[][][][][]
Abriß
der ſo genannten
Bruͤdergemeine,
in welchem
die Lehre und die ganze Sache
gepruͤfet,
das Gute und Boͤſe dabey unterſchieden,
und inſonderheit
die Spangenbergiſche Declaration
erlaͤutert wird


Erſter Theil.

[figure]


Stutgart: ,
bey Johann Benedict Metzle.
1751.

[][]

Vorrede.


Inhalt.


  • § 1. Bewandtniß der ſo
    genannten Bruͤdergemeine.
  • § 2. Wichtigkeit der Ent-
    ſcheidung.
  • § 3. Nothwendigkeit der-
    ſelben.
  • § 4. Wie der Verfaſſer zu
    dieſer Arbeit und deren Aus-
    gabe gekommen?
  • § 5. Unter dem Leſen hat
    man vielmehr auf die Sache
    ſelbſt, als auf den Vortrag
    zu ſehen.
  • § 6. Unterſchied zwiſchen
    einzeln guten Seelen und
    dem ganzen Werk.
  • § 7. Heilſame Anſprache
    an heilsbegierige Seelen
    bey dieſer Gemeine.
  • § 8. Sinn des Verfaſſers.
  • § 9. Hoͤchſtnoͤthige War-
    nung an Weltkinder.
  • § 10. Abtheilung dieſer
    Schrift.

§ 1.


[figure]

Das groſſe Werk, wel-
ches mit und zu
Herrnhut anfing,
wird unter dem Na-
men der evange-
liſch-maͤhriſchen

Kirche in Teutſchland, England und etlichen
Gegenden anderer europaͤiſchen Laͤnder fortge-
* 2fuͤhret,
[]Vorrede.
fuͤhret, ſoll aber durchaus und uͤberall die Ge-
meine im Geiſt
und die Verſammlung zu
Chriſto
abgeben. Wann das ſich ſo verhielte,
ſo wuͤrde man ſich durch einen vermeſſenen
Widerſpruch toͤdlich verſchulden: da aber die
jenigen, die es mit dieſer auͤſſerſt-vermiſchten
Sache ſo eiferig halten, ſich durch einen fal-
ſchen Schein verleiten laſſen, ſo iſt die Gefahr
auf ihrer Seite, ob ſie ſich noch ſo getroſt da-
gegen ſegneten. Dieſe Gemeine nennet ſich
Evangeliſch: aber ſie gehet von der Augſpur-
giſchen Confeſſion und von der Evangeliſchen
Lehre ſelbſt ab. Sie nennet ſich Maͤhriſch:
aber das allerwenigſte, das ſie an ſich hat, iſt
Maͤhriſch. Sie ſoll aus lauter Bruͤdern be-
ſtehen; und ihre Glieder ſind vielmehr ein gu-
tes und boͤſes Geſchwiſter durcheinander. Was
noch weit mehr iſt, ſie nennet ſich nicht nur ei-
ne Kirche oder Gemeine, ſondern die Gemei-
ne
, als ob ihr dieſer Name vor allen andern Ge-
meinen aller Zeiten gehoͤrte: aber diß iſt ein
Ruhm, den ſie ihr ſelbs ohne Gutheiſſen
GOttes und erleuchteter Menſchen beyleget.
Solches zu zeigen, iſt ein gutes Werk: und
bey dem voͤlligen Beweis muß vieles aus dem
Grunde der Wahrheit hergeholet werden,
welches alsdenn nicht nur zu einer noͤthigen
Warnung, ſondern auch zu einer heilſamen
Erbauung gereichet.


§ 2.


Nun kommt es weit mit der Sache. Auf
der einen Seite ſieht man die ſo genannten
Bruͤder dafuͤr an, daß ſie in der groͤſſten Ge-
fahr
[]Vorrede.
fahr ihrer Seelen ſtehen, und auch unzehlich
vielen andern Leuten gefaͤhrlich ſeyn: und hin-
gegen ſollen die Glieder dieſer Gemeine nach
ihrem eigenen Vorgeben wuͤrklich einer ſolchen
Seligkeit genieſſen, deren ſonſt niemand theil-
haftig ſey. Alſo ligt nicht nur verſtaͤndi-
gen und gelehrten, ſondern auch denen, die
weiter zuruͤcke ſind, daran, daß ſie die Sache
gruͤndlich beurtheilen lernen.


§ 3.


Es muß nicht eben ſchreiben, wer ſchreiben
kan: aber wer anderer geiſtlichen Schriften hal-
ben etwa vorhin bekannt iſt, und etwas tuͤch-
tiges dieſer Sache wegen zu erinnern vermag,
der thut es billig (ob er auch nichts neues und
beſonders vorzubringen haͤtte, und ſchon nahe
bey dem Ziel ſeines Laufes waͤre,) damit es der-
einſt kein Anſehen habe, als ob zu dieſer Zeit,
wo nicht alle, doch die meiſte, die nicht auf
bloſen Naturkraͤften ruhen, ſondern die Gna-
de noch erkennen, dieſer Partie waͤren zugethan
geweſen, und damit niemand, wann dieſe ei-
nen widrigen klaͤglichen Ausgang haben ſolte,
einen Vorwand daher nehmen moͤge, alle uͤber-
natuͤrliche geiſtliche Wuͤrkungen gar zu ver-
nichten.


§ 4.


So weit ging ich anfangs mit meinen Ge-
danken nicht. Ohne meine Nachfrage kam mir
vieles vor die Hand und in den Sinn: doch
habe ich lange Zeit in der Stille zugeſehen, und
mich weder in Beyfall noch in Widerſpruch
eingelaſſen. Mein Begriff von dem Ordinario
* 3oder
[]Vorrede.
oder vielmehr auſſerordentlichen Arbeiter be-
ſtund in folgendem: Er wolle dem Heiland
ſolche Dienſte leiſten, womit Ihm nicht
allemal gedienet ſey:
und nur die gute Mei-
nung und Abſicht muͤſſe bey ihm allerley
Mittel gut machen.
Dieſen Begriff befand
ich bey einer vieljaͤhrigen Aufmerkſamkeit rich-
tig: ließ es mir aber, wohl nur zu gern, eine
Freude ſeyn, daß ich meiner auͤſſern Umſtaͤnde
halben uͤberhaben waͤre, etwas in dieſer weit
auſſehenden Sache zu ſprechen: ſchlug auch die
an mich ergangene Fragen ziemlicher maaſſen
aus. So ging es bis gegen das Jahr 1743.
Von dem an ward ich von theuergeſchaͤtzten
Freunden, die gleichwohl ſelbſten eine naͤhere
Einſicht hatten, um meine Gedanken mit groſ-
ſem Eifer ſchriftlich befragt, und folglich erſt
recht zu einer gefliſſenen Unterſuchung bewogen.
Ich verfaſſete, unter anderm, nach meinem
beſten Wiſſen und Gewiſſen, im Fruͤhling er-
meldten Jahres, zu Herbrechtingen, die ſo
genannten Anmerkungen, darin ich etliche
Puncten, ohne Abſicht auf einige Publication,
abhandelte. Ich hielte eine geraume Zeit da-
fuͤr, man ſolte dieſen Streit beedes vor den
einfaͤltigen Seelen bey der Gemeine, und vor
allen andern Leuten, beſtmoͤglich verborgen hal-
ten, und erfahrne Lehrer auf beeden Seiten
moͤchten es in Liebe untereinander auszumachen
ſuchen. Aber meine Anmerkungen kamen durch
eine Luͤcke aus, die ich nicht alſobald in Acht ge-
nommen noch verwahret hatte: es gab Ab-
ſchriften: man redte vom Druck: ich gab de-
nen
[]Vorrede.
nen Recht, die dawider waren, wie ich denn
niemal einige Gunſt, oder was einen ſonſt in
Eigenliebe reizen kan, geſuchet habe, will ge-
ſchweigen, auf Koſten der ſo genannten Bruͤ-
dergemeine. Doch gelangte der Aufſatz ſchrift-
lich nach Marienborn: etliches gefiel wohl, et-
liches nicht: ein Lehrer der Gemeine verfaſſte
eine Erlauͤterung, welche Hr. Jonas Paul
Weiß an mich ſandte, und mit einem Schrei-
ben begleitete. Unverſehens erſchienen die An-
merkungen gedruckt in den Actis hiſtorico-ec-
cleſiaſticis A. 1744. VIII
Band, ſ. 790. wel-
ches ich fuͤr eine Goͤttliche Schickung erkannte.
Denn alſo kam der Aufſatz auch ſolchen Leuten
in die Haͤnde, bey denen andere ſehr unter-
ſchiedene Gegner mit ihren Iudiciis, aus guͤl-
tigen oder nichtigen Urſachen, wenig Eingang
fanden, und deswegen annoch von einer an-
dern Seiten her etwas angebracht werden
mochte. Ferner wurden deſſelben Jahres mei-
ne Anmerkungen, ſamt jener Erlauͤterung
und Briefe, dem 17 Stuͤcke der Buͤdingi-
ſchen Sammlung
einverleibet. Des folgen-
den Jahres bekam ich gute Gelegenheiten, mit
etlichen anſehnlichen Vorſtehern dieſer Gemei-
ne muͤndlich zu handeln, und ihnen beſcheident-
lich, ohne Abſicht auf eine ſchaͤdliche Spaltung
unter ihnen, zu Gemuͤthe zu fuͤhren, wie ſie
ihre Monarchie in eine Ariſtocratie verwan-
deln, ſelbs als Maͤnner verfahren, und all
ihr geiſtliches zur Gemeine gebrachtes Vermoͤ-
gen in einen freyen Gebrauch ſetzen moͤchten:
ſo daß ich mich, wegen ihrer ſelbſt, mit Ver-
* 4gnuͤgen,
[]Vorrede.
gnuͤgen, als einer, der das ſeinige nach vorge-
fallenen Umſtaͤnden gethan, und gedachte Er-
innerung ihnen als eine Beylage anbefohlen,
zu Ruhe begab, jedoch mir muͤnd- und ſchrift-
lich die Freyheit vorbehielt, kuͤnftighin nach
weitern Erforderniſſen zu handeln. Die lez-
tern Stuͤcke der Buͤdingiſchen Sammlung,
die neuere Lieder und Reden u. ſ. w. fuͤhrten
keine Beſſerung mit ſich: und mich bewogen
beſondere Urſachen uͤber jene Anmerkungen
noch ein triftigers Zeugniß oͤffentlich abzulegen.
Denn es entſtund eine falſche Sage, als ob
ich die neumaͤhriſche Gemeinſache billigte, oder
mich wenigſtens verbunden haͤtte, nichts wei-
ter davon heraus zu geben: dagegen ich vor al-
len Menſchen dieſer und kuͤnftiger Zeit nicht
nur anzudeuten, ſondern auch ausdruͤcklich zu
bezeugen noͤthig erachte, daß diejenige mich
faͤlſchlich zu einem Aergerniß machen, und
alſo ſelbs eines Aergerniſſes ſchuldig ſeyn,
die da vorgeben und ausſtreuen, daß ich
die neumaͤhriſche Gemeinſache gut heiſſe.

Noch noͤthiger aber iſt es, daß die Einbildung
von einem unvergleichlichen philadelphiſchen
Periodo, welche bey dieſen Bruͤdern zum
Hauptgrunde ligt, gedaͤmpfet, und zugleich
des prophetiſchen Wortes heilſamer Gebrauch
gegen ſie, und deſſen ſchaͤdlicher Misbrauch bey
ihnen, auseinander geſetzet werde: und allem
Anſehen nach iſt es fuͤr mich aufbehalten geblie-
ben, dieſen delicaten und wichtigen Puncten
auszufuͤhren. Man ſehe unten, § 177. Sol-
chergeſtalten habe ich dieſe Arbeit ſchon etliche
Jahre
[]Vorrede.
Jahre unter Handen, und das meiſte davon
verfaſſet, ehe ich im Jahr 1749 hieher beruffen
ward. Weil es bey der ſo genannten Bruͤ-
dergemeine ſo vielerley Aufzuͤge im Thun und
in der Lehre, wie auch ſo vielerley Abwechslun-
gen im Streit uͤber derſelben gegeben hat, wo-
zu lezthin die Spangenbergiſche Declara-
tion,
als die ſcheinbarſte Vertheidigung die-
ſer Sache, gekommen, ſo muſſte nicht nur in
einzeln Stuͤcken immer etwas geaͤndert, ſon-
dern auch die ganze Ausfuͤhrung mehrmal in
eine andere Form gegoſſen werden; daher zu
hoffen ſteht, es werde ſich alles deſto eigentli-
cher auf die gegenwaͤrtige Bewandtniß ſotha-
ner Gemeine deuten laſſen. Was inzwiſchen
von andern abgehandelt worden iſt, das habe
ich lieber weggethan oder uͤbergangen, als
wiederholet, hingegen noch auf etwas, das
die Sache nach ihren Quellen (a priori) zu be-
urtheilen dienlich iſt, abſonderlich geſehen,
nemlich wie es moͤglich geweſen, daß ſo ein un-
erhoͤrtes Gemenge vom Guten und Boͤſen nur
eine einige, und vielmehr ſo manche gutwillige
Seele einnaͤhme, ſo weit ausgebreitet wuͤrde,
und ſich bisher unterhielte. Mancher moͤchte
gedenken, eine Eroͤrterung von dieſer Gat-
tung komme nun zu ſpaͤte, und mir ſelber ſolte
es ſehr lieb geweſen ſeyn, wann ein ſolches
Zeugniß, durch eine gruͤndliche Beſſerung bey
der ſo genannten Bruͤdergemeine in der Lehre
und in den Werken, zu einer uͤberfluͤſſigen oder
gar unbefugten Arbeit gemacht worden waͤre.
Aber nicht nur das inſtaͤndige Anhalten recht-
* 5ſchaffe-
[]Vorrede.
ſchaffener Maͤnner, ſondern auch die Sache ſelbs
hat mich juͤngſthin gedrungen, das, was ich ſo
lang unter Handen hatte, endlich zu ergaͤnzen
und hiemit an das Licht zu ſtellen. Die Ehre
GOttes in Chriſto JEſu erfordert hoͤchlich,
daß man im̃er das ſcheinbarſte Boͤſe am ernſt-
lichſten beſtreite, und den ſchwaͤcheſten Seelen
zu Huͤlfe komme, damit ſie von demſelben das
Gute unterſcheiden koͤnnen. Ob ich auf dieſe
Stunde einer von den letzten, die mit dieſer
Sache umgehen, oder noch einer von den erſten
ſey, ſteht dahin. Eine Ausfuͤhrung, wie die-
ſe iſt, wird auf alle Faͤlle immer einige Frucht
bringen.


§ 5.


Diejenigen, welche den Handel aus rich-
tiger Kundſchaft und naher Erfahrung inne
haben und unpartheyiſch ſind, werden bey mir
Schaͤrfe, andere aber Gelindigkeit fordern.
Von der leztern Gattung ſind die allermeiſten:
und deswegen habe ich mich nach dieſen, wie-
wohl es manchen nicht ſo duͤnken moͤchte, ge-
richtet, welches mir jene zu gut halten, alle
aber das, woran ich ihres Erachtens zu wenig
oder zu viel thue, in ihrem Nachdenken aus-
zubeſſern, und dabey noch vielmehr auf die Sa-
che ſelbs zu ſehen erſuchet werden.


§ 6.


Alle einzele gute Seelen bey der ſo genann-
ten Bruͤdergemeine, es ſeyen ihrer nunmehr
wenig oder noch viele, laſſe ich mit andern, und
nach oder vor andern, bey alle dem Werth,
den ſie in GOttes Augen haben: jedoch im Gan-
zen
[]Vorrede.
zen iſt es eine leidige Sache. Herrenhut thut
nicht gut.
Iſt von dannen etwas gutes aus-
gangen, ſo haben andere neumaͤhriſche Orte
viel boͤſes dorthin zurukgegeben. Ein deciſi-
ves Lehr-Exempel findet ſich unten, § 58, ver-
gl. § 75. Wer noch daran zweifelt, der ſehe
zu, ob er des Heilandes Sinn habe und zu ha-
ben begehre. Wer aber ſich nicht nur zu ihnen
haͤlt, ſondern auch dazu hilft, daß die Thore
ſich empor heben, und die Welt-Thuͤren ſich
erhoͤhen, damit der Ordinarius einziehe: der
ſolte nachdenken, ob er dem Koͤnige der Ehren
die ſchon lang gemachte Bahn noch mehr eben
oder uneben mache.


§ 7.


Hie rede ich aufrichtige Seelen bey der
ſo genannten Gemeine
an. Hoͤren Sie mich,
daß GOtt Sie hoͤre! Etliche unter Ihnen wer-
den eine gute Meinung von mir haben: etli-
che werden wider mich eingenommen ſeyn, (wie
denn andere, bey denen die Wiedergeburt ſorg-
lich in einem bloſſen Ruhm an der Gemeine be-
ſtehet, mit ihrem Schmaͤhen mich zu einem
Glied der wahren Creuz-Gemeine machen hel-
fen:) den meiſten aber bin ich vielleicht bisher
unbekannt geweſen. Dem ſey wie es wolle,
ich hoffe gegen Sie alle in ihrem Gewiſſen of-
fenbar zu werden, ſolte es auch noch ſo lang-
ſam geſchehen. Ein Liebhaber, und kein Feind
iſt derjenige, der einem die Wahrheit vorhaͤlt.
Mein Vortrag fleuſſt aus keiner Uebereilung:
und keine unlautere Abſicht hege ich. Ja es
hat mich, wegen der beſondern Neigung des
Ordina-
[]Vorrede.
Ordinarii und ſeiner Mitarbeiter gegen mir,
manche Selbſtverlauͤgnung gekoſtet, bis ich
zum Entſchluß gekommen bin, dieſe Schrift
an das Licht zu ſtellen. Lauterer Seelen Ge-
meinſchaft mit dem Vater und mit ſeinem
Sohne JEſu Chriſto, und ihre daraus flieſ-
ſende vollkommene Freude, begehre ich nicht
zu ſtoͤren, ſondern zu befoͤrdern. Ihre Ein-
traͤchtigkeit untereinander und mit andern Kin-
dern GOttes ſuche ich nicht zu kraͤnken, ſon-
dern reiner, feſter, gemeiner und freyer zu ma-
chen. Man wird Sie, wie ich ohne Verle-
zung der Liebe erachte, abzuſchrecken ſuchen,
daß Sie dieſen Abriß Ihrer Gemeine nicht an-
ſehen, geſchweige leſen ſollen: man wird es
Ihnen als etwas unnuͤtzes oder gefaͤhrliches
ausreden oder gar verwehren wollen: es wird
heiſſen, ich haͤtte nicht aus der Wahrheit
geſchrieben, haͤtte den Sinn des Heilands
nicht, waͤre nicht ſelbs bey der Gemeine
geweſen, waͤre von andern aufgebracht
oder nicht wohl berichtet, hielte auf dieſen
oder jenen Puncten zu viel oder nicht genug,
eifere fuͤr meine Arbeit am prophetiſchen
Wort
ꝛc. ꝛc. Wann es nun dergleichen ge-
nerale
Einwendungen und Ausfluͤchten gibt,
ſo wollen Sie nur einen jeden Puncten inſon-
derheit beherzigen, und dabey immer auf die
beederſeitigen Worte und Gruͤnde zuruͤcke ſe-
hen, ſonderlich aber Achtung geben, ob nicht
von denen, die etwas gegen dieſen Abriß ein-
wenden, das wichtigſte mit Stillſchweigen be-
decket und uͤbergangen werde. Und wie waͤre
es,
[]Vorrede.
es, wann ein ſolcher Menſch Sie eben damit
wider all ihr und ſein eigenes Vermuthen vom
ewigen Leben und vom Heiland abfuͤhrte?
Wer ſich vorſetzlich blenden und blindlings lei-
ten laͤſſet, und ſich beredet, um ſeiner guten
Meinung willen ſey er auf allen Irrwegen dem
groſſen GOtt keine Rechenſchaft zu geben ſchul-
dig, dem bringt ſein ruhiges commodes Ver-
trauen gegen ſeine Leiter, ob ſie ihm auch Buͤrg-
ſchaft leiſteten, keine Entſchuldigung, und er
faͤllt eben doch in die Grube. Zum wenigſten
ſoll ihnen ein jeder, der ſie in dieſer der Seelen
Seligkeit betreffenden Sache von einem ſorg-
faͤltigen Forſchen abmahnet, verdaͤchtig ſeyn.
Wer die Wahrheit, die ihm begegnet, als et-
was unbekanntes abweiſet, und nicht vielmehr
auch ſeine Freunde mit ihr bekannt macht, von
dem wird es gefordert werden. Das Boͤſe iſt
nie allein: und wiewohl das Gute ihm einen
Schein zu geben gezwungen wird, ſo hoͤret
das Boͤſe doch nicht auf, boͤſe, gefaͤhrlich und
ſchaͤdlich zu ſeyn. Vernehmen Sie dann, was
ich ſage: die kurzen Saͤtze dieſer Pruͤfung wer-
den nach ihrer Ordnung in einer Viertelſtun-
de durchgeleſen ſeyn: ſo dann moͤgen Sie den-
ken, was zu thun ſey. Friede und Barmher-
zigkeit ſey uͤber Ihnen! O wie ſolte michs
freuen, wann ich dereinſt als ein Gehuͤlfe ihrer
Freude erfunden wuͤrde!


§ 8.


In der Gewiſſens-Ruͤge wird alſobald
nach der Einleitung aus meinen Anmerkun-
gen
die zweyte ſehr guͤnſtig angezogen, und ſo
dann
[]Vorrede.
dann folgendes beygefuͤget: ”Moͤchte dieſer
” liebe Mann (ſagte der Ordinarius damals
” unter ſeinen Vertrauten) in dieſem Guſto
” fortfahren, meine Schriften und Principia
” zu cenſuriren; wer weiß, ob ihm nicht mit
” mehr realer Docilitaͤt geantwortet wuͤrde,
” als mit woͤrtlicher Explication. Allein die
” Umſtaͤnde haben es anders gefuͤget, der Or-
dinarius Fratrum iſt von den Theologis ſei-
” ner Confeſſion auf eine ſolche Art behandelt
” worden, daß es zu keinem Commercio zwi-
” ſchen ihm und ihnen kommen koͤnnen u. ſ. w.
Keine Docilitaͤt ſoll ich fordern: aber eine in-
nige Freude waͤre es mir geweſen, zu einem
realen Nutzen dienlich zu ſeyn. Indeſſen rei-
men ſich die in der Gewiſſens-Ruͤge gemeldte
Docilitaͤt und jener marienborniſche Brief
nicht zuſammen. Denen Seelen zu gute wolte
ich gern noch ein mehrers vertragen: und eben
in dem Guſto, darin ich die Anmerkungen in ge-
heim geſchrieben, habe ich ſelbigen Brief beant-
wortet, wie ich auch dieſen Abriß annoch in ſol-
chem Guſto verfaſſe. Daß die Umſtaͤnde es
anders gefuͤget
haben, bedaure ich: aber die
Schuld iſt nicht mein. Ich ſuche keines Men-
ſchen Schimpf, Verdruß oder Schaden, ſon-
dern wahre Beſſerung: ich begehre niemanden
etwas aufzubuͤrden, ſondern zu erleichtern;
niemand abzuſchrecken, ſondern herum zu ho-
len. Wo meine Worte am ernſtlichſten ſind,
da iſt die Abſicht, einer heilſamen Vorſtellung
den Eingang zu verſchaffen. Wer nicht etwa
an einem einigen Woͤrtlein mit Empfindlichkeit
hangen
[]Vorrede.
hangen bleiben, und eine Urſache davon neh-
men will, ſeine Ohren zu verſtopfen, ſondern
meinen ganzen Vortrag vernehmen und erwe-
gen kan, der wird, wann er einen geſunden
Guſtum hat, vermerken, daß nichts aus Bit-
terkeit, ſondern alles aus der Liebe herruͤhre.
Wann ich den Nutzen, den ich durch dieſe Vor-
ſtellung ſuche, mit einem einigen ſanften Woͤrt-
lein haͤtte zu erhalten gewuſſt, ſo wolte ich nicht
ſo viel lebhafte Worte anwenden. Ich weiß
alle Stunden nicht, wann der Jenige, der
mich gemacht hat, mich zu ſich hinnimt: und
begehre deswegen durchaus kein Wort anders
zu ſetzen, als es Ihm gefaͤllig iſt, und mir das
Gewiſſen nicht nur unverſehrt laſſen, ſondern
auch freudig machen kan.


§ 9.


Weltkinder ſollen ſich an dieſem Handel we-
der kuͤzeln noch ſonſt aͤrgern: ihnen moͤgen noch
ſchwerere Verſuchungen bevorſtehen. So der
Gerechte
(dergleichen ohne Zweifel unter den
Herrnhutern ſind) kaum erhalten wird, wo
will der Gottloſe und Suͤnder erſcheinen?

Ein erneurter Sinn gehoͤrt dazu, wann man
von ſolchen Dingen urtheilen ſoll. Nur der
geiſtliche Menſch kan geiſtliche Dinge entſchei-
den. Wer mit ſeiner verwegenen Vernunft
darein faͤhret, der ſteht in Gefahr, boͤſes gut,
und gutes boͤs zu heiſſen. Ein jeder ſoll zuerſt
ſein ſelbſt Werk pruͤfen, und keinen Ruhm an
fremden Fehlern ſuchen. Sonderlich hat ein
jeder ſich allen Fleiſſes zu huͤten, daß er nicht das
jenige, was zum wahren Chriſtenthum gehoͤrt,
und
[]Vorrede.
und dem Worte GOttes gemaͤß iſt, unter dem
Namen einer Herrnhutiſchen Verfuͤhrung auf
eine geſchwinde gefaͤhrliche Weiſe fuͤr ſich ſelbſt
fliehe und andern verdaͤchtig mache, noch ſich
darum ſchon fuͤr einen wahren evangeliſchen
Chriſten halte, weil er kein Herrnhuter ſey.
Wende ein jeder das, was in dieſer Schrift ab-
gehandelt wird, zu ſeiner Beſſerung an, er ſey
inn- oder auſſerhalb der ſo genannten Bruͤder-
gemeine, er ſey ein Kind GOttes oder der Welt.


§ 10.


Der erſte Theil dieſes Abriſſes
haͤlt in ſich eine Pruͤfung der Lehre, und das in
drey Hauptſtuͤcken, nemlich

  • I. Von der Lehre uͤberhaupt, vom Jahr 1741
    bis auf die gegenwaͤrtige Zeit.
  • II. Von dem Buͤdingiſchen N. T. und deſſen
    zweyter Edition.
  • III. Von Philadelphia.


Im andern Theil
wird erinnert, was gute Seelen, bey der ſo ge-
nannten Bruͤdergemeine und auſſer derſelben,
dieſer Sache wegen zu bedenken, zu thun und zu
laſſen haben moͤchten: und der Anhang haͤlt in
ſich die vorigen Anmerkungen, mit Notis u. ſ. w.
GOtt laſſe hieraus viel gute Frucht erwachſen,
zu ſeinem Wolgefallen.


Stutgart, den 6 April, 1751.


Abriß
[[1]]

Abriß
der ſo genannten
Bruͤdergemeine.


Erſter Theil/
darin die Lehre gepruͤfet wird.


Das I Capitel/
von der Lehre uͤberhaupt.


Der 1 Satz.
Die Pruͤfung der Lehre bey der
ſo genannten Bruͤdergemeine iſt
das erſte und vornehmſte.

§ 1.

Die ſo genannte Bruͤdergemeine beruhet
bisher auf einer neuen eclectiſchen
Religionsform, da die alte Boͤh-
miſche Bruͤder-Unitaͤt, ſonderlich
vermittelſt der Ordination, welche von
Jablonſky auf die neumaͤhriſchen Vorſte-
her gekommen, fortgefuͤhret, wo nicht viel-

(Abriß der Bruͤderg.) Amehr
[2]TheilI.Cap.I.Satz 1.
mehr abgeloͤſet; das Stuͤck von den Wun-
den und von dem Blut des Heilandes, ein
beliebiger Theil der Augſpurgiſchen Con-
feſſion, und der Einfall von einer Goͤttli-
chen Familie und damit uͤbereinſtimmen-
den menſchlichen heiligen Ehe untereinan-
der gemenget; der Vortrag nach dem Be-
griff aller Secten und Nationen geſtuͤm-
melt und vermehret; die Sache, vieler mit
unterlauffenden rohen Arbeiter und Mit-
glieder ungeachtet, fuͤr einen ſeit der Apo-
ſtel Zeiten nicht erlebten, die apoſtoliſche
Kirche uͤbertreffenden, reinen, ſeligen, in
alle Welt ſich ausbreitenden, und bis an
Chriſti Zukunft hinreichenden Periodum
angegeben, und ſolche indeſſen unter dem
Vorwand der heiligen Schrift nach dem
Gutduͤncken eines einigen menſchlichen Her-
zens fortgetrieben worden iſt.


§ 2.

Vor allen Dingen iſt hiebey auf die Lehre
zu ſehen, und bey der Lehre hat man vorſich-
tig zu erforſchen, ob ſie lauter, ob ſie voͤllig
ſey, ob ſie nicht zu leicht und zu hoch herfahre.
Nachdem ſich desfalls eine Richtigkeit oder
Unrichtigkeit findet, ſo iſt die Sache ſelbs ent-
weder gut oder verwerflich, und die Seelen,
die der Lehre folgen, ſind entweder auf dem
Weg zum Leben oder zum Tode. Eine ſanfte
Einbildung ohne weitere Kennzeichen iſt betruͤg-
lich und gefaͤhrlich.


§ 3.
[3]Von der Lehre.
§ 3.

Was die Lehre bey der ſo genannten Bruͤ-
dergemeine ſey, erhellet genugſam aus den
Schriften ihres Ordinarii. Dieſer iſt ihr
Stifter, ihr Lehrer, ihr Meiſter, ihr Vater,
ihr Cantor, ihr Prediger, ihr Ausleger, ihr
Bevollmaͤchtigter. Er hat ein unermeßlich
hohes Anſehen bey ſeinem Hauffen: ſeine in-
nere Geſtalt hat er ſeinen Mitarbeitern und
den Gliedern ſeiner Gemeine an ihren Haupt-
Orten bey einem unmittelbaren Umgang ein-
gedruͤcket und eingepraͤget: nach ſeiner Vor-
ſchrift muß ſich alles richten: auf ihn kommt
alles an: von ihm ruͤhret her, was an der
Gemeine neues und eigenes iſt. Muͤndlich
fuͤhren zwar auch viele andere Lehrer bey ihnen
das Wort: aber keiner darf ihm widerſpre-
chen, noch ſeine Irrthuͤmer widerlegen. Die
gemeineſten Leute, die nur des Ordinarii
Schriften leſen, oder auch die neumaͤhriſche
Gemeine etwa beſuchen, ſaugen alle, auch die
beſonderſte Lehren, von ihm begierig ein.


§ 4.

Ich naͤhme gern einen Umgang, daß ich
dieſer vornehmen Perſon nicht gedenken moͤch-
te: aber dieſer weltbekannte Arbeiter und ſei-
ne Arbeit ſelbs hangen unzertrennlich zuſam-
men. Er ſelbs iſt gezwungen, ſo viel von ſich
zu reden: diejenigen, die ſich der ſo genann-
ten Bruͤdergemeine annehmen, muͤſſen auch
viel von ihm reden: ſo kan denn ein anderer
A 2es
[4]TheilI.Cap.I.Satz 1.
es nicht vermeiden, zumal da die Schriften,
auf die man ſich beziehen muß, hauptſaͤchlich
von ihm herruͤhren. Wir wollen das Anſe-
hen der Perſon beſtaͤndig, aber die Beſchei-
denheit niemalen aus den Augen geſetzet ſeyn
laſſen.


Der 2 Satz.
DerOrdinariusſelbs hat ſeinen
innern
Characterbeſchrieben.

§ 5.

Bey der Vorrede der Buͤdingiſchen Sam̃-
lung
iſt eine Nota, darin der Ordina-
rius
ſelbs gar wohl erinnert, daß dasInte-
rieur
bey denen Perſonen, die mit einiger
Religions-Materie
connectiren, die naͤch-
ſte und gegruͤndeſte
Ideevon ihren Unter-
nehmungen geben
koͤnne; und damit die
Leute ein Licht in ſeine Abſichten (indem die
Abſichten bey allen Unternehmungen ver-
nuͤnftiger Menſchen das Meiſte zu deren
Beurtheilung austragen,) bekommen
moͤ-
gen, hiezu die Einleitung ertheilet, vermit-
telſt einer daſelbs folgenden Erzehlung und
Bekenntniß, womit zu vergleichen iſt, was
derſelbe im Teutſchen Socrate p. 212. in den
Notis zu meinen Anmerckungen, unten, * 14.
und in den Reflexionen p. 110. von ſich mel-
det, was in den Beylagen zu den Reflexionen
p. 21 vorkommt, und was bey dem Hn. D.
Baumgarten im ſechſten Theil der Bedenken
p. 701
[5]Ordinarii character.
p. 701 Conrad Weiſer aus Pennſylvanien,
wie auch die Abbildung des Grafen von Zin-
zendorf, Franckfurt am Mayn 1749. von ih-
me berichten.


§ 6.

Eine Bekenntniß, die einer etwa in einer
Nachricht von ſich ſelbs thut, kan ihm wohl,
einem andern aber, der ſolche wiederholet, uͤbel
anſtehen. Deswegen wollen wir uns ſolcher
Stellen des Ordinarii ſo ſparſam bedienen,
als es moͤglich iſt: und diß Orts bemerken wir,
zu unſerm Vorhaben, aus jener bekannten
weitlaͤuffigen Nota, ohne derſelben woͤrtliche
Wiederholung, nur rubriken-weiſe 1. die
Begierde, geiſtliche Geſellſchaften aufzurich-
ten. 2. Den aus dem Leidens-Puncten vor
aller andern heilſamen Lehre empfangenen und
behaltenen Eindruck. 3. Den Zweifel an an-
dern Hauptwahrheiten. 4. Die Scheide-
wand zwiſchen dem Herzen und dem Ver-
ſtande.


§ 7.

Dieſe vier ungezweifelte Stuͤcke ſind mit
dem jungen Hn. Grafen aufgewachſen, groß
und ſtarck worden, und werden uns im Fort-
gang unſerer Beſchreibung ein ſattſames Licht
geben, ſeine Abſichten und Unternehmungen,
wie ſie ſich nacheinander geaͤuſſert haben, war-
zu nehmen.


A 3Der
[6]TheilI.Cap.I.Satz 3.
Der 3 Satz.
Die Haupt-Abſicht iſt eine beſon-
dere Seelen-Sammlung.

§ 8.

In den naturellen Reflexionen ſ. 195
heiſſt es: Was meinFinis ultimusbey
der Verſammlung in Penſylvanien war,
das weiß ich wohl, und habe damit nicht
einen Augenblick zuruͤkgehalten. Ich
wolte Gelegenheit nehmen, das Lamm
GOttes zu inthroniſiren, als eigentlichen
Schoͤpfer, Erhalter, Erloͤſer und Heilig-
macher der ganzen Welt, und die Catholi-
citaͤt ſeiner Leidens-Lehre als eine
Univer-
ſal-Theologie
fuͤr die Teutſchen Penſylva-
nier
in theoria \& praxieinzufuͤhren, und
ſo viel ſonſt von denen in Siegfrieds Be-
denken p. 89 mir nicht unbillig beygemeſ-
ſenen Abſichten
pro re natanoͤthig und nuͤtz-
lich ſeyn moͤchte.
Diß iſt, wie Siegfried
p. 88 meldete, des Hn. Grafen Plan bey Chri-
ſten, Juden und Heiden: und eben dieſes
wird in den Beylagen zu den Reflexionen
p. 23 ‒ 26 mit einer theuer-verſicherten Ab-
lehnung aller andern Abſichten bezeuget. Da
heiſſet es unter anderm: die Bruͤder wolten
mit einerley Wahrheit ſo wol die ganze in
Meynung Chriſtlicher Freyheit ſtehende
Chriſtianitaͤt, als das Juden- und Heiden-

thum
[7]Abſicht.
thum, (ohne dem Heilande einiges Ziel zu ſez-
zen, wenn? wie? wo? und wie weit?) mit
der Perſon des allerliebſten Erloͤſers innig
bekannt zu machen ſuchen; weil Sie glaub-
ten, das waͤre ſo das Cardinal-Puͤnctgen,
darauf die Seligkeit dieſes und ienes Lebens

roullirte, die wahre Εὐσέβεια und ihr groſ-
ſes Geheimniß: GOtt iſt offenbaret im
Fleiſch.
Sie glaubten,
der Punct wuͤr-
de zu ſehr
negligirt.


§ 9.

Noch naͤher hat Siegfried p. 98, 99. die
Abſicht beſtimmet: Das Haupt ſeiner Kir-
chen hat
mit dieſen (neumaͤhriſchen) Leuten
unſtreitig im Chriſten- und Heidenthum er-
was vor, welches ‒ ‒ die goͤttlichen Ab-
ſichten ausfuͤhren wird, obgleich vielleicht
hie und da etliche Werckzeuge im Lauffe
bleiben duͤrften. Die
Abſicht ſcheinet nicht
auf eine Reformation der Welt, ſondern
auf eine Conſervation
der Seelen des Hei-
landes, und deren
Sammlung, auf ſeine
naͤher herannahende Zukunft zu gehen.
Die Perſonen ſind darzu nicht nur aus al-
len Religionen zuſammen und ausgeleſen;
ſondern es hat dieſes Haͤuflein in allen Re-
ligionen
mitten drinnen etwas gelten ma-
chendes, wodurch Seelen, die den Heiland
ganz meynen, in einem ungeſuchten
Nexu
mit ihm erhalten werden; und wenn ſie
A 4vor
[8]TheilI.Cap.I.Satz 3.
vor ſich ſelbſt aus ihren Verfaſſungen aus-
zugehen bewogen werden, nirgends lieber
als bey ihnen einkehren: wogegen ſich
zwar der Herr Graf von Zinzendorf dem
Vernehmen nach auf eine ganz unbegreifli-
che Art, und mit Gebrauch aller Mittel,
die ihm ſein Credit und Erfahrung ſuppe-
ditiret, nicht unfruchtbarlich ſetzet, und
dabey einen recht angebornen Haß gegen
alles Proſelyten machen und annehmen zei-
get; aber doch GOtte die Haͤnde nicht bin-
den kan, wenn er alle ſeine menſchlich gute
Gedanken erſchoͤpfet hat. Solche Zukunft

des Heilandes ſoll ſeyn 1. nahe: 2. ſichtbar:
3. geheim,
und nur bey der Gemeine. Die
Seelen-Sammlung auf die Zukunft ſoll des-
wegen 1. geſchwinde ſeyn: 2. lauter gute
Seelen,
und 3. mit der Zeit dieſe alle in ſich
faſſen. Dieſer Dinge wegen hat der Ordina-
rius
ſeine Gedanken zu unterſchiedenen Zeiten
bald erweitert, bald gemaͤſſiget: doch bleibt
die Seelen-Sam̃lung ſelbs immer ſeine groſſe
Abſicht, wovon die Gemeinrede am 12 May
1745 handelt, ſ. 37.


Der 4 Satz.
Solche Abſicht zu erlangen,
wurden allerley Mittel ergriffen.

§ 10.

Die nun ſo genannte evangeliſch-maͤhri-
ſche Kirche
zum Stande zu bringen,
waren
[9]Mittel.
waren ad hominem die zwey Hauptmittel die
maͤhriſche biſchoͤffliche Succeſſion und die
vorgeſchuͤtzte Uebereinſtimmung mit der Aug-
ſpurgiſchen Confeſſion,
vornemlich in Ober-
teutſchland und in England. Im Ernſt aber
ſolte dieſe Gemeine ein Behaͤlter ſeyn, in wel-
chem
eine Menge feiner Leute einſtweil von der
proteſtantiſchen Kirche zuſammen gebracht,
und aus welchem ſo fort viele nach und zu
einer leichten Methode abgerichtete Arbeiter
verſandt werden koͤnnten, eine geſchwinde und
ungehinderte Botſchaft in die Naͤhe und Fer-
ne zu bringen. Da ward aus der ganzen Leh-
re von der GOttheit das einige Stuͤck von
Chriſto, und aus der ganzen Lehre von Chri-
ſto der einige Articul von ſeinem Leiden, wie
es allermeiſt die Sinnen beweget, und aus der
ganzen Heils-Ordnung das Blut-Gefuͤhl
heraus genommen. Mit was fuͤr Manieren
ſonſt die Seelen gelocket, zuſammen verbun-
den und beybehalten, der Anſtoß an den Ge-
heimniſſen bey vielerley Partien und Voͤlkern
verhuͤtet, mißliche Faͤlle und Fragen hurtig
durchs Loos decidiret, die Gunſt der Hohen
in der Welt gewonnen, zeitliches Vermoͤgen
zur Ausfuͤhrung groſſer Dinge erlanget, alle
Gegenvorſtellungen entkraͤftet werden, u. ſ. w.
iſt unverborgen.


§ 11.

Durch welche Stuffen und Abwechslun-
gen die Sache, der Abſicht und der darnach
A 5einge-
[10]TheilI.Cap.I.Satz 4.
eingerichteten Mittel, und unter dieſen ſonder-
lich auch der Lehre halben, von ihrem Anfang
bis auf den heutigen Tag geloffen ſey, iſt nicht
leicht und nicht noͤthig zu eroͤrtern. Das be-
ſte iſt, man halte ſich jedesmal an das neueſte.
Die Proteſtanten in etlichen europaͤiſchen Laͤn-
dern, und die Heiden in Groͤnland und in et-
lichen Gegenden von America und Africa, ma-
chen weder die Chriſtenheit noch das menſch-
liche Geſchlecht
aus, und gehen alſo viel naͤ-
her zuſammen, als die Seelenſammlung, die
man ſich vorgenommen hat. So kan denn
das Geſchaͤffte, wenn keine Luͤcke bleiben ſoll,
ſeine hoͤchſte Stuffe nicht erreichet haben. Es
heiſſet zwar in ermeldten Beylagen, fuͤr das
Jahr 1743. die Bruͤder haͤtten ſich vorge-
nommen, bey ihrer ſo generalen Arbeit
dennoch den ganzen Cirkel der Griechiſchen
und Roͤmiſchen Kirche unberuͤhrt zu laſſen.

Aber auf dieſe beede Kirchen hatte man ſich
ſchon vorher, bekannter maſſen, eine Rech-
nung gemacht.


§ 12.

Dieſe vier erſten Saͤtze werden im II Theil
dieſes Abriſſes eine um etwas veraͤnderte Ge-
ſtalt, aber bey derſelben auch eine Verſtaͤrkung
bekommen.


Der 5 Satz.
Bey der Pruͤfung der Lehre, wie
auch der Lehr-Art, hat man auf

die
[11]Von desOrdinariiSchriften.
die Zinzendorfiſchen Schriften,
ſonderlich aber auf die Gemeinre-
den, von A. 1741 bis 1747, zu ſehen.

§ 13.

Viele machen ſich von der Sache einen un-
richtigen Begriff. Wie ſie meynen, daß
ſie ſelbs thun und lehren moͤchten, wann ſie
an des Ordinarii Stelle waͤren, ſo bilden ſie
ſich deſſelben Werke und Lehren ein. Was
ihnen nicht leidelich noch von ſich ſelbſten ver-
muthlich iſt, dagegen uͤberhoͤren ſie die buͤndigſte
Zeugniſſe. Aber niemand ſoll nach ſeiner eige-
nen freyen Muthmaſſung andere im Guten und
Boͤſen bey ſich abbilden: vielmehr kan und ſoll
man ſorgfaͤltig erlernen, was ein neuer Leh-
rer ſelbs ſagt und ſingt und ſchreibt. Wann
einer ſich auch nur auf beſondere muͤnd- oder
ſchriftliche Erklaͤrungen des Ordinarii oder
ſeiner Anhaͤnger aus vergnuͤgter Einbildung
einer geheimen erhaltenen Nachricht verlaſſen,
und nicht vielmehr fuͤr noͤthig erachten wolte
ſich der Sache aus ſeinen oͤffentlichen Schrif-
ten zu erkundigen, ſo wuͤrde er nicht auf den
Grund kommen. Es betrifft hier keine Stats-
ſachen, wobey man geſchriebene friſche Berich-
te hat, und ſich nach gedruckten Zeitungen nicht
umſiehet: ſondern es betrifft den Weg GOt-
tes, da man eine wahre oder falſche Lehre auf
einer andern Spur [aufſuchen] muß.


§ 14.
[12]TheilI.Cap.I.Satz 5.
§ 14.

Nun hat man eine Menge oͤffentlicher
Schriften, wobey des Ordinarii Name bald
verſchwiegen, bald hingeſetzet iſt: deren Stuͤ-
cke nicht zu gedencken, welche von andern, die
es mit ihm halten, verfaſſet, oder von ihm
verfaſſet und andern zugeſchrieben ſind. Die
Zinzendorfiſche Schriften theilen ſich in zwo
Gattungen: es ſind entweder Reden, Lieder u.
ſ. w. oder Verantwortungen und Erzehlun-
gen. Jene handeln mit dem Heiland, mit
Bruͤdern u. ſ. w. dieſe aber gehen auswerts,
und accommodiren ſich groſſen Theils ad ho-
minem
. Dieſer Unterſcheid wird durch den
Spruch 2 Cor. 5, 13: Wenn wir auf GOtt
kommen, ſo ſind wir ganz auseinander;
wir maͤſſigen uns nur euch zu gefallen;
wie
der Ordinarius denſelben uͤberſetzt und in Re-
flex. p.
9 auf ſich appliciret, bekraͤftiget. Das
moͤchte in ſeiner Maaſſe gut ſeyn: aber es ge-
het manchmal ſo weit, daß Ja und Nein zu-
gleich heraus kommt, eben als ob ihrer zween
miteinander ſtritten. Wo nun beederley
Schriften ſo unterſchiedlich klingen, da kan
man den Reden und Liedern vielmehr als den
uͤbrigen Schriften trauen, wann jene auch aͤl-
ter ſind, als dieſe, und noch ſicherer, wann
ſie neuer ſind.


§ 15.

Von der erſtern Gattung haͤlt man ſich
am fuͤglichſten an die Reden: und hieher gehoͤ-
ren
[13]Von desOrdinariiSchriften.
ren vor andern (1) die Sieben Reden A.
1741, vor der zweyten Reiſe nach America, in
welchen die Declination und Abweichung von
der Glaubenslehre noch weit mehr als zuvor
ausgebrochen iſt: (2) Die Peñſylvaniſche Re-
den
A. 1742, welche zwar oͤffentlich, aber jen-
ſeit des Meeres, bey einem gehofften guten Fort-
gang, und alſo mit einer ganz austrettenden
Freyheit gehalten worden: (3) Die 32 einzele
Homiliæ oder Gemeinreden A. 1744, 1745,
1746. (4) Die Reden an den Synodum der
Bruͤder in Zeyſt A. 1746. welche nicht mehr ſo
ins weite extenſive gehen, (weil denen weit-
laͤuffigen Progreſſen hin und wieder ein Ziel
geſtecket worden,) aber die eigene Lehrpuncten
intenſive deſto hoͤher treiben: (5) Die oͤffent-
liche Gemeinreden
im Jahr 1747. (6) Die
34 Homiliæ uͤber die Wunden-Litaney der
Bruͤder, 1747. In den Reden denkt er
laut:
das iſt, er redet, wie es ihm ums Herz
iſt. Eine gewiſſe in Pennſylvanien gehaltene
Rede hat er deswegen nicht drucken laſſen,
weil ſie ad hominem gehalten war: folglich
ſind die uͤbrigen nicht ad hominem gehalten.
Der Irrthum, womit ſie angefuͤllet ſind, iſt
mit keinen Auszuͤgen zu erſchoͤpfen: man muß
ſie ſelbs durchleſen, wiewol in Auszuͤgen bis-
weilen auch etwas wargenommen wird, das
man an ſeinem eigenen Ort uͤberſehen hat.


§ 16.

Und ſo iſt es auch mit den Liedern. Die-
ſen legt Siegfried ein ſonderbares Gewicht bey,
p. 78,
[14]TheilI.Cap.I.Satz 5.
p. 78, 87. und wiewol ſie in der Nacherinne-
rung
bey der 4 Zugabe des 12 Lieder-Anhangs
und ſonſten weit heruntergeſetzt werden, ſo
weiß man doch wohl, was bey der Gemeine
ihre eigene Lieder vor andern gelten. Sie
werden vielmehr auswendig, als aus den Buͤ-
chern geſungen: und in den Reden viel oͤfter,
als die Machtſpruͤche der heiligen Schrift an-
gezogen. In England ward vor zwey Jah-
ren eine Sammlung von Zinzendorfiſchen Lie-
dern, und aus der Sammlung ein Auszug,
engliſch gedruckt. Da ſagt die Vorrede von
ſolchen Liedern an den Leſer, You will early
obſerve, that they have no affinity at all to
that old Book called the Bible: the Illuſtrious
Author ſoaring as far above this, as above
the beggarly Elements of Reaſon and common
ſenſe.
Das iſt: Ihr habt fleiſſig zu mer-
ken, daß ſie durch aus keine Verwandtſchaft
haben mit dem alten Buch, das man die
Bibel heiſſet: indem der hochgeborne Ver-
faſſer ſich ſo weit daruͤber hinſchwinget,
als uͤber die duͤrftigen Elementen der Ver-
nunft und gemeinen Witze.


§ 17.

Was in den Gemeinreden und in den Lie-
dern, vornemlich in den neueſten, enthalten
iſt, wird ohne Bedencken bey allen Gliedern
dieſer Gemeine faſt ohne Ausnahme fuͤr lauter
goͤttliche Wahrheit gehalten. Denn es iſt der
Ordina-
[15]Von desOrdinariiSchriften.
Ordinarius, der die gedruckten Reden hielt,
und an den Liedern den groͤſten Theil hat: die
Erinnerungen dagegen werden ſehr heftig aus-
geſchlagen: und die Gemeine hat ſchier keine
andere Seelen-Nahrung. Bey denen Reden
gehen gewohnlich ein Par Worte aus der Bi-
bel und ein Par Reimen aus den Liedern, als
der Text, voran: und mit denen ſchon lang
uͤblichen Looſungen auf alle Tage des Jahres
hat es gleiche Bewandtniß.


§ 18.

Das Lehr-Buͤchlein kan, wegen ſeiner
Kuͤrze, dem einen Leſer wol einleuchten, und
dem andern ſehr irrig vorkommen: von beedem
ſtehen Exempel im III Band der Buͤd. Sam̃l.
ſ. 246. Wer aber die Reden inne hat, der
kan ſich erſt in daſſelbe, in des Ordinarii deut-
ſche Ueberſetzung des N. T. und in die Notas
dabey, wie auch in ſeinen Jeremiam finden,
und in deſſelben aͤlteren Schriften die Samen-
koͤrner deren hernach deutlicher aufgegangenen
Irrthuͤmer, in den neuern aber die Beſchoͤ-
nung derſelben warnehmen.


§ 19.

In der freywilligen Nachleſe, in den
oͤffentlichen Berliner Reden 1738. in der Buͤ-
dingiſchen Sammlung,
in den Bedenken,
in den Beylagen des Creuzreichs, in den
Neun oͤffentlichen Reden zu London 1746. in
den Diſcoursen uͤber die Augſp. Confeſſion
1747
[16]TheilI.Cap.I.Satz 5.
1747 und 1748. u. ſ. w. iſt vieles von beeder-
ley Gattung. Siegfrieds Beleuchtung, das
Creuzreich ſelbs, und die Reflexionen mit ih-
ren Beylagen, unter denen ſich auch die Ge-
wiſſens-Ruͤge
befindet, zielen auf Verant-
wortungen, und gehen auf Hiſtorien. Wir
wollen uns alles zu nutz machen, wie es jeden
Ortes tauget. Sonderlich iſt zu merken das
Eventual-Teſtament, A. 1738. die Vorrede
zu den Bedenken, A. 1740. die peñſylvaniſche
Abſchieds-Rede, A. 174⅔. der Beruff des
vollmaͤchtigen Dieners und die Antwort dar-
auf. In Buͤd. Samml. Band II. ſ. 252.
B. I. ſ. 278. B. III. ſ. 188. Creuzreich ſ. 216,
217.


§ 20.

Dieſer Unterſcheid zwiſchen des Ordinarii
Schriften iſt erheblich. Wann man bey ſei-
nen gedruckten Apologien ſtehen bleibt, und
wann man noch ſo viele Anecdoten gleichen
Schlags in Handen haͤtte, ſo moͤchte einer,
der gar nicht fuͤr ihn eingenommen iſt, ſich den-
noch bereden, ſeine Gegner waͤren gar zu
ſchlimme Spinnen, und thaͤten ihm Gewalt
und Unrecht: wann man aber ſeine Reden,
wie es ſeyn ſoll, durchlieſet, da ſeine Meinun-
gen ſich recht aͤuſſern, und von denen Geſchich-
ten nur das gewiſſeſte dazu nimmt, ſo iſt es,
als ob der Eifer aller ſeiner Gegner ihm noch
vieles haͤtte hingehen laſſen.


§ 21.
[17]Von desOrdinariiSchriften.
§ 21.

Bey der Beobachtung des jezt gemeldeten
Unterſcheides kan man aus des Ordinarii bis-
herigen Schriften vielmehr, als aus irgend ei-
ner neuern Erklaͤrung, die ad hominem ge-
ſtellet wuͤrde, gewiß, voͤllig und leicht er-
kennen, was ſeine und ſeiner Mitarbeiter Leh-
re und Lehrart ſey. Wie die Gemeine aus
dem, was in ihrem Mittel geredt, geſungen
und geſchrieben wird, ſich gern im Guten be-
urtheilen laͤſſet, (ſonſt waͤre die Publication
von dem allem vergeblich:) ſo gilt ſolches auch
im Gegentheil. Wornach koͤnnen wir von
den Alten, und die Nachkommen von uns ur-
theilen, als aus den Schriften? Ich fuͤhre
bey weitem nicht alle Stellen an, die angefuͤh-
ret werden koͤnnten, vornemlich wann ſie von
andern bereits angefuͤhret worden und daher
bekannt ſind, wol aber ſo viel zur Sache noͤ-
thig und genugſam iſt. Nach dieſen Liedern,
Reden u. ſ. w. wird man die Gemeine und ih-
ren Stifter auch kuͤnftighin, wann ſie ſchon
ſorgfaͤltiger an ſich halten wuͤrden, ſo lang
und ſo ferne zu beurtheilen haben, als ſie nicht
ausdruͤcklich das Gegentheil bekennen, und die
Puncten, worin ſie gefehlet haben, vollſtaͤn-
dig anzeigen und GOtt zu Ehren widerruffen
werden. Laſſet uns nun die Lehre beſehen.


(Abriß der Bruͤderg.) BDer
[18]TheilI.Cap.I.Satz 6.
Der 6 Satz.
Die Lehre bey der ſo genannten
Bruͤdergemeine gehet von dem Fuͤr-
bilde der wahren Lehre ab.

§ 22.

Es iſt offenbar, daß der Ordinarius ſich
in die Lehre von der heiligen Dreyeinig-
keit, von Chriſto und ſeinem Mittler-Amte
u. ſ. w. nicht finden kan, weder ſo, wie ſie nach
der Schrift in der chriſtlichen Kirche, von ih-
ren erſten Zeiten an, bis auf dieſen Tag ge-
fuͤhret, noch ſo, wie ſie in der Schrift ſelbs
enthalten iſt. Damit wir nun die Sache nach
Moͤglichkeit erleichtern, ſo wollen wir ſie al-
lermeiſt nach der Schrift ſelbs, als ob wir zur
Apoſtel Zeit lebten, erwegen. Dieſer Lehrer
wanket heftig: ſeine Meinungen ſind nicht
nur bey dieſem oder jenem Satze, ſondern in
Menge, ſo beſonder, und die Auslegungen,
Bedenklichkeiten, Ausfluͤchten, Einwuͤrfe,
Entſcheidungen, die er auf die Bahn bringt,
ſind ſo unvermuthet, daß es auf ſeiner Sei-
ten ein neues Syſtema austraͤgt, und auf derer
Seiten, die es pruͤfen ſollen, ein eigenes Stu-
dium
erfordert. Meines Vorhabens iſt nicht,
alles puͤnctlich zu eroͤrtern: doch will ich etwas
melden, das den Liebhabern der Wahrheit,
auf den Grund zu ſehen, ihnen dienlich ſeyn
laſſen koͤnnen.


§ 23.
[19]Lehr-Summa.
§ 23.

Einen ſummariſchen Vorſchmack kan ge-
ben, was im Vorberichte zu denen Zeyſter
Reden ſtehet: ”In dieſen Reden regie- ”
ren abermal die dem
Autorieigen gewor- ”
dene
concepte,daß uns unſer Schoͤpfer ”
erloͤſt habe, daß derſelbe unſer Erloͤſer ”
der Vater der zeit und ewigkeit und aller ”
creaturen
qua talium;der GOtt der Ge- ”
meine aber nur dererjenigen GOtt und ”
Vater ſey, die unſer Schoͤpfer nach ſei- ”
ner heiligen menſchheit fuͤr ſein fleiſch und ”
bein zu bekennen beliebt hat: daß dieſe ”
Leute ihren Vater kennen, aber auch die ”
Mutter, die ſie geboren hat, den heili- ”
gen Geiſt; daß dieſe Gottes-familie es ”
an ſich nicht fehlen laſſe, bey einem je- ”
den chriſtlichen
individuodiejenigen ”
pflichten zu beweiſen, welche die
ſigna- ”
tur
ihrer familien-namen mit ſich fuͤhret: ”
daß aber darzu kein geformter kunſtglau- ”
be genug ſey, ſondern eine naturelle ge- ”
muͤths-beſchaffenheit erfordert werde, ”
in der man das,
meine ſeele ſagt mirs, ”
nicht mehr und weniger zum haupt-ar- ”
gument
machet, als es bey einem jeden ”
menſchen geſchieht, den die liebe zum ”
dinge willig macht zu glauͤben.


Das iſt wenigſtens dieſituation,dar- ”
innen ſich der
Autorbereits vierzig jahre ”
befindet, ohne ſich in dieſer geraumen

B 2” zeit
[20]TheilI.Cap.I.Satz 6.
zeit, von allem dem, was ihm ſeine ſeele
” geſagt hat, ein
jotaabdingen zu laſſen.


Er glauͤbt, daß jede Hand

Ein nagel durchgerannt;

Er glauͤbet das durchſpieſſen

Von JEſu heilgen Fuͤſſen;

Er glauͤbt auch eine Wunde,

Die in der ſeite ſtunde.

Und weil er das Vergnuͤgen hat, mit viel
” tauſenden in einer ſeele zu ſtehen, die die-
” ſen heiligen Wunden allein, die voͤllige
” verguͤtung und treuliche behuͤtung, des
” unter den Chriſtianern leider! faſt ver-
” geſſenen Ehe-ſacraments der menſchli-
” chen Creatur mit ihrem Schoͤpfer und
” Heilande zuſchreiben: ſo iſt der
uſus
und dieapplicationſeiner reden, wovon
” der leſer immer wenig zu ſehen kriegt,
” den aber der gegenwaͤrtige Zuhoͤrer aus
” des Redners augen leſen kan, ie und all-
” wege der:


Troͤſt dich GOtt mit dem Kirchlein,

” In der letzten zeit,

” vor der herrlichkeit,

” uͤber all’ dein leid.

§ 24.

Die heilige Schrift iſt GOttes Buch: ihr
ganzer Inhalt iſt heilig, heilſam und genug-
ſam. Nichts iſt daran vergeblich und un-
fruchtbar. Nicht ein jeder muß alles begreif-
fen:
[21]Lehr-Summa.
fen: aber alle Heiligen aller Zeiten und Orte
ſind zuſammen wie ein einiger Lehrjuͤnger, der
ſich den ganzen Inhalt zu Nutz machet, und
dadurch zu allem guten Werck ausgeruͤſtet
wird. Von dieſem reichen Inhalt lieſet der
Ordinarius etwas heraus, das er aber alles
auf den Schoͤpfer und Heiland fuͤhret. Die-
ſes iſt die Wahrheit der Gottheit des Lam̃s,
und alle die Folgen von ſeiner Erniedri-
gung.
Pennſ. Reden I. Th. ſ. 13. Sehr vie-
les andere ſchneidet er ab, und zu dem weni-
gen, das er behaͤlt, machet er ungeheure ihn
gutduͤnkende Zuſaͤtze. Die Lehre vom Schoͤ-
pfer und Heiland iſt die Daͤcher-Predig, fuͤr
alle, und ſofern auch fuͤr die, welche zum
Zeugniß ausgeruͤſtet werden: das uͤbrige,
ſind die Chor- und Cammer-Materien, fuͤr
die Gemeinglieder ſelbs. Alles fuͤget er ſo zu-
ſammen, daß es weit etwas anders ausma-
chet, als das Zeugniß GOttes. Die Form,
darein er es geuſſt, gibt ſein hurtiger Ver-
ſtand, ſein beredter Mund, ſeine Bekannt-
ſchaft mit ſeinen practiſchen Philoſophen, ſein,
ſo weit die Welt iſt, ausgebreiteter freyer
Sinn, daß es theils einfaͤltig und niedertraͤch-
tig, theils bunt und großmuͤthig herauskom̃t.
Alſo gehen die Concepte, deren er hie geden-
ket, von der heiligen Schrift erſchrecklich
weit ab, und die in jeztangezogenem kurzen
Begriff enthaltene Geſtaͤndniß iſt ſchon ſo viel
als eine Widerlegung dieſer Lehre, welche
B 3niemand
[22]TheilI.Cap.I.Satz 6.
niemand fuͤr Schriftmaͤſſig halten kan, als
der mit Blindheit geſchlagen iſt.


§ 25.

Doch geben wir dagegen jezt in einer vor-
laͤuffigen Summa etliche Erinnerungen.
1. Was in dieſer Stelle ſich von der Wahr-
heit befindet, iſt dem Hn. Autori nicht eigen;
ſondern das, was von der Wahrheit neuer-
lich abgehet. 2. Es wird nemlich in dieſer
Stelle und in dieſer Lehre ausgeſchloſſen der
erſte Haupt-Articul des apoſtoliſchen Glau-
bens-Bekenntniſſes, daß GOtt, der Vater
unſers HErrn JEſu Chriſti, Himmel und
Erden erſchaffen habe. 3. Wann Chriſtus
einmal genennet wird Wunderbarer Rath,
Kraft-Held, Vater der Ewigkeit, Fuͤrſt
des Friedens,
Jeſ. 9. (das iſt, bey Paulo,
GOttes Macht und GOttes Weisheit,)
ſo wird hie dieſer Name, Vater der Ewig-
keit,
allen andern haͤuffigen Stellen, da
GOtt als der Vater unſers HErrn JEſu
Chriſti
und auch als unſer Vater geruͤhmet
wird, entgegen geſetzet. 4. Alle Creaturen
werden hie Chriſto, ohne ſeinen Vater, und
die Chriſten werden ohne die andern Creatu-
ren ſeinem Vater untergeben. 5. Was der
Spruch, Alſo hat GOtt die Welt geliebet,
in dieſen ſeinen erſten Worten mit ſich fuͤhret,
wird hie uͤbergangen, als ob es nicht zum
Glauben gehoͤrte. 6. Dem heiligen Geiſt
wird
[23]Lehr-Summa.
wird der Name, Mutter, ganz willkuͤhrlich
gegeben. 7. Die Erkenntniß des Heilandes
wird als etwas angeſetzet, das von der Er-
kenntniß des Vaters und des heiligen Geiſtes
weit entfernet ſey. 8. Durch die ſo genannte
GOttes-familie (welche verwegene Benen-
nung einem vielmehr den Begriff von einer
Geſellſchaft oder Gemeine, oder gemeinem
Weſen, als von einer weſentlichen Einheit
beybringet,) wird das Geheimniß der heili-
gen Dreyeinigkeit ſehr verſtellet, und ſolcher
geſtalten muͤſſte man nicht mehr ſagen, Vater
und Sohn und Geiſt,
ſondern Vater und
Mutter und Sohn,
welche Ordnung auch
oft in den neumaͤhriſchen Liedern vorkommt.
9. Ein geformter Kunſt-Glaube iſt aller-
meiſt dieſes, wann man diejenige Wohltha-
ten, welche die Signatur der goͤttlichen Fa-
milien-namen mit ſich fuͤhren ſoll, eigenmaͤch-
tig eintheilet. 10. Die naturelle Gemuͤths-
beſchaffenheit,
indem man das Meine
Seele ſagt mirs
zum Haupt-argument ma-
chet, iſt eitel und gefaͤhrlich. 11. Wann de-
ren viel tauſende ſind, die dem Ordinario
bey ſeinen ſo ganz eigenen Meinungen bey-
ſtimmen, ſo ſind ſie nur durch ihn verleitet
worden: und doch wird vermoͤge dieſer Bey-
ſtimmung das, was derſelbe lehret, ſeiner
ganzen Gemeine billig zugeſchrieben, bis dieſer
oder jener durch eine beſondere Erklaͤrung eine
Ausnahme verdienet. Die Lehre bey der Ge-
meine, wie ich bisweilen aus Glimpf rede,
B 4und
[24]TheilI.Cap.I.Satz 6.
und die Lehre der Gemeine, iſt einerley. 12.
Die Vereinigung der Glaubigen mit dem Hei-
land iſt unter denen hie ſo genannten Chri-
ſtianern unvergeſſen: aber daß man ſolche
geiſtliche Vereinigung, ſamt dem heiligen
Abendmahl, und die leibliche Ehe, ineinan-
der flechten, und ſolches ganze Gemenge aus
den Wunden Chriſti herleiten ſoll, iſt ein Aus-
ſpruch, welchen einem Lehrer, bey dem etwas
von der ſeligen Scheidung der Seele und des
Geiſtes haftet, weder ſein Geiſt ſagen koͤnnen,
noch ſeine Seele hat ſagen ſollen. 13. Daß
das neumaͤhriſche Kirchlein das Kirchlein in
der lezten Zeit zum Troſt des Heilandes
uͤber alle ſeinem Leid
ſeyn ſoll, iſt ein Ruhm,
wodurch der Heiland nicht getroͤſtet, ſondern
beleidiget wird. 14. Daß der Ordinarius
ſich in vierzig Jahren von allem dem, was ihm
ſeine Seele geſagt hat, nicht ein Jota abdin-
gen laſſen, iſt kein gutes Zeichen. Er aͤndert
zwar unvermerkt immer etwas an ſeiner Lehre,
(welches gar bald warzunehmen iſt, wann
man von einerley Puncten eine alte und eine
neue ſeiner Reden erwiegt;) aber dabey ſagt
er nicht, daß er den Vorſtellungen ſeiner Ge-
gner ausweiche oder nachgebe, und ihnen alſo
etwas zu danken habe: und was einer Beſſe-
rung am meiſten beduͤrfte, davon laͤſſet er ſich
keinJotaabdingen. Wann er ſo fortfaͤhret,
ſo wird endlich ihm und denen die ihm kurzum
folgen, im̃er weniger von der Wahrheit uͤbrig
bleiben. Von dieſen Stuͤcken muß nun etwas
mehrers geſagt werden.


