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Ueber
Mahlerei und Bildhauerarbeit
in Rom
fuͤr Liebhaber des Schoͤnen in der Kunſt


Erſter Theil.

Leipzig,:
bei Weidmanns Erben und Reich.1787.

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An Seine Majeſtaͤt
den Koͤnig von Grosbritannien,
Meinem allergnaͤdigſten Herrn!


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Allergnaͤdigſter Herr,
Zu den Fuͤßen Ewr. Koͤniglichen Maje-
ſtaͤt
lege ich dieſen Verſuch zur Befoͤrde-
rung des Geſchmacks an edleren Vergnuͤgungen
mit einer ehrfurchtsvollen Zuverſicht. Dero
allerhoͤchſten
Huld und aufgeklaͤrtem Schutze
verdanken Ihre Unterthanen jeden Genuß der
Ruhe und des Wohlſtandes; die Kuͤnſte ihr
ſchoͤnſtes Leben; und ich die allergnaͤdigſte Er-
laubniß, die mir vor ein Paar Jahren wurde,
mitten unter den Schaͤtzen des alten und neuen



[]

Roms, die gluͤcklichſten Erinnerungen fuͤr die
Zukunft einzuſammeln.
Dankbarkeit und tiefe Ehrfurcht ſcheinen mir
ein Opfer zur Pflicht zu machen: Das einzige
was ich darbringen kann, wird durch die fromme
Abſicht des Gebers einigen Werth gewinnen.
So hoffe ich, und bin in tiefſter Devotion
Ewr, Koͤniglichen Majeſtaͤt
allerunterthaͤnigſter
von Ramdohr.


Inhalt.
[]

Inhalt.


  • Einleitung.S. 1 bis S. 6
  • Beſtimmung der Abſicht dieſes Werks. Erklaͤ-
    rung des Worts Liebhaber des Schoͤnen in der
    Kunſt. Ueber die Lehrart, die fuͤr den Liebhaber
    die paſſendſte iſt. Rechtfertigung des Verfaſſers,
    daß er dieſes Buch zu ſchreiben wagte. Seine
    Erwartungen: Die Art wie er ſchreiben zu koͤnnen
    wuͤnſchet.
  • Allgemeine Anmerkung uͤber die Sammlungen
    von ſchoͤnen Kunſtwerken der Mahlerei und
    Bildhauerarbeit in den Pallaͤſten und Kirchen
    von Rom. S. 7
    Man muß die Sammlungen in Pallaͤſten zu-
    erſt ſehen.
  • Pallaſt Farneſe.S. 8 bis S. 37
    Unter den Pallaͤſten muß man den groͤßeren
    Farneſiſchen zuerſt ſehen. Der Farneſiſche Hercules.
    Charakter des Hercules uͤberhaupt. Die Farneſi-
    ſche Flora. Willkuͤhrliche Beſtimmung der Nah-
    men weiblicher bekleideter Figuren uͤberhaupt. Gal-
    lerie der Carracci. Stil der Carracci, vorzuͤglich
    des Annibale. Noͤthige Erklaͤrung des Worts:
    Erfindung in der Mahlerei, um darnach das Ver-
    dienſt des Annibale in Anſehung dieſes Theils der
    Kunſt zu beurtheilen. Was mahleriſche, was
    dichteriſche Erfindung in der Kunſtſprache ſey.
    Stil des Ludovico Carraccio und des Agoſtino
    Carraccio. Grund warum der Autor auch in der
    Folge den Stil der vorzuͤglichſten Kuͤnſtler bei ſchick-
    licher Gelegenheit aus einander ſetzen wird. Be-
    urtheilung der Gemaͤhlde in dieſer Gallerie. Sta-
    tuen. Charakter des Mercurs. Caracalla.
    Farneſiſche Vaſe. Stil der Nachahmer Raphaels,
    des Michael Angelo und Tizians. Der Farneſiſche
    Stier. Sehr gehaͤufte Figuren ſind einem jeden
    Werke der Kunſt ſchaͤdlich. Gar zu beſorgte Ne-
    benwerke ſchaden dem Eindruck des Ganzen und
    vorzuͤglich der Hauptfiguren. Der Bildhauer-
    kunſt iſt die Ueberladung eines Werks mit uͤber-
    fluͤßigen Figuren viel nachtheiliger als der Mahlerei.
    Ueberhaupt ſind weitlaͤuftige Compoſitionen dem
    Bildhauer nicht anzurathen: Ueber der mahleri-
    ſchen Gruppirung geht die Schoͤnheit einzelner Fi-
    guren verlohren: Vielleicht iſt er nicht einmahl im
    Stande die Wuͤrkung einer mahleriſchen Gruppe
    vollſtaͤndig zu erreichen.
  • Der Vaticaniſche Pallaſt.S. 38 bis S. 199
    Grund warum dieſer Pallaſt in Ruͤckſicht auf
    den Zweck dieſes Buchs, in der Ordnung der
    zweite iſt.
  • Muſeum Clementinum.
    Eine Anmerkung uͤber den vortheilhafteſten Ort
    zur Aufſtellung der Statuen. Beſtimmung des
    ſogenannten Etruſciſchen Stils, ſowohl des ur-
    ſpruͤnglichen als des nachgeahmten. Der Liebha-
    ber vermengt den Begriff des Etruſciſchen und des
    Altgriechiſchen Stils aus guten Gruͤnden. Cha-
    rakter der Flußgoͤtter. Gruͤnde, warum ſich der
    Autor berechtiget haͤlt ein vollſtaͤndiges Verzeichniß
    der Kunſtwerke, die in dieſer Sammlung befind-
    lich ſind, in den Noten, am Ende der Beſchrei-
    bung eines jeden Zimmers zu liefern, ob es gleich
    ſonſt nicht ſeine Abſicht iſt, Nomenclaturen zu
    geben; (in der Note.) Allgemeine Anmerkung
    uͤber den Werth antiker Basreliefs. Ueber den
    aͤchten Aegyptiſchen Stil: Die Kennzeichen deſſel-
    ben werden angefuͤhrt, um den Autor zu rechtfer-
    tigen, wenn er die Werke, die ihn an ſich tragen,
    der Aufmerkſamkeit des Liebhabers unwerth haͤlt.
    Charakter des Bacchus. Hof mit einem Porticus,
    ſonſt auch Hof des Belvedere genannt. Nachtheil
    der Aufſtellung der Statuen an dieſem Orte fuͤr die
    Wahrnehmung ihrer Schoͤnheit im Einzelnen;
    Vortheil derſelben fuͤr den Eindruck ſo vieler ver-
    einigten Schoͤnheiten im Ganzen. Apollo im Bel-
    vedere. Wahrſcheinlicher Charakter des Apollo
    als Phoͤbus, verſchieden von demjenigen, worin
    5er
    []Inhalt.
    er als Beſchuͤtzer der Wiſſenſchaften und Kuͤnſte
    vorgeſtellet wird. Antinous. Noͤthige Erinne-
    rung uͤber voreilige Beſtimmung moderner Zuſaͤtze
    zu antiken Statuen. Laocoon. Beſcheidene Zweifel
    uͤber die Wahl des Suͤjets, als Vorwurf der Bild-
    hauerkunſt; Die Bewegung des Koͤrpers ſcheint
    fuͤr den Marmor zu heftig; der ſchwerfaͤllige Stoff
    macht ſie unwahrſcheinlich, und die Anſtrengung
    der Muſkeln ſchadet der Harmonie der ſchoͤnen For-
    men: Hauptvorzug der Bildhauerkunſt! Das
    Verdienſt einer ſchoͤnen Gruppirung wird dieſem
    Werke gleichfalls bezweifelt; Gruppiren, in der
    Mahlerſprache ſetzt unter andern auch eine Maſſe
    von angenehmer Form zum Voraus, und dieſe
    fehlt; was der Form des Ganzen abgeht, ge-
    winnt der Eindruck der Hauptfigur. Torſo di
    Belvedere. In welcher Ruͤckſicht Wecke aus der
    ſpaͤteren Zeit, bei deutlichen Spuhren des Verfalls
    der Kunſt, dennoch intereſſant bleiben koͤnnen.
    Charakter eines Meleagers. Ueber den Begriff
    von Ehrwuͤrdigkeit, den die Alten mit den Locken
    verbunden zu haben ſcheinen, die ſich an der Wur-
    zel in die Hoͤhe heben, und deren Spitzen herab-
    ſinken. Beſondere Vorſtellungsart einer Diana
    von Epheſus. Sammlung von Thieren. Apollo
    und die Muſen. Herrlicher Kopf der tragiſchen
    Muſe. Charakter des Apollo Muſagetes. Vor-
    laͤufige Bemerkung uͤber Buͤſten mit angeblich an-
    tiken Nahmen. Ganymedes und deſſen Charakter.
    Genius. Unzuverlaͤßige Benennung der Nym-
    phen: Was man fuͤr einen Begriff mit derſelben
    verbindet. Charakter einer Amazone. Herrliche
    Buͤſte
    []Inhalt.
    Buͤſte des Ajax. Sogenannte Gruppe des Cato,
    und der Porcia. Bedeutung der Goͤttin Nemeſis.
    Jupiter und deſſen Charakter. Cleopatra. Zwei
    weibliche Termen mit coloſſaliſchen Koͤpfen, bekannt
    unter dem Nahmen der Comoͤdie, und Tragoͤdie.
    Jupiter Serapis, deſſen Charakter und Bedeu-
    tung. Juno und deren Charakter.
  • Theil des Vaticaniſchen Pallaſts, in
    dem ſich die Mahlereien befinden.
    Mahlereien Raphaels. Stil dieſes Kuͤnſtlers.
    Naͤhere Beſtimmung des Worts: Ausdruck in der
    Mahlerei, in ſo fern man dadurch das Haupt-
    verdienſt unſers Kuͤnſtlers bezeichnet. Von den
    Beiwoͤrtern ſchoͤn, richtig, beſtimmt, fein ꝛc.
    in der Zeichnung, und welches derſelben von Ra-
    phaels Zeichnung gelten koͤnne. Mit welcher Vor-
    ſicht Raphael Bildniſſe lebender Perſonen in ſeinen
    hiſtoriſchen Gemaͤhlden anbrachte, und wie er die
    Antiken nutzte. Beſtimmtheit und Richtigkeit
    der Zeichnung. Raphaels Gewaͤnder. Was zu
    einem gut geworfenen Gewande, und zu einem
    wohlgeordneten Faltenſchlage erfordert wird. Zier-
    lichkeit der Zeichnung. Raphaels Colorit. Be-
    leuchtung, Helldunkles in dieſes Meiſters Gemaͤhl-
    den. Beilaͤufige Erklaͤrung des Worts: acci-
    dens de lumiere.

    Raphaels Loggie. Ueber Arabeſken. Raphaels
    Bibel. Plafonds ſcheinen kein ſchicklicher Ort zu
    ſeyn, um daran intereſſante Gemaͤhlde anzubrin-
    gen: Soll man die Figuren in horizontaler oder
    verticaler
    []Inhalt.
    verticaler Richtung in einem Plafond-Gemaͤhlde
    ſtellen? Der Autor entſcheidet fuͤr die verticale.
    Raphaels Stanze. Schlacht Conſtantins. Ueber
    den Ausdruck in Gemaͤhlden welche einzelne Figu-
    ren vorſtellen, beſonders allegoriſche. Heliodor.
    Attila. Die Meſſe zu Bolſena. Der heil. Petrus
    im Gefaͤngniſſe. Der Streit uͤber das Sacra-
    ment des heil. Abendmahls. Die Schule von
    Athen. Incendio del Borgo. Sixtiniſche Capelle.
    Michael Angelo Buonarotti. Deſſen juͤngſtes Ge-
    richt, und Gemaͤhlde am Plafond. Camera de’
    Papiri. Anton Raphael Mengs. Unterſchied zwi-
    ſchen Genie und Talent in dem bildenden Kuͤnſtler
    in Ruͤckſicht auf Erfindſamkeit, Einbildungskraft,
    Empfindung und Geſchmack. Plafond des Mengs.
    Vorlaͤufige Beſtimmung der Eigenſchaften einer
    guten allegoriſchen Zuſammenſetzung fuͤr die ſchoͤne
    Kunſt. Fortſchritt zur Beurtheilung des mittel-
    ſten Gemaͤhldes am Plafond. Herrliche Genii und
    Kinder des Mengs. Saal des Conſiſtoriums,
    Plafond von Guido Reni.
  • Das Capitol.S. 200 bis S. 267
    Ritterſtatue Marc Aurels.
  • Muſeum Capitolinum.
    Marforio. Charakter eines Pan. Charakter
    der Diana. Kriegerſtatuen: Schwierigkeit, die
    unbekleideten von Heldenſtatuen zu unterſcheiden.
    Zimmer mit Aegyptiſchen Kunſtwerken. Griechi-
    ſche Bearbeitung Aegyptiſcher Ideen: entweder mit
    Beibehaltung der Aegyptiſchen Vorſtellungsart,
    oder mit Erfindung einer neuen, der Schoͤnheit
    mehr
    []Inhalt.
    mehr angemeſſenen. Capitoliniſche Vaſe, mit der
    Ara als Fußgeſtell. Capitoliniſcher Antinous.
    Schoͤnes Kind. Jupiter placidus, terminalis,
    ſonſt auch Plato genannt. Ueber Hermen und
    Termen uͤberhaupt. Die Bildhauerkunſt folgt in
    der Wahl der Gewaͤnder andern Grundſaͤtzen als
    die Mahlerei. Der Ludoviſiſche Fechter. Warum
    der Autor es nur ſelten wagt, die Epoche anzuge-
    ben, in der ein altes Kunſtwerk verfertiget iſt.
    Warnung vor dem Vorurtheil, daß der beigeſetzte
    Nahme des Kuͤnſtlers ein Beweis der Vortrefflich-
    keit des Werks ſey. Eine gewagte Erklaͤrung der
    ſogenannten Ptolomaͤer, als Ringerſtatuen, und
    Muthmaaßung uͤber ihr Wiedererkennungszeichen;
    (in der Note.) Griechiſche Iſis. Charakter der
    Faunen. Juno aus dem Pallaſt Ceſi. Bedeu-
    tung des Harpocrates, fruͤhere und ſpaͤtere Bil-
    dung deſſelben. Ueber Statuen die man fuͤr Ue-
    berbleibſel ehemaliger Gruppen der Familie der
    Niobe haͤlt. Zeno. Wie Buͤſten, als Bildniſſe
    beſtimmter Perſonen, intereſſiren koͤnnen, wenn
    wir gleich von den wenigſten den Nahmen mit Ge-
    wißheit anzugeben im Stande ſind: Gruͤnde die-
    ſer Ungewißheit: Selbſt von Alters her eingegra-
    bene Nahmen entſcheiden nichts fuͤr die Treue der
    Nachbildung. Perſeus und Andromeda, ein Ge-
    maͤhlde von Mengs; (in der Note.) Capitolini-
    ſche Flora, Capitoliniſche Venus. Diana Luci-
    fera. Kopf Alexanders des Großen. Tauben, die
    aus einem Gefaͤße trinken; ein beruͤhmtes antikes
    Moſaik. Hecate. Schoͤnes Gefaͤß aus Bronze.
    Kopf der Ariadne.
  • Pallaſt de’ Conſervatori.
    Begraͤbnißurne der Agrippina. Ueber die Gat-
    tung von Pferden, welche die Mahler vorzuͤglich
    gern in ihren Gemaͤhlden anbringen. Beruͤhmte
    Woͤlfin aus Bronze. Spinarius. Camillus.
    Hercules aus Bronze.
  • Gemaͤhldeſammlung.
    Giorgione, Tintoretto, Paolo Veroneſe. Be-
    urtheilung der einzelnen Gemaͤhlde. Die Perſiſche
    Sybille. Eine heilige Caͤcilia von Romanelli.
    Pietro Teſta; (in einer Note.) Giovanni Bellino;
    (in einer Note.) Fortuna des Guido Reni.
  • Pallaſt Borgheſe.S. 268 bis S. 310
    Wichtigkeit und Groͤße der Gemaͤhlde. Samm-
    lung in dieſem Pallaſte. Tizian und ſein Stil.
    Tizians Kinder. Gelegentliche Nachricht von zwei
    antiken Basreliefs mit Amorinen in Venedig;
    (in einer Note.) Tizians Colorit: Von den Er-
    forderniſſen eines guten Colorits uͤberhaupt. Local-
    farbe. Modification der Localfarbe vom hoͤchſten
    Lichte an, bis zum ſtaͤrkſten Schatten: Farben-
    miſchung, Faͤrbung im eigentlichſten Verſtande.
    Fra. Seb. del Piombo; (in einer Note.) Andrea
    del Sarto. Carita Romana. Der Schulmeiſter.
    Meiſterſtuͤck des Garofalo. Stil des Tibaldi.
    Diana mit ihren Nymphen von Domenichino.
    Fra. Sebaſtiano und der Cardinal Hyppolitus di
    Medices, gemeiniglich Borgia und Machiavell
    genannt. Gerhard Honthorſt; (in der Note.)
    Gemaͤhl-
    []Inhalt.
    Gemaͤhlde Raphaels aus ſeiner erſten Manier.
    Raphaels Kreuzabnehmung aus ſeiner zweiten.
    Die Verſuchung des heil. Antonius, von Annibale
    Carraccio. Verloͤbniß der heil. Catharina, von
    Parmeggianino; Stil dieſes Meiſters. Heilige
    Caͤcilia, von Domenichino. Aeneas und Anchiſes,
    von Baroccio; Stil dieſes Meiſters. Zwei heili-
    ge Familien, von Tizian. Bildniß einer Blon-
    dine, von demſelben. Zeichnung von Raphael.
    Die goͤttliche und die irrdiſche Liebe, von Tizian.
    Liegender Hermaphrodit, Statue. Venus ver-
    bindet dem Amor die Augen mit Beiſtand eines
    ſeiner Bruͤder und der Grazien, von Tizian. David,
    von Giorgione. Ueber Giacomo Baſſano und ſeine
    Schuͤler, Leandro und Franceſco.
  • Gemaͤhldeſammlung des Prinzen Aldo-
    brandini.
    Eins der beſten Gemaͤhlde des Baroccio. Chriſt
    zwiſchen den Phariſaͤern, von Leonardo da Vinci.
    Chriſt der dem heil. Petrus erſcheint, von Annibale
    Carraccio. Heilige Familie, von Raphael aus
    ſeiner mittleren Zeit.
  • Villa Borgheſe.S. 311 bis S. 340
    Basreliefs an den aͤußern Mauern der Pallaͤfte
    angebracht: Dieſe Art der Verzierung iſt nicht
    vortheilhaft. Ueber verſchiedene Beinahmen, die
    man der Venus gibt, und uͤber die Abweichungen
    in der Art ſie vorzuſtellen. Charakter der Venus.
    Bedeutung dieſer Goͤttin in der Mythologie. Bor-
    gheſiſcher Floͤtenſpieler. Lucius Verus, ſchoͤne Buͤſte.
    Apollo
    []Inhalt.
    Apollo und Daphne, von Bernini. Die Bild-
    hauerkunſt, deren Werke die vollkommenſte Illu-
    ſion in Ruͤckſicht auf Geſtalt geben, ſcheint eine
    vorzuͤgliche Verbindlichkeit auf ſich zu haben, nichts
    Widriges darzuſtellen. Vermeinter Seneca. Fi-
    gur eines Sclaven. Borgheſiſche Vaſe. Bezeich-
    nung eines Apollo Sauroctonon. Der Borghe-
    ſiſche Faun oder Silen. Charakter eines Silens.
    Centaur vom Amor gebaͤndigt. Juno mit einem
    Gewande von Porphyr. Der Borgheſiſche Fech-
    ter. Ueber Fechterſtatuen uͤberhaupt; (in der
    Note.) Worauf der Bildhauer bei der Wahl
    ſeiner Suͤjets vorzuͤglich Ruͤckſicht nimmt; (gleich-
    falls in der Note.) Der Borgheſiſche Herma-
    phrodit. Charakter der Hermaphroditen.

Einlei-[[1]]

Einleitung.


Der Titel des Buchs ſcheint deſſen Zweck anzuzei-
gen, und es durch dieſen von andern Buͤchern
abzuſondern, die bisher von Werken der Mahlerei
und Bildhauerkunſt in Rom gehandelt haben.


Den Liebhaber uͤber die wahre Abſicht der KuͤnſteBeſtimmung
der Abſicht
dieſes
Werks.

zu verſtaͤndigen; ihn das Weſentliche zu ſeinem Ver-
gnuͤgen von dem Zufaͤlligen ausſcheiden zu lehren; die
Forderungen, welche er an Marmor und Flaͤche, an
Pinſel und Meißel, und zwar an jeden insbeſondere zu
machen berechtiget iſt, gehoͤrig zu beſchraͤnken; fuͤr
die Vorzuͤge eines großen Kuͤnſtlers Verehrung, ge-
gen deſſen Fehler Billigkeit einzufloͤßen; Lob und
Tadel nach beſtimmteren Begriffen uͤber die verſchiede-
nen Erforderniſſe zur Vollkommenheit genauer abzu-
waͤgen; fuͤr Wahrheit und Schoͤnheit Sinn zu
erwecken; gegen den Zauber des blendenden Witzes
Herz und Auge zu verhaͤrten; kurz! zu zeigen, wie
und auf was man bei einem Kunſtwerke ſehen ſoll,
um wahren dauerhaften Genuß davon erwarten zu
koͤnnen: das iſt die Abſicht, die der Verfaſſer bei
Verfertigung ſeines Werkes ſich vor Augen ge-
ſetzt hat.


Erſter Theil. ADer
[2]Einleitung.
Erklaͤrung
des Worts:
Liebhaber
des Schoͤnen
in der Kunſt.

Der Liebhaber iſt der Mann, den Wohlſtand,
Faͤhigkeiten und Kenntniſſe, wie ſie allen wohlerzoge-
nen Menſchen gemein ſind, zu dem Genuß der Kuͤnſte
berechtigen; der Kuͤnſte, die dem Herzen und der
Einbildungskraft Nahrung, dem Verſtande eine
geſchaͤfftloſe aber nicht entehrende Unterhaltung geben.
Dieſer ſteht zwiſchen dem Gelehrten und dem Kuͤnſtler
in der Mitte. Nicht Critiker genung, ſeine Gefuͤhle
in metaphyſiſche Vernunftſchluͤſſe aufzuloͤſen, nicht
Antiquar genung, jede Abweichung von dem Wuͤrk-
lichgeſchehenen in der Art, wie es als moͤglich dar-
geſtellt iſt, auszuſpaͤhen, endlich nicht Handwerker
genung, jeden Kunſtgriff der Behandlung zu entraͤth-
ſeln; vermag er den gegenwaͤrtigen Eindruck dennoch
auf fruͤhere Empfindungen zuruͤckzufuͤhren, die oft
wiederholte Erfahrungen als weſentliche Begleiter des
Schoͤnen beſtaͤtiget haben; kennt Geſchichte und
Fabel hinreichend, um den Grund der bildenden Zu-
ſammenſetzung zu begreifen; und weiß von der mecha-
niſchen Ausfuͤhrung ſo viel, als noͤthig iſt, das Ver-
dienſt uͤberwundener Schwierigkeiten zu ſchaͤtzen.


Der Liebhaber ſucht zuerſt Vergnuͤgen an dem
ſtummen Anblick ſchoͤner Kunſtwerke. Aber dies
Vergnuͤgen wird oft Gegenſtand des Geſpraͤchs.
Man ſucht ſich mitzutheilen, man lobt, man tadelt.
Wie ſelten geſchieht dies, ohne ſich vor den Augen des
Kuͤnſtlers oder des Gelehrten laͤcherlich zu machen!
Man laͤßt arbeiten, man ſammlet Statuen und
Gemaͤhlde, und wird, ein anderer Midas, bald
Beſchuͤtzer der Mittelmaͤßigkeit, bald Verfolger des
Talents, bald Spiel der Gewinnſucht eines Bro-
canteurs.


Der
[3]Einleitung.

Der Liebhaber bedarf alſo einiger Vorbereitung,Ueber die
Lehrart, die
fuͤr den Lieb-
haber die
paſſendſte iſt.

um wahren dauerhaften Genuß von den Kuͤnſten zu
erlangen: Er muß Grundſaͤtze, er muß Kenntniſſe
haben. Aber kalte Buchgelehrſamkeit, die ſich nur
mit todten Zeichen ins Gehirn druͤckt, iſt fuͤr den
Mann, der nur zu ſeiner Unterhaltung lieſt, nicht
brauchbar. Dieſer ſucht Beſchaͤfftigung, aber keine
qualvolle Anſtrengung. Er weiß und lernt nur ge-
rade ſo viel, als er zum Genuße des Augenblicks, zum
Stoff der Unterredung in den gemiſchten Cirkeln geſel-
liger Muͤſſiggaͤnger noͤthig zu haben glaubt. Kein
Syſtem von hiſtoriſchen Datis, keine Aufloͤſung des
Gewebes unſerer Empfindungen, keine Enthuͤllung
der Geheimniſſe der Behandlung, kein Winkelmann,
kein Hemſterhuis, kein Laireße werden die Kenntniſſe,
ohne welche man ſich der Betrachtung eines Kunſt-
werks nicht nahen ſollte, je in wahren Umlauf brin-
gen. Nur eine praktiſche Anweiſung, die in einem
allgemein verſtaͤndlichen Vortrage den Leſer, der wenig
an anhaltende Aufmerkſamkeit gewoͤhnt iſt, bei jeder
Lehre auf ein vorliegendes Beiſpiel, zu wiederholten
Mahlen auf das ſchon Geſagte zuruͤckfuͤhrt, ſcheint
zur Ausbreitung jeder Wahrheit unter dem groͤßeren
Haufen geſchickt zu ſeyn. So erinnert man ſich ſtets:
Wie? Wo? Warum? man etwas gelernt habe;
und um mit den Worten eines großen Kunſtrichters
und eines eben ſo großen Menſchenkenners fortzu-
fahren: *)


So haͤngt ſich Alles beſſer an:

So lernt mit eins die ganze Seele:

A 2Dieſe
[4]Einleitung.

Dieſe Lehrart habe ich in dieſem Werke gewaͤhlt,
und Rom als den groͤßten Sammelplatz von Meiſter-
ſtuͤcken der Mahlerei und Bildhauerkunſt, als den Ort,
in dem ich die bequemſte Veranlaſſung zu meinen Leh-
ren finden wuͤrde. Ich ſchraͤnke mich blos auf Ge-
maͤhlde, Statuen, und Basreliefs ein: uͤberzeugt,
daß mit der Einleitung in ihre Kenntniß, die Kennt-
niß aller uͤbrigen Werke der Bildnerei in Ruͤckſicht auf
Schoͤnheit erleichtert werde.


Aber auch von den Werken dieſer Gattung habe
ich eine vollſtaͤndige Beſchreibung, eine Nomenclatur,
keinesweges liefern wollen. Nur dann wird mich der
Vorwurf der Unvollſtaͤndigkeit treffen, wenn ich ein
Stuͤck uͤbergangen haben ſollte, das den Sinn fuͤr das
Schoͤne auf eine betraͤchtliche Art aufzuſchließen im
Stande waͤre, oder zu beſchaͤfftigen verdiente.


Das Schoͤne kann ich nicht erklaͤren. Nur um
einem Mißverſtaͤndniſſe vorzubeugen, bemerke ich,
daß ich unter Schoͤnheit nicht blos das Wohlgefaͤllige
der Formen, ſondern uͤberhaupt jede ſichtbare Voll-
kommenheit in den bildenden Kuͤnſten verſtehe.


Man wird Unrichtigkeiten in dieſem Werke fin-
den: in den Nachrichten, in den Urtheilen. Beides
kann ſeyn, ich bin nicht anmaaßend genung, es zu
leugnen.


Ich habe inzwiſchen keine Muͤhe geſpart, ſo viel
an mir war, richtige Erkundigungen einzuziehen; und
meine Urtheile ſind mit Gruͤnden unterſtuͤtzt. Jeder,
der eigene Augen und eigenes Gefuͤhl hat, kann dieſe
pruͤfen.


Rechtferti-
gung des

Ich muß hier Einiges von mir anfuͤhren, nicht
um mir ein Anſehen zu geben, ſondern um mich zu
recht-
[5]Einleitung.
rechtfertigen, daß ich, Liebhaber, andern LiebhabernVerfaſſers,
daß er dieſes
Buch zu
ſchreiben
wagte: Sei-
ne Erwar-
tungen: Die
Art, wie er
ſchreiben zu
koͤnnen wuͤn-
ſchet.

meine Erfahrungen und meine Urtheile mitzutheilen
gewagt habe.


Meine Hand hat ſich von Jugend auf im Zeich-
nen und Mahlen geuͤbt, und wenn ſie gleich zu unge-
horſam geblieben iſt, etwas betraͤchtliches hervorzu-
bringen, ſo haben doch dieſe Verſuche, unterſtuͤtzt von
dem Unterricht guter Kuͤnſtler, mein Auge an Rich-
tigkeit der Zeichnung gewoͤhnt, und mich alle Hinder-
niſſe kennen lehren, die Stoff und Mittel der ſichtba-
ren Ausfuͤhrung eines Gedankens entgegen ſetzen.


Der Herr Hofrath Heyne iſt mein Lehrer in der
Archaͤologie geweſen. Ein Mann, von dem ich es
nicht erſt ſagen will, daß er den feinſten Geſchmack
mit der aufgeklaͤrteſten Critik, und der ausgebreiteſten
Gelehrſamkeit verbindet. Was ich von ihm ſagen
moͤchte, iſt mir hier verwehrt: Wie er mir Freund
und Fuͤhrer war, und iſt! wie ich ihm mehr als bloße
Bildung des Geſchmacks in den Kuͤnſten, wie ich ihm
die ganze Bildung meines Herzens verdanke!


Ich habe nachher die betraͤchtlichſten Gallerien in
Frankreich, Deutſchland und Italien geſehen, und
mit Rom habe ich geendiget. Sechs Monathe
lang *) habe ich hier taͤglich bald allein, bald mit
Kuͤnſtlern, bald mit Antiquaren, bald mit Liebha-
bern die Meiſterſtuͤcke der Kunſt kennen zu lernen ge-
ſucht. Endlich hat der Herr Hofrath Reifenſtein
noch die Gefaͤlligkeit gehabt, mich durch die betraͤcht-
lichſten Pallaͤſte und Kirchen von Rom zu fuͤhren.


Dieſer Mann, den Charakter und Kenntniſſe
gleich ſchaͤtzbar machen, beſitzt das ausgezeichnete Ta-
A 3lent,
[6]Einleitung.
lent, ſeine Anleitung zur Kenntniß der Kunſt nach den
Faͤhigkeiten und dem Geſchmack eines jeden Betrach-
ters beſonders einzurichten. Von ihm habe ich vor-
zuͤglich die Art zu lernen geſucht, wie man die Lehren
der Kunſt dem Liebhaber faßlich und willkommen ma-
chen ſoll. Haͤtten wir Hoffnung, daß er jemals ſei-
nen Unterricht durch den Druck allgemeiner ausbreiten,
und auf die Nachwelt bringen wuͤrde; ſo haͤtte ich das
gegenwaͤrtige Werk nicht unternommen.


Aber dieſe Hoffnung haben wir nicht, und ſo
kann dieſer Verſuch wenigſtens bis dahin, daß wir
etwas Beſſeres erhalten, von Nutzen ſeyn. Er iſt
eigentlich fuͤr diejenigen beſtimmt, die ihn an Ort
und Stelle mit Werken, von denen er handelt, ver-
gleichen wollen. Inzwiſchen hoffe ich zu gleicher Zeit,
daß dieſes Buch denen, die von Rom zuruͤckgekehret
ſind, manche angenehme Erinnerung, denen, welche
die Reiſe dahin noch anzutreten denken, keine ganz
unnuͤtze Vorbereitung gewaͤhren werde.


Ich will nichts ſchreiben, was ich nicht geſehen
und gefuͤhlt habe. Daß ich ſo daruͤber ſchreiben
koͤnnte, wie ich es geſehen, wie ich es gefuͤhlet habe!
Daß jenes ſanfte Feuer, das bei dem Anblick der
Schoͤnheit in meinen Adern wallte, jetzt in meine Fe-
der fließe! Daß aber auch jene heitere Ruhe, die ihrem
Gefuͤhle ſo zutraͤglich iſt, meine Seele fuͤlle! Daß ich
uͤber die Werke, welche die Grazien und die Muſen
erzeugten, rede, wie ihre Lieblinge, die Kuͤnſtler, ſie
dachten: mit Adel, mit Anmuth, ohne Kaͤlte und
ohne Schwaͤrmerei!


Allgemeine
[7]

Allgemeine Anmerkung
Ueber die Sammlungen von ſchoͤnen Kunſt-
werken der Mahlerei, und Bildhauerarbeit
in den Pallaͤſten und Kirchen
von Rom.


Man ſieht die Gemaͤhlde und Statuen, die inMan muß
die Samm-
lung n in
Pall ſten
zuerſt ſehen.

den Pallaͤſten von Rom aufbewahrt werden,
mit mehrerer Bequemlichkeit, als diejenigen, die in
den Kirchen befindlich ſind. Denn hier werden ſie
nicht allein oft in duͤſtern Capellen des Tageslichts
beraubt, ſondern leiden noch uͤberher von dem Dampfe
der Wachskerzen. Auch trifft man in dieſen Kirchen
nur wenige Antiken an, und dieſe wenigen ſind noch
dazu unbetraͤchtlich. Inzwiſchen muß der Liebhaber
vorzuͤglich durch den Anblick der Kunſtwerke der Alten
das richtige Maaß der Schoͤnheit zu erhalten hoffen.
Ich fuͤhre den Liebhaber des Schoͤnen zuerſt in die
Pallaͤſte.


A 4Pallaſt
[8]

Pallaſt Farneſe.


Unter den
Pallaͤſten
muß man den
groͤßeren
Farneſiſchen
zuerſt ſehen.

Die Werke der Caracci, die man nirgends haͤu-
figer als in dem Pallaſte Farneſe antrifft,
gewoͤhnen das Auge an Richtigkeit, und an den großen
Stil der Zeichnung, die man als Grundlagen der
Schoͤnheit anſehen muß. Sie dienen zur Vorberei-
tung, um diejenigen Werke, wo das Wahre und
Nothwendige unter dem Reitzenden verſteckt iſt, beſſer
zu fuͤhlen. 1)


Im Hofe.


2) Der Farneſiſche Hercules.

Der Farne-
ſiſche Hercu-
les.

Eine coloſſaliſche Statue, die aus dem letzten
Bogen des Porticus, vom Eingange ab, betrachtet
werden muß. Die erſte Sorge des Beobachters
geht
[9]Pallaſt Farneſe.
geht auf die Wahl des Standortes, aus dem er
uͤber Schoͤnheit und Wahrheit der Formen urtheilen
kann. Dann ſucht er die Idee des Kuͤnſtlers, das
was ſein Kunſtwerk ausdruͤcken ſoll, zu erforſchen.


Die Helden und Goͤtter, die bei den Alten einen
Vorwurf bildlicher Darſtellung ausmachten, ſcheinen
einen gewiſſen allgemein anerkannten Charakter ge-
habt zu haben, deſſen Hauptzuͤge ſich gemeiniglich
in jeder Vorſtellung wieder finden. Aber dieſer
Charakter ward nach Verſchiedenheit des Alters und
der Handlung, in der ihn das Auge erblickt, man-
nigfaltig modificirt.


Hercules zeigt uͤberall einen Koͤrper, deſſen ur-Charakter
des Hercules
uͤberhaupt.

ſpruͤnglich feſter Bau durch viele Thaten ausgebildet
worden, der aber nicht abgehaͤrtet zu werden brauchte.
Hercules iſt geſchmeidig aber nicht behende; er
ſchlaͤgt nieder, und uͤberſchnellet nicht.


Der Kuͤnſtler ſcheint auf deſſen Bildung durch
die Betrachtung des Stiers geleitet zu ſeyn. Wie
an dieſem iſt der Kopf klein, der Nacken ſtark, die
Bruſt erhoben und vordringend. Kraus ſind ſeine
Haare, breit ſeine Schultern, die Stirne hebt ſich
mit maͤchtiger Woͤlbung. 3)


Dieſen allgemeinen Charakter hat nun auch
unſer Farneſiſche Hercules; aber er hat auch noch
den beſondern: er ruht nach eben vollbrachter Helden-
that. Daher die Bewegung des Bluts, von der
A 5wir
[10]Pallaſt Farneſe.
wir noch ſeine Adern angeſchwellt ſehen; daher die
angeſtrengten Muſkeln, die noch nicht wieder abge-
ſpannt ſind. Die goldenen Aepfel die er in der Hand
traͤgt, die auf den Ruͤcken gelegt iſt, duͤrfte vielleicht
nur ein allgemeines Attribut des Siegers ſeyn.


Die Muſkeln ſind aͤußerſt beſtimmt in ihrer
Form, in ihrer Lage, dabei ſehr deutlich angegeben,
und ohne Haͤrte, wenn man ſie in der gehoͤrigen Ent-
fernung betrachtet.


Der Marmor iſt weiß, von der kleinkoͤrnigten
Art, den man durch den Nahmen: der Pariſche,
von dem groskoͤrnigten unterſcheidet, der Salino
genannt wird, weil er aus Lagen von Salzkoͤrnern
zu beſtehen ſcheinet.


Die Beine ſind neu, und von Guglielmo della
Porta
gut 4 a) ergaͤnzt. Der alte Meiſter hieß
Glycon. Er war aus Athen, ſein Nahme und
ſein Vaterland ſtehen am Tronk 4 b).


† Die
[11]Pallaſt Farneſe.
† Die Farneſiſche Flora.

Aus der Arcade nach dem Hofe zu geſehen,Die Farneſt-
ſche Flora.

ſcheint dieſe coloſſaliſche Figur mit aͤußerſter Leichtig-
keit fort zu ſchweben. Es iſt eine weibliche Figur, be-
kleidet, und in jugendlichem Alter. Mehr kann man
von ihrer Bedeutung mit Zuverlaͤſſigkeit nicht ſagen.
Nur der Sturz iſt alt. Kopf, Haͤnde und Fuͤße
ſind von Guglielmo della Porta ergaͤnzt. Die will-
kuͤhrliche Benennung nach dem neuen Kranze dient
nur zur Wiedererkennung.


Der groͤßte Theil weiblicher Figuren, die beklei-Willkuͤhrli-
che Beſtim-
mung der
Nahmen
weiblicher
bekleideter
Figuren
uͤberhaupt.

det ſind, haben ſich ohne ihre Attribute erhalten.
Selten zeigt der Ausdruck des Geſichts, oder das Ge-
wand die ſymboliſche Vorſtellung an. Der Ergaͤn-
zer nimmt ſeine Zuflucht zu dem Antiquar, der ſelten
aufrichtig genung iſt, ſeine Unwiſſenheit zu bekennen;
gemeiniglich heftet er dem Kuͤnſtler eine willkuͤhrliche
oder gar ungereimte Behauptung auf. Man faͤngt
jetzt in Rom an den Irrthum einzuſehen, und belegt
im Allgemeinen jede bekleidete weibliche Figur, fuͤr
die man keinen Nahmen mit Gewißheit anzugeben
weiß, mit dem Nahmen: Muſe. Die unſrige wird
eine tanzende Muſe genannt. 5) Allein ehe man die
gewoͤhnliche Benennung nicht mit einer ſicherern aus-
tauſcht, ſo lange, glaube ich, darf man ſich an die-
jenige halten, bei der ſich alle verſtehen.


Das Swelte der Umriſſe, die Leichtigkeit der
Stellung und des vortrefflich geworfenen Gewandes,
Vorzuͤge,
[12]Pallaſt Farneſe.
Vorzuͤge, welche die Groͤße der Statue noch erhebt,
geben ihr einen vorzuͤglichen Rang unter den ſchoͤnen
Ueberreſten des Alterthums.


Dem Farneſiſchen Hercules gegenuͤber ein ande-
rer Hercules.
Die Idee iſt dieſelbe wie bei dem
vorigen: die Ausfuͤhrung ſcheint keine Copie zu ſeyn.
Sie iſt aber von geringem Werthe.


Eine wohlbekleidete Nymphe.


Ein junger Held: nur aus dem Groben ge-
hauen, aber von gutem Stile.


Eine Figur im maͤnnlichen Alter, die einen
todten Juͤngling auf der Schulter traͤgt;
mit-
telmaͤßig.


Auf der Treppe.


Zwei coloſſaliſche Statuen von Flußgoͤt-
tern.
Zwiſchen beiden ein kleiner Meergott, der
vom Schwanze eines Delphins umſchlungen
wird.


Jupiter, Caſtor, Pollux, Buͤſten.


Der Kopf eines Mannes mit Blumen be-
kraͤnzt,
von großem Charakter.


Zwei gefangene Koͤnige, von vortrefflichem
Stile, deren Gewaͤnder dem Polydoro da Carra-
vaggio oft zum Studio gedienet haben.


Gallerie der Carracci.


Gallerie der
Carracci.

Beide Bruͤder Annibale und Agoſtino nebſt ihrem
Oncle Ludovico haben an dieſer Gallerie gearbeitet.
Allein Annibale mehr als die beiden andern.


Alle
[13]Pallaſt Farneſe.

Alle drei Carracci waren Stifter einer Schule zuStil der
Carracci
vorzuͤglich
des Anniba-
le.

Bologna, in der ſie den guten Geſchmack, der zu
ihrer Zeit ſchon verlohren gegangen war, wieder her-
ſtellten: in der ſie den Grundſatz lehrten, durch den
ſie, und viele ihrer Schuͤler nach ihnen groß geworden
ſind: ahmet die Natur nach, verbeſſert ſie durch das
Studium der Antike, und der beſten unter den neuern
Meiſtern. Von dieſen waren Pellegrini il Tibaldo,
Paolo Veroneſe, und vorzuͤglich Correggio ihre Lieb-
lingsmuſter.


Die Carracci waren unter den Mahlern, was
die Eclectiker unter den Philoſophen. Sie ſuchten
die Vorzuͤge der verſchiedenen Schulen, alle diejeni-
gen Vollkommenheiten in ſich zu vereinigen, die man
vielleicht nur in dem Ideale des Mahlers vereinigt
denken kann.


Ich kenne dies und jenes Bild des Annibale, das
in keinem Theile der Kunſt etwas zu wuͤnſchen uͤbrig
laͤßt. Allein in demjenigen, den man in der Kunſt-
ſprache unter dem Nahmen, dichteriſche Erfindung
kennt, iſt er ſich ſelbſt zu ungleich, als daß man ihm
einen gegruͤndeten Anſpruch darauf einraͤumen koͤnnte.


Die Erfindſamkeit des Mahlers geht nicht aufNoͤthige Er-
klaͤrung des
Worts: Er-
findung, in
der Mahle-
rei, um dar-
nach das
Verdienſt
des Annibale
in Anſehung
dieſes Theils

Neuheit des Vorwurfs; er bleibt gern in dem Be-
zirke weniger ihm und dem Publico gelaͤufig geworde-
ner Ideen. Wenn man von Erfindung in der Mah-
lerei ſpricht, ſo denket man nie an Hervorbringung
eines neuen dem Zuſchauer unbekannten Vorwurfs,
ſondern an Erfindung einzelner Theile, wodurch ein
bekannter Gegenſtand auf eine neue Art zuſammen ge-
ſetzt wird. Inzwiſchen braucht der Gegenſtand nicht
ſchon die bildenden Kuͤnſte beſchaͤfftiget zu haben um
bekannt
[14]Pallaſt Farneſe.
der Kunſt zu
beurtheilen.
bekannt zu ſeyn. Genung wenn das Publicum, fuͤr
welches das Kunſtwerk beſtimmt iſt, den dargeſtellten
Gegenſtand nicht erſt aus der Darſtellung ken-
nen lernt.


Was mahle-
riſche, was
dichteriſche
Erfindung
in der Kunſt-
ſprache ſey?

Die Figuren eines Gemaͤhldes ſo ſtellen, daß ſie
durch Mannigfaltigkeit und Einheit dem Auge ange-
nehme Formen, von Stellungen und Gruppen, und
zugleich eine leichte Ueberſicht des Ganzen darbieten;
ſolche Koͤrper auswaͤhlen, die zur Faͤrbung und Be-
leuchtung beſonders geſchickt ſind; heißt in der Kunſt-
ſprache: mahleriſch erfinden, oder auch: anordnen.
Hingegen zeigt der Kuͤnſtler nach eben dieſer Sprache
eine dichteriſche Erfindung, wenn er bei genauer
Kenntniß der Graͤnzen ſeiner Kunſt ſolche Gegenſtaͤnde
zur Darſtellung waͤhlt, die Kopf und Herzen Nah-
rung geben, und dieſe durch Mittel, die in dem Ge-
biete eben dieſer Kunſt liegen, dem Verſtaͤndniſſe des
Zuſchauers moͤglichſt nahe zu bringen ſucht. Hieher
gehoͤren Ausdruck, Allegorie, Hinſtellung der Figu-
ren an dem Orte, welchen ihnen der Grad von Auf-
merkſamkeit anweiſet, den ihr Antheil an der Haupt-
handlung verdient. Ja, es gehoͤren hieher alle Mit-
tel deren ſich die mahleriſche Erfindung bedient, nur
daß bei ihrer Anwendung das Intereſſe der Bedeu-
tung die erſte Ruͤckſicht iſt.


Beide muͤſſen mit einander gehen, aber die mah-
leriſche Erfindung muß der dichteriſchen untergeordnet
ſeyn. Iſt ſie das nicht, ſo wird zur natuͤrlichen
Folge, daß man nicht die Figuren ſo ſtellt, wie ſie die
Handlung am deutlichſten machen, ſondern, wie ſie
am beſten ins Auge fallen, die mehreſte Abwechſelung
in die Stellungen bringen, und die Gruppen am
ſchick-
[15]Pallaſt Farneſe.
ſchicklichſten mit einander verbinden; daß man dem
wahren Ausdruck, welchen die Handlung erfordert,
einen andern unterſchiebt, den der Contraſt verlangt;
daß man bei der Wahl der handelnden Perſonen, nicht
auf dasjenige ſieht, was zur Handlung nothwendig
iſt, ſondern auf dasjenige, was die Flaͤche ausfuͤllt.


Von dieſen Fehlern iſt Annibale ſelten frei. Sein
Ausdruck iſt nicht immer wahr, ſelten edel, und bei-
nahe nimmer lieblich. Er hatte wenig Gefuͤhl fuͤr
Schoͤnheit, mehr fuͤr Staͤrke: Seine Weiber ſind zu
maͤnnlich, ſeine jugendlichen Figuren zu ſchwerfaͤllig,
ſeine Alten ohne Majeſtaͤt.


Sein Colorit iſt ohne Lieblichkeit und ohne Har-
monie. In Oelgemaͤhlden grau, im al Freſco zie-
gelroth. Das Helldunkle iſt in den mehreſten ſeiner
Gemaͤhlde mit Einſicht angedeutet, aber ſelten thut
es die Wuͤrkung, die ſich der Meiſter davon verſpro-
chen zu haben ſcheint.


Das Hauptverdienſt dieſes Kuͤnſtlers iſt die mah-
leriſche Anordnung, die Richtigkeit, und der große
Stil ſeiner Zeichnung. Wenn das Ueberfluͤßige zur
Verſtaͤrkung des Nothwendigen weggelaſſen iſt, wenn
kleinere Partien dem Ganzen ſo untergeordnet ſind,
daß die Aufmerkſamkeit dadurch nicht zerſtreuet wird,
ſo nennt man dies: Groͤße in den Formen; und die
Fertigkeit in der Beobachtung dieſer Regel: den
großen Stil.


Dieſer zeigt ſich auch in den Gewaͤndern des An-
nibale, die in große Falten geworfen das Nackende
ſehr gut andeuten, aber jenes Reitzes entbehren, deſ-
ſen Verſtaͤndniß kein Studium nach dem Gliedermann
aufſchließt. So blickt allerwaͤrts der Mann hervor,
der
[16]Pallaſt Farneſe.
der durch Nachdenken und lange Uebung groß gewor-
den iſt. Der Profeſſor, und zwar der Profeſſor in
den Theilen der Kunſt, die mehr zur mahleriſchen
Erfindung und zur Ausfuͤhrung, als zur dichteriſchen
Erfindung gehoͤren. Die Natur hatte ihm viel me-
chaniſches Talent bei vielem Scharfſinn gegeben.
Haͤtte er Gefuͤhl des Schoͤnen und diejenige Einbil-
dungskraft beſeſſen, die mit dem Herzen in genaue-
rem Verbande ſteht, er waͤre der Groͤßte der Kuͤnſt-
ler geworden.


So leicht es iſt, die drei Carracci von andern
Meiſtern zu unterſcheiden, ſo ſchwer wird die Unter-
ſcheidung des Stils dieſer drei Kuͤnſtler unter einander
fuͤr ein ungeuͤbtes Auge.


Stil des Lu-
dovico Car-
raccio,

Ludovico wird inzwiſchen an ſeiner dunkeln hefen-
artigen Farbe, an dem Mangel an Ausdruck und an
der ſchwerfaͤlligen oft unrichtigen Zeichnung wieder er-
kannt. Er drappierte ſeine Figuren beſſer als ſein
Vetter, und ſtellte ſie wenigſtens eben ſo gut, in
Ruͤckſicht auf die mahleriſche Wuͤrkung. Er mahlte
gern kleine Figuren auf Schiefer.


und des Ago-
ſtino Carrac-
cio.

Agoſtino war mehr Poet, und Kupferſtecher,
als Mahler. Aber er hatte erhabenere Ideen als
ſein Bruder und Oncle, und brachte mehr Ausdruck
in ſeine Geſichtsbildungen. In der Ausfuͤhrung iſt
er unter beiden.


Grund war-
um der Au-
tor auch in
der Folge
den Stil der
vorzuͤglich-

Ich hoffe leicht Entſchuldigung dafuͤr zu erhalten,
daß ich den Stil der vorzuͤglichſten Kuͤnſtler bei Gele-
genheit ihrer hauptſaͤchlichſten Werke kurz auseinander
ſetze. Mit dem Nahmen des Meiſters weiß man
alsdann, auf welche Vorzuͤge man in ſeinen Wer-
ken zu achten, welche Fehler man zu uͤberſehen hat.
Doch
[17]Pallaſt Farneſe.
Doch bitte ich bei der Pruͤfung meiner Urtheile ſichſten Kuͤnſtler
bei ſchickli-
cher Gele-
genheit aus-
einander ſe-
tzen wird.

ſtets zu erinnern, daß ich bei Beſtimmung weſent-
licher, charakteriſtiſcher Zuͤge nur auf dasjenige Ruͤck-
ſicht nehmen konnte, was ſich gemeiniglich wieder
finden laͤßt, nicht aber auf Ausnahmen.


Ich gehe nun zu der Beſchreibung der Gallerie
ſelbſt uͤber.


Der Triumph des Bacchus und der
Ariadne.


Keine einzige Figur hat den Ausdruck, den derBeurthei-
lung der Ge-
maͤhlde in
dieſer Galle-
rie.

Charakter und die Handlung erfordern. Bacchus
hat den Anſtand eines ſchlechten Schauſpielers, der
repraͤſentiret, und Ariadne, ſeine neuvermaͤhlte Gat-
tin, kehrt ihm den Ruͤcken zu, um den Mahler
eine ſchoͤne academiſche Figur im Contrapoſt darzu-
bieten. Die Nymphen haben den gemeinen Fehler
aller weiblichen Figuren dieſes Meiſters, ſie ſind zu
maͤnnlich. Silen iſt ein ekelhaft berauſchter Alter.
Hingegen iſt die mahleriſche Erfindung vortrefflich,
die Gruppen greifen wohl in einander, und die ein-
zelnen Figuren haben ſehr abwechſelnde Stellungen.
Schoͤnheit und Reitz darf man beim Annibale nicht
ſuchen. Das Colorit faͤllt ins Ziegelrothe, und iſt
ohne Harmonie.


Mercur bringt dem Paris den Apfel.


Die Verkuͤrzung des Mercurs iſt unvergleichlich,
nur iſt der Koͤrper nicht ſchlank genung. Der Kopf
des Paris iſt ſchoͤn, aber der Koͤrper ſtimmt damit
nicht ganz uͤberein. Die Schienbeinroͤhren ſind zu
ausgebogen; ein Fehler, der mehreren Figuren dieſes
Meiſters eigen iſt, und von der zu getreuen Nachah-
mung einer gemeinen Natur herruͤhret.


Erſter Theil. BApollo
[18]Pallaſt Farneſe.

Apollo entfuͤhrt den Hyacinth.


Die Stellung des letztern iſt ſehr gefaͤllig.


Polyphem ſpielt vor der Galathea, um-
geben von ihren Nymphen.


Der Koͤrper des Polyphems iſt eine vortreffliche
academiſche Figur. Kuͤnſtler koͤnnen die Verkuͤrzung
des einen Knies nicht genung bewundern. Annibale
hat ſich alle Muͤhe gegeben, das Widrige des einen
Auges in der Mitte der Stirn zu verbergen; inzwi-
ſchen wird doch ein Polyphem, wie ihn der Dichter
mahlt, nie ein ſchicklicher Gegenſtand fuͤr den Mahler
werden. Wenigſtens hat der Kuͤnſtler dafuͤr geſorgt,
daß die Schoͤnheit der Nymphen den Contraſt nicht
zu auffallend machte; dieſe ſind nichts weniger als
ſchoͤn.


Andromeda und Perſeus.


Die Zuſammenſetzung dieſes Bildes iſt ſelbſt in
Ruͤckſicht auf mahleriſche Anordnung fehlerhaft. Der
Koͤrper der Andromeda, der an ſich ſchon zu maͤnnlich
iſt, wird rieſenmaͤßig, wenn man ihn mit den Figu-
ren der Aeltern auf dem zweyten Plane vergleicht.
Das fliegende Gewand der Mutter iſt zu ſteif. Ge-
waͤnder dieſer Art ſcheinen uͤberhaupt dem Annibale
nicht gegluͤckt zu ſeyn.


Pan opfert Dianen Wolle.


Pan iſt unedel, und die Stellung der Diane zu
affectirt.


Entfuͤhrung des Ganymedes.


Ein reitzendes Bild. Der Kopf des Ganymedes
hat etwas Correggianiſches. Die Stellung iſt ange-
nehm, und der Halbſchatten, in dem der Mahler den
Koͤrper gehalten hat, thut eine vortreffliche Wuͤrkung.
Man
[19]Pallaſt Farneſe.
Man verkennt nicht in dem Adler den Ausdruck der
Zaͤrtlichkeit.


Polyphem ſchleudert Felſen auf Acis und
Galathea.


Polyphem iſt eine vortreffliche Academie; das
Bein in der Verkuͤrzung kann zum Muſter einer ſo
ſchweren Stellung dienen.


Perſeus verwandelt den Phineus und ſeine
Gefaͤhrten in Felſen.


Die Zuſammenſetzung iſt gut gedacht und gut
geordnet. Bei der Ausfuͤhrung ſcheint der Kuͤnſtler
wider ſeine Gewohnheit die Natur nicht genung zu
Rathe gezogen zu haben. Die Figur des Perſeus iſt
zu kurz und unedel.


Juno koͤmmt mit dem Guͤrtel der Venus
zum Jupiter.


Gedanke und Ausdruck ſind gleich vortrefflich.
Schamhaftigkeit die der Begierde weicht, iſt der
Charakter der Juno. Inzwiſchen hat der Mahle[r]
mit dem entlehnten Guͤrtel ihr nicht zugleich die Reitze
der Venus zu geben gewußt. Die Gewaͤnder ſind
gut geworfen, aber zu trocken ausgefuͤhrt.


Galathea von Nymphen, Tritonen und
Amorinen umgeben,
von Agoſtino Carraccio.
Man erkennt die Verſchiedenheit des Stils in den
Weibern und Kindern, die ohnſtreitig die ſchoͤnſten
jugendlichen Figuren in dieſer Gallerie ſind. Daß
der Kuͤnſtler die ſchoͤne Nereide aus der Galathea des
Raphaels in der Farneſina zum Vorbilde gehabt habe,
ſieht man, wie mich duͤnkt, ziemlich deutlich. Der
Triton der die Nereide umfaßt, iſt zwar von gemei-
nem aber aͤußerſt wahrem Charakter.


B 2Diane
[20]Pallaſt Farneſe.

Diane und Endymion, von Annibale Car-
raccio. Der Gedanke uͤbertrifft bei weitem die Aus-
fuͤhrung.


Hercules und Jole. Eins der ſchoͤnſten Ge-
maͤhlde dieſer Gallerie. Der Mahler hat hier ſogar
ſeine gewoͤhnlichen Fehler vermieden. Der Koͤrper
der Jole iſt reitzend, und die Faͤrbung iſt gut. Die
Zufaͤlle des Lichts und Schattens hat der Kuͤnſtler ſehr
gut zu benutzen gewußt. Hercules hat den Charakter
der Antike.


Aurora entfuͤhrt den Cephalus. Argens-
ville legt dieſes Stuͤck dem Agoſtino bei. Aurora
iſt wieder zu maͤnnlich; Geſicht und Stellung haben
einen unedlen Ausdruck. Ihr Gewand aber iſt vor-
trefflich. Cephalus und Tithon, der auf dem Vor-
grunde ſchlaͤft, ſind vortrefflich gezeichnet.


Venus und Anchiſes. Anchiſes zieht der Ve-
nus den Schuh aus, und darunter ſtehen die Worte:
Genus unde latinum. Sulzer 6 a) rechnet die
Anbringung dieſer Schrift unter die ſchicklichen Mittel
den Mangel guter ſymboliſcher Zeichen zu erſetzen.
Ich will es dem Gefuͤhl eines jeden uͤberlaſſen, ob
man mehr dabei gewinnt, den beſtimmten Liebhaber
der Venus durch dieſe Worte zu erfahren, als man
dabei verliert, durch eine Verdollmetſchung die der
Kunſt fremd iſt, an die Armuth ihrer Sprache fuͤr
gewiſſe Dinge erinnert zu werden. Der Anchiſes iſt
ſehr ſchoͤn, der Venus fehlt es aber wieder an weibli-
chem Reitze.


Verſchie-
[21]Pallaſt Farneſe.

Verſchiedene Medaillons aus einer Farbe,
die Domenichino und Lanfranco nach den Zeichnungen
ihres Meiſters ausgefuͤhret haben. Sie ſtellen die
Entfuͤhrung der Europa, Eurydice die zur
Hoͤlle zuruͤckkehrt, die Entfuͤhrung der Ori-
thyia, die Marter des Marſyas, Amor der
einen Faun bindet, Salmacis und Herma-
phrodit, die Verwandlung der Syrinx,
und
die Fabel des Leanders und der Hero vor.
Dieſe Medaillons ſind ohnſtreitig verſchwendet; ſie
werden zum Theil halb von den groͤßern Gemaͤhlden
bedeckt.


In den vier Ecken des Saals zuſammen grup-
pirte Genii.
Stellung und Gruppirung ſind ſchoͤn,
ſie haben nur nicht ganz den gehoͤrigen Charakter der
Kindheit.


Ueber den Niſchen, in denen die antiken Statuen
ſtehen, ſind folgende mythologiſche Suͤjets im Kleinen
ausgefuͤhrt:


Arion vom Delphin getragen, Apollo em-
pfaͤngt die Leier vom Mercur, Prometheus
gibt dem geformten Thone das Leben, Hercu-
les befreiet den Prometheus, der Fall des
Jcarus
(nicht des Phaetons, wie Volkmann ſchreibt)
Hercules der den Drachen der Heſperiden toͤd-
tet, Calliſto im Bade, die Verwandlung der
Calliſto.


Die Charitas, oder die chriſtliche Liebe, die
Maͤßigkeit, die Standhaftigkeit, die Gerech-
tigkeit,
ſcheinen von den Schuͤlern des Annibale nach
deſſen Zeichnungen verfertigt zu ſeyn.


B 3Ein
[22]Pallaſt Farneſe.

Ein junges Maͤdgen, das ein Einhorn
liebkoſet, in einer Landſchaft.
Eins der fruͤhe-
ſten Gemaͤhlde des Domenichino. Es zeigt ſchon
den Ausdruck naiver Grazie und Sittſamkeit, der
dieſem Kuͤnſtler ſo ſehr eigen iſt.


Mehrere academiſche Figuren mehrentheils
als Caryatiden rund umher vertheilt,
ſind viel-
leicht die nackten maͤnnlichen Koͤrper, die ſeit Wieder-
herſtellung der Kuͤnſte am richtigſten gezeichnet ſind.
Einige derſelben ſind von blaͤſſerem Colorit. Man
haͤlt ſie fuͤr Arbeiten des Agoſtino Carraccio. Die
Figur, die das Medaillon des Pans und der Syrinx
haͤlt, iſt von Ludovico Carraccio.


Hin und wieder ſind auch einige Maſken von vor-
trefflichem Ausdruck angebracht.


Sollte ich im Allgemeinen ein Urtheil uͤber dieſe
Gallerie faͤllen; ſo wuͤrde ich ſagen: es iſt eine
Sammlung richtig, und im großen Stile gezeich-
neter academiſcher Figuren, die nach ungefaͤhren
Verhaͤltniſſen der Fabel vereinigt, in ſchoͤne Grup-
pen vertheilt, die Flaͤche vortrefflich ausfuͤllen.


Statuen in dieſer Gallerie.

Statuen.

Ganymed. Kopf und Arme modern, ſo wie
der Kopf des Adlers.


Eine weibliche bekleidete Figur. Der Kopf
ſcheint ein Portrait.


Eine andere weibliche bekleidete Figur
reſtaurirt als Ceres.


Ein
[23]Pallaſt Farneſe.

Ein gefluͤgelter Genius reſtaurirt als
Apollo. Die Haare auf der Stirn zuſammen ge-
bunden, und der Koͤcher am Stamm haben zu dieſem
Irrthume Gelegenheit gegeben. Beide Arme ſind
modern. Der Charakter iſt vortrefflich. Man ſieht
deutlich, daß dieſe Figur ehemals einen Theil einer
Gruppe ausgemacht hat.


Ein junger Faun, der ein Kind auf ſeinen
Armen haͤlt.
Die Statue hat durch die Ergaͤn-
zung viel gelitten.


Ein Torſo eines jungen Mannes, der durch
einen modernen Kopf, moderne Arme und Beine als
Antinous reſtauriret iſt. Das was alt an der Sta-
tue iſt, iſt ſchoͤn.


Apollo aus ſchwarzem Marmor den einen
Arm auf dem Kopfe, den andern auf der Leier; uͤber
Lebensgroͤße. 6 b)


Mercur. Die Haͤlfte des Caducaͤus iſt an-
tik, daher uͤber die Idee des Kuͤnſtlers kein Zweifel
ſeyn kann. Allein, ob die Idee des Kuͤnſtlers durch
den Charakter erreicht ſey, den er ſeinem Werke gege-
ben hat? dies iſt eine andere Frage. Mercur, BoteCharakter
des Mer-
curs.

der Goͤtter, Vorſteher der Palaͤſtra, Sinnbild der
Kriegsliſt, muß einen geſchmeidigen, behenden und
gewandten Koͤrper haben, und von allen dieſen zeigt
unſere Figur gerade das Gegentheil. Die große
Aehnlichkeit derſelben mit dem ſogenannten Antinous
im Belvedere hat viele bewogen, dieſe letzte nach der
Farneſiſchen zu erklaͤren. Allein, kann es nicht moͤg-
lich ſeyn, daß der Kuͤnſtler, der einen Mercur zu bil-
B 4den
[24]Pallaſt Farneſe.
den hatte, hingeriſſen von der Schoͤnheit jener Statue
im Belvedere, ſie zum Vorbilde ſeiner Vorſtellung
genommen habe? Dieſes ſcheint mir mit vielen andern
ſicherer als bei der auffallenden Schwerfaͤlligkeit der
Statue im Belvedere, ihr einen Nahmen beizulegen,
der dem allgemein beobachteten Charakter des Mer-
curs ſo ſchnurſtracks widerſpricht. Es iſt zu bemer-
ken, daß unſere Figur, wider die gewoͤhnliche Vor-
ſtellungsart bei Goͤttern, Haare uͤber der Schaam
traͤgt.


Bacchus. Kopf und Koͤrper ſcheinen allein alt.


Ein Faun, der einen jungen Bacchus
traͤgt;
eine ſehr ſwelte Figur.


Drei Koͤpfe des Domitians. So wenig
Zuverlaͤßigkeit die Benennungen der Buͤſten uͤber-
haupt haben, ſo wenig haben es beſonders diejenigen,
die mit dem Nahmen dieſes Kaiſers belegt ſind. Man
weiß, daß beinahe alle Bildniſſe deſſelben nach ſeinem
Tode zerſchlagen wurden.


  • Zwei Caͤſars, Buͤſten.
  • Marc Aurel, Buͤſte.
  • Hadrian, Buͤſte.

Caracalla.

Caracalla aus Marmor. Einer der ſchoͤn-
ſten Koͤpfe des Alterthums. Der Ausdruck trotziger
Grauſamkeit iſt vortrefflich.


Farneſiſche
Vaſe.

Eine Vaſe mit Figuren von der Art der-
jenigen, die man Etruſciſch nennt. 6 c) Sie ſcheinen
ein Opfer des Bacchus vorzuſtellen. Form und Aus-
arbeitung ſind gleich vortrefflich.


Zwei-
[25]Pallaſt Farneſe.

Zweites Zimmer.
Statuen
.


Zwei Hunde.


Ein ſchlafender Amor.


Ein ſehr freies Bacchanal an einem Sar-
cophag. Die Ausfuͤhrung ziemlich mittelmaͤßig.
Marc Antonio hat es nach einer Zeichnung Raphaels
geſtochen, und in dieſer ſind viele Fehler verbeſſert.


Ein ſchoͤner Kopf eines Alten mit Wein-
reben bekraͤnzt.
Man nennt ihn gewoͤhnlich: Mi-
thridates.


Ein Mercur aus Bronze uͤber den Mercur
in der Großherzoglichen Gallerie zu Florenz abge-
goſſen. 7 a)


Figur eines bekleideten Juͤnglings aus
Bronze
von großer Schoͤnheit.


Zwei Koͤpfe des Pabſtes PaulIII.aus
Marmor.
Der eine iſt von Michael Angelo, der
andere, deſſen Gewand mit Stickerei gezieret iſt, von
della Porta.


Ein anderes Basrelief mit einem Bac-
chanale.


Eine verwundete Amazone, die vom Pferde
faͤllt,
des Coſtums wegen merkwuͤrdig. Sie traͤgt
einen breiten Guͤrtel unter der Bruſt.


Ein Kleiner Meleager von rothem Marmor.


B 5Ein
[26]Pallaſt Farneſe.

Ein Saal mit Gemaͤhlden von Vaſari,
Salviati und Zuccari.


Dieſer Saal kann auf eine bequeme Art dazu
dienen, den Liebhaber auf die Verdienſte aufmerkſam
zu machen, welche die Carracci um die Wiederher-
ſtellung des guten Geſchmacks gehabt haben. Die
Stil der
Nachahmer
Raphaels,
des Michael
Angelo, und
Tizians.
ſpaͤteren Schuͤler der großen Meiſter, Raphael, Mi-
chael Angelo, Tizian, begnuͤgten ſich ihre Werke zu
beſtehlen, ohne die Natur zu Rathe zu ziehen, ohne
uͤber ihre Kunſt zu denken. Sie bedeckten handwerks-
maͤßig die Waͤnde mit einer Menge entlehnter Figu-
ren, und um neu zu ſcheinen, gaben ſie ihnen gezwun-
gene Stellungen, verzerrte Gebaͤhrden, und Geſich-
ter ohne Ausdruck. Wollten ſie Reitz anbringen, ſo
ward er zur Affektation. Die weſentlichen Zuͤge der
Wahrheit wurden der Genauigkeit in Nebendingen
aufgeopfert. Kurz! Alles in dieſen Meiſtern zeigt
die Nachahmer an, die durch Uebertreibung Originale
zu werden hoffen.


Großer Saal mit Statuen.


Gruppe des Alexander Farneſe gekroͤnt
von den Haͤnden des Sieges, zu ſeinen Fuͤßen
die gefeſſelte Schelde und das kniende Flan-
dern.
Guasparo Celio hat ſie gezeichnet; die Aus-
fuͤhrung iſt von Simone Maſſino. Das ganze Werk
iſt mittelmaͤßig, aber merkwuͤrdig, weil dieſe unge-
heure Maſſe aus einem einzigen Marmorblocke ge-
hauen iſt, der von dem Sturze einer Saͤule aus dem
Friedenstempel genommen ſeyn ſoll.


Hier
[27]Pallaſt Farneſe.

Hier ſtehen auch die beiden Figuren der Chari-
tas
und des Ueberfluſſes von della Porta, welche
fuͤr das Grabmal Pauls III. in der Peterskirche be-
ſtimmt waren, von Michael Angelo aber verworfen
wurden. Ich glaube mit Recht.


Unter den uͤbrigen Statuen bemerkt man einen
ſitzenden Apollo
und vier Figuren, welche fuͤr
Ringer 7 b) gehalten werden. Zwei derſelben haben
die Haare reihenweiſe in laͤnglichte und geringelte Lo-
cken gelegt. Winkelmann 8) rechnet ſie unter die
ſchoͤnſten Statuen von Rom; daran aber, duͤnkt mich,
thut er der Sache zu viel.


Unter den Buͤſten in dieſem Saale iſt wenig
Merkwuͤrdiges.


In einem Cabinette.


Mahlereien von Agoſtino und Annibale
Carraccio.
Sie dienten dem Cardinal Farneſe,
der ſeinen Pallaſt mit Mahlereien zieren laſſen wollte,
zur Probe der Geſchicklichkeit dieſer Kuͤnſtler.


Am Plafond Hercules zwiſchen Tugend und
Laſter
in Oel, eine Copie des Originalgemaͤhldes,
das nach Neapel gegangen iſt.


Die uͤbrigen Gemaͤhlde ſind al Freſco.


Hercules haͤlt die Himmelskugel, waͤhrend,
daß die Aſtronomie und die Mathematik, un-

ter
[28]Pallaſt Farneſe.
ter der Geſtalt zweier alten Philoſophen, be-
ſchaͤfftiget ſind ſie auszumeſſen.


Perſeus haut der Meduſa den Kopf ab,
unter dem Beiſtande der Minerva und des
Mercurs.


Anapias und Amphinomus retten ihre Ael-
tern aus den Flammen.


Ulyſſes entgeht den Nachſtellungen der
Sirenen.
Eine Compoſition, die von einem ge-
ſchnittenen Steine genommen iſt.


Ulyſſes, dem Circe den Zauberbecher dar-
reichet.


Hercules, den ein edler Muth ergreift, da
er Waffen und Ungeheuer um ſich ſieht.


Alle dieſe Gemaͤhlde haben die Vorzuͤge, die die-
ſen Meiſtern eigen ſind. Schoͤne mahleriſche Anord-
nung, Wahrheit und Beſtimmtheit der Zeichnung,
Groͤße in den Formen.


Rund umher ſind † grau in grau gemahlte
Verzierungen
nach Art der Stuccaturarbeit. Man
kann den Betrug nicht hoͤher treiben.


In dem Porticus des Hofes nach dem
Garten zu.


Eine bekleidete weibliche Figur coloſſa-
liſch.
Sie iſt derjenigen aͤhnlich, die im Muſeo
Clementino ſtehet, und von großem und vortrefflichem
Charakter. Sie traͤgt einen breiten Guͤrtel. Die hohen
Sohlen ſcheinen eine tragiſche Muſe anzudeuten. 9 a)


In
[29]Pallaſt Farneſe.

In einem Verſchlage von Brettern
auf dem Hofe.


Der ſogenannte Farneſiſche Stier.


Unter dieſem Nahmen iſt eine Gruppe aus Mar-Der Farne-
ſiſche Stier.

mor, von ungeheurem Umfange bekannt. Sie ſtellt
folgende Fabel vor: Zethus und Amphion, Soͤhne
der Antiope und des Jupiter, der ſie unter der Ge-
ſtalt eines Satyrs hintergangen hatte, waren am
Fuße des Cithaͤron in Boͤotien ausgeſetzt, und unter
den Hirten erzogen worden. Lycus Koͤnig von The-
ben hatte die Antiope, auf Anreitzen ſeiner Gemahlin
der Dirce, ſehr uͤbel behandelt; ſie entfloh; der Zu-
fall fuͤhrte ſie zu ihren Soͤhnen auf dem Cithaͤron, die
ſie fuͤr ihre Mutter erkannten, und ihre erlittenen
Kraͤnkungen an der Dirce auf eine grauſame Weiſe
taͤchten; Sie banden ſie an einen wilden Ochſen, und
ließen ſie ſchleifen.


Das Werk, das wir hier vor uns haben, ſtellt
beide Bruͤder vor, im Begriff die grauſame Strafe
an der Dirce zu vollziehen. Außer dieſen Perſonen
finden ſich noch dabei eine weibliche Figur, ein Juͤng-
ling, und eine Menge Nebenfiguren auf einem Fel-
ſenberge.


Dieſes Ganze macht weder eine ſchoͤne Gruppe,
noch eine verſtaͤndliche Zuſammenſetzung aus. Es
finden ſich einzelne Theile daran, die ſchoͤn ſind, aber
als Werk betrachtet, das heißt, als ein vernuͤnftig
gedachtes Ganze, kann es fuͤr den Liebhaber keinen
Werth haben. Es fehlt durchaus an Ausdruck und
Zuſam-
9 a)
[30]Pallaſt Farneſe.
Zuſammenhang. Man kann es als eine Sammlung
von ſchoͤnen Bruchſtuͤcken anſehen.


Winkelmann 9 b) giebt die Stuͤcke an, die an
dieſer Gruppe der gemeinen Meinung zuwider neu ſeyn
ſollen, und nennt den Battiſta Bianchi einen Mai-
laͤnder als den Ergaͤnzer. Es ſcheint, daß Winkel-
mann bei dieſer Angabe zu keck verfahren ſey, und der
Herr Hofrath Heyne 10) hat bereits den Irrthum in
Anſehung des Nahmens des Ergaͤnzers geruͤgt.


Da die Gruppe als Kunſtwerk ganz außer mei-
nem Plane liegt, ſo habe ich mich nicht dabei aufhal-
ten wollen, die Wahrheit der Winkelmanniſchen
Nachricht im Detail zu pruͤfen. 11)


Wichti-
[31]Pallaſt Farneſe.

Wichtiger wird es mir hier ein Paar Anmerkun-
gen einzuſchieben, wozu mir die Fehler dieſes Werks
Anlaß geben: Die Ueberladung deſſelben mit Figuren,
die zum Theil nur in entferntem Verhaͤltniſſe mit der
Haupthandlung ſtehen, und der Fleiß, der auf die
Nebenfiguren gewandt iſt.


Sehr gehaͤufte Figuren ſind jedem Werke derSehr ge-
haͤufte Fi-
guren ſind
einem jeden
Werke der
Kunſt ſchaͤd-
lich.

Kunſt ſchaͤdlich. Sie machen ſelten die Abſicht des
dargeſtellten Werks deutlicher; gemeiniglich dienen ſie
nur dazu, den Begriff, den ſich der Zuſchauer von
der Handlung machen ſoll, zu verwirren.


Zum Vergnuͤgen wird Beſchaͤfftigung der Seele
erfordert, nicht qualvolle Anſtrengung. Je deutli-
cher die Beziehung einer jeden Figur wird, die der
Kuͤnſtler in die Compoſition ſeines Werks gebracht
hat, um deſto groͤßer iſt die Wuͤrkung.


Sollen wir erſt muͤhſam nachſinnen, warum wir
dieſe oder jene Figur hier ſehen, ſo faͤllt die Ruͤhrung
weg, die gemeiniglich von dem erſten Blick abhaͤngt.


Es iſt daher jedem Kuͤnſtler anzurathen, daß er
nur ſo viel Figuren in ſeinen Werken anbringe, als
zum Verſtaͤndniß der Handlung nothwendig ſind.
Bedarf
11)
[32]Pallaſt Farneſe.
Bedarf er einiger Nebenfiguren, theils zum Grup-
piren, theils dem Auge einen angenehmen Ruhepunkt
Gar zu be-
ſorgte Ne-
benwerke
ſchaden dem
Eindruck des
Ganzen und
vorzuͤglich
der Haupt-
figuren.
darzubieten, ſo waͤhle er ſie mit moͤglichſter Sparſam-
keit, und behandle ſie nicht mit einem Fleiße, der die
Aufmerkſamkeit von den Hauptfiguren abzieht. Ich
werde noch oft Gelegenheit finden, zu bemerken, mit
welcher Weisheit die großen Kuͤnſtler des Alterthums,
die Nebenfiguren mit anſcheinender Nachlaͤßigkeit den
Hauptfiguren in ihren Werken aufgeopfert haben.


Ein anderer Grund, warum der Kuͤnſtler ſich der
Ueberladung ſeiner Werke mit uͤberfluͤßigen Nebenfi-
guren ſo viel moͤglich enthalten muß, iſt dieſer: Die
gleichzeitige Beaͤugung aller Theile eines Kunſtwerks
gibt dem Auge allein jenen deutlichen Begriff des
ſichtbar Geordneten und Uebereinſtimmenden, der,
noch weiß man nicht, aus welcher Urſach, der Seele
ſo angenehm iſt. Selten bringt eine ſehr weitlaͤuftige
Compoſition, an deren Theilen die Axe des Auges ſich
langſam hinbewegen muß, dieſen Eindruck hervor.


Der Bild-
hauerkunſt
iſt die Ueber-
ladung eines
Werks mit
uͤberfluͤßigen
Figuren viel
nachtheiliger
als der Mah-
lerei.

Der Mahler hat hier freiere Haͤnde als der Bild-
hauer. Koͤrper, die an ſich flach ſind aber rund er-
ſcheinen, koͤnnen in einem kleinen Raume hinter ein-
ander nach den Regeln der Gruppirung oft nur mit
halben Koͤrper hervorſtehend zuſammengebracht wer-
den. Die Bildhauerarbeit liefert runde Koͤrper.
Wollte man dieſe, wie in einem Gemaͤhlde hinter ein-
ander ſtellen, ſo wuͤrde der Zuſchauer entweder die
Muͤhe bedauern, die an die Ausarbeitung nicht zum
Vorſchein kommender Theile verſchwendet iſt, oder
er wuͤrde wohl gar dasjenige, was er nicht ſehen kann,
und doch zu ſehen wuͤnſcht, fuͤr eine Entbehrung hal-
ten, die den Genuß vermindert.


Ferner:
[33]Pallaſt Farneſe.

Ferner: um ein ſolches weitlaͤuftiges Ganze alsUeberhaupt
ſind weit-
laͤuftige
Compoſitio-
nen dem
Bildhauer
nicht anzu-
rathen: Ue-
ber die mah-
leriſche
Gruppirung
geht die
Schoͤnheit
einzelner Fi-
guren ver-
lohren:
Vielleicht iſt
er nicht ein-
mahl im
Stande die
Wuͤrkung ei-
ner mahleri-
ſchen Gruppe
vollſtaͤndig
zu erreichen.

eine mahleriſche Gruppe zu uͤberſehen, muß man ſich
nothwendig ſo weit davon entfernen, daß die Schoͤn-
heit des Details dem Auge entgeht. Soll man hinzu-
gehen, die Schoͤnheit der einzelnen Formen zu bewun-
dern, oder fern bleiben, und ſich den Eindruck der
Form der Gruppe im Ganzen genuͤgen laſſen? Dieſer
Streit hat nichts Angenehmes.


Die Wahl des Standorts, aus dem man ein
Gemaͤhlde betrachtet, haͤngt von ganz andern Regeln
ab, als die Wahl desjenigen, den man bei Betrach-
tung eines Bildhauerwerks annehmen muß. Es iſt
eine allgemeine Verabredung daruͤber, daß man die
Handlung, die auf einem Gemaͤhlde vorgeſtellet wird,
ſich denkt, als werde ſie aus einem Fenſter oder durch
eine andere Oeffnung geſehen. Der Rahmen ſchneidet
den Ort, wo die Handlung vor ſich geht, von dem
Standorte ab, und wir denken nicht ſo genau an die
Maaße der Entfernung. Bei einer Gruppe von
Bildſaͤulen iſt eine ſolche willkuͤhrliche Verabredung
nicht wohl moͤglich. Mit ihr ſehen wir zugleich Gar-
ten, Zimmer u. ſ. w. und wir machen uns keine
Illuſion daruͤber, daß dasjenige, was nur wenige
Schritte von uns entfernt iſt, es um einige hundert
ſeyn koͤnne.


Nicht das allein: Was macht die Schoͤnheit
einer Gruppe? Der Zuſammenhang, das Ineinan-
dergreifen der verſchiedenen Figuren, deren Umriſſe
das Auge verfolgt, und unmerklich von einer auf die
andere endlich zum Ganzen geleitet wird. Der Zipfel
des Gewandes einer Figur fuͤhret zunaͤchſt auf die
Hand einer andern u. ſ. w. In der Mahlerei ſind
Erſter Theil. Cſie
[34]Pallaſt Farneſe.
ſie an einander geheftet, die Abſaͤtze ſind bedeckt, man
denkt ſie, man ſieht ſie nicht. Hingegen in der ganz
runden Bildnerei haͤngt Alles von der Wahl des
Standortes des Zuſchauers ab, ob die verſchiedenen
Figuren in einander greifen: er darf ſich nur ein we-
nig anders ſtellen, ſo iſt ein Abſatz da, ſo haͤngt die
Gruppe nicht mehr zuſammen.


Die Bildhauerkunſt liefert den vollſtaͤndigſten Be-
griff ſchoͤner Formen, in ſo weit dieſe aus Umriſſen,
das heißt, aus Erhoͤhungen und Vertiefungen beſtehen.
Wenn wir uns ſo weit entfernen, daß dieſe verlohren
gehen, ſo opfern wir den erſten Anſpruch auf, den wir
an dieſe Kunſt machen duͤrfen.


In der That, die Aufſtellung mehrerer Statuen
in mahleriſche Gruppen ſcheint die gewuͤnſchte Wuͤr-
kung nicht hervorzubringen.


Das Bad des Apollo vom Girardon zu Ver-
ſailles beſtaͤtiget dieſen Grundſatz. Es thut, ſo wie
es da ſteht, als ein fuͤr ſich beſtehendes Kunſtwerk
keine Wuͤrkung, und ich zweifle, daß man Recht
habe, ſich daruͤber zu beklagen, daß die Gruppe der
Niobe zu Florenz nicht nach mahleriſchen Regeln neben-
einander aufgeſtellt ſey.


Zuweilen werden weitlaͤuftige Compoſitionen von
Bildhauerarbeit an Gebaͤuden angebracht, und thun
Wuͤrkung. Allein nicht wie ſchoͤne Darſtellungen
intereſſanter Handlungen, oder als Ideale ſchoͤner
menſchlicher Formen, ſondern als architektoniſche
Zierrathen.


Die Bildhauerkunſt verlangt unter den bildenden
Kuͤnſten die langſamſte mechaniſche Behandlung.
Sollte wohl waͤhrend einer Ausarbeitung, die mehrere
Jahre
[35]Pallaſt Farneſe.
Jahre erfordert, jene Idee von Schoͤnheit ſich in ihrer
goͤttlichen Lebhaftigkeit erhalten koͤnnen, die gleich ei-
nem Strahle des Lichts den Kuͤnſtler nur in Stunden
der Begeiſterung erleuchtet?


Weitlaͤuftige Compoſitionen liegen, wie ich glau-
be, ganz außer den Graͤnzen der runden Bildnerei
in Stein.


Ein ſchoͤnes Basrelief. Bacchus lehnt
ſich auf einen Faun, ein anderer traͤgt eine Vaſe, eine
Nymphe ſpielt auf Floͤten, und eine andere ſchlaͤgt
Becken zuſammen. Es hat gelitten, aber es bleibt
dem ohngeachtet ſowohl in Anſehung der ſchoͤnen Um-
riſſe, als der beſorgten Ausarbeitung eines der ſchoͤn-
ſten Basreliefs, die ſich aus dem Alterthum auf uns
erhalten haben.


Ein anderes gleichfalls beſchaͤdigt, aber
gleichfalls ſchoͤn, ſtellt einen jungen Menſchen vor,
der eine Leier haͤlt, und ſich auf eine junge weibliche
Figur ſtuͤtzt, waͤhrend daß zwei andere auf einem
Bette ſitzen.


Auf einem dritten, Amorinen, die ein Wett-
rennen mit Wagen halten; einer ſtuͤrzt. In Anſe-
hung der Ausfuͤhrung weniger bedeutend.


Auf einem vierten ſieht man eine Geſellſchaft
mit Schauſpielern; man nennt es: Trimalcion, der
zu ſeinen Gaͤſten kommt. Ein Schwelger, der mei-
nen Leſern aus dem Petronius bekannt ſeyn wird. Die
Benennung iſt aber ohne allen Grund. Es ſtellt ein
Gaſtmahl vor, das vielleicht mit den Bacchiſchen
Orgien in Verbindung geſtanden hat.


C 2In
[36]Pallaſt Farneſe.

In dieſem Verſchlage ſtehen noch mehrere Bruch-
ſtuͤcke von Statuen, die ſehr ſchoͤn ſind, einige große
Fuͤße und viele kleine Koͤpfe.


In dem Gartengebaͤude hinter dem
Pallaſte.


Am Plafond des Porticus: Venus findet den
Adonis todt, vom Domenichino.


In einem Nebenzimmer: Apollo und Hya-
cinth, von eben dem Meiſter.


In einem Zimmer gegenuͤber ſoll noch ein Pla-
fond vom Domenichino ſeyn; ich habe es nicht geſehen.
Was ich geſehen habe, war ſehr beſchaͤdigt, und ſchien
nicht aus des Mahlers beſter Zeit zu ſeyn.


In dem Garten.


Mercur, der die Herſe umarmt, eine an-
tike Gruppe. Mercur iſt unproportionirlich groß ge-
gen die Herſe. Der Kopf und das eine Bein ſind
neu, Rumpf und Haͤnde ſchoͤn, letztere vorzuͤglich be-
ruͤhmt. An der Herſe iſt der Kopf mit der Haͤlfte der
Bruſt neu, das uͤbrige alt und ſchoͤn. Die Haͤnde ver-
dienen alle das Gute, was Winkelmann davon ſagt. 12)


Pan lehrt einen Faun auf der Floͤte
ſpielen.


Eine Bacchantinn. Kopf und Arme von
weißem Marmor ſcheinen neu; das Gewand von
ſchwarzem und umguͤrtet, zeigt das Nackte vortreff-
lich an.


Eine
[37]Pallaſt Farneſe.

Eine Nymphe. Das Gewand gleichfalls von
ſchwarzem Marmor, uͤber den Huͤften geguͤrtet. Kopf
und beide Arme ſcheinen neu, das uͤbrige iſt von außer-
ordentlicher Leichtigkeit und ſchoͤner Execution 13).


