola.

Gehn Sie doch lieber ab, beſter
Mann, denn wenn ich zu ſehr angegriffen werde,
ſo haben Sie nachher fuͤr den Schaden zu ſtehn.


Skaramuz.

Laßt mich noch erſt mit dieſen
gelehrten Thebaner ſprechen. — Worauf legſt Du
Dich?


Maſchiniſt.

Donner und Blitz zu machen,
auch zieh ich die Loͤwen und Woͤlfe an, der Eſel
da iſt auch von meiner Erfindung; wer ſollte wohl
in ihm einen von unſern Schauſpielern wieder er-
kennen?


Skaramuz.

So biſt Du alſo im Stande,
aus einem ſchlechten Schauſpieler einen guten Eſel
zu machen? Und das nennt Ihr Maſchinerie, was
[284]Zweite Abtheilung.
ſich von ſelber macht? — Wie entſteht der Don-
ner?


Maſchiniſt.

Ich habe hier geſtoßenen Co-
lophonium, den blaſe ich durch ein Licht, ſo wird
daraus der Blitz, in demſelben Augenblick wird
oben eine eiſerne Kugel gerollt, und das bedeutet
dann den Donner.


Skaramuz.

Gut, folge mir. — Meine
Herren da unten! ich hoffe Sie alle geſund wieder
nach Hauſe zu liefern, aber weiter hab ich Sie
dann nicht zu verantworten.

(er ſteigt wieder auf den
Eſel und reitet fort.)

Maſchiniſt.

Iſts erlaubt, das Donnerwet-
ter zu beendigen?


Pierrot.

O ja, nun muß wieder was Haͤus-
liches kommen.


Maſchiniſt.

Rekommandire mich; ich wohne
hier gegenuͤber in dem großen Eckhauſe, wenn etwa
Nachfrage nach mir ſeyn ſollte. Ich verſtehe es
auch vortrefflich, Feuerwerke zu arrangiren, und mit
Geſchmack eine Illumination einzurichten.

(geht ab.)

Scaͤvola.

Das war eine ſogenannte große
Scene.


Der Andre.

Ja, Gevatter, da herrſcht
ſchon mehr der engliſche Schwung drinn. Ihr
werdet die engliſche Literatur geleſen haben.


Scaͤvola.

Ja freilich! Hab ich doch in mei-
ner Jugend ſogar die engliſche Krankheit gehabt.


[285]Die verkehrte Welt.
Vierte Scene.

(Wirthsſtube.)

Der Wirth.

Wenige Gaͤſte kehren jetzt bei mir
ein, und wenn das ſo fort waͤhrt, ſo werde ich am
Ende das Schild noch gar einziehen muͤſſen. — Ja
ſonſt waren noch gute Zeiten, da wurde kaum ein
Stuͤck gegeben, in welchem nicht ein Wirthhaus
mit ſeinem Wirthe vorkam. Ich weiß es noch,
in wie vielen hundert Stuͤcken bei mir in dieſer
Stube hier die ſchoͤnſte Entwickelung vorbereitet
wurde. Bald war es ein verkleideter Fuͤrſt, der
hier ſein Geld verzehrte, bald ein Miniſter, oder
wenigſtens ein reicher Graf. Ja ſogar in allen
Sachen, die aus dem engliſchen uͤberſetzt wurden,
hatte ich meinen Thaler Geld zu verdienen. Manch-
mal mußte man freilich auch in einen ſauern Ap-
fel beißen, und verſtelltes Mitglied einer Spitzbu-
benbande ſeyn, wofuͤr man dann von den morali-
ſchen Perſonen rechtſchaffen ausgehunzt wurde; in-
deſſen war man doch in Thaͤtigkeit. — Aber jetzt! —
Wenn auch jetzt ein fremder reicher Mann von
der Reiſe kommt, ſo quartirt er ſich origineller-
weiſe bei einem Verwandten ein, und giebt ſich erſt
im fuͤnften Akt zu erkennen, andere kriegt man
nur auf der Straße zu ſehn, als wenn ſie in gar
keinem honetten Hauſe wohnten; — dergleichen
dient zwar, die Zuſchuer in einer wunderbaren
[286]Zweite Abtheilung.
Neugier zu erhalten, aber es bringt doch unſer
eins um alle Nahrung.


Anne tritt auf.

Anne.

Ihr ſeid ſo verdruͤßlich, Vater.


Wirth.

Ja, mein Kind, ich bin mit meinem
Stande ſehr unzufrieden.


Anne.

Wuͤnſcht Ihr denn etwas Vornehme-
res zu ſeyn?


Wirth.

Das gerade nicht, aber es aͤrgert
mich unbeſchreiblich, daß nach meinem Stande
nicht die mindeſte Nachfrage geſchieht.


Anne.

Ihr werdet gewiß mit der Zeit in
die vorige Achtung kommen.


Wirth.

Nein, liebe Tochter, denn die Zeiten
laſſen ſich ſehr ſchlecht dazu an. O daß ich nicht
ein Hofrath geworden bin! Sieh faſt alle jetzigen
Comoͤdienzettel nach, und immer ſteht unten: die
Scene iſt im Hauſe des Hofraths. — Wenn es
laͤnger ſo fortgeht, laſſe ich mich zum Kerkermeiſter
machen, denn die Gefaͤngniſſe kommen doch noch
in vaterlaͤndiſchen und Ritterſtuͤcken vor. — Aber
mein Sohn ſoll durchaus nichts anders als Hof-
rath werden.


Anne.

Troͤſtet Euch lieber Vater, und haͤngt
Eurer Melankolie nicht ſo nach. — Wie war es
doch damals, als der Waltron erſchien? Wißt Ihr
noch, wie zu jener Zeit manche Schauſpiele faſt
nur aus Gewehr-Praͤſentiren, Salutiren, Trom-
melſchlag, Reveille und Schießen beſtanden? Ei-
nen andern Menſchen als Soldaten wurde man
[287]Die verkehrte Welt.
gar nicht gewahr. Und wie iſt dieſer Stand jetzt
auch vernachlaͤſſigt, ſo daß kaum noch hie und da
ein einzelner Obriſt ſich in den gangbaren Stuͤcken
blicken laͤßt?


Wirth.

Was gilts, ich arbeite mich noch ſel-
ber zum Poeten um, und erfinde eine neue Dicht-
art, die die Hofrathsſtuͤcke verdraͤngen ſoll, und in
denen die Scene immer im Wirthshauſe ſpielt.


Anne.

Thut das, lieber Vater, ich will die
Liebesſcenen auf mich nehmen.


Wirth.

Still! — Es faͤhrt wahrhaftig ein
Wagen vor. — Sogar eine Extrapoſt! lieber Him-
mel, wo muß der unwiſſende Menſch herkommen;
daß er bei mir einkehrt?


Ein Fremder tritt herein.

Fremder.

Guten Morgen, Herr Wirth.


Wirth.

Diener, Diener von Ihnen, gnaͤ-
diger Herr. — Wer in aller Welt ſind Sie, daß
Sie inkognito reiſen und bei mir einkehren? Sie
ſind gewiß noch aus der alten Schule; gelt, ſo
ein Mann vom alten Schlage, vielleicht aus dem
Engliſchen uͤberſetzt?


Fremder.

Ich bin weder gnaͤdiger Herr,
noch reiſe ich incognito. — Kann ich dieſen Tag
und die Nacht hier logiren?


Wirth.

Mein ganzes Haus ſteht Ihnen zu
Befehl. — Aber, im Ernſt, wollen Sie hier in
der Gegend keine Familie unvermutheterweiſe gluͤck-
lich machen? oder ploͤtzlich heirathen? oder eine
Schweſter aufſuchen?


[288]Zweite Abtheilung.
Fremder.

Nein, mein Freund.


Wirth.

Sie reiſen alſo bloß ſo ſimpel, als
ein ordinaͤrer Reiſender?


Fremder.

Ja.


Wirth.

Da werden Sie wenig Beifall finden.


Fremder.

Ich glaube, der Kerl iſt raſend.


Poſtillion kommt.

Poſtillion.

Hier iſt ihr Koffer, gnaͤdiger
Herr.


Fremder.

Und hier iſt dein Trinkgeld.


Poſtillion.

O das iſt wohl zu wenig. —
Ich bin den Berg herunter ſo herrlich gefahren —


Fremder.

Nun da!


Poſtillion.

Großen Dank.

(geht ab.)

Fremder.

Ob ich ſie noch wieder finde? —
O wie ſich alle meine Gedanken nach der geliebten
Heimath wenden! Wie ſoll ich den Anblick ertra-
gen, wenn ſie mir wieder gegenuͤber ſteht? Wenn
die Vergangenheit mit allen Freuden und Schmer-
zen an mir voruͤber zieht? O du armer Menſch!
was nennſt du Vergangenheit? Giebt es denn eine
Gegenwart fuͤr dich? Zwiſchen der verfloſſenen
Zeit und der Zukunft haͤngſt du an einem kleinen
Augenblick mitten inne, und jede Freude geht nur
ſchnell vorbei, und vermag gar nicht in dein Herz
zu dringen.


Wirth.

Wenns zu fragen erlaubt iſt, ſo
vermuthe ich, Dieſelben ſind aus einem alten ver-
legenen Stuͤck, das ein unbekannter Verfaſſer ſo
etwas neu aufgeſtutzt hat?


Frem-
[289]Die verkehrte Welt.
Fremder.

Was?


Wirth.

Wenn Sie nur Beifall finden! —
Geld muͤſſen ſie doch wenigſtens haben; oder dient
es etwa in Ihrem Kram, daß Sie ſich arm ſtellen?


Fremder.

Sie ſind ſehr neugierig, Herr
Wirth.


Wirth.

Das muß ich ſeyn, mein Herr, da
koͤnnen Sie jeden Sekundaner fragen. Das Alter
muß alt ſeyn, Telephus muß als Bettler erſchei-
nen, der Sclave muß ſeinem Stande gemaͤß ſpre-
chen. Sie duͤrfen nur die ars poetica nachſchla-
gen, und der bin ich als Wirth auch unterworfen.


Fremder.

Ich danke Ihnen fuͤr die ſchoͤne
Raſerei; von dieſer aͤchten Raritaͤt hab ich bis jetzt
noch keine angetroffen. — Haben Sie die neuſten
Zeitungen?


Wirth.

Hier! ein merkwuͤrdiger Steckbrief
iſt darin abgefaßt.


Fremder.
(lieſt).

„Es iſt aus gefaͤnglichem
Gewahrſam ein Landſtreicher gebrochen, der ſich
fuͤr den Apollo auszugeben pflegt. Er iſt an einem
ſilbernen Bogen kennbar und gelocktem Haar, ju-
gendlichen Angeſichts und pflegt viel zu ſingen,
auch in der Luft zu fliegen. Es will verlauten,
daß er ſich als Schaͤfer ſoll verdungen haben.
Jede Obrigkeit wird gebeten, ihn auszuliefern, da
an dieſem Verbrecher viel gelegen iſt. Die etwa-
nigen Unkoſten ſollen erſetzt werden.“


Wirth.

Man ſoll dem Spitzbuben ſchon auf
der Spur ſeyn.


Fremder.

Ich habe ihn ſonſt recht gut ge-
II. [ 19 ]
[290]Zweite Abtheilung.
kannt, und es ihm oft vorher geſagt, daß es ſo
weit mit ihm kommen wuͤrde, da er ſich durchaus
auf keine ernſthafte Studien legen wollte. Das
koͤmmt von der Belletriſterei, wenn man ſie nicht
zum Nutzen der Menſchheit anwendet. — Weiß
man nicht, was er verbrochen hat?


Wirth.

Er ſoll ſich unterſtanden haben, die
Phantaſterei einzufuͤhren, hat Tragoͤdien geſchrie-
ben, und darin auf das Schickſal und die Goͤtter
geflucht, hat die moraliſche Tendenz durchaus ver-
nachlaͤſſigt, in Summa, er hat der ganzen kulti-
virten Welt ein großes Aergerniß gegeben.


Fremder.

Es ſollte an ihm ein Exempel
ſtatuirt werden.


Wirth.

Wenn ſie ſeiner habhaft werden,
wird es gewiß daran nicht ermangeln.


Fremder.

Fuͤhren Sie mich auf mein Zim-
mer.

(ſie gehn ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Am Parnaß.)

Baͤcker und Brauer.

Baͤcker.

Nun koͤnnen wir doch erſt ſagen,
Meiſter Brauer, daß wir im Lande einen reellen
Parnaß haben.


Brauer.

Und das Getraͤnk, was ich da fa-
[291]Die verkehrte Welt.
brizire, mein lieber Baͤcker, wahrlich, das iſt ein
andres Geſoͤff, als die alte Hippokrene.


Baͤcker.

Ich mag gern bei Euch trinken,
das iſt gewiß, aber das Zeugs ſteigt einem ſogleich
ſo in den Kopf, daß man nicht weiß, wo einem
der Kopf ſteht.


Brauer.

Darum bekuͤmmere ich mich in
meinem Leben nicht, wenn ich nur fuͤr meine Per-
ſon weiß, wo das Maul ſitzt.


Baͤcker.

Aber liegen nicht die Gebaͤude nied-
lich da unten am Berge?


Brauer.

O die Ausſicht hat etwas Vor-
trefliches.


Baͤcker.

Und unſer gnaͤdigſter Apoll —


Brauer.

Seines Gleichen muß gar nicht
gefunden werden. — Da kommen meine Gaͤſte.


Verſchiedene Gaͤſte treten auf.

Erſter Gaſt.

Gevatter, ich bin ganz begei-
ſtert, daß iſt Euch ein Trunk wie hoͤlliſches Feuer.


Zweiter Gaſt.

Nachdems faͤllt, nachdems
faͤllt, — la, la, — ja, wies faͤllt.


Erſter Gaſt.

Er wird [...]bſt fallen, und
dann kommts darauf an, nachdem er faͤllt, ob er
ſich nicht ein Loch in den Kopf faͤllt.


Dritter Gaſt.

Tragt den Beſoffenen, —
ſo — ſoffenen nach Hauſe.


Vierter Gaſt.

Kommt, ich fuͤr meine Per-
ſchon, ſeht Ihr, als wenn ich ſagen wollte Ich,
als zum Exempel Ich, ſo wie ich Euch da vor
mir ſehe und vor mir ſtehe, ich kann keine beſof-
[292]Zweite Abtheilung.
ſene Perſchon, wenigſtens fuͤr meine Perſchon, aus-
ſtehn. So viel davon, aber kein Wort weiter,
denn, wie man zu ſagen pflegt, es ſind doch nur
unnuͤtze Reden, und da ſogar der große Nebukad-
nezar hat auf allen Vieren gehen muͤſſen, nun —
warum wollen wir uns denn ſchaͤmen? So pfleg
ich nur immer zu ſagen.


Erſter Gaſt.

Ganz recht, und du pflegſt
auch immer ein Flegel zu ſeyn.


Vierter Gaſt.

Was? hab ich deswegen
mit Dir Gleichheit und Bruͤderſchaft und Men-
ſchenwerth getrunken, daß Du mich ſo oͤffentlich
verſchimpfiren thuſt? Vor all den ehrbaren Herren?
Heraus, wenn Du Herz haſt!


Erſter Gaſt.

Herz? — Aber wo iſt Dein
Verſtand? der iſt im Bierkruge haͤngen geblieben.


Vierter Gaſt.

So haͤngt er doch noch ir-
gend wo, aber wenn man Dich auch an den Gal-
gen hinge, ſo wuͤrde Dein Verſtand doch nirgends
haͤngen, denn ſolchen Schimpf wird ſich, was nur
einen Funken Verſtand hat, doch wohl nimmermehr
ſelber anthun, daß es in Deinem Dummkopf eine
Herberge ſuchte.


Brauer.

Lieben Leute, vertragt Euch doch
friedlich, da Ihr alle von einem Biere getrunken
habt, ſolltet Ihr billig alle auch einerlei Geſinnung
hegen.


Vierter Gaſt.

Nimmermehr will ich mir
einen ſolchen Schimpf anthun laſſen, vollends wenn
ich aus der Tabagie komme.


[293]Die verkehrte Welt.
Dritter Gaſt.

Lieber moͤcht ich ohne wei-
tre Umſtaͤnde ein Eſel ſeyn.


Zweiter Gaſt.

Oben an und nirgend hin-
aus, ſo iſt es mit dem Brauer, und drum ſucht
er auch immer den Hopfen zu ſparen.


Erſter Gaſt.

Nach meiner unmaßgeblichen
Meinung ſollten wir gleich wacker auf ihn zu
ſchlagen.


Vierter Gaſt.

Schon deswegen weil er ein
Brauer iſt.


Zweiter Gaſt.

Wie lange quaͤlt er nicht
die arme Gerſte, bis ſie ſich von ihm zu Bier
machen laͤßt.


Dritter Gaſt.

Das hatt ich vergeſſen!
Gut, daß Ihr mich zur rechten Zeit erinnert. Er
ſoll nicht leben bleiben.


Erſter Gaſt.

Es waͤre uͤbel gethan, wenn
wir irgend einen Brauer leben ließen. —

(ſie fallen
uͤber ihn her.)

Brauer.

Schuͤtzt die Braugerechtigkeit! —
Huͤlfe von wegen der Obrigkeit!


Skaramuz reitet auf ſeinem Eſel herein.

Skaramuz.

Was giebts hier, Leute? —
Ins Teufels und in der Obrigkeit Namen, haltet
Friede! — he! Wache!


Die Wache kommt.

Skaramuz.

Bringt die Leute aus einander.
— Was hats denn gegeben?


Baͤcker.

Mein Koͤnig, ich bin ein ruhiger
[294]Zweite Abtheilung.
Zuſchauer geweſen, und kann alſo am beſten da-
von urtheilen. Der Brauer iſt ganz unſchuldig,
aber in der poetiſchen Begeiſterung ſuchten die
Gaͤſte Haͤndel.


Skaramuz.

Er muß das Bier nicht ſo
ſtark brauen, ſonſt gerathen mir meine Untertha-
nen doch noch auf die Dithyrambe, und das ſoll
nicht ſeyn. — Geht nach Hauſe, lieben Leute, und
beruhigt Euch, aus dergleichen Haͤndeln kann doch
nichts herauskommen.


Vierter Gaſt.

Warum nicht? Ich frage
immer gern, warum?


Skaramuz.

Daß ich ihn nicht mit ſeinen
anſtoͤßigen Reden der Hauptwache anvertraue, da
ſoll ihm die Begeiſterung bald verrauchen.


(Die Gaͤſte gehn ab.)

Skaramuz.

Die Muſen ſollen auftreten.


(Er beſteigt den Parnaß und ſetzt ſich.)

Brauer.

Ich will nur nach Hauſe gehn.


Baͤcker.

Ich ebenfalls, denn ich muß mei-
nen Ofen heitzen.

(Sie gehn in den Parnaß hinein.)

Die Muſen kommen.

Skaramuz.

Seid Ihr alle vollzaͤhlig? Es
muß immer genaue Anfrage geſchehen, daß mir
keine Muſe unverſehens entwiſcht, denn die Wiſ-
ſenſchaften muͤſſen in ihrer Bluͤthe bei Leibe nicht
geſtoͤrt werden. — Jetzt ſingt mir ein Lied.


Die Muſen
(ſingen).

Unſer allergnaͤdigſter
Monarch iſt heut in eigener Perſon auf ſeinem
Eſel zuruͤck gekommen, und hat ſich ſogleich auf
[295]Die verkehrte Welt.
die Spitze des Parnaſſes verfuͤgt, allwo er geruhte,
das koͤnigliche Scepter in ſeine Haͤnde zu nehmen,
und damit ſein begluͤcktes Land zu regieren. Ihm
haben die Unterthanen die neue Brauerei zu ver-
danken, er hat uns einen loͤblichen Baͤcker einge-
ſetzt, und der Staat verſpricht ſich außerdem noch
von ſeiner Weisheit die allervollkommenſten Einrich-
tungen. Die Unſterblichkeit iſt ihm ſo gewiß, als die
Liebe ſeiner Unterthanen, als die Bewunderung einer
ſtaunenden Nachwelt. Kuͤnſte und Wiſſenſchaften
ſtehn unter ſeinem unmittelbaren Schutze, er lebe
lange und begluͤcke ſein Land noch hundert Jahre mit
ſeiner preiswuͤrdigen Regierung. — Hiebei unent-
geltlich eine Beilage.


Der Fremde tritt auf.

Fremder.

Ich bin aus weiten Landen ge-
kommen, um ſo gluͤcklich zu ſeyn, Ew. Majeſtaͤt
von Angeſicht zu Angeſicht kennen zu lernen.


Skaramuz.

Ja, es iſt immer ſchon der
Muͤhe werth, und wenn ichs nicht durch einen
gluͤcklichen Zufall ſelber waͤre, wuͤrde ich mich auch
genoͤthigt ſehen, Reiſen nach mir anzuſtellen.


Fremder.

Sie machen eine Epoche in der
Weltgeſchichte.


Skaramuz.

O ja, das iſt noch meine ge-
ringſte Kunſt. — Von mir ſchreibt ſich eigentlich die
Bluͤte der Wiſſenſchaften her, denn ich bin der
erſte, der den Parnaß urbar gemacht hat.


Fremder.

In der That?


Skaramuz.

Und welche Vorurtheile ich dabei
[296]Zweite Abtheilung.
habe bekaͤmpfen muͤſſen! — Ich habe auch die Braue-
rei da unten angelegt. O, mein Freund, Sie ha-
ben gewiß in der ganzen Fremde dergleichen nicht
geſehn. Was ſind Sie Ihres Handwerks nach?


Fremder.

Ein Arzt.


Skaramuz.

Alſo doch nuͤtzlich? Ich mag
die nuͤtzlichen Leute ungemein gern; denn warum?
ſie ſind nuͤtzlich, und das Nuͤtzlichſeyn ſelbſt iſt un-
gemein nuͤtzlich, folglich zwingt mich meine Ver-
nunft zu dieſer gegruͤndeten Hochachtung.


Fremder.

Aber was ſeh ich?


Skaramuz.

Ja, ja, eine Baͤckerei iſt auch
am Parnaß angebracht.


Fremder.

Darf ich meinen Augen trauen?


Skaramuz.

Es hat ſich ſchon mancher dar-
uͤber gewundert.


Fremder.

Seh ich nicht meine geliebte Ka-
roline?


Melpomene
(hervorſtuͤrzend).

O Friedrich, biſt
Du wieder da? Wo haſt Du Trauter ſo lange
geſteckt?


Fremder.

O welche unvermuthete Zuſam-
menkunft!


Melpomene.

Du findeſt mich als Muſe,
aber mein Herz iſt Dir noch immer getreu.


Fremder.

O ſo ſei meine Gattin. Mein On-
kel iſt geſtorben, die reiche Erbſchaft iſt mir zu-
gefallen, ich habe genug fuͤr uns beide, ja weit
mehr, als wir brauchen, wenn mir nur Deine
Liebe gewiß iſt.


[297]Die verkehrte Welt.
Melpomene.

Und Du kannſt zweifeln? —
Ich will gleich mit Dir gehn.


Skaramuz
(aufſtehend).

Halt! halt! was will
mir das werden? Nein, meine Freunde, das geht
ſo geſchwinde nicht, die Muſenkompagnie darf nicht
inkomplett werden. Wo ſollten wir denn hernach,
die tragiſchen Scenen in unſerm Stuͤcke herkriegen,
wenn ſich Melpomene aus dem Stuͤcke heraus ver-
heirathen wollte? Das geht nimmermehr!


Melpomene.

Grauſames Schickſal!


Fremder.

Tyranniſcher Gott!


Skaramuz.

Hat ſich da was tyranniſch
und grauſam zu ſeyn. Ich gebe Euch meine
Gruͤnde an, denn ich ſage: es ſoll nicht ſeyn!
und darum kanns nicht ſeyn. Und außerdem bin
ich ſelbſt ſo halb und halb in die Melpomene verliebt,
und denke ſie vielleicht mit der Zeit zu heirathen.
Alſo, Ihr fremder Kerl, ſteht nur von Euren un-
ſinnigen Bewerbungen ab, denn ſonſt moͤcht es
Euch gar zu leicht den Hals koſten.

(Geht ab.)

Fremder.

So ſoll ich Dich laſſen?


Melpomene.

So muß ich ſcheiden?


(Die Muſen gehn, außer Thalia, ab.)

Gruͤnhelm.

Verlieren Sie den Muth nicht,
mein fremder Herr Verliebter, das muß ſich alles
noch einrichten laſſen, wenn uns der Verſtand auf
dem rechten Fleck ſitzt.


Fremder.

Aber wie?


Thalia.

Kommen Sie nur, wir wollen das
ordentlich berathſchlagen. Ich biete Ihnen meine
Huͤlfe und Klugheit an.


[298]Zweite Abtheilung.
Gruͤnhelm.

Brav, Liſette! es wird uns
ganz gewiß gelingen.

(gehn.)

Pierrot.

Haͤtt ich doch den Skaramuz in
meinem Leben fuͤr keinen ſolchen Tyrannen gehalten.


Sechſte Scene.

(Wald.)

Apollo, wilde Thiere.

Ein Loͤwe.

Ich bin Ihnen unendlich ver-
bunden, Herr Schaͤfer, Sie haben mit Ihrer vor-
trefflichen Kunſt ſo lange an mir gezaͤhmt, bis es
Ihnen doch gelungen iſt, etwas Bildung in mich
hinein zu bringen.


Leopard.

Ich bin auch geſittet und ſpuͤre
ein ordentliches Verlangen nach den Kuͤnſten in
mir, ſo wie nach guter Geſellſchaft.


Tiger.

Wenn man mir jetzt eine Penſion
gaͤbe, wuͤrde ich mich nur wenig mit Wuͤrgen be-
ſchaͤftigen.


Apoll.

Ich freue mich, wenn ich Ihnen
habe nuͤtzlich ſeyn koͤnnen.

(die Thiere gehn ab.)

Aulicus und Myrtill.

Aulicus.

Herr Schaͤfer, Ihr habt da viele
Laſterhafte gebeſſert, wollt Ihr nicht auch an uns
den Verſuch machen?


[299]Die verkehrte Welt.
Apoll.

An meinem Beiſtande ſolls nicht
fehlen.


Myrtill.

Dauert die Operation aber lange?
denn ich habe nicht viel Zeit uͤbrig.


Apoll.

Nachdem Eure Herzen verhaͤrtet ſind.


Aulicus.

Nun, nur immer friſch dran, wir
muͤſſen doch wohl von der Cultur etwas abbekom-
men. Ich will mich nicht von ſolchem Rhinozeros
beſchaͤmen laſſen.


Apoll.

Kommt denn und hoͤrt meine Lieder.


(ſie gehn ab.)

Der Vorhang faͤllt.

Pierrot.

Auf dieſe Lieder waͤr' ich wohl
begierig.


Scaͤvola.

Sie wuͤrden uns gar zu weich
machen, und darum iſt es wohl beſſer, daß wir ſie
nicht hoͤren.


Pierrot.

Je nun, es iſt ein ganz guter
Kniff, ſich aus der Affaire zu ziehn, daß man ſie
hinter der Scene ſpielen laͤßt.


Muſik.

Allegro.

In welcher Trunkenheit jauchzt unſer Geiſt,
wenn es ihm einſt vergoͤnnt iſt, tauſend wechſelnde,
bunte, ſchwebende, tanzende Geſtalten zu erblicken,
[300]Zweite Abtheilung.
die ſtets erneut und verjuͤngt in ihm aufſteigen.
Angeruͤhrt, angelacht von tauſendfaͤltiger Liebe
wickelt die Seele ſich in Lieder von allen Farben
und jubelt himmelan, daß das traͤge alltaͤgliche
Leben ſie lange nicht wieder findet.


Wie ein goldner Funke ein Feuerwerk anzuͤndet,
daß ſich alle Raͤder gluͤhend drehn, und alle Sterne
in ihren Kreiſen funkeln, die Flamme freiwillig die
verſchlungenen Linien durchlaͤuft, und alles in bunt-
flammende Bewegung treibt, daß das trunkene
Auge ſtaunend ſich ergoͤtzt, und den Strudel der
wechſelnden farbigen Flammen mit Entzuͤcken be-
trachtet: ſo iſt es mit den wankenden, glaͤnzenden
Bildern, die die Freude uns vorfuͤhrt. Ach! was
war es, wenn es voruͤber iſt? Oder wenn Du es
mit kunſtrichterlichem Auge ſiehſt? Laß dem magi-
ſchen Feuer ſeinen Lauf, die wunderliche Stickerei
nimmt ſich nur auf einem dunkeln Nachtgrunde
aus, beim hellen Tageslicht wuͤrde ſie nuͤchtern und
verlegen mit allen ihren Farben kokettiren.


Wißt Ihr denn, was Ihr wollt, die Ihr in
allen Dingen den Zuſammenhang ſucht? Wenn der
goldne Wein im Glaſe blinkt, und der gute Geiſt
von dort in Euch hineinſteigt, wenn Ihr Leben und
Seele in doppelter Wirkung empfindet, und alle
Schleuſen Eures Weſens geoͤffnet ſind, durch die
das zuruͤckgehaltene Entzuͤcken maͤchtiglich hinbrauſt,
wenn dann die lezten Tiefen, in die noch kein Ton
drang, wiederklingen, wenn alles ſich in Eine Me-
lodie geſellt, und in der Luft verwandte Geiſter
unſichtbare Taͤnze feiern, — was denkt Ihr da,
[301]Die verkehrte Welt.
und was vermoͤgt Ihr da zu ordnen? Ihr genießt
Euch ſelbſt und die harmoniſche Verwirrung.


Ja, koͤnnten wir in dieſer Fuͤlle nur immer
ſchwelgen, muͤßten wir nicht auch im Wahnſinn
nuͤchtern und maͤßig ſeyn, um das Holdſeligſte,
Thoͤrichtſte, Weiſeſte in uns ſelbſt nicht zu vernich-
ten durch Ueberfaͤlle. Doch heilig ſeyen mir jene
Stunden, in denen ich von der Ambroſia nippen
durfte, nie will ich ſie in der Erinnerung ſchmaͤhn,
um ihrer werth zu bleiben.


[302]Zweite Abtheilung.

Dritter Akt.


Erſte Scene.

(Feld.)

Apollo, der Poet.

Poet.

Aufs freie Feld muß ich zu Dir mich fluͤchten,
Um ungeſtoͤrt ein frohes Lied zu dichten,
Ich will mich auf den Raſen zu Dir ſetzen,
Nach langer Zeit poetiſch mich ergoͤtzen.


Apoll.

Was fehlt Dir denn mein allertreuſter Freund?
Man hat auch dich vertrieben, wie es ſcheint.


Poet.

Vertrieben nicht, doch mocht' ich dort nicht bleiben,
Das wilde Volk hat Deinen Dienſt zerſtoͤrt,
Nichts darf ich mehr im kuͤhnen Schwunge ſchreiben,
Und wenn der holde Wahnſinn mich bethoͤrt,
Wenn durch die Adern ſich Dein Feuer gießet,
Und hoher Klang von meiner Lippe toͤnt,
Durch alle Worte lautre Gottheit fließet,
Und ſelber das Gemeinſte ſich verſchoͤnt,
So ſtehn ſie da und ihre Augen ſtarren,
Und kurz: ſie halten mich fuͤr einen Narren.


[303]Die verkehrte Welt.
Apoll.

Mein Freund, willſt Du Dich meinem Dienſte
weihen,


So mußt Du derlei Mißverſtand verzeihen;
Wer faßt es, was entzuͤckt der Saͤnger ſpricht?
Zur Finſterniß wird Bloͤden helles Licht.
Das Feuer was Du willſt in ihnen zuͤnden,
Mußt Du doch ſchon in ihrer Aſche finden,
Und ach! die meiſten ſind ſchon ausgebrannt,
Noch eh ſie Licht und Feuer je gekannt.
Ich wundre mich, daß dies den Mißmuth weckt,
Und Dich aus Deiner heitern Laune neckt;
Nein, ſollteſt Du durch boͤſe Schickung allen
An einem ſchlimmen Tage einſt gefallen,
Dann komm zu dieſer Flur zuruͤck und ſage
Mir Deine große, hoͤchſt gerechte Klage.


Poet.

Beſchaͤmt und ſtolz geh' ich zur Stadt zuruͤck,
Getroͤſtet hat mich dieſer Augenblick.


Apoll.

Es muß, mein Freund in dieſem ird'ſchen Leben
Auch hin und wieder truͤbe Stunden geben,
Sonſt geht es Euch, ihr Menſchen, gar zu gut,
Und das verdirbt den allerkuͤhnſten Muth.
Seht, Herr Poet, ich bin ja ſelbſt ein Gott,
Und diene meinen Feinden doch zum Spott,
Geſchieht das mir zur Strafe meiner Suͤnden,
Moͤgt Ihr Euch um ſo eh'r zurechte finden.


(ſie gehn.)

[304]Zweite Abtheilung.
Zweite Scene.

(Parnaß.)

Skaramuz oben, Bediente naͤher, Volk unten,
die Muſen.

Skaramuz.

Giebts heute was Neues?


Gruͤnhelm.

Nichts eben, als daß mehrere
Studenten von der Univerſitaͤt gekommen ſind, die
den Wunſch hegen, ſich examiniren zu laſſen, um
brauchbar zu werden.


Skaramuz.

Laßt ſie vorkommen.


Loͤwe, Tiger und die uͤbrigen wilden Thiere wer-
den hereingefuͤhrt.

Skaramuz.

So ein Student hat doch
immer ein munteres Weſen.


Gruͤnhelm.

Das macht die freie Lebensart,
und ſie wiſſen von keinen Sorgen, dieſe Muſenſoͤhne.


Skaramuz.

Muſenſoͤhne? — Was muß ich
denn da von Euch hoͤren, Ihr Geſindel von Muſen?


Gruͤnhelm.

O gnaͤdigſter Apollo, das iſt
nur ſo eine hergebrachte Redensart, womit weder
den Muſen noch den Studenten zu nahe geſchieht,
ſo wie man ja auch den Kirchhof, Gottesacker, und
die Advokaten, Diener der Gerechtigkeit zu nennen
pflegt. An ſo etwas muͤßt Ihr Euch nicht ſtoßen,
denn unſre Sprache hat außerordentlich viele Sy-
nonimen.


Skara-
[305]Die verkehrte Welt.
Skaramuz.

Es ſoll eine Grammatik dar-
uͤber abgefaßt werden, damit ſich die Fremden zu-
recht zu finden wiſſen. — Ihr Herren wollt alſo
nuͤtzlich ſein?


Der Wolf.

Ja, mein Koͤnig, wir ſpuͤren
eine unendliche Begierde nach einer guten Beſoldung.


Skaramuz.

Nun das iſt brav, ſo werdet
Ihr hoffentlich bald brauchbare Staatsbuͤrger wer-
den. — Geht und laßt Euch die langen Haare et-
was verſchneiden, dann ſollt Ihr ſogleich exami-
nirt werden.

(Die Studenten gehn ab.)

Wißt Ihr,
Leute, daß heute mein Geburtstag iſt?


Gruͤnhelm.

Ja, mein Koͤnig, ich habe auch
deswegen ſchon die Kanonen auffuͤhren laſſen.


Skaramuz.

Nun ſo ſchießt ſie mir zu
Ehren ab.


(Eine Salve von Kanonen.)

Skaramuz.

Ungemein gern mag ich die
Kanonen ſprechen hoͤren, er iſt der buͤndigſte Vor-
trag, er uͤberſtimmt jeden andern, man kann we-
der ein eigenes noch ein fremdes Wort dabei hoͤren.
— Muſen, habt Ihr Euch zur Feyer meines Ge-
burtstages ausgeruͤſtet?


Melpomene.

Allerdings, erhabner Apollo,
wir werden an dieſem wichtigen Tage ein Schau-
ſpiel auffuͤhren, welches wir einſtudirt haben.


Skaramuz.

So iſt es recht, ich will mich
einmal heut Abend recht von meinen Geſchaͤften
erholen.

(ſie gehn ab.)

II. [ 20 ]
[306]Zweite Abtheilung.
Dritte Scene.

(Feld, in der Ferne ein Pallaſt.)

Admet. Alceſte.

Admet.

So ſind wir denn gezwungen fort zu wandern,
Die ſuͤße Heimath zu verlaſſen, alles
Was mein war, iſt mir grauſam nun entriſſen;
Durch fremdes Elend zieht ſich unſre Bahn,
Und daß Du, theure Gattin, mit mir leideſt,
Iſt meiner ſchweren Leiden groͤßre Haͤlfte.


Alceſte.

Dem Manne muß die treue Gattin folgen,
Nicht bloß zur Luſt ward ich Dir zugeſellt,
Denn mir gehoͤrt wie Dir Dein Leid und Gluͤck.


Admet.

Wie hold das Abendroth den Thurm beglaͤnzt,
Daß alle Zinnen purpurroth erfunkeln,
Und ſieh, ein praͤchtiger Regenbogen kraͤnzt
Den Pallaſt, und er leuchtet hell im Dunkeln,
Die Bienen ſumſen nun der Heimath zu,
Die Nachtigall laͤßt ihre Lieder klingen,
Nur wir, wir Armen, finden keine Ruh;
Das Gluͤck entfloh auf blitzesſchnellen Schwingen,
Das falſche, tuͤckiſche, erboßte Gluͤck,
Und ließ als Beute uns dem Feind zuruͤck.


[307]Die verkehrte Welt.
Apollo kommt.

Apoll.

Gehſt Du noch ſo ſpaͤt ſpazieren,
mein Koͤnig?


Admet.

Hat ſich was ſpazieren zu gehn.
Du verſtehſt Dich ſehr ſchlecht auf die Menſchen-
kenntniß, mein Freund. Sieht man wohl ſo aus,
wenn man ſpazieren geht?


Apoll.

Was beginnt Ihr alſo?


Admet.

Vertrieben ſind wir, arme Fluͤcht-
linge ſind wir, unſer Haab und Gut hat man
uns genommen, nichts als dieſen Wanderſtab hat
man uns gelaſſen; elende Emigranten ſind wir.


Apoll.

Aber wie iſt denn das ſo ſchnell ge-
kommen?


Admet.

Du fragſt noch? Seit ich Dich,
ruchloſen Schaͤfer aufgenommen habe, iſt mir nichts
als Ungluͤck begegnet. Wer weiß, was fuͤr Bos-
heiten hinter Dir ſtecken. Der maͤchtige Apollo
hat mich vertrieben.


Alceſte.

Du Schaͤndlicher, kamſt als ein
Landſtreicher zu uns, und wir vertrauten Dir un-
ſre Heerden an, iſt das nun Dein Dank?


Apoll.

Aber welche Schuld kann man mir
denn geben?


Alceſte.

Einer muß doch Schuld ſeyn, und
da duͤnkt es mir am wahrſcheinlichſten, daß alles
an Dir liegt, denn ſonſt wuͤßt ich mich auf gar
Niemand zu beſinnen.


Apoll.

Ich ſchwoͤre Euch —


Admet.

Schwoͤre nur nicht, Du Meineidiger!


[308]Zweite Abtheilung.
Apoll.

Eure Leidenſchaft ſpricht noch aus
Euch, und deshalb ſeid Ihr unbillig gegen mich;
lebt wohl, wir ſprechen uns wohl ein andermal wie-
der, denn jetzt ſeid Ihr nicht aufgelegt.

(geht ab.)

Admet.

Nicht aufgelegt? Was kann er da-
mit meinen? Ich fuͤrchte, das da iſt ein boͤſer
Bube, ein Satiriker, der immer Perſonalitaͤten
mit einmengt. — Nicht aufgelegt? Ei, ich bin
noch in meinem Leben nicht aufgelegt geweſen. —
Sage mir, theuerſte Gattin, warum habe ich ihm
nicht gleich den Kopf entzwei geſchlagen?


Alceſte.

Er war ſo klug, ſehr eilig zu entweichen,
Drum konnte deine Hand ihn nicht erreichen,
Doch troͤſte Dich, mein Gatte, nimm die Schmerzen
Nicht ohne Noth zu heftig Dir zu Herzen,
Nach Winter koͤmmt der Lenz, und gluͤcklich wenden
Die Maͤchte, was ſie jetzt als Jammer ſenden.


Admet.

Ja, beſte Gattin, ich will mich bequemen,
Und, was ich ſonſt nicht thu, Vernunft annehmen.
Wir wollen unſer Elend ſtandhaft dulden,
Es ſei uns Troſt, daß wir es nicht verſchulden.
Du biſt jetzt, Theure, Hofnung mir und Labe,
Drum ließ mir ja das Gluͤck die ſchoͤnſte Gabe,
Wir ſteigen willig von des Thrones Stufen,
Zur Buͤrgertugend werden wir gerufen,
Und ſchmerzlos ſeh ich auf den Glanz zuruͤck,
Er wandelt ſich in ein Familienſtuͤck,
[309]Die verkehrte Welt.
Wir duͤrfen auf den Beifall ſichrer zaͤhlen.
Als wenn wir uns mit Kron und Scepter quaͤlen.


(Sie gehn ab.)

Scaͤvola.

O große Menſchheit!


Pierrot.

Ich bitt Euch, Leute, — es ſind
da Sachen in dem Stuͤck, — ich ſage Euch nur
ſo viel, — ſie ſind ganz ungemein.


Der Andre.

Was man doch jetzt immer
zur großen Denkungsart angefuͤhrt wird! — Ja,
das klingt anders, als ehemals.


Wachtel.
(ein Zuſchauer.)

Es muß morgen wie-
der ſeyn, und dann bringe ich alle meine Kinder her.


Vierte Scene.

(Stadt. — Große Illumination. — Der Namens-
zug des Skaramuz brennt an allen Fenſtern.)

Die Zuſchauer.

Herrlich! herrlich!


Wachtel.

Jetzt hat es der Gruͤnhelm gut,
der ſich dem Theater gewidmet hat, er kann das
alles recht in der Naͤhe beſehn.


Scaͤvola.

Wenn es nicht des Aufſehens
wegen waͤre, ſo ſtieg ich auch hinauf.


(Wagen fahren voruͤber, und aus dem Schlage ruft man:
O wie praͤchtig!)

Skaramuz auf ſeinen Eſel, Gefolge.

Skaramuz.

Was iſt das da fuͤr ein Name?


[310]Zweite Abtheilung.
Gruͤnhelm.

Der Ihrige, mein Koͤnig.


Skaramuz.

Laßt mir einmal den Maſchi-
niſten kommen, der das Zeug eingerichtet hat.


Maſchiniſt tritt auf.

Maſchiniſt.

Ich bin Ew. Majeſtaͤt unwuͤr-
diger Diener.


Skaramuz.

Ich ſehe, Er kann mehr als
donnern und blitzen, es iſt mir lieb, daß Er ſich
auf mancherlei applicirt hat. Fahre Er ſo fort,
und es wird ihm nicht fehlen, ſich großen Glanz
zu veranſtalten.

(ab.)

Maſchiniſt.
(gegen das Parterr).

Die ganze Er-
leuchtung iſt im Grunde zum Vergnuͤgen eines ver-
ehrungswuͤrdigen Publikums eingerichtet, und der
einfaͤltige Skaramuz bildet ſich ein, es ſey ſeinet-
wegen geſchehn; aber wir wollen ihm davon nichts
merken laſſen, ſonſt iſt ihn die ganze Freude mit
ſeinem Geburtstage verdorben.

(ab.)

Wachtel.

Es iſt auch wahr, es iſt bloß un-
ſertwegen, aber ich waͤre in meinem Leben nicht
darauf gekommen.


Baͤcker und Brauer kommen.

Brauer.

Sieh, Gevatter, das nenn ich mir
eine Illumination.


Baͤcker.

Ja, etwas anders kann es auch
durchaus nicht vorſtellen.


Brauer.

Warum nicht?


Baͤcker.

Je, Mann, das ſind ja lauter
[311]Die verkehrte Welt.
Lampen, und wo Lampen ſind, da iſt auch die
Illumination nicht weit.


Brauer.

Koͤnnt Ihr darauf ſchwoͤren?


Baͤcker.

Das nun wohl nicht, aber alle
Leute ſagen es doch ſo.


Brauer.

Ja, wenn man alles glauben wollte,
was die Leute ſagen, da waͤre einem uͤbel gerathen,


Baͤcker.

Das iſt wohl wahr, aber das ſcheint
mir noch immer eine Illumination zu ſeyn.


Eine alte Frau mit einer Laterne.

Frau.

Lieben Leute, ich ſuche ſchon die ganze
Stadt durch; koͤnnt Ihr mir nicht ſagen, wo das
Feuerwerk iſt?


Baͤcker.

Je, da haͤngt es ja.


Frau.

Ach, das hab ich ſchon lange geſehn.
— Aber, das iſt wahr, es iſt praͤchtig.


Brauer.

Es iſt ja kein Feuerwerk.


Baͤcker.

Seht, das koͤmmt ſo auf eine
Manier heraus, und darum kann mans auch ſo
nennen.


Frau.

Alſo iſt es doch noch ungewiß, ob ich
recht bin?


Baͤcker.

Ins Teufels Namen, nein, das
iſt es ja.


Frau.

Aber ich muß es doch gewiß wiſſen,
ſonſt kann ichs ja nicht mit Seelenruhe genießen.


Brauer.

Seht, da kommt eine große Mas-
kerade.


(Gefolge von Reitern in allerhand Masken: einige als Ritter,
andre als Mohren, einer iſt der Tod, ihm folgen einige Teufel.)

[312]Zweite Abtheilung.
Frau.

Gott ſteh' uns bei, das war ſchoͤn!


Brauer.

Praͤchtig, und Philoſophie liegt
drinn, ich verſichre Euch, Salz.


Frau.

Und der Satan war mitten drunter.


Baͤcker.

Alles unſerm Koͤnige zu Ehren.


Die Gaͤſte kommen.

Gaͤſte.

Munter! munter! das heiß' ich einen
froͤhlichen Abend!


Andre.

So luſtig ſind wir lange nicht geweſen.


Andre.

Und werdens lange nicht wieder ſeyn.


Alle.

Kommt! kommt! wir wollen weiter,
wir muͤſſen auch die Maskerade ſehn!

(alle ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Saal, mit einem Theater.)

Gruͤnhelm. Der Fremde.

Der Fremde.

Aber glaubſt Du, daß es
gelingen wird?


Gruͤnhelm.

Ich gebe Ihnen mein Ehren-
wort. Machen Sie ſich nur keine unnoͤthige Be-
denklichkeiten.


Fremder.

Wird er dadurch geruͤhrt werden?


Gruͤnhelm.

Er muß.


Fremder.

Meine Hofnung beruht immer
noch auf einem ſehr unſichern Grunde.


[313]Die verkehrte Welt.
Gruͤnhelm.

Der Grund iſt ſicher genug,
wenn Sie nur ſichrer waͤren.


Fremder.

Ich verlaſſe mich ganz auf Dich.


Thalia koͤmmt.

Thalia.

Nun, meine Freunde, ſeyd Ihr zur
Comoͤdie ganz eingerichtet?


Gruͤnhelm.

Ich bin immer dazu fertig,
aber der erſte Liebhaber da hat noch Zweifel.


Thalia.

Das iſt unrecht, Sie werden ſehn,
daß alles ſehr ſchoͤn ablaufen wird.


Fremder.

Ich zittre.


Thalia.

Das macht die Entwicklung um ſo
intereſſanter.


Gruͤnhelm.

Die Zuſchauer kommen ſchon.


(ſie gehen.)

Trompeten. Skaramuz von ſeinem Hofe begleitet.

Skaramuz.

Wir wollen uns ſetzen, jeder
nach ſeinem Stande. Ich werde auf dieſe Art wohl
der Vornehmſte hier ſeyn.

(Sie ſetzen ſich, der Vorhang
des Theaters wird aufgezogen, welches einen Garten vorſtellt.)

Gruͤnhelm als Prologus.

Prologus.

Woher ſoll Poeſie die kuͤhnſten Bilder greifen,

Durch welches ferne Land der dunkeln Traͤume

ſtreifen,

Um allenthalben Blum' und Weihrauch abzupfluͤcken,

Und Deinen Namen ſo nach Wuͤrden auszuſchmuͤcken?

Die Wahrheit ſelbſt wird ſtumm, Erfindung zittert

blaß,

Der Danaiden Chor fuͤllt eher noch ihr Faß,

[314]Zweite Abtheilung.
Ja Tantalus wird wohl den Apfel noch erſchnappen,

Und Siſyphus den Stein in ſeinem Fall ertappen,

Eh' es dem Menſchengeiſt nach ſeinem Wunſch ge-

lingt,

Daß er Dein ganzes Lob aus voller Kehle ſingt.

Wohl mag ſich Pegaſus im hoͤchſten Aether baden,

Doch wenn er will dein Lob auf ſeinen Ruͤcken

laden,

Ja Herkules dazu, das glaubt mir auf mein Wort,

Sie werden beide lahm, ſie bringen es nicht fort:

Und doch iſt dieſer Mann der Staͤrkſt' im Land

geweſen,

Und hatte Kraft genug den Atlas abzuloͤſen;

Auch wenn die Muſen neun ſich alle fuͤgen ſollten,

Daß ſie Dein Lob im Chor poetiſch ſingen wollten:

So biſt Du Muſengott, die Muſen dienen Dir,

Und Dichtkunſt hat durch Dich erſt ihre wahre

Zier.

Darum verſuchen wir, im ſtummberedten Schweigen,

Wie wir Dir huldigen, am beſten noch zu zeigen.

Drum, wer nur ſchweigen kann, erhebe heut Dich

laut,

Bis nach Monduntergang die Morgendaͤmmrung

graut.

Sieh denn auf unſer Herz und nicht auf unſer

Maul,

So mehr jens thaͤtig iſt, ſo mehr erſcheint dies faul.

(Verbeugung, geht ab.)

Skaramuz.

Das war gut. Man hat mich
lange nicht ſo zweckmaͤßig gelobt. — Wer hat das
gemacht?


[315]Die verkehrte Welt.
Der Hofpoet koͤmmt.

Hofpoet.

Ihro Majeſtaͤt, ich habe nur im
Namen aller Ihrer getreuen Unterthanen geſprochen.


Skaramuz.

Denken ſo alle meine Unter-
thanen von mir?


Hofpoet.

Wer es anders meint, iſt ein
Hochverraͤther.


Skaramuz.

Das iſt Recht. Da habt Ihr
Geld, fahrt ſo fort. Gebt Acht auf alles Große,
was ich thue, beſonders wenn ich mit jedem Tage
immer vortrefflicher werde. Ich ſage Euch, laßt
mich nicht aus den Augen, denn es iſt ſehr viel an
mir zu beobachten.


Hofpoet.

Wenn es Ihro Majeſtaͤt erlauben,
ſo werde ich es nicht unterlaſſen.

(geht ab.)

Ein Vater tritt auf mit einem jungen Men-
ſchen
. (Der junge Menſch iſt der Fremde.)

Vater.

Mein lieber junger Menſch, ich habe
Dich, wie du weißt, an Kindes Statt angenommen,
da Deine armen Eltern ſchon in Deiner Jugend
ſtarben; ich habe Dich erzogen, ich habe Dich in
allen Kuͤnſten und Wiſſenſchaften unterrichten laſſen,
dafuͤr mußt Du huͤbſch dankbar ſeyn: nun ſage
mir alſo, warum biſt du ſeit einiger Zeit immer
ſo traurig?


Junger Menſch.

Man hat ſich nicht immer
in ſeiner Gewalt, Verehrungswuͤrdiger.


Skaramuz.

Wer iſt der junge Menſch? Er
koͤmmt mir ſo bekannt vor.


[316]Zweite Abtheilung.
Schatzmeiſter.

Es iſt der fremde Doktor,
der kuͤrzlich nur angekommen iſt.


Skaramuz.

Und der ſpielt nun ſchon in
der Stadt Comoͤdie? — Das geht geſchwinde, ihm
wird es an einer guten Praxis niemals fehlen.


Vater.

Sey heute wenigſtens froͤlich, ſieh,
meine Tochter und meine uͤbrigen Verwandten ſind
es ſo ſehr. Heute iſt mein Geburtstag, da moͤcht'
ich gern lauter froͤhliche Geſichter ſehn.


Skaramuz.

Des Menſchen Geburtstag iſt
heute auch? Das trifft ſich ja wunderbar.


Schatzmeiſter.

Vermuthlich nur eine ruͤh-
rende und witzige Anſpielung, mein Koͤnig, denn
was da vorgeſtellt wird, iſt nichts Wirkliches, es
iſt nur ein Schauſpiel.


Skaramuz.

Es iſt wahr, das hatt' ich
ganz vergeſſen.


Scaͤvola.

Leute, bedenkt einmal, wie wun-
derbar! Wir ſind hier die Zuſchauer, und dorten
ſitzen die Leute nun auch als Zuſchauer.


Pierrot.

Es ſteckt immer ſo ein Stuͤck im
andern.


Junger Menſch.

Ja, ich will an dieſem
ſchoͤnen Tage froͤhlich ſeyn, Sie ſollen kein trauriges
Geſicht zu ſehn bekommen.


Vater.

Meine Tochter hat mir geſagt, daß
Ihr mir ein kleines Stuͤck auffuͤhren wollt: haſt Du
denn auch eine Rolle darinu?


Junger Menſch.
(ſeufzend)

O ja.


Vater.

Woruͤber ſeufzeſt Du wieder? Du
haſt mir ſo eben angelobt, daß Du froͤlich ſeyn
[317]Die verkehrte Welt.
wollteſt. Was fehlt Dir? Entdecke Dich mir, ich
will Dir helfen, wenn ich kann.


Junger Menſch.

Ach, mein Vater!


Vater.

Sprich.


Junger Menſch.

Ich kann nicht.


Vater.

Du ſollteſt Vertrauen zu mir haben.
Jetzt muß ich Dich verlaſſen, meine Gaͤſte werden
gleich kommen.

(geht ab.)

Pierrot.

Fuͤr welches Schauſpiel ſoll man
ſich nun intereſſiren? Fuͤr das vorige, oder fuͤr
das, das jetzt aufgefuͤhrt wird?


Scaͤvola.

Eine verflucht ſpitzfindige Frage.
Am beſten iſt es, man intereſſirt ſich nur ſo in
den Tag hinein, oder fuͤr keins von beiden.


Junger Menſch.

Nein, ich kann ihm meine
Liebe nicht entdecken. Er wuͤrde mir niemals ſeine
Tochter bewilligen, und eine abſchlaͤgige Antwort
koͤnnte ich nicht uͤberleben. Und doch muß es ſich
heut noch entſcheiden!


Melpomene tritt als Emilie auf.

Emilie.

Find' ich Dich wieder in Thraͤnen?


Junger Menſch.

Und wie anders, theuerſte
Emilie? So eben habe ich Deinen Vater geſprochen.


Emilie.

Nun?


Junger Menſch.

Er war wie immer, ſehr
guͤtig gegen mich, das Bekenntniß meiner Liebe
ſchwebte ſchon auf meinen Lippen, aber die Beſon-
nenheit hinderte mich noch, unvorſichtig zu ſeyn.


Emilie.

Ich denke, daß wir ihn durch unſer
[318]Zweite Abtheilung.
kleines Stuͤck uͤberraſchen und ruͤhren wollen, und
uns ſo den Weg zu unſerm Geſtaͤndniſſe bahnen.


Junger Menſch.

O liebe Emilie, das quaͤlt
mich eben. Iſt unſer Projekt, ja ich mag es wohl
ſo nennen, unſer Hinterhalt, nicht eine Entweihung
dieſes Tages? Wir wollen ihm durch ein Schauſpiel
Freude machen, und wir benutzen dieſes Schauſpiel
uns und unſre Situation darzuſtellen. Gerade an
dem heutigen Tage ſollten wir am wenigſten fuͤr
uns zu handeln ſuchen, und ich brauche grade dieſen
Tag als ein Mittel, um mich gluͤcklich zu machen.


Emilie.

Du haſt eine eigene Gabe, die
Sachen zu ernſthaft, und eben darum unrecht zu
nehmen. Unſre Verbindung wird ihn auch gluͤck-
lich machen, auch hat er uns noch keine Veranlaſ-
ſung gegeben, zu glauben, daß er unſre Liebe miß-
billigen wuͤrde, wenn er ſie kennte.


Junger Menſch.

Wie beneid' ich Dich um
dieſen maͤnnlichen Muth.


Emilie.

Wenn er maͤnnlich iſt, ſo ſchaͤme
Dich, daß Du ihn nicht haſt.


Thalia als Liſette.

Thalia.

Die Fremden ſind ſchon angekommen,
Ihr Herr Vater komplimentirt ſich mit ihnen ſehr
weitlaͤufig.


Emilie.

Wer ſind ſie denn.


Thalia.

Erſtlich iſt da, die dicke Frau, die
Sie aus der Taufe gehoben hat, eine Frau, die
alles verachtet, was nicht ſo dick und reich iſt, als
ſie ſelbſt; dann der Graf Sternheim, der bei jedem
[319]Die verkehrte Welt.
dritten Worte inne haͤlt, um ſich auf den Zuſam-
menhang zu beſinnen und deſto gewiſſer aus dem
Zuſammenhange zu kommen, dieſer hat alle ſeine
Bedienten und ſogar ſeinen Narren mitgebracht;
dann der Baron Fuchsheim, der mehr huſtet als
ſpricht, und mehr ſpricht als denkt. Die uͤbrigen
kenne ich nicht, ſie ſcheinen aber von keiner ſonder-
lichen Bedeutung zu ſeyn.


Emilie.

So wollen wir nur gehen, um unſer
Theater einzurichten. — Komm, mein Freund.


Junger Menſch.