Der
[25]Von der H. Schrift.
Der 7 Satz.
Die Lehre bey der ſo genannten
Bruͤdergemeine bindet ſich nicht an
die heilige Schrift.

§ 26.

So ſpricht der HERR, iſt das Macht-
wort, womit alles dasjenige, was
GOtt durch die Propheten ſeinem Volk vor-
tragen ließ, und die Propheten dem Volk von
GOttes wegen vortrugen, bekraͤftiget wurde:
und weil die Propheten goͤttliche Geſichte hat-
ten, ſo konnten ſie davon, als Seher, ein
ungezweifeltes Zeugniß geben. Wegen deſ-
ſen, was geſchrieben ſtund, war das Leiden
Chriſti unumgaͤnglich: ſo gar kan die Schrift
nicht gebrochen werden. Chriſtus ſelbs berief
ſich auf das jenige, was er bey ſeinem Vater
geſehen und von ihm gehoͤret, nicht aber von
ihm ſelber
geredet habe, wie auch ſeine Apo-
ſtel ſich hernach auf Ihn beriefen. Aber bey
dem Meiſter dieſer Gemeine iſt das Haupt-
Argument, die ſchwache Rede, Es iſt mir ſo:
wovon eigentlich die Predig vom Rath nach
des Heilands Herzen
handelt. Da heiſſt
es p. 5: „Wenn der Jeſaias zum Hiſkia ſag-
te:
Traue du auf GOtt, die Stadt ſoll den
Aſſyrern nicht uͤbergeben werden; und wenn
Jeremias zum Zedekia ſagte:
Gehe hinaus,
und uͤbergib dich den Aſſyrern, ſo wirſt du
B 5am
[26]TheilI.Cap.I.Satz 7.
am Leben bleiben: ſo ſagten ſie alle beyde:
Es iſt mir ſo.” Aber woher war ihnen ſo?
Weil ſie ſagen konnten: So ſpricht der
HERR der GOtt Iſrael.
2 Koͤn. 19, 20.
Jer. 38, 17. Hingegen die bloſſe Formul,
Es iſt mir ſo, tauget fuͤr ſolche, die von ih-
nen ſelber und aus ihrem eigenen Herzen re-
den, die mehr auf das Gefuͤhl, als auf das
Sehen und Hoͤren in geiſtlichen Dingen hal-
ten, und ihres Herzens Viſion reden, nicht
aus des HERRN Munde.
Jer. 23, 16. ꝛc.


§ 27.

Moſes und die Propheten haben vieles ge-
redet, das nicht aufgezeichnet vorhanden iſt:
Chriſtus ſelbs, desgleichen, und ſeine Apoſtel.
Die Buͤcher aber, die in der heiligen Schrift
oder Bibel enthalten ſind, ſind darum keine
vor andern ungefehr uͤberbliebene Fragmenta
und Stuͤcke, ſondern die von GOtt auserſe-
hene und ein ohne Ueberfluß genugſames Sy-
ſtema
gebende Sammlung himmliſcher Zeug-
niſſe, wobey ſich alle Heiligen im Volke Got-
tes und in der Gemeine Chriſti, von Moſis
Zeiten an bis auf Samuel, von Samuel bis
auf Chriſtum und ſeine Apoſtel, von Chriſto
und ſeinen Apoſteln an bis auf die erſten chriſt-
lichen Kaiſer, von den erſten chriſtlichen Kai-
ſern bis auf die Reformation und bis auf die-
ſen Tag wohl befunden haben. Mit ihnen al-
len hat ſich ſolches Wort zum Heil durch den
Glau-
[27]Von der H. Schrift.
Glauben vermenget, daß ein jeder in gutem
Verſtande, dem Teſtimonio interno zufolge,
ſagen konnte, Es iſt mir ſo, oder, Meine
Seele ſagt mirs;
weil es nemlich ſeiner See-
le ſelbs von GOtt noch eher geſagt worden
war. Jetzt gibt es erſt einen neuen Periodum,
da ein einiges Herz, wie des Ordinarii Herz
iſt, zur Richtſchnur ſeiner Gemeine dienet.


§ 28.

In den Pennſ. Reden, I Th. ſ. 135 u. f.
lautete es nur von Fehlern in natuͤrlichen
leiblichen und hiſtoriſchen Sachen:
aber in
den Wunden-Litaney-Reden geht es weiter,
wann es heiſſt, die Schrift habe ſo viel Feh-
ler, als kaum ein Buch, das heutiges Ta-
ges heraus kommt,
und bey allem Unter-
ſcheide der Argumente nach ihrer Schwaͤ-
che oder Staͤrke, bey allen Differenzen im

Raiſonnement, ſey der Geiſt der heiligen
Schrift dieſelbe einige Sache, darauf wir
reflectiren muͤſſen:
es ſeyen Fehler auch im
Grund-Texte.
p. 144, 146, 149. Des Hei-
lands Juͤnger (heiſſt es gar p. 160,) entſchul-
digten Ihn mit Unrecht, und ſagten, Er
haͤtte von dem Tempel ſeines Leibes geredt;
das war ein
Echapatoire,der Heiland hat-
te vom Tempel zu Jeruſalem geredt.
Die
Gemeinrede vom 12 May 1745 ſagt p. 10:
” Es iſt bekannt, daß die Juden in dem ”
Wahn ſtunden, ſie waͤrens allein und wuͤr-
dens
[28]TheilI.Cap.I.Satz 7.
dens bleiben. David macht ſelbſt das Epi-
” phonema:
So thut Er keinen Heiden,
” noch laͤſſet ſie wiſſen ſeine Rechte. Hal-
” lelujah! GOtt Lob und Dank!
” Es war
auch ein preiswuͤrdiges Gerichte, daß die Hei-
den lange Zeit ihren eigenen Wegen uͤberlaſ-
ſen worden: doch ſieht der Prophet mit ſei-
nem Hallelujah vornemlich auf die Wolthat
an Iſrael, und ſonſt hat ja David die Gnade,
welche uͤber die Heiden kommen wuͤrde, froͤ-
lich und oft beſungen. Zur Apoſtel Zeit zwei-
felte man nur, ob die Heiden ohne die Be-
ſchneidung angenommen werden koͤnnten, und
die Glaubigen lieſſen ſich bald und mit Freu-
den davon befreyen. Wo ruͤhren aber die ſo
nachtheilige, keiner Entſchuldigung faͤhige Mei-
nungen wider die Schrift her? Vom Betrug
des Herzens.


§ 29.

Die heilige Schrift A. und N. T. iſt voller
Klagen uͤber die Falſchheit und Unart des
menſchlichen Herzens, und deswegen auch
voller Warnungen, daß wir uns von demſel-
ben nicht verfuͤhren laſſen, und daſſelbe auch
nicht verfuͤhren ſollen. Inſonderheit wird
dem Volk Iſrael bey Moſe, in den Pſalmen,
und oft bey Jeremia zugeſchrieben ein Herzens-
Duͤnkel,
Hebr. ſcheriruth lebb, i. e. obfir-
matio cordis
(vid. Coccei. Lex. col.
960.)
eine boͤſe Herzens-Steiffe, da nemlich das
arme ſtarre Herz ſich kurzum etwas vorſetzt,
daſſelbe
[29]Von der H. Schrift.
daſſelbe fuͤr gut und wahr anzunehmen und
auszugeben, und ſich nicht davon bringen laͤſ-
ſet, nur darum, und eben darum, weil ihm
ſo iſt,
weil ſolches ſein Plaiſir iſt, weil es nichts
anders aufkommen laſſen, ſondern in ſeinem
Beginnen ruhig und unbeſchryen fortfahren
will. Vergl. Jer. 44, 17. Solcher Herzens-
Duͤnkel
hat in Sachen den Gottesdienſt be-
treffend zu allen Zeiten unſaͤglich viel Unheil
nach ſich gezogen, und hat ſich doch immer zu
ſchmuͤcken getrachtet.


§ 30.

Nun wird bey der neumaͤhriſchen Ge-
meine alles auf das Herz gefuͤhret, und zugleich
das noch ſo billige Mistrauen gegen das Herz
gedaͤmpfet, dahingegen auch im N. T. das
Herz fuͤr ſich kein gutes Lob hat. Matth. 15,
19. 18, 35. Luc. 21, 34. 24, 38. Joh. 16, 6.
Roͤm. 16, 18. Jac. 1, 26. 3, 14. 4, 8. Das
natuͤrliche Verderben des menſchlichen Her-
zens
iſt ihrem Meiſter nie recht offenbar wor-
den: und deswegen iſt ihm auch die gruͤndli-
che Herzens-Cur etwas fremdes. Jenes ſu-
chet er nur in denen Auſſenwerkern; und ſo
gar in der Rede uͤber die Worte, O ihr tho-
ren und traͤges Herzens,
Luc. 24, 25. gedenket
er oft der Traͤgheit ſchlechthin, und kan es
nicht uͤber ſein Herz bringen, daß er dem
HErrn JEſu zu folge ſagte, Traͤgheit des
Herzens.
Wann er von der Beſſerung re-
det, ſo gehet bey ihm ſolches Werk nur ums
Herz
[30]TheilI.Cap.I.Satz 7.
Herz herum, nicht in das Herz und durch das
Herz.


§ 31.

Bey dem Geſchmack von der Schrift, den
ich von Kind auf aus der Schrift erlanget ha-
be, befinde ich, daß die Wahrheit der Schrift,
und das neumaͤhriſche Es iſt mir ſo, mitein-
ander ſtreiten, wie Feuer und Waſſer: und
achte mich inſonderheit verpflichtet, meine
Sympathie mit der heiligen Schrift, und mei-
ne Antipathie gegen das taube Es iſt mir ſo,
auf das kraͤftigſte zu bezeugen.


§ 32.

Der Ordinarius hatte eine empfindliche
Ruͤhrung vom Leiden des HErrn JEſu Chri-
ſti, die ihm theils mit allen von der Gnade
ergriffenen Seelen gemein, theils auf eine be-
ſondere Weiſe eigen war. Zu dem heilſamen
Gebrauch dieſes theuren Puncten ſchlug ein
ſchaͤdlicher Misbrauch. Er nahm den Ein-
druck vom gecreuzigten Erloͤſer fuͤr die ganze
Herzens-Sache an, daraus ein jeder den
Glauben, die Liebe, die Hoffnung, allen Un-
terſcheid des guten und des boͤſen, die Eroͤrte-
rung aller auf dem Heils-Wege vorfallenden
Fragen zu holen haͤtte, ohne daß ihm ein wei-
terer Unterricht aus der Schrift noͤthig waͤre.
Dieſe compendioſe Methode war zu der hurti-
gen Seelen-Sammlung viel bequemer, als
das Forſchen der Schrift. Bey dem Blut-
Gefuͤhl
[31]Von der H. Schrift.
Gefuͤhl iſt eine einzele Seele, und vielmehr
die Gemeine, ſchon Bibelveſt, ja ſie iſt eine
lebendige Bibel, (Wundenlitaney-Reden p.
150, 151.) ein Canon und eine Richtſchnur
der Wahrheit: wie im Gegentheil die Schrif-
ten wider die Gemeine Contra-Bibeln heiſſen,
in der 4 von den 32 Gemeinreden. Zu die-
ſem Jammer iſt es nicht auf einmal, ſondern
ſtuffenweiſe, und auf die Letze ſchnell gekom-
men. Der neueCanon ward erſtlich noch un-
ter
die Schrift, hernach neben die Schrift,
ſo denn uͤber die Schrift hinauf, endlich aber
die Schrift gar herunter geſetzet. Dieſe vier
Stuffen wollen wir nacheinander beſehen.


§ 33.

Unter die Schrift gab ſich anfangs die
Gemeine, als ſie ſich nicht allein das neue,
ſondern auch das alte Teſtament ohne ſo groſſe
Wahl zu nutz machte.


§ 34.

Neben die Schrift ſatzte ſie ſich, als das
Es iſt mir ſo ergriffen und erhoͤhet ward.
Man erkannte, daß man nicht wider die
Schrift lehren duͤrfe: aber die Lehren, die aus
dem Herzens-Schatz einzeler Bruͤder, und vor-
nemlich der geſamten Creuzgemeine oder viel-
mehr ihres Meiſters entſpringen, ob ſie ſchon
weder in der Schrift ausgedruͤcket, noch durch
eine richtige Folge daraus hergeleitet ſind,
wurden dafuͤr angeſehen, daß ſie eben aus der
Quelle
[32]TheilI.Cap.I.Satz 7.
Quelle, woraus die Propheten geſchoͤpfet hat-
ten, herflieſſen, und wegen ihres edlern In-
halts noch koͤſtlicher ſeyen. Gegen dem Lei-
dens-Puncten ward alles andere, was in der
Bibel ſtehet, gering geſchaͤtzet: und nachdem
in den Schriften der Apoſtel mehr oder weni-
ger Meldung des Blutes Chriſti vorkam, ſo
wurde ein jeder von ihnen mehr oder weniger
geachtet.


§ 35.

Da wurde von dem menſchlichen Herzen
auf die Beurtheilung deſſen, was in der Schrift
bezeuget wird, der Schluß gemachet. So
und ſo iſts mit mir; darum war es ſo mit
Chriſto auf Erden: ſo und ſo rede und
ſchreibe ich; darum redeten und ſchrieben
die Apoſtel ſo.
Und weil bey dem Ordina-
rio
doch auch unlaͤugbare Fehler mit unter-
lauffen, ſo zog er jene heilige Maͤnner hernie-
der, und ſchrieb ihnen, auch in der Lehre, Feh-
ler zu. Wichtige Exempel ſolcher gefaͤhrlichen
Beſchuldigung finden ſich unten bey * 8. und
in dieſem I Theil, § 109, 110. Da konnte
er ihnen gleich zu ſtehen kommen, ja ſich uͤber
die apoſtoliſche Vortrefflichkeit hinaufſchwin-
gen. Bey dem allen haͤtte niemand vermu-
then ſollen, daß er die vorgegebene Fehler ſelbs
und deren unterbliebene Verbeſſerung fuͤr ein
Kennzeichen der Wahrheit der Schrift achten
wuͤrde. Diß thut inſonderheit die 15 Ho-
milie
uͤber die Wunden-Litaney.


§ 36.
[33]Von der H. Schrift.
§ 36.

Und ſo hat der Gemeingeiſt ſich uͤber die
Schrift hinaufgeſchwungen. Aus der Tra-
dition
erkennet er den Leidens-Puncten: der
Leidens-Punct ruͤſtet das Herz mit aller noͤ-
thigen Wahrheit aus: und ſo fern die Schrift
mit dem Herzen uͤbereinſtimmet, ſo fern laͤſſt
man ſie, ihrer Fehler ungeachtet, gelten und
freuet ſich daruͤber. Dieſe Analyſis ſteht in
den Wunden-Litaney-Reden ſ. 183. Daher
ward die gegenwaͤrtige Zeit wegen der haͤuffi-
gen Leidens-Sprache fuͤr einen uͤber die Apo-
ſtel hinaufſteigenden Periodum angegeben:
und damit ſtimmet das leidige Werk ſelbs uͤber-
ein. Denn ſo viel man aller Orten in Erfah-
rung bringen kan, werden die Reden und
Lieder bey der Gemeine und von ihren Pilgern
hundertmal ſtrenger geleſen und im Munde
gefuͤhret, als die Bibel, das Buͤdingiſche
N. T. ſelbs mit eingeſchloſſen. Die Verſel
ſind auch auf Reiſen und in Lebensgefahr uͤb-
licher, als die bibliſche Kernſpruͤche. Die
Bibel redet man den Leuten aus, in und auſ-
ſer der Gemeine. Wird der HERR, deſſen
Buch die heilige Schrift iſt, nicht dadurch zum
Eifer gereizet? Verderbet die Gemeine hiemit
nicht ſich ſelbs, daß ihre Unlauterkeit, welche
durch die Schrift zu heben waͤre, unheilbar
wird? Wann jemand irgendwo zwey Buͤcher
in die Hand bekom̃t, und in dem einen viel fleiſſi-
ger lieſet, als in dem andern, ſo ſieht man bald,
(Abriß der Bruderg.) Cwelches
[34]TheilI.Cap.I.Satz 7.
welches er hoͤher ſchaͤtze. Und da die Lieder
jezt, in dem noch zerſchiedenes davon im Stich
gelaſſen wird, einen ſolchen Vorzug haben:
wie viel hoͤher wird das allgemeine Geſang-
buch
ſteigen, welches die Bruͤder-Kirche
in allen Landen kuͤnftig gebrauchen wird,
und alsdenn ihren Mit-Chriſten als ein rea-
les, erbauliches und brauchbares Buch re-
commendiren kan,
wie die Nacherinnerung
zur IV Zugabe des XII Lieder-Anhangs mel-
det, mit dieſem Zuſatz: es iſt wirklich in der
Arbeit. Es kan ſeyn, daß es eine
authen-
tique Approbation
bekommt. Der kaͤrgliche
Gebrauch der Bibel ſoll aus einem Reſpect ge-
gen dieſelbe hergekommen ſeyn: aber der Re-
ſpect gegen die Lieder und Reden hindert ihren
weit haͤuffigern Gebrauch nicht.


§ 37.

Der Ordinarius iſt mit der heiligen Schrift
niemalen recht bekannt worden: als er ſo fort
hin und wieder in der Welt die Schriften und
Reden roher Leute und Spoͤtter oder Zweife-
ler geleſen oder gehoͤret, iſt theils bey ihm
manches hangen blieben, theils hat er ihnen
in der Abſicht ſie auf ſeine Seite in der Haupt-
ſache zu bringen, in dieſer vermeinten Neben-
ſache zu viel nachgegeben: und uͤber dem Fleiß,
mit dem compendioſen Leidens-Puncten aller
Orten durchzuſezen, hat die Bibel und das
Bibelleſen das Nachſehen gekriegt. Es iſt
wahr,
[35]Von der H. Schrift.
wahr, ein rechtſchaffener Lehrer, der fuͤr ſich
von der heiligen Schrift, wie billig, einen
geſunden Begriff hat, aber mit einem Un- oder
Irrglaubigen zu thun bekommt, ſoll nicht mit
der Theopneuſtie und dem goͤttlichen Einge-
ben, oder mit der unverfaͤlſchten Lauterkeit
des Texts, bis auf alle Buchſtaben hinaus,
den Anfang machen, oder machen laſſen; es
iſt auch ſolcher Misgriff nie keinem verſtaͤndi-
gen Lehrer in den Sinn gekommen: doch dar-
um muß man dieſe koſtbare Lehrſaͤtze denen
Feinden der Schrift nicht preis geben noch
verrathen. Wann man mit der ganzen Schrift
den Leidens-Puncten nicht verwahrete, ſo
wuͤrde es um dieſen auch bald geſchehen ſeyn.


§ 38.

Die offenbare und unverantwortliche Ver-
kleinerungen der heiligen Schrift, die ſich nach
und nach geaͤuſſert haben, und in die Wette
hoͤher getrieben worden, ſind von Hn. D. Ben-
ner
im II Theil der Herrnhuterey p. 72-108,
bald hernach von Hn. Freſenio im II Theil
der Nachrichten p. 19-152, und ferner von
Hn. Becherer in der Pruͤfung der Zinz. Lehr-
art von der H. Dreyeinigkeit, p. 1112-1126,
1148-1226. geſammlet und widerleget wor-
den.


§ 39.

Vieles, da es den neumaͤhriſchen Bruͤ-
dern ſo iſt, iſt nicht nur nicht ſchriftmaͤſſig,
C 2ſon-
[36]TheilI.Cap.I.Satz 7.
ſondern auch der Schrift zuwider, und hat
alſo die leere bloſſe Phantaſie und die Herzens-
Steiffe zur Richtſchnur. Es wird ihnen nicht
immer ſo ſeyn: es wird ihnen anders wer-
den.
Es geſchehe nur in Zeiten!


§ 40.

Hier entdecket ſich etwas weſentliches, wor-
auf jederman merken wolle. Der Ordinarius
pflegt unbeweglich auf ſeinen Concluſionen
zu beharren, die er, als (ϕεϱόμενος) getrie-
ben
, in den Sinn und in den Mund bekom-
men: und bey den Præmiſſis achtet er weder
die Staͤrke auf der Gegner, noch die Schwaͤ-
che auf ſeiner Seite. Wer dieſes bedenket,
der kan ſich erſt darein finden, warum doch
dieſer falſche Lehrer ſo gar keine gruͤndliche
Vorſtellung nichts bey ſich verfangen laͤſ-
ſet
, und warum er alle Arbeit ſeiner Gegner
fuͤr vergeblich haͤlt, und ihnen der Lehre hal-
ben ſelten und ſparſam antwortet. Es iſt da
kein Irrthum, dem durch einen guten Gegen-
beweis abzuhelffen waͤre, ſondern eine Seu-
che, die viel ſchwerer zu curiren iſt. Seinen
Grund entdecket der 13 Diſcours uͤber die
Augſp. Conf.
da unter dem ſcheinbaren Vor-
wand, von der Kraft der Grund-Wahrhei-
ten fuͤr ſich ſelbs, die Demonſtration, auch aus
der heiligen Schrift, ringſchaͤtzig gemacht, und
alſo nicht nur dem Entêtement, ſondern auch
dem Herzens-Duͤnkel aufgeholfen wird, die
Herzens-
[37]Von der H. Schrift.
Herzens-Augen aber verdrehet werden. Was
noch aͤrger, die Demonſtration in der Schrift
wird verringert. Darum haben die alten
Apoſtel
, heiſſet es im Diſcours, und der
Heiland ſelbſt unter zehen Argumenten
nicht zwey gebraucht, die nach den aller-
bekannteſten Regeln der
Logic ſoutenablege-
weſen waͤren, ſondern allen falls nur
rhe-
tori
ſch, oderad hominem demonſtrirt; und
ſo bald ſie ſich ins Beweiſen eingelaſſen,
ſo haben ſie ein fremd Werk gethan, aus

Condeſcendenz. p. 176. Dieſes Vorgeben,
wann es aufkaͤme, muͤſſte hoͤchſtſchaͤdliche und
peſtilentialiſche Folgen haben. Grund-Wahr-
heiten beduͤrfen gar keiner Demonſtration,
und mit allen Worten der Apoſtel und des
Heilandes ſelbs hat es bey den Glaubigen eben
dieſe Bewandtniß: aber alle Demonſtration
in der Schrift, zum Exempel, gegen die Wi-
derwaͤrtigen, iſt buͤndig; und aus der Schrift
ſoll ſie nicht pro forma, ſondern buͤndig ſeyn,
obſchon eines Lehrers halben etwas menſchli-
ches und ſchwaches mit unterlauffen kan. Un-
ter dem allen behaͤlt die Beweiſung des Gei-
ſtes und der Kraft ihren freyen Gang. Wann
man aber ſolche Lehren, die erſt einer Demon-
ſtration aus der Schrift beduͤrfen, ohne De-
monſtration als inſpirirt annimmt und aus-
gibt, ſo iſts ein Fanaticiſmus. Dem Gemein-
ſtifter iſt die Dauer ſeiner Gemeine gewiſſer,
als der heiligen Schrift. Denn im III Th.
der Buͤd. Samml. p. 191 ſagt er: Der Grund
C 3iſt
[38]TheilI.Cap.I.Satz 7.
iſt gelegt zu demſelben Plan, den der Hei-
land in dieſen lezten Zeiten hat bis zu ſeiner
Zukunft, und der nun nicht mehr geaͤn-
dert
werden wird, bis Er kommt.
Hin-
gegen in den Reden A. 1747. II Th. p. 241:
Wir leben in einer ordentlichen Zeit, da es
nach der Bibel, und ihrer ſeit ſiebzehen-
hundert Jahren gemachten
Etiquettegeht,
daran noch nichts zu aͤndern iſt.
Ich
ſchreibe ihm nichts zu, das er nicht ſelber
ſchreibt: dieſes werden alle billiggeſinnte Men-
ſchen erkennen. Die Geringſchaͤtzung der hei-
ligen Schrift iſt unfehlbarlich der neumaͤhri-
ſchen Gemeine Verderben.


Der 8 Satz.
Die Lehre von der GOttheit, und
von der Ehe, iſt bey der ſo genann-
ten Bruͤdergemeine verderbt.

§ 41.

Niemand wolle ſichs befremden laſſen, daß
ich dieſe zween Articul aus den uͤbrigen
heraus nehme und zuſammen ſetze. Von dem
Ordinario werdẽ ſie nunmehr auf eine nie erhoͤr-
te Weiſe ineinander geknetet und gebacken. Da
ſolle der Vater, und ſeine Gemahlin, nemlich
der Geiſt, und der Sohn, als der Mann der
Gemeine, in einer heiligen menſchlichen Ehe
durch den Mann und das Weib und das Kind
abge-
[39]Von der Gottheit u. ſ. w.
abgebildet ſeyn, und von ſolcher menſchlichen
Ehe wird ein Schluß zuruͤcke auf eine Ehe in der
Gottheit gemacht: die geiſtliche Vereinigung
aber, und die leibliche Ehe, werden, als ein
Sacrament, vermittelſt des Blutes Chriſti
und des heiligen Abendmals, zuſammen geſchla-
gen. Dieſes muͤſſen wir deutlicher auseinander
leſen, daß auch die ſchwaͤchſte Gemuͤther ſich da-
rein finden koͤnnen. Denn ſolche muͤſſen vor-
nemlich vor der Gefahr gewarnet werden.


Der 9 Satz.
Die heilige Schrift gibt uns von
dem Vater und dem Sohn und dem
heiligen Geiſt eine ſattſame Unter-
weiſung.

§ 42.

Der HErr JEſus hat befohlen zu tauffen auf
den Namen des Vaters und des Soh-
nes und des heiligen Geiſtes:
und von dem
Vater und dem Sohn und dem heiligen
Geiſte
handeln die alten Bekentniſſe des Glau-
bens, als Paraphraſes und Auslegungen ſolcher
Tauff-Formul. Der Vater iſt einer, der Sohn
iſt einer, der heilige Geiſt iſt einer: und dieſe drey
ſind eins. Mit dieſem Namen des Vaters und
des Sohnes und des heiligen Geiſtes kommt
uͤberein (1) das unbegreiffliche Verhalten des
Vaters und des Sohnes und des heiligen Gei-
ſtes gegeneinander ſelbs: (2) die Ordnung der
C 4Werke
[40]TheilI.Cap.I.Satz 9.
Werke an allen Creaturen: (3) das Verhal-
ten gegeneinander in der Oeconomie des Heils
bey dem menſchlichen Geſchlechte; da den Va-
ter der Sohn, und den Sohn der heilige Geiſt
verklaͤret: (4) die Ordnung der Offenbarung
gegen uns, und die mit ſolcher Offenbarung
uͤbereinſtimmende Erkenntniß und Verehrung
auf unſerer Seiten.


§ 43.


Des GOttes, der ſich im alten Teſtament
offenbarete und Jehovah nennte, ſein Sohn,
iſt unſer HErr JEſus Chriſtus: und ſein Geiſt
iſt der heilige Geiſt. Welche nun den GOtt,
der ſich im alten Teſtament offenbarete, gebuͤh-
render maaſſen eben ſo, wie Er ſich offenbarete,
annahmen, die hatten wahrhaftig Ihn ſelbs
und den Sohn und den heiligen Geiſt, wiewohl
die Erkenntniß bey ihnen noch nicht ſo ausge-
wickelt war, und GOtt noch nicht ſo ausdruͤck-
lich als ein Vater erkannt wurde. Nach dem
aber GOttes Sohn im Fleiſch gekommen, hat
er die jenige, die an ihn als an den Sohn GOt-
tes glaubten, zu Kindern GOttes gemacht,
und ſie angewieſen, GOtt als einen Vater an-
zuſprechen, welches vor ſolcher groſſen Erſchei-
nung bey den Menſchenkindern nicht uͤblich noch
thunlich geweſen. Wiewohl nun die Glau-
bigen des N. T. GOtt als einen Vater vor den
Glaubigen des A. T. anſehen, ſo iſt Er doch
beedes dieſer und jener ihr GOtt. Der GOtt,
der Himmel und Erden erſchaffen hat, der
GOtt
[41]Von der H. Dreyeinigkeit.
GOtt Abrahams, Iſaacs, Jacobs, Davids,
Daniels u. ſ. w. iſt der GOtt und Vater unſers
HErrn JEſu Chriſti, und ſein Geiſt iſt auch
ſeines Sohnes Geiſt. Dem Ordinario trauen
ſeine Anhaͤnger eine ganz beſondere geheime
Bekantſchaft mit der GOttheit zu. Das laßt
uns pruͤfen.


Der 10 Satz.
Die Lehre bey der ſo genannten
Bruͤdergemeine ſchleußt den Vater
ungebuͤhrlicher Weiſe aus von dem
ganzen Zeugniß des A. T. wann es
von GOtt, von
Jehovah, von dem
Schoͤpfer u. ſ. w. handelt: und im
N. T. will ſie Ihn auch in eine unzu-
gaͤngliche Verborgenheit einge-
ſchloſſen haben, als ob man nur de-
nen, die ſchon im Glauben ſtehen,
etwas von Ihm ſagen duͤrfte.


§ 44.

Im Bekenntniß des apoſtoliſchen Glaubens
war der erſte Articul unter allen der ei-
nige, deſſen Innhalt von langen Zeiten her
ohne Widerſpruch geblieben: jetzt aber wird er
erſt wieder angefochten. Der Vater ſoll weder
Schoͤpfer Himmels und der Erden noch dire-
cte
unſer Vater ſeyn, u. ſ. w. Im II Theil
der Penn ſylvaniſchen Reden ſ. 181 ſagt der
C 5Ordi-
[42]TheilI.Cap.I.Satz 10.
Ordinarius, uͤber den Text Jeſ. 45, 11: ”Alle
”wahre Kinder GOttes, alle diejenige,
”die ſich troͤſten koͤnnen, daß der Vater
”JEſu Chriſti ihr lieber himmliſcher Va-
”ter iſt, muͤſſen alle auch den zum Va-
”ter anruffen, der ohne Anſehen der Per-
”ſon richtet. 1. Petr. 1, 17. Nun richtet
”der Vater niemand, ſondern alles Ge-
”richte hat Er dem Sohn uͤbergeben. Es
”iſt in der That ſo, daß der HErr JEſus
”der eigentliche Vater iſt, nach etlichen
”Bibliſchen Ausdruͤcken, und daß, wenn
”es genau genommen wird, das Vater
”Unſer vor den HErrn JEſum gehoͤret.
”Er iſt unſer Vater.
” Und ſ. 219. ſtellt
er dieſes Geſpraͤch an: ”Wen ſoll ich vor
”GOtt halten? Den Schoͤpfer aller Din-
”ge! Wer iſt das? GOtt der Vater. Was
”iſt das fuͤr eine wunderliche Rede,
”GOTT der Vater. Wer iſt denn GOtt
”der Vater? das iſt der, der einen Sohn
”hat. Was denn vor einen Sohn? JE-
”ſum Chriſtum. So? woher weiſt du,
”daß das GOttes Sohn iſt? Aus der
”Bibel. Steht denn das in der Bibel,
”daß der Vater JEſu Chriſti der Schoͤ-
”pfer aller Dinge iſt? Das ſteht nicht in
”der Bibel.
” Welch eine neue Catechiſa-
tion? Die Gemeinrede vom Vater-Amte des
Sohnes
(unter den 32. die ſechſte) gehet ſo
weit, daß es heiſſet, ”GOtt der Vater un-
”ſers HErrn JEſu Chriſti iſt nicht unſer

dire-
[43]Von dem Vater.
directer Vater. Das iſt eine falſche
Lehre, und eine von den Hauptirrthuͤ-”
mern,
die in der Chriſtenheit ſind u. ſ.”
w. Unſer directer Vater iſt der Heiland.
Der hat uns gemacht.
Hiemit ſtimmet uͤber-
ein, was der Ordinarius mir (unten * 13.)
geantwortet hat.


§ 45.

Das ganze alte Teſtament, und die Sum-
ma deſſelben, im erſten Vers der Epiſtel an
die Hebraͤer, wie auch Roͤm. 1, 2. Matth.
21, 33. 37. Luc. 1, 55. 70. Joh. 8, 54. han-
delt von dem jenigen GOtt, deſſen Sohn iſt
unſer HErr JEſus Chriſtus. Ueberdas hat
der HErr JEſus Chriſtus die Erkenntniß
GOttes des Vaters aus dem Geſetz und den
Propheten gleich anfangs auch bey dem Volk
vorausgeſetzt in ſeiner ganzen Lehre. Joh. III.
V.
Matth. V. VI. VII. ꝛc. Ja der Anfang
der evangeliſchen Hiſtorie, zum exempel, bey
Luca, iſt voll vom Lobe Gottes des HERRN,
der ſeinen Sohn in die Welt geſandt hat:
und JEſus, da er zwoͤlf Jahr alt war, hat
ſich in der erſten aus ſeinem Munde geſchrie-
ben ſtehenden Rede auf ſeinen Vater bezogen:
auch geſchah bey der Tauffe JEſu die Stimme
vom Himmel, Diß iſt mein geliebter Sohn
u. ſ. w. und bald hernach wies der HErr JE-
ſus ſo gar die Samariterin an den Vater.
Joh. 4, 21.


§ 46.
[44]TheilI.Cap.I.Satz 10.
§ 46.

Wahr iſt es, er hat ſeine Juͤnger, nach-
dem ſie Ihn als GOttes Sohn erkannt, dazu
angeleitet, daß ſie ſich nun auch an GOtt,
mit einem ausdruͤcklichen Glauben, als an ſei-
nen und ihren Vater, ſonderlich im Gebet,
halten ſolten: damit aber ward ihr bisheriger
iſraelitiſcher Glaube an eben dieſen GOtt,
den HERRN, nicht geaͤndert noch aufge-
haben, ſondern erhoͤhet. Glaubet an GOtt,
und an mich glaubet
, ſprach Er, Joh. 14,
1. Nicht allein machet der Sohn den Va-
ter bekannt, Joh. 1, 18. ſondern auch der Va-
ter den Sohn. Joh. 6, 45. Matth. 11, 25.
16, 17.


§ 47.

Durchgehends geſchicht im Neuen Teſta-
ment eine zerſchiedene Meldung GOttes und
ſeines Sohnes JEſu Chriſti, Joh. 3, 16. 18.
Cap. 13, 1. 3. Ap. Geſch. 2, 22. Roͤm. 1, 1. 3. 7.
Hebr. 1, 1. 2. 1 Joh. 1, 5. 7. Off. 2, 26. 12, 10.
u. ſ. w. und ſo auch GOttes und ſeines Geiſtes.
1 Cor. 2, 10. 3, 16. 1 Joh. 3, 21. 24. An al-
len Stellen nun, wo des Sohnes GOttes,
und des Geiſtes GOttes gedacht wird, da iſt
durch den Namen, GOtt, der Vater perſoͤn-
lich angedeutet: und da eben daraus gaͤnzlich er-
hellet, wer durch den Namen, GOtt, ange-
deutet werde, ſo ſind auch die uͤbrigen Stellen
von GOtt in dieſem Verſtande anzunehmen,
wiewohl der Sohn und der Geiſt, eben darum,
weil
[45]Von dem Vater.
weil der Sohn, GOttes Sohn, und der Geiſt,
GOttes Geiſt iſt, und dieſe drey Eins ſind,
nicht ausgeſchloſſen werden. Wie bringt aber
dieſe neue Lehre den groſſen Tranſport zu wegen,
daß die Spruͤche, die von GOtt dem Vater,
in einem deutlichen Unterſcheid von ſeinem
Sohn JEſu Chriſto, reden, auf den Sohn
hinuͤber gebracht werden? Sie deutet erſtlich
den Namen GOttes, unter dem Vorwand,
daß die Drey Eines ſind, collective auf die H.
Dreyeinigkeit, und hernach ſetzet ſie den Vater
und den Geiſt zuruͤcke, und eignet eben dieſen
Namen GOttes dem Sohne beſonder zu.


§ 48.

Ferner, wie im N. T. durch den Namen,
GOtt, derjenige, deſſen Sohn der Sohn iſt,
und deſſen Geiſt der Geiſt iſt, verſtanden wird,
nemlich der Vater: alſo iſt der Vater auch der
GOtt, von dem das A. T. redet. Denn das
A. T. und das N. T. beziehen ſich gaͤnzlich auf-
einander. Dieſes vorausgeſezt, wird biswei-
len durch den Namen, GOtt, der Sohn GOt-
tes verſtanden, inſonderheit in den Pſalmen.


§ 49.

Nach des Ordinarii Lehre muͤſſte die Sum-
ma des Glaubens im N. T. nicht dieſe ſeyn,
daß JEſus ſey der Sohn GOttes, ſondern
es muͤſſte heiſſen, daß nun der Vater GOttes
bekant worden ſey
, welche leztere Rede mit
ihrem Klang ſelbs von aller Schrift abgehet.


§ 50.
[46]TheilI.Cap.I.Satz 10.
§ 50.

Er ſuchet zwar eine Ausflucht, und unter
denen Zeyſter Reden iſt die fuͤnfte vom 17 Apr.
1746. kurz, aber graͤulich, da er ſagt: ”Das
”groſſe Geheimniß (von GOtt dem Vater,)
”das der Heiland ſeinen Juͤngern ins Ohr ge-
”ſagt hat, das die Apoſtel in ihren Epiſteln,
”als eine ins Ohr geſagte Wahrheit, den Ge-
”meinen wieder anvertraut haben; und ent-
”weder auch, aus alter nationals-Einfalt,
”(denn zu der Zeit redete man ſecurius, und
”wer heut zu tage mit Koͤnigen, und Rich-
”tern, und Hohenprieſtern reden wolte wie
”damals, dem vertraute man gewiß kein Ge-
”mein-ſyndicat an;) oder auch, aus bloſſer
”menſchlicher Art (denn weß das Herz voll
”iſt, deß geht der Mund uͤber) bald ein wenig
”zu viel davon geredt haben: das hat man
”zur allgemeinen Theologie, zum Futter fuͤrs
”Vieh, wies der Hirte austreibt, gemacht;
”und hat entweder vergeſſen, oder nicht atten-
”di
rt, daß die Oeconomie, darinn wir leben,
”die Oeconomie des gegenwaͤrtigen Zeit-
”lauffs, die izige Creuz- und Schul-Oeco-
nomie, darinnen die Menſchheit erſt noch zur
”Huldigung ihres Heilandes muß gebracht
”werden, da das Evangelium noch muß ge-
”prediget werden unter allen Himmeln, und
”alle Voͤlcker zum Gehorſam des Glaubens
”an JEſum gebracht werden, die Lehre von
”GOtt dem Vater, welche vor der Zukunft
”des Heilandes ganz unbekannt war, zwar
admit-
[47]Von dem Vater.
admittiret, aber als ein Geheimniß ins Ohr
und fuͤrs Herz. Da tragen es die Knechte”
und Maͤgde des Lamms, bis ſie mit Chriſto”
offenbar, der Name des Vaters auf ihren”
Stirnen erſchienen, und damit zugleich zur”
Daͤcher-Predig wird geworden ſeyn. Wenn”
man nun des Teuffels erſtaunliche Dienſt-”
fertigkeit bey der Lehre von einem einigen”
GOtt, in der Perſon des Vaters JEſu”
Chriſti erweget, und daß die trokkenſten Holz-”
Boͤkke, die unbeſchnittenen an Herz und”
Nieren, die groͤſte Maͤrtrer davon ſind; und”
nimt dazu des Heilands erſtaunliche Scrupu-
loſitæt dieſe Materie jemand zu offenbaren,”
als wer ihm irrevocabel gegeben iſt: ſo ſie-”
het man wol, daß es vom Satan darauf ab-”
geſehen geweſen iſt, daß die Lehre vom Hei-”
land, dem Schoͤpfer aller Dinge, als dem ei-”
nigen GOtt, von dem Johañes 1 Epiſt. 5, 20.”
ſagt: Dieſer iſt der wahrhaftige GOtt,”
und das ewige Leben, und alles das an-”
dere ſind der Menſchen Abgoͤtter, und”
wer den JEſum nicht hat, der iſt ein”
Atheiſt;
hat ſollen daruͤber verwahrloſet,”
und Chriſtus verlohren werden u. ſ. w.” Dieſe
Ausflucht wird zu nichte, wann man auf die
Schrift-Stellen zuruͤckeſiehet, die wir § 45. u.
f. angezogen haben. Denn der Anfang der
evangeliſchen Hiſtorie handelt reichlich von
GOtt dem Vater, und ſo auch die Reden,
die JEſus an ſeine Juͤnger, an das Volck, und
ſo gar, in ſeinen Banden, an ſeine Feinde ge-
than
[48]TheilI.Cap.I.Satz 10.
than hat. Als Er die Juͤnger gefragt, wer
ſagt Ihr daß ich ſey? und ſie Ihn als Chriſtum
den Sohn des lebendigen GOttes bekannt,
ſo verbot er ihnen, ſolches von Ihm auszuſa-
gen, bis zu ſeiner bald hernach (etwa in ſieben
Wochen) erfolgten Auferſtehung von den Tod-
ten: aber daß Er ihnen verboten habe, in-
deſſen von dem lebendigen GOtt (deſſen Sohn
er war,) zu reden, iſt wider alle Wahrheit.
Niemand kommt zum Vater, denn durch
mich
, ſprach Er zu ſeinen Juͤngern: aber da-
bey zeigte Er auch, wer Ihn kenne und ſehe,
der kenne und ſehe eben ſo bald den Vater.
Die Juͤnger hatten GOtt vorlaͤngſt erkannt:
ſie hatten nun auch JEſum als ſeinen Sohn
erkannt: und beederley Erkentnniß brachte JE-
ſus in eines zuſammen, welche der Ordinarius
erſt wieder trennet, da er die Erkenntniß des
Sohnes um alle bis dahin verfloſſene Welt-
Zeiten aͤlter machet, als die Erkenntniß des
Vaters. Nach der Erhoͤhung JEſu Chriſti
haben die Apoſtel, laut ihrer Geſchichten, das
Zeugnis von ſeinem Vater, wie von Ihm
ſelbs, nicht nur den Glaubigen in das Ohr,
ſondern frey offentlich, und das aus keiner na-
tional-
Einfalt oder bloſſer menſchlicher Art,
wie die deſperate Zeyſter Rede vorwendet, ſon-
dern in der Kraft des heiligen Geiſtes gefuͤhret:
und mit ihren muͤndlichen Predigen ſtimmen
ihre Epiſteln uͤberein. Solte man, der Zey-
ſter Rede nach, keinem Apoſtel heut zu tage ein
Gemein-ſyndicat anvertrauen, weil ſie nem-
lich
[49]Von dem Vater.
lich vor Koͤnigen und Fuͤrſten (vergl. Matth.
10, 18. 19. 20.) nicht ſo zu reden und zu ſchwei-
gen wuͤſſten, wie der Ordinarius fratrum, ob-
ſchon ihres Vaters Geiſt durch ſie, auch vom
Vater, redete? Wer ſeinen Augen ſolche Ge-
walt anleget, daß ſie bey allen vorangezoge-
nen Schrift-Stellen GOtt den Vater, oder
die rechte Weiſe von Ihme zu reden uͤberſehen,
der muß verblinden: und wer aus eigenem
Herzens-Duͤnkel den himmliſchen Vater ſo
zuruͤcke ſetzen kan, der hat Ihn in ſeiner Herr-
lichkeit und Leutſeeligkeit von Kind auf ſchwer-
lich kennen gelernet und lieb gewonnen. ”Die
Leute
(heißt es ferner in der Zeyſter Rede)”
die der Satan nicht zu puren Atheiſten”
hat machen koͤnnen, zu ſo Narren, die”
ſich dahin determiniren, es iſt kein GOtt;”
die hat er zu einer andern Art Narren,”
zu ſuperklugen Narren gemacht, die ſa-”
gen
à l’ avanture,der Vater JEſu Chri-”
ſti waͤre ihr GOtt. Das iſt aber die”
groͤſte Ketzerey.
” u. ſ. w. Vom Ketzer-
machen bin ich ſonſten weit genug entfernet:
wann man aber hier ſoll von Ketzerey ſpre-
chen, ſo iſt entweder nie kein Ketzer geweſen,
oder der Ordinarius hat uͤber ſich ſelbs ein Ur-
theil gefaͤllet. Eben daſelbs und anderer Or-
ten, z. Ex. im 2 Diſcours uͤber die A. C. ſ. 19
berufft er ſich auf die Spruͤche, da es heiſſet,
Die Welt kenne den Vater und den Geiſt
der Wahrheit nicht
; und bedenket nicht, daß
es von der Welt eben ſo wol heiſſet, Sie ken-
(Abriß der Bruͤderg.) Dne
[50]TheilI.Cap.I.Satz 10.
ne Chriſtum nicht. Joh. 8, 19. 14, 17. 17,
25. Einerley Leute ſind zu gleicher Zeit entwe-
der zur Erkenntniß Chriſti ſo wohl, als des
Vaters und des heiligen Geiſtes, untuͤchtig,
oder der Erkenntniß des Vaters und des heili-
gen Geiſtes ſo wohl, als Chriſti, faͤhig.


§ 51.

Im Hebraͤiſchen iſt der hohe Name Jeho-
vah
ein nomen proprium, wofuͤr in man-
chen Ueberſetzungen ſtehet κύϱιος, Dominus,
HERR: aber eben dieſe leztere Worte kom-
men auch mit den hebraͤiſchen appellativis
uͤberein. Dieſen Unterſcheid ſolte der Ordi-
narius
bedenken, und, wann im N. T. Chri-
ſtus JEſus manchmal der HErr oder unſer
HErr genannt wird, nicht darum diejenige
Stellen, da der Name HERR an ſtatt des
nominis proprii Jehovah ſtehet, allemal auf
den HErrn JEſum Chriſtum deuten, noch
einwenden, Chriſtus, als Jehovah, als
GOtt, habe ſich ſelbs, als Menſchen, zum
Knecht u. ſ. w. Iſt es denn ein anderer,
deſſen Sohn, und ein anderer, deſſen Knecht
Chriſtus heiſſet? Wer ſich mit ſolchen Ein-
wendungen behelfen muß, gibts verlohren.
Diß iſt das andere Extremum gegen die jeni-
ge, die den Namen Jehovah dem Sohne
GOttes gar abſprechen. Von dem Sohn
iſt die Rede, zum Exempel, Pſ. XLVII. 6.
von dem Vater, Pſ. II. 2. 7. VIII. 2. XVI.
8. XL. 6. CX.
1. 4. Jeſ. VIII. 18. XI. 2.
LIII. 10. LXI.
1. u. ſ. w.


§ 52.
[51]Von dem Vater.
§ 52.

Erſt neulich ward in den naturellen Re-
flexionen
ſ. 287 der Status controverſiæ oder
die Hauptfrage, von der Schoͤpfung, ſo ab-
gefaſſet, Ob der HErr JEſus die Welt
geſchaffen habe
? Eigentlicher wuͤrde es heiſ-
ſen, Ob der Sohn GOttes die Welt ge-
ſchaffen habe
? Denn am achten Tage nach
ſeiner Geburt aus Maria ward ſein Name
genennet JEſus. Nun wird keine Seele in
der evangeliſchen Kirche lauͤgnen, daß alle
Dinge durch das Wort
, das iſt, durch den
Sohn GOttes, geſchaffen ſeyen: und wann
in den Spruͤchen, auf welche ſich der Ordina-
rius
ſo oft beziehet, Jeſ. 45, 11. 54, 5. der
Sohn GOttes redet, ſo iſt uns ſolches nicht
entgegen. Aber eine unlauͤgbare Impoſtura
und Verleumdung iſt es, wann man unter
lauter evangeliſchen Leuten die Frage alſo her-
um drehet, als ob die jenige, die das Werk
der Schoͤpfung nicht dem Sohn alleine zu-
ſchreiben, ganze oder halbe Arianer waͤren,
und eine alcoranmaͤſſige Lehre fuͤhreten. Diß,
diß iſt hingegen die Frage, Ob der Vater, ſo
eigentlich, als der Sohn, die Welt geſchaf-
fen habe
? und dieſe Frage ſoll man ſich
durch keine
grillenfaͤngeriſche Conſequenz-
Macherey
(ſind Worte, deren ich mich nicht
bedienen ſolte, wann ſie nicht in den Refl. ſ.
288 vorkaͤmen,) aus den Augen ruͤcken
laſſen.
Das ſtuͤnde keinem Catechiſmus-
D 2Schuͤ-
[52]TheilI.Cap.I.Satz 10.
Schuͤler, geſchweige ſolchen Maͤnnern an,
die fuͤr die Kirche wachen. Die alſo zu recht
geſtellte Frage wird von dem Ordinario und
von ſeinen blinden Anhaͤngern oder feigen
Sclaven gelauͤgnet: ſonſt aber von allen wahr-
haftigen Stimmen im Himmel und auf Erden
bejahet und bekraͤftiget. In der ganzen heiligen
Schrift wird nichts mit einer groͤſſern Deutlich-
keit bezeuget, als daß der GOtt, deſſen Sohn
unſer HErr JEſus Chriſtus iſt, alle Din-
ge erſchaffen habe: Apg. 4, 24-27. (vergl.
Pſ. 2, 7.) cap. 17, 24. (vergl. v. 31.) Matth.
11, 25. Eph. 3, 9. Off. 3, 14. c. 4, 11. c. 10,
6. c. 14, 7. und diß iſt keine bloſe Quæſtio fa-
cti
, oder hiſtoriſche Frage, ſondern ein theu-
rer Glaubens-Articul. Gibt es Leute, wel-
che die Herrlichkeit JEſu Chriſti anfechten,
ſo muß man doch bey der Rettung der Wahr-
heit auf dieſer Seiten, die Herrlichkeit des
Vaters eben ſo wol unbeleidiget laſſen, und
die ſchuldige Danckſagung fuͤr die Schoͤpfung
nicht unterſchlagen. In den Reflexionen heiſ-
ſet es ſ. 289, Ehre genug ſey es vor den Va-
ter
, Dei Creatoris τῶν πάντων (des GOt-
tes, der alle Dinge erſchaffen hat) ſein eige-
ner und einiger Vater zu ſeyn.
Und ſo auch
im Aufſatz wegen der Annahme der A. C. ſ. 9.
Antwort: Mit ſolchen leeren Worten muß
man dem Vater die Ehre, ſelbs auch Schoͤ-
pfer zu ſeyn, nicht rauben. Wie wolte der
Ordinarius antworten, wann jemand den
Sohn vom Werke der Schoͤpfung ausſchloͤſſe,
unter
[53]Von dem Vater.
unter dem Vorwand, es ſey Ehre genug vor
Ihn, daß Er des groſſen Schoͤpfers eigener
und einiger Sohn ſey? Wie er antworten
koͤnnte, ſo ſoll ihm hiemit geantwortet ſeyn.


§ 53.

Daß der Heiland, und nicht ſein Vater,
directe unſer Vater ſey, iſt ein offenbarer
Widerſpruch gegen ſo viele Zeugniſſe der
Schrift, da wir, die Glaubigen, GOttes
Kinder, GOttes Soͤhne
, und Chriſti Bruͤ-
der und Miterben
genennet werden. Kein
Vater ſagt zu ſeinen Kindern, Meine Bruͤ-
der
: Chriſtus aber redet oft von ſeinen Bruͤ-
dern
, und das viel eigentlicher, als wann er
ſie bisweilen Kinder nennet. Man erwege
Ebr. 2, 10-17. wo beederley Namen durch-
einander vorkommen. Das muß ja eine aus-
ſchweifende Lehre ſeyn, die den Ordinarium
noͤthiget, zu ſagen, was niemand ſagt, und
zu lauͤgnen, was niemand lauͤgnet.


Der 11 Satz.
Auch von dem Sohn iſt bey der
ſo genannten Bruͤdergemeine die
Lehre nicht lauter.


§ 54.

Anfaͤnglich ſcheinet es, der Ordinarius trei-
be die Ehre des Heilandes aufs hoͤchſte,
wie er ſich denn auch ruͤhmet, daß die Feinde
D 3der
[54]TheilI.Cap.I.Satz 11.
der Gottheit Chriſti ihn am weiteſten von ih-
nen entfernet achten: aber es iſt doch mancher
Abfall dabey. Denn 1) thut er dem Sohn
damit keine Ehre an, daß, da der Sohn ihm
ſelbs nichts auſſer dem Vater zuſchreibet, dieſer
neue Lehrer hingegen den Sohn alſo, wenig-
ſtens in Ruͤckſicht auf das A. T. und in Ab-
ſicht auf die ganze Welt, die Glaubigen des
N. T. ausgenommen, vorſtellet, als ob er
keinen Vater haͤtte, und ganz fuͤr ſich waͤre,
wer er iſt. 2) Den Vater ſetzt er in eine ſol-
che Verborgenheit zuruͤcke, daß man nicht
weiß, was fuͤr einen Unterſcheid er zwiſchen
Ihm, als dem Ur-GOtte, und dem Sohn
mache. 3) Den hohen Namen, da der
Sohn genannt wird ὁ λόϒος, das Wort,
abſolute, und ὁ λόϒος τοῦ Θεοῦ, das Wort
GOttes
, und da ſolche Benennung ihren
tiefen Grund hat in der innigen Verhaͤltnis
GOttes und ſeines Sohnes gegeneinander,
deuter er in einem viel ſeichtern Sinne dahin,
daß der Sohn ſey Ratio \& cauſa der Ur-
ſprung aller Geſchoͤpfe. 4) Die Gottheit
Chriſti beſchreibt er, als eine Amts-Gottheit,
wobey man nicht wiſſen kan, wie weit er den
Sohn, bey alle ſeinem Ruͤhmen von deſſelben
Ehrenrettung, herunter ſetze. 5) Die Ex-
inanition
und Aeſſerung ſein ſelbs, Phil. 2, 7.
deutet er ſo, als ob JEſus Chriſtus in ſol-
chem Stande ſich von ſeiner Goͤttlichkeit aus-
geleeret
, und alles, was er in ſeinem Wan-
del, in ſeinen Wundern, in ſeinem Sieg ge-
than,
[55]Von dem Sohn.
than, nicht als GOtt und Menſch, ſondern
als ein natuͤrlicher Menſch gethan haͤtte. In-
dem nun dieſer neue Vnitarius, (welcher das,
was dem Vater und dem Sohn und dem hei-
ligen Geiſte, jedem in ſeiner Ordnung, zu-
kommt, dem Sohn alleine zueignet, nemlich
die Schoͤpfung und die Erloͤſung und die Hei-
ligung,) ſich von den andern Vnitariis recht
weit entfernet, ſo kommt er ihnen auf der an-
dern Seite deſto naͤher, wie einer, der gegen
Morgen reiſet, ſo weit er kan, endlich im
Abendlande hervorkommt. Er hat alles
recht gemacht
, heiſſet es im Evangelio: die
19 Rede in Zeyſt thut hinzu, Er hat nur,
wie es ſcheinet, manchmal die Zeit nicht
gar zu puͤnctlich beobachtet. Er hat man-
che Sachen vorher gethan, die ſich, der
Zeit nach, erſt haͤtten nach ſeiner Aufer-
ſtehung, nach ſeiner Himmelfahrt geſchickt.
Dahin gehoͤrt zum exempel das Austreiben
der Teufel durch ſeine Juͤnger.
Von des
HErrn JESU heiterem koͤſtlichen Gebet,
welches Joh. 17. aufgezeichnet iſt, hat er ſehr
widrige Gedanken geaͤuſſert, als ob es aus ei-
nem confuſen Gemuͤthe gefloſſen waͤre. Der
Ordinarius kan bey ſeinen Meinungen keine
Urſache, warum die Leute, die um JEſum
waren, Ihn fuͤr den Sohn GOttes erkannt,
guͤltig ſeyn laſſen: und wann jemand einen Be-
weis forderte, daß derſelbe dem HErrn JEſu
in dem Stande ſeiner Niedrigkeit die wahre
Gottheit zuſchriebe, ſo wuͤſſte ich meines Theils
D 4ihm
[56]TheilI.Cap.I.Satz 11.
ihm nicht zu dienen; indem die Pennſylvani-
ſche Reden, I Th. ſ. 47, (wann man auch
ſchon die conditionelle Correctur im Creuz-
reich ſ. 22. categorice annimmt, und derſel-
ben zufolge in den Worten, daß Chriſtus waͤh-
renden ſeines Wandels auf Erden nichts an-
ders geweſen, als ein natuͤrlicher Menſch
,
fuͤr das glatte nichts, ein gezwungenes nicht
lieſet,) und II Th. ſ. 75, 76, 170. auf Schrau-
ben ſtehen. Im I Theil ſ. 203 heiſſet es von
JEſu: ”Er iſt, ſo lange er in der Zeit ge-
”weſen, ein rechter Menſch geweſen.
”Das ſind alles unverſtaͤndige Menſchen,
”die ſeine Menſchheit wollen vergoͤttern,
”und die ſeine Menſchheit ſo beſchreiben,
”als wenn er halb GOtt und halb Menſch
”geweſen waͤre. Unvermiſcht ſagen
”unſre
Theologi.Das ſind alles Menſchen
”von verruͤckten Sinnen, die, weil ſie
”ſeine Gottheit nicht glauben, ihn zu ei-
”nem deſto groͤſſern Menſchen machen
”wollen.
” Hie wird nicht nur den Euty-
chianern, Schwenkfeldern und Socinianern,
ſondern auch den Rechtglaubigen widerſpro-
chen. Dieſe ſagen zwar nicht, daß Chriſtus
halb GOtt und halb Menſch, wie ihnen hier
ganz ungebuͤhrlich beygemeſſen wird, wohl
aber, daß er beedes GOtt und Menſch,
nicht allein unvermiſchet, ſondern auch un-
zertrennet
, geweſen: der Ordinarius hinge-
gen ſchreibt ſolche unzertrennliche Vereinigung
einem Unverſtand und verruͤckten Sinnen
zu.
[57]Von dem Sohn.
zu. Da er nun von der Menſchheit ſo nach-
druͤcklich redet, was ſagt er denn von der
Gottheit Chriſti? War dieſe von jener unzer-
trennet? war die Gottheit eine Fuͤlle, welche
Chriſtus bey ſeiner Erniedrigung von ſich gege-
ben, dem Vater aufzuheben anvertrauet, und
bey ſeiner Erhoͤhung wieder zu ſich genommen
hat? Man hat den Ordinarium oͤffentlich er-
ſuchet, ſich hieruͤber aufrichtig und deutlich zu
erklaͤren: und des Hn. Superint. Winklers
Schrift von dem ſocinianiſchen Weſen Hn.
Grafen von Zinzendorf
waͤre auch einer Er-
laͤuterung werth. Hie bleibt der neumaͤhri-
ſche Streit-Wagen ſtecken.


Der 12 Satz.
Ein vermeſſener Herzens-Duͤn-
kel iſt es, daß man bey der ſo ge-
nannten Bruͤdergemeine den hei-
ligen Geiſt eine Mutter zu heiſſen
pfleget.


§ 55.

Nicht nur in den Reden wird der heilige
Geiſt manchmal eine Mutter genennet,
ſondern Er wird auch in Gebeten, Litanien und
Liedern ſehr oft mit dieſer Benennung angere-
det: und Er ſolle nicht allein der Glaubigen und
der Gemeine, ſondern auch des Heilands Mut-
ter ſeyn, wie es denn wider die Proportion waͤre,
D 5wann
[58]TheilI.Cap.I.Satz 12.
wann der heilige Geiſt den Mutter-Namen
haͤtte, und ſolcher Name ſich nicht eben ſo weit,
als der Name des Vaters erſtreckte, noch aufs
eigentlichſte und beſonderſte, gleich dem Namen
des Vaters, die Relation gegen den Sohn mit
ſich fuͤhrete. Von ſolcher Mutterſchaft handelt
ausfuͤhrlich (1) die 14te von den 32 Gemein-
Reden: (2) das Creuz-Reich p. 66 u. f. (3) die
naturelle Reflexionen p. 62. und (4) die 27ſte
Gemein-Rede vom Jahr 1747. ſamt einer an-
dern Rede vom Jahr 1746, die im Druck un-
mittelbar dabey angehaͤnget iſt: wie auch die
46ſte. Die zwo mittlere Abhandlungen, vor
welchen die erſte nichts eigenes in ſich haͤlt, wi-
derlegt Hr. D. Benner im III Th. der Herrn-
huterey ſ. 8, 163. und Hr. Paſtor Becherer
in der Pruͤfung der Zinz. Lehrart p. 468, 643.
Wir wollen denn, nach Anleitung der vierten,
etwas nachholen.


§ 56.

Die Rede vom Mutter-Amte des heili-
ligen Geiſtes, gehalten in London den 19.
Oct.
1746. ſpricht alſo: ”Es iſt mir ein uͤber-
”aus wichtiger und eſſentialer Punct, der
”Punct vom heiligen Geiſte, und es haͤngt
”bey unſerer Gemeine und ihrer Praxi alles
”an dem Punct. Ich will mit Fleiß einen Ort
”aus dem alten Teſtamente dazu (zu dem Texte
”Joh. 14, 26.) nehmen, und denſelben mit
”zum Grunde meiner Rede legen; weil ich
”glauͤbe, daß die heilige Drey-Einigkeit, ob
man
[59]Von dem H. Geiſt.
man ſie gleich aus dem Alten Teſtamente frem-”
den Leuten, die unſere Grund-Principia
nicht annehmen, niemals beweiſen ſoll, doch”
fuͤr die Kinder GOttes da und dorten was”
von ihren unterſchiedenen Beſchaͤftigungen”
und eigentlichen Wercken eingemiſcht, und”
Spuren vorhanden ſind, zu denken, den”
Spruch hat der Vater geredt, das hat”
der heilige Geiſt von ſich geſagt, das hat der”
Sohn geredt. So koͤnnen wir untereinan-”
der reden; denn wir verſtehen einander. Der”
Spruch, den ich im Gemuͤth habe, der mir”
aufgefallen iſt, heiſſt: Ich will euch troͤ-”
ſten, wie einen ſeine Mutter troͤſtet.
Jeſ.”
66, 13. Daruͤber wird nun kein Theolo-”
gus
ſich aufhalten, wenn das Wort Troſt
aus dem Spruch herausgenommen, und”
auf den heiligen Geiſt appliciret wird; denn”
ſie heiſſen Ihn den Troͤſter: aber wenn wir”
das Wort Mutter heraus nehmen und auf”
den heiligen Geiſt deuten, ſo werden ſich Leute”
dagegen wehren. Ich kan von dergleichen”
Krikkeleyen und Eigenwillen keine Urſache”
finden, und daher kehre ich mich nichts daran.”
Denn wenn das Geſchaͤffte in einem Spruche”
dem heiligen Geiſt eigen iſt, ſo gehet auch der”
Titel auf den heiligen Geiſt. Weil ſie nun”
in der Chriſtenheit etliche hundert Jahre um”
des heiligen Geiſtes Titel verlegen ſcheinen,”
und Ihn deswegen zum Advocaten, zum Troͤ-”
ſter, zum Fuͤrſprecher machen, und auf vieler-”
ley Art betiteln, darunter verſchiedene Non-
ſenſe
[60]TheilI.Cap.I.Satz 12.
ſenſe ſind, die in den Liedern vom heiligen
”Geiſte vorkommen, bloß aus Mangel der
”geſunden Erkenntniß, wer Er uns iſt: ſo hat
”man bey unſerer Gemeine in der Einfalt des
”Evangelii zugefahren und geſagt, was ſol-
”len wir uns lange bey der Gottheit nach ei-
”genen Determinationen der Aemter umſe-
”hen? was ſollen wir uns nach einer anderen
”Characteriſirung der Goͤttlichen Perſonen
”umſehen, als die uns nach Anleitung der
”heiligen Schrift der Grund-Punct des
”menſchlichen Familien-Weſens gibt? GOtt
”iſt eben unſer lieber Mann, ſein Vater iſt un-
”ſer lieber Vater, und der heilige Geiſt iſt un-
”ſere liebe Mutter, damit ſind wir fertig, da-
”mit iſt die Familien-Idée, die aͤlteſte, die ſim-
”pleſte, die reſpectabelſte, die attachanteſte un-
”ter allen Menſchen-Idéen, die wahre Bibel-
Idée, in der Application der heiligen Drey-
”Einigkeit auf uns, etablirt: denn es iſt einem
”doch niemand naͤher als Vater, Mutter und
Mann. Drum ſchickt ſich auch keine menſch-
”liche Vergleichung beſſer, ſich eine erlaubte
”und ſchriftmaͤſſige Idée von der heiligen Drey-
”Einigkeit zu machen, als dieſe; alle die an-
”dern ſind nicht convenient, ſie moͤgen ſich eher
”fuͤr den Erzengel Michael ſchikken, als fuͤr
”den heiligen Geiſt.” u. ſ. w.