C 3Der
[38]

Der Vaticaniſche Pallaſt.


Grund war-
um dieſer
Pallaſt in
Ruͤckſicht
auf den
Zweck dieſes
Buchs in der
Ordnung
der zweite iſt.

Der Liebhaber, der zu mehreren Mahlen den Far-
neſiſchen Pallaſt beſucht hat, wird ſein Auge
an Groͤße des Stils und an Richtigkeit der Zeichnung
gewoͤhnt haben. Jetzt iſt es Zeit, ihn in den Vati-
caniſchen Pallaſt zu begleiten, um das Gefuͤhl fuͤr
Schoͤnheit in ihm zu entwickeln.


Nicht ohne heilige Ehrfurcht nahe ich mich ſelbſt
in der Erinnerung dem Orte, wo meine Seele die
heiterſten und unvermiſchteſten Freuden genoſſen hat!


Muſeum
Clementi-num.

Sammlung der antiken Statuen, die
Clemens der XIV. angelegt und Pius
der VI. vermehrt hat, gemeiniglich das
Muſeum Clementinum
genannt.


Eine Anmer-
kung uͤber
den Ort, der
zur Aufſtel-
lung der
Statuen der
vortheilhaf-
teſte ſeyn
duͤrfte.

Man hat viel Pracht an das Behaͤltniß ver-
ſchwendet, um den Liebhaber um den vollſtaͤndigen
Genuß des Aufbehaltenen zu bringen.


Man hat die Statuen rund umher an die Waͤnde
von Saͤlen aufgeſtellt, in denen ſie zum Theil gegen
das Licht geſehen werden; in Rotunden, deren Fenſter
ſie von allen Seiten beleuchten.


Wenn man jetzt von der wahren Wuͤrkung der
Statuen urtheilen will, ſo muß man ſie bei Fackeln
ſehen, und in Geſellſchaft eines aufgeklaͤrten Fuͤhrers,
der die Beleuchtung dirigirt.


Warum
[39]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Warum iſt man nicht dem Beiſpiel der Alten in
Aufſtellung ihrer Statuen gefolgt? Sie hatten lange
Gallerien; an der einen Wand waren Niſchen, darin
ſtanden die Statuen; an der andern gegen uͤber waren
Fenſter in der Hoͤhe, dadurch fiel ein ſehr vortheilhaf-
tes Licht herab.


Man haͤtte dieſen Vortheil mit ſo wenig Muͤhe
haben koͤnnen! Ein langer Gang fuͤhrt zu dem gegen-
waͤrtigen Behaͤltniß der Statuen, nur an der einen
Seite ſind Fenſter. Haͤtte man doch hieher die be-
traͤchtlichſten Kunſtwerke zum Anſchauen geſtellt! Die
gelehrten Innſchriften, die in die Waͤnde incruſtirt
ſind, haͤtte man ja anderswo eben ſo gut leſen koͤnnen.


Erſtes Zimmer.


Zwei Leuchter aus dem Hauſe Barberini.
Sie ſtehen auf einem dreieckigten Fußgeſtelle, mit
Figuren in Basrelief. Minerva Salutifera, oder
Hygea, eine Iſis nach der Lotusblume zu urtheilen,
die ſie in der Hand haͤlt, und Mars. Dieſe ſtehen
auf dem einen: Auf dem andern Jupiter, Juno und
Mercur.


Beide Leuchter ſind in doppelter Ruͤckſicht unſerer
Aufmerkſamkeit werth.


Sie ſind von ſchoͤnſter Form: Sowohl im Gan-
zen, als in den einzelnen Zierrathen, die mit aͤußerſter
Liebe beſorgt, leicht und fließend gezeichnet, und weich
behandelt ſind.


Der Stil der Zeichnung in den Figuren contra-Beſtimmung
des ſoge-
nannten

ſtirt mit dieſer Leichtigkeit, mit dieſem Fließenden der
C 4Zeichnung
[40]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Etruſciſchen
Stils, ſo-
wohl des ur-
ſpruͤngli-
chen, als des
nachgeahm-
ten.
Zeichnung in den Zierrathen. Er iſt hart und eckigt,
dieſer Stil, wie wir ihn den Zeiten zutrauen koͤnnen,
in denen man noch nicht bis zu dem Begriff der
Schoͤnheit vorgeruͤckt war, ſondern ſich genau an
beſtimmte Wahrheit hielt.


Dieſe Vermiſchung fuͤhrt auf die Vermuthung,
daß der Kuͤnſtler ſich in einen Stil hineindachte, der
dem ausgebildeten Zeitalter, in dem er lebte, nicht
eigen war, den er aber beibehalten mußte, wenn er
Tempelwerke arbeitete, wo Religion die Hauptabſicht
war, wo, ſo zu ſagen, der Geſchmack der Religion
nicht geaͤndert werden konnte.


Der groͤßte Theil religioͤſer Vorſtellungen der Al-
ten ſtammt aus Zeiten her, in denen ſie von der
Schoͤnheit noch keinen Begriff hatten. Bei zuneh-
mender Cultur haben ſie dieſelben groͤßtentheils nach
jenem Begriffe umgeſchaffen; zuweilen aber haben
ſie, vielleicht um den Eindruck feierlicher zu machen,
die aͤltere Form in ſo fern beibehalten, als ſie dem
Begriffe von Schoͤnheit nicht gerade zu widerſprach.


Man bezeichnet die Figuren des mythiſchen Cir-
kels der Alten, deren Vorſtellungsart in den Attribu-
ten, in der Darſtellung gewiſſer Handlungen von den
bekanntern Begriffen der Fabel abweichen, deren
Stil (vielleicht beſſer, deren Manier) Beſtimmtheit,
Ebenmaaß, Richtigkeit, aber auch Haͤrte, Trocken-
heit, ſcharfe eckigte Umriſſe zeigt; Gewaͤnder, die an
das Nackte kleben; mit dem Nahmen Etruſciſcher
Werke, oder: Werke im Etruſciſchen Stile.


Dieſe Benennung dient blos zur Unterſcheidung
der Werke dieſer Art von ſolchen, an denen wir
verfeinerte Begriffe von Schoͤnheit und ſymboliſcher
Bedeu-
[41]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Bedeutung bemerken, und daher den Griechen und
ihren Nachfolgern den Roͤmern, als Voͤlkern bei denen
die Cultur aufs Hoͤchſte geſtiegen iſt, eher zutrauen
duͤrfen.


Abkoͤmmlinge aͤlterer Griechen haben ſich fruͤh
mit den aͤltern Bewohnern Etruriens vermiſcht, und
ihnen ihre religioͤſe Vorſtellungsarten mitgetheilt. EinDer Liebha-
ber vermengt
den Begriff
des Etruſci-
ſchen und Alt-
griechiſchen
Stils aus
guten Gruͤn-
den.

ausgebreiteter Handel, die Nachbarſchaft von Groß-
griechenland, haben nachher die Verwandtſchaft unter
den Ideen beider Voͤlker unterhalten, und wahrſchein-
lich haben ſie ſich bei ihrer gemeinſchaftlichen Ausbil-
dung die Hand geboten. Allein zu einer Zeit als die
Griechen noch nicht bis zur hoͤchſten Idee von Schoͤn-
heit fortgeruͤckt waren, verlohr die foͤderative Repu-
blik der Etruſcer Freiheit, oder wenigſtens Ruhe und
Wohlſtand. Mit ihnen ging die Unbefangenheit und
Hoheit des Geiſtes verlohren, durch die ſich dieſer al-
lein zur Vollkommenheit in den Kuͤnſten hebt.


Die aufgeklaͤrteſten Kenner des Alterthums geſte-
hen, daß ſowohl in Anſehung der Erfindung als der
Ausfuͤhrung der Unterſchied zwiſchen den Werken
Etruſciſcher Kuͤnſtler und Altgriechiſcher ſich nur ſehr
unzuverlaͤßig angeben laͤßt, wenn nicht Etruſciſche
Schrift oder der Ort der Findung die Beſtimmung
erleichtert. Wir Liebhaber begnuͤgen uns unter dem
allgemeinen Nahmen: Etruſciſcher Werke, ſowohl
die Werke dieſes Volks als die Werke der aͤlteren
Griechen zu begreifen.


Die Figuren an unſern Leuchtern ſind im Stile
Etruſciſcher Werke gearbeitet, aber wie man ſelbſt aus
C 5der
[42]Der Vaticaniſche Pallaſt.
der Behandlung ſieht, in Zeiten, wo dieſer Stil nicht
der herrſchende war.


Ein dritter Leuchter vom Cardinal Zelada
hieher geſchenkt. Auf dem dreieckigten Fußgeſtelle Fi-
guren: Jupiter, Hercules der den Apollo verfolgt,
Apollo der mit dem geſtohlnen Dreifuß flieht. Der
letzte iſt beſonders ſchoͤn. Vorſtellungsart und Stil
der Ausfuͤhrung an den Figuren ſind Etruſciſch. Der
Leuchter ſelbſt ſteht weder an Schoͤnheit der Idee, noch
beſorgter Ausfuͤhrung, dem vorigen nach.


Ein vierter Leuchter vom Piraneſe gekauft.
Die Form iſt ſimpler als an dem vorigen. Die Fi-
guren rund umher ſtellen Bacchantinnen vor. Der
Stil, Etruſciſch.


Charakter
der Flußgoͤt-
ter.

Ein Flußgott. Der Charakter der Flußgoͤtter
iſt im Ganzen rauhes Alter, aber ohne Graͤmelei,
ohne abgemergelten Koͤrper. An unſerer Statue ſind
Kopf und Arme von Michael Angelo ergaͤnzt.


Es iſt ſonderbar! Michael Angelo hatte die groͤßte
Ehrfurcht fuͤr die Antiken; er hat ſie oft copirt, er
hat ſie ergaͤnzt; Man ſollte denken, er muͤßte ſich
ſelbſt wider ſeinen Willen in ihren Stil hinein gedacht
haben. Aber nein! Sein Geſchmack an dem Auf-
fallenden und Wilden, die Sucht, ſeine Kenntniß
des Muſkeln- und Knochenbaues zu zeigen, haben ihn
ſogar verfuͤhrt, wider die Geſetze der nothwendigen
Uebereinſtimmung der Theile unter einander zu han-
deln. Der antike Rumpf dieſes Flußgottes zeigt, der
Beſtimmtheit unbeſchadet, ein ſanftes fließendes
Muſkelnſpiel. Aber der Kopf, den der neuere Kuͤnſt-
ler
[43]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ler aufſetzte, gehoͤrt einem aufgetrockneten Alten, oder
vielmehr einem ſkelettirten Studio der Anatomie. 1)


Zweites Zimmer.


Ein Basrelief. Pluto, Proſerpine, Iſis,
Amor. So ſagt man.


Ich
[44]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Allgemeine
Anmerkung
uͤber den
Werth anti-
ker Basre-
liefs.

Ich fuͤhre dieſes Basrelief, das an ſich ſchlecht
iſt, nur darum an, um uͤber dieſe Art von Kunſt-
werken im Allgemeinen eine Anmerkung zu machen.


Die mehreſten Basreliefs, die ſich aus dem Al-
terthume auf uns erhalten haben, und in den Samm-
lungen von Antiken angetroffen werden, ſind von
Sarcophagen, oder viereckt laͤnglichen Begraͤbnißur-
nen, abgeſaͤgt. Von dieſen Begraͤbnißurnen haben
wir nur wenige aus dem Flore der Kunſt. Sie wur-
den in ſpaͤterer Zeit auf den Kauf und zwar von mit-
telmaͤßigen Kuͤnſtlern verfertigt. Dies iſt der Grund,
warum ſie nur ſelten des Liebhabers Anſpruͤche auf
Schoͤnheit befriedigen. Inzwiſchen werde ich in der
Folge einige anzeigen, welche Aufmerkſamkeit verdie-
nen, und zu gleicher Zeit, durch welche Vorzuͤge ſie
dieſelbe verdienen.


Zwei Leuchter. Sie ſtanden ehemals in
der Kirche Santa Coſtanza fuor delle Mure.
Von ſchoͤnſter Arbeit, allein, vielleicht ein wenig mit
willkuͤhrlichem Blaͤtterwerk uͤberladen.


Vier maͤnnliche aegyptiſche Gottheiten von
ſchwarzem Granit, der dem Baſalt gleich koͤmmt.
Alle unter einander aͤhnlich, bis auf die Lotusblu-
me, die zwei derſelben auf dem Kopfe tragen. Sie
ſtehen auf Fußgeſtellen von griechiſcher Arbeit. Ei-
nes derſelben iſt mit Figuren gezieret, aber dieſe ſind
unbedeutend.


Ueber den
aͤchten Ae-
gyptiſchen
Stil. Die
Kennzeichen

Man kann an dieſen Statuen den aͤchten Aegypti-
ſchen Stil kennen lernen.


Dieſer reine Aegyptiſche Stil iſt von demjenigen
verſchieden, in welchem die Griechen die Vorſtellungs-
arten religioͤſer Ideen der Aegyptier in die ihnen eigene
ſchoͤne
[45]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ſchoͤne Natur verwandelt haben. Von den Werkendeſſelben
werden an-
gefuͤhrt, um
den Autor zu
rechtferti-
gen, wenn er
die Werke,
die ihn an
ſich tragen,
der Aufmerk-
ſamkeit des
Liebhabers
unwerth
haͤlt.

dieſer Art werde ich bei der Sammlung der Statuen
auf dem Capitol reden.


Die hoͤchſte Stufe des Aegyptiſchen Originalſtils
iſt Ueberwindung der Schwierigkeiten in Behandlung
der haͤrteren Marmorarten. Man bewundert in den
Urhebern der Werke dieſer Art den Handwerker, nicht
den Kuͤnſtler. Von Schoͤnheit zeigt ſich keine Ver-
muthung, und Wahrheit haben ſie kaum in einzelnen
Theilen beobachtet.


Werke in dieſem Stile ſind kein Gegenſtand der
Aufmerkſamkeit des Liebhabers; inzwiſchen will ich,
um die Abſonderung zu erleichtern, einige Kennzeichen
derſelben angeben.


Die Gegenſtaͤnde, die wir in dieſem Stile behan-
delt ſehen, ſcheinen alle mit der Verehrung der Gott-
heiten dieſes Volks in genauem Verhaͤltniſſe geſtanden
zu haben. Es ſind ſonderbahre Geſtalten, allegoriſche
Ungeheuer, oder Nachahmungen einer individuellen
Menſchenart in einem Coſtume, das ſich mit unſern
Begriffen von Schoͤnheit nicht vertraͤgt.


In der Ausfuͤhrung haben ſie einiges mit dem
rohen Stile der Kindheit der Kunſt bei jedem Volke
gemein. Das Steife, das Gezwungene der Stel-
lungen, die Unrichtigkeit der Zeichnung in den Extre-
mitaͤten, das ſchlechte Verhaͤltniß der Gliedmaaßen
unter einander, und die Sorgfalt, die wir auf die
mechaniſche Behandlung gewandt ſehen.


Allein dadurch unterſcheiden ſie ſich von den un-
vollkommenen Werken der Griechen, daß dieſe aus
uͤbertriebenem Geſchmack am Ebenmaaß, ſtets mit
dem Senkblei und dem Winkelmaaße in der Hand die
Natur
[46]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Natur nachgeahmt zu haben ſcheinen, und daher eher
das Geordnete und Regelmaͤßige als das Wahre in
ihre Figuren brachten. Hingegen die Aegyptier ſchei-
nen die Natur nach dem Augenmaaße nachgeahmt zu
haben, theilweiſe, ohne oͤrtliches Verhaͤltniß, ohne
Uebereinſtimmung; etwa wie Kinder, die bei ihren
rohen Verſuchen die einzelnen Theile, die ſie treffen,
in ein wahres Ganze nicht zu vereinigen wiſſen. Da-
her das Scharfe, Eckigte, Gradlinigte in den aͤlteren
Griechiſchen Werken; daher das Rundliche, Unbe-
ſtimmte, Wellenfoͤrmige in den Aegyptiſchen.


Die erſten erſcheinen wie Geſchoͤpfe der Einbil-
dungskraft, wie Weſen, deren Art wir nicht kennen:
Die andern wie mißrathene Nachahmungen wuͤrklicher
und bekannter Geſchoͤpfe.


Man findet außerdem an den Aegyptiſchen Figu-
ren eine gezogene Phyſiognomie, laͤnglichte in den
Winkeln hinauf gezerrte Augenlieder nach Art derjeni-
gen, die wir auf Chineſiſchen Gemaͤhlden ſehen, hohe
Backenknochen, platte zuweilen eingebogene Naſen,
einen zuruͤckweichenden kleinlichen Kinn, hochliegende
durch den Schleier gepreßte Ohren, große Bruͤſte,
ſchlauchartige Arme, ſchmaale Lenden, platte Fuͤße
mit langen Zehen.


Dieſe ſonderbaren Formen ſind zum Theil dem
individuellen Charakter der Vorbilder ihrer Nachah-
mung, zum Theil aber auch der Art, wie ſie nach-
ahmten, zuzuſchreiben.


Die Bekleidung iſt zuweilen durch bloße Ringe
um die Knoͤchel der Gelenke an Fuͤßen und Haͤnden,
und auf den Bruͤſten durch eingeſchnittene Strahlen
wie Speichen der Raͤder angegeben; zuweilen, (und
vielleicht
[47]Der Vaticaniſche Pallaſt.
vielleicht zeigt dies die Epoche einer hoͤheren Ausbil-
dung an) durch ſtrippenartige Falten.


So viel uͤber die Werke von Aegyptiſchem Origi-
nalſtil. Ich wende nun mein Auge von ihnen auf
immer.


Drittes Zimmer.


Bacchus lehnt ſich auf einen Faun; zu ſei-
nen Fuͤßen ein Panther.
Eine Gruppe, die mit
einer andern zu Florenz Aehnlichkeit hat. Der Comte
Giraud fand die unſrige zu Morena. Die Ergaͤn-
zungen ſind ziemlich unbetraͤchtlich. Vielleicht iſt die
Hand neu, die Bacchus dem Faun uͤber den Hals
fallen laͤßt, und einer der Fuͤße des Fauns.


Der allgemeine Charakter eines Bacchus iſtCharakter
des Bac-
chus.

weichliche Schoͤnheit maͤnnlicher Jugend, ein Koͤrper,
wie Winkelmann ſpricht, unter Roſen gepflegt, und
beſeelt von heiterer Froͤlichkeit. Die Umriſſe ſind
ſanft, und verlieren ſich in einer maͤßigen Voͤlligkeit.
Der rundliche aber nicht vorgeſtreckte Bauch und die
ausgeſchweiften Huͤften, wie ſie bei Weibern zu
ſeyn pflegen, ſind Hauptunterſcheidungszeichen dieſes
Gottes.


Gemeiniglich wird er in dem Uebergange aus dem
Knabenalter in die Juͤnglingsjahre gebildet, der un-
ſrige iſt aber ſchon ausgewachſener Juͤngling. Er
legt den Arm auf den Kopf, eine Stellung, die lie-
genden Perſonen im Schlafe gewoͤhnlich iſt. Man
hat ſie auf Stehende transferirt, als Symbol der
Ruhe. Er traͤgt ein Diadem, Attribut der Koͤnige
des
[48]Der Vaticaniſche Pallaſt.
des Orients, woher die Griechen die Idee dieſer Gott-
heit nahmen.


Ob man dieſe Statue gleich nicht als ein Ideal
von Schoͤnheit betrachten kann, ſo iſt das Spiel der
Muſkeln doch vortrefflich. Der Faun ſcheint dem
Eindruck, den die Hauptfigur machen ſollte, aufge-
opfert zu ſeyn.


Ganymed, bei ihm ein Adler. Die beiden
Arme und ein Fuß des Knabens, wie auch der Kopf
des Adlers ſind wahrſcheinlich neu. Der Kopf ſcheint
ein Portrait zu ſeyn, und koͤmmt dem Koͤrper an Lieb-
lichkeit nicht bei. Von dem allgemeinen Charakter
der Bildniſſe dieſes ſchoͤnen Knabens rede ich weiter
unten bei der weit beruͤhmtern Statue deſſelben in die-
ſer Sammlung.


Zwei Leuchter, gleichfalls aus der Kirche
Santa Coſtanza. Sie ſind hoͤher, als die vori-
gen. Die Form ſcheint weniger ſchoͤn, aber die Zier-
rathen ſind ſimpler und von beſſerm Geſchmack.


Ein anderer Leuchter von ganz beſonde-
rer Form.
Ein Pilaſter auf dem oben ein Capital
befindlich iſt. Unten ruhet er auf einem Sockel. Auf
der einen platten langen Seite iſt ein anderer Leuchter
erhoben gearbeitet, und hinten iſt eine Frieſe; alles
im ſchoͤnſten Geſchmacke.


Hof mit ei-
nem Porti-
cus, ſonſt
auch Hof des
Belvederegenannt.

Hof des Belvedere nebſt dem Porticus
der ihn umgibt.


In der Mitte dieſes Hofes ſteht ein großes Waſ-
ſerbehaͤltniß von Porphyr, in deſſen Mitte eine Fon-
taine ſpringt. Ein Porticus mit Arcaden geht rund
umher
[49]Der Vaticaniſche Pallaſt.
umher. Hier ſind Statuen aufgeſtellt: die groͤßeren
in den Niſchen der hinteren Wand; die kleineren in
den Niſchen der ſtarken Pfeiler, die die Arcaden bil-
den. Man ſahe hier außerdem zu meiner Zeit eine
Menge von Vaſen, Sarcophagen, und Bruchſtuͤ-
cken laͤngs den Waͤnden ohne beſondere Ordnung.
Viele dieſer Stuͤcke erwarteten eine weitere Beſtimmung.
Da mir dieſe unbekannt iſt, ſo habe ich ſie an dem
Orte anzeigen muͤſſen, wo ich ſie gefunden habe.
Sollte damit eine Veraͤnderung vorgegangen ſeyn, ſo
wird ſich meine Anzeige leicht berichtigen laſſen.


Das Licht faͤllt durch die Mitte des oben offenenNachtheil
der Aufſtel-
lung der Sta-
tuen an die-
ſem Orte fuͤr
die Wahr-
nehmung ih-
rer Schoͤn-
heit im Ein-
zelnen; Vor-
theil derſel-
ben fuͤr den
Eindruck ſo
vieler verei-
nigten
Schoͤnheiten
im Ganzen.

Hofes auf die rund umherſtehenden Statuen. Dieſe
Beleuchtung, die nicht jeder Statue auf gleiche Art
anpaſſend ſeyn kann, iſt im Einzelnen nicht zu billi-
gen. Allein fuͤr den Eindruck des Ganzen, iſt dieſe
Abſonderung der erhabenſten Werke der Kunſt der
Menſchen von allen wuͤrklichen Gegenſtaͤnden in der
Natur, nicht ohne Vortheil. Man ſieht neben ſich
die Formen der hoͤchſten idealiſchen Schoͤnheit, und
uͤber ſich den Himmel. Die Einbildungskraft ſteigt
auf der bequemſten Leiter bald von den Umſtehenden
zu den obern Regionen hinauf, bald von dieſen zu
ihren wahrſcheinlichen Bewohnern herab; und das
einfoͤrmige Getoͤne des ſtets ſteigenden, ſtets herabfal-
lenden Waſſers der Fontaine unterhaͤlt die Seele in der
feierlichen Stimmung, die dem Genuß des Schoͤnen
ſo zutraͤglich iſt. Der Eintritt in dieſen Porticus oͤff-
net das Thor zu einer neuen Schoͤpfung. Wir laſſen
draußen Alles was wir vorher empfunden haben; quaͤ-
lende Erinnerungen, eitle Wuͤnſche; ſtille Groͤße, ruhi-
ger unvermiſchter Genuß fuͤllt unſere ganze Seele aus.


Erſter Theil. D† Apollo.
[50]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Apollo im
Belvedere.

Apollo. So wie ich zum erſten Mahle in
meinem Leben an Genuas Kuͤſten die Sonne ſich aus
dem Meere heben ſah, ſo ſchwebte mir im Belvedere
die Statue des Apollo entgegen. Es ergriff mich das
Gefuͤhl uͤbermenſchlicher Majeſtaͤt, und ich ward bil-
lig gegen die Sterblichen, die bei andern Lehrbegriffen
ſich vor dem Bilde eines hoͤheren Weſens zur Anbe-
tung niederwerfen koͤnnen.


Der Eindruck, den das erhabenſte Schauſpiel in
der Natur und die Darſtellung des erhabenſten Gei-
ſtes durch menſchliche Formen auf aͤhnliche Art in mir
hervorgebracht haben; fuͤhrt mich auf die Vermu-
thung: Das Kunſtwerk iſt die ſymboliſche Vorſtel-
lung eines Gegenſtandes in der Natur, den die
Kunſt durch wuͤrkliche Nachahmung nur mangelhaft
erreicht: Phoͤbus, der Beherrſcher des Himmels,
der ſeine erſten Strahlen auf die Erde ſchießt.


So dachte ſich ſchon der Pſalmiſt die aufgehende
Sonne:


Sie koͤmmt hervor, wie ein Braͤutigam aus
ſeiner Kammer,


Und freuet ſich wie ein Held zu laufen den
Weg.


Sicher! Kein Gleichniß iſt dieſes wuͤrkſamſten
und praͤchtigſten Gegenſtandes in der Natur wuͤrdiger
als der Mann, das Vollkommenſte unter den leben-
den Creaturen, an deſſen ausgewachſenem Koͤrper die
Kindheit nichts Mangelhaftes uͤbrig laͤßt, und deſſen
edle Seele, angefuͤllt mit großen Planen, Majeſtaͤt
uͤber jede ſeiner Bewegungen verbreitet.


Hoheit der Seele iſt der Ausdruck unſers Apollo.
Aber Ausdruck der Hoheit, die an Stolz graͤnzt, wie
des
[51]Der Vaticaniſche Pallaſt.
des erſtgebohrnen Sohnes des Koͤnigs, der aufgehen-
den Hoffnung des Volks, nicht ſeines Vaters; ohne
jene Miſchung von Guͤte, welche die Groͤße zu gleicher
Zeit ſo ehrwuͤrdig und ſo liebenswuͤrdig macht. —
Mit Ruͤckſicht auf dieſen Ausdruck hat der Kuͤnſtler
den Meißel bis in die kleinſten Zuͤge gefuͤhrt, und einer
der groͤßten Vorzuͤge dieſes ſchoͤnen Werks iſt die voll-
kommene Harmonie, dieſer Geiſt des Ganzen, der
uͤber jeden ſeiner Theile ausgegoſſen iſt.


Den Hohn, den Unmuth, den Winkelmann 2)
auf dem Geſichte des Gottes bemerkt, habe ich nie
darauf finden koͤnnen. Ich glaube daher die Idee
eines zuͤrnenden Siegers verwerfen zu duͤrfen, die
ohnehin bei mir die Empfindung eines goͤttlich hohen
Geiſtes um Etwas vermindert.


Ich halte die Deutung, die ich dieſer Statue
gegeben habe, fuͤr nichts weniger als zuverlaͤßig, ob
ich gleich finde, daß ſchon Hogarth 3) und Sulzer
mit mir auf aͤhnliche Art daruͤber gedacht haben.
Nur ſo viel glaube ich zu meiner Rechtfertigung ſa-
gen zu koͤnnen: Wenn mit dem erſten Eindruck, den
ein Kunſtwerk auf unſer Herz macht, unſer Verſtand
zu gleicher Zeit einen befriedigenden Aufſchluß uͤber
deſſen Beſtimmung erhaͤlt, ſo ſind wir wenigſtens bei
der Erklaͤrung vor den Vorwurf eines unnoͤthigen
Aufwandes von Scharfſinn und eitler Witzelei ge-
ſichert.


D 2Darf
[52]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Wahrſchein-
licher Cha-
rakter des
Apollo als
Phoͤbus, ver-
ſchieden von
demjenigen
worinn er
als Beſchuͤ-
tzer der Wiſ-
ſenſchaften
und Kuͤnſte
vorgeſtellt
wird.

Darf ich eine Vermuthung wagen, uͤber den
ſtrengen Ernſt, den wir in der Mine dieſer Statue
bemerken? Apollo iſt als Phoͤbus Sinnbild der
Sonne. Ihre Strahlen verbreiten Wachsthum und
Leben uͤber die Natur, aber in heißeren Gegenden er-
zeugen ſie auch Seuchen, die der erzuͤrnte Gott gleich
Pfeilen auf die loſe Brut des Prometheus herab-
ſchießt.


Die Seltenheit der Statuen des Apollo in die-
ſem Charakter ſcheint die Andeutung einer beſonderen
Natur zu beſtaͤtigen. Gemeiniglich finden wir ihn
im Fruͤhlinge der Jugend mit dem Ausdruck unver-
miſchter Heiterkeit dargeſtellet. Dann aͤhnelt er dem
Bacchus, und ſtellt, wie ich glaube, den Geber je-
ner Freuden vor, die Ruhe erzeugt, und zu deren
Genuß wir der Ruhe und gutherzigen Frohſinns be-
duͤrfen: Den Beſchuͤtzer der Kuͤnſte und Wiſſen-
ſchaften.


Doch! Sey was es ſey, der Ausdruck eines goͤtt-
lich hohen Geiſtes, in Formen ausgewachſener Jugend,
macht die unverkennbare Abſicht dieſes Werks aus.
Aus ihr muß man ſich erklaͤren, warum der Kuͤnſtler
jene ſchlaͤngelnden Muſkeln, jene unzaͤhligen Aus-
ſchweifungen des Umriſſes, die dem Marmor zwar
den Charakter des wahren Fleiſches geben, allein
durch die vielen kleinen Parthien, die ſie bilden, auch
dem Charakter der Groͤße leicht gefaͤhrlich werden,
nicht deutlich angegeben hat. Der Unterleib vorzuͤg-
lich ſcheint gleichſam abgerundet, ohne jene muͤrbe
Weichheit, welche die Italiener morbidezza
nennen.


Dem
[53]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Dem angehenden Kuͤnſtler, der hauptſaͤchlich
nach Wahrheit ſtreben muß, iſt nicht anzurathen,
mit dem Copiren nach dieſer Statue den Anfang zu
machen. Aber er ſchaue ſie oft an, um den Begriff
hoher Schoͤnheit in ſeiner Seele zu gruͤnden, und um
zu lernen, daß das Genie, wenn es ſeine Ideen ver-
koͤrpert, mehr an das Geſetz der Natur, an ihre Ver-
fahrungsart im Allgemeinen, als an die Treue der
Nachahmung ihrer einzelnen Productionen gebunden
iſt; daß die Disharmonie der einzelnen Theile allein
die Unwahrſcheinlichkeit fuͤhlbar macht, und daß der
große Kuͤnſtler durch die einfache belebende Idee, die
er ſeinem Werke im Ganzen einhaucht, auch das nicht
getreu Nachgeahmte als wahr darſtellen koͤnne.


Das Bein, mit welchem Apollo vortritt, iſt um
9 Minuten laͤnger als das hintere. So machte der
Kuͤnſtler die Verkuͤrzung fuͤhlbarer, ohne Nachtheil
der Verhaͤltniſſe.


Daß aber das eine Knie etwas eingebogen iſt,
liegt wahrſcheinlich nicht an dem Kuͤnſtler des Werks,
ſondern an dem Handwerker, den man dazu brauchte,
die abgebrochenen Beine wieder anzuſetzen.


Neu ſind: die linke Hand, und die Finger der
Rechten.


Antinous. So nennen wir die Statue einesAntinous.
jungen Mannes im Belvedere, von deren wahren
Bedeutung wir nichts wiſſen. 4)


D 3Dem
[54]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Dem Ohngefaͤhr in ſeiner Stellung uͤberlaſſen,
voll ſorgloſer Unbefangenheit, nur mit dem Genuße
einer heitern Unthaͤtigkeit beſchaͤfftigt, kurz! ohne allen
Anſpruch hat dieſer ſchoͤne Juͤngling einen deſto ſichern,
uns zu gefallen.


Die Natur iſt in mehreren Theilen dieſer Figur
zum Ideal gehoben; aber die genaue Andeutung des
Muſkelnſpiels, und das weiche Fleiſch, das ſie be-
deckt, laſſen ihr alle Reitze einer Natur, die wir
kennen: Selbſt die Unvollkommenheiten, die wir an
andern Theilen bemerken, ſcheinen ſie mit demjenigen,
was wir taͤglich um uns ſehen, auszugleichen. Ein
Gefuͤhl, das vermoͤge des Ruͤckblicks des Zuſchauers
auf ſich ſelbſt, nicht wenig zur Liebenswuͤrdigkeit eines
Gegenſtandes beitraͤgt, den er durch einzelne Vorzuͤge
ſeiner Aufmerkſamkeit werth haͤlt.


Der

[55]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der Kopf, die Bruſt, die Schultern und Huͤf-
ten ſind ſchoͤn und treu. Dieſer Zuſatz von Treue hat
einen Mengs und andere Kenner bewogen, dem jun-
gen Kuͤnſtler das Studium unſers Antinous in An-
ſehung der angezeigten Theile vorzuͤglich vor dem Stu-
dio des Apollo zu empfehlen. Der Bauch und die
Beine ſind nicht allein nicht ideal, ſie ſind auch ge-
mein, unbeſtimmt und ſchwerfaͤllig.


Die Arme fehlen. Die Beine ſind angeſetzt.
Davon zeigen ſich Spuren.


Es iſt ein Unterſchied zwiſchen dem AngeſetztenNoͤthige Er-
innerung
uͤber voreili-
ge Beſtim-
mung mo-
derner Zuſaͤ-
tze zu antiken
Statuen.

und dem Neuen. Oft haben ſich die alten Stuͤcke
abgebrochen bei der Statue gefunden. Der Bruch
iſt folglich kein ſicheres Zeichen, daß die angeſetzten
Theile neu ſind. Selbſt die aͤußerlich anſcheinende
Verſchiedenheit des Marmors iſt kein zuverlaͤßiges
Merkmahl der Ergaͤnzung; wenigſtens nicht der Er-
gaͤnzung in neueren Zeiten. Schon vor dem Ver-
fall der Kuͤnſte ſind einige Stuͤcke an verſchiedenen Fi-
guren ergaͤnzt worden. Dazu koͤmmt, daß man,
um mit Gewißheit uͤber die Verſchiedenheit des Mar-
mors zu urtheilen, denſelben ungeglaͤttet und im Pro-
fil ſehen muß.


Das ſicherſte Unterſcheidungszeichen des Alten
von dem Neuen iſt die Verſchiedenheit des Stils.
Aber um dieſe wahrzunehmen, wird eine vertraute
Bekanntſchaft mit dem Geiſt der Alten erfordert, hin-
reichend, um ihn ſelbſt in den einzelnen Theilen unver-
daͤchtig wieder zu erkennen.


D 4† Lao-
[56]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Laocoon.

† Laocoon. 5) Eine Gruppe.

Darſtellung hoͤchſter Bewegung der Seele und
des Koͤrpers, mit moͤglichſter Bewahrung der Schoͤn-
heit, ſcheint, nebſt dem Eindruck des Mitleidens, der
davon abhaͤngt, die Abſicht geweſen zu ſeyn, welche
der Kuͤnſtler bei Bearbeitung der Geſchichte des Lao-
coon ſich vor Augen geſetzt hat.


Laocoon hat den Zorn der Goͤtter auf ſich gela-
den: — Nach dem Virgil, — weil er mit ver-
wegener Hand den Speer in die Seite des Pferdes
geſchleudert hatte, welches von den Griechen vor Troja
zuruͤckgelaſſen, von dem groͤßten Theil der Einwohner
dieſer Stadt zu einem geheiligten Geſchenke fuͤr den
Tempel der Minerva beſtimmt wurde. Eben bringt
er dem Neptun ein Opfer, und ſeine beiden Soͤhne
leiſten ihm dabei Dienſte der Opferknaben, als zwei
Schlan-
[57]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Schlangen von ungewoͤhnlicher Groͤße, den Vater
mit ſeinen Kindern umſchlingen, und ſie mit ſchmerz-
haften Biſſen anfallen. Dies iſt der Zeitpunkt, den
der Kuͤnſtler aus der Geſchichte zur Darſtellung ge-
waͤhlt hat.


Er konnte nicht gluͤcklicher waͤhlen. Der Vater
war mit den Soͤhnen bei einer Handlung beſchaͤfftigt:
Sie opferten zuſammen: Die gemeinſchaftliche Ge-
fahr, die Banden des Bluts, der Schutz, den das
ſchwaͤchere Alter von dem ſtaͤrkeren erwartet, verei-
nigte bei einem gleichzeitigen Anfall alle drei Figuren
zu einer, und eben dadurch verſtaͤrkten, Vorſtellung
des Leidens: aber die verſchiedenen Grade dieſes Lei-
dens, die Verſchiedenheit des Alters und der Empfin-
dungen die davon abhaͤngen, boten zu gleicher Zeit
dem Genie des Kuͤnſtlers die groͤßte Abwechſelung in
Formen, Stellungen und Ausdruck dar.


Der Vater, der jetzt den erſten Biß der Schlange
fuͤhlt, deſſen Beine bis jetzt allein umſchlungen ſind,
beſitzt noch den groͤßten Theil ſeiner Kraͤfte. Inzwi-
ſchen unfaͤhig im Stehen das Gleichgewicht zu behal-
ten, ſtaͤmmt er ſich ſitzend gegen den Wuͤrfel der Ara,
und ſucht nun mit ausgeſpreiteten Armen die Schlan-
gen von ſich abzuhalten, mit von einander geriſſenen
Beinen ſich aus ihren Windungen loszuarbeiten.
Aber zu gleicher Zeit fuͤhlt er den Biß des feindlichen
Thiers, ſein Koͤrper beugt ſich ruͤckwaͤrts ab, ſein
Auge kehrt ſich zum Himmel, und halb flehend, halb
anklagend, ruft er mit gepreßter Stimme um Ret-
tung und Gnade. 6)


D 5Der
[58]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der juͤngere Sohn iſt von der einen Schlange
ganz umklemmt, und das toͤdtliche Gift ihres Biſſes
unter der Bruſt ſcheint bereits ſeine Adern zu durch-
wuͤhlen. Sein Alter iſt das hinfaͤlligſte; Ermattet
ſinkt er zuſammen, oder kruͤmmt ſich vor Schmerz,
und wehrt nur mit ſchwacher Hand den Kopf der
Schlange ab.


Der

6)


[59]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der aͤltere hingegen iſt blos um das linke Bein
und den rechten Arm von den Schlangen umwunden.
Zwar unaufloͤslich, aber doch ſo, daß er noch nicht
durch wuͤrklichen Schmerz, durch heftige Beklem-
mung leidet: deſto mehr von Schrecken und Angſt.
Er ſchreiet, — und er kann vielleicht allein ſchreien —
er ſtreckt Arme und Augen zum Vater, und flehet,
deſſen
6)
[60]Der Vaticaniſche Pallaſt.
deſſen Angſtgefuͤhl zu vermehren, den Huͤlfsbeduͤrfti-
gen um Beiſtand an.


So der Gedanke: Er iſt fein, er iſt reich, er iſt
groß: Die Ausfuͤhrung ſteht ihm nicht nach.


Die Hauptfigur ſtellt einen Mann vor uͤber die
Mitte des gewoͤhnlichen Menſchenalters. Laocoon
graͤnzt an die Jahre des Greiſes, und dieſe Stufe des
Alters gibt ſeinem edlen Koͤrper ganz das ehrwuͤrdige
Anſehen
6)
[61]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Anſehen, das ihr eigen iſt; aber ohne Spur einer
Abnahme von Kraͤften. Seine Soͤhne ſind, den
Verhaͤltniſſen ihrer Koͤrper nach, Juͤnglinge, deren
juͤngſter aber kaum die Jahre der Pubertaͤt erreicht
hat. So ſcheinen das herannahende Alter des Greiſes,
das Alter unter dem ausgewachſenen jungen Manne,
das Gefuͤhl des Schickſals, das dieſe Ungluͤckliche be-
trifft, zu erhoͤhen. In dem einen durch einen groͤſ-
ſeren Grad von Empfindbarkeit, durch Anhaͤnglichkeit
an lang geknuͤpfte Verhaͤltniſſe: in dem andern durch
harmloſe Unbekanntſchaft mit Leiden, durch mindere
Staͤrke ihnen Spitze zu bieten.


Man denke ſich drei Figuren von Schlangen um-
wickelt; wer wird ſich, ohne das Werk geſehen zu
haben, nicht die widrigſte Vorſtellung von deſſen
Wuͤrkung machen? Schlangen in Marmor? Stri-
cke! unfoͤrmliche Maſſen! Um menſchliche Koͤrper ge-
wunden? Hinderniſſe, die Schoͤnheit der Umriſſe, die
Zierlichkeit der Formen wahrzunehmen!


Mit welcher Weisheit hat der Kuͤnſtler dieſe
Windungen der Schlangen zu benutzen gewußt! Kein
Theil des Koͤrpers, den das Auge zu ſehen wuͤnſcht,
wird ihm dadurch entzogen, und dem Ganzen dienen
ſie zur bequemſten und natuͤrlichſten Verbindung.


Die Figuren unter einander, jede Figur fuͤr ſich,
bieten in Stellung und Lage der Glieder diejenige Ab-
wechſelung dar, die vor Ueberdruß der Einfoͤrmigkeit
ſichert. Die ſo oft mißverſtandene Regel des Con-
trapoſts — im Grunde keine andere als der Man-
nichfaltigkeit in Einheit — iſt hier mit gehoͤriger Maͤſ-
ſigung beobachtet. Der Koͤrper des Vaters, deſſen
Ober-
[62]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Obertheil ſich hinten uͤberbeugt, erhaͤlt durch dieſe
Wendung die groͤßte Schoͤnheit.


Aber uͤber Alles iſt der Ausdruck zu bewundern.
Das abwehrende Streben, die Spannung des
Schmerzes zeigt ſich in der Hauptfigur von der zuſam-
mengepreßten Stirn an, bis in die geſtaͤmmte Zehe
mit gleicher Wahrheit in jeder auch der kleinſten Muſ-
kel. Ewig wird dies Stuͤck dem Kuͤnſtler ein Stu-
dium des Knochenbaues, des Muſkelnſpiels und der
Richtigkeit der Zeichnung bleiben. Wie muß der
Gedanke: daß der Urheber dieſes Werks nach keinem
lebenden Modelle, das ihm in einer ſo gewaltſamen
Anſtrengung haͤtte ſitzen koͤnnen, gearbeitet hat, uns
zur ſtaunenden Bewunderung ſeiner Geſchicklichkeit
heben!


Die Seite, in welche die Schlange den Biß
thut, wird fuͤr den ſchoͤnſten Theil gehalten.


Sollten wir bei ſo viel Schoͤnheiten, die der nackte
Koͤrper darbietet, dem Kuͤnſtler, der einen opfernden
Prieſter vorzuſtellen hatte, aus dieſem nackten Koͤrper
ein Verbrechen machen? Ihm eine Verletzung des
Coſtume, eine Unſchicklichkeit vorwerfen? Doch!
ein neuer ſcharfſichtiger Kunſtrichter 7) glaubt, daß
es nicht einſt der Entſchuldigung eines Mangels der
Kleidung beduͤrfe. Die Gewaͤnder ſind wuͤrklich da.
Sie liegen theils auf dem Wuͤrfel der Ara, theils
flattern ſie auf den Schultern der Soͤhne, und es laͤßt
ſich ſehr natuͤrlich annehmen, daß ſie bei einer ſo
gewalt-
[63]Der Vaticaniſche Pallaſt.
gewaltſamen Bewegung, als das Straͤuben und
das Abwehren der Schlangen vorausſetzt, abgefallen
ſind.


Der rechte ausgedehnte Arm iſt angeſetzt, und
von gebrannter Erde. 8)


An den Kindern ſind neu: ein Arm und eine
Hand, auch verſchiedene Stuͤcke an den Schlangen.


Nach
[64]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Nach einem Urtheil unſers Mengs 9) iſt das
rechte Bein des einen Knaben zu lang. Dies Ur-
theil trifft den aͤlteren.


Einige be-
ſcheidene
Zweifel uͤber
die Wahl des
Suͤjets, als
Vorwurf der
Bildhauer-
kunſt.

Mit derjenigen Beſcheidenheit, die jedes Urtheil
uͤber ein vorzuͤgliches Werk der Kunſt begleiten ſollte,
das laͤngſt im Beſitz allgemeiner Bewunderung iſt,
aber auch mit derjenigen Freimuͤthigkeit, zu der eine
oft wiederholte Pruͤfung, und eine genaue Aufmerk-
ſamkeit auf meine Empfindungen mich berechtigen
duͤrfen, geſtehe ich meinen Leſern, daß dieſe Gruppe
aller ihrer nicht zu bezweifelnden Vorzuͤge ungeachtet,
den angenehmen Eindruck, den ich bei der Schoͤnheit
anderer Statuen erfahren habe, in mir nicht hervor-
gebracht hat.


Wenn ich in den Porticus trat, wo ſo viele er-
habene Werke der Kunſt um den Vorrang zu wettei-
fern ſcheinen, ſo zog mich mein Gefuͤhl zuerſt zum
Apollo, zum Antinous hin; und bei ihnen vergaß ich
mich Stundenlang in dem entzuͤckenden Gefuͤhle der
Schoͤnheit. Endlich verließ ich ſie, um vor den Lao-
coon zu treten, wie man ein Lieblingsgeſchaͤfft um einer
ernſten Berufsarbeit willen verlaͤßt, bewogen durch
die Idee des Nutzens, den das Studium eines ſo
kuͤnſtlichen Werks fuͤr meine Kenntniſſe in der Kunſt
haben muͤßte. Bei der Bewunderung, die ich dem
Laocoon zollte, lag nicht ſelten die Erinnerung an die
Schwierigkeiten zum Grunde, die der Meißel bei
deſſen Verfertigung uͤberwunden hatte.


Vielleicht
[65]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Vielleicht muͤßte ich hier ſtehen bleiben; und wer
wuͤrde mich ſo dann tadeln, ein Gefuͤhl zu aͤußern,
das ohnehin mehrere mit mir getheilt haben? 10) Al-
lein ich kann es nicht uͤber mich gewinnen, eine Ver-
muthung uͤber die Gruͤnde dieſer Empfindung zuruͤck-
zuhalten, von der ich glaube, daß ſie andere zu einer
Berichtigung auffordern wird.


Marmor iſt ein harter, ſchwerfaͤlliger, unbeweg-Die Bewe-
gung des
Koͤrpers
ſcheint fuͤr
den Marmor
zu heftig.
Der ſchwer-
faͤllige Stoff
macht ſie un-
wahrſchein-
lich; und die
Anſtrengung
der Muſkeln
ſchadet der
Harmonie
der ſchoͤnen
Formen:
Hauptvor-
zug der
Bildhauer-
kunſt!

licher Stoff. Ich werde dies nie ganz vergeſſen, die
Behandlung mag ihm noch ſo viel Leben geben; ja!
es ſcheint, ich wuͤrde um ſo leichter daran erinnert, je
gewaltſamer die Bewegung iſt, zu deren Darſtellung
ihn der Kuͤnſtler anwendet.


Die Kunſt, die ſich mit dieſem Marmor beſchaͤff-
tigt, entzieht mir ganz denjenigen Theil der menſchli-
chen Geſtalt, in dem der Ausdruck des Affekts haupt-
ſaͤchlich liegt, das Auge: ſie entzieht mir auch eine
Eigenſchaft, die ihn ſehr verſtaͤrkt, die Farbe. Ja!
das feinere Muſkelnſpiel, jene beinahe unmerklichen
Erhoͤhungen und Vertiefungen der Haut gehen fuͤr den
Meißel, der den Standort des Zuſchauers immer et-
was entfernter annehmen muß als der Pinſel, beinahe
ganz verlohren. 11)


Um
Erſter Theil. E
[66]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Um alſo dem Ausdruck gewaltſamer Anſtrengung
der Seele die gehoͤrige Deutlichkeit zu geben, treibt
der Bildhauer die Muſkeln auf, laͤßt die Adern an-
ſchwellen, und hoͤhlt die Seiten aus. Dies geſchieht
nicht ohne eine merkliche Menge von Erhoͤhungen und
Vertiefungen hervorzubringen, die das Licht auffan-
gen, und viele kleine Abtheilungen bald hell bald dun-
kel bilden. Was iſt aber hiervon die Folge? Daß
dieſe auf dem weißen Marmor grell gegen einander
abſtechenden Flecken, eine Haͤrte hervorbringen, die
dem Auge keinesweges gefaͤllig iſt. Die Bildhauer-
kunſt entbehrt jenen Zauber der Faͤrbung und des Hell-
dunkeln, durch den in der Mahlerei, mehrere ange-
ſchwollene Muſkeln in eine lichte Maſſe zuſammen ver-
einigt werden, und durch welche Vertiefung nebſt Er-
hoͤhung ſelbſt im Hellen ſichtbar werden.


Sollte wohl der Bildhauer bei der Wahl der
Geſchichte des Laocoon die Graͤnzen uͤberſchritten haben,
die ihm die Materie, die er bearbeitete, vorſchrieb? 12)
Sollte nicht jede Leidenſchaft deren Aeußerungen ſchnell
entſtehen, und ſchnell verſchwinden, unſere Betrach-
tung
11)
[67]Der Vaticaniſche Pallaſt.
tung von der Schoͤnheit koͤrperlicher Formen abziehen?
Sollte wohl Schoͤnheit mit dem Ausdruck einer Seele
in Ruhe, oder wenigſtens einer Seele in ſolcher
Bewegung, die nicht von einer beſondern Situation
abhaͤngt, die einen dauernden Eindruck auf Mine und
Stellung hervorbringt, das was man eigentlich Phy-
ſiognomie nennt, wahrer Zweck der Bildhauerkunſt
ſeyn? Sollte endlich der Ausſpruch unſers Mengs:
Man ſetze den Kopf des Laocoon in ruhige Faſſung,
ſo weicht er dem Apollo wenig an Schoͤnheit, nicht zu
gleicher Zeit das Lob der Ausfuͤhrung und den Tadel
des gewaͤhlten Suͤjets enthalten?


Noch eins! Bei den vielen Verdienſten, die derDas Ver-
dienſt einer
ſchoͤnen
Gruppirung
wird dieſem
Werke gleich-
falls bezwei-
felt.
Gruppiren
in der Mah-
lerſprache,
ſetzt unter
andern auch
eine Maſſe
von ange-
nehmer
Form zum
Voraus:
und dieſe
fehlt.
Was der
Form des

Kuͤnſtler um die Anordnung der Figuren dieſer Gruppe
hat, darf ich eines anfechten, welches man ihm wahr-
ſcheinlich nach Kupferſtichen, die das Maaß der Kin-
der im Verhaͤltniß zu dem Vater zu hoch angeben, in
Anſehung der Gruppirung beigelegt hat. Gruppiren
heißt in der Mahlerſprache unter andern auch ſo viel,
als mehrere Figuren ſo neben einander ſtellen, daß ſie
nicht allein bequem uͤberſehen werden koͤnnen, ſondern
auch zuſammen eine Maſſe von angenehmer Form aus-
machen, an deren aͤußeren Umriſſen die Axe des Au-
ges mit Leichtigkeit ſich auf und niederwaͤlzt. In die-
ſer Ruͤckſicht ſind die Figuren unſers Werks nicht gut
gruppirt. Denn da die Kinder gegen den Vater ſehr
klein ſind, ſo fuͤhlt das Auge auch ſehr merklich den
Abſprung von einer Figur auf die andere. Aber eben
dies hebt die Hauptfigur ſo ſehr heraus, und der ver-
ſtaͤrkte Eindruck desjenigen Theiles des Werks, wel-
cher unſerer Aufmerkſamkeit am meiſten werth iſt,
haͤlt uns fuͤr den Abgang der ſchoͤneren Form des Gan-
E 2zen,
[68]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Ganzen ab-
geht, ge-
winnt der
Eindruck
der Haupt-
figur.
zen, die doch hauptſaͤchlich nur bei dem erſten Anblick
auffaͤllt, hinreichend ſchadlos.


Das Werk iſt blos mit dem Meißel geendigt,
und nicht polirt. Auch dies traͤgt das Seinige zur
Haͤrte bei, wenn es gleich den Ausdruck unterſtuͤtzt.


Man glaubt die Aufſtellung muͤſſe hoͤher ſeyn,
ein Piedeſtal ohngefehr von Mannshoͤhe ſey fuͤr eine
Figur von Lebensgroͤße zu niedrig. 13) Allein ich
fuͤrchte, dann ginge ein großer Theil des Ausdrucks
verlohren, und ich glaube nicht, daß dasjenige was
bliebe, uns dafuͤr wuͤrde ſchadlos halten koͤnnen.


Torſo di Bel-vedere.

† Torſo oder Sturz einer maͤnnlichen
Natur von reifern Jahren.

Man haͤlt dieſes Bruchſtuͤck einer ſitzenden nackten
Bildſaͤule fuͤr das vollkommenſte, was ſich aus dem
Alterthume auf uns erhalten hat, und es ſcheint allein
hinreichend, Gewaͤhr fuͤr die Hoͤhe zu leiſten, auf der
die Kuͤnſte ehemals ſtanden, und zu der ſie von uns
noch nicht wieder gehoben ſind.


Von der Bedeutung dieſes Werks laͤßt ſich nichts
mit Gewißheit ſagen. Kopf, Arme, Beine fehlen.
Inzwiſchen iſt der Charakter eines Hercules in den
Formen unverkennbar, und die Stellung des nach-
laͤßig zuſammen gefallenen Leibes, die gleichfam abge-
ſpannten Muſkeln fuͤhren ſehr natuͤrlich auf den Be-
griff von Ruhe. Mengs 14) und Winkelmann 15)
haben
[69]Der Vaticaniſche Pallaſt.
haben den vergoͤtterten, den verklaͤrten Hercules in
dieſem Bruchſtuͤcke geſehen. Dieſe edle Beſtimmung
ſcheint der Vortrefflichkeit der Arbeit wuͤrdig; und
wer wuͤrde dann noch weiter zweifeln, daß ſie die ur-
ſpruͤngliche geweſen ſey?


Es iſt bekannt, daß die Formen des menſchlichen
Koͤrpers aus einer unzaͤhlichen Menge von Erhoͤhun-
gen und Vertiefungen beſtehen, die den Gliedmaaßen,
den Muſkeln, der Haut das Wellenfoͤrmige, das
Ausgeſchweifte, das in einander Fließende geben,
von denen in der Bildhauerarbeit Leben und Wahrheit
abzuhaͤngen ſcheinen: Kein Werk des Meißels koͤmmt
hierin unſerm Bruchſtuͤck bei. Von keiner Muſkel
ſieht man den Anfang oder das Ende, und dennoch
zeichnet ſich eine jede mit der aͤußerſten Beſtimmtheit
dem Auge vor.


Der Ruͤcken und die Schenkel haben mir die
ſchoͤnſten Theile geſchienen. Wenn man die Probe
machen will, bei zugeſchloſſenen Augen langſam mit
der Hand uͤber die angezeigten Theile herzufahren,
wird man wahres Fleiſch zu fuͤhlen glauben. Mehr
will ich uͤber die Schoͤnheit dieſes Werks nicht hinzu-
ſetzen. Man muß ſehen, und ſchon viel geſehen
haben, um den ganzen Werth dieſes Rumpfes zu fuͤh-
len. Aber denjenigen, der ihn fuͤhlt, muß ich dar-
auf zuruͤckfuͤhren, daß es nicht Wichtigkeit der Be-
deutung, nicht Intereſſe des Ausdrucks iſt, die ſeinen
Blick an dieſes Bruchſtuͤck ohne Kopf, ohne Arme,
ohne Beine feſſeln. Es iſt das Wohlgefaͤllige der
Geſtalt, die koͤrperliche Schoͤnheit, verbunden mit
der Betrachtung der Geſchicklichkeit des Kuͤnſtlers, die
uns dieſen Rumpf fuͤr unſer Vergnuͤgen ſo werth ma-
E 3chen.
[70]Der Vaticaniſche Pallaſt.
chen. Sollte er wohl im Gemaͤhlde, wenn er auch
in eben dem Grade der Vollkommenheit gemahlt waͤre
als er gehauen iſt, einen gleichen Anſpruch auf unſer
Vergnuͤgen, auf unſere Bewunderung haben? Gewiß
nicht! Dergleichen Bemerkungen werden uns unver-
merkt auf den vollſtaͤndigen Begriff des weſentlichen
Unterſchiedes zwiſchen Mahlerei und Sculptur leiten
koͤnnen.


Nach den Eiſen zu urtheilen, die man in dem
Geſaͤße bemerkt, iſt dieſer Ueberreſt ſchon in aͤlte-
ren Zeiten reſtaurirt geweſen. So urtheilet auch
Mengs. 16) Sehr ſcharfſinnig bemerkt eben dieſer
Autor, daß der Schluß von der Vortrefflichkeit des-
jenigen, was ſich auf uns erhalten hat, auf die Vor-
trefflichkeit desjenigen, was verlohren gegangen iſt,
nicht mit Sicherheit gelten koͤnne. Wie viele Statuen
kennt man nicht, die einzelne vortreffliche Partien
haben, und im Uebrigen mittelmaͤßig ſind?


Eine alte Innſchrift zeigt einen Apollonius den
Sohn eines Neſtor als den Meiſter an.


Venus. Sie traͤgt ein Diadem, die Flechten
der Haare fallen uͤber die Schultern. Der Kopf
ſcheint ein Portrait zu ſeyn. Sie haͤlt ihr Gewand,
das zu fallen ſcheint, halb uͤber den Unterleib zuſam-
men, und bedeckt mit der andern die Bruſt. Neben
ihr ein Amor. Die Innſchrift gibt ihr den Nahmen
einer Veneris felicis, und nennt eine Salluſtia und
einen Helpidius als Perſonen, welche die Statue der
Goͤttin geweihet haben.


Die
[71]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die linke Hand und die Arme des Amors ſind
unergaͤnzt geblieben. Das Werk iſt ziemlich mittel-
maͤßig.


Der Herr Hofrath Heyne haͤlt dieſe Figur fuͤr eine
Venus aus dem Bade. 17) Ueber die Bedeutung
des Beinahmen felix, und anderer die man der Ve-
nus beigelegt hat, ſehe man die Beſchreibung der
Villa Borgheſe nach.


In Rom ſieht man in den Figuren der Venus,
die das Gewand auf den halben Unterleib herabfallend
zuſammen halten, die Stellung der Goͤttin, wie ſie
ſich vor dem Paris entkleidete. Die Idee iſt ſinnreich
und fein, wenn ſie ſich auch nicht critiſch rechtfertigen
laſſen ſollte. 18)


Commodus. So wird die Statue eines
Mannes im reiferen Alter genannt, der auf ſeinem
Arme einen Knaben traͤgt. Ein gewiſſer individueller
E 4Charakter
[72]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Charakter von Froͤhlichkeit und der Lorbeer laſſen auf
ein Portrait ſchließen. Ob aber des Commodus?
Daran iſt zu zweifeln. Der Grund zu dieſer Be-
nennung liegt in dem Charakter eines Hercules, den
dieſe Statue an ſich traͤgt. Wir wiſſen, daß ſich
Commodus gern als Hercules vorſtellen ließ, und eine
Nachricht, die wir haben, ſagt: Daß ein kleiner Lieb-
ling des Commodus die Liſte derer, die ſein Herr zum
Tode verdammt hatte, zum Fenſter hinaus geworfen,
und dadurch Veranlaſſung zu deſſen Ermordung gege-
ben habe.


Andere halten dieſe Statue fuͤr einen Hercules,
der den Ajax ſegnet; andere nennen den Knaben Hy-
las; andere Telephus; 19) andere ſchlechthin Amor.


Die Statue hat gute Verhaͤltniſſe, und dienet
daher den Kuͤnſtlern als Studium der Maaßen des
reiferen maͤnnlichen Alters. Uebrigens iſt ſie ziemlich
mittelmaͤßig; Muſkeln und Junkturen ſind ſehr hart
angedeutet.


Lucius Verus. Man ſchaͤtzt dieſe Statue
wegen der beſorgten Ausfuͤhrung in den Beiwerken.


Dieſe Statuen ſtehen in den Niſchen der
Wand des hintern Porticus.


Zu meiner Zeit ſtanden noch folgende
Kunſtwerke, die Aufmerkſamkeit ver-
dienten, laͤngs der Wand hin.


Eine Niſche, deren ehemalige Beſtimmung
nicht wohl abzuſehen iſt, es waͤre denn, daß ſie zum
Behaͤlt-
[73]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Behaͤltniß einer Begraͤbnißurne gedient haͤtte. Sie
iſt rund umher mit Figuren von halberhobener Arbeit
geziert, und dieſe Arbeit iſt vortrefflich. Es ſind
Stoͤrche, die neben Vaſen und Baͤumen ſtehen, und
Schlangen verzehren.


Ein Sarcophag. Das Basrelief ſtellt einen
Imperator vor, den eine Victorie kroͤnt. Zu ſeinen
Fuͤßen ein gefangener Barbar: Ein anderer bringt
ihm ein Kind, andere liegen in Feſſeln; uͤberher Wa-
gen mit Beute beladen, Trophaͤen u. ſ. w. Die Ar-
beit ſcheint aus ſpaͤterer Zeit zu ſeyn, aber aus einer
ſolchen, in der der gute Stil noch nicht verlohren
gegangen war.


Um dieſes Stils willen koͤnnen Werke, die uͤbri-In welcher
Ruͤckſicht
Werke aus
der ſpaͤtern
Zeit, bei
deutlichen
Spuren des
Verfalls der
Kunſt, den-
noch intereſ-
ſant bleiben
koͤnnen?

gens in der Ausfuͤhrung mittelmaͤßig ſind, dem Lieb-
haber merkwuͤrdig werden. Er macht ſich mit der
Denkungsart der alten Kuͤnſtler mit ihrer Vorſtel-
lungsart bekannt, und gewoͤhnt ſein Auge an richtige
Verhaͤltniſſe, leicht in einander laufender Junkturen,
Simplicitaͤt der Stellungen, und guten Wurf der
Gewaͤnder.


Ein Sarcophag mit einem Bacchanal
von vortrefflichem Stile, und zum Erſtaunen fleißiger
Ausfuͤhrung. Schade! daß dieſer Fleiß an Trocken-
heit graͤnzt, und daß die Zeichnung mehrere Unrich-
tigkeiten hat. Er iſt außerdem ſtark ergaͤnzt.


Eine Vaſe von ſchwarzem Baſalt, der
wie angelaufene Bronze ausſieht.
Sie iſt mit
Maſken geziert, und von ſchoͤnſter Arbeit und Form.
Ob ſie gleich in mehrere Stuͤcke zerbrochen gefunden
wurde, ſo hat man ſie doch ſehr gut wieder zuſammen-
geſetzt.


E 5Zwei
[74]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Zwei große laͤnglichte Urnen, oder viel-
mehr Badewannen, von rothem orientaliſchem
Granit.


Torſo eines gefangenen Barbaren aus
dem Pallaſt Pichini, deſſen vortreffliches Gewand
dem Raphael oft zum Studio gedient hat.


In den Niſchen der Pfeiler, die den
Porticus ſtuͤtzen.


Eine ſitzende Venus oder vielmehr Nymphe
mit einer großen Muſchel auf dem Schooße. Ich
fuͤhre ſie an, weil eine Copie dieſer Idee zu einem
ſchoͤnen Waſſerbehaͤlter in einem Zimmer dienen
koͤnnte.


Ein Hercules mit einem antiken Fuͤllhorn,
mit dieſem Attribute bezeichnet, nennt man den Her-
cules gemeiniglich Placidus.


Zwei Moloſſen, oder große Hunde von
vortrefflicher Arbeit, die ehemals im Pallaſt Pichini
befindlich waren, ſtehen jetzt am Eingange des Saa-
les der Thiere. 20)
Saal
[75]Der Vaticaniſche Pallaſt.
20)


[76]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Saal der Thiere.


Die groͤßte Anzahl der hier befindlichen Bild-
hauerarbeit ſtellt Thiere vor. Aber unter ihnen ſte-
hen auch einige menſchliche Figuren; dieſe will ich zu-
erſt anzeigen.


Meleager. Den wilden Schweinskopf an
der einen, den Hund an der andern Seite. Der
Pabſt kaufte ihn Anno 1772 fuͤr 6000 Scudi aus
dem Pallaſt Pichini, wo er ehemals ſtand.


Charakter
eines Melea-
gers.

Meleager hat den Charakter eines jungen Helden
aus den roheren Zeiten, in denen Verachtung der Ge-
fahren, Staͤrke, und Geſchicklichkeit in Leibesuͤbungen
Anſpruch auf dieſen Nahmen gaben. Biederer gra-
der Sinn, Feuer und Herzlichkeit zeichnen ihn aus.
Aber dabei iſt er auch rauh und trotzig. Er verfolgt
das Wild, wenn er mit Maͤnnern nicht kaͤmpfen
kann, und hat dabei ſein Maͤdchen lieber als Mutter
und ſich ſelbſt.


Unſere Statue verdient durch eine gut gedachte
Stellung und durch Richtigkeit der Zeichnung eine
Stelle unter den guten Antiken. Aber zu den beſten
gehoͤrt ſie nicht. Man wirft der Ausfuͤhrung mit
Recht eine gewiſſe Haͤrte vor; der Kopf wird durch
eine zu ſtarke Naſe entſtellt; man ſagt, dieſe Naſe
ſey neu. Der linke Arm fehlt.


Mit

[77]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Mit Zuverlaͤßigkeit kann man uͤber dieſe Sta-
tue nicht urtheilen, weil man ſie nicht im rechten
Lichte ſieht.


Der Nil. Ein liegender Flußgott, um den
16 Kinder herum ſpielen. Eine Andeutung der El-
lenzahl derjenigen Hoͤhe, auf welcher der Fluß bei ſei-
nen Ueberſchwemmungen die groͤßte Fruchtbarkeit ver-
breitet. Auch ſieht man noch andere Beiwerke, als
Crocodilen, Schiffe u. ſ. w. an der Baſts. Der
Flußgott ſelbſt ruhet auf einem Sphynx von großer
Schoͤnheit. Die Kinder ſind unverhaͤltnißmaͤßig
klein gegen die coloſſaliſche Hauptfigur, und zum Theil
ergaͤnzt.


Ungeachtet der coloſſaliſchen Geſtalt dieſer Statue
iſt das Spiel der Muſkeln vortrefflich, und das
Fleiſch von aͤußerſter Weichheit. Der Kopf hat einen
vortrefflichen Ausdruck von guͤtiger Groͤße.


Tiber. Er dient dem Nil zum Gegenſtuͤck, oder
vielmehr, wenn ich das franzoͤſiſche Compagnon
ſo uͤberſetzen darf, zum Gefaͤhrten. Aber er iſt vonUeber den
Begriff von
Ehrwuͤrdig-
keit, den die
Alten mit den
Locken ver-
bunden zu
haben ſchei-
nen, die ſich
an der Wur-
zel in die Hoͤ-
he heben und
deren Spi-
tzen herab-
ſinken.

einer andern Hand und unter jenem an Schoͤnheit.
Seine Haare an der Stirn heben ſich in die Hoͤhe,
und fallen dann wieder herab. Die Alten ſcheinen
einen Begriff von Ehrwuͤrdigkeit mit dieſer Art des
Haarwuchſes verbunden zu haben, den ſie, wie man
behauptet, von den Maͤhnen des Loͤwen entlehnten.


Ein kleines Basrelief. Bacchus mit ſei-
nem Gefolge. Genii tragen theils deſſen Attribute,
theils fuͤhren ſie dieſelben auf Waͤgen, die mit Thieren
verſchiedener Gattung beſpannt ſind.


Eine ſogenannte Janusterme mit zwei Koͤ-
pfen, deren einer einen Homer vorſtellt.


Pan
[78]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Pan zieht einem Faun einen Dorn aus
dem Fuße.
Der Ausdruck vortrefflich. Dies
Stuͤck iſt aus Villa Mattei hieher gebracht.


Beſondere
Vorſtel-
lungsart ei-
ner Diana
von Ephe-
ſus.

Diana von Epheſus, Sinnbild der Natur,
beſonders der Fruchtbarkeit und Feſtigkeit der Erde.
Der Leib beſtehet aus Weiberbruͤſten, und einer Art
von Windeln, aus denen zum Theil unerklaͤrbare
Thiere, und andere Formen hervorragen. Bei einer
ſolchen Vorſtellungsart koͤnnen nur Kopf und Extre-
mitaͤten ein Gegenſtand der ſchoͤnen Zeichnung ſeyn,
das Uebrige wird hoͤchſtens der beſorgten Ausfuͤhrung
wegen merkwuͤrdig. In Ruͤckſicht beider verdient
dieſe Statue Aufmerkſamkeit.


Ein Sarcophag mit Nereiden und Tri-
tonen.


Sammlung
von Thieren.

Die Menge von Thieren, die man hier verſam-
melt ſieht, fuͤhrt auf ſonderbare Betrachtungen.
Selbſt die unbetraͤchtlichſten haben hier ein Bild.
Wie groß muß der Luxus der Alten geweſen ſeyn, ihr
Reichthum, die Menge ihrer Kuͤnſtler, ihre Lieb-
haberei!


Ich will nur die vorzuͤglichſten dem Liebhaber
anzeigen. Die Note enthaͤlt das vollſtaͤndige Ver-
zeichniß.


Ein kleiner Loͤwe von Breccia. Die
Farbe des Marmors iſt vortrefflich genutzt, und die
Arbeit aͤußerſt fein. Man ſollte das Werkchen fuͤr
eine Camee halten.


Ein großer Adler im Begriff aufzufliegen
aus Villa Mattei.


Eine Ziege. Ein treffliches Stuͤck, das
ehemals einen Theil einer Gruppe ausgemacht zu
haben
[79]Der Vaticaniſche Pallaſt.
haben ſcheint. Man bemerkt am Barte die Hand
eines Kindes.


Ein Hahn aus Villa Mattei.


Ein wuͤthender Stier. So ſchoͤn, daß
Kuͤnſtler ihn den Apollo unter den Thieren nennen.
Der Ausdruck iſt vortrefflich. Das Werk iſt nur
klein, aber mit aͤußerſter Beſtimmtheit gearbeitet.
Ich pflege mich auf die Schoͤnheit der Geſtalt dieſes
Thieres gegen diejenigen zu berufen, die jene Be-
hauptung: die Geſtalt des Hercules ſey von einem
Stiere entlehnt, unter der Wuͤrde dieſes Got-
tes halten.


Ein Hirt traͤnkt eine Kuh, waͤhrend daß
ein Kalb ſaugt;
ſchoͤnes Basrelief.


Ein Hirſch, den zwei Hunde anfallen. Vor-
trefflich von Ausdruck und Arbeit.


Zwei Windhunde, die mit einander ſpielen.


Ein Tigerkopf von Alabaſter.


Ein Storch, der eine Schlange frißt.


Kopf einer Ziege.


Maͤuſe beim Grabe des Nero gefunden.


Ein Kaninchen.


Ein Tiger von Breccia Granito aus dem
Pallaſt Colonna.


Eine Windhuͤndin.


Ein todtes Lamm auf einem Altare aus
Villa Mattei.


Ein Eſel von grauem Marmor. Das
Weinlaub, mit dem der Kopf umkraͤnzt iſt, ſcheint
den Eſel des Silen zu bezeichnen.


Ein Storch von rothem Marmor.


Eine
[80]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Eine Sau mit Ferken von vortrefflicher
Arbeit.


Eine Gans in einer Schaale, die wahrſchein-
lich zur Fontaine diente.


Der Fußboden von Moſaik beſteht aus
drei Stuͤcken. Zwei derſelben ſtellen in natuͤrlichen
Farben Thiere und Fruͤchte vor. Das mittelſte aber
iſt aus ſchwarzen und weißen Steinen zuſammengeſetzt,
und zeigt einen Adler, der einen Haſen frißt, einen
Leoparden, und eine Woͤlfin.


Dieſer Fußboden iſt vortrefflich. 21)
Zimmer
[81]Der Vaticaniſche Pallaſt.
21)
Erſter Theil. F
[82]Der Vaticaniſche Pallaſt.
21)


[83]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Zimmer der Muſen.


Man hat die Statuen aller Neun Muſen beiApollo und
die Muſen.

einander haben wollen. Einige derſelben ſind zu Ti-
voli in der Villa des Hadrian auch wuͤrklich bei einan-
der nebſt dem Apollo Muſagetes gefunden. Ob ſie
alle von einer Hand verfertigt; ob ſie nicht ſchon bei
Anlegung der Villa ſelbſt zuſammen geleſen worden;
ob ſie in alten Zeiten in einer Gruppe vereinigt geſtan-
den haben? ſind Fragen, die ich unbeantwortet laſſe.
Inzwiſchen meine Meinung uͤber dergleichen weitlaͤuf-
tige Compoſitionen in der Bildhauerkunſt habe ich be-
reits geaͤußert. 22) Der Kuͤnſtler, der die wahren
Graͤnzen ſeiner Kunſt, das Maaß menſchlicher Kraͤfte
genung kennt, wird ſich ſchwerlich an die Zuſammen-
ſetzung vieler Figuren wagen, und als mahleriſche
Gruppe aufgeſtellt, das glaube ich mit mehrerer
Dreiſtigkeit behaupten zu koͤnnen, thun ſie keine
Wuͤrkung.


Genung! Man hat in der Villa des Hadrian
nur einige Figuren der Muſen zuſammen gefunden.
Die fehlenden hat man von allen Seiten herbei
geſchafft.


Die Benennungen ſind eben ſo willkuͤhrlich als
der groͤßte Theil der Attribute, die ſie bezeichnen.


F 2† Mel-

[84]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Melpomene. Den Kopf mit Weinlaub be-
kraͤnzt, haͤlt ſie in der rechten Hand eine ſcheußliche
Maſke. Dieſe Hand iſt neu, aber die Haͤlfte der
Maſke iſt alt. Den Fuß mit dem Cothurn bekleidet,
ſetzt ſie auf den Stamm eines Baums, und lehnt den
Arm mit vorgebeugtem Koͤrper auf das Knie. Die-
ſer Arm iſt neu, nebſt der Hand, in welcher ſie den
Dolch traͤgt.


Herrlicher
Kopf der
tragiſchen
Muſe.

Der Kopf dieſer Statue iſt wo nicht der ſchoͤnſte,
gewiß der gefaͤlligſte von allen weiblichen, die ſich aus
dem Alterthume auf uns erhalten haben. An vielen
derſelben bemerken wir eine Ruhe, die an Ernſt
graͤnzt. Die Uebereinſtimmung der Zuͤge, das Ver-
haͤltniß der Theile zu einander, kurz! die eigentliche
ruhige Schoͤnheit, oder die Schoͤnheit ohne Reitz iſt
es, die uns Bewunderung abpreßt. Aber der Kopf
unſerer Muſe hat den Reitz uͤberher, und feſſelt da-
durch gleich beim erſten Anblicke unaufloͤslich. Wir
ſehen ſie in dem Alter, in welchem unſer begeiſterte
Winkelmann die Maͤdchen mit Roſen vergleicht, die
nach einer ſchoͤnen Morgenroͤthe beim Aufgang der
Sonne aufbrechen. Ihr Ausdruck iſt dem einer rei-
nen unbefangenen Seele aͤhnlich, die unter muntern
Geſaͤngen Blumen geleſen hat, und durch die Ankunft
eines ſchoͤnen Juͤnglings unterbrochen wird. Ihr
Auge ſcheint ihn zum erſten Mahle zu erblicken und
die Ahndung der Empfindbarkeit, die durch ihre un-
befangene heitere Mine durchſtrahlt, iſt vielleicht
dasjenige, wodurch ſie unſer Herz am ſicherſten
gewinnt.


Aber wie paßt dieſer Charakter zu dem Charak-
ter einer tragiſchen Muſe? Dies bleibt mir Raͤthſel.


Der
[85]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der Reſt der Figur iſt mittelmaͤßig, und in der
Ausfuͤhrung vernachlaͤßiget. Auch dieſer Abſtand
des Kopfs zum Rumpf bleibt mir Raͤthſel.


Thalia. Hier iſt der Rumpf das Vorzuͤg-
lichſte. Denn der Kopf hat durch die Ergaͤnzung
ſtark gelitten. Der Putz deſſelben beſteht aus Wein-
trauben und Epheu. Die Drapperie iſt eben ſo ſchoͤn
gedacht, als gearbeitet. Beide Arme ſind neu;
folglich mit ihnen die Klappertrommel, (tambour
de basque).
Aber der gekruͤmmte Stab oder Li-
tuus in der andern wird durch die antike Haͤlfte, die
ſich am Tronk erhalten hat, gerechtfertigt. Bei ihr
liegt eine Maſke. Die Beine ſind ins Kreutz uͤber
einander geſchlagen.


Urania. Der Kopf, eine ſchoͤne Natur,
zeigt beinahe den Wunſch gefallen zu wollen. Aber
wir bemerken ihn gern dieſen Ausdruck der Zuvorkom-
mung ſo weit entfernt von aller Andringlichkeit. Die
Haare ſind wie an der Venus hinten in einen Schopf
zuſammen gebunden.


Dieſe Figur iſt eine der ſchoͤnſt bekleideten die wir
haben. Durch den leichten Faltenſchlag wird dem
Auge nichts von der Eleganz der Formen des reitzend
geſtellten Koͤrpers entzogen.


Die beiden Arme ſind nebſt den Attributen der
Weltkugel und des Griffels neu. Der Kopf iſt alt,
aber aufgeſetzt.


Calliope. Der Kopf iſt ſehr ergaͤnzt. Die
Arme mit dem Buche und der Trompete ſind neu.


Polyhymnia. Der Kopf mit Blumen be-
kraͤnzt iſt ſchoͤn. Sie hat ſich in einen Mantel ge-
wickelt; dieſer iſt gut gedacht, aber trocken ausgefuͤhrt.


F 3† Mel-
[86]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Melpomene aus dem Hauſe Mattei. *)
Der Kopf iſt aufgeſetzt, und hat einen Ausdruck von
moderner Grazie, etwas Fremdes, das mir bald den
Verdacht erwecken ſollte, daß er nicht alt ſey. Ich
will inzwiſchen nicht daruͤber entſcheiden. Die Hand
mit der ſie den Schleier haͤlt, iſt augenſcheinlich neu.


Das Gewand iſt vortrefflich.


Erato mit dem Diadem. Die Drapperie ein
wenig ſchwerfaͤllig. Der Kopf ſoll aufgeſetzt ſeyn.


Euterpe ſitzend. Der Kopfputz iſt von Lor-
beern. In den Haͤnden der modernen Arme haͤlt
ſie eine Rolle, die durch den antiken Theil, der ſich
mit dem Gewande erhalten hat, gerechtfertiget wird.


Terpſichore ſitzend. Der Kopf ſoll aufgeſetzt
ſeyn. Die Arme groͤßtentheils neu.


Clio. Aus dem Pallaſt Lancelotti. Raphael
ſcheint ſie bei einigen ſeiner Figuren zum Vorbilde ge-
nommen zu haben. Das Gewand liegt ein wenig zu
feſt an, und hat die Anſicht eines feinen Leinens.
Der Schuh von beſonderer Form.


Charakter
des Apollo
Muſagetes.

Apollo Muſagetes Anfuͤhrer der Muſen.
Sein Charakter iſt der eines wolluͤſtigen Genießers
der Kuͤnſte, die Friede und Muſe erzeugen, und die
um genoſſen zu werden, eben ſo viel Ruhe von Qua-
len eigennuͤtziger Leidenſchaften, als Abgezogenheit
von lebhafter Thaͤtigkeit, gewaltſamer Anſtrengung,
und
[87]Der Vaticaniſche Pallaſt.
und peinigenden Sorgen erfordern. Eine ſelige
Stille, eine Genuͤgſamkeit, wie ſie das Anſchauen
himmliſcher Vollkommenheit, und Fuͤllung der Ein-
bildungskraft allein zu gewaͤhren im Stande ſind,
und eine gutherzige Heiterkeit aͤußern ſich in der ſuͤßen
Entzuͤckung ſeines Blicks, und in der ruhigen Lage
ſeiner Geſichtszuͤge. Aber eine gewiſſe Weichlichkeit,
wie ſie dem Geſchlechte eigen gehoͤrt, das vorzuͤglich
vor dem unſrigen auf die Ausbildung angenehmer Ta-
lente berechtiget ſcheint, oder wie wir ſie uns an den
Bewohnern der Laͤnder unter heißeren Himmelsſtrichen
denken, zeigt ſich zu gleicher Zeit in Formen und
Kleidung.


Sein langer Rock wird mit einem Guͤrtel gerade
unter der Bruſt zuſammengefaßt. Ein langer
Mantel auf den Schultern befeſtigt, flattert weit
umher, und ſein aufgebundenes Haar iſt mit einer
Lorbeerkrone umgeben. Er ſchreitet fort, und dieſe
Stellung hat einen eben ſo natuͤrlichen als edeln Aus-
druck. Das Gewand iſt gut gedacht, aber nicht
eben ſo gut ausgefuͤhrt.


Wenn mich meine Vermuthung nicht truͤgt, ſo
iſt dies Werk die Copie nach einem viel ſchoͤnern, das
verlohren gegangen iſt, aber ſchon die Seltenheit der
Vorſtellungsart macht es unſerer ganzen Aufmerk-
ſamkeit werth. 23)


Die Arme ſind bis auf die Haͤlfte neu. Aber
die Leier wird durch das Band gerechtfertigt, mit
dem ſie um ſeine Schultern haͤngt.


F 4† Zu
[88]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Zu den Fuͤßen dieſes Apollo ein herrli-
cher Dreifuß mit allen Attributen des Gottes.

Er iſt von Piraneſe gekauft. Das Gefaͤß von Gra-
nit, das darauf ſteht, iſt ſchoͤn, aber neu.


Aſpaſia, Terme mit zuſammengeſetzten Fuͤßen,
und dem griechiſchen Nahmen. Auf dem Kopfe,
der nicht beſonders ſchoͤn iſt, traͤgt ſie einen Schleier.


Pericles. Schoͤne Terme mit dem griechiſchen
Nahmen.


Vorlaͤufige
Bemerkung
uͤber Buͤſten
mit angeb-
lich antiken
Nahmen.

So ſehr man ſich im Allgemeinen huͤten muß,
dergleichen Nahmen fuͤr alt anzunehmen, ſo haben
mich doch glaubwuͤrdige Maͤnner verſichert, daß
einige der Buͤſten, die hier mit Nahmen bezeichnet
ſind, wuͤrklich bei dem Ausgraben in der Villa des
Hadrian zu Tivoli mit der antiken Innſchrift gefunden
ſind.


Von dem Betruge, der ſonſt in dieſen Faͤllen
gewoͤhnlich iſt, ein Mehreres weiter unten, um nicht
Alles auf einmahl zu ſagen.


Adonis. Eine der guten Statuen, die in
neueren Zeiten geſunden ſind. In der Mine liegt
ein Zug erhabener Melancholie, und dieſe zeigt ſich
auch in der nachlaͤßigen, beinahe hinfaͤlligen Stellung,
die einen Geiſt andeutet, der ganz mit ſeinem Kum-
mer beſchaͤfftiget, auf aͤußere Dinge nicht achtet.
Der Kopf iſt das ſchoͤnſte an dieſem Werke, und mit
einer Hauptbinde umgeben. Der Koͤrper geht nicht
uͤber die ſchoͤne Natur hinaus. Der Arbeit daran
kann man einige Haͤrte vorwerfen. Man bemerkt
viele Ergaͤnzungen, unter denen beide Arme, ein
Bein mit der Huͤfte und ein Fuß die hauptſaͤchlich-
ſten ſind.


Gany-
[89]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Ganymedes vom Volpato gefunden. ManGanymedes
und deſſen
Charakter.

kann dieſe Statue dreiſt unter die ſchoͤnſten des Alter-
thums ſetzen.


Ganymedes iſt das Ideal eines Knabens der
Freuden, uͤber deren Rechtmaͤßigkeit die Alten von
den unſrigen verſchiedene Begriffe hatten. Was der
bekannte Geſchmack einer Glycera 24) zu dem Charak-
ter eines Lieblings verlangen koͤnnte, mit dem die
Stunden unter Koſen und neckenden Scherzen ver-
fließen, das liegt, der Mine nach, in dem Charakter
des ſchoͤnen Knabens. Ich nenne ihn Knaben:
Aber er hat ſchon die Anſpruͤche des Juͤnglings. Ein
gewiſſer ſchalkhafter Zug um ſeine Lippen herum, das
lichtvollere Auge verkuͤndigen, daß er die Rechte ent-
deckt, die ihm zunehmende Staͤrke auf hoͤhere Freu-
den gibt. Er iſt in dem Uebergange von ſorgen-
loſer Gleichmuͤthigkeit zu dem Zuſtande, in dem man
mit dem gegenwaͤrtigen Genuſſe das Bewußtſeyn ſei-
nes Gluͤcks verbindet. Seine Dankbarkeit fuͤr das
Vergnuͤgen das er theilet, wird das Vergnuͤgen, das
er gibt, erhoͤhen; und ſeine muthwilligen Verſagun-
gen werden nie zur eigenſinnigen Weigerung ausarten.


Sein Koͤrper vereinigt die ſchoͤnen Verhaͤltniſſe
der Juͤnglingsjahre mit der Zartheit der Umriſſe des
Knabenalters. Den Knochenbau hat er vom Juͤng-
ling, ſogar die ſtaͤrkeren Muſkeln, die dem Fleiſche
Feſtigkeit, Elaſticitaͤt und Woͤlbung geben. Aber
das rundliche voͤllige Fleiſch, das zum Kneipen einla-
det, die fettliche Haut, die die Hand zum Strei-
cheln anzieht, hat er vom Kinde.


F 5So
[90]Der Vaticaniſche Pallaſt.

So zeigt ſich unſer Ganymed. Der Kopf mit
der phrygiſchen Muͤtze ſo ſchoͤn er noch iſt, hat doch
ſchon durch die Ergaͤnzungen gelitten. Das Be-
wundernswerthe aber iſt der Koͤrper, an dem ſich die
Kunſt des Meißels erſchoͤpft hat. Das Spiel ſeiner
Muſkeln iſt ſo gelehrt, ſo beſtimmt, und dennoch un-
ter der weichen geſchmeidigen Haut ſo natuͤrlich, ſo
fließend, daß ich unter allen antiken Statuen ihm in
dieſer Ruͤckſicht nur den beruͤhmten Torſo des Belve-
dere an die Seite ſetzen kann.


Der rechte Arm iſt modern. Die Beine ſind zu-
ſammengeſtuͤckt. Der Adler der bei ihm ſteht, hat
ſich bis auf den Schnabel und den linken Fluͤgel un-
verſehrt erhalten. Der Ausdruck in dem Thiere
iſt gut.