Ich folge mit Zittern.


(gehn ab.)

Der Vater, Graf Sternheim, Baron
Fuchsheim, die dicke Frau, andre
Gaͤſte, Bediente, Gruͤnhelm
als Narr,
treten ein.

Vater.

Seyn mir nochmals von ganzem
Herzen willkommen, und nehmen Sie mit dieſem
herzlichen Willkommen vorlieb, denn er iſt das
Beſte, was ich Ihnen geben kann.


Fuchsheim.

Gehorſamſter — bitte, — wiſſen
ſchon, — bitte —


Dicke Frau.

Uns iſt Ihre Galanterie ſchon
aus alten Zeiten bekannt, und Sie haben darin
gewiß noch mehr Fortſchritte gemacht.


Sternheim.

Gut Obſt ſcheinen's hier be-
ſitzen zu thun, — ſchoͤnen Blumenkohl, — aller-
liebſte Aprikoſen, — aber einen Narren hab' ich
doch ſelber mitgebracht, — den den trifft man hier
nicht an.


[320]Zweite Abtheilung.
Narr.

Ich habe Sie mitgenommen, Herr
Graf, und das will ich beſchwoͤren.


Sternheim.

Iſt es nicht ein guter Eſels-
kopf? — Er ſagt mir immer praͤchtige Grobheiten.


Narr.

Und der Graf ſagt mir herrliche Wahr-
heiten, denn er ſagt mir nichts, und es iſt eine
Wahrheit, daß er nichts iſt und daß er nichts zu
ſagen weiß.


Sternheim.

Confuſe, ein ungeordneter Ver-
ſtand, — aber gute Anlagen.


Fuchsheim.
(lachend.)

Gute Anlagen zu einem
Narren, — ja, ja, — dafuͤr ſind ſeine Anlagen gut
genug.


Narr.

Wiſſen Sie denn, was ein vollkom-
mener Narr zu bedeuten hat?


Sternheim.

Dazu halt' ich Dich ja, Narr,
damit ich das beſtaͤndig wiſſen moͤge.


Narr.

Der Geſchmack iſt verſchieden, ich
halte mir lieber einen Grafen.


Sternheim.

Er darf mir alles bieten, weil
er nemlich nur ein Narr iſt.


Fuchsheim.

Ich muß mir auch einen an-
ſchaffen. Wo hat man die beſte Sorte?


Sternheim.

Sie gerathen nicht in jedem
Jahre gleich gut, manchmal iſt ein ordentlicher
Mißwachs, — ich habe ſie auf meinen Guͤtern als
ein Landesprodukt ziehn wollen, — aber ſie ſind
nicht eingeſchlagen, — das Klima muß nicht taugen.


Fuchsheim.

Wenn man ſo manchmal ſeiner
Vernunft uͤberdruͤßig wird, ſo muß ein ſolcher Narr
ein wahrer Leckerbiſſen ſeyn.


Stern-
[321]Die verkehrte Welt.
Sternheim.

Dieſen da hab' ich geerbt, und
ich weiß ſein Vaterland nicht.


Fuchsheim.

Hat er keinen Taufſchein?


Sternheim.

Narren werden gar nicht getauft.


Fuchsheim.

Zu welcher Kirche bekennen ſie
ſich denn aber?


Sternheim.

Sie ſind damit zufrieden, daß
ſie in der Irre wandeln.


Fuchsheim.

Sie ſollten ihn bekehren laſſen.


Sternheim.

Ei, bei Leibe nicht, da wuͤrde
ja ein ordinaͤrer vernuͤnftiger Menſch aus ihm.


Fuchsheim.

Sie verkaufen ihn wohl nicht?


Sternheim.

Nimmermehr, ich will ihn mit
ins Grab nehmen.


Narr.

Ei, ganz gehorſamſter Diener! das
iſt eine verfluchte Redensart, um ſeine Liebe aus-
zudruͤcken.


Vater.

Meine Herren, und meine gnaͤdige
Frau, iſt es Ihnen nicht gefaͤllig, in mein Haus
zu treten?

(ſie gehn ab.)

Liſette und der Narr bleiben.

Liſette.

Wer ſind Sie eigentlich, mein Freund?


Narr.

Aufzuwarten, ein Narr.


Liſette.

Das heißt, ein Mann. Aber dies
weiß ich ſchon, ich fragte nur nach Ihrem eigent-
lichen Stande.


Narr.

Ich bleibe leider in allen Poſitionen
ein Narr, und wenn Sie mich auch ſo oft um-
wenden, als einen gut gebratnen Krammetsvogel.


II. [ 21 ]
[322]Zweite Abtheilung.
Liſette.

Haben Sie ſich auf ſonſt nichts
gelegt?


Narr.

Das iſt genug, mein ſchoͤnes Kind,
und mehr als genug. O man hat ſein ganzes Le-
ben zu ſtudiren, um es darin zu einer gewiſſen
Vollkommenheit zu bringen.


Liſette.

Es iſt doch Schade um Ihre huͤb-
ſche Perſon.


Narr.

Ich war ſchon vor meiner Geburt
ein Narr, ſonſt haͤtte ſich meine unſterbliche Seele
gewiß nicht bereden laſſen, in dieſen ſterblichen
Koͤrper zu kriechen, und darin ein ſo kauderwel-
ſches Leben zu fuͤhren.


Liſette.

Sie druͤcken ſich ſehr angenehm aus.


Narr.

Ich ſchuͤttle die Worte zwiſchen den
Zaͤhnen herum, und werfe ſie dann dreiſt und
gleichguͤltig wie Wuͤrfel heraus. Glauben Sie
mir, es geraͤth dem Menſchen ſelten, alle Sechſe
zu werfen, er mag nun beſonnen oder unbeſon-
nen ſpielen.


Liſette.

Sie ſprechen kluͤger, als Ihr Herr.


Narr.

Und Sie gefallen mir mehr als Ihre
Gebieterin.


Liſette.

Ich glaube, Sie muͤßten ſich noch
beſſern koͤnnen.


Narr.

Ich glaube, ich wuͤrde Sie lieben lernen.


Liſette.

Sie ſind ſchon auf dem beſſern Wege.


Narr.

Und doch fang ich nur an, ein noch
groͤßerer Narr zu werden; o wenn Sie mich in
meiner allerhoͤchſten Raſerei ſehen ſollten, Sie wuͤr-
den entzuͤckt ſeyn.


[323]Die verkehrte Welt.
Liſette.

Ich moͤchte es ſchon darauf wagen.


Narr.

Was meinen Sie, zum Exempel, von
der Anbetung?


Liſette.

Wen wollen Sie anbeten?


Narr.

Sie, meine Goͤttin.


Liſette.

O mein Herr, fuͤr eine Goͤttin bin
ich wohl etwas zu ſchlecht.


Narr.

Im Gegentheil, Allerglorreichſte, viel
zu gut, man kann in unſern Tagen faſt nichts Er-
baͤrmlichers ſeyn, als eine Goͤttin.


Liſette.

Wie iſt das gekommen?


Narr.

Das muͤſſen Sie die weiſen Leute
fragen, ich darf das Geheimniß nicht verrathen;
Weiſe und Thoren, thoͤrichte Weiſe, und weiſe
Narren haben die Weiber mit vieler Muͤhe zu
Goͤttinnen erhoben, um ſie recht bequem ſchlecht
zu machen, denn ſeitdem ſind ſie keine taube Nuß
mehr werth.


Liſette.

Sie lieben mich alſo vielleicht?


Narr.

O dies himmliſche Vielleicht laͤßt
mir noch einige Hofnung uͤbrig, daß Sie noch nicht
ſo ganz in mich vernarrt ſind —


Liſette.

Und wenn ich es nun waͤre?


Narr.

So ſaͤh ich mich ja genoͤthigt, vor
Entzuͤcken zu Ihren Fuͤßen zu ſterben.


Liſette.

Das will ich mir verbitten.


Narr.

Welches Opfer befehlen Sie denn
alſo, das ich Ihnen zum Zeichen meiner aufrich-
tigen Liebe bringen ſoll?


Liſette.

Heirathen Sie mich.


[324]Zweite Abtheilung.
Narr.

Heirathen! — Ich weiß nicht, ob ich
recht gehoͤrt habe. — Heirathen, ſagten Sie?


Liſette.

Nun freilich, kein andres Wort,
wenn ich bei Verſtande bin.


Narr.

Sie wollten alſo einen Ehemann aus
mir machen? — Das iſt ſchrecklich!


Liſette.

Wie denn ſo?


Narr.

Weil Sie mich dann in eine Art von
Narrheit einweihen, gegen die meine jetzige kaum
fuͤr einen Anfangsgrund zu rechnen iſt.


Liſette.

Kommen Sie hinein.


Narr.

Ich bin der Ihrige.


Liſette.

Ich halte Sie beim Wort.

(ſie gehn.)

Skaramuz.

Iſt das Zeug da witzig?


Schatzmeiſter.

Es wird wenigſtens dafuͤr
ausgegeben, und man muß alſo den guten Willen
ſchaͤtzen.


Skaramuz.

Es iſt von einem Unterthanen,
das Stuͤck da?


Schatzmeiſter.

Allerdings.


Skaramuz.

So iſt es doch wenigſtens keine
Contrebande, ſondern ein einheimiſches Fabrikat.


(Saal mit einem kleinen Privat-Theater.)

Der Vater und die Gaͤſte kommen.

Vater.

Setzen Sie ſich allerſeits, man hat
uns hier ein kleines Schauſpiel veranſtaltet, ich
denke, daß der Vorhang ſogleich aufgehen wird.


[325]Die verkehrte Welt.
Floͤten, der Vorhang des Theaters hebt ſich, das einen ſchoͤnen
Garten darſtellt.

Ein Schaͤfer und eine Schaͤferin.

Schaͤfer.

Willſt Du nimmer mich erhoͤren?


Schaͤferin.

Nein, Du willſt mein Herz bethoͤren.


Schaͤfer.

Nein, ich will Dich lieben lehren.


Schaͤferin.

Lieb' iſt Thorheit, will ich ſchwoͤren.


Schaͤfer.

O Liebe,

Die Triebe,

Dies Sinnen,

Dies Trachten,

Mit zaͤrtlichem Schmachten

Das Herz zu gewinnen,

Nein glaub wie ich ſchwoͤre,

Wenn ich Dich bethoͤre,

So ſtrafen die Goͤtter

Im raͤchenden Wetter

Den frevelnden Schwur.

Schaͤferin.

Ich hoͤre

Die Lehre

Und ſchwoͤre,

Bei jeglichem Sterne

In blaͤulicher Ferne,

Beim ſchimmernden Licht:

[326]Zweite Abtheilung.
Ich liebte ſeit lange,

Die Bruſt klopfte bange,

Du liebteſt mich nicht;

Kommt raͤchende Wetter

Und ſtraft mich, ihre Goͤtter,

Iſt falſch dieſer Schwur.

Beide.

Im Fruͤhlingsglanze ſchimmert

Wald und Flur,

Und Liebe leuchtet und flimmert

Und waltet beſeelend in der ganzen Natur.

(ſie gehn ab.)

Skaramuz.

Das war wenig, aber gut, und
ſo lieb ichs.


Melpomene oder Emilie tritt als Laura auf.

Laura.

Durch die bunten Roſenhecken

Flattern Schmetterlinge hin,

Muntre Lerchentoͤne wecken

Schon die Tageskoͤnigin.

Immer wach ſind meine Sorgen,

Nimmer ruht dies treue Herz,

Und ein jeder rothe Morgen

Findet meinen regen Schmerz.

Wollt Ihr mich der Qual entbinden?

Hoͤrt Ihr, Goͤtter, mein Gebet?

Kann ich nie die Ruhe finden,

Die mein Herz von Euch erſieht?

Ich ſah Fernando bleich in meinen Traͤumen,
Und o, wie ſehnt ſich nun mein ſchlagend Herz,


[327]Die verkehrte Welt.
Mein liebend banges Auge ihn zu treffen. —

Ach, warum iſt die Liebe immer krank

Und eingeengt? Nur Leid erkauft die Wonne,

Und Wochen Grams den frohen Augenblick.

Wie? Iſt denn dies die Satzung der Natur?

Trifft mich und ihn nur dieſes harte Loos?

Ach Leben, wie waͤrſt Du ſo reizend ſchoͤn,

Wenn Du nicht unſern allzu zarten Haͤnden

Fuͤr eine Roſe tauſend Dornen reichteſt;

Wenn wir mit Sicherheit den Pfad hinunter

Spazieren koͤnnen, uͤberzeugt, bebluͤmte

Gefilde anzutreffen, muntre Quellen,

Und kuͤhle Schatten unter Myrtenbaͤumen.

Doch ſorgſam pruͤfend ſetzen wir den Fuß,

Auch wenn der Weg im Anfang freundlich ſcheint;

Fuͤhrt er uns wohl in dunkle ſchwarze Waͤlder?

Vielleicht zu ſchroffen, abgelegnen Klippen?

Wird auch die Liebe immer mit uns gehn?

So zagen wir und zweifeln, und vergeſſen

Im Zweifel ſelbſt die holde Gegenwart,

Die, ach! ſo fluͤchtig eilet, zu genießen,

Der Fremde oder der junge Menſch tritt
als Fernando auf.

Fernando.

Du biſt ſchon fruͤh im Garten, meine Liebe.


Laura.

Ich habe meine Liebe hier erwartet.


Fernando.

O Du beſchaͤmſt die muntre Morgenroͤthe.


Laura.

Und ſelber Dich, Fernando, lieber Freund.


[328]Zweite Abtheilung.
Fernando.

Kein Schlummer wollte mich die Nacht beſu-

chen,

Die Sorgen ſaßen mit den greiſen Haͤuptern

An meinem Bett und hielten ſtets mich wach;

Da ſah ich bange ahndend truͤbe Zukunft,

Von keinem fluͤchtgen Sonnenſtrahl erhellt,

Da war die weite, wuͤſte Dunkelheit,

Mit allen ihren Schrecken, holde Liebe,

Ja ſelbſt die Hofnung floh: da lag

Nur ewge, traͤge Gegenwart, kein Schwung

Trieb raſcher um die jammervolle Zeit.

Am Morgen fielen matt die Augen zu,

Da wandelte mein Geiſt zu Blumenbeeten,

Und ſuchte Troſt bei bunten Fruͤhlingskindern,

Wie Regenbogen war Dein ſuͤßer Name

Mit Liebe ſchuͤtzend uͤber mir geſpannt,

Und ihn umſpielten Choͤre lichter Engel,

Die gleich den Aeolsglocken Toͤne ſangen,

Von ewger Liebe und von Kuͤſſen ſprachen,

Daß weit umher abwaͤrts die Winde blieben,

Und ſich ein Wohllaut durch den Himmel goß,

Mit Toͤnen, die nur Laura jedem Stern

Entgegen jauchzten: da erwacht ich ſchnell,

Mir war, Du riefſt, da ſtarb die Melodie.

Laura.

Und biſt fuͤr meinen Gruß und Kuß erwacht.


Fernando.

Und bleich und krank iſt nun mein Traumgeſicht.


Laura.

Fernando! liebſt Du mich aus treuem Herzen?


[329]Die verkehrte Welt.
Fernando
(knieend).

O koͤnnt ich ohne Treue, Liebſte, lieben?


Claudio, der Vater tritt auf.

Claudio.

Wie Boͤſewicht?


Laura.

Mein Vater!


Claudio.

Undankbare!


Der Vater.

O Kinder, macht der Comoͤdie
ein Ende, der Vater iſt gar zu grauſam, ich wuͤrde
gleich meine Einwilligung geben.


Skaramuz.

Ich auch, denn mich faͤngt an
zu hungern.


Emilie
(hinunterſteigend, dem Vater zu Fuͤßen).

Ihren Seegen alſo, mein Vater.


Fernando.

Nein, Emilie, dorthin.


(Sie knieen vor Skaramuz.)

Skaramuz.

Wie? Was? Was iſt denn?


Melpomene.

Ihre Einwilligung, mein Apol-
lo, geben Sie mich frei, ich mag nicht laͤnger
Muſe ſeyn.


Skaramuz.

Alſo war das Ganze nur eine
eigentliche Comoͤdie?


Der Fremde.

Ja, Ihro Majeſtaͤt.


Skaramuz.

Nun, weil Ihr mich geruͤhrt
habt, und weil ich gerade bei guter Laune bin,
ſo moͤgt Ihr einander heirathen. Es iſt aber eine
wunderliche Sache, die Melpomene verlaͤßt das
Theater, dort werden wir alſo keine Leichen mehr
[330]Zweite Abtheilung.
ſehn; aber ſie heirathet dafuͤr einen Doktor — ich
weiß nicht was ſchlimmer iſt.


Thalia.

Herr Koͤnig, ich wollte auch gern
heirathen.


Skaramuz.

Wen denn?


Thalia.

Da iſt ſo eine Art Narr, im ge-
meinen Leben Gruͤnhelm genannt.


Gruͤnhelm.

Ja, Ihro Majeſtaͤt, ich bin
des ledigen Standes uͤberdruͤßig.


Skaramuz.

In Gottes Namen. Aber ſo
faͤllt ja auch unſer Luſtſpiel uͤber den Haufen. —
Nehmt einander, und quaͤlt Euch recht.

(alle gehn ab.)

(Ein großes Getuͤmmel unter den Zuſchauern.)

Pierrot.

Ei! ei! wie iſt denn ein ſolches
Ding zu begreifen? Es thaͤte Noth, daß man ſich
einen eiſernen Reifen um den Kopf legen ließe, um
es auszuhalten.


Scaͤvola.

Es iſt gar zu toll. Seht, Leute,
wir ſitzen hier als Zuſchauer und ſehn ein Stuͤck;
in jenem Stuͤck ſitzen wieder Zuſchauer und ſehn
ein Stuͤck, und in jenem dritten Stuͤck wird jenen
dritten Akteurs wieder ein Stuͤck vorgeſpielt.


Wachtel.

Ich habe nichts geſagt, aber um
nur zur Ruhe zu kommen, haͤtt' ich mich gern aus
meinem jetzigen Zuſchauerſtande in die letzte verſi-
ficirte Comoͤdie als Akteur hineingefluͤchtet. Je
weiter ab vom Zuſchauer, je beſſer.


Der Andre.

Nun denkt Euch, Leute, wie
[331]Die verkehrte Welt.
es moͤglich iſt, daß wir wieder Akteurs in irgend
einem Stuͤcke waͤren, und einer ſaͤhe nun das Zeug
ſo alles durch einander! Das waͤre doch die Con-
fuſion aller Confuſionen. Wir ſind noch gluͤcklich,
daß wir nicht in dieſer bedauernswuͤrdigen Lage
ſind, denn es waͤre nachher kaum moͤglich, ſich auf
gelinde Weiſe wieder in ſeinen allererſten vernuͤnfti-
gen Zuſtand zuruͤck bringen zu laſſen, ich fuͤrchte,
man muͤßte mit Pulver wieder hinein geſprengt
werden.


Scaͤvola.

Man traͤumt oft auf aͤhnliche
Weiſe, und es iſt erſchrecklich; auch manche Gedan-
ken ſpinnen und ſpinnen ſich auf ſolche Art immer
weiter und weiter ins Innere hinein. Beides iſt
auch, um toll zu werden.


Muſik.

Rondo.

Wie ſagte doch jener Bauer, als er die Pflau-
men ſchon zur Suppe eſſen ſollte? ja: darinn iſt
kein Verſtand!


So oft ſich der Philoſoph verwundern muß,
ſo oft er ein Ding nicht begreift, (und das geſchieht
meiſt, weil es zu ſeinem Syſteme nicht paßt, denn
außerdem wuͤrde ihm die Sache nicht ſo fremd ſeyn,
vielleicht waͤre ihm der Gedanke ganz natuͤrlich)
ſo ruft er aus: darinn iſt kein Verſtand!


[332]Zweite Abtheilung.

Ja der Verſtand, wenn er ſich recht auf den
Grund kommen will, wenn er ſein eignes Weſen
bis ins Innerſte erforſcht, und ſich nun ſelbſt be-
obachtet und beobachtend vor ſich liegen hat, ſagt:
darinn iſt kein Verſtand.


Nicht wahr, es iſt am bequemſten, das Denken
ganz aufzugeben? das thun auch die meiſten, ohne
es zu wiſſen. Doch wer mit Vernunft die Ver-
nunft vernichtet, iſt dadurch wieder vernuͤnftig.
Daß nur keiner ſagt: darinn iſt kein Verſtand.


Manche Verſe ſind toll gewordene Proſe,
manche Proſe iſt gichtlahmer Vers, was zwiſchen
Poeſie und Proſa liegt, iſt auch nicht das Beſte, —
o Muſik! wohin willſt du? Nicht wahr, du geſtehſt
es zu: in Dir iſt kein Verſtand.


Wozu ſollen dieſe Gedanken? Wozu ſoll der-
gleichen Muſik? Wozu ſollen dergleichen hiſtoriſche
Schauſpiele? Wozu ſoll am Ende die ganze Welt?
Wozu ſollen aber auch ſolche Fragen? In ihnen
ſteckt kein Verſtand.


Von der Muͤcke bis zum Elephanten iſt alles
zunaͤchſt um ſein Selbſtwillen da, des Menſchen zu
geſchweigen; ſo ſollte es nicht auch mit Gedanken
ſeyn, die fruͤher ſind als ihre Anwendung? Nicht
ebenfalls mit Laune und Kunſt und Lachen aus
einer verkehrten Welt? Verkehrt ſie nur noch ein-
mal, ſo kehrt ihr die rechte Seite heraus, und Ihr
ſagt dann nicht: darinn iſt kein Verſtand.


[333]Die verkehrte Welt.

Vierter Akt.


Erſte Scene.

(Gerichtsſaal.)

Skaramuz, Raͤthe.

Skaramuz.

Meine Herren, Sie ſind doch
noch immer uͤberzeugt, daß ich mein Land gluͤcklich
mache?


Rath.

Durchaus, Ihro Majeſtaͤt koͤnnen gar
nicht anders.


Skaramuz.

Wir muͤſſen unermuͤdet fort-
fahren, die Sitten des Landes umzuarbeiten. Alle
ehemalige Barbarei muß man mit Stumpf und
Stiel ausrotten, daß auch kein Gebein davon uͤbrig
bleibt.


Rath.

Allerdings, man muß nicht nur das auf-
geſchoſſene Unkraut ausjaͤten, ſondern auch nach dem
kleinen ſehn, damit nichts zur Saat ſtehn bleibe.


Skaramuz.

So iſt auch mein Wille. Das
Verfeinern und Cultiviren der Leute kommt doch
ſo ziemlich in den Gang. — Jetzt laßt die Parteien
vortreten.


Ein Schriftſteller und ein Leſer treten auf.

Skaramuz.

Was wollt Ihr?


Leſer.

Herr Koͤnig, ich habe eine große und
gegruͤndete Klage uͤber den Mann da zu fuͤhren.
[334]Zweite Abtheilung.
Er iſt nemlich eine Perſon, die Buͤcher in den
Druck giebt, und ich bin derjenige, der ſie nachher
leſen muß. Nun find' ich es ſehr natuͤrlich, daß
ich zu ihm ſagen kann: ſeht, mein Herr, ſo und
ſo muͤßt Ihr die Buͤcher einrichten, dann gefallen
ſie mir beim Leſen. Und das will er nicht.


Skaramuz.

Aber, Kerl, warum nicht?


Schriftſteller.

Ihro Majeſtaͤt geruhen nur
zu bemerken, daß der Menſch keinen Geſchmack hat,
und daß er ſchlechte Buͤcher von mir verlangt;
darin kann ich ihm doch unmoͤglich willfahren.


Skaramuz.

Aber warum nicht, da es ihn
doch am Ende trifft, daß er Dein Geſchreibe leſen
muß? Du ſollſt alſo den Geſchmack haben, den er
von Dir verlangt. Ich ſehe wohl, du biſt ein
eigenſinniger Burſche, gehe hin und beſſere Dich. —


(Schriftſteller ab.)

Leſer.

Ich danke fuͤr guͤtige Reſolution.


Skaramuz.

Aber, Ihr Narr, braucht ja
nur gar nicht zu leſen, ſo iſt ja der Handel mit
einem male aus.


Leſer.

Nein, gnaͤdigſter Koͤnig, das kann ich
nicht laſſen, weit eher das Tabackrauchen. Leſen
iſt mein einziges Vergnuͤgen und bildet mich und
klaͤrt mich auf.


Skaramuz.

Verſteht Ihr auch alles, was
Ihr leſ't?


Leſer.

Ich denke wohl, und wenn ich einmal
den Weg unter meinen Fuͤßen verliere, ſo denke
ich immer, des Himmels Guͤte wird auch das wol
zu meinem Beſten lenken.


[335]Die verkehrte Welt.
Skaramuz.

Geht und fahrt ſo fort, denn Ihr
habt einen guten Glauben.

(Leſer ab.)

— Habt Ihr
die Wiſſenſchaften wohl ſchon in ſolchem Flore geſehn?


Rath.

Niemalen.


Aulicus und Myrtill kommen.

Skaramuz.

Was giebts? Redet!


Aulicus.

Mein Koͤnig, wir ſind Schaͤfer,
was man ſo ſchlechtweg Schaͤfer zu nennen pflegt,
aber Schaͤfer im weiteſten Sinn des Worts, denn
wir halten uns auch etliche Kuͤhe.


Skaramuz.

Iſt das Eure Klage?


Aulicus.

Nimmermehr. Je da muͤßten wir
ja wohl rechte Erzſtuͤmper ſeyn, wenn wir daruͤber
klagen wollten. Nein, im Gegentheil, wollte der
Himmel, wir haͤtten nur mehr.


Skaramuz.

Kommt zur Sache.


Myrtill.

Gevatter, laßt mich das Wort
fuͤhren, ſonſt kann ja der Koͤnig nimmermehr klug
werden. Verſteht mich, Herr Koͤnig, und wenn
Ihr den Mann da bis uͤbermorgen reden ließet, ſo
wuͤrde er doch nicht zur Sache kommen. Er iſt
mein Gevatter, und ſonſt ein guter Mann, aber
das muͤſſen ihm ſelbſt ſeine Feinde im Grabe nach-
ſagen, daß er das Maul immer vorn weg hat.
Es iſt ein Erbſchaden an ihm.


Skaramuz.

Was wollt Ihr denn, Leute?
Ich verliere die Geduld.


Myrtill.

Nimmermehr, Herr Koͤnig, denn
wir haben ſie auch ſchon verloren. Wißt Ihr was
Scheeren iſt?


[336]Zweite Abtheilung.
Skaramuz.

Dumme Frage! Wie ſollt' ich
denn das nicht wiſſen?


Myrtill.

Nun, ſo haben wir den Proceß bei-
nahe ſchon gewonnen. Die Schaafe werden nem-
lich von uns geſchoren, und das iſt gut und loͤblich,
denn dazu ſind ſie da; wir haben das auch immer
bis jetzt redlich beobachtet, aber nun ſoll ſich das
Ding umkehren, denn die Schaafe haben gegen
uns rebellirt.


Skaramuz.

Wie ſo?


Myrtill.

Es iſt ſo weit gekommen, daß ſie
verlangen, wir ſollen uns zur Abwechſelung auch
einmal ſcheeren laſſen.


Skaramuz.

Was haben ſie fuͤr Gruͤnde?


Myrtill.

Sie haben ordentlich einen Anwald
angenommen, ihre Sache in Schutz zu nehmen.


Skaramuz.

Laßt ihn kommen.


Gruͤnhelm tritt auf.

Skaramuz.

Sieh da, Gruͤnhelm! biſt Du
derjenige, der da behauptet, die Schaͤfer muͤßten
ſich von ihren Schafen raſiren laſſen?


Gruͤnhelm.

Allerdings, durchlauchtiger Apollo.


Skaramuz.

Aus welchen Gruͤnden?


Gruͤnhelm.

Erſtlich haben ſie es den Scha-
fen ſo oft gethan, daß es nun zur Abwechſelung
wohl einmal mag umgekehrt werden. Sie haben
von den Schafen ſo viele Wohlthaten genoſſen,
daß es ja nur ein unbedeutendes don gratuit iſt,
was die armen Thiere jetzt von dieſen hartherzigen
Schaͤfern verlangen; wahrlich, ich wollte mich nicht
um
[337]Die verkehrte Welt.
um eine ſolche Kleinigkeit ſchlachten und ſcheeren
und hudeln laſſen. Dann ſeht nur zweitens, die
ſchoͤnen Baͤrte um Kinn und Maul, nicht wahr,
jedermann muß Luſt zum Scheeren bekommen, der
dieſen reichen Seegen ſieht? Welche Gedanken ſollen
wohl die guten geduldigen Schaafe faſſen, wenn ſie
dergleichen vortrefliche Wolle im Winter und Som-
mer, in Schnee und Regen, zwecklos baumeln
ſehn? Es waͤre ihnen ja wahrlich nicht zu ver-
argen, wenn ſie auf die Meinung geriethen, daß
alles Scheeren nur unnuͤtze Scheererei waͤre. Dann
werden dieſe Schaͤfer es auch drittens viel beſſer
nachher einſehn, was es auf ſich habe, geſchoren
zu werden, ſie werden dadurch gegen die Schafe
mitleidiger und dankbarer werden. Ich will ſie
bloß zur Tugend anfuͤhren.


Skaramuz.

Du haſt recht. Schaͤfer, Ihr
habt Euren Prozeß verloren, geht und unterwerft
Euch dem Willen Eurer Untergebenen.

(die Schaͤfer ab.)


— Sie werden zum allgemeinen Beſten geſchoren,
die Spitzbuben, und wollen ſich noch beklagen!


Gruͤnhelm.

Der Egoismus, Herr Apollo,
iſt ſehr ſchwer aus dem Menſchen zu vertreiben.


(ſie gehn ab.)

II. [ 22 ]
[338]Zweite Abtheilung.
Zweite Scene.

(Zimmer.)

Rabe. Seine Gattin. Wilhelm ein Knabe.

Gattin
(die mit einem kleinen Maͤdchen ſpielt).

Sieh,
mein trauter Mann, Adelaide lernt ſchon ſpielen.


Rabe.

O welche vaͤterliche Geſinnungen, wel-
che liebevolle Empfindungen bei mir erregt werden,
wenn ich ſo die Fortſchritte meiner verehrungswuͤr-
digen Kinder gewahr werde.


Gattin.

Mit Recht nennſt du ſie verehrungs-
wuͤrdig, denn ich verehre ſie auch, ja ich bete ſie an.


Wilhelm.

Lieber Vater, wozu iſt aber das
Buchſtabiren nuͤtze?


Rabe.

Hoͤre doch, liebe Gattin, die philo-
ſophiſche Frage des allerliebſten Kindes! — Komm
her, Junge, dafuͤr muß ich dich tuͤchtig kuͤſſen. —
O Kind, du wirſt gewiß ein großes Genie wer-
den. Zweifelſt du ſchon jetzt an dem Nutzen des
Buchſtabirens, was wirſt du erſt in deinem dreißig-
ſten Jahre thun?


Gattin.

Er iſt gar zu klug fuͤr ſein Alter.
Wenn es ihn nur nicht angreift.


Rabe.

Geh, mein Kind, mach dir jetzt ein
Spiel zurecht, du haſt nun heut ſchon zu viel ge-
arbeitet. Hoͤrſt du? du mußt dich nicht zu ſehr
anſtrengen, ſonſt wirſt du krank?


Gattin.

Du bleibſt dann auch nicht ſo
huͤbſch, wie du biſt, du wirſt dann ganz haͤßlich.


[339]Die verkehrte Welt.
Rabe.

Ich muß den Jungen doch wohl in
die neumodiſche Schule ſchicken, ſo hart es mir
auch ankommen wird, ihn nur einen Augenblick
von mir zu laſſen. Ich war neulich bei der Pruͤ-
fung der Kinder zugegen, o theuerſte Eliſa, als
ſie ſo wunderbar mauzten und prauzten (denn ſie
buchſtabiren dort nicht) mit pf, ſt, rt, br, und
dergleichen, halb nieſend, halb huſtend und gur-
gelnd, ich war in Entzuͤcken verloren. Wie be-
dauerte ich, daß ich nicht von neuem auf dieſen
edleren Wege konnte leſen lernen!


Wilhelm.

Spiele mit mir, Vater! da ſind
die Karten, nun baue mir ein Haus.


Rabe.

Ich habe zu thun, mein Sohn.


Wilhelm.

Du ſollſt aber.


Rabe.

Nimm vernuͤnftige Gruͤnde an, mein
Kind, ich habe wirklich keine Zeit. Das Geſchaͤft
iſt dringend.


Wilhelm.

Ich will es aber.


Rabe.

Mein Sohn, wenn ich nicht beſchaͤf-
tigt waͤre und ich wollte dann nicht mit dir ſpie-
len, ſo koͤnnteſt du mir gegruͤndete Vorwuͤrfe ma-
chen, aber ſo —


Gattin.

So ſpiele doch nur mit ihm, du
ſiehſt ja, daß er weint.


Rabe.

Nun ſo komm, Wilhelm, weine nicht.
Die Arbeit hat im Grunde auch noch Zeit und
kann warten. Aber ſei auch huͤbſch artig nun, du
ſiehſt ja, daß ich dir deinen Willen thue.


Gattin.

Ich laſſe ja auch die Wirthſchaft
liegen, um meine Adelaide auszubilden.


[340]Zweite Abtheilung.
Rabe.

Haſt du ſchon die neuſte Schrift fuͤr
Muͤtter geleſen, Eliſa?


Gattin.

Nein, mein Kind.


Rabe.

Das mußt du ja nicht verſaͤumen,
das Buch enthaͤlt ganz unvergleichliche Beobach-
tungen, zum Beiſpiel, daß eine Magd die Kinder
nie nehmen duͤrfe, oder nur mit ihnen ſprechen.


Gattinn.

Ich dulde es niemals, immer hab
ich geſchaudert, wenn unſere Katharine, ſonſt eine
gute Perſon, das himmliſche Kind nur anblickte.
Ja, ſchon die Blicke koͤnnen meinen Engel entweihen.


Wilhelm.

Wenn du was bauen willſt, Va-
ter, ſo mußt du auch die Gedanken dabei haben
und nicht andre Sachen reden.


Gattin.

Ein allerliebſter Junge. — Sieh,
Adelaide, ſo wirft man in die Hoͤhe. Das heißt
werfen, mein Kind.


Rabe.

Wie ſich doch ſeit der Regierung des
jetzigen Apollo die Sitten verfeinert haben! Wie
ſchlecht wurden wir erzogen, Eliſa!


Gattin.

Ja wohl, ſo rauh und barbariſch,
wir mußten vor unſern Eltern Reſpekt haben! —
Aber ſage, was war es doch fuͤr ein ſchrecklicher
Menſch, der unſerm zarten Wilhelm geſtern einen
Hanswurſt zum Spielen brachte?


Rabe.

Fuͤrchterlich! Was ſollte das idealiſch ge-
ſtimmte Weſen doch mit dieſer gothiſchen Fratze? Aber
ich habe es dem Gevatter Bruſebart eingetraͤnkt, und
er wird mit dergleichen nicht wieder kommen. Ich
beſtellte ihm gleich darauf beim Drechsler einen klei-
nen belvederiſchen Apoll, damit der Liebliche hohe
[341]Die verkehrte Welt.
Geſtalten, Goͤtterphyſiognomieen zu ſeinen Geſpie-
len habe, und ſich ſo der Sinn fuͤr die hohe Kunſt
in ihm ſo leichter erſchließe.


Gattin.

Der Eindruck, den die barbariſche
Figur auf mich gemacht hat, war ſo ſtark, daß
ich die ganze Nacht von dieſem fuͤrchterlichen Hans-
wurſt getraͤumt habe. Am Ende warſt du ſelbſt
der Graͤßliche, mein Selmar, und ich erwachte mit
Entſetzen.


Rabe.

Koͤnnte man die guten Kinder nur
ganz vom uͤbrigen Menſchengeſchlecht abſondern,
ſo wuͤrde ihre Heiligkeit um ſo weniger geſtoͤrt;
Denk, — am vorigen Sonntag betreff ich unſern
Wilhelm in der Roſenlaube, indem er fuͤr ſich:
„Ach du mein lieber Auguſtin!“ ſingt.


Gattin.

Schaudervoll, o ſchaudervoll, hoͤchſt
ſchaudervoll!


Rabe.

Da er Trieb zur Kunſt hat, ſo habe
ich den herrlichen Chorgeſang aus dem Sophokles
uͤber das Schickſal zu der Melodie: „Bluͤhe lie-
bes Veilchen,“ bearbeitet, und das ſoll er einſtu-
diren; kann er den lieben Auguſtin aber gar nicht
vergeſſen, ſo akkommodire ich ein Matthiſſonſches
Mondſcheingedicht zu dieſer Weiſe, damit ihm die
Gemeinheit des Liedes nur verſchwinde.


Gattin.

Die Kinderſchriften haben doch eine
vortheilhafte Revolution zuwege gebracht.


Rabe.

O was werden unſre Kinder auch fuͤr
goͤttliche Menſchen werden!


Gattin.

Man wird ſie ohne Zweifel in Kup-
fer ſtechen.


[342]Zweite Abtheilung.
Rabe.

Wir werden uns vor Freude, die
wir an ihnen erleben, gar nicht zu laſſen wiſſen.
— Lange regiere unſer Apoll!


Gattin.

Komm mit ihnen in den Garten,
daß ſie die Natur empfinden, und ſich von der
Holdſeligkeit der Roſen anlachen laſſen.

(ſie gehn ab.)

Dritte Scene.

(Ein andres Zimmer.)

Melpomene, der Fremde.

Fremder.

Liebe Frau, wie lange ſind wir
nun ſchon mit einander verheirathet?


Melpomene.

Vier Wochen.


Fremder.

Iſt es noch nicht laͤnger?


Melpomene.

Waͤhrt Dir die Zeit ſo lang?


Fremder.

Das grade nicht; aber ich meinte,
es ſey laͤnger.


Melpomene.

Soll ich nun daruͤber nicht
weinen?


Fremder.

Du weinſt viel zu viel; wir zanken
uns alle Tage und haben in den vier Wochen we-
nigſtens dreißig Ausſoͤhnungen gefeiert.


Melpomene.

Du betruͤbſt mich recht von
Herzen; Du biſt ein leichtſinniger Menſch, ein
Menſch, der an meinem Jammer ein Vergnuͤgen
findet.


[343]Die verkehrte Welt.
Fremder.

O ſo hoͤre doch auf.


Melpomene.

Einen, der ungeruͤhrt meine
Thraͤnen ſehn kann.


Fremder.

Hol' doch der Teufel den Apollo!
Warum hat er Dich nicht auf dem Theater behalten?


Melpomene.

Ja, ich wollte, ich haͤtte Dich
nie mit Augen geſehn.


Fremder.

Waͤr' ich doch nie hieher gekommen!


Gruͤnhelm und Thalia.

Gruͤnhelm.

Wir muͤſſen Euch doch auch
einmal beſuchen, Freunde.


Thalia.

Wie gehts, liebe Melpomene?


Melpomene.

O mein Mann —


Gruͤnhelm.

Nun, Doktor, wie ſtehts?


Fremder.

O meine Frau —


Thalia.

Ihr ſeid beſtaͤndig entzweit und das
iſt durchaus nicht recht. In Eurem Hauſe regiert
immer ein buͤrgerliches Trauerſpiel, und das iſt mir
etwas Verhaßtes.


Melpomene.

Iſt es zu aͤndern?


Thalia.

Ihr muͤßt Euch wieder vertragen.
Melpomene, Du mußt nachgeben.


Melpomene.

Eher ſterben.


Thalia.

Daraus wird ja doch nichts, das
darf ja ſchon des frohen Ausgangs wegen nicht
geſchehn. Warum lebe ich denn mit meinem Manne
gluͤcklich?


Melpomene.

Weil Du eine Naͤrrinn biſt.


Gruͤnhelm.

Gehorſamer Diener! Alſo ver-
[344]Zweite Abtheilung.
lohnte es ſich wohl gar nicht der Muͤhe mit mir
gluͤcklich zu ſeyn?


Melpomene.

Schwerlich.


Fremder.

Nun, Frau, da iſt meine Hand,
ſei wieder gut. Die Scene darf ja doch nicht zu
tragiſch werden.


Melpomene.

Du giebſt alſo zu, daß Du
Unrecht haſt?


Fremder.

Nimmermehr!


Melpomene.

Nun, Thalia, da ſiehſt Du.


Thalia.

Auf die Art koͤnnt Ihr nimmermehr
zuſammen kommen. Der hat offenbar Unrecht, der
jetzt nicht zur Verſoͤhnung die Hand bietet, wer
dem andern zuerſt vergiebt, der hat das meiſte Recht.


(Die beiden Eheleute umarmen ſich.)

Fremder.

O wie ich Dich nun wieder liebe! —
Wie mein Herz nur fuͤr Dich ſchlaͤgt!


Melpomene.

Ebenfalls.


Fremder.

Ich begreife nicht, wie ich Dich
ſo verkennen mochte.


Melpomene.

Ich auch nicht, Geliebter.


Fremder.

Im Grunde hatten wir beide
Unrecht.


Melpomene.

Ich geb' es zu.


Fremder.

Nun ſo ſey dieſer Tag der Ver-
ſoͤhnung, ein Tag der Freude fuͤr uns. — Bleibt
bei uns, lieben Freunde, und helft uns ein ſo ſchoͤ-
nes haͤusliches Feſt der Liebe begehn.

(gehn ab.)

[345]Die verkehrte Welt.
Vierte Scene.

(Das Meer.)

Ein Kriegesſchiff ſegelt voruͤber, Pantalon
der Admiral
auf dem Verdecke, Soldaten.

Pantalon.

Ihr meine lieben Soldaten,
heut muß das Seegefecht nothwendig vorgenommen
werden, denn der Wind iſt uns uͤberaus guͤnſtig.
Auch koͤnnen wir uns nicht laͤnger halten, weil uns
der Proviant ausgeht.


Ein Soldat.

Soll es ein ſcharfes See-
gefecht werden?


Pantalon.

Wir fechten bis auf den letzten
Mann. Und daß nur keiner zu deſertiren gedenkt!


Soldat.

Davor ſoll uns Gott behuͤten.


Pantalon.

Der fremde Admiral kann un-
moͤglich Stand halten, denn ſeine Flotte iſt viel
ſchwaͤcher, er wird ſich ergeben muͤſſen, und dann
fahren wir im Triumph nach Hauſe.


Soldat.

Wenn nur keiner von uns dabei
umkoͤmmt!


Pantalon.

Da muß man ſchon die Augen
zudruͤcken und Fuͤnfe gerade ſeyn laſſen, denn das
ſteht nicht zu aͤndern.


Soldat.

Aber wens trifft, der hat doch
den Schaden.


Pantalon.

Sprich beherzter, ſonſt biſt Du
ein erbaͤrmlicher Soldat.

(Sie fahren vorbei, die uͤbrige
Flotte folgt.)

[346]Zweite Abtheilung.
Ein anderes Kriegesſchiff tritt auf. Harle-
kin
als Admiral, Soldaten.

Soldat.

Soll heut die Bataille vorgenommen
werden?


Harlekin.

Wenn Ihr es meint, Leute, ſo
wollen wir dran, einmal muß es ja doch ſeyn, und
ſo iſt es immer beſſer heute als morgen.


Soldat.

Wir haben ſchon alle Flinten ge-
laden.


Harlekin.

Das iſt Recht, Kinder; und im
Gefecht nur nicht den Muth verloren! Bedenkt,
daß Ihr doch irgend einmal ſterben muͤßt, und daß
Ihr hier auf der See fuͤrs Grab nichts zu bezah-
len braucht.


Soldat.

Ganz gut, ich wollte der Feind
waͤre erſt da.


Harlekin.

Iſt die ganze Flotte beiſammen?


Soldaten
(von den andern Schiffen.)

Ja, Herr
Admiral!


Harlekin.

Nun ſtellt Euch in Schlachtord-
nung. Marſch! links um! — So! — wir muͤſſen
dem Feinde den Wind abgewinnen, wir muͤſſen nicht
ſaumſelig ſeyn, denn auf unſere Behendigkeit koͤmmt
alles an.


Pantalon tritt mit ſeiner Flotte auf.

Pantalon.

Sieh, da iſt ja die feindliche
Flotte. Das iſt mir recht lieb, ſo brauchen wir
nicht laͤnger die Haͤnde in den Schooß zu legen.
Schießt nur brav nach den Matroſen, lieben Leute,
wenn ſie oben in den Maſten herum klettern.


[347]Die verkehrte Welt.
Harlekin.

Macht den Angriff!


(Es wird geſchoſſen, die Kanonen donnern, viel Rauch, die
Schiffe gerathen an einander, ein paar fallen um, das Meer
ſchwimmt voll Soldaten.)

Pantalon.

Es iſt ein heißes Gefecht.


Harlekin.

Nun wollen wir das Admiral-
ſchiff entern.

(er ſteigt mit ſeinen Soldaten bei Pantalon
an Bord.)

Pantalon.

Was iſt das? — Ei, den Teufel,
das gilt nicht! das gilt nicht! — das iſt gegen alle
Kriegsmanier! — Harlekin, das gilt nicht! das
gilt nicht!


Harlekin.

Warum ſolls nicht gelten? Ich
habe nun den Krieg gewonnen.


Pantalon.

Das iſt ganz was Neues, das
iſt gegen alle Abrede.


Harlekin.

Ei was, im Kriege gelten alle
Vortheile.


Pantalon.

Nein, Herr Narr, das ſoll
nimmermehr ſeyn. Ich will die alte Manier be-
haupten.

(Sie ringen mit einander, Pantalon faͤllt ins
Waſſer.)

Huͤlfe! Huͤlfe!


Harlekin.

Nun haben wir den glorreichſten
Sieg davon getragen.


Der Direktor Wagemann, koͤmmt als Neptun
aus der Tiefe des Meeres.

Wagemann.

Wer macht auf meinem Schau-
platz ſolch Getoͤſe?


Pantalon.

Da bin ich ins Waſſer gefallen,
Herr Wagemann, und habe die Seeſchlacht ver-
loren.


[348]Zweite Abtheilung.
Wagemann.

Hier ſchwimmt ja alles voll
Soldaten. Kerls, ſtellt Euch doch auf Eure Beine,
was ſchwimmt Ihr denn?

(Die Soldaten ſtehn
aufrecht und gehn ans Ufer.)

Pantalon.

Helft Ihr mir denn nicht, Herr
Direkteur?


Wagemann.

Steige unverzagt hier in mei-
nen Wagen hinein, wir wollen nachher Deine
Kleider trocknen.


Pantalon.

Das war ein grauſames Meer-
treffen.

(Er wird ans Ufer gefahren.)

Harlekin.

Wir koͤnnen nun auch ausſteigen,
denn der Triumph iſt unſer.


Pantalon.

Herr Neptun! ich habe in der
Hitze der Schlacht meine koſtbare Admiralskappe
verloren; wie ſoll das werden?


Neptun.

Ich will in den Grund des Meers
hinunterfahren und ſie ſuchen.

(er geht unter.)

Harlekin.

Soldaten, ſteigt ans Land!

(Sie
ſteigen alle ans Land.)

Pantalon.

Zwei von meinen Schiffen ſind
in den Grund gebohrt, der Schade iſt ganz un-
erſetzlich.


Neptun
(aus dem Meere)

Hier iſt die Muͤtze,
Pantalon, nehmt ſie kuͤnftig beſſer in Acht. Ihr
ſeid uͤberhaupt liederliches Geſindel, es liegen da
noch ſehr viele Theaterrequiſite herum, wer hat
am Ende den Schaden davon, als ich?


Pantalon.

Bei einer Bataille kann man
nicht ſo haarſcharf auf alles Acht geben.


[349]Die verkehrte Welt.
Skaramuz mit Gefolge.

Skaramuz.

Ich habe lange keinen ſo an-
genehmen Spaziergang gemacht. — Was iſt das da?


Schatzmeiſter.

Das Meer, mein Koͤnig.


Skaramuz.

Das Meer? — Sieh, ich habe
ein Meer in meinem Lande, und weiß kein Wort
davon. — Und wer ſeid Ihr?


Harlekin.

Euer getreuſter Unterthan, der
Admiral Harlekin, der ſo eben den großen feindli-
chen Admiral Pantalon uͤberwunden hat.


Skaramuz.

Ich weiß von Euch allen nichts.
Alſo hat meine Flotte den Sieg davon getragen?


Harlekin.

Allerdings.


Skaramuz.

Aber, Kerle, warum ſagt Ihr
mir nichts davon, daß dergleichen in meinen Staa-
ten vorgeht?


Schatzmeiſter.

Es waͤre ſchaͤdlich, wenn
Ew. Majeſtaͤt fuͤr alles ſorgen wollten.


Skaramuz.

Nun das hat ſeine Richtigkeit.
Und Du biſt alſo mein Feind?


Pantalon.

Ihnen aufzuwarten, mein Koͤnig.


Skaramuz.

Bei welchem Koͤnige dienſt Du
denn?


Pantalon.

Ihro Majeſtaͤt, ich habe den
Namen vergeſſen, und der thut ja doch auch nichts
zur Sache. Jeder Menſch hat ſeine Feinde, und
ſo geht es Ihnen auch. Genug, wir ſind beſiegt,
und die Ruhe in Ihrem Reiche iſt wieder hergeſtellt.


Skaramuz.

Was iſt denn das fuͤr ein Kerl
da in der See?


[350]Zweite Abtheilung.
Ein Soldat.

Das iſt der Meergott, Neptun.


Neptun.

Herr Skaramuz, Sie vergeſſen
ſich zu ſehr, das muß ich Ihnen ſagen. Ihr Hoch-
muth uͤberſteigt beinah alle Graͤnzen. Kennen Sie
mich, Ihren Direkteur Wagemann nicht mehr?


Skaramuz.

Ich erinnere mich ganz dun-
kel eines ſolchen Namens.


Neptun.

Ich habe Ihnen zu befehlen,
mein Herr.


Skaramuz.

Mir zu befehlen?


Neptun.

Nun, warten Sie nur den letzten
Akt ab, ſo ſollen Sie es ſchon gewahr werden;
ich mag jetzt das Schauſpiel nicht ſtoͤren, aber ich
bin im Stande, und gebe Ihnen den Abſchied.


Skaramuz.

Mir den Abſchied? Einem Koͤ-
nige den Abſchied? Nun, hoͤrt nur, Leute, welche
revolutionaire Geſinnungen der Waſſernix da von
ſich giebt. Mein Herr Neptun, oder wer Sie
ſeyn moͤgen, ich verſpreche Ihnen, daß Sie gar
keinen letzten Akt erleben ſollen.


Neptun.

Wir ſprechen uns ſchon wieder.


(geht unter.)

Skaramuz.

Wo iſt der Kerl geblieben?


Schatzmeiſter.

Es iſt verſunken.


Skaramuz.

Wie koͤmmt das?


Schatzmeiſter.

Vermoͤge der Maſchinerie.


Skaramuz.

Der Kerl, der Maſchiniſt iſt
doch an allen Dingen in der Welt Schuld, er
hat mir ſchon unſaͤgliche Leiden erregt. — Ma-
ſchiniſt, hicher!


[351]Die verkehrte Welt.
Der Maſchiniſt kommt aus der See.

Maſchiniſt.

Was giebts, Herr Skaramuz!


Skaramuz.

Du laͤſſeſt ja die Leute verſin-
ken, wie ich hoͤre.


Maſchiniſt.

O ja, mein Koͤnig, wenn es
das Stuͤck erfordert.


Skaramuz.

Immer hoͤr ich von einem
Stuͤcke reden. Mir haſt du noch nie das Vergnuͤ-
gen gemacht, daß ich verſunken waͤre.


Maſchiniſt.

Es hat auch nichts davon in
Ihrer Rolle geſtanden.


Skaramuz.

So? Aber mit einem Gewit-
ter biſt Du mir doch zur Laſt gefallen, das mir aͤu-
ßerſt fatal war? — Jetzt will ich einmal untergehn.


Maſchiniſt.

Bemuͤhen Sie ſich nur zu mir
ins Meer herein.


Skaramuz.

Ins Meer? Ja, daß ich Dir
doch traute; ich koͤnnte am Ende gar erſaufen.
Das Meer iſt keines Menſchen Freund.


Maſchiniſt.

Ich gebe Ihnen mein Wort,
Sie ſollen mit der groͤßten Sicherheit untergehn.


Skaramuz.

Ich will aber lieber hier auf
dem Trocknen verſinken.


Maſchiniſt.

Mein Koͤnig, dort ſind keine
Fallthuͤren angebracht.


Schatzmeiſter.

Thun Sies immer dort in
der See, es hat wirklich keine Gefahr.


Skaramuz.

Nun, auf Eure Verantwor-
tung, Leute.

(Er geht ins Meer und verſinkt, die uͤbrigen
gehn ab.)

[352]Zweite Abtheilung.
Scaͤvola.

So eine Meerſchlacht iſt doch et-
was Grauſames.


Der Andre.

Man glaubt es vorher nicht
ſo, bis man es ſelber mit Augen ſieht.


Pierrot.

Was ich zu tadeln habe, iſt nur,
daß in ſolchen Scenen immer viel Waſſer ſeyn muß.


Der Andre.

Es hat bis jetzt noch keiner
die poetiſche Schwierigkeit uͤberwunden, eine See-
ſchlacht ohne Waſſer zu machen.


Fuͤnfte Scene.

(Feld.)

Apollo, Admet, Alceſte.

Apollo.

Warum duldet ihr alles mit dieſer
feigen Unterwuͤrfigkeit?


Admet.

Was ſoll ich thun? Meine ganze
Seele empoͤrt ſich dagegen, aber er iſt zu maͤchtig.


Alceſte.

Die Nothwendigkeit lehrt uns, mit
Dingen vertraut thun, die wir ſonſt nicht einmal
in Gedanken ertragen konnten.


Apollo.

Nehmt Eure koͤniglichen Geſinnun-
gen wieder an, verſammelt Eure Macht und thut
offenbaren Widerſtand. Glaubt mir, man hat ſchon
dadurch Staͤrke, daß man ſich welche zutraut.


Admet.

Du ſprichſt gut, Schaͤfer, wer hat
Dich das gelehrt?


Apoll.
[353]Die verkehrte Welt.
Apoll.

Braucht man das zu lernen? Ihr
ſeid zu zahm, vertraut Euch ſelber, bedenkt, was
Ihr geweſen ſeid, und noch ſein koͤnnt, wenn Ihr
wollt. Geht, wir ſehn uns bald wieder.


(Admet, Alceſte ab.)

Aulicus und Myrtill.

Apoll.

Was fehlt Euch? Ihr ſeht ſo ver-
druͤßlich aus.


Aulicus.

Hol der Henker Eure ganze Cul-
tur, ſie hat uns ſchlechte Dienſte geleiſtet.


Apoll.

Wie ſo?


Aulicus.

Seht uns nur an. Unſre ſchoͤnen
Baͤrte hat man uns gaͤnzlich weggeſchnitten, wir
ſind gar nicht mehr, was wir waren. Und das
iſt auf Befehl unſers Koͤnigs und unſrer Schafe
geſchehn.


Apoll.

Warum leidet Ihr dergleichen?


Myrtill.

Ja, ehemals, in unſerm rohen
Zuſtande haͤtte uns einer mit ſolcher Anmuthung kom-
men ſollen! Aber Eure verwuͤnſchte Bildung, zu
der Ihr uns verfuͤhrt habt! Als es uns ſo was
mehr auseinander geſetzt wurde, kam es uns ſelber
ganz vernuͤnftig vor. Und dann die Uebergewalt!


Apoll.

Ihr haͤttet Euch widerſetzen ſollen.


Myrtill.

Keiner will der erſte ſeyn, weil
er ſich vor Schaden fuͤrchtet; man wird geſchoren,
macht ein krummes Maul, und denkt hernach: nun
wars doch vorbei.


Apoll.

Eure ſclaviſche Geſinnung, nicht die
Gewalt, iſt alſo Urſach, daß Ihr unterdruͤckt wer-
II. [ 23 ]
[354]Zweite Abtheilung.
det, da ihr das Schimpfliche gern duldet, um nur
der Gefahr zu entgehn.


Die Vorigen. Mopſa. Phillis.

Apoll.

Schaͤfer, und Ihr Schaͤferin, ich
muß Euch jetzt verlaſſen, aber wir ſehn uns bald
wieder.


Mopſa.

Heirathet Ihr denn keine von uns?


Apoll.

Ich darf nicht, das Schickſal und
die Goͤtter ſind dagegen.


Mopſa.

Ihr ſeid ein Narr — Nun, Myr-
till, ſo muß ich wohl mit Euch vorlieb nehmen,
Ihr ſeid gebildet und geſchoren, und Ihr gefallt
mir nun viel beſſer.


Aulicus.

Und Du, Phillis?


Phillis.

Je nun, wenn meine Schweſter
mir mit dem Beiſpiele vorgeht, ſo will ich mich
auch mit Dir zufrieden ſtellen.

(Schaͤfer ab.)

Apollo
allein.

Ich muß mich ſchaͤmen, wenn ich Feigheit tadle;
Denn haͤlt mich etwas andres hier zuruͤck,
Als daß ich der Gefahr entweichen moͤchte?
Wir leben gern in Schande, wenn die Schande
Sich nur mit Sicherheit vermaͤhlt. Doch kann
Denn Sicherheit der ganz verkehrte Sinn
In Ruh und Ohnmacht und Verachtung finden?
Wir fliehn vor unſern eigenen Gedanken,
Wenn ſie uns rathen, nicht das Joch zu dulden. —
Lebt wohl, ihr Heerden und ihr ſtillen Fluren,
Ich gehe kuͤhnlich der Gefahr entgegen,
[355]Die verkehrte Welt.
Ich will mein altes Koͤnigreich beſitzen,
Wo nicht, auf edle Art dem Feind erliegen.