§ 57.

Im Jahr 1747. den 23 April ward zu Ma-
rienborn gehalten Die ſieben und zwanzigſte
Rede,
[61]Von dem H. Geiſt.
Rede, von dem eigentlichen Grund-Beweiß
des Mutter-Amts des heiligen Geiſtes.
Erſt
wurde geſungẽ aus dem X Anhang Num. 1578.
Erlaube uns GOtt heiliger Geiſt, den unſre
Kirch ihre Mutter heiſt
u. ſ. w. Darauf
folgt: ”Text, Du haſt dein JEſulein allen ”
Nationen vors Geſicht geſteller, zu einem ”
Lichte, alle Heiden zu erleuchten, und zu ”
einer Ehre fuͤr dein Volk Iſrael. Luc.
2, 31. ”
32. Die Rede iſt vom heiligen Geiſte, zu ”
dem ſagt Simeon mit einer Anrede, die im ”
Neuen Teſtament nicht oft vorkommt: ”
Δέσποτα, meine gnaͤdige Herrſchaft! ich ”
danke dir, daß ich nun im Friede gehen kan, ”
es iſt geſchehen, conſum̃atum eſt, du haſt dem ”
Wort gehalten, das Verſprechen, das ich ”
von dir hatte, haſt du erfuͤllet, τὸ Σωτήϑιόν σου, ”
dein JEſulein haben meine Augen geſehen; ”
ich habe nun das Wunder-Kind geſehen, ”
damit ſich die Mutter ſo viel zu thun gemacht ”
hat, das ſie ſo im Geſicht aller Voͤlcker der ”
Erden erziehet. Was erziehet ſie dran? ein ”
Licht u. ſ. w. Daß der heilige Geiſt ſo eine ”
ganz beſondere Pflege-Mutter der Menſchen ”
iſt, davon hat man in den alten Zeiten, vor ”
der Menſchwerdung des Heilands, eine ”
dunkle Idée gehabt. Vom Vater hat man ”
gar nichts gewuſt. Der Heiland ſagt nicht, ”
daß man vom heiligen Geiſte nichts gewuſt ”
hat; ſondern Er ſagt nur, daß man Ihn ”
nicht kriegen koͤnne, ſo lange man Welt waͤre. ”
” Aber
[62]TheilI.Cap.I.Satz 12.
” Aber es ſtehet nicht allein erſtaunlich viel vom
” heiligen Geiſte in der Schrift; ſondern man
” hat auch ſo allerhand Concepte von Ihm
” gehabt, daß Er aller Seelen einige Mutter,
” der Seelen Chava, die Mutter aller leben-
” digen ſey. Es war aber ſehr dunckel u. ſ. w.
” Der heilige Geiſt hat alſo eine continuirliche
” Treue an JEſu Chriſto bewieſen, und darum
” nennt der Simeon unſern Heiland, des
” heiligen Geiſtes ſein JEſulein,
ſein kleines
” Herzgen, daran Er alle ſeine Freude hat,
” daran Er ſo beſonders theil nimmt, das Er
” ſchon in Mutterleibe bereitet, uͤber Ihm ge-
” ſchwebet, und endlich ans Licht gebracht hat.
” u. ſ. w. Meine Geſchwiſter! wenn wir des
” heiligen Geiſtes ſein Mutter-Amt da anfan-
” gen, ſo kriegts einen neuen und ſeinen eigent-
” lichen Grund-Beweis.
Denn ihr wiſſt
” wol, wir haben alles vom Heilande her; wo
” haͤtten wir was, das Er uns nicht haͤtte ge-
” bracht? wo waͤren wir ſelbſt, wenn kein JE-
” ſus waͤre: wir haͤtten keinen Vater, wir haͤt-
” ten keine Mutter, wir haͤtten keinen Mann,
” wenn Er nicht unſer Laͤmmlein waͤre. Weil
” Ers hat, ſo haben wirs: unſer lieber Vater
” du biſt, weil Chriſtus unſer Bruder iſt;
” unſer liebe Mutter du biſt,
weil du in Mut-
” terleibe der Maria ſchon uͤberm JEſulein ge-
” ſchwebt, weil du Ihn ſchon da mit deinen
” Fluͤgeln bedekt, weil du ſchon da auch uͤber
” der Maria ihrer Werkſtaͤtt wie eine Henne
” uͤber ihrem Kuͤchlein geſeſſen, und uns das
Wunder-
[63]Von dem H. Geiſt.
Wunder- Kind gezeugt und bereitet haſt. ”
Darum haben wirs, darum haben wir theil ”
an Ihm, darum hat uns unſer Mann an ”
dich uͤbergeben, daß du Ihm Eh-Volk und ”
Jungfraͤulein ſollſt erſtlich zu deinen Tempeln ”
einweyhen, daß du ſie erſt ſollteſt nach deinem ”
ganzen Herzen machen, du ſollſt lauter ſolche ”
heilige Geiſter draus machen, wohl propor- ”
tionirlich nach dem Grade, aber doch nach ”
der Natur der Sache, heilige, dir aͤhnliche ”
Geiſter: und alsdenn wird der animus, der ”
einige animus, dieſe animas, dieſe animulas,
dieſe Seelgen, die du formirt haſt zu heiligen ”
Geiſtern, in ſeine Mañes-und Braͤutigams- ”
Arme kriegen.” u. ſ. w.


§ 58.

Am 19 Oct. deſſelben Jahres ward in Herrn-
huth gehalten die ſechs und vierzigſte Rede von
der Oeconomie des heiligen Geiſtes, uͤber den
Text Joh. 14, 26. woraus wir nur dieſes neh-
men: ”Seit dem der heilige Geiſt in der Ge-
meine ſelbſt Herzen herbeygezogen, und zu- ”
recht gemacht, ſeit dem er Leute gefunden ”
hat, die in der That das ſind: - - ſiehe, ”
ſo hat er ſie in das dritte Capitel Johannis, ”
und in andere Orte hineinſehen laſſen; da ”
ſteht ſo teutſch, und hat uͤber tauſend Jahr ”
da geſtanden, daß uns der heilige Geiſt ge- ”
biehrt,
und daß wir aus dem heiligen Gei- ”
ſte muͤſſen gebohren werden. Und Nico- ”
demus hat gar gut verſtanden, daß da nicht ”
” von
[64]TheilI.Cap.I.Satz 12.
” von einem Vater, ſondern von einer Mut-
” ter die Rede iſt, denn er antwortete gleich:
” muß man alſo wieder in ſeiner Mutter Leib
” gehen und gebohren werden? nein, ſpricht
” der Heiland, es iſt eine andere Mutter, es
” iſt nicht die, die dich leiblich gebohren hat,
” das will nichts ſagen: du muſt eine andere
” Mutter haben, die dich gebiehret. Was
” vom Geiſt gebohren wird, das iſt Geiſt,

” das gehoͤrt in unſere Familie, das hat her-
” nach einen Braͤutigam, einen Vater, eine
” Mutter.”


§ 59.

Des Ordinarii Vortrag iſt durchgehends,
wo es an die eigentliche Nervos kommt, ſu-
perficiel
und hurtig, und nimmt die ſchwer-
ſte Sachen uͤber die maſſen leicht: daneben
aber gibt es ſo viel Schlingen und Schrau-
ben, die Unvorſichtigen zu uͤbervortheilen, daß
auch bey der billigſten Deutung uͤber eine jede
Stelle mehr als eine Stunde noͤthig waͤre,
alles auseinander zu leſen: und dieſe Bewandt-
niß hat es auch mit dieſen drey angefuͤhrten
Stellen, bey denen wir jezt nur die Zerruͤt-
tung des uͤberaus wichtigen und eſſentialen
Puncten
vom heiligen Geiſte beſehen.


§ 60.

Gegen die Deutung des Wortes Mutter,
Jeſ. 66, 13. auf den heiligen Geiſt, muß man
ſich ja wehren. Denn da iſt 1. ein anders
Troͤſten, als Joh. 14, 26. Jene Stelle han-
delt
[65]Von dem H. Geiſt.
delt von einem Troſt, der mit einem muͤtter-
lichen
zaͤrtlichen Troſt verglichen wird: dieſe
aber von alle dem, was der Paracletus, id eſt,
Advocatus,
uns erzeiget, wie ein Mann, der
ſeinem Clienten durch Fuͤrſprache, Zuſpruch
oder Troſt, Antwort auf die Anklage u. ſ. w.
behuͤlflich iſt. 2. Der HERR vergleicht
ſich mit einer troͤſtenden Mutter: daraus
aber folget nicht, daß derjenige, der dieſe Zu-
ſage thut, eine Mutter ſey und heiſſe. 3. Ja
derſelbe redet unmittelbar vorher von ſich, in
maſculino,
als einer der den Frieden aus-
breitet, v. 13. eben wie v. 9. Man erwege
beede verſicul im Hebraͤiſchen, ſamt Cap. 46,
3. 4. Cap. 49, 14. 15. Der Vater troͤſtet:
der Sohn troͤſtet auch: und ſo fern iſt das
Troͤſten kein eigenes Geſchaͤffte des heiligen
Geiſtes. Das ſind keine Krikkeleyen: und
der Eigenwille, wovon der Ordinarius
redet, iſt auf ſeiner Seiten. Eben das, was
ihm ſeine Seele von ihm ſagt, ſchiebt er auf
Unſchuldige: und was Herzens-Duͤnkel iſt,
nennt er Einfalt des Evangelii: mit ſeinem
Grund-Punct des menſchlichen Familien-
Weſens
reiſſet er den Glaubens-Grund um.
Wo iſt es erlaubt und wo ſtehet es geſchrie-
ben,
daß man eine menſchliche Vergleichung
zum Grunde legen moͤge oder muͤſſe? Zur Zeit
dieſer Rede hatte der Ordinarius noch keinen
Beweis aus dem N. T. und behalf ſich des-
wegen, wie ſonſt zuvor mehrmal bey dieſem
Puncten, mit etlichen Blicken in das A. T.
(Abriß der Bruderg.) ENun
[66]TheilI.Cap.I.Satz 12.
Nun kan man ſich zwar, wo eine Lehre im N.
T. deutlich erklaͤret wird, auf die altteſtamen-
tiſche Art beziehen, und ſagen, ein Geheim-
niß ſey im A. T. nicht ſo auseinander geſetzet.
Aber dieſer neue Glaubens-Articul, daß der
heilige Geiſt eine Mutter ſey und heiſſe,

findet ſich nirgend im N. T. dahingegen die
Lehre von GOtt dem Vater im N. T. viel
haͤuffiger als im A. T. ja nach dem Ordinario
im N. T. allein vorkommt: und alſo kan man
das A. T. nicht auf jene Meinung reimen.
Im Anfang dieſer Rede ſ. 2. kommt die Ver-
knuͤpfung jener zween Texte, Joh. 14, 26.
Jeſ. 66, 13. ſehr gezwungen heraus.


§ 61.

Endlich hat man doch im N. T. den Grund-
Beweis gefunden. Wenn wir, laut der
Rede uͤber Luc. 2, 31. 32. des heiligen Gei-
ſtes Mutter- Amt da,
(bey dem, was Si-
meon ſagte,) anfangen, da kriegts einen
neuen und ſeinen eigentlichen Grund- Be-
weis.
Wohlan! ſo hat man denn von die-
ſem Mutter-Amte ohne Grund geredet, ehe
dem Ordinario dieſer Grund-Beweis einge-
fallen iſt: wann aber auch hinwiederum die
Concluſion von ſolchem Mutter-Amte nicht
bereits da geweſen waͤre, ſo wuͤrde dieſer Be-
weis ihm nicht eingefallen ſeyn. Iſt ein deut-
liches Exempel von dem, was wir § 39, 40.
erinnert haben. Selbs der Beweis iſt ohne
Grund. Vom heiligen Geiſt hatte Simeon
die
[67]Von dem H. Geiſt.
die Zuſage bekommen, daß er vor ſeinem Tode
den Geſalbten des HERRN ſehen wuͤrde:
und derjenige, zu dem der Simeon ſagte,
Meine Augen haben dein Heil geſehen, iſt
der Vater JEſu Chriſti, wie Simeons gan-
ze Rede ausweiſet. Er hatte durch ſeinen
Geiſt dem Simeon die Verheiſſung gethan,
wie Chriſtus durch den Geiſt dem Ueberwin-
der die Verheiſſungen thut. Off. 2, 29. ꝛc.
Der Geſalbte des HERRN iſt das Heil
des HERRN.
Beylauͤffig muß eriñert wer-
den, daß τὸ σωτήριον kein Diminutivum iſt,
wie der Ordinarius es nicht nur in dieſer Rede,
ſondern auch an andern Orten gibt, und zur
Vertheidigung ſeiner gutduͤnkenden Herzlich-
keiten in der I Zugabe des XII Lieder-Anhangs,
in einer Erinnerung, die nicht in allen Exem-
plarien iſt, den heiligen Geiſt in dem alten
Simeon das kleine Heilandgen, JEſulein,
ſagen machet: ſondern es bedeutet das Heil,
das groſſe Heil GOttes in Chriſto JEſu.
Das Wort kommt nicht nur dieſes Ortes,
ſondern auch ſonſt etlichmal im N. T. und in
der griechiſchen Ueberſetzung des A. T. ſonder-
lich des Pſalters und des Propheten Jeſaiaͤ
vor. Ferner wann Simeon den heiligen Geiſt,
der durch ihn redete, angeredet haͤtte, ſo waͤ-
re es doch kein guͤltiger Schluß: JEſus iſt das
Heil des heiligen Geiſtes; darum iſt der hei-
lige Geiſt ſeine Mutter. Vielmehr haͤtte Si-
meon des Ordinarii Meinung gar widerleget.
E 2Denn
[68]TheilI.Cap.I.Satz 12.
Denn er ſagte nicht, Δέσποινα, Domina, ſondern
Δέσποτα, welches wiederum nicht heiſſet,
Meine gnaͤdige Herrſchaft, wie unſer Red-
ner es in genere fœminino gibt, ſondern
HErr,in maſculino. Wann JEſus ein
Sohn des heiligen Geiſtes waͤre, ſo haͤtte Er
Ihn nicht zur Mutter, ſondern zum Vater.
Denn die Ueberkunft des heiligen Geiſtes uͤber
Mariam wird Luc. 1, 35. nicht an ſtatt deſſen,
was ihr als einer Mutter JEſu zukommt,
ſondern an ſtatt deſſen, was einem Manne zu-
kaͤme, gemeldet.


§ 62.

Eben dieſe Bewandtniß hat es mit den
Zeugniſſen bey Johanne. Da heiſſet der hei-
lige Geiſt ein anderer Troͤſter oder Beyſtand,
Cap. 14, 16. jener Beyſtand, v. 26. Cap. 15,
26. ja auch jener, der Geiſt der Wahrheit:
Cap. 16, 13. alles maſculino genere. Das
griechiſche Wort πνεῦμα, Geiſt, iſt ein Neu-
trum,
und doch ſteht das Maſculinum, ἐϰεἱνοϛ,
jener, dabey, welches auch v. 14 abſolute
wiederholet wird. Im Hebraͤiſchen iſt das
Wort ruach,Geiſt, bisweilen ein Maſculi-
num,
oͤfter aber ein Fœmininum, und doch,
wann von dem Geiſt GOttes die Rede iſt,
kommt es eben ſo wohl in Maſculino vor,
1 Moſ. 6, 3. 2 Sam. 23, 2. 1 Koͤn. 18, 12.
22, 24. 2 Chron. 18, 23. Jeſ. 32, 15. 34, 16.
57, 16. Mich. 2, 7. Nichts anders iſt aus
der
[69]Von dem H. Geiſt.
der Stelle Joh. 3, 4. 5. zu erweiſen. Denn
ein Menſch hat es von ſeinem Vater, daß er,
wie Nicodemus redet, in ſeiner Mutter Leib
kommt; und von ſeiner Mutter, daß er gebo-
ren wird: und alſo folgt aus dieſer Gleichniß
nicht, daß ein Wiedergeborner den heiligen
Geiſt zur Mutter habe.


§ 63.

Jacobus ſagt, Er hat uns gezeuget u. ſ.
w. Cap. 1, 18. Das griechiſche Wort
ἀπεκύησε wird eigentlich von Muͤttern geſagt,
und wann der Ordinarius dieſe Stelle auf den
heiligen Geiſt deuten koͤnnte, ſo moͤchte es ei-
nen Schein haben. Doch die ganze Rede des
Apoſtels gehet uͤbrigens in Maſculino, und
handelt von Vater der Lichter ausdruͤcklich.
Hiedurch wird jene Mutterſchaft kraͤftig wi-
derleget: dann wann GOtt der Vater eine
Gemahlin haͤtte, ſo wuͤrde je nicht Ihme ſelbs
das Wort ἀπεκύησε zugeſchrieben. Iſt diß
nicht etwa eine geheime Urſache, warum der
Ordinarius die vernuͤnftige und ſchoͤne Epi-
ſtel des guten Jacobi ſo zuruͤckeſetzet?


§ 64.

Chriſtus wird genennet die Weisheit,
und doch haͤlt Ihn die Gemeine fuͤr ihren Mañ.
Auf ſolche Weiſe kan dem Vater, in Anſehung
ſeiner Wolthaten an uns, etwas muͤtterliches
zugeſchrieben werden, da auch Paulus von ſich
beedes vaͤterlich und muͤtterlich redet. 1 Theſſ.
E 32, 7.
[70]TheilI.Cap.I.Satz 12.
2, 7. Gal. 4, 19. Hieraus erhellet, daß aus
dem muͤtterlichen, das etwa dem heiligen Geiſte
zugeſchrieben wird, noch keine Mutterſchaft
folge.


§ 65.

Der Sohn GOttes hat ſeinen Freunden
alles kund gethan, was Er von ſeinem Vater
gehoͤret hatte. Wann Er nun unter dem allen
etwas gehoͤret haͤtte, eine Mutter betreffend,
ſo haͤtte er, wie von ſeinem Vater, ſo auch von
ſeiner Mutter, ausdruͤcklich und haͤuffig ge-
redet.


§ 66.

Ehedeſſen ſchrieb Wilh. Schickardus eine
Diſſertation unter dem Titel, Deus orbus Sara-
cenorum:
und pag. 7. ſagt er, die Muhame-
daner machen in ihrer fleiſchlichen Weisheit
dieſen Schluß, Weil GOtt keine Gemah-
lin habe, ſo koͤnne Er keinen Sohn haben.

Ob der Ordinarius mit ſeiner Lehre dieſen Ein-
wurf abzulehnen vermeint habe, wird ihm zu
entſcheiden uͤberlaſſen.


§ 67.

Dem heiligen Geiſt haben alte Rabbinen
und die Nazarener den Namen einer Mutter
gegeben, wie in Io. Ern. Grabii Spicil. PP.
Sec. I. pag.
27. 327. und in Petri Allix Aus-
ſpruch der alten juͤdiſchen Kirche wider die Uni-
tarios p.
134. dargethan wird. Es iſt kein
Wunder, wann die Vernunft in ſo langen Zei-
ten
[71]Von dem H. Geiſt.
ten bey mehr als einem Menſchen den Schluß
von einem Vater und Sohn auf eine Mutter
gemacht hat: und die Nazarener waren aus den
Hebraͤern, wie die Rabbinen. Ihre Meynung
war nicht ſchriftmaͤſſig: denn der Geiſt des
Vaters iſt auch des Sohnes Geiſt; aber der
Sohn des Vaters iſt nicht auch des Geiſtes
Sohn: doch ſind jene Leute auch nicht ſo weit
gegangen, als der Ordinarius. Viel weniger
kan er ſich auf diejenige Lehrer beruffen, die et-
wa, (als zum Exempel A. H. Franke,) in
ihren Betrachtungen von der Wiedergeburt
wegen der himmliſchen Troͤſtungen den heiligen
Geiſt mit einer Mutter vergleichen, oder Ihn
eine Mutter nennen, welches leztere zu weit ge-
het, und ohne Zweifel unterblieben waͤre, wann
ſie des Ordinarii Misbrauch vorhergeſehen
haͤtten. Man kan einem groſſen Herrn ein
und andermal eine gewiſſe Benennung geben,
die doch im ſtilo curiæ zu keiner taͤglich- ge-
wohnlichen Titulatur gemacht werden darf.


§ 68.

Vergeblich iſt die Ausflucht, da der Ordi-
narius
ſchreibt, er lehre keines weges, daß
der heilige Geiſt weiblicher Natur
ſey.
Dann die unterſchiedene Benennung des Va-
ters
und der Mutter in der Gottheit hat bey
ihm entweder einen Grund in der Sache ſelbs,
(fundamentum in re,) oder nicht. Hat ſie
keinen Grund, ſo muß er entweder die Mey-
nung von einer Mutter ſchwinden laſſen, oder
E 4eine
[72]TheilI.Cap.I.Satz 12.
eine Urſache angeben, warum er dennoch den
heiligen Geiſt die Gemahlin GOttes nenne?
warum er nicht eben ſo wohl ſage, der Sohn
habe zween Vaͤter oder zwo Muͤtter? warum
er den Sohn nicht eben ſo wohl eine Tochter
dieſer Eltern nenne, die menſchliche Natur
beyſeitgeſezet? warum er nicht vom Vater ohne
Unterſcheid ſage, Er und Sie, und ſo auch
vom Sohn und vom heiligen Geiſte? inglei-
chem, warum er den heiligen Geiſt in ſeinem
Amte durch eine Weibsperſon, die deswegen
nach ihrem Amts-Character in allen Gemei-
nen die Mutter genennet ward, repraͤſentiren
laſſen? Hat aber die Benennung einen Grund,
ſo muß der Ordinarius unumgaͤnglich den hei-
ligen Geiſt auf die jenige Weiſe, wie der Him̃-
liſche Vater ohne menſchlich-maͤnnliches Ge-
ſchlecht Vater iſt, fuͤr die Mutter erkennen,
und einen GOtte geziemenden Unterſcheid zwi-
ſchen der Vaterſchaft und Mutterſchaft zeigen,
der noch vor dem Unterſcheid des Erzeugens und
des Ausgebaͤrens hergehe. Ja weil derſelbe
bey den Menſchen der Mutter viel etwas meh-
rers als dem Vater zuſchreibt, und ſeine
menſchliche Vergleichung ſo hoch treibet, ſo
koͤnnte man von ihm eine Entſcheidung fordern,
wie es ſich in der GOttheit mit dem Sohn ver-
halte. Wir ſtehen ſtill: doch muß man zeigen,
wohin ſich des OrdinariiEinfalt verſteige,
in der hiebey vorgewendeten philoſophiſch-
practiſchen Klugheit.


§ 69.
[73]Von dem H. Geiſt.
§ 69.

Er gibt vor, ohne die Mutterſchaft haͤtte
der heilige Geiſt keinen perſonal-Character:
aber ſo fern, ſeiner Beſchreibung nach, der hei-
lige Geiſt ſein Amt an uns, wie eine Mutter,
thut, iſt dieſes nicht ſein perſonal-Character
ſelbs, ſondern eine aus dem perſonal-Chara-
cter flieſſende Wohlthat, nemlich eben das
Werk der Heiligung, welches der Ordinarius
dem heiligen Geiſt durchaus nicht zueignen laſ-
ſen will. Hingegen eben dadurch, daß er der
heilige Geiſt heiſſet, wird Er als die dritte
Perſon in der Gottheit, die von dem Vater
und von dem Sohn unterſchieden, und doch
mit beeden Eines iſt, zu aller Genuͤge chara-
cteriſiret.
Es iſt Ein Geiſt: es iſt Ein HErr:
es iſt Ein GOtt. Ehre ſey dem Vater und
Sohn und heiligem Geiſte!


Der 13 Satz.
Die Lehre bey der ſo genannten
Bruͤdergemeine, von dem Vater
und dem Sohn und dem heiligen
Geiſte, iſt nicht rein.


§ 70.

Schon in den Berliner Reden hat ſich dieſe
Lehre gereget. In den Reden fuͤr die
Mannsperſonen ward der andere Articul ohne
den erſten abgehandelt, und p. 256 hieß es:
E 5”Im
[74]TheilI.Cap.I.Satz 13.
” Im Neuen Teſtament, da der Sohn vom
” Himmel redet, und uns die heilige Schrift
” exegeſirt, nennet Er den GOtt Abraham,
” Iſaac und Jacob den Vater, den Sohn,
” und den heiligen Geiſt. Der Name des
” allwaltenden GOttes, (unausgelegt,)
” bringt nichts, als Furcht und Reſpect, wo
” er nach dem Geſetz (welches noch darzu Zorn
” und Bitterkeit anrichtet) betrachtet wird.
” Wenn wir Ihn aber in dem Evangelio nen-
” nen hoͤren, da haben wir Ihn, als einen
” lieben Vater, und Bruder, und Mutter,
” und vergeſſen das Ens entium, das uns,
” als Stauͤblein vor der Sonne, daher zit-
” tern machte; aber nichts faſſliches, liebrei-
” ches oder inniges in ſich hielte.” Hernach
iſt dieſe Lehre erſt ganz in ihre neue Form ge-
kommen, wie wir im 6, 10, 11, und 12ten
Satze geſehen haben, und weiter in der drit-
ten und vierten Rede vom Jahr 1747, am ei-
gentlichſten aber im zweyten Diſcours uͤber die
A. C. zu ſehen iſt.


§ 71.

Oft ruͤhmet der Ordinarius, daß er da
und dort in der Lehre fuͤr richtig erkannt wor-
den ſey: oft klagt er, daß er doch keine genug-
ſame Unterſuchung erhalten koͤnne. Hat man
es ihm aber an irgend einem Orte gut geheiſ-
ſen, oder wird man es ihm jemals irgendwo
gut heiſſen, daß er dem Vater das Werk der
Schoͤpfung abſpricht, als welcher miniſtrirt
und
[75]Von der H. Dreyeinigkeit.
und die Hand geboten, oder zugeſehen, oder
goͤttlich geſchlafen habe, da ſein Sohn die
Welt erſchuff? daß er ſo vieles andere, das
auch dem Vater zukommt, dem Sohn alleine
zuſchreibet? daß er dem heiligen Geiſt eine
Mutterſchaft, als einen perſonal-Character,
aufdringet? und in Summa, daß er eine ſol-
che verwegene Dictatur uͤber die himmliſche
Lehre von der hochgelobten GOttheit ausuͤbet?
Dieſes gibt nothwendig eine neue Religion.


§ 72.

Alles ſoll ſich bey ſeiner Gemeine zu einer
leichten, ungezwungenen, vertraulichen
Manier
ſchicken, nicht nur untereinander,
(welches bey lauter lautern Seelen ſehr fein
ſtuͤnde,) ſondern auch gegen die unendliche
Majeſtaͤt: und da etwa in einer menſchlichen
Verwandtſchaft, fuͤr welche der Name einer
Ehe zu enge, und der Name einer Familie
zu weitlauͤffig iſt, ſich ein altes und junges
Par, oder Vater und Mutter und Sohn und
Soͤhnin oder Schnur befinden, ſo ſetzet derſel-
be die Lehre von der heiligen Dreyeinigkeit und
von der heiligen Gemeine auf einen gleichen
Fuß, und ſagt, daß der Sohn GOttes, JE-
ſus Chriſtus, und mit Ihm die Chriſtin, das
iſt, die Gemeine, den heiligen Geiſt zur Mut-
ter, wie denjenigen, deſſen Gemahlin die
Mutter ſey, zum Vater haben. Daher ge-
denken die Lieder mehrmal des Vaters und des
Geiſtes und des Sohnes, und haͤngen die
Chriſtin
[76]TheilI.Cap.I.Satz 13.
Chriſtin an: als Num. 1942, Papa! Ma-
ma! und ihr Flaͤmmlein, Bruder-Laͤmm-
lein, und ſein Taͤublein, ſegnet uns beblut’te
Stauͤblein.
Num. 1970, Denkt eurer
Schweſter, Weibs und Schnuͤrch, Papa,
Mama, und Mann und Kirch!
Weit an-
ders redet Valerius Herberger, welcher doch
in der Anrede an Kinder GOttes auſſerhalb
den Bruͤdergemeinen
p. 92 als gleichſtimmig
geruͤhmet wird. Er nennet den Vater und
die Braut Chriſti nicht einen from̃en Schwehr-
Vater und eine liebe Tochter und Schnuͤrche,
ſondern er machet nur eine Vergleichung: wel-
ches denn eine von den Proben iſt, woraus
erhellet, daß ermeldte ſcheinbare Anrede nicht
aus der Wahrheit ſey.


§ 73.

Indem er lauͤgnet, daß der Vater directe un-
ſer Vater ſey, und neben dem Vater eine Mut-
ter
auf die Bahn bringt, den Mann aber zu-
gleich fuͤr einen Bruder erkennet: ſo muß fol-
gen, daß, wie er den Vater eigentlicher fuͤr ei-
nen Groß- oder Schwehr-Vater, fuͤr einen
HErrn Vater (Lied, N. 1964, 14.) und die
Glaubigen fuͤr ſeine ehrwuͤrdige Geſchweyen
oder Soͤhninen gehalten haben will, alſo der
heilige Geiſt eigentlicher fuͤr eine Groß- oder
Schwieger-Mutter, ja auch beede, als des
Bruders Eltern, fuͤr unſere Stief-Eltern zu
halten ſeyn. Wo kommt es mit der Analogie
dieſes neu- erſonnenen Familien-Glaubens,
und
[77]Von der H. Dreyeinigkeit.
und mit dem uͤppigen Belieben an ſeltſamen
Vorſtellungen hin? Die den Ordinarium
entſchuldigen wollen, und ſagen, er fuͤhre nur
andere Worte, (welches doch auch ſchon nicht
fein waͤre,) die thun ihm ſelbs kein Gefallen:
er meynt, die Grundlehre werde durch ihn ver-
beſſert. Aber die greuliche Zerruͤttung derſel-
ben iſt es, die mit allem Ernſt widerlegt wer-
den muß. Es betrifft die Ehre des dreyeini-
gen GOttes: und daran iſt mehr gelegen, als
an andern noch ſo vielen und groſſen Wichtig-
keiten. Wer ſo auſſerordentlich von GOTT
lehret, wie der Ordinarius, der iſt nicht von
GOtt. Wann einer GOttes Vaterſchaft
lauͤgnete, ſo kehrte er den Grund des Glau-
bens um: und wer dem heiligen Geiſte die
Mutterſchaft wider die Wahrheit abſpraͤche,
der waͤre nicht beſſer daran: wer Ihm aber die
Mutterſchaft wider die Wahrheit beymiſſet,
der verfaͤhret noch mißlicher. Zu GOtt ſtehet
es, wie Er alle diejenige noch retten, oder ih-
rer Verdammniß heimfallen laſſen werde, die
ſich in Irrthum geben. Diß ſoll Rechtglau-
bige behutſam, aber die Irrende nicht ſicher
machen. Wann eine von alten Zeiten herge-
brachte falſche Lehre erblich auf einen kommt,
der dazu von andern um ſich herum nichts an-
ders hoͤret, ſo kan nicht ſo wohl er ſelbs, als
andere fuͤr ihn, Hoffnung haben. Aber einen
Irrthum in den wichtigſten Dingen ganz von
neuem aufbringen, ihn weit ausbreiten, und
keinen Warnungen Gehoͤr geben, hat mehr
auf ſich.


§ 74.
[78]TheilI.Cap.I.Satz 13.
§ 74.

Viel ausfuͤhrlicher wird hievon gehandelt
in der A. 1748 an das Licht geſtellten Noͤthi-
gen Pruͤfung der Zinzendorfiſchen Lehr-
Art von der heiligen Dreyeinigkeit, von ei-
nem L
Iebhaber derGeoffenBartenWar-
heit,
(das iſt, Hn. M. Johann Georg Beche-
rer, Waiblingenſi, Stadtpfarrern zu Dorn-
han,) mit Hn. Freſenii Vorrede. Dieſe
Pruͤfung iſt meines Wiſſens noch nicht beant-
wortet. Bald hernach folgete eine kuͤrzere
Schrift, nemlich Hn. D. Carl Gottlob Hof-
manns Gegruͤndete Anzeige der Herrnhu-
thiſchen Grund-Irrthuͤmer in der Lehre
von der heiligen Dreveinigkeit und von
Chriſto.
Beedes iſt ſehr wohl gethan, in-
dem dieſe Hauptlehre, welche zwar auch von
Hn. D. Bennern im II und III Theil der
Herrnhuterey und von andern ſtattlich ver-
theidiget, aber unter dem Hauffen anderer
Streitigkeiten verdecket war, jezt unter ihrem
beſondern Titel auf den Leuchter geſtellet
worden.


§ 75.

Wie weit kommt indeſſen die falſche Lehre
aus? da zum Exempel vom zwoͤlften Lieder-
Anhang, darin dieſelbe aufs hoͤchſte getrieben
wird, in zwo Auflagen eilf tauſend Stuͤck in ei-
nem par Jahre meiſtens bey ſolchen Leuten,
die ſich einnehmen laſſen, angebracht worden?
Wie
[79]Von der H. Dreyeinigkeit.
Wie ſtark iſt zugleich der Irrthum und der
Herzens-Duͤnkel! erſtlich, daß der Ordinarius
das klare ganze Zeugniß der heiligen Schrift
A. und N. T. welche in ihrem Zuſammenhang
wie ein einiger gegen ihn ſtreitender Spruch iſt,
ſo gar hat aus den Augen ſetzen, ja auf ſeine
Meinungen zwingen koͤnnen; und fuͤr das an-
dere, daß ſeine ſaͤmtliche Gemeine, und bey
derſelben ſo viele vorhin in der heiligen Schrift
geuͤbte Arbeiter ihnen beypflichten, oder doch zu
ſeiner Neuerung ſchweigen, und ſo vieler buͤn-
digen Vorſtellungen ungeachtet weder ihn von
ſich, noch ſich von ihm abthun? Es muß das
goͤttliche Licht von ihnen gewichen, und entwe-
der ihnen an der Ehre GOttes ſehr wenig gele-
gen, oder ihre Meynung von ihrem Meiſter
ſo hoch ſeyn, daß ſie ihn uͤber alle Apoſtel und
vorige Maͤnner GOttes, ja auch uͤber alle Re-
den, die GOtt in ſeinem Buche von ſich ſelb-
ſten fuͤhret, hinaufſezen, und ihn ſo fuͤr Ganz
halten, wie er in den Zeyſter Reden ſ. 362 das
Ganze uͤberhaupt beſchreibet. Was Wun-
der iſt es, wann ſie zu allen uͤbrigen Irrthuͤ-
mern ja oder doch nicht nein ſagen? Bekommt
ihrer einer dieſes zu leſen, ſo denke er in rech-
ter Einfalt ein Stuͤndlein unter Gebet und
Flehen nach, und was ihm alsdenn ſein Herz
und Gewiſſen ſagt, das ſage er ſeinen Bruͤ-
dern zu ihrer Staͤrkung. Es wird von ihnen
gefordert werden, ſie moͤgen ſich ſelbs eine Wei-
le rechtfertigen und ſegnen, wie ſie wollen. Um-
ſonſt iſt es, wann die Vornehmſte oder Gemei-
neſte
[80]TheilI.Cap.I.Satz 13.
neſte unter ihnen ſagen, ſie bekuͤmmern ſich um
dergleichen Dinge nicht, ſie machen ſich nur
die erbauliche ſelige Gemeinſchaft zu Nutz ꝛc. ꝛc.
In der zweyten Edition des Buͤd. N. T. ſteht
in einer Nota ad Matth. 12, 36 dieſes: ”Ich
” glaube, daß das
crinomenonder Ver-
” dammniß eines
Theologi qua taliseigent-
” lich das iſt: daß ſie nicht nur ſelbſt re-
” den und thun, was ſie wollen, und ſol-
” len, wenn ſie es auch gleich nicht glau-
” ben; ſondern ſo gar die Religion ſo ha-
” ben einrichten helfen, daß hoch und nie-
” drig,
vel vi, vel clam, vel precariore-
” den und thun muß, nicht wie ihm iſt,
” ſondern wie es in ſeiner Religion lauten
” muß.
” Gehet es nicht bey der neumaͤhri-
ſchen Gemeine alſo zu? Solche Leute hoͤren ja
alles an: ſie laſſen alles gut ſeyn: ſie beten und
ſingen alles mit, zum Exempel, die Litanie Te
Matrem.
Was kommt in den proteſtanti-
ſchen Kirchen-Agendis dieſem Zwang bey?
und wann man keinen Zwang ſpuͤret, ſo iſt die
Kraft der Verfuͤhrung deſto groͤſſer. Doch
wird durch das Zuruͤcklegen ſolcher Vorſchrif-
ten bey denen, die ſich von der Gemeine weg-
machen, der vorige Zwang ſattſam bewieſen.
Was fuͤr ein Crinomenon muß der Ordina-
rius
ihm ſelbſten ausmachen?


Der
[81]Vom Blut und Wunden.

Der 14 Satz.
Bey dem Leidens-Puncten ſelbs
hat die ſo genannte Bruͤder- und
Blut-Gemeine mit ihrem Stifter
keinen vorzuͤglichen Ruhm: ihr gu-
tes iſt nicht neu, und ihr neues iſt
nicht gut.


§ 76.

Diß iſt auch ein Hauptſatz, und erfordert
eine ſatte Ausfuͤhrung. Im Jahr 1734
erklaͤrte ſich der Gemeinſtifter bey einer gewiſ-
ſen Gelegenheit ſchriftlich, wie folget: Ich
habe von Kindheit auf geglauͤbet, daß
Chriſtus geſtorben iſt vor das Leben der
Welt. Ich bin nicht ohne Anfechtung da-
bey blieben, ich wuſſte aber nicht, wie
ichs machen ſolte, daß ichs nicht glauͤbte.
Das Vertrauen hat mich biß zum Gefuͤhl
gebracht, das Gefuͤhl hat die Liebe erre-
get, die Liebe hat mich geſchaͤftig gemacht.
Ich beſinne mich in der
Galleriezu Duͤſſel-
dorf unter einem
Ecce homogeleſen zu haben:
Das alles habe ich vor dich gethan,
was thuſt du vor mich.
Eine wichtige
Beyſchrift. Da ich anfing Seelen mit
dem Erloͤſer bekannt zu machen, war ich
zehn Jahr alt.
Dieſe Erklaͤrung iſt, Teutſch
und Lateiniſch, in der III Sammlung der
(Abriß der Bruͤderg.) Ffrey-
[82]TheilI.Cap.I.Satz 14.
freywilligen Nachleſe ſ. 37. eingetragen, und
mit derſelben ſtimmet uͤberein, was der Ge-
meinſtifter von ſich meldet in jener Nota bey
der Vorrede zu den Buͤdingiſchen Sammlun-
gen. In Betrachtung deſſen habe ich ehmals
billig geruͤhmet die edleCompunction,die in
ſeinem Inwendigen durch den Anblick des
Gecreuzigten entſtanden, und ihm beſtaͤn-
dig nachginge.
u. ſ. w.


§ 77.

Das war an ſich ſelbs gut und koͤſtlich,
und der Ordinariushat es mitten aus dem
Lutherthum heraus.
Es iſt bey den Evan-
geliſchen in Teutſchland etwas altes und ge-
meines, daß feine Seelen bey der Uebung des
Glaubens und der Gottſeligkeit, in der Fa-
ſten und zu andern Zeiten, bey dem Genuß
des heiligen Abendmals, in ihrem Leiden und
Sterben, die Hauptweide im Leiden und
Sterben JEſu Chriſti, nach Anleitung der
Andachten, Gebete und Lieder in den meiſten
und uͤblichſten Buͤchern, ſuchen; dabey aber
ſich etwa an ſeine Auferſtehung, an die Liebe
GOttes, der ſeinen Sohn fuͤr uns dahinge-
geben, u. ſ. w. nicht ſo weidlich halten. Und
ſo iſt es dem Ordinario ſelbs ergangen. Durch
das Leiden Chriſti ward ſein Herz, wir wollen
ſagen, recht ſonderbar verwundet, und ſein
Sinn ward darein verbildet: es waͤre aber zu
wuͤnſchen, daß er ſich dabey lauterlich und voͤl-
lig nach dem, was geſchrieben ſtehet, geachtet
haͤtte:
[83]Vom Blut und Wunden.
haͤtte: und wann man das Gegentheil zeiget,
ſo wird die Koſtbarkeit des Leidens und Todes
Chriſti nicht verſehret, ſondern gerettet.


§ 78.

Von Herzen halte ich theuer und werth
meines HErrn JEſu Chriſti Leiden und Ster-
ben. Von Jugend auf habe ich gern davon
predigen hoͤren, und hernach ſelbs auch gern,
und daher (ohne Ruhm zu melden) mit beſon-
derm Belieben der Zuhoͤrer Paſſions-Predi-
gen gehalten. Ich kan von allen meinen in et-
lich und vierzig Jahren, in der Faſten und zu
andern Zeiten, gehaltenen Paſſions-Predigen
die Concepte und Diſpoſitionen aufweiſen,
und mit dem Augenſchein darthun, daß alle-
mal das Thema, die Abhandlung und die
Nutzanwendung, auf das Mark, und nicht
auf Nebenſachen gegangen ſind. Ich koͤnnte
wohl vier und dreyſſig davon, ohne Wahl,
gegen die eben ſo viele Homilien uͤber die Wun-
den-Litaney hinlegen laſſen. Es iſt mir aber
auch mancher Knecht Chriſti bekannt, den ich
eben in dieſem Stuͤck mir ſelbſten weit vorziehe.
Der HErr JEſus bewahre mich und ſie und
andere, daß wir die Koſtbarkeit ſeines Blutes
und die Guͤltigkeit ſeines Opfers nicht verſeh-
ren. Wer ſich fuͤr den einigen Eiferer um das
Creutz Chriſti haͤlt, der ſehe zu, daß er an-
dern dieſe Todſchuld nicht beymeſſe, als ob ſie
dem Leiden des Erloͤſers abhold waͤren, wann
ſie ſchon auch der uͤbrigen Wahrheit GOttes
zugethan ſind.


F 2§ 79.
[84]TheilI.Cap.I.Satz 14.
§ 79.

Was iſt denn daran, daß bey der neumaͤh-
riſchen Gemeine die allermeiſte Lieder, und alle
ihres Stifters Reden, ſonderlich uͤber die
Wunden-Litaney, auf den Leidens-Puncten
gerichtet ſind? Sie fuͤhren viel feines mit ſich.
Es werden darin aus den bekannten evangeli-
ſchen Kirchenliedern oft ſolche vortreffliche Rei-
men wiederholet, die aus dem neuen Vortrag
wie Sterne heraus funkeln, und denſelben leb-
und ſchmackhaft machen: der Eindruck von des
Ordinarii vormaligen innigen Ruͤhrung iſt im
Gemuͤthe oder wenigſtens im Gedaͤchtniß un-
ausloͤſchlich: die ungewohnliche Combination
des Leidens-Puncten mit andern Lehren, die
man ſonſt nicht ſo nahe mit demſelben verknuͤpf-
te, gibt mancherley neue Farben und einen un-
erſchoͤpflichen Zufluß von niedlichen Einfaͤllen,
die zwar den Kopf vielmehr, als das Herz an-
gehen, und dabey wird eine ſinnreiche oratori-
ſche und poetiſche Variation angebracht, die
eines theils fuͤr ein Meiſterſtuͤck in der Wort-
Kunſt erkannt werden muß, andern theils aber
wegen deren dazu gekommenen Ausſchweiffun-
gen zu einer Battologie und ungeſalbten Ge-
ſchwaͤtze ausſchlaͤget. Wird das leztere durch
die Anmuth der muſicaliſchen Compoſition be-
decket, und zu Elegantien gemachet, ſo iſt da-
gegen noch mehr zu bejammern, daß bey dem
ſtarken Treiben des einigen Leidens-Puncten
durch die uͤbermachte Anmaaſſung fuͤr die neu-
maͤhri-
[85]Vom Blut und Wunden.
maͤhriſche Gemeine, und durch die Verringe-
rung deſſen, was man auſſer derſelben geneußt,
dem alten Menſchen das Leben gefriſtet wird,
welches auch zu denen vermeintlich-gebroche-
nen Augen herausſiehet.


§ 80.

Wie leicht iſt da die Selbsgefaͤlligkeit, die
Einbildung von ganz beſondern Gnadengaben,
welche das Maaß der meiſten, wo nicht aller
bey dieſem neuen Apoſtel-Amt ſo genannten
alten Apoſtel uͤbertreffen, das Vertrauen und
Trachten viel etwas mehrers auszurichten,
als bisher jemals geſchehen, und der Ruhm
von einer ganz neuen gegen alles Abnehmen
verwahrten Seligkeit entſtanden? Da ward,
nach Lutheri Ausdruck, der Harniſch zu ei-
nem Spiegel
gemacht. Daher heiſſt es nun:
der Leidens-Punct, die Blut-Theologie,
iſt mein: Wir ſind die
Cruciata,die Creuz-
Gemeine: andere haben eine unblutige
Gnade, wir haben die blutige Gnade.


§ 81.

In der ſechſten Homilie von den 32 einze-
len heiſſet es: der Heiland will, daß Plaͤtz-
gen und Gegenden der Welt ſeyn ſollen,
wo die in der Welt vergeſſene Sprache
geredet wird,
(von ſeinem Blut und Tode:)
die Sprache, die auſſer den Gemeinen un-
bekannt, und in den Religionen barba-
riſch zu klingen anfaͤngt
u. ſ. w. Und
F 3in
[86]TheilI.Cap.I.Satz 14.
in der dreyzehenden: Wir finden, daß in die
bisherige groſſe Erwekkungen die Haupt-
Sache nicht einmal gemengt geweſen,
das Blut JEſu hat gefehlt, weder die
Buͤcher, noch die Verſammlungs-Hauͤſer,
noch die Perſonen ſind damit beſpritzt
worden, aus der Epiſtel an die Ebraͤer zu
reden. Es iſt das eben nirgends als ein
nothwendiges
Requiſitumangeſehen wor-
den, ſondern man hat wuͤrklich in dieſen
lezten fuͤnfzig Jahren geglauͤbt: Am Glau-
ben
fehlts nicht, wenn wir nur darnach
thaͤten.
Im Buͤdingiſchen N. T. 1746. in
den Notis uͤber Phil. 2, 6. treibet es der Ordi-
narius
ſo weit, als ob man nach ihm mit der
Lehre von Chriſto und ſeinem Leiden ein Pla-
gium
beginge. Man gedenke aber an die
muͤndliche und gedruckte Erklaͤrungen des Ca-
techiſmi im Articul von Chriſto und ſeinem Lei-
den, an die Paſſions-Predigen, Paſſions-
Betrachtungen, Paſſions-Gebete, Paſſions-
Lieder, evangeliſcher Lehrer, auch eben in die-
ſen lezten fuͤnfzig Jahren.
Wer kan dafuͤr,
daß dieſe Lehrer mit ihren Schriften dem Ordi-
nario
ſo fremde ſind, und daß er, laut der
Erlauͤterungen des Stralſundiſchen Collo-
quii,
in ſeinem ganzen Leben, das auf die aca-
demiſchen Jahre gefolget, auſſer der heiligen
Schrift kein einiges theologiſches Buch tra-
ctiret hat? Ob jener ihr Zeugniß oder ſein
Zeugniß von Chriſto und ſeinem Leiden von
einer
[87]Vom Blut und Wunden.
einer beſſer bleibenden Frucht ſeyn werde, ſoll
die erleuchtete Nachkommenſchaft erachten.
Laſſen ſich etliche in dieſen Tagen etwa auch
durch ihn uͤberhaupt reizen, die Blut-Theolo-
gie reichlicher, als ſie bisher gethan, wiewohl
zugleich lauterer, als er thut, zu treiben, ſo
iſt es kein Plagium, man wolte denn alle loͤbli-
che Nachfolge ſo nennen. Es ſind nicht nur
Worte, Geſchwaͤtz und Paſſions-Gaſco-
naden, die man an gewiſſen dazu verord-
neten Tagen hoͤrt,
wie es in der 42ſten Rede
A. 1747 lautet. Das Blut JEſu hat nicht
gefehlt, und fehlt nicht, wann rechtſchaffene
Lehrer auch ſchon die uͤbrigen Puncten der heil-
ſamen Lehre mitnehmen: oder hat es den Apo-
ſteln und Evangeliſten auch an dem Blut JE-
ſu gefehlet, weil deſſelben in den wenigſten Buͤ-
chern des N. T. auſſer der Paſſions-Geſchich-
te ausdruͤcklich gedacht wird? und wuͤrde wohl
der Ordinarius ſeine Blut-Theologie von der
ununterbrochenen Tradition bekommen haben,
(wie er in den Wundenlitaney-Reden p. 183
ſagt,) wann gleichwol ſolche Buͤcher des N.
T. nicht waͤren? Man nehme eine Paſſions-
Predig aus irgend einem von den bekannteſten
Buͤchern ohne groſſe Wahl, und eine von de-
nen bey der neumaͤhriſchen Gemeine gehalte-
nen und fuͤr die beſte geachteten Reden: bey ei-
ner unpartheyiſchen Vergleichung wird man
ſpuͤren, wo das Blut JEſu weniger oder mehr
fehle. Es fehlt auſſer der Gemeine nicht,
wann ſchon der nur etliche Stunden ans Holz
F 4geheftete
[88]TheilI.Cap.I.Satz 14.
geheftete HErr der Herrlichkeit kein Pendens
cum latronibus
als ein Galgen-Schwen-
gel
genennet wird, wie in dem verſchreyten
zwoͤlften Lieder-Anhang geſchicht. Es iſt faſt
nicht begreifflich, wie der Ordinarius, der
mit ſo theuren Maͤnnern unſerer Zeit ſo be-
kannt und ſo verbunden geweſen iſt, als er
ſelbs hin und wieder meldet, doch ſo weit ge-
hen kan ihr Glaubens-Werk zu verkleinern,
ja zu vernichten. Die Glaubens-Lehre
ruͤhmten ſie: aber uͤber den Mangel am Her-
zens-Glauben
liegen ihre Klagen noch da.
Ohne eine ſolche Manier konnte der Ordina-
rius
aus dem Leidens-Puncten nichts neues
und eigenes machen. Mit ſolcher Manier
aber bringt er den Schein zuwegen, als ob
man in allen vorigen und ſonderlich neueren
Zeiten nicht einmal das Leiden und Sterben
JEſu Chriſti recht betrachtet haͤtte; als ob
man deſſelben auf dieſe Stunde auſſer der neu-
maͤhriſchen Gemeine nicht recht zu genieſſen
wuͤßte, oder doch deſſen nicht ſo froh ſeyn koͤñ-
te; als ob man nur bey ihnen das ſo genannte
rechte Puͤnctgen traͤffe, und zu Chriſto ge-
bracht wuͤrde; als ob ein wahrer Chriſt, der
zu ihnen kommt, im Gewiſſen eine Revoca-
tion ſeiner vorigen Bekehrung und Erleuch-
tung noͤthig haͤtte, oder wie einer, der nicht
recht geheilet worden, ſich den Arm noch ein-
mal muͤſſte brechen laſſen; und als ob alle noch
ſo lang mit Chriſto bekannte Seelen, die ſich
nicht
[89]Vom Blut und Wunden.
nicht nach dem neumaͤhriſchen Model umgieſ-
ſen laſſen wollen, in ihrer eigenen Gerechtig-
keit ſtehen blieben. Das Gute, das einer an-
dern abſpricht, kan er ſelbs eben damit ver-
ſcherzen.


§ 82.

Er ließ ihm nach jener Compunction uͤber
dem Creuze Chriſti zu Muthe werden, als wie
wann ein Lehrling bey einer Profeſſion an ein
beſonderes nicht eben unbekanntes Kunſtſtuͤck,
oder an einen Handgriff geraͤth, und damit
alle vorige Meiſter in aller Welt zu uͤbertreffen,
und alles zuwege zu bringen vermeint. Mit
dem einigen Leidens-Puncten gedachte er die
ganze Chriſtenheit zu beſſern, und aus dem
ganzen menſchlichen Geſchlecht zu gewinnen,
was immer zu gewinnen waͤre. Daher ſollen
die Leute, die er ausſchickt, in der Chriſten-
heit, oder in der proteſtantiſchen Kirche, den
Mangel aller Lehrer und Prediger erſtatten,
und auch unter die Unglaubigen in aller Welt
gehen. Iſt das alſo kein neuer Kirchen-Pe-
riodus?
und muß derſelbe nicht, weil er erſt
das Blut JEſu hat, bis an die Zukunft des
HErrn hinreichen? Aber je edler ein Ruhm
iſt, je ſchaͤdlicher iſt dabey die Eigenliebe.


§ 83.

Der Leidens-Punct wird entweder in die
Imagination oder in das Verſtaͤndniß einge-
praͤget. Auf die Imagination wird desfalls
F 5bey
[90]TheilI.Cap.I.Satz 14.
bey der neumaͤhriſchen Gemeine faſt alles, und
auf das Verſtaͤndniß das wenigſte gewendet:
und daran iſt zu erkennen, wie tief die Sache
in das Herz eindringe oder nicht.


§ 84.

Der Ordinarius arbeitet ausdruͤcklich dar-
auf, daß er bey dem Leidens-Puncten die Ima-
gination
auftreibe und einnehme, und eine
ſinnliche Bilder-Andacht, dergleichen er ſelbs
vor Zeiten bey ſeiner Ruͤhrung zu Duͤſſel-
dorf hatte, (§ 76.) ſtets unterhalte. Daher
iſt immer die Rede von Blut, Wunden, Naͤ-
gelmalen, Seitenhoͤhlgen, Leichen-Geruch

u. ſ. w. und eine indiſcrete Benennung des
Laͤmmleins iſt haͤuffig dabey. Johannes der
Tauͤfer nannte JEſum das Lamm GOttes:
und Apg. 8, 32. 1 Petr. 1, 19. wird Chriſtus
mit einem gedultigen unbefleckten Lamme ver-
glichen. Nur in ſeiner Offenbarung wird Er
oft ein Laͤmmlein genennet. Im Himmel
ſelbs hat Er keine Laͤmmleins-Geſtalt, ſon-
dern Er kam Johanni allein im Geſichte alſo
vor, Off. 5. u. f. und auf das Geſichte beziehet
ſich dieſe verbluͤmte Benennung. Die neumaͤh-
riſche Gemeine aber treibet es mit dieſer Be-
nennung ſo ſtrenge, daß es fuͤr einen Misbrauch
zur Weide der Imagination geachtet werden
muß. Dergleichen Vorſtellungen von Geiſ-
ſeln, Creutz,
und ſo weiter, ſind fuͤr die na-
tuͤrlichen Sinnen und Affecten etwas bewegli-
ches, ſonderlich bey dem gemeinen Hauffen:
aber
[91]Vom Blut und Wunden.
aber ſie machen weder die ganze Sache, noch
das vornehmſte von der Sache aus. Man
hat ſonſt kraͤftige Mittel genug, die boͤſe un-
reine Phantaſien auszuloͤſchen.


§ 85.

Wie verhaͤlt es ſich nun des Verſtaͤndniſ-
ſes halben? Da hat man bey der heilſamen
Lehre zu ſehen auf die Lauterkeit, Voͤlligkeit
und Ordnung, man mag die Lehre Suͤndern
oder Gerechten vorzutragen haben.


§ 86.

Ein jeder Blick und Stral von der Goͤtt-
lichen Wahrheit in der heiligen Schrift kan
in dem Menſchen die Erkenntniß GOttes und
ſeiner ſelbs wirken, und ihn demuͤthigen, auf-
richten, anleiten u. ſ. w. Das Geheimniß,
welches das Geheimniß der Gottſeligkeit heiſ-
ſet, hat viele Articul. 1 Tim. 3, 16. Wie
mancherley Lehren ſind in Pauli Briefen, aus
deren Abhandlungen er hernach ſeine Ermah-
nungen herzuleiten pfleget? Man beſehe zum
Exempel D. Speners catechetiſche Erklaͤrung
der chriſtlichen Lehre: es wird ſich deutlich zei-
gen, wie aus allen Hauptſtuͤcken und deren
Abtheilungen die kraͤftigſten Gruͤnde zur Buſſe,
zum Glauben, zur Gottſeligkeit hergefuͤhret
werden.


§ 87.

Wann die Goͤttliche Wahrheit einem
Menſchen begegnet, dem ſie ganz neu iſt, ſo
kan
[92]TheilI.Cap.I.Satz 14.
kan es eine geſchwinde, groſſe und voͤllige
Frucht geben: wann aber der Menſch bey der
Goͤttlichen Lehre aufgewachſen iſt, ſo iſt das
ſelige Moment, da er ſich anfaͤnglich GOtte
ergibt, nicht allemal ſo merklich, ob es ſchon
auch bey ihm zu einem rechtſchaffenen Weſen
kommt. Das eigentlichſte iſt, daß der im
Suͤnden-Tode verlohrne Menſch den Genuß
der Gnade GOttes in Chriſto JEſu bekomme
zum Leben. Daher theilen ſich diejenige, de-
nen das Wort GOttes vorgetragen wird,
in zwo Gattungen. Sie ſollen entweder erſt
noch zum Herzens-Glauben an Chriſtum ge-
bracht werden, oder ſie ſtehen ſchon darin.


§ 88.

Fuͤr beederley Seelen gehoͤrt eine beſondere
angemeſſene Anleitung: und doch iſt ihnen oft
auch ein einiger Vortrag heilſam, je nach dem ſich
die Zueignung deſſen, was vorgetragen wird,
bey einem jeden nach ſeinem Zuſtand ergibt:
und das um ſo viel mehr, da an den Seelen
von der erſten Gattung die zuvorkommende
Gnade ſchon eher arbeitete, und bey denen von
der andern Gattung noch vielerley Maͤngel
uͤbrig ſeyn koͤnnen. Was Paulus denen Lycao-
niern geprediget hat, daraus kan ein geſtan-
dener Chriſt ſeine Erbauung ſchoͤpfen: und was
er an Timotheum geſchrieben, das kan auch ei-
nen Heiden herumholen.


§ 89.
[93]Vom Blut und Wunden.
§ 89.

Sehr wohl waͤre es gethan, wann man,
wie bey dem Volk Iſrael Moſes und die Pro-
pheten alle Sabbath vorgeleſen wurden, alſo
das alte und neue Teſtament allem Chriſten-
Volke vorlaͤſe. Man erwege 1 Theſſ. 5, 27.
1 Tim. 4, 13. Off. 1, 3. Auf ſolche Weiſe bliebe
nichts zuruͤcke. 2 Tim. 3, 16. 17. Was nicht
in oͤffentlichen Verſammlungen geſchicht, kan
in Haushaltungen oder von jedem ins beſonde-
re geſchehen. Und ſo hat man in dem Vor-
trag des Worts billig aus dem ganzen Inhalt
der heiligen Schrift jedes mal dasjenige her-
auszuleſen, und in Lauterkeit, Voͤlligkeit und
Ordnung abzufaſſen, wovon die meiſte Er-
bauung zu hoffen iſt. Nach der unausſprech-
lich-manchfaltigen Bewandtniß der Seelen kan
von denen unzahlbaren Blicken und Stralen
des Goͤttlichen Lichts, wie geſagt, bald dieſer
bald jener in einem lehrreichen und weislich ein-
gerichteten und abgewechſelten Vortrag einen
heilſamen Zug thun. Es koͤnnen auch deren
mehrere zuſammen treffen, daß der Menſch
ſelbs nicht weiß, welcher von denſelben das
meiſte bey ihm gethan habe. In der Lehr-Art
haͤlt man eine Ordnung: aber die Gnade iſt an
ſolche Ordnung nicht gebunden. Es kan ein
Schrecken vor der Erfahrung der Gnade her-
gehen: es kan auch auf die Erfahrung der Gna-
de eine zarte Scheue folgen: wiederum kan die
himmliſche Majeſtaͤt bey ihren langbewaͤhrten
Dienern
[94]TheilI.Cap.I.Satz 14.
Dienern eine groſſe Conſternation der ſterbli-
chen Natur vor einer neuen Entdeckung ihrer
Wunder hergehen laſſen. Dan. 8, 18. 10, 8.
Off. 1, 17. Wann ein gewiſſer Punct vor an-
dern trifft, da iſt es weder fuͤr den Lehrer noch
fuͤr den Zuhoͤrer thunlich, ſich weit auszubreiten,
ſondern da iſt es gut ſtille halten. Sonſt aber
hindert kein Stuͤck von der Wahrheit das an-
dere. Wann ein Menſch das Geſetz vor ſich
hat, und betrachtet, mit was Lieblichkeit GOtt
haben will, daß wir Ihn uͤber alles, und er,
der Menſch, ſeinen Naͤchſten, und der Naͤch-
ſte ihn wiederum, wie ſich ſelbs, lieben ſolle,
ſo kan die auch hieraus hervorleuchtende Guͤte
GOttes evangeliſch und heilſamlich uͤberzeu-
gen, welches ſonſt des Geſetzes Wuͤrkung nicht
iſt.


§ 90.

Lauter ſolle denn der Vortrag ſeyn, daß
man weder bey der ganzen Lehre, noch bey eini-
gem beſondern Puncten, zum Exempel, von
dem Leiden JEſu, allerley Ausſchweifungen
nachhaͤnge, noch die Sache mit fremden Zu-
ſaͤtzen vermiſche.


§ 91.

Voͤllig iſt der Vortrag, wann man nicht
an einem einigen Puncten, zum Exempel, von
den Wunden JEſu, hangen bleibet, ſondern
den ganzen Articul vom Leiden Chriſti, und
was damit verbunden, und folglich alles, was
in der heiligen Schrift enthalten iſt, den See-
len
[95]Vom Blut und Wunden.
len vorleget. GOtt wuſſte wohl, wie viel an
dem Leidens-Puncten gelegen ſey, und doch
hat Er auch von andern Dingen ein reiches
Zeugniß verliehen.


§ 92.

Bey der Voͤlligkeit erfordert die Ordnung,
daß man eine jede Lehre ſo vortrage, wie ſie
fuͤr ſich einen Eingang finden kan, und den
folgenden Lehren den Eingang zuwege bringt,
welches diejenige nicht thun, die mit dem Lei-
dens-Puncten den Anfang und den Beſchluß
machen, und folglich auch bey deſſelben Vor-
trag keine Ordnung haben.


§ 93.

Von dieſem allen geht der Gemeinſtifter
weit ab. Seiner Vorſchrift nach ſolle man
denen, die noch nicht zum Glauben gelanget
ſind, nichts als dieſes ſagen, Dein Schoͤpfer
iſt fuͤr dich geſtorben:
und die im Glauben
ſtehen, ſollen auf nichts als auf die Wunden
zu ſehen noͤthig haben. Daher denn auch die
Lehre, die dieſe jenen beybringen, und zu dem
Ende in den Pflanz-Schulen faſſen ſollen,
nichts anders mit ſich fuͤhret. Dieſem Vor-
urtheil aufzuhelfen, leitet er bey den Heiden aus
einer vorgaͤngigen Wirkung des heiligen Gei-
ſtes, lang vor dem Gehoͤr des Evangelii, ſehr
vieles her, und bey denen, die in der Chri-
ſtenheit leben, ſchrenket er die zuvorkommende
Gnade auf den Leidens-Puncten ein. Aus
dieſem
[96]TheilI.Cap.I.Satz 14.
dieſem Vorurtheil verringert er allen denjeni-
gen Einfluß, den der uͤbrige Inhalt der heili-
gen Schrift bey der Erweckung und Uebung
des Glaubens hat, und ſuchet ſolches dem Lei-
dens-Puncten zuzueignen. Bey dieſem Vor-
urtheil kommt eine ſolche Lehr-Art heraus, als
ob die uͤbrige Lehre nur muͤſſige Wiſſer machte,
und als ob der Leidens-Punct allein das Herz
beſſerte und ſaͤttigte, und nicht auch in einem
leeren Wiſſen aufgehalten werden koͤnnte.


§ 94.

Etliche Stellen des N. T. werden hiebey
ſehr oft angezogen, und misbrauchet, als
Matth. 24, 30: von dem Zeichen des Menſchen-
Sohnes. Joh. 20, 27: von Thoma. 1 Cor.
2, 2: von JEſu Chriſto dem Gecreuzigten.
Off. 3, 10: vom Wort ſeiner Gedult.


§ 95.

Das Zeichen des Menſchen-Sohnes
ſoll die eroͤffnete Seite ſeyn, woran jederman
erkennen werde, wer der Mann auf der Wol-
ken ſey: Gemein-Reden A. 1747. Th. II. ſ.
183. und vorher werde Er in Silentio \& Pleu-
ra
erſcheinen. Diſcours uͤber die A. C. ſ. 142.
Ihn werden ja ſehen, die Ihn zuſtochen haben:
das Zeichen aber des Menſchen-Sohnes iſt et-
was anders, wie die Ordnung des Textes,
Matth. 24, 30. ausweiſet. Denn da heiſſet
es zuerſt: Es wird erſcheinen das Zeichen
des Menſchen-Sohnes im Himmel,
und
hernach
[97]Vom Blut und Wunden.
hernach von dem Menſchen-Sohn ſelbs, ſie
werden Ihn ſehen.
Man wird alſo zuerſt
den herrlichen Aufzug, und ſodann den Koͤnig
ſelber ſehen: und dieſer wird die Seitenhoͤle nicht
vor ſich herſenden, ſondern ſie an ſeinem heili-
gen Leibe ſelbs ſehen laſſen.


§ 96.