Eine weibliche Figur aus dem Pallaſt Bar-
berini, bekannt unter dem Nahmen des Spartaniſchen
Maͤdchens. Dieſe Benennung gruͤndet ſich auf die
Stellung, die einen Antritt zum Laufen anzeigt, und
auf die maͤnnlichen Fuͤße. Allein dieſer Ausdruck
liegt wohl hauptſaͤchlich in den modernen Armen, die
ſich wie beim Anſetzen zum Rennen zuruͤckſtemmen.
Der breite Guͤrtel und die uͤbrige Kleidung fuͤhrt mich
auf die Vermuthung, daß dies eine Amazone ſey.
Die Falten ſind etwas gradlinigt, und verrathen einen
alten Stil.


Aratus, ſchoͤner und vortrefflich gearbeiteter Kopf.


Sabina; Aus dem Gewande, das wahrſchein-
lich nur ein feines Leinen vorſtellen ſoll, aber feſt an
die Haut klebt, glaubt man ſchließen zu koͤnnen, daß
dieſe Figur aus dem Bade komme. Der Koͤrper iſt
ſchoͤn; die Ausfuͤhrung fein. Die Arme ſind neu.


Perian-
[91]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Periander, ſchoͤne Terme, mit der antiken Inn-
ſchrift, und zuſammengeſchloſſenen Beinen.


Ein junger Hercules, ſchoͤne Terme. Der
Kopf iſt mit Weinlaub und Trauben bekraͤnzt. Viel-
leicht ein Hercules bibar. Die Enden der Haupt-
binde fallen auf die Schultern herab. In der Mitte
der Terme ſind die Zeugungsglieder angedeutet. Der
unterſte Theil fehlt: Wahrſcheinlich waren Fuͤße daran.


Einige allgemeine Bemerkungen uͤber Termen
werde ich anderswo geben.


Schoͤner Kopf des Mercurius.


Euripides. Die Naſe hat ſich an dieſem Kopfe
unverſehrt erhalten. Er iſt ſchoͤn.


Diogenes und ein dabei ſtehender unbe-
kannter Kopf:
gut.


Zwei Basreliefs in dieſem Zimmer ſtellen ſo-
genannte Kriegertaͤnze vor. Es ſind nackte Figuren,
die Schilde auf den Armen, und Helme mit großen
Federbuͤſchen auf dem Haupte tragen. Uebrigens
ſind ſie nackt, und ſcheinen einen Reihetanz zu tanzen.


Domitia als Diana. Der Kopf voller
Wahrheit und Ausdruck. Die Drapperie etwas
trocken. Was man auf dergleichen Benennung zu
geben hat, an einem andern Orte.


Terme des Bacchus mit Hoͤrnern. Schoͤ-
ner Kopf voller Charakter. Sonderbar iſt das
eine Ohr, welches mehr als das andere ausgearbei-
tet iſt.


Ein Genius, der im Stehen ſchlaͤft. Der
Ausdruck vortrefflich.


Jupiter placidus oder terminalis. Von
dem Begriffe, den man mit Vorſtellungen dieſer Art
verbin-
[92]Der Vaticaniſche Pallaſt.
verbinden muß, weiter unten. Der unſrige traͤgt
eine auslaͤndiſche Muͤtze auf dem Kopfe. 25)


Große
[93]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Große Seitengallerie.


Neptun mit dem Trident und dem Del-
phin.
Arme und Fuͤße neu. Die Haare ſcheinen
von Naͤſſe zu triefen.


Genius. Eine Figur auf halben Leib, ohneGenius.
Arme, in einem Alter von ungefaͤhr 12 Jahren.
Auf dieſes herrliche Bruchſtuͤck wuͤrde die Beſchrei-
bung paſſen, die Winkelmann von dem Genius in der
Villa Borgheſe macht, und der ſie weniger verdient.
Von ihm wuͤrde man ſagen koͤnnen: Daß ſich der Leſer
dies herrliche Bild in der Geſtalt eines Engels denken
muͤſſe, der ihm im Schlafe erſcheint, wenn ſeine
Einbildungskraft mit dem einzelnen Schoͤnen in der
Natur angefuͤllt, ſich mit langer Betrachtung der von
Gott ausflieſſenden, und zu Gott fuͤhrenden Schoͤn-
heit beſchaͤfftiget hat. Von ihm koͤnnte man ſagen:
Die Natur habe dieſe Schoͤnheit mit Genehmhaltung
Gottes nach der Schoͤnheit der Engel gebildet —
Aber es iſt beſſer, daß man nichts ſage. Hier muß
man ſehen, um zu fuͤhlen.


Ein Silen.26) Der Leib iſt mit Haaren be-
wachſen. Arme und Beine ſind modern. Von ge-
meinem aber wahrem Charakter.


Triton, oder Meerungeheuer. So nenne
ich eine Statue auf halben Leib ohne Arme, die ehe-
mals eine ganze ausgemacht hat. Ob ſich gleich die
Benennung nicht ganz vertheidigen laͤßt, ſo zweifele
ich
[94]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ich doch, daß ſich eine mehr befriedigende geben laſſe.
Die melancholiſch in die Hoͤhe gezogenen Augenbrau-
nen, und die Locken an der Stirne, die nach einer
maͤßigen Hebung wieder herabſinken, geben dem Kopfe
eine auffallende Aehnlichkeit mit dem Kopfe des Alexan-
der zu Florenz. Der unſrige aber traͤgt Faunusohren,
die nur zur Haͤlfte neu ſind, und eine Haut um den
Leib gebunden, die mit Floßfedern und Schuppen
bedeckt iſt. Die Arbeit iſt ſchoͤn, die Formen aber
ſind nicht uͤber die gewoͤhnliche Natur erhaben.


Eine weibliche Statue als Danaide reſtau-
rirt.
Nackt auf halben Leib. Auf dem Geſichte
herrſcht der Ausdruck der Melancholie.


Paris aus dem Hauſe Mattei. Beide Arme
ſind neu. Demjenigen mit der Hand, worin er den
Apfel haͤlt, hat man eine Stellung gegeben, die ver-
ſchieden von der alten iſt, welche weit natuͤrlicher war.
Man ſieht noch die Fugen des alten auf dem Knie.
Dieſe Statue ſteht ihren Ruhm keinesweges. Der
Kopf hat Ausdruck, aber er iſt verzeichnet. Das
Gewand iſt hart und trocken gearbeitet. Die Beine
ſind ſchlecht angeſetzt.


Eine weibliche Figur mit Weinlaub bekraͤnzt,
und mit einem Rocke von geſtreiftem Zeuge bekleidet.
Das Gewand iſt vortrefflich gearbeitet. Der Kopf,
den man ihr aufgeſetzt hat, gehoͤrt ihr nicht.


Unzuverlaͤßi-
ge Benen-
nung der
Nymphen.
Was man
fuͤr einen

Man nennt dieſe Statue eine Nymphe. Ein
Nahme, mit dem man ziemlich freigebig gegen weib-
liche Figuren iſt, die keinen Charakter einer beſtimm-
ten Gottheit haben, und dennoch vermoͤge ihrer weni-
ger edlen, weniger ſanften Natur, nicht fuͤr Muſen
gelten koͤnnen.


Ein
[95]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Ein Badeknecht aus weißem Marmor demBegriff mit
derſelben
verbindet.

Borgheſiſchen ſogenannten Seneca aͤhnlich. Er haͤlt
einen Eimer, welcher antik iſt, und ſtand ehemals in
der Villa Pamfili.


Eine kleine Cybele. Sie ſteht auf der Figur
eines Mannes, der ſie aus dem Waſſer hebt. Die
Stellung iſt reizend.


Sardanapal. So bezeichnet dieſe Statue
der Nahme der auf dem Rande des Gewandes einge-
graben iſt. 27 a) Zu entſcheiden, welcher Sardanapal
hier vorgeſtellet ſey? Dies gehoͤrt nicht vor mein
Forum.


Der Kopf, der viel Guͤte und Adel hat, traͤgt
einen Bart, und eine Kopfbinde, welche die Haare
zur Haͤlfte zuſammenfaßt, die andere Haͤlfte faͤllt auf
die Schultern in gekraͤuſelten Locken herab. Der
Kopf hat uͤberhaupt Aehnlichkeit mit den Koͤpfen der
Termen, die man Jupiter terminalis, Jupiter placi-
dus,
[96]Der Vaticaniſche Pallaſt.
dus, auch wohl, irrig, Plato nennt. Das Ge-
wand, welches aus einem Unterkleide von feinem Lei-
nen, und einem daruͤber geſchlagenen Mantel beſteht,
iſt von der ſchoͤnſten Wahl und Ausfuͤhrung. Der
Arm, der vom Gewande nicht bedeckt wird, iſt neu.


Eine Bacchantin und Pan. Der Ge-
danke iſt reitzend obgleich etwas frei. Dieſe Gruppe
iſt aus dem Pallaſt Caraffa von Neapel hieher ge-
kommen.


Charakter
einer Ama-
zone.

Amazone aus dem Pallaſt Mattei. Der
allgemeine Charakter dieſer Figuren iſt der einer Hel-
din in den rohen Zeiten, in denen perſoͤnlicher Muth
ein ſo allgemein geſchaͤtzter Vorzug war, daß auch
dasjenige Geſchlecht darauf Anſpruch machte, welches
in gebildetern Zeiten ſelbſt von uͤbertriebener Schuͤch-
ternheit neue Reitze zu entlehnen glaubt. Die Be-
kanntſchaft mit Gefahren des Krieges geben ihrer
Mine eine gewiſſe ernſte Feſtigkeit, und die ſteten Lei-
besuͤbungen den Gliedmaaßen etwas maͤnnliches, wel-
ches man vorzuͤglich an den Junkturen der Knie, und
an den breiten Fuͤßen bemerkt. Die Koͤpfe unter-
ſcheiden ſich beſonders durch eine Art von Kante oder
Einfaſſung, welche die Augenbraunen und Lippen um-
gibt. Die eine Bruſt iſt unbedeckt, inzwiſchen zeigt
ſich die andere deutlich unter dem Gewande. Das
Geſetz der Schoͤnheit verhinderte den Kuͤnſtler, der
Fabel, nach welcher ſich die Amazonen die eine Bruſt
wegſengeten, zu folgen. Das Unterkleid, welches
ſie ohne Mantel tragen, iſt aufgeſchuͤrzt, und gemei-
niglich mit einem breiten Guͤrtel unter der Bruſt zu-
ſammen gebunden. Ihre Waffen ſind, eine Streit-
art, und dieſe fuͤhren ſie gemeiniglich auf Basreliefs,
ein
[97]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ein Schild in Form eines halben Mondes, Bogen,
Pfeil und Koͤcher.


Unſere Statue, welche die beſte dieſer Art in
Rom iſt, ſtimmt mit dem angegebenen Charakter
voͤllig uͤberein. Von ihrer Stellung laͤßt ſich der
wahre Grund nicht angeben, vorzuͤglich, weil beide
Arme neu ſind. Das Gewand iſt vortrefflich. Sie
traͤgt einen Koͤcher an der Seite: Zu ihren Fuͤßen
liegt ein Helm: Schild und Axt haͤngen am Stamm,
der ihr zum Halt dient.


Fuͤr die Aechtheit der Innſchrift: translata de
ſchola medicorum,
kann ich nicht einſtehen, ſo
wenig als fuͤr das Alter der Beine, welche ich beinahe
fuͤr neu halten moͤchte.


Trunkener Faun. Er iſt liegend vorgeſtellt.
Der Koͤrper ſchoͤn; Arme und Fuͤße neu. Er ſtand
ehemals im Pallaſt Mattei.


Ein Held in einem kurzen griechiſchen
Mantel,
oder Chlamys, der vorn und hinten her-
abhaͤngt. Der Faltenſchlag iſt im großen Geſchmack,
und ſchoͤn ausgefuͤhrt. Die Beine ſind modern.


Einige behaupten auch, der Kopf, der einen
Bart traͤgt, ſey aufgeſetzt, und der Rumpf gehoͤre,
nach aͤhnlichen Vorſtellungen auf geſchnittenen Stei-
nen und Basreliefs zu urtheilen, einem Mercur.


Pyrrhus, oder wahrſcheinlicher Ajax,Herrliche
Buͤſte des
Ajax.

Buͤſte; und eine der ſchoͤnſten des Alterthums. Er
dreht den Kopf zur Seite, und wendet die Augen zum
Himmel, mit einem Ausdruck, als wollte er den
Goͤttern Hohn ſprechen. Die Mine iſt aͤußerſt edel.
Die Muſkeln, die ſehr beſtimmt angegeben ſind, wer-
den von der weichſten Haut bedeckt. Auch in den
Erſter Theil. GBeiwer-
[98]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Beiwerken zeigt ſich ein ſchoͤner Geſchmack, und die
ſorgſamſte Ausfuͤhrung. Die Haare ſcheinen ein
Spiel der Winde zu ſeyn, und auf dem Helme ſind
die Thaten des Hercules erhoben gearbeitet.


Ein lachender Faun, Buͤſte. Schoͤner
Ausdruck naiver Froͤhlichkeit. Nie hat ein Kummer
dieſe glatte Stirn gerunzelt.


Euclides, Ariſtophanes, Antiſtenes, Buͤ-
ſten, die mit ihren griechiſchen Nahmen in der Villa
des Hadrians zu Tivoli vom Conte Fede gefunden ſind.


Lyſimachus. Kopf eines jungen Helden, an
deſſen Stirne man die Spuren der Ammonshoͤrner
ſieht, die ehemals daran befindlich waren.


Balbinus aus Bronze. Der Seltenheit we-
gen zu merken, wenn die Angabe ihre Richtigkeit hat.


Juba Koͤnig von Numidien, Buͤſte mit
vielem Ausdruck der Verſchlagenheit.


Kopf eines jungen Nero als Apollo. Der
Kopf iſt ſchoͤn. Die Benennung ohne Grund.


Coloſſaliſcher Weiberkopf. Man nennt ihn
Julia, Tochter des Titus. Allein der gewoͤhnliche
Haaraufſatz, der unſerm modernen Lockenbau ſo nahe
koͤmmt, fehlt.


Ceres. Eine beruͤhmte Statue aus dem
Pallaſt Mattei. Sie iſt nicht groß.


Der Kopf hat einen reitzenden Charakter, und
iſt, ſo wie die Fuͤße ſehr weich und fein gearbeitet.
Das Gewand klebt zu ſehr am Koͤrper, und die Fal-
ten ſind zu kuͤnſtlich gelegt. Aber die Arbeit daran
iſt ſo vortrefflich, daß man den Guͤrtel, der das Un-
terkleid zuſammen haͤlt, durch den Mantel durch be-
merkt.


Die
[99]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die Benennung iſt ſehr willkuͤhrlich, denn die
Hand, in der ſie die Mohnſtengel und die Aehren haͤlt,
iſt neu.


Eine kleine gefluͤgelte Victoria bey einer
Trophaͤe.
Sie ſetzt den Fuß auf ein Roſtrum.
Die Figur iſt vortrefflich gedacht, und aͤußerſt reitzend
geſtellt.


Ein Basrelief aus der Schule des M. Angelo
Buonarotti. Coſmus der erſte hilft der Stadt Piſa
auf. Die Gruppen ſind ſchoͤn componirt, und die
Ausfuͤhrung iſt ſehr beſorgt. Allein Alles iſt in einer
gewaltſamen Bewegung, von der man den Grund
nicht abſieht. Der Arm, den die Stadt Piſa gegen
den Coſmus ausſtreckt, iſt voͤllig ausgeſetzt, und der-
jenige, den Coſmus ihr reicht, hat Muſkeln, die
durch die heftigſte Anſtrengung angeſchwollen ſcheinen.
Die Mine in dieſer letztern Figur iſt fuͤrchterlich.
Man ſieht nicht ab, warum? Die aͤltern Koͤpfe
haben den einfoͤrmigſten Ausdruck muͤrriſcher Flußgoͤt-
ter, die juͤngeren gezogener Unbedeutung: die Ex-
tremitaͤten ſind alle convulſiviſch verdreht.


Die Vergleichung dieſer Figuren mit den uͤbrigen
um ſie herum, die ſo einfach, und doch ſo groß, ſo
reitzend, ſo wahr ſind, kann fuͤr die Bildung des Ge-
ſchmacks nicht gleichguͤltig ſeyn.


Ein Held, Gladiator genannt, und der viel-
leicht ein Perſeus ſeyn koͤnnte.


Kopf einer Iſis unvorgleichlich gearbeitet,
und ſchoͤn erhalten. Die Haare ſind in Form einer
Lotusblume auf der Scheitel zuſammengebunden. Ei-
nige aͤußerſt fein behandelte Locken fallen auf die Schul-
tern herab.


G 2Sonder-
[100]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Sonderbahrer Kopf einer Schauſpielerin.
Sie traͤgt eine Maſke vor dem Geſichte, die mit einem
falſchen Haaraufſatze, worauf wieder eine Muͤtze
haͤngt, verbunden iſt. Unter dieſer Mummerei be-
merkt man das Geſicht und die natuͤrlichen Haare.


Ein dem vorigen aͤhnlicher Kopf von minde-
rem Werthe.


Ein ſchoͤner runder Tiſch von weißem Mar-
mor,
wohl erhalten. Er ſteht auf Loͤwenfuͤßen, an
denen Koͤpfe des Hercules, gleich Termen, befind-
lich ſind.


Carricatur des Kopfs eines Pan als
Bockskopf.
Voller Ausdruck und ein deutlicher Be-
weis der Entſtehungsart dieſer ſonderbaren Natur.


Auguſt, Buͤſte. In dem Alter worin man ihn
gemeiniglich auf Muͤnzen abgebildet findet. Dieſer
Kopf ſteht auf einem Leuchter.


Ein ſchoͤner Fuß. Bruchſtuͤck.


Sogenannte
Gruppe des
Cato und
der Porcia.

Zwei Figuren eines Mannes und eines
Weibes
auf halben Leib. Wahrſcheinlich Bildniſſe
zweier Eheleute, der Kleidung nach Roͤmer, und
von einem Sarcophag genommen. Man nennt ſie
ohne allen Beweis Cato und Porcia. Der Mann
um ein merkliches bejahrter, obgleich beide im Mit-
telalter ſind, haͤlt mit der Rechten die eine Hand ſei-
nes Weibes, und ſie lehnt ſich mit der andern auf
ſeine Schulter. Es herrſcht ein trefflicher Ausdruck
in dieſer Gruppe, des liebevolleſten Zutrauens, der
ſicherſten Erwartung eines wechſelſeitigen Beiſtandes
durchs Leben: ſanfter Hingebung auf der einen, billi-
ger Feſtigkeit auf der andern Seite, Auch die Aus-
arbeitung iſt gut.


Ein
[101]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Ein Faun aus Roſſo antico. Er lehnt ſich
an einen Baum, blickt eine Traube an, die er in der
Hand haͤlt, und traͤgt Fruͤchte in dem Schooße des
Fells, das ihn umgiebt. Ueberhaupt ſcheint dieſer
Faun eine Wiederholung desjenigen zu ſeyn, der auf
dem Capitol ſteht. Die eingeſetzten Augen von Chri-
ſtal ſind modern, ſo wie der Arm, den er in die Hoͤhe
hebt. Die Fuͤße ſind ſtark reſtaurirt. An den uͤbri-
gen Theilen der Figur duͤrften die Muſkeln etwas zu
ſtark angegeben ſeyn, kaum ſcheint ſie eine Haut zu
bedecken.


Caligula. Statue fuͤr deren Benennung ich
nicht einſtehe. Der Koͤrper iſt unbekleidet, gut,
aber ſtark ergaͤnzt. Der linke Arm iſt neu.


Narciſſus, oder vielmehr ein Adonis, nach
der Wunde in der Lende zu urtheilen. Vielleicht hat
ihm der uͤbergebeugte Koͤrper allein den Nahmen Nar-
ciſſus zu Wege gebracht. Er ſtand ehemals im Pal-
laſt Barberini, und war die erſte Statue, die zur
Formirung des Muſei angekauft wurde. Der eine
Arm ganz, der andere zur Haͤlfte, und beide Beine
ſind gewiß neu. Der Kopf iſt zweifelhaft. Der
Rumpf iſt ſchoͤn.


Eine Muſe, die Erato genannt wird. Der
Kopf, der alt aber ergaͤnzt iſt, hat einen angenehmen
Charakter, und iſt mit einem Lorbeerkranz umgeben.
Die Haare fallen auf die Schultern herab. Beide
Arme ſind nebſt der Leier neu. Sie iſt vorzuͤglich des
Gewandes wegen merkwuͤrdig, welches eben ſo ſchoͤn
gedacht, als fleißig ausgefuͤhrt iſt. Man ſieht Frangen
an dem Mantel, und Stickerei auf dem Unterkleide.
Den Mantel, der aus zwei Theilen beſteht, von
G 3denen
[102]Der Vaticaniſche Pallaſt.
denen der eine von vorn, der andere von hinten den
Koͤrper hat bedecken ſollen, und auf den Schultern
zuſammengeknuͤpft wurde, haͤngt uͤber den einen Arm
herab. 27 b)


Ein ſitzender Trajan aus Villa Mattei. Der
Kopf ſcheint nicht aͤcht zu ſeyn, und iſt ſehr beſchaͤdigt.


Auguſt. Eine ſchoͤne edle Figur deren Ober-
leib nackt iſt. Um die Lenden iſt ein Mantel geſchla-
gen. Man behauptet, dieſe Figur ſey unverſehrt;
aber die Beine ſind unſtreitig neu.


Eine kleine ſitzende Muſe, Urania ge-
nannt. Sie traͤgt Federn auf dem Kopfe, ein Zei-
chen des Sieges, den die Muſen uͤber die Sirenen
davon trugen. Des reitzenden Charakters, und des
Gewandes wegen zu bemerken.


Commodus zu Pferde, unter Lebensgroͤße,
aus dem Pallaſt Mattei. Mittelmaͤßig. Ich zeige
ſie an, weil Bernini die Idee des Pferdes ſeines
Conſtantins davon entlehnt haben ſoll. Eine Hand-
werkeranekdote!


Dieſe
[103]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Dieſe Statue ſtand zu meiner Zeit † auf einem
Sarcophag mit Basreliefs von ſehr artiger
Erfindung.
Unter andern erinnere ich mich der
Vorſtellung zweier Amorinen, die ihre Fackeln an
einen zwiſchen ihnen beiden ſtehenden Altar gelehnt hat-
ten, an jeder Seite eine, ſo daß die Flammen zuſam-
menſchlugen. Auf dieſem Feuer verbrannten oder
erwaͤrmten ſie einen Schmetterling, von deſſen aus-
geſpreiteten Fluͤgeln jeder einen hielt. Eine artige
Idee, und in der Ausfuͤhrung ſo gefaͤllig geordnet!


Annius Verus. Ein ſchoͤner Kindeskopf.


Ein ſchoͤn gearbeiteter Kopf eines Weibes,
in Jahren, die ſich dem Alter naͤhern, mit wahrem
Ausdruck der Gutherzigkeit. Vielleicht iſt dies die
Urſach, warum man ihn der Mutter des Titus
beilegt.


Zwei ſitzende Schauſpieler aus Villa Mattei.
Kleine Figuren. Sie tragen Maſken, Roͤcke mit
langen Ermeln und Maͤntel. An den Fuͤßen ſind ſie
mit hohen Schuhen und mit Halbſtiefeln von Filz
nach Art der heutigen Italieniſchen Bauern be-
kleidet.


Nemeſis. Der Seltenheit wegen zu bemerken.
Sie hebt den einen Zipfel ihres Gewandes uͤber der
Bruſt nach dem Kopfe zu. Eine Stellung, in der
ſie auf geſchnittenen Steinen haͤufiger vorkoͤmmt.


Nemeſis iſt wahrſcheinlich, ſtrafende Gerechtigkeit.Bedeutung
der Goͤttinn
Nemeſis.

Allein die Handlung des Spuckens in den Schooß,
gehoͤrt unter die Allegorien, die keinen deutlichen Be-
griff geben, weil der Gebrauch des Zeichens nicht zu
gleicher Zeit mit dem Sinn deſſelben auf uns gekom-
men iſt. Einige finden darin eine Art: von Gott
G 4ſey
[104]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ſey bei uns, von Verwahrung gegen Zauberei; an-
dere einen Ausdruck des Verabſcheuens des Laſters;
wieder andere, in dem gebogenen Ellenbogen, ein
Maaß der Suͤnden.


Eine Vaſe von durchſichtigem Orientaliſchen
Alabaſter. Wenn man ein Licht hinein ſetzt, das
uͤbrige Zimmer aber dunkel laͤßt, ſo verbreitet dies
eine angenehme ſanfte Klarheit durch den Alabaſter.
Die Farbe deſſelben iſt ſehr ſchoͤn, gelb mit braͤunli-
chen Cirkeln, die ſich bis zu einem Punkte in der
Mitte verkleinern. Die Form iſt nicht ſehr ſchoͤn.
Sie ward zu St. Carlo al Corſo gefunden, woſelbſt
ehemals das Grabmahl des Auguſts befindlich war,
und es duͤrfte vielleicht nicht unwahrſcheinlich ſeyn,
daß die Aſche einer der Perſonen ſeiner Familie darin
aufgehoben geweſen waͤre.


Ein Kind mit einem geraubten Beutel.
Die Formen ſehr reitzend, und der Ausdruck von
Schalkheit unvergleichlich.


Auguſt, eine Figur, die opfert. Das Ge-
wand iſt ſchoͤn. Ob aber der aufgeſetzte Kopf dan
Rumpfe gehoͤrt, bleibt wenigſtens zweifelhaft.


Jupiter und
deſſen Cha-
rakter.

Jupiter aus dem Hauſe Veroſpi.


Groͤße und Guͤte, wie man ſie ſich bei einem
Manne in Verbindung denken darf, dem das reife
Alter und lange Erfahrung Herrſchaft uͤber ſeine Lei-
denſchaften, wahres Gefuͤhl von der Beſtimmung ſei-
ner Vorzuͤge, und Billigkeit gegen die Schwaͤchen
anderer gegeben haben, machen den Charakter des
Vaters der Goͤtter und der Menſchen aus. Sein
Wink erſchuͤttert das Weltall, aber ſein Wink
beſchirmt auch den geringſten ſeiner Bewohner,
und
[105]Der Vaticaniſche Pallaſt.
und dieſer naht ſich ihm mit Ehrfurcht und Ver-
trauen.


Unſere Statue gibt dieſen Begriff mehr als jede
andere dieſes Gottes; aber ſie laͤßt doch die Vermu-
thung uͤbrig, daß ſie Wiederholung einer weit vor-
zuͤglicheren ſey, die verlohren gegangen iſt. Sie iſt
ſitzend vorgeſtellt. Kopf und Leib ſind die ſchoͤnſten
Theile. Die Falten des Gewandes, das um die
Huͤften geworfen iſt, mit einem Faltenſchlage in groſ-
ſem Stile, zeigt das Nackte ſehr gut an.


Wahrſcheinlich hat dies Stuͤck ehemals eine
hoͤhere Auſſtellung gehabt, wodurch die Beine von
unten geſehen dem Auge entzogen geweſen ſind. Sie
find vernachlaͤßigt; die Arme aber neu.


Die Statue ſteht dem Zuſchauer an dem gegen-
waͤrtigen Orte zu nah, und in einem wenig vortheil-
haften Lichte. Um ſie recht zu beurtheilen, muß
man ſie bei Fackeln ſehen.


Cleopatra. Unter dieſem Nahmen iſt eineCleopatra.
liegende weibliche Figur bekannt, die am Arme eine
Schlange traͤgt. Dieſe Schlange iſt ein bloßes Arm-
band, denn ich habe in Florenz und Portici zwar
nicht Armbaͤnder, aber doch Ringe von aͤhnlicher
Form geſehen. Wie kaͤme auch die Schlange an
den Arm?


Daß folglich dieſe Figur eine Cleopatra nicht vor-
ſtelle, bleibt bei mir gewiß; was ſie aber dagegen
wuͤrklich vorſtelle, getraue ich mir nicht zu ent-
ſcheiden. 28)


G 5Fuͤr
[106]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Fuͤr uns iſt es genung, in dieſer Figur den Aus-
druck ſanfter Ruhe zu ſehen: Eine ſchlafende Frauens-
perſon. Das Gewand iſt vortrefflich, die ſwelten
Umriſſe des Koͤrpers zeichnen ſich ſehr deutlich dadurch
hin, und der Wurf deſſelben, die Ordnung und Be-
handlung der Falten machen es der Aufmerkſamkeit
des Liebhabers beſonders werth. Die Stellung iſt
ſehr reitzend.


Winkel-

28)


[107]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Winkelmann 29) wirft dem Kopfe vor: er ſey
verzeichnet. Der Fehler liegt an der Naſe und dem
Munde, welche ergaͤnzt ſind.


Sie liegt jetzt auf einem Sarcophage mit einem
mittelmaͤßigen Basrelief, den Streit der Titanen mit
den Goͤttern vorſtellend.


Sturz einer Saͤule von vielfaͤrbigem
Porphyr.


Sie iſt merkwuͤrdig wegen der Seltenheit der
Materie, und wegen ihrer ehemaligen Beſtimmung.
Sie diente lange zum Pfeiler, eine Faͤhre, die uͤber
die Tiber fuͤhrt, daran zu binden, bis ein Zufall auf
die Entdeckung ihres Werths fuͤhrte.


Eine Diane, im Laufe vorgeſtellt. Eine ge-
woͤhnliche Idee, die aber hier vorzuͤglich gut ausge-
fuͤhrt iſt.


Aeſculap und Hygea. Gruppe. Der Ge-
danke beſſer als die Ausfuͤhrung. Der Kopf der Hy-
gea aufgeſetzt.


Mehrere ſchoͤne Gefaͤße.30)
Rotunde
[108]Der Vaticaniſche Pallaſt.
30)
[109]Der Vaticaniſche Pallaſt.
30)
[110]Der Vaticaniſche Pallaſt.
30)


[111]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Rotunde.


Dieſer Saal hat eine Kuppel mit Fenſtern,
durch die das Licht von allen Seiten auf die Statuen
faͤllt. Die Bauart iſt, wie mich duͤnkt, zu einer
richtigen Beleuchtung von Statuen, auf die das Licht
nur von einer Seite, und noch dazu nicht aus einer
ſo uͤbermaͤßigen Hoͤhe fallen darf, wenig zweckmaͤßig.
Uebrigens iſt die Hoͤhe des Zimmers der Groͤße der
coloſſaliſchen Figuren angemeſſen.


Zwei Termen mit weiblichen Koͤpfen.Zwei weibli-
che Termen
mit colloſſa-
liſchen Koͤ-
pfen, bekannt
unter dem
Nahmen der
Tragoͤdie
und der Co-
moͤdie.

Coloſſal. Sie haben unter einander ſo viel Aehnlich-
keit, daß man annehmen duͤrfte, ſie waͤren nach einer
Idee gearbeitet, oder zu Gefaͤhrten urſpruͤnglich be-
ſtimmt geweſen. Nur in dem Grade der Guͤte gehen
ſie von einander ab, und in dem Kranze von Wein-
laub und Trauben, den der beſte unter dieſen beiden
Koͤpfen allein zum Haarſchmuck traͤgt.


Die Kenner ſind ſich uͤber die Bedeutung dieſer
Koͤpfe nicht einig. Einige finden in ihnen idealiſirte
Portraits
30)
[112]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Portraits einer Perſon aus der Familie des Ha-
drians — denn in deſſen Villa zu Tivoli ſind ſie
gefunden, — andere nennen den Kopf mit dem
Kranze die Muſe der Tragoͤdie, den Kopf ohne Kranz
aber die Muſe der Comoͤdie.


Sey was es ſey, der Kopf mit Weinlaub be-
kraͤnzt, gehoͤrt unter die ſchoͤnſten, die ſich aus dem
Alterthume auf uns erhalten haben, ſowohl in Ruͤck-
ſicht auf Schoͤnheit der Formen, als Wahrheit des
Charakters, und Zartheit der Ausfuͤhrung. Der
bewundernswuͤrdigſte Fleiß zeigt ſich in den Beiwer-
ken, ohne daß das Ganze dadurch trocken geworden
waͤre. Der Lockenbau iſt ſonderbar, und laͤßt ſich
nicht gut entwickeln, wenn man nicht einen Aufſatz
von fremden Haaren annimmt. Uebrigens hat ſich
dieſer Kopf bis auf die Spitze der Naſe, welche allein
ergaͤnzt iſt, unverſehrt erhalten. Die Augenbrau-
nen ſind genau angedeutet.


Der andere Kopf, wie bereits bemerket iſt, hat
minderen Werth, aber fuͤr ſich betrachtet, allen An-
ſpruch auf unſere Aufmerkſamkeit.


Neptun oder Ocean, eine Terme, mit
einem coloſſaliſchen Kopfe. Er traͤgt Hoͤrner und
einen Kranz von Weinreben und Trauben. Seine
Haare heben ſich bei der Wurzel etwas in die Hoͤhe,
und die Spitzen ſinken herab. Floßfedern bilden ſeine
Augenbraunen, und gehen um die Backen herum.
Im Barte ſieht man kleine Fiſche.


Der Ausdruck von Adel und Groͤße leidet wohl
nicht, dieſen Kopf auf einen Triton oder einen andern
Meergott einer geringeren Claſſe zu deuten. Wenig-
ſtens haben die aͤhnlichen Vorſtellungen in der Villa
Albani
[113]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Albani, die Winkelmann 31) mit dieſem Nahmen
belegt, einen viel gemeineren Charakter.


Melpomene aus dem Hofe des Pallaſts der
Cancellaria hieher gebracht. Eine edle majeſtaͤtiſche
Figur von coloſſaliſcher Hoͤhe und großem Charakter.
Die Haͤnde ſind neu. Ihr ſchoͤnes Gewand beſteht
aus einem Rocke mit langen Ermeln, der von einem
ſehr breiten Guͤrtel unter der Bruſt umſchuͤrzt iſt.
Ein Mantel haͤngt auf der Schulter.


Coloſſaliſcher Kopf eines Jupiter aus
weißem Marmor. Sehr gut.


Ein coloſſaliſcher Kopf aus ſchwarzem
Baſalt
aus Villa Mattei hieher gebracht und


Ein anderer aus weißem Marmor, wel-Jupiter Se-
rapis.

che beide einen Jupiter Serapis vorſtellen. Der
letzte traͤgt eine Hauptbinde, an der man Loͤcher be-
merkt, in denen ehemals Radii oder Strahlen aus
Bronze eingefugt geweſen ſind.


Ich nehme dieſe beiden Koͤpfe zuſammen, weil
ſie beide in einer Vorſtellungsart zuſammen kommen;
obgleich der letzte den erſten an Schoͤnheit weit uͤber-
trifft, und vorzuͤglich in Anſehung der ſchoͤnen Ar-
beit unter die beſten des Alterthums gerechnet wer-
den kann.


Ein Jupiter Serapis unterſcheidet ſich von einemBedeutung
und Charak-
ter eines Ju-
piter Sera-
pis.

andern Jupiter durch den Scheffel (modius) auf
dem Haupte, und durch einen ſtrengen ernſten Blick.
Wahrſcheinlich liegt bei dieſer Vorſtellungsart eine
Aegyptiſche Idee zum Grunde, die die Griechen ver-
fei-
Erſter Theil. H
[114]Der Vaticaniſche Pallaſt.
feinert haben. Vielleicht Beſchuͤtzer des Getraides,
das durch Kraͤfte aus dem Schooße der Erde, und
durch den Einfluß des Himmels Wachsthum und
Gedeihen erhaͤlt. Winkelmann 32) nimmt ihn mit
dem Pluto fuͤr eine und eben dieſelbe Gottheit an.


Eine ſitzende Figur coloſſaliſch. Man gibt
ihr den Nahmen Nerva. Ich glaube ohne Grund.
Sie iſt vom Cavaceppi ergaͤnzt, und, wie man ſagt,
in der Mitte aus Bruchſtuͤcken zweier verſchiedenen
Statuen zuſammengeſetzt. Beide Arme und die
Drapperie, die daruͤber geworfen iſt, ſind unſtrei-
tig neu.


Ich habe große Zweifel gegen das Alter des gan-
zen Werks. Der Kopf ſieht dem Dante aͤhnlich.
Stellung und Form des Koͤrpers haben viel vom Stil
des M. Angelo.


Juno.

Juno coloſſaliſche Statue aus dem Pallaſte
Barberini, und die ſchoͤnſte, die wir von dieſer Goͤt-
tin haben. 33)


Charakter
der Juno.

Der allgemeine Charakter einer Juno iſt Hoheit
und Wuͤrde ohne Lieblichkeit. Sie praͤgt Ehrfurcht
ein, aber ſie zieht nicht an. Ihre Zuͤge ſetzen uns
durch Regelmaͤßigkeit in Bewunderung, aber ſie ſind
ohne gefaͤlligen Reitz. Ihre Augen liegen mit der
Stirn in gleicher Erhoͤhung und ſind hoch gewoͤlbt.
Um den Mund herum herrſcht etwas gebietriſches.
Der voͤllige Buſen zeigt das reifere Alter an. Außer-
dem bezeichnet ſie ein Diadem in Form eines laͤnglich-
ten
[115]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ten Dreiecks, deſſen kuͤrzeſte und zugeruͤndete Spitze
wie ein Gipfel in die Hoͤhe gerichtet iſt.


Unſere Statue wird ſtaͤrker gefallen, je oͤfterer
und laͤnger man ſie anſieht. Kopf und Gewand ſind
gleich ſchoͤn. Beide Arme ſind modern.


Dieſe Statue ward zu meiner Zeit an einigen
Stellen ausgebeſſert. Ich hatte Gelegenheit, auf
das Geruͤſte zu ſteigen, und bemerkte bei dieſer Ge-
legenheit, daß Kopf und Hals ſchon in aͤlteren Zeiten
in den Rumpf eingefuͤget waren.


Claudius. Ein coloſſaliſcher Kopf, weich und
ſein gearbeitet. Dir Naſe hat ſich erhalten; aber der
Hinterkopf und ein Theil des Lorbeerkranzes ſind neu.


Juno Lanuvina, von Lanuvium, welcher Ort
ihr beſonders heilig war. Sie iſt mit einer Ziegen-
haut umgeben, deren Kopf uͤber den ihrigen in Form
eines Helms gezogen iſt. Die Ziegenfuͤße ſind auf
der Bruſt zuſammengebunden. Arme und Beine
ſind neu. Man hat bei der Ergaͤnzung und der Be-
nennung eine Muͤnze und ein Basrelief in der Villa
Pamfili vor Augen gehabt. Die Schuhe hat der
nunmehro verſtorbene Aufſeher des Muſei, Abbate
Viſconti nach dem Bruchſtuͤcke eines Fußes von Por-
phyr, welchen er beſaß, ergaͤnzen laſſen.


Im Ganzen iſt dieſe Figur mehr der Seltenheit
als der Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig. Sie ſtand
ehemals im Pallaſt Paganica.


Fauſtina eine coloſſaliſche Buͤſte. Es fehlt
ihr zum Leben nur die Sprache.


† In dieſer Rotunde wird man nunmehro einen
Fußboden von Moſaik ſehen, der zu Utricoli ge-
funden iſt. In der Mitte deſſelben ein Meduſenkopf-
H 2und
[116]Der Vaticaniſche Pallaſt.
und rund herum in verſchiedenen Abtheilungen der
Streit der Centauren und Lapithen, die Reiſen des
Ulyſſes, einige Nereiden und Tritonen. Ein ſchoͤnes
Werk! 34)


Vorplatz.

Auf dem Vorplatze der zur Treppe nach
der Bibliothek und den Zimmern
des Cardinals Zelada fuͤhrt.


Zwei Aegyptiſche Idolen im griechiſchen
Stile gearbeitet, aus rothem Granit. Sie ſind von
ſchoͤnem Charakter, coloſſaliſch, und dienen der Ar-
chitrave uͤber der Thuͤr zu Caryatiden, wozu ſie, der
eckigten Saͤule an die ſie geſtellet ſind, dem Korbe
auf dem Haupte, und dem feſten ſtemmigten Stande
nach, auch von Anfang an beſtimmt geweſen zu ſeyn
ſcheinen. Sie ſtanden ehemals zu Tivoli. Winkel-
mann, 35) der uͤberhaupt eine weitlaͤuftige Beſchrei-
bung derſelben gibt, findet in dem Geſichte eine dem
Antinous aͤhnliche Bildung.


Ein Prieſter welcher opfert. Der ver-
ſchleierte Kopf ſcheint modern zu ſeyn. Man ſchaͤtzt
das
[117]Der Vaticaniſche Pallaſt.
das Gewand. Dieſe Figur ſtand ehemals zu Vene-
dig im Pallaſt Guſtiniani. 36),37)


H 3Theil
[118]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Theil des Vaticaniſchen Pallaſts, in
dem ſich die Mahlereien
befinden.


Mahlereiendes Raphael.

Mahlereien des Raphael.

Die weitlaͤuftigſten Compoſitionen, die mehreſten
wichtigen Werke Raphaels finden ſich in dieſem
Pallaſte.


Raphael und
ſein Stil.

Ich muß meine Leſer mit den Vorzuͤgen dieſes
großen Kuͤnſtlers, mit ſeinem Geiſte in ſeinen Wer-
ken bekannt zu machen ſuchen.


Leonardo da Vinci, Michael Angelo Buonarotti
waren ihm vorausgegangen. Leonardo hatte ſeinen
Figuren Ebenmaaß und Ausdruck zu geben gewußt:
Michael Angelo hatte einen groͤßern Stil eingefuͤhrt,
und dem Fleiße des Kuͤnſtlers die wahre Richtung ge-
geben: Es blieb unſerm Raphael uͤbrig, jene verſchie-
denen Vorzuͤge in einem erhoͤheten Grade in ſeiner
Perſon zu vereinigen, und Schoͤnheit der Formen,
Weisheit der Erfindung neu hinzuzuſetzen.


Rafaele Sanzio da Urbino, deſſen ruhmvoller
Nahme auch bei uns das Buͤrgerrecht erhalten hat,
Raphael ward zu Urbino im Jahre 1583 an einem
Charfreitage mit allen den Anlagen gebohren, die ei-
nen großen Kuͤnſtler ausmachen koͤnnen.


Er beſaß nicht blos jenes wilde Feuer, jene Reitz-
barkeit zu ungebaͤndigten Leidenſchaften, die mit einer
brennenden Einbildungskraft und fruchtbarem Witze
verbunden, ſo oft mit Genie verwechſelt werden, oft
auch dafuͤr gelten koͤnnen, ohne den bildenden Kuͤnſten
wahren
[119]Der Vaticaniſche Pallaſt.
wahren Vortheil zu bringen: Nein! Sein Herz
ſcheint dauernder Waͤrme, ruhiger Fuͤlle faͤhig geweſen
zu ſeyn, und ſeine Einbildungskraft, die einmahl er-
waͤrmt ihre Bilder lange behielt, in dem richtigſten
Verhaͤltniſſe mit Scharfſichtigkeit und geſunder Be-
urtheilung geſtanden zu haben.


Dieſes ſeltenen Verbandes von Genie und Ge-
ſchmack ungeachtet wuͤrde Raphael, ohne jene Ge-
ſchicklichkeit, die Bilder, die in ſeiner Seele aufſtie-
gen, mit dem groͤßten Theile der Wahrheit und Treue
andern vor Augen zu ſtellen, womit ſie vor den ſeini-
gen ſchwebten, doch nur ein ſehr mittelmaͤßiger Mah-
ler geblieben ſeyn. Jene Richtigkeit des Auges, jene
geſchmeidige Feſtigkeit der Hand, die in den bildenden
Kuͤnſten den ſchwerern Theil, und die nothwendige
Grundlage der kuͤnftigen Groͤße des Kuͤnſtlers aus-
machen; zur Haͤlfte von natuͤrlicher Anlage, groͤße-
ſtentheils aber von langjaͤhriger Uebung abhangen;
dieſen mechaniſchen Vorzug verdankte Raphael dem
ſorgfaͤltigen Unterrichte ſeines Vaters, und ſeines erſten
Lehrmeiſters Pietro Perugino. Dieſer letzte hatte das
Verdienſt, die Natur getreu, einfach und mit ge-
nauer Beobachtung des Ebenmaaßes in einzelnen Thei-
len — denn im Ganzen ſind ſeine Verhaͤltniſſe oft
unrichtig, — nachzuahmen. Simplicitaͤt, Treue
und Ebenmaaß ſind Grundlagen der Schoͤnheit.
Sollten ſie auch Anfangs ſich mit trockener Haͤrte zei-
gen; ſie iſt fuͤr den Lehrling beſſer als das Ausſchwei-
fen in ungewiſſe Formen der Schoͤnheit, und unge-
treuen Reitz!


Raphael hielt ſich eine Zeitlang an die Manier
ſeines Lehrers. Doch zeigt ſich ſchon dazumahl der
H 4Zuſatz
[120]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Zuſatz von Ausdruck, den er in ſeine Figuren legte;
Zu jeder Zeit der unterſcheidende Vorzug unſers
Kuͤnſtlers! Uebrigens entging er durch gar zu große
Beſtimmtheit, und durch den Fleiß, den er an Ne-
benſachen verſchwendete, weder der Trockenheit noch
der Haͤrte und der kleinen Manier ſeiner Schule.


Der Anblick der Werke des Leonardo da Vinci,
des Michael Angelo, des Fra Bartholomeo und der
Umgang mit einigen ſchoͤnen Genies ſeiner Zeit, er-
hoͤheten ſeine Begriffe von der wahren Beſtimmung
ſeiner Kunſt. Er lernte das Ueberfluͤſſige von dem
Nothwendigen abſondern, ſein Stil wurde groͤßer.
Die Fertigkeit ſeiner Hand machte es ihm leicht, nach
demjenigen, was er in den Werken ſeiner Vorgaͤnger
als gut erkannte, die ſeinigen umzuſchaffen.


Mit dieſen Vorzuͤgen ausgeruͤſtet, bot ſich ihm
die gluͤckliche Gelegenheit dar, die Saͤle des Vati-
cans mit ſeinen Arbeiten zu zieren. Nichts erhebt
ein Genie, angefuͤllt mit großen Ideen, ſo ſehr, als
ein Feld ſich zu zeigen, und die Gelegenheit, die
Frucht ſeiner Meditationen in Anwendung zu bringen.
Des Vertrauens ſeiner Zeitgenoſſen gewiß, ſtreitet es
dann nur mit ſich ſelbſt und mit der Vergaͤnglichkeit
eines gegenwaͤrtigen Rufs.


Inzwiſchen die Ausbildung macht keinen Sprung.
Leichtigkeit und Zuverlaͤßigkeit, welche allein Grazie
zeugen, laſſen ſich nur durch lange Uebung erhalten.
Man ſieht den erſten Werken Raphaels im Vatican
die aͤngſtliche Sorgſamkeit an, die uͤber neu zu erlan-
gende Vorzuͤge, alte mindere, aber bewaͤhrte, auf-
zuopfern fuͤrchtet. So entſtand ſeine zweite Ma-
nier
[121]Der Vaticaniſche Pallaſt.
nier, die im Grunde nur eine Verbeſſerung der er-
ſten iſt.


Ausdruck bleibt auch hier der charakteriſtiſche
Vorzug unſers Meiſters. Die dichteriſche Erfindung
zeigt ſchon die Kenntniß des Grundſatzes, daß alle
Figuren in einem Gemaͤhlde einen ungetrennten An-
theil an der Handlung nehmen muͤſſen: daß ſie fuͤr
ſich, nicht fuͤr den Zuſchauer handeln.


Allein die mahleriſche Anordnung iſt zu ſymme-
triſch. Die Zeichnung iſt richtig, iſt fein, aber zu
hart, zu beſtimmt, im kleinlichen Stile. Die Ge-
waͤnder ſind noch in zu viele Partien getheilt; die
Ausfuͤhrung iſt noch zu trocken, der Fleiß zu ſehr auf
Nebenſachen verſchwendet. Ja! ein gewiſſer gothi-
ſcher Schmuck, z. E. goldener Schein um die Koͤpfe
der Heiligen, goldene Stickerei auf den Gewaͤndern,
iſt noch nicht abgelegt.


Aber der Begriff von Vollkommenheit war zu
ſehr in Raphaels Seele gegruͤndet, als daß er lange
auf dieſer Stufe haͤtte ſtehen bleiben ſollen. Wir fin-
den ihn beſchaͤfftigt, ihr auf verſchiedenen Wegen
nachzuſtreben. Bald zieht das Colorit alle ſeine Auf-
merkſamkeit an ſich, wie in dem Gemaͤhlde der Meſſe
zu Bolſena: Bald ſtrebt er dem Helldunkeln nach,
wie in dem Gemaͤhlde der Befreiung des heiligen Pe-
trus: Bald aber zwingt ihn uͤberhaͤufte Arbeit, ſei-
nen Schuͤlern die Ausfuͤhrung ſeiner Ideen zu uͤber-
laſſen, und da er die Concurrenz des Michael Angelo
in der Zeichnung fuͤrchtet, ſo verwendet er ſeine ver-
doppelten Kraͤfte an dieſen wichtigſten Theil ſeiner
Kunſt. Hier aber ſteht er in Gefahr, den Anſchein
H 5von
[122]Der Vaticaniſche Pallaſt.
von Groͤße in den Werken ſeines Nebenbuhlers, das
Rieſenmaͤßige, das Uebertriebene, mit der einfachen
Groͤße der Antiken zu vertauſchen. So ſieht man
ihn in der Figur der Gerechtigkeit im Sale Conſtan-
tins, ſo ſieht man ihn in einigen Figuren im Ge-
maͤhlde des Incendio del Borgo. Aber bald ent-
deckt er den Abweg, er kehrt zu ſich ſelbſt zuruͤck, und
bereichert mit Schoͤnheiten, die er ſelbſt ſeinen Irrun-
gen zu verdanken hat, zeigt er ſich in aller ſeiner
Groͤße in dem beruͤhmten Gemaͤhlde der Transfigu-
ration, und geht zu den Unſterblichen uͤber.


Dieſe haͤufige Abwechſelung, dieſes unablaͤßige
Streben nach Vollkommenheit, die er auf unzaͤhligen
Stufen zu erreichen ſuchte, macht die Beſtimmung
ſeiner Manier in der letzten Epoche ſeines Alters ziem-
lich ungewiß. Jedes Bild aus dieſer Zeit hat ſeine
eigene Manier, oder vielmehr, Raphael hat gar
keine, er hat die Verfahrungs-Art der Natur. Sie
ſtellt jeden Gegenſtand ſo vor, wie es der Zweck ſeiner
Beſtimmung erfordert. Inzwiſchen laſſen ſich einige
Grundſaͤtze angeben, die Raphael mit Haltſamkeit
befolgt zu haben ſcheint, einige Vorzuͤge, einige Feh-
ler, an denen man ihn in den beſten ſeiner Gemaͤhlde
ſtets wieder erkennen wird.


Die poetiſche Erfindung und der Ausdruck ſind
die Hauptvorzuͤge Raphaels.


Ich habe ſchon oben geſagt, 37b) was poetiſche
Erfindung iſt. Die Wahl der Gegenſtaͤnde, die
Raphael darzuſtellen hatte, hing ſelten von ihm ab.
Um
[123]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Um ſo mehr iſt die Art, wie er ſie uns intereſſant zu
machen gewußt hat, zu bewundern. Er waͤhlte im-
mer den Zeitpunkt einer Handlung heraus, in wel-
chem ſie der Zuſchauer am liebſten zu ſehen wuͤnſcht.
Dann aber ließ er nicht mehr Perſonen auftreten, als
zur Verſtaͤndlichkeit des Suͤjets noͤthig waren, und
dieſe verband er durch den natuͤrlichſten und ungetrenn-
teſten Antheil an der Haupthandlung. Die Haupt-
figuren ziehen allemahl zuerſt unſere Aufmerkſamkeit
auf ſich.


Die mahleriſche Erfindung oder eigentliche An-
ordnung war weniger das Verdienſt Raphaels. Es
zeigt ſich keine Spur in ſeinen Werken von einer uͤber-
legten
Zuſammenſtellung der Figuren, um dem Auge
Gruppen von angenehmer Form, oder ſolche Gruppen
darzubieten, die eines vortheilhaften Eindrucks von
Licht und Schatten vorzuͤglich faͤhig waͤren.


Ausdruck, im weitlaͤuftigen Verſtande: Dar-Naͤhere Be-
ſtimmung
des Worts
Ausdruck in
der Mahle-
rei, in ſo
fern man da-
durch das
Hauptver-
dienſt unſers
Kuͤnſtlers be-
zeichnet.

ſtellung des Gedankens, den der Kuͤnſtler in ſein Bild
zu legen geſucht hat; und im engeren: Darſtellung
der Faſſung der Seele, der Geſinnung, womit jede
einzelne Perſon handelt, iſt derjenige Theil der Kunſt,
worin keiner der uns bekannten Kuͤnſtler Raphaeln
gleich koͤmmt. Ohne Anmaaßung ſich dem Zu-
ſchauer verſtaͤndlich zu machen, ſagt jede Figur genau
und deutlich das was ſie fuͤr die Handlung und den
Ort der Scene ſagen ſoll. Nie uͤberſchreitet er die
feine Graͤnzlinie zwiſchen dem zu Viel, und dem zu
Wenig, und nie opfert er die Schoͤnheit dem Aus-
drucke ganz auf.


Man
[124]Der Vaticaniſche Pallaſt.
In wie fern
man der
Zeichnung
die Beiwoͤr-
ter, ſchoͤn,
beſtimmt,
richtig, fein,
beilegt, und
welche derſel-
ben von Ra-
phaels Zeich-
nung gelten
koͤnnen.

Man ſagt oft von der Zeichnung des Kuͤnſtlers,
ſie ſey ſchoͤn: man ſagt aber auch von ihr, ſie ſey be-
ſtimmt, richtig, fein, zierlich, im großen Stile,
Dieſe Beiwoͤrter, die oft mit einander verwechſelt
werden, haben jedoch jedes fuͤr ſich, eine von einander
ſehr abweichende Bedeutung.


Schoͤnheit der Zeichnung geht eigentlich auf die
Wahl der Formen. Raphael hat nie das Sublime
der Antiken noch das Gefaͤllige des Correggio erreicht.
Er waͤhlte ſeine Weiber aus der Natur, und er
brachte, wie es ſcheint, keine große Abwechſelung in
dieſe Wahl. Sie haben beinahe alle den Charakter
eines ſanften Ernſtes, aber ſelten ſetzen ſie uns durch
die majeſtaͤtiſche Uebereinſtimmung ihrer Zuͤge in Be-
wunderung, oder ziehen uns durch holdſelige Lieblich-
keit an. Seine Kinder ſind von gemeiner Natur,
ſeine Juͤnglinge ſchoͤn, aber ohne die Erhabenheit der
Formen, unter denen wir, berechtigt durch die Sta-
tuen des Alterthums, uns eine Heldenſeele denken.
Das reifere Alter des Mannes, und Greiſe gelangen
ihm in der Darſtellung am beſten.


Mit welcher
Vorſicht Ra-
phael Bild-
niſſe lebender
Perſonen in
ſeinen hiſto-
riſchen Ge-
maͤhlden an-
brachte:

Raphael brachte oft Abbildungen lebender Perſo-
nen in ſeinen Gemaͤhlden an. Aber ſie blieben keine
kalte Portraits; nein! er bildete ſie nach ſeinen Be-
griffen von Schoͤnheit um, und wußte ſie durch den
paſſendſten Ausdruck mit der Handlung zu verbinden:
Bei dieſer Vorſicht ein vortreffliches Mittel, Leben
und Wahrheit uͤber ein Gemaͤhlde zu verbreiten! Ja!
oft erkennt man auf ihnen ſogar Bildſaͤulen der Alten
wieder, und hauptſaͤchlich Figuren, die von antiken
Basreliefs genommen ſind.


Raphael,
[125]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Raphael, ein anderer Deucalion, hatte dasund wie er
die Antiken
nutzte.

Vorrecht, Steine zu beleben. Er hatte lange die
Natur ſtudirt, und er verließ ſie nicht, als er die An-
tike zu Rathe zog. Die erſte lieferte ihm Erfahrun-
gen, die ihm das Ideal der letzteren bis zum Gefuͤhl
der Wahrheit und des Lebens nahe bringen konnten.
Seine Einbildungskraft zeigte ihm den lebloſen Mar-
mor mit alle den Veraͤnderungen, die die Seele, die
er ihm einbließ, oder beſſer, die Faſſung in die er
ihn verſetzte, auf einen organiſirten Koͤrper mit aͤhnli-
chen Formen haͤtte hervorbringen koͤnnen. Wenn er
folglich dem Scheine nach copirte, ſo erhob er ſich im
Grunde nur von der Natur zum Ideal. Er verbeſ-
ſerte ſie durch einander, und ſein Scharfſinn zeigte
ihm genau den Punkt, wo beide zuſammentrafen.
Vielleicht iſt hierin die Urſach zu ſuchen, warum wir
in den Gemaͤhlden Raphaels ſelten die ſchoͤnſten der
antiken Statuen nachgeahmt finden: Warum er bei-
nahe nie uͤber das Gute hinaus ging. Er verzwei-
felte daran, in der Natur ſeines Landes etwas zu fin-
den, das ihm den Begriff der hoͤchſten Schoͤnheit bis
zur belebenden Nachahmung haͤtte nahe bringen koͤn-
nen; und um ihr nicht Wahrheit und Ausdruck auf-
zuopfern, enthielt er ſich lieber derſelben ganz.


Moͤchten doch junge Kuͤnſtler unſerer Zeiten dieſe
Grundſaͤtze des groͤßten ihrer Vorgaͤnger beherzigen!
Sie, die ſich oft verfuͤhren laſſen, durch einen colorir-
ten Apollo oder Antinous ohne paſſenden Ausdruck
eine unertraͤgliche Kaͤlte in ihre Gemaͤhlde zu bringen;
ohne den Abfall zu erſetzen, den jede Nachbildung
ſelbſt an Schoͤnheit der aͤußeren Form leidet! Wahr-
heit
[126]Der Vaticaniſche Pallaſt.
heit iſt das erſte Geſetz der nachbildenden Kuͤnſte,
Schoͤnheit das zweite, Ausdruck unzertrennlicher
Zweck von beiden.


Beſtimmt-
heit und
Richtigkeit
der Zeich-
nung.

Beſtimmt, fein, — denn dies iſt nur ein hoͤhe-
rer Grad des Beſtimmten, — pflegt man eine Zeich-
nung in Ruͤckſicht auf Wahrheit der Umriſſe einzelner
Theile zu nennen: Richtig, in Ruͤckſicht auf das ge-
naue Verhaͤltniß der Theile unter einander. Beide
Vorzuͤge der Beſtimmtheit und der Richtigkeit beſaß
Raphael, ſo weit der Liebhaber ſieht, 38) in einem
hohen Grade.


Er hatte die Verhaͤltniſſe des menſchlichen Koͤr-
pers nach den antiken Basreliefs ſtudirt. Von die-
ſen hatte er auch die gute Art, die Glieder in einander
zu fuͤgen, und den guten Geſchmack, ſeine Gewaͤnder
zu werfen, gelernt.


Raphaels
Gewaͤnder.
Was zu ei-
nem gut ge-
worfenen
Gewande
und zu ei-
nem wohl-
geordneten
Faltenſchla-
ge erfordert
wird.

Dieſe Gewaͤnder ſind vortrefflich, und wahr-
ſcheinlich die ſchoͤnſten, die ſeit Wiederherſtellung der
Kuͤnſte gemahlt ſind. Die fliegenden ſind vorzuͤglich
zu bemerken. Das Hauptverdienſt eines gut gewor-
fenen Gewandes beruht darin, daß das Nackte be-
deckt, aber dem Auge nicht entzogen werde; daß man
große Partien von Flaͤchen und Erhoͤhungen bilde,
aber
[127]Der Vaticaniſche Pallaſt.
aber keine unfoͤrmliche Maſſen von Felſen und Thaͤ-
lern, die blos dazu beſtimmt ſcheinen, das Licht auf-
zufangen; daß dieſe Partien naͤtuͤrlich in ihren For-
men abwechſeln; daß der Faltenſchlag nie willkuͤhrlich
ſey, nie ohne hinreichenden Grund; und bei dem Al-
lem die Ausfuͤhrung nichts Gradlinigtes, Steifes,
oder gar kuͤnſtlich Zuſammengelegtes zeige.


Das Zierliche einer Zeichnung laͤßt ſich nicht gutZierlichkeit
der Zeich-
nung.

beſchreiben, aber ein jeder fuͤhlt, was man damit
ſagen will. Raphael iſt darin den Antiken nachge-
kommen, erreicht hat er ſie nicht.


Die lange Gewohnheit al fresco zu mahlen, hatRaphaels
Colorit.

Raphaels Oehlmahlerei verdorben. Die meiſten ſei-
ner Gemaͤhlde ſind nach ſeinen Zeichnungen von ſeinen
Schuͤlern ausgefuͤhrt, und von ihm retouchirt. Aber
dieſer letzte Auftrag iſt in der Folge der Zeit ausgewit-
tert. Man kann daher uͤber ſeine Staͤrke im Colorit
nicht mit Gewißheit urtheilen. Einige ſeiner Ge-
maͤhlde zeigen Strahlen dieſes Theils der Kunſt.
Aber im Ganzen hat er ſeine Farben nicht hinreichend
mit Mitteltinten gebrochen; ſein Licht faͤllt ins Rothe,
und ſeine Schatten fallen zu ſehr ins Schwarze.


Raphael hat bei der Beleuchtung ſeiner FigurenBeleuch-
tung, Hel[l]
dunkles in
Raphaels
Gemaͤhlden.

mehr auf Ruͤndung jeder Figur im Einzelnen, als
auf die Wuͤrkung des Lichts und Schattens im Gan-
zen geſehen. Er ging dabei ſehr einfach zu Werke,
legte auf die hoͤchſten Partien weiß auf, und brach
daſſelbe mit ſchwarz bis in den Schlagſchatten:
Von Reflexen wußte er nichts. Wenn er mehrere
Figuren zuſammen ſtellte, ſo kamen die helleſten vorn
hin, und die dunkelſten hinten, und auf ſolche Art
ſchwaͤchte
[128]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ſchwaͤchte er die Lichter ab. Von den Repouſſoirs,
oder den dunkeln Figuren auf dem Vorgrunde, die
das hintere Licht heraus heben, zeigt ſich keine Idee
in ſeinen Werken; ſo wenig, als von dem ausgeſpar-
Beilaͤufige
Erklaͤrung
des Aus-
drucks,
accidens de
lumiere.
ten Fall des Lichts und Schattens, (dem ſogenannten
accidens) jener weiſen Austheilung des Hellen und
Dunkeln, wodurch gewiſſe Theile mehr als andere,
gleichſam von Ohngefaͤhr hervorſtechend oder zuruͤck-
weichend ſich zeigen: es ſey daß der Kuͤnſtler uͤber-
haupt fuͤr das Auge des Zuſchauers hier und da eine
kleine Ruhe noͤthig haͤlt, oder daß er daſſelbe auf ge-
wiſſe vorzuͤgliche Partien beſonders aufmerkſam ma-
chen moͤchte.


Darin liegt eine der Haupturſachen, warum
ſeine Gemaͤhlde ſo wenig auf den erſten Blick anziehen.


Er ſcheint inzwiſchen nach kleinen Modellen von
Wachs oder Thon gearbeitet zu haben, die er der
Perſpective und der Anordnung wegen zuſammen-
ſtellte. Wenn dieſe von Ohngefaͤhr eine gluͤckliche
Abwechſelung von Licht und Schatten hervorbrachten,
ſo trug er ſie getreu in ſeine Gemaͤhlde uͤber. Aber
im Ganzen trifft man dieſen Vorzug zu ſelten in ſeinen
Gemaͤhlden an, um ihm ein entſchiedenes Verdienſt
daraus zu machen.


Raphael war nicht blos ein großer Kuͤnſtler, er
war auch groß als Menſch. Aber dies gehoͤrt nicht
in meinen Plan. Er genoß waͤhrend ſeines Lebens
der Vorzuͤge des Ruhms, den die Nachwelt als den
des groͤßten Mahlers neuerer Zeiten beſtimmt hat.
Er ſtarb in der Bluͤthe ſeiner Kunſt, und ſeines
Alters.


Coſa bella mortal paſſa e non dura.


Rapha-
[129]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Raphaels Logen oder vielmehr Loggie di
Rafaele.

Dieſe Loggie, die auf deutſch ſehr uneigentlichRaphaels
Logen.

durch Logen uͤberſetzt werden, ſind weiter nichts, als
ein offener Corridor, eine Gallerie mit Arcaden nach
dem innern Hofe zu. 39) Sie ſind ſehr haͤufig in
Italien, und dienen zur Communication der verſchie-
denen Zimmer und Etagen eines Gebaͤudes.


Diejenige Gallerie nun, die zu den Stanze di
Rafaele,
zu den Zimmern fuͤhret, in denen die
Hauptwerke Raphaels im Vaticaniſchen Pallaſte be-
findlich ſind, iſt von eben dieſem Meiſter und ſeinen
Schuͤlern mit Mahlereien und andern Verzierungen
bekleidet, die fuͤr den Ort viel zu gut und nicht paſſend
ſind: Zu gut, weil ſie bei offenen Arcaden dem Un-
gemach des Wetters zu ſehr ausgeſetzt ſind; nicht paſ-
ſend, aus Gruͤnden, die ich gleich weiter ausfuͤhren
werde.


Die Bekleidung beſteht aus Arabeſken, oder
Groteſken, untermiſcht mit gemahlten Figuren, Bas-
reliefs aus Stuckaturarbeit, und Gemaͤhlden am Pla-
fond, deren Suͤjets heilige Geſchichten vorſtellen, und
deren Folge die Bibel Raphaels genannt wird.


Arabeſken ſcheinen fuͤr einen ſo großen Ort alsUeber Ara-
beſken.

dieſen keine ſchickliche Mahlerei zu ſeyn. So viel
Achtung
Erſter Theil. J
[130]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Achtung auch Raphaels Geſchmack an dieſer Art von
Verzierung verdient; ich kann doch nicht umhin, mich
auf die Seite des Vitruvius zu ſtellen, und ſo wie
dieſer uͤber den herrſchenden Geſchmack ſeiner Zeiten an
dieſen ſeltſamen Vorſtellungen ſeine Unzufriedenheit
bezeugte, uͤber ein aͤhnliches Verderbniß zu der mei-
nigen Klage zu erheben.


Wie einfoͤrmig iſt nicht ungeachtet aller Abwech-
ſelung, die man in die Formen zu bringen ſucht, dieſe
Art, die Waͤnde zu bedecken? Was ſagt ſie unſerm
Geiſte? Ich billige, daß man Landhaͤuſer, Cabinets,
Boudoirs damit ausziere; ſie ſchicken ſich hieher ihrer
leichten Zierlichkeit wegen; aber wenn man die Waͤnde,
die Plafonds großer Pallaͤſte, den einzigen Ort, wo
der Kuͤnſtler noch ein Feld zu Ausfuͤhrung großer
Compoſitionen findet, an Handwerker, an Decora-
tionsmahler verſchwendet, das geht mir nahe. 40)


Freilich ſind Arabeſken, wie ſie Raphael mahlte,
nur in Vergleichung mit ſeinen uͤbrigen Werken Ar-
beiten des Handwerkers. Ob er gleich die Veranlaſ-
ſung zu dieſer Art von Zierrathen in den Baͤdern des
Titus fand, ſo bereicherte er ſie doch mit ſo vielen neuen
Geſchoͤpfen ſeiner Einbildungskraft, daß ſchon dieſe
allein ihm [den] Nahmen eines Genies ſichern koͤnnten.
Sein Schuͤler Giovanni Nanni da Udina fuͤhrte ſeine
Ideen aus, und er war gluͤcklich genung, in ihm zu
gleicher
[131]Der Vaticaniſche Pallaſt.
gleicher Zeit die Leichtigkeit der Hand, und die fleißige
Beſorgung zu finden, die Werken dieſer Art den
groͤßten Reitz geben.


Die Erfindung dieſer Mahlerei hat ihre eigenen
Grundſaͤtze. Die Schoͤnheit der Formen, ſowohl in
den einzelnen Zierrathen, als in den Gruppen, die ſie
bilden; Simplicitaͤt, Symmetrie bei Mannichfaltig-
keit und anſcheinender Unordnung; ſehr abwechſelnde
und doch nicht kreiſchende Farben, ſcheinen Haupt-
erforderniſſe dabei zu ſeyn. Im Grunde haͤngen
Compoſitionen dieſer Art blos von der willkuͤhrlichen
Schoͤpfung des Kuͤnſtlers ab; inzwiſchen verlangt der
Zuſchauer dennoch eine gewiſſe Art von Wahrſchein-
lichkeit, deren Vernachlaͤßigung ſeine Augen beleidiget.
Wir bemerken dies, wenn der Kuͤnſtler Weſen, die
wir uns als ſchwerfaͤllig denken, auf ſolche ſetzt, die
ihrer ſchwankenden Eigenſchaft nach jenen nicht zum
Halt dienen koͤnnten; z. E. Gebaͤude auf Blumen-
ranken. So glaube ich auch, daß man ſich huͤten
muß, das Wahre mit dem blos Conventionellen in eine
ungeſchickte Verbindung zu ſetzen. Saͤulen in einem
Zimmer, deſſen Waͤnde mit Laubwerk bedeckt ſind,
oder ein Plafond, das eine hiſtoriſche Handlung durch
Perſonen in Lebensgroͤße vorſtellet, uͤber Waͤnden, an
denen ſich Arabeſken hinauf ſchlaͤngeln, bringen alle-
mahl einen beleidigenden Uebelſtand hervor.


Unſere neueren Handwerker haben das Laubwerk,
die eigentlichen Zierrathen der Raphaeliſchen Arabeſken
ſchon lange als eine Schule genutzt, als einen Vor-
rath, aus dem ſie die Verzierungen ihrer Meublen
entlehnt haben: In den Figuren, die hin und wieder
J 2ange-
[132]Der Vaticaniſche Pallaſt.
angebracht ſind, findet der Kuͤnſtler Stoff, ſeine
Ideen zu bereichern, und ſeinen Geſchmack durch Be-
trachtung der reitzenden Formen zu verfeinern. Selbſt
als poetiſche Erfindung kann manches Suͤjet, das in
dieſe Arabeſken eingewebt iſt, ſeiner Aufmerkſamkeit
werth werden. Wie ſchoͤn ſind zum Beiſpiel die drei
Parzen gedacht! Die juͤngſte ſitzt auf einem Blumen-
topfe, und dreht den Rocken, von dem die mittlere
Schweſter, die auf einem Korbe mit Fruͤchten ruht,
den Faden des Lebens abſpinnt, bis endlich die aͤlteſte,
die aus einem Portale heraustritt, welches den Sitzen
der uͤbrigen zur Stuͤtze dient, ſich bereit macht, ihn
abzuſchneiden.


Hin und wieder ſind, wie ich bereits angemerkt
habe, Cameen und Basreliefs angebracht; im Gan-
zen wohl nicht mit gehoͤriger Sparſamkeit und ſchick-
licher Verbindung, aber im Detail fuͤr den Liebhaber
um ſo intereſſanter, da ein Theil wuͤrklich antik aus
alten Gebaͤuden ausgehoben und hieher verſetzt, ein
anderer im Geiſt der Alten von Raphael erfunden iſt.
Eine reiche Erndte ſchoͤner Ideen fuͤr den Kuͤnſtler!


Gemaͤhlde am Plafond, Raphaels Bibel.

Raphaels
Bibel.

Eine Nomenclatur dieſer Gemaͤhlde ſcheint mir
uͤberfluͤßig, denn da ſie die bekannteſten Suͤjets aus
der heiligen Geſchichte enthalten, ſo erklaͤrt ſie der
bloße Anblick. Auch werde ich mich nicht auf eine
detaillirte Beſchreibung und Beurtheilung einlaſſen,
ſondern nur hie und da einige Bemerkungen uͤber das
Ganze und uͤber einzelne Vorſtellungen herausheben.


Iſt
[133]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Iſt ein Plafond uͤberhaupt ein ſchicklicher Ort zurPlafonds
ſcheinen kein
ſchicklicher
Ort zu ſeyn,
um daran
intereſſante
Gemaͤhlde
anzubrin-
gen.

Aufbewahrung ſolcher Gemaͤhlde, welche die Aufmerk-
ſamkeit lange feſſeln, und durch das Intereſſe, das
ſie erwecken, die Augen anheften? Ich glaube nicht.


Zuerſt iſt die Stellung, die man annehmen
muß, um eine Sache zu betrachten, die uͤber unſerer
Scheitel ſchwebt, an ſich ſchon zwangvoll, und auf
die Laͤnge quaͤlend. Ein Gemaͤhlde am Plafond muß
den Blick fuͤllen, wenn man ihn hinaufſchlaͤgt, aber
man muß ihn auch wieder abziehen koͤnnen, ohne zu
bedauren, daß man ihn nicht laͤnger dort ruhen laſſen
kann.


Eine andere Unbequemlichkeit iſt die Schwierig-
keit bei der Wahl des Geſichtspunktes, aus dem der
Zuſchauer ein Gemaͤhlde an der Decke wahrſcheinlich
finden ſoll. Einige Kuͤnſtler ſtellen ihre Figuren ſo,
wie ſie der unten ſtehende Zuſchauer ſehen wuͤrde,
wenn ſie in offener Luft uͤber ihm ſchwebten. Man
ſieht ſie alsdann in der Verkuͤrzung. Andere hinge-
gen mahlen das Gemaͤhlde, als wenn es eigentlich be-
ſtimmt geweſen waͤre, dem Zuſchauer gegen uͤber auf-
geſtellet zu werden, und als haͤtte man es entweder
als Tafel oder als Decke an den Boden angeheftet.
So mahlte Raphael ſeinen Plafond, ſo hat Meng[s]
einige der ſeinigen verfertiget.


Die Meinungen ſind getheilet uͤber den Vorzug,Soll man
die Figuren
in horizon-
taler oder
verticaler

den jede dieſer Vorſtellungsarten verdient. Die An-
haͤnger der letzten ſagen: Die Verpflichtung, nur
ſolche Suͤjets an die Decke zu mahlen, die wuͤrklich
in offener Luft vorgehen koͤnnen, beſchraͤnke zu ſehr
J 3das
[134]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Richtung in
einem Pla-
fond Ge-
maͤhlde ſtel-
len? Der
Autor ent-
ſcheidet fuͤr
die verticale.
das Genie des Kuͤnſtlers, welches bei unſerer neueren
Methode, die Waͤnde mit Tapeten zu behaͤngen, bei-
nahe kein ander Feld als Decken zu weitlaͤuftigen
Compoſitionen uͤbrig ſehe: Eine Menge der intereſ-
ſanteſten Handlungen, die auf der Erde vorgegangen
waͤren, wuͤrden dadurch von der Darſtellung ausge-
ſchloſſen: Um verkuͤrzten Figuren Wahrheit zu geben,
duͤrfe man ſie nur von einer Stelle ab betrachten, und
von dieſer Stelle ab werde zwar eine einzelne Figur,
nie aber eine weitlaͤuftige Compoſition den wahren
Geſichtspunkt erhalten: Es ſey alſo unmoͤglich, eine
gaͤnzliche Illuſion hervorzubringen: Koͤnnte dieſes
aber auch der Fall ſeyn, ſo wuͤrde doch die Voraus-
ſetzung, daß man einen offenen Himmel ſehe, ſich ſehr
ſchlecht in ein vermauertes Zimmer paſſen: Jene
andere, daß man bemahlte oder gewuͤrkte Decken
an den Boden anſchlage, habe wenigſtens das Ver-
dienſt einer groͤßeren Offenherzigkeit fuͤr ſich, und einer
geringern Anmaaßung auf Betrug.


Dieſe Gruͤnde haben allerdings viel Anſcheinendes,
inzwiſchen zieht mich meine Empfindung doch immer
zu denjenigen Deckenſtuͤcken hin, die Figuren in Ver-
kuͤrzung darſtellen, und es fehlt mir auch nicht an
Gruͤnden, meinen Geſchmack zu rechtfertigen.


Freilich kann nur aus einem einzigen Stand-
punkte, naͤmlich der Mitte des Zimmers, die wahre
Wuͤrkung einer weitlaͤuftigen Compoſition dieſer Art
beurtheilt werden, und ſelbſt von dort ab erhalten die
entfernten Figuren ihren wahren Augenpunkt nicht:
Allein dieſem Hinderniſſe laͤßt ſich leicht dadurch be-
gegnen, daß man die Decke in mehrere Felder theile,
die
[135]Der Vaticaniſche Pallaſt.
die alsdann, jedes fuͤr ſich, ihren eigenen Augenpunkt
erhalten.


Wenn auch das Genie des Kuͤnſtlers durch die
Nothwendigkeit ſolche Suͤjets zu waͤhlen, die in freier
Luft vorgehen, beſchraͤnkt werden ſollte, ſo wuͤrde er
eben dadurch vor der Verſuchung bewahrt, ſehr intereſ-
ſante Suͤjets an einen Ort zu bringen, wo ich ſo viele
Muͤhe habe, ſein Werk zu betrachten. Allerdings
paßt ſich fuͤr den Boden eines vermauerten Zimmers
ein aufgehangener Teppich beſſer als ein offener Him-
mel; aber dieſer Teppich ſey nur nicht von dem Wer-
the, daß ich ſagen muß: Schade, daß er dort
haͤngt!


Dagegen koͤmmt vielmehr in Betracht, daß Fi-
guren, die urſpruͤnglich gemahlet ſind, um auf einer
Horizontalflaͤche geſehen zu werden, wenn ſie nachher
in verticaler Richtung angeheftet werden, die unna-
tuͤrlichſte Wuͤrkung hervorbringen. Sie ſchweben
nicht, ſie ſcheinen zu fallen. Ja! da das Auge nach
den bekannteſten Regeln der Optik die Figuren, die
es in der Entfernung uͤber ſich ſiehet, verkuͤrzt, ſo
darf ſie der Mahler, wenn er ihnen nicht ein ſchwer-
faͤlliges Anſehen geben will, nicht in ihrer natuͤrlichen
Lage laſſen: Er muß von den innerlichen Verhaͤlt-
niſſen des darzuſtellenden Koͤrpers abweichen, um ſich
nach den Verhaͤltniſſen, worin das Auge außer ihm
ſiehet, zu richten.


Ich wiederhole alſo meine Meinung uͤber die Be-
kleidung der Plafonds dahin, daß mir ein Plafond
uͤberall kein ſchicklicher Ort fuͤr ein Gemaͤhlde ſcheinet,
J 4das
[136]Der Vaticaniſche Pallaſt.
das eine intereſſante Handlung darſtellt. Geſchmack-
volle Zierrathen aus Stuck, oder Grau in Grau ge-
mahlt, die das Auge anziehen, ohne es zu feſſeln,
ſcheinen mir hier an ihrer wahren Stelle zu ſtehen.
Will man aber durchaus hiſtoriſche Figuren an Decken-
ſtuͤcken ſehen, ſo wuͤnſche ich, daß man ſie ſchwebend
vorſtellen moͤge.


Die Bibel Raphaels enthaͤlt Gemaͤhlde, die
eigentlich von dem ſtehenden Zuſchauer in horizontaler
Richtung geſehen werden ſollen. Die Figuren haben
ohngefaͤhr eine Hoͤhe von zwei Fuß, welche der Ent-
fernung, worin ſie das Auge ſieht, nicht angemeſſen
iſt. Die Feinheit des Ausdrucks in den Minen,
Raphaels Hauptvorzug, geht beinahe ganz ver-
lohren.


Zu allen dieſen Stuͤcken hat Raphael Zeichnungen
hergegeben, aber nur wenige hat er mit eigener Hand
ausgefuͤhret. Diejenigen Schuͤler, die am meiſten
Antheil daran hatten, ſind Perino del Vaga, Giulio
Romano, Giovanni Francesco Penni, und Pelle-
grino da Modena. 41)


Den erſten Stuͤcken, die die Schoͤpfungsge-
ſchichte vorſtellen, ſieht man deutlich an, daß ſich
Raphael in die Ideen Michael Angelo’s hinein gedacht
hat; wenn man ihm daruͤber einen Vorwurf machen
will, ſo verdient er ihn weniger in Ruͤckſicht der Nach-
ahmung, als vielmehr der Wahl des Vorbildes.
Der
[137]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Der Schoͤpfer hat beſtaͤndig den Ausdruck eines graͤm-
lichen Alten, und ſeine Stellung hat oft etwas con-
vulſiviſch Gedrehtes.


In dem Gemaͤhlde, welches das Ordnen des
Chaos
vorſtellt, hat Raphael dem Schoͤpfer den
Ausdruck eines ruͤſtigen Alten gegeben, der mit ge-
waltſamer Anſtrengung und ausgeſpreiteten Armen
und Beinen die Elemente aus einander treibt. Wie
ſehr verliert dieſe Vorſtellung, wenn man ſie mit der
Idee vergleicht, welche die Worte: „Gott ſprach, es
werde Licht, und es ward Licht!“ hervorbringen.
Das Erhabene dieſer Begebenheit beruht auf dem Ge-
fuͤhl des geringen Aufwandes von Kraͤften, wodurch
eine ſo große Wuͤrkung hervorgebracht iſt, und ich
halte es fuͤr unmoͤglich, daß die Kunſt dies jemahls
durch ſichtbare Darſtellung errege.


Mit eben ſo wenigem Gluͤcke hat uns Raphael
die Begebenheit der Schoͤpfung der Thiere ſinn-
lich machen wollen. Hier breitet der Schoͤpfer die
Haͤnde uͤber eine Menge von Thieren verſchiedener
Gattung aus, und gleichet einem Hausvater, der
ſeine Menagerie beſieht. Um inzwiſchen die Idee des
Werdens, des Entſtehens einiger Maaßen zu verſinn-
lichen, laͤßt er verſchiedene Thiere zur Haͤlfte aus der
Erde hervorragen, mit der voͤlligen Anſicht, als waͤ-
ren ſie halb vergraben.


Die Mahlerei hat keine zulaͤngliche Mittel, Be-
gebenheiten, die ſich ohne unaufhaltſame Progreſſion
nicht denken laſſen, dem Auge deutlich zu machen.


J 5Aus
[138]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Aus der Geſchichte der Schoͤpfung des Wei-
bes
hat Raphael nicht den gluͤcklichſten Zeitpunkt her-
ausgehoben. Er hat den Augenblick gewaͤhlt, in
dem Adam ſagt: Das iſt Fleiſch von meinem Fleiſche.
Wer Miltons Darſtellung von dem erſten Zuſam-
mentreffen des erſten Mannes, des erſten Weibes
kennt, der wird ſich eine intereſſantere Situation
denken, die den Mahler haͤtte beſchaͤfftigen koͤnnen.
Obgleich Richardſon 42) behauptet, daß die Figur
der Eva von Raphael ſelbſt gemahlt ſey, und daß
die Zierlichkeit ihrer Umriſſe der Antike nichts nach-
gebe; ſo fuͤllt ſie doch keinesweges die Idee von Schoͤn-
heit aus, die Miltons Beſchreibung in unſerer Seele
zuruͤckgelaſſen hat.


Um ſo zufriedener bin ich mit folgenden Compo-
ſitionen:


Die erſten Eltern nach dem Falle. Eva
wird in ihrer Arbeit durch den Streit ihrer Kinder
geſtoͤrt, die ſie zur Schiedsrichterin uͤber einen Apfel
zu machen ſcheinen, den der eine dem andern geraubt
hat. Dieſe Idee zeigt hinreichend den Fall aus je-
nem goldnen Zeitalter an, in dem Unſchuld und
Ueberfluß kein ſtreitiges Eigenthum und keine Schieds-
richter zuließ; das Unangenehme des Gedankens,
daß nunmehro eigennuͤtzige Leidenſchaften den Men-
ſchen beherrſchen, wird zwar auf der einen Seite
durch ihre Aeußerung in dem zarten Alter der Kind-
heit erhoͤhet; aber auch auf der andern Seite durch
die
[139]Der Vaticaniſche Pallaſt.
die Nachſicht, die wir gegen dieſes Alter und ſeine
noch unſchaͤdlichen Fehler haben, um ſo mehr gemil-
dert, da ſie zu den reitzendſten Stellungen und der
angenehmſten Gruppe die Veranlaſſung gegeben
haben.


Noah mit ſeiner Familie verlaͤßt die
Arche.
Abgeriſſen von allen Freunden ihrer Ju-
gend, vielleicht die einzigen im eigentlichſten Ver-
ſtande des Worts, ſtehen Noah und ſeine Frau in
Kummer verſunken, uͤber den wuͤſten Anblick der
Erde, an der ihr einſames Alter nur noch durch die
Erinnerung haͤngt: Hingegen Hoffnung emporſtre-
bender Jugend hebt den Buſen ſeines Sohnes, der
eine neue Schoͤpfung vor ſich ſieht, deren Herr er
ſeyn wird; und das Weib dieſes letzten — o Ra-
phael! wie fein! wie zaͤrtlich! das Weib ſchlingt ih-
ren Arm um den Hals des geliebten Gatten, ſieht
nur auf ihn, und achtet’s nicht: ob außer ihnen die
Welt zu Truͤmmern wird.


In allen Gemaͤhlden erkennt man Raphaels
Geiſt, ſeinen Ausdruck, ſeine Anordnung, ſeine
Stellungen, ſeine Gewaͤnder. Folgende aber haben
mir die merkwuͤrdigſten geſchienen: Die Engel
kommen zu Abraham, Loth wandert aus So-
dom, Iſaac erhaͤlt Befehl, nicht nach Aegyp-
ten zu gehen, Jacob trifft Rahel und Lea am
Brunnen, Joſeph erzaͤhlt ſeinen Bruͤdern den
Traum, den er gehabt hat, Joſeph erklaͤrt
dem Pharao einen Traum,
Ein Bild das Pouſ-
ſin ſehr geſchaͤtzt haben ſoll: die Findung Moſes,
die Anbetung des guͤldenen Kalbes, Moſes

zeigt
[140]Der Vaticaniſche Pallaſt.
zeigt den Kindern Iſrael die Geſetztafeln, Jo-
ſua gebietet der Sonne und dem Monde,
Eleaſar und Joſua vertheilen den Kindern
Iſrael das gelobte Land, der Triumph Da-
vids, die Koͤnigin von Saba, die Taufe
Chriſti und das heilige Abendmahl.


Raphaels Stanze.

Raphaels
Stanze.

Unter dieſem Nahmen ſind vier Zimmer bekannt,
deren Waͤnde Gemaͤhlde von der Hand dieſes Mei-
ſters enthalten, und die, wenn nicht die ſchoͤnſten,
doch gewiß die weitlaͤuftigſten Compoſitionen ſind, die
wir von der Hand dieſes Meiſters kennen.


Es iſt ſchwer bei der Beſchreibung dieſer Ge-
maͤhlde kurz zu ſeyn. Kein Kuͤnſtler gibt durch man-
nichfaltige Bedeutung und Vorzuͤge, die ſich in jedem
ſeiner Bilder mit Abwechſelung zeigen, ſo vielfachen
Anlaß zu haͤufigen Bemerkungen. Ich will mich
bemuͤhen, aus den vorzuͤglichſten Stuͤcken nur dasje-
nige auszuheben, was zu ihrer oft mißverſtandenen
Erlaͤuterung, und zur Kenntniß des Schoͤnen dienen
kann, das dieſem Meiſter eigenthuͤmlich war.