(geht ab.)

Sechſte Scene.

(Einſamer Felſen im Meer. Nacht.)

Seelmann,
ein Soldat, oben auf dem Felſen.

Wie furchtbar hohl das Meer tief unten wallt,
Die dunkle Einſamkeit ertoͤnt vom Klange
Der Meereswogen, die der Wind bewegt.
Warum bin ich allein zuruͤck geblieben,
Da alle Rettung fanden aus der Schlacht?
Nun harr ich lange ſchon auf dieſem Felſen,
Ob meine Augen nicht ein Schiff erſpaͤhn,
Das von der oͤden Klippe mich erloͤſe.
Du hellgeſtirnter Himmel, der mein Leid
Schon oft geſehn, oft mein Gebet gehoͤrt,
Laß endlich der Befreiung Stunde nahn.
Das wilde Meer iſt taub und unerbittlich,
Es ſendet keinen Menſchen mir zur Huͤlfe,
Kein Fiſchernachen ſchwimmt herbei, ach kein
Zerbrechlich Fahrzeug! ja, ich moͤchte mich
Dem Brett, der ſchwachen Stange gern vertraun.
Ach, wer noch nie die Einſamkeit empfand,
Wen ſeine Freunde niemals noch verließen,
Ja wer auch ohne Freund nur lebt bei Menſchen,
[356]Zweite Abtheilung.
Wie iſt ſein Loos zu neiden! — Furchtbar klingt
Der Zug von Waſſervoͤgeln uͤber mir;
Wie grauenhaft dehnt ſich die Dunkelheit
So tief hinaus und daͤmmert ungewiß
Vom Widerſchein der Sterne in der Fluth;
Bald ſpricht die Welle wie mit Menſchenſtimmen;
Und hoͤhnt mein einſam Leiden boshaft ſpottend;
Bald ſieht mein ſchwindelnder Blick in grauer Ferne
Ein Land ſo wie in Wolken ſtehn, mit Bergen,
Mit Baͤumen ausgeſchmuͤckt, und meine Sehnſucht
Vernimmt ein Waldgeraͤuſch, der Aexte Klang,
Den Fall der Baͤume: dann vergeß ich wohl,
Daß dieſe Klippe meine Heimath iſt. —


(Die Sonne geht auf.)

Mit welcher Wonne fuͤllt mich dieſer Blick
An jedem Morgen! Furchtbar majeſtaͤtiſch
Ergießt aus allen Quellen ſich das Meer
Der purpurrothen Fluthen, goldne Schimmer
Entſpruͤhen funkelnd aus der gruͤnen Fluth;
Die Wogen klingen bis zum Grund der Tiefe
Geheimen Lobgeſang, die Adler ziehn
Aus ihren Neſtern uͤbers Meer dahin,
Und fliegen mit dem Gruß der Sonn' entgegen.
Was iſt der Menſch, daß er um Leiden jammert?
Wer ſieht die Allmacht, die mit goldnem Fittig
So unermeßlich in die Welt hinein rauſcht
Und denkt an ſich? hinweg, du kindiſch Zagen!
Mein Geiſt fliegt mit den Adlern, ſich zu baden,
Zu trinken aus dem Morgenroth; die Fluth
Schlaͤgt jauchzend hoͤher, jede Woge taumelt
Vor Freude und Entzuͤcken. Armer Menſch,
[357]Die verkehrte Welt.
Willſt du allein in voller Herrlichkeit
In deinem Innern nur die Leere fuͤhlen? —
Was ſeh ich? blendet mich der trunkne Blick?
Ein majeſtaͤtiſch Schiff auf ferner Woge?
Hieher! hieher! bemerkt dies weiße Tuch,
Das hoch im kuͤhlen Morgenwinde flattert!


(Er winkt durch Zeichen.)

Ein Boot wird ausgeſetzt! — ſie nahn, ſie kom-
men, —
Schon kann ich Menſchen unterſcheiden, — welch
Gefuͤhl gleicht meiner Freude? — O willkommen!


(Ein Boot mit Matroſen rudert heran.)

Erſter Matroſe.

Sieh, wie der Menſch
da oben am Felſen klebt!


Zweiter Matroſe.

Bis jetzt iſt es uns
noch nie gelungen, einen ſolchen Vogel auszunehmen.


Erſter Matroſe.

Steig' herunter, Menſch!


Seelmann
(herunter kletternd.)

O Freude! Freude!
Nach langem Leide,
Seh' ich die lieben Bruͤder,
Die Menſchen wieder!


Zweiter Matroſe.

Hoͤre nur, er ſingt
ordentlich.


Erſter Matroſe.

Er hat ſich hier in der
Einſamkeit wohl aufs Singen legen muͤſſen?


Seelmann
(im Boot.)

O Leute, ein ganzes Buch will ich ſchreiben,
Das ſoll jedem Leſer die Zeit vertreiben,
Von allem, was ich auf dem Felſen gelitten,
Wie manche Noth ich hier beſtritten,
[358]Zweite Abtheilung.
Was ich von der Einſamkeit ausgeſtanden,
Und wie mich endlich Menſchen wieder fanden.


Erſter Matroſe.

Es iſt wohl ſehr einſam
da oben?


Seelmann.

Freunde, Ihr glaubts nicht, wenn mans auch
erzaͤhlt,
Wie ſehr es an guter Geſellſchaft fehlt;
Man iſt nur immer mit ſich allein,
Da mag der Henker lange verſtaͤndig ſeyn:
Man lebt hier beinahe wie auf dem Land,
Keine Neuigkeit koͤmmt einem zur Hand,
Von Maskeraden ſchweig' ich nun gar und von
Baͤllen,
Die einzige Unterhaltung ſind die Meereswellen;
Ja, vernehmt Ihr erſt alle meine Klagen,
Was, Freunde, werdet Ihr dann wohl ſagen?
In dieſer weiten Ferne konnt' ich den Soufleur
nicht ſpuͤren,
Und doch mußt' ich einen großen Monolog rezi-
tiren.


Erſter Matroſe.

Seid alſo froh, daß wir
Euch gefunden haben.

(fahren ab.)

[359]Die verkehrte Welt.
Siebente Scene.

(Wirthshaus.)

Der Wirth, Anne.

Wirth.

Von unſerm Fremden haben wir
doch gar nichts weiter gehoͤrt.


Anne.

Er war ein ſehr unintereſſanter Menſch.


Wirth.

Wußte dabei gar nichts einmal von
den ſimpelſten dramatiſchen Regeln, verwunderte
ſich uͤber alles. Es iſt recht gut, daß er kein Fuͤrſt
oder dergleichen war, denn da er die ars apoetica
nicht ſtudirt hatte, waͤre er gewiß aus ſeinem Cha-
rakter gefallen.


Anne.

Habt Ihr denn Euern Charakter auch
daher, Vater?


Wirth.

Eigentlich wohl nicht, denn die
Wirthe ſind dort nicht namentlich mit aufgefuͤhrt;
aber ich habe mir aus allen meinen Erfahrungen
eine Art von Theorie zuſammengeſetzt, ſo daß ich
nicht leicht irren kann.


Anne.

Wie fangt Ihrs nun an?


Wirth.

Das Hauptſaͤchlichſte, worauf ich zu
ſehn habe, iſt, daß ich nicht unnatuͤrlich werde;
alles andre giebt ſich ſchon eher. Ich muß alſo
allen Schwulſt vermeiden, alle poetiſchen Ausdruͤcke,
ich darf nicht zu verſtaͤndig ſprechen.


Anne.

Alſo daran liegts? Hab ich doch im-
mer nicht gewußt —


[360]Zweite Abtheilung.
Wirth.

Ja, ja, wer kann gegen ſeine Be-
ſtimmung? Es iſt nun einmal ſo angenommen; es
hat mich Muͤhe genug gekoſtet, mich gehoͤrig ein-
zurichten, und es wurde doch wohl Klage gefuͤhrt,
daß der Dichter manchmal aus mir heraus kuckte.
Es ging mir einigemal wie dem Midas, der ſeine
langen Ohren durchaus nicht verbergen konnte. —
Sieh, jetzt bin ich nun zum Beiſpiel recht ekla-
tant aus meinem Charakter herausgefallen! — Wie
kann ein Wirth eine gelehrte und witzige Anſpie-
lung auf den Midas machen! — außer, es
muͤßte denn vorher ſehr weitlaͤuftig motivirt und
praͤparirt ſeyn, man muͤßte erfahren, der Wirth
habe einer vorzuͤglich guten Erziehung genoſſen, er
habe ſogar die Alten geleſen, und ſey nur durch
wunderliche Zufaͤlle dahin gekommen, ein Wirths-
haus zu halten. — Das mit dem Midas war
nun wieder der Dichter, der aus mir hervor kuckte.
Es iſt doch ein verfluchter Fehler, den ich an
mir habe!


Anne.

Sollte der Dichter aber wohl darauf
kommen, ſeine Weisheit oder ſeinen Witz mit Eſels-
ohren zu vergleichen? Ich denke doch immer, daß
Ihr das ſelber erfunden habt.


Wirth.

Es iſt doch wenigſtens unwahrſchein-
lich, und das darf nicht ſeyn.


Direktor Wagemann koͤmmt.

Wagemann.

Ihr Diener, kennen Sie mich?


Wirth.

Je, was ſoll ich denn meinen vereh-
rungswuͤrdigen Herrn Direktor nicht kennen? Ganz
[361]Die verkehrte Welt.
ergebenſter Diener. Wie kommt denn mein ſchlech-
tes Haus zu der unverdienten Ehre?


Wagemann.

Es iſt ein ſeltſamer Vorfall,
der mich zu Ihnen bringt, aber ich muß wiſſen, ob
ich mich auf Ihre Verſchwiegenheit verlaſſen kann.


Wirth.

Durchaus, werthgeſchaͤtzter Herr
Direktor.


Wagemann.

Sie werden wiſſen, daß ſich
unſer Skaramuz der Rolle des Apollo angemaßt
hat, und daß er unter dieſem Namen das Land
beherrſcht.


Wirth.

O ja.


Wagemann.

Nun gut. Ich ſah das Ding
ruhig mit an, weil es mir im Grunde gleichguͤltig
iſt, wer Apollo genannt wird. Ich ſpiele meine
Stuͤcke, wie ſie das Zeitalter mit ſich bringt, und
weiter hab ich mich nie darum gekuͤmmert. Ich
wollte alſo bei dieſer Gelegenheit auch in dieſen
Geſinnungen fortfahren, allein Herr Skaramuz
macht es mir unmoͤglich. Er iſt ſo hochmuͤthig
geworden, daß er mir grob begegnet, daß er ſeine
und meine Perſon ganz vergeſſen hat. Ueberdies
fuͤrcht ich noch, daß der Kerl den Gedanken im
Kopfe hat, das Stuͤck gar nicht zu beendigen, da-
mit er nur immer an der Regierung bleiben und
ich ihn nicht abſtrafen koͤnne. Aus allen dieſen Ur-
ſachen iſt nun etwas ſehr Großes im Werke.


Wirth.

Ich bin begierig.


Wagemann.

Es ſind ſehr viele angeſehene
Perſonen, die der Schelm alle beleidigt hat, zu-
ſammen getreten, um eine Verſchwoͤrung gegen
[362]Zweite Abtheilung.
ihn anzuzetteln, und ihn dann mit gewaffneter
Hand vom Thron zu ſtoßen. Ich bin einer von
dieſen, und wir haben Ihr Haus, Herr Wirth,
weil ich immer ein Freund von Ihnen geweſen bin,
zur Zuſammenkunft der Verſchwornen auserwaͤhlt.


Wirth.

O welches Gluͤck! welch unendliches
Gluͤck! Herr Direkteur, mein ganzes Leben reicht
nicht hin, um Ihnen meine Dankbarkeit zu bezei-
gen. Das iſt mir mehr werth, als wenn Sie
mir woͤchentlich drei Thaler Zulage gegeben haͤt-
ten. O Anne, meine Tochter! ſo freue Dich doch
mit Deinen Vater! Mein Haus, dieſe Stube hier
der Sammelplatz der Verſchwornen! Aber kommen
ſie denn bald? — Nein, ſo etwas iſt noch in kei-
nem einzigen Stuͤcke erhoͤrt! — Und der Herr Di-
rektor ſind darunter, folglich ſind es gewiß lauter
Maͤnner von Gewicht und Anſehn, keine ordinaͤre
Lumpenverſchwornen. — In einem Wirthshauſe!
— O Herr Direkteur, laſſen Sie ſich umarmen!


Wagemann.

Maͤßigen Sie Ihre Entzuͤk-
kungen, lieber Freund, damit unſre Sache nicht
vor der Zeit ruchtbar werde.


Poet koͤmmt.

Poet.

Iſt noch Niemand weiter hier?


Wagemann.

Nein, Herr Poet.


Poet.

So muß der Koͤnig Admet mit ſeiner
Koͤniginn ſogleich kommen.


Wirth.

Welche hohe Perſonen nehmen heut
unter meinem Dache vorlieb!


Poet.

Es wird ein furchtbarer Aufruhr
[363]Die verkehrte Welt.
werden. Skaramuz mag auf ſeinem Throne nur
feſt ſitzen.


Admet und Alceſte.

Admet.

Da ſind wir, meine Herren, ich
hoffe, ich will wieder zu meiner Krone gelangen,
die mir der Uſurpator entriſſen hat.


Alceſte.

Iſt der Schaͤfer noch nicht hier?


Poet.

Noch niemand weiter.


Aulicus und Myrtill.

Aulicus.

Da ſind wir auch, ich denke, wir
ſollen ziemlich gute Soldaten abgeben.


Myrtill.

Ich will ihm den Poſſen geden-
ken, und gewiß tapfer drein ſchlagen.


Aulicus.

Ja, ja, er ſoll auch einmal die
Pflichten eines Unterthanen empfinden.


Myrtill.

Sieh, da draußen zieh: eine große
Armee auf. Nun krieg ich erſt rechte Courage.


Wirth.

Meine Herren allerſeits, das wird
aber ein furchtbarer blutiger Krieg werden.


Poet.

Allerdings, und ich hoffe, daß unſre
gerechte Sache ſiegen wird.


Der Schriftſteller und Apollo.

Schriftſteller.

Da bring ich den Schaͤfer,
der uns alle aufgehetzt hat.


Apoll.

Hier treff ich ja unſre ganze Ge-
ſellſchaft. Nun, meine Freunde, habt Ihr alle
Muth zur Unternehmung?


Alle.

Ja!


[364]Zweite Abtheilung.
Wirth.

O nun wird geſchworen werden!
Nun wird geſchworen werden! Was ſich das fei-
erlich machen wird!


Apoll.

Nein, keinen Schwur. Unter ſo
edlen Maͤnnern findet kein Zweifel ſtatt. Der
Gedanke einer neuen ſchoͤnern Zeit eines edleren
Jahrhunderts wird Euch begeiſtern, wird Euch
Kraft und Muth verleihen, die Barbarei, die
Geſchmackloſigkeit, die Autoritaͤten zu ſtuͤrzen. Wer
ſo nicht denkt, der ziehe ſich zuruͤck. Aber es iſt
kein ſolcher unter uns, und darum will ich mich
Euch jetzt entdecken. —

(Er wirft die Verkleidung ab.)


Ich bin Apollo!


Alle.

Apollo?


Apoll.

Niemand anders. Erſchreckt nicht,
meine Freunde, vor meiner Gottheit, denn im
Grunde bin ich doch nur ein armer Narr, wie
Ihr alle.


Wirth.

Einen Gott in meinem Hauſe zu
haben! Welche Wolluſt!


Apoll.

Hoͤrt auf zu erſtaunen, geliebten Freun-
de, ja, ich bin der aͤchte, weltberuͤhmte Apollo.


Aulicus.
(zu Myrtill.)

Bauerntoͤlpel! willſt Du
wohl den Hut abnehmen?


Myrtill.

Man kann ja nicht gleich an alles
denken.


Apoll.

Nein, bedeckt Euch, lieben Freunde.
Es iſt wahr, ich bin etwas Großes, indeſſen Ihr
ſeid jetzt meine Freunde, deren Beiſtand ich brau-
che. Ich bin ein Mann, vor dem ſogar die Re-
zenſenten einige Achtung hegen, ich habe alle Ma-
[365]Die verkehrte Welt.
giſter zu beſchuͤtzen, ich bin oft in Stein gehauen
und in dem belvederiſchen Apoll am beſten getrof-
fen, mir ſind Operntheater und Comoͤdienhaͤuſer
gewidmet, daß ich ſie nicht alle zaͤhlen kann, ich
bin oft vor den Muſenalmanachen in Kupfer ge-
ſtochen, ich bin, um mich kurz zu faſſen, gewiß
etwas recht Beſondres. Indeß hat das alles nichts
zu ſagen, ich weiß, daß wir nicht alle Goͤtter ſeyn
koͤnnen, es muß auch andre Creaturen geben, und
darum wollen wir nur ohne alle Ceremonien friſch
ans Werk gehn.


Alle.

Es lebe der majeſtaͤtiſche Apollo!


(alle ab.)

(Der Vorhang faͤllt.

Muſik.

Menuetto con Variazioni.

Es ſind ſchon ſo viele Menuetten gemacht,
daß es ſchwer iſt, ein neues Thema zu finden.
Bringt nur, ihr ruhigern Toͤne, wo moͤglich Ver-
nunft, Abſicht und Anwendung in das Schauſpiel,
da es bald zu Ende iſt; vielleicht iſt der Schluß
das Beſte. — Aber, koͤnnte man fragen, waͤre es
nicht zweckmaͤßiger, wenn dergleichen Werke nicht
geſchrieben wuͤrden? Das hoͤchſte, was ſie errei-
chen, iſt: daß ſie uns den Kopf verwirren.


Je nun, eine gute Verwirrung iſt mehr werth,
als eine ſchlechte Ordnung.


[366]Zweite Abtheilung.
VariazioI.

Das Neue iſt bei einer Menuet, wie bei al-
len Vernuͤnftigen, ein ſehr entbehrliches Praͤdikat;
in recht neumodiſchen Menuetten kommt man gar
leicht aus dem Takt. Ob das Schauſpiel nicht
ganz ohne Takt-Abtheilung mag geſchrieben ſeyn?
— Aber wozu all die Verwirrung? Krieg und Frie-
den, Ernſt und Scherz? Nichts iſt durchgefuͤhrt,
keine Idee haͤlt uns Stand. Wozu die Qual, da
wir ſchwerlich unterhalten ſind.


Je nun, ſo ſind wir doch gequaͤlt, und das
iſt vielleicht jezuweilen auch Unterhaltung.


VariazioII.

Wer darauf ausgeht, etwas Unerhoͤrtes zu
ſchaffen, kann gar leicht ins Alberne, und hinter
die erſten Anfangsgruͤnde des Verſtaͤndigen gera-
then, weil nirgend warnende Tonnen gelegt ſind,
den Schiffer von Untiefen und Sandbaͤnken zuruͤck-
zuweiſen. Der Verirrte haͤlt dann das Kindiſche
fuͤr das Neue und Seltſame; aus Sucht zum Ex-
centriſchen iſt er abgeſchmackt geworden; o wehe
dem Dichter, der in das Gebiet hinein ſegelt? —
Aber, iſt es nicht vielleicht dem gegenwaͤrtigen ſo
ergangen? — Den engliſchen Luſtſpieldichtern hat
man oft vorgeworfen, daß ſie die dummen Charak-
tere mit vielem Witze ſchilderten, diejenigen aber
ohne Witz und Verſtand auftreten ließen, die im
Stuͤcke fuͤr witzig und geiſtreich ausgegeben wur-
den; von den deutſchen Luſtſpielern kann man dies
[367]Die verkehrte Welt.
nicht behaupten, ihnen gerathen die Narren nicht,
aber aus den Vortreflichen und Verſtaͤndigen, die
ſie ſchildern, werden, ohne daß ſie es merken, un-
vergleichliche Narren; und alſo kann ſich ein deut-
ſcher Comoͤdiendichter gewiß immer mit einem en-
gliſchen meſſen.


Je nun, vortrefliche Leſer, die Narren ent-
gehn Euch alſo auf keinen Fall, der Dichter mag
ſich auch gebehrden, wie er will; woraus ich den
Schluß ziehe, daß es weit vortheilhafter ſey, ein
Leſer als ein Dichter zu ſeyn.


VariazioIII.

Alles Vortrefliche iſt immer noch neu, ſo alt
es auch ſeyn mag, es wird ſich auch noch lange
ſo erhalten, denn man nuͤtzt es durch Gebrauch
nicht ſonderlich ab. Wer den Satz verſteht, dem
iſt es unbenommen, neu zu ſeyn. — Aber, Leſe-
welt, Zuhoͤrerſchaft, wenn Du Dich etwa im Zu-
ſtande des Nichtverſtehens befinden ſollteſt! Wenn
der Teufel es ordentlich ſo veranſtaltete, daß Du
Dich zu klug fuͤhlteſt, um klug zu ſeyn! Kannſt
Du vielleicht gar nicht einmal das Thema aus un-
ſre Variazionen heraushoͤren?


Je nun, ſo haben wir ſie doch geſpielt, wir
legen den Bogen hin und gehn nach Hauſe.


[368]Zweite Abtheilung.

Fuͤnfter Akt.


(Der Parnaß.)

Skaramuz
(nachdenkend.)

Die Regierung iſt nunmehr in der ſchoͤnſten Ver-
faſſung. Man kann nicht mehr Verſtand haben,
als ich beſitze, und ich denke gewiß noch zu nie-
drig von mir. Beſcheidenheit iſt mein vorzuͤglichſter
Fehler, den ich mir mit der Zeit noch ganz ab-
gewoͤhnen muß. —


Gruͤnhelm kommt.

Gruͤnhelm.

Mein Koͤnig, mir fehlt es
an Athem.


Skaramuz.

Das iſt ſchlimm.


Gruͤnhelm.

Grauſame, furchtbare, ſchreck-
liche Neuigkeiten habe ich vorzutragen.


Skaramuz.

Rede, Adjutant, ich fange an
zu zittern.


Gruͤnhelm.

Zittern Sie nur, gnaͤdiger Herr,
Ihr Zittern iſt gerade am rechten Orte angebracht.


Skaramuz.

Nun ſo ſprich nur endlich, ich
vergeh in der Angſt, und weiß noch gar nicht,
was mir fehlt.


Gruͤn-
[369]Die verkehrte Welt.
Gruͤnhelm.

Die vollkommenſte Rebellion
iſt fertig geworden.


Skaramuz.

Rebellion? — Was willſt Du
damit ſagen?


Gruͤnhelm.

Ach, und daß ich nun Frau
und Kinder habe, daß ich nicht nach Herzensluſt
davon laufen kann!


Skaramuz.

Boͤſewicht!


Gruͤnhelm.

Eine Rebellion iſt unterwegs,
wie ich ſie noch nimmermehr geſehn habe; ſie
wurde ſchon als ein großes Stuͤck beigeſetzt, und
iſt nun am Feuer noch mehr aufgequollen, ſie iſt
ſehr gut aufgegangen, denn man hat vortrefliche
Hefen hinein genommen.


Skaramuz.

Was fuͤr Hefen? — Du wirſt
mich um die présence d'esprit bringen. — Was
fuͤr Hefen?


Gruͤnhelm.

Je nun, die Kerls, die wir
neulich haben ſcheeren laſſen — die Ungeheuer ſind
nun Rebellen geworden, und rebelliren, was das
Zeug halten will.


Skaramuz.

Nun, was will es denn halten?


Gruͤnhelm.

O Ihr muͤßt die ſprichwoͤrtli-
chen Redensarten nicht ſo genau nehmen. — Ach
lieber Himmel! wo ſollen wir bei der Belagerung
nur Proviant hernehmen?


Skaramuz.

Ich will aus dem Parnaß eine
Feſtung machen — wenn ich nur erſt wuͤßte, was
es geben ſoll


Gruͤnhelm.

Der Apoll will ſein Reich wie-
der haben, Admet ſteht ihm bei; ſie haben eine
II. [ 24 ]
[370]Zweite Abtheilung.
große Schwadron von Menſchen zuſammengebracht,
und da ſoll es nun uͤber die armen Unſchuldigen
hergehen.


Skaramuz.

Nennſt Du mich einen armen
Unſchuldigen?


Gruͤnhelm.

Ich meine leider mich.


Skaramuz.

Wir muͤſſen uns alſo zum
Kriege ruͤſten. — Nur heran, Leute! Generale!
Miniſter! es iſt Krieg! Feuer! Feuer!


Generale und Miniſter verſammeln ſich. Sol-
daten
mit Trommeln und Fahnen. Der Baͤcker
und Brauer kommen. Ein Nachtwaͤchter.

Skaramuz.

Nachtwaͤchter, blaſ't Feuer-
laͤrm. — Geh einer hin, und laſſe die Sturm-
glocken laͤuten. — Dagegen muͤſſen eiligſt Anſtal-
ten getroffen werden. — Wißt Ihrs ſchon, meine
Herrn? Das Neuſte vom Jahr iſt eine ſaubre
niedliche Rebellion.


(Sturmgelaͤute, Blaſen der Nachtwaͤchter, Trommeln.)

Skaramuz.

Nun hoͤrt nur den allerliebſten
Laͤrmen. — Ja, ja, ſolche Freude hat man vom
Koͤnigſeyn. — Ihr Leute, habt ihr denn auch
Courage?


General.

Ohne Zweifel, mein Koͤnig.


Skaramuz.

Nu, nu, ich fragte nur. —
Wer wollte auch in ſo betruͤbten verzweiflungs-
vollen Zeitlaͤuften nicht Courage haben? — Und,
denkt nur, auf mich armen unſchuldigen Menſchen
iſt es abgeſehn!


[371]Die verkehrte Welt.
Brauer.

Herr Koͤnig, iſt etwa Feuer?


Skaramuz.

Ochſenkopf! eine Rebellion iſt
ausgebrochen!


Brauer.

In welcher Gaſſe?


Baͤcker.

Kann ſie nicht wieder eingeſperrt
werden?


Skaramuz.

O liebſte Unterthanen, ſeid
nicht wie das Rindvieh, darum bitte ich inſtaͤn-
digſt. Bewaffnet Euch, denn der Feind iſt ſchon
in der Naͤhe. Die ganze Macht ruͤckt nemlich
heran. — Leute, was machen wir?


Gruͤnhelm.

Iſt kein Davonlaufen moͤglich?


Miniſter.

Durchaus nicht.


Skaramuz.

Nein, durchaus nicht. — Laͤßt
ſich nicht noch geſchwind eine Feſtung bauen?


General.

Unmoͤglich, und es ſind auch nicht
einmal die Materialien da.


Skaramuz.

Sagt einmal — ſollten ſich die
Feinde nicht vor dem Teufelsſpektakul fuͤrchten?


General.

Schwerlich.


Skarmuz.

Fuͤrchte ich mich doch, zum Hen-
ker! das muͤſſen ja vermaledeite Feinde ſeyn! Muͤſ-
ſen mir nun gerade die ſchlimmſten Feinde auf den
Hals kommen!


Harlekin koͤmmt.

Harlekin.

Mein Koͤnig, zur See haben
wir einen großen Vortheil.


Skaramuz.

Das iſt ja ſchoͤn.


Harlekin.

Der Feind hat nemlich gar keine
Flotte. Von der Seite waͤren wir alſo ſicher.


[372]Zweite Abtheilung.
Skaramuz.

Ein ſchoͤner Troſt! — O nur
brav Mannſchaften zuſammen gebracht! bewaffnet
Euch all, ihr Leute! — Das iſt mir ſo ploͤtzlich
gekommen, daß ich mich kaum zu faſſen weiß. —
Brauer, alle Deine Gaͤſte muͤſſen fechten. — Ach,
welch ein Blutbad wird das geben! — Eine ruhige
Regierung iſt doch eine große Gabe. — Sollte der
Maſchiniſt wohl wieder Schuld daran ſeyn?


Maſchiniſt.

Nein, mein Koͤnig, denn ich
diene ja auf Eurer Seite. Verzagt uͤberhaupt nur
nicht, denn wir ſind an Anzahl den Feinden ſehr
uͤberlegen. Ich will Donner und Blitz einrichten,
und wer auf die Fallthuͤren tritt, ſoll ploͤtzlich
verſinken.


Skaramuz.

Das iſt ſchoͤn. Wir muͤſſen
alle Minen ſpringen laſſen. — Wenn der Krieg
erſt ganz vorbei iſt, dann wollen wir uns recht
luſtig mit einander machen. — Nun kommt, kommt,
wir wollen alle Anſtalten treffen.

(Sie gehn ab.)

Der Brauer und Baͤcker bleiben.

Brauer.

Wir muͤſſen uns nun auch nur
zum Kriege anziehn.


Baͤcker.

Es wird wohl nicht anders wer-
den. Wer ſoll aber indeß fuͤr die Semmeln ſorgen?


Brauer.

Wir wollen ein Dutzend mit ins
Feld nehmen, dann iſt es ja gut.


Baͤcker.

Wie Dus verſtehſt nemlich. — Ich
wollte, der Teufel holte den Krieg!


Brauer.

Ich muß doch nach meinen Gaͤſten
ſehn, und ihnen die ſchoͤne Neuigkeit melden.

(ab.)

[373]Die verkehrte Welt.
Baͤcker.

Erſtens, das Schießen iſt mir zu-
wider; zweitens hat der Satan das Pulver er-
funden; drittens geht es fuͤr den Skaramuz, fuͤr
den ich keinen Patriotismus habe; viertens, iſt
Krieg nicht mein Handwerk; fuͤnftens, kann der
Beſte bei ſolchem Spaße umkommen; ſechſtens,
heirathet mein Geſelle nach meinem Tode vielleicht
meine Frau; ſiebentens, ſteht der Galgen aufs
Deſertiren, — o man findet keinen Grund und
Boden, gar kein Ende, wenn man alle Uebel des
Krieges herrechnen wollte.


Brauer treibt die Gaͤſte hinaus.

Brauer.

Keiner von den Hunden will auf
ſeinen Beinen ſtehn, da liegen ſie alle in den Win-
keln und ſchlafen.


Vierter Gaſt.

Aufzuwecken! vom Schlaf
aufzuwecken! mitten aus dem Winkel einen Mann
heraus zu wecken, der alle Tage ſein Geld hier
verzehrt hat! Nein, das iſt zu grob.


Erſter Gaſt.

Was giebts denn?


Zweiter Gaſt.

Er wird wieder wollen Ke-
gel ſpielen.


Brauer.

Leute, wir haben Krieg, wir ha-
ben Blutbad, die Empoͤrung iſt im Schwange
gegangen.


Baͤcker.

Das nun nicht, es iſt nichts als
ſimple Rebellion.


Brauer.

Ihr moͤgt wohl ſelbſt ſimpel ſeyn.


Baͤcker.

Wer iſt ſimpel? — Wer hat das
Herz, das zu ſagen?


[374]Zweite Abtheilung.
Brauer.

Ich.


Baͤcker.

Das ſoll geſtraft werden. Hier,
wart einen Augenblick.

(Baͤcker und Brauer ab.)

Vierter Gaſt.

Herauszuwecken! Es geht
zu weit in unſern Tagen! Die Weltbegebenheit
hat ſo was noch nicht erlebt, daß ſie iſt aus den
Schlummer herausgeweckt worden! Keinem ver-
ſtorbenen Kaiſer und Kurfuͤrſten iſt das noch nicht
begegnet, und mir muß das arriviren! Das kann
ich nur nicht verdauen.


Dritter Gaſt.

Gevatter, haben wir bald
Faſtnacht?


Vierter Gaſt.

Religionskrieg haben wir
vors Erſte! Habt Ihrs denn nicht gehoͤrt?


Dritter Gaſt.

Alſo iſt die Gewiſſensfrei-
heit wieder zum Teufel?


Vierter Gaſt.

Die totale Mondfinſterniß
wird wieder Mode. — Hol der Satan alles, wenn
ich nicht mehr frei denken darf.


Erſter Gaſt.

Wer will es uns aber weh-
ren?


Vierter Gaſt.

Das wird Dir ſchon gewie-
ſen werden, wenn die Religion aus der freien Aus-
uͤbung wieder heraus kommt.


Zweiter Gaſt.

Aber iſt denn der Antichriſt
ſchon unterwegs?


Vierter Gaſt.

Freilich. Nun muß unſer
Gewiſſen wieder leiden. Das arme Thier iſt kaum
ein bischen zu Athem gekommen. Um die unſchul-
dige Beſtie thut mirs nur am meiſten Leid.


[375]Die verkehrte Welt.
Brauer und Baͤcker kommen geruͤſtet herauf.

Baͤcker.

Nur heran, Brauer, wenn Du
Herz haſt.


Brauer.

O ich warte ſehnlichſt darauf, Dich
umzubringen.

(Sie fechten.)

Vierter Gaſt.

Seht Ihr, da faͤngt die
Intoleranz ſchon an; das wird nun bald mehr
um ſich greifen.


Skaramuz koͤmmt.

Skaramuz.

Ei! da iſt ja ſchon ein Stuͤck-
chen Rebellion!


Brauer.

Halt! Ich bin uͤberwunden.


Skaramuz.

Woruͤber ſeid Ihr denn uneins?


Brauer.

Wir wiſſens ſelber nicht, Herr
Koͤnig, wir brauchen auch, gottlob, keine Urſa-
chen dazu.


Skaramuz.

Vertragt Euch. — Und Ihr,
Leute, ruͤſtet Euch ebenfalls, Ihr ſeid ja meine
leiblichen Unterthanen.


Erſter Gaſt.

Was ſollen wir denn verfechten?


Skaramuz.

Narren, den Krieg.


Vierter Gaſt.

Obs gegen den Tuͤrken ge-
dient ſeyn ſoll?


Skaramuz.

Gegen den Feind. — Macht
Euch fertig, ich habe mehr zu thun.

(ab.)

Vierter Gaſt.

Kommt, Leute, und uͤber-
leſet die zehn Gebote, oder die ſieben Bitten, was
Ihr am erſten habhaft werden koͤnnt, und dann
laßt uns ſogleich in den Krieg ziehn.

(ab.)

[376]Zweite Abtheilung.
Brauer.

Wir beide koͤnnen gleich in unſrer
Ruͤſtung bleiben.

(ab mit dem Baͤcker.)

Gruͤnhelm. Thalia.

Thalia.

Und Du willſt Dein Weib, Dein
unmuͤndiges Kind verlaſſen?


Gruͤnhelm.

Ja, liebe Frau, es iſt nun
nicht anders, ich muß. Oder willſt Du lieber, daß
ich im Kriege umkommen ſoll?


Thalia.

Keins von beiden, ſondern Du ſollſt
bei mir bleiben.


Gruͤnhelm.

Das geht aber nimmermehr.


Thalia.

So verſuche wenigſtens Dein Heil
im Kriege.


Gruͤnhelm.

Das geht noch viel weniger.


Thalia.

Du willſt alſo Dein Vaterland und
mich verlaſſen? O Du Hartherziger! habe ich Dich
darum ſo geliebt, bin ich Dir darum ſo getreu
geweſen? Der Koͤnig haͤtte vielleicht ſeine Nei-
gung auf mich geworfen, wenn unſre Ehe nicht
geweſen waͤre.


Gruͤnhelm.

Beruhige Dich, liebe Frau,
der Koͤnig hat vielleicht auch am laͤngſten gelebt.


Thalia.
(niederkniend.)

Du haſt mich noch nie-
mals weinen ſehen, o ſieh, wie ich jetzt zu Dei-
nen Fuͤßen Thraͤnen vergieße. Laß Dich durch
mein Flehen zuruͤckhalten. Sind meine Worte zu
ſchwach, o ſo laß die Worte Deines Kindes die
Kraft der meinigen vermehren. Erinnre Dich der
frohen Stunden, die wir mit einander verlebt ha-
ben, gedenke der ſuͤßen Hofnungen, von denen wir
[377]Die verkehrte Welt.
uns unterhielten. — Soll alles dies nun gaͤnzlich
voruͤber ſeyn? — Wie? biſt Du geruͤhrt?


Gruͤnhelm.

Keinesweges, Geliebte, außer
zum Weglaufen, und das bin ich, wie geſagt, ſchon
von Natur.


Thalia.

So will ich auch kein einziges Wort
mehr verſchwenden, Du Feigherziger! Geh denn,
andre Maͤnner werden meine Liebe hoͤher achten.


(Sie geht ins Haus.)

Gruͤnhelm.

Nun ich ſie verlaſſen ſoll, fang
ich, bei meiner Seele, erſt an ſie zu lieben. —

(An das Parterr.)

Ja, meine Herren, es iſt mit mir
ſo weit gekommen, daß ich beſchloſſen habe, daß
Theater wieder zu verlaſſen, denn fuͤr den Krieg
bin ich durchaus nicht gemacht. Es iſt ſchon eine
geraume Zeit her, daß ich hier herauf kletterte,
und nun ſtehe ich wieder hier, im Begriff, hinun-
ter zu klettern. — Wunderbar! daß unſer Leben
einen ſolchen Kreis durchlaͤuft, der zu Ende iſt,
ehe wir es uns verſehn.


Meine Geehrteſten! ſehn Sie, ich bin nun
bis zum Selbſtmorde gekommen; ich meine, daß
ich den Schauplatz wieder verlaſſen will. Ich haͤtte
nicht geglaubt, daß meine Beſtimmung mich dahin
bringen ſollte.


Dunkles Land! — Wie iſt es jenſeit dem Sou-
fleur und dieſen Lampen? — Iſt es mir doch, als
koͤnnt ich mich leiſe dieſes Zuſtandes erinnern. —
Wie mag es dort unter Euch ſeyn, Ihr ruhig an-
ſchauende Schatten? Ihr habt doch wohl alle Eure
Narrheiten zu Hauſe gelaſſen, ſo wie Eure Geſchaͤfte?


[378]Zweite Abtheilung.

Apropos, Narrheiten! — Was haltet Ihr
davon? Die Menſchen halten ſehr viel davon und
glauben es nicht. Jetzt erſt, am Rande des Gra-
bes, ſeh ich meine Thorheiten vollkommen ein, —
und dies vollkommene Einſehn iſt nur meine letzte
Thorheit. — Wer es vorher wuͤßte, wie oft ihm
der Witz verſagte, wie oft eine Poſſe, die ihn er-
goͤtzt, keinem andern gefaͤllt, — o wer das vorher-
ſehn koͤnnte, wuͤrde nimmermehr ein ſo langweili-
ges Spiel anfangen.


Vor meiner Geburt war ich gewiß ſchon ein
Narr, denn ſonſt haͤtte mir das Klugwerden nach
der Geburt etwas leichter und natuͤrlicher ankom-
men muͤſſen. — In meiner Kindheit war ich ein
Narr, und das bedarf keines Beweiſes. Dann
wurde ich in die Thorheit der Wiſſenſchaften hin-
ein getrieben und wurde ein ausgemachter Narr,
denn ich wurde eitel und duͤnkte mich gelehrt und
weiſe. Dann wurde ich ein Zaͤnker, der Haͤndel
ſuchte und immer ſchlimm dabei weg kam. Da-
rauf verbeſſerte ich mich zu einem furchtſamen Nar-
ren, ein Zuſtand, den ich jetzt zum zweiten Male
erlebe, und der mir die Gelegenheit verſchafft, dieſe
wenigen Betrachtungen anzuſtellen.


Doch, daß ichs kurz mache, ich wurde ver-
liebt, ja ich heirathete, eine groͤßere Narrheit
folgte der großen, nun ward ich gar Vater und
ſah in allem, was mein Kind ſchrie und ſpielte,
die wunderbarſten Genieanlagen, verhaͤtſchelte mich
in ihm und war in Zaͤrtlichkeit und Eigenliebe der
[379]Die verkehrte Welt.
groͤßte Narr. Wie nun gar, da ich philoſophiſch
zu erziehen anfing!


Das iſt ſo der kurzgefaßte Inbegriff aller mei-
ner Wiſſenſchaften, und nun, meine Hochgeehrte-
ſten, — dies ſind ohngefaͤhr die letzten Worte, die
ich ſagen kann, denn bald werde ich hier nicht
mehr ſeyn, — (ich wollte, es fiele mir noch ein
andrer Spaß ein, als daß ich gleich herunterſprin-
gen werde, — nein, in der That, mir koͤmmt
gar nichts bei) — nun alſo werd ich mich, wie
geſagt, zu Euch verfuͤgen, um von dort in Ruhe
den Sturz des Skaramuz zu ſehn. — Jetzt ſpring
ich! Kopf weg!

(Er ſpringt in das Parterr hinab.)

Scaͤvola.

Das war eine erſtaunlich ruͤh-
rende Scene. — Aber was heult denn hier ſo?


Der Andre.

Herr Wachtel ſchluchzt ſo ſehr.


Wachtel.

Ne — nein, — ei — ei — einen
ſolchen — Selbſtmord, — ka — kanns nicht anſehn!


Die Armee des Skaramuz, darunter Schatzmeiſter,
Stallmeiſter, Rabe, der Fremde, der
Maſchiniſt, Harlekin, der Leſer. Ska-
ramuz
reitet in voller Ruͤſtung auf ſeinem Eſel herein.

Skaramuz.

Der Feind iſt ganz nahe, —
fuͤrchtet Euch nur nicht, liebſten Leute, — er
iſt doch immer nur der Feind. — Wo iſt mein
Adjutant?


Harlekin.

Er ſoll ſich ſelber umgebracht
haben.


Gruͤnhelm.

Ja, ich ſitze hier mit meiner
Seele in Elyſium, und fuͤrchte mich nun nicht mehr.


[380]Zweite Abtheilung.
Skaramuz.

Ach, er iſt zu beneiden, lieben
Freunde; auf die Fieberſchauer dieſes Lebens ſchlaͤft
er wohl, er iſt gluͤcklich.


Trompeten. Das Heer des Apollo, mit ihm Admet,
Myrtill, Aulikus, der Schriftſteller,
der Wirth, der Poet, der Direkteur
.

Skaramuz.

Da ſind die grauſamen Feinde,
alle ſind ſie da, — und hoͤrt nur, wie unverſchaͤmt
ſie in die Trompeten ſtoßen!


Apollo, der auf dem Pegaſus durch die Luft herunter fliegt.

Skaramuz.

Seht, was der Kerl da fuͤr
Streiche macht! — Das verurſacht gewiß wieder
der verwuͤnſchte Maſchiniſt.


Maſchiniſt.

Wahrlich nicht, mein Koͤnig,
dieſe Kuͤnſte ſind mir ſelber unbegreiflich.


Skaramuz.

Nun, Leute, haltet Euch nur
tapfer, denn das iſt die Hauptſache, alles uͤbrige
wird nicht viel zu bedeuten haben. — Ich kann
keine langen Reden halten, aber einen Schlachtge-
ſang ſollen uns die Muſen ſingen.


Slachtgeſang.

Das Vaterland! das Vaterland!

Daß nur keiner davon laͤuft!

Ihr kennt doch wohl den Stock? —

(Es wird das Zeichen zum Angriff gegeben, eine fuͤrchterliche
Schlacht, alle gehn kaͤmpfend ab.)

Feldgeſchrei. Der Maſchiniſt, der Poet,
im Zweikampfe.

Poet.

Ergieb Dich, Du erbaͤrmlicher Ma-
[381]Die verkehrte Welt.
ſchiniſt, der nur immer fuͤr den elendeſten Effekt
arbeitet.


Maſchiniſt.

Ergieb Dich, Poet, der Du
ſo unverſchaͤmt biſt, zu verlangen, daß ſich die
Menſchen der Poeſie erfreuen ſollen.


Poet.

Ja, das will ich, und ſie ſollen es!


Maſchiniſt.

Und ſie ſollen die Dekoratio-
nen vorziehn!

(Gehn fechtend ab.)

Apollo mit Gefolge.

Apollo.

Friſch, meine Freunde! der Sieg
neigt ſich ſchon auf unſre Seite.

(ab.)

Brauer koͤmmt.

Brauer.

Ich habe ſchon ein Paar Wun-
den, die mir nicht uͤbel ſchmecken. Skaramuz
thut wahre Wunder der Tapferkeit, den Eſel ha-
ben ſie ihm unterm Leibe umgebracht, die hart-
herzigen Feinde; aber das ruͤhrt ihn nicht, er ſtrei-
tet zu Fuß immer weiter.


Skaramuz tritt auf.

Skaramuz.

Ein Pferd! ein Pferd! mein
Koͤnigreich fuͤr ein Pferd!


Brauer.

Warum denn gleich das ganze Koͤ-
nigreich? So bleibt Euch ja nachher nichts uͤbrig.


Skaramuz.

Es iſt ja nur eine Hyperbel,
Eſel, die ich in der Leidenſchaft ausſtoße.

(Geht ab.)

Brauer.

Ich muß doch auch wieder nach-
ſehn, wie ſich die Bataille befindet.

(Geht ab.)
Ruͤckzug. Das Heer des Skaramuz nimmt die Flucht, die an-
dern verfolgen die Fliehenden. Skaramuz koͤmmt troſtlos.

[382]Zweite Abtheilung.
Skaramuz.

Meine Herren, die ganze Ba-
taille iſt total verloren, — nun bleibt mir gar
keine Hofnung mehr, — ich werde abgeſetzt, der
verdammte Apollo nimmt meine Stelle ein. —
Meine ganze Armee iſt zerſtreut; — erbarmen
Sie ſich meiner, geliebte Zuſchauer, ſchicken Sie
mir eine Verſtaͤrkung!


Scaͤvola.

Warum ſtehn wir aber auch muͤ-
ßig, und ſehn das Leiden des großen Mannes ſo
kaltbluͤtig mit an?


Pierrot.

Wir ſind Schurken, wenn wir
es leiden, daß er abgeſetzt wird.


Der Andre.

Nimmermehr ſoll es ſo weit
kommen.


Zuſchauer.

Nein! nein! hat ſchon das Ge-
witter ausgeſtanden, und ſoll ſich nun noch ſein
Reich zerſtoͤren laſſen!


Apollo koͤmmt mit ſeinem Gefolge.

Apollo.

Der Sieg iſt nun unſer, Freunde,
nehmt noch den Skaramuz gefangen und dann
wollen wir das Reich von neuem einrichten.


Zuſchauer.

Nimmermehr ſoll es ſo weit
kommen!

(Sie klettern alle zum Theater hinauf.)

Apollo.

Was giebts denn?


Zuſchauer.

Er iſt unſer Freund, wir wol-
len fuͤr ihn bis auf den letzten Blutstropfen fech-
ten. Fangt nur die Schlacht gleich wieder von
neuem an, dann wollen wir ſehn, wer den Sieg
davon traͤgt.


[383]Die verkehrte Welt.
Apollo.

Ha ha ha! liebe Herren, Sie ver-
geſſen ſich ganz.

(Die ganze Armee des Apollo lacht.)

Scaͤvola.

Es iſt da nichts zu lachen, wir
beſchuͤtzen ſein Koͤnigreich; er hat tugendhaft und gut
regiert, wir wollen ſeine treuen Unterthanen ſeyn.


Apollo.

Aber, meine Herren, ſie vergeſſen
in Ihrem Enthuſiasmus, daß wir alle nur Schau-
ſpieler ſind, und daß das Ganze nichts als ein
Spiel iſt. — Und damit waͤre denn das Stuͤck
voͤllig zu Ende.


Wagemann.

Herr Skaramuz, Sie haben
ſich ſehr tapfer gehalten.


Scaͤvola.

Herr Direkteur, Sie ließen im
Stuͤcke einmal ein Wort davon fallen, daß Sie
den Skaramuz abdanken wollten, das ſoll auch
nicht ſeyn.


Wagemann.

Ich waͤre ja ein Thor, wenn
ich es thaͤte, da er Ihren Beifall in einem ſo ho-
hen Grade hat, daß Sie fuͤr ihn ſterben wollen.


Scaͤvola.

Ja, Blut und Leben fuͤr Ska-
ramuz!


Alle.

Leib und Leben fuͤr Skaramuz!


(Der Vorhang faͤllt.)

Prologus tritt beſcheiden herein.

Prologus.

Sie werden hier ein Stuͤck ſe-
hen, meine Verehrungswuͤrdigen, das ein wenig
wunderlich ausſieht, das es aber von Herzen gut
meint. Es iſt nuͤzlich, wenn wir zuweilen des
[384]Zweite Abtheilung.
mannichfachen Elends dieſer großen Erde vergeſſen,
oder auch es milder im Spiegel der Thorheit an-
ſchaun, und dazu dient vielleicht nachfolgendes.


Gefaͤllt Ihnen das Stuͤck nicht, ſo ſteht es
um ſo ſchlimmer um den Verfaſſer, alle Entſchul-
digungen ſind dann umſonſt, und ich will kein
Wort zu ſeiner Rechtfertigung ſagen. Wenn Ih-
nen alſo die Zeit lange waͤhrt, ſo wuͤnſche ich Ih-
nen von ganzem Herzen bei irgend einem andern
Schauſpiele deſto mehr Vergnuͤgen. —


Doch ich ſehe ſo eben, es iſt kein Zuſchauer
da, der dieſen ſo nothwendigen Prologus anhoͤren
koͤnnte.


Zuſchauer.

Wir ſitzen hinter der Gardine,
Herr Prologus, beim Herrn Skaramuz.


Prologus.

So will ich alſo auch zu ihm
gehn. Ich empfehle mich. —

(Er verbeugt ſich ſehr
ehrerbietig gegen die leeren Baͤnke und geht ab.)

Gruͤnhelm.

Nun iſt der ganze Prolog an
mich gerichtet geweſen, der ich eine der Hauptper-
ſonen im Stuͤcke ſelber war, und doch iſt er mich
gar nicht gewahr geworden, und doch bin ich hier
der einzige Menſch! Es iſt immer ſehr wunderbar,
und verdient wohl eine Unterſuchung der Philoſo-
phen. — Aber ich thue wohl gut, nach Hauſe zu
gehn, und meiner wirklichen Frau von meinen wun-
derbaren Begebenheiten disſeit und jenſeit der Lam-
pen zu erzaͤhlen, denn die Verbindung mit der
Thalia war nur eine Comoͤdienheirath.

(Er geht.)

Emi-
[385]Zweite Abtheilung.

Emile ſagte, nachdem Manfred ſeine Vor-
leſung beendigt hatte: ich bin der Meinung, daß
manche Gattungen des Witzes nur recht von Maͤn-
nern genoſſen und verſtanden werden koͤnnen.
Mir iſt es wenigſtens ſchwer geworden, Ihnen
allenthalben zu folgen, und es kann wohl ſeyn,
daß dieſer wilde unruhige Geiſt des Humors,
dieſe ſcheinbare Willkuͤrlichkeit und Zerſtoͤrung
des Scherzes ſelbſt durch neuen Uebermuth von
der weiblichen Natur der Poeſie zu entfernt liegen.


So wuͤrden Sie alſo, ſagte Manfred, un-
ſerm Jean Paul Recht geben, der allenthalben
die weibliche und maͤnnliche Natur trennt, und
der letztern faſt ausſchließlich den Sinn fuͤr Witz
und Laune zugeſteht?


Wie koͤmmt es dann nur, ſagte Clara, daß
mir, ſeitdem ich mich an ſeine Schreibart ge-
woͤhnt und ſie verſtehen gelernt habe, ſeine ko-
miſchen Stellen faſt durchgaͤngig mehr gefallen,
als ſeine ernſthaften? Denn in dieſen letztern
iſt er mir oft entweder zu weitlaͤufig, oder zu
weich und unbeſtimmt, oder zu geſpenſtiſch, oder
ich glaube zuweilen ſogar den Mangel des rech-
ten ernſten Ernſtes wahrzunehmen; dagegen en-
digen mir ſeine komiſchen Kapitel immer zu fruͤh,
jene mediziniſchen freilich ausgenommen, die ich
ihm gern erließe; hat doch ſelbſt Manfred uͤber
ſeinen Feldprediger Schmelzle nicht ſo herzlich
als ich lachen koͤnnen.


Dein Sinn, ſagte Roſalie, wendet ſich ein-
II. [ 25 ]
[386]Zweite Abtheilung.
mal faſt ausſchließlich zu heitern Gegenſtaͤnden,
und darum thuſt Du auch dem eben genannten
Autor, ſo wie manchem andern Buche Unrecht,
weil wohl auch bei der ſchoͤnern Wehmuth, bei
den innigſten Geiſtertoͤnen, Dich eine dunkle
Angſt befaͤllt, die Dich dort manchmal Geſpen-
ſter ſehn laͤßt, wo wir Andern Genien zu erblik-
ken glauben.


So iſt es recht, ſagte Manfred, wenn je-
der ſeine beſtimmte Weiſe hat. Ich muß des-
halb auch meinem Freunde mit ſeiner Sucht ab-
zuſondern und einzutheilen Unrecht geben, ſo
vortreflich er auch einzelne Individuen des weib-
lichen Geſchlechts beobachtet und dargeſtellt hat,
vorzuͤglich die geringeren Naturen, die hoͤheren
erbaut er freilich ſtatt aus Fleiſch und Gebein
faſt nur aus Schwermuth und Nebel, doch blitzt
oft ein herrliches Wort und tiefe Wahrheit auch
aus dieſen Wolken heraus.


Du biſt aber, lieber Bruder, wendete Au-
guſte ein, von der Aufgabe abgewichen, denn
Dein hiſtoriſches Schauſpiel iſt wohl kein Maͤhr-
chen zu nennen.


Die Zuhoͤrer, antwortete Manfred, muͤſſen
mich entſchuldigen, denn freilich zeigt es vielleicht
im Gegentheil die wirklichſte Wirklichkeit.


Die ſich aber doch wieder, ſagte Anton, wie
wir ſchon neulich ausmachten, auf einem gewiſ-
ſen Standpunkte von ſelbſt in ein Maͤhrchen
verwandelt.


[387]Zweite Abtheilung.

Im Zittauiſchen Schultheater, fuhr Man-
fred fort, fand ich eine Comoͤdie mit dem Ti-
tel, „die verkehrte Welt;“ beim Leſen erzeugte
ſich in mir gegenwaͤrtige, in welcher ich aber
nur einen Einfall von dem alten Rektor Weiſe
geborgt habe. Dieſer Autor erzaͤhlt, daß die
Bilderchen, die man wohl ſonſt auf den Maͤrk-
ten feil hatte, auf welchen der Schlaͤchter ge-
ſchlachtet und der Fiſcher geangelt wird (Kin-
dern gefaͤllt gewoͤhnlich die Gruppe am beſten,
wo der kleine Zoͤgling ſeinen Schulmeiſter zuͤch-
tigt), ihm die Veranlaſſung zu ſeinem Schau-
ſpiele gegeben haͤtten.


Es war ſchon ſpaͤt geworden und man ſetzte
ſich zum Abendeſſen nieder, Lothar war noch nicht
zuruͤck gekommen. Jetzt hoͤrte man ein klappern-
des Pferd den Felſenweg herunter, und nach
einiger Zeit erſchien auch der vermißte Freund,
welcher ſich hatte umkleiden muͤſſen, da er vom
Regen durchnaͤßt war. Er war das Ziel vieler
Spoͤttereien, beſonders war Wilibald unerſchoͤpf-
lich, dieſe ſeltſame Leidenſchaft fuͤrs Theater in
das grellſte Licht zu ſtellen, die Frauen lachten
herzlich und Lothar ſelbſt ſpottete uͤber ſich, und
erzaͤhlte manche drollige Geſchichtchen und Ver-
legenheiten, in welche ihn oftmals, vorzuͤglich
in fruͤherer Jugend, ſeine uͤbertriebene Vorliebe
fuͤr die Buͤhne verſetzt hatte. Lacht und ſpottet
nur, meine Freunde, rief er aus, ſelbſt dadurch
wird mein Vergnuͤgen erhoͤht, und es verfuͤhrt
[388]Zweite Abtheilung.
mich um ſo mehr, euch naͤchſtens wieder zu de-
ſertiren, um jenen wunderlichen Tempel des
Apollo zu beſuchen. Weiß ich doch nicht, was
ſo wahrhaft das Leben erhoͤht, in jedem Ungluͤck
troͤſtet, in jedem Mißmuth uns freundlich an-
lacht, als irgend eine recht beſtimmte Liebhabe-
rei. Was kann dem leidenſchaftlichen Sammler
begegnen, woruͤber ihn nicht eine neue Muͤnze,
ein Wappen, ein ſeltnes Blatt erheiterte? Die
Sammlung muͤßte etwa abbrennen oder geſtoh-
len werden. Vielleicht waͤre es bei euch nur
Abgeſchmacktheit oder Affektation, wenn Ihr im
ſchlechteſten Wetter ſo weit reiten und mit eini-
ger Lebensgefahr zuruͤckkehren wolltet, um ein
Ding anzuſehn, daß euch kaum die Zeit ver-
triebe, geſchweige ergoͤtzte; ich aber habe meine
abentheuerliche Wanderung in keinem Augenblicke
bereuen koͤnnen, außer dort oben, in jenem ver-
wuͤnſchten, ſteil abgehenden Holwege, wo das
Pferd bei jedem Schritte ſtuͤrzte, und ich weder
rechts noch links, noch vor mir eine Handbreit
ſehn konnte. Dieſe Minuten abgerechnet war
mir wohl und heiter zu Muth, die Bilder der
geſpielten Comoͤdie umgaukelten mich wunderlich,
die Schimmer der Nacht, die raͤthſelhaften For-
men der Berge, der Wind und Regen bauten
meinen Vorſtellungen ein neues, hoͤchſt poetiſches
Theater, und indem ich jetzt bei wohlthaͤtigem
Licht die Geſichter meiner Freunde wieder ſehe,
die mich ſo herzlich an und auslachen, indem
[389]Zweite Abtheilung.
ich dieſen duftenden Wein, die anlockenden Spei-
ſen und gewuͤrzten Geſpraͤche genieße, bin ich ſo
froͤlich und wohlgemuth, daß ich ohne Zweifel
noch nach Jahren an dieſen Abend mit Freuden
zuruͤck denken werde.