Als dem Thomas die Juͤnger die Erſchei-
nung des auferſtandenen HErrn JEſu bezeug-
ten, ſagte er: Es ſey denn u. ſ. w. Seine
Forderung erfuͤllte der freundliche HErr, ſo gar
mit Wiederholung der Worte Thomaͤ: und da
war das Sehen und Betaſten der Naͤgel-
maal und der Seite
nicht die Sache ſelbs,
ſondern das Mittel, ihn zu uͤberzeugen, daß
derjenige, den er ſahe und betaſten durfte, der
gecreuzigt-geweſene JEſus ſey, daß Er wahr-
haftig auferſtanden ſey, daß die Juͤnger den
Thomam mit der Wahrheit berichtet haben,
daß Er des Thomaͤ vorhin bekannter HErr
und GOtt ſey, welches er viel ſeliger ohne das
Sehen geglaubet haͤtte. Alſo iſt bey dieſer un-
aufhoͤrlichen Anfuͤhrung des Thomaͤ ein Man-
gel, daß ich gelinde rede, einer geiſtlichen
Diſcretion.


§ 97.

Ueberhaupt hat man bey der neumaͤhriſchen
Gemeine die Betrachtung von Chriſto, dafuͤr,
daß man aller ſeiner Wohlthat genieſſen ſolte,
beſonder auf das ſogenannte Seiten-Hoͤhlgen
eine Zeitlang gewendet, als ob wir, wie die
(Abriß der Bruͤderg.) GErde
[98]TheilI.Cap.I.Satz 14.
Erde dem Leibe nach, alſo daſſelbe der Seelen
nach, zur Matrice oder Mutter haͤtten u. ſ. w.
Diſcours uͤber die A. C. ſ. 31, 37, 294. Nun
behaͤlt die Eroͤffnung der Seite JEſu nach
ſeinem Tode, woraus Blut und Waſſer ging,
ihre Wichtigkeit, Joh. 19, 34. u. f. Und
Waſſer und Blut, wodurch JEſus Chriſtus
kam, ſind ſamt dem Geiſte drey Zeugen. 1 Joh.
5, 6 u. f. Man muß aber die Vergleichung
dieſer zwo Stellen, ſo erheblich eine jede fuͤr
ſich iſt, und ſo aͤhnlich ſie einander lauten,
nicht zu weit und uͤber ihren Zweck hinaus trei-
ben. Das Blut und Waſſer aus der Seiten
ſind nicht zween Zeugen: aber die Eroͤffnung
der Seiten, woraus es kam, war nach dem
Tode, mit welchem bereits alles vollbracht war,
noch wie eine Zugabe, damit das koſtbare Blut
des heiligen Lammes GOttes auf das reich-
lichſte vergoſſen, und die Gewißheit ſeines To-
des auf das unwiderſprechlichſte bekraͤftiget
wuͤrde. Hiebey verdient Hn. D. Baumgar-
tens zwey und dreiſſigſtes Bedenken, von dem
Verhaͤltniß der Oefnung der Seite Chriſti
gegen die Erloͤſung,
erwogen zu werden.
Daß Glaubige bey ihrem Heimgang in und
durch die eroͤffnete Seite JEſu ziehen, iſt
eine verbluͤmte Redens-Art in einem und dem
andern Kirchen-Liede, die nicht zu verwerfen:
und daß ſie ſich in ſolcher Kluft, als in einer
Steinritze verbergen, iſt ihnen zu goͤnnen,
(wann nur rohe Leute keine Rauͤberhoͤle dar-
aus machen:) aber ein reifer Glaubens-Ver-
ſtand
[99]Vom Blut und Wunden.
ſtand geſtattet nicht, der ſinnlichen Einbildung
unablaͤſſig nachzuhaͤngen.


§ 98.

Eine gleiche Bewandtniß hat es mit denen
haͤuffigen Vorſtellungen von einem Leichen-
und Grabes-Dunſt
u. ſ. w. Auf JEſu Toͤd-
ten nach dem Fleiſch erfolgte alſogleich die Le-
bendigwerdung nach dem Geiſte: daher muſſ-
te auch die Begraͤbniß herrlich ſeyn, weil es
bey der unterſten Tieffe unverzuͤglich anfing
wieder aufwerts zu gehen, und die Begraͤb-
niß eine naͤhere Verbindung mit der Auferſte-
hung, als mit dem Tode hatte: 1 Cor. 15, 4.
wie denn auch der Zuſtand des Erloͤſers nach
dem Nu ſeines Todes gewiſſer maſſen ſchon ei-
ne groͤſſere Aehnlichkeit hatte mit ſeiner her-
nachfolgenden Herrlichkeit, als mit ſeinem vor-
hergegangenen Leben im Fleiſch. 1 Cor. 11, 26.
Der Heilige des HErrn hat die Verweſung
nicht ſehen ſollen: und folglich iſt es ein Her-
zens-Duͤnkel wider die Schrift, daß vom
Grabesdunſt u. ſ. w. ſo vieles geredet wird.


§ 99.

Nichts anders, als das Creuz zu predi-
gen, iſt Pauli Meinung weder zu Corinth noch
anderer Orten geweſen. Er ſagt nicht, daß
er nur das Creuz gewuſſt, ſondern daß er an-
fangs, da er zu den Corinthern kam, in ſei-
ner Lehre und Lehr-Art aufs Creuz allein geſe-
ben habe, 1 Cor. 1, 18. 23. c. 2, 2. wiewohl
G 2auch
[100]TheilI.Cap.I.Satz 14.
auch ſein erſter Vortrag vom Evangelio bey
ihnen noch viel andere Puncten in ſich faſſete,
und die Lehre auch von Chriſti Tode, Be-
graͤbniß und Auferſtehung zugleich, ſolchen
Anfang nicht ausmachte, ſondern ἐν πρώτοιϛ
inter Prima ein Theil war. Cap. 15, 1. u. f.
Sonſt haͤtte er zu Corintho nicht wie zunaͤchſt
vorher zu Athene gelehret. Apg. 17, 18. 18, 4.
5. 11. Ja da er 1 Cor. 1, 23. 24. 30. von Chri-
ſto
redet, ſo gedenket er des Creuzes allein in
dieſer Betrachtung, wie es den Juden und
Griechen, nicht aber, wie es den Beruffenen
vorkommt: und im Gegenſatz gegen die An-
fangs-Lehre vom Creuz wird fuͤr die Vollkom-
menen noch viel etwas weiters angezogen, deſ-
ſen die Corinther noch nicht faͤhig waͤren, Cap.
2, 6 ‒ c. 3, 4. wiewohl auch Paulus in beeden
Briefen an ſie noch vieles andere ihnen vorle-
get, und durch das oft wiederholte Wiſſet ihr
nicht
bey ihnen voraus ſetzet. Man erwe-
ge auch den Ruhm der Gnade, Cap. 1, 5. 7.
und den Verweis der Unwiſſenheit, Cap. 15,
34. Eben das heiſſet die Schrift nur wie ein
Lexicon behandelt, wann man zum Exempel
das einzele Wort, Creuz, Gecreuziget, her-
ausnimmt, und die ganze Rede zuruͤklaͤſſet, als
ob es etwas ſchaͤdliches waͤre, den Zuſammen-
hang erwegen.


§ 100.

Von dem Wort der Gedult Chriſti, Off.
3, 10. welches der Leidens-Puct ſeyn ſoll, wird
im folgenden Capitel, § 173 gehandelt.


§ 101.
[101]Vom Blut und Wunden.
§ 101.

Im ganzen N. T. und in denen Buͤchern,
darin die jezt angezogene Stellen befindlich ſind,
wird ſo vieles vom Leiden und Sterben JEſu
Chriſti geredet, und doch fuͤhret der Ordina-
rius
eben dieſe Stellen faſt oͤfter an, als die
uͤbrigen miteinander. Das mag, auch ihm
ſelbs unvermerkt, aus zwo Urſachen herkom-
men: 1. Man kan ſie vor andern zu ſinnlichen
Vorſtellungen oder zum philadelphiſchen
Ruhm anwenden. 2. Man kan bey denſelben
die Auferſtehung Chriſti leichter beyſeit ſetzen,
dahingegen an andern ausfuͤhrlichen Stellen
mit dem Leiden Chriſti, welches darin beſchrie-
ben wird, die Auferſtehung u. ſ. w. ſo ver-
knuͤpfet iſt, daß man keines ohne das andere
betrachten kan.


§ 102.

Der Leidens-Punct ſelbs faſſet noch viel
anderes in ſich, wann man recht damit umge-
hen will: und vieles begleitet denſelben unzer-
trennlich, vieles gehet vorher, vieles folget
hernach, und alles gibt einander einen Nach-
druck und ein Gewichte. Wir wollen kuͤrzlich
davon handeln.


§ 103.

Einem jeden, der den Namen des HERRN
anruffen und alſo ſelig werden ſoll, muß der
Name des Vaters und des Sohnes und des
G 3heiligen
[102]TheilI.Cap.I.Satz 14.
heiligen Geiſtes, und das uralte Bekenntniß
des apoſtoliſchen Glaubens bekannt ſeyn;
indem die erſte und vornehmſte Haͤlfte
des Bekenntniſſes mit ihren acht Articuln
ſo viel iſt als eine Paraphraſis des Na-
mens, worauf man taufet und getaufet
wird: und die heilige Schrift bezeuget
durchgehends, wie GOtt ſeinen eingebor-
nen Sohn, durch welchen Er die Welt ge-
macht, zum Heil der verlornen Menſchen und
zur Verſuͤhnung mit Ihme verordnet: wie Er
von mancherley Stuͤcken und auf mancherley
Weiſe vor Alters durch die Propheten gere-
det, und inſonderheit ſeine Gnade in ſeinem
Sohne verheiſſen, und denn dieſen ſeinen
Sohn in die Welt geſandt: wie der Sohn
ſeinen Vater denen Menſchen noch viel naͤher
und ausfuͤhrlicher
bekannt gemacht, und der
Vater hinwiederum ſeinen Sohn verherrlichet
hat. u. ſ. w. Als nun der Sohn GOttes in
die Welt gekommen, hat Er ſeine Herrlichkeit,
als die Herrlichkeit des eingebornen Sohnes
GOttes, zu erkennen gegeben, und diejenige,
die Ihn fuͤr den Sohn GOttes erkannten, ſe-
lig geprieſen, ehe Er ihnen ein Wort von ſei-
nem Leiden geſaget. Ja Er hat den Glauben
an Ihn, als an den Sohn GOttes, recht fe-
ſte geſetzet, ehe Er von ſeinem Leiden ſagte: und
ſo bald Er von ſeinem Leiden ſagte, ſagte Er
auch von ſeiner Auferſtehung, durch welche der
Vortrag vom Leiden nicht allein ertraͤglich ge-
macht ward, ſondern auch ein groͤſſeres Ge-
wicht erhielt.


§ 104.
[103]Vom Blut und Wunden.
§ 104.

Hieraus erhellet ſchon; daß die rechte Lehr-
Art vom Leiden ſelbs viel tiefer und weiter gehe,
als die Ausdruͤcke von den Wunden. Weil des
Ordinarii Vortrag von der heiligen Dreyei-
nigkeit und von Chriſto ſehr unrichtig, und
der von dem Leiden Chriſti ſehr geſtuͤmmelt iſt,
ſo gibt es in den Zuſammenhang der ganzen
heilſamen Lehre eine ſolche Reihe von Verwir-
rungen, die ihres gleichen nirgend hat. Er
ſetzet den himmliſchen Vater bey ſeit, als ob
der Menſch nicht wider ihn, ſondern allein wi-
der den Sohn geſuͤndiget, und der Sohn alſo
den Menſchen nicht mit dem Vater, ſondern
allein mit ſich ſelbs verſuͤhnet, der Vater aber
dem Sohn nur erlaubet haͤtte, im Fleiſch zu
kommen und fuͤr uns zu leiden und zu ſterben:
dahingegen die Schrift uns ausdruͤcklich leh-
ret, daß GOtt uns mit ihm ſelber verſuͤhnet
habe, und daß ſolches durch den Tod ſeines
Sohnes
geſchehen ſey. Alſo iſt denen, die ſich
in die aͤuſſere ſinnliche Leidens-Umſtaͤnde ver-
ſenken, der groſſe Friedens-Rath, und das,
was zwiſchen GOtt und Chriſto vorgegangen
iſt und noch vorgehet, faſt fremde, und ſeines
Mittler-Amts, ſeines Prieſterthums, ja auch
ſeines Todes, wird bey ihnen ſehr wenig ge-
dacht. Denn der Mittler vermittelt die Sache
zwiſchen GOtt und den Menſchen: der Prie-
ſter fuͤhret uns nicht zu ſich, ſondern zu GOtt:
und ein Leichnam faͤllt in die Augen, der Tod
G 4aber
[104]TheilI.Cap.I.Satz 14.
aber nicht. Das beblutete Lied, Ein Laͤmm-
lein geht,
ſieht ihm ſelbs Num. 1886 nicht
mehr gleich. Da heiſſt es zum Exempel: ”

Das Laͤmmlein iſt der groſſe GOtt,
der
”Schoͤpfer unſrer Seelen;
den hat ſein
”Vater in der Noth
uns nicht gewollt
”verhehlen:
Geh hin, mein Kind! und nim
”das Amt,
die Suͤnder, die du ſelbſt ver-
”dammt,
zur Straff der Zornes-Ruthen,
zur Straff ſo ſchwer, zum Zorn ſo groß,
In deinr Perſon zu machen los,
Durch
”Sterben und durch Bluten.”

Wie viel
Dankſagung an den himmliſchen Vater fuͤr
ſeine Liebe wird bey dieſer Meinung unterblei-
ben? und wie wird der Zugang und das Na-
hen zu Ihme ſo rar gemacht, wann man
die Seelen gewoͤhnet bey dem Mittler ſtehen
zu bleiben? Man ſoll ja billig auch zu Herzen
nehmen den Willen GOttes, welchen Chriſtus
ſo gerne gethan hat: und das, was GOtt ſelbs
in Chriſto bey dem Leiden Chriſti gethan hat,
wie denn Paulus Col. 2, 14. 15. vergl. Eph. 2,
4. von GOtt redet: desgleichen bey Chriſto
ſelbs die Aufopferung gegen den himmliſchen
Vater, das Thun des Willens GOttes bey
ſolcher Aufopferung, und nebſt dem aͤuſſern
auch ſein inneres Leiden, deſſen Betrachtung
die natuͤrliche Sinnen nicht ſo angreifft und
von dem Ordinario nicht ſo geprieſen wird.
Bey dem Kampf an dem Oelberg, deſſen er ſo
hauͤffig gedenket, ſieht er vielmehr auf den blu-
tigen Schweiß,
als auf die Uebergabe in
den
[105]Vom Blut und Wunden.
den Willen des Vaters: und wann in dem al-
ten Liede, Da JEſus an dem Creuze ſtund,
das Wort, Mein GOtt, mein GOtt, wa-
rum haſt du mich verlaſſen?
alſo ausgedruͤk-
ket iſt: Zum fuͤnften gdenk ſeinr Bitterkeit,
die GOtt am heilgen Creuz ausſchreyt:
Mein GOtt, wie haſt du mich verlaſſen?
Das Elend, das ich leiden muß, das iſt
ganz uͤber die maſſen:
ſo heiſſet es Num. 1797
dafuͤr: Denkt aber auch der bittern Schmach,
darunter unſer Heiland ſprach bey laͤſtern
ohne maſſen das fuͤnfte Wort: Mein GOtt!
mein GOtt! wie haſt du mich verlaſſen!

Damit iſt der Ausdruck des alten Liedes ver-
ringert, und die Klage Pſ. 22, 2. 3. bey wei-
tem nicht erreichet. GOtt hat Chriſtum nicht
nur in die bittere Schmach, die ihm die Men-
ſchen anthaͤten, uͤberlaſſen: es war ein ernſt-
hafterer Handel zwiſchen GOtt und dem Suͤn-
dentraͤger. Glaubt ſolchen die Gemeine:
warum redt ſie davon ſo wenig?


§ 105.

Ohne dergleichen Grund-Betrachtungen
wird durch die bloſſe und dazu kaltſinnige Re-
den, von einem verwundeten oder gehenkten
Heiland, und dergleichen, die Ehrerbietung
gegen das Geheimniß der Erloͤſung nicht wenig
gekraͤnket: und in der rechten Application be-
zieht der Glaube ſich ohne Sehen und Fuͤhlen
auf des groſſen Hohenprieſters Erſcheinung vor
dem Angeſichte GOttes fuͤr uns in einer Ihm
G 5dahin
[106]TheilI.Cap.I.Satz 14.
dahin nachfolgenden Zuverſicht, dahingegen
in der neuen Lehr-Art die Sache meiſtens auf
ein Gefuͤhl bey dem Menſchen geſetzet, ja auch
noch ein Schauen auf dem Wege gehoffet wird.
Soll aber der Anfang der Unterweiſung ſchon
eine Voͤlligkeit haben, wie ungebuͤhrlich iſt es
doch, wann man immer von den Wunden al-
lein redet?


§ 106.

Mit dem Tode unſers Erloͤſers iſt ſeine
Auferſtehung, auch in der Predig vom Glau-
ben, unzertrennlich verknuͤpfet. Haben wir
die Verſuͤhnung mit GOtt in dem Tode ſei-
nes Sohnes, ſo ſollen wir auch je die Selig-
keit in ſeinem Leben erkennen. Ob die Aufer-
ſtehung Chriſti in den Augen des Ordinarii
kein Wunder iſt (welche paradoxe Rede nicht
beſſer entſchuldiget werden kan, als wenn man
ſie ein Wortſpiel nennet,) ſo iſt doch das Zeug-
niß von ſolcher Auferſtehung das eigentlichſte
Stuͤck des Apoſtel-Amts, Apg. 1, 22. c. 2,
36. c.4, 33. ꝛc. So bald und ſo oft der HErr
JEſus ſeinen Juͤngern ſein bevorſtehendes Lei-
den verkuͤndigte, ſetzte Er hinzu, am dritten
Tage werde Er wieder auferſtehen: Matth.
16, 21. u. ſ. w. und hernach war beedes zu-
ſammen die Summa der apoſtoliſchen Bot-
ſchaft: Apg. 17, 3. 26, 23. daher Paulus,
als er in ſeinem Schreiben an die Galater von
dem Creuz zu handeln vorhatte, dennoch in
ſeinem apoſtoliſchen Titel ſelbs meldet, GOtt
der
[107]Vom Blut und Wunden.
der Vater habe JEſum Chriſtum von den Tod-
ten auferwecket. Wer alſo vom Tode Chriſti
ohne ſeine Auferſtehung redet, der redet nicht
recht. GOtt hat daran nicht genug gehabt,
daß Er den Hirten geſchlagen, ſondern Er hat
Ihn auch von den Todten ausgefuͤhret. Auf
beedes beziehet ſich die rechte Predig und der
rechte Glaube. Wo eine Gemeine ſich zwar
Chriſti ruͤhmet, wie Er gecreuziget und ge-
ſtorben,
aber nicht vielmehr, wie Er aufer-
wecket
iſt, ſo hat ſie kein Lob davon, daß ſie
eine Creuz-Gemeine heiſſet. Wundenhaf-
tige
Worte, und ein ganzer Sinn aus und
nach JEſu Chriſto, ſind weit unterſchieden.
Wird bey der neumaͤhriſchen Gemeine nur der
Leidenspunct mit ſo viel Worten herausge-
ſtrichen, ſo findet ſich bey andern die Tuͤchtig-
keit auch den uͤbrigen Articuln ihr Recht zu
thun.


§ 107.

Die Predig Johannis des Taͤuffers, des
HErrn JEſu ſelbs, und ſeiner Juͤnger vor
ſeinem Leiden, betraff in Summa das Reich
deren Himmel,
oder das Reich GOttes.
Von dieſem Reiche redete Er mit ihnen in den
vierzig Tagen zwiſchen ſeiner Auferſtehung
und Himmelfahrt: und dieſes Reich war der
Inhalt der apoſtoliſchen Lehre. Apg. 1, 3. c. 19,
8. c. 28, 31. Chriſtus wird eigentlicher we-
gen ſeines Koͤnigreichs, als wegen ſeines Prie-
ſterthums, der Geſalbte des HERRN ge-
nannt:
[108]TheilI.Cap.I.Satz 14.
nannt: Luc. 1, 32. c. 2, 11. ꝛc. wie Er denn Da-
vids, und nicht Aarons Sohn iſt. Vid. Gno-
mon. N. T. p.
909. 1127. Das benimt dem
Leidens-Puncten nichts: es beweiſet aber doch,
daß die Lehre von Chriſto ſich bey denen, die
Seiner recht genieſſen ſollen, noch weiter gehe.
Der Creuzes-Tod war das Mittel oder der
Weg: da kan man den Zweck und das Ziel
nicht aus den Augen laſſen.


§ 108.

Der Geiſt Chriſti, der in den Propheten
war, hat die Leiden Chriſti, und die darauf
folgende Herrlichkeiten zuvor bezeuget. So
heiſſt es eigentlich 1 Petr. 1, 11: in welcher
Stelle der Ordinarius das Woͤrtlein darnach
misdeutet, die Erkenntniß der Herrlichkeiten
aus dieſem Leben zu verweiſen. Reden im
Jahr 1747. I Theil, ſ. 297. Die Herrlich-
keiten waren in der Abſicht das erſte, und in
der Ausfuͤhrung das letzte: aber die Verkuͤn-
digung folgte nicht erſt hernach, ja ſie ging
vielmehr vorher. 2 Sam. 7, 12. Luc. 1, 32.
Alſo ſoll bey dem Zeugniß von Chriſto niemal
der Leidens-Punct allein ſeyn.


§ 109.

Da der Ordinarius ſonſten ſo vieles in der
Schrift, das vom Vater handelt, auf Chri-
ſtum deutet, ſo wendet er es um bey der Stelle
1 Cor. 15, 25. und indem Paulus ſagt, Chriſtus
muͤſſe koͤniglich regieren oder herrſchen

(durch
[109]Vom Blut und Wunden.
(durch welches Wort das Sitzen zur Rechten
GOttes
ausgeleget wird,) bis Ihm der
Vater ſeine Feinde zu einem Fuß-Schemel
mache:
ſo ſchreibt der Ordinarius dem Vater
das Herrſchen, und dem Sohne ein ruhiges
Sitzen zur Rechten des Vaters ohne Herr-
ſchaft zu. Im vierten Diſcours uͤber die A. C.
heiſſet es: ”In dieſem (dritten) Artikel ſucht ”
man eine ſcheinbare Contradiction mit des ”
Apoſtels Pauli Worten, 1 Cor. 15, 24. da ”
es heiſſt: der liebe Heiland wuͤrde ſeinem ”
Vater das Reich wieder geben;
in der ”
A. C. hingegen ſteht, Er werde die ganze ”
Creatur ewig beherrſchen, und regieren. ”
Es hat aber nichts zu ſagen: man muß nur ”
Schrift mit Schrift erklaͤren. Der Apo- ”
ſtel Paulus iſt ſo aufrichtig geweſen, daß ”
er 1 Cor. 7. einmal erinnert, das ſage ”
nicht der HErr, ſondern er, und es iſt zu ”
vermuthen, daß er zu 1 Cor. 15. dergleichen ”
gedacht habe, wenigſtens klingt es, als haͤtte ”
er im dritten Himmel etwas vom Abtreten ”
des Gouverno der Welt an den Vater ge- ”
hoͤret. Er hat ſich dennoch aber nach der da- ”
maligen Art aller Glaubigen in der Rech- ”
nung geirrt, wie die lieben Apoſtel uͤberhaupt ”
mit der Zeit-Rechnung gar ſehr brouillirt ”
waren. Denn ſie haben des Heilands ſeine ”
Zukunft ſo genau und ſo nahe beſtimmt, und ”
theils gewiß genug gemeynt, ſie wuͤrden ſie ”
erleben, wie auch des Antichriſts ſeinen Un- ”
tergang, ja es gar poſitiv geſagt: es iſt aber ”
” nicht
[110]TheilI.Cap.I.Satz 14.
” nicht geſchehen, und nach dem treuen Rath
” ihres HErrn, Apg. 1. haͤtten ſie ſich dieſe Un-
” terſuchung erſparen koͤnnen. So iſt es dem
” Apoſtel mit der Beſchreibung ſeiner Regi-
” ments-Abdication ergangen, und mit der
” Zeit-Beſtimmung, wenn der Vater wuͤrde
” anfangen zu regieren. Es iſt aus 2 Cor. 12.
” ziemlich klar, daß der Apoſtel wegen eines
” allzufreyen Gebrauchs der Worte, die er ge-
” hoͤrt, und nicht wieder ſagen, ſondern ver-
” ſiegeln ſollen, in die harte Zucht kommen iſt,
” daß ihn des Satans Engel mit Faͤuſten ge-
” ſchlagen. Inzwiſchen ſind dieſes Reden,
” die, wie der Apoſtel Petrus ſagt, von den
” nichtsnuͤtzigen Leuten gemisbrauchet werden,
” ſich und andere Leute zu verwirren. ”


§ 110.

Siegfried ſchreibt, die Bruͤder, weil ſie
einfaͤltig bey der Schrift bleiben, und ſich
hinter wenige, aber unuͤberwindliche
Prin-
cipia retrenchi
ren, ſeyeninprennabel: p. 97.
und der vollmaͤchtige Diener der evangeli-
ſchen maͤhriſchen Kirchen
ſchreibt, ein Chriſt-
licher Theologus des Creuzes, des Friedens
und der Wahrheit, muͤſſe ſich hinter die Lei-
dens-Lehre, hinter die allgemeinen
Prin-
cipia,
hinter die ſimpelſtenModificationes
der goͤttlichen Wahrheiten, und hinter eine
raiſonableundinvincibleKette vonindiſpu-
tablen
Schrift-Orten gleichſam bis an die
Zaͤhne eingraben, daß er mit Gewiſſens-

Freu-
[111]Vom Blut und Wunden.
Freudigkeit ſagen koͤnne, Hier ſtehe ich,
ich kan nicht anders, GOtt helfe mir!

Creuzreich, Beylagen, p. 231. Haͤlt man die-
ſe enge Vorſchrift, und jene Ausſchweifung
in denen zunaͤchſt vorher § 109 angezogenen
Worten gegeneinander, ſo erhellet, wie viel
unlauteres der Ordinarius bey ſeiner alleini-
gen Leidens-Lehre einmiſche. Sehen wir aber
die angezogene Worte fuͤr ſich ſelbs an, ſo iſt
folgendes zu erinnern. (1) Paulus bezieht
ſich auf den 110 und 8 Pſalmen, und nicht
auf das Paradis. (2) Wann Paulus die
Worte von der Reichs-Uebergabe ſo irrig
verſtanden haͤtte, ſo haͤtte es eine wichtige Leh-
re betroffen, und er waͤre es ſelbs geweſen, der
ſich und andere Leute, oder, wie der Apoſtel
Petrus ſagt, die heiligen Dinge verwirret
haͤtte. (3) Der Pfal im Fleiſch ward ihm ge-
geben, nicht darum, daß er vorher etwas von
den Paradiß- Worten ausgeſagt haͤtte, die
er auch noch im Brief an die Corinther ver-
ſchwieg, ſondern auf daß er ſich nicht uͤber-
huͤbe. (4) Die Zukunft Chriſti, den Unter-
gang des Antichriſts ꝛc. haben die Apoſtel we-
der in die Ferne, die ihnen vor Johanne in
Patmo noch nicht bekannt war, noch in eine
falſche Naͤhe, welche Paulus 2 Theſſ. 2. fruͤhe
genug ablehnete, geſetzt, wie gleichwol damals
von vielen andern geſchah. (5) Hie ſieht man
klar, wie vieles von dem unfehlbaren Anſehen
der Apoſtel, und alſo der heiligen Schrift,
bey dem Ordinario abgehe. (6) Die Ewig-
keit
[112]TheilI.Cap.I.Satz 14.
keit des Reichs Chriſti und die Uebergabe des
Reichs an ſeinen Vater vergleichen ſich auf ei-
nen andern Weg miteinander: denn die ſtreit-
bare Regierung mitten unter den Feinden,
Pſ. 110, 2. (wofuͤr der Ordinarius von einem
Kriegs-Generalat des Vaters redet,) hat
ein Ziel bey der endlichen Vertilgung der Fein-
de: 1 Cor. 15, 24. aber die friedſame Regie-
rung hat kein Ende. Luc. 1, 33. (7) Alſo
wird Chriſtus das Reich dem GOtt und Va-
ter erſt alsdenn uͤberantworten, wann alle
Feinde, unter denen der Tod der lezte iſt, wer-
den aufgehaben ſeyn: und bey der Himmel-
fahrt, da Chriſtus ſich zur Rechten GOttes
geſezt, hat Er das Reich erſt voͤllig angetreten,
und nicht, wie der Ordinarius meinet, dem Va-
ter uͤberantwortet. (8) Die ſich alſo recht an
Chriſtum halten wollen, die wenden nicht nur
ſein Leiden und Sterben, ſondern auch ſeine
Herrlichkeit, und in derſelben nicht nur ſein
Erſcheinen vor dem Angeſichte GOttes fuͤr
uns, ſondern auch ſeine Herrſchaft zu ihrem
Heil an. Ihr Heiland ſitzet zur Rechten
GOttes im Himmel, nicht ruhig und muͤſſig.
Er herrſchet.


§ 111.

Nun haben wir abgehandelt, was vermoͤ-
ge § 102 abzuhandeln war.


§ 112.

Nach des Gemeinſtifters Unterweiſung ſoll
der erſte Anwurf bey einem Heiden dieſer ſeyn:
Liebe
[113]Vom Blut und Wunden.
Liebe Seele! es iſt ein Lamm fuͤr dich ge-
ſchlachtet, aber ein GOttes-Lamm, dein
Heiland iſt fuͤr dich geſtorben, dein Schoͤ-
pfer hat ſein Leben fuͤr dich gelaſſen, er hat
dich erloͤſt.
Pr. uͤber Apg. 1, 7. 8. ſ. 22. Und
eben dieſes iſt die Summa der Lehre, welche
bey der neu maͤhriſchen Gemeine getrieben wird.
Dieſer Vortrag iſt wahrhaftig, ſo fern man
die Worte obenhin nimt, aber dabey iſt er un-
vollkommen. Solche Worte koͤnnen bey ei-
nem Heyden wohl eine Begierde und Aufmerk-
ſamkeit erregen, aber das iſt zutheuerſt noch kein
rechter Anfang. Derjenige muß den erbarmen-
den GOtt und die ſuͤndige Menſchen vorher er-
kennen, der den Mittler zwiſchen GOtt und
den Menſchen erkennen, und durch die Erkeñt-
niß der Wahrheit ſelig werden ſoll. Der
Glaube an den Sohn GOttes kan nicht ſeyn
ohne den Glauben an GOtt, der den Sohn
geſandt hat. Zur Erkenntniß vom Erloͤſer
ſelbs, und von der Erloͤſung durch ſein Leiden
und Sterben,
gehoͤrt auch die Erkenntniß
von der Seligkeit, die Er uns in ſeinem Le-
ben
gibt. Die Erkenntniß der Suͤnden gehet
vor der Abbitte, und die Abbitte vor der
Vergebung her. u. ſ. w.


§ 113.

JEſum Chriſtum und ſeine Verſuͤh-
nung zwar lieben, aber bis zu ſeiner Zeit
weislich zuruͤckhalten, iſt gerade ſo viel
als einen Thurn an der Spitze zu bauen
(Abriß der Bruͤderg.) H” an-
[114]TheilI.Cap.I.Satz 14.
anfangen wollen, und wenn man vom
Grunde ſpricht, antworten, daß man
zu ſeiner Zeit auch darauf bedacht
ſeyn wolle. So hieß es A. 1742. auf dem
Synodo in Pennſylvanien. Buͤd. Samml.
II B. ſ. 798. Es mag ſeyn, daß etliche in ſel-
bigem Lande den Leidens-Puncten zuweit ha-
ben anſtehen laſſen: doch muß man, auf der
andern Seite, der himmliſchen Lehr-Art nicht
zu nahe treten. Wir wollen nur vom N. T.
reden. Der HErr JEſus hat erſt Matth. 16,
21. von ſeinem Leiden, Sterben und Aufer-
ſtehung deutliche Meldung gethan. Alles,
was Er vorher, und vieles andere, das Er
hernach gelehret hat, war nicht vergeblich:
Er hat den Thurn nicht an der Spitze zu bauen
angefangen, wiewohl Er, des Ordinarii
Vorgeben nach, ſeinen Vater den Juͤngern
noch ſpaͤter bekannt gemacht. Und ſo verhaͤlt
es ſich auch mit Petri, Stephani und Pauli
Reden an die Juden und Heiden (wie denn
der Apoſtel Geſchichten und des Ordinarii Sa-
chen ſich gegeneinander verhalten, als Tag
und Nacht,) desgleichen mit den apoſtoliſchen
Schriften.


§ 114.

Inſonderheit vernichtet der Ordinarius alle
Erkenntniß von GOtt dem Vater, die vor der
Leidens-Lehre hergehet. In den Peñſ. Reden
II Th. ſ. 265 ſprach er: ”Die trockne Theo-
logie, die die ganze Welt erfuͤllt, und die
in
[115]Vom Blut und Wunden.
in Peñſylvanien auch ſchon Mode wird,
iſt die, daß man immer vom Vater redt,
und den Sohn uͤberhuͤpft. Die Theolo-
logie hat der Teufel erfunden u. ſ. w. Und ”
vorher ſ. 264 legte er dem Heiland dieſe Worte
an ſeine Juͤnger in den Mund: ”Da iſt noch
lange hin, bis ihr meinen Vater ſehen
koͤnnt; begnuͤgt euch eine Weile mit mir,
die Zeit und etliche Ewigkeiten hindurch.
Desgleichen: ”Man mag ſich auſſer Ihm
(dem Heiland mit ſeinen Wunden) zu ſei-
nem GOtt wehlen, was man will, eine
Kuh oder Pferd, den Jupiter oder den
Mercurium, oder mit Ausſchlieſſung
JEſu, eine andere Perſon, man nenne ſie
Vater oder Geiſt (das ſage ich mit gutem
Bedacht) oder Teufel; das iſt die Suͤnde
in den heiligen Geiſt.” ſ. 226. In den 32
einzeln Gemein-Reden lautet es oft alſo. In
der 15 heiſſet es ſehr roh: ”Muß ſichs doch
der Vater gefallen laſſen, der Vater un-
ſers HErrn JEſu Chriſti, daß wir ihm
ins Angeſicht ſagen: GOTT an den die
Kirche glauͤbt, JEſu zu gefallen; wir
haben dich lieb, lieber Vater GOtt!
aber wenn unſer Heiland nichts von dir
geſagt haͤtte, ſo glauͤbten wir nicht an
dich.” In der 31: Man kan es nim-
mermehr dazu bringen, daß es den Leu-
ten wahr wird, daß ein GOtt iſt; ſie
haben denn erſt ihre Hand in GOttes Sei-
te gelegt, und von Herzen zu JEſu ge-
H 2ſagt:
[116]TheilI.Cap.I.Satz 14.
ſagt: Mein HErr und mein GOtt.” In
der 30 ſtehen die uͤble ſchon hin und wieder ge-
ruͤgte Worte: ” Wenn ein natuͤrlicher
Menſch an ſtatt dieſes JEſu einen andern
fuͤr ſeinen Schoͤpfer haͤlt, fuͤr denJeho-
vabunter denElohim, fuͤr den GOtt im
Ungrunde, von dem es heiſſt:Non erat
ubi non eras;wer irgend einem andern
Manne, als dem Kinde in den zerriſſenen
Windeln diefundamentaaller Monar-
chien zuſchreibt, und daß alles durch ſei-
nen Othem entſtanden: ſo mag er dar-
nach einen GOtt, den er den himmli-
ſchen Vater heiſſt, anbeten, oder ſonſt
einen heiligen Geiſt, ſo hab ich mich ſchon
oft erklaͤret, daß ein ſolcher, nach mei-
nem Erkenntniß, von einem Diener des
Jupiters, des Mercurii, des Apollo,
oder ſonſt eines groſſen Helden, dem die
Heiden den Gottestitel gegeben haben,
in nichts differire, als daß er entweder
in concretoetwas Sabaͤiſcher, oderin
abſtractound magiſcher denkt, und das
Buͤchleinde natura deorumbeſſergoûtiren
wuͤrde, als die Mythologie. Auch die
Zeyſter Reden ſ. 325 bringen den Mercuri-
um und Jupiter wieder.


§ 115.

Es iſt eben ſo viel, als ob dieſer Prediger
den Apoſtel Paulum beſchuldigte, er habe de-
nen zu Lyſtra an ſtatt ihres Jupiters und Mer-
curii
[117]Vom Blut und Wunden.
curii nichts beſſers angetragen. Denn in der
Rede Pauli findet ſich dasjenige nicht, was
der Ordinarius zum allererſten Anfang erfor-
dert: und hingegen trug Paulus eben dasje-
nige vor, was der Ordinarius ſo heftig ver-
wirft.


§ 116.

Der HErr JEſus wird die Retorſion in
Gnaden gut heiſſen, die ich, ſeiner Ehre zu kei-
nem Nachtheil, und ſeines Vaters Ehre zur
Vertheidigung anlege. Wann man die Lei-
dens-Lehre ſelbs vortraͤgt, ſo hoͤren etliche ſol-
ches, wie alles andere, zum Glauben und im
Glauben an, andere aber ohne Frucht. Soll
man nun denen leztern, bey der Gefahr der
Suͤnde wider den heiligen Geiſt, ihr Lebenlang
nichts von dem himmliſchen Vater und von
dem heiligen Geiſt ſagen? Was erkennet der
Ordinarius fuͤr einen Unterſcheid zwiſchen ei-
nem Diener des Jupiters, und einem Men-
ſchen, der JEſum ohne den Vater und ohne
den heiligen Geiſt anbetet? Wie nun viele
auch die Leidens-Lehre ohne Beſſerung an-
hoͤren, alſo kan hingegen die Gnade bey etli-
chen durch dieſes, bey andern durch andere Le-
bens-Worte den erſten Zug zum Heil anbrin-
gen. Eine jede goͤttliche Wahrheit kan dem
Menſchen einen heilſamen Eindruck zum guten
Anfang geben, daß er aufhoͤrt ein blos natuͤr-
licher Menſch zu ſeyn. Wer ſolches nur dem
Leidens-Puncten zutrauen kan, der ſolle zuſe-
H 3hen,
[118]TheilI.Cap.I.Satz 14.
hen, ob er ſelbs jemalen von der Kraft irgend
einer andern himmliſchen Wahrheit durch-
drungen oder wenigſtens geruͤhret worden,
und ob er desfalls bey des Ordinarii Beſchul-
digungs-Manier von einem Diener des Mer-
curius zu unterſcheiden ſey.


§ 117.

Die Gnade iſt uͤberſchwenglich reich, und
hat vielerley Anwuͤrfe. Wann wir alle Ex-
empel von hauͤffigen und einzelen Bekehrun-
gen beyſammen haͤtten, ſo wuͤrde ſich eine groſ-
ſe Mannigfaltigkeit zeigen, wie bald dieſer,
bald jener Spruch der heiligen Schrift, bald
dieſer, bald jener Punct der heilſamen Lehre
den Anfang zu Rettung der Seelen gemacht
habe, bis es hieß: Was ſollen wir thun?
u. ſ. w. Apg. 2, 37. c. 16, 30. c. 22, 10. Eine
Bewegung zur Buſſe, zum Glauben, zur
Anbetung, zur Nachfolge, zur Beſtaͤndig-
keit, koͤnnen vielerley Urſachen geben, und der-
gleichen gibt bey den Nineviten ihr bevorſte-
hender Untergang, Jon. 3, 4. bey dem Hau-
ſe Iſrael, das Muſter des neuen Tempels, Ez.
43, 10. bey Saulo, die Herrlichkeit Chriſti,
die ihn zu Boden warf, Apg. 9, 3. ja auch noch
bey Petro, der reiche Fiſchzug, Luc. 5, 8. bey
den Heiden, die Wuͤrkungen des Geiſtes in
den Corinthern, 1 Cor. 14, 24. und ſo meyn-
te Paulus, ſeine Bekehrung ſolte die Juden
zu Jeruſalem bekehren. Apg. 22, 19.


§ 118.
[119]Vom Blut und Wunden.
§ 118.

Man ſoll den Sohn mit nichten uͤberhuͤ-
pfen, aber auch den Vater nicht. Das leztere
iſt vor dem erſtern eine neue und folglich eine
groſſe Luſt fuͤr den Teufel, mit dem der Ordi-
narius
ſo heftig um ſich wirft. Chriſto zu ge-
fallen, glauben wir an den Vater: und an
Chriſtum glauben wir, eben ſo wol dem Va-
ter zu gefallen. Thaͤte es dem Ordinario we-
he, wann man ſagte, er ſey dem himmliſchen
Vater gram, weil er dem Sohn alles zu-
ſchreibe: ſo muß es auch denen wehe thun, die
er bezuͤchtiget, ſie ſeyen dem Heiland gram,
indem ſie, ohne die ihnen beygemeſſene Aus-
ſchlieſſung des Sohnes, auch vom Vater re-
den. Er machet ja denen, die beedes vom
Vater und vom Sohn reden, nichts beſon-
ders, und nimmt ſie nirgend von ſeinem Schel-
ten aus. Indem er von dem Leiden des ge-
dultigen Lammes prediget, uͤberlaͤſſet er ſich an
denen vorangezogenen Stellen einem ſtarken
und unlautern Zorn wider diejenige, die bey
dem Leiden Chriſti auch an die Liebe des Va-
ters gedenken.


§ 119.

Geſetzt, ein Heyde ſey durch die Worte:
Dein Schoͤpfer hat fuͤr dich gelidten, geruͤh-
ret: aus ſolcher Ruͤhrung wird er von ſich
ſelbs, und wann man ihm nichts weiters ſagt,
nicht alles herleiten, was ihm noͤthig iſt. Be-
H 4ſehen
[120]TheilI.Cap.I.Satz 14.
ſehen wir die kurze Briefe der in St. Thomas
zu JEſu Chriſto bekehrten Negers, vom
Jahr 1741. im I Bande der Buͤd. Samml.
p. 600 - 621. ſo ſind unter zwo und dreyſſig
Seelen nicht zwo, die GOttes des Vaters
gedaͤchten, nachdem ſie ſchon geraume Zeit
unterwieſen waren. Dieſe gute Seelen richten
wir nicht: aber ſo glauben ſie doch nicht, daß
JEſus ſey das Lamm GOttes, der Sohn
GOttes, und der Geſalbte des HERRN.
Mit einem Glauben, der ſich an das Creuz
des Heilandes, und doch weder an deſſelben
Auferſtehung, noch an ſeinen himmliſchen Va-
ter haͤlt, getraute ich mir nicht zum Ziel zu ge-
langen, noch andere zum Ziel zu bringen.
Man erwege die Stellen Roͤm. 10, 9. 1 Cor.
15, 17. Col. 2, 12. 1 Petr. 1, 21. Und damit
man mich nicht verleumden, noch ſagen koͤnne,
ich habe eine Widrigkeit gegen dieſen Puncten,
ſo bezeuge ich, daß ich eben ſo wol bey keinem
einigen andern Puncten allein zu beſtehen wuͤſſte.


§ 120.

Am allermeiſten ſollen die jenige, die ſich
in alle Welt mit dem Evangelio ausbreiten,
den Inhalt der heiligen Schrift, welche durch
und durch nuͤzlich iſt, ganz inne haben, nicht
als ob allemal alles geſagt werden muͤſſte,
ſondern damit man zu jeder Zeit ſagen koͤnne,
was zu ſagen iſt.


§ 121.

Man duͤrfte an dem rechtſchaffenen Ruhm
des
[121]Vom Blut und Wunden.
des Leidens kein Woͤrtlein abbrechen, und koͤñte
doch, nach der Weiſe der heiligen Schrift, die
uͤbrigen Stuͤcke mitnehmen. Ja bis der Ordi-
narius,
den Leidens-Puncten zu erhoͤhen, die
andere verringert, koͤnnte er die andere eben ſo
wol preiſen. Es iſt mit der geiſtlichen, wie
mit der leiblichen Nahrung, da man nicht lau-
ter Mark, ſondern auch andere Speiſen zur Ge-
ſundheit iſſet, und dazu machet im Geiſtlichen
das Leiden allein das Mark nicht aus. Wird
aber durch den Leidens-Puncten allein etwas
zu wege gebracht: wie viel wuͤrde durch einen
voͤlligen Vortrag gewonnen? Unter den Peñ-
ſylvaniſchen Reden handelt eine von der Zu-
kunft unſers Koͤnigs: II Th. ſ. 70. und nach-
dem dieſelbe vor andern lehrreich ausgefallen,
ſagte der Prediger im Beſchluß ſ. 93: Aber
iſt das ſo die
ordinaireArt recht zu predi-
gen, wie ichs heute mache? O nein. Ich
habe euch einmal viel geſagt, meine Freun-
de! Solte ich euch immer ſo viel ſagen, da
behuͤte mich GOtt vor!
Und doch war die-
ſes der Bewegung ſo gar nicht hinterlich, daß
es vielmehr zunaͤchſt darauf p. 94 auf dem
Rand heiſſet: Da (bey den Hoffnungs-Wor-
ten: Sein Augen, ſeinen Mund, den Leib,
fuͤr mich verwundt, da ich ſo feſt auftraue,
das werd ich ein mal ſchauen und innig herz-
lich gruͤſſen die Maal an Haͤnd und Fuͤſ-
ſen: Darauf freuer ſich meine Seele; und ich
kan nichts mehr thun, als Ihn bitten, daß
ihr ſie auch gruͤſſen duͤrft:) da ſetzte es ſo

H 5viel
[122]TheilI.Cap.I.Satz 14.
viel tauſend Thraͤnen, daß der Prediger
nichts mehr reden, und die Zuhoͤrer nicht
mehr zuhoͤren konten.
War dem alſo, ſo
ſind in dieſem heiteren Intervallo die zween
Articul vom Leiden und von der herrlichen Zu-
kunft Chriſti, wie Hebr. 9, 28. zuſammenge-
floſſen, und des erſteren Articuls halben hat
auch hier ein altes, die Sinnen bewegendes
Kirchenlied das beſte gethan. Es kan ſeyn,
daß unter zwoͤlf guten Seelen eine jede an einen
beſondern Articul, nebſt dem allgemeinen Ge-
nuß der ganzen Glaubens-Lehre, eine beſon-
dere Weide hat, und folglich dieſelbe zuſam-
men ein Symbolum apoſtolicum vivum oder
ein lebendiges Glaubens-Bekenntniß praͤſen-
tiren. Wann nun eine Seele irgend an einem
beſondern Articul ein beſonderes Belieben
hat, ſo muß ſie darum weder die andere Ar-
ticul herabſetzen, noch ſich allen andern See-
len mit Aufblehung ihrer ſelbs zu einem Mu-
ſter aufdringen.


§ 122.

Es muß doch eine gewiſſe Urſache haben,
daß der Ordinarius bey dem Vortrag vom Lei-
den Chriſti den Stand der Erhoͤhung ſo gar
fliehet, und die Luͤcke mit allerley zuſammenge-
ſuchtem Zeuge buͤſſet. Endlich iſt mir beyge-
gangen, weil die Vernunft nichts ſo unmoͤglich
achtet, als die Auferſtehung der Todten, und
folglich die Heyden wegen der Auferſtehung
Chriſti von den Todten gar leicht das Evan-
gelium
[123]Vom Blut und Wunden.
gelium verſchmaͤhen wuͤrden, ſo habe er bey
ſeiner allgemeinen Predig dieſen Articul ſo viel
moͤglich verſtecket. Wird man eine Urſache,
die voͤlliger zureichet, eroͤffnen, ſo will ich mir
ſagen laſſen. Indeſſen wird mein Einfall be-
kraͤftiget durch das, was mir ehedeſſen (unten,
* 18.) zur Antwort gegeben worden iſt.


§ 123.

Wer die Art des menſchlichen Gemuͤths
kennet, der kan es unmoͤglich gut befinden,
wann man in Gedanken und Reden von dem
ganzen Schatz der heilſamen Lehre einen einigen
Articul zur ſteten Betrachtung, entweder fuͤr
ſich, oder auch andern zufolge, ausſondert.
Es gibt eine Battologie, ein leeres mattes Ge-
ſchwaͤze, welches nicht nur mit dem Munde,
ſondern auch in Gedanken vorgehen kan: und
mit einer eigenwillig-erzwungenen und uͤber-
triebenen Blut-Andacht moͤchte einer mitten
in die bloſſe Natur hinein verſenken. Es iſt
ſicherer, man beſchaͤftige ſich dazwiſchen mit
allerley Geſchichten und Umſtaͤnden, die in der
heiligen Schrift nacheinander vorkommen,
und einem, der ehrerbietig damit umgehet,
immer von der Hauptſache ſelbs einen guten
Genuß, Geruch und Geſchmack geben, als
daß man den edelſten Saft unaufhoͤrlich um-
herruͤhre und ihn gleichſam verriechen laſſe,
welches denn bey einem Pilger die Kraft, ſon-
derlich zur Zeit der Noth, vielmehr verrin-
gert, als vermehret. Jedoch beduͤrfen die
neumaͤhriſche
[124]TheilI.Cap.I.Satz 14.
neumaͤhriſche Bruͤder dieſer Warnung nicht
ſonderlich. Es gibt bey ihnen auch der Ge-
ſpraͤche genug von allerley Haͤndeln, und al-
lermeiſt von ihrer Gemeine, wann es nur der
Lehre halben nichts anders iſt, als vom Schoͤ-
pfer und Heiland.


§ 124.

Ruͤhmlich wuͤrde es gethan ſeyn, wann
die Blut-Gemeine ſich ihres beſondern Blut-
Ruhms begaͤbe. Durch die Trennung der
Lehre werden nicht nur die andern Puncten,
ſondern auch der Leidens-Punct ſelbs, ge-
ſchwaͤchet und in Gefahr geſetzet. Sie ſtaͤrken
und halten einander bey ihrem Zuſam̃enhang,
und wann eine Seele uͤber irgend einem Stuͤck
in Zweifel geraͤth, ſo kan ſie ſich vermittelſt
der andern wieder aufraffen: welche ſich aber
mit dem Leidens-Puncten alleine traͤgt, die kan
ſich, wann ſie uͤber demſelben in ein Gedraͤnge
kommt, mit nichts helfen: die Gruͤnde, wo-
mit die Wahrheit der Chriſtlichen Religion,
das Anſehen der heiligen Schrift u. ſ. w. be-
wieſen wird, ſind ihr fremde: ſie faͤllt in einen
Pyrrhoniſmum und Zweifelſucht oder gaͤnz-
liche Ungewisheit: und indem ſie ſich ſo viel
aufs rechte Puͤnctgen einbildet, ſo verliert ſie
eben daſſelbe zugleich mit den andern Puncten.
Wann einer von einer Uhr ein Stuͤcklein,
welches nicht die Stunde ſelbs weiſet, und ihm
folglich als entbehrlich vorkommt, nach dem
andern bey ſeit thaͤte, ſo wuͤrde ihm der Zei-
ger
[125]Vom Blut und Wunden.
ger ſelbs keinen Dienſt mehr thun. Wer alle
Theile an einer Sache aufloͤſet und trennet,
der verderbet das Ganze. Zerſtuͤcken iſt zer-
ſtoͤren. So lang der Ordinarius und ſeine
Mitarbeiter zu ſolchen Leuten, oder ſolche Leute
zu ihnen kamen, die vorhin vom Geſetz und
zugleich von aller evangeliſchen Lehre berichtet
und angegriffen waren, ſo konnte der Paſ-
ſions-Punct alle andere in ihnen, zumal bey
einem ſanften Umgang vieler guten Seelen,
erregen, und eine groſſe Erfriſchung geben,
daher ihm ein Ruhm an ihrem Geiſt erwuchs:
nun aber bey ſeiner Gemeine ein ſolches Ge-
ſchlecht aufkommt, das allein von Wunden
hoͤret und von Wunden redet, ſo werden lee-
re leichte Worte daraus. Das gibt Leute,
die Chriſtum nennen, und Ihn nicht kennen.


§ 125.

Wann man alle proteſtantiſche Chriſten zu-
ſammen nimt, ſo iſt unter ihnen mehr glaubi-
ge Ehrerbietung geweſen, ehe das Heiland
Heiland ſagen
ſo uͤblich worden iſt, als auf
dieſe Stunde, da es bey vielen rohen Leuten
zu einem Spruͤchwort, und oft zur Laͤſterung
verwendet wird. Die hierzu ohne ihr Ver-
muthen Anlaß geben, ſind doch nicht ohne
Schuld. David bedachte es in dem Handel
mit Uria nicht, daß er die Feinde des HERRN
laͤſtern machete, und doch ward ihm dieſes bey-
gemeſſen. Diejenige, welche die koͤſtliche
Blut-Lehre ſo gar blos und mit einer uner-
hoͤrten
[126]TheilI.Cap.I.Satz 14.
hoͤrten Affectation vortragen, machen ſie ohne
ihr Wiſſen gemein, und koͤnnen den dazuſchla-
genden manchfaltigen Misbrauch nicht verhuͤ-
ten. Indem ſie aus dem Wunden-Blick, oh-
ne das Geſetz, alles herleiten, was man thun
und laſſen ſoll, ſo machen ſie, als ungeſchickte
Empirici, ſo viel an ihnen iſt, aus dem theu-
ren Blut Chriſti ein Opium, womit ſie ſich
und andere im Gewiſſen um den Unterſchied
deſſen, was Recht und Unrecht iſt, bringen.


§ 126.

Wann man in einem Saal alle Lichter, bis
auf eines, ausloͤſchet oder beyſeit thut, ſo wer-
den ſich alle anweſende zu dem einigen noch
uͤbrigen Lichte wenden, ob ſchon dieſes an ſich
ſelbs keine ſolche Helle gibt, als alle Lichter zu-
ſammen. So iſt es, wann man einen eini-
gen Puncten der heilſamen Lehre, zum Exem-
pel, von den blutigen Wunden JEſu, beſon-
der preiſet, und die uͤbrigen zuruͤcke ſetzet. Das
wird in der lezten einzelen Rede von der Ein-
falt in Chriſto
fuͤr die Einfalt ausgegeben:
welcher geſtalten es Chriſto ſelbſten an der Ein-
falt gefehlt haben muͤſſte, (das ferne ſey!) als
der ſeinen Vater immer vor Augen hatte, und
auch mitten in der Creuzes-Schmach auf die
bevorſtehende Freude hinſahe. Die wahren
Chriſten ſelbs bey der ſo genannten Creuzge-
meine halten von dem Leiden Chriſti nicht mehr,
ſondern ſie treiben nur alle uͤbrige Articul we-
niger, als andere rechtgeuͤbte freye Chriſten
zu thun pflegen.


§ 127.
[127]Vom Blut und Wunden.
§ 127.

In Summa: der Articul von dem Leiden
Chriſti iſt es allein, den dieſe Gemeine immer
im Munde fuͤhret: und daher kommt es bloͤ-
den Seelen vor, als ob dieſe Gemeine allein
es waͤre, die dieſen Articul ſchmuͤckete.


Der 15 Satz.
Bey der ſogenannten Bruͤderge-
meine iſt nicht recht die Lehre von
der Suͤnde und von dem Geſetze,
von der Gnade und von dem Evan-
gelio, von der Rechtfertigung und
von der Erneuerung. u. ſ. w.


§ 128.

Dieſe Puncten hangen genau aneinander,
und alſo nehmen wir ſie auch zuſammen.
Dem Ordinario hat die Genuͤge an der Ruͤh-
rung vom Creuz, die er ehedeſſen empfangen;
der Mangel eines zarten gruͤndlichen Gefuͤhls
vom Unterſcheid des boͤſen und des guten; die
hurtige Ausruͤſtung der Boten in alle Welt;
und die Begierde, durch einen leichten Vortrag
viele Seelen zu gewinnen, einen ſolchen ge-
ſchmeidigen und dabey ſeichten Begriff auch
von der Heils-Ordnung an Hand gegeben.
Hieher gehoͤrt inſonderbeit, was der Hr. von
Bogatzky ſchon mehrmal gegen die neumaͤhri-
ſchen Irrungen erinnert hat.


§ 129.
[128]TheilI.Cap.I.Satz 15.
§ 129.

Was der Ordinarius von Paulo wider die
Wahrheit ſagt, er ſey dem Geſetz ſo gram
geweſen, das findet ſich bey ihm ſelbs eigentlich.
Halten etliche ſich und andere zu lang oder zu
viel beym Geſetz auf, ſo muß man darum nicht
zu weit wieder auf die Gegenſeite hinuͤber fal-
len.


§ 130.

Das Geſetz fordert: das Evangelium
ſchenket. Dieſen Unterſcheid kan auch ein Kind
merken.


§ 131.

In beedem gibt GOtt ſeinen Willen zu er-
kennen: in beedem kan Er ſich ſelbs nicht lauͤg-
nen. Beedes iſt unzertrennlich; beedes aber
flicht ſich auch gar innig und ſubtil ineinander:
und Unverſtaͤndige ſchreiben deswegen dem ei-
nen von beeden die Wuͤrkung des andern zu,
wiewol ein groſſer Unterſcheid iſt und bleibet.


§ 132.

Was zwiſchen dem gerechten und barmher-
zigen GOtt und dem ſuͤndigen, aber wieder
zu Gnaden gelangenden Menſchen vorgehet,
kommt darauf an, daß der Menſch GOtte die
geraubte Ehre wieder gebe, und ſich wieder in
den Willen GOttes finde: folglich daß er des
vergangenen halben ſeine Abweichung erkenne,
und die Vergebung der Suͤnden in JESU
Chriſto
[129]Vom Geſetz u. ſ. w.
Chriſto bekomme: und in das kuͤnftige dem
Willen GOttes zu leben tuͤchtig und willig
gemacht werde und bleibe. Hie wird er theils
durch das Geſetz, theils durch das Evange-
lium angeleitet.


§ 133.

Die Gnade und Wahrheit, die durch JE-
ſum Chriſtum worden iſt, ward auch ſchon
vorher im A. T. bezeuget: und der Inhalt des
Geſetzes, das durch Moſen gegeben ward,
vom Boͤſen, das man laſſen, und vom Gu-
ten, das man thun ſoll, iſt auch den Men-
ſchen, die vor Moſe waren, oder hernach nichts
von ihm wuſſten, bekannt geweſen. Zu jeder
Zeit haben die Menſchen ſich nach alle dem, was
ihnen von GOttes wegen vorgeleget wird, zu
richten, wie es ſich als eine einige ganze Unter-
weiſung zuſammen reimet. Nach der natuͤr-
lichen Ordnung geht die Ueberzeugung von der
Suͤnde vorher, und das Zeugniß von der
Vergebung derſelben folgt hernach. Mit ſol-
cher Ordnung kommt gemeiniglich auch der
Vortrag uͤberein, und dieſer wird gleichwol
je und je nach der unterſchiedlichen Beſchaffen-
heit der Zuhoͤrer weislich eingerichtet, damit
nur die Suͤnde von der Gnade uͤbermocht wer-
de. Nachdem bey der Suͤnde mehr Unwiſſen-
heit oder mehr Frevel mit unterloffen, ſo kan
Gnade und Friede geſchwinder oder langſamer
ſich des Herzens bemaͤchtigen: und wann es
zur Rechtfertigung durch den Glauben gedie-
(Abriß der Bruͤderg.) Jhen
[130]TheilI.Cap.I.Satz 15.
hen iſt, ſo thut ferner das Geſetz und das Ev-
angelium auf unterſchiedliche Weiſe das ſei-
nige. Denen Kindern GOttes gibt das Ge-
ſetz eine Unterweiſung, was ſie thun und
laſſen ſollen, und der Wille GOttes, der ih-
nen auf ſolche Weiſe kund wird, beweget ſie
zum willigen Gehorſam. Wer am Geſetz
nichts, als Schrecken und Zwang warnimmt,
der weiß nicht, wie das Geſetz durch den Glau-
ben aufgerichtet wird, und einem ſolchen iſt
alſo GOtt nach dem Geſetz und Evangelio
unbekannt. Alle Ermahnungen und Bezeu-
gungen, das Thun und Laſſen betreffend, ge-
hoͤren zum Inhalt des Geſetzes. Matth. 5, 17.
c. 15, 3. c. 23, 3. 23. 1 Theſſ. 4, 1. 2. 3. 9. 10.
2 Theſſ. 3, 6. 10. Roͤm. 12, 1. Eph. 6, 2.


§ 134.

Nun iſt die Frage nicht, ob der Gemein-
ſtifter ein Antinomer ſey, ſondern ob er als
ein Antinomer recht daran ſey oder nicht. Hie-
von hat er uͤber das, was in Siegfrieds Be-
leuchtung p. 106 - 123. und im Creuzreich p.
26, 32. ꝛc. dargelegt worden, in ſeinen natu-
rellen Reflexionen
p. 99 - 116 gehandelt:
aber alle dieſe Stellen ſind auch von evangeli-
ſchen Lehrern widerleget worden, und hieher
gehoͤret ausdruͤcklich Hn. Paſt. Heinolds Ver-
bindung des Geſetzes und Evangelii, mit Hn.
Abt Steinmetzens Vorrede uͤber 1 Tim. 1, 8
u. f. und mit einem Anhang, der D. Luthers
Schrift wider die Antinomer an D. Guͤtteln
in ſich haͤlt.


§ 135.
[131]Vom Geſetz u. ſ. w.
§ 135.

Wir unſers Orts wollen nur aus den Re-
flexionen,
welche vor andern Schriften des
Ordinarii maͤſſig geſchrieben, und eben darum
ſehr vorſichtig zu leſen ſind, etwas weniges,
nach der Ordnung der Blaͤtter, die ich dem
Leſer aufzuſchlagen uͤberlaſſe, beleuchten.


Zu ſ. 99. Der Ordinarius ſagt recht, daß
durch die Predig des Geſetzes der Suͤnder
nicht bekehret werde: aber das Geſetz thut doch
auch das ſeinige unter den vielerley Dingen,
welche bey der Bekehrung in der Seele vorge-
hen: ſonſt haͤtte Paulus Roͤm. 1, 18. bis Cap.
3, 20. lauter vergebliche Worte gemacht. Der
Ordinarius ſey nur recht Pauliſch, mit der
augſpurgiſchen Confeſſion und ihren Verfaſ-
ſern, als welche, wenn die heutige Frage
damals aufs Tapet gekommen waͤre, dem
geſetzmaͤſſigen Gebrauch des Geſetzes ſo wenig
wuͤrden verſchenket haben, als bey der dama-
ligen Frage.


Zu ſ. 100. Die gegenwaͤrtige Erklaͤrung des
Ordinariiauf das, was wider ihn geſchrie-
ben wird,
kan nicht zureichen. Daß die ſeli-
gen Apoſtel es
des Geſetzes halben zu keinem
Schluß haben bringen koͤnnen,
iſt ihnen und
ihrem Principalen zu nahe geredt: und ob die
apoſtoliſche, wie auch die ihr folgende ſymboli-
ſche, oder die neumaͤhriſche Methode, tuͤchti-
ger ſey, wahre und zuverlaͤſſige Chriſten zu
J 2machen
[132]TheilI.Cap.I.Satz 15.
machen, das kan man wol dieſe Stunde
auf die Fruͤchten ankommen laſſen.


Zu ſ. 101. Wer erkennet, wie innig Ge-
ſetz und Evangelium, auch bey dem Einſchau-
en in JEſu Leiden und Verdienſt, ſich inein-
ander flechten, und wie genau und noͤthig den-
noch der Unterſcheid ſey, der entgehet erſt dem
Vorwurf einer Logomachie, und kan zu an-
dern ſagen, ſie ſollen beſſer reden lernen.


Zu ſ. 102. Die Caſus, da, nach einem hoͤh-
niſchen, und gar nicht pauliniſchen Ausdruck,
das liebe Geſetz nirgends hinlangt, zum
Exempel, wegen der Polygamie, (wobey der
Ordinarius das Jus Romanum dem Goͤttlichen
Geſetze vorzieht,) wegen des Sabbats, we-
gen der Bilder, ſolte derſelbe vermoͤge ſeiner
Methode aus dem Leiden Chriſti eroͤrtern. Eine
Erklaͤrung des Geſetzes, wo es nicht hinlan-
gen
ſolle, hatten die Juden bey den Prieſtern
und Propheten (Buͤd. N. T. ed. 2. Not. ad
Act.
7.) und die Chriſten haben ſolche im N. T.
ſelbs.


Zu ſ. 103. Dieſe Seite iſt dicht voll von
gezwungenen, weithergeholten, undeutlichen
Verleumdungen, wodurch bey denen, die nicht
die Abſichten aller Worte merken, viel Zweifel
und Argwohn wider rechtgeſinnte Lehrer ver-
urſachet wird. Dann daß einer, der den Text
wegen der Bilder nicht in ſeinem Catechiſmo
herſagt, ihn aber doch in der Bibel hat und be-
haͤlt,
[133]Vom Geſetz u. ſ. w.
haͤlt, ein Gebot, und alſo nach Jacobo alle
zehen Gebote aufhebe, iſt eine unbarmherzige
Beſchuldigung. Die Wuͤrtembergiſche Kin-
derlehr legt auch dieſen Spruch den Kindern
in den Mund: ob aber die neumaͤhriſche Ge-
meinen ihre Kinder die zehen Gebote, wenig-
ſtens hiſtorice, auswendig lernen laſſen, moͤchte
einem Unbekannten deswegen zweifelhaft vor-
kommen, weil die zehen Gebote nicht im Lehr-
buͤchlein ſtehen.