Erſter Saal.
Saal Conſtantins
.


Schlacht
Conſtantins.

Schlacht Conſtantins wider Maxenz,
von Raphael erfunden und gezeichnet, von ſeinem
Schuͤler Giulio Romano 43 a) ausgefuͤhrt.


Rechter
[141]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Rechter Hand entſcheidet ſich der Streit zum
Siege fuͤr Conſtantin. Das maͤchtige Roß des
Ueberwinders ſtampft mit ſeinen Hufen die Feinde zu
Boden. Er ſelbſt auf der Stelle, wo ihn das Auge
frei erblickt, hebt den Speer, ihn auf ſeinen Neben-
buhler zu ſchleudern. Aber ſicherer kaͤmpfen fuͤr ihn
hoͤhere Geiſter, die uͤber ſeinem Haupte ſchweben.


Maxenz hat durch die Tiber mit ſeinem Pferde
geſetzt, und wie dies ſich eben auf das gegenſeitige
Ufer heben will, erſchrickt es vor dem obern Glanz,
und ſtuͤrzt ruͤcklings in die Fluthen zuruͤck. Sein
Reuter umklemmt noch mit wuͤthender Todesangſt ſei-
nen Nacken, als ſchon Conſtantins Soldaten auf
ihren Anfuͤhrer zuſprengen, und fuͤr die abgehauenen
Koͤpfe, die ſie ihm entgegen halten, den Preis zu er-
langen hoffen, der auf das Haupt des feindlichen Im-
perators geſetzt war. Aber ein Dritter, neidiſch auf
dieſen Vorzug, zeigt dem Conſtantin den wahren
Maxenz, im Begriff, ein Opfer der Wellen zu
werden.


Weiterhin ſuchen ſich Maxenzens Anhaͤnger auf
der Flucht in Schiffen uͤber die Tiber zu retten. In
ihrer Angſt vergeſſen ſie, daß ſie Genoſſen hatten, die
mit ihnen denſelben Fahnen folgten. Sie ſtoßen un-
barmherzig diejenigen zuruͤck, die ſich mit ihnen retten
wollen. Im Hintergrunde zieht die ſiegreiche Armee
ſchon uͤber die Bruͤcke Ponte Molle.


Auf der andern Seite ſieht man noch das ganze
Gewuͤhl der unentſchiedenen Schlacht. Der Reuter
ſtreitet gegen den Reuter, der Reiſig gegen den Rei-
ſigen.
[142]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ſigen. Maͤnner zu Pferde zermalmen Maͤnner zu
Fuße, und dieſe kaͤmpfen wieder gegen jene an. Ueber-
wundene wehren den letzten Todesſtreich ab, und um
das Gemaͤhlde zu vollenden, hebt an der aͤußerſten
Seite ein troſtloſer Vater den Leichnam des erſchlage-
nen Sohnes auf.


Dies iſt der Gedanke des Bildes, die poetiſche
Erfindung.


Die mahleriſche Erfindung, die eigentliche An-
ordnung, in Ruͤckſicht auf Form und Beleuchtung
der Gruppen, ſcheint vorzuͤglich im hintern Theile des
Bildes Tadel zu verdienen; die Figuren ſind zu unor-
dentlich auf einander gehaͤuft. Es iſt wahr, die Na-
tur des Gegenſtandes ſcheint dies zu erfordern, aber
ein geſchickter Anordner weiß Mittel zu treffen, durch
welche das Auge bei anſcheinender Unordnung dennoch
gewiſſe Gruppen abſondert, und ſich Ruhepunkte
waͤhlt, welche die einzelnen Partien zwar nicht von
dem Ganzen trennen duͤrfen, aber dieſe doch weniger
als andere hervorſtechend machen.


Der Ausdruck iſt unvergleichlich. Jede Figur
verlangt in dieſer Ruͤckſicht ein eigenes Studium, aber
vorzuͤglich mache ich aufmerkſam: auf den Maxenz,
auf die Gruppe der Krieger im Schiffe, auf den Reu-
ter, der ſein niedergeſtoßenes Pferd beſchreitet, und
ſich dennoch in dieſer unvortheilhaften Stellung wehrt,
auf jenen andern, der dem Conſtantin den ſtuͤrzenden
Maxenz zeigt, dann auf den, der ſeinen Gegner vom
Pferde ſtoͤßt, auf den zu Boden geworfenen Krieger,
der mit grimmigem Blicke dem Streich zu trotzen
ſcheint,
[143]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ſcheint, der ihn durchbohren ſoll, und endlich auf die
herrliche Gruppe des Vaters mit ſeinem Sohne.


Der Reichthum in der Wahl der Koͤpfe und der
Stellungen iſt unendlich; er zeigt auch Raphaels ge-
naue Bekanntſchaft mit der Antike. Hie und da er-
kennt man deutlich ganze Figuren wieder, die er offen-
bar von ihr entlehnet hat. Von dieſer Art iſt das
Pferd, das von dem Stoß der Lanze, deren abgebro-
chenen Schaft es noch in der Bruſt traͤgt, niederge-
ſunken, den Kopf voll huͤlfloſen Schmerzes zum Reu-
ter kehrt. Eine gluͤckliche Anwendung des Pferdes
auf dem Capitol, das von einem Loͤwen zerriſſen
wird. 43 b)


Die Zeichnung in unſerm Bilde iſt ſehr beſtimmt;
Inzwiſchen werfen ihr Kenner einige Unrichtigkeit in
der Lage der Muſkeln, und einige Haͤrte in den Um-
riſſen vor.


Das Colorit faͤllt zu ſehr ins Schwarze, und die
Haltung, welche eine weiſe Austheilung der Lichter
auf gewiſſe vorzuͤgliche Partien, Harmonie und Luft-
perſpektive vorausſetzt, fehlt gaͤnzlich.


An-
[144]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Anrede des Conſtantin an ſeine Solda-
ten,
gleichfalls von Raphael gezeichnet, und von
Giulio Romano, wahrſcheinlich mit einigen Zuſaͤtzen
eigener Erfindung, ausgefuͤhrt.


Es iſt der Augenblick gewaͤhlt, in welchem der
Kaiſer zuerſt das Kreuz in der Luft erblickt, und ſeine
Soldaten darauf aufmerkſam macht.


Nimmt man dieſen Zeitpunkt nicht an, ſo wird
man in vielen Figuren auf dieſem Bilde den Ausdruck
des Erſtaunens vermiſſen, den die Erſcheinung noth-
wendig auf ſie hervorbringen mußte.


Es laͤßt ſich einiges gegen die mahleriſche Anord-
nung dieſes Bildes erinnern. Raphael, oder ſein
Schuͤler, denn dieſem will Richardſon die meiſten Feh-
ler dieſes Gemaͤhldes zur Laſt legen, hat antike Bas-
reliefs dabei vor Augen gehabt; aber ein Basrelief
iſt kein Gemaͤhlde.


Ein Basrelief iſt ungeſchickt, die Wuͤrkungen der
Harmonie der Farben, und des eigentlichen Helldun-
keln hervorzubringen. Es iſt nur einer ſehr einge-
ſchraͤnkten Luft- und Linien-Perſpektive faͤhig, und die
eigentliche Zuſammengruppirung thut nur ſehr ſelten
die gewuͤnſchte Wuͤrkung. Es ſtellet daher die Fi-
guren meiſtens iſolirt und neben einander dar. War-
um aber ſoll das Gemaͤhlde dasjenige als Vorzug
nachahmen, was Unvollkommenheit in dem ver-
ſchwiſterten Kunſtwerke iſt?


Der poſſierliche Zwerg am Rande dieſes Bildes
pflegt den Zuſchauern am erſten aufzufallen. Freilich
ſteht er in dieſer ernſthaften Compoſition nicht an ſei-
ner Stelle. Allein ich weiß nicht, ob derjenige, der
fuͤr
[145]Der Vaticaniſche Pallaſt.
fuͤr Verdruß uͤber die haͤßliche Figur gegen die uͤbrigen
Vorzuͤge des Bildes blind wird, oder fuͤr Vergnuͤgen
uͤber den ſchnakiſchen Kerl nur ihn ſieht, nicht beide
auf gleiche Art fuͤr Waͤhrung des Schoͤnen in der
Kunſt verdorben ſind.


Die Figur Conſtantins iſt nicht edel genung, die
Zeichnung der uͤbrigen Figuren iſt ſo zu ſagen, uͤber
antike Basreliefs geformt; ſie hat die Beſtimmtheit
und die guten Verhaͤltniſſe des Vorbildes erhalten,
aber ſie iſt auch ſeiner Haͤrte nicht entgangen.


Das Colorit faͤllt, wie in allen Gemaͤhlden des
Giulio Romano, in unharmoniſche Schwaͤrze.


Die Haltung iſt wie die Haltung eines Basre-
liefs. Jede Figur iſt fuͤr ſich beleuchtet.


Die Taufe Conſtantins, die Schenkung
Conſtantins;
von dem Fattore nach Raphaels
Zeichnungen ausgefuͤhrt. Sie ſind urſpruͤnglich
ſchwach geweſen, und haben ſeitdem ſehr gelitten.


Die Gerechtigkeit und die Billigkeit oder
Milde,
zwei in Oehl gemahlte allegoriſche Figuren.
Raphael hat ſie wenigſtens ſelbſt angelegt; vielleicht
ſind ſie ausgefuͤhrt von ſeinen Schuͤlern.


Man wirft dieſen Figuren, vorzuͤglich der Ge-
rechtigkeit, zu gedrehte Stellungen vor; Eine An-
ſtrengung, von der man den Grund nicht abſieht.
Man ſchiebt dieſen Fehler auf Rechnung des Florenti-
niſchen Geſchmacks, den Raphael damahls ſeinen Zeit-
genoſſen zu Gefallen annehmen mußte. Der Fehler
mag liegen, woran er will, er fuͤhrt auf folgende Be-
trachtungen:


Erſter Theil. KMich
[146]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Ueber den
Ausdruck in
Gemaͤhlden,
welche einzel-
ne Figuren
vorſtellen,
beſonders
allegoriſche

Mich duͤnkt, wir wuͤnſchen bei jeder Figur, die
wir mit einer heftigen ſtrebenden Gebaͤhrde vorgeſtellt
ſehen, auch den Grund der Faſſung der Seele zu wiſ-
ſen, die ſie hervorbringt. Bei iſolirten Figuren iſt
dies nur alsdann moͤglich, wenn die gegenwaͤrtige
Handlung entweder durch ein allgemeines Gefuͤhl von
Situationen, die aͤhnliche Aeußerungen bei allen Zu-
ſchauern hervorgebracht haben, oder durch eine allge-
meine vorauszuſetzende Kenntniß einer individuellen
Lage irgend einer beruͤhmten Perſon aus der Geſchichte
gerechtfertiget wird.


Die Aeußerung des Zorns, der Andacht, der
Reue, wird jedem Menſchen an und fuͤr ſich begreif-
lich: es gibt der Veranlaſſungen zu dieſer leidenſchaft-
lichen Thaͤtigkeit in dem menſchlichen Leben ſo viele,
daß er nach der beſondern im gegenwaͤrtigen Falle
nicht zu fragen braucht. Es iſt ſchlechtweg ein Zorni-
ger, ein Andaͤchtiger, ein Reuiger, und daran ha-
ben wir genung. Auch wird ſich unter ſolchen, die
durch eine gebildetere Erziehung und Wohlſtand vorzuͤg-
lich auf den Genuß der Kuͤnſte berechtigt ſind, nicht
leicht einer finden, der eine Judith nicht verſtehen
ſollte, die ihre Augen voll Dankbarkeit uͤber die Ret-
tung ihres Vaterlandes und ihrer Unſchuld, die ihr
durch ihren Arm verliehen iſt, zum Himmel auf-
ſchlaͤgt.


Ganz anders verhaͤlt es ſich mit allegoriſchen Bil-
dern abſtrakter Begriffe, die wir uns abgezogen von
wuͤrkſamer Thaͤtigkeit denken koͤnnen. Sie muͤſſen
Ausdruck haben. Aber dieſer Ausdruck darf nicht
weiter gehen, als auf Darſtellung des Charakters
uͤber-
[147]Der Vaticaniſche Pallaſt.
uͤberhaupt. Auf die Darſtellung der Faſſung der
Seele, in der die Eigenſchaft, die der abſtrakte Be-
griff vorausſetzt, zu jeder Zeit und in jeder Lage, den
unterſcheidenden, hervorſtechenden Zug ausmacht,
und durch dieſen auf die ſichtbaren Formen des Koͤr-
pers eine dauernde Wuͤrkung hervorbringt.


Eine Perſon, deren Seele vom Gefuͤhle der Ge-
rechtigkeit durchdrungen iſt, wird ſich durch eine pruͤ-
fende ernſte Mine, und durch die Stellung eines
ruhigen Nachdenkens unterſcheiden; eine Perſon, in
deren Charakter Milde den Hauptzug ausmacht, durch
gefaͤllige, Zutrauen erweckende Freundlichkeit. So
weit koͤnnen wir ſie begreifen, in ſo weit wird uns der
Ausdruck deutlich. Finden wir aber einen ſolchen
Charakter in einer lebhafteren Wuͤrkſamkeit in einem
Affekte, auf den die Eigenſchaft, die der abſtrakte
Begriff vorausſetzt, nicht nothwendig zuruͤckfuͤhrt, ſo
verlangen wir die zufaͤllig einwuͤrkende Urſach zu wiſ-
ſen, und finden wir ſie nicht, wie dies denn gemei-
niglich der Fall bei iſolirten Figuren iſt, ſo koͤmmt
uns die lebhafte Gebaͤhrde und Stellung gezwungen
oder affektirt vor.


Noch ſchlimmer aber iſt es, wenn Ruhe eine un-
zertrennliche Eigenſchaft des abſtrakten Begriffs zu
ſeyn ſcheint, und lebhafte Thaͤtigkeit des allegoriſchen
Bildes damit im Widerſpruche ſteht. Dies ſcheint
der Fall bei der Gerechtigkeit ſowohl als der Milde zu
ſeyn.


Die Figur der Gerechtigkeit hat einen Strauß
neben ſich ſtehen, der wegen der gleichen Laͤnge ſeiner
Federn, auf die gleiche Austheilung des Rechts deuten
K 2ſoll.
[148]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ſoll. Dieſes Hieroglyphiſche Zeichen ſcheint nicht
gluͤcklich gewaͤhlt zu ſeyn, weil die Bedeutung weni-
gen verſtaͤndlich ſeyn wird.


Saal des Heliodorus.


Raphael bekam den Auftrag, dieſes Zimmer fuͤr
Julius II., den kecken Vertheidiger der Kirche, zu
mahlen, und darin mehrere Begebenheiten vorzu-
ſtellen, in denen der Himmel den beſondern Schutz,
den er der Kirche und ihren Vorſtehern angedeihen
laͤßt, deutlich an den Tag gelegt hat.


Heliodor.

Die Vertreibung Heliodors aus dem
Tempel den er pluͤndern wollte,
iſt das erſte un-
ter den Gemaͤhlden, womit die Waͤnde dieſes Zim-
mers bedeckt ſind.


Der Gedanke dieſes Bildes iſt folgender:


Auf eifriges Gebet des Hohenprieſters Onias laͤßt
ſich Pabſt Julius der Zweite in den Tempel zu Jeru-
ſalem tragen. Engel, Diener ſeines Zorns, gehēn
vor ihm voraus: Einer derſelben zu Pferde ſprengt
den Kirchenraͤuber Heliodor nieder, und zerſtreuet
ſeine Begleiter. Zwei andere ſchweben herzu, die
Entehrer der Gottheit mit Ruthen zu zuͤchtigen. Un-
terdeſſen fluͤchten erſchrockene Weiber zum Pabſte,
und einige Zuſchauer ſuchen hoͤhere Plaͤtze, ihre Neu-
gier zu befriedigen.


Es wuͤrde eine ſchaale Critik ſeyn, dem Kuͤnſtler
einen Anachroniſmus vorzuwerfen, den zu vermeiden,
nicht in ſeiner Gewalt ſtand.


Was
[149]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Was die Anordnung anbetrifft, ſo ſcheint mir die
große Leere des Tempels, die ſchlechthin dem Hohen-
prieſter, und noch dazu in der Entfernung aufgeopfert
iſt, keine gute Wuͤrkung hervorzubringen. Die
Gruppen werden dadurch ſo ſehr auseinander getrennt,
daß das Auge Muͤhe hat, das Ganze auf einmahl
zu faſſen. Die Compoſition wird dadurch unzuſam-
menhaͤngend.


Die Form der einzelnen Gruppen unter ſich ſcheint
mir hingegen als ein wahres Muſter aufgeſtellt werden
zu koͤnnen, und die Gruppe des Heliodorus, den die
Engel niederwerfen, wird beſonders von Kennern be-
wundert. Nur darf man nicht vergeſſen, was ich
ſchon oben erinnert habe: Daß dieſer Vorzug in Ra-
phaels Gemaͤhlden zu ſelten vorkoͤmmt, um ihm ein
eigenthuͤmliches Verdienſt daraus zu machen.


Der Ausdruck in dieſem Gemaͤhlde iſt unver-
gleichlich. Der himmliſche Reuter nimmt ſein Pferd
zuſammen, treibt ihm die Hacken in die Seite, und
holt mit vorgebeugtem Koͤrper einen neuen Stoß wi-
der den liegenden Feind aus. Ihm zur Seite ſchwe-
ben ſeine Begleiter mit aller der Leichtigkeit, die wir
ihren aͤtheriſchen Koͤrpern zutrauen duͤrfen. Ihre
Koͤpfe haben den edelſten und wahreſten Ausdruck des
raͤchenden Zorns.


Der eiskalte Schrecken, die ſchmerzhafte Betaͤu-
bung Heliodors unterſcheidet ſich durch groͤßern An-
ſtand von der Angſt ſeiner Gefaͤhrten. Sie ſchreien;
ſie ſtieben auseinander; ſie verlieren ihren Raub.
Einem von ihnen gleitet im Fliehen der Koffer vom
Ruͤcken: Wie er ruͤckwaͤrts darnach greift, wie gern
K 3er
[150]Der Vaticaniſche Pallaſt.
er ihn behielte! Aber ſein Geſicht gegen die furchtbaren
Geiſter umzuwenden, das wagt er nicht.


Auf der andern Seite fluͤchten die erſchrockenen
Weiber mit ihren Kindern zum Pabſte. Erſtaunen,
Schrecken, der mit Neugier kaͤmpft, bildet ſich auf
ihren Geſichtern, und dies mit der groͤßten Abwechſe-
lung in Minen und Stellungen. Viele darunter ſind
aͤußerſt reitzend. Man uͤberſehe nicht die beiden zu-
ſammengruppirten Figuren, deren eine, um beſſer zu
ſehen, ſich um eine Saͤule ſchlingt, waͤhrend, daß
die andere ſich auf das Poſtamenut zu ſchwingen ſucht.
Und wie in alle dem Gewuͤhle der Pabſt mit majeſtaͤ-
tiſcher Ruhe thront!


Allein die uͤbrigen Begleiter des Pabſtes belei-
digen durch den wenigen Antheil, den ſie an der
Handlung nehmen. Die Schweizer, die ihn tragen,
der Secretair, der voran geht, ſind bloße Bildniſſe
damahls lebender Perſonen, denen man keine Art des
Ausdrucks beilegen kann.


Ich weiß wohl, daß man den Raphael lobt, durch
dieſe Gleichguͤltigkeit das unbedingte Vertrauen aus-
gedruͤckt zu haben, welches dieſe Maͤnner auf die
Gewalt ihres Herrn ſetzen. Allein dieſe ingenieuſe
Idee contraſtirt zu ſehr mit dem Ausdrucke der thaͤti-
gen Theilnehmung in den uͤbrigen Figuren, um an
dieſer Stelle nicht zur Carrikatur zu werden.


Die Behandlung dieſes Gemaͤhldes zeigt uͤbri-
gens ſchon die fertige Hand, die durch lange Uebung
Sicherheit erhalten hat. Raphael ſcheint es ſelbſt
ausgefuͤhrt zu haben.


Atti-
[151]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Attila, der Zerſtoͤhrer der Welt, dieAttila.
Geißel Gottes, wie er ſich nannte, kehrt um
vor den Mauren Roms, geruͤhrt durch die
Ehrfurcht, die ihm der Statthalter Gottes
einfloͤßt.


Man bedenke es wohl, hier iſt keine gewalt-
ſame Zuruͤcktreibung, es iſt Wuͤrkung eines heiligen
Schauders, der den Barbaren bei dem Gefuͤhl uͤber-
natuͤrlicher Groͤße ergreift, und die auf ſeine Armee
mit paniſchem Schrecken zuruͤck wuͤrkt. Der Pabſt
Leo der Heilige, traͤgt auf ſeiner Figur die Wuͤrde ei-
nes Heiligen, der ſich des unmittelbaren Schutzes des
Himmels bewußt iſt. Er durchſchneidet, wie die
Stellung der Hand es ſchließen laͤßt, die Luft mit
dem allmaͤchtigen Zeichen des Kreuzes. Ihm zur
Seite ſtehen ſeine Begleiter mit dem Gefuͤhle der Un-
verletzlichkeit unter dem Schutze des Oberhaupts der
Kirche. Auch verlaͤßt der Himmel ſeinen Diener
nicht; die Apoſtel Petrus und Paulus ſchweben uͤber
ſeinem Haupte, und befehlen dem Barbaren zu wei-
chen; nicht mit dem Ausdrucke eines gewaltſamen
Zorns, aber mit dem Ernſte, dem man nicht wider-
ſteht, und ausgeruͤſtet mit Waffen, im Fall der
Widerſpenſtigkeit zu ſtrafen.


Den Barbaren ergreift das Gefuͤhl der uͤber-
menſchlichen Staͤrke, gegen die er nicht anzukaͤmpfen
wagt. Die Augen gegen die himmliſche Erſcheinung
gerichtet, beugt er den Koͤrper zuruͤck, und gibt mit
wegweiſenden Haͤnden ſeiner Armee das Zeichen zuruͤck
zu kehren. Er allein ſieht die Erſcheinung der hoͤhe-
ren Weſen, aber ſeine Begleiter fuͤhlen den Schauer,
K 4der
[152]Der Vaticaniſche Pallaſt.
der ſie umringt; das Heilige, das Hehre, das man
ſich von der Gegenwart der Unſterblichen ſtets unge-
trennt denkt. Der Himmel iſt heiter uͤber der Gruppe
des Pabſtes, aber er ſchwaͤrzt ſich uͤber den Haͤuptern
der feindlichen Armee; ein Sturmwind rollt die Wol-
ken auf vor den Apoſteln her; kaum vermoͤgen die
Traͤger ihre Fahnen zu halten; die Pferde werden
ſcheu; man ſtoͤßt mit zuruͤckgewandtem Geſichte in die
Trommeten zum Abmarſch; man flieht; man geraͤth
in Unordnung; man weiß nicht wie, noch warum.


Dies iſt der Gedanke dieſes Gemaͤhldes, uͤber
den man ſo viele und ſo uͤble Critiken gemacht hat.


In Anſehung der Anordnung wirft man der Fi-
gur des Attila vor, daß ſie ſich nicht genung heraus
hebe. Dieſer Fehler liegt in dem Mangel der Hal-
tung, nicht an dem Orte, wohin ſie geſtellet iſt; denn
ſie iſt frei genung, um geſehen zu werden. Da aber
Raphael den Grundſatz hatte, ſeine entfernten Figu-
ren dadurch zuruͤckweichend zu machen, daß er helle
Maſſen auf den Vorgrund ſtellte, ſo zieht der vor-
derſte Reuter auf dem weißem Pferde die Augen zu
ſehr an ſich, um nicht den Eindruck der Figur des
Koͤnigs, den man im Halbſchatten auf einem brau-
nen Pferde ſieht, zu ſchwaͤchen. Raphael bediente
ſich ſelten des Mittels, durch dunkle Maſſen auf dem
Vorgrunde des Gemaͤhldes lichtere Gegenſtaͤnde ent-
fernter erſcheinen zu laſſen. Er kannte nicht die ſoge-
nannten Repouſſoirs.


Der Ausdruck iſt wieder unvergleichlich, die ru-
hige Zuverſicht in der Gruppe des Pabſtes und ſeiner
Beglei-
[153]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Begleiter, contraſtirt ſehr gluͤcklich mit dem wilden
Schrecken unter den Barbaren.


Raphael hat auch hier wieder mehrere Koͤpfe ſei-
ner Zeitgenoſſen angebracht; und auch hier thut es die
gewuͤnſchte Wuͤrkung: Es verbreitet Leben und
Wahrheit.


Bei den Figuren der Apoſtel, die in einer an-
ſehnlichen Hoͤhe uͤber die untern Figuren ſchweben ſol-
len, ſcheint Raphael die Regel der Perſpektiv, nach
welcher ſich das Entfernte verkleinert, nicht beobachtet
zu haben. Er that es vielleicht, um das Ueber-
menſchliche fuͤhlbarer zu machen; allein das Auge
ſchmiegt ſich nicht ſo leicht in das Reſultat der Ueberle-
gung; die Figuren ſcheinen ungeheuer und ſchwerfaͤl-
lig, ſo ſchoͤn ſie gezeichnet ſind, ſo natuͤrlich ſie ſchwe-
ben. Dies beſtaͤtigt Leſſings ſcharfſinnige Bemer-
kung, 44) daß eine anſchauliche Unwahrſcheinlichkeit
durch eine kalte Ueberlegung nicht gehoben wird.
Hingegen duͤrfte ich aus eben dieſem Bilde einen Ein-
wurf hernehmen gegen jene Behauptung, die er an
eben dieſer Stelle wagt: Die Mahlerei ſey ungeſchickt,
uns zu verſtehen zu geben, daß in ihren Compoſitio-
nen dies oder jenes als unſichtbar betrachtet werden
muͤſſe. Es gibt dazu ein ſichereres Mittel, als die
duͤnne Wolke, ſo er angibt, naͤmlich der Ausdruck
desjenigen, der nicht ſieht, da er ſehen koͤnnte und
ſollte, weil andere neben ihm ſehen. Mich duͤnkt,
Raphael hat durch den verſchiedenen Ausdruck in den
Figuren des Attila und ſeiner Begleiter es anſchaulich
K 5genung
[154]Der Vaticaniſche Pallaſt.
genung gemacht, daß die Apoſtel ihm und nicht ſeinen
Begleitern ſichtbar ſind.


Auch dieſes Bild zeigt Raphaels geuͤbtere Hand.


† Wunder der Meſſe zu Bolſena.

Die Meſſe
zu Bolſena.

Ein Prieſter, der an der Gegenwart Chriſti
beim heiligen Abendmahl zweifelt, ſieht bei Conſecri-
rung der Hoſtie das Kelchtuch mit Blut gefaͤrbt.
Dies geſchieht in Gegenwart mehrerer Perſonen,
worunter Pabſt Julius der Zweite mit ſeinem Ge-
folge iſt.


Das Colorit in dieſem Gemaͤhlde iſt ſowohl an
und fuͤr ſich ſelbſt, als in Vergleichung mit den uͤbri-
gen Werken Raphaels der Aufmerkſamkeit des Lieb-
habers beſonders werth.


Dieſer Vorzug iſt dem Gemaͤhlde eigenthuͤmlich:
Es theilt aber uͤberher denjenigen, den man in allen
uͤbrigen dieſes Meiſters antrifft, Wahrheit und Ab-
wechſelung im Ausdruck. Der Pabſt iſt in ruhiger
Faſſung, und mit Recht darf man glauben, daß
Ueberlegung dem Kuͤnſtler dabei zur Seite geſtanden
hat: Das Oberhaupt der Kirche darf das Wunder,
welches eine ſo feſtſtehende Wahrheit als die Trans-
ſubſtantiation beſtaͤtigt, nur als eine natuͤrliche Folge,
hoͤchſtens als eine ſeltene Aeußerung eines taͤglich wie-
derkehrenden Wunders anſehen. Hingegen zeigt ſich
Beſchaͤmung und Schrecken auf dem Geſichte und in
der Stellung des Prieſters. Dieſer Ausdruck con-
traſtirt ſehr gluͤcklich mit dem materiellen Anſtaunen
der Soldaten von der Schweizergarde. Die Neugier
unter den uͤbrigen Zuſchauern hat dem Kuͤnſtler Ge-
legenheit
[155]Der Vaticaniſche Pallaſt.
legenheit zu der Handlung einer ſchoͤnen weiblichen Fi-
gur gegeben, welche die Koͤpfe derer, die vor ihr ſte-
hen, zur Seite biegt, um ſich Licht zu machen.


Auch verdient die Weisheit unſere Aufmerkſam-
keit, mit welcher der Kuͤnſtler den Ort des Gemaͤhl-
des, der durch ein Fenſter getheilt wird, bei der An-
ordnung ohne Nachtheil der Einheit zu nutzen wußte.


Dies Gemaͤhlde hat Raphael gleichfalls ſelbſt
ausgefuͤhrt.


† Die Befreiung des heiligen Petrus ausDer heilige
Petrus im
Gefaͤngniſſe.

dem Gefaͤngniß.

Dieſes Gemaͤhlde muß in drei Unterabtheilungen
abgeſondert werden, welche man als drei verſchiedene
Scenen eines Schauſpiels anſehen kann: Drei auf
einander folgende Auftritte einer Haupthandlung.
Der Engel weckt den heiligen Petrus im Gefaͤngniſſe
auf, der fuͤhrt ihn an der einen Seite dieſes Gefaͤng-
niſſes ab, und an der andern Seite deſſelben werden
die Waͤchter ſeine Flucht gewahr. Man kann ſich
dieſe verſchiedenen Zeitpunkte als auf einander folgende
fortſchreitende Handlungen einer Begebenheit denken,
und ſo machen ſie ein dichteriſches Ganze aus: Aber
da man ſie nicht als neben einander exiſtirend anneh-
men darf; da ſie an verſchiedenen Orten und zu ver-
ſchiedenen Zeiten vorgehen, ſo ſind es auch drei ganz
von einander verſchiedene Gemaͤhlde.


So faͤllt denn auch der Vorwurf einer doppelten
Handlung weg, der darin gefunden wird, daß man
den heiligen Petrus einmahl vom Engel geweckt, das
andere mahl von ihm fortgefuͤhrt zu gleicher Zeit er-
blickt.
[156]Der Vaticaniſche Pallaſt.
blickt. Man erblickt ſie nur darum zu gleicher Zeit,
weil die Gemaͤhlde an einer Wand, ohne Abſonde-
rung durch Rahmen, zuſammengeſtellet ſind.


Dies Gemaͤhlde beſtaͤtiget wieder eine Bemer-
kung, die ich oft gemacht habe, daß ungelehrte Au-
gen durch Lichter, die ſtark vom Schatten abſtechen,
am lebhafteſten geruͤhrt werden. Welch Aufhebens
macht man nicht von dieſem Gemaͤhlde! Es hat
Verdienſt, es iſt nicht zu leugnen, aber den wort-
reichen Enthuſiasmus, den es ſo vielen Critikern ein-
floͤßt, rechtfertiget es doch ſicherlich nicht.


Das mittelſte Gemaͤhlde zeigt den heiligen Pe-
trus, der vom Engel aus dem Schlafe geweckt wird.
Der Engel iſt von einer Glorie umgeben, die das
Gemaͤhlde erleuchtet, und um die Wuͤrkung dieſes
Lichts zu erhoͤhen, laͤßt der Kuͤnſtler mit großer Weis-
heit ſeine Figuren durch ein Gitter ſehen, welches das
Innere des Gefaͤngniſſes, als den Ort der Scene
dem Auge aufſchließt.


Dies verdient Lob; Allein ſo weit als Richard-
ſon 45) darf man nicht gehen, und nun das Anzie-
hende dieſer Anordnung mit dem Zauber der Beleuch-
tung vergleichen, den Correggio in ſeine beruͤhmte
Nacht gelegt hat. Der Chriſt des Correggio iſt ein
erleuchtendes Weſen, von dem das Licht ausgeht, und
deſſen lichter Koͤrper blos durch unzaͤhlige Degradatio-
nen von Licht die Ruͤndung bekommt, die das Auge
fuͤhlt, und der Verſtand kaum begreift. Hier aber
umgibt
[157]Der Vaticaniſche Pallaſt.
umgibt den Engel eine Glorie, die ihn erleuchtet, und
ihn des Eindrucks von Licht und Schatten, den man
auch ganz deutlich angegeben ſieht, faͤhig macht.
Die pikante Wuͤrkung liegt alſo in der Anordnung
des Lichts, nicht aber in der magiſchen Behandlung
der Darſtellung.


Auch weiß ich nicht, ob man mit eben dieſem
Schriftſteller dem Raphael ein Verdienſt daraus ma-
chen kann, daß er mehrere Lichter ſo neben einander
geſtellet hat, daß ſich das mittelſte, als das Haupt-
licht vor den uͤbrigen heraus hebt. Alles iſt hier
Nacht, ſagt Richardſon, Alles iſt erleuchtet, aber
die Lichter ſind ſich einander ſo untergeordnet, daß das
eine dem andern keinen Schaden thut. Ich moͤchte
dies ablaͤugnen. Mich duͤnkt, es thut dem Haupt-
lichte allerdings Schaden, daß die Nebengemaͤhlde
ſo erleuchtet ſind; und iſt es nicht unnatuͤrlich, daß
der Engel, der in dem mittelſten Gemaͤhlde ſo hell
beleuchtet wird, auf der Seite mit eben der Glorie im
ſchwaͤchern Lichte erſcheint?


Der Ausdruck in dem erwachenden Petrus iſt
wahr. Aber ſowohl dieſe Figur als die Figur des
Engels ſind nicht ſehr edel.


Das zweite Gemaͤhlde zur Seite, oder die zweite
Abtheilung ſtellt den heiligen Petrus vor, den der
Engel aus dem Gefaͤngniſſe fuͤhrt. Der Engel iſt
von wahrer himmliſcher Anmuth. Dieſe Handlung
wird allein von der Glorie erleuchtet, in der der En-
gel einhergeht; und auch hier erſcheint er nicht als er-
leuchtender, ſondern als erleuchteter Koͤrper.


Die
[158]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die dritte Abtheilung ſtellt die Waͤchter vor, die
durch einen ihrer Cameraden, der die Flucht gemerkt
hat, aus dem Schlafe geweckt werden. Der Aus-
druck dieſer Schlaftrunkenen, vorzuͤglich desjenigen,
der ſich die Augen bedeckt, weil er den Schein des
Lichts nicht vertragen kann, iſt unvergleichlich. Hier
hat der Mahler ein doppeltes Licht auf ſehr gute Art
benutzt, denn der weckende Waͤchter, der die Fackel
traͤgt, erleuchtet die Koͤrper von vorn, und hinten hebt
der Mond, der etwas mit Wolken bedeckt iſt, durch
die Strahlen, welche durchbrechen, die Figuren von
dem dunkeln Grunde ab.


In Vergleichung mit den uͤbrigen Gemaͤhlden
Raphaels liegt das eigenthuͤmliche Hauptverdienſt des
gegenwaͤrtigen in der Behandlung des Helldunkeln.


An der Decke dieſes Zimmers hat Raphael
noch vier Suͤjets gemahlt: Noah, der nach uͤber-
ſtandner Suͤndfluth dem Himmel dankt,
Iſaacs Opfer, Moſes vor dem brennenden
Buſche,
und Jacobs Traum.


Drittes Zimmer.
Camera di Segnatura
.


Als Raphael den Auftrag erhielt, das Zimmer
di Segnatura zu mahlen, ſo wurden ihm zu gleicher
Zeit die Gegenſtaͤnde angezeigt, die er behandeln ſollte.
Man gab ihm auf, die vier vornehmſten Wiſſenſchaften
ſeines Jahrhunderts darzuſtellen, die Theologie, die
Philoſophie, die Dichtkunſt und die Jurisprudenz.


Er
[159]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Er begnuͤgte ſich nicht, ſie durch bloße allegori-
ſche Figuren zu bezeichnen, er ſtellte die beruͤhmteſten
Maͤnner auf, die ſich in einer jeden von dieſen hervor-
gethan haben, und brachte ſie in Handlung.


† Der Streit uͤber das heilige SacramentDer Streit
uͤber das
Sacrament
des h. Abend-
mahls.

des Abendmahls.

Man ſollte glauben, das Suͤjet dieſes Gemaͤhl-
des koͤnnte dem Mahler nur wenig Gelegenheit darge-
boten haben, ſeine Staͤrke in demjenigen Theile ſeiner
Kunſt zu zeigen, in dem er alle diejenigen, die ſeit
Wiederherſtellung der Mahlerei den Pinſel gefuͤhrt ha-
ben, ſo weit uͤbertroffen hat: ich rede von der Darſtel-
lung der Seele auf der Oberflaͤche des Koͤrpers, von
dem Ausdrucke. Heilige Maͤnner, wie wir ſie hier
vor uns ſehen, ſollen ihre Leidenſchaften zu ſehr in ih-
rer Gewalt haben, um ſie durch ihre aͤußern Hand-
lungen andern fuͤhlbar zu machen; und doch ſind es
gerade dieſe, die dem Zuſchauer am intereſſanteſten zu
ſehen, und dem Kuͤnſtler am leichteſten darzuſtellen
werden.


Inzwiſchen, Raphaels Pinſel wußte dieſe Schwie-
rigkeiten zu uͤberwinden: Der Ausdruck der feinſten
Bewegungen der Seele macht wieder den Hauptvor-
zug des gegenwaͤrtigen Gemaͤhldes aus.


Es iſt in zwei Theile getheilt, deſſen oberer mit
dem untern blos durch die Aſſociation der Ideen,
nicht aber durch eine gemeinſchaftliche Handlung zu-
ſammenhaͤngt.


Der obere ſtellt die Perſonen der Gottheit mit
den Patriarchen und den Heiligen in den Wohnungen
der
[160]Der Vaticaniſche Pallaſt.
der Seligen vor; Engel und Seraphims umſchwe-
ben ſie.


Ich will die Anordnung nicht als Beiſpiel em-
pfehlen. Die neben einander gereiheten Perſonen
ſehen einem Cirkel in einer roͤmiſchen Converſazione
nicht unaͤhnlich. Wenn man aber die Figuren einzeln
betrachtet, ſo wird man große Schoͤnheiten finden.


Der untere Theil iſt viel beſſer angeordnet. In
der Mitte ſieht man den Altar, auf dem der Kelch und
die Hoſtie ausgeſtellt ſtehen, die die Veranlaſſung zu
dem Streite unter den rund herum verſammleten Kir-
chenvaͤtern geben, und ſogleich auf das Verſtaͤndniß
des Ganzen fuͤhren.


Linker Hand ſieht man den heil. Hieronymus und
den heiligen Gregorius, Koͤpfe voller Charakter,
Das Pfaͤffchen hart am Altare, das mit gefalteten
Haͤnden nachbetet, iſt von unvergleichlichem Aus-
drucke.


Hinter dieſen kommen zwei ſehr ſchoͤn geordnete
Gruppen, in deren letzterer man den Bramante ſieht,
der aus einem Buche, welches er haͤlt, die Aufloͤſung
des ganzen Geheimniſſes gefunden zu haben ſcheint.
Man uͤbergehe nicht die Figur, die dem Anſehen nach
den Streit nur auf einen Augenblick verlaſſen hat,
eiligſt die vom Bramante aufgeſchlagene Stelle ein-
ſieht, und nun mit Fingern, die ſchon zur Demon-
ſtration aufgehoben ſind, mit neuen Gruͤnden bewaff-
net, wieder forteilet. Der Juͤngling neben dem
Bramante iſt eine der ſchoͤnſten Figuren des Bildes.


Linker
[161]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Linker Hand dem Altare ſitzen Scotus und Am-
broſius. Wahreres laͤßt ſich nichts denken, als den
heiligen Auguſtin, der diktirt, und die eilende Sorg-
falt, mit der ſein Schreiber nachſchreibt. St. Tho-
mas, Pabſt Anaclet, Bonaventura, Pabſt Inno-
cenz der Dritte, Dante, Savanarola, ſind die be-
kannteſten Koͤpfe unter den uͤbrigen.


Man bewundert mit Recht die Mannichfaltigkeit
und die Wahrheit des Charakters in dieſen Koͤpfen.
Sie ſind aber mit einem Fleiße ausgefuͤhrt, der an
Trockenheit graͤnzt. Dieſe Trockenheit allein kann
uns auf die Epoche ſchließen laſſen, in der dies Ge-
maͤhlde von Raphael verfertigt wurde. Es iſt das
erſte von ſeiner Hand in dieſem Pallaſte, folglich aus
einer Zeit, in der er wider den Geſchmack des Pietro
Perugino ankaͤmpfte, aber den Einfluß der fruͤhern
Erziehung noch nicht ganz uͤberwinden konnte. Da-
her auch das natuͤrliche Gold in den Glorien! Hinge-
gen ſieht man auch die Bekanntſchaft mit den Floren-
tinern, das Beſtreben ihre Vorzuͤge ſich zu eigen zu
machen, in dem Stile der Gewaͤnder, in den For-
men und Stellungen der jugendlichen Figuren, und
in dem Colorit.


Es iſt aͤußerſt intereſſant zu bemerken, wie Ra-
phael ſelbſt waͤhrend der Arbeit an dieſem Gemaͤhlde
in der Kunſt zugenommen hat. Er fing mit der
rechten Seite an, und ſeine furchtſame und ungewiſſe
Hand wollte dem Kopfe noch nicht die rechte Folge lei-
ſten. Aber auf der linken Seite merkt man ihm ſchon
mehr Freiheit mehr Feſtigkeit an.


Erſter Theil. LRaphael
[162]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Raphael hat dies Bild ſehr ungleich colorirt.
Einige Koͤpfe z. E. das Pfaͤffchen am Altare ſind ſehr
treu und wahr behandelt. An andern Figuren ver-
mißt man die Abwechſelung in den Tinten, die die
Schoͤnheit des Colorits ausmachen. Haltung und
Beobachtung der Regeln des Helldunkeln darf man
gleichfalls hier nicht ſuchen.


Die Schulevon Athen.

† Die Schule von Athen.

Nichts ſcheint weniger ein Gegenſtand der mah-
leriſchen Darſtellung zu ſeyn, als der Ausdruck des
Nachdenkens, und des Antheils, den die Seele an
dem Erkenntniſſe abſtrakter Wahrheiten nimmt. In
der That jede Unterſuchung, die ſich auf Aneinander-
reihung von Ideen gruͤndet, ſetzt ruhige Kaͤlte, Ab-
gezogenheit von allen Dingen außer uns, und Unem-
pfindlichkeit gegen die Eindruͤcke zum Voraus, die ſie
auf uns machen koͤnnen. Wenn ſich alſo auch eine
ſolche Lage des Gemuͤths auf unſere Geſichtszuͤge zeich-
net, durch unſere Gebaͤhrden aͤußert, ſo wird man
ſich doch dieſen Ausdruck entweder nur als unmerklich,
oder als aͤußerſt einfoͤrmig denken.


Raphael, der ſeine Suͤjets nicht ſelbſt waͤhlte,
bekam, als man von ſeiner Hand die beruͤhmteſten
Philoſophen des Alterthums in einem Gemaͤhlde ver-
ſammelt ſehen wollte, einen deſto ſchwerern Auftrag,
als er eben mit einem Gemaͤhlde in dem naͤmlichen
Zimmer fertig geworden war, wobei er keine von de-
nen Situationen ungenutzt gelaſſen zu haben ſchien, die
der Eifer der Sectirer, der Starrſinn der Halbklugen,
das Anſtaunen der Schwachen, und der Zweifel des
Weiſen der Einbildungskraft darbieten koͤnnen.
Aber
[163]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Aber einem ſo fruchtbaren und ſcharfſichtigen Kopfe
wie Raphael, kam es zu, eben durch die Darſtellung
des Streits uͤber das Sacrament ſich auf die Behand-
lung eines aͤhnlichen Gegenſtandes vorzubereiten, und
indem ſeine Hand an Feſtigkeit, ſein Geiſt an Deut-
lichkeit und Klarheit der Ideen gewann, zu gleicher
Zeit eine Menge neuer Erfahrungen zu ſammeln,
durch deren Anwendung die Schule von Athen, in
Ruͤckſicht auf Mannichfaltigkeit und Wahrheit, ein
Meiſterſtuͤck des Ausdrucks wurde.


Der Cardinal Bembo hat wahrſcheinlich Ra-
phaeln den Gedanken dieſes Gemaͤhldes an die Hand
gegeben. Dies benimmt dem Kuͤnſtler nichts von
ſeinem Verdienſte. Er hat dies mit einem Sha-
keſpear und mit vielen andern großen Genies gemein,
daß ſie zuweilen den Stoff zu ihren Werken entlehn-
ten. Er ward darum nicht weniger ihr Eigenthum
durch die Art wie ſie ihn bearbeiteten.


Der Grund dieſes Gemaͤhldes, der Ort, an dem
die Handlung vorgeht, iſt ein Gebaͤude von ſimpler
aber edler Architektur; die Statuen des Apollo und
der Minerva bezeichnen ihn als den Ort, wo Weis-
heit und Wiſſenſchaft gelehrt wird.


Die Nahmen der Perſonen, die ihn anfuͤllen,
beruhen zwar nur auf ungewiſſen Traditionen. In-
zwiſchen will ich mich hier derſelben bedienen, weil
ſie genauer bezeichnen.


Oben an gegen die Oeffnung des Haupteingan-
ges zu, ſo daß ihre Figuren durch den blauen Hori-
zont gehoben werden, ſtehen Plato und Ariſtoteles
L 2als
[164]Der Vaticaniſche Pallaſt.
als Perſonen, die unſere Aufmerkſamkeit ſogleich auf
ſich ziehen ſollen. Der liebenswuͤrdige Dichter der
Philoſophie, deſſen Vernunft ſo gern auf der Leiter
der Einbildungskraft dieſer Welt entklimmte, zeigt
mit aufgehobener Hand jene obern Regionen, in denen
er ſich dem Weſen zu naͤhern ſuchte, von dem er ſich
als einen Ausfluß anſah. Ariſtoteles ſcheint ihm dieſe
troͤſtende, aber freilich gefaͤhrliche, Schwaͤrmerei, zu
verweiſen, er ſtreckt die Hand gegen die Erde aus,
und ſucht ihn auf die Welt, die ihn umgiebt, zuruͤck-
zufuͤhren.


Unter den Umſtehenden iſt der Ausdruck der Be-
wunderung und der Aufmerkſamkeit unverkennbar.
Der vordere ſchoͤne Alte linker Hand wird fuͤr den
Cardinal Bembo gehalten. Mir hat auch der Juͤng-
ling linker Hand ſehr gefallen, deſſen Blick und uͤber-
einandergeſchlagene Arme einen aufwiegenden Denker
anzeigen, dem man nicht leicht eine Idee aufdringt.
Der Mahler ſoll durch ihn den Alexander haben vor-
ſtellen wollen. Die beiden Perſonen, deren eine der
andern die beiden Lehrer bekannt macht, ſind der Na-
tur abgeſtohlen.


Linker Hand die Gruppe des Socrates. Dieſer
Philoſoph, der ſich eben ſo ſehr durch die Gemein-
nuͤtzigkeit ſeiner Lehren, als durch die Gabe, ſich ver-
ſtaͤndlich zu machen, auszeichnete, zaͤhlt ſeine Lehr-
ſaͤtze an den Fingern ab; ein Zeichen, welches nach
einem beinahe jedem Volke eigenen Sprachgebrauche
auf Klarheit und Ordnung in den Gedanken, und
auf Deutlichkeit im Ausdruck zuruͤckfuͤhrt. Unter den
Zuhoͤrern dieſes Weiſen charakteriſirt die nachlaͤßige
und
[165]Der Vaticaniſche Pallaſt.
und doch edle Stellung des jungen Helden im Helme,
den Alcibiades, den Liebling der Natur, an den ſie
ihre Gaben verſchwendet hatte.


Man braucht kein beſonderer Bemerker zu ſeyn,
um in jenem andern Kopfe mit der Muͤtze den halb-
aufgeklaͤrten Duͤnkel zu erkennen, der ſich gern den
Anſtrich der Weisheit geben moͤchte, und nur hoͤrt,
um Einwuͤrfe zu machen.


Die hinterſte Figur verbindet dieſe Gruppe mit
den Perſonen, die durch einen Seiteneingang in das
Gebaͤude eilen. Sie winket ſie zum Socrates herzu.
Der Juͤngling, der dem Winke folgt, und beinahe
nackt ſeine Schrift-Rollen unter dem Arme traͤgt, iſt
ein Bild der rohen Natur, die vor Begierde brennt,
ſich zu unterrichten.


Der wohlgemaͤſtete Wolluͤſtling mit Weinlaub
bekraͤnzt, — nicht Eichenlaub, wie Bellori traͤumt —
ſcheint Epicur zu ſeyn, nach der falſchen Vorſtellungs-
art, die man ſich dazumahl von ſeinen Lehrbegriffen
machte. Der Alte, der mit dem Kinde auf den
Armen bei ihm ſteht, gilt einigen fuͤr den Epichar-
mus, anderen, fuͤr einen Vater, der ſein Kind fruͤh
in die Schule der Weiſen bringt. Ich glaube, bei-
des wird ohne hinlaͤnglichen Grund behauptet: es iſt
vielmehr zu glauben, der Kuͤnſtler habe damit ſagen
wollen, die Philoſophie des Epicur ſey eine Philoſo-
phie fuͤr ſchwache Koͤpfe, und ſelbſtiſche Herzen der
Kinder und der Greiſe.


Pythagoras iſt der Philoſoph, der die Folge
einer langen Reihe von Ideen in ein Buch ſchreibt,
L 3welches
[166]Der Vaticaniſche Pallaſt.
welches er auf das Knie ſtuͤtzt. Neben ihm kniet ein
ſchoͤner Juͤngling, der die Tafel der muſicaliſchen
Nummern des Pythagoras einem Manne in mor-
genlaͤndiſcher Tracht zeigt. Dieſer hat ganz den Aus-
druck ablauernder Myſtik und Charlatanerie; Er geht
unter dem Nahmen des Averrons.


Perſonificirte Lehrbegierde zeigt ſich in der Figur
des ſogenannten Empidocles, der mit aͤngſtlicher Sorg-
falt ſich vorbeugt, um dasjenige abzuſchreiben, was
ſein Lehrer aufzeichnet.


Der Weiberkopf ſoll Aſpaſia ſeyn. In dem
Knaben will man den Archytas ſehen, wahrſcheinlich
weil die Geſchichte ſagt, daß dieſer Philoſoph Kinder
mit phyſicaliſchen Experimenten von ſchaͤdlichen Be-
luſtigungen zuruͤckgehalten habe.


Der junge Mann neben ihm ſoll Francesco Maria
delle Rovere Duca d’Urbino ſeyn. Ich weiß nicht,
ob die Schoͤnheit der Figur, und die Liebe dieſes
Herrn zu den Wiſſenſchaften und Kuͤnſten den Ra-
phael entſchuldigen kann, dies Portrait in eine Stel-
lung geſetzt zu haben, wodurch es der ganzen uͤbrigen
Handlung fremd bleibt.


Die mahleriſch ſchoͤn geſtellte Figur, die den Py-
thagoras auf eine Stelle in einem Buche aufmerkſam
zu machen ſucht, mit der Mine, als ſagte er: was
du ſuchſt, hier ſteht es! wird fuͤr den Terpander aus-
gegeben, der ſchon vor dem Pythagoras ſich durch
ſeine Kenntniſſe in der Muſik ausgezeichnet hatte.


Epictet ſitzt zunaͤchſt als ein Mann, der im
Nachdenken verſunken, und in ſich ſelbſt zuruͤck gezo-
gen,
[167]Der Vaticaniſche Pallaſt.
gen, unempfindlich gegen allen aͤußern Eindruck zu
ſeyn ſcheint.


Der Cyniker Diogenes ſtreckt ſich mit anmaaßen-
der Indifferenz auf die Treppe, und uͤberſchauet mit
trotzender Selbſtgenuͤgſamkeit die Tafel, die er be-
ſchrieben hat. Ort und Stellung ſcheinen mir beide
im Charakter.


Hart an dem Diogenes ſteht ein Juͤngling, der
Luſt zu haben ſcheint, der Secte des Diogenes zu fol-
gen; aber ein aͤlterer Philoſoph zeigt ihm den Ariſto-
teles an. Der Ausdruck dieſer beiden Figuren iſt
unvergleichlich.


Ich komme nun auf die beruͤhmte Gruppe des
Archimedes, die die bedeutendſten Figuren enthaͤlt,
welche nach meiner Einſicht je in der Mahlerei hervor-
gebracht ſind. Bramante unter der Figur des Ar-
chimedes erklaͤrt ſeinen Schuͤlern eine mathematiſche
Figur. Einer von ihnen, auf deſſen Stirne man
die Unfaͤhigkeit des Geiſtes lieſt, der darin wohnt,
ohne daß jedoch der Mahler ſie mit einer Carricatur
von Stupiditaͤt gebrandmarkt haͤtte, ſtrengt alle die
wenigen Seelenkraͤfte an, die ihm die Natur verlie-
hen hat, um die Worte ſeines Lehrers zu verſtehen.
Er zaͤhlt ſie an den Fingern nach, und huckt nieder,
um dem Ausmeſſen des Cirkels deſto beſſer nachzu-
ſtaunen. Derjenige, der bei ihm ſteht, iſt gerade in
dem Augenblicke ergriffen, wo es anfaͤngt, hell in
ſeiner Seele zu werden: Auch er hat, um beſſer zu
ſehen, auf den Knien gelegen, aber nun hebt er ſich
in die Hoͤhe, und die freudig geoͤffneten Lippen und
L 4der
[168]Der Vaticaniſche Pallaſt.
der Zeigefinger, der von der Naſe herabſinkt, laſſen
die Worte hoͤren: Ja, nun habe ich’s verſtanden!


Ein dritter Schuͤler hat die Aufgabe ſich ſchon
ganz zu eigen gemacht, er kehrt ſich gegen den vierten,
ihm die Erklaͤrung mitzutheilen, und dieſer zeigt in
Stellung und Minen die freudige Bewunderung, die
ihm die Aufloͤſung dieſes gelehrten Raͤthſels erweckt.
In dem letzten will man den Herzog von Mantua,
Friederich Gonzaga finden.


Hinter dieſer Gruppe ſtehen noch einige Maͤnner,
in denen man den Raphael, den Pietro Perugino,
neben dem Zoroaſter und Giovanni della Caſa erken-
nen will.


Unter den Figuren, die den Hintergrund fuͤllen,
zeichne ich nur den Juͤngling aus, der mit Eifer das-
jenige nachſchreibt, was ihm ein aͤlterer Philoſoph
dictirt.


Dies waͤre ungefaͤhr das Hauptſaͤchlichſte, was
ſich uͤber den Gedanken und den Ausdruck dieſes Ge-
maͤhldes ſagen ließe.


Die Anordnung iſt ſimpel, voller Ordnung und
Weisheit. Die Zeichnung iſt fein, und vorzuͤglich
in den Koͤpfen und Gewaͤndern zu bewundern.
Kenner wollen hie und da einige nicht ganz gluͤckliche
Verkuͤrzungen bemerken. Das Colorit und das
Helldunkle ſind nicht Hauptvorzuͤge dieſes Gemaͤhldes,
das ſehr von der Zeit und andern Unfaͤllen gelitten
hat. Jedoch ſieht man der Ausfuͤhrung diejenige
Trockenheit nicht mehr an, die man dem Gemaͤhlde
des Streits uͤber das Sacrament vorwirft. Dem
Schatten hat Raphael zuweilen durch Schraffirungen
nach Zeichnungs-Art nachgeholfen.


Poeſie
[169]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Poeſie oder der Parnaß. Es ſtellt dies Ge-
maͤhlde den Apollo mit den neun Muſen und mehrere
Poeten vor.


Es iſt unter denen, die Raphael ſelbſt gemahlt
hat, eines der ſchwaͤchſten.


Apollo ſitzt zwiſchen den Muſen auf dem Parnaß.
Zu beiden Seiten ſtehen verſchiedene Dichter, die un-
ter Geſpraͤchen den Berg auf und abgehen.


Ich halte mich bei der Nomenclatur der Perſo-
nen, die hier einer ungewiſſen Tradition nach vorge-
ſtellt ſeyn ſollen, nicht weitlaͤuftig auf. Man findet
in der Gruppe zunaͤchſt dem Apollo Homer, Virgil,
Dante und Raphael. Unten rechter Hand Pindar
und Horaz, und linker Hand erkennt man Sappho
an der Rolle, auf der ihr Nahme geſchrieben iſt.


Die Geige auf der Apollo ſpielt, hat ſchon oft
den Tadel der Critiker auf ſich gezogen. Sie ver-
dient ihn, des beleidigten Coſtums wegen, aber noch
mehr wegen der Stellung, die der Spieler bei dieſem
Inſtrumente annehmen muß, und die der Schoͤnheit
und dem Reitz der Stellung ſehr zuwider iſt. Das
Streichen des Bogens gibt dem Arme eine winklichte
eckige Biegung. Ueberhaupt hat dieſe Figur, welche
ſitzend vorgeſtellet iſt, nicht das Edle, welches man
von der Hauptfigur in dieſem Gemaͤhlde erwar-
ten ſollte.


Es ſcheint auch, als wenn die beiden ſitzenden
Muſen zu ſeiner Seite zu ſymmetriſch dieſen Platz ein-
nehmen. Sonſt gibt es wohl zuſammengeſtellte
Gruppen auf dieſem Bilde.


L 5Der
[170]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Der Ausdruck, die Wahl der Stellungen der
Koͤpfe und der Formen, haben die dieſem Meiſter ge-
woͤhnlichen Vorzuͤge.


Das vierte Gemaͤhlde ſtellet einige zur Aus-
uͤbung der Gerechtigkeit erforderliche Eigenſchaften
perſonificirt vor.


Die Klugheit nach der gewoͤhnlichen Vorſtellungs-
art, die jedoch der weiſe Mahler ſo wenig unange-
nehm als moͤglich gemacht hat, mit zwei Geſichtern.
Die Figur iſt ſehr ſwelt, und vortrefflich drappirt.
Ein Genius haͤlt ihr einen Spiegel vor. Zur Seite
die Maͤßigkeit oder Maͤßigung mit dem Zaume in
der Hand, und zur andern die Standhaftigkeit, die
eine Eiche beugt, deren Zweige ein Genius um ihre
Stirn windet. Ein Paar Genii.


Die Zuſammenſetzung hat nichts beſonders.
Inzwiſchen ſind die einzelnen Figuren unver-
gleichlich.


Unter dieſen Figuren zu beiden Seiten der Fenſter
ſieht man auf der einen den Kaiſer Juſtinian, der
die Pandecten aus den Haͤnden des Tribo-
nians empfaͤngt
. Auf der andern den Pabſt
Gregorius den Neunten, der einer Magiſtrats-
perſon die Decretalen uͤberreicht
. Um ihn ſtehen
Leo der Zehnte, der Cardinal del Monte, und der
Cardinal Alexander aus dem Hauſe Farneſe. Dieſe
Koͤpfe haben viel Wahrheit, wenn ſie gleich ſehr ge-
litten haben. Die Magiſtratsperſon, welche die De-
cretalen empfaͤngt, traͤgt das Gepraͤge unerſchuͤtterli-
cher Anhaͤnglichkeit an geſchriebenes Recht an ſich,
und treuer Sorgſamkeit bei der Behandlung der lang-
weilig-
[171]Der Vaticaniſche Pallaſt.
weiligſten Geſchaͤffte, denen ſich je der Menſch fuͤr
das Beſte ſeiner Mitbuͤrger aufgeopfert hat.


Man ſieht an dem Plafond dieſes Zimmers
einige allegoriſche Figuren der Wiſſenſchaften, die
an den Waͤnden behandelt ſind.


Ich uͤbergehe die Gemaͤhlde, die Polidoro da
Caravaggio grau in grau als Basreliefs in dieſem
und den vorigen Zimmern groͤßtentheils unter jenen
groͤßeren Gemaͤhlden ausgefuͤhrt hat. Sie ſind ſo
oft retouchirt, daß ſie das Meiſte von ihrem erſten
Werthe verlohren haben.


Letztes Zimmer.


L’ Incendio del Borgo. Das Haupt-
gemaͤhlde in dem letzten Saale.


LeoIV.ſoll durch ſeinen Segen einenIncendio del
Borgo.

Brand in der Gegend RomsBorgo di St. Spi-
rito
genannt, geloͤſchet haben. Dieſe Handlung
iſt der Gegenſtand dieſes Gemaͤhldes.


Raphael waͤhlte bei der Darſtellung deſſelben
dasjenige aus, was dem denkenden und gefuͤhlvollen
Zuſchauer am intereſſanteſten ſeyn mußte, den Aus-
druck der Bewegungen, die ein ſo unerwartetes und
ſo ſchnell um ſich greifendes Uebel hervorbringen kann.
Den Pabſt ſetzte er mit ſeinem Wunder in den Hinter-
grund. Um aber doch den Zuſchauer darauf auf-
merkſam zu machen, hat er einige Figuren auf den
Vorgrund hingeſtellt, die den Pabſt um Beiſtand an-
flehen, aͤhnliche Figuren in aͤhnlichen Stellungen hat
er
[172]Der Vaticaniſche Pallaſt.
er auf dem Mittelgrunde wiederholt, und ſo fuͤhrt er
das Auge unvermerkt auf den Pabſt, der den Segen
ertheilt, zuruͤck.


Man kann aufs neue in dieſem Gemaͤhlde Ra-
phaels Gabe bewundern, womit er ſein Suͤjet moͤg-
lichſt benutzt, um eine große Menge intereſſanter Si-
tuationen herauszuziehen, und doch nicht mehr hinein-
zulegen, als jeder Zuſchauer bei einer ſolchen Scene
zu ſehen erwarten wird. Seine Compoſitionen ſind
immer vollſtaͤndig, nie uͤberladen.


Es iſt Nacht. Die Flammen aber verbreiten
ein Licht, das der Helle des Tages gleich koͤmmt.
Ein heftiger Sturmwind treibt ſie umher, und ver-
mehrt das Schreckenvolle der Gefahr durch die
Schnelligkeit, mit der ſie ſich ausbreitet.


Auf der einen Seite hat das Feuer erſt eben ei-
nen Pallaſt ergriffen, und hier iſt man mit Loͤſchen,
mit Waſſertragen beſchaͤfftigt; Man ſchreiet nach
Huͤlfe, nach Arbeitern. Ein Weib, deren abglei-
tender unordentlicher Anzug anzeigt, daß ſie der
Schrecken eben aus dem Schlafe geweckt hat, treibt
blindlings ihre Kinder vor ſich her, aber — ſo ſehr hat
ihr die Beſtuͤrzung alle Beſinnungskraft geraubt —
ſie ſucht der Flamme an dem einen Orte zu entgehen,
und eilt gerade auf die Flamme an dem andern zu.
Ihre Tochter, das aͤlteſte Kind, ſcheint die Verwir-
rung zu bemerken, ſie ſieht ſich um, und fragt aͤngſt-
lich, wo ſie hin ſoll. Der weibliche Kopfputz zeigt
das Geſchlecht an, ſonſt iſt dieſes Kind nackt, und
zitternd ſucht es mit uͤber der Bruſt zuſammengeſchla-
genen Armen einigen Schutz wider die Kaͤlte der Nacht.
Das
[173]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Das juͤngſte, ein Sohn ſchreiet: Sein Alter ſcheint
kein anderes Gefuͤhl des gegenwaͤrtigen Uebels zu ken-
nen, als das, im Schlafe geſtoͤrt zu ſeyn.


Auf der andern Seite zeigt ſich muͤtterliche Liebe
in aller ihrer Staͤrke. Ein Weib reicht von der
Mauer eines Hauſes, deſſen Inneres ſchon die Flam-
men verzehrt haben, ihr Kind in Windeln dem unten
ſtehenden Vater herab. Mit welcher Behutſamkeit;
wie ſcheint ſie nur zu fuͤrchten, daß der Vater es nicht
gehoͤrig auffange! Fuͤr ſich fuͤrchtet ſie nicht die Flam-
men, die begleitet von dickem Rauch, ſchon uͤber ih-
ren Kopf hinausſchlagen. Die uͤbrigen Bewohner
dieſes Hauſes haben es verlaſſen. Ein ſtarker nervig-
ter Mann in der Bluͤthe der Jahre traͤgt den er-
ſchlafften, erſtarrten Vater weg, der kaum noch
Kraͤfte genung hat, ſeinen Traͤger zu umklammern.
Ein muntrer Knabe, unbekuͤmmert uͤber ſeinen kuͤnf-
tigen Wohnort, — ihm iſt die ganze Welt offen —
geht raſch neben ihnen her. Aber das alte Weib mit
dem Korbe, in den ſie einige Habſeligkeiten in der
Eile gepackt hat, ſieht traurend nach dem Orte zu-
ruͤck, in dem ſie ungern das Uebrige hat zuruͤcklaſſen
muͤſſen. Endlich laͤßt ſich ein Juͤngling, deſſen Koͤr-
per Behendigkeit zeigt, von der Mauer herab. Dieſe
Handlung bewegt eine unten ſitzende Mutter mit uͤber-
gebeugtem Koͤrper ihr Kind zu bedecken, damit der
herabſpringende Mann beim Fallen dies einzige ihr
uͤbrig gebliebene Kleinod nicht beſchaͤdige.


In der Mitte des Bildes ſpreitet eine weibliche
Figur ihre Haͤnde kniend gegen den Pabſt aus. Aber
das huͤlfloſe Alter des Kindes iſt eher berechtigt Erbar-
men
[174]Der Vaticaniſche Pallaſt.
men zu erwecken; eine andere Frauensperſon druͤckt ihr
Kind zur Erden nieder, und hebt deſſen gefaltete
Haͤnde zu ihrem Beſchuͤtzer empor.


Dies iſt ungefaͤhr der Gedanke dieſes Gemaͤhldes.


Die Anordnung als Theil der poetiſchen Erfin-
dung iſt ſehr gut. Die Figuren, die am meiſten des
Ausdrucks und der Schoͤnheit der Stellung faͤhig wa-
ren, ſind vor dem minder Intereſſanten herausgeho-
ben; Man uͤberſieht ohne Unordnung das Ganze, und
verweilt bei dem Detail ohne Ermuͤdung.


Jede Figur hat ihren ihr eigenen und der Situa-
tion angemeſſenen Ausdruck, ſowohl in Mine als
Stellung.


In der Zeichnung ſcheint Raphael ſich zu ſehr an
den Stil des Michael Angelo gehalten zn haben.
Die Muſkeln ſind zu ſtark angedeutet, als daß ſie
nicht eine gewiſſe Haͤrte in die Formen haͤtte bringen
ſollen. Dem ohngeachtet werden die Frau, die den
Eimer traͤgt, die Gruppe des Sohns, der den Va-
ter auf den Schultern fortbringt, die Frau, die mit
ausgeſpreiteten Armen die Huͤlfe des Pabſtes anfleht
u. ſ. w. als Muſter ſchoͤn gezeichneter ganz im Stil der
Antike gedachter Figuren angeſehen werden koͤnnen.


Die Gewaͤnder, vorzuͤglich die fliegenden, ſind
vortreffllich. Das Bild, und folglich auch die Zeich-
nung, haben gelitten.


Die Farbe iſt zu ziegelroth. Das Helldunkle iſt
nicht beobachtet, und die Luftperſpektive iſt ganz ver-
fehlt.


In
[175]Der Vaticaniſche Pallaſt.

In dieſem naͤmlichen Saale ſind noch folgende
Gemaͤhlde nach Raphaels Zeichnungen verfertiget.


Der Sieg des Pabſtes LeoIV.uͤber die
Saracenen bei Oſtia
.


Die Kroͤnung Carls des Großen durch
Leo
IV.


LeoIV.der zum Beweiſe ſeiner Unſchuld
aufs Evangelium ſchwoͤrt
.


Man wird bei einer genauen Unterſuchung den
Geiſt Raphaels in dieſen Stuͤcken nicht verkennen.
Da ſie aber ſehr beſchaͤdigt und oft retouchirt ſind, ſo
wird der Liebhaber ſich gern bei unverdaͤchtigern Be-
weiſen der Kunſt dieſes großen Meiſters aufhalten
wollen.


Die Decke iſt von Pietro Perugino.


Michael Angelo Sixtiniſche Capelle.

Sixtiniſche
Capelle.

So wie der Reiſende, deſſen Auge ſich lange am
Spiegel des Genfer Sees, an der Fuͤlle ſeiner frucht-
baren Ufer und an den roͤthenden Schneebergen, die
ihn von ferne umkraͤnzen, geweidet hat, nun ſich in
den Gebuͤrgen Savoyens eingeſchloſſen ſieht, wo
nackte Felſen mit uͤberhaͤngendem Haupte ſeiner Schei-
tel drohen, und rauſchende Waldſtroͤme zu ſeinen Fuͤſ-
ſen in Abgruͤnde ſtuͤrzen; ſo tritt der Liebhaber aus
den Saͤlen der Antiken und Raphaels in die Sixtini-
ſche Capelle.


Die
[176]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Die Neuheit der Gegenſtaͤnde, das Hebende des
Außerordentlichen, das Schaurige der rohen Wild-
heit ergreifen ſeinen Geiſt mit Erſtaunen: aber bald
wird ihm dieſe Empfindung gewoͤhnlich, der Zauber
verfliegt, und er wuͤnſcht ſanftern Reitz zuruͤck, der
ſein Herz zu fuͤllen im Stande ſey.


Dieſen Gang glaube ich, werden die Ideen des
Liebhabers nehmen, wenn er ſeinen Geſchmack durch
die Schoͤnheit der Antiken, und durch die Wahrheit
des Ausdrucks in den Gemaͤhlden Raphaels gebildet
hat. Sollte er aber mit dem Studio der Gemaͤhlde
des Michael Angelo den Anfang machen, ſo fuͤrchte
ich, er duͤrfte das Uebernatuͤrliche, das immer auf
unſere rohe Einbildungskraft am ſtaͤrkſten wuͤrkt, der
Simplicitaͤt; das Uebertriebene, wofuͤr der ungebil-
dete Geiſt immer empfaͤnglichen Sinn hat, dem Na-
tuͤrlichen vorziehen; und ſo vielleicht auf immer des
Gefuͤhls des Schoͤnen unfaͤhig werden.


Michael An-
gelo Buona-
rotti.

Michael Angelo Buonarotti lebte von 1474 bis
1564 — Er beſaß bei einer brennenden Einbil-
dungskraft und einem ſchnellen durchdringenden Witze
ein Herz, dem Begriffe von Schoͤnheit und ſanfter
Grazie fremd waren. Seine Bilder ſteigen vor ihm
auf wie magiſche Erſcheinungen, und die Natur bil-
dete ſich auf der Netzhaut ſeines Auges wie in einer
Camera obſcura. Der Eindruck, den die Gegen-
ſtaͤnde auf ihn machten, war heftig; er bemeiſterte
ſich ihrer auffallendſten Unterſcheidungszeichen, und
ſetzte dieſe vor den Anblick der Zuſchauer mit eben der
Staͤrke hin, womit er ſie empfunden hatte. Allein
wenn er nun die feineren Zuͤge hinzuthun wollte, die
in
[177]Der Vaticaniſche Pallaſt.
in Verbindung mit den ſtaͤrkern einem Gegenſtand auſ-
ſer der Deutlichkeit auch Wahrheit geben, ſo war das
Bild verſchwunden, und was ſtehen blieb, war nur
das Gerippe eines Bildes, das ſein ſinnreicher Ver-
ſtand willkuͤhrlich auszufuͤllen ſuchte.


Michael Angelo hatte um die Kunſt fuͤr die
Epoche, worin er lebte, große Verdienſte. Er war
der erſte, der große Flaͤchen mit Figuren auszufuͤllen
wagte, die mit dem Platze, fuͤr den ſie beſtimmt wa-
ren, im Verhaͤltniſſe ſtanden. Er lehrte zuerſt das
Ueberfluͤßige von dem Nothwendigen unterſcheiden,
und das Auge durch große Maſſen in der Zeichnung
anzuziehen. Er brachte die Lehre von Verhaͤltniſſen
auf richtige Grundſaͤtze, und lehrte den Zuſammen-
hang des Knochen- und Muſkelnbaues in ganzen Fi-
guren.


Kurz! Er war der Mann von Genie, der die
Kunſt aus ihrer kleinlichen Schuͤchternheit empor hob,
und ſelbſt durch ſeine Fehler einen gegruͤndeten An-
ſpruch auf unſere Dankbarkeit hat, weil ſie einen Ra-
phael in der Gleiſe der Wahrheit erhielten.


Fuͤr den Kuͤnſtler iſt in den Werken des M. An-
gelo eine reichere Erndte als fuͤr den Liebhaber. Die-
ſen muß man vielleicht mehr auf die Fehler unſers
Kuͤnſtlers als auf ſeine Vorzuͤge aufmerkſam machen,
damit das Anziehende, was jene begleitet, ihn nicht
verfuͤhre, ſie mit dieſen zu verwechſeln.


Die Gegenſtaͤnde, die den Pinſel des M. An-
gelo beſchaͤfſtigten, waren ſelten angenehm, und
wenn ſie es waren, ſo wurden ſie unangenehm durch
die Art, wie er ſie behandelte.


Erſter Theil. MSei-
[178]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Seine Gedanken ſind oft ungeheuer, und dies
wird zuweilen mit Groͤße verwechſelt. Seine Haupt-
abſicht ging immer dahin, Erſtaunen zu erwecken.
Unſere Seele wird bei dem Anblick ſeiner Werke er-
ſchuͤttert, unſere Einbildungskraft beſchaͤfftigt, aber
unſer Herz bleibt ungeruͤhrt.


Eine Menge von Figuren in ſchweren Stellungen
neben einander zu vereinigen, ſcheint das Grundgeſetz
ſeiner Anordnung geweſen zu ſeyn. Seine Perſonen
ſo zu ſtellen, wie es der vorzuͤgliche Antheil, den ſie
an der Handlung nehmen, oder die Regeln der Grup-
pirung erfordern, daran ſcheint er nicht gedacht zu
haben.


Die Aeußerung eines denkenden Weſens in dem
feinern Spiele der Minen entging ihm. Er legte den
Ausdruck in die Stellung der Glieder, und aus Furcht,
nicht deutlich zu werden, hat er ihn beinahe immer
uͤbertrieben; oft iſt er nicht ſchicklich, oft nicht einſt
paſſend. Er nahm den Trotz fuͤr Heldenmuth, das
Zuruͤckſcheuchende fuͤr Majeſtaͤt, und das Gezogene
fuͤr Anmuth. Seine Formen ſind nicht einſt aus der
ſchoͤnen Natur gewaͤhlt. Seine Weiber ſind zu
maͤnnlich, ſeine Juͤnglinge zu ſchwerfaͤllig, ſeine Al-
ten zu abgemergelt.


Er hatte eine genaue Kenntniß von der Form und
der Lage der Knochen und Muſkeln in Ruhe. Aber
er kannte ſie nur, wie man ſie durch die Zergliederung
der Leichnahme kennen lernt: nicht mit den Abwechſe-
lungen, die die Bewegungen des lebenden Koͤrpers
hervorbringen, entbloͤßt von der weichen Haut, die ſie
bedeckt.


Seine
[179]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Seine Extremitaͤten ſind ohne Noth verdreht,
und convulſiviſch verzerrt; die Gewaͤnder willkuͤhrlich
geworfen, und die Falten zu aͤngſtlich gelegt.


In ſeinem Colorit im Helldunkeln ſcheint er ſich
gefaͤrbte Wachsbilder zum Vorbilde genommen zu
haben, die ein Ungefaͤhr vereinigt hat. Dieſe Theile
ſind ohne Wahrheit, ohne Abwechſelung, ohne Wahl
in ſeinen Gemaͤhlden.


Ob Michael Angelo je in Oehl gemahlt hat? iſt
zweifelhaft. Die Staffeleigemaͤhlde, die man fuͤr
ſeine Arbeit ausgibt, ſind wahrſcheinlicher von ſeinen
Schuͤlern. Sein weitlaͤuftigſtes Werk iſt die Sixti-
niſche Capelle, daraus laͤßt ſich am ſicherſten ſein
Verdienſt als Mahler beſtimmen.


Ich will nun das Urtheil, das ich im Allgemei-
nen daruͤber gefaͤllet habe, durch eine detaillirtere
Pruͤfung zu rechtfertigen ſuchen.


† Das juͤngſte Gericht.
Das juͤngſte
Gericht.

Wenn meine Einbildungskraft ſich dieſes Suͤjet
mahleriſch darſtellt, welches Bild ſteigt in meiner
Seele auf?


Finſterniß, wie man ſie ſich nach der Zerruͤttung
aller Elemente denkt, umhuͤllet die Erde: Aber die
Glorie, in der der Weltrichter in Begleitung der Aus-
erwaͤhlten vom Himmel herabſteigt, erleuchtet hinrei-
chend den Vorgrund mit der Handlung die darauf
vorgehet. Welche Situationen! Welche Charaktere!
Welcher Ausdruck! Welche Stellungen!


M 2Hier
[180]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Hier ſteigt der Gerechte mit ruhiger Zuverſicht
aus der Gruft hervor; dort betet ein anderer dankbar
an. Geliebte, Eltern und Kinder, Bruͤder und
Freunde erkennen ſich wieder, eilen aufeinander zu,
und vergeſſen ſich in ihren Umarmungen. Engel tra-
gen Gruppen von Seligen empor; der Weltrichter
reicht ihnen mit dem Ausdrucke der Guͤte die Hand
und ſchleudert mit zuruͤckgewandter Rechte den Don-
ner auf die Verdammten, die man im Hintergrunde
erblickt. Dort erleuchten die leckenden Flammen des
feurigen Pfuhls die Scene des Grauſes und des
Schreckens, hinreichend um ſie zu erkennen, aber
nicht ſtark genung, um dem vordern Lichte zu ſchaden.


Ungluͤckliche, die ſich nun auf immer von demjeni-
gen getrennt ſehen, was ihnen auf Erden das liebſte
war, huͤlflos ihre Arme darnach ausſtrecken; Andere,
die den Himmel verzweifelnd anklagen; Andere, die
mit neidiſchem Blicke auf die Seligen ſich foltern,
ſtehen auf dem zweiten Plane, und leiten das Auge
in Verbindung mit dem Ganzen auf den Hintergrund,
wo der Donner des Allmaͤchtigen die Frevler in den
feurigen Abgrund ſtuͤrzt. —


Aber was findet man von dieſen und andern
Ideen, wodurch dies Suͤjet ſo reich an intereſſanten
Eindruͤcken werden koͤnnte, in dieſem Gemaͤhlde?
Nichts! Es gleicht einer Beſchreibung, wodurch
eine feurige und fruchtbare Einbildungskraft, die we-
der von Gefuͤhl noch Geſchmack geleitet wird, bei lan-
gen Winterabenden, horchenden Kindern und Wei-
bern, ein Grauſen wuͤrde abjagen wollen.


Oben
[181]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Oben in einer Glorie iſt Gott der Vater, unter
ihm der heilige Geiſt als Taube, zu beiden Seiten
ſtehen zwei Gruppen von Engeln, deren eine das
Kreuz, die andere die Saͤule halten, woran Chriſtus
gegeißelt wurde. Unter dem heiligen Geiſte ſitzt der
Sohn, neben ihm ſeine Mutter, die Apoſtel, die
Patriarchen, und rund herum Maͤrtirer, und an-
dere Heilige die ihm die Inſtrumente ihrer Marter
zeigen. Hier theilt ſich das Gemaͤhlde ungefaͤhr in
der Mitte ab, und wird mit dem untern Theile durch
iſolirte Figuren einiger Engel verbunden, die Selige
in den Himmel heben, und Verdammte zuruͤck ſtoßen.
Unten iſt Erde und Waſſer. Todte ſteigen aus den
Graͤbern, Engel ſtreiten gegen Teufel, und nehmen
dieſen ſchon entwandte Seelen ab. Einige Ver-
dammte werden bereits gemartert.


In dem obern Theile iſt die Anordnung ſymme-
triſch, unten aber ſo unordentlich, daß der Blick ſich
immer darin verwirrt. Der Ausdruck iſt allenthal-
ben uͤbertrieben und oft gemein; viele Gedanken ſind
ſogar ekelhaft. Dahin gehoͤrt der heilige Bartholo-
maͤus, der dem Chriſt ſeine abgeſtreifte Haut zeigt,
der Wolluͤſtige, dem eine Schlange in die Schaam
beißt ꝛc. Nichts iſt dem Kuͤnſtler beſſer gerathen,
als der Ausdruck der Verworfenheit in den Teufeln.


Einzelne Schoͤnheiten, vorzuͤglich in Ruͤckſicht
auf Zeichnung und Verſtaͤndniß der Anatomie, wird
Niemand verkennen. Aber das Ganze? — Des
Mangels an Haltung, an Colorit nicht einſt zu ge-
denken.


Dies Gemaͤhlde nimmt eine große Wand dem
Eingange gegen uͤber ein.


M 3Am
[182]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Gemaͤhlde
am Plafond.

Am Plafond ſind einige Begebenheiten aus dem
erſten Buch Moſes in verſchiedenen Abtheilungen vor-
geſtellt. Man lobt darin die Figuren Gottes. Allein
mir ſcheinen ſie durchaus den zuruͤckſtoßenden Ernſt zu
haben, der ſich mehr fuͤr einen Zauberer als den
Weltregierer paßt. In dem Bilde, wo der Schoͤ-
pfer die beiden großen Lichter ans Firmament
ſetzt
, hat er den Anſtand eines ſchlechten Schauſpie-
lers. Der Engel der ſich in eben dieſem Bilde in
dem Schooße des Schoͤpfers aus Furcht vor dem
Monde verkriecht, iſt eine laͤcherliche Idee.


† In dem Bilde von der Erſchaffung Adams
hat der Kuͤnſtler den Gedanken ausdruͤcken wollen:
und er blies ihm einen lebendigen Odem ein. Der
Schoͤpfer ſteht vor dem halbaufgerichteten Adam, und
ruͤhrt ihn mit dem Finger an, gleichſam als wuͤrde er
von der elektriſchen Kraft, die aus ihm herausgeht,
belebt, oder vielmehr aus dem Schlafe geweckt.
Allein fuͤr einen Zuſchauer, der nicht jene Worte in
Gedanken hat, bleibt Adam immer ein Menſch, der
ſich in die Hoͤhe richtet, und der Schoͤpfer immer ein
Alter, der ihn mit dem Finger anruͤhrt. Die Figur
Adams iſt ſonſt einer der richtigſt gezeichneten nackten
Koͤrper neuerer Kunſt.


Auch der Fall der erſten Eltern wird der
Zeichnung des Nackenden wegen geſchaͤtzt.


In dem Gemaͤhlde von der Erſchaffung
der Eva
hat Michael Angelo zuerſt Gott den Vater
von einer Gruppe von Engeln tragen laſſen. Eine
gluͤckliche Idee, die hernach oft wiederholt iſt.


† Rund
[183]Der Vaticaniſche Pallaſt.

† Rund um den Plafond herum ſieht man meh-
rere Sybillen und Propheten in academiſchen
Stellungen. Sie zeichnen ſich durch eine repraͤſenti-
rende Anmaaßung, durch eine Anſtrengung von
Kraͤften aus, deren Grund man nicht abſieht, die
uͤber die Graͤnze der Wahrheit verſtaͤrkt iſt.


Man ſieht wohl ein, daß ein Menſch in einer
aͤhnlichen Lage ſich ſo ſtellen koͤnnte, daß er ſich aber
gewiß nicht ſo ſtellen wuͤrde, wenn es ihm nicht dar-
auf ankaͤme, recht bedeutungsvoll auszuſehen.


Der Ausdruck in den Figuren des Michael An-
gelo verhaͤlt ſich zu dem Ausdrucke in den Figuren des
Raphael, wie die Bewegung eines vorexercirenden
Fluͤgelmanns zu den Bewegungen eines Soldaten in
Reihe und Glieder.


Camera de’ Papiri mit einem PlafondCamera de-
Papiri.

von Anton Raphael Mengs.


Anton Raphael Mengs erhielt mit RaphaelAnton Ra-
phael
Mengs.

Sanzio da Urbino beinahe dieſelbe fruͤhere Bildung.
Auch er wurde jung an Treue der Nachahmung und
ſorgfaͤltige Beobachtung der Verhaͤltniſſe gewoͤhnt,
auch er beſaß beinahe von ſeiner Kindheit an, ein
Auge das richtig ſahe, und eine Hand die willig
folgte; die fruͤhere Bekanntſchaft mit den Meiſterſtuͤ-
cken der alten und der neueren Kunſt hatte er vielleicht
zum Voraus; er ward ein großer Mahler, ein
brauchbarer Schriftſteller in ſeinem Fache; — und
ward kein Sanzio.


M 4Es
[184]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Es iſt wahr! Niemand kannte beſſer als unſer
Landsmann die Maaße und den Umfang der Forde-
rungen, die man an einen Kuͤnſtler in Ruͤckſicht auf
das Talent der Ausfuͤhrung zu machen berechtigt iſt.
Man darf auch dreiſt ſagen, daß er ſie in dieſem oder
jenem ſeiner Bilder in einer Vereinigung befriediget
hat, die uns bis dahin unbekannt geblieben war.
Allein dies gilt nur von Werken von einfacher Zuſam-
menſetzung, von einzelnen Figuren, deren wohlgefaͤl-
lige Geſtalten ſich unter dem Charakter ſtiller Einge-
zogenheit, heiterer Ruhe, und des kindlichen Reitzes
zeigen. In groͤßeren Zuſammenſetzungen, deren In-
tereſſe auf dem Ausdruck nach außen gerichteter Affek-
ten, vollſtaͤndig ſichtbar motivirter Handlungen, hoher
Bedeutung, und voͤlliger Uebereinſtimmung jedes ein-
zelnen Theiles zum Ganzen beruhet, zeigen ſich alle
die Maͤngel die das Talent von dem Genie unter-
ſcheiden.


Unterſchied
zwiſchen Ge-
nie und Ta-
lent in dem
bildenden
Kuͤnſtler: in
Ruͤckſicht auf
Erfindſam-
keit, Einbil-
dungskraft,
Empfindung
und Ge-
ſchmack.