Gewiß, ſagte Wilibald, kann der Schoͤpfer
manche ſeiner Creaturen mit geringen Dingen
gluͤcklich machen.


Laſſen Sie gut ſeyn, ſagte Roſalie freund-
lich, und ſtoͤren Sie unſern Enthuſiaſten nicht,
der auf dem Wege iſt, uns noch einige komi-
ſche Erinnerungen aus ſeiner Jugend zum Be-
ſten zu geben.


Nicht bloß meine Jugend, ſagte Lothar,
muß ich verklagen oder belachen, ich bin uͤber-
zeugt, daß dieſer Trieb nie in mir abgeſtumpft
wird. Und nicht ſo wohl die großen beruͤhmten
Theater ſind es, als die kleinen Winkeltruppen,
die Kuͤnſtler ohne großen Ruf, welche mich an-
ziehn, von denen man zuweilen noch, aber mit
jedem Jahre ſeltener, Schauſpiele zu ſehn das
Gluͤck hat, die laͤngſt verſchollen ſind, uralte
Traditionen, von denen man oft nicht begreift,
woher ſie ſie haben koͤnnen, zuweilen recht poe-
tiſche Gewaͤchſe, die nur auf den Dichter war-
ten, um ſie auch einem gebildeten Publikum wie-
der intereſſant zu machen. So ſind es, um in
die Erzaͤhlung einzulenken, noch nicht viele Jahre,
daß ich einer ſolchen Buden-Truppe wegen faſt
in eine ſchwere Krankheit zuruͤck gefallen waͤre,
[390]Zweite Abtheilung.
von der ich noch nicht hergeſtellt war. Ein Lip-
perle war es, der mich anlockte, eine Maske,
die mir noch unbekannt war. Ich war kaum
im Stande zu gehn, und ein gutmuͤthiger Freund
gab endlich meinen Bitten nach, mich an einem
ſchoͤnen Sommerabend zu begleiten und zu be-
ſchuͤtzen. Die Vorſtellung war eine jener grel-
len, populaͤren, die fuͤr mich und das Volk
immer Reiz behalten. Die ernſthaften Rollen,
die großen Herren und Fuͤrſten wurden ſchlecht
und ſteif extemporiſirt und nur der Narr war
unvergleichlich, wodurch das Stuͤck ein wahres
großes Weltgemaͤlde wurde, und ſich von ſelbſt
poetiſch ironiſirte. Schon im dritten Akt zog
ein Gewitter auf, und mein eifriger Freund er-
mahnte mich, uns fort zu machen, weil die
Blitze ſchon durch die Bretter flimmten und die
ſparſame Erleuchtung uͤberglaͤnzten, auch der
Donner beſtimmt in der Ferne murrte. Ich
menite aber, daß Gewitter koͤnne eben ſo gut
eine andre Straße ziehn, und war ſo verſeſſen,
das Ende abzuwarten, ſo unbequem ich auch
auf den rauhen ſchmalen Baͤnken ſaß, ſo oft
ich auch im Schmerz ohne Gewinn die Stellung
wechſelte, daß ich wirklich den Schluß und bald
nach ihm das ſtaͤrkſte Gewitter erlebte. Nun
war guter Rath theuer. An ſchnelleres Gehn
war bei meiner Unbehuͤlflichkeit nicht zu denken,
ein Wagen nicht zu haben, denn wir waren ver-
trauensvoll, daß das Unwetter nicht ſo ſchnell
[391]Zweite Abtheilung.
herein brechen wuͤrde, ein Stuͤck ins Feld hin-
ein gegangen, kein Schutz, bis zu meiner Gar-
tenwohnung hin, ließ ſich antreffen. Ehe ſich
der Platzregen ergoß, entſtand, wie oft vor ſtar-
ken Gewittern, ein ſolcher Sturm und Wirbel-
wind, mit einem ſo ungeheuren und dichten
Staube, daß Augen Mund und Ohren ſogleich
begraben wurden. Ich mußte mich meinem
Freund in die Arme werfen, um nicht umge-
riſſen zu werden, der ſich wie ein Baum mit
ſeiner ganzen Staͤrke in den Boden wurzelte.
Gleich darauf ſtroͤmte der unbarmherzigſte Platz-
regen nieder, die dichteſte Nacht umzog uns,
nur vom Blenden der Blitze augenblicklich durch-
riſſen. Ich kann nur nicht ſprechen, ſagte mein
Freund, Wind und Regen laſſen es nicht zu,
und das Bruͤllen des Donners, aber zu Hauſe
will ich dir meine Meinung ſagen. Nach einer
Stunde gelangten wir an (ein Geſunder konnte
den Weg in weniger als einer Viertelſtunde vol-
lenden); ich legte mich ſogleich zu Bett, warme
Tuͤcher, heißer Wein, Medizin, wurden eiligſt
herbei geſchafft, aufgelegt, genoſſen und einge-
nommen, und als der erſte Schreck voruͤber
war, ſetzte ſich der Beſte der Menſchen an mein
Bett und hielt mir eine derbe Strafpredigt uͤber
meine Unvernunft, uͤber dieſe alberne Leidenſchaft,
uͤber die Verachtung und Vernachlaͤſſigung des
Gewitters, welche um ſo zorniger und ausfuͤhr-
licher gerieth, weil er ſich uͤberzeugte, daß meine
[392]Zweite Abtheilung.
Krankheit daruͤber die ſchlimmſte Wendung neh-
men muͤſſe. Ich aber, vom Zimmer geſchuͤtzt,
vom Bett erwaͤrmt, von der Noth des Gewit-
ters geſpannt, erinnerte mich der Spaͤße des
Lipperle, ſo daß ich der gutgemeinten Ermah-
nung nur mit lautem Lachen antworten konnte.
Zum Gluͤck hatte dieſer Unfall keinen boͤſen Ein-
fluß auf meine Geneſung.


Wenn du am Lipperle und Gewitter ver-
ſchieden waͤreſt, ſagte Theodor, ſo haͤtte man
dir, als einem Maͤrtyrer, eine recht poetiſche
Grabſchrift ſetzen koͤnnen.


Ich habe es oft, ſagte Friedrich, meinem
Freunde vorgeworfen, daß er ſich zu gern und
zu ſtark an den Scenen des gemeinſten Lebens
ergoͤtzt; er konnte Betrunkenen durch viele Gaſſen
folgen, er verſchmaͤhte es nicht, Schenken und
die wuͤſten Gelage des gemeinen Volkes zu be-
ſuchen, weshalb er auch viel von den Gemaͤhl-
den dieſer Art in Fieldings und Smollets Ro-
manen haͤlt.


Jedes an ſeinem Platze, antwortete Lothar,
ob ich gleich recht gut weiß, wie ſehr dieſe Ge-
bilde unter dem edlen und kunſtreichen Cervan-
tes ſtehn, dem ſie doch nur nachgeahmt ſind.
Da wir aber einmal in dieſe Erzaͤhlungen ge-
riethen, ſo erlaube man mir, einen andern Vor-
fall vorzutragen, der mich mit groͤßerem Rechte
beſchaͤmte, der aber auch in meine fruͤheren
Jahre faͤllt. Ich will nur vorher erinnern, daß
[393]Zweite Abtheilung.
ich in meiner Jugend an zweien Gebrechen litt,
von denen ich das eine wirklich, das andre we-
nigſtens zum Schein abgelegt habe. Das erſte
war eine traͤumeriſche Zerſtreutheit, die oft bis
zum Unglaublichen ſtieg, und die ich mir durch
fortgeſetzte Aufmerkſamkeit dermaßen entfremdet
habe, daß ich, als einer, der immer beſonnen
iſt, diejenigen, die an dieſer Schwaͤche leiden,
vielleicht jetzt mit Unbilligkeit verfolge. Der zweite
Fehler war eine tolle Heftigkeit und Leidenſchaft-
lichkeit, die mich oft noch mehr verwirrte, denn
der ploͤtzlichſte Jachzorn konnte mir auf Sekun-
den, ja Minuten, alles Bewußtſeyn rauben. Seit
ich aber die Verwerflichkeit einer ſolchen Sinnes-
art eingeſehn, habe ich ſo an mir ſelbſt gemei-
ſtert, daß ich oft ſogar kalt ſcheinen kann, wenn
ich auch noch ſo heftig bewegt bin. Doch tritt
immer noch bei jeder Beleidigung, bei jedem
Verdruß derſelbe Zuſtand ein, das Verſchwin-
den aller Gedanken, ein Blitz, der durch mein
ganzes Weſen zuckt, aber ich bin im Stande,
dieſe Erſchuͤtterung voruͤber gehn zu laſſen. Selbſt
Stellen in Dichtern koͤnnen mich auf dieſe Weiſe
erregen, vollends Schauſpiele, und Shakſpears
Coriolan, beſonders wenn ich ihn laut vorleſe,
erfuͤllt mich mit demſelben Zorne. Daß man
eine Rolle, wie die des Otto von Wittelsbach,
ohne dieſelbe Empfindung gut ſpielen koͤnne, iſt
mir unbegreiflich.


Ich habe, ſagte Manfred, uͤber dieſen Ge-
[394]Zweite Abtheilung.
genſtand recht gute Betrachtungen in La Rives
Cours de declamation geleſen, obgleich das Buch
ſonſt viel ſeichtes Geſchwaͤtz eines eitlen Franzo-
ſen enthaͤlt.


Ich war etwa zwanzig Jahr, fuhr Lothar
fort, und in jener gluͤcklichen Verfaſſung, daß
ich mich als Muſenſohn der Herr der Welt
duͤnkte. Zwar war ich wegen meines Hanges
zur Einſamkeit etwas verrufen, auch deshalb,
daß ich ſelten an den lauten Geſellſchaften an-
drer Studirenden Theil nahm, weil mir ihr ro-
hes Weſen widerſtand; aber wenn ich mich zu
Pferde ſah, frei im Walde, auf kleinen oder
groͤßeren Reiſen, ſo ſchien ich mir der gluͤcklichſte
Menſch, um ſo gluͤcklicher, als ich mich eben
ſo wenig zur Zunft der Studenten, als zu den
Zuͤnften des buͤrgerlichen Lebens rechnete. Da-
mals verſammelte ſich in Franken ein Theil der
Reichs-Armee, um nach dem Rhein zu marſchi-
ren. In der Naͤhe einer großen Reichsſtadt
wurde ein Lager aufgeſchlagen, welches aus Neu-
gier von allen Staͤnden fleißig beſucht wurde,
und eine ſchlechte Comoͤdianten-Truppe benutzte
dieſen Umſtand, um ſich vom General die Er-
laubniß auszuwirken, unter freiem Himmel, im
Lager ſelbſt, den Grafen Waltron aufzufuͤhren,
ein Stuͤck, welches aus lauter Militaͤr-Perſo-
nen beſteht und im Lager ſpielt. Dergleichen
war ſchon ſonſt, bei andern Gelegenheiten ge-
ſchehn. Das Lager ſelbſt diente dann als De-
[395]Zweite Abtheilung.
koration, die Soldaten als Statiſten, die Ka-
nonen, Pulverwagen machten es individuell, und
Wirklichkeit und Nachahmung ward durch Schie-
ßen, Trommeln, die militaͤriſchen Ehrenbezeugun-
gen von wahrhaften Schildwachten, auf eine bi-
zarre und kindiſche Weiſe mit einander vermiſcht.
So ſehr ich das Stuͤck, und die Schauſpieler,
welche ich ſchon kannte, verachtete, ſo verſprach
ich mir doch von dem heitern Sommertage, den
vielen Menſchen, dem Gewirre und der Schlech-
tigkeit der Auffuͤhrung ein großes Feſt, ich hatte
daher keine Ruhe, bis ich zu Pferde ſaß, und
in der Mittagshitze hinaus trabte. Um vier
Uhr ſollte das Schauſpiel ſeinen Anfang neh-
men. Ein gruͤner Platz war abgeſteckt, nur leicht
mit Schnuͤren, Latten und Brettern umgeben,
ein Amfitheater war hinterwaͤrts fuͤr die wohl-
feileren Plaͤtze erbaut. Man ſah in einen Theil
des Feldlagers hinein, zwei Zelte waren auf bei-
den Seiten der gruͤnen Buͤhne benutzt, dem Sou-
fleur hatte man eine Grube im Boden zuberei-
tet. Die Schauſpieler gingen umher, die mit-
ſpielenden Schildwachten ſtanden in mannichfal-
tigen Gruppen, doch hatte man ihnen, um ih-
ren Militaͤrkarakter nicht herabzuwuͤrdigen, Klap-
pen und Aufſchlaͤge mit rothem Papier beſetzt.
Ich nahm großmuͤthig ein Billet zum erſten
Platz, ſetzte mich, als noch Niemand weiter zu-
gegen war, und erwartete heiter die geputzten
Herren und Damen. Demuͤthig trieb ſich vor
[396]Zweite Abtheilung.
mir unter den ſchlechten Schauſpielern ein noch
ſchlechterer um, der hier eine Nebenrolle ſpielte,
und, wie er mir, ſeinem hohen Goͤnner erzaͤhlte,
(denn ſo nannte er mich) ſich ſehr geehrt fuͤhlte,
in dieſer anſehnlichen Truppe aufgenommen zu
ſeyn. Ich hatte ihn einige mal in der Schenke
eines Dorfes ex tempore ſpielen ſehn, wo er be-
ſonders einmal den Teufel trefflich agirt hatte; der
Menſch war mehr zum Erbarmen als zum La-
chen. Bald nahm ich wahr, daß nur eine
ſchlechte Ordnung beobachtet wurde, denn von
den letzten Plaͤtzen rutſchten und krochen die Zu-
ſchauer unvermerkt in den zweiten Rang, und
als ſie ſahen, das dies geduldet, oder nicht be-
achtet wurde, verfuͤgten ſie ſich leiſe in den er-
ſten, bis ein verwegner Handwerksgeſell frech
und oͤffentlich in das ſogenannte Parket ſtieg,
indem er rief: Dummheiten! Geld iſt Geld und
Platz iſt Platz! Ihm folgten hierauf ſeine Came-
raden mit derſelben Unbefangenheit, die er noch
mit dem Zuruf ermunterte, daß er dieſe Gewohn-
heit beobachtet habe, ſo oft es ſich nur thulich
gefunden. Dieſe Verletzung der Ordnung that
mir ſchon weh, aber noch verdruͤßlicher ward
ich, als dieſelben Burſche, um das Schauſpiel
noch naͤher zu haben, in die Buͤhne ſelbſt hin-
ein ſprangen, und ſich bei dem Soufleur, vor
den Zelten, auf das Proſcenium lachend und
trinkend lagerten. Nun wurde Graf Waltron
aufmerkſam und verlegen, er kam mit der Bitte
[397]Zweite Abtheilung.
heran, daß man zuruͤckſteigen moͤchte, wovon
aber die Menſchheit, die immer nur gern vor-
waͤrts dringt, und mit gutem Willen nicht gern
zuruͤck, keine Notiz nahm. Der Graf, der zu-
gleich der Direktor war, ſprach von einem ehr-
wuͤrdigen Publikum, daß ſich die nothwendige
Ordnung wuͤrde gefallen laſſen, und auf den
Zwei- und Vier Groſchen-Platz anſtaͤndig und
edel zuruͤck kehren, um denen Beſchuͤtzern, welche
zwoͤlf Groſchen bezahlt haͤtten, Raum zu gewaͤh-
ren, von einem Aufenthalt auf der Buͤhne ſelbſt
aber koͤnne unter keiner Bedingung die Rede
ſeyn. Die Empoͤrer lachten, oder ſchwuren, ſie
haͤtten den erſten Platz bezahlt und ſaͤßen dorten
gut. Graf Waltron zog ſich zuruͤck, man ver-
ſuchte das Stuͤck anzufangen, der dreimal wie-
derholte Kanonenſchuß erſcholl zum Zeichen, die
Offiziere traten aus den Zelten, der Soufleur
ſagte ihnen die Reden vor, die ſie ſchwach und
unvernehmlich nachſprachen. Da aber einige von
den luſtigen Geſellen ſich dem Einhelfenden ſo
nahe begaben, daß ſie ihm mit in das Buch
ſchauten, andre in das Zelt hinein kuckten, und
die Sprechenden uͤber einige Liegende wegklettern
mußten, um zum Proſcenium zu gelangen, ſo
wurden dieſe, ſo wie der Einhelfer erboßt, die
Schauſpieler gingen wieder ab, und der Sou-
fleur erhob ſich aus der kuͤhlen Erdgrube und
warf das Buch hin. Nun rief Graf Waltron
ſeine mitſpielende Wache zu Huͤlfe. Ein kleiner
[398]Zweite Abtheilung.
aͤltlicher Soldat trat heran und ſchrie im breiten
Dialekt: Zuruͤck, meine Herren! zuruͤck! Er trieb
wirklich die verwegenen Burſche, die ſich auf-
rafften, in einen Haufen zuſammen, aber ſo,
daß ſie ſich nun in verſchiedenen Reihen vor
dem erſten Platze aufpflanzten. So waren wir,
die die Vorderſten ſeyn ſollten, hinter eine Co-
lonne von zehn oder zwoͤlf Mann zuruͤck gedraͤngt.
Dieſe Menſchenmenge ſchwankte unter Lachen und
Schreien vorwaͤrts und ruͤckwaͤrts, nachdem der
Soldat ihnen naͤher kam, oder ſich entfernte.
Dieſer, der nur gemeine Geſichter vor ſich ſah
und ihren Muthwillen bemerkte, ſprach jetzt von
Poͤbel anſtatt von Publikum, und redete ſie mit
„Lumpen,“ anſtatt mit „Herren“ an, auch nahm
er ſeinen Ladeſtock, und ſchwenkte und ruͤhrte
gelinde uͤber die Koͤpfe hinweg, ſo weit er nur
reichen konnte, ohne um die hohen Goͤnner, die
im Parket feſt gedraͤngt ſtanden, Sorge zu ha-
ben. Ich verwunderte und aͤrgerte mich uͤber
die neben mir Stehenden; ich begriff ihre Ge-
duld nicht; ich war außer mir, daß ich manche
Patrizier und anſehnliche Geſtalten, die auch ſchon
jener eiſerne Stock beruͤhrt hatte, mit ſtillem
Murmeln den Ruͤckweg nehmen ſah, um ſich
gaͤnzlich von dieſem Natur- und National-Thea-
ter zu entfernen; ich fragte mich: was wuͤrdeſt
du thun, wenn jener Magnet auch auf dich an-
ſchluͤge? Und indem ich dies noch dachte, fuͤhlte
ich oben meinen Hut von der Stange nichts we-
[399]Zweite Abtheilung.
niger als ſtark beruͤhrt, und im nehmlichen Au-
genblick, — wie Recht hat Engel in ſeiner Mi-
mik, daß die Leidenſchaft immer den kuͤrzeſten
Weg geht, und ohne zu uͤberlegen, ob ein Um-
weg ſie nicht ſchneller zum Ziele fuͤhren moͤchte,
ſich durch den dickſten Haufen ſtuͤrzen wird, —
im nemlichen Augenblicke war ich auch ſchon,
ohne zu wiſſen, wie (indem ich noch jetzt nicht die
Moͤglichkeit begreife), wem ein Wetterſtrahl gleich
durch das dichte Gedraͤnge geſchlagen, denn ohne
Bewußtſeyn vernahm ich nur ein dumpfes Ge-
toͤſe um mich her. Als ich nach einigen Sekun-
den wieder zu mir kam, fand ich mich auf der
Bruſt jenes Soldaten knieend wieder, den ich
ſo feſt bei der Gurgel hielt, daß ſein aufgelau-
fenes Geſicht blau gefaͤrbt und die Augen weit
hervor gequollen waren. Feſt hielt ich meine
Beute, trotz den Verſuchen des Grafen Wal-
tron und ſeiner Offiziere, die mit aller Gewalt
hinten an meinem Rocke zerrten, um die be-
draͤngte Schildwacht zu erloͤſen. Ich ſchalt laut
und heftig, und ſprach von niedertraͤchtiger Be-
handlung der Zuſchauer, ſagte dem Direktor ſehr
anzuͤgliche Dinge, wobei ich jenen armſeligen
Schauſpieler zum Zeugen der Miſſethat und der
ſchlechten Ordnung aufrief, der mich aber ver-
laͤugnete und ſeinen Patron jetzt nicht kennen
wollte, weil viele Soldaten und Offiziere laut
von meuteriſchen Attentaten auf die Reichstrup-
pen ſprachen und mit Ketten und Gefaͤngniß
[400]Zweite Abtheilung.
drohten. So gab ich der verſammelten Menge
das ſeltſamſte Schauſpiel, wovon ich nichts ge-
ahndet hatte, als ich zu Pferde ſtieg. Endlich
wickelte man meine Haͤnde vom Soldaten los,
und unter gegenſeitigen Beſchuldigungen und
Drohungen ward ich von der Wache nach dem
Zelte des Generals gefuͤhrt; Graf Waltron ſo
wie der blaugewuͤrgte Soldat, und mit ihnen
die neugierigſten der Zuſchauer begleiteten den
Zug. Der General nahm anfangs einen hohen
Ton, und ſprach von der Verletzung ſeiner eige-
nen Perſon, ja Kaiſerlicher Majeſtaͤt ſelbſt, wel-
che dieſe Schildwacht repraͤſentirt habe. Ich war
indeß etwas kuͤhler geworden, und ſuchte mei-
nen Richter durch eine umſtaͤndliche Darſtellung
der zunehmenden Unordnung, ſo wie der ſchlech-
ten Polizei der Schauſpieler und ihrer abge-
ſchmackten Einrichtungen, eben ſo der unerlaub-
ten Gewaltthaͤtigkeit des Soldaten zu gewinnen.
Da er ſich aber nicht entſchließen konnte, mir
Recht zu geben, und immer wieder von meute-
riſcher Verletzung der Soldateska ſprach, ſo fragte
ich mit erneuter großer Heftigkeit, welches Regi-
ment der Reichstruppen denn papierne Aufſchlaͤge
fuͤhre; indem ich dem Klaͤger einen ſolchen fal-
ſchen Theil ſein Montur herunter riß. Der Ge-
neral, der ſchon gehoͤrt hatte, daß ich ein Stu-
dirender ſey, mußte uͤber meinen Eifer und dieſe
Frage lachen; er wandte den Reſt ſeines Ver-
druſſes auf den Grafen Waltron, den er ſo an-
fuhr:
[401]Zweite Abtheilung.
fuhr: ich habs Ihm ja gleich geſagt, daß bei
ſeinem dummen Zeuge nur Dummheiten heraus
kommen wuͤrden! Er ließ dem Gewuͤrgten zur
Verguͤtigung eine Flaſche Wein geben, worauf
wir alle das Zelt verließen. Der Direkteur, der
die Unmoͤglichkeit ſahe, in freier Natur zu ſpie-
len, ließ bekannt machen, man ſolle, wie man
beliebe, die Plaͤtze im Schauſpielhauſe einneh-
men, in welchem er mir einen Sitz in der er-
ſten Loge anbot, den ich aber nicht annahm,
ſondern erklaͤrte, daß ich der armſeligen Vorſtel-
lung wohl entuͤbrigt ſeyn koͤnne.


Indem ich nach dem Gaſthofe zuruͤck kehrte,
wurde ich erſt gewahr, wie viele Augen ich auf
mich gezogen, und es fiel mir ein, uͤber die
Rolle nachzudenken, welche ich geſpielt hatte.
In den Blicken der Handwerksburſchen und der
wilden Jugend las ich den ungetheilteſten Bei-
fall, ſie ſprachen von meinem muthigen Zorne
als einer wahren Heldenthat, und dachten wei-
ter nicht daran, daß ſie durch ihre Ueberſchrei-
tung aller Schranken dieſe Scene veranlaßt hat-
ten; die aͤlteren Maͤnner betrachteten mich nur
als einen Gegenſtand ihrer Neugier, ja mancher
Mund ſchien mit Ironie zu laͤcheln. Ich be-
merkte nun erſt, daß meine Kleider durch das
Zerren des Grafen und ſeiner Gehuͤlfen ziemlich
gelitten hatten, auch war bei dem gewagten
Sprunge der eine Stiefel mit dem Sporn aufge-
ſchnitten worden; aber meine Beſchaͤmung ward
II. [ 26 ]
[402]Zweite Abtheilung.
vollendet, als ich zu der Geſellſchaft in den
Saal des Gaſthofes trat. Es entging mir nicht,
daß alle Anweſenden uͤber mein Abentheuer ſpra-
chen; meine Augen fielen ſogleich auf eine ſchoͤne
Frau, die mir in der Stadt gegenuͤber wohnte
und die ich ſonſt nur allzugerne ſah, die mich
aber heut ſo in Verlegenheit ſetzte, daß ich ſie
nicht zu gruͤßen wagte; ihr Mann miſchte ſich
in den Diskurs, und ſagte auf Engliſch, in der
Meinung, daß ich es nicht verſtehn wuͤrde: die-
ſer gute Menſch will gern etwas ſeltſames thun,
und hat wenigſtens ſein Theater gut gewaͤhlt,
um hinlaͤnglich bemerkt zu werden. Sie war
guͤtig genug, nichts zu antworten, oder viel-
leicht verrieth ihr meine ſchnelle Roͤthe, daß ich
ihren Mann verſtanden hatte. Ohne meinen
Wein zu trinken ſetzte ich mich zu Pferde und
war ſo beſchaͤmt und verlegen, daß ich in meine
gewoͤhnliche Zerſtreuung verfiel, die mich voͤllig
von der großen Landſtraße abfuͤhrte, durch Waͤl-
der und einſame Gegenden, die ich nachher nie-
mals habe wieder finden koͤnnen, ſo daß ich erſt
lange nach Mitternacht in meine Wohnung ein-
traf, die ich noch bequem vor Sonnen-Unter-
gang haͤtte erreichen koͤnnen. Sonſt ſaß ich gern
am Fenſter, wenn die Schoͤne gegenuͤber aus
dem ihrigen ſchaute: aber auf viele Tage hatte
ich den Muth dazu verloren, ich vermied lange
jede Geſellſchaft, um nur nicht irgend ein Wort
uͤber die geſcheiterte Auffuͤhrung des Waltron zu
[403]Zweite Abtheilung.
vernehmen, ja es haben Jahre verfließen muͤſſen,
ehe ich dieſe laͤcherliche Geſchichte auch nur mei-
nen vertrauteſten Freunden habe erzaͤhlen koͤnnen.


Clara lachte herzlich und ſagte: der Vor-
fall hat etwas Tragiſches, ich bitte Sie, uns
noch einige Ihrer damaligen Zerſtreutheiten mit-
zutheilen, weil ich eine große Luſt an dergleichen
Dingen habe.


Ich ſtehe gern, antwortete Lothar, mit al-
len meinen Laͤcherlichkeiten zu Ihrem Befehl, jetzt
aber ſchwebt mir eine andre Erinnerung aus mei-
nen Kinderjahren vor, die weder laͤcherlich, noch
fuͤr mich beſchaͤmend iſt, und von der ich doch
verſucht werde, ſie Ihnen mitzutheilen, weil ich
einmal in die Erzaͤhlung meiner theatraliſchen
Liebhaberei gerathen bin. Das Schauſpiel ge-
waͤhrte mir ſchon in meinen fruͤhſten Jahren
einen ſo wunderbaren Genuß, daß meine Ent-
zuͤckungen nicht ſelten in eine Art von Wahn-
ſinn ausarteten. Ich hatte mir fruͤh im Hauſe
meiner Eltern eine gewiſſe Freiheit erobert, ſo
daß ich ſchon im eilften und zwoͤlften Jahre
des Abends oft ziemlich ſpaͤt allein nach Hauſe
kam, wenn ich einen Schulfreund beſucht, oder
einen Spaziergang mit ihm gemacht hatte; haupt-
ſaͤchlich aber war es das Theater, was mich oft
vom Hauſe entfernte, in welchem Fall bald die-
ſer, bald jener meiner Bekannten, als wenn ich
bei ihm die Zeit zugebracht, zur Entſchuldigung
dienen mußte. Nur reichte mein kleines Capi-
[404]Zweite Abtheilung.
tal nicht hin, mir dieſen Genuß ſo oft zu ver-
ſchaffen, als ich es wuͤnſchte, und ich durfte
nicht daran denken, mich mit direkten Bitten
an meine Eltern zu wenden, die ſchon, ſo we-
nig ſie auch davon wußten, mit meiner Liebha-
berei ſehr unzufrieden waren. Wie erfreut und
uͤberraſcht war ich daher, als der alte Thuͤrſte-
her mir an einem Abend mein geloͤſtes Einlaß-
billet nicht abforderte. Die kleine Tafel war
mir wie ein Talisman, und ich traͤumte in der
Nacht davon. Am folgenden Tage ging ich fruͤh
nach dem Theater; noch ehe die Caſſe eroͤffnet
wurde, ſchlich ich mich mit einigen Arbeitern vor
die heilige Thuͤr, wo ich mich in einem Winkel
zu verbergen ſuchte, bis Zuſchauer kamen mit
welchen ich hinein eilte. Der Alte uͤberſah mich
wieder, und ich ſaß nun dicht vor dem Vor-
hange, in der ſchauerlichen, entzuͤckenden Dun-
kelheit und Stille, kein Licht brannte, zuweilen
nur, wenn die Thuͤr ſich oͤffnete, blitzte ein vor-
uͤberfliegender Schein des aͤußeren proſaiſchen
Tages hindurch, und erhellte einzelne Figuren
des wallenden Gemaͤldes. Dahinter raͤthſelhafte
Stimmen, Gepolter und das Rufen von Namen.
Mit ungeſchminktem Geſicht kuckte auch wohl ei-
ner der Schauſpieler hervor, den ich nachher als
Helden ſollte kennen lernen. Es laͤßt ſich nicht
beſchreiben, und nur wer in ſeiner Jugend eine
aͤhnliche Begeiſterung fuͤr die Magie der Buͤhne
erfahren hat, kann den Zauber, die Wonne faſ-
[405]Zweite Abtheilung.
ſen, die aus den geringfuͤgigſten, ja oft wider-
waͤrtigſten Dingen auf mich einſtroͤmten. Jeder
Lampenputzer war mir geweiht, nur im Theater
brannten ſolche Lichter, ſo wie dort das Stim-
men der Violinen klang, ertoͤnte es nirgend,
mein theures Billet, das ich gluͤcklich wieder
nach Hauſe brachte, war ganz etwas andres,
als das Papier der uͤbrigen Welt, und ich konnte
nicht unterlaſſen, es in den langweiligen Schul-
ſtunden mit Inbrunſt zu betrachten. Die Ein-
richtungen bei der Buͤhne waren damals noch
haͤuslicher und unſchuldiger, die taͤglich wech-
ſelnden Einlaßkarten waren noch nicht erfunden,
weniger Aufſeher aber auch freilich weniger Zu-
ſchauer waren außerhalb und innerhalb der Schau-
buͤhne, und ich wurde, da es gelang, mit meinem
Freibillet immer dreiſter. Der trockne Alte uͤber-
ſah mich jedesmal und das liebe Billet blieb
mir fuͤr einige Wochen. An einem Abend, als
ein beliebtes Stuͤck gegeben wurde, und das
Haus ſich ſchneller fuͤllte, wollte ein Burſche,
der zu einer Geſellſchaft, die ſchon Platz genom-
men hatte, gehoͤren mogte, ſich auch auf ſeine
Art einen freien Eintritt verſchaffen, und ſtuͤrmte
ploͤtzlich mit bloßem Kopf herein, um ſich un-
befangen niederzuſetzen, als wenn er ſchon fruͤ-
her im Hauſe geweſen und ſeine Karte abgege-
ben haͤtte; der Alte aber, der ein gutes Auge
und Gedaͤchtniß hatte, ließ ſich nicht irre ma-
chen: du mußt keinen alten Mann zum Narren
[406]Zweite Abtheilung.
machen wollen, rief er aus, und entfernte den
Eindringenden mit Gewalt. Dieſe Worte und
dieſer Vorfall erſchuͤtterten mich, kann ich wohl
ſagen, bis ins Innerſte. Ich zitterte und wußte
nicht, was ich thun ſollte. Ich ſah das Schau-
ſpiel nur mit halbem Herzen und war wirklich
froh, als es zu Ende ging. Beim Schluß machte
ich mich an den Alten und druͤckte ihm das Bil-
let mit der Bitte in die Hand, es nicht uͤbel
zu nehmen, daß ich es ihm nicht fruͤher gege-
ben, da er mich uͤberſehen haͤtte. Behalten Sie
nur, Kleiner, ſagte der Alte, pfiffig laͤchelnd, ich
weiß recht gut, daß Sie das Billet ſchon ſeit
lange haben, aber Sie ſind ein ſtilles Kind, dem
die Comoͤdien, wie ich ſehe, große Freude ma-
chen; nur das kann ich nicht leiden, wenn man
mich dumm zu machen ſucht, der große Bengel
haͤtte mich ja bitten koͤnnen, wenn es ihm am
Gelde mangelte, auf einen mehr oder weniger
koͤmmt es hier nicht an. Ich dankte ihm und
ging nach Hauſe. Aber von dieſem Augenblick
war die eigentliche hoͤchſte Luſt an der Heimlich-
keit des Theaters verſchwunden; was ich vorher
fuͤr den ſeltſamſten Zufall, ja fuͤr eine Art von
Wunder gehalten hatte, das meinem Enthuſias-
mus entgegen komme, war nun nichts, als die
Gefaͤlligkeit eines Thuͤrſtehers, zu der er mir
nicht einmal ein Recht zu haben ſchien: eine
Theilnahme fuͤr den unbemittelten Zuſtand man-
cher Theaterfreunde. Mein Billet war nur ein
[407]Zweite Abtheilung.
Geſchenk des Alten, und ohne Zauberkaraktere.
Die Dunkelheit an jener geliebten Stelle hatte
auch ihre Magie verloren, die Vorahndung des
Wunderbaren war geringer, die Gegenwart des
Alten druͤckte mich; auch die Luſt war hin, daß
ich ſonſt den Alten mit Angſt neben mir gehn
ſah, und in jedem Augenblicke fuͤrchten konnte,
er werde mir nun ploͤtzlich die Karte abfordern.
Ich konnte es nicht unterlaſſen, noch einige
Stuͤcke auf ſeine Diskretion zu ſehn, aber am
Ende aͤngſtigte mich das fatale Papier ſo ſehr,
daß ich es ihm einen Abend mit einem kleinen
Trotz in die Hand druͤckte, indem andre Zu-
ſchauer auch eintraten, und ich nun von Herzen
froh war, ſeiner nur endlich los zu ſeyn. Nach-
her wirkte nur ein bezahltes und ſeltner genoſ-
ſenes Schauſpiel mit der alten Gewalt auf mich.


Woher es doch nur kommt, ſagte Friedrich,
daß bei uns, und wie es ſcheint bei allen Na-
tionen, das Theater, hauptſaͤchlich aber die Kunſt
des Schauſpielers, ſo ſehr im Sinken iſt?


Sie iſt es eben, antwortete Manfred, ohne
weitern Grund. Alle Kunſt hat erſt den Trieb
zu ſteigen und ſpaͤterhin zu ſinken.


Vielleicht aber, merkte Ernſt an, ließen ſich
die Urſachen wohl nachweiſen, und auch die
Mittel angeben, wie ihr wieder aufgeholfen wer-
den koͤnnte.


Ein andermal! rief Clara lebhaft aus, un-
ſer Freund Lothar iſt uns noch die Erzaͤhlung
[408]Zweite Abtheilung.
ſchuldig, wie er geſtern die Schauſpielertruppe
gefunden hat.


Recht gern, ſagte Lothar, will ich Ihrer
Neugier Genuͤge leiſten. Als ich angekommen
war, nahm ich ſogleich das Lokal des Theaters
in Augenſchein. Es war im Rathskeller, der
hoch und geraͤumig iſt, uͤber vielen Tonnen auf-
geſchlagen, auf welche hinter den Couliſſen ziem-
lich ſchmale und gebrechliche Stiegen fuͤhrten;
die Dekoration war veraltetes und oft geflicktes
Leinen, und ſtellte auf der einen Seite Pallaſt
oder Saͤulen vor, von welchen aber auch der
kundigſte Architekt die Ordnung ſchwerlich haͤtte
angeben koͤnnen. Dieſer Anſtrich bedeutete Zim-
mer, Huͤtte, Pallaſt, wie es das Stuͤck erfor-
derte. Die andere Seite der Couliſſen und
Wand war gruͤn bemahlt, mit untermengten
braunen Flecken, und dieſe Faͤrbung bedeutete
nach Gelegenheit Wald, Garten, oder freies
Feld. Der Direkteur machte ſich ſogleich an
mich und ſagte, ich moͤchte mich an den der-
maligen Zuſtand der Garderobe und der Deko-
rationen nicht ſtoßen, er habe dem deutſchen Va-
terlande ſein Vermoͤgen zum Theil aufgeopfert,
ſey aber mit ſeinem beſſern Geſchmack nicht
durchgedrungen, doch hoffe er im Stande zu
ſeyn, die gangbarſten Opern, Familiengemaͤlde
und großen Ritterſchauſpiele mit ziemlicher Pracht
darzuſtellen, um einen Kenner, wie ich ohne
Zweifel ſeyn muͤſſe, zu befriedigen, und vielleicht
[409]Zweite Abtheilung.
ſogar die Erwartung zu uͤbertreffen. Ich warf
ihm den Mangel an Dekorationen ein, er erwie-
derte aber, daß er eben ungeheuer viel von ei-
nem der geſchickteſten Maͤnner oben auf dem
Rathhausboden malen laſſe. Seine Exiſtenz hier
an dieſem Orte ſey uͤberhaupt nur proviſoriſch,
denn in der großen Handelsſtadt, welche zehn
Meilen von dort entfernt liege, treibe jetzt eben
ein bekannter Schauſpiel-Direktor ſein Weſen,
der dort ein Theater einrichte, Leute kommen
laſſe und ſich viele Auslagen mache; aber der
Narr! rief er aus, er weiß nicht, daß ich ernd-
ten werde, wo er nur ſaͤet, er laͤßt es ſich nicht
traͤumen, daß hier in dieſem kleinen Orte ein
pfiffiger Spitzbube ſitzt, der ihn uͤber den Toͤl-
pel ſtoͤßt! Ich habe ſchon meine Minen ange-
legt, ſie ſpringen, und bankrutt muß der arme
Landſtreicher werden, indeß ich uͤber ihn lache
und triumphire! Er lachte von Herzen, da ich
aber nicht mit einſtimmte, ſondern ſagte: un-
moͤglich kann das Ihr Ernſt ſeyn, denn ich
wuͤßte den Mann weder zu begreifen noch zu
ehren, der dem Vaterlande erſt ſo bedeutende
Opfer gebracht hat, und ſich nachher durch den
Schaden eines Kunſtverwandten zu bereichern
ſucht — wurde er ſtill, ſah mich ein wenig von
der Seite an, ſchlug mir dann vertraulich auf
die Schulter und rief mit Emphaſe: aus der
Seele haben Sie mir geſprochen, Edelſter, ich
ſehe, mein Goͤnner, Sie haben einen richtigen
[410]Zweite Abtheilung.
Begriff von der Kunſt und ihrer Wuͤrde, und
daß der Schauſpieler ohne Zweifel ſich ſelbſt
zuerſt veredeln muß, ehe er kapable iſt, edle
Menſchen vorzuſtellen — mit Erlaubniß! — in die-
ſem Augenblick nahm er ein Flaͤſchchen aus der
Taſche und trank. Ich muß die Ehre haben,
Ihnen zu ſagen, fuhr er fort, daß ich nach je-
nem Reſte gar nicht einmal hintrachte, denn
nirgend in der Welt herrſcht wohl ein ſolcher
verdorbener Geſchmack, ein ſolcher Eigenduͤnkel,
als bei jenem reichen Handelsvolke. Sie verach-
ten den Kuͤnſtler und ſeine Bemuͤhung. Warum
ſollt ich mich alſo ſobald von dieſen lieben gu-
ten Leuten hier trennen, die ſo herzlich und
theilnehmend ſcheinen? Des Kuͤnſtlers Vaterland
iſt allenthalben. Er entfernte ſich hierauf, um
nach ſeinem Theatermaler zu ſehn.


Glauben Sie dem Windbeutel doch ja kein
Wort, ſagte ein junger Menſch, der zu mir trat,
und in dem ich den erſten Liebhaber erkannte,
er thut den Mund nicht auf, ohne zu luͤgen.
So eben laͤßt er von einem Tiſchlergeſellen gelbe
Farbe auf ein Stuͤckchen Papier ſtreichen, das
nachher geoͤhlt werden ſoll, und dieſes Kunſt-
werk wird morgen Abend als Feuer in der Zau-
berfloͤte figuriren. — Wie koͤnnen Sie denn dieſe
Oper beſetzen? fragt ich. Der junge Menſch
zuckte mit den Schultern und laͤchelte; man
laͤßt aus, man wirft Rollen zuſammen, man
ſchreit und ſingt was man kann und nicht kann,
[411]Zweite Abtheilung.
und wenn es nur rechten unverſchaͤmten Laͤrmen
macht, ſo ſind unwiſſende Buͤrger- und Acker-
leute kleiner Staͤdte oft zufrieden genug.


Als Clara lachte, ſagte Ernſt: glauben Sie
mir, theure Freundin, dieſe Darſtellung giebt
noch lange nicht den traurigſten Anblick der deut-
ſchen Theater-Welt. Mit einer zahlreichen Ge-
ſellſchaft fuhr ich einmal auf der Elbe von Auſ-
ſig nach Dresden. Nicht weit von der boͤhmi-
ſchen Graͤnze liegt Tetſchen, eine kleine Stadt
und Schloß, aͤußerſt lieblich. Wir ſtiegen aus,
um hier Mittag zu machen, und fanden zu un-
ſerm Erſtaunen in der Wirthsſtube hinten ein
Theater aufgeſchlagen, und hochgelbe Zettel ver-
kuͤndigten der Stadt, daß am Abend die Zau-
berfloͤte ſollte aufgefuͤhrt werden. Das Theater
war kaum zehn Fuß breit und nur viere tief;
von Dekoration war gar nicht die Rede, wenn
man nicht ungefaͤrbte graue Leinwand und wei-
ßes Papier ſo nennen will; in den beiden Win-
keln der Buͤhne ſtanden zwei Garnwinden, um
die eine ein gelber, um die andre ein weißer
Streifen geſchlungen, ſie bedeuteten das unent-
behrliche Feuer und Waſſer. Das Theater war
von der maͤßigen Hoͤhe, daß ein Erwachſener
mit dem Kopf die Decke beruͤhrte, die abgehen-
den Kuͤnſtler mußten hinter der Scene einen
Sprung, einige Fuß hoch, thun, um ſich dort
im engſten Raume bis zum neuen Erſcheinen
auf der Buͤhne und Hinaufklettern zu gedulden.
[412]Zweite Abtheilung.
Die Truppe beſtand aber auch nur aus fuͤnf Per-
ſonen: die Koͤnigin der Nacht ward von derſel-
ben Dame dargeſtellt, welche die Pamina ſang,
Saraſtro und Papageno ſprach und ſang aus
einer Kehle, Tamino hatte ohne zweite Rolle
genug zu thun, den Mohren hatte man ganz
ausgelaſſen, noch ein Frauenzimmer war fuͤr die
Genien beſtimmt, und das fuͤnfte Mitglied fuͤllte
das Prieſterchor aus, und ſtellte dar, was außer-
dem noch gebraucht wurde. Noch jetzt gereut
mich, daß ich nicht dieſes Abentheuer geſehn
habe, denn meine Phantaſie kann es durchaus
nicht erſchwingen, wie die Vorſtellung mag aus-
gefallen ſeyn. Als wir ziemlich laut ſpaßten,
in der Ueberzeugung, daß uns kein Intereſſent
hoͤren koͤnne, trat ploͤtzlich die Truppe aus einem
Nebenzimmer mit ſchmutzigen deutſchen Karten
in den Haͤnden, mit welchen die Kuͤnſtler ſo eben
ſpielten; die erſte Dame, die uns unſers Ueber-
muthes und der Anzahl der Maͤnner und Frauen
wegen wohl fuͤr eine wohlhabendere Truppe an-
ſehn mochte, ſagte ſehr bitter: nicht aufs Thea-
ter, ſondern aufs Spiel kommts an, lachen kann
ein jeder, aber das Beſſermachen iſt nicht jedem
Pfuſcher gegeben! Ohne Zweifel kam dieſer Aus-
ſpruch von der ſchrecklichen Koͤnigin der Nacht.


Der junge Menſch, fuhr Lothar in ſeiner
Erzaͤhlung fort, intereſſirte und dauerte mich,
denn ſein Weſen war nicht gemein; ich bezeigte
ihm meine Theilnahme und er erwiederte: wer
[413]Zweite Abtheilung.
nicht hoͤren will, muß fuͤhlen. Er war ſeinen
Eltern, die ihn hatten ſtudiren laſſen wollen,
wegen wilder Streiche entlaufen, hatte in Noth
und Kummer ſich ſelber gering ſchaͤtzen lernen,
und ſich endlich, da er ſich nicht zuruͤck getraute,
zum Schauſpieler aufnehmen laſſen. Indem kam
mit naſeruͤmpfendem Weſen eine gelbe weibliche
Figur im elendeſten und zugleich abgeſchmackteſten
Anzuge zu uns; ſetzen Sie ſich nieder, mein
Herr, ſagte ſie mit freundlicher Wuͤrde, an
welcher ich ſogleich die Prima Donna erkannte,
Sie ſcheinen doch nicht hier aus dieſem Neſt,
und darum iſt es mir ein Troſt, mit einem ge-
bildeten Manne zu konverſiren. Verachten Sie
mich nicht, daß Sie mich hier in ſo ſchlechter
Geſellſchaft antreffen, ein ungeheures Schickſal
hat mich ergriffen und ſo tief erniedrigt, denn
mein Talent, mein Ruf, meine Bildung konnten
mir wohl eine ganz andre Situation verſprechen.
Faſſen Sie den Greuel! der Halunk von Direk-
teur verſchrieb mich zu den Kunſtdarſtellungen
der Agnes Bernauer, der Eulalia Meinau, Or-
fina und Koͤnigin im Don Carlos, und wie ich
ankomme, kann der Lump kein einziges dieſer
Meiſterwerke geben, und ich muß in ſeinen Hans-
wurſt - Stuͤcken aus dem Stegereife ſpielen.


Eine dicke maͤnnliche Figur trat auch herzu
und wollte im Großthun nicht zuruͤck bleiben,
mit anmaßlicher Demuth rief er aus: ja, mein
Herr, wir Kuͤnſtler ſind recht uͤbel dran, ſollten
[414]Zweite Abtheilung.
Sies glauben! der Elementer verſchrieb mich
zum Tyrannen, zum Koͤnig Philipp und Carl
Moor, — und was muß ich ſpielen, wenn ich
nicht verhungern will? Sie werdens nicht glau-
ben — auf meine Ehre, den Hanswurſt muß
ich ſpielen, weil mir zu meinem Ungluͤck die Na-
tur einiges Talent zum Spaßmachen verliehen hat.


Ich mußte lachen. Jetzt traten auch die
uͤbrigen Mitglieder herbei und ich ließ ihnen ei-
nige Flaſchen Wein reichen. Ich ſehe, fing ich
an, daß die Vorurtheile bei jedem Stande das-
jenige ſind, woran er am meiſten leidet. Wa-
rum wollen Sie mit wenigen Mitteln, vor Zu-
ſchauern, die es durchaus nicht verſtehn wuͤrden,
ſich mit vornehmen und ſchwierigen, ja hier un-
moͤglich auszufuͤhrenden Opern quaͤlen? Mit Tra-
goͤdien, die Ihnen kein Menſch danken wuͤrde?
Mit Schauſpielen, die dem einfaͤltigen Buͤrgers-
mann ein Raͤthſel oder ein Aergerniß waͤren? Wa-
rum ſich ihren Stand verleiden und den Zuſe-
hern das Vergnuͤgen verderben? Ohne Zweifel
haben Sie alte komiſche Stuͤcke, die das Volk
verſteht, kuͤrzere Schwaͤnke und Comoͤdien, die
Sie großentheils ex tempore ſpielen, und de-
ren Wirkung Sie gewiß ſind; geben Sie dieſe,
und laſſen Sie jene vornehmeren Anmaßungen
fahren, und Sie werden mich und vielleicht auch
einige Freunde zu Zuſchauern haben, die wir uns
aber gewiß weder um Ihre Zauberfloͤte, noch Ag-
nes Bernauer im mindeſten bekuͤmmern werden.


[415]Zweite Abtheilung.

Dem Volke war ein Stein vom Herzen ge-
waͤlzt, ſie ließen ihre Ziererei und ich habe heut
von ihnen ein altes Stuͤck „der Sthuſter blauer
Montag, oder Feyerabend“ recht luſtig ſpielen
ſehn, welches aus dem Engliſchen muß heruͤber
gekommen ſeyn, und ich hoffe, daß in der kuͤnf-
tigen Woche bei ſchoͤnem Wetter die meiſten mei-
ner Freunde und verehrten Freundinnen mich
ebenfalls einmal dorthin begleiten werden.


Emilie ſagte lachend: Sie ſcheinen alſo dar-
auf zu rechnen, daß uns Ihre Thorheit anſtecken
wird? Indeß werden Sie uns ſchwerlich bere-
den, jene Armſeligkeit anzuſehn, wenn wir auch
Ihre Schilderung derſelben gerne zugehoͤrt haben.


Wer weiß, ſagte Manfred, der Menſch kann
fuͤr nichts ſtehn. Es waͤre aber zu wuͤnſchen,
daß, wenn man den kleinen armſeligen Truppen
das Herumſtreifen geſtattet (und es waͤre viel-
leicht grauſam, es ganz zu verhindern), man ih-
nen wenigſtens verboͤte, ſich mit der Mode-
waare zu befaſſen. Man muß es geſehn haben,
um zu wiſſen, wie die beiden Klingsberge oder
die Indianer in England ſich auf ſolchen Buͤh-
nen, vor treuherzigen Buͤrgern und Bauern aus-
nehmen. Warum fuͤhren dieſe kleinen Geſell-
ſchaften nicht aͤhnliche Schwaͤnke, wie die des
Hans Sachs auf? Aber freilich weiß ich wohl,
daß unſre Verkehrtheit ſo weit geht, daß man
ihnen an manchen Orten den bairiſchen Hieſel
oder die Hoͤllenbraut als ſchaͤdlich und aberglaͤu-
[416]Zweite Abtheilung.
biſch verbietet, ihnen aber gern Raum gewaͤhrt,
wenn ſie nur mit jenen aufgeklaͤrten Stuͤcken
eine wandernde Sittenſchule fuͤr das Volk ſeyn
wollen.


Die Klagen des Gozzi, fuhr Ernſt fort,
ſind jetzt noch treffender als zu jener Zeit. Iſt
uns nicht uͤberhaupt ein neuer Collier, nur mit
mehr Kritik und Geſchmack noͤthig? Denn nicht
bloß dem gemeinen Volke, was ſollen der Na-
tion uͤberhaupt jene Schauſpiele und Geſinnun-
gen, die alles untergraben, was den Menſchen
haͤlt und traͤgt? Seltner ſind jetzt die Invecti-
ven gegen den geiſtlichen Stand, auch die gegen
die Fuͤrſten nehmen ab, aber das meiſte, was
wir ſpielen ſehn, kuͤndigt doch der Sitte, dem
Menſchlichen, dem Rechten uͤberhaupt den Krieg
an, und zwar von verſchrobenen Gemuͤthern, die
eben fuͤr das Hoͤchſte zu eifern waͤhnen. Die
Laufbahn des Lieblingsdichters iſt nur ſo bezeich-
net: Menſchenhaß, die Indianer, Bruder Mo-
ritz (deſſen kraſſe Aufklaͤrerei jetzt vergeſſen iſt),
die Sonnenjungfrau, die Klingsberge, und wel-
che ſeiner Schauſpiele nicht, die irgend Wirkung
haben und Talente verrathen, welches man ihm
wohl nicht abſprechen kann. Auf der andern
Seite die kleinlichen Familiengemaͤlde. In allen
dieſen Produkten, die ſich beſtreben, an und fuͤr
ſich ſelbſt zu wirken, die den Haufen ruͤhren und
erſchuͤttern, ſie moͤgen dargeſtellt werden, wie ſie
wollen, ja die ſich von ſelbſt gut ſpielen, weil
das
[417]Zweite Abtheilung.
das Hohle und Leere, die geſpannte Empfind-
ſamkeit, Ungluͤck und mißverſtandne Tugend,
Kummer und Hunger, die Ruͤhrung in den
Spielenden wie in den Zuhoͤrern hervor brin-
gen: dieſe Dinge, welche niemals auf das Thea-
ter haͤtten kommen ſollen, ſind Urſach, daß die
darſtellenden Talente immer mehr verſchwinden.


Auf der andern Seite, ſagte Friedrich, die
Pracht der Dekorationen und Schaugepraͤnge,
oder wolluͤſtige Taͤnze, welche immer mehr die
ſtaunende und grobe Sinnlichkeit des Menſchen
in Anſpruch nehmen, unſre Theater in wahre
kindiſche Kuckkaſten verwandeln, und bald die
letzte Spur von Kunſt ausloͤſchen werden.


Dieſe Sucht nach Armſeligkeiten, fuhr Ernſt
fort, hat ſich in allen Laͤndern verbreitet, und
verdraͤngt immer mehr das Theater vom Thea-
ter. Die ungluͤckliche Form und Einrichtung
unſrer Buͤhne hat die Sache moͤglich und leicht
gemacht, und bald wird ſie nur zu Kroͤnungs-
Aufzuͤgen, Sonnentempeln und widerſinnigen
Taͤnzen gebraucht werden. Es iſt gewiß laͤcher-
lich, daß in manchen Staͤdten die Kleidungen
der Theater-Fuͤrſten in der Koſtbarkeit die der
wirklichen erreichen, daß dieſe Prachtgewaͤnder
im Kreiſe zwiſchen bemahlter Leinwand herum
geſchleppt werden, welche wieder anſehnliche Sum-
men koſtet, um ein Gemaͤhlde darzuſtellen, wel-
ches nur aus einem einzigen Punkte richtig und
taͤuſchend ſeyn kann, indeſſen die Logen zwiſchen
II. [ 27 ]
[418]Zweite Abtheilung.
die Couliſſen hinein ſehn, und die Lampenputzer
und das Geruͤſt der Buͤhne kennen lernen. Dieſe
Anſtalten koͤnnen einem gebildeten Auge nur laͤcher-
lich erſcheinen, weil ſie bei aller Anſtrengung ver-
worren und unrichtig ausfallen muͤſſen, weil die
Buͤhne zu viele Tiefe hat, und man es fuͤr eine
Verbeſſerung haͤlt, ſie immer tiefer zu machen,
und ſich von dort heraus uns alles in falſcher
Perſpektive entgegen bewegt. So hatte man mir
in Wien den Aufzug in der Oper Blaubart viel-
faͤltig geruͤhmt, und als ich dies Schauſpiel dort
ſah waren die Zuſchauer auch wirklich hoch er-
freut, indeß ich dieſem Aufwande von Figuren,
Lichtern und Pferden keinen Anblick, vielweniger
Luft abgewinnen konnte. Auf einem andern
Theater dort endigte ein tragiſches Ballet mit
dem Ausbruch eines feuerſpeienden Berges,
der die Stadt verſchuͤttete; mir ſchien das
Ganze trotz dem Aufwande der transparen-
ten Mahlerei und den rollenden Flammen
nur kindiſch auszufallen. Dieſe Dinge, welche
ganz außer dem Gebiet eines Theaters liegen,
koſten große Summen, die Direktion muß im-
mer mehr auf die Geſchmackloſigkeit des Publi-
kums ſpekuliren, ja es dazu erziehn, um nur
fuͤr dieſe albernen Kunſtſtuͤcke mit neuen Erfin-
dungen derſelben Art beſtehn zu koͤnnen. Wa-
rum hat nicht jeder große Ort ſein Panorama,
ſeine optiſchen Buden, ſeine Gaukeleien, die bloß
den Sinn des Auges reizen? Dann kaͤme das
[419]Zweite Abtheilung.
Theater wieder zur Beſinnung, und dieſe Dinge
koͤnnten als ſelbſtſtaͤndige geſchmackvoller ausge-
bildet werden. Aber wir erleben es noch, daß
Feuerwerk, Luftfahrt, Seiltaͤnzerei und Reiter-
kuͤnſte alles in einem Ritter- oder Zauberſtuͤck
auf dem Theater produzirt wird.