Wann der Ordinarius andere Schwierig-
keiten weiß, die ihm groͤſſer und ſtringenter
vorkommen, als die vorangezogene, wegen
der Polygamie u. ſ. w. (wiewol er auch im
Buͤd. N. T. in Not. ad Gal. 3, 17. keine an-
dere vorbringt,) ſo hat er einen reichen Zwei-
fel-Schatz.


Denen, die das Geſetz fuͤr nuͤzlich erken-
nen, ſchreibt er eine Moſes-Dienerſchaft zu:
und eben damit buͤrdet dieſer in ſeinen Augen
alleinige Paſſions-Prediger Chriſto ſelbs und
allen ſeinen Zeugen eine Moſes-Dienerſchaft
auf.


Wohin zielet das, daß es nach aller Ap-
parenz dem alten Patriarchen,
Moſi, noch
lange nicht an Juͤngern fehlen werde, die
den Artikel der heiligen Dreyeinigkeit aus
dem erſten Gebote Moſis erweiſen?
Dieſe
Conſequenz ſoll denen gelten, die das erſte
Gebot, wie GOtt der HERR darin redet,
nicht auf Chriſtum allein deuten.


J 3Ein
[134]TheilI.Cap.I.Satz 15.

Ein neues Gebot ſoll es Apg. 15, 20.
ſeyn, die Hurerey betreffend, als welche nach
dem Buchſtaben, Du ſolt nicht ehebrechen,
nicht gerichtet werden koͤnne.


Chriſtus iſt des Geſetzes Ende: und doch
iſt das Geſetz ſo wol ewig, als die zwey groſſe
Gebote von der Liebe GOttes und von der
Liebe des Naͤchſten.


Zu ſ. 104. Hie ſtellet der Ordinarius mit
ihm ſelbs eine Catechiſation an, uͤber die ze-
hen Gebote. Das Geſetz iſt geiſtlich: aber
ſothane Auslegung (das darein unzeitig-ge-
mengte Evangelium ausgenommen) iſt groſſen
Theils ungeiſtlich, ſo daß Diebe und Luͤgner
u. ſ. w. (man erwege ſonderlich ſ. 109. die Fra-
ge, Das moͤchte:) unter dem Vorwand ei-
ner Treuherzigkeit ſich ſelbs rechtfertigen koͤn-
nen. Dem Geſetze ſelbs wird hie an ſeiner
Forderung vieles durchgeſtrichen, das bey den
Glaubigen erſt durch die Erlaſſung getilget
wird.


Zu ſ. 116. Genug hievon, heiſſt der Be-
ſchluß, und damit habe ich denn mit der
elenden Geſetz-Controvers hoffentlich mei-
nen ſattſamen Abſchied gemacht.
Ein ſol-
cher Abſchied wird weder von Moſe, noch von
Chriſto gebilliget. Moſes wird ihn noch he-
ben, wann er mit Chriſto nicht anders umge-
hen lernet.


§ 136.

So lauter-evangeliſch Johannes Agricola
von Eisleben eine Zeitlang ſeyn wolte, ſo half
er
[135]Vom Geſetz u. ſ. w.
er doch hernach das Interim aufſezen: und bey
der neumaͤhriſchen Gemeine moͤchte eine Vor-
ſicht noͤthig ſeyn, daß man ihm nicht, wie in
dem einen, ſo in dem andern Stuͤck aͤhnlich
werde.


§ 137.

Der Ordinarius vergnuͤgt ſich bey ſeiner
Harmonie mit gewiſſen Philoſophis practicis.
Darf er ſie namhaft machen? was findet er
an ihnen, und was kan er aufweiſen, das
nicht mit groͤſſerem Vergnuͤgen im Geſetze Got-
tes zu finden waͤre, welches die Iſraeliten
vor allen Voͤlkern zu weiſen und verſtaͤndigen
Leuten und zu einem herrlichen Volk machte?
5 Moſ. 4, 6. Solte unter den ſo genannten
Sichtungen der Gemeine nicht eine goͤttliche
Warnung vor der Verkleinerung des Geſez-
zes verborgen ſeyn? Bey den vielen Untugen-
den wurde nicht allein zum Leidens-Puncten,
ſondern auch zum Geſetz (wiewol vielmehr zu
eigenen Geboten, Verboten, Receſſen, Dro-
hungen u. ſ. w. als zum Geſetze GOttes,) eine
Zuflucht genommen.


§ 138.

Die Rechtfertigung aus dem Glauben al-
leine behaͤlt der Ordinarius: aber neben die
Rechtfertigung, darin der Menſch allein mit
Chriſto, und nichts mit GOtt zu thun haben
ſoll, ſetzet er alſogleich eine voͤllige Erneue-
rung,
als ob bey denen, die den Leidens-Pun-
J 4cten
[136]TheilI.Cap. I.Satz 15.
cten recht einſchauen, nicht nur die Schuld
und die Herrſchaft der Suͤnde getilget und
aufgehoben wuͤrde, ſondern auch die Suͤnde
den Glaubigen nichts mehr von innen zu ſchaf-
fen und zu kaͤmpfen machte. Auf ſolche Wei-
ſe ſchlaͤgt eine eigene Rechtfertigung dazu.
Dann wo der Schuldner die Obligation viel
kleiner machet, da bleibet nicht viel uͤbrig, das
er abzubitten, und der HErr zu ſchenken haͤt-
te. Das Wort, Vergib uns, wird wenig
gebraucht: und die Ermahnungen zum Wachſ-
thum
und zur Beſtaͤndigkeit haͤlt man bey
Rechtſchaffenen fuͤr unnoͤthig. Aus Luthero
und Dippelio wird ein einiges ungereimtes
Lehrbild zuſammen gebracht.


§ 139.

Dieſes alles findet ſich leicht ein, wo man
das Geſetz, durch welches die Erkenntniß der
Suͤnde kommt, ſo weit zuruͤcke weiſet. Da
iſt es kein Wunder, wann die Erbſuͤnde, (de-
ren Name bey der neumaͤhriſchen Gemeine
noch vor kurzem nicht geduldet wurde,) und
die wuͤrkliche Suͤnden, bey weitem nicht nach
ihrem leidigen Werth geſchaͤzet werden. Ein
Muſter gibt im Buͤd. N. T. ed. 2. die Anmer-
kung zu Matth. 5, 22. Die Suͤnde ſoll nur
in den Auſſenwerkern des Herzens ihren Sitz
haben: und wo die Tieffe des Schadens nicht
erkannt wird, da geht auch die Cur nicht tief
genug. Die Arzney, der Leidens-Punct,
wird vornemlich auf die Imagination gefuͤhret.
Da
[137]Vom Geſetz u. ſ. w.
Da wird die Gnade und das Evangelium auf
vielerley Weiſe gehindert und geſchmaͤlert.


§ 140.

Doch wird hiebey des zur Seelen-Samm-
lung erforderten Treibens nicht vergeſſen. Da
der Ordinarius faſt von keiner wuͤrklichen
Suͤnde redet, ſo erklaͤret er doch alles, was
nicht treibt, zu peccatis omiſſionis, zu Ver-
ſaͤumniſſen, die ſehr ſchuldhaft ſeyen.


§ 141.

Ueberhaupt wird die Lehre von dem, was
man thun oder laſſen ſoll, bey demſelben theils
geſchwaͤchet, theils uͤbertrieben, und auch durch
das Uebertreiben geſchwaͤchet. Beedes iſt ge-
faͤhrlich: dann wo die Regel des Thuns und
Laſſens richtig iſt, da kan man ſich noch immer
erholen: wo aber falſche Principia auf kom-
men, da iſt es viel gefaͤhrlicher, und das Suͤn-
digen wird in die Form einer Diſciplin ge-
bracht. Es gibt einen Gnoſticiſmum, ein
Peccatum philoſophicum \&c. Loſe Lehre
und loſe Werke ſtimmen miteinander uͤberein,
ob auch die leztere nicht gar geſchwind ausbraͤ-
chen.


§ 142.

Im Jahr 1746 hielte der Ordinarius zwo
Reden, die 29ſte unter den 32 einzeln, und die
19de unter denen von Zeyſt; in welchen er keine
andere Moralitaͤr gelten laͤſſet, als die der An-
blick des Heilandes in ſeiner Menſchlichkeit leh-
J 5ret.
[138]TheilI.Cap. I.Satz 15.
ret. Die Worte ſind von andern angefuͤhret.
Nun kan es wol geſchehen, daß einerley Sache
dem einen Recht und dem andern Unrecht iſt,
und ſo fern kan im Buͤd. N. T. ed. 2. die An-
merkung zu 1 Cor. 10, 26. ſtehen bleiben: aber
warum etwas dem einen Recht und dem andern
Unrecht ſey, das kommt eben auf die Mora-
litaͤt
an. Wir geben folgendes zu bedenken:
1. Ob nicht in der Natur ſelbs eine Urſache
liege, warum wir dasjenige, was GOtt thut
und gebeut, was Chriſtus gethan und geboten
hat, fuͤr gut erkennen und preiſen ſollen?
Vergl. § 137. 2. Ob nicht das jenige, was
gut iſt, wann GOtt es thut oder gebeut, dem
Menſchen allenfalls darum boͤſe ſey, weil er ei-
nen Eingriff in GOttes hohe Rechte thut?
3. Ob es kauderwelſcheExpreſſionenund
chimeren ſeyen, wann von Greueln, von
Suͤnden wider die Natur u. ſ. w. geredet wird?
Roͤm. 1, 26. 4. Wie man ohne die Moral
beweiſen koͤnne, daß wir es Chriſto nachmachen
ſollen, und wie fern wir Ihm, da Er vor uns
ſo viel beſonders hat, es in dieſem oder jenem
Stuͤck nachmachen ſollen oder nicht? 5. Wie
man die verbotene Gradus 3 Moſ. 18. von de-
nen erlaubten aus dem Anblick des Heilandes
unterſcheiden koͤnne? 6. Ob nicht freche Ge-
muͤther unter ſolchem Vorwand eine Moral
machen werden, wie ſie wollen?


§ 143.

Etwas uͤbertriebenes iſt es, daß der Ge-
meinſtifter die Furcht ganz und gar verwirft,
da
[139]Vom Geſetz u. ſ. w.
da er denn abermal eine einige Stelle 1 Joh.
4, 18. ergreift, und ſo viele andere vorbeyge-
het, als Luc. 12, 4. 5. 2 Cor. 5, 11. Off. 14,
7. ꝛc. Solle der Spruch, Das Weib fuͤrch-
te den Mann
, Eph. 5, 33. ſich nicht auf die
Chriſtin ſchicken? will dieſe endlich des Re-
ſpects vergeſſen, und es machen, wie jene Ape-
me bey Dario? 3 Eſr. 4, 29. 30. 31. Die
Apoſtel begegneten den Leuten bald als anſehn-
liche Geſandten, bald mit bitten und flehen,
bald auf den mittlern Schlag mit Beyhuͤlfe
und Zuſpruch: 2 Cor. 5, 20 - 6, 1. und bey
dem allem konnten die Leute nachkom̃en. Aber
des Ordinarii Vorſtellungen gehen ganz aus
einem andern Ton, er ſteigt und fleugt ſo boch,
daß ſeine Anhaͤnger ihn bewundern muͤſſen,
und entweder zuruͤckebleiben, oder, welches
noch gefaͤhrlicher iſt, ſich aufblaſen.


Der 16 Satz.
Die Vereinigung Chriſti und de-
ren, die Ihn angehoͤren, wird bey
der ſogenannten Bruͤdergemeine
ſehr unlauter angeſehen
.


§ 144.

Die Vereinigung Chriſti und ſeiner Heili-
gen in dieſer und in jener Welt wird in
der Schrift als etwas ſehr inniges, und in-
ſonderheit auch unter dem Bild einer Ehe vor-
geſtellet.
[140]TheilI.Cap. I.Satz 16.
geſtellet. Im alten Teſtament wird die Ge-
meinſchaft der geſamten iſraelitiſchen Kirche,
und nicht einzeler Iſraeliten, mit GOtt, auf
ſolche Weiſe betrachtet. Die Corinther ſolten
Chriſto als eine keuſche Jungfrau, nicht als
Jungfrauen, zugefuͤhret werden. Und ſo iſt
das geſamte neue Jeruſalem, nicht aber ein je-
der Einwohner beſonder, des Laͤm̃leins Braut.
Bey dem allen bleibt einem jeden Genoſſen
Chriſti ins beſondere ſein Theil an ſolcher Herr-
lichkeit unverſehret.


§ 145.

Hingegen in des Ordinarii Lehre wird
Chriſtus als der Brauͤtigam und Mann ein-
zeler Glaubigen und Heiligen in dieſem und je-
nem Leben, und das nicht auf die Weiſe, wie
1 Cor. 6, 14. 15. 16. ſondern viel anders geach-
tet. Den Grund ſolcher Vereinigung, und
ihre Bewandtniß beſchreibt er folgender maſ-
ſen. Wundenlitaney-Reden p. 75: ”Die
Comparaiſon, die von der Seite, und von
”dem Schlafe Adams, mit dem Schlafe des
”Heilandes am Stamm des Creuzes und
”der Eroͤffnung ſeiner Seite genommen wer-
”den kan, will ich dieſesmal nicht ausfuͤhren,
”ſondern nur poſitive ſagen, warum die Kir-
che Chriſti Maͤnnin heiſſe? Man wird
ſie Maͤnnin heiſſen, darum daß ſie vom
Manne genommen iſt. 1 Moſ. 2, 23. Es
”iſt eine ausgemachte Sache, daß darum die
”ganze Kirche des Heilands ſein Weib iſt, und
ſeinen”
[141]Von der geiſtlichen Vereinigung.
ſeinen Namen traͤget, weil nach und”
nach ihre viel tauſend Individua ſo wahr-”
haftig aus Leib Seel und Geiſt des Heilands”
genommen worden, und ein jedes Indivi-
duum, eine jede einzele Perſon ſo wahrhaf-”
tig von des Heilands ſeinem eigenen Leibe,”
aus des Heilands eigenen Geiſte, und aus”
des Heilands ſeiner eigenen Seele heraus”
iſt, als eine jede menſchliche Creatur aus dem”
Adam, und aus der Eva. Wie nun das”
ſucceſſiive in viele tauſend gegangen, ſo”
gehts mit der Kirche, mit der Maͤñin ſucceſ-
ſive von dem Tage an, da der Heiland decla-”
rirter Mann, declarirter Adam, declarirter”
Vater des neuen menſchlichen Geſchlechts iſt,”
beſtaͤndig fort, bis zu ſeiner Erſcheinung. ꝛc.”
Zeyſter Reden ſ. 208: ”Alle Seelen ſind”
Schweſtern, das Geheimniß weiß Er, Er”
hat die Seelen alle geſchaffen, die Seele iſt”
ſeine Frau, Er hat keine animos, keine”
maͤnnliche Seelen formirt, unter den Men-”
ſchen-Seelen, ſondern nur animas, See-”
linnen, die ſeine Braut ſind, Candidatin-”
nen der Ruhe in ſeinem Arm, und des ewi-”
gen Schlaf-Saals: Ach waͤrens lauter ein-”
gerichtete Herzel! Das iſt nun ſo wie es iſt;”
aber ſich eine menſchliche Seele maͤnnlich con-”
cipiren, das waͤre die groͤſte Thorheit, und”
eine Phantaſie, die kein Chriſt in einem hitzigen”
Fieber haben ſoll. Es gibt keine in der”
Welt, es gibt keine im Himmel und auf Er-”
den; ſondern alles unſerer Huͤtte fuͤr eine”
Zeit
[142]TheilI.Cap. I.Satz 16.
”Zeit adaptirte maͤnnliche, iſt mit dem Mo-
”ment, daß der Leichnam in die Erde kommt,
”abgethan; ſie freyen nicht mehr, ſie laſſen
”ſich nicht mehr freyen, die Seelen, die lie-
”ben Engel, ἰσάγγελοι, die ihren Schoͤ-
”pfungs-Plan erreicht, die gehen direct in
”den Ehe-Tempel, ins Mannes Arme ſchla-
”fen. Wiſſt ihr wer der iſt? Es iſt JEſus
”Chriſt, der HErr Zebaoth, es iſt aller
”Welt GOtt, von der Welt und ſeinem
”Volk erkannt, von der Welt an den Don-
”nerſtrahlen, von den ſeinen an Naͤgelmaa-
”len: wenns Geſchoͤpf wird den Schoͤpfer
”freyn, und Abba Conſecrator ſeyn; ſo
”wirds keiner ſeligen Menſchen-Seele mehr
”einfallen was ſie geweſen iſt. Was mehr?
”Ich glauͤbe, daß ein Zeit-Punct iſt, da
”mich mein Schoͤpfer JEſus Chriſt nach Leib
”und Seel wird freyen. Αὐτὸς, Er; denn
”in dem Reich der Geiſter iſt nur ein einger
”Mann, der ſieht uns an als Eſthern,
”und wir uns ſelbſt als Schweſtern, was
”man von Geiſtern wiſſen kan. u. ſ. w. Ge-
mein-Reden im Jahr 1747. I Theil, ſ. 130:
”Wir (Maͤnner und Weiber) muͤſſen in
”Wahrheit dem Heiland ſo nahe ſeyn, eines
”ſo gut als das andere: die Maͤnner muͤſſen
”von dem Naheſeyn des Heilandes einen rech-
”ten Eindruck haben, wenn ſie ſich wollen
”bey den Schweſtern beweiſen: aber das iſt
”eine unſtreitige Sache, daß eine Magd Chri-
ſti
[143]Von der geiſtlichen Vereinigung.
ſti in ihrem Schweſtern-Stande viel mehr”
genieſſt, viel mehr Vorſchmack vom Lamme”
hat als der Mann; das bringt die Natur”
der Sache mit ſich. Wir ſind itzt ausge-”
wechſelt, wir ſind aus unſerm Geſchlecht”
herausgeſetzt in ein ander Geſchlecht, es iſt ei-”
ne Metamorphoſis mit uns vorgegangen,”
wir ſind gleichſam in einem geborgten Zu-”
ſtande: und daher, weil wir gewiß wiſſen,”
daß unſer Stand ſo nicht fortwaͤhrt; ſo”
muͤſſen uns vom lieben Heiland ein Bißgen”
die Augen gehalten werden, daß wir nicht”
eine unzeitige Luſt und Appetit kriegen nach”
der Schweſtern Seligkeit, und daruͤber un-”
ſerer Amtspflicht vergeſſen. Denn es iſt”
ein groſſer Unterſcheid; genieſſen oder ge-”
ben u. ſ. w.” Man ſehe dieſe ganze Rede,
wie auch diejenige, die in dem I Theil der Re-
den an ſtatt einer Einleitung vornen ſtehet, und
die Diſcourſe uͤber die Augſp. Conf. ſ. 95, 96.


§ 146.

Das vornehmſte Mittel ſolcher ehelichen
Vereinigung ſoll ſeyn das heilige Abendmahl,
welches einem jeden nach ſeiner Faͤhigkeit an-
gedeye, indem die Kleinen genehret, und die
Alten erkannt werden. Zeyſter Reden ſ. 384.
”Geſchwiſtern, die der Kirche dienen, muͤſ-”
ſen, mit einem Wort, Abendmahls-Herz-”
gen ſeyn, ſie muͤſſen das Sacrament gehal-”
ten haben, und entweder erkannt worden”
ſeyn von ihrem Manne, oder doch gewiß an”
”der
[144]TheilI.Cap. I.Satz 16.
”der Mutter Bruſt geſogen haben. ſ. 200
ſamt der Verbeſſerung p. 455. Es ſoll aber
auch die Ehe nicht nur ein Bild, ſondern, mit
ihrem wuͤrklichen Gebrauch ſelbs, gleichfalls
ein Vehiculum und Mittel des Einfluſſes
Chriſti, vornemlich bey den Schweſtern, der
Mann aber ein Liturgus, Legatus, Procu-
rator,
ein Vice-Chriſt ſeyn, und Chriſtum,
den wahren Mann, praͤſentiren: nicht zu ge-
denken, wie bey der Gemeine dieſe zwey Mit-
tel in der Uebung ſelbs ſo nahe verknuͤpfet wer-
den. Aus dem allen iſt abzunehmen, warum
der Ordinarius in ſeinen Reden an ſtatt des
ſchriftmaͤſſigen Bruder-Namens viel oͤfter den
Geſchwiſter-Titul ſetze: und eben durch den
Namen der Geſchwiſter-Gemeine wuͤrde
dieſe von allen andern Kirchen auf das eigent-
lichſte unterſchieden, wann man ſolche Benen-
nung Schweſter-Gemeine, Vnitas ſoro-
rum,
vor dem Welt-Spott verwahren koͤnnte.


§ 147.

Seel und Geiſt, welche das lebendige
kraͤftige Wort GOttes ſeliglich ſcheidet,
werden durch dieſe Lehre wie eine Salbe inein-
ander gemenget. Laut der jeztangezogenen
Reden wird das maͤnnliche Geſchlecht in das
weibliche verwandelt, dieſes aber bleibt unver-
aͤndert. Laut der Lehre Chriſti werden nicht
die Maͤnner, (die in dieſer Welt freyen,) den
Weibern, (die ſich freyen laſſen,) ſondern
beede den Engeln in jener Welt gleich ſeyn.
Dieſe
[145]Von der geiſtlichen Vereinigung.
Dieſe effœminate und von der heiligen
Schrift abgehende Lehre bedarf keiner weitern
Widerlegung. Sie hat den Schein der groͤ-
ſten Geiſtlichkeit: und das Fleiſch hat unter
der Hand dabey ein reicheres Futter, als kein
purer noch ſo maͤchtiger Weltmenſch kriegen
kan. Was lautere Seelen bey der neumaͤhri-
ſchen Gemeine ſind, die haben nothwendig einen
Greuel daran: und was unlautere Seelen ſind,
die haben einen muham̃e daniſchen Himmel auf
Erden, dafuͤr ſie lieber Fleiſch Fleiſch ſeyn lieſſen.
Mit ihren Kam̃er-Materien koͤnnen ſie hinab-
fallen in des Todes Kam̃er, ob ſie ſchon ſo kuͤhne
in das Zim̃er und Bette des Brauͤtigams ein-
brechen. Heilige Ehleute beſcheiden ſich, daß
ſie, als Ehleute, Kinder dieſer Welt ſind:
und fuͤhren ihren Stand heiliglich, doch nicht
ohne billige Scheue vor GOttes Augen. Ja
ſie ſchaͤmen ſich voreinander, und vor ſich ſelbs,
und alſo vielmehr vor andern Menſchen, bis
das Bild des Staub-Menſchen mit dem Bil-
de des himmliſchen Menſchen verwechſelt wird.


Der 17 Satz.
Von den uͤbrigen Stuͤcken der
chriſtlichen Lehre wird bey der ſo-
genannten Bruͤdergemeine nicht
recht gehandelt
.


§ 148.

Dergleichen ſind die Puncten von den Sa-
cramenten, von dem Gebet, von den
(Abriß der Bruͤderg.) KAn-
[146]TheilI.Cap. I.Satz 17.
Anfechtungen, von der Kirche, von den lezten
Dingen u. ſ. w. Solche Puncten ſind von
andern Lehrern ausfuͤhrlich unterſuchet, und
werden auch in dieſer Pruͤfung hin und wieder
betrachtet: doch handeln wir nicht weiter da-
von, damit man deſto gewiſſer in der Auf-
merkſamkeit auf die vorhergehende allerwich-
tigſte Saͤtze bleibe. Alles zuſammen gibt ei-
nen Strich durch das ganze himmliſche Zeug-
niß und einen Riß in daſſelbe: es laufft auf ei-
ne totale Veraͤnderung der geoffenbarten
Wahrheit, und, weil die irrigen Beweiſun-
gen geſchmuͤcket, die gruͤndlichen Gegenbewei-
ſe aber vernichtet, und die wichtigſten Stuͤcke
ſehr ring geſchaͤzet werden, auf eine Spoͤtte-
rey
hinaus.


Der 18 Satz.
DesOrdinariiArt von geiſtlichen
Dingen zu reden iſt unanſtaͤndig
.


§ 149.

Ehedeſſen fuͤhrte ſein Stilus etwas anſtaͤndi-
ges, nuͤchternes, ernſthaftes und gelin-
des mit ſich: aber derſelbe hat ſich nach und
nach ſehr geaͤndert, und lautet nicht wol, in-
ſonderheit wann von der hochgelobten Gott-
heit, von Chriſti Niedrigkeit, von Eheſachen
u. ſ. w. die Rede iſt, und uͤberhaupt vertraͤgt
er ſich nicht mit einem ſanftmuͤthig-weiſen
Sinn.


§ 150.
[147]Von der Redens-Art.
§ 150.

Nicht nur die Kinder, ſondern auch die
Alten bey ſeiner Gemeine, ſingen nach ſeiner
Vorſchrift und ſagen, von dem himmliſchen
Vater und zu Ihme, Papagen; von dem
heiligen Geiſt und zu Ihme, Mamagen, Muͤt-
terlein
. Und dergleichen Ausdruͤcke gibt es
viel, woran alle Geſchoͤpfe, die vor der un-
endlichen Majeſtaͤt einen Reſpect tragen, ein
Misfallen haben muͤſſen. Das hat der Ordi-
narius
nun mehrmal nicht nur entſchuldigen,
ſondern gar rechtfertigen, und auf diejenige,
die es nicht mit- und nachmachen, oder gar
dagegen Erinnerung thun, den Verdacht ei-
nes widrigen und von der Einfalt entfernten
Seelen-Zuſtandes bringen wollen, vornem-
lich in und bey den Lieder-Zugaben und in der
Einleitung zu dem zweyten Theil der Gemein-
reden im Jahr 1747. Hie waͤre viel zu ſagen:
wir ſagen aber nur, Je delicater dieſe ſo ge-
nannte Herzlichkeiten etwa bey dem erſten Ein-
fall ſind, je groͤſſer iſt der Greuel, wann das
Herz nicht bey dem folgenden Gebrauch iſt:
und wer will Buͤrge ſeyn fuͤr alle, die ſolche
kindiſche und laͤppiſche Worte, wie er ſie
ſelbs nennet, im Munde fuͤhren, und kuͤnftig-
hin, aus bloſſer Gewohnheit, fuͤhren werden?
Es waͤre nicht einmal genug, dergleichen Un-
gebuͤhr in das kuͤnftige zu unterlaſſen, ſondern
es waͤre auch fuͤr das vergangene eine oͤffentli-
che Abbitte noͤthig. Soͤhnen ſtehet kein Liſpeln
K 2an:
[148]TheilI.Cap. I.Satz 18.
an: viel weniger aber ungeſchliffenen Gemuͤ-
thern, die nie in einer recht tief gehenden
Scheue zu einer diſcreten Zuverſicht bereitet
worden ſind. Im menſchlichen taͤglichen Um-
gang iſt es nicht fein, wann man die Ver-
traulichkeit auch zwiſchen denen, die einander
am naͤchſten angehen, und gleichen Standes
und Alters ſind, ohne Hoͤflichkeit ausuͤbet.


§ 151.

In der zweyten Auflage der Erklaͤrten Of-
fenbarung ſ. 1169 ſchrieb ich folgendes: Der
einige zwoͤlfte Lieder-Anhang gibt nun-
mehr einen ſtaͤrkern Ausſchlag, als zuvor
alle Schriften auf beeden Seiten. Da ſehe
man, wie das Geheimniß der heiligen
Dreyeinigkeit behandelt, und unter dem
Schein der Vertraulichkeit eine uͤbermach-
te Unbeſcheidenheit gegen die unendliche
Majeſtaͤt eingefuͤhret wird
. Wann eine
Seele in einem unverſehenen Nu von der ſuͤſ-
ſen Liebe
uͤbernommen wird, ſich ingeheim
kindlich, ja kindiſch auszudruͤcken, ſo mag
es
hingehen: aber zu einer oͤffentlichen Vor-
ſchrift taugt es nicht. Man vergleiche das
Welt-Alter p. 295 ꝛc. Bey den Nachkom-
men, die vom vorigen Ernſt nichts wiſſen,
muß ſich der Reſpect, und mit demſelben
das Vertrauen und ſelbs die Liebe verlieren
.
Auf dieſe Worte bezieht ſich Albinus Sincerus,
ohne Anzeige des Orts, wo ſie ſtehen, und
ſagt in der Heimleuchtung p. 179: Es ſcheint
der
[149]Von der Redens-Art.
der … Probſt von Herbrechtingen ſchon eben
dadurch offendirt zu ſeyn, daß wir den
XII.
Lieder-Anhang (aus einer Noth, die er nicht
wiſſen konnte, gedrungen) publicirt haben,
misbilligt aber uͤbrigens nicht, wann ſich
Kinder GOttes insgeheim ſo
kindlich und
kindiſch ausdruͤcken, als in dieſen Liedern
geſchehen iſt
. Beederley Stellen fuͤhre ich zu
dem Ende an, damit man meine Worte ganz
erwege, und ſie bey Albino nicht zu weit aus-
dehne. In meinem Leben ſind mir etwa zween
Faͤlle vorgekommen, da einer und der andern
Seele fuͤr inniger Zaͤrtlichkeit ein ſolches Di-
minutivum
entfahren iſt: und diß iſt etwas
anders, als eine oͤffentliche Vorſchrift bey ei-
nem groſſen Hauffen.


§ 152.

Von der Geburt, Beſchneidung, Jugend,
Verſuchung, Wandel und Leiden unſers theu-
ren Erloͤſers fallen haͤuffige, mit Fleiß uͤber-
triebene, veraͤchtliche Reden. Zum Muſter
dienet unter den Liedern das 2085ſte, unter den
Einzelen Reden die 8te, unter den Reden in Zeyſt
die 19te, und unter den Wundenlitaney-Re-
den die 7te und folgg. Der Ordinarius ſagt,
er habe ſeine gegruͤndete Urſachen, die
Menſchheit ſo klein zu beſchreiben, als es
der Wahrheit der Schrift immer gemaͤß iſt
.
Buͤd. Samml. III Band, ſ. 545. Dieſer ei-
nige Einfall hat uͤber die maſſen viel leidiges
nach ſich gezogen: und warum bleibt der Ordi-
K 3narius
[150]TheilI.Cap. I.Satz 18.
narius nicht bey der Schrift? Denn dieſe ſtel-
let uns zwar JEſum in ſeiner Menſchheit, und
ſeine Menſchheit in ihrer Niedrigkeit ſehr
nachdruͤcklich vor: ſie behaͤlt aber ſamt der
Wahrheit den Wohlſtand auf das genaueſte.
Ausſchweiffende Familiaritæt wird eine Grob-
heit. Lucas ſagt von Maria: Sie gebar ih-
ren erſtgebornen Sohn, und wickelte Ihn
in Windeln
: da das griechiſche Wort, (Vergl.
Weiſh. 7, 4.) keine zerriſſene Bettel-Windeln
bedeutet. Bey der Beſchneidung uͤberhaupt
war es um das Abnehmen der Vorhaut, und
uͤbrigens um keine Wunde und Vergieſſung
des Blutes zu thun. Der Name JEſus wird
in Weihenachts-Betrachtungen lieblich aus-
gedruͤket, JEſulein, als ein Nomen propri-
um:
aber die Namen des Amtes und der
Wuͤrde, Koͤnig, HErr, Heiland, (§ 61.)
laſſen ſich nicht zu Diminutivis machen. Mar-
cus meldet ein einiges mal, wie die Leute zu
Nazareth, als ſie ſich an JEſu aͤrgerten, Ihn
τέκτονα, fabrum, genannt haben, welches
Wort dieſe oder jene Arbeit in Holz, Stein
oder Metall
bedeutet: daher beſchreibt man
bey der neumaͤhriſchen Gemeine unaufhoͤrlich
den HErrn, als einen Zimmerjungen, Zim-
mergeſellen, Zimmermeiſter, wie Zunftmaͤſſig,
als ob er acht zehen Jahr bey dieſem Handwerk
geweſen waͤre. Wie gering der Heiland bey
der Verſuchung in der Wuͤſten, (welche doch
nicht die vierzig Tage uͤber waͤhrete, ſondern
hernach in drey Gaͤngen uͤberſtanden war,) ge-
macht
[151]Von der Redens-Art.
macht werde, iſt in den Reden des Jahres 1747.
Th. I. ſ. 159 u. f. zu ſehen. Der Ordinarius,
wie hoch er die Einfalt preiſet, ſuchet doch ſo
gar alles auf, daß er auch das, was Matth.
15, 17. uͤberhaupt geſagt wird, dem HErrn
JEſu zuſchreibet, in der Weyhnachtspredig
1744. p. 8. Ich ſcheue mich ſonſten hieran zu
gedenken und jezt deutlicher davon zu reden.
In vorigen Zeiten ward hieruͤber geſtritten,
und etliche ſagten ja, etliche (als die Armenier)
nein. Die Spur in das Alterthum wird ge-
wieſen in Gnomone N. T. ad Joh. 19, 23.
Der leztern Meinung kan ich nicht mit Gewiß-
heit beyſtimmen: wann aber die erſtere irrig iſt,
ſo iſt ſie zugleich unbeſcheiden, bey andern und
bey dem Ordinario. Wann vom Leiden ge-
handelt wird, gibt es wieder unziemliche Re-
dens-Arten. Zum Exempel, Golgotha wird
ein Schind-Anger genannt. Aber nirgend
werden verurtheilte Menſchen auf einem
Schind-Anger hingerichtet: und die Juden,
die nicht einmal in das Richthaus gingen,
haͤtten ſich vielweniger dem Creuz auf einem
Schind-Anger genaͤhert. Umſonſt will man
dieſe Sprache mit etlichen apoſtoliſchen Aus-
druͤcken, Roͤm. 11, 32. Gal. 3, 22. vergleichen:
und nichtig iſt die Einwendung, man muͤſſe,
zum Exempel, vom Leiden Chriſti ſo kuͤhn und
ſcharf reden, damit es der Drache nicht nach-
ſprechen koͤnne. Solcherley Sprache wird
den boͤſen Geiſtern nicht ſonderlich zuwider,
noch, wann ihr Zittern es ihnen geſtattet, un-
K 4nach-
[152]TheilI.Cap. I.Satz 18.
nachſprechlich ſeyn. Ein Menſch von mittel-
maͤſſiger Geſchicklichkeit wuͤrde dergleichen neue
Reden und Reimen machen, wann er es uͤber
das Herz bringen koͤñte. Und da die neumaͤh-
riſchen Bruͤder dem Ordinario ſeine Worte
und Ausdruͤcke ohne Diſcretion ſo ſtrenge nach-
ſprechen, ſo ſehe man zu, was das fuͤr eine ge-
wohnte Sprache geben werde. Wann der
Ordinarius von ſich, von ſeinen Begegniſſen,
von ſeinem hohen Hauſe redet, ſo weiß er die
Anſtaͤndigkeit trefflich in Acht zu nehmen: und
bey ſeiner Gemeine wird niemand in ſeiner maaſ-
ſe von ihm und gegen ihn unter dem Vor-
wand der zaͤrtlichen Liebe durch Diminutiva
oder ſonſten auf dieſen Schlag reden doͤrfen,
wie er von dem im Fleiſche gekommenen und
gecreuzigten HErrn JEſu redet.


§ 153.

Wo das Herz rein iſt, da iſt die Rede
ſchamhaft: und hiezu werden wir in der Schrift
angewieſen. Das alte Teſtament muſſte von
natuͤrlichen Sachen eine deutliche Rede fuͤhren
1. im erſten Buch Moſe, und wo ſonſten der
Urſprung des ſuͤndigen menſchlichen Geſchlechts
und des Volks Iſrael beſchrieben wird: da
denn die Auslegungen, zum Exempel, Lutheri,
auf das wenigſte gleichen Schlages ſeyn muͤſ-
ſen: 2. im dritten Buch Moſe, darin als in ei-
nem Arzneybuch die mancherley Unreinigkei-
ten und die Verordnungen dagegen beſchrieben
werden; wie denn bey einem Kinde, womit das
Volk
[153]Von der Redens-Art.
Volk Iſrael verglichen wird, die Unſauber-
keit nicht ſo verdeckt iſt, als bey Alten: 3. in
den Propheten, da unter dem Bild der Hure-
rey der Greuel der Abgoͤtterey vorgeſtellet wird.
Wie nun ſolches im N. T. voraus geſetzet
wird, alſo iſt im N. T. bey dem darin ſchei-
nenden reinen Lichte die Rede von ſolchen Din-
gen viel ſeltener. Die Glaubigen des N. T.
ſind durch das reiche Maas des Geiſtes weiter
aus dem Fleiſch herausgezogen, und alſo iſt
eine recht zarte Schamhaftigkeit ein Lineament
von der neuen durch Chriſtum geſchaffenen Cre-
atur. Da nun die ſo genannte Bruͤder-Ge-
meine in andern Dingen vielmehr neu- als alt-
teſtamentiſch ſeyn will, ſo ſolte dieſelbe vornem-
lich ſolches beweiſen, wann von Eheſachen
und dergleichen zu reden vorfaͤllet. Aber ſie
wendet es um, und weil durch Chriſtum die
Menſchheit geheiliget iſt, ſo ſollen bey den wah-
ren Chriſten die Urſachen ſich zu ſchaͤmen auf-
gehaben ſeyn. Zeyſter Reden p. 7. ꝛc. Wie
vieles waͤre zu ſagen? Beſchaͤmen die Wege,
wodurch die natuͤrlichen Excretiones gehen,
den Geiſt des Menſchen nicht vor ihm ſelbs,
geſchweige vor andern? Stehen die Menſchen
nun alle in der neuen Schoͤpfung? ſind alle die
jenige, denen die Suͤnden vergeben ſind, ein-
ander in der Erneurung gleich? kan Aug und
Hand und Fuß ihrer keinen mehr aͤrgern?
haben ſie den Spruch, daß Fleiſch und Blut
das Reich GOttes nicht ererben koͤnne, ſchon
zuruͤkgeleget? Wann ein Pilger nur einen
K 5Blick
[154]TheilI.Cap. I.Satz 18.
Blick in die himmliſche Klarheit thun ſolte,
wie hurtig wuͤrde er ſich bis auf weitern Be-
ſcheid zur Schamhaftigkeit bequemen? Man
ſage immerhin, diejenige, die es mit ſolcher
Freyheit im Reden nicht halten, haben kein rei-
nes Herz. Man ſehe vielmehr zu, daß das
Fleiſch unter ſolchem Vorwand keinen Raum,
den es ſonſt nirgend faͤnde, gewinnen moͤge.
Bisweilen ſind wir zur Unzeit ſchamhaftig,
wo die leibliche Gebrechlichkeit eine Entdeckung
und Huͤlfe erforderte, oder wo heimlichen,
ſtummen, ja vielmehr ſchreyenden Suͤnden
und Greueln vorzubiegen oder zu ſteuren waͤre:
aber wir muͤſſen nicht auf das andere Extre-
mum
fallen, noch ſolche Reden fuͤhren, die
nicht nur den Juden und Heiden, ſondern auch
denen Glaubigen ein Ergerniß und eine Thor-
heit ſind.


§ 154.

Endlich fuͤhrt nunmehr die Schreib- und
Redens-Art des Ordinarii eine ſolche Heftig-
keit ihm ſelbs zum Vortheil und andern zum
Nachtheil, ja andern zum Vortheil und ihm
zum Nachtheil mit ſich, welche, bey der ſo noͤ-
thigen Pruͤfung ſeiner Sache, ihn ſattſam zu
erkennen gibt. Hievon handelt inſonderheit
Hr. D. Baumgarten in der vierten Sam-
lung theol. Bedenken ſ. 202. Wir thun etliche
Muſter hinzu. In den pennſylvaniſchen Re-
den I Th. ſ. 15 ſteht: „Das (daß unſere Pre-
digt die Wahrheit iſt) iſt die Urſach der Feind-
ſchaft
[155]Von der Redens-Art.
ſchaft, die wir tragen muͤſſen, der nicht
ordinairen, ſondern rechten Tod-Feind-
ſchaft, des ungemeinen Haſſes, ders ganze
Gemuͤth einnimmt, der nicht nur ſo iſt,
wie man eine fuͤrchterliche Creatur, ein
Unthier kan fuͤrchten, ſondern der noch wei-
ter gehet. Auf die Art wird die Controvers
mit der Gemeine gefuͤhret. Das kan aber
nicht anders ſeyn, weil den Menſchen ihr
Herz ſagt, daß an kein ordentlich Wider-
ſprechen zu gedenken ſey, ſondern es muß
auf eine Art geſchehen, da man vorher auf

alle Wahrheit, alle Billigkeit, alle Menſchlich-
keit gewiſſer maſſen renuntiiret; darnach kan
man gegen uns ſchreiben. Und auf die Art
iſt bisher gegen uns geſchrieben worden in

allen Religionen, daß alle Einwohner deſ-
ſelben Landes, denen der liebe GOtt einen
geſunden Verſtand gegeben, geſehen haben,
das iſt
Boſheit, das iſt Wuth.” In einem
Schreiben A. 1743 beſtraffet er den confuſen
und an ſich ſelbſt noch ſo unadaͤquaten
Sty-
lum
mancher mehr oder weniger was ſie
ſagen wollen ſelbſt ignorirenden gelehrten,
oder wie ſie heut zu tage heiſſen ſolten
, be-
leſenen Maͤnner, weil ſie ſich mehren theils
ſo tumm leſen, daß zum Denken nicht Stoff
genug bleibt, und ſie den
unbeleſenen Bau-
ren die Facultaͤt des
Judiciivor die Facul-
taͤt der Memorie abandonniret zu haben
ſcheinen
. Buͤd. Samml. III B. ſ. 185. In
der Gemeinrede d. 22 Nov. 1744: „Es ha-
ben
[156]TheilI.Cap. I.Satz 18.
ben ſich die Erklaͤrer der Schrift durch ihre
ganz unvernuͤnftige Leichtſinnigkeit in Anſe-
hung der Schrift-Orte
ſo ganz auſſer allem
Reſpect geſetzt, daß man ſich ſchon von vie-
len Jahren her in
allen Religionen kein Be-
denken mehr macht, die exegetiſchen Irr-
thuͤmer fuͤr
keine Irrthuͤmer zu halten.” u.ſ.w.
Zeyſter Rede p. 44: „Ich rede gerne um die
Texte herum. Das iſt ſonſt die Manier der
Gelehrten nicht; ſie haben ein Wort, das
heiſſt: den Text
exhauriren, ausſaugen, ſo
viel und ſo lange uͤber einen Text reden, daß
keine
Kraft und Saft mehr uͤbrig bleibt ꝛc.”
Dieſe Reden fuͤhren inſonderheit eine ſolche
Importunitaͤt mit ſich, pag. 80, 103, 131, 152,
216, 225, 314, 385, 396, 424, u. ſ. w. und
konnten alſo den ganzen Synodum der Bruͤder
auf das auͤſſerſte gegen alles, was dem Red-
ner nicht gefiel, aufbringen. Verfinſtert ein
ſolches Aug nicht den ganzen Leib? In der
Wundenlitaney wird zwar gebetet: Gebro-
chene Augen, Seht uns zun Augen heraus
!
Aber auch in den Reden uͤber ſolche Litaney iſt
viel ungebrochenes. Zum Exempel, in der 15
Rede heiſſet es: Endlich iſt in den neuen Zei-
ten eine Art entſtanden die Bibel zu leſen, da
man geglaubt hat, wenn man nicht alle
Tage ſo und ſo viel Capitel darinne leſe, ſo
waͤre man kein Chriſt
.” Und wiederum:
Bibelveſt heiſſt nicht, hundert Dicta pro-
bantia
auswendig koͤnnen, hundert Bewei-
ſe anfuͤhren koͤnnen, davon einem
funfzig
gleich
[157]Von der Redens-Art.
gleich weggeſchmiſſen werden, wegen ihrer
Unzulaͤnglichkeit, wegen Mangel der Con-
nexion, oder wegen einer ganz andern Con-
nexion; davon noch
fuͤnf und zwanzig abge-
hen, weil ſie nicht recht uͤberſetzt ſind: das
iſt eine mißliche Sache, wer ſich in dieſel-
be leidige Methode einlaͤſſt, der iſt ein ver-
lorner Menſch; wenns dem um Grund und
um Realitaͤt zu thun iſt, ſo weiß er oft nicht,
wo er iſt
.” Reden im Jahr 1747. II Th.
ſ. 135, 136: „Die Menſchen halten den hei-
ligen Geiſt fuͤr einen Finger, fuͤr eine Tau-
be, fuͤr einen Spiegel, und geben hundert
andere naͤrriſche Grillen von Ihm aus: alle

hieroglyphiſche, allegoriſche undtranſcen-
dentale
Titel machen die Menſchen nur con-
fus, und ſind ohne die geringſte Wirkung
auf ihr Herz
.” Und ſ. 361: „Freylich iſts
wahr, daß es eine gewiſſe
Race,eine ge-
wiſſe Art von Menſchen, eine geiſtliche
Misgeburt gibt, die ſich uns widerſetzt,
und die uns feind iſt; die zwar anfangs zu-
weilen, nach Art der Affen in Indien, Be-
kanntſchaft mit uns zu machen ſucht; und
ſich einbildet, wir waͤren wie ſie: wenn
ſie aber ſiehet, wir ſind ganz andere Leute,
boͤſe wird, und uns Sand in die Augen
ſchmeiſſt, und uns allerley Drangſalen an-
thut, die ſie koͤnnen, weil es ſie verdrießt,
daß man aus unſerm Geſichte ſieht, aus un-
ſern Worten hoͤrt, aus unſerm Wandel
wahrnimmt, daß wir des Heilands ſeine

Leute
[158]TheilI.Cap. I.Satz 18.
Leute ſind.” Selbs die Reden uͤber die Aug-
ſpurgiſche Confeſſion ſind nicht frey von der-
gleichen Sprache, p. 153, 154. ꝛc. Die Wor-
te hieherzuſetzen iſt nicht dienlich. Der Ordi-
narius
pflegt ex tempore zu reden, und den
Anfang an ſeinen Predigen gibt oft eine Re-
prehenſion,
da das, was ihm in der prote-
ſtantiſchen Kirche aufſtoͤſſet, entweder ohne Ur-
ſache oder uͤbermaͤſſig beſtraffet wird, bis die
Rede in den Gang kommt. Er haͤlt ſich pro
civiliter mortuo,
und redet als einer, der
nichts mehr verderben koͤnne. Das waͤre auf
dem rechten Weg heroiſch: aber der Ton, den
er uͤberhaupt im Reden und Schreiben fuͤhret,
wird von der Natur, und nicht von der Gna-
de geſtimmet, und muß lammshaftige See-
len nicht wenig befremden. Einzele entfallene
Worte aufruͤcken, waͤre lieblos: aber es kommt
auf den Seelen-Character an. Aus der Fuͤlle
des Herzens redet der Mund
. So iſt dieſer
Spruch im Buͤd. N. T. uͤberſetzt.


Der 19 Satz.
Doch kom̃t es bey der ſo genann-
ten Bruͤdergemeine, der Lehre hal-
ben, gar nicht auf bloſſe Redens-
Arten an
.


§ 155.

Aus der Vergleichung des 18ten Satzes
mit denen vorhergehenden wird erhellen,
daß
[159]Von der Wichtigkeit der Sache.
daß es eine uͤbermachte Unwahrheit, und bey ſo
groſſer Wichtigkeit der Sache eine leichtſinni-
ge Spoͤtterey iſt, wann man die ſchweren Irr-
thuͤmer verringert, und ſie zu lauter Redens-
Arten machet, die etwa paradox klingen.
Wann deme ſo iſt, warum miſſet der Ordi-
narius
andern, die ihm nicht recht lehren, die
ſchwereſten Irrthuͤmer bey? und warum
ſchreibt er ſeinen neuen Glaubens-Articuln ſo
ein uͤbergroſſes Gewicht zu? Mit dieſer Weiſe
koͤnnte man alle Irrthuͤmer beſchoͤnen: denn ſie
werden ja alle in Worten vorgetragen, und
fuͤhren dazu allemal doch etwas von der Wahr-
heit mit ſich. In den morgen- und abendlaͤn-
diſchen catechetiſchen Unterweiſungen finden
ſich, ſamt der Lehre von den Sacramenten,
die zehen Gebote, das Gebet des HErrn, und
das apoſtoliſche Glaubens-Bekenntniß: aber
in der Grundlehre bey der Bruͤdergemeine
gilt dieſer drey Hauptſtuͤcke keines ohne Aus-
nahm. Ja wann man aus der ganzen heili-
gen Schrift nach der Ordnung der Buͤcher
und Capitel die Texte mit der Auslegung des
Ordinarii nacheinander beſchriebe, was kaͤme
da heraus? Ich ſchreibe mit Bedacht: wann
eine Seele mit dem Heiland zerfallen und an
der ewigen Liebe irre worden waͤre, und wolte
ſich deswegen raͤchen, (fuͤr welchem Jammer
der Ordinarius nebſt mir und andern Freun-
den und Feinden bewahret werden muͤſſe!) ſo
wird ſchwerlich jemand ausdenken, wie es ge-
faͤhrlicher anzugreiffen waͤre, als mit des Or-
dinarii
[160]TheilI.Cap. I.Satz 19.
dinarii Methode. Iſt viel geſagt: aber es
nehme einer den ganzen Inhalt der heiligen
Schrift, und auch den ganzen Inhalt der Re-
den des Ordinarii und ſeiner Lieder in den
Sinn, oder er ſehe auch auf meine vorherge-
henden Saͤtze, und unfehlbar auf § 124 zu-
ruͤcke. Die Rede iſt nicht von der Abſicht des
Ordinarii, ſondern von der Sache ſelbs, wo-
bey man weder mit GOtt noch mit ſeinem
Wort recht umgehen kan, und von denen Fol-
gen, die dereinſt auf den Ruin aller geoffen-
barten und natuͤrlichen Religion hinauslauf-
fen, und von dem Ordinario ſelbs nicht mehr
gehemmet werden moͤchten. Auch ſage ich die-
ſes nicht aus einer liebloſen Bitterkeit, ſondern
in der Hoffnung ein heilſames Nachſinnen bey
denen zu erregen, die ſich des Nachſinnens er-
wehren, damit ſie in ihrer falſchen Ruhe nicht
geſtoͤret werden.


§ 156.

Diejenigen, die ſich aus des Ordinarii
Schriften erbauet haben wollen, beruffen ſich
vornemlich darauf, (1) daß er JEſum und
ſeine blutigen Wunden, als das einige Herzens-
Kleinod uͤberall preiſe: (2) daß er die Einbil-
dung des Menſchen von ſich ſelbs und von ſei-
ner eigenen Gerechtigkeit zernichte: (3) daß er
die Vermeidung des Boͤſen nicht blos als eine
Pflicht, ſondern als eine Freyheit und Selig-
keit vorſtelle: (4) daß er auf ein ſtetes Gebet
und Umgang mit GOtt weiſe. Das alles hat
der
[161]Von der Wichtigkeit der Sache.
der Ordinarius mitten aus der Lehre der evan-
geliſchen Kirche her, (wie denn auch ein jeder
wahrer evangeliſcher Chriſt den taͤglichen ſeli-
gen Genuß von dem allen hat,) und dazu kam
unſtrittig eine eigene innige Erfahrung. Waͤre
er nur dabey geblieben! Aber es findet ſich reichli-
cher und lauterer in ſeinen aͤltern, als in ſeinen
neuern Schriften. In den neuern iſt das ge-
ſtuͤm̃elte Gute mit vielem fremdẽ Zeug uͤberdecket
und entkraͤftet. Das Gemenge des Guten und
des Boͤſen iſt bey der ſo genañten Bruͤdergemei-
ne groß, und dabey werden viele unter ihnen
an ſtatt eines maͤſſigen Sinnes in eine ſolche
Aufgeblaſenheit geſetzet, daß ſie die Hoͤhe, die
ihnen vorgemahlet wird, nicht erreichen, und
ihnen in ſchriftmaͤſſigen Lehrbuͤchern und in der
Schrift ſelbſt hinfort nichts gut genug iſt, ja
daß ſie uͤber ihrem Gefuͤhl den Unterſcheid zwi-
ſchen dem Glauben und Schauen vergeſſen.
Diejenigen, die in der evangeliſchen Lehre zu-
vor eine taugliche Anleitung gehabt haben,
koͤnnen das geſunde von dem ungeſunden her-
aus leſen. Wer thut aber den armen unbe-
richteten Seelen? Fuͤr alle iſt es ſicherer, wann
ſie ſich an die heilige Schrift allein halten.
Spricht jemand: Wie iſt es moͤglich, daß die
jenigen, die ſich auf JEſu Blut allein verlaſ-
ſen, und auf ſeine Wunden zuſammen verbun-
den haben, hauffenweiſe in verkehrten Sinn
dahingegeben wuͤrden, und in die allergroͤſſte
Irrthuͤmer hinein geriethen? wer will ſich kuͤnf-
tig zum Heilande bekehren? Antwort: Die
(Abriß der Bruͤderg.) LLehr-
[162]TheilI.Cap.I.Satz 19.
Lehr-Zuſaͤtze ſtreiten offenbarlich wider die heili-
ge Schrift: ſo mag denn ein jeder zuſehen, wie
ſein Ruhm an JEſu Blut und Wunden be-
ſchaffen ſey. An der Treue des Heilandes fehlt
es nicht, und Er wird auch diejenigen, die in
Ihm bleiben, maͤchtiglich erhalten: aber un-
treu ſind diejenige, die ſeine Wahrheit zu ſchmaͤ-
lern nicht ablaſſen, wie im 14 Satze ausgefuͤh-
ret iſt. Dahin wird es je nicht kommen, daß
an der ſo genannten Bruͤdergemeine der ganze
Credit des wahren Chriſtenthums, ja der
Ruhm der Treue Chriſti JEſu ſelbs gegen ſei-
ne Glaubigen hangen ſolte.


Der 20 Satz.
Die Lehre bey der ſo genannten
Bruͤdergemeine wird durch die neu-
lich ausgekommene Spangenber-
giſche Declaration ſo wenig, als
durch die vorhergehende Verthei-
digungen gerettet.


§ 157.

Man hat eine Menge von Vertheidigun-
gen der ſo genannten Bruͤdergemeine,
welche aber auch meines Wiſſens alle beant-
wortet ſind, ausgenommen zwo neue, wor-
auf die ſogenannten Bruͤder ſich ſehr verlaſſen,
nemlich (1) die ſo titulirte Herzliche Anrede
an Kinder GOttes auſſerhalb den Bruͤder-
gemeinen
, wovon wir § 72 nur die II Bey-
lage,
[163]Von der Spangenb. Declaration.
lage, und § 156 die Summa beruͤhret haben,
und im uͤbrigen dem Hn. von Bogatzky, den
die Anrede beſonder angehet, nicht vorgreif-
fen wollen: und (2) M. Aug. Gottl. Span-
genbergs Declaration uͤber die zeither ge-
gen Uns ausgegangene Beſchuldigungen,
ſonderlich die Perſon unſers
Ordinariibe-
treffend, von dem
Seminario Theologico
Auguſt. Confeſſ.
und den damit connecti-
renden Lehrern, Predigern und Aelteſten
der Bruͤder unterſchrieben, und nebſt einem
Vorbericht herausgegeben von dem geſam-
ten
Synodo unitatis fratrum. Auf dieſe
Declaration wird ſo wol, als auf andere
Vertheidigungen, in gegenwaͤrtigem Abriß
hin und wieder unter der Hand gedienet, wie
ein aufmerkſamer Leſer leicht warnehmen wird:
doch muͤſſẽ wir auch ausdruͤcklich etwas von der-
ſelben melden, und das, was die Lehre betrifft,
in dieſer erſten Haͤlfte unſers Abriſſes, das
uͤbrige aber in der andern Haͤlfte beybringen.


§ 158.

Der Synodus unitatis fratrum hat dieſe
Declaration gut geheiſſen, aber das unrichtige
in derſelben nicht gut gemacht. Eben dieſer
Synodus hat andere unlautere Aufſaͤtze gleich-
falls unterſchrieben. Wer wolte dem Be-
vollmaͤchtigten aus Handen gehen?


§ 159.

Sehr lieblich und erbaulich iſt zu leſen,
L 2was
[164]TheilI.Cap.I.Satz 20.
was der Hr. M. Spangenberg in der Einlei-
tung ſ. 9, 10, 11. von dem Zuſtande ſeiner See-
le vor ſeiner Bekannt- und Gemeinſchaft mit
den ſo genannten Bruͤdern erzehlet: und in
Erinnerung des vergnuͤgten Umgangs, den
ich vor vielen Jahren ein und andermal mit
ihm gehabt, kan ich ſolche Erzehlung deſto mehr
fuͤr wahrhaftig erkennen, ſehe ihn auch mit
Liebe fuͤr einen gefallenen fremden Knecht an,
den ſein HErr aufzurichten vermag. Indeſ-
ſen lernen wir an dieſem nahmhaften Exempel,
(1) daß das Beſte bey dieſer Gemeine von dem
geiſtlichen Zubringen ihrer vornehmſten Glie-
der herruͤhre, und zwar vielmehr in den vori-
gen, als in den neuern Zeiten: und (2) daß
die Kraft der Verfuͤhrung auch ſolche, die zu-
vor recht wohl geſtanden, hinreiſſe, und daß
alſo kein Anſehen ihrer Perſon jemand hintern
ſolle, ihre Lehre ſelbſt nach dem Wort GOttes
zu pruͤfen.


§ 160.

Vor allen Dingen iſt die Declaration be-
muͤhet, die Schriften wider die Lehre der ſo
genannten Bruͤder, darin doch alle unpar-
theyiſche Leute ſehr vieles fuͤr gruͤndlich erken-
nen muͤſſen, zu entkraͤften, und den Schrif-
ten fuͤr ſothane Lehre, die der Sache oft nach-
theiliger als jene ſind, die Schaͤdlichkeit zu be-
nehmen. Wir wollen dieſes Stuͤck hieher ſez-
zen, und es mit noͤthigen Anmerkungen be-
gleiten, wodurch alle, die bey der Bruͤderge-
meine
[165]Von der Spangenb. Declaration.
meine aus der Wahrheit ſind, nicht weiter
entfremdet, ſondern gewonnen werden moͤch-
ten.


1. ” Obgleich die mehreſten Schriften, welche
man gegen ˈ Uns in die Welt fliegen laſſen, die aber
a
doch ziemlich auf ˈ Eines hinauslauffen, bis daherb
unbeantwortet blieben ſind: ſo iſt doch daraus ˈ keinc
Schluß zu machen, als waͤre es nicht moͤglich, ”
”daß
L 3
[166]TheilI.Cap.I.Satz 20.
”daß Wir etwas darauf antworten koͤnten; und als
ob Wir folglich die Sache, daruͤber die Frage iſt,
verloren haͤtten. Wir haben bisher aus ganz an-
dern Urſachen geſchwiegen. Denn wie Wir uͤber-

dhaupt nicht geneigt ſind, zu dem Zanckfeuer ˈ im-
mer neues Holz zu legen, und aus denen bereits
vorhandenen mehr als hundert und fuͤnfzig Streit-

eſchriften, zwey bis ˈ drey hundert zu machen: al-
ſo ſind unſere Bruͤder, die ſich mit ſolchen Dingen
einlaſſen koͤnnen, bisher in andern Arbeiten ge-
weſen, die Ihnen vor die Zeit nothiger ſchienen,
als ſich mit Streitſchriften zu occupiren. Ande-
rer Umſtaͤnde zu geſchweigen.


2. Indeß iſts wahrſcheinlich, daß manche Strei-
tigkeiten, die unſerthalben entſtanden, auf Logo-”

”machien
c



[167]Von der Spangenb. Declaration.
”machien hinaus lauffen, da man um Worte Krieg
fuͤhrt, ob man gleich einerley ˈ denckt; und das
f
wird ſich weiſen, wenn einmal ˈ recht ausgemachtg
wird, welches derſtatus controverſiæſey, oder
worauf die Frage eigentlich ankommt. Es iſt die-
ſes um ſo viel eher zu vermuthen, als man vor-”

”hin


L 4
[168]TheilI.Cap.I.Satz 20.
” hin ſchon der Streitigkeiten genug hat, die zu-
letzt einem Spiegelfechten aͤhnlich worden ſind.
Wenn Wir alſo unſern Sinn (welcher, wie Wir
theils wahrſcheinlich denken, theils augenſchein-

hilich ſehen, nicht ˈ recht gefaſſt wird) deutlicher ˈ
koͤnnen zu Tage legen, ohne Uns dabey in Zaͤn-
koreyen einzulaſſen: ſo haben wir Hoffnung,
Wir werden wenigſtens bey denen, die Uns Bil-
ligkeit wiederfahren laſſen, mancher Beſchuldi-
gungen halber, ein guͤtigeres Urtheil uͤber uns
erhalten, als man bisher in manchen Schriften
geſehen. Denn wir wollen je nicht hoffen, daß

kman Saͤtze bey den Bruͤdern ſo ſchlechtweg ˈ ver-
werffen wird, die nicht nur in den alten koſtbaren
Kirchen-Geſaͤngen, ſondern auch in den Schriften
bewaͤhrter Lehrer der Evangeliſchen Kirche, mit

leben ˈ den Worten gefunden werden, deren ſich
die Bruͤder dabey bedienen.


3. Vor alle ˈ bisherige Schriften, die Uns zu
Liebe ans Licht kommen ſind, koͤnnen wir nicht ”

” ſtehen.
[169]Von der Spangenb. Declaration.
” ſtehen. Mancher hats gut gemeint, und nach
ſeiner Einſicht etwas vor Uns geſchrieben; dabey
iſts geſchehen, daß Er auf der guten Ecke ˈ zu viel
n
von uns geruͤhmet: auf der andern Seite hat
mancher, der Boͤſes bey uns geſucht hat, nichts ˈ
o
als Arges, nach ſeiner Meinung, bey uns finden
koͤnnen. Wie wird denn nun der Sache ˈ gera-
p
then? Wenn der Eine alles gut heiſſt, und der an-
dere alles verwirft, an der Bruͤder-Unitaͤt; ſo
koͤnnen ſie beyde irre ſeyn. Wir ˈ werden doch
q
nicht mehr, und auch nicht weniger, als wie Wir
in GOttes Augen ſind. Seine Wage iſt richtig:
und wenn uns alles vor wichtig erklaͤrte, und wir”

” ſind
m




L 5[170]TheilI.Cap.I.Satz 20.
” ſind Ihm zu leicht; was waͤre es denn? Was
waͤre es aber auch auf der andern Seite, wenn
Uns alles verwuͤrfe und vor nichtig hielte, und
Wir waͤren Ihm theuer und werth? Das letzte
iſt Uns doch lieber, als das erſte.


4. Was inſonderheit einige ˈ unſerer Apologe-
ten, vielleicht aus einem Wehethun uͤber dem Un-
recht, welches nach ihrer Einſicht ihren Freunden,

soder Bruͤdern geſchehen, in ihren Schriften von ”
” Eifer
q
[171]Von der Spangenb. Declaration.
” Eifer geaͤuſſert, der einem oder dem andern haͤr-
ter gefallen, als ers etwa von den Unſrigen ˈ er-
t
wartet; das nehmen Sie allein auf ſich, und wol-
lens auf die Rechnung der ganzen Bruͤder-Unitaͤt
nicht geſchrieben wiſſen. Sonſt iſt auch wohl ˈ ge-
v
wiß, daß dergleichen Schriften, ob ſie gleich nicht
zu verachten, ſondern wenigſtens um der guten
Abſicht willen lobenswuͤrdig ſind, dennoch nir-
gend weniger geleſen werden, als in unſern Ge-
meinen. Denn weil unſern Leuten die Zeit, zu
Leſung der Buͤcher, die gegen Uns in die Welt
fliegen, gemeiniglich ˈ gereuen will; indem ſo gar
x
wenig Erbauung daraus zu holen iſt: ſo finden ”
” ſie
Note: ſelben iſt, je mehr muß die Gemeine aller ih-
rer Glieder Apologien auf ſich nehmen, wie
ſie denn auch die meiſten ausdruͤklich gut ge-
heiſſen hat.

[172]TheilI.Cap.I.Satz 20.
” ſie auch nicht vor noͤthig ſich mit deren Abfer-
tigungen viel zu unterhalten. Koͤnnten alle Theo-
logiſche Streitigkeiten ſo gefuͤhret werden, daß
Liebe und Wahrheit den Schreiber regierten: ſo
wuͤrde es wohl vor die Kirche Chriſti am beſten
ſeyn, und dem Feind manche Freude erſparen. ”


Note: heit mit Ehrerbietung annehmen. Das waͤre
eine vortreffliche Erbauung. Es hat nicht
die Meinung, daß alle alles leſen muͤſſen: aber
wer ſeine armen Bruͤder davon abhaͤlt, daß
ſie ja keine Erinnerung anhoͤren ſollen, der
nimmt etwas groſſes auf ſich. In einer ſo
mißlichen Sache ſolte ein jedes von ihnen ſich
etwa nach einem erfahrnen Mann, dergleichen
es doch wol auſſer ihrer Gemeine gibt, umſe-
hen, und ſich unpartheyiſch berichten laſſen,
was es fuͤr eine Bewandtniß habe. Aber es
iſt, als ob die guten Leute meinten, die Goͤttli-
che Vorſorge duͤrfe keinen Blinden, ob er
noch ſo ſorglos waͤre, in die Grube fallen laſ-
ſen. Kommt ihrer etlichen eine Erinnerung vor
die Hand, ſo ſehen ſie einen in ihrer ſeligen Hoͤ-
he mit einer mitleidigen Liebe an, und wann
er bey ihnen noch wol daran iſt, ſo meſſen ſie
ihm eine heilige Einfalt bey, aber auf ihrem
Beginnen bleiben ſie. Rohe Weltleute tra-
gen ſich mit gewiſſen Spruͤchwoͤrtern, wo-
mit ſie ſich in ihrem totalen Unglauben oder in
ihrer betrogenen Hoffnung gegen alle Angriffe
der Wahrheit verſchanzen: und ſo haben auch
manche dieſer Bruͤder ihre Weydſpruͤchlein,
die ſie auffangen und nachſagen, womit ſie ſich
in
[173]Von der Spangenb. Declaration.
in ihrer Seligkeit, das iſt, in ihrer falſchen
Ruhe, aller guten Erinnerungen, die ihnen
nicht gefallen, erwehren. Deswegen iſt es
gefaͤhrlich, die Bruͤder darin zu ſteiffen, daß
ſie die Ohren von ſolchen Vorſtellungen ab-
wenden, die ihnen erbaulich ſeyn moͤchten. An
andern Orten laͤſſet man das Leſen beederſei-
tiger Schriften frey: und ſo ſolte es auch bey
ihnen ſeyn. Liebe und Wahrheit, welche
beede hier in der Declaration erfordert werden,
finden ſich hoffentlich in dieſem Abriß.