Mengs erfand mit Muͤhe: er hatte keinen Reich-
thum an Ideen, keine Erfindſamkeit, und was
ſchlimmer war, er beſaß keine Einbildungskraft.
Ich rede von der Einbildungskraft, die eigentlich den
Mahler macht: von der Gabe in unſerer Seele ein
Geſchoͤpf zu bruͤten, zu dem vielleicht unzaͤhlige Er-
fahrungen im Einzelnen den Stoff gegeben haben,
das aber wie ein Ganzes auf einmahl, mit allen den
ergreifenden Details der Wahrheit aufſteigt, womit
wir im Leben zum erſten Mahle einen Gegenſtand er-
blicken; von der Gabe das Bild von mehreren zu
einem Auftritt vereinigten Figuren jede mit ihrem
eigenthuͤmlichen Ausdruck, Form, Farbe, Beleuch-
tung, und dann wieder in ihrer Einheit, in ihrer Ueber-
einſtim-
[185]Der Vaticaniſche Pallaſt.
einſtimmung die ganze Zeit der langwierigen mechani-
ſchen Behandlung hindurch unverruͤckt feſtzuhalten,
dazu zu ſetzen, davon abzunehmen, ohne daß die
erſte urſpruͤngliche Idee eine weſentliche Veraͤnderung
leiden koͤnnte.


Dieſe goͤttliche Gabe, mit der vielleicht nie ein
Menſch jenſeits der Alpen gebohren worden iſt, ſcheint
mir nicht der Antheil des Raphael Mengs geweſen zu
ſeyn. Sanzio ſchuf in ſeinem Kopfe und verbeſſerte
nach den Antiken und den Werken ſeiner Vorgaͤnger:
Mengs las das Beſte aus den Antiken und den Neue-
ren zuſammen, und ſchuf auf dem Plane des Bildes.
Die Werke des erſten gleichen dem Guß eines Spie-
gels, den ein Hauch uͤber die Flaͤche geblaſen hat, die
Werke des letzten eingelegter Arbeit, die durch den
Fleiß des Florentiners aus koſtbaren Ueberbleibſeln des
Alterthums zuſammengefuget worden. Ich rede von
weitlaͤuftigen Compoſitionen.


Das Gefuͤhl ſittlicher Schoͤnheit, und die Em-
pfindung des ſinnlich Schoͤnen haͤngen vielleicht in
dem Geiſte des Menſchen von einer und derſelben Faͤ-
higkeit ab. Die verſchiedene Richtung, welche ihr
aͤußere Verhaͤltniſſe und begleitende Seelenkraͤfte in
der Anwendung geben, bringt vielleicht ihren Pro-
ductionen bald den Nahmen eines ſchoͤnen Kunſtwerks
zu Wege, bald den Nahmen einer ſchoͤnen That.
Um in den ſtillen Scenen des Mittelſtandes, um im
engen Cirkel haͤuslicher Verbindungen, als Weiſer,
Freude und Heiterkeit um ſich her zu verbreiten, be-
darf es nur eines ſanften Charakters, gemaͤßigter
Affekten, und einer ruhigen Achtſamkeit auf das was
M 5andere
[186]Der Vaticaniſche Pallaſt.
andere um uns liebenswerth macht. Aber um als
Held in den verwickelſten Lagen eines Staats deſſen
Stuͤtze mit Aufopferung der theuerſten Verhaͤltniſſe zu
werden, muͤſſen wir die Tugend mit Leidenſchaft lie-
ben, wir muͤſſen ſie verkoͤrpert ſehen, ihr Glanz muß
in uns das Ideal einer Vollkommenheit wecken, das
nur unſern Verhaͤltniſſen, unſern Kraͤften, mit einem
Worte: uns gehoͤrt. So wie der Ton eines muſi-
caliſchen Inſtruments den Geiſt eines Compoſiteurs in
eine Schwingung ſetzt, in der er ungehoͤrte Toͤne aus
ſich ſelbſt hervorruft, ſo koͤnnen große Beiſpiele im
Einzelnen zwar die Stimmung zur Groͤße nicht aber
ihre voͤllige Harmonie hervorbringen. Der Geiſt des
Alexanders belebte einen Caͤſar, durch Nachahmung
ſeiner Thaten entſtand nur ein Carl der Zwoͤlfte.


Mengs ſah das Schoͤne in den Werken der Alten
ein, er begriff es, und lieferte hier und dort gluͤckliche
Nachbildungen ſchoͤner Geſtalten: Raphael ward
durch ihren Anblick begeiſtert, er zuͤndete, dem Pro-
metheus gleich, ſeine Fackel an dem himmliſchen
Feuer an, und ihr Abglanz warf nicht Schatten von
Goͤttern hin, ihre Waͤrme belebte Menſchen, ſeine
eigenen Geſchoͤpfe.


Wahrnehmung des Guten und Schoͤnen heißt im
Allgemeinen Geſchmack. Aber in der Art der An-
wendung iſt deſſen Weſen ſehr verſchieden. Der eine
Menſch hat ihn durchs Gefuͤhl, der andere hat ihn
durch Nachdenken: Der eine weiß die Gruͤnde ſeines
Urtheils trefflich auseinander zu ſetzen, der andere
ſchafft ſtatt aller Antwort. Es ſcheint daß bei dem
erſten die Vernunft im genaueren Verbande mit dem
Scharf-
[187]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Scharfſinn ſteht, bei dem andern der Scharfſinn mit
dem Herzen und der Einbildungskraft. Dem bilden-
den Kuͤnſtler iſt die letzte Art zu wuͤnſchen, dem Be-
ſchauer des Gebildeten kann die erſte genuͤgen.
Mengs hat viel uͤber den Geſchmack geſchrieben; wir
vermiſſen ihn oft in ſeinen Gemaͤhlden.


Dieſe Betrachtungen koͤnnen dem Urtheil uͤber
das Verdienſt unſers Mengs, als Mahler, zur
Grundlage dienen. Er hat einzelne Figuren mit dem
Charakter einer lieblichen Heiterkeit vortrefflich gedacht
und ausgefuͤhrt. Dies erſtreckt ſich jedoch bei weib-
lichen und maͤnnlichen ſelten weiter als auf das Alter
dem jene Eigenſchaften vorzuͤglich eigen ſind: des
Kindes, des Juͤnglings, und des Maͤdchens, beide
an den Graͤnzen der Pubertaͤt. Menſchen, die bei
wachſender Geiſtesſtaͤrke Formen von hoher Bedeu-
tung, den Ausdruck heftiger Affekten zeigen, ſind
ihm ſelten gegluͤckt. Seine groͤßeren Compoſitionen
ſind nicht haͤufig mit wahrer Ruͤckſicht auf den Zweck
und die Wuͤrkung der Kunſt erfunden und angeordnet,
und es fehlt beinahe durchaus an jener Harmonie
aller Theile zum Ganzen, die eine Arbeit zu einem
Werke macht.


Mengs hatte eine harte Erziehung genoſſen, er
hatte lange in Miniatur gemahlt. Seine Behand-
lung iſt immer aͤngſtlich geblieben.


Der Plafond in dieſem Zimmer iſt das ſchoͤnſtePlafond des
Mengs.

Werk, das wir von ihm kennen.


Man urtheilt ſo verſchieden daruͤber in Rom,
einige erheben, andere erniedrigen es ſo ſehr, daß
ſchon dies allein die Vermuthung erweckt, man unter-
ſcheide
[188]Der Vaticaniſche Pallaſt.
ſcheide bei deſſen Beurtheilung nicht genungſam die
verſchiedenen Theile der Kunſt, deren Vereinigung
Vollkommenheit ausmacht.


Der Gedanke des mittelſten Gemaͤhldes iſt fol-
gender: Die Geſchichte iſt im Begriff, dasjenige auf-
zuzeichnen, was Janus ihr dictirt. Wahrſcheinlich
ſoll Janus, der Mann mit dem gedoppelten Antlitz,
hier die Scharfſichtigkeit und das Gedaͤchtniß vorſtel-
len. Die Zeit, ein ruͤſtiger Alter, liegt gekruͤmmt vor
der Geſchichte, die ihr Buch auf ſeinen Ruͤcken ſtuͤtzt.
Ein Genius bringt Documente herzu. Eine Reno-
mee, eine Fama, ſtoͤßt in die Trompete, indem ſie
auf das Muſeum Clementinum zeigt, welches man
im Hintergrunde ſieht.


Dieſe Erfindung ſcheint mir nicht gluͤcklich. Hier
ſind meine Gruͤnde.


Vorlaͤufige
Beſtimmung
der Eigen-
ſchaften einer
guten allego-
riſchen Zu-
ſammenſe-
tzung fuͤr die
ſchoͤnen Kuͤn-
ſte.

Es iſt, wie mich duͤnkt, den ſchoͤnen Kuͤnſten
bis jetzt ſehr nachtheilig geweſen, daß man das eigent-
liche Symbol von dem ſchoͤnen Kunſtwerke nicht be-
ſtimmt genung unterſchieden hat.


Das Symbol will belehren. Es will durch an-
ſchauliche Erkenntniß den nicht ſinnlichen Begriff
ſchneller, lebhafter und mit mehr umfaſſender Bedeu-
tung in die Seele bringen, mithin mehr und beſſer
ſagen, als durch bloße Worte; darum nimmt es
Form und Koͤrper zu Huͤlfe.


Aber das ſchoͤne Kunſtwerk beſorgt mein Vergnuͤ-
gen. Es gibt meinem Herzen, meiner Einbildungs-
kraft Nahrung, es unterhaͤlt meinen Verſtand, aber
leicht, und immer, entweder mittelbar durch die Be-
ſchaͤfftigung, die es jenen Geiſteskraͤften gibt, oder
wenig-
[189]Der Vaticaniſche Pallaſt.
wenigſtens in deren Begleitung; Belehrung liegt gaͤnz-
lich außer deſſen Zweck. Wenn alſo die ſchoͤne Kunſt
ihren Werken eine allegoriſche Bedeutung unterlegt,
ſo geſchieht es um dasjenige, was durch den ſichtba-
ren Ausdruck ſchon intereſſant ſeyn wuͤrde, durch Ver-
knuͤpfung mit einer geheimen Bedeutung noch intereſ-
ſanter zu machen. Sucht ſie abſtrakte Ideen zu ih-
ren ſinnlichen Bildern, ſo ſucht ſie dieſe nur um jene
zu ſchmuͤcken, nicht um ihnen Weſen und Gehalt zu
geben.


Alle bildende Kunſt hat endlich Nutzen zum End-
zweck. Aber die ſchoͤne Kunſt nutzt im Allgemeinen,
indem ſie durch den Genuß edlerer Vergnuͤgungen den
Keim fuͤr alles Gute und Schoͤne in dem Menſchen
entwickelt und erhaͤlt. Eine beſtimmtere Abſicht in
ihren einzelnen Werken aufzuſuchen leiden ihre weſent-
licheren Vorzuͤge nicht. Doch, dies weiter auszu-
fuͤhren, behalte ich mir an einem andern Orte vor.


Weil man meine Gruͤnde dort pruͤfen kann, ſo
ſetze ich hier die Sache als ausgemacht feſt, und fol-
gere daraus einen wichtigen Unterſchied zwiſchen der
bildenden Kunſt, die fuͤr den Verſtand, fuͤr Wiſſen-
ſchaft arbeitet, und derjenigen, die fuͤr den Sinn des
Schoͤnen ſchafft. So wie bei den Alten das Bild,
das Zeichen einer religioͤſen Verehrung, nach ganz
andern Grundſaͤtzen verfertigt wurde, als das Werk,
das durchs Beſchauen genoſſen werden ſollte: So wie
ihnen eine Diana von Epheſus ganz etwas anders war,
als ein Antinous; ſo iſt auch noch jetzt ein Symbol
von einer ſchoͤnen allegoriſchen Vorſtellung weſentlich
verſchieden.


Auf
[190]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Auf Muͤnzen, auf Denkmaͤhlern, auf allen
Werken, die wiſſenſchaftliche Bedeutung, Belehrung,
Aufbewahrung des Geſchehenen zur Abſicht haben,
laufen Nutzen und Vergnuͤgen in einander, und der
Unterſchied zwiſchen Symbol, Zeichen, und allegori-
ſcher Vorſtellung, ſchoͤnem Bilde, wird, dem Zweck
und der Verfahrungsart des Verfertigers nach, we-
niger fuͤhlbar. Hier tritt ſchriftliche und muͤnd-
liche Ueberlieferung dem Ausdruck des Bildes zur
Seite: Die Entraͤthſelung der Abſicht macht keine
Schwierigkeit, und ſollte ſie welche machen, ſo
belohnt dafuͤr der Vortheil der Belehrung, die Be-
ſchaͤfftigung des Witzes in Aufſpuͤhrung feiner Ver-
haͤltniſſe zwiſchen Bild und Gedanken. Geht dar-
uͤber der Eindruck der Schoͤnheit verlohren, wohl!
wir halten uns an den Gewinn von Ideen, die neu in
unſerm Kopfe aufſteigen.


Aber das Werk einer Kunſt, welches den Sinn
des Auges durch Schoͤnheit der Geſtalt vergnuͤgen,
das Herz durch den Ausdruck intereſſanter Affekten
zur Mitempfindung einladen, und die Einbildungskraft
durch Darſtellung deſſen, was ſie ſich als Bild zu
denken gewohnt geweſen iſt, ausfuͤllen, nicht ſpannen
will; das Werk einer ſolchen Kunſt, ſage ich, muß
auf den erſten Blick verſtanden werden. Findet der
Beſchauer nicht in ſeiner eigenen Erfahrung den
Schluͤſſel zu deſſen Verſtaͤndigung, ſoll er erſt einen
gelehrten Ausleger herbeirufen, uͤber die Bedeutung
nachſinnen und rathen, ſo geht ſeine Begierde, von
der ſichtbaren Vollkommenheit geruͤhrt zu werden,
verlohren, und das, was uͤbrig bleibt, iſt nicht Ver-
gnuͤgen ſeines Auges und ſeines Herzens, nicht Aus-
fuͤllung
[191]Der Vaticaniſche Pallaſt.
fuͤllung ſeiner Einbildungskraft; es iſt kalte Beſchaͤff-
tigung ſeines Witzes.


Wie unſicher iſt die Rechnung, die der Kuͤnſtler
auf das Maaß von Kenntniſſen macht, die der Lieb-
haber zu dem Anblick ſeines Werkes herzubringt! Wie
abhaͤngig von unzaͤhligen Nebenumſtaͤnden und Ver-
haͤltniſſen der Erziehung, des Nationalcharakters,
der Neigungen, der Beſchaͤfftigungen! In der That
die allegoriſche Schrift, in ſo fern ſie fuͤr ſich ſteht, iſt
die eingeſchraͤnkteſte von der Welt, kaum einigen Per-
ſonen aus einer Claſſe unter einem Volke verſtaͤndlich!


Schon dieſe Betrachtung allein ſollte dem Kuͤnſt-
ler die Verbindlichkeit auflegen, jenes Intereſſe, das
von der Kenntniß der geheimen Bedeutung abhaͤngt,
und nur von wenigen empfunden wird, demjenigen
unterzuordnen, das dem Weſen der Kunſt angemeſſe-
ner, von jedem wohlerzogenen Menſchen getheilt wird.
Ich rede von dem Ausdruck der Affekten, die jedem
Menſchen mit einem Herzen gemein ſind, der ſichtbare
Handlung motivirt, und von dieſer wieder motivirt
wird.


Bei einzelnen Figuren faͤllt die Nothwendigkeit
weniger auf. Iſt es nicht die Gerechtigkeit, die wir
ſehen, ſo iſt es eine ſchoͤne Frau; die Waage in der
Hand, ſelbſt der unverſtaͤndliche Strauß zu ihrer
Seite, wird den Eindruck ihrer ſchoͤnen Geſtalt nicht
ſtoͤren. Es iſt die koͤrperliche Form, auf die wir bei
einzelnen Figuren unſere erſte und hauptſaͤchlichſte
Ruͤckſicht nehmen.


Aber ganz anders verhaͤlt es ſich mit weitlaͤufti-
geren Zuſammenſetzungen, mit den ſogenannten hiſto-
riſchen
[192]Der Vaticaniſche Pallaſt.
riſchen Compoſitionen, mit Werken, auf denen wir
mehrere Perſonen neben einander handeln ſehen. Ein
ſolches Bild iſt fuͤr uns ein wahrer pantomimiſcher
Auftritt, nur mit dem Unterſchiede, daß die Akteurs
in einem gewiſſen Momente, wie vom Anblick des Me-
duſenkopfs geruͤhrt, angeheftet ſtehen bleiben, und
durch Stellung, Mine und Blick die Gedanken, Lage,
und Empfindungen anzeigen, in der ſie ſich in dem
Augenblicke befanden, in dem ſie auf immer fortzu-
handeln aufhoͤrten.


Die erſten Fragen, die nun der Zuſchauer an
dieſe bezauberten Figuren thut, ſind dieſe: Was iſt
eure Beſtimmung? Wie kommt ihr hieher? Was habt
ihr mit einander gemein, daß ich euch hier zuſammen
ſehe? Und die Antwort der Zauberin, der Mah-
lerei: Sie ſind von der Huͤlfe der Rede entbloͤßt;
aber ſeht auf ihre Gebaͤhrden; Der Ausdruck des einen
Mimikers enthaͤlt immer den vollſtaͤndigſten Grund
des Ausdrucks in dem andern: ſo haͤngen ſie zuſam-
men, und dieſer Zuſammenhang erklaͤrt die Hand-
lung, an der ſie gemeinſchaftlich Theil nehmen, als
ihre fernere Bewegung gehemmet wurde!


Nun wird der Zuſchauer uͤber den Zweck des
Ganzen mit Leichtigkeit verſtaͤndiget ſeyn, nun wird er
ohne Schwierigkeit den Ausdruck in jeder einzelnen
Figur pruͤfen, und beurtheilen. Er fuͤhlt die Einheit
in der Mannichfaltigkeit, dieſes wichtige Beſtandtheil
der Schoͤnheit, welches es allein entſchuldigen kann,
daß der Kuͤnſtler mehrere Figuren an einen Ort zu-
ſammendraͤngt, wo ſie dem Ausdruck immer ſchaden,
wenn ſie ihm nicht helfen, und wo die Schoͤnheit der
Geſtalt
[193]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Geſtalt immer durch die Vereinigung mit mehreren
Schoͤnheiten verlieret.


Eine Darſtellung nach dieſen Grundſaͤtzen iſt im-
mer als die Staffel der Kunſt und des Vergnuͤgens
angeſehen worden, und derjenige, der eine Menge
perſonificirter Ideen von Symbolen nur darum an ei-
nen Ort vereiniget, weil ſie ſich als Begriffe in ſeinem
Kopfe unter einen allgemeinen Satz bringen laſſen,
ſcheint ſich anſehnlich von derſelben zu entfernen.


Denn bleiben dieſe Zeichen von Ideen in unthaͤti-
ger Ruhe, ſo wird die Scene fuͤr lebende, aber ſtumme
eingewurzelte Perſonen zu einer Gallerie ihrer ſteiner-
nen Nachbildungen: und erhaͤlt jedes Symbol fuͤr
ſich den Ausdruck der Wuͤrkung aus der wir uns deſſen
Kraft abſtrahirt haben; ſo wird aus dem ernſthaften
Auftritt ein Narrenhaus, in dem jeder ſich nicht ohne
Nachtheil fuͤr den andern herumtummelt, und wo der
Witz, als ein beſonders dazu angeſetzter Cuſtode, uns
erſt mit den Schickſalen und der Beſtimmung eines
jeden bekannt machen muß.


Mein Rath iſt alſo dieſer: Wo der Mahler eine
allegoriſche Bedeutung in ein Gemaͤhlde legt, das
aus mehreren Figuren zuſammengeſetzt iſt, da ordne
er ſie immer der Darſtellung einer Begebenheit, eines
Vorfalls unter, der uns als Bild, wiewohl mit Ab-
weſenheit derjenigen zufaͤlligen Beſtimmungen, welche
die Allegorie bezeichnen, aus der Erfahrung des ge-
meinen Lebens bekannt iſt, oder doch aus wuͤrklich
geſehenen Gegenſtaͤnden leicht als ein ſichtbares Bild
von dem Beſchauer zuſammengeſetzt wird. Um
recht deutlich zu werden, will ich einige Beiſpiele alle-
Erſter Theil. Ngoriſcher
[194]Der Vaticaniſche Pallaſt.
goriſcher Gemaͤhlde anfuͤhren, welche dieſe Forde-
rung zu befriedigen ſcheinen.


Ein Kind reutet auf einem gezaͤumten Loͤwen.
Wie der ſchalkhafte Knabe laͤchelt, wie er ſich ſeines
Spieles freuet! Wie ſich das gutmuͤthige Thier ſei-
ner Staͤrke gegen den neckiſchen Knaben entaͤußert!
Wie angenehm die Lieblichkeit des Kindes mit der
Majeſtaͤt des Loͤwen contraſtirt!


Aber was ſeh’ ich? Das Kind hat Fluͤgel, es
traͤgt Koͤcher und Bogen. Ha! es iſt Amor, und
die geheime Bedeutung: Liebe zaͤhmt Staͤrke.


Zwei verworfene Menſchen ſind im Begriff eine
huͤlfloſe Schoͤne in einen Abgrund zu ſtuͤrzen. Sie
iſt entbloͤßt, der Raub ihres koſtbaren Schmucks iſt
wahrſcheinlich die Veranlaſſung zu dieſer Grauſamkeit.
Die Spuhr des begangenen Verbrechens ſoll durch ein
ſchaͤndlicheres bedeckt werden. Ich zittre, daß die
Vorſehung es zugibt, aber ich zittre umſonſt: Ein
nervigter Alter eilt zu ihrer Rettung herzu, und ent-
reißt ſie dem Verderben.


Wozu traͤgt dieſer Alte Senſe und Stundenglas,
warum ſind die ſchaͤndlichen Verfolger der nackten
Schoͤnen mit zugeſpitzten Ohren gezeichnet? Es ſind
Mißgunſt und Neid, welche die Wahrheit im Ab-
grunde der Vergeſſenheit zu begraben dachten, aber
die Zeit zieht ſie hervor.


Mit der ganzen Staͤrke, mit aller Lebhaftigkeit
einer ſinnlichen Erkenntniß uͤberſeh’ ich auf einmahl
alle ſchrecklichen Folgen des Krieges auf einem Bilde
des Rubens in dem Pallaſt Pitti zu Florenz. Mars
wird
[195]Der Vaticaniſche Pallaſt.
wird durch die Goͤttin der Rache, die flammende
Blicke und brennende Fackel verkuͤndigen, gewaltſam
fortgeriſſen. Umſonſt wirft ſich Venus in Thraͤnen
in die Arme des Geliebten, umſonſt umſchlingen Amo-
rinen ſeine Knie; er zertritt mit ſeinen Fuͤßen halbzer-
riſſene Buͤcher, vor ſeinem Anblick ſtuͤrzen Kuͤnſte und
Wiſſenſchaften zu Boden. Verzweiflungsvoll ver-
birgt ein Weib ihr Kind in ihren Buſen, auf der
Schwelle des geoͤffneten Janustempels ſitzt die troſt-
loſe Erde, und im Hintergrunde laͤßt die Flamme
brennender Doͤrfer ein verheertes Land und Gruppen
von Kriegern ſehen.


Jedem iſt die Allegorie begreiflich; aber geſetzt,
ſie waͤre es nicht! Werden wir darum das ganze
Bild nicht erklaͤrbar finden, weil einige Nebenfiguren,
Nebendinge, uns ohne die geheime Bedeutung nicht
verſtaͤndlich ſind? Liefert die Hauptgruppe nicht einen
Ausdruck von Empfindungen, der durch den bloßen
Anblick hinreichend motivirt, durch die Vergleichung
mit den gemeinſten Erfahrungen uͤberfluͤßig gerecht-
fertigt wird? Hat der erzuͤrnte Held, der ſich aus
den Armen ſeiner Familie reißt, nur denn ein Anrecht
auf unſere Theilnehmung, wenn er der Gott des Krie-
ges, ſeine Gattin die Goͤttin der Liebe, und ſeine Kin-
der Amorinen ſind? Iſt es die Verknuͤpfung der
Ideen, die uns dieſes Bild ſo ſchaͤtzbar macht, oder
iſt es die Situation, welche zum Ausdruck intereſſan-
ter Affecte die Veranlaſſung gibt?


Genung! Jede zuſammengeſetzte allegoriſche Vor-
ſtellung, die ein Gegenſtand der ſchoͤnen Kunſt ſeyn
ſoll, liefere uns die Darſtellung eines Vorfalls, einer
N 2Bege-
[196]Der Vaticaniſche Pallaſt.
Begebenheit, einer Situation, die an ſich eines zu-
ſammenhaͤngenden, und fuͤr Herz und Einbildungs-
kraft intereſſanten Ausdrucks faͤhig iſt. Die geheime
Bedeutung verſtaͤrke den Antheil, den wir an dem
Sichtbaren nehmen, nie aber ſey ſie einziger Schluͤſ-
ſel, einziges Motiv, einziger Grund der Vereinigung
mehrerer unthaͤtigen oder handelnden Weſen.


So wird der Verſtand nicht auf Koſten des
Herzens Unterhaltung finden, ſo wird das Bild durch
den Gedanken, der Gedanke durch das Bild ge-
winnen.


Und nun zur Beurtheilung des Gemaͤhldes, das
wir vor uns haben.


Fortſchritt
zur Beurthei-
lung des
mittleren Ge-
maͤhldes an
dieſem Pla-
fond.

Iſt der Gedanke der hier zum Grunde liegt, uͤber-
haupt einer Verkoͤrperung faͤhig? Nein! er iſt zu
complicirt, um je in einer ſinnlichen coexiſtirenden
Vorſtellung zuſammengefaßt zu werden. Die Ge-
ſchichte ſchreibt die Thaten auf, die Gedaͤchtniß und
Scharfſichtigkeit ihr darbieten; Sie bedient ſich dazu
auch der Urkunden; ſo fixirt, ſo heftet ſie die Zeit an,
und die Renommee breitet den Ruf der Anſtalten aus,
die zum Beſten der Geſchichte gemacht ſind.


Dies ſind eine Menge progreſſiver Handlungen,
die ſich nicht einſt in den Begriff von dem Vor-
theile aufbewahrter Urkunden zuſammen zwaͤngen
laſſen, viel weniger in ein coexiſtirendes, mit einem
Blick zu uͤberſehendes, Ganze vereiniget werden
moͤgen.


Waͤre aber auch die Verſinnlichung moͤglich, ſo
ſind doch die Mittel, die Mengs dazu gebraucht hat,
fehlerhaft gewaͤhlt. Es iſt unnatuͤrlich, die Befeſti-
gung
[197]Der Vaticaniſche Pallaſt.
gung, das Anheften der Zeit durch die Stellung eines
ruͤſtigen Alten ſinnlich zu machen, den ein Foliant zu
Boden druͤckt. Dieſe Laſt ſteht in keinem Verhaͤlt-
niſſe mit der Schnellkraft ſeines Ruͤckens.


Nun aber denke man vollends nicht an die Alle-
gorie. Wie kommen die Figuren zuſammen, an
welcher ſichtbar gemeinſchaftlichen Handlung nehmen
ſie Theil? Die Renommee, die auf das Muſeum
Clementinum zeigt, kann, dem Verſtaͤndniſſe des
Ganzen unbeſchadet, ganz aus dem Gemaͤhlde weg-
genommen werden: So der Genius, der die Urkun-
den herzutraͤgt ꝛc.


Weiter! Zu welchem intereſſanten Ausdrucke ge-
ben die Beſchaͤfftigungen des Schreibens, des Dic-
tirens, des Zuſammentragens, ja! ſelbſt des kalten
Forſchens Veranlaſſung? Ich glaube, zu einem
ſehr geringen; und was das ſchlimmſte iſt, auch die-
ſer iſt verfehlt.


Die Geſchichte zeigt in Minen und Stellung eine
Begeiſterung, die nicht der kalten Forſcherin, viel-
mehr der Odendichtkunſt zukommen wuͤrde. Der
Genius, der die Urkunden herzutraͤgt, ſieht die Zu-
ſchauer an, nicht auf den Ort, auf den er zugeht.
Janus, der mit der Geſchichte redet, wendet beide
Koͤpfe ab, und dreht ihr das Ohr zu, ſo, daß wenn
man ſeiner Handlung Wahrheit beilegen wollte, man
durchaus annehmen muͤßte: er beſitze die ſeltene
Kunſt, durch den Bauch zu reden.


So viel uͤber die Erfindung.


Auch die Anordnung iſt nicht zu loben. Die Fi-
guren ſtehen zu iſolirt, ſie gruppiren nicht zuſammen.


N 3So-
[198]Der Vaticaniſche Pallaſt.

Sobald man ſich aber zu dem Einzelnen wendet,
ſo erſcheint Mengs in aller ſeiner Groͤße.


Den Koͤrper der Zeit allein ausgenommen —
denn dieſer iſt fuͤr das Uebrige zu unedel, — zeigt
ſich die ſchoͤnſte Wahl in Koͤpfen und Formen. Die
Zeichnung iſt aͤußerſt correct. Das Colorit, ſowohl
an und fuͤr ſich ſelbſt als in Ruͤckſicht auf die Schwie-
rigkeiten der Freſco, Mahlerei erweckt durch Wahrheit,
Kraft und Lieblichkeit Bewunderung, und eben dies
kann man von der Haltung ſagen. Als ausgezeichnet
ſchoͤne Theile bemerke ich die Bruſt der Geſchichte,
den Kopf des Genius, die Leichtigkeit des Flugs der
Renommee.


Ueber der einen Thuͤr St. Petrus ſitzend.
Ich finde ihn nicht ſehr edel, aber ſehr wahr.


Herrliche Ge-
nii und Kin-
der von
Mengs

Zu beiden Seiten deſſelben † zwei Genii, de-
ren Koͤrper zu den ſchoͤnſten gehoͤren, vielleicht die
ſchoͤnſten ſind, die die neuere Mahlerei aufzuweiſen
hat. Die Koͤpfe wuͤrden noch reitzender ſeyn, wenn
nicht in dem Untertheile derſelben eine zu kleinliche
Suͤßlichkeit herrſchte. Uebrigens ſind ſie mit dem
Griffel der Antike gezeichnet, mit Tizians Pinſel colo-
rirt, und mit Correggios Zauberfackel beleuchtet.


Gegen uͤber Moſes. Man ſagt, der Kopf ſey
ein Portrait des Pabſtes Lambertini. Gewiß iſt es,
daß er nicht den Charakter der Groͤße an ſich traͤgt,
die man von einem Geſetzgeber erwartet. Die ver-
kuͤrzte Hand iſt unvergleichlich, das Gewand iſt ein
wenig ſchwerfaͤllig, und die Falten ſind zu muͤhſam
gelegt[;] ein Fehler, in den dieſer Kuͤnſtler oͤfterer
verfiel.


An
[199]Der Vaticaniſche Pallaſt.

An den Seiten dieſer Figur ſtehen wieder † zwei
herrliche Genii
, und an den beiden Seitenwaͤnden
vier ſehr ſchoͤne Kinder.


Das ganze Zimmer iſt unter der Aufſicht des
Raphael Mengs mit vielem Geſchmack decoriret, und
ich kenne keines, in dem ich gleich beim erſten Eintritte
ſo gern geweſen waͤre, als in dieſem.


Kleiner Saal des Conſiſtoriums mitSaal des
Conſiſto-
riums, Pla-
fond des
Guido Reni.

einem Plafond vom Guido Reni.


Das mittelſte Gemaͤhlde ſtellet die Ausgießung
des heiligen Geiſtes
vor. Es iſt ſchoͤn angeordnet,
auch ſieht man gute Koͤpfe voller Ausdruck und eine
kraͤftige Faͤrbung darin.


Die Verklaͤrung und die Himmelfahrt
Chriſti
zu beiden Seiten. Von geringerm Werthe.


Ich uͤbergehe eine Menge von Gemaͤhlden, die
ſich in dieſem Pallaſte finden, und die von Herrn
Volkmann, *) wiewohl in ſchlechter Ordnung, ange-
zeigt ſind. Nach alle dem Schoͤnen, was der Lieb-
haber geſehen hat, kann man billig den Vers des
Dante auf ſie anwenden:
Non raggionam’ di lor’, ma guarda e paſſa.


Inzwiſchen wird es gut ſeyn, zu bemerken, daß
die 25 Cartons vom Domenichino, deren Volkmann
erwaͤhnt, und die die Aufmerkſamkeit des Liebhabers
reitzen koͤnnten, hier nicht mehr angetroffen werden.


N 4Das
[200]

Das Capitol.1)


Beym Aufgange der Treppe, die auf den Berg
fuͤhret auf dem der Pallaſt ſteht,


Zwei Loͤwen aus Baſalt, von großem
Charakter. 2) Zur Seite an der Treppe, die nach
Santa Maria della Scala fuͤhrt, eine Statue von
Porphyr ohne Kopf
. Man haͤlt ſie fuͤr eine
Roma, das Gewand iſt vortrefflich.


Auf der Baluͤſtrade, die den obern Hof einfaßt,
zwei Coloſſal-Statuen, Juͤnglinge, deren je-
der ein Pferd haͤlt
. Man nennt ſie Caſtor und
Pollux. Auf der Stelle, wo ſie ſtehen, thun ſie
Wuͤrkung. Mehr kann der Liebhaber nicht davon
ſagen, denn ſie ſind durch viele Ergaͤnzungen zu ſehr
entſtellt,
[201]Das Capitol.
entſtellt, als daß man uͤber ihre urſpruͤngliche Schoͤn-
heit ein Urtheil faͤllen koͤnnte. 3)


Zwei ſchoͤne Trophaͤen. Vortrefflich
gedacht und ausgefuͤhrt. Sie werden gemeiniglich
Trophaͤen des Marius genannt. Winkelmann
ſchreibt ſie dem Domitian zu. 4)


Zwei Soͤhne Conſtantins, die Winkelmann
vielmehr fuͤr Bildniſſe ihres Vaters haͤlt. 5)


Ein antiker und ein moderner Meilenzei-
ger
.


In der Mitte des Hofes.


Marc Aurel zu Pferde, aus Bronze.Ritterſtatue
Marc Au-
rels.

Er ſtreckt die Hand aus, gleich als wollte er uͤber
die Welt Gluͤck und Frieden austheilen. Dies
ſcheint der Gedanke dieſes Werks zu ſeyn.


Die Maſſe des Ganzen und beſonders Marc
Aurel iſt es, der die Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen
ſoll; nicht das Pferd. Wenn dies doch diejenigen
N 5bedaͤch-
[202]Das Capitol.
bedaͤchten, die ſo viel an dieſem Pferde auszuſetzen
wiſſen! Ueber die Figur Marc Aurels iſt ſtille Ruhe
und Majeſtaͤt ausgegoſſen, ſie herrſcht auf ſeiner Mine,
ſie liegt in ſeinem feſten natuͤrlichen Sitze. Dieſe
ſtille Groͤße contraſtirt unvergleichlich mit dem Muthe,
mit dem Leben, die ſich in jeder Muſkel des Pferdes
zeigen. Zu dieſem Ausdrucke traͤgt vielleicht ſelbſt
die ſonderbare Stellung deſſelben etwas bei. Es hebt
naͤmlich beide Fuͤße auf eine Art, die ſo ſelten und ſo
tranſitoriſch iſt, daß man nothwendig eine Idee von
Unruhe und Schnelligkeit damit verbinden muß.
Uebrigens iſt dies Pferd nicht ſchoͤn, nicht groß. Aber
das durfte es auch wohl nicht ſeyn, wenn es der Wuͤr-
kung des Ganzen und der Hauptfigur nicht ſchaden
ſollte. 6)


Das Mittelgebaͤude


dienet dem Senatore di Roma zur Wohnung.


An demſelben, uͤber einer Fontaine, eine
kleine ſitzende Roma mit einem Gewande von
Porphyr zwiſchen zwei coloſſaliſchen Fluß-
goͤttern
.


Linker
[203]Das Capitol.

Linker Fluͤgel


enthaͤlt die Sammlung von Antiken, die unterMuſeum Ca-
pitolinum.

dem Nahmen des Muſei Capitolini be-
kannt iſt
.


In dem Hofraume, dem Eingange gegenMarforio.
uͤber, † die colloſſaliſche Statue eines Fluß-
gottes oder des Ocean
. Sie iſt unter dem Nah-
men Marforio bekannt, 7) und ſcheint wahrſchein-
lich fuͤr eine Fontaine beſtimmt geweſen zu ſeyn. Der
Charakter iſt: ehrwuͤrdiges Alter, und dieſer iſt un-
vergleichlich ausgedruͤckt. Ungeachtet der colloſſalen
Groͤße ſind die Muſkeln ſehr weich und fließend an-
gegeben. Der rechte Arm und die linke Hand ſcheinen
von einem großen Meiſter reſtaurirt zu ſeyn. Neu
ſind ferner: die Naſe, und ein Theil des Fußes.


Zwei Panes, mit Fruchtkoͤrben auf den
Koͤpfen, als Caryatiden
. Sie haben Ver-
dienſt.


Pan iſt eine Figur mit Ziegenfuͤßen, mit einerCharakter
eines Pan.

rauheren, wildern Geſichtsbildung als man gemeini-
glich bei den Faunen oder Satyren antrifft, mit Hoͤr-
nern, ſtarken zugeſpitzten Ohren, ſtraͤubigten Baͤrten,
krummen Naſen. Man hat lange ſolche Geſtalten
Satyren genannt: Allein Satyr iſt der griechiſche
Nahme der roͤmiſchen Gottheit, Faun, und von die-
ſem an Geſtalt nicht verſchieden. Der Herr Hofrath
Heyne
[204]Das Capitol.
Heyne 8) hat zuerſt, ſo viel ich weiß, dieſen Irr-
thum aufgedeckt.


In dem Porticus der zur Treppe fuͤhrt.


Mehrere Aegyptiſche Statuen aus Granit
und Baſalt
.


Ein Sturz eines barbariſchen Koͤnigs aus
Pavonazetto
. Er ſoll ehemals auf dem Triumph-
bogen des Kaiſers Conſtantin des Großen geſtanden
haben.


Eine große antike Begraͤbnißurne, oder
ein Sarcophag, auf dem Deckel, liegende Fi-
guren zweier Eheleute in Lebensgroͤße
. Man
hat lange darin den Kaiſer Alexander Severus mit
ſeiner Mutter Julia Mammaͤa erkennen wollen.
Allein Winkelmann 9) hat mit Recht bemerkt, daß
die maͤnnliche Figur in einem Alter von mehr als funf-
zig Jahren abgebildet ſey, und daß daher die Benen-
nung jenes Kaiſers, der bereits im dreißigſten Jahre
ſeines Alters ſtarb, auf dieſe Vorſtellung nicht paſſe.
Die Basreliefs haben eben ſo ſchiefe Auslegungen er-
litten. Alle Figuren auf denſelben ſind zwar nicht zu
erklaͤren;
[205]Das Capitol.
erklaͤren; allein daß die Suͤjets aus dem Homer ge-
nommen ſind, leidet keinen Zweifel. Wahrſcheinlich
ſtellt die vordere Seite den Agamemnon vor, der die
Briſeis von dem zuͤrnenden Achill fordert, waͤhrend,
daß dieſen ſeine Mutter Thetis zu beſaͤnftigen ſucht.
Auf der rechten Seite Chryſeis, die zu ihrem Vater
wiederkehrt. Auf der linken Patroclus, der den
Achill troͤſtet. Hinten Priamus, der fußfaͤllig den
Leichnahm ſeines Sohns vom Achill erflehet.


Der Stil dieſes Basreliefs iſt gut, die Ausfuͤh-
rung aber mittelmaͤßig, und die Figuren am hintern
Theile ſind uͤberhaupt viel ſchlechter, als die an den
uͤbrigen. 10)


Sturz eines Apollo, wird gelobt, ſteht aber
ſo, daß man ihn nicht beurtheilen kann.


Ein ſchoͤner Altar. Die Basreliefs ſtellen
die Geburt und Erziehung Jupiters vor. Die Ar-
beit iſt vortrefflich, und kann unter die beſten dieſer
Art gerechnet werden.


Maſke eines weiblichen Kopfs. Beides,
Gedanke und Ausfuͤhrung, gut.


Jupiter. Die beſte Vorſtellung dieſes Gottes
in dieſer Sammlung.


Eine
[206]Das Capitol.

Eine coloſſaliſche Statue der Minerva mit
einer ſchoͤnen Drapperie und einem majeſtaͤtiſchen Cha-
rakter.


Eine Vaſe auf drei Fuͤßen, die zur Fon-
taine dient, mit Laubwerk von erhobener Ar-
beit
. Vortrefflich.


Eine Diana, in leichtem aufgeſchuͤrztem Ge-
wande fortſchreitend: Voller Leben und Ausdruck.
Das Gewand iſt vortrefflich. Aber alt ſcheint daran
blos der Koͤrper. Der Kopf iſt wenigſtens aufgeſetzt,
denn der Hals iſt modern.


Eine andere Diana. Ihr langes ſimples Ge-
wand reicht ihr bis auf die Fuͤße. Dies Gewand
iſt im uralten Stile, aber ſchoͤn ausgefuͤhrt. Kopf
und Arme modern, daher die Benennung zweifelhaft.


Charakter
der Diana.

Es haben ſich keine Statuen von dieſer Goͤttin
auf uns erhalten, die zu Hauptwerken gehoͤren koͤnnten.


Die urſpruͤngliche Idee der Diana war Luna, de-
ren Strahlen durch Pfeile ausgedruͤckt wurden. In
ihren Hainen wurden geweihete Hirſche erhalten, die
vielleicht ein ſymboliſches Attribut waren. So kam
man in der Folge der Zeit auf den Begriff einer Jaͤge-
rin, einer Waldgoͤttin. Der Kuͤnſtler fand die Na-
tur einer weiblichen Schoͤnheit, die ſich durch Eigen-
ſchaften auszeichnet, welche die Beſchaͤfftigung der
Jagd vorausſetzet und ausbildet, Schnelligkeit und
Abhaͤrtung, eines Ideals faͤhig. Gemeiniglich be-
zeichnete er ſie durch den halben Mond als Haupt-
ſchmuck, durch den aufgeſchuͤrzten Rock zum beque-
meren Laufe, durch Pfeil, Koͤcher, Bogen und
Jagdhund.


Pyrr-
[207]Das Capitol.

Pyrrhus, 11) nach Winkelmann, 12) Aga-
memnon, und vielleicht uͤberhaupt nur Kriegsheld mit
Bruſtharniſch und griechiſchem Kriegsgewand.


Der Koͤrper eines Kriegers zeichnet ſich immerKriegerſta-
tuen.
Schwierig-
keit die unbe-
kleideten von
Heldenſta-
tuen zu un-
terſcheiden.

durch ausgearbeitete Feſtigkeit aus. Aber da man
immer die gemeine Natur ſelbſt in Portraitſtatuen ins
Heldenideal hineinarbeitete, 13) ſo wird es ſchwer, ei-
nen gewoͤhnlichen Krieger von einem Helden bei nack-
ten Statuen zu unterſcheiden.


Leichter wird die Beſtimmung bei ſolchen Krieger-
ſtatuen, die in ihrer Ruͤſtung vorgeſtellet ſind. Denn
Vorſtellungen aus einer idealiſchen Welt, ſagt der
ſcharf-
[208]Das Capitol.
ſcharfſinnige Autor, den ich in der Note angefuͤhrt
habe, wird man wohl nicht anders als ohne Beklei-
dung finden. Man will die roͤmiſchen Krieger von
den griechiſchen an der verſchiedenen Laͤnge des Man-
tels unterſcheiden: denn dieſer ſoll bei den Griechen
laͤnger als bei den Roͤmern geweſen ſeyn. 14) Die
Roͤmer nannten den ihrigen Paludamentum.


Unſere Statue hat viel Adel und Wuͤrde, und
iſt ſelbſt in Nebenwerken ſehr fleißig gearbeitet. Die
Beine ſind unſtreitig modern, und eben dies Ur-
theil ſcheint auch von den Armen zu gelten.


Damit die Neugier nicht irr gefuͤhret werde, zeige ich
eine abgebrochene Saͤule an, worauf verſchie-
denes Handwerkszeug eines Maurers abgebil-
det ſtehet
. Es iſt weiter nichts als der Sturz eines
cippi ſepulchralis, womit das Grabmahl eines
gewoͤhnlichen Maurers geziert war. Man findet ih-
rer mehrere mit den Werkszeugen anderer Handwer-
ker. 15)


Zimmer mit
Aegyptiſchen
Kunſtwer-ken.

Zimmer mit Aegyptiſchen Kunſtwerken.


In der Tiburtiniſchen Villa des Kaiſer Hadria-
nus ſtand ein Tempel, welchen er Canopus nannte,
und
[209]Das Capitol.
und mit Statuen Aegyptiſcher Gottheiten beſetzte. Die
Figuren, die in dieſem Zimmer ſtehen, ſind von dort
hergeholt. An einigen finden wir eine genaue Nachah-
mung des aͤlteſten Aegyptiſchen Stils, und dieſe ge-
hoͤren aus Gruͤnden, die ich bereits bei der Beſchrei-
bung der Vaticaniſchen Statuen angefuͤhrt habe, nicht
vor unſer Forum: An andern legte die griechiſche KunſtGriechiſche
Bearbeitung
Aegyptiſcher
Ideen: Ent-
weder mit
Beibehal-
tung der Ae-
gyptiſchen
Vorſtel-
lungsart,
oder mit Er-
findung einer
neuen, der
Schoͤnheit
mehr ange-
meſſenen.

nur Objekte religioͤſer Verehrung der Aegyptier zum
Grunde, und verfeinerte ſie nach denen ihr eigenthuͤm-
lichen Ideen von Schoͤnheit.


Aber auch unter Werken dieſer Art findet ſich ein
merklicher Unterſchied. Entweder haben ſich die grie-
chiſchen Kuͤnſtler mehr oder minder in die hieroglyphi-
ſche Allegorie zu ſchicken geſucht, oder ſie haben dieſe
Feſſeln ganz abgeworfen. Von dieſer letzten Art zu
verfahren werde ich weiter hin durch die griechiſche
Iſis und den griechiſchen Harpocrates auffallende Bei-
ſpiele geben. Die erſte finden wir an verſchiedenen
Statuen in dieſem Zimmer beobachtet.


Die Idee deutet Barbarei an, die Ausfuͤhrung
Cultur: Das Steife der Stellung, das Unbedeutende
der Mine und Gebaͤhrde, die hieroglyphiſche Zuſam-
menſetzung von Thier und Menſch, oder gar von leb-
loſen Gegenſtaͤnden mit dem Menſchen, widerſprechen
der Regelmaͤßigkeit in der Zeichnung, dem Reitz in
den Formen, und der Weichheit in der Behand-
lung.


Canopus, ein Kopf mit zwei Angeſichtern,
auf einer laͤnglicht runden Vaſe. Das eine Angeſicht
ſtellt eine Iſis vor mit einer Lotusblume als Haupt-
ſchmuck, das andere einen Ochſenkopf. Dieſes ſehr
Erſter Theil. Ofleißig
[210]Das Capitol.
fleißig und artig gearbeitete Werk iſt aus ſchwarzem
Marmor.


Ein Aegyptiſcher Altar. Man ſieht dar-
auf den Anubis mit einem Hundskopfe, der einen
Palmzweig und einen Caducaͤus haͤlt, und an den Fuͤſ-
ſen Fluͤgel traͤgt. Auf einer andern Seite Harpocra-
tes, oder Orus. Auf der dritten ein Korb, um deſ-
ſen Deckel ſich eine Schlange geſchlungen hat, und auf
der vierten die Innſchrift: Iſidi Sacr:


Auf der Treppe und dem Vorplatze
vor den obern Zimmern.


Zwei Basreliefs. Figuren beinahe in Lebens-
groͤße. Es ſind Ueberreſte der Zierrathen an dem
ehemaligen Triumphbogen Marc Aurels. Der Stil
iſt gut, der Zeichnung aber fehlt es an Richtigkeit,
und die Figuren ſcheinen zu kurz. Das Schoͤnſte dar-
an iſt die Gruppe der Fauſtina, die ein Genius zum
Himmel traͤgt. Sie haben ſehr gelitten.


Ein altes Moſaik. Hercules ſpinnend und
einige Liebesgoͤtter, die einen Loͤwen baͤndigen.

In Anſehung des Gedankens merkwuͤrdig.


Einige Fragmente coloſſaliſcher Statuen,
aus weißem Marmor, ſind der aͤußerſt delicaten Be-
handlung wegen merkwuͤrdig.


Ein Fuß aus Bronze von ungeheurer Groͤße,
ſoll, wie die meiſten behaupten, zu der Statue des
Cajus Ceſtius, die bei ſeinem Grabmahle angebracht
war, gehoͤret haben.


Erſtes
[211]Das Capitol.

Erſtes Zimmer.
Zimmer der Vaſe genannt.


Basreliefs.

In der Mitte eins der ſchoͤnſten GefaͤßeCapitolini-
ſche Vaſe,
mit der Ara
als Fußge-
ſtell.

von denen, die ſich aus dem Alterthume erhalten ha-
ben, ſowohl in Anſehung der Form, als der Arbeit
in den Zierrathen. Es ſtehet auf einem Altare mit
Figuren von erhobener Arbeit.
16) Dieſer iſt
rund, und ſtellt zwoͤlf Gottheiten aus der aͤlteren My-
thologie vor, in dem Stile, den wir unter dem Nah-
men des Etruſciſchen kennen.


Ein Sarcophag. Auf dem Deckel ein
Bacchanal, an den Ecken Maſten, auf der
Urne ſelbſt die neun Muſen.
Sie haben ſehr
reitzende und unter einander abwechſelnde Geſichtszuͤge
und Stellungen. Die Gewaͤnder ſind beſſer gedacht;
als ausgefuͤhrt. Mengs hat dieſes Basrelief bei dem
Plafond in der Villa Albani ſehr genutzt, und ſich
vorzuͤglich in Anſehung des Coſtume darnach gerichtet.


An den beiden Seiten ſtehen Homer und Socra-
tes. Wahrſcheinlich ein neuerer Zuſatz, wie die Ver-
ſchiedenheit des Stils es anzuzeigen ſcheint.


Ein Sarcophag mit der Fabel des Endy-
mions.
In der Mitte des Basreliefs ſteht ein weib-
licher Genius mit Fluͤgeln, der auf gewiſſe Weiſe das
Ganze in zwei gleiche Haͤlften theilt. Auf der einen
ſteigt Diana von ihrem Wagen, und naͤhert ſich von
O 2Liebes-
[212]Das Capitol.
Liebesgoͤttern gefuͤhrt, dem Endymion, der in den
Armen des Morpheus ruht. Auf der andern ſenkt ſich
Diana wieder ins Meer. Auf dem Deckel Pluto,
Proſerpina und Mercur. Es verlohnt ſich nicht der
Muͤhe, ſich lange bei der Erklaͤrung jeder einzelnen
Figur aufzuhalten, da die Zuſammenſetzung ſchwer-
lich als Muſter angeprieſen werden duͤrfte. Einzelner
Schoͤnheiten hat es viele. Die Gewaͤnder ſind gut
gedacht, die Stellungen reitzend, und jede Figur,
ſelbſt die Pferde, haben Handlung und Leben.


Ein Sarcophag mit eben dieſer Fabel.
Dieſe Vorſtellung hat in Anſehung des Gedankens
Vorzuͤge vor jener. Die Zuſammenſetzung iſt ſimpler
und gefaͤlliger. Endymion ruht wieder in Morpheus
Armen. Ein Amor zieht Dianen herbei, ſeine Bruͤ-
der halten ihren Wagen.


Ein Sarcophag mit dem Streite der
Amazonen wider die Griechen.
Ein Basrelief
von eben ſo trefflicher Arbeit als Zuſammenſetzung und
unſtreitig eins der ſchoͤnſten, die ich kenne. An den
Ecken zwei ſchoͤne Maſken.


Statuen.

Eine ſchoͤne Figur eines jungen Man-
nes, der mit dem Arme auf dem Knie des Bei-
nes ruht, das er auf einen Stein ſetzt.
Man
nennt ihn ohne allen Grund einen Pancratiaſten. 17)
Das
[213]Das Capitol.
Das gekruͤmmte Bein, auf welches er ſich ſtuͤtzt, iſt
nebſt der Naſe neu, und der Koͤrper in der Mitte
aus zweien Stuͤcken zuſammengeſetzt. Der Kopf
iſt ſchoͤn.


Amor ſpannt den Bogen. Kopf, Leib
und Schenkel ſind allein antik und ſchoͤn. Vorzuͤglich
die letzten. Arm, Beine, Tronk, ein Theil der
Fluͤgel und Bogen ſind modern. Man ſieht aus den
Spuhren, wo der alte Bogen geſeſſen hat, daß die
Art, denſelben zu ſpannen, ganz von derjenigen ver-
ſchieden geweſen ſey, die der moderne Kuͤnſtler ange-
nommen hat. Denn jetzt legt er den Bogen vor die
Beine, und nach der ehemaligen Stellung muͤßte er
ihn zwiſchen den Beinen gehalten haben.


Maſke eines Satyrs von gutem Charakter.


Zweites Zimmer oder Zimmer
des Hercules.


Statue eines jungen Mannes, den manCapitolini-
ſcher Anti-
nous.

gemeiniglich Antinous nennt, und deſſen Kopf
unter dieſer Benennung in Deutſchland vielfaͤltig in
Gipsabdruͤcken verkauft wird. Man hat bereits
lange den Ungrund dieſer Benennung eingeſehen,
indem nicht die geringſte Aehnlichkeit zwiſchen dieſem
und andern als ſolchen anerkannten Koͤpfen ſich findet.
Der Ort, wo die Statue gefunden worden, naͤmlich
die Villa Hadrians zu Tivoli, kann das Gegentheil
allein nicht darthun, fuͤhrt aber auf eine andere Ver-
muthung, die viel mehr Wahrſcheinlichkeit zu haben
O 3ſcheint.
[214]Das Capitol.
ſcheint. Man glaubt naͤmlich den Kopf des Kaiſers
Hadrian als Juͤngling darin zu ſehen. Ich vermag
daruͤber nicht zu entſcheiden. So viel ſcheint mir ge-
wiß, daß der Kopf das idealiſirte Portrait eines jun-
gen Mannes vorſtellt. Die Augenbraunen ſind ſo
wie die Augaͤpfel angedeutet. Der Kopf iſt augen-
ſcheinlich aufgeſetzt, er iſt aber darum nicht weniger
antik, und wahrſcheinlich iſt er fuͤr die Statue ſelbſt
urſpruͤnglich beſtimmt geweſen.


Die ganze Stellung zeigt einen Menſchen an,
der von aller Anmaaßung zu gefallen entfernt iſt, und
dieſe Nachlaͤßigkeit iſt voller Reitz. Die Umriſſe ſind
aͤußerſt fließend.


Der Marmor iſt ſchoͤn, und die Arbeit vor-
trefflich. Das eine Bein, beide Fuͤße, ein Arm,
und die beiden erſten Finger der rechten Hand
ſind neu.


Man kann von dieſer Statue nicht ſagen, daß
ihre Schoͤnheit an das hohe Ideal reiche, aber ſie
zieht dem ohngeachtet ſehr an, und vielleicht eben dar-
um, weil ſie uns nicht zu ſehr uͤber das gewoͤhnliche
Maaß menſchlicher Schoͤnheit hinaus ruͤckt.


Was man am meiſten daran lobt, ſind die gu-
ten Verhaͤltniſſe: Darum haben Fiammingo und
Pouſſin auch viel nach ihr ſtudirt. Sonſt wirft man
der Lage und der Form der Muſkeln mit Recht einige
Unbeſtimmtheit vor.


Ein coloſſaliſcher Apollo. Er lehnt den ei-
nen Arm auf den Kopf, mit der Hand des andern haͤlt
er eine Leier; zu ſeinen Fuͤßen ſteht ein Greif. Es
koͤmmt mir vor, als ſey die Stellung unedel, und als
contraſtire
[215]Das Capitol.
contraſtire die Weichheit der Form mit der Groͤße der
Figur. Die Bruſt iſt nicht genung erhoben. Die
ganze Figur hat ſehr gelitten.


Ein Hercules als Knabe, der die Schlan-
gen erdruͤckt.
Der Kopf, der ein Portrait zu ſeyn
ſcheint, hat viel Charakter, aber der Koͤrper, etwas
ſchlauchartig, koͤmmt ihm an Schoͤnheit nicht bei.
Der rechte Arm iſt modern.


Ein altes Weib mit einer Flaſche, aus dem
Pallaſt Veroſpi. Der Kopf iſt mit Weinlaub be-
kraͤnzt. Es hat wenig Verdienſt in Anſehung der
Kunſt, auch ſcheinen mir ſowohl der Kopf als die eine
Hand und der eine Fuß modern zu ſeyn.


Ein Kind, das ſich mit der Maſke bedeckt.
Ein ſehr ſchoͤnes Werk, woran die Beine modern
ſind.


Hercules, der die Hydra toͤdtet, und zwar
ſo, daß er die Koͤpfe der Schlangen mit einer Fackel
verbrennet. Sie ſtand ehemals im Pallaſt Veroſpi.
Kopf und Rumpf ſind allein antik, und nicht außer-
ordentlich. Der antike untere Theil dieſer Statue
findet ſich in dem Porticus des Hofes dieſes Pallaſtes.
Der moderne iſt vom Algardi.


Das ſchoͤnſte Kind, was ſich aus demSchoͤnes
Kind.

Alterthume erhalten hat, mit einem Schwane
ſpielend.
18) Man hat Recht, ſich auf daſſelbe ge-
gen das gemeine Vorurtheil zu berufen, als haͤtten
die Alten keine ſchoͤnen Kinder gebildet. An dem
unſrigen iſt der Ausdruck vortrefflich, und das Fleiſch
von großer Wahrheit.


O 4† Pſyche
[216]Das Capitol.

Pſyche mit Papillons-Fluͤgeln. In
dem Augenblick, wo ſie dem fliehenden Amor nachſieht.
Der Ausdruck iſt eben ſo ſchoͤn als die Stellung.
Man ſieht eine Wiederholung dieſer Statue in Flo-
renz, unter der Sammlung der Statuen, die zur
Gruppe der Niobe gehoͤren, aber ſie koͤmmt dieſer an
Schoͤnheit nicht bei. Der linke Arm, und die rechte
Hand, die auf die Bruſt gelegt iſt, ſind modern, und
moderne Unwiſſenheit war es, durch die man bei der
Reſtauration eine ſtarke Warze in die Bruſt fuͤgte,
die ſich mit dem zarten Alter der Schweſter und de[r]
Geſpielin der Grazien nicht raͤumen laͤßt.


Venus und Mars. Beide Koͤpfe ſind Pa-
traits. Der Kopf der Venus gleicht der Fauſtina,
welches auch das Diadem anzudeuten ſcheinet. Der
Kopf des Mars iſt von gemeiner Natur, und traͤgt
einen Knebelbart. Wahrſcheinlich ſind beide Figuren
ohne Koͤpfe gefunden worden. Man hat ſie fuͤr eine
Fauſtina mit dem Gladiator gehalten, und ihnen in
Gemaͤßheit dieſer Idee zwei fuͤr ſie nicht paſſende Koͤpfe
aufgeſetzt. Die Italieniſche Beſchreibung nennt dieſe
Gruppe Coriolan mit der Mutter, ohne allen
Grund. 19) Die Hand, womit Mars die Lanze
haͤlt,
[217]Das Capitol.
haͤlt, iſt neu. Die Figur der Venus iſt dadurch
noch merkwuͤrdiger geworden, daß Winkelmann 20)
in dem unterſten der beiden Guͤrtel, von denen die
weibliche Figur einen hart unter den Bruͤſten, den
zweiten uͤber den Huͤften traͤgt, den beruͤhmten Ceſtus
der Venus zu finden glaubte.


Coloſſaliſche Statue eines Jaͤgers, der
an einen Baum gelehnt, einen Haſen in die
Hoͤhe haͤlt.
Sie muß aus einem Basrelief in der
Villa Albani erklaͤrt werden. Dort iſt ein Hund hin-
zugefuͤgt, der nach dem Haſen ſpringt. Hier aber
iſt der Hund verlohren gegangen. Doch findet man
auf der Baſe noch die Spuhr, wo derſelbe geſtanden
hat. Die Figur des Mannes, an der ſich keine
Hauptergaͤnzungen finden, iſt von ſchoͤner, jedoch nicht
uͤber die Natur gehobener Form.


Amor und Pſyche. Amor druͤckt Kuͤſſe
auf Pſychens Lippen. Eine bekannte Gruppe, an
der Gedanke und Ausdruck mehr als die Ausfuͤhrung
O 5zu
19)
[218]Das Capitol.
zu loben ſind. Andere nennen dieſe Figuren Kaunus
und Biblis: Ohne hinreichenden Grund. 21)


Ein Dreifuß mit drei Greiffen.


Eine ſchoͤne Buͤſte, der man den Nah-
men Miltiades beilegt,
und die vielmehr ein Hercu-
les zu ſeyn ſcheinet.


Eine ſchoͤne Herme eines ſogenannten Plato,
oder vielmehr eines Jupiter placidus.


Jupiter pla-
cidus, ter-
minalis,
ſonſt auch
Plato ge-
nannt.
Ueber Her-
men und
Termen
uͤberhaupt.

Daß dieſe Koͤpfe nicht den Plato vorſtellen, hat
Winkelmann 22) ausgefuͤhrt. Es ſind Hermen mit
dem Kopfe irgend eines Gottes, entweder des Jupi-
ters, oder auch des indiſchen Bacchus.


Hermen ſind urſpruͤnglich Pfaͤhle in Geſtalt eines
Cubus, und in Athen Sinnbilder des Mercurs gewe-
ſen. Bei der Verfeinerung der Kunſt hat man dieſen
Pfaͤhlen Koͤpfe gegeben, und da man nachher fand,
daß dieſes eine bequeme Art ſey, einen Kopf aufzuſtel-
len, ſo ſchraͤnkte man ſich nicht blos auf den Mercur
ein, man gab auch den Koͤpfen anderer Goͤtter, ja
der Helden und beruͤhmter Leute uͤberhaupt, ſolche Un-
tergeſtelle. Sie wurden vorzuͤglich in Gymnaſien
und Bibliotheken ſehr gebraͤuchlich. Die Roͤmer be-
nutzten nachher dieſe Vorſtellungsart bei der Bildung
ihrer Termen, ihrer Graͤnzſteine: Termen, beruhen
auf religioͤſen Ideen, ſind ſelten Gegenſtand der ſchoͤ-
nen Kunſt, und den Griechen nicht bekannt geweſen.
Wer
[219]Das Capitol.
Wer alſo mit Beſtimmtheit ſprechen will, wird
Herme und Terme nicht verwechſeln. Allein dem
Liebhaber, der ſich nach dem gemeinen Sprachge-
brauch richtet, gelten beide Nahmen fuͤr einen Kopf
auf einem viereckigten Pfeiler, der ſich nach unten zu-
ſpitzt, und mit dem er zuſammenhaͤngt.


Diejenigen, welche unter dem Nahmen Plato
bekannt ſind, werden durch einen guͤtigen offenen Blick
voll Adel, durch einen geraden und zugeſpitzten Bart,
und durch lange vorn auf die Bruſt theils hinten her-
abhaͤngende Locken, die ſich an den Tronk anſchließen,
bezeichnet. Man kennt ſie auch unter dem Nahmen
eines Jupiter terminalis.


Zwei junge Faunen als Floͤtenſpieler. Wie-
derholung des beruͤhmten Floͤtenſpielers in der Villa
Borgheſe. Der Kopf des einen, zu deſſen Fuͤßen ein
Ochſe ruhet, iſt modern.


Ein ſchoͤner weiblicher Kopf, Sappho ge-
nannt,
als Herme. Die Haare haͤngen theils hin-
ten lang herunter, theils in zwei gekraͤuſelten Locken
auf die Bruſt. Ich halte dieſen Kopf fuͤr ein Ne-
benſtuͤck des Jupiter terminalis.


Eine weibliche ſitzende und drappirte Fi-
gur,
die unter dem Nahmen Agrippina bekannt iſt.
Die Stellung hat Wahrheit, und die Wahl in dem
Wurfe der Gewaͤnder und in der Faltenordnung wei-
ſen ihr einen vorzuͤglichen Platz in der Sammlung die-
ſer Statuen an. Die Idee, den Arm in der um den
Stuhl geſchlagenen Drapperie ruhen zu laſſen, iſt ſehr
gluͤcklich.


Großer
[220]Das Capitol.

Großer Saal.


Die beiden Paͤbſte InnocenzX.und Cle-
mens
XII.aus Bronze. Die Statue Innocenz
des X. iſt vom Algardi, und hat den Vorzug einer
ſehr weiſen und wohlverſtandenen Compoſition. Sie
iſt auch ſehr richtig gezeichnet. Inzwiſchen ſcheinet
ein Mantel von reichem Stoffe nie ein ſchicklicher Ge-
genſtand fuͤr den Meiſſel zu ſeyn. Er gibt große haͤß-
liche Maſſen von Falten, die eher Felſen als Gewaͤn-
dern gleichen.


Die Bild-
hauerkunſt
folgt in der
Wahl der
Gewaͤnder
andern Ge-
ſetzen als die
Mahlerei.

Die Bemerkung, daß in der Mahlerei dieſe groſ-
ſen Flaͤchen ſehr geſchickt ſind, das Licht oder den
Schatten zuſammen zu halten, hat die Bildhauer,
welche die Graͤnzen ihrer Kunſt verkannten, zur Nach-
ahmung dieſer Behandlung der Gewaͤnder verfuͤhrt.
Allein ſie haben dadurch nicht allein dem Auge dasje-
nige entzogen, was es in der Bildhauerei am liebſten
zu ſehen wuͤnſcht, die Formen nackter Koͤrper, ſon-
dern ſie haben auch die Wahrheit in Darſtellung der
Stoffe verfehlt, welche in der Mahlerei durch Farben
ſinnlich gemacht werden, in der Bildhauerei aber
durch die Schlaffheit, womit ſie ſich den Formen
feſter Koͤrper anſchmiegen.


Der Ludo-
viſiſche Fech-
ter.

Der ſterbende Fechter, ſonſt auch der Lu-
doviſiſche genannt, weil er ehemals in der Villa Ludo-
viſi ſtand. In Anſehung der hiſtoriſchen Bedeutung
dieſer Statue beziehe ich mich auf die Note. 23)


Dem
[221]Das Capitol.

Dem Liebhaber der Kunſt ſtellt ſie einen ſterben-
den Menſchen vor, der niedergefallen, noch einmahl
alle ſeine Kraͤfte zuſammenrafft, um ſich wieder em-
por zu heben, aber unter Schwaͤche erliegt. Dieſer
Aus-
23)
[222]Das Capitol.
Ausdruck iſt unvergleichlich, und kann der Natur
nicht naͤher kommen. Ein Reſt von Wuth zwaͤngt
ſeine Augenbraunen zuſammen, ſonſt lieſt man in jeder
Muſkel das Ohnmaͤchtige der letzten Spannung.
Man muß vorzuͤglich die Kunſt bewundern, mit der
der Kuͤnſtler das Schlaffe desjenigen Theils des Koͤr-
pers ausgedruͤckt hat, den er beim Heben nicht beſon-
ders anſtrengt. Die Zeichnung iſt ſehr richtig, und
das Spiel der Muſkeln vortrefflich. Wenn Winkel-
mann
b)
[223]Das Capitol.
mann 24) ſagt, daß dieſes Werk nicht aus der beſten
Zeit der Kunſt ſey, ſo hat er in dieſem Urtheile auf
den Mangel des Adels im Ausdrucke und auf den
Mangel des Ideals der Schoͤnheit Ruͤckſicht genom-
men. Dieſe beiden Stuͤcke fehlen freilich. Der ganze
Koͤrper iſt von gemeiner Natur, und vorzuͤglich der Kopf
mit dem Knebelbarte. Aber in Anſehung der aͤußerſt
wahren Nachahmung der Natur, die vielleicht in die-
ſem Stuͤcke ſo hoch als je in einem andern getrieben iſt,
wird es ein merkwuͤrdiges Denkmahl jenes Zeitalters
bleiben, in dem die Kuͤnſte bluͤheten.


Man wird vielleicht die Frage aufwerfen: War-Warum der
Autor es nur
ſelten wagt,
die Epoche
anzugeben,
in der ein al-
tes Kunſt-
werk verfer-
tiget iſt.

um ich nicht bei den Werken des Alterthums, mehr
Ruͤckſicht auf die Beſtimmung der Epochen nehme,
in denen ſie verfertigt worden; auf Feſtſtellung von
Stilen nach verſchiedenen Zeitaltern. Es ſcheint,
daß nach dem was Winkelmann darunter vorgearbei-
tet hat, die Sache an ſich leicht, und ohne beſondere
Schwierigkeit ſeyn duͤrfte. Allein man darf nur den
vortrefflichen Aufſatz des Herrn Hofraths Heyne 25)
uͤber die Kuͤnſtlerepochen beim Plinius leſen, um
meine Behutſamkeit in dieſem Stuͤcke zu billigen.
Nach dieſem Aufſatze leidet es keinen Zweifel mehr,
daß
[224]Das Capitol.
daß der ganze hiſtoriſche Theil im Winkelmanniſchen
Werke ſo gut wie unbrauchbar iſt.


Es iſt keine Sache fuͤr den Liebhaber, die Pruͤ-
fung der Quellen, und darnach eine beſtimmte Zeit-
ordnung der Kuͤnſtler, von deren Werken noch Nach-
richten vorhanden ſind, vorzunehmen. Den rohen
Anfang der Kunſt koͤnnen wir allerdings von ihrer
Ausbildung, und dieſe wieder von ihrem gaͤnzlichen
Verfall unterſcheiden: und Werke, welche dieſe Ab-
ſtufung anzeigen, ſind auch mit dieſem charakteriſti-
ſchen Unterſcheidungszeichen, da wo ſie vorkommen,
angezeigt. Aber die feinern Nuͤancen, die Grade
der Vollkommenheit und des Abfalls in ununterbroche-
ner Folge zu beſtimmen, leidet die Abſicht dieſes
Werks nicht: theils der Unſicherheit, theils des weni-
gen Nutzens wegen, den es fuͤr die Kenntniß des
Schoͤnen haben duͤrfte.


Ein anderer Gladiator, an dem Kopf, Arm
und Beine neu und von Monot ergaͤnzt ſind. Der
Ergaͤnzung nach, hat er die Stellung eines Menſchen,
der im Liegen ſich gegen einen Angriff, der von oben
koͤmmt, vertheidigt. Der Stil hat in dem was alt
iſt, etwas aͤhnliches mit demjenigen, den wir in eini-
gen Soͤhnen der Niobe bemerken, daher man ihn zu
der Claſſe dieſer Statuen rechnet. Andere halten
ihn, der Aehnlichkeit wegen mit der Statue im Pal-
laſt Maſſimi, urſpruͤnglich fuͤr einen Diſcobolus.


Die beiden Centauren des Furietti aus
ſchwarzem Marmor. Der Stil iſt etwas trocken,
und beide Figuren haben ſehr gelitten. Sie ſtellen
einen alten und einen jungen Centauren vor. Der
juͤngere
[225]Das Capitol.
juͤngere ſchlaͤgt einen Schnipper mit den Fingern, dem
aͤltern ſind die Haͤnde auf den Ruͤcken gebunden. 26)
Der juͤngere hat ganz den Charakter eines Fauns und
ſogar kleine Hoͤrner auf der Stirne. Man ſieht an
beiden Spuhren, daß ein Amor auf ihrem Ruͤcken ge-
ſeſſen hat. Man fand ſie mit hohlen Augen, und
ſetzte ihnen Augaͤpfel von Chriſtall ein. Sie ſind an
Schoͤnheit beide weit unter dem Centauren in der
Villa Borgheſe.


An dem Sockel ſteht der griechiſche Nahme des
Meiſters. Ich fuͤhre dies nur an, um fuͤr das Vor-Warnung
fuͤr das Vor-
urtheil: daß
der beige-
fuͤgte Nah-
me des
Kuͤnſtlers
ein Beweis
der Vortreff-
lichkeit des
Werks ſey.

urtheil zu warnen, daß der beigefuͤgte Nahme des
Kuͤnſtlers immer auf einen beſondern Grad der Vor-
trefflichkeit eines Kunſtwerks ſchließen laſſe.


Eine coloſſaliſche Statue eines jungen
Mannes im Aegyptiſch-griechiſchen Stile.
Viele
nennen dieſelbe einen Aegyptiſchen Prieſter; andere
einen Antinous. Sie hat einen außerordentlichen
Ausdruck von Staͤrke, den der Kuͤnſtler herausge-
bracht hat, indem er das Aegyptiſche Idol das er
wahrſcheinlich zum entfernten Vorbilde hatte, veredelte,
und das Unbehuͤlfliche an jenem hier in ſtaͤmmige
Statur, die ſteife Stellung in feſten Antritt umſchuf.


Ueberhaupt ſieht man an dieſer Figur die deutliche
Vermiſchung des Aegyptiſchen und griechiſchen Stils.
Sie traͤgt einen Schurz und einen Aegyptiſchen Kopf-
putz. Wahrſcheinlich diente ſie zur Caryatide, wel-
ches die Aehnlichkeit mit den beiden Statuen aus ro-
them
Erſter Theil. P
[226]Das Capitol.
them Granit, die ehemals zu Tivoli ſtanden, und jetzt
im Muſeo Vaticano aufgehoben werden, noch mehr
beſtaͤtigt. Die unſrige ſoll aus zwei Stuͤcken in der
Mitte zuſammengeſetzt ſeyn. 27)


Eine Muſe mit drei Federn auf dem Kopfe zum
Zeichen des uͤber die Syrenen erhaltenen Sieges.
Die Drapperie iſt unvergleichlich. Die Haͤnde ſind
reſtauriret mit Attributen einer Ceres.


Hygea. Die Haͤnde ſind modern, ſo wie die
Attribute. Drapperie und Kopfputz ſchoͤn. Der
Kopf ſcheint ein Portrait.


Die beruͤhmte Praefica. Ein ekelhaftes
altes Weib. Die Ausfuͤhrung iſt ſo ſchlecht als die
Idee. 28)


Marc Aurel. Der Torſo ſchoͤn.


Ein junger Mann mit einer Hauptbinde.
Arm und Beine modern. Man nennt ihn: Ptolo-
maͤus. Ich halte ihn fuͤr die Siegerſtatue eines jun-
gen Athleten. Denn dies bezeuget nicht nur die große
Aehnlichkeit zwiſchen dieſer Statue und den andern,
die im Pallaſt Farneſe als Ringer anerkannt werden,
ſondern ſelbſt die Hauptbinde. 29) Die Haate ſind in
laͤnglich-
[227]Das Capitol.
laͤnglichte Locken reihenweiſe neben einander gelegt,
und unten geringelt. Der Stil hat ein wenig
Haͤrte. 30)


Die beruͤhmte griechiſche Iſis.31) DieGriechiſche
Iſis.

Haͤnde mit einem Theile des Armes ſind neu. Sie
iſt vorzuͤglich wegen des Eigenthuͤmlichen der Kleidung
merkwuͤrdig. Sie traͤgt einen Schleier auf dem
Kopfe, der mit Frangen gezieret iſt, und oben dar-
auf eine Lotusblume. Unter dieſem Schleier hervor
fallen zwei Locken auf die Schultern. Sie traͤgt ein
Unterkleid von feiner Leinewand, deſſen Ermeln wahr-
ſcheinlich an den Knoͤcheln eng zugegangen ſind. Der
Mantel iſt auf eine der Iſis ganz eigenthuͤmliche Art
P 2umge-
[228]Das Capitol.
umgeworfen, und hat wahrſcheinlich vier Zipfel ge-
habt. Zwei davon ſind uͤber die Schultern geſchla-
gen, und in der Mitte der Bruſt in einen Knoten zu-
ſammen geſchuͤrzt.


Dieſe Statue iſt ein Beiſpiel einer nach griechi-
ſchen Begriffen umgeformten Vorſtellungsart einer ur-
ſpruͤnglich Aegyptiſchen religioͤſen Idee.


Ein Apollo der die Leier anſchlaͤgt, und den
Blick gen Himmel kehrt. Der Kopf hat einen ſchoͤ-
nen Ausdruck. Der Kopfputz iſt zu bemerken, denn
die Haare ſind hinten zuſammen und aufgebunden,
wie es ſonſt bei den Statuen der Grazien und der
Venus gewoͤhnlich iſt. Zu den Fuͤßen dieſer Statue
ein Schwan. Der Charakter des Apollo aͤhnelt hier
dem Bacchus. 32)


Eine bekleidete Muſe, deren Gewand ſchoͤn
geworfen iſt. Sie iſt als Ceres, den modernen
Haͤnden nach, reſtauriret. Der Kopf iſt aufgeſetzt,
und ſcheint eine Lucilla, Gemahlin des Lucius Ve-
rus, zu ſeyn.


Ein junger unbekleideter Mann, dem man
den Kopf eines Auguſtus aufgeſetzt hat. In den mo-
dernen Haͤnden haͤlt er eine Weltkugel und einen
Scepter.


Eine ſtehende bekleidete maͤnnliche Figur,
Conſular-Statue.
Man hat ihr einen ſehr aus-
drucksvollen Kopf aufgeſetzt, und ihr deswegen ohne
weitern Grund den Nahmen Marius beigelegt. 33)


Ein
[229]Das Capitol.

Ein Faun, der ſich auf einen Stamm lehnt,
die linke Hand in die Seite ſtuͤtzt, und in der rechten
eine Floͤte haͤlt. Ich habe keine betraͤchtliche Ergaͤn-
zungen daran bemerkt. Unter den vielen Wiederho-
lungen aͤhnlicher Vorſtellungen, die man in Rom
ſiehet, iſt dieſe unſtreitig die ſchoͤnſte. Das Geſicht
hat etwas ſehr gefaͤlliges, und nichts von dem baͤuri-
ſchen Laͤcheln, das man gemeiniglich in andern Sta-
tuen von Faunen ſieht. Es iſt vielmehr die Darſtel-
lung einer ſchoͤnen aber unverfeinerten Natur.


Ich habe bereits oben den ungegruͤndeten Unter-Charakter
der Faunen.

ſchied bemerkt, den man gemeiniglich zwiſchen Fau-
nen und Satyren macht. Der Herr Hofrath
Heyne 34) hat, wie mich duͤnkt, unwiderlegbar dar-
gethan: daß Faun der roͤmiſche Nahme des griechi-
ſchen Satyrs ſey. Der allgemeine Charakter der
Faunen oder Satyren uͤberhaupt iſt laͤndliche Einfalt,
unverfeinerte Natur: Die auffallendſten Beſtim-
mungszeichen ſind ſpitze Ohren und Geisſchwanz, im-
gleichen Warzen unter dem Kinn, (letztere ſind jedoch
an den edleren Figuren ſelten,) die ſie wahrſcheinlich
der Bekleidung roher Menſchen mit Thierhaͤuten zu
verdanken haben.


Allein es iſt mir keine Vorſtellungsart unter den
Antiken bekannt, die die alten Kuͤnſtler von der rohen
baͤuriſchen Ausgelaſſenheit an, bis zur Grazie laͤndli-
cher Unbefangenheit auf ſo mannichfaltige Art modifi-
ciret haͤtten. Der Faun in Florenz und der Faun im
Capitol ſcheinen kaum Weſen einer Art zu ſeyn.


P 3Dieſer
[230]Das Capitol.

Dieſer letzte, (Muſ. Cap. nr. 32.) iſt aber der-
jenige, deſſen Charakter und Stellung am haͤufigſten
wiederholt ſind, und von ihm und ſeinen Geſellen gilt,
was Winkelmann 35) ſagt: Da ſich in Rom uͤber
dreißig Statuen junger Satyre oder Faunen befinden,
die ſich aͤhnlich im Stande und Gebaͤhrden ſind, ſo iſt
glaublich, daß das Original dieſer Figuren der be-
ruͤhmte Satyr des Praxiteles geweſen ſey.


Der Herr Hofrath Heyne 36) aͤußert die Ver-
muthung, daß die Faunen dieſer Art Copeien nach
dem Gemaͤhlde des Protogenes, eines an einer Saͤule
ruhenden Satyrs mit einer Floͤte in der Hand, des
Anapavomenos, ſeyn koͤnne. Auf unſern Satyr
paßt ferner jenes andere Zeugniß Winkelmanns, daß
ſich unter den jungen Faunen ſo ſchoͤne finden, daß ſie
mit dem Bacchus verwechſelt werden koͤnnen.


Juno aus
dem Pallaſt
Ceſi.

Juno, ehemals im Pallaſt Ceſi. Die eine
Bruſt, beide Arme und der eine Fuß ſind modern.
Sie wird fuͤr eine der ſchoͤnſten Statuen in dieſer
Sammlung gehalten. Die ganze Figur praͤgt Ehr-
furcht ein, ohne etwas zuruͤckſtoßendes zu haben. Es
iſt die Schoͤnheit des reiferen Alters. Das Gewand
iſt vorzuͤglich ſchoͤn, doch ſcheint es ein wenig zu ge-
kuͤnſtelt.


Eine weibliche bekleidete Figur, die in den
Haͤnden, um die ſie den Mantel gewickelt hat, ein
Gefaͤß traͤgt. Man nennt ſie des Schleiers wegen,
Veſtalin, und gibt ihr ſogar, ohne allen Grund,
den
[231]Das Capitol.
den beſtimmten Nahmen Tuſcia. 37) Der Gedanke
iſt reitzend, und das Gewand ſehr ſchoͤn. Der Kopf
der ſehr gefaͤllig iſt, ſcheint ein Portrait zu ſeyn. Die
Arme ſind in Proportion mit der uͤbrigen Figur zu
kurz.


Eine Amazone. Unten ſtehet die Innſchrift:
ϹΩϹΙΚΛΗ. Die Mine hat etwas melancholiſches.
Sie blickt auf eine Wunde, die ſie auf der Bruſt hat,
und dieſe Wendung iſt reitzend. 38 a)


Ein junger Mann mit einer Hauptbinde.
Einige Haare fallen in laͤnglichten reihenweiſe neben
einander gelegten und unten geringelten Locken auf die
Schultern. Der Kopf und Koͤrper beide ſchoͤn, ha-
ben doch eine gewiſſe Haͤrte, die auf einen aͤltern Stil
ſchließen laͤßt. Die Haare uͤber der Schaam ſind
angegeben.


Ich halte dieſe Figur wieder fuͤr einen Ringer.
Sie iſt als Apollo reſtaurirt, und wird gemeiniglich:
Ptolomaͤus genannt.


Venus in der Stellung der Mediceiſchen,
aber ſehr viel groͤßer. Der Torſo iſt ſchoͤn. Kopf
P 4und
[232]Das Capitol.
und Arme koͤnnen modern ſeyn. Sie ſtand ehemals
in der Villa Eſte.


Eine coloſſaliſche weibliche Statue mit ei-
nem ſchoͤnen Gewande.
Man nennt ſie Clemen-
tia. In dem Muſeo Capit. wird ſie Juno genannt.
Die Arme ſind modern.


Harpocrates. Unter der Figur eines zwoͤlf-
jaͤhrigen Knabens. Auf dem Kopfe traͤgt er eine Lo-
tusblume, und ſeine Haare haͤngen lang herab. Er
iſt ein wenig zu feiſt, zu wohl genaͤhrt: Die Mus-
keln ſind zu ungewiß angegeben. Die Behandlung des
Marmors iſt vortrefflich. Die Figur hat ſich beinahe un-
beſchaͤdigt auf uns erhalten. Auch hier iſt die gaͤnzliche
Umſchaffung einer urſpruͤnglich religioͤſen Idee der Ae-
gyptier nach griechiſchen Schoͤnheitsbegriffen auffallend.


Bedeutung
des Harpo-
crates, fruͤ-
here und ſpaͤ-
tere Bildung
deſſelben.

Harpocrates war das Sinnbild der Sonne, die
ſich nach dem kuͤrzeſten Tage dem Aequinoctio naͤhert:
Orus aber Sinnbild der Sonne, die ſich nach dem
laͤngſten Tage dem Aequinoctio naͤhert. Urſpruͤnglich
ſaß er mit krummen Beinen den Finger am Munde
auf einer Lotusblume. Er hatte einen kahlen Kopf,
eine Locke auf der rechten Seite und krumme Beine.
Die Griechen verfeinerten die Vorſtellung, und leg-
ten ihr die fremde Bedeutung des Stillſchweigens bei.


Zimmer der Philoſophen.


Man ſieht hier einige ſehr ſchoͤne Basreliefs,
die aus einem Tempel des Neptuns genommen ſind,
und allerhand Opfergeraͤthe vorſtellen, imgleichen
Schiffsſchnabel, Anker und dergleichen. Sie ſind
gut gearbeitet.


An
[233]Das Capitol.
An Statuen finden ſich in dieſem
Zimmer:

Ein Sohn und eine Tochter der Niobe.Ueber die
Statuen die
man fuͤr Ue-
berbleibſel
ehemaliger
Gruppen der
Familie der
Niobe haͤlt.

So nennt man in Rom diejenigen nackten Statuen,
die ihrer Stellung nach zu jener Fabel paſſen, und in
dem Stile, der etwas hart und trocken iſt, den Figu-
ren der Gruppe in Florenz nahe kommen. Daß das
ungluͤckliche Schickſal der Kinder der Niobe ein oft
wiederholter Gegenſtand der alten Kunſt geweſen ſey,
leidet keinen Zweifel. Darum moͤchte ich aber die
Gewaͤhr nicht uͤbernehmen, daß alle die Figuren, die
man fuͤr zerſtreute Ueberbleibſel ſolcher Vorſtellungen
ausgibt, es wuͤrklich ſind. Die maͤnnlichen wer-
den gewiß oft mit Ringern verwechſelt, und die
weiblichen haben ſchon oft fuͤr Pſyche u. ſ. w. gelten
muͤſſen.


Sonderbar ſind hier die angedeuteten Haare uͤber
der Schaam des Juͤnglings.


Eine ſtehende bekleidete Figur eines al-Zeno.
ten Mannes, wahrſcheinlich eines Philoſophen, be-
kannt unter dem Namen Zeno. Eine Statue voller
Wahrheit. Die Zeichnung iſt ſehr richtig, und das
Gewand vortrefflich. Als Vorſtellung des ernſten,
nicht uͤber die gemeine Natur erhabenen, Alters,
kann man dieſes Werk claſſiſch nennen. Der Nahme
iſt ihm ohne Grund beigelegt.


Buͤſten.

Unter der großen Menge von denen, die hier
ſtehen, und die groͤßeſtentheils Dichter, Philoſophen
und griechiſche Helden abzubilden ſcheinen, bemerke
P 5ich:
[234]Das Capitol.
ich: Epicur und Metrodor, eine Herme mit zwei
Koͤpfen, Diogenes, Mithridates, und den letz-
ten unter den vier Koͤpfen Homers,
als die vor-
zuͤglichſten.


Wie Buͤſten,
als Bildniſſe
beſtimmter
Perſonen, in-
tereſſiren
koͤnnen,
wenn wir
gleich von
den wenig-
ſten den Nah-
men mit Ge-
wißheit an-
zugeben im
Stande ſind:
Gruͤnde die-
ſer Ungewiß-
heit.