Die Feuerwerkskunſt, ſagte Theodor, iſt
ſchon unerlaßlich. Vor einigen Jahren gefiel in
London ein Schauſpiel ungemein, weil es mit
dem Sturm einer Veſtung endigte und ein Theil
der Stadt und der Werke mit großer Wirkung
in die Luft geſprengt wurde. Der dumpfe Muͤ-
ßiggang iſt dort auch ſo uͤberſaͤttigt, daß ein
andres Stuͤck nur wegen Eines erhebenden Mo-
mentes den groͤßten Zulauf hatte, indem auf
dem Theater ſelbſt ein wirklicher großer Pudel
einen Menſchen aus dem Waſſer rettete. Faſt
muß ich fuͤrchten, daß jener Hund durch den
allgemeinen Applaus fuͤr ſeine gewoͤhnliche Be-
ſtimmung iſt verdorben worden, und ausſchlie-
ßend nur der Kunſt hat leben moͤgen.


Nachher iſt man auf das Raffinement ver-
fallen, fuhr Lothar fort, um den großen Mei-
ſterwerken wieder einigen Geſchmack abzugewin-
nen, unter den gewoͤhnlichen Schauſpielern von
einem unmuͤndigen Kinde den Lear und Macbeth
darſtellen zu laſſen.


Die Direktionen, fing Ernſt wieder an, ſa-
gen oft mit philoſophiſchen Mienen, ſie gaͤben
nur nothgedrungen dem Publikum nach, und
[420]Zweite Abtheilung.
darum iſt es großen Staͤdten, wie Wien, ſehr
vortheilhaft, mehrere Buͤhnen zu beſitzen; die
beſſere Buͤhne iſt dann nicht gezwungen, ſo wie
das Berliner Theater es muß, alle Thorheiten mit
zu machen, auch iſt dann die Einnahme gerin-
ger, die Einrichtung bleibt von ſelbſt haͤuslicher
und enger, denn jene Verſchwendung, jener un-
begraͤnzte Aufwand muß das Theater immer tie-
fer hinab fuͤhren. In Italien hatte man neu-
erdings einen andern Unſinn erfunden. Man
gab nemlich große leidenſchaftliche Schauſpiele
ohne Worte, in einer ſogenannten Pantomime,
in welcher nicht einmal getantzt wurde. In Flo-
renz ſah ich die Raͤuber von Schiller auf dieſe
Weiſe mit klaͤglichen Geberdungen und armſeli-
gem Klingklang von Muſik vorſtellen, was dem
Volke ſehr gefiel; es laͤßt ſich aber unmoͤglich
beſchreiben, wie toll und dumm Franz Moors
Angſt und Gotteslaͤugnung im fuͤnften Akte ſich
ausnahm.


Wenn ein kritiſcher Schauſpieler behauptet,
fiel Theodor ein, daß eine Feder auf dem Hut,
oder eine aufwaͤrts gekehrte flache Hand Athei-
ſterei ausdruͤcken koͤnnen, ſo muß ſie ſich ja
wohl auch ziemlicher maßen ſpringen laſſen. Ue-
brigens ſcheint es mir, daß dieſe Anſtalten von
feuerſpeienden Bergen, Kroͤnungs- und andern
Aufzuͤgen, welche Tauſende koſten, auf derſelben
Linie jener guten Kuͤnſtler in Tetſchen ſtehn, die
den Aufwand der Zauberfloͤte wahrſcheinlich mit
[421]Zweite Abtheilung.
drei guten Groſchen zu beſtreiten gedachten. Eins
iſt nicht kluͤger als das andre, und beides ſetzt
die Kunſt gleich ſehr herab.


Ich bin der Meinung, ſagte Ernſt, daß wir
die ganze Form unſrer Buͤhne, nebſt dieſem Ap-
parat der Dekoration und beſonders der Couliſ-
ſen wieder wegwerfen muͤſſen, um ein Schau-
ſpiel zu erhalten. Dieſe Einrichtung iſt auch
nur aus Mißverſtaͤndniß den Italiaͤnern nachge-
ahmt, weil ſchon fruͤh eine falſche mahleriſche
Abſicht eingemengt wurde, und daruͤber haben
wir, beſonders die Englaͤnder, die alte Ein-
richtung eingebuͤßt, die wahrhaft maleriſch war,
denn dieſe konnten ehemals ſo wie die Mahler
malen, mit den Figuren und dem Theater, die
ſich gegenſeitig heraus hoben; jetzt haͤngen Figu-
ren und Theater nicht zuſammen, ſie ſind viel-
mehr im Krieg mit einander, und die Wirkung
kann man in der That nur mit einem geſchmack-
loſen Kuckkaſten vergleichen. Darum ſind die
Marionettenſpiele oft theatraliſcher und haben
mehr Haltung, weil man hier nicht die vielen
Gruppen und das Spiel nach der Tiefe zu hat
anbringen koͤnnen.


Droht doch dieſer Untergattung des Schau-
ſpiels, ſagte Lothar, ebenfalls der Untergang:
denn wie ſich das hoͤhere Theater mit ſeiner Er-
findung und Dekoration immer mehr zum Trans-
parenten und Flammenden vergeiſtigt und zu
viele Spaͤße aller Art zulaͤßt, ſo fangen die
[422]Zweite Abtheilung.
Puppen an im Gegentheil zu vernuͤnftig und re-
gelmaͤßig zu werden. Eine Ankuͤndigung, welche
den Doktor Fauſt verſprach, lockte mich einſt
nebſt zwei meiner Bekannten in ein Wirthshaus.
Wir hoͤrten aber beim Eintritt, daß das Spiel
nicht vor ſich gehen werde, weil der Entrepren-
neur verſaͤumt habe, die Erlaubniß einzuholen,
auch war der Saal leer und nur im Hinter-
grunde wandelte, unzufrieden wie es ſchien, ein
Mann auf und ab, den wir fuͤr den Direkteur
hielten, wofuͤr er ſich auch gleich zu erkennen
gab, als er ſich zu uns geſellte. Er ſchalt uͤber
die verweigerte Erlaubniß, wir beklagten ſein
Schauſpiel entbehren zu muͤſſen, worauf er uns
nach einigen pruͤfenden Blicken fragte: ob wir
nicht ebenfalls Puppenſpieler waͤren? Wir ver-
neinten es, er aber, gegen den einen meiner Be-
gleiter gewandt, welcher ein Philoſoph war, rief
aus: ei! ei! Sie erkenn ich ja wieder, ich habe
Sie in Regensburg ſpielen ſehn! Der launige
Mann, welcher zur Froͤhlichkeit geſtimmt war,
laͤugnete nicht laͤnger, worauf der Kuͤnſtler zu-
traulicher fortfuhr: ich, meine Herren, habe mich
in meinen Puppenſpielen immer von dem gemei-
nen Haufen auszuzeichnen geſucht, und das Werk
mit Verſtand und Ueberlegung gefuͤhrt; ich ge-
ſtehe gern, ich bin kein Feind vom Hanswurſt,
o nein, aber wo er hingehoͤrt. In luſtigen Sa-
chen, in Geſchichten, die einen froͤlichen Aus-
gang haben, da mag der gute Menſch immerhin
[423]Zweite Abtheilung.
auftreten. Aber den Fauſt wuͤrden Sie heut
ohne Hanswurſt und Narrenpoſſen geſehn ha-
ben. Ja, ja, rief er aus, da er wahrnahm,
daß wir ihm Einwendungen machen wollten, ich
weiß es ja recht gut (indem er ſich zum Philo-
ſophen wandte), daß Sie den Fauſt mit Hans-
wurſt geben, aber das kann ich nimmermehr bil-
ligen, denn, ums Himmels Willen, meine Her-
ren, was kann es doch wohl Ernſthafteres oder
Traurigeres geben, als wenn ein Menſch geradezu
vom Teufel geholt wird? Wie, das ſollte uns
nicht ruͤhren? Bei ſolchen Sachen, mein lieber
Hanswurſt, mache ich Dir die Thuͤr vor der
Naſe zu und Du bleibſt draußen!


Sehr viele Philoſophen, ſagte Theodor, ſtel-
len heut zu Tage den Fauſt mit Hanswurſt vor.
Doch, um wieder auf das vorige Thema einzu-
leiten, ſo ſchadet auch ohne Zweifel die zu große
Beſoldung, ſo wie die Ueberſchaͤtzung der Schau-
ſpieler ihrer Kunſt. Ich kenne große Buͤhnen,
die ſich immer mehr in Invalidenſtifte und Ver-
ſorgungsanſtalten verwandeln. Es iſt billig, daß
der Schauſpieler, der ein Publikum lange ergoͤtzt
hat, nicht im Alter Noth leide, oder in die Ge-
fahr komme, wieder wandern zu muͤſſen, aber
eben ſo wenig ſoll eine Buͤhne unbedingt die
Sicherheit einer Penſion gewaͤhren, daß ein Mit-
glied, wenn es nur einmal angenommen iſt, ſey
es uͤbrigens wie es ſey, ſich mit ruhiger Ge-
maͤchlichkeit einwohnen darf.


[424]Zweite Abtheilung.

Darum findet man noch in Italien, ſagte
Ernſt, fuͤr die Charakterrollen ſo unvergleichliche
Schauſpieler, ihr Wandern zwingt ſie zu uner-
muͤdeter Anſtrengung, denn ſie muͤſſen allenthalben
immer wieder neu ſeyn. In Mailand iſt deshalb
die Truppe des ſtehenden Theaters weit unin-
tereſſanter. Von Trient bis Palermo gehn faſt
ununterbrochen die reiſenden Schauſpieler, welche
ſich zu verſchiedenen Theater-Unternehmern be-
geben, die ſie meiſt nach wenigen Wochen wie-
der verlaſſen.


Die buͤrgerliche und vornehme Wuͤrde, ſagte
Theodor, welche viele Schauſpieler bei uns er-
ſtreben, entfernt ſie auch von der Kunſt. Mußte
es fruͤher niederſchlagend ſeyn, mit zu großer
Zuruͤckſetzung zu kaͤmpfen, ſo verſchwendet der
Schauſpieler jetzt ſeine Zeit in faden Geſellſchaf-
ten, und verlernt es, ſich als Kuͤnſtler fuͤhlen.
Denn er ſoll von der Geſellſchaft und ihrem
Treiben abgeſondert ſeyn, damit er im Enthu-
ſiasmus fuͤr ſeine Kunſt, in ihrer Ausuͤbung, im
Gefuͤhl der Freude, welche er verbreitet, das
Gluͤck genieße, welchem die andern in der Wirk-
lichkeit vergeblich nachjagen. Ein wahrer Kunſt-
freund muß ihm die Geſellſchaft erſetzen koͤnnen.


So wird es auch, fuhr Ernſt fort, fuͤr
die Kunſt hoͤchſt unerſprießlich, wenn Vornehme,
oder regierende Herren das Theater und die
Schauſpieler zu ſehr in ihren unmittelbaren
Schutz nehmen. Allenthalben ſoll Anſtand und
[425]Zweite Abtheilung.
Sitte herrſchen, doch ſoll auch die Freiheit des
Publikums bei oͤffentlicher Ausſtellung nicht ge-
faͤhrdet werden, denn ſonſt verſchwindet jenes
geiſtige Band zwiſchen Buͤhne und Parterr, wel-
ches den Genuß erſt hervorbringt, indem unbe-
wußt die Zuſchauer mitſpielen und das Ganze
wie ein gutgeſtimmtes Inſtrument mit verſchie-
denen Toͤnen und Oktaven zuſammen klingt.
Dieſe beſte Verfaſſung trifft man in der Regel
nur, wo noch Unbefangenheit und nicht zu viel
Bewußtſeyn und Kritik herrſcht. Hebt aber Kri-
tik, die meiſt einſeitig iſt, dieſe Unbefangenheit
ſchon auf, wie viel mehr wird ſie und jene Frei-
heit dadurch geſtoͤrt, wenn man vorgeben darf,
die Regierung ſey mit der Direktion zugleich we-
gen eines nicht gefallenden Schauſpielers kom-
promittirt, dann iſt nur noch der Schritt uͤbrig,
das Ausziſchen eines Comoͤdianten zum Hoch-
verrath zu ſtempeln. Die beſten Fuͤrſten, wenn
ſie von Jugend auf die Klagen hoͤren muͤſſen,
daß von ihresgleichen von je ſo wenig fuͤr die
Kunſt geſchehen ſey, und daß dieſe befoͤrdern
ihren ſchoͤnſten Beruf ausmache, wollen die Ver-
ſaͤumniß zuweilen mit Wucher erſetzen, und er-
fahren nicht, daß ſie mit edlem Willen die Sache
nur ſchlimmer machen.


Dieſe Freiheit des Publikums, ſagte Lothar,
iſt um ſo unerlaßlicher, wenn Schauſpieler und
Direktor nur eine Perſon ſind. Man glaube
doch nicht, daß ein beliebter und talentvoller
[426]Zweite Abtheilung.
Kuͤnſtler ſo leicht den Ungezogenheiten der Menge
ausgeſetzt ſey, denn es iſt das ſtaͤrkſte Band,
welches beide verbindet. Ich weiß nicht, daß
in der vieljaͤhrigen Ausuͤbung ſeiner Kunſt dem
großen Schauſpieler Fleck je eine Unwuͤrdigkeit
zugefuͤgt ſey, daſſelbe wird Lange in Wien von
ſich ruͤhmen koͤnnen. Iſt aber das Publikum,
oder nur eine groͤßere Maſſe deſſelben unzufrie-
den, ſo tragen gewiß der Direktor und die
Schauſpieler einen Theil der Schuld. Garrick,
ſo geehrt und geliebt er war, konnte doch nicht
drei oder vier demuͤthigenden Kraͤnkungen entgehn,
weil er ſich nicht edel betragen, oder ſeinem Ei-
genſinn zu viel nachgegeben hatte.


Auch die zunehmende Groͤße der Schauſpiel-
haͤuſer, ſagte Ernſt, verwirrt und hindert die
ſchoͤnſte Ausuͤbung dieſer Kunſt. Unſer Zeital-
ter ſcheint ausdruͤcklich ein kurzſichtiges, aber doch
habe ich mit meinen guten Augen oft meine Nach-
barn nicht begreifen koͤnnen, wenn ſie aus der
tiefen Entfernung das geiſtreiche Minenſpiel ruͤhm-
ten, wo ich kaum ein Geſicht unterſcheiden konnte,
beſonders bei dieſer blendenden Erleuchtung unſrer
Buͤhnen. Verliert ſich doch der ganze Schauſpie-
ler wie ein Miniaturbildchen in einem ungeheu-
ren Rahmen. Nur in einem maͤßigen Saal, wie
in den beiden Stadttheatern in Wien, wird dem
Zuſchauer behaglich, nur hier kann er ſich in
jenem Rapport mit den Schauſpielern befinden,
nur hier kann der Spielende mit Ruhe und Si-
[427]Zweite Abtheilung.
cherheit ſein Talent entwickeln, er braucht ſein
Organ nicht zu uͤberſchreien, ſeine Geberde nicht
zu uͤbertreiben. Unangenehm iſt ſchon der bloße
Eintritt in das große Theater zu Mailand oder
in Berlin, die Schauſpieler werden zu Pygmaͤen,
die Gruppen auf der Buͤhne wollen ſich noch
weniger vereinigen, die dargeſtellten Zimmer ha-
ben unfoͤrmliche Hoͤhe, Breite und Tiefe und
das Ganze verliert alle Haltung. Auch das
groͤßte Schauſpielhaus wird an gewiſſen Tagen
zu klein ſeyn; ſpiele man doch in kleineren Saͤ-
len, man buͤßt zwar eine uͤbertriebene Einnahme
einzelner Vorſtellungen ein, aber es ſichert wie-
derholte gute Einnahme von beliebten Stuͤcken.


Es iſt zu verwundern, ſagte Lothar, daß
Berlin, ſo viel ich weiß, die einzige große Stadt
iſt, die ihrem Theater noch jenes alte Monopel
bewahrt, welches einer fruͤheren Truppe zu einer
Zeit verliehen wurde, als man kaum das kleinſte
Haus in der Woche einmal gefuͤllt ſah. Dieſes
Monopol muß nicht nur einem großen Theil der
Einwohner, die in der weitgedehnten Stadt ent-
fernt wohnen, hoͤchſt unbequem fallen, ſondern
es muß auch den Schauſpielern ſelbſt ihre Kunſt
verkuͤmmern, da kein Wetteifer mit andern Ta-
lenten, wie in London, Wien und Paris ſtatt
finden kann. Abgerechnet, daß dieſes Theater,
als das einzige, oft ſeine Wuͤrde einbuͤßen muß,
um Frazzen darzuſtellen, die man in Wien nur
in der Leopoldſtadt ſieht. Das große Berlin
[428]Zweite Abtheilung.
koͤnnte jetzt bequem zwei oder drei kleinere Thea-
ter erhalten, auf welchen die groͤßte Mannigfal-
tigkeit herrſchen und die verſchiedenſten Talente
ſich zur Luſt der Einwohner ausbilden koͤnnten.
An manchen Tagen iſt der zu große Saal doch
zu klein, an andern wieder viel zu groß, oder
es muͤßte denn dahin kommen, was ſo wenig
Direktion, wie Schauſpieler und Publikum wuͤn-
ſchen koͤnnen, daß die Zahl der bemittelten Muͤ-
ßiggaͤnger ſo anwaͤchſt, die Luſt ſo erſtirbt, es
ſo ſehr ein dumpfes Beduͤrfniß wird, gewiſſe
Stunden im Theater zuzubringen, daß auf dieſe
Weiſe das Haus ohne Ausnahme taͤglich gefuͤllt
waͤre, die Direktion moͤchte ſpielen was, die
Geſellſchaft wie ſie wollte.


Fuͤgen wir dieſem allen hinzu, ſagte Ernſt,
daß hauptſaͤchlich von dort, oder von dem be-
ruͤhmten Schauſpieler, der an der Spitze jener
Geſellſchaft ſteht, eine Schule, Manier und Kri-
tik mittelbar und unmittelbar auszugehen droht,
die fuͤr die Schauſpielkunſt, vorzuͤglich fuͤr die
tragiſche Darſtellung, von dem ſchaͤdlichſten Ein-
fluſſe ſeyn muß. Es waͤre ein ungerechter Ei-
genſinn, wenn man nicht geſtehn wollte, daß
Iffland einer der vorzuͤglichſten Schauſpieler iſt;
daß er das Talent, welches ihm die Natur ge-
geben, durch fleißiges Studium erhoben hat,
daß er gewiſſe Feinheiten und Eigenheiten zeigt,
in denen ihn nicht leicht ein andrer Kuͤnſtler er-
reichen wird. Am ſchoͤnſten und liebenswuͤrdig-
[429]Zweite Abtheilung.
ſten zeigt er ſich in jenen leichten Charakteren, die
drollig und witzig genug auftreten, um zu inte-
reſſiren und Lachen zu erregen, die zwar mit ei-
nem gewiſſen Humor ausgeſtattet, aber weder
tief ergriffen, noch bizarr ſind, und deshalb auch
keine tiefe charakteriſtiſche Darſtellung zulaſſen.
Dieſe umgiebt er mit einer unbeſchreiblichen Gra-
zie, ſeine Leichtigkeit und Gewandheit, ſeine Si-
cherheit, geſellt mit jener muthwilligen fliegenden
Laune erhoͤhen einige ſonſt unbedeutende Stuͤcke
zu wahren Produkten der Kunſt. Nicht minder
kann man ihn in groͤßeren Schauſpielen bewun-
dern, wenn ihn ſeine Neigung richtig gefuͤhrt
und auf den wahren Platz geſtellt hat. Er ge-
hoͤrt zu den Schauſpielern, die zugleich fuͤr die
Buͤhne geſchrieben haben. Dergleichen Arbeiten
muͤſſen mit mimiſchem Talent geleſen werden, mit
einer Phantaſie, die das Spiel und Theater vor
ſich ſieht; die wenigſten werden eine ſtrenge Kri-
tik zulaſſen, die auch oft unbillig iſt, weil gerade
der darſtellende Kuͤnſtler dieſe Sachen nicht leicht
fuͤr Kunſtprodukte wird ausgeben wollen. Schroͤ-
ders großes univerſelles Schauſpielertalent iſt
durchaus in ſeinen dramatiſchen Werken nicht
wieder zu erkennen, die faſt alle, oder vielleicht
ohne Ausnahme, Ueberſetzungen und Nachbildun-
gen fremder Arbeiten ſind. Er ſchrieb fuͤr ſeine
Buͤhne und ſich, und wer ihn in verſchiedenen
dieſer Rollen geſehen hat, erfahren, daß das
Stuͤck nichts als eine Unterlage war, auf wel-
[430]Zweite Abtheilung.
cher ſich das groͤßte und wunderbarſte Talent
kuͤhn und vielſeitig bewegte. Aus Garricks un-
bedeutenden Luſtſpielen und ſeinen Umarbeitun-
gen ſeines großen Vorfahren kann man ſich, wenn
man die lobpreiſenden und tadelnden Kritiken
ſeiner Zeitgenoſſen hinzu nimmt, vielleicht ein
daͤmmerndes Bild von ſeinem Spiele zuſammen
ſetzen. Nirgend aber kommentirt der Dichter den
Schauſpieler und umgekehrt dieſer jenen ſo deut-
lich, als in Ifflands Spiel und Werken. Man
darf ihn nur einigemal geſehn haben, um zu
wiſſen, wie er jede Stelle in ſeinen Stuͤcken ge-
meint hat, ſo wie man mit etwas Phantaſie
nicht leicht irren wird, in ſeinen Schauſpielen
genau zu wiſſen, wie er dieſe oder jene Rolle
bei der Auffuͤhrung nehmen wird. Was ſeine
Schriften karakteriſirt und ihnen vor Jahren den
Beifall ſchaffte und lange erhielt, iſt eine gluͤck-
liche Gabe der Beobachtung, ein Auffaſſen ein-
zelner Zuͤge aus der Natur, deren Wahrheit uns
uͤberraſcht, das Talent zu ruͤhren, welches ein
weiches Herz und die leichte Beweglichkeit des
Verfaſſers verraͤth, ein Bemerken vieler Ab-
geſchmacktheiten der Welt und des Lebens, die
oft mit leichtem Witze dargeſtellt, oft grell auf-
gegriffen, und eben ſo ohne innere Bedeutung
hingezeichnet ſind. Einigemal hat ſich der Au-
tor in die Tragoͤdie gewagt, wo er aber nur
ſteif, formell und matt erſcheint. Sind nun
auch manche ſeiner Gemaͤlde heiter und leben-
[431]Zweite Abtheilung.
dig, anmuthig und geiſtreich, ſo giebt es doch
kaum ein Stuͤck von ihm, in welchem er nicht
die Graͤnze uͤberſchritte, und am Ende matt und
weitſchweifig, belehrend oder polemiſch erſchiene,
oder wo ſtatt des komiſchen Charakters ſeine Fi-
guren nur aus Angewoͤhnungen, oder alterthuͤm-
lichen ſprichwoͤrtlichen Redensarten beſtehn. In
ſeinen ernſthaften Stuͤcken kann er ſich nicht mit
der ſchoͤnen Ruͤhrung begnuͤgen, er muß uns in
das Peinliche hinein zwaͤngen, wozu die Details
des kleinlichen Lebens ohnedies fuͤhren, die grel-
len Carikaturen des Eigennutzes und der Herz-
loſigkeit werden oft wahrhaft abſcheulich, und
das Ganze verliert den inneren Zuſammenhang,
die Wahrheit und Haltung. Er waͤre vielleicht
ein gluͤcklicher Dichter in kleinen komiſchen und
ernſten Nachſpielen geworden, wenn er dem Her-
zen und ſeiner Empfindſamkeit nicht zu viel nach-
gegeben, wenn er die Wahrheit tiefer gefaßt, und
ſich nicht mit ihrer ſcheinbaren Oberflaͤche begnuͤgt
haͤtte. Ich glaube, alle dieſe Bemerkungen auch
auf ſein Talent als Schauſpieler anwenden zu
koͤnnen. Jene oben erwaͤhnte Liebenswuͤrdigkeit
und Leichtigkeit abgerechnet, die ihm ganz eigen
und original iſt, beſteht ſeine Darſtellung aus
lauter einzelnen Wahrnehmungen aus der Na-
tur, die er fein aufgefaßt hat und ſcharf und
richtig begraͤnzt wieder giebt, die aber ohne jene
hoͤhere Phantaſie, die ſie erſt verbinden muß,
doch, trotz der Wahrheit des Einzelnen, kein
[432]Zweite Abtheilung.
wahres Ganzes machen; ſo liebt er es auch, Zu-
faͤlligkeiten, die wohl da ſeyn, aber auch fehlen
koͤnnen, in ſein Spiel aufzunehmen, und ſeine
Rolle, die er einmal damit ausgeſtattet hat, je-
derzeit mit der groͤßten Gewiſſenhaftigkeit eben
ſo wieder zu geben. So zeigt er uns ſtatt der
Leidenſchaften einzelne Zuͤge, die er an Leiden-
ſchaftlichen wahrgenommen, zum Beiſpiel wie
dieſer oder jener Zornige ſich geaͤußert hat, ſtatt
des Gemaͤhldes vom Zorn. Dazu kommt, daß
die Natur ihm faſt ganz eine Stimme verſagt
hat, und er, um dieſe ſo viel wie moͤglich zu
ſchonen, fuͤr ſeine Tonloſigkeit eine eigne Modu-
lation hat erfinden muͤſſen, woher jenes Zuruͤck-
ſinken der Stimme, jenes Huſten, die Pauſen,
das Stottern der Verlegenheit, und, um Effekt
zu machen, dies ploͤtzliche Aufkreiſchen nebſt an-
dern Auswegen entſtanden ſind, kuͤnſtliche Be-
helfe, theils um den Mangel zu verdecken, theils
um aus dieſem Mangel ſelbſt eine Art von
Schoͤnheit zu bilden. Dieſes aber iſt es gerade,
was an ihm bewundert, ja ihm nachgeahmt
wird, und aus welchen Schwaͤchen und Maͤn-
geln eine Kritik der Kunſt und eine Schauſpie-
lerſchule ſich zu verbreiten anfaͤngt, die geradezu
alles umkehrt und die Sachen auf den Kopf ſtellt.


Dies iſt ſo wahr, ſagte Lothar, daß ich
Schauſpieler von Talent kenne, welche ein ziem-
lich gutes Organ beſitzen, die ſich aber ſo lange
quaͤlen, bis ſie jenes Tonloſe, weiche Unbe-
ſtimm-
[433]Zweite Abtheilung.
ſtimmte, Zitternde und Kreiſchende in der De-
klamation erreicht haben.


Wenn das Vorige richtig iſt, fuhr Ernſt
fort, ſo geht daraus hervor, daß es jenem
genannten Kuͤnſtler an ſchoͤpferiſcher Phantaſie
fehle, an demjenigen, was den Kuͤnſtler zu je-
ner Stufe fuͤhrt, wo wir ihn einen großen
Schauſpieler nennen koͤnnen. Iffland muß ſich
daher an keinen Moliereſchen, an keinen hochko-
miſchen Charakter wagen. Wie nothwendiger
iſt noch die ſchaffende Phantaſie und ein gro-
ßer Enthuſiasmus zu den tragiſchen Darſtellun-
gen. Dieſe koͤnnen aus keiner Beobachtung des
Lebens hervorgehn, hier iſt es, wo ſich das Ge-
nie des Schauſpielers am groͤßten offenbaren
kann. In keiner andern Kunſt verwechſelt der
Ausuͤbende ſo leicht ſeinen Wunſch und ſeine
Eitelkeit mit der Begeiſterung, daher ſehn wir
auch in keiner ſo viele Mißgriffe. Selbſt Gar-
rick ließ ſich verleiten, den Baſtard Faulcon-
bridge und Othello vorzuſtellen. Schroͤders Weis-
heit hat ihn ſein ganzes Leben hindurch bewahrt,
ſich von einem ihm ungeziemenden Charakter ver-
locken zu laſſen; Iffland aber verblendet ſich uͤber
ſein Talent und ſeine Beſtimmung ſo ſehr, daß
er nach Helden- und tragiſchen Rollen geizt, und
ſchwer iſt es dann fuͤr den Schauſpielfreund an
ſolchen Abenden nicht ganz des Kuͤnſtlers man-
nigfaltige Verdienſte zu vergeſſen. Hier iſt es
nun, wo er mit Feinheit, Eigenheit, kleinen
II. [ 28 ]
[434]Zweite Abtheilung.
Tableaus und Seltſamkeiten die Menge und die
anmaßlichen Kenner blendet. Ich habe bis jetzt
in Deutſchland nur drei Tragoͤdienſpieler im gro-
ßen Styl geſehn, vor allen den unvergeßlichen
Fleck, den unnachahmlichen Schroͤder, und den
treflichen Lange in Wien. Sie waren in jener
Schule erzogen, die ſich durch die Begeiſterung
an Shakſpear, an der Liebe zum Großen, Star-
ken und Furchtbaren bildete; der eine iſt der
Kunſt zu fruͤh geſtorben, der andre hat ſich ganz
und der letzte zum Theil dem Theater entzogen.
Wir hoͤren nun allenthalben die anmaßlichen Kri-
tiker von verungluͤckten Schauſpielern ſprechen,
von wuͤthenden Schreiern, und nur jene Fein-
heit, Schwaͤchlichkeit und Kleinlichkeit als tra-
giſches Spiel preiſen, welches nur etwas weni-
ger gebrechlich, laͤcherlich ſeyn wuͤrde. Was ſoll
man aber noch ſagen, da Iffland ja ſelbſt im
Monodram als Pygmalion aufgetreten iſt? Dieſe
poetiſche Thorheit war gewiß das Widernatuͤr-
lichſte, was er je dargeſtellt hat.


Sie erſcheinen, ſagte Emilie, in dieſer aus-
gefuͤhrten Meinung, ziemlich paradox, denn ge-
rade was dieſe letzte Darſtellung betrift, erinnre
ich mich der Worte eines verehrten Autors, daß
dieſer Pygmalion ihm eine Anſchauung des al-
ten Kothurns gegeben habe.


Theure Freundin, ſagte Ernſt laͤchelnd, es
giebt tauſend Dinge auf Erden, von denen ſich
unſre Philoſophie nichts traͤumen laͤßt, und die
[435]Zweite Abtheilung.
deshalb auch wirklich unbegreiflich ſind, und zu
dieſen gehoͤrt jener Ausſpruch. Rouſſeaus thoͤ-
richtes Werk iſt nur ertraͤglich, wenn ein wahr-
haft ſchoͤner Juͤngling, von Jugend- Enthuſias-
mus und ſeinem Gegenſtande begeiſtert und be-
rauſcht mit der wohltoͤnendſten Stimme es vor-
traͤgt, ſo daß wir wie im wirklichen Traum das
Ungeziemliche, Widernatuͤrliche und Kunſtloſe ver-
geſſen: aber bei unſerm Pygmalion war von al-
lem dieſen das Gegentheil, ſelbſt die Kleidung
war unvortheilhaft und geſchmacklos, und dieſe
Erſcheinung aͤngſtigte faſt wie eine geſpenſtiſche
in ſchweren Traͤumen. Ich behalte mir vor,
dieſe Behauptungen uͤber das tragiſche Spiel
bei andrer Gelegenheit ernſter und gruͤndlicher
darzuthun, denn gern moͤchte ich dankbar Flecks
hohem Genius ein Opfer bringen, welcher meine
Jugend mit der hoͤchſten Begeiſterung und der
ſchoͤnſten Poeſie genaͤhrt hat. Sein Othello, Lear,
Macbeth, Karl Moor, Wallenſtein, Otto von
Wittelsbach, ſo wie viele andere Charaktere,
ſind vielleicht, ſeit wir eine Buͤhne haben, nur
einmal ſo geſehn worden, und kehren ſchwerlich
in dieſer Hoheit jemals zuruͤck.


Es waͤre wohl gut geweſen, ſagte Roſalie,
wenn dasjenige, was man in Weimar fuͤr die
Buͤhne gethan hat, an einem großen Orte ge-
ſchehn waͤre, damit es auf ganz Deutſchland
eine Wirkung haͤtte haben koͤnnen.


Dieſe Bemuͤhungen, antwortete Ernſt, ſind
[436]Zweite Abtheilung.
loͤblich, ſo wie die mannigfaltigen Verſuche ſehr
intereſſant geweſen, vorzuͤglich in jenem kleineren
Kreiſe, doch koͤnnten ſich Wirkungen im Großen
niemals empfinden laſſen, weil jener merkwuͤr-
dige Mann, welcher dort die Sache fuͤhrt, ſo
ſehr er das Schlechte verabſcheut, faſt eine noch
groͤßere Furcht vor dem Genialiſchen zu haben
ſcheint. Er vermeidet nichts ſo ſehr als das Bi-
zarre, und doch iſt ſein Streben von je an, durch
Oppoſition auf der einen Seite, und auf der
andern durch den Trieb ſich der Welt und ihren
Forderungen zu bequemen, unbeſtimmt und bi-
zarr erſchienen. Die polemiſche Sucht treibt ihn
eben ſo oft gegen das Geniale, als der Trieb,
ſich dem Gewoͤhnlichen zu fuͤgen, ihn zum Selt-
ſamen bewegt, und in dieſer Schwankung iſt
das, was er in der Kunſt uͤberall, nicht bloß
in der theatraliſchen, bewirken moͤchte, mehr ein
Negatives als ein Poſitives, mehr ein Vermei-
den des Ungeziemlichen, als ein Erſtreben des
Hohen; wenn ein Charakter ſich erſt ſo geſtellt
hat, ſind Vorurtheile mancherlei Art und der
Kampf dafuͤr nicht gut zu vermeiden, und dar-
um darf man ſich nicht wundern, wenn ſein
Bemuͤhen keine Begeiſterung, keinen eigen-
thuͤmlichen Schwung je wird veranlaſſen koͤn-
nen. Was er als Dichter gewirkt, vorzuͤglich
fruͤh, iſt eine andre Betrachtung. Solche Men-
ſchen, wie der große Lorenzo der Medicaͤer, von
[437]Zweite Abtheilung.
dem große Kunſt und Zeit ausging, ſind die
ſeltenſten in der Geſchichte.


Was Sie ausſprechen, ſagte Roſalie, iſt
mir dunkel, und ich wuͤnſchte wohl, daß Sie
mir dieſe Meinung erklaͤren moͤchten.


Sehn Sie, ſchoͤne Freundin, antwortete
der Redende, wie unſre Theuern ermuͤdet ſind,
und ſchon zu viel meiner Plauderei haben anhoͤ-
ren muͤſſen; wir finden wohl die Gelegenheit,
uns hieruͤber mehr zu verſtaͤndigen.


Wirklich erhoben ſich Emilie und Auguſte,
nahmen Licht und boten gute Nacht; auch Wi-
libald, Lothar, der ſich etwas angegriffen fuͤhlte,
und Theodor entfernten ſich, um zu ruhen; nur
Manfred und Roſalie, Clara und Anton, Frie-
drich und Ernſt blieben zuruͤck. Ihr Geſpraͤch
wandte ſich auf die Fremden, die am vorigen
Tage ihren Beſuch gemacht hatten, und Man-
fred konnte ihre Wißbegier nicht genug beſchrei-
ben, wie ſie jedes Huͤttenwerk angemerkt, die
Ruinen eiligſt abgezeichnet, und ſogar die Ent-
fernung nach Schritten von dieſem zu jenem
Orte gemeſſen haͤtten. Ernſt ſagte: man kann
zu weit gehn und aͤngſtlich und pedantiſch wer-
den, aber jener Leichtſinn, der es vernachlaͤſſigt,
Bemerkungen aufzuzeichnen, weil er ſeinem Ge-
daͤchtniſſe vertraut und meint, der friſche Ein-
druck des gegenwaͤrtigen Augenblicks muͤſſe ihm
fuͤr ſein ganzes Leben dauern, iſt auch nicht zu
loben. Wie manches habe ich eingebuͤßt, weil
[438]Zweite Abtheilung.
ich im Augenblick, an Ort und Stelle nicht flei-
ßig genug war, oder mir einbildete, die aͤußere
Thaͤtigkeit koͤnne meine innere unterbrechen und
ermatten.


Man erinnerte ſich der Muſik und des Ge-
ſanges, welche man ſeit heut und geſtern beſon-
ders fleißig geuͤbt hatte. Anton ſagte: ich bin
durch Roſaliens und Claras Geſang ſo entzuͤckt
worden, daß ich ſagen moͤchte, dieſe Tage ma-
chen eine Epoche in meinem Leben, und wenn
es einen Componiſten giebt, den ich ſo ganz
verſtehe, ſo ganz von ihm durchdrungen bin, ſo
iſt es das himmliſch liebliche Gemuͤth des ju-
gendlichen Pergoleſe. Daß man ihn neulich mit
Correggio zuſammenſtellen wollte, iſt gewiß keine
willkuͤhrliche Vergleichung, denn bei den Bildern
dieſes großen Meiſters habe ich etwas Aehnli-
ches empfunden, und wie dieſer mit Licht und
Schatten ſpielt, ja beides zum myſtiſchen Sym-
bol erhebt, und dadurch in hoͤherem als dem
gewoͤhnlichen Sinne ſeine Gemaͤhlde beleuchtet,
eben ſo ſinnig nimmt Pergoleſe die hohen und
tiefen Toͤne als Licht und Schatten. In ſeiner
Meſſe erinnert das herrliche Gloria unmittelbar
an die ſchwebenden und durch einander gaukeln-
den Engel in Correggios Nacht, und das Pax
hominibus
legt ſich wie ein dunkler troͤſtender
Schatten uͤber die Erde hin. Unvergleichlich ſingt
Clara ſein Salve Regina, und welcher Genuß,
von ihr und Roſalien ſein beruͤhmtes Stabat
[439]Zweite Abtheilung.
mater
vortragen zu hoͤren. Die Lieblichkeit der
Wehmuth in des Schmerzes Tiefe, dies Laͤcheln
in Thraͤnen, dieſe Kindlichkeit, die den hoͤchſten
Himmel anruͤhrt, iſt mir noch niemals ſo licht
in der Seele aufgegangen. Ich habe mich ab-
wenden muͤſſen, und meine Thraͤnen verbergen,
vorzuͤglich bei der Stelle: vidit suum dulcem
natum
. Wie ſinnvoll, daß das Amen, nach dem
alles ſchon beſchloſſen iſt, noch in ſich ſelbſt klingt
und ſpielt, und in herzlicher Ruͤhrung kein Ende
finden kann, ſich gleichſam vor dem Trocknen
der Thraͤnen fuͤrchtet, und ſich im Schluchzen
noch fuͤhlen will.


Das Gedicht ſelbſt, ſagte Friedrich, iſt ruͤh-
rend und tief eindringlich, gewiß hat der Dich-
ter dieſe Reimſpiele quae moerebat, et dolebat
cum videbat
mit bewegtem Gemuͤth geſungen.
Weiß man ſeinen Urſprung nicht?


Den Dichter ſelbſt, antwortete Ernſt, kann
man namentlich nicht nennen. Dieſer Hymnus
aber entſtand zu einer Zeit, als die Menſchen
kein Genuͤgen mehr fanden an dem, was ſie um
ſich geſchehn ſahen, als die Hofnung auf welt-
liche Kraft ihnen entwich, und die Vernunft
ihnen keinen Troſt mehr darbot. Da wandten
ſie ſich mit zerknirſchtem Herzen unmittelbar an
den Unſichtbaren; unter Thraͤnen und Seufzern
machten ſich Staͤdte und Doͤrfer im weißen Ge-
wande auf, und durchzogen mit Bußpſalmen
und Gebeten die Provinzen. Vom ſuͤdlichen
[440]Zweite Abtheilung.
Frankreich, ſagt man, ſoll ſich dieſe Sehnſucht
zur Wehmuth zuerſt ergoſſen haben uͤber Ita-
lien, Deutſchland, den groͤßten Theil von Europa
hinweg. Nach ihrer Tracht nannte man die
Pilgrimme die weißen Buͤßenden. Dies war
gegen das Ende des vierzehnten Jahrhunderts:
damals ſoll man zuerſt das Stabat mater ge-
ſungen haben. Um ein Jahrhundert fruͤher zeigte
ſich eine aͤhnliche Erſcheinung, die Geſellſchaft
der Geißelnden, nach einer Periode von Helden-
groͤße, Unthaten und allgemeiner Bedraͤngniß.
Es greift das uͤberſaͤttigte und ermuͤdete Leben
oft nach dem Tode, und ergießt ſich in Thraͤnen
und zerſchmelzender Reue, daß alles wie vor Waſ-
ſerfluthen bricht und faͤllt, was dauernd und
ewig ſchien, damit nachher aus den Wogen die
gruͤnen Inſeln ſtiller Zufriedenheit und lieblicher
Heimath wieder aufſteigen koͤnnen.


Erlaubt mir, meine Freunde, ſagte Anton,
euch, wenn Ihr nicht zu ermuͤdet ſeid, noch ei-
nige Gedichte mitzutheilen, zu denen mich Per-
goleſe's liebliche Schmerzlichkeit begeiſtert hat.


Wir werden ſo, ſagte Clara, den Tag und
Abend am ſchoͤnſten beſchließen koͤnnen.


Ich theile ſie jetzt lieber und mit weniger
Aengſtlichkeit mit, ſprach Anton weiter, da ſich
die kritiſcheren und vernuͤnftigern Zuhoͤrer ent-
fernt haben; denn die kindliche Ruͤhrung, die
mich oft ergreift, erſcheint dem ſtrengeren Sinne
leicht ſchwach und kindiſch. Es iſt eine Sage,
[441]Zweite Abtheilung.
daß der große Eindruck, den das Stabat mater
des jungen Kuͤnſtlers beim erſten Auffuͤhren
machte, einen andern Muſiker mit ſo grimmi-
gem Neid entzuͤndet, daß er den Juͤngling, in-
dem dieſer aus der Kirche getreten, niedergeſtochen
habe. Man hat dieſe Sage laͤngſt widerlegt,
da aber Pergoleſe fruͤh ſtarb, ſo wird es dem
Dichter erlaubt ſeyn, auf dieſe Erzaͤhlung hin-
zudeuten, und ihn als Opfer ſeiner Kunſt und
Begeiſterung fallen zu laſſen. Dies ſagen die
erſten zwei Sonette, dann folgt der Verſuch,
das Stabat mater ſelbſt in einem Gedichte zu
wiederholen, wie ich weiß ein gewagter und viel-
leicht uͤberfluͤßiger Verſuch; den Beſchluß macht
ein Sonett, welches die Muſik ſelber ſpricht,
wodurch ſich dieſe Gedichte jenen vielleicht an-
ſchließen, die unſer Freund uns neulich mitge-
theilt hat.


Pergoleſe.
Ein Juͤngling wandelt durch die Waldesgruͤne,

Einſam, verlaſſen, ſeufzend und in Thraͤnen;

Was will ſein Haͤnderingen doch erſehnen?

Was ſagt die truͤbe, liebe Leidensmine?

Bald iſts, als ob ein Engel ihm erſchiene,

So ſchaut er in das Gruͤn mit hohem Sehnen,

Er ſpricht mit Voͤgeln, mit der Luft im Waͤhnen,

In Zweigen neigen Arme ſich zur Suͤhne.

[442]Zweite Abtheilung.
Da laͤchelt er in Andacht und in Liebe,

Die Sonne ſcheint auf ihn mit rothen Lichtern,

In Glorien wallt der Tag und kuͤßt ihn ſcheidend.

Ach, daß der goldne Glanz zugegen bliebe!

Die Nacht ſteigt auf mit Wolkenangeſichtern,

Das Dunkel faßt ihn und er ſpricht ſuͤß leidend:

Erquicklich war und nicht umſonſt mein Wallen,

Maria, Mutter, Sohn und ewge Liebe,

Ich kann in Toͤnen ſagen wie ich liebe,

In ſchoͤnen Weiſen ſoll mein Preiſen ſchallen.

Biſt, Jeſus, du vergeſſen denn von allen?

Mein Herz, mein Schmerz treibt mich zu deiner Liebe,

Die Mutter, Sohn, weiß wohl wie ich dich liebe,

Laß dir gefallen denn mein kindlich Lallen.

O ſende du aus deinem lichten Himmel

Die kindlichſten der Englein zu mir nieder,

Mein Herz iſt offen, thu es, Gott, mein Vater!

Wir zuͤnden an das rauſchende Getuͤmmel,

Ich ſterbe gern am Schluß der ſuͤßen Lieder,

Denn viel' entzuͤckt nach mir mein Stabat mater.

Stabat mater.
An dem Kreuz die Mutter ſtande,

Schmerzen fuͤhlt ſie vielerhande,

Aufgeloͤſt des Herzens Bande,

Wie der Heiland uͤberwande.

Kommt mit mir zum Sehnſuchtslande!

Ach im Brande

[443]Zweite Abtheilung.
Laßt die ganze Seele gluͤhen,

Strahlen aus und einwaͤrts ziehen,

Lilgen werden auferbluͤhen,

Nacht und Dunkel ſchuͤchtern fliehen

Von dem Lande,

Wo das Kreuz in Thraͤnen ſtande.

Ach, Maria, welche Leiden

Mußten deine Seele ſchneiden!

Wer empfand doch von euch beiden

Wohl zumeiſt den Tod der Freuden?

Englein, kommt! im Niederklimmen

Laßt erglaͤnzen eure Stimmen,

Ihr wart ja am Kreuz zugegen

Als der Welt geſchah der Seegen,

Muͤßt euch klingend nun bewegen,

Fluͤglein fein zuſammen legen,

Daß in den Geſanges-Stimmen

Stoͤrend mag kein Rauſchen ſchwimmen.

Als die Mutter in dem Sohne

Sah ihr eignes Herze toͤdten,

Ach, wie ward in bittern Noͤthen

Dir des Todes Angſt zum Lohne!

O, wo blieb die goldne Krone?

Deine Seele rief zum Throne

Mit dem Sohne: Vater, ſchone!

Ach! wer koͤnnte ſich verſteinen,

Nicht mit dir, Maria, weinen?

Seel' und Herz nicht dir vereinen?

Thraͤnen, brecht hervor mit Scheinen,

Zittert Toͤne, klage Stoͤhnen,

Siehe, wie in Schmach, Verhoͤhnen,

Noth, Angſt, Schmerz zerbricht den Reinen!

Aber, Weinen,

[444]Zweite Abtheilung.
Laß in dir ein Lachen ſcheinen;

Zittert Thraͤnen, freundlich klingend,

Und lobſingend

Tritt hervor du tiefes Klagen!

Wonnevoll ſind ſeine Plagen,

Und das Herz muß zu ſich ſagen:

Meinethalb hat ers getragen.

Selbſt das Kreuz, an das geſchlagen

Jeſus Chriſtus unverſchuldet

Seine ſchwere Marter duldet,

Will vor Freuden und vor Leiden

Weinen,

Thraͤnen mit dem Blute einen.

Menſchen ſeht hier eure Wonnen,

Ausgeloͤſcht ſind eure Sonnen,

Ausgetrocknet alle Bronnen:

Aber habt ihr euch beſonnen

Daß euch dadurch Heil gewonnen?

Daß mein Herz am Kreuzesſchafte,

Milder Jeſus, ewig hafte,

Bis es liebend ganz verbronnen!

Ja, es ſoll in mir zerbrechen!

Klagen, Weinen, holdes Lachen,

Ihr muͤßt jetzt das Ende machen:

So wie kleine Kindlein ſprechen,

Ploͤtzlich aus in Thraͤnen brechen;

Iſt es Schuld wohl und Verbrechen,

Wenn ſie in den Thraͤnen lachen?

Wunden, ſeid wie ſuͤße Blumen,

Seufzer, aus den Heiligthumen

Steigt empor wie ſuͤße Duͤfte

Wallet in die Himmelsluͤfte:

Sehnen,

[445]Zweite Abtheilung.
Thraͤnen,

Holdſeeligkeiten,

Himmliſche Freuden,

Wie ſie ſuͤß und hell verbreiten

Durch mein Herz die Herrlichkeiten!

Nichts ſoll mich im Tode ſcheiden,

Jeſu Chriſt, von deinen Leiden!

Sei mir du, Maria, milde,

Gegen dieſes Leben wilde,

O du ſuͤßes Gottesbilde!

Deine Liebe ſei mein Schilde!

Wann die letzte Stunde kommen,

Sei die Seel' in Lieb' entglommen,

In den Himmel aufgenommen.

Amen!

Es vernahmen

Gott, Maria, Chriſt, die Bitten,

Sie ſind nicht von Euch beſtritten,

Denn ſie kamen

Recht hier aus des Herzens Mitten,

Auch fuͤr mich haſt du gelitten,

Amen!

Und es iſt vom hohen Chor

Kaum der letzte Ton verglommen,

Iſt er ſchon der Erd' entnommen

Und die Seele ſteigt empor.

Gluͤcklich iſt wohl der zu preiſen,

Der vor Gott hin durfte treten

Mit ſo lieblichen Gebeten,

Mit ſo ſchoͤnen frommen Weiſen.

[446]Zweite Abtheilung.
Die Muſik ſpricht:
In inn'ger Lieb' war ich mit dieſem Kinde,

Und ihm gelang, in ſuͤßen Himmels-Weiſen

Die Mutter Gottes wunderhold zu preiſen,

Und Aller Herzen ruͤhrt ſein Geiſt gelinde.

Da loͤſten ſie in Wehmuth ihre Suͤnde,

Es beteten die Thoren wie die Weiſen,

Der Engel fuhr herab in Thraͤnen, leiſen

Fluͤgelgetoͤns, daß er ihr Heil verkuͤnde.

Da fiel den Boͤſen Zagen an und Beben,

Er ſprach: der ſuͤße Pfeil hat all' getroffen,

Mein Reich verſinkt, den Menſchen nur zum Spotte!

Er ſtuͤrmt ihn an, des Juͤnglings Herz war offen

In Andacht, reißt die Blaͤtter ab vom Leben,

Und aus dem Reich entbluͤht der Geiſt zu Gotte.

Das heiterſte Wetter war wieder eingetre-
ten, daher genoß die Geſellſchaft am folgenden
Tage die Schoͤnheit der Gegend um ſo mehr,
als dieſer Genuß ſo ganz unerwartet kam. Alle
waren froh, nur Auguſte ſchien verſtimmt, und
als man ſich am Abend zur gewoͤhnlichen Leſe-
ſtunde niederſetzte, machte ſie Mine, fortzugehn.
Du biſt wieder einmal ungezogen, ſagte Man-
fred; was iſt dir, Schweſter? Nichts, rief ſie
aus, aber ich bin heut nicht aufgelegt.


Laſſen wir die ſchoͤne Ungnaͤdige, ſagte Wili-
bald, ſie will uns eben zeigen, wie weit die Lie-
benswuͤrdigkeit ihren Eigenſinn treiben duͤrfe,
ohne unliebenswuͤrdig zu werden.


[447]Zweite Abtheilung.

Und wie weit die Gravitaͤt gehn koͤnne, ant-
wortete Auguſte ſehr ſchnell, die die ganze Welt
hofmeiſtern will.


Aber was habt Ihr nur, fragte Manfred?


Der Herr verlangt, rief Auguſte aus, unge-
heuren Dank dafuͤr, daß er mir zu Gefallen,
wie er ſagt, ein Maͤhrchen, oder kindiſches Dra-
ma geſchrieben hat, und da ich heut zu nichts
Ungeheuerm aufgelegt bin, wollte ich lieber die
Geſellſchaft verlaſſen.


Weder ungeheuren Dank, ſagte Wilibald,
noch irgend Dank habe ich verlangt, ſondern ich
erzaͤhlte dem ſchoͤnen Zorn nur heut Morgen, daß
ich faſt nicht geſchlafen habe, um, ihrem hohen
Befehl gemaͤß, ein albernes Drama fertig zu
machen, wofuͤr ſie mir wahrſcheinlich nicht dan-
ken wuͤrde, weil es nicht witzig, geiſtreich und
luſtig genug ſei, ſo viel ich ihm auch von die-
ſen drei vortrefflichen Dingen wuͤnſchte, um mein
erzuͤrntes Schickſal zu beſaͤnftigen. So viel hab'
ich geſagt, und ſo weit geht mein Verbrechen,
will Auguſte mich fuͤr meinen guten Willen durch
ihre Entfernung beſtrafen, ſo bin ich ein Maͤr-
tyrer unſrer Unterhaltung.


Das darf nicht ſeyn, rief Lothar feierlich,
zum Gluͤck bin ich heut wieder zugegen und kann
die Ordnung aufrecht erhalten; Klaͤgerin ſetzte
ſich alſo und Beklagter beginnt. — Wilibald las:


[448]Zweite Abtheilung.

Leben und Thaten
des
kleinen Thomas, genannt Daͤumchen.


Ein Maͤhrchen in drei Akten.


Perſonen:


  • Artus,

    Koͤnig.


  • Ginevra,

    Koͤnigin.


  • Gawein,

    Neffe des Koͤnigs.


  • Kay,

    Hofmarſchall.


  • Semmelziege,

    Hofrath.


  • Ida,

    deſſen Gattin.


  • Alfred,

    Philoſoph.


  • Perſiwein,

    Dichter.


  • Leidgaſt,

    ein ungeſchlachter Mann.


  • Malwina,

    deſſen Frau.


  • Ihre Kinder.

  • Zahn,

    Hofſchuſter.


  • Kirmeß,

    ein Bader.


  • Wahrmund,

    ein Bauer.


  • Elſe,

    deſſen Frau.


    • Thomas,

    • Barnabas,

    • Matthias,

    • Peter,

    • Siegmund,

    • Auguſt,

    • Walther,
    • ihre Kinder.


Erſter
[449]Daͤumchen.

Erſter Akt.


Erſte Scene.

(Huͤtte.)

Wahrmund, Elſe.

Elſe.

Er iſt wirklich krepirt?


Wahrmund.

Ja da ſitzen wir nun im Jam-
mer. Er war mein beſter Freund, und wenn ich
ihn nicht ſelber brauchte, ſo lehnt' ich ihn aus,
und er verdiente mir ſein Stuͤckchen Geld. Nun
koͤnnen wir unſer kleines Feld im Buſch auch nur
weggeben. Was nuͤtzt es uns?


Elſe.

Ach, der gute Schimmel! Aber wir
kriegten ihn ſchon alt und lebensſatt, es iſt ein
Wunder, daß er nur noch ſo lange ausgehalten.


Wahrmund.

Kommt doch ein Ungluͤck zum
andern, uns zu ruiniren. Leg Holz in den Kamin,
daß wir unſer Elend wenigſtens ſehn koͤnnen.


Elſe.

Wenn der gnaͤdige Herr bezahlte, was
er dir fuͤr vierteljaͤhrige Arbeit ſchuldig iſt.


Wahrmund.

Ja, wenn! — Komm einer
mal dem zu Hofe mit ſolchen Forderungen! das
II [ 29 ]
[450]Zweite Abtheilung.
erſte iſt, daß er ſeinen großen maͤchtigen Pruͤgel
ſucht, und da muß man nachher froh ſeyn, wenn
nur kein Arm oder Bein drauf gegangen iſt, die
ſimpeln Schlaͤge muß man fuͤr Wohlthat achten.


Elſe.

Gewiß er hat eine abſonderliche Ma-
nier, ſeine Unterthanen zu regieren; haute er im
Dienſt des Koͤnigs ſo eifrig zu, ſo wuͤrden ſie ihn
fuͤr einen ganzen Mann halten.


Wahrmund.

Element! ſo ein armer Tage-
loͤhner iſt doch das geſchorenſte Creatur auf Erden.
Wenn ich mir alles recht uͤberlege, moͤcht' ich de-
ſperat werden.


Elſe.

Das fehlte uns noch in der Haus-
haltung.


Wahrmund.

Horch! was iſt das fuͤr Laͤrm?


Elſe.

Nichts, es ſind die Kinder in der
Kammer, ſie ſchlafen noch nicht.


Wahrmund
(geht an die Kammer).

Wollt ihr
Tauſendſackerloter wohl Ruh geben! Legt euch aufs
Ohr und ſchlaft, daß ihr morgen fruͤh munter
ſeid, oder ich werde euch mit der Peitſche uͤbers
Fell kommen.


Elſe.

Laß die armen Wuͤrmer, der Hunger
peinigt ſie auch, und da werden ſie ſich wohl ein
Bischen unruhig rum waͤlzen.


Wahrmund.

Ja, ſieben Kinder auf dem
Halſe und kein Brod im Hauſe, Abgaben, ſo
hoch und ſchwer, wie nie, den Feind im Lande,
Einquartirungen, und die Kerle freſſen, daß es
ein Wunder iſt, wie ſie nur Tiſch und Schemel
noch ſtehen laſſen; das Schweinfleiſch ſchlingen ſie
[451]Daͤumchen.
ja mit Schwarten und Borſten hinter, die Rinds-
knochen beißen ſie mit ihren Hauern entzwei, als
wenn es Taubenbeinchen waͤren, und unſer gute
Koͤnig, dem Gott langes Leben und alles Gluͤck
ſchenke, denkt gewiß Wunder wie gluͤcklich wir
ſind.


Elſe.

Nun, was koͤnnt' er denn eben auch
thun?


Wahrmund.

Drunter hauen, daß die Stuͤcke
davon fliegen. O ſapperment! wenn ich nur ſeine
Armee zu kommandiren haͤtte, der Feind ſollte ſich
hinter den Ohren kratzen.


Elſe.

Was hilfts? Heut ſchlaͤgt er ſie mal
ein Biſſel, morgen wird er deſto tuͤchtiger geſchla-
gen. Die politiſchen Herren da oben werden doch
am beſten wiſſen, wo alles hinaus ſoll.


Wahrmund.