§ 161.

Wie die Declaration ſich vermoͤge deſ-
ſen, was wir jezt bemerket haben, verhaͤlt,
ſo verhaͤlt ſie ſich durchgehends: woraus leicht
abzunehmen iſt, daß unter einem ſcheinbaren
ſachten Vortrage ſehr vieles verborgen ſey,
wodurch mancher treuherziger Leſer gefangen
werden muͤſſte, wo er in der Vorſichtigkeit
ein wenig nachlaͤſſet. Zu einem Exempel dienet
das kuͤnſtliche Raiſonnement von der Schrift
§ 6, und das Lob, welches derſelben § 8 gege-
ben wird, da die Declaration auf meiſterlichen
Wortſchrauben ſtehet, und zwar nichts wider
die Schrift lehren, aber auch nicht alles aus der
Schrift allein lernen will. Wer die Decla-
ration und unſere bisher ausgefuͤhrte Saͤtze
gegeneinander haͤlt, wird finden, (1) daß die
Declaration ſehr viele wichtige Irrthuͤmer,
welche bey der ſo genannten Bruͤdergemeine
geheget werden, mit Stillſchweigen uͤbergehe:
(2) daß
[174]TheilI.Cap.I.Satz 20.
(2) daß dieſelbe vielen dergleichen Irrthuͤ-
mern ausdruͤcklich beyſtimme: (3) daß dieſelbe
viele Irrthuͤmer mildere, und ſie anders an-
fuͤhre, als ſie an ſich ſelbs ſind, und daher
auch oft mit der Antwort neben der Frage hin-
gehe: (4) daß folglich dieſe neue Lehre durch
die Declaration keines weges gerettet werde.
Zum Exempel, daß der heilige Geiſt die Mut-
ter der Kinder GOttes
ſey, lehret die De-
claration dem Ordinario zu folge: ob Er
aber auch die Mutter des Sohns GOttes
ſey, davon ſagt ſie kein Wort, da doch an die-
ſem Puncten mehr gelegen iſt, als an der gan-
zen Declaration. Was der Ordinarius von
der Moralitaͤt halte, und was fuͤr einer Zu-
kunft
des Heilandes man ſich bey der neumaͤh-
riſchen Gemeine verſehe, wird oben § 142, und
unten § 189, num. 7. gezeiget: aber beedes
wird in der Declaration p. 63, 88. vertuſchet.
Im andern Theil dieſes Abriſſes wird auch von
andern Vertheidigungen gehandelt.


Der 21 Satz.
Die Lehre bey der Bruͤdergemei-
ne ſtimmet bey weitem nicht mit der
Augſpurgiſchen Confeſſion uͤberein.


§ 162.

Dieſes iſt leicht zu erſehen. Der Ordinarius
berufft ſich nicht auf die Apologie der
Augſp. Confeſſion, (wovon er doch einen Ex-
tract
[175]Von der Augſp. Confeſſion.
tract in den Reflexionen num. VII gab,) nicht
auf die Schmalkaldiſchen Articul, geſchweige
auf die Formulam Concordiæ, ſondern nur
auf die Confeſſion ſelbs, (mit welcher er gleich-
wol nicht allein nebſt andern evangeliſchen Leh-
rern, ſondern auch vor ihnen uͤbereinſtimmen
will,) und nicht auf die ganze Confeſſion, ſon-
dern auf die ein und zwanzig erſte Articul, und
zwar dergeſtalten, daß man wohl merket, (1)
wie gern er den erſten Articul ſamt denen al-
ten vorangefuͤgten Symbolis bey ſeit gethan
haͤtte, weil ſie ſeiner Lehre von der heiligen
Dreyeinigkeit im Wege ſtehen: (2) wie es ihm
bey den zwanzig folgenden Articuln nur um
den Eingang bey Hohen und Niedern zu thun
ſey: und (3) warum die ſieben lezte Articul
wider die Misbraͤuche zuruͤckgelaſſen worden.
Die Roͤmiſche Kirche (ſagt Siegfried p. 99,)
muß den Bruͤdern nothwendig unter allen
Proteſtantiſchen Parteyen am geneigteſten
ſeyn.


§ 163.

Bey ſeinen Diſcourſen uͤber die 21 Articul
hat er nicht die Confeſſion ſelbs, ſondern ſei-
ne poetiſche Summarien uͤber die Confeſſion
zum Text genommen: womit er denn einen
Tranſport von der augſpurgiſchen Confeſſion
auf ſeine philadelphiſche neugemodelte und
neue Lehre, der groſſen Ungleichheit ungeach-
tet, zuwege bringt.


§ 164.
[176]TheilI.Cap.I.Satz 21.
§ 164.

Im Vorbericht zu den Diſcourſen wird
gegen die jenige, die etwas einwenden, der
Verdacht zum Voraus erreget, als ob der
gecreuzigte Heiland ihnen unbekant waͤre.
Das muß einer, der Chriſto und ſeinem Creuz
und ſeiner ganzen Wahrheit hold iſt, ſich nicht
irren laſſen.


§ 165.

Im lezten Diſcours ward den 3 Martii
1748 geſagt: ” Die Confeſſores haben ihre
Principia ſtantis \& cadentis Eccleſiæ ſelber
” nicht weiter (uͤber die 21 Articul) extendirt
” wiſſen wollen: dabey bleiben auch wir, wa-
” gen Gut und Leib, GOtt helfe uns! daß
” wir das Zeugniß fuͤhr’n, und viele zu dem
” Sinn gewinn’n.
” Und auf dem Rande
ſteht dabey: ” Das iſt ſeit dem in allen Orten
” und Gegenden unſerer Buͤrger- und Pil-
” gerſchaft quaquaverſus ſelig zu Stande ge-
” bracht; und das ganze Lehr-Amt in und
” auſſer Europa hat ſich conſent. Eccleſiis,
darauf zuſammen verſtanden. Die De-
claration des Synodi daruͤber iſt ſo rund,
” als vielleicht noch keine in einiger Kirchen-
” Zeit; und wird hoffentlich zu ſeiner Zeit,
” zur Erbauung des Publici dienen. ſ. 288.
Solche Declaration wird im Vorbericht ein
wichtigesDocument genannt, und dieſes iſt,
wie es daſelbs lautet, als eine nervoͤſe Ein-
leitung
[177]Von der Augſp. Confeſſion.
leitung voranzuſetzen beliebt worden, es
befindet ſich aber auch unter den Beylagen zu
den Reflexionen. Der Titul iſt dieſer:
Aufſatz, welcher von der dazu verord-
netenDeputation,demGeneral-Synodo
des Jahres 1748. prœſentiret, und darauf,
wie zuvor von allen Preſbyterianiſchen
Tropisder Bruͤder-Kirche, nunmehro
auch von derEpiſcopal-Verfaſſung ſelbſt,
in Teutſchland, Schleſien, Holl- und
England, die ungeaͤnderte Augſpurgiſche
Confeſſion pure \& ſimpliciterangenom-
men worden. ” Iſt die Augſpurgiſche Con-
feſſion von allen drey Tropis angenommen
worden: was ſollen weiter die Tropi? Wird
ein jeder bey der Ruͤkkehr zu dieſer oder jener
Kirche der ungeaͤnderten Augſpurgiſchen Con-
feſſion zugethan bleiben doͤrffen? Wir wollen
nicht genau forſchen, wohin das Woͤrtlein
darauf, welches nicht nur im Titul der Decla-
ration,
ſondern auch im Marginali des Diſ-
courſes
ſtehet, zu referiren ſey: man ſieht den-
noch wohl, daß die Confeſſion nicht an ſich ſelbs,
ſondern wie ſie durch den Aufſatz herumgelenket
iſt, und alſo vielmehr der Aufſatz pure \& ſimpli-
citer
angenommen worden iſt. Der groſſe Un-
terſcheid zwiſchen der Confeſſion ſelbs und der
neuen Declaration iſt offenbar. Man darf
nur beedes, zum Exempel, in den erſten Arti-
culn conferiren. Wo der Aufſatz die muthig-
ſten Worte fuͤhret, da blickt allemal eine im
tiefen Grund liegende Bangigkeit und Unrich-
(Abriß der Bruͤderg.) Mtigkeit
[178]TheilI.Cap.I.Satz 21.
tigkeit hervor. Er fleugt entweder hoch uͤber-
hin, und handelt die groͤſſte Wichtigkeiten
ringfuͤgig ab, oder fleuſſt wie ein gefrorener
Bach, der halb Eis halb Waſſer iſt, gezwun-
gen und geſchreckt. Er iſt concentrirt, und
faſſet ſehr vieles in ſich: und alle darin enthal-
tene falſche Lehren muͤſſen der ganzen neumaͤh-
riſchen Kirche, vermoͤge der pure \& ſimplici-
ter
geſchehenen Annahme, zugeſchrieben wer-
den. Wer des Ordinarii Wendungen ken-
net, dem muͤſſen uͤber ſolchen Aufſatz vielerley
Gloſſen beygehen.


§ 166.

Wañ der Ordinarius ſo gar von einer rotun-
den und verbalen
Adhœſion der ungeaͤnderten
Augſp. Confeſſion redet, Reflex. ſ. 286, ſo lau-
tet ſolches plauſible: die Meinung aber iſt nicht,
daß er der Confeſſion rund bis auf ihre Worte
hinaus beypflichte, ſondern daß er die von den
Verfaſſern unter Goͤttlicher Regierung geſetzte
Worte annehme, und denenſelben einen Ver-
ſtand unterlege, den er als richtig erkenne,
wiewohl jene, nicht ohne Grillenfaͤngerey,
es anders gemeint haben. Das nennet er
bald den Spiritum, den Geiſt der Augſp. Con-
feſſion; bald ſieht er es an als ein Sceleton,
das er mit Adern, Fleiſch und Haut uͤberzieht;
bald machet er eine Bruͤhe uͤber das, was er
als ein Mark heraus genommen hat. So
kan man aus allem alles machen. Im Creuz-
Reich ſ. 224 hatte er viel anders von einer
Ueberein-
[179]Von der Augſp. Confeſſion.
Uebereinſtimmung mit dem Sinne der Confeſ-
ſorum,
fuͤr ſeine Perſon, geredet: jezt aber
war es um den Beytrit der ganzen Gemeine
zu thun. Zuvor der Sinn ohne die Worte:
hernach die Worte ohne den Sinn. Die Con-
feſſion muß man je nicht nach ſeiner neuen Lehre
auslegen, ſondern die Confeſſion gegen dieſe
Lehre halten. So wenig die Verfaſſer der Con-
feſſion, und alle, welche bey deren Verleſung
auf beeden Seiten zugegen geweſen, des Or-
dinarii
Lieder und Reden annaͤhmen, ſo we-
nig kommt dieſer in ſeiner Lehre mit der Aug-
ſpurgiſchen Confeſſion uͤberein. Sonſt haͤt-
te es weder der Diſcourſe, noch des Aufſatzes,
noch der vielen ausgeſonnenen Umſchweiffe in
dieſem und jenen bedurft. Warum hat man
die Deputirten nicht vielmehr, oder nicht zu-
gleich, die Augſpurgiſche Confeſſion ſelbs un-
terſchreiben laſſen?


§ 167.

In Summa, wer die Augſpurgiſche Con-
feſſion und die Zinzendorfiſche Lehre zuſammen
reimen kan, der koͤnnte auch die Augſpurgiſche
Confeſſion und das Concilium Tridentinum
oder den Catechiſmum Racovienſem, Ja und
Nein, Weiß und Schwarz, Wahrheit und
Irrthum, zuſammen reimen. Denke doch ein
jeder, in ſolchen wichtigen Dingen, nicht was
er will, ſondern was er ſoll. GOtt wird
darnach fragen.


M 2Der
[180]TheilI.Cap.I.Satz 22.

Der 22 Satz.
Es iſt zu wuͤnſchen, daß durch
die kuͤnftige Reviſion der Schriften
des
Ordinariialles gut gemacht
werden moͤge.


§ 168.

Zu einer Reviſion der Schriften des Ordi-
narii
wird Hoffnung gemacht in der
Spangenbergiſchen Declaration, ſ. 42. wie
auch in den Beylagen, ſ. 93 u. f. und im Vor-
bericht, ſ. 6. Es iſt unlauͤgbar, daß in den
Schriften des Ordinarii manches ſehr erbau-
lich, und der Ausdruck oft vortrefflich ſey:
und wann man ſolches von aller Unlauterkeit
befreyet haben koͤnnte, ſo wuͤrde es groſſen
Nutzen ſchaffen. Ob in manchen Urkunden
und Documenten, wie auch in denen aus dem
Ordinario hin und wieder ſo hauͤffig allegir-
ten Stellen, eine Aenderung, auch nur der
Worte, Statt finde, will ich nicht eroͤrtern.
Wann aber eine neue von dem Ordinario ſelbs
revidirte Edition ſeiner Schriften erſcheinen
wird, ſo wird man ſorgfaͤltig zuzuſehen ha-
ben, ob alles in die gehoͤrige Lauterkeit, Voͤl-
ligkeit und Maͤſſigung geſetzet, und allem An-
ſtoß gruͤndlich abgeholfen worden ſey. Ei-
gentlich iſt die Verbeſſerung der Irrthuͤmer
eine loͤbliche Retractation, und die Verbeſſe-
rung der Redens-Arten eine Reviſion, die
Ver-
[181]Von der Reviſion.
Verbeſſerung aber des hohen Tons ein gan-
zer Umguß. Mir ſolte es eine innige Freude
ſeyn, wann ermeldte Schriften vermittelſt ei-
ner voͤlligen Verbeſſerung, wo moͤglich, allen
Einwuͤrfen auswiechen, und in eine wahre
Uebereinſtimmung mit der Augſpurgiſchen
Confeſſion geſetzt, auch alle Saͤtze dieſes mei-
nes Abriſſes, welche noch gar nicht in die Luft
ſtreichen, zu lauter Luftſtreichen gemacht wuͤr-
den. Das Werk der Verbeſſerung wird den
Meiſter loben muͤſſen.


Das II Capitel.
Von der unrichtigen Ueberſetzung
des Neuen Teſtaments.


Der 23 Satz.
In dem Buͤdingiſchen Neuen Te-
ſtament wird das Wort GOttes
ſehr verfaͤlſchet, und zwar in der
andern Edition des erſten Verſuchs
noch mehr, als in der erſten.

§ 169.

Dieſer Verſuch folget zwar oft einem reinen
griechiſchen Text, iſt aber ſonſten ſehr
M 3unrich-
[182]TheilI.Cap.II.Satz 23.
unrichtig, beedes in beeden Editionen. Ge-
gen die erſte Edition A. 1739. haben gezeuget
Theophilus a Veritate (oder Joh. Friedrich
Bertram,) ſchon A. 1740. und in den folgen-
den vier Jahren Hr. D. Hallbauer, der un-
genannte Verfaſſer der erſten Beylage zu Hn.
A. G. Antwort auf die Zinzendorfiſche Erklaͤ-
rung, Hr. D. Benner, u. ſ. w. Wir aber
wollen nur dasjenige beſehen, was aus der er-
ſten Edition in die zweyte fortgefuͤhret, oder
in der zweyten nicht beſſer gemacht worden iſt,
wiewohl dieſe, laut der Titulblaͤtter zu ihren
beeden Theilen, A. 1744 und 1746, von den
vorigen Schreib-Druck- und andern Feh-
lern gebeſſert
ſeyn ſoll. Wegen der Anmer-
kungen
haben andere bereits manches erinnert,
und ich thue ſolches auch hin und wieder in
dieſem erſten Theil: aber in dieſem zweyten
Hauptſtuͤcke will ich bey dem Texte, und auch
bey deſſen Ordnung bleiben.


§ 170.

Matth. 9, 8. Das Volk preiſete GOtt,
der den Menſchen eine ſolche Macht gie-
bet.
Text, gegeben hat.


Matth. 9, 10. Da kamen viel Zoͤllner und
boͤſe Leute.
Wo im Griechiſchen das Wort
Suͤnder ſteht, da hat dieſe Ueberſetzung oft,
boͤſer Mann, der nichts taugt, der es grob
gemacht, liederliches Menſch, boͤſe, gott-
loſe, liederliche, ruchloſe Leute, Miſſe-

thaͤter,
[183]Von der Ueberſetzung des N. T.
thaͤter, Boͤswichter, boͤſe Buben, boͤſes
Volk, liederliches Volk.
Auf dieſe Weiſe
wird das Wort Suͤnder fuͤr die ſelige Suͤn-
derſchaft
geſparet.


Marc. 7, 2. 15. Gemein; gemein machen.
Dafuͤr hat dieſe Ueberſetzung hin und wieder,
verboten, unehrlich, unrein, wie Koth;
beflecken, vor verboten ausgeben.
Das
Wort, gemein, wie es in der Schrift ſo viel
als unheilig, unrein, bedeutet, iſt auch im
Deutſchen zur Genuͤge bekannt.


Marc. 11, 25. Auf daß auch euer Vater,
der in den Himmeln iſt, euch eure Verge-
hungen hingehen laſſe.
Ohne eine voͤllige
Erlaſſung, die wir einander erzeigen ſollen?


Marc. 16, 14. Unempfindlichkeit. Hie-
mit wird des Herzens verſchonet, dem der
Grundtext eine Haͤrtigkeit zuſchreibet; und
hingegen dem Gefuͤhl angeholfen.


Marc. 16, 19. Und ſetzte ſich zur Rechten
der Gottheit.
Der Grundtext redet deut-
licher von dem GOtt unſers HErrn JESU
Chriſti.


Luc. 19, 9. Heute hat dieſes Haus Gnade
gekriegt.
So auch Apg. 2, 47. 1 Petr. 2,
10. Dergleichen neumaͤhriſche Ausdruͤcke
wollen wir nur melden.


Luc. 22, 28. Ihr ſeyds aber, die ihr bey
mir ausgehalten habt in meinen kuͤmmer-
lichen Umſtaͤnden.
Das Wort Anfech-
M 4tungen
[184]TheilI.Cap.II.Satz 23.
tungen wird hier, und zum Exempel auch Gal.
4, 14. 1 Petr. 1, 6. gemieden.


Joh. 11, 52. Daß er aus den Kindern
GOttes, die ſo weit auseinander ſind, nur
eine Gemeine mache.


Joh. 12, 32. Ja aus dem Grabe (Griech.
von der Erden:) will ich alle an mich zie-
hen.
So klingt es leichenhaftig.


Joh. 14, 49. 50. Wo im Griechiſchen ſtehet,
Gebot, gebieten, Befehl, befehlen,
(ἐντολὴ, παραγγελία ϰτλ.) da hat dieſe
Ueberſetzung, Abrede, Anordnung, Anwei-
ſung, Lection, Lehre, Privilegium, Regel,
Verlaß, Verordnung; anbefehlen, auftra-
gen, hinterlaſſen, verlaſſen, mit Inſtru-
ction verſehen; bedeuten, einſchaͤrfen,
erinnern, erklaͤren, ſagen, vorſchreiben.

Das ruͤhret von der Scheue vor dem Ge-
ſetz
her, wiewohl die Autoritaͤt deſſen, der
gebeut, und die Willigkeit deſſen, dem
geboten wird, gar wohl beyſammen ſtehen.
Ja auch die Ermahnungen werden in dieſer
Ueberſetzung bisweilen verdecket: Ihr koͤnnt
darauf rechnen,
an ſtatt, Haltet euch da-
fuͤr
u. ſ. w. Roͤm. 6, 11. 12. 19. Cap. 12, 9.
Cap. 13, 1. 14. Ich rathe (fuͤr, ermahne,)
1 Tim. 2, 1.


Joh. 14, 28. Mein Vater iſt gar ein an-
drer Mann als ich da bin.


Joh. 16, 33. Daß ihr euch uͤber mich
zufrieden geben koͤnnt.
Der Grundtext iſt
viel nachdruͤcklicher.


Joh.
[185]Von der Ueberſetzung des N. T.

Joh. 17, 26. Und ich habe ihnen deinen
Namen wiſſend gemacht, und will ihnen
ſo langs dran lernen, bis die Liebe damit
du mich liebeſt, in ſie hinein iſt, und ich
dazu.


Apg. 2, 46. Sie hielten die Liebesmahle
von Haus zu Haus.


Apg. 8, 4. Sie verkuͤndigten die bekann-
te Materie.
Die Randgloſſe deutet es auf
das Leiden.


Apg. 13, 48. So viel ihrer zum ewigen
Leben zubereitet waren.
Randgloſſe,
praͤparixet.


Apg. 15, 22. Welches wichtige Leute
unter den Bruͤdern waren.


Apg. 15, 28. Denn es iſt dem Heil. Geiſt
und uns ſo geweſen.
An ſtatt, es gefaͤllt.


Apg. 16, 14. Daß ihr (der Lydia) die Din-
ge, die Paulus redte, ſitzen blieben.


Apg. 19, 2. 6. Heiliges Wehen.


Apg. 28, 23. die er in der Sache des
Heilandes
unterrichtete.


§ 171.

Roͤm. 2, 13. damit kommt man nicht
aus.
Die Rede in den apoſtoliſchen Briefen
hat eine unvergleichliche Connexion, und die-
ſe Connexion warzunehmen, hilft ſehr viel,
(1) wann man die Woͤrtlein, und, weil,
M 5dann,
[186]TheilI.Cap.II.Satz 23.
dann, darum u. ſ. w. daran ſehr viel gelegen
iſt, beobachtet, welches aber in dieſer Ueberſez-
zung oft unterbleibt, zum Exempel, Roͤm.
8, 37. 38. 2 Cor. 5, 20. 6, 1. (2) Wann man
die Grundwoͤrter einer zuſammenhangenden
Abhandlung, die im Grundtext oft wiederho-
let werden, in der Ueberſetzung behaͤlt, und die
Connexion nicht durch unnoͤthige Variatio-
nen verdecket, wie dieſe Ueberſetzung thut, wann
zum Exempel fuͤr das Wort gerechtmachen,
daß wir nur bey dieſem Briefe bleiben, ge-
nommen wird, losſprechen, pardoniren,
abſolviren,
Cap. 3, 20. 24. c. 4, 5. und fuͤr
gerechtwerden, auskommen, Lob haben,
beſtehen, da man einem keine Suͤnde vor-
werfen kan.
Cap. 2, 13. c. 3, 4. c. 6, 7.


Roͤm. 4, 25. Er iſt wieder auferſtanden,
weil wir loßgeſprochen ſind.
Paulus leitet
aus der Auferweckung unſers HErrn JEſu die
Rechtfertigung her: aber wo die Apoſtel die
Erhoͤhung Chriſti und unſere Seligkeit zu-
ſammen verknuͤpfen, da ſcheidet dieſe eigen-
maͤchtige Ueberſetzung gern beedes voneinan-
der: ſo bleibt das Heil an den Leidenspuncten
allein gebunden. Man ſehe hernach bey 1 Petr.
1, 21. und alſogleich bey Roͤm. 5, 10.


Roͤm. 5, 10. Wie vielmehr werden wir
durchkommen, (ſelig werden,) nun wir
ausgeſoͤhnet ſind, und er nun im Leben iſt.


Roͤm. 5, 13. Nur daß die Suͤnde vor nichts
gerechnet wurde, ſo lange kein Geſetz war.

Der Grundtext redet in præſenti.


Roͤm.
[187]Von der Ueberſetzung des N.T.

Roͤm. 7, 1. Das Geſetz regiert uͤber den
Menſchen, ſo lange es lebt.
Luth.ſo lan-
ge er lebet.


Roͤm. 7, 6. Weil es (das Geſetz) gestor-
ben iſt.
Paulus, weil wir geſtorben ſind.
Die aͤchte griechische Les- Art iſt gerettet in der
Antwort wegen des griechiſchen N. T. p. 55.
ed. 3. Leusden,Reitz ꝛc. auf welche ſich die
Randgloſſe berufft, ſind nur durch Bezam
verleitet worden.


Roͤm. 10, 10. Denn der Glaube im Her-
zen hilft zur Gerechtigkeit, und wenn man
mit dem Munde bekennet, ſo wird einem
wohl.


1 Cor. 1, 18. Wir errettete Seelen fuͤhlen
ſie
(die Creutz-Lehre) als Krafft GOttes.


1 Cor. 1, 27. 28. Was die Welt vor naͤr-
riſch haͤlt, das hat GOtt zur Gemeine
gebracht, die weiſen zu beſchaͤmen; was
der Welt gering deucht, das hat GOtt zur
Gemeine gebracht, zur Beſchaͤmung der
wackern Leute. Was bey der Welt ge-
mein Volk heiſſt, und was verachtet wird,
das hat GOtt zur Gemeine gebracht u.
ſ. w.


1 Cor. 1, 31. Ein jeder, der noch Ehre
zu reden
haͤtte.
Eben ſo, 2 Cor. 10, 17.


1 Cor. 2, 2. Ich wolte mit gutem Be-
dacht von nichts bey euch wiſſen, als von
JEſu Chriſto, und zwar in ſeiner Creutz-
Geſtalt.
Sinnlicher Ausdruck.


1 Cor.
[188]TheilI.Cap.II.Satz 23.

1 Cor. 2, 6. Unſere Sache wird bey den
ganzen Leuten vor Weisheit gehalten.
So
auch, zu was ganzem kommen, 2 Cor. 13,
9. 11. zum ganzen Mann werden, Eph. 4,
13.


1 Cor. 7, 3. Daß der Mann der Frau den
gehoͤrigen Seegen mittheile.
Pro, debi-
tum reddat
.


1 Cor. 10, 16. Der Seegens-Becher, uͤber
dem wir beten, iſt ja mit Chriſti Blute
vermiſcht.


1 Cor. 12, 3. Und daß niemand JEſum
Jehova nennen kan, ohne durch den heili-
gen Geiſt.
Das Wort, HErr, iſt in die-
ſem Spruch ein appellativum: die Ueberſe-
tzung aber ſetzet das nomen propriumJeho-
va
dafuͤr: und ſo auch Phil. 2, 11. Hebr. 2, 3.


1 Cor. 14, 14. 15. Mein Herz: mein
Sin. Paulus, mein Geiſt, mein Sinn.


1 Cor. 15, 28. Die geſammte Gottheit
wird wieder zuſammen regieren.
Bey die-
ſen alſo ausgedruͤckten Worten wird eine ſehr
unrichtige Erklaͤrung des vorhergehenden
Regiments vorausgeſetzet. Man ſehe die
Randgloſſe Off. 21, 3. und Diſcours uͤber die
A. C. p. 45 u. f.


2 Cor. 2, 6. Er kan an der Zucht jetzo
genung haben.
1 Tim. 1, 20. dem Satan zur
Zucht uͤbergeben.


2 Cor.
[189]Von der Ueberſetzung des N. T.

2 Cor. 2, 14. Ich muß aber GOtt wohl
recht danken, daß er uns uͤberall als Chri-
ſti triumphs-zeichen herumfuͤhrt, und an
allen Orten braucht, einen guten Geruch
ſeiner Wahrheit
(Paulus, Erkenntniß)
zuruͤckzulaſſen.


2 Cor. 5, 4. 5. Wir moͤchten lieber nur ſo
was uͤberworfen kriegen, daß das ſterbli-
che von dem Leben ſo auf einmal verſchlun-
gen wuͤrde. Nun das kommt auf GOtt
an, ob er es ſo mit uns machen will.
v. 7. Wir gehen ſo im Glauben hin u. ſ. w.

Das Woͤrtlein ſo iſt gering, und doch dem
Character dieſer Gemeine ſehr gemaͤß; welches
hiemit aus keiner Widrigkeit bemerket wird.


2 Cor. 6, 10. Als Bettler. Sie aſſen ihr ei-
gen Brot.


2 Cor. 8, 8. Ob eure Liebe das rechte
Puͤnctel
trifft.


2 Cor. 8, 16. Gewiß ich danke GOtt, der
dem Titus ein ſolch Treiben in euren Sa-
chen ins Herz geben hat.
Dabey wird das
Treiben Jehu 2 Koͤn. 9, 20. allegirt.


2 Cor. 9, 14. Sie werden mit einer zaͤrt-
lichen Empfindung fuͤr euch beten.


2 Cor. 10, 15. 16. Nach unſerm Plan ‒‒
nicht in ein fremd Loos.
Luth. beedesmal,
Regel.


2 Cor. 11, 13. Neben-apoſtel. Paulus
ſagt, falſche Apoſtel. Iſt das zu ſcharf?


2 Cor.
[190]TheilI.Cap.II.Satz 23.

2 Cor. 11, 29. Wer iſt elend (ſchwach)
daß ichs nicht mit empfinde?


2 Cor. 12, 18. Nach einerley Plan.
Und 2 Tim. 3, 10. Mein Plan (Vorſatz)
iſt dir bekannt.


Gal. 4, 16. Weil ich ehrlich mit euch
umgehe.
Die Wahrheit, womit Paulus
den Galatern begegnete, faſſte die Redlich-
keit,
aber auch die Richtigkeit, oder Frey-
heit vom Irrthum, in ſich. Eine gute Mei-
nung macht es nicht aus. Sonſt waͤre die
Wahrheit bisweilen, wo zween einander wi-
dersprechen, auf beeden Seiten zugleich, ob
der eine auch ein bezauberter Galater waͤre.
Man ſehe hernach bey 2 Tim. 3, 13.


Eph. 4, 14. Daß wir nicht mehr ſo thoͤ-
richt
ſeyn.
Paulus ſagt, Kinder, unmuͤn-
dige.
Fuͤr dieſes Wort, wie es eine veraͤcht-
liche, dem Ueberſetzer misfaͤllige Bedeutung
hat, nimmt dieſer ein anders: und Hebr. 5, 13.
ſteht dafuͤr, ein tummer Menſch.


Phil. 1, 9. Daß ihr in die Liebe, darin-
nen ihr ſtehet, immer mehr Einſicht kriegt,
und ein ganzes Gefuͤhl.
Die Philipper
ſollen reichlich bekommen nicht nur eine Einſicht
in die Liebe, ſondern in der Liebe die Erkennt-
niß
uͤberhaupt, und dabey nicht nur das Ge-
fuͤhl,
ſondern auch die Lebhaftigkeit aller Sin-
nen
des innwendigen Menschen, unter welchen
die Erkenntniß, als das Geſicht, der vornehm-
ſte iſt, und deswegen von Paulo beſonders
voran gemeldet wird.


Phil.
[191]Von der Ueberſetzung des N. T.

Phil. 2, 12. Nun denn meine allerlieb-
ſten, ſo ſeyd fein fleiſſig daran, einander
ſelig zu machen, ihr ſeyd mir immer ge-
horſam geweſen, ihr werdets nicht nur
ſeyn wenn ich da bin, ſondern noch viel-
mehr wenn ich nicht da bin, und zwar
mit gedoppelter Sorgfalt.
Ein jeder
ſoll auch ſeine eigene Seligkeit ſchaffen, und
zwar mit Furcht und Zittern, welches mehr
heiſſet, als eine gedoppelte Sorgfalt. Diß
iſt auch unten bey 1 Petr. 1, 17 zu merken.


Phil. 4, 15. Ich habe mit keiner Kirche
aus einer gemeinſchaftlichen Caſſe gele-
bet, als mit der euren.


Col. 1, 5. Daß ihr in dem Himmel etwas
gewiſſes zu hoffen, und ſchon einen Vor-
ſchmack
davon bekommen habt.
Der
Apoſtel ſagt nicht, ſie haben vorher geſchmek-
ket,
ſondern vorher gehoͤret.


Col. 2, 2. In das Geheimniß von GOtt
und dem Vater, ſonderlich von Chriſto.

Fuͤr und hat die Ueberſetzung ſonderlich.


Col. 4, 5. Die nicht zu euch gerechnet
werden.
Paulus, die drauſſen ſind. So
auch 1 Cor. 5, 12. wo dieſe Ueberſetzung hat,
die nicht zu uns gehoͤren. 1 Theſſ. 4, 12.
die nicht zur Gemeine gehoͤren.


1 Theſſ. 5, 14. Seyd denen unordentli-
chen Leuten ernſtlich.
Paulus, erinnert.


2 Theſſ.
[192]TheilI.Cap.II.Satz 23.

2 Theſſ. 3, 1. Daß das Wort des HErrn
moͤge Seegen haben.
Fuͤr, gepreiſet wer-
de.


2 Theſſ. 3, 5. Der HErr aber wolle eure
Herzen einleiten in die Materie von der
Liebe GOttes und von dem Leyden Chri-
ſti.
Luth. zu der Liebe GOttes und zu der
Geduld Chriſti.


1 Tim. 2, 5. 6. 7. Daß Ein GOtt iſt und
ein Mittler GOttes und der Menſchen,
Chriſtus JEſus, der Menſch, der ſich ſelbſt
fuͤr alle zur ranzion geliefert hat, das iſt
der text gewiſſer beſondern Zeiten.
Etliches
von dieſem Zeugniß gehoͤrte fuͤr alle Zeiten.


1 Tim. 2, 10. Durch ſchoͤne Arbeiten. An
ſtatt der guten Werke ſuchet dieſe Ueberſetzung
oft andere Ausdruͤcke, dergleichen ſind, nur in
den zween Briefen an Timotheum, wichtige
Sachen, gute Sachen, Wolthaten, gute
Dinge, gute Geſchaͤfften, gute Auffuͤhrung
u. ſ. w.


1 Tim. 3, 6. Er muß nicht erſt in die
Gemeine gekommen ſeyn.


1 Tim. 5, 2. Rede den aͤlteſtinnen zu als
muͤttern.


2 Tim. 3, 13. Die boͤſen verfuͤhriſchen
menſchen aber werden immer aͤrger, ſo
wohl die jenigen die
andere verfuͤhren,
als die ſich verfuͤhren laſſen.
Das aͤrger
werden beſteht darin,
daß dergleichen Men-
ſchen
[193]Von der Ueberſetzung des N. T.
ſchen beedes, als Betruͤger, andere verfuͤh-
ren,
und, als boͤſe oder unſelige, ſich zugleich
verfuͤhren laſſen. Die Rede iſt nicht von
zweyerley Menſchen, ſondern von zweyerley
Jammer bey einerley Menſchen, nemlich von
Betrug und Irrthum. vergl. 1 Theſſ. 2, 3.
1 Tim. 4, 1. 2. Apg. 8, 20. u. f.


2 Tim. 4, 6. Ich werde nun hingeopfert,
und (es iſt mir oft ſo geweſen,) die Zeit
meiner Aufloͤſung u. ſ. w.


2 Tim. 4, 15. Er hat ſich ſehr mit Reden
gegen unſere Leute geſetzet.


Tit. 1, 15. Ropf und Herz. Grundtext,
Sinn und Gewiſſen.


Tit. 3, 5. 6. Er half uns, durch das Bad
der Wiedergeburt und Erneuerung, wel-
ches der heilige Geiſt durch JEſum Chri-
ſtum unſern Heiland, uͤber uns ausgeſchuͤt-
tet hat.
GOtt unſer Seligmacher hat den
heiligen Geiſt reichlich uͤber uns ausgegoſſen
durch JEſum Chriſtum unſern Heiland.


Tit. 3, 10. 11. Einem ſectiriſchen Men-
ſchen gehe (nach der erſten und andern Er-
innerung) aus dem Wege. Denn du muſt
wiſſen, daß ſo ein Menſch ſchon aus dem
Geſchirr
iſt, und drauflos ſundigt, wenn
er ſich ſchon fuͤhlet, daß er unrecht hat.

Solte der Hr. Ueberſetzer bey dieſer Stelle nicht
an ſich ſelbs gedacht haben?


Philem. v. 7. Die Heiligen empfinden
(Abriß der Bruͤderg.) N
ein
[194]TheilI.Cap.II.Satz 23.
ein ſanftes Vergnuͤgen uͤber dir in ihrem
inwendigen.


1 Petr. 1, 17. Ihr rechnet euch zu der
Familie des unpartheyiſchen Richters al-
ler menſchlichen Handlungen, darum muͤſ-
ſet ihr die Zeit eurer Pilgerſchaft uͤber mit
groſſer Sorgfalt wandeln.
Die Rede iſt
hie nicht von Chriſto, ſondern von dem himmli-
ſchen Vater.


1 Petr. 1, 21. Er (Chriſtus) hat euch ja
den Glauben an den GOtt verliehen, der
ihn von den Todten auferwecket, und ihm
die Ehre gibt von eurem Glauben und Hoff-
nung auf GOtt.


1 Petr. 1, 22. Ihr werdet euch einander
erſtaunlich lieb haben koͤnnen, und doch
ein rein Herz behalten.
Das doch gehoͤret
nicht hieher: denn die Liebe wird durch die
Reinigkeit des Herzens verſtaͤrket.


2 Petr. 1, 1. Die durch die Rechtferti-
gung
unſers GOttes und Heilandes JEſu
Chriſti gleichen Glauben mit uns bekom̃en
haben.
Die Rechtfertigung iſt nicht der
Grund des Glaubens.


2 Petr. 1, 19. Wir haben noch mehr vor
uns, als die Lehre der alten Propheten.

Diß wird auf dem Rande dahin gedeutet, als
ob das Wort, das wir haben, veſter ſey,
denn das prophetiſche. Es gibt ein Manu-
ſcript, da, in den Worten τον πϱοϕητικον
λογον, ων pro ον, dreymal ſtehet: aber es
wird
[195]Von der Ueberſetzung des N. T.
wird durch alle andere Urkunden widerlegt.
Petrus bezeuget, das prophetiſche Wort ſelbs
werde durch das Zeugniß der Apoſtel noch
mehr beſtaͤtiget.


2 Petr. 1, 21. Die heiligen Gottes-Maͤn-
ner muſten reden, wenn ſie der heilige Geiſt
hinriß.
Aus dieſem Trieb ruͤhret alle Weiſſa-
gung der Schrift her. Das wenn lautet
zweifelhaft.


1 Joh. 2, 27. Ihr aber habt auch ſo ſchon
das Salb-Oel, das ihr von ihm bekommen
habt, bey euch bleibend, und haͤttet nicht
noͤthig, daß euch jemand lehre, ſondern
wies euch das Salboͤl in allerley Sachen
ſo werden laͤſſt, ſo iſts wahr und zuver-
laͤſſig, und wie es euchs ſo macht, ſo
bleibet dabey.
In den Notis uͤber dieſen Brief
heiſſet es: Wenn unſre Teutſche Sprache
noch etliche Jahre weiter haben wird in
Herausgebung der Herzens-Concepte: ſo
wird es gewiß dieſem Brief am erſten mit
zu ſtatten kommen.
Bey der Ueberſetzung die-
ſer Stelle iſt die Herausgebung der Herzens-
Concepte
nicht wol gerathen.


1 Joh. 3, 16. Daß er ſein Leben fuͤr uns
dran gewagt hat.
Chriſtus hatte viel
Schmach und Schmerzen, aber keine Gefahr
vor ſich, da etwas zu wagen geweſen waͤre.


Hebr. 1, 5. Denn zu welchem Engel hat
GOtt jemals geſagt: Mein Sohn biſt
Du.
Im Grundtext heiſſet es: zu welchem
N 2
Engel
[196]TheilI.Cap.II.Satz 23.
Engel hat er jemals geſagt? Dieſes Er re-
ferirt und bezieht ſich auf den 1 Vers, und
gibt alſo einen unwiderſprechlichen Beweis,
daß, wie im 5, ſo auch im 1 Vers, das Wort
GOtt auf den himmliſchen Vater deute, wel-
cher geſagt hat, Mein Sohn biſt Du. Die-
ſe ſtarke Connexion wird durch das im 5 Vers
hineingeſetzte Wort, GOtt, merklich geſchwaͤ-
chet, und die neumaͤhriſche Theologie moͤchte
gern den 1 Vers, als eine Summe aller Zeug-
niſſe des alten Teſtaments, dem Sohne zu-
eignen.


Hebr. 3, 19. Wir ſehen, daß ſie nur
um des Unglaubens willen nicht haben hin-
einkommen koͤnnen.
Der Unglaube war
die eigentliche, aber nicht die einige Urſache.
1 Cor. 10, 8. 9. 10.


Hebr. 5, 7. In den Tagen ſeiner Menſch-
heit auf Erden.
Der Text nennt es Ta-
ge ſeines Fleiſches,
und weiſet nur auf das,
was JEſus nach der Paſcha-Mahlzeit, Luc.
22, 15. vom Kampf am Oelberg bis zum To-
de am Creuz gelidten hat, nicht aber auf den
ganzen Wandel auf Erden. Es iſt gefaͤhr-
lich, das Ausleeren ſein ſelbs, Phil. 2, 7. zu
weit ausdehnen.


Hebr. 6, 2. Wir wollen nicht erſt wieder
Grund legen mit Bußpredigten uͤber die
Laſter, oder wider die Atheiſterey, oder
von verſchiedenen Reinigungen, oder von
der Aufnahme in die Gemeine, oder euch

die
[197]Von der Ueberſetzung des N. T.
die Auferſtehung der todten und das fuͤngſte
Gericht vorhalten.
Es gibt viele todte
Werke,
die keine grobe Laſter ſind: und zum
Glauben an GOtt gehoͤrt mehr, als nur die-
ſes, daß einer kein Atheiſt ſey. u. ſ. w.


Hebr. 11, 27. Er hielt ſich an das un-
ſichtbare.
Text, an den Unſichtbaren.


Hebr. 12, 1. Von der Suͤnde, die uns ſo
leichte den Weg vertritt.
Der Unglaube iſt
die Suͤnde, die uns ſo leicht zuſetzet.


Hebr. 12, 4. Gegen das Suͤnden-Weſen:
(auſſer uns.) Text, gegen die Suͤnde, (in
uns.) Man ſehe im Anhang, * 14.


Hebr. 13, 20. Der den Oberhirten der
Schaafe unſern HErrn JEſum aus dem
Grabe wieder gebracht hat mit dem Blut-
Zeichen
des ewigen Bundes.
Text, aus
den Todten ‒ ‒ durch das Blut:
aber die
Ueberſetzung machet es gern fuͤr die natuͤrliche
Sinnen beweglicher.


Hebr. 13, 24. Gruͤſſet alle Arbeiter.


§ 172.

Der Brief Jacobi, der Brief Judaͤ, wie
auch der andere und dritte Brief Johannis,
ſind in dieſer zweyten Edition auſſen gelaſſen,
nicht gerade, heiſſet es, aus der Urſach,
daß ich ſie nicht in meiner Bibel haben
wolte, wie der ſeel. Herr Lutherus, der
ſonſt hierunter voͤllige Gewiſſens-Freyheit
gegeben hat, ſondern weil ich mit nicht

N 3
die
[198]TheilI.Cap.II.Satz 23.
die Muͤhe habe geben moͤgen, die disfalls
gantz wohl gerathene Uberſetzungen naͤher
zu revidiren.
Wann das letztere die Haupt-
Urſache waͤre, ſo haͤtte man dieſe vier Briefe
entweder auch in der erſten Edition dieſer
Probe ausgelaſſen, darin ſich doch viel Revi-
ſion bey dieſen Briefen findet; oder ſie nur ſo
mitgenommen, wie ſie Lutherus uͤberſetzet hat,
welcher von der andern und dritten Epiſtel Jo-
hannis ſagt, ſie haben auch einen rechten
apoſtoliſchen Geiſt,
und an den Briefen Ja-
cobi und Judaͤ nicht alles das geandet hat,
was dem Hn. Verfaſſer dieſer Probe in bee-
den, wenigſtens in der erſtern nicht anſtehet,
als Cap. 2, 3. 19. c. 3, 1. Dieſes habe ich mel-
den ſollen, damit es niemand befremde, daß
ich bey dieſen vier Briefen wegen der Text-
Ueberſetzung nichts erinnere.


§ 173.

Off. 3, 10. Weil du uͤber dem Punct
von meinem Leiden gehalten haſt, ſo will
ich auch uͤber dir halten, wenn die Pruͤ-
fungs
-Stunde uͤber das ganze Reich
kommen, und alle Einwohner des Landes
in die Enge treiben wird.
Dem Engel
der Gemeine zu Philadelphia laͤſſt der HErr
ſchreiben: Weil du gehalten haſt das Wort
meiner Gedult u. ſ. w.
das iſt, mein Wort,
welches ein Wort der Gedult iſt.
Die
Rede iſt hie nicht von derjenigen Gedult, welche
der
[199]Von der Ueberſetzung des N. T.
der HErr JEſus in ſeinem Leiden bewieſen
hatte, ſondern von der Gedult, welche der
Gemein-Engel, Chriſto zu folge, zu liebe und
zu ehren, geleiſtet. Man vergleiche Luc. 22,
28. 1 Theſſ. 1, 3. 2 Theſſ. 3, 5. und ſelbs Off.
1, 9: da die Ueberſetzungs-Probe den Sinn
eigentlich ausdruͤcket, Ich Johannes euer
Bruder, der an dem Leyden, an dem Koͤ-
nigreich JEſu, und an allem, was bey
Ihm auszuſtehen
iſt, gleichen Antheil mit
euch hat.
Der Leidens-Punct iſt es nicht
allein, woruͤber wir zu halten haben. Wie
wir uͤberhaupt mit dem Wort GOttes um-
gehen, ſo gehet GOtt wieder mit uns um.
1 Sam. 15, 23. Off. 22, 18. 19. Das ge-
ſamte Wort Chriſti, (wie es v. 8 heiſſt, Du
haſt mein Wort gehalten,
) woruͤber ſeine
Zeugen alles Leiden gedultig ertragen, erſtreckt
ſich viel weiter, als der beſondere Punct vom
Leiden Chriſti unter Pontio Pilato, welchen
Punct einer im Munde fuͤhren und doch un-
gedultig ſeyn kan. Auf dieſe ſelbsbeliebige
Deutung bauet der heutige praͤtendirte phila-
delphiſche Gemein-Engel uͤber die maſſen viel,
und er haͤlt ungemein ſteiff daruͤber. Das
wird der HErr nicht gut heiſſen.


Off. 7, 11. Viel Engel. Johannes, Alle
Engel.


Off. 9, 11. Auf teutſch ein Verderber. Die-
ſer Zuſatz gehoͤret nicht in den Text: er koͤnnte
auf dem Rande ſtehen.


N 4
Off.
[200]TheilI.Cap.II.Satz 23.

Off. 9, 15. Auf Stunden und Tage und
Monate und Jahre.
Im Text heiſſet es,
auf die Stunde und Tag und Monat und
Jahr.
Der Articulus machet eine beſtimmte
Rede und hebt den Pluralem auf. Die Sache
ſelbs iſt von einer wichtigen Folge.


Off. 10, 7. Das Geheimniß GOttes, das
er ſeinen Knechten den Propheten vertrau-
et
hat.
Das Wort, vertrauet, fuͤr evan-
geliſiret,
muß man nicht dahin verſtehen, als
ob allem die Propheten ſolches Geheimniß
haͤtten wiſſen doͤrfen. Das Geheimniß muß
vollendet, und die Vollendung, ja auch die
Zeit derſelben, kund werden. Johannes durfte
nichts verſigeln, als was die ſieben Donner
geredet hatten.


Off. 14, 20. Die Kelter lieff uͤber zur
Stadt hinaus.
Text, die Kelter ward
getreten auſſer der Stadt.


Off. 18, 4. Geht von ihr weg. Text,
Geht von ihr aus. Ausgehen und weg-
gehen
iſt nicht einerley.


Off. 18, 8. Denn der GOtt, der ſie rich-
tet, iſt ein maͤchtiger HERR.
Der Name,
HERR, gehoͤret zum Subjecto in dieſer
Propoſition.


Off. 19, 10. Das Zeugniß von JEſu aber
iſt das Hertz aller Weiſſagung.
Das Hertz
bedeutete hier den vornehmſten Inhalt: aber
das Wort Geiſt, im Text, bedeutet etwas
anders. Erkl. Off. p. 1038.


Off.
[201]Von der Ueberſetzung des N. T.

Off. 20, 2. die erſt verfuͤhrt und darnach
auch verklagt.
Hiemit werden die zween Na-
men der Schlange, Teufel und Satanas,
nicht ausgedruͤcket.


Off. 20, 4. Die um des Zeugniſſes von
JEſu und dem GOttes Wort u. ſ. w.
Text,
Die von wegen des Zeugniſſes JEſu und
von wegen des Wortes GOttes mit dem
Beil hingerichtet worden.


Off. 21, 17. Nach dem ordentlichen
Menſchen-Maß, das der Engel hatte.

Text, Maß eines Menſchen, das eines En-
gels iſt.
Das engliſche iſt bey den Menſchen
auſſerordentlich.


Off. 22, 5. Und ihr Regiment waͤhret
durch Aeonen durch.
Nicht nur das,
ſondern ſie werden regieren in die Ewig-
keiten der Ewigkeiten,
ohne Ende.


Off. 22, 16. Ich bin zugleich Davids Va-
ter und Sohn.
Cap. 5, 5: Davids Stamm-
Vater.
An beeden Stellen bedeutet das
Wort, Wurzel, etwas anders, als einen
Vater. Reden uͤber die Offenb. p. 1274. Chri-
ſtus hat einen Vater-Namen: man muß ihn
aber ſuchen an den Orten, die hievon han-
deln.


Off. 22, 18. Wenn einer was darzu ſetzt,
der mag ſich vorſehen, daß ihm GOtt
nicht zu fuͤhlen gebe die Plagen, die in
dieſem Buche beſchrieben ſind.
Im Text
N 5
iſt
[202]TheilI.Cap.II.Satz 23.
iſt nicht nur eine Warnung, ſich vorzuſehen,
ſondern eine Bezeugung.


§ 174.

Es waͤre noch ſehr vieles zu bemerken:
doch iſt das angefuͤhrte uͤbrig genugſam, zu
zeigen, wie dieſe Ueberſetzungs-Probe des N.
T. bewandt, und wie groſſe Vorſichtigkeit
vonnoͤthen ſey, damit niemand zu dieſer ſchluͤ-
pferigen neugierigen Zeit unter dem Namen
des N. T. ſelbs verfuͤhret werde. Wer
Griechiſch verſteht, der wird bey allen Stellen
finden, daß ich die Wahrheit ſage: andere moͤ-
gen die uralte Vulgatam, oder irgend eine
teutſche, engliſche, franzoͤſiſche Ueberſetzung
u. ſ. w. aufſchlagen. Bald wird von dieſem
Ueberſetzer etwas gefaͤlliges hineingetragen,
bald etwas, das im Wege ſtehet, weggeraͤu-
met. Siehet man auf die angezogene Stellen
zuruͤcke, ſo erhellet folgendes daraus. Des
Ausdrucks halben iſt das N. T. dergeſtalten
in die neumaͤhriſche Gemein-Sprache gegoſſen,
daß einem Mitgliede dieſer Gemeine unter dem
Leſen nicht anders zu muth iſt, als ob ſolche
Sprache ſchon von den Apoſteln gefuͤhret
worden waͤre: wodurch denn der Sinn immer
auf die bey der Gemeine uͤbliche Haͤndel und
Manieren gezogen wird, als ob alles neumaͤh-
riſche ſich mit der Schrift reimete. Was die
Lehre betrifft, ſo iſt der Text ſo uͤberſetzet, daß
die Nervi, womit in andern Ueberſetzungen
und im Grundtext ſelbs die neumaͤhriſchen
Irrthuͤmer
[203]Von der Ueberſetzung des N. T.
Irrthuͤmer widerlegt werden, nach Moͤglich-
keit abgeſchnitten ſind, und hingegen dieſen
Irrthuͤmern ſelbs mancher Vortheil verſchaf-
fet wird. Wie ein Herz die Schrift fuͤr GOt-
tes Zeugniß erkennen, und dieſelbe dabey nach
menſchlichem Willen alſo biegen, oder ſie ſo
gebogen ohne Misfallen anſehen koͤnne, laͤſſt
ſich nicht begreiffen. Auf die wiſſentliche Un-
treue bey einem einigen Woͤrtlein, das der le-
bendige GOtt in ſeinem Namen aufzeichnen
laſſen, iſt eine ſchwere Straffe zu erwarten:
was ſtehet denn darauf, da die geſamte ſchrift-
liche Urkund des N. T. alſo mishandelt wird?
Wann von zween gleichgeſinnten Menſchen
der eine das N. T. in der Grundſprache, und
der andere die zweyte Ueberſetzungs-Probe
leſen ſolte, ſo wuͤrden ſie dadurch weit von-
einander abkommen. In Summa, durch
dieſen Verſuch iſt kein pur-apoſtoliſches, ſon-
dern ein neumaͤhriſches Neues Teſtament ge-
ſtellet worden: und diß iſt der Hauptbeweis
gegen dieſen Ueberſetzer, wie ringſchaͤzig und
gleichguͤltig die heilige Schrift, nur den Geiſt
derſelben, wie er es nennet, ausgenommen,
vor ſeinen Augen ſeyn muͤſſe.

[figure]
Das
[204]TheilI.Cap.III.Satz 24.

Das III Capitel.
Von dem Misbrauch des prophe-
tiſchen Worts bey der ſo genannten
Bruͤdergemeine, als welche Phila-
delphia ſeyn ſoll, und von dem
rechten Gebrauch gegen
dieſelbe.


Der 24 Satz.
Bey der Pruͤfung der neumaͤhri-
ſchen Kirchenſache muß man auch
auf die Weiſſagungen ſehen.

§ 175.

In der zuverlaͤſſigen Nachricht wegen
der von
Erneſto Pioentworfenen, von
einigen Chriſtlichen
PoliticisundTheologis
bis 1727 in die Hand genommenen, ſeit 21
Jahren aber von Graf Ludwig von Zin-
zendorf fortgefuͤhrten
Societate evangelica
pro inſtillandis veritatibus Aug. Conf. fun-
damentalibus
, wie ſolche ſo wol der Chur-
Saͤchſ.
Commiſſion 1748. als ſeit dem zum
hochbetrauten Geheimen
Conſilioin Dreſ-
den eingereicht worden,
heiſſet es fol. 8:
Meine Arbeit unter Juden und Heiden ge-
het nicht aus einigem prophetiſchen Ge-
ſicht in die gegenwaͤrtige oder naͤchſtbevor-

ſtehende
[205]Von Philadelphia u. ſ. w.
ſtehende Kirchen-Zeiten. So klingt es ad
hominem:
im Ernſt aber gibt er ſeine Seelen-
Sammlung fuͤr einen von GOtt erſehenen
und wegen ſeiner Wichtigkeit in der Schrift zu-
vor verkuͤndigten ſeligen Kirchen-Periodum
und Zeitlauff aus, welcher von keinem andern
abgeloͤſet werden, ſondern bis an die Zukunft
Chriſti hinreichen ſoll. Diß iſt ſeine Veſtung,
ja ſeine Citadelle: diß hat er bisher auf das
eiferigſte vertheidiget, ohne einiges Nachgeben.
Was er hingegen ſonſt im Thun und im Leh-
ren von ſich ſehen und hoͤren laͤſſet, das ſind
bey ihm lauter Auſſenwerker, ob es an ſich ſchon
noch ſo wichtig waͤre: und da kan er immer
veraͤndern, ausbeſſern, weichen, Abſchnitte
machen u. ſ. w. in Hoffnung, die Fehler wer-
den von dem Guten bey der Hauptſache ver-
ſchlungen werden.


§ 176.

Es wird mir erlaubt ſeyn, von dem bis-
herigen Verlauff dieſer groſſen Streitigkeit
frey zu reden. Die viele Schriften wider die
Herrnhuter haben das, was die Lehre und den
Wandel betrifft, ziemlich erſchoͤpfet, und oh-
ne Zweifel ſchon manchem zur Verwahrung
gedienet; wie unter anderm daraus abzuneh-
men iſt, weil deren zerſchiedene einmal uͤber
das andere aufgeleget werden: aber dieſe Leute
ſelbs meinen doch, alles was man ihnen gleich-
ſam in der Belagerung abgewonnen, habe nur
jene weitlauͤffigen Auſſenwerker betroffen, wel-
che
[206]TheilI.Cap.III.Satz 24.
che leicht zu repariren oder hinzuſchaͤtzen waͤ-
ren, und ihre Gegner haͤtten die Veſte ſelbs
wegen ihrer Kleinigkeit als ein Nebenwerk oh-
ne Angriff liegen laſſen. Man muß ſehen,
wo derjenige, der delogirt werden ſoll, am
ſtaͤrkeſten ſitze: ſonſten bemuͤhet man ſich lang
vergebens. Es iſt diß billig fuͤr einen nicht ge-
ringen Fehler zu halten, daß etliche in dieſer
Sache den Gebrauch und Misbrauch des pro-
phetiſchen Wortes nicht nur uͤberſehen, ſon-
dern auch, wann deswegen Erinnerung ge-
ſchicht, wenig Gehoͤr geben, welches aus einem
Mistrauen gegen die Erklaͤrung der Weiſ-
ſagungen, oder aus einer Furcht vor denen,
die dergleichen Mistrauen hegen, herruͤhret.
Hie und da trifft man bisweilen etwas von
dieſem Schlag an: es iſt aber noͤthig, eine
ausdruͤckliche Vorſtellung hieruͤber abzufaſſen,
damit es einen tiefen Eindruck und ein rechtes
Nachſinnen gebe.


§ 177.

Einer ſolchen Vorſtellung habe ich mich
meines geringen Ortes nicht entſchuͤtten koͤnnen,
und in der zweyten Ausgabe der Erklaͤrten
Offenbarung
A. 1746. ward der Misbrauch
des herrlichen Textes von Philadelphia fuͤr die
ſo genannte Bruͤdergemeine, ſamt dem bey die-
ſer Gemeine ſich beſtaͤndig-auͤſſernden Wi-
derſtand gegen den wahren Gebrauch der Of-
fenbarung ſummariſch widerlegt, ſ. 1163 ‒ ‒
1172. Wer das Buch nicht bey Handen hat,
und
[207]Von Philadelphia u. ſ. w.
und doch die Erinnerung zu leſen begehret, der
kan ſie bey der dritten Auflage des Schin-
meieriſchen Praͤſervatives wider die geiſtli-
che Kinder-Peſt
A. 1747 angehaͤnget finden.
Da hoffete ich, ich haͤtte, wie mir, ſo auch an-
dern, dieſer Sache wegen ein Genuͤgen ge-
than: als man aber meynte, ich haͤtte in ſel-
biger Erinnerung zu viel nachgegeben, erklaͤr-
te ich ſie noch naͤher A. 1747. in der Nachleſe
zu den apocalyptiſchen Reden, p. 181, 313,
830, 1063. und weil der Raum daſelbs zu en-
ge war, fuͤgte ich bey, ich haͤtte eine Pruͤfung
der weitgreifenden marienborniſchen Pre-
dig uͤber Apg. 1, 7. 8. Es gebuͤhret u. ſ. w.
und zugleich der ganzen
neumaͤhriſchen Ge-
mein-Sache nach ihrem Hauptgrunde zu
Papier gebracht, die in meinen erneuerten
Anmerkungen zu einer ſolchen Zeit an das
Licht treten duͤrfte, da es recht angeleget
waͤre.
In denſelben Tagen kam Hn. D.
Benners zweyter Theil von der Herrnhuterey
in ihrer Schalkheit
heraus, da ermeldte ma-
rienborniſche Predig ausfuͤhrlich p. 1 ‒ 72 wi-
derlegt wird: und deswegen habe ich meine
Pruͤfung, ſo fern ſie vorhin nach ſolcher Pre-
dig eingerichtet geweſen, mit Uebergehung
deſſen, was Hr. D. Benner ausgemacht, in
eine andere Form gegoſſen, wiewol ich mich an-
noch auf ſolche Predig beziehen muß, indem
der Prediger nirgend vollſtaͤndiger von prophe-
tiſchen Sachen gehandelt hat. Nun wird das
alles
[208]TheilI.Cap.III.Satz 24.
alles, wozu ich mich in der Nachleſe anheiſchig
gemacht habe, hiemit geliefert.


§ 178.

In der wahren Auslegung der Offenba-
rung liegt die beſte Ruͤſtung wider den heutigen
leidigen, aber vermeinten ſeligen Kirchen-Pe-
riodum:
und deswegen gibt der Principal
deſſelben ſo manchen Stich auf ſolche Ausle-
gung, ſeit A. 1745. Jenes merket er: und
dieſes fuͤhle ich. Man ſehe die Predig uͤber
Apg. 1, 7. 8. ſ. 13. 25. Zeyſter Reden ſ. 137.
231. 322. Wunden-Litaney-Reden ſ. 137. 290.
Diſcourſe uͤber die A. C. ſ. 147. Diß iſt die
Urſache (ohne Eigenliebe und Anmaaſſung
zu reden) warum ich mich dieſes verlaſſenen
Poſten alſo annehme. Hiezu beweget mich
kein anderer Affect, als die Liebe zur Wahr-
heit.


§ 179.

Vorſichtige Leute wollen durchaus nicht
gedenken, als ob ich auf beſondere und unge-
wiſſe Meinungen bauen wolte. Ich gebe zwar
auch ſonſt in allem, wo man mich fuͤr einen
Novatorem anſehen moͤchte, einen puren Re-
novatorem
ab, der alten, aber geraume Zeit
hernach in Abgang gekommenen Wahrheit
aufzuhelfen: doch will ich hie nichts zum Grun-
de legen, als was die bekannteſten Erklaͤrun-
gen vorhin mit ſich fuͤhren. Koͤnnen Unge-
uͤbte ſich in etliches nicht finden, ſo wird doch
alles
[209]Von Philadelphia u. ſ. w.
alles uͤbrige auch den einfaͤltigſten, auf die man
vornemlich zu ſehen hat, verſtaͤndlich und
dienlich ſeyn.


Der 25 Satz.
DerOrdinariusiſt nicht ſo geſin-
net, wie Johannes in Patmos ge-
ſinnet war.

§ 180.

Was geſchehen ſoll, wird in dieſer theu-
ren Weiſſagung gezeiget: und was
man dabey zu einer jeden Zeit thun und laſſen
ſoll, wird theils ausdruͤcklich darin gemeldet,
theils iſt es aus jener Anzeige zu ermeſſen. Wer
ſolches aus den Augen ſetzet, der verfehlet des
Zwecks ſelbſten bey dieſer Weiſſagung. JE-
ſus Chriſtus ſelbs weiß vollkommen, was an
ſeinem Leiden und Sterben gelegen ſey, und
was deſſen Beherzigung bey den ſeinigen
wuͤrke: Er hat aber dennoch fuͤr gut befun-
den, ſeinen Knechten zu zeigen, was ge-
ſchehen ſoll,
und dieſen kommt nicht zu, ſol-
che Anzeige unter dem Vorwand des ſo kraͤfti-
gen Leidens-Puncten auszuſchlagen. Die
Offenbarung gehet recht in das Ganze: und in
das Ganze wollen die neumaͤhriſche Bruͤder
arbeiten. Aber bey ihrem hurtigen Lauffe
koͤnnen ſie nicht lang nach dem in der Offen-
barung gewieſenen Weg fragen. vergl. An-
hang, * 3.


(Abriß der Bruͤderg.) O
§ 181.
[210]TheilI.Cap.III.Satz 25.
§ 181.

Wer auf der einen Seite die Offenbarung
J. C.
auf der andern aber die erſte Ueberſez-
zungs-Probe
derſelben, in beeden Editionen,
ſamt den Notis in der andern Edition, und je-
ne Predig uͤber Apg. 1, 7. 8. (welche unter den
32en die 13te iſt,) recht anſieht, dem iſt klar,
daß der Hr. Verfaſſer dieſer lezten Stuͤcke die
theure Gabe der Offenbarung weder ſo ſchaͤtze
noch ſo behandle, wie es ſeyn ſolte, ſondern
von ihrem rechten Verſtand und Gebrauch
ſehr ferne ſey. Er bedienet ſich vieler Vorthei-
le, bald derſelben auszuweichen, bald ſie auf
ſeine Seite zu ziehen.


§ 182.

Dieſem Buche gibt er in der zweyten Edi-
tion des N. T. folgenden Titul: Johannis
Geſicht von dem Stande der Erhoͤhung
JEſu des Marterlaͤmmleins.
Und dieſer
Titul ſteht auf allen Blaͤttern. Hat Johan-
nes der Sache nicht genug gethan, da er des
Laͤmmleins ſo oft, und ſeines Schlachtens
nur viermal, doch nicht in dem ſonſt weitlauͤf-
figen Titul des Buches gedenket? Ein mehrers
bald hernach.


§ 183.