Inzwiſchen verdienen die meiſten eine beſondere
Aufmerkſamkeit. Ich kenne nichts Intereſſanteres,
als in Geſichtsbildungen aus ſo entfernten und das Ge-
fuͤhl der inneren Wuͤrde des Menſchen ſo hebenden Zei-
ten, Seelen aufzuſpuͤhren, die wir nach unſerer durch
Erfahrung unterſtuͤtzten Einbildungskraft paſſend fuͤr
ſie halten.


Das Vergnuͤgen wuͤrde unſtreitig um ein großes
lebhafter ſeyn, wenn wir mit einiger Gewißheit den
Charakter, den jede Figur in ihrem Leben behauptet,
die Rolle, die jede in der Geſchichte geſpielet hat, an-
zugeben wuͤßten. Allein darauf muͤſſen wir gemeini-
glich Verzicht thun, und uns den Genuß genuͤgen laſ-
ſen, den der Anblick einer edeln aber unbekannten Ge-
ſichtsbildung denen gewaͤhrt, die Sinn fuͤr das aͤußere
Gepraͤge der Seelengroͤße haben.


Wir folgen bei der Bezeichnung einer Buͤſte
mit einem gewiſſen Nahmen immer nur ſehr unſichern
Selbſt die
von Alters
her eingegra-
benen Nah-
men entſchei-
den nichts
fuͤr die Treue
der Nachbil-
dung.
Wegweiſern. Die Nahmen, die ſich auf der Baſe
der Buͤſten eingegraben finden, ſind ſelten alt, und
wenn ſie es ſind, ſo gehoͤren oft Kopf und Baſe nicht
zuſammen. Ja! ſchon in alten Zeiten waren die
Bildniſſe großer Maͤnner oft verlohren gegangen, und
die Begierde, ihr Andenken lebhaft zu erhalten, ver-
fuͤhrte zuweilen die Liebhaber großen Nahmen eine Bil-
dung andichten zu laſſen, mit der man ſich ungefaͤhr
ihren bekannten Charakter zuſammen denken konnte.


Eine
[235]Das Capitol.

Eine andere Erklaͤrungsart nimmt man von den
Bildniſſen auf Muͤnzen, die mit den Buͤſten, die
man erklaͤren will, einige Aehnlichkeit haben. Allein,
wie verſchieden iſt das Gefuͤhl fuͤr Aehnlichkeit bei der
verſchiedenen Art zu ſehen der meiſten Menſchen.
Die kleine Form der Bildniſſe auf Muͤnzen, ihre zum
Theil unbeſtimmte Zeichnung macht die Wiedererken-
nung ſehr unzuverlaͤßig. Sie ſind ſelbſt unter einan-
der in der Bildung einer und eben der Perſon verſchie-
den. Oft bringt das Alter allein dieſe Verſchiedenheit
hervor. Oft die Erhoͤhung der gemeinen Natur zum
Ideal. Selbſt die Uebereinſtimmung in der Klei-
dung, in dem Kopfputze mehrerer Perſonen deſſelben
Zeitalters muß zu Verwechſelungen und folglich auch
zu Irrungen verfuͤhren. Zu geſchweigen, daß ſich
von beruͤhmten Maͤnnern nur wenige ungekroͤnte auf
Muͤnzen finden.


Bei Erklaͤrungen, die man von geſchnittenen
Steinen hernimmt, wird die Schwierigkeit der richti-
gen Beſtimmung noch durch die Beſorgniß vor Be-
trug in dem Urbilde, das man zum Grunde legt,
vermehrt.


Das Zimmer der Kaiſer.


Unter den Basreliefs ſind zwei mit Figuren
wenig unter Lebensgroͤße merkwuͤrdig.


Das eine ſtellet Perſeus und Andromeda vor.
Perſeus hilft der befreieten Andromeda von dem Fel-
ſen herabſteigen. Das Ungeheuer liegt todt zu ſeinen
Fuͤßen.
[236]Das Capitol.
Fuͤßen. Dieſes Basrelief hat unſerm Mengs zum
Suͤjet eines Gemaͤhldes gedienet. 38 b)


Der
[237]Das Capitol.

Der ſchlafende Endymion. Sein treuer
Hund ſcheint gegen die ſich naͤhernde Luna anzubellen,
und ſeinen Herrn vertheidigen zu wollen. Dieſe Fi-
gur hat viel Ausdruck, und die Stellung iſt ſchoͤn.
Schade, daß der Kopf mit dem Rumpfe nicht recht
zuſammenhaͤngt.


Eine wilde Schweins-Jagd von guter An-
ordnung und gutem Ausdruck. Alles hat Leben.


Statuen.

Eine drappirte Muſe, dem Kopfe und denCapitolini-
ſche Flora.

Haͤnden nach als Flora reſtaurirt. Denn man be-
hauptet, daß dieſe beiden Theile entweder ganz mo-
dern oder doch angeſetzet ſind. Andere wollen hinge-
gen, nur die linke Hand ſey modern. 38 c) So viel
iſt gewiß, die rechte Hand iſt ſchoͤn. Das Gewand
iſt im kleinlichen Geſchmacke gedacht, aber in der
Ausfuͤhrung ein Beiſpiel von Gedult.


Ein junger Hercules von gruͤnem Baſalt.
Die linke Hand, in der er die Aepfel haͤlt, und der
rechte Arm ſind modern. In Anſehung der Schoͤn-
heit von geringem Werthe.


Ve-
[238]Das Capitol.
Capitolini-
ſche Venus.

Venus in der Stellung der Mediceiſchen,
das iſt, eines entkleideten Weibes, die ſich uͤberraſcht
ſieht, und im Gefuͤhl der Schaamhaftigkeit, ohne
welches der Liebreitz ſich nicht denken laͤßt, die Bruſt
und die Natur bedeckt. Neben ihr eine Vaſe, auf die
ihr Gewand gefallen iſt, und daher deutlich zeigt, daß
ſie aus dem Bade koͤmmt, oder im Begriff iſt, ins
Bad zu ſteigen. 39 a) Es iſt nichts daran neu, als
zwei
[239]Das Capitol.
zwei Finger der linken Hand, und vier Finger der
rechten. 39 b)


Die Groͤße dieſer Figur ſchadet ihrer Schoͤnheit,
und der Kopf, der zu wenig weiblichen Reitz hat,
ſcheint ein nicht einſt idealiſirtes Portrait zu ſeyn.
Dem ohngeachtet verdient dieſe Figur in denjenigen
Theilen, die an der Mediceiſchen theils ergaͤnzt, theils
uͤbel angeſetzt ſind, z. E. Arme und Schenkel, den
Vorzug vor ihrer Nebenbuhlerin. Der Marmor
der unſrigen iſt bei weitem nicht ſo ſchoͤn, als an jener.


Buͤſten.

Im Ganzen kann man ſich auf die Nahmen, die
ſie fuͤhren, mehr als auf diejenigen der Buͤſten in dem
vorigen Zimmer verlaſſen. Allein hin und wieder iſt
auch hier große Ungewißheit. Z. E. Eine der Lucil-
len iſt wahrſcheinlicher eine Sabina; Einer der Ha-
drianen ein Commodus; und die Buͤſte des Nerva,
was
39 a)
[240]Das Capitol.
was auch immer Winkelmann 40) davon ſagen mag,
ein neueres Werk des Algardi.


Die vorzuͤglichſte Aufmerkſamkeit verdienen:


  • Ein junger Marc Aurel.
  • Die juͤngere Fauſtina.
  • Commodus.
  • Caligula aus Baſalt.
  • Meſſalina.
  • Nero, Druſus und Germanicus.41)

Die Gallerie.


Unter den Statuen, Buͤſten und Basreliefs ſind
wenige außerordentlich. Ich will einige davon be-
merken.


Eine Muſe, die einen jungen Nero auf dem
Schooße haͤlt.
Eine wuͤrdige Erzieherin eines
jungen Prinzen! *)


Eine
[241]Das Capitol.

Eine Marciana, wie andere wollen, eine Ju-
lia, Tochter des Titus, oder vielmehr richtiger eine
Venus, der man einen fremden Kopf aufgeſe-
tzet hat.


Eine ſchoͤne Buͤſte einer Muſe mit durch-
bohrten Ohren zu Ohrgehaͤngen.


Ein Jupiter und ein Aeſculap, beide aus
ſchwarzem Marmor.


Noch eine Muſe mit durchbohrten Ohren.


Eine Diana Lucifera. Sie traͤgt in der rech-Diana Luci-
fera.

ten Hand eine Fackel, und mit der linken ein Gewand,
das uͤber dem Kopfe zirkelfoͤrmig flattert. Der Vor-
ſtellungsart wegen merkwuͤrdig, die eine individuelle
Beſtimmung anzuzeigen ſcheint. Vielleicht hat das
Gewand die Nacht, die Fackel das Mondenlicht an-
zeigen ſollen.


Eine unbekannte weibliche Buͤſte, von ſchoͤ-
nem Charakter.


Ein ſogenannter Scipio Africanus, Buͤſte.


Nereiden. Basrelief von guter Zeichnung
und Arbeit.


Zimmer der Miſcellaneen.


Ein Faun aus rothem Marmor, der eine
Traube in die Hoͤhe haͤlt; zu ſeinen Fuͤßen ein Korb
nebſt einem Bocke. Im Muſeo Clementino iſt ein
aͤhnlicher. Der Stamm des Baums, ein Arm,
beide Beine, jedoch ohne Fuͤße, ſind modern, und
Erſter Theil. Qvon
[242]Das Capitol.
von Cavaceppi ſehr gut reſtaurirt. 42) Er iſt vorzuͤg-
lich der Marmorart wegen merkwuͤrdig.


Er ſtehet auf einem Altare mit einem Bas-
relief
von gutem Stile.


Ein ſchoͤner Kopf einer Bacchantin mit
hohlen Augen.


Kopf Alexan-
ders des
Großen.

Ein ſehr ſchoͤner Kopf Alexanders des
Großen,
im Charakter des Jupiter Serapis. Der
Haarwuchs iſt nicht nur der den Koͤpfen dieſes Gottes
gewoͤhnliche, ſondern man ſieht noch Spuhren, wo
der modius und die Radii geſeſſen haben. In der
Mine viel Melancholiſches.


Tauben die
aus einem
Gefaͤße trin-
ken: ein be-
ruͤhmtes an-
tikes Moſaik.

Ein antikes beruͤhmtes Moſaik. Tau-
ben,
die aus einem Gefaͤße trinken. Das
Hauptverdienſt dieſes Werks beſtehet in der feinen Zu-
ſammenfuͤgung der harten natuͤrlichen Steine. Denn
uͤbrigens kommt es an Wahrheit der Schattirung,
und an Mannichfaltigkeit in einander fließender Tin-
ten, unſern modernen Moſaiken aus verglaſeter Com-
poſition nicht bei.


Hecate.

Diana triformis oder Hecate, aus Bronze.
Es ſind drei kleine Statuen, die durch den Ruͤcken
zuſammenhaͤngen. Die eine mit einer Lotusblume
auf dem Kopfe haͤlt zwei Fackeln in der Hand; die
andere haͤlt einen Schluͤſſel und eine Schlinge, und
die dritte, deren Kopf mit einer Art von Phrygiſcher
Muͤtze bedeckt iſt, an welcher Strahlen befindlich ſind,
ein Schwerdt und eine Art von Bohrer, den einige
fuͤr eine Schlange halten. Dieſes ſonderbare Denk-
mahl iſt auch in Anſehung der Kunſt nicht ohne Werth.


Ein
[243]Das Capitol.

Ein ſehr ſchoͤnes Gefaͤß von Bronze. Mi-Schoͤnes Ge-
faͤß aus
Bronze.

thridates ſchenkte es, der Innſchrift nach, einem Gym-
naſio, welches er geſtiftet hatte. Auf dem Rande
ſtehen auf Griechiſch die Worte: Halte es rein. Die
Handgriffe und der Fuß ſind modern.


Ein Basrelief mit mehreren Vorſtellungen aus
der Iliade, verdienet in Anſehung der Kunſt keine
Aufmerkſamkeit.


Ich komme nun zu den Buͤſten, die rund im
Zimmer herum ſtehen. Ich will aber nur die vor-
zuͤglichſten herausheben.


Ein Kopf eines Mercurs.


Ein unbekannter Kopf, mit einer Art von
Peruͤcke.


Ein Kopf, der viel vom Charakter einer der
Toͤchter der Niobe hat.


Ein ſogenannter Marcus Brutus.


Ein Pompejus der Große.


Eine ſchoͤne Bacchantin.


Ein Faun.


Ein Paris mit der Phrygiſchen Muͤtze;
Schoͤn, und voller Charakter.


Ein ſchoͤner Jupiter Hammon.


Am Fenſter auf dem zweiten Abſatze.


Ein unbekannter Kopf von vortrefflichem
Charakter.


Eine Matidia.


Der darauf folgende unbekannte Kopf
iſt vortrefflich.


Zwei ſchoͤne Koͤpfe von Amazonen. Ich
habe bereits bei dem Muſeo Clementino bemerkt, daß
Q 2Koͤpfe
[244]Das Capitol.
Koͤpfe dieſer Art ſich außer der Vermiſchung des
maͤnnlichen Charakters mit dem weiblichen auch noch
beſonders durch eine Art von Kante oder Einfaſſung
um Augenlieder und Lippen unterſcheiden.


Ein ſogenannter Cecrops, der aber vielmehr
ein Kopf aus der Familie Hadrians iſt.


Ein lachender Faun.


Ein Apollo, deſſen Haare auf dem Kopfe zu-
ſammen gebunden ſind.


Kopf eines Ringers mit einer Hauptbinde.
Wahrſcheinlich Zeichen des Siegers.


Kopf der
Ariadne.

Zuletzt bemerke ich † den herrlichen Kopf der
Ariadne
mit herabhaͤngenden geringelten Locken voll
hoher Schoͤnheit, der oft copirt und in Gips geformt
in und außer Italien zu ſehen iſt.


Zwiſchen den Buͤſten ſtehen noch ein Paar klei-
ne Statuen.


Ein Kind das mit einer Taube ſcherzet,
und zwei Epheſiſche Dianen, deren eine, Kopf,
Haͤnde und Fuͤße von Bronze hat. Die andere, und
von beiden die ſchoͤnſte, ſteht auf einem Altare, wor-
auf ein Basrelief mit einem Opfer befindlich iſt.


Rechter Fluͤgel.
Pallaſt de’
Conſerva-
tori.
Pallaſt de’ Conſervatori.


In dem Porticus.

Caͤſar und ein Auguſt, an beiden vielleicht
nichts als der Torſo alt. Letzterer hat ein Steuer-
ruder
[245]Das Capitol.
ruder zu ſeinen Fuͤßen, als eine Deutung auf die
Schlacht bei Actium. 43)


In dem Hofe.

Mehrere coloſſaliſche Haͤnde und Fuͤße,
der Weichheit der Behandlung wegen merkwuͤrdig. 44)


Ein antiker Loͤwe, der ein Pferd anfaͤllt.
Der Loͤwe iſt voller Ausdruck, aber das ganze Hinter-
theil deſſelben, Kopf und Beine des Pferdes ſind
neu.


Eine ſitzende Roma, woran Kopf und Haͤnde
neu ſind. Auf der Baſe ſitzt eine ſchoͤne uͤberwundene
Provinz bei einer Trophaͤe. Sie iſt oft und vorzuͤg-
lich auf geſchnittenen Steinen copirt. Der Ausdruck
und der Gedanke ſind ſchoͤn. Kopf und Hand neu.


Zwei gefangene Koͤnige, von ſchwarzem
Marmor.


Zwei Aegyptiſche Statuen.


Ein großer coloſſaliſcher Kopf von Bronze.
Man legt ihn ohne Grund dem Kaiſer Commodus
bei. 45)


Vor der Begraͤbnißurne der Agrippina, desBegraͤbniß-
urne der
Agrippina.

großen Weibes des Germanicus, wird niemand un-
geruͤhrt vorbei gehen, ob ſie gleich in Anſehung der
Kunſt ohne beſondern Werth iſt.


Q 3Ein
[246]Das Capitol.

Ein coloſſaliſcher Kopf, den man fuͤr einen
Domitian haͤlt, und darunter wieder eine Provinz,
von der es jedoch glaublicher iſt, daß ſie nur einen
jungen Mann vorſtelle, deſſen Bruͤſte ein wenig ſtark
angegeben ſind.


Mehrere ſchoͤne Fragmente von Coloſſal-
Statuen in Marmor und Bronze.


Beim Hinaufſteigen auf die Treppe trifft
man eine Columna Roſtrata an.


Ferner, vier ſchoͤne Basreliefs mit Figuren
in Lebensgroͤße. Sie ſind von dem Triumphbogen
Marc Aurels genommen. Das erſte ſtellt dieſen
Kaiſer vor, dem Rom die Weltkugel uͤberreicht.
Im zweiten reitet er neben einer andern Figur, die
man fuͤr den Antoninus Pius haͤlt. Zwei gefan-
gene Koͤnige liegen zu ſeinen Fuͤßen, und mehrere
Soldaten ſind um ihn. In dem dritten wird Marc
Aurel in einem mit vier Pferden beſpannten Triumph-
wagen gezogen, eine Victoria kroͤnt ihn. 46 a) Auf
dem vierten opfert Marc Aurel den Goͤttern. Dies
letzte iſt das ſchoͤnſte. Man wird darauf einen Fla-
men bemerken, deſſen Muͤtze oder Helm, wie man
behauptet, zu der Form der heutigen Biſchoffsmuͤtzen
die Veranlaſſung gegeben haben ſoll. Alle dieſe
Basre-
[247]Das Capitol.
Basreliefs ſind gut zuſammengeſetzt, und wegen der
ſchoͤnen Koͤpfe, der guten Drapperien und vorzuͤg-
lich des Coſtums wegen aͤußerſt merkwuͤrdig. In-
zwiſchen wird man finden, daß die Figuren hin und
wieder zu kurz und in einzelnen Theilen verzeichnet
ſind.


Man ſiehet hier auch ein ziemlich mittelmaͤßiges
Basrelief, welches einen Curtius vorſtellen
ſoll.


In dem großen Saale hat Giuſeppe d’Arpino
verſchiedene roͤmiſche Geſchichten gemahlt. Man ſieht
dieſen Gemaͤhlden an, daß der Meiſter Raphaeln und
die Florentiner ſtudirt hat, und da, wo er ſich einer
von ihnen vorgezeichneten Parthie erinnerte, hat er zu-
weilen einen gluͤcklichen Zug angebracht. Aber im
Ganzen ſind dieſe Gemaͤhlde recht Handwerksmaͤßig
gemahlt, und der Kuͤnſtler iſt hin und wieder bis zum
Tapetenanſtreicher erniedrigt. Nirgends iſt Wahrheit
anzutreffen. Inzwiſchen ſind die Schlachten das
Beſte darunter. Sie ſind mit einem Feuer entwor-
fen, das nur durch Correktion und Studium in den
wahren Schranken haͤtte gehalten werden muͤſſen.
Man trifft gute Pferde darin an, die der Kuͤnſtler
vorzuͤglich gern mahlte.


Man wird ſelten finden, daß die Mahler, welcheUeber die
Gattung
von Pferden,
welche die
Mahler vor-
zuͤglich gern
in ihren Ge-

Pferde in ihren Gemaͤhlden angebracht haben, in ih-
rer Wahl auf eine feine Race gefallen ſind. Gemei-
niglich ſind ſie von ſtarkem Schlage, breiten Koͤpfen,
zottigen Maͤhnen, behangenen Beinen, und krauſen
Schweifen. Im Ganzen ſcheinen Pferde dieſer Natur
Q 4mahle-
[248]Das Capitol.
maͤhlden an-
bringen.
mahleriſcher zu ſeyn, als jene glatten, feinen, die we-
niger Abwechſelung in Formen, und Licht und Schat-
ten zulaſſen. Ein anderer Grund aber liegt darin,
daß zu der Zeit, als die Kuͤnſte in Italien und den
Niederlanden bluͤheten, Frieſiſche Pferde, welche von
ſtarkem ſchwerfaͤlligem Schlage ſind, ſowohl zu Zug-
pferden, als ihrer beſondern Dauerhaftigkeit und
Staͤrke wegen im Kriege ſehr geſchaͤtzt wurden.


Die Thuͤren ſind in Holz nach Zeichnungen des
Fiamingo geſchnitzt, und haben viel vom Stil alter
Basreliefs.


Man findet hier vier Statuen einiger Paͤbſte.
Die beſte darunter iſt Urban der Achte vom Cava-
liere Bernini.


Folgendes Zimmer.


Die Mahlereien, die ſehr ſchlecht ſind, ſind
von Tomaſo Laureti.


Die Buͤſten und Statuen, von denen Volkmann
ſowohl als die Deſcrizzione reden, ſtehen hier nicht
mehr; es iſt nichts darin befindlich, als zwei Saͤu-
len von Verde Antico,
auf welchen zwei Koͤpfe,
deren einer einen Septimius Severus vorſtellet, ſtehen,
und vom Cardinal Albani hieher geſchenket ſind.


Folgendes Zimmer.


Daniel da Volterra hat in den Frieſen den
Triumph des Marius
vorgeſtellet. Der Stil iſt
gut,
[249]Das Capitol.
gut, inzwiſchen ſind ſie manierirt, und die Zeichnung
iſt nicht correkt.


Hier ſtehet jetzt die beruͤhmte WoͤlfinBeruͤhmte
Woͤlfin aus
Bronze.

aus Bronze, welche den Romulus und Remus ſaͤu-
get. Sie iſt am linken Hinterfuße beſchaͤdiget, daher
man ſie fuͤr dieſelbige haͤlt, welche am Tage des Todes
Caͤſars vom Blitz getroffen worden. 46 b) So inte-
reſſant dieſes Stuͤck in Anſehung der Geſchichte ſeyn
kann, ſo wenig iſt es in Anſehung der Kunſt von Be-
deutung.


Die beruͤhmte Statue des ſitzenden Kna-Spinarius.
ben, den man fuͤr einen jungen Hirten haͤlt,
und der ſich einen Dorn aus dem Fuße zieht.

Er wird deswegen Spinarius genannt. Er iſt in
dem Alter der Pubertaͤt, und in natuͤrlicher Groͤße.
Seine Augen ſind ausgehoͤhlt. Der Ausdruck iſt vor-
trefflich. Die Umriſſe und das Spiel der Muſkeln
ſind mit einer Zartheit behandelt, von der man in
Bronze wenig Beiſpiele findet. 47 a),47 b)


Q 5Hecate
[250]Das Capitol.

Hecate triformis aus Marmor. Beinahe eine
Wiederholung der aͤhnlichen Vorſtellung in Bronze im
andern Pallaſte. Doch findet ſich einige Verſchieden-
heit in dem Kopfputze.


Camillus.

Ein ſogenannter Camillus oder Opfer-
knabe von Bronze.
Eine Figur mit einem auf-
geſchuͤrzten Unterkleide; von angenehmer Form, und
wohl behandeltem Gewande. 48) Sie ſteht auf einem
Leuchter von gutem Stile aber mittelmaͤßiger Ausfuͤh-
rung.


Ein ſchoͤner Kopf aus Bronze, welcher
den Lucius Junius Brutus vorſtellen ſoll. Mit Au-
gen von verglaſeter Compoſition. 49)


In dem Audienzzimmer.


Eine moderne aber gute Buͤſte einer Me-
duſe.


Der Kopf des Michael Angelo von Bronze.


Eine
[251]Das Capitol.

Eine Buͤſte eines jungen Hercules aus ro-
them Marmor.


Zwei Gaͤnſe, vielmehr Enten, aus vergol-
deter Bronze; ſehr ſchoͤn.


Ein Iſiskopf als Vaſe mit Ohrgehaͤngen.
Gleichfalls aus Bronze.


Die heilige Familie, welche man fuͤr die Ar-
beit des Giulio Romano ausgibt, ſcheint nicht einſt nach
dieſem Meiſter copirt zu ſeyn.


In dem Zimmer der Tapeten


werden Frieſen gezeiget, welche die Thaten des Scipio
vorſtellen, von Annibale Caraccio, wie man ſagt:
Wenigſtens iſt es nicht ſeine beſte Arbeit.


Unter den vier Buͤſten, die in dieſem Zimmer
ſtehen, iſt der Kopf der ſogenannten Ariadne
die beſte. 50)


Zimmer des Hercules.


Hier ſieht man Mahlereien, die fuͤr die
Arbeit des Pietro Perrugino ausgegeben wer-
den.
Sie ſind ſehr ſchlecht.


Ferner
[252]Das Capitol.

Ferner eine gute Buͤſte Hadrians.


Hercules
aus Bronze.

Hercules aus vergoldeter Bronze, uͤber
Lebensgroͤße. Er haͤlt Aepfel in der linken, und die
Keule in der rechten Hand. Mehr des Metalls als
der Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig. Der eine Arm
wuͤrde weniger ſteif ſcheinen, wenn man die Keule,
ſo wie ſie ehemals war, (denn ſie ſcheint wenigſtens
angeſetzt) auf einem Piedeſtal haͤtte ruhen laſſen. 51)


Drei ſitzende Statuen, die man, das Still-
ſchweigen, Cybele, und Ceres nennet, ſind ſehr mit-
telmaͤßig und ſehr reſtaurirt.


Eben dieſes gilt auch von den beiden Conſular-
Statuen.


Wir gehen nun endlich zu demjenigen Theile des
Capitols uͤber, in dem


Gemaͤhlde-ſammlung.

Die Gemaͤhldeſammlung


befindlich iſt.


Dieſe Sammlung von Staffeleigemaͤhlden ge-
hoͤrt im Ganzen nicht unter die vorzuͤglichſten von Rom,
und wenn man erwaͤgt, daß ſie die einzige oͤffentliche
daſelbſt iſt, ſo muß man ſie gar unbetraͤchtlich nennen.


Inzwiſchen hat dieſe Sammlung doch den Vor-
zug, einige der beſten Gemaͤhlde des Giorgione, Tin-
toretto, und Paolo Veroneſe zu enthalten, die wir von
dieſen Venetianiſchen Meiſtern in Rom haben. Sie
ſind
[253]Das Capitol.
ſind freilich weder außerordentlich in Vergleichung mit
andern außerhalb Roms, noch hinreichend, den Geiſt,
den Charakter ihrer Urheber kennen zu lernen. Aber
ſie geben mir die Veranlaſſung, meinen Leſern dasje-
nige mitzutheilen, was ich uͤber die Vorzuͤge und die
Fehler der genannten Meiſter an andern Orten bemer-
ket habe. Die Abſicht dieſes Werks umgreift aller-
dings auch die Vorbereitung des Liebhabers auf die
Kenntniß des Vorzuͤglichen in der Kunſt in dem uͤbri-
gen Italien.


Giorgio Barbarelli da Caſtel Franco,Giorgione.
gemeiniglich Giorgione genannt, lebte von 1478 bis
1512. Seine aͤchten Werke und vorzuͤglich groͤße-
ren Compoſitionen ſind ſelten. Das Wenige, was
ich davon geſehen habe, ſcheint nicht viel Talent dafuͤr
zu verrathen.


Sie haben weder das Verdienſt einer guten An-
ordnung, noch eines wahren Ausdrucks. Giorgione
zeichnete ſchwerfaͤllige Figuren, und noch dazu un-
richtig. Aber er war der erſte, der in Venedig einen
wohlgenaͤhrten Pinſel mit Freiheit fuͤhren lehrte. Er
nahm den Umriſſen der Figuren die Haͤrte, die ſie
bis dahin gehabt hatten, er ruͤndete ſie, hielt Licht
und Schatten in groͤßern Maſſen zuſammen, und
brachte vorher unbekannte Drucker, Blicke, Halbtin-
ten an: Kurz! den Dienſt, den Michael Angelo
der Zeichnung leiſtete, den leiſtete Giorgione dem Co-
lorit: er fuͤhrte einen groͤßeren Stil ein. Man legt
ihm auch die Erfindung des Contrapoſto und der Re-
pouſſoirs bei, allein ſie gehoͤrt eher dem Correggio.


Inzwi-
[254]Das Capitol.

Inzwiſchen iſt der Stil des Giorgione doch nur
Manier, Schein von Wahrheit, nicht die Wahrheit
ſelbſt. Seine Faͤrbung faͤllt im Lichte zu ſehr in
brennende Roͤthe, und im Dunkeln zu ſehr ins
Schwarze.


Man wird in ſeinen Gemaͤhlden oft Federbuͤſche
und Panzer finden. Es iſt zuweilen gut, ſich der-
gleichen Wiedererkennungszeichen zu merken.


Tintoretto.

Giacomo Robuſti, il Tintoretto, genannt,
lebte von 1512 bis 1592 und war ein gebohrner
Venetianer.


Er lernte die Kunſt unter Tizian: Aber bald
verfiel er darauf, die Vorzuͤge mehrerer Meiſter mit
einander vereinigen zu wollen. Er war einer der er-
ſten Eclectiker in der Mahlerei. Er folgte dem Cor-
reggio in der Zuſammenſetzung und im Helldunkeln,
dem Michael Angelo in der Zeichnung, dem Tizian,
und vielleicht noch mehr dem Giorgione, im Colorit.
Was folgte daraus? Daß er den Schein ihrer Vor-
zuͤge: Das Auffallende ihrer Werke in die ſeinigen
uͤbertrug, und im Ganzen mittelmaͤßig blieb.


Tintoretto hatte einen großen Reichthum an
Ideen, und einen großen Mangel an Gefuͤhl, und
Bildern. Er verſtand vortrefflich die Zuͤge, durch
die ſich jede Sache unſerer Erinnerung einpraͤgt, aus-
zuwaͤhlen, und ſie nach den Begriffen, welche die
groͤßten Mahler unter ſeinen Vorgaͤngern daruͤber ge-
habt hatten, zu reproduciren. Durch haͤufiges Stu-
dium hatte er ſich ein Alphabet von Formen, von co-
lorirten Parthien, und erleuchteten Maſſen gebildet,
mit dem er ſeine Gedanken ſehr deutlich aufſchrieb.
Wir
[255]Das Capitol.
Wir verſtehen ſie, ohne uͤberzeugt zu werden. Sein
ungebaͤndigter Witz wirft die Figuren zuſammen, die
den Platz, nicht aber die Vorſtellung ausfuͤllen, die
wir uns von der Begebenheit machen, an der ſie Theil
nehmen. Seine Formen ſind ohne Wahl: Seine
Koͤpfe haben Leben, Charakter, aber ſelten paſſenden
Ausdruck, und ſeine Stellungen ſind uͤbertrieben.
Seine Zeichnung iſt oft incorrekt, nie aber beſtimmt
oder fein: Der Faltenſchlag im kleinlichen Stile,
ohne Zuſammenhang, ohne Deutlichkeit. Sein Co-
lorit hat einen Schein von Wahrheit, faͤllt aber ge-
meiniglich ins Gelbe und ins Schwarze; oft iſt es
ſchmutzig. Sein Helldunkles iſt conventionell, aber
es thut Effect. Er liebte die Verkuͤrzungen, wie
man ſie bei einem hoch angenommenen Horizont an-
trifft. Er ſtellt den Zuſchauer zu nahe an ſeine Fi-
guren; auf dem Vorgrunde gleichen ſie Rieſen, auf
dem Hintergrunde Zwergen, und hier findet man
gemeiniglich die intereſſanteſten. Fertigkeit in Be-
handlung des Pinſels iſt das Hauptverdienſt dieſes
Meiſters.


Mit einem Worte: Tintoret war ein ſehr erfin-
driſcher Handwerker, deſſen broßirte Skizzen von
weitem frappiren: Man naͤhert ſich und der Zauber
verſchwindet. Inzwiſchen iſt er ſich ſelbſt ſehr un-
gleich in ſeinen Werken, von denen die groͤßeren bei
weitem die beſſern ſind.


Paolo Caliari, von ſeiner Vaterſtadt VeroneſePaolo Vero-
neſe.

genannt, lebte von 1532 bis 1588. Er iſt in der
Kunſt das, was die Sophiſten in der Philoſophie wa-
ren. Er hatte die Lieblingsſchwaͤchen des groͤßern Hau-
fens
[256]Das Capitol.
fens ſtudirt: Er wußte, daß wer dieſen ſchmeichelt,
fuͤr beleidigte Wahrheit leicht Nachſicht erhaͤlt. Er
ſuchte die Phantaſie des Poͤbels unter den Zuſchauern
zu entflammen, er ſuchte zu verblenden, und es iſt
ihm nur zu oft, und zu lange gegluͤckt.


Nichts zieht Menſchen von ungebildetem Gefuͤhle
ſo ſehr an, als Pracht und Reichthum. Dies war
Hauptzweck der Zuſammenſetzungen unſers Meiſters.
Die Gelegenheit, Pomp und Aufzuͤge anzubringen,
leiteten ihn in der Wahl ſeiner Gegenſtaͤnde. Gemei-
niglich ſtellte er Gaſtmaͤhler vor, wo reich bekleidete Fi-
guren in großer Menge an wohlbeſetzten Tafeln in Saͤlen
von ſchimmernder Architektur ſitzen. Sie ziehen durch
dieſelbe Empfindung an, die den Poͤbel zu den oͤffent-
lichen Tafeln der Großen ruft. Selbſt dann, wann
ihm irgend eine intereſſante Begebenheit zur Behand-
lung in die Haͤnde fiel, ſo ſcheint Spectakel, Pomp,
ſtets ſein Hauptaugenmerk geweſen zu ſeyn.


Die poetiſche Erfindung iſt ſelten gluͤcklich in ſeinen
Gemaͤhlden. Ein gemeinſchaftlicher Antheil an einer
Handlung vereinigt nie die Figuren, mit denen er ſie
ausſtaffirte. Selten ſtellte er ſie dahin, wo ſie des
mehreren oder minderen Intereſſe wegen, welches der
denkende Zuſchauer an ihnen nehmen kann, ſtehen ſoll-
ten. Die mahleriſche Anordnung in ſo fern ſie ſich
damit beſchaͤfftigt, die Gruppen eines Bildes zu einem
Ganzen aneinander zu haͤngen, durch Abwechſelung
der Groͤßen einzelner Figuren und der Lage ihrer Glied-
maaßen angenehme Formen einzelner Parthien zu bil-
der, verſtand er deſto beſſer.


In
[257]Das Capitol.

In dieſem Theile der Mahlerei kann Paolo Ve-
roneſe zum Muſter dienen. Er war darin Schuͤler
des Correggio, und ward Meiſter der Carracci.


Den Ausdruck ſuchte er in der Stellung. Denn
dadurch wird er dem unaufmerkſamen Zuſchauer am
auffallendſten. Was wahr iſt, darum bekuͤmmerte
er ſich nicht, was wahr ſcheint, was Wuͤrkung thut,
war der Gegenſtand ſeiner Sorge. Ein gefaͤhrlicher
Betruͤger!


Seine Koͤpfe haben Charakter: Aber es iſt der
Charakter eines fuͤr ſich beſtehenden Bildniſſes: Nicht
der, den die Handlung erfordert. Darin unter-
ſchied ſich ſeine Verfahrungsart von der eines Ra-
phaels. Beide brachten oft Bildniſſe in ihren Ge-
maͤhlden an, aber der eine modificirte ihre Zuͤge nach
den Verhaͤltniſſen, in die er ſie ſetzte, der andere be-
gnuͤgte ſich gemeiniglich ſie ſo hinzuſtellen, wie er
ſie ſahe.


Dieſes Mittel gibt inzwiſchen ſeinen Figuren einen
Charakter individueller Wahrheit: So viel Koͤpfe,
ſo viel Portraits. Idealiſirte Formen duͤrfen wir
nicht ſuchen, aber der ungebildete Zuſchauer will dieſe
auch nicht finden. Natur! Natur! ruft er: die iſt
mir lieber, als eure colorirten Statuen. Er hat
Recht, wenn die Darſtellung der Antike ohne Aus-
druck, wenn das Ideal blos Copei bleibt: Allein
auch die Natur ohne den Ausdruck, den die Handlung
erfordert, verliert den Vorzug der Wahrheit: und
Copei fuͤr Copei, iſt die eine dem aufmerkſamen Beob-
achter ſo viel werth als die andere. Aber freilich, das
ſind die wenigſten, und dies ſichert bei dem großen
Haufen der erſteren den Vorzug vor der letzten.


Erſter Theil. RDie
[258]Das Capitol.

Die Zeichnung des Paolo Veroneſe iſt ohne Be-
ſtimmtheit, und oft incorrekt. Allein auch hier ſind
wieder die Fehler fuͤr ein ungeuͤbtes Auge nicht ſo auf-
fallend, den Eindruck des Ganzen zu zerſtoͤhren.


Er liebte Koͤpfe in einer niedergebuͤckten Stellung
zu mahlen, und uͤberhaupt Verkuͤrzungen, wie man
ſie von einem hohen Standorte ab an Figuren auf ei-
nem niedrigem Horizonte erblickt. Sie ſetzen am
meiſten in Verwunderung, und ungeuͤbte Zeichner
koͤnnen hier der Richtigkeit der Formen und der Ver-
haͤltniſſe am wenigſten nachſpuͤhren. Allenthalben
Blendwerk!


Seine Gewaͤnder ſind ſchlecht geworfen: Sie
entziehen dem Auge beinahe immer die Umriſſe des
Nackten: Dabei ſchlagen ſie ſich in kleinliche Falten.
Aber er mahlte ſchoͤne reiche Stoffe: Auch das
verblendet.


Sein Colorit iſt mehr glaͤnzend als wahr. Es
faͤllt zu ſehr ins Rothe in den Lichtern, und zu ſehr
ins Violette in den Schatten. Seine Halbſchatten
aber zeichnen ſich durch ſchoͤne perlgraue und durchſich-
tige Tinten aus.


Das Helldunkle iſt conventionell, aber oft thut
es Wuͤrkung. Zuweilen zerſtoͤhren die gar zu glaͤnzen-
den Farben die Harmonie.


Das Coſtume iſt auf das groͤbſte in allen ſeinen
Gemaͤhlden beleidigt. Gemeiniglich trifft man Hunde
darauf an. Ich fuͤhre beides an, mehr als Wieder-
erkennungszeichen, als in der Abſicht ihm einen Vor-
wurf daruͤber zu machen.


Ein
[259]Das Capitol.

Ein Hauptvorzug unſers Meiſters iſt die vortreff-
liche Behandlung des Pinſels. Er arbeitete aͤußerſt
geſchwind, und mit großer Zuverlaͤßigkeit. Wahr-
ſcheinlich legte er ſeine Gemaͤhlde, und vorzuͤglich die
Gewaͤnder mit gewiſſen breiten Maſſen von Mittel-
farben an, auf die er hernach mit der feſten Hand
eines Schreibmeiſters die Pinſelzuͤge, die dem Bilde
Leben und Ruͤndung geben ſollten, aufſetzte. Durch
dieſe einfache Verfahrungsart erhielten ſeine Farben
das friſche reinliche Anſehen, das ſelten mit oft wie-
derholter Bearbeitung geht.


Erſtes Zimmer.


Venus fuͤhrt den Bacchus zur verlaßnenBeurthei-
lung der Ge-
maͤhlde.

Ariadne. Ein Gemaͤhlde des Guido. Dies Bild
iſt ſo ſchwach von Farbe, daß es nur angelegt zu ſeyn
ſcheint. Um ſo mehr fallen die Fehler der Zuſammen-
ſetzung auf. Viele Figuren koͤnnen nach ihrer Be-
ſtimmung keinen Antheil an der Handlung haben, und
die ihn haben koͤnnten, druͤcken ihn nicht aus. Es
gibt aber einige ſehr ſchoͤne Frauenskoͤpfe auf dieſem
Bilde, die uns mit dem Uebrigen ausſoͤhnen.


Die Perſiſche Sybille, vom Guercino.Die Perſiſche
Sybille.

Es iſt ein huͤbſches kleines Geſicht voller Phyſiogno-
mie, das wahrſcheinlich nach der Natur gemahlt iſt.
Das Gefaͤllige der Mine, und das gute Colorit hat
dieſes Bild vorzuͤglich Liebhabern ſehr angenehm ge-
macht, ſo daß es mit zu den beruͤhmten Bildern ge-
hoͤret, deren Copien in und außer Italien ſo aͤußerſt
haͤufig ſind. Ich bitte diejenigen, welche die Kaͤlte
beleidigen koͤnnte, mit der ich von dieſem Kopfe
R 2ſpreche,
[260]Das Capitol.
ſpreche, um Verzeihung: aber eine einzelne Figur auf
einem Bilde, und nun gar ein Bruſtſtuͤck, kann nur
durch Hoheit des Ausdrucks, oder idealiſche Schoͤnheit
meinen Enthuſiasmus rege machen. Man vergleiche
mit dieſer Sybille eine Magdalena von Guido, oder
eine der vorzuͤglichen antiken Buͤſten, und ich ſtehe
gewiß gerechtfertigt.


Die heilige Helena, von Paolo Veroneſe.
Es iſt das beſte Gemaͤhlde, was man von dieſem
Meiſter in Rom kennt. Der Schein von Wahrheit,
der in dieſem Bilde herrſcht, die ſchoͤnen Stoffe und
die meiſterhafte Behandlung geben ihm vorzuͤglich bei
Kuͤnſtlern einen großen Werth.


Der heilige Hieronymus, aus der erſten
Manier des Guido.


Eine heilige Magdalena vom Albano, halbe
Figur, Lebensgroͤße.


Eine heilige Familie vom Garofalo.


Verloͤbniß der heiligen Catharina, von dem-
ſelben.


Ein ſchoͤnes Bruſtbild eines Mannes
der mit ſeinem Hunde ſpielt, von Ludovico Carraccio.


Eine heilige Magdalena, halbe Figur,
vom Tintoretto. Adel des Ausdrucks muß man
hier nicht ſuchen, aber es iſt unbegreiflich, wie der
Kuͤnſtler mit ſo wenigen Pinſelſtrichen den niedrigen,
den es hat, andeuten, und ſo viel Leben in das Ganze
habe legen koͤnnen.


Eine heilige
Caͤcilia von
Romanelli.

Eine heilige Caͤcilia von Romanelli.
Man ſieht nicht gleich das ganze Verdienſt dieſes
Kopfes
[261]Das Capitol.
Kopfes ein. Aber man wird es voll Seele und Aus-
druck finden, wenn man es laͤnger betrachtet, und
dieſer Vorzug hat um ſo mehr Anrecht auf unſere Be-
wunderung, da er ſelten in andern Gemaͤhlden dieſes
Meiſters angetroffen wird. Das Gewand iſt ſchlecht.


Taufe Chriſti, vom Tizian.


Ein kleines Gemaͤhlde, vom Auguſtino
Carraccio.
Es ſtellt die Communion des heiligen
Hieronymus vor, und iſt deswegen merkwuͤrdig, weil
man behauptet, Domenichino habe die Idee zu ſeinem
Gemaͤhlde, welches eben dieſes Suͤjet vorſtellet, von
dieſem Gemaͤhlde entlehnet. Ich will mich weiter
daruͤber erklaͤren, wenn ich an das beruͤhmte Gemaͤhlde
des Domenichino komme.


Zwei halbe Figuren, deren eine auf der
Floͤte ſpielt.
Wahrſcheinlich Portraits aus der
Venetianiſchen Schule, und ſchoͤn.


Eine heilige Magdalena, Skizze des Guido.


Ein Sabinen-Raub, von Pietro da Cor-
tona.
Die Zuſammenſetzung und die Anordnung
ſind vortrefflich, auch iſt die Faͤrbung harmoniſch;
aber uͤbrigens ſind Zeichnung, Ausdruck, Colorit und
das Helldunkle gleich conventionell.


Hochzeit der Rahel und Jacobs, vom
Ciroferri.


Kopf eines Juͤnglings, aus der Venetiani-
ſchen Schule.


Romulus und Remus mit der Woͤlfin.
Schule des Rubens.


R 3Die
[262]Das Capitol.

Die Darſtellung im Tempel, von Gio-
vanni Bellino,
wie man behauptet. Sonderbar
iſt der heilige Rochus, der hinter dem heiligen Simeon
ſtehet, und zu deſſen Fuͤßen nicht allein ſein Hund,
ſondern auch ein Crucifix lieget. In wie fern derglei-
chen Fehler wider die Zeitrechnung dem Kuͤnſtler an-
gerechnet werden koͤnnen, in wie fern ſie das Verdienſt
eines Gemaͤhldes beſtimmen, daruͤber werde ich mich
bei dem Pallaſt Boccapadouli erklaͤren.


Die Entfuͤhrung der Europa, von Guido.


Zwei ſchoͤne Koͤpfe von Ludovico Car-
raccio.


Eine heilige Caͤcilia von demſelben. Eine
angenehme Figur, obgleich die Zeichnung etwas tro-
cken und die Faͤrbung zu grau iſt.


Der Triumph der Flora, von Pouſſin. Schoͤn
gedacht und angeordnet.


Ein Genius. Skizze von Guido.


Eine heilige Familie mit vielen Heiligen.
Man gibt ſie fuͤr ein Werk des Paolo Veroneſe aus,
ſie iſt aber wahrſcheinlich nur eine Copie.


Hagar und Iſmael.


Ahasverus und Eſther. Zwei mittelmaͤßige
Gemaͤhlde von Mola.


Die Madonna, die den Chriſt das Leſen
lehrt.
Ein großes Gemaͤhlde vom Giorgione. Es
wird von Kuͤnſtlern ſehr geſchaͤtzt.


Zwei Landſchaften, von Annibale Car-
raccio.
In der einen iſt eine heilige Magdalena.


Joſeph
[263]Das Capitol.

Joſeph wird von ſeinen Bruͤdern ver-
kauft,
von Teſta.52)


Der Triumph des Bacchus, von Pietro
da Cortona.


Flora, Lucretia, Cleopatra, drei halbe Fi-
guren von Guido, aber nur angelegt.


Das Opfer der Polyxena, von Pietro da
Cortona.
Es hat ſehr gelitten, und es fehlt an
Ausdruck.


Magdalena im Hauſe des Phariſaͤers,
von der Frau des Subleyras, hat als Miniaturge-
maͤhlde Verdienſt.


Kopf eines Frauenzimmers, von Bron-
zino.


Eine liegende Frauensperſon mit Kron
und Scepter zu ihren Fuͤßen.
Oben lieſt man:
Omnia vanitas. Es wird fuͤr Tizians Arbeit ge-
halten, verdient aber nicht von dieſem Meiſter zu
ſeyn.


Einige Ausſichten, von Vanvitelli.53)


R 4† Die
[264]Das Capitol.

Die Providenz von Ludovico Carraccio.
Hamilton hat es in der Scola Italiana ſtechen laſſen.


Eine heilige Familie mit St. Catharina
und dem heiligen Antonius von Padua,
von
Annibale Carraccio, aus der Zeit als er die Vene-
tianiſchen Meiſter ſtudirte. Man erkennt ihn nur in
dem Kopfe des heiligen Antonius wieder. Die Com-
poſition iſt ſchoͤn. Der Chriſt und die heilige Catha-
rina ſind von lieblichem Charakter. Der Kopf der
Madonna iſt des Meiſters nicht wuͤrdig.


Ein ſeltenes Bild eines Apoſtels, Grau
in Grau,
von Polidoro da Caravaggio.


Zweiter Saal.


Die Entfuͤhrung der Europa. Ein
großes Gemaͤhlde von Paolo Veroneſe. Die Zu-
ſammenſetzung iſt mittelmaͤßig, ſo wie die Zeichnung.
Die Gefaͤhrtinnen der Europa ſind voller Affectation.
Aber die Wuͤrkung dieſes Bildes und die vortreffliche
Behandlung der Farben und des Pinſels, machen es
ungemein ſchaͤtzbar.


Die Schlacht des Darius und des Alexan-
ders,
von Pietro da Cortona. Eine Menge auf
einander gehaͤufter Figuren, denen zuſammengezogene
Augenbraunen, aufgeſperrte Maͤuler, geſchwollene
Augen ſtatt Ausdrucks dienen.


Die heilige Maria aus Aegypten, die ſich
geißelt,
aus der Schule des Guercino.


Der
[265]Das Capitol.

Der heilige Sebaſtian und ein Patri-
arch.
Zwei Bilder, Figuren beinahe in Lebensgroͤße
von Giovanni Bellino.54) Dieſe Gemaͤhlde ver-
dienen eine deſto groͤßere Aufmerkſamkeit, da ſie von
kraͤftiger Farbe ſind, und ſo friſch, als ob ſie eben
aus der Hand des Mahlers gekommen waͤren.


Die Geißelung und die Dornenkroͤnung,
beide vom Tintoret.


Eine Wiederholung der Caͤcilia des Dome-
nichino
im Pallaſt Borgheſe. Viele halten ſie fuͤr
ein Original.


Eine Landſchaft von Pietro da Cortona.


Ein Portrait des Giovanni Bellino mit
ſeinem Nahmen,
von ihm ſelbſt gemahlt.


Eine Madonna mit dem Kinde: Ein En-
gel fuͤhrt den heiligen Franciſcus herbei.
Ein
ſchoͤn componirtes Bild von Annibale Carraccio.


Cleopatra zu den Fuͤßen Caͤſars vom Gu-
ercino,
in ſeiner rothen Manier.


Johannes der Taͤufer mit einem Bock,
von Caravaggio. Eine Wiederholung desjenigen
Bildes, welches im Pallaſt Doria unter dem Nah-
men der Wolluſt und der Unſchuld bekannt iſt.
Schoͤn.


R 5Einige
[266]Das Capitol.

Einige Skizzen zu Plafonds, von Paolo
Veroneſe.


Der Chriſt und der heilige Johannes als
Kinder,
Skizze des Guido.


Erminia mit dem Hirten von Lamfranco.


Ein ſitzender Soldat und eine Zauberin.
Beide vom Salvator Roſa.


Amor in der Schmiede Vulkans, ſchoͤner
Baſſan.


Galathee nach Raphael von Pietro da
Cortona.


Der heilige Matthaͤus mit dem Engel, vom
Guercino.


David, der den Saul verlaͤßt, um in den
Streit gegen Goliath zu eilen,
und der
Triumph Davids nach dem Siege;
zwei Ge-
maͤhlde aus der Schule des Pietro da Cortona.


Zwei gute Koͤpfe voller Charakter, aus
der deutſchen Schule.


Eine heilige Familie von Schiavone.


Der Teich zu Bethesda, Skizze vom Do-
menichino.


Ein heiliger Sebaſtian aus der Schule der
Carracci.


Noch ein heiliger Sebaſtian, wahrſcheinlich
aus derſelben Schule.


Eine heilige Magdalena. Manier des Paolo
Veroneſe.


Ein Bildniß des Michael Angelo, ſchoͤn
gezeichnet und voller Charakter. Man ſagt, es ſey
von ihm ſelbſt, aber da es ſehr zweifelhaft iſt, ob er je
in
[267]Das Capitol.
in Oehl gemahlt habe, ſo geht man ſicherer, wenn
man es fuͤr ein Werk aus ſeiner Schule haͤlt.


Zwei allerliebſte Landſchaften des Do-
menichino.


Ein heiliger Johannes vom Salviati.


Das ſchoͤnſte Bild in dieſem Pallaſte iſt † dieFortuna des
Guido Reni.

beruͤhmte Fortuna des Guido Reni. Sie fliegt
um den Erdball herum, und Amor ſucht ſie bei den
Haaren und bei dem Schleier feſtzuhalten. Der Ge-
danke iſt vortrefflich, nur Schade, daß der Mahler
die Haͤlfte ihrer Beine hinter die Weltkugel verſteckt
hat, denn dadurch ſehen ſie wie in der Mitte abge-
ſchnitten aus. Der Kopf der Fortuna iſt nicht beſon-
ders ſchoͤn, aber die Stellung iſt ſehr reitzend, und
die Umriſſe ſind ſehr ſwelt. Der Amor iſt aͤußerſt
lieblich. Die Zeichnung iſt mehr fein als correkt,
aber die Faͤrbung iſt friſcher und kraͤftiger als in den
meiſten Bildern dieſes Meiſters. Das unſrige iſt
aus ſeiner hellen Manier. Die Figuren haben viele
Ruͤndung.


Judith im Dankgebeth fuͤr die Rettung ih-
res Vaterlandes und ihrer Unſchuld, die ihr
durch ihre Hand verliehen iſt,
eine Copie von
Carlo Maratti nach dem beruͤhmten Gemaͤhlde des
Guido Reni im Pallaſt Spada.


Pallaſt
[268]

Pallaſt Borgheſe.


Wichtigkeit
und Groͤße
der Gemaͤhl-
deſammlung
in dieſem
Pallaſte.

Keine Gemaͤhldeſammlung in Rom koͤmmt derjeni-
gen, die ſich in dieſem Pallaſte befindet, an
Groͤße und Wichtigkeit bei, und man haͤlt ſie mit
Recht fuͤr eine der erſten in Europa.


Man wird nicht leicht einen großen Meiſter aus
irgend einer Schule Italiens nennen koͤnnen, den ein-
zigen Correggio ausgenommen, von dem hier nicht
vorzuͤgliche Werke anzutreffen waͤren. Allein die
Menge der Tizianſchen Gemaͤhlde, die man hier
haͤufiger als in andern Gallerien Roms antrifft, gibt
mir beſonders Gelegenheit, eine Anleitung zur Kennt-
niß dieſes großen Mahlers vorauszuſchicken.


Tizian Ve-
celli; Unter-
ſcheidungs-
zeichen ſeines
Stils.

Tiziano Vecelli da Cadore, deſſen Nahme
Tizian, mit dem Begriffe eines unendlichen Werthes
in der Mahlerei, in unſere Sprache aufgenommen iſt,
lebte von 1477 — 1576. Giovanni Bellini,
nicht Gentile Bellini, wie d’ Argensville irrig ſchreibt,
war der erſte Meiſter unſers Kuͤnſtlers. Sein trocke-
ner, kleinlicher Stil zeigt ſich in den Umriſſen der er-
ſten Werke des Schuͤlers, ſo wie die uͤbertriebene
Kraft in der Faͤrbung, die er vom Giorgione entlehnte.
Doch ſind Werke dieſer Art außerhalb Venedig aͤuſ-
ſerſt ſelten.


In der Folge ward die Natur ſeine einzige Fuͤhre-
rin, und da dieſe ſich unter unendlichen Abwechſelun-
gen zeigt, keine einſeitige Art die Gegenſtaͤnde zu ſehen
und darzuſtellen zulaͤßt; ſo darf man auch eine gewiſſe
beſtimmte
[269]Pallaſt Borgheſe.
beſtimmte Manier in den Gemaͤhlden aus der zwei-
ten Epoche nicht ſuchen.


Im Alter verließ er ſich zu ſehr auf ſeine erlangte
Fertigkeit, vernachlaͤßigte die treue Nachfolge der Na-
tur, und ward unbeſtimmt.


Ohngeachtet dieſer Abwechſelung in der Verfah-
rungsart unſers Meiſters, laſſen ſich doch gewiſſe
Kennzeichen angeben, an denen man ſeine Werke wie-
der erkennt. Nur erinnere ich hier wieder an den Un-
terſchied, den man zwiſchen Vorzuͤgen und Fehlern
machen muß, die von der Wahl des Kuͤnſtlers ab-
haͤngen, und ſolchen, die blos Werk des Zufalls ſind.


Ich habe einige vortrefflich gedachte Gemaͤhlde
Tizians geſehen, aber noch viel mehr, die von Seiten
der poetiſchen Erfindung keinen Werth hatten. Einen
vortrefflichen Compoſiteur darf man ihn nicht nennen.


In der mahleriſchen Anordnung folgte er blos dem
Grundſatze, ſolche Gegenſtaͤnde zuſammen zu ſtellen,
die ſich durch ihre Localfarben wechſelſeitig hervorheben.
Dieſer Grundſatz iſt zu eingeſchraͤnkt, vielen andern,
die bei dieſem Theile der Kunſt in Betrachtung kom-
men, zu untergeordnet, als daß man auch hier einen
Hauptvorzug Tizians aufſuchen koͤnnte.


Ich habe es ſchon oͤfterer bemerkt, es gibt einen
doppelten Ausdruck: Den Ausdruck der Seele in Ruhe,
den Ausdruck der Seele in der Thaͤtigkeit, welche die
Handlung erfordert, bei der ſie intereſſirt iſt. Der
erſte iſt der Charakter, den jeder Portraitmahler ſei-
nen Figuren geben ſollte: Der letzte, der Affect, nach
welchem jeder Hiſtorienmahler den Charakter in Darſtel-
lung der Begebenheit, wobei die aufgeſtellte Perſon
eine
[270]Pallaſt Borgheſe.
eine Rolle ſpielt, modificiren ſollte. Der Ausdruck
eines denkenden Weſens in Ruhe iſt dem Tizian beſſer
und oͤfterer gegluͤckt, als der Ausdruck einer beſtimm-
ten Thaͤtigkeit. Er mahlte viel Bildniſſe, und ſtellte
den Menſchen dar, wie er ſich am bequemſten beob-
achten laͤßt.


In der Wahl ſeiner Formen folgte er der ſchoͤnen
Natur ſeines Landes. Er mahlte ſeine Weiber mit
den Reitzen, die auf die groͤbern Sinne Eindruck ma-
chen: nicht mit ſolchen, die den Geiſt entflammen.
Ein gewiſſer Nationalcharakter, den man in allen ſei-
nen Koͤpfen wieder findet, macht dieſe ziemlich unter
einander aͤhnlich. Die Koͤrper ſind fleiſchigt, die Arme
ſtark, und die Finger etwas zu laͤnglicht.


Tizians Kin-
der.

Tizians Kinder haben von jeher den groͤßten
Kuͤnſtlern zu Modellen gedient, und, wie man be-
hauptet, hatte er den Begriff der Schoͤnheit dieſes
Alters von ein Paar antiken Basreliefs in der Kirche
Sta. Maria de’ Miracoli in Venedig entlehnt. 1 a)


Maͤnner
[271]Pallaſt Borgheſe.

Maͤnner reiferen Alters haben auf ſeinen Gemaͤhl-
den zuweilen viel Edles. Aber ich erinnere mich nicht
einen ſchoͤnen Juͤngling von ihm gemahlt geſehen zu
haben; es muͤßte denn auf Bildniſſen ſeyn.


Tizian zeichnete mit dem Pinſel, und folgte haupt-
ſaͤchlich ſeinem Augenmaaße. Da dieſes ziemlich rich-
tig war, und da er ſorgfaͤltig ſchwere Stellungen ver-
mied, ſo fallen die Incorrektionen ſeiner Zeichnung
nicht ſo ſehr auf. Unbeſtimmt iſt ſie inzwiſchen immer,
wozu auch der Umſtand vieles beitrug, daß er die Um-
riſſe ſehr in den Grund zu vertreiben ſuchte. Die
Haare und Nebenwerke vernachlaͤßigte er. Seine
Gewaͤnder ſind ſchlecht geworfen, und die Falten ohne
Deutlichkeit angegeben. Aber die Behandlung der
Stoffe iſt aͤußerſt wahr.


Tizians groͤßtes Verdienſt beſteht in der Vortreff-
lichkeit ſeines Colorits.


Es wird ſchwer, etwas Befriedigendes uͤber dieTizians Co-
lorit. Von
den Erfor-
derniſſen ei-
nes guten
Colorits
uͤberhaupt.

Grundſaͤtze zu ſagen, die er dabei befolgt hat. Die
groͤßten Meiſter haben Muͤhe, ihm mit dem Pinſel
zu folgen: Wie waͤre es moͤglich, mit Worten ſeine
Verfah-
1 a)
[272]Pallaſt Borgheſe.
Verfahrungsart zu entziffern? Inzwiſchen, da es hier
nur darauf ankoͤmmt, dem Liebhaber die Verdienſte
unſers Kuͤnſtlers um dieſen Theil der Kunſt zu entwi-
ckeln, und ihm zugleich eine Richtſchnur zu geben, wor-
nach er die Verdienſte aͤhnlicher Art bei andern Mei-
ſtern pruͤfen kann; ſo will ich kurz die einfachſten Er-
forderniſſe eines guten Colorits in Erinnerung bringen,
um ſo mehr, da wir uns ohne vorlaͤufige Beſtim-
mung der Schwierigkeiten, ſchwerlich uͤber das Lob,
ſie uͤberwunden zu haben, verſtehen wuͤrden.


Colorit iſt die Bekleidung eines Gegenſtandes mit
den Farben, die ihn in der Natur von andern ſichtba-
ren Gegenſtaͤnden unterſcheiden.


Jeder Gegenſtand hat ſeine ihm eigenthuͤmliche
Farbe, aber das unaufmerkſame Auge uͤbergeht die
Nuͤancen und theilt ſie nach einigen Hauptfarben ein,
als ſchwarz, weiß, gelb, roth u. ſ. w. Zur Wie-
dererkennung iſt dies genung, aber nicht zum Gefuͤhl
der Wahrheit. Es gibt unzaͤhlige Nuͤancen einer
Hauptfarbe, und nirgends aͤußert ſich dieſe Verſchie-
denheit auffallender und ſtaͤrker als in der Carnation.
Jedes Glied des menſchlichen Koͤrpers, jedes Alter,
jede Conſtitution, jede Leidenſchaft haben ihre eigen-
thuͤmliche Farbe, die wir alle unter dem allgemeinen
Nahmen: Fleiſchfarbe begreifen.


Dieſe eigenthuͤmliche Farbe nun findet ſich ſelten
rein auf der Palette: ſie muß gemeiniglich gemiſcht wer-
den: und wenn wir von Localfarben reden, ſo iſt dies
nicht in der Maaße zu verſtehen, daß man eine Farbe,
ſo wie ſie eines der Reiche der Natur liefert, wie ſie der
Mahler auf die Palette bringt, gerade zu auf die
Flaͤche
[273]Pallaſt Borgheſe.
Flaͤche des Gemaͤhldes aufſetzen koͤnnten: ſondern ſie
wird nur in Verhaͤltniß mit andern mehr gemiſchten
Farben im hoͤchſten Lichte, im Halbſchatten, im gan-
zen Schatten: Localfarbe genannt. 1 b) Localfarbe
iſt alſo die Farbe, die wir in groͤßeren Parthien auf derLocalfarbe.
Flaͤche des Gegenſtandes antreffen, die weder durch
eine merkliche Erhoͤhung oder Vertiefung eine Veraͤn-
derung von Licht und Schatten erfordert; von der wir
annehmen, daß jeder Theil unter denſelben Geſichts-
punkt gebracht, ihr aͤhnlich ſeyn wuͤrde; und die mit-
hin den Ton des Ganzen beſtimmt.


Es iſt ſchon eine große Kunſt, die jedem Objekte
eigenthuͤmliche Localfarbe zu waͤhlen, oder zu miſchen:
und darin war Tizian Meiſter.


Allein, das iſt noch bei weitem das Geringſte vonModiflca-
tion der Lo-
calfarbe
vom hoͤch-
ſten Lichte an
bis zum
ſtaͤrkſten
Schatten:
Farbenmi-
ſchung, Faͤr-
bung, im
eigentlich-
ſten Verſtan-
de.

dem, was zu einem guten Coloriſten erfordert wird.
Der Mahler, der ein Objekt auf einer Flaͤche vor-
ſtellt, muß mir daſſelbe rund erſcheinen laſſen; das
heißt, er muß durch die Modification von Licht und
Schatten mir alle Umriſſe der Profile zeigen, die der
runde Gegenſtand haben wuͤrde, wenn ſich das Auge
oder der Gegenſtand darnach drehete. Er muß Er-
hoͤhungen und Vertiefungen zeigen, die dann noth-
wendig eine Veraͤnderung in der Localfarbe hervorbrin-
gen, ohne daß ich ſie aller dieſer Veraͤnderungen ohn-
geach-
Erſter Theil. S
[274]Pallaſt Borgheſe.
geachtet je vermiſſen darf. Mit einem Worte, im
hoͤchſten Lichte und im tiefſten Schatten muß ich die
Localfarbe immer deutlich wieder erkennen.


Die Art, wie die Roͤmiſche und Florentiniſche
Schule darunter zu Werke ging, widerſprach der Na-
tur. Sie mahlten jeden Gegenſtand, als wenn die
Brechung der Lichtſtrahlen auf jede Farbe nur einerlei
Veraͤnderung hervorbraͤchte: ſie hoͤheten alles mit
Weiß, verdunkelten alles mit Schwarz. Dies iſt
falſch. Jede Localfarbe, auch des einfachſten Ge-
wandes erfordert im Schatten und im Lichte einen Zu-
ſatz fremder, zuweilen, dem erſten Anſchein nach,
ganz heterogener Farben. Allein hier ſind die Neueren
wieder ausgeſchweift. Um Abwechſelung hervorzu-
bringen, ſind ſie oft bunt geworden, ſo daß ihre Lich-
ter und ihre Schatten wie aufgeheftete Lappen koſtba-
rer Stoffe ausſehen, waͤhrend daß Raphaels und
Michael Angelos Gemaͤhlde wenigſtens den Vorzug
wohlgetuſchter Zeichnungen haben. Beides muß ver-
mieden werden. Blicke, Localfarbe, Halbſchatten,
Drucker, Alles muß ein harmoniſches Ganze ausma-
chen, das mir die Ueberzeugung gibt, es liege blos
an meiner Stellung, daß ich gewiſſe Stellen dunkler,
andere heller an Farbe ſehe. Aber eben dieſe Blicke,
dieſe Halbſchatten, dieſe Localfarben, dieſe Drucker
muͤſſen auch ſo abwechſelnd unter einander ſeyn, daß
ich die Verſchiedenheit der Farbe eines Gegenſtandes
von der Farbe eines andern, in jeder Modification des
Lichts und des Schattens, fuͤr ſich betrachtet, wieder
erkenne. Vielleicht iſt kein Mahler in der Welt dem
Tizian hierin gleich gekommen.


Die
[275]Pallaſt Borgheſe.

Die große Kenntniß, die unſer Kuͤnſtler von dem
Effect jeder auch der feinſten Nuͤance der Farben hatte,
in wie fern ſie durch ſich ſelbſt, ohne Zuſatz von Weiß
und Schwarz hervorſticht, oder zuruͤckweicht, je nach-
dem man ſie nur bei einer andern hellern oder dunklern
hinſtellt, zeigt ſich am auffallendſten in der Wahl ſei-
ner Gewaͤnder. Wie oft hat er das Blut in den
Adern hervorſcheinen laſſen, blos durch das weiße Ge-
wand, womit er nackte Koͤrper bekleidete! Allein bei
einer genaueren Pruͤfung wird man die ganze Wuͤr-
kung ſeiner Carnation beinahe auf keinen andern Grund-
ſatz als den eines feinen Contraſts verſchiedener Nuͤan-
cen gebauet finden. Da ſind eine Menge heller Tin-
ten neben einander geſtellt, die man, einzeln betrachtet,
wenig verſchieden von einander findet. Aber zuſam-
men geſtellt heben ſie ſich wechſelſeitig und mit bewun-
dernswuͤrdigem Effect hervor.


Durch dies Geheimniß unterſtuͤtzt, konnte nun
Tizian die ſtarken breiten Schatten zur Ruͤndung bei-
nahe ganz entbehren. Selbſt die perlgrauen Halb-
ſchatten hat er nur ſelten gebraucht. Alles ſcheint
Licht, und doch iſt alles rund. So ſieht man die
Gegenſtaͤnde in der Natur bei Tage, wo ein ſtarker
Schatten ſelten, und der Schoͤnheit gewiß nicht vor-
theilhaft iſt.


Auch ließ Tizian dies Licht von oben herabfallen,
und ſtellte ſeine Figuren ganz hinein. Daher die
ſchoͤnen breiten und hellen Parthien, die ein froͤhliches
Anſehen geben: Man verfolgt ſie unmerklich in die
roͤthlichen Halbſchatten, die bis hart an den Umriß
fortlaufen, und ſich dort in den braͤunlichen ſchmalen
S 2Haupt-
[276]Pallaſt Borgheſe.
Hauptſchatten verlieren, der wieder den Uebergang in
den Grund macht. Doch iſt er ſich hierin nicht gleich;
einige ſeiner Bilder ſind in einem helleren, andere in
einem dunkleren Tone gemahlt.


Seine Behandlung war vortrefflich: Wahrſchein-
lich legte er ſeine Gemaͤhlde ſehr hell an, und arbei-
tete ſie zu mehreren Mahlen uͤber. Er wandte eine
unglaubliche Sorgfalt darauf. Inzwiſchen bemerkt
man ſie nicht. Alles ſcheint auf den erſten Strich,
mit einer Lage, fertig gemacht zu ſeyn: Kaum daß
das grobe Tuch, auf dem er oͤfters mahlte, mit Farbe
bedeckt zu ſeyn ſcheint.


Daß Tizian ſeine Figuren fuͤr ſich zu runden
wußte, haben wir geſehen; aber das eigentliche Ge-
heimniß des Helldunkeln beſaß er nicht. Man findet
in ſeinen Werken wenig Spuhren von Reflexen.


Tizian iſt der groͤßte Portraitmahler geweſen, der
je gelebt hat. Er war aber auch, bis auf die
Luftperſpektiv, die er wenig beobachtete, ein guter
Landſchaftsmahler. Paul Brill, Breughel, Ru-
bens und die Carracci haben dieſe Art von Mahlerei
in ſeinen Werken ſtudirt. Ein Wiedererkennungs-
zeichen ſeines Stils in der Landſchaftsmahlerei iſt die
unverhaͤltnißmaͤßige Groͤße der Blaͤtter gegen den
Stamm der Baͤume. 1 c)


Erſtes
[277]Pallaſt Borgheſe.

Erſtes Zimmer.


Petrus und der Engel von Mola.2) Es
iſt eins der beſten Bilder dieſes Meiſters in Rom.
Der Engel ſteigt auf einer Wolke herunter, und bei
ſeiner Annaͤherung zerſpringen die Feſſeln des Petrus.
Man ſieht beide Figuren uͤber einander in der Verkuͤr-
zung. Sie iſt dem Mahler zwar wohl gelungen,
aber ſie gibt der Gruppe keine angenehme Form.
Die Farbe iſt uͤbertrieben, die Schatten haben nach-
geſchwaͤrzt.


Tizian mit ſeinem Weibe. Ob die Farbe
gleich gelitten hat, ſo erkennt man doch die Manier
wieder. Der Kopf des Mannes iſt ſchoͤn.


Judith und ihre Magd, von demſelben,
ein ſchoͤnes Gemaͤhlde. Der Kopf der Judith iſt ein
Portrait voller Charakter, und gut gezeichnet. Die
Faͤrbung faͤllt etwas ins Gelbe; die Schatten ſind
ſehr durchſichtig; der Ruͤcken des Weibes tritt unge-
mein vor.


Die Heimſuchung Mariaͤ von Sebaſtiano
del Piombo.
3) So geben es die Kenner an.
S 3Die
[278]Pallaſt Borgheſe.
Die Anordnung iſt ziemlich gut, aber der Ausdruck
fehlt; die Zeichnung iſt hart und ſteif, und die Faͤr-
bung aͤußerſt ſchwach.


Die Himmelfahrt Mariaͤ von Palma dem
aͤltern:
4) iſt aͤußerſt zweifelhaft.


Eine heilige Familie, wird ohne Grund dem
Andrea del Sarto zugeſchrieben.


Wir haben von dieſem Meiſter in Rom kaum ein
einziges Werk, das man mit Zuverlaͤßigkeit fuͤr das
ſeinige ausgeben kann, vielweniger eines ſeiner vor-
zuͤglichen. Man muß ihn nach demjenigen beurthei-
len, was man von ſeiner Hand in Florenz ſieht.


Andrea

3)


[279]Pallaſt Borgheſe.

Andrea del Sarto ward gebohren 1488. ErAndrea del
Sarto.

bildete ſich hauptſaͤchlich nach Leonardo da Vinci, aber
er nutzte auch die Werke des M. Angelo, des Fra
Bartholomeo und Raphaels. Die meiſten ſeiner
Gemaͤhlde waren beſtellte Werke, die Aſſembleen von
Heiligen, ohne Verbindung durch eine gemeinſchaft-
liche Handlung, vorſtellen. Dabei konnte er keine
Staͤrke in der Compoſition zeigen.


Seine Anordnung iſt zu ſymmetriſch. In ſei-
nen Koͤpfen herrſcht zu wenig Abwechſelung. Der
Charakter iſt kleinlich, und kraͤnklich furchtſam. Man
bemerkt, wenn ich ſo ſprechen darf, einen Leonardiſch
ſuͤßlichen Zug darin.


Als auffallende Kennzeichen kann man die knoͤrp-
lichten, eckigen Naſen, die hagern Wangen, und
die hoch liegenden Augenknochen anſehen.


Er zeichnete mit vieler Feinheit, aber nicht ganz
richtig. Seine Extremitaͤten ſind zu knoͤchern. Die
Gewaͤnder haben viel vom Geſchmack des Fra Bar-
tholomeo, aber ſie ſind viel ſtudirter und weniger wahr.
Seine Faͤrbung iſt ſehr angenehm, friſch, durchſich-
tig und harmoniſch. Aber in den Schatten faͤllt der
Ton zu ſehr ins graͤulich blaue. Wenige Mahler ha-
ben ihre Farben ſo in einander zu vertreiben gewußt,
und ſo friſche durchſichtige Halbſchatten gemahlt; dieſe
ſind inzwiſchen zu blaͤulich.


Andrea del Sarto war ſich ſelbſt ſehr ungleich in
ſeinen Werken. Man hat Figuren von ihm, die
Nichts zu wuͤnſchen uͤbrig laſſen, in denen ſogar eine
Niederlaͤndiſche Ruͤndung herrſcht: Andere wieder
ſind verzeichnet, hart in den Umriſſen, ohne Harmonie,
S 4und
[280]Pallaſt Borgheſe.
und abgeſtanden in der Faͤrbung. Er ſtarb 1530.
Seine beſten Gemaͤhlde ſind zu Florenz.


Tobias mit dem Engel, vom Rafaelino da
Reggio.
5) Ich zeige dieſes Bild an, weil es
Auguſtino Caraccio in Kupfer geſtochen hat.


Carita Ro-
mana, vom
Guercino.

Das ſchoͤnſte Bild in dieſem Zimmer iſt † ein alter
Greis in Feſſeln geſchlagen, der den Kopf um-
drehet, waͤhrend daß eine junge Frauensperſon
durch das Gitter des Fenſters des Gefaͤngniſ-
ſes guckt.
Dies Bild iſt vom Guercino. Man
nennt es gemeiniglich eine Carita Romana. 6) Da
die Bedeutung zweifelhaft iſt, ſo mag ich nicht uͤber
die Richtigkeit des Ausdrucks urtheilen. Jeder Kopf
fuͤr ſich betrachtet, iſt voll Charakter und Wahrheit.
Die Muſkeln fließen vortrefflich in einander, und ſind
mit der ſchoͤnſten Haut bedeckt. Die Faͤrbung iſt aus
des Meiſters beſten Zeit; vorzuͤglich aber muß man
das Helldunkle und die Behandlung bewundern. Ich
werde Gelegenheit finden, von dieſem Meiſter noch
anderswo zu reden.


Zwei-
[281]Pallaſt Borgheſe.

Zweites Zimmer.


Der ſogenannte Schulmeiſter. So nenntEin ſchoͤnes
Portrait, be-
kannt unter
dem Nah-
men: der
Schulmei-
ſter.

man das Bildniß eines Mannes, welcher ſitzend ein
Buch haͤlt. Viele nehmen es fuͤr ein Werk Tizians
an, aber von dieſem Meiſter iſt es gewiß nicht. An-
dere legen es dem Moroni 7) bei. Endlich hat Mengs
es fuͤr ein Werk des Guido erkannt, und dieſem trete
ich, der Behandlung des Pinſels wegen, bei. Das
Verdienſt dieſes Gemaͤhldes rechtfertigt die Sorgfalt,
mit der man den Nahmen des Meiſters aufſucht.
Stellung und Geſichtszuͤge kuͤndigen den Pedanten an.
Dieſer Kopf iſt ſehr beſtimmt gezeichnet, und von
ſchoͤner Faͤrbung. Man ſollte glauben das Werk ſey
von einem Niederlaͤnder, ſo weiſe iſt das Helldunkle
behandelt, mit ſo vieler Liebe ſind die Beiwerke aus-
gefuͤhrt.


Ein anderes Bildniß eines dicken Man-
nes, der in einem Brevier lieſet.
Eine Inn-
ſchrift nennt wahrſcheinlich den Meiſter des Bildes,
S 5der
[282]Pallaſt Borgheſe.
der ſich ſelbſt gemahlt hat, J. P. Licinio anno ae-
tatis
55. Man hat alſo Recht, dieſes Bild einem
der Pordenone beizulegen. Es fraͤgt ſich nur, wel-
chem? In der Note 8) wage ich daruͤber eine
Muthmaaßung. Die Zeichnung iſt gut, und der
Ausdruck vortrefflich. Die Faͤrbung faͤllt ins-
Rothe.


Eine heilige Familie. Der Chriſt ſchlaͤft,
eine Heilige haͤlt ihn, die Madonna betet ihn

an,
[283]Pallaſt Borgheſe.
an, und der kleine Johannes kuͤßt ihm die
Fuͤße.
Kenner halten dies Bild fuͤr ein Werk Ti-
zians, geſtehen aber, daß es keins ſeiner ſchoͤn-
ſten ſey.


Eine andere heilige Familie, wo die
Mutter gleichfalls den Chriſt anbetet.
Die
uͤbrigen Figuren ſind, ein kleiner heiliger Johannes,
eine heilige Catharina, und ein heiliger Auguſtin.
Dies Bild iſt ungezweifelt vom Tizian, und eins ſei-
ner ſchoͤnſten aus der dunklern Manier. Die Koͤpfe
des heiligen Auguſtins und der heiligen Catharina ſind
ſchoͤn und wahr. Es iſt viel Harmonie in dieſem
Bilde, und die Schatten ſind ſehr durchſichtig. Der
Chriſt auf einem weißen Kuͤſſen, ohne alle dunkle
Schatten, hebt ſich durch die unerklaͤrbare Gradation
der Tinten.


Der Chriſt auf einem Throne, ein Buch
in der Hand. Auf der einen Seite die Apoſtel,
auf der andern eine Frau auf den Knien, ein
Mann im reifen Alter, der die Hand auf die
Bruſt legt, und ein Juͤngling.
Wahrſcheinlich
aus der Venetianiſchen Schule. Viele halten es fuͤr
ein Werk Tizians, und es iſt ſeiner nicht unwerth.
Die Figur des Mannes, der die Hand auf die Bruſt
legt, iſt edel und wahr.


Chriſt am Kreutze zwiſchen der Jungfrau
und dem heiligen Johannes,
angeblich vom
Giulio Romano. Ich halte es fuͤr ein Werk der
Florentiniſchen Schule. Der Ausdruck fehlt ganz
und gar.


Eine Hirten-Anbetung, eins der ſchoͤnſten Bil-
der des Baſſano. Man muß die leichte Behand-
lung
[284]Pallaſt Borgheſe.
lung des Pinſels, die Kraft und den Auftrag der Far-
ben bewundern. Außerdem herrſcht eine gewiſſe nie-
drige Wahrheit darin, die das Verdienſt einer ge-
treuen Nachahmung hat. Der Chriſt ſcheint in der
Naͤhe ein Fleck hingeworfener ungemiſchter Farbe, der
zu unſerm Erſtaunen Wahrheit und Leben in der Ferne
erhaͤlt. Ein junger Hirt, und der Kopf des Joſephs,
ſind gleichfalls nicht aus der Acht zu laſſen. Ich
werde weiter unten von dieſem Meiſter reden.


Meiſterſtuͤck
des Garo-
falo.

Ein todter Chriſt mit der Mutter und
mehreren Heiligen.
Ein Meiſterſtuͤck des Garo-
falo.
9) Erfindung und Anordnung ſind zwar nicht
zu loben; auch iſt die Luftperſpektiv nicht beobachtet,
und die Zeichnung trocken und ſteif. Allein das Bild
hat doch viele einzelne Schoͤnheiten. Die Stellung
der Magdalena iſt ſehr reitzend, und der Ausdruck
zutreffend. Der heilige Hieronymus hat einen ſchoͤ-
nen
[285]Pallaſt Borgheſe.
nen Kopf, und bei dem heiligen Johannes ſcheint der
Mahler ſehr gluͤcklich einen der Soͤhne des Laocoon
zum Vorbilde genommen zu haben. Die friſchen
Localfarben, welche immer das charakteriſtiſche Ver-
dienſt unſers Meiſters ausmachen, ſind auch in die-
ſem Bilde unſerer Aufmerkſamkeit werth.


Moſes, der Waſſer aus einem Felſen
ſchlaͤgt;
(auf Seide) Wahrſcheinlich von Lucas
von Leiden,
10) denn es iſt ſein Stil, und man ſieht
einen L. mit der Jahrzahl 1527 darauf. Die Kin-
der Iſrael ſind alle in Spaniſcher Tracht vorgeſtellt.


Die Anbetung der Hirten von Bronzino.
Die Zeichnung iſt trocken, und ohne Ausdruck, die
Engel, die uͤber dem Chriſt fliegen, ſind beſſer ge-
dacht als ausgefuͤhrt.


Der Chriſt vom Engel geſtaͤrkt, vom
Paolo Veroneſe.


Alle Welt betet den Herrn an, von Pe-
regrino Tibaldi,
wie folgende Aufſchrift lehret: Pe-
regrinus Tibaldi Bonon. faciebat Anno aeta-
tis ſuae 22. MDXLVIII.
Vorn ſitzt eine Sybille,
die auf den Chriſt zeigt, zu ihren Fuͤßen liegt ein Zet-
tel mit lateiniſchen Verſen, welche anzeigen, daß der
Herr
[286]Pallaſt Borgheſe.
Herr bei ſeiner Ankunft auf Erden, Glaͤubige und
Unglaͤubige richten werde. Die Bilder dieſes Mei-
ſters ſind ſehr rar, vorzuͤglich in Rom. Dieſes hier
enthaͤlt eine Menge Academiſcher Figuren, die ſo ſehr
im Stile des Michael Angelo gezeichnet ſind, daß
man ſie beinahe dieſem Meiſter zuſchreiben ſollte.


Stil des
Tibaldi.

Wenn Tibaldi der Manier des M. Angelo gefolgt
iſt; ſo muß man doch geſtehen, daß er mehr im Geiſte
ſeines Lehrers gedacht, als ihn ſclaviſch nachgeahmt
hat. Daher nannten ihn auch die Carracci: il M.
Angelo riformato.
Durch ihn erhielt ſich der
große Stil in Bologna.


Diana mit
ihren Nym-
phen von
Domenichi-
no.

Diana die ihren Nymphen, die nach
einem Ziele ſchießen, Preiſe austheilt.
Da dies
Gemaͤhlde unter die vorzuͤglichſten Werke des Dome-
nichino
gerechnet wird, ſo glaube ich berechtiget zu
ſeyn, es etwas genauer zu beurtheilen.


Das Suͤjet iſt gut gewaͤhlt. Es bietet dem
Kuͤnſtler ein weites Feld dar, den Ausdruck der Ge-
ſchicklichkeit, der Aufmerkſamkeit, des Frohſinns
bei einem unterhaltenden Spiele, und ſchoͤne weibliche
Koͤrper in reitzenden Stellungen zu zeigen. Wir wiſ-
ſen aber ſchon, daß die Wahl des Vorwurfs der ge-
ringſte Theil bei der dichteriſchen Erfindung des Mah-
lers iſt; es koͤmmt bei ihm hauptſaͤchlich auf die Er-
findung der einzelnen Theile an, wodurch er den Vor-
wurf ſinnlich macht: und hier wollen wir unſern Kuͤnſt-
ler zuerſt verfolgen.


Er wollte uns auf Dianen, als Goͤttin, als
diejenige, welche die Preiſe austheilt, auf die Haupt-
perſon in dem Bilde vorzuͤglich aufmerkſam machen.
Er
[287]Pallaſt Borgheſe.
Er hatte den Gedanken des Dichters vor Augen:
Hoch ragt Diana uͤber ihre Nymphen empor. Und
wie druͤckte er ihn aus? Er ſtellte die Goͤttin auf den
dritten Plan ſeines Gemaͤhldes, und gab ihr eine
Hoͤhe, mit der ſie die Baͤume ausgleicht, und die
Nymphen, die ſie umgeben, zu Zwerginnen verklei-
nert. Unſtreitig uͤberſchritt hier Domenichino die
Graͤnzen ſeiner Kunſt. Denn eine Figur, die an dem
Orte, wo ſie ſteht, nach den Regeln der Perſpektiv
ungeheuer wird, zerſtoͤhrt den Sinnebetrug, und alle
Wuͤrkung, die wir von einer wohlgeordneten Gruppe
erwarten. Mehr Adel, mehr Wuͤrde in Mine und
Bildung wuͤrde die Goͤttin hinreichend von den um-
ſtehenden Nymphen unterſchieden haben. Allein ge-
rade daran fehlt es unſerer Diana. Ihr Kopf iſt ohne
Ausdruck, die Figur wird vorzuͤglich durch das ſonder-
bar geworfene Gewand ſchwerfaͤllig; die Stellung iſt
gezwungen, und die Haͤnde ſind incorrekt gezeichnet.


Unter den umſtehenden Nymphen gibt es herrliche
Koͤpfe, und der Ausdruck des freudigen Erſtaunens,
mit welchem die eine die Geſchicklichkeit ihrer Geſpie-
lin bewundert, iſt unvergleichlich.


Etwas weiter zur Linken auf dem zweiten Plane
ſieht man die Gruppe der Nymphen, die wuͤrklich
mit Schießen beſchaͤfftigt ſind, oder doch naͤheren An-
theil daran nehmen. Sie hat ganz meinen Beifall.
Es herrſcht in Minen und Stellungen die groͤßte
Wahrheit und Mannichfaltigkeit des Ausdrucks. Die
eine Nymphe hat gerade den Pfeil abgedruͤckt, der
den aufgeſteckten Vogel getroffen hat: Ihr Arm liegt
noch in der Stellung des Abſchnellens. Eine andere
macht ihr freudig den gluͤcklichen Schuß bemerklich.
Eine
[288]Pallaſt Borgheſe.
Eine dritte, die mit ihr geſchoſſen hat, ſcheint ihr das
Verdienſt des Treffens abzuſtreiten. Eine vierte zieht
einen Pfeil aus dem Koͤcher, und eine fuͤnfte betrach-
tet mit beſorglichem Intereſſe den Flug des Pfeils.
Vielleicht ruͤckte der Mahler bei der Darſtellung dieſer
letzten Figur die Handlung um einige Augenblicke zu-
ruͤck, und vergaß, daß die Mahlerei ſich mit Darſtel-
lung einer ſichtbar ſtehenden Handlung begnuͤgen muß.
Die Nymphe ſieht, daß der Vogel getroffen iſt, wie
kann ſie noch beſorgen, daß er nicht getroffen werden
moͤge? Hinter dieſer Gruppe zwei Figuren, die beifaͤl-
lig zuſehen.