Mag ſein, uns wird aber
unterdeß das Fell ſauber abgezogen; was hilfts
uns, wenn ſie uns auch nachher Pelz und Mantel
umlegen wollen? Es fehlt dann am Beſten, an
der eignen angebornen Haut. — Horch! wie die
Luͤmmels dadrin ſo ruhig und gottſeelig ſchnarchen!
die Bengels werden nun ſchon groß, aber das
kriegt kein Nachdenken, moͤgen die Eltern doch zu-
ſehn, woher ſie das Brod ſchaffen; das liegt nun
da auf'm Stroh wie im Himmelreich und laͤßt
Gott einen guten Mann ſeyn. Wenn ichs recht
bedenke, ſo moͤcht ich im Gram die Karbatſche er-
wiſchen, und ſie ſo abſchmieren, daß ſie erfuͤhren,
wie Sorg und Nachdenken thut.


[452]Zweite Abtheilung.
Elſe.

Laß ſie, iſts ja doch ein Gluͤck, wenn
ſie ſchlafen koͤnnen.


Wahrmund.

Wenn wir die Nattern nur
nicht haͤtten, ſo koͤnnte man ſich eher helfen, aber
die Brut ſaugt einem Mark und Gebein aus.


Elſe.

Du lieber Gott! Was wir uns in
den erſten Jahren unſrer Ehe Kinder wuͤnſchten!
Was wir trauerten und uns haͤrmten, daß an mei-
nem Leibe immer und immer kein Seegen ſichtbar
werden wollte. Da ließen wir uns von Zigeunern
wahrſagen, da braucht ich die kluge Frau im Wal-
de, da gingen wir endlich nach der Felſengegend,
wo der große Zauberer verzaubert liegt, daß ihn
kein Menſch ſieht, und nur die Stimme von ihm
uͤbrig geblieben iſt, — wie heißt er doch?


Wahrmund.

Laß gut ſeyn, — Schmerl
oder Merl, — die Alfanzerei laͤuft auf eins hin-
aus.


Elſe.

Recht, Merlin. Da kriegten wir den
Troſt, daß ein Knabe von mir geboren werden
ſollte, der noch einmal unſer Gluͤck machen wuͤrde.
— Ja, ja leere Worte, — was bracht' ich in
meiner Angſt zur Welt? den kleinen armſeligen
Thomas, einen Zwerg, einen unnuͤtzen Brodfreſ-
ſer, aus dem zeitlebens nichts werden kann, der
allen im Dorf ein Spott iſt; der Schlingel iſt
nun ſchon funfzehn Jahr, und die dreijaͤhrigen
Kinder im Dorf pruͤgeln ihn ab, ſo oft ſie nur
Luſt dazu haben, Ekelnamen rufen ſie ihm nach;
Daͤumchen! heißt es hier, Daͤumchen! ſchreien ſie
da uͤber den Zaun, wenn er vorbei geht, ſo daß
[453]Daͤumchen.
ich meine Schande und Spott an ihm zur Welt
gebracht habe. Muß man doch immer nachſehn,
daß ihn Kaͤlber und Schaafe nicht gar uͤberlaufen
und in den Boden treten. Das war nun das
große Gluͤck!


Wahrmund.

Halts Maul, Weib, der Jung
iſt gut, hat Gruͤtz im Kopf; was haſt uͤber ſeine
Kleinheit zu raͤſonniren? Ich will ihn zum Gevat-
ter Bader thun in die Lehre, denn zu meiner Pro-
feſſion taugt er freilich nicht; Holzhauen iſt nicht
ſeine Sache, er wird zeitlebens keine Art aufhe-
ben koͤnnen.


Elſe.

Zum Bader? Mann, Mann, wo
denkſt du hin? Wenn er jemand barbiren ſoll,
muß er ja auf eine Leiter ſteigen, der kleine Spitz-
bube.


Wahrmund.

Ich ſage noch einmal: halts
Maul! was verſtehſt du davon? Ein ganz andrer
Kerl iſt er, als der dicke Taugenichts, das Wurſt-
maul, der rothhaarige Racker, der Peter, dem du
immer alles zuſteckſt, und der den Kleinen moleſtirt,
wo er weiß und kann. Der tuͤckſche rothe Hund!
Sieht aus, wie ein Mameluck, der Fratz. Und
welche Gabe er hat einzubeißen!


Elſe.

So recht! uͤber den armen Jungen
gehts immer her, der doch der einzige iſt, der uns
ſchon etwas helfen kann, der auch guten Willen
zeigt.

(weint)

Das iſt nun mein Dank, mein Lohn
fuͤr alle das lange zwanzigjaͤhrige Elend, das ich
mit dir ausgeſtanden habe, daß ich Hunger und
Kummer mit dir habe leiden muͤſſen, und oft von
[454]Zweite Abtheilung.
den Nachbarn fuͤr dich zur Suppe etwas zuſammen
betteln, du wilder, undankbarer Menſch du!


Wahrmund.

Laß gut ſeyn, Elſe, der Junge
iſt ja, bis auf die rothen Haare, ſo uͤbel nicht;
haſt Recht, aus dem wird gewiß ein tuͤchtiger
Holzhauer. Nun, hoͤr auf zu greinen, und gieb
lieber guten Rath, was wir anfangen ſollen.


Elſe.

Sollte der Bader uns nicht mehr bor-
gen?


Wahrmund.

Der? Es thaͤte noth, wir
borgten ihm, ſo erbaͤrmlich ſtellt er ſich an. Unſer
Haus iſt ihm verpfaͤndet, fuͤr das krepirte Pferd
ſind wir ihm auch noch ſchuldig, auf das Stuͤck-
chen Acker hat er ſchon geliehen, zu verſetzen haben
wir nichts mehr, das weiß er, er giebt keinen Heller.


Elſe.

Der gnaͤdige Herr —


Wahrmund.

Lieber verhungern, als es mit
dem verſuchen. Wie geſagt, wenn nur die Kinder
nicht waͤren!


Elſe.

Wir haben ſie aber doch nun einmal.


Wahrmund.

Wenn ſie Gott zu ſich genom-
men haͤtte, ſo haͤtten wir ſie nicht mehr. Mir
kommt da ein Gedanke, — ſage mal, — aber du
mußt mich ausreden laſſen.


Elſe.

Nun ja doch.


Wahrmund.

Waͤre denn das Ungluͤck ſo
groß geweſen, wenn ſich neulich die drei im Wald
verlaufen haͤtten, die wir ſo lange nicht wieder
finden konnten?


Elſe.

Je nun, es waͤre doch Jammer und
Schade geweſen.


[455]Daͤumchen.
Wahrmund.

Sieh, lieber Schatz, was
wir beſſer dran waͤren, und die uͤbrigen Rangen
beſſer erziehn koͤnnten, wenn wir morgen etwa ge-
gen Abend ſo ein drei, viere verzettelten, ſie ſo im
Walde verloren laufen ließen, auf gut Gluͤck: wer
weiß, wie ſich Gott ihrer wunderbarer Weiſe an-
naͤhme; das Gluͤck will beim Menſchen oft eine
Gelegenheit haben, man muß ihm doch die Thuͤr
nicht ganz verſchließen, und es mal auf die Probe
ankommen laſſen, ob es vielleicht nicht beſſer wird.
So kaͤmen wir denn ſtill und ſacht mit Thomas,
Barnabas, Matthis wieder nach Hauſe, und lie-
ßen die andern fuͤr ſich ſelber ſorgen.


Elſe.

Und Peter?


Wahrmund.

Der dickkoͤpfige Schlingel
bliebe mit Auguſt, Walther und Siegmund im
Walde.


Elſe.

Nein, Thoms, der Storchbein, der
Muͤckenheld kann draußen bleiben. Der findet
allenthalben Futter genug fuͤr ſich, der braucht am
wenigſten.


Wahrmund.

Schade waͤrs um den anſchlaͤ-
gigen Kopf.


Elſe.

So beſſer kann er ſich forthelfen.


Wahrmund.

Nun gut, aber wenn der
draußen bleibt, ſo laſſen wir den Freſſer, den Pe-
ter, auch draußen.


Elſe.

Nimmermehr, denn der Junge wird
noch ein Troſt meines Alters.


Wahrmund.

So muß Thoms auch mit
zuruͤck.


[456]Zweite Abtheilung.
Elſe.

Lieber Mann, keiner oder alle; Gott
wird uns den Schritt verzeihen muͤſſen, zu dem
uns die Noth und Verzweiflung treibt.


Wahrmund.

Keiner oder alle; ſchau, Weib,
da haſt du einmal ein recht kluges Wort geſagt.
Es nutzt ſo armen Leuten, wie wir ſind, durchaus
nicht, ſo viele Kinder zu haben, und, wie geſagt,
wer weiß, wo ſie nachher ihr Gluͤck machen koͤn-
nen, iſt die Welt doch lang und breit genug: hier
im Hauſe muͤſten ſie ja doch auch verſchmachten.


Elſe.

Man ſagt ja von Feen und Geiſtern,
die ſich der Menſchen annehmen. Kurz, wir geben
ſie in die Hand des Himmels.


Wahrmund.

Iſt mir doch ordentlich ganz
leicht. Komm, wir wollen uns auch zu ihnen
auf die Streu niederlegen. Der liebe Gott muß
ſo armen Leuten durch die Finger ſehn.


(gehn in die Kammer).

Zweite Scene.

(Felſengegend Wald).

Perſiwein.
ſteigt herauf und ſingt zur Laute.

Es rauſcht der Wald, es ſpringt der Quell,

Die Sonne ſcheint hernieder,

Da wandert froh der Junggeſell,

Singt Baum und Felſen ſeine Lieder,

Dem muntern freien Blut

Die ganze Welt ſo hold und freundlich thut.

[457]Daͤumchen.
Da unten iſt der Staͤdte Zahl,

Da wohnen Noth und Leiden,

Die Armuth klagt im ſtillen Thal,

Sich wollen Ehleut ſcheiden,

Da wandert fort, eilt weg ſo ſchnell

Der muntre luſtge Junggeſell.

Und will die Lieb' ihn liſtig fangen,

Lockt ihn die Sehnſucht und Genuß,

Er kuͤßt die Lippen und die Wangen,

Vermeidt des Eheſtands Verdruß,

Spannt man die Heiraths-Netze aus

Gleich dreht der Knabe ſich zur Thuͤr hinaus.

Was da unten friedlich, niedlich, einſam und
ruͤhrend die Huͤtten liegen und das Gaͤrtchen dane-
ben. Schoͤne romantiſche Natur iſt doch etwas
Trefliches, und darein die Haͤuſer, der Rauch von
den Schornſteinen, das iſt ſo anlockend, weckt ſehn-
ſuͤchtige Gedanken, daß man dort ſeyn moͤchte, ſich
einwohnen, der Natur leben. — Aber ſeh ich recht?
Kriecht da nicht unten am Felſen mein Freund Al-
fred umher und botaniſirt? — Richtig! das iſt
ſeine philoſophiſche Miene, ſeine nachdenkliche Stel-
lung, ſein Kopfſchuͤtteln uͤber das Univerſum. —
Alfred! Komm zu mir herauf, theurer Geliebter,
laß da unten die Mooſe und Schwaͤmme in ihrer
Dunkelheit und falle an ein Menſchenherz, das
Dir entgegen zappelt! — Teufelskerl von einem
Freund; da ſchlaͤgt er erſt noch ein Stuͤck vom
Felſen herunter, um zu wiſſen, ob auf Granit
oder Porphyr unſre zaͤrtliche Scene des Wieder-
findens vor ſich gehen ſoll.


[458]Zweite Abtheilung.
Alfred koͤmmt herauf.

Alfred.

Guten Morgen, wo kommſt Du her?


Perſiwein.

Und Du? — In meine Arme
eile, Beſter, Theuerſter, ſeit einem langen Jahre
nicht Geſehener.


Alfred.

Laß mich nur erſt den merkwuͤrdi-
gen großen Pilz weglegen, ſo kann es geſchehn.

(ſie umarmen ſich)

Sag mir nur, Phantaſt, warum
ſich zwei gute Bekannte umarmen muͤſſen, wenn
ſie ſich eine Zeitlang nicht geſehn haben. Und der
Eſel druͤckt, daß mir der eine Zahn wackelt, und
die Ribben weh thun. Was ſolls nur? Kann
man nicht vergnuͤgt und ſich herzlich gut ſeyn,
ohne dies Haͤndezerknuͤllen, Armeumeinanderſchla-
gen, Lippen preſſen?


Perſiwein.

Es iſt doch das natuͤrlichſte von
der Welt.


Alfred.

Hergebrachte Mode iſt es, alte Ue-
berlieferung von einem Geſchlecht zum andern,
kein natuͤrlicher Menſch, kein denkender Kopf wird
darauf verfallen, jeder macht es nach, weil man
es ihm ſo gelehrt hat.


Perſiwein.

Ich will mit Dir nicht ſtrei-
ten. Wo koͤmmſt Du her? Wo gehſt Du hin?


Alfred.

Ich reiſe jetzt durch dieſe Thaͤler
und Waͤlder, um mich recht eigentlich uͤber die
Verwandſchaften der Pilze aufzuklaͤren: man wird
erſtaunen, wenn ich einmal erſt alles heraus ſage,
welche Mißverſtaͤndniſſe, welche ungeheure Verwir-
rung in dieſem Zweige unſerer Literatur herrſcht,
[459]Daͤumchen.
welche Irrthuͤmer Maͤnner verbreitet haben, deren
Namen man nur mit der groͤßten Ehrfurcht nennt;
alles das muß nun geſtuͤrzt, total revolutionirt wer-
den, und daran ſetz ich mein Leben und meine Be-
ſtimmung.


Perſiwein.

Ein lobenswuͤrdiger Eifer.


Alfred.

Und was treibt Dich umher? Haſt
Du Dich auf etwas Solides applizirt?


Perſiwein.

Du ſiehſt, dieſe Laute iſt noch
immer mein Erſtes und Letztes.


Alfred.

Ach du lieber Gott! Dein Zuſtand
floͤßt mir Erbarmen ein.


Perſiwein.

Aber, mein Lieber, alle Men-
ſchen koͤnnen unmoͤglich tiefſinnig und erhaben ſeyn.
Ich durchſtreife das Land, ſinge, dichte, ſuche die
ſchoͤnen Gegenden auf, und begebe mich vielleicht
nachher in den Schutz eines großen Herrn, wo
moͤglich des Koͤniges, der die Kuͤnſte lieben ſoll.


Alfred.

Die Zeiten ſind nicht darnach, Druck,
Armuth, Noth allenthalben, das pure Elend in der
Huͤtte wie in den Pallaͤſten, wer jetzt nicht auf
etwas Sicheres und Nothwendiges fußt, iſt in
hoͤchſt bedraͤngter Lage.


Perſiwein.

Nun ſollte nur noch der dritte
Freund von der hohen Schule hier ſeyn, ſo waͤre
das alte liebe Kleeblatt vollſtaͤndig beiſammen.


Alfred.

Wen meinſt Du?


Perſiwein.

Treuloſer Freund! gaͤnzlich ver-
geſſen haſt Du unſern lieben, edeln, herzlichen
Semmelziege?


Alfred.

Ah! den Schwaͤrmer.


[460]Zweite Abtheilung.
Perſiwein.

Das iſt wahr, einen kleinen
Hieb hatte er von Jugend auf, der Gute, zu ſelt-
ſam, zu hoch geſtimmt war ſeine Empfindung, und
das hat er uns arme gewoͤhnliche Erdenſoͤhne oft
genug fuͤhlen laſſen.


Alfred.

Er ſoll in der Reſidenz eine ein-
traͤgliche Stelle haben, Tribunalrath oder Hofrath
geworden ſeyn; ich habe ſeinen Titel vergeſſen, ſich
auch verheirathet haben.


Perſiwein.

Wie er ſich mit ſeinem hohen
Schwunge wohl in das gewoͤhnliche Leben mag ge-
funden haben. Sein Streben ging immer zum
Ueberirdiſchen und Himmliſchen, er flog oft ſo
hoch, daß ich ihn ganz aus den Augen verlor.


Alfred.

Er kam aber doch immer wieder
zur Erde zuruͤck.


Perſiwein.

Sieh! ſieh! was iſt das Weiße,
das dort unten im Thal in der Luft ſchwebt?


Alfred.

Ich ſehe nichts.


Perſiwein.

Dort unten, bei den romanti-
ſchen Huͤtten, im Gaͤrtchen, — ſieh, wieder, —
nun koͤmmt es zuruͤck, — nun fliegt es wieder in
die Hoͤhe.


Alfred.

Ich muß mein Glas zur Huͤlfe
nehmen. Sollt es nicht ein Schmetterling ſeyn?


Perſiwein.

Es iſt groͤßer.


Alfred.

Ich ſeh, es iſt eine Eule, die her-
unter gefallen iſt und vom Tageslicht geblendet ih-
ren Baum nicht wieder finden kann.


Perſiwein.

Es hat faſt eine menſchliche
Geſtalt.


[461]Daͤumchen.
Alfred.

Warum nicht gar. Jetzt unterſcheid'
ich, es iſt ein Stuͤck Waͤſche, mit welchem der
Wind ſpielt.


Perſiwein.

Ei bewahre! Es laͤuft ja, dann
fliegt es wieder. Sehr kurios.


Alfred.

Wir ſollten hinunter ſteigen und es
naͤher unterſuchen, vielleicht giebt es Stoff zu einer
naturhiſtoriſchen Beobachtung.


Perſiwein.

Bleib, es ruͤhrt ſich und kommt
naͤher.


Alfred.

Ich aͤndre meine Meinung, es iſt
ein Thier, welches in den Bergen herum klettert.


Perſiwein.

Es ſcheint mir immer gewiſſer,
daß es eine Art von Menſch ſeyn muß.


Alfred.

Niemals werd ich das glauben.
Schau, wie es herauf klimmt, und die langen
Vorderbeine ſchwenkt und ſchleudert; es ſpuͤrt wohl
nach Maͤuſen.


Perſiwein.

Sieh, ſieh, nun nimmt es den
Hut ab und iſt ein Menſch.


Alfred.

Richtig, ich erſtaune.


Perſiwein.

Es gruͤßt. — Nur herauf, Ca-
merad, Landsmann! Er kann den Fußſteig nicht
finden.


Alfred.

Nun wird er betteln, und ich kann
wahrlich nichts entuͤbrigen.


Perſiwein.

Er ſcheint bekuͤmmert. Die
arme Creatur! Vielleicht kann ihn ein Liedchen
und die Laute aufheitern.


Alfred.

Dadurch wird es ihm in den Ein-
geweiden nur noch hungriger werden.


[462]Zweite Abtheilung.
Semmelziege kommt herauf als Pierrot.

Semmelziege.

Wie freu' ich mich — Seh
ich recht? Alfred, Perſiwein, o ihr hohen Juͤng-
linge, ſeid mir gegruͤßt!


Alfred.
(durch die Brille ihn betrachtend).

Iſts
moͤglich? Semmelziege, Menſch, du biſt es ſelbſt?
In dem Anzuge?


Perſiwein.

Wunderbar! Laß dich in die
Arme ſchließen. — Biſt du ein Eremit? Haſt dich
hier in der ſchoͤnen romantiſchen Wildniß aufs
Fliegen gelegt?


Alfred.

Was aus dem Menſchen nicht wird!
Kerl, du ſtehſt wenig wie ein Hofrath aus; viel
zu unreputirlich; ſage mir nur, was du treibſt.


Semmelziege.

O Goͤtterſoͤhne, Jugendfreunde, Weisheitsbruͤder,
Du, Hoher, mit dem Klang der ſuͤßen Lieder,
Du, Großer, mit dem tiefen Spaͤherſinn,
Wißt und erfahrt, der Hofrath iſt dahin,
Ein Sklav, gefangen, ſchlimmer noch als todt,
Bin ich dem Wuͤthrich dort nur Pierrot.


Alfred.

Ich verſtehs nicht, explizir dich
deutlicher.


Perſiwein.

Du ſtehſt aus wie vom Theater,
und doch nahm Dein Genie ehemals einen hoͤhern
Schwung.


Semmelziege.

Haͤtt' ich erfahren nie, was Schwung bedeutet!
Wie ſchoͤn auf ebner ſichrer Erde wallen!
Weh mir, ob dieſem Streben nach der Hoͤhe!


[463]Daͤumchen.
Alfred.

Alſo biſt Du kurirt und ein ver-
nuͤnftiger Menſch geworden?


Semmelziege.

O Freund, dahin auf ewig ſind die Tage,
Als ich des Adlers Fittig mir gewuͤnſcht,
Das Morgenroth zu ruͤhren mit der Scheitel,
Erfuͤllung uͤbervoll der Jugendtriebe
Ward mir, die Liebe fand die Gegenliebe.


Alfred.

Das halte der Henker aus. Kerl,
laß Dich doch in verſtaͤndliches Deutſch uͤberſetzen.


Semmelziege.

So hoͤrt, vernehmt, erſtaunt, erſtarrt, verſteint,
Und zittert, klagt, ſchluchzt, knirſcht, ſchreit, heult und
weint!


Alfred.

Adieu. Er iſt aͤrger geworden als er
war.


Semmelziege.

Wie ſoll ichs ſagen, welche Worte finden?
Vernehmt: da unten wohnt in kleiner Huͤtte,
Verſteckt von Waiden, Birken, hellen Buchen,
Ein Boͤſewicht, der mit dem fremden Heer
Zum wilden Krieg, der unſer Land verheert,
An dieſes Ufer trat; wild, ungebaͤndigt,
Entwich er von der Schaar als Marodeur,
Ließ ſich in dieſer Wildniß nieder, raubt,
Und als ich einſt am ſchoͤnen Fruͤhlingsmorgen
Den Hain durchirrend wilde Blumen breche —


Alfred.

Giebts auch Pilze dort?


Semmelziege.

Rothgeſprenkelte, blauge-
ſprenkelte, und die grauen ebenfalls.


Alfred.

Sind eben nicht die ſeltenſten, ich
[464]Zweite Abtheilung.
habe da einen, der ſich aus tauſend Aeſten und
Roͤhren verbreitet, ganz fleiſchfarbig, ein ſeltner
Fund.


Perſiwein.

Nun, und da? Wie gings
Dir weiter?


Semmelziege.

Da gerieth ich in dieſes
Revier, den Blick zur Sonne gewendet, eben daruͤber
denkend, wohin dieſe unendlichen Lichtmaſſen, welches
dieſes Geſtirn ausſtrahlt, gehen, und was aus ihnen
wird, da die Oekonomie der Schoͤpfung doch nichts
umkommen laͤßt —


Alfred.

Sieh, das iſt einmal ein vernuͤnfti-
ger Gedanke! Haſt Du oft ſolche luminoͤſe Augen-
blicke?


Semmelziege.

So verlohren in denkendes
Staunen, fuͤhlt' ich ploͤtzlich eine Fauſt am Genick.
Der Boͤſewicht wars, er ſchleppt' mich in ſein
Haus, betrachtet mich von allen Seiten und lacht
am Ende uͤber mich.


Alfred.

Ein Humoriſt, hat Dich wie ein
Buch unterm Arm, nach Hauſe genommen, um
Dich zu rezenſiren.


Semmelziege.

Nicht will ich Dich ermorden, ſpricht er endlich,
Dazu biſt Du mir zu gering: doch ſchien ich
Dem Wuͤthrich nicht zu ſchlecht, ein zeitverkuͤrzend
Vermaledeites Spiel aus mir zu machen.
In ſeinem Garten, welcher niedrig, feucht,
Weich und moraſtig leicht beim Regenwetter,
Da liegt ein Block, auf ihm ein langes Brett,
Der Spielplatz ihm in den Erholungsſtunden;
Der
[465]Daͤumchen.
Der Ungebildete, gleich niedern Buben,
Hat er hier oft den Froſch hoch aufgeſchnellt,
Gleich faßt er im Gemuͤthe den Beſchluß,
Mich auf des Brettes vordre Kante ſetzend,
Drauf hinten mit der Keule heftig ſchlagend,
Zu ſeinem Spaß mich in die Luft zu ſchleudern:
Hoch ſteig' ich, in den Garten fall' ich nieder
Auf weichen Grund, zuruͤck ihm muß ich eilen,
Und wiederum beginnt der ſchlechte Scherz.
So dien' ich ihm ſchon acht und vierzig Wochen,
Und doch iſt er der Albernheit nicht ſatt.
Bald ging mein Kleid in dieſer Uebung auf,
Da ſteckt' er mich in dieſen Bauernrock.
Das war's, was ihr erſt in der Luft geſehn,
Das war mein boͤſer, himmelhoher Schwung.


Alfred.

Nun ſage mir eins, was man in
unſern Tagen erlebt! Bei der Geſchichte ſind ge-
wiß viel Pilze zu Grunde gegangen.


Semmelziege.

Ich ſah Euch auf dem Felſenruͤcken ſtehn,
Drum wußt' ich nicht, warum mein Herz ſo ſchlug,
Vorahndung wars des nahen ſchoͤnen Gluͤcks,
Der Jugendfreunde Antlitz bald zu ſchaun.


Alfred.

Nicht wahr, es giebt einen verfluch-
ten Preller, wenn das Brett ſo gegen den Hintern
ſchlaͤgt, und die Erſchuͤtterung Dich in die Luft
fuͤhrt?


Semmelziege.

Dies ſagt Dir wohl die eigene Vernunft.


Alfred.

Nun, man unterrichtet ſich doch
gern. Gehts immer gleich hoch?


II. [ 30 ]
[466]Zweite Abtheilung.
Semmelziege.

Manchmal erlahmt dem Wuͤthrich ſelbſt die Kraft.


Alfred.

Laͤßt ſich denken. Er macht ſich wol
hauptſaͤchlich nach Tiſche die Motion?


Semmelziege.

Meiſt wenn beginnt des Tags Geſtirn zu ſinken


Alfred.

Nicht unvernuͤnftig; heut iſt es ja
aber noch Morgen.


Semmelziege.

Den Wilden regt die Laune ploͤtzlich an.


Alfred.

Natuͤrlich, ſolch Volk haͤlt in nichts
Ordnung.


Perſiwein.

Aber ſage mir nur, wie Du
in dieſe Gegend kommſt: Du ſollſt Dich ja in der
Reſidenz aufgehalten haben, verheirathet ſeyn; in
der Geſchichte iſt mir noch Vieles dunkel.


Semmelziege.

Wie in der Bruſt von neuem tobt der alte Schmerz,
Ob dieſer Frage, die dem Mund' des Freunds
entſchluͤpft!
Ja, mein Gemahl war liebevoll und hold und
ſchoͤn,
Vom Himmel fiel das freundlichſte Geſchick mir zu:
Doch wie dem Mann von Goͤttern nie ein reines
Gluͤck,
Das ungetruͤbt, ſtets gleichen Glanzes, wird ver-
liehn,
So war der Holden, trotz der Tugend, beigeſellt,
Was haͤrmend Tag und Nacht das Herz mir ab-
genagt.


Alfred.

Nun? Erzaͤhle kurz und buͤndig.


[467]Daͤumchen.
Semmelziege.

Des Hauſes Sorge nahm zu ſehr den Sinn
ihr ein,
Die Sauberkeit, das Porzellan, die Waͤſche gar;
Wenn ich ihr wohl von meiner ewgen Liebe ſprach,
Nahm ſie der Buͤrſte vielbehaartes Brett zur Hand,
Um meinem Rock die Faͤden abzukehren ſtill,
Zuweilen ſelbſt, wenn aus dem Feld ich heimgekehrt,
Von Blumenſchmelz und Fruͤhlings-Pracht, die
Lipp' ertoͤnt,
Holdſelgen Wahns, daß nun ihr Aug' in Thraͤnen
ſchwimmt,
Faßt ſie den ſchwanken Baumesſproß der Haſelgert,
Ausſtaͤubend mir des Tuches ruͤckenhuͤllend Blau.
Doch haͤtt' ich gern geduldet alles, außer Eins,
Daß wo ſie ſtand und wo ſie ging, auswaͤrts, im
Haus,
Auch im Concert, wenn Tongewirr die Schoͤpfung
ſchuf,
Begeiſtrungs-Drang in Jungfrau Art die Fahne
ſchwang,
Ja, lag als Sphinx, hoch Kunſtgebild, ein hehres
Weib,
Saß ſchmerzvoll, mulier dolorosa, mit dem Mann,
Da zaspelnd, haspelnd, heftig rauſchend, nim-
mer ſtill,
Ellenbogen fliegend, ſchlagend Seiten und Geripp,
Sie immerdar den Strickſtrumpf eifrig handgehabt.


Alfred.

Und das war dir am Ende fatal?


Perſiwein.

Kurioſer Kautz, vielleicht hat
ſie Dir ſelbſt Struͤmpfe geſtrickt.


[468]Zweite Abtheilung.
Semmelziege.

Einſt, als des Thorus heilig Lager uns umfing,
Am Himmel glanzvoll prangte Lunas keuſcher
Schein,
Der goldnen Aphrodite Gab' erwuͤnſchend mir
Von ſilberweißen Armen ich umflochten lag,
Schon denkend, welch ein Wunderkind ſo holder
Nacht,
Welch Vaterlandserretter, kraftgepanzert, ſoll
Dem zarten Leib entſprießen nach der Horen Tanz,
Fuͤhl ich am Ruͤcken hinter mir gar ſanften Schlag:
Da waͤhn' ich Liebsgekoſe neckt die Schulter mir,
Und laͤchle fromm die ſuͤße Braut und ſinnig an:
Bald naht mir der Enttaͤuſchung grauſer Hoͤllen-
ſchmerz,
Das Strickzeug tanzt auf meinem Ruͤcken thaͤtig
fort,
Ja ſtand das Werk juſt in der Ferſe Beugung, wo
Der Kundigſte, ob vielem Zaͤhlen, ſelber pfuſcht.


Perſiwein.

Das iſt aber himmelſchreiend!


Semmelziege.

So ging ich von ihr, mit Verzweiflung rin-
gend wild,
Zum Wald hier kam ich, wo mein Schickſal ſich
entſchied.


Alfred.

So gehts den Schwaͤrmern faſt
immer, die ſich nicht zeitig in die Wirklichkeit fuͤ-
gen lernen.


Stimme
(von unten).

Semmelziege!


Alfred.

Was iſt das?


Semmelziege.

Der Boͤſewicht ruft, er hat
[469]Daͤumchen.
heut noch nicht genug an ſeinem vermaledeiten
Spiel, es ſoll von neuem losgehn.


Perſiwein.

Armer Leidender!


Semmelziege.

Macht euch nur ſchnell
davon, denn wenn er Euch erwiſcht, ſo iſt er im
Stande, euch aufzufreſſen, wenn er gerade bei
Appetit iſt.


Perſiwein.

Die Eigenheit hat er auch noch?


Stimme.

Semmelziege!


Semmelziege.

Ich komme ſchon! — Adieu,
meine Freunde, auf Wiederſehn unter gluͤcklichern
Umſtaͤnden.

(geht ab.)

Perſiwein.

So wollen wir uns nur ſchnell
davon machen.


Alfred.

Meinen Pilz nicht zu vergeſſen. —
Wahrlich, es ſind jetzt nachdenkliche Zeiten in die-
ſer Welt.

(gehn ab.)

Dritte Scene

(Wald.)

Wahrmund, Elſe, die Kinder.

Wahrmund.

Sucht, Kinder, das Reiſig
huͤbſch zuſammen, und bringt es nachher all auf
einen Haufen, denn es wird ſchon ſpaͤt. — Peter,
Du haſt die meiſten Kraͤfte, ſchlepp friſch alles her-
bei, die andern ſollen es binden. — Siegmund, da
[470]Zweite Abtheilung.
hinter der Eiche dort, hab ich auch was hingelegt,
hols geſchwinde, — Du, Walther, kleine Krabbe,
tummle dich.


Elſe.

Peter, lieber Junge, hoͤre doch, —
nun, geh nur, wohin der Vater Dich ſchickt, es hilft
ja doch nichts.


Wahrmund.

Barnabas, Schliffel, kannſt
nicht die Blaͤtter abraffeln?


Elſe.

Der Thomas hockt hier, und thut gar
nichts.


Wahrmund.

Er giebt auf unſern Karren
Acht.


Elſe.

Lauf hin, kleiner Fratz, und hilf dem
kleinen Walther. —


Wahrmund.

Nun ſind ſie alle fort.


Elſe.

Ja, die guten Kinder, nun haben wir
ſie zum letztenmale geſehn.


Wahrmund.

Fang nur nicht noch an zu
greinen. Komm, jetzt wollen wir uns auf den
Fußweg machen, das Thal hinunter, ſo kommen
wir ihnen recht ſchnell aus den Augen.


Elſe.

So ſprich nur nicht lange und lauf.


(ſie gehn ab.)

Peter
(kommt.)

Da, hier — wo ſind ſie denn? Vater! Mutter!


Barnabas.

Nun iſt alles beiſammen.


Matthis.

Ja, es wird finſter, wir ſollten
nach Hauſe gehn.


Peter.

Und mich faͤngts an zu hungern, es
iſt Zeit zum Abendeſſen.


[471]Daͤumchen.
Siegmund.

Obs Kloͤße giebt?


Peter.

Vater! Mutter! — Kein Menſch
zu hoͤren und zu ſehn.


Walther.

Ach! lieber Gott! ich hoͤre ſchon
die Eulen ſchrein.


Peter.

Die Eulen werden Dir nichts thun,
wenn nur keine Woͤlfe kommen.


Barnabas.

Aber wo ſind nur die Eltern
hingelaufen?


Walther
(weint.)

Ach, ich fuͤrchte mich gar
zu grauslich, die ſchwarzen Maͤnner ſtehn hinter
den Baͤumen.


Siegmund.

Die Stachelſchweine und die
Maulwuͤrfe werden munter, die Erde ruͤhrt ſich
ſchon unter mir.


Barnabas.

Es knarrt und hackt oben in
den Baͤumen.


Matthis.

Die Winde gehn, und die Wol-
ken ziehn ſo ſchwarz.


Peter.

Ach heult, heult, was ihr heulen
koͤnnt! Wir haben uns verirrt, wir koͤnnen Vater
und Mutter nicht wieder finden, heult! — Aber
der Schlingel, der Thoms, der iſt ganz gelaſſen,
ſieht und geht umher, und kuckt den Erdboden an.


Thoms.

Seid nur ruhig, wir wollen ſchon
den Weg nach Hauſe finden. Ich will ihn euch
zeigen.


Peter.

Du, Schabhals? Du wirſt mir auch
der rechte ſeyn.


Thoms.

Laßt mich nur voran gehn und
folgt meinen Schritten, es iſt noch etwas hell,
[472]Zweite Abtheilung.
wenn die Daͤmmerung nur noch ſo lange waͤhrt,
bis wir aus dem dichteſten Walde ſind, ſo hats
nachher keine Noth. Kommt.


Peter.

Bruder, wenn Du den Weg findeſt,
ſo will ich Dich fuͤr wacker halten.

(ſie gehn ab.)

Vierte Scene.

(Huͤtte.)

Wahrmund, Elſe.

Wahrmund.

Da ſitzen wir nun.


Elſe.

Ja, da ſitzen wir nun.


Wahrmund.

Ruhig genug waͤrs alſo im
Hauſe.


Elſe.

Kein Zanken, kein Schlagen, kein Katz-
balgen mehr.


Wahrmund.

Kein Verklagen unter einan-
der, keine Klaͤtſchereien.


Elſe.

Nicht mehr das Schreien nach Brod
und Kloͤßen.


Wahrmund.

Nicht mehr das Kleider-Zer-
reißen; nun kriechen ſie nicht mehr mit neuen Ho-
ſen herum, daß man den Tod vor Aerger haben
moͤchte.


Elſe.

Ja, und doch iſt es nun auch nicht
ſo etwas Apartes.


Wahrmund.

Da haſt Du wohl Recht.


[473]Daͤumchen.
Elſe.

Wir haben es aber ſo gewollt.


Wahrmund.

Richtig, und nun haben wirs
auch ſo.


Elſe.

Es wird uns jaͤmmerlich ankommen.


Wahrmund.

Kann wohl ſeyn.


Elſe.

Still! Es kommt jemand zu uns.


Wahrmund.

Wer ſollte das noch in ſpaͤter
Nacht ſeyn?


Stimme
(draußen).

Macht auf!


Elſe.

Ja doch, herzlich gern; du lieber Gott,
das iſt ja eine Stimme wie ein Baͤr

(geht hinaus).

Wahrmund.

Mir ſchwant, daß ich heut
noch Verdruß kriege; gewiß werden ſie mich mah-
nen, und dann giebt ein Wort das andre, bis es
zum Pruͤgeln kommt, und wer dann das Meiſte
weg hat, der hats.


Elſe, Kay, Kirmes, Alfred treten ein.

Elſe.

O Himmel, der gnaͤdige Herr!


Kay.

Nun? Ihr ſeid wohl toll und voll,
daß ihr vor mir herein geht? — Nur hier herein,
herein mit dem Patienten!


Kirmes.

Nehmt mal einen Kienſpan vom
Heerd, daß wir die Bleſſur beſichtigen.


Wahrmund.

Ei, gnaͤdiger Herr, Herr Ge-
vatter Bader, wie kommen wir denn ſo ſpaͤt noch
zu der Ehre?


Alfred.

O weh, mein Kopf! das ſchlimmſte
iſt, daß der gnaͤdige Herr gerade einen Knotenſtock
gefuͤhrt hat.


Kay.

Was kann ich dafuͤr? Koͤnnt Ihr nicht
[474]Zweite Abtheilung.
das Maul aufthun, wenn man Euch fraͤgt? Kriecht
da an meinem Schloß unten herum, und als ich
anfrage: wer da? keine Antwort. Habt Ihr denn
gar keinen Appell ins Henkers Namen? Gar keine
Erziehung und Lebensart?


Alfred.

Ich fand die allerſeltenſten Exem-
plare, und dachte nicht, daß der gnaͤdige Herr gleich
ſo zuthaͤtig ſeyn wuͤrden.


Kirmes.

Das Kranium iſt, Gottlob, noch
ganz, die Pia Mater nicht verletzt, hoffentlich hat
auch das Cerebrum nicht gelitten, es iſt hauptſaͤch-
lich aufs Occiput gefallen, und das iſt ſchon mehr
auf ſolche Sachen eingerichtet, Sinciput hat wenig
bekommen. — Wie iſt Ihnen? Sind Sie bei ſich?


Kay.

So recht! examinirt ihn mal ein we-
nig, ob er nicht uͤbergeſchnappt iſt, denn Ihr wißt,
ich fuͤhre eine gute Hand.


Kirmes.

Der gnaͤdige Herr ſind dafuͤr be-
ruͤhmt. Sagen Sie mal, mein Herr, damit wir
gleich eine ſolide Materie beruͤhren: welches iſt ſo
unter den Naturreichen das intereſſanteſte? Das
lebloſe, wie Steine, Mineralien, Felſen, oder das
belebte, wie Thiere, Menſchen, oder die Amphi-
bien, wie Pflanzen und dergleichen?


Alfred.

Pilze.


Kirmes.

Pilze? Nimmermehr. Da wuͤßt
ich doch wohl noch intereſſantere Dinge zu nen-
nen, zum Beiſpiel gleich Truͤffeln. — Wonach
ſtrebt unſre menſchliche Seele am erſten, wenn ſie
zur Erkenntniß kommt?


Alfred.

Nach Pilzen.


[475]Daͤumchen.
Kirmes.

Wieder Pilze? Kurios! Wenn Ih-
nen Fortuna die Wahl ließe, zwiſchen Ehre, Reich-
thum und Weisheit, was wuͤrden Sie ergreifen?


Alfred.

Pilze.


Kirmes.

So?


Kay.

Nun, wie ſtehts mit ihm? Muͤſſen
wir ihn einſperren?


Kirmes.

Ihr Gnaden, er hat ein Ideum
fixum,
auf deutſch eine fixe Idee, die aber un-
ſchaͤdlich iſt, ſo daß man eigentlich nicht behaupten
kann, er ſey uͤbergeſchnappt, ſondern man kann
es wohl nur einen Wurm nennen, einen Sporn:
er iſt nemlich ein großer Freund von Champignons,
und mengt ſie in theologiſche und philoſophiſche Spitz-
findigkeiten ein, ſonſt iſt er ſo ziemlich bei ſich.


Kay.

So kann er denn ſeiner Straße ziehn.
Nehmt Lehre an, guter Freund, und fuͤhrt Euch
ein andermal vorſichtiger auf.


Alfred.

Hier laͤßt ſich nicht gut Naturge-
ſchichte ſtudiren.

(geht ab.)

Kay.

Es war zu weit zur Schenke, und
weil er doch die Bleſſur hatte und der Bader mir
gerade uͤber den Weg lief, ſo wollte ich in Euer
Haus mit ihm kommen.


Wahrmund.

Hohe Gnade fuͤr einen ar-
men Mann.


Kay.

Ich denke eben dran, daß ich Euch
noch zehn Thaler ſchuldig bin, ich habe ſo viel bei
mir, da nehmts!


Wahrmund.

Frau!


Kay.

Nun, wollt Ihrs, oder wollt Ihrs
[476]Zweite Abtheilung.
nicht? Ich daͤchte, ihr haͤttet lange genug darauf
warten muͤſſen. Nehmts, ich bin heut einmal in
dem Humor, zu bezahlen, ich weiß nicht, wann
mir das wieder kommt.


Wahrmund.

Tauſend Dank, gnaͤdiger Herr.
— Frau, lauf, ſpring nach der Schenke, hol ein
tuͤchtiges Abendbrodt, wir koͤnnens brauchen.


(Elſe geht ab.)

Kay.

Nun, nichts Neues, Freund Bader?


Kirmes.

Immer das Alte, das nicht beſſer
wird, die Noth im Lande von den fremden Gaͤ-
ſten; aber man ſagt, unſer guter Koͤnig habe jetzt
eine Schlacht verloren, worin an die zwanzig Mil-
lionen Menſchen umgekommen ſeyn ſollen.


Kay.

So ſchlimm wirds wohl auch nicht
ſeyn. Habt Ihr jetzt viel Verdienſt, Bader?


Kirmes.

Ach, gnaͤdiger Herr, das pure lautere
Elend, gar miſerable Zeiten, die Leute haben alle
Courage verloren. Ja, ehemals, da war noch
Muth und Leben! Da verging doch kein Sonn-
und Feſttag, Kirmeß nun gar, wo ſie nicht in der
Schenke ſoffen und luſtig waren, und ich konnte
zu Hauſe ſchon mit meinen Salben und kuͤhlenden
Waſſern parat ſtehn, denn ich wußte, daß ich nach
Mitternacht geholt wurde. Da waren doch oft
zwanzig Koͤpfe zu verbinden, und, mein Seel, mit
unter recht ſchlimme, recht gefaͤhrliche Wunden,
daß die Kur ſich wohl in die vier Wochen verzoͤ-
gerte; außerdem gabs Arme einzurenken, und Beu-
len, ſo viel man nur wuͤnſchen kann. Und die
Leutchen bezahlten gut. Aber jetzt! Man mag gar
[477]Daͤumchen.
nicht davon reden. Wenn Sie mir nicht noch, gnaͤ-
diger Herr, manchmal ein Verdienſtchen zuſchanz-
ten, daß Sie ſo ein Bischen ein Einſehn thaͤten
und die Leute in Ordnung hielten, ſo wie heut
mit dem Fremden, ſo waͤre gar nichts. Hat er
mir doch, der gute Mann, einen Gulden fuͤr
meine Muͤhe gegeben, und ich hatte nur vier Gro-
ſchen zu fordern.


Kay.

Seht Ihr, wies manchmal unvermu-
thet koͤmmt? Ihr ſteht Euch immer noch gut.


Kirmes.

Die Abgaben ſind zu hoch, Ihr
Gnaden, und alle Woche neue, daruͤber verlieren
nun die Leutchen vollends die Luſt, ſich ſchroͤpfen
oder zur Ader zu laſſen. Wie gehts mir? Da
hoͤr ich, der dicke Gottfried iſt in eine gefaͤhrliche
Krankheit gefallen, ich geh denn ſo unter der Hand
zu ihm, und ſehe, wies mit ihm ſteht, frage, ob
er nicht was brauchen will; er ſchuͤttelt mit dem
Kopf, ſeine gute, liebe Frau ermahnt ihn, einzu-
nehmen: nein, ſpricht er, es iſt die Frage, ob ich
kurirt werde, das iſt aber keine Frage, daß es mir
ein Thaler fuͤnf oder ſechs koſten wird, die kann
ich nicht dran wenden, und bleib ich auch leben,
ſo hat doch die Laſt von Abgaben und Durchmaͤr-
ſchen, die Angſt und Noth kein Ende, drum will
ich lieber friſch weg ſterben. Sehn Sie, Ihr Gna-
den, ſo raͤſonnirt, ſo philoſophirt das Volk heut
zu Tage, und mein Seel, man kanns den Leut-
chen nicht uͤbel nehmen, denn ſie werden allzu po-
ver. Letzt hatte einer den Blutſturz gehabt, der
wollte zur Ader laſſen, ja das bischen Verdienſt
[478]Zweite Abtheilung.
mußt ich auch von mir weiſen, denn das konnt ich
als ein einſichtsvoller Chirurgus nicht uͤber mein
Gewiſſen bringen.


Kay.

Bleibt geſund, Wahrmund. — Nun,
Bader, Ihr werdet doch wohl mit mir gehn? Es
iſt ganz finſter draußen, die Nacht iſt keines Men-
ſchen Freund.


Kirmes.

Stehe zu Befehl, Ihr Gnaden.
— Wahrmund, wie iſts mit uns? Ihr werdet
mich nicht vergeſſen. So ein ſieben acht Thaler,
wenn wir mit einander rechnen —

(ab mit Kay.)

Wahrmund.

Ja, ja, die Freude wird nicht
lange dauern, das wird der Gevatter ſchon ſo ein-
zurichten wiſſen.


Elſe mit Kruͤgen und Schuͤſſeln.

Elſe.

Da, lieber Mann, iſt Gottes Seegen
im Ueberfluß, Suppe, Fleiſch, Gemuͤſe, das ſtell'
ich ein Bischen ans Feuer, und gutes, ſtarkes
Bier.


Wahrmund.

Das haben wir lange nicht
geſchmeckt. Frau, heut wollen wir einmal recht
luſtig ſeyn.


Elſe.

Da, trink.


Wahrmund.

Deck nur den Tiſch, laß das
Eſſen nicht verbrennen, mich hungert gewaltig.


Elſe.

Der gnaͤdige Herr hat doch ſeine gu-
ten Stunden.


Wahrmund.

Ja wohl, er koͤnnte leicht noch
ſchlimmer ſeyn.


Elſe.

Setz Dich her, alles iſt im Stande.


[479]Daͤumchen.
Wahrmund.

Das ſchmeckt! — Giebs Bier
her.


Elſe.

Lieber Gott, was wir mit einemmal
ſo gluͤcklich geworden ſind.


Wahrmund.

Ja, recht unverdient, ohne
unſer Zuthun. Da trink eins.


Elſe.

Es iſt mir faſt zu ſtark, ich bin nicht
daran gewoͤhnt. — Ach, du lieber Himmel, wo
die Krabben nun jetzt ſeyn moͤgen, — wies denen
jetzt im Magen knurren mag.


Wahrmund.

Mach mirs Herz nicht ſchwer.


Elſe.

Sie laufen herum und ſchreien und
jammern, nun kommt der Wolf wohl uͤber ſie in
der dicken Dunkelheit. Wer weiß, ob noch viel
von ihnen uͤbrig iſt.


Wahrmund.

Der Biſſen wuͤrgt mir im Halſe.


Elſe.

Und es waren doch unſre leiblichen
Kinder, wir freuten uns an ihnen, wenn ſie uns
anlachten und artig waren; ach, wie ſie ſich ſo an-
ſchmeicheln konnten. Hier ſteht nun ſo viel liebes
Gut und bleibt uͤbrig, und ſie muͤſſen draußen ver-
ſchmachten.


Wahrmund.
(wirft das Meſſer hin, weint).

Da
mag der Teufel ſchlucken! — Frau, ſchaff mir die
Kinder wieder!


Elſe.

Du biſt Schuld daran, ſchaff du ſie
mir wieder!


Wahrmund.

Haſt Du nicht den ſaubern
Rath gegeben?


Elſe.

Schweig, es iſt Deine gottloſe Erfin-
[480]Zweite Abtheilung.
dung; wollte mir doch das Herz brechen, als ich
meine Einwilligung gab.


Wahrmund.

Es fehlt nicht viel, ſo ſchlag'
ich Dir den Bierkrug auf dem Kopf entzwei!


Elſe.

Thus, thus, du Moͤrder! So haſt
Du nachher dem Gevatter Bader deſto mehr zu
bezahlen.


Wahrmund.

Dich haͤtt' ich in den Wald
hinausſchmeißen ſollen und die Kinder behalten! —

(Es klopft an das Fenſter.)

Gott ſteh uns bei! die Ge-
ſpenſter gehn um!


Elſe.

Wer weiß, was es iſt.


Wahrmund.

In ſo ſpaͤter Nachtzeit iſt es
nichts anders. Laß uns beten, Frau. Vergieb Du
mir meinen Zorn.


Elſe.

Wir wollen aufmachen.


Wahrmund.

Nein, ſag' ich Dir, ich kenns,
es ſind die Nachtgeiſter. Laß uns nur fromm ſeyn,
ſo gehn ſie voruͤber.

(Es klopft.)

Elſe.

Man kann doch fragen.


Wahrmund.

Auf Deine Gefahr, ich bleib'
aus dem Spiel.


Elſe.
(am Fenſter).

Wer iſt denn da?


Peter.
(draußen).

Ach, liebe Mutter, ich und
eure Kinder.


Elſe.

Mann, mich ruͤhrt der Schlag, die
Kinder ſind wieder da.


Wahrmund.

Herein! herein! ihr liebes
Geſindel! kommt herein!

(Er macht die Thuͤr auf, die
Kinder dringen herein.)

Elſe.
[481]Daͤumchen.
Elſe.

Iſt es moͤglich? Iſt euch denn Gott
ſo gnaͤdig geweſen?


Wahrmund.

Liebe Blitzkroͤten, habt ihr
wieder her gefunden?


Siegmund.

Ja, der Thoms hat den Weg
gewußt.


Wahrmund.

Komm her, Junge, Du haſts
hinter den Ohren; da trink, ſetz Dich, hier iſt
Bier; willſt Fleiſch? willſt Kaͤſe?


Peter.

Ich wußte den Weg eben ſo gut.


Elſe.

Setz Dich, Peter, da hier am Feuer;
die Fuͤße ſind Dir wohl kalt? Ja, es geht ſich
naß, die Schuh ſind auch nicht die beſten. Kommt,
Siegmund, Walther, Barnabas; was ſtoͤßeſt Du
Schlingel denn den Peter ſo, der euch doch alle
wieder hat herweiſen muͤſſen?


Wahrmund.

Nein, Thoms iſts geweſen.
Nun, Kinder, iſts nicht huͤbſch warm hier? Nun
thut mir einmal den Gefallen, und freßt, was ihr
nur menſchenmoͤglich machen koͤnnt: es iſt euch
gegoͤnnt, greift zu.


Peter.

Vater, das iſt ja hier wie Kirmeß.
Wo hat er denn alles das her?


Elſe.

Dem armen Jungen ſind die Ohren
recht roth. Ja, es wird ſchon kalt draußen.


Wahrmund.

Was ſie einhaut, die junge
Brut! Eine Freude anzuſehn. Ein Sterbender
muͤſte in den letzten Zuͤgen noch Appetit kriegen, ſo
maͤchtig ſchluckt nun die ganze Compagnie.


Elſe.

Peter, halt, beſauf dich nicht. Das
Bier iſt dir zu ſtark.


II. [ 31 ]
[482]Zweite Abtheilung.
Wahrmund.

Nun, Thoms, du ſprichſt kein
Wort?


Thoms.

Ich bin ſo froh, Vater, daß ich
wieder bei Euch bin. Da draußen im Walde iſt
es recht traurig.


Peter.

Garſtig und erbaͤrmlich, dunkel, kalt,
es graut einem, nur daran zu denken. Hier ſitzt
ſichs beſſer.


Stimme
(von außen).

Der Wandrer irrt auf dunkeln Wegen,
Dann ſteht er bittend vor der Thuͤr,
Ihn ſchlaͤgt der kalte Wind, der Regen;
Tritt keiner helfend ihm herfuͤr?


Wahrmund.

Nur herein, wers ſeyn mag!
Hier iſts gut.

(er oͤffnet).

Kommt herein, armer
Menſch!


Perſiwein kommt.

Perſiwein.

Ich danke Euch herzlich, lie-
ben Freunde; ich bin verirrt, kein Menſch zeigt
ſich, kein Licht iſt ſichtbar, nur bei Euch war es
noch hell; vergoͤnnt mir, die Nacht hier zu ruhen,
und ich will Euch gern Eure Gaſtlichkeit belohnen.


Wahrmund.

Setzt Euch; Frau, gieb noch
'nen irdnen Teller fuͤr den Herrn. Eßt und trinkt,
es wird euch munden, wenn man lange verirrt
geweſen, ſchmeckt alles.


Perſiwein.

Ihr ſeid ein freundlicher Wirth.


Wahrmund.

Es iſt Euch gegoͤnnt! — Pe-
ter! willſt Du wohl dem Manne das Stuͤck Fleiſch
nicht vor dem Munde wegnehmen! Leben und
[483]Daͤumchen.
leben laſſen. — Singt uns doch eins, wenn ihr
moͤgt.


Perſiwein.

Das iſt meine Freude, dem
Landmann ein Lied mitzutheilen, ſie empfinden es
mehr, als die Staͤdter.


Wahrmund.

Kann ſeyn, ſingt eins zur
Probe.


Perſiwein.

Wohlgemuth ihr guten Leute,

Fahren laßt ſo Gram wie Sorgen!

Nach der Nacht ergraut der Morgen,

Trinkt und ſinget froͤhlich heute!

Das noch keinen je gereute.

Doch wer weiß, was ſeyn wird morgen,

Welche Leiden, welche Sorgen,

Ob euch einer moͤchte borgen,

Freut euch heut noch, gute Leute.

Alle im Chor.

Doch wer weiß, was ſeyn wird morgen,

Welche Leiden, welche Sorgen,

Ob euch einer moͤchte borgen,

Freut euch heut noch, gute Leute.

[484]Zweite Abtheilung.

Zweiter Akt.


Erſte Scene.

(Pallaſt.)

Koͤnig Artus, Ginevra, Gawein,
Kay, Ritter
.

Artus.

Nicht iſt es Zeit, den weißen Hirſch zu jagen,
Wie wir gethan in ſeegensvollern Tagen,
Blut faͤrbt der Stroͤme Lauf und Blut das Land,
Und immer naͤher droht der Sachſen Macht,
Vergeblich ſcheint jedweder Widerſtand,
Geſchlagen ſind wir noch in jeder Schlacht.


Ginevra.

Voruͤber iſt die Zeit der Abentheuer,
Jetzt iſt verſtummt der ſuͤßen Minne Lied.
Nicht ſieht man Jungfraun auf den weißen Zeltern
Durch gruͤne Haine traben, Falken fuͤhrend,
Kein froͤhliches Turney, kein Lanzenbrechen,
Kein Waffenſchmuck, kein Glanz der Pavillionen,
Auf Krieg und Wuth iſt jedes Herz geſtellt,
Vernichtung drohen unſerm Britten-Stamm
Die wilden Angeln, Fried' und Gluͤck iſt todt:
Drum was zu thun, Gemahl? Nun redet, Herrn.


Gawein.

Mein koͤniglicher Oheim, zahlreich ſteht
[485]Daͤumchen.
Des Feindes Heer zu neuem Kampf geruͤſtet,
Und wieder, fuͤrcht' ich, weicht der Unſern Schaar;
Zu ſehr iſt dieſer Krieg als Spiel begonnen,
Er wird faſt nur als Ritterſcherz gefuͤhrt,
Wir glauben nicht, daß Leben, Ehre, Freiheit
Gefaͤhrdet wird und denken nur auf morgen,
Erfreun uns kleinen Vortheils, gehen unter,
Weil wir den Feind gering nur achten wollen,
Und doch uns ſelbſt, Vertraun auf uns verlieren.


Artus.

Mein Neffe ſpricht nicht ſonder tiefe Weisheit.
Was ſolls, daß unſre Beſten ſich entfernt?
Der eine ſchmachtet in der Minne Feſſeln,
Ein ſchoͤnes Bild rief ihn zu fernen Kuͤſten,
Um gegen Rieſen, Zauberer zu kaͤmpfen,
Statt hier der Rieſen ſcheußlichſten zu daͤmpfen:
Ein andrer ſucht den wundervollen Gral,
Durchſtreift Gebirg und Wald auf fremden Boden,
Vergißt die Drangſal unſrer Tafelrunde,
Die Ehre wie das theure Vaterland;
Ein dritter will die Jagd nur fleißig uͤben,
Ein vierter ſpricht: kommt man zu meinem Schloß
So wehr ich mich der Haut aus allen Kraͤften,
Doch ohne Noth ſuch ich nicht Haͤndel auf;
Ein Frommer will nun gar auf Wallfahrt ziehn;
So denkt ein jeder nur ſich ſelbſt, vergißt,
Wodurch er ſelbſt nur freier Ritter iſt.


Gawein.

Und was am ſchlimmſten, die noch thaͤtig ſind
Beſtreiten ſelber ſich: der will den Krieg
[486]Zweite Abtheilung.
In Bergen fuͤhren, der die Beſten halten,
Der raͤth die Schlacht zu meiden, jener ſucht ſie,
Der will den Feind beliſten, wird beſtrickt:
Indeß wird arm das Land, das Feld gepluͤndert,
Der Bauer irr, wer denn ſein Koͤnig ſey,
Des Buͤrgers Fleiß erſtirbt, und mehr und mehr
Zwingt uns die Noth mit Laſten ihn zu druͤcken.