In der Vorrede zur Offenbarung Jo-
hannis
wird gleich anfangs darauf angetra-
gen, daß man entweder hier einen Ebion und
Cerin-
[211]Von Philadelphia u. ſ. w.
Cerinthus ſuchen, oder nach des Apoſtels Jo-
hannis Sinn die Abhandlung dieſes Buchs
nur auf die allmaͤchtige Menſchheit Chriſti deu-
ten, und ſeine goͤttliche Herrlichkeit vorausſez-
zen muͤſſe. Beedes wird widerlegt, Cap. 1, 6.
17. 18. c. 2, 18. 28. c. 3, 1. c. 19, 13. c. 22, 1.
Zunaͤchſt darauf machet er den Befehl, ver-
moͤge deſſen Johannes ſchreiben muſſte, zu ei-
ner Erlaubniß: und hernach heiſſt es, ob ers
in einer
Ecſtaſiwieder erzehlet, daß mans
ihm nachgeſchrieben, oder ob ers
d’un ſens
raſſis
ſelbſt aufgezeichnet, ob ſolches auf
einmal geſchehen, oder ob ihm eins nach
dem andern wieder eingefallen, ob es was
ganzes oder
fragmentaſeyn, ob die ſachen
wuͤrcklich ſo aufeinander gefolgt wie ſie da
ſtehen, oder wie in den Propheten ohne
Ordnung der Zeit, nach gutduͤnken aufge-
zeichnet oder aus einzelen Papieren zuſam-
men getragen worden, ob er des Lucaͤ

ἀκρίβειαν dazu zu huͤlfe genommen, oder
wieder eine neue Offenbarung gehabt zum
ſchreiben
φερόμενος ὑπὸ τοῦ πνεύματος ἁγίου·
das uͤberlaſſe ich geuͤbtern Auslegern zu de-
terminiren. Ich und meines gleichen pfle-
gen mehr auf den Geſchmack zu merken als
auf die Art und Weiſe der
Compoſition.
Sieben oder acht Jahr vorher hatte er ſich am
Ende ſeines Eventualteſtaments folgender
Worte bedienet: Es iſt wahr, ich habe viel-
mals Sorge getragen, daß das Bibel-Le-

O 2ſen,
[212]TheilI.Cap.III.Satz 25.
ſen, wenn es mit einer genauenCollation,
Erforſchung und Art eines Studirens ver-
knuͤpft iſt, der Gemeine eher ſchaͤdlich, als
nuͤtzlich ſeyn koͤnne
pro nunc.Das iſt aber
aus Reſpect vor die Bibel geſchehen, um
ihren Misbrauch zu verhuͤten: weil ich zu
der Gnade des Heylandes hoffe, Er wer-
de eine Zeit kommen laſſen,
daß kein
Wort in der Heil. Schrift ſeyn werde, das
unſerer Gemeine nicht von auſſen und in-
nen bekannt, und mit unſerer Salbung und
ganzen Fuͤhrung in der ſchoͤnſten Harmonie
ſey. Bis dahin wuͤnſche ich, daß der
ge-
neral
-Geiſt der Schrift, des Geſetzes, der
Pſalmen, der Weiſſagungen, der Geſchich-
te von JEſu, des Kirchen-Plans, der
Grund- und
Special-Lehren der Apoſtel in
unſerer Gemeine lebe, und uͤberall der
Com-
mentarius
der Spruͤche, und die Bibel ein
Lexiconſey, darinnen wir alles aufſchla-
gen, und finden koͤnnen, was wir in Lehr
und Wandel taͤglich und ſtuͤndlich brau-
chen:
und A. 1740. ward zu jenen Worten,
Er werde eine Zeit kommen laſſen, auf dem
Rande geſetzet, Die iſt nun gekommen. Be-
denken IV Th. p. 100. Wie ſchicken ſich der
Ruhm von ſolcher Zeit und obige viel ſpaͤtere
zweifelhafte Reden wegen der Compoſition
der Offenbarung zuſammen? Und wie will
einer, der in ſolchen Zweifeln ſtecket, urthei-
len, ob andere mit ihrer oͤffentlichen Auslegung
unrecht
[213]Von Philadelphia u. ſ. w.
unrecht daran ſeyen, und ob er ſelbs die Stel-
len, die er fuͤr ſich deutet, recht verſtehe, oder
ob das Garn auch vor ſeinen und anderer Voͤ-
gel Augen vergeblich ausgeworfen
werde?
Iſt die Offenbarung und die ganze Bibel noch
nur ein Lexicon, da man etwa Woͤrter und
Phraſes aufſchlaͤgt, und (man moͤchte jeden
Orts den Verſtand treffen oder nicht,) fuͤr
das beblutete Herz bey einer jeden Notione
ſimplici
einen Anlaß zu guten Gedanken hat,
wie man auch bey den Locis dialecticis, bey
Lullii circulis, bey den Zeichen im Calender
u. ſ. w. lebhafte Anagogias und zufaͤllige An-
dachten, den Geſchmack zu vergnuͤgen, haben
kan? Ja die Offenbarung iſt (gleich den apo-
ſtoliſchen Briefen ꝛc.) ein einiges ganzes in rich-
tiger Ordnung verfaſſtes Buch: der Anblick
ſelbs lehret es. Wer ſolches nicht warnimmt,
der wird keinen Nutzen, ſondern Schaden,
und auch am Geſchmack einen Abbruch ha-
ben. Hie machet der Ordinarius die Ver-
ſtaͤndniß der Offenbarung zu ſchwer, und bald
hernach zu leicht.


§ 184.

In der lezten Nota ſagt er: Einem Kir-
chen
-hiltorico practicoiſt dieſes goͤttliche
Buch in der that ein zuverlaͤſſiger
Hodegus.
Wie vielmehr aber waͤre es einem Kirchen-
Practico, wie der Ordinarius iſt, ein ſolcher
Wegweiſer?


O 3§ 185.
[214]TheilI.Cap.III.Satz 25.
§ 185.

Ferner heiſſet es, Die Offenbarung iſt ſo
durchſuchet, durchſchnitten und ausgehoͤ-
let, daß ſie die Geſtalt eines Labyrinths
bey nahe verlohren hat, ſo daß wer ſie oh-
ne
Eſprit de partiund ohne Vorurtheil,ad
ductum
einiger der leztenCommentatorum
alsMr. Abbadie \&c.miteclectiſcher Ab-
ſchneidung deſſen was auch da noch zu
leb-
haft oder zu kuͤnſtlich ſcheinet, in aufrichti-
ger Gelaſſenheit lieſet, mit der hiſtoriſchen
Wahrheit, ſo viel deren zu haben iſt, ver-
gleichet, und den feſten Vorſatz bewahret
das daraus erlernete bey ſich zu behalten,
und zu ſeiner perſonlichen oder aufs hoͤch-
ſte engeſten Amts-Erbauung anzuwenden,
ihrer
realitätGoͤttlichkeit, und vor ein pro-
phetiſches Buch ſattſamen Deutlichkeit im-
mer mehr und mehr innen wird. Es bleibt
aber auch in dieſem alleredelſten und un-
ſchuldigſten Gebrauch dabey, daß ein
Troͤpflein Bundes-Blut beſſer iſt als die
ganze Wein-Erndte aller der uͤbrigen pro-
phetiſchen und hiſtoriſchen Wahrheiten,
und daß vor einen Kenner nichts lieblicher
klingt, als wenn die Schaar die niemand
zehlen kan, dem Leſer dieſes Buchs gleich-
ſam ins Ohr ſingt:


Nicht mehr denn lieber HErre mein

Dein Tod ſoll mir das Leben ſeyn

Du haſt fuͤr mich bezahlet.Apoc. V, 9.

Man
[215]Von Philadelphia u. ſ. w.

Man bedenke, was folget: (1) Wo ein
Feld lauter Weg iſt, da kan ein Reiſender
den rechten Weg am wenigſten unterſcheiden.
(2) Von Mr. Abbadie habe ich in der Erkl.
Off.
gehandelt, p. 1165. 1171. ed. 2. (3)
Der hier gemeldte Vorſatz, und die Predig
uͤber Apg. 1, 7. 8. ſtimmen zuſammen, ſtreiten
aber wider die Haupt-Abſicht der Weiſſagung.
Man ſehe unten § 211. (4) Die Koſtbarkeit
der Blut-Theologie erkenne ich von Herzen:
aber ob eine affectirte uͤbertriebene Anrege des
Leidens-Puncten dem hocherhabenen Erloͤſer
zur Ehre, und denen Kennern oder andern
Menſchen zur Erbauung gereiche, iſt eine an-
dere Frage.


§ 186.

Was Johannes geſehen, das hat er
bezeuget,
nicht mehr und nicht weniger. Ein
Zuhoͤrer ſeiner Weiſſagung, der ſich in glei-
chen Schranken haͤlt, geht ſicher, und geraͤth
weder in unnuͤtze Speculationen und Gruͤbe-
leyen, noch in einen mit Herzens-Duͤnkel ge-
ſchmuͤckten Undank. Dem Ordinario iſt nicht
ſo: er gehet eclectice, und nimmt bald mehr
bald weniger zur Hand. Seinethalben haͤtte
der Inhalt des verſigelten Buches immerhin
in GOttes Schaͤtzen verborgen bleiben moͤgen:
ohne Noth haͤtte der, ſo auf dem Thron ſitzet,
daſſelbe vorgewieſen: ohne Noth haͤtte der
Engel geruffen, Wer iſt wuͤrdig u. ſ. w.
ohne Noth haͤtte Johannes ſo viel Thraͤnen
O 4ver-
[216]TheilI.Cap.III.Satz 25.
vergoſſen; und der Aelteſte haͤtte ihn nicht ge-
ſchickt getroͤſtet mit der bevorſtehenden Eroͤff-
nung der Sigel, ſondern vielmehr ſagen ſol-
len: Bleibe doch nur bey dem, was du
laͤngſt geſehen, gehoͤrt, geglaubt und be-
zeugt haſt, von dem vorhin bekannten
Marterlaͤmmlein.
Aber das Laͤmmlein hat
die ſieben Sigel, und allermeiſt das Arca-
num
der Zeiten (da die Realien groſſen Theils
ſchon in andern Weiſſagungen lagen) eroͤff-
net. Ihm ſey Lob und Dank!


Der 26 Satz.
Der Text von Philadelphia wird
unbefugter Weiſe auf die ſo genann-
te Bruͤdergemeine gedeutet.

§ 187.

Wo es in den Weiſſagungen des A. und
N. T. Stellen von einem annehmli-
chen Inhalt gibt, die Ausbreitung des Reichs
GOttes betreffend u. ſ. w. da greifft man zu
Gunſten der Neumaͤhriſchen Kirche gern zu.
Nur beylauͤffig will ich anfuͤhren, was Hr.
Winkler in den Zinz. Anſtalten p. 19 ſchreibt:
Daß die Weiſſagung des Propheten Jere-
miaͤ Cap.
XVI. 16.Darnach will ich viel
Jaͤger auſſenden, die ſollen ſie fahen
auf allen Bergen, und auf allen Huͤ-
geln, und in allen Steinritzen, ſich

nicht
[217]Von Philadelphia u. ſ. w.
nicht auf den Hn. Grafen und ſeineEmiſſa-
rios
beziehe, bin ich verſichert, weil GOtt
nicht anſiehet die weltliche
dignität,und
hier von ſolchen Jaͤgern die Rede iſt, wel-
che die Menſchen in das Netz ihres GOt-
tes bringen, und nicht mit Menſchenſatzun-
gen beſtricken, in welche die Abſichten des
Hn. Grafen hineinfuͤhren.
Ich will auch
nicht fragen, wie viel Aehnlichkeit mit jenem
Vorlauͤffer Chriſti der Cantor Johananin der
Wuͤſten
laut der Zuſchrift des XI Lieder-An-
hangs ſuche. Viel bedenklicher iſt, was in der
Predig am 18 Julii 1745 ſ. 12 ſteht: Wenn
wir unſerm Manne ſo nahe ſind, wenn
wir Ihm unſer ganzes Herz ſagen koͤnnen ‒ ‒
das iſt eine groſſe und unausſprechliche Se-
ligkeit: aber eine Gemein-Seligkeit, eine
Seligkeit die uns
a partgehoͤrt, zu der wir
geſchaffen ſind, zu der dieſe unſere Zeiten
abſonderlich
prœdeſtinirt undqualificirt ſind.
Alle Seher haben auf uns geweiſſaget,
alle Propheten haben auf dieſe gegenwaͤr-
tige Gnade gedeutet, die uns wiederfaͤhret,
darinn wir ſtehen, wie die Apoſtel ſich aus-
gedruckt, und darinn wir als ſuͤndige Her-
zen, als arme Creatuͤrlein aus Gnaden-
Wahl leben.
Inſonderheit wird hieher die
Stelle gedeutet, da dem Engel der Gemeine zu
Philadelphia der Heilige der Wahrhaftige
ſaget und ſchreiben laͤſſet: Ich weiß deine
Werke. Sihe, ich habe vor dir gegeben

O 5eine
[218]TheilI.Cap.III.Satz 26.
eine offene Thuͤr, und niemand kan ſie zu-
ſchlieſſen: denn du haſt
eine kleine Kraft,
und haſt mein Wort behalten, und haſt
meinen Namen nicht verlauͤgnet. ‒ ‒ Die-
weil du haſt behalten
das Wort meiner Ge-
duld, werde Ich auch dich behalten vor
der
Stunde der Verſuchung, die kommen
wird uͤber der ganzen Welt Kreis, zu ver-
ſuchen, die da wohnen auf Erden.
Off. 3,
8. 10. Die Zinzendorfiſche Ueberſetzung des
10 Verſiculs iſt oben § 173 angefuͤhret und
beleuchtet: und aus derſelben erhellet, daß das
Halten uͤber dem Leidenspuncten den Cha-
racter
des heutigen Engels der Gemeine zu
Philadelphia
ausmachen und ihn vor der
Verſuchungs-Stunde bewahren ſoll.


§ 188.

Auf dieſen Text beziehen ſich die Apologien,
die Reden, die Lieder ſehr hauͤffig: und daß
ſolches nicht nur ad hominem, oder durch eine
Alluſion und Accommodation geſchehe, ſon-
dern die Worte in rechtem Ernſt eigentlich alſo
genom̃en werden, verſichert uns der II Band
der Buͤd. Samml. p. 801 u. f. Denn da wie-
derholte Ludewig gelegentlich
A. 1742. d.
6 maj.
auf dem 6. General-Synodo von Penn-
ſylvania, ”ſeine wohl zwoͤlfjaͤhrige Bitte
”mit groſſem Nachdruck, daß doch die
”Bruͤder ſich des Looſens enthalten wol-
”ten, weil die
Simplicitätdie in Fragen
”und Antworten regieren muͤſſe, eine

Gnaden-
[219]Von Philadelphia u. ſ. w.
Gnadengabe iſt, die ſich niemand neh-”
men kan, ſie ſey ihm denn von oben ge-”
geben; und weil die Loos-Gnade in un-”
ſerer Gemeine unter die Apoſtoliſchen”
Wunder der erſten Zeit gehoͤrt, ſo koͤn-”
nen ſich Unberuffene erſtaunlich dabey”
verbrennen:”
und auf der Stelle ward der
Heiland durchs Loos gefragt: Worin des
Satans Abſicht in dem Lande ſeine Macht zu
brauchen beſtehe? ”Antwort: 1. Weil Phi-”
ladelphia ſeinen Gang gehet, und nicht”
aufzuhalten iſt, ſo ſucht er die
kleine Kraft”
um Gehuͤlffen zu bringen, ſo ſehr er kan:”
Und weil der Gnade nichts widerſteht,”
die im
Blute liegt, ſo ſucht er die Thuͤren”
der Herzen, der Ohren, und alles ſchlech-”
terdings zu
ſperren, weil er gleich ver-”
lohren hat, wenns nur nahe kommt.”
2. Weil
Philadelphia und Laodicea zugleich”
iſt, ſo ſucht er die Laodiceer mit einan-”
der zu verbinden durch Stolz und Boſ-”
heit, damit wenigſtens hier
ſeine Schu-”
le dem Philadelphia nicht zu Fuͤſſen falle.”
So hat denn die Auslegung bey dem Gemein-
ſtifter kein geringeres Anſehen, als die Dicta-
tur
des HErrn JEſu bey Johanne in Patmo.
Aber durch die Unrichtigkeit der Auslegung
wird die Simplicität und apoſtoliſche Guͤl-
tigkeit des Looſes zernichtet, und die Aus-
legung ſelbs wird theils durch das Loos nicht
beſtaͤtiget, theils durch andere Gruͤnde wider-
leget. Nicht lang hernach fuͤhrte in Phila-
delphia
[220]TheilI.Cap.III.Satz 26.
delphia Br. Ludwig bey dem Abſchied aus
Pennſylvanien folgende Worte: ”In-
”zwiſchen iſt ſo viel geſchehen, daß der
”Grund gelegt iſt zu demſelben Plan, den
”der Heiland in dieſen lezten Zeiten hat bis
”zu ſeiner
Zukunft, und der nun nicht mehr
”geaͤndert werden wird, bis er kommt.
”Denn es iſt bekannt, daß die Kirche durch
”ſehr viel
Revolutionesund Veraͤnderun-
”gen gegangen iſt, und es iſt daruͤber faſt
”kein Streit mehr, daß alle die in der Of-
”fenbarung Johannis genannte Gemei-
”nen und Kirchen aufeinander folgende
”Oeconomien ſind. Ohne mich nun hier
”zu erklaͤren, in was vor einer wir leben,
”(denn ſie wird mit Haͤnden gegriffen, und
”der
Name, den uns Freund und Feind
”gibt, zeigts zur Gnuͤge an;) ſo iſt es ge-
”wiß, daß wir in einem
Periodoſtehen,
”wie die andern geſtanden ſind, und das
”was ich vor mein Theil glaube, iſt, daß
”der
Periodus,worinnen der Heiland mich
”und meine Bruͤder hat leben laſſen, ein
”ſolcher iſt, der bis auf ſeine
Zukunft nicht
”geaͤndert werden ſoll. Denn der greu-
”liche Kirchen-Zuſtand, welcher in der
”Offenbarung Johannis als der lezte be-
”ſchrieben wird, der iſt mit uns zugleich,
”geht aber uns gar nichts an, gehoͤrt zur
”Stunde der Verſuchung, die uͤber den
”ganzen Creiß der Erden kommen wird,
”und ſchon wuͤrcklich angegangen iſt;

davon
[221]Von Philadelphia u. ſ. w.
davon wir aber gewiſſe Verheiſſungen”
haben, daß wir nichts damit zu verkeh-”
ren ſollen kriegen; daß alle, die mit uns”
bey der Lehre von den Wunden JEſu”
und ſeiner Marter bleiben, gar keinen”
Anfall davon haben ſollen, denn wir”
ſollen davon unverletzt bleiben, nicht”
kaͤmpfen und ſiegen, ſondern bewahret”
bleiben. Ihr koͤnnt alſo leicht denken,”
lieben Bruͤder! daß alles, was wir ein-”
ander zu ſagen haben, nicht dahin ge-”
het, euch zu warnen
u. ſ. w. Buͤd. Sam̃l.
III Band ſ. 191 u. f.


§ 189.

Zur Pruͤfung dieſes falſchen Ruhms wer-
den folgende Erinnerungen dienen. (1) Die
Deutung der ſieben Briefe Offenb. 2 und 3
auf ſieben aufeinander folgende Kirchen-Oeco-
nomien iſt nicht allein noch ſtrittig, ſondern
uͤberdas ungegruͤndet. Den Beweis hievon
gibt die Erkl. Offenb. p. 285-295. Nachleſe
p. 180. Bekraͤftigtes Zeugniß der Wahrheit
p. 196. (2) Von den ſieben Kirchen-Perio-
den redet der Ordinarius aufs ungewiſſe. Er
ſagt nicht, was Epheſus, Smyrna u. ſ. w. ge-
weſen: wie kan er denn Philadelphiam in der
Reihe auf ſeine Sache bringen und einſchren-
ken? Ein anders iſt Philadelphia in Aſien,
ein anders Philadelphia in Pennſylvanien.
So thuts auch der Bruͤder-Name nicht:
denn es gibt vielerley Bruͤderſchaften. Wo
zween
[222]TheilI.Cap.III.Satz 26.
zween Chriſten bey ſammen ſind, beede dieſes
ihres Namens wuͤrdig, ein neumaͤhriſcher Bru-
der und einer von den evangeliſchen Religions-
Leuten, da wird man bald ſehen, daß dieſer
die allgemeine und auch die bruͤderliche Liebe
(welches leztere die Bedeutung iſt des Namens
Philadelphia,) viel freyer, ungezwungener,
vertraͤglicher ausuͤbet, als jener. Was ein
neumaͤhriſcher Bruder nicht mit ſeinem eige-
nen Model reimen kan, das haͤlt er nicht fuͤr
chriſtlich. So lang er meynt, einen auf ſeine
Seite zu bringen, gibt er unvergleichlich nach:
laͤſſt einer ſich nicht fangen, ſo hat die Liebe ein
Ende. (3) Wie Philadelphia und Laodicea
nebeneinander ſind, (welches der Ordinarius
zwar nur zu dem Ende ſagt, damit er ſeine Geg-
ner zu Laodiceern machen, und ſein Philadel-
phiam bis an die Zukunft des Heilandes er-
ſtrecken moͤge,) ſo ſind alle ſieben Gemeinen
nebeneinander, indem man das Gute oder das
Boͤſe bey einer jeden derſelben durch eine Ac-
commodation
zu einem Muſter oder Spie-
gel fuͤr alle andere Gemeinen, Vorſteher und
Seelen nehmen kan. Zum Exempel, welche
Menſchen heut zu tage dem Engel der Ge-
meine zu Laodicea aͤhnlich ſeyen, der da ſagte:
Ich bin reich u. ſ. w. das zeigen die Werke.
(4) Was fuͤr den Engel der Gemeine zu Phi-
ladelphia wol lautet, findet ſich bey der neu-
maͤhriſchen Gemeine nicht. Manchmal ſchien
eine Thuͤre vor ſie offen zu ſtehen, die ihr (ich
inſultire nicht) zugeſchloſſen worden iſt. Wer
weiß,
[223]Von Philadelphia u. ſ. w.
weiß, wie es weiter gehet? Der Engel der
neumaͤhriſchen Gemeine haͤlt Chriſti Wort
nicht, ſondern weichet manchfaltig davon ab.
(5) Sein Bleiben bey der Lehre von den Wun-
den JEſu und ſeiner Marter (in denen voran-
gefuͤhrten Worten) iſt zweydeutig. Es heiſſet,
entweder, ſich nicht davon abbringen laſſen,
oder, ſich nichts anders von JEſu zu Nutz
machen, als ſeine Wunden. Dieſe leztere gar
nicht philadelphiſche Bedeutung wird unter
die erſtere verſtecket. Wer uͤber dem theu-
ren Puncten von Chriſti Leiden haͤlt, und in
der ganzen theuren Lehre Chriſti, folglich auch
bey ſeiner Offenbarungs-Lehre, in der erſtern
Bedeutung bleibet, der iſt bewahret. Wer
aber bey der Lehre von den Wunden JEſu in
der andern Bedeutung zu bleiben vermeinet,
der iſt nicht einmal in dem Stande, aller noͤ-
thigen Lehre heilſamlich zu folgen: und wann
er alſo den Leidens-Puncten zu einer Wehre
wider die in der Offenbarung JEſu Chriſti
gegebene Warnungen, als ob ſie fuͤr ihn nicht
gehoͤrten, misbrauchet, ſo kan er mit andern
ſeiner Art in der Verſuchung umkommen. Iſt
auch zu merken gegen Buͤd. Samml. Band II.
ſ. 888. Der geiſtliche Kriegsmann muß Helm
und Gurt, Bruſt- und Bein-Harniſch,
Schwert und Schild haben. Eigene Witze
iſt es, wann man aus dieſen Stuͤcken nimmt,
was man will. In Summa, der unſchaͤzbare
Leidens-Punct iſt bisher bey wackern Lehrern
weder ſo unbekannt geweſen, noch ſo ſparſam
behan-
[224]TheilI.Cap.III.Satz 26.
behandelt worden, und bey der neumaͤhri-
ſchen ſich ſo nennenden Blut-Gemeine geht
man nicht ſo mit demſelben um, daß der Cha-
racter
und Ruhm eines beſondern Kirchen-
Periodi, mit Beſtand vor GOtt und Engeln
und Menſchen, daraus zu machen waͤre, man
mag den Philadelphiſchen Titul fortfuͤhren
oder ablegen. (6) Weil die neumaͤhriſche
Bruͤder ſich ſo weit ausbreiten, und in ihrer
Sicherheit gegen ſo vielem Boͤſen offen ſtehen,
ſo iſt man bey ihnen gegen eine allgemeine Ver-
ſuchung weniger, als anderswo, verwahret.
Was noch mehr, ihre Haͤndel ſelbs fuͤhren
eine ſehr ſchwere Verſuchung auf den Creis der
Erden mit ſich. (7) Ein verwegener und ge-
faͤhrlicher Herzens-Duͤnkel iſt bey der neumaͤh-
riſchen Gemeine das Warten auf eine bisher
ganz unbekannte Zukunft Chriſti, welche vor
dem juͤngſten Tage, vielleicht bald, nicht vor
den Augen aller Welt, wohl aber bey ihnen
in geheim, und ſichtbarlich, geſchehen werde.
Zeugniſſe von ſolcher Meinung hat man nicht
in den Apologien, ſondern in den Liedern und
Reden zu ſuchen: und von den deutlichſten wol-
len wir etliche beybringen.


Num. 1955 heiſſet das kurze Lied: Dein
iſt allein die ehre, dein iſt allein der ruhm,
dein Blut der Rache wehre, dein ſegen zu
uns komm, und bleib bis wir erkalten:
doch ſolls uns auch lieb ſeyn, dein Abend-
mahl zu halten, wenn du zum Saal trittſt
ein.


Num.
[225]Von Philadelphia u. ſ. w.

Num. 2204 faͤngt es an: Das Kirchlein
Philadelphia, das zarte Wunden-Herze,
erwartet ſeinen Joſua mit einer hellen Kerze;
wird Ihm, ſo bald Er nur erſchein,
Herz, Haͤnd und Fuͤſſe kuͤſſen. Ach! traͤt
Er in den Saal herein,
mit den durch-
bohrten Fuͤſſen.


Num. 2262 iſt der Beſchluß: Und wann
das Laͤmmlein in unſrer Mitt wird ſicht-
bar wandeln,
als ſeiner Huͤtt, woran
kennt man ihn denn? der leidge Soten ſtellt
ſich auch ſo an, fragt nach den rothen hertz-
naͤrbelein.
Und ſo Num. 2287. 2312. ꝛc.


Pennſ. Reden I Theil, p. 236. in der Rede
zu Gnadeck: Die letzte Zukunft, die uns in
dieſer Zeit begegnen kan, wenn wirs erle-
ben, iſt die, daß er in die Kirche, in den
Saal, in die Gemeine, in das Bethaus,
in die conferenz eintritt, wo er ſeine Sa-
che wieder anfangen, wo er ſeinen neuen
plan, den er ſeinen juͤngern verſprochen,
endlich ſelbſt einrichten und ſtabiliren wird.

Und p. 237, Das kann ich nun nicht recht
glauben, daß bey ſeiner
perſoͤnlichen Zukunft
unſere liebe gegen ihn groͤſſer wird, daß
unſerer Liebe dadurch was zugeht
hier in
der Zeit, wenn wir ihn einmal hier unter
uns ſehen werden.


Die 9te Rede unter den 32 einzeln Homi-
lien wird mit einem Gebet beſchloſſen, in wel-
(Abriß der Bruͤderg.) Pchem
[226]TheilI.Cap.III.Satz 26.
chem das Lamm alſo angeredet wird:
Sprich dem Heiligen Geiſte zu, daß er
uns dir erziehe, bis wir dich ſchauen
von Angeſicht in blutger Freud und ſeligem
Licht; bis du ſichtbar unter uns biſt,
wie du itzt unſichtbar unter uns wandelſt;
bis wir zu dem Fuͤhlen noch das ſehen krie-
gen.


Die Rede uͤber Apg. 1, 7. 8. wird hernach
angezogen werden.


Zeyſter Reden p. 104, Wenn der Heiland
uns eine dergleichen wiſſenſchaft zu haben
gut gefunden haͤtte, ſo waͤre es wol die,
daß wir den Tag wuͤſſten, wenn
er zu uns
kommen, oder wenn er uns holen wolte.
Und p. 110 wird von dem neumaͤhriſchen Bau-
weſen geſagt: Es iſt ein Haus, das noch,
und vielleicht kaum erſt ſtehen ſoll, wenn

der Heiland kommt, Er ſoll darinnen logi-
ren und herum gehen koͤnnen, ihm ſollen
noch die Leuchter darinnen angezuͤndet
werden.


Reden im Jahr 1747, II Theil, p. 77.
Wenn man fragt, warum ſeyd ihr beyſam-
men? Antwort: wir warten. Auf was
wartet ihr? Antw. Auf das Laͤmmlein.
Werdet ihr zu ihm kommen, oder wird Er
zu euch kommen? Antw. Das wiſſen wir
nicht, wie es ſeyn wird, wie ſichs ma-
chen wird.


Die Loſungen aufs Jahr 1749 hatten die-
ſen Titel: Der Bruͤder des HErrn, Vorſab-
bath,
[227]Von Philadelphia u. ſ. w.
bath des bevorſtehenden Hall-Jahrs im 18
Seculo: und in ſolchem Halljahr 1750 ward
auch der Gemein-Stifter 50 Jahr alt. Am
Vorſabbath waren die Loſungen ſchon ſo herr-
lich, daß nichts abging, als die Zukunft des
HErrn: was iſt denn am Sabbath, nemlich
im Sabbath- ja im Hall-Jahr, zu erwarten
geweſen? Doch iſt desfalls nichts namhaftes
A. 1750, ſo viel in Erfahrung zu bringen war,
erfolget: und wie es nunmehr um ſolches War-
ten ſtehe, iſt nicht bekannt. Gegen das War-
ten auf eine ſolche Zukunft Chriſti hat Er ſelbs,
der HErr, die ſeinigen verwahret, Matth. 24,
27. und dabey iſt es eine leere Einbildung, wañ
man vorwendet, der Satan koͤnne die ganze
Geſtalt von Chriſto, nur von den Wunden
nicht, annehmen. Das 2295 Lied berufft
ſich zwar auf S. Martinum, aus deſſen Munde
Sulpitius Severus erzehlet, er habe den Teu-
fel, der ihm unter der Geſtalt Chriſti ſehr praͤch-
tig erſchienen, deswegen abgewieſen, weil Chri-
ſtus nicht anders komme, als mit den Mahl-
zeichen des Creuzes: aber daraus folget nicht,
daß eine jede Erſcheinung mit den Wunden
unbetruͤglich ſey. Der Satan iſt je nicht unge-
ſchickter, als jene Prediger-Moͤnchen zu Bern,
welche A. 1508. die bekannte Tragoͤdie mit Jo-
hann Jetzern geſpielt, und ihm an ſeinem Leibe
fuͤnf Wunden beygebracht, die er ſelbs und an-
dere dafuͤr angeſehen, als ob JEſus der Ge-
creuzigte ihm ſolche mitgetheilet haͤtte: anderer
ſolcher Faͤlle zu geſchweigen. Welch eine kraͤf-
P 2tige
[228]TheilI.Cap.III.Satz 26.
tige Verwahrung vor dergleichen vermeinten
oder mißlichen Zukunft haͤtte man auch an der
rechten Deutung des prophetiſchen Wortes
auf die gegenwaͤrtige Zeiten?


Der 27 Satz.
Das neue Lied, Off. 5, 9. 10. wird
bey der neumaͤhriſchen Gemeine ge-
ſtuͤmmelt und misbrauchet.

§ 190.

Sie ſingen Num. 1768, Der Lobgeſang
am glaͤſern Meer, das Schiboleth
vom kleinen heer iſt:
Eines hat uns
durchgebracht, das Blut des Lam̃s;
es war geſchlacht.
vergl. Num. 2312, 4.
Im Buͤdingiſchen N. T. iſt das neue Lied alſo
uͤberſetzet: Du biſt wuͤrdig das Buch zu em-
pfangen, und ſeine Sigel zu oͤffnen, denn
du haſt dich abſchlachten laſſen, und haſt
uns aus allen Staͤmmen und Spra-
chen und Voͤlkern und Nationen mit dei-
nem Blute zuſammen gekaufft. Und haſt
Koͤnige und Prieſter vor unſerm GOtt aus
uns gemacht, daß wir uͤber die Erde regie-
ren werden.
Dieſes neue Lied ſingen die
zwanzig vier Aelteſten: und alle glaubige Pil-
grim ſingen es nach. Daß das kleine neu-
maͤhriſche Heer ſolches zu ſeinem Schiboleth,
und eben deswegen ſeine Sache zu jenem phila-
delphi-
[229]Von Philadelphia u. ſ. w.
delphiſchen Periodo machet, iſt eine unerlaubte
Anmaaſſung. Weder alle neumaͤhriſche Saͤn-
ger, noch ſie alleine, ſingen es im Geiſt und in
der Wahrheit. Aber ſie alleine und ſie alle
nehmen etwas aus der Mitte des Liedes an,
laſſen aber das erſte und letzte zuruͤcke.


Der 28 Satz.
Was von der Weiſſagung in un-
ſere gegenwaͤrtige Zeit gehoͤret, das
bringt fuͤr die neumaͤhriſche Ge-
meine keinen Vortheil.

§ 191.

Was in der Offenbarung vom 10 Capitel
bis zum Ende des 19 Capitels geſchrie-
ben ſtehet, haͤngt alles aneinander, vergl. C. 10,
7. mit Cap. 17, 17. und wie dieſes ausfuͤhrliche
Stuͤck ſchon lang in die Erfuͤllung eingetreten
iſt, alſo muß das viele uͤbrige davon bald vol-
lends ablauffen. Wer mir nicht beyfallen kan,
leſe des Vitringa Anacriſin, oder des Hn. De
Bionens
Eſſai ſur l’Apocalypſe,
welchen leztern
ich deswegen anziehe, weil er dem vom Ordi-
nario
ſo oft angezogenen Abbadie folget, und
denſelben ergaͤnzet. Ja noch vielmehr habe ich
Lutherum in der Erklaͤrung dieſer Capitel zum
Vorgaͤnger. Man erwege doch ſeine neun
Saͤtze, die in der Erkl. Offenb. p. 1114. ed.
2. ſtehen. In ermeldten zehen Capiteln der Of-
P 3fenba-
[230]TheilI.Cap.III.Satz 28.
fenbarung wird viel gutes, und zwiſchen dem
guten viel boͤſes gemeldet, welches man neu-
maͤhriſcher Seits nicht unterſcheiden kan, da
man das Geheimniß GOttes und deſſen Voll-
endung dahin geſtellt ſeyn laͤſſet, und ſich gegen
die wahre Auslegung ausdruͤcklich mit aller
Macht ſetzet.
Wir aber wollen ſothanen
Unterſcheid, in Abſicht auf die neumaͤhriſche
Kirchenſache, erforſchen.


§ 192.

Das Weib, ſo den Nationen-Hirten ge-
bar, hat eine Nahrung in der Wuͤſten: und
an ſolcher Nahrung hat zu unſern Zeiten die
proteſtantiſche Kirche den groͤſſten Theil, wie
bey andern Gelegenheiten dargethan worden
iſt. Ich ſage es ohne ſectiriſchen Eifer: Die
Reformation iſt und bleibt der Haupt-Perio-
dus
der Chriſtlichen Kirche im Abendland,
von Lutheri Auftrit an, bis zum Ende der
vierthalb Zeiten des Weibes in der Wuͤſten.
Mittler Zeit ſind alle Erweckungen beſondere
Stuͤcke, groͤſſer oder kleiner, beſſer oder ſchlech-
ter, von mehr oder weniger Dauer. Fuͤr
Herrnhut findet ſich kein beſonderer Horoſco-
pus:
es haͤtte froh ſeyn ſollen, die Gemein-
ſchaft mit der Augſpurgiſchen Confeſſion gruͤnd-
lich und lauterlich, redlich und beſcheidentlich
zu behaupten, und ſich nicht in die neuere Weit-
laͤuffigkeiten unter dem Vorwand eines eige-
nen Periodi zu vergeilen. Wir gehen weiter.


Der
[231]Von Philadelphia u. ſ. w.
Der 29 Satz.
Die Deutung der 144 Tauſende,
Off. 14, 1. auf die neumaͤhriſche Ge-
meine, iſt ungegruͤndet.

§ 193.

Das Lied num. 2177 faͤngt alſo an: Hun-
dert vier und vierzig tauſend!
o ihr,
die vom Blute ſauſend euch ums Laͤm̃chen
rum erfreuet, und bey ſeinem Mahl gedey-
het, Unter euch bin ich noch bloͤde u. ſ. w.

da man wol ſiehet, daß eine Schaar in dieſer,
und nicht in jener Welt angeredet wird.


§ 194.

Der Ordinarius ſagt, er wiſſe ſich in die Com-
poſition des Buches nicht zu finden: wie kan er
denn ohne ſolche noͤthige Huͤlfe wiſſen, in welche
Zeit das Geſichte von den 144 Tauſenden ſamt
andern vorhergehenden und nachfolgenden ge-
hoͤre? Ferner beziehet ſich das Geſichte auf die
zwoͤlf Staͤmme der Kinder Iſrael: vergl.
Cap. 7, 4-8. da die zwoͤlf Staͤmme nicht ſo
ſchwer zu eroͤrtern ſind, als die weitlaͤuffige
Nota in der zweyten Edition der Ueberſetzungs-
Probe vorgibt. Endlich handelt es von voll-
endeten Gerechten, und nicht von ſolchen, die
noch im Glauben wallen.


P 4§ 195.
[232]TheilI.Cap.III.Satz 29.
§ 195.

Die 144 tauſend Lammesgefehrten ſind
zuſammen ein Erſtling: die neumaͤhriſche Ge-
meine iſt viel ſpaͤter. Jene haben den Na-
men des Laͤmmleins und den Namen ſeines
Vaters geſchrieben an ihren Stirnen:
ha-
ben dieſe auch des Vaters Namen geſchrie-
ben an ihren Stirnen? Sie verbergen ihn,
ſo viel ſie koͤnnen: und der Ordinarius iſt des
Vaters ſo entwohnet, daß er in der Predig
uͤber Apg. 1, 7. 8. nur von dem Sigel des
Lammes GOttes
redet, womit die Maͤrty-
rer an den Stirnen vor der Noth der Erden
und der Suͤnde zugeſigelt ſeyen. p. 18. Jener
ehmaliges und dieſer heutiges Verhalten iſt
gegeneinander, wie Tag und Nacht. Bey
jenen war Keuſchheit am Leibe, und Wahrheit
in der Seele: bey dieſen iſt Befleckung und
Luͤgen, welche leztere zwo Unarten eigentlich
der Heiligung und der Furcht GOttes ent-
gegen ſtehen, (2 Cor. 7, 1.) und faſt den eigent-
lichen Character der neumaͤhriſchen Menge
ausmachen. Wir nehmen aus, was auszu-
nehmen iſt: wie lang aber muͤſſte es anſtehen,
bis mit ſolchen die Zahl von 144 Tauſenden
voll wuͤrde? O was kan ein ſolcher verkehrter
Ruhm dieſe Leute koſten!


Der
[233]Von Philadelphia u. ſ. w.
Der 30 Satz.
Von der Botſchaft der drey En-
gel, Off. 14, 6. 8. 9. gehet die Lehre
bey der ſo genannten Bruͤderge-
meine weit ab.

§ 196.

In einem Kupferſtich bey dem andern Theil
des Buͤdingiſchen N. T. iſt der HErr.
JEſus abgebildet, wie Er ſieben Leuchter um
ſich herum ſtehend, Johannem zu ſeinen Fuͤſ-
ſen liegend, und in ſeiner rechten Hand ſieben
Sterne, in der linken aber ein Buch hat.
Das Buch gibt Er einem fliegenden Engel:
der Engel hat eine Trompete in der linken
Hand, und mit der rechten nimmt er das
Buch, darin ſtehet Das ewige Evangelium.
Weil ſolcher Kupferſtich meines Wiſſens nur
bey der erſten, und nicht bey der zweyten Edi-
tion iſt, ſo will ich mich dabey nicht aufhalten.


§ 197.

Indeſſen ſtimme ich dem Hn. Erfinder dar-
in bey, daß die Botſchaft dieſes Engels, wie
auch der zween folgenden, ſich um dieſe gegen-
waͤrtige Zeit hoͤren laſſe: aber die neumaͤhri-
ſche Lehre fuͤhret faſt nichts von ſolcher dreyfa-
chen Botſchaft mit ſich, ja ſie gehet davon ab,
und wird alſo dadurch widerlegt.


P 5§ 198.
[234]TheilI.Cap.III.Satz 30.
§ 198.

Der Engel mit dem ewigen Evangelio hat
eine allgemeine Botſchaft, und ermahnet,
1. daß man GOtt fuͤrchte, und Ihm Herrlich-
keit gebe, wegen der Naͤhe des Gerichts: 2.
daß man den Schoͤpfer anbete. Die neumaͤh-
riſche Bruͤder hingegen 1. machen nunmehr
bey ſich und andern einen Strich durch alle
Furcht GOttes, und unter den Beweg-Urſa-
chen eines heiligen Bezeugens gegen Ihn fuͤh-
ren ſie die lezten Dinge nicht an. 2. Die An-
betung des Schoͤpfers wird geſchmaͤlert, in-
dem ſie das Werk der Schoͤpfung, und die
Ehre der Anbetung wegen ſolchen Werks, dem
Vater nicht ſo wohl als dem Sohn zuſchrei-
ben. Ja ſie vermeiden auch oft die Form der
Ermahnung, wann ſie die Rede anders wen-
den koͤnnen. Was alſo dieſer Engel mit groſ-
ſer Stimme rufft, das ſolten ſie ihnen geſagt
ſeyn laſſen, und gegen den ſeligen Johann
Arnd, von dem ich dieſes Orts weiter nichts
ſage, als daß ſeine Schriften ſonderlich auf
ermeldte zween Puncten gehen, keine ſolche
Widrigkeit hegen. Es iſt gefaͤhrlich, wann
man das Gegentheil thut: und noch gefaͤhrli-
cher, wann man auch anders lehret. Johan-
nes wuͤrde ſeinen Brief, laut deſſen keine
Furcht in der Liebe
iſt, der Botſchaft dieſes
Engels, der da ſagt, Fuͤrchtet GOtt, ge-
wißlich nicht entgegen ſetzen; und die Anbetung
des Schoͤpfers in dieſer Botſchaft nicht an-
ders, als wie das Gebet Apg. 4, 24. wobey
er
[235]Von Philadelphia u. ſ. w.
er auch geweſen war, erklaͤret haben wollen,
nemlich von dem Vater unſers HErrn JEſu
Chriſti.


§ 199.

Daß Babylon die Groſſe, deren Fall
der zweyte Engel verkuͤndiget, die Stadt Rom
ſey, iſt ſo klar, daß auch viele Jeſuiten und an-
dere Catholiquen es erkennen und beweiſen.
Was ſagt hingegen der Ordinarius?Die
Chriſtlichen Religionen, meine Geſchwi-
ſter! (von den andern haben wir nicht zu
reden) wir koͤnnen auch noch
præciſer ſagen,
die Evangeliſche Religionen (denn in den
andern befinden wir uns nicht, mit den
andern concurriren wir nicht) ſind vielleicht
eher Goͤttlicher als menſchlicher Invention.
Daß ſie keine Invention vom boͤſen Feinde
ſind, das iſt gewiß; daß das Babel, das
manche neue Lehrer darinnen geſucht ha-
ben, nicht darinnen ſteckt, das iſt auch ge-
wiß u. ſ. w.
Homilien uͤber die Wunden-Li-
taney p. 152. Wo ſoll man denn Babel ſuchen?


§ 200.

Der dritte Engel warnet vor der Anbe-
tung des Thiers,
unter einer Drohung,
welche in der heiligen Schrift die allerſchreck-
lichſte iſt. Aber in der ganzen proteſtantiſchen
Kirche iſt ſchwerlich jemand, der vor ſolcher An-
betung weniger Scheu haͤtte, als der Ordi-
narius.
Hie thut erſt ſein Brief, den er zu
Dres-
[236]TheilI.Cap.III.Satz 30.
Dresden A. 1728. an den PabſtBenedictum
XIII,
wo nicht abgehen laſſen, doch im Ernſt
verfaſſet hat, den eigentlichſten Dienſt. Da-
rin heiſſet es unter anderm, er werfe ſich ihm
zun Fuͤſſen, venerire ſeine Heiligkeit, und
bearbeite ſich ernſtlich dahin, daß der Hauffe
der wahren Chriſten, in der Catholiſchen
Religion und in denen ſo genannten Se-
cten, ihn moͤge kennen lernen, veneriren,
lieben,
u. ſ. w. Weder den Pabſt Benedictum
XIII,
noch irgend einen andern, zumalen je-
nes gleichen, unterſtehe ich mich fuͤr ſeine Per-
ſon zu richten: es wuͤrde aber dieſer Brief
ſchwerlich alſo an Vincentium Mariam Orſini
geſtellet worden ſeyn, wann er nicht Pabſt gewe-
ſen waͤre. Das heutige Pabſthum kan denen,
die weder auf das vergangene, nach Anlei-
tung der Weiſſagung und der Hiſtorie, noch
auf das Zukuͤnftige, nach Anleitung der
Weiſſagung, ſondern nur auf das Ge-
genwaͤrtige, nach Anleitung vieler ſchein-
baren Umſtaͤnde ſehen, nicht wenig einleuchten:
aber der Text Off. 13, 1. u. ſ. w. zielet eben
auf das Pabſthum, wie es ſich bey etlich Jahr-
hunderten nacheinander ohne groſſe Veraͤnde-
rung verhalten hat, und noch eine Zeitlang
unter groſſen Veraͤnderungen verhalten wird.
Keine gelindere Meynung vom Pabſthum hat
irgend ein aͤchter proteſtantiſcher Ausleger
gefuͤhret. Darum kan niemand, der die aug-
ſpurgiſche Confeſſion und alſo die evangeliſche
Reformation nach der Wahrheit ſchaͤzet, ge-
gen
[237]Von Philadelphia u. ſ. w.
gen einigen Pabſt, ob er auch fuͤr ſich das ſchoͤnſte
Lob haͤtte, eine ſolche Devotion hegen oder
bezeugen.


Der 31 Satz.
Der Heyden volle Bekehrungs-
Zeit iſt noch nicht da.

§ 201.

Zunaͤchſt vorher, ehe die ſieben Zorn-Scha-
len ausgegoſſen werden, laͤſſt ſich am glaͤ-
ſernen Meer das Lied hoͤren: Groß und wun-
derſam ſeynd deine Werke, HERR, GOtt,
Allmaͤchtiger: gerecht und wahrhaftig
ſind deine Wege, du Koͤnig der Nationen:
wer ſolte dich nicht fuͤrchten, HERR,
und deinen Namen verherrlichen? weil du
allein gnaͤdig biſt: weil alle die Nationen
werden daherkommen und anbeten vor dir:
weil deine Rechte offenbar worden ſind.

Off. 15, 3. 4. Alſo ſteht die Bekehrung aller
Nationen zu erwarten, wann der Koͤnig der
Nationen wird vor ihren Augen die Gerech-
tigkeit und Wahrheit ſeiner Wege erwieſen
haben. Haͤtte der Ordinarius dieſes erwogen,
ſo waͤre bey ſeinen Heyden-Bekehrungs-An-
ſtalten, (da er nicht gewiß war, ob diß die
rechten Bergwerke, oder nur Anbruͤche
von kurzer Dauer
waͤren, Buͤd. Samml.
I Band, ſ. 254.) ein richtigers Augenmaaß
geweſen. Indeſſen ſoll bey rechtſchaffenen
Arbeitern der Eifer, nur fein viele von Mor-
gen
[238]TheilI.Cap.III.Satz 31.
gen und Abend je eher je lieber hereinzubrin-
gen, hiedurch ſich nicht zuruͤkhalten, ſondern
deſto mehr anfriſchen laſſen. In Gewaͤchs-
Haͤuſern richten die Gaͤrtner mit ihrem Fleiß
das meiſte aus, wenn des Sommers volle
Fruͤchten nahe ſind.


Der 32 Satz.
Die neumaͤhriſche Gemein-Sa-
che ſchlaͤgt ſorglich noch zu einem
groſſen Unheil aus.

§ 202.

Nichts iſt Off. 10-19 uͤbrig, das wir im
Guten auf die neumaͤhriſche Gemein-
Sache deuten koͤnnten: gibt es aber etwas im
Widrigen? Es ſcheinet nicht, daß ein beſon-
derer Text auf dieſelbe ziele; wohl aber, daß
etwas von dieſem Baͤchlein ſich in den Strom
des groſſen Jammers, welchen das dritte
Weh am Ende der wenigen Zeit des Satans
mit ſich fuͤhret, ergieſſen, und denſelben in ſei-
nem Lauffe verſtaͤrken moͤchte.


§ 203.

Es ſind drey Hauptfeinde, nemlich der
Drache, und das Thier, und der falſche Pro-
phet, als eine Antitrinitaͤt zuſammen. Off. 16,
13. Der Drache iſt inſonderheit GOtte dem
Vater, das Thier dem HErrn Chriſto, und
der falſche Prophet dem heiligen Geiſte zuwi-
der.
[239]Von Philadelphia u. ſ. w.
der. Wir wollen unſere noch nicht voͤllig be-
ſtimmte Gedanken, andern zu Nutz, eroͤffnen;
aber dieſelbe, aus Beſcheidenheit, nur frag-
weiſe ausdruͤcken.


§ 204.

Man gebe alſo bey vorfallenden Gelegen-
heiten Achtung:


1) Ob nicht einer oder zween von dieſen
Feinden, oder alle drey, ſich deſſen, was die
neumaͤhriſche Bruͤder auf die Bahn bringen,
auch wider deren Vermuthen, (wiewol man
ſie nun treulich warnet,) bedienen werden?


2) Ob nicht inſonderheit der Drache die
neumaͤhriſche Lehre, wie ſie auf eine von Anbe-
gin nie erhoͤrte Weiſe den Vater von dem
Werk der Schoͤpfung, von der allgemeinen
Verehrung, von dem ganzen Zeugniß des A.
T. ausſchlieſſt, und auch wuͤnſchet, daß die
Apoſtel Ihn nicht ſo bekannt gemacht haͤtten,
auffangen, und dieſelbe noch viel hoͤher trei-
ben werde? Von dem Vater machet dieſe Lehre
bey neuerer Zeit in geheim wieder etwas meh-
rers, und gibt alſo dem eiferigen Widerſpruch
in der Stille um etwas nach: wann aber die Er-
kenntniß von Ihm ſonſt vor aller Welt ferner
verdecket wird, ſo muß die Lehre vom Blut
Chriſti und von der Wuͤrkung des heiligen
Geiſtes bald dahin ſinken.


3) Ob nicht die neumaͤhriſche Gemeine ſich
mancher Verwahrung gegen das Thier, die
man ſonſt in der proteſtantiſchen Kirche, in-
ſonder-
[240]TheilI.Cap.III.Satz 32.
ſonderheit auch bey der rechten Erklaͤrung der
Offenbarung hat, begebe?


4) Ob nicht, da das andere Thier aus der
Erden, welche bey Marckio und andern Aus-
legern Aſien iſt, (woſelbs die Juden zu Lande
von Haus aus uͤberall hinkommen konnten,)
aufſteiget, und der Ordinarius auf den Orient
je und je eine Abſicht blicken laſſen (Buͤd. Sam̃l.
Band II. ſ. 3. 707. B. III. ſ. 191. Creuzreich
p. 237. u. ſ. w.) die jenige, die dieſem nach-
folgen, jenem deſto eher zum Raub werden
moͤchten? Jenes kan zwar unter andern Urſa-
chen eben darum, weil es aus der Erden auf-
ſteiget, nicht auf dieſen gedeutet werden; wie-
wol ſich hie und da ein Belieben zu ſolcher
Deutung auͤſſert: aber dieſer, als ein falſcher
Prophet, moͤchte doch ein Vorſpiel des fal-
ſchen Propheten ſeyn, und ihm eine offene (gar
nicht philadelphiſche) Thuͤre zum Einbruch in
die proteſtantiſche Kirche ſchaffen: wie er denn
in denen pur proteſtantiſchen nordiſchen Laͤn-
dern keinen ſolchen Fuß hat, als in denen Ge-
genden, wo ein vermiſchter Zuſtand iſt.


5) Ob nicht der Ruhm von Wundern und
Zeichen, ſamt der Bilder-Andacht, die neu-
maͤhriſche Gemuͤther neige, dem falſchen Pro-
pheten
mit der Zeit deſto leichter Gehoͤr zu ge-
ben? Der falſche Prophet darf ihnen nur den
Leidens-Puncten einrauͤmen, und ihn ohne
Kraft im Munde fuͤhren laſſen, oder ſelbs alſo
im Munde fuͤhren, welches beedes ihm ein ge-
ringes
[241]Von Philadelphia u. ſ. w.
ringes ſeyn wird, ſo koͤnnen die neumaͤhriſche
Bruͤder ſich zu allem uͤbrigen bequemen.


6) Ferner: ob nicht die neumaͤhriſche Lehre
zur Reiffung der Beere am Weinſtock der
Erden
ein merkliches beytrage, indem der
Fanaticiſmus und Naturaliſmus jezt gewalti-
ger, als noch nie, zuſammen brechen, und die-
ſes inſonderheit die Beere reiff machet?


7) Ob nicht, wann das neumaͤhriſche Aus-
gehen auf den ganzen Welt-Kreis
fort-
waͤhren oder noch weiter kommen ſolte, die
drey Emiſſarii, deren gedacht wird Off. 16,
13. 14. wenigſtens etliche von ihnen in ihre
Parthie ziehen moͤchten?


8) Ob die Warnung Off. 16, 15. nicht ſon-
derlich das neumaͤhriſche Geſchwiſter angehe?


9) Die Zeit, da das Thier aus dem Ab-
grund
aufſteiget, wollen wir hie nicht beruͤh-
ren: daß es noch nicht ins Verderben hinge-
gangen ſey, daran zweifelt kein Chriſtenmenſch:
und entweder waͤhret die neumaͤhriſche Kir-
chenſache, bis deſſen Hingang ins Verderben
nahe iſt, oder ſie gehet ein; welches leztere wi-
der der Bruͤder Vermuthen iſt, indem ſie auch
zween zur Succeſſion genugſam achten. Nun
fragt es ſich auf beederley Fall, ob nicht die
Leute bey ihnen ſatt, ſicher, ſchlummerig,
commode, faul und verlegen gemacht, und ob
nicht auch viele andere Gemuͤther auf vielerley
Weiſe um ihren Tonum und Staͤrke gebracht
werden, ſo daß dieſe und jene ſich zur Zeit des
Streits auſſer dem Stande befinden, die im
(Abriß der Bruderg.) QWorte
[242]TheilI.Cap.III.Satz 32.
Worte GOttes dargereichte Waffen zu fuͤh-
ren, und ſich dem Feind zu widerſetzen?


§ 205.

Das Thier aus dem Abgrund heiſſet bey
Paulo der Menſch der Suͤnden, der Sohn
des Verderbens, der Widerwaͤrtige, der
ſich uͤberhebt uͤber alles, das Gott oder
Gottesdienſt heiſſet, alſo daß er ſich ſetzet in
den Tempel GOttes, als ein Gott, und gibt
ſich vor, er ſey Gott.
Desgleichen, der
Boshaftige;
eigentlich ὁ ἄνομος der Geſetzlo-
ſe.
2 Theſſ. 2, 3. 4. 8. Nun denke man nach:
1) In einer Gemeine, die ſich ſo fuͤr fein und
rein ausgab, haben ſich doch ſolche ſcheußliche
Voͤgel, als luſtige Creuzluftvoͤgelein gezeiget;
und rohen Seelen iſt das Heiligthum gewalt-
ſamer Weiſe ſo weit eroͤffnet worden: ſo kan
man denn deſto leichter begreiffen, wie der
Suͤndenmenſch ſich werde in den Tempel GOt-
tes
ſetzen koͤnnen. 2) Ein Chriſt, der die
laͤngſtbewaͤhrte Lehrart von der Gottheit behaͤlt,
kan ſich mit der Zeit, wann der Suͤnden-
Menſch ſich fuͤr einen Gott ausgibt, des Be-
truges leicht erwehren: aber die neumaͤhriſche
Bruͤder, welche die Erkenntniß des Vaters ſo
weit zuruͤcke ſetzen und verſtecken, ſich von der
Betrachtung alles deſſen, was geiſtlich und un-
ſichtbar iſt, ſo gar abthun, und die ganze oͤf-
fentliche zum Heil noͤthige Erkenntniß von der
Gottheit auf Chriſtum, den im Fleiſch geof-
fenbar-
[243]Von Philadelphia u. ſ. w.
fenbarten GOtt, und auf ſein Leiden, zu con-
trahi
ren und einzuſchrenken gewohnt ſind, koͤn-
nen den Suͤnden-Menſchen gar leicht fuͤr ei-
nen Gott
annehmen. 3) Durch das Geſetz
wird die Erkenntniß der Suͤnde, nicht nur,
wie man ſie auf ſich geladen, ſondern auch, wie
man ſie zu fliehen hat, erlanget. Alſo moͤch-
ten die neumaͤhriſche Bruͤder, die das Geſetz
ſogar zuruͤkſetzen, und hinaustrommeln, vor
andern dem Anomo, dem Geſetzloſen heim-
fallen.


§ 206.

Wir fuͤgen noch dieſe Erinnerung bey: Die
zweyte Edition der Ueberſetzungs-Probe des
N. T. erkennet es in der oben angezogenen No-
ta ad Matth.
12, 36. fuͤr hoch verdammlich,
wann man die Religion ſo einrichtet, daß hoch
und niedrig,
vel vi, vel clam, vel precario
reden und thun muß, nicht wie ihm iſt,
ſondern wie es in ſeiner Religion lauten
muß.
Nun findet ſich ein ſolches verſtelltes
Reden und Thun in voller maaſſe bey denen
neumaͤhriſchen Gemeinen, vornemlich an de-
nen Orten, wo das Ruder gefuͤhret wird, und
das vornemlich wegen der genauen Verbin-
dung und Gemeinſchaft. Ohne Widerrede
werden bey ihnen alle Manieren mitgehalten,
alle Lieder mitgeſungen, alle Geberden mitge-
macht. Was muͤſſte es ſetzen, wann ſolche
Leute in die groſſe Verfuͤhrung des falſchen
Propheten gerathen, und ihr gegenwaͤrtiger
Q 2Irr-
[244]TheilI.Cap.III.Satz 32.
Irrthum bis an dieſelbe hinreichen ſolte? O
daß ſie durch dieſe Warnung aufgewecket wuͤr-
den! Ich will bey den feineſten Seelen unter
ihnen, wann da etwas rechtſchaffen bleiben
kan, alle geiſtliche Vortrefflichkeit ſetzen, de-
ren ſie immer faͤhig ſind, und mache dieſen
Schluß: Sind dieſe Seelen dennoch ſo hauͤf-
fig und hefftig eingenommen, verlocket und
uͤbertauͤbet worden; wie wird es ihnen, oder
andern auſſer der Gemeine, ja vielmehr bey
der Gemeine gehen unter jener Verfuͤhrung,
die viel gewaltſamer, und (wer ſolte es glau-
ben?) viel ſcheinbarer ſeyn wird?


Der 33 Satz.
Wegen der wichtigen Stelle Off.
20, 2. ſchreibt der
Ordinariusgruͤnd-
lichen Auslegern viel ungereimte
Dinge zu, und haͤnget dazwiſchen
ſehr unrichtigen Meinungen nach.

§ 207.

Dieſen Satz will ich ſo ausfuͤhren, daß nie-
mand ſoll ohne Verleumdung ſagen koͤn-
nen, ich habe die Chiliaſterey bey der Wi-
derlegung des neumaͤhriſchen Kirchen-Periodi
zu Huͤlfe gezogen. Wegen der ſchriftmaͤſſigen
Auslegung des Textes Off. 20, 1. u. f. haben
mich etliche gefaͤhret, und ich habe ihnen ſo
geantwortet, daß ſie theils kluͤglich ſtille ge-
ſchwie-
[245]Von Philadelphia u. ſ. w.
ſchwiegen, theils ihre Beſchuldigung ganz
blos, (wiewol ich getroſt gezeiget hatte, auf
welche Puncten ſie eigentlich ihre Widerlegung
richten muͤſſten,) und alſo ungebuͤhrlich, in der
Sammlung von A. u. N. 1746. ſ. 65. wie-
derholet haben. Man erwege nur diß einige:
Ich ſage nicht, daß Chriſtus mit den Heiligen
tauſend Jahr auf Erden ſichtbarlich regieren
werde, (welche Meinung das weſentliche von
der Chiliaſterey iſt,) ſondern die Genoſſen der
erſten Auferſtehung ſind vollendete Gerechten,
die mit Chriſto, und alſo im Himmel regieren
werden.


§ 208.

Unter dieſer Verwahrung nehmen wir un-
ſern Satz vor die Hand, und dieſer bekommt
ſeinen Hauptbeweis vermittelſt der Predig
von dem eigentlichen Geſchaͤffte der Boten
des Lammes,
welche am Feſte der Himmel-
fahrt den 27 May 1745 zu Marienborn uͤber
Apg. 1, 7. 8. gehalten ward. Sie iſt vor andern
weitlauͤffig, und die Proportion unſers Ab-
riſſes geſtattet nicht, dieſelbe ganz hieher zu ſez-
zen. Wer Gelegenheit hat, wolle ſie unter
den 32 einzeln Gemein-Reden aufſchlagen:
wir aber fuͤhren nur dasjenige an, was zu un-
ſerm Vorhaben noͤthig iſt. Unter dem Leſen
wolle man alſogleich merken, wie der Vortrag
einem Arbeiter gezieme, der die Botſchaft des
Lammes bis an das Ende der Erden in der lez-
ten Zeit beſtellen ſoll. Die Predig lautet p. 9-
22 alſo:


Q 3”Unſer
[246]TheilI.Cap.III.Satz 33.

” Unſer itziger Text zerfaͤllt natuͤrlich in zwey Theile.


Der Erſte Theil iſt: Um was die Boten des
Lamms ſich nicht zu bekuͤmmern haben,
remo-
tive.


Der Andere betrifft ihr eigentliches Ge-
ſchaͤffte,
affirmative.


Liebe Geſchwiſter! ſeit ſechzig oder ſiebenzig Jah-
ren hat ſich eine neue Zeit hervor gemacht, eine fruͤh-
zeitige Reformation, daran wir noch immer klauben,
davon unſere eigene Gemeine noch allerhand Schwie-
rigkeiten und Hinderniſſe, ja ich moͤchte bald ſagen,
Verblendungen, in ihrem eigenen Theil zu erfahren
hat, und davon wir ſelbſt ſagen muͤſſen: Wir koͤn-
nen uns noch nicht recht aus dem Traum finden,
aus den idéen der fruͤhzeitigen Reformation, aus der
unzeitigen Verbeſſerungs-Luſt der Zeiten.


D. Luther hat ſo treuherzig geſagt, wie lange
man muß bey der oͤffentlichen Weiſe in den Kirchen
vor allem Volk bleiben: und wir wollen Lutheraner
ſeyn, und geben gar nicht acht auf ſeine Anwei-
ſung und Prophezeyung. Er hat in der Vorrede
zu der Teutſchen Meſſe oder Agende* geſagt: Es
ſey nicht eher Zeit, was anzufangen, bis ſich
Leute faͤnden, die mit Ernſt Chriſten zu ſeyn
begehrten: die Ordnung und Weiſen waͤren
darnach bald gemacht.


Das iſt das, was ich alleweil auch ſage, man
muß nicht eher Evangelium predigen, bis ſich Her-
zen finden, dies hoͤren wollen; man muß nicht eher
Gemeinen machen, bis wir Leute haben, die einen
Gemein-Sinn haben.


Was hat man denn alſo eigentlich fuͤr Veran-
laſſung zu der fruͤhzeitigen Reformation gehabt? Ich
glaͤube, wenn mans beym Lichte beſieht, ſo iſts ein
gewiſſer Vorwitz, mit Miſvergnuͤgen und Ungeduld
vermiſcht, geweſen, der aus dem dreyſſigjaͤhrigen
Kriege entſtanden iſt.


Es waren vor dieſem die Leute uͤberaus ſehr
à leur aiſe, in gar guten Umſtaͤnden, ſie befunden
ſich
[247]Marienborniſche Predig.
ſich wohl, es war gut Geld unter den Leuten, nach”
der damaligen Art, es waren der Leute weniger,
und die Nationen mehr in ihre eigene Generationes
eingeſchraͤnkt; es wuſſte einer mehr von ſeines Groß-
vaters und Aeltervaters Hauſe, und von ſeinem
Gute, von Erb-Stuͤkken zu reden, als nun.


Das wurde alles durch die groſſen und allge-
meinen Kriege in confuſion gebracht; arme Leute
wurden reich, reiche Leute wurden arm; geringe
Leute wurden vornehm, und vornehme Leute kamen
herunter. Daher entſtunds, daß ganz gemeine, ge-
ringe Bauers- und Handwerks-Leute in kurzem
einen groſſen Adel an ſich brachten; und hingegen
vornehme, adeliche Familien reducirt wurden, Pfar-
rer, Kaufleute, und dergleichen, zu werden: welches,
in damaligen Zeiten, ſehr erniedriget hieß.


Und daher koͤmts, daß man manchmal noch
reden hoͤrt: Meine Vorfahren ſind das und das ge-
weſen, wir ſind aber herunter gekommen.


Dieſe Confuſion, Vermengung und Verwikke-
lung der aͤuſſerlichen Sachen, dieſe Veraͤnderung,
ſowol der perſoͤnlichen Obrigkeiten, als der alten
Art, Weiſe und Regierungs-Form; da man etwa
einen Biſchoff gehabt hatte, und hernach einen welt-
lichen Fuͤrſten* krigte, hat verurſacht, daß die Eu-
ropaͤiſche, und beſonders die Proteſtantiſche Welt,
in eine neue Form gegoſſen worden.