Auf dem Vorgrunde eine dritte Gruppe. Von
zwei Nymphen, die ſich baden, ſucht die eine die an-
dere auf den gluͤcklichen Schuß aufmerkſam zu machen.
Dieſe beiden Figuren ſcheinen mir vorzuͤglich ſchoͤn.
Der Schlagſchatten, der von den Baͤumen auf ſie
faͤllt, thut eine ſehr gute Wuͤrkung. Vielleicht aber
ſind die Koͤpfe zu groß. Eine dritte Nymphe, die
den Schuh anlegt, und die man von hinten zu ſieht,
iſt im Halbſchatten gehalten, und zeigt bei den reitzend-
ſten Formen eine Menge der zarteſten Tinten. Zwei
Schaͤfer, die im Buſchwerk verſteckt ſind, belauſchen
die Badenden, und die Faͤrbung ihrer Koͤpfe iſt aͤuſ-
ſerſt kraͤftig. Ein Hund, der auf ſie zuſpringen will,
wird mit aller Staͤrke von einer Nymphe aufgehalten.
Form und Ausdruck dieſer Figur ſind vortrefflich.


So viel von der poetiſchen Erfindung dieſes Bil-
des, wobei ich beilaͤufig ſchon einige Fehler gegen an-
dere Theile der Kunſt geruͤgt, und einige Vorzuͤge in
Anſehung eben dieſer Theile herausgehoben habe.


Die
[289]Pallaſt Borgheſe.

Die mahleriſche Anordnung iſt im Ganzen
keinesweges zu billigen. Die Gruppen haben
nicht die Verbindung mit einander, die das Ge-
maͤhlde als ein Ganzes beim erſten Anblicke darſtellen
ſollte. Auch ſind zu viel Figuren auf dem Bilde:
im Hintergrunde iſt Gewuͤhl. Aber einzelne Grup-
pen ſind vortrefflich componirt.


Von dem Ausdruck habe ich bereits geredet; er
iſt vortrefflich. Man findet Koͤpfe von großer Schoͤn-
heit. Die Zeichnung iſt fein, aber nicht ganz ohne
Incorrektionen. Die Gewaͤnder ſind ſchlecht. Das
Colorit iſt angenehm, aber nicht immer wahr; die
Beleuchtung hin und wieder gluͤcklich geleitet: Allein
im Ganzen mangelt es doch an Harmonie, und eben
dies kann man noch dem Colorit vorwerfen. Auch die
Luftperſpektiv iſt vernachlaͤßigt.


Drittes Zimmer.


Zwei Portraits auf einem Bilde, halbeFra Seba
ſtiano und
der Cardinal
Hippolytus
di Medices,
gemeiniglich
Borgia und
Machiavell
genannt.

Figuren. Die eine Figur mit dem Siegel in der
Hand ſcheint den Fra Sebaſtiano del Piombo vorzu-
ſtellen, die andere aber den Cardinal Hippolytus di
Medices.


Man hat dies Bild, ſeiner Vortrefflichkeit we-
gen, oft dem Raphael zugeſchrieben. Allein es iſt
wahrſcheinlicher vom Fra Sebaſtiano del Piombo.
Das Siegel in der Hand zeigt ſein Amt und ſeinen
Beinahmen an. Hippolytus, deſſen Nahme auf dem
Bilde ſteht, war des Sebaſtiano Goͤnner. Wir wiſ-
ſen, daß dieſer ihn gemahlt hat, und daß er in Bild-
Erſter Theil. Tniſſen
[290]Pallaſt Borgheſe.
niſſen ſeine groͤßte Staͤrke beſaß. Fuͤr einen Raphael
iſt die Zeichnung vorzuͤglich an den Haͤnden nicht be-
ſtimmt genung: die Faͤrbung hingegen fuͤr ihn zu kraͤftig.


Man nennt die Perſonen auf dieſem Bilde auch
Machiavell und Borgia, aber ohne Grund.


Das heilige Abendmahl von Schia-
vone.
11) Ein Bild, welches von Tizian zu ſeyn
verdiente: So ſchoͤn ſind die Koͤpfe, ſo wahr und
mannichfaltig die Charaktere, obgleich von gemeiner
Natur, ſo kraͤftig iſt die Faͤrbung.


Ein ſchoͤner Moſeskopf von Guido Reni,
aus ſeiner dunkeln Manier.


Lucine und Norandin welche, in Schaafs-
fellen gehuͤllet, unter der Heerde des Rieſen aus ſeiner
Hoͤhle zu entfliehen ſuchen. Eins der beſten Gemaͤhlde
des Lanfranco in Oehl. Die Figur des Rieſen iſt gut,
die andern haben Ausdruck. Vielleicht haͤtte dies
Suͤjet, welches aus dem 17ten Buche des Arioſts
entlehnt iſt, nicht gemahlt werden ſollen.


Simſon, eine Academie, die man dem Tizian
zuſchreibt. Der Nahme des Meiſters iſt zweifelhaft.


Joſeph
[291]Pallaſt Borgheſe.

Joſeph und Potiphars Frau von Lanfranco.


Loth zwiſchen ſeinen Toͤchtern von Hont-
horſt.
12)


Ein Lamm, das von einem Schaafe ge-
ſaͤuget wird,
von Paolo Veroneſe.


Cleopatra und einEcce Homo, zwei Ge-
maͤhlde vom Tizian. Der Nahme iſt zweifelhaft.


Eine junge Nonne, die man gleichfalls dem
Tizian zuſchreibt. Faͤrbung und Haͤnde beweiſen den
Ungrund dieſer Angabe. Sie iſt wahrſcheinlicher von
Vanni da Siena. 13) Es iſt eine ſehr angenehme Fi-
gur, die ſich ihrer Reitze nicht bewußt zu ſeyn ſcheint.


Der Leichnam Chriſti zwiſchen zwei En-
geln,
auf Kupfer, von Guercino. Ein Gemaͤhlde
aus ſeiner guten Zeit.


Eine heilige Familie in einem ovalen Rah-
men. Man haͤlt ſie fuͤr Raphaels Werk, aber die
T 2Zeich-
[292]Pallaſt Borgheſe.
Zeichnung iſt nicht correkt genung, um es fuͤr etwas
mehreres, als fuͤr ein Werk aus ſeiner Schule zu hal-
ten. Einige Kenner behaupten, es ſey ein hoͤchſt ſel-
tenes Oehlgemaͤhlde vom Polydoro da Caravaggio.
Der Kopf der Madonna iſt gut.


Viertes Zimmer.


Gemaͤhlde
Raphaels
aus ſeiner
erſten Ma-
nier.

Ein bewaffneter Ritter, der in einer
Landſchaft ſchlaͤft, und von zwei Heiligen be-
wacht wird.
Dies kleine Gemaͤhlde iſt ſehr intereſ-
ſant, weil es aus der erſten Manier Raphaels iſt,
wahrſcheinlich als er noch unter ſeinem Meiſter Peru-
gino arbeitete. Es hat viel aͤhnliches in der Behand-
lung mit dem heiligen Georg, der den Lindwurm toͤd-
tet, in der koͤnigl. Sammlung zu Paris. Man er-
kennt ſchon das Ausdrucksvolle, das Bedeutende in
den Minen, das unſern Kuͤnſtler immer ausgezeich-
net hat. Uebrigens iſt der Geſchmack der Zeichnung
kleinlich, trocken und ſteif.


Zu beiden Seiten hat Il Fattore zwei andere
Figuren gemahlt, die zwar in einem großen Stil ge-
zeichnet ſind, aber lange nicht den Ausdruck und die
Beſtimmtheit der Vorigen haben.


Eine Madonna mit dem Chriſt, dem ſie
einen Vogel ſchenkt.
Anmuthiger Gedanke. Aber
das Licht iſt zu grell, und die Schatten ſind zuſchwarz.
Wahrſcheinlich von Guercino.


Der heilige Johannes der Taͤufer, angeb-
lich von Raphael. Es iſt der, den man ſo oft ſieht,
und fuͤr deſſen Originalitaͤt man allerwaͤrts mit glei-
chem
[293]Pallaſt Borgheſe.
chem Eifer kaͤmpft. Inzwiſchen duͤrfte dieſer hier
doch ſchwerlich der aͤchte ſeyn.


Eine Madonna mit dem Kinde, von Ser-
monetta.
Die Stellung iſt uͤbertrieben, und die
Farbe faͤllt ins Rothe.


Eine Kreutzabnehmung, von Raphael.Raphaels
Kreutzabneh-
mung aus
ſeiner zwei-
ten Manier.

So ſagt es die Innſchrift und die Jahrzahl 1508.
Vaſari meldet, er habe das Bild fuͤr den großen Al-
tar von Perugia gemacht, nachdem er von Florenz
zuruͤckgekehrt war. Der Kuͤnſtler ſtand noch nicht
auf der Hoͤhe der Vollkommenheit, die er nachher er-
reicht hat, als er dieſes Bild verfertigte, aber er hatte
ſchon den gothiſchen Geſchmack der Schule des Per-
rugino verlaſſen. Man findet kein natuͤrliches Gold
mehr, weder in den Glorien um die Koͤpfe der Heili-
gen, noch in den Stickereien auf den Kleidern. Die
Hand iſt noch etwas furchtſam, demohngeachtet aber
der Ausdruck unvergleichlich. Die Koͤpfe ſind ſchoͤn,
die Zeichnung iſt fein und correkt, die Faͤrbung, ohne
kraͤftig zu ſeyn, friſch und durchſichtig; die Behand-
lung geleckt, und bis zur Kaͤlte ſorgſam in den gering-
ſten Beiwerken. Hieran, und an dem Stile in den
Gewaͤndern, erkennt man die Bekanntſchaft des Mei-
ſters mit den Werken des Leonardo da Vinci, und des
Fra Bartholomeo. Die Luftperſpektive und das
Helldunkle fehlen ganz. Die Umriſſe ſind etwas hart
und nicht genung verſchmolzen.


Die heilige Catharina, von demſelben.
Derſelbe Stil, ja ſogar dieſelben Blumen auf der
Erde. Der Kopf voller Ausdruck hat viel von ſei-
ner Galathee im kleinen Pallaſt Farneſe, der ſogenann-
ten Farneſina.


T 3† Die
[294]Pallaſt Borgheſe.
Die Verſu-
chung des h.
Antonius.

Die Verſuchung des heiligen Antonius,
von Annibale Carraccio. Eins der ſchoͤnſten Ge-
maͤhlde der Gallerie. Mengs hatte Recht zu ſagen,
daß Zuſammenſetzung und Zeichnung italieniſch waͤren,
der Pinſel aber niederlaͤndiſch ſey. Der Kopf des hei-
ligen Antonius, der viel Edles hat, zeigt eine muthige
Ergebung in den goͤttlichen Willen. Die Teufel ſind
mit wahrhaft poetiſcher Einbildungskraft geſchaffen,
in jeder Muſkel ſieht man ihre Staͤrke, in jeder Mine
ihre Bosheit. Weniger iſt dem Kuͤnſtler der Aus-
druck majeſtaͤtiſcher Guͤte in der Figur Gottes des
Vaters gegluͤckt. Seine Mine iſt zu ſuͤßlich.


Eine heilige Magdalena, von demſelben.
Man ſieht, daß er den Correggio hat nachahmen wol-
len, aber er hat ihn nicht erreicht.


Eine andere Magdalena mit dem Engel,
von demſelben, oder wie andere wollen, von Ludo-
vico Carraccio. An Faͤrbung und Haltung unter der
Vorigen.


Man zeigt hier einige Michael Angelo’s, die
man allerwaͤrts zeigt, und die wahrſcheinlich hier ſo
wenig als dort Originale ſind. 14)


Eine heilige Familie mit der Magdalena,
von Tizian, und wahrſcheinlich Original.


Mann und Weib die ſich umarmen.
Dieſes Bild geht in der Scuola Italiana von Ha-
milton unter dem Nahmen des Giorgione. Er ſelbſt
iſt aber jetzt uͤberzeugt, daß es nicht von ihm ſey.
Inzwi-
[295]Pallaſt Borgheſe.
Inzwiſchen es ſey von wem es wolle, ſo bleibt es ein
ſchoͤnes Gemaͤhlde, deſſen Farbe nur etwas gelitten
hat.


Schoͤne Landſchaft, von Domenichino,
mit Welbern die Voͤgel fangen.


Verloͤbniß der heiligen Catharina, vonVerloͤbniß
der heil. Ca-
tharina von
Parmeggia-
nino.

Parmeggianino. Dies Gemaͤhlde iſt voller Reitz,
das Helldunkle ſchoͤn gewaͤhlt, nur ſind die Figuren
etwas lang, und die Faͤrbung faͤllt ins Graue. Der
Kopf des heiligen Hieronymus unten auf dem Bilde,
der aus der Erde hervorzuragen ſcheint, ſteht ſehr
am unrechten Orte. Strange hat es ſchlecht ge-
ſtochen.


Franceſco Mazzuoli ward 1504. zu Parma ge-Stil des
Parmeggia-
nino.

bohren, und wird daher auch Parmeggianino ge-
nannt. Er ſuchte die Zeichnung des Raphael, mit
den Vorzuͤgen des Correggio zu vereinigen. Er hatte
weder Begriffe von Zuſammenſetzung noch von An-
ordnung und Ausdruck. Aber er wußte ſeinen Figu-
ren einen gewiſſen falſchen Reitz zu geben, der ſehr
anzieht. Seine Umriſſe ſind ſehr fein und ſehr ſwelt;
ſeine Koͤpfe haben viel Gefaͤlliges. Aber bei einer ge-
naueren Unterſuchung wird man finden, daß Alles in-
correkt und manierirt iſt. Seine Figuren ſind zu lang,
die Finger an den Haͤnden ſind ſpindelmaͤßig. Ge-
waͤnder, und beſonders der Kopfputz haben etwas rei-
tzend Phantaſtiſches. Seine Faͤrbung faͤllt ins Graue
und iſt ohne Harmonie. Man kann Liebhaber nicht
genung vor den verfuͤhreriſchen Reitzen dieſes Meiſters
warnen. Er ſtarb 1540.


Die Auferweckung des Lazarus von Ludo-
vico Carraccio,
auf Schiefer. Sehr correkt ge-
T 4zeichnet,
[296]Pallaſt Borgheſe.
zeichnet, und ſchoͤn angeordnet, aber es fehlt an Aus-
druck, und die Farbe faͤllt ins Schwarze.


Eine Charitas, ſchoͤnes Gemaͤhlde von
Guercino auf Kupfer, ſehr lieblich und aus ſeiner
letzten hellen Manier.


Ein Kopf, angeblich vom Tizian.


Chriſt treibt die Kaͤufer aus, ferner die
Grablegung Chriſti,
zwei der beſten Werke des
Venuſto.15)


Heilige Catharina, die in einem Buche lie-
ſet,
halbe Figur, aus der Bologneſiſchen Schule.


Ein todter Chriſt zwiſchen den Weibern
und ſeinen Schuͤlern,
von Paſſignano.


Heilige Caͤci-
lia von Do-
menichino.

Eine heilige Caͤcilia von Domenichino,
halbe Figur. Eins der beruͤhmteſten Gemaͤhlde die-
ſer Gallerie. Der Mahler hatte die Idee, den
naiven Ausdruck eines ſchuͤchternen Aufhorchens auf
den Klang der himmliſchen Harmonie darzuſtellen.
Ich fuͤrchte, er hat den Ausdruck des ſtumpfen Stau-
nens ein wenig geſtreift. Dieſer Vorwurf macht mich
nicht blind gegen die regelmaͤßigen, und doch ange-
nehmen Zuͤge dieſes ſchoͤnen Kopfes. Daran muß
man ſich aber auch allein halten. Die Hand, die
das Papier mit Noten haͤlt, iſt vielleicht ein wenig
verzeichnet, der Kopfputz zu unbehuͤlflich, und der
Faltenſchlag zu unbeſtimmt. Die Faͤrbung iſt zu
kreide-
[297]Pallaſt Borgheſe.
kreideweiß im Lichte, und zu gruͤn in den Schatten.
Ueberhaupt fehlt es dieſem Bilde an Waͤrme und
Harmonie.


Es iſt bekannt, daß Raphael eine große Com-
poſition von dieſem Suͤjet gemahlt hat, welche in Bo-
logna haͤngt. Es iſt intereſſant, die Verſchiedenheit
des Charakters beider Meiſter aufzuſpuͤhren, in der
verſchiedenen Art, wie ſie ſich den Charakter der Hei-
ligen und die Stimmung ihrer Seele in dem Augen-
blicke, wie ſie die himmliſche Muſik hoͤrt, gedacht
haben. Raphael mahlte das Entzuͤcken eines Gei-
ſtes, der zu uͤberirrdiſchen Empfindungen hingeriſſen
wird; Domenichino den ſinnlichen Eindruck des furcht-
ſamen Aufhorchens. So zeigt ſich der eine als Mann
von hoher Einbildungskraft, und großen Gefuͤhlen,
der andere als feiner Bemerker wahrer aber nicht un-
gewoͤhnlicher Empfindungen. Man koͤnnte ſagen,
beide waͤren nur in der Wahl des Augenblicks verſchie-
den, denn man denke ſich ſehr wohl die Regung, die
Domenichino darſtellte als den Anfang des Eindrucks,
der ſich nachher beim Raphael bis zum kuͤhneren En-
thuſiasmus verſtaͤrkte. Allein die Phyſiognomie einer
Caͤcilia des Domenichino wuͤrde ſich zu dem Ausdruck
der Caͤcilia eines Raphaels nie paſſen, und die Wahl
des Augenblicks allein beſtaͤtigt die angezeigte Verſchie-
denheit des Charakters beider Meiſter.


Fuͤnftes Zimmer.


Aeneas, der ſeinen Vater traͤgt, vonAeneas und
Anchiſes von
Baroccio.

Barozio oder Baroccio wie andere ſchreiben. Der
T 5Mahler
[298]Pallaſt Borgheſe.
Mahler hat dieſes Bild fuͤr ſein Meiſterſtuͤck gehalten,
und ſeinen Nahmen mit goldenen Buchſtaben darauf
geſetzt. Dem ohngeachtet bleibt es ein buntſcheckiges
Fechtelgemaͤhlde, an dem Ausdruck, Zeichnung und
Colorit gleich unwahr ſind. Auguſtino Carraccio
ſtach es in Kupfer, und verbeſſerte die Fehler in der
Zeichnung. Allein Baroccio wußte ihm wenig Dank
fuͤr dieſe angemaaßte Fuͤrſorge.


Baroccio.

Federico Baroccio lebte von 1528 bis 1612.
Er fuͤhrte zu ſeiner Zeit einen ihm eigenen Geſchmack
ein, aber es war der falſcheſte, der ſich denken laͤßt.
Es iſt nichts Wahres darin, weder in Anſehung des
Ausdrucks, der Zeichnung, noch des Colorits.


Seine Grazie iſt Affectation. Das Fließende
ſeiner Umriſſe wird zur Unbeſtimmtheit, und der bunte
Glanz ſeiner gelben Lichter und blauen Schatten, ge-
ben ſeinem Colorit das voͤllige Anſehen der modernen
franzoͤſiſchen Fechtelmahlerei. Inzwiſchen hat er
einiges Verdienſt im Helldunklen, und er ſcheint darin,
wie uͤberhaupt in der Grazie, den Correggio zum
Vorbilde gewaͤhlt zu haben.


Venus und Cupido, der ſeinen Bogen
ſpannt,
von Paolo Veroneſe.


Chriſt als Kind von zwei Engeln gehalten,
von Salimbene.


Eine heilige Caͤcilia voller Ausdruck. In
Anſehung des Helldunklen hat dies Bild viel von der
Manier des Guercino. Es iſt vom Cavaliere
Maſſini.


Vier runde Gemaͤhlde vom Albano. Sie
haben gelitten, und ſind nicht von ſeinen beſten Wer-
ken,
[299]Pallaſt Borgheſe.
ken, was die Ausfuͤhrung betrifft, aber die Zuſam-
menſetzung iſt reitzend.


Zwei heilige Familien von Tizian. AufZwei heilige
Familien
von Tizian.

der einen betet ein Hirte den Chriſt an, auf dem an-
dern bietet ihm eine Heilige einen Korb mit Blumen
dar. Beide ſind aus ſeiner dunklen Manier, und
beide ſehr ſchoͤn. Vorzuͤglicher ſcheint das Bild mit
dem Hirten zu ſeyn. Hier hat jedes Alter, jedes Ge-
ſchlecht ſeinen ihm eigenthuͤmlichen Ton der Faͤrbung.
Das Kind iſt in einem angenehmen Halbſchatten ge-
halten; auch iſt der Hirte ſehr wahr und gut geſtellet.
In dem zweiten verdient vorzuͤglich der Arm des
Chriſts, der Kopf und die Stellung der Heiligen Auf-
merkſamkeit.


Die Schuͤler zu Emmaus von Caravag-
gio.
Ein ſehr pikantes Gemaͤhlde. Ungeachtet der
ſchlechten Wahl der aufgefuͤhrten Perſonen, denn man
trifft auch ſogar den Koch darauf an; ungeachtet der
gemeinen Charaktere und der uͤbertriebenen Schatten,
kann man dieſem Gemaͤhlde dennoch das Zeugniß nicht
verſagen, daß man die Nachahmung niedriger Wahr-
heit, vorzuͤglich durch den Zauber der Ruͤndung, nicht
hoͤher treiben koͤnne.


Die Auferweckung des Lazarus von Ludo-
vico Carraccio.
Vielleicht herrſcht in dieſem Ge-
maͤhlde mehr Ausdruck, als in dem vorigen, auf dem
derſelbe Meiſter daſſelbe Suͤjet vorgeſtellet hat.


Sechstes Zimmer oder Saal.


Es iſt ganz mit Spiegeln bekleidet, die mit Fi-
guren und Blumen bemahlt ſind. Die Figuren ſind
von
[300]Pallaſt Borgheſe.
von Ciroferri, die Blumen aber von Morell, wie
man behauptet.


Siebendes Zimmer.


Die drei Grazien von Vanni.


Venus und der Liebesgott von Cambiaſi.


Amor von demſelben.


Ein nacktes Weib bis auf den halben Leib
von Salviati. Man ſchreibt es dem Giulio Ro-
mano zu.


Meernymphen mit vielen Muſcheln von
Lavinia Fontana.


Andromeda vom Cavaliere d’Arpino.


Das Uebrige beſteht groͤßtentheils aus Copien.


In dieſem Zimmer † iſt auch eine Venus,
in dem Augenblicke dargeſtellt, worin ſie ihr Gewand
ſo weit fallen laͤßt, daß ſie nur den Ort noch bedeckt,
den die Schaamhaftigkeit dem Auge zu entziehen be-
fielt. Ich habe ſchon an einem andern Orte bemerkt,
daß dieſe Vorſtellungsart in Rom durch den Nahmen:
Venus Victrix, bezeichnet wird. Der Koͤrper iſt
ſchoͤn; Naſe, Arm und ein Theil der Drapperie ſind
modern.


Das Piedeſtal, auf dem ſie ſtehet, iſt mit einem
Bacchanale gezieret.


Ein kleines Zimmer mit lauter
Cabinetſtuͤcken.


Schoͤne
Zeichnung

Eine kleine Zeichnung Raphaels, die ein
erſter Gedanke zu ſeyn ſcheint. Sie ſtellet einen tod-
ten
[301]Pallaſt Borgheſe.
ten Chriſt unter den Weibern und Juͤngern vor. Ge-von Ra-
phael.

danke, Ausdruck und Zeichnung ſind vortrefflich.
Jeder Federzug gibt Leben und Seele.


Eine heilige Familie, die man dem Andrea
del Sarto
zuſchreibt.


Die drei Grazien aus der Schule Raphaels.
Zu unrichtig gezeichnet, um von ihm ſelbſt zu ſeyn.


Der heilige Petrus, von Ludovico Carraccio.


Ein kleiner Kopf von Tizian, welcher eineBildniß ei-
ner Blondine
von Tizian.

ſchoͤne Blondine vorſtellet. Er iſt ſehr hell gehalten,
und das blonde Haar umgibt ihn von allen Seiten.
Dem ohngeachtet hebt er ſich ungemein hervor.


Kopf einer Nonne von Vanni.


Heilige Familie von Albano. Sehr ſchoͤn gedacht.


Die Madonna, die ihr Kind ſtillt, von
demſelben.


Ein Weib, das einen Vogel fliegen laͤßt,
von Domenichino.


Drei Grazien mit Blumen umwunden, von
demſelben.


Neſſus, der Dejaniren raubt, von dem-
ſelben.


Eine Flucht nach Aegypten. Zuſammen-
ſetzung im Geſchmack des Correggio, von Ludovico
Carraccio.


In dem letzten Zimmer mit der durchge-
brochenen Ausſicht auf die
Tiber.


Zwei antike drappirte Figuren, die Ver-
dienſt haben.


Beim
[302]Pallaſt Borgheſe.

Beim Zuruͤckgehen durch den Spiegelſaal trifft
man auf der linken Seite noch drei Zimmer mit Ge-
maͤhlden an.


In dem Erſten.


Die goͤttliche
und die irr-
diſche Liebe
von Tizian.

Zwei Weiber bei einem Brunnen, der
mit Basreliefs geziert iſt. Ein Amor tunkt
die Hand in den Brunnen.
Dies iſt eins der
ſchoͤnſten Gemaͤhlde vom Tizian, und dem angehen-
den Kuͤnſtler um ſo ſchaͤtzbarer, weil es gut conſervirt,
und aus derjenigen Zeit iſt, in der er das Geheimniß
ſeiner Faͤrbung noch nicht unter dem Scheine einer gar
zu großen Leichtigkeit verſteckte. Man kann die Idee
dieſes Gemaͤhldes nicht ganz begreifen. Die eine Fi-
gur iſt bekleidet, die andere nicht. Dies mag viel-
leicht Gelegenheit zu der Benennung der goͤttlichen und
profanen Liebe gegeben haben. Die Faͤrbung iſt das
Hauptverdienſt dieſes Gemaͤhldes.


Eine heilige Familie aus der Schule des An-
drea del Sarto.


Kopf eines Cardinals, vom Andrea del
Sarto
ſelbſt.


Julius der Zweite aus Raphaels Schule.


Carrikatur eines Menſchen, der auf einem
Eſel reitet,
vom Annibale Carraccio.


Der heilige Johannes von Simone da Pe-
ſaro.


Einige Zeichnungen von Giulio Romano.


Eine ſehr geſchaͤtzte Copie von der Transfi-
guration Raphaels.


Ein
[303]Pallaſt Borgheſe.

Ein liegender Hermaphrodit auf einemLiegender
Hermaphro-
dit, eine
Statue.

Gewande, welches von Leinen zu ſeyn ſcheinet. Dieſe
ſchoͤne Statue iſt mehr beſchaͤdigt, als jene dieſer aͤhn-
liche in der Villa Borgheſe, von der ſie uͤberhaupt
eine antike Wiederholung ſeyn koͤnnte.


Zweites Zimmer.


Venus verbindet dem Amor die Augen.Venus ver-
bindet dem
Amor die Au-
gen mit Bei-
ſtand eines
ſeiner Bruͤ-
der und der
Grazien.

Ein anderer Amor ſcheint ihr dazu zu rathen.
Die Grazien bemaͤchtigen ſich ſeiner Waffen.

Figuren bis auf halben Leib vom Tizian. Dieſes
Gemaͤhlde aus ſeiner beſten Zeit hat zwar gelitten,
bleibt aber doch noch in manchen Parthien ein Meiſter-
ſtuͤck ſeines Pinſels. Man ſieht hier wahres Fleiſch,
deſſen Tinten ſo in einander getrieben ſind, daß die
Sinne ihre Wahrheit fuͤhlen, aber der Verſtand ſie
nicht entraͤthſelt. Die Gewaͤnder ſind dem Anſchein
nach mit der erſten Arbeit fertig geworden.


Der heilige Johannes in der Wuͤſten von
Paolo Veroneſe. Keins der beſten Gemaͤhlde
dieſes Meiſters, obgleich die Koͤpfe ſchoͤn ſind.


Der heilige Antonius predigt den Fiſchen
von demſelben.


Die Jungfrau zerdruͤckt der Schlange den
Kopf, indem der Chriſt ſeinen Fuß auf den ih-
rigen ſetzt,
von Caravaggio.


David im reiferen Alter mit dem KopfeDavid vom
Giorgione.

Goliaths und ſeinem Schildtraͤger. Ridolfi
ſprach von dieſem Gemaͤhlde des Giorgione, und ſagte,
daß
[304]Pallaſt Borgheſe.
daß es in dem Pallaſt Borgheſe befindlich ſey. Es
war dem ohngeachtet verlohren gegangen. Hamilton
fand es auf, ließ es reinigen, und ſtellte eins der be-
ſten und wohlerhaltendſten Gemaͤhlde dieſes Meiſters
wieder her. Die Figuren ſind ſehr kraͤftig gemahlt,
und treten ungemein vor. David traͤgt einen Panzer.


Kopf einer alten Frau vom aͤltern Baſ-
ſano,
ein Bildniß voller Wahrheit. Der Charakter
zeigt viele Gutmuͤthigkeit.


Ein Bildniß eines jungen Maͤdchens von
Leandro Baſſano. Man kann nichts reitzenderes,
nichts wahreres, nichts ausdruckvolleres ſehen.


Ueber Gia-
como Baſſa-
no, und ſei-
ne Schuͤler
Leandro und
Franceſco.

Giacomo da Ponte aus Baſſano im Venetiani-
ſchen, gemeiniglich Baſſano der aͤltere genannt, ward
1510 gebohren. Er ſtudirte nach Tizian, und
nach der Natur. Wahrheit ohne Wahl, niedrige
Wahrheit war der einzige Grundſatz, nach dem er ar-
beitete. Er erreichte ſie bis zu einer gewiſſen Stufe,
und damit hoͤrte er auf. Seine unzaͤhlichen Werke
haben alle nur einen Charakter, und ſind daher auf
den erſten Blick zu kennen. Niedrige Gedanken,
ohne Ordnung zuſammengeworfene Figuren, incor-
rekte Zeichnung trifft man in allen an. Er konnte
keine Extremitaͤten zeichnen, darum verſteckte er bei-
nahe immer die Fuͤße ſeiner Figuren. Sein Haupt-
vorzug iſt der vortreffliche Auftrag der Farben, ein
großer Schein von Wahrheit in dem Fleiſche. Die
Localfarbe in ſeinen Carnationen iſt vortrefflich, friſch,
rein und kraͤftig. Er ſtarb im Jahre 1592. Fran-
ceſco und Leandro Baſſano ſeine Soͤhne und Schuͤler
haben ſich genau an die Manier ihres Vaters gehalten.
Man
[305]Pallaſt Borgheſe.
Man unterſcheidet ihre Werke nur durch ein weniger
kraͤftiges Colorit, deſſen Schatten ins Graue fallen.


Judith mit dem Kopfe des Holofernes von
Muziano.16)


Zwei heilige Familien von Pintoricchio.


Zwei Statuen antiker Kinder. Das
eine, welches einen Vogel neckt, iſt von großer Schoͤn-
heit, aber Haͤnde und Fuͤße ſind modern.


Letztes Zimmer.


Eine Madonna mit dem Kinde von Giu-
lio Romano.
Man findet im Palais Royal zu
Paris eine Wiederholung dieſes Gemaͤhldes, und legt
es dem Raphael bei. Die Extremitaͤten ſind ein we-
nig hart und incorrekt; die Faͤrbung faͤllt ins Graue.
Dem ohngeachtet macht die reitzende und edle Geſtalt
der Madonna und die Schoͤnheit der Gruppe dieſes
Bild aͤußerſt pikant.


Eine heilige Familie von Vaſari.


Eine heilige Familie von Luini.


Ein heiliger Johannes von Bronzino.


Ein heiliger Franciſcus mit einer Glorie
von Annibale Carraccio.


Weiber
Erſter Theil. U
[306]Pallaſt Borgheſe.

Weiber weinen uͤber den todten Chriſt. Ein
Bild, das ſeines Autors wegen merkwuͤrdig iſt. Man
findet den Nahmen Lazari Bramante darauf, welches
den Nahmen des beruͤhmten Architekten anzuzeigen
ſcheint.


Bildniß eines andern Architekten des Vi-
gnola
von ihm ſelbſt gemahlt.


Eine kleine antike weibliche Figur mit einem
ſchoͤnen Gewande, Statue.


In dem nahe liegenden Garten.


Einige Basreliefs vom guten Stil. Baccha-
nalen, Opfer und einige Gegenſtaͤnde aus dem Homer.


Unter den Statuen iſt außer einer Terpſichore
nicht viel Gutes.


Oben in dem Zimmer der Prinzeſſin ſind
einige Landſchaften von Vernet, die Aufmerkſam-
keit verdienen. Die Faͤrbung iſt darinnen viel beſſer,
als in ſeinen ſpaͤtern Werken, die ich in Paris geſehen
habe.


Winkelmann ſpricht von einer coloſſaliſchen Buͤſte
eines Kaiſers, die ſich in den obern Zimmern des Pal-
laſts finden ſoll. Ich habe ſie nicht geſehen.


Theil des
Pallaſts der
von dem
Prinzen Al-
dobrandini

In dieſem Pallaſte bewohnet nun auch
der Prinz Aldobrandini, Oncle des Prinzen
Borgheſe, einige Zimmer, in denen ſich noch
eine Auswahl von Gemaͤhlden findet, die dem

Lieb-
[307]Pallaſt Borgheſe.
Liebhaber um ſo intereſſanter ſeyn muͤſſen, dabewohnt
wird.

es ſogenannte Cabinetsſtuͤcke von der Hand
der groͤßten Meiſter ſind.


Eine Flucht nach Aegypten von Baroccio.Eins der be-
ſten Gemaͤhl-
de des Ba-
roccio.

Man kennt zwei Wiederholungen dieſes Gemaͤhldes.
Die eine, die ſchoͤner als die gegenwaͤrtige ſeyn ſoll,
iſt nach England gegangen, eine andere von minderem
Werth findet ſich in dem Pallaſt Quirinale. Die Zu-
ſammenſetzung iſt ſehr reitzend. Die Madonna ſchoͤpft
Waſſer; Joſeph reicht dem Kinde Kirſchen. Die
Figuren haben, wider die Gewohnheit des Meiſters,
vielen Reitz ohne Affectation. Die Faͤrbung iſt lieb-
lich, und doch ziemlich wahr.


Chriſt zwiſchen den Phariſaͤern von Leo-Chriſt zwi-
ſchen den
Phariſaͤern,
von Leonar-
do da Vinci.

nardo da Vinci, halbe Figur. Der Kopf des
Chriſts hat den Charakter von Sanftmuth, die ihm
die Schrift vor andern Tugenden vorzuͤglich beilegt,
und die Formen ſind ſchoͤn, ohne ſich jedoch uͤber die
Graͤnzen der Menſchheit zu erheben. Die Haͤnde ſind
ſehr ſchoͤn. Außer dem Chriſt, ſind auch die uͤbrigen
Koͤpfe voller Ausdruck, vielleicht aber ein wenig zur
Carrikatur gehoben. Die Zeichnung iſt ſehr correkt,
die Faͤrbung weniger braun als gewoͤhnlich, und die
Ausfuͤhrung ſo beſorgt, daß ſie beinahe ins Trockene
faͤllt.


Ich verſpare die Auseinanderſetzung des Stils
dieſes Kuͤnſtlers auf einen andern Ort.


Der heilige Petrus von Guido.


Die Heimſuchung Mariaͤ von Bonvin-
cino.
17) Die Koͤpfe haben einen gewiſſen Ausdruck
U 2von
[308]Pallaſt Borgheſe.
von Traurigkeit, der dem Suͤjet nicht angemeſ-
ſen iſt.


Die Himmelfahrt Mariaͤ, von Annibale
Carraccio.
Nach der Idee des Correggio in Parma
im Großen. Was es an Richtigkeit der Zeichnung
gewonnen hat, das hat es an der Faͤrbung verlohren.


In einer Reihe von Zimmern uͤber
dieſen, die der Prinz be-
wohnt
.


Chriſt der
dem Petrus
erſcheint von
Annibale
Carraccio.

Chriſtus erſcheint dem Petrus beim
Ponte Molle, und befiehlt ihm, nach Rom
zuruͤck zu kehren,
von Annibale Carraccio. Der
Gedanke iſt gut, der Ausdruck des heiligen Petrus
ſcheint mir uͤbertrieben. Die Zeichnung iſt vortrefflich,
die Figur Chriſti iſt Alles, was man Schoͤnes ſehen
kann. Jede Muſkel iſt angezeigt, und dennoch mit
dem ſchoͤnſten Fleiſche bedeckt. Die Verkuͤrzung des
Arms iſt unvergleichlich. Die Drapperie des heiligen
Petrus ſcheint mir zu hart und eckig. Die Faͤrbung
iſt kraͤftig und angenehm, auch fehlt es den Figuren
nicht an Ruͤndung, und der Fall des Schattens auf
den Leib Chriſti, den der aufgehobene Arm verurſacht,
thut eine vortreffliche Wuͤrkung.


Eine Anbetung der Hirten von Guido
Reni.
Ein kleines allerliebſtes Gemaͤhlde aus ſeiner
dunklen Manier mit ſehr edlen Koͤpfen.


Chriſti

17)


[309]Pallaſt Borgheſe.

Chriſti Leichnam unter den Weibern. Ein
Gemaͤhlde al Freſco aus einer Mauer gebrochen, von
Annibale Carraccio. Zuſammenſetzung und Zeich-
nung ſind vortrefflich. Der Ausdruck der Madonna
iſt eben ſo edel als wahr.


Eine ſehr ſchoͤne Landſchaft von Domeni-
chino.


Ein Kopf von Perugino, trocken aber wahr.


Eine heilige Familie von Garofalo.


Ein Kopf des heiligen Johannes des Taͤu-
fers vom Rumpfe getrennt auf einer Schuͤſſel

von Giovanni Bellino.


Zwei Kinder, die ſich umarmen, von Giu-
lio Romano,
wahrſcheinlicher von Luini.


Zwei Ausſichten von Pannkni. Die eine
ſtellt den Platz von Monte Cavalla, die andre den
Platz von Sanct Peter vor. Sie gehoͤren unter ſeine
beſten Werke, und ſind mit Figuren voller Geiſt und
Leben ausſtaffiret.


Eine heilige Familie von Raphael. EinEine heilige
Familie von
Raphael,
aus ſeiner
mittleren
Zeit.

aͤußerſt koſtbares kleines Gemaͤhlde aus ſeiner mittleren
Zeit. Die Zuſammenſetzung iſt ſehr gut. Der
Chriſt iſt ſchoͤn, und der heilige Johannes wahr, nur
der Kopf der Madonna mit den andern verglichen,
weniger ſchoͤn. Die Zeichnung iſt aͤußerſt fein. Der
Faͤrbung merkt man an, daß der Meiſter in der Zeit
viel al Freſco gemahlt hatte. Die Tinten ſind nicht
ſehr vertrieben.


Von einigen Landſchaften des Orizonte18)
rede ich nicht.


U 3Die
[310]Pallaſt Borgheſe.

Die Freſcogemaͤhlde in dieſen Zimmern ſind von
einem neuern Mahler, der ſich Stiern nennet. Der
Prinz hat die Beſchreibung derſelben auf Franzoͤſiſch
drucken laſſen. Der Mahler hat ſich einen Gegen-
ſtand von nicht geringem Umfange gewaͤhlet. Alle
dieſe Mahlereien, ſagt die Beſchreibung, haben nur
einen Gegenſtand, naͤmlich das große Weltall (L’uni-
vers.
)


In dem Hofe des Pallaſtes ſtehen einige
Statuen,
denen aber fremde Koͤpfe aufgeſetzt ſind,
die mit dem Rumpfe in gar keiner Proportion ſtehen.


18)


Villa
[311]

Villa Borgheſe.1)
Hauptgebaͤude.


An den aͤußern Mauern rund umher ſind BasreliefsBasreliefs
an den aͤuſ-
ſern Mauern
der Pallaͤſte
angebracht.
Dieſe Art der
Verzierung
iſt nicht zu
billigen.

angebracht, die aber theils in Anſehung der
Kunſt zu wenig Aufmerkſamkeit verdienen, theils
auch zu unvortheilhaft geſehen werden, um mich bei
einer Anzeige und Beurtheilung derſelben zu verweilen.
Der Geſchmack der vorigen Jahrhunderte, Basre-
liefs an die aͤußeren Mauern eines Pallaſts anzubrin-
gen, ſchadete dem Zierrathe und der Sache, die er
zieren ſollte, auf gleiche Weiſe.


Eins hebe ich inzwiſchen heraus, vortrefflich dem
Gedanken nach, und wie es ſcheint, nicht unter dem
Gedanken in der Ausfuͤhrung: Priamus, der vom
Achill den Leichnam Hektors, ſeines Sohns, erbittet.
Er liegt flehend zu ſeinen Fuͤßen, Achill uͤberlaͤßt ihm
ſeine Hand, aber wendet ſein Geſicht von ihm ab.
Man findet ziemlich haͤufige Wiederholungen von die-
ſem Suͤjet, aber hier hat es mir am beſten ausge-
fuͤhrt geſchienen.


Unter den Statuen, die vor dem Hauſe ſtehen:
zwei gefangene Koͤnige von Porphyr.


U 4Ich
[312]Villa Borgheſe.

Ich uͤbergehe die ziemlich mittelmaͤßigen Statuen
und Basreliefs in dem Porticus beim Eintritt in den
Pallaſt.


Das Innere des Hauſes an der Erde be-
ſtehet aus zweien Saͤlen und aus drei Kammern an
jeder Seite dieſer Saͤle.


Der erſte Saal.


Plafond mit der Geſchichte des Camillus von
Mariano Roſſi, einem neuern Sicilianer. Es herrſcht
ein wildes Feuer in der Compoſition, deren Weisheit
und Wahrheit, in Plan und Ausfuͤhrung, gerade
die Probe eines Blicks aushaͤlt. Wir wiſſen ſchon,
daß man von einem Plafond nichts mehr zu fordern
berechtiget iſt. Inzwiſchen kann dieſer Blick den
erſten Begriff von demjenigen geben, was die Italie-
ner Spirito, nennen: ihnen ein geprieſener Vorzug,
und dem aufgeklaͤrten Liebhaber ein ſchimmernder Feh-
ler, den wir Deutſchen vielleicht durch blendenden
Witz uͤberſetzen koͤnnten. Ich rede davon an einem
andern Orte weiter.


Auf eine ſehr unſchickliche Art contraſtiren mit
dieſem Plafond die Arabeſken, womit die Waͤnde ge-
ziert ſind. Sie ſind gut an ſich, aber ſie gehoͤren
nicht hieher, theils weil dieſe conventionelle Mahlerei
zu der wuͤrklichen Darſtellung an der Decke keineswe-
ges paßt; theils weil der Saal durch die edlen Werke
der Kunſt, die darin aufgeſtellt ſind, außerdem ſchon
hinreichend geſchmuͤckt iſt.


Statuen.
[313]Villa Borgheſe.
Statuen.

Mercur. Es iſt diejenige Vorſtellung dieſes
Gottes, von der Winkelmann 2) ſagt, es ſey die
einzige, welche ſich aus dem Alterthume mit dem
Beutel in der Hand auf uns erhalten habe. Aber
mir bleibt es zweifelhaft, ob nicht ein neuer Kuͤnſtler
dieſen aus dem Aſte des Baums, der ihm zur Stuͤtze
dient, verfertiget habe.


Mars. Wird auch Achill genannt, weil er am
Fuß eine Art von Verband traͤgt. 2 b) Keine der vor-
zuͤglichſten Statuen.


Marc Aurel nackt als Held. Die Benennung
iſt zweifelhaft.


Eine Muſe mit dem Cothurn.


Eine andere Muſe mit einer ſehr ſchoͤnen
Drapperie.


Ein Paar Gladiatoren.


Basreliefs.


Ein Opfer.


Einige Meergottheiten.


Nymphen, die einen Tempel mit Blu-
men bekraͤnzen.
Sehr ſchoͤn gedacht und ausge-
fuͤhrt.


U 5Curtius
[314]Villa Borgheſe.

Curtius, der ſich in den Abgrund ſtuͤrzt.
Ein großes und ſehr erhobenes Basrelief. In An-
ſehung der Kunſt von geringem Werthe.


Priamus, der ſeinen Sohn vom Achill
fordert.


Die tanzenden Horen. Trefflich gedacht.
Der vernachlaͤßigten Ausfuͤhrung nach zu urtheilen,
nur eine Copie nach einem beſſern Werke.


Die Fabel der Niobe, von der Winkelmann 3)
redet. Apollo und Diana fehlen, ſind aber vielleicht,
da ſie an den Ecken ſtanden, davon abgekommen.


In den Niſchen umher ſtehen einige Buͤſten.


Zweiter Saal.


Auch dieſer Saal, ſo wie die angraͤnzenden Zim-
mer haben Plafonds, die von neueren Mahlern ver-
fertiget ſind. Allein ſie ſind nicht von dem Werthe,
daß ſie unſere Aufmerkſamkeit auf ſich ziehen koͤnnten.


Statuen.

† Unter vier Statuen der Venus die ſchoͤnſte,
in Anſehung des Gedankens und vorzuͤglich des ſchoͤ-
nen Kopfs, diejenige, die ſich mit dem Schwerdte
guͤrtet; bei ihr ein Amor, der den Helm des Mars
aufſetzt. Eine Vorſtellung der Venus Victrix.


Ueber ver-
ſchiedene
Beinahmen

Unter dem Nahmen einer Venus Victrix gehen,
wie der Herr Hofrath Heyne ſehr ſcharfſichtig bemerkt, 4)
verſchiedene Antiken, die dieſen Nahmen nur dem
Apfel
[315]Villa Borgheſe.
Apfel zu verdanken haben, den ihnen der neuere Kuͤnſt-die man der
Venus bei-
legt, und
uͤber die Ab-
weichungen
in der Art ſie
vorzuſtellen.

ler in die Hand gab.


Die Benennung einer ſiegenden Venus, ſagt
eben dieſer Kunſtrichter an einem andern Orte, 5) gibt
man mehr als einer Art der Vorſtellung. Einmahl
benennt man ſo die Venus, die den goldenen Apfel
durch den Ausſpruch des Paris erhalten hat: Zwei-
tens iſt es die Venus mit Helm und Spieß, und hier
wird es wahrſcheinlich, daß der Kuͤnſtler auf den ent-
waffneten Mars gedacht hat:


Drittens: hat man die Vorſtellung einer ſiegen-
den Venus in Beziehung und Ruͤckſicht auf gewiſſe
Zeitumſtaͤnde gebraucht: vorzuͤglich auf Muͤnzen, um
die Siege der Caͤſaren zu bezeichnen, da alsdann
auch andere Attribute hinzu kommen: Endlich belegt
man in Rom, wie ich ſchon oben bei dem Pallaſt
des Vaticans bemerkt habe, die Statuen der Venus,
die ihr Gewand fallen zu laſſen ſcheinen, mit dem Nah-
men einer Venus Victrix.


Wahrſcheinlich ſind die Beinahmen einer Venus
Victrix, Felix, Genitrix, oft verwechſelt worden.
Venus ward fuͤr die Stammmutter des Geſchlechts
des Julius Caͤſar gehalten, und ſeine Nachfolger
machten auf eben dieſe Ehre Anſpruch. Sie hat die-
ſer Eigenſchaft ungeachtet doch bewaffnet vorgeſtellet
ſeyn koͤnnen. Sie war es, die ihren Abkoͤmmlingen
Sieg uͤber ihre Feinde gab, und ſo ward ſie auch Ge-
berin des Gluͤcks, die man oft mit der Siegesgoͤttin
auf der Hand, oft mit dem Apfel, vermittelſt einer
allegoriſchen Uebertragung ihres eigenen davon getra-
genen
[316]Villa Borgheſe.
genen Sieges, auf alle die folgenden die ſie gewaͤhrte,
bezeichnete.


Wahrſcheinlich hat auch die Geſchlechtsableitung
der Caͤſaren von der Venus die haͤufigen Statuen die-
ſer Goͤttin, von denen ſich auch jetzt noch ſo viele fin-
den, veranlaßt.


Inzwiſchen kann man auch mit eben ſo vieler
Wahrſcheinlichkeit annehmen, daß ein großer Theil
dieſer Figuren bloße Tronke weiblicher Koͤrper ohne
alle Beſtimmung, vielleicht Portraitſtatuen ſchoͤner
Frauen geweſen ſind, die der neuere Kuͤnſtler zu Bil-
dern der Venus umgeſchaffen hat.


Am wenigſten darf man ſich an die verſchiedenen
Beinahmen kehren, die man den neuergaͤnzten Sta-
tuen hat geben, und darnach beſondere Vorſtellungs-
arten der Venus beſtimmen wollen. Es iſt von den
wenigſten dieſer Benennungen erwieſen, daß ſie in al-
ten Zeiten durch beſondere Abweichungen in der Dar-
ſtellung unterſchieden ſind.


Charakter
der Venus.

Dem Kuͤnſtler war die Venus, das Ideal der
weiblichen Schoͤnheit mit Reitz. Dieſes ſuchte er in
mannichfaltiger Stellung, Handlung, und Ausdruck
dem Auge darzuſtellen. Wir Liebhaber uͤbergehen
alſo alle die Benennungen der Urania, Cnidia, Pon-
tia, Marina, Anadyomene, Genitrix u. ſ. w. Nur
dann, wenn wir durch die Attribute auf eine von
andern Vorſtellungsarten abweichende Idee des Kuͤnſt-
Bedeutung
der Venus
in der My-
thologie.
lers gefuͤhret werden, bedienen wir uns eines beſondern
Nahmens als Wiedererkennungszeichens. Als Sym-
bol der Natur, des Werdens der Erde nachdem ſich
die fluͤſſigen Theile des Chaos von den ſolideren ge-
trennt
[317]Villa Borgheſe.
trennt hatten, kam Venus, von den Phoͤniciern Aſtarte
genannt, aus dem Orient zu den Griechen, deren aͤl-
tere Philoſophen den Ocean als den Vater des Welt-
alls annahmen. Die handelnde Schiffahrt der Phoͤ-
nicier brachte die Idee und die Verehrung der Venus
zuerſt nach Cypern. Die Einbildungskraft der Grie-
chen, die alles verſchoͤnerte, machte daraus ein Maͤd-
chen voll Reitz, welches die Zephyrs uͤbers Meer ge-
ſchwemmt haͤtten. Der groͤberen Einfalt war ſie aus
dem Meere entſtanden.


Ein Mars.


Ein Jupiter.


Ein junger Roͤmer mit der Bulle am Halſe.
Man nennet ihn einen jungen Nero. Sehr gut.


Ein anderer von minderem Werth.


Ein Faun, der auf der Floͤte ſpielt, vonBorgheſi-
ſcher Floͤten-
ſpieler.

hoͤchſter Schoͤnheit, und unter dem Nahmen des
Borgheſiſchen Floͤtenſpielers als ein claſſiſches Werk
bekannt.


An Buͤſten.

Ein coloſſaliſcher Kopf des Lucius Ve-Lucius Ve-
rus, ſchoͤne
Buͤſte.

rus, von aͤußerſter Schoͤnheit. Charakter und Aus-
fuͤhrung ſind gleich vortrefflich. Man bewundert die
Behandlung der Haare.


Vier antike Copien nach dieſem Kopfe, von
denen eine ſchoͤn iſt.


Ein ſchoͤner coloſſaliſcher Kopf Marc
Aurels.


Ein ſehr ſchoͤner Kopf Alexanders.


Ein Kopf einer Roma, von großem Charak-
ter. Die Naſe iſt reſtaurirt.


Apollo.
[318]Villa Borgheſe.

Apollo. Sein Haupthaar iſt, wie an Wei-
bern hinten auf dem Hintertheile des Kopfs zuſam-
men gebunden.


Eine Berenice.


Ein ſchoͤner Weiberkopf, der viel aͤhnliches
mit den Koͤpfen der Toͤchter der Niobe hat.


Es ſind in dieſem Zimmer auch einige moderne
Basreliefs aus Stucco angebracht.


Erſtes Zimmer zur Rechten.


Statuen.

Ein Held, das Haupt mit Strahlen umge-
ben. Einige nennen ihn Apollo radiatus. Andere
Caſtor. Mehr ſeiner Seltenheit als ſeiner Schoͤnheit
wegen merkwuͤrdig.


Ein liegender Bacchus. Am Piedeſtal ein
Basrelief mit dem Tode Meleagers.
Winkel-
mann 6) redet davon als von einem der ſchoͤnſten aus
dem Alterthume. Der Stil iſt gut, die Ausfuͤhrung
aber mittelmaͤßig.


Der gefluͤgelte Genius, von dem Winkel-
mann eine herrliche Beſchreibung macht. 7) Der Kopf
ver-
[319]Villa Borgheſe.
verdienet ſeine Lobeserhebungen. So ſchoͤn der Koͤrper
iſt, er koͤmmt dem Kopfe nicht bei, und die Stellung
iſt gezwungen.


Apollo und Daphne von Bernini. DaphneApollo und
Daphne von
Bernini.

iſt in dem Augenblicke der angehenden Verwandlung
vorgeſtellet. Ihre Finger werden zu belaubten Aeſten,
ihre Zehen wurzeln ein, die Baumrinde faͤngt ſchon
an ihren Leib zu umſchließen. Dieſe Vorſtellung
ſcheint mir vorzuͤglich in Marmor eine ſchlechte Wuͤr-
kung zu thun. Die Extremitaͤten, die ſich in Aeſte
und Wurzeln zuſpitzen, erwecken eine widerliche Em-
pfindung. Ich weiß nicht, ob ich Recht habe: AberDie Bild-
hauerkunſt,
deren Werke
die vollkom-
menſte Illu-
ſion in Ruͤck-
ſicht auf Ge-
ſtalt geben,
ſcheint eine
vorzuͤgliche
Verbindlich-
keit auf ſich
zu haben,
nichts Wi-
driges dar-
zuſtellen.
Vermeinter
Seneca, Fi-
gur eines
Sclaven.

es ſcheint mir, als ob der hoͤhere Anſpruch, den die
Bildhauerei auf Illuſion hat, die angenehmen und
unangenehmen Senſationen, die die Kunſt hervorzu-
bringen im Stande iſt, auf gleiche Art verſtaͤrke.
Es fehlt uͤbrigens den Figuren an Ausdruck. Die
Behandlung des Marmors iſt, handwerksmaͤßig be-
trachtet, ſchoͤn, aber das Fleiſch gleicht mehr dem
Porcellain, als einem weichen Koͤrper, unter deſſen
Haut Muſkeln von verſchiedener Form liegen.


Der ſogenannte ſterbende Seneca. Es
leidet wohl keinen Zweifel, daß dieſe Figur einen
Sclaven vorſtelle. Ob aber gerade einen Sclaven,
der im Bade aufwartet, wie Winkelmann 8) glaubt,
laſſe ich dahin geſtellet ſeyn. Figuren aͤhnlicher Art
finden ſich in dem Clementiniſchen Muſeo. Dieſe
Figur iſt aus ſchwarzem Marmor, und in Anſehung
der Arbeit keine der vorzuͤglichſten. Der ganze untere
Theil iſt modern.


Aeneas,
[320]Villa Borgheſe.

Aeneas, der ſeinen Vater Anchiſes traͤgt,
von dem Vater des Bernini.


An Buͤſten.

Eine ſchoͤne Juno, die aber vielmehr eine
Venus zu ſeyn ſcheinet. 8 b)


Eine Livia gleichfalls ſchoͤn, mit Diadem
und Schleier. Im Charakter einer Juno.


Scipio, die Benennung iſt zweifelhaft. Er iſt
den uͤbrigen Koͤpfen, die unter dieſem Nahmen gehen,
nicht aͤhnlich.


Ein Lucius Verus, ein Marc Aurel und
einige andere Unbekannte.


In der Mitte dieſes Zimmers † Eine Vaſe,
ſchoͤn an Form und Zierrathen, worunter auch Maſ-
ken befindlich ſind. Sie ſteht auf einem ſchoͤnen ſechs-
eckigen Piedeſtal, welches antik iſt.


Zweites Zimmer zur Rechten.


Borgheſiſche
Vaſe.

In der Mitte dieſes Zimmers † Eine vor-
treffliche Vaſe,
deren Fuß aber modern und zu
groß
[321]Villa Borgheſe.
groß iſt. Die Figuren an der Vaſe gehoͤren zu den
ſchoͤnſten, die man in erhobener Arbeit hat. Sie
ſtellen einen Bacchus vor, der ſich auf Ariadnen lehnt,
waͤhrend daß dieſe auf der Leier ſpielt; dann einen tan-
zenden Faun; einen trunkenen Silen, den wieder ein
Faun haͤlt; eine Nymphe, die Becken ſchlaͤgt; noch
einen Faun, der auf zwei Floͤten blaͤſt; eine Nymphe,
die eine Leier unter dem Arme haͤlt, und der ein vier-
ter Faun den Schleier rauben will; und endlich eine
Nymphe die tanzend auf der Klappertrommel (Tam-
bour de basque,
oder dem geſpannten Trommel-
fell mit Schellen) ſpielt. Dieſe Figuren ſind an
Form, Stellung und Ausdruck gleich wahr, gleich
ſchoͤn. Rund herum geht ein ſchoͤn gearbeiteter
Kranz von Weinreben.


Statuen.

Apollo Sauroctonon. So nennt manBezeichnung
eines Apollo
Saurocto-
non.

die Vorſtellung dieſes Gottes, wenn man ihn neben
einer Eidexe ſieht. Ein Attribut, welches ein Sym-
bolum der Weiſſagung ſeyn ſoll, weil man glaubte,
dieſe Thiere koͤnnten die Veraͤnderungen des Wetters
zum Voraus anzeigen. Winkelmann 9) glaubt:
Apollo ſey hier in ſeinem Hirtenſtande vorgeſtellet, als
er dem Koͤnige Admet in Theſſalien diente.


Unſere Statue iſt in einem Alter auf der Graͤnze
der Pubertaͤt. Der nicht ſehr ſchoͤne Kopf iſt dem
Rumpfe aufgeſetzt. Der Koͤrper iſt deſto ſchoͤner,
und uͤbertrifft weit die aͤhnliche Vorſtellung aus Bronze
in
Erſter Theil. X
[322]Villa Borgheſe.
in der Villa Albani. Winkelmann 10) rechnet die
Beine dieſes Apollo unter die ſchoͤnſten, die ſich aus
dem Alterthume auf uns erhalten haben. Die beiden
Haͤnde ſind modern.


Ein Faun, als Narciß ergaͤnzt. Man ſieht
deutlich, daß er nach dem beruͤhmten Faun zu Florenz
copirt iſt. Er traͤgt ſogar die Crotalen 11) unter dem
Fuße. Der Kopf ſcheint modern.


Bacchus. Ein Arm, eine Hand und ein Bein
modern. Der Koͤrper von großer Schoͤnheit. Die
Vermiſchung der weiblichen und maͤnnlichen Natur,
die den Charakter dieſes Gottes ausmacht, wird vor-
zuͤglich an dieſer Statue ſichtbar.


David von Bernini. Der Meiſter ſoll bei
Verfertigung dieſer Statue keine geringere Anmaaßung
gehabt haben, als den beruͤhmten Gladiator zu uͤber-
treffen. Allein er hat nichts weiter als einen niedrigen
Laſttraͤger hervorgebracht. Schon der Stellung fehlt
es an Gleichgewicht. Der Ausdruck iſt Verzerrung,
die Muſkeln ſind willkuͤhrliche Geſchwuͤlſte.


Ein junger Faun, deſſen Kopf beſchaͤdigt iſt.
Arme und Fuͤße ſind modern.


Zwei Figuren, deren Gewand antik und von
Bronze iſt. Die Koͤpfe und die uͤbrigen Extremitaͤ-
ten ſind von Alabaſter, modern aber gut.


In die Waͤnde ſind mehrere Basreliefs einge-
mauert.


Die
[323]Villa Borgheſe.

Die untern ſechs ſind antik, und unter dieſen
eins von vorzuͤglichem Werthe. Es ſtellet † eine
Nymphe
vor, die ein Reh haͤlt; Stellung und
Form aͤußerſt ſwelt, Gewand leicht und vortrefflich
geworfen. Es war ehemals an der aͤußern Seite des
Pallaſtes befindlich.


Die ſechs obern Basreliefs ſind modern.


Einige moderne Vaſen, unter denen eine
von Roſſo Antico, ſehr ſchoͤn iſt.


Folge von Zimmern linker Hand.


Erſtes Zimmer.

In der Mitte ſtehet † Der ſogenannte Bor-Der Borghe-
ſiſche Faun,
oder Silen.

gheſiſche Faun mit dem Kinde. Man nennt ihn
auch wohl Saturn, der ſeine Kinder frißt. Aber wahr-
ſcheinlicher iſt es ein Silen mit dem kleinen Bacchus.
Starkes und munteres Alter macht den Charakter dieſer
Figur aus. Welch ein Mann in ſeiner Jugend! In
dem Kopfe ein Ausdruck von vaͤterlicher Guͤte und
Froͤhlichkeit. Die Stellung ſehr natuͤrlich und wahr.


Dieſe Statue, ſo wie die meiſten andern in dieſer
Villa, ſteht in keinem vortheilhaften Lichte.


Silen war in der Bacchiſchen Fabel der ErzieherCharakter
eines Si-
lens.

und Begleiter des Bacchus. Urſpruͤnglich war nur
einer, nachher nahm man ihrer mehrere an, und nun
wurden alle alte Faunen oder Satyri, Silenen ge-
nannt. Inzwiſchen ſcheint doch immer ein Silen,
den man Vater Silen nennen kann, an der Spitze
des Chors der Satyri oder Faunen geſtanden zu haben.
Der kurze dicke Koͤrper iſt nur bei Vorſtellungen
X 2bemerk-
[324]Villa Borgheſe.
bemerklich, die auf dem Eſel reitend in den ſogenann-
ten Bacchanalien vorkommen. 12 a)


Eine ſehr ſchoͤn drappirte Muſe.


Eine Ceres mit einem Kopfe, der ihr nicht zu
gehoͤren ſcheint.


Eine Venus Victrix. Kopf und Haͤnde
modern.


Noch eine Ceres mit aufgeſetztem Kopfe, wel-
cher ein Portrait zu ſeyn ſcheinet. Haͤnde modern.


Centaur vom
Amor gebaͤn-
digt.

Centaur vom Amor gebaͤndigt. Hat
große Vorzuͤge vor der aͤhnlichen Voeſtellung auf dem
Capitol. Die Muſkeln greifen vortrefflich in einan-
der. Das Fleiſch iſt ſehr weich, und der Uebergang
der beiden Naturen in einander unvergleichlich. 12 b)


Die Basreliefs in dieſem Zimmer ſind modern.


Zweites Zimmer.

In der Mitte ein großes Gefaͤß von Por-
phyr
auf vier Crocodilen von Bronze, welche mo-
dern ſind.


Juno mit
einem Ge-
wande von
Porphyr.

Das merkwuͤrdigſte Denkmahl der Kunſt in die-
ſem Zimmer iſt † Die ſogenannte Juno. Sie
traͤgt
[325]Villa Borgheſe.
traͤgt auf ihrem Haupte ein Diadem; ihr Gewand iſt
von Porphyr. Winkelmann ſagt, daß dies Ge-
wand ein Wunderwerk der Kunſt ſey. Dieſes iſt vor-
zuͤglich wahr in Anſehung der Materie; denn die Haͤrte
des Porphyrs erhoͤht die Schwierigkeiten der Bearbei-
tung.


Eine drappirte weibliche Figur von weißem
Marmor.
Kopf und Haͤnde ſind von Bernini aus
Bronze reſtaurirt. Die Drapperie iſt gut.


Winkelmann 13) ſpricht von einem Gott Anu-
bis
mit dem Kopfe einer Katze, er hat aber nicht be-
merkt, daß dieſe Statue der großen Bruͤſte wegen eine
weibliche Figur vorſtellen muß. Sie ſtellet eine Bu-
baſtis
vor. 14)


Eine kleine Diana von Alabaſter. Kopf
Haͤnde und Fuͤße ſind von Bronze und neu. Das
Gewand iſt gut. 15)


Die ſogenannte Egiziaca oder Zigeunerin.
Eine Figur mit einem antiken Gewande von ſchwarzem
Marmor. Man hat ihr ein weißes Hemd mit golde-
nen Frangen, und einen vergoldeten Kopfputz in neue-
ren Zeiten gegeben. Kopf, Haͤnde und Fuͤße von
Bronze ſind gleichfalls modern. 16)


X 3Drittes
[326]Villa Borgheſe.
Drittes Zimmer.

Man findet hier vier Landſchaften von einem fran-
zoͤſiſchen Mahler, der ſich Tiers nennet.


In der Mitte ſteht


Der Borghe-
ſiſche Fech-
ter.

Der beruͤhmte Borgheſiſche Fechter.
Ich nenne dieſe Figur bei dem gewoͤhnlichen Nahmen,
weil ich nicht Gruͤnde genung vor mir ſehe, ihn als un-
paſſend zu verwerfen. 17)


Die
[327]Villa Borgheſe.

Die Stellung zeigt einen Mann an, der im Aus-
fall mit vorgeſtrecktem Koͤrper von unten auf einen
Streich ausholt, waͤhrend daß er mit vorgeworfenem
X 4Schilde
17)
[328]Villa Borgheſe.
Schilde einen Streich von oben aufzufangen ſucht,
an den ſein Blick geheftet iſt.


Dieſer

17)


[329]Villa Borgheſe.

Dieſer Mann hat einen voͤllig ausgewachſenen
Koͤrper, der durch Ausarbeitung ſchlank und feſt ge-
worden iſt. Ins Ideal iſt er nicht gehoben, aber
X 5die
17)
[330]Villa Borgheſe.
die Natur iſt gewaͤhlt. Der Kopf hat den Ausdruck
des kalten Muths, und viele wollen ſogar eine indivi-
duelle Geſichtsbildung darin bemerken.


Was dieſe Statue der Aufmerkſamkeit des Lieb-
habers vorzuͤglich werth macht, iſt die Beſtimmtheit
der Umriſſe, die Richtigkeit der Lage und der Form
der Muſkeln, und vorzuͤglich ihr Spiel, ihr Inein-
andergreifen, wenn ich ſo ſagen darf, unter der wei-
chen Bekleidung des Fleiſches. Weichheit und Ela-
ſticitaͤt: die wahre Graͤnze zwiſchen Haͤrte und Unbe-
ſtimmtheit.


Der Kuͤnſtler bringt bei Beſtimmung der Vor-
zuͤge dieſes Werks auch beſonders die ſchwere Stellung
mit in Anſchlag. Es iſt unmoͤglich, daß der Urhe-
ber ein lebendiges Modell in dieſer Lage lange vor ſich
habe ſtehen laſſen koͤnnen. Die Figur iſt ſo ſehr ge-
ſtreckt, daß ſie bei einer weiteren Spannung unfehlbar
aus dem Gleichgewicht kommen muͤßte. Er hat
folglich nur durch Huͤlfe des Gedaͤchtniſſes den Augen-
blick anheften koͤnnen, in dem er etwa einmahl ein Vor-
bild in dieſer voruͤbergehenden Stellung ſahe. Man
wirft der Lage des Ruͤckgrades vor, daß ſie mit der
Lage des vordern Leibes nicht uͤbereinſtimme. Bei der
Unterſuchung, die Kenner angeſtellt haben, hat ſich
erge-
17)
[331]Villa Borgheſe.
ergeben, daß dieſe Lage moͤglich ſey, und daher nichts
Unnatuͤrliches enthalte. Selten iſt ſie, das iſt wahr,
und daher duͤrfte ſie vielleicht nicht ohne allen Grund
gezwungen ſcheinen.


Eine Innſchrift nennt den Agaſias, Sohn des
Doſitheus aus Epheſus, als den Verfertiger dieſes
Werks.


So viel ich habe bemerken koͤnnen, iſt nur der
rechte Arm mit dem Stuͤck Lanze ganz neu. Doch
finden ſich noch einige geringere Ergaͤnzungen und Aus-
beſſerungen.


Man hat ſie mit wenigem Geſchmack auf ein Pie-
deſtal geſtellt, woran verſchiedene Basreliefs von ſehr
mittelmaͤßiger moderner Hand angebracht ſind; ſie
ſtellen verſchiedene Arten von Fechterſpielen vor. Uebri-
gens iſt auch die Aufſtellung in der Mitte eines Zim-
mers, in welches das Licht von mehreren Seiten hin-
einfaͤllt, wenig vortheilhaft.


Eine Muſe in einer vortrefflichen Stellung.
Sie ſtuͤtzt den Kopf auf den Arm, deſſen Ellbogen
ſich auf das Knie des Fußes lehnt, den ſie auf einen
Stamm ſetzt. Nur der untere Theil der Figur iſt alt,
der obere iſt neu und von Penna reſtaurirt.


Ein Tiſchblatt von Probierſtein auf einen
Sarcophag gelegt, deſſen Basrelief den Tod des Ak-
taͤon vorſtellt, nebſt vielen Zierrathen. Winkel-
mann 18 a) rechnet es unter die ſchoͤnſten des Alter-
thums: Allein es bleibt demohngeachtet, als ſchoͤnes
Werk der Kunſt betrachtet, nur mittelmaͤßig.


Der
[332]Villa Borgheſe.

Der Schlaf aus ſchwarzem Marmor, von
Algardi. Er iſt mit Mohnhaͤuptern bekroͤnt, und
bei ihm liegt eine Fledermaus. 18 b)


Ein Diſcobolus.19) Obgleich beide Arme
neu ſind, ſo rechtfertigt ſich doch die Benennung
durch ein Stuͤck des Diſcus, der ſich an dem Stamm
erhalten hatte.


Ein Pancratiaſt.20) Arme und Fuͤße neu.


Ein
[333]Villa Borgheſe.

Ein Ringer,21) der ſich mit Oehle ſalbt.
Wenn die Arme alt ſind, ſo ſind ſie wenigſtens ange-
ſetzt.


Ein anderer Ringer, der eine Krone und einen
Palmzweig haͤlt. Kopf und Leib ſind alt und ſehr
ſchoͤn. Arme und Fuͤße ſind aber neu.


Eine Woͤlfin von Roſſo Antico. Sie ſaͤugt
den Romulus und Remus. Vielleicht ein modernes
Werk.


Ein antikes wildes Schwein.


Eine ſogenannte Ceres. Die Drapperie iſt
ſchoͤn, die Arme ſind modern. Zu ihren beiden Sei-
ten ſind zwei Fuͤllhoͤrner, die antik ſind.


An dem Piedeſtal ſieht man eine Venus, die
aus dem Bade ſteigt, bei ihr ein Amor,
ein
Basrelief aus der Florentiniſchen Schule. 22)


Eine ſehr ſchoͤne Buͤſte, Fauſtina die
aͤltere.


Viertes Zimmer.

Man ſieht hier vier Landſchaften von Wutky, ei-
nem neueren deutſchen Kuͤnſtler aus dem Oeſterrei-
chiſchen.


An
[334]Villa Borgheſe.
An Statuen.

Eine Gruppe des Pylades und Oreſts.
Man nennt ſie auch Caſtor und Pollux. Sehr gut.


Eine Muſe, als Flora reſtaurirt.


Noch eine Muſe.


Ein kleiner Prieſter der Cybele.


Amor der den Bogen ſpannt.


Venus die den Mars liebkoſet. Die
Koͤpfe ſind Portraits. Dieſe Gruppe wird ſonſt auch
Coriolan mit der Mutter genannt, oder auch Fauſtine
mit dem Fechter. Aber ohne allen Grund. 23)


Ein
[335]Villa Borgheſe.

Ein ſtehender Hermaphrodit, der gemeini-
glich verſchloſſen, und mehr der unzuͤchtigen Stellung
als ſeiner Schoͤnheit wegen merkwuͤrdig iſt.


Der beruͤhmte Borgheſiſche Hermaphro-Der Borghe-
ſiſche Herma-
phrodit.

dit. Er liegt auf dem Ruͤcken, jedoch mit dem Kopfe
zur Seite gekehrt, ſo daß man das Geſicht im Pro-
fil ſieht. Die Stellung iſt aͤußerſt reitzend an ſich
ſelbſt, und auch darum wohl gewaͤhlt, weil ſie die
Zeichen verſchiedener Geſchlechter, die leicht durch den
Mißſtand beleidigen koͤnnten, dem Auge entzieht.
Man kann die Weichheit des Fleiſches, den ſanften
Guß
23)
[336]Villa Borgheſe.
Guß der Muſkeln, die dadurch von ihrer Beſtimmt-
heit Nichts verlohren haben, nicht genung bewundern.
Er ſcheint zu ſchlummern, und durch einen ſuͤßen
Traum entzuͤckt zu werden. Hauptergaͤnzungen habe
ich nicht bemerkt. Inzwiſchen gibt man Guillaume
Berthelot, einen Franzoſen, als den Ergaͤnzer an.
Bernini verfertigte die Matrazze, die von eini-
gen als ein Wunderwerk einer getreuen Nachah-
mung der Natur geprieſen wird, andern aber, der
gar zu hart angegebenen Durchnaͤhung wegen, mit
Steinen angefuͤllt ſcheint. Auf jeden Fall thut der
Fleiß, der an dieſes Beiwerk verſchwendet iſt, der
Hauptfigur Schaden.


Charakter
der Herma-
phroditen.

Der Charakter der Hermaphroditen iſt Vermi-
ſchung maͤnnlicher und weiblicher Schoͤnheit. Die
Zuͤge des Geſichts, das Gewaͤchs und die Bruſt ſind
weiblich. Die maͤnnlichen Zeugungsglieder ſcheinen
ſie hauptſaͤchlich von den weiblichen Figuren zu unter-
ſcheiden.


Ein antikes Moſaik auf dem Fußboden.


Als ich Rom verließ, arbeitete man noch an ei-
nem neuen Zimmer, fuͤr welches mehrere Buͤſten be-
ſtimmt waren, imgleichen an Statuen: ein Jupiter,
und ein vermeinter Beliſar mit hohler Hand, von
dem Winkelmann 24) glaubt, ſie koͤnne einen Auguſt
vorſtellen, der zur Verſoͤhnung der Nemeſis alle Jahr
einen Tag uͤber bettelte. Allein ich kann dieſer Er-
klaͤrung meinen Beifall nicht geben. Es ſtellet dieſe
Statue
[337]Villa Borgheſe.
Statue einen gebrechlichen Alten vor, deſſen Fleiſch
aͤußerſt ſchlaff und haͤngend iſt. Die hohle Hand iſt
wahrſcheinlich modern. 25)


Außerdem iſt fuͤr dieſes Zimmer beſtimmt eine
Vaſe mit einigen Bacchantinnen
in Basrelief,
ein kleiner Sphynx aus Baſalt u. ſ. w.


In dem obern Stockwerk und zwar
In dem erſten Saale

Neun Landſchaften von Hackert.


Der Plafond, der eine Goͤtterverſammlung
vorſtellet,
war zuerſt von Lanfranco gemahlt, und iſt
nachher von Corvi uͤbermahlet worden.


In dem zweiten Zimmer

findet man einen Plafond von Domenigo Corvi.


Mehrere Familienportraits aus der Fa-
milie Borgheſe.


Drei moderne Buͤſten von Bernini. Zwei
derſelben ſtellen den Pabſt Paul den Fuͤnften,
die dritte den Cardinal Scipio Borgheſe vor.


In
Erſter Theil. Y
[338]Villa Borgheſe.

In einem andern Zimmer hat Hamilton
die Geſchichte des Paris
in mehreren Abtheilungen
am Plafond gemahlet.


Die beiden Statuen des Paris und der He-
lena
ſind von Penna.


In dem darauf folgenden Zimmer

ſtellt der Plafond die Geſchichte der Pſyche vor,
von Novello, einem Venetianer.


Rund herum findet man Landſchaften von
Orizonte in großer Menge.


Man geht alsdann uͤber eine Terraſſe, auf wel-
cher man einige gute Statuen und zwei ſehr mit-
telmaͤßige Basreliefs
antrifft.


Dann in ein Zimmer, an deſſen Plafond Un-
terberger,
ein deutſcher noch lebender Kuͤnſtler in
Rom, die Thaten des Hercules vorgeſtellet hat.


Man trifft hier auch einige ſchaͤtzbare Gemaͤhl-
de an:


Der Cardinal Scipio Borgheſe nimmt
die Republik Marino in Schutz,
eins der beſten
Werke des Battoni. Die Koͤpfe vorzuͤglich der weib-
lichen Figur, welche die Republik vorſtellt, brav.


Einige Thierſtuͤcke, von Peters, einem deut-
ſchen Mahler.


Eine
[339]Villa Borgheſe.

Eine Flucht nach Aegypten, von Luca
Giordano.


Chriſt vor dem Pilatus,


Chriſt vor dem Hohenprieſter, zwei Bilder
von demſelben Meiſter, in der Manier des Paolo
Veroneſe.


Einige ſehr ſchoͤne Niederlaͤnder.


Eine Venus, von Tizian, die in Anſehung
der Stellung viele Aehnlichkeit mit der von Florenz
hat. In dem Grunde findet man auch die Weiber
wieder, die in einem Koffer ſuchen. Einige andere
Figuren, die muſiciren, ſcheinen von einer fremden
Hand hinzugefuͤgt zu ſeyn. Der Kopf der Haupt-
figur iſt verſchieden von dem in Florenz. Dies Bild,
welches urſpruͤnglich ſehr ſchoͤn geweſen iſt, ſcheint hin
und wieder ſtark retouchirt zu ſeyn.


In dem letzten Zimmer findet man einen Pla-
fond
von Maron; er ſtellet den Tod der Dido
vor.


Im Garten findet man mehrere Statuen,
die einzelne gute Parthien haben.


Auch ſieht man hier zwei Sphynxe,26) von
denen der eine aus Baſalt ſehr groß iſt.


Y 2Wenn
[340]Villa Borgheſe.

Wenn man aus dem Garten heraus geht, nach
der Porta Pinciana zu, ſo trifft man uͤber dem
Thore zwei Basreliefs an, das eine ſtellt die Ver-
goͤtterung eines Kaiſers, das andere ein Opfer vor.


Man war zu meiner Zeit mit Aufſtellung und
Anordnung der Kunſtwerke in dieſem Pallaſte noch
nicht ganz fertig. Es iſt daher leicht moͤglich, daß
ich Einiges, was der Aufmerkſamkeit des Liebhabers
werth ſeyn koͤnnte, nicht geſehen habe. Inzwiſchen
hoffe ich, daß das Wichtigſte von mir nicht uͤbergan-
gen iſt.


Ende des erſten Theils.


[][][]
Notes
*)
Leſſing im Nathan.
*)
Im Jahre 1784.
1).
Bei dem Verzeichniſſe der Kunſtwerke, die dieſer
Pallaſt enthaͤlt, ſind beinahe alle Reiſebeſchreibun-
gen unrichtig. Verſchiedene Stuͤcke, die in dem
kleineren Farneſiſchen Pallaſte, der ſogenannten
Farneſina, ſtehen, geben ſie, als in dieſem groͤßeren
befindlich, an. Es ſey daß die Nahmen verwechſelt
worden, oder daß die Stuͤcke erſt in der Folge der
Zeit verſetzet ſind.
2).
Diejenigen Kunſtwerke, die mir einer fleißigern
Betrachtung und haͤufigern Ruͤckerinnerung beſon-
ders wuͤrdig geſchienen haben, habe ich mit einem †
bezeichnet.
3).
Vielen hat dieſe Vergleichung eines Stiers mit dem
Gott Hercules zu niedrig geſchienen. Allein ſie
wird es demjenigen nicht bleiben, der die edle Ge-
ſtalt dieſes Thiers in den ſuͤdlichen Theilen von Eu-
ropa geſehen hat.
4 a).
Mengs iſt anderer Meinung: Der Bildhauer,
ſagt er, hat an dieſen angeſetzten Beinen die Muſkeln
ſo hart, und ſo geſpannt gebildet, daß ſie Stricken
aͤhnlich ſehen. Opere di A. R. Mengs ed. di Parma
1780. T. I. p.
204. Ich geſtehe daß mir dieſes
nicht aufgefallen iſt.
4 b).
Der Hof von Neapel hat ſchon lange gewuͤnſcht,
dieſe Statue nach Caſerta abfuͤhren zu koͤnnen.
Aber man behauptet in Rom, ſie ſey ein Eigen-
thum des roͤmiſchen Senats, welcher ſie dem Pabſt
Paul dem Dritten nur zur Verzierung ſeines Fami-
lien-Pallaſts in Rom geliehen habe.
5).
Dieſer Meinung iſt auch Winkelmann Geſchichte
der Kunſt. Wiener Edition. S. 309.
6 a).
Allgemeine Theorie der ſchoͤnen Kuͤnſte, Artikel:
Allegorie.
6 b).
Winkelmann G. d. K. Wiener Edit. S. 517.
6 c).
Ueber den ſogenannten Etruſciſchen Stil ſehe man
die Beſchreibung des Vaticaniſchen Pallaſts nach.
7 a).
Winkelmann G. d. K. S. 323.
7 b).
Ueber den Charakter der Ringer ſehe man die Be-
ſchreibung des Capitols nach, imgleichen Villa
Borgheſe.
8).
Geſchichte der Kunſt. Wiener Edit. S. 659.
9 a).
Es ſoll eine Urania ſeyn. Siehe Fea’s Italieni-
ſche
9 a).
ſche Ueberſetzung der Winkelmanniſchen Geſch. d.
Kunſt, T. I. p. 322. n. A.
9 b).
Geſch. d. K. W. Edit. S. 717.
10).
Sammlung antiquariſcher Aufſaͤtze 2r Theil S.
182 und folgende.
11).
Wer mehr von dieſer Gruppe wiſſen, und zu glei-
cher Zeit das Beiſpiel einer ſcharfſinnigen Erlaͤute-
rung eines alten Kunſtwerks leſen will, der ſehe den
Aufſatz des Herrn Hofraths Heyne uͤber den Farne-
ſiſchen Stier in ſeiner Sammlung antiquariſcher
Aufſaͤtze nach, im 2ten Theile S. 182. Dies iſt
das Reſultat ſeiner Unterſuchung:
Die Fabel iſt nach einem Trauerſpiel des Euripi-
des gearbeitet. Nach dieſem ward die Strafe waͤh-
rend der Orgien des Bacchus auf dem Berge Cithaͤ-
ron vollzogen, und Dirce erſchien dabey als Bac-
chante. Dies erklaͤrt verſchiedene Nebenwerke.
Allein das jetzige Werk hat nicht mehr die Ausſicht
des alten, deſſen Plinius erwehnt, von Apollonius
und Tauriſcus verfertiget, und von Rhodus nach
Rom in die Gebaͤude des Aſinius Pollio verſetzt.
Es
11).
Es iſt nicht nur in Ergaͤnzung der Figuren ſelbſt,
ſondern auch in Beifuͤgung anderer Figuren und
durch Ueberhaͤufung von Nebenfiguren geaͤndert.
Dieſe Aenderung iſt wahrſcheinlicher Weiſe zu mehr
als einer Zeit, erſt bei Aufſtellung in den Baͤdern
des Caracalla, worinn es gefunden wurde, dann
nach der Wiederentdeckung, einmal, da man es
fuͤr einen Hercules mit dem Marathoniſchen Stier
hielt, und nachher, da man es zur Fabel der Dirce
umarbeitete, vorgegangen.
12).
Winkelmann G. d. K. S. 282.
13).
Winkelmann bemerkt S. 396. Wiener Edition,
einen ſchoͤnen Hermaphrodit, der aber hier nicht
ſtehet, ſondern wahrſcheinlich nach Neapel gegan-
gen iſt.
In dem Garten ſoll nach ihm S. 431 eine Venus
mit einem Kopfe der Marciana, des Trajans
Schweſter Tochter (oder wie Fea in ſeiner Ueber-
ſetzung T. I. p. 435. n. c ſagt: der Matidia des
Trajans Schweſter) mit einem Schmuck wie eine
Feder auf dem Kopfe vorgeſtellet ſeyn. Ich habe
ſie bei dem Sculpteur Carlo Albicini reſtauriren
ſehen. Sie iſt nach Neapel gegangen. Zwei Sta-
tuen der Venus in Lebensgroͤße, deren er Seite
502. erwaͤhnt, ſind gleichfalls nach Neapel gegan-
gen. Der Umſtand, den er angiebt, die eine habe
ihren eigenen Kopf, iſt falſch, wie ich beim Albi-
cini geſehen habe, der ſie reſtaurirte. Eben dies
bemerkt auch Fea in ſeiner Ueberſetzung T. II. p.
135. n. B.
So wie er ſagt: iſt auch der Kopf an
der anderen aufgeſetzt.
1).
So viel ich weiß, iſt noch nirgends ein vollſtaͤndi-Gruͤnde war-
um ſich der
Autor be-
rechtigt haͤlt
ein vollſtaͤn-
diges Ver-
zeichniß der
Kunſtwerke,
die in dieſer
Sammlung
befindlich
ſind, in den
Noten am
Ende der Be-
ſchreibung
eines jeden
Zimmers zu
liefern: ob
es gleich
ſonſt nicht
ſeine Abſicht
iſt, Nomen-
claturen zu
geben.

ges Verzeichniß der Kunſtwerke gedruckt worden,
die ſich in dieſer Sammlung befinden. So wenig
es ſonſt meine Abſicht iſt, eine bloße Nomenclatur
zu liefern, und ſo ſehr ich es mir zum Geſetz ge-
macht habe, dem Liebhaber nur dasjenige anzuzei-
gen, was ich ſeiner Aufmerkſamkeit werth halke; ſo
glaube ich doch hier eine Ausnahme machen, und
in den Noten am Ende eines jeden Zimmers dasje-
nige hinzuſetzen zu duͤrfen, was zur Vollſtaͤndigkeit
eines bloßen Verzeichniſſes in dem Texte mangelt.
Vielleicht iſt irgend einem, der aus anderer Ruͤck-
ſicht, als des Schoͤnen ſieht, damit gedient; Viel-
leicht habe ich in manchem hieher gereiheten Kunſt-
werke das Schoͤne uͤberſehen; Oft habe ich nur,
um die Aufmerkſamkeit des Leſers nicht zu ermuͤden,
im Texte nicht weitlaͤuftiger ſeyn duͤrfen; und end-
lich wird die große Menge der hier in kurzer Zeit
verſammleten Bildhauerarbeit dankbare Freude uͤber
die Schaͤtze des Alterthums die ſich auf uns erhalten
haben, und ein ſtaunendes Nachdenken uͤber den
unermeßlichen Reichthum des ehemaligen Roms
gewaͤhren.
Die uͤbrigen Kunſtwerke in dieſem Zimmer ſind:
Ein Sarcopbag oder eine groͤßere Begraͤbniß-
urne, auf deſſen Deckel eine Nymphe ruht. Zwei
Sphynxe von rothem Granit.
2).
S. 814. der G. d. K. W. E.
3).
Zergliederung der Schoͤnheit c. II. gegen das Ende.
Imgleichen Sulzer allgem. Theorie der ſchoͤnen
Wiſſenſch. und Kuͤnſte, Art. Allegorie.
4).