Ginevra.

Du ſiehſt die Sache von der ſchlimmſten Seite.
Was ſprecht Ihr zu dem allen, Hofmarſchall?


Kay.

Was ſprechen? Schlagen ſollten wir hinein!
Schlaͤgt man ſie todt, iſt alle Noth zu Ende.


Artus.

Gar recht, doch wie dies Wunder moͤglich machen?


Kay.

Mein Seel, das iſt wohl die geringſte Sorge,
Ihr Kopf wird haͤrter nicht als unſrer ſeyn.
Und was den Druck betrift, wie Gawein ſagt,
Glaubt mir, mein Herr, das Volk frißt immer noch,
Und viel zu viel, bei mir zu Hauſe ſeh ichs,
Das Maul iſt noch nicht einem eingefallen,
Im Gegentheil, 's ſchmeckt herrlicher als je;
Ich kenne Lumpen dort bei mir im Dorf,
Die aͤrmſten, die doch fuͤnf ſechs Kindern taͤglich
Ins Maul was ſtecken koͤnnen. Glaubt mir nur
So'n Ding von Staat, das iſt ſo feſt verſchraubt,
So eingekittet ſeit Jahrhunderten,
Das bricht nicht gar ſo leicht, das kann man zerren
Und zwacken, kneifen, broͤckeln, immer haͤlts.
Gemahnt mir die Verwaltung eben doch
[487]Daͤumchen.
Wie jenes Spiel, wo man in Mehl ein Geld
Befeſtigt, jeder ſchneidet von dem Klump,
Der erſt' hats gut, der zweit und dritte auch,
Der viert' und fuͤnft' haͤlts Meſſer ſchon behutſam,
Nun wird es Kunſt, noch was von abzukriegen,
Der letzte muß denn freilich trotz des Spatelns
Dem Ding den Garaus machen, und die Muͤnze
Raus mit dem Munde fiſchen; wie die Eule
Iſt er der Spott der kommenden Geſchlechter.
Noch, Ihr Maj'ſtaͤt, koͤnnen wir kuͤhnlich ſchneiden.


Ginevra.

Ihr ſtaͤrkt mein Herz mit Eurem frohen Muth.


Kay.

Dann haben wir ja auch die Prophezeiung
Von Merlin her, daß dieſes Reich zu Schaden
Nie kommt, und daß ein kleiner Zwerg
Es retten ſoll: darauf ſteht auch zu hoffen.


Artus.

Doch iſt der Spruch, was das betrift, nicht klar.


Kay.

Ich weiß, mein Koͤnig, wohin Ihr da zielt,
Den Zwerg laͤßt mancher Schriftgelehrt nicht gelten,
Und deutet aus der alten Celten-Sprache
Das wunderliche Wort in Stiefel um.
Wie? Stiefel? frag ich nur, darin iſt ja
Kein menſchlicher Verſtand; doch mit dem Zwerg
Das laͤßt ſich ehr begreifen, denkt man nach.


Artus.

Gawein, Du nimmſt die Fuͤhrung unſers Heeres
Welches in Weſten ſteht: jenes in Suͤden
Sei Euch, mein Kay vertraut; laßt, werthe Freunde,
[488]Zweite Abtheilung.
Uns gute Bothſchaft bald von Euch vernehmen.


Gawein.

Mein Leben opfr' ich willig meinem Herrn.

(geht ab.)

Kay.

Lebt wohl, mein Fuͤrſt, bald bring ich Euch gebunden
Das Haupt der Feinde, ſammt der Todtenliſte
Vom ganzen Heer, das mir entgegen ſteht.


(alle gehn ab.)

Zweite Scene.

(Wald.)

Die Kinder treten auf.

Peter.

Nun ſind wir wieder in demſelben
Ungluͤck, wie vor acht Tagen.


Thoms.

So hilf Dir jetzt heraus, finde
den Weg, Du thateſt damals ſo groß, es kann
Dir ja nicht fehlen.


Peter.

Sprich noch ein Wort, ſo wichs ich
Dich ab, daß Du daran denken ſollſt; jetzt iſt der
Vater nicht da, der Dir beiſtehn kann.


Siegmund.

Warum muͤſſen wir uns aber
ſo oft verlaufen? Warum koͤnnen wir nicht huͤbſch
bei den Eltern bleiben?


Matthis.

Hilf uns, hilf uns, lieber Peter,
zeige uns den Weg.


Walther.

Ach ja, heut iſts noch gefaͤhrlicher,
[489]Daͤumchen.
da unten blitzt es greulich, und horch, es donnert
auch ſchon.


Barnabas.

Hilf, hilf, lieber Peter, Du
biſt ja doch nicht umſonſt ſo dick und groß.


Auguſt.

Hilf, lieber Bruder, ſuche den Weg.


Peter.

Ja, hier iſt er nicht, und da hinaus
auch nicht. Kann ich wiſſen, wo der Teufel den
verfluchten Weg hingefuͤhrt hat? — Nun, ſchreit
nur nicht gleich ſo erſchrecklich, — Thoms, Du
biſt ein kluger Junge, weißt Du uns nicht zu
rathen?


Thoms.

Wenn Du geſtehſt, daß Du ein
Dummkopf biſt.


Matthis.

Ja, ja, lieber Thoms, es braucht
gar keine Frage, er iſt dumm und Du biſt ge-
ſcheidt, hilf uns nur nach Hauſe und an unſer
Abendbrod, ehe die Nacht und das Gewitter her-
einbrechen.


Thoms.

Hoͤrt denn. Ihr wißt, wie arm die Eltern ſind,
Und neulich in der Nacht, Ihr ſchliefet ſchon,
Beſprachen ſie ſich viel von ihrer Noth,
Sie fielen drauf, im Wald uns auszuſetzen,
Weil ſie uns doch nicht mehr ernaͤhren koͤnnten.


Peter.

Ach, uͤber ſolch greuliches Spekta-
kel!


Thoms.

Ich ſammelte am Morgen kleine Kieſel
Und ſteckte Buſen mir und Taſchen voll,
Und wie wir in den Wald gekommen waren
Streut ich ſie ſtill und wohlbedaͤchtig aus,
[490]Zweite Abtheilung.
Bis zu dem fernſten Dickicht, wo der Vater
Uns helfen ließ das Reiſig ſammeln, binden
Und auf den Karren laden, darum konnt' ich
Euch neulich ſicher aus dem Walde fuͤhren,
Ich fand bei jedem Baum die Kieſel wieder,
Bis an das Feld, wo in der Finſterniß
Des Dorfes Lichter uns entgegen ſchienen.


Peter.

Ei, Du biſt ja ein goldener Junge!
Ja, ja, Du haſt Verſtand, Du biſt ein Engel
von einem Bruder.


Thoms.

Argwoͤhniſch war ich nun ſeitdem und horchte
Auf jeden Wink, auf jedes leiſe Wort;
So hoͤrt ich geſtern Nacht, daß unſre Eltern
Von neuer Noth bedraͤngt, da alles Geld
Des gnaͤdgen Herrn ſchon ausgegeben war,
Uns wieder hier im Wald verlieren wollten.


Peter.

Das haͤtt ich der Mutter nicht zu-
getraut, daß ſie mir ſolche Streiche ſpielen koͤnnte.


Thoms.

Fruͤhmorgens wollt ich aus der Thuͤr mich machen,
Um wieder Kieſelſteeine aufzuſuchen,
Allein ich fand ſie leider feſt verſchloſſen.
Drauf gingen wir gleich mit den Eltern aus,
Und keine Zeit blieb mir zum Sammeln uͤbrig.


Peter.

So kannſt Du uns alſo auch nicht
helfen, armſeliger Kauz?


Thoms.

Das Brod, das ich zum Fruͤhſtuͤck mitgenommen,
Hab ich zum Merkmal auf den Weg gebroͤckelt,
Bei jedem großen Baume liegt ein Stuͤck,
[491]Daͤumchen.
So find ich uns den Pfad nach Hauſe wieder.
Folgt mir denn, lieben Bruͤder, kommt mir nach.


Peter.

Brod? Brodkrumen?


Thoms.

Hier ſeh ich nichts.


Matthis.

Hier auch nichts.


Auguſt.

Nirgend.


Thoms.

Das ſieht traurig aus.


Peter.

O du dummer Eſel! Brodkrumen?
Das iſt die rechte Hoͤhe! Ich habe vorher beim
Arbeiten ſo ein fuͤnf ſechs gefunden und hinter ge-
ſchluckt, begriff nicht, wie ſie da hinkamen.


Thoms.

Ach du lieber Gott!


Peter.

Und die uͤbrigen haben natuͤrlich die
Voͤgel gefreſſen. Denkſt Du denn, daß alle Crea-
turen ſo einfaͤltig ſind? Denn Du biſt vielleicht
kapabel, vor einer Brodkruſte vorbei zu gehn, ohne
ſie anzubeißen.


Thoms.

Nun ſind wir wirklich verlorene
Kinder.


Peter.

Der Eſel der! Streut Brodkrumen
aus! Hab ich in meinem ganzen Leben ſchon ſolche
Dummheiten geſehn!


Thoms.

Was fangen wir an?


Peter.

Heult, Kinder, heult, was ihr heu-
len koͤnnt, der miſerable Knirps hat uns ins Un-
gluͤck gefuͤhrt! —

(ſie ſchreien.)

Was das ſo den
Wald hinunter ſchallt, wenn wir recht aus voller
Kehle ſchreien, wenn irgend ein Menſch hier iſt,
ſo muß er uns hoͤren. Schreit noch mal!


(ſie ſchreien.)

Walter.

Ach, was es donnert!


[492]Zweite Abtheilung.
Auguſt.

Nun kommen die Wolken und
die gewaltige Finſterniß wieder, das iſt noch das
Schlimmſte.


Peter.

Und der Hunger beißt einem den
Magen zuſammen, als wenn ein Raubvogel im
Bauch ſaͤße.


Siegmund.

Immer dichter regnets, immer
finſtrer wirds, und kein Haus, kein Menſch, nichts
zu ſehn.


Peter.

Nun, du Klugwitz, nun ſtrenge mal
deinen Kopf an, ob du uns helfen kannſt.


Thoms.

Es regnet nur ſo ſchlimm, ich muß
fuͤrchten, wenn es recht gießt, das es mich weg-
ſchwemmt.


Peter.

Warum biſt du ſo'n winziger Tauge-
nichts?


Thoms.

Helft mir auf dieſen Baum, daß
ich mich ein wenig umſehn kann.


Peter.

Schaaf! Sich in der Finſterniß um-
ſehn?


Thoms.

Je finſtrer es iſt, je leichter kann
ich ja ein Licht ſehn, das aus der Ferne ſcheint.


Barnabas.

Iſt auch wahr, hilf ihm hin-
auf, Peter.


Peter.

Nun ſo komm und klettre. Halt
dich feſt. — Tritt mir die kleine Kroͤte nicht gerade
auf die Naſe. Wart! — Nun, biſt du bald oben?
Rutſch, rutſch, Schlingel! Was hilfts, der Wind
wird ihn oben runter holen und in die weite Welt
nein ſtreuen, wenn ihn nicht die Kraͤhen weghaſchen,
oder die wilden Tauben zu Neſte tragen.


[493]Daͤumchen.
Thoms.
(oben).

Ich ſehe Licht!


Peter.

Wo?


Thoms.

Links, da unten, weit, weit weg.
Ich komme herunter, ich habe mir die Richtung
gemerkt

(ſteigt herab).

Ach, was der Wind tobt,
was der Regen rauſcht und der Donner laͤrmt? —
Hieher kommt! hieher!

(ſie gehn klagend ab).

Dritte Scene.

(Huͤtte, von einem großen Feuer beleuchtet).

Malwina ſpinnt, Semmelziegedreht einen gan-
zen Hammel am Spieß.

Malwina.

Ja, Herr Hofrath, unſer Schick-
ſal hat uns in eine wunderliche Situation verſetzt.
Haͤtte ſich meine bluͤhende Jugend, mein gepflegtes
Talent, meine hohe Bildung dergleichen koͤnnen
traͤumen laſſen, daß man mich, nun ſind es ſchon
fuͤnf Jahr, von einem Spaziergange, indem ich
mich neckend ein wenig von meinen Geſpielinnen
entfernt hatte, rauben wuͤrde, um die Gattin eines
Unholdes zu werden? O Himmel, verzweifeln
muͤßt' ich, wenn das Geſchick nicht auch Sie, frei-
lich zu Ihrer Kraͤnkung in unſer Haus gefuͤhrt
haͤtte, und ihre holde Seelenfreundſchaft, Ihr edles
Gemuͤth mich einigermaßen troͤſtete und beruhigte.


Semmelziege.

Edle, große Seele, daß ich
[494]Zweite Abtheilung.
Ihnen meine Leiden klagen kann, iſt ja auch nur
was mich erhebt und gegen alle die Erſchuͤtterun-
gen ſtaͤrkt, die mich ſonſt zu Grunde richten wuͤrden.


Malwina.

Haben Sie die kuͤhlende Salbe
gebraucht, Hofrath, die ich Ihnen gegeben habe?


Semmelziege.

Ja, ſympathetiſches Ge-
muͤth, und ohne dieſe wuͤrd' ich ein verlorner
Mann ſeyn, ſo verſeſſen war er neulich auf ſein
verdammtes Spiel.


Malwina.

Giebt es wohl etwas Bizarre-
res und Abgeſchmakteres?


Semmelziege.

Man muß er ſelbſt ſeyn,
um daran Vergnuͤgen zu finden.


Malwina.

Und doch rettet ſie dies nur,
Herr Hofrath, denn ſonſt wuͤrde er ſie ſchon ge-
ſchlachtet und verzehrt haben, da Sie trotz des
vielfachen Grams und aller Kraͤnkungen ziemlich
wohl bei Leibe ſind.


Semmelziege.

Wuͤthrich ohne Gleichen!
Heut kam mir der Gedanke, ihm zu entlaufen, und
nur die Erinnerung an meine edle Freundin hielt
mich zuruͤck.


Malwina.

Vergeblich, mein Theurer, waͤre
ein ſolcher Verſuch. Sie wiſſen noch nicht Alles.
In jenem großen wohl verſchloſſenen eiſernen Kaſten,
zu welchem er niemals den Schluͤſſel von ſich giebt,
bewahrt er ein Paar verzauberter magiſcher Stie-
feln — ich weiß nicht, von wem er ſie kann erhalten
haben — wenn er dieſe anzieht, ſo iſt er im Stande,
mit jedem Schritte ſieben Meilen (das heißt, von den
hieſigen Engliſchen Meilen) zuruͤck zu legen. Wenn
[495]Daͤumchen.
Sie ihm alſo entfliehen wollten, ſo zoͤge er nur
dieſe vermaledeyten Stiefeln an, finge Sie in weni-
gen Sekunden wieder, und ermordete Sie ohne
Zweifel.


Semmelziege.

Aber mein Verhaͤngniß iſt
doch zu hart, aus meinem Beruf geriſſen, von
meiner Gattin getrennt, hier ein ſchaͤndliches Spiel-
werk ſeyn und den Braten wenden muͤſſen!


Malwina.

Wenden Sie, wenden Sie flei-
ßig, daß er nicht verbrennt.


Semmelziege.

Hier ſchlummert nun meine
Thatkraft, mein Vaterland entbehrt meiner in die-
ſen kritiſchen Zeitlaͤufen.


Malwina.

Iſt es denn nicht auch etwas
Schoͤnes, die Thraͤnen einer ungluͤcklichen Frau zu
trocknen?


Semmelziege.

Wohl, doch mein Genie,
meine Geſchaͤfts- Routine, meine Menſchenkenntniß,
meine Welt, alles iſt mir ja hier uͤberfluͤßig. Wur-
den mir alle dieſe Talente nur gegeben, um auf
dem verwuͤnſchten Brette zu ſitzen?


Malwina.

Doch bin ich noch elender. Wie
freut ich mich, als ich Mutter wurde, denn in den
kleinen Engeln glaubt' ich ganz leben und den Vater
vergeſſen zu koͤnnen: aber ſein Naturell zeigt ſich
ſchon in allen dreien, ſein Blutdurſt, ſeine Wild-
heit, ſo daß ich oft ſchaudern muß, wenn ich das
Gezuͤcht betrachte.


Semmelziege.

Was geſchieht neulich, als
ich im Schlaf liege? Im Garten wars. Ich er-
wache von einem gewiſſen kneifenden Schmerz, und
[496]Zweite Abtheilung.
wie ich mich ermuntre, find ich die drei Kleinen an
meinem Halſe haͤngen, die mir wie Vampyren das
Blut ausſaugen wollen.


Malwina.

O Beiſpiel ohne Beiſpiel!


Semmelziege.

Vorige Woche haben ſie
einen jungen Haſen gefangen und lebendig aufge-
zehrt.


Malwina.

Die moͤrderiſche Brut!


Semmelziege.

Es wimmert was draußen,
es klopft an der Thuͤr.


Malwina.

Wer iſt da?


Thoms.
(draußen).

O ſeid ſo barmherzig und
nehmt arme verirrte Kinder auf, die im Regen
und Ungewitter ſchon faſt erfroren ſind.


Malwina.

Kinder? Ach, die armen Wuͤr-
mer! Sie wiſſen nicht, wohin ſie gerathen ſind.


Semmelziege.

Ja, man imaginirt ſo was
nicht leicht.


Malwina.

Ob ich ſie einlaſſe?


Semmelziege.

Es iſt zu ihrem Verderben,
er findet ſie und frißt ſie auf.


Malwina.

Vielleicht koͤnnen wir ſie bis
morgen vor ihm verſtecken, und ſie dann wieder
heimlich fortſchaffen.


Semmelziege.

Thun Sie, was Ihnen
gefaͤllt.


Malwina.

Es iſt nur ein Gluͤck, daß meine
Kleinen ſchon oben ſchlafen, ſonſt waͤren ſie wahr-
lich vor denen nicht ſicher.

(geht.)

Semmelziege.

O ſchwer Verhaͤngniß, wann doch wirſt du enden?
Der
[497]Daͤumchen.
Der Jugend Schoͤnheit hier beim Bratenwenden
Der Jugend Kraft vergeudet dort beim Prellen,
Und nichts von mir gefoͤrdert im Reellen!


Malwinakommt mit denKindern.

Malwina.

Da, Kinder, ſetzt euch an das
Feuer, trocknet Euch; ich will euch auch zu eſſen
geben, denn ihr ſeid wohl ſehr hungrig?


Peter.

Wie noch nimmermehr im ganzen
Leben.


Thoms.

Wir danken Euch, ihr gute mitlei-
dige Frau.


Malwina.

Hier, liebe Kleinen, eßt etwas
Warms, eine gute Suppe, ſo ſchnell wie moͤglich,
daß ich euch noch wo verſtecken kann, ehe mein
Mann nach Hauſe koͤmmt.


Thoms.

Ihr wollt uns doch nicht wieder
aus dem Hauſe ſtoßen, liebe Frau? In den Sturm
hinaus? Ach, ihr ſeht ja ſo gut und mitleidig aus,
das werdet Ihr gewiß nicht thun.


Malwina.

Wie der Kleinſte von allen ſo
verſtaͤndig ſpricht.


Peter.

Er iſt der aͤlteſte, er hat ſchon funf-
zehn Jahr auf dem Buckel.


Walther.

Ja, liebe Dame, warum wollt
Ihr uns denn wieder abſchaffen? Hier iſt ja Platz
genug fuͤr uns.


Malwina.

Liebes Herz, Du weißt nicht
warum.


Peter.

Gebt mir doch auch ein Stuͤck Brod.


Malwina.

Hier habt Ihr, auch Fleiſch.


II. [ 32 ]
[498]Zweite Abtheilung.
Thoms.

Schoͤnen Dank, ſchoͤne Frau, aber
ſagt doch, warum koͤnnt Ihr uns nicht hier behal-
ten?


Malwina.

Lieber Hofrath, erklaͤren Sie
es Ihnen, es macht mir das Herz gar zu
ſchwer.


Semmelziege.

Verſteht, ihr Kleinen, noch Unmuͤndigen,
Ihr kennt die Welt wohl nicht, der Menſchen Sitte,
Es ahndet euer Sinn nicht und Gemuͤth
Welch Greuelthat im Herzen ſich bewegt,
Wie grauſe Bosheit thront, wo Liebe,
Barmherzigkeit den Scepter fuͤhren ſollten.
Es iſt nicht nur, daß die Humanitaͤt
Gar oft ermangelt, wo ſie hingehoͤrt,
Nicht nur, daß wir von der Erziehung des
Geſchlechts der Menſchen, von der Fortſchreitung
Zum Beſſern, oftmals nichts gewahren koͤnnen;
Im Gegentheil, Individuen giebt es wohl,
(Doch, Gott ſey Dank, nur Individuen;
Denn wo hinaus mit Glauben an das Schickſal,
Wenn Tauſende den Frevelſinn bewahrten?)
Daß, um mich kurz, ſummariſch auszudruͤcken,
Es alſo, wie geſagt, Individuen giebt,
Die, ſtatt human zu ſeyn, ſich eine Ehre
Draus machen, roh und inhuman zu ſcheinen.


Malwina.

Sie werden Sie nicht begreifen.


Semmelziege.

Kapirt Ihr mich? Koͤnnt
Ihr folgen, he?


[499]Daͤumchen.
Peter.

Wir wollen ihm nicht folgen, wir
wollen hier bei dem Hammelbraten bleiben, das iſt
das beſte Inviehduum.


Semmelziege.

Der Spruch entfließe ſonnenklar den Lippen dann,
Daß der Bericht euch zwingend zum Verſtaͤndniß


ſey.


Aſtraͤa flog, ſo ſagen uns die Dichter, laͤngſt
Zum Himmel auf, verſchmaͤhend groß der Erde
Wuſt,


Da thront ſie nun, ſchaut weinend zur Verwuͤ-
ſtung her:


Doch wir, entehrt durch Suͤndenſchlamms Gott-
loſigkeit,


Sind durch der Buße, durch der Reue Thraͤnen-
ſalz,


Durch großer That Befoͤrderung und Edelſinn,
Am meiſten doch dem Schwaͤcheren ein Helfer ſeyn,
Gewuͤrdiget, zum Himmel wieder aufzuſchaun;
Entartet doch, nicht anerkannt vom Grabe, das
Uns Mutter auch, gebiert zuerſt, Tellus genannt,
Sind jene, die den Schwaͤcheren gern ſtoßen hin,
Mit Spott und Hohn den Duͤrftigen nur ſpeiſen
ſtets:


Wie nenn ich erſt der Frevier Aergſte, welche gar
Durch ſcharfen Zahnes und der Kiefer Wechſelthat,
Ein fremdes Ich veraͤhnlichen zum eignen Selbſt,
Was nur Kyklopen Leſtrigonen-Brut geziemt?


Malwina.

Jetzt habe ich Sie ſelber kaum
verſtanden.


[500]Zweite Abtheilung.
Semmelziege.

Liebe, auch die Kinder ſoll-
ten die ſchoͤne Simplizitaͤt der Alten nicht faſſen?
Nicht wahr, Ihr habt mich nun leicht verſtanden?


Peter.

Kein Wort.


Thoms.

Wir ſind nur arme ungelehrte
Bauernknaben.


Semmelziege.

Ich ſeh, es ſind dumme
Kroͤten: nun, ſo muß man es Euch ja wohl uͤber-
trieben deutlich machen. — Dieſe liebe, gute, mit-
leidige Frau, die euch ſo freundlich aufgenommen
hat, hat einen Mann, (welcher jetzt, gottlob aus-
waͤrts iſt) der ihr gar nicht aͤhnlich ſieht; dieſer
nun, verſteht Ihr, wird bald nach Hauſe kommen,
und da er die Eigenſchaft hat, oder den Humor
und ſeltſamen Appetit, daß er das friſche Men-
ſchenfleiſch, vorzuͤglich das zarte der Kinder, gerne
genießt, ſo wird er ohne Zweifel Euch, wenn er
Euch hier findet, ſich aſſimiliren wollen, oder deut-
licher, Euch aufſpeiſen, oder, damit Euch gar kein
Zweifel uͤbrig bleibt, Euch mit Haut und Haar
auffreſſen.


Peter.

Ach! — Da faͤllt mir vor Schreck
das Brod aus dem Munde, — das iſt ja das
Greulichſte von allen! Wir ſind gut angekommen!


Matthis.

Lieber doch draußen im Gewit-
ter und Regen.


Thoms.

Kommt, lieben Bruͤder; ſchoͤne
Frau, Ihr ſollt bedankt ſeyn, aber wir muͤſſen gehn.


Peter.

Ja wohl, denn das iſt nicht unſre
Gelegenheit, uns treffen zu laſſen. Wir ſind
[501]Daͤumchen.
rechte Ungluͤckskinder! die Eltern ſetzen uns in den
Wald zum Verhungern, und nun gerathen wir in
ſolche Moͤrdergrube.


Siegmund.

Adje! Adje!

(drei laute Schlaͤge

an der Thuͤr.)

Malwina.

O Gott! Mein Mann!


Semmelziege.

Bin ich nicht erſchrocken.


Malwina.

Was fangen wir an?


Thoms.

Ums Himmels Willen, verſteckt
uns doch nur!


Malwina.

Da hier, in den Winkel.

(Schlaͤge
an der Thuͤr)

Gleich, mein Schatz! — Duckt Euch
zuſammen, ich will dieſe große Tonne uͤber Euch
ſtellen, — helfen Sie, Hofrath, — ſo, — ſeid
huͤbſch ſtill, — ich komme ſchon!

(geht.)

Semmelziege.

Gewiß vermerkt er gleich die fremde Speiſe,
Es muͤſte ihn der Schnupfen denn verhindern.


Malwina kommt mit Leidgaſt.

Leidgaſt.

Nun, warum laͤßts mich ſo lange
draus im Regen ſtehn? — Marſch! weg da vom
Feuer, Semmelziege, ich bin naß! Iſt der Ham-
mel fertig?


Semmelziege.

Ja, Herr.


Leidgaſt.

Ich war druͤben ein Stuͤndchen,
bei meinem Freunde Lutprand, da hab' ich einen
guten Trunk gethan; er hat ein Fuder Wein letzt
erbeutet. Der hats beſſer, er liegt naͤher an der
Straße, als ich. — Kluge Kerle ſind wir doch, daß
[502]Zweite Abtheilung.
wir ſo'n zwoͤlfe der Tuͤchtigſten, uns ſchon ſo lange
von der Armee weg gemacht haben; moͤgen die
andern doch nun das Land erobern, wir haben unſer
Theil. — Semmelziege, gieb mir meine große
Muͤtze her. — Nun, Frau, ſchneid an, mich hun-
gert gewaltig.

(ſetzt ſich).

Semmelziege.

Hier iſt die Muͤtze.


Leidgaſt.

Nicht wahr, dir iſt recht wohl,
daß du mein Favorit biſt? Sieh, Kerl, wie gut
du es haſt, daß du hier beim Feuer ſitzen und den
Braten wenden kannſt, wenn ich mich draußen in
Sturm und Gewitter umtreiben muß; dein ganzes
Leben iſt zwiſchen Spiel und Ruhe getheilt, ein
wahres Schlaraffenleben fuͤhrſt du hier, anſtatt
da bei deinem Koͤnige hinter den Akten zu ſitzen,
und unnuͤtzes Zeug zu ſchreiben.


Malvina.

Du biſt heut recht vergnuͤgt,
lieber Mann.


Leidgaſt.

Mir deucht, ich hab etwas im
Kopf; ich weiß nicht, wie viel ich druͤben getrun-
ken habe. Schneid nicht ſo kleine Stuͤckchen, gieb
unterdeß die eine Keule her, daß ich ſie zur Probe
verſpeiſe. — Iſt nichts Neues vorgefallen?


Semmelziege.

Gar nichts, mein Herr.


Malwina.

Was kann hier in unſrer Ein-
ſamkeit wohl geſchehn?


Leidgaſt.

Den Wein! Ei was! nicht erſt in
den Becher gegoſſen, unnuͤtze Spitzfindigkeit, gebt
mir nur gleich die große hoͤlzerne Kanne, daraus
ſaͤuft ſichs beſſer.


Semmelziege.

Hier, mein gnaͤdiger Herr.


[503]Daͤumchen.
Leidgaſt.

Auf eure Geſundheit, ihr Narren.
Wenn ichs aber recht bedenke, ihr ſteckt hier im-
mer ſo allein beiſammen, fluͤſtert und ſeid guter
Dinge, und Ein Herz und Eine Seele, — Sem-
melziege, wenn ich einmal Unrath merkte, ſo waͤrs
um Euch geſchehn.


Semmelziege.

Zu edel denkt Eur tugendlich Gemahl, und wohl
Weiß ich, was ſich der Diener nicht erkuͤhnen darf,
Denn alte Sitte hat ja jedem Volk gelehrt,
Des Herren Bett beſteigen wollen Frevel ſeis.


Leidgaſt.

Ich rathe Euch auch Guts, denn
wenn ich auch gar nicht eiferſuͤchtig bin, ſo wuͤrde
ich doch darin keinen Spaß verſtehn. Zum Gluͤck
iſt meine Frau jetzt garſtig genug, es waͤre etwa
bloß die Einſamkeit, und daß ihr, Kerl, zu gute
Tage bei mir habt.


Malvina.

Das Ungeheuer!


Semmelziege.

Die Schoͤnheit kennt, o Holde, nicht ſein bloͤder
Sinn,
Kein Ideal erreicht ein ſolcher grober Geiſt.


Leidgaſt.

Ich denke uͤberhaupt manchmal
daruͤber nach, — geht mir jetzt die andre Keule,
der Hammel iſt auch verwuͤnſcht klein, — ich denke
wohl ſo druͤber nach, ſag ich (denn ich denke gern),
daß es denn doch wohl anders ſchmecken muß und
beſſer, auch die Empfindung des Herzens mit ge-
rechnet (denn die Imagination thut ja bei allen
Sachen ſo erſtaunlich viel), einen guten Freund,
oder eine Geliebte aufzufreſſen; beſonders in der
[504]Zweite Abtheilung.
Zeit der erſten Liebe, wo man noch weniger dreiſt
iſt, ſich anzunaͤhern ſcheut, wo unſer ganzes
Weſen in Sehnſucht zittert. — Gebt mir mal
den andern Humpen Wein. — Semmelziege, was
meint Ihr?


Semmelziege.

Erfahrung loͤſt genuͤgend nur die Frage auf.


Leidgaſt.

Sehr wahr, aus der Theorie laͤßt
ſich ſehr wenig ſprechen. — Nun ſagt mal, Sem-
melziege, wie wenn ich Euch ſo anbiſſe? Aus
Freundſchaft?


Semmelziege.

Ich bin wohl zu geringe,
mein gnaͤdiger Herr.


Leidgaſt.

Aber, was Teufel, ich ſpuͤre hier
friſches Fleiſch, — was — wo — meine Naſe
truͤgt mich nicht.


Malwina.

Wie kann es anders ſeyn, lieber
Mann, da der Hammel ganz friſch und blutig
am Feuer gedreht wird?


Leidgaſt.

Macht mir nichts weiß, geht mir
mit keinen Finten um, mein Geruch iſt zu per-
fekt. Es iſt Menſchenfleiſch. Da hier im Winkel
muß es ſeyn.


Malwina.

Gewiß nicht, lieber Mann.


Leidgaſt
(hebt die Tonne weg).

Wie? Ei, ſieh
da, ein ganzes Neſt voll junger Huͤner. — Nun,
Ihr Spitzbuben? Ihr unterſteht euch, mir was
vorzuluͤgen? — Eins, zwei, drei, vier, fuͤnf, ſechs,
ſieben. Tretet doch ein bischen naͤher ans Licht,
ihr Prinzen, daß man Eure Phyſiognomie mehr
kann in Augenſchein nehmen. Leuchte, Frau. Hin!
[505]Daͤumchen.
nicht uͤbel. Du, Dicker, komm her. Rothes
Haar? Die Wenigſten eſſen ſolche gern, ich ſage
aber: Vorurtheil! Der Kleine iſt faſt zu duͤnn
und ſchmaͤchtig; je nun, man verzehrt eins mit
dem andern. Die uͤbrigen ſind recht gut und ziemlich
feiſt. — Semmelziege, gieb mir mein großes Meſ-
ſer her, ich will ſie gleich abſchlachten und zu mir
nehmen. Ich wollte, daß ſich oft ſo zarte Braten
zu uns verirrten.


Malwina.

Lieber Mann, ſei barmherzig,
laß die Kinder gehn. Sieh, wie ſie vor dir zit-
tern; laß dich von ihren Thraͤnen erweichen. Wie
iſt es nur moͤglich, an ſo graͤßlichen Mahlzeiten
Wohlgefallen zu finden?


Semmelziege.

Gnaͤdiger Herr, alle Natio-
nen haben dergleichen immer verabſcheut, denn es
iſt zu unnatuͤrlich.


Leidgaſt.

Schauts, wie Ihr nun ſprecht,
ohne alle Kenntniß, ohne was von der Sache zu
verſtehn. — Nun hab ich mein Meſſer gewetzt, es
wird wohl ſcharf genug ſeyn. Unnatuͤrlich? dum-
mes Gewaͤſch! Alle Nationen? das glaub ich,
wenn alle Nationen ſich darauf verſtaͤnden und
den Appetit haͤtten, ſo wuͤrde bald keine Spur
mehr von irgend einer Nation uͤbrig bleiben. Ein-
faltspinſel! ſieh, es iſt wie mit dem Kaviar und
den Auſtern, welche auch die geringen unwiſſen-
den Leute nicht moͤgen; eben ſo, verſteht, wenn
man nun das erſte mal in ſeines Gleichen einbei-
ßen ſoll, denkt man freilich auch: ſoll ich? ſoll
ich nicht? Aber, ich verſichre Euch, dieſes Zandern,
[506]Zweite Abtheilung.
dies Wollen und Nichtwollen, o es iſt gar zu
ſchoͤn! Dies Ueberwinden eines gewiſſen ſeltſamen
Widerwillens macht gerade das Pikante von der
Sache. Hat mans nun erſt gekoſtet, ſo moͤchte
man gar nichts anders mehr eſſen, alle andern
Speiſen ſind dagegen nuͤchtern und miſerabel und
jedes andre Fleiſch ſchmeckt hoͤlzern. Man kanns
leider nur nicht immer haben, man muß auch wie-
der mit andrer Koſt vorlieb nehmen. O ich weiß,
wenn Ihrs nur mal verſuchtet, ihr wuͤrdet meiner
Meinung werden und einer vor dem andern nicht
mehr ſicher ſeyn. Doch laßts nur bleiben und ver-
harrt in Eurem Aberglauben, fuͤr Euch ſind die
uͤbrigen Speiſen gut genug, es muß nicht zu viele
Liebhaber geben.


Malwina.

Du haſt aber heut ſchon ſo viel
gegeſſen, Lieber.


Leidgaſt.

Da haſt du nicht Unrecht, zum
Fruͤhſtuͤck muͤſſen ſie noch beſſer ſchmecken, und —
eben faͤllt mir ein Gedanke ein, — meinen beiden
Landsleuten hier im Walde habe ich ſchon ſeit lange
viele Verbindlichkeiten, die will ich dazu invitiren,
die ſind Kenner, die werden die Delikateſſe zu ſchaͤz-
zen wiſſen. — Frau, bring ſie hinauf in die Kam-
mer, zu unſern Kleinen; ſchließ ja ab, das ſag
ich dir. Schlaft wohl, Kinder, ſchlaft recht ge-
ſund, daß ihr morgen nicht eingefallen ſeid. Da,
kuͤßt mir die Hand. Gute Nacht, liebes Volk.


(Malvina mit den Kindern ab.)

Semmelziege.

Gnaͤdiger Herr, wenn nur
Ihre drei Kleinen nicht aufwachen.


[507]Daͤumchen.
Leidgaſt.

Warum?


Semmelziege.

Dann ſind die fremden Kin-
der wahrlich nicht ſicher, denn die ihrigen ſind auf
Menſchen ſchon ſo geſtellt, daß ſie mir ſogar neu-
lich das Blut haben ausſaugen wollen.


Leidgaſt.

Iſts moͤglich? den Verſtand, die
Bildung haͤtt ich ihnen nimmermehr zugetraut.

(Malwina kommt zuruͤck).

O Frau, Frau, was ein
Vater doch ein gluͤckliches Weſen iſt! So eben hoͤr
ich von den Fortſchritten meiner lieben Jungen,
die ich mir nicht haͤtte traͤumen laſſen: ſie kriegen
auch ſchon Appetit, ſagt mir der gute Semmelziege.
Ei, was werden ſich aus ſo fruͤhen Anlagen fuͤr
herrliche Talente entwickeln!


Malwina.

Du freuſt dich uͤber das, wor-
uͤber ich Thraͤnen vergieße?


Leidgaſt.

Weib, laß mir die Empfindſamkeit.
Ich kann die weichliche Erziehung nicht ausſtehn,
alle dieſe Vorurtheile, Aberglauben und Schwaͤr-
merei habe ich ihnen nie geſtattet, aͤchte, derbe
Natur, die iſt meine Sache, und die offenbart ſich
in ihnen. Sie ſollen keine Stubengelehrten, keine
Tuckmaͤuſer werden. Du haſt doch die Kammer
recht verſchloſſen? Gieb mir den Schluͤſſel. —
Semmelziege, hinauf auf den Taubenſchlag und
ſchlaft! du, Frau, kommſt mit mir. Das ſag ich
Euch, merk ich einmal was Unrechtes zwiſchen Euch
beiden, ſo mach ich kurzen Prozeß und freß euch
auf, denn ich darf nur ein Weilchen auf der Land-
ſtraße lauern, um mir eine Frau und einen Favo-
riten wieder zu fangen. Wenn ich recht daruͤber
[508]Zweite Abtheilung.
nachdenke, thaͤt ich uͤberhaupt daran wohl am kluͤg-
ſten, denn ſie waͤren mir dann wieder was Neues;
auch koͤnnt ich dann behaupten, daß ich mich nicht
von der Frau geſchieden haͤtte: viele Menſchen wol-
len ja dieſe Scheidungen mißbilligen. Nun, ich
wills mir beſchlafen. — Iſt mir doch faſt, als haͤtt
ich heut etwas zu viel getrunken, der Kopf geht
mir ein wenig um. Ich merke, meine Natur wird
ſchwaͤchlich, ich muß mich immer mehr an ſoliden
Fleiſchſpeiſen halten.

(ſie gehn ab).

Vierte Scene.

(Wald.)

Thoms, die uͤbrigen Kinder.

Peter.

Thoms, Thoms, was fangen wir
nun an?


Barnabas.

Sprich, denn es iſt wahr, du
biſt doch der kluͤgſte von uns allen.


Thoms.

Ihr ſeht, wir ſind wieder im Walde,
im Freien, zwar iſt es dunkle Nacht, aber beſſer
wir laufen aufs Gerathewohl in die Welt hinein,
als von jenem Ungeheuer geſchlachtet zu werden.


Peter.

Haſt Recht, engliſcher Bruder.


Thoms.

Gut, daß ich darauf verfiel, das
Bettuch zu zerſchneiden und uns ſo aus dem Fen-
[509]Daͤumchen.
ſter zu laſſen, und ein Gluͤck, daß uns Niemand
dabei uͤberraſcht hat.


Peter.

Ach, was werden unſre Eltern dazu
ſagen, wenn ſie die erſchrecklichen Geſchichten er-
fahren?


Thoms.

Jetzt laßt uns laufen, was wir
koͤnnen, daß wir irgendwo hin kommen, wo der
Wuͤthrich uns nicht mehr findet, oder unter Men-
ſchen, wo wir ſicher ſind.


Peter.

Komm, lieber kleiner Bruder, ich
will dich ein Weilchen tragen, weil du mit deinen
Beinchen keine ſonderliche Schritte machen kannſt.
Nun raſch, raſch, ſchnell fort, und ſtill, daß der
Satan dort uns etwa nicht noch hoͤrt.

(gehn ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Die Huͤtte.)

Leidgaſt
kommt mit dem Meſſer.

Ich bin wohl ein rechter Narr, daß ich bis
morgen warten will, ich kann ſie ja wenigſtens ab-
ſchlachten, und den einen verzehren, um zu koſten,
wie ſie thun, ſo bleiben gerade fuͤr unſre Geſell-
ſchaft noch ſechs. Gleich will ich hinauf und das
gute Werk verrichten.

(geht ab.)

Malwina kommt mit Licht.

Malwina.

Was ihm nur heut iſt! Er iſt
[510]Zweite Abtheilung.
ſchon aufgeſtanden, hat im Finſtern herum getappt,
und hier hoͤrte ich ihn ſprechen. Der Wein nimmt
ihm alle Gedanken, und ich muß zittern, daß er
in der Trunkenheit einmal mich oder den Hofrath
ermordet. Es fehlt noch zu meinem Ungluͤck, daß
eine unſinnige Eiferſucht ſich ſeines Gehirnes be-
meiſtert.


Leidgaſt kommt zuruͤck.

Leidgaſt.

Sie ſind entflohn! entflohn! die Raſerei

Entzuͤndet mir ſo Herz wie Eingeweide!

O du verkehrter, unheilſchwangrer Sinn!

Das zu verſchieben, was dir obliegt gleich;

Dem Zaudernden entflieht Gelegenheit,

Der Stirnhaar er mir Haͤnden faſſen konnte.

So iſt mir nun die ſuͤße Koſt entgangen,

Nach der mein Gaumen mir gewaͤſſert ſchon.

Doch nun nicht laͤnger trag ich Zoͤgrungs-Schuld!

He! Semmelziege! auf! he! Semmelziege!

Semmelziege kommt.

Leidgaſt.

Den Schluͤſſel nimm, thu auf den erznen Schrein;

Die Stiefeln her, des Leders Zauberkraft!

Mit ihnen mißt der Meilen ſieben jeder

Der Schritte; wie kann mir die Brut entgehn?

Leg mir ſie an, reich mir den Reiſehut,

Den langen Saͤbel wirf um meine Schulter,

Den Stab nun noch vom jungen Eichenbaum!

[511]Daͤumchen.

So renn ich in die Wildniß gleich hinaus,
Mein fluͤchtig Wildpret wieder aufzufangen.

(geht ab.)

Semmelziege.

Theure Freundin.


Malwina.

Edler Mann.


Semmelziege.

Braͤch er doch den Hals!


Malwina.

Das gebe der Himmel, aber es
wird nicht geſchehn.


Semmelziege.

So waͤren wir frei.


Malwina.

Gute Nacht, Hofrath, gehn
Sie, eilen Sie auf Ihren Taubenſchlag, denn mit
den verwuͤnſchten Stiefeln kann er ja jeden Augen-
blick wieder hier ſeyn.

(geht ab.)

Semmelziege.

Ein holder Traum fall auf die Wimper nieder,
Dich ſummen ein der Elfen Wiegenlieder.

(geht ab.)

[512]Zweite Abtheilung.

Dritter Akt.


Erſte Scene.

(Zelt.)

Zwei Ritter.

Erſter Ritter.

Unſer Heer iſt voͤllig geſchlagen.


Zweiter Ritter.

Leider, die Unvorſichtig-
keit des Herrn Kay war aber auch zu groß, ohne
Plan und Verſtand den Feind in ſeiner vortheil-
haften Stellung anzugreifen.


Erſter Ritter.

Er ſelbſt iſt uͤbel zugerichtet.


Zweiter Ritter.

Ich goͤnn es ihm von
Herzen, an ſolchem Fuͤhrer iſt nichts verloren.


Kay wird herein gefuͤhrt, Kirmes.

Kay.

Setzt mich nieder, da gleich in den
Seſſel. Das war ein verdammter Strauß. Iſt
mein Bader da?


Kirmes.

Hier, Ihr Gnaden, Ihnen unter-
thaͤnigſt aufzuwarten.


Kay.

Ich bin am ganzen Leibe wie zerſchla-
gen, und der linke Arm iſt mir ausgerenkt.


Kirmes.

Ja, gnaͤdiger Herr, es war auch
ein
[513]Daͤumchen.
ein ſo extraordinaͤrer Fall, wie ich in meinem Le-
ben nicht habe zu beobachten Gelegenheit gehabt.


Kay.

Wie denn? Ich war ſo ohne alle Be-
ſinnung, daß ich ſelber nicht weiß, was mir wider-
fahren iſt.


Kirmes.

Der gnaͤdige Herr liefen wie ein
aͤchter Held mit ſpringendem Roſſe den feindlichen
Fuͤhrer an, die Lanze eingelegt, ganz wie ein grim-
miger Drache in toͤdtlichem Anſprung. Der Feind
eben ſo Ihnen entgegen. Nun trafen ſie zuſam-
men. Ihre Lanze zerkrachte und zerſplitterte auf
ſeinem Harniſch, der Menſch ſaß feſt im Sattel
und ruͤhrte und rippelte ſich nicht, wie drauf ein-
gewachſen, und das Pferd wie im Boden gewur-
zelt: zugleich aber wurde der gnaͤdige Herr aus
ſeinem Stegereife gehoben, und hinterwaͤrts dem
Roß ſo hoch in die Luft geſchnellt, daß Sie ſich
dort oben zweimal im Rade uͤberſchlugen, im ſchleu-
nigſten Wirbel, einer Windmuͤhle zu vergleichen,
die im ſchnellſten Umſchwung iſt, jetzt ſah man
dero Beine, jetzt dero Arme, aber ſo ſchnell uͤber
und durch einander geſchlungen, daß die naͤhere
Unterſcheidung nicht ſtatt fand, Kopf oben und zu-
gleich Kopf unten; wenns einer mit Fleiß machen
wollte, koͤnnt ers gewiß nicht zu Stande bringen;
ſo mit Blitzesſchnelle und Gewalt wurden ſie weit
in das Feld gegen einen Weidenbaum geſchleudert,
daß ich glaubte, ich wuͤrde nur die Scherben von
meinem gnaͤdigen Herrn wieder finden.


Kay.

Ich ſag Euch, Bader, es war ein
verteufelter Schlag, es war als wenn das Firma-
II. [ 33 ]
[514]Zweite Abtheilung.
ment uͤber mir einbraͤche. — Und unſer Heer iſt
geſchlagen?


Erſter Ritter.

Voͤllig, Herr Kay.


Kay.

Nun, wenn Herr Gawein kein beſſe-
res Gluͤck hat, ſo hat Artus, ſeine Tafelrunde, und
unſer liebes Brittannien am laͤngſten beſtanden.


Erſter Ritter.

Schrecklich genug.


Kay.

Kommt hinein, Bader, Ihr muͤßt mir
den Arm einfuͤgen und die Beulen bepflaſtern. Haͤtt'
ich doch nicht gedacht, wenn ich ſonſt in Gottes
Namen zuſchlug, daß es ſo thaͤte. Ich werde mir
kuͤnftig einen etwas duͤnnern Stock anſchaffen.


Kirmes.

Gewiß, die Anſchauung, gnaͤdiger
Herr, die Anſchauung macht alles, ohne dieſe ſind
unſre Erkenntniſſe unzulaͤnglich.

(gehn ab.)

Zweite Scene.

(Felſengegend.)

Die Kinder eilig auftretend.

Peter.

Wohin? Wohin?


Thoms.

Bleibt nur verſtaͤndig. Schreit
nicht.


Barnabas.

Er iſt immer hinter uns.


Siegmund.

Er geht uͤber Thal und Berg.
Das ſind Schritte!


Matthis.

Jetzt ſieht man ihn, jetzt nicht.


[515]Daͤumchen.
Peter.

Da kommt er wieder uͤbers Gebirge
geſchritten.


Thoms.

Lauft ſchnell um die Ecke!

(laufen
ab.)

Leidgaſt kommt.

Leidgaſt.

Unbegreiflich! Nach allen Seiten
gelaufen, und nirgend ſind ſie zu ſehn. Ob das
Geſindel ſich unſichtbar machen kann? Ob ſie mir
zwiſchen den Beinen wegkriechen? Ich weiß nicht.
Ich muß mal hier um die Felſenecke ſchaun.

(geht ab.)

Die Kinder kommen zuruͤck.

Thoms.

Ums Himmels Willen ſtill! Seht
hier iſt zum Gluͤck eine kleine Hoͤle unter dieſem
Stein, da koͤnnen wir alle hinein kriechen. Im
Freien, ſcheints, ſpuͤrt uns ſeine Naſe nicht ſo,
wie in der Stube.

(ſie kriechen in die Felſenhoͤlung.)

Leidgaſt kommt zuruͤck.

Leidgaſt.

Auch da nicht! —

(ſetzt ſich auf den
Stein.)

Ich bin muͤde. Kein Wunder, nicht geſchla-
fen, viel getrunken, ſpaͤt nach Haus gekommen,
fruͤh wieder ausgewandert. Und dieſe Zauberſtie-
feln machen verdammt muͤde, wenn man ſie an
den Beinen hat. —

(gaͤhnt.)

Doch kurios! Sieben
Engliſche Meilen mit einem Schritt! Iſt freilich
bei weitem nicht ſo viel, wie ſieben Meilen bei mir
druͤben zu Lande, — aber warum gerade ſieben?
Nicht ſechs, nicht fuͤnf? Je nu, der Zauberer
muß das Ding doch verſtanden haben und gewußt,
warum er es ſo einrichtet. Es ſoll noch von dem
bekannten Merlin herruͤhren, dies Lederwerk.
[516]Zweite Abtheilung.

(betrachtet ſie.)

Hm! hm! Sohlen und Abſatz ſchon
ziemlich abgelaufen. Und man hat mir geſagt,
wenn man ſie flicken oder verſohlen laͤßt, ſo ver-
lieren ſie jedesmal eine Meile an Kraft, bis ſie
zuletzt ganz ordinaͤre Stiefeln werden. —

(gaͤhnt.)


Und nun wend ich ſie an die Schwengel, die ich
nicht einmal erhaſche. — Muß noch immer an
den alten Wahrſager denken, dem ich ſie abjagte,
der wollte, wie er ſagte, Chriſtenthum und Bil-
dung damit verbreiten und durch alle Laͤnder, bis
zu den ſchwarzen Mohren, darauf laufen, und
erzaͤhlt mir das Ding ſo treuherzig hin, bis ich
ſie ihm natuͤrlich von den Beinen reiße. — Mer-
lin ſoll das Ding eigentlich zuerſt fuͤr Uter Pan-
dragon gemacht haben, und fuͤr deſſen Familie.
Gewiß, der gute Koͤnig Artus wuͤrde auch gern
manchen Groſchen dafuͤr geben, koͤnnte wenigſtens
mit Sicherheit dann aus ſeinem Lande rennen,
das er wohl am laͤngſten wird gehabt haben. —
Die friſche Morgenluft —

(gaͤhnt.)

nimmt mir den
Kopf ein, — hm! ſitzt ſich gut hier — und wenn
ich mich ſo mit dem Ruͤcken an den Berg lehne, —
ganz kommode, — ordentlich fuͤr mich eingerich-
tet — huͤbſch hier, den Anfang der Sonne mit
anzuſehn. —

(ſchlaͤft und ſchnarcht, die Kinder kriechen
aus dem Felſenloch ihm zwiſchen den Beinen hervor.)

Peter.

Still!


Thoms.

Jetzt ſchlaͤft er feſt, er hoͤrt uns
nicht.


Barnabas.

Wie er ſchnarcht! Es giebt im
Thal unten einen ordentlichen Widerſchall.


[517]Daͤumchen.
Peter.

Widerſchall oder nicht, laßt uns nur
machen, daß wir ſchnell fortkommen.


Thoms.

Nein, bleibt noch, Bruͤder, ich habe
mir eine Sache uͤberlegt.


Peter.

Was willſt Du? Soll er aufwachen,
uns freſſen?


Thoms.

Peter, halt ihm das Bein, indeß
ich ihm den Stiefel abziehe. So. —


Peter.

Ich zittre uͤber und uͤber.


Thoms.

Nun den andern Stiefel auch.


Peter.

Aber ſag nur — Du biſt toll im
Kopf.


Thoms.

Halt! So, das waͤre geſchehn. —
Nun koͤnnte einer von uns die Stiefeln anziehn,
am beſten Peter, und dann einen nach dem andern
nehmen und ſie nach Hauſe tragen.


Peter.

So dumm biſt Du noch in Deinem
Leben nicht geweſen.


Thoms.

Oder, noch beſſer, ich zieh ſie
ſelber an.


Peter.

Wenn mir nicht ſo angſt waͤre, wuͤrd'
ich lachen: drei ganzer Burſche, wie der, gehn in
einen einzigen ſolchen Stiefel.


Thoms.

Sie ſind fuͤr ihn nicht gemacht
geweſen, vielleicht paſſen ſie mir auch, die Zauberei
geht weit. —

(er zieht einen an.)

Richtig! wie ange-
goſſen.


Peter.

Das iſt doch unbegreiflich.


Thoms.

Gieb den andern auch her. So,
nun waͤrs geſchehen, nun ſind wir ſicher. —
Jetzt lauft, Bruͤder, ſo ſchnell ihr koͤnnt, uͤber das
[518]Zweite Abtheilung.
Gebirge, bis ihr das Dorf unſrer Eltern wieder
findet, mit mir hats keine Noth, ich komme Euch
wohl bei Gelegenheit nach; gruͤßt Vater und Mut-
ter, ſie ſollen vergnuͤgt ſeyn und nicht mehr ſor-
gen.


Peter.

Was der ſchwazt.


Thoms.

Geht nur, geht!

(die uͤbrigen Kinder
gehn ab.)

Ich will mich indeß wieder zu des Unholds
Frau begeben.

(ab)

Leidgaſt.
(erwacht)

Ho ho! da waͤr' ich ja
faſt eingeſchlafen. — Ich muß mich nur ermun-
tern — Ha! was iſt das? — die Stiefeln weg? —
Herabgeſchleudert vom Cothurn zum Sokkus jetzt!
Sei blind mein Aug! Da wandelt ſchon der kleine
Schelm
Weg uͤber Berg und Fluß und Waldung großen
Schritts.
Dort unten ſchnurrt im Thal, dem Volk Rebhuͤ-
ner gleich,
Die Brut und rennt und lacht des bloͤden Thoren
hier!
Zuruͤck ins Haus muß ich mit eignen Beinen gehn.
Ha, wie Verzweiflung, Rache tobt in mir und
Wuth!
Wo, wo find ich ſolch unvergleichlich Stiefelnpaar?
Muͤßt ich zum Lebermeer, dem kalten Eiſespol,
Dem Caucaſus, ja ſelbſt zum fernſten Ganges
gehn,
In jenes Reich, wo ſuͤndlich Fleiſch zu eſſen ſcheint,
Wo man Gemuͤſe ſelbſt aus Waſſer kocht und
Salz,
[519]Daͤumchen.
Ja wo man Surrogat fuͤr duͤnnes Bier genießt,
Nicht ſcheut den Gang ich ſolcher hohen Stiefeln
halb.

(geht ab.)

Dritte Scene.

(Vor der Huͤtte.)

Thoms.
tritt auf.

Jetzt koͤnnen ſie fliehn, die Ungluͤcklichen! —
Herr Hofrath! Herr Hofrath!


Semmelziege.
(kuckt vom Taubenſchlag herunter).

Was giebts?


Thoms.

Ihre Erloͤſung iſt gekommen, der
Unhold ſchlaͤft im Gebirge, ich habe ihm die Stie-
feln ausgezogen.


Semmelziege.

Iſts moͤglich?


Malwina kommt.

Malwina.

Welch Geſchrei iſt hier?


Semmelziege.

Wir duͤrfen entfliehn, die
Zauberſtiefeln ſind ihm geraubt, ich ſehe meinen
Beruf, meine Gattin wieder.


Malwina.

Ich geh ins Haus, die Kinder,
meine Juwelen retten.

(geht ab.)

Semmelziege.

Setz mir doch die Leiter an,
Kleiner, daß ich kann hinunter ſteigen.


Thoms.

Ich bin zu ſchwach dazu. Adjeu,
viel Gluͤck.

(ab.)

[520]Zweite Abtheilung.
Semmelziege.

Soll ich hier verſchmachten
im vollen Gluͤck? Koͤnnte man mein vergeſſen?
Edelſte der Frauen, wo ſind Sie?


Malwina mit den Kindern und einem Kaͤſtchen.

Malwina.

Kommen Sie ſchnell, ſchnell,
Hofrath, daß wir uns zur Reſidenz begeben.


Semmelziege.

Ich kann nicht, Treffliche,
menn Sie nicht die Leiter anſetzen, der Sprung
iſt zu hoch.


Malwina.
(ſetzt die Leiter an).

Steigen Sie
herunter, nur nehmen Sie ſich in Acht, daß Sie
nicht in den Ententeich fallen.


Semmelziege
(ſteigt herab).

Da bin ich. O
willkommen, Du goldne Himmelstochter, Freiheit!


Malwina.

Eilen wir

(ſie gehn ſchnell ab.)

Leidgaſt kommt von der andern Seite.

Leidgaſt.

Gleich muß ich in das Haus gehn,
und meine Rache an der Frau nehmen. —

(er geht
hinein, koͤmmt ſogleich zuruͤck).

Sie iſt nirgend. Welche
Ahndung! Ha, Semmelziege! Du, Boͤſewicht,
ſollſt es buͤßen, und meinen Zorn fuͤhlen! Wer
hat die Leiter angeſetzt? Wer wagt es? Ich klimm
hinauf.

(er ſteigt hinauf und kuckt in den Taubenſchlag).