Da waren nun etliche rechtſchaffene Leute, gute
Herzen, ſonderlich unter den Lehrern, darauf be-
dacht, wie ſie da was guts fuͤr den lieben GOtt her-
aus bringen wolten. Sie dachten: HErr! wenn
Truͤbſal da iſt, ſo ſucht man dich; und wenn
du ſie zuͤchtigeſt, ſo ruffen ſie aͤngſtiglich.


Die Leute, die in dergleichen Umſtaͤnden ſtun-
den, ſonderlich die Alten, die hoͤrtens gerne, wenn
man ſagte: Es wird beſſer werden; wenn man ihnen
ſagte: O der liebe GOtt wird bald kommen! Und
ich weiß mich von meiner Kindheit an zu erinnern,”
Q 4” von
[248]TheilI.Cap.III.Satz 33.
” von meinem dritten, vierten Jahre an, daß wir ge-
glaͤubt haben, der Heiland bleibt nicht vier Jahr
mehr aus.


Wenn mans nun beym Lichten befieht, was der
Trieb, das Triebwerk zu allem war; ſo wars nicht
das inwendige, es war nicht das Herz, es war nicht
das Creuz JESU, es war nicht das, was er fuͤr
uns gelitten hat: ſondern es war die Hoffnung,
vom Boͤſen erloͤſt zu werden, ein ruhigers und ver-
gnuͤgters Leben zu fuͤhren, zu dem Seinigen wieder
zu kommen; oder, wenns ja nicht ſo weit kaͤme, die
Rache ausuͤben zu ſehen an den Raͤubern, an den
Menſchen, die einen ums ſeinige, um ſein Geld ge-
bracht hatten.


Es war denn auch manchmal ein Troſt. Man
hatte kein Geld mehr, ſo wolte man einen andern
Troſt haben, das war ein gutes Buch, das war
eine ſchoͤne Predigt, das war ein guter Umgang mit
den Leuten.


Und darein mengte ſich zu gleicher Zeit, der Geiſt
der Prophezeyung von beſſern Zeiten; und wenn
man auch nicht auf die aͤuſſerſte Extremitæt fiel: ſo
fielen ſie doch alle auf die Erklaͤrung der Offenbah-
rung Johannis, auf die determination der Zeiten
und Stunden; und wenn ihrer dreyſſig zu Schan-
den wurden, ſo kam doch der ein und dreyſſigſte,
und brachte eine neue Erklaͤrung.


Den Leuten fiel gar nicht ein, was der Heiland
geſagt: Die Zeitrechnung iſt gar nicht euer Werk,
ihr koͤnnt verſichert ſeyn, wenn mein Vater wird auf
den periodum kommen, da er alle Feinde zu ſeines
Sohns Fuͤſſen legen will, er wird weder die Welt
noch euch drum fragen. Der Welt wird ers nicht
zu melden haben, und euch wird ers nicht ſagen.


Ich habe mich ſchon vielmal gewundert, wa-
rum doch die lieben Leute ſich in einen ſo gefaͤhrli-
chen Weg hinein begeben: denn es iſt ein rechtes
Mirakel, daß man ſolche Leute nicht ſchon lange hat
genommen, und hat ſie torquirt, zu ſagen, was ſie
” wiſſen von zukuͤnftigen Dingen. Wenn man die heu-
tige
[249]Mar. Predig.
tige Art anſieht, wie die Welt dergleichen tractirt,”
ſo muß man einen reverenz vor der Welt machen,
man muß ſich buͤkken, und reſpect vor der Welt ha-
ben. Denn bey alle den ſotiſen, bey alle den Thor-
heiten, die von ſo genannten Augſpurgiſchen Con-
feſſion
s-Verwandten in alle Welt geſchrieben und
gedruckt wurden, von der Zerſtoͤrung der Welt,
von der Aufhebung ihres Regiments, von der Ver-
tilgung der Gottloſen, von der Zeit, die kommen
wird, da die Kinder Gottes werden alles in allem
ſeyn; und da die Leute ihre Namen davor ſchrieben,
und da der Buchdrukker ſeinen Namen davor drukte,
da man nicht mehr bey dem Stuhl zu Rom blieb,
ſondern auch andere Herren und Obere, wo nicht
alle, unter dem Antichriſt mit begriff: ſo war nichts
mehr zu bewundern, als die Geduld derjenigen,
die durch dergleichen Weiſſagungen injuriirt worden.


Nun iſt wohl eines theils wahr, daß dieſe Ge-
duld von der Verachtung und Geringſchaͤtzung her-
koͤmt, weil man die Dinge nicht glaͤubt: unterdeſſen
haben doch alle die Knechte GOttes, die ſich in die-
ſes Feld gewagt haben, manche unnoͤthige Ver-
folgungs-Gelegenheit gemacht, und haben das Ubel
mit veranlaſſet, daß die Zuſammenkuͤnfte der Kinder
GOttes verdaͤchtig gemacht worden ſind. Man
hat die Griechiſche Barbarey nicht eingefuͤhrt, die
Leute zu torquiren und zu quaͤlen, daß ſie die ver-
meinten Geheimniſſe, oder ihre Conſpiration gegen
die Welt, die ſie in ihren Verſamlungen haben,
entdekken ſolten; das hat man infra dignitarem ge-
ſchaͤtzt: aber man hat geſucht, das Ding mit ſeiner
Wurzel heraus zu reiſſen; man hat die Verſamm-
lungen den guten Leuten faſt durchgehends verboten.
Das iſt daraus entſtanden, das iſt die Frucht der
Prophezeyungen. Und wer gedenkt, daß die Ver-
ſammlungen der Pfarrer halben verboten werden,
aus Liebe zur Geiſtlichkeit, der muß nicht wiſſen,
wies in der Welt auſſieht. Die Pfarrer werden
gewiß den faveur nicht finden, ſie werden das nicht
auſrichten mit allem ihrem Geſchrey; ſondern das”
Q 5” viele
[250]TheilI.Cap.III.Satz 33.
” viele Verkuͤndigen, Buͤcher-ſchreiben, Weiſſagen
und Prophezeyen, und ſagen: Wir ſind itzt in der
letzten Revolutions-Zeit, in dem oder dem Jahr wirds
kommen; und daß man ſchon Lieder drauf macht,
(wie denn ein und ander Geſangbuch ſolcher Lie-
der ganz voll iſt, die ſo lauten, als wenns ſchon da
ſtuͤnde) das iſt die Gelegenheit zu der General-Wie-
drigkeit gegen die Zuſammenkuͤnfte. Welche zwar,
auf der einen Seite um des phariſaͤiſchen leeren Ge-
ſchwaͤtzes willen, das darinnen gefuͤhret wird, actu
ſehr ſchaͤdlich und ſeelen-gefaͤhrlich ſind; auf der
andern Seite aber doch einen realen und nuͤtzlichen
Umgang der Kinder GOttes mit einander, zum Zwek
haben. Das wird aber unter einander gemengt, ſo
wol von denen die nicht Zeit, Luſt oder Einſicht
haben, die Sachen zu ſondiren und zu beurtheilen,
als von denen, die nicht τεταγμένοι ſind, ſich
ſolcher Sachen mit einem wahren Segen zu gebrau-
chen.


Es iſt alſo eine mit von den Pflichten einer Ge-
meine JEſu, daß ſie ſich mit aller Macht gegen das
Prophezeyen, gegen das Weiſſagen und Zeichen der
Zeit erklaͤren ſetzt, und daß ſies unter die Zeichen-
deuterey rechnet.


Hat der Heiland eine Macht und Erlaubniß von
ſeinem Vater, ſeinen Juͤngern was zu vertrauen:
hat er Erlaubniß und Macht, nach der Oeconomie,
dieſem und jenem ſeiner Knechte zu erklaͤren, was
er dem Johannes geſagt hat: ſo iſts genug, daß es
der weiß, ſo iſts genug, daß es einer dem andern ge-
legentlich ſagt, und daß es eine herzliche Unterre-
dung wird, die ſo geſchwinde vergeſſen als gefaſſt
wird; ja, wenns weit gehen ſoll, es iſt genug, wenn
man einen gewiſſen Plan, den der Heiland einem
zeigt, in der idée behaͤlt, damit man nicht dagegen
anſtoſſe, daß man einen gewiſſen halbdunkeln Begriff
nicht wegwirft, ſondern ſteht dabey ſtille, damit man
keinen Queerſtrich drein macht, und eine unbedungene
Arbeit thut. Das iſt alles genug, das iſt das aͤuſ-
” ſerſte, was von uns gefordert wird; das iſt ſchon
ein
[251]Mar. Predig.
ein beſonderer character, ein departement, das iſt ”
weder der Kinder GOttes noch der Juͤnger affaire
zu ſuchen, und das theilt der Geiſt aus, wem er will,
und grade an die, denen am wenigſten daran gele-
gen; gewiß an niemand, ders begehrt, ſondern alle-
mal an Leute, die da ſagen: HErr, verſchone
mich doch, und ſage es, wem du willſt.
Denn
zu den andern heiſſts: Du begehreſt dir groſſe
Dinge, begehrs nicht, ꝛc.
Jerem. 45, 5.


Wenn wir das ſo veſt ſetzen, und darum von Her-
zen bezeugen gegen jedermann, daß die Gemeine
JEſu Chriſti damit nichts zu thun hat; daß ſie vors
erſte und uͤberhaupt die Lehre gar nicht glaͤubt, die in
der Augſpurgiſchen [Confeſſion] zum Irrthum gemachet
worden, daß einmal die Kinder GOttes in der Welt
regieren, und die Gottloſen vertilgen ſollen: ſondern
daß ſie das wuͤrklich fuͤr eine falſche Lehre haͤlt, fuͤr
eine falſche, ungegruͤndete idée, weil ſie der Creuz-
Reichs-Sache nicht convenient iſt. Denn ich weiß in
aller Welt nicht, liebes Geſchwiſter! was wir ſolten
mit einem ſolchen Regiment machen, wenn der Hei-
land uns nun heute, ſo wie wir da waͤren, den einen
zum Regenten in dem Lande, den andern zum Regen-
ten in einem andern Lande, den dritten zum Fuͤrſten
da oder dort machte: es wuͤrde uns ja nicht anders
ſeyn, als wenn wir zum Beſten gehabt waͤren, was
ſolte uns das helfen? was ſolte da heraus kommen?
Es iſt ja nicht unſre Sache. Man dankt ja dem Hei-
land auf den Knien, wenn man nichts iſt, wenn man
nichts ſeyn darf, daß man von dieſer groſſen Zeit-
Verſaͤumniß privilegirt iſt. Es waͤre eine ſchlechte
Erhoͤhung, wenn uns der Heiland zum recompenſe
und Belohnung, daß wir an ſeinen Wunden und an
ſeinem Creuze mit Leib und Seele gehangen, auf die
Thronen der Erden ſetzte, daß wir uns den Kopf zer-
brechen muͤſſten, wie wir mit dem und jenem bedenk-
lichen Nachbar, wie wir mit dem und jenem aufſaͤz-
zigen Vaſallen zurechte kaͤmen, und lieſſe uns keinen
froͤlichen und keinen ruhigen Tag mehr in der Welt
haben. Das ſind gar nicht unſere Sachen: dazu hat
der HErr ſeine eigene Knechte, die reſpectire ich alle- ”
” mal;
[252]TheilI.Cap.III.Satz 33.
” mal; und wenn ſie es mit der That beweiſen, daß ſie
es ſind, ſo venerire ich ſie.


Wer ſein Herz kennt, der weiß, daß kein Bru-
der unter uns mit ſolchen Gedanken umgehen kan;
er muͤſte denn ein Phantaſt ſeyn: (denn wer koͤnte
wollen ſo was ſeyn, der muͤſte erſt ſeiner geiſtlichen
Sinnen beraubt werden) ſondern daß wir wie Abra-
ham und die Altvaͤter, die Leute darum veneriren,
anbeten und vor ihnen niederfallen moͤchten, die noch
moͤgen Fuͤrſten und Koͤnige ſeyn, die uns beſchuͤtzen
moͤgen, die die Welt moͤgen regieren wie ſie iſt, die
ſich moͤgen mit den Sachen bis an ihr Ende ihren
Kopf zerbrechen, und bis in ihren Tod plagen. Uns
kan gewiß nicht einfallen, daß das einmal ein Gna-
den-Lohn ſeyn wird der Martyrer und Zeugen, der
Bekenner, die das Zeugniß des Creuzes getragen ha-
ben, und die mit dem Siegel des Lammes GOttes an
den Stirnen vor der Noth der Erden und der Suͤnde
zugeſiegelt ſind. Nein, beym HErrn ſeyn allezeit,
das iſt einem ein Lohn. Kommen wir zu Ihm, das
iſt uns genug; koͤmt Er zu uns, das iſt uns auch recht:
das iſt ſo ſeine Sache, das kan uns gleich viel ſeyn,
dabey verlieren und gewinnen wir nichts. Koͤmt Er
aber zu uns, ſo koͤmt er gewiß ſanftmuͤthig und von
Herzen demuͤthig; ſo ſetzt er gewiß ſein Reich in der
Stille, in der Verborgenheit fort, in der es bleiben
muß, bis die Buͤcher aufgethan werden, bis die Po-
ſaunen GOttes alle Todten auferwekken werden: denn
vorher kan nichts éclatantes, nichts publiques geſche-
hen, nichts, das ſo viel tauſend und tauſend Men-
ſchen mit anſehen; ſonſt waͤre der Glaube aus.


Es iſt auch wieder den tenor (Inhalt) der heiligen
Schrift: denn wenn ſie auf die Breite der Erden tre-
ten, und mit unzehlbaren Armeen kommen, und die
Stadt des Heilands einnehmen wollen; ſo muͤſſen ſie
in Wahrheit regieren, und muͤſſen nicht vertilgt
ſeyn.


Wenn alſo ſo was iſt, ſo muß es gewiß ſeyn,
wies itzo iſt. Der eine wird ſagen, es iſt wahr, der
andre, es iſt nicht wahr: der eine wirds glaͤuben,
” und ſich davor fuͤrchten; der andre wirds glaͤu-
ben,
[253]Mar. Predig.
ben, und ſich ein Bißchen drauf freuen; und der drit- ”
te wirds nicht glaͤuben. Vielleicht werden ſie denken,
ſie haben uns vertilgt; ſie werden denken, wie ſie
hundert Jahr von den Boͤhmiſchen Bruͤdern gedacht
haben, es ſind keine mehr. In dem point de vuͤe
muͤſſen wirs anſehen: wenns darnach auf einmal nicht
wahr ſeyn wird, wenn ſie ſich darnach auf einmal wer-
den in ihrer Hoffnung betrogen finden, da ſie gedacht
hatten, es waͤren keine Chriſten mehr; ja hernach kan
man leicht denken, was daraus entſtehen wird. Es
wird das daraus entſtehen, daß ſie uns werden in
Ernſt vertilgen wollen; und das wird nicht angehen,
da werden ſie zu kurz langen.


Nun, liebe Geſchwiſter! wir ſehen aus dem gan-
zen Umſtande und aus dem ganzen Zuſammenhange,
daß das Sachen ſeyn, die, wann ſie aufs allerſchoͤn-
ſte geſchehen, (wie ſie denn geſchehen werden) ſo ha-
ben ſie gar nicht die geringſte active connexion mit
unſerer gegenwaͤrtigen Fuͤhrung, am allerwenigſten
aber mit der Bekehrung der Seelen. Hier iſt Ge-
duld und Glaube der Heiligen.
Es kan mit
allen Herrlichkeiten bey uns nichts bewieſen wer-
den, man kan damit nicht, wie man zu ſagen pflegt,
einen Hund aus dem Ofen hervorlokken, geſchweige
eine Seele bekehren: denn zu dergleichen Sachen,
zu dergleichen Wahrheiten gehoͤrt ein Glaube, der
noch zweymal ſo ſtark iſt, als der Glaube ans Blut
JEſu und an die Wunden-Herrlichkeit. Und es
waͤre eine groſſe Thorheit, wenn wir von dem Glau-
ben wolten anfangen: die Leute glaͤubten noch kei-
nen Heiland, der fuͤr ſie geſtorben waͤre; und wir
glaͤubten, wir koͤnten ſie bekehren mit der Hoffnung
von ſeinem Reich. Das waren gute principia zur
Juden Zeit; das ſeyn gute principia fuͤr Republica-
ner, die unter einer Monarchie ſtehen, und waͤren
ihrer gern los, und jagten den Monarchen gern zum
Lande hinaus, und ſetzten ſich an ſeine Stelle, und
gaͤben ihrer drey und zwanzigen oder dreyſſigen in
die Hand, was einer hat, und lieſſen lieber funſzig,
oder gar den Herrn Omnis, wie man zu ſagen pflegt, ”
” tyranni-
[254]TheilI.Cap.III.Satz 33.
” tyranniſiren, als Einen: fuͤr ſolche Leute ſind das
principia, da taugen ſie etwas. Das gibt die erſten
zwanzig Jahr, gute Quaͤker; die drauf folgende,
gute Inſpirirte; und im fuͤnften, ſechſten decennio
gute Naturaliſten.


Und darum wars auch den Juͤngern des Hei-
lands damals noch zu thun. Denn wenn er was
von ſeinem Reich, und von ſeiner Seligkeit, von
ſeinen ſchoͤnen Sachen redte; ſo dachten ſie allemal,
er meyne den Pilatus und den Herodes, daß er die
umbringen wolle, und etwa die damaligen Hohen-
prieſter aus der unrechten familie, und wolte die
rechte wieder einſetzen, und im uͤbrigen ſelber regie-
ren, weil er aus Davids Stamm und ein Koͤnig
war. Das war ihre Sache; aber das waren Juͤ-
diſche ideen, das waren keine Gemein-ideen, das
waren keine Sachen, die ſich heut zu Tage in un-
ſer Vergnuͤgen, in unſre Seligkeit hinein paſſen.
Die Gemeine geht und bauet ſich.


Das Gras hat die Art an ſich, daß es waͤchſt.
Wenns gut iſt, ſo erfrent es einen groſſen Theil der
Creaturen, und es beſteht eines groſſen Theils der-
ſelben ihr Leben darinn, es koͤmt ihr Leben und Tod
darauf an, wies geraͤth; und ſo nehmen wir auch
Theil daran von ferne: aber wenn wir nichts als
Gras zu eſſen haͤtten, ſo wuͤrden wir nicht zurechte
kommen; denn wir ſind nicht darauf gemacht, wir
ſind nicht dazu geſchaffen, wir ſeyn eine andere
Art von Creaturen, wir haben eine andre Nah-
rung. Wenn unſer Geiſt nichts anders zu eſſen
haͤtte, als was unſer Coͤrper hat, ſo wuͤrden wir
ſchlecht zurecht kommen. Drum iſt des Heilands
ſein Leib auch eine Speiſe, und ſein Blut auch
ein Trank.


Und ſo gehts auch mit den goͤttlichen Wahrheiten,
mit den goͤttlichen Sachen, und mit den idéen, die
man ſich macht.


Was denen damals eine unausſprechliche Freude
war, da ſtuͤnden wir nicht drum auf. Darum hat
der Heiland am beſten gethan, daß ers ſo hat dabey
” gelaſſen, es iſt euer Amt nicht, liebe Herzen! ihr
werdet
[255]Mar. Predig.
werdet daruͤber nicht examinirt werden, ich werde ”
euch bey meiner Zukunft nicht fragen, ob ihr die pe-
riodos
habt auſgemeſſen, ob ihr das Jahr auſgefun-
den habt, wenn ich komme. Laſſt ihrs nur gut ſeyn;
alle die Sachen haben ſchon ihren abgemeſſenen Plan,
und das iſt im Rath der Waͤchter ſchon auſgemacht,
da iſt eine Sanctio pragmatica beſchloſſen, die weder
geſchrieben noch gedrukt wird, die niemand erfaͤhrt,
als der Rath der Waͤchter. EHIEH; Fiet, fiat, fit.


Aber wißt ihr, meine Bruͤder! was ihr zu thun
krigt? (das iſt der Andre Theil) Ihr werdet ei-
ne Vollmacht krigen vom heiligen Geiſte,

poteſtatem;euch wird aufgetragen werden von
der theuren und lieben Kirchen-Mutter: Ge-
het hin, es hat da eine Seele, dort iſt eine
Seele.
Und die Seele wird nicht nur bey euch in der
Nachbarſchaft ſeyn, ſondern es kan ſeyn, daß ihr nach
der einen Seele muͤſt lauffen bis ans Ende der Erden. ”
u. ſ. w.


Gegen dieſen bunten Diſcours waͤre vieles
zu erinnern, wir wollen uns aber an folgen-
dem begnuͤgen.


§ 209.

Der Prediger bemuͤhet ſich, ſeinem phila-
delphiſchen Periodo, dem Kirchlein in der lez-
ten Zeit, es koſte was es wolle, eine ganz un-
vergleichliche Fuͤrtrefflichkeit zu wege zu brin-
gen, (wie auch Hr. Weiß in ſeinem Brief an
mich thaͤt,) ſo daß nichts als die Zukunft des
HErrn noch abgehe. Daher muß alles, was
ihm begegnet, ſich zur Erde legen, und eine
Gaſſe abgeben, da er uͤberhin lauffe. Er ver-
ringert auch ſonſten, vornemlich aber in dieſer
Predig, das Gute der vorigen Zeiten, ſon-
derlich
[256]TheilI.Cap.III.Satz 33.
derlich ſeit fuͤnfzig Jahren her und druͤber;
das Gute, ſo zu dieſer Zeit auſſer ſeiner Ge-
meine iſt, ſo fern es ſich in keine beſondere Ver-
bindung mit derſelben einlaſſen will; und das
Gute,
welches in kuͤnftigen Zeiten vermoͤge des
prophetiſchen Wortes noch bevorſtehet. Hin-
gegen die Maͤngel bey ſeiner Gemeine werden
klein, und auſſer derſelben groß gemacht. Diß
iſt uͤberhaupt der Schluͤſſel zu ſehr vielem, das
er zu ſagen pflegt, und ſonderlich zum erſten
Theil dieſer Predig.


§ 210.

Wer auf ſechzig oder ſiebenzig Jahr zu-
ruͤcke gehet, der merket wohl, was die neue
Zeit
und fruͤhzeitige Reformation ſeyn ſoll.
A. 1675, und alſo ſiebenzig Jahr vor dieſer
Predig gingen Speneri Pia deſideria aus der
Preſſe an das Licht, womit ſein Zeugniß in pro-
phetiſchen Dingen anfing. Der Prediger kan
unmoͤglich ſagen, er habe dieſes nicht gemeinet.
Denn er redet ohne Unterſcheid und ohne Aus-
nahme, und was durch Spenerum desfalls auf
die Bahn gebracht ward, iſt das allernamhaf-
teſte. Unrichtig aber beſchreibt er (1) die Ver-
anlaſſung,
als ob es um einen weltlichen
Troſt uͤber dem dreiſſigjaͤhrigen Krieg zu
thun geweſen waͤre. (2) Die Sache ſelbs, als
ob ſolche in einer unzeitigen Verbeſſerungs-
Luſt der Zeiten
beſtanden waͤre, da man beſ-
ſere Tage in irrdiſchen Dingen, Rache uͤber
die Feinde u. ſ. w. zu hoffen haͤtte. (3) Den
Erfolg,
[257]Von Philadelphia u. ſ. w.
Erfolg, als ob die Obrigkeit um ſolcher Hoff-
nung willen die privat-Verſammlungen, dar-
in man ſolche gefaͤhrliche Hoffnung geheget,
verboten haͤtte. Dagegen hatte man 1) die
Hoffnung beſſerer Zeiten vorlaͤngſt, und auch
zunaͤchſt vor dem dreyſſigjaͤhrigen Krieg: die-
ſer Krieg ſelbs aber war lang vor der hier ſo
genannten Reformation verſchmerzet. Man
hatte wiederum alles vollauff, vornemlich an
den Orten, wo ſolche Hoffnung ausbrach.
Der Prediger ſagt, Sonderlich die Alten
habens gerne gehoͤret:
ſonſt koͤnnte er nicht
an den dreyſſigjaͤhrigen Krieg hinaufreichen.
Die Jungen hoͤrtens lieber, aus vielerley Ur-
ſachen. Haben aber irdiſch-geſinnte Leute,
junge oder alte, ſolche, wie alle andere guͤtige
Worte GOttes, misbrauchet, ſo muß man
dieſen Misbrauch nicht uͤber den guten Ge-
brauch erheben, noch allein von dem Misbrauch
reden. 2) Die Anzeige, welche der allmaͤch-
tige GOtt ſelbs evangeliſiret hat, von denen
erwuͤnſchten groſſen Dingen, die wir auch zu
dieſer unſerer Zeit annoch als zukuͤnftig zu ach-
ten haben, erweckte bey den Propheten je keine
irdiſche, ſondern eine heilige Freude: und dieſe
Freude iſt nicht irdiſch, ſondern heilig bey allen,
denen die Ehre GOttes und ſein Reich, das
Heil der Menſchen, und auch der Nachkommen,
angelegen iſt. Dabey iſt die Hoffnung auf
das, was der HERR ſelbs thun wird, ſehr
weit unterſchieden von einer menſchlichen Ver-
beſſerungs-Luſt,
wie dieſe Predig es nennet.
(Abriß der Bruͤderg.) RJa
[258]TheilI.Cap.III.Satz 33.
Ja ſie ſagt gar p. 27, den Augenblick habe
man ſich ins weltliche Regiment gemenget,
den Regenten regieren zu helfen
u. ſ. w. Bey
den Boͤhmiſchen Bruͤdern fand ſich dergleichen
Gebrechen. Bald nach Huſſens Tode regte
ſich etwas, davon des ſel. Riegers Boͤhmi-
ſche Bruͤder § 412 zu ſehen: vielmehr aber
zeigte ſichs bey dem dreyſſigjaͤhrigen Krieg ſelbs,
wie inſonderheit Nic. Arnoldi Diſcurfus con-
tra Comenii Lucem in tenebris
ausweiſet.
Doch auͤſſert ſich die Bruͤdergemeine ihrer
Succeſſion nicht: ja dieſe moͤchte wohl zuſehen,
daß ſie ſelbs mit ihrem Oberſten ſich nicht bey
dem groſſen auͤſſern Flor ins irdiſche hinein-
mache,
wie die Predig ſagt, mit dem Zuſatz, es
ſeyen faſt aus allen erweckten Leuten Geiz-
haͤlſe
gewordẽ. p. 27, 28. Lutherus hielt ſeine Zeit
ſelbs fuͤr eine beſſere Zeit: auſſer deren hoffte
Arnd und theils andere geſegnete Lehrer keine
beſſere Zeiten. Mit dem weltlichen Regiment
hatten ſie alle nichts zu thun. Jedoch der Pre-
diger ſieht wiederum vielmehr auf die neuere
Zeiten. Mit Namen lobet er den ſeligen Spe-
ner und andere Knechte GOttes, und ihre
Werke ſchmaͤhet er. Koͤnnte er einen einigen
melden, der es ihm in der Hauptſache recht
gemachet haͤtte, (da ihnen allen das Blut
JEſu gefehlt haben ſoll,
p. 28.) ſo wuͤrden
wir es gern hoͤren. Spenern thut er offen-
barlich Unrecht. Die groſſe Erweckung
durch ihn fing A. 1669 an: folgenden Jahres
ward das erſte Collegium pietatis angeſtellet:
und
[259]Von Philadelphia u. ſ. w.
und nicht den Augenblick, ſondern erſt etlich
Jahr hernach kamen die Pia deſideria heraus,
darin von Beſſern Zeiten eine Meldung ge-
ſchah, nur beylauͤffig und kurz, ohne das ge-
ringſte Gemenge in das weltliche Regiment.
Zum Exempel, ein Par Theologen, die in ih-
ren beygefuͤgten Bedenken nichts von Beſſern
Zeiten wiſſen wolten, pflichteten doch den Piis
deſideriis
bey. So gar haben die Erweckun-
gen und ein weltliches Geſuch nichts miteinan-
der zu thun. Gleichfalls war Franken, Ar-
nolden
ꝛc. gar etwas anders, einem jeden in
ſeinem Theil, angelegen, als das Zukuͤnftige
in der Welt.
Iſt bey etlich indiſcreten unor-
digen Gemuͤthern der irdiſche lermhaftige
Sinn dazugeſchlagen, was koͤnnen die Erwe-
kungen dafuͤr? Man kan es denſelben nicht als
ein Gebrechen, geſchweige, als ein Haupt-
gebrechen
beymeſſen. Wann dieſe Materie
hie weiter auszufuͤhren waͤre, ſo muͤſſten wir
zeigen, wie zum Exempel die Hoffnung, wel-
che der HErr JEſus ſeinen Juͤngern auf eine
gute Zeit, nemlich auf das herannahende Reich
GOttes, als auf einen Sommer gemacht,
nicht ohne die Aufmerkſamkeit auf die Aende-
rung bey der juͤdiſchen Policey, wiewohl oh-
ne einige thaͤtliche Einmiſchung in das weltli-
che Regiment geweſen. Luc. 21, 31. Apg. 6, 14.
3) Die Urſachen, warum die privat-Verſam̃-
lungen
hin und wieder abgeſtellet wurden, ſind
viele und vielerley: aber nur zwo bringet dieſer
Prediger in den Vorſchlag, nemlich die Pro-
R 2phezey-
[260]TheilI.Cap.III.Satz 33.
phezeyungen, und die Liebe zur Geiſtlichkeit.
Die leztere verneinet er, und ſchreibt der er-
ſtern alles zu. Mancher Regent aber beweiſet
gegen evangeliſche Prediger mehr Liebe, als
dieſer Prediger geſtehet, der nunmehr den ar-
men Pfarrern eine Klette anhaͤnget, wo er
kan. Ob der Verſammlungen weniger oder
mehr waͤre, ſo bringt doch mancher ſeine wah-
re und unſchuldige, oder ſeine falſche und ge-
faͤhrliche Auslegung der Weiſſagung auf ande-
re Wege vor, ohne daß diejenige, uͤber deren
Geduld ſich dieſer Prediger ſo hoͤchlich ver-
wundert,
ihn dazu zwingen duͤrften. Durch
die wahre Auslegung werden weder gute noch
boͤſe Regenten injuriirt. Denn laut derſel-
ben iſt es der HERR, der die Feinde weg-
rauͤmen wird, zu ſeiner Zeit. Die Glaubigen
duͤrfen Ihm weder ſeinen Arm noch Saͤbel,
wie die Predig im Eingang redet, zuͤcken helfen.


§ 211.

Wenn ihrer dreyſſig, heiſſt es ferner, mit
der Determination der Zeiten und Stunden
zu ſchanden wurden, ſo kam doch der ein
und dreyſſigſte, und brachte eine neue Er-
klaͤrung
der Offenbarung Johannis. Auf
welchen Schlag auch die Anmerkung uͤber 2
Petr. 3, 8. im Buͤdingiſchen N. T. 1746 ſagt:
Wenn ſich die Ausleger ſeit einemSeculoin
dergleichen Schranken
(wie die Apoſtel, die
ſich niemals einfallen laſſen, ein ausdruͤckliches
Datum zu benamen) gehalten haͤtten, ſo haͤt-
ten
[261]Von Philadelphia u. ſ. w.
ten ihrer nicht ſo viele ihre Reputation ſelbſt
uͤberlebt.
Hie wird abermal vieles inein-
ander gemenget. Von den Apoſteln haben
wir anderwerts gehandelt. Die Ausleger der
Offenbarung ſind von ihnen weit, und unter
ſich ſelbs nicht wenig unterſchieden. Spener
enthielte ſich aller Determination der Zeit auf
das vorſichtigſte: und der Prediger wird kaum
etliche
aufbringen, die ſeit dem Anfang dieſer
Reformation, die er angibt, oder ſeit einem
Seculo, es gewaget haͤtten, Termine zu be-
ſtimmen. Daß eine categoriſche Determina-
tion ſehr mißlich ſey, habe ich ſchon lang an vie-
len andern erfahren; aber auch hernach gezei-
get, daß Muthmaſſungen bey dem rechten
Forſchen der Weiſſagungen gar wohl ſtehen,
ja nicht leicht davon zu trennen ſeyn. Samuel
wuſſte, daß unter Iſaj Soͤhnen der kuͤnftige
Koͤnig ſich befand: ſonſt waͤre er mit ſeiner
Muthmaſſung nicht auf den anſehnlichen Eliab
gefallen, bis er naͤhern Bericht von dem
HERRN empfing, worauf denn David kam,
von dem es hieß: Der iſts. Machte den Samuel
ſeine Muthmaſſung zu einem falſchen Prophe-
ten, der ſeine Reputation uͤberlebte? So ge-
het es mit manchen prophetiſchen Zeugniſſen.
Sie beſtimmen etwas: dadurch werden auf-
merkſame Zuhoͤrer zum Nachdenken und zum
Forſchen nach naͤhern Umſtaͤnden veranlaſſet,
und ſehr heilſamlich geuͤbet, bis entweder ein
reicherer Aufſchluß oder gar die Erfuͤllung
kommt. So war es bey den Propheten ſelbs,
R 3und
[262]TheilI.Cap.III.Satz 33.
und ſie werden darum gelobet. 1 Petr. 1, 11.
Bisweilen ſetzet mir eine Reue ziemlich nahe zu,
daß ich unter der prophetiſchen Wahrheit und
ihrem ungezweifelten Beweiſe etwa eine meiner
Muthmaſſungen, auch mit allen erſinnlichen
und einem billigen Leſer faſt uͤberlaͤſtigen Limi-
tation
en offenherzig mitgetheilet und nicht fuͤr
mich behalten habe; nicht als ob mir dieſelbe
Methode jezt misfiele, ſondern weil ich auf ei-
ne nicht zu vermuthen geſtandene Weiſe erfah-
ren muͤſſen, wie man nicht ablaſſe, auch ei-
nem, der ſolche Gedanken nur in conditionir-
te Nebenfragen einkleidet, ein hauͤffiges cate-
goriſches Fehlſchlagen aufzubuͤrden. Ermeldte
Methode treibe ich fuͤr mich immer fort: und
daher koͤnnte ich die Eintheilung der Zeit und
Zeiten und Zeithaͤlfte,
Off. 12, 14. wovon ich
in Gnomone N. T. p. 1183 gehandelt habe,
noch vergnuͤglicher, als indeſſen geſchehen, er-
lauͤtern: aber hieher ſchickt ſichs nicht. Wer
nun diejenige, die auf das prophetiſche Wort,
auch der Zeiten halben, ohne Abbruch anderer
Obliegenheiten merken, und ihre Muth-
maſſungen gelegenheitlich mit aller moͤgli-
chen Beſcheidenheit vortragen, mit Schan-
de
bedecken, und ſie um ihre Reputation
bringen hilft, der ſchmaͤhet alle Glaubigen
des alten Teſtaments, ſo viel ihrer nachein-
ander auf den Meſſiam, zwar in wahrem
Glauben uͤberhaupt, aber bisweilen zu bald,
gewartet haben, und wird es nicht hindern,
daß jene Aufmerkſamkeit endlich ihr Lob von
Dem,
[263]Von Philadelphia u. ſ. w.
Dem, der da kommt, nicht erhalten ſolte. Hie
zeigt es ſich recht, was gute Herzen ſeyen oder
nicht: und gegen das fehlſchlagende Warten
auf eine ſichtbare Erſcheinung des Heilandes
im Saal moͤchten wohl fuͤnfzig und mehr an-
dere Muthmaſſungen hingehen.


§ 212.

Es ſteht einer Gemeine JEſu gar nicht
an, den Geiſt daͤmpfen und die Weiſſagun-
gen verachten.
Laͤſſet der Heiland dieſem
und jenem ſeiner Knechte
klar werden, was
Er dem Johanni geſagt hat,
(wozu Er
in ſeiner herrlichen Erhabenheit nicht erſt einer
beſondern Macht und Erlaubniß von ſeinem
Vater,
wie die Predig redet, nach der Oeco-
nomie
bedarf,) ſo kommt keinem Meiſter auf
Erden zu, den Lauff ſolcher Gabe eigenmaͤch-
tig einzuſchrenken. Es iſt nicht genug, daß
es der weiß,
der den Aufſchluß bekommen
hat: es iſt nicht genug, daß es einer dem
andern gelegentlich ſagt, und daß es eine
herzliche Unterredung wird, die ſo ge-
ſchwinde vergeſſen, als gefaſſt wird.
Der
HErr JEſus gehet weiter in ſeiner Mitthei-
lung und in ſeiner Forderung. Auf das Be-
halten
und Halten iſt eine Seligkeit geſetzet.
Off. 1, 3. 22, 7. 9. Man hat ſich nicht ein-
mal an den Misbrauch zu kehren, obſchon in
das jenige, was eigentlich den Knechten JEſu
Chriſti gezeiget wird, die Welt nebenher einen
Blick, der auch ihr heilſam ſeyn koͤñte, zu ihrem
R 4Schaden
[264]TheilI.Cap.III.Satz 33.
Schaden thaͤte. Du darfſt die propheti-
ſchen Sachen, die du aufſchreibeſt, eben
nicht geheim halten, es iſt ſo weit nicht
mehr hin. Wer ruchlos iſt, mags bleiben ꝛc.

Off. 22, 10. 11. ed. 2 Buͤding. Ja es iſt auch
das nicht genug, wenn man einen gewiſſen
Plan, den der Heiland einem zeigt, in der

idéebehaͤlt, damit man nicht dagegen an-
ſtoſſe
u. ſ. w. Die ganze Offenbarung iſt eine
Anzeige des Heilandes: ſie haͤngt zuſammen:
und ohne den Zuſammenhang hat man zu ſor-
gen, ein Plan werde dem Heiland faͤlſchlich
zugeſchrieben, und ſey πλανη, ein Irrweg.
Dafuͤr, daß man einen gewiſſen halbdun-
keln Begriff nicht wegwirft,
waͤre es beſſer,
wann man ſich vollends eines klaren Begriffes
beflieſſe: denn bey dieſem waͤre manch fruͤhzei-
tig- und vergebliches Trachten, zum Exempel,
in die Tuͤrkey und Perſien, unterblieben. Son-
derlich waͤre auch ein klarer Begriff noͤthig in
den Stuͤcken, worin man andere beſtraffet,
ja vielmehr bey der ganzen Seelen-Samm-
lung auf des Heilandes Zukunft, in deren
Ankuͤndigung die Summa ſeiner Offenbarung
beſtehet. Ein Queerſtrich iſt eben dieſe Pre-
dig, und der unbedungenen Arbeit um ſie
herum iſt eine Menge. Beedes die Flucht
vor unbedungener Arbeit, und die Treue in
dem, was uns wahrhaftig befohlen iſt, wird
durch das Behalten der Weiſſagungs-Worte
geſchaͤrfet. Was Einem Juͤnger zu erken-
nen verliehen wird, das kan er vielen andern
Juͤngern
[265]Von Philadelphia u. ſ. w.
Juͤngern, vielen Kindern GOttes mitthei-
len, daß ſie es ſich ohne muͤhſames Forſchen
weislich zu nutz machen. Die Erkenntniſſe blei-
ben doch immer ungleich in der Maaſſe: aber die
es einander gar ausreden, die hoͤren nicht, was
der Geiſt den Gemeinen ſagt. Es thut ſich
der Geiſt in einem jeglichen ſo hervor, wie
es Nutzen ſchafft,
ſagt Paulus, 1 Cor. 12, 7.
und wiederum: Alles das wuͤrket eben der-
ſelbe Geiſt, und theilts einem jeden ab, wie
er will. v.
11. Aber auch: Vor allen Dingen
ſeyd darauf aus, daß ihr
(wirklich) weiſſa-
get,
(nicht nur, daß ihr die Gabe des Weiſ-
ſagens bekommt,
wie in der Ueberſetzungs-
Probe ſtehet: denn ohne die Wirklichkeit waͤre
die Gabe fruchtlos.) Daher abzunehmen iſt,
ob in der Predig folgende ſcheinbare Worte
aus der Wahrheit ſeyen: Das theilt der Geiſt
aus gerade an die, denen am wenigſten
daran gelegen; gewiß an niemand, ders
begehrt, ſondern allemal an Leute, die da
ſagen: HErr! verſchone mich doch,
und ſage es wem du willſt.
Denn zu
den andern heiſſts: Du begehreſt dir
groſſe Dinge, begehrs nicht, ꝛc.
Jerem.

45, 5. Ich meines Theils habe es nicht be-
gehret, und auf dieſe Stunde naͤhme ich etwas
anders dafuͤr, wann die Wahl zu mir ſtuͤnde,
in was Stuͤcken ich gern mehr Erkenntniß
haͤtte. Wer prophetiſche Wahrheiten fuͤr et-
was groſſes haͤlt, wie ſie denn wichtig ſind,
R 5Joh.
[266]TheilI.Cap.III.Satz 33.
Joh. 16, 13. der hat von den neumaͤhriſchen
Bruͤdern wenig Beyfall: und wer ſie um der
Groͤſſe willen begehrt, dem werden ſie billig
verſagt. Hat aber der Gemeinſtiffter bey dem,
was Er thut, ſich auch ſo geſperret, wie Moſe
und Jeremia? Hat er geſagt, HErr verſchone
mich doch, und nimm wen du wilt?
Ha-
ben andere ihn, und nicht vielmehr, nach ſei-
ner eigenen Bekenntniß, er ſich ſelbs zu dem
verordnet, was er ſchaffet?


§ 213.

Nachdenklich iſt, was der Ordinarius in
der 30 Homilie uͤber die Wunden-Litaney
ſagt, Er koͤnne das tauſendjaͤhrige Reich
im gemeinen Vortrag nicht leiden.
Ein
einiges mahl habe ich meines Orts im gemei-
nen Vortrag
von den tauſend Jahren Off.
20, 2. 4. geredet, als bey denen Offenbarungs-
Reden die Ordnung des Textes mich darauf
fuͤhrete: und da gebe man nur Acht, ob eine
einige Sylbe nach dem irdiſchen rieche. Wer
aber auch den ſchriftlichen Vortrag nicht lei-
den wolte, der tadelte Johannem ſelbs, ja auch
Den, der zu ihm ſagte, Schreibe.


§ 214.

Das tauſendjaͤhrige Reich an ſich ſelbs er-
kennet der Ordinarius, und bey dem Reich
deutet er auf eine beſondere Zukunft des Hei-
landes. Dieſe Zukunft wird durch meine
Erklaͤrung, von der Regierung der Seligen
und Heiligen mit Chriſto, am kraͤftigſten wi-
derleget:
[267]Von Philadelphia u. ſ. w.
derleget: und da er in den tauſend Jahren nur
eine Fortſetzung und hoͤhere Stuffe deſſen an-
gibt, was durch ihn bereits angefangen wor-
den ſey, ſo zeigt die Folge der Weiſſagung,
daß ſolches keinen Grund habe. Denn jezt
iſt noch das dritte Weh: und der Jammer,
Off. 12 ‒‒ 19, iſt zwar auf der Neige, aber
das ſchaͤrfeſte davon iſt noch zuruͤcke. Wann
nun die Feinde, ohne Mitwirken der Glaubi-
gen, durch die Macht von oben vertilget ſeyn
werden, ſo gehet erſt das vollendete frohe
Geheimniß GOttes im Schwang.


§ 215.

Allezeit beym HErrn ſeyn, das iſt einem
ein Lohn:
und zwar iſt es aller Glaubigen
Lohn. Will Er aber ſeinen Martyrern und
Zeugen uͤber das einen Voraus geben: wer
kans Ihm wehren? wer ſoll es ausſchlagen?
Sind die jenige, denen Er einen Vorzug vor
andern und uͤber andere gibt, darum nicht
bey Ihm? Man erwege zum Exempel Matth.
19 den Unterſcheid zwiſchen v. 28 und 29. Daß
die Predig eine weltliche Regierung wider-
legt, und eine Fortſetzung des Reiches Chri-
ſti in der Verborgenheit
vertheidiget, iſt
uͤberfluͤſſig. Daß dieſes, und nicht jenes,
waͤhrender Gefangenſchaft des Satans er-
folge, erkennen die rechtgeſinnte Ausleger ſelbs:
und die wiedertaͤuferiſche Lehre, die in der
Augſpurgiſchen Confeſſion zum Irrthum
gemacht wird, daß einmal die Kinder

GOttes
[268]TheilI.Cap.III.Satz 33.
GOttes in der Welt regieren, und die
Gottloſen vertilgen ſollen, widerlegen die je-
nigen am beſten, welche die froͤliche Vollen-
dung des Geheimniſſes GOttes richtig ausle-
gen. Sie bleiben der Creuzreichsſache von
Herzen zugethan, und laſſen der Welt ihr
Reich. In denen Gerichten, welche Off. 11,
13. c. 14, 19. c. 15, 4. c. 16, 2 ‒‒ 21. c. 18, 8.
c. 19, 21. c. 20, 9. ꝛc. beſchrieben ſind, werden
ja viele Gottloſen, obſchon nicht alle, vertil-
get. Das kan nicht ohne Eclat geſchehen:
und wann es von denen jezt angezogenen Tex-
ten in das 20 Capitel gehet, ſo wird es gar et-
was anders ſeyn, als das Gegenwaͤrtige, das
bey der Bruͤder-Gemeine ſo hoch geſchaͤzet wird.
Aber der Glaube wird darum nicht aus ſeyn.
Denn die erſte Auferſtehung und das Regieren
ihrer Mitgenoſſen gehoͤret in jene Welt, und
wird alſo auf Erden nicht geſehen. Gog und
Magog
koͤnnen dereinſt in groſſer Menge auf-
ziehen: und die Heiligen, deren Lager dieſe Feinde
umringen werden, die Inwohner der gelieb-
ten Stadt, werden einmal zuruͤcke ſehen, ob
ſie ganz, ob ſie zum theil, von der neumaͤhri-
ſchen
Pflanze entſproſſen ſeyn oder nicht? Die
geſamte Gemeine Chriſti iſt wie ein Strom,
da die Waſſer oft zuſammenlauffen, oft zerthei-
let werden, ſo mannigfaͤltig, daß nur im
Ganzen, und bey keinem einigen beſondern Arm,
das Continuum heraus kommt. Es geht
noch gut, wann dieſer Arm ſich von dem
Strom ſelbs abſorbiren laͤſſet.


§ 216.
[269]Von Philadelphia u. ſ. w.
§ 216.

Nun, liebe Geſchwiſter! (ſo faͤhret die
Predig fort) wir ſehen aus dem ganzen
Umſtande und aus dem ganzen Zuſammen-
hange, daß das Sachen ſeyn, die, wenn
ſie aufs allerſchoͤnſte gehen, (wie ſie denn
geſchehen werden) ſo haben ſie gar nicht
die geringſte
active connexionmit unſerer ge-
genwaͤrtigen Fuͤhrung, am allerwenigſten
aber mit der Bekehrung der Seelen. Hier
iſt Geduld und Glaube der Heiligen.

Es kan mit allen Herrlichkeiten bey uns
nichts bewieſen werden, man kan damit
nicht, wie man zu ſagen pflegt, einen Hund
aus dem Ofen hervorlokken,
(Welch eine Re-
de!) geſchweige eine Seele bekehren: denn
zu dergleichen Sachen, zu dergleichen Wahr-
heiten gehoͤrt ein Glaube, der noch zweymal
ſo ſtark iſt, als der Glaube ans Blut JEſu
und an die Wunden-Herrlichkeit. Und es
waͤre eine groſſe Thorheit, wenn wir von
dem Glauben wolten anfangen: die Leute
glauͤbten noch keinen Heiland, der fuͤr ſie ge-
ſtorben waͤre; und wir glauͤbten, wir koͤn-
ten ſie bekehren, mit der Hoffnung von ſeinem
Reich.
Und hernach heiſſet es p. 25: Der Hei-
land ſagt nicht, Ihr werdet den Leuten die
heilige Dreyeinigkeit klar machen, ihr wer-
det den Leuten erklaͤren koͤnnen, wie das und
das Capitel in der Offenbarung Johannis
oder im propheten Daniel u. ſ. w. zu verſte-
hen ſeyn wird.
Aus dem ganzen Umſtand und
Zu-
[270]TheilI.Cap.III.Satz 33.
Zuſam̃enhang der Weiſſagung iſt zu erſehen, daß dieſe
Sachen denen ſehr auſtaͤndig ſeyn, die ſich in die gegen-
waͤrtige Fuͤhrung recht ſchicken, Seelen bekehren, Ge-
duld und Glauben der Heiligen beweiſen ſollen. Die
hier ſo genannte Thorheit wird theils von niemand
begangen werden, und theils verdient ſie dieſen Namen
nicht. Das Reich GOttes, die Buſſe und der Glaube
reimen ſich, auch anfaͤnglich, wohl zuſammen. Marc. 1,
15. Luc. 23, 42. Gal. 5, 21. Wuͤrkliche Chriſten koͤnnen
vieles fuͤr ſich und untereinander zu ihrer Uebung und
Staͤrkung betrachten, das ſie nicht zu allen Zeiten allen
andern Menſchen zu ihrer Bekehrung vorzutragen noͤ-
thig haben. Des Ordinatii Reden liegen am Tage: da
nehmen die gegenwaͤrtige vorgegebene Vorzuͤge und
Herrlichkeiten der Gemeine, naͤchſt dem Leidens-Pun-
cten, den meiſten Platz ein, ſo daß fuͤr die heilige Drey-
einigkeit,
fuͤr Daniel und Johannem, ſamt andern
Propheten und Apoſteln, faſt nichts uͤbrig bleibet; eben
wie die Lehre von GOtt, von derTheopnevſtiedes
Alten Teſtaments, von dem Bund GOttes mit
Abraham, wenn ſichs mit der Erkenntniß von der
Perſon und Amt JEſu Chriſti, in Bezug auf ſein
Blut und Gerechtigkeit
compariren will, wie ſage
ich, das alles der Apoſtel σκύβαλω (Koth) nennen
ſoll, aber etlichen Gemeinſachen in Pennſylvanien
eine erſtaunliche Importanz zugeſchrieben wird.
Not. ad Phil. 3, 7. Buͤd. Samml. 2 Band, p.
807. Und die kuͤnftigen Herrlichkeiten werden in
der ſchrecklich-uͤbermachten Gemein-Rede am 26 Sonn-
tage nach Trin. 1744. zwiſchen den Bruͤdern, die den
Koͤnig begleiten und mit Ihm richten ſollen, und andern,
die der Bruͤder, wegen ihrer Affection gegen dieſelbe,
noch am juͤngſten Tage zu genieſſen haben, und deswegen
zur Rechten geſtellet werden ſollen, hoͤchſt ungleich, par-
theyiſch und vermeſſen getheilet. Ich muß es bekennen,
daß dieſelbe unſelige Rede, uͤber Matth. 25, 33. 40.
mich ſonderlich betruͤbet hat. Sie iſt unter den 32. die
vierte. Weiter: Die Leute, die man zu bekehren ſuchet,
ſind ſehr unterſchieden: und anders redet man mit ſol-
chen, die noch nie nichts vom Evangelio Chriſti gehoͤret
haben; anders mit ſolchen, bey denen vieles, als be-
kannt,
[271]Von Philadelphia u. ſ. w.
kannt, voraus geſetzet werden kan. Ein jeder Vortrag
hat ſeine rechtmaͤſſige Ordnung. Doch geben nicht nur
bey Leuten von der andern, ſondern auch bey denen von
der erſten Gattung, die lezten Dinge, die kuͤnftige manch-
faltige Vergeltungẽ des Guten und des Boͤſen, das iſt, die
Herrlichkeiten und die Straffen in dieſer und aller-
meiſt in jener Welt, allen, auch den erſten Ermahnun-
gen zur Bekehrung, ein Gewichte. Man erwege, Off.
Cap. 2 und 3, das 1, 3, 4, 5 und 7 Sendſchreiben, nach ſei-
nem erſtern Theil, ja ein jedes von den 7 Sendſchreiben,
nach ſeinen beeden Theilen, und uͤberhaupt alle Drohun-
gen und Verheiſſungen im A. und N. T. wie auch die
Bußpredigten Petri und Pauli, und die Erzehlung Pauli
von ſeiner eigenen Bekehrung. Apg. 3, 13. 19. 26. c. 13,
32. c. 17, 30. 31. c. 26, 13.


§ 217.

Der zehnde Diſcours uͤber die augſpurgiſche Con-
feſſion ſtreitet theils ſehr vernuͤnftig wider diejenige, bey
denen es rappelt, indem ſie die Offenbarung JEſu Chri-
ſti, und inſonderheit das zwanzigſte Capitel irrig oder oh-
ne Diſcretion behandeln, wie zwar eben in dieſem Diſ-
cours geſchicht, da die Dinge ſehr durcheinander gewor-
fen werden: theils mit Herzens-Duͤnkel wider den Mund
des Jenigen, deſſen Zeugniß in der Offenbarung enthalten
iſt, und zugleich nicht ohne Ungebuͤhr gegen diejenige, die
uͤber dieſes theure Zeugniß, welches auch fuͤr die Kleinen
und Armen und Sclaven gehoͤret, nicht wie uͤber Lei-
men weggehen,
ſondern daſſelbe ſo werth halten, und ſo
heilſamlich zu Gedult und Troſt, ohne Faulheit, anwen-
den, als die andere Zeugniſſe des HErrn.


§ 218.

Hat jemand bey dieſem Satz von etlichen Dingen eine
andere Meinung, ſo wird er hier doch Anlaß haben, die
neumaͤhriſche Sache nach ſeinem eigenen Begriffe zu er-
wegen, und dabey warnehmen, daß ich gegen den Ordi-
narium ex conceſſis,
nach dem, was er ſelbs von den tau-
ſend Jahren haͤlt, ſchreibe; und daß, auch ohne denſelben
Satz, alle uͤbrige Saͤtze dieſes III Hauptſtuͤcks, und dieſe
ganze Pruͤfung, ihre Guͤltigkeit behalten; wiewohl alle
diejenige, die nur den Zuſammenhang des 19 und 20 Ca-
pitels in der Offenbarung erkennen, (welches ſich bey vie-
len unverdaͤchtigen Lehrern findet, Erkl. Off. p. 1120.
ed. 2.
[272]TheilI.Cap.III.Satz 33.
ed. 2. und auch durch die alten Abtheilungen des Textes,
da der Untergang des Thiers und die Gefangenſchaft des
Satans ein einiges Capitel ausmachen, beſtaͤtiget wird:)
ſolchem Satz faſt ohne Ausnahme Beyfall geben werden.


Der 34 Satz.
Die neumaͤhriſche Einbildung eines eige-
nen Kirchen
-Perioditauget nicht.

§ 219.

Aus alle dem, was wir in dieſem III Hauptſtuͤck er-
oͤrtert haben, erhellet, daß es keinen beſondern
philadelphiſchen Kirchen-Periodum gebe, der zu dieſer
unſerer Zeit angefangen haͤtte, und ſich bis an die Zukunft
des Heilandes, am juͤngſten Tage oder vorher, erſtreckte.
Wer die Bewandtniß der gegenwaͤrtigen Zeit erwiegt,
der kan, wann er auch ſonſt nichts gegen den Ordinarium
einzuwenden haͤtte, dennoch mit Gewißheit erſehen, daß
er dieſe groſſe Sache zur Unzeit unternommen habe.


§ 220.

Wann die Meinung von ſo groſſen Vorzuͤgen der neu-
maͤhriſchen Gemeine, und vornemlich das Warten auf ei-
ne beſondere und nah-bevorſtehende Zukunft des Heilan-
des abgelegt wuͤrde, ſo moͤchte bey der Seelen-Sam̃lung,
inſonderheit ſo fern ſie eine Sam̃lung auf ſolche Zukunft
ſeyn ſoll, ſehr viel eiliges und triebiges, weil man jedes-
mals nach der Abſicht die Mittel einrichtet, im Lehren und
Wuͤrken gemaͤſſiget werden. Dem ſey wie es wolle, hof-
fentlich werden alle unpartheyiſche Gemuͤther, ſie moͤgen
es mit dem reinen Chiliaſmo halten, oder das Ende der
Welt naͤher ſetzen, erkennen, daß der Ordinarius ſeine Ve-
ſte
(vergl. § 175.) das iſt, ſeinen beſondern Kirchen-Perio-
dum,
wovon er ohne Beweis ſo vieles bisher geſagt und
geſungen, keines Weges behaupten koͤnne, und daß alſo
die Spruͤche in der Offenbarung Johannis nicht
gegen ſeine Gemeine, wie in den Zeyſter Reden p. 245
geklaget wird, ſondern bey derſelben verdrehet werden.
Die Offenbarung JEſu Chriſti wird mit ihrem ganzen
Inhalt in ihrem richtigen Verſtand und Gebrauch fort-
waͤhren, wann des neumaͤhriſchen Philadelphia nicht
mehr gedacht werden wird.


ENDE des erſten Theils.


[[273]][[274]][[275]][[276]]
Notes
a
a. Der Hr. Verfaſſer der Declaration haͤlt
die Hauptſache des Ordinarii fuͤr gut, und
deswegen ſuchet er alles beſtmoͤglichſt zum beſten
zu kehren, welches ihm auch wegen ſeiner lang-
wierigen Abweſenheit aus Teutſchland, da er
den Verfall nicht geſehen, deſto weniger zu ver-
argen iſt. Wahrhaftig aber iſt bey dem Or-
dinario
ſelbs und bey der ganzen nach ihm ge-
bildeten Gemeine ein unerhoͤrtes Gemenge des
Guten und des Boͤſen, bey deſſen genauer
Scheidung jemand auſſer der Gefahr bleiben
kan, auch nur ein boͤſes Kiſelein gut, und
ein gutes Broͤſamlein boͤſe zu heiſſen.
b
b. Deſto leichter waͤre auf die weſentlichſten
Einwuͤrfe eine gruͤndliche Antwort, wann man
dergleichen zu geben vermoͤchte. Was der Leh-
re halben eingewendet wird, deſſen iſt viel:
aber es waͤre doch kein Meer, das man, wie
der Ordinarius oͤfter ſagt, auszutrinken haͤt-
te, ſondern nur mancher Eimer voll.
c
c. Das pure Stilleſchweigen iſt an ſich ſelbs
kein Zeichen eines Unvermoͤgens zu antworten:
aber man hat bisher ſo manche Antwort gege-ben,
d
d. Nicht zanken ſoll man, ſondern ſich zu-
rechte weiſen laſſen, und GOtte die Ehre durch
den Widerruff des Irrthums geben, ob die
Wahrheit einem auch auf eine ſtrenge Art an-
getragen wuͤrde.
e
e. Es iſt zu bedauren, daß die Declaration
unter dem ſonſt ſanfte flieſſenden Stilo biswei-
len ſo heftig redet. Wo kommt das her?
c
ben, und doch die wichtigſten Schriften und
Einwuͤrfe theils gar nicht, theils ſehr unzulaͤng-
lich beantwortet, und die Sache ſelbſt, ſon-
derlich in der nicht gar gewiſſenhaften Gewiſ-
ſens-Ruͤge,
durch ſolche Fragen und Ant-
worten, die nicht zum Streit gehoͤren, den
Leuten aus dem Sinn geruͤcket. Von ſolchen
Manieren, bevorab wo man aller Anforde-
rungen ungeachtet darauf beharret, iſt der
Schluß auf eine verlorne Sache nicht unbil-
lig.f. Ge-
f
f. Gedenkt man einerley von der Schrift,
von der Gottheit, von der Heils-Ordnung?
Warum hat denn der Ordinarius ſo groſſen
Mangel an der allgemeinen Chriſten-Lehre und
ihrem bisherigen Vortrag? Und wann ein
Krieg um Worte mit unterlaufft, ſo faͤllet die
Schuld auf diejenigen, die nicht allein neue
Worte auf die Bahn bringen, oder alte Wor-
te in einem neuen Verſtande fuͤhren, ſondern
ſich auch derſelben ruͤhmen, und ſich damit kuͤ-
zeln, daß man ihren Sinn nicht faſſe.
g
g. Dieſes haͤtte der Ordinarius bey dem An-
fang der Streitigkeit, er mag ihn ſetzen, wie
fruͤh oder wie ſpaͤt er will, ausmachen ſollen,
und mit wenig Worten, da er ſonſten ſo vieles
ſchreibt und ſchreiben laͤfſt, ausmachen koͤn-
nen. Warum thut er es aber noch nicht?
warum laͤſſet er die Welt ſo lange warten?
Wird die dogmatiſche Erklaͤrung des Ordinarii,
wozu die Declaration p. 87 Hoffnung machet,
anders ausfallen, als die practiſche bißher? Es
wird ſich wenigſtens jederzeit finden, daß tuͤch-
tige Gegner bisher den Statum controverſiæ,
oder die Frage, worauf es eigentlich ankom̃t,
(ſie beſtehe worinn ſie wolle, und werde gefaſſet,
wie man wolle,) ſattſam getroffen haben.
b. War-
h
h. Warum nicht recht? man haͤlt ſich an die
Worte, die den Sinn deutlich und oft aus-
druͤcken.
i
i. Wer hinterts?
k
k. Das waͤre unverantwortlich.
l
l. Hie waͤre ein Par tuͤchtiger Exempel wohl
geſtanden. Untuͤchtige Exempel haben wir
§ 67, 72. geſehen.
m
m. Hie ſolte die Declaration anzeigen, fuͤr
welche Schriften die Bruͤder ſtehen koͤnnen und
wollen oder nicht. Sonſt kommt ihnen nichts
davon zu ſtatten. Eben diß iſt nicht recht, daß
man ſo vielerley ungewiſſen Zeuges durchein-
ander wirft und in die Welt ausſtreuet. Was
die Unvorſichtigen faͤngt, iſt wohl angelegt:wo
n
n. Was fuͤr ein Ruhm kan groͤſſer ſeyn, als
den der Gemeine ſie ſelbs und ihr Ordinarius
in den Reden, Liedern und Cantaten beylegen?
Man wird auch ſchwerlich zeigen koͤnnen, daß
ſie gegen alle die Lobſpruͤche, die ihr ſonſt
von ihren Gliedern und Freunden gegeben
werden, etwas eingewendet haͤtte.
o
o. Man wird von keinem der ſchaͤrfſten
Gegner ſagen koͤnnen, daß er nichts als arges
bey ihnen finde.
p
p. Dadurch wird der Sache gerathen, daß
man das Gemenge des Guten und des Boͤſen
erkenne. Wer ihm ſelbs Gewalt anthut, ſo
vieles Boͤſe zu verringern oder gar zu rechtfer-
tigen, der wird deſſen theilhaftig, und machet
GOtt zum Luͤgner.
q
q.Wir: der Ordinarius, der Hr. Ver-
faſſer der Declaration, ich, und alle Menſchen.
Dieſer
m
wo man aber die Bruͤder heben will, das geht
ſie nicht an.
r
r. Auch hier ſolte die Declaration anzeigen,
welches die Apologeten ſeyen, derer ſo genann-
ten Eifer die ganze Bruͤder-Unitaͤt auf ihre
Rechnung geſchrieben wiſſen wolle, oder nicht.
Auf beeden Seiten gibt es theils ernſthafte,
theils ſatyriſche und muthwillige Schriftſtel-
ler. Bey dieſen leztern muß man beederſeits
die Art des Vortrags uͤberſehen, und dennoch
die vorgetragene Wahrheit nicht wegwerfen.
s
s. Nicht nur Eifer aͤuſſert ſich, ſondern
Rachgier, Haß, Laͤſterung, Verdrehung,
Sophiſterey, Unwahrheit, ſo gar, daß man
gern den Scepticiſmum in ein Syſtema braͤch-
te, und alles Zeugniß der menſchlichen Sinnen
und Reden in Zweifel zoͤge, wann man die
ſo genannte Bruͤder ſonſt nicht zu retten weiß.
Sind ſolche Apologeten keine Arbeiter bey der
Gemeine? ſind ſie nicht auf- oder wenigſtens
angenommen? hat man ſie bey ſolchen Flei-
ſches-Werken aus der Gemeine hinaus gethan
oder beſtraffet? Je reiner dieſe Gemeine ſeyn
will, und je genauer die Gemeinſchaft bey der-
q
Dieſer Ausſpruch iſt gruͤndlich: aber hier wird
nichts dadurch entſchieden.
ſelben
t
t. Wo iſt denn die Lindigkeit, in deren An-
ſehung man nichts ſo hartes von ihnen zu er-
warten haͤtte?
v
v. Wie kan die Declaration dieſes fuͤr gewiß
ſagen? Es iſt doch bekannt, wie emſig die
Bruͤder ſich ſolcher Apologien annehmen.
x
x.Gemeiniglich: und alſo doch nicht alle-
mal. Werden aber die Buͤcher, deren Leſung
nicht uͤbel angewendet waͤre, wuͤrklich geleſen?
werden ſie auch abgefertiget? Von den gefaͤhr-
lichen Irrthuͤmern, die man bey der Gemeine
heget, koͤnten ſie durch die Widerlegungen be-
freyet werden: und ob etliche Widerlegungen
noch ſo ſcharf waͤren, ſo ſolten doch die ſo ge-
nannten Bruͤder, wann eine wahre Einfalt
und geiſtliche Armuth bey ihnen iſt, die Wahr-
heit
*
Tom. III. Altenburg. p. 468. ſeq.
*
Davon die Differenz nicht in der Natur des Hof-
Lebens, ſondern in der forma regiminis zu ſuchen.

Dieses Werk ist gemeinfrei.


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Kolimo+

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TextGrid Repository (2025). Collection 3. Abriß der so genannten Brüdergemeine, in welchem die Lehre und die ganze Sache geprüfet, das Gute und Böse dabey unterschieden, und insonderheit die Spangenbergische Declaration erläutert wird. Abriß der so genannten Brüdergemeine, in welchem die Lehre und die ganze Sache geprüfet, das Gute und Böse dabey unterschieden, und insonderheit die Spangenbergische Declaration erläutert wird. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). Kolimo+. https://hdl.handle.net/21.11113/4bq2b.0