Antinous ein ſchoͤner Juͤngling aus Bythinien war
der Liebling des Kaiſers Hadrian. Er ertrank im
Nil, und zur Linderung des Schmerzens ſeines
Freundes, vergoͤtterte ihn die Kunſt, die Hadrian

beſchuͤtzte,
4).

beſchuͤtzte, auf vielfache Weiſe. Allein der Kopf
unſerer Statue hat mit einem Antinous nicht die
geringſte Aehnlichkeit, und der Kopf, den man in
Deutſchland unter dieſem Nahmen in Gyps ver-
kauft, gehoͤrt nicht dieſer Statue, ſondern der an-
dern dieſes Nahmens auf dem Capitol.


Viele halten ſie fuͤr einen Mercur, bewogen
durch die Aehnlichkeit mit einer Statue im Pallaſt
Farneſe. Ich habe ſchon dort die Gruͤnde ausge-
fuͤhrt, warum ich eine unterſetzte Figur wie dieſe,
die ſogar dem Vorwurf des Schwerfaͤlligen nicht
ganz entgeht, dem Charakter dieſes Gottes nicht
anpaſſend halte. Winkelmann Geſch. der Kunſt,
S. 844. Wien. Edit. haͤlt ſie fuͤr einen Meleager.
Sie ſcheint mir zu viel Sanftes fuͤr dieſen Jaͤger zu
haben.

5).
Ich habe gleich zu Anfang dieſes Buchs erklaͤrt,
daß meine Abſicht dahin geht, den Liebhaber auf
die Spur des Schoͤnen der hauptſaͤchlichſten Kunſt-
werke in Rom zu fuͤhren. Die Schickſale unſerer
Statue, die Unterſuchung der Frage: ob der Kuͤnſt-
ler den Dichter, oder der Dichter den Kuͤnſtler nach-
geahmet habe, kurz! Alles dasjenige, was man nicht
zu wiſſen braucht, um unſere Gruppe ſchoͤn zu fin-
den, gehoͤrt nicht hieher. Wer hieruͤber das Vor-
trefflichſte leſen will, und zu gleicher Zeit eine Ent-
wickelung des Gedankens dieſes Kunſtwerks, die
der Geiſt des Urhebers eingegeben zu haben ſcheint,
der leſe des Herrn Hofraths Heyne Pruͤfung einiger
Nachrichten und Behauptungen vom Lacoon im
Belvedere. Sammlung antiquariſcher Aufſaͤtze,
IItes Stuͤck n. 1.
6).
Wir haben eine [vortreffliche] Beſchreibung des Lao-
coon
6).
coon von Winkelmann, G. d. K. W. Edit. S. 844.
Allein in ſeiner Begeiſterung ſahe er mehr als das
Werk zeigt. Der einfache Grundſatz, daß der Aus-
druck der Schoͤnheit nicht nachtheilig ſeyn duͤrfe, hat
den Kuͤnſtler ſehr natuͤrlich abgehalten, einen Men-
ſchen darzuſtellen, den der Schmerz zur Raſerei
treibt. Er braucht dabei an keinen idealiſchen, lei-
denden, erhabenen Helden gedacht zu haben. Der
Begriff von großer geſetzter Seele folgt von ſelbſt.
Ganz vortrefflich ſetzt dies der Herr Hofrath Heyne,
Samml. Ant. Aufſ. II. St. n. 1. S. 22. u. f. aus-
einander. Ich fuͤge noch hinzu: Laocoon reißt die
Augenlieder, und die Muſkeln um die Augenbrau-
nen herum, in die Hoͤhe, die Unterlippe haͤngt ſchlaff
herab. Dies iſt dem Ausdruck des Zuruͤckhaltens,
des Verbeißens ganz zuwider.
Hingegen moͤchte ich dem Herrn Hofrath Heyne
einen Zweifel daruͤber machen, daß, wie er ſagt:
Das ganze Angſtgefuͤhl des Vaters, der ſeine Kin-
der Todesqualen leiden ſieht, den einen ſterbend
roͤcheln, den andern um Huͤlfe ſchreien hoͤrt, ſich
am Laocoon ausdruͤcke. Es iſt moͤglich, und in
einer fortſchreitenden Vorſtellung moͤchte dies ein
ſehr gluͤcklicher, und auch von der Bildhauerkunſt
in einem andern Werke gluͤcklich auszudruͤckender
Gedanke
6).
Gedanke ſeyn. Allein bei dem gegenwaͤrtigen koͤn-
nen wir uns dies blos denken: Wir ſehen es nicht.
Laocoon iſt mit ſeinem eigenen Leiden beſchaͤfftigt.
Sein Blick iſt nicht auf die Kinder, er iſt gen Him-
mel gerichtet, von dort erflehet er Huͤlfe fuͤr ſie alle.
Dieſe Wendung des ruͤckwaͤrts in die Hoͤhe gewand-
ten Obertheils des Koͤrpers war dem Kuͤnſtler zu
vortheilhaft, um ihr eine herabgebogene auf die
Kinder, wie ſie doch wohl, um jene Idee deutlich
zu machen, ſeyn muͤßte, nicht aufzuopfern. Einen
aͤhnlichen Ausdruck finden wir an den ſchoͤnſten
Toͤchtern der Niobe. Auch dort iſt koͤrperlicher
Schmerz: auch dort Gefuͤhl eines unvermeidlichen
Schickſals: auch dort wenden ſich die Augen gen
Himmel mit ruͤckwaͤrts uͤbergebogenem Haupte und
der geoͤffnete Mund ſtoͤßt Flehen und Klagen aus.
Beim Virgil ſchreiet der Vater laut auf. Der
Herr Hofrath Heyne hat den Grund, warum hier
der Kuͤnſtler von dem Dichter abgeht, auch ohne
Ruͤckſicht auf das Geſetz der Schoͤnheit, blos nach
der Verſchiedenheit des Eindrucks, den ſie hervor-
bringen wollten, vortrefflich aus einander geſetzt.
Die Stelle, die ein ganzes Buch unnuͤtz machen
koͤnnte, ſteht S. 51, am angefuͤhrten Orte. „In
„der Gruppe,“ ſagt er, „iſt Laocoon ein Leidender
„mit
6).
„mit einem ſchoͤnen edlen Ausdrucke, der Mitleiden
„erregen ſoll; aber beim Dichter iſt er ein Mann,
„der Schrecken und Entſetzen verurſachen ſoll. Es
„wird hier die Fabel in ganz anderer Abſicht erzaͤhlt
„und beigebracht. Ein Portentum, ein Schreck-
„wunder ſollte da die Begebenheit ſeyn, welches auf
„die Gemuͤther der Trojaner wuͤrkte: diejenigen,
„welche abriethen, das Pferd in die Stadt zu brin-
„gen, und es der Minerva als ein geheiligtes Ge-
„ſchenk fuͤr die vermeinte Befreiung von der Bela-
„gerung in ihrem Tempel aufzuſtellen, ſollten durch
„das Schickſal des Laocoon abgeſchreckt werden;
„das Schickſal mußte alſo recht ſchrecklich beſchrie-
„ben ſeyn; und zum Schrecken wuͤrkt wohl ein groß
„Geſchrei mehr als Seufzen.“ Ich moͤchte ſogar
behaupten, der Laocoon, den wir ſehen, habe
ſchreien koͤnnen, den Augenblick vor, oder den Au-
genblick nach demjenigen, in dem wir ihn vorgeſtellt
ſehen. Hier ruft er die Unſterblichen um Huͤlfe an,
und dieſe Handlung iſt von derjenigen, da uns koͤr-
perlicher Schmerz zum Geſchrei zwingt, der Zeit-
folge nach verſchieden. Der eine Sohn ſchreiet
wuͤrklich, und ſchreiet zum Vater. Er fuͤhlt noch
nicht, wie wenig ihm Sterbliche helfen koͤnnen.
7).
Hr. Hofr. Heyne am angef. Orte. S. 29. Die Kopf-
binde, die er an den Gypsabguͤſſen bemerkt zu ha-
ben glaubt, habe ich am Originale nicht gefunden.
8).
Der Herr Hofrath Heyne a. a. O. S. 16. hat gezeigt,
daß Fra. Giov. Agnolo den rechten Arm des Laocoon
einmahl ergaͤnzt habe. Allein ſollte nicht der Arm,
der dazumahl angeſetzt wurde, entweder aus ge-
brannter Erde verfertigt, und gegen die Zeiten des
Bernini abgaͤngig geworden, oder der Arm, den
man noch jetzt aus dem Groben in Marmor gehauen
ſieht, von dieſem Kuͤnſtler verfertigt ſeyn? Der
Nahme des Ergaͤnzers iſt zu zweifelhaft, als daß
ich wagen duͤrfte ihn anzugeben. Nach der Weich-
heit der Behandlung zu urtheilen, iſt der gegenwaͤr-
tige Arm nicht aus ſo fruͤhen Zeiten, als Giov.
Agnolo, und Bandinelli vorausſetzen. Mir ſcheint
er alle Kennzeichen der Berniniſchen Schule an ſich
zu tragen. Er iſt wuͤrklich gut. Was Richardſon
von der widrigen Farbe ſagt, hat ſeinen Grund
darin, daß die braͤunliche gebrannte Erde (creta)
gegen den weißen Marmor abſticht.
Die Nachricht, die Winkelmann von dem nicht
angeſetzten Arme gibt, daß derſelbe ſo gearbeitet
ſey, daß er ſich oben uͤber den Kopf heruͤberzubeu-
gen ſcheine, iſt wohl nicht ganz richtig; ſo wie es
mir ſchien, hat er mit dem jetzigen beinahe einerlei
Lage und Biegung.
9).
Opere di Mengs. Memorie concernenti la ſua
Vita. p. LI.
10).
Unter andern Hemſterhuis lettre ſur la Sculptu-
re. Edit. d’ Amſt. 1769. p.
24.
11).
S. hieruͤber Hemſterhuis am angez. Orte p. 10.
la magie de l’ expreſſion ne ſauroit atteindre à
une grande diſtance.
An einer andern Stelle ſagt
er: p. 9. Je veux bien croire que toute paſſion
exprimée dans une figure quelconque doit di-
minuer un peu de cette qualité deliée du con-

tour,
12).
Derſelbe p. 24. le Laocoon appartient beaucoup
plus à la Peinture qu’ à la Sculpture.
Seine
Gruͤnde ſind metaphyſiſcher gedacht und ausgedruͤckt.
Ich citire ihn blos um die Uebereinſtimmung der
Empfindung zu beweiſen.
11).
tour, qui le rend ſi facile à parcourir aux yeux.
und ich moͤchte hinzuſetzen: die uns in der Bild-
hauerkunſt, deren Hauptvorzug Harmonie der
Schoͤnheit iſt, wichtiger ſeyn muß, als Ausdruck
einer Leidenſchaft.
13).
So ſcheint auch der Herr Hofrath Heyne zu ur-
theilen. Sammlung antiquar. Aufſaͤtze. IItes Stuͤck.
S. 29.
14).
Opere di Mengs. T. I. p. 203.
15).
G. d. K. W. E. S. 742.
16).
Opere. T. I. p. 203.
17).
Samml. Antiq. Aufſaͤtze. I. Stuͤck. S. 158.
18).
Richardſon S. 520. Volkmann S. 141. erwaͤhnen
einer Venus, die nackt mit der einen Hand die Na-
tur bedeckt, und mit der linken das Gewand, das
auf einer Vaſe ruhet, aufhebt. Herr Hofrath Heyne.
Samml. antiq. Aufſaͤtze I. Stuͤck, S. 144. glaubt,
ſie komme in der Stellung der Cnidiſchen am naͤch-
ſten. Auch Fea in ſeiner Italieniſchen Ueberſetzung
ſpricht davon mit uͤbertriebenen Lobeserhebungen.
Daß ſie in dieſem Hofe nicht ſteht, weiß ich gewiß.
In den folgenden Zimmern kommen noch einige
Statuen der Venus vor. Allein, vielleicht ſollte
ich mich ſchaͤmen es zu geſtehen; ein Werk von auſ-
ſerordentlicher Schoͤnheit erinnere ich mich nicht
darunter gefunden zu haben.
19).
Viſconti ſoll dieſer Meinung geweſen ſeyn. Feas
ital. Ueberſ. d. G. d. K. T. II. p. 400. n. 1.
20).
Folgende Kunſtwerke ſtanden zu meiner Zeit außer
den angezeigten in dieſem Hofe.
Ein Sarcophag mit dem Kampfe der Amazo-
nen wider die Griechen.
Ein anderer ohne Figuren.
Ein anderer mit der Fabel der Niobe.
Ein anderer mit Geniis die ein Bacchanal feiern.
Ein anderer mit Figuren zweier Eheleute.

Der Mann in roͤmiſcher Kleidung reicht dem be-
ſchleier-
20).
ſchleierten Weibe die Hand. Eine aͤhnliche Vor-
ſtellung aber ganz rund gearbeiteter Figuren ſteht
im Pallaſt Giuſtiniani. Auf unſerm Basrelief ſieht
man außerdem einen Amor mit der Fackel, und zu
beiden Seiten ſtehen zwei Genii, die die Arme uͤber
den Kopf kreuzweis zuſammen legen.
Ein anderer mit der Fabel des Endymion.
Ein anderer mit den vier Jahrszeiten.
Eine Wanne von ſchwarzem Baſalt.
Eine andere von gruͤnem Baſalt.
Eine ſitzende Muſe.
Der Sturz einer Conſular-Statue
mit einem
vortrefflichen Gewande.
In den Niſchen der Pfeiler, die den Por-
ticus ſtuͤtzen.

Eine fortſchreitende Minerva.
Eine ſtebende Minerva.
Auf dem antiken
Schilde ein Meduſenkopf.
Priap. Ein wohl conſervirter Alter mit einem
Kranze von Weinreben, einem Knebelbarte, und
einem andern Barte, der in Locken herab faͤllt. Den
langen Rock hat er aufgenommen, um in dem
Schooße Weinbeeren zu tragen. Er zeigt auf ſolche
Art ſein charakteriſtiſches Glied, und dies dient ihm
zu gleicher Zeit die Laſt zu tragen. An den Beinen
iſt er mit Halbſtiefeln bekleidet. Ich glaube, die
Figur koͤnnte zur Beſtimmung des Coſtume eines
ehemaligen italieniſchen Bauers dienen.
Die Figur einer Stadt. In der antiken Hand
ein Anker, in der reſtaurirten ein Ruder.
Im Innern des Sofes uͤber den Arcaden
Basreliefs.

Triumph des Bacchus und der Ariadne.
Hector reißt ſich aus den Armen ſeines Weibes
und ſeines Sohnes los. Paris haͤlt die Leier.

Nenn
20).
Neun Muſen, Minerva, Apollo.
Ein Bacchanal mit Maſken.
Die Thaten des Hercules.
Mehrere Larven.
21).
Uebrige Kunſtwerke in dieſem Zimmer:
Ein Gefaͤß von ſchwarzem africaniſchen Mar-
mor.
Zwei Raben zu jeder Seite dienen zu Hand-
griffen.
Ein Sarcopbag mit dem Raube der Tochter
des Leucippus durch Caſtor und Pollux.
Ein Aegyptiſches Idol.
Ein Raubvogel von ſchwarzem Baſalt.
Ein Reh von Alabaſtro fiorito.
Der Leib al-
lein antik.
Ein Triton, der eine Nymphe geraubt hat,
ſtark reſtaurirt. Arme und Beine gewiß neu.
Ein Sarcophag mit dem Tode des Agamemnon.
Zwei Pfauen.
Ein Vogel Ibis.
Minotaur,
Buͤſte.
Eine andere Diana von Epheſus von der im
Texte angezeigten verſchieden. Die letzte ſteht auf
einem Altare, an dem ein Aegyptiſches Opfer im
Griechiſchen Stile gearbeitet iſt.
Hercules
21).
Hercules, der den Diomedes umbringt. Bas-
relief.
Eine Saͤule mit Verzierungen auf einer Baſis
mit einem Aegyptiſchen Opfer im griechiſchen
Stile.
Hercules, der den Geryon toͤdtet.
Basrelief.
Ein Knabe, der einen Vogel traͤgt.
Eine Senne.
Sie ſteht auf einem Sarcophag.
Ein Gefaͤß. Ammonskoͤpfe dienen ſtatt der
Griffe.
Ein anderes mit Blaͤttern.
Eine wilde Taube.
Ein Hyppogryph von Alabaſtro fiorito.
Ein liegender Stier.
Ein Crocodill von ſchwarzem Marmor.
Amor im Wagen von zwei wilden Schwei-
nen gezogen.
Basrelief.
Eine Vaſe mit Ammonskoͤpfen ſtatt der Griffe.
Ein verwundeter Krieger, der ſich im Fallen
vertheidiget; er traͤgt eine phrygiſche Muͤtze.
Ein Elephant. Basrelief.
Ein Ziegenkopf.
Zwei Sarcophagen.
Eine Kroͤte von Roſſo antico.
Ein Schaafskopf.
Ein Kameel.
Eine Kub von Marmo bigio.
Ein Loͤwe von derſelben Materie.
Ein Knabe der ein Crocodil haͤlt.
Ein coloſſaliſcher Kameelskopf, der wahrſchein-
lich
zu einer Fontaine diente.
Ein Sarcophag, gefunden bei dem Grabe des
Nero. Das Basrelief ſtellt einen Wolf, oder
wahrſcheinlicher einen Fuchs vor, der einer Katze
ein geraubtes Huhn abnimmt.
Ein
21).
Ein Tiger, der ſich hinter die Ohren kratzt.
Eine wilde Taube auf einem Dattelbaum.
Ein Stachelſchwein
. Basrelief.
Ein Sarcophag mit dem Raube des Gany-
medes.
Ein indianiſches Schwein.
Kopf eines Rhinoceros.
Hercules, der den Dreifuß des Apollo geraubt
hat.
Basrelief.
Ein Tiger.
Hercules, der den Cerberus feſſelt.
Basrelief.
Ein Loͤwe aus dem Pallaſt Mattei.
Eine Katze.
Ein Gefaͤß mit verſchiedenen Thieren in Bas-
relief.
Centaur der einen Saſen haͤlt, auf ſeinem Ruͤ-
cken ein Amor.
Nur der Torſo des Centauren
iſt alt.
Ein Aſchenkrug, dem Enten zu Griffen die-
nen.
Gut.
Ein Sarcopbag. Charon fuͤhrt einige Schat-
ten zur Unterwelt, in der man verſchiedene Hoͤllen-
ſtrafen vorgeſtellt ſieht.
Rehkopf von Roſſo antico.
Eine abgebrochene Saͤule von Breccia d’ Egitto

auf welche man eine moderne Vaſe aus dem alten
ſeltenen Porphyr, der gruͤn und mit goldenen Adern
durchſchlaͤngelt iſt, gearbeitet, geſetzt hat.
Ein Basrelief mit einer weiblichen Figur auf
halben Leib, die bekleidet iſt, und opfert.
Unten
ſteht die Innſchrift:
Laberia Felicia
Sacerdos Maxima Matris
Deum.

Kopf
22).
Oben beim Pallaſt Farneſe.
21).
Kopf und Arme ſind neu. Inzwiſchen ſieht man
auf der Schulter die Spuren des Schleiers, den
ihr der moderne Kuͤnſtler uͤber den Kopf gezogen
hat; und ein antikes Stuͤck des Blumenkranzes,
den ſie in der Hand traͤgt.
*)
Sie war daſelbſt unter dem Nahmen Livia bekannt.
Winkelmann nennt ſie Melpomene. Fea Ediz.
della Storia delle arti del diſegno preſſo gli an-
tichi di Giov. Winkelmann, T. II. p. 329. n. A.

nennt ſie Pudicizia und gibt ihr einen neuen Kopf.
23).
Eine aͤhnliche Statue iſt mit den neun Muſen nach
Stockholm gegangen, die Volpato zu meiner Zeit
an den Koͤnig von Schweden verkaufte.
24).
Sie gab Juͤnglingen die kaum zur Pubertaͤt ge-
langt ſind, in den Spielen der Liebe den Vorzug.
25).
Uebrige Kunſtwerke in dieſem Zimmer.
Zwei Termen unbekannter Philoſophen.
Terme des Heſiodus.
Venus Victrix,
von dem Cuſtode der Gallerie
Pallas Victrix genannt. Fuͤr die Kunſt unbedeu-
tend. Zum Beſten gelehrter Ausleger bemerke ich,
daß der Kopf einer Venus gehoͤrt, und daß die
Arme mit den Attributen modern ſind. Im Muſco
Clementino T. II. folgt auf dieſe Venus Victrix ſo
gleich die Pallas, die nach der folgenden Figur des
Apollo von mir angezeigt iſt. Sie ſtehen aber nicht
dicht bei einander. Ich habe dies anzeigen muͤſſen,
damit man nicht glaube, ich haͤtte beide zuſammen
geſchmolzen.
Apollo mit der Eidexe, Sauroctonon. Arme
und Beine neu, uͤbrigens mittelmaͤßig.
Pallas, mit modernen Armen.
Zeno, mit der Innſchrift.
Ein paar unbekannte Koͤpfe.
Homer.
Bias,
mit dem griechiſchen Nahmen.
Drei unbekannte Koͤpfe.
Heſiodus.
Aeſchines
mit dem griechiſchen Nahmen.
Demoſthenes.
Antiſtenes
mit dem griechiſchen Nahmen.
Alcibiades mit dem griechiſchen Nahmen.
Sophocles mit dem griechiſchen Nahmen, klein
und mittelmaͤßig.
Das Meiſte von dieſen Kunſtwerken iſt in der
Villa des Hadrians gefunden.
26).
Ueber dieſe Vorſtellungsart ſiehe weiter unten
Villa Borgheſe.
27 a).
Winkelmann G. d. K. S. 467. behauptet: der
beruͤchtigte Koͤnig von Aſſyrien koͤnne es nicht ſeyn,
weil dieſer ſich alle Tage den Bart habe abnehmen
laſſen, unſere Figur aber einen Bart trage. Ein
Grund, der viel Bekanntſchaft mit der fruͤheren Ge-
ſchichte in dem griechiſchen Kuͤnſtler vorausſetzt.
Er gibt zur Perſon, die ſie abbildet, einen fruͤheren
Koͤnig dieſes Nahmens in Aſſyrien, welcher ein
weiſer Mann war, an. Man koͤnnte immer noch
fragen: iſt der Nahme von dem Kuͤnſtler eingegra-
ben, der das Werk verfertigte, mithin eine ſichere
Angabe der Bedeutung, die er damit verbinden
wollte?
27 b).
Viſconti im Muſeo Clementino haͤlt dieſe Fi-
gur fuͤr einen Apollo Muſagetes. T. I. tav. 23.
Ich war auf dieſe Vermuthung gekommen, ehe ich
die Meinung dieſes Autors wußte, und halte ſie
daher nicht fuͤr unwahrſcheinlich. Dieſe Figur
ſtand ehemals im Garten des Pallaſts Quirinale.
Winkelmann G. d. K. W. Edit. S. 487. erwaͤhnt
ihrer mit Ruhme, des reitzenden Kopfes wegen.
Mich duͤnkt er hat Recht. Fea in ſeiner Ueberſe-
tzung T. II. S. 118. not. B. ſagt: ſie verdiene das
Lob nicht ganz, aber man ſehe ihr an, daß ſie nach
einem guten Originale gearbeitet ſey.
28).
Winkelmann G. d. K. S. 785. aͤußert die Vermu-
thung, daß dieſe Figur entweder eine ſchlafende
Nymphe
28).
Nymphe oder eine Venus vorſtellen koͤnne. Lens ſur
le Coſtume des peuples de l’ antiquité, edit. de
Dresde.
1785. S. 27. will von der gewoͤhnlichen
Erklaͤrungsart nicht abgehen. 1) Weil die Schlange
in ihren Windungen zu irregulaͤr ſey, um ein Arm-
band vorzuſtellen. 2) Weil das Gewand, welches
zwar fuͤr jede andere Koͤnigin als Cleopatra nicht
anſtaͤndig genung ſeyn moͤchte, dennoch fuͤr eine
Nymphe zu viel die Majeſtaͤt bezeichnendes habe. Den
letzten Grund will ich auf ſeinen Werth und Un-
werth beruhen laſſen, nur in Anſehung des erſten
merke ich an, daß er auf eine falſche Behauptung
gebauet ſey. Der Kopf der Schlange richtet ſich
in die Hoͤhe, der Leib bildet zwei egale Windungen
wie Cirkel um den Arm herum, und der Schwanz
faͤllt unten in einer etwas ſich ſchlaͤngelnden Rich-
tung herab. Eben ſo ſind die Ringe geſtaltet, die
ich geſehen habe. Fea ital. Ueberſ. der Winkelm.
G. d. K. T. II. S. 330. n. B. und C. fuͤhrt noch
mehrere Widerlegungsgruͤnde an, aus denen ich
den durchſchlagendſten heraushebe. Der Leib der
Schlange im Armbande iſt platt: Sollte er einer
wuͤrklichen Schlange gehoͤren; ſo muͤßte er rund
ſeyn.
29).
S. 782. G. d. K.
30).
Uebrige Kunſtwerke in dieſem Zimmer.
Ein Krieger
als Gladiator reſtaurirt. Beide
Arme neu. Er ſetzt den Fuß auf einen Helm.
Fragment einer Aegyptiſchen Gottheit, aus
ſchwarzem Granit.
Anubis Aegyptiſches Idol mit einem Hundskopfe,
von ſchwarzem Baſalt.
Ein ſogenannter Diſcobolus Mythras.a)
Eine
a)
S. die Villa Negroni.
30).
Eine ſitzende Juno, die einen Knaben ſaͤugt.
Der Kopf iſt nicht ganz ſchlecht, aber das Uebrige
ſehr mittelmaͤßig. Ehemals im Pallaſt Quirinale.
Winkelmann G. d. K. Wiener Edit. S. 274. glaubte,
der Knabe ſtelle einen Hercules vor. Viſconti in der
Beſchreibung des Muſei Clementini haͤlt den Knaben
fuͤr einen Mars. T. I. tav. 4. S. 4. 5. Koͤnnte die
Gruppe wohl eine Venus Genitrix vorſtellen, in
dem Verſtande wie ſie, zu Ehren der Kaiſerinnen
als Kindbetterinnen, mit dem neugebohrnen Kinde
vorgeſtellt wird? S. Hr. Hofrath Heyne Antiquar.
Aufſ. I. Stuͤck. nr. 2. S. 160.
Julia Mammaͤa, Mutter des Kaiſers Alexan-
der Severus. Buͤſte.
Maximiana Fauſta, Gemahlin Conſtantins.
Buͤſte.
Saloninus, Valerianus. Buͤſten.
Ein unbekannter Kopf.
Julia,
Tochter des Titus, Auguſt mit Aehren
bekraͤnzt, Caͤſar, Marcus Agrippa, Clodius Al-
binus, Marcia Otacilia Severa,
Kaiſers Philipp
Severus Gemahlin, Pertinax, Criſpina, zwei un-
bekannte Koͤpfe,
lauter Buͤſten, fuͤr deren Benen-
nung ich inzwiſchen nicht Gewaͤhr leiſte.
Noch, Cicero, Mamea, Titus, Heliogaba-
lus, Domitia, Septimius Severus, unbekannter
Kopf.
Ein Aegyptiſches Idol, Victoria, noch eine
Aegyptiſche Gottheit von ſchwarzem Baſalt.
Kopf des Scipio Africanus.
Die Arbeit iſt
ſchoͤn. Der Ausdruck gemein. Er ſteht auf einem
Leuchter.
Agrippina, Mutter des Nero als Ceres. Statue.
Ein Basrelief, auf dem ein zweirudriges Schiff
vorgeſtellt iſt.
Ein
30).
Ein Hirt mit einem Schaafe.
Eine antike Copie
im Kleinen des obenangefuͤhr-
ten Kriegers mit der Chlamys.
Die Statue eines jungen Roͤmers in der Toga.
Ohne Beweis Nero genannt.
Julius Caͤſar, Buͤſte, ganz verſtuͤmmelt.
Antinous, Buͤſte, die ehemals Theil einer gan-
zen Statue ausgemacht zu haben ſcheint.
Eine Vaſe auf einem Cippus, an dem mehrere
Handlungen ſowohl aus der griechiſchen Mytholo-
gie, als der roͤmiſchen Geſchichte vorgeſtellet ſind.
Fuͤr die Kunſt unbedeutend.
Kopf eines griechiſchen Helden.
Kopf der Sabina,
Gemahlin des Hadrian.
Unbekannter Kopf.
Eine Urne aus Alabaſter.
Kopf mit einem Helm,
worauf die Spitze be-
findlich iſt, an der man einen Flamen wieder erken-
nen will.
Mebrere unbekannte Koͤpfe. Kopf eines Silen.
Eine kleine antike Copie
der liegenden Nymphe,
die unter dem Nahmen der Cleopatra bekannt iſt.
Fragment der Statue einer Meergoͤttin. Wahr-
ſcheinlich ſtand ſie auf einer Fontaine. Gut.
Caracalla. Buͤſte.
Pertinax, zwei unbekannte weibliche Koͤpfe.
Fragment einer ſitzenden Frau
mit guter Drap-
perie.
Eine weibliche bekleidete Figur beim Grabe des
Nero gefunden, mit einem kuͤnſtlichen Kopfputz.
Eine ſitzende Nympbe.
Ein liegender Bacchus.
Ein kleiner ſtehender Bacchus.
Eine Venus.
Eine Juno.

Frag-
30).
Fragment eines Apollo.
Eine Juno
mit einem modernen Kopfe.
Eine Meergoͤrtin, vielmehr eine Venus. Der
Haaraufſatz und das Individuelle der Geſichtsbil-
dung laſſen auf ein Portrait ſchließen.
Eine Conſularſtatue, die man Seneca nennt.
Der Kopf modern.
Ein Faun in der gewoͤhnlichen Stellung mit der
Hand in der Seite.
Einige unbekannte Koͤpfe.
Ulyſſes, Plotina
des Trajans Gemahlin, Clau-
dius, Mammaͤa,
Buͤſten.
Ein altes Weib, aus dem Pallaſt Colonna
hieher geſchenkt. Wahrſcheinlich aus der Schule
des Michael Angelo.
Commodus, aus dem Pallaſt Doria.
Ein unbekannter Kopf.
Meſſalina, noch ein unbekannter Kopf.
Ein Apollino
aus Bronze.
Hadrian, Tiber, Buͤſten.
Eine weibliche Figur mit einem Schleier. Auf
dem Haupte ſieht man Schlangenkoͤpfe, welche ein
bloßer Zierrath zu ſeyn ſcheinen. Inzwiſchen hat
man ihr daher den Nahmen Iſis beigelegt.
Ein Canopus aus Alabaſter.
Ein Apollo mit der Leier, ſitzend. Der Kopf
ſcheint ein Portrait zu ſeyn. Ob aber des Nero?
wie behauptet wird, iſt wenigſtens zweifelhaft.
Tribonianus Gallus, aus Bronze. Selten,
aber ſchlecht.
Schauſpieler mit der Maſke. Nur der Rumpf
iſt alt.
Ein Badeſclave.
Junius Brutus.
Ein Kopf voller Ausdruck, der
aber den Nahmen ohne allen Beweis fuͤhret.
Perti-
30).
Pertinax. Ein ausdrucksvoller Kopf.
Fauſtina als Venus Victrix; mittelmaͤßig.
Ein liegender Knabe mit einer Gans. Die
Haͤnde ſollen alt ſeyn.30 b)
Eine Roma.
Ein Knabe der Flaſchen in der Hand traͤgt.
Eine Ariadne.
Eine unbekannte Statue,
der man Scepter und
Schild in die Hand gegeben hat.
Zwei Saͤulen von Verde antico.
Ein Tiſch von eben dieſem Marmor.
30 b).
S. Fea’s Ueberſ. d. G. d. K. T.I. S. 382. n. A.
31).
S. 294. G. d. K.
32).
G. d. K. S. 289.
33).
Winkelmann S. 302. G. d. K.
34).
Noch ſtehen in dieſen Zimmern:
Plotina.
Buͤſte.
Eine Terme, die man fuͤr eine Ariadne ausgibt.
Ein junger Menſch mit einer Bulle am Halſe,
Commodus genannt.
35).
S. 92. G. d. K.
36).
Hier ſtehen noch:
Eine Conſularſtatue.
Ein Lucius Verus.
Ein Auguſt mit der Toga.
Eine Muſe.
Eine Prieſterin,
Figur mit dem Schleier, die
man Juno nennt.
Ueber der Thuͤr iſt ein großes Basrelief befind-
lich: Kampf zweier Maͤnner mit einem Loͤwen und
einem Tiger.
37).
In der Ital. Uberſ. der Winkelm. G. d. K. von
Fea, finde ich einige Nachrichten uͤber dieſe Samm-
lung, von denen ich geſtehe, daß ich nicht weiß, wel-
che von den angezeigten Stuͤcken ſie betreffen; oder
ob ſie ſich auf Stuͤcke beziehen, die zu meiner Zeit
noch nicht aufgeſtellet waren.
  • 1) T. I. S. 319. n. A. erwaͤhnt Fea einer Diana
    im langen Kleide aus Villa Pamfili.
  • 2) T. II. S. 422. n. A. Einer Cybele aus den
    Gaͤrten des Vaticans. Winkelmann nennt ſie Ne-
    meſis.
  • 3) T. II. S. 122. n. B. Eines Basreliefs. Ein
    kindlicher Faun, deſſen Winkelmann als in der Villa
    Albani befindlich gedenkt, aus einer Schaale trin-
    kend. Siehe Villa Albani.
  • 4) Endlich T. I. S. 316. n. c. zweier Statuen
    der Venus in der Stellung der Cnidiſchen.
37b).
Pallaſt Farneſe.
38).
Kenner werfen ihm vor, daß die Muſkeln nicht
allemahl die Form und Lage haben, die das Ge-
ſchlecht, das Alter, und die Arbeit, wozu ſie ge-
braucht werden, erfordern. Daß ſeine Haͤnde nicht
ſchoͤn, und die Muſkeln an den jugendlichen Koͤr-
pern zu hart angedeutet ſind, bemerken auch un-
geuͤbte Augen.
39).
Richardſon (Deſcription des fameux tableaux,
T. III. p.
324.) verwechſelt ſie mit denen Stanze
oder Sales de Raphael.
40).
In unſern noͤrdlichen Gegenden findet dieſes eine
Ausnahme. Hier ſind ſie Nothbehelf. Denn wenn
hier auch zuweilen ein Reicher im Stande iſt, das
Talent zu lohnen, ſo iſt das Talent ſelten, das den
Lohn verdient.
41).
Dieſer letzte Kuͤnſtler heißt eigentlich Pellegrinus
Munari da Modena, unter welchem Nahmen man
ihn in Fueßlis Kuͤnſtlerlexicon ſuchen muß.
42).
Traité de la peinture et de la ſculpture ou
Deſcription des ſtatues, tableaux et deſſeins en
Italie T. III. p. 473. edit. d’Amſterdam
1728.
43 a).
Von dieſem Meiſter werde ich an einem andern
Orte ſprechen.
43 b).
Auch der Gedanke des Conſtantins der den
Speer ſchleudert, und der Krieger, die ihm meh-
rere abgehauene Koͤpfe der Feinde zeigen, ſcheint
von einem Basrelief das jetzt am Triumpfbogen
des Conſtantins befindlich iſt, entlehnt zu ſeyn.
Bei der Vergleichung wird man finden wie gluͤcklich
ihn Raphael verbeſſert hat.
44).
S. Laocoon, zwoͤlfter Abſchnitt.
45).
Deſcription des ſtatues, tableaux etc. T. III.
p.
399.
*)
Hiſtoriſch kritiſche Nachrichten uͤber Italien. Leipzig
Ed. von 1777. S. 102 u. f.
1).
Hrn. Volkmanns Beſchreibung dieſes Pallaſts wim-
melt von Fehlern. Diejenigen, denen daran liegt,
ein genaues Verzeichniß all und jeder Kunſtwerke in
dieſem Pallaſte zu haben, verweiſe ich auf die
Deſcrizione delle Statue, Baſſirilievi, Buſti etc.
che ſi cuſtodiscono ne’ Palazzi di Campidoglio.

Ich habe die letzte und dritte Auflage vor mir, ſie
iſt von 1775. Freilich blos Nomenclatur und noch
dazu ſehr unrichtige. Allein ihre Verbeſſerung ge-
hoͤrt nicht in meinen Plan.
2).
Winkelmann G. d. K. S. 68. haͤlt ſie fuͤr aͤgy-
ptiſch.
3).
Winkelmann G. d. K. S. 640. haͤlt dieſe Statuen
fuͤr Werke aus der aͤlteſten Zeit, und laͤßt die Ver-
muthung blicken, als ob ſie dieſelben waͤren, die
ehemals vor dem Tempel des Jupiter Tonans ſtan-
den, und vom Hegeſias gearbeitet waren. Wenig-
ſtens, ſagt er, waͤren ſie an dieſem Orte gefunden.
Viſconti Muſ. Clem. T. I. tav. 37. p. 73. hat dieſe
Vermuthung als ungegruͤndet verworfen.
4).
G. d. K. S. 821.
5).
G. d. K. S. 866.
6).
Man ſehe daruͤber, was bei dem Basrelief mit
dem Bruſtbilde des Antinous in der Villa Albani
erinnert iſt. Ohnedem ſcheint dies Pferd ein Por-
trait, und der kurze Schweif deſſelben damahls ſo
gewoͤhnlich geweſen zu ſeyn, wie jetzt unſere Stumpf-
ſchwaͤnze.
7).
Dieſe Statue ſtand ehemals auf einem Platze, den
man fuͤr das forum martis hielt, daher die cor-
rumpirte Benennung Marſorio.
8).
S. ſeine Sammlung antiquariſcher Aufſaͤtze, II. St.
S. 69 u. f. Es war der Pan, ſagt er daſelbſt,
ein altes philoſophiſches Symbol, bald fuͤr die Na-
tur uͤberhaupt, bald fuͤr die Zeugungskraft. Erſt
ſpaͤt wurden ſie in die Bacchiſchen Religionsideen
aufgenommen.
9).
Geſch. d. K. S. 861.
10).
Ueber das glaͤſerne Aſchengefaͤß, welches in dieſem
Sarcophag gefunden, (Winkelmann Geſch. d. K.
S. 38.) ſehe man die Beſchreibung des Pallaſtes
Barberini nach. Der Herzog von Marlborough
hat es aus dem Muſeo der verſtorbenen Herzogin
von Portland erſtanden.
11).
Zu dieſer Benennung haben die Elephantenkoͤpfe
Anlaß gegeben, die man an den Zierrathen des Har-
niſches wahrnimmt.
12).
Winkelm. G. d. K. S. 722. Die Aehnlichkeit,
die Winkelmann zwiſchen der Figur Agamemnons
auf dem obenbeſchriebenen ſogenannten Sarcophag
des Alexander Severus und der unſrigen fand, duͤrfte
die Benennung nicht allein rechtfertigen. Viel-
leicht paßt der Nahme irgend eines andern Kriegs-
helden eben ſo gut darauf.
13).
Vortrefflich nennt der Hr. Hofrath Heyne, S. An-
tiquar. Aufſ. II. St. S. 241. kriegeriſche Tugend
die ſinnlichſte von allen Tugenden, die durch eine
Menge von Nebenvorſtellungen maͤchtig auf die
Einbildungskraft wuͤrkte. Bewunderung des Al-
terthums, Dichterbegeiſterung, Anhaͤnglichkeit an
Nationalvorurtheile, Ahnenſtolz, Sitte der Vor-
fahren. Was Wunder alſo, daß der groͤßte Theil
der Denkmaͤhler eben dieſer Tugend geweihet war!
14).
S. Winkelmann G. d. K. S. 439. Ganz richtig
duͤrfte dies Unterſcheidungszeichen wohl nicht ſeyn.
15).
So findet man z. E. gleich hier das Grabmahl
eines Mahlers, Aper genannt, mit einem wilden
Schweine und einigen Mahlerwerkzeugen; und
oben auf der Treppe ein anderes von einem Schmie-
de, mit deſſen Handwerkszeuge.
16).
Winkelmann G. d. K. S. 161. ſagt, das Werk ſey
urſpruͤnglich eine Brunnenruͤndung geweſen.
17).
Winkelm. G. d. K. S. 370. Er hat nicht einſt die
geſchwollenen Ohren. Andere halten ihn des Man-
tels wegen, den er umgeworfen hat, fuͤr einen
Redner, Sophiſten ꝛc.
18).
Winkelmann, S. 489. G. d. K.
19).
Winkelmann, Vorrede zur Geſch. d. K. S. XII.
ſagt: weil man ſie fuͤr ein roͤmiſches Werk anſah,
hielt man es fuͤr ſchlechter als es iſt. Herr Hofrath
Heyne, Samml. Antiq. Aufſ. I. Stuͤck. S. 162.
bemerkt die Laͤcherlichkeit der Idee: die unartige Lei-
denſchaft der Kaiſerin durch Statuen dem Volke zur
Schau ausgeſetzt anzunehmen. Er haͤlt es fuͤr
glaublicher, daß auf Fauſtina und Marc Antonin
ange-
20).
G. d. K. S. 404. Der Herr Hofrath Heyne hat
dieſe gewagte Erklaͤrung widerlegt. Samml. Ant.
Aufſaͤtze, St. I. S. 148. in der Note. Er haͤlt es
fuͤr unerwieſen, daß der untere Guͤrtel der Venus
allein eigen ſey, und κεςος heiße.
19).
angeſpielt ſey. Man habe, ſagt er, ein Paar be-
kannte Muͤnzen von der Fauſtina, worauf dieſe
Gruppe vorkomme; auf der einen ſtehe veneri vi-
ctrici. S. C. etc.
Wahrſcheinlich ſtellten die Statuen
eine Venus Victrix vor, die den Mars liebkoſet.
S. Villa Borgheſe.
21).
Eine andere ſchoͤnere Gruppe vom le Gros als
Biblis und Kaunus reſtaurirt, iſt nach England
gegangen.
22).
G. d. K. S. 466.
23).
Ich geſtehe, daß ich mich an die Benennung des
Fechters halte, weil ich keine ſchicklichere weiß. Der
Grund,
23).
Grund, den Winkelmann a) zur Widerlegung dieſer
Meinung angibt, thut mir kein Genuͤge, ſo wenig
als ſeine neue Erklaͤrung. Denn daß gerade dieſe
Statue aus den bluͤhendſten Zeiten der Kunſt unter
den Griechen ſeyn muͤſſe, in denen keine Fechter-
ſpiele bekannt waren, laͤßt ſich ſo wenig von dieſer
als von den meiſten andern Statuen mit Zuverlaͤſ-
ſigkeit behaupten. Daß Cteſilas, unter deſſen Sta-
tuen ein vulneratus deficiens beruͤhmt war, keinen
Fechter gebildet habe, will ich gern glauben. Aber
daraus folgt noch nicht, daß unſere Statue nicht
von einer andern Hand nach einem Fechter gebildet
ſeyn koͤnnte. Was ſeine Erklaͤrung anbetrifft, daß
naͤmlich dieſe Figur nach dem Stricke um den Hals
und dem Horne zu urtheilen, ein Herold ſey, und
zwar ein beſtimmter Herold aus der Geſchichte:
So hat der Herr Hofrath Heyne b) das Gewagte
dieſer Muthmaßung hinreichend gezeigt.
Da der Herr Hofrath Heyne an gedachter Stelle
wuͤnſcht, daß Reiſende genau darauf achten moͤchten,
was an dieſer Statue alt oder neu ſey; ſo will ich
diejenigen Bemerkungen herſetzen, die ich daruͤber
zu machen Gelegenheit gefunden habe.
Die Hauptſchwierigkeit bei dieſer Figur macht der
Kopf, deſſen Knebelbart die Antiquarier ſo wenig
als den Strick um den Hals zu erklaͤren wiſſen.
Daß
a)
Geſch. d. K. S. 661.
b)
Antiquar. Abhandl. H. St. S. 233
b)
Daß dieſer Kopf gerade unter dem Stricke von dem
Rumpfe einſt abgeſondert geweſen ſey, erkennt man
an den nicht ganz verdeckten Fugen. Man bemerkt
ſogar an dieſem Halſe Spuhren von einem Stuͤcke
abgebrochenen Marmors, womit der Kopf leicht
mit etwas anderm zuſammen gehaͤngt haben koͤnnte.
Inzwiſchen laͤßt ſich darum gar nicht behaupten, der
Kopf gehoͤre nicht zu dem Koͤrper. Denn auf der
andern Seite ſpricht wieder die Uebereinſtimmung,
die ſich ſowohl was Stil als Marmor anbetrifft,
zwiſchen dem Kopfe und dem Rumpfe findet, fuͤr
ihre urſpruͤngliche Beſtimmung fuͤr einander. Ja,
was dieſe Meinung außer Zweifel ſetzt: Es haben
ſich auf dem Rumpfe ausgeſprungene Stuͤcke von
dem Stricke erhalten, die bei der Reſtauration in
denjenigen Theil des Stricks, der an dem Kopfe
ſitzen geblieben war, wieder eingepaſſet ſind. Der
Kopf gehoͤrt alſo, wie ich glaube, der Statue an.
Der rechte Arm iſt modern, und ſo ſind die Zehen
beider Fuͤße, wie auch der aͤußere Rand der Baſe,
worauf er liegt, nebſt einem Stuͤcke des Degens
und des Schildes. Der groͤßte Theil des Horns iſt
unſtreitig alt.
24).
Siehe deſſen Annotazioni ſopra le Statue di Ro-
ma,
hinter ſeinen Briefen an einen Freund in Lief-
land. Coburg 1784. S. 40. Ich bemerke uͤbrigens,
daß dieſe blos hingeworfenen Blaͤtter, die nie zum
Druck beſtimmt waren, billig demſelben nicht haͤt-
ten uͤberliefert werden ſollen.
25).
Antiquariſche Aufſaͤtze I. Stuͤck, dritte Nummer.
26).
Winkelmann, S. 841. d. G. d. K. haͤlt ihn des
Hirtenſtabes wegen fuͤr einen Chiron.
27).
Siehe Winkelmann Geſch. d. K. S. 93. und 97.
28).
Winkelmann G. d. K. S. 419. haͤlt dieſe Figur
fuͤr eine Hecuba, die ihr Haupt in die Hoͤhe gerichtet
hat, als wenn ſie ihren Enkel Aſtianax von Trojas
Mauren herunterſtuͤrzen ſaͤhe.
29).
Die Kopfbinden bezeichneten den Sieg der Ringer.
Polyclets Diadumeni waren wahrſcheinlich junge
Ringer, die ſich die Kopfbinde umbanden. S. Herrn
Hofraths Heynen Antiq. Aufſaͤtze. S. 257. II. Stuͤck.
30).
Ich wuͤnſchte ſehr, daß ich einige AntiquarenEine gewag-
te Erklaͤrung
der ſoge-
nannten
Ptolomaͤer,
als Ringer-
ſtatuen, und
Muthmaaſ-
ſung uͤber
deren Wie-
dererken-
nungszei-
chen.

darauf aufmerkſam machen moͤchte, ob nicht die
Kopfbinde und die reihenweis neben einander ge-
legten Locken, nach welchen Kennzeichen man ge-
meiniglich die Koͤpfe Ptolomaͤer tauft, Ringerſta-
tuen anzeigen. Dieſe Lage der Haare findet ſich
nicht nur an den vier Statuen im Pallaſt Farneſe, und
einigen andern in der Villa Borgheſe, ſondern auch
an dem Genius oder ſogenannten, deus praeſtes,
in Florenz, den der Herr Hofrath Heyne mit ſo
vielem Rechte unter die Claſſe der Ringer zaͤhlt.
Th. II. Antiq. Aufſ. S. 255. Imgleichen an einem
Kopfe in dem Zimmer der Miſcellanien, gleichfalls
mit der Kopfbinde; und an einer Statue, an die
wir gleich kommen werden, mit eben dieſem Haupt-
ſchmuck.
31).
Die Griechen verfeinerten die Idee der Aegyptier.
Man erkennt ſie hauptſaͤchlich an der Kleidung, die
ich daher in dem Texte genau beſchrieben habe.
32).
Winkelm. Geſch. d. K. S. 285.
33).
Winkelm. G. d. K. S. 780.
34).
In dem II. Stuͤck ſeiner Antiquar. Aufſaͤtze.
35).
G. d. K. S. 275.
36).
am angef. Orte.
37).
Winkelmann glaubt, es ſey Pſyche mit dem Gefaͤße
voll Waſſers aus dem unterirrdiſchen Fluſſe Cocytus.
S. Annotazioni ſopra le Statue di Roma. p. 41.
38 a).
Die deſcrizzione gibt dieſer Statue einen Koͤcher
auf der linken Seite, Schild und Helm zu den
Fuͤßen und eine Streitaxt am Tronk. Dieſe Attri-
bute finden ſich nicht bei dieſer Statue, ſondern bei
der Statue im Muſeo Clementino. Winkelmann,
S. 313. behauptet: der Kopf gehoͤre nicht zu dem
Rumpfe.
38 b).
Perſeus und
Andromeda:
Gemaͤhlde
von Mengs.
Mengs ging inzwiſchen, — wie man mir ſagt,
denn geſehen habe ich das Bild nicht, — von dem
Basrelief, ſelbſt in Ruͤckſicht des Gedankens ab.
Er ließ den Perſeus der Andromeda zwar die Hand
reichen, das Geſicht, und den Blick aber von der
Schoͤnen abwenden. Eine Heldenſeele wie Perſeus,
angefuͤllt mit griechiſchen Ideen von Anſtand, wird
es nicht gewagt haben, ſeinen Blick auf Andromeda
zu werfen; er wird ihr die Verwirrung haben er-
ſpahren wollen, ſich nackt vor ihrem Beſchuͤtzer ſehen
zu laſſen; er wird ſie auch auf die entfernteſte Art
nicht an die Rechte haben erinnern wollen, welche
die empfangene Wohlthat ihm uͤber die errettete
Schoͤne gab.
So dachte Mengs. Aber dachte er recht? Ich
zweifle. Wenn auch keine Kaͤlte auf dem Bilde
geherrſcht hat, wie doch alle verſichern die es geſe-
hen haben, wenn es auch wuͤrklich wahr iſt, daß die
Griechen ſo gotiſch edel gehandelt haben; durfte der
Kuͤnſtler durch den Ausdruck einer ſittlichen Schoͤn-
heit, die in den ſtummen Kuͤnſten zur Unempfind-
lichkeit wird, ſeinen Zeitgenoſſen, welche die Wahr-
heit des Affects in der dargeſtellten Perſon nach dem-
jenigen beurtheilen, der ſie ſelbſt bei einem aͤhnlichen
Vorfall in Bewegung geſetzt haben wuͤrde, die ſich
ſchlechterdings in dem Acteur wieder finden wollen;
durfte Mengs, frage ich, dieſen unverſtaͤndlich wer-
den? Laͤßt ſich denn der Eindruck den die Schoͤn-
heit auf uns macht, an dem der ſie empfindet, nicht
anders ausdruͤcken, als durch thieriſche Begierde,
oder durch prahlenden Uebermuth?
38 c).
So Winkelmann, welcher behauptet, die Hand
mit dem Blumenſtrauß ſey modern. Den Kopf mit
dem Blumenkranze ſcheint er fuͤr antik, aber nicht
von idealiſcher Schoͤnheit, ſondern fuͤr ein Portrait
einer ſchoͤnen Perſon zu halten. G. d. K. Wiener
Edit. S. 309. Fea in der italieniſchen Ueberſetzung,
T. I. p. 323. haͤlt ſie mit dem Abbate Viſconti fuͤr
eine Polymnia. Warum?
39 a).
Der Herr Hofrath Heyne Sammlung Antiquari-
ſcher Aufſaͤtze II. Stuͤck S. 118 und 145 glaubt an-
nehmen zu duͤrfen, daß alle Vorſtellungen der Ve-
nus auf dieſe der unſrigen aͤhnliche Art, die Venus
aus dem Bade kommend bezeichnen. Er verwirft
die Erklaͤrung der Mediceiſchen Venus zu Florenz,
als einer ſolchen, die aus der See hervorkoͤmmt,
ganz, weil ſie ein ſo ſchoͤn geflochtenes Haar hat.
Ich geſtehe es gern, daß dieſer Grund mir jene
Idee des Emporſteigens aus dem Meere nicht ganz
benehmen koͤnne. Der Herr Hofrath Heyne wird
ſchwerlich eine Statue von Werthe anzeigen koͤnnen,
an der das triefende Haar einer Venus Anadyo-
mene, das doch auf Muͤnzen, geſchnittenen Stei-
nen und Basreliefs vorkoͤmmt, ausgedruͤckt waͤre.
Die Urſache liegt offenbar darin, weil ein ſolches
Haar in Strippen herabfallend in ganz runden
Bildhauerwerken einen Uebelſtand machen wuͤrde.
Sollte der Kuͤnſtler dieſem Uebelſtande nicht einen
Fehler wider das Coſtume aufgeopfert haben? Vor-
zuͤglich hier, wo er ein Portrait bildete? Vielleicht
duͤrfte man auch dann, wann man ins Bad geht,
die Haare nicht ſo kuͤnſtlich flechten. Wozu der
Delphin? Der Herr Hofrath Heyne ſagt: es iſt
ein
39 b).
Fea in der neuſten Ueberſetzung der Winkelman-
niſchen G. d. K. L. V. c. II. T. I. p. 315. Note A.
behauptet, die Naſe ſey angeſetzt, und zwar ſchlecht,
ſo daß ihr dies viel von ihrer urſpruͤnglichen Schoͤn-
heit nehme.
39 a).
ein allgemeines Attribut der Venus. Recht wohl!
aber woher iſt es anders entlehnt, als von ihrer
Herkunft aus dem Meere? Und dann! konnte der
Kuͤnſtler nicht eben ſo gut, als andere vor, oder
nach ihm an aͤhnlichen Statuen gethan haben, eine
Vaſe neben ihr ſtellen, die ihr ſtatt Tronks diente?
Worin liegt der Grund der Abweichung?
40).
G. d. K. S. 825.
41).
Winkelm. G. der K. S. 787. erwaͤhnt eines Kopfs
des M. Agrippa. Er ſey ſchoͤn, ſagt er, und gebe
das deutlichſte Bild des groͤßten Mannes ſeiner Zeit.
Ich erinnere mich nicht, ihn hier bemerkt zu haben.
*)
Vielleicht ſtellt aber auch die Figur eine Venus Ge-
nitrix vor, in dem Verſtande, da ſie zu Ehren der
Kaiſerinnen, als Kindbetterinnen mit ihren neu-
gebohrnen Kindern auf dem Schooße vorgeſtellt
wird. Man vergleiche Hrn. Hofraths Heyne An-
tiquar. Aufſaͤtze. l. Stuͤck. nr. 2. S. 160.
42).
Andere ſagen von Bracci.
43).
Winkelm. G. d. K. S. 784.
44).
Winkelm. G. d. K. S. 498.
45).
Winkelm. G. d. K. S. 541.
46 a).
Die ſitzende Roma zwiſchen dem Neptun und ei-
ner Minerva, ſind als Basrelief auf dieſem Wagen
ausgedruͤckt. Volkmann begeht einen laͤcherlichen
Fehler, dieſe Figuren als den Triumphwagen be-
gleitend anzufuͤhren.
46 b).
Dieſe Vermuthung hat wenig Wahrſcheinlichkeit
fuͤr ſich. S. Fea’s Ueberſetzung der Geſch. d. Kunſt.
1783. T. l. L. III. c. III. p. 202. nota*
47 a).
Winkelmann G. d. K. S. 541.
47 b).
Richardſons Urtheil Traité de la peinture etc.
p.
180. wodurch dieſem Werke eine gewiſſe Haͤrte
vorgeworfen wird, die man als eine Folge der Kind-
heit der Kunſt anſehen koͤnne, worin ſie verfertigt ſey,
iſt ungerecht. Die Formen ſind nicht bis zum Ideal
erhoben, aber auch keinesweges hart und ſteif.
48).
Winkelmann, G. d. K. S. 541.
49).
Die Benennung mag wohl ziemlich zweifelhaft
ſeyn. Winkelmann G. d. K. S. 541. ſagt: Ein
Bruſtbild unter dem Nahmen Brutus. Richardſon
Traité de la peinture. p. 177. beruft ſich auf die
Aehnlichkeit mit einer Medaille, die Marcus auf die-
ſen ſeinen Ahnherrn ſoll haben ſchlagen laſſen. Wer
weiß, wie viel Aehnlichkeit ſchon jenes Bildniß mit
dem wahren Urbilde gehabt haben mag?
50).
Herr Volkmann macht hier einen laͤcherlichen Feh-
ler. Die italieniſche Beſchreibung ſetzt zur Erklaͤ-
rung dieſes Kopfes hinzu: Ariadne, welche einſt
dem Theſeus den Faden gab, (diede) und fuͤhrt
ſie ausdruͤcklich als eine Buͤſte auf. Herr Volkmann
der dieſes uͤberſetzt, macht eine Statue daraus:
Ariadne, die dem Theſeus den Faden gibt. Ueber-
haupt iſt Herr Volkmann bei dieſer ganzen Beſchrei-
bung voller Unrichtigkeiten.
51).
Der Kopf, ſagt Winkelmann, S. 745. der G.
d. K. iſt verhaͤltnißmaͤßig kleiner als am Farneſi-
ſchen Hercules.
52).
Pietro Teſta, gebohren zu Lucca 1611. geſtorben zuPietro Teſta.
Rom 1648. Anfangs Schuͤler des Domenichino,
nachher des Pietro von Cortona. Er uͤbertrieb den
Ausdruck bis zur Carricatur; ſein wildes Feuer ver-
fuͤhrte ihn zu abentheuerlichen Gedanken und Un-
richtigkeiten in der Zeichnung, und es fehlte ihm
durchaus an Wahrheit und Lieblichkeit des Colo-
rits, und an Haltung.
53).
Guaspro Vanvitelli, genannt degli Ochiali, lebte
um das Jahr 1700. Ein guter Architekturmahler.
54).
Giovanni Bellino lebte bis 1514. Er that wasGiovanni
Bellino.

wenige thun, er verbeſſerte ſeine Manier in ſeinem
Alter, und zwar nach ſeinen Schuͤlern, dem Gior-
gione und Tizian. Die erſte war trocken und hart,
und hatte viel von der Manier der alten deutſchen
Schule. In der letzten bekam ſeine Faͤrbung, mehr
Saftiges, Friſches, Kraͤftiges.
1 a).
Nachricht
von zwei an-
tiken Basre-
liefs mit
Amorinen
in Venedig.
Da, ſo viel mir bekannt iſt, noch keine genaue
Nachricht uͤber dieſe beiden Basreliefs gedruckt iſt,
ſo will ich kurz die Bemerkungen, die ich daruͤber
bei meiner Durchreiſe durch Venedig zu machen
Gelegenheit gefunden habe, hieher ſetzen.
Sie ſtehen im Chor der Kirche St. Maria de’
Miracoli,
und ſtellen beide Amorinen vor, auf
jeglichem zwei, die mit den Waffen des Mars be-
laden ſind. Dasjenige, auf welchem Amorinen
den Koͤcher des Gottes wegtragen, hat einen großen
Vorzug vor demjenigen, wo ſie mit dem Wegſchlep-
pen ſeines Schwerdtes beſchaͤfftigt ſind. Die Koͤpfe
ſind
1 a).
ſind ſehr beſchaͤdigt, und wenn ich mich nicht irre,
ſo iſt ſogar ein Kopf an dem einen der Amorinen
bei dem Koͤcher ganz neu. Die Natur und die Ver-
haͤltniſſe des Alters ſind ſo gut beobachtet, als in
irgend einer Vorſtellung deſſelben unter den Neueren.
Das Fleiſch iſt weich ohne ſchlaff zu ſeyn, und die
Arbeit leicht und doch beſorgt. Sie verdienen das
Lob unter die vorzuͤglichſten antiken Abbildungen des
kindlichen Alters zu gehoͤren.
1 b).
Die Localfarbe wird auf der Palette gemiſcht: Die
vollſtaͤndige Miſchung der Farben, wie ſie zu ei-
nem guten Colorit erfordert wird, geſchieht halb
auf der Palette, halb auf der Flaͤche des Gemaͤhldes,
und hier hauptſaͤchlich.
1 c).
Man vergleiche mit dieſer Beurtheilung Tizians,
das, was Zanetti, della Pittura Veneziana e delle
opere pubbliche de’ Veneziani Maeſtri in Venezia
1771. p.
95. uͤber dieſen Meiſter geſagt hat.
2).
Pietro Franceſco Mola, ward zu Coldre’ im Mai-
laͤndiſchen 1621. gebohren, und ſtarb zu Rom 1666.
Er war ein Schuͤler des Albani und des Guercino.
Sonderbare Anordnung, gemeine Natur, ſchwer-
faͤllige Zeichnung ohne auffallende Fehler, und dunkle
Faͤrbung zeichnen dieſen Meiſter aus.
3).
Fra (Frate) Sebaſtiano del Piombo, geb. 1485. zuFra Seb. del
Piombo.

Venedig, geſt. 1547. zu Rom. Anfangs Zoͤgling
der Venetianiſchen Schule. Nachher Schuͤler des
Michael
4).
Giacomo Palma il Vechio geb. 1540. zu Serinalto
im Gebiet Bergamo, geſt. zu Venedig 1588. Schuͤ-
ler Tizians, dem er in ſeinen beſten Werken ſo nahe
koͤmmt, daß man ſie mit des Meiſters gewoͤhnli-
chen verwechſelt.
3).
Michael Angelo Buonarotti. Dieſer Mahler bewei-
ſet, wie ſchwer es iſt, in mehreren Theilen der Mah-
lerei zu gleicher Zeit groß zu ſeyn. Als er Venedig
verließ, hatte er die ganze Staͤrke der Venetiani-
ſchen Faͤrbung. Er wollte es dem Michael Angelo
in der Zeichnung gleich thun, und durch die Verei-
nigung dieſer beiden Vorzuͤge hoffte er dem Raphael
den Preiß abzugewinnen. Raphael ſagte: Poca
lode ſarebbe a me, di vincere uno che non ſa
diſegnare.
Fra Sebaſtiano erreichte nie ſeinen Zweck
in der Zeichnung, und verlohr ſein kraͤftiges Colorit.
Seine Zuſammenſetzung iſt gemeiniglich ſteif, ſein
Ausdruck kalt. In Bildniſſen war er gluͤcklicher.
Man nannte ihn Fra del Piombo von der Stelle,
die ihm der Pabſt anvertrauete.
5).
Rafaele Motta, gemeiniglich Rafaelino da Reggio
genannt geb. 1552. geſt. 1580. Schuͤler der Zucheri
und ihrer Zeitgenoſſen. Stil der Nachahmer Ra-
phaels und der Florentiner in der Zeichnung; des
Baroccio im Colorit.
6).
Carita Romana nennt man die Vorſtellung der
zaͤrtlichen Tochter, die ihren Vater, der verurtheilt
war, im Gefaͤngniſſe Hungers zu verſchmachten,
mit ihrer Milch ernaͤhrte.
7).
Giovanni Battiſta Moroni, gebohren zu Albino
im Gebiet Bergamo — geſt. 1578. aus der Vene-
tianiſchen Schule. In Bildniſſen vorzuͤglich be-
ruͤhmt. Man kennt ſeine Werke unter Tizians
Werken vielleicht nur an der ſchwaͤchern Faͤrbung
aus. Mir ſind wenige zu Geſicht gekommen, die
man ihm mit Zuverlaͤßigkeit haͤtte beilegen koͤnnen.
Niuno ſi accoſtò più a Tiziano nei rittratti del
celebre Giam battiſta Morone d’ Albino. Zanetti
della Pittura Veneziana. p.
99.
8).
Es gibt zwei Kuͤnſtler, die man von dem gemein-
ſchaftlichen Geſchlechtsnahmen, Licinio, von der ge-
meinſchaftlichen Vaterſtadt im Friaul, Pordenone
nennt. Der beruͤhmteſte von beiden, und Lehr-
meiſter des andern, hieß Giovanni Antonio Licinio.
Dieſer ſoll nachher ſeinen Nahmen, aus Haß gegen
ſeinen Bruder, in Regillo verwandelt haben. An-
dere nennen ihn auch, Cucitello, ja noch andere,
Sachi. Er lebte von 1480—1540. und naͤherte
ſich in ſeiner Manier ſeinem Lehrmeiſter Giorgione.
Von dieſem aber kann das oben angezeigte Bild
ſchwerlich ſeyu; denn 1) treffen die Anfangsbuch-
ſtaben J. P. nicht mit den Vornahmen Giovanni
Antonio zuſammen, 2) ſcheint es nicht glaublich,
daß Regillo, der nur 56. Jahr alt geworden iſt,
wenn er ſeinen Nahmen veraͤndern wollte, ihn noch
bis auf das Jahr vor ſeinem Tode beibehalten ha-
ben wuͤrde. Ich rathe daher eher auf ſeinen Vetter
Giulio Licinio; denn hier trifft der eine Vornahme
zu, und wenn die uͤbrigen uns zwar ſo wenig als
ſein Geburtsjahr bekannt ſind, (er ſtarb 1561.) ſo
treffen wir wenigſtens in ſeiner Lebensgeſchichte keine
Umſtaͤnde an, die der Angabe des Bildes widerſpre-
chen.
9).
Benvenuto Garofalo genannt Tiſio, ward zu Fer-
rara 1481. gebohren und ſtarb 1559. Ob die Nelke,
die er ſo gern in ſeinen Gemaͤhlden anbrachte, ein
Anagram ſeines Nahmens oder Grund ſeines Beinah-
mens geweſen ſey? iſt zweifelhaft. Er hat unſtreitig
den groͤßten Theil ſeiner Ausbildung dem fleißigen
Studio nach den Werken Raphaels und zwar aus deſ-
ſen fruͤheren Manier zu verdanken. Ein Verdienſt,
welches alle ſeine Bilder haben, iſt die reine, dauer-
hafte Localfarbe der Gewaͤnder, vorzuͤglich der rothen
und der gruͤnen. Sie haben ſich bis auf dieſe Stunde
ſo friſch erhalten, als ob ſie eben gemahlt waͤren.
Man trifft auch zuweilen einen ſchoͤnen Kopf, ſelbſt
eine ſchoͤne Figur in ſeinen Gemaͤhlden an. Nur das
Ganze iſt ſelten zu loben. Die Ausfuͤhrung iſt ge-
meiniglich trocken.
10).
Lucas von Leiden in Italien Luca d’ Ollanda ge-
nannt, geb. 1494. geſt. 1533. aus der aͤltern Nie-
derlaͤndiſchen Schule. Nichts iſt gewoͤhnlicher, als
daß man in den Gallerien Roms jedes aͤltere Nie-
derlaͤndiſche Werk, deſſen Nahmen die Cuſtodes nicht
wiſſen, dem Luca d’ Ollanda beilegen hoͤrt. Allein
die wenigſten koͤnnen ihm mit Gewißheit zugeſchrie-
ben werden.
11).
Andrea Schiavone (geb. 1522. zu Sebenigo in
Dalmatien, geſt. zu Venedig 1582.) Die beruͤhm-
teſten Meiſter der Venetianiſchen Schule waren ſeine
Lebrer. Kraͤftige Faͤrbung war ſein Hauptverdienſt,
dabei ahmte er die Natur ſo genau nach, als es
ſeine geringe Fertigkeit in der Zeichnung zuließ.
Gemeiniglich mahlte er nur kleine Figuren 1 oder
2 Fuß hoch, und die unbeſtimmt gezeichneten Ex-
tremitaͤten bei der kraͤftigen Faͤrbung koͤnnen den
Meiſter nachweiſen.
12).
Gerhard Honthorſt, in Italien Gherardo dellaGerhard
Honthorſt.

Notte genannt, geb. zu Utrecht 1592. geſt. nach
1662. Ein Schuͤler des Caravaggio, dem er in
der niedrigen Wahl der Gegenſtaͤnde, des Ausdrucks
und der Formen, auch in dem Grundſatze folgte,
durch pikante Wuͤrkung des Lichts und Schattens
zu gefallen. Er mahlte hauptſaͤchlich Nachtſtuͤcke;
daher der Beinahme. Sein Colorit faͤllt zu ſehr
ins Gelbe und Rothe, und iſt, mit allem Scheine
von Wahrheit, doch conventionell. Schalken hat
unendlich mehr Wahrheit.
13).
Franceſco Vanni da Siena, geb. 1563. geſt. 1609.
Schuͤler des Salimbene und vorzuͤglich des Baro-
zio, deſſen Colorit er jedoch milderte, und mit einer
correkteren Zeichnung verband.
14).
Ich habe ſchon erinnert, daß es aͤußerſt zweifel-
haft ſey, ob M. Angelo je in Oehl gemahlt habe.
15).
Marcello Venuſto von Mantua war einer der ge-
treuſten Nachahmer des Michael Angelo. Die mei-
ſten kleineren Werke in Oehl, die man dem letztern
beilegt, ſind vom Venuſto.
16).
Girolano Muziano (geb. in dem Gebiet Breſcia
1528. geſt. 1590. zu Rom.) Dieſer Meiſter ver-
einigte eine correkte Zeichnung mit dem Stile der
Venetianiſchen Faͤrbung. Schade, daß letztere in
allen ſeinen Gemaͤhlden verblichen iſt, und daß der
Ton zu ſehr ins Gruͤnlichte faͤllt. Seine alten Koͤpfe
waͤhlte er ſehr gut, und gab ihnen viel Ausdruck.
17).
Aleſſandro Bonvincino, genannt Morello, geb.
zu
17).
zu Breſcia 1514. geſt. — Schuͤler Tizians. Er un-
terſcheidet ſich von dieſem durch eine Faͤrbung, die
ins Violette, ins Weinhefenartige, faͤllt.
18).
Julius Franciſcus von Bloemen, gebohren zu
Ant-
18).
Antwerpen 1656. ſtarb zu Rom 1748. Wahrſchein-
lich bildete er ſich nach Guaſpre Duͤghet oder Pouſ-
ſin. Er componirte ſeine Landſchaften in deſſen
Manier, aber nicht mit deſſen Geiſt. Man erkennt
ihn hauptſaͤchlich an dem hochrothen Horizont, wo-
von er den Nahmen erhielt. Seine Werke ſind
Mittelgut, man ſieht ſie uͤberall.
1).
Hr. Dr. Volkmanns Beſchreibung in ſeinen hiſto-
riſch- kritiſchen Nachrichten von Italien, 2ter Band,
S. 861. iſt durch die neueren Einrichtungen, die
mit dieſer Villa vorgenommen ſind, beinahe un-
brauchbar geworden.
2).
G. d. K. S. 283.
2 b).
Ich vermuthe daß dies der Mars ſey, den Win-
kelmann (Verſuch einer Allegorie fuͤr die Kunſt,
Dresden 1766. S. 42.) als in dem Pallaſt Bor-
gheſe befindlich anfuͤhrt. Er erklaͤrt die Binde fuͤr
Feſſeln, Schelleiſen, womit Mars, nach der Fabel,
von den gewaltigen Rieſen, den Soͤhnen des Aloni,
gebunden worden.
3).
G. d. K. S. 658.
4).
Sammlung antiquar. Aufſaͤtze I. St. nr. 2. S. 156.
5).
Ebendaſelbſt. S. 129 u. folg.
6).
Winkelm. G. d. K. S. 499.
7).
Winkelm. G. d. K. S. 279. Ich habe ſie bei Ge-
legenheit des ſchoͤnen Genius im Vatikan angefuͤhrt.
In den annotazioni ſopra le Statue di Roma.
S. 51. ſagt Winkelmann: la teſta e vergine in
tutte le ſue parti.
Das heißt unverſehrt, nicht
jungfraͤulich, wie es uͤberſetzt iſt.
8).
G. d. K. S. 810.
8 b).
Das Diadem hat zu der Benennung, Juno, ver-
fuͤhrt. Wahrſcheinlich iſt der Kopf ein Portrait
einer Kaiſerin im Charakter der Venus. Winkelmann
(Verſuch einer Allegorie S. 52.) haͤlt ihn fuͤr den
Kopf einer himmliſchen Venus, welche ſich durch
das Diadem von der Venus Aphrodite unterſcheide.
Dieſe Behauptung wird ihre Waͤhrung durch das-
jenige erhalten, was im Allgemeinen uͤber die Bei-
nahmen der Venus geſagt iſt. Das was unſern
Kopf als Venus charakteriſirt, iſt der anziehende
Reitz.
9).
G. d. K. S. 679.
10).
G. d. K. S. 375.
11).
Ein Inſtrument in Form einer Klapper, welches
wahrſcheinlich dazu diente, den Takt anzugeben.
12 a).
S. Hr. Hofrath Heynens Abhandlung von dem
vorgeblichen und wahren Unterſchiede zwiſchen Fau-
nen, Satyren, Silenen und Panen. Antiquar.
Aufſaͤtze, II. Stuͤck. Imgleichen Winkelmann G. d. K.
Wiener Ausg. S. 277.
12 b).
Winkelmann in den oft angefuͤhrten Annotazio-
ni ſopra le Statue.
S. 52. ſagt: ſie ſey blos mit
dem Meißel geendigt.
13).
S. 73. G. d. K.
14).
Bubaſtis, eine Figur mit einem Katzenkopfe.
Symbol des Mondes. Weil Katzen bei Nacht ſehen.
15).
Winkelmann, S. 519.
16).
Winkelm. Vorrede zur G. d. K. S. VI.
17).
Ueber Fech-
terſtatuen
uͤberhaupt.
Da ich von der beruͤhmteſten unter den Fechter-
ſtatuen rede, ſo wird zugleich die Beſtimmung der
Ideen uͤber Figuren dieſer Art hier am bequemſten
einzuſchalten ſeyn. Fechterſpiele waren Roͤmiſchen
und Etruſciſchen Urſprungs, und nicht im Geſchmack
der Griechen. Erſt von der Zeit an, da die Grie-
chen Fechterſpiele von den Roͤmern anſtellen ſahen,
und da griechiſche Kuͤnſtler in Rom lebten, iſt es
nicht unwahrſcheinlich, daß ſelbſt griechiſche Kuͤnſt-
ler dieſe Vorſtellungsarten gewaͤhlt haben. Allein
es laͤßt ſich vielleicht von keiner einzigen unter denen,
die uns als ſolche gezeigt werden, mit Gewißheit
behaupten, daß ſie wuͤrkliche Fechter ſind. Es fehlt
dazu an hinreichenden Beſtimmungszeichen. Die
meiſten Attribute, die ſie uns jetzt bezeichnen, ſind
neu, und der ſtarke, unterſetzte ſtaͤmmige Koͤrper,
der vielleicht am meiſten die Kuͤnſtler auf die Idee
von Gladiatoren bei der Ergaͤnzung geleitet hat, iſt
wahrſcheinlich den Kriegern, und vielen unter den
Athleten mit ihnen, eigen geweſen.
Die Benennung unſerer Statue als Fechter be-
ruhet auf keinen gewiſſeren Gruͤnden, als diejenigen
ſind
17).
ſind, die fuͤr die Benennung ſo vieler andern ange-
geben werden. Der Herr Hofrath Heyne, Samm-
lung Antiq. Aufſ. II. Stuͤck. S. 229. nennt ſie gar:
unſchicklich. Er ſagt: „Dieſe edle, ſchoͤne Figur
„eines ſo vortrefflich athletiſch ausgearbeiteten Koͤr-
„pers eines jungen Kriegers, im hoͤchſten Grad der
„Spannung aller Muſkeln, und doch ohne Ueber-
„treibung; wie konnte man ſich einfallen laſſen, ei-
„nen elenden Gladiator daraus zu machen? Wahr-
„ſcheinlicher Weiſe machte er eine Gruppe mit an-
„dern Figuren aus, und vor ihm ſtand eine Figur
„zu Pferde, gegen die er ſich vertheidigte. Ohn-
„geachtet ich uͤber die Ergaͤnzung des Stuͤcks nichts
„Genaues weiß, und es von der andern Seite ein
„Wunder waͤre, wenn eine Figur von ſo ausgeſtreck-
„ten Theilen, als hier Beine und Haͤnde ſind, un-
„verſehrt erhalten worden ſeyn ſollte: ſo lehrt doch
„die Richtung des Kopfes, daß er ſich gegen einen
„Angriff von oben her verwahret, und daß er eine
„Wunde von unten auf, wie in des Pferdes Bauch
„oder Bruſt anbringen will. Daß es ein hiſtori-
„ſches Stuͤck iſt, iſt mir ſehr wahrſcheinlich. Win-
„kelmann ſagt auch: ſein Geſicht ſey offenbar nach
„der Aehnlichkeit einer bekannten Perſon gebildet.“
Ich habe im Ganzen Nichts gegen die Moͤglich-
keit dieſer Erklaͤrung. Aber ich geſtehe zugleich, daß
ich die groͤßere Wahrſcheinlichkeit nicht fuͤhle. Das
ausgezeichnet Edle habe ich der angeſtellten Unter-
ſuchung ohngeachtet ſo wenig finden koͤnnen, als
daß der Arm mit dem Schilde neu ſey, wie der
Herr
17).
Herr Hofrath Heyne in der Note eben daſelbſt ver-
muthet. Es ſcheint mir nicht nothwendig, daß
der Streich von oben, den unſere Figur abzuwen-
den ſcheint, von einer Figur zu Pferde komme. Es
konnte ſehr wohl ein Hieb ſeyn, den der Gegner mit
aufgehobenem Arme ausholte. Selbſt der aufwaͤrts
gerichtete Blick ſcheint das Gegentheil nicht anzu-
zeigen. Denn die Richtung des Auges folgt eher
dem Schwerdte, als der Mine des Gegners.
Warum ſoll ſchlechterdings dieſe ſwelte Figur mit
dem Begriffe contraſtiren, den wir uns von einem
Fechter zu machen berechtiget ſind? Verlangt denn
ihr Talent weniger Geſchmeidigkeit, als die des
Ringers, des Kriegers? Weniger ſchlanken Wuchs,
weniger ausgearbeitete Glieder? Der Herr Hofrath
Heyne geſteht ſelbſt ein, daß ihre Koͤrper zum Aus-
druck, zumahl in Marmor, ſehr geſchickt geweſen
ſeyn muͤßten. Aber warum blos zum Ausdruck?
Das iſt wie mich duͤnkt, erſt die zweite Ruͤckſicht des
Kuͤnſtlers. Die erſte iſt ihm die Stellung, die die
Formen des Koͤrpers in ihrer groͤßten Schoͤnheit
und Abwechſelung zeigt.
Warum ſoll nun eben dieſes Stuͤck ein hiſtori-
ſches Stuͤck ſeyn? Weil der Kopf Aehnlichkeit mit
einer beſtimmten Perſon zu haben ſcheint? Wie
leicht kann nicht ein ſchoͤner Fechter Gelegenheit zu
dieſer Nachbildung gegeben haben, den entweder
das Volk, oder der Kaiſer gerade in dieſer Stel-
lung bewunderte!
Worauf der
Bildhauer
Aber es ſey mir erlaubt, hier etwas anzufuͤhren,
was ich an einem andern Orte noch weiter auszu-
fuͤhren
17).
fuͤhren Gelegenheit finden werde: Des Bildhauersbei der Wahl
eines Suͤjets
vorzuͤglich
Ruͤckſicht
nimmt.

erſte Ruͤckſicht kann nicht auf Bedeutung, auf Aus-
druck, in Beziehung auf ein gewiſſes beſtimmtes
Suͤjet aus der Geſchichte gehen. Sie geht viel-
mehr auf die Wahl ſolcher Gegenſtaͤnde, die ihm
Gelegenheit geben, ſeine Ideen von Schoͤnheit ſinn-
lich darzuſtellen, oder ſeine Kunſt in der Nachbil-
dung des menſchlichen Koͤrperbaues — fuͤr ihn ein
hohes Verdienſt! — zu zeigen.
Wenn wir dies gehoͤrig in Erwaͤgung ziehen, ſo
fuͤhlen wir, daß der Kuͤnſtler eben ſo gern einen
Gladiator habe darſtellen koͤnnen, daß man ſogar
in den Zeiten des Enthuſiasmus fuͤr die Fechterſpiele,
einen Gladiator, den das Volk oft vor ſeinen Augen
hatte ſiegen ſehen, eben ſo gern habe ſehen wollen,
als irgend einen Helden, der ſich in der Schlacht
auf eben die Art wie ein Gladiator, zum Angriff
oder zur Vertheidigung ſtellen mußte.
Wenn man nun ferner die groͤßere Bequemlich-
keit hinzu nimmt, die der Kuͤnſtler fand, im Circo
eine Idee zu einer ausgezeichneten Stellung zu ſamm-
len, als in der Schlacht; ſo gleicht man die Wahr-
ſcheinlichkeit der Benennung eines Fechters, mit der
eines Kriegers, bis zur Moͤglichkeit auf beiden Sei-
ten aus.
Und wenn es nun gar ein Nero, eine Fauſtina
geweſen waͤren, die dieſes Werkzeug ihrer Unterhal-
tung haͤtten nachbilden laſſen wollen?
Ich hoffe, man verſteht mich nicht unrecht, wenn
ich ſage: es iſt moͤglich, daß unſere Statue einen
Fechter
17).
Fechter vorſtellen koͤnne. Ich will damit nichts an-
deuten, als: Man kann nichts Gewiſſes uͤber ihre
Bedeutung beſtimmen. Aber daß ſie keinen Diſco-
bolus vorſtelle, wie der Baron von Stoſch meinte,
noch einen Chabrias, wie Leſſing eine Zeitlang
glaubte, dies ſcheint die Stellung hinreichend anzu-
zeigen.
18 a).
G. d. K. S. 499.
18 b).
Dies Thier iſt ein Symbol des Schlafs, weil es
den ganzen Winter hindurch ſchlafen ſoll. Winkelm.
Verſuch einer Allegorie. S. 138.
19).
Diſcobolus.Diſcobolus. Eine Figur, die mit dem Diſco, oder
einer Scheibe von Metall wirft.
20).
Pancratiaſt.Pancratiaſten ſind Fauſtkaͤmpfer, deren Haͤnde
mit Schlagriemen oder dem Caͤſtus umwunden wa-
ren, womit ſie vorzuͤglich den Kopf ihres Gegners zu
treffen ſuchten. Die Ohren litten dabei am meiſten.
Winkelmann gab daher die gequetſchten und ge-
ſchwollenen Ohren, die man an verſchiedenen Fi-
guren findet, als Wiedererkennungszeichen ſolcher
Perſonen an, die dieſes Spiel ausuͤbten. Allein
der Herr Hofrath Heyne, S. Samml. Antiquar.
Aufſaͤtze II. St. S. 253. erinnert mit Recht, daß
uͤberhaupt an ſtarken Koͤrpern die Ohren etwas ſtaͤr-
ker und wie geſchwollen ausſehen duͤrften. Solche
Ohren finden ſich vorzuͤglich auch an Koͤpfen des
Hercules, und mich duͤnkt, ich haͤtte uͤberhaupt an
den Einwohnern der mittaͤglichen Gegenden bemerkt,
daß die knorpelichten Theile des Ohrs ſtaͤrker und
hervorragender ſind, als bei noͤrdlichen Voͤlkern.
21).
Ueber den Charakter der Ringer, ſ. die Beſchrei-
bung des Capitols.
22).
Herr Volkmann in ſeinen Nachrichten uͤber Italien,
S. 866. des 2ten Bandes ſagt: Dies Basrelief
werde ſeiner Vortrefflichkeit wegen fuͤr ein Werk des
Praxiteles gehalten. Es hat nicht den geringſten
Anſpruch auf dieſe ehrbringende Vermuthung.
23).
Winkelmann, Vorrede zur G. d. K. S. V. ſagt:
man habe die Gruppe der falſchen Benennung we-
gen fuͤr roͤmiſch und ſchlechter gehalten, als ſie wuͤrk-
lich ſey. Inzwiſchen ſcheint mir die Arbeit doch
nicht beſonders ſchoͤn. Die Idee iſt artig: und der
Herr Hofrath Heyne, Antiq. Aufſaͤtze I. St. nr. 1.
S. 161. hat eine vortreffliche Aufloͤſung ihrer Ent-
ſtehungsart gegeben.
Die Venus, die den Mars liebkoſet, iſt keine
andere, als eine Abaͤnderung der Idee einer ſie-
genden Venus. An dieſem Beiſpiel laͤßt ſich recht
deutlich machen, wie eine urſpruͤnglich ganz phi-
loſophiſche Idee ſymboliſch ausgedruͤckt, endlich
ein Suͤjet fuͤr die Kunſt werden kann. In den
alten Coſmogonien ward der vorausgeſetzte Streit
der Elemente, und ihre nachherige Vereinigung
zur Schoͤpfung oder Bildung der Welt, auf viel-
fache Weiſe vorgeſtellt. Dahin gehoͤrt Mars
und Venus vereinigt, und als Aeltern der Har-
monie. Die Dichter zogen nachher, und zwar
ſchon fruͤh, die Fabel von der Liebe des Mars

und
23).
und der Venus daraus; die Kuͤnſtler verwandel-
ten es in eine angenehme Idee zwei ſchoͤner Ideal-
figuren, einer maͤnnlichen und einer weiblichen,
mit verſchiedenem Ausdrucke.

Unſer Kunſtrichter verwirft nachher aus Gruͤnden,
die ich ſchon bei der aͤhnlichen Vorſtellung im Ca-
pitol angezeigt habe, die Erklaͤrung einer Fauſtine
mit dem Fechter. Eher, faͤhrt er fort:
Ehrr ließ ſich noch denken, daß auf Fauſtine und
Marc Antonin angeſpielt ſey. Man hat ein
Paar bekannte Muͤnzen von der Fauſtine, wor-
auf dieſe Gruppe vorkoͤmmt: auf der einen ſteht
dabei Veneri Victrici. S. C. Es kann ſeyn,
daß ſie bei einem Aufbruch des Kaiſers in den
Krieg, oder bei einer andern Gelegenheit, mit
Ruͤckſicht darauf gepraͤgt worden. Allein es fol-
get nicht, daß fuͤr die Muͤnze die Idee zuerſt er-
funden, und nachher an Statuen copirt iſt.
Eben ſo wohl und wahrſcheinlicher, wie aus
mehreren Beiſpielen erhellet, war die Statue
fruͤher vorhanden, und ward auf Muͤnzen copirt.
24).
G. d. K. S. 876.
25).
Man trifft im Vatican, und zwar in der Gallerie,
die zur Bibliothek fuͤhret, eine dieſer aͤhnliche Sta-
tue an.
26).
Winkelmann. S. 68.

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CC-BY-4.0
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Zitationsvorschlag für diese Edition
TextGrid Repository (2025). Ramdohr, Friedrich Wilhelm Basilius von. Über Mahlerei und Bildhauerarbeit in Rom für Liebhaber des Schönen in der Kunst. Corpus of Literary Modernity (Kolimo+). https://hdl.handle.net/21.11113/4bq21.0