Er iſt nicht hier, und leer iſt Haus und Tauben-
ſchlag!
So leb ich denn auch laͤnger nicht zum Hohn der
Welt.
Entwich mir Alles, Frau und Kind und Stiefeln
auch,
[521]Daͤumchen.
Biet ich dir immer, treulos Schickſal, frechen Trotz.
Herab von dieſes Thurmes ſchwindlicht hohem Sitz,
Wo leicht beſchwingt Gefluͤgel nur die Neſter baut,
Wo ſelbſt nicht Iltis, Marder, finden Weg und
Steg,
Stuͤrz ich mich nieder in die Flut tief unter mir,
Und das Gedaͤchtniß meines Namens ſei vertilgt!
So, Menſchheit, buͤß ich, was ich dir geſuͤndigt
einſt.


(er ſtuͤrzt ſich von oben in den Ententeich und erſaͤuft.)

Virte Scene.

(Pallaſt.)

Artus, ein Ritter.

Artus.

So iſt ſein Heer geſchlagen?


Ritter.

Voͤllig, Herr.


Artus.

Und er iſt ſelbſt verwundet?


Ritter.

Unbedeutend.


Artus.

Nimm du des Zuges Fuͤhrung, reit zuruͤck,
Zuſammen treib, was ſich noch finden laͤßt

(Ritter ab).


[522]Zweite Abtheilung.
Von Gawein keine Zeitung! Ward er auch
Geſchlagen, wie ich fuͤrchten muß, ſo endet
Derſelbe Tag mein Leben und mein Reich!
Du draußen, he!


Ritter tritt ein.

Artus.

Kein Bothe noch vom Neffen?


Ritter.

Nein, gnaͤdiger Herr.


Artus.

Schick mir den Reuter gleich.
Er ſoll zum Parcival mit ſchnellen Worten.


(der Ritter ab, ein Reuter tritt herein.)

Artus.

Held Parcival ſoll ſich im Lager halten,
Bis ich von Gawein gute Nachricht hoͤre.


(der Reuter geht ab, Thoms tritt herein.)

Artus.

Wer biſt Du, Kleiner, und wo kommſt Du her?


Thoms.

Man ſagt, daß Ihr in großen Noͤthen ſeid
Um Nachricht von den Heeren, ſchicket mich,
Ich bin gleich dort und augenblicklich hier.


Artus.

Geh, Thor, zu langſam ſind die ſchnellſten Reuter.


Thoms.

Das macht, ſie haben nicht die rechten Stiefeln.


Artus.

Wahnſinnges Kind, treib anderswo die Poſſen. —
Und doch! — ha, wunderbare Ahndung ſchlaͤgt
[523]Daͤumchen.
Mit Blitzeshaſt durch Herz mir und Gedanken,
Die alte Prophezeiung geht mir auf,
Vom Merlin ſelbſt, dem Weiſen, uns gegeben:
Ein Zwerg, — ſteht er nicht hier vor meinen Augen?
Die Stiefeln, die ſo oft ich nennen hoͤrte,
Er ſpricht davon, — ſprich, Kobold, Geiſt, Geſpenſt,
Was deuten deine Wort', und wer biſt du?


Thoms.

Ein armer Bauernknabe, hoher Koͤnig,
Der nimmermehr gewagt vor dich zu treten,
Wenn nicht ein ſeltſam maͤrchenhafter Zufall
Ihm wundervolle Zauberſtiefeln gab,
Mit denen er in jedem Schritt zuruͤck mißt
Vollſtaͤndig ſieben Meilen. Schwerbedraͤngt
Iſt unſer Land, die Heeresmacht getrennt,
Vielleicht kann jetzt ein klug geſprochnes Wort,
Blitzſchnelle Nachricht und Vereinigung
Die gute Sache foͤrdern, darum ſprich,
Abſende mich, gleich bin ich wieder hier,
Und der Erfolg bewaͤhrt dir meine Rede.


Artus.

Ja, koͤnnteſt du wahr machen, was du ſagſt!
Mein Neffe Gawein ſteht im Weſtgebirge;
Ich weiß nicht ſiegt er, iſt er wohl geſchlagen.


Thoms.

Gleich bring ich dir die ſichre Kunde, Fuͤrſt.

(ab.)

Artus.

Wie ſollt es moͤglich ſeyn? Iſt es kein Traum?
Doch leben wir ja in der Zeit der Wunder,
Wir leſen ja in Chronik und Gedicht,
[524]Zweite Abtheilung.
Wie ſeltſam, faſt unglaublich, oft aus Noth
So Land wie Leute ſind gerettet worden.


Thoms tritt ein.

Thoms.

Mein hoher Koͤnig, Heil! ich kuͤnde Sieg,
Denn dein Held Gawein ſchlug die Sachſen dort,
Nur wenige entrannen ſeiner Schlacht.


Artus.

O koͤnnt er ſich mit Kay doch ſchnell vereinen,
Um jene abzuhalten, die uns drohn.


Thoms.

Gebt mir an ihn nur zwei geſchriebne Worte.


Artus.

Hier, Kleiner, nimm, und ſey der Krone Retter.

(Thoms ab.)


Schon glaub ich an den Wahn. Wird er mich
taͤuſchen?


Thoms tritt ein.

Thoms.

Sie wenden um mit muntern Siegesliedern,
Da nimm und lies, dies gab der edle Neffe.


Artus.

Ein Brief von ihm mit ſeinem Siegelring.
Ich ſeh, du biſt ein wahrer Bothe; ſchon
Seit dreien Tagen ward der Brief gefertigt,
Er ſchreibt zum Schluß, daß er durch dich ihn ſendet.
O wuͤßte Kay, daß jene zu ihm ſtoßen!


Thoms.

Ich geh zu ihm, ihm den Befehl zu ſagen.

(ab.)

[525]Daͤumchen.
Artus.

Ha, dieſes Wunder giebt hoͤchſt ſeltnen Stoff
Zu hohem Heldenlied den kuͤnftgen Zeiten. —
Schon wieder da, du ſchneller Wandersmann?


Thoms tritt ein.

Thoms.

Mein Fuͤrſt, es ſitzt Herr Kay in ſeinem Zelt,
Und trinkt gemaͤchlich Becher ſuͤßen Weins.
Er kennt mich noch vom Dorf, denn er iſt dort
Der gnaͤdige Herr; er glaubt nicht meiner Maͤhr,
Und ſchlug gewaltig mit dem Stock nach mir,
Daß, wenn ich nicht entſprang, er alle Dienſte,
Die ich dir leiſten kann, wohl todtgeſchlagen.


Artus.

Du armer Kleiner; nimm und eile gleich
Mit den geſchriebnen Zeilen zu dem Stolzen.
Er ſoll ſich halten, ſoll ſein Lager feſtgen,
Bis Gawein kommt.


Thoms.

Gleich bin ich wieder hier.

(ab.)

Artus.

Der wilde Uebermuͤthge! Immerdar
Erregt er mir den Unmuth, und von neuem
Bin ich ſo ſchwach, ihm wieder zu vertraun.


Thoms tritt ein.

Thoms.

Mein gnaͤdger Herr, nun war er wunderfreundlich,
Bat mich, ich moͤcht ihn nicht bei Euch verklatſchen;
Ich hab ja auch die Wahrheit nur geſagt.


[526]Zweite Abtheilung.
Artus.

Mein Kleiner, eins nur waͤre dir noch uͤbrig,
Daß du zum Helden Parcival hinſchritteſt,
Ihm kuͤrzlich alles ſagteſt, was geſchehn,
Mit dem Befehl, ſich auch Herrn Kay zu fuͤgen:
Dann fuͤhren wir das große Heer vereint
Dem Sachſenvolk entgegen, und verjagen
Die fremden Gaͤſte uͤbers Meer zuruͤck.


Thoms.

Gar fleißig ſoll es ausgerichtet ſeyn.

(ab.)

Artus.

In ihm erſchien der Genius meines Gluͤcks.
Wie dank ich ihm, wenn alles ſo gelingt?


Thoms trrit ein.

Thoms.

Da bin ich wieder —

(ſtuͤrzt.)

o weh! o weh! mein
Bein!


Artus.

Was iſt dir, Knabe?


Thoms.

Ach, mein gnaͤdger Herr,
Die Stiefeln machen ganz entſetzlich muͤde.


Artus.

Du opferſt dich dem Vaterlande auf. —

(er winkt,
Ritter treten ein.)


Legt dieſen Knaben in ein koſtbar Bett,
Verpflegt ihn ſorglich, gebt ihm Speiſ' und Trank. —
Erquicke dich, dann will ich dich belohnen.
Biſt du geruht, kann ich dich wieder ſenden.


[527]Daͤumchen.
Thoms.

Wie ich die Beine wieder ruͤhren kann,
So ſchickt mich nur von neuem friſch umher.


(ſie gehen ab.)

Fuͤnfte Scene.

(Zimmer.)

Malvina, Ida, welche ſtrickt.

Ida.

Welch Wunder, Freundinn, haſt du mir im kur-
zen Wort,
Ausweinend deiner herben Leiden Quaal, erzaͤhlt?
Und Semmelziege, mein Gemahl, auch lebte dort?


Malwina.

Kann lebend heißen weſſen Kraft in Ruhe ſchlaͤft,
Nur wendend an des Feuers Glanz den langen
Spieß,
Geſchmolzen Fett hingießend auf des Bratens Durſt,
Fuͤr jenen Wilden, der ſich, ſagt man, ſelbſt ertraͤnkt;
Doch ſchlimmer noch, wenn grauſen Spiels, der
Arme ſaß
Auf hartem Brett, und hinterwaͤrts der boͤſe Wirth
Aufſchlagend ihn geſchlendert hoch zum Himmels-
zelt,
Daß dein Gemahl ermuͤdet oft, zerſchuͤttert faſt,
[528]Zweite Abtheilung.
Jedweden Stuhl ob Schmerzes Pein verſchmaͤ-
hend ſtand.


Ida.

O Finger du der rachekundgen Nemeſis!


Malwina.

Was ruft dies Wort aus deinem Innern maͤch-
tig auf?


Ida.

Der Hochgeſtimmte, wie er edel war und zart,
Pflag einer Sitte, die ihm Scherz beduͤnkte, doch,
Wodurch der Fackelglanz des Hymen mir erloſch,
Das Herz mit Gram, mit naſſem Salz den Blick
gefuͤllt:
Daß jenen Theil, der nunmehr hat ſo ſchwer
gebuͤßt,
Er mit des Poͤbels haͤrtſtem Ausdruck oft genannt,
Du kennſt wohl ſelbſt das ſchrecklich boͤs einſilbge
Wort,
Das meiner Lippen Woͤlbung nie austoͤnen ſoll:
Beſchwor ich dann mit Thraͤnen ihn, ſo hartes
Leid
Von mir zu thun, zu toͤdten nicht das Zartgefuͤhl,
So lacht er, ſprach noch lauter aus den Hoͤllenton;
Da ward mein Herz dem frechen Mann zum er-
ſten fremd.


Malwina.

Nie folgt er wieder alſo boͤslichem Geluͤſt,
Auch wundert mich, daß er, der Edle, dies vermocht,
Der immer nur der Redensarten Bluͤth und Gruͤn
Sich gern gepfluͤckt, daß oft mein Sinn ihn nicht
verſtand:
Doch
[529]Daͤumchen.
Doch eines auch mußt Du als Opfer bringen ihm,
Daß haͤuslich Gluͤck euch ſchmuͤcke mit dem Ein-
trachts-Kranz.


Ida.

Mein Lebensblut ſoll ihm, dem Hohen, fließen gern.


Malwina.

Ablegen ſollſt Du nur des Strickzeugs Netzgeweb.


Ida.

Ihr Goͤtter! ſchlimmres Wort als Tod ſprichſt
Du da aus.


Malwina.

So wirf denn hin der fuͤnf Geſtaͤhlten Wechſeltanz.


Ida.

Du biſt kein Weib, daß Du ſo kalt die Wort'
aushauchſt.


Malwina.

Doch haßt er mehr als alles dieſes Zwirngewirk.


Ida.

Kann Thaͤtigkeit, die nuͤtzliche, ihm regen Haß?


Malwina.

Erzaͤhlt von ihm vernahm ich wunderſame That.


Ida.

So bleib er denn ſo wie bisher dem Auge fern.


Malwina.

Und Du zerreißeſt muthig ſein Herz und auch
deins?


Ida.

Nie wolle je Unmoͤgliches ein zartes Weib.


Malwina.

Vorſatzes Ernſt ſiegt Leidenſchaften maͤchtig ob.


II. [ 34 ]
[530]Zweite Abtheilung.
Ida.

Wer nicht der Menſchheit Graͤnzen anerkennt iſt
Thier.


Malwina.

Nicht heiſcht ſein Wort, daß Du das Werk zer-
ſtoͤreſt ganz,
Medeen gleich das Liebſte Dir ermorden ſollſt,
Nur im Concert, nur wenn ein Buch begeiſtert Dir
Vortragen will ſein tonerfuͤllter Saͤngermund,
Wenn Lieb aus ihm begeiſtert ſpricht, und, nenn
ich noch
Das holde Lager, Pflanzort deines Muttergluͤcks?
So hehren Augenblicken ſei das Garn entfernt.


Ida.

Erfahr er denn, mein Lieben ſei kein leeres Wort,
Es ſagt mein Herz ihm die Entbehrung ſchmerz-
lich zu.


Malwina.

Da kommt der Edle, eilt herbei auf meinen Wink.


Semmelziege tritt in guten Kleidern herein.

Semmelziege.

O hellbeglaͤnzter goldner Punkt im Lebenslauf!


Malwina.

Ihr ſeid vereint, daß nichts Euch fuͤrder trennen
ſoll,
Doch nicht vergeßt was gegenſeitig ihr gelobt:
Du ſprichſt nicht mehr den frevelnden unheilgen
Laut,
Sie legt die Wechſelwirkung ſchweigend oft beiſeit.


[531]Daͤumchen.
Alfred kommt mit den Kindern der Malwina.

Alfred.

Hier, Madam Leidgaſt, ſind die
Kleinen zuruͤck, und, wie ich mir ſchmeichle, voͤllig
kurirt.


Malwina.

O ich gluͤckliche Mutter! Kommt
denn, ihr menſchlich Gewordenen, an mein menſch-
liches Herz.


Alfred.

Dieſer aͤlteſte wird gewiß ein fleißi-
ger Schuͤler von mir werden, denn ich ſpuͤre einen
auffallenden Trieb zur Botanik in ihm; unten im
Garten hat er viele gelbe Ruͤben ausgezogen, und
nicht nur genau betrachtet, ſondern auch an den
Mund gefuͤhrt und gekoſtet, um ihre Eigenſchaften
zu erproben; nach den Weitrauben ſchien er noch
begieriger. — Sieh, lieber Semmelziege, da biſt
Du ja auch wieder.


Semmelziege.

Ja, mein Guter, und Du?


Alfred.

Ich bin jetzt als Philoſoph, Bota-
niker, und Erzieher angeſtellt, und habe ſo eben
dieſe jungen Kinder der Madam Leidgaſt, welche
durch uͤbertriebne philanthropiſche Manier waren
verdorben worden, durch die neue Methode wieder
zurecht gebracht. Doch, Madam Leidgaſt —


Malwina.

Nennen Sie mich lieber Mal-
wina, das Andenken des Schaͤndlichen, der ſich
ſelbſt ermordet hat, iſt mir zu ſchmerzlich.


Alfred.

Da Sie, ſchoͤne Malwina, jetzt
Wittwe ſind, und ich ein gutes Auskommen habe,
ſo wollt ich fragen —


Malwina.

Sie beſchaͤmen mich, meine Trauer
iſt noch ſo neu.


[532]Zweite Abtheilung.
Semmelziege.

Edle, ſo wuͤnſch ich Ihnen
von Herzen Gluͤck; treten Sie herein, um beim
frohen Mahl ein Feſt der Liebe und Freude zu
feiern.

(ſie gehn ab.)

Sechſte Scene.

(Huͤtte.)

Wahrmund, Elſe, Kirmes.

Wahrmund.

Iſt es moͤglich? Frau! was
muͤſſen wir an unſerm kleinen Jungen erleben?


Elſe.

Nimmermehr haͤtt ichs in der armſeli-
gen Figur geſucht.


Kirmes.

Ja, wie geſagt, der Koͤnig und
das ganze Land ſind ihm dem groͤßten Dank ſchul-
dig, denn durch ihn iſt der Feind jetzt total geſchla-
gen, auch iſt man ſchon dabei, ſeine Bildſaͤule auf
dem großen Markt aufzurichten, damit auch die
Nachwelt von dieſer wunderbaren Geſchichte er-
faͤhrt; doch hat der Kuͤnſtler nicht das Bild nach
der Lebensgroͤße, ſondern in hoͤheren und breiteren
Dimenſionen, mit einem Wort, ſehr koloſſal aus-
fuͤhren muͤſſen, weil ſonſt kein Menſch das kleine
Perſoͤnchen haͤtte ſehn koͤnnen.


Elſe.

Das laͤßt ſich denken, ſie haͤtten ihn
denn etwa auf ein Pferd ſetzen muͤſſen, daß er
hoͤher ſtaͤnde.


[533]Daͤumchen.
Kirmes.

Darauf iſt denn ein großes Feſt
gefeiert worden, wegen des herrlichen Sieges, der
faſt ganz allein durch des kleinen Thoms Boten-
laufen iſt zuwege gebracht worden: der Koͤnig hat
alle ſeine Generale und große Prinzen zur Tafel
geladen, und wie ſie im Speiſen ſind, thut ſich —
was ſagt ihr dazu? mitten auf dem Tiſch die große
Paſtete von einander, und wie ein Engel angezo-
gen ſitzt der kleine Thoms drinne, erhebt ſich, pre-
digt ihnen allen uͤber den Raub weg, wie aus einer
Kanzel heraus, uͤber das Gluͤck des Friedens und
der Unterthanen, uͤber Menſchenrechte und Fuͤrſten-
pflichten, uͤber die Schaͤdlichkeit der Acciſe und
dergleichen was daher, daß allen die Thraͤnen in
den Augen ſtehn. Nach einer Weile laugen ſie ihn
denn aus der Paſtete heraus, und er muß mit an
der Tafel Platz nehmen. Vorher haben ſie ihm aber
ſo ein drei bis vier Kiſſen untergelegt, daß er nur
hat hinaufreichen koͤnnen.


Wahrmund.

Frau, Frau, was uns der
Sohn fuͤr Freude macht! Was wir gluͤcklich durch
ihn ſind!


Elſe.

Ich habs ja immer geſagt: in dem
Jungen ſteckt was Großes.


Wahrmund.

Da kommt der gnaͤdige Herr.


Kay tritt ein.

Kay.

Seid ruhig, bleibt ſitzen, das iſt jetzt
vorbei, daß Ihr Euch zu fuͤrchten braucht, Euer
Sohn, das kleine wantſchapene Ding, hat mir
ſchoͤne Streiche geſpielt: der Koͤnig hat mich ſeit
[534]Zweite Abtheilung.
der letzten Affaͤre nicht von der Seite angeſehn,
und daran iſt bloß die Hummel Schuld, weil ich
ihn habe pruͤgeln wollen, da er mich beim Trin-
ken ſtoͤrte. In dem hab ich eine Schlange am
Buſen genaͤhrt.


Wahrmund.

Er hats gewiß nicht gern ge-
than, gnaͤdiger Herr.


Kay.

Nun, nun, ich darf nicht viel daruͤber
raͤſonniren, denn er hat dem Vaterlande mit ſei-
nen Stiefeln gute Dienſte geleiſtet, und ſo klein
er iſt, iſt er daruͤber ein anſehnlicher Mann ge-
worden. Noch eins: der Koͤnig hat mir befehlen
laſſen, Euch und Eure Kinder insgeſamt an den
Hof zu bringen, er will Euch verſorgen und gluͤck-
lich machen.


Wahrmund.
(ſpringend).

Frau! Frau! Ich
werde unklug im Kopf! Thu mir die Liebe und
mache mir gleich einen recht tuͤchtigen Verdruß,
daß ich nur bei Sinnen bleibe! Ei! ei! zum Koͤ-
nig ſollen wir alle! Mit dem gnaͤdigen Herrn, der
uns nicht mehr pruͤgeln darf! Juchhe!


Elſe.

Bleibe bei dir, Mann, uͤberhebe dich
nicht, ſei geſcheid; wenn du uͤberſchnappſt, was
ſollſt du nachher am Hofe? Schimpf und Schande
waͤrs ja fuͤr uns alle.


Kirmes.

Ja, ja, Gevatter, geht in Euch;
was waͤrs, wenn ich Euch trepaniren muͤßte?
Seid dankbar, aber demuͤthig, in Freuden, aber
nicht oben hinaus, und wenn Ihr denn nun am
Hofe recht gut angeſchrieben ſteht, ſo gedenkt huͤbſch
[535]Daͤumchen.
meiner, wie gefaͤllig ich Euch immer geweſen bin,
mit Credit und baaren Vorſchuͤſſen.


Kay.

Kommt, mein Wagen wartet auf Euch,
der Koͤnig hat mir Eil anbefohlen.


Wahrmund.

Gleich, gnaͤdiger Herr, gleich!
Wir muͤſſen doch erſt unſre uͤbrigen ſechs Jungen
zuſammen leſen. Die werden ſich wundern! —


(ſie gehn ab.)

Siebente Scene.

(Schuſterbude.)

Zahn mit ſeinen Geſellen und Burſchen, arbeitend, Alfred.

Zahn.

Nein, mein werther Herr Schuldi-
rektor, das ſind nur Flauſen, was man von dem
Merlin erzaͤhlt, glauben Sie mir, dieſen Stiefeln
ſeh ichs an, daß ſie noch aus der alten Griechen-
zeit zu uns heruͤber gekommen ſind; nein, nein,
ſolche Arbeit macht kein Moderner, ſo ſicher, ein-
fach, edel im Zuſchnitt, ſolche Stiche! ei, das iſt
ein Werk vom Phidias, das laß ich mir nicht neh-
men. Sehn Sie nur einmal, wenn ich den einen ſo
hinſtelle, wie ganz erhaben, plaſtiſch, in ſtiller Groͤße,
kein Ueberfluß, kein Schnoͤrkel, kein gothiſches Bei-
weſen, nichts von jener romantiſchen Vermiſchung
unſrer Tage, wo Sohle, Leder, Klappen, Falten,
Puͤſchel, Wichſe, alles dazu beitragen muß, um
[536]Zweite Abtheilung.
Mannigfaltigkeit, Glanz, ein blendendes Weſen
hervorzubringen, das nichts Ideales hat; das Le-
der ſoll glaͤnzen, die Sohle ſoll knarren, elendes
Reimweſen, dieſe Conſonanz beim Auftritt; nichts,
davon wußten jene Alten, nichts.


Alfred.

Ihr ſprecht ſo als Kenner, daß ich
Euch faſt beipflichten muß.


Zahn.

Mein Seel, es ſind ein Paar Stie-
feln von denen, die ehemals Minerva oder Mer-
kur getragen haben. Erinnern Sie ſich nicht, daß
dieſe Perſonen mit Einem Schritt vom Olymp
hingelangten, wohin ſie nur wollten, und wenn
es funfzig, ſechzig Meilen waren? Wie laͤßt ſich
denn das anders begreifen, als mit ſolchen Stie-
feln, wie wir ſie hier vor Augen haben? Seitdem
hat ihre Kraft abgenommen, denn jedesmal, daß
ſie geflickt, oder verſohlt werden muͤſſen, verlieren
ſie eine Meile. Sehn Sie, ſo loͤſt ſich ja alles
vortreflich, einfach und ſymboliſch auf, ohne die
Fratzen vom Merlin und Zauberei, Ausgeburten
unſrer aberglaͤubiſchen Vorfahren. Nun ich dieſe
Stiefeln wieder ausgebeſſert habe, machen ſie von
jetzt nur ſechs Meilen mit jedem Schritt. Ich
muß ſie nur gleich an den Hof ſchicken, denn ſie
kommen auf die Kunſtausſtellung.


Alfred.

Was ſind das fuͤr Stiefeln, welche
dorten haͤngen?


Zahn.

Die kommen auch auf die Ausſtel-
lung. Verſtehn Sie, Herr Direktor, ich bin we-
gen meiner guten dauerhaften Arbeit weit und breit
beruͤhmt; und warum? Ich habe mich nach den
[537]Daͤumchen.
Alten gebildet, die, mein Herr, laſſen uns in kei-
ner unſerer Beſtrebungen fallen. Nun gut, ſo
entſteht letzt Frage und Streit uͤber die Guͤte mei-
ner Arbeit, und ich rufe begeiſtert aus: dieſe Stie-
feln (ſie waren eben fertig geworden) halten eine
Reiſe bis Syrakus aus. Ein kurioͤſer Mann nimmt
mich beim Wort, zieht ſie an, und macht bloß
deswegen, um das Ding zu erproben, ſtehendes
Fußes einen Spaziergang nach Syrakus, kommt
richtig auf denſelben Stiefeln wieder, und ſie ſind
noch unverſehrt. Das heißt doch wohl Arbeit!
Dieſer Beobachter hat uͤber dieſe faſt unmoͤglich
ſcheinende Sache ein eigenes Buch geſchrieben,
Herr Direktor, klaſſiſch, beinah eben ſo vortreflich
wie das Ihrige uͤber die Pilze.


Alfred.

Sollten dieſe jetzt wirklich gerade
ſechs Meilen machen?


Zahn.

Gewiß.


Alfred.

Sonderbar! wovon ſie das nun wiſ-
ſen, oder wie ſie es zaͤhlen koͤnnen.


Zahn.

Organismus, beſter Herr, nicht me-
chaniſch, nicht durch einen Calcuͤl.


Alfred.

Euch iſt bekannt, daß bei der neuen
Chauſſee die Meilen bedeutend kuͤrzer ſind, als ſie
ſonſt waren; ob die Stiefeln dort auch die Zahl
ſechs ſo genau treffen wuͤrden?


Zahn.

Es kaͤme auf die Beobachtung an.


Alfred.

Wollt Ihr ſie mir auf einen Au-
genblick anvertrauen, ſo nehme ich die Unterſu-
chung ſogleich vor.


Zahn.

Hm! Es iſt bedenklich. Sie ſind frei-
[538]Zweite Abtheilung.
lich ein angeſtellter Mann; was haͤtten Sie davon,
in alle Welt zu gehn? Indeſſen, man weiß aus
der Pſychologie, daß die Verſuchung oft zu ſtark
iſt, und ſie ſind mir auf meinen Eid anvertraut,
ich waͤre nachher ein geſchlagener Menſch. — Wiſ-
ſen Sie was? Nehmen Sie meinen Lehrburſchen
auf dem linken Fuße mit, ſo bin ich ſichrer, es
iſt doch alsdann einer meiner Leute bei den Stie-
feln zur Aufſicht.


Alfred.

Herzlich gern, denn meine Wißbe-
gier iſt gar groß.


Zahn.

Chriſtoph! — Ziehn Sie an. — Stelle
dich hier dem Herrn Direktor auf den Fuß. —

(leiſe)

Hoͤr, wenn er Miene macht, davon zu gehn,
nicht wieder umzukehren, ſchrei, laͤrm, an die
Gurgel gegriffen, das Aeußerſte gewagt! — Nun,
Adieu indeß.


(Alfred mit Chriſtoph ab.)

Zahn.

Das kann mir ſchlecht bekommen.
Wenig Philoſophie von mir, ihm ſolch koſtbares
Gut anzuvertrauen. Zwar iſt er verheirathet, und
hat eine gute Stelle, — indeß, wenn der Teufel
ihn blendete — Teufel? Wo hab ich denn die
dumme Redensart her? Wenn ihn vielleicht die
Syrenenſtimme der Verſuchung — ach! gottlob,
da ſind ſie wieder!


Alfred kommt mit Chriſtoph.

Alfred.

Richtig, Meiſter, bei jedem ſechsſten
Meilenſtein mußten wir ſtill ſtehn, der naͤchſte Schritt
wieder genau ſechs Meilen weiter. Es iſt merkwuͤrdig.


[539]Daͤumchen.
Zahn.

Komm, Chriſtoph, trag mir die Stie-
feln nach, daß ſie auf der Kunſtakademie koͤnnen
aufgeſtellt werden.


Alfred.

Ich werde doch in einem oͤffentlichen
Blatte daruͤber ſprechen muͤſſen.

(ſie gehn ab.)

Achte Scene.

Pallaſt.

Artus, Ginevra, Gawein, Kay, Perſi-
wein, Wahrmund, Elſe, Thoms

und die uͤbrigen Kinder.

Artus.

So ſind wir denn in Fried und Luſt verſammelt,
Frei iſt das Land, ich der begluͤckte Herrſcher
Hoͤchſt tapfrer Ritter, eines biedern Voks,
Dies danken wir naͤchſt Parcival und Gawein
Dem kleinen Thoms, der unermuͤdet lief,
Drum ſei er feierlich hier in den Orden
Der Edlen aufgenommen, dieſer Vorzug
Sei ihm und ſeiner Descendenz fuͤr immer.
Herr Kay, gebt ihm das Zeichen ſeines Standes.


Kay geht und kommt mit Semmelziege. zuruͤck.

Kay.

Hofrath, legt ihm das guͤldne Kettlein um.


[540]Zweite Abtheilung.
Semmelziege.

Nie uͤberheb Dich Deines Schwungs, ſei bieder,
Wer hoch ſteigt faͤllt auch um ſo hoͤher nieder.


(geht ab).

Artus.

Was ſeinem Stamme zugehoͤret, wird
Mit reichlicher Begabung gut verſorgt,
Den Eltern gebe man Geld, Haus und Hof.


Wahrmund.

Ach, gnaͤdigſter Herr Koͤnig,
wodurch verdienen wir ſolche Gnade?


Elſe.

Das bischen Morion, was unſer klei-
ner Sohn ſich gemacht hat, iſt ſo hohe Belohnung
nicht werth.


Peter.

Herr Koͤnig, laßt mich Koch in Eu-
rer Kuͤche lernen, das hab ich mir zeitlebens ge-
wuͤnſcht,


Artus.

Es ſei. Die andern Kinder, die noch jung,
Soll man ſogleich zur beſten Schule thun:
Marſchall, auf dies ſei gleich von Euch beſorgt.


Kay geht, kommt mit Alfred zuruͤck.

Kay.

Nehmt die fuͤnf Knaben hier in Eure Zucht,
Verpflegt ſie gut, bekleidet ſie gehoͤrig,
Des Koͤnigs Majeſtaͤt wird alles zahlen.


Alfred.

Recht gern, ich bilde ſie zu treuergebnen
Gewitzigten und edlen Unterthanen.
Kommt gleich, ihr Kinder, mit in meine Schule.


(geht ab mit den fuͤnf Kindern.)

[541]Daͤumchen.
Artus.

Freund Kay, Ihr ſcheint noch immer mißvergnuͤgt.


Kay.

Mein Koͤnig, ich kann nimmermehr vergeſſen,
Daß Euer Antlitz mir ungnaͤdig war.


Artus.

Seid heiter jetzt, ihr bleibt, wie ſonſt, mein Freund.


Kay.

Dann moͤcht ich Euch um hohe Gnade bitten.


Artus.

Sie iſt Euch im voraus bereits gewaͤhrt.


Kay.

Schon oft hat mich Herr Gawein angeſtochen,
Noch mehr Herr Parcival und jeder Ritter,
Der ſchon ſein Heil im fremden Land verſucht,
Mann nennt mich Stubenſitzer, Ofenhocker;
Wahr iſts, ich bin noch nicht gar weit gereiſt,
Und 's kitzelt mich doch auch, mich umzuſchaun,
Zu ſehn, wies in der Welt beſchaffen iſt;
Da haͤtten wir nun die ſcharmanten Stiefeln,
Wenn Eur Maj'ſtaͤt mir die etwas erlaubt,
So brauch ich weder Pferd, noch Schiff, noch
Wagen.


Artus.

Ihr wißt, mein Freund, wie hoch ſie uns gedient,
Gefahr kann wieder unſern Haͤuptern drohn,
Daß ſie uns unentbehrlich ſind, auch duͤrfen
Die Sohlen nicht oft abgelaufen werden.


Kay.

Auf lang will ich euch ihrer nicht berauben,
Ein kleines Viertelſtuͤndchen nur, ſo mach ich
[542]Zweite Abtheilung.
Die große Tour durch ganz Europa hin,
Bin wieder da, und will doch ſehn, ob dann
Mir ein Gereiſter noch Geſichter zieht.


Artus.

So lange ſind ſie herzlich Euch gegoͤnnt.


Kay.

Ich kuͤß in Dankbarkeit Eur Gnaden Hand.


(geht ab.)

Artus.

Er bleibt ſo drollig wie er immer war.


Gawein.

Zum Luſtigmacher beſſer als zum Fuͤhrer.


Ginevra.

Laßt ihn gewaͤhren, Ihr ſeid faſt ſo ernſt,
Als nur Herr Parcival es iſt, geworden.
Mein Koͤnig, ſoll der neue Saͤnger jetzt
Verſuchen ſeine Kunſt im heitern Liede?


Artus.

Wohl iſt erwuͤnſcht ſo Sang wie Lautenſpiel,
Wenn Noth uns und Gefahr nicht mehr bedrohn.


Perſiwein.

Mein hoher Koͤnig, ſchoͤne Koͤniginn,
Goͤnnt mir, den Preis des kleinen Thoms zu ſingen,
Der ſich um uns ſo hoch verdient gemacht,
Mein Lied wird ſtrenge Wahrheit nur berichten,
Nicht ſchmeicheln, ſeinen Werth auch nicht ver-
kleinern,
(Verdammt ſey ſolche ſchnoͤde Muſenkunſt)
Auch kann ich wahrhaft ſeyn, ich ſparte nicht
Den groͤßten Fleiß, Thatſachen zu ergruͤnden,
Denn muͤhſam reiſt ich hin, wo er geboren,
[543]Daͤumchen.
Zog Kunde ein, ließ mir Archive oͤffnen,
Und ſtieß auf Quellen, die noch Niemand kannte.


Wahrmund.

Das iſt wahr, der Mann iſt
bei uns geweſen, er hat uns dazumahl auch ein
Lied geſungen.


Artus.

So beginnt.


Perſiwein (ſingt.)

Lauten Jammers, Thraͤnen gießend

Sitzt die Mutter da und ſchluchzt,

Tritt der Gatte zu ihr, fragt ſie:

Theure, was ſtoͤrt deine Ruh?

Ach, beginnt ſie, ſeufzend, leiſe,

Meinen Kummer kennſt wohl du,

Daß uns immer noch kein Kindlein

Laͤchelt lieblich koſend zu.

Und der Mann beginnt zu troͤſten,

Aber ſie klagt jede Stund.

Endlich wird ein Sohn geboren,

Laut verkuͤndigt man es rund.

Taufen will man nun das Kindlein,

Aber fort iſt jede Spur:

Iſts verloren, iſts geſtohlen?

Trug es Katz weg oder Hund?

Nein, es liegt in ſeinem Bettlein,

Doch es iſt ſo duͤnn und kurz,

Daß kein Aug' es kann erſehen,

Wenn man nicht mit Brillen ſucht.

Thoms wird er im Tauf benamſet,

Wie er aͤlter, ſpricht er klug,

Doch ſie nennen ihn nur Daͤumchen,

Weil er klein blieb, wenig wuchs.

[544]Zweite Abtheilung.
Auf die Wieſe geht die Mutter,

Weidet ſelbſt die braune Kuh,

Nimmt das Soͤhnlein mit ins Freie,

In die gruͤnende Natur.

Sommer war, und ſchoͤne Blumeit

Prangten ſchimmernd auf der Flur,

Und ſie nimmt den haͤnfnen Faden,

Bindet an der Diſtel Schmuck

Ihren Knaben, daß kein Wind, kein

Bienlein ihn von dannen trug,

Luſtig ſpielt er um die Diſtel,

Weidend naht die braune Kuh,

Unverſehens frißt dieſelbe

Diſtel, Faden, ihn dazu,

Merkt nicht, daß ſie mit dem Graſe

Ihren kuͤnftgen Herrn verſchluckt.

Und die Mutter kommt zuruͤcke,

Wie ſie nach dem Juͤngling ſucht,

Findet ſie die Staͤtte nicht mehr,

Und ſie ſchlaͤgt ſich Haupt und Bruſt.

Er erhoͤrt ihr lautes Klagen,

Ruft ihr troͤſtend „Mutter“ zu.

Ei wo biſt du, Liebchen? „Mutter

Ich bin in der braunen Kuh.“

Und die Kuh, des ungewoͤhnet,

Wie er ſpringet, lauter ruft,

Geht mit ihm zu Wald in Aengſten.

Aufzufahn ihr liebſtes Gut

Folgt die Mutter; ſieh, da faͤllt er,

Sie hebt ihm vom Gras, der Schurz

Huͤllt ihn ein, zu Hauſe ſauber

Sie den Knaben wieder wuſch

Elſe.
[545]Daͤumchen.
Elſe.

Gnaͤdiger Herr, das iſt alles erlogen.


Wahrmund.

Ei! ei! haͤtt' ich das damals
hinter Euch geſucht, und gewußt, daß ich ſo boͤſen
Geſellen beherbergte, ſo haͤtt' ich Euch draußen
ſtehn laſſen.


Thoms.

Ihro Majeſtaͤt, dieſe Geſaͤnge
thun meiner Reputation zu nahe.


Ginevra.

Laß, Kleiner, ihn nur ſingen, Du bleibſt doch,
Der Du uns biſt, des Vaterlands Erretter.


Perſiwein.
(ſingt.)

Da begab ſich's, daß man wirkte,

Hackte, kochte, ſtopfte Wurſt,

Und der kleine Thoms, das Daͤumchen,

Fleißig in die Toͤpfe kuckt.

Das Gemengſel wird zum Kochen

Hingeſetzt auf Feuers Gluth,

Keinem iſt, daß an des Keſſels

Rand der Kleine klebt, bewußt.

Und ein Schwindel ſtuͤrzt ihn jaͤhlings

Nieder in des Fettes Fluth,

Abgehoben wird der Keſſel

Und geſtopft das Fleiſch und Blut.

Er will ſprechen, Keſſel ſiedet,

Da wird nicht gehoͤrt ſein Ruf,

Und die Hausfrau, ach! verwirkt den

Sohn hinab in jene Wurſt.

Drauf haͤngt ſie ſie in den Schornſtein,

Daß der Rauch ſoll Dienſte thun,

Und ſie beißen und ſie wuͤrzen,

Schmackhaft machen dem Genuß.

II. [ 35 ]
[546]Zweite Abtheilung.
Horch, da ruft es: Mutter! Mutter!

Aus der angerauchten Wurſt,

Da vermißt ſie ihren Kleinen,

Fragt: wo ſteckſt du wiederum?

In der Wurſt! ſo ſagt die Stimme,

Fleiſch und Speck umgeben rund

Mich von allen Seiten, minder

Nicht des Schweines rothes Blut.

Vorwaͤrts kann ich nicht noch ruͤckwaͤrts,

Nie draͤngt' ich mich auch hindurch,

Weil dort an der Wurſt Begraͤnzung

Scharfer Dorn macht den Beſchluß.

Und ſie nehmen aus dem Rauchfang

Ab die Blutwurſt laͤnglicht rund,

Aufgeſchnitten, ihnen ſchnelle

Daͤumling Thoms entgegen ſprung.

Peter
(lacht).

Den haben ſie gut zum Nar-
ren!


Thoms.

Ihre Majeſtaͤt, dieſe Romanzen
ſind Spottgedichte, und da ſie perſoͤnlich ſind, kann
ich ſie wohl Pasquille nennen.


Elſe
(weint).

Gnaͤdiger Koͤnig, ich wuͤrd' es
geſtehn, wenn es die Wahrheit waͤre, aber es ſind
verfluchte Luͤgen.


Wahrmund.

Wollte Gott, wir haͤtten Wurſt
machen koͤnnen, aber wir mußten uns das Maul
wiſchen. Wie ſollte das Kind denn alſo in den
Keſſel gefallen ſeyn?


Perſiwein
(ſingt.)

Als er nun das Land errettet,

Durch Brittannien klang ſein Name,

[547]Daͤumchen.
Sprach der Koͤnig: liebes Daͤumchen,

Viel hab' ich Dir zu bezahlen,

Deine Eltern, hoͤr' ich, wohnen

Fern im Dorfe, ſind verarmet,

Nimm aus meinem Schatze, was du

Nur vermagſt davon zu tragen.

Daͤumchen danket, mit dem Marſchall

Geht er in die Silberkammer,

Tritt dann wieder aus der Thuͤre

Tief aufkeuchend, ſchwer beladen.

Ueber's Feld hin geht er ſchwitzend,

Durch den Wald hin aͤchzt er wandernd,

Und am Abend ſpaͤt noch klopft er

An die Huͤtte laut und tapfer.

Aufgemacht! ich bringe Huͤlfe,

Bringe aus des Koͤnigs Schatze

Was ich nur erheben konnte,

Faſt zerbrachen mir die Arme.

Hochaufſpringend kommt die Mutter,

Und er wirft hin vor die Alte

Einen ganzen Silberdreier,

Spricht: nun duͤrft ihr nicht mehr ſparen!

Elſe.

Gewiß, Ihr haͤttet es nicht beim Dreier
bewenden laſſen, Ihr Ehrabſchneider!


Artus.

Vergebt den Scherz des luſtgen Lautenſchlaͤgers.


Kay kommt zuruͤck.

Kay.

Gottlob, daß ich die Heimath wieder ſehe!


[548]Zweite Abtheilung.
Ginevra.

Schon wieder da, Freund Kay, von Eurer Reiſe?


Kay.

Hinaus ging ich in's Frankreich, durch Italien,
Dann lenkt' ich um, ging durch Dalmarien
Ins Griechenland ein Bischen, dann hinauf
Durch Ungarn, Polen, nach Sibirien,
Umkehrt' ich dann, durch Polen wieder, Deutſch-
land
Paſſirt ich und den Rhein, hinab in Frankreich,
Ueber die Pyrenaͤen 'nein in Spanien,
Und ruͤckwaͤrts eiligſt nach Calais und Dover:
Da bin ich wieder. Auch mein Geld hab' ich
Im fremden Land verzehrt: ein Glaͤschen Wein
Ließ ich mir in Monte Fiaskone reichen,
Der ſchmeckt mir noch. Nicht wahr, das heißt
gereiſt?
Und wahrlich, weiter, als der Herren einer.
Nun kann ich auch mit wicht'ger Mine ſagen:
Ja, ja, in Rom muß man geweſen ſeyn,
Daruͤber mit zu ſprechen! In Venedig
Trinkt man den Chokolat ganz anders noch; —
Die Struͤmpfe waͤren gut? Pah! in Florenz
Hab' ich ein Paar gar ſchoͤnere getragen!
Ihr, Duͤmmling, wißt viel, was die Welt be-
deutet!


Artus.

Und wo hat dir's am beſten denn geduͤnkt?


Kay.

Mein Koͤnig, wenn man ſich in dieſer Welt
Ein wenig umſchaut, ſeinen Blick erweitert,
[549]Daͤumchen.
Die Sitten kennt, die Menſchen, Land und See,
Je nun, ſo koͤmmt die Schnurr' auf eins hinaus.


Artus.

Allein man zieht doch eine Gegend vor?


Kay.

Kann ſeyn, daß ich das Ding nicht recht verſteh,
Allein wo ich nur hinſah, ſchien's mir nicht
So gut wie hier, ich habe nicht den Tick
Der andern Reiſenden, die heimgekehrt
Ihr Vaterland verachten; nein, mein Seel,
Noch mehr gefaͤllt mir jetzt die Heimath hier,
Mein guter alter, lieber Brittſcher Boden,
Geht es nach mir, ſo wandr' ich nie hinaus,
Ich hab' auch ſchon die Stiefeln abgegeben.


Artus.

Kommt jetzt zum Mahl, Daͤumchen ſitzt neben
mir.
Und meiner Koͤnigin, des Feſtes Koͤnig.


(Trompeten, alle gehn ab.)

So wie Wilibald geendigt hatte, erhoben
ſich alle, um ſich zu Tiſch zu ſetzen, nur Auguſte
machte Anſtalt, ſich zu entfernen. Was iſt dir,
Schweſter? fragte Manfred. Ich bin verdruͤß-
lich, antwortete ſie kurz, und mag die Geſell-
ſchaft nicht laͤnger durch meine Gegenwart be-
unruhigen.


Unartig biſt du, rief Manfred aus; daß
[550]Zweite Abtheilung.
du ein verzogenes Mutterkind biſt, zeigſt du in
jeder Stunde. Was fehlt dir nur?


Wenn Ihr euch auch alle nicht, erwiederte
ſie, zu meiner Verwunderung die Unanſtaͤndigkei-
ten zu Herzen nehmt, die der Herr Poet fuͤr
gut gefunden hat, uns vorzutragen, ſo will ich
ihm wenigſtens zeigen, daß ich ſie uͤbel empfinde.


Jetzt, ſagte Manfred, muß ich dich unge-
zogen nennen, ja unwahrhaft. Nichts iſt am
Menſchen ſo widerwaͤrtig, als wenn er ſich zum
Eigenſinn, zur Unliebenswuͤrdigkeit zwingt, und
das iſt heut den ganzen Abend mit dir der Fall
geweſen. Hab ich doch recht gut bemerkt, daß
du gefliſſentlich gegen dein Lachen kaͤmpfteſt,
um deine ſaure Miene nur oben zu erhalten;
dies moͤchte als albern hingehn, aber daß du
eine Luſt daran findeſt, einen Freund zu kraͤn-
ken, iſt faſt boͤsartig.


Auguſte hoͤrte nicht weiter zu, ſondern ent-
fernte ſich ſchnell, indem ſie die Thuͤr ziemlich
heftig zuwarf. Alle waren etwas verſtimmt, und
Ernſt tadelte im Stillen dieſe unpaſſende Zu-
rechtweiſung der Freundinn, Manfred ſprach
uͤber das Ungluͤck einer boͤſen Laune, die man
ſich zu ſeinem und andrer Unheil ſo zu eigen
machen koͤnne, daß man ſich ordentlich ſchaͤme,
ſie, dem beſſern Gewiſſen zum Trotz, zu brechen.
Wilibald entſchuldigte ſich und ſagte: ich gebe
zu, daß in unſrer heutigen Unterhaltung man-
ches grell und auffallend ſein mag, allein, wie
[551]Zweite Abtheilung.
der Dichter ſehr richtig ſagt, es laſſen ſich Wun-
den und Scherze nicht ſo genau abmeſſen: was
die letzten Romanzen betrifft, ſo ſind ſie nur
Nachahmungen von Alt-Engliſchen; von Eng-
land mag auch dieſes Kindermaͤhrchen wohl
nach Frankreich gekommen ſeyn, wo es Perrault
ſchon verwandelt fand und es noch mehr mo-
derniſirte, indem er jene tollen Uebertreibungen
ganz vertilgte. Ich erinnre mich, in Nieder-
ſachſen Kinderlieder aͤhnlichen Inhalts gehoͤrt
zu haben, und wenn die Verbindung mit Artus
auch ganz willkuͤhrlich ſcheint, ſo mag der
Schwank ſelbſt doch ziemlich alt ſein. Der
Englaͤnder aber ſo wie der Niederteutſche kennt
in ſeiner Fabel keinen Oger und keine Zauber-
ſtiefeln. Habe ich die uͤbrige Geſellſchaft eben-
falls beleidigt, ſo muß ihre freundliche Guͤte
mich entſchuldigen.


Manfred ſagte: will man einmal Scherz,
Albernheit und Tollheit genießen, ſo muß man
zu dieſen Waaren auch kein zu zartes Gewiſſen
mitbringen; ſollen ja doch eben die Graͤnzen um-
geworfen werden, die uns im gewoͤhnlichen Le-
ben mit Recht befangend umgeben.


Die Damen, vorzuͤglich Emilie, wollten Au-
guſten einigermaßen entſchuldigen und es ent-
ſtand mit Manfred ein Streit daruͤber, was
ſchicklich oder unſchicklich zu nennen ſey, in wel-
chem Manfred immer heftiger und einſeitiger,
ſo wie Emilie immer beſchraͤnkter wurde. Nie-
[552]Zweite Abtheilung.
mals, ſagte Ernſt endlich, wird ſich in Regeln
feſtſetzen laſſen, was erlaubt und nicht erlaubt
ſey, nur an gelungenen und mißlungenen Bei-
ſpielen koͤnnen wir unſer Urtheil uͤben. Wenn
manche Humoriſten ſchon die letzte Graͤnze er-
reicht zu haben ſcheinen, ſo entdeckt ein andrer
Uebermuth vielleicht ein neues Gebiet, in wel-
chem er durch die That die Rechtmaͤßigkeit ſei-
ner Eroberung beurkundet. Immer ſtellt dieſe
Luſt alles auf den Kopf, oder ergoͤtzt ſich an
der thieriſchen Natur des Menſchen; iſt dies
letzte nur nicht des Dichters Gemeinheit ſelbſt,
oder treibt ihn eine moraliſche Beaͤngſtigung, ſo
kann wohl nach Umſtaͤnden alles gewagt werden,
doch iſt es freilich eben ſo oft das letztere, was
den feineren Sinnen, als das erſte, was allen
Gemuͤthern mißfallen muß.


Nach geendigtem Mahl entfernten ſich alle,
und Clara und Roſalie blieben allein im Gar-
tenſaale zuruͤck. Sie unterredeten ſich in ſtiller
Heimlichkeit von Adelheids baldiger Ankunft,
welche ſie in dreien Tagen erwarteten. Man-
fred hatte es nicht unterlaſſen koͤnnen, dieſes
ſeiner Gattin zu vertrauen, und Roſalie hatte
in Claras Buſen das Geheimniß, welches ſie ſo
ſehr beſchaͤftigte, niederlegen muͤſſen. Friedrich
war ihnen ſeitdem viel wichtiger und lieber ge-
worden. Sie unterhielten ſich von Adelheids
Geſtalt und Schoͤnheit, wie ihre Einbildung
ſie ihnen mahlte, indem ſie den Freund er-
[553]Zweite Abtheilung.
warteten, der auch nach einiger Zeit behutſam
zu ihnen ſchlich. Anton, welchem Clara ihr
Mitwiſſen geſtanden hatte, war als derjenige,
dem man am meiſten traute, in den geheimen
Rath der Frauen aufgenommen worden, ſie wa-
ren jetzt nur zuruͤck geblieben, weil er verſpro-
chen hatte, ihnen einige Gedichte mitzutheilen,
die Friedrich ihm, ſeiner Verſchwiegenheit ver-
ſichert, gegeben hatte.


Mich duͤnkt, ſagte Anton, es iſt ſuͤß, ſei-
nen Freund auf dieſe Weiſe zu verrathen, und
doch wuͤnſche ich, daß er meine Treuloſigkeit
niemals erfahren moͤge. Die Verſe, die ich Ih-
nen heute leſen werde, ſind einige verzweifelnde
Sonette, die er dichtete, als er ſich von ſeinem
Herzen und ſeiner Geliebten getaͤuſcht glaubte,
die aͤngſtlich und irre gemacht, ſich ploͤtzlich eben
ſo beſtimmt zuruͤck zog, als ſie ſich ihm genaͤ-
hert hatte. Novalis ſagt: das groͤßte Gluͤck iſt,
ſeine Geliebte gut und wuͤrdig zu wiſſen; und
gewiß muß es das groͤßte Elend ſein, ihren
Werth bezweifeln, oder ſich von ihrem Unwerth
uͤberzeugen zu muͤſſen. So ſah unſer Freund
in ſeiner Adelheid, auf einige bittre Tage, nur
eine Herzloſe, oder Schwache, die ihn, ohne
ſich ſelbſt zu verlieren, zu ihrem Diener hatte
gewinnen wollen, eine Sucht, von der freilich
oft die Beſten ihres Geſchlechtes nicht ganz frei
ſind, und die als wahrhaft boͤſe erſcheinen kann,
[554]Zweite Abtheilung.
wenn dieſe artigen Kuͤnſte einmal auf ein ern-
ſtes Gemuͤth wirken, welches mehr als ein leicht-
ſinniges Spiel erwartet und bedarf.


Leſen Sie, ſagte Clara, ſonſt uͤberraſcht man
uns. Anton nahm ein Blatt aus dem Buſen
und las:


Zeit iſt's, ich fuͤhl es, endlich zu beſchließen,

Denn auch Maria will nicht mehr beſchirmen,

Sie giebt dich Preis den Wettern, die ſich thuͤrmen,

Kein Stern ſoll mir in oͤden Naͤchten ſprießen.

Weh mir! daß Morgenlicht mich wollte gruͤßen,

Ein laͤchelnd Blicken, herzlich, lieblich Schirmen!

Nun, Herz, vergeh ſogleich in ſchnellen Stuͤrmen,

Laß nicht dein Leben tropfenweis vergießen!

Die Nacht empfaͤngt mich wieder, oͤdes Schweigen,

Ein ſchwarz Gewaͤſſer, Gram, Qual, Angſt und Weinen:

O Licht! o Blick! was mußteſt du dich zeigen?

Mir ſchadenfroh in meiner Wuͤſt' erſcheinen,

Daß dieſer Schmerz mir auch noch wuͤrde eigen?

Und keinen Blick und Troſt, Maria? — Keinen!

Das war es, was mir Ahndung wollte ſagen,

Das bange Herz, das heimlich oft im Beben

Mir eine treue Warnung hat gegeben:

Du ſollſt, du ſollſt noch nicht dein Letztes wagen.

Welch Kind hab' ich empfangen und getragen!

Der groͤßte Schmerz fuͤhrt ſchon in mir ſein Leben,

Bald wird er reißend nach dem Lichte ſtreben,

Dann wird das matte Herz von ihm zerſchlagen.

[555]Zweite Abtheilung.
So blute denn mit Freuden, Todeswunde,

Fuͤhl' noch, o Herz, im Schmerz die lichten Blicke,

Das ſuͤße Laͤcheln, hoͤre noch die Toͤne,

Durchdringt dich ganz im Tiefſten, welche Schoͤne

Aufſtrahlt' im Laͤcheln, Klang, zum Liebesgluͤcke,

Dann fuͤhl' dein Elend, brich zur ſelben Stunde!

Was haſt du mir denn, Leben, ſchon gegoͤnnet,

Daß ich als Gut dich theuer ſollte ſchaͤtzen?

Warſt du ein gierger Dolch nicht im Verletzen

Der Bruſt, die immerdar in Wunden brennet?

Der liebe dich, der dich noch nicht erkennet,

Wer blind unwiſſend luͤſtert deinen Schaͤtzen:

Magſt du nur Weh und Jammer auf mich hetzen,

Dein wildes Heer, das uns zum Grab nachrennet.

So kann ich auch als argen Feind dich haſſen;

Nur nicht mehr taͤuſche mit holdſelgen Mienen,

Zeig mir dein Furien-Antlitz, Haar von Schlangen!

Davor wird nie mein ſtarkes Herz erbangen,

Doch daß du mir als Liebe biſt erſchienen,

Den Troſt, Schmerz, Trug, weiß ich noch nicht zu

nennen.

Sie trennten ſich ſchnell, und Clara konnte
ihr Geſicht beim Abſchied nicht ſo eilig verber-
gen, daß Anton nicht eine Thraͤne in ihrem
Auge wahrgenommen haͤtte.

Appendix A Verbeſſerungen.


Appendix A.1 Im erſten Bande.


  • Pag. 8.Z. 3. von oben lies und dieſer ſtatt in dieſer.
  • — 15. iſt nach der neunten Zeile der Strich vergeſſen wor-
    den, welcher die Unterbrechungen andeutet.
  • — 29. Z. 12. v. u. lies nur ſagen, ſt. nun.
  • — 37. — 6. v. o. l. der Lippen, ſt. die.
  • — 39. — 8. v. u. l. nuͤtzlich, ſt. moͤglich.
  • — 39. — 7. v. u. l. jenen, ſt. ſeinen.
  • — 43. — 14. v. o. l. kindiſch ſt. kindlich.
  • — 53. — 11 und 12. v. o. l. der nicht Zeitvertreib
    halb
    ſt. zum Zeitvertreib halb.
  • — 54. — 8. v. u. l. euch ſt. auch.
  • — 80. — 5. v. u. l. krampfhafte ſt. krankhafte.
  • — 110. — 3. v. o. l. lichter ſt. leichter.
  • — 118. — 7. v. o. l. nur ſt. nun.
  • — 125. — 8. v. u. l. vor ſt. von.
  • — 126. — 3. v. u. l. reiht ſt. reicht.
  • — 157. — 3. und 4. v. o. l. den Buchenhain und
    bei
    Weg.
  • — 193. — 9. v. o. l. allen jene ſt. alle jenen.
  • — 297. — 13. v. u. l. ein anderer ſt. der Offizir.

Appendix A.2 Im zweiten Bande.


  • Pag. 203. Z. 8. v. o. lies O Heer ſtatt Herr.
  • — 209. — 6. v. u. l. gedehnt ſt. gedacht.
  • — 249. — 3. v. u. l. es kann es ſt. er kann
    es.
  • — 250. — I. v. u. l. Kunſt ſt. Kuſt.
  • — 301. — 7. v. o. l. Ueberfuͤlle ſt. Ueberfaͤlle.
  • — 332. — 9. v. o. l. verachtet ſt. vernichtet.
  • — 332. — 4. v. u. l. und ſt. aus.
  • — 399. — 9. v. o. l. einem Wetterſtrahl gleich ſt.
    wenn ein Wetterſtrahl gleich.
  • — 416. — 7. v. u. l. Talent ſt. Talente.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Tieck, Ludwig. Phantasus. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq3h